Skip to main content

Full text of "Die formen der Bakterien und ihre Beziehungen zu den Gattungen und Arten"

See other formats


I 


DIE 


FORMEN  DER  RAKTERIEN 


UND  IHEE  BEZIEHÜNGETsf 


zu  DEN 


GATTUNGEN  UND  AETEN. 


VON 


D?  FEEDIMD  HUEPPE, 

Doceiit  der  Hygiene  und  Bakleriologie  am  chemisclien  Laboratoriuni  von  11.  Fresenius 

zu  Wiesbaden. 


MIT   24  HOLZSCHNITTEN. 


WIESBADEN. 
C.  W.  KEEIDEL'S  VEELAG. 
1886. 


Das  Recht  der  Uebersetzung  bleibt  vorbehalten. 


Druclc  von  Carl  Rittor  in  Wiesbaden. 


HEIiRN 


D''  FERDINAND  COHN, 

PROFESSOR  DER  BOTANIK  IN  BRESLAU 


UND 


HEREN 


D-*  ANTON  DE  BAEY, 

PROFESSOR  DER  BOTANIK  IN  STRASSBURG 


HOCHACHTUNGSVOLL 


GEWIDMET. 


Vorwort. 


Seit  Jahren  herrschen  auf  dem  Gebiete  der  Morphologie  der 
Bakterien  die  schroffsten  Gegensätze,  ohne  dass  bisher  eine  gegen- 
seitige Verständigung  möglich  war.  Die  Stellungnahme  zu  den 
Theorien  über  die  allgemeine  Morphologie  hat  mehr  als  direct  er- 
mittelte Thatsachen  die  Ansichten  bestimmt,  so  dass  Schroffheiten 
und  fortwährende  Missverständnisse  kaum  zu  vermeiden  waren. 

Allmählich  scheinen  mir  aber  die  auf  diesem  Gebiete  selbst 
ermittelten  Thatsachen  so  weit  gediehen,  um  eine  erneute  Prüfung 
zu  gestatten.  Ohne  etwas  Kritik  geht  es  dabei  freilich  nicht  ab, 
wenn  man  auf  Grund  eigener  eingehender  Untersuchungen  und  Be- 
obachtungen ein  Material  zu  sichten  versucht,  bei  dem  die  wichtigsten 
morphologischen  Ermittelungen  oft  nur  nebenbei  in  physiologischen 
und  pathologischen  Arbeiten  erwähnt  sind,  während  manche  als 
morphologische  angekündigte  Mittheilnng  mehr  über  Biologie  als 
über  Mo]-phologie  zu  berichten  wusste. 

Eine  Klärung  und  Verständigung  über  die  morphologischen 
Grundlagen  ist  aber  in  der  Bakteriologie  von  einschneidender  Be- 
deutung für  die  biologischen  Fragen  und  schon  jetzt  hat  manche 
wichtige  physiologische  und  pathologische  Controverse  ihren  wissen- 
schattlichen  Abschlnss  erst  durch  eine  gründliche  morphologische 
Untersuchung  gefunden. 

,  Je  mehr  Klarheit  in  den  Grundzügen  herrscht,  um  so  leichter 
wird  sich  aber  auch  eine  Verständigung  in  Einzelheiten  anbahnen, 
und  ich  hoffe  mit  diesem  Versuche  etwas  zur  Klärung  und  gegen- 
seitigen Verständigung  beizutragen. 

Wiesbaden,  November  1885. 


Der  Yerfasser. 


Inhaltsverzeichniss. 


Seite. 


Vorwort   V 

I.  Die  älteren  Anschauungen  über  die  Bakterien.  Sind 
die  Bakterien  Thiere  oder  Pflanzen?  Sind  speeifische 
Trennungen  unter  denselben  möglich?   1 

II.  Unterscheidung  zwischen  naturhistorischen  Arten, 
Pormarten  und  physiologischen  Arten.  Unmöglich- 
keit nach  einer  Form  Arten  zu  bestimmen.  System 
von  F.  Cohn...-   7 

III.  Negation  des  S p e ci e  sb e gri f f  es.  Gehören  alle  Bakte- 
rien zu  einer  Art  oder  Gattung?  Sind  die  Formen  nur 
Anpassungserscheinungen?   16 

IV.  Controverse  über  den  Speciesbegrif f  und  die  Bedeu- 
tung der  Form  für  die  Artbestimmung   24 

V.  Stellung  der  Aufgabe.  Gi ebt  es  m on  o m  orphe ,  r el ati v 
einförmige  und  entschieden  pleomorphe  Arten  unter 

den  Bakterien?  Erweiterung  des  Begriffes  Bakterien  26 
Spaltpflanzen,  Spaltalgen  und  Bakterien   34 

VI.  Passt  sich  die  Form  geänderten  Aussenverhältnissen 
an?  Breite  der  Variab  ilität.  Gestattet  die  Gesammt- 
heit  der  Formen  ächte  Arten  oder  nur  Formarten  ab- 
zugrenzen?   ■    .    .    .    .  41 

VII.  Welchen  Einfluss  haben  Veränderungen  der  Funktion 
auf  die  Form?   Arten,  Varietäten  und  Ernährungs- 
modificationen.  Abschwächung  oder  Transformisraus?  62 
Speeifische  Formen  und  speeifische  Organismen   70 

VIII.  Die  Bedeutung  der  Zoogloea  zur  Abgrenzung  von 

Gattungen  und  Arten   75 

Chemische  und  mechanische  Einflüsse  des  Substrates  auf  die 

Bildung  der  Zoogloea   80 


VIII 


Inhaltsverzeichiiiss. 


IX.  Die  Wuchsfornien  der  Bakterien   ^"'^ 

I.  Die  Emzekellen;  typische  Formen   j. 

Die  Einzellzelleii  als  vegetative  Formen   9 

A.  Kokkenforni;  B.  Stäbchenfünn ;  C.  Schniubcnfünn    .'  % 

II.  Die  freilebauien  Eimclzellen ;  die  Zell-Tlieilmi^   9. 

Bewegungsorgane,  Cilien  \    .    .  9: 

III.  Die  Verbände  der  Einzelzellen  

A.  Ketten  und  Fäden   100 

B.  Flächenförniigc  Anordnung  


C.  Packetbildung , 


10, 


D.  Unregelmässige  Gruppen   jq^ 

IV.  Degenerationsformen  und  regressive  Metamorphose  lOß 

V.  Formen  der  Zoogloea  

X.  Fructification  der  Bakterien   jj3 

Endogene  Sporen  

Gonidien,  einfache  Sporen,  Arthrosporen   ].24 

Pleomorphie  der  Fruetiflcationsorgane   I33 

Keimung  der  Arthrosporen   13^ 

Bildung  und  Keimung  der  endogenen  Sporen   135 

XI.  Gattungen  der  Bakterien  

A.  Bakterien  mit  Bildung  endogener  Sporen   ]4l 

B.  Bakterien  mit  Bildung  von  Arthrosporen  incl.  der  Bakterien, 
deren  Fructification  unbekannt  ist   I44 

Bestimmung  der  Bakterien   I47 

XII.  Phylogenetische  Beziehungen  der  Bakterien  ....  14S) 


I. 


Die  älteren  Anschaiuiiigen  über  die  Bakterien.  Sind 
die  Bakterien  TMere  oder  Pflanzen?   Sind  speciflsclie 
Trennnngen  nnter  densell)en  möglicli? 

Die  ersten  Zeiten  nach  der  Entdeckung  der  Mikroorganismen 
durcli  Leeuwenhoek,  1675,  waren  Speculationen  über  die  Her- 
kunft dieser  Organismen,  über  Beziehungen  zu  Seuchen  und  über  äTin- 
liche  Fragen  gewidmet,  zu  deren  Entscheidung  die  mangelhaften 
Instrumente  und  dürftigen  Experimente  keinerlei  thatsächliche  An- 
haltspunkte lieferten.  Auch  der  erste  Versuch  einer  Classificirung 
auf  morphologischer  Grundlage  durch  Will,  1752,  brachte  noch 
wenig  Positives  zu  Tage.  Wichtiger  wurde  der  besser  motivirte 
Classificirungsversuch  von  Otto  Friedrich  Müller  dadurch, 
dass  er  1773  bis  1786  unter  den  Infusorien  auch  die  Mikroorganis- 
men berücksichtigte,  welche  wir  jetzt  Bakterien  nennen.  Wenn  auch 
die  Einzelheiten  seiner  Eintheilung  kaum  noch  Interesse  bieten  kön- 
nen, so  ist  es  doch  immerhin  nicht  unwichtig  zu  wissen,  dass  ein 
grosser  Theil  der  noch  jetzt  geläutigen  Namen  damals  von  Müller 
eingeführt  wurde.  Bezeichnungen  wie  Monas,  Bakterium,  Proteus, 
Vibrio,  und  unter  diesen :  Vibrio  rugula ,  Vibrio  bacillus,  Vibrio 
spirillum  finden  sich  von  jetzt  ab  in  der  Litteratur.  Auch  Bory 
de  Saint- Vin cen t,  1824  bis  1831,  brachte  noch  keine  prin- 
cipiellen  Fortschritte,  trotz  einiger  Berichtigungen  in  Einzelheiten. 

In  dieser  ganzen  früheren  Periode  wurde  in  Folge  der  unge- 
nügenden optischen  und  experimentellen  Hülfsmittel  die  morpho- 
logische und  biologische  Seite  der  Frage  immer  durcheinander  ge- 
worfen und  die  Theorien  waren  im  Gegensatze  zu  den  dürftigen 
Thatsachen  die  denkbar  grossartigsten.    Unter  diesen  Anschauungen 

Hueppe,  Formen  der  Üiikterion.  1 


Die  älteren  Anschauungen  über  die  Bakterien. 

Will  ich  nur  einige  anführen,  welche  sich  zum  Theil  bis  in  unsere 
Tage    wenn  auch  mit  Aenderungen,  erhalten  haben,  oder  s" 
deien  Prüfung  zugleich  zu  thatsächlichen  Fortschritten  geführt  h  ' 

d  e  H^t  sei  der  ersten  Entstehung  des  Lebens  dem  Experimente  d 
äem  Mikroskope  zugänglich  zu  machen  und  zu  lösen.  Solchen  an  d 
Gienze  zwischen  Anorganischen  und  Organischen  in  Infusen  entstl 

Sic?  c  Li.      7       "  Proteusartige  Xatur  sollte 

sich  dann  weiter  äussern  können,  dass  eine  „Verwandlung  Meta- 

Ta  sT  lT'  w""        -deren  Infusionsformen«  stattfin'deUder 
dass  au    den  Infusorien  sogar  die  Formen  der  Pilze  und  Flechten 
hervorgehen.    Bei  dieser  Umwandlung  der  Infusorien  in  Pflanzen 
sollten  äussere  Einflüsse  das  Bestimmende  sein 

Seit  den  grundlegenden  Versuchen  von  Spallanzani,  1776 
war  die  experimentelle  Forschung  mit  Erfolg  bemüht,  Licht  in  die- 
sem dunklen  Gebiete  zu  verbreiten.  An  der  Hand  immer  mehr  ver- 
feinerter und  vereinfachter  Versuche  konnte  man  die  generatio  spon- 
tanea  mehr  und  mehr  zurückweisen  und  erkennen,  dass  alle  bis  jetzt 
bekannten  kleinsten  Lebewesen  aus  specitischen  Keimen  hervorgehen. 

Auf  morphologischem  Gebiete  glaubte  dann  Ehrenbercn, 
1830  bis  1888,  den  Beweis  für  die  Haltlosigkeit  der  Lehre  von'dei' 
Urzeugung  führen  zu  können  durch  die  Mittheilung  der  Erforschung 
emer  hohen  Organisation  der  Infusorien,  an  der  auch  die  Bakterien 
participiren  sollten.  Die  Infusorien  wurden  von  Ehrenberg  in 
Tribus,  Gattungen  und  Arten  nach  Formmerkmalen  eingetheilt  und 
speciell  unsere  heutigen  Bakterien  wurden  bei  verschiedeneu  Familien 
untergebracht. 

L  Familie  Monadina. 

Gattung  Monas. 

Gruppe  I.    Kugelmonaden,  Sphaeromonades. 
a)  Punktmonaden; 
ß)  Eimonaden, 


Die  Infusionsthierchen  als  vollkommene  Organismen.  1838. 


Die  älteren  Anscliauiuig-en  über  die  Bakterien. 


3 


Gruppe  II.   Stabmonaden,  Rhabdomonas,  umlasst  alle  niclit 
deutlich  gegliederten  Bakterien,  darunter: 

a)  die  an  beiden  Enden  gieichmässig  abgerundeten,  cylin- 

drischen  Stabraonaden; 
ß  lind  7)  die  an  einem  Ende  zugespitzten,  am  anderen 

abgerundeten  Kegel  und  Kreiselmonaden; 
d)  an  beiden  Enden  verdünnten  Spindelmonaden. 

II.  Familie  C  r  y  p  1 0  m  0  n  a  d  i  n  a. 

Die  Gattung  Ophidomonas,  welche  man  jetzt  in  genetische  Be- 
ziehungen zu  den  Batterien  bringt. 

IV.  Familie  V  i  b  r  i  0  n  i  a. 
Gliederfäden  (Monadenstöcke) 


als  gradlinige  Körper  (durch 
rechtwinklige  Quertheilung) 
als  spiralförmig 

gekrümmte 
Körper  (durch 

schiefe  ? 
Quertheilung) 


imbiegsam   Bakterium. 


gewundene 
Gliederfäden, 
iinbiegsam 


schlangenförmig  biegsam  Vibrio. 

'  gewundene  Gliederfäden,  biegsam   .  Spirochaeta. 
■  cylindrisch  gedehnte 

Spiralform  Spirillum. 

scheibenartig  gedrängte 
.    Spiralform  Spirodiscus. 

Dujardin^)  berichtigte  viele  Irrthümer  Ehrenberg's  über 
die  Infusorien  und  wies  auch  speciell  die  angebliche  Organisation 
der  Bakterien  zurück.  Auch  Duj  ardin  bringt  noch  nicht  alles, 
was  wir-  jetzt  zu  den  Bakterien  rechnen,  unter  seinen  Vibrionen 
unter.  Unter  den  Vibrionen  D  uj  ar  din '  s  ist  die  Gattung  Bakterium 
dadurch  charakterisirt,  dass  die  mehr  oder  weniger  deutlich  geglie- 
derten starren  Fäden  nur  eine  zitternde,  keine  schlängelnde  Be- 
wegung zeigen.  Die  Gattung  Vibrio  hat  schlangen-  oder  wellen- 
förmig biegsame  Fäden.  Die  dritte  und  letzte  Gattung,  Spirillum, 
bildet  Fäden  in  Schraubenform. 

Bei  diesen  Eintheilungen  von  Ehrenberg  und  Duj  ar  din 
handelte  es  sich  darum,  scharfe,  constante  Formmerkmale  zu  finden, 
um  die  Vibrionia  gegen  die  übrigen  Infusorien  abzugrenzen  und  die 
Genera  innerhalb  dieser  Gruppe  zu  unterscheiden.  Ehrenberg 

Histoire  naturelle  des  Zoophytcs,  Infusoirea  1841. 


4 


Die  älteren  Anschauungen  über  die  Bakterien. 


fand  die  Yibrionia  dadurch  charakterisirt,  dass  er  die  Fäden  als 
zusammengesetzt  aus  isodiametrischen  Gliedern  aufl'asste,  1.  c,  S.  74, 
„Zitterthierchen  sind  Monadinen,  welche,  durch  quere  unvollkommene 
Selbstth eilung,  bewegte  Gliederfäden  bilden".  „Die  fadenförmigen, 
sehr  zarten  Körper  nämlich  sind  nicht  Eiuzelthiere,  sondern  ketten- 
artige Monadenstöcke  und  jedes  der  schwer  sichtbaren  Gliederchen 
der  Kette  ist  offenbar  erst  ein  Einzelthierchen.  Der  Grund  dieser 
Ansicht  liegt  darin,  weil  diese  Formen  nie  eine  bestimmte  Länge 
oder  Gliederzahl  besitzen,  und  weil  gleichzeitig  mit  sehr  langen  sehr 
kurze  vorhanden  zu  sein  pflegen  und  so  kurze,  dass  sie  bis  aus  nur 
2  bis  3  Gliedern  bestehen,  die  man  von  Monas  termo  und  crepus- 
culum  gar  nicht  anders  als  durch  die  Gesellschaft  und  eine  etwas 
eigenthümliche,  schwer  zu  charakterisirende  Bewegung  unterschei- 
den kann." 

Dujardin  erkennt  eine  solch  bestimmt  ausgesprochene  Zu- 
sammensetzung nicht  an  und  rechnet  wegen  des  Gesammthabitus 
viele  Formen  zu  den  Vibrionen,  die  Ehrenberg  wegen  mangeln- 
der Segmentirung  bei  der  Gattung  Monas  unterbrachte.    Von  einer 
scharfen  Abgrenzung  gegen  andere  Mikroorganismen  ist  demnach 
bei  beiden  Forschern  noch  keine  Rede  und  die  scheinbar  so  leichte 
Scheidung  der  einzelnen  Gattungen  der  Vibrionia  unter-  einander, 
der  starrfädigen  Bakterien  von  den  wellenförmig  biegsamen  Vibrionen 
und  den  schraubigen  Spirillen,  gestaltet  sich  in  der  Praxis  derart, 
dass  fortwährend  Verwechslungen  vorkommen.    Einig  sind  beide 
Forschern  mit  allen  ihren  Vorgängern  darüber,  dass  die  Bakterien 
zu  den  Thieren  gehören.  Doch  findet  sich  schon  bei  Ehrenberg 
ein  Bedenken  augedeutet,  indem  er  1.  c.  S.  77  meint  ,Der  Vibrio 
Bacillus  aus  dem  Zahnschleime  des  Menschen,  welcher  aber  kein 
Thier  zu  sein  scheint  und  den  ich  oft  passiv,  aber  nie  sich  activ 
bewegen  sah,  würde,  im  Falle  er  thierisch  wäre,  Bakterium  Bacillus 
zu  nennen  sein."    Dies  ist  das  erste  Dämmern  einer  neuen  Auf- 
fassung, welche  ein  physiologisches  Criterium  als  ungenügend  zur 
Entscheidung  morphologischer  Fragen  betrachtet,  auch  wenn  das- 
selbe noch  so  frappant  ist,  wie  die  scheinbar  willkürliche  Bewegung 

vieler  Bakterien. 

Das  Verdienst,  diesen  principiellen  Fortschritt  angebahnt  zu 


Die  älteren  Anschauungen  über  die  Bakterien. 


5 


haben,  gebührt  Perty.i)  y)[q  Yibrionida,  die  einfachsten  aller  Phyto- 
zoidien,  sind  nach  ihm  die  „wahren.  Blementarorganismen",  besitzen 
wahrscheinlich  keine  weitere  Organisation  mid  entstehen  „aus  An- 
fängen, welche  verschwindend  klein  sind."  „Die  einzelnen  Individuen 
sind  sphäroidisch  oder  ellipsoidisch ,  vermehren  sich  durch  Quer- 
theilung  und  bilden,  indem  sie  hierbei  gewöhnlich  zusammen  bleiben, 
Ketten,  die  entweder  gerade  oder  wie  ein  Korkzieher  gewunden 
sind".  Die  Vibrioniden  bewegen  sich  nachPerty  nicht  willkürlich, 
sondern  automatisch  „nach  dem  Typus  der  Oscillarieen".  „Die 
Vibrioniden  können  von  den  Botanikern  mit  eben  so  grossem  Eechte 
zum  Pflanzenreiche  und  zwar  zu  den  niedrigsten  Algen 
gerechnet  werden,  als  die  Oscillatorien  und  Spirulinen". 
Die  Yibrionida  theilt  Perty,  1.  c.  S.  179,  ein: 

A.  in  Spirullina.  Ketten  oder  Fäden  spiralgewunden;  mit 
den  Unterabtheilungen  Spirochaeta  und  Spirillum; 

B.  Bakterina.  Die  Fäden  geschlängelt  oder  gerade.  Als 
ünterabtheilungen  Vibrio,  Bakterium,  Metallacter  (Ba- 
cillus), Sporonema. 

Auch  Cohn  ^)  findet  fast  gleichzeitig  die  Verwandtschafts- 
beziehungen der  Bakterien,  ebenso  wie  Perty,  nicht  bei  den  Thieren. 
„Die  Bakterien  (Vibrionen)  scheinen  alle  in's  Pflanzenreich  zu  ge- 
hören, weil  sie  eine  unmittelbare  und  nahe  Verwandtschaft  mit 
offenbaren  Algen  bekunden." 

Durch  die  Untersuchungen  von  Perty  und  Cohn  war  der 
Schwerpunkt  der  morphologischen  Forschung  auf  eine  vergleichende 
Prüfung  der  gesammten  Formverhältnisse  der  Bakterien  hingewiesen. 
Nichtsdestoweniger  wurde  von  den  meisten  Forschern,  welche  die 
Bakterien  nicht  mehr  zu  den  Thieren  sondern  zu  den  Pflanzen  rech- 
neten, ein  einziges  physiologisches  Merkmal,  der  Mangel  an  Chloro- 
Ijliyll,  für  so- wichtig  gehalten,  dass  man  trotz  des  Mangels  morpho- 
logischer Verknüpfungspunkte  die  Bakterien  mit  N  ä  g  e  1  i  lieber  unter 
dem  Namen  Spaltpilze  zu  einer  selbstständigen  Abtheilung  der  Pilze 
machte,  wie  man  dieselben  früher  wegen  eines  anderen  physiologischen 


1)  Zur  Kenntniss  kleinster  Lebensformen,  1852,  S.  104. 

2)  Nova  Acta  Acad.  Gar.  Leop.  XXIV,  1853,  I,  S.  130. 


6 


Die  älteren  Anschauungen  über  die  Bakterien. 


Merkmales,  der  Bewegung,  zu  den  Thieren  gerechnet  hatte.  In  dieser 
Auffassungsweise  ist  wohl  auch  eine  der  Ursachen  zu  suchen,  dass 
später  Hai  Ii  er  und  seine  Anhänger  die  Bakterien  in  directe  onto- 
geuetische  Beziehungen  zu  den  Schimmelpilzen  bringen  konnten. 
Diese  letzteren  Beziehungen  wurden  von  deBary,  van  Tieghem, 
Cohn,  Burdon-Sanderson,  Nägeli  zurückgewiesen  und  damit 
die  Auffassung  wieder  angebahnt,  dass  die  Bakterien  eine  Pflanzen- 
Familie  für  sich  bilden. 

Unter  den  Forschern,  welche  daran  festhielten,  dass  die  Bak- 
terien eine  gesonderte  Gruppe  des  Pflanzenreiches,  gleichgiltig  ob 
den  Pilzen  oder  Algen  näher  stehend,  bilden,  machten  sich  dann 
zwei  Richtungen  bemerkbar.  Die  eine  hielt  daran  fest,  dass  die 
Formen  der  Bakterien  zugleich  gute  Artmerkmale  bilden  und  eine 
Trennung  der  Bakterien  in  Arten  und  Gattungen  nach  der  Form 
möglich  ist.  Die  Auflassung  von  Ehrenberg,  dass  alle  Bakterien, 
die  geraden,  welligen  und  schraubigen  Fäden  aus  isodiametrischen 
Gliedern  zusammengesetzt  sind ,  bahnte  die  andere  Richtung  an , 
deren  erster  Vertreter  Perty  in  sofern  ist,  als  er  zuerst  bestimmt 
erklärte,  dass  die  gerade  oder  schraubige  Form  der  Kette  nur  von 
der  Art  des  Verbandes  der  sphärischen  oder  ellipsoiden  Einzelzellen 
herrührt.  Sehr  entschieden  wurde  die  Auffassimg,  dass  Arten  im 
gewöhnlichen  Sinne  bei  den  Bakterien  nicht  vorkommen  und  im  Be- 
reiche derselben  keine  Rede  von  specifischen  Fermenten  sei,  von 
H.  Hoffmann  1)  vertreten. 

1)  Botanische  Zeitung  1869,  No.  15  his  20. 


Naturhistorische  Arten  und  Fomiarten. 


7 


II. 

Uiitersclieidimg  zwisclien  iiaturliistorisclieu  Arten, 
Formarteii  imd  pliysiologisclien  Arten.  Unmögliclikeit 
nach  einer  Form  Arten  zn  bestimmen.    System  von 

F.  Colin. 

Von  der  ganzen  bisherigen  Betrachtungsweifee  wich  zuerst  C  o  hn ^) 
ab.  Seine  Untersuchungen,  welche  er  zum  Theil  in  Verbindung  mit 
Schröter 2)  unternommen  hatte,  führten  ihn  zu  der  Ansicht,  „dass 
die  Bakterien  sich  in  ebenso  gute  und  distincte  Arten 
gliedern,  wie  andere  niedere  Pflanzen  und  Thiere." 
Bei  dem  Versuche  der  Abgrenzung  solcher  distincter  Arten  wurde 
Cohn  durch  die  „ausserordentliche  Kleinheit,  das  meist  gesellige 
Zusammenwohnen  verschiedener  Speeles,  sowie  die  Varabilität  der 
Arten"  sehr  gehindert.  Zwei  Beobachtungen  waren  es,  welche  ihm 
trotzdem  die  Möglichkeit  eröffneten,  die  Artabgrenzung  nach  mor- 
phologischen Gesichtspunkten  durchzuführen.  Dies  war  einmal 
die  Thatsache,  dass  die  von  ihm  imtersuchten  Bakterien  in  bestimmten 
Medien  immer  in  bestimmter  typisch  wiederkehrender  Form  sich 
zeigten  und  dass  ferner  Eigenthümlichkeiten  der  Formen  der  Einzel- 
individuen durch  das  Zusammensein  vieler  Einzelindividuen  deutlicher 
wurden.  Bei  dem  Zusammenhang  vieler  Einzelzellen  machten  sich 
dann  durchgreifende  Unterschiede  bemerkbar,  indem  einzelne  Bak- 
terien in  unregelmässiger  Weise  Schleimfamilien  bildeten,  während 
andere  in  Ketten-  oder  Fadenform  zusammen  blieben. 

Die  Formen  der  Binzelzellen  von  Kugeln,  Ellipsoiden, 
Kurzstäbchen,  Langstäbchen,  geraden  oder  gebogenen  Stäbchen  und 
Schrauben  genügen  allein  nicht  zur  Bestimmung  von  Gattungen  und 
Arten,  aber  ebensowenig  genügt  allein  die  Kenntniss  der  Verbin- 
dungsweise  de r  Einzelin dividuen  zu  Gal  1er tmassen  oder 
Fäden.  Beide  Momente  müssen  gleichmässig  berücksichtigt  werden  und 

1)  üntersucliungen  über  Bakterien.  Beiträge  zur  Biologie  der  Pflanzen, 
1.  Heft,  2,  1872,  2.  Abdruck  1881,  S.  127.  * 

2)  Ueber  einige  durch  Bakterien  gebildete  Pigmente,  ibid.  S.  109. 


8 


Katurhistorische  Arten  und  Formarten. 


ausserdem  hat  Cohn  nicht  vergessen,  darauf  aufmerksam  zu  machen, 
dass  jedes  Eiuzelindividmim  bei  seiner  Entwicklung  zu  der  typisch 
wiederkehrenden  Form  kleine  Formabweichungen  durchmacht.  Aber 
auch  unter  Berücksichtigung  aller  dieser  Formmerkmale 
zusammen  vermag  Cohn  noch  keine  naturhistorischen 
Speeles  abzugrenzen,  er  kommt  „nicht  immer  zu  natürlichen,  son- 
dern höchstens  zur  Aufstellung  von  F ormspecies"  und  weiter 
muss  er  es  sogar  unentschieden  lassen,  in  wie  weit  diese  Formmerk- 
male „m-sprünglich  verschiedenen  Arten  zugehören,  in  wie  weit  sie 
von  äusseren  Umständen  abhängig,  in  den  Variationskreis 
einer  Art  fallen  oder  gar  nur  Entwicklungszu stände  des 
nämlichen  Wesens  sein  können." 

Um  bei  den  ungenügenden  Hülfsmitteln  bis  zum  Verwechseln 
ähnliche  Formen  und  Forraverbände  auseinanderzuhalten, 
half  sich  Cohn  damit,  dass  er  derartige  Bakterien  interimistisch 
nach  ihren  Wirkungen  in  chromogene,  zymogene  und  pathogene 
Arten  unterschied.  Die  Aufstellung  solcher  physiologischer 
Arten  geschah  in  der  Erwartung,  dass  die  weitere  Forschung  aucli 
noch  , morphologische  Verschiedenheiten  werde  erkennen  lassen, 
welche  die  Annahme  primärer  Artverschiedenheiten  begründen." 

Nachdem  Cohn  alle  diese  Möglichkeiten  in  Rechnung  gezogen 
hatte,  verwahrte  er  sich  sehr  entschieden  dagegen  schon  damals, 
„die  Grenzen  zwischen  natürlichen  Arten,  Formspecies,  physiologi- 
schen Arten  oder  Rassen  festzustellen"  und  erklärte,  dass  es  noch 
nicht  an  der  Zeit  sei,  „auf  diese  Fragen  eine  abschliessende  Ent- 
scheidung zu  geben"  und  dass  noch  zu  prüfen  sei,  „ob  und  welche 
dieser  Formgattungen  und  Arten  etwa  im  entwicklungsgeschichtlichen 
Zusammenhang  stehen."  Aber  wie  auch  die  Entscheidung  ausfallen 
möge,  „jedenfalls  verhält  sich,  nach  seiner  Meinung,  die  Sache  nicht 
so,  dass  ein  und  derselbe  Bakterien-Keim,  je  nachdem  er  in  Harn 
oder  Wein  geräth,  diesen  alkalisch,  jenen  fadenziehend  macht, 
oder  dass  dieselbe  Bakterie  hier  Buttersäure  bilden,  dort  Milzbrand 
übertragen,  hier  einen  rothen  Fleck  auf  einer  Kartoffel,  dort  Diph- 
therie in  der  Luftröhre  eines  Menschen  hervorrufen  kann." 

Die  erste  üruppirung  der  Bakterien  in  Formgattungen  wurde 
nun  von  Cohn  in  der  bekannten,  formell  sich  an  Ehrenberg's 


Natuvliistorische  Arten  und  Formarten. 


9 


Grnppiriing  anschliessendeu,  aber  sehr  oft  missverstandenen  Weise 
durchgeführt. 

Tribus    I.    Sphaerobakteria ;  Kugelbakterieu. ' 
Gattung  1 :  Mikrokokkns. 

Tribus  II.    Mikrobakteria;  Stäbchenbakterien. 
Gattun«?  2 :  Bakterium. 

Tribus  III.    Desmobakteria ;  Fadenbakterien. 
Gattung  3:  Bacillus. 
Gattung  4:  Vibrio. 

Tribus  IV.    Spirobakteria ;  Schraubenbakterien. 
Gattung  5:  Spirillum, 
Gattung  6 :  Spirochaete. 

Die  Namen  Mikrokokkus,  Bakterium,  Bacillus,  Vibrio,  Spirillum, 
Spirochaete  bezeichnen  bei  Cohn  nur  Gattungen  und  keine 
Wuchsformen.  Für  Cohn  ist  ein  Mikrokokkus  nicht  einfach 
eine  kuglige  oder  ellipsoide  Zelle,  Bakterium  ist  kein  Kurzstäbchen, 
Bacillus  kein  Langstäbchen.  Von  einer  starren  Form  der  Einzel- 
zellen weiss  Cohn  nichts;  er  giebt  ausdrücklich  an,  dass  „vor  der 
Theilung  die  Zellen  sich  erst  in  der  Längsachse  nahe  auf  das  Doppelte 
ihrer  normalen  Länge  strecken."  Die  Form  der  Einzelzelle  muss 
sich  demnach  im  Laufe  der  Ontogenese  ändern,  nur  tritt  in  diesem 
mehr  oder  weniger  beschränkten  Entwicklungskreise  eine  Form 
immer  typisch  wieder  auf  und  in  diesem,  aber  auch  nur  in 
diesem  Sinne  nennt  Cohn  seine  Formgattungen  nach  der  charak- 
teristischsten Form  der  Einzelindividuen. 

Die  Tribus  Sphaerobakteria  und  Mikrobakteria 
sollen  nach  Cohn  das  gemeinsam  haben,  dass  ihre  Einzelindividuen 
sich  zu  Schleimfamilien  vereinigen,  im  Gegensatz  zu  den  beiden 
anderen  Tribus,  deren  Einzelindividuen  sich  zu  Fäden  verbinden  oder 
in  Fäden  auswachsen  können. 

Gleichgültig  wie  auch  die  Veränderungen  durch  die  normale 
Entwicklung  sind,  so  sind  unter  den  Arten  der  Gattung  Mikrokokkus 
die  einen  dadurch  ausgezeichnet,  dass  die  typisch  wiederkehrende 
Form  die  einer  Kugel  ist,  während  sie  bei  anderen  ein  Ellipsoid, 
Fig.  1,  C,  sein  kann.  Zur  Bestimmung  der  Gattung  Mikro- 
kokkus von  Cohn  gehört  demnach  die  Kenntniss  von  zwei  Wuchs- 


10 


Naturhistoi'ische  Arten  und  Fonnarten. 


Fig.  1. 
B 


C  D 

°°  g3a? 


formen,  der  Einzelzellen  von  kiigliger  oder  ovaler  Gestalt  und  der 
Verbindung  der  Einzelindividuen  zu  einer  Zoogloea. 

Bei  der  Gattnng  Bakterium  kommen  als  typisch  wiederkelirende 
Formen  der  Einzelindividuen  je  nach  den  Arten  elliptische,  kurz- 
cylindrische  und  längere  cylindrische  Zellen  vor;  die  Fig.  1  A  zeigt 
z.  B.  bei  a  das  kurzcylindrische,  fast  ellipsoide  Stäbchen  von  Bak- 
terium termo,  während  b  die  Form  während  der  Theilung  darstellt, 
durch  welche  zunächst  kurze,  ellipsoide  Zellen  gebildet  werden; 
ausserdem  finden  sich  aber  auch  kleine  kuglige  Zellen,  welche  wahr- 
scheinlich in  die  Entwicklung 
derselben  Form  gehören ;  B  zeigt 
die   deutlichen    Stäbchen  von 
Bakterium  lineola  von  Cohn. 
Eine  scharfe  Abgrenzung  der 
Gattung  Mikrokokkus  von  der 
Gattung  Bakterium  auf  Grund 
der  Formen  der  Eiuzelzellen  ver- 
mochte Cohn  nicht  durchzu- 
führen; es  giebt  keine  Grenze 
zwischen  ellipsoideu  Mikrokokken 
und  ellipsoiden  Bakterien  und 
ebenso  können  die  stäbchenför- 
migen Bakterien  „mit  einzelnen 
Gliedern  der  Fadeubakterien" 
leicht  verwechselt  werden.  Die 
Berechtigung  zur  Aufstellung  der 
Gattung  Bakterium  und  die  Mög- 


Nach  Cohn.  A  Bakterium  termo.  B  Bakterium  liclikcit  ihrer  Abgrenzung  gegen 

liDCola.  C  Tetradc  (Sarcine)  aus  Bh.t,  D  von  ^.  (jj^^^^^^Qg  MikrokokkuS  fand 
Ei.   E   BaciUus  subtilis.    F  Vihrio  rugula.    G    "^"^    ^  & 

Vibrio  s.  Spiriiium  serpens.  H.  Spiriiium  voiu-  Qohn  darin,  dass  die  Bakterien 

tans.    J  Spiriiium  undula.    K  Spiriiium  tenue.  Q^g^^g^tze    ZU    den  unbe- 

weglichen Mikrokokken  zeitweilig  lebhaft  beweglich  sind  und  ihre 
Zoogloea  etwas  anders  aussieht;  die  Abgrenzung  gegen  die  Bacil- 
len wurde  dadurch  ermöglicht,  dass  die  Bakterien  keine  Fäden, 
sondern  eine  Zoogloea  bilden.  Zur  Gattung  Bakterium  von 
Cohn  gehören  also  zwei  Wuchsformen,  die  der  EinzelzeUen  von 


Naturhistorisphe  Arten  und  Formarten. 


11 


ellipsoider  oder  stäbchenförmiger  Gestalt  und  die  Vereinigung  der 
Eiuzelindividuen  7a\  einer  Zoogioea. 

In  Betreff  der  beiden  letzten  keine  Zoogioea  bildenden  Tribus 
macht  Cohn  zunächst  die  allgemeine  Angabe:  „Die  Zahl  der  zu 
einem  Faden  verbundenen  Gliederzellen  ist  verschieden  und  hängt 
theils  von  der  specifischen  Natur,  theils  von  äusseren  Verhältnissen 
ab."  Entgegen  der  Ansicht  von  Ehrenberg  und  Perty,  dass 
alle  Desmobakteria  und  Spi rob akteria  aus  isodiametrischen 
oder  kurz  scheibenförmigen  Gliedern  bestehen,  findet  Cohn  auch  bei 
den  grösseren  Spirillen  trotz  Eintrocknen  und  Eeagentien  wie  Jod 
und  Alkohol  eine  derartige  Stuctur  nicht,  „ohne  aber  die  Möglich- 
keit in  Abrede  zu  stellen,  dass  die  fadenförmigen  Bakterien  aus 
solchen  kurzen  Gliedern  bestehen."  Er  selbst  beobachtete  nm-  die 
nach  den  Arten  verschieden  langen,  cylindrischen  Stäbchen,  z.  B. 
Fig.  1,  E,  „in  welche  bei  der  Theilung  die  Fäden  zerbrechen  können." 
Es  ist  demnach  bei  Cohn  gar  keine  Kede  davon,  dass  jeder  noch 
so  lange  Faden  einzellig  ist,  sondern  nur  gesagt,  dass  auf  der  Höhe 
der  Entwicklung  Fäden,  welche  später  in  ihre  Einzelglieder  zer- 
fallen, einen  einheitlichen  Eindruck  machen  können  und  es  wurde 
von  ihm  nur  direct  die  Ansicht  zurückgewiesen,  dass  alle  Bakterien 
trotz  des  heterogensten  Habituseindruckes  nichts  weiter  sein  sollen 
als  Verbände  einer  einzigen  oder  doch  höchstens  von  zwei  Wuchs- 
formen, der  isodiametrischen  oder  kurzcylindrischen  Zellen. 

Von  den  Fadenbakterien  bestehen  nun  nach  Cohn  die 
Bacillen  aus  je  nach  der  Art  bald  kürzeren,  bald  längeren  „cylindri- 
schen Gliedern,  welche,  wenn  sie  isolirt  vorkommen,  dem  Bakterium 
lineola  ähnlich  sind,  durch  Quertheilung  aber  vermehrt,  sich  zu 
längeren  oder  kürzeren  Ketten  oder  Fäden  auseinanderreihen."  Die 
Länge  dieser  Fäden  hängt  „von  der  Länge  und  der  Zahl  der  zur 
Kette  verbundenen  Glieder"  ab.  Im  Gegensatze  zu  den  Ketten  von 
Kokken  zeigen  die  Ketten  der  Bacillen,  wie  Fäden,  äusserlich  keinerlei 
Gliederung,  sie  sind  „nicht  an  den  Gelenken  eingeschnürt."  Von 
Bacillus  subtilis,  Fig.  1,  B,  sagt  Cohn  z.  B.  L  c.  S.  175:  „Die 
Fäden  sind  sehr  dünn  und  zart,  so  dass  die  Grenze  der  Gliederungen 
nicht  leicht  erkannt  wird;  nur  bei  der  Quertlieilung  und  beim  Los- 
trennen der  Stücke  überzeugt  man  sich,  dass  die  einzelnen  Glieder 


12 


Naturhistorische  Arten  und  Pormarten. 


in  der  Regel  6  Mikrom.  lang  sind;  wir  finden  diese  bald  isolirt, 
und  dann  von  denen  des  Bakterium  lineola  (Fig.  1,  B.)  schwer  zu 
unterscheiden;  gewöhnlich  aber  Doppelglieder  von  12  Mikrom.,  oder 
zu  dreien  (dann  16  Mikrom.  lang),  und  in  längeren  Reihen;  ich 
habe  Fäden  von  26,  40,  66  und  selbst  von  132  Mikrom.  Länge  ge- 
messen; letztere  mögen  vielleicht  aus  mehr  als  20  Gliedern  bestehen." 
Später  gibt  Cohn  bei  Gelegenheit  einer  anderen  Untersuchung') 
an:  „Obwohl  die  Bacillusfäden  selbst  unter  starken  Vergrösserungen 
scheinbar  ungegliedert  sind,  so  ist  dies  in  Wirklichkeit  doch  nicht 
der  Fall;  die  einzelnen  Glieder,  aus  denen  die  Fäden  bestehen,  sind 
etwa  viermal  so  lang  als  breit."  Abgesehen  davon,  dass  Cohn 
auch  bei  den  Bacillen  die  durch  die  normale  Entwicklung  bedingten 
Formabweichungen  ausdrücklich  anführt,  gehörten  auch,  wenn  man 
nur  die  typischen  Formen  berücksichtigt,  zur  Charakteristik  der 
Gattung  Bacillus  zwei  Wuchsformen,  die  nach  den  Arten  wech- 
selnden Einzelstäbchen  und  die  Verbindung  derselben  zu  Fäden. 

Die  Gattung  Vibrio  bildet  nach  Cohn  wellenförmig  gebogene 
Fäden,  deren  Einzelzellen  dadurch  von  den  Einzelindividuen  der 
Bacillen  unterschieden  sein  sollen,  dass  sie  eine  deutliche  Bogen- 
krümmung  besitzen.  Es  könnte  hiernach  scheinen,  als  habe  Cohn 
unter  den  Einzelgliedern  der  Vibrionen  einfach  gekrümmte  Stäbchen 
verstanden.  Seine  weiteren  Ausführungen  machen  diesen  Schluss 
aber  wieder  etwas  fraglich.  Wenn  auch  die  Bewegung  der  Einzel- 
individuen den  „Eindruck  eines  in  Bewegung  gesetzten  Centrum- 
bohrers" macht,  so  sollen  doch  die  „formbeständigen  Wellenbiegungen 
der  Fäden  bei  der  Rotation  den  Anschein  der  Schlängehmg  hervor- 
rufen";  ferner  erblickt  Cohn  in  den  Vibrionen  „den  üebergang  zu 
den  Schraubenbakterien  oder  Spirillen."  Fasst  man  diese  Momente 
zusammen  ins  Auge,  so  müsste  man  auf  jeden  Fall  richtiger  die 
Einzelzelle  des  Vibrio  als  ein  schraubiges  Stäbchen  auffassen  und 
die  Fäden  der  Vibrionen  als  flach  ausgezogene  Schrauben  und  nicht 
als  einfach  wellig  gebogene  Fäden.  Der  nicht  schraffirte  Faden  von 
Vibrio  Rugula,  z.  B.  Fig.  1,  F,  ist  scheinbar  nicht  anders  gebogen 
als  der  wellig  gebogene  Faden  des  Bacillus  subtilis,  E ;  die  schraffirteu 


1)  Beiträge  zur  Biologie  der  Pflanzen,  II.  Heft,  2,  S.  264. 


Naturhistorische  Arten  und  Pormarten. 


13 


Fadenstücke  bei  T  zeigen  aber  wesentliclie  Differenzen,  wie  sie  durch 
Schraffirung  angedeutet  sind.  Während  vor  Cohn,  zum  Begriffe 
der  Bacillen  gerade  aber  starre  Fäden  gehörten,  rechnet  Cohn  Fäden 
zu  den  Bacillen,  welche  gerade  und  starr,  aber  auch  solche,  Avelche, 
wie  Fig.  1,  E,  gerade  und  biegsam  sind,  während  er  im  Gegensatze 
zu  den  frühren  Autoren  den  Vibrionen  keine  wellenförmig  biegsamen, 
sondern  wellenförmig  starre  Fäden  zuspricht. 

C  0  hn  vermochte  selbst  keinen  genügenden  Unterschied  zu  machen 
zwischen  dem  wellenförmig  gebogenen  starren  Faden  eines  Vibrio 
nnd  einer  ächten  Schraube  und  ist  unsicher,  ob  man  den  Vibrio 
serpens,  Fig.  1,  G,  nicht  „sogar  vielleicht  besser"  zu  den  ächten 
Schraubenbakterien  rechnen  müsse,  was  durch  die  umeinander  ge- 
wimdenen  Fäden  besonders  gut  illustrirt  wird. 

Nur  in  dem  einen  Punkte  ist  Cohn  auch  für  die  Gattung 
Vibrio  sehr  entschieden,  dass  zu  diesem  Gattungsbegriffe  neben 
der  Wuchsform  des  bogig  oder  richtiger  schraubig  gekrümmten 
Stäbchens  auch  die  Wuchsform  der  wellenförmig  gebogenen  oder 
richtiger  schraubigen  Fäden,  also  zwei  Formmerkmale  erforder- 
lich sind. 

Darüber  aber  lässt  er  wieder  im  Ungewissen,  ob  bei  seinen 
ächten  Spirobakteria  zwei  Wuchsformen  nöthig  sind  oder  ob  bei 
diesen  die  eine  Form  der  Schraube  zur  Gattungsbestimmung  genügt. 
Bisweilen  spricht  Cohn  auch  bei  den  Schraubenbakterien  von  Fäden, 
scheint  also  die  Schraube  mit  den  Fäden  von  Vibrionen  und  Bacillen 
in  Parallele  zu  stellen  und  gibt  zum  Beispiele  als  Unterschied  gegen 
die  Vibrionen  „die  dichter  und  enger  gewundene,  regelmässige  form- 
beständige Schraube  des  Fadens"  an.  Auf  der  anderen  Seite  sind 
aber  seine  Angaben  über  eine  Zusammensetzung  der  Schraube  resp. 
des  schraubigen  Fadens  aus  Einzelindividuen  oder  Gliedern  unge- 
nügend und  ohne  Uebereinstimmung.  Für  Spirillum  tenue,  Fig.  1,  K, 
giebt  er  an:  „der  Faden  zeigt  mindestens  Vj^  Windung  und  ist  dann 
einem  Häkchen  oder  s  ähnlich",  ohne  dass  man  aber  sicher  ist,  ob 
er  diese  j-Form  als  kleinstes  Einzelglied  auffasst  und  den  Einzel- 
Zellen  der  Bacillen  oder  Vibrionen  gleichwerthig  hält  oder  ob  er 
sie  als  wirklichen  Faden  betrachtet.  Umgekehrt  giebt  er  für  Spirillum 
undula,  Fig.  1,  J,  an,  dass  sich  gewöhnlich  „Glieder  von  nur  ciuer 


14 


Naturhistorische  Arten  und  Fonnarten, 


I 


halben  oder  einer  ganzen,  selten  von  Vj^  bis  2,  ja  3  Spiralwindungen" 
finden;  hier  scheint  kein  Zweifel  zn  sein,  dass  er  die  Glieder  mit 
den  Gliedern  von  Vibrionen  und  Bacillen  gleichwerthig  hält,  dagegen 
ist  es  wieder  ganz  unklar,  ob  er  die  Glieder  mit  3  Spiralwinduugen 
auch  als  Glieder,  d.  h.  als  einzellig  betrachtet  oder  ob  er  sie  als 
Fäden  auffasst,  d.  h.  als  zusammengesetzt  aus  den  kürzeren  Gliedern. 
Auch  für  Spirillum  volutans,  Fig.  1,  H,  giebt  er  nach  dieser  Rich- 
tung gar  nichts  Bestimmtes  und  nennt  nur  die  Zahl  der  Windungen 
und  erklärt  sehr  bestimmt,  dass  er  die  von  Ehrenberg  ange- 
nommene Gliederung  trotz  aller  Beniühungen  nicht  habe  finden 
können.    Im  Allgemeinen  haben  wohl  Anhänger  und  Gegner  von 
Cohn  aus  seinen  Angaben  herausgelesen,  dass  er  mehr  geneigt  ist. 
nicht  nur  die  kurzen  Schraubenstücke,  sondern  auch  die  längsten 
Schrauben  wegen  ihres  einheitlichen  Eindruckes  als  Glieder,  d.  h. 
als  einzellig  und  nicht  als  Fäden,  d.  h.  als  zusammengesetzt,  aufzu- 
fassen.   Nur  darauf  muss  man  achten,  dass  Cohn  selbst  die  Form- 
abweichungen, welche  durch  die  Entwicklungs-  und  Theilungsvor- 
gänge  bedingt  sind,  berücksichtigt  hat,  soweit  er  diesen  normalen 
Entwicklungskreis  von  den  kleineren  zu  den  grösseren  Formen  und 
den  Zerfall  der  grösseren  in  die  kleineren  beobachtet  hatte  und 
kannte.    Die  Arten  glaubte  Cohn  auf  Grund  des  Gesammthabitus 
der  Schrauben,  Fig.  1 ,  G,  H,  J,  K,  natürlich  nur  als  Formarten,  ab- 
grenzen zu  können;  die  Form  gener  a  schied  er  dadurch,  dass  er 
unter  Spirochaete  Formen  mit  flexiler  und  langer,  enggewundener 
Schraube,  unter  Spirillum  Formen  mit  starrer,  kürzerer  und  weit- 
läufiger Schraube  verstand. 

Eins  geht  wohl  aus  Cohn's  Darstellung  sicher  hervor,  dass  Form- 
merkmale recht  ungenügend  sein  können,  wenn  man  an  der  Grenze  des 
Sichtbaren  steht.  Auch  Cohn  konnte  trotz  seiner  scheinbar  so  leich- 
ten und  sicheren  Unterschiede  zwischen  Vibrio,  Spirillum  und  Spiro- 
chaete diese  Gattungen  nicht  einwandsfrei  trennen  und  ist  über  die 
Stellung  einzelner  Formarteu  zu  diesen  Gattungen  durchaus  unsicher. 

Er  verfiel  ähnlichen  Unsicherheiten,  wie  er  sie  selbst  bei  Ehren- 
berg und  Duj ardin  vermerkte,  er  verschob  die  Schwierigkeiten, 
aber"  er  hob  sie  nicht  ganz  auf.  Aber  trotz  derartiger  Schwächen 
ist  der  Fortschritt  durch  Cohn's  grundlegende  Arbeit  ein  ganz 


Naturhistorische  Arten  und  Formarten.  15 

enormer.  Er  zuerst  machte  scharfe  Unterschiede  zwischen  natnr- 
historischen  Arten  und  Formarten,  er  verlangte  zuerst  zur  Art-  und 
Gattungsbestimmung  die  Berücksichtigung  aller  zugänglichen  Form- 
merkmale und  wies  die  Auffassung  zurück ,  dass  man  mit  einer 
Form  allein  Formarten,  geschweige  denn  naturhistorische  Arten  unter- 
scheiden könne.  Weiter  zeigte  er  die  Wege  an,  wie  man  sich 
provisorisch  helfen  kann  um  das  Material  zu  sichten,  um  etwas 
festeren  Boden  für  die  fernere  Forschung  zu  gewinnen.  Er  machte 
es  deutlich,  dass  physiologische  Merkmale  und  experimentelle 
Forschung  den  Mangel  morphologischer  Kriterien  für  die  morpho- 
logische Seite  der  Forschung  nicht  zu  ersetzen  vermögen  und  die 
Forschung  nach  dieser  Richtung  das  Wichtigste  noch  zu  thun  habe. 

Im  Laufe  der  nächsten  Jahre,  nachdem  er  inzwischen  die  Fructi- 
fication  der  Bacillen  morphologisch  vollständig  erkannt  hatte,  kam 
er  auf  Grund  vergleichender  Untersuchungen  über  die  Entwicklung 
der  Formen  und  über  die  Wirkungen  von  Bakterium  termo  und 
Bacillus  subtilis  ^)  zu  der  etwas  modificirten  und  präcisirten  Auf- 
fassung, dass  seine  Gattungen  (Mikrokokkus,  Bakterium,  Bacillus, 
Vibrio,  Spirillum,  Spirochäte)  natürliche  und  nicht  blosse 
Formgattungen  sind,  während  die  Arten  dieser  Gattungen  nur 
provisorische  und  wesentlich  Formarten  und  nur  zum  Theil  wirklich 
natürliche  Arten  sind.  Die  Gattungen  Bakterium  und  Bacillus  können 
„höchstens  in  ihren  ersten  Entwicklungszuständen  verwechselt  werden", 
sind  aber  „durch  ihre  gesammte  En t  wi  ck elungs  geschieh  te  , 
durch  ihr  Verhalten  gegen  höhere  Temperaturen  und  andere  Lebens- 
bedingungen, sowie  durch  ihre  Fermentwirkung"  durchaus  verschieden. 
„Unsere  Untersuchungen,  meint  Cohn,  geben  neue  Stütze  dem  Satze, 
den  ich  als  den  Angelpunkt  für  die  wissenschaftliche  Erkenntniss  der 
Bakterien  und  ihre  chemischen  und  pathogenen  Fermentwirkungen 
überhaupt  betrachte,  dass  es  ganz  verschiedene  Gattungen 
dieser  Organismen  giebt,  welche  immer  nur  aus  Keimen 
gleicher  Art  hervorgehen  und  durch  verschiedene  Ent- 
wickelung,  verschiedene  biologische  Bedingungen  und  Ferment- 
thätigkeiten  sich  scharf  und  constant  unterscheiden." 

1)  Beiträge  zur  Biologie  der  Pflanzen,  II,  2.  Heft  1S7G.  S.  274. 


16 


Negation  des  ISpeciesbegrilies. 


lU. 

Negation  des  Speciesl)cgriffes.  Gehören  alle  Bakterien 
zn  einer  Art  oder  Gattung?  Sind  die  Formen  nur  An- 
passnngsersclieinnngen  ? 

Im  Gegensatze  zu  diesen  Anschauungen  entwickelte  Kay-Lan- 
kestei-i)  1873  von  Neuem  dieAnsicht,  dass  alle  ß  akterienf  ormen 
genetisch  zu  einander  gehören  und  alle  Bakteri  en  trotz 
des  verschiedenen  Hahituseindruckes  von  Kugeln,  Stäbchen,  Schrauben, 
Fäden  etc.  in  eine  einzige  naturhistorische  Art  oder 
Gattung  zu  vereinigen  sind.  Bei  der  Untersuchung  einer 
Bakterienart,  welche  er  Bakterium  rubescens  nannte  und  die  später 
von  Cohn  mit  seiner  Clathrocystis  roseo-persicina  für  identisch  gehalten 
wurde,  erklärte  L an k e s t e r  die  genetische  Znsammengehörigkeit  von 
kugligen,  bisquitförmigen  Zellen,  Stäbchen,  Schrauben,  monasartigen 
Formen  deshalb,  weil  alle  diese  Formen  einen  eigenthümlichen, 
Bakterio-Purpurin  genannten  Farbstoff  enthielten. 

An  sich  stehen  diese  Beobachtungen  nicht  im  Gegensatze  zu 
den  Ausführungen  von  Cohn,  sondern  würden  dessen  Ansicht  nur 
erweitert  haben  durch  den  Nachweis,  dass  einzelne  Bakterien  einen 
weiteren  Formenkreis  durchlaufen  können,  als  Cohn  ihn  selbst  ge- 
funden hatte.  Nach  dieser  Richtung  wurden  die  Angaben  von  Lan- 
kester aber  von  den  Anhängern  von  Cohn  und  von  diesem  selbst 
nicht  genügend  geprüft,  sondern  meist  und  voreilig  als  unrichtig  be- 
zeichnet. Auf  der  anderen  Seite  machte  aber  L  a  n  k  e  s  t  e  r  den  noch  viel 
grösseren  Fehler  aus  dieser  einzigen  Beobachtung,  deren  Lücken  noch 
dazu  erst  später  ausgefüllt  wurden,  für  alle  Bakterien  die  Ueber- 
gangsfähigkeit  aller  Formen  zu  folgern,  trotzdem  für  andere  Arten 
und  Foimen  charakteristische  Merkmale,  wie  sie  ein  gut  gekenn- 
zeichneter Farbstoff  liefert,  nicht  vorhanden  waren. 

Aehnlich   ist  die  Ansicht,  welche   Billroth  2)  bald  nach 


1)  On  a  peach-coloured  Bacterium.     Quart.    Jom-nal  of  microscopical 

science,  1873,  Ser.  II,  Vol.  13;  ibid.  1876,  S.  27  und  S.  278. 

2)  Untersuchungen  über  dieVegetationsfomen  von  Coccobactenascptioa,lb<4. 


Negation  des  Speciesbogriffes. 


17 


Laukester  entwickelte,  indem  er  in  dem  Auftreten  verscliiedener 
Formen  wesentlich  eine  Abhängigkeit  vom  Substrate  sah.  Auch 
Warming^)  schloss  sich  1875  der  Ansicht  von  Lankestcr  und 
Billroth  an  und  meinte,  dass  die  verschiedenen  Gattungen  der 
Bakterien  nicht  haltbar  sein  werden  und  dass  vielleicht  nur  eine 
einzige  Gattung  Bakterium  mit  nach  dem  Substrate  wechselnden 
Entwicklungsstadien  anzunehmen  sei.  Ebenso  spricht  sichKlebs^) 
über  die  Uebergangsfähigkeit  der  einen  Form  in  eine  andere  aus, 
da  alle  Formen  nur  Entwicklungsstadien  ein  und  desselben  Organis- 
mus darstellen  sollen,  mit  der  Reserve  allerdings,  „dass  es  gewisse 
Formen  pathogener  Schizomyceten  giebt,  welche  vorzugsweise  als 
Stäbchen,  andere,  die  vorzugsweise  als  Kugelbakterien  auftreten." 

Diese  gegen  Cohn  gerichteten  Ansichten  sind  wesentlich  darauf 
basirt,  dass  in  Bakteriengemischen  sich  alle  möglichen  Formen  von 
Einzelzellen,  oft  scheinbar  als  directe  üebergangsformen  vorfinden, 
und  finden  ihre  methodische  Begründung  wesentlich  in  dem  nega- 
tiven Merkmale,  dass  es  den  betreffenden  Autoren  nicht  gelingen 
wollte,  aus  derartigen  Gemischen  sicher  bestimmte  Arten  oder  Form- 
arten zuisoliren.  Nur  L  a  n  k  e  s  t  e  r  versuchte  die  Zusammengehörig- 
keit der  Formen  durch  ein  scharfes,  physiologisch-chemisches  Merk- 
mal direct  zu  erweisen.  Im  Gegensatze  zu  der  Forderung  von  Cohn 
alle  Formmerkmale  zu  berücksichtigen,  wurde  in  diesen  Arbeiten  die 
Form  der  Einzelzellen  einseitig  herausgegrifi"eu,  und  hierin  liegt  schon 
der  Beginn  der  späteren  Confusion,  welche  daraus  entstand,  dass 
C  ohn' s  Gattungsnamen,  Mikrokokkus,  Bakterium,  Bacillus  etc.  ohne 
dass  dieser  geänderte  Sinn  besonders  vermerkt  wurde,  als  einfache 
Bezeichnungen  für  bestimmte  Formen  von  Einzelzellen  gebraucht 
wurden. 

Man  fing  an  mit  Mikrokokkus  nicht  mehr  eine  Gattung  mit 
mehreren  Formmerkmalen  zu  bezeichnen,  sondern  verstand  darunter 
eine  kuglige  oder  ellipsoide  Zelle.  Die  Gattungsbezeichnung  Bakterium 


1)  Om  nogle  ved  Danmarks  kystev  Icvende  Bacterier.  Videnskabelige 
Meddelelscr  fra  den  naturhistoriske  Forening  i  Kjobcnhavn,  1875,  S.  307,  citirt 
nach  einem  Keferate  von  Schröter  im  Botanischen  Jahresbericht. 

2)  Archiv  für  experimentelle  Pathologie,  1875,  Bd.  4. 

Hueppe,  Fonnen  dor  Bakterien.  o 


18 


Negation  des  Speciesbegriffes. 


diente  Vielen  von  jetzt  ab  zur  Bezeichngng  eines  Kurzstäbchens, 
Bacillus  bezeichnete  einfach  ein  Langstäbchen.  Hiermit  wurde  aber 
eine  einseitige  Auffassung  angebahnt,  welche  Cohn  selbst  wiederholt 
zurückgewiesen  hatte  und  vieles,  was  später  aus  mangelnder  Kennt- 
niss  der  Argumente  von  Cohn  gegen  ihn  angeführt  wurde,  bewies 
nur  die  Kichtigkeit  seiner  vorsichtigen  Fassung,  welche  die  Unmög- 
lichkeit oder  Schwierigkeit  dargelegt  hatte,  die  Formen  der  Einzel- 
zellen der  verschiedenen  Gattungen  scharf  gegeneinander  abzugrenzen. 

Während  Cohn  deshalb  seine  Gattungsbezeichnungen  nach  dem 
Usus  der  Morphologie  von  besonders  charakteristischen,  nie  fehlen- 
den Merkmalen  hernahm,  bildeten  sich  jetzt  auch  Bezeichnungen  aus, 
bei  denen  die  Gattungsbezeichnung  womöglich  ganz  überflüssigerweise 
alle  Formen  umfassen  sollte;  so  sprach  Billroth  von  einer Kokko- 
bakteria  und  Biedert^)  neuerdings  von  einem  Kokkobacillus.  Wenn 
man  in  dieser  Weise  fortfahren  wollte,  müsste  man  schliesslich  eine 
Beggiatoa  umtaufen  in  eine  „Kokko-Bakterio-Bacillo-Vibrio-Spirillo- 
Spirochaete-Spirulina".  Ich  hoffe,  dass  diese  ungeheuerliche  Wort- 
bildung, welche  höchstens  im  Bereiche  der  Wortbildimg  der  modernen 
organischen  Chemie  als  harmlos  kurze  Bezeichnung  gelten  könnte, 
welche  aber  ebenso  correct  gebildet  ist  wie  die  Worte  Kokkobakteria 
oder  Kokkobacillus,  den  in  der  Entstehung  begriffenen  Gegensatz  gegen 
die  klare  morphologische  Auffassung  von  Cohn  recht  deutlich  macht. 

Durch  die  Experimente  von  Pasteur,  durch  die  Beobachtungen 
von  Cohn  undSchröter,  durch  einzelne  Angaben  von  Lankester 
und  Klebs  war  die  Möglichkeit  gezeigt,  auch  bei  den  Bakterien 
einen  einwandsfreien  Ausgangspunkt  zu  finden,  um  bestimmte  Arten 
oder  Formen  von  anderen  zu  trennen  und  von  solchen  reinen,  isolirten 
Formen  ausgehend  zu  ermitteln,  welche  Formen  in  den  Entwicklungs- 
kreis einer  Art  gehören.  Nägeli^)  erklärte  demgegenüber:  , Spalt- 
pilze gestatten  mit  Sicherheit  keine  Reinkultur ,  theils  wegen 
ihrer  ausserordentlichen  Kleinheit,  theils  wegen  ihrer  allgemeinen 
Verbreitung  im  Wasser  und  in  der  Luft".    Mit  dieser  Erklärung 


1)  Virchow's  Archiv,  Bd.  100,  1885,  S.  439. 

^)  Nägeli  und  Seh  wen  den  er.    Das  Mikroskop,  2.  Aufl.,  1877,  S.  644 


Negation  des  Speciesbcgriffes. 


19 


verzichtete  N  ä  g  e  1  i  von  vornherein  auf  einen  zuverlässigen  Ausgangs- 
punkt und  auf  eine  rein  sachliche  Kritik. 

Bei  so  eigenthümlicher  Sachlage  musste  das  Erscheinen  des 
bekannten  Werkes  von  Nägeli^)  von  Einfluss  auf  das  Urtheil  über 
die  Morphologie  und  Biologie  der  Bakterien  werden.  Der  Mangel 
jeder  historischen  Angabe,  die  Sicherheit,  mit  der  die  „vorläufigen 
Sätze"  und  der  Inhalt  des  Werkes  selbst  vorgetragen  wurden,  erweckten 
vielfach  den  Anschein,  als  handele  es  sich  um  positive  Thatsachen, 
durch  welche  die  schwierigsten  Probleme  des  Gebietes  mit  einem 
Schlage  klar  gestellt  wurden. 

Nägeli  hat  nicht,  wie  man  ihm  oft  vorwarf,  geleugnet,  dass 
es  unter  den  Bakterien  möglicherweise  Arten  geben  könne,  er  hat 
nicht  behauptet,  dass  alle  Bakterien  in  eine  einzige  Art  zusammen- 
gefasst  werden  müssten;  er  hat,  wenn  auch  mit  grosser  Reserve 
zugegeben,  dass  es  specifische  Differenzen  unter  den  Bakterien  giebt. 
Aber  er  leugnete  in  sehr  entschiedener  Weise  die  Möglichkeit,  auf 
dem  von  Cohn  betretenen  Wege  der  Klärung  zur  Abgrenzung  von 
Arten  zu  kommen  und  beanstandete  damit  gerade  den  Theil  der 
Anschauungen  von  Cohn,  der  allein  geeignet  war,  der  Pathologie, 
Physiologie  und  Hygiene  zu  einem  sicheren  Ausgangspunkte  zu  ver- 
helfen. Der  Arzt  will  in  erster  Linie  wissen,  ob  bei  einer  Krank- 
heit beobachtete  Mikroorganismen  diagnostisch  und  difl'erentialdia- 
gnostisch  verwerthbar  sind.  In  diesem  Sinne  ist  z.  B.  die  Entdeckung 
der  Milzbrandbacillen  für  die  Diagnose  dieser  Krankheit  auch  von 
Solchen  verwerthet  worden ,  welche  nicht  an  die  ätiologischen  Be- 
ziehungen , glauben",  und  die  kleinen  Formabweichimgen  dieser  Bacillen 
von  denen  des  malignen  Oedems  geben  ein  werthvolles  Mittel  zur 
Differentialdiagnose  beider  Krankheiten,  welche  früher  oft  mit  einander 
verwechselt  wurden.  In  diesem  Sinne  ist  der  Nachweis  derTuberkel- 
bacillen  fast  schon  Gemeingut  der  praktischen  Aerzte  geworden  und 
wird  auch  in  den  Laboratorien  von  Pathologen  geübt,  welche  die 
ätiologischen  Beziehungen   zur  Tuberculose  noch  als   offne  Frage 


1)  Die  niederen  Pilze  in  ihren  Beziehungen  zu  den  Infectioiiskrankheitcn 
und  der  Gesundheitspflege,  1877. 

2* 


20 


Negation  des  SpeciesbcgrifFes. 


behandeln.  In  diesem  Sinne  ist  der  Nachweis  der  Spirochaeten  bei 
Kecurrensfieber  längst  verwerthet. 

Gerade  diese  Frage  war  aber  erst  durch  die  strengeren  Form- 
abgrenzungen, wie  sie  Cohn  begründet  hatte,  einer  Lösung  entgegen- 
geführt worden.  Diese  Frage  ist  praktisch  für  den  Mikroskopiker 
in  erster  Linie  eine  Frage  der  Formeigenthümlichkeit  und  der  Con- 
stanz  derartiger  Formeigenthümlichkeiten,  weil  nachgewiesener  Maassen 
unter  bestimmten,  typischen  Verhältnissen,  wie  sie  bestimmte,  typische, 
pathologische  Zustände  bieten,  bestimmte  und  deshalb  typische  Formen 
immer  wiederkehren,  ganz  gleichgültig,  ob  in  der  Entwicklung  zu 
dieser  bestimmten  Form  ein  enger  oder  weiter  Formenkreis  durch- 
laufen wird. 

Die  positive  Beantwortimg  der  Frage  in  diesem  Sinne  setzt  aber 
voraus,  dass  die  verschiedenen  Formen,  mögen  sie  auch  noch  so 
ähnlich  sein,  nicht  beliebig  in  einander  übergehen  können,  dass  sie 
nicht  schlechthin  veränderlich  sind,  sondern  dass  die  Verschieden- 
heit der  überhaupt  zur  Beobachtung  kommenden  Formen  zum  Theil 
wenigstens  in  primären  Artunterschieden  begründet  ist.  In  diesem 
Sinne  ist  von  Cohn,  Koch  und  ihren  Schülern  wiederholt  auf  die 
Differenzen  in  der  Form  der  Einzelzellen  hingewiesen  worden,  als  auf 
ein  zur  Artbestimmung  werthvolles,  allein  allerdings  nur  sehr  selten 
genügendes  Formmerkmal. 

Die  zweite  den  Arzt  interessirende  Frage  ist  die,  ob  bestimmte 
Mikroorganismen,  welche  unter  bestimmten  Bedingungen  in  bestimmter 
Form  auftreten,  auch  die  Ursache  dieser  Krankheit  sind.  In  dieser 
allgemeinen  ätiologischen  Hinsicht  ist  die  moderne  Pathologie,  dank 
besonders  den  Arbeiten  von  Virchow,  sehr  liberal.  Sie  verlangt 
nur,  dass  specifische  Wirkungen,  wie  sie  uns  in  den  Infectionskrank- 
heiten  entgegen  treten,  durch  entsprechend  specifische,  typische  Ur- 
sachen bedingt  sein  müssen,  dass  das  Causalitätsprincip  auch  auf 
diesem  Gebiete  zur  Anwendung  komme.  Diese  Forderung  ist  aber 
schon  zu  einer  Zeit  gestellt  worden,  als  die  Lehre  von  den  organisirten 
Kraukheitserregern  sich  noch  nicht  Bahn  gebrochen  hatte,  zu  einer 
Zeit  also,  als  man  sich  im  Allgemeinen  die  Krankheitsursachen  noch 
gar  nicht  organisirt  dachte,  von  einem  Speciesbegriffe  mithin  über- 
haupt noch  keine  Rede  sein  konnte.    Die  Ansicht,  dass  die  speci- 


Negation  des  Speciesbegriffes. 


21 


fischen  organischen  Erreger  der  specifischen  Kranlfheiten  die  Con- 
stanz  der  naturhistorischen  Species  haben  müsse,  verlangt  die  Pathologie 
im  Princip  nicht,  sondern  mir  dass  Ursache  und  Wirkung  sich  über- 
haupt decken.  Die  von  Nägeli  als  vorhanden  supponirte  und  zu- 
rückgewiesene Ansicht,  dass  „die  Krankheiten  keine  Species  im  natur- 
historischen Sinne"  sind,  ist  von  der  naturwissenschaftlichen  Schule, 
in  der  Pathologie,  welche  1877  allein  in  Frage  kommen  konnte, 
nie  aufgestellt,  wohl  aber  oft  mit  Entschiedenheit  zurückgewiesen 
worden,  wie  ich  bereits  früher  einmal  ^)  gegen  Nägeli  geltend 
machen  musste. 

In  ganz  derselben  Lage  befindet  sich  die  Physiologie.  P  a  s  t  e  u  r 
hatte  schon  lange  ^)  für  die  Fermentationen  die  Existenz  specifischer 
Hefen  postulirt,  ohne  aber  etwa  nur  an  naturhistorische  Arten  zu 
denken,  oder  gar  die  Producte  der  Alkohol-,  Buttersäure-  oder 
Milchsäuregährung  als  Species  zu  erklären. 

Gestützt  auf  Beobachtungen  in  Bakteriengemischen  und  unter 
principiellem  Verzicht  auf  den  Ausgang  von  Reinkulturen  fand  Nägeli 
keine  Nöthigung  „auch  nur  zur  Trennung  in  zwei  specifisch  ver- 
schiedene Formen."  Seine  Auffassung  geht  vielmehr  dahin:  „Alle 
Spaltpilze  sind  kurze  Zellen  (vor  der  Theilung  etwa  Vj^,  nach  der- 
selben so  lang  als  breit),  alle  zeigen  sich  bald  schwärmend,  bald 
ruhend;  die  Verschiedenheiten  bestehen  bloss  in  der  ungleichen 
Grösse  und  darin,  dass  die  Zellen  sich  nach  der  Theilung  von 
einander  lostrennen  oder  dass  sie  zu  Stäbchen  und  Fäden  verbunden 
bleiben,  welche  bald  gerade,  bald  mehr  oder  weniger  schrauben- 
förmig gewunden  sind."  „Alle  dickeren 
Stäbchen  und  Fäden  (oft  selbst  die  dün- 
neren) erscheinen  bei  Behandlung  mit 
verschiedenen  chemischen  Reagentien 
(namentlich  mit  Jodtinctur,  auch  beim 
Austrocknen)  bald  torulos  (wodurch  die 
Gliederung  nur  angedeutet  wird),  bald 
deutlich  kurzgliederig."  Die  Fig.  2 
illustrirt  diese  Auffassung  von  Nägeli, 
welche  an  Einfachheit  nichts  zu  wünschen 

1)  Deutsche  militäriirztlichc  Zeitschrift,  1882,  No.  3. 

2)  Comptes  rendus,  1858,  Bd.  47,  S.  224. 


22 


Negation  des  Speciesbegriffes, 


Übrig  lässt  und  mit  den  Angaben  und  Zeichnungen,  welche  Ehren- 
berg  bereits  1838  und  Perty  1852  gegeben  haben,  fast  ganz  über- 
einstimmt. 

Während  Cohn  bei  Beachtung  aller  morphologischen  und 
physiologischen  Merkmale  angenommen  hatte,  dass  die  verschiedenen 
Arten  verschiedene  Funktionen  ausüben,  und  dass  man  deshalb  in 
den  Fällen,  in  denen  die  morphologischen  Merkmale  nicht  zur  Unter- 
scheidung naturhistorischer  Arten  oder  doch  von  Formarten  aus- 
reichen, wenigstens  physiologische  Arten  annehmen  könne,  giebt 
Nägeli  an,  er  habe  ,von  jeher  bei  der  nämlichen  Zersetzung  oft 
einen  ziemlich  weiten  Formenkreis  der  anwesenden  Spaltpilze  oder 
mit  anderen  Worten  ein  Gemenge  von  mehreren  Formen,  die  man 
gewöhnlich  specifisch  oder  selbst  generisch  trennt,  beobachtet,  ander- 
seits bei  ganz  verschiedenen  Zersetzungen  dem  Anschein  nach  durch- 
aus die  gleichen  Spaltpilze  gefunden.  Diese  Thatsache  ist  der  Be- 
hauptung, dass  jeder  Zersetzung  eine  specifische  Pilzform  zukomme, 
durchaus  ungünstig."  Nägeli  ist  deshalb  ferner  der  Ansicht,  dass 
die  „morphologischen  Eigenschaften  der  Spaltpilze  und  ihr  Vermögen, 
verschiedene  Zersetzungen  zu  bewirken,  eine  generische  und  speci- 
fische Unterscheidung  nicht  rechtfertigen"  und  „dass  die  Spaltpilze 
sich  nicht  nach  ihren  Hefewirkungen  und  ihrer  Formbildung  speci- 
fisch gliedern."  Auf  der  anderen  Seite  nimmt  er  aber  an,  dass,  wenn 
auch  die  Möglichkeit  vorliege  „alle  Formen  in  eine  einzige  Speeles  zu 
vereinigen"  die  grössere  "Wahrscheinlichkeit  vorhanden  sei,  „dass  es 
einige  wenige  Arten  giebt,  die  aber  mit  den  jetzigen  Gattungen  und 
Arten  wenig  gemein  haben  und  von  denen  jede  einen  bestimmten 
aber  ziemlich  weiten  Formenkreis  durchläuft." 

Die  Beobachtung,  dass  unter  bestimmten  Verhältnissen  be- 
stimmte Formen  auffallend  regelmässig  wiederkehren  deutete  er,  wie 
vor  ihm  bereits  Lankester,  Billroth  undWarming,  als  eine 
Anpassungserscheinung,  indem  er  jeder  Speeles  das  Vermögen  zu- 
schrieb „sich  ungleichen  äusseren  Verhältnissen  anzupassen,  und 
demgemäss  in  verschiedenen  morphologisch  und  physiologisch  eigen- 
thümlichen  Formen  aufzutreten."  „Ich  halte  es  für  denkbar,  führt 
er  in  dieser  Hinsicht  weiter  an,  dass  die  Spaltpilze  durch  den  Um- 
stand, dass  sie  während  vieler  Generationen  die  gleichen  Nährstoffe 


Negation  des  Speciesbegviffes. 


23 


aufnelimen  und  die  gleiche  Gährwirkang  ausüben  oder  auch  keine 
Gährung  zu  vollbringen  Gelegenheit  finden,  einen  mehr  oder  weniger 
ausgesprochenen  Character  der  Anpassung  erhalten,  —  dass  sie 
morphologisch  irgend  eine  bestimmte  Form  (Mikrokokkus,  Bakte- 
rium etc.)  bevorzugen ,  und  dass  sie  auch  physiologisch  für  die 
eine  oder  die  andere  Zersetzung  tauglicher  werden.  Es  werden  sich 
also  Formen  von  ungleich  starkem  Gepräge  und  ungleicher  Coustanz 
ausbilden,  die  den  verschiedenen  äusseren  Bedingungen  entsprechen." 
Auf  diese  Weise  kommt  Nägeli  zu  der  Ansicht:  „Jede  Species 
der  Spaltpilze  tritt  in  mehreren  morphologisch  und  physiologisch 
verschiedenen  Formen  auf,  welche  durch  die  äusseren  Verhältnisse 
rasch  oder  langsam  ineinander  umgewandelt  werden,  wobei  die  frühere 
Hefenwirksamkeit  verloren  geht  und  eine  andere  erworben  wird." 

Auch  für  die  krankheitserregenden  Bakterien  findet  Nägeli, 
dass  sie  , nicht  specifisch  verschieden,  sondern  Formen  einer  oder 
einiger  weniger  Species  sind."  Viele  Beobachtungen  über  die  Ur- 
sachen und  die  Verbreitung  von  Infectionskrankheiten ,  über  das 
Gehen  und  Verschwinden  einzelner  Krankheiten,  das  Auftreten  ganz 
neuer  Seuchen  machen  ihm  „die  Annahme,  es  seien  die  Infectionspilze 
der  verschiedenen  Krankheiten  Species  im  naturgeschichtlichen  Sinne, 
nicht  wohl  möglich." 

Diese  Ansichten  über  eine  fast  schrankenlose  Anpassungsfähig- 
keit der  Formen  an  geänderte  Aussenbedingungen  und  über  den 
hiermit  Hand  in  Hand  gehenden  Wechsel  der  Funktion,  finden 
schliesslich  noch  eine  Zusammenfassung  in  folgenden  Worten  :  „Wenn 
meine  Ansicht  über  die  Natur  der  Spaltpilze  richtig  ist,  so  nimmt 
die  gleiche  Species  im  Laufe  der  Generationen  abwechselnd  verschie- 
dene morphologisch  und  physiologisch  ungleiche  Formen  an,  welche 
im  Laufe  von  Jahren  und  Jahrzehnten  bald  die  Säuerung  der  Milch, 
bald  die  Buttersäurebildung  im  Sauerkraut,  bald  das  Langwerden 
des  Weines,  bald  die  Fäulnisse  der  Eiweisstoffe,  bald  die  Zersetzung 
des  Harnstoffs,  bald  die  Kothfärbung  stärkemehlhaltiger  Nahrungs- 
mittel bewirken,  und  bald  Diphtherie,  bald  Typhus,  bald  recurriren- 
des  Fieber,  bald  Cholera,  bald  Wechselfieber  erzeugen." 


24 


Controverse  über  den  Speciesbegriff. 


IV. 

Controverse  ülber  den  Speciesl)egriff  und  die  Bedeutung 
der  Form  für  die  Artbestimmung. 

Die  Form,  in  welcher  Nage  Ii  seine  Ansichten  vortrug,  ist  Avohl 
von  Allen  als  eine  entschiedene  Stellungnahme  gegen  die  Ansichten 
von  Cohn  aufgefasst  worden  und  doch  ist  dies  inhaltlich  durchaus 
nicht  ganz  richtig.  Das  meiste,  was  Nägeli  gegen  Cohn  auszusprechen 
glaubte,  betrilFt  überhaupt  gar  nicht  dessen  Ansichten,  sondern  wen- 
det sich  vielmehr  gegen  die  längst  widerlegten  älteren  Anschauungen. 
"Was  Nägeli  in  erster  Linie  in  Abrede  stellte,  war  die  Berechtigung 
die  Cohn 'sehen  Arten  als  ächte  naturhistorische  Speeles  und  seine 
Gattungen  als  natürliche  zu  bezeichnen.  Diesen  Punkt  hatte  aber 
Cohn  bereits  vor  N  ä  g  e  1  i  unendlich  viel  sorgfältiger  erörtert  und  so 
klar  gestellt,  dass  es  mir  ganz  unbegreiflich  ist,  wie  man  hierin  eine 
Widerlegung  von  Cohn  erblicken  konnte,  da  Nägeli  im  Princip 
nur  dasselbe,  aber  mit  anderer  und  viel  weniger  sachlicher  und 
gründlicher  Motivirung  vorbrachte.  Dass  sich  die  Anhänger  der 
Anschauungen  von  Cohn  der  Unterschiede  zwischen  Speeles  im 
naturhistorischen  Sinne  und  specifischen  Differenzen,  wie  sie  Cohn 
bereits  1872  ausgesprochen  hatte,  bewusst  geblieben  sind,  geht  bei- 
spielsweise daraus  hervor,  dass  Koch^)  1881  erklärte,  ,dass  alle 
diejenigen  Bakterien,  welche  auf  demselben  Nährboden  und  unter 
übrigens  gleichen  Verhältnissen  durch  mehrere  TJmzüchtungen  oder 
sogen.  Generationen  ihre  Eigenschaften,  durch  welche  sie  sich  von 
einander  scheiden,  unverändert  beibehalten,  auch  als  verschieden  an- 
zusehen sind,  mag  man  sie  nun  als  Arten,  Varietäten,  Formen,  oder 
wie  man  sonst  will,  bezeichnen." 

Während  Cohn  seine  Pormgattungen  und  Pormarten  unter  Be- 
rücksichtigung aller  ihm  bekannten  Pormmerkmale  abzugrenzen  ver- 
suchte und  nm-  den  Schraubenformen  eine  etwas  grössere  Bedeutung 
beilegte,  im  Allgemeinen  sich  aber  dagegen  erklärte,  dass  man  aus 


1)  Mittheilungen  aus  dem  Kaiserlichen  Gesundheitsamte,  I,  1881,  S.  31. 


Controverse  über  den  Speciesbegriff. 


25 


der  Form  der  Einzelzellen  weitgehende  Schlüsse  ziehen  dürfe,  ist 
bei  Nägeli  nur  von  den  letzteren  die  Eede.  Indem  Nägeli  aus 
dem  Nebeneinandervorkommen  aller  möglichen  Formen  auch  die 
üebergangsfähigkeit  aller  Formen  ineinander  theoretisch  construirte, 
begünstigt  durch  die  Annahme  der  geschilderten,  aber  niemals  nach- 
gewiesenen Zusammensetzung  aller  Bakterienformeu  aus  isodiame- 
trischen Gliedern,  ignorirte  er  die  Motive  von  Cohn  vollständig, 
der  nichts  weiter  behauptet  hatte,  als  dass,  unbekümmert  um  die 
Formabweichungen  bei  der  normalen  Entwickelung  und  unbekümmert 
ob  ein  kleiner  Formenkreis  durchlaufen  wird  und  bei  der  Ontogenese 
mehrere  Formen  auftreten  können,  eine  bestimmte  Form  der  Einzel- 
zellen typisch  wiederkehrt.  Dass  eine  derartige  Formconstanz  vor- 
kommt giebt  auch  Nägeli  zwischen  den  Zeilen  zu,  wenn  er  von 
„morphologisch  und  physiologisch  eigenthümlichen  Formen"  als 
einem  Anpassungsvorgange  spricht. 

Betrachtet  man  die  Controverse  von  diesem  sachlichen  Stand- 
punkte, so  sind  die  principiellen  Differenzen  zwischen  Cohn  und 
Nägeli  nicht  so  schroff,  wie  sie  nach  der  Darstellung  von  Nägeli 
Jedem  erscheinen  müssen.  Während  Cohn  auf  Grund  seiner  aus- 
gedehnten Beobachtungen  den  zu  einer  Gattung  und  Art  gehörigen 
Formenkreis  relativ  eng  zog,  unter  ausdrücklicher  Zurückweisung 
eines  wirklichen  Monomorphismus,  hat  Nägeli  unter  Verzicht  auf 
einen  einwandsfreien  Ausgangspunkt  den  Pormenkreis  der  Speeles 
willkürlicher  und  im  Princip  weiter  gezogen.  Cohn  kennt  vor- 
wiegend relativ  einförmige,  aber  nicht  wirklich  monomorphe,  Nägeli 
dagegen  nur  pleomorphe  Arten.  Cohn  hielt  die  Summe  der  mor- 
phologischen und  biologischen  ■  Eigenschaften  für  verhältnissmässig 
constant,  zum  mindesten  zur  provisorischen  Trennung  in  Formarten 
und  physiologischen  Arten  genügend,  während  Nägeli  alle  Merk- 
male ausdrücklich  als  schlechthin  veränderlich  und  deshalb  als  un- 
genügend zur  Bestimmung  naturhistorischer  Speeles  auffasste. 

Die  nächste  Folge  der  Darstellung  von  Nägeli  war  nun  die, 
dass  die  schon  eingeleitete  Confussion  definitiv  Platz  griff,  in  einer 
Weise,  welche  jetzt  noch  herrscht  und  in  unserer  Tageslitteratur 
jeden  Augenblick  zur  Erscheinung  kommt.  Die  Anhänger  von 
Nägeli  waren  im  Allgemeinen  cousequenter  als  die  von  Cohn, 


26 


Giebt  es  monomorphe  und  pleomorphe  Arten? 


indem  sie  die  Gattungsnamen  von  Cohn,  wie  Mikrokokkus,  Bak- 
terium, Bacillus  etc.,  allerdings  ohne  diese  Aenderung  anzugeben,  nur 
noch  als  Bezeichnungen  von  Formen  in  dem  früher  schon  erwähnten 
Sinne  gebrauchten,  während  manche  Anhänger  von  Cohn,  durch  die 
Bestimmtheit  dieser  Angaben  verleitet  zum  Theil  ebenso  verfuhren, 
während  andere  an  der  Motivirung  von  Cohn  stricte  festgehalten 
haben  und  die  Namen  nicht  für  einzelne  Formen,  sondern  für  Gat- 
tungen anwendeten. 

Auf  diese  Weise  war  es  nicht  zu  vermeiden,  dass  mancher 
Forscher,  der  nur  Ergänzungen  und  Berichtigungen  zu  Cohn 's  Ar- 
gumenten brachte  unter  Bestätigung  des  Cardin alpunktes  seiner  Aus- 
führungen, C  0  h  n '  s  Ansichten  zu  widerlegen  meinte,  während  andere 
Forscher  Cohn  ganz  besonders  gut  zu  vertheidigen  glaubten,  wenn 
sie  eine  extreme  Formconstanz  aufstellten. 


V. 

Stellung  der  Aufgabe.  Giebt  es  monomorplie,  relatiy 
einförmige  nrd  entschieden  pleomorphe  Arten  unter 
den  Bakterien?  Erweiterung  des  Begriffes  Bakterien. 

Die  Aufgaben,  welche  durch  die  weitere  Forschung  zu  lösen 
waren,  sind  durch  die  Controverse  zwischen  Cohn  und  Nägeli 
schon  genügend  angedeutet.  Ich  will  die  wichtigsten  der  zu  lösen- 
den Fragen  der  Mittheilung  der  Thatsachen  vorausschicken,  weil 
eine  genügende  Präcisirung  bis  jetzt  noch  nicht  gegeben  ist  und  das 
Verständniss  für  den  Werth  der  einzelnen  Ermittelungen  durch  eine 
,scharfe  Fragestellung  erleichtert  wird. 

A.  Die  Art  unter  nicht  geänderten  Aussenbedingungen. 

].  Welche  Formen  gehören  in  den  normalen  Entwickelungskreis 
einer  Art  unter  den  Verhältnissen  des  spontanen  Vor- 
kommens? Ist  die  Art  nach  der  Zahl  der  auftretenden 
Formen  als  monomorph,  als  relativ  einförmig  oder  als  ent- 
schieden pleomorph  zu  bezeichnen? 


Giebt  es  monomorphe  und  pleomorphe  Arten? 


27 


2.  Welche  Form  stellt  das  vegetative  Stadium  dar,  welche 
Form  ist  demnach  die  für  eine  bestimmte  Zersetzmig  oder 
Krankheit  typische  oder  giebt  es  keine  derartige  Form? 
Welche  Veränderung  erfährt  die  vegetative  Form  durch  die 
normalen  Theilungsvorgänge  ? 

3.  Wenn  successive  verschiedene  Formen  auftreten,  hängen 
dieselben  mit  der  Veränderung  des  Nährbodens  derart  zu- 
sammen, dass  nach  dem  vegetativen  Stadium,  sich  besondere 
Euheformen,  Erschöpfungsformen  oder  Dauerformen  bilden? 
oder  vermögen  vielleicht  gerade  umgekehrt  die  verschiedenen 
Formen  des  Formcyklus  einer  Art  ganz  verschiedene  Zer- 
setzungen oder  Krankheiten  zu  bewirken?  Ist  demnach  das 
Auftreten  verschiedener  Formen  die  Ursache  verschiedener 
physiologischer  Wirkungen  oder  nicht  nur  einfach  ein 
Zeichen,  dass  ein  bestimmtes  Stadium  gerade  vorhan- 
den ist? 

B.  Die  Art  unter  geänderten  Aussenbedingungen. 

1.  Treten  in  allen  Medien  dieselben  Formenkreise  auf  oder 
können  in  verschiedenen  Medien  ganz  verschiedene  Ent- 
wicklungscyklen  vorkommen  ? 

2.  Können  in  bestimmten  Medien  einzelne  der  normaler  Weise 
sich  folgenden  Formen  fehlen,  und  wenn  dies  der  Fall  ist, 
hängt  dies  von  einem  specifischen  Einflüsse  dieses  Mediums 
ab  oder  nicht  vielleicht  nur  einfach  davon,  dass  das  Medium 
einem  bestimmten  Entwickelungsstadium  der  Art  besonders 
entspricht,  so  dass  die  andern  Formen  sich  überhaupt  nicht 
bilden  können? 

3.  Können  die  einzelnen  Formen  nach  dem  Substrate  variiren, 
sich  anpassen,  in  ihren  Dimensionen  ändern? 

4.  Wenn  Veränderungen  der  Form  auftreten  ist  dies  immer 
eine  Anpassungserscheinung  oder  kann  es  auch  ein  Zeichen 
des  Erliegens  im  Kampfe  ums  Dasein  sein? 

5.  Ist  die  individuelle  Variation  derart,  dass  dadurch  die  Art- 
bestimmung unmöglich  wird;  sind  diese  Formmerkmale 
schlechthin  veränderliche  und  gehören  sie  bereits  in  das  Ge- 
biet der  Umzüchtung,  des  Transformismus? 


28 


Griebt  es  monomorphe  und  pleomorphe  Arten? 


6.  Oder  ist  die  Breite  der  Variabilität  nur  derart,  dass  da- 
durch die  Artbestiramung  nicht  alterirt,  event.  sogar  die 
Differentialdiagnose  erleichtert  wird? 
C.  Sind  unter  Berücksichtigung  dieser  Ermittelungen  zwingende 
Gründe  zu  der  Annahme  vorhanden,  dass  alle  Bakterien  trotz 
des  differenten  Habituseindruckes  als   aus  isodiametrischen 
Gliedern  zusammengesetzt  zu  betrachten  sind  oder  kommen  ver- 
schiedene Formen  vor? 

Der  erste,  welcher  von  Neuem  einen  weiteren  Formenkreis  bei 
den  Bakterien  postulirte,  war  Cienkowski^),  welcher  den  geneti- 
schen Zusammenhang  von  Mikrokokkus,  Bacillus  und  Leptothrix  als 
direct  beobachtet  angab.  Würde  man  diese  Angabe  im  Sinne  der 
Terminologie  von  Cohn  interpretiren,  so  würde  dies  heissen,  dass 
er  den  üebergang  verschiedener  Formgattungen  in  einander  gefunden 
haben  wollte,  während  Cienkowski  nichts  weiter  sagen  wollte, 
als  dass  nach  seinen  Beobachtungen  in  der  Entwickelung  von  be- 
stimmten Bakterien  ausser  den  von  Cohn  schon  längst  erkannten 
Fäden,  Langstäbchen  und  Kurzstäbchen  auch  kugelige  Zellen  auf- 
treten können.  In  dieser  Form  vorgetragen,  würde  diese  Beobach- 
tung schon  damals  vielleicht  die  Möglichkeit  gezeigt  haben,  dass 
einzelne  Bakterien  einen  weiteren  Formenkreis  durchlaufen  können 
als  Cohn  angenommen  hatte.  So  aber  konnte  es  nicht  an  heftigem 
Widerspruche  fehlen  und  van  Tighem^)  erklärte  geradezu  die  Be- 
obachtungen und  Ansichten  von  Cienkowski  als  „pas  conforme 
ä  la  verite.'' 

M.  Wolff^),  der  nicht  der  Ansicht  ist,  „dass  alle  möglichen 
Spaltpilzformen  nur  Entwickelungsstufen  eines  und  desselben  Pilz- 
wesens sind",  fand  zwischen  Kugelbakterien  und  den  kurzen  Stäbchen 
einen  genetischen  Zusammenhang  und  beobachtete  Uebergangsformne 
zwischen  „den  exact  runden  oder  ovalen  und  exact  stäbchenförmigen 
Gebilden".    Er  hatte  nämlich  mit  Eiter,  in  welchem  er  nur  runde 

3)  Zur  Morphologie  der  Bakterien  1877. 

2)  Sur  la  gomme  de  sucrerie.  Annales  des  sciences  naturelles.  Botanique. 
T.  VII  1878,  S.  180. 

3)  Zur  Bakterienlehre  hei  accidentellen  Wundkrankheiten.  Virchow's 
Archiv  Bd.  81,  1880,  S.  193  und  S.  385. 


Giebt  es  monomorphe  und  pleomorphe  Arten? 


29 


Formen  beobachtet  hatte,  Nährlösungen  und  Thiere  inficirt  und  fand 
später  in  den  Lösungen  , neben  den  Mikrokokken  auch  kurze  cylin- 
drische  Stäbchen"  und  bei  den  Thieren  in  dem  an  der  Injections- 
stelle  entstandenen  Oedem  fast  nur  kurze  cylindrische  Stäbchen. 

Wernich^)  inficirte  verschiedene  Nährlösungen  mit  je  einem 
Tropfen  ein  .und  derselben  Faulflüssigkeit  und  beobachtete  in  den 
Lösungen  Formen,  welche  den  in  der  Ursprungsflüssigkeit  gesehenen 
„sehr  ähnlich"  waren.  Wegen  dieser  Aehnlichkeit,  aber  nicht  völli- 
gen Grleichheit  kam  Wernich  zur  Ansicht  einer  „labilen  Form- 
beständigkeit", die  er  aber  ebenso  wie  Wolff  seine  Beobachtungen 
nur  auf  die  Möglichkeit  des  Ueberganges  von  Formen  angewendet 
wissen  wollte,  welche  sich  schon  so  wie  so  sehr  nahe  stehen. 

Die  Versuche  von  Wolff  und  Wernich  waren  aber  ohne  die 
nöthigen  Cautelen  und  vor  Allem  ohne  Ausgang  von  Reinkulturen 
angestellt.  Als  Gaffky^j  diese  Versuche  unter  Beobachtung  der 
nöthigen  Vorsichtsmassregeln  wiederholte,  ermittelte  er,  dass  bei 
Uebertragungen  aus  Bakteriengemischen,  wie  sie  Eiter  und  Faul- 
flüssigkeiten darstellen,  in  verschiedenen  Nährlösungen  in  diesen 
inticirten  Lösungen  nicht  ähnliche,  sondern  dieselben  Formen  auf- 
ti-aten,  wie  sie  in  der  zur  Infection  benutzten  Flüssigkeit  enthalten 
waren,  aber  derart,  ,dass  die  eine  Form,  um  nicht  zu  sagen  Art, 
diese,  die  andere  jene  Nährlösung  bevorzugt." 

Inzwischen  hatte  C  o  h  n  3)  für  Bacillus  subtilis,  Fig.  1  E,  das 
Auftreten  von  kurzen,  mit  Bakterium  termo  leicht  zu  verwechselnden 
Stäbchen,  von  längeren  Stäbchen  und  von  Fäden  sicher  gestellt, 
welche  letztere  zum  Theil  deutlich  gegliedert,  zum  Theil  scheinbar 
ungegliedert  waren.  Derartige  Scheinfäden  erklärte  Cohn  als  die 
Leptothrix-Form  und  dadurch  wurden  zum  ersten  Mal  die  bis  dahin 
als  selbstständige  Art  betrachteten  starren  Fäden,  Leptothrix,  als 
eine  einfache  Entwickelungsform  erkannt.  In  diesem  Sinne  erklärte 
sich,  1.  c.  S.  272,  Cohn  dafür,  dass  die  als  Leptothrix  buccalis 

Die  accomoclative  Züchtung  der  Infectionstoffe.    Kosmos  IV,  1S80, 

Heft  8. 

2)  Mittheilungen  aus  dem  Kaiserlichen  Gesundheitsamte,  1881,  Bd.  I,  S.  121. 
8)  Beiträge  zur  Biologie  der  Pflanzen.   Bd.  II,  Heft  2,  1876,  S.  262. 


Fig.  3. 


30  Giebt  es  monomorphe  und  pleomorphe  Arten? 

bezeichneten  Fäden  wahrscheinlich  nichts  als  „unbeweglich  gewordene 
Entwickliiugszustände  eines  Bacillus"  sind,  dass  in  derselben  Weise 
„auch  die  vielen,  in  pathologischen  Bildungen  beobachteten  Leptothrix- 
formen  in  den  Entwickelungskreis  unserer  Gattung  Bacillus  gehören, 
wenn  auch  der  genetische  Zusammenhang  noch  dunkel  ist".  Den- 
selben Entwickelungskreis  von 
Bacillus  subtiiis'  beobachteten 
später  B  r  e  f  e  1  d  1)  und  P  r  a  z- 
mowski2),  Fig.  3A.  ohne 
dass  es  diesen  Forschern  ge- 
lang, weitere  in  diesen  Kreis 
w  i'^i^'^™^.    .  ^    gehörige  Formen  zu  finden. 

Nach  Prazmowski.   A  Bacilhis  subtiiis.   B  Clo-     .     i   ^-  r» 

stridium  butyricum.    C  Vibrio  rugula.  AUCll  lur  Bacillus  ullia,  Clo- 

stridium butyi-icum,  Fig.  3  B 
Clostridium  polymyxa  ermittelte  ^Prazmowski  denselben  Formen- 
kreis.   Eine  Erweiterung  dieses  Formenkreises  bei  der  Sporenbildung 
kann  erst  später  berücksichtigt  werden.    Dasselbe  stellte  Koch 3) 
Fig.  4.  für  den  Bacillus  anthracis,  Fig.  4  D, 

fest,  und  Prazmowski  fand  für 
a^  'r^  p  Vibrio  rugula,  Fig.  3  C,  kürzere  und 
%3 'JJ  ^  längere  schraubige,  scheinbar  ein- 
fach gekrümmte  Stäbchen,  und  län- 
gere sehraubige,  scheinbar  wellig 
gebogene  Fäden  wie  es  schon  früher 
Cohn  angegeben  hatte. 

Als  Ergänzung  zu  den  fi-ü- 
heren  Untersuchungen  von  Cohn 
xr,M     ^  "  nach  Photogram- 

NachPhotogrammen vonKoch.  ASpirillum  *^ 

undula.    B  Recurrens-Spirochäte.    C  Zahn-  mcn  VOU  K  0  C  h      daSS  iii  der  Ent- 

spirochäte.  D  Milzbrandbacillen  bei  a  Maus,  winVliinrv  vnr,  Q,->iv,-n„vr.  \ 

b  Ratte.    E  Bacillen  des  malignen  Oedems!  ^^^Cklung  VOn  bpillllum  Undula  A 

F.  Bacillus  subtiiis.  (die  Verschiedenheiten  von  a'  und 


1)  Botanische  Untersuchungen  über  Schimmelpilze,  IV,  1881. 

2)  Untersuchungen  über  die  EntAvickelungsgeschichte  und  Fermentwirkun^ 
einiger  Bakterienarten,  1880. 

8)  Beiträge  zur  Biologie  der  Pflanzen.    II,  Heft  2,  1876,  S.  277. 
*)  ibid.   Bd.  II,  Heft  3,  1877. 


Giebt  es  monomorphe  und  pleomorphe  Arten? 


31 


a"  rühren  von  verschiedener  Präparation  her)  noch  kürzere  Einzel- 
giieder,  a,  b,  c,  vorkommen,  als  sie  Cohn  in  Fig.  1,  J  beobach- 
tet hatte.  Es  war  damit  festgestellt,  wenn  auch  nicht  ausdrücklich 
erklärt,  dass  in  der  Entwicklung  von  Spirillum  eben  so  gut  wie  in 
der  Entwicklung  von  Vibro  zwei  Wuchsformen,  kurze  schraubige, 
scheinbar  nur  gekrümmte  Stäbchen  und  als  Fäden  längere  Schrauben 
vorkommen.  Die  Unsicherheiten,  welche  Cohn  bei  den  Abgrenzun- 
gen der  Gattung  Vibrio  gegen  Spirillum  begegneten,  liegen  also 
tiefer  begründet  und  es  bleibt  als  einziges,  noch  dazu  ganz  unsicheres, 
durch  üebergangsformen  wie  Vibrio  s.  Spirillum  serpens,  Fig.  1,  G, 
verbundenes  Unterscheidungsmerkmal,  dass  die  schraubigen  Fäden  von 
Vibrio,  Fig.  1,  F,  Fig.  3,  C,  flach  ausgezogen,  die  von  Spirillum, 
Fig.  1,  H,  J,  K  und  Fig.  4,  A  enger  sind.  Hiermit  war  ein  Anhalts- 
punkt dafür  gefunden,  dass  die  Schrauben  der  Schraubenbakterien  keine 
Glieder  und  nicht  einzellig,  sondern  dass  sie  Fäden  und  zusammen- 
gesetzt sind.  Vergleicht  man  weiter  unbefangen  C  o  h  n '  s  Zeichnung 
von  Spirillum  tenue,  Fig.  1,  K,  mit  Koch 's  Photogrammen  der 
Spirochaeten  des  Eückfallfiebers,  Fig.  4,  B,  und  den  Zahnspirochaeten, 
Fig.  4,  C,  so  wird  man  finden,  dass  allein  nach  der  Form  der 
Schraube  eine  scharfe  Grenze  auch  zwischen  der  Gattung  Spirillum 
und  Spirochaete  nicht  zu  ziehen  ist.  Diese  Ermittellungen,  dass  bei 
den  Schraubenbakterien  höchst  wahrscheinlich  ebenso  wie  bei  Cohn's 
Fadenbakterien  zwei  Wuclisformen,  die  von  Einzelgliedern  und  Fäden, 
zu  beachten  sind,  ergänzen  Cohn's  Ausführungen  über  seine  Gat- 
tungen der  Schraubenbakterien  sehr  wesentlich  und  zeigen,  wenn 
dieser  Punkt  auch  erst  viel  später  richtig  erkannt  wurde,  dass  die 
Fadenform  der  Schrauben  allein  zur  Abgrenzung  von  Formgattungen 
ein  unzureichendes  Mittel  ist.  Aber  diese  Ermittelungen  stellen  im 
Princip  für  die  Schraubenbakterien  nur  dasselbe  fest,  was  Cohn  für 
die  Fadenbakterien  eingehend  entwickelt  hatte,  dass  kürzere  und 
längere  Einzelglieder  und  Fäden,  also  ein  relativ  enger  Formenkreis, 
zur  Artbestimmung  gehören. 

Auch  die  weiteren  Untersuchungen  von  Koch,  Gaffky  und 
Löffler^)  ergaben  keine  weiteren  Formenkreise,  wie  z.  B.  Fig.  4, 


I)  Mittheilungen  aus  dem  Kaiserlichen  Gesundheitsamte,  I,  1881. 


32 


Giel)t  es  monomorphe  und  pleomorphe  Arten? 


D  für  Milzbraiidbacillen  bei  verschiedener  Präparation,  E  für  die 
Bacillen  des  malignen  Oedems  und  F  für  den  Bacillus  subtilis 
zeigen ;  bei  den  letzteren  sind  die  kleinsten  Glieder  bei  a  und  noch 
mehr  bei  b  erheblich  kürzer  als  Cohn  angenommen  hatte,  ohne  aber 
deutliehe  Ellipsoide  oder  Kugeln  zu  bilden. 

Den  bis  jetzt  ermittelten  Thatsacheu  gegenüber,  dass  es  unter 
den  Bakterien  Arten  mit  einem  relativ  geringen  Formenkreis  giebt, 
konnten,  wie  K  u  r  t  h ,  ^)  ein  entschiedener  Anhänger  von  der  Existenz 
pleomorpher  Arten,  angab,  „die  fast  ohne  jede  Cautelen  ausgeführten 
Versuche  Billroth's,  die  nur  in  allgemeiner  Form  gehaltenen,  durch 
keine  speciellen  Beweise  gestützten  Behauptungen  Naegeli's,  nicht 
Stand  halten.  Die  auf  Grund  dieser  Lehren  weit  verbreitete  und 
durch  zahlreiche  in  diesem  Sinne  ausgeführten  Arbeiten  bekundete 
Meinung,  dass  alle  die  in  den  starken  Nährlösungen,  in  faulendem 
Blut,  sich  zersetzendem  Eiter,  in  Heuaufgüssen  etc.  in  buntem  Ge- 
misch durch  einander  vorkommenden  Formen  auseinander  entstanden 
seien  und  jederzeit  wieder  in  eineinander  übergehen  könnten,  war 
widerlegt." 

Die.  bis  jetzt  mitgetheilten  Beobachtungen  konnten  nicht  mit 
Sicherheit  darthun,  dass  Bakterien  weitere  Formenkreise  durchlaufen, 
als  von  Cohn  angegeben  waren  und  ergänzten  nur  dessen  Angaben 
über  die  Schraubenbakterien,  indem  für  dieselben  mit  grösster  Wahr- 
scheinlichkeit ein  ähnlicher  kleiner  Formenkreis  gefunden  wurde,  wie 
Cohn  ihn  für  andere  Gattungen  schon  früher  ermittelt  hatte.  Durch- 
aus anders  war  das  Ergebniss  der  Untersuchungen  von  Zopf. 2) 
Derselbe  ermittelte,  dass  in  der  Entwicklung  von  Crenothrix, 
Beggiatoa  und  Cladothrix,  Fig.  5,  die  folgenden  Formen  successive 
auftreten  oder  event.  sogar  gleichzeitig  vorhanden  sein  können: 
kuglige,  von  ihm  als  Mikrokokken  bezeichnete  Zellen,  Knrzstäbchen 
(Bakterium),  Langstäbchen  (Bacillus),  gerade  Fäden  (Leptothrix), 
leicht  schraubig  gedrehte  (Vibrio),  stärker  gewundene  starre  schraubige 
(Spirillum),  flexile  schraubige  Fäden  (Spirochaete),  peitschenschnur- 
artige,  um  einander  aufgerollte  Fäden  (Spiruliua)  und  schliesslich 


1)  Bakterium  Zopfii.    Botanische  Zeitung  1883,  8.  371. 

2)  Zur  Morphologie  der  Spaltpflanzen,  1882. 


Giebt  es  monomorphe  und  pleomorphe  Arten? 


33 


Fiff.  5. 


Formen,  welche  der  Gattimg  Ophidomonas,  unter  Ehrenberg's 
Monaden  entsprachen. 

,  Die  Schlussfolgerung  von 
Zopf,  dass  demnach  die  be- 
obachteten Formen  überhaupt 
keine  Arten,  sondern  „blosse 

Entwicklungsstadien  von 
Spaltpilzen"  darstellen,  leidet 
unter  der  schon  angegebenen 
unrichtigen  Interpretation  von 
Cohn 's  Argumenten.  Spä- 
ter hat  Zopf  noch  öfters  in 
dieser  durchaus  unrichtigen 
Weise  Cohn  die  Aufstellung 
eines  „Monomorphismus"  zu- 
geschrieben, indem  er  zum  Bei- 
spiele^) angab:  „Das  bisher 

existirende  System  (das 
Bhrenberg-Cohn'sche)  ist 
jetzt  ein  überwundener  Stand- 
punkt, denn  die  in  neuerer  Zeit 
entwicklungsgeschichtlich  ge- 
nauer untersuchten  Spaltpilze 
lassen  sich  unter  den  Co  hu- 
schen Gattungen :  Mikrokok- 
kus,  Bakterium,  Bacillus,  Spi- 

rillum,    SpirOChaete,    Vibrio,  CMothrix  dichotoma;  nach  Zop  f.    A  verzweigte 
.  '  '  Pflanze  mit  schwächer  (a)  und  stärker  (b)  gewun- 

Leptothrix  etc.  zum  Theil  gar  «ienen    schrauhenförmigen    Zweigen.     B  Schraube, 

nirht    iintPvhn'Tio-Pn     ^n^nfam  ^^"'"^  ^''""^  gewunden  ist  als  das 

nicnt    Unteibnngen,    mSOtem  andere  (b).    C  Langer  spirochätenartiger  Zweig  mit 

viele  von  ihnen  zwei  oder  meh- "'"^  Spiruiinen.  d  Ein  Zweigstück  mit 

,  engen  und  eins  mit  flachen  Windungen.   E  Schran- 

rere    der    den    Cohn   sehen  hen :  a  ungegliedert,  b  mit  Andeutung  einer  Gliede- 

Gattungsbegriffen  entsprech-       ■  '\,f  "f '  '°  Segmente. 

^      ^  >^l.i<=v.u    ir  Spnochätenform :  bei  a  ungegliedert,  bei  b  bis  d 

schematischo  Gliederung  bei  b  in  längere,  c  in  kür- 
zere Stäbchen  und  bei  d  in  Kokken. 


enden  Formen  aufweisen." 
In  Wirklichkeit  war  Zopf 


1)  Die  Spaltpilze,  3.  Aufl.,  1885,  S.  49. 

Hueppo,  Formen  der  Biiktoiien. 


3 


I 


34 


Giebt  es  monomorphe  und  pleomorphe  Arten? 


nur  berechtigt  zu  dem  Schlüsse,  dass  die  von  ihm  studirten  Arten 
geg-enübcr  den  relativ  einförraigen,  aber  nicht  monomorphen  Arten 
von  Cohn  entschieden  pleomorph  sind. 

Dann  übertrugt  Zopf  seine  Beobachtungen  an  den  erwähnten 
Arten  sehr  voreilig  auf  alle  Bakterien,  wobei  er  vorsichtigerweise 
die  Möglichkeit  offen  Hess,  „dass  einzelne  Spaltpilze  nur  eine  sehr 
beschränkte  Zahl  von  Entwicklungsformen,  oder  auch  nur  eine  einzige 
besitzen. " 

Während  Zopf  auf  Grund  einer  ganz  missverständlichen  Auf- 
fassung der  Formgattungen  von  Cohn  diesen  zu  widerlegen  meinte, 
führten  ihn  in  Wirklichkeit  seine  Beobachtungen  zu  einer  sehr  ent- 
schiedenen Bestätigung  des  Cardinalpunktes  der  Ausführungen  von 
Cohn,  indem  er  erklärte,  „dass  zu  einer  geuerischen  und  specifischen 
Unterscheidung  bei  den  Spaltpilzgewächsen  sicher  eben  so  viel  Be- 
rechtigung vorhanden  ist,  wie  bei  den  Spaltalgen,  für  die  Niemand 
die  Möglichkeit  einer  solchen  Unterscheidung  bezweifeln  wird." 

Sachlich  würde  der  strikte  Nachweis  von  der  Existenz  entschieden 
pleomorpher  Arten  die  Ausführungen  von  Cohn  wesentlich  ergänzen 
und  erweitern,  aber  natürlich  nur  in  dem  einen  Falle,  dass  die  von 
Zopf  untersuchten  Arten  auch  zu  den  Bakterien  gehören. 

Cohn  hatte  zuerst  den  Begriff  der  Bakterien  erweitert  und 
etwas  besser  abgegrenzt,  indem  er  ausser  den  von  Ehrenberg  und 
D  u  j  a  r  d  i  n  dahin  gerechneten  Organismen  auch  viele  der  früheren 
Kugel-  und  Stäbchenmonaden  den  Bakterien  zuwies.  Naegeli^) 
scheint,  soweit  seine  kurzen  Angaben  darüber  urtheilen  lassen,  den 
Begriff  der  Bakterien  eben  so  eng  zu  fassen  wie  Cohn  1872  und 
auf  dieselben  Formen  anzuwenden.  Nun  fanden  sich  aber  ähnliche 
Formen  nicht  nur  bei  den  Bakterien,  sondern  auch  bei  den  farb- 
losen und  den  gefärbten  Spaltalgen  und  diese  grosse  Formüberein- 
stimmung veranlasste  Cohn  2),  alle  diese  Organismen  in  einer  grossen 
Gruppe  des  Pflanzenreichs  zu  vereinigen,  welche  er  Schizophyten 
oder  Spaltpflanzen  nannte.  Diese  Schizophyten  theilte  er  in 
zwei  grosse  Gruppen  ein,  A)  Gloeogenae,  welche  dadurch  cha- 


1)  Die  niederen  Pilze,  1877,  S.  5. 

2)  Beiträge  zur  Biologie  der  Pflanzen.  Bd.  I,  Heft  3,  S.  202. 


Giebt  es  monomorphe  und  pleomorphe  Arten  ?  35 

rakterisirt  siud,  dass  die  Zellen  frei  oder  durch  Intercelliilarsiibstanz 
zu  Sclileimfamilien  verbunden  sind,  während  bei  der  zweiten  Gruppe, 
Neraatogenae,  die  Zellen  in  Fäden  geordnet  sind. 

Während  man  bis  dahin  mehr  geneigt  war,  alle  Bakterien  aus 
einem  einheitlichen,  monophyletischen  Gesichtspunkte  zu  betrachten, 
brachte  Cohn  die  früheren  Bakterien  hiermit  zum  ersten  Male  in 
ganz  verschiedenen  Gruppen  unter  und  gab  damit  zum  ersten  Male 
einen  präcisen  Ausdruck  dafür,  dass  möglicherweise  die  Formunter- 
schiede von  einem  polyphyletischen  Ursprünge  herrühren.    Auf  diese 
Weise  kamen  manche  Bakterien  mit  bestimmten  Spaltalgen  ganz 
nahe  zusammen,  während  andere  wieder  zu  ganz  anderen  Spaltalgen 
nähere  phylogenetische  Beziehungen  als  zu  den  übrigen  Bakterien 
haben  sollten.    So  gehören  z.  B.  Mikrokokkus,  Bakterium,  Sarcina, 
Merismopedia,  Clathrocystis  mit  einer  Reihe  zweifelloser  Spaltalgen 
zu  den  Gloeogenae,  während  Bacillus,  Leptothrix,  Vibrio,  Spirillum, 
Spirochaete,  Spirulina,  Streptokokkus,  Myconostoc,  Beggiatoa,  Clado- 
thrix,  Crenothrix  mit  entschiedenen  Spaltalgen  zu  den  Nematogenae 
gerechnet  werden.   Bei  dieser  Eintheilung  war  dem  damaligen  Stande 
der  Kenntnisse  entsprechend  natürlich  noch  nicht  berücksichtigt,  dass 
Leptothrix,  Spirulina  Myconostoc  im  älteren  Sinne  nur  Entwick- 
lungszustände  und  keine  Arten  sind,  es  war  keine  Eücksicht  darauf 
genommen,  dass  das  Bakterium  rubescens  von  Lankester  und  die 
Clathrocystis  von  Cohn  nur  Entwicldungsstadien  von  Beggiatoa 
roseo  persicina  sind. 

Frank  i)  rechnet  Beggiatoa,  Crenothrix,  Cladothrix  zu  den  faden- 
bildenden Spaltpilzen  und  motivirt  dies  1.  c.  S.  1953  damit,  dass, 
wenn  der.  Mangel  an  Clüorophyll  nach  Naegeli  zur  Abtrennung 
der  Bakterien  von  den  Algen  und  zur  Zurechnung  derselben  zu  den 
Pilzen  zwinge,  ,dann  auch  noch  gewisse  chlorophyllose  bisher  unter 
den  Algen  aufgeführte  Gattungen,  wie  Leptothrix  und  Beggiatoa% 
zu  den  Spaltpilzen  oder  Scliizomyceten  gerechnet  werden  müssen. 
Natürlicher  scheint  es  aber  Frank,  ,die  nur  mit  An-  oder  Ab- 
wesenheit des  Chlorophylls  begründete  traditionelle  Unterscheidung 


1)  Kryptogamen,  in  Leunis  Synopsis  der  Pflanzenkunde,  1877. 

3* 


(jiiübt  US  iiiuiioiiiuiphü  und  pleomorphe  Arten  V 


der  Pilze  und  Algen  zu  verlassen  und  mit  Cohn  die  Schizomyceten 
und  Phykochromaceen  in  eine  einzige  Ordnung  zu  vereinigen." 

In  dem  System  von  Kabenhorst-Winter^)  sind  Clathro- 
cystis  und  Beggiatoa  noch  von  einander  getrennt,  Beggiatoa  und 
Chladothrix  sicher  zu  den  Spaltpilzen  d.  h.  den  Bakterien  gerechnet, 
während  die  Zugehörigkeit  von  Crenothrix  als  zweifelhaft  hinge- 
stellt ist. 

Umgekehrt  rechnet  van  Tieghem^)  Beggiatoa  mit  andern  aus- 
gesprochenen Spaltalgen  zu  den  Nostocaceen,  der  einen  von  ihm  auf- 
gestellten Gruppe  der  Spaltpflanzen,  während  er  Crenothrix  und  Clado- 
thrix  zu  seiner  zweiten  Gruppe,  den  Bakteriaceen  stellt.  Während 
van  Tieg  he  m  früher  bei  den  Bakterien  Gattungen  und  Arten 
unterschieden  hatte,  führte  er  jetzt  nur  bei  den  Nostocaceen  Genera 
an,  während  er  bei  den  Bakteriaceen  auf  eine  Eintheilung  in  Genera 
verzichtete  und  die  Gattungsnamen  von  Cohn  nur  zur  Bezeichnung 
von  „principales  formes"  verwendet. 

Zopf^)  findet,  dass  die  Unterschiede  der  beiden  Gruppen  der 
Spaltpflanzen  nicht  so  einschneidend  sind,  wie  sie  Cohn  hingestellt 
hatte  und  dass  die  Spaltalgen,  gleichgiltig,  ob  sie  Schleimfamilien 
oder  Fäden  bilden,  sich  leidlich  trennen  lassen  von  den  nicht  Phyco- 
chrom  führenden  Spaltpflanzen  und  fasst  alle  nicht  Phykochrom  führen- 
den Spaltpflanzen  wegen  der  ähnlichen  Formen  ihrer  Einzelzellen  und 
der  Verbände  der  Einzelzellen  zu  den  Bakterien  oder  Spaltpilzen  zu- 
sammen. Zopf  trennt  also  im  Gegensatze  zu  Cohn  die  Spalt- 
pflanzen in  die  höheren  Spaltalgen  und  die  niederen  Bakterien  oder 
Spaltpilze  und  betrachtet  die  letzteren  damit  von  einem  mehr  ein- 
heitlichen Gesichtspunkte. 

Wie  hieraus  ersichtlich,  ist  noch  durchaus  keine  volle  Einigung 
erzielt,  wie  man  am  natürlichsten  die  Bakterien  gegen  die  übrigen 
Spaltpflanzen  abgrenzt,  doch  neigt  sich  die  Mehrzahl  der  Forscher 
zur  Ansicht,  alle  nicht  Phykochrom  führenden  resp.  alle  chloro- 
phyllosen  Spaltpflanzen  zu  den  Bakterien  zu  rechnen  und  den  Be- 
griff der  Bakterien  damit  erheblich  gegenüber  der  Abgrenzung  von 

1)  Kryptogamenflora  I,  1.  Lieferung,  1881. 

2)  Traite  de  Botanique  1884,  S.  1103. 

3)  Zur  Morphologie  der  Spaltpflanzen,  1882. 


Giebt  es  monomorphe  und  pleomorphe  Arten? 


37 


Cohn  von  1872  zu  erweitern.  Wenn  Fisch ^  bei  einer  Besprechung 
meiner  Methoden  der  Bakterienforschung  angiebt,  dass  es  „auf  ein 
nicht  grade  richtiges  Verständniss  des  Thatbestandes  hindeutet," 
wenn  ich  bei  Gelegenheit  der  orientirenden  Uebersicht  der  Formen 
äusserte,  dass  die  Leptothricheen  und  Cladothricheen  von  Zopf, 
d.  h.  gerade  Beggiatoa,  Crenothrix  und  Cladothrix  „früher  wegen 
ihrer  Formen  den  Spaltalgen  näher  gestellt  wurden,"  so  dürfte  die 
Berechtigung  dieser  Angabe  aus  dem  vorher  mitgetheilten  wohl  ge- 
nügend hervorgehen. 

Erweitert  man  in  der  angegebenen  Weise  den  Begriff  der  Bak- 
terien imd  rechnet  die  erwähnten  Arten  zu  den  Bakterien,  so  muss 
selbstverständlich  der  Nachweis  von  Zopf,  dass  diese  früher  für 
relativ  einförmig  gehaltenen  Arten:  Beggiatoa,  Crenothrix,  Clado- 
thrix, sehr  formenreich  sind  oder  sein  können,  von  Bedeutung  für 
die  Morphologie  der  Bakterien  sein.  Man  muss  dann  bestimmt  er- 
klären, dass  es  unter  den  Bakterien  neben  den  von  Cohn  auf- 
gestellten relativ  einförmigen  Arten  auch  entschieden 
pleomorphe  Arten  giebt. 

Hierdurch  erfährt  aber  das  ursprüngliche  System  von  Cohn 
keine  principielle  Widerlegung,  sondern  nur  eine 
wesentliche  Ergänzung  und  Erweiterung,  weil  gerade 
durch  diese  Arten  entschieden  bewiesen  wird,  dass  es  möglich  ist, 
bei  den  Bakterien  Gattungen  und  Arten  abzugrenzen,  wenn  man  nach 
C  0  h  n '  s  Vorgang  alle  Formen  berücksichtigt. 

Cohn  selbst  hatte  bereits  1877  bei  einigen  hierher  gehörigen 
höheren  Arten  den  Zusammenhang  von  geraden  und  schraubigen 
Fäden  beobachtet  und  eine  Gliederung  der  Stäbchen  und  Schrauben 
in  kuglige  Zellen  eintreten  sehen.  Da  Cohn  aber  diese  Gebilde 
nicht  als  Mikrokokken  auffasste,  weil  dieses  Wort  für  ihn  nur  Gat- 
tungsbegriff war,  sondern  als  Gonidien  erklärte,  werde  ich  später 
auf  diese  Beobachtung  noch  einmal  zurückkommen.  Das  eine  möchte 
ich  nur  jetzt  schon  hervorheben,  dass  Cohn 's  Anschauungen  auch 
nach  diesen  Beobachtungen  durchaus  nicht  mit  dem  Pleomorphismus 
principiell  in  Widerspruch  stehen. 


1)  Biologisches  Centraiblatt,  Bd.  5,  1885,  No.  6. 


38 


GieM  es  monomorphe  und  pleomorphe  Arten  ? 


Der  Pleomorphismus  an  sich  hat  mit  Variatioiisfähigkeiteii  der 
einzelnen  Tormen  gar  nichts  zu  thun,  da  die  einzelnen  Formen  der 
pleomorphen  Arten  constant  sein  können  und  sich  bei  Aenderiing 
der  Ausseubedingungen  nicht  ohne  weiteres  ändern  müssen.  Trotz- 
dem ist  in  völliger  Verkennung  dieser  Sachlage  schon  die  einfache 
Existenz  pleomorpher  Arten  im  Sinne  weitgehender  Variationsfähig- 
keit und  Inconstanz  der  Formen  gedeutet  worden. 

Auch  für  die  Bakterien  im  früheren  Sinne  wurde  von  Neuem 
die  Existenz  pleomorpher  Arten  angegeben.  Von  Jacksch^)  gab 
an,  dass  der  Mikrokokkus  ureae,  bei  dem  Cohn  nur  kuglige  und 
ellipsoide  Zellen  beobachtet  hatte,  auch  in  Form  von  Stäbchen  vor- 
kommt und  Bill  et  2)  fand  nicht  nur  kuglige  und  stäbchenförmige 
Zellen,  sondern  auch  gerade  und  wellig  gebogene  Fäden.  Der  Nach- 
weis von  Leube  und  Gras  er  3),  dass  eine  Art  von  Kokkus,  eine 
Sarcine  .und  drei  Arten  von  stäbchenförmigen  Bakterien  die  Harn- 
stoffgährung  bewirken  können,  dass  bei  der  spontanen  Harnstoffzer- 
setzung fast  nie  eine  einzige  Art  allein  und  rein  vorkommt,  nimmt 
den  Angaben  von  von  Jacksch  und  Bill  et  jeden  AVerth,  da  die 
von  ihnen  verwendeten  Methoden  keine  Garantie  geben,  dass  sie 
von  dem  Mikrokokkus  ureae  auch  wirklich  ausgegangen  sind. 

H.  Buchner*)  gab  an,  dass  er  in  der  Entwicklung  der  von 
Fitz 5)  gefundenen  Glycerin - Aethylbakterie  die  Formen  von  kug- 
ligen,  ellipsoiden  Zellen,  von  kürzeren  und  längeren  Stäbchen  be- 
obachtet habe.  Die  eignen  Zeichnungen  von  Buchner  zeigen,  dass 
die  Stäbchen  meist  nicht  cylindrisch,  sondern  an  einer  Stelle  etwas 
stärker  aufgetrieben,  spindelförmig  sind.  Derartige  Formen  hatte 
Cohn  aber  gar  nicht  zu  seinen  Bacillen  gerechnet,  sondern")  war 
geneigt,   ,  Stäbchenbakterien  von  charakteristischer  spindelförmiger 

ij  Studien  über  den  Harnstoffpilz.  Zeitschrift  für  physiologische  Chemie, 
Bd.  5,  1881,  S.  395. 

Sur  le  bacterium  ureae.    Comptes  rendus  1885,  Bd.  100,  S.  1252. 
Ueber  die  ammoniakalische  Harngährung.    Virchow's  Archiv.  1885 
Bd.  100,  S.  540. 

In  Naegeli's  Untersuchungen  über  niedere  Pilze,  1882,  S.  221. 

5)  Ueber  Schizomyceten-Giihrungen  III.  Berichte  der  deutschen  chemischen 
Gesellschaft,  Bd.  9,  1878,  S.  49. 

6)  Beiträge  zur  Biologie  der  Pflanzen,  I,  2.  Heft,  1872,  S.  168. 


Giebt  es  monomorphe  und  pleomorphe  Arten'? 


39 


Gestalt"  zu  seiner  Gattung  Mikrobakteria  zu  stellen.  Im  übrigen 
war  der  Entwicklungskreis  derartiger  Formen  Cohn  noch  recht 
wenig  bekannt.  Da  aber  der  Entwicklungskreis  von  Cohn 's  Bak- 
terium termo  durchaus  nicht  gegen  derartige  Formen  bei  anderen 
Mikrobakterien  spricht,  scheint  mir  in  dieser  Beobachtung  von 
Buchner  durchaus  keine  Widerlegung  der  Ansicht  von  Cohn  zu 
liegen,  sondern  nur  eine  Ergänzung  insofern  sich  ergiebt,  dass  Spindel- 
stäbchen längere  und  kürzere  Stäbchen  und  bei  der  Theilung  ellip- 
soide  und  selbst,  kuglige  Zellen  bilden  können.  Dieser  Formenkreis 
geht  aber  kaum  über  den  von  Cohn  selbst  für  Bakterium  termo 
angegebenen  hinaus. 

Für  die  Bakterien  der  gewöhnlichen  spontanen  Milchsäuregäht 
rung  ermittelte  ich^)  fast  dieselben  Formen,  wie  Cohn  für  das 


Bakterium  termo.  indem  ich  kurze  Stäbchen,  kleinere  Fäden  und  bei 
der  Theilung  der  kleineren  Stäbchen  Zellen  beoabclitete ,  welche 
nicht  mit  Sicherheit  von  kurzen  Ellipsen  zu  unterscheiden  waren. 

Erst  Kurth 2)  gab  in  einer  methodisch  einwandsfreien  Unter- 
suchung für  eine  von  ihm  Bakterium  Zopfii  genannten  Art,  Fig.  6, 


1)  Mittheilungen  aus  dem  Kaiserlichen  Gesundheits-Amte,  Bd.  II,  1884, 
S.  339. 

2)  Bakterium  Zopfii.    Botanische  Zeitung,  1883,  No.  23  bis  2G. 


Fig.  6. 


40 


Giebt  es  monomorphe  und  pleomorphe  Arten? 


an,  dass  bei  derselben  laiglige  und  eiförmige,  als  Kokken  bezeich- 
nete Zellen,  A,  b,  c,  d,  ferner  kürzere,  A,  a,  und  längere,  B,  Stäbchen 
vorkommen.  Die  Einzelzellen  bilden  kürzere  oder  längere  Fäden, 
C,  D,  welche  bald  deiitlicb  gegliedert,  bald  ungegliedert  scheinen. 

Die  Fäden  sind  bald  gerade,  D,  bald  leicht  wellig  gebogen,  C, 
bald  bilden  sie  Verschlingimgen,  E,  F;  dabei  bilden  sich  bisweilen 
einfache  Schleifen  oder  auch  peitschenschnurartige  Umschlingungen. 
G,  und  einzelne  Stücke  der  Fäden  können  deutliche,  flache 
Schrauben,  H,  bilden.  Die  Länge  der  sicher  einzelligen  Stäbchen 
schwankt  je  nach  dem  Stadium  der  Entwicklung  beträchtlich  von 
4  bis  10;«  oder  von  3  bis  8  ft  und  beträgt  im  Durchschnitt  5 /i, 
während  die  Länge  der  Fäden  bis  zu  150 betragen  kann.  Eine 
Zusammensetzung  der  Fäden  und  Stäbchen  aus  isodiametrischen 
Gliedern  weist  Kurth  entschieden  zurück.  Dieser  Formcyklus 
trat  in  verschiedenen  Medien  ein,  aber  die  qualitative  und  quanti- 
tative Aenderung  der  Nährsubstrate  war  ohne  Einfluss  auf  die  ein- 
zelnen Formen. 

Aus  den  bisher  in  Betracht  gezogenen  Untersuchungen  geht 
hervor,  dass  die  Cardinalpunkte  der  Ausführungen  von  Cohn  sich 
allen  Angriffen  gegenüber  als  wohl  begründet  bewährt  haben,  dass 
man  Gattungen  und  Arten  unter  den  Bakterien  unter- 
scheiden kann,  wenn  man  alle  Formen  in  Betracht  zieht. 
Füi-  die  relativ  einförmigen  Arten  der  Bakterien  im  früheren  Sinne 
haben  sich  die  von  Cohn  aufgestellten  Formmerkmale  fast  durch- 
gängig als  ausreichend  zur  Abgrenzung  von  Formarten  erwiesen. 

Aber  das  System  von  Cohn  bedarf  einer  Eeihe  von  Ergänzungen, 
welche  sich  vor  Allem  aus  folgenden  Ermittelungen  ergeben :  Arten, 
deren  vegetative  Stadien  durch  spindelförmige  oder  kurze  Stäbchen 
dargestellt  werden,  sind  wahrscheinlich  noch  etwas  schwieriger  gegen 
die  Formgattungen  Mikrokokkus  und  Bacillus  abzugrenzen,  als  es 
Cohn  schon  dargestellt  hatte.  Die  Formgattungen  der  Schrauben- 
bakterien bedürfen  einer  gründlichen  Revision,  da  die  von  Cohn  an- 
gegebenen Formmerkmale  sehr  unsicher  und  innerhalb  der  einzelnen 
Gattungen  zu  schwankend  sind.  Auch  unter  den  Bakterien  im 
früheren  Sinne  giebt  es  neben  den  relativ  einförmigen  Arten  pleo- 


Variabilität  der  Formen. 


41 


morphe  Arten.  Es  werden  jetzt  zu  den  Bakterien  pleomorphe  Arten 
gerechnet,  welche  man  früher  nicht  zu  den  Bakterien  gestellt  hatte. 

Diese  Ergänzungen  und  Erweiterungen  des  ursprüng- 
lichen System's  von  Cohn  glaubte  ich  i)  dahin  zusammenfassen  zu 
können,  „dass,  je  höher  die  Spaltpflanzen  im  System  stehen,  mit 
desto  grösserer  Wahrscheinlichkeit  auch  in  ihrer  Ontogenese  die 
phylogenetisch  niedriger  stehenden  Formspecies  als  blosse  Wuchs- 
formen auftreten  können." 

Aber  alle  diese  Ermittelungen  gelten  strikte  nur  für  den  Fall 
der  gleichbleibenden  Aussen  Verhältnisse  oder  doch  solcher 
Lebensbedingungen,  welche  denen  des  spontanen  Vorkommens  der 
Art  gleich  oder  sehr  ähnlich  sind.  Daraus  folgt  aber  nicht  ohne 
Weiteres,  dass  diese  Formmerkmale  schlechthin  constante  sind  und 
es  ist  erst  an  der  Hand  von  directen  Versuchen  zu  prüfen,  welchen 
Einfluss  Veränderungen  des  Substrates  auf  die  Formen  haben. 


VI. 

Passt  sicli  die  Form  geänderten  Aussenverliältnisseii 
an?  Breite  der  Yariabilität.  Gestattet  die  Gesammt- 
lieit  der  Formen  ächte  Arten  oder  nur  Formarten 

abzugrenzen? 

Besonders  war  es  Naegeli 2) ,  der  sich  von  Neuem,  und  zwar 
wieder  unter  vollständiger  Ignorirung  der  Motive  von  Cohn,  gegen 
dessen  „gattungs-  imd  artenreiches  System«  wandte,  weil  es  nach 
seiner  Ansicht  gar  „keinen  wissenschaftlichen  Werth"  hat,  ,ein 
System  der  Spaltpilze  nach  Gattungen  und  Arten  mit  den  jetzigen 
Hülfsmitteln"  aufzustellen.  Wenn  man  sich  erinnert,  dassNaegeli 
früher  mit  ebenso  unzureichenden  Mitteln  ein  ausserordentlich 
gattungsreicbes  System  der  einzelligen  Algen  3)  aufstellte  und  wenn 

1)  Deutsche  med.  Wochenschrift,  1S84,  No.  48  bis  50. 

2)  Zur  Umwandlung  der  Spaltpilzformen.  Untersuchungen  über  niedere 
Pilze,  1882,  S.  129. 

8)  Gattungen  einzelliger  Algen,  1849,  S.  40. 


42 


Variabilität  der  Pormeil. 


man  sich  der  Motivirung  von  Cohn  erinnert  und  beachtet,  dass 
Cohn  das  Provisorische  seiner  Eintheilung  wiederholt  hervorgehoben 
hat,  so  ist  es  etwas  schwer  zu  verstehen,  wie  Naegeli  die  Form, 
in  der  Cohn  seine  Klärungsversiiche  vortrug,  eine  „anspruchsvolle" 
nennen  kann. 

Naegeli  spricht  sich  seinerseits  über  die  der  Species  subordi- 
nirten  Begriffe  folgendermaassen  aus:  ,Die  Varietäten  sind  wie  die 
Arten  von  säcularer  Constanz ;  ihre  Umwandlung  erfordert  Zeiträume, 
die  nach  Erdperioden  gemessen  werden;  sie  entziehen  sich  aller  ex- 
perimenteller Behandlung;  die  Züchtung  vermag  an  ihnen  nichts  zu 
ändern.  Eassen  und  (Ernährungs-  oder  Standorts-)  Modihcationen 
dagegen  sind  vorübergehende  Erscheinungen,  die  durch  unseren  Ein- 
fluss  bestimmt  und  geregelt  werden  können.  Und  zwar  entstehen 
die  Rassen  durch  Kreuzung  verschiedener  Varietäten  und  Arten, 
können  also  blos  bei  Organismen  mit  Geschlechtsdifferenz  vorkommen. 
Die  Modihcationen  aber  werden  durch  die  unmittelbare  Einwirkung 
des  Klimas  und  der  Nahrung  erzeugt  imd  können  niu-  bestehen,  so 
lange  die  sie  bedingenden  Einflüsse  andauern.  Bei  den  Spaltpilzen, 
sowie  Überhaupi  bei  den  niedersten  Pflanzen  ist  die  Eassenbildung 
ausgeschlossen,  bei  ihnen  können  innerhalb  der  constanten  Arten 
und  Varietäten  blos  Ernährungsmodificationen  vorkommen," 

,Die  Merkmale  der  Arten  und  Varietäten  sind  für  unsere  Er- 
fahrung  schlechthin  constant,  da  wir  in  den  aufeinander  folgenden 
Generationen  sie  sich  nicht  verändern  sehen.  Ihnen  gegenüber  sind 
die  Modihcationen  als  schlechthin  veränderlich  zu  bezeichnen.  Die 
letzteren  bleiben  zwar  unverändert,  so  lange  sie  unter  den  nämlichen 
äusseren  Verhältnissen  leben.  Dies  ist  aber  nicht  Constanz  im  natur- 
wissenschaftlichen Sinne,  welcher  nur  dasjenige  als  constant  anerkennt, 
was  unter  den  verschiedensten  äusseren  Verhältnissen  in  bestimm- 
baren Zeiten  unverändert  bleibt,  wie  dies  mit  den  Species  und  den 
ächten  Varietäten  der  Fall  ist. 

Die  Unveränderlichkeit  einer  Spaltpilzform,  die  unter  gleich- 
bleibenden äusseren  Einflüssen  sich  befindet,  wird  daher  mit  Unrecht 
der  Constanz  der  Varietäten  oder  Species  gleichgestellt  und  mit  Un- 
recht wird  damit  die  Speciesnatur  der  Spaltpilzformen  behauptet. 


Variabilität  der  Formen. 


43 


Den  Mociificationen  kommt  nur  ein  Schein  von  wirklicher  Con- 
stanz  zu,  insofern,  als  sie  den  äusseren  Verhältnissen  eine  gewisse 
Zähigkeit  entgegensetzen  und  nicht  sofort,  sondern  erst  nach  einiger 
Zeit  sich  ihnen  entsprechend  umwandeln." 

Für  Nägeli  sind  bei  den  Bakterien  die  morphologischen  und 
physiologischen  Merkmale  schlechthin  veränderlich,  weil  einerseits 
„alle  wahrnehmbaren  Formen  durch  Uebergänge  verbunden  sind« 
und  weil  andererseits,  wie  er  auf  Grund  einiger  Versuche  annimmt, 
„kein  der  Beobachtung  zugängliches  Merkmal  sich  gegenüber  von 
richtig  angestellten  Kulturversuchen  als  beständig  erweist". 

Wir  haben  damit  die  bestimmte  Aufgabe,  die  Angaben  zu  prüfen 
und  zu  sichten,  welche  für  Variabilität  geltend  gemacht  wurden,  und 
besonders  zu  beachten,  ob  einmal  überhaupt  irgend  welche  Varia- 
bilität sicher  ist  und  dann  zu  sehen,  welchen  speciellen  Werth  diese 
Ermittelungen  für  den  Speciesbegriff  haben. 

In  einer  Arbeit  über  Pigmentbakterien  in  Verbandstoffen  kommt 
Urlichsi)  zur  Ansicht,  dass  „die  chromogenen  Bakterien  auf 
unseren  Verbandstoffen,  die  gelben,  rothen  und  blauen,  thatsächlich 
in  einander  übergehen  und  dass  sie  alle  ungefärbte  Kepräsentanten 
in  der  Pasteur' sehen  Nährflüssigkeit  haben,  die,  auf  geeigneten 
Boden,  namentlich  gut  granulirende  Geschwüre  und  Wunden,  ver- 
setzt, einen  und  denselben  Farbstoff,  das  Pyocyanin,  erzeugen". 

Dem  gegenüber  konnte  ich  auf  Grund  meiner  inzwischen  noch 
weiter  ergänzten  Untersuchungen  über  Pigmentbakterien  und  Bak- 
terienpigmente die  älteren  Angaben  von  Schröter  3)  in  den  wich- 
tigsten Punkten  bestätigen  und  erweitern  durch  den  strikten  Nach- 
weis, dass  die  Aenderungen  der  Pigmente  rein  chemische  Farben- 
reactioneu  sind  und  sich  bald  als  Oxydations-  und  Keductionsvor- 
gänge  darstellen,  bald  durch  die  Veränderungen  der  Keaction  bedingt 
sind  und  dass  es  sich  nicht  um  einen  einheitlichen  Farbstoff  handelt, 
sondern  die  Farben  verschiedene  Gruppen  der  aromatischen  Reihe 
angehören. 

1)  Arch.  f.  klin.  Chirurgie,  Bd.  24,  1879,  S.  303. 

2)  Mittheilungen  aus  dem  Kaiserlichen  Gesundheitsamte  II,  1884,  S.  355 
und  deutsche  med.  Wochenschrift,  1884,  No.  48  bis  50. 

3)  Beiträge  zur  Biologie  der  Pflanzen,  Bd.  1,  Heft  2,  1872,  S.  109. 


44 


Variabilität  der  Formen. 


Die  Formen  der  Pigmentbaltterien  waren  nicht  starr,  sondern  sie 
änderten  sieb,  abgesehen  selbstverständlich  von  den  Veränderungen 
durch  die  Theilung,  etwas  mit  Aeuderung  der  Aussenbediugungen 
einmal  insofern  als  die  Verbindungs weise  der  Einzelzellen  zu  Fäden 
oder  Zoogloen  nicht  absolut  gleich  blieb  und  ferner  aber  in  erheblich 
geringerem  Maasse  auch  dadurch,  dass  bei  einzelnen  Arten  die  vege- 
tativen Formen  Ideine  Formabweichungen  erfuhren  insofern  als  sie 
nicht  in  allen  Medien  dieselben  Relationen  behielten.    Hierauf  waren 
von  Einfluss  der  Chemismus  des  Mediums,  sodass  in  wenig  zusagenden 
Lösungen  weniger  kräftige  Formen  vorkamen,  und  der  Mechanismus 
des  Substrates,  indem  im  Innern  fester  Medien  die  Formen  nicht 
so  kräftig  waren  wie  am  Rande  der  sich  ausbreitenden  Colonien. 
In  keinem  einzigen  Falle  ging  aber  die  wirkliche  Anpassung  so  weit, 
dass  etwa  in  dem  einen  Medium  ganz  andere  vegetative  Formen 
typisch  wiederkehrten  als  in  einem  anderen,  etwa  in  einem  Medium 
ausgesprochene  Kugeln,  in  einem  anderen  Stäbchen  typisch  waren. 
Immer  handelte  es  sich  nur  um  kleine  Abweichungen  einer  be- 
stimmten Form,  insofern,  als  z.  B.  die  Stäbchen  bald  etwas  länger 
oder  kürzer,  breiter  oder  schmäler  waren.  Etwas  weitergehende  Form- 
abweichungeu  erwiesen  sich  in  einzelnen  Fällen,  in  denen  sie  zur 
Beobachtung  kamen,  als  pathologische,  indem  körniger  Zerfall  der 
Zellen  oder  Involutionsformen  sich  bildeten. 

Eine  weitergehende  Anpassung  der  Form  an  das  Substrat  hat 
Buchneri)  f^r  die  Heubakterien,  Fig.  7,  angegeben.  Buchner 
ging  von  der  Voraussetzung  aus,  dass  bei  einer  bestimmten  Erhitzungs- 
weise des  Heuinfus  in  diesem  später  immer  nur  die  eine,  mit  C  o  h  n '  s 
Bacillus  subtilis  identische  Art  zur  Entwicklung  kommt,  dass  also 
Abweichungen  der  Form  auch  Variationsfähigkeit  der  Formen  dieser 
Art  beweisen.  Diese  Voraussetzung  ist  aber,  wie  ich  in  zahlreichen 
Versuchen  fand,  welche  ich  zur  Ermittlung  der  Grenzen  der  Erhitzungs- 
methode 2)  anstellte,  durchaus  nicht  sicher  begründet.  Mau  kann 
auf  diese  Weise  sicher  zwei,  vielleicht  sogar  drei  Arten  von  Bacillen 

1)  Beiträge  zur  Morphologie  der  Spaltpilze.    Nägli's  Untersuchungen 
über  niedere  Pilze,  18S2,  S.  205. 

2)  Die  Methoden  der  Bakterien-Forschung,  1.  und  2.  Aufl.,  1885,  S.  94; 
3.  Aufl.,  1886,  S.  137, 


Variabilität  der  Formen. 


45 


erhalten,  welche  durch  die  Gesammtheit  der  Formen,  Art  der  Sporen- 
bildnng  und  der  Sporenauskeimung  und  biologische  Differenzen  aus- 
einander zu  halten  sind,  trotz  grosser  Aehnlichkeit  einzelner  Ent- 
wicklungsstadien. ^)  Auch  Kurth  hatte  bereits  früher  eine  derartige 
Beobachtung  mitgetheilt. 

Fig.  7. 


Nach  H.  Buchner.  Heubakterien.  A  Heuaufguss  Sp.  G.  1,006;  24  Stunden  bei  360 
cultivirt;  a  gerade  Stäbchen  von  2  bis  5  //  Länge  und  0,9  bis  1  »  Breite;  b  Jodzusatz, 

Länge  der  Glieder  1,2  bis  1,5  ^/;  c  Spindelstäbchen;  d  Spoionbildung 
B  0,1^/0  Fleischextiact  mit  50/,)  Zucker,  neutral;   a.  Breite  0,8  //,  Länge  4  bis  6  ^1 ; 

b  und  c  Jodzusatz,  kürzeste  Glieder  0,8  u  lang  und  breit;  d  Sporenbildung. 
C  0,10/0  Asparagin  mit  öO/q  Zucker,  neutral;  "a  die  kürzesten  geraden  Stäbchen  0,8  /t 

breit,  1,5  //  lang;  b  Sporenbildung;  c  Spindelstäbchen. 
U  Heuaufguss  Sp.  G.  1,004";  24  Stunden  bei  22«  cultivirt.    a  Breite  1,0  fi,  kürzeste 

Glieder  12  u  ;  b.  Jodzusatz. 
E  I^Iq  Fleischextract,  sehwach  sauer,    a  aus  Decke;  b  aus  Bodensatz;  Breite  0,7  //, 
Länge  der  kürzesten  Glieder  2       der  längsten  5  // ;  c  und  d  Jodzusatz,  kürzeste  Glieder 

1  fi,  längste  nur  2,5 

F  5"/o  Fleischextract,  schwach  alkalisch.    Breite  0,5  fi,  Länge  der  Glieder  6  bis  10  a; 
b  und  c  Jodzusatz;  kürzeste  Glieder  1,5,  längste  4  ^1.    [b  und  d  der  Figur  E  und  c  der 
Figur  F  etwas  zu  schmal  gezeichnet]. 

Die  ausserordentliche  Wichtigkeit  des  Gegenstandes  rechtfertigt 
auf  jeden  Fall  den  Versuch  zu  sehen,  ob  die  eignen  Angaben  und 


1)  Aehnlicher  Ansicht  ist  de  Bary  in  seinen  während  des  Druckes  erschie- 
nenen Vorlesungen  über  Bakterien,  1885,  welche  ich  nicht  mehr  genauer  berück- 
sichtigen konnte. 


46 


Variabilität  der  Formen. 


Zeichnungen  von  Buchner  Anhaltsptinkte  dafür  gehen,  dass  Buch- 
ner vielleicht  nur  solche  ähnliche  aber  nicht  identische  Arten  vor 
sich  hatte. 

Ich  habe  deshalb  die  Formen,  bei  denen  Bu ebner  die  Sporen- 
haltigen  Zellen  mitgezeichnet,  vorangestellt,  weil  aus  später  genauer 
zu  erörternden  Gründen  die  Sporenbildung  eine  viel  grössere  Be- 
deutung hat  als  die  meisten  übrigen  Formmerkmale.  Im  Allge- 
meinen ist  noch  zu  den  Zeichnungen  zu  bemerken,  dass  dieselben 
von  Buchner  etwas  schematisch  gehalten  und  so  gezeichnet  sind, 
wie  er  sie  sich  bei  4000  maliger  Vergrösserung  denkt,  so  dass  also 
bei  der  wirklich  zugänglichen  Vergrösserung  die  Differenzen  beträcht- 
lich geringer  sind.  Sofort  fällt  es  auf,  dass  die  vegetativen  Zellen 
a  der  Figur  A,  B,  C  und  E  nicht  sehr  different  sind,  aber  die 
Sporenbildung  der  Figur  A  zeigt  beträchtliche  Differenzen  gegenüber 
B  und  C.  Bei  A  ändert  sich  die  Form  der  geraden  Stäbchen  a  vor 
der  Sporenbildung  zu  einer  Spindel  c  und  in  diesen  erweiterten 
Zellen  bilden  sich  bei  d  die  Sporen.  In  B  ändert  sich  die  Form  der 
Zelle  zur  Sporenbildung,  d,  nicht;  in  C  tritt  scheinbar  eine  Ver- 
änderung der  Zelle,  c,  als  Vorbereitung  zur  Sporenbildung  ein,  aber 
die  Spore  bildet  sich  schliesslich  bei  b  in  einer  nicht  besonders  ver- 
änderten Zelle. 

Als  ich  bei  meinen  Versuchen  Bacillus  subtilis  von  Cohn  unter 
die  Versuchsbedingungen  der  Fig.  A  brachte,  erhielt  ich  die  Sporen- 
bildung der  Fig.  B,  d  und  nicht  die  der  Fig.  A,  d,  so  dass  also  bei 
meinen  Versuchen  eine  ganz  entschieden  geringere  Formabweichung 
vorhanden  war.  Eine  andere  Formabweichung  fand  Buchner,  wenn 
er  dieselbe  Art  einmal  bei  22°  unter  die  Bedingungen  der  Fig.  D 
brachte,  während  bei  nur  wenig  geänderten  Bedingungen  bei  36° 
die  Formen  der  Fig.  A  resultirten.  Bei  meinen  identischen  Ver- 
suchen war  von  solchen  Abweichungen  keine  Rede,  sondern  ich  erhielt 
die  Formen  der  Fig.  B  und  nicht  die  von  A  und  D. 

Ich  führe  meine  Erfahrungen  über  Heubakterien  nur  an,  zum 
Beweise,  dass  diese  Frage  noch  keineswegs  so  klar  und  abgeschlossen 
ist,  wie  Büchner  sie  glaubte  erwiesen  zu  haben.  Die  Abweichungen 
der  Formen,  welche  ich  gefunden  habe,  waren  höchstens  so  gross,  wie 
zwischen  den  Zellen  a  der  Figuren  A,  B,  C,  E  und  F,  aber  nicht  so  gross 


Variabilität  der  Formen. 


47 


wie  zwisclien  a  der  Figuren  D  uricl  P ;  eine  wirkliche  Aenderung  der 
Form  habe  ich  bei  Aenderung  der  Aussenbedingungen  nicht  gefunden, 
sondern  nur  geringfügige  Schwankungen  in  den  Längen-  und  ßreiteu- 
dimensionen.  Der  kritiklose  Enthusiasmus,  mit  dem  Zopf  die  An- 
gaben von  Buchner  besonders  gegenüber  den  Anschauungen  von 
Cohn  und  Koch  aufgenommen  hat,  ist  sehr  wenig  berechtigt  und 
es  ist  erst  Aufgabe  der  weiteren  Forschung,  unter  Beachtung  aller 
Cautelen  und  unter  ganz  besonderer  Rücksicht  auf  die  Bildung  und 
Auskeimung  der  Sporen  zu  entscheiden,  ob  wirklich  der  Bacillus  subtilis 
von  Cohn  sich  bei  Aenderung  der  Aussenbedingungen  so  entschieden 
in  Form  und  Sporenbildung  ändern  kann  oder  ob  nicht  vielmehr, 
wie  mir  die  Sache  zu  liegen  scheint,  die  wirkliche  Anpassung  der 
Formen  an  das  Substrat  eine  geringfügige  ist,  welche  die  Artcon- 
;  stanz  gar  nicht  alterirt.  Die  zweifelhafte  Sachlage  lässt  auf  jeden 
Fall  dieWahrscheinlichkeit  zu,  dass  B  u  c  h  n  e  r  nicht  überall  Variationen 
I  der  Formen  einer  Art  vor  sich  hatte,  sondern  zum  Theil  nur  die 
idiiferenten  Formen  verschiedener  Arten. 

Während  alle  früheren  Beobachter  nur  kürzere  und  längere 
:  Stäbchen,  aber  keine  isodiametrischen  Glieder  bei  Bacillus  subtilis 
I  gefunden  hatten,  glaubt  Buch  n  er,  ,dass  die  einzelne  Zelle  beiden 
Heubakterien  in  der  Regel  isodiametrische  Gestalt  besitzt"  und  ver- 
:  sucht  diese  Meinung  zu  stützen  durch  die  Zeichnungen  A,  b;  B,  b 
!und  c  und  die  weiteren  D,  b;  E,  c  und  d;  F,  c,  welche  alle  den 
Binfluss  des  Jod  auf  die  vegetativen  Zellen  zeigen.  Durch  Jodzusatz 
I  erfahren  die  Glieder  eine  wesentliche  Schrumpfung  und  es  wird  im 
.  Allgemeinen  eine  weitergehende  Gliederung  angezeigt,  als  ohne  Rea- 
igentien  sichtbar  ist.  Aber  von  einer  Zusammensetzung  aus  isodia- 
: metrischen  Gliedern  zeigen  die  eigenen  Zeichnungen  von  Bu ebner 
!  nichts  und  selbst  die  kleinsten  Formen  c  der  Figur  B  sind  immer 
inoch  kurze  cylindrische  Glieder  und  vor  Allem  fehlt  jede  Ueber- 
teinstimmung  der  einzelnen  Formen  untereinander,  so  dass  Buchner 
inur  wie  die  Meisten  bald  längere,  bald  kürzere  Einzelglieder  be- 
( obachtete. 

Die  Untersuchungen  und  Photogramme  von  Koch  haben 

1)  Beiträge  zur  Biologie  der  Pflanzen,  II.  Heft,  3,  1877,  S.  399  und  Mit- 
ttheilungen  aus  dem  Kaiserlichen  Gesundheitsamte,  I,  1881. 


48 


Variabilität  der  Formen. 


b  C 


J  c 


Fig.  8. 
A 

zxz 


D  C 


B 


D  C 


ergeben,  dass  die  Milzbrandbacillen  nach  den  Medien  und  zum  Theil 
nach  der  Art  der  Präparation  kleine  Formabweichungen  zeigen  können. 
Diese  Formabweichungen  untereinander  waren  aber,  wenn  man  die 
Yergrösserung  der  wirklichen  Beol)achtung,  Fig  8,  C.  zu  Grunde 
legt,  relativ  unbedeutend  und  so  constant,  dass  Koch  die  nur  mikro- 
skopisch wahrnehmbaren  Pormabweichungen  vom  Bacillus  subtilis  als 
ein  Unterscheidungsmerkmal  beider  Arten  erklären  konnte.  Die 

Pormabweichungen,  welche  B  u  c  h  n  e  r 
durch  die  Zeichnungen  A  und  B  bei 
4000  maliger  Yergrösserung  gefunden 
haben  will,  beschränken  sich  auf  ganz 
unbedeutende  Veränderungen  des  Ver- 
hältnisses von  Länge  zu  Breite.  Der 
Jodzusatz  zeigte  A,  b  und  B,  b  und 
c  keine  Zusammensetzung  aus  isodia- 
metrischen Gliedern.  A  r  c h  a n g e  1  s k i ') 
und  R  0 1 0  ff  ^)  wollen  dagegen  im  Ent- 
wicklungskreise der  Milzbrandbacillen 
auch  kokkenähnliche  Körperchen  beob- 
achtet haben,  ohne  dass  aber  aus  den 
ungenauen  Angaben  zu  ersehen  ist, 
was  diese  Kokken  eigentlich  sein  sol- 
len. In  Peptonlösungen  sah  de  Bary^) 
,die  Fäden  des  Milzbrandbacillus  in 
grosser  Ausdehnung  zerfallen  in  runde, 
zu  traubigen  oder  klumpigen  Gruppen 
sich  anhäufende  Glieder,  also  Kokken. 
Dieselben  erwiesen  sich  mit  zweifel- 
haften Ausnahmen  als  todt."  Das 
Auftreten  dieser  „Kokken"  war  dem- 
nach eine  ausgesprochene  pathologische  Erscheinung,  ein  Zeichen  des 
Todes,  aber  kein  Zeichen  des  Lebens,  wie  bei  vegetativen  Kokken. 


CD 


I] 
CID 


Milzbrandbrandbacillen  A  und  B  bei 
4000  f acher  V  ergrösser,  nach  B  u  c  h  n  e  r, 
C  bei  700facher  Vergiösserung  nach 

Photogrammen  von  Koch. 
Ä  aus  Milz  der  Maus,   frisch,  Breite 
0,8  /.t,  Länge  der  kürzesten  Glieder 
4,5  li,  der  längsten  1  ti;  b  Jodzusatz; 

Länge  der  Glieder  'von  2,5  // 
B  20/nFlcischextract,  schwach  alkalisch, 
a  Breite  1,2  bis  1,4  //,  Länge  der 
kürzesten  Glieder  4  _/( ;  'b  und  c  Jod- 
tinctür. 

C  a  aus  Milz  von  Maus ;  b  aus  Leber- 
capillaren  vou  Kaninchen ;  e  aus  Milz 
von  Hatte. 


1)  Centralblatt  f.  d.  med.  Wissenschaften,  1882,  No.  15. 

2)  Arch.  f.  Wissensch,  und^praktische  Tliierheilkunde,  Bd.  9,  1883,  S.  459. 

3)  Vergleichende  Morphologie  und  Biologie  der  Pilze,  1884,  S.  504. 


Variabilität  der  Formen. 


49 


Es  fehlt  demnach  bis  jetzt  jeder  Beweis,  dass  in  der  normalen  Ent- 
wicklung lebensfähige  isodiametrische  Glieder  auftreten  können. 

Bei  den  Tuberkelbacillen  will  Z  o  p  f  ^)  in  älteren  Lungenherden 
auch  knglige  Zellen  oder  Kokken  gefunden  haben  und  er  bildet  die- 
selben zum  Theil  als  eine  nicht  unterbrochene  Reihe,  zum  Theil 
;aber  als  eine  unterbrochene  Reihe  von  kleinen  Kügelchen  ab,  wie 
man  sie  beobachtet,  wenn  sich  in  den  kleinsten  Stäbchen  Sporen 
finden,  so  dass  nur  der  zur  Sporenbildung  nicht  verwendete  Proto- 
;plasmarest  des  Stäbchens  sich  noch  färbt.    Biedert^)  giebt  gleich- 
I  falls  an,  die  Tuberkelbacillen  in  eine  ununterbrochene  Körnerreihe 
-zerfallen  gesehen  zu  haben;  aber  er  fasst  derartige  Körner  oder 
„Kokken"  nicht  als  normale  Theilungsproducte  oder  eine  Anpassungs- 
Iform  auf,  sondern  als  Degenerationsformen,  „da  die  Organismen 
ibei  weiterer  Aussaat  sich  nur  spärlich  weiter  entwickelten".  Bis 
•jetzt  fehlt  jeder  Nachweis,  dass  bei  den  Tuberkelbacillen  in  der 
mormalen  Entwicklung  andere  Formen  als  kürzere  oder  längere  Stäbchen 
mnd  kleine  Fäden  vorkommen  und  von  einer  Anpassung  dieser  Formen 
ian  geänderte  Bedingungen  oder  von  einer  besonderen  Anpassungsform 
iweiss  man  noch  nichts.  Uebrigens  sind  die  Tuberkelbacillen  zur  Ent- 
sscheidung so  schwieriger  Fragen  recht  wenig  geeignet,  weil  sie  ein- 
imal  an  und  für  sich  schon  sehr  klein  sind  und  vor  Allem,  weil  sie 
jsich  so  langsam  entwickeln,  dass  die  lückenlose  Beobachtung  in  der 
ffeuchten  Kammer  auf  kaum  oder  nur  sehr  schwer  zu  überwindende 
.'Schwierigkeiten  stösst. 

Nach  F  i  t  z  3)  wird  die  normaler  Weise  kurzcylindrische  Form 
1(0,7  bis  1  //  breit  und  1,8  bis  2,4//  lang)  der  Zellen  einer  Bakterien- 
aart,  welche  milchsauren  Kalk  in  buttersauren  Kalk  als  Hauptpro- 
(iduct  vergährt,  im  Vaccum  „kleiner,  namentlich  kürzer  und  nähert 
>sich  der  Mikrokokkenform".  Umgekehrt  wird  die  Form  in  Zucker- 
ffleischextractlösungen,  welche  wegen  fehlenden  Zusatzes  von  Calcium- 
'carbonat  sauer  wurden,  „mit  zunehmendem  Säuregehalt  immer  grösser, 


1)  Die  Spalt.pilze,  3.  Auflage.  1885,  S.  85. 

2)  Virchow's  Archiv,  Bd.  100,  1885,  S.  451. 

Ueber  Spaltpilzgährnngen,  IX.   Berichte  der  deutschen  und  chemischen 
Gesellschaft,  XVII.  1884,  S.  1188. 

Hneppe,  Formen  der  Bakterien.  j 


50 


Vaviabilitiit  der  Formen. 


die  Breite  erreicht  1,5 //,  die  Länge  7  bis  8 einzelne  Zellen  erreichen 
eine  noch  darüber  hinausgehende  monströse  Länge". 

Die  vegetativen  Formen  bewegen  sich  demnach  je  nach  dem 
Medium  zwischen  ganz  kurzen  und  sehr  langen  Stäbchen  in  einer  Varia- 
tionsbreite, welche  mindenstens  so  weit  geht,  wie  B  u ch n e r  sie  für  die 
Heubacillen  angenommen  hatte.  Leider  sind  die  Angaben  entwick- 
lungsgeschichtlich nicht  genügend,  so  dass  ein  sicheres  ürtheil  schwer 
zu  gewinnen  ist,  doch  ist  die  Wahrscheinlichkeit  nahe  gelegt,  dass 
in  bestimmten  Fällen  eine  weitgehende  Anpassung  an  das  .Substrat 
vorkommen  kann. 

Bei  Bacillus  megaterium,  dessen  kürzeste  Glieder  nach  der 
Theilung  an  sich  schon  nicht  ganz  leicht  zu  beurtheilen  sind,  beobach- 
tete deBary^),  dass  die  glatten  cylindrischen  Stäbchen  in  deutlich 
gegliederte  und  in  Ketten  verbunden  bleibende  isodiametrische  Zellen 
zerfallen  können,  wenn  die  Kulturen  durch  andere  Bakterien  ver- 
unreinigt waren.  Da  „die  torulöse  Kettenform  durch  reinere  Kultur 
wieder  in  jene  der  glatten  Stäbchen  übergeführt  werden"  konnte, 
waren  diese  isodiametrischen  Glieder  vermuthlich  eine  lebenskräftige 
, Kokkenform"  und  keine  Degenerationsform. 

In  diesem  Falle  würde  erst  die  Concurrenz  mit  anderen  Bakterien 
im  Stande  sein,  den  unter  normalen  Verhältnissen  nicht  einti-etenden 
Zerfall  in  isodiametrische  Glieder  herbeizuführen,  während  die  Bacillen 
sonst  nur  in  Form  von  kurzen  imd  langen  Stäbchen  und  von  Fäden 
vorkommen.  Diese  normalen  Formen  ändern  sich  übrigens  mit 
Aenderung  der  Aussenbedingungen  fast  gar  nicht  in  ihren  Dimen- 
sionen. 

Dass  die  isodiametrischen  Glieder,  also  eine  ganz  neue  Form, 
etwa  eine  besonders  leistungsfähige  vegetative  Form  vorstellen,  hat 
de  Bar y  nicht  beobachtet,  sondern  im  Gegentheil  diese  Form  nur 
gefunden,  wenn  andere  Arten  leistungsfähiger  waren  und  Bacillus 
megaterium  nicht  seine  grössten  vegetativen  Leistungen  entfaltete, 
sondern  im  Kampfe  ums  Dasein  unterlag.  Der  wirkliche  AVerth 
dieser  Form  ist  damit  aber  noch  nicht  ermittelt.  Zunächst  ist  es 
in  Bakteriengemischen  sehr  schwer  mit  Bestimmtheit  zu  sagen,  dass 


2)  Vergleichende  Morphologie  und  Biologie  der  Pilze,  1884,  S.  503. 


Variabilität  der  Formen. 


51 


alle  Stäbchen  ausnahmslos  zerfallen  und  dass  nicht  vielleicht  einige 
unveränderte  Stäbchen  vorhanden  sind,  oder  dass  sich  beim  Erliegen 
gegenüber  den  anderen  Bakterien  nicht  vielleicht  Sporen  gebildet 
habeu,  von  denen  dann  später  die  neuen  Generationen  ihren  Ursprung 
nehmen  können.  Aber  selbst  wenn  diese  beiden  Einwürfe  bestimmt 
ausgeschlossen  sind,  können  vielleicht  neue  Kulturen  gelingen,  wenn 
man  nicht  lange  mit  dem  ümzüchten  wartet  nach  dem  Eintreten 
dieses  Zerfalls,  während  bei  längerem  Warten  die  Kulturen  vielleicht 
definitiv  wirkungslos  geworden  sind. 

Es  ist  wohl  von  deBary  gezeigt,  dass  unter  ungünstigen  Ver- 
hältnissen eine  andere  wenig  leistungsfähige  Form  auftreten  kann, 
aber  es  ist  damit  nicht  entschieden,  dass  diese  Form  eine  wirkliche 
Anpassung  an  diese  neuen  Verhältnisse  ist,  sondern  man  muss  die 
Möglichkeit  offen  halten,  dass  das  Auftreten  dieser  neuen  Form  im 
Gegentheil  das  erste  sichtbare  Zeichen  ist,  dass  die  Art  unter  diesen 
Verhältnissen  sich  nicht  wirklich  anzupassen  vermag,  sondern  dass 
sie  im  Kampfe  ums  Dasein  erliegt.  Die  Kokkenform  kann  unter 
den  angegebenen  Verhältnissen  den  Beginn  einer  Degeneration  der 
Kultur  anzeigen,  welche  allmählich  zu  einer  vollständigen  Vernich- 
tung der  Kultur  führt,  während  in  früheren  Stadien  noch  die  Mög- 
lichkeit einer  Rückführung  in  lebensfähige  Kulturen  gegeben  ist. 
Beobachtungen  über  die  Entstehung  der  Degenerationsformen  von 
Milzbrand-,  Heu-  und  Kommabacillen  machen  mir  diesen  Schluss 
wahrscheinlich.  ' 

Für  die  Typhusbakterien  ermittelte  Gaff ky  i),  dass  die  einzelnen 
i  Stäbchen  in  Blutserum  und  Fleischinfus  trotz  energischen  Wachs- 
•thums  geringere  Dimensionen  haben  als  auf  Kartoffeln  und  Nähr- 
jgelatine  und  eine  geringere  Neigung  zur  Bildung  von  Fäden  zeigen. 
.Auch  bei  ausgesprochenen  Kokkenformen  ist  eine  Schwankung  in  der 
1  Dimension  der  einzelnen  Zellen  für  die  Mikrokokken  der  Gonorrhoe 
ivon  Bumm2)  angegeben  worden. 

Eine  sehr  weitgehende  Anpassungsfähigkeit  an  geänderte  Aussen- 
Ibedingungen  ist  für  die  sogenannten  Kommabacillen  behauptet  worden. 

1)  Mittheilungen  aus  dem  Kaiserlichen  Gesundheitsamte,  II,  1884,  S.  389. 

2)  Der  Mikro-Organismus  der  Gonorrhoischen  Schleimhaut-Erkrankungen, 
11885,  Seite  32. 

4* 


52 


Variabilität  der  Formen. 


Das  vegetative  Stadium  dieser  Bakterien,  Fig.  9,  A,  wird  von  schein- 
bar einfach  gekrümmten,  in  Wirklichkeit  aber  leicht  schraubig  ge- 
drehten Stäbchen  gebildet,  ähnlich  wie  bei  den  Vibrionen  Fig.  3,  C 
und  Spirillen  Fig.  4,  A,  b  und  c;  bei  dem  Zusammenbleiben  entr- 
stehen  zunächst  ^-förmige  kurze  Fädchen,  Fig.  9,  bei  A,  wie  bei  den 
Vibrionen  Fig  1,  F  und  Spirillen  Fig.  1,  K,  Fig.  4,  A,  a'  und  a". 
Häufig  wachsen  aber  auch  die  Kommabacillen,  wie  Koch 3)  von  An- 
fang an  und  vollständig  correct  angegeben  hat,   „zu  mehr  oder 

weniger  langen  Fäden  aus.  Sie 
_         ■  bilden  dann  aber  nicht  gerade  Fä- 

n      .  F       den,  wie  andere  Bacillen,  z.  B.  die 


wellenförmig  gestaltete  Fäden,  sondern  sehr  zierliche,  lange  Schrauben, 
die,  was  ihre  Länge  und  ihr  übriges  Aussehen  anbetrifft,  die  grösste 
Aehnlichkeit  mit  den  Recurrens-Spirochäten  haben.    Ich  würde 
sie,  wenn  man  beide  neben  einander  hätte,  nicht  von  einander  unter- 
scheiden können.    Wegen  dieser  eigenthümlichen  Entwicklungsform 
neige  ich  mich  auch  der  Ansicht  zu,  dass  der  Kommabacillus 
gar  kein  echter  Bacillus  ist,  dass  er  eigentlich  eineUeber- 
gangsform  zwischen  Bacillen  und  Spirillen  bildet.  Möglicherweise 
handelt  es  sich  hier  sogar  um  ein  achtes  Spirillum,  von  dem 
wir  ein  Bruchstück  vor  uns  haben.  Man  sieht  auch  bei  anderen 
Spirillen,  z.  B.  Spirillum  undula,  dass  ganz  kurze  Exemplare  nicht 
eine  vollständige  Schraubenwindung  bilden,  sondern  nur  noch  aus 
einem  kurzen  Stäbchen  bestehen,  welches  mehr  oder  weniger  ge- 
krümmt ist". 

Gegenüber  einigen  unklaren  morphologischen  Angaben,  welche 
durch  den  rasch  populär  gewordenen  Laboratiumsausdruck  , Komma- 
bacillus« hervorgerufen  waren,  erklärte  ich  bald  darauf  auf  der 
Naturforscherversammlung  zu  Magdeburg  1884 1),  dass  man  die 


Milzbrandbacillen,  oder  wie  es  nach 
dem  Aussehen  des  mikroskopischen 
Bildes  erscheinen  könnte,  einfach 


1)  Conferenz  zur  Erörterung  der  Cholerafrage.  Berl.  klien.  Wochenscbri 
und  deutsche  med.  Wocbensclirift,  1884,  No.  31. 

2)  Tageblatt,  S.  222  und  Deutsche  med.  Wochenschrift,  1884,  No.  40. 


Variabilität  der  Formen. 


53 


Kommabacillen  wegen  ihrer  Wiichsformen  wohl  am  besten  als  Vib  ri- 
onen  bezeichnen  würde. 

Lang  bevor  also  Gegner  von  Koch  in  die  Lage  kamen  etwas 
über  diese  Bakterien  mittheilen  zu  können,  waren  die  wichtigsten 
morphologischen  Kriterien  der  „Kommabacillen"  von  Koch  und  mir 
vollständig  erkannt  und  richtig  gestellt,  so  dass  der  Eifer  mit  dem 
besonders  Grub  er  ^)  den  Namen  „Kommabacillus"  benützt  um 
Koch  und  seinen  Schülern  eine  Lection  über  Morphologie  der  Bak- 
terien im  Allgemeinen  und  die  der  Vibrionen  im  Speciellen  zu  ertheilen, 
mehr  komisch  wirken  musste,  weil  diese  Belehrung  gar  zu  sehr 
post  festum  kam.  Als  Wuchsformen  der  von  Koch  bei  cholera 
asiatica  gefundenen  Bakterien  waren  demnach,  als  in  den  normalen 
Entwicklungskreis  der  Art  gehörig  sicher  gestellt,  das  komma- 
ähnlich gekrümmte,  schraubige  Stäbchen  und  der  schrau- 
bige Faden.  Dieselben  Formen  wurden  von  Koch 2),  van  Br- 
mengem^).  Gruber,  Buchner*),  Pinkler  und  Prior^)  für 
die  von  letzteren  bei  Cholera  nostras  einige  Mal  beobachteten,  von 
ihnen  morphologisch  zuerst")  nicht  vollständig  erkannten  Komma- 
bacillen gefunden.  Dasselbe  beobachtete  Deneke'^)  bei  einer  aus 
Käse  kultivirten  ähnlichen  Art. 

In  verschiedenen  Medien  wollen  nun  Gruber  und  Buchner 
einen  grösseren  Pormenkreis  beobachtet  haben,  indem  sie  bei  den 
Finkler-Prior'schen  Bakterien  übereinstimmend  bisweilen  neben  den 
schon  erwähnten  Formen  auch  „Kugel-,  Spindel-  und  Flaschenformen " 
und  „ Monadenformen "  fanden  und  zwar  derart,  dass  dieselben  in 
bestimmten  Medien  mit  besonderer  Vorliebe  wiederkehrten;  Grub  er 
ist  in  der  Deutung  dieser  Befunde  kurz  entschlossen  und  findet, 
allerdings  dabei  wie  sein  Lehrer  Nägeli,  Cohn's  Argumente 

1)  Wiener  med.  Wochenschrift,  18S5,  No.  9  und  10. 
''')  Deutsche  med.  Wochenschrift,  1884,  No.  45. 
8)  Recherches  sur  le  microbe  du  cholera  asiatique,  1S85. 
4)  Sitzungsberichte  der  Gesellschaft  für  Morphologie  und  Physiologie  in 
München,  I,  1885,  S.  1. 

6)  Forschungen  über  Cholorabakterien,  1885. 

6)  Deutsche  med.  Wochenschrift,  1884,  No.  36  und  39,  Tageblatt  der 
Naturforscher- Versammlung  zu  Magdeburg,  1884,  S.  216. 

7)  Deutsche  med.  Wochenschrift,  1885,  No.  3. 


Variabilität  der  Formen. 

vollständig  missversteheud  und  angeblich  gegen  Koch 's  Auffassung 
„durch  das  Berichtete  sei  der  Beweis  für  die  Variabilität  der  Bak- 
terien erbracht.  Kokkus,  Bakterium,  Spirillum  u.  s.  w.  sind  Wuchs- 
formen, nicht  Artiintcrschiede".  Bu ebner  würdigt  diese  Formen 
etwas  genauer  und  vermag  in  ihnen  nur  „pathologische  Zustände" 
zu  erblicken  und  hält  die  von  ihm  und  Gr  über  beobachteten  Formen 
mit  Ausnahme  der  Schraubenstäbchen  und  Spirillen'  für  Degene- 
rationsformeu. 

Schon  Koch  hatte  bei  seinen  Kommabacillen  derartige  Degene- 
ratiousformen  gefunden,  in  noch  grösserer  Ausdehnung  van  Erm  engem 
und  Ferra n^),  welcher  Letzterer  dieselben  sogar  als  Fructifications- 
organe  aufgefasst  und  die  Kommabacillen  deshalb  als  eine  Perono- 
spora  erklärt  hatte.  Fast  dieselben  Formen  wie  Buch n er  und 
Grub  er  habe  ich  bei  beiden  Arten  und  in  etwas  geringerem  Maasse 
auch  bei  den  Deneke' sehen  Bakterien  gefunden,  aber  immer  als 
entschieden  entartete  Formen.  Zweifellos  geht  aus  der  Gesammt- 
heit  dieser  Beobachtungen  hervor,  dassKoch  die  normalen  Formen 
vollständig  richtig  erkannt  hat  und  dass  in  der  normalen  Ent- 
wicklung als  Wuchsformen  nur  kürzere  und  längereSchrauben- 
stäbchen  und  kürzere  und  längere  Schraubenfäden 
vorkommen. 

Die  pathologischen  Formen  haben  mit  einer  Anpassung  an  ge- 
änderte Aussenbedingungen  nichts  zu  thun,  da  die  wirkliche  An- 
passung als  eine  physiologische  Erscheinung  beweist,  dass  die  Form- 
veränderung eine  günstige  ist.  Ein  Absterben  und  Degeneriren  kann 
man  doch  nur  cum  grano  salis  mit  Anpassungserscheinungen  ver- 
gleichen und  die  dabei  auftretenden  Formen  sind  ein  sichtbares 
Zeichen,  dass  die  Anpassung  an  die  geänderten  Verhältnisse  nicht 
gelingt,  sie  sind  ein  Zeichen  des  Absterbens,  aber  nicht,  wie  es  die 
Anpassung  ist,  ein  Zeichen  gesunden  Lebens  unter  geänderten  Be- 
dingungen. 

Es  würde  demnach  noch  zu  prüfen  sein,  ob  die  normalen  Ent- 
wicklungsformen der  Schraubenstäbchen  und  schraubigen  Fäden  sich 


1)  Zeitschrift  für  klinische  Mcdicin,  1885,  Bd.  IX,  S.  375. 


Variabilität  der  Formen. 


55 


im  Sinne  einer  wirklichen  Anpassung  zu  verändern  vermögen.  Dies 
geschieht  zweifellos  in  geringem  Maasse.  Die  Form  der  komma- 
ähnlich gekrümmten  Schraubenstäbchen  der  drei  Arten  ändern  sich 
in  ihren  Dimensionen  in  verschiedenen  Substraten  etwas,  so  dass  die 
Formen  unter  einander  in  manchen  Medien  sich  ähnlicher  sehen  als 
in  anderen.  Finkler  und  Prior  bemühen  sich  daraus  auf  tiefere 
Aehnlichkeiten  zu  schliessen,  während  Buch  n  er  und  Gr  über  be- 
stimmt erklären,  dass  dadurch  die  Differentialdiagnose  kaum  erschwert 
wird  und  die  verschiedenen  Kommabacillen  trotz  aller  Aehnlichkeiten 
differente  Organismen  sind,  wie  es  zuerst  Koch  und  vanErmengem 
durch  Kulturversuche  sicher  gestellt  hatten,  nachdem  ich  bereits 
vorher  auf  kleine  morphologische  Differenzen  aufmerksam  gemacht 
hatte. 

Wenn  wir,  wie  ich  1.  c.  angeführt  hatte,  «jetzt  schon  lange 
nicht  mehr  auf  dem  Standpunkte  stehen,  ans  einer  noch  so  grossen 
Formähulichkeit  unter  dem  Mikroskope  allein  eine  Analogie  oder 
gar  Identität  herzuleiten",  und  wenn  wir  unter  Beachtung  aller  uns 
zugänglichen  Formmerkmale  nach  den  von  Cohn  seit  1872  wieder- 
holt dargelegten  und  auch  von  Koch  öfters  betonten,  erweiterten 
und  präcisirten  Anschauungen  in  der  Gesammtheit  aller  Formen 
wesentliche  Differenzen  bei  den  verschiedenen  Arten  der  Komma- 
bacillen treffen,  so  wird  die  angebliche  Widerlegung  der  Anschauungen 
von  Koch  durch  Grub  er  nur  zu  einer  unfreiwilligen  Bestätigung 
der  Kichtigkeit  derselben,  wenn  Gruber  erklärt,  dass  , die  morpho- 
logische Charakteristik  der  Art  nicht  aus  einer  einzigen  Wuchsform, 

.  sondern  aus  der  Gesammtheit  derselben  abzuleiten"  sei.  Auch 
Bu  ebner  hat  sich  von  der  unrichtigen  Auffassung  der  Cohn 'sehen 
Ansichten  über  Formconstanz  noch  nicht  ganz  frei  gemacht,  wenn  er 
sagt:  „Jemand,  der  auf  das  blosse  mikroskopische  Bild  hin  diese 
Spindel-,  Monaden-  und  Flaschenformen  gemäss  der  Theorie  der 
Formconstanz  für  ganz  verschiedene  Arten  erklären  würde,  würde 

;sich  dadurch  des  grössten  Irrthums  schuldig  machen." 

Eine  auffälligere  Anpassung  au  die  Aussenbedingimgen  macht 
sich  bei  den  Schraubenformen  geltend.    Mau  findet  nach  Büchner, 

'Grub er,  Finkler  und  Prior  bei  den  Bakterien  der  letztgenannten 
Autoren,  aber  ebenso  entschieden  auch  bei  den  Koch 'sehen  Komma- 


56 


Variabilität  der  Formen. 


bacillen  nach  meinen  Ermittelungen ')  Differenzen,  welche  mit  den 
Aiift'assungen  von  Cohn  über  die  Constanz  der  Schraubenform  nicht 
in  Einklang  zu  bringen  sind.  Je  nach  dem  Stadium  der  Entwick- 
lung und  der  Schnelligkeit  der  Bildung,  dem  Chemismus  des  Nähr- 
bodens und  den  mechanischen  Verhältnissen  desselben  gleicht  die 
Schraube  bisweilen  scheinbar  einem  wellig  geschlängelten  Faden, 
bald  einer  flach  ausgezogenen  Schraube,  bald  einer  weit,  Fig.  9,  C, 
bald  einer  eng  gewundenen  Spirale,  B,  Bisweilen  liegen  einige 
Schraubengänge  so  dicht  aneinander,  dass  man  an  Ehrenberg's 
Spirodiscus  erinnert  wird.  Die  Fäden  können  bisweilen  Schlingen 
bilden  oder  sich  peitschenschnurartig  umeinander  aufrollen,  F.  Bald 
sind  die  Fäden  flexil,  C,  bald  starr  und  formbeständig,  B.  Im  All- 
gemeinen sind  die  einzelnen  Fadenfragmente  mehr  einheitlich,  doch 
kommen  auch  Fäden  vor,  an  denen  zwei,  D,  und  selbst  drei,  E,  ver- 
schiedene Schraubenformen  sich  finden. 

Dass  ähnliche  Verschiedenheiten  bei  einer  bis  jetzt  vielfach  als 
einheitlich  und  charakteristisch  aufgefassten  Form,  wie  es  die  Schrauben- 
form nach  Cohn  sein  soll,  vorkommen,  war  bei  den  Schrauben- 
bakterieu  nicht  ermittelt  und  etwas  Aehnliches  nur  für  die  schrau- 
bigen Fäden  von  Beggiatoa,  Crenothrix  und  Cladothrix  durch  Zopf 
mitgetheilt.  Die  Schwierigkeiten,  welche  Cohn  schon  gefunden  hatte 
bei  der  Abgrenzung  seiner  Gattung  Vibrio  gegen  die  Spirobakteria, 
die  schon  mitgetheilte  Unmöglichkeit,  zwischen  Cohn 's  Gattungen 
Spirillum  und  Spirochaete  eine  durchgreifende  Differenz  zu  finden, 
sind  hiermit  definitiv  in  dem  Sinne  erledigt,  dass  die  Form  der 
Schraube  wesentlich  durch  die  Aussenbedingungen  veranlasst  wird, 
sodass  keine  qualitativen  Unterschiede  zwischen  den  zu  den  Form- 
gattungen Vibrio,  Spirillum  und  Spirochaete  gehörigen  Formen  der 
schraubigen  Fäden  zu  ziehen  sind. 

Die  grosse  Unsicherheit  in  der  systematischen  Stellung  der 
Kommabacillen  macht  sich,  wenn  man  nur  die  Formen  berücksichtigt, 
in  den  verschiedensten  Auffassungsweisen  bemerkbar.  Im  Sinne  des 
Grundgedankens  der  Cohn' sehen  Terminologie  hatte  ich  zuerst  die 
Bezeichnung  Vibrio  als  Gattungsbezeichnung  gebraucht  und  zur 


1)  Fortschritte  der  Medicin,  III,  1885,  No.  19. 


Variabilität  der  Formen. 


57 


Definition  dieser  Gattung  die  beiden  Formen  des  schraiibigen 
Stäbchens  und  des  schraubigen  Fadens  für  nöthig  gehalten.  Ebenso 
verfuhren  später  Buchner  und  Grruber.  Koch  war  wieder  mehr 
geneigt  den  schraubigen  Faden,  also  eine  der  auftretenden  Formen, 
als  das  eigentliche  Analogon  des  ächten  Spirillum  aufzufassen  und 
in  den  schraubigen  Stäbchen,  der  anderen  auftretenden  Form,  Bruch- 
stücke eines  solchen  Spirillum  zu  sehen,  wobei  diese  Bruchstücke 
ihm  wie  eine  Uebergangsform  zwischen  Bacillen  und  Spirillen  er- 
schienen. Späterl)  ist  Koch  der  Meinung,  ,dass  die  Unterschiede 
zwischen  Bacillen  und  Spirillen  noch  nicht  genügend  festgestellt 
sind"  und  hält  es  für  verfrüht,  Jetzt  schon  derartige  strikte 
Treunungen  machen  zu  wollen".  Diese  Angaben  von  Koch  zeigen 
zweifellos,  dass,  wenn  man  die  Gattungsbezeichnungen  Bacillus  und 
Spirillum  von  Cohn  im  Sinne  von  einzelnen  Formen  gebraucht, 
Schwierigkeiten  entstehen,  welche  Cohn  dadurch  versucht  hatte  zu 
umgehen,  dass  er  seine  Gattungen  durch  mehrere  Formmerkmale 
bestimmte.  D  e  n  e  k  e  endlich  stellt  bei  den  von  ihm  aus  Käse  kultivirten 
Kommabacillen,  seinen  sogenannten  Käsespirillen,  den  Einzelindividuen 
der  schraubigen  Stäbchen  die  Spirillenfäden  gegenüber. 

Hätte  man  keine  anderen  Anhaltspunkte,  so  müsste  man  mit 
dieser  Erkenntniss  alle  Schraubenformeu,  soweit  sie  nicht  in  den 
Entwickelungskreis  anderer  Gattungen  und  Arten,  wie  Beggiatoa 
oder  Cladothrix,  gehören,  in  eine  einzige  Formgattung  vereinigen  und 
die  Formmerkmale  von  Cohn  würden  nicht  einmal  genügen,  um 
innerhalb  dieser  einen  Gattung  Formarten  zu  unterscheiden,  sondern 
zur  Bestimmung  der  einzelnen  Formarten  müssten  mehr  Wuchsformen 
berücksichtigt  werden,  als  Cohn  zur  Bestimmung  der  Formgattungen 
Vibrio,  Spirillum  und  Spirochaete  angeführt  hat.  Dieses  proteus- 
artige  ist  allen  Schraubenbakterien  eigen  und  die  Ermittelung  dieser 
Veränderungen  der  Schraubenform  durch  die  Aussen- 
bedingungen  ist  eine  der  wesentlichsten  Berichtigungen  der 
Formgattungen  von  Cohn.  Eine  Zusammensetzung  der  schraubigen 
Stäbchen  und  Fäden  aus  isodiametrischen  Gliedern,  welche  Grub  er 
sich  bemüht  ak^ahrscheinlich  hinzustellen,  hat  Grub  er  selbst  niclit 

;)  Conferenz  zur  Erörterung  der  Cholera-Frage,  II,  Berlin,  klin.  Wochen- 
schntt  und  deutsche  med.  Wochenschrift  1885,  No.  37. 


58 


Variabilität  der  Pornien. 


bewiesen,  und  ich  beobachtete  in  dieser  Hinsicht  eben  so  grosse  Dilfe- 
renzen  wie  bei  den  Bacillen  und  fand  bald  kürzere,  bald  längere 
Glieder. 

Wenn  Grub  er  meint,  „Jedem  bestimmten  Komplexe  von  Er- 
nährungsbedingungen entspricht  eine  bestimmte  Wuchsforra  der 
Bakterienart",  so  ist  dies  für  die  Kommabacillen  bestimmt  nicht  der 
Fall,  wenn  man  die  pathologischen  Formen  ausser  Acht  lässt,  da  in 
allen  Medien  Schraubenstäbchen  und  schraubige  Fäden  vorkommen. 

Von  Neelsen^)  wurde  angegeben,  dass  die  Bakterien,  welche 
die  sogenannte  blaue  Milch  hervorrufen,  in  verschiedenen  Medien 
ganz  verschiedene  Entwickelungscyklen  durchmachen  sollen  derart, 
dass  in  einzelnen  Medien  Gonidien,  in  anderen  Sporen,  in  anderen 
eine  Chrookokkusform  sich  bilden  soll.  Diese  Angabe,  nach  der 
also  jedem  bestimmten  Komplexe  von  Ernährungsbedingungen  sogar 
ein  bestimmter  Formenkreis  entsprechen  sollte,  konnte  ich-)  bei 
Vermeidung  der  Versuchsfehler  von  Ne eisen  widerlegen  durch  den 
Nachweis,  dass  in  allen  Medien  dieselben  Formcyklen  sich  bilden, 
dass  nur  die  Gruppirung  der  Zellen  zu  Zoogloeen  und  Fäden  etwas 
durch  die  Verschiedenheit  der  Medien  beeinflusst  wird  und  die 
Dimensionen  der  Einzelglieder  sich  nach  den  chemischen  und 
mechanischen  Verhältnissen  des  Nährbodens  etwas  ändern. 

Haus  er  3)  beobachtete  bei  drei  Bakterienarten,  welche  stinkende 
Fäulniss  hervorriefen,  auf  alkalischem  festen  Nährboden  kuglige  und 
elliptische  Zellen,  kürzere  und  manchmal  auch  längere  Stäbchen  und 
durch  Zusammenbleiben  der  Glieder  Fäden,  welche  gerade  oder 
wellig  gebogen  waren  und  bisweilen  sich  peitschenschnm-artig  um- 
einander aufrollten;  bei  zwei  der  Arten  fand  er  auch  einige  Mal 
schraubige  Fäden,  doch  bildeten  sich  die  Schrauben,  Schleifen  und 
Umschlingungen  nicht  constant  aus. 

Das  vegetative  Stadium  war  auf  und  in  den  alkalischen  Medien 
durch  die  Kurzstäbcheuform  repräsentirt  und  ?war  durch  dieselben 
Formen,  welche  bereits  Cohn  für  Bakterium  termo,  Fig.  1  A,  an- 

1)  Studien  über  blaue  Milch.  Beiträge  zur  Biologie  der  Pflanzen, 
III.  Heft  2,  1880,  S.  187. 

2)  Mittheilungen  aus  dem  Kaiserlichen  Gesundheitsainte,  II,  1884,  S.  3G4. 
9)  Ucbcr  Fäulnissbakterien  und  deren  Beziehungen  zur  Septicäniie,  lS8a. 


Variabilität  der  Formen. 


59 


gegeben  hat;  in  sauren  Medien  traten  dieselben  vegetativen  Formen 
auf.  Die  vegetativen  Formen  wurden  in  ihrem  Habituseindruck 
durch  den  Wechsel  der  Ernährungsbedingungen  nicht  wesentlich  be- 
einflusst  und  es  traten  in  günstigen  und  ungünstigen  Medien  nur 
die  Formen  des  Bakterium  termo  auf,  ohne  dass  diese  vegetativen 
Formen  sich  in  ihren  Dimensionen  wesentlich  änderten  oder  gar  ganz 
andere  vegetative  Formen  sich  ausbildeten.  Nur  ein  Unterschied 
maclite  sich  bemerkbar  dadurch,  dass  in  sauren  Medien  das  Wachs- 
thum dürftig  blieb  und  die  Kultur  sich  schnell  erschöpfte,  während 
in  alkalischen  Medien  die  Stäbchen  zu  Fäden  auswuchsen.  Es  wurden 
bei  diesen  Bakterien  durch  „geeignete  Modification  des  Nährbodens" 
nicht'  die  einzelnen  Formen,  sondern  „die  Mannigfaltigkeit  des 
Formenkreises "  derart  beeinflusst,  dass  der  gesammte  Formencyklus 
der  Art  nur  in  wenigen  günstigen  Medien  auch  ganz  zur  Entwicklung 
kam,  während  in  ungünstigen  Medien  nur  ein  Theil  der  Formen 

:  sich  einstellte.  Diese  ausfallenden  Formen  waren  aber  nicht  die 
wichtigen  vegetativen  Formen,  sondern  die  Ruheformen,  welche 
Cohn  bereits  1872  wenigstens  „theils  von  äusseren  Verhältnissen" 
abhängig  hingestellt  hatte.  Dass  diese  Formen  an  sich,  wo  sie  zur 
Ausbildung  kamen,  durch  Wechsel  der  Aussehbedingungen  in  ihren 

1  Dimensionen  beeinflusst  wurden  und  sich  anpassten,  hat  HausCj; 

!  nicht  ermittelt.  Der  einzige  Schluss  aus  den  Mittheilungen  von 
Häuser,  für  den  er  selbst  ausreichende  Beobachtungen  angegeben 

Ihat,  ist  der,  dass  unter  ungünstigen  Umständen  eine  Erschöpfung 

'der  Bakterienvegetation  eintreten  kann,  ehe  dieselbe  den  ganzen, 

iihr  unter  günstigen  Umständen  zugänglichen  Formenkreis  durch- 

Uaufen  haben. 

Etwas  Aehnliches  ermittelte  auch  Falkenheim^)  für  eine 
sandere  Bakteriengattung.  Aus  Magensaft,  welcher  die  bekannten 
IPackete  der  Magensarcine  reichlich  enthielt,  hatte  er  eine  Art  isolirt, 
welche  auf  verschiedenen  Nährgelatinen,  auf  Kartoffeln,  in  Blut- 
sserum Kokken,  Doppelkokken  und  bisweilen  zu  4  in  einer  Fläche 
.(angeordnete  Zellen,  Tetraden,  biltete.    In  neutralem  Heuinfus  ent- 


1)  üeber  Sarcine.  Arch.  f.  experimentelle  Pathologie  und  Pharmakologie. 
11885,  Bd.  19. 


GO 


Variabilität  der  Formen. 


wickelten  sich  neben  diesen  Formen  und  sie  an  Zahl  übertreffend 
ausgesprochene  packettormige,  eingeschnürten  Waarenballen  ähnliche 
Conglomerate  von  8  Zellen,  welche  nicht  flächenartig,  sondern  wie 
die  ächte  Sarciue  nach  den  drei  Dimensionen  des  Raumes  angeordnet 
waren.  Die  Grösse  der  Zellen  schwankte  etwas  nach  den  Ernährungs- 
verhältnisseu.  In  diesem  Falle  trat  also  das  Höhenstadium  der 
Formen  nicht  in  allen  Medien,  sondern  nur  in  bestimmten  Medien  ein. 

In  allen  bisher  betrachteten  Fällen  ging  die  Anpassung  der 
Formen  in  keinem  einzigen  Falle  so  weit,  dass  die  einzelnen  Formen 
als  schlechthin  veränderlich  hätten  bezeichnet  werden  können,  sondern 
die  Veränderungen  der  Formen  erwiesen  sich  wesentlich  nur  als 
Veränderungen  der  Dimensionen  in  Folge  günstiger  oder  ungünstiger 
Ernährungsverhältnisse.  Die  Zugehörigkeit  der  Formen  zu  bestimmten 
Gattungen  oder  Formarten  war  durch  die  Eigenthümlichkeiten  der 
Formen  immer  möglieh.  Der  geringere  oder  grössere  Formenkreis 
der  einzelnen  Arten  brachte  für  die  physiologische  Variationsbreite 
der  einzelnen  Formen  keine  principiellen  Differenzen. 

Es  giebt  relativ  einförmige  Arten,  deren  einzelne  Fonnen  sich 
nicht  sichtbar  ändern,  während  bei  anderen  solchen  Arten  die  ein- 
zelnen Formen  bei  Aenderung  der  Aussenverhältnisse  deutlich  in 
ihren  Dimensionen  und  dem  Verhältniss  von  Länge  zur  Breite 
wechseln.  Ebenso  giebt  es  unter  den  pleomorphen  Arten  solche, 
deren  einzelne  Formen  sich  wenig  oder  scheinbar  garnicht  anpassen, 
während  bei  anderen  die  einzelnen  Formen  sich  etwas  ändern  bei 
Aenderung  der  Aussenbedingungen.  Diese  wirkliche  Anpassung  der 
Form  an  das  Substrat  ist  keine  willkürliche,  sondern  ist  für  jede 
Art  specifisch  und  beweist  damit,  dass  die  Formdifferenzen  der 
Arten  wahrscheinlich  primäre  Artunterschiede  darstellen.  Die  Con- 
stanz,  mit  der  solche  kleine  Formabweichungen  eintreten  können,  giebt 
zur  Differentialdiagnose  neue  Anhaltspunkte  bei  solchen  Arten,  deren 
Formen  auf  einzelnen  Medien  bis  zur  Verwechslung  ähnlich  sem 
können. 

Die  relative  Einförmigkeit  oder  der  bis  jetzt  nicht  nachgewiesene 
Monomorphismus  beweist  an  sich  nicht,  dass  diese  Formen  deshalb 
ganz  besonders  constaut  und  unveränderlich  sein  müssen,  wenn  sich 
die  Aussenbedingungen  ändern.   Ebensowenig  beweist  auch  der  eut- 


Variabilität  der  Formen. 


61 


schieclenste  Polymorphismus  an  sich,  dass  die  einzelnen  Formen  der 
pleomorphen  Arten  wegen  des  Pleomorphismiis  besonders  variabel 
sein  müssen.  Der  extremste  Polymorphismus  hat  an 
sich  mit  Variabilität  der  einzelnen  Formen  ebenso- 
wenig zu  thun,  wie  etwa  der  Monomorphismus  mit 
absoluter  Formconstanz. 

Wenn  auch  die  einzelnen  Formen  sich  bald  mehr  bald  weniger 
mit  den  Aussenbedingungen  ändern  können  und  wenn  es  auch  mög- 
lich ist,  dass  nicht  in  jedem  Medium  der  ganze  Entwicklungskreis 
der  Art  zur  Erscheinung  kommt,  so  tritt  doch  unter  denselben 
Aussenverhältnissen  immer  ein  ziemlich  scharf  bestimmter,  bald  enger, 
bald  weiter  Formenkreis  auf.  Unter  den  Formen  dieses  Entwicklungs- 
cyklus  kehrt,  gleichgültig  welche  Veränderungen  die  Form  bei  ihrer 
Entwicklung  durchmacht,  die  vegetative  Form  so  regelmässig  und 
■  typisch  wieder ,  dass  sie  zur  Artbestimmung  nach  wie  vor  die 
Wichtigkeit  hat,  welche  ihr  Cohn  bereits  1872  unter  der  Gesammt- 
Iheit  der  Formen  zuwies.    In  diesem  engbegrenzten  Sinne  ist  die 
:Form  der  Einzelzellen  genügend  constant,  um  bei  der 
.Artbestimmung  und  der  Gruppirung  der  Gattungen 
imit  verwerthet  zu  werden. 

Aber  sowohl  die  Constanz  der  Formen  unter  gleichen  Aussen- 
'  Verhältnissen  als  die  Abweichungen  imter  geänderten  Bedingungen, 
id.  h.  die  Gesammtheit  aller  Formen  und  Formeigen- 
tthümlichkeiten  gestattet  an  sich  keine  naturhistori- 
;schen  Arten,  sondern  nur  Formarten  abzugrenzen  und 
iauf  diese  Weise  eine  Summe  specifischer  Merkmale 
szusammenzufassen. 


G2 


Veränderungen  der  Funktion. 


VII. 

Welchen  Eiufluss  haben  Veränderungen  der  Funktion 
auf  die  Form?  Arten,  Varietäten  und  Ernälirungs- 

modificationen. 

Während  bei  den  bisher  betrachteten  Fällen  die  Constanz  oder 
Variabilität  der  Formen  unter  Verhältnissen  vorhanden  war,  bei 
denen  die  Function  keine  wesentliche  Alteration  erfuhr,  giebt  es 
auch  andere  Fälle,  bei  denen  das  wesentlichste  Merkmal  eine  zu- 
fällige oder  absichtliche  Aenderung  der  Function  ist.  Diese  Aende- 
rung  kann  so  weit  gehen,  dass  die  verursachenden  Bakterien  sich 
functionell  sehr  scharf  von  der  ursprünglichen  Art  unterscheiden. 

Sind  nun  die  so  entstandenen  Modificationen  einer  Bakterienart 
ohne  jede  Aenderung  der  Form  entstanden,  sodass  sie  etwa  dem 
entsprechen,  was  Cohn  physiologische  Arten  nannte?  Sind  die  phy- 
siologisch anders  wirkenden  Bakterien  morphologisch  ebenso  wie  die 
Art,  aus  der  sie  hervorgegangen  sind?  Sind  die  Formen  einer  solchen 
physiologischen  Modification  starr  oder  passen  sie  sich  der  geänder- 
ten Function  in  demselben  oder  einem  höheren  Grade  an,  ■  wie  bei 
den  schon  in  Betracht  gezogenen  Aenderungen  der  Ernährung,  ge- 
hören die  Formen  einer  Ernährungsmodification,  oder,  nach  dem 
üblichen  Ausdrucke,  einer  Kasse  der  ursprünglichen  Art  an?  Oder 
geht  mit  der  Aenderung  der  Function  die  Anpassung  der  Form  so 
weit,  dass  die  Endglieder  wie  differente  Formarten  erscheinen,  so 
dass  eine  wirkliche  ümzüchtung  der  Form,  ein  Transformismus 
vorliegt  ? 

Zuerst  hatte  wohl  Pasteur^)  das  ünwirksamwerden  von  Kul- 
tm-en  der  Bakterien  der  sogenannten  Hühnercholera  im  Sinne  einer 
functionellen  Aenderung  bei  Gleichbleiben  der  Form  - 
merkmale erklärt.  Die  ursprünglich  sehr  virulenten  Kulturen 
waren  nach  einiger  Zeit,  ohne  dass  besondere  Eingriffe  erfolgten, 
weniger  wirksam  und  schliesslich  unwirksam  geworden.  Ein  Ein- 
gehen auf  die  von  Pasten r  hiermit  in  Zusammenhang  gebrachte 

1)  Coniptes  rendus  1880,  T.  90,  S.  234,  952  und  1030,  T.  92,  1881,  S.  426. 


Veränderungen  der  Funktion. 


63 


Frage  nacli  der  Schutzimpfung,  welche  solche  abgeschwächte  Kulturen 
gegen  die  virulenten  Organismen  gewähren,  muss  ich  mir  hier  selbst- 
verständlich versagen.  Während  Pasteur  ganz  sicher  zu  sein 
schien,  dass  seine  Kulturen  zweifellose  Reinkulturen  waren,  dass 
also  die  Aenderung  der  Punktion  auch  nur  die  eine  virulente  Art 
betroffen  haben  könnte,  war  Löffleri)  geneigt  anzunehmen,  dass 
es  sich  nm-  scheinbar  um  die  Abnahme  der  Virulenz  einer  bestimm- 
ten Art  geliandelt  habe,  und  dass  wahrscheinlich  die  virulente  Art 
durch  eine  nicht  virulente  überwuchert  worden  war.  Kitt 2)  machte 
die  Annahme  von  Löffler  für  diesen  Pall  wahrscheinlich,  da  bei 
seinen  Versuchen  die  Kulturen  dieser  Organismen,  wenn  sie  wirklich 
rein  waren,  erheblich  länger  vollständig  virulent  blieben. 

Dass  Aenderungen  der  Punktion  vorgetäuscht  werden  können, 
hatte  Gaffky3)  beim  m.  prodigiosus  experimentell  gegen  Wernieh 
festgestellt,  welcher  letztere  bald  besseres,  bald  schlechteres  Wachs- 
thum dieser  Art  als  Steigerung  oder  Abschwächung  der  lufections- 
kraft  aufgefasst  hatte,  während  Gaffky  volle  Wirkungsfähigkeit 
der  Kulturen  fand,  wenn  dieselben  rein  waren,  während  mangelhafte 
Entwicklung  und  Wirkung  bei  Verunreinigung  mit  anderen  Bakterien 
sich  einstellte.  Auch  bei  den  Bakterien  der  Kaninchen-Septikaemie 
fand  Gaffky  ähnliches,  sodass  er  1.  c.  S.  126  zum  Schlüsse  kommt: 
„Hier  wie  dort  bedeutet  das  ,Degeneriren  der  Ansteckungsfähigkeit " 
üeberwucherung  durch  andere  lebensfähige  Organismen;  hier  wie 
dort  ist  die  höchste  Steigerung  der  Virulenz  identisch  mit  der 
Eeinkultur." 

Fast  gleichzeitig  und  unabhängig  von  einander  ermittelten 
Pasteur 4)  und  Büchner^;,  dass  ihre  Milzbrandkulturen  unwirk- 
sam wurden,  wenn  sie  bestimmten  Kulturbedingungen  unterworfen 

1)  Mittheilungen  aus  dem  Kaiserlichen  Gesundheitsamte,  II,  1881,  S.  137 

2)  Jahreshericht  d.  K.  Central-Thierarznei-Schule  in  München  pro  1883  his 
1884;  1885,  S.  84. 

8)  Mittheilungen,  I,  1881,  ö.  122. 

*)  Comptcs  rendus,  T.  92,  1881,  S.  209,  26G,  429. 

»)  üeher  die  ex])erimentellc  Erzeugung  des  Milzbrandcontagiums  aus  den 
Henpilzen.    Neu  abgedruckt  in  Nägeli's  Untersuchungen  über  niedere  Pilze 
1882,  S.  140. 


Veränderungen  der  Funktion. 

wurden.  In  der  Methode  der  Kulturen  liegt  wohl  ausschliesslich  der 
Grund,  dass  beide  Beobachter  dieselbe  Thatsache  morphologisch  in 
so  verschiedener  Weise  deuteten.  Paste ur  erklärte  vom  ersten 
Momente  an  bestimmt,  dass  es  sich  in  seinen  Versuchen  nur  um 
Abnahme  der  Virulenz  bei  Gleichbleiben  der  Form- 
merlfmale  der  Milzbrandbacillen  handele. 

Bu ebner  fand  zuerst  bei  anderer  Versuchsanordnung  dasselbe 
wie  Pasteur,  „eine  unzweifelhafte  Abnahme  der  infectiösen  Wirk- 
samkeit" ohne  Aenderung  in  der  morphologischen  Beschaffenheit,  in 
der  Sporenbildung,  in  der  Wachsthumsart  in  verschiedenen  Nähr- 
lösungen und  in  den  chemischen  Eigenschaften.    Aber  hier  machte 
Buchner  nicht  halt.    Als  er  die  Kulturen  weiter  fortsetzte  voll- 
zogen sich  gradatim  morphologische  Aenderungen,  und  schliesslich 
erhielt  Buchner  eine  Form,    welche  sich   mikroskopisch  und 
makroskopisch  in  nichts  von  den  Kulturen  des  Bacillus  subtilis 
unterschied.    Auch  umgekehrt  will  Buchner  den  Bacillus  sub- 
tillis  in  den  Milzbrandbacillus  umgewandelt  haben.    Buchner  will 
also  gefunden  haben,  dass  sich  die  Milzbrandbacillen  unter 
Auftreten  von  Ueb ergan gsf ormen  in  Heubacillen  und 
vice  versa  verwandelten.    Buchner  stellte  damit  der  Ab- 
schwächung  der  Function  von  Pasteur  den  Transformismus 
gegenüber.    So  mussten  die  Angaben  von  Allen  verstanden  werden, 
so'' sind  sie  z.  B.  noch  vor  Kurzem  von  D allinger 3)  verstanden 
worden. 

Die  Möglichkeit  zwei  differente  Bakterien,  wie  es  Milzbrand- 
und  Heubacillen  sind,  in  einander  umzuwandeln  setzte  voraus,  dass 
dieselben  keine  differente  Arten,  sondern  nur  Modificationen  einer 
Art  sind.  Die  von  Koch  wiederholt  betonten  morphologischen 
Differenzen  der  beiden  Bakterien  mussten  zunächst  als  unbedeutend 
und  inconstant  hingestellt  werden.  Bu  ebner  kannte  morpho- 
logische und  biologische  Differenzen  recht  wohl,  aber  er  versuchte 
dieselben  einfach  als  Anpassungserscheinungen  zu  deuten.  Dass 
dieser  Versuch,  soweit  die  Formen  allein  in  Frage  kommen,  höchst 
mangelhaft  motivirt  war,  habe  ich  schon  früher,  S.  46,  gezeigt. 


B)  Journal  of  the  Eoyal  Microscopical  Society,  1885,  Ser.  II,  Vol.  V,  S.  181. 


Veränderungen  der  Funktion. 


65 


Buch  11  er  kannte  einige  Differenzen  in  der  Resistenz  der  Sporen 
beider  Bacillen  gegen  Hitze,  aber  er  hielt  doch  die  Sporenbildnng 
beider  für  identisch  und  damit  die  Frage  der  Zugehörigkeit  beider 
Bakterien  zu  einer  Art  entschieden.  Umgekehrt  überträgt  B  r  ef  e  1  d  ^) 
seine  Ermittelungen  über  die  Bildung  und  Auskeimung  der  Sporen 
bei  Bacillus  subtilis  „ohne  Weiteres"  auf  die  Milzbrandbacillen, 
weil  durch  Bu  ebner 's  Experimente  die  Uebergangsfäliigkeit  der 
einen  Form  in  die  andere  erwiesen  sei.    Indem  Brefeld  so  die 
nur  direct  lösbare  Aufgabe  der  Entwickelungsgeschichte  des  Bacillus 
anthracis  umging  und  durch  die  Schlussfolgerungen  aus  Buchner's 
Experimenten  als  gelöst  darstellte,  wurde  das  vollständige  Ignoriren 
der  Entwickelungsgeschichte  beider  Arten  nachträglich  sanctionirt 
und  Buchner's  Erklärung,  dass  die  Pormmerkmale  beider  Bak- 
terien schlechthin  veränderliche  sind,  als  wissenschaftlich  berechtigt 
erklärt. 

Koch 2)  hielt  demgegenüber  daran  fest,  dass  die  Formen  der 
beiden  Bakterien  nicht  schlechthin  veränderlich  sind,  sondern  die 
morphologischen  Differenzen  auf  primäre  Artunterschiede  hinweisen. 
Auch  die  Differenz  in  der  Resistenz  der  Sporen  deutete  darauf  hin, 
ebenso  ist  das  Optimum  und  Minimum  der  Temperatur  für  Bildung 
und  Auskeimung  der  Sporen  bei  Milzbrandbacillen  nach  Koch  ein 
entschieden  anderes  als  nach  Brefeld  bei  den  Heubacillen.  In 
dieser  Weise  kam  Koch  zu  dem  Schlüsse,  dass  in  Buchner's 
Yersuchen  nicht  die  Milzbrandbacillen  in  die  nahestehenden  Heu- 
bacillen verwandelt  worden  seien,  sondern  dass  die  Milzbrandbacillen 
durch  die  artlich  verschiedenen  Heubacillen,  welche  sich 
in  die  Kulturen  eingeschlichen  hatten,  verdrängt  worden  waren.  Die 
Umzüchtung  der  Heubacillen  in  die  Milzbrandbacillen,  welche  übrigens 
seit  Koch 's  Kritik  nicht  mehr  gelungen  zu  sein  scheint,  fasste 
Koch  auf  als  ein  Verdrängen  der  Heubacillen  durch  die  artlich 
differenten  Bacillen  des  malignen  Oedems. 

Bei  dieser  Sachlage  war  nicht  genügend  sicher  zu  erkennen,  ob 
bei  Buchner's  Yersuchen  die  Abnahme  der  Virulenz  durch  Ab- 


1)  Botanische  Untersuchungen  über  Schimmelpilze,  II,  1881,  S.  48. 

2)  Mittheilungen  aus  dem  Kaiserlichen  Gesundheitsamte,  I,  1881,  S.  68. 
Hueppe,  Formen  der  Balcterien. 

0 


QQ  Veränderungen  der  Funktion. 

schwäclumg  oder  durch  Ueberwuchern  durch  andere  Bakterien  er- 
folgte oder  ob  es  sich  dabei,  wie  ich  andeutete^),  „um  eine  Com- 
bin'ation  von  Abschwächung  der  Milzbrandbacillen  mit  gleichzeitigem 
Auftreten  von  Heubacillen"  handelte.  Es  konnten  nach  Koch 's 
Kritik  sogar  successive  Verwechslungen  von  drei  ächten  Arten  statt- 
gefunden haben,  welche  Bu  ebner  nur  als  drei  Ernährungs- 
moditicationen  oder  differente  Anpassungsformen  einer  einzigen  Art 
aufgefasst  hatte,  und  da  Büchner  die  Urazüchtung  der  Heubacillen 
in  ^Milzbrandbacillen  später  nicht  mehr  berücksichtigte,  blieben 
mindestens  noch  zwei  Arten  resp.  zwei  Modificationen  einer  Art  übrig. 

Bei  seinem  Versuche,  die  Priorität  der  Beobachtung  der  Ab- 
nahme der  Virulenz  der  Milzbrandbacillen  Pasteur  gegenüber  für 
sich  zu  reclamiren,  erklärte  Büchner^)  seine  Umzüchtung  der 
Milzbrandbacillen  in  die  Heubacillen  als  eine  „Umänderung  der 
Milzbrandbakterien  in  unschädliche,  morphologisch  gleich- 
geartete Bakterien^ 

Später  stellte  Prazmowski»)  fest,  dass  die  Milzbrandbacillen 
und  Heubacillen  ganz  differente  Arten  sind,  dass  die  schon  an- 
geführten Differenzen  der  Sporen  der  beiden  Bakterien  noch  ver- 
schärft werden  durch  eine  differente  Auskeimung  der  Sporen. 
Hiermit  ist  definitiv  widerlegt,  dass  sich  Milzbrandbacillen  m  Heu- 
bacillen umwandeln  lassen  und  die  ganze  Frage  definitiv  m  dem 
Sinne  von  Pasteur  entschieden,   dass  es  sich  um  eme  Ab- 
schwächung der  Milzbrandbacillen  handelt.    Zugleich  ist 
aber  gezeigt,  dass  mindestens '  ein  Theil  der  von  Koch  immer  be- 
tonten Formverschiedenheiten  der  beiden  Bakterien  auf  primäre, 
artliche  Formdifferenzen  hindeutet.  Die  „n  i  c  h  t  p  a  t  h  o  g  e  n  e  F  oj  m 
der  Milzbrandbakterien",  welche  sich  aus  den  virulenten  Kul- 
turen entwickelte,  zeigte  nach  Prazmowski  „dieselben  mor- 
phologischen und  entwicklungsgeschichtlichen  Cha- 
raktere, wie  die  ächten,  giftigen  Milzbrandbakten en. 
Ihre  Stäbchen  sind  unter  den  gleichen  Bedingungen  von  derselben 


1)  Forschritte  der  Medicin,  1883,  S.  410. 

2)  Virchow's  Archiv,  1883,  Bd.  91,  S.  410. 
8)  Biologisches  Centralblatt,  1884,  Nr.  13. 


Veränderungen  der  Punktion. 


67 


IForra  und  Grösse,  zeigen  sich  diircli  die  gleichen  schwerfälligen 
IBigenbewegungen  aus  und  bilden  Sporen  von  derselben  anatomischen 
IBeschaifenheit ,  die  in  gleicher  Weise  auskeimen".    Dass  die  im  i 
.Allgemeinen  imbeweglich  erscheinenden  Milzbrandbacillen  bisweilen  \ 
■  eine  geringe  Eigenbewegung  zeigen  können,  hatten  früher  schon  ' 
IFrisch  und  Ewart  gefunden,  doch  ist  die  Differenz  dieser  Be- 
\wegung  gegenüber  der  Bewegung  der  Heubacillen  beträchtlich.  j 

Hiermit  ist  aber  die  Frage  noch  nicht  erledigt,  ob  denn  gar  j 
!-keine  Aenderungen  der  Form  bei  der  Abschwächung  stattfinden.  j 
/Zunächst  finden  die  kleinen  Aenderungen  der  Dimension  bei  Aenderung  ] 
i'des  Nährbodens  statt,  wie  auch  bei  den  virulenten  Bakterien,  S.  48.  '■ 
IHiervon  abgesehen,  finden  Koch,  Graffky  undLöffler^)  zwischen  j 
i'den  virulenten  und  wirkungslosen  Bakterien  keine  Unterschiede.  ' 
„Die  Form  der  Bacillen  hat  sich  in  keiner  Weise  verändert.  Sie 
ssind  ebenso  unbeweglich  wie  die  virulenten  Bacillen.  Ihre  Enden 
(■erscheinen  scharf  abgeschnitten.  Sie  bilden  lange  Fäden  und  in  i 
:i]diesen  ovale,  glänzende  Sporen,  ganz  wie  die  virulenten  Bacillen."  ; 

Eine  Formabweichung  bei  den  zwischen  42  und  43"  abge-  \ 
«schwächten  Kulturen  haben  aber  Koch,  Gaffky  und  Löffler 
hbeobachtet.  „Während  bei  dem  virulenten  Milzbrande  die  Capil- 
llaren  fast  ausnahmslos  von  kurzen  Stäbchen  erfüllt  gefunden  werden,  1 
ifanden  sich  bei  dem  Mäuse-Milzbrande  die  Capillargebiete,  nament-  l 
liich  der  Lunge,  von  langen  Fäden  erfüllt,  deren  Continuität  sich  j 
Ihäufig  aus  den  Capillaren  bis  in  grössere  mikroskopische  Gefässe  | 
hinein  verfolgen  liess."  ! 

Bei  den  ohne  directe  Eingriffe  degenerirten  Kulturen,  deren  mor-  i 
phologische  Identität  mit  den  virulenten  Bacillen  durch  die  Entwick-  | 
iungsgeschichte  einwandsfrei  erwiesen  wurde,  ermittelte  Praz- 
mowski  gleichfalls  einige  Pormabweichimgen.  „Von  den  giftigen 
IMilzbrandbakterien  unterscheiden  sie  sich  nur  durch  den  Mangel 
Her  virulenten  Eigenschafton  und  dadurch,  dass  sie  die  Fähigkeit 
iler  Eigenbewegung  in  viel  höherem  Grade  besitzen,  wesshalb  sie  bei 
'•eichlicher  Vermehrung  die  Nährlösimgen  trüben  und  später  an  deren 
Dberfiäche  dickliche,  schmutzige,  weisse  Decken  von  schleimiger 


1)  Mittheilungen  aus  dem  Kaiserlichen  Gesundheits-Amte,  II,  1884,  S.  150. 

5* 


I 


68 


Veränderungen  der  Funktion, 


Beschaftenheit  bilden."  Besonders  bei  Kulturen  mit  dem  Schüttel- 
apparate hatte  Buchner  ähnliche  Beobachtungen  gemacht  und 
dieselben  als  Zeichen  der  Bildung  einer  üebergangsform  zu  den  Heu- 
bacillen  gedeutet.  Kurth  i)  hatte  als  Lufteinsaat  einmal  eine  Art 
erhalten,  welche  dieselben  Formen  der  Wolken  in  Nährlösungen 
zeigte,  wie  die  abgeschwächten  Kulturen  von  Prazmowski  oder 
die  üebergangsform  von  Bu ebner. 

Sicher  ist  demnach,  dass  die  wichtigsten  Formmerkmale  durch 
die  Abschwächung  nicht  alterirt  werden,  sicher  ist  aber  auch,  dass 
kleine  Abweichungen  der  Form  eintreten  können,  welche  aber  kaum 
weiter  gehen  als  die  Anpassungen  der  einzelnen  Formen  an  geänderte 
Ernährung.  Diese  Anpassung  zeigt  sich  darin,  dass  eine  Tendenz 
zur  Bildung  von  Kuheformen  eintritt,  indem  sich  reichliche  Faden- 
formen bilden  oder  indem  sich  vielleicht  auch  bei  anderen  Ver- 
suchsanordnungen eine  sonst  nicht  vorhandene  Neigung  zur  Decken- 
bildung einstellt. 

Ergeben  sich  aus  derartigen  Beobachtungen  neue  Gesichtspunkte 
für  die  Beurtheilung  der  Artfrage  bei  den  Bakterien? 

Während  man  nach  Cohn 's  Aulfassung  die  virulenten  und 
die  unwirksamen  Milzbrandbakterien  als  physiologische  Arten  auf- 
fassen müsste,  würde  man  nach  Nägeli  umgekehrt  Milzbrandbak- 
terien und  Heubakterien  als  einfache  Ernährungsmodificationen  einer 
Art  betrachten  können.  Nach  Cohn  sind  alle  Differenzen  zunächst 
als  artliche  aufzufassen  und  erst  durch  die  Fortschritte  der  Wissen- 
schaft ist  zu  entscheiden,  ob  specifische  Differenzen  auch  den  Werth 
von  Species-Merkmalen  besitzen.  Nach  Nägeli  sind  die  speci- 
tischen  Differenzen  in  der  Kegel  nur  Merkmale  von  Ernährungs- 
modificationen aber  nicht  ohne  Weiteres  oder  nur  sehr  selten  von 
naturhistorischen  Speeles.  Lassen  sich  nun  aus  unseren  bisherigen 
Erfahrungen  Anhaltspunkte  gewinnen,  dass  und  welche  der  speci- 
fischen  Merkmale  den  Werth  constanter  Species-Merkmale  besitzen 
und  Avelche  nur  specifisch  im  Sinne  der  einfachen  Ernährungsmodi- 
fication  sind? 

Dass  Nägeli  viel  zu  weit  ging  und  sich  das  Eintreten  von 


1)  Botanische  Zeitung  18S3,  S.  431. 


Veränderungen  der  Funktion.  ß9 

Ernährungsmodificationeu  zu  leicht  vorstellte,  habe  ich  bereits  früher 
gezeigt.    Nägeli^)  hatte  z.  Z.  die  Beobachtung,  dass  gekochte 
Milch  bisweilen  nicht  sauer,  sondern  bitter  wird  und  später  eine 
ammoniakalische  Zersetzung  eingeht,  als  eine  derartige  Beeinflussung 
der  Säurebakterien   durch  Hitze   aufgefasst.     Dies  war  für  die 
Nägel i' sehe  Schule  bis  zum  Aufkommen  der  Unzüchtungen  der 
Milzbrandbakterien  der  einzige,  scheinbar  einwandsfreie  Beweis  für 
die  experimentelle  „Umwandlung  der  bestimmten  Hefennatur  eines 
Pilzes  in  eine  andere."  Und  doch  war,  wie  ich  nachweisen  konnte 2), 
I  nichts  Derartiges  vorgekommen,  sondern  die  resistenteren  Buttersäure- 
1  bakterien  hatten  die  Hitze  überstanden  und  bewirkten  nur  die  ihnen 
:specifische  Einwirkung  auf  die  Albuminate  der  Milch.    Keine  Bak- 
iterienart  hatte  dabei  Form  und  Wirkung  geändert. 

Auf  der  anderen  Seite  entspricht  aber  auch  die  Ansicht  von 
Cohn  den  Thatsachen  nur  mit  wichtigen  Einschränkungen,  beson- 
ders weil  die  von  Cohn  zu  Grunde  gelegten  Ansichten  über  den 
1  Parasitisnius  der  Bakterien  zu  einseitig  sind.  Die  saprophytischen 
1  Bakterien  sind  nicht  durch  eine  scharfe  Linie  von  den  parasitischen 
i  geschieden  und  unter  den  saprophytischen  sind,  wie  ich  besonders 
iPasteur  gegenüber  geltend  gemacht  habe,  die  Permentbakterien 
1  nicht  durch  ein  bestimmtes  physiologisches  Kriterium,  die  Fähigkeit 
<der  Anaerobiose,  scharf  von  den  übrigen  Gruppen  getrennt.  Es 
1  kommen  zwischen  den  Bakterien  der  Oxydationsgährungen,  gewöhn- 
|llich  aerobiotischen  und  anaerobiotischen  Bakterien,  alle  möglichen 
lUebergänge  vor  und  ebenso  sind  die  zymogenen  mit  den  chromogenen 
lund  pathogenen  durch  vermittelnde  Glieder  verbunden.  Es  giebt 
fendlich  Bakterienarten,  welche  mehrere  dieser  Eigenschaften  in  sich 
\  vereinigen  können,  so  dass  man  nicht  nur  mit  Formcyklen,  sondern 
lauch  mit  Wirkungscyklen  zu  rechnen  hat.  3) 

Nägeli  hatte  „von  jeher  bei  der  nämlichen  Zersetzung  oft 
'■einen  ziemlich  weiten  Formenkreis  der  anwesenden  Spaltpilze  oder 

1)  Die  niederen  Pilze  1877,  S.  21. 

2)  Mittheilungen  aus  dem  Kaiserlichen  Gesundheitsamte,  II,  1884,  S.  327 
und  353. 

3)  cfr.  meine  Untersuchungen:  Deutsche  med.  Wochenschrift  1884,  No.  48 
•bis  50;  Methoden  der  Bakterienforschung  3.  Aufl.,  1886,  S.  183,  206  und  221. 


•jQ  Veränderungen  der  Punktion. 

mit  anderen  Worten  ein  Gemenge  von  mehreren  Formen,  die  man 
gewölmlicli  specifisch  oder  selbst  generisch  trennt,  beobachtet,  anderer- 
seits bei  ganz  verschiedenen  Zerset/Aingen  dem  Anschein  nach  durch- 
aus die  gleichen  Spaltpilze  gefunden."   Diese  Beobachtungen  glaube 
ich  damit  richtig  gestellt  zu  haben,  dass  ich  zwischen  den  Extremen 
der  von  Pasteur  und  Cohn  imd  der  gegenth eiligen  von  Duval 
und  Nägeli  vertretenen  Ansicht  auf  Grund  der  Thatsachen  eine  ver- 
mittelnde Stellung  eingenommen  habe,  durch  den  inzwischen  durch 
alle   weiteren  Beobachtungen  bestätigten  Nachweis,  dass  es  sich 
nicht  um  die  „nämlichen  Zersetzungen"  resp.  um  die  „gleichen 
Spaltpilze"  gehandelt  haben  kann.  In  allen  derartigen  Fällen  handelte 
es  sich  nur  um  ähnliche  Zersetzungen,  insofern  besondere  Haupt- 
producte  wie  Milchsäure,  Buttersäure,  Ammoniak  von  verschiedenen 
Bakterien  gebildet  werden,  und  um  ähnliche  Spaltpilze,  insofern  in 
der  Entwicklung   verschiedener  Arten  ähnliche  Formen  auftreten 
können.    Jeder  specifischen  Zersetzung  und  Krankheit 
anspricht  zwar  keine  „specifische  Pilzform",  wohl  aber  ein  „speci- 
fischer  Pilz"  resp.  eine  speci fische  Bakterie,  oder  überhaupt 
ein  specifischer  Mikroorganismus. 

Die  Formen  einer  Art,  welche  mehrere  Wirkungen  ausüben 
kann,  und  z.  B.  zymogen,  chromogen  mid  pathogen  ist,  ändern  sich 
nach  den  Ernährungsverhältnissen  nicht  mehr  als  es  bereits  früher 
gezeigt  ist.  Die  genaue  Kentniss  aller  dieser  Eigenschaften  kann 
dadurch  sehr  werthvoll  zur  Differentialdiagnose  werden  und  die 
Möglichkeit  eines  derartigen  Geschehens  warnt  uns  davor,  das  Auf- 
treten neuer  Eigenschaften  ohne  Weiteres  als  Zeichen  einer  begin- 
nenden Anpassung,  als  Entstehen  einer  neuen  Ernährungsmodification 
aufzufassen.  In  der  Mehrzahl  der  Fälle  wird  es  sich  dabei  wahr- 
scheinlich nur  um  das  Manifestwerden  von  Eigenschaften  handeln, 
welche  wegen  der  besonderen  früheren  Versuchsanordnungen  sich  bis 
dahin  der  Beobachtung  entzogen  hatten,  also  nicht  um  dm-cli  Anpas- 
sung neu  erworbene,  sondern  um  noch  nicht  bekannte  Eigenschaften. 

Manche  der  physiologischen  Wirkungen  sind  nach  unseren  Er- 
fahrungen schlechthin  constant  und  werden  durch  keinen  Eingriff 
alterirt.  Diese  constanten  physiologischen  Eigenschaften  und  die 
coustanten  morphologischen  Merkmale  geben  zusammen  einen  An- 


Veränderungen  der  Funktion. 


71 


halt,  welche  Bakterien  wir  als  die  ursprünglichen  Arten  und  welche 
wir  niu-  als  Ernährungsmodificationen  dieser  Arten  anzusehen  haben. 
Im  Allgemeinen  erweisen  sich  gerade  die  am  meisten  imponirenden 
Eigenschaften,  specifische  Fermentthätigkeit  und  Parasitismus,  als 
die  am  leichtesten  zu  beeinflussenden,  so  dass  im  Allgemeinen  wohl 
der  Schluss  gerechtfertigt  ist,  diespecifischeFermentthätig- 
keit  und  den  Parasitismus  als  eine  erworbene  Eigen- 
schaft, eine  Anpassung,  eine  Ernährungsmo dification 
anzusehen.  In  diesem  Sinne  ist  die  Abnahme  der  Virulenz  eine 
atavistische  Erscheinung,  ein  Rückschlag  auf  den  Ausgang  des  ein- 
fachen Saprophytismus. 

In  vielen  Fällen  konnten  aber  die  specifischen  zymogenen  und 
pathogen en  Eigenschaften  nicht  beeinflusst  werden  und  der  Grad  des 
Parasitismus,  facultativer  Parasitismus,  facultativer  Saprophytismus 
oder  obligater  Parasitismus  giebt  nach  dieser  Richtung  keine  definitive 
Entscheidung.  In  solchen  Fällen  kann  das  Nichtbeeinflussen  der 
Wirkung  darin  seinen  Grund  haben,  dass  die  Versuchsanordnung 
noch  Mängel  hatte,  oder  dass  die  Anpassung  bereits  die  Constanz 
der  ächten  Art  oder  Varietät  angenommen  hatte  oder  dass  es  sich 
ohne  eine  besondere  Anpassung  um  Eigenthümlichkeiten  des  Proto- 
plasma und  damit  bei  der  Wirkung  um  moleculare  Bewegungen 
handelt,  auf  deren  Verständniss  wir  noch  verzichten  müssen. 

Eine  w^eitere  Möglichkeit  der  Beurtheilung  liegt  darin,  dass  die 
einfach  saprophytischen  Arten  und  die  morphologisch  gleichen  chro- 
mogenen,  zymogenen  oder  pathogenen  Arten  wirklich  physiologische 
Arten  oder  noch  richtiger  constante  Varietäten  einer  Art  sind, 
welche  als  solche  ausgestorben  ist. 

Mit  dem  einseitigen  Herausgreifen  einer  dieser  Möglichkeiten 
ist  es  bei  dem  gegenwärtigen  Zustande  unseres  Wissens  nicht  gethan. 
Nur  die  Berücksichtigung  aller  dieser  Annahmen  und  das  sorgfäl- 
tigste Abwägen  pro  und  contra  wird  uns  leidlich  vor  groben  Irr- 
thümern  schützen  können. 

Den  Buttersäuvebakterien  kann  man  die  Fähigkeit,  aus  be- 
stimmten Saccharaten  Buttersäure  abzuspalten,  experimentell  nehmen ; 
sie  vermögen  aber  dann  noch  nach  wie  vor  Albumniate  zu  lösen. 
Welche  Schlüsse  lassen  sich  aus  diesem  Experimente  ziehen?  Sind 


72 


Veränderungen  der  Funktion. 


die  besonders  anaerobiotisclien  Buttersäiirebakterien  wegen  der  Abnahme 
dieser  specifischeu  Wirkung  nur  eine  einfache  Ernährungsmodification 
einer  peptonisirenden  aerobiotischen  Art?  Die  Frage  scheint  sicher 
in  diesem  Sinne  zu  beantworten  und  doch  ist  die  Sache  nicht  so 
einfach,  da  man  eine  derartige  aerobiotische  Art  spontan  bis  jetzt 
nicht  kennt,  sondern  spontan  diese  Bakterien  immer  als  Butter- 
säurebakterien  trifft,  unter  natürlichen  Verhältnissen  also  gerade 
eine  Coustanz  der  Eigenschaften  beobachtet,  welche  im  Experimente 
leicht  zu  beeinflussen  sind. 

Auf  Kartolfelscheibeu  sehen  die  virulenten  Rotzbacillen  ebenso 
aus,  wie  die  durch  einfaches  Sichselbstüberlassen  der  Kulturen  dege- 
nerirten,  nicht  mehr  virulenten,  morphologisch  durchaus  gleichen 
Bakterien.  Wenn  man  die  Herkunft  nicht  kennte,  müsste  man  sie 
für  einfache  Pigmentbakterien  halten.  Sind  demnach  die  Rotzbak- 
terien nur  eine  Ernährungsmodification  einer  harmlosen  Pigment- 
bakterie? Können  sie  vielleicht  spontan  jeder  Zeit  aus  solchen  ent- 
stehen ?  Eine  identische  Art  von  nichtvirulenten  Pigmentbakterien  hat 
man  bis  jetzt  noch  nie  spontan  gefunden  oder  gar  zur  Viridenz 
angezüchtet,  sondern  man  kennt  unter  natürlichen  Verhältnissen  bis 
jetzt  nur  die  malignen  Eotzbacillen.  Die  künstlichen  Kulturen  zeigen 
also  Dinge,  welche  wir  spontan  nicht  beobachten  oder  beobachtet 
haben.  Sind  die  virulenten  Rotzbacillen  eine  Art,  sind  die  nicht- 
virulenten die  eigentliche  Art,  sind  beide  Varietäten  einer  ausge- 
storbenen Art,  sind  die  virulenten  eine  Ernährungsmodification  einer 
harmlosen,  chromogenen  Art,  sind  die  nichtvirulenten  eine  einfache 
Degenerationsform?  Auch  hier  lässt  sich  nur  sehr  allgemein  die 
Annahme  aufstellen,  dass  vielleicht  die  virulente  Art  einmal  aus 
einer  nichtvirulenten  chromogenen  Art  entstanden  ist,  ohne  dass 
man  aber  schon  jetzt  im  Stande  wäre,  endgültig  die  Beziehungen 
der  virulenten  zu  den  nichtvirulenten  festzustellen. 

Aehnlich  liegen  die  Verhältnisse  bei  den  Milzbrandbacillen. 
Pasteur  glaubt,  dass  man  die  bei  42  bis  43''  abgeschwächten 
Bacillen  durch  successive  Kulturen  regelmässig  wieder  in  die  viru- 
lenten überführen  .kann.  Koch,  Gaffky  undLöffler  ermittelten 
dagegen,  dass  man  die  verschiedenen  Grade  der  Abschwächung 
fixiren  kann,  indem  man  die  Bakterien  in  Gelatine  weiter  züchtet. 


Veränderungen  der  Funktion.  73 

Die  Sporen  derartig  abgeschwächter  Bakterien  conserviren  den  jeweils 
erreichten  Grad  auf  lange  Zeit.    Bisweilen  trat  allerdings  in  der- 
artigen Kulturen  auch  ohne  weitere  Eingriffe  eine  weitere  Abnahme 
oder  auch  eine  Zunahme  der  Virulenz  ein.    Die  Fixirung  wurde  in 
dem  Maase  unsicherer,  als  die  zur  Abschwächung  erforderliche  Zeit 
bei  42  bis  43 "  kürzer  war,  und  sie  wurde  in  dem  Maasse  mehr  und 
mehr  erschwert  oder  unmöglich,  als  die  Temperaturen  sieh  von 
430  entfernten.    Lag,  wie  in  den  Versuchen  von  Chauveau  und 
Toussaint,  die  Temperatur  zwischen  47  und  55",  so  wurde  die 
;zur  Abschwächung  erforderliche  Zeit  immer  kürzer,  aber  die  abge- 
•  schwächten  Kulturen  erlangten  auch  ihre  Virulenz  fast  in  demselben 
:  Maasse  schneller  wieder.  Als  dann  Chauveau^)  mit  der  Temperatur 
'.unter  42 «  herabging  und  zur  Abschwächung  Temperaturen  von  38 
'bis  39°  unter  gleichzeitigem  Drucke  von  8  Atmosphären  anwandte, 
;  fand  er,  dass  ein  Stadium  der  Abschwächung,  welches  keine  Schafe, 
^  sondern  nur  Meerschweinchen  tödtete,  eine  auffallende  Constanz  unter 
Jden  verschiedensten  Kulturbedingungen  zeigte.    Sind  demnach  die 
vvirulenten  Milzbrandbacillen  eine  ächte  Art  oder  nur  eine  Ernährungs- 
rmodification  einer  gewöhnlichen  saprophytischen  Art,  aus  der  sie 
j jederzeit  wieder  entstehen  können?    Da  man  spontan  aber  immer 
vwieder  den  virulenten  Milzbrandbacillus  findet,  ist  auch  die  Erage 
liberechtigt,  ob  nicht  gerade  umgekehrt  der  virulente  Bacillus  als 
.'Art  und  die  abgeschwächten  Generationen  einfach  als  Degenerations- 
iformen  anzusprechen  sind  ?  Oder  sind  die  virulenten  und  die  ganz  ab- 
geschwächten Bakterien  Varietäten  oder  Modificationen  einer  als 
«solchen  ausgestorbenen,  gewöhnlichen  saprophytischen  Art?  Welchen 
Werth  haben  die  verschiedenen  Grade  der  Abschwächimg?  Können 
>3ie  je  nach  der  Methode  ganz  verschiedene  Dignität  haben  ?  Kommt 
iien  von  Koch,  Gaffky  und  Löffler  fixirten  Graden  schon  die 
.Oonstanz  einer  wirklichen  Ernährungsmodification  zu?   Ist  der  von 
•Oha  UVB  au  tixirte  Grad  von  so  entschieden  grösserer  Dignität, 
llass  man  ihn  gar  als  Varietät  ansprechen  kann? 

Der  Pathologe  wird  nach  alledem  mehr  geneigt  sein,  die  viru- 
f-enten  Milzbrandbacillen  als  Art  anzusprechen,  und  .den  verschiedenen 

1)  Sur  la  nature  des  transformations  que  subit  le  viru,s  du  !*ang  de  rate 
■-ttenue  par  culture  dans  l'oxygene  compriine.    Comptes  rendus  1885,  Bd.  101, 


74 


Veränderungen  der  Funktion, 


Graden  der  Abschwächung  nur  den  Werth  von  Ernährungsmodi- 
fiicationen  zuzugestehen,  weil  man  spontan  nur  die  virulente  Fonu 
kennt  und  zum  Erreichen  der  Abweichungen  in  der  Kegel  Eingiifle 
nöthig  sind,  welche  der  Natur  nicht  zu  Gebote  stehen.  Der  Natur- 
philosoph wieder  wird  aus  dem  Umstände,  dass  überhaupt  eine 
experimentelle  Beeinflussung  der  Funktion  möglich  ist,  den  Scliluss 
ziehen,  dass  dann  diese  Funktion  eben  noch  nicht  die  Constanz  eines 
Artmerkmals  besitzt,  dass  also  der  maligne  Milzbrandbacillus  nur 
eine  Ernährungsmodification  einer  an  sich  nicht  malignen  Art  ist. 

Der  Pathologe  kann  sich  für  seine  Auffassung,  dass  die  patho- 
genen  Bakterien,  wie  sie  uns  spontan  begegnen,  als  ächte  Arten  zu 
betrachten  sind,  auf  einen  Umstand  berufen,  auf  den  ich  schon  früher 
die  Aufmerksamkeit  gelenkt  habe  ^) ,  „dass  unter  natürlichen  Ver- 
hältnissen auf  Eingriffe,  welche  die  Existens  des  Individuimis 
bedrohen,  auch  diese  Organismen  in  der  Regel  nicht  mit  Varietät, 
sondern  durch  Bildung  von  Dauerformen  im  Gegentheil  mit  Erhal- 
tung der  Art,  mit  Constanz  der  Merkmale  reagiren."  Auf 
diese  Weise  besitzt  die  Natur  ein  sehr  zuverlässiges  Mittel,  welches 
einen  Rückschlag,  ein  Degeneriren  verhütet  und  Eigenschaften  sicher 
conservirt,  welche  ohne  dieses  Hülfsmittel  zunächst  nicht  constant 
sein  würden. 

Für  diese  Auffassung  tritt  unter  den  Botanikern  neuerdings 
de  Bary2)  sehr  entschieden  ein.  „Gerade  in  dem  Bereich  der  para- 
sitischen Bakterien  haben,  nach  seiner  Ansicht,  die  Untersuchungen 
mehr  und  mehr  distincte  Speeles  festgestellt  und  gezeigt,  dass  bei 
jeder  genauer  bekannten  parasitären  Krankheit  auch  eine  bestimmte 
Bakterienform  als  Krankheitserreger  auftritt,  an  deren  specifischer 
Qualität  so  wenig  oder  so  viel  gezweifelt  werden  kann,  wie  an  jener 
eines  grösseren  Pilzes  oder  Wurms.  Die  Behauptung,  dass  es  dis- 
tincte, parasitische  Bakterienspecies  giebt  und  dass  im  Allgememen 
jede  durch  Bakterien  verursachte  specifische  Krankheit  auch  von 
einer  besonderen  Bakterienspecies  verursacht  wird,  ist  nicht  einlach 
bequem,  wie  Nägel i  meint,  sondern  die  einzige,  welche  mit  den 
dermalen  bekannten  Thatsachen  in  Uebereiustimmung  steht.« 

1)  Mittheilungen  aus  dem  Kaiserliclien  Gesundheitsanite,  H-  188^; 

2)  Vergleichende  Morphologie  und  Biologie  der  Pike  1884,  S.  52 1. 


Zoogloea,. 


VIII. 

Die  Bedeutung  der  Zoogloea  zur  Abgrenzung  von 
Grattungen  und  Arten. 

•  In  den  bisher  betrachteten  Fällen  erwiesen  sich  die  Formab- 
weichiingen  der  vegetativen  Einzelzellen  nicht  als  so  gross,  dass  man 
diese  Form  als  schlechthin  veränderlich  bezeichnen  kann.  Im  Gegen- 
theil  tritt  diese  Form  so  typisch  auf,  dass  ihre  Formeigenthümlich- 
keiten  auf  primäre  Artunterschiede  hinweisen  imd  bei  richtiger  Be- 
urtheilung  des  Gesammtverhaltens  diese  Form  einen  hohen  Werth 
zur  Artbestimmung  besitzt.  Dagegen  waren  schon  Andeutungen  vor- 
handen, dass  der  Modus  der  Verbindung  dieser  Einzelzellen  zu  Zoo- 
gloea oder  Fäden  bei  Aenderung  der  Aussenbedingungen  leichter 
Schwankungen  unterworfen  ist. 

Cohn  hatte  die  Bildung  der  Zoogloea  für  so  characteristisch 
gehalten,  dass  er  seine  Tribus  Sphärobakteria  und  Microbakteria  da- 
dm-ch  von  den  Tribus  Desmobakteria  und  Spirobakteria  geschieden 
hielt,  dass  nur  die  erstereu  Schleimfamilien  bilden  sollten.  Die  letzt- 
genannten Tribus  bilden  demgegenüber  Fäden  oder  kommen  Jxei 
zerstreut  oder  in  Schwärmen"  vor.  „Der  Bakterienschwarm  unter- 
scheidet sich,  nach  Cohni),  von  der  Zoogloea  dadurch,  dass  bei 
letzterer  die  Zellen  unbeweglich  durch  Intercellularsubstanz  verknüpft 
sind ;  deshalb  bildet  die  Zoogloeagallerte  im  Wasser  einen  scharf  ab- 
gegrenzten, meist  sphärischen  Contour,  der  um  so  deutlicher  hervor- 
tritt, weil  die  Bakterienzellen  scheinbar  am  Eande  der  Gallert  dichter 
gelagert  sind,  als  in  der  Mitte.  Die  Schwärme  dagegen  bestehen 
bloss  aus  freien,  beweglichen,  aber  oft  so  dicht  an  einander  gedräng- 
ten Zellen,  dass  dieselben  sich  fast  berühren,  und  daher  eine  schleimige 
Masse  bilden;  in  bewegtem  Wasser  vertheilen  sich  jedoch  die  ein- 
zelnen Zellen  ohne  Weiteres,  da  sie  durch  keine  Zwischensubstanz 
verbunden  sind." 

Später  hielt,  wie  Seite  34  angegeben  ist,  Cohn  diese  Diffe- 
renzen für  so  wichtig,  dass  er  nicht  nur  die  Bakterien,  sondern 

1)  Beiträ^'c  zur  Biologie  der  Pflanzen  L,  Heft  2,  1872,  S.  142.  . 


76 


Zoogloea. 


sämmtliche  Spaltpflanzen  in  zwei  grosse  Gruppen  eintheilte,  deren 
eine,  Gloeogenae,  besonders  durch  die  Neigung  der  Zellen  zur  Bil- 
dung von  Scbleimfamilien  characterisirt  wurde,  während  die  andere, 
Neraatogenae ,  eine  Tendenz  der  Zellen  zur  Bildung  von  Fäden 
zeigen  sollte. 

Bald  darauf  ermittelte  Cohn^),  dass  das  Entwicklungsstadium 
sehr  berücksichtigt  werden  muss,  wenn  der  Zoogloea  ein  so  hoher 
Werth  beigelegt  werden  soll.  Die  auf  sterilisirtem  Heuinfus  sich 
entwickelnden  „trocknen,  zusammenhängenden  schuppigen  Häutchen " 
waren  zwar  „auf  den  ersten  Blick"  von  dem  „gewöhnlichen  Zoogloea- 
schleim  faulender  Flüssigkeiten"  sicher  zu  unterscheiden.  Aber  dieses 
Häutchen  veränderte  sich  allmählich  und  war  später  ähnlich  wie  die 
echte  Zoogloea  von  Mikrokokkus  luteus  oder  Askokokkus.  Die  Decke 
der  Bacillen  hatte  sich  so  verändert,  dass  sie  wie  eine  Zoogloea  von 
Miki'okokken  aussah. 

Koch  entwickelte  dann  2)  die  allgemeine  Ansicht,  dass  die 
Zoogloea  als  solche  einen  Euhezus tan d  darstellt  und  dass  „die 
Entwicklung  der  Bakterien  zur  Zoogloea,  gerade  so  wie  die  Bildung 
von  Häutchen  oder  bei  manchen  Bacillen  das  Auswachsen  zu  langen 
Gliederfäden  der  Entwicklung  von  Sporen  vorhergeht."  Nachdem 
Koch  verschiedene  Formen  von  Zoogloea,  verzweigte,  gelappte, 
knollenförmige,  kuglige,  ringförmige,  ganz  gefüllte  und  solche  mit 
Hohlräumen  angeführt  hat,  giebt  er  an:  „Die  meisten  werden  von 
kugligen,  ovalen  oder  lang  ovalen  Bakterien  gebildet,  doch  giebt  es 
auch  solche,  die  aus  kurzen  Stäbchen  und  aus  kleinen  Spii'illen  zu- 
sammengesetzt sind."  Zoogloea  von  Spirillen  hatte  übrigens  bereits 
Perty^')  auf  Tafel  XV  Fig.  27  von  Spirillum  undula  (cfr.  Fig.  10  A) 
und  in  Fig.  29  von  Spirillum  rufum  abgebildet. 

Wenn  Koch  auch  annimmt,  dass  jede  Bakterienart  nur  in  einer 
solchen  Zoogloeaform  ihren  Kuhezustand  findet,  so  ist  er  doch  der 
Ansicht:  „Die  Zoogloea  allein  kann  indessen  zur  Characteristik  einer 
bestimmten  Bakterienart  nicht  genügen."  Koch  stützt  damit  die 
Ansicht  von  Cohn,  dass  eine  auch  noch  so  characteristische  Form 

1)  Beiträge  zur  Biologie  der  Pflanzen  II.,  Heft  2,  1876,  S.  261. 

2)  ibid.  IL,  Heft  3,  1877,  S.  415. 

3)  Zur  Kenntniss  kleinster  Lebensformen  1852, 


Zoogloea. 


77 


allein  zur  Artbestimmiing  nicht  genügt,  aber  es  ergiebt  sich  schon 
aus  den  damaligen  Angaben  von  Koch,  dass  die  Verwerthung  der 
Zoogloea  nur  mit  grosser  Eeserve  zur  Abgrenzung  von  Gruppen  oder 
Gattungen  unter  den  Bakterien  möglich  ist. 

Die  Abgrenzung  der  Zoogloea  bildenden  Bakterien  gegen  die 
fadenbildenden  im  Sinne  von  Cohn  setzt  eigentlich  voraus,  dass  den 
Einzelzellen  qualitative  Differenzen  in  Bezug  auf  die  Fähigkeit  des 
Vergallertens  innewohnen  müssen.  Gegen  eine  solche  Annahme  spricht 
sich  P  r  a  z  m  0  w  s  k  i  1)  sehr  entschieden  aus  und  nimmt  der  Zoogloea- 
bildung  einen  weiteren  Theil  des  Werthes,  den  ihr  Cohn  zugesprochen 
hatte.  Nach  Prazmowski  sondern  die 
Bakterien  nicht  erst  Schleim  ab,  wenn  sie 
zur  Ruhe  kommen,  sondern  die  äusseren 
Schichten  der  ßakterienmembran  vergal- 
lerten  auch  bei  den  beweglichen  Formen 
und  bei  allen  Bakterien,  doch  wird  diese 
feine  äussere  Gallerthülle  „im  beweg- 
lichen Zustande  wegen  ihrer  zarten  und  AZoogioeavonSphiiiumunduiauach 
weichen  Beschaffenheit  durchßeibung  an  SzopT" 
die  umgebende  Flüssigkeit  abgestreift." 

Beim  Eintritt  der  ßuhe  werden  diese  aufgequollenen  äusseren  Schichten 
der  Membran  nicht  mehr  abgestreift,  sondern  sie  erhalten  sich  und 
werden  „durch  immer  neues  Aufquellen  der  inneren  Schichten  der 
Membran  verstärkt." 

Bie  Bildung  solcher  Ruhezustände  kann  eintreten,  wenn  beweg- 
liehe  Bakterien  in  Ruhe  übergehen  und  sich  z.  B.  an  der  Oberfläche 
einer  Flüssigkeit  einfach  anhäufen.  Eine  Verstärkung  eines  solchen 
Bakterienhäutchens  kann  dann  erfolgen,  indem  einfach  die  Membra- 
nen vergallerten  oder  indem  gleichzeitig  ein  Theil  der  Zellen  sich 
durch  Theilung  noch  vermehrt.  Bei  unbeweglichen  Bakterien  erfolgt 
die  Bildung  einer  Schleimcolonie  durch  directe  locale  Vermehrung. 
Im  letzteren  Falle  wird  die  Colonie  immer  einheitlich  sein,  während 


1)  Untersuchungen  über  die  Entwicklungsgeschichte  und  Fermentwirkung 
einiger  Bakterienarten  1880,  S.  44, 


78 


Zoogloea. 


im  ersten  Falle  sich  bisweilen  Decken  von  mehreren  Bakterienarten 
bilden  können. 

Billroth  hatte  wohl  zuerst  Mittheilungen  gemacht'),  nach 
denen  es  möglich  ist,  die  Ausbildung  der  Zoogloea  durch  Aenderung 
der  Aussenbedingungen  zu  beeinflussen,  indem  er  fand,  dass  in  zucker- 
haltigen Substraten  die  Schleimhäute  der  Bakterien  sich  stärker  als 
in  anderen  Lösungen  entwickelten.  Prazmowski  ermittelte  nach 
dieser  Richtung  weiter,  dass  Bakterien,  welche  auf  Dextrin-  und 
Zuckerlösungen,  auf  Stärke  und  Kartoifeln  mächtige  Schleimdecken 
bilden,  auf  Infusen  von  gekochtem  Hühnereiweiss  sehr  dürftige  Decken 
entwickelten.  ,Der  Antheil,  welchen  die  Kohlehydrate  an  der  Bil- 
dung der  Gallerthülle  der  Bakterien  haben,  ist  vielleicht  der,  dass 
sie  direct  das  Material  zur  Ausbildung  der  Gallertmembran  liefern." 

Bei  einzelneu  Bakterienarten,  welche  man  nach  Cohn  als  Ba- 
cillen bezeichnen  müsste,  welche  Prazmowski  wegen  ihrer  Ent- 
wicklungsgeschichte unter  dem  Namen  Clostridium  von  ihnen  ab- 
zweigte, fand  er,  dass  die  Stäbchen  beim  Eintritt  in  die  Euhe  sich 
so  unregelmässig  gruppiren,  wie  es  nach  Cohn  die  Sphärobakterien 
und  Mikrobakterien  allein  thun  sollten.  Auch  für  die  ächten  Bacillen 
ermittelte  er,  dass  die  Fäden  beim  Zerfalle  in  kleinere  Fadentheile 
zerbrechen,  „die  sich  entweder  parallel  aneinanderlegen  oder  auch 
ohne  irgend  welche  Eegelmässigkeit  neben  einander  gruppiren." 

Zopf  ermittelte 2),  dass  bei  Cladothrix  dichotoma,  Fig.  5,  so- 
wohl kuglige,  als  stäbchenförmige  Zellen  Zoogloen  bilden  können, 
dass  sich  Zoogloen  finden,  welche  gerade,  wellige,  schraubige  und 
selbst  verzweigte  Fäden  umschliessen.  Weiter  beobachtete  er,  wie 
bereits  vor  ihm  Perty  (Fig.  10 A),  dass  sich  in  einer  Zoogloea, 
Fig.  10  B,  selbst  verschiedene  Formen  von  Emzelzellen  finden  können. 
Ferner  fand  er,  dass  die  früher  von  Cohn  als  eine  besondere  Art 
aufgefasste  Clathrocystis  roseo-persicina,  Fig.  IIB,  eine  Zoogloea 
von  kugligen  Einzelzelleii  ist,  welche  in  die  Entwicklung  der  Beggiatoa 
roseo-persicina  gehört.    Vor  allem  stellte  aber  Zopf  fest,  dass  die 

1)  Untersuchungen  über  die  Vegetationsformen  von  Coccobacteria  septica 
1874.  S.  9. 

2)  Zur  Morphologie  der  Spaltpflanzen  1882. 


Zoogloea.  79 

ünterschiede  zwischen  Zoogloea-  und  Faden -bildenden  Spaltalgen 
nicht  so  schrolf  sind,  wie  sie  Cohn  hingestellt  hatte. 

Auch  hei  einzelnen  Schraiibenbakterien  ist  noch  ermittelt  wor- 
den, dass  sie  nicht  nur  scbraubige  Fäden,  sondern  bisweilen  auch 
Zoogloea  bilden  können.  Dies  thun  nach  Gruber  ^)  z.  B.  die  Komma- 
bacillen  von  Finkler -Prior  und  die  Komraabacillen  der  Cholera 
asiatica  bilden  nach  meinen  Beobachtungen  nicht  nur  Schwärme  an  der 
Oberfläche  von  Flüssigkeiten,  sondern  bisweilen  auch  starke  Schleim- 
decken, in  denen  sich  neben  Einzelzellen  reichlich  schraubige  Fäden 
finden, 

Fig.  11. 


A  Äskoknkkus  nach  Cohn,  ca.  65  fache  Vergrössorung. 

B  Clathrocystisform  der  Begiatoa  roseopersicina  nach  Zopf,  ca.  250 fache  Vergrösserung. 

Aus  diesen  Ermittlungen  ergiebt  sich  sicher,  dass  Tribus-  und 
Gattungsabgrenzungen  unter  den  Spaltpflanzen  im  Allgemeinen  und 
den  Bakterien  im  Besonderen  auf  Grund  des  Auftretens  von  Zoogloea 
nicht  durchzuführen  sind.  Zwischen  der  unregelmässigen  Gruppirung 
der  Einzelzellen  in  der  Zoogloea  und  den  regelmässig  angeordneten 
Fäden  der  Decken  giebt  es  Zwischenglieder.  Zwischen  den  frei  be- 
weglichen Bakterien  und  den  Anfängen  der  feinen  Decken  giebt  es 
Uebergänge;  als  ein  solches  Zwischenglied  fasse  ich  die  „Schwärme" 
auf,  da  dieselben  zwar  bei  Zufuhr  frischen  Nährmaterials  sich  sofort 
wieder  vertheilen,  bei  Erschöpfung  des  Materials  aber  zunächst  feine 
Häutchen  bilden,  welche  allmählich  zu  ganz  dicken  Schleimdecken 


1)  Wiener  med.  Wochenschrift  1885,  S.  299. 


80 


Zoogloea. 


vergallerten  können.  Zwischen  den  alten  Schleimdecken  von  Bacillen 
und  den  Zoogloeu  von  Kokken  existiren  keine  qualitativen  Differenzen. 
Alle  bis  jetzt  bekannten  Formen  der  Bakterien  können  gelegentlich 
in  Zoogloea  auftreten. 

Eine  Differenz  in  der  Bildung  ist  vielleicht  nur  zwischen  unbe- 
weglichen und  beweglichen  Bakterien  zu  beobachten.  Die  ersteren 
können  unter  Umständen  sofort  in  die  Bildung  der  Zoogloea  ein- 
treten, so  dass  diese  die  einzige  Ruheform  bildet,  während  beweg- 
liclie  Bakterien  in  Flüssigkeiten  in  der  Regel  später  in  ein  unbeweg- 
liches Stadium  übergehen,  in  diesem  zunächst  die  Ruheform  von 
Fäden  bilden,  welche  sich  zu  Decken  vereinigen,  die  dann  allmäh- 
lich durch  Vergallerten  der  Membranen  in  eine  ächte  Zoogloea  über- 
gehen. 

In  Flüssigkeiten  können  grössere  Differenzen  zwischen  Zoogloea 
bildenden  und  scheinbar  keine  Zoogloea  bildenden  Arten  dadurch  vor- 
getäuscht werden,  dass  einzelne  Bakterien  in  Flüssigkeiten  scharf 
umschriebene  Zoogloen  bilden,  während  die  Schleimmassen  anderer 
in  der  Flüssigkeit  zerfliessen  und  deshalb  wenig  formbeständig  und 
auffallend  sind.  Die  von  Cohn  hervorgehobene  Beobachtung,  dass 
am  Rande  der  Zoogloea  die  Bakterien  dichter  gelagert  sind,  findet 
darin  ihre  einfache  Erklärung,  dass  nur  am  Rande  der  Austausch 
mit  dem-  Nährmaterial  leicht  ist,  so  dass  dort  bis  zur  Erschöpfung 
der  Lösung  die  Vermehrung  durch  Theilung  überwiegt,  während  in 
der  Mitte,  wohin  nur  wenig  Nährmaterial  durch  Diffusion  gelangt, 
die  Vergallertung  der  Membran  vorherrscht,  durch  welche  die  Zellen 
von  einander  gedrängt  werden. 

Thatsache  ist,  dass  der  Chemismus  des  Substrates  die 
Bildung  der  Zoogloea  beeinträchtigen  oder  begünstigen  kann;  oder 
mit  anderen  Worten  es  findet  eine  Beeinflussung  der  Form  der  Zoo- 
gloea durch  die  Aussenbedingungen  statt. 

Die  systematische  Verwerthung  der  festen  Nährböden  zum 
Studium  der  Bakterien  hat  uns  in  den  letzten  Jahren  aber  noch  m.it 
Beeinflussungen  der  Zoogloea  vertraut  gemacht,  welche  zwar  vielfach 
zur  Artbestimmung  verwerthet  werden,  ohne  dass  aber  der  Modus 
dieser  Einflüsse  nach  der  morphologischen  Seite  bis  jetzt  eingehender 
beachtet  worden  ist.    Der  Mechanismus  des  Substrates  ist 


81 


Zoogloea. 


von  grösster  Wichtigkeit  für  den  Grad  der  Ausbildung  und  die  Form 
der  Zoogloea. 

Unbewegliche  Bakterien  verhalten  sich  im  Princip  auf  festem 
Substrat  genau  so  wie  in  Flüssigkeiten  und  bilden  ihre  Zoogloea 
vom  Momente  der  Vermehrung  an  localisirt,  nur  ist  die  Form  der 
Zoogloea  noch  schärfer  ausgesprochen  und  wegen  der  deutlicheren 
Localisation  die  Bildung  von  kleinsten  Zoogloen  oder  Colonien  früher 
zu  erkennen  als  in  Flüssigkeiten.  Ausserdem  wird  die  Bildung 
schärfer  umschriebener  Formen  der  Zoogloea  auf  festem  Nährboden 
dadurch  begünstigt,  dass  ein  Zerfliessen  der  Schleimmassen  nicht 
oder  doch  schwieriger  und  später  stattfindet  als  in  Flüssigkeiten. 
In  diesen  Momenten  liegt  der  grosse  Vorzug  der  Zoogloea  auf  festem 
Substrate  zur  schnellen  Diagnose.  Für  die  Diagnose  ist  dasselbe  bei 
den  beweglichen  Bakterien  in  vielleicht  noch  höherem  Maasse 
der  Fall.  Während  dieselben  in  Flüssigkeiten  erst  das  ganze  beweg- 
liche Stadium  absolviren  müssen  und  dann  erst  anfangen  Zoogloeen 
zu  bilden,  werden  sie  auf  festem  Substrat  gezwungen,  sich  wie  un- 
bewegliche zu  verhalten  und  sich  sofort  in  der  Euheform  der  Zoo- 
gloea zu  vermehren. 

Die  Kulturen  auf  festem  Nährboden  haben  gezeigt,  dass  wohl 
alle  Bakterien  im  Stande  sind  Zoogloea  zu  bilden  und  zwar  nicht 
nur  die  Bakterien  im  Sinne  von  Cohn,  sondern  auch  Arten,  welche 
den  Beggiatoen  und  Cladothrix  nahe  stehen. 

Wählt  man  als  festen  Nährboden  Nährgelätine,  so  kann  man 
oft  die  verschiedensten  Grade  der  Beeinflussung  der  Form  dm-ch  den 
mechanischen  Zustand  des  Substrates  beobachten.  An  der  Oberfläche 
zeigt  die  Form  der  Zoogloea  oft  ein  anderes  Aussehen  als  im  Innern. 
Viel  auffallender  ist  aber  die  Veränderung  bei  Bakterien,  welche  die 
Gelatine  verflüssigen.  Geschieht  dies  sehr  schnell  und  verwandeln 
die  Bakterien  den  festen  Nährboden  dadurch  schnell  in  eine  Flüssig- 
keit, so  bildet  sich  erst  das  bewegliche  Stadium  ebenso  aus  wie  in 
Flüssigkeiten  überhaupt  und  erst  später  kommt  es  zur  Bildung  von 
Decken.  Geht  die  Verflüssigung  langsam  vor  sich,  so  bildet  sich 
erst  an  der  Oberfläche  oder  im  Inneren  eine  ächte,  bisweilen  sogar 
sehr  auffallende  Zoogloea  aus ;  so  sah  ich  z.  B.  bei  einem  Fäulniss- 
bacillus  die  schönsten  verzweigten  Zoogloeen  entstehen.  Mit  Zunahme 

Hneppe,  Formen  der  Bakterien.  C 


82 


Zoogloea, 


der  Verflüssigung  wird  die  Form  dieser  Zoogloea  zerstört  oder  stark 
beeinträchtigt,  dann  folgt  das  bewegliche  Stadium  und,  wenn  dieses 
vorbei  ist,  tritt  Bildung  von  Schleimdecken  ein. 

Ein  weiteres  mechanisches  Moment  ergiebt  sich  auf  festem 
Nährboden  aus  der  Art  des  Impfens,  indem  sich  vom  Impfstriche 
oder  Impfstiche  aus  die  Zoogloea  entwickelt,  deren  Form  ausserdem 
davon  beeinflusst  wird,  ob  die  Keime  der  Oberfläche  nahe  liegen 
oder  von  ihr  entfernt  sind. 

Bei  identischen  mechanischen  Verhältnissen  wird 
die  Zoogloea  wieder  beeinflusst  von  der  chemischen 
Zusammensetzung,  so  dass  man  zu  differentialdiagnostischen 
Zwecken  bald  dieselbe  chemische  Zusammensetzung  wählt  und  nur 
das  mechanische  Moment  ändert,  indem  man  z.  B.  eine  bestimmte 
Bouillon  fliüssig  oder  mit  10%  Gelatine  oder  1^  Agar  versetzt 
anwendet  oder  dass  man  dieselben  mechanischen  Verhältnisse  wählt 
und  die  chemische  Zusammensetzung  ändert,  indem  man  z.  B. 
Flüssigkeiten  oder  10%  Gelatine  oder  1%  Agar  zum  Theil  mit, 
zum  Theil  ohne  Zusatz  von  Zucker  gebraucht. 

Nach  Häuser^)  konnte  in  einigen  seiner  Beobachtungen  bei 
einer  zur  sicheren  Isolirung  ungenügenden  Festigkeit  der  Nährgela- 
tine die  Form  der  Zoogloea  wechseln  und  bald  korkzieherartig  ge- 
wunden, bald  kranzförmig,  bald  dentritisch  verzweigt  erscheinen. 
Der  Grund  zu  diesem  Wechsel  liegt,  soweit  er  nicht  durch  die  Art 
der  Impfung  mit  bedingt  war,  darin,  dass  auf  einem  Substrate, 
welches  nicht  von  Anfang  an  fest  oder  flüssig  ist  und  bleibt,  sondern, 
welches  durch  das  Leben  der  Bakterien  aus  dem  festen  in  den 
flüssigen  Zustand  übergeführt  wird,  die  mechanischen  Verhältnisse 
von  Augenblick  zu  Augenblick  sich  ändern  und  durch  Bildung  und 
schnellere  Vertheilung  der  Stolfwechselproducte  auch  der  Chemismus 
des  Mediums  sich  schneller  ändert. 

Wählt  man  günstige  Flüssigkeiten,  wie  eine  Normalbouillon, 
und  wirklich  feste  Substrate,  so  kehrt  die  Form  der  Zoogloea  unter 
denselben  Verhältnissen  so  typisch  wieder,  dass  dadurch  die  Zoogloea 
zu  einem  höchst  werthvollen  Formmerkmale  wird,  welches  zur  Art- 


1)  Ueber  Fäulnissbaktevien,  1885. 


Zoogloea.  §3 

bestimmiing  sehr  wohl  mit  verwerthet  werden  kann.  Verändert  man 
die  Anssenbedingungen,  indem  man  die  Bildung  der  Zoogloea  neben- 
einander auf  verschiedenen  festen  Substraten,  Ifö  Agar,  \Q%  Gela- 
tine, Kartoffelscheiben  und  in  einigen  Flüssigkeiten,  wie  Bouillon 
und  Milch,  vor  sich  gehen  lässt,  so  werden  damit  schnell  eine  Fülle 
von  Formmerkmalen  zugänglich,  welche  sich  allein  auf  die  eine 
Form  der  Zoogloea  beziehen  mid  damit  die  Differentialdiagnose  gegen 
früher  wesentlich  erleichtern. 

Aber  über  den  principiellen  Werth  dieses  vorzüglichen  und 
schnell  orientirenden ,  praktischen  diagnostischen  und  differential- 
diagnostischen Mittels  für  die  Gattungs-  und  Artbestimmung  darf 
man  sich  nicht  täuschen.  Die  Zoogloea  ist  keine  constante 
Form,  sondern  sie  gehört  geradezu  zu  den  „schlechthin  ver- 
änderlichen" Formmerkmalen.  Sie  ist  deshalb  zur  Abgrenzung 
von  Gattungen  ganz  imbrauchbar  und  zur  Bestimmung  von  Arten 
nur  unter  der  angeführten  Eeserve  mit  verwerthbar.  Bxceptionelle 
Zoogloeen,  wie  sie  bei  Leuconostoc  und  dem  Kefir  vorliegen,  sprechen 
als  Ausnahmen  nicht  gegen  diese  Auffassung. 

Das  schlechthin  veränderliche  der  Zoogloea  macht  es  zur  Pflicht, 
eine  schon  von  Cohn  angedeutete  Möglichkeit,  für  welche  Zopf 
durch  den  Nachweis,  dass  die  Clathrocystis  roseo-persicina  nur  ein 
Entwicklungsstadium  der  Beggiatoa  roseo-persicina  ist,  bereits  einen 
positiven  Beweis  gebracht  hat,  für  die  definitive  Artbestimmung 
offen  zu  halten,  dass  nämlich  vielleicht  eine  nur  in  einer  Form  be- 
kannte Art,  z.  B.  eine  Kokkenzoogloea,  nicht  das  Zoogloeastadium 
I  einer  monomorphen  oder  relativ  einförmigen  Art  ist,  sondern  dass 
:  sie  vielleicht  auch  einmal  in  die  Entwicklung  einer  pleomorphen  " 
-Art  gehören  kann,  deren  übrige  Formen  noch  unbekannt  sind. 

„Eine  solche  Vermutbung  ist  wissenschaftlich  berechtigt,  denn 
iauf  der  einen  Seite  alterii-t  sie  den  Stand  der  positiven  Kenntnisse 
iin  keiner  Weise,  auf  der  anderen  aber  bewahrt  sie  vor  dem  Glauben, 
idass  Letztere  bereits  abgeschlossen  sind,  vermag  also  Anregung  zu 
'weiteren  Untersuchungen  zu  geben." 

Diese  Worte  von  Zopf  i)  bezeichnen  den  Zustand  unserer  Er- 


')  Die  Spaltpilze,  3.  Aufl.,  Vorwort. 


C* 


84 


Wuchsfornien  der  Bakterien, 


falinmgen  für  die  eine  Form,  die  Zoogloea,  recht  treffend,  nur  darf 
man  dieselben  niclit,  wie  Zopf  es  tliut,  auf  alle  Formen  übertragen, 
man  darf  dabei  nicht  vergessen,  dass  der  Nachweis  des  Pleo- 
morphiums  an  sich  mit  Variabilität  niclits  zu  thun  hat  und  dass 
eine  Veränderung  der  Zoogloea  mit  Aenderung  der  Aussenbedingungen 
für  eine  Wandelbarkeit  der  anderen  Formen  nach  dem  Substrat 
nichts  beweist. 


IX. 

Die  Wuchsformen  der  Bakterien. 

Nachdem  ich  versucht  habe,  die  bisher  in  der  Litteratur  zur 
Sprache  gekommenen  Differenzen  zu  schildern,  muss  ich  den  Ver- 
such machen  die  Lehren,  welche  sich  daraus  für  eine  unbefangene 
Beurtheilueg  ergeben ,  zu  ziehen.  Die  allgemeinen  Ermittelungen 
zeigen,  dass  manche  Formmerkmale  constanter  sind  als  andere,  dass 
man  auf  Grund  der  Formeigeuthümlichkeiten  Differenzen  unter  den 
Bakterien  feststellen  kann.  Aber  keines  der  Formmerkmale  allein 
genügt  zur  Diffcrenzirung ,  so  dass  man  genöthigt  ist  der  von 
Cohn  zuerst  gestellten  Forderung  gerecht  zu  werden  und  alle  der 
Beobachtung  zugänglichen  Merkmale  zu  berücksichtigen.  Cohn 's 
eigener  Versuch  reicht  aber  bei  weitem  nicht  mehr  aus,  besonders 
da  er  dort  versagt,  wo  er  principiell  am  meisten  verspricht,  bei 
der  Abgrenzung  der  grösseren  Gruppen.  In  P]inzelheiten,  bei  den 
Abgrenzungen  einzelner  kleinerer  Gruppen  und  Gattungen  dagegen 
sind  wir  auch  jetzt  vielfach  noch  nicht  im  Stande  besseres  zu  geben, 
als  es  von  Cohn  bereits  1872  geschehen  ist  und  die  Berichtigungen 
treffen  unbedeutende  Nebendinge. 

Der  von  mir  in  meinen  Vorlesungen  seit  einiger  Zeit  und  un- 
abhängig von  de  Bary  durchgeführte  Versuch,  den  ich  im  Folgen- 
den zu  Grunde  lege,  begegnet  sich  in  den  wichtigsten  Punkten  in 


"Wuchsformen  der  Bakterien. 


85 


SO  erfreulicherweise  mit  den  Grimdanscliauuiigen  von  de  Bary^), 
dass  ich  darin  eine  Garantie  sehen  darf,  dass  bereits  eine  allge- 
meinere Verständigung  ^)  möglich  ist,  wenn  man  sich  von  doctrinären 
Einseitigkeiten  frei  macht,  welche  nur  Constanz  oder  grenzenlose 
Variabilität  kennen.  Eine  Keihe  von  Einzelheiten  werden  dadurch 
gleichzeitig  zur  Ergänzung  der  kurzen  Darstellung  von  de  Bary. 

Dem  gegenwärtigen  Zustande  unserer  Kenntnisse  entspricht  es 
am  meisten  die  Formen  der  Bakterien  nicht  ohne  Weiteres  als 
Gattungs-  und  Artmerkmale  zu  betrachten,  sondern  dieselben  zu- 
nächst nur  als  Wuchsformen  aufzufassen.  Bei  den  Wuchsformen 
machen  sich  dann  sofort  wieder  zwei  natürliche  Gruppen  geltend, 
indem  man  die  Einzelindividuen  trennen  kann  von  den  Formen, 
welche  aus  besonderen  Verbindungsweisen  der  Einzelzellen  sich 
ergeben. 

I.  Die  Binzelzellen. 

Die  rein  schematische  Figur  12,  welche  die  wichtigsten  Bak- 
terienformen, deren  Einzelligkeit  allgemein  anerkannt  ist,  darstellt, 
giebt  zunächst  eine  Vorstellung,  wie  es  kommen  musste,  dass  sich 
Nägel i  in  Folge  seiner  ganz  falschen  Auffassung  der  Ansichten 
von  Cohn  gegen  „specifische  Formen'  verwahrte  und  besonders  das 
Auftreten  von  allen  möglichen  üebergangsformen  als  Beweis  gegen 
die  Existenz  specifischer  Formen  anführte.  Hätte  Cohn  einen 
Monomorphismus  der  absurden  Art  vertreten,  wie  man  ihm  bisweilen 
nachgesagt  hat,  so  müsste  jede  auch  nur  etwas  abweichende  Form, 
als  eine  specifische  aufgefasst  und  mit  besonderen  Namen  belegt 
werden.  Davon  findet  sich  aber  bei  Cohn  nichts.  Im  Geiste  einer 
so  widersinnigen  Formconstanz  müsste  man  z.  R.  die  Nebenfigur  4, 
bei  der  die  Längsbegrenzungen  eine  kleine  Strecke  parallel  gehen 


1)  Vergleichende  Morphologie  und  Biologie  der  Pilze  1884,  S.  494.  Vor- 
lesungen über  Bakterien,  1885  (während  des  Druckes  erschienen). 

2)  In  einer  während  des  Druckes  erschienenen  und  nicht  mehr  berück- 
sichtigten Arbeit  (Archiv  für  Hygiene  1885,  S.  37G)  schliesst  sich  H.  Bu ebner 
im  Allgemeinen  dieser  Anschauung  an,  wenn  er  auch  noch  die  Argumente  von 
Cohn  nicht  vollständig  würdigt  und  diesem  Forscher  einen  von  ihm  gar  nicht 
vertretenen  Monomorphismus  vorwirft. 


86 


Wuchsformen  der  Bakterien. 


und  nur  die  Enden  ellipsoid  abgerundet  sind,  tolo  coelo  von  der 
gestreckten  Ellipse  3  auseinanderhalten.  Auf  der  anderen  Seite  ist 
wieder  nichts  leichter,  als  theoretisch  die  Form  4  durch  die  ge- 
streckte Ellipse  3  und  die  kurze  f]llipse  2  mit  der  Kugel  1  durch 
unmerkliche  Uebergäuge  zu  verbinden.  Die  Ellipse  2  führt  unmerk- 
lich zu  der  Figur  5,  bei  der  die  Seiten  etwas  parallel  laufen  und 
weiter  zu  den  Stäbchen  von  der  Form  6,  7  und  8.  Sind  Längs- 
und Querdurchmesser  gleich,  so  führt  die  Kugel  1  ohne  Schwierig- 
keit durch  die  Zwischenformen  15  und  16  zu  der  kurzen,  scheiben- 
förmigen Cylinderform  17.  Ebensowenig  wird  es  schwer  sein,  von 
dem  Ellipsoid  2  zu  der  Spindelform  18  und  von  dieser  durch  19 


Fig.  12. 

1        H         3^       jL  S        6         7        6  3        10  Jl  12 


oOOO  OOODO^ 

IS        Ii:  15        16       17  le        J»        20  21 


M        2J        24  Z5        Z6        27         28  Z9        SO  31 


und  20  zur  Keulenform  21  zu  kommen.  Ein  gekrümmtes  Stäbchen 
22  ist  von  einem  schraubigen  Stäbchen  23  nicht  immer  leicht  zu 
unterscheiden  und  bei  kleinsten  Schraubenstücken  25  und  26  ist 
Niemand  im  Stande,  die  Form  aus  dem  Ansehen  allein  zu  beur- 
theilen.  Betrachtet  man  das  schraubige  Stäbchen  23  von  der 
Fläche,  so  sieht  es,  30,  wie  das  gerade  Stäbchen  10  aus,  und  das 
schraubige  Stäbchen  24  wird  von  oben  oder  unten  gesehen  wie  31 
erscheinen  und  von  einer  gestreckten  Ellipse  3  oder  einem  Spindel- 
stäbchen nicht  oder  nur  schwer  zu  unterscheiden  sein. 

Wenn  die  Kugel  1  sich  nach  einer  Eichtung  streckt,  hört  sie 
auf  Kugel  zu  sein  und  wird  zur  Ellipse  2  oder  3;  das  Stäbchen  9 
wird  zur  Form  10,  ebenso  ist  das  Verhältniss  zwischen  11  und  12, 
18  und  14,  28  und  29. 


Wuchsfonneii  der  Bakterien. 


87 


Auch  die  normalen  Theilungsvorgänge,  wie  sie  Fig.  13  sclie- 
matisch  giebt,  weisen  die  Annahme  einer  starren  Form  entschieden 
von  der  Hand.  Die  Kugel  1  streckt  sich  zur  Ellipse  2,  aus  deren 
Theihmg  die  kleinen  Kugeln  3  hervorgehen.  Die  kurze  Ellipse  4 
nimmt  die  Form  5  an,  bei  der  man  es  ganz  unentschieden  lassen 
muss,  ob  man  sie  als  gestreckte  Ellipse  oder  als  kurzes  Stäbchen 
mit  stark  abgerundeten  Enden  bezeichnen  soll,  und  aus  der  Theilung 
der  Form  5  gehen  Zellen  hervor,  welche  bald  mehr  als  Kugeln  6, 
bald  als  deutliche  Ellipsen  7  erscheinen.  Das  Kurzstäbchen  8, 
welches  an  sich  von  der  Ellipse  4  nicht  oder  nur  schwer  zu  unter- 


Fig.  13. 


^23         4:      S       6     7        8        9       10    il       12      13  U 

□ 


098  008809880 


2i  2S 


OO  ü  o  o 

0  o  r\  o  0 


O 


CZXZ)  C 


scheiden  ist,  führt  zum  deutlichen  Stäbchen  9;  aber  bei  der  Theilung 
dieser  Formen  ist  es  wieder  ganz  imklar,  ob  man  die  kleinsten 
Theilungsproducte  als  ganz  kurze  Stäbchen  mit  stark  abgerundeten 
Enden  10,  oder  einfach  als  Ellipsen  11  bezeichnen  soll.  Etwas 
weniger  unklar  liegen  die  Verhältnisse  bei  den  Formen  12,  13  imd 
14,  doch  wird  es  bei  der  letzteren  von  der  Art  der  Einstellung  ab- 
hängen, ob  man  sie  nicht  lieber  als  Kugel  auffassen  soll.  Bei  15 
und  16  ist  kein  Zweifel  möglich,  dass  es  sich  um  entschiedene 
kürzere  und  längere  Cylinderstäbchen  handelt.  Wenn  ein  Spindel- 
stäbchen der  Form  18  sich  theilt,  entsteht  nicht  ein  kürzeres 
Spindelstäbchen  von  der  Form  17,  sondern  die  Theilungsproducte 
sind  zunächst  Ellipsen  19  oder  Kugeln  20,  welche  erst  beim  weiteren 
Wachsthum  die  Gestalt  des  Spindelstäbchens  annehmen.  Bei  der 
Theilung  eines  ganzen  kurzen  Schraubenstäbschens  21  bleibt  man 
oft  im  Zweifel,  ob  die  kleinsten  Theilungsproducte  als  noch  kürzere 


88 


Wuchsformen  der  Bakterien. 


Schraubenstücke  22  oder  nicht  einfach  als  Ellipsen  23  zu  bezeichnen 
sind.  Bei  der  Vermehrung  von  kugligen  Zellen  kommt  bisweilen 
eine  verzögerte  Ausbildung  der  Theilung  vor,  welche  zu  Formen  führt, 
die  gar  nicht  von  deutlichen  Stäbchen  zu  unterscheiden  sind.  Die 
Kugel  24  streckt  sich  zur  Form  25,  welche  in  der  schraffirten  Weise 
der  Figur  26  schliesslich  zur  Bildung  von  2  Kugeln  führt.  Bis- 
weilen aber  erfolgt  die  Theilung  dann  noch  nicht,  sondern  es  bildet 
sich  ohne  irgend  welche  sichtbare  Gliederung  erst  die  Form  27  aus, 
welche  dann  in  der  schraffirteu  Weise  zu  zwei  Formen  der  Figur  25 
zerfällt,  aus  denen  erst  die  Kugeln  durch  weitere  Theilung  hervor- 
gehen. Oder  es  kommt  vor,  dass  eine  solche  Form,  wie  es  bei  28 
angedeutet  ist,  nicht  erst  in  zwei  Hälften  zerfällt,  sondern  dass  sich 
gleich  4  Theilungen  vorbereiten,  welche  dann  der  Form  28  das  ein- 
geschnürte, torulöse  Aussehen  der  Form  29  verleihen,  aus  der  durch 
weiteres  Einschnüren  eine  Kette  von  4  Kugeln  hervorgeht.  An  sich 
sind  solche  „Pseudostäbchen"  von  „ächten  Stäbchen"  aber  nicht  zu 
unterscheiden  und  erst  die  Entwicklung  giebt  darüber  Aufschluss. 

Alle  diese  auf  ein  Grössenverhältuiss,  auf  eine  absolute  Grösse 
der  zum  Ausgangspunkte  dienenden  Kugel  bezogenen  Schwierigkeiten 
wiederholen  sich  aber  bei  jeder  absolutep  Grösse.  Keine  Form  ist 
als  solche  specitisch,  eine  grosse  Kugel  ist  ebenso  gut  Kugel  wie 
eine  kleine,  eine  grosse  und  eine  kleine  Ellipse,  ein  Kurz-  und  ein 
Langstäbchen  derselben  Form  sind  der  Form  nach  nicht  specifisch 
von  einander  geschieden.  Man  kann  deshalb  auch  die  Formen  der 
verschiedensten  Dimensionen  theoretisch  leicht  durch  üebergangs- 
formen  mit  einander  verbinden. 

An  derartigen  Schwierigkeiten  ist  noch  kein  Forscher  glatt 
vorbei  gekommen,  seit  Cohn  1872  gezeigt  hat,  dass  es  unmöglich 
ist,  zwischen  Kugeln,  Ellipsoiden,  Kurzstäbchen  und  Langstäbchen 
der  Form  nach  specifische  Unterschiede  zu  machen  und  dass  bei 
der  normalen  Entwicklung  diese  Formen  unmerklich  in  einander 
übergehen. 

Wenn  nichtsdestoweniger  später  manche  Anhänger  von  Cohn 
auf  die  Constanz  der  Form  der  Einzelzellen  nach  dieser  Kichtung 
einen  grösseren  Werth  gelegt  haben,  als  Cohn  selbst,  so  wollten 
sie  in  erster  Linie  Stellung  nehmen  gegen  die  unrichtige  Deutung 


Wuchsformen  dei'  Bakterien. 


89 


der  Cohn'  sehen  Lehre  .durch  N  ä  g  e  1  i  und  Zopf,  dass  der  Form 
gar  nichts  typisches  innewohne.  In  diesem  Sinne  glauhte  ich 
früher^)  überflüssiger  Weise  bei  der  Entwicklung  der  Milchsäure- 
Bakterien  Werth  darauf  legen  zu  sollen,  dass  in  der  Entwicklung 
der  Form  Fig.  13  (8  und  9)  die  kleinsten  Theilungsproducte  die 
Form  (10)  und  nicht  die  Form  (11)  haben,  während  es  selbst 
schwer  oder  unmöglich  ist  die  Form  (8)  von  der  Form  (4)  und  (2) 
auseinander  zu  halten. 

In  diesem  Sinne  erklärte  Flügge  2):  , Niemals  haben  wir 
beobachten  können,  dass  wirkliche  Kokken  in  Bacillen  sich  um- 
wandeln und  umgekehrt,  und  dass  diese  Umwandlung  nur  von  Er- 
nährungsbedingungen abhängig  ist."  Diese  Erklärung  von  Plügge 
war  dem  Missverständnisse  allerdings  leicht  zugänglich,  weil  es  sich 
einmal  von  selbst  versteht,  dass  die  Gattung  Mikrokokkus  sich  nicht 
in  die  Gattung  Bacillus  verwandeln  kann,  wenn  beide  Gattungen 
natürliche  sind;  weil  es  nach  Cohn  eine  starre  Kokkenform  eben- 
sowenig wie  eine  starre  Bacillenform  giebt,  und  weil  es  nach  Cohn 
unmöglich  ist,  einen  ellipsoiden  Mikrokokkus  von  einem  ellipsoiden 
Bakterium  und  ein  stäbchenförmiges  Bakterium  von  einem  Stäbchen 
der  Bacillen  nur  nach  der  Form  der  Einzelzellen  zu  unterscheiden. 

Von  einer  Auffassung  der  Form  als  specifisch  in  dem  Sinne, 
den  die  Nägeli'sche  Schule  Cohn,  Koch  und  ihren  Schülern 
vorwirft,  findet  sich  übrigens  in  den  eben  angeführten  Arbeiten 
nichts,  indem  ich  z.  B.  bei  derselben  Gelegenheit  den  Formcyklus 
der  Milchsäurebakterien  unter  den  verschiedenen  Aussenbedingungen 
;  geschildert,  und  auf  seine  Äehnlichkeit  mit  dem  Formcyklus  von 
■Cohn's  Bacterium  termo  hingewiesen  habe.    Und  Flügge  er- 
■  klärte :  „Wir  leugnen  nicht  etwa  das  Vorkommen  verschiedener  Formen 
i  bei  ein  und  derselben  Spaltpilzart ;  wir  wissen,  dass  die  meisten  ge- 
wisse Entwickelungsformen  durchlaufen,  dass  die  Bacillen  in  Faden- 
lund  Sporenform  vorkommen;  wir  wissen  ferner,  dass  das  Alter  der 
:  Individuen  ihre  Form  beeinflusst  und  dass  die  jüngsten  Bacillen  oft 
I nicht  leicht  von  Kokken  zu  unterscheiden  sind;  wir  kennen  endlich 

1)  Mittheilungen  aus  dem  Kaiserlichen  Gesundheitsamte,  II,  1884,  S.  339. 

2)  Deutsche  med.  Wochenschrift  1884,  No.  46. 


90 


Wuchsformen  der  Bakterien. 


I 


Degeiierations-  und  Involutionszustände,  die  mit  gewissen  Formver- 
änderimgen  einhergehen." 

Dass  es  übrigens  den  Gegnern  von  Cohn  nicht  besser  gegangen 
ist,  ersieht  man  beispielsweise  daraus,  dass  Zopf  von  kurzen  Stäb- 
chen spricht,  die  „fast  mikrokokkenartig  erscheinen"  und  die  „mikro- 
kokkusartigen  Kurzstäbchenform"  erwähnt. 

Die  Thatsache,  dass  es  unmöglich,  zum  mindestens  sehr  schwier- 
rig  ist  nach  der  Form  der  Einzclzelle  etwa  Gattungen  oder  Arten 
auseinanderzuhalten,  giebt  Koch  z.  ß.  zu,  wenn  er  findet'),  dass 
genügende  Unterschiede  zwischen  Bacillen  und  Spirillen  noch  nicht 
gefunden  sind,  das  heisst  im  Sinne  von  Cohn  und  Nage  Ii,  dass 
man  zwischen  geraden,  gekrümmten  und  schraubigen  Stäbchen  nicht 
immer  scharf  unterscheiden  kann,  während  natürlich  zur  Bestimmung 
der  Gattungen  Bacillus  und  Spirillum  von  Cohn,  wie  früher  dar- 
gelegt, noch  eine  Reihe  weiterer  Formmerkmale  zu  Gebote  steht, 
welche  trotz  dieser  Schwierigkeit,  wie  Koch  selbst 2)  gezeigt  hat, 
deutliche  Unterschiede  dieser  Gattungen  ergeben. 

Wenn  Cohn  und  seine  Anhänger  trotz  der  Unmöglichkeit  zwi- 
schen den  verschiedenen  Formen  der  Einzelzellen  scharfe  oder  gar 
specifische  Unterschiede  zu  finden,  und  trotz  der  durch  die  normale 
Entwicklung  bedingten  Formabweichungen  daran  festgehalten  haben 
der  Form  der  Einzelzelle  einen  hohen  Werth  beizulegen,  so  waren 
es  hauptsächlich  folgende  Momente.  Unter  identischen  Bedingimgen 
kehrt  immer  eine  bestimmte  Form  der  Einzelzellen  typisch  wieder  und 
wenn  man  die  Formen  der  verschiedenen  Bakterien  bei  gleicher 
Vergrösserung  und  Präparation  beobachtet,  sind  die  Dimensionen  so 
ausserordentlich  verschieden,  derart  dass  die  theoretisch  construir- 
baren  Uebergangsformen  überhaupt  vollständig  ausser  Frage  bleiben. 

Die  Fig.  14  zeigt  dies  an  einigen  Beispielen  und  zwar  die 
Figuren  1  bei  ca.  900  bis  lOOOfacher  Vergrösserung  nach  Zeich- 
nungen,  die  Figuren  II  bei  ca.  700  maliger  Vergrösserung  nach 


1)  Conferenz  zur  Erörterung  der  Cholerafrage,  II.  Deutsche  med.  Wochen- 
schrift und  Berliner  klin.  Wochenschrift,  18S5,  No.  37. 

2)  Conferenz  zur  Erörterung  der  Cholerafrage,  I.  Deutsche  med.  Wochen- 
schrift 1884,  No.  32  und  Berliner  klin.  Wochenschrift,  1884,  No.  31. 


Wuchsformen  der  Bakterien. 


91 


Photogrammen.  Die  grossen  Formen  bei  I  gehören  ßeggiatoen  au ; 
A  ist  die  frühere  sogenannte  Monasform,  deren  einzelne  Formen  a, 
b,  c  und  d  wohl  mit  kleineren,  gleichfalls  kugeligen  ellipsoiden 
und  Kurzstäbchen-Formen  verglichen  werden  können,  aber  durch  ihre 
Dimensionen  von  denselben  so  dififerent  und  typisch  geschieden  sind, 
dass  man  diese  Differenz  auch  zur  specitischen  Unterscheidung  vor- 
züglich mit  verwerthen  kann. 


Fig.  14. 


Zum  Theil  nach  Koch,  Zopf  und  van  Ermengem. 


B  ist  die  frühere  sogenannte  Rhabdomonasforrrf ,  welche  von 
den  zum  Vergleiche  gegebenen  Formen  deutlich  different  ist,  so 
dass  man  wohl  zur  Ansicht  berichtigt  ist,  dass  im  Gegensatze  zu 
B  unter  ähnlichen  Verhältnissen  die  Form  B''  a  charakteristisch  für 
die  Bakterien  der  Mäuseseptikaemie,  b  für  Bacillus  subtilis  und  c 


02 


Wuchsformen  der  Bakterien. 


für  Bacillus  anthracis  ist.  Auch  die  gekrümmten  stäbchenförmigen 
Formen  C  zeigen  diese  enormen  Differenzen  und  ebenso  die  früher 
als  Spiro-  und  Ophidomonas  beschriebenen  schraubigen  Formen  D 
und  E,  wenn  man  sie  mit  anderen  Schraubenbakterien  vergleicht, 
z.  B.  bei  D''  mit  Kommabacillen  und  bei  E"  mit  den  schraubigen 
Fäden  der  Kommabacillen,  die  noch  dazu  in  der  Zeichnung  etwas 
zu  breit  ausgefallen  sind. 

Bei  der  Zeichnung  II,  bei  der  die  Grösse  der  Blutkörperchen 
A""  zum  Maasstabe  dienen  kann,  kann  der  Unterschied  nicht  immer 
so  auffallend  sein,  aber  er  bleibt  auch  dann  noch  gross  genug,  so 
dass  man  im  Stande  ist  a  als  charakteristisch  für  die  Bacillen  der 
Mäuseseptikaemie,  b  der  Tuberkulose,  c  der  Cholera  asiatica,  d  des 
malignen  Oedems  und  e  des  Milzbrandes  anzusehen. 

Dagegen  zeigen  die  schraubigen  Fäden  von  Febris  recurrens,  f, 
und  Cholera  asiatica,  g,  dass  die  Form  allein  nicht  immer  ausreicht, 
wie  es  von  Cohn  für  andere,  besonders  für  die  bei  seinen  Mikro- 
kokken  vorkommenden  Formen  bereits  1872  mitgetheilt  war. 

Mit  Eücksicht  darauf,  dass  der  grösste  Theil  der  Missverständ- 
nisse und  Controverse  daher  rührt,  dass  ursprünglich  zur  Gattungs- 
bezeichnung dienende  Namen  zum  Theil  noch  in  diesem  Sinne  ver- 
wendet werden,  während  sie  von  anderen  Beobachtern  nur  zu  Form- 
bezeichnungen gebraucht  werden,  empfiehlt  sich  auf  jeden  Fall  die 
Namen  der  Formen  scharf  auseinander  zu  halten  von  den  Gattungs- 
namen. 

Da  die  verschiedensten  Formen  der  Einzelzelle  vorkommen, 
müsste  man  strenggenommen  für  jede  Form  derselben  einen  beson- 
deren Namen  wählen,  bei  dem  dann  wieder  durch  diesen  Namen  die 
Abweichungen  nicht  sicher  bezeichnet  werden  können,  welche  durch 
die  Theilungsvorgänge  bedingt  sind.  Unter  diesen  Umständen  scheint 
es  mir  viel  praktischer  auf  eine  solche,  nur  zu  neuen  Missverständ- 
nissen führende  Nomenclatur  ganz  zu  verzichten  und  die  beobach- 
teten Formen  einfach  zu  beschreiben,  z.  B.  anzugeben  auf  Kartoffeln 
bildet  diese  oder  jene  Art  scharf  abgesetzte  oylindrische  Kurz- 
stäbchen, Langstäbchen  und  Fäden,  oder  eine  andere  Art  bildet 
kugelige  Zellen,  kürzere  oder  längere  Ellipsoide. 


Wucbsfovmen  der  Bakterien. 


93 


"Wenn  man  aber  die  biologischen  Bedingungen  berücksichtigt, 
unter  denen  die  Einzelzellen  als  solche  besonders  auffallen,  so  findet 
man,  dass  es  gerade  die  Zustände  sind,  bei  denen  die  Bakterien 
ihre  specifische  Thätigkeit  ausüben,  so  dass  die  Formen  der 
Einzelzellen  in  erster  Linie  auch  die  vegetativen  Formen  dar- 
stellen. Aus  diesem  Grunde  besonders  empfiehlt  es  sich,  die  Formen, 
unter  denen  uns  die  Einzelzellen  entgegentreten,  in  einigen  grossen 
Gruppen  zu  vertheilen,  welche  aber  selbstverständlich  nicht  schroff 
von  einander  geschieden  sind. 

A.  Die  Kokkenform  umfasst  isodiametrische,  kugelige 
und  nur  wenig  gestreckte  ellipsoide  Zellen.  Die  früher 
häufig  für  die  verschiedenen  Grössen  gebrauchten  Namen,  Mikro- 
kokken,  Makrokokken  oder  Monaden  sind,  weil  sie  zu  Missverständ- 
nissen führen  und  zum  Theil  als  Tribus-  und  Gattungsbezeichnimgen 
dienen,  als  Namen  für  Formen  aufzugeben. 

B.  Die  Stäbclienform  ist  nach  einer  Seite  deutlich 
gestreckt.  Sind  die  Längsbegrenzungen  derartig  gestreckter  Zellen 
nicht  parallel,  sondern  ist  der  Breitendurchmesser  an  einer  Stelle 
stärker,  sodass  die  Form  einer  Spindel  oder  Keule  entsteht,  so  kann 
man  diese  Stäbchen  a)  als  Spindelstäbchen  bezeichnen.  Sind 
die  Längsbegrenzungen  auf  eine  Strecke  deutlich  parallel,  so  haben  wir 
b)  das  gerade  Stäbchen.  Sind  bei  den  letzteren  die  Enden  stark 
abgerundet,  so  sind  die  kleineren  derselben  nicht  oder  nur  schwer 
von  einem  Ellipsoid  oder  Spindelstäbchen  zu  unterscheiden,  während 
bei  scharf  abgesetzten  Enden  die  Form  eines  zweifellosen  cylin- 
drischen  Stäbchens  entsteht,  welches  bei  geringem  Längsdurchmesser 
sich  der  Scheibenform  nähert.  Eine  Trennung  in  Kurzstäbchen 
und  Lang  Stäbchen  ist  überflüssig  oder  hat  doch  nur  eine  ganz 
nebensächliche  Bedeutung.  Ist  die  Membran  des  Stäbchens  starr, 
so  bleibt  es  gerade,  während  es  bei  flexiler  Membran  auch  als 
gekrümmtes  Stäbchen  erscheinen  kann. 

C.  Die  Schraubenfbrm  umfasst  schraubig  gedrehte 
Stäbchen  oder  Schraubenstäbchen,  welche  bei  oberfläch- 
licher Betrachtung  leicht  als  einfach  gekrümmte  Stäbchen  er- 
scheinen, wie  sie  in  letzter  Zeit  unter  dem  Namen  „Kommabacillen" 
schnell  populär  geworden  sind.  Die  Länge  der  deutlichen  einzelligen 


94 


Wuchsformen  der  Bakterien, 


Schraubenstäbchen  schwankt  derart,  dass  sie  das  zwei  bis  vierfache 
des  Querdurchmessers  beträgt.  Die  Krümmung,  oder  genauer  die 
schraubige  Drehung  ist  bei  starrer  Membran  mehr  formbeständig, 
während  sie  bei  flexiler  Membran  wechseln  kann,  sodass  die  Krüm- 
mung bald  ganz  flach,  bald  fast  halbkreisförmig  erscheint. 

IT.  Die  unter  I.  geschilderten  Formen  sind  in  der  Regel  zu- 
gleich die  vegetativen  Formen  und  können  in  dieser  Form  frei 
leben  und  sich  vermehren.  Bei  der  Vermehrung  durch  Th eilung 
macht  sich  eine  Dilferenzirung  des  Bakterienprotoplasraa  bemerkbar, 
indem  sich,  wenigstens  bei  den  grösseren  Formen,  eine  Körnelung 
des  vorher  scheinbar  homogenen  Inhalts  einstellt.  Bei  der  Färbung 
wird  dies  oft  so  deutlich,  dass  man  zur  Ansicht  gezwungen  wird, 
dass  das  Bakterienprotoplasma  aus  einer  nicht  färbbaren  und  einer 
in  derselben  gleichmässig  vertheilten  chromogenen  Substanz  gebildet 
wird.  Besonders  bei  den  grösseren  Stäbchenformen  schien  mir  in 
der  Regel  die  Differenzirung  der  färbbaren  Substanz  mit  einer  An- 
ordnung der  chromogenen  Körner  in  Streifen  zu  beginnen.  Dann 
sammelt  sich  diese  Substanz  mehr  nach  den  Polen  zu,  während  in 
der  Mitte  ein  mehr  oder  weniger  breiter  Streifen  ungefärbt  erscheint, 
und  erst  dann  stellt  sich  die  Bildung  einer  Querwand  ein,  durch 
welche  definitiv  die  Mutterzelle  in  zwei  Tochterzellen  getrennt  wird. 
Die  trennende  Membran,  welche  zugleich  ein  Theil  der  Zellmembran 
der  Tochterzellen  ist,  ist  besonders  bei  den  kleineren  Formen  oft 
so  lein,  dass  sie  nur  durch  Reagentien  sichtbar  gemacht  werden 
kann,  welche  das  Protoplasma  zum  Schrumpfen  bringen  und  dadurch 
gegen  die  Membran  besser  abheben.  Vor  der  Theilimg  streckt  sich 
die  Zelle  meist  deutlich  in  die  Länge,  bisweilen  unter  gleichzeitiger 
Vergrösserung  des  Breitendurchmessers,  so  dass  Formabweichungen 
zwischen  der  zur  Theilung  sich  anschickenden  Mutterzelle,  den 
kleinsten  Theilungsproducten  und  den  mehr  typischen  Mittelformen 
ganz  unvermeidlich  sind. 

Dieser  morphologische  Eindruck  sowohl  als  der  Umstand,  dass 
die  Bakterienfärbung  im  Wesentlichen  nur  eine  modificirte  Kern- 
färbung ist,  legen  eine  Analogie  der  Kerntheilung  mit  der  Theilung 
des  Bakterienprotoplasma  sehr  nahe.    Doch  ist  es  bei  unseren  opti- 


Wuchsformen  der  Bakterien. 


95 


sehen  Hilfsmitteln  und  dem  Stande  unserer  einschlägigen  mikro- 
chemischen Keactionen,  von  denen  einzelne  zudem  Differenzen  an- 
deuten, verfrüht,  in  dieser  Aehnlichkeit  eine  wirkliche  Homologie 
mid  Identität  zu  sehen,  oder  sicher  zu  unterscheiden,  welcher  Theil 
der  Bakterienprotoplasma  vielleicht  mit  dem  Kern,  und  welcher 
etwa  mit  dem  Zellinhalt  anderer  Pflanzenzellen  direct  verglichen 
werden  kann.  Bis  jetzt  ist  ein  morphologisches  Homologen  eines 
Kernes  nicht  beobachtet,  doch  deuten  die  erwähnten  Punkte  sowohl 
als  Einlagerungen  von  körnigen  Elementen,  welche  bei  einzelnen 
Bakterien  Amylum-  oder  Gramilosereaction  geben,  und  bisweilen  zu 
beobachtende  vacuolenartige  und  fetttröpfchenähnliche  Gebilde, 
Schwefelkörner,  darauf  hin,  dass  die  Bakterienzelle  etwas  complicir- 
ter  ist,  als  man  meist  annimmt. 

Gerade  bei  den  freilebenden,  vegetativen  Formen  bemerkt  man 
häufig  eine  auffallende  Bewegung,  welche  der  Hauptgrund  war  die 
Bakterien  zuerst  den 
Thieren ,  speciell  den 
Monaden  zuzurechnen. 
Bei  einer  solchen  Form, 
welche  er  als  Gattung 
Ophidomonasbeschreibt, 
war  bereits  von  Ehren- 
berg^)  „ein  fadenför- 
miger Küssel  als  Bewe- 
gungsorgan" beschrie- 
ben worden.  Später  fand 
Cohn 2)  bei  Spirillum 
volutans,  Fig.  15  P,  an 
jedem  Ende  einen  Geis- 
selfaden, welche  durch 
ihre  Bewegung  an  bei- 
den Enden  Wirbel  in  der  Flüssigkeit  bildeten.  Warming  (S.  17) 
ermittelte   1875   bei   Ophidomonasformen  nicht  nur   solche  mit 


1)  Die  Infusionsthierchen,  1838,  S.  43. 

2)  Beiträge  zur  Biologie  der  Pflanzen,  I,  Heft  II,  1872,  S.  183. 


96 


Wuchsformen  der  Bakterien. 


einer  Geissei,  sondern  auch  Individuen  mit  zwei,  Fig.  15  L,  und 
selbst  drei,  M,  Geisseifäden.  Im  selben  Jahre  gelang  es  D allin- 
ger und  Drysdale^)  bei  sehr  kleinen,  als  Bakterium  terrae 
aufgefassten  beweglichen  Bakterien  geisselartige  Fäden  durch  eine 
besonders  intensive  schiefe  Beleuchtung  zu  sehen.  Dass  diees  Be- 
obachtungen von  der  Existenz  geisselartiger  Anhänge  bei  beweg- 
lichen Bakterien  richtig  sind,  zeigte  Koch  2)  durch  die  Photographie 
derselben,  indem  er  sowohl  bei  Stäbchenformen,  Fig.  15  B,  als  bei 
Schraiibenformen ,  Spirillum  undiüa,  C,  dieselben  durch  besondere 
Präparation  fixirte.  Auch  für  Kugelformen  giebt  Zopf,  Fig.  15  A, 
derartige  Gebilde  an,  die  er  besonders  bei  den  Monasformen  von 
Beggiatoa  roseo-pursicina ,  G,  H,  J,  K,  und  den  Stäbchen-  und 
Schraubenformen  von  Cladothrix,  Crenothrix  und  Beggiatoa,  D  und 
E,  beobachtete. 

Mit  derartigen  Beobachtungen  schien  die  Frage  definitiv  gelöst 
zu  sein,  dass  die  Bewegungen  der  Bakterien  durch  besondere 
Bewegungsorgane,  Cilien,  Geissein,  Flagellen  ver- 
ursacht sind,  und  man  ging  sogar  so  weit,  geradezu  aus  der  Be- 
wegung oder  dem  Auftreten  von  Wirbeln  an  den  Enden  beweglicher 
Bakterien  auf  die  Anwesenheit  von  derartigen  Organen  zu  schliessen. 
Wie  weit  dies  z.  B.  besonders  bei  der  schwärmenden  Kokkenform  A 
der  Fall  ist,  ob  es  sich  dabei  nur  um  schwärmende  Kokken,  oder 
um  nachgewiesene  Cilien  handelt,  ist  schwer  zu  sagen,  vielleicht 
handelt  es  sich  dabei  um  eine  Art  Schwärmsporen. 

Wenn  auch  die  Botanik  die  Existenz  von  beweglichen,  mit  Cilien 
begabten  Zellen,  von  Schwärmzellen  und  Schwärmsporen  in  grösserer 
Ausdehnung  festgestellt  hat,  so  liegt  darin  allein  kein  Grund,  jede 
Bewegung  bei  niedersten  Pflanzen  von  besonderen  Bewegungsorganen 
abhängig  sein  zu  lassen.  Schon  Perty  hatte  1852  erklärt,  dass 
die  Bewegung  der  Bakterien  gar  nicht  so  thierähnlich  sei,  wie  mau 
nach  Ehrenberg  und  D u j  a r d i n  annahm,  sondern  mehr  der  Be- 
wegung der  Oscillarien  gleiche,  und  bei  diesen  viel  grösseren  Pflanzen 

1)  On  the  existence  of  flagella  in  Bacteriuni  termo.  Monthly  Microscopi- 
cal  Journal.   Sept.  1875. 

2)  Beiträge  zur  Biologie  der  Pflanzen,  II,  Heft  III,  1877. 


Wuchsformen  clor  Bakterien. 


97 


kennt  mau  jetzt  noch  keine  besonderen  Bewegungsorgane.  Ebenso- 
wenig ist  etwas  Derartiges  von  Diatomaceen  bekannt.  Bei  solchen 
pflanzlichen  Organismen  hat  man  die  Bewegung  dadurch  zu  erklären 
versucht,  dass  an  den  beiden  Enden  der  Zellen  oder  Zellfäden  Un- 
gleichheiten in  der  Diosmose  der  Nährstoffe  vorhanden  sind. 

Sind  nun  die  Cilien  der  Bakterien  zunächst  wirkliche  Cilien, 
d.  h.  Fortsätze  des  Bakterienprotoplasma,  welche  event.  wieder  ein- 
gezogen werden  können  und  welche  bei  Anwesenheit  einer  Membran 
durch  eine  präformirte  Oeffnung  derselben  nach  aussen  treten,  ohne 
mit  der  Membran  als  solcher  in  Zusammenhang  zu  stehen?  Schon 
die  ganze  Präparation,  durch  welche  es  Koch  gelang  die  Cilien  zu 
fixiren  und  dadurch  der  Photographie  zugänglich  zu  machen,  spricht 
sehr  entschieden  gegen  die  protoplasmatische  Natur  dieser  Gebilde. 
Bei  anderen  Bakterien,  z.  B.  dem  Clostridium  butyi'icum,  fand  van 
Tieghem,  dass  dessen  Cilien  mit  Kupferosydammoniak  Cellulose- 
reaction  zeigen.  Van  Tieghem^)  hielt  in  Folge  dessen  die  Cilien 
der  Bakterien  überhaupt  nicht  für  ächte  contractile  Cilien,  sondern 
für  einfache  Fortsätze  oder  Anhänge  der  Membran. 

In  diesem  Falle  sind  nicht  die  Cilien  das  Bewegende,  sondern 
das  Bewegte  und  die  Bewegung  würde  nach  van  Tieghem  dadurch 
zu  Stande  kommen,  dass  der  protoplasmatische  Inhalt  der  Zelle  sich 
contrahirt.  Für  die  Auffassung,  dass  die  Bewegung  bei  den  Bak- 
terien diu-ch  Differenzen  in  der  Diosmose  an  den  Enden  der  Zellen, 
ähnlich  wie  bei  Diatomaceen  oder  Oscillarien,  zustande  kommt,  macht 
Kurth  2)  besonders  die  Beobachtung  geltend,  dass  längere  Stäbe 
und  Fäden  unter  Umständen  eben  so  lebhaft  beweglich  sein  können, 
wie  Einzelzellen.  Dieselben  Bewegungsorgane,  welche  sonst  nur  eine 
einzige  Zelle  in  Bewegung  setzen  können,  müssten  auf  einmal  fähig 
sein,  die  8  bis  10  fache  und  noch  grössere  Zahl  von  Zellen  zu  be- 
wegen, da  bei  den  Fäden  nur  die  beiden  Endzellen  Cilien  besitzen 
können. 


')  Sur  les  pretencTus  cils  des  bacteries.   Bulletin  de  la  Societo  Botanique 
de  France.   T.  26,  1879,  S.  37. 

2)  Botanische  Zeitung  1883,  S.  395. 

Hneppe,  Formen  der  Bakterien.  7 


98 


Wuchsfonnen  der  Bakterien. 


Zopf  maclite  dann i)  Beobachtungen,  welche  dafür  sprechen, 
dass  bei  gewissen  Arten,  wie  Beggiatoa,  Cladothrix  und  Crenothrix 
die  geisselartigen  Gebilde  ächte  Cilien,  d.  h.  contractile  Protoplasma- 
fortsiltze  sind.  Beim  Zerfalle  von  Cladothrixfäden  zeigte  sich  sofort 
an  der  Theilungsstclle,  und  nicht  nur  an  dem  schon  vorher  freien 
Ende  eine  lebhafte  Strudelbewegung,  wobei  er  allerdings  das  Auf- 
treten von  derartiger  Bewegung  als  Beweis  für  die  Existenz  von 
Cilien  betrachtet,  wenn  er  sagt,  „dass  sie  sofort  nach  ihrer  Ablösung 
an  beiden  Polen  Strudel,  also  Cilien  zeigten,  mittelst  deren 
sie  lebhaft  schwärmten."  Wichtiger  ist  deshalb  seine  weitere  An- 
gabe, dass  er  bei  einer  der  Monasformen  von  Beggiatoa  roseo-persi- 
cina  direct  beobachtet  habe,  „dass  die  hier  sehr  dicken  und  langen 
Cilien  sofort  eingezogen  werden,  wenn  man  Keagentien  wie  1  %  Ueber- 
osminiumsäure  wirken  lässt." 

Aus  unseren  bisherigen  Erfahrungen  geht  hervor,  dass  die  An- 
wesenheit von  ächten  protoplasmatischen  Geissein  keine  conditio  sine 
qua  non  ist  für  die  Bewegungen  der  Bakterien.  Weiter  wird  es 
sehr  wahrscheinlich,  dass  sich  unter  den  bisher  als  Geissein,  Cilien 
oder  Flagellen  bezeichneten  Gebilden  morphologisch  ungleiche  und 
wohl  auch  physiologisch  nicht  gleichwerthige  Dinge  befinden.  Diese 
Unsicherheiten  und  Unklarheiten  sind  für  die  Frage  der  Artbestim- 
mung sehr  zu  bedauern.  Wenn  man  z.  B.  einwandsfrei  zeigen  könnte, 
dass  der  Bacillus  subtilis  entweder  seine  Bewegung  ächten  proto- 
plasmatischen Cilien  verdankt  oder  doch  wenigstens,  dass  er  constant 
Gebilde  besitzt,  welche  den  Cilien  ähnlich  sind,  während  man  ebenso 
einwandsfrei  nachweisen  könnte,  dass  dem  Bacillus  anthracis,  auch 
wenn  er  einmal  geringe  Bewegungen  zeigt,  niemals  etwas  ähnliches 
zukommt,  so  würde  eine  derartige  Beobachtung  eine  neue  wichtige 
morphologische  Differenz  zwischen  den  beiden  Arten  sicher  stellen. 
Davon  ist  aber  bis  jetzt  keine  Rede,  sondern  man  konnte  bis  jetzt 
sicher  nur  sagen,  dass  der  Bacillus  subtilis  im  vegetativen  Stadium 
lebhaft  beweglich  ist,  während  der  Bacillus  anthracis  unbeweglich 
oder  doch  höchstens  schwerfällig  beweglich  ist.  Dass  die  Lebhaftig- 


1)  Zur  Morphologie  der  Spaltpflanzen  1882,  S.  7,  die  Spaltpilze  3.  Aufl.. 
1885,  S.  17. 


Wuchsfonneu  der  Batterien. 


99 


keit  der  Bewegung  aber  mit  dem  Vorhandensein  der  cilienartigen 
Gebilde  an  sich  nichts  zu  thun  hat,  ergiebt  sich  aus  Koch 's  An- 
gabe, dass  die,  Fig.  15  B,  mit  Cilien  photograpbirten  Bacillen  eine 
,schwerföllige  wackelnde  Bewegung"  zeigen. 

III.   Die  Yerbäiide  der  Einzelzellen. 

Der  Protoplasmakörper  der  Bakterie  ist  umgeben  von  einer 
Membran,  welche  manchmal  so  starr  ist,  dass  die  Form  der  Zellen 
constant  bleibt,  während  sie  in  anderen  Fällen  wieder  dehnbar,  flexil 
ist,  so  dass  sie  Bewegungen  des  contractilen  Inhalts  zu  folgen  ver- 
mag.   Die  äusseren  Schichten  dieser  Membran  sind  fortwährend  in 
Auflösung  oder  Quellung  begriffen,  so  dass  man  als  eigentliche  Zell- 
membran strenggenommen  nur  die  festere,  innerste  Lamelle  einer 
gelatinösen  Hülle  ansprechen  kann,  welche  das  Bakterienprotoplasma 
umgiebt.    Sind  die  Bakterien  in  Bewegung,  so  streifen  sie  die  äus- 
seren in  Quellung  begriffenen  Schichten  der  Membran  ab,  so  dass 
nur  die  innerste  und  eigentliche  Zellmembran  deutlich  ist.  Kommen 
bewegliche  Bakterien  zur  Ruhe  oder  sind  die  Bakterien  an  sich  un- 
beweglich, so  werden  die  äussersten  in  Quellung  begriffenen  Schichten 
der  Membran  nicht  abgestreift,  sondern  dieselben  führen  zu  einer  '' 
festeren  Vereinigung  der  Einzelzellen.    Diese  dadurch  resultirenden 
Gallertmassen  sind  in  ihrer  Consistenz  verschieden  und  wechseln  von 
einem  in  Wasser  leicht  zerfliessenden  Schleim  bis  zu  kuorpelharten 
Massen.    Auf  die  Consistenz  hat  nicht  nur  die  Festigkeit  resp.  der 
Wassergehalt  des  Nährbodens  und  die  chemische  Zusammensetzung 
'  der  Nährlösungen,  sondern  wohl  auch  die  chemische  Zusammensetzung 
ider  Membran  Einfluss.    Bei  einigen  imbestimmten  Fäulnissbakterien 
I besteht  nach  Nencki  und  Sch affer i)  die  Membran  zum  gröss- 
tten  Theil  aus  einem  Mycoprotein  genannten  Eiweisskörper.  Nach 
;Kuschbert  und  Neisser^)  soll  die  Membran  der  Bakterien  der 
:Xerosis  conjunctivae  sehr  fetthaltig  sein.  Bei  den  meisten  Bakterien, 
1  besonders  gut  bei  Leuconostoc,  Sarcina  ventriciüi  nachweisbar,  be- 


1)  Beiträge  zur  Biologie  der  Spaltpilze  von  Nencki,  1880,  S.  35. 

2)  Breslauer  ärztl.  Zeitschrift  1883,  No.  4;  Deutsche  med.  Wochenschrift 
11884,  No.  21. 


7* 


100 


Wuclisformen  der  Bakterien. 


steht  die  Membran  aus  Cellulose.  Während  des  Vergallertens  oder 
Aufquellens  der  Membran,  und  in  Flüssigkeiten  wenigstens  meist 
schon  vor  dem  Auftreten  grösserer  Schleimmassen  walirnehmbar, 
machen  sich  noch  besondere  Wachsthumsriehtungcn  und  dadurch 
bedingte  Pormeigenthümlichkeiten  geltend. 

Schon  aus  diesen  Angaben  erhellt,  dass,  wenn  bestimmte  Form- 
verbände  sich  bilden,  dieselben  unbewegliche  Bakterien  von  Anfang 
an  betreffen  können,  dass  sie  bei  beweglichen  sich  aber  auffallend 
erst  einstellen,  wenn  dieselben  in  Kuhe  übergehen,  so  dass  man  als 
Regel  annehmen  kann,  dass  solche  Formverbände  entweder  unbeweg- 
liche Bakterien  enthalten  oder  Ruhe  formen  von  beweglichen  Bak- 
terien darstellen. 

A.  Bei  der  Vermehrung  erfolgt  das  Wachsthum  in  einer  Rich- 
tung und  es  entstehen  Ketten  von  Einzelzellen.    Bei  der  Kokken- 
form, Fig.  16  A,  sind 
M        die  Grenzen  der  Einzel- 
^     glieder   immer  scharf 
(Q)     von  einander  abgesetzt 
AI      und  auch  bei  den  zur 

1  V/l 

AT      Theilung  sich  anschi- 
yW      ckenden  oder  in  Thei- 
(m      lung  begriffenen  Glie- 
dern  ist  eine  Täuschung 
f     \    über    die  Zellgi'enzen 
nicht  möglich.  Derar- 
tige Ketten  wurden  frü- 
her auch  als  Torula  oder 

Rosenkranzform  be- 
zeichnet; von  Billroth 
wurde  für  diese  Form  auch  der  Name  Streptokokkus  gebraucht. 

Die  Ketten  der  Spindelstäbchen  B  zeigen  wohl  Einschnürungen, 
doch  ist  die  Grenze  der  Einzelzellen  nicht  immer  deutlich.  Bei  den 
Ketten  der  geraden  Stäbchen  ist  bisweilen,  wenn  die  Enden  der  Einzel- 
zellen eine  scharf  markirte  Form  besitzen,  eine  deutliche  Gliederung 
zu  sehen,  Fig.  22  C,  a.  Doch  ist  das  deutliche  Auftreten  dieser  Form 
zum  Theil  abhängig  von  der  Art  der  Präparation,  so  dass  es  nicht 


Fig.  16. 


Wuclisformen  der  Bakterien. 


101 


immer  so  scharf  markirt  ist  wie  bei  C.  Bei  vielen  Stäbclienketten  ist 
eine  Gliederung  nur  schwer  oder  nur  an  einzelnen  Stellen  zu  erkennen, 
Fig.  16  D  und  Fig.  1  E;  Fig.  6  D,  F.  Oft  erscheinen  die  Ketten 
der  Stäbchenform  geradezu  ohne  jede  Segmentirung  E ;  Fig.  6  E. 
Man  nennt  deshalb  die  Ketten  der  Stäbchenform  meist  Fäden  und 
bei  ganz  undeutlicher  Gliederung  wohl  auch  Scheinfäden.  Lange 
scheinbar  ungegliederte  Fäden  bezeichnete  man  früher  auch  als  Lep- 
tothrix  und  Mycothrix.  Die  Fäden  der  Stäbchen  sind  bald  gerade  E, 
oder  bei  flexiler  Membran  biegsam  imd  mehr  oder  weniger  deutlich 
wellenförmig  gebogen  F  und  Fig.  1  E;  Fig.  6  C. 

Die  Fäden  der  Schraubenstäbchen  sind  schraubig  gewunden  und 
werden  meist  kurz  als  Schrauben  bezeichnet.  Die  Form  wechselt 
von  ganz  flach  ausgezogenen,  scheinbar  einfach  wellig  gebogenen, 
schraubigen  Fäden,  Fig.  1 6  G ;  Fig.  1  F ;  Fig.  3  C ;  Fig.  6  H  bis  zu 
eng  gewundenen  Schrauben,  Fig.  16  J;  Fig.  1  J;  Fig.  4  A;  Fig.  9  B. 
Die  schraubigen  Fäden  sind  bald  starr,  so  dass  die  Bewegungen  um 
eine  fast  mathematisch  vorgezeichnete  Axe  zu  erfolgen  scheinen, 
Fig.  16  G,  J ;  Fig.  1  H,  J;  Fig.  4  A,  bald  flexil,  Fig.  16  H;  Fig.  4  B 
und  C ;  Fig.  9  C.  Bisweilen  sieht  man  auch  zwei  schraubige  Fäden 
umeinander  gewunden,  Fig.  1  G  und  H;  Fig.  4  C,  b.  Gerade  sowohl, 
Fig.  16  L,  als  schraiibige,  Fig.  16  M,  flexile  Fäden  können  Schleifen, 
Fig.  5  C ;  Fig.  6  E  und  F ;  Fig.  9  F,  bilden,  wobei  eine  Knickung 
durch  die  Flexilität  der  Membran  und  die  Cohaerenz  der  Gallert- 
hülle verhindert  wird.  Statt  eine  einfache  Schleife  zu  bilden,  kann 
sich  aber  auch  der  Faden  am  älteren  Theile  peitschenschnurartig 
aufwinden,  Fig.  16  N;  Fig.  5  C;  Fig.  6  G;  Fig.  9  F.  Diese  Um- 
schlingungen, früher  als  Form-Gattung  Spirulina  genannt,  finden 
sich  auch  bei  Fäden,  welche,  wenn  sie  frei  vorkommen,  nicht  eine 
-  Spur  einer  schraubigen  Windung  zeigen ;  ich  habe  sie  bei  ächten 
Bacillen,  z.  B.  bei  b.  anthracis  und  bei  Spirochaeten,  gefunden,  bei 
relativ  einförmigen  ebenso  gut  gesehen  wie  bei  entschieden  pleo- 
morphen Arten. 

Die  Bildung  dieser  Form  schien  mir  wesentlich  von  mechanischen 
Momenten  abzuhängen  und  zwar  einmal  von  einer  entschiedenen 
Flexilität  des  Fadens,  dann  besonders  von  Eigenthümlichkeiten  des 
Nährbodens.    Besonders  häufig  fand  ich  sie  bei  Bakterien,  welche 


102 


Wuchsformen  der  Bakterien. 


die  Gelatine  nur  langsam  verflössigten  oder  erweichten,  so  dass 
einerseits  die  uichtalterirte  Gelatine  dem  directen  Weiterwachsen  ein 
Hinderniss  bot,  wodurch  der  Faden  aus  seiner  ursprünglichen  Wachs- 
thumsrichtung abgelenkt  wurde,  während  andererseits  der  abgelenkte 
Faden  in  dem  schon  alterirten  Theile  der  Gelatine  keine  weitereu 
Hindernisse  zu  überwinden  hatte.  Je  nach  der  Kichtung  in 
der  der  zurückkehrende  Faden  den  ursprünglichen  traf  oder  kreuzte, 
bildete  sich  dann  einfach  eine  Schleife  oder  die  Berührung  wurde, 
unterstützt  durch  den  innigen  Contact  der  Gallerthüllen,  eine  innigere 
und  der  eine  Faden  rankte  sich  wie  an  einer  Stütze  an  dem  anderen 
auf.  Für  diese  Auffassung  kann  ich  weiter  anführen,  dass  in  Lösungen 
solche  Umschlingimgen  von  Anderen  und  mir  nur  bei  schraubigen 
Fäden  beobachtet  wurden.  Der  Werth  dieser  Form  hat  auf  jeden 
Fall  mit  derartigen  Beobachtungen  jede  besondere  Bedeutung  verloren. 

Bei  flexilen  Fäden  kann  es  zu  vollständigen  Knäueln  kommen, 
Fig.  G  E,  F.  Aber  auch  an  einzelnen  Fäden  sieht  man  bisweilen 
verschiedene  Schraubenformen  vertreten.  Fig.  5  A,  B;  Fig.  9  D,  E. 

Bisweilen  zeigen  die  Fäden  einen  Gegensatz  von  Basis  und 
Spitze,  indem'das  eine  Ende  an  einen  festen  Körper  anhaftet,  während 
das  andere  frei  in  die  Flüssigkeit  hineinragt.  Bei  Cladothrix, 
Fig.  5  A,  kommt  sogar  eine  eigenthümliche  Verästelung,  auch  über- 
flüssiger Weise  als  falsche  oder  Pseudoverzweigung  beschrieben,  vor, 
indem  ein  Glied  aus  der  ursprünglichen  Wachsthumsrichtung  aus- 
weicht und  in  dieser  neuen  Eichtung  neben  dem  ursprünglichen 
Faden  weiterwächst. 

Nach  meiner  Darstellung  soll  man  als  Stäbchen  und  Schrau- 
benstäbchen nur  Einzelzellen  bezeichnen,  während  Faden  immer 
einen  Verband  von  Einzelzellen  bezeichnet.  So  gut  sich  dies  auch 
theoretisch  motiviren  lässt,  so  schwierig  kann  es  praktisch  bisweilen 
sein,  diese  .  Grenze  genau  zu  erkennen.  Ehrenberg,  Perty, 
Nägeli  und  seine  Schüler  sind  theoretisch  ganz  sicher,  dass 
eigentlich  alle  Bakterien  resp.  Fäden  aus  isodiametrischen  Gliedern 
bestehen.  Faktisch  hat  aber  Buchner  trotz  dieser  bequemen 
Theorie  selbst  ermittelt,  dass  sogar  ziemlich  lange  einzellige  Stäbchen 
vorkommen  können  und  alle  nicht  voreingenommenen  Forscher  haben 
beobachtet,  dass  mindestens  noch  Glieder  zweifellos  einzellig  sein 


Wuchsformen  der  Bakterien. 


103 


können,  welche  viermal  so  lang  wie  breit  sind,  und  Kurth  verwahrt 
sieh  sehr  entschieden  gegen  die  N  ä  g  e  1  i '  sehe  Annahme.  Man  findet, 
auch  mit  den  zur  Darstellung  der  Gliederung  zuverlässigsten  Reagentien, 
nach  Arten  und  Entwicklungsstadien  schwankend, 
längere  und  kürzere  Glieder.  Auf  der  anderen  Seite  hat 
man  sich  aber  auch  zu  hüten,  aus  dem  bei  Vermeidung  von  Eeagentien 
scheinbar  einheitlichen  Eindrucke  auf  Einzelligkeit  zu  schliessen, 
Cohn  hat  sich  zwar  bei  den  Fadenbakterien  gegen  diesen  Jrrthum 
leidlich  geschützt,  bei  seinen  Schraubenbakterien  aber  nicht  in  gleicher 
W  eise.  Der  Grund  zu  der  Annahme,  dass  auch  längere  Fäden  ein- 
heitlich sein  können,  liegt  darin,  dass  spontan  längere  Stäbchen, 
Fig.  1  E,  oder  flache  Schrauben,  Fig.  1  F,  oder  stärker  gewundene 
Schrauben,  Fig.  15  D,  wenn  sie  eine  gewisse  Länge  erreicht  haben, 
an  der  ältesten  Gliederungsstelle  die  Theilung  eintreten  lassen,  so 
dass  man  leicht  darauf  verfallen  kann,  das  überhaupt  erfolgende 
spontane  Eintreten  einer  Theilung  als  Zeichen  anzusehen,  dass  vor- 
her keinerlei  Gliederung  bestand. 

Wenn  man  demnach  nur  nach  dem  ersten  Eindrucke  von  Stäbchen 
und  Schrauben  spricht,  kann  es  sich  nur  um  den  Eindruck  solcher 
Gebilde,  um  den  Habitus  ein  druck  von  Stäbchen  und  Schrauben 
handeln.  Durch  eine  besondere  Untersuchung  ist  für  jeden  Fall  zu 
ermitteln,  ob  ein  derartiges  Stäbchen  oder  eine  Schraube  wirklich 
als  Stäbchen  oder  Schraubenstäbchend.  h.  als  einzellig 
oder  ob  es  als  Faden  d.  h.  als  mehrzellig  zu  betrachten  ist. 

B.  Die  Vermehrung  der  Zel- 
len erfolgt  nicht  in  einer  ein- 
zigen, sondern  in  zwei  aufeinander  a 
senkrechten  Richtungen  und  es 
entstehen  successive,  Fig.  17  A,  * 
die  Stadien  a  bis  e,  so  dass  die 
Höhe  des  Formverbandes  durch 
4  in  ein  er  Fläche  verbun- 
dene Zellen,  e,  eine  Tetrade,  dargestellt  wird. 

C.  Bisweilen  erfolgt  noch  eine  weitere  Vermehrung  in  einer 
dritten  Richtung,  so  dass  als  Höhestadium  des  Verbandes  8  packet- 


104 


Wuchsformen  der  Bakterien. 


förmig  nach  drei  Dimensionen  des  Raumes  angeordnete 
Zellen,  Fig.  17  B,  f,  resultiren. 

Bisweilen  findet  man  als  Zwischenstadiiim  die  Tetrade  mit  ganz 
imdeutlicheu  Grenzen,  B,  e,  und  hat  darin  eine  besondere  „Theilung 
über's  Kreuz  durch  Scheidewände,  die  aufeinander  senkrecht  stehen" 
erblickt.  Soweit  ich  dies  beobachten  konnte,  zeigt  das  Auftreten 
dieser  Form  nur  eine  festere  Vereinigung  der  Zellanordnung  d,  und 
mit  Reagentien  und  Anilinfarben  konnte  ich  meist  die  Zellgrenzen 
wieder  deutlich  machen,  so  dass  ich  geneigt  bin,  diese  Form  auf 
eine  Vergallertung  der  trennenden  Zellmembranen  zurückzuführen, 
durch  welche  schliesslich  auch  die  Packete  zerfallen.  Auch  bei  den 
Packeten  von  8  Zellen,  Fig  20  B,  c,  kommen  schnell  die  Waarenballen 
ähnlichen  Formen,  Fig.  20  B,  e,  zu  Stande.  Bisweilen  schon  ohne 
weitere  Präparation,  oft  erst  nach  Einwirkung  von  Reagentien  lösen 
sich  aber  die  Packete  der  Form  e  in  die  der  Form  d  auf.  Ich 
halte  danach  die  in  d  erscheinenden  Kügelchen  für  dieselben  wie  c 
und  fasse  das  grössere  Packet  auf,  als  durch  geringe  Quellung  der 
Gallertmembranen  entstanden,  wodurch  die  einzelnen  Zellgrenzen 
undeutlich  geworden  sind.  In  den  Kügelchen  von  d  Kerne  zu  sehen, 
widerspricht  unseren  anderweitigen  Erfahrungen  zu  schroff. 

Geht  die  Quellung  der  Membranen  der  Tetrade,  Fig.  17  B,  e, 
noch  weiter,  so  zerfällt  dieselbe,  die  einzelnen  Zellen  werden  frei 
und  es  wiederholt  sich  die  Entwicklungsreihe,  Fig.  17  A,  a  bis  e; 
dasselbe  geschieht,  wenn  die  Quellung  des  Packets,  Fig  20  B,  d, 
so  weit  geht,  dass  der  Verband  gelockert  wird.  Bei  der  Vermehrung 
können  schliesslich  aus  einer  Tetrad^e  grosse  Tafeln,  Fig.  20  A,  ent- 
stehen, in  denen  immer  je  4  Zellen  fester  vereinigt  sind,  oder  grössere 
Packete,  in  denen  immer  je  8  Zellen  eine  festere  Verbindung  zeigen. 

D.  Häufiger  kommt  es  vor,  dass  die  Zellen  bei  der  Theilung 
sich  nicht  so  characteristisch  anordnen,  sondern  un regelmässige 
Gruppirungen,  Haufen  bilden.  In  solchen  Haufen,  Fig.  17  C, 
sieht  man  bisweilen  kleine  Ketten,  oder  auch  Tetraden,  selbst  ein- 
mal Packete,  aber  es  fehlt  die  Regelmässigkeit,  meist  vermisst  man 
jede  eharacteristische  Anordnung.  Die  Figuren,  welche  auf  diese 
"Weise  von  der  Kokkenform  im  Gewebe  bisweilen  gebildet  werden 


Wuchsfornien  der  Bakterien. 


105 


können,  hat  Ogston^)  mit  Trauben  verglichen  und  deshalb  auch 
von  einem  besonderen  Staphylokokkus  gesprochen.  Auch  bei  der 
Stäbchenform,  Fig.  17  D,  E,  kommt  es  zu  unregelmässigen  Grup- 
pirungen,  neben  denen  man  bisweilen  auch  Ansätze  zur  Fadenbil- 
dung findet. 

Eine  absolute  Grenze  zwischen  den  einzelnen  Gruppen  A  bis  D 
ist  nicht  zu  ziehen  und  theoretisch  kann  man  sie  leicht  untereinander 
verknüpfen.  Besonders  ist  die  Grenze  zwischen  den  Fäden  und  den 
Haufen  nicht  so  scharf,  wie  man  sie  früher  ziehen  wollte.  Wenn 
Fäden  sich  gliedern,  wachsen  die  Theilstücke  bald  in  derselben  Sich- 
tung zu  parallelen  Fäden  aus,  aber  es  können  sich  auch  unregel- 
mässigere  Anordnungen  einstellen.  Die  einzelneu  dieser  Verbindungs- 
weisen bezeichnen  keine  starren  Wuchsformen,  sondern  sind  zum 
Theil  in  ihrem  Entstehen  abhängig  von  Aussenbedingungen  und 
gehen  zum  Theil  unmerklich  ineinander  über.  Ich  halte  es  deshalb 
beim  gegenwärtigen  Zustande  unserer  Kenntnisse  für  richtiger,  die 
Verbindungsweisen  der  Einzelzellen  in  jedem  einzelnen  Falle  ebenso 
wie  die  Formen  der  Einzelzellen  zu  beschreiben,  aber  besondere 
Namen  zum  vermeiden.  Die  Bezeichnungen  Torula,  Leptothrix,  Myco- 
thrix,  Spirulina,  Merismopedia,  Sarcina,  Streptokokkus,  Staphylo- 
kokkus führen  nur  zu  Verwirrungen,  wenn  man  sie  als  Namen  für 
bestimmte  Formen  oder  Formverbände  gebraucht,  und  dies  um  so 
mehr,  als  einzelne  dieser  Namen  immer  nebenbei  auch  als  Gattungs- 
namen gebraucht  wurden  und  in  diesem  Sinne  auch  jetzt  noch  un- 
entbehrlich sind. 

Da  aber  auf  der  anderen  Seite  nicht  verkannt  werden  kann, 
dass  der  Verbindungs weise  der  Zellen  zu  Ketten,  Fäden,  Tetraden, 
Packeten  eine  gewisse  Gesetzmässigkeit  zukommt,  genügt  es  voll- 
ständig, dieselbe  in  den  4  geschilderten  grossen  Gruppen  zum  Aus- 
drucke zu  bringen,  weil  sich  darin  die  zur  Beobachtung  kommende 
Constanz  genügend  zu  erkennen  giebt. 

IV.  Sowohl  bei  den  Einzelzellen  als  den  Verbänden  derselben 
treten  bisweilen  Formen  auf,  welche  die  Formkreise  wesentlich  ver- 
mehren würden,  wenn  nicht  gute  Gründe  zur  Annahme  vorhanden 

1)  Jouinal  of  anatomy  and  physiology,  1882,  Bd.  XVI,  S.  526;  Bd.  XVII,  S.  24. 


106 


Wuchsformen  der  Bakterien. 


Wären,  dass  diese  Formen  pathologische  sind,  dass  sie  als  Zerfalls- 
prodiicte  niul  Deg-eiieratioiisfonneii  aufgefasst  werden  müssen. 

Die  Fig.  18  zeigt  eine  Keihe  hierher  gehöriger  Formen,  welche 
verschiedene  Gattungen  der  Bakterien  betreffen.  A  giebt  nach 
M  a  d  d  0  X  ^)  solche  degenerirte  Formen  von  Milchsäurebäkterien ; 

Fig.  18. 


B  nach  Prazmowski  von  Clostridium  polymyxa;  C  stellt  Formen 
von  Bakterium  Zopfii  nach  Kurth:  D  von  Bacillus  subtilis  und  E 
von  Bacillus  anthracis  nach  Buchner;  F  von  Vibrio  rugula  nach 
Warming  vor  und  G  giebt  eine  Reihe  von  van  Ermengem  und 
mir  bei  den  Kommabacillen  der  Cholera  asiatica  beobachteten  sicher 
degenerirteu  und  entwicklungsunfähigen  Formen. 

Nach  C.  E.  Hansen 2)  treten  bei  der  Entwicklung  des  Bak- 
terium aceti  neben  den  ganz  kurzcylindrischen,  fast  ellipsoideu  Gliedern 
in  gewissen  Entwicklungsstadien   ziemlich  regelmässig  ki'äftigere 

1)  Journal  of  the  Eo3'^al  Microscopical  Society  1885,  Ser.  II,  Vol.  V,  S.  205. 

2)  Meddelelser  fra  Carlsberg  Laboratoriet,  Bd.  1,  1882  (Heft  2,  1879). 


Wuchsformen  der  Bakterien. 


107 


Stäbchen  und  aufgetriebene  Glieder  auf.  Es  ist  deshalb  nicht  iin- 
möglicli,  dass  manches,  was  auf  den  ersten  Blick  den  Eindruclc  einer 
ßückbildungs-  oder  Degenerationsform  macht,  bei  einzelnen  Arten 
in  die  normale  Entwicklung  hineingehört.  Dass  manche  Formab- 
weichungen, welche  bis  jetzt  noch  nicht  besprochen  sind,  bei  der 
normalen  Entwicklung  vorkommen,  wird  bei  der  Fructification  noch 
gezeigt  werden  und  da  Hansen  seinerseits  geneigt  ist,  etwas  Ähn- 
liches bei  Bakterium  aceti  anzunehmen,  wird  man  gut  thun  aus 
der  Form  allein  nicht  ohne  Weiteres  auf  eine  Degenerationsform  zu 
schliessen. 

In  den  von  mir  genauer  untersuchten  Fällen,  welche  Bacillus 
anthracis,  die  sogenannten  Kommabacillen,  und  die  Bakterien  der 
blauen  Milch  betreffen,  hatten  derartige  Formen  keine  weitere  Eolle, 
sondern  sie  waren  wirklich  entwicklungsunfähig  und  wenn  aus  der- 
artigen Kultaren  wieder  neue  Generationen  entstanden,  war  kein 
Zweifel,  dass  Sporen  oder  einige  noch  nicht  degenerirte  Formen  die- 
selben einleiteten. 

In  vielen  Fällen  ist  aber  noch  eine  genauere  Prüfung  erforder- 
lich, besonders  mit  Rücksicht  darauf,  ob  das  Eintreten  von  ähnlichen 
Formabweichungen  als  Vorb er eitung  einer  besonderen 
Fructification  aufzufassen  ist  oder  ob  und  inwieweit  derartige 
Formen  vielleicht  als  besondere  G  ährungsf  ormen  zu  be- 
trachten sind.    Morphologisch  sind  die  zweifellosen  Degenerations- 
formen durch  die  Tendenz  charakterisirt  unter  Wasseraufnahme  und 
Protoplasmaaustritt  zu  quellen  und  dabei,  soweit  dies  die  Membran 
zulässt,  Kugelform  anzunehmen.  Bei  den  Einzelzellen,  Fig.  18  G  d,  e,  f 
und  bei  D,  ist  dies  deutlicher  als  bei  den  Fäden,  bei  denen  die 
einzelnen  Stücke  der  Membran  oder  genauer  die  Membranen  der 
einzelnen  Glieder  verschiedene  Widerstände  bieten,  so  dass  man 
neben  ganz  aufgetriebenen  auch  mehr  normale  Strecken  hat.  Da 
das  Eintreten  der  Kugelform  wesentlich  auf  ein  mechanisches  Moment, 
das  Quellen  durch  Wassereintritt,  zurückzuführen  ist,  halte  ich  es 
für  ganz  verfehlt,  aus  derartigen  pathologischen  Formen,  wie 
Buchneri)  es  versucht,  den  Schluss  zu  stützen,  dass  die  normalen 
Bakterien  und  Fäden  aus  isodiametrischen  Gliedern  bestehen. 

1)  Nägeli,  Untersuchungen  niederer  Pilze  1882,  S,  217. 


108 


Wuchsformen  der  Bakterien. 


V 

/ 
I 

\ 
\ 

V 


Neben  derartigen  Degenerationsformen  findet  sich  bisweilen 
auch  ein  körniger  Zerfall  als  besondere  Form  der 
regressiven  Metamorphose.  Während  Zopf,  Fig.  19  A,  bei 
der  Entwicklung  der  Srnnpfspirochaete  einen  regelmässigen  typischen 
Zerfall,  erst  in  längere  Stäbchen,  dann  in  kürzere  Stäbchen  be- 
schreibt, die  schliesslich  in  je  zwei  kuglige  Zellen  zerfallen,  so  dass 
schliesslich  eine  Reihe  von  Kugeln  entsteht,  von  denen  je  zwei 
dichter  beisammen  liegen,  hatte  ich  bei  meinen  Untersuchungen  über 
die  Entwicklung  und  Gliederung  der  schraubigen  Fäden  der  Komma- 
bacillen^)  eine  derartige  Regelmässigkeit  nicht  gefunden,  sondern 

nur  ermittelt,  dass  die  Fäden,  B,  bei 
,  der  spontanen  Fragmentirung  zum 

Theil  in  die  einzelnen  Schrauben- 
stäbchen zerfallen,  zum  Theil  aber 
auch  noch  kleinere  Fadenstückchen 
erhalten  bleiben ;  der  Faden  zerbrach 
in  keinem  Falle  erst  in  längere  Glie- 
der, aus  deren  weiterer,  regelmässiger 
Gliederung  erst  die  Schraubenstäbchen 
hervorgingen.  Bisweilen,  C,  sah  ich  aber  scheinbar  die  Gliederung  auf 
kleinere  oder  grössere  Strecken  eines  Fadens  fortschreiten  und  es  bilde- 
ten sich  Reihen  von  Körnern,  welche  mit  den  Kokkenketten  von  Z  o  p  f 
grosse  Aehnlichkeit  hatten,  aber  abgestorben  und  entwicklungsunfahig 
waren.  Auch  bei  Bacillen  habe  ich  eine  derartige  körnige  regressive 
Metamorphose  gesehen.  Eine  regelmässige  Gliederung  von  Schi-auben 
und  Stäbchen  in  kuglige  Glieder,  welche  er  Gonidien  nannte,  hatte 
übrigens  Cohn  bereits  1877  unter  Verhältnissen  beobachtet,  welche 
nichts  mit  körniger,  regressiver  Metamorphose  zu  thun  hatten. 

Ferner  giebt  es  in  der  normalen  Entwicklung  der  Bakterien 
besondere  Fructificationsformen  und  Dauerzellen,  welche  sich  vor- 
wiegend in  ähnlicher  Form  wie  Kokken  repräsentiren.  Damit  haben 
wir  Material  gewonnen,  um  zu  unterscheiden,  was  man  nun  im 
engereu  Sinne  Kokkenformen  oder  Kokken  nennen  soll.  Der  bis- 
herige laxe  Sprachgebrauch,  gegen  den  ich  mich  früher  schon ^) 

1)  Portschritte  der  Mediciu,  HL  1885,  No.  19. 
«)  Fortschritte  der  Medicin,  I,  1883,  S.  206. 


Wuchsformen  der  Bakterien. 


109 


Zopf  gegenüber  ausgesprochen  habe,  nennt  bei  Bakterien  jedes 
knglige  oder  ellipsoide  Gebilde  Kokkiis,  höchstens  mit  Ausnahme 
der  endogenen  Sporen.  Wenn  man  aber  so  verfahren  will,  ist  die 
Confusion  ganz  mivermeidlich  und  man  kann  es  dann  kaum  Je- 
manden übelnehmen,  wenn  er  die  Protoplasmakügelchen  der  Mast- 
zellen auch  Kokken  nennen  will. 

Wir  haben  von  den  Kokken  streng  auszuschliessen  alle  I'ructi- 
hcations-  und  Dauerzellen,  mögen  sie  morphologisch  noch  so  ähnlich 
sein,  ferner  alle  Degenerations-  und  Zerfallsformen.  Die  Kokkenform 
oder  der  Kokkus  ist  eine  normale,  vegetative,  direct  als  solche 
theilungs-  und  vermehrungsfähige  Form. 


Fig.  20. 


V,  Sowohl  die  Einzelzellen  als  die  Formverbände  derselben 
können  durch  die  aufquellenden  Schichten  der  Membran  zusammen- 
gehalten kleinere  oder  grössere  Schleimfamilien,  Gallertstöcke, 
Palmella  oder  Zoogloea  bilden  (cfr.  S.  75).  Nach  de  Bary's^) 
Zusammenfassung  stellen  dieselben  Je  nach  Speeles  und  Kulturform 
gelatinöse  Schichten  oder  Häute  dar,  welche  die  Oberfläche  des  festen 
oder  flüssigen  Substrats  bedecken,  oder  aber,  in  Flüssigkeit  suspen- 
dirt,  klumpige,  nicht  selten  lappig  verzweigte  Massen  verschieden- 
artigster Form.  Die  gallertigen  Zellmembranen  sind  in  ihnen  ent- 
weder in  eine  homogene  Masse  zusammengeflossen,  oder  nach  den 
Einzelzellen  und  Specialverbänden  geschichtet." 

1)  Vergleichende  Morphologie  und  Biologie  der  Pilze,  1884,  S.  495. 


110 


Wuchsformen  der  Bakterien. 


Als  besondere  Specialverbände  trifft  man  in  grösseren  Zoogloeeu 
die'  Fädeil,  ferner  die  Tetraden,  Fig.  20  A,  die  Packete,  Fig.  20  B; 
man  beobachtet  dabei  neben  diesen  Formen  auch  meist  die  ver- 
schiedenen üebevgangsformen,  doch  sind  im  Allgemeinen  die  Ver- 
bände gut  ausgesprochen,  weil  die  Zoogloea  als  eine  ßuheform  nicht 
zu  schnellen  Veränderungen  führt.  Ein  anderer  auffallender  Special- 
verband wird  durch  Askokokkus,  Fig.  IIA,  repräsentirt.  In  dieser 
Zoogloea  sind  schon  makroskopisch  kuglige  oder  ovale  Körperchen 
a,  b  zu  erkennen,  welche  mikroskopisch  aus  haufenweise  angeordneten 
Kokkenballen  bestehen,  welche  durch  eine  resistente  Gallerte  von 
fast  knorpelartiger  Consistenz  umgeben  und  von  den  anderen  Theilen 
c  der  Kokkenzoogloea  etwas  getrennt  sind.  Bei  der  Kokkenform 
von  ßeggiatoa  roseo-persicina  bilden  sich  solide  maulbeerförmige 
Zellanhäufungen,  welche  oft  durch  Aufnahme  von  Wasser  zunächst 
zu  Hohlkugeln  werden,  deren  Wand  von  einer  einfachen  Schicht 
kugliger  Zellen  gebildet  wird,  ßeisst  diese  Schicht  ein,  so  bilden 
sich  Holilnetze  oder  netzförmige  Zoogloeen,  Fig.  IIB. 

Bei  einzelnen  Bakterien  ist  die  kuglige  oder  stäbchenförmige 
Zelle  von  einer  Kapsel,  Fig.  20  C,  umgeben,  welche  annähernd  die 
Form  zeigt  wie  die  eingeschlossene  Zelle.  Schon  bei  derartigen 
Kapselbildungen  erfolgt  nicht  immer  sofort  nach  der  Theilung  der 
Zellen  auch  eine  Theilung  der  Kapseln,  sondern  man  findet  auch 
längere  Kapseln  D,  welche  mehrere  Zellen  in  verschiedene  Entwick- 
lungsstadien umschliessen  können  und  gerade  in  solchen  Kapseln 
sieht  man  sehr  häufig  die  bereits  in  Fig.  13  (24-  29)  schematisch 
dargestellte  Bildung  und  Auflösung  von  Pseudostäbchen. 

Die  Bildung  der  bei  Leuconostoc  vorhandenen  Zoogloeaform 
zeigt  die  Fig.  20  E  bis  H,  Nach  van  Tieghem^)  zerreisst  erst 
die  äussere  Membran  der  Spore  E,  dann  hebt  sich  unter  starker 
Vergallertung  eine  zweite  Membran  ab,  so  dass  die  Zelle  bei  a  von 
einer  Gallerthülle  umgeben  ist,  dann  verlängert  sich  die  Zelle,  theilt 
sich,  während  die  Gallerthülle  die  sämmtlichen  Zellen  umfasst,  so 
dass  sich  successive  die  Formen  von  F  und  G  bilden.  In  diesen 
Gallertmassen  sind  die  Zellen  immer  in  Keihen  angeordnet,  bald 


1}  Aniiales  des  Sciences  naturelles,  Botaniquc,  T.  A^ll,  1S78,  S.  191. 


Wuclisiuruicii  dei'  Balvtcrien. 


III 


Avie  bei  G  etwas  mehr  von  einander  entfernt,  bald  wie  bei  H  rosen- 
kranzförniig  angeordnet.  Benachbarte  Gallertschläuche  berühren  sich, 
verschmelzen  mit  einander  nnd  es  entstehen  grosse,  knorpelharte, 
Froschlaich  ähnliche  Massen,  in  denen  Ketten  der  Kokkenform  ein- 
gebettet sind.  Erst  bei  Erschöpfung  des  Nährbodens  nimmt  die 
Consistenz  der  Zoogloea  ab,  die  Massen  zerfliessen  und  die  einge- 
schlossenen Zellen  können  wieder  frei  werden. 

Eine  ebenso  auffallende  Zoogloeaform  bilden  die  Kefirkörner  ^). 
Dieselben  stellen  höckerige  oder  warzige,  blumenkohlähnliche,  weisse 
Körner  von  Hirsekorn-  bis  zu  Wallnussgi-össe  dar,  welche  von  zäher 
elastisch-praller  und  in  trocknem  Zustande  von  knorpelartiger  Con- 
sistenz sind.  In  dieser  Zoogloea  befinden  sich  Stäbchenbakterien  in 
Eadenform,  Milchsäurebakterien  und  ein  Sprosspilz  oder  Hefeform 
vereinigt.  An  der  Form  der  Zoogloea  haben  die  Stäbchenbakterien 
den  hervorragendsten  Antheil,  so  dass  morphologisch  die  anderen 
Formen  zurücktreten,  während  biologisch  eine  hochinteressante 
Symbiose  vorliegt,  da  keine  der  Arten  ohne  die  andere  die  volle 
Wirkung  zu  entfalten  vermag. 

Die  in  Fig.  20  J  und  K  dargestellte  Form  einer  Zoogloea  wurde 
früher  als  Gattung  Myconostoc  beschrieben;  bei  dem  Zerfalle  der 
gewundenen,  bisweilen  mehr  spiralig  angeordneten  Fäden  machen  die 
Zerfallsproducte  den  Eindruck  von  bald  mehr  geraden,  bald  von 
deutlichen  schraubigen  Stäbchen,  so  dass  höchst  wahrscheinlich  nur 
eine  Zoogloea  einer  vielleicht  pleomorphen  Art  vorliegt,  deren  übrige 
Formen  noch  nicht  sicher  bekannt  sind.  Die  Umhüllung  der  Fäden 
wird  von  einer  ähnlichen  Gallerthülle  gebildet  wie  bei  Askokokkus. 

Aus  diesen  Angaben  über  die  wichtigsten  Formen  der  Zoogloea 
und  aus  den  früheren  Mittheilungen  über  den  allgemeinen  Formwerth 
der  Zoogloea,  S.  83,  ergiebt  sich,  dass  die  einzelnen  Erscheinungsformen 
der  Zoogloea  unter  einander  nur  quantitativ  unterschieden  sind  und 
sich  bei  genauerem  Studium  immer  mehr  TJebergangsformen  heraus- 
gestellt haben.    Das  charakteristischste  in  der  Zoogloea  ist  nicht 

')  Kern,  Botanische  Zeitung,  1882,  S.  264:  Hueppc,  Deutsche  med. 
Wochenschrift,  1884,  No.  48;  de  Bary,  Vorlesungen  über  BaJvterien,  1885,  S.  10 
und  S.  76,  kommt  zu  ähnlichen  Anschauungen,  wie  ich  sie  1.  c.  gegeben  habe. 


112 


Wuchsformen  der  Bakterien. 


die  äussere,  durch  mechanische  und  chemische  Einflüsse  in  hohem 
Grade  bestimmbare,  Erscheinungsform,  welche  man  früher  selbst  zu 
Gattungsabgrenzungen  für  genügend  hielt,  sondern  in  erheblich 
höherem  Grade  die  Anordnung  der  Zellen  in  der  Zoogloea.  Der 
Werth  der  Wuchsform  Zoogloea  deckt  sich  deshalb  im  Wesentlichen 
für  Gattungs-  und  Artbestimmungen  mit  dem  Werthe,  welchen  die 
mehr  oder  weniger  charakteristische  Verbindungsweise  der  Einzel- 
zellen zur  Gattungs-  und  Artabgrenzung  besitzt.  Aus  diesem 
Grunde  ist  es  auch  ganz  überflüssig  und  verwirrend  die  verschie- 
denen Formen  der  Zoogloea  mit  besonderen  Namen  zu  belegen  und 
es  widerspricht  schon  unserem  jetzigen  Wissen  nur  nach  der  Form  der 
Zoogloea  noch  länger  Gattungen  wie  Askokokkus,  Clathrocystis, 
Leuconostoc,  Zoogloea  ramigera,  Myconostoc  aufrecht  zu  halten. 

Kann  man  mit  den  bisher  betrachteten  Formmerkmalen  Gat- 
tungen und  Arten  unter  den  Bakterien  unterscheiden?  Nägeli 
hatte  eine  derartige  Möglichkeit  priucipiell  geleugnet  und  Cohn 
hatte  nur  seine  Gattungen  für  natürliche  gehalten,  während  er  nur 
nach  Formmerkmalen  bestimmte  Arten  als  Formarten  angesehen  wissen 
wollte.  Gegenüber  den  wenigen  Formmerkmalen,  welche  Cohn  be- 
rücksichtigen konnte,  haben  Koch  und  seine  Schüler  durch  Kultur 
unter  den  verschiedensten  Bedingungen  die  Zahl  der  Formmerkmale 
erheblich  vermehrt  und  eingehend  gezeigt,  dass  unter  Berück- 
sichtigung der  auf  diese  Weise  wahrnehmbaren  Formeigenthümlich-r 
keiten  rein  morphologisch  in  ausgedehnter  Weise  Differenzen  unter 
den  verschiedenen  Bakterien  zu  erkennen  sind.  Ferner  zeigte  sich,  dass 
nicht  alle  Formmerkmale  gleichwerthig  sind,  sondern  dass  nach 
meiner  Auffassung  die  Einzelformen  in  ihrer  eigenthümlichen  Con- 
stanz  unter  gleichbleibenden  Bedingungen,  in  der  Breite  der  Variabilität 
bei  geänderten  Bedingungen,  auf  primäre  Artunterschiede  der  Bak- 
terien hinweisen.  Von  den  anderen  Formen  schien  mir  wieder  die 
Verbindungsweise  der  einzelnen  Zellen  ein  relativ  constantes  Merk- 
mal, wenn  man  das  Entwicklungsstadium  berücksichtigt,  während 
ich  für  wirkliche  Artbestimmungen  die  Zoogloea  an  sich  als  zu 
inconstant  betrachten  musste.  Aus  früher  schon  dargelegten  Grün- 
den hat  sich  trotzdem  aber  die  Form  der  Zoogloea  gerade  zur  schnel- 
len Orientirung  und  Differentialdiagnose  als  besonders  werthvoll 


Fructification  der  Bakterien. 


113 


herausgestellt,  wobei  allerdings  nicht  zu  übersehen  ist,  dass  bei  der 
Zoogloea  die  Form  der  Einzelzellen  und  ihrer  Verbände  immer  gleich- 
zeitig mit  berücksichtigt  wird. 

Wenn  man  aber  auch  alle  Wuchsformen  der  Einzel- 
zellen und  ihre  Verbände  unter  gleichbleibenden  und 
unter  variirten  Bedingungen  berücksichtigt,  so  vermag  man 
doch  nur  eine  Summe  von  specifischen  Merkmalen  anzu- 
geben, welche  zunächst  nur  zur  Abgrenzung  von  Formarten  ge- 
nügt.  Da  aber  mit  Zunahme  der  Zahl  der  Formmerkmale  unter 
■  denselben  auch   mit  grösserer  Wahrscheinlichkeit  primäre  Form- 
!  merkmale  erwartet  werden  dürfen,  werden  auf  diese  Weise  kenntlich 
:  gemachte  Formarten  den  ächten  Arten  auf  jeden  Fall  näher  kommen 
als  es  bei  den  Formarten  der  Fall  sein  konnte,  wie  sie  Cohn  1872 
■provisorisch  abzugrenzen  versuchte. 

Aber  darüber  darf  man  sich  trotz  aller  Fortschritte  im  Ein- 
:  zelnen  nicht  täuschen,  dass  im  Princip  diese  Artbestimmung  dieselbe 
ist,  wie  Cohn  und  Schröter  sie  bereits  1872  durchgeführt  haben, 
als  sie  alle  ihnen  bekannten  Formmerkmale  zur  Bestimmung  von 
Gattungen  imd  Arten  erforderlich  erklärten. 


X. 

Fructification  der  Bakterien. 

Zum  endgültigen  Beweise,  dass  eine  durch  die  Summe  ihrer 
bekannten  Wuchsformen  bestimmte  Art  nicht  nur  wahrscheinlich, 
sondern  wirklich  eine  ächte  naturhistorische  Art  ist,  gehört 
die  Kenntniss  der  Fructification,  welche  erst  das  Wissen  über 
■die  Wuchsformen  und  die  Entwicklung  wissenschaftlich  abschliesst. 

Die  erste  Angabe  von  Sporen  bei  Organismen,  welche  zu  den 
Bakterien  gerechnet  wurden,  verdankt  man  Perty.      Die  Gattung 
.Sporonema,  welche  er  aufstellte,  soll  nach  ihm  im  Gegensatze  zu 

1)  Zur  Kenntniss  kleinster  Lebensformen,  1852,  S.  181. 

Hueppe,  Formen  der  Bakterien.  q 


114 


Fructification  der  Bakterien. 


den  meist  deutlich  gegliederten  Fäden  der  Gattung  Metallacter 
(Bacillus),  cylindrische,  ungegliederte,  scheinbar  hohle  Fäden  besitzen 
und  „der  Faden  schliesst  an  einem  Ende  (selten  an  beiden)  ein, 
manchmal  auch  zwei  elliptische  Körperchen  (wohl  Sporen)  ein". 
Die  elliptischen  Sporen,  Fig.  21  A,  sind  meist  etwas  kleiner  als  die 
Zelle:  „es  giebt  solche,  wo  die  Spore  breiter  ist  als  der  Faden, 
daher  diesen  etwas  auseinander  treibt«.  Aehnliche  Gebilde,  welche 
er  allerdings  nicht  ausdrücklich  als  Sporen  beschreibt,  aber  in  auf- 
fallend ähnlicher  Weise,  Fig.  21  B,  zeichnet,  wie  Prazmowski 
später  die  Sporen  von  Vibrio  rugula,  Fig.  22  G  d,  finden  sich  bei 
einer  als  Spirillum  undula  beschriebenen  Art. 


Bakterien  Körperchen,  welche  stärker  lichtbrechend  waren  als  der 
Eest  des  Bakterienkörpers,  und  die  er  deshalb  auch  mit  Kernen 
verglich.  Diese  Körperchen  waren  aber  auch  Aviderstaudsfähiger  als 
die  Vibrionen  selbst,  so  dass  Pasteur  die  Bildung  der  Körperchen 
als  eine  Art  Parthenogenesis  der  Vibrionen  bezeichnete.  Was 
Pasteur  entgangen  war,  war  der  Nachweis,  dass  diese  Körperchen 
auch  wirklich  auskeimen  können ,  also  auch  morphologisch  ächte 
Sporen  sind. 

Schon  1824  hatte  Bory  de  St.  Vincent  die  Beobachtung 
gemacht,  dass  todter  „Vibrio  Bacillus"  in  einer  verstöpselten  Flasche 
sich  sehr  lange  am  Boden  unverändert  erhält.  Aehnliche  Beobach- 
tungen über  die  Bildung  eines  resistenten  Bodensatzes  deutete  Cohn^) 
dahin,  dass  die  Bakterien  beim  üebergang  in  den  Ruhezustand 
schwerer  als  Wasser  werden,  „was  wohl  mit  der  Bildung  von  Dauer- 
zellen und  Verdichtung  des  Plasma  in  denselben  zusammenhängen 


Fig.  21. 


Das  Verdienst,  diese  Gebilde  von 
Neuem  aufgefunden  und  ihre  Bedeutung 
im  Wesentlichen  erkannt  und  experimen- 
tell sicher  gestellt  zu  haben,  gebükrt 
Pasteur.^)  Bei  seinen  Untersuchun- 
gen über  die  Krankheiten  der  Seiden- 
würmer beobachtete  er  1865  in  den 


1)  Etudes  Sur  la  nialadie  des  vers  ä  soie,  1870,  I,  S.  168,  228,  256. 

2)  Beiträge  zur  Biologie  der  Pflanzen,  I,  Heft  2,  1872,  S.  144. 


Fructification  der  Bakterien. 


115 


mag".  Direct  beobachtete  Cohn  erst  1876  die  Bildung  von  glän- 
zenden, sporenähnlichen,  in  den  zu  Fäden  verbundenen,  aber  auch 
in  isolirten  Gliedern  von  Bacillus  siibtilis  derart,  dass  die  Spore 
die  Höhle  des  Gliedes  ,  nicht  ganz  ausfüllt,  sondern  von  der  leeren 
Zellhaut  beiderseits  umgeben  ist".  Die  Berechtigung,  diese  Gebilde 
als  Dauer  Zellen  aufzufassen,  erwies  er  noch  etwas  genauer  als 
Pasteur  dadurch,  dass  dieselben  durch  die  Siedehitze  des  kochenden 
Wassers  erst  nach  längerer  Zeit  vernichtet  wurden.  Die  Berechtigung, 
dieselben  als  Sporen  aufzufassen,  bewies  Cohn  auch  morphologisch 
durch  ihre  Keimfähigkeit.  Hiermit  war  zum  ersten  Male  trotz 
mancher  noch  bestehen  gebliebener  Unsicherheiten-  in  Einzelheiten 
die  Entwicklung  einer  Bakterienart  von  Spore  zu  Spore  nachgewiesen. 
Durch  die  Experimente  von  Pasteur  und  Cohn,  durch  die  morpho- 
logischen Beobachtungen  von  Perty,  Pasteur  und  Cohn  und 
vor  Allem  durch  den  directen  Nachweis  der  Keimfähigkeit  durch 
Cohn  war  zweifellos  sicher  gestellt,  dass  bei  einzelnen  Bakterien 
eine  ächte  Fructification  vorkommt. 

Unmittelbar  darauf  gelang  Koch 2)  derselbe  Nachweis  für  den 
Bacillus  anthracis  und  Salomonsen^)  machte  die  kurze  Angabe 
vom  Auftreten  von  Dauerzellen  bei  Kettenkokken  in  faulendem 
Blut:  „Man  findet  dann  in  den  Ketten  Glieder  von  genau  demselben 
Aussehen,  wie  die  bei  gewissen  Bakterien  und  Bacillus  beobachteten 
,Dauersporen",  wie  diese  zeichnen  sie  sich  durch  starke  Lichtbrechung 
aus  und  bei  einer  gewissen  Einstellung  tritt  die  cliarakteristische 
rothgelbe  Farbe  hervor.    Sie  treten  nicht  mit  bestimmten  Zwischen- 
räumen auf,  sondern  finden  sich  ganz  unregelmässig  zwischen  die 
unveränderten  Glieder  eingestreut,  bald  vereinzelt,  bald  zwei,  drei 
oder  mehrere  aneinander  gereiht,  ja  bisweilen  unterliegen  fast  alle 
•Glieder  der  Kette  der  genannten  Metamorphose  und  die  unveränderten 
Glieder  —  die  nach  und  nach  ganz  zu  verwelken  scheinen  —  sind 
in  entschiedener  Minorität;  das  letztere  Verhältniss  habe  ich  nur 
gefunden,  wenn  das  Blut  längere  Zeit  bei  hoher  Temperatur  (40 «  C.) 
hingestellt  war." 

1)  ibid.  II,  Heft  2,  1876,  S.  263. 

2)  ibid.  II,  Heft  2,  1876,  S.  277. 

3)  Botanische  Zeitung,  1876,  S.  620,  Anmerkung. 

8* 


116 


Fructification  der  Bakterien. 


Im  folgenden  Jahre  bestätigten  Paste ur  und  Joubert') 
in  höchst  anerkennender  Form  die  Entdeckung  Koch 's  von  der 
Bildung  der  Sporen  bei  Bacillus  anthracis  und  Pasteur  giebt 
bei  dieser  Gelegenheit  (1.  c. ,  Bd.  85,  S,  103)  auf  Grund  seiner 
fi-üheren  und  neuen  Beobachtungen  eine  charakteristische  Darstellung 
der  Frage,  bei  der  ihn  ausschliesslich  der  physiologische  Standpunkt 
interessirte.  Er  findet  in  der  Sporenbildung  ,une  mode  de  generation 
des  vibrions  qui  avait  passe  inaper9u  et  dont  l'importance  physio- 
logisque  grandit  chaque  jour.  II  consiste  essentiellement  dans  une 
formation  de  corpuscules,  qu'on  peut  appeler  kystes,  spores  ou  coni- 
dies,  suivant  le  43oint  de  vue  oü  Ton  se  place  pour  la  Classification 
du  genre  vibrionien.  Je  me  servirai  volontiers  de  l'expression  de 
corpuscules  brillants,  qui  rapelle  un  caractere  frequent  dans  ces 
sortes  de  germes  et  qui  frappe  l'attention  de  l'observateur,  ou  celle 
de  corpuscules-germes,  qui  rapelle  leur  fonction  physiologique." 

Diese  einseitige  physiologische  Auffassung,  welche  die  correcte 
Darstellung  der  morphologischen  Seite  als  etwas  ganz  Nebensächliches 
hinstellt,  ist  später  auch  in  Deutschland  imter  den  Aerzten  sehr 
beliebt  geworden,  so  dass  man  im  Allgemeinen  sich  daran  gewöhnte, 
bei  der  Dauerform  die  Dauer  einseitig  zu  betonen  und  die  Form 
fast  unberücksichtigt  zu  lassen.  In  dieser  einseitigen  Betonung  der 
Dauer  liegt  aber  ein  Grund  zu  vielen  Missverständnissen,  da  dieselbe 
nur  bei  den  Experimenten  über  Generatio  spontanea  und  Desinfection 
in  so  auffallendem  Maasse  in  den  Vordergrund  tritt.  Der  biologische 
Werth  der  Dauerform  liegt  aber  viel  weniger  in  der  Resistenz  gegen 
so  extreme  Eingriffe,  wie  Siedehitze  und  viele  Chemikalien  im  Ex- 
perimente sie  darstellen,  als  darin,  dass,  wie  ich  ausführte,^)  die 
Dauerform  „die  Erhaltung  der  Art  unter  den  natürlichen  Verhält- 
nissen ihres  Vorkommens  sicher,  sicherer  wenigstens  als  die  vegeta- 
tiven Zellen  gewährleistet". 

Dass  eine  beträchtliche  Resistenz  gegen  manche  experimentelle 
Eingriffe  vorhanden  sein  kann  ohne  Bildung  besonderer  Dauerzellen, 

1)  Comptes  rendus,  1877,  Bd.  84,  No.  18,  Bd.  85,  No.  3. 

2)  Fortschritte  der  Medicin,  III,  1885,  No.  19  und  deutsche  med.  Wochen- 
schrift, 1885,  S.  758. 


Pructification  der  Bakterien. 


117 


zeigte  Miq^uel^)  und  besonders  van  Tieghem,^)  welche  eine 
Bacillusart  bescliriebeu,  welche  in  neutraler  Lösung  bei  74 "  wächst 
und  Sporen  bildet  und  deren  vegetative  Zellen  erst  bei  77  °  erliegen. 
Eine  Mikrokokkenart  wächst  nach  Miquel^)  in  nicht  neutralisirter 
Bouillon  noch  bei  88  und  in  neutralisirter  Bouillon  selbst  noch 
zwischen  91  und  93°.  Duclaux  giebt  sogar  an,'*)  dass  die  vege- 
tativen Zellen  einer  Clostridiumart,  welche  er  Tyrothrix  tenuis  nennt, 
in  neutralen  Lösungen  erst  zwischen  90  und  95"  absterben,  in  schwach 
alkalischen  aber  selbst  über  100*^  ertragen,  und  die  vegetativen 
Zellen  von  Tyrothrix  filiformis  sollen  in  Milch  gleichfalls  100°  er- 
tragen, während  die  Sporen  dieser  Arten  erst  zwischen  110  und  120° 
getödtet  werden. 

Wenn  man  mit  diesen  Angaben,  welche  allerdings  nur  Ausnahmen 
darstellen,  vergleicht,  dass  nach  Brefeld^)  zur  Tödtung  der  Dauer- 
sporen von  Bacillus  subtilis  die  3  stündige  Einwirkung  der  Siede- 
temperatur des  Wassers  oder  die  Wärme  des  Oelbades  von  105° 
Vi  Stunde,  von  107°  10  Minuten,  von  110°  5  Minuten  erforderlich 
ist  und  dass  nach  Fitz'')  die  Dauersporen  von  Bacillus  butylicus 
„je  nach  dem  Alter  und  der  Qualität  der  Sporen  und  je  nach  dem 
Medium"  bei  der  Siedetemperatur  des  Wassers  in  3  bis  20  Minuten, 
bei  95°  zwischen  2  und  6  Stunden,  bei  80°  zwischen  7  und  11 
Stunden  erliegen,  ja  dass  andere  endogene  Sporen,  wie  die  der 
Bakterien  der  blauen  Milch,  noch  leichter  erliegen,  so  wird  eine 
gewisse  Keserve  gegen  eine  einseitige  Betonung  der  Dauer  wohl  am 
Platze  sein. 

Mag  auch  in  den  angeführten  Temperaturangaben  manche  Einzel- 
heit nur  für  die  bestimmte  Versuchsanordnung  gelten,  mag  auch 
bei  den  hohen  Temperaturen  von  Duclaux  eine  absolut  sichere 
Trennung  der  vegetativen  Zellen  von  Sporen  nicht  vorhanden  gewesen 
sein,  so  geht  das  Eine  doch  zweifellos  aus  diesen  Beobachtungen  her- 

1)  Aiinuaire  de  l'observatoire  de  Montsouvis  pour  l'an  1881  u.  1885,  S.  574. 

2)  Bulletin  de  la  Societe  Botanique  de  France,  Tome  28,  1881,  S.  35. 
8)  Les  Organismes  vivants  de  l'atmosphere,  1883,  S.  148  und  183. 

*)  Annales  de  Tlnstitut  National  Agronomique,  1882,  S.  22. 

6)  Botanische  Untersuchungen  über  Schimmelpilze,  IV,  1881,  S.  51. 

6)  Bericht  der  deutschen  chemischen  Gesellschaft,  Bd.  15,  1882,  S.  870. 


118 


Fructuication  der  Bakterien. 


vor,  dass  zwischen  den  am  wenigsten  und  den  am  meisten  widerstands- 
fähigen vegetativen  Zellen  und  den  resistentesten  Dauersporen  ganz 
allmähliche  üebergänge  vorkommen.  Die  Desinfectionspraxis  muss 
fortwährend  darauf  bedacht  sein,  Mittel  und  Methoden  aufzufinden, 
welche  den  schwierigsten  Verhältnissen  genügen.  Neben  dieser  prak- 
tischen Angabe  erfordert  die  wissenschaftliche  Lösung  der  Frage  der 
Dauerformen  aber  von  Fall  zu  Fall,  für  jede  Art  gesondert  die  be- 
sondere Resistenz  der  Dauerform  unbekümmert  um  die  extreme 
Resistenz  der  Dauerzellen  einzelner  Arten  zu  prüfen.  Bei  einer 
solchen  Prüfung  ist  die  morphologische  Lösung  der  Frage,  die  Er- 
mittelung der  besonderen  Fructificationsfonn,  ebenso  wichtig  wie  die 
experimentelle  Ermittelung  des  Grades  und  der  besonderen  liichtung 
der  Widerstandsfähigkeit  gegen  natürliche,  die  Art  bedrohende,  und 
gegen  besondere  experimentelle  Eingriffe. 

In  morphologischer  Hinsicht  ermittelte  zunächst  vanTieghem 
die  Pructification  von  Bakterien  der  verschiedensten  Gattungen,  bei 
denen  dieselbe  noch  nicht  bekannt  war.  Bei  den  Ketten  der  Kokken- 
form von  Leuconostoc^)  fand  er,  wie  er  meinte  als  Erster  bei 
einer  derartigen  Form,  dass  sich  einzelne  der  kugligen  Zellen, 
Fig.  20  H,  Fig.  23  G,  a,  d,  am  Ende  oder  regellos  im  Verlaufe 
der  Kette  vergrössern  unter  Erhaltung  der  Kugelgestalt,  und  ,dans 
chaque  d'elles  il  se  forme  une  spore",  Fig.  23  G,  b,  c.  Dieser 
Wortlaut  sowohl  als  die  wiederholte  Betonung  dieser  Beobachtung 
lassen  es  sicher  erscheinen,  dass  vanTieghem  diese  Sporen  zuerst 
für  morphologisch  identisch  mit  der  Sporenbildung  bei  Bacillen  ge- 
halten hat.  Uebrigens  sollen  sich  nicht  in  allen  vergrösserten,  als 
Cellules  sporiferes  bezeichneten  kugligen  Zellen  Sporen  bilden,  son- 
dern einzelne  derselben  können  sich  auch  einfach  als  vergrösserte 
Zellen  erhalten.  Dann  beobachtet  v  a  n  T  i  e  g h e  m  2)  bei  einer  starren 
Schraubenbakterie,  welche  der  Form  nach  zu  Cohn ' s  Gattung  Spi- 
rillum  gehörte,  und  welche  in  gewissen  Entwicklungsstadien  Amylum- 
körner  enthielt,  die  Bildung  von  Sporen.    Die  Einzelglieder  bildeten 

1)  Sur  la  gomme  de  Sucrerie.  Annales  des  Sciences  Naturelles.  Botanique. 

T.  VII,  1878,  S.  150. 

2)  Developpement  du  Spirillum  ainyliferu^n.  Bulletin  de  la  Societe  Bota- 
nique de  France,  1879,  T.  26,  S.  65. 


Pructiflcation  der  Bakterien. 


119 


eine  Wiiidiing,  wie  es  Figur  22  H,  a  andeutet;  nach  Erreichung 
von  2  Schraubengängen,  wie  bei  b,  trat  Theilung  ein.  In  jedem 
Einzelgliede  bildete  sich  eine  Spore,  und  bei  einer  Schraube  von 
2  Touren  fanden  sich  2  Sporen,  welche  hald  gleich  gerichtet,  bald 
an  den  entgegengesetzten  Enden  lagen.  Diese  Sporen,  welche  un- 
gefähr den  Durchmesser  der  Spirille  besassen,  keimten  derart,  dass 
sich  der  kurze  anfangs  gerade  Keimschlauch  krümmte,  einen  und 
dann  zwei  Schraubeugänge  bildete,  worauf  die  Theilung  eintrat.  Die 
erste  Sporenbildung  bei  Schraubenbakterien  ist  demnach  bei  einer 
Art  beobachtet,  welche  der  Form  nach  als  Spirillum  bezeichnet 
wurde.  Weiter  fand  aber  van  Tieghem^)  auch  bei  einer  beweg- 
lichen Schraubenbakterie  von  5  bis  8  Windungen,  welche  keine  deut- 
liche Gliederung  erkennen  liess,  Sporenbildung  unter  Auftreten  einer 
Gliederung  derart,  dass  sich  auf  eine  Windung,  wie  in  Figur  22  H,  g, 
4  kurze  Glieder  bildeten.  In  jedem  solchen  Gliede  bildete  sich  eine 
Spore,  so  dass  sich  bei  8  Windungen  32  Sporen  fanden.  Auch  bei 
Vibrio  serpens,  der  nach  Cohn  sogar  besser  zu  Spirillum  gestellt 
wird  und  eine  Art  Mittelstellung  einnimmt,  fand  van  Tieg  he  m 
die  letztgeschilderte  Art  der  Sporenbildung. 

In  höchst  imklarer  Weise  geben  Geddes  und  E wart  2) 
eine  Beschreibung  der  Sporenbildung  und  Auskeimung  von  Spiril- 
lum undula ;  die  frei  gewordenen,  in  einem  Faden  gebildeten  Sporen 
kapseln  sich  ein,  die  Kapseln  theilen  und  vermehren  sich,  die  Sporulae 
schlüpfen  aus,  keimen  in  Kommaform,  welche  zum  Spirillum  aus- 
wächst. Auch  für  die  Gattung  Mikrobakteria  wurde  von  E wart 3) 
die  Beobachtung  der  Sporenbildung  für  Bakterium  termo  behauptet, 
doch  handelte  es  sich  um  irgend  eine  nicht  genauer  bestimmte 
Bacillusart. 

Van  Tieghem*)  fand  zwei  chlorophyllführende  Bakterien, 
deren  eine,  welche  in  Kurzstäbchen  vorkam,  Bakterium  viride,  deren 


0  Sur  les  spores  de  quelques  bacteries,  ibid.  S.  141. 

2)  Proceedings  of  the  Roy.  Soc.   Vol.  XXIV,  1878,  S.  481. 

3)  ibid.,  S.  474. 

4)  Observations  sur  les  bacteriacees  vertes.    Bulletin  etc.    1880,  T.  27, 
S.  174. 


120 


Fructiflcation  der  Bakterien. 


andere,  welche  in  Langstäbchen  auftrat,  Bacillus  virens  genannt 
wurde.  Den  Bacillus  virens  war  van  Tieghem  geneigt  mit  Perty's 
Sporonema  für  identisch  zu  halten.  Beide  Arten  zeigten  dieselbe 
Sporenbildung  wie  die  clilorophyllfreien  ächten  Bacillen. 

Prazmowski^)  machte  zuerst  auf  Difl'erenzen  in  der  Sporen- 
bildung der  Stäbchenformen  aufmerksam.  Bei  einzelnen  Arten, 
Bacillus  im  engeren  Sinne,  änderte  sich  die  Form  des  Stäbchens 

Fig.  22. 


A 

a.       h  c_ 


nicht  wesentlich,  Fig.  22  B,  bei  anderen,  Clostridium,  dagegen 
änderten  die  Zellen  erst  ihre  Gestalt,  erfuhren  an  einer  Stelle  eine 
Auftreibung,  und  die  Spore  bildete  sich  in  einer  erweiterten  Zelle, 
Fig.  22  E.  Auch  für  die  den  Schraubenbakterien  nahe  stehende 
Gattung  Vibrio  machte  er  eine  ähnliche  Beobachtung.  Die  ge- 
krümmten Einzelzellen,  Fig.  22  G,  a,  verdicken  sich  gleichniässig 
(b)  unter  Auftreten  feiner  Granulationen  im  Inhalt.    „Nach  einiger 


1)  Untersuchungen  üter  die  Entwickhnigsgeschichte  und  Fermentwirkung 
einiger  Bakterienarten,  1880. 


Fructification  der  Bakterien. 


121 


Zeit  (1.  c.  S.  43)  tritt  an  dem  einen  Ende  des  verdickten  Stäbchens 
eine  kuglige  Anschwellung  zum  Vorschein ;  das  Stäbchen  sieht 
dann,  c,  einem  Komma  ahnlich.  In  der  kugligen  Endanschwellung 
sammelt  sich  nach  und  nach  der  gesammte  Inhalt  des  Stäbchens 
und  gestaltet  sich  (d)  schliesslich  zu  einer  ebenfalls  kugligen  Spore." 

Bis  zum  Jahre  1880  waren  demnach  scheinbar 
zweifellos  bei  allen  G-attungen  der  Bakterien,  wie  sie 
Cohn  1872  aufgestellt  hat,  im  Innern  der  Zellen  ge- 
bildete, endogene  Sporen  nachgewiesen.  Die  Wichtigkeit 
dieser  Ermittelungen,  welche  in  dem  Nachweise  einer  identischen 
Fructification  gipfeln,  beuützte  zuerst  van  Tieghem,  um  die 
Bakterien  gegen  die  übrigen  Spaltpflanzen  abzu- 
grenzen. 

Van  Tieghem  entwickelte  zunächst  allgemein  die  Ansicht, 
dass  im  Gegensatze  zu  der  bis  dahin  herrschenden  Ansicht,  welche 
in  der  Bezeichnung  Spaltpilze  einen  Ausdruck  gefunden  hatte,  die 
Anwesenheit  von  Chlorophyll  durchaus  kein  Grund  sei,  um  Mikro- 
organismen nur  wegen  dieses  Umstandes  von  den  Bakterien  auszu- 
schliessen.  Seine  beiden  chlorophyllführenden  Arten  gehörten  sicher 
zu  den  Bakterien,  weil  sie  dieselben  Formen,  aber  auch  dieselbe 
Fructification  besitzen,  wie  ähnliche  chlorophyllfreie  Formen  oder 
Arten.  Nach  van  Tieghem  darf  man  nur  die  Sporenbildung  zur 
Trennung  der  Bakterien  von  den  Spaltalgen  benutzen,  aber  nicht  den 
Mangel  an  Chlorophyll.  Unter  den  Bakterien  giebt  es  chlorophyll- 
freie und  chlorophyllführende  Arten;  aber  das  Chlorophyll  ist  rein, 
während  es  bei  den  blaugrünen  Spaltalgen  mit  Phycocyanin  gemischt 
ist.  Die  Fructification  soll  aber  nach  seiner  Auffassung  durchaus 
verschieden  und  deshalb  ausschlaggebend  sein. i)  ,Dans  les 
Oscilarinees,  ce  sont  de  simples  cellules  vegetatives  qui  trans- 
forment  un  peu  leur  contenu  tout  entier,  qui  epaissent  un  peu  et 
transfoment  leur  membrane,  et  voilä  tout:  le  resultat  donne  des 
cellules  durables  bien  plutöt  que  des  spores.  Dans  les 
Bacte'riacees,  au  contraire,  ce  sont  des  corps  speciaux  de 
formation  endogene,  tres  differents  par  leur  forme  et  l'ensemble 


1)  Bulletin  de  la  Societe  Botanique  de  France,  1880,  T.  27,  S.  178. 


122 


Pructification  der  ßakterien. 


de  leur  proprietes  des  eelliiles  vegetatives  qui  les  produisent  dans 
lein-  seiu,  et  qui  disparaissent  en  les  mettent  en  liberte,  ce  sont,  en 
un  mot,  de  veritables  spores.* 

Später  legte  van  Tieghem')  diese  Anschauung  noch  einmal 
dar.  Er  schied  die  Spaltpflanzen,  welche  nach  ihm  als  Cyanophyc^es 
die  I.  Ordnung  der  Algen  bilden,  nach  der  Fructification  in  zwei 
grosse  Gruppen.  Der  erste  Tribus,  Nostocacees,  war  durch  die  Bildung 
von  Cysten  abgegrenzt,  gegen  den  zweiten  Tribus,  Bacteriacees, 
welche  endogene  Sporen  bilden.  Die  Cysten  sind  gewöhnliche  Zellen 
des  Thallus,  welche  sich  vergrössern,  die  Farbe  ändern,  ihre  Mem- 
bran verdichten  und  dadurch  in  den  Ruhe-  und  Dauerzustand  treten. 
Beim  Auskeimen  nimmt  das  Protoplasma  der  Cyste  seine  ursprüng- 
liche Farbe  wieder  an,  theilt  sich  wieder  in  derselben  Richtung  wie 
zur  Zeit  als  es  Theil  des  Thallus  war,  zerreisst  dabei  die  äussere 
Membran  und  verlängert  sich  zu  einem  neuen  Thallus,  der  entweder 
Fäden  oder  flächenartige  Schichten  oder  Massive  von  körperlich  an- 
geordneten Zellen  darstellt. 

Die  endogenen  Sporen  der  Bakterien  dagegpn  bilden  sich  einzeln 
in  je  einer  Zelle  durch  theilweise  Anhäufung  des  Inhalts  und  be- 
kleiden sich  mit  einer  Membran,  werden  latent  und  können  wieder 
frei  werden  und  auskeimen  durch  Resorption  der  primitiven  Membran. 

Diese  einfachen,  klaren  Unterscheidungen  zwischen  Cysten  und 
endogenen  Sporen  müssen  aber  wohl  doch  zu  einer  Abgrenzung  nicht 
ganz  genügen,  denn  van  Tieghem  zählt  z.  B.  nach  dieser  Auf- 
fassung Beggiatoa  nicht  zu  den  Bakterien,  sondern  zu  den  Cysten 
bildenden  Nostocaceen,  während  er  Crenothrix  und  Cladothrix,  trotz- 
dem deren  Fructification  durchaus  keine  Berechtigung  dazu  giebt, 
zu  den  endogene  Sporen  bildenden  Bakterien  rechnet.  Leuconostoc  da- 
gegen, dessen  Sporen  er  früher  wiederholt  als  endogen  gebildet  hingestellt 
hatte,  bringt  er  nicht  mehr  unter  den  Bakterien,  sondern  unter  den 
Nostocaceen,  so  dass  er  die  Sporen  nicht  mehr  als  endogene,  sondern 
als  einfache  Cysten  auffasst. 

Von  den  übrigen  Botanikern  hatte  keiner  versucht  trotz  der 
principiellen  Bedeutung  der  Fructification  bei  der  Systematik  der- 


1)  Traite  de  Botanique,  1884.   S.  1103. 


Fructiflcation  der  Bakterien. 


128 


selben  Recbuiing  zu  tragen.  Der  Hauptgrund  war  wohl  der,  dass 
die  Fructiticatiou  bei  zu  wenig  Arten  erst  beobachtet  war,  während 
bei  der  weitem  überwiegenden  Mehrzahl  der  Bakterien  nur  die  Wuchs- 
formen und  selbst  diese  nur  zum  Theil  bekannt  waren.  Die  meisten 
zogen  es  deshalb  vor,  die  systematische  Gruppirung  der 
Bakterien  nur  nach  den  Formen  durchzuführen  und 
nebenbei  anzugeben,  bei  welchen  der  auf  diese  Weise 
bestimmten  Bakterien  Sporenbildung  beobachtet  war. 
In  dieser  Weise  verfuhr  Cohn  und  im  Anschlüsse  an  ihn  Raben- 
horst-Winter  und  Frank;  cfr.  S.  84. 

Auch  Zopf,  welcher  sich  wiederholt  sehr  entschieden  gegen 
das  System  von  Cohn  ausspricht,  machte  nicht  einmal  einen  Ver- 
such die  Fructiflcation  zu  würdigen.  Trotz  aller  Angaben  von  den 
Fortschritten  seines  Systems  bewegt  sich  dieses  System  principiell 
in  derselben  Bahn  wie  das  von  Cohn,  indem  er  nur  nach  den 
Formen  eintheilte.  Zopf  theilte  1883  in  der  ersten  Auflage  seines 
Werkes  über  die  Spaltpilze  die  Bakterien  in  4  Gruppen: 

1.  Kokkaceen:  besitzen  nur  Kokken  und  durch  Aneinander- 
reihen von  Kokken  auch  Fadenform. 

2.  Bakteriaceen :  bilden  Kokken,  Kurzstäbchen,  Langstäbchen 
und  Fäden,  welche  keinen  Gegensatz  von  Basis  und  Spitze 
zeigen. 

3.  Leptoth'richeen :  bilden  Kokken,  Stäbchen,  Fäden,  welche 
einen  Gegensatz  von  Basis  und  Spitze  zeigen,  und  Schrauben- 
formen. 

4.  Cladothricheen :  bilden  Kokken,  Stäbchen,  Schrauben,  Fäden, 
welche  Verzweigung  zeigen. 

Bei  dieser  ersten  Gruppirung  hatte  Zopf,  1883,  beherrscht  von 
der  „Theorie  der  Wandelbarkeit  der  Formen  nach  dem  Substrat" 
nur  die  wirklich  oder  angeblich  pleomorphen  Arten  berücksichtigt, 
während  die  monomorphen  oder  relativ  einförmigen  Arten  anhangsweise 
behandelt  waren.  In  der  3.  Auflage  seines  Werkes,  1885,  dagegen 
versuchte  er  alle  Arten,  soweit  sie  bekannt  waren,  nach  ihren  Formen 
zu  berücksichtigen.  Auf  diese  Weise  kommt  es,  dass  bei  gleichge- 
bliebenen Namen  der  4  Hauptgruppen  nur  die  3.  und  4.  Gruppe 


124 


Pructification  der  Bakterien. 


Leptotlirichcen  und  Cladothricheen  1885  noch  dieselben  Bakterien- 
arten iimschliessen,  wie  1883.  Die  Kokkaceen  umfassten  1883  nur 
Leuconostoc,  während  1885  die  Gruppe  Kokkoceen  die  Gattungen 
Streptokokkus,'  Mikrokokkus,  Askokokkus,  Merismopedia ,  Sarcine 
umlasst  und  Leuconostoc  ausschliesst.  Die  Abgrenzung  der  Gat- 
tungen ist  fast  dieselbe  geworden  wie  bei  Cohn's  gleichnamigen 
Gattungen. 

Die  Gruppe  Bakteriaceen  umschloss  1883  Cohn's  Gattungen 
Bakterien  und  Bacillus,  unterschied  aber  die  Gattungen  in  Bakterien 
und  Clostridium.  Die  gleicbgenannte  Gruppe  wurde  dagegen  1885 
in  die  Genera :  Bakterium,  Spirillum,  Vibrio,  Leuconostoc,  Bacillus, 
Clostridium  aufgelöst  und  die  Abgrenzung  wurde  fast  dieselbe,  wie 
sie  Cohn  zum  Theil  schon  1872  durchgeführt  hatte. 

Diese  Gattungen  von  Zopf  sind  ebensosehr  oder  ebensowenig 
ächte  Gattungen  oder  nur  Formgattungen  wie  die  von  Cohn,  wenn 
auch  Zopf  manche  Berichtigungen  in  Einzelheiten  und  Erweiterungen 
durch  die  Aufnahme  der  Leptothricheen  und  Cladothricheen,  aber 
auch  manche  Unrichtigkeiten  durch  übertriebene  Berücksichtigung 
des  Pleomorphismus  brachte.  Zur  Abgrenzung  der  Gattungen  ist  die 
Fructification  principiell  nicht  verwerthet,  sondern  sie  findet  bei  den 
Gattungen  und  Arten  mit  einer  einzigen  Ausnahme  nur  eine  ganz 
nebensächliche  Berücksichtigung,  aber  keine  principielJe  Würdigung. 

Wenn  bei  den  bisher  betrachteten  Gattungs-  und  Artabgrenzimgen 
von  Fructification  die  Kede  war,  so  wurde  sowohl  von  den  Forschern, 
welche  wie  Prazmowski  und  van  Tieghem  derselben  die  erste 
Stelle  zugewiesen  wissen  wollten,  als  von  denen,  welche  vorläufig 
die  Formen  zur  Bestimmung  für  wichtiger  hielten  und  der  Fructi- 
fication einstweilen  bei  der  Classification  nur  eine  Nebenrolle  zuer- 
kannten, wie  Cohn,  Winter,  Frank,  Zopf,  unter  Fructification 
ausschliesslich  die  Bildung  endogener  Sporen  verstanden. 

Rechnete  man  Crenothrix  zu  den  Bakterien,  so  hätten  sowohl 
van  Tieghem  als  Zopf  noch  auf  eine  andere  Fructification  achten 
müssen,  welche  morphologisch  und  physiologisch  eine  ächte  Fructi- 
fication ist  und  eine  besondere  Dauerform  liefert.   Bei  dieser  Art 


Fructification  der  Bakterien. 


125 


Latten  zuerst  Colm^)  und  später  Zopf 2)  die  Bildung  von  Gonidien 
und  zwar  sogar  von  zwei  Formen  derselben,  Makro-  und  Mikro- 
Gonidien,  Fig.  23  A  bis  E,  erkannt.  Zopf  nabm  sich  später 3) 
selbst  die  Möglichkeit  diese  Fructification  richtig  zu  würdigen.  Er 
beobachtete,  dass  bei  Crenothrix,  Cladothrix,  Beggiatoa  beim  Zerfalle 
der  Fäden,  Schrauben  und  Stäbchen  schliesslich  kuglige  Zellen 
resultirten,  welche  im  Stande  waren  neue  Generationen  einzuleiten. 
Aber  er  nannte  alle  kuglige  Zellen,  um  den  Pleomorphismus  dieser 
Arten  recht  deutlich  zu  machen,  Mikrokokken  resp.  Makrokokken 
imd  hatte  damit  ein  drastisches  Beispiel  gewonnen  für  die  Zusammen- 
gehörigkeit aller  Formen,  für  die  Uebergangsfähigkeit  alfer  Formen 
in  einander  oder,  wie  er  es  bezeichnete,  dafür,  dass  die  Formen  Mikro- 
kokkus,  Bakterium,  Bacillus,  Vibrio,  Spirillum  etc.  „blosse  Ent- 
wicklungszustände  von  Spaltpilzen"  sind. 

Den  Zerfall  der  stäbchenförmigen  Glieder  in  kuglige  Gebilde 
ermittelte  auchGiard^),  bei  Crenothrix  aber  ohne  in  den  kugligen 
Zellen  Mikrokokken  zu  sehen.  Die  gerade  bei  Crenothrix  recht  deut- 
liche Differenz  von  Basis  und  Spitze,  Fig.  23  C,  E,  lässt  ihn  die 
Sache  so  auffassen,  wie  sie  früher  von  Cohn  und  anfangs  auch  von 
Zopf  dargestellt  war;  die  kugligen  Zellen  sind  „microgonidies, 
formees  dans  les  sporanges  ou  extremites  renflees  des  tubes  de  Cre- 
nothrix, par  division  transversales  des  articles  bacillaires  qui  con- 
stituent  ces  extremites." 

Derartige  Erwägungen  Hessen  mich  gegen  Zopfs  Auffassung 
erklären 5):  „Während  ich  also  gern  zugebe,  dass  die  von  Zopf  als 
Mikrokokken  beschriebenen  Gebilde  wirklich  sehr  kleine  Kugeln  sind, 
muss  ich  entschieden  bestreiten,  dass  sie  ausser  der  kugligen  Gestalt 
etwas  mit  dem  gemein  haben,  was  man  bisher  Mikrokokken  nannte, 
imd  kann  sie  nur  als  gonidienartige  Bildungen,  als  Sporen 
anerkennen." 

1)  Beiträge  zur  Biologie  der  Pflanzen,  II.  Heft  3,  S.  108. 

2)  Entwicklungsgeschichtliche  Untersuchungen  über  Crenothrix  poly- 
spora  1879. 

3)  Zur  Morphologie  der  Spaltpflanzen  1882. 

*)  Sur  le  Crenothrix  Kühniana.    Comptes  rendus  1882,  Bd,  95,  No.  5. 
5)  Portschritte  der  Medicin  I.,  1883,  S.  206. 


126 


Fructification  der  Bakterien. 


Dieser  Sporcnbildung  durch  scheinbar  einfachen 
Zerfall  von  stäbchenförmigen  Zellen  stellte  ich 
aber  sofort  die  Bildung  der  endogenen  Sporen  in 
den  Stäbchen  gegenüber.  Während  Zopf  das  Langstäbchen 
nicht  als  nur  bacillus ähnlich,  sondern  geradezu  als  Bacillus 
beschrieb,  stellte  ich  auf  Grund  der  Untersuchungen  von  Cohn  und 
Prazmowski  die  Forderung,  dass  zum  Begriffe  Bacillus  „der  stricte 
Nachweis  der  Sporenbildung  in  diesen  Stäbchen"  gehört.  Weiter  gab 
ich  sehr  bestimmt  an,  dass  das  Vorkommen  von  schraubigen  Fäden 
bei  anderen  Bakterien  über  die  Schraubenbakterien  im  engeren  Sinne 
direct  nichts  aussagt,  sondern  dass  nur  die  unmittelbare  Untersuchung 
derartiger  Bakterien  den  Werth  der  Schraubenformen  für  diesen  Fall 
festzustellen  .hat. 

Bei  aller  Kürze  glaube  ich  damals  einige  für  die  Systematik 
wichtige  Punkte  genügend  präcise  entwickelt  und  in  nuce  mitge- 
theilt  zuhaben.  Diese  Punkte  sind:  dass  der  entwicklungs- 
geschichtliche Werth  der  Formen  in  verschiedenen 
Fällen  ein  durchaus  verschiedener  sein  kann;  der  Werth 
einer  kugeligen  Zelle  in  der  Entwicklung  von  Bakterien  ist  nicht 
immer  derselbe,  ebenso  kann  die  Stäbchenform  und  die  Schrauben- 
form verschiedene  Dignität  besitzen.  Neben  den  Formen  ist  zur  Be- 
urtheilung  die  Fructification  von  einschneidender  Be- 
deutung und  in  dieser  Hinsicht  sind  bei  den  den  Formen  nach 
zu  den  Bakterien  gehörigen  Spaltpfianzen  zwei  ganz  verschiedene 
Vorgänge  auseinander  zuhalten,  die  Bildung  der  einfachen  Spo- 
ren oder  gonidienähnlichen  Bildungen  und  die  der 
endogenen  Sporen.  Ferner  gestattet  gerade  der  Modus  der 
Fructification  oft  erst  die  richtige  Beurtheilung  der 
Formen,  indem  z.  B.  in  dem  angezogenen  Beispiele  für  die 
Systematik  ein  Stäbchen,  in  dem  sich  eine  Spore  bilden  kann,  auf 
anderen  Ursprung  hinweist  als  ein  Stäbchen,  in  dem  niemals  etwas 
Aehnliches  vorkommt. 

Bald  darauf  fand  Kurth'),  dass  bei  dem  Bakterium  Zopfii  die 
Kurzstäbchen,  Fig.  23,  F,  a,  b,  in  „Kokken"  (c)  zerfallen,  welche 


1)  Botanische  Zeitung,  1883,  S.  412. 


Fructification  der  Bakterien. 


127 


aber  nicht  mit  den  Dauersporen  verglichen  werden  könnten.  Für 
Kurth  giebt  es  eben  nur  die  eine  Form  von  Dauersporen,  die  endo- 
genen Sporen.  Aber  Kurth  ermittelte,  und  darin  liegt  gegenüber 
der  einseitigen  Auffassung  von  Zopf  ein  Fortschritt,  dass  physio- 
logisch diese  „Kokken"  doch  einen  höheren  Werth  besitzen  als  andere 
Kokken.  Nach  seiner  Darstellung  „müssen  die  Kokken  des  Bak- 
terium Zopfii  als  ein  Euhezustand  bezeichnet  werden,  der  unter 
ungünstigen  Verhältnissen  das  Leben  der  Art  länger  zu  erhalten  ver- 
mag als  der  vegetative  Zustand,  die  Kurzstäbchen. "  Den  Grund 
für  die  grössere  Eesistenz  der  Kokken  sieht  Kurth  in  einer  Ver- 
änderung der  Membran.  Kurth  findet  schliesslich,  dass,  wenn  auch 
keine  besonderen  morphologischen  Unterschiede  dieser  von  anderen 
Kokken  sich  auffinden  lassen,  „in  der  physiologischen  Deutung  des 
Kokkenzustandes"  für  diesen  Fall  eine  „wesentlich  andere  Auffassung 
Platz  greifen  muss".  Diese  andere  Auffassung  kann  aber  nur  die 
bereits  vorher  von  mir  entwickelte  sein,  dass  man  neben  den  endo- 
genen Sporen  den  Begriff  der  einfachen  Sporen  oder  gonidien ähnlichen 
Bildungen  als  einer  besonderen  Form  der  Fructification  und  der 
Dauerzellen  anerkennt. 

Fast  gleichzeitig  kam  de  Baryi)  zu  einer  ähnlichen,  aber 
noch  mehr  verallgemeinerten  und  im  Einzelnen  zum  Theil  genauer 
präcisirten  Anschauung.  Auch  de  Bary  schied  nicht  die  Bakterien 
auf  Grund  der  Bildung  von  endogenen  Sporen  von  den  übrigen 
Spaltpflanzen,  sondern  schied  die  der  Form  nach  als  Bakterien  zu- 
sammengefassten  Spaltpflanzen  selbst  nach  dem  Modus  der  Fructi- 
fication und  dem  Entwicklungsgange  in  2  grosse  Gruppen:  „Erstens 
nämlich  die  Arten  mit  endogener  Sporenbildung:  endospore,  und 
zweitens  jene  ohne  dieselbe:  arthro-  spore  Bakterien".  Bei 
den  letzteren  „können  sich  einzelne  Glieder  einfach  aus  den  Ver- 
bänden lostrennen  und  unter  geeigneten  Bedingungen  die  Initialen 
neuer  Verbände  werden,  haben  daher  auf  den  Namen  Sporen  An- 
spruch. Im  Uebrigen  findet  zwischen  ihnen  und  den  vegetativen 
Gliedern  ein  allgemein  characteristischer  Unterschied  nicht  statt. 


1)  Vergleichende  Morphologie  und  Biologie  der  Pilze,  1884,  S.  496.  Vor- 
lesungen über  Bakterien,  1885. 


128 


Fructiflcation  der  Bakterien. 


Im  Zusammenhang  mit  der  Thatsache,  dass  die  hierher  gehörigen 
Arten  theils  weniger  mitereinander  conform  sind  als  die  endosporen, 
theils  die  einzelnen  eine  grössere  Mannichfaltigkeit  der  Wuchsformen 
besitzen,  ist  die  Bildung  der  Zellen,  welche  als  Sporen  bezeichnet 
werden  können,  nach  den  Arten  im  Einzelnen  sehr  ungleich." 

Die  üliedersporen  oder  Arthrosporen  von  de  Bary  umfassen 
als  der  allgemeinere  Begriff"  auch  die  von  mir  als  einfache  Sporen, 
gonidienähnliche  Bildungen,  wenigstens  morphologisch  etwas  charak- 
terisirten  Dauerformen.  Die  sehr  weite  Definition  von  de  Bary 
lässt  die  Möglichkeit  zu,  dass  unter  Umständen  jede  der  Wuchsformen 


Fig.  23. 


der  Einzelzellen  nach  den  Gattungen  und  Arten,  bald  Kokken,  bald 
Stäbchen,  bald  Schraubenstäbchen  als  ein  solches  Glied,  aber  auch 
als  Gliederspore  auftreten  kann,  vorausgesetzt  dass  diesen  Gliedern 
eine  gewisse  und  grössere  Dauer  zukommt  als  den  nur  vegetativen 
Formen,  dass  sie  also  die  Art  sicherer  zu  erhalten  vermögen  als  die 
letzteren.  Nach  den  bisher  bekannten  Thatsachen  spricht  aber 
Manches  dafür,  dass  die  Bakterien,  welche  keine  endogenen  Sporen 
bilden,  einen  Dauerzustand  nicht  in  jeder  beliebigen  Form  finden, 
sondern  vorwiegend  in  der  Kokkenforra.    Nur  diese  Form  überstand 


Fructification  der  Bakterien. 


129 


Eingriffe,  welche  die  vegetativen  Zellen  vernichteten.  Für  die  Lepto- 
thricheen  nnd  Cladothricheen  ist  dies  nachgewiesen  und  so  auffallend, 
dass  man  bei  Crenothrix  schon  lange  diese  Zellen  nach  Cohn  als 
Gonidien  bezeichnete.  Für  die  von  Kurth  beschriebene  Art,  deren 
vegetative  Zellen  in  der  Stäbchenform  sich  abspielen,  ist  nur  für 
knglige  Zellen  der  Werth  als  Dauerform  ermittelt.  Für  bestimmte 
Schraubenstäbchen  habe  ich  ganz  Aehnliches  ermittelt,^)  indem  ich 
fand,  dass  zum  Theü  die  Einzelzellen,  Fig.  23  H,  1  a,  zum  Theil 
die  entsprechenden  Glieder  der  schraubigen  Fäden,  H  2  und  3  a,  der 
sogenannten  Kommabacillen  sich  in  je  zwei  stärker  lichtbrechende 
Kügelchen,  H  1  b  und  c,  2  b  und  c,  3  a  bis  e,  gliedern,  welche  gegen 
Austrocknen  resistenter  sind  als  die  vegetativen  Zellen.  Aehnliche 
Mittheilung  haben  Finkler  und  Prior^)  über  kuglige  Dauerformen 
bei  ihren  Kommabakterien  gemacht. 

Auch  bei  der  Kokkenform,  bei  der  die  Frage  am  schwierigsten 
liegt  insofern,  als  zwischen  verschiedenen  Kügelchen  eine  Differenz 
schwerer  zu  erkennen  ist,  sind  nachgewiesene  Dauerformen  nur  in 
Kugelgestalt  bekannt.  Die  Bildung  der  Sporen,  Fig.  23  G,  b  und  e, 
in  den  erweiterten  kugligen  Zellen,  a  und  d,  bei  Leuconostoc, 
wird  von  van  Tieghem  selbst  jetzt  als  Bildung  von  Cysten  und 
nicht  von  endogenen  Sporen,  d.  h.  nach  de  Bary's  Bezeichnung 
von  Arthrosporen,  aufgefasst. 

Ich  acceptire  im  Folgenden  die  Bezeichnung  Arthrosporeu  von 
de  Bary  einmal,  weil  sie  kurz  und  gut  einen  Gegensatz  gegen  die 
endogenen  Sporen  ausdrückt,  dann,  weil  die  als  Dauerform  ermittelten 
nicht  endogenen  Sporen  sich  wirklich  wie  Einzelzellen  oder  Glieder 
eines  Verbandes  darstellen.  Aber  ich  mache  auf  Grund  der  bisherigen 
Beobachtungen  die  Einschränkung,  dass  die  Arthrosporen  wahrschein- 
lich nicht  in  jeder  beliebigen  Form  der  Einzelzellen,  sondern  wohl 
immer  in  Kokkenform  auftreten. 

Diejenigen  noch  ungenügend  bekannten  Bakterien,  bei  denen 
keine  bestimmte  Dauerform  nachgewiesen  ist,  rechne  ich  aus  prak- 

1)  Fortschritte  der  Medicin.  III.  Iö85,  No.  19. 

2)  Forschungen  üher  Cholerabakterien.  Ergänzungshefte  zum  Centralblatt 
für  allgemeine  Gesundheitspflege,  I,  1885,  S.  399. 

Hueppe,  Formen  der  Bakterien.  q 


130 


Pructification  der  Bakterien. 


tischeü  Gründen  mit  de  Bary  gleichfalls  zu  den  arthrosporen  Bak- 
terien. Ist  keine  besondere  Dauerform  bekannt,  so  ist  die  Möglich- 
keit nicht  absolut  von  der  Hand  zu  weisen,  dass  bei  solchen  Arten 
vielleicht  die  vegetative  Form  der  Art,  bald  Kokken,  bald  Stäbchen, 
bald  Schraubenstäbchen  oder  ein  bestimmter  Verband  derselben  zu 
Fäden  oder  Zoogloea,  im  Stande  ist  die  Art  zu  erhalten.  Aber 
die  Wahrscheinlichkeit  spricht  dafür,  dass  in  derartigen  Fällen  bei 
genauerem  Studium  sich  eine  morphologisch  bestimmte  Dauerform, 
eine  endogene  Spore  oder  Arthrospore  in  dem  oben  eingeschränkten 
Sinne  finden  wird. 

Die  Bildung  der  Arthrosporen,  die  meist  deutliche  Zunahme 
der  Lichtbrechung  deuten  darauf  hin,  dass  eine  Contraction  der 
Protoplasma  wahrscheinlich  mit  im  Spiele  ist.  Bei  einer  nicht  ge- 
nauer bestimmten  Art,  welche  fast  dieselben  Wuchsformen  zeigte 
wie  Kurfs  Bakterium  Zopfii,  vollzog  sich  bei  einer  directen  Beob- 
achtung die  Bildung  in  folgender  Weise,  Fig.  23  K;  das  Protoplasma 
der  Kurzstäbchen  (a)  wurde  körnig,  zog  sich  (b)  zu  einem  stark 
lichtbrechenden  EUipsoid  zusammen,  dieses  schnürte  sich  (c)  ein,  es 
entstanden  (d)  zwei  stark  lichtbrechende  Kügelchen,  welche  sich  (e) 
schnell  etwas  von  einander  entfernten.  Diese  kugligen  Arthrosporen 
waren  von  einer  deutlichen  Membran  umgeben,  welche  nach  aussen 
von  einem  Lichthofe,  wohl  von  einer  Gallerthülle  herrührend,  um- 
geben war.  Aehnlich  scheint  die  Bildung  bei  dem  Bakterium  Zopfii, 
F,  und  bei  Leuconostoc,  G,  zu  sein.  Bei  den  Kommabacillen 
H  und  J  spricht  hierfür,  dass  die  Anfangs  näher  zusammenliegenden 
Arthrosporen  (a)  später  (3  g  und  e)  etwas  weiter  auseinanderrücken. 
Tritt  diese  Kugelbildung  an  vielen  Gliedern  ein,  so  bilden  sich  An- 
häufungen, Zoogloeen  der  Arthrosporen,  Fig.  23  C,  c"";  E,  e  ;  F,  c;  J,  e, 
indem  die  Gallerthüllen  der  Membran  etwas  aufquellen. 

Bill  et  1)  beschreibt  die  Bildung  der  Arthrosporen  von  Clado- 
thrix  dichotoma  in  der  Weise,  dass  sich  der  Inhalt  eines  Kurzstäb- 
chens zu  einem  runden  Körper  contrahirt,  den  er  mit  einem  Zellkerne 
vergleicht;  dieser  Kern  streckt  sich  dann  zur  Ellipse,  diese  schnürt 

1)  Sur  la  l'onnatiun  et  la  germination  des  spores  chez  le  Cladothrix  dicho- 
toma.  Comptes  rendus,  1885,  Bd.  100,  S.  1251. 


Fructification  der  Bakterien. 


131 


sich  bisquitförmig  ein  und  aus  der  Theilung  resiiltiren  schliesslicli 
nach  erfolgter  Theihmg  der  Membran  zwei  Zellen  mit  je  einem  Kerne. 
Die  kernhaltige  Zelle  ist  die  „cellule  sporif5re%  der  Kern  selbst  ist 
nichts  anderes  als  die  Spore. 

Nach  den  bisherigen  Beobachtungen  scheint  demnach  die  Bildmig 
der  Arthrosporen  mit  einer  Contr actio n  des  Protoplasma  zu 
beginnen  imd  mit  einer  Theilung  in  zwei  Körperchen  aus 
contr ahirtem  Protoplasma  zu  endigen.  Die  Schutzhülle  der 
Arthrospore  scheint  dagegen  nichts  weiter  zu  sein  als  die  getheilte 
Membran  der  Mutterzelle.  Wahrscheinlich  wird  aber  von  dem  con- 
trahirten  Protoplasma,  der  eigentlichen  Spore,  eine  innere  Sporen- 
haut gebildet,  um  welche  sich  erst  die  getheilte  Membran  der 
Mutterzelle  als  äussere  Sporenhaut  anlegt,  sö  dass  man 
sich  wohl  am  richtigsten  die  Arthrospore,  wie  Figur  23  G,  e  und  K,  e, 
vorstellt. 

Dass  die  als  Kokken  beschriebenen  Arthrosporen  sich  durch  manche 
Eigenthümlichkeiten  von  den  vegetativen  Kokkenformen  unterscheiden, 
beobachtete  Kurth.  Diese  Kokken  sind  theilungsunfähig  und  können 
sich  nicht  als  solche  vermehren,  wohl  aber  können  sie  erst  nach 
längerem  Latenzstadium  wieder  keimen  und  zu  einem  Stäbchen  aus- 
wachsen,  Fig.  24  D.  Die  .Kokken"  vermehren  sich  nur  scheinbar, 
indem  sie  sich  aus  einem  stärkeren  Zerfalle  der  Stäbchen,  Fig.  23  F,  b, 
bilden  und  am  Orte  des  Zerfalls  der  Stäbchen  anhäufen.  Zopf 
hatte  wegen  der  Zunahme  der  „Kokken«,  wie  sie  z.  B.  Figur  23  C 
bei  c''  und  E  bei  e''  schliesslich  zu  einer  .Kokkenzoogioea"  führt, 
geschlossen,  dass  es  sich  bei  Cladothrix,  Crenothrix,  Beggiatoa  um 
eine  directe  Vermehrung  in  der  Kokkenform  handelte.  Kurth 
machte  dem  gegenüber  darauf  aufmerksam,  dass  man  auch  in 
diesen  Fällen  die  üebergangsglieder  —  z.  B.  Fig.  23  B  b''  bei 
den  MikrogODidien  und  A  a''  auch  bei  den  Makrogonidien  —  wohl 
nie  vermisse,  welche  die  Vermehrung  der  , Kokken"  in  ähnlicher 
Weise  auf  einen  stärkeren  Zerfall  von  nachgeschobenen  Kurzstäbchen 
zurückführen  lasse.  Zopfi)  hält  dem  gegenüber  an  der  übrigens 
auch  schon  früher  von  Cohn  angedeuteten  Ansicht  fest,  „dass 


1)  Die  Spaltpilze,  3.  Aufl.,  1885,  S.  20. 


9* 


132 


Pructification  der  Bakterien. 


die  Gonidien  anderer  Spaltpilze,  wie  die  von  Crenotiirix,  die  Fähig- 
keit fortgesetzter  Theilung  besitzen",  ohne  dass  aber  die  bis  jetzt 
bekannt  gemachten  Angaben  eine  sichere  Entscheidung  in  diesem 
Sinne  gewähren.  Ebenso  ist  die  Frage  der  Schwärmfähigkeit  der 
„Kokken"  noch  nicht  für  alle  Fälle  gelöst,  Dass  die  „Kokken" 
resp,  Gonidien  von  Crenothrix  schwärmfähig  sind,  haben  Zopf  und 
Giard  beobachtet;  es  würde  sich  also  möglicherweise  um  die  Bil- 
dung von  Schwärmsporen  handeln  können.  Kurth  glaubt  nach 
seinen  Beobachtungen  an  Bakterium  Zopfii  die  Sache  anders  auf- 
fassen zu  müssen;  bei  dieser  Art  sind  die  fertigen  „Kokken", 
Fig.  23  P,  c  und  Fig.  24  D,  a,  nicht  schwärmfähig,  wohl  aber  die 
unmittelbar  vorausgehenden  Uebergangsformen,  Fig.  23  F,  b,  und 
andererseits  auch  die  kürzesten  Stäbchen  beim  Auskeimen,  Fig.  24  D,  b. 
Die  Arthrosporen  der  Kommabacillen  vermehrten  sich  nicht  durch 
Theilung  und  waren  unbeweglich. 

C  ohn^)  hatte  bereits  1877  beobachtet,  dass  kurze  Spirillenglieder 
in  humor  aqueus  in  Fäden  auswuchsen,  oder  wie  er  es  bezeichnete, 
dass  „Streptothrix  aus  Vibrio  serpens  nach  24  Stunden  heran- 
gewachsen" w^ar.  In  den  langen  Spiralen  trat  perlschnurartige 
Gliederung  ein,  wie  sie  bei  den  ächten  Kettenkokken  als  Torula- 
form  oder  Streptokokkus  bekannt  ist.  Diese  Gonidien,  als  welche 
Cohn  damals  diese  kugeligen  Glieder  auffasste  und  bezeichnete, 
waren  keine  besondere  Dauerform,  sondern  würden  mehr  dem  ent- 
sprechen, was  Zopf  als  Gliederung  von  Schrauben  und  Stäbchen 
in  Mikrokokken  bezeichnete.  Wie  weit  es  sich  bei  dieser  Gliede- 
rung um  einen  Zerfall  von  Stäbchen  in  theilungsfähige,  kuglige 
Zellen  handelt,  ist  noch  nicht  definitiv  entschieden,  doch  weist 
Cohn  diese  Möglichkeit  durchaus  nicht  von  der  Hand.  Gonidien 
im  damaligen  Sinne  von  Cohn  würden  fast  genau  dem  entsprechen, 
was  Zopf  als  Mikrokokken  beim  Zerfall  von  Stäbehen  und  Schrau- 
ben bezeichnet  und  sich  nur  zum  Theil  mit  den  Arthrosporen  im 
Sinne  von  de  Bary  decken. 

Etwas  abweichend  von  der  Gliederung  von  Fäden  und  Schrau- 
ben, wie  sie  von  Cohn,  Zopf  und  mir  beobachtet  wan-de,  beschreibt 


')  Beiträge  zur  Biologie  der  Pflanzen  Bd.  I,  Heft  2. 


Fructiflcation  der  Bakterien. 


133 


Neisser^)  einen  der  Gliederung  bei  Crenotlirix  oder  Phragmidio- 
thrix  ähnlichen  Theilungsmodus  bei  den  endosporen  Bacillen  der 
Xerosis  conjunctivae,  dessen  Theilglieder  von  Cohn  als  eine  Art 
Gonidienbildung  erklärt  wurde,  so  dass  in  diesem  Falle  zwei  Fruc- 
tificationsvorgänge,  durch  Endosporen  und  durch  Gonidien  s.  Arthro- 
sporen, nebeneinander  vorkommen  würden,  also  eine  Pleomorphie 
der  Fructificationsorgane  wie  bei  manchen  Pilzen  vorliegen 
könnte. 

,  Dieser  Modus  besteht  darin,  dass  der  einzelne  Bacillus  zu  einer 
langen  6 — 8-  imd  mehrgliedrigen  Kette  von  immer  breiter  werden- 
den scheibenartigen  Theilen  auswächst.  Das  letzte  Glied  —  je 
nachdem  das  Auswachsen  an  einem  oder  an  beiden  Enden  erfolgt  — 
an  einem  oder  beiden  Enden  der  Eeihe  ist  von  birnförmiger  Gestalt 
und  ist  in  allen  Durchmessern  mindestens  doppelt  so  gross  als  das 
schmale,  dem  ursprünglichen  Bacillus  entsprechende  Anfaugsglied. 
Die  dazwischen  gelegenen  Glieder  stellen  allmähliche  Uebergangs- 
formen  dar;  sie  sind  stets,  wie  schon  erwähnt,  breiter  als  lang,  so 
dass  ein  ganzes  derartiges  Gebilde  den  Eindruck  einer  Keule  macht, 
welche  in  schmale  Scheiben  zerschnitten  ist.  Anfangs  liegen  diese 
schmalen  Theilglieder  dicht  au  einander  gepresst ;  allmählich  rücken 
sie  auseinander  und  jedes  einzelne  kleine  Theilglied  wächst  wieder 
zu  einem  neuen  Bacillus  aus.  Die  Wachsthumsrichtung  dieser 
Theilglieder  steht  aber  senkrecht  auf  derjenigen,  in  welcher  sich 
der  einzelne  Bacillus  zu  der  beschriebenen  keulenförmigen  Kette 
ausbildete.  Daher  kommt  es  denn  auch,  dass  man  keine  langen 
Keihen  aus  hinter  einander  gelagerten  einzelnen  Bacillen  findet, 
sondern  mehr  oder  weniger  zu  grossen  Quadraten  vereinigte  Haufen 
der  einzelnen  Theilglieder." 

Es  handelt  sich  bei  dem  Auftreten  von  kugligen  Zellen  in  der 
Entwicklung  von  Fäden,  Schrauben  oder  Stäbchen,  also  möglicher- 
weise um  physiologisch  differente  Dinge,  indem  bei  einzelnen  Arten 
oder  Gattungen  vielleicht  alle  diese  Glieder  eine  Ruhe-  und  Dauer- 
form darstellen,  also  Gliedersporen  in  dem  angeführten  Sinne  sind. 


1)  Kuschbert  und  Neisscr,  Breslauer  ärztliche  Zeitschrift  1S83,  No.  4' 
Deutsche  med.  Wochenschrift  1884,  No.  21. 


134 


Pructification  der  Bakterien. 


Während  bei  anderen  Gattungen  vielleicht  ein  Zerfall  in  theilungs- 
fähige  Kokken  eintritt  und  nur  bestimmte  dieser  kiigligen  Zellen  oder 
Glieder  eine  Dauer  form  darstellen.  Sollten  sich  diese  Möglichkeiten 
welche  nach  den  Angaben  von  Cohn  und  Zopf  vorläufig  bestehen, 
als  sicher  herausstellen,  so  würde  man  für  die  Zukunft  Missverständ- 
nissen wohl  am  besten  aus  dem  Wege  gehen,  wenn  man  die  so  ent- 
stehenden sicheren  Dauerformen  Arthrosporen  nennt,  während  man 
die  sich  theilenden  Kugeln  nicht  als  Gonidien  bezeichnet,  weil  man 
im  Allgemeinen  mit  diesem  Namen  den  Begriff  der  Fructification 
und  des  Dauerzustandes,  aber  nicht  den  eines  vegetativen  Stadiums 
verbindet,  sondern  als  Kokken,  in  dem  früher  S.  93  und  S.  109 
bezeichneten  Sinne. 

Mit  diesen  Unsicherheiten  und  theilweisen  Widersprüchen  sind 
aber  die  Schwierigkeiten  über  Gonidien,  einfache  Sporen,  Arthro- 
sporen noch  keineswegs  erschöpft.  Bei  den  höchsten  Bakterien- 
arten, Beggiatoa  roseo-persicina  sowohl  als  Crenothrix,  hat  man, 
Fig.  23  A  und  D,  die  Bildung  grösserer  ellipsoider  oder  kugliger 
Zellen  beobachtet,  welche  vielleicht  eine  Fructificationsform  herstellen 
und  demnach  als  Makrogonidien  bezeichnet  wurden.  Im  Einzelnen 
ist  die  Bedeutung  dieser  Gebilde  noch  höchst  unklar,  wenn  auch  ein 
genetischer  Zusammenhang  mit  den  riesigen  Monasformen,  Fig.  14  A  bis 
E,  Fig.  15  G  bis  M,  nicht  unmöglich  ist ;  doch  kommen  aufder  anderen 
Seite  auch  alle  möglichen  üebergangsformen,  z.  B.  Fig.  23  A  a^,  von 
den  Makrogonidien  zu  den  Mikrogonidien  oder  Arthrosporen  vor. 


streckt  sich  die  Spore  und  theilt  sich 
wie  ein  gewöhnlicher  Kokkus  (d  bis  g).  Beim  Bakterium  Zopfii  D 
streckt  sich  unter  Abnahme  des  Brechungsvermögeus  die  Arthro- 


a  t  c     d     ^  C;? 


a,  l    c    A    ^     f  ff 

Co®  ®  (S)  o° 


Fig.  24. 


lieber  die  Auskeimung  der  Arthro- 
sporen ist  nicht  viel  Genaues  bekannt. 
Nach  van  Tieghem  geht  dieselbe  bei 
Leuconostoc,  Fig.  24  C,  derart  vor  sich, 
dass  die  äusserste  Membran  unregel- 
mässig einreisst,  dann  eine  mittlere 
Membran  aufquillt,  so  dass  die  Spore 
mit  ihrer  innersten  Sporenhaut  von  einer 
Gallerthülle  umgeben  ist,  (a  bis  c),  dann 


Pructification  der  Bakterien. 


135 


Spore  a,  wird  zum  Kurzstäbchen,  welches  in  Theilung  eingeht  (b  bis  d). 
Bei  den  Arthrosporen  der  Kommabacillen  E  streckte  sich  unter  Ver- 
minderung des  Brechungsvermögens  die  kugelige  Zelle  zu  einem 
Stäbchen  (b),  welches  sich  schraubig  krümmte  (c),  zu  einem  S-förmi- 
gen schraubigen  Faden  (d)  heranwuchs  und  sich  dann  (e)  theilte. 
Einzelheiten  vermochte  ich  nicht  festzustellen. 

Viel  einheitlicher  und  in  den  Grundzügen  klarer  liegen  die 
morphologischen  Verhältnisse  bei  den  endogenen  Sporen,  Fig.  22. 
Bei  der  Bildung  der  endogenen  Sporen  machen  sich,  wie  schon  an- 
gedeutet, nur  wenige  Differenzen  bemerkbar.  Bei  einzelnen  Arten 
ändern  die  Zellen  die  Form  nicht  oder  doch  nicht  deutlich,  Fig.  22, 
B,  C,  D,  H,  während  bei  anderen  die  Zellen  eine  entschiedene  Form- 
veränderung erfahren,  E,  F,  G,  dabei  besteht  wieder  die  Möglichkeit, 
dass  die  Zelle  vor  der  Sporenbildung  sich  in  allen  Dimensionen 
etwas  vergrössert  und  dass  in  den  vergrösserten  Zellen  die  Sporen- 
bildung bei  Erhaltung  dieser  Form  vor  sich  geht  oder  dass  in  der 
vergrösserten  Zelle  noch  eine  weitere  Formveränderung  durch  Erwei- 
terung an  einer  Stelle  eintritt. 

Cohn  hatte  bei  seiner  ersten  Mittheilung  der  directen  Beobach- 
tung der  Sporenbildung  und  Auskeimung  i)  schon  ermittelt  dass  bei 
Bacillus  subtilis  sich  in  jedem  Gliede  nur  eine  Spore  bildet.  In 
dem  vorher  homogenen  Inhalt  bildet  sich  zunächst  ein  stark  licht- 
brechendes Körperchen  und  „aus  jedem  dieser  Körperchen  entsteht 
eine  oblonge  oder  kurz  cylindrische,  stark  lichtbrechende  dunkel 
contourirte  Spore".  Bei  der  Keimimg  schwellen  die  Sporen  , etwas 
an  und  treiben  an  einem  Ende  einen  kurzen  Keimschlauch,  sie  er- 
schienen nun  als  Köpfchenbakterien", 

Koch 2)  gab  dann  weiter  an,  dass  die  stark  lichtbrechende,  ei- 
förmige Spore  in  „eine  kuglige  glashelle  Masse  eingebettet  ist, 
welche  wie  ein  heller  schmaler,  die  Spore  umgebender  Ring  aus- 
sieht." Bei  der  Keimung  bleibt  nun  nach  Koch  der  glänzende 
Körper  zunächst  unverändert,  dagegen  streckt  sich  die  kuglige  pro- 
toplasmatische Hülle,  wird  eiförmig  und  enthält  an  einem  Pole  noch 


1)  Beiträge  zur  Biologie  der  Pflanzen,  II,  Heft  2,  1876,  S.  264. 

2)  ibid.  S.  289. 


136 


Pructification  dcv  Bakterien. 


die  Spore;  dann  wird  die  Hülle  länger,  fadenförmig  und  die  Spore 
verliert  ihren  Glanz  und  wird  blasser  und  kleiner.  Koch  meinte 
demnach,  dass  die  Spore  „aus  einem  Oel  besteht,  welches  von  einer 
dünnen  Protoplasmaschicht  eingehüllt  ist.  Letztere  ist  die  eigent- 
liche entwicklungsfähige  Zellsubstanz,  während  ersteres  vielleicht  einen 
bei  der  Keimung  zu  verbrauchenden  Keservestoff  bildet." 

Gegen  diese  Auffassung  des  Vorganges  machte  Klein ^)  geltend, 
dass  die  nachgewiesene  Resistenz  gegen  Hitze  undenkbar  sei,  wenn 
eine  äussere  Protoplasmaschicht  das  wesentliche  an  der  Spore  sei, 
im  Gegentheil  müsse  das  neue  Stäbchen  aus  dem  Inhalt  der  Spore 
hervorgehen.  Bei  directer  Beobachtung  in  der  feuchten  Kammer 
hatten  Prazmowski^)  und  B r e f e  1  d 3)  die  Keimung  bei  den 
Sporen  von  Bacillus  subtilis  ermittelt  und  direct  gezeigt,  dass 
das  neue  Stäbchen  aus  dem  Inhalt  und  nicht  aus  der  Umhül- 
lung der  Spore  hervorgeht.  Uebereinstimmend  ermittelten  beide, 
dass  die  Spore  aus  contrahirtem  und  deshalb  stärker  lichtbrechendem 
Protoplasma  und  nicht  aus  Fett  besteht  und  dass  die  Spore  von 
einer  zweischichtigen  Membran,  welche  also  aus  Endospor  und  Exo- 
spor  zusammengesetzt  ist,  umgeben  ist.  Koch 's  Protoplasmahülle 
hielt  P  r  a  z  m  0  w  s  k  i  für  einen  optischen  Lichthof,  ähnlich  dem  Licht- 
hofe stark  brechender  Fetttröpfchen,  während  Brefeld  und  E  w  a  r  t 
denselben  für  eine  Gallerthülle  erklärten.  Diese  Gallerthülle  wächst 
beim  Auskeimen  nicht  aus,  sondern  wird  unter  Aufquellen  unsicht- 
bar. Das  Exospor  reisst  an  einer  Stelle  ein  oder  wird  an  einer 
Stelle  resorbirt,  der  coutrahirte  protoplasmatische  Inhalt  streckt  sich 
zu  einem  Stäbchen,  welches  aus  dem  Bisse  oder  der  Oeflfnung  des 
Exospore  austritt. 

Im  Allgemeinen  vollzieht  sich  die  Bildung  der  Spore  derart, 
Fig.  22  A,  dass  der  bis  dahin  homogene  Inhalt  trübe,  und  bei  den 
grösseren  Formen  deutlich  körnig  (a)  wird;  dann  sammelt  sich  der 
körnige  Inhalt  an  einer  Stelle  mehr  und  mehr  an,  so  dass  ein  immer 
grösser  werdendes  kugliges  oder  elliptisches,  stark  lichtbrechendes 

1)  Quavterly  Journal  of  Microscopical  Science  1878,  S.  176. 

2)  Botanische  Zeitung  1877  und  Untersucliungen  über  die  Entwicklungs- 
geschichte und  Fermentwivkung  einiger  Bakterien-Arten  1880. 

3)  Botanische  Zeitung  1878  und  Botanische  Untersuchungen  über  Schimmel- 
pilze IV,  1881. 


Pructification  der  Bakterien. 


137 


Körperchen  (b)  entsteht.  Wenn  dieses  Körperchen  die  definitive 
Grösse  der  Spore  erreicht  hat,  bildet  sich  die  Sporenhaut  aus  und 
die  fertige  Spore  (c)  erscheint  in  der  Eegel  in  einem  wasserhellen 
Räume  zu  liegen  oder  richtiger  wohl  in  einer  wenig  lichtbrechenden 
Substanz  eingebettet  zu  sein.  Auf  jeden  Fall  findet  eine  ziemlich 
weitgehende  Differenzirung  des  Protoplasma  statt,  da  es  schon  in 
sehr  frühen  Stadien  gelingt,  die  Sporen  in  einer  anderen  Farbe  zu 
färben  als  den  übrigen  Theil  der  Zelle.  Diese  DiÖerenzirung  ^)  wird 
in  dem  Maasse  deutlicher,  als  die  Membran  deutlicher  wird  und  ist 
besonders  bei  ganz  frei  gewordenen  Sporen  gut  zu  beobachten.  Man 
findet  dann  ganz  gieichmässig  roth  oder  blau  gefärbte  Sporen,  wäh- 
rend bei  anderen  die  Membran  intensiver  gefärbt  ist  als  der  Inhalt 
und  selbst  die  leeren  Membranen  noch  etwas  von  dieser  Färbung 
zeigen.  Die  Sporenfärbung  wird  durch  die  resistente  Membran  be- 
günstigt, aber  nicht  allein  durch  dieselbe  bedingt ;  Inhalt  und  Mem- 
bran der  endogenen  Sporen  zeigen  bei  der  Färbung  nur  quantitative 
Differenzen.  Wenn  ich  diese  Erfahrungen  über  Sporenfärbung  mit 
den  directen  Beobachtungen  vergleiche,  scheint  mir  die  Bildung  der 
endogenen  Spore  derart  vor  sich  zu  gehen,  dass  das  Protoplasma  der 
Zelle  sich  differenzirt,  indem  zunächst  scheinbar  geradeso  wie  bei 
der  Zelltheilung  die  chromogene  Substanz  sich  von  einer  nicht  fär- 
benden wasserklaren  in  Körnern  trennt.  Aber  nicht  die  ganze  chro- 
mogene Substanz  tritt  in  die  Bildung  der  Spore  ein,  sondern  im 
Gegensatze  zur  einfachen  Zelltheilung  nur  ein  bestimmter  Theil,  wo- 
durch mikrochemisch  eine  Differenz  gegenüber  der  einfachen  Zell- 
theilung gegeben  ist.  Die  Membran  der  Spore  wird  nach  ihrer 
Reaction  zu  urtheilen  von  derselben  Substanz  gebildet  wie  die  Spore 
selbst,  und  ist  deshalb  wohl  nichts  weiter  als  ein  Product  der 
Spore  selbst. 

Länger  als  die  in  der  Äporenfärbung  sich  kundgebende  mikro- 
chemische Differenz  ist  durch  van  Tieghem  bei  Clostridium 
bütyricum  und  Spirillum  amyliferum  bei  der  Sporenbildung  eine 
andere  chemische  Differenzirung  bekannt.  Bei  diesen  Arten  zeigt 
das  Protoplasma  vor  der  Sporenbildung  Granulöse -Reaction,  doch 
bildet  sich  die  Spore  in  einem  granulosefreien  Räume. 

1)  cfr.  meine  Methoden  der  Bakterienforschung  1.  und  2.  Aufl.  1885,  S.  5G; 
3.  Aufl.  1886,  S.  85. 


138 


Fructification  der  Bakterien. 


In  einer  Zelle  bildet  sich,  wie  Cohn  von  Anfang  an  richtig 
erkannt  hatte,  iiuv  eine  Spore  und  Fälle,  in  denen  in  einer  Zelle 
mehrere  Sporen  vorkommen,  z.  B.  Fig.  22  E,  g,  sind  nur  scheinbare 
Ausnahmen,  weil  es  sich  dabei,  je  nach  der  Auffassung,  nur  um 
verfrühte  Sporenbildung  oder  um  verspätetes  Auftreten  der  Membran 
resp.  Deutlichwerden  der  Gliederung  handelt.  Dass  die  Einzelglieder 
der  Bakterien  nicht  isodiametrische  sein  müssen,  zeigt  sich  bei  der 
Sporenbildung  recht  deutlich,  und  selbst  Bu ebner  muss  zugeben, 
dass  bei  der  Sporenbildung  ausgesprochene  Langstäbchen  häufig  vor- 
kommen. Die  Sporenbildung  stellt  sich  bei  der  Mehrzahl  der  Zellen 
ein,  doch  bleiben  einzelne  Zellen  immer  frei  und  selbst  eine  begin- 
nende Sporenbildung  kann  wieder  rückgängig  werden.  Der  Grund 
der  Sporenbildung  liegt  in  der  Regel  sehr  deutlich  in  einer  Er- 
schöpfung des  Nährmaterials,  wodurch  die  weitere  Existenz  der  vege- 
tativen Zellen  unmöglich  wird  und  bei  den  Ausnahmen,  in  denen 
z.  B.  bei  Clostridium  butyricum  neben  Sporen-bildenden  Zellen  vege- 
tative sich  finden,  ist  vielleicht  doch  eine  partielle  Erschöpfung  des 
Nahrmaterials  an  der  Sporenbildung  betheiligt. 

Beim  Keimen  der  endogenen  Sporen,  Fig.  24  A,  B,  a,  nimmt 
zunächst  das  Volumen  der  Spore  unter  Verminderung  der  Licht- 
brechung etwas  zu  (b),  dann  stellt  sich  an  einer  Stelle  eine  Aus- 
stülpung ein,  welche  nichts  weiter  ist  als  das  hervorsprossende  Stäb- 
chen. Prazmowski  und  Brefeld  hatten  zunächst  für  Bacillus 
subtilis,  A,  beobachtet,  dass  das  neue  Stäbchen  A  (d,  e,  f)  senk- 
recht zur  Längsachse  der  Spore  austritt  und  Prazmowski  be- 
obachtet, dass  bei  Clostridium  butyricum  die  Keimung  in  derselben 
Richtung  erfolgt  wie  die  Längsachse  der  Spore  B  (d,  e,  f).  Damit 
war  die  Kenntniss  von  zwei  verschiedenen  Formen  der  Sporen- 
Keimung  gewonnen,  wodurch  der  Vorgang  für  die  Artbestimmung 
von  einschneidender  Bedeutung  wurde;  wie  dies  schon  früher  kurz 
angedeutet  wurde  S.  66.  Prazmowski  fand^),  dass  die 
Sporenbildung  und  Sporenauskeimung  schlechthin 
constante  Formmerkmale  sind,  welche  sich  bei 
Aenderungen  der  Aussenverhältnisse  nicht  ändern. 


1)  Biologisches  Centvalblatt  1884,  No.  13. 


Fructificatiou  cler  Bakterien. 


139 


Die  Form  der  Sporen  ist  für  die  verschiedenen  Arten  con- 
stant,  das  Temperatiiroptimum  für  Bildung  und  Auskeimung  der 
Sporen  bleibt  sehr  gleichniässig,  noch  mehr  gilt  dies  vom  Tem- 
peratm-minimum ;  während  z,  B.  das  Minimum  der  Sporenbildung 
für  Bacillus  subtilis  nach  Brefeld  bei  ca.  10"  liegt,  liegt  das- 
selbe für  die  Milzbrandbacillen  nach  Koch  bei  15°  und  auch  die 
abgeschwächten  Milzbrandbacillen  halten  dieses  Minimum  nach  meinen 
Beobachtungen  fest,  wodurch  sich  eine  weitere  Differenz  gegen 
Bacillus  subtilis  ergiebt. 

Sicher  ist,  dass  der  Einriss  oder  die  Resorption  der  Membran 
bei  verschiedenen  Arten  an  verschiedener  Stelle  der  Spore  erfolgt. 
In  Folge  dessen  scheint  das  neue  Stäbchen  bald  in  der  Richtung 
der  Achse,  bald  senkrecht  zur  selben  auszutreten.  De  Bary  hält 
dies  aber  nur  für  eine  scheinbare  Kreuzung  der  Wachsthumsr ichtun g. 
Tn' Wirklichkeit  keimt  das  Stäbchen  auch  bei  Bacillus  subtilis  nach 
seiner  Auffassung  in  der  Längsrichtung  der  Spore,  nur  wird  es 
durch  den  seitlichen  Riss  zu  einer  Schwenkung  von  90  <>  genöthigt,  die 
es  bei  seiner  nachgiebigen  Membran  meist  ausführen  kann,  aber  bis- 
weilen, wenn  die  Enden  zu  fest  sitzen,  nicht  auszuführen  im  Stande  ist. 

Nach  de  Bary  scheint  die  Frage,  ob  bei  Kokkenformen  endogene 
Sporen  vorkommen,  negativ  entschieden,  besonders  auch  nachdem 
van  Tieghem  die  Sporen  von  Leuconostoc  nur  noch  für  Cysten 
hält.  Aus  allgemein  morphologischen  Erwägungen  scheint  es  mir 
aber  gut,  über  diese  Frage  noch  nicht  vollständig  verneinend  abzu- 
urtheilen.  Einerseits  ist  eine  scharfe  Grenze  zwischen  Kokken, 
Stäbchen  und  Spindelstäbchen  nicht  zu  ziehen  und  andererseits  ist 
die  Beurtheilung  der  Entstehung  einer  kugligen  Spore  in  einer 
Kokkenform  so  schwierig,  dass  selbst,  wenn  sie  vorhanden  ist,  sie 
vielleicht  nui-  wie  eine  Arthrosporenbildung  aussieht.  Der  mit  Hülfe 
von  Sporenfärbungen  vielleicht  zu  führende,  bis  jetzt  allerdings  noch 
ausstehende  Nachweis  der  Bildung  von  endogenen  Sporen  in  Kokken- 
formen, würde  eine  bis  jetzt  gar  nicht  zu  überbrückende  Kluft 
zwischen  den  endogenen  und  arfchrosporen  Bakterien  als  weniger 
einschneidend  hinstellen.  Schon  nach  den  bisherigen  Beobachtungen 


1)  Vergleichende  Morphologie  und  Biologie  der  Pilze  1884,  S.  505. 


140 


Gattungen  der  Bakterien. 


bin  ich  geneigt,  die  Differenz  zwischen  den  endogenen  Sporen  und 
Arthrosporen  für  etwas  geringer  zu  halten. 

Der  Beginn  der  Bildung  der  ächten  endogenen  Spore,  Fig.  22,  A, 
und  der  Beginn  der  Arthrospore,  Fig.  K,  weist  ein  gleiches 
Moment  auf,  die  Contraction  des  Inhalts,  so  dass  sich  nach  dieser 
IlichtiiDg  der  auskeimende  Theil  derselben,  der  Inhalt  der  endogenen 
Spore  morphologisch  mit  dem  Inhalt  der  Arthrospore  vergleichen 
lässt.  Würde  sich  bei  bestimmten  Kokkenformen  eine  endogene 
Sporenbildung  finden  derart,  dass  ein  verhältnissmässig  grösserer 
Theil  oder  der  ganze  Inhalt  zur  endogenen  Spore  wird,  so  würde 
eine  solche  endogene  Spore  eine 'vermittelnde  Stellung  zwischen  dem 
nur  contrahirten  Protoplasma  der  Arthrospore  und  der  noch  weiter 
differenzirten  endogenen  Spore  der  Stäbchen  und  Schrauben  einnehmen, 
bei  denen  nur  ein  Theil  des  Inhalts  in  die  Bildung  der  endogenen 
Spore  eintritt.  Die  endogene  Spore  der  Stäbchen  würde  sich  dann  her- 
leiten lassen  aus  arthrosporen  Formen,  und  die  Bildung  der  resistenten 
Membran  der  endogenen  Spore  würde  nur  als  eine  besondere  An- 
passungserscheinung aufzufassen  sein.  Vorläufig  haben  sich  noch 
keine  Thatsachen  ermitteln  lassen,  welche  über  derartige  Fragen 
irgend  ein  positives  ürtheil  gestatten  und  unser  dürftiges  Wissen 
über  diese  Dinge  ist  am  allerwenigsten  ein  Grund,  diese  theoretischen 
Erwägungen  ohne  Weiteres  von  der  Hand  zu  weisen,  welche  bei 
etwaiger  Realisirung  dieses  dunkle  Gebiet  mit  einem  Schlage  went- 
lich  klären  würden. 


XI. 

Gattimgen  der  Bakterien. 

Will  man  versuchen,  aus  den  bis  jetzt  bekannten  Thatsachen 
eine  Eintheilung  der  Bakterien  in  natürliche  Gattungen  und  Arten 
herzuleiten,  so  kann  dies  nur  in  dem  Sinne  möglich  sein,  dass  die 
Fructification  in  erste  Linie  gestellt  wird.  In  disser  Hinsicht  schei- 
den sich  nach  dem  gegenwärtigen  Stande  unseres  Wissens  die  Bak- 
terien in  zwei  grosse  Gruppen.  Die  erste  Gruppe  umfasst  die 
Arten  mit  Bildung  endogener  Sporen;   die  andere  umfasst  alle 


Gattungen  der  Bakterien. 


141 


übrigen  und  enthält  darunter  einmal  die  Arten  mit  nachgewiesener 
Bildung  von  Arthrosporen  und  dann  Formarten,  deren  etwaige 
Fructification  noch  unbekannt  ist.  Bei  den  letzteren  kann  nur  der 
endgültige  Nachweis  der  besonderen  Fructificationsform  über  die 
definitive  Stellung  entscheiden. 

Da  bei  den  meisten  Arten  die  Fructification  noch  unbekannt  ist 
und  deshalb  die  Aufstellung  von  Formarten  noch  nicht  ganz  umgangen 
werden  kann,  wird  sich  auch  bei  den  Gattungen  eine  scharfe  Abgrenzung 
von  natürlichen  Gattungen  nicht  immer  ermöglichen  lassen.  Bei  der 
Abgrenzung  nach  der  Form  muss  den  constanten  Formen  die  grössere 
Wichtigkeit  beigelegt  werden  und  in  dieser  Hinsicht  ist  mit  der 
Beobachtung  zu  rechnen,  dass  wesentlich  drei  Gruppen  von  vege- 
tativen Zellen  in  Frage  kommen.  Von  den  Verbänden  derselben 
ist  die  Verbindungsweise  der  Einzelzellen  wieder  wichtiger  als  die 
Form  der  Zoogloea. 

A.  Bakterien  mit  Bildung  endogener  Sporen. 

I,  Gattung  Kokkaceen?  Die  Frage,  ob  es  endospore 
Kokkaceen  giebt,  ist  aus  den  oben  mitgetheilten  Gründen  als  eine 
offene  zu  betrachten.  Die  Angaben  von  Salomonsen  und  van 
Tieghem  würden  darauf  hindeuten,  dass  es  sich  um  Arten  handelt, 
deren  vegetative  Zellen  durch  die  Kokkenformen  ge- 
bildet werden  und  bei  denen  als  Verband  der  Einzelzellen 
Ketten  vorkommen.  Ein  genaueres  Studium  der  Sporen  hat  erst 
darüber  zu  entscheiden,  ob  sich  bei  diesen  Bakterien  vielleicht  die 
Untergattungen 

1)  Streptokokkus? 

2)  Leuconostoc? 

als  hierher  gehörig  erweisen.  Wenn  ich  Leuconostoc  nur  den  Werth 
einer  Untergattung,  ja  vielleicht  nur  den  einer  ächten  Art  zuweisen 
kann,  so  liegt  dies  darin,  dass  das  auffallendste  Merkmal,  die 
mächtige  Zoogloea,  ein  an  sich  schwankendes  Formmerkmal  betrifft, 
während  die  Anordnung  der  Kokken  in  den  Ketten  und  die  Bil- 
dung der  Sporen  in  den  Ketten  genau  so  ist  wie  nach  Salomonsen 
bei  anderen  kettenbildenden  Arten  von  Kokkaceen. 

II.  Genus  Bakteriaceen.  Die  vegetativen  Zellen 
sind  Stäbchen  im  weitesten  Sinne  des  Wortes.    Die  Länge  der 


142 


Gattungen  der  Bakterien. 


Stäbchen  ist  nacli  Arten  und  Entwicklungsstadien  verschieden  und 
die  kleinsten  Theilungsprodukte  sind  manchmal  schwer  von  den 
Kokkenforraen  zu  trennen.  Ferner  ist  es  als  offene  Frage  anzu- 
sehen, ob  die  Stäbchen  sich  unter  besonderen  Umständen  in  kug- 
lige  Zellen  gliedern  können,  so  dass  das  Aussehen  einer  perlschnur- 
artigen Kette  vorkommt,  wie  sie  Cohn  bei  Stäbchen  und  Schrauben 
als  Gonidienbildung,  Zopf  als  Mikrokokkeubildung  bezeichnet.  Die 
vegetativen  Stäbchen  bilden  in  gewissen  Entwicklungsstadien  kürzere 
oder  längere  Fäden,  aus  denen  schliesslich  Zoogloeen  hervorgehen, 
in  denen  die  Einzelzellen  und  Fadenfragmente  bald  regelmässiger, 
bald  unregelmässiger  angeordnet  sind.  Die  Fäden  sind  bald 
starr,  bald  wellig  gebogen  und  können  gelegentlich  Schleifen  und 
Umschlingungen  bilden.  Die  Sporen  bilden  sich  in  den  isolirten 
oder  zu  Fäden  verbundenen  Einzelzellen  der  Stäbchenform. 

Untergattungen, 

1)  Bacillus.  Die  Einzelstäbchen  ändern  vor  und  während 
der  Sporeubildung  ihre  Gestalt  nicht  oder  doch  nicht  deutlich. 
Fig.  22,  B,  C,  D. 

2)  Clostridium.  Die  Einzelstäbchen  sind  bei  manchen  Arten 
schon  an  und  für  sich  Spindelstäbchen  oder  die  geraden  Stäbchen 
ändern  vor  der  Sporenbildung  ihre  Gestalt  deutlich,  so  dass  Spiudel- 
oder  Keulen-Formen  entstehen,  Fig.  22,  E  (a,  b,  c,  d)  und  F  (b).  Die 
Sporen  bilden  sich  in  den  Erweiterungen,  Fig.  22,  E  (f,  g),  F  (a,  c). 
Die  letzteren  Formen  wurden  auch  als  Köpfchenbakterien  oder 
Trommelschlägerform  bezeichnet. 

De  Bary  fasst  alle  Stäbchenformen  mit  endogenen  Sporen  in 
eine  Gattung  Bacillus  zusammen.  Eine  derartige  Zusammenfassimg 
ist  später  immer  leichter  als  eine  Trennung.  Mir  scheint  es  vor- 
läufig richtiger,  die  beiden  Untergattungen  zu  trennen,  weil  dadurch 
eine  grössere  Anzahl  von  Formmerkmalen  berücksichtigt  werden 
kann,  vor  Allem  aber,  weil  diese  kleinen  Formeigenthümlichkeiten, 
trotz  mancher  Unsicherheiten  im  Einzelfalle,  im  Grossen  und  Gan- 
zen so  regelmässig  und  typisch  wiederkehren,  dass  eine  gewisse  Ge- 
setzmässigkeit nicht  verkannt  werden  kann.  Besonders  ist  zu  be- 
rücksichtigen, dass  das  Auftreten  dieser  Formen  mit  dem  con- 


Gattungen  der  Bakterien. 


143 


stantesten  Formraerkmal,  der  Sporenbikliing,  in  einer  nicht  zu  ver- 
kennenden Weise  zusammenhängt.  Die  jetzt  vorliegenden  Thatsachen 
lassen  deshalb  diesen  Differenzen  noch  einen  grösseren  Werth  bei- 
legen. Erst  genauere  und  ausgedehntere  Untersuchungen  können 
definitiv  entscheiden,  ob  die  Unterschiede  nicht  zur  Trennung  ge- 
nügen; zur  Trennung  in  ganz  differente  Genera  scheinen  mir  aber 
die  Differenzen  nicht  auszureichen. 

III.  Genus  Spirobakteriaceen.  Die  vegetativen 
Zellen  sind  Schraubenstäbchen.  Die  Länge  schwankt  nach 
Art  und  Entwicklungsstadium,  so  dass  die  kleinsten  Theilungs- 
produkte  nicht  immer  sicher  von  Stäbchen  oder  ellipsoiden  Zellen  zu 
unterscheiden  sind  und  bei  den  längeren  Gliedern  eine  Unterschei- 
dung von  einfach  gekrümmten  Stäbchen  nicht  immer  leicht  ist. 
Vielleicht  können  auch  diese  schraubigen  Stäbchen  sich  in  der  an- 
gedeuteten Weise  bisweilen  in  Gonidin  oder  Kokken  gliedern.  Die 
Stäbchen  bilden  schraubige  Fäden,  welche  besonders  nach  dem 
Stadium  der  Entwicklung  und  den  Aussenbedinguogen  bald  als  starre, 
bald  als  flexile  Schrauben  erscheinen,  welche  bald  eng,  bald  weit 
gewunden  sind.  Die  Schraubenstäbchen  und  die  schraubigen  Fäden 
können  Schwärme  bilden,  welche  bisweilen  zu  Zoogloea  vergallerten. 

Die  S  poren  bilden  sich  in  den  isolirten  oder  zu  Fäden  ver- 
bundenen Zellen. 

Untergattungen, 

1)  Vibrio.  Die  Schraubenstäbchen  ändern  vor  der  Sporenbil- 
dung ihre  Gestalt,  Fig.  22,  G  (a  bis  c),  und  die  Spore  bildet  sich 
in  der  Erweiterung  (d). 

2)  Spirillum.  Die  einzelnen  Schraubenstäbchen  und  in  Folge 
dessen  auch  der  schraubige  Faden  ändern  bei  der  Sporenbildung  die 
Form  nicht,  Fig.  22,  H. 

Die  Motive  zur  Trennung  in  zwei  Untergattungen  sind  im 
Princip  dieselben  wie  die  für  die  einstweilige  Trennung  von  Bacillus 
und  Clostridium  und  liegen  wesentlich  in  unserer  ungenügenden 
Kenntniss.  Sollten  die  Differenzen  später  sich  als  ungenügend  zur 
Trennung  in  zwei  Untergattungen  herausstellen,  so  würden  dieselben 
nach  van  Tieghem  und  de  Bary  in  einer  Gattung  Spirillum 
jeder  Zeit  leicht  vereinigt  werden  können. 


144 


Gattungen  der  Bakterien. 


B.  Bakterien  mit  Bildung  von  Arthrosporen  incl.  der 
Bakterien,  deren  Fructificati on  unbekannt  ist. 

1.  Gattung.  Arthro-Kokkaceen.  Die  vegetativen 
Zellen  werden  durch  Kokken  formen  gebildet. 

Untergattungen. 

1)  Arthro-Str  eptokokkus.  Die  Zellen  bilden  Ketten. 
Bei  dieser  Form  wiederholen  sich  die  unter  Streptokokkus  schon 
angeführten  Schwierigkeiten.  Es  ist  einstweilen  wahrscheinlicher, 
dass  Streptokokkus,  Arthro-Streptokokkus  und  vielleicht  selbst  Leu- 
conostoc  nur  eine  natürliche  Gattung  Streptokokkus  bilden.  Aber 
die  Möglichkeit  rauss  offen  gehalten  werden,  dass  sich  unter  den 
Kettenkokken  verschiedenwerthige  Gruppen  finden.  Deshalb  ist  als 
weitere  Untergattung  vorläufig 

2)  Leuconostoc  noch  aufzuführen,  Fig.  23,  G,  welche  sich 
nur  durch  die  fr  oschlaich  ähnliche  enorme  Zoogloea  von  den  übrigen 
Kettenkokken  unterscheidet.  Die  Formen  der  vegetativen  Einzelzellen 
sind  entschiedene  Kokkenformen  und  einzelne  vor  der  Theilung  etwas 
länger  gestreckte  Zellen  ändern  daran  gar  nichts. 

3)  M  e  r  i  s  t  a.  Die  Zellen  bleiben  derart  in  näherem  Zusammen- 
hang, dass  4  in  einer  Fläche  angeordnete  Einzelzellen,  ein  Tetrade, 
das  Höhestadium  darstellen,  Fig.  1,  C,  Fig.  17,  A,  e;  B,.c,  d.  Da- 
neben finden  sich  Einzelzelleu ,  Doppelkokken  und  kleine  Ketten. 
Beim  Zerfall  der  flächenförmig  angeordneten  Tetraden,  Fig.  20,  A, 
können  sich  unregelmässige  Gruppen  von  Kokken  bilden. 

4)  Sarcina.  Durch  Theilung  nach  den  3  Richtungen  des 
Eaumes  entstehen  als  Höliestadien  Packete  von  8  Zellen,  Fig.  17,  B,  f, 
Fig.  20,  B,  c,  welche  bei  bestimmter  Entwicklung  wie  waarenballen- 
ähnlich  eingeschnürte  Körper,  Fig.  20,  B,  d  und  e,  erscheinen.  Bei 
der  Entwicklung  zu  diesen  Ballen  nehmen  die  Tetraden  häufig  die 
Form  Fig.  1,  D,  Fig.  17,  B,  e,  Fig.  20,  B,  b  an,  so  dass  bei  fehlen- 
den Packeten  das  auffallend  häufige  Auftreten  dieser  Form  der 
Tetrade  den  Verdacht  rege  hält,  dass  es  sich  um  eine  Sarcina  und 
nicht  um  eine  Merista  handelt.  Ausser  Tetraden  gehören  in  die 
Entwicklung  der  Sarcina  auch  einfache  und  Doppelkokken,  Fig.  1 7,  B ; 
Ketten  sind  bisher  bei  äcliter  Sarcina  noch  nicht  gefunden  worden 


Gattungen  der  Bakterien. 


145 


Beim  Zerfall  der  Packete  kommt  es  zu  iinregelmässigen  AnliäufiingeD 
von  Kokken. 

ö)  Mikrokokkus.    Die  Kokken  sind  in  der  Zoogloea  un- 
regelmässig, in  Haufen  angeordnet,  Fig.  17,  C. 
Die  Aufstellung  einer  Untergattung 

6)  Askokokkus  scheint  mir  nach  unseren  Kenntnissen  nicht 
sonderlich  gerechtfertigt.  Die  Anordnung  der  Kokken  in  der  schlauch- 
förmigen Zoogloea,  Fig.  11  A,  bietet  nichts  anderes,  als  bei  der 
Untergattung  Mikrokokkus,  und  die  eigenthümliche  Zoogloea  ist  hier 
so  gut  und  so  schlecht  als  Gattungsmerkmal  brauchbar,  wie  bei 
anderen  Zoogloeen. 

Eine  Abgrenzung  in  ganz  differente  Gattungen  ist  bei  dem  Vor- 
handensein von  Uebergangsformen  schwer  durchzuführen.  Dagegen 
genügen  die  Abweichungen  zur  Unterscheidung  in  Untergattungen. 
Bei  dieser  weniger  schroffen  Abgrenzung  ist  eine  Vereinigung,  welcJie 
durch  genauere  Kenntnisse  etwa  nöthig  werden  sollte,  leichter  durch- 
zuführen. 

II.  Gattung.  —  Arthro-Bakteriaceen.  Die  vegeta- 
tiven Zellen  gehören  der  Stäbchenform  an.  Die  Verbin- 
dung der  Einzelzellen  liefert  kürzere  oder  längere  Fäden,  deren 
Fragmente  in  der  Zoogloea  bald  regelmässiger,  bald  unregelmässiger 
angeordnet  sind.  Bei  einzelnen  Arten  sind  kuglige  Glieder  als 
Arthrosporen  aufzufassen,  während  bei  anderen  die  Möglichkeit  offen 
zu  halten  ist,  dass  noch  endogene  Sporen  gefunden  werden  und  die 
Arten  zu  den  Bacillen  oder  Clostridien  gehören.  Die  hierher  ge- 
hörigen Arten  sind  zum  grössten  Theil  ungenügend  untersucht.  Die 
Aufstellung  von  Gattungen  ist  deshalb  nur  als  ein  Compromiss 
zwischen  dürftigem  Wissen  und  allgemeinen  morphologischen  Er- 
wägungen aufzufassen,  mit  der  Reserve,  dass  später  vielleicht  eine 
einzige  Gattung  alle  diese  Formen  umfasst  und  dass  andere  einst- 
weilen hierher  gerechnete  Arten  später  anderweitig  untergebracht 
werden  müssen.    Ich  unterscheide  die  Untergattungen: 

1)  Arthro-Bakterium  oder  Bakterium  s.  str.  Die 
Einzelstäbchen  bilden  Fäden,  welche  gerade  oder  wellig  gebogen 
sind.    Es  findet  keine  Bildung  endogener  Sporen  statt  oder  dieselbe 

H neppe.  Formen  der  Baktorii'n  iri 


146 


Gattungen  der  Bakterien. 


ist  bis  jetzt  unbekannt.  Dies  ist  der  einzige  durchgreifende  Unter- 
schied gegen  Bacillus  und  Clostridium. 

2)  Spirulina  (Proteus).  Die  Fäden  können  gerade,  wellig 
gebogen  und  schraubig  gewunden  sein. 

III.  Gattung.  —  Arthro-Spirobakter i aceen.  Die 
vegetativen  Zellen  sind  schraubige  Stäbchen  und  die 
Fäden  Schrauben,  ebenso  wie  bei  Vibrio  und  Spirillum.  Der  ünterscliied 
liegt  nur  in  dem  Nachweise  von  Arthrosporen  oder  dem  fehlenden 
Nachweise  von  endogenen  Sporen. 

Untergattung :  S  p  i  r  o  c  h  a  e  t  a. 

Wenn  vorläufig  der  Name  Vibrio  nicht  für  endospore  Arten 
reservirt  werden  müsste,  wäre  es  vielleicht  bequemer  gewesen  diesen 
Namen  für  die  Gattung  zu  wählen.  Zur  Gattung  Spirochaeta  ge- 
hören die  bis  jetzt  bekannten  Kommabacillen ;  die  Spirochaeten  des 
Eückfallfiebers,  Fig.  14  II  f,  zeigen  in  den  schraubigen  Fäden  die 
auffallendste  Uebereinstimmung  mit  den  schraubigen  Fäden  der  so- 
genannten Kommabacillen  g;  selbst  die  vielleicht  mit  der  Fructi- 
fication,  der  Bildung  von  Arthrosporeu  zusammenhängenden  kugligen 
Gebilde  im  Verlaufe  der  Schrauben  sind  bei  beiden  Arten  bekannt. 

Zu  den  Arthrosporen-Bakterien  gehören  ferner  noch  folgende 
Gruppen : 

IV.  Leptotricheen.  Das  vegetative  Stadium  ist  durch 
Stäbchenformen  gebildet.  Die  Fäden  können  gerade,  wellig  gebogen 
und  schraubig  gewunden  sein  und  zeigen  bisweilen  dadurch,  dass 
das  eine  Ende  sich  festsetzt,  einen  Gegensatz  von  Basis  und  Spitze. 
Bei  der  Gliederung  der  Stäbchen  entstehen  kuglige  Glieder,  welche 
zum  Theil  sicher  als  Arthrosporen  aufzufassen  sind. 

1.  Gattung.  Leptothrix  von  Zopf  imterscheidet  sich  von 
den  Arthro-Bakteriaceen  nur  dadurch,  dass  die  Fäden  durch  Fest- 
setzen bisweilen  einen  Gegensatz  von  Basis  und  Spitze  zeigen.  Ich 
vermag  bis  jetzt  keinen  scharfen  Unterschied  zwischen  diesen  Gat- 
tungen zu  erkennen  und  halte  die  Möglichkeit  offen,  dass  diese  Gat- 
tungen Bakterium,  Spirulina  und  Leptothrix  vielleicht  später  in  eine 
einzige  natürliche  Gattung  Arthro-Bakteriiun  vereinigt  werden  können. 


Gattungen  der  Bakterien. 


147 


2.  Gattung.  Crenotlirix.  Die  Fäden  zeigen  Scheidenbil- 
dnng ;  in  den  Scheiden  können  sich  Eisensalze  ablagern ;  die  Arthro- 
sporen sind  vielleicht  schwärmfähig. 

3.  Gattung.  Beggiatoa.  Die  Fäden  ohne  Scheide.  Die  Zellen 
können  bei  der  Eeduction  von  Sulfaten  Schwefelkörner  in  sich  ablagern. 

'1.  Gattung.  Phragmidiothrix  ist  noch  von  zweifelhafter 
Zugehörigkeit  zu  den  Bakterien.  Die  Fäden  sind  in  niedrige  Cylin- 
derscheiben  gegliedert,  welche  sich  in  Halbscheiben,  Scheibenquadran- 
ten  und  schliesslich  in  Kugeln  gliedern. 

V.  Cladotricheen.  Die  vegetativen  Zellen  gehören 
den  Stäbchenformen  an.  Die  Fäden  mit  Scheiden  können 
gerade,  wellig  oder  schraubig  sein  und  zeigen  Verzweigung,  Fig.  5. 

Gattung:  Cladothrix. 

Wenn  auch  die  von  Cohn  zuerst  erkannte  Differenz  zwischen 
endogenen  Sporen  und  Gonidien  bei  der  Eintheilung  der  Bakterien 
von  de  Bar y  und  mir  als  wesentlichstes  Merkmal  hingestellt  wurde, 
so  ist  doch  andererseits  damit  zu  rechnen,  dass  die  Fructification 
bei  sehr  vielen  Bakterien  noch  unbekannt  ist,  so  dass  bei  der 
ersten  Bestimmimg  wohl  immer  nach  Formmerkmalen  verfahren 
werden  muss.  In  dieser  Hinsicht  bleiben  die  Formen  der  Einzel- 
zellen und  ihre  freien  oder  in  Zoogloea  vereinigten  Verbände  das 
Wichstigste  und  erst  wenn  auf  diese  Weise  die  erste  Erkennung 
eingetreten  ist,  kann  auf  Grund  der  genauen  Ermittelung  der 
Sporenbildung  die  definitive  Zuweisung  zu  einer  bestimmten  Gattung 
erfolgen.  Hat  man  z.  B.  Stäbchen  und  Fäden  ohne  Scheiden 
beobachtet ,  so  ist '  es  unsicher ,  ob  es  sich  um  die  Gattungen 
Bakterium,  Bacillus  oder  Clostridium  handelt.  Ermittelt  man 
keine  Sporenbildung,  so  handelt  es  sich  um  Bakterium,  findet  man 
ohne  Formveränderungen  der  Zellen  endogene  Sporen,  dann,  aber 
auch  erst  dann  hat  man  ein  Recht,  die  Stäbchenbakterien  Bacillus  zu 
nennen.  Findet  man  schraubige  Stäbchen  rmd  Fäden,  so  bleibt  zu- 
nächst die  Wahl  zwischen  Spirillum,  Vibrio  oder  Spirochaeta.  Der 
Nachweis  von  endogenen  Sporen  ohne  Veränderung  der  Schrauben- 
form weist  die  Formen  den  Spirillen  zu,  während  bei  Fehlen  oder 
nicht  gelingendem  Nachweis  von  endogenen  Sporen  vorläufig  die 
Diagnose  Spirochaeta  zu  lauten  hätte. 

10* 


148 


Gattungen  der  Bakterien. 


in  Ivetten  an- 
geordnet, 


Zoogloea,  massig; 
Streptokokkus 

Zoogloea  sehr  stark 


Sporen  endogen? 
Arthrosporen  oder 
Sporen  unbekannt 


zu  4  ange-  (  daneben  kleine  Ketten 
l  daneben  keine  Ketten 


ordnet 

zu  8  angeordnet  J   '  '  ' 

miregelmäs-  |  Zoogloea  unbestimmt  

l  feige  Haufen  |  zoogloea  in  Kugeln  gegliedert 


kleinere  oder 
längere  Fä- 
den, ohne  Ge- 
gensatz von 

Basis  und 
Spitze;  Fäden 

flexil  oder 
starr 


Fäden  mit 
Gegensatz 
von  Basis  und 
Spitze 


schraubige 
Fäden,  flexil  ' 
oder  starr 


Fäden  gerade  oder  wellig,  keine  endo- 
genen Sporen   

Fäden  gerade,  wellig  oder  schraubig, 

keine  endogenen  Sporen  ". 

•  ohne  Veränderung 

Fäden  gerade  oder    der  Zelle  


wellig,  Sporen  <  mit  Veränderung 


endogen 


Fäden  ohne 
Scheide 

Fäden  mit 
Scheide 


der  Zelle,  Spindel- 
stäbchen   


StrciilokdktuK? 

Arlhro-Slreiilokokkiig. 
Leuconosloc. 
Meritia. 

Sarcina. 

Mikrokokkn». 
Askokokkus. 

Ariliro-BakleriDin. 
Spiralina. 
Cacilias. 

Closlridiam. 


ohne  Einlagerun- 
gen von  Schwefel  Lcpiolhris. 

mit  Einlagerungen  von 
Schwefelkörnern .  .  .  Beggiaioa. 

unverzweigt  C'renolbrix. 

verzweigt   Cladoilirix. 


Bildung  von  Arthrosporen  oder  unbe- 
kannte Fructification  Siiirocliacta. 

■  mit   Aenderung  der 

endogene  Form  Vibrio. 

Sporen        ohne  Aenderung  der 

Form  Spirilliim. 


Die  ontogenetischen  Beziehungen  der  Bakterien  sind  noch 
so  unklar,  dass  es  jetzt  noch  gar  nicht  möglich  ist.  gegen  jeden 
Einwand  gesicherte  natürliche  Gattungen  abzugrenzen.  Der  Eine 
wird  unter  einer  Gattung  viele  Formen  und  Arten  zusammenfassen, 
die  ein  Anderer  noch  in  viele  Gattungen  getrennt  wissen  will.  Mein 
vermittelnder  Vorschlag  sucht  nur  auf  dem  von  Cohn,  van 
Tieghem  und  de  Bary  betretenen  Wege  einen  weiteren  Schritt 
zu  ermöglichen  und  die  gegenseitige  Verständigung  zu  erleichtern 


Phylogenetische  Beziehungen  der  Bakterien.  149 

Deshalb  war  ich  genöthigt,  entgegen  dem  Usus,  alle  Schwächen 
meiner  Eintheihmg  selbst  darzulegen,  um  möglichst  gegen  Missver- 
ständnisse geschützt  zu  sein. 


XII. 

Phylogenetische  Beziehungen  der  Bakterien. 

Wie  ganz  anders  müssen  sich  bei  derartiger  Sachlage  die  Ver- 
suche gestalten,  etwa  die  phylogenetischen  Beziehungen  der 
Bakterien  klarzustellen.  Während  bei  ausschliesslicher  Berücksich- 
tigung der  Wuchsformen  die  Bakterien  sämmtlich  auf  einen  einheit- 
lichen Ursprung  hinweisen,  wird  dies  sofort  anders,  wenn  man  die 
Pructification  berücksichtigt. 

Die  endosporen  Bakterien  sind  sicher  nahe  verwandt  mit  den 
arthrosporen  Arten,  aber  bis  jetzt  fehlt  das  vermittelnde  Glied. 
Enthält  vielleicht  die  Gattung  Streptokokkus  in  dem  oben  von  mir 
erläuterten  Sinne  endospore  und  arthrospore  Arten  oder  stammen 
die  beiden  Reihen  von  einer  ausgestorbenen  Stammform?  In  diesem 
Falle  liessen  sich  durch  folgenden  Stammbaum  die  etwaigen  Bezie- 
hungen der  durch  die  Pructification  jetzt  noch  scharf  geschiedenen 
Gruppen  darstellen. 

Stammform. 

/  I 

(Endospore  Streptokokkus  ?) — Arthro-Streptokokkus 

II  /     I  \ 

Bacillus  —  Clostridium    Leuconostoc   Merista  Arthro-Bakterium 

■   I  .  I  /      i  I  \ 

Spirillum — "Vibrio         Mikrokokkus    Sarcina   Spirulina  Spirochaeta 

Askokokkus  Leptothrix 

/       I  \ 
Beggiatoa    Crenothrix  Cladothrix. 

Dass  die  Bakterien  die  nächsten  Beziehungen  zu  Spaltalgen 
besitzen  haben  Perty  1852  und  Cohn  1853  gezeigt,  indem  sie 
besonders  die  Padenbakterien  mit  den  Oscillarien  für  nahe  verwandt 


150 


Phylogenetische  Beziehungen  der  Bakterien. 


hielten.  Besonders  Zopf  hat  diesen  Nacliweis  so  gesichert,  dass, 
ganz  abgeselien  von  den  chlorophyllführenden  Arten,  jede  morpho- 
logische Beziehung  zu  ächten  Pilzen  zurückgewiesen  werden  muss. 

So  lange  man  nur  die  Wuchsformen  kannte,  hielt  es,  wie  Cohn 
dies  dargelegt  hat,  nicht  schwer  für  jede  Formgattung  der  Bakterien 
eine  verwandte  Formgattung  der  Spaltalgcn  zu  finden.  An  Mikro- 
kokkus  schliessen  sich  die  Chrookokkaceen  an,  und  unter  diesen 
Merista  und  Sarcina  am  engsten  an  die  Formgattung  Merismopedia. 
Die  Fadenbakterien  gehören  zu  den  Oscillaria;  Spirochaeta  zur  frü- 
heren Formgattung  Spirulina.  Auf  diese  Weise  hatte,  wie  schon 
S.  34  erwähnt,  Cohn  die  einzelnen  Formgattungen  der  Bakterien 
mit  den  Spaltalgen,  welche  ähnliche  Verbände  der  Einzelzellen  zeigen, 
in  nähere  Beziehungen  gestellt  als  zu  anderen  Formgattungen  der 
Spaltalgen.  Diese  Forraähnlichkeit  genügt  aber  nicht  sicher  zur 
Ermittelung  der  natürlichen  Verwandtschaftsverhältnisse,  nachdem 
sich  einerseits  herausgestellt  hat,  dass  die  Fadenbakterien  auch 
Zoogloea  bilden  können  und  nachdem  besonders  Zopf  ermittelt  hat, 
-dass  die  nicht  fädigen,  Zoogloea-bildenden  Spaltalgen,  die  Chroo- 
kokkaceen den  fädigen,  den  Nostochineen,  näher  stehen.  Speciell 
hatte  Zopf  gefunden,  dass  viele  fädige  Spaltalgen  Chrookokkaceen- 
ähnliche  Entwicklungszustände  durchmachen  können  und  bei  Tolypo- 
thrix  fand  er  Entwicklungsformen,  welche  morphologisch  von  der 
Formgattung  Nostoc  nicht  zu  unterscheiden  waren. 

Nach  derartigen  Ermittelungen  wird  man  wohl  die  Beziehungen 
der  Bakterien  zu  den  Spaltalgen  nicht  mehr  ausschliesslich  nach  der 
Form  einzelner  besonders  auffälliger  Entwicklmigsstadien  durchführen 
dürfen.  Man  wird  im  Allgemeinen  noch  Leuconostoc  an  Nostoc, 
Sarcina  an  Merismopedia,  Mikrokokkus  und  Askokokkus  an  Chroo- 
kokkaceengattungen  im  bisherigen  Sinne  anknüpfen  können,  ohne 
damit  aber  sicher  natürliche  Verwandtschaftsbeziehungen  ermittelt 
zu  haben.  Dagegen  scheinen  die  Beziehungen  von  Beggiatoa  zu 
Oscillaria,  von  Crenothrix  zu  Chamaesiphon,  von  Cladothrix  zu  Toly- 
pothrix  unter  den  Spaltalgen  wirkliche  phylogenetische  zu  sein. 

Die  sicher  endosporen  Arten  lassen  sich  mit  keiner  Gattung 
der  Spaltalgen  direct  in  Beziehung  stellen,  sondern  sie  nehmen  sich 
wie  eine  nicht  weiter  entwickelte  Seiteukette  aus.    Die  endogene 


phylogenetische  Beziehungen  der  Bakterien. 


151 


Spore  findet  nur  ein  Analogon  in  den  Cysten  einiger  Flagellaten, 
wie  Spumella  und  Chromulina.  Auf  der  anderen  Seite  ist  es  auf- 
fallend, wie  ähnlich  besonders  die  Monasformen  manchen  anderen 
Flagellaten  sind.  Hiernach  ergeben  sich,  wie  schon  Bütschli  und 
de  Bary  angedeutet  haben,  noch  folgende  Möglichkeiten  über  die 
Abstammung  der  Bakterien  und  ihrer  beiden  Hauptgruppen. 


Flagellata  ( 


endospore  Bakterien, 


\  arthrospore  Bakterien  —  Spaltalgen 
oder  Flagellata  —  unbekannte  Stammform  { 


y  endospore  Bakterien, 


\  arthrospore  Bakterien, 
oder  Flagellata-  /endospore  Streptokokkus  —  endospore  Bakterien, 
Streptokokkus  \  Arthro-Streptokokkus  —  arthrospore  Bakterien. 
Eine  weitere  Frage  phylogenetischer  Art,  welche  sich  hier  an- 
schliesst,  betrifft  die  Beziehungen  der  Algen  zu  den  Spaltalgen.  In 
dieser  Hinsicht  genügt  wohl  die  Andeutung,  dass  es  durchaus  noch 
nicht  genügend  raotivirt  ist,  dass  die  Spaltalgen  direct  zu  den  Algen 
hinüberleiten,  derart,  dass  die  Bakterien  die  niedrigste  Abtheilung 
dieser  Keihe  des  Pflanzenreiches  bilden.    Es  ist  recht  wohl  möglich,' 
dass  die  Algen  sich  neben  den  Bakterien  und  Spaltalgen  aus  un- 
bekannten Stammformen  entwickelt  haben,  von  denen  die  Spaltalgen 
einen  abgeschlossenen  Seitenzweig  bilden,  während  die  Algen  die 
Hauptreihe  des  Pflanzenreiches  einleiten. 

Derartige  Erwägungen,  welche  nur  unter  vollster  Kenntniss 
aller  Wuchsformen  und  der  Entwicklungsgeschichte  überhaupt  dis- 
cutirbar  sind,  zeigen  wohl  zweifellos,  dass  mit  schroffer  und  ein- 
seitiger Stellungnahme  nichts  Brauchbares  auf  dem  Gebiete  der 
Morphologie  der  Bakterien  zu  leisten  ist.  Wohl  aber  ist  eine  un- 
befangene Beurtheilung  möglich,  wenn  man  einerseits  mit  de  Bary 
und  mir  den  Hauptwerth  im  Anschlüsse  an  die  grundlegenden  Ar- 
beiten von  Cohn,  Prazraowski  und  van  Tieghem  auf  die 
Fructification  legt  und  andererseits  als  gleichwerthig  die  Gre- 
sammtheit  aller  Wuchsformen ,  im  Anschlüsse  an  die  älteren 
Desiderate  von  Cohn,  berücksichtigt.  Einstweilen  ist  es  noch  nicht 
möglich  immer  zur  Aufstellung  von  natürlichen  Gattungen  und  Arten 
zu  gelangen  und  unser  jetziges  Wissen  zwingt  uns  noch  oft  genug, 
nur  um  überhaupt  Klarheit  zu  gewinnen,  provisorisch,  wenn  auch 


152 


Phylogenetische  Beziehungen  der  Bakterien. 


in  beschränktem  Maasse,  Formgattiingen  und  Formarten  aufzustellen. 
Die  praktischen  Aufgaben  der  Bakteriologie  für  Pathologie,  Hygiene 
und  Physiologie  werden  im  Grossen  und  Ganzen  durch  diese  Unsicher- 
heiten wenig  alterirt,  aber  die  richtige  morphologische  Lösung  ent- 
scheidet oft  mit  einem  Schlage  eine  strittige  Frage,  so  dass  eine 
genauere  Kenntniss  der  Morphologie  und  der  durch  dieselbe  zu  lösen- 
den Aufgaben  auch  für  Physiologie  und  Pathologie  oft  von  grösserem 
Werthe  ist,  als  der  Praktiker  im  Allgemeinen  geneigt  ist  dieser 
vorwiegend  botanischen  Seite  der  Forschung  zu  widmen. 


i 


i 


1 


i 


1 


j 

i 


5  My  :r534 


i 


1 


i 


j