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Full text of "Benjamin Franklin's jugendjahre"

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t 


X' jCiSs-c. 


7°*°3 


BENJAMIN  FRANKLIN'S 


JUGEND  JAHRE, 


' . " 

von  ihm  felbft 


für  feinen  Sohn  befchrieben 


t 


und  überfetzt 


von 

Gottfried  Augufl  Bürger. 


Berlin,  1792. 

Bey  Heinrich  Auguft  Rottmann. 


J 


( 


« 


» 


Benjamin  Franklin’s 

Jugendjahre. 


Mein  lieber  Sohn, 

Ich  habe  mir  das  Vergnügen  gemacht, 
einige  kleine  Anecdoten  von  unferer  Fa* 
miiie  zu  fammeln.  Du  wirft  dich  wohl 
noch  der  Nachforfchungen  erinnern,  die 
ich  unter  den  mir  noch  übrigen  Verwand- 
ten, als  wir  zulammen  in  England  wa* 
ren , anftellte , fo  wie  auch  der  Reife die 
ich  deshalb  unternahm.  Vermuthlich  ift 
es  dir  eben  fo  angenehm,  als  mir,  alle 
Uinftände  meiner  Herkunft  und  meine# 
Lebens  zu  kennen,  von  welchen  dir  ein 

A 2 


4 Benjamin  Franklin’s 

grofser  Theil  noch  unbekannt  ift.  Ich 
will  fie  für  dich  niederfchreiben;  und 
die  ungeftörte  Mufse  einer  Woche  dar- 
auf verwenden,  welche  mir  mein  gegen- 
wärtiger Aufenthalt  auf  dem  Lande  ver- 
fpricht.  Aufserdern  werde  ich  auch  noch 
durch  andere  ziemlich  triftige  Gründe 
dazu  veranlafst.  Aus  dem  Schoofse  der 

Armuth  und  der  Dunkelheit,  worin  ich 

i 

geboren  wurde,  und  die  Jahre  meiner 
Jugend  verlebte,  llieg  ich  in  einen  Zu- 
ftand  des  Ueberflufles,  und  auf  eine  ziem- 
lich hohe  Stufe  des  Ruhmes  in  der  Welt 
empor.  Das  Glück  blieb  bis  in  mein  ho- 
hes Alter  mein  unzertrennlicher  Beglei- 
ter. Vielleicht  wünfchen  meine  Nach- 
kommen die  Mittel  zu  wißen,  die  ich  an- 
wandte, und  weiche,  Dank  fey  der  hel- 
fenden Vorfehung,  fo  gut  anfchlugen. 
Sie  können  ihnen  einigen  Nutzen  gewah- 
ren, wenn  fie  fich  jemals  in  ähnlichen 
Lagen  befinden  füllten. 

Diefes  Glück,  wenn  ich,  wie  öfters 
gefchah,  darüber  nachdachte,  veranlafste 


5 


Jugendjahre. 

mich  bisweilen  zu  fagen:  wenn  es  mir 
angeboten  würde , fo  wollte  ich  wohl 
eben  diefelbe  Lebensbahn  noch  einmal 
von  einem  Ende  bis  zum  andern  durch- 
laufen. Ich  würde  mir  nur  das  Recht 
der  Schriftfteller  ausbedingen,  bey  einer 
neuen  Ausgabe  ihrer  Werke  die  Fehler 
der  erften  zu  verb eifern.  Allenfalls  möch- 
te ich  auch  wohl  einige  kleine  Zufälle 
und  Begebenheiten  meines  Lebens  gegen 
grindigere  vertaufchen.  Indeflen  wenil 
mir  auch  diefer  Punct  verweigert  würde, 
fo  wäre  ich  nichts  defto  weniger  bereit, 
wieder  von  vorn  anzufangen.  Weil  man 
nun  aber  das  Leben  felbft  nicht  wieder- 
holen kann,  fo  mufs  man  diun,  was  die- 
fem  am  nächften  kommt;  man  mufs  fei- 
ne Begebenheiten  ins  Gedächtnifs  zu- 
rückrufen, und  damit  das  Andenken  cle- 
flo  dauerhafter  fey,  diefelben  nieder- 
fchreiben.  Bey  diefem  Gefchäfte  werde 
ich  dem  natürlichen  Hange  der  Greife, 
von  fich  felbft  und  ihren  eigenen  Hand- 
lungen zu  reden,  nachgeben,  und  mich 


6 Benjamin  Franklin’s 

diefem  um  fo  williger  überlaflen,  je  we- 
niger ich  dadurch  denen  befchwerlich 
falle,  die  fich  etwa  aus  Ehrfurcht  für 
mein  Alter  verpflichtet  halten  könnten, 
mich  anzuhören.  Denn  zu  lefen  brau- 
chen fle  mich  doch  nicht,  wenn  fle  nicht 
felbft  wollen.  Endlich  gefchieht  dadurch 
auch  meiner  Eitelkeit  vielleicht  Genüge, 
welches  ich  lieber  freywillig  bekenne,  da 
mir,  wenn  ich  es  leugnete,  doch  Nie- 
mand glauben  würde.  Denn  fall  nie  hör- 
te oder  las  ich  die  Einleitungs  -Phrafen : 
Ohne  Eitelkeit  kann  ich  Jagen  u.  f.  w.  ohne 
dafs  irgend  ein  Zug  der  entfchiedenflen 
Eitelkeit  unmittelbar  nachgefolgt  wäre. 

Die  meiften  Menfchen  hallen  die  Ei- 
telkeit an  Andern,  fo  viel  ihnen  auch 
immer  felbft  davon  zu  Theile  geworden 
feyn  mag.  Was  aber  mich  beüift,  fo 
ift  fle  mir  überall  willkommen,  wo  ich 
fle  finde,  weil  ich  überzeugt  bin,  dafs 
fle  fo  wohl  ihrem  Befitzer  als  auch  de- 
nen vortheilhaft  ift,  welche  fleh  in  fei- 
nem Wirkungskreife  befinden.  Es  würde 


Jugendjahre.  7 

daher  in  gar  manchen  Fällen  eben  nicht 
widerfinnig  feyn,  wenn  ein  Menfch  fei- 
ne Eitelkeit  zu  den  übrigen  Annehm- 
lichkeiten feines  Eebens  mitzählte,  und 
der  Vorfehung  Dank  dafür  fagte. 

Hier  ift  der  Ort,  wo  ich  in  aller  De- 
muth  bekennen  mufs,  dafs  ich  eben  die- 
fer  göttlichen  Vorfehung  das  Glück  ver- 
danke, welches  ich  bis  hieher  genoffen 
habe.  Sie  allein  hat  mir  die  Mittel  dar- 
geboten, welche  ich  angewendet  habe, 
und  hat  he  mir  gelingen  Iahen.  Mein 
Glaube  in  diefem  Stücke  läfst  mich  we- 
nigftens  hoffen,  wenn  ich  auch  nicht  mit 
Gewifsheit  darauf  rechnen  kann , dafs 
der  Himmel  feine  Güte  auch  noch  fer- 
ner an  mir  beweifen  werde,  entweder 
dadurch,  dafs  er  die  Dauer  meines  Glü- 
ckes bis  an  das  Ziel  meines  Eebens  er- 
flrecket,  oder  dafs  er  mir  Kraft  genug 
giebt,  einen  harten  ITmfchlag  deffelben 
zu  ertragen,  dc-n  ich  eben  fo  leicht,  als 
viele  Andere,  erfahren  kann.  Mein  zu- 
künftiges Glück  kennt  nur  derjenige, 


8 Benjamin  Franklin'* 

deflen  Hand  unfer  Schickfal  lenkt,  und 
welcher  felbft  unfere  Drangfale  zu  un- 
ferm weit  gröfsern  Wohlfeyn  dienen  laf- 
fen  kann. 

Einer  meiner  Oheime,  beflHTen  wie 
ich,  Familien- Anecdoten  zu  fammeln, 
gab  mir  einige  Papiere , woraus  ich  meh- 
rere Umflände  entlehnt  habe,  die  unfere 
Vorfahren  betreffen.  Ich  habe  daraus 
erfelien,  dafs  fie  feit  wenigftens  drey- 
hundert  Jahren  in  einem  und  ebendem- 
felben  Dorfe,  Eaton  in  Northampton- 
fhire , auf  einem  Freygute  von  ungefälir 
dreyfsig  Morgen  Landes  gelebt  haben. 
Mein  Oheim  hatte  nicht  ausfindig  ma- 

f 

ehen  können,  wie  lange  fie  fchon  vor 
diefer  Zeit  dafelbft  'zugebracht  haben 
mochten.  Sie  wohnten  hier  vielleicht 
fchon  feit  der  Zeit,  da  fie,  nach  der 
Weife  anderer  Bürger  durch  das  ganze 
Königreich,  die  fich  befhindige  Namen 
beylegten,  den  Familien -Namen  Frank- 
lin annahmen,  der  vorher  Perfonen  ei- 
ner gewiflen  Claffe  bezeichnete. 


Jugendjahre.  g 

’ Diefes  kleine  Eigenthum  würde  zu 
ihrem  Unterhalte  nicht  hinreichend  ge- 
wefen  feyn,  wenn  nicht  bis  auf  feine 
Zeiten  das  Schmiedehandwerk  in  der  Fa- 
milie hergebracht  gewefen  wäre , in  wel- 
chem befländig  der  ältefte  Sohn  unter- 
richtetwurde. Diefe  Gewohnheit  befolg- 
ten Er  und  mein  Vater  ebenfalls  in  An- 
fehung  ilirer  älteflen  Söhne: 

Die  Unterfuchungen,  die  ich  zu  Ea- 
ton anftellte,  ergaben  in  Anfehung  ih- 
rer Geburten,  Heirathen  und  Sterbefälle 
keine  befondere  Auskunft,  als  erft  feit 
dem  Jahre  1555,  'weil  das  Kirchenregi- 
llei  dafelbfl  nicht  über  diefen  Zeitpunct 
hinausgeht.  Aus  diefem  Regifter  erfah 
ich,  dafs  ich  durch  fünf  Zeugungen  hin- 
auf immer  der  jüngfte  Sohn  des  jiing- 
flen  Sohnes  war.  Mein  Grofsvater  Tho- 
mas, geboren  1598,  lebte  zu  Eaton,  bis 
er  zu  alt  wurde , fein  Handwerk  fortzu- 
fetzen, da  er  fich  denn  nach  Banbun*  in 
Oxfordfhire  zu  feinem  Sohn  Johann,  ei- 
nem Färber,  begab,  bey  rvelchem  meiu 


io  Benjamin  Franklin’ s 

Vater  in  der  Lehre  ftand.  Mein  Ur- 
grofsvater  ftarb  dafelbft,  und  ward  auch 
da  begraben.  Wir  fahen  J758  fein  Denk- 
mal. Sein  ältefter  Sohn , Thomas , blieb 
in  dem  väterlichen  Haufe  zu  Eaton,  und 
hinterliefs  diefes,  famt  der  Länderey, 
feiner  einzigen  Tochter,  welche  felbiges 
nachher  mit  Beyftimmung  ihres  Eheman- 
nes Herrn  Fifchers  von  Wallingborongh , 
an  Herrn  Eßed,  gegenwärtigen  Eigen- 
tümer des  Scliloifes  zu  Eaton , ver- 
kaufte. 

Mein  Urgrofsvater .hinterliefs  vier  le- 
bende Söhne,'  nehmlich  Thomas,  Jo- 
hann, JSenjamin  und  Sofias.  Ich  will  dir 
von  ihnen  fo  viel  mittheilen,  als  mein 
Gedächtnifs  mir  darbietet;  denn  ich  ha- 
be meine  Papiere  nicht  bey  der  Hand, 
in  welchen  du  umftändlichere  Nachrich- 
ten finden  wirft,  wenn  fie  anders  wäh- 
rend meiner  Abwefenheit  nicht  verloren 
gegangen  find. 

Thomas  hatte  das  Schmiedehandwerk 
von  feinem  Vater  erlernet.  Da  er  aber 


Jugendjahre,  1 1 

von  Natur  viel  Geiftesgaben  befafs,  fo 
bildete  er  diefe  auf  Antrieb  des  Herrn 
Palmer  Efq.,  vornehmflen  Einwohners 
des  Kirchfprengels,  durch  Studien  aus. 
Eben  diefer  munterte  auch  meine  übri- 
gen Oheime  auf,  etwas  zu  lernen.  Tho- 
mas brachte  es  auf  diefe  Axt  fo  weit, 
dafs  er  mit  Notariatsgefchäften  umgehen 
konnte;  wurde  bald  ein  fehr  nothwendi- 
ger  Mann  in  den  Angelegenheiten  der 
Provinz,  und  eine  der  vofnehmften 
Triebfedern  aller  öffentlichen  Unterneh- 
mungen, fo  wohl  der  Graffchaft  und 
Stadt  Northampton,  als  auch  feiner  Ge- 
meinheit. Man  erzählte  uns  zu  Eaton 
manchen  merkwürdigen  Zug  von  ihm. 
Ungemein  geachtet  und  begünftigt  von 
dem  Lord  Hallifax  Harb  er  am  6 Jänner 
1702>  gerade  vier  Jahre  vor  meiner  Ge- 
burt. Das,  was  uns  einige  alte  Perfo- 
nen  im  Dorfe  von  feinem  Leben  und 
Charakter  erzählten,  war,  wenn  ich  mich 
recht  erinnere,  wegen  der  aufserordent- 
lichen  Aehnlichkeit  mit  dem,  was  du 


12 


Benjamin  Franklin’s 

von  mir  felbfl  wufstefi: , dir  fo  auffallend, 
dafs  du  noch  fagtefl:  Wenn  er  vier  Jah- 
re fpäter  gefhorben  wäre,  fo  möchte  man 
eine  vorgegangene  Seelenwanderung  an- 
nehmen. \ 

Johann  wurde,  wie  ich  glaube,  zum 
Handwerk  eines  W ollenfärbers  erzogen. 

Bznjamin  lernte  in  London  die  Sei- 
denfärberey;  und  war  ein  fehr  betrieb- 
famer  Menfch.  Ich  erinnere,  mich  fei- 
ner noch  fehl*  wohl:  denn  er  kam,  wäh- 
rend meiner  Kindheit,  zu  meinem  Va- 
ter nach  Boßon,  und  lebte  eine  Zeit 
lang  bey  uns  im  Haufe.  Er  und  mein 
Vater  trugen  eine  befondere  Zuneigung 
zu  einander,  und  er  war  mein  Taufpa- 
the.  Er  brachte  es  zu  einem  hohen  Al- 
ter; und  hinterliefs  handfchrifdich  zwey 
Quartbände  feiner  Poefien,  behebend 
aus  kleinen  flüchtigen  Stücken,  die  an 
feine  Freunde  gerichtet  waren.  Eine 
Art  von  Schriftverkürzung,  die  er  für 
lieh  erfunden  hatte,  brachte  er  auch  mir 
bey;  da  ich  mich  aber  derfelben  nie- 


Jugendjahre.  . 13 

mals  bedienet,  fo  habe  ich  fie  nun  wie- 
der vergehen.  Er  war  fehr  fromm,  und 
befuchte  fleifsig  die  Predigten  der  bellen 
Kanzelredner , die  er  nach  feiner  Schnel- 
ligkeits-Methode fehr  gern  nachzufchrei- 
ben  pflegte.  Er  hat  davon  mehrere  Bän- 
de gefammelt.  Auch  war  er  ein  grofser 
und  für  feine  Lage  vielleicht  allzu  grof- 
fer  Liebhaber  der  Politik.  Ich  fand  letzt- 
hin zu  London  von  ihm  eine  Sammlung 
von  Blättern,  welche  die  öffentlichen  An- 
gelegenheiten  vom  Jahr  164J  an  bis  1717 
betrafen.  So  viel  üch  aber  aus  der  Zah- 
lenreihe abnehmen  läfst,  fo  fehlen  meh- 
rere Bände,  wiewolil  noch  acht  Bände 
in  Folio,  und  vier  und  zwanzig  in  Quart 
und  Octav  übrig  find.  Diefe  Sammlung 
war  in  die  Hände  eines  Antiquars  ge- 
fallen, welcher  mir  fie  brachte,  weil  er 
wufste , dafs  ich  Bücher  von  ihm  gekauft 
hatte.  E$  fcheinet,  dafs  mein  Oheim  fie 
zurückgelaffen  hatte,  als  er  ungefähr  vor 
fünfzig  Jahren  nach  America  gegangen 
war.  Ich  habe  darin  viele  Anmerkungen 


14  Benjamin  Franklin’s 

von  feiner  Hand  ain  Rande  gefunden. 
Sein  Enkel,  Samuel  Franklin,  lebt  gegen- 
wärtig noch  zu  Bußon. 

Unfere  geringe  Familie  hatte  fchon 
fehr  früh  die  Reformation  angenom- 
men. Auch  während  Mariens  Regie- 
rung blieben  unfere  Väter  derfelben  mit 
Treue  zugethan , und  geriethen  damals 
wegen  ihres  Eifers  gegen  das  Pabftthum 
in  Gefahr,  beunruhigt  zu  werden.  Sie 
befafsen  eine  englifche  Bibel.  Diefe  zu 
verbergen  und  in  Sicherheit  zu  bringen, 
hatten  fie  den  Einfall,  felbige  ganz  aufge- 
fchlägen  unter  dem  Deckel  eines  Nacht- 
ftuhls  mit  Schnüren  zu  befeftigen.  Wenn 
nun  mein  Aelterväter  feiner  Familie  et- 
was daraus  vorlefen  wollte,  fo  wendete 
er  den  Deckel  auf  feinen  Rnieen  um. 
und  ichlug  die  Blätter  auf,  welche  durch 
die  Schnüre  zufämmengeh  alten  wurden. 
Eines  feiner  Kinder  f and  Wache  an  der 
Thür,  um  Nachricht  zu  geben,  wenn 
ein  Diener  des  geifllichen  Gerichts  fielt 
feiten  liefse.  In  diefem  Falle  wurde  der 


Jugendjahre.  15 

\ 

Deckel  fogleich  wieder  gehörig  auf  fei- 
nen Nachtftuhl  geftiilpt,  und  die  Bibel 
blieb  darunter  wie  vorher  verborgen. 

o 

Ich  habe  diefe  Anecdote  von  meinem 
Oheim  Benjamin. 

Bis  gegen  das  Ende  der  Regierung 
Carls  des  zweyten  blieb  die  ganze  Fa- 
milie der  englifchen  Kirche  zugethan. 
Als  aber  um  diefe  Zeit  einige  Prediger 
als  Nonconformiften  abgefetzt ' wurden , 
und  Zufammenkünfte  in  Northampton- 
ßiire  hielten,  fo  gefeilten  fach  Benjamin 
und  Joßas  unzertrennlich  zu  ihnen.  Die 
übrigen  Mitglieder  der  Familie  blieben 
Anhänger  der  bifchöflichen  Kirche. 

IVIein  Vater  Jujius  hatte  lieh  fehr  jung 
verheirathet.  Um  das  Jahr  1632  führte 
er  feine  Gattin  famt  drey  Kindern  nach 
Neu -England.  Denn  als  damals  die  Zu- 
fammenkünfte durch  das  Gefetz  verbo- 
ten und  öfters  beunruhigt  wurden,  fo  be- 
fchlolfen  verfchiedene  angefehene  Perfo* 
nen  von  feiner  Bekanntfchaft  nach  Ame- 
rika überzugehen,  wofelbft  fie  fach  eine 


^ . J 

16  Benjamin  Franklin’ s 

freyere  Religionsübun’g  verfprachen,  und 
bewegten  ihn , fie  zu  begleiten. 

Meinem  Vater  wurden  in  America 
von  ebenderfelben  Frau,  noch  vier  Kin- 
der, von  einer  zweyten  aber  noch  zehn 
andere,  mithin  in  allem  üebenzehn  ge- 
boren. Ich  erinnere  mich  deren  drey- 
zehn  rund  um  den  Tifch  gefehen  zu  ha- 
ben, die  alle  mannbar  wurden  und  fich 
verheiratheten.  Ich  war  der  letzte  Sohn 
und,  zwey  Töchter  ausgenommen,  das 
jüngfte  Kind.  Ich  wurde  zu  Boßon  in 
Neu -England  geboren.  Meine  Mutter, 
die  ZAveyte  Gattin,  war  Abia  Folger,  eine 
Tochter  Peter  Folgers,  eines  der  edlen 
Anbauer  von  Neu-England,  deflien  Cot- 
ton Mather  in  feiner  Kirchengefchiclue 
von  cliefer  Provinz  eine  ehrenvolle  Mel- 
dung thut,  indem  er  ihn,  wenn  ich  mich 
anders  feiner  Ausdrücke  recht  erinnere, 
einen  frommen  und  gelehrten  Engländer 
nennet.  Vom  Hörenfagen  weife  ich, 
dafe  er  verfchiedene  kleine  Aulfätze  ge- 
fchrieben  hat,  wovon  aber  nur  ein  ein- 
ziger 
* • 


) 


Jugendjahre.  17 

ziger  gedruckt  worden  ift.  Ich  habe  ihn 
fchon  vor  mehrern  Jahren  einmal  gefe- 
hen.  Er  fclirieb  ilin  um  das  Jahr  1675, 
und  zwar  in  gemeinen  Verfen,  nach 
dem  Gefchmacke  feines  Zeitalters  und 
feines  L'andes.  Er  redet  darin  diejeni- 
gen an,  welche  damals  am  Ruder  fafsen; 
und  fpricht  fo  wohl  überhaupt  für.  die 
Freyheit  des  Gewifiens,  als  befonders  zu 
Gunften  der  Anabaptiften,  Quaker  und 
anderer  Secten  Anhänger,  welche  ver- 
folgt worden  waren.  Diefen  Verfolgun- 
gen fchreibt  er  die  Kriege  mit  den  Ein- 
gebornen,  und  andere  Drangfale  zu, 
welche  das  Land  drückten,  indem  er  fie 
als  Strafgerichte  Gottes  über  fo  verhafste 
Beleidigungen  anfieht;  und  ermahnt  die 
Regierung,  diefe  der  chriftlichen  Liebe 
fo  fehr  widerfprechenden  G efetze  abzu- 
fchaflen.  Diefes  Stück  fchien  mir  mit 
einer  männlichen  Freymüthigkeit  und 
befcheidenen  Einfalt  abgefafst  zu  feyn. 
Ich  erinnere  mich  noch  der  fechs  letz- 
ten  Verfe  der  Schlufsßanze.  Die  zwev  1 


lg  Benjamin  Franklin’s 

erden  habe  ich  zwar  vergehen , allein  der 
Sinn  derfelben  war,  dafs  ihm  das  Wolil- 
wollen  diefen  Tadel  eingegeben,  und 
dafs  et  alfo  als  V erf aher  hat  bekannt  feyn 
wo.llen.  Ich  hälfe,  fagt  er,  von  ganzem 
Herzen  die  Verftellung,  und  fchliefst: 
Zu  Sherburne  *)  wohn’  ich  jetzt  und 

fchreibe, 

Dafs  ich  flets  euer  wahrer  Freund, 
Der’s  ganz  und  gar  nicht  böfe  meint, 
Mit  Namen  Peter  Folger  bleibe. 

Meine  Brüder  wurden  alle  zu  verr 
fchiedenen  Handwerkern  in  die  Lehre  ge- 
than;  ich  aber  kam,  in  einem  Alter  von 
acht  Jahren , in  eine  öffentliche  Schulan-. 
Halt  ( College).  Mein  Vater  beftimmte 
mich  der  Kirche,  und  fah  mich  fchon 
für  den  Almofenpfleger  der  Familie  an. 
Die  Fertigkeit,  mit  welcher  ich  in  mei- 
net frühften  Kindheit  lefen  gelernt  hatte 
(denn  ich  erinnere  mich  wirklich  nicht 
mehr  der  Zeit,  da  ich  noch  nicht  hätte  le* 

*)  Fäac  Stadt  auf  der  lufel  Nantucket. 


*9 


Jugendjahre. 

fen  können) , und  die  Beyftimmung  aller 
feiner  Freunde,  die  ihm  verficherten, 
dafs  ich  ganz  gewifs  ein  Gelehrter  wer- 
den würde,  beftärkten  ihn  in  diefem  Vor- 
haben. Mein  Oheim  Benjamin  billigte 
diefes  ebenfalls,  und  verfprach , mir  alle 
feine  Predigtbücher  zu  fchenken,  welche 
in  den  oben  erwähnten  von  ihm  erfunde- 
nen Schriftzeichen  gefchrieben  waren, 
wenn  ich  mir  nur  die  Mühe  geben  wollte, 
felbige  zu  erlernen. 

Ich  blieb  indeflen  noch  nicht  völlig 
ein  Jahr  in  cliefer  Anhalt,  ob  ich  gleich 
in  diefer  kurzen  Zeit  nach  und  nach  aus 
der  Mitte  einer  JahresclalTe  bis  an  die 
Spitze  eben  derfelben , und  von  da  in  die 
Claffe  unmittelbar  über  derfelben  rückte, 
aus  welcher  ich  am  Schluffe  des  Jahres 
in  die  folgende  übergehen  follte.  Allein 
mein  Vater,  beläftigt  mit  einer  zahlrei- 
chen Familie,  fah  fich  nicht  im  Stande, 
die  Koften  der  Erziehung  in  einer  folchen 
Schulanftalt  ohne  feine  Befchwerde  zu  be- 
ftreiten.  Da  er  übrigens  erwagte,  und 

B 2 


■20  Benjamin  Franklin’s 

diefs  auch  gegen  feine  Freunde  in  mei- 
ner Gegenwart  äufserte,  wie  wenig  Hülfs- 
quellen  fich  einem  auf  folche  Art  erzoge- 
nen Kinde  auf  diefer  Laufbahn  darböten, 
fo  gab  er  feinen  erften  Vorfätz  auf,  nahm 
mich  aus  dem  Collegio  zurück,  und 
fchickte  mich  in  eine  Schreib-  und  Re- 
chenfchule,  welche  Herr  Georg  Browneil 
hielt.  Diefer  war  ein  gefchickter  Lehrer, 
dem  der  Unterricht  in  feinem  Fache  mei- 
ftentheils  überaus  wohl  gelang , indem  er 
immer  die  angenehmflen  und  fchicklich- 
flen  Mittel  anwandte , feine  Lehrlinge  zu 
ermuntern.  Unter  ihm  lernte  ich  bald  gar 
fchön  fchreiben;  fcheiterte  aber  an  der 
Rechenkunft,  und  machte  darin  nicht 
den  mindeften  Fortfcliritt. 

Als  ich  zehn  Jahr  alt  war,  wurde  ich 
wieder  nach  Haufe  geholt,  um  meinem 
Vater  in  feinem  Gewerbe  zu  helfen. 
Diefs  beftand  in  Lichter  ziehen  und  Sei- 
fe fieden.  Denn  ob  er  gleich  diefe  Hand- 
werke nicht  förmlich  gelernt  hatte,  fo  er- 
griff er  fre  doch  nach  feiner  Airkunft  in 


Jugendjahre.  s l 

Neu-England,  weil  erfand,  dafs  die  Fär- 
berey  zu  wenig  im  Gange  war,  um  die 
Nothdurft  für  die  Erziehung  feiner  Fa- 
milie abzuwerfen.  Ich  wurde  daher  nun 
angeftellt,  Tachte  zu  den  Lichten  zu 
fclineiden,  die  Formen  anzufüllen,  den 
Laden  zu  hüten,  als  Bote  zu  laufen,  und 
was  dergleichen  mehr  war. 

Diefs  Gefchäft  mifsfiel  mir,  und  ich 
hatte  eine  harke  Neigung  zur  Schifier- 
kunde, wowider  fich  aber  mein  Vater  er- 
klärte. Gleichwohl  gab  mir  die  Nachbgr- 
fchaft  des  Wafiers  Gelegenheit,  mich  fehr 
oft  fo  wohl  hinein,  als  darauf  zu  wagen. 
Ich  lernte  fehr  früh  fchwimmen  und  ein 
Fahrzeug  führen.  Wenn  ich  mich  mit 
andern  Kindern  eingefchifft  hatte,  fo  ver- 
trauete  man  mir  gemeiniglich,  und  be- 
fonders  in  fchwierigen  Fällen,  das  Steuer- 
ruder an.  Bey  jeder  andern  Gelegenheit 
war  ich  faft  immer  derjenige,  der  den 
Haufen  anführte,  und  ihn  auch  bisweilen 
in  Verlegenheiten  verwickelte.  Ich  will 
dir  davon  ein  Beyfpiel  erzählen,  das  eine 


*2  2 Benjamin  Franklin’s 

frühe  Geiftes -Anlage  zu  öffentlichen  Un- 
ternehmungen verrath,  obgleich  diefe 
eben  nicht  durch  Gerechtigkeit  geleitet 
wurde. 

Ein  Mühlenbehält;er  ftiefs  auf  einer 
Seite  an  einen  Salzteich , an  deffen  Stran- 
de wir  zur  Zeit  der  Fluth  kleine  Fifche 

% 

zu  fangen  pflegten.  Durch  unfere  häu- 
figen Fufstritte  war  es  darauf  fehr  kotliig 
geworden.  Mein  Vorfchlag  war  dalier, 
hier  ein  Steinpflaller  anzulegen,  worauf 
wir  trocknen  und  feilen  Fufses  einhertre- 
ten  könnten.  Ich  zeigte  meinen  Spielge- 
fellen  einen  grofsen  Haufen  Steine,  die 
zwar  zu  einem  neuen  Haufe  unweit  des 
Salzteiches  beflimmt,  aber  auch  zu  un- 
ferm Zwecke  fehr  brauchbar  waren.  Ei- 
nes Abends,  als  die  Arbeitsleute  fich  ent- 
fernt hatten,  brachte  ich  eine  Anzahl 
meiner  Gefellen  zufammen,  und,  indem 
wir  fo  fleifsig  wie  die  Ameifen  arbeite- 
ten, und  an  manchem  Steine  zu  dreyen 
fchleppten,  trugen  wir  fie  alle  von  dan- 
nen, und  brachten  unfern  kleinen  Stein- 


Jugendjahre.  23 

dämm  zu  Stande.  Am  nächben  Morgen 
wufsten  die  Arbeitsleute  nicht,  wie  ih- 
nen gefchah,  da  fie  ihre  Steine  nicht  mehr 
fanden,  die  alle  nach  unferer  Ghauflee 
gewandert  waren.  Man  forfchte  nach  den 
Urhebern;  wir  wurden  entdeckt;  man  be- 
klagte fich  darüber ; mehrere  von  uns  er- 
fuhren eine  Züchtigung  von  ihren  El- 
tern; und  ob  ich  mich  gleich  auf  den  Nu- 
tzen diefes  Werkes  berief,  fo  bewies  mir 
doch  mein  Vater,  dafs  dasjenige,  was 
nicht  mit  der  Rechtfchaffenheit  bebe» 
he,  auch  nicht  wahrhaftig  nützlich  feyn 
könne. 

Vielleicht  intereflirt  es  dich  zu  wiffen, 
was  für  ein  Mann  mein  Vater  war.  Er 
War  von  vortrefliclier  Leibesbefchaffen- 

heit,  von  Mittelgröfse,  wohlgebildet,  auf- 

/ 

ferordendich  bark  und  gewandt  in  allem, 
was  er  unternahm.  Er  zeichnete  ganz  ar- 
tig; verband  ein  wenig  Mufik;  feine 
Stimme  war  tönend  und  angenehm;  fo 
dafs,  wenn  er  die  Pfalmen  fang,  ünd  da- 
zu die  Violine  brich,  welches  er hiswei» 


24  Benjamin  Franklin’s 

len  nach  vollbrachtem  Tagewerke  des 
Abends  that,  es  eine  wahre  Luft  war, 
ilim  zuzuhören.  Auch  war  er  in  der  Me- 
chanik bewandert,  und  wufste  fich  im 
Falle  der  Noth  auch  der  Werkzeuge  an- 
derer Handwerker  gefchickt  zu  bedienen. 
Das  Vorzüglichfte  aber  an  ihm  war  ein 
gefunder  Verftand , und  eine  richtige  Ur- 
theilskraft  im  Fache  der  Weltklugheit  bey 
öffentlichen  fo  wohl  als  Privat  - Angele- 
genheiten des  Lebens.  Mat  jenen  gab  er 
lieh  zwar  eigentlich  nicht  ab,  weil  die 
zahlreiche  Familie,  die  er  zu  erziehen 
batte,  und  fein  geringes  Vermögen,  ihn 
unabläffig  an  fein  Gewerbe  feffelten;  al- 
lein ich  erinnere  mich  doch  fehr  Avohl, 
dafs  die  Vorgefetzten  ihm  nicht  feiten  zu- 
fprachen,  ihn  um  feine  Meinung  in  An- 
gelegenheiten fo  wohl  der  Stadt,  als  auch 
der  Kirche,  welcher  er  zugethan  war,  be- 
fragten, und  dafs  fein  Urtheil  und  fein 
Rath  ungemein  viel  bey  ihnen  galten. 
Privatleute  berathfclilagten  fich  ebenfalls 
fehr  viel  mit  ihm  in  fchwierigen  Fallen 


Jugendjahre.  25 

über  ihre  Angelegenheiten,  und  nicht 
feiten  wählten  ihn  breitende  Parteyen  zu 
ihrem  Schiedsrichter. 

So  oft  es  anging,  hatte  er  gern  einige 
Freunde,  oder  aufgeklärte  Nachbarn,  mit 
welchen  er  fich  unterhalten  konnte , bey 
ficli  zu  Fifche.  Er  fuchte  dabey  immer 
die  Unterredung  a^f.finnreiche  und  nütz- 
liche Gegenftände  zu  lenken,  die  zur 
Bildung  des  Geiftes  feiner  Kinder  etwas 
beytragen  konnten.  Solchergeftalt  lenkte 
.er  unfere  Aufmerkfamkeit  auf*das,  was 
gut,  gerecht,  klug  und  nützlich  im  Le- 
benswandel ift.  Niemals  war  die  Rede 
von  Gerichten,  die  auf  dem  Tifche  er- 
fchienen;  nie  fetzte  man  auseinander,  ob 
fie  wohl  oder  übel  zubereitet,  ob  he  das 
Neue  vom  Jahre  oder  nicht,  ob  fie  von 
gutem  oder  fchlechtem  Gefchmacke,  ob 
fie  diefem  oder  jenem  Dinge  von  eben 
der  Art  vorzuziehen,  oder  nachzufetzen 
wären.  Auf  diefe  Weife  von  meiner 
Kindheit  an  zur  vollkommenften  Unacht 
famkeit  in  Anfehung  diefer  Gegenftände 


2 6 Benjamin  Franklin’s 

gewohnt,  iß  es  mir  von  je  her  völlig 
gleiphgültig  gewefen,  was  für  Gerichte 
vor  mir  ftünden,  und  noch  gegenwärtig 
gebe  ich  fo  wenig  darauf  Acht,  dafs  es 
mir  wenige  Stunden  nach  der  Mahlzeit 
fehr  fchwer  feyn  würde,  zu  fagen,  aus 
was  für  Gerichten  fie  behänden  habe. 
Die  Vortheile  cliefer  Angewohnheit  habe 
ich  befonders  auf  Reifen  erfahren.  Denn 
nicht  feiten  habe  ich  mich  mit  Perfonen 
zufammen  gefunden,  die  mit  ihrem  mehr 
an  Leckereyen  gewöhnten  Gefchmacke  in 
gar  manchen  Fällen  fich  fehr  übel  befan- 
den , wo  mir  nicht  das  mindeße  zu  wün- 
l'chen  übrig  blieb. 

Auch  meine  Mutter  war  am  Leibe 
vollkommen  wohl  befchaffen.  Sie  hat 
alle  ihre  zehn  Kinder  gefäuget,  und  nie- 
mals habe  ich  fo  wenig  an  ihr  als  an  mei- 
nem Vater  eine  andere  Krankheit  wahr- 
genommen, als  diejenige,  woran  beyde, 
jene  85  und  diefer  87  Jahr  -alt,  verßar- 
ben.  Sie  liegen  beyfammen  in  Boßon 
begraben,  wo  ich  ihnen  vor  einigen  Jah- 


Jugendjahre.  sjr 

ren  einen  Marmorftein  mit  diefer  Infchrift 
errichtet  habe: 

Hier  ruhen 

Josias  Franklin  undAßiAS  fein  Weib. 
Liebend  lebten  Ae  59  Jahre  beyfammen, 
und  ohne  liegende  Güter,  ohne  ein 
gewinnreiches  Gewerbe,  nur  durch 
rafllofe  Arbeit  und  rühmliche  Betrieb- 
famkeit,  gefegnet  vom  Himmel,  un- 
terhielten lie  ftandesmafsig  eine  zahl- 
reiche Familie,  und  erzogen  glücklich 
dreyzehn  Kinder  und  heben  Enkel. 
Lefer,  diefes  Beyfpiel  ermuntere  dich, 
die  Pflichten  deines  Berufes  fleifsig  zu 
erfüllen,  und  auf  die  Unterflützung 
der  Vorfleht  zu  rechnen. 

Er  war  fromm  und  klug ; 

Sie  befcheiden  und  tugendhaft. 

Ihr  jüngfter  Sohn  erfüllte  feine  kindli- 
che Pflicht,  indem  er  ihrem  Anden- 
ken diefen  Stein  weihte. 

Ich  erfehe  aus  meinen  weiten  Ab- 
fchweifungen,  dafs  ich  alt  werde.  Ehe- 


2 8 Benjamin  Franklin’s 

mals  fchrieb  ich  mit  mehr  Methode. 
Aber  man  kleidet  fich  auch  nicht  für 
eine  Privatzufammenkunft,  wie  für  einen 
Prachtball.  Diefs  ift  jedoch  vielleicht  gar 
Nachteiligkeit. 

Um  wieder  auf  mich  felbft  zurückzu- 
kommen, fo  beharrte  ich  bey  dem  Ge- 
werbe meines  Vaters  zwey  Jahre  hin- 
durch, bis  ich  nehmlich  zwölf  Jahre  alt 
war.  Um  diefe  Zeit  verliefs  mein  Bru- 
der Johann,  der  eben  diefes  Handwerk 
erlernet  hatte,  meinen  Vater,  verheira- 
thete  und  fetzte  fich  auf  Rhod- Island  auf 
eigene  Rechnung.  Allem  Anfehn  nach 
war  ich  nunmehr  beftiinmt,  feine  Stelle 
zu  erfetzen , und  lebenslang  ein  Lichtzie- 
her zu  bleiben.  Aber  mein  Widerwille 
gegen  diefes  Gefchäft  hielt  an,  und  liefs 
meinen  Vater,  wenn  er  mir  nicht  ein  an- 
genehmeres daxböte,  billig  befürchten, 
dafs  ich  ihm  entwifchen  und  zu  Voller 
gehen  möchte,  wie  es  fchon  zu  feinem 
grofsen  Mifsvergnügen  mein  Bruder  Jo- 
ßas  gemacht  hatte.  Daher  führte  er  mich 


Jugendjahre.  Qg 

bisweilen  zu  den  Werkftätten  der  Mau- 
rer, der  Tifchler,  der  Fafsbinder,  der 
Kupferfchmiede  u.  f.  w.,  um  meinen  Ge- 
fchraack  puszuforfchen , und  mich  zur 
Wahl  irgend  eines  Handwerkes  zu  be- 
flimmen,  welches  mich  auf  dem  Lande 
zurückhielte.  Es  hat  mir  feitdem  immer 
viel  Vergnügen  gemacht*  gute  Hand- 
werksleute ihre  Werkzeuge  handhaben 
zu  fehen,  und  es  ift  mir  ungemein  nütz- 
lich gewefen , dadurch  fo  viel  gelernt  zu 
haben,  um  allerley  Kleinigkeiten  felbft 
verfertigen  zu  können , wenn  nicht  gleieh 
ein  Künffler  bey  der  Hand  war.  Ich  habe 
auf  diefe  Weife  allerley  kleine  Mafchie- 
nen  zu  meinen  Verfuchen  gerade  als- 
dann zufammengefetzt,  wenn  meine  Auf, 
merkfamkeit  noch  gefpannt  war,  und  der 
Zweck,  den  ich  mir  vorgefetzt  hatte, 
noch' recht  lebhaft  meinem  Geilte  von 
fchwebte. 

Endlich  wurde  mein  Vater  mit  fich 
eins , dafs  ich  ein  Melferfchmidt  werden 
folite.  Zum-Verfuche  fchickte  er  mich 


3»  Benjamin  Franklins 

auf  einige  Tage  zu  Samuel,  dem  Sohne 
meines  Oheims  Ben jamin,  der  diefes 
Handwerk  in  London  erlernt,  und  fich 
fo  eben  zu  Boßon  niedergelaflen  hatte. 
Da  aber  das  Lehrgeld,  welches  er  foderte, 
meinem  Vater  nicht  anhand,  fo  wurde 
ich  wieder  nach  Haufe  gerufen. 

Schon  von  Kindesbeinen  an  war  ich 
auf  das  Bücheriefen  heftig  geheuert  ge- 
wefen,  und  hatte  das  wenige  Geld,  def- 
fen  ich  habhaft  werden  konnte , auf  Bü- 
cher verwendet.  Vorzüglich  liebte  ich 
Reifebefchreibungen,  und  die  Samm- 
lung von  Bunyan,  in  kleinen  einzelnen 
Bänden  war  das  erhe,  zu  delfen  Belitz 
ich  gelangte.  Ich  verkaufte  he  hernach 
wieder,  um  mir  die  liihorifchen  Samm- 
lungen des  R.  Burion  anfchaffen  zu  kön- 
nen. Diefe  behänden  aus  kleinen  Bän- 
den, die  nicht  viel  koheten,  und  deren 
überhaupt  vierzig  oder  fünfzig  feyn 
mochten. 

Die  kleine  Bibliothek  meines  Vaters 
behänd  vornehmlich  aus  theologifch-po- 


Jugendjahre.  3 1 

lemifchen  und  practifchen  Schriften.  Ich 
las  fie  gröfstentheils  durch.  Nicht  feiten 
habe  ich  es  in  der  Folge  bedauert,  dafs 
in  einer  Zeit,  da  ich  eine  fo  grofse  Lern, 
begierde  hatte , nicht  zweckmafsigere 
Schriften  in  meine  Hände  gefallen  waren, 
weil  es  damals  fchon  entfchieden  war, 
dafs  ich  kein  Geilllicher  werden  follte. 
Indeflen  befanden  fich  doch  die  Lebens- 
befchreibungen  des  Plutarch  darunter, 
die  ich  fehr  fleifsig  las.  Die  Zeit,  welche 
ich  ihnen  widmete,  halte  ich  noch  jetzt 
für  nützlich  angewendet.  Aufserdem 
fand  ich  darunter  ein  Werk  von  Fon,  mit 
dem  Titel:  Verfuch  über  Projekte,  wel 
dies  vielleicht  Eindrücke  bey  mir  hinter- 
iiefs,  die  in  der  Folge  auf  einige  der  vor- 
nehmften  Ereignifle  meines  Lebens  Ein- 
flufs  gehabt  haben. 

Meine  Neigung  zu  den  Büchern  be- 
llimmte  endlich  meinen  Vater,  einen 
Buchdrucker  aus  mir  zu  machen,  ob- 
gleich fchon  ein  anderer  Sohn  einer  war. 
Mein  Bruder  Jacob  war  1717  aus  Eng. 


32  Benjamin  Franklin’s 

land  zurückgekommen,  und  hatte  eine 
Prefle  nebft  Schriften  mitgebracht,  um 
ferne  Druckerey  zu  Bofton  anzulegen. 
Diefes  Gewerbe  gefiel  mir  ungleich  mehr, 
als  das  meines  Vaters;  dennoch  behielt 
ich  immer  meine  Vorliebe  für  das  Meer. 
Um  nun  der  Wirkung  eines  folchen  Han- 
ges zuvorzukommen,  fo  verlangte  mei- 
nen Vater  mit  wahrer  Ungeduld,  mich 
bey  meinem  Bruder  angeftellt  *zu  fehen. 
Nachdem  ich  mich  einige  Zeit  geweigert, 
liels  ich  mich  endlich  dennoch  bereden, 
und  Unterzeichnete  meinen  Lehrvertrag, 
als  ich  noch  nicht  über  zwölf  Jahr  alt  war. 
Man  Avar  überein  gekommen,  dafs  ich 
bis  in  mein  ein  und  ZAvanzigftes  Jahr 
Lehrling  bleiben,  und  nicht  eher  als  im 
letzten  Jahre  Gefellenlolm  bekommen 
füllte. 

Tn  kurzer  Zeit  hatte  ich  grofse  Fort- 
fchritte  in  diefer  Kunft  gemacht,  und  ich 
Avurde  meinem  Bruder  ein  felir  brauchba- 
rer Gehülfe.  Jetzt  hatte  ich  Gelegenheit, 
belfere  Bücher  zu  bekommen.  Die  V er- 
hält- 


33 


Jugendjahre. 

hältnifle,  in  denen  ich  mit  den  Lehrlin- 
gen der  Buchhändler  Hand,  erlaubten  mir 
fogar  von  Zeit  zu  Zeit  ein  Buch  von  ih- 
nen zu  erborgen , welches  ich  denn  im- 
mer fehr  pünctlich  und  ohne  Befchädi- 
gung  wieder  zurückgab.  Wie  oft  habe 


mit  Lefen  in  meiner  Kammer  zugebracht, 
wenn  das  mir  Abends  geliehene  Buch 
am  nächften  Morgen  in  aller  Frühe  wie- 
der an  Ort  und  Stelle  feyn  mufste,  weil 
man  entweder  befürchtete , dafs  der  Man- 
gel entdeckt,  oder  dafs  es  verlangt  wer- 
den möchte. 

Nach  Verlauf  einiger  Zeit  wurde  ein 
Kaufmann,  Herr  Mathäus  Adams , ein 
Mann  von  Geilt,  der  eine  artige  Bücher- 
fammlung  befafs,  und  öfters  in  unfere 
Druckerey  kam,  aufmerkfam  auf  mich. 
Diefer  lud  mich  ein,  feine  Bibliothek  zu 
befehen,  und  war  fo  gefällig,  mir  dieje- 
nigen Bücher  zu  leihen  ■,  die  ich  lefen 
wollte.  Ich  gewann  damals  der  Po  ehe 
Gefchmack  ab,  und  verfertigte  felbft  eini- 

C 


34-  Benjamin  Franklin*» 

ge  kleine  Stücke.  Mein  Bruder,  der  da- 
bey  feine  Rechnung  zu  finden  glaubte, 
munterte  mich  auf,  und  veranlafste  mich 
zwey  Balladen  zu  verfertigen.  Die  Eine, 
unter  dem  Titel:  Tragödie  des  Pharus, 

enthielt  eine  umftändliche  Erzählung  des 
Sclnffbruchs  des  Gapitän  Worthilake,  mit 
feinen  zwey  Töchtern;  die  andere  war 
ein  Matrofenlied  auf  die  Aufbringung 
des  berüchtigten  Seeräubers,  Troch,  oder 
Schwarzbart  genannt.  Diction  und  Verfe 
waren  erbärmlich,  wie  in  Blindemanns 
Riedern.  Als  fie  abgedruckt  waren, 
fchickte  er  mich  damit  durch  die  Stadt 
zum  Verkauf.  Das  erde  fand  einen  ganz 
erftaunlichen  Abgang , weil  die  Begeben- 
heit noch  neu  war,  und  grofses  Auffehn 
gemacht  hatte. 

Diefer  Erfolg  fchmeichelte  meiner  Ei- 
tekeit;  allein  mein  Vater  fcldug  gar  bald 
meinen  Mudi  nieder,  indem  er  meine 
Prouucte  lächerlich  machte,  und  behaup- 
tete, dafs  die  Verfemacher  immer  arme 
Teufel  wären.  Auf  diefe  Art  entging  ich 


Jugendjahre.  35 

noch  dem  Unglück,  ein  Poet,  und  wahr  - 
fcheinlich  noch  dazu  ein  fchlechter,  zu 
werden.  Weil  aber  die  Fähigkeit  in  Pro- 
fe  zu  fchreiben  mir  im  Verfolg  meines 
Lebens  von  grofsem  Nutzen  gewefen  ift, 
und  das  meifte  zu  meiner  Beförderung 
beygetragen  hat,  fo  will  ich  dir  erzäh- 
len, durch  was  für  Mittel  ich  in  mei- 
ner damaligen  Lage  die  geringe  Fertig- 
keit erlangte,  die  ich  hierin  etwa  be- 
fitzen  mag. 

Es  befand  fich  noch  ein  anderer  jun- 
ger Burfche  in  der  Stadt,  ein  grofser 
Bücherfreund,  mit  Namen  Johann  Col- 
lins,  mit  welchem  ich  auf  das  engfte 
verbunden  war.  Wir  difputirten  oft  zu- 
fammen,  hielten  dabey  fehr  auf  Bündig, 
keit,  und  flrebten  nach  nichts  fo  fehr, 
als  wie  einer  den  andern  in  den  Sack 
flecken  möchte.  Diefe  Lenkung  des  Gei- 
ftes  zum  Streit,  um  diefs  im  Vorbeygehn, 
zu  fagen,  kann  fehr  leicht  zu  einer  höchft 
Übeln  Gewohnheit  ausfchlagen,  die  ih- 
ren Mann  nicht  feiten  ganz  unerträglich 

C 2 


36  Benjamin  Franklin’s 

in  Gefellfchaften  macht,  weil  fie  fich 
nicht  anders,  als  durch  Widerlpruch  äuf- 
fem  läfst.  Abgereclinet  den  Aerger  und 
den  Tumult,  den  fie  in  der  Gefellfchaft 
erregt,  bringt  fie  auch  Widerwillen,  ja 
vielleicht  Feindfchaft  gerade  da  hervor, 
wo  einem  mit  Freundfchaft  gedient  ge- 
wefen  wäre.  Ich  hatte  mir  diefe  Sucht 
aus  den  religiöfen  Difputir -Büchern  mei- 
nes Vaters  an  den  Hals  gelefen.  Nach- 
her habe  ich  bemerkt,  dafs  vernünftige 
Leute  feiten  in  diefen  Fehler  verfallen, 
aufser  etwa  Jurilten,  Univerfitäts- Ver- 
wandte, und  Leute  aller  Art,  die  zu 
Edimbourg  erzogen  worden  find. 

Einfl,  ich  weifs  felbll  nicht  wie,  er- 
hob fich  zwifclien  Collins  und  mir  ein 
Streit  über  die  Erziehung  der  Weiber, 
nehmlich,  ob  es  gut,  oder  nicht  gut  wä- 
re, fie  für  die  Wiffenfchaften  zu  erzie- 
hen, und  ob  fie  zum  Studieren  etwas 
taugten.  Er  war  für  das  Nein,  und  be- 
hauptete, dafs  diefe  Laufbahn  weit  über 
ihre  Kräfte  hinausreichte.  Ich,  vielleicht 


Jugendjahre.  3/ 

blofs  aus  Difputirluft,  verfocht  die  ge- 
genfeitige  Meinung.  Er  war  von  Natur 
weit  beredter,  als  ich;  die  Worte  flohen 
ßromweife  von  feinen  Lippen ; und  zu- 
weilen, wie  mirs  vorkam,  hielt  mich 
mehr  die  Geläufigkeit  feiner  Zunge,  als 
die  Stärke  feiner  Gründe  nieder.  Wir 
fchieden  von  einander,  ohne  Eins  ge- 
worden zu  feyn , und  weil  wir  fo  ge. 
fchwind  nicht  wieder  zufammen  kommen 
konnten,  fo  brachte  ich  meine  Gründe 
zu  Papier,  und  fchickte  ihm  davon  eine 
zierliche  Abfchrift  zu.  Er  antwortete, 
und  ich  erwiederte ; und  fo  waren  fchon 
drey  oder  vier  Briefe  hin  und  her  ge- 
wechfelt,  als  mein  Vater  über  diefe  Pa- 
piere gerieth  und  fie  las.  Ohne  fich  auf 
den  Gegenlland  de$  Streites  einzuiahen, 
nahm  er  nur  Gelegenheit,  mir  etwas  über 
meine  Schreibart  zu  fagen.  Er  bemerkte, 
dafs,  ob  ichs  gleich  in  Anfehung  der 
JRechtfchreibung  und  Interpunction,  wel- 
ches ich  der  Druckerey  verdankte,  mei- 
nem Gegner  zuvorthäte,  ich  dennoch 


38  Benjamin  Franklin’s 

\ 

demfelben  in  der  Zierlichkeit  des  Aus- 
drucks , fo  wie  in  Ordnung  und  Klarheit 
weit  nachffände.  Er  überzeugte  mich 
davon  durch  mehrere  Beyfpiele.  Ich 
fühlte  die  Richtigkeit  feiner  Bemerkun- 
gen, wurde  von  nun  an  weit  aufmerk- 
famer  auf  die  Sprache,  und  befchlofs 
mein  möglichftes  zu  thun,  um  mich  im 
Styl  vollkommener  zu  machen. 

Mittlerweile,  da  diefes  vorging,  fiel 
mir  ein  einzelner  Band  des  Zufchautrs 
in  die  Hände.  Es  war  der  dritte.  Ich 
hatte  fonft;  noch  nichts  davon  gefehen; 
Ich  kaufte,  las  und  las  ihn  wieder;  ich 
war  davon  bezaubert;  ich  fand  die 
Schreibart  darin  vortrefflich;  und  wünfch- 
te  fie  nachahmen  zu  können.  Um  da- 
hin zu  gelangen,  nahm  ich  einige  Auf- 
fätze,  brachte  den  Inhalt  jeder  Periode 
in  einen  kurzen  Auszug,  und  legte  dann 
alles  auf  ein  Paar  Tage  zur  Seite.  Hier- 
auf verfuchte  ich  es,  ohne  das  Buch  zu 
öffnen,  den  ganzen  Auffatz  wieder  her- 
zuftellen,  und  jeden  Gedanken,  fo  wie 


f 


\ 


Jugendjahre. 


39 


er  im  Buche  fland,  in  feiner  ganzen 
Fülle  einzukleiden , indem  ich  mich  der 
eigenen  Worte  bediente,  die  meinem 
Geifte  hch  darboten.  Alsdann  verglich 
ich  meinen  Zufchauer  mit  dem  Origi- 
nal, nahm  einige  meiner  Fehler  wahr, 
und  verbefferte  he.  Aber  ich  fand,  dafs 
es  mir  an  Wortvorrath,  wenn  ich  fo  fa- 
gen  darf,  und  an  der  gehörigen  Leich- 
tigkeit fehlte,  die  Wörter  herbeyzuho- 
len  und  anzuwenden,  wozu  ich  es,  wie 
mir  däucht,  vor  diefem  Zeiträume  ge- 
bracht haben  würde,  wenn  ich  fortge- 
fahren hätte,  Verfe  zu  machen.  Das  be- 
ftändige  Bedürfnifs  vieler  Wörter  von 
ähnlicher  Bedeutung,  dabey  aber  ver- 
fchieden , fowohl  an  Sylbenzahl , und 
Maafs,  als  auch  am  Klange  für  den 
Beim,  würde  mich  genöthigt  haben, 
beftändig  mancherley  Synonymen  aufzu- 
fuchen.  Diefe  würden  hch  meinem  Ge* 
-dächtnifs  eingeprägt,  und  ich  würde 
mich  ihrer  Meifter  gemacht  haben.  Da- 
her nahm  ich  einige  Erzählungen  des 


\ 


{o  Benjamin  Franklin'* 

1 

Zufchauers  und  brachte  lie  in  Verfe, 
Nach  Verlauf  einer  gewiflen  Zeit,  wenn 
ich  das  Original  völlig  vergeffen  hatte, 
brachte  ich  fie  wieder  in  Profe. 

Bisweilen  mifchte  ich  auch  alle  mei- 
ne Auszüge  bunt  durch  einander;  und 
einige  Wochen  darnach  fuchte  ich  fie 
erft  wieder  in  eine  belfere  Ordnung  zu 
bringen,  ehe  ich  anfing,  die  Perioden 
auszubilden,  und  die  ganze  Abhand- 
lung vollfländig  zu  machen.  Diefs  dien- 
te zur  Erwerbung  einer  Methode  in  An- 
ordnung der  Gedanken.  Wenn  ich  her- 
nach mein  Machwerk  mit  der  Urfehrift 
verglich,  fo  entdeckte  ich  viele  Fehler, 
die  ich  verbelferte.  Aber  bisweilen  hatte 
ich  doch  auch  das  Vergnügen,  mir  ein- 
bilden zu  dürfen , dafs  ich  in  manchen 
Kleinigkeiten  glücklich  genug  gewefen 
wäre,  fo  wohl  Methode,  als  Sprache  zu 
verbefTern,  und  diefs  belebte  in  mir  die 
Hoffnung,  dafs  ich  es  mit  der  Zeit  viel- 
leicht dahin  bringen  würde,  ganz  er- 
träglich englifch  zu  fchreiben,  welches 


Jugendjahre.  41 

einer  der  vorziiglichften  Gegenftande 
meines  Ehrgeizes  war. 

Die  Zeiten , welche  ich  auf  diefe  Ue- 
bungen  und  auf  mein  Lefen  verwandte , 
waren  der  Abend  nach  vollbrachter  Ar- 
beit des  Tages,  der  Morgen  vor  dem 
Anfang  der  Gefchäfte,  und  der  Sonntag, 
wenn  es  mir  gelang,  allein  in  der  Dru- 
ckerey  zu  bleiben,  indem  ich  mich  vom 
Kirchengehen  losmachte.  Auf  letzteres 
pflegte  mein  Vater  fehr  zu  halten,  fo 
lange  ich  noch  bey  ihm  im  Haufe  war; 
und  in  der  That  hielt  ich  es  zwar  auch 
noch  für  Pflicht,  nur  däuchte  mir,  hätte 
ich  jetzt  nicht  mehr  Zeit  genug , fie  aus- 
zuüben. 

Als  ich  ungefähr  fechzehn  Jahr  alt 
war,  las  ich  ein  JVerk  von  Tryon , in 
welchem  er  die  Eebensnalirung  aus  dem 
Pflanzenreiche  empfiehlt.  Ich  befchlofs 
fie  anzunehmen.  Mein  Bruder,  welcher 
unverheirathet  war,  hatte  keine  eigene 
Haushaltung,  und  liefs  fich  daher  nebft 
feinen  Lehrlingen  anderwärts  beköftigen. 


42  Benjamin  Franklin’s 

Meine  Weigerung,  Fleifch  zu  elfen,  fiel 
zur  Laft,  und  man  zankte  nicht  feiten 
mit  mir  über  meine  Sonderbarkeit.  Ich 
unterrichtete  mich  über  die  Art,  nach 
welcher  Tryon  einige  feiner  Gerichte  zu- 
bereitete, z.  B.  wie  er  Kartoffeln  und 
Reis  abkochte,  daraus  auf  der  Stelle  Pud- 
dings , und  einige  andere  Gerichte  mach- 
te. Ich  fagte  darauf  zu  meinem  Bruder, 
wenn  er  mir  wöchentlich  nur  halb  fo 
viel  auszahlen  wollte,  als  ihm  mein  Tifch 
koftete,  fo  wollte  ich  mich  felbfl  beköfti- 
gen.  Er  nahm  diefen  Vorfclilag  auf  der 
Stelle  an,  und  ich  fand  felir  bald,  dafs 
ich  auch  mit  der  Hälfte  desjenigen,  fo 
er  mir  gab,  fertig  werden  konnte.  Diefs 
wurde  ein  neues  Mittel  zum  Bücheran- 
kauf; aber  ich  fand  auch  dabev  noch 
andere  Vortheile.  Wenn  mein  Bruder 
und  die  Gefellen  die  Druckerey  verlief- 
fen,  um  zu  Tifche  zu  gehen,  fo  blieb 
ich  dafclbft,  und  indem  ich  mit  meiner 
kleinen  Mahlzeit,  die  oft  aus  nichts  mehr, 
als  einem  Zwieback , oder  einem  Schnitt 


43 


Jugendjahre. 

Brot,  nebft  einer  Handvoll  Rofinen,  oder 
einem  Stück  Kuchen  vom  Pafletenbecker 
und  einem  Glafe  Waffer  behänd,  fertig 
war,  fo  konnte  ich  die  ganze  übrige  Zeit 
bis  zu  ihrer  Rückkehr  ftuclieren.  Meine 
Fortfehritte  ftanden  mit  derjenigen  Klar- 
heit der  Vorftellungen , und  mit  derjeni- 
gen Schnelligkeit  der  Begriffe  im  Ver- 
hältniffe,  welche  die  Frucht  der  Mäfsig- 
keit  im  Elfen  und  Trinken  find. 

Um  diefe  Zeit  fügte  fichs,  dafs  ich 
mich  einft  über  meine  Unwiffenheit  in 
der  Rechenkunft,  die  ich  in  der  Schule 
zu  lernen  fchon  zweymal  verfehlt  hatte, 
fchämen  mufste.  Ich  nahm  daher  ein 
Rechenbuch  von  Co^cker  zur  Hand  und 
erlernte  fie  ganz  allein  mit  der  gröfsten 
Leichtigkeit.  Ich  las  auch  das  Buch  über 
die  Schiffahrtskunde  von  Seiler  und  Stur- 
my , unterrichtete  mich  über  das  Weni- 
ge, fo  fie  von  Geometrie  enthielten, 
brachte  es  aber  niemals  weit  in  diefer 
WifTenfchaft.  Ungefähr  um  eben  die 
Zeit  las  ich  auch  den  Vet Juch  über  den 


44  Benjamin  Franklin’s  • 

menfchlichen  Verßand  von  Locke  und  die 
Kunfi  zu  denken  der  Herren  de  Port- 
Royal. 

Während  ich  mich  bemühte,  meinen 
Styl  zu  bilden  und  vollkommener  zu  ma- 
chen , ftiefs  ich  auf  eine  englifclie  Sprach- 
lehre. Ich  glaube  es  war  die  von  Green- 
wood,  welcher  am  Ende  zwey  kleine  Ver- 
fuche  über  die  Rhetorik  und  Logik  an- 
gehängt find.  In  dem  letzten  fand  ich 
ein  Mufter  der  Socraüfchen  Difputirart. 
Bald  hernach  verfchaffte  ich  mir  Xeno- 
phons  Denkwürdigkeiten  des  Socrates, 
worin  er  mehrere.  Beyfpiele  eben  diefer 
Methode  aufftellt.  Ich  wurde  davon  be- 
zaubert, machte  mir  fie  zu  eigen,  ent- 
iägte  meiner  trotzigen  Art  zu  widerfpre- 
chen  und  geradehin  2u  behaupten,  und 
übernahm  dagegen  die  Rolle  des  demü- 
thigen  Fragers.  Die  Lectüre  des  Shaf  ■ 
tesbüry  und  des  Collins  machte  mich  zum 
Pyrrhoniflen ; und  da  ich  diefs  fchon  in 
Anfehung  vieler  Gegenftände  der  Reli- 
gionslehre war,  fo  fand  ich,  dafs  die  So- 


Jugendjahre.  45 

cratifche  Methode  nicht  nur  mich  felbft 
am  heften  in  Sicherheit,  fondern  auch 
diejenigen  am  meiften  in  Verlegenheit 
• fetzte,  wider  welche  ich  fie  anwandte. 
Sie  wurde  mir  bald  ganz  befonders  lieb ; 
ich  fäumte  nicht,  fie  in  Ausübung  zu 
bringen,  und  gelangte  darin  zu  einer 
folchen  Kunft  und  Fertigkeit,  dafs  ich 
Perfonen,  die  ungleich  mehr  wufsten, 
als  ich,  Einräumungen  entlockte,  wo- 
von. fie  die  Folgen  nicht  vorher  fahen. 
Auf  diefe  Weife  verwickelte  ich  fie  in 
Schwierigkeiten,  von  denen  fie  fich  nicht 
wieder  loszumachen  wufsten,  und  trug 
Siege  davon,  die  bisweilen  weder  meine 
Sache  noch  meine  Gründe  verdienten. 

Ich  fuhr  verfchiedene  Jahre  hindurch 
fort,  diefe  Methode  in  Anwendung  zu 
bringen,  verliefs  fie  aber  nachher  nach 
und  nach,  und  behielt  weiter  nichts^  als 
die  Gewohnheit,  mich  mit  einem  be- 
fcheidenen  Mifstrauen  auszudrücken ; 
und  wenn  ich  alsdann  etwas  behauptete, 
dag  dem  Widerfpruche  ausgefetzt  feyn 


46  Benjamin  Franklin’s 

konnte,  fo  bediente  ich  mich  niemals 
der  Wörter  zuverläjjig , unßreitig,  u.  f.  w. 
oder  irgend  eines  andern  Ausdruckes, 
der  das  Anfehen  einer  hartnäckigen  An- 
hänglichkeit an  einer  Meinung  giebt. 
Vielmehr  fagte  ich,  ich  verliehe,  ich  be- 
greife die  Sache  fo  und  fo ; mir  fcheint 

O 

es;  aus  diefen  oder  jenen  Gründen  wür- 
de ich  fo  oder  fo  darüber  urtheilen;  ich 
bilde  mir  ein,  dafs  diefes  fich  fo,  und 
jenes  fo  verhält,  wenn  ich  nicht  irre. 
Diefe  Gewohnheit  ift,  wie  ich  glaube, 
mir  fehr  vortheilhaft  gewefen , wenn  es 
darauf  ankam,  meine  Meinung  den  Ge- 
miithern  der  Menfclien  einzuprägen, 
und  fie  zu  Ergreifung  derjenigen  Maafs- 
regeln  zu  bereden,  die  ich  ihnen  von 
Zeit  zu  Zeit  vorzulegen  hatte.  Da  nun 
der  Umgang  mit  Menfclien  gröfstentheils 
darauf  hinausläuft,  dafs  man  unterrichtet, 
oder  fich  unterrichten  läfst , dafs  man  ge- 
fallt , oder  überredet , fo  verlange  ich  von 
jedem  aufgeklärten  und  wohlgefinnten 
Manne,  dafs  er  fein  Vermögen,  Gutes 


Jugendjahre.  4) 

zu  wirken,  nicht  felbft  durch  jene  ge* 
radezu  behauptende  und  anmafsende  Art 
des  Ausdrucks  fchwäche.  Denn  he  em- 
pört fall  immer  den  Zuhörer,  dient  zu 
nichts,  als  Widerfacher  zu  erwecken, 
und  jede  Sache  zu  verfchlimmern , für 
welche  man  uns  das  Wort  gelahen  hatte. 

In  der  That,  wenn  du  unterrichten 
willft , und  fo  geradezu  und  dogmatifch 
deine  Mehrungen  behaupte!!,  fo  reizeft 
du  zum  Widerfpruche , und  verhindern 
dafs  man  :dir  ein  geneigtes  Ohr  verleihet. 
Willft  du  hingegen  unterrichtet  feyn, 
und  von  den  Kenntniften  Anderer  Nu- 
tzen ziehen,  und  drückft  dich  immer 
aus  als  Einer,  der  unablöslich  an  feiner 
bisherigen  Meinung  hängt,  fo  werden 
befcheidene  und  empßndfame  Menfchen, 
welche  Streitigkeiten  nicht  lieben,  dich 
wahrfcheinlich  ruhig  im  Behtze„  deines 
Irthums  Iahen.  So  darfft  du  auch  bey 
diefer  Methode  kaum  hoffen,  deinen  Zu- 
hörern  zu  gefallen,  und  he  fo  weit  für 
dich  einzunehmen,  dafs  he  hch  überre- 


4 8 Benjamin  Franklin’s 

den  laßen , zu  deinen  Abfichten  beyzu- 
tragen.  Pope  fagt  felir  weife : Man  mufs 
die  Menfchen  unterrichten , als  ob  man  ße 
nicht  unterrichtete,  und  das  Neue  wie  et- 
was Vergebenes  m[ttheilen.  Hernach  giebt 
er  den  Rath,  immer,  ob  man  gleich  feiner 
Sache  gewifs  iß,  mit  dem  Scheine  des  Mifs- 
trauens  zu  reden.  Er  hätte  hiermit  einen 
Vers  verbinden  können,  den  er  ander- 
wärts, und  meiner  Meinung  nach  min- 
der fchicklich , angebracht  hat.  Er  lautet : 
Denn  unbefcheidcn  heifst  auch  unverßän- 

dig  feyn. 

Wenn  du  mich  fragil,  warum  ich  min- 
der fchicklich  fage,  fo  mufs  ich  die  bey- 
den  Verfe  zufammen  herfetzen: 

Das  unbefcheidne  Wort  läfst  ficli  durch 

nichts  verzahn: 

Denn  unbefcheiden  heifst  auch  unver- 

lländig  feyn. 

Nun,  ifl  denn  der  Mangel  des  Ver- 
sandes , wenn  ein  Menfch  fich  in  die- 
fem  traurigen  1*  alle  befindet , nicht  ge- 
wiflermafsen  eine  Rntfchuldigung  lür  fei- 
nen 


Jugendjahre.  49 

nen  Mangel  an  Befcheidenheit?  Wür- 
den alfo  diefe  Verfe  nicht  richtiger  fo 
lauten: 

Das  unbefcheidne.  Wort  mag  nur  der 

Satz  verzeihn: 

Nicht  recht  befcheiden  heifst  auch  nicht 

verftändig  feyn. 

IndelTen  laffe  ich  mich  gern  von  bef- 
fern  Richtern,  als  ich  bin,  hierüber  zu- 
recht weifen. 


Mein  Bruder  hatte  im  Jahr  1720  oder 
J721  angefangen,  ein  neues  öffentliches 
Blatt,  das  zweyte,  welches  in  America 
erlchien,  zu  drucken.  Es  führte  den  Ti- 
tel: New -England  courant  — Courier 
von  Neu  - England.  V orher  hatte 
man  weiter  nichts,  als  die  Bi)ßon-News 
Letters  Neuigkeitsbriefe  vonBo- 
B°n.  Ich  erinnere  mich,  dafs  einige 
feiner  Freunde  ihm  diefes  Unternehmen 
abrathen  wollten,  weil  es  wahrscheinlich 
nicht  gelingen  würde,  indem,  nach  ih- 

D 


«jo  Benjamin  Franklin’ s 

rer  Meinung,  eine  einzige  Zeitung  für 
ganz  America  hinreichend  wäre.  Jetzt 
177a  giebt  es  deren  nicht  Aveniger  als 
fünf  und  ZAvanzig.  Er  führte  nichts  de- 
fto  weniger  fein  Project  aus,  und  ich 
mufste  die  Exemplare  zu  feinen  Kunden 
umher  tragen,  nachdem  ich  die  Blattet 
foAvohl  gefetzt  als  abgedruckt  hatte. 

Unter  feinen  Freunden  befanden  fich 
einige  Männer  von  Kopf,  die  fich  ein 
angenehmes  Geschäft  daraus  machten, 
kleine  Auffätze  für  diefs  Blatt  zu  fchrei-* 
ben,  welche  fein  Anfehn  und  feinen  Ab- 
fatz  ungemein  vermehrten.  Diefe  Her- 
ren befuchten  uns  oft;  ich’  vernahm  aus 
ihren  Gefprächen  die  gute  Aufnahme, 
welche  ihre  Schriften,  im  Publicum  fan- 
den; und  bekam  Lull,  mein  Heil  auch 
einmal  zu  verhielten.  Da  ich  aber  noch 
ein  wahres  Kind  AArar,  und  glaubte,  dafs 
mein  Bruder  Avohl  nichts  in  fein  Blatt 
rücken  lallen  Anirde,  Avovon  er  Avüfste, 
dafs  ich  Verfalfer  Avdre:  fo  kam  ich  auf 
den  Einfall,  meine  Handfclirift  zu  ver- 


Jugendjahre.  51 

/teilen,  und  fo  einen  von  mir  verfertig* 
ten  niamenlofen  Auffatz  des  Abends  un- 
ter die  Thür  der  Druckerey  zu  fchieben. 
Man  fand  ihn  des  Morgens.  Mein  Bru- 
der tlieilte  ihn  feinen  Freunden  mit,  die 
fich  gewöhnlich  einfanden.  Sie  lafen 
ihn,  commentirten  darüber  vor  meinen 
Ohren,  und  ich  hatte  das  ausnehmende 
Vergnügen  zu  hören,  dafs  er  ihren  Bey- 
fall  hatte,  und  dafs  üe  bey  ihren  man- 
cherley-  Muthmafsungen  in  Anfehung 
des  Verfaffers  keinen  einzigen  nannten, 
der  nicht  in  Rückficht  auf  Talente  und 

j 

Kenntnilfe  einen  grofsen  Ruf  im  Lande 
gehabt  hätte.’  Ich  vermuthe  gegenwär. 
tig , dafs  ich  in  Anfehung  meiner  Rich- 
ter nur  glücklich  war,  und  dafs  fie  viel- 
leicht nicht,  fo  vortrefflich  waren,  als  ich 
damals  glaubte.  Dem  fey  indeffen,  wie 
ihm  wolle,  fo  fchrieb  ich  doch,  aufge- 
muntert durch  diefen  kleinen  Vorfall, 
noch  mehr  andere  Stücke,  beförderte  fie 
auf  die  vorige  Weife  zur  PrefTe,  und  fie 
erhielten  alle  gleichen  Beyfall.  Mein 

D 2 


Benjamin  Franklin’* 

Geheimnifs  bewahrte  ich  fo  lange,  bis 
mein  geringes  Maafs  von  Kenntniflen 
und  Gedanken  für  Werke  diefer  Axt 
ziemlich  bis  auf  den  Boden  erfchöpft 
war,  und  hierauf  entdeckte  ich  mich. 

Mein  Bruder  fing  nun  zwar  an  mehr 
Achtung  für  mich  zu  hegen;  nichts  de- 
flo  weniger  aber  fah  er  fich  als  meinen 
Meifter  an,  und  behandelte  mich  als 
Lehrling.  Er  foderte  von  mir  die  Dien- 
fte  eines  jeden  andern;  ja  ich  fand,  dafs 
er  in  vielen  Fällen  allzu  viel  verlangte, 
da  ich  doch  als  Bruder  mehr  Anfprüche 
auf  Nachficht  zu  haben  glaubte.  Unfere 
Streitigkeiten  gelangten  oft  vor  meinen 
Vater,  und  ich  bilde  mir  ein,  dafs  mein 
Bruder  gewöhnlich  unrecht  hatte,  oder 
dafs  ich  doch  der  belle  Sachwalter  von 
uns  beyden  war,  indem  das  Urtheil  ge- 
meiniglich günflig  für  mich  ausfiel.  Al- 
lein mein  Bruder  war  hitzig , und  oft  kam 
es  zu  Schlägen,  welche  ich  fehr  übel  auf- 
nahm. W ahrfcheinlich  hat  diefe  harte 
und  tyrannifche  Behandlung  nicht  wenig 


I 


Jugendjahre.  53 

dazu  beygetragen,  den  Widerwillen  ge- 
gen willkührliche  Gewalt  in  mein  Ge- 
müth  zu  prägen,  den  ich  mein  gan- 
zes Leben  hindurch  nicht  verloren  ha- 
be. Meine  Lehrjahre  wurden  mir  fo 
unerträglich,  dafs  ich  beftändig  nach  ei- 
ner Gelegenheit  feufzte , fie  abzukür- 
zen. Diele  kam  denn  auch  ganz  uner- 
wartet. 

Ein  in  unfer  Blatt  eingerückter  Auf- 
fatz,  über  irgend  einen  politifchen  Ge- 
genlland,  defien  ich  mich  nicht  mehr 
erinnere,  beleidigte  die  Provinzialver- 
fammlung.  Auf  Betrieb  des  Sprechers 
wurde  mein  Bruder  in  Verhaft  genom- 
men, verurtheilt  und  eingekerkert,  weil 
er,  wie  ich  vermuthe,  den  Verfafler  des 
Stückes  nicht  entdecken  wollte.  Ich  wur- 
de gleichfalls  mit  eingezogen,  und  vor 
Gericht  abgehört.  Ob  ich  aber  gleich 
den  Mitgliedern  defielben  fchlechte  Ge- 
nüge leiftete,  fo  kam  ich  doch  mit  einem 
blofsen  Verweife  los,  indem  he  mich 
vielleicht  als  Lehrling  für  verpflichtet 


54  Benjamin  Franklin’s 

hielten,  die  Geheimnifie  meines  Lehr* 
meifters  zu  bewahren. 

Der  Verhaft  meines  Bruders  erbitterte 
mich,  ungeachtet  unferer  Privathandel, 
nicht  wenig.  So  lange  derfelbe  anhielt, 
mufste  ich  das  Blatt  beforgen,  und  ich 
hatte  fogar  die  Dreiftigkeit , einige  Pfeile 
auf  unfern  Statthalter  darin  abzudrücken. 
Diefs  machte  meinem  Bruder  nicht  we- 
nig Vergnügen;  indeffen  andere  anfin- 
gen, mich  in  einem  nachtheiligen  Lich- 
te, als  einen  zum  Pasquill  und  zur  Sa- 
tyre  geneigten  jungen  Kopf  zu  betrach- 
ten. 

Die  Freylaflung  meines  Bruders  wur- 
de von  dem  höchft  feltfamen  Verbot  be- 
gleitet, „clafs  Jacob  Franklin  das  Blatt 
„unter  dem  Titel:  Der  Courier  von  Neu- 
„ England,  nicht  mehr  drucken  follte. „ 
Es  wurde  hierauf  eine  Verfammlung  von 
Freunden  in  unferer  Druckerey  gehal- 
ten, welche  fich  berathfchlagten , was  in 
diefen  Umfländen  zu  thun  wäre.  Eini- 
ge fchlugen  vor,  dem  Verbote  durch 


Jugencijahre.  ' 5$ 

Umänderung  des  Titels  auszuweichen. 
Da  aber  mein  Bruder  diefen  Vorfchlag 
nicht  zuträglich  für  lieh  fand,  fo  wurde 
endlich  ausgemacht,  dafs  es  am  bellen 
wäre,  das  Blatt  künftig  unter  Benjamin 
Franklin’s  Namen  zu  drucken.  Um  aber 
der  Almdung  der  Verfammlung  zu  ent- 
gehen, die  ihn  unter  dem  Vorwände 
hätte  erreichen  können,  dafs  er  das  Blatt 
dennoch  felbll  nur  durch  feinen  Lehr, 
burfchen  hätte  drucken  Iahen,  fo  wurde 
befchlollen,  dafs  mir  mein  bisheriger 
Lehrcontract  mit  einer  gänzlichen  und 
volllländigen  Aufhebungsacte  , auf  fei- 
nen Rücken  gefchri eben,  um  die  Urkun- 
de im  Fall  der  Noth  vorzeigen  zu  kön- 
nen, zurückgegeben  werden  follte.  Um 
aber  dagegen  meinem  Bruder  den  Vor- 
theil meiner  Dienhe  zuzufichern,  follte 
ich  einen  neuen  bis  zum  Ablauf  der 
Zeit  geheim  zu  haltenden  Contract  un- 
terzeichnen. So  mifslich  auch  diefes 
Auskunftsmittel  war,  fo  wurde  es  doch 
fogleich  in  Ausübung  gebracht,  und  das 


56  Benjafnirt  Franklin’s 

Blatt  fuhr,  fort,  einige  Monate  hindurch 
unter  meinem  Namen  zu  erfcheinen. 
Als  aber  endlich  neue  Mifshelligkejtep, 
zwifchen  meinem  Bruder  und  mir  ent- 
banden, fo  wagte  ich  es  auf  meine  Frey- 
heit  zu  pochen,  indem  ich  darauf  rech- 
nen konnte , dafs  er  fich  mit  dem  neuen 
Gontracte  nicht  hervorwagen  würde.  Es 
war  nicht  edel  von  meinet  Seite,  mich 
diefes  Vortheils  zu  bedienen,  und  ich 
rechne  daher  diefe  Handlung  unter  die 
erben  Fehltritte,  die  ich  in  meinem  He- 
ben begangen  habe.  Allein  die  Unrecht- 
mäfsigkeit,  die  davon  hervorleuchtete, 
machte  wenig  Eindruck  auf  mein  Ge- 
müth,  welches  durch  die  Schläge  erbit- 
tert war,  die  ich  von  feiner  Hitze’ erdul- 
det hatte,  ob  er  gleich  fonü  nicht  von 
fchlimmer  Gemüthsart  war.  Vielleicht 
war  ich  auch  zu  unartig  gegen  ihn  ge- 
wefen,  um  ihn  nicht  dazu  zu  reizen. 

So  bald  er  erfuhr,  dafs  ich  feft  ent- 
fchloffen  wäre  , ihn  zu  verlalTen,  fuchte 
er  mein  Unterkommen  anderwärts  zu  ver- 


Jugendjahre.  57 

hindern.  Zu  dem  Ende  durchftrich  er 
alle  Druckereyen  der  ganzen  Stadt,  und 
nahm  alle  Druckerherren  gegen  mich 
ein,  die  mir  folglich  ihre  Arbeit  verfag- 
ten.  Ich  gedachte  mich  daher  nach  Neu - 
York,  die  nächfle  Stadt,  wo  es  einen 
Buchdruckergab,  zu  begeben.  Alle  mei- 
ne Betrachtungen  beflärkten  mich  in  dem 
Vorhaben,  Boßon  zu  verlaufen,  wo  ich 
mich  ohnehin  fchon  bey  der  herrfchen- 
den  Parthey  verdächtig  gemacht  hatte. 
Es  war  lehr  wahrfcheinlich,  dafs,  wenn 
ich  nach  dem  willkührlichen  Verfahren 
der  Provinzialverfammlung  in  der  An- 
gelegenheit  meines  Bruders  dafelbft  ver- 
bliebe, ich  mich  gar  bald  Verdriefslich- 
keiten  ausfetzen  würde.  Ich  hatte  dabey 
um  fo  mehr  für  mich  zu  fürchten,  je 
mehr  die  andächtigen  Seelen,  auf  Veran- 
lalfung  meiner  unbefonnenen  Religions- 
dispüte , anfingen,  mich  als  einen  Ab- 
trünnigen oder  Gottesleugner  mit  Ab- 
fcheu  zu  betrachten.  Ich  fafste  daher 
meinen  Entfchlufs;  da  aber  mein  Vater 


58  Benjamin  Franklin’s 

diefsmal  auf  der  Seite  meines  Bruders 
war,  fo  durfte  ich  drauf  rechnen,  dafs 
man,  bey  einem  Verfuche  öffentlich  weg- 
zugehen, Mittel  anwenden  würde,  diefs 
zu  verhindern.  Mein  Freund  Collins 
nahm  es  auf  fich,'  meine  Flucht  zu  beför- 
dern. Er  bedingte  meine  Ueberfahrt  mit 
dem  Capitan  einer  Schaluppe  von  Neu- 
York , und  fpiegelte  demfelben  vor,  ich 
wäre  ein  junger  Menfch  von  feiner  Be- 
kanntfchaft,  der  mit  einem  übel  berüch- 
tigten Mädchen  etwas  zu  thun  gehabt 
hätte.  Die  V erwandten  derfelben  woll-  ' 
ten  ihn  nunmehr  zwingen,  fie  zu  heira- 
then,  und  er  könnte  daher  öfiendich  we- 
der erfcheinen,  noch  abreifen.  Ich  ver- 
kaufte einen  Theil  meiner  Bücher,  um 
mir  ein  kleines  Kapital  zu  verfchaffen, 
und  begab  mich  in  aller  Stille  an  den 
Bord  der  Schaluppe.  Mit  Hülfe  eines 
günfligen  Windes  befand  ich  mich  nach 
drey  Tagen  zu  Neu- York , an  die  drey- 
hundert  Meilen  von  meiner  Heimath  ent-  j 
lernt,  in  einem  Alter  von  heben  zehn 

' - \ 


I 


Jugendjahre.  59 

Jahren,  ohne  die  mindehe  Empfehlung, 
ja  ohne  nur  irgend  einen  Menfchen  da- 
felbft  zu  kennen,  mit  fehr  wenig  Geld 
in  meiner  Tafche. 

Die  Neigung,  die  ich  für  das  See- 
wefen  gehabt  hatte , war  gänzlich  ver* 
fchwunden,  fonh  hätte  ich  ihr  damals 
Genüge  leihen  können.  Da  ich  indefs 
im  Befitz  einer  andern  Kunft  war,  und 
mich  für  einen  ziemlich  gefchickten  Ar- 
beiter hielt,  fo  nahm  ich  keinen  Anhand, 
dem  dafigen  Stadtbuchdrucker  meine 
Dienhe  anzubieten.  Diefs  war  der  alte 
Herr  Wilhelm  Bradford,  erher  Buchdru- 
cker in  ganz  Penfylvanien.  Allein  er 
hatte  diefe  Provinz  auf  Veranlahung  fei- 
ner Händel  mit  dem  Statthalter  Georg 
Keith  verlahen.  Er  konnte  mir  keine 
Arbeit  geben,  da  er  wenig  zu  thun,  und 
doch  fchon  Leute  genug  hatte.  Jedoch 
Tagte  er  mir,  dafs  fein  Sohn,  Buchdru- 
cker zu  Philadelphia,  vor  kurzem  feinen 

/ 

behen  Gefellen,  Aquila  JRofa,  durch  den 
Tod  verloren  hätte,  und  dafs  er,  wenn 


6o  Benjamin  Fianklin's 

ich  dort  hingehen  wollte,  mich  wahr- 
fcheinlich  dafelblt  anbringen  könnte. 
Philadelphia  ilt  noch  hundert  Meilen 
weiter  entfernt.  DieCs  fchreckte  mich 
nicht  ab,  auf  einem  Fahrzeuge  den  kür* 
zelten  Weg  zu  Walfer  nach  Amboy  zu 
nehmen,  mein  Felleifen  neblt  meinen 
Sachen  dafelblt  zurück,  und  felbige  durch 
den  Umweg  mir  nachkommen  zu  lalTen. 
Bey  der  Ueberfahrt  über  den  Meerbufen 
ergriff  uns  ein  plötzlicher  Sturmwind, 
zerrifs  unfere  fchon  mürben  Seegel  in 
Stücke,  verhinderte  uns  in  den  Kill  ein- 
zulaufen , und  verfchlug  uns  nach  Long- 
Island. 

Während  des  Sturmes  fiel  ein  betrun- 
kener Holländer,  Reifender  wie  ich,  in 
das  Meer.  Im  Augenblicke  des  Unter- 
finkens  ergriff  ich  ihn  noch  durch  das 
Walfer  beym  Schopf,  zog  ihn  empor, 
und  wir  bekamen  ihn  wieder  an  Bord. 
Diefe  Taufe  hatte  ihn  ein  wenig  und  fo 
weit  wieder  ernüchtert,  dafs  er  einfchhef, 
nachdem  er  ein  Buch  aus  feiner  Tafche 


Jugendjahre.  6l 

gezogen  batte,  welches  er  mich  zu  trock- 
nen bat.  Siehe  da,  diefs  Buch  war  mein 
altes  Lieblingsbuch,  Bunyans  Reifen  hol- 
ländifch,  fchön  gedruckt,  auf  fchönem 
Papier,  mit  Kupferftichen.  So  ausge- 
fchmückt  hatte  ichs  noch  nie  in  feiner 
Urfprache  gefehen.  Ich  habe  nachher 
erfahren,  dafs  es  in  die  meilten  europäi- 
fchen  Sprachen  überfetzt  worden,  und 
ich  bin  überzeugt,  dafs  aufser  der  Bibel, 
wohl  nicht  leicht  ein  Buch  in  gröfsern 
Umlauf  gekommen  ift. 

Der  ehrliche  Johann  ift , fo  viel  ich 
weifs , der  Erfte , welcher  Erzählung  und 
Gefpräch  mit  einander  verbunden  hat. 
Diefe  Art  des  Vortrages  ift  überaus  an- 
ziehend für  den  Lefer,  der  bey  den  wich- 
tigllen  Vorfällen  fich  gleichfam  mit  in 
der  Gefellfchaft  und  bey  ihren  Unterre- 
dungen gegenwärtig  befindet.  Defoe  hat 
ihm  glücklich  in  feinem  Robinfon  Crufoe , 
in  feiner  Molly  Flanders  und  in  andern 
Werken  nachgeahmt.  Eben  das  hat  auch 
Richardfon  in  feiner  Pamela  u.  f.  w.  gethan. 


62 


Benjamin  Franklin’s 

Als  wir  uns  der  Infel  näherten,  be* 
fanden  wir  uns  an  einer  Stelle,  wo  es 
wegen  der  heftigen  Brandungen,  welche 
das  fchroffe  Felfenufer  verurfachte,  zu 
landen  unmöglich  war.  Wir  warfen  An- 
ker, und  zogen  uns  gegen  das  Ufer.  Ei- 
nige Perfonen  kamen  bis  an  dem  Rand 
des  Wallers  und  fchrieen  uns  zu,  fo  wie 
wir  ihnen;  aber  das  Geräufch  des  Win- 
des und  der  Wogen  war  fo  hark,  dafs 
keiner  den  andern  verliehen  konnte.  Es 
waren  Canots  am  Ufer;  wir  riefen  ihnen 
zu  und  machten  Zeichen,  lieh  ihrer  zu 
unferer  Abholung  zu  bedienen : aber  he 
verbanden  uns  entweder  nicht,  oder  hiel- 
ten die  Sache  für  unthunlich,  und  fuh- 
ren davon. 

Die  Nacht  brach  ein;  und  es  blieb 
uns  nichts  weiter  übrig,  als  uns  zu  ge- 
dulden, bis  der  Wind  hch  legte.  In* 
dollen  befchloflen  der  Steuermann  und 
ich,  wo  möglich  zu  fchlafen.  Wir  kro- 
chen daher  nebft  dem  Holländer,  der 
noch  ganz-nafs  war,  in  den  Raum  hin- 


Jugendjahre.  63 

ab.  Das  fchäumende  Walfer,  welches 
über  Bord  fchlug,  flofs  auf  uns  herab, 
und  durchnafste  uns  bald  fo  fehr,  als  ihn. 

Wir  hatten  die  ganze  Nacht  hindurch 
nur  wenig  Ruhe.  Da  fich  aber  Tags  dar- 
auf der  Wind  gelegt  hatte,  fo  erreichten 
wir  doch  vor  Nacht  noch  Amboy,  nach- 
dem wir  dreyfsig  Stunden  lang  weder 
etwas  zu  elfen,  noch  etwas  anders  zu 
trinken  gehabt  hatten,  als  eine  Flafche 
fchlechten  Rum.  Das  Walfer,  welches 
wir  befuhren,  war  falzig.  Abends  legte 
ich  mich  mit  einem  heftigen  Fieber  zu 
Bette.  Ich  hatte  irgendwo  gelefen,  kal- 
tes Walfer,  fehr  häufig  getrunken,  fey 
gut  gegen  das  Fieber.  Diefe  Verordnung 
.befolgte  ich,  und  fchwitzte  den  gröfsten 
Theil  der  Nacht  durch  fo  reichlich,  dafs 
mich  das  Fieber  verliefs.  Tags  darauf 
beltieg  ich  die  Fähre,  und  fetzte  meine 
Reife  zu  Fufs  fort.  Ich  hatte  fünfzig 
Meilen  bis  nach  Burlington  zu  machen, 
und  man  hatte  mir  gefagt,  dafs  ich  Fahr- 
zeuge antrelfen  würde,  um  vollends  bis 


64  Benjamin  Franklin’s 

nach  Philadelphia  zu  gelangen.  Den  gan- 
zen Tag  lang  regnete  es  fehr  heftig;  und 
ich  wurde  bis  auf  die  Haut  nafs.  Da  ich 
mich  fehr  ermüdet  fühlte,  fo  hielt  ich  in 
einem  elenden  Wirthshaufe  an,  wo  ich 
den  Ueberreft  des  Tages  und  die  ganze 
Nacht  zubrachte,  undjes  zu  bereuen  an- 
iing,  dafs  ich  meine  Heimath  verfallen 
hatte.  Ich  fpielte  übrigens  eine  fo  elende 
Figur,  dafs  man  mich  für  einen  entlau- 
fenen Diener  hielt.  Diefs  konnte  ich  aus 
den  Fragen  abnehmen,  die  man  an  mich 
that , und  ich  fürchtete,  dafs  man  mich 
als  einen  folchen  anhalten  würde.  Ta- 
ges drauf  fetzte  ich  indelfen  meine  Reife 
fort,  und  langte  Abends,  ungefähr  acht 
oder  zehn  Meilen  von  Burlington , in_ 
einem  Wirthshaufe  an,  welches  ein  ge- 
wifier  Doctor  Brown  hielt. 

Diefer  Mann  liefs  lieh  während  mei- 
ner Mahlzeit  in  ein  Gefpräch  mit  mir  ein; 
und  da  er  einige  Belefenlieit  an  mir  ge- 
wahr wurde,  fo  bezeigte  er  mir  viel  Theil- 
nahme  und  Freundfchafi»  Unfere  Be- 
kannt- 


I 


Jugendjahre.  65 

kanntfchaft  hat  nachher  bis  an  das  Ende 
feines  Lebens  fortgedauert.  Ich  glaube, 
er  war  fo  eine  Art  von  herumwandern» 
den  Docter  gewefen;  denn  es  gab  keine 
Stadt  in  ganz  England,  oder  in  einem 
andern  Lande  Europens,  von  weicher- 
er nicht  ganz  befondere  Umltände  anzu- 
geben gewufst  hätte.  Er  war  ein  Mann 
von  Geilt  und  litterarifchen  Kenntnifien, 
aber  dabey  ein  Ungläubiger,  der  einige 
Jahre  nachher  muthwillig  genug  war,  die 
Bibel,  gerade  wie  Cotton  den  Virgil,  in 
burleske  Verfe  zu  traveltiren.  Auf  diefe 
Weife  hellte  er  viele  Dinge  äufserh  lä- 
cherlich dar.  Diefs  Werk  hätte  unter 
den  Schwachen  grofsen  Schaden  anriclr- 
ten  können,  wenn  es  herausgekommen 
wäre,  welches  er  doch  niemals  gefche- 
hen  liefs. 

Ich  übernachtete  bey  ihm,  und  ge- 
langte Tags  drauf  in  aller  Frühe  nach 
Burlington.  Bey  meiner  Ankunft  hatte 
ich  den  Verdrufs  zu  erfahren,  dafs  die 
gewöhnlichen  Pohfahrzeuge  kurz  vorher 

E 


66  Benjamin  Franklin’s 

fchon  abgegangen  wären.  Es  war  Sonn- 
abend, und  vor  dem  nächften  Dienftag 
füllte  keins  wieder  abgehen.  Ich  kehrte 
in  die  Stadt  zurück , und  zwar  zu  einer 
alten  Frau,  von  welcher  ich  Pfefferkuchen 
gekauft  hatte,  um  ihn  auf  dem  Waffer 
zu  effen,  und  fragte  fie  um  Rath.  Sie 
lud  mich  ein,  bey  ihr  zu  herbergen,  bis 
fich  mir  eine  Gelegenheit  darböte,  an 
Bord  zu  gehen.  Da  ich  von  meiner  Fufs- 
reife  fehl-  ermüdet  war , fo  nahm  ich  das 
Anerbieten  an.  Als  fie  vernahm,  dafs 
ich  ein  Buchdrucker  wäre,  fo  wollte  fie 
mich  bereden , in  diefer  Stadt  zu  bleiben, 
und  dafelbff  meine  Kunft  zu  treiben.  Sie 
wufste  nicht,  was  für  Auslagen  und  welch 
ein  Kapital  zum  Anfänge  erforderlich 
find.  Ich  fand  bey  ihr  die  wahre  Gaft- 
freundfchaft.  Mit  der  beften  Art  von 
der  Welt  bewirthete  fie  mich  Mittags  mit 
einem  Gericht,  Ochfenmaul,  und  wollte 
fich  von  mir  keine  andere  Erwiederung 
gefallen  laffen,  als  einen  Krug  Ale  (eng. 
lijch  Bier). 


Jugendjahre.  67 

Schon  glaubte  ich  bis  nächften  Dien* 
ftag  hier  feftfitzen  zu  mühen.  Als  ich 
aber  Abends  am  Ufer  des  Flufies  fpazie* 
ren  ging,  fah  ich  ein  Fahrzeug  heran» 
nahen,  welches  nach  Philadelphia  ging, 
und  mehrere  Perfonen  am  Bord  hatte. 
Man  nahm  mich  auf;  und  da  kein  Wind 
wehete,  fo  mufsten  wir  uns  fortrudern. 
Als  wir  gegen  Mitternacht  noch  keine 
Stadt  erblickten,  fo  behaupteten  Einige 
von  der  Gefellfchaft , clafs  wir  fchon  vor- 
bey  feyn  müfsten,  und  wollten  nicht  wei- 
ter rudern.  Da  auch  die  andern  nicht 
wufsten , wo  wir  uns  befanden,  fo  wurde 
befchloflen,  Halt  zu  machen.  Wir  zo- 
gen uns  gegen  das  Ufer  in  eine  Bucht, 
und  fliegen  bey  einem  alten  Zaun  aus, 
deflen  Pfäle  uns  dienten  ein  Feuer  an- 
zuzünden. Denn  es  war  eine  fehl*  kalte 
Octobernacht.  Wir  blieben  dafelbft  bis 
zu  Tages  Anbruch.  Nun  erkannte  Ei- 
ner von  der  Gefellfchaft,  wo  wir  uns  be- 
fänden, nehmlich  in  der  Bucht  von  Soo - 
per,  ein  wenig  oberhalb  Philadelphia, 

E 2 


68  Benjamin  Franklin's 

welches  wir  auch  in  der  That  entdeck 
ten,  fo  bald  wir  aus  der  Bucht  heraus 
waren.  Wir  langten  dafelbft  Sonntags 
gegen  acht  oder  neun  ITltr  des  Morgens 
an,  und  fliegen  auf  der  Kay  Market- 
flreet  aus. 

Ich  habe  in  diefer  Erzählung  meiner 
Reife  auch  die  gröfsten  Kleinigkeiten  be- 
rührt, und  fo  werde  ich  auch  meinen 
Eintritt  in  diefe  Stadt  befchreiben , da- 
mit du  im  Stande  feyn  mögefl,  diefen 
fo  fcheinlofen  Anfang  mit  der  Figur  zu 
vergleichen,  die  ich  nachher  dafelbft  ge- 
fpielt  habe. 


(' 

Bey  meiner  Ankunft  zu  Philadelphia 
ging  ich  in  meiner  Handwerksgefellen- 
tracht,  indem  meine  beflern  Kleidungs- 
üücke  den  Umweg  zu  Waffer  machen 
mufsten.  Ich  war  befchmutzt  von  der 
Reife;  meine  Tafchen  ftrotzten  von  Hem- 
den und  Strümpfen;  ich  kannte  keine 


Jugendjahre.  £>g 

lebendige  Seele,  und  wufste  nicht,  wo 
ich  einkehren  füllte.  Ermüdet  von  mei- 
nem Marfche,  vom  Rudern  und  von  der 
fchlaflos  hingebrachten  Nacht,  war  ich 
überaus  hungerig,  und  meine  ganze  Baar- 
fcliaft  beftand  in  einem  holländifchen 
Thaler,  und  ungefähr  einem  Schilling 
in  Kupfermünze,  welche  ich  den  Schif- 
fern für  meine  Ueberfahrt  bezahlte.  Sie 
fchlugen  es  anfangs  aus , weil  ich  mitge- 
rudert hatte;  allein  ich  beftand  darauf, 
dafs  fie  es  annehmen  mufsten.  Der 
Menfch'  ilt  bisweilen  bey  wenigem  Gel- 
de  weit  freygebiger,  als  bey  vielem; 
vielleicht,  weil  er  in  jenem  Falle  feine 
Armuth  verbergen  will. 

Ich  ging  die  Galfe  hinauf,  indem  ich 
bald  nach  diefer,  bald  nach  jener  Seite 
fall,  bis  nahe  an  Marketftreet,  wo  mir 
ein  Kind  mit  Brot  begegnete.  Meine 
Mahlzeit  hatte  fchon  öfters  nur  aus  tro 
ckenern  Brote  behänden.  Ich  fragte  das 
Kind,  wo  es  fein  Brot  gekauft  hätte,  und 
es  wies  mich  fogleich  zum  nächften  Bä- 


70  Benjamin  Franklin’s 

cker.  Ich  foderte  Zwieback,  indem  ich 
eben  folchen,  als  wir  in  Boßon  hatten, 
zu  finden  glaubte ; allein  es  fchien  nicht, 
dafs  man  dergleichen  zu  Philadelphia 
verfertigte.  Ich  foderte  hierauf  ein  Brot 
für  drey  Kreuzer.  Aber  man  machte 
keine  zu  diefem  Preife.  Da  mir  nun 
weder  die  Verfchiedenheit  des  Preifes, 
noch  die  Namen  der  Brotarten  des  Lan- 
des bekannt  waren-,  fo  verlangte  ich  nur 
für  drey  Kreuzer  Brot,  es  möchte  auch 
feyn,  von  welcher  Art  es  wollte.  Er  gab 
mir  darauf  drey  grofse  Brote.  Ich  er- 
ftaunte,  fo  viel  zu  bekommen.  Ich  nahm 
fie  indelfen  an,  und  da  ich  keinen  Platz 
in  meinen  Tafchen  hatte,  fo  nahm  ich 
unter  jeden  Arm  Eins,  und  am  dritten 
afs  ich,  indem  ich  vorwärts  marfchirte. 
Auf  diefe  Weife  durchwanderte  ich  ganz 
Marke tftreet  bis  an  Fourthflreet,  und  ging 
vor  dem  Haufe  des  Herrn  jR ead , des  Va- 

S 

ters  derjenigen  Perfon  vorüber , die  der- 
einft  meine  Gattin  feyn  follte.  Sie  Hand 
vor  der  Tliür,  fah  mich,  und  fand  mit 


I 


Jugendjahre.  7 1 

Recht,  dafs  ich  eine  höchft  lächerliche 
und  erbärmliche  Figur  machte. 

Ich  drehte  mich  hierauf  um  die  Ecke, 
und  vertiefte  mich  in  Chesnutftreet,  in- 
dem ich  immer  mein  Brot  den  Weg  ent- 
lang fort  afs.  Nachdem  ich  folcherge- 
halt  die  Runde  gemacht  hatte,  fo  befand 
icl\  mich  wieder  auf  der  Kay  von  Mar- 
ketftreet  bey  dem  Fahrzeuge,  mit  wel- 
chem ich  angekommen  war.  Ich  flieg 
wieder  hinab , um  Flufswaffer  zu  trinken ; 
und  da  ich  von  meinem  erften  Brote 
fchon  fattwar,  fo  gab  ich  die  beyden  an- 
dern einer  Frau  und  ihrem  Kinde,  die 
mit  uns  in  dem  Fahrzeuge  den  Flufs 
herab  gekommen  war,  und  jetzt  wartete, 
bis  es  weiter  ging.  Erquickt  auf  diefe 
Weife,  gewann  ich  die  Strafse  wieder. 
Diefe  war  jetzt  voll  wohlgekleideter  Per- 
fonen,  die  alle  auf  Einer  Seite  gingen. 
Ich  gefeilte  mich  zu  ihnen,  und  wurde 
auf  diefe  Weife  in  das  grofse  Verfamm- 
lungshaus  der  Quäker  nahe  am  Markte 
geführet.  Ich  fetzte  mich  mit  den  An- 


72  Benjamin  Franklin’? 

dern  nieder.  Nachdem  ich  eine  Zeit- 
lang mit  Umhergaffen  zugebrachl  hatte, 
und  kein  lautes  Wort  vernahm,  über- 
diefs  von  Arbeit  und  Schlaf lofigkeit  der 
venvichenen  Nacht  ermüdet  war,  fo  ver- 
fank  ich  in  tiefen  Schlaf.  Mein  Schlaf 
dauerte,  bis  die  Verfammlung  aus  ein- 
ander ging , da  denn  ein  Nachbar  fo  ge- 
fällig war,  mich  aufzuwecken.  Diefs  war 
alfo  das  erfte  Haus  in  Philadelphia,  wel- 
ches ich  betrat,  und  in  welchem  ich 
fchlief. 

Ich  begab  mich  nun  wieder  auf  die 
GalTenwanderfchaft,  längs  des  FlufTes; 
und  da  ich  jedem,  der  mir  begegnete, 
aufmerkfam  ins  Angeficht  fall,  fo  kam 
mir  ein  junger  Quäker  vor,  an  deffen 
Gefichtszüge  ich  mich  erinnerte.’  Ich 
trat  ihn  an,  und  bat  ihn  mir  zu  fagen, 
wo  ein  Fremdling  hier  wohl  Unterkom- 
men könnte.  Wir  befanden  uns  gerade 
bey  der  Herberge  zu  den  drey  Matrofen. 
„Man  nimmt  hier  zwar  Fremde  auf, 
fagte  er  zu  mir^  allein  das  Haus  ift  nicht 


Jugendjahre.  **73 

in  gutem  Rufe.  Wenn  du  mit  mir  ge 
hen  willft,  fo  will  ich  dir  ein  belferes 
Wirthshaus  zeigen.,,  Er  führte  mich 
hierauf  zum  zufammengelegten  Zettel  in 
Waterftreet.  Hier  liefs  ich  mir  Mittags- 
eften  geben,  und  während  meiner  Mahl- 
zeit ergingen  einige  verfängliche  Fragen, 
an  mich.  Meine  Jugend  und  mein  Auf- 
zug  fchienen  den  Argwohn  zu  rechtfer- 
tigen,  dafs  ich  wohl  ein  Fliichding  feyn 
möchte.  Nach  der  Mahlzeit  bekam  ich 
wieder  Luft  zu  fchlafen.  Man  wies  mir 
ein  Bette  an;  ifth  war^mkh'dai^uf,  ohne 
mich  auszukleiden , und  fchlief  bis  um 
fechs  Uhr  des  Abends,  da  man  mich  zum 
Elfen  weckte.  Ich  legte  mich  darauf  fehr 
früh  nieder,  und  fchlief  ununterbrochen 
fort  bis  zum  nächften  Morgen. 

So  bald  ich  aufgeftanden  war,  machte 
ich  mich  fo  gut  wie  möglich  zurecht, 
und  begab  mich  zum  Buchdrucker,  An- 
dreas Bradford.  In  feinem  Laden  fand 
ich  feinen  Vater,  den  ich  zu  Neu-York 
gefehen  hatte,  und  welcher  vor  mir  zu 


74  Benjamin  Franklin’s 

Pferde  in  Philadelphia  eingetroffen  war. 
Er  ftellte  mich  feinem  Sohne  vor,  der 
mich  höflich  empfing,  und  mir  ein  Früh- 
itück  gab.  Allein  er  fagte  mir  auch  zu- 
gleich, wie  er  gegenwärtig  keines  Gefel- 
len  bedürfte,  indem  er  üch  fchon  vor 
kurzem  damit  verfehen  hätte.  Er  fügte 
aber  hinzu,  dafs  es  noch  einen  andern 
Drucker  in  der  Stadt,  der  fich  erft  neu- 
lich dafelbft  gefetzt  hätte,  Namens  KeU 
mcr,  gäbe,  der  mich  vielleicht  gebrau- 
chen könnte.  Im  Fall  aber,  dafs  diefes 
nicht  wäre,  fo  wollte  er  mir  fehr  gern 
fo  lange  Wohnung  und  von  Zeit  zu  Zeit 
ein  Stück  Arbeit  geben,  bis  fich  Gele- 
genheit zum  Mehrern  darböte. 

Der  alte  Mann  erbot  fich,  mich  zu 
dem  neuen  Buchdrucker  hinzuführen; 
und  als  wir  vor  ihn  kamen,  fagte  er: 
„Nachbar,  ich  bringe  euch  hier  einen 
jungen  Menfchen  eures  Gewerbes.  Viel- 
leicht könnt  ihr  ihn  gebrauchen.,, 

Keimer  that  einige  Fragen  an  mich, 
gab  mir  einen  Setzhaken  ( Compofwg-Stick) 


Jugendjahre.  75 

in  die  Hand,  um  zu  fehen,  wie  ich  ar- 
beitete, und  fagte  hierauf,  dafs  er  mich 
bald  anftellen  wollte,  ob  er  mir  gleich 
augenblicklich  keine  Arbeit  geben  könn- 
te. Da  er  zugleich  den  alten  Bradford 
für  einen  gut  gegen  ihn  gefinnten  Bür- 
ger der  Stadt  hielt,  fo  unterhielt  er  ilm 
über  feine  gegenwärtige  Unternehmung 
und  die  Ausfichten,  welche  felbige  ihm 
darböte.  Bradford  hütete  lieh  wohl  weis- 
lich, fich  als  den  Vater  des  andern  Buch- 
druckers zu.  entdecken und  wie  Keimer 
lieh  verlauten  liefs,  dafs  er  bald  die  mei- 
fie  Arbeit  an  fich  gezogen  zu  haben 
hoffte,  fo  führte  ihn  der  Alte  durch  al- 
lerley  künlhiche  Fragen  und  aufgeworfe- 
ne Zweifel  fo  lange  herum,  bis  Keimer 
ihm  feinen  ganzen  Plan  mittheilte,  und 
entdeckte,  auf  was  für  Begünftigungen 
er  nicht  nur  rechnete , fondern  auch  wie 
er  feine  Dinge  anzugreifen  gedächte. 
Ich  war  dabey  gegenwärtig,  hörte  alles 
mit  an,  und  bemerkte  fofort,  dafs  der 
Eine  ein  aller  liftiger  Fuchs,  der  Andere 


76  Benjamin  Franklin's 

aber  ein  wahrer  Neuling  wäre.  Brad- 
ford liefs  mich  bey  Reimer , der  ausneh- 
mend betreten  war,  als  ich  ihm  fagte, 
wer  der  alte  Mann  wäre. 

Ich  fand,  dafs  Reimers  Druckerey  aus 
einer  alten  fchadhaften  PrelTe  und  einem 
kleinen  Gufs  abgenutzter  englifcher 
Schriften  behänd.  ' Der  letzten  bediente 
er  lieh  gerade  felbft,  um  eine  Elegie  auf 
Aquila  - Rofa , deflen  ich  oben  erwähnt 
habe,  zu  fetzen.  Diefer  war  ein  junger 
Menfch  von  Kopf  und  vortrefflichem 
Character,  ungemein  gefchätzt  in  der 
Stadt,  Secretär  der  Provinzialverfamm- 
lung,  und  ein  gar  nicht  übler  Dichter. 
Reimer  machte  auch  Verfe;  aber  fie  wa- 
ren fehr  mittelmäfsig.  Man  konnte  ei- 
gentlich nicht  fagen,  dafs  er  in  Verfen 
fchriebe , denn  feine  Art  war,  fie  fogleich 
in  Lettern  zu  fetzen,  fo  wie  fie  aus  fei- 
ner poetifchen  Ader  ürömten.  Da  er 
nun  ohne  Handfchrift  arbeitete , nur  ein. 
Paar  Schriftkaften  hatte,  und  zu  feiner 
Elegie  wahrfcheinlich  alle  Lettern  ge- 


, Jugendjahre.  77 

brauchte,  fo  konnte  er  fich  freyliclx  von 
Niemand  helfen  laßen.  Ich  bemühte 
mich  feine  PrefTe  in  Ordnung  zu  brin- 
gen, deren  er  fich  noch  gar  nicht  be- 
dient hatte,  indem  er  nicht  fo  viel  da- 
von verftand,  um  felbft  damit  umgehen 
zu  können.  Nachdem  ich  ihm  nun  ver- 
fprochen  hatte,  feine  Elegie  abzuziehen, 
fo  bald  fie  gefetzt  feyn  würde,  fo  kehrte 
ich  zu  Bradford  zurück,  der  mir  fürs  er- 
fte  eine  Kleinigkeit  zu  arbeiten , und  da- 
für fo  wohl  Kofi:  als  Wohnung  gab. 

Einige  Tage  nachher  liefs  mich  Rei- 
mer rufen,  um  feine  Elegie  abzuziehen. 
Er  hatte  fich  indeßen  noch  einen  Schrift- 
kaßen,  und  ein  Pamphlet  zum  Wieder- 
abdruck verfchafit,  wobey  er  mich  zur 
Arbeit  anßellte. 

Bey  den  Buchdruckern  zu  Philadel- 
phia fchienen  mir  alle  notliwendigen  Ei- 
genfchaften  für  ihr  Gewerbe  gänzlich  zu 
mangeln.  Bradford,  gar  nicht  dazu  er- 
zogen, war  ein  gewaltiger  Idiot.  Kd-, 
mer,  obwohl  nicht  ganz  unwiflend,  war 


78  Benjamin  Franklin’s 

doch  nur  ein  blofser  Setzer,  und  ver- 
ftand  fich  fchlechterdings  nicht  auf  die 
Preffe.  Er  war  Einer  von  den  franzö- 
fifchen  Propheten  gewefen,  und  wufste 
ihre  übernatürlichen  Verzuckungen  na  ein 

zumachen.  Zu  der  Zeit,  da  wir  mit  ein- 

\ 

ander  bekannt  wurden,  bekannte  er  fich 
zu  gar  keiner  befondern  Religion,  fon- 
dern  hielt  es  nach  Gelegenheit  mit  al- 
len. Die  Welt  kannte  er  fehr  wenig; 
und  im  Herzen  hegte  er  nicht  geringe 
Falfchheit,  wie  ich  in  der  Folge  wahrzu- 
nehmen Gelegenheit  hatte. 

Keimern  war  es  unausftehlich,  dafs 
ich,  als  fein  Arbeiter,  gleichwohl  bey 
Bradford  wohnen  lollte.  Er  hatte  zwar 
ein  Haus  inne,  allein  ohne  Mobilien; 
mithin  konnte  er  doch  mich  nicht  darin 
aufnehmen.  Er  verfchaffte  mir  daher 
eine  Wohnung  beym  Herrn  Read,  dem 
Eigentümer  des  Haufes , deflen  ich 
fchon  oben  erwähnt  habe.  Um  diefe 
Zeit  war  mein  Felleifen  nebft  meinen 
Sachen  angekommen;  ich  putzte  mich 


Jugendjahre.  79 

alfo  fo  weit  heraus,  dafs  ich  vor  Mifs 
Read  mit  etwas  mein-  Anhand  erfchei- 
nen  konnte,  als  damals,  da  das  Unge- 
fähr mich  ihr  zum  erftenmal  unter  die 
Augen  brachte,  indem  ich  mein  Brot 
effend  die  Gaffen  durchirrte. 

Damals  gelangte  ich  zuerft  zu  eini- 
gen Bekanntfchaften  mit  jungen  Leuten 
aus  der  Stadt,  welche  Lectüre  liebten, 
und  ich  brachte  manchen  vergnügten 
Abend  mit  ihnen  hin,  während  ich  durch 
meine- Thätigkeit  Geld  verdiente,  und 
Dank  meiner  Mäfsigkeit  fein  zufrieden 
lebte.  Ich  vergafs  daher  Boßon,  fo  viel 
mir  möglich  war?  und  da  ich  nicht  woll- 
te, dafs  dort,  aufser  meinem  Freunde 
Collins,  irgend  Jemand  den  Ort  meines 
Aufenthaltes  wüfste , fo  fchrieb  ich  nur 
an  diefen,  und  er  verfchwieg  mein  Ge- 
heimnifs. 

Gleichwohl  ereignete  fich  ein  Vor- 
fall, der  mich  in  meine  Vaterftadt  eher 
zurückbrachte , als  ich  mir  vorgefetzt  hat- 
Ich  hatte  nehmlich  einen  Schwager, 


So 


Benjamin  Franklins 


Hubert  Holmer,  Befehlshaber  einer  Scha- 
luppe, welche  die  Kühen  zwifchen  Bo- 
fton  und  dem  Delaware  befuhr.  Als  die- 
fer  lieh  einh  zu  Neivcaßle , vierzig  Mei- 
len unter  Philadelphia  befand,  hörte  er 
von  mir  reden,  und  fchrieb  an  mich, 
um  mich  von  dem  Verdruffe  zu  benach- 
richtigen, den  meine  plötzliche  Abreife 
von  Bofton  meinen  Eltern  verurfacht 
hatte.  Er  fügte  hinzu,  dafs  diefe  nichts 
deho  weniger  die  behen  Gefinnungen 
für  mich  hegten,  und  alles  fich  nach  mei- 
nem Wunfche  wieder  beylegen  Iahen 
würde,  wenn  ich  nur  zurücklcehrte , 
wozu  er  mich  fe.hr  dringend  ermahnte. 
Ich  beantwortete  feinen  Brief,  und  dankte 
ihm  für  die  Nachricht;  zugleich  aber 
fetzte  ich  auch  meine  Gründe  aus  einan- 
der, warum  ich  Boßon  verlaßen  hätte, 

und  zwar  clieTes  mit  fo  viel  Stärke  und 

> 

Klarheit,  dafs  er  überführt  wurde,  ich 
hätte  wohl  nicht  fo  viel  unrecht,  als  er 
iich  vorgeftellt  hatte. 


Nun 


Jugendjahre.  81 

/ 

Nun  befand  fich  gerade  damals  der 
Ritter  Wilhelm  Keith , Statthalter  der  Pro- 
vinz, zu  Newcaßle.  Es  mufste  fich  tref- 
fen, dafs  Capitän  Holmer  mit  ihm  in  Ge- 
fellfchaft  war,  als  er  meinen -Brief  er- 
hielt, welches  denn  Gelegenheit  gab, 
nicht  nur  von  mir  zu  reden,  fondern 
auch  ihm  meinen  Brief  zu  zeigen.  Der 
Statdralter  las  ihn  und  fehlen  verwun- 
dert, als  er  mein  Alter  erfuhr.  Er  fag- 
te , ich  fchiene  ihm  ein  junger  Menfcli, 
der  überaus  viel  verfpräche,  und  den 
man  daher  aufmuntern  müfste.  Es  sä- 
be  keine  andere,  als  fchlechte  Buch- 
drucker zu  Philadelphia,  und  wenn  ich 
mich  dafelbft  anfäfsig  machen  wollte,  fo 
zweifelte  er  gar  nicht  an  einem  glück- 
lichen Erfolge.  Von  feiner  Seite  wollte 
er  mir  alle  öffentliche  Arbeit  verfchafifen, 
und  fonft  alle  Dienfte  leififfn,  die  in  fei- 
ner* Macht  wären.  Mein  Schwager  er- 
zählte mir  alles  diefs  in  der  Folge  zu  Bo- 
ßon  wieder.  Damals  aber  wufste  ich  von 
allem  noch  nicht  ein  Wort,  als  wir  eines 

F 


Benjamin  Franklin’s 

JTages,  da  Reimer  und  ich  neben  dem 
* Fenfter  bey  der  Arbeit  waren,  den  Statt-  , 
halter  und  noch  einen  andern  Herrn, 
den  Oberften  Ffench  von  Newctißle , bey- 
de  fiattlich  gekleidet , queer  über  die 
Strafse  gerade  auf  unfer  Haus  zukom- 
men  fallen,  Jind  unten  an  unferer  Haus, 
thür  vernahmen.  Keimer , welcher  glaub- 
te, dafs  der  Befuch  ihm  gälte,  flieg 
fogleich  hinunter.  Aber  der  Statthalter 
fragte  nach  mir,  flieg  herauf,  fagte  mir 
mit  einer  Herablaffung  und  Höflichkeit, 
woran  ich  durchaus  nicht  gewöhnt  war, 
überaus  viel  Schmeichelhaftes,  wollte  Be- 
kanntfchaft  mit  mir  machen , machte  mir 
zärtliche  Vorwürfe  darüber,  dafs  ich  mich  j 
ihm  nicht  gleich  bey  meiner  Ankunft  in 
der  Stadt  bekannt  gemacht  hätte,  und 
wollte  mich  in  eine  Weinfchenke  mit- 
nehmen, wohin  er,  wie  er  fagte,  eben  1 
mit  dem  Oberflen  French  ginge,  um  ei-  } 
nen  vortrefflichen  Madera  zu  verfuclien.  1 
Ich  bekenne  gern,  dafs  mich  diefs 
ein  wenig  überrafchte ; Keimer  aber  Hand 


Jugendjahre.  S3 

I 1 

ganz  wie  verfeinert.  IndefTen  ging  ich 
mit  dem  Statthalter  und  dem  Oberften  in 
eine  Weinfchenke  an  der  Ecke  vonThird- 
flreet,  wo  er  mir  beym  Glafe  Madera 
den  Vorfchlag  that,  eine  Druckerey  an- 
zulegen. Er  malilte  mir  die*Wahrfchein- 
lichkeit  des  guten  Erfolges  vor,  und  er 
fo  wohl,  als  der  Oberfle  French  verficher- 
ten  mich  ihres  Schutzes  und  ihrer  Ver- 
wendung , um  mir  den  Druck  der  öffent- 
lichen Schriften  aus  beyden  Statthalter- 
fchaften  zu  verfchaffen.  Da  ich  zu  zwei- 
feln fchien,  dafs  mein  Vater  mir  zu  die- 
fern  Unternehmen  behülflich  feyn  würde, 
fo  fagte  der  Ritter  Wilhelm,  er  wollte 
mir  einen  Brief  an  denfelben  mitgeben, 
und  darin  die  Vörtheile  deffelben  aus 
einander  fetzen , da  er  denn  nicht  zwei- 
felte, ihn  dazu  zu  bewegen.  Es  wurde 
daher  ausgemacht,  dafs  ich  mit  einem 
folchen  Empfehlungsfchreiben  des  Statt- 
halters an  meinen  Vater  auf  dem  erften 
Schiffe  nach  Boßon  zurückkehren  follte. 
Vor  der  Hand  aber  follte  diefs  Project 

E 2 


84  Benjamin  Franklin’s 

geheim  gehalten  werden,  und  ich  fuhr 
wie  bisher  fort,  bey  Keimern  zu  arbeiten. 

Der  Statthalter  liefs  mich  von  Zeit  zu 
Zeit  zum  Mittagseffen  einladen.  Ich  hielt 
das  für  eine  überaus  grofse  Ehre,  und 
wurde  davon  um  fo  mehr  gerührt,  da 
man  üch  nichts  fo  leutfelig,  fo  vertrau- 
lich und  freundschaftlich  denken  kann, 
als  er  mit  mir  umging, 

Gegen  das  Ende  des  Aprils  1724 
wollte  ein  kleines  Schiff  nach  Boßon  ab- 
gehen. Unter  dem  Vorwände,  meine 
Verwandten  zu  befuchen,  nahm  ich  von 
Keimern  Urlaub.  Der  Statthalter  gab  mir 
einen  langen  Brief  mit,  worin  er  mei- 
nem Vater  fehr  viel  Schmeichelhaftes 
für  mich  fagte,  und  ihm  meine  Nieder- 
laffung  zu  Philadelphia,  als  etwas,  wel- 
ches dereinft  mein  Glück  machen  würde, 
fehr  dringend  empfahl. 

Als  wir  die  Bay  hinabfuhren , gerie- 
then  wir  auf  eine  Untiefe  und  bekamen 
$inen  Leck.  Auf  dem  Meere  war  es  flür- 
mifch,  und  wir  mufsten  fall  unaufhörlich 


I 


Jugendjahre.  85 

pumpen,  wobey  ich  das  meinige  gleich- 
falls that.  Nichts  defio  weniger  langten 
wir  ungefähr  nach  vierzehn  Tagen  ge- 
fund  und  wohlbehalten  zu  Boßon  an. 

Ich  war  heben  volle  Monath  abwe- 
fend  gewefen,  und  meine  Eltern  hatten 
während  diefer  ganzen  Zeit  keine  Nach- 
richt von  mir  gehabt.  Denn  mein  Schwa- 
ger Hulmer  war  noch  nicht  wieder  zu- 
rückgekommen, und  hatte  meinetwegen 
auch  nichts  gefchrieben.  Meine  uner- 
wartete Erfcheinung  iiberrafchte  meine 
Familie.  Indelfen  Avar  doch  alles  froh 
mich  wiederzufehen , und  hiefs  mich 
herzlich  willkommen,  ausgenommen  mei- 
nen Bruder.  Ich  befrachte  ihn  in  feiner 
Druckerey.  Ich  war  weit  befler  geklei- 
det, als  ich  es  jemals  in  feinen  Dienllen 
gervefen  Avar.  Denn  ich  hatte  einen  voll- 
ftändigen  neuen  und  faubern  Anzug.,  ei- 
ne Uhr,  und  mein  Beutel  Acar  beynahe 
mit  fünf  Pfund  Sterling  baar  gefpickt. 
Mein  Bruder  empfing  mich  eben  nicht 
gar  artig,  fah  mich  vom  Kopf  bis  zu  den 


86  Benjamin  Franklin’s 


Füfsen  an,  und  machte  fich  wieder  an 
feine  Arbeit. 

Die  Gefallen  fragten  mich  fehr  drin- 
gend, wo  ich  gewefen,  was  für  eine  Art 
Land  es  wäre,  und  Avie  ich  mich  dafelbft 
befunden  hätte.  Ich  rülimte  PhiladelM 
phia,  und  das  glückliche  Leben,  Avelches  , 
ich  dafelbft  führte,  nicht  Avenig,  und 
drückte  dabey  meinen  Vorfatz,  wieder 
dorthin  zu  gehen,  fehr  kräftig  aus.  Als 
mich  einer  von  ihnen  gefragt  hatte,  was 
für  eine  Art  Geld  man  dort  verdiente,  ! 
Io  zog  ich  eine  Hand  voll  aus  der  Ta- 
fche,  und  Avarf  he  vor  ihnen  auf  den 
Tifch.  Das . Avar  für  fie  eine  Art  von 
Seltenheit,  worari  fie  gar  nicht  gewöhnt 
waren,  indem  zu  Boßon  Papier  im  Um- 
laufe Avar.  Ich  unterliefs  hierauf  auch 
nicht,  ihnen  meine  Uhr  zu  zeigen.  End- 
lich, da  mein  Bruder  immer  mürrifch 
und  bey  widerwärtiger  Laune  blieb,  gab 
ich  ihnen  ein  Stück  von  Achten  zum 
Vertrinken,  und  empfahl  mich.  Diefer 

mein  Befuch  verdrofs  ihn  auf  das  äufser- 

- 


Jugendjahre.  8 7 

Re.  Denn  als  meine  Mutter  einige  Zeit 
darnach  von  Wiederverföhnung  mit  ihm 
fprach,  und  ihren  Wunfch  zu  erkennen 
gab,  dafs  wir  doch  hinfort  wieder  brü- 
derlich zufammen  leben  möchten,  fo  lag- 
te  er,  wie  ich  ilm  dermafsen  vor  feinen 
Leuten  befchimpft  hätte,  dafs  er  mirs  nim- 
mermehr vergehen  noch  vergeben  'wür- 
de, worin  er  fich  doch  gleichwohl  irrte. 

Der  Brief  des  Statthalters  fchien  zwar 
meinen  Vater  in  einige  Verwunderung 
zu  fetzen;  iridefien  liefs  er  fich  doch  nicht 
viel  darüber  aus.  Als  nach  Verlauf  ei- 
niger Tage  der  Gapitän  Holmer  zurück- 
kehrte, fo  zeigte  er  ihn  diefem,  und 
fragte  ihn,  ob  er  diefen  Krith  kennte, 
und  was  für  eine  Art  Mann  derfelbe  wä- 
re. Dabey  fügte  er  hinzu,  dafs  es  doch, 
feiner  Meinung  nach,  wenig  Urtheils- 
kraft  verriethe,  ein  Kind  etabliren  zu 
wollen,  dem  noch  drey  volle  Jahre  ab- 
gingen, ehe  es  in  die  Clafle  der  Män- 
ner aufgenommen  werden  könnte.  Hol - 
mer  fagte  zum  Bellen  des  Projects,  was 


88  Benjamin  Franklin’s 

er  wufste  und  konnte;  allein  mein  Va- 
ter behauptete  feil  die  IJnthunliclikeit  der 
Sache,  und  fchlug  endlich  feine  Einwil- 
ligung geradezu  ab.  Er  fchrieb  hierauf 
an  den  Ritt»  r Wilhelm  einen  höflichen 
Brief,  worin  er  ihm  zwar  für  die  fo  gü- 
tig angebotene  Gönnerfchaft  dankte,  aber 
es  auch  zugleich  abfchlug,  mich  für  jetzt 
etabliren  zu  helfen.  Denn  feiner  Mei- 
nung  nach  wäre  ich  noch  allzu  jung, 
als  dafs  man  mir  eine  fo  wichtige  Un- 
ternehmung anvertrauen  könnte,  wovon 
fchon  die  blofsen  Vorbereitungen  eine 
beträchtliche  Anlage  erfoderten. 

Mein  alter  Kamerad  Collins,  welcher 
als  Schreiber  bey  der  Pofl  ftand,  war 
ganz  entzückt  über  das,  was  ich  ilnn  von 
meinem  neuen  Aufenthalt  erzählte,  und 
bekam  Luft  ficli  gleichfalls  dorthin  zu 
begeben.  Während  ich  noch  auf  die 
Entfcldiefsung  meines  Vaters  wartete, 
reifete  er  fchon  vor  mir  zu  Lande  nach 
Rhode  - Island  ab , und  lie.fs  feine  ganz 
artige  Sammlung  von  mathematifcheu 


' 


Jugendjahre.  89 

und  phyficalifchen  Büchern  zurück,  um 
mit  den  meinigen  nach  Neu  - York  trans- 
portirt  zu  werden,  wofelbft  er  mich  er- 
warten wollte. 

Ob  nun  gleich  mein  Vater  den  Vor- 
fchlag  des  Ritters  Willrelm  nicht  geneh- 
migte, lo  behagte  es  ihm  doch  unge- 
mein , dafs  ich  mir  eine  fo  günflige  Em 
•pfelilung  von  einer  fo  vornehmen  Per- 
fon an  dem  Orte  meines  Aufenthalts 
hätte  auswirken  können , und  dafs  mein 
Fleifs  und  meine  gute  Wirthfchaft  mich 
in  den  Stand  gefetzt  hätten,  mich  in  fo 
kurzer  Zeit  fo  artig  herauszuputzen.  Da 
es  nicht  fchien,  dafs  das  gute  Verneh- 
men zwifchen  meinem  Bruder  und  mir 
wieder  hergeftellt  werden  würde , fo  wil- 
ligte mein  V ater  in  meine  Rückkehr 
nach  Philadelphia,  und  gab  mir  den 
Rath,  dafelbft  gegen  Jedermann  meine 
Pflicht  zu  beobachten,  mich  um  allge 
meine  W erthfchätzung  zu  bewerben,  und 
Satyre  und  Spötterey  zu  vermeiden,  wo- 
zu ich,  nach  feiner  Meinung,  einen  all- 


gö  Benjamin  Fxanklin’s 

zu  grofsen  Hang  hätte.  Durch  Beharr- 
lichkeit und  kluge  Wirthfchaft,  fügte  er 
hinzu,  könnte  ich  mir  vor  meinem  ein 
und  zwanzigften  Jahre  genug  erfparen, 
um  mich  damit  einzurichten;  und  wenn 
mir  alsdann  ja  nocli  eine  Kleinigkeit 
fehlte,  fo  wollte  er  fclion  dafür  forgen. 

Diefs  war  alles,  was  ich  erhalten  konn- 
te, ausgenommen  einige  kleine  Gefchen- 
ke,  zum  Zeichen  des  Wohlwollens,  fo- 
wohl  von  feiner  als  meiner  Mutter  Seite. 
Ich  fchifite  mich  von  neuem  nach  Neu- 
York  ein,  diefsmal  aber  unter  dem  Schu- 
tze ihrer  Einwilligung  und  ilires  See- 
gens. Da  die  Schaluppe  zu  New-port 
Rhode  - Island  ardegte,  fo  befuchte  ich 
meinen  Bruder  Johanti , der  feit  einigen 
Jahren  dafelbft  eingerichtet  und  verhei- 
rathet  war.  Diefer  hatte  mich  immer  fehr 
geliebt,  und  nahm  mich  daher  ungemein 
zärtlich  auf.  Einer  feiner  Freunde,  Na- 
mens Vernon,  welcher  eine  Eoderung  in 
Penfylvanien  von  ungefähr  36  L.  Ster- 
ling hatte,  bat  mich,  diefes  Geld  zu  er- 


Jagendjahre.  91 

heben,  und  es  fo  lange  an  mir  zu  be- 
halten, bis  er  mir  das  Weitere  auftrüge. 
Er  hellte  mir  daher  eine  Anweifung  zu. 
Diefe  Sache  verurfachte  mir  in  der  Fol- 
ge viel  Unruhe. 

Zu  Netvport  nahmen  wir  eine  Anzahl 
Reifender  ein,  worunter  fich  auch  zwey 
junge  Frauenzimmer,  die  zufammen  rei- 
feten,  und  eine  Quäkerinn,  eine  gefetzte 
und  gefcheidte  Dame,  nebh  ihren  Jjeu- 
ten,  befanden.  Ich  hatte  mich  felir  höf- 
lich und  ämfig  gezeigt,  ihr  einige  kleine 
Dienhe  zu  leihen,  und  vermuthe,  dafs 
fie  aus  Erkenntlichkeit  dafür  Antheil  an 
mir  nahm.  Denn  in  der  Tliat,  als  he 
wahrnahm,  dafs  hch  zwifchen  den  bey- 
den  Reifegefährtinnen  und  mir  eine  Ver- 
traulichkeit entfpann,  die  von  Tag  zu 
Tage  zunahm,  und  dafs  diefe  mir  Auf- 
munterungen zu  geben  fchienen,  fo  zog 
he  mich  bey  Seite,  und  Tagte:  „Junger 
„Menfch,  ich  bin  deinetwegen  in  Sor- 
„gen.  Du  hah  keine  Eltern,  die  über 
„deine  Aufführung  wachen,  und  fchei- 


g2  Benjamin  Franklin’s 

„neß  mir  weder  die  Welt,  noch  die  Fall- 
„ftricke  zu  kennen,  denen  die  Jugend 
„ausgefetzt  ill.  Verlafs  dich  auf  das, 
„was  ich  dir  hiermit  fage.  Diefs  find 
„Frauenzimmer  von  höchfl  fchlechter 
„Lebensart;  ich  erkenne  das  aus  allen 
„ihren  Handlungen.  Wenn  du  nicht 
„auf  deiner  Huth  bi  fl,  fo  werden  fie  dich 
„in  irgend  eine  Gefahr  locken.  Sie  find 
„dir  fremd;  wegen  des  freundfchaftli- 
„chen  Antheils , den  ich  an  dir  nehme, 
„rathe  ich  dir,  dich  in  keinerley  Ver- 
..bindung  mit  ihnen  einzulaflen.  „ Als 
ich  Herauf  nicht  fo  übel  von  ihnen  zu 
denken  fchien,  als  lie,  fo  erzäHte  fie  mir 
Dinge  genug,  die  he  von  ihnen  gefehen 
und  gehört  hatte , die  gleichwohl  meiner 
Aufinerkfamkeit  entgangen  waren,  mich 
aber  überzeugten,  dafs  ^e  Recht  liatte. 
Ich  dankte  ihr  für  ihren  gütigen  Rath, 
und  verfprach,  ihn  genau  zu  befolgen. 

Als  wir  zu  Neu-  York  aixkamen,  zeig- 
ten ße  mir  ihre  Wohnung  an,  und  ba- 
ten mich,  ße  dafelbft  zu  bef riehen.  Diefs 


93 


Jugendjahre. 

liefs  ich  bleiben,  und  that  fehr  wohl  dar- 
an. Denn  Tags  darauf  vermifste  der  Ca- 
pitän  einen  filbernen  Löffel  und  einige 
andere  Sachen,  die  aus  feiner  Cajiite  ent- 
wendet worden  waren.  Da  er  nun  wufs- 
te,  dafs  diefs  liederliche  Weibsbilder  wa- 
ren. fo  wirkte  er  einen  Unterfuchungs- 
befehl  aus,  fand  die  geftohlnen  Sachen, 
und  liefs  fie  beffrafen.  Solchergeflalt  ent- 
ging ich  nicht  nur  einem  unter  dem  Waf- 
fer  verborgenen  Feilen , auf  welchen  das 
Schiff  auf  feinem  Laufe  geftofsen  war, 
fondern  auch  für  mich  insbefondere 
noch  einer  weit  gefährlichem  Klippe. 

Zu  Neu-Tork  fand  ich  meinen  Freund 
Collins, , der  einige  Zeit  vor  mir  dafelbft 
angekommen  war.  Wir  waren  feit  un- 
ferer  Kindheit  mit  einander  vertraut;  wir 
hatten  zufammen  einerley  Bücher  gele- 
fen:  allein  er  hatte  den  Vortheil,  mehr 
Zeit  auf  das  Lefen  und  Studiren  verwen- 
den zu  können,  und  eine  erftaunliche 
Anlage  zur  Mathematik,  worin  er  mich 
bald  fehr  weit  hinter  fich  zurück  liefs. 


D4 


Benjamin  Franklin’s 

Als  Ich  noch  ln  Boßon  war,  brachte 
ich  meine  meillen  Erholungsflunden  mit 
ihm  hin.  Er  war  ein  eingezogenet  und 
lleifsiger  Burfche.  Seine  Kenntnifie  hat- 
ten ilxm  die  allgemeine  Achtung  fowold 
feiner  Glaubcnsgenoflen,  als  feiner  übri- 
gen Mitbürger  erworben,  und  es  fchien, 
dafs  er  fielt  einfi  zu  feinem  Vordieile  in 
der  Gefellfchaft  zeigen  würde.  Allein 
wältrend  meiner  Abwefenheit  hatte  er 
fielt  un  glücklicher  W eife  dem  Brandwein 
ergeben,  und  ich  erfuhr  fowohl  von  ihm 
felbft,  als  von  andern,  dafs  er  feit  feiner 
Ankunft  zu  Neu-  York  alle  Tage  betrun- 
ken gewefen  wäre,  und  fich  dabey  feltr 
ausgelaflen  betragen  hätte.  Auch  hatte 
er  gefpielt  und  alle  fein  Geld  verloren, 
fo  dafs  ich  genöthigt  war,  nicht  nur  fei- 
ne Zeche  im  Wirthshaufe  zu  bezahlen, 
fondern  ihn  auch  auf  der  ganzen  Reife 
frey  zu  halten,  welches  mir  ungemein 
zur  Lall  fiel. 

Der  damalige  Statthalter  • Burnet  zu 
Neu  - York  hatte  von  dem  Capitän  ver- 


Jugendjahre.  .95 

nommen,  dafs  er  einen  jungen  Reifen- 
den am  Bord  hätte,  der  viele  Bücher  be 
fäfse,  und  bat  ihn  daher  mich  zu  ihm 
zu  führen.  Ich  ging  hin,  und  würde 
Collins  mit  mir  genommen  haben,  wenn 
er  nur  nüchtern  gewefen  wäre.  Der  Statt- 
halter begegnete  mir  überaus  artig,  zeig- 
te mir  feine  fehr  anfelinliche  Bibliothek, 
und  wir  unterhielten  uns  fehr  lan°;e  fo- 
wohl  über  die  Bücher,  als  ihre  Verfaf- 
fer.  Diefs  war  der  zweyte  Statthalter, 
der  mich  mit  feiner  Aufmerkfamkeit  be- 
ehrte, und  einem  armen  Burfchen,  wie 
ich  damals  war,  mufsten  dergleichen  Be- 
gebenheiten wohl  nicht  wenig  fchmei- 
chelhaft  feyn. 

Wir  gingen  hierauf  nach  Philadel- 
phia ab.  Unterweges  erhob  ich  Fef/io/ts 
Geld,  ohne  welches  es  hart  gehalten  ha- 
ben würde , unfere  Reife  zu  vollenden. 

Collins  wünfchte  bey  irgend  einer 
Wechfelbank  angefiellt  zu  werden ; allein 
ob  er  gleich  gute  Empfehlungsbriefe  hat- 
te. fe  verriethen  dach  fein  Athem  und 


fjü  Benjamin.  Franklin’s 

fein  ganzes  Aeufieres  allzu  fehr  feine 
böfe  Angewohnheit.  Es  glückte  ihm  da- 
her nirgends,  und  er  fuhr  fort,  auf  mei- 
ne Unkoflen  bey  mir  zu  wohnen  und  zu 
zehien.  Da  er  wufste,  dafs  ich  Vernons 
Geld  hatte,  fo  wollte  er  beftändig  davon 
geliehen  haben,  indem  er  immer  ver- 
fpracli,  es  fogleich  wieder  zü  erllatten, 
wenn  er  einen  Dienft  haben  würde.  Er 
lockte  mir  endlich  fo  viel  ab,  dafs  ich 
in  die  gröfste  Unruhe  darüber  gerieth, 
was  aus  mir  werden  würde,  wenn  ich 
das  Geld  abliefern  follte.  Seine  Neigung 
zum  Trünke  liefs  nicht  nach,  und  brach- 
te Zwiefpalt  zwifchen  uns;  denn  wenn 
er  ein  wenig  zu  viel  getrunken  hatte,  fo 
war  er  fein-  heftig. 

Als  wir  uns  eines  Tages  nebft  meh- 
tern  jungen  Leuten  in  einem  Nachen 
auf  dem  Delaivarc  befanden,  wollte  er 
nicht  rudern,  als  die  Reihe  an  ihn  kam. 
„Ihr  follt  mich,  fagte  er,  bis  nach  Hau- 
fe rudern.,.  „Daß  werden  wir  wohl  blei- 
ben lallen,,,  fagte  ich.  — „Wenn  ihr  es^ 

nicht 


Jugendjahre.  97 

0 

nicht  thut,  erwiederte  er,  fo  müfst  ihr 
die  ganze  Nacht  auf  dem  Wader  blei- 
ben.,,— „Thu,  wie  dir  beliebt,  Tagten 
die  andern.  Lafst  uns  fortrudern!  Was 
liegt  denn  daran,  ob  er  rudert,  oder 
nicht!,,  — Aber  ich,  fchon  wegen  fei- 
ner übrigen  Aufführung  gegen  ihn  er- 
bittert, fuhr  fort  mich  zu  widerfetzen. 
Da  fchwur  er,  er  würde  mich  rudern 
lehren,  oder  mich  zum  Nachen  hinaus- 
werfen. Und  in  der  That  kam  er  über 
die  Queerbalken  gegen  mich  angefchrit- 
ten.  Sobald  ich  ihn  aber  erreichen  konn- 
te , fchwang  ich  meinen  Arm  unter  feine 
.Hofen,  erhob  mich  ungeflüm  und  warf 
ihn  Kopf  voran  in  den  Strom.  Ich  wufs- 
te,  dafs  er  ein  guter  Schwimmer  war, 
und  fürchtete  daher  nichts  für  fein  Le- 
ben. Ehe  er  fich  nun  umwenden  und 
den  Nachen  wieder  ergreifen  konnte,  ge- 
wannen wir  Zeit,  den  Nachen  durch  ei- 
nige Ruderfcliläge  fo  weit  von  ihm  zu 
entfernen,  dafs  er  ihn  nicht  mehr  errei- 
chen konnte.  So  oft  er  lieh  näherte, 

G 


98  Benjamin  Franklin’s 

fragten  wir  ihn,  ob  er  rudern  wollte, 
und  einige  Ruderfchläge  zu  gleicher  Zeit 
machten,  dafs  er  den  Nachen  fahren  1 
lallen  mufste.  Er  wollte  beynahe  vor  5 
Zorn  erfticken , und  gleichwohl  nicht  zu 
rudern  verfprechen.  Als  wir  indelfen 
fallen,  dafs  ihm  die  Kräfte  ausgingen, 
l’o  zogen  wir  ihn  wieder  in  den  Nachen, 
und  brachten  ihn  Abends  durch  und 

% r 

durch  nafs  zu  Haufe.  Nach  diefem  Vor- 
falle  lebten  Avir  äufserll  kaltfinnig  mit  ein- 
ander. Endlich  gerieth  er  an  den  Capi- 
tän  eines  Schilfes  von  den  Infein,  der 
den  Auftrag  hatte , lieh  nach  einem  Hof- 
ineifter  für  einen  jungen  Herrn  zu  Bar- 
bados umzufehen.  Diefer  fchlug  ihm  die 
Stelle  vor,  und  verfprach  ihn  dorthin  zu 
führen.  Er  nahm  fie  an,  und  verliefs 
mich  mit  dem  Verfprechen,  dafs  ich  zur 
Berichtigung  meiner  Foderung  das  erfle 
Geld  haben  follte,  Avas  er  einnclimen 
> würde.  Allein  ich  habe  nie  etAvas  AVie- 
der  von  ihm  vemommen. 

-fl 

— 


X 


99 


Jugendjahre. 

Die  Vergreifung  an  dem  mir  von 
Vernon  anvertrauten  Gelde  gehört  zu 
den  erften  grofsen  Vergehungen  meines 
Lebens;  und  diefer  Vorfall  beweifet,  dafs 
mein  Vater  fich  eben  nicht  in  feinem 
Urtheile  betrog,  indem  er  mich  noch 
für  zu  jung  hielt,  um  wichtige  Gefchäf- 
te  zu  führen.  Allein  der  Ritter  Wil- 
helm, nachdem  er  feinen  Brief  gelefen 
hatte,  fagte,  dafs  er  allzu  vorfichtig  wä- 
re. Man  müfste  bey  einzelnen  Perfonen 
Ausnahmen  machen;  und  fo  -wie  Weis- 
heit nicht  immer  die  Begleiterinn  des 
reifem  Alters  wäre,  fo  felilte  fie  auch 
nicht  gerade  immer  der  Jugend.  „Weil 
er  Sie  denn  alfo  nicht  etabliren  will,  füg- 
te er  hinzu,  fo  will  ich  es  felbft  thun. 
Geben  Sie  mir  ein  Verzeichnifs  von  den- 
jenigen Artikeln,  die  wir  aus  England 
haben  müden,  und  ich  werde  fie  kom- 
men laden.  Sie  können  mich  wieder  be- 
zahlen, wenn  fie  im  Stande  dazu  find. 
Ich  will  nun  einmal  einen  guten  Drucker 
hier  haben,  und  ich  bin  von  Ihrem  Fort- 

G 2 


lOO 


Benjamin  Franklin’s 

kommen  verfichert.  „ Er  fagte  das  mit 
einem  folchen  Anfchein  von  Herzlich- 
keit, dafs  ich  keinen  Augenblick  an  der 
Aufrichtigkeit  feines  Anerbietens  zwei- 
felte. Bisher  hatte  ich  das  Project  mei- 
ner Niederlaffung,  das. er  mir  in  den 
Kopf  gefetzt  hatte,  keinem  Menfchen  zu 
Philadelphia  entdeckt,  und  ich  fuhr  fort 
es  zu  verfchweigen.  Wenn  man  gewufst 
hätte,  wie  fehl-  ich  auf  den  Statthalter 
rechnete,  fo  würde  fich  unflreitig  ein  in 
Anfehung  feiner  belfer  unterrichteter 
Freund  gefunden,  und  mich  gewarnt 
liaben,  nicht  auf  ihn  zu  bauen.  Denn 
ich  erfuhr  in  der  Folge,  dafs  er  allge- 
mein für  einen  Mann  galt,  dfcr  zwar 
freygebig  in  Verfprechungen,  aber  nie 
Willens  wäre,  he  zu  erfüllen.  Indeffen, 
da  ich  ja  gar  nichts  bey  ihm  gefucht 
hatte,  wie  hätte  ich  glauben  können,  dafs 
feine  Anerbietungen  nicht  aufrichtig  wä» 
ren?  Ich  hielt  ihn  für  den  bellen  Mann 
von  der  Welt. 


Jugencljahre.  lo.i 

Ich  überreichte  ihm  düs  Verzeichnis 
der  Erforderniffe  zu  einer  kleinen  Buch- 
druckerey,  wovon  lieh  die  Koften  nach 
meiner  Rechnung  ungefähr  auf  hundert 
Pfund  Sterling  beliefen.  Er  war  damit 
zufrieden,  fragte  mich'  aber  auch  zu- 
gleich, ob  es  nicht  gut  feyn  würde,  dafs 
ich  felbft  nach  England  ginge,  um  die 
Lettern  felblf  an  Ort  und  Stelle  auszufu- 
chen,  und  dahin  zu  forgen,  dafs  jeder 
Artikel  in  feiner  Art  von  hinlänglicher 
Güte  wäre.  „Sie  könnten,  fagte  er,  dort 
auch  Bekanntfchaften  machen,  und  einen 
Briefwechfel  mit  Buch  - und  Papierhand- 
lungen anlegen.,,  Ich  gab  zu,  dafs 
diefs  allerdings  vortheilhaft  feyn  würde. 
„Wenn  das  ift,  fuhr  er  fort,  fo  halten 
Sie  fich  bereit,  mit  dem  Annis  nach 
England  zu  gehen.,,  Diefs  war  das 
jährliche  und  damals  einzige  Schiff,  wel- 
ches regelmäfsig  zwifchen  London  und 
Philadelphia  ging;  allein  es  waren  noch 
einige  Monathe  hin,  ehe  der  Annis  ab- 
fegelte.  Alfg  fuhr  ich  fort,  bey  Ktirnarn 


102 


Benjamin  Franklin’s 

zu  arbeiten,  aber  fehr  unruhig  über  das 
Geld,  welches  Collins  von  mir  entliehen 
hatte,  und  in  befiändiger  Angft  vor  Ver- 
non,  welcher  doch  aber  zum  Glück  fein 
Geld  erft  nach  einigen  Jahren  wieder 
loderte. 

Ich  glaube  in  der  Erzählung  von  mei- 
ner erften  Reife  von  Boßon  nach  Phila- 
delphia einen  kleinen  Vorfall  ausgelaf- 
fen  zu  haben , der  vielleicht  hier  nicht . 
an  der  Unrechten  Stelle.feyn  wird.  Wäh- 
rend der  Windflille,  welche  uns  jenfeit 
Block -Island  aufhielt,  befchäftigten  fich 
unfere  Leute  mit  dem  Stockfifchfange, 
und  fingen  eine  grofse  Menge.  Bis  da- 
hin war  ich  meinem  Vorfatze  treu  ge- 
blieben,  nichts  zu  elfen,  was  lebendig 
gewefen  wäre;  und  bey  diefer  Gelegen- 
heit betrachtete  ich,'  meinem  Lehrer 
Tryon  zufolge,  den  Fang  jedes  Fifches 
als  eine  Art  von  Mord,  ohne  dafs  ir- 
gend eine  Anreizung  dazu  vorhergegan- 
gen wäre,  indem  doch  kein  Fifch  irgend 
jemanden  etwas  zu  leide  gethan,  oder  nur 


Jugendjahre.  203 

hätte  tliun  können,  um  diefe  Niederla- 
ge zu  rechtfertigen.  Diefe  Art  über  die 
Sache  zu  urtheilen  fchien  mir  ganz  un- 
widerleglich. Aber  ich  war  ehemals  ein 
grofser  Liebhaber  von  Fifchen  gewefen, 
und  als  hier  einer  aus  der  Bratpfanne 
genommen  ward,  fo  roch  er  gar  vor- 
trefflich. Ich  fchwankte  eine  Zeit  lang 
zwifchen  dem  Grundfatze  und  der  Nei- 
gung, bis  mir  einfiel,  dafs  ich  beyra 
Ausnehmen  der  Stockfifche  andere  klei- 
ne Fifche  in  ihrem  'Magen  gefehen  hat- 
te. Sogleich  fprach  ich  bey  mir  felbft: 
Wenn  ihr  einer  den  andern  fpeifet,  fo 
fehe  ich  nicht  ein , warum  wir  euch  nicht 
auch  fpeifen  follten.  Dem  zu  Folge  hielt 
ich  ein  liöchfl;  vergnügtes  Mittagsmahl 
von  Stockfifch,  und  fuhr  hernach  fort 
wie  alle  Welt  zu  elfen,  aufser  dafs  ich 
von  Zeit  zu  Zeit,  und  bey  gewilfen  Ge- 
legenheiten, zur  vegetabilifclien  Nah- 
rungsweife zurückkehrte.  So  bequem  ift 
es  alfo  ein  vernünftiges  Thier  zu  feyn, 
das  immer  Gründe  findet  oder  erfindet, 


104  Benjamin  Franklin’« 

um  alles  zu  rechtfertigen , was  es  nur  ir- 
gend zu  thun  Lull  hat. 

Ich  lebte  ganz  gut  mit  Keimern , und 
\yir  waren  ziemlich  einig,  weil  er  fich 
von  dem  Project  meiner1  Niederlaflung 
nichts  träumen  liefs.  Sein  Entliufiasmus 
hielt  gröfstentheils  an,  und  er  mpchte 
gern  vernünfteln.  Wir  dispütirten  daher 
oft  mit  einander.  Ich  pflegte  ihn  mit 
meiner  focratifchen  Methode  fo  zufam- 
men  zu  arbeiten,  und  hatte  ihn  durch 
meine  Fragen,  die  anfänglich  von  dem 
Streitpuncte  felir  weit  entfernt  zu  liegen 
fchienen,  dennoch  aber  nach  und  nach 
fich  demfclben  näherten,  und  ihn  in 
Schwierigkeiten  und  Widerfprüche  ver-  • 
wickelten , aus  welchen  er  ficlx  nicht  zu 
retten  wufste , fo  oft*  fcht  , dafs  er  zu- 
letzt feine  Vorficht  bis  ins  Lächerliche 
trieb,  und  kaum  auf  die  einfachile  umvW 
'ehrlichfle  Frage  anders  antwortete,  als-' 
nachdem  er  erft  gefragt-.'hatte : Was  füll 
daraus  folgen? ^ Indefien  bekam  er  doch 
eine  fo  hohe,  Meinung  von  mein,  r Wi- 


Jugendjahre.  105 

derlegungsTtunfi: , dafs  er  mir  im  ganzen 
Ernfte  den  Vorfchlag  that,  zur  Ausfüh- 
rung feines  Projects,  eine  neue  Secte  Z(U 
fliften , fein  Gehülfe  zu  werden.  Er 
wollte  alsdann  die  Lehre  predigen,  und 
ich  follte  die  Widerfacher  bekämpfen. 

Als  er  fich  über  feine  Lehrfätze  ge- 
gen mich  erklärte,  fo  fand  ich  darunter 
viele-  närrifclre  Einfälle,  die  ich  nicht 
Statt  finden  lalTen  wollte,  wenn  ich  nicht 
jvenigftens  auch  etwas  von  dem  Meini- 
gen  dazu  thun  dürfte , und  er  nicht  auch 
einige  meiner  Grundfätze  annähme.  Kä- 
tner §ug  einen  langen  Bart,  weil  es  ir- 
gendwo bey  Mofes  heifst:  Ihrfollt  eitert} 
Bart  nicht  gar  abfcheren.  Er  feierte  auch 
den  Sabbath  oder  den  fiebenten  Tag; 
und  diefe  beyden  Punkte  waren  feiner 
Meinung  nach  wefentlich.  Mir  mifsfiel 
zwar  der  Eine  wie  der  Andere;  allein 
ich  liefs  fie  doch  unter  der  Bedingung 
zu,  dafs  er  fich  dem  Verbot  der  Nah- 
rungsmittel aus  dem  Thierreiche  unter- 
würfe. „Ich  fürchte,  fagte  er,  diefs  wer- 


io6  Benjamin  Franklins 

de  meine  Natur  nicht  aushalten.,,  Ich 
verficherte  ihm  dagegen,  dafs  er  fich  da- 
bey  fehr  wohl  befinden  würde.  Er  war 
von  Natur  g'efräfsig;  und  ich  wollte  mir 
das  Vergnügen  machen,  ihn  ein  wenig 
auszuhungern.  Er  verftand  fich  endlich 
zu  einem  Verfuche  diefet  Lebensord- 
nung, wenn  ich  ihm  Gefellfchaft  leiften 
wollte.  Wir  unterwarfen  uns  derfelben 
in  der  That  drey  Monathe  lang.  Eine 
Frau  in  der  Nachbarfchaft  bereitete  und 
brachte  uns  unfer  Elfen.  Ich  gab  ihr 
ein  Verzeichnis  von  Vierzig  Gerichten, 
die  fie  uns  von  Zeit  zu  Zeit  abwechfelnd 
zubereiten  follte,  zu  welchen  allen  we- 
der Fleifch  noch  Fifch  kam.  Diefe  Grille 
bekam  mir  damals  defio  b elfer,  je  wohV 
feiler  fie  war.  Denn  unfere  ganze  Nah-  <’ 
rung  kofiete  einem  jeden  von  uns  nicht 
über  ' achtzehn  Pence  Sterling  wöchent- 
lich'-5'). 

Ich  habe  feitdem  mehrere  der  fireng- 
fien  Fallen  beobachtet,  und  diefe  Le- 


**)  Etwas  ilbcr  13  V Grofchen. 


1 


Jugend]  ahre.  107 

bensordnung  fall  immer  plötzlich  auf 
die  gewöhnliche  folgen  laden,  ohne  den 
mindeften  Naclitheil  zu  erfahren.  Da- 
her fclieint  mir  auch  der  Rath  fehl-  un- 
erheblich, den  man  gewöhnlich  giebt, 
ficli  nicht  anders,  als  nach  und  nach  an 
eine  veränderte  Lebensordnung  zu  ge- 
wöhnen. 

Ich  beobachtete  lie  gutes  Muthes;  al- 
lein der  arme  Keimer  litt  dabey  nicht  we- 
nig. Verdrüfslich  über  fein  Unterneh- 
men, feufzte  er  nach  den  Fleifchtöpfen 
Aegyptens.  Endlich  liefs  er  fich  ein 
Spanferkel  braten,  und  lud  mich,  neblt 
no-ch  zwey  Frauenzimmern  von  unferer 
Bekanntfchaft  zum  Mittagseflen  ein.  Da 
aber  das  Spanferkel  zu  früh  gahr  gewor- 
den war,  fo  konnte  er  der  Verfuchung 
nicht  widerlichen,  und  afs  es  rein  auf, 
ehe  wir  noch  ankamen. 

Während  diefer  Begebenheiten  be.- 
zeigte  ich  der  Mifs  Read  einige  Aufmerk- 
famkeit.  Ich  empfand  nicht  wenig  Nei- 
gung und  Hochachtung  für  diefelbe,  und 


ioS  Benjamin  Franklin’s 

hatte  Urfache  zu  glauben,  dafs  fie  nicht 
gleichgültig  gegen  mich  wäre.  Da  wir 
aber  beyde  noch  lehr  jung  und  nicht 
über  achtzehn  Jahr  alt  waren,  und  ich 
überdiefs  in  Begriff  liand,  eine  lange 
Reife  anzutreten,  fo  hielt  ihre  Mutter  es  - 
der  Klugheit  gemäfs,  uns  für  jetzt  nicht 
zu  weit  gehen  zu  laffen;  indem,  wenn 
ja  eine  Heirath  unter  uns  Statt  haben 
follte,  es  beffer  feyn  würde,  damit  zu 
warten,  bis  ich  zurüekgekehrt,  und  zu 
meinem  künftigen  Gewerbe  fo  eingerich- 
tet feyn  würde,  als  ich  vorhatte.  Viel-  ' 
leicht  dachte  fie  auch,  dafs  meine  Hoff- 
riungen  wohl  nicht  auf  fo  feilen  Füfeen 
flünden , als  ich  mir  einbildete. 

Meine  vorzüglichflen  Kameraden  wa- 
ren damals  Carl  Osborne , Jofeph  Watfon 
und  Jacob  Ralph,  lauter  Freunde  der 
Lectüre.  Die  beyden  erllen  waren  Schrei- 
ber beym  Herrn  Carl  Bröckelen , einem 
der  vornehmflen  Stadt-Notare;  der  drit- 
te war  Schreiber  bey  einem  Kaufmann. 
Watfon  war  ein  junger  rechtfchaffener , 


Jugendjahre.  105 

fehr  frommer  und  empfindfamer  Menfch; 
die  andern  waren  ein  wenig  fclilaffer  in 
ihren  Religions-Grundfätzen befonders 
Ralph,  den  ich  fo  wie  den  Collins , felbfl 
wankend  gemacht  hatte.  Sie  haben-  mich 
aber  auch  beyde  tüchtig  dafür  beflraft. 
Osborne.  war  empfindfam,  offenherzig  und 
zärtlich  gegen  feine  Freunde;  aber  über 

Gegenflände  der  Litteratur  allzu  fehr  zur 

* , 

Kritteley  geneigt.  Ralph  wargeiftreich, 
artig  in  feinem  Wefen  und  ausnehmend 
beredt.  Ein  angenehmerer  Sprecher  ifl: 
mir  in  meinem  Leben,  wie  ich  glaube, 
nicht  vorgekommen.  Beyde  waren  lei- 
denfchafdich  für  die  Lichtkunft  einge- 
nommen; und  fie  fingen  an,  lieh  in  klei- 
nen poetifchen  Stücken  zu  verfuchen. 

ir  vier  machten  des  Sonntags  in 
den  Wäldern,  die  an  den  Skuylkill  flofsen, 
_ fehr  angenehme  Spaziergänge.  Wir  la- 
fen  gemeinfchaftlich,  und  unterhielten 
uns  über  das  Gelefene.  - Ralph  war  ge- 
neigt,  lieh  ganz  der  Poefie  zu  ergeben. 
Er  fchmeichelte  lieh  die  gröfsten  Fort. 


1 IO 


Benjamin  Franklin’ s 

fchritte  auf  diefer  Laufbahn  zu  machen, 
ja  fogar  fein  zeitliches  Glück  auf  derfel- 
ben  zu  finden.  Er  behauptete,  dafs  die 
grofsten  Dichter  im  Anfänge  eben  fo 
viele  Fehler  begangen  hätten,  als  er  felbfi: 
noch  beging.  Osborne  fuchte  ihn  eines 
andern  zu  belehren,  verficherte  ihm, 
dafs  er  gar  kein  poetifches  Genie  hätte, 
und  gab  ihm  den  Radi,  bey  dem  Ge- 
werbe zu  bleiben,  wozu  er  erzogen  wor- 
den wäre.  5, Bey  der  Handelfchaft,  fagte 
er  zu  ihm,  kannft  du  es,  auch  ohne  Mit- 
tel , doch  leicht  durch  Fleifs  und  Unver- 
drofienheit  zu  einer  Faktorftelle  bringen, 
und  dir  dabey  mit  der  Zeit  fo  viel  er- 
werben, dafs  du  endlich  für  deine  eigene 
Rechnung  etwas  unternehmen  kannft.  „ 
Ich  meines  Theils  hatte  nichts  dawider, 
dafs  man  lieh  zwar  von  Zeit  zu  Zeit  mit 
der  Poefie  abgäbe,  allein  das  müfste  nur 
dazu  dienen,  um  fich  in  der  Sprache 
vollkommener  zu  machen.  Es  kam  da- 
her  in  Vorfchlag,  dafs  bey  der  nächfien 
Zufammenkunft  jeder  von  uns  einen  Auf- 


Jugendjahre.  1 1 1 

fatz  in  Verfen  von  feinem  Machwerk 
mitbringen  follte.  Unfere  Abficht  hier- 
bey  war,  uns  durch  unfere  wechfelswei- 
fen  Bemerkungen,  Kritiken  und  Ver- 
heuerungen vollkommener  zu  machen; 
und  da  wir  uns  allein  Sprache  und  Aus- 
druck zum  Zjel  fetzten,  fo  fchloflen  wir 
jede  Rückficht  auf  Erfindung  aus,  und 
wurden  eins,  dafs  die  Aufgabe  eine  Ue- 
berfetzung  des  achtzehenden  Pfalms  feyn 
follte,  worin  das  Herabfleigen  der  Gott- 
heit gefchildert  ift. 

Der  Tag  unferer  Zufammenkunft  war 
vor  der  Thür , ' als  Ralph  mich  befuchte, 
und  mir  meldete,  dafs  fein  Stück  fertig 
■wäre.  Ich  geftand  ihm,  ich  fey  faul  ge» 
wefen , und  da  mir  auch  die  Neigung 
zu  dergleichen  Arbeit  fehlte,  fo  hätte  ich 
nichts  gemacht.  Er  zeigte  mir  darauf 
fein  Stück,  und  fragte  mich,  was  ich 
davon  hielte.  Ich  lobte  es  ungemein, 
weil  es  mir  in  der  That  ein  grofses  Ver- 
dienft  zu  haben  fchien.  Er  fagte  hier- 
auf zu  mir:  „ Osborne  wird  einem  Wer- 


112 


Benjamin  Franklins 

ke  von  mir  niemals  das  mindefte  Ver- 
dienft  einräumen.  Schon  der  Neid  wird 
ihm  taufend  Krittele'yen  eingehen.  Auf  • 
dich  ift  er  nicht  fo  eiferftichüg;  ich  möch-  < 
te  daher  wohl,  dafs  du  das  Ding  zu  dir 
nährneU , und  es  für  das  deinige  ausgä- 
befh  Ich  will  alsdann  vorgeben,  ich 
hätte  keine  Zeit  gehabt,  und  daher  nichts 
zu  Stande  gebracht.  Wir  werden  dann 
hören,  was  er  dazu  fagcn  wird.,,  Ich 
war  zu  diefer  kleinen  Betrtigerey  bereit, 
und  fchrieb  Ralphs  Stück  fogleich  ab, 
um  jeden  Argwohn  zu  entfernen. 

Wir  verfammelten  uns  wieder.  Wat- 
fons Werk  kam  zuerft  vor.  Es  hatte  ei- 
nige Schönheiten,  aber  auch  viele  Feh* 
ler.  Wir  lafen  hierauf  das  von  Osborne; 
welches  weit  beller  war.  Ralph  hefs  ihm 
•Gerechtigkeit  wiederfahren ; bemerkte 
darin  zwar  einige.  Felder,  lobte  jedoch 
auch  feine  Schönheiten.  Da  er  nichts 
aufzviweifen  hatte,  fo  kam  ich  nun  an 
die  Reihe.  Ich  machte  erll  Umftände;; 

fchien  um  Entfchuldigung  zu  bitten;  ich 

hätte- 


Jugendjahre.  1 1 3 

hätte  nicht  Zeit  genug  zum  Ausfeilen  ge- 
habt u.  f.  w.  Aber  das  half  alles  nichts; 
das  Stück  mufste  vorgezeigt  werden.  Es 
wurde  gelefen  und  wieder  gelefen.  Wat- 
fon und  Osborne  entfagten  fogleich  aller 
Mitbewerbung  um  den  Preis,  und  ver- 
einigten fich  zum  Lobe  des  Stückes. 
Ralph  allein  machte  einige  Kritiken,  und 
fclilug  ein  Paar  Verbefierungen  vor;  al- 
lein ich  vertheidigte  meine  Lesart.  Os- 
borne, war  wider  Ralph,  und  fagte,  dafs 
er  fich  eben  fo  wenig  auf  das  Urtheilen, 
als  das  Hervorbringen  verbände. 

Als  die  andern  mich  verlaßen  und 
fich  nach  Haufe  begeben  hatten,  drückte 
fich  Osborne  zu  Gunften  meines  ver- 
meinten Werkes  noch  bärker  aus.  Er 
behauptete , dafs  er  fich  vorhin  nur  nicht 
recht  ausgelaffen  hätte,  aus  Furcht,  ich 
möchte  ihn  im  Verdacht  der  Schmeiche- 
ley  gegen  mich  haben.  „Aber  wer  hät- 
te es  denken  follen,  dafs  Franklin  fähig 
wäre,  ein  folches  Werk  zu  Stande  zu 
bringen!  Welche  Mahlerey ! Welche 

H 


I 


i j 4.  Benjamin  Franklin’s 

Kraft!  Welch  ein  Feuer!  Er  hat  das 
Original  noch  übertroflen.  Sein  Aus-  . 
druck  im  gewöhnlichen  mündlichen  Vor- 
trage fcheint  nichts  weniger,  als  gewälilt 
zu  feyn.  Er  Hockt,  er  verfpricht  fich^ 
und  gleichwohl , o Himmel!  wie  fchreibt 
er ! „ 

Bey  unferer  nächften  Zufammenkunft 
entdeckte  Ralph  den  Streich,  den  wir 
dem  Osborne  gefpielt  hatten , und  er  wur- 
de ohne  Barmherzigkeit  darüber  ausge- 
fpottet. 

Diefer  Vorfall  beftärkte  Ralphen  in 
fernem  Entfchlufie , ein  Dichter  zu  wer- 
den. Ich  unterliefs  nun  zVar  nichts,  ihn 
davon  abzubringen;  allein  er  fuhr  den- 
noch fort,  Verfe  zu  machen,  bis  er  den 
, Pope  las,  da  er  denn  von  feiner  Krank- 
heit genas.  Indeflen  wurde  er  doch  ein 
ziemlich  guter  Profaul.  Ich  werde  un- 
ten noch  mehr  von  ihm  fagen;  allein! 
da  ich  fchwerlich  Gelegenheit  haben  wer- 
de , der  beyden  andern  wieder  zu  erwäh- 
nen, fo  mufs  ich  hier  melden , dafs  Wat- 


Jugencljahre.  115 

fon  einige  Jahre  nachher  in  meinen-  Ar- 
men verfchied.  Er  rvurde  ausnehmend 
bedauert;  denn  er  war  der  Belle  von 
uns  allen.  Osborne  ging  nach  den  In- 
feln  über,  ward  ein  berühmter  Advocat, 
und  gewann  Geld;  aber  er  ftarb  jung. 
Wir  hatten  einander  im  ganzen  Ernfle 
verfprochen,  dafs  derjenige,  welcher  von 
uns  beyden  zuerft  herben  würde,  wo  nur 
immer  möglich,  wiederkommen,  bey 
dem  andern  einen  freundfchafdichen  Be- 
fuch  ablegen,  und  ihm  über  die  Ange- 
legenheiten des  künftigen  Lebens  Aus- 
kunft geben  follte.  Allein  er  hat  fein 
Verfprechen  niemals  erfüllt. 

Der  Statthalter  fchien  an  meiner  Ge* 
fellfchaft  Gefchmack  zu  finden,  und  lud 
mich  daher  öfters  zu  fich  ein.  Er  fprach 
dabey  immer  von  feinem  Vorfatze,  mich 
zu  etabliren,  als  von  einer  ausgemach- 
ten Sache.  Ich  follte  Empfehlungsbriefe 
an  verfchiedene  feiner  Freunde  mitneh- 
men, vornehmlich  aber  einen  Gredit- 
brief,  um  das  nöthige  Geld  zum  Ankauf 

H 2 


ii6  Benjamin  Franklin’s 

der  PrefTe,  der  Lettern,  des  Papiers  u, J 
f.  iv.  erheben  zu  können.  Er  beflellte  • 
mich  verfchiedenemale  zu  fich,  diefe  j 
Briefe  in  Empfang  zu  nehmen,  die  dann  j 
immer  fertig  feyn  füllten ; allein  immer  S1 
hiefs  er  mich  einen  andern  Tag  wieder-  ;j 
kommen. 

Diefer  Auffchub  von  einer  Zeit  zur’ 
andern  währte  fo  lange,  bis  das  Schiff,  j 
defTen  Abreife  mehreremale  weiter  hin-  ] 
aus  gefetzt  war,  endlich  im  Begriff  Hand 
unter  Segel  zu  gehen.  Ich  begab  mich 
alfo  zum  Ritter  Georg,  um  Abfchied  von 
ihm  zu  nehmen,  und  feine  Briefe  abzu- 
halen.  Allein  fein  Secretär,  der  Doctor 
Bard,  kam  und  fagte  zu  mir,  der  Statt- 
halter hätte  jetzt  äufserft  vielt  zu  fchrei- 
ben.  Da  er  indefTen  noch  vor  dem  Schif- 
fe nach  New-Caßk  hinabgehen  -würde, 
fo  füllte  ich  dafelbfl  feine  Briefe  in  Em- 
pfang nelimen. 

Ralph  hatte  fich  entfclilofTc-n , mich 
auf  diefer  Reife  zu  begleiten,  ob  er 
gleich  verheirathet  war  und  ein  Kind 


Jugendjahre.  117 

hatte.  Man  glaubte,  feine  Abficht  wäre, 
ein  Verkehr  mit  England  anzulegen,  und 
fichWaaren  anzufchaffen , um  felbige  in 
Commiffion  zu  verkaufen.  Allein  ich 
erfuhr  in  der  Folge,  dafs  er  einige  Ur~ 
fache  hatte  mit  den  Eltern  feiner  Frau 
unzufrieden  zu  feyn,  dafs  er  diefe  daher 
in  ihren  Händen  lalfen,  und  nie  wieder 
nach  Aanerica  zurückkehren  wollte. 

Nachdem  ich  von  meinen  Freunden 
Abfchied  genommen  und  mich  noch  mit 
Mifs  Read  verfproclien  hatte,  verliefs  ich 
Philadelphia.  Das  Schiff  ging  zu  New- 
Caßle  vor  Anker.  Der  Statthalter  befand 
fielt  dafelbfl,  und  ich  begab  mich  in  fei- 
ne Wohnung.  Sein  Secretär  empfing 
mich  feltr  höflich,  und  fagte  mir  von 
Seinetwegen,  dafs  er  mich  jetzt  unmög- 
lich feiten  könnte,  weil  Gefchäfte  von 
der  äufserften  Wichtigkeit  ihn  abhielten. 
Indeffen  würde  er  mir  die  Briefe  an  Bord 
fenden;  er  wünfehte  mir  von  ganzem 
Herzen  eine  glückliche  Reife,  eine  bal- 
dige Wiederkehr  u.  f.  w.  Ich  begab 


jiS  Benjamin  Franklin’s 

mich  alfo  an  den  Bord  des  Schiffes  zu- 
rück, zwar  ziemlich  verwundert,  aber 
doch  noch  bis  jetzt  ohne  den  mindeften 
Argwohn. 

Auf  ebendemfelben  Schiffe  befand 
fich  Herr  Andreas  Hamilton,  ein  berühm- 
ter Advocat  zu  Philadelphia,  nebft  fei- 
nem Sohne,  in  Gefellfchaft  des  Herrn 
Denham,  eines  Quaker-Kaufmannes,  wie 
auch  der  Herren  Oniam  und  RuJJel,  Be- 
fitzer  eines  Eifenhammerwerkes  zu  Mu- 
ryland.  Da  cliefe  die  grofse  Kajütte  ein- 
genommen hatten,  fo  mufsten  Ralph  und 
ich  uns  unter  dem  Schiffsvolk  aufhalten; 
und  weil  uns  keine  Seele  auf  dem  Schif- 
fe kannte,  fo  hielt  man  uns  für  ganz  ge- 
meine Leute.  Aber  Herr  Hamilton  und 
fein  Sohn,  ( es  war  Jacob  der  nachmalige 
Statthalter)  mufsten  von  New-Caftle  nach 
Philadelphia  zurückkehren , w'eil  der  Va- 
ter mit  grofsen  Koflen  dahin  zurückbe- 
rufen wurde,  um  einen  Procefs  wegen 
eines  weggenommenen  Schiffes  zu  füh- 
ren. Nun  kam  gerade,  da  wir  unter  Se- 


Jugendjalire.  119 

gel  gehen  wollten,  der  Oberfle  French 
an  den  Bord,  und  begegnete  mir  über- 
aus höflich.  Von  Stund  an  bezeigte  man 
mir  mehr  Aufmerkfamkeit , und  die  übri- 
gen Reifenden  luden  mich  ein,  die  von 
den  Herren  Hamilton  verladenen  Plätze 
in  der  Kajütte,  nebft  meinem  Freunde 
Ralph , einzunehmen;  welches  wir  denn 
ohne  Schwierigkeit  thaten. 

Da  ich  erfuhr,  dafs  der  Oberfle  French 
die  Brieffchaften  des  Statthalters  an  Bord 
gebracht  hatte , fo  bat  ich  den  Capitän 
um  die  Briefe,  die  mich  angingen.  Er 
fagte  mir,  dafs  fie  insgefamt  in  den  Sack 
gethan  wären,  wo  er  fie  jetzt  nicht  her- 
ausfuchen  könnte , dafs  fich  aber  vor  un- 
ferer  Anlandung  in  England  fchon  noch 
Gelegenheit  darbieten  würde , he  heraus- 
zunehmen. Ich  liefs  es  für  dasmal  mit 
diefer  Antwort  gut  feyn , und  wir  fetzten 
unfere  Reife  fort. 

Unfere  Kajüttengefellfchaft  behänd  aus 
lauter  umgänglichen  Perfonen,  und  in 
Anfehung  der  Zehrung  befanden  wir 


120  Benjamin  Fränklin’s 

uns  ausnehmend  wohl.  Denn  wir  mach- 
ten uns  die  Vorräthe  des  Herrn  Hamil- 
ton zu  nutze,  der  lieh  damit  reichlich 
"v  ci  feilen  hatte.  Auf  diefer  Reife  errich- 
tete Herr  Denham  mit  mir  eine  Freund- 
fchaft,  die  bis  an  das  Ende  feines  Le- 
bens dauerte.  Uebrigens  war  die  Fahrt 
eben  nicht  angenehm;  denn  wir  hatten 
öfters  fehr  fchlimmes  Wetter. 

Als  wir  in  den  Kana]  eingelaufen 
waren,  hielt  mir  der  Kapitän  fein  Wort, 
und  liefs  mich  nach  meinem  Belieben 
die  Briefe  des  Statthalters  in  dem  Sacke 
durchfuchen.  Ich  fand  keinen  einzigen 
mit  meinem  Namen,  oder  einer  fonfti- 
gen  Anweifung,  dafs  ich  ihn  belleilen 
follte.  Ich  wählte  indelTen  fechs  oder 
heben  aus,  die  mir,  der  Auffchrift  nach 
zu  urtheilen , um  fo  mehr  die  für  mich 
beflimmten  zu  feyn  fchienen,  da  eine^, 
an  ßaskel,  königlichen  Buchdrucker,  und 
noch  ein  anderer  an  einen  Papierhänd- 
ler  darunter  befindlich  waren.  Der  letzte 
fliefs  mir  zuerfl  auf  meinem  Wege  auf; 


Jugendjahre.  iqj 

\ 

und  ich  überreichte  ihm  den  Brief  als 
einen,  der  von  dem  Statthalter  Kdtli  kä- 
me. „Diefen  Mann  kenne  ich  nicht,, 
war  feine  Antwort.  Als  er  ihn  aber  ge- 
öffnet hatte,  rief  er:  „Oh,  der  ift  von 

Riddlesden.  Den  habe  ich  feit  kurzem 
als  einen  ausgemachten  Schurken  kennen 
gelernt,  und  ich  will  weder  mit  ihm, 
noch  mit  feinen  Briefen  weiter  etwas  zu 
thun  haben.  „ Damit  reichte  er  fogleich 
den  Brief  in  meine  Hände  zürücfc,  drehte 
fich  auf  feinem  Abfatze  herum , und  liefs 
mich  flehen,  um  einige  Kunden  zu  be- 
dienen. 

Ich  erflaunte,  dafs  diefe  Briefe  nicht 
von  dem  Statthalter  waren.  Als  ich  mich 
aber  nunmehr  befann,  und  alle  Umflän- 
de  erwog,  fo  fing  ich  an,  an  feiner  Auf- 
richtigkeit zu  zweifeln.  Ich  fuchte  mei- 
nen Freund  Denham  wieder  auf,,  und 
trug  ihm  den  ganzen  Handel  vor.  Die- 
fer  machte  mich  denn  nun  gleich  völlig 
mit  Keiths  Character  bekannt,  und  fagte, 
wie  auch  nicht  die  mindefte  Wahrfchein- 


122  Benjamin  Franklin’s 

liclikeit  vorhanden  wäre,  dafs  er  auch 
nur  einen  einzigen  Brief  für  mich  ge- 
fchrieben  hätte.  Keiner,  der  ihn  nur  ir- 
gend kennte , rechnete  auf  ihn.  Denham 
lachte  über  meinen  Glauben,  dafs  der 
Statthalter,  der  felbft  keinen  Credit  hät- 
te, mir  einen  Creditbrief  geben  würde. 
Als  ich  einige  Unruhe  darüber  verrieth, 
was  für  Maafsregeln  ich  nun  ergreifen 
füllte , fo  rieth  er  mir,  dafs  ich  auf  mei- 
ne erlernte  Kunft  bey  irgend  einem 
Buchdrucker  anzukommen  fuchen  follte. 
„Hier,  fagte  er,  haben  Sie  die  befte  Ge- 
legenheit, fich  darin  fo  vollkommen  zu 
machen,  dafs  Sie  fich  hernach  weit  vor- 
tlieilhafter  in  America  etabliren  können. 

Wir  wufsten  es  längft  eben  fo  gut, 
als  der  Papierhändler,  dafs  der  Notarius 
Ridtlksäm  ein  grofser  Spitzbube  war.  Er 
hatte  den  Vater  der  Mifs  Read,  durch 
Erfchleichung  einer  Bürgfchaft  von  ihm, 
beynahe  zu  Grunde  gerichtet.  Wir  ex- 
fahen  aus  feinem  Briefe,  dafs  fich  eine 
geheime  Intrigue  zum  Nachtheil  des 


123 


Jugendjahre. 

Herrn  Hamilton , von  welchem  man 
glaubte^  dafs  er  mit  uns  nach  Europa 
gegangen  wäre,  entfpann,  in  welche  fich. 
auch  der  Statthalter,  in  Verbindung  mit 
Riddlesden , eingelaffen  hatte.  Denham 
war  als  Hamiltons  Freund  der  Meinung, 
dafs  man  diefen  davon  benachrichtigen 
müfste.  Und  in  der  That,  nachdem  er 
bald  nach  uns  in  England  angekommen 
war,  zeigte  ich,  fowohl  aus  guter  Ge- 
linnung für  ihn,  als  aus  Rache  gegen 
Keith , ihm  nicht  nur  den  Brief,  fondern 
überliefs  ihn  auch  ganz  feinen  Händen. 
Er  dankte  mir  dafür  fehr  lebhaft;  denn 
die  Nachrichten,  die  er  enthielt,  waren 
für  ihn  wichtig.  Seit  diefer  Zeit  fchenkte 
er  mir  feine  Freundfchaft,  die  mir  in  der 
Folge  bey  mehr  als  einer  Gelegenheit  zu 
grofsem  Vortheile  gereichte. 

Aber  Avas  foll  man  von  einem  Statt- 
halter denken,  der  fo  elende  Streiche 
fpielt,  und  einen  armen,  jungen  Men- 
fchen  ohne  Erfahrung  fo  gröblich  hin- 
tergehet? Es  war  ihm  diefes  zur  Ge- 


i Benjamin  Franklin’s 

wohnheit  geworden.  Er  wollte  aller  Welt 
gefallen,  und  da  er  wenig  zu  geben  hat- 
te, fo  verfchwendete  er  Verfprechungen. 
Sonft  war  er  ein  gefcheidter  geiftreicher 
Mann,  ein  ziemlich  fertiger  Schriftftel- 
ler,  und  guter  Statthalter  für  das  Volle, 
allein  nicht  für  fqine  Conflituenten,  die 
Eigentlmmer,  deren  Vorfchriften  er  oft 
hintanfetzte.  Mehrere  unferer  heften  Ge- 
fetze  waren  fein  Werk,  und  wurden  un- 
ter feiner  Verwaltung  eingeführt. 


Ralph  und  ich  waren  unzertrennliche 
Gefährten.  Wir  mietheten  uns  zufam- 
men  für  Viertehalb  Schillinge  wöchent- 
lich ein.  Denn  diefs  war  das  höchfte,  fo 
wir  dran  wenden  konnten.  Er  fand  zwar 
einige  Verwandte  zu  London;  allein  lie 
waren  arm,  und  nicht  im  Stande,  ihm 
zu  helfen.  Jetzt  entdeckte  er  mir,  dafs 
es  feine  Ablicht  wäre,  in  England  zu 
bleiben,  und  dafs  er  niemals  nur  dran 
gedacht  hätte,  nach  Philadelphia  zurück- 


Jugendjahre.  125 

zukehren.  Von  Gelde  war  er  ganz  ent- 
blöfst,  weil  das  wenige,  fo  er  hatte  an- 
fchaffen  können , kaum  für  die  Reife  hin- 
gereicht hatte.  Ich  hatte  noch  fünfzehn 
Guineen  übrig,  denen  er  von  Zeit  zu 
Zeit  zufprach,  während  dafs  er  irgend- 
wo anzukommen  fuchte. 

Anfänglich,  da  er  fich  die  nöthigen 
Talente  zum  Schaufpieler  zutrauete,  woll- 
te er  auf  das  Theater  gehen.  Allein 
Wilkes,  an  welchen  er  fich  desfalls  wen- 
dete, riedi  ihm  offenherzig,  diefen  Ge- 
danken fahren  zu  lalfen , weil  es  ihm 
nimmermehr  damit  glücken  würde.  Hier- 
auf bot  er  dem  Buchhändler  Roberts  in 
der  Paternoflerftfafse  ein  Wochenblatt 
im  Gefchmack  des  Zufpliauers  an.  Al- 
lein feine  Bedingungen  flanden  dem  Ro- 
berts nicht  an.  Weiter  machte  er  ver- 
fchiedene  V erfuche  als  öfl'entli eher  Schrei- 
ber angeftell  t zu  Averde'n , um  für  Papier- 
waaren  - Händler  ( Stadoner ) uncl  Rechts- 
gelehrte in  Tempel  - Square  abzufchrei- 
ben;  allein  es  fand  fich  keine  Stelle  offen. 


i a 6 Benjamin  Franklin'* 

Was  hingegen  mich  betrift,  fo  kam 
ich  fogleich  bey  dem  damals  berühmten 
Buchdrucker  Palmer  im  St.  Bartholomäus- 
Bezirk  an,  bey  welchem  ich  beynahe  ein 
Jahr  lang  blieb.  Ich  arbeitete  fehr  fleifsig; 
verzehrte  aber  auch  mit  Ralph  beynahe 
alles  wieder,  was  ich  verdiente.  Nach- 
dem die  Schaufpiele  und  andere  Luftör- 
ter, die  wir  oft  mit  einander  befuchten, 
meine  Guineen  aufgezehrt  hatten-,  fo  leb- 
ten wir  hernach  Tag  für  Tag  aus  der 
Hand  in  den  Mund.  Weib  und  Kind 
fchien  Ralph  gänzlich  vergeften  zu  ha- 
ben, fo  wie  auch  ich  meiner  Verbin- 
dung mit  Mifs  Read  nach  und  nach  ver- 
gafs.  Denn  ich  fchrieb  nur  einen  einzi- 
gen Brief  an  fte,  und  der  enthielt  weiter 
nichts,  als  dafs  ich  wahrfcheinlich  fobald 
nicht  zurückkehren  würde.  Dic-fs  wai* 
abermals  eine  von  meinen  grofsen  Le- 
bensvergehungen, die  ich  wohl  veibef- 
fern  möchte,  wenn  ich  wieder  von  vorn 
anfangen  dürfte.  Das  lockere  Leben, 
welches  wir  führten , machte  es  immer 


Jugendjahre.  *37 

unmöglich,  die  Koflen  für  meine  Bück- 
reife  zu  erübrigen. 

Ich  mufste  bey  Palmern  die  zweyte 
Auflage  von  Wollüßon's  natürlicher  Reli- 
gion fetzen.  Einige  feiner  Behauptun- 
gen fchienen  mir  nicht  gegründet  zu 
feyn;  daher  fehrieb  ich  eine  kleine  me- 
taphyfifche  Abhandlung,  in  welcher  ich 
über  diefe  Stellen  Anmerkungen  machte. 
Sie  führte  den  Titel:  Abhandlung  über 
Freiheit  und  Notlwendigheit , Vergnügen 
und  Schmerz.  Ich  dedicirte  fie  meinem 
Freunde  Ralph,  fetzte  fie,  und  zog  eine 
kleine  Anzahl  Exemplare  davon  ab.  Die- 
fe kleine  Schrift  brachte  mir  noch  mehr 
Achtung  beym  Herrn  Palmer  zu  wege. 
Er  hielt  mich  für  einen  jungen  Meir- 
ichen von  Kopf;  jedoch  machte  er  mir 
fehr  ernfthafte  Vorwürfe  über- meine 
Grundfatze,  die  ihm  verabfeheuungswür- 
dig  fchienen.  Der  Druck  diefes  klei- 
nen Werkes  war  ein  neuer  Felder  mei- 
nes Lebens. 


lQg  Benjamin  Franklin’s 

Wälirend  der  Zeit,  da  ich  in  Littk- 
Britain  wohnte,  machte  ich  mit  einem 
Buchhändler,  Namens  Wilcox , Bekannt- 
fchaft,  defien  Niederlage  an  meine  Thür 
Tiefs.  Er  hatte  eine  unermefsliche  Samm- 
lung von  Büchern,  die  ohne  Unterfchied 
zufammengekauft  waren.  Lefekabinetter 
waren  damals  noch  nicht  gebräuchlich. 
Wir  wurden  zufammen  eins,  dafs  ich 
gegen  eine  billige  Erkenntlichkeit,  de- 
ren Betrag  ich  jetzt  nicht  mehr  weifs, 
die  Erlaubnifs  haben  follte,  Bücher  bey 
ihm  auszunehmen,  welche  ich  wollte, 
he  zu  lefen , und  darin  wieder  zurückzu- 
geben. Ich  hielt  diefen  Handel  für  über- 
aus vortheilliaft,  und  benutzte  ihn  fo  gut 
ich  nur  immer  konnte. 

Mein  Scliriftchen  fiel  in  die  Hände 
eines  Wundarztes,  Namens  Lyons,.  Ver- 
fafiers  eines  Buches  unter  dem  Titel: 
Die.  Untrüglich}! eit  der  menfchlichen  Ur- 
theilskrajt , und  veranlafste  unter  uns  bei- 
den eine  enge  Verbindung.  Er  bezeig- 
te mir  fehr  viel  Hochachtung,  befuchte 

• mich 


Jugendjahre.  129 

mich  oft,  um  fich  über  dergleichen  Ge- 
genftände  mit  mir  zu  unterhalten,  und 
Hellte  mich  dem  Doctor  Mandeville,  dem 
Verfafler  der  Fabel  von  den  Bienen,  vor, 
der  iti  einer  Schenke  auf  der  Strafse 
Cheapßde  einen  Club  hielt,  wovon  er 
die  Seele  war.  Diefs  war  ein  fcherzhaf- 
ter  äufserft  unterhaltender  Mann.  Er 
Hellte  mich  auch  auf  Baßons  Kaffeehaufe 
dem  Doctor  Pemberton  vor,  welcher  mir 
verfprach,  es  einmal  zu  vermitteln,  dafs 
ich  den  Ritter  Ifaac  Newton  zu  fehen 
bekäme,  wonach  ich  ein  brennendes 
Verlangen  trug.  Allein  er  hat  fein  Ver- 
fprechen  niemals  erfüllt. 

Ich  hatte  aus  America  einige  Selten- 
heiten mitgebracht,  wovon  die  vorzüg- 
lichHe  ein  Beutel  von  Asbell  war,  #er 
fich  im  Reuer  reinigt.  Der  Ritter  Hans 
Sloane  Körte*' davon,  kam  zu  mir  und  lud 
mich  in  fein  Haus  zu  Bloomsburg  - Square 
ein.  Hier  zeigte  er  mir  alles , was  er 
Seltenes  und  Merkwürdiges  hatte , und 
bat  mich,  mein  Stück  hinzuzufügen, 

I 


130  Benjamin  Franklin’ s 

welches  er  mir  felir  anfehnlicli  be- 
zahlte. 

In  unferm  Haufe  wohnte  noch  eine 
junge  Modenhändlerin,  welche,  wenn 
ich  nicht  irre,  ihre  Bude  bey  der  Börfe 
hatte.  Diefe  Perfon  war  lebhaft  und  ge- 
fühlvoll , von  guter  Erziehung  und  felir 
angenehm  im  Umgänge.  Ralph  las  ihr  ! 
alle  Abende  Comödien  vor.  Sie  wur- 
den zufammen  vertraut.  Sie  bezog  eine 
andere  Wohnung,  und  er  folgte  ihr  da- 
hin. Sie  lebten  eine  Zeitlang  zufammen;  , 
allein  da  er  ohne  allen  Erwerb  war,  fie 
ein  Kind  hatte , und  ihr  Einkommen  für 
alle  drey  nicht  hinreichte : fo  entfchlofs 
ex  üeh  London  zxi  verlaßen , und  zu  ver- 
fuchen , ob  er  nicht  eine  Landfchule  an- 
legen  könnte..  Er  hoffte , cliefs  follte  ihni 
gelingen,  weil  er  nicht  nur  eine  fehr 
fchöne  Hand  fchrieb,  fondern  fich  auch 
fehr  gut  auf  Rechnen  und  Buchhal- 
ten  verftand.  Weil  er  jedoch  diefe  La- 
.ge  unter  feiner  Würde  hielt,  und  für 
die  Zukunft  auf  belfere  Glücksumflünde 


Jugendjahre.  131 

rechnete,  in  welchen  Niemand  wißen 
füllte,  dafs  er  einft  ein  fo  wenig  ehren- 
des Gefchaft  getrieben  hätte,  fo  verän- 
derte er  feinen  Namen,  und  erwies  mir 
die  Ehre,  den  mehligen  anzunehmen. 
Und  wirklich  fchrieb  er  mir  bald  hierauf, 
wie  er  fich  auf  einem  kleinen  Dorfe  in 
Berkfhire,  wenn  ich  nicht  irre,  nieder- 
geladen  hätte,  und  dafelbft  zehn  oder 
zwölf  Kindern,  jedem  für  fechs  Pence 
Sterl.  wöchentlich,  lefen  und  fchreiben 
lehrte.  Er  empfahl  die  Miftrifs  T.  . . . 
meiner  Fürforge,  und  bat  mich,  ihm.  un- 
ter der  Auffchrift:  an  Herrn  Franklin , 
Schulmeißer  zu  N.  . . zu  antworten. 

Er  fuhr  fort  fehr  oft  an  mich  zu  fchrei- 
ben, und  mir  grofse  Bruchilücke  eines 
epifchen  Gedichtes,  welches  er  damals 
verfertigte,  zuzufchicken,  wozu  er  fich 
meine  Bemerkungen  und  Verbeflerun- 
gen  ausbat.  Ich  theilte  ihm  dergleichen 
zwar  von  Zeit  zu  Zeit  mit,  bemühte 
mich  aber  auch  zugleich,  ihn  von  die- 
fer  Arbeit  abzubringen.  Young  gab  da- 

I 2 


13  *2  Benjamin  Franklin’ s 

mals  eine  feiner  Satyren  heraus.  Ich 
fchrieb  davon  einen  grofsen  Theil  ab, 
und  fchickte  ihm  die  Stellen,  worin  der 
Verfalle r darthut,  welche  Thorheit  es 
fey,  den  Mufen  um  defswillen  zu  opfern, 
damit  man  durch  ihre  Vermittelung  in 
der  Welt  fortkomme,  j^ber  das  half  al- 
les nichts,  mit  jeder  Poll:  kamen  neue 
Blätter  voll  Verfe  zu  feinem  Gedichte  an. 

Wälirend  cliefer  Begebenheiten  hatte 
Miftrifs  T.  . . feinetAvegen  ihre  Freunde 
und  Kunden  verloren,  und  befand  fich 
oft  in  grofser  Noth.  Sie  nahm  ihre  Zu- 
flucht zu  mir,  und  ich,  um  fie  daraus 
zu  befreyen^,  lieh  ihr  alles  Geld,  Avas 
ich.  erübrigen  konnte.  Bey  diefer  Gele- 
genheit aber  geAvann  ich  ihr  ein  Avenig 
zu  viel  Gefchmack  ab.  Weil  mich  da- 
mals keine  Religion  zügelte,  fo  mifs- 
brauchte  ich  die  Noth,  die  üe  von  mir 
abhängig  machte,  und  nahm  mir  Frey- 
heiten  (noch  ein  Fehltritt  meines  Le- 
bens) bey  ihr  heraus,  die  fie  mit  gerech- 
tem Unwillen  zurückfiiefs»  Sie  btrich- 


Jugendjahre.  133 

tete  meine  Aufführung  an  Ralph;  und 
diefer  Vorfall  entzweyte  mich  mit  ihm. 
Als  er  nach  London  zurückkam,  liefs 
er  mich  wilfen,  dafs  er  durch  mein  Be- 
tragen alle  Verbindlichkeiten,  die  er  mir 
haben  könnte,  für  getilgt  anfähe.  Hier- 
aus fchlofs  ich,  dafs  ich  wohl  nicht  hof- 
fen dürfte,  jemals  das  Geld  wieder  zu 
erhalten,  das  ich  ihm  geliehen,  oder  für 
ihn  ausgelegt  hatte.  IndelTen  beküm- 
merte mich  diefs  dello  weniger,  je  we- 
niger er  im  Stande  war,  mich  zu  bezah- 
len. Auch  wurde  ich  durch  den  Ver- 
lud: feiner  Freundfchaft  von  einer  fehr 
drückenden  Laft  erleichtert. 

Jetzt  fing  ich  an  darauf  zu  denken, 
wie  ich  etwas  Geld  für  die  Zukunft  zu- 
fammenbringen  möchte.  Da  Watt’s 
Buchdruckerey  bey  Lincole-ninsßeld  noch 
beträchtlicher  war,  als  die,  in  welcher 
ich  arbeitete,  fo  fchien  es,  dafs  ich  da- 
felbft  meine  Rechnung  befler  finden  wür- 
de. Ich  bot  mich  dafelbft  an,  wurde 
angenommen,  und  verblieb  dafelbft  fo 


134  Benjamin  Franklins 

lange  ich  mich  noch  in  London  auf- 
hielt. 

Beym  Eintritt  in  diefe  Druckerey  hell- 
te ich  mich  an  die  Prefie,  weil  ich  Lei- 
besübung nöthig  zu  haben  glaubte,  wor- 
an ich  in  America  gewöhnt  war,  wo- 
felbft  die  Arbeiter  abwechfelnd  bald  Se- 
tzer- bald  Druckerdienlle  verrichten.  Ich 
trank  nichts  als  WafTer.  Die  übrigen 
Arbeiter,  beynahe  fünfzig  an  der  Zahl, 
waren  gewaldge  Biertrinker.  Im  Fall 
der  Noth  trug  ich  eine  grofse  Schrift- 
form in  jeder  Hand  fowohl  Treppe  auf, 
als  Treppe  ab,  indefs  die  andern  kaum 
Eine  mit  beyden  Händen  trugen.  Aus 
diefem  fowohl,  als  noch  vielen  andern 
Beyfpielen  erfahen  fie,  dafs  der  america- 
nifche  IV aßermann,  wie  fie  mich  nann- 
ten, weit  flärker  war,  als  fie,  die  ftarkes 
Bier  tranken.  Der  Bierhandelsburfche 
hatte  den  ganzen  Tag  vollauf  bey  uns 
zu  thun,  um  die  Arbeiter  zu  verfehen. 
Mein  Mitgefelle  an  der  Prefie  trank  täg- 
lich einen  Schoppen  Bier  vor  dem  Früh- 


Jugend]  ahre'.  135 

huck,  einen  nach  demfelben  bey  Brod. 
und  Käfe,  noch  einen  zwifchen  dem 
Prüliftück  und  demdVlittagseflen,  einen 
über  der  Mahlzeit,  einen  nach  dem  Mit- 
tagseflen' gegen  6 Uhr,  und  endlich  noch 
.einen,  wann  er  fein  Tagewerk  vollendet, 
hatte.  Mir  kam  diefe  Gewohnheit  ab- 
fcheulich  vor;  allein  er  mufste,  wie  er 
meinte,  ftarkes  Bier  trinken,  um  hark 
bey  der  Arbeit  zu  feyn. 

Ich  bemühte  mich,  ihn  zu  überzeugen, 
clafs  die  körperliche  Stärke,  welche  das 
Bier  gewährte,  nicht  über  das  Verhältnifs 
des  in  dem  Wafler  aufgelöfeten  Korns 
oder  Gerflenmehles,  woraus  das  Bier  be- 
händ , hinausgehen  könnte : nun  aber 

enthielte  ja  ein  Kreuzerbrot  weit  mehr 
Mehl,  als  ein  Schoppen  Bier:  wenn  er 
alfo  diefs  Brot  zu  einem  Schoppen  Wafler 
äfse,  fo  müfste  er  mehr  Stärke  davon, 
als  von  einer  Kanne'  Bier  bekommen. 
Diefer  Beweis  hinderte  ihn  nicht,  fein 
Biertrinken  fortzufetzen,  und  wöchent- 
lich jeden  Sonnabend  Abends  vier  öder 


I36  Benjamin  Franklin*» 

fünf  Schillinge  für  diefes  elende  Getränk 
zu  bezahlen.  Von  diefer  Ausgabe  war 
ich  völlig  frey.  Auf  folche  Weife  blie- 
ben diefe  armen  Teufel  immer  freywil- 
lig in  ihrer  Dürftigkeit. 

Als  Wats  nach  einigen  Wochen  mei- 
ner in  der  Setzerkammer  bedurfte,  fo 
verliefs  ich  die  Prelle.  Die  Setzer  fo- 
derten  einen  neuen  Willkommen  von 
mir.  Ich  hielt  diefes  für  eine  Prellerey, 
weil  ich  fchon  unten  bezahlt  hatte.  Der 
Druckerherr  war  auch  meiner  Meinung, 
und  verbot  mir  zu  bezahlen.  Solcher- 
gellalt  blieb  ich  zwey  oder  drey  Wochen 
von  ihnen  abgefondert.  Sie  betrachte- 
ten mich  als  einen  Verflofsenen;  und 
iobalcl  ich  mich  nur  ein  wenig  entfernt 
hatte,  fo  war  keiner  von  allen  den  klei- 
nen Schelmilreichen  mehr  zu  erfmne'n, 
den  fie  nicht  gegen  mich  ausübten.  Ich 
fand  meine  Lettern  durcheinander  ge- 
worfen, meine  Seiten  verletzt,  meine 
Materie  zerrilTen,  u.  f.  w.,  und  das, 
hiefs  es  dann,  habe  der  Kobolt  der  Ka- 


Jugendjahre.  137 

pelle*)  gethan,  der  alle  diejenigen  neck- 
te, die  nicht  regelmäfsig  aufgenommen 
wären.  Wollte  ich  alfo  wohl  oder  übel, 
fo  mufste  ich  mich,  ungeachtet  des  Schu- 
tzes meines  Herrn,  zur  Zahlung  verlie- 
hen, indem  ich  mich  überzeugte,  clafs 
es  Thorheit  wäre,  nicht  mit  denjenigen 
fich  gut  flehen  zu  wollen,  mit  welchen 
man  gleichwohl  zufammen  leben  mufs. 

Ich  fland  mich  nach  diefem  auf  das 
allerbefle  mit  ihnen,  und  gewann  fehr 
bald  unter  ihnen  einen  beträchtlichen 
Einflufs.  Ich  fchlug  einige  Verände-r 
rangen  in  den  Gefetzen  der  Kapelle  vor, 
und  fetzte  he  durch,  trotz  aller  Wider- 
fetzung.  Mein  Beyfpiel  veranlafste  meh- 
rere von  ihnen,  ihrem  elenden  Bier, 
Brot  und  Käfe  zum  Frühftück  zu  entfa- 
gen,  und  fich,  wie  ich,  aus  einem  be- 
nachbarten Haufe  eine  Schale  voll  wär- 
mer Grütze  mit  einem  Stück  Butter  dar- 
in, und  mit  Brotkrumen  und  Pfeffer  be- 


0 So  nennen  die  Arbeiter  die  Werkflatt. 


138  Benjamin  Franklins 

fireut,  kommen  zu  laden.  Diefs  Var 
ein  weit  helleres  Frühflück,  das  nicht 
mehr  als  ein  Schoppen  Bier,  das  id, 
viertehalb  Pence  kodete,  und  ihnen  den 
Kopf  leichter  und  heller  erhielt.  Dieje- 
nigen, welche  fortfuhren  fich  täglich  mit 
Bier  zu  überfüllen,  verloren  oft,  . bey 
ausbleibender  Zahlung , beym  Bierhänd- 
ler ihren  Credit.  Sie  nahmen  alsdann 
gemeiniglich  ihre  Zuflucht  zu  mir,  dafs 
ich  für  de  gut  fagen  mufste , weil  ihnen, 
nach  einer  unter  ihnen  hergebrachten 
Redensart,  das  Licht  ausgegangen  war. 
Ich  hatte  dann  aber  auch  Sonnabends 
Abends  beym  Zahlbrett  aufzupafien,  um 
die  kleinen  Auslagen  wieder  zu  bekom- 
men, die  ich  hatte  machen  müden,  und 
die  bisweilen  wöchentlich  wohl  an  die 
dreyfsig  Schillinge  hipanliefen. 

Diefer  Umftand,  und  der  Ruf,  in 
welchem  ich  ftand,  dafs  ich  ein  ziem- 
licher Spottvogel  wäre.,  der  fich  gut  auf 
die  burleske  Satyre  verbände,  unterdütz- 
ten  mein  Anfehn  in  der  Kapelle.  Uebri- 


Jugendjahre.  139 

gens  hatte  ich  mich  auch  bey  meinem 
Herrn  durch  meine  UnverclrolTenheit  und 
dadurch  beliebt  gemacht,  dafs  ich  kei- 
nen blauen  Montag  feyerte.  Meine  auf- 
ferordentliche  Gefchwindigkeit  im  Setzen 
verfchaffte  mir  immer  diejenigen  Arbei- 
ten, mit  denen  es  Eile  hatte,  und  die 
gemeiniglich  am  bellen  bezahlt  werden. 
Auf  diefe  Weife  brachte  ich  meine  Zeit 
fehr  angenehm  hin. 

Da  meine  bisherige  Wohnung  in 
Litth  - Britain  zu  weit  von  der  Drucke- 
rey  entfernt  war,  fo  fuchte  ich  mir  eine 
andere  in  Duh-ßreet,  der  römifchen  Ka- 
pelle gegen  über,  aus.  Sie  lag  an  der. 
Hinterfeite  eines  Italiänergewölbes.  Die 
Inhaberin  des  Haufes  war  eine  Wittwe, 
irebft  einer  Tochter,  einer  Magd  und 
einem  Ladenburfchen,  der  auswärts  lo- 
girte.  Nachdem  fie  frch  meinetwegen 
in  dem  Haufe,  wo  ich  zuletzt  gewöh- 
net, erkundigt  hatte,  fo  liefs  fie  fich  ge- 
fallen, mich  für  eben  den  Preis,  nehrn- 
lioh  für  viertehalb  Schillinge  wöchent- 


340  Benjamin  Franklins 

lieh,  einzunehmen.  Sie  nähme,  fagte  fie, 
um  defswillen  mit  fo  wenigem  vorlieb, 
' weil  es  doch  für  einzelne  Frauenzimmer 
f^cherer  wäre,  noch  eine  Mannsperfon 
bey  fich  im  Haufe  zu  haben. 

Diefe  Frau,  fchon  etwas  bey  Jahren, 
war  die  Tochter  eines  Predigers.  Sie 
war  in  der  proteflantifchen  Religion  er- 
zogen; allein  ihr  Ehemann,  deffen  An- 
denken fie  fehr  verehrte,  hatte  fie  zur 
cadrolifchen  Religion  bekehret.  Sie  hat- 
te fehr  viel  unter  Perfonen  von  Stande 
gelebt,  und  wufste  taufend  Anecdoten, 
die  bis  auf  die  Zeiten  Carls  II.  hinaus- 
liefen. Die  Gicht  hatte  fie  in  den  Knieen 

I 

gelähmt,  fo  dafs  fie  oft  das  Zimmer  nicht 
verladen  konnte,  und  daher  manches- 
mal Gefellfchaft  nödiig  hatte.  Die  ihrige 
war  für  mich  fo  unterhaltend,  dafs  mir 
nichts  willkommener  war,  als  den  Abend 
bey.  ihr  hinzubringen,  fo  oft  fie  meiner 
nur  begehrte.  Unfer  Abendeflen  beftand 
alsdann  in  einer  halben  Sardelle  für  je- 
den, auf  einem  kleinen  Schnitte  Butter- 


Jugendjahre.  141 

brot,  und  in  einem  halben  Schoppen 
Ale  für  uns  alle.  Öen  walken  Schmaus 
aber  gewährten  ihre  Gefpräche.  öa  ich 
immer  darauf  bedacht  war,  bey  guter 
Zeit  einzukommen,  und  fo  wenig  Ge- 
räufch  im  Haufe  machte,  fo  wollte  fie 
nicht  gern  von  mir  gefchieden  feyn.  Als 
ich  daher  von  einer  mir  vorgefchlage- 
nen  Wohnung  fprach,  welche  meiner 
Arbeitsftelle  noch  näher  lag,  und  wö- 
chentlich nur  zwey  Schillinge  kollen  füll- 
te, welche  freylich  meinem  damaligen 
Vorhaben  zu  fparen  noch  beffer  ent- 
fprach,  fo  beredete  he  mich,  diefelbe 
fahren  zu  Iahen,  und  liefs  mir  felbft 
zwey  Schillinge  an  dem  wöchentlichen 
Miethgelde  nach.  Alfo  wohnte  ich  für 
anderthalb  Schillinge  wöchentlich  bey  ihr 
fort,  fo  lange  ich  mich  noch  in  London 
aufhielt. 

Oben  unterm  Dache  ihres  Haufes 
lebte  eine  alte  fiebenzigjährige  Jungfer 
auf  die  allereingezogenhe  Weife.  Von 
diefer  erzählte  mir  meine  Wirthinn  fol- 


142  Benjamin  Franklin’s 

gendes.  Sie  war  römifch-catholifch.  In 
ihrer  Jugend  hatte  man  he  nach  dem 
fetten  Lande  gefchickt,  wo  üe  in  ein  Klo- 
fter  gegangen  war,  um  Nonne  zu  wer- 
den. Allein  das  Klima  bekam  ihr  nicht, 
und  fo  kehrte  -üe  nach  England  zurück. 
Weil  es  nun  dafelbft  keine  Nonnenklö- 
Her  giebt,  fo  that  fie  das  Gelübde,  den- 
noch ein  Klofterleben  zu  führen,  fo  lan- 
ge es  die  Umttände  nur  geftatten  woll- 
ten. Dem  zufolge  hatte  tte  ihr  ganzes 
Vermögen  zu  chriftlichen  Liebeswerken 
bettimmt,  und  ttch  nicht  mehr  als  zwölf 
L.  Sterl.  jährlich  zu  ihrem  Lebensunter- 
halte Vorbehalten.  Und  auch  hiervon 
fiel  noch  ein  Theil  den  Armen  zu,  in- 
dem fie  fich  mit  nichts  als  Grütze  nährte, 
und  fonft  kein  Feuer  anzündete,  als  um 
diefelbe  zu  kochen.  Sie  lebte  feit  vie- 
len Jahren  auf  diefem  Boden,  wo  die 
vornehmften  catholifchen  Inhaber,  die 
das  Haus  von  Zeit  zu  Zeit  gehabt  hat- 
ten , fie  umfonft  wohnen  liefsen,  indem 
lie  ihren  Aufenthalt  dafelbft  für  einen 


Jugendjahre.  143 

Segen  des  Himmels  anfahen.  Tag  für 
Tag  kam  ein  Prieiler  zu  ihr,  um  ihre 
Beielite  zu  hören.  „Ich  habe  he  ge^ 
fragt,  fetzte  meine  Wirthinn  hinzu,  wie 
fie  bey  ihrer  Lebensweife  dennoch  ei- 
nem Beichtiger  fo  viel  zu  fchaffen  ma- 
chen könnte.  Oh!  antwortete  he  mir, 
wer  kann  alle  böfen  Gedanken  vermei- 
den. „ 

Einlt  bekam  ich  Erlaubnifs  fie  zu  be- 
fuchen.  Sie  war  munter  und  artig , und 
ihr  Gefpräch  gefiel  mir  ungemein.  Ihr 
Zimmer  war  reinlich;  allein  es  war  mit 
nichts  weiter  meublirt,  als  mit  einer  Ma- 
tratze, einem  Tifche,  worauf  ein  Cruci- 
fix  und  ein  Buch  lag;  einem  Stuhle, 
worauf  fie  mich  niederfitzen  liefs,  und 
über  dem  Kamin  hing  ein  Gemälde  der 
heiligen  Veronica,  welche  ihr  Tuch  mit 
dem  wunderfamen  Abdrucke  des  Ange- 
fichles  Chrifii  ausbreitete,  und  worüber 
fie  mir  mit  dem  andächtigften  Ernfie 
Erklärung  gab.  Ihr  Angeficht  war  blafs ; 
allein  fie  war  niemals  krank  gewefen. 


144  Benjamin  Franklin’s 

Ich  kann  fie  daher  als  ein  neues  Bey- 
i'piel  aufllellen,  welches  beweifet,  wie 
wenig  man  braucht,  Leben  und  Gefund- 
heit  zu  erhalten. 

In  der  Druckerey  wurde  ich  mit  ei- 
nem jungen  Menfchen  von  Kopf,  Na- 
mens Wygate , bekannt,  welcher,  da  er 
reiche  Aeltern  hatte,  befTer  als  gemeine 
Buchdrucker  erzogen  war.  Er  war  ein 
ziemlich  guter  Lateiner,  fprach  gut  fran- 
zöfifch,  und  liebte  die  Lectiire.  Ich  lehr- 
te fowohl  ihm,  als  einem  feiner  Freunde 
das  Schwimmen,  indem  ich  fie  nur  zwey- 
mal  zum  Flulle  führte,  worauf  fie  fehr 
bald  im  Stande  waren,  ficli  felbd  zu  hel- 
fen. Find  machten  wir  zufammen  aus, 
zu  Wader  nach  Chelfea  zu  gehen,  um  da- 
felbft  das  Collegium  und  die  Merkwürdig- 
keiten des  Dem  Saltero,  nebll  einigen  Her- 
ren in  der  Gegend  von  London  zu  feilen, 
denen  lie  mich  vorftellten.  Auf  der  Rück- 
kehr entkleidete  ich  mich  auf  Bitten  der 
Gefellfchaft,  deren  Neugierde  Wygate 
.rege  gemacht  hatte,  und  fprang  in  den 

Flufs. 


Jugendjahre.  145 

Flufs.  Ich  fchwamm  nicht  weit  von  Chel- 
fca  an,  bis  an  Black -fryars,  und  machte 
auf  diefer  Strecke  eine  grofse  Menge 
Kunftftücke  der  Gewandtheit  und  Behen- 
digkeit fowohl  über,  als  unter  dem  Waf- 
fer.  Diefs  Schaufpiel  verurfachte  denen, 
welchen  es  noch  neu  war,  nicht  wenig 
Erftaunen  und  Vergnügen.  Ich  hatte 
diefe  Uebung  feit  meiner  Kindheit  un- 
gemein  geliebt.  Ich  konnte  und  machte 
alle  Wendungen  und  Stellungen  Theve- 
not’s,  ja  ich  hatte  noch  neue  dazu  erfun- 
den, worin  ich  mit  der  Schönheit  auch 
Nutzen  zu  vereinigen  gefucht  hatte.  Ich 
machte  mir  ein  Vergnügen  daraus,  he 
bey  diefer  Gelegenheit  alle  vqrzumachen, 
und  die  Verwunderung,  welche  fie  er- 
regten, war  mir  fehr  fchmeichelhaft. 
Wygate,  der  in  diefer  Kunft  Meifter  wer- 
den wollte,  hängte  fich  um  fo  mehr  an 
mich,  je  mehr  auch  fonft  unfer  Ge- 
fchmack  und  unfere  Studien  zufammen- 
flimmten.  Er  fchlug  mir  endlich  vor, 
mit  ihm  eine  Beile  durch  EurcTpa  zu 

K 


146  . Benjamin  Franklin’s 

machen,  wozu  die  Arbeit  in  unferer 
Kunfl  uns  die  Koflen  liefern  würde. 
Schon  war  ich  im  Begriff  einzuwilligen, 
als  ich  mit  meinem  Freunde  Denhatn 
darüber  fpracli,  mit  welchem  ich  gern 
eine  Stunde  hinbrachte,  wenn  ich  Mufse 
hatte.  Er  brachte  mich  von  diefem  Vor- 
haben ab,  und  rieth  mir  vielmehr  auf 
meine  Rückkehr  nach  Philadelphia  zu 
denken,  fo  wie  er  felbft  that.  Ich  mufs 
hier  einen  Characterzug  von  diefem  wür- 
digen Manne  erzählen. 

Er  hatte  vor  diefem  zu  Brißol  Hand- 
lung getrieben.  Er  machte  bankrot,  ver- 
glich lieh  mit  feinen  Gläubigern,  und 
ging  nach  America,  rvofelbft  er  durch 
anhaltenden  Fleifs  in  feinem  Kaufmanns- 
gewerbe in  wenig  Jahren  ein  beträcht- 
liches Vermögen  erwarb.  Nachdem  er 
nun  auf  ebendeinfelben  Schilfe , auf  wel- 
chem ich  mich  befand,  vorerzählter- 
mafsen  nach  England  zurückgekehrt  war, 
fo  lud  er  alle  feine  alten  Gläubiger  zu 
einem  Schmaufe  ein.  Als  fie  beyfanv- 


Jugendjahre.  147 

men  waren , dankte  er  ihnen  für  den  mil- 
den Vergleich,  womit  he  ihn  begünfligt 
hätten.  Keiner  von  ihnen  entartete  et- 
was weiter,  als  eine  blofse  Mahlzeit;  al- 
lein jeder  fand  beym  Wechfeln  des  Tel- 
lers unter  dem  feinigen  eine  Anweifung 
auf  einen  Banquier  zur  Erhebung  nicht 
nur  der  ganzen  noch  rückftändigen 
Hauptfumme,  fondern  auch  der  Zinfen. 

Er  entdeckte  mir,  wie  er  Willens 
wäre,  eine  grofse  Menge  Kaufmanns- 
güter mit  nach  Philadelphia  zurückzu 
nehmen , und  dafelbft  ein  Magazin  an- 
zulegen. Zu  dem  Ende  that  er  mir  den 
Vorfchlag,  dafs  ich  bey  ihm  als  Schrei- 
ber in  Dienfte  treten  möchte,  um  feine 
Bücher  zu  führen,  worin  er  mich  unter- 
richten wollte,  feine  Briefe  abzufchrei- 
ben,  und  das  Magazin  zu  verwalten.  Er 
fügte  noch  hinzu:  Sobald  ich  mit  den 
mercantilifchen  Gefchäften  gehörig  um- 
zugehen gelernt  haben  würde,  wollte  er 
mich  weiter  befördern,  mich  «mit  einer 
Ladung  von  Brot,  Melil  u.  f.  w.  nach  den 

K 2 


1,48  Benjamin  Franklin’s 

americanifchen  Infein  fenden,  und  mir 
fonft  noch  allerley  vortheilhafte  Aufträge 
machen;  fo  dafs  ich  durch  gute  Auffüh- 
rung und  Wirthfchaft  endlich  dahin  ge- 
langen könnte,  mich  felbft  mit  Vortheil 
zu  etabliren. 

Mir  gefielen  diefe  Vorfchläge.  Lon- 
den  fing  an  mir  langweilig  zu  werden; 
die  angenehmen  Stunden,  die  ich  in  Pen- 
fylvanien  verlebt  hatte,  fliegen  in  mei- 
ner Seele  empor,  und  ich  wünfclite  wie- 
der 'ähnliche  zu  geniefsen.  Ich  trat  da- 
her für  fünfzig  Pfund  Sterl.  Penfylva- 
nifch  des  Jahres  bey  Herrn  Denham  in 
Dienile.  Als  Setzer  konnte  ich  es  nun 
zwar  wohl. höher  bringen;  aber  ich  hatte 
doch  hier  eine  fchönere  Ausficht.  Ich 
Jagte  daher  d^r  Druckerey,  und  zwar, 
wie  ich  glaubte,  mein  ewiges  Lebewohl, 
und  überliefs  mich  ganz  meinem  neuen 
Gewerbe,  indem  ich  theils  mit  dem  Herrn 
Denham  bey  den  Kaufleuten  umherflrich, 
um  Waaren  einzukaufen,  theils  felbige 
einpacken  liefs,  theils  bey  den  Arbeits- 


Jugendjahre.  149 

leuten  umherlief,  um  ihre  Abfentlung 
zu  befördern  u.  f.  w.  Als  endlich  alles 
am  Bord  war,  hatte  ich  noch  einige 
müfsige  Tage. 

Während  diefer  kurzen  Zwifchenfrift 
verlangte  mich  ein  Herr  zu  fprechen, 
den  ich  nur  dem  Namen  nach  kannte. 
Es  war  der  Ritter  Wilhelm  Wyndham. 
Ich  begab  mich  zu  ihm.  Er  hatte,  ich 
weifs  nicht  wie,  etwas  von  meiner 
Schwimmerey  von  Chelfea  bis  Blacbjryars 
erfahren , und  wufste , dafs  ich  die  Kunft 
zu  fchwimmen  fowohl  dem  Wygate , als 
noch  einem  andern  jungen  Menfchen  in 
wenigen  Stunden  beygebracht  hatte.  Sei- 
ne beyden  Söhne  waren  efyen  im  Be- 
griff ihre  grofse  Reife  anzutreten;  er 
wollte  daher,  dafs  fie  vorher  fchwimmen 
lernen  follten,  und  bot  mir  eine  anfehn- 
liche  Belohnung  an,  wenn  ich  es  auf 
mich  nehmen  wollte,  fie  zu  unterrich- 
ten. Allein  noch  waren  fie  nicht  in  der 
Stadt  angekommen,  und  die  Dauer  mei- 
nes eigenen  Aufenthaltes  dafelbft  war 


150  Benjamin  Franklin’s 

ungewifs.  Ich  konnte  daher  dem-Vör- 
Iclilag  nicht  annehmen.  Aus  diefem 
Vorfälle  liefs  fich  urtheilen,  dafs,  wenn 
ich  in  England  bleiben,  und  eine 
Schwimmfchule  hätte  errichten  wollen , 
ich  viel  Geld  damit  verdient  haben  wür- 
de. Diefe  Vorfieliung  ergrill  mich  der- 
mafsen,  dafs  ich  fobald  noch  nicht  auf 
meine  Rückkehr  nach  America  gedacht 
haben  würde,  wenn  mir  jener  Vorfchlag 
eher  gefchehen  wäre. 

Mehrere  Jahre  nachher  haben  wir 
beyde,  du  und  ich,  eine  wichtigere  Sa- 
che mit  einem  diefer  Söhne  des  Ritters 
Wilhelm  Wyndham,  der  indeflen  Graf 
von  Egremont  geworden  war,  abzuthun 
gehabt.  Ich  will  aber  jetzt  nicht  fo  weit 
vorausgreifen. 

In  London  brachte  ich  auf  diefe  Wei- 
fe ungefähr  Achtzehn  Monathe  zu  , wäh- 
rend welcher  ich  unausgefetzt  in  meiner 
Profeffion  arbeitete,  und  mir  keinen  an- 
dern Aufwand  erlaubte,  als  dafs  ich  bis- 
weilen ins  Schaufpiel  ging,  und  mir 


Jugendjahre.  15 1 


einige  Bücher  anfchaffte.  hiein  Freund 
Ralph  hatte  mich  in  der  Armuth  erhal- 
ten. Er  war  mir  ungefähr  27  L-  Sterl. 
fchuldig,  die  wahrfcheinlich  ganz  und 
gar  verloren  waren.  In  der  That  eine 
anfehnliche  Summe,  die  von  meinen 
kleinen  Erfparniffen  abging.  Gleichwohl 
blieb  ich  ihm  gewogen,  weil  er  in  der 
That  viele  liebenswürdige  Eigenfchaften 
befafs.  Ob  ich  indelfen  gleich  keine 
Glücksgüter  erworben,  fo  hatte  ich  doch 
die  Made  meiner  Kenntniffe  theils  durch 
häufige  und  gute  Lectüre,  theils  durch 
clen  Umgang  mit  weifen  und  gelehrten 
Perfonen  vermehret. 

Wir  gingen  im  Julius  1726  jsu  Gra- 
vefand unter  Segel.  Was  die  Vorfälle 
auf  diefer  Reife  betrifft,  fo  verweife  ich 
dich  auf  mein  Journal,  worin  du  alles 
umfiändlich  aufgezeichnet  finden  wirft. 
Im  nächften  October  fliegen  wir  zu  Phi- 
ladelphia ans  Land.  ^ 


152  Benjamin  Franklin’s 

Ke.uk  war  nicht  mehr  Statthalter  zu 
Philadelphia;  der' Major  G-ordon  war  an 
feine  Stelle  gekommen.  Ich  begegnete 
ihm  auf  der  Strafse,  wo  er  wie  ein  blofser 
Bürger  einherging.  Er  fehlen  fich  ein 
wenig  zu  fchämen,  als  er  mich  fah,  aber 
er  ging  vorüber,  ohne  mir  etwas  zu 
fagen. 

Ich  würde  mich  wenigflens  eben  fo 
fehr  trov  dem  Anblick  der  Mifs  Read  ge- 
fchämt  haben,  wenn  ihre  Familie,  die 
nach  Lefung  meines  Briefes  billig  an 
meiner  Rückkehr  zweifeln  mufste,  he 
nicht  beredet  hätte , mir  zu  entfagen,  und 
während  m einer1  Abwefenheit  einen  Tö- 
pfer, Namens  Rogers,  zu  heirathen.  Die- 
fer  machte  he  indefien  niemals  glücklich, 
und  bald  trennte  fie  fich  gänzlich  von 
ihm.  Sie  wollte  ihm  weder  beywohnen, 
noch  auch  nur  feinen  Namen  führen , 
weil  ein  Gerücht  umher  lief,  dafs  er 
fchon  eine  Frau  hätte.  Seine  Gefchick- 
lichkeit  in  feiner  Profeflion  hatte  die  Ael- 
tern  der  Mif6  Read  verleitet;  allein  er 


Jugendjahre.  153 

war  ein  eben  fo  fehl  echter  Bürger,  als 
vortrefflicher  Arbeiter.  Er  gerieth'  in 
Schulden,  nahm  die  Flucht,  und  flarb 
1727  oder  1728  auf  den  Infein. 

Während  meiner  Abwefenheit  hatte 
Krimer  ein  anfehnliches  Haus  bezogen, 
worin  er  eine  mit  Papier  und  andern 
dahin  gehörigen  Artikeln  wohl  verfehe- 
ne  Niederlage  hatte.  Er  hatte  fich  neue 
Lettern  im  Ueberflufs,  und  eine  Menge 
Arbeiter  angefchafft,  worunter  aber,  die 
Wahrheit  zu  fagen,  kein  einziger  guter 
war.  An  Arbeit  fcliien  es  ihm  nicht  zu 
fehlen. 

Herr  Denham  nahm  ein  Gewölbe  in 
Waterflreet  ein,  wofelbft  wir  unfere 
Waaren  auslegten.  Ich  war  fehr  ämfig 
bey  der  Arbeit;  fludirte  die  Buchhalte- 
rey,  und  erwarb  mir  hierin  fehr  bald  die 
gehörige  Kenntnifs.  Wir  wohnten  und 
fpeifeten  zufammen.  Er  war  mir  von 
Herzen  gervogen,  und  ging  nicht  an- 
ders mit  mir  um,  als  wenn  er  mein  Va- 
ter gewefen  wäre.  Ich  von  meiner  Sei- 


J54  Benjamin  Franklin's 

te  verehrte  und  liebte  ihn  ebenfalls;  mei- 
ne Lage  war  jetzt  fehr  glücklich:  allein 
diefs  Glück  war  von  fehr  kurzer  Dauer. 

Im  Anfänge  des  Februars  1727,  da 
ich  in  mein  zwey  und  zwanzigfies  Jahr 
trat,  wurden  wir  beyde  krank.  Mich  be- 
fiel ein  Seitenflechen,  welches  mich 
beynahe  weggerafft  hätte.  Ich  litt  ge- 
waltig, und  achtete  mich  für  verloren. 
Selbfl  meine  Befreiung  War  für  mich  eine 
Art  von  Fehlfchlag,  indem  es  mich 
kränkte,  diefen  unangenehmen  Gang 
über  kurz  oder  lang  noch  einmal  machen 
zu  mühen. 

Ich  habe  vergeffen,  worin  die  Krank- 
heit des  Herrn  Denham  behänd;  allein  fie 
war  langwierig , und  endlich  erlag  er  der- 
felben.  Er  liinterliefs  mir  im  Teflament 
ein  kleines  Vermächtnifs  zum  Zeichen 
ferner  Gewogenheit,  und  überliefs  mich 
von  neuem  mix  felbft  in  der  grofsen  und 
weiten  Welt;  denn  das  Gewölbe  gerieth 
in  die  Hände  der  Vollfixecker  des  Tefla- 
ments , und  ich  erhielt  meinen  Abfchied. 


Jugendjahre.  3 55 

Mein  Schwager,  Herr  Hoimer]  der 
gerade  damals  in  Philadelphia  war,  rieth 
mir  meine  vorige  Profefiion  wieder  zu 
ergreifen,  und  Reimer  bot  mir  eine  grofse 
Befoldnng  an,  «wenn  ich  feine  Drucke- 
rey  verwalten  wollte , damit  er  feine  gan- 
ze Sorge  nur  feinem  Laden  widmen 
könnte.  Seine  Frau  und  feine  Verwand 
ten  zu  London  hatten  mir  böfe  Dinge 
von  ihm  erzählt;  es  war  mir  daher  eben 
nicht  gar  felxr  daran  gelegen , etwas  wie- 
der mit  ihm  zu  fchaffen  zu  haben.  Ich 
fuchte  vielmehr  bey  Kaufleuten  anzu- 
kommen; da  aber  keine  Stelle  fogleich 
offen  war,  fo  liefs  ich  mir  Reimers  An- 
trag gefallen. 

In  feiner  Druckerey  fand  ich  folgen- 
de Arbeiter.  Hugh  Meredith,  ein  Pen- 
fylvanier,  fünf  und  dreyfsig  Jahr  alt. 
Er  war  eigentlich  zum  Landwirth  erzo- 
gen, war  ehrlich,  gefühlvoll , hatte  Er- 
fahrung, und  liebte  die  Lectiire;  aber 
dabey  auch  den  Trunk. 


i 


156  Benjamin  Franklin’s 

Stephan  Potts , ein  Burfche  vom  Lan- 
de, war  eben  aus  der  V ormundfchaft  ge- 
kommen, in  welcher  er  auch  erzogen 
worden  war.  Er  befafs  nicht  ganz  ge- 
meine Naturanlagen,  viel  Geilt  und  Leb- 
haftigkeit; allein  er  tliat  nicht  gern  et- 
was. Keimet  hatte  diefe  beyden  für  ein 
felir  mäfsiges  Wochenlohn  angenommen, 
welches  aber  nach  jedem  Vierteljahr  um 
einen  Schilling  fleigen  follte , fo  wie  ihre 
Fortfehritte  in  der  Buchdruckerkunft  es 
verdienen  würden.  Diefe  zukünftige  Ver- 
mehrung des  Lohns  war  die  Lockfpeife, 
womit  er  fie  eingefangen  hafte.  Meredith 
follte  bey  der  Preffe  arbeiten,  und  Potts 
Bücher  einbinden , und  er  hatte  fich  ver- 
pflichtet, beyde  hierin  zu  unterrichten, 
wiewohl  er  felbft  weder  das  eine,  noch 
das  andere  verband. 

Johann  Saurage,  ein  Irländer,  war  zu 
gar  keinem  Gewerbe  erzogen,  und  Kci- 
mer  hatte  feine  Dienfle  von  einem 
Schiffs capitän  auf  vier  Jahre  gekauft. 
Dicfer  follte  auch  ein  Drucker  werden. 


Jugendjahre.  157 

Georg  Weib , Student  aus  Oxford,  den 
er  ebenfalls  auf  vier  Jahre  erkauft  hatte, 
ivar  zum  Setzer  beftimmt.  Ich  werde 
Von  diefem  unten  ein  Mehreres  fagen. 

Der  letzte  war  DavidHarry , ein  Bauer- 
knabe , den  er  zum  Lehrling  angenom- 
men hatte. 

Ich  merkte  fehr  bald,  wo  Keimer  hin- 
aus wollte,  da  er  mich  für  eine  Befol- 
dung  annahm,  die  weit  über  dasjenige 
hinauslief,  was  er  fonh  zu  geben  pflegte. 
Ich  follte  nehmlich  alle  feine  neuen  und 
wohlfeilen  Arbeiter  erft  anlehren,  damit 
fie,  die  durch  Verträge  an  ihn  gefefTelt 
waren,  nach  erlangtem  Unterrichte  ihn 
in  den  Stand  fetzen  möchten,  meiner 
wieder  zu  entbehren.  Gleichwohl  ging 
ich  meinen  Gang  fort,  brachte  feine 
Druckerey , die  in  der  gröfsten  Verwir- 
rung war,  in  Ordnung,  gewöhnte  nach 
und  nach  feine  Leute  zur  Aufmerkfain- 
keit  auf  ihre  Arbeit,  und  machte,  dafs 
fie  befler  damit  fortkamen.. 


j-g  Benjamin  Franklin’s 

Sehfam  genug  war  es , einen  Studen- 
ten von  Oxford  in  der  Lage  eines  er- 
kauften Knechtes  zu  erblicken.  Er  war 
noch  nicht  über  achtzehn  Jahr  all,  und 
theilte  mir  felbft  folgendes  von  feinen 
Lebeneumftänden  mit.  Er  war  zu  Glo- 
cefter  geboren,  und  dafelbft  in  einer  la- 
teinifchen  Schule  ( Grammar- School)  er- 
zogen. Unter  feinen  Mitfcliülern  hatte 
er  üeh  dadurch  ausgezeichnet,  dafs  er 
in  den  Schaufpielen,  welche  fie  aufführ- 
ten, feine  Rollen  vorzüglich  gut  fpielte. 
Er  war  Mitglied  des  litterarifchen  Clubs 
in  feiner  Provinz  gewefen , und  hatte  in 
die  öffentlichen  Blätter  von  Glocefter 
verfchiedene  feiner  fowohl  poetifchen  als 
profaifchen  Auffätze  einrücken  laßen.. 
Von  da  war  er  nach  Oxford  gefcliickt 
worden,  wo  er  hch  ungefähr  ein  Jahr- 
aufgehalten  hatte.  Es  ftand  ihm  dafelbft: 
nicht  an;  er  wünfchte  vor  allen  Dingen 
London  zu  fehen,  und  Schaufpieler  zu. 
werden.  Nachdem  er  einft  feinen  Vier- 
teljahrswechfel  von  fünfzehn  Guineen 


Jugendjahre.  15g 

erhalten  hatte,  verlieis  er,  anftatt  feine 
Schulden  zu  bezahlen,  die  Stadt  zu  Fufs, 
verbarg  feine  Studentenkleidung  in  ein 
Gebüfch,  und  ging,  nach  London.  Da 
er  hier  keinen  Freund  hatte,  der  ihn 
hatte  leiten  können,  fo  gerieth  er  in  böfe 
Gefelifchaft,  brachte  feine  Guineen  bald 
durch,  konnte  auf  keinerley  Weife  bey 
der  Schaubühne  ankommen,  wurde  ver- 
ächtlich, verfetzte  feine  Kleider  und  hat- 
te das  liebe  Brot  nicht  mehr.  Wie  er 
nun  aufs  er  ft  ausgehungert  die  Strafsen 
durchlief,  und  nicht  mehr  wufste,  was 
aus  ihm  werden  füllte , fo  gab  man  ihm 
einen  Werbebrief  in  die  Hand,  worin 
denjenigen,  die  fich  zu  Dienften  in  Ame- 
rica annehmen  laßen  wollten,  fofort  ein 
Trinkgeld  und  nachher  noch  eine  Prämie, 
angeböten  wurde.  Er  begab  lieh  fogleich 
an  den  beftimmten  Ort,  Unterzeichnete 
den  Vertrag,  ward  in  das  Schiff  aufge- 
nommen, und  ging  nach  America,  ohne 
feinen  Aeltern  auch  nur  in  einer  Zeile 
Nachricht  zu  geben,  was  aus  ihm  gewor- 


i6o  Benjamin  Franklin’s 

den  wäre.  Sein  lebhafter  Geilt  und  fei- 
ne gute  Gemüthsart  machten  ihn  zum 
guten  Gefellfchafter ; allein  er  war  ar- 
beitfcheu,  unvorfichtig  und  aufserft  um 
befonnen.  l 

Johann,  der  Irländer,  fäumte  nicht, 
die  Flucht  zu  nehmen.  Mit  den  übri- 
gen fing  ich  an  ein  fehr  angenehmes  Le- 
ben zu  führen.  Sie  ehrten  mich  alle  um 
fo  mehr,  je  weniger  Keimer  im  Stande 
war,  fie  zu  unterrichten;  da  fiie  hinge- 
gen von  mir  alle  Tage  etwas  lernten. 
Wir  arbeiteten  niemals  am  Sonnabend, 
weil  chefs  Keimers  Sabbatli  war.  Ich  hat- 
te daher  zwey  freye  Tage  zu  meiner 
Lectüre. 

In  der  Stadt  vermehrte  ich  meine  Be- 
kanntfcliaften  mit  wohl  unterrichteten 
Perfonen.  Selblt  Keimer  begegnete  mir 
fehr  höflich,  j*  fogar  mit  einem  Anfchein 
von  Hochachtung,  und  mich  beunru- 
higte weiter  nichts,  als  meine  Schuld  an 
Vernon , die  ich  noch  nicht  im  Stande 
war  abzutragen,  weil  ich  bisher  nur  fehr 

geringe 


Jugendjahre.  i6i 

geringe  Erfparungen  hatte  machen  kön- 
nen. Vernon  war  indefien  fo  gütig , fein 
Geld  noch  nicht  einzufodern. 

Unferer  Druckerey  fehlte  es  bisweilen 
an  Sorten,  und  es  war  kein  Schriftgiefser 
in  America.  Nun  hatte  ich  zwar  bey  Ja- 
mes in  London  Lettern  giefsen  feilen, 
allein  auf  das  Verfahren  nicht  fonder- 
lich acht  gegeben.  Indeffen  fand  ich 
doch  Mittel  eine  Form  zu  verfertigen. 
Der  Lettern,  die  wir  hatten,  bediente 
ich  mich  zu  Stempeln,  und  gofs  Lettern 
von  Bley  in  Matrizen  von  Thon.  Auf 
folche  Weife  erfetzte  ich  denn  noch  er- 
träglich genug  das,  was  uns  etwa  abging. 

Ich  flach  auch  im  Fall  der  Notli 
mancherley  Zierrathen,  machte  Drucker- 
fchwärze,  und  führte  die  Aufficht  über 
das  Waarenlager;  mit  einem  Worte,  ich 
war  ein  wahres  Factotum.  Allein  was  ich 
auch  Nützliches  nur  immer  vornehmen 
mochte,  fo  bemerkte  ich  doch,  dafs  der 
Werth  meiner  Dienfte  von  Tage  zu  Ta- 
ge abnahm,  fo  wie  die  Gefchickliclikeit 

L 


i6'2  Benjamin  Franklin’ s 

■der  übrigen  Hände  zunahm;  und  als  Kei- 
mer  mir  meinen  zweyten  Quartal gelialt 
auszahlte,  gab  er  mir  zu  verliehen,  dafs 
er  doch  gar  zu  hoch  wäre,  und  dafs  ich  • 
feiner  Meinung  nach  wohl  etwas  ablaf- 
fen  könnte.  Er  wurde  nach  und  nach 
minder  höflich,  und  nahm  mehr  den 
Herrenton  an.  Er  fand  öfters  etwas  ein- 
zuwenden; machte  Schwierigkeiten,  und 
fchien  immer  bereit,  mit  mir  offenbar 
brechen  zu  rvollen. 

Ich  fuhr  indeffen  fort  Gedult  mit  ihm 
zu  haben,  indem  ich  mir  vorflellte,  die 
Unordnung  und  Verwirrung  in  feinen 
Angelegenheiten  möchten  zum  Theil 
wohl  an  feiner  üblen  Laune  mit  Schuld 
feyn.  Endlich  zerrifs  ein  gar  geringer 
Vorfall  unlere  Verbindung.  Da  in  der 
Nachbarfchaft  des  Haufes  ein  grofses  Ge- 
räufch  entbanden  war,  fo  fleckte,  ich  den 
Kopf  zum  Fenfler  hinaus,  um  zu  fehen, 
''was  vorging.  JKeiiivtr  war  auf  der  Gaffe; 
hob  die  Augen  auf,  fall  mich  und  rief 
mir  laut  und  mit  zorniger  Stimme  zu, 


Jugendjahre.  163 

dafs  ich  mich  um  meine  Arbeit  beküm- 
mern möchte.  Er  fügte  noch  einige 
Scheltworte  hinzu,  die  mir  um  fo  mehr 
zu  Herzen  gingen , da  das  alles  fo  öffent- 
lich gefchah,  indem  alle  Nachbarn,  die 
eben  diefes  Geräufch  an  die  Fenfter  ge- 
lockt hatte,  Zeugen  davon  waren,  wie 
ich  behandelt  rvurde.  Er  kam  fogleich 
in  die  Druckerey  herauf  und  fuhr  fort  zu 
fchreien.  Der  Zank  wurde  auf  beyden 
Seiten  hitzig;  er  kündigte  mir  meinen 
Abfchied  für  das  nächfte  Quartal  an,  wie 
wir  es  ausgemacht  hatten,  indem  er  es 
fein-  bereuete,  üch  auf  eine  fo  lange  Zeit 
mit  mir  eingelaffen  zu  haben.  Ich  fagte 
ihm,  diefe  Heue  wäre  überflüfsig;  denn 
ich  wollte  fogleich  gehen.  Ich  nahm  in 
der  That  meinen  Huth,  ging  aus  dem 
Haufe  und  bat  Meredith,  der  mir  unten 
begegnete,  für  meine  zurückgelaffenen 
Sachen  Sorge  zu  tragen,  und  mir  felbi- 
ge  nach  meiner  Wohnung  zu  bringen. 

Me.re.dith  kam  am  Abend,  und  wir 
fprachen  viel  über  das,  was  mir  wider- 

,L  2 


164  Benjamin  Franklln’s 

fahren  Avar.  Er  hatte  eine  ausnehmende 
Ehrfurcht  für  mich  geAvunnen,  und  es 
that  ihm  äufserft  leid,  dafs  ich  das  Haus 
verliefs,  fo  lange  er  noch  dortfeyn  müfs- 
te.  Er  widerrieth  mir,  in  mein  Vater- 
land zurückzugehen,  Avie  ich  mir  fall  vor- 
genommen hatte.  Er  erinnerte  mich, 
dafs  Ktimer  alles,  Avas  er  befäfse,  noch 
fchuldig  wäre ; dafs  feine  Gläubiger  an- 
fingen unruhig  zu  Averden ; dafs  er  feinen 
Laden  gar  elend  veiwaltete ; dafs  er  oft 
ohne  Profit  verkaufte,  um  nur  baares 
Geld  zu  bekommen;  dafs  er  auf  Credit 
weggäbe,  ohne  gehörig  anzufchreiben , 
und  dafs  er  daher  notlrwendig  fallen  müfs- 
te,  Avodurch  eine  für  mich  vortheilliafte 
Lücke  entliehen  Aviirde.  Ich  fchützte  mei- 
nen Geldmangel  A-or;  und  er  entdeckte 
mir,  fein  Vater  hätte  eine  fo  hohe  Mei- 
nung von  mir,  dafs  er,  befage  einer  des- 
falls  mit  ilun  gehaltenen  Unterredung,  das 
zu  unferer  Einrichtung  erforderliche 
Geld  geAvifs  vorfchiefsen  Avürde,  AAfenn 
ich  mit  ihm  ha  Gefellfchaft  ueten  AArollte. 


Jugendjahre.  165 

„Meine  Zeit  bey  Körner , Tagte  er,  ifl 
künftiges  Frühjahr  um.  Alsdann  kön- 
nen wir  von  London  unfere  Prefle  und 
unfere  Schriften  haben.  Ich  weifs  nun 
wohl,  dafs  ich  kein  Künftler  bin;  aber 
wenn  Sie  einwilligen , fo  lege  ich  mein 
Geld  gegen  Ihre  Gefchicklichkeit  in  der 
Kunft  auf  die  Wage,  und  wir  können 
in  Anleitung  des  Profits  zu  gleichen 
Theilen  gehen.,,  Sein  Vorfchlag  liefs 
ficli  hören;  und  ich  nahm  ihn  an.  Sein 
Vater,  der  fich  gerade  in  der  Stadt  be- 
fand, billigte  ihn  ebenfalls.  Er  wufste, 
dafs  ich  fehr  viel  über  feinen  Sohn  ver- 
mochte, weil  es  mir  gelungen  war,  ihn 
feit  geraumer  Zeit  vom  Brandweinstrunk 
abzuhalten,  und  hoffte  daher,  dafs  ich 
bev  einer  nähern  Verbindung  diefe  un- 

j O 

felige  Gewohnheit  ganz  bey  ihm  tilgen 
würde. 

Ich  gab  dem  Vater  ein  Verzeichnifs 
der  Dinge,  die  wir  von  London  haben 
müfsten.  Er  ging  damit  zu  einem  Kauf- 
mann, und  die  Befiellung  wurde  ge- 


\ 


i 

166  Benjamin  Franklin’s 

macht.  Wir  waren  eins  geworden,  die 
Sache  fo  lange  geheim  zu  halten,  bis 
alles  angelangt  feyn  würde;  indeflen  füll- 
te ich  mir,  wo  möglich,  in  der  andern 
Druckerey  Arbeit  verfchaffen;  allein  es 
war  kein  Platz  ledig,  und  ich  blieb  alfo 
miifsig.  Näch  einigen  Tagen  befchickte 
mich  Keimei • auf  eine  fehl'  höfliche  Art 
wieder.  Denn  er  hatte  indeflen  Hoffnung 
bekommen,  zum  Abdruck  einer  neuen 
Papiermünze  in  Neu-Jerfey  gebraucht  zu 
werden,  für  welche  Zierrathen  und  ver- 
fchiedene  Lettern  nöthig  feyn  würden, 
wozu  ich  allein  Rath  fchäffen  konnte. 
Da  £r  nun  fürchtete,  dafs  Bradford  mich 
in  Dienfte  nehmen  und  ihm  diefe  Ar- 
beit entziehen  möchte,  fo  liefs  er  mir  fa- 
gen,  dafs  alte  Freunde  fleh  nicht  um  ein 
Paar  Worte  willen,  die  der  Affect  her- 
ausgeflofsen  hätte,  auf  immer  entzweyen 
- müfsten,  und  dafs  er  mich  daher  bäte, 
zu  ihm  zurückzukehren.  Meredith  bere- 
dete mich,  diefe  Einladung  anzunehmen, 
vornehmlich  deswegen,  damit  er  fleh  als- 


Jugendjahre.  167 

dann  durch  meinen  täglichen  Unterricht 
in  der  Kunft  defto  vollkommener  machen 
möchte.  Ich  kehrte  alfo  in  der  That  zu- 
rück, und  wir  lebten  von  nun  an  in  ei- 
nem belfern  Vernehmen,  als  vor  unfe- 
rer  Trennung. 

Keimer  erhielt  die  Arbeit  für  Neu-Jer- 
fey.  Ich  verfertigte  zu  diefemEnde  eine 
Kupferdruckerprelfe , und  zwar  die  erfte, 
die  in  diefem  Lande  zum  Vorfchein  kam. 
Ich  hach  mehrere  Verzierungen  und 
Vignetten  zu  den  Billets.  Wir  begaben 
uns  zufammen  nach  Burlington , wofelblt 
ich  alles  zur  allgemeinen  Zufriedenheit 
ausführte,  und  Keimer  erhielt  für  ^liefe 
Arbeit  eine  Summe,  wodurch  er  ha  den 
Stand  gefetzt  wurde , den  Kopf  weit  län- 
ger über  dem  Walfer  empor  zu  halten. 

Zu  Burlington  machte  ich  mit  den  an- 
gefehenflen  Perfonen  der  Provinz  Be- 
kanntfchaft.  Mehrere  von  ihnen  waren 
von  den  Ständen  abgeordnet,  um  auf 
die  Prelle  acht  zu  haben,  und  dahin  zu 
fe.hen , dafs  nicht  mehr  Billets  ab  ge- 


i6'8  Benjamin  Franklin's 

druckt  würden,  als  das  Gefetz  beftimmt 
hatte.  Sie  waren  daher,  ein  jeder  nach 
feiner  Reihe,  behändig  gegenwärtig;  und 
der,  welcher  kam,  brachte  gemeiniglich 
noch  einen  oder  zwey  Freunde  zu  feiner 
Gefellfchaft  mit.  Mein  Geifl  war  melir 
durch  Lectüre  gebildet,  alsKeimers;  und 
daher  kam  es  wahrfcheinlich,  dafs  fie  fich 
lieber  mit  mir,  als  mit  ihm  unterhiel- 
ten. Sie  nahmen  mich  mit  in  ihre  Häu- 
fer,  hellten  mich  ihren  Freunden  vor, 
und  erwiefen  mir  alle  erlinnliclien  Höf- 
lichkeiten, indeflen  Jfeüner,  obgleich 
Herr,  ein  wenig  vernachläfsigt  wurde. 
In  der  That  war  er  auch  ein  feltfames 
Gefchöpf,  unwifiend  in  allen  Lebensge- 
bräuchen, immer  bereit  fich  angenom- 
menen Meinungen  auf  eine  grobe  Art 
zu  widerfetzen,  Schwärmer  in  einigen 
Religionspunkten,  unreinlich  bis  zum 
Ekel,  und  bey  allem  dem  ein  wenig 
Spitzbube. 

Wir  hielten  uns  fall  drey  Monathe 
dafelbft  auf,  während  welcher  der  Rieh- 


Jugendjahre.  169 

ter  Allen,  Samuel  Bußill , Provinzial- Se- 
cretär;  Ifaac  Pearfon,  Jofeph  Cooper,  meh- 
rere Smith,  alles  Mitglieder  der  Provin- 
zial -Verfammlung,  und  der  General -In- 
fpector  Ifaac  Decon,  meine  Freunde  wur- 
den. Diefer  letzte  war  ein  fehr  fchlauer 
und  gewandter  Greis,  welcher  mir  er- 
zählte , wie  er  in  feiner  Jugend  zuerft 
Thonkärner  bey  den  Zifegelbrennern  ge- 
wefen  wäre.  Er  war  fchon  ziemlich  bey 
Jahren,  als  er  erft  fchreiben  lernte.  Nach, 
her  hatte  er  von  den.  Landmefiern , de. 
nen  er  die  Mefskette  nachgetragen , die- 
fe  Wiflenfchaft  erlernet,  und  fich  end. 
lieh  durch  feinen  Fleifs  -ein  artiges  Ver- 
mögen eiworben.  „Ich  fehe  voraus, 
fagte  er  mir  eines  Tages,  dafs  Sie  die- 
fern  Menfchen , nelimlich  Reimern,  bald 
das  Handwerk  legen,  und  in  diefer  Kunft 
ihr  Glück  zu  Philadelphia  machen  wer- 
den.,, Er  wufste  damals  noch  nicht  das 
mmdefle  von  meiner  etwanigen  Abficht 
mich  dafelbfl  oder  anderswo  niqderzu- 
laffen.  Diefe  Freunde  wurden  mir  in 


170  Benjamin  Franklin’s 

der  Folge  überaus  nützlich,  fo  wie  ich 
es  auch  bey  Gelegenheit  einigen  von  ih- 
nen wurde,  und  he  haben  mir  feitdem 
insgefamt  viele  Achtung  bewiefen. 

Ehe  ich  dir  meinen  Eintritt  in  die 
Schranken  des  bürgerlichen  Gewerbes  er- 
zähle, ift  es  vielleicht  nicht  undic-nlich, 
dir  meinen  damaligen  moralifchen  See- 
lenzuftand  zu  fchildern,  damit  du  erfe- 
heft,  welchen  Finflufs  derfelbe  auf  die 
nachmaligen  Ereigniffe  meines  Lebens 
gehabt  hat. 

Meine  Eltern  hatten  mir  fchon  fehl- 
frühzeitig  religiöfe  Geßnnungen  beyge- 
bracht,  und  ich  war  von  Kindesbeinen 
an  in  den  Grundfätzen  des  Presbyteria- 
nismus fein-  fromm  erzogen  worden. 
Aber  kaum  war  ich  funfzehen  Jahr  alt 
geworden,  als  ich  nach  mancherley  Hin- 
und  Herzweifeln  über  diefe  und  jene 
Punkte,  je  nachdem  ich  nehmlich  diesel- 
ben in  den  verfchiedenen  Büchern,  die 
ich  las,  an gefo chten  fand,  endlich  an  der 
ganzen  Offenbarung  zu  zweifeln  anfing. 


Jugendjahre.  171 

Es  fielen  mir  einige  Bücher  gegen  den 
Deismus  in  die  Hände.  Sie  enthielten, 
wie  man  fagte,  den  Kern  der  Predigten, 
die  in  Boyle’s  Laboratorium  gehalten 
worden  waren.  Sie  wirkten  aber  bey  mir 
gerade  das  Gegentheil  von  dem,  was  die 
Verlader  lieh  vorgefetzt  hatten.  Denn 
die  Gründe  der  Deiften , die  zum  Behuf 
der  Widerlegung  angeführt  rvaren,  fchie- 
nen  mir  weit  Harker,  als  die  Widerle- 
gungen. Mit  einem  Wort,  ich  wurde 
gar  bald  ein  völliger  Deift.  Meine  Grün- 
de verführten  noch  einige  andere  junge 
Leute,  befonders  Collins  und  Ralph.  Als 
ich  mich  aber  in  der  Folge  erinnerte, 
wie  viel  Böfes  mir  diefe  ohne  die  min- 
deften  Gewidensbide  zugefügt  hatten,  als 
ich  Reiths,  auch  eines  darken  Geifies, 
Verfahren,  ja  felbfi  meine  eigene  Auf- 
führung gegen  Vernon  und  Mifs  Read 
erwog:  lo  fing  ich  an  zu  argwohnen, 
dafs  diefe  Lehre,  wenn  auch  gleich  wahr, 
dach  eben  nicht  gar  nützlich  wäre.  Ich 
verlor  alfo  nach  und  nach  die  gute  Mei- 


1 7 2V  Benjamin  Franklins 

nung  von  meinem  zu  London  heraus- 
gegebenen Schriftchen  mit  diefem  Motto 
aus  Dry  den:  Alles  was  da  iß,  iß  gut; 
obgleich  der  kurzfichtige  Menfch  nur  ei- 
nen Theil  der  Kette  erblickt,  und  von 
dem  nächßen  Gliede  feine  Augen  nicht 
bis  zu  dem  wagerechten  Balken  erheben 
kann,  der  droben  alles  wägt;,,  und  wel- 
ches fich  mit  der  Behauptung  endigte, 
dafs  vermöge  der  Eigenfchaften  Gottes, 
nehmlich  feiner  unendlichen  Güte,  Weis- 
heit und  Allmacht,  nichts  Böfes  in  der 
Welt  feyn  könnte,  dafs  Tugend  undLa- 
ßer  gar  keine  Wirklichkeit  hätten,  und 
weiter  nichts  als  leere  Dißinctionen  wä- 
ren. Ich  fah  diefes  Werkchen  nun  nicht 
mehr  für  fo  vorwurfsfrey,  als  vorher 
an,  und  argwohnte,  dafs  fich  meinem 
Grunde  wohl  irgend  ein  nicht  wahrzu- 
nehmender Irrthum  beygemifcht  haben 
könnte,  der  fich  alio  auch  über  die  ganze 
Schlufsfolge  verbreitete,  wie  das  bey  me- 
taphyfifclien  Speculationen  gewöhnlich 
der  Fall  iß.  Ich  blieb  zuletzt  überzeugt, 


Jugendjahre.  173 

dafs  Wahrhaftigkeit,  Aufrichtigkeit  und 
Rechtfchalfenheit  in  dem  Betragen  des 
Menfchen  gegen  den  Menfchen  höchft 
wichtige  Erforderniffe  zürn  Glück  des  Le- 
bens wären;  und  ich  fafste  damals  nicht 
nur  den  Entfchlufs , felbige  Zeit  meines 
Lebens  zu  beobachten,  fondern  fchrieb 
ihn  auch  in  mein  Tagebuch  nieder. 

Die  Offenbarung,  die  Wahrheit  zu 
fagen,  vermochte  als  folche  nichts  auf 
mein  Gemüth;  allein  ich  war  doch  der 
Meinung,  dafs  obgleich  gewiffe  Hand- 
lungen nicht  gut  oder  böfe  feyn  könn- 
ten, weil  gerade  die  Offenbarung  fie  ge- 
böte oder  verböte,  dennoch  diefelben 
von  ihr  um  deswillen  geboten  oder  ver- 
boten feyn  könnten,  weil  fie,  alle  üm- 
llande  wold  erwogen,  fchon  ihrer  Na- 
tur nach  uns  zuträglich  oder  fchädiich 
wären.  Diefe  Ueberzeugung  hat  mich, 
mit  Beyhülfe  der  Vorfehung,  oder  ir- 
gend eines  Schutzengels,  vielleichtauch 
mancher  zufälligen  mir  günftigen  Um- 
llande  und  Lagen,  vor  aller  Unfittlich- 


174  Benjamin  Franldin’s 

keit  uncl  vor  allen  groben  vorfeit züchen  Un- 
gerechtigkeiten bewahret,  welchen  mein 
Mangel  an  Religion  in  den  gefährlich- 
flen  Tagen  der  Jugend,  und  in  den 
mifslichen  Lagen,  worin  ich  mich  bis- 
weilen -unter  fremden  Mc-nfchen,  ent- 
fernt von  den  Augen  und  den  Rath- 
fchlägen  meines  Vaters  befand,  mich 
ausfetzte.  Ich  fage  vor  vorfätzlichen  : 
denn  zu  den  Fehlern,  welche  ich  in  der 
That  begangen,  hatte  mich  gewiffer- 
mafsen  meine  jugendliche  Unerfahren- 
heit, oder  die  Niederträchtigkeit  ande- 
rer Menfchen  genöthigt.  Ich  hatte  da- 
her fchon  gute  Grundfätze  und  einen  fe- 
ilen ehrlichen  Character,  noch  ehe  ich 
in  die  Welt  trat.  Ich  kannte  den  W erth 
derfelben,  und  gelobte  mir  es  felbft  an, 
dabey  zu  beharren. 


Wir  waren  noch  nicht  lange  wieder 
nach  Philadelphia  zurückgekehrt,  als  un- 
fere  typographifclien  Geräthfchaften  von 


Jugendjahre.  175 

London  ankamen.  Ich  rechnete  mit  Rei- 
mern ab,  und  verliefs  ihn,  mit  feinem 

guten  Willen,  noch  ehe  er  etwas  davon 

* 

wufste.  Es  ftand  gerade  ein  Haus  am 
Markte  offen ; wir  mietheten  es , und  um 
uns  die  Koften  zu  erleichtern,  die  da- 
mals 24  L.  Sterling  des  Jahres  betrugen 
(hi  dei  Folge  habe  ichs  für  jo  vermie- 
det gefehen),  nahmen  wir  noch  einen 
Giafer , Thomas  Godfrey , nebft  feiner  Fa- 
milie, mit  ein,  der  nicht  nur  einen  an- 
fehnlichen  Theil  derfelben  trug , fondern 
uns  auch  gegen  ein  gewiffes  Koflgeld 
fpeifete. 

Kaum  hatten  wir  unfere  Lettern  ausge- 
packt, und  die  Prelfe  gehörig  aufgeftelk, 
als  einer  meiner  Bekannten,  Namens 
Georg  Houfe , uns  einen  Landmann  zu- 
führte, der  ihm  auf  der  Strafse  aufgeftof- 
fen  war,  indem  er  fielt  nach  einem  Buch- 
drucker erkundigt  hatte.  Unfre  Kaffe  war 
durch  die  Menge  von  Sachen,  die  wir  uns 
hatten  anfehaffen  müffen,  fall  gänzlich  er- 
fchopft.  Die  fünf  Schillinge  diefes  Land- 


176  Benjamin  Franklin’ s 

manns,  diefe  Erftlinge  unfres  Erwerbes, 
die  fo  zu  gelegener  Zeit  kamen,  mach- 
ten mir  mehr  Freude,  als  irgend  eine 
Summe,  die  ich  nachher  gewonnen  ha- 
be; und  das  Dankgefühl,  welches  lieh 
.gegen  Georg  Houfe  bey  diefer  Gelegen- 
heit in  mir  regte,  hat  mich  in  der  Folge 
oft  weit  eifriger  gemacht,  jungen  Anfän- 
gern fortzuhelfen,  als  fonft  gefchehen 
feyn  würde. 

So  wie  es  überall  trübfinnige  Leute 
giebt,  die  nur  immer  Unglück  prophe- 
zeien; fo  fehlte  es  daran  auch  zu  Phila- 
delphia nicht.  Zu  dielen  gehörte  ein  ge- 
wiffer  Samuel  Michel , ein  Mann  fchon 
etwas  bey  Jahren,  und  nicht  ohne  Ver- 
mögen, mit  einem  geAvifien  Anfehn  von 
Weisheit,  und  einer  ftattlichen  Art  üch 
auszudrücken.  Diefer  Mann,  den  ich 
gar  nicht  kannte , blieb  einft  vor  meiner 
Thür  liehen,  und  fragte  mich,  ob  ich 
der  junge  Menfch  wäre,  der  feit  kurzem 
eine  neue  Buchdruckerey  angelegt  hätte. 

Als  ich  nun  diefes  bejaht  hatte,  fo  fagte  er,. 

dafs= 


Jugendjahre.  177 

dafs  er  mich  bedauerte,  weil  das  Unter- 
nelimen  koftbar  und  die  Auslage  fo  gut 
als  verloren  wäre.  Denn  Philadelphia 
wäre  im  Verfall  begriffen;  alle  feine  Ein- 
wohner hätten  bereits  ihre  Bücher  ge- 
fchloffen,  oder  würden  es  bald  thun;  er 
wiifste  ganz  zuverläffig,  dafs  alles,  was 
etwa  auf  das  Gegentheil  fchliefsen  Iahen 
möchte,  wie  etwa  die  neuen  Anbaue 
und  die  Erhöhung  der  Miethzinfen,  be- 
triegliche  Zeichen  rvären,  die  in  der  That 
nur  unfern  Untergang  befchleunigen  wür- 
den. Er  erzälilte  mir  dabey  eine  fo  lan- 
ge Reihe  von  Unglücksfällen,  die  fich 
entweder  fchon  ereignet  hätten,  oder 
doch  in  kurzem  ereignen  würden , dafs 
er  mich  fall  ganz  mudilos  zurückliefs. 
Hätte  ich  diefen  Menfchen  eher  gekannt, 
als  ich  mich  in  den  Handel  einliefs,  fo 
würde  ich  unfheitig  nichts  gewagt  ha- 
ben. Er  führ  indeffen  fort,  in  diefer 
verfallenden  Stadt  zu  leben,  und  nach 
wie  vor  zu  declamiren.  Mehrere  Jalue 
hindurch  wollte  er  durchaus  kein  Haus 

M 


178  Benjamin  Franklin’ s 

dafelbft  kaufen , weil  alles  fich  zum  Un- 
tergänge neigte.  Allein  endlich  hatte 
ich  denn  doch  die  Lull  zu  feilen,  dafs 
er,  um  nur  eins  zu  bekommen,  wohl 
fünfmal  mehr  bezahlen  mufste,  als  wenn 
er  gleich  im  Anfänge  feiner  Klagelieder 
eins  gekauft  hatre.  * 

Ich  hätte  bereits  anführen  follen , wie 
ich  fchon  im  Herblie  des  letztverwiche- 
nen  Jahres  den  gröfsten  Theil  meiner 
gelehrten  Bekannten  in  einen  Club  ver- 
einigt hatte,  den  wir  Junto  nannten,  und 
welcher  die  Abficht  hatte , unfern  Ver- 
fland  zu  vervollkommnen.  Wir  ver- 
fammelten  uns  jeden  Freytag  Abends. 
Die  Gefetze,  welche  ich  entwarf,  ver- 
pflichteten ein  jedes  Mitglied,  nach  der 
Reihe  eine  oder  mehrere  Fragen  über 
irgend  einen  Gegenfland  der  Moral,  der 
Politik  und  Phylik  aufzuwerfen,  um  von 
der  Gefellfchalt  erörtert  zu  werden ; auch 
alle  drey  Monathe  einmal  eine  felbft  ver- 
fafste  Abhandlung  über  eine  beliebige 
Materie  vorzulegen.  Unfere  Debatten 


Jugendjahre.  179 

Tollten  der  Leitung  eines  Vorfitzers  un- 
terworfen feyn,  und  durch  nichts  als  das 
aufrichtige  Verlangen,  die  Wahrheit  zu 
entdecken , erregt  werden ; keine  Dispu- 
tirluft,  kein  eitles  Beftreben  nach  Siegs- 
ruhm follte  fich  in  unfere  Unterfuchun- 
gen  mifchen ; und  um  der  Erhitzung  der 
Gemüther  zuvor  zu  kommen,  fo  wurden 
alle  Ausdrücke,  die  eine  hartnäckige  Be- 
hauptung einer  Meinung  anzeigten,  fo 
wie  überhaupt  jeder  gerade  Widerfpruch 
unter  Androhung  kleiner  Geldftrafen  ver- 
boten. 

Die  erflen  Mitglieder  unferes  Clubs 
waren  folgende:  Jufeph  JSrintnall , der 

fi ch  mit  Actenabfchreiben  für  Notarien 
abgab.  Diefer  war  ein  Mann  von  mitt- 
lerm  Alter,  von  guter  Gemüthsart,  feinen 
Freunden  aufserft  ergeben,  und  ein  grofer 
Freund  der  Dichtkunft.  Er  las  alles, 
was  ihm  vorkam,  und  fchrieb  auch  ganz 
erträglich.  Uebrigens  war  er  fmnreich  in 
mancherley  kleinen  Tändeleyen  und  ein 
überaus  angenehmer  Gefellfchafter. 

M 2 


iSö  Benjamin  Franklin’s 

Thomas  Goilfery , ein  gefchickter  Ma- 
thematiker, der  lieh  ohne  Lehrmeifter  ge- 
bildet hatte,  und  in  der  Folge  den  foge- 
nannten  Hadleyfchen  Quadranten  erfand. 
Allein  aufser  feiner  Sfäre  war  er  gar  we- 
nig bewandert,  und  in  der  Gefellfchaft 
war  er  ganz  unausßehlich , indem  er  im- 
mer, wie  die  meiRen  grofsen  Mathema- 
tiker, die  mir  in  meinem  Leben  vorge- 
kommen find , auf  einer  ganz  ungewöhn- 
lichen Pünctlichkeit  in  allem,  Adas  man 
nur  fagen  mochte,  befland,  und  unauf- 
hörlich bey  den  elencleflen  Lumpereyen 
entweder  widerfprach , oder  diRinguirte. 
Nichts  kann  wohl  kräftiger  feyn,  als  die- 
fes,  allen  Umgang  zu  verleiden.  Zum 
Glück  verliefs  er  uns  bald. 

Nicolaus  Scull,  ein  Feldmefler,  der  in 
der  Folge  General  -Landmefler  wurde. 
Er  liebte  die  Bücher  und  machte  V erfe. 

Wilhelm  Parfons , der  zwar  zum  Schu- 
lter-Handwerk erzogen  worden  war,  al- 
lein als  Freund  der  Lectüre  lieh  tiefe 
Kenntniffe  in  der  Mathematik  erworben 


Jugendjahre.  181 

* / ' / 

hatte.  Er  fiudirte  he  in  der  Folge  zum 

Behuf  der  Aflrologie , deren  er  doch  her- 
nach zuerft  fpottete.  Er  wurde  ebenfalls 
General  -Landmelfer. 

Wilhelm  Maugridge , ein  Tifchler  und 
vortrefflicher  Mechanicus;  übrigens  ein 
gefetzter  und  gefcheidter  Mann. 

Hugo  Meredith,  Stephan  Pott  und 
Georg  Webb,  von  welchen  ich  fchon 
oben  geredet  habe. 

Robert  Grace,  ein  junger  Mann  von 

i 

Vermögen,  grofsmüthig,  lebhaft  und 
geiftreich,  ein  Freund  des  Epigramms, 
aber  doch  noch  mehr  feiner  Freunde. 

Endlich  Wilhelm  Colemann,  damals 
Schreiber  bey  einem  Kaufmann , und  un- 
gc-fähr  von  meinem  Alter.  Er  hatte  den 
ruhigflen,  aber  auch  den  hellften  Kopf, 
das  belle  Herz  und  die  pünctlichf  e Mo- 
ralität, die  ich  jemals  bey  einem  Men- 
fchen  angetroffen  habe.  Er  wurde  in 
der  Folge  ein  fehr  angefehener  Kauf- 
mann, und  einer  von  unfern  Provinzial- 
richtern. IJnfere  Freundfchaft  dauerte 


iS2  Benjamin  Franklin’ s 

ununterbrochen  über  vierzig  Jahre,  bis 
an  feinen  Tod,  und  der  Club  behänd 
fall  eben  fo  lange. 

Diefer  war  damals  die  belle  Schule 
der  Philofophie  und  Politik  im  ganzen 
Lande.  Denn  unfere  Fragen,  welche  » 
acht  Tage  vor  der  Erörterung  aufgewor- 
fen  wurden , nöthigten  uns  über  die  man- 
cherley  vorkommenden  Gegenflände  auf- 
merkfam  nachzulefen,  um  delto  treffen- 
der darüber  fprechen  zu  können.  Wir 
erwarben  uns  auch  dadurch  eine  F ertig- 
keit  im  gefälligen  Ausdrucke , indem  rvir 
über  jeden  Gegenlland  nach  Mafsgabe 
unferer  Gefetze  fo  fprachen,  dafs  es  kei- 
nen verdriefsen  konnte.  Gerade  diefem 
Umflande  kann  man  die  lange  Fortdauer 
diefes  Clubs  zufchreiben,  von  welchem 
ich  in  der  Folge  noch  manches  zu  mel- 
den Gelegenheit  haben  werde. 

Hier  habe  ich  feiner  als  eines  Mittels 
erwähnt,  worauf  ich  nicht  wenig  in  Rück- 
licht auf  Einrichtung  und  Fortgang  mei- 
nes Gewerbes  rechnen  konnte,  indem 


Jugendjahre.  1S3 

jedes  .Mitglied  das  Seinige  tliat,  uns  Ar- 
beit zu  verfchaffen.  Brintnall  unter  an- 
dern verfchaffte  uns  von  Seiten  der  Qua- 
ker den  Druck  von  vierzig  Bogen  ihrer 
Gefchichte.  Das  übrige  mufste  Reimer 
drucken.  Wir  hatten  an  diefem  Werke 
fehr  faure  Arbeit,  weil  fie  zu  niedrigem 
Preife  bezahlt  wurde.  Es  war  in  Folio, 
auf  Propatria -Papier,  mit  Cicero,  und 
die  Noten  waren  mit  noch  kleinerer 
Schrift  gedruckt.  Ich  fetzte  davon  einen 
Bogen  des  Tages,  und  Meredith  Brachte 
ihn  unter  die  Preife.  Es  war  oft  elf  Uhr 
des  Abends,  ja  bisweilen  noch  fpäter, 
ehe  ich  mit  meiner  Anordnung  der  Ar- 
beit für  den  folgenden  Morgen  fertig 
wurde.  Denn  die  kleinen  Werke,  die 
uns  unfre  Freunde  von  Zeit  zu  Zeit  zu- 
fchickten,  hielten  uns  auf.  Allein  ich 
hatte  mir  es  nun  einmal  fo  feft  vorge- 
nommen, jeden  Tag  einen  Foliobogen 
-zu  Stande  zu  bringen,  dafs,  als  ich  ein  ft 
meine  Form  in  Ordnung  gebracht  hatte, 
und  nunmehr  glaubte,  mein  Tagewerk 


t§4  Benjamin  Franklin’s 

vollbracht  zu  haben,  hingegen  diefe 
Form  durch  einen  Zufall  zerfprang,  und 
meine  zwey  grofsen  Columnen  Cicero 
dadurcli  in  ein  Chaos  verwandelt  wur- 
den, ich  fie  fogl eich  zerlegte , und  nicht 
eher  zu  Rette  ging,  als  bis  ich  fie  von 
neuem  gefetzt  hatte. 

Diefer  wachfame  Fleifs,  welchen  un- 
fere  Nachbarn  wahrnalimen,  erwarb  uns 
nach  und  nach  Anfehen  und  Zutrauen. 
Ich  erfuhr  unter  andern,  dafs  in  dem 
Club  der  Kaufleute , der  fleh  alle  Abende 
verfammelte,  als  die  Rede  von  der  neuen 
Buchdruckerey  gewefen,  die  allgemeine 
Meinung  dahin  gegangen  wäre,  dafs  fie 
zu  Grunde  gehen  würde,  indem  fchon 
zwey  Druckereyen,  Keimers  und  Brad- 
fords, in  der  Stadt  vorhanden  wären. 
Aber  der  Doctor  Bund,  den  wir  beyde, 
du  und  ich,  viele  Jahre  nahjier  in  fei- 
nem V aterlande  zu  St.  fsjidri  in  Schott- 
land zu  fehen  Gelegenheit  gehabt  ha- 
ben, hatte  das  Gegentheil  behauptet. 
„Franklins  Fleifs,  hatte  er  gefagt,  über- 


Jugendjahre.  185 

trifft  alles,  was  ich  in  diefer  Art  noch 
gesehen  habe.  Ich  fehe  ihn  noch  des 
Abends,  wenn  ich  aus  dem  Club  zu 
Haufe  gehe , bey  feiner  Arbeit,  und  er 
ift  des  Morgens  fchon  wieder  dabey, 
noch  ehe  feine  Nachbarn  das  Bette  ver- 
laden. „ Diefe  Nachricht  fetzte  die  übri- 
gen in  Verwunderung;  und  bald  kam 
ein  Mitglied  diefes  Clubs,  und  erbot  fich, 
uns  mit  Papier  zu  verfehen;  allein  wir 
wollten  uns  noch  nicht  in  die  Weitläuf- 
tigkeiten  einer  Ladenhaltung  einlalfen, 
Es  gefchieht  nicht,  um  mir  felbft  Weih- 
rauch aufzuftreuen,  dafs  ich  fo  unbe- 
fangen von  meinem  Eleifse  rede : fon- 
dern  um  defswillen  gefchieht  eg,  dafg 
diejenigen  von  meinen  Nachkommen , 
welche  djefe  Nachrichten  lefen,  den 
Nutzen  diefer  Tugend  kennen  lernen 
mögen,  wenn  fie  in  der  Gefchichte  mei- 
nes Lebens  die  yortheilhaften  Wirkun- 
gen delfelben  entdecken. 


1 8 G Benjamin  Franklins 

Georg  Webb,  .dem  ein  Freund  das 
nöthige  Geld  geliehen  hatte,  um  feine 
Zeit  bey  Keimern  abzukaufen,  kam  eines 
Tages  und  bot  lieh  uns  als  Gefellen  an. 
Wir  konnten  ihn  nicht  fogleich  andel- 
len;  allein  ich  war  bey  diefer  Gelegen- 
heit fo  unvorfichtig,  ihm  unter  dem  Sie- 
gel der  Verfchwiegenheit  zu  entdecken, 
wie  ich  gefonnen  wäre , bald  die  Her- 
ausgabe eines  neuen  periodifchen  Blat- 
tes anzufangen,  da  ich  denn  Arbeit  für 
ihn  haben  würde.  Meine  Hoffnungen 
eines  guten  Erfolgs  gründeten  fich,  wie 
ich  ihm  nicht  verfchwieg,  auf  den  Um- 
Rand,  dafs  die  einzige  Zeitfchrift,  die 
wir  damals  hatten,  und  welche  Bradford 
druckte,  ein  elendes  Ding,  erbärmlich 
ausgeführt,  ganz  und  gar  nicht  unter- 
haltend, und  gleichwohl  einträglich  für 
Bradford  wäre.  Ich  dächte  daher,  dafs 
ein  gutes  Werk  diefer  Art  nothwendig 
fein  Glück  machen  müfste.  Webb  ver- 


Jugendjahre.  1 8 7 

rieth  mein  Geheimnifs  an  Reimern , der 
fogleich , um  mir  zuvor  zu  kommen , 
den  Profpectus  zu  einem  Blatte  bekannt 
machte,  welches  bey  ihm  gedruckt  wer- 
den, und  wobey  Webb  angeftellt  werden 
follte. 

Mich  empörte  diefe  Plauderhaftigkeit. 
Da  unfer  perjodifches  Blatt  noch  nicht 
angefangen  werden  konnte,  fo  fchrieb 
ich,  um  ihnen  entgegen  zu  arbeiten, 
verfchiedene  luftige  Auffätze  für  Brad- 
fords Blatt,  unter  dem  Titel  des  Thu- 
all  e s ( Bufy - Body) , welche  Brintnall  ei- 
nige Monathe  hindurch  fortfetzte.  Ich 
zog  auf  diefe  Weife  die  Aufmerkfam- 
keit  des  Publicums  auf  diefes  Blatt,  und 
Reimers  Profpectus,  den  wir  lächerlich 
machten,  wurde  verachtet.  Er  fing  nichts 
defto  weniger  fein  Blatt  an  ; nachdem  er 
es  aber  neun  Monathe  lang  fortgefetzt 
hatte,  ohne  mehr  als  höchftens  neunzig 
Subfcribeuten  zufammen  zu  bringen,  fo 


I 


3 8 S Benjamin  Franklin’s 

lx)t  er  mirs  felbfl  für  eine  Kleinigkeit  an. 
Ich  war  feit  einiger  Zeit  bereit  mich  da- 
mit abzugeben,  übernahm  es  alfo  fogleich 
für  meine  Rechnung , und  in  wenig  J äh- 
ren brachte  es  mir  fehr  viel  ein. 

Ich  werde  gewahr,  dafs  ich  immer 
geneigt  bin,  von  mir  in  der  einfachen 
Zahl  zu  reden,  ungeachtet  untere  Ge- 
fellfchaft  noch  beftancl.  Vielleicht  kommt 
das  daher,  weil  in  der  Xhat  das  ganze 
Unternehmen  auf  mir  allein  beruhte.  Me- 
red'ith  war  kein  Setzer,  fondern  nur  ein 
armfeliger  Drucker,  der  feiten  ganz 
nüchtern  war.  Meine  Freunde  beklag- 
ten mich  wegen  meiner  Verbindung  mit 
ihm;  ich  half  mir  aber  fo  gut  wie  mög- 
lich. 

Unfere  erften  Stücke  fchon  machten 
einen  Eindruck,  wie  ihn  noch  nie  ein 
periodifches  Blatt  in  diefem  Lande  ge- 
macht hatte  ^ fowohl  in  Anfehung  der 
Lettern,  als  auch  des  Druckes.  Allein 


Jugendjahre.  189 

einige  beifsende  Anmerkungen  von  mei- 
ner Art  über  die  Händel,  welche  zwi- 
lchen dem  Statthalter  Burnet  und  der  Pro- 
vinzial-V erfamrhlung  von  MaJJucIwfet  ob- 
walteten, fielen  auch  Perfonen  von  hö- 
herm  Range  auf,  und  waren  Schuld, 
dafs  man  fehr  viel  von  diefem  Blatte 
und  feinen  Herausgebern  fprach.  In  we- 
nig Wochen  meldeten  fich'  alle  diefe  zur 
Subfcription.  Ihrem  Beyfpiele  folgten 
viele  andere  nach,  und  die  Zahl  unferer 
Subfcribenten  wuchs  immer  höher.  Diefs 
war  eine  der  erfien  guten  Wirkungen 
der  Mühe,  die  ich  darauf  verwendet  hat- 
te, meine  Gedanken  zu  Papier  bringen 
zu  lernen.  Ich  zog  hiervon  auch  noch 
den  \ ortheil,  dafs  die  Häupter  der  Pro- 
vinz, die  in  dem  Verfaffer  diefer  Blätter  . 
einen  Mann  erkannten,  der  fich  fo  gm 
auf  die  Feder  verftand,  es  für  rathfam 
hielten,  ihm  gute  Dienfie  zu  leiden  imd 
ihn  aufzumuntern. 


igo  Benjamin  Franklin’ä 

Bradford  druckte  noch  die  Motionen, 
Gefetze  und  andere  öffentliche  Schriften. 
Er  hatte  eine  Adreffe  der  Stände  an  den 
Statthalter  fehr  fchlecht  und  uncorrect  ge- 
druckt. Zierlich  und  correct  druckten 
wir  he  noch  einmal,  und  fchickten  jedem 
Mitgliede  ein  Exemplar  davon  zu.  Sie 
merkten  den  Unterfchied;  und  diefer 
verttärkte  den  Einflufs  unferer  Freunde 
unter  den  Ständen,  welche  uns  für  das 
folgende  Jahr  zu  ihren  Buchdruckern  er- 
nannten. 

Unter  den  Freunden,  welche  wir  in 
diefer  Verfammlung  hatten,  darf  ich  ei- 
nes ihrer  Mitglieder  nicht  vergehen.  Es 
ift  Herr  Hamilton , deffen  ich  oben  er- 
wähnt habe,  und  welcher  damals  von 
England  zurückgekommen  war.  Er  ver- 
wendete fich  bey  diefer  Gelegenheit  fehr 
kräftig  für  mich,  lo  wie  er  diefs  auch  in  der 
Folge  bey  vielen  andern  that,  und  mir  bis 
an  feinen  Tod  fein  Wohlwollen  fchenkte. 


Jugendjahre.  191 

Um  diefe  Zeit  foderte  Vemori,  jedoch 
el?en  nicht  dringend,  fein  Geld  wieder. 
Ich  fchrieb  ihm  einen  fchönen  Dankbrief 
und  bat  ihn  noch  ein  wenig  Gedult  zu 
haben,  womit  er  auch  zufrieden  war; 
und  lobald  ich  es  nur  möglich  machen 
konnte,  bezahlte  ich  ihm  Kapital  und 
Zinfen  mit  Aeufserungen  der  lebhafteren 
Erkenntlichkeit.  So  war  denn  diefer  Feh- 
ler meines  Lebens  einigermafsen  wieder 
getilgt. 

Aber  ich  gerieth  bald  in  eine  Verle- 
genheit, deren  ich  mich  nimmermehr 
verfallen  hätte.  Der  Vater  des  Herrn 
Merydith , der  laut  unferes  Vertrages  die 
ganze  Anlage  zu  unferer  Druckerey  hät- 
te herfchiefsen  follen,  hatte  nicht  mehr 
als  hundert  L.  Sterling  baar  bezahlt.  Der 
Kaufmann,  der  noch  einmal  fo  viel  zu 
fodern  hatte,  und  nicht  länger  warten 
wollte,  nahm  uns  allezufammen  in  An- 
fpruch.  Wir  Hellten  nun  zwar  Sicher- 


192  Benjamin  Franklin’s 

heit;  allein- mit  der  traurigen  Ausficht, 
dafs  wenn  das  Geld  um  die  beftimmte 
Zeit  nicl^t  vorhanden  wäre,  der  Procefs 
i'ogleich  ^ntfchieden , das  Urtheil  voll- 
ftreckt , alle  unfere  fchönen  Hoffnungen 
verfchwunden , und  wir  gänzlich  zu 
Grunde  gerichtet  feyn  würden.  Denn 
fowohl  Preffe  als  Schriften  liefen  Gefahr 
vielleicht  um  die  Hälfte  des  Werthes  zu 
Tilgung  der  Schuld  verkauft  zu  werden. 

In  diefer  Bedrängnifs  kamen  zwey 
wahrhafte  Freunde,  deren  edelmüthiges 
Verfahren  ich  nie  vergeffen  habe,  noch 
jemals  vergefTen  tverde,  fo  lange  nur  ir- 
gend etwas  in  meinem  Gedächmiffe  haf- 
tet, jeder  belonders  zu  mir,  ohne  dafs 
einer  von  dem  andern  etwas  wufste , und 
ohne  dafs  ich  mich  an  den  Einen  oder 
den  Andern  defsfails  gewendet  hatte. 
Jeder  von  ihnen  erbot  hebt  mir  die  ganze 
Summe  vorzufchiefsen,  welche  ich  nö- 
thig  haben  würde,  um  die  Wirdifchaft 


Jugendjalire.  193 

wo  möglich  ganz  allein  über  mich  zu 
nehmen,  weil  es  ihnen  nicht  anftimde, 
dafs  ich  die' Verbindung  mit  Meredith 
fortfetzte,  den  man  öfters,  wie  fie  fag- 

t 

ten,  auf  der  Strafse  betrunken,  und  in 
den  Wirthshäufern  böfe  Spiele  fpielen 
fähe , 'welches  unferm  Credite  fehr  nach- 
theilig wäre.  Diefe  beyden  Freunde  wa- 
ren Wilhelm  Culemann  und  Robert  Grace. 
Ich  antwortete  ihnen:  So  lange  es  wahr- 
lcheinlich  bliebe,  dafs  die  Meredith  den 
Contract,  fo  weit  ihnen  obläge,  erfül- 
len würden , fo  lange  könnte  ich  um  fo 
weniger  auf  eine  Trennung  antragen,  je 
mein  Dank  ich  ihnen  für  dasjenige  fcliul- 
dig  zu  feyn  glaubte,  was  fie  bereits  ge- 
ihan  hätten , und  auch  noch  thun  wür- 
den, wenn  es  ihnen  möglich  wäre.  Soll- 
ten üe  indelTen  ganz  offenbar  ihrer  Ver- 
bindlichkeit kein  Genüge  leihen,  fo  dafs 
unfere  Gemeinfcliaft  auf  hören  müfste, 
fo  würde  ich  mich  alsdann  erft  für  be- 

N 


1 94  Benjamin  Franklin’s 

fugt  achten,  die  Unterftützung  meiner 
Freunde  anzunehmen. 

In  diefer  Lage  blieben  die  Dinge  eine 
Zeitlang.  Eines  Tages  fügte  ich  zu  mei- 
uem  Gefährten : „Tin-  V ater  ift  vielleicht 
unzufrieden,  dafs  Sie  fich  mit  mir  einge- 
lafien  haben,  und  will'  für  uns  beyde 
nicht  thun,  was  er  für  Sie  allein  thun 
würde.  Wenn  das  ift,>  fo  geliehen  Sie 
mirs  aufrichtig.  Ich  werde  ihnen  dann 
gern  alles  allein  überladen,  und  mein 
Wefen  künftig  für  mich  befonders  trei- 
ben.,, „Nein,  antwortete  er,  mein  Va- 
ter ift  in  der  Tliat  in  feinen  Erwartun- 
gen hintergangen  worden;  er  fieht  fich 
aufser  Stande  zu  bezahlen,  und  ich  mag 
ihn  meinetwegen  nicht  mehr  in  Sorgen 
fetzen.  Ich  fehe,  dafs  ich  ganz  und  gar 
nicht  zum  Buchdrucker  tauge;  ich  bin 
zum  Landwirth  erzogen  worden,  und  es 

i 

war  eine  Thorheit  von  mir,  in  die  Stadt 
zu  kommen,  und  mich  in  einem  Alter 


Jugendjahre.  195 

von  dreyfsig  Jahren  noch  in  die  Lehre 
zu  einem  neuen  Handwerke  zu  begeben. 
Mehrere  von  uns  Wallifern  wollen  lieh 
in  Nord-Carolina  niederlaflen , wo  die 
Ländereyen  wohlfeil  find.  Ich  habe  Luft 
mit  ihnen  zu  ziehen,  und  meine  alte 
Handtliierung  wieder  zu  ergreifen.  Sie 
werden  unftreitig  Freunde  finden,  die 
Ihnen  helfen.  Wenn  Sie  die  gemein- 
fchaftlichen  Schulden  übernehmen,  mei- 
nem Vater  die  vorgefchofienen  hundert 
Pfund  Sterling  erftatten,  meine  kleinen 
Privatfchulden  berichtigen,  und  mir  noch 
dreyfsig  Pfund  Sterling,  .nebft  einem 
neuen  Sattel,  herausgeben  wollen,  fo 
will  ich  der  Gemeinfchaft  entfagen,  und 
Ihnen  alles  übrige  ganz  allein  über- 
laden. „ 

Ich  nahm  diefen  Vorfchlag  an,  ohne 

% 

mich  zu  bedenken.  Er  wurde  fogleich 
niedergefchrieben,  unterzeichnet  und  be- 
iiegelt.  Ich  gab  ihm , was  er  von  mix 

N n 


ig6  Benjamin  Fxanklin’s 

gefodert  hatte,  und  er  reifete  bald  nach 
Carolina  ab,  von  wannen  er  mir  im  fol- 
genden Jahre  zwey  lange  Briefe  fchrieb, 
welche  die  bellen  Nachrichten  von  die- 
fein  Lande  in  Anfehung  feines  Klima, 
Bodens,  Ackerbaues  u.  f.  w.  enthielten, 
die  darüber  zum  Vorfchein  gekommen 
find.  Denn  in  diefen  Dingen  war  er 
fehr  erfahren.  Ich  machte  fie  in  meinen 
Blättern  bekannt,  und  fie  wurden  über- 
aus wohl  aufgenommen. 

Sobald  er  abgereifet  war,  wendete  ich 
mich  an  meine  beyden  Freunde,  und 
da  ich  keinem  von  beyden  einen  den  an- 
dern kränkenden  Vorzug  geben  wollte, 
fo  nahm  ich  von  jedem  die  Hälfte  des 
Angebotenen  und  mir  Unentbehrlichen 
an.  Ich  bezahlte  die  gemeinfcliaftlichen 
Schulden,  und  fetzte  das  Gewerbe  in 
meinem  eigenen  Namen  fort,  nachdem 
ich  das  Publicum  forgfältig  benachrich- 
tigt hatte,  dafs  die  Gefellfchaft  aufgeho- 


Jugendjahre.  ng; 

ben  wäre.  Ich  glaube,  diefs  gefchali im 
Jahr  172g,  oder  ungefähr  um  diefe  Zeit. 

Um  ebendenfelben  Zeitpunct  verlang- 
te das  Volk  ein  neues  Papiergeld,  wo- 
von man  bisher  für  nicht  mehr  als  15,000 
L.  Sterling  gehabt  hatte,  welche  Summe 
der  Tilgung  nahe  war.  'Die  reichen  Ein. 
wohner,  eingenommen  gegen  alles  Pa- 
pier diefer  Art,  aus  Furcht,  dafs  es , wie 
in  Neu -England  zum  Nachtheil  aller 
Gläubiger,  im  Preife  fallen  würde,  wider- 
fetzten fich  diefei;  Foderung.  Wir  hat- 
ten diefen  Gegenftand  in  unferm  Junta 
bereits  erörtert,  wofelbft  ich  mich  für  die 
neue  Papiermünze  erklärt  hatte.  Denn 
ich  war  überzeugt,  dafs  die  erfte  kleine 
im  Jahr  1723  verfertigte  Summe  der  Pro- 
vinz fehr  vortheilhaft  gewefen  war,  in- 
dem be  den  Handel,  den  Fleifs  und  die 
Bevölkerung  begünftigt  hatte,  fo  dafs 
man  gegenwärtig  nicht  nur  alle  Häufer 
bewohnt,  fondern  auch  noch  viele  neue 


ig8  Benjamin  Franklin’ s 

aufbauen  fah.  Ich  erinnerte  mich  fehr 
wohl,  dafs,  als  ich  das  erflemal  mit  meh 
nem  Brot  auf  der  Fauft  die  Gaffen  von 
Pliiladelphia  durchwanderte,  an  den  mei- 
nen Häufern  in  Valnut -ftreet,  zwifchen 
Second- ftreet  und  Fourth-ltreet,  fo  wie 
auch  fehr  viele  in  Chesnut  - ftreet  und 
anderwärts,  Miethtäfelchen  hingen,  wel- 
ches mich  damals  auf  die  Gedanken 
brachte,  dafs  die  Einwohner  einer  nach 
dem  andern  diefe  Stadt  verliefsen. 

V ermittelft  unferer  Debatten  hatte  ich 
mich  diefes  Gegenftandes  dermafsen  be- 
mächtigt, dafs  ich  ein  anonymifches 
Pamphlet  über  die  Befchaffenheit  und  die 
Nothwendigkeit  des  Papiergeldes  fchrieb 
und  druckte.  Diefes  wurde  von  der  ge- 
ringem Volksklaffe  überall  fehr  wohl  auf- 
genommen, dagegen  aber  mifsfiel  es  den 
Weichen,  weil  es  das  Gefchrey  nach  ei- 
ner neuen  Papiermünze  vermeinte  und 
verftärkte.  Als  fich  indeffen  kein  Schrift- 


Jugendjahre.  399 

heller  unter  ihnen  fand,  der  darauf  zu 
antworten  im.  Stande  gewefen  wäre,  fo 
erfchlaffte  ihr  Widerfland,  und  das  Pro- 
ject  ging  durch,  da  auch  die  Majorität 
der  Stände  dafür  eingenommen  war.  Die 
Freunde , die  ich  mir  in  diefer  Verfamm- 
lung  gemacht,  überzeugt,  dafs  ich  bey 
diefer  Gelegenheit  gute  Dienfte  geleiftet 
hatte,  hielten  dafür,  dafs  man  zu  meiner 
Belohnung  diefe  Papiere  bey  mir  drucken 
lafTen  müfste.  Diefe  Arbeit  war  für  mich 
einträglich,  und  kam  mir  ungemein  zu 
hatten.  Wieder  ein  Vortheil,  den  ich 
der  Fertigkeit  zu  fchreiben  verdankte. 

Zeit  und  Erfahrung  bewährten  fo  of- 
fenbar  den  Nutzen  des  Papiergeldes,  dafs 
es  in  der  Folge  niemals  mehr  fonder- 
lichen Widerfpruch  erfuhr.  Es  flieg  da- 
her bald  bis  auf  die  Summe  von  55,000 
und  im  Jahr  1739  gar  %o,ooo  L.  Sterl. 
Nach  diefer  Zeit  ift  im  letzten  Kriege 
die  Summe  bis  zu 350,000  L.  Sterl.  erhö- 


2do  Benjamin  Franldin’s 

het  worden,  indem  der  Handel,  die  An- 
baue und  die  Zahl  der  Einwohner  mitt- 
lerweile immer  zugenommfen  haben. 
Gleichwohl  bin  ich  gegenwärtig  über- 
zeugt,  dafs  es  auch  Gränzen  gibt,  jen- 
feit  welcher  das  Papiergeld  nachtheilig 
werden  kann. 

Durch  die  Vermittlung  meines  Freun- 
des Hamilton  erhielt  ich  bald  nachher 
auch  den  Druck  der  Papiermünze  von 
Neivcaßle , welchen  ich  wieder  für  ein 
einträgliches  Gefchäft  anfehen  konnte. 
Denn  Leuten  von  geringem  Vermögen 
erfcheinen  auch  Kleinigkeiten  anfehn- 
licli;  und  in  der  That  gereichte  mir  al- 
les das  zu  fo  gröfserm  Vortheile,  je  mehr 
ich  dadurch  aufgemuntert  wurde.  Er 
verfchafl'te  mir  auch  den  Druck  der  Ver- 
ordnungen und  Motionen  in  diefer  Statt- 
halterfchaft,  und  diefe  Arbeit  blieb  in 
meinen  Händen,  fo  lange  ich  die  Kunlt 
trieb. 


Jugendjahre.  201 

Ich  eroffnete  damals  auch  einen  klei- 
nen Papierwaarenladen;  und  führte  darin 
weifse  Bücher  von  allerley  Format,  fo 
fauber,  als  man  fie  je  bey  uns  gefehen 
hatte.  Bey  diefem  Gefchäfte  half  mir  mein 
Freund  Brintnall.  Ich  führte  auch  Pa- 
pier, Pergament,  Pappe,  Bücher  u.  f.  w. 
Ein  gewiffer  Wite-mach,  ein  Setzer,  den 
ich  als  einen  vortrefflichen  Arbeiter  zu 
London  kennen  gelernt  hatte,  bot  mir 

feine  Dienfte  an;  ich  nahm  ihn  an,  und 

» 

er  hielt  fleifsig  bey  mir  aus.  Auch  nahm 
ich  einen  Lehrling , einen  Sohn  des 
Aquila-Rofa,  an. 

Von  jetzt  an  bezahlte  ich  nach  und 
nach  die  Schuld,  die  ich  für  die  Dru- 

ckerey  hatte  machen  müffen.  Um  mei- 

\ 

nen  Credit  und  Gharacter  als  Kaufmann 
zu  behaupten,  bemühte  ich  mich  nicht 
nur  in  de.r  That  fleifsig  und  fparfam  zu 
feyn,  fondern  auch  allen  Schein  des  Ger 
gentheils  zu  vermeiden.  Ich  ging  ganz 


202 


Benjamin  Franklin’s 

einfach  'gekleidet  einher;  und  nie  fall 
inan  mich  an  irgend  einem  öffentlichen 
Lullorte.  Ich  ging  weder  auf  Fifchen 
noch  Jagen  aus.  Ein  Buch,  und  die 
Wahrheit  zu  geliehen,  bisweilen  ein 
felbll  verfertigtes  war  meine  ganze  Aus- 
fcliweifung;  aber  diefs  doch  nur  feiten, 
heimlich  und  ohne  Aergernifs.  Und  um 
zu  zeigen,  dafs  ich  mich  felbll  nicht  bef- 
fer  als  mein  Gewerbe  dünkte,  fo  fchob 
ich  bisweilen  das  Papier,  welches  ich  in 
den  Magazinen  gekauft  hatte,  auf  einem 
Schiebekarren  über  die  Strafse  nach  mei- 
nem Haufe. 

Auf  diefe  Weife  wurde  ich  überall 
als  ein  junger  diätiger  Mann  und  pünkt- 
licher Bezahler  bekannt.  Die  Kaufleule, 
welche  Papierwaaren  einführten,  Juch- 
ten meine  Kundfchaft.  Andere  erboten 
fich,  mich  mit  Büchern  zu  verfehen ; und 
mein  kleiner  Handel  ging  immer  belfer. 


Jugendjahre.  203 

Während  diefer  Begebenheiten  ver- 
fielen Keimers  Credit  und  Handel  von 
Tage  zu  Tage  fo  felir,  dafs  er  endlich 
aus  Noth  und  zu  Befriedigung  der  Gläu- 
biger feine  Druckerey  verkaufte , und 
nach  Barbados  ging,  wo  er  noch  eine 
Zeit  lang  in  höchft  armfeligen  Umflan- 
den  lebte.  Sein  Lehrling,  David  Harry , 
den  ich  während  der  Zeit,  da  ich  bey 
Ktimern  arbeitete,  unterrichtet  hatte,  kauf- 
te feine  Gerädifchaften,  und  liefs  fich  an 
feiner  Stelle  nieder.  Anfänglich  furch  ■ 
tete  ich  an  dem  Harry  einen  mächtigen 
Mitbuhler  zu  bekommen,  weil  er  zu  ei- 
ner angefehenen  und  vielgeltenden  Fa- 
milie gehörte.  Ich  bot  ihm  daher  einen 
Gefellfchaftsvertrag  an,  den  er  aber  zu 
meinem  Glücke  mit  der  gröfsten  Verach- 
/ tung  von  fich  wies.  Er  war  äufserft 
hofärtig,  trug  fich  wie  ein  kleiner  Prinz, 
machte  Aufwand,  und  lief  allen  Lufl- 
barkeiten  aufserm  Haufe  nach.  Darüber 


Q04  Benjamin  Franklin's 

gerieth  er  in  Schulden,  vernachläfliigte 
feine  Arbeit,  und  die  Arbeit  verliefs  ihn. 
Als  im  Lande  fich  gar  bald  nichts  mehr 
für  ihn  zu  thun  fand,  fo  folgte  er  Kei- 
rrurn  nach  Barbados  nach,  und  nahm  die 
Druckerey  mit.  Hier  nahm  diefer  Lehr- 
burfche  feinen  alten  Lehrherrn  zum  Tag- 
löhner an.  Sie  geriethen  oft  zufammen 
in  Streit.  Harry  kam  immer  weiter  zu- 
rück, und  fall  fich  endlich  genöthigt,  fei- 
ne Lettern  zu  verkaufen  und  zu  feiner 
Feldarbeit  in  Penfylvanien  zurückzukeh- 
ren. Derjenige,  der  fie  kaufte,  nahm 
Keimern  an,  um  Vortheil  davon  zu  zie- 
hen, allein  diefer  ftarb  wenige  Jahre 
darnach. 

Es  blieb  mir  alfo  zu  Philadelphia 
kein  anderer  Mitbewerber  übrig,  als  Brad- 
ford. Allein  diefer  war  ziemlich  reich, 
veranfialtete  höchftens  von  Zeit  zu  Zeit 
einen  Druck  durch  durchreifende  Gefel- 
len,  und  bekümmerte  fich  nicht  fonder- 


Jugendjahre.  QÖ5 

lieh  um  die  Arbeit.  Da  er  indeßen  das 
Pqftamt  verwaltete , fo  glaubte  man,  dafs 
er  befler  im  Stande  wäre,  das  Neuelle 
zu  liefern.  Seine  Zeitung  galt  für  eine 
hellere  Verbreiterinn  von  Anzeigen,  als 
die  meinige,  mithin  erhielt  er  deren 
auch  weit  mehrere  zum  einrücken;  und 
diefs  brachte  ihm  eben  fo  vielen  Vor- 
theil, als  mir  Schaden.  Ich  mochte  im 
mer  meine  Blätter  mit  der  Poll  erhalten 
und  abfenden,  das  Publicum  wähnte 
dennoch  das  Gegentheil,  weil  ich  das 
nicht  anders  bewerkllelligen  konnte,  als 
durch  Behechung  der  Pollknechte,  die 
fich  daher  nicht  anders , als  nur  heimlich 
damit  befallen  konnten,  indem  Bradford 
unedel  genug  war,  es  ihnen  zu  verbie- 
ten. Dieses  Verfahren  verdrofs  mich  un- 
gemein,  und  ich  mifsbilligte  es  an  ihm 
fo  felir,  dafs,  als  ich  in  der  Folge  mich 
an  feiner  Stelle  befand,  ich  mich  gar  fehr 
hütete,  ihm  nachzuahmen. 


ao6  Benjamin  Franklin’s 

Bis  dabin  war  icli  bey  Godfrey , der 

% 

nebft  Frau  und  Kindern  einen  Theil  mei- 
nes Haufes  und  die  Hälfte  meines  La- 
dens zum  Behuf  feines  Glaferhandwerks 
inne  hatte,  in  die  Kofi;  gegangen.  Er 
arbeitete  fehr  wenig,  indem  er  immer 
in  feine  Mathematik  vertieft  war.;  Mi- 
flrifs  Godfrey  fetzte  lieh  in  den  Kopf  mich 
mit  der  Tochter  Eines  ihrer  Verwandten 
zu  verheiradien.  Sie  fuchte  uns  Gele- 
genheiten zu  öftern  Zufammenkünften 

O 

zu  verfchaffen,  bis  fie  wahrnalim,  dafs 
ich  mich  ernlllich  einliefs,  welches  eben 
nicht  fcliwer  war,  da  das  Mädchen  we- 
gen feiner  perfönlichen  Eigenfchaften 
diefes  gar  fehr  verdiente.  Die  Eltern 
munterten  meine  Anwerbungen  dadurch 
auf,  dafs  fie  mich  immer  zum  Abend- 
elfen  einluden,  und  uns  fo  oft  zufam- 
men  allein  liefsen,  dafs  es  endlich  zu 
Erklärungen  kommen  mufste.  Miflrifs 
Godfrey  nahm  es  auf  fich,  unfern  klei- 


Jugendjahre.  qo? 

nen  Ehevertrag  zu  vermitteln.  Ich  kün- 
digte ihr  an , dafs  ich  mit  dem  Mädchen 
eine  Summe  Geldes  erwartete,  wovon 
ich  wenigftens  meine  auf  die  Druckerey 
noch  rückftandige  Schuld  abtragen  könn- 
te. Diele  betrug,  glaube  ic^i,  damals 
nicht  mehr  über  hundert  Pfund  Sterling. 
Millrifs  Godfrey  brachte  mir  zur  Antwort, 
dafs  man  eine  folche  Summe  jetzt  nicht 
vorräthig  hätte.  Ich  bemerkte,  dafs  man 
das  Geld  gegen  Verpfändung  des  Kau- 
fes wohl  beym  Leihhaufe  erhalten  könn- 
te. Nach  einigen  Tagen  lautete  die  Ant- 
wort hierauf  dahin,  dafs  man  die  Hei- 
rath  nun  doch  nicht  für  zuträglich  hielte; 
dafs  man  üch  bey  Bradford  erkundigt 
und  erfahren  hätte , die  Buchdruckerpro- 
fefiion  bringe  nicht  viel  ein;  die  Schrif- 
ten würden  fich  bald  abgenützt  haben  i 
und  dann  würden  neuq  nöthig  feyn; 
J.  Keimer  und  David  Harry  wären  etner 
nach  dem  andern  zu  Grunde  gegangen, 


co  8 Benjamin  Franklin’s 

und  mir  würde  es  wahrfcheinlich  nicht 
befler  ergehen.  Man  verbot  mir  daher 
nunmehr  das  Haus , und  fperrte  das 
Mädchen  ein.  Ich  kann  nicht  Tagen,  ob 
man  in  der  That  feine  Geünnungen  ge- 
ändert hatte,  oder  ob  dieis  nur  ein  Kuuft- 
fhickchen  war,  indem  man  vielleicht 
glaubte , dafs  wir  uns  fchon  allzu  tief  mit 
einander  eingelaflen  hätten,  um  von  ein- 
ander abzuflehen,  und  dafs  wir  uns  da- 
her wohl  heimlich  zu  verbinden  fuchen 
möchten,  wodurch  denn  die  Eltern  Frey- 
heit  erhalten  würden,  nach  Belieben  zu 
geben,  oder  abzufchlagen.  Da  ich  diefs 
argwöhnte,  fo  verdrofs  mich  der  Han- 
del, und  ich  ging  nicht  mehr  hin. 

Einige  Zeit  darnach  Tagte  mir  Miflrifg 
' Godfrey , wie  man  jetzt  in  der  vortheil- 
hafteften  Stimmung  für  mich  wäre,  und 
wollte  mich  daher  wieder  auf  den  vori- 
gen Weg  bringen.  Aber  ich  erklärte  ihr, 
dafs  ich  fehle ch ter di ngs  mit  diefer  Fa- 
milie 


Jugendjahre.  209 

mllie  nichts  mehr  zu  thun  haben  wollte. 
Die  Godfreys  wurden  darüber  empfind- 
lich. Von  nun  an  konnten  wir  keines 
Handels  mehr  eins  werden,  fie  zogen 
aus , und  iiberliefsen  mir  das  ganze  Haus 
allein.  Ich  bemhlofs  jetzt  keine  Mietlis- 
leute  wieder  einzunehmen.  Da  diefer 
Vorgang  mich  nun  einmal  zur  Heirath 
gefiimmt  hatte,  fo  fchaute  ich  umher, 
und  machte  anderwärts  meine  Amver- 
bungen. Allein  ich  fand  gar  bald,  dafs 
man  die  Buchdruckerkunft  allgemein  für 
ein  armfeliges  Gewerbe  hielt,  und  dafs 
ich  daher  wohl  kaum  auf  eine  Frau  mit 
Geld  rechnen  dürfte,  wenn  ich  anders 
nicht  auf  jede  andere  Annehmlichkeit 
Verzicht  thun  wollte.  Unterdefien  ver- 
flocht mich  diefe  jugendliche  Leiden- 
fchaft,  die  fo  fchwer  zu  bezähmen  ifl, 
nicht  feiten  in  Intriguen  mit  verworfenen 
/ Frauensperfonen,  die  mir  hier  und  da 
auffiiefsen.  -Allein  diefs  ging  nicht  ohne 

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Benjamin  Franklin’s 

Kotten  und  Unbequemlichkeiten  ab,  der 
Gefahr  nicht  zu  gedenken,  die  ich  be 
händig  lief,  meine  Gefundheit  zu  fchwä- 
chen,  oder  gar  eine  Krankheit  aufzule- 
fen,  die  ich  über  alles  fürchtete.  Ich 
war  aber  doch  glücklich  genug,  diefer 
Gefahr  zu  entgehen. 

Als  Nachbar  und  alter  Bekannter  hatte 
ich  mit  der  Familie  der  Mifs  Read  ein 
freundfchafdiches  Verkehr  unterhalten. 
Ihre  Eltern  waren  mir  immer  gewogen 
geblieben,  feitdem  ich  in  ihrem  Haufe 
gewohnt  hatte.  Ich  wurde  öfters  zu  ihnen 
eingeladen;  fie  fragten  mich  über  ihre 
Angelegenheiten  um  Rath;  und  ich  war 
ihnen  bisweilen  nützlich  gewtfen.  Mich 
rührte  die  unglückliche  Lage  ihrer  Toch- 
ter, die  melancholifch  und  feiten  munter 
war,  und  immer  die  Einfamkeit  fachte. 
Ich  fall  meine  Unbefonnenlieit  und  Un- 
beftändigkeit  während  meines  Aufenthal- 
tes in  London  für  die^Haupturfache  ih- 


Jugendjahre.  211 

res  Unglücks  an;  obgleich  ihre  Mutter 
treuherzig  genug  war,  lieh  felbft  weit 
mehr  Schuld  beyzumeflen,  als  mir,  weil 
he  nicht  nur  vor  meiner  Abreife  die 
Heirath  verhindert,  fondern  ihre  Toch- 
ter auch  vermocht  hatte,  während  mei- 
ner Abwefenheit  einen  andern  zu  hei- 
rathen. 

Unfere  gegenfeitige  Zuneigung  er- 
wachte  wieder,  allein  es  fetzten  hch  da- 
mals unferer  Verbindung  mächtige  Hin- 
dernifle  entgegen.  Ilu-e  erfle  Heirath 
hielt  man  freylich  nicht  für  gültig,  indem, 
wie  die  Rede  ging,  noch  eine  erfle  Frau 
in  England  am  Leben  war;  allein  es  hielt 
fchwer  bey  einer  fo  grofsen  Entfernung 
die  Beweife  herbeyzufchaffen;  und  ob 
hch  auch  gleich  das  Gerücht  verbreitete, 
dafs  ihr  Mann  geflorben  wäre,  fo  hatten 
wir  doch  einestheils  davon  keine  Gewifs- 
heit,  anderntheils  hatte  er  auch  viel 
Schulden  binterlaffen , um  derentwillen. 

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2 1 2 Benjamin  Franklin’ s 

vielleicht  fein  Nachfolger  in  Anfpruch 
genommen  werden  konnte.  Wir  fetzten 
uns  indeflen  kühnlich  über  alle  diefe  Be- 
denklichkeiten hinaus,  und  ich  heirathe- 
te  he  am  erften  September  1730.  Nichts 
von  allen  dem,  was  wir  befürchtet  hat- 
ten, widerfuhr  uns.  Sie  wurde  für  mich 
eine  gute  und  getreue  Lebensgefahrtinn, 
und  half  mir  gar  fehr  meinen  Laden  in 
Aufnahme  bringen.  Wir  kamen  gut  mit 
einander  fort,  und Jaeftrebten  uns  immer 
wechfelsweife  einander  glücklich  zu  ma- 
chen. Auf  diefe  Weife  verbefierte  ich 
denn,  fo  gut  ich  konnte,  diefen  grofsen 
Fehltritt  meiner  Jugend. 

Unfer  Club  war  damals  noch  in  keine 
Schenke  verlegt.  Wir  verhimmelten  uns 
beym  Herrn  Grace,  der  einen  Theil  fei- 
nes Haufes  dazu  gewidmet  hatte.  Eines 

Tages  bemerkte  Einer  von  uns,  da  bey 

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unfern  Unterfuchungen  über  die  vorge- 
legten Fragen  unfere  Bücher  öfters  an- 


Jugendjahre.  213 

geführt  würden,  fo  würde  es  bequem 
feyn,  he  alle  an  unferm  Verfammlungs- 
orte  beyfammen  zu  haben , um  im  Falle 
der  Noth  fogleich  naclifchlagen  zu  kön- 
nen. Wenn  wir  folchergeftalt  aus  un- 
fern befondern  Bibliotheken  eine  gemein- 
fchaftliche  machten,  fo  gewönne  jeder 
von  uns  den  Vortheil,  auch  von  den 
Büchern  der  übrigen  Mitglieder  Ge- 
brauch machen  zu  können,  welches  fall 
eben  fo  viel  werth  wäre,  als  wenn  ein 
Jeder  he  insgefamt  felbft  befäfse.  Diefs 
fand  Beyfall  und  wurde  ausgeführt.  Wir 
brachten  alle  Bücher,  die  wir  entbehren 
zu  können  glaubten,  in  den  Verfainm- 
lungsfaal.  Die  Anzahl  war  nicht  fo  grofs, 
als  wir  geglaubt  hatten.  Ob  he  aber 
gleich  häufig  von  uns  gebraucht  worden 
waren,  fo  bellimmten  uns  doch  einige 
Unannehmlichkeiten , die  von  einem 
Mangel  an  Sorgfalt  herrührten,  die 
Sammlung  nach  Jahresfrift  wieder  ziu 


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q 14  Benjamin  Franklin’s  Jugendjalire. 

zerreifsen;  und  jeder  nahm  feine  Bücher 
wieder  zu  ficli  in  feinffaus. 

Um  diefe  Zeit  that  ich  meinen  erflen 
Vorfchlag  zu  einer  öffentlichen  Lefean- 
ftalt,  vermitteln;  einer  auf  Subfcription 
anzulegenden  Bibliothek.  Ich  verfertigte 
einen  Profpectus;  liefs  die  Bedingungen 
dazu  von  uriferm  berühmten  Notarius 
Br  och  den  förmlich  entwerfen,  und  mein 
Project  gelang,  wie  man  in  der  Folge 
fehen  wird. 

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