AUGUST SCHMARSOW
BEITRÄGE ZUR AESTHETIK DER BILDENDEN KÜNSTE
IL
BAROCK UND ROKOKO
EINE KRITISCHE AUSEINANDERSETZUNG
ÜBER
DAS MALERISCHE IN DER ARCHITEKTUR
LEIPZIG
VERLAG VON S. HIRZEL
1897.
BAROCK UND ROKOKO
EINE KRITISCHE AUSEINANDERSETZUNG
ÜBER
DAS MALERISCHE IN DER ARCHITEKTUR
VON
AUGUST SCHMARSOW
LEIPZIG
VERLAG VON S. HIRZEL
1897.
Das Recht der Uebersetzung ist vorbehalten.
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llßRÄP/
Die Einordmmg des nachstehenden Versuches
über Barock tmd Rokoko in eine Reihe von „Bei-
trägen zur Aesthetik der bildenden Künste" zeigt
den Kunsthistorikerit von vornherein, dass er keine
Vermehrung oder Verbesserung der Quellenstudien
beabsichtigt. Es kommt mir diesmal allein auf die
Klärtmg und Durchführung der Grundbegriffe vo7n
Wesen der drei Künste, Malerei, Plastik und Archi-
tektur an, mit deren Hilfe meiner Überzeugting
nach eine annehmbare Grundlage für die Beurtei-
lung des geschichtlichen Verlaufes allein gewonnen
werden kann. Wenn der erste Teil dieser Beiträge
den Grundbegriff des Malerischen besonders in der
Malerei zu fassen versuchte , in dem er zur gene-
tischen Erklärung dieses eigensten Wesens ztigleich
die geschichtliche Entwickelung bis ztim vollen Be-
wusstsein der ,, Malerkunst'' verfolgte , so giebt der
hier folgende ,,eine kritische Azcs einander setztmg
über das Malerische in der Architektur" . Atich
hier wird die Frage: ,,zvie kann die Batcktmst male-
risch werden?" im unmittelbaren Anschluss an ge-
schichtliche Tatsachen erörtert, ibidem sich an
eine prinzipielle Vorbereitung , vom ästhetischen wie
Schmarsow, Barock und Rokoko. 1
2
vom historischen Standpunkte aus, die Bctrachttcng
der })estimmten Periode^i im Entwickelungsgang
der Künste schliesst^ die nach allgemei7tem Urteil
unter dem Zeichen des Malerischen" gestandeji
haben.
So hoffe ich nicht allein zur Aesthetik der bil-
denden Künste beizutragen , indem ich, unter dejfL
Gesichtspunkt des „Stiles'' dieser drei Schwestern, vor-
urteilsfreie Analyse historischer Erscheinungen dar-
biete, sondern auch der Kunstgeschichte einen Dienst
zu erweisen, indem ich ihr über die Befangenheit
des augenblicklichen Standpunktes, besonders diesen
letzten Jahrhtmderten gegenüber, hinweghelfe, soviel
ein Einzelner dazu mitwirken mag. Ausschliessliche
Bewunderung der sogenannten klassischen Zeiten
— an sich schoit unhistorisch i7t hohem Grade —
beharrt auf der einen Seite noch imiJier in Vor-
urteilen, denen sich die unläugbaren Errtmgen-
schaften dieser sogenannten Verfallzeit natürlicher-
weise verbergen oder doch verzerren. Auf der
andern Seite kann die einseitige Bervorzugung der
Malerei , die während des Barock so 7na7inichfach
und erfreulich emporblüht, oder die ebenso einseitige
Beachtung der Kunstgewerbe , der Dekoration oder
Orna^nentik , von der die Beurteilung des Rokoko
fast allein ausgeht, nur jeden Weg zum inner-
sten Verständnis des geschichtlichen Prozesses ver-
schliessen. Die gemeinsame Voraussetzung für unser
Urteil muss sich überall in der Kunstgeschichte auf
das Verhältnis der drei Hauptkünste zu einander
II gründen; eine Verschiebung in diesem Verhältnis
3
bedingt den Wechsel der Stile, bestimmt die A bfolge ^
der Perioden, die wir zu unterscheiden haben, ganz
abgesehen von den Jahrhunderten unserer Kalender-
rechnung, wie von der Periodenteilung unserer
,, politischen" Geschichte. Selbst der Anschluss an
die Ktdturgeschichte bleibt gefährlich , solange die
Kunstgeschichte sich nicht auf ihre eignen Füsse
gestellt und auf ihnen allein zti gehen gelernt hat;
denn bis dahin kann sie nur in Abhängigkeit ge-
raten von ihrer Führerin, die sie gelegentlich mit-
zumachen verlockt , was für sie selbst nur Seiten-
sprünge bedetUet. Das Hauptanliegen des Kunst-
historikers, der hier redet, ist also die Verbindtmg
ästhetischer und historischer Erkenntnis der Kunst,
die allein tmsere Kunstwissenschaft zu dieser Selbst-
besinnung bringen wird. Dass auch dieser Anlauf
schon dazu beitragen möge , bleibt vorerst vielleicht
ein frommer Wunsch: für nichts sind Leute so
schwer zti haben, gesteht sich Goethe, als für jed-
wedes Ding, das eine Folge hat.
Die Lehrtätigkeit dieser letzten Jahre ver-
anlasst mich, meinen Versuch auch in der kurso-
rischen Form zti veröffentlichen wie er vorliegt;
demi ich sehe, dass einer jüngeren Generation von
Fachgenossen aus dem gegenwärtigen Stand dieser
Fragen tiefgehende und verhängnisvolle Missver-
ständnisse erwachsen , und vermag doch selbst die
allseitige Ergänztmg durch eine Reihe von Mono-
graphiert, die hier erfordert würde , noch nicht in
Angriff zu nehmen oder überhaupt nicht allein zu
liefern. Dennoch eine solche Orientierung für alle
4
ferneren Eroberungszüge in dieses Land zu er-
bringen wagen, ist eine Kühnheit , aber auch eine
Pflicht des Lehrers , sobald er ihre Notwendigkeit
erkannt hat.
Ebendeshalb bift ich in den Gränzen einer „kri-
tischen Auseinandersetzung" geblieben, die ein ehr-
liches Ri7ige7i mit den Ansichten Anderer verlangt,
und seien es die Besteji meiner Wissenschaft selber.
I.
AESTHETISCHE UND GESCHICHTLICHE
VORBEREITUNG
I. MALERISCHE GESICHTSPUNKTE IN DER
BAUKUNST
rchitektur ist ihrem innersten Wesen nach
Raumgestaltung. Solange sie unmittelbar
dem dunklen Drange des schöpferischen
Triebes folgt, bewegt sie sich im Sinne des Raum-
willens; sie vollzieht sich in der Richtung unseres
Vorwärtsgehens , Vorwärtshantierens und Vorwärts-
sehens, also in der dritten Dimension. Die Raum-
entfaltung vom menschlichen Subjekt aus bildet ihre
natürlichste Aufgabe, und das Hinausschieben der
Gränze vom Anfang bis ans Ende bleibt die Haupt-
sache für die Gewinnung des Spielraums, der die
eigene Person umschliessen soll, während die seit-
lichen Verbindungen dazwischen links und rechts
sich im Entlanggehen wie von selber ergeben. So
entsteht, ob in dürftigen Zeichen der Phantasie, ob
in vollständiger Durchführung für die Wirklichkeit, das
Raumgebilde, das wir in treffender Bezeichnung des
6
Aesthetische Vorbereitung
Notwendigen ,,unsre vier Wände" nennen. Damit
kennzeichnet die Sprache den gewollten Raumaus-
schnitt als begränzt nach vorn wie hinten , nach
rechts und links. Der Grund und Boden unter un-
sern Füssen versteht sich von selbst , nämlich als
Voraussetzung unsres menschlichen Raumgefühls,
wie es sich in aufrecht stehenden und gehenden
Wesen wol ausbilden muss. Der Decke dagegen
vermag unser aesthetisches Bedürfnis lange zu ent-
raten, wie in allen Raumgebilden unter freiem Him-
mel; das praktische Bedürfnis, das den oberen Schutz
ebenso früh erheischt, darf über diese Tatsache nicht
täuschen. Noch unbefangener redet im selben Sinn
die andre Bezeichnung des Volksmundes: ,,unsre
vier Pfäle". Man darf in der Wahl dieses Ausdrucks
nicht etwa, wie es heute nahe liegt, einen Hinweis
auf die konstruktive Unentbehrlichkeit der Träger
erblicken, sondern vielmehr den auf di# sinnHche
Unentbehrhchkeit des sichtbaren, tastbaren, haltbaren
Zeichens. Vier aufrechte Grade stehen da wie Ab-
geordnete unsres Willens. Wenn unsre Augen sie
erblicken, unsre Hände sie greifen, unsre Füsse sich
daran stossen, so gelten sie, — in ihrem besondern
Auftrag, — für unsersgleichen. Aber nicht das einmal
ist in voller Körperlichkeit vonnöten; vier Stangen,
ja vier feste Punkte schon genügen, um zu williger
Ergänzung des ganzen Innenraums dazwischen heraus-
zufordern.
Das Raumvolumen also, das den Menschen als
Spielraum umgiebt, ist das zunächst Gewollte, nicht
die Aufrichtung körperlicher Dinge, die wir zu dessen
Architektonischer Standpunkt
7
Versinnlichung brauchen. Alle statischen und me-
chanischen Vorkehrungen, wie alle materielle Durch-
führung des Wandschlusses sind nur Mittel zum
Zweck, zur Verwirklichung der dunkel geahnten oder
klar vorschwebenden Idee des architektonischen
Schaffens. Dass sich die Entwicklung freiHch vom
ahnungsvollen Triebe zu absichtsvollem Plane nur
an der Hand dieser greifbaren Mittel und technischen
Erfahrungen hindurchringt, dass auch das werdende
Raumgebilde erst im Vollzug der Verwirklichung
sich auswächst und auf diesem Wege gar manche
Verwandlung erleben mag, ist fast allzu selbstver-
ständlich, um noch wiederholt zu werden. Nur muss
man nicht meinen, damit irgend ein Vorrecht des
HandwerkUchen vor dem Künstlerischen begründen
zu können, oder als psychologischen Grundsatz hin-
stellen zu dürfen, unser aesthetisches Wollen könne
keinen andern Ursprung haben als aus dem prak-
tischen Vermögen.
Hier besonders kommt es nur darauf an, für
die Architektur als Kunst an dem Prinzipe festzu-
halten, dass die Raum ge staltun g allem Eingehen
auf Körperbildung voran Hegt. Der Raumwille
ist die lebendige Seele der architektonischen
Schöpfung. Schon im Wurm, der sich seinen Weg
in das Häuschen des Apfels bahnt, liegen die An-
fänge dieser Betätigung, die der Höhlenbau des Bibers
wie des Troglodyten auf höherer Stufe zeigt, aber
die Honigwabe der Biene nicht minder, hier Additions-,
dort Subtraktionsverfahren. Und wie der Augur im
Templum, den der Wink seines Lituus abgegränzt
8
Aesthetische Vorbereitung
hat, steht das geistig entwickelte Subjekt in seinem
Raumgebilde, das jeder materiellen Existenz entbehrt.
Das andre noch so gleichartig organisierte Wesen,
das von aussen kommt , sieht vielleicht garnichts.
Wahrzeichen oder Mahnrufe müssen erst warnen.
Sowie aber die vier Pfäle oder gar die vier Wände
dastehen, vermag das fremde Subjekt den Raum-
ausschnitt als Ganzes im allgemeinen Raum an-
zuerkennen. Nun erst betrachtet auch das schaffende
Subjekt, wenn es hinaustritt, das eigne Raumgebilde
als Gegenstand der weiten Aussenwelt umher, erfasst
es als Raumkörper, der immer selbständiger nach
seinen Aussenseiten nur sich geltend macht, wie er
dem Unbefangenen, der den Innenraum noch nicht
kennt, nur als Körper vor die Sinne tritt. Und
dieses Absehen auf die körperliche Aussenseite kann
wol die Raumbildung des Innern so stark über-
wuchern, dass man der letztern, obgleich sie den
Kern des Ganzen giebt, wie bei der Pyramide fast
vergisst.
Damit beginnt die Auffassung des Gebäudes
vom plastischen Gesichtspunkt nach Analogie
des menschlichen Körpergefühles ihr Spiel. Ueber-
einstimmung mit Gehaben und Gewächs der Lebe-
wesen führt zur Anerkennung all der Vergleiche, die
wir unter dem Namen Organisation zusammen-
fassen. Uebereinstimmung mit den Körpergebilden
der unorganischen Natur dagegen zur Anerkennung
all der Unterschiede von uns, die wir zuni Ausdruck
ihrer starren Gesetzlichkeit wol am besten als Kry-
stallisation bezeichnen. Beide Vergleichsreihen
Plastischer Standpunkt
9
durchverfolgt führen zur Erkenntnis , dass die archi-
tektonische Schöpfung nicht ganz in ihnen aufgeht.
Beides, Organisation wie Krystallisation , sind Me-
taphern; es bleibt ein Rest: das menschUche Raum-
gebilde ist weder ein Lebewesen, wie die Geschöpfe
der organischen Natur, noch ein Produkt der un-
organischen Natur, gleich dem Felsgrat, der Metall-
ader , dem Schneestern , die wir tot nennen nach
Menschenmafs. Es ist vielmehr ein Neues aus Beidem,
eine Schöpfung des Menschen selber, eine Ausein-
andersetzung seines innern und äussern Wesens mit
der Welt, in die er gestellt ward. Und deshalb ist
es mehr als Krystall oder Gewächs, eine Welt für
sich, ein Kosmos aus beiderlei Bestandteilen.
Es giebt denn auch in der Tat noch einen
dritten Standpunkt für die Auffassung des architek-
tonischen Kunstwerks, der sich sofort geltend macht,
sobald wir mehrere solcher Gebilde mit einander zu
vergleichen haben. Sowie der Raumkörper nicht
allein auftritt, sondern eine Mehrzahl, sei es, dass an
einem und demselben Gebäude die Bestandteile
selbständiger hervorspringen, sich als besondre Kör-
perbildungen verkünden, sei es, dass mehrere Einzel-
bauten neben einander im selben Räume dastehen,
so beginnt auch das Vergleichen dieser Grade von
Selbständigkeit und das Zusammenfassen der Mehr-
zahl unter die Raumeinheit, die sie alle umspannt.
Wir betrachten sie nicht mehr mit dem plastischen
Interesse nur, das uns über ihre Körperlichkeit auf-
klärt, noch mit dem architektonischen Sinn, der nach
dem Räume fragt, den sie zwischen sich eröffnen.
10
Aesthetische Vorbereitung
begränzen, einschliessen; wir bewegen uns mit ihnen
nicht nur in die Höhe, wie im Verfolg ihres Ge-
wächses, oder in die Tiefe, wie im Verfolg der Er-
streckung vor uns hin, sondern auch nach der Breite;
wir betrachten die Ausdehnung des Raumganzen, das
sie beherbergt, nach beiden Seiten von der Mitte,
betrachten das Nebeneinander der Körper in diesem
Raum und fassen sie als lauter Bestandteile, als unter-
geordnete Grössen zu einer Einheit zusammen, deren
Gränzen über die Weite unsres Sehfeldes hinaus-
reichen mögen. Und ganz ähnlich verfährt der aus-
gebildete Raumsinn, wenn nicht mehrere Körper,
sondern mehrere Innenräume sich vor uns auftun
und zu einem Raumganzen umfassenderer Art in Be-
ziehung setzen.
Wir gewinnen diese höhere Einheit nur durch
Verzicht auf einen Teil der mannichfaltigen Bewäh-
rung, die unsre Sinne sonst einander ergänzend uns
zuzuführen pflegen, und zwar durch Verzicht auf die
Kontrole der Ortsbewegungen und Tastbewegungen
unseres eigenen Leibes , indem wir uns auf einen
festen Standpunkt und auf ruhige Haltung beschrän-
ken. Erst in einer Region, wo die Macht der untern
Sinne, die in Architektur und Plastik immer eine
grosse Rolle spielen, zu versagen beginnt und all-
mählich zurücktritt, also jenseits der Tastregion und
Ortsbewegung, kann sich für unser Auge die Mög-
lichkeit ergeben, über Raumgefühl und Körpergefühl
hinausgehend, einen neuen Zusammenhang zu fassen.
In einem Abstand, wo die Sorge für Haltung und
Bewegung unsres aufrechten Körpers nicht mehr be-
Malerischer Standpunkt
11
helligt wird, wo die Aufforderung, uns in Berührung
mit den Gränzpunkten des eigenen Leibes, und seien
es die äussersten Fingerspitzen, über die Beschaffen-
heit der Nachbarschaft zu orientieren, wieder zum
Schweigen kommt — erst in solcher, der unmit-
telbaren Gefahr nicht ausgesetzter Entfernung er-
giebt sich Neigung und Gelegenheit, Körper und
Räume anders als nach ihren besonderen Ge-
setzen zu beurteilen , uns nicht allein um ihre
konstitutiven Merkmale zu kümmern, sondern den
Augenschein für sich allein auf uns wirken zu lassen.
In diesem Abstand geht unser bequemes Sehfeld, in
gewisser Höhe über dem Boden, auf dem wir stehen,
und .bis zu gewisser Erhebung nur über unsern Scheitel
reichend, zu beträchthcher Breite auseinander und
scheint in seiner ganzen Ausdehnung eine ebene
Fläche zu bilden. Indem wir selbst aber auf dem
festen Standpunkt verharren, den die Umspannung
dieses Sehfeldes fordert, verzichten wir auf die Kon-
trole der dritten Dimension , die wir durch Orts-
bewegung und Tastbewegung zu üben gewohnt sind.
Die senkrechte Axe des Schauenden bleibt wie fest-
gewurzelt stehen, der ganze Körper möglichst ruhig,
nur der Sehapparat arbeitet. In ihm wird allerdings
schon durch die Beweglichkeit der beiden Augäpfel,
durch die Anpassungsfähigkeit ihrer Linsen, durch
die Blutzufuhr und Innervation, wie durch begleitende
Muskelempfindungen der Verkehr mit den andern
Regionen unsrer Sinnlichkeit aufrecht erhalten, aber
wir versuchen doch ganz Auge zu sein. Je mehr
dies gehngt, der Augenschein als solcher sich isoliert.
12
Aesthetische Vorbereitung
desto mehr muss alle Erregung unsrer Vorstellungs-
welt von der Erscheinung im Sehfelde selbst aus-
gehen, alle Bewegung dort als Variation von Hell
und Dunkel, als Lichtreize zwischen den beiden Polen
der Empfindlichkeit unsrer Retina sich äussern. Aber
lange bleibt ihr Ergebnis flächenhaft.
Die Zusammenfassung in der Einen Fläche des
Sehfeldes entkörpert also, ja enträumlicht zunächst
in hohem Mafse die Wirklichkeit der Dinge. Nur
in der Nähe, hart im Räume stossen sich die Sachen.
Rücken sie ferner, über die Sphäre unsrer niedern
Sinne hinaus, so läutert sich der Augenschein zu
reiner Anschauung immer mehr , und schliesslich
schwebt nur die Erscheinung, wie abgelöst von der
körperlichen und räumlichen Grundlage vor uns,
gleich einer Fata Morgana.
Damit treten auch die Gesichtspunkte, die an-
gesichts der architektonischen Schöpfung, mit der
wir allein hier zu rechnen haben, zunächst wirksam
wurden, zurück, nämlich die Auffassung der Raum-
gesetze und der Körperbildung, die uns am Bauwerk
beschäftigten. Die Kategorien der Krystallisation und
Organisation sind nicht mehr für den malerischen
Standpunkt, sondern die erstere für den spezifisch
architektonischen, die andre für den plastischen mafs-
gebend. Die strenge Architektur betont überall die
klare, sofort übersichtUche Gesetzlichkeit der Raum-
bildung; die konstitutiven Merkmale müssen wahr-
nehmbar offen liegen, die stereometrische Regel-
mässigkeit gewährt dem Raumsinn , für den sie
schafft , die Befriedigung , und an der Aufrecht-
Unmalerisches in der Architektur
13
erhaltung des sichern Raumgefühls muss ihr gelegen sein
trotz aller Mannichfaltigkeit der sonstigen Gestaltung.
Die grade Linie, die regelrechte Fläche, die stereo-
metrische Grundform des Innenraumes wie seiner
äussern Erscheinung als Körper im allgemeinen
Raum, diese unentbehrlichen Faktoren der Baukunst
gewähren der Schwesterkunst Malerei kein Interesse;
im Gegenteil, sie treten als Zeichen räumhcher Ge-
setzlichkeit ihrem Streben , die sichtbare Einheit
zwischen Körper und Raum zu finden, hinderhch in
den Weg. Die symmetrische Anordnung zweier oder
mehrerer Punkte im Raum giebt ja grade die klare
unbezweifelbare Auseinandersetzung mit dem leben-
digen Träger der Mittelaxe räumlicher Anschauung,
dem menschlichen Subjekt. Diese Wahrzeichen der
Räumlichkeit werden der Malerei erst wert, wenn sie
darauf ausgeht auf ihrer Fläche, durch perspektivische
Kunst, auch die dritte Dimension zu ertäuschen. Sie
vermag andrerseits diese Faktoren der strengen Ar-
chitektur mit Bewusstsein aufzunehmen, wo es ihr
darauf ankommt, den Eindruck des Beharrlichen zu
erstreben, den Charakter des Unverrückbaren, über
den Wechsel örtlicher und zeitlicher Bedingungen
Erhabenen zu erreichen, wie z. B. in Kirchenbildern
der umbrischen Schule oder in symbolischen Kompo-
sitionen sub specie aeterni gleich Rafaels Disputa.
Ebendeshalb duldet sie nur in dekorativer Absicht
oder in kindlicher Befangenheit die gleichmäfsige
Reihung, das Metrische, die fortlaufende Wiederkehr
gleicher Teile, welche die Baukunst und die Orna-
mentik miteinander gemein haben, vermeidet sie aber
14
Aesthetische Vorbereitung
geflissentlich, sobald sie, ihres eigenen Wesens be-
wiisst geworden , auf einheitUche Erscheinung des
Bildes allein bedacht ist.
Die strenge Architektur schmückt sich ohne
Einbufse mit Polychromie. Aber die Farbe dient ihr
zunächst zur schärferen Unterscheidung ihrer Bestand-
teile, also zur Erhöhung ihrer eigensten Absicht auf
volle Bestimmtheit der räumUchen und körperlichen
Auseinandersetzung. Sowie die Reihe der Farben
sich untereinander abstimmt im Interesse der Aus-
gleichung , zur Sänftigung der Übergänge , ja zur
Herstellung einer Einheit im Mannichfaltigen für das
Auge gelangt , so arbeitet sie der Malerei in die
Hände. Polychromie und Farbenharmonie sind zwei
entgegengesetzte Dinge, wie andrerseits die Buntheit
der Aussenwelt für sich allein den Anblick dieser
Welt nicht malerisch macht. Das Licht erst oder
die Beleuchtung bringen die Einheit im Sinne des
Malerischen zu stände. Das allgemeine Tageslicht
nimmt die verschiedensten Gegensätze in sich auf,
die einheitliche Beleuchtung von der einen oder der
andern Seite, also Morgen oder Abend, gleichen sie
noch mehr aus. Die Polychromie der Architektur
und Ornamentik mögen diesem natürlichen Vorgang
gradezu widerstreben. Es ist malerische Tendenz,
wenn sie ihm folgen, ihm nachgeben, ihm absicht-
lich nachgehen als einer höheren künstlerischen Ein-
heit. So sprechen wir noch von Polychromie eines
Innenraumes, wo die Buntfarbigkeit schon fühlbar
darnach strebt, einheitUchen Gesamteindruck zu er-
reichen, also alle Bestandteile, Wände, Fussboden,
Uebergang ins Malerische
15
Decke, mehr oder minder körperlich hervortretende
BaugUeder, mit einander zu vermitteln. Die farbige
Dekoration antiker Thermen- und Palastsäle z. B.
lernt in jener Stilform, die wir heute mit dem Namen
„Grotteske" bezeichnen, durchaus harmonische Ein-
heit der Farben zu erreichen, nachdem sie darüber
hinaus gelangt ist, die Farben entweder als Körper-
werte oder als Raumwerte zu verwenden; damit aber
ist sie Malerei geworden und nicht mehr Ornamentik,
wie die Polychromie zunächst, nicht mehr Dienerin
der Baukunst in ihrem strengen Sinne, sondern ein
Neues, das Macht gewinnt und die Architektur dazu
führen kann ,, malerisch" zu werden in ihren ent-
scheidenden Intentionen.
Von andrer Seite leitet auf den nämlichen Weg
der zweite Faktor der Raumgestalterin, eben die Ge-
staltung als solche mit ihrem plastischen Interesse.
Von unserem eigenen Körpergefühl ausgehend, richtet
sie sich zunächst auf besondere Körperbildung im
architektonischen Raumgebilde. Die Analogie mit
dem Gewächs organischer Geschöpfe nach dem Eben-
bilde des eigenen Leibes ist die Grundlage für alle
Versuche künstlerischer Organisation am Bauwerk.
Soweit die Auffassung des selbständigen Gewächses
reicht, erstreckt sich dann die Domäne der Plastik;
sowie aber die Selbständigkeit des BaugUedes auf-
hört und der Einzelkörper eben als Glied sich dem
weitern Zusammenhang einordnet, verschwindet auch
der Gesichtspunkt der plastischen Schönheit , um
entweder — im Verfolg des Aufbaues — zum ar-
chitektonischen zurückzukehren, oder — beim Ver-
16
Aesthetische Vorbereitung
folg der Flächenanschauung zunächst — in den
malerischen überzugehen, der beide schliesslich zu-
sammenzufassen vermag, indem er sowol die ar-
chitektonische wie die plastische Schönheit in die
malerische Schönheit auflöst. Sie ist es, die Raum
und Körper im Sinn einer einheitlichen Welt be-
trachtet, also nicht mehr vom Raumgefühl allein,
noch vom Körpergefühl allein bedingt wird, sondern
vom Weltgefühl, das vom Zusammenhang unsrer
selbst und aller Dinge mit einem gröfsern, umfassen-
den Ganzen zu sagen weiss. Wo immer die Über-
sichtHchkeit und VerständUchkeit der Raumgesetze
und der Körpergesetze versagt, da tritt die Malerei
in ihre Rechte; das Irrationale, Geheimnisvolle, soweit
es sichtbar sich verkünden kann, wartet ihres Amtes.
Die Architektur selbst geht in ihrem Fortschritt
als Kunst auf den dritten Standpunkt, den der ma-
lerischen Auffassung, über: ihn nimmt der Baumeister
wie von selbst ein, sowie der umgebende Raum
mit seinen mancherlei Beziehungen bestimmend auf
das Bauwerk herüberwirkt, sowie die besondre Um-
gebung nicht mehr als neutraler Gegensatz, als un-
bezeichnete FoUe, nur ihn geltend macht, sondern
in ihrem eignen Charakter anerkannt, auch sich selbst
oder in sichtUcher Überlegenheit bestimmend, ver-
ändernd ^ zerstörend hineinspielt. Und ebenso ge-
schieht es, wie gesagt, beim einheitlichen Blick auf
mehrere aneinandergereihte Innenräume. Wo immer
im Sinne Burckhardts von spezifischen ,, Raum-
stilen" geredet wird, da sind in solcher Raumkom-
position sicher auch malerische Gesichtspunkte im
Malerischer Standpunkt
17
Spiel, wie in römischer, ja hellenistischer Kunst ge-
wiss. Eine Kunst der Verhältnisse im Grossen, der
Raumverbindung, der Verteilung bauhcher Massen
zu einem Rhythmus, der durchs Ganze geht, wird
überall den zusammenfassenden Gesichtspunkt auf-
drängen, von dem wir reden.
Auf ihrer höchsten Höhe rechnet die Architektur
bewusst auch von diesem Standpunkt aus, bei der
Gruppierung mehrerer Raumformen und Baukörper
zu wirksamer Auseinandersetzung mit allen benach-
barten Erscheinungen, zur Erhaltung der Einheit in
ihrem aesthetischen Gesamtraum. Bei der Anlage
eines Platzes, wo es auf Geschlossenheit ankommt,
folgt sie zunächst den Ratschlägen und Erfahrungen
der Innenarchitektur unter freiem Himmel, bei der
Hervorhebung monumentaler Selbständigkeit be-
herzigt sie die Wünsche der Bundesgenossin Plastik
zu eignem Vorteil; sowie aber das Verhältnis der
Monumente zu einander und ihre räumliche Ver-
bindung ins Auge gefasst wird, oder der Zusammen-
hang der eigenen Schöpfungen mit dem natürHch
oder geschichtlich gegebenen Schauplatz sich auf-
drängt, da kann nur die Bildwirkung den Ansprüchen
beider Faktoren, der Körper und des Raumes, ge-
recht werden , und der malerische Gesichtspunkt
stellt sich auch ungerufen ein, weil er allein die Be-
friedigung gewährt, die unsre menschliche Natur-
anlage auf Grund ihrer gegebenen Organisation
fordert.
Das nämHche Bauwerk erlebt während der Dauer
seines Bestehens den Wechsel des Standpunktes und
Schmarsow, Barock und Rokoko. 2
18
Aesthetische Vorbereitung
der Auffassung, den wir gekennzeichnet haben. Bei
seiner Entstehung waltet unzweifelhaft zunächst der
erste; von Innen her entfaltet sich das räumhche
Gebilde, und jedes zuschauende oder mitwirkende
Subjekt fragt in erster Linie nach der Wurzel der
architektonischen Schöpfung im Verfolg der dritten
Dimension. Steht es fertig da, nagelneu als gelungene
Willensäufserung seines Schöpfers, die dem eigenen
Bildungsgesetz ihr festes Bestehen dankt, so über-
wiegt der Eindruck der ringsum abgeschlossenen
und ablehnenden Masse , des tektonischen Ganzen,
fast wie ein Krystall, der mit Absicht dort hingesetzt
worden ; oder bei genauerem Anschauen und ver-
traulicherer Annäherung entdecken wir Züge des
eigensten Wesens, Ähnlichkeiten mit dem eigenen
Wachstum , mit der fühlbaren Gliederung unseres
Körpers und begrüssen in ihm ein organisches Ge-
schöpf, wenn auch nie so unmittelbar wie in der
Statue dort auf ihrem Sockel oder so vollständig,
dass das Gefühl der starren Naturgesetzlichkeit des
Materiales verschwände.
Es ist die plastische Auffassung, die uns be-
glückt, wie selbstverständlich siegend, beim Anblick
des hellenischen Tempels , der als Weihgeschenk
auf seinen Stufen dasteht und in jeder Säule noch
das lebendige Gefühl für den Wert des ganzen
Menschenleibes verkündet. Aber so ein weisser
Marmorbau, so ein tektonischer Körper mit der ent-
schiedenen Sprache der Polychromie an der Stirn,
setzt sich mit aller Energie von der räumlichen Um-
gebung ab , wie vom Boden durch die Stufen , so
Plastische und malerische Wirkung
19
vom Felsen, vom Bergeshang durch die Farbe, vom
Grün der Büsche und Bäume , die ihm nirgends
nahen dürfen, von allen andersartigen Dingen umher.
Jede Verwechselung mit den Gebilden der Natur ist
ausgeschlossen , alles bekräftigt triumphierend die
Absicht des bewussten Menschenwillens, der ihn hier
aufgerichtet. Er will gar nicht gewachsen sein aus
dem Grunde dieses Landes , viel eher durch die
Wunderkraft eines Olympischen entsprungen, gleich
dem Rosse des Poseidon. Nicht Naturerzeugnis son-
dern Kulturprodukt ist er, und nur die Menschen-
wohnungen dort unten oder die Wallfahrtstrasse zur
Stadt geben die Erklärung für sein Dasein , nicht
das ragende Gezack des Vorgebirges oder das
üppige Gewächs der heiUgen Haine. — Ganz anders
die Ruinen der Akropolis oder die verfallenen Tempel
von Paestum. Sonnenbrand und Regengüsse, Stürme
des Meeres und Stürme des Schicksals haben die
stolzen Farben gebleicht und die starre Auflehnung
des Menschenwillens gebrochen; gedemütigt und
zerrissen, sind die Reste froh zum Boden zu ge-
hören , wie die Eichenstämme oder das Felsgeröll
ringsum, und nicht schlimmer von jenen überlegenen
Mächten behandelt zu werden als diese Gefährten
des gemeinsamen Daseins auf der Erdoberfläche.
Der eigene Zusammenhang, den Menschenhand dem
Bau gesichert, löst sich auf; aber der Zusammen-
hang mit der Umgebung ist zusehends gewachsen "
und behauptet siegreich sein ewiges Recht. Die
Auseinandersetzung, die der Menschengeist im dauer-
haften Monument aufzurichten vermocht, gehört auch*
2*
20
Aesthetische Vorbereitung
im härtesten Stein der grossen Rechnung des Alls,
den durchwaltenden Gesetzen der Welt an , in die
der Mensch als vorübergehende Erscheinung gestellt
worden, und die Ausgleichung dieser Rechnung zu
Gunsten des allgemeinen Zusammenhangs tritt zu
Tage. Das Bauwerk, das zu plastischer Selbständig-
keit geschaffen, so abgeschlossen auf sich selber be-
ruhend dastand , wie ein Wahrzeichen bleibender
Bedeutung, es ist malerisch geworden in seinem
Anblick ; denn der Zusammenhang mit seiner Um-
gebung ringsum ist hergestellt, es ist aufgenommen
in den Schofs der Landschaft, die es treulich und
innig beherbergt, bis auch die letzte der ragenden
Säulen wieder zurück gesunken in den Grund ihres
Ursprungs.
Aber dieser Weg von Aussen her ist nicht der
einzige, der solche Verwandlung herbeiführen kann.
Wir haben, indem wir ihm zuerst folgten, nur dem
Charakter des Göttertempels Rechnung getragen ;
der Sitz eines solchen idealen Subjekts entbehrt
aber schon einer Reihe lebendiger Antriebe , die
dem Hause als Sitz des menschlichen Subjekts ur-
sprünglich innewohnen. Und vom schöpferischen
Subjekt aus sollte der Weg zum Malerischen in der
Architektur vor allen Dingen verfolgt werden.
Die deutliche Bevorzugung des Aussenbaues
lässt keinen Zweifel über das vorwiegend plastische
Wesen des hellenischen Tempelstils ; die Vor-
herrschaft der bildnerischen Auffassung ist die ge-
schichtliche Bedingung dieser Architekturform , die
nur von solchem Standpunkt aus ihre Berechtigung
Keime des Malerischen im Innenraum
21
hat, ja als plastische Architektur den Wert eines
Ideales erreicht. Wo für den Schatten oder die
Hülle des Toten gebaut wird, wie in der Pyramide,
da bleibt der Baukörper völlig geschlossen, jede Be-
ziehung zum Leben draussen ausdrücklich verneint.
Hier zeigt sich der Gegensatz zur Wohnung des
Lebenden so scharf wie nur mögUch , so sehr die
versteinerte Form dem Urbild des Nomadenzeltes
auch sonst getreu bleibt. Im Bedürfnis des Menschen
nach Luft und Licht, in der Abhängigkeit von der
Natur, von den allgemeinen Bedingungen des Stoff-
wechsels organischer Geschöpfe liegt auch der An-
fang für eine Auffassung seines Hauses gegeben,
die den Zusammenhang mit dem All hinein nimmt,
je mehr der zeitweilige Schlupfwinkel sich zur blei-
benden Wohnung ausbildet. Hier müssen die In-
tentionen gesucht werden , die zum malerischen
Wesen in der Architektur führen, die Keime ästhe-
tischen Wollens , die über den ursprünglichen Sinn
der Raumgestaltung hinaus, aber auch nicht auf For-
derungen plastischer Gestaltung, also der Körper-
bildnerin zurückgehen, sondern gerade die Neigungen
befriedigen, die den ursprünglichen Antrieb zur Ma-
lerei gegeben und sonst von dieser Kunst besonders
gepflegt und zur höchsten Genussfähigkeit , ausgebildet
werden. Nur so darf von malerischer Architektur
im eigentlichen Sinne geredet werden, während jene
verfallenen Tempel nur ein Beispiel malerischer Wir-
kung zeigten, zu der sich das Bauwerk wider Willen
hergeben muss, wie jeder andere Gegenstand der
Wirklichkeit unter demEinfluss äusserer Bedingungen.
22
Aesthetische Vorbereitung
Sowie die Höhle des Troglodyten, das Zelt des
Nomaden, das Haus des Siedlers sich öffnen, bietet
sich dem Auge des Bewohners drinnen ein Aus-
schnitt aus der weiten Welt da draussen dar. Vom
dunkeln Rand der Öffnung eingerahmt erscheint ein
Bild, ein flächenhafter Eindruck, aus Körper- und
Raumfaktoren zusammengewebt, der sich allmählich
in Näheres und Ferneres, Vordergrund und Hinter-
grund auseinander setzt, je mehr die Erinnerungs-
bilder, Bewegungsvorstellungen und Tasterfahrungen,
alle Beiträge aus andern Sinnen dem schauenden
Auge zu Hülfe kommen. Der Vordergrund nähert
sich der ReUefanschauung , der Hintergrund ist das
reine Fernbild. Türen und Fenster gewähren neben
der Erfüllung praktischer Zwecke die Gelegenheit
ästhetischer Befriedigung durch den Augenschein und
vermitteln so mancherlei Zuwachs der Bildauffassung,
bis sie selber bewusst auch darauf berechnet wer-
den, den Genuss malerischer Anschauung zu bieten.
Wir rücken das Fenster oben in der Mauer, wo es
nur Luftloch und Lichtzufuhr sein kann, weiter ab-
wärts in bequeme Sehhöhe für unsern gewohnten
Platz. So gewöhnt sich unser Auge durch den
Rahmen , auf die Zusammenfassung aller Einzel-
erscheinungen da draussen unter einem festen Ge-
sichtspunkt auszugehen. Die Herstellung dieser
Einheit im mannich faltigen Augenschein ist Bild-
anschauung, unser Standpunkt der malerische. Durch
alle Offnungen aber tritt unser Gemach selbst in die
reichsten Beziehungen mit der Aussenwelt, die gleich
Luft und Licht zum Lebenselement werden und die
Keime des Malerischen im Innenraum
23
Behausung erst zur Wohnung erheben. Unter dem
Anreiz dieser Erquickungen suchen wir nach ähn-
hcher Augenweide auch drinnen in unsern vier
Wänden , sobald sie sich hinreichend erhellen , und
freuen uns der woltuenden Übergänge , dre Hell-
dunkel und Dämmerschein zwischen den körperlichen
Bestandteilen des Innenraumes oder den vielgestal-
tigen Gegenständen des Hausrats herstellen; jeder
Anblick solcher Einheit des Zusammenwirkens ist
Genuss des malerischen Sinnes. Bald werden sinnige
Bewohner die Dinge so ordnen, die Bauglieder so
verteilen, wol gar die Räume so verbinden, dass der
Blick überall in ruhigem Schauen wie in schweifen-
der Bewegung sich durch malerische Eindrücke be-
friedigt finde. Schon wieder erweist sich dabei die
Anbringung der Fenster und Türen als wichtiger
Beitrag, sei es für die Einheit der Beleuchtung oder
die Mannichfaltigkeit des Durchblicks. Alle raum-
öffnenden Teile sind Bundesgenossen der malerischen
Tendenz, wie alle selbständigen Körper die plastische
Anschauung begünstigen.
Die Bildauffassung richtet sich, wie gesagt, zu-
nächst auf das Nebeneinander der Körper im Raum,
ergeht sich also in der Breitendimension. Aber sie
bezieht sich nicht auf die Reihe isoUerter Körper,
plastischer Objekte, die so in einer Richtung, durch
Abstände getrennt, zum Raumfaktor werden, sondern
sie geht auf den Zusammenhang dieser Gegenstände
unter einander. Sie teilt dieses Absehen mit der
Reliefanschauung. Aber die letztere bleibt, solange
das plastische Gefühl als Lebensprinzip in ihr waltet,
24
Aesthetische Vorbereitung
unserm eignen Körper beträchtlich näher, berück-
sichtigt stets die Verwandtschaft mit ihm. Die ge-
rundete Form fäUt noch in unsre Tastregion, der
Reliefgrund erst bedeutet ihre Gränze, wo sich das
Körperhafte vollends dem Nachgefühl der leibUchen
Erfahrungen entzieht und nur der wilHg ergänzenden
Phantasie, d. h. der Region unsrer Vorstellung noch
angehört.
Kehren wir deshalb zu unserm obigen Beispiel
zurück. Bei gewissem Abstand tritt auch die Säulen-
reihe des griechischen Tempels in die Reliefauffassung,
nämlich wenn wir nicht mehr nahe genug sind, um
die volle körperliche Rundung des einzelnen Stammes
zu erfassen, aber noch nahe genug, um die Rundung
der vordem Hälfte oder dreier Viertel gewahr zu
werden. Aber die ReUefanschauung tritt vorzugs-
weise erst dann ein, wenn wir bei solchem Abstand
schräg gegen die Säulenreihe bUcken, also gegen die
Langseite eines Peristyls etwa. Dann erscheint
Stamm an Stamm, deren jeder den folgenden zum
Teil verdeckt, die ganze Reihe wie eine gewellte
Fläche, perspektivisch sich verjüngend, in stärkerem
und in schwächerem ReUef. Stellen wir uns dagegen
absichtUch einmal in der Mitte vor dieser Langseite
des Gebäudes auf, so bildet die Wandfläche der Cella
hinter den Säulen den durchgehenden Grund, auf
dem die Stämme in starkem Relief sich abheben,
als hafteten Dreiviertel- oder Halbsäulen auf der
Mauer. Tritt aber der Säulenumgang so weit vor
den Körper der Cella, dass wir in den Intervallen
den leeren Raum gewahren, oder stehen gar doppelte
Reliefanschauung und Bildanschauung
Säulenreihen um den Kernbau herum, so entstehen
Durchblicke, die jede zusammenhängende Reliefauf-
fassung aufheben. Sie locken das Auge mit dem
neuen Reiz der Perspektive, und eröffnen neben dem
Körpergefühl für den einzelnen Stamm überall dem
Raumgefühl seinen eigenen Spielraum. Diese Kon-
kurrenz der Tiefenrichtung, der unser Auge seiner
Sehkraft gemäfs gern folgt und bei gesundem Scharf-
blick in die Ferne spähend erst recht zu folgen ge-
wohnt ist, wird um so gefährlicher für die Relief-
anschauung an der Vorderseite des Tempels, wo
die Giebelstirn mit ihrem Höhepunkt uns heraus-
fordert die Mittelaxe einzusetzen, d. h. die Aus-
dehnung nicht mehr von einem Ende bis zum andern
entlang abzusehen, die Reihe der Körper successiv
zu verfolgen , sondern im eigentlichen Sinne als
Breitendimension, d. h. von dem gewohnten Mittellot
unseres paarigen Sehapparates aus nach beiden Seiten
auseinander zu legen oder umgekehrt von beiden
Enden aus zur Mitte zusammen zu fassen, wo wieder
die Tendenz der Sehkraft in die Tiefe dringt. Die
Längsrichtung, mit dem Absehen von einem Ende
zum andern, ist der Reliefauffassung in ächt plasti-
schem Sinne günstiger; die Breite dagegen, in ihrem
eig^ntUchen Auseinanderlegen oder Zusammenfügen
zweier symmetrischer Hälften, verlockt eher zu ma-
lerischer Tendenz, ist sogar das eigentlichste Element
des Bildes, die Grundlage des Malerischen überhaupt.
Befindet sich der Beschauer vor der Tempel-
front noch so nahe, dass die Möglichkeit der Orts-
bewegung seines eignen Körpers durch die Zwischen-
26
Aesthetische Vorbereitung
räume hin sich geltend macht, so bleibt die Wirkung
dieser Blickbahnen eine rein architektonische, raum-
schaffende. Rückt der Betrachter jedoch so weit ab,
dass die Bestandteile des Bauwerks jenseits der
Gränze seiner Tastregion, rein dem Sehfelde anheim-
fallen, also nur noch als Augenschein auf ihn wirken,
so verwandelt sich die Auffassung sowol für die ar-
chitektonischen wie für die plastischen Faktoren in
die malerische. Die körperhafte Rundung der Säulen,
wie der perspektivische Durchblick dazwischen, wie
der ganze aesthetische Raum des Gebäudes sonst
geht auf in das Bild. Hier scheiden sich dann
FlachreHef und Malerei, dort immer noch plastischer,
hier graphischer Flächenschein.
Nur ein Tempel, der ringsum die geschlossene
Reliefanschauung sichert, wirkt als selbständig ab-
gesonderter Körper im Raum, als Monument in
plastischer Isolierung. Raumöffnende Teile, die diese
zusammenhängende Geschlossenheit der Aussenseiten
lockern , durchbrechen , für die Blickbahnen nach
Innen freigeben, öffnen deshalb auch, wie gesagt,
der malerischen Auffassung Tür und Tor; sie wirken
je nach dem Grade des Abstandes wie Vermitt-
lungen des Baukörpers mit seiner Umgebung. Die
Erscheinungen des Lichtes und der Luft, die, an
diesen Stellen weiter eindringen, verstärken natürlich
die Verlockungen auf den malerischen Standpunkt
durch den Reiz des Augenscheines, den sie auf den
Beschauer ausüben, so dass er ihnen zuliebe seines
Körpergefühls und seiner Bewegungsvorstellungen in
der engen Begränzung seines Leibes vergisst und
Mittelalter und Renaissance
27
seine Selbstversetzung in weitere und weitere Bahnen
entschweben lässt. An die Stelle des persönlichen
Selbstgefühls und Raumgefühls tritt dann das Gefühl
der Verwandtschaft mit dem All, und im Verzicht
auf ständige Beharrung eröffnet sich das endlose
Reich der schweifenden Bewegung, wir dehnen uns
umfassend in die Breite und enteilen von da in alle
Weite, bis an die Gränzen des Horizontes, wie nur
der BHck unsrer Augen uns tragen will.
2. RENAISSANCE
Unläugbar werden schon am Erechtheion auf
der Akropolis durch den berühmten Vorbau mit den
Karyatiden , diese seitlich abzweigende Halle , Be-
ziehungen zur Umgebung angeknüpft. Der Baukörper
ist nicht mehr ganz unabhängig, sondern seiner Ört-
hchkeit verbunden, seinen Nachbarn näher gesellt.
Zahlreiche verwandte Beispiele bietet der italienische
Villenbau der Renaissance, schon in der Loggia, die
sich nach Aussen öffnet, oder in Flügeln, die sich
hinausstrecken, mit Terrassen und Pergola am Garten
hin, oder im leicht aneinander gelehnten Komplex
von mehreren Bauteilen verschiedener Grundform
und verschiedenen Wertes. Die Gruppe lagert sich
unregelmässig in die Breite, verbindet sich mit Cy-
pressenreihen oder Pinienhain zu einem Ganzen, das
nur als Bild erfasst werden kann. So entsteht schon
von Aussen ein malerischer Eindruck; aber das
braucht nicht notwendig im aesthetischen Wollen des
Erbauers gelegen zu haben.
28
Geschichtliche Vorbereitung
Indess ist hier zweifellos auch günstiger Boden
für die malerische Tendenz von Innen her. Das
menschUche Subjekt vermag grade in diesem Gebiet
der Baukunst und in dieser Zeit ihrer Entwickelung
seine eignen Neigungen ungestört zur Geltung zu
bringen, und so kommt es, wie im Norden in den
Formen der Spätgotik, so im Süden besonders in
denen der Frührenaissance unläugbar zu einem Ober-
gewicht des Malerischen in der Architektur, dort
freilich auch im Stadthause, im Schloss, — ich er-
innere als ein bekanntes Beispiel an das Haus des
Jacques Coeur oder das Hotel de Cluny — , hier in
erster Linie auf dem Lande, in der Villa.
Der Verzicht auf die plastische Geschlossenheit
des Stadtpalastes, die Toskana z. B. aus dem Mittel-
alter ererbt, ist nicht ländliche Nachlässigkeit nur,
sondern der Wunsch, auch drinnen der natürlichen
Umgebung freiem Eintritt zu gewähren zu inniger
Gemeinschaft, mit Luft und Frische auch all die Be-
ziehungen aufzunehmen, die Wirtschaft und Jahres-
zeit nicht allein im Kreise der FamiHe und der
Dienerschaft, sondern der Jagdgenossen, des Land-
volks und all des weitverzweigten Zusammenhangs
mit dem angestammten Grund und Boden in sich
begreifen. Durch jedes Fenster schaut ein Ausschnitt
aus der nähern und fernem Aussenwelt herein, ohne
durch aufdringUche Nachbarschaft oder eindringliche
Neugier lästig zu fallen. Überall die Aufforderung,
die Enge des Selbstgefühls zur umfassenden All-
gemeinheit zu erweitern, den eigenen Spielraum nicht
abzuschliessen vom Ausblick in das Ganze, in dessen
Mittelalter und Renaissance
29
Machtsphäre auch wir gehören. Im Innenbau wie
im Aussenbau ergeben sich Bilder, die weder Plastik
noch Architektur für sich allein zu bieten gewohnt
sind. Aber es bleibt wol unläugbar, dass dies Be-
dürfnis nach Naturnähe damals noch im Norden
stärker entwickelt war als hier; dass in der Umgebung
eines Hubert v. Eyck die Sehnsucht der Gemüter
nach Vertiefung ins All der Schöpfung und damit
der Sinn für das Geheimnis des Malerischen eher zu
suchen ist, als in der Heimat individuellsten Selbst-
gefühls, geschlossener Persönlichkeit und statuarischer
Kunst.
Dennoch bemerken wir auf italienischem Boden
auch sonst dem nordischen Sinn verwandte Erschei-
nungen, ja früher scheint es, als der toskanische
Villenbau, der uns erhalten blieb, entstand. Beson-
ders jenes oberitaHenische Mittelgebiet zwischen Tos-
kana und dem Fuss der Alpen, die Lombardei mit
ihren luftigen, farbigen Backsteinbauten bis Verona
hin, ist reich an Eindrücken solcher Art; Venedig
vollends, mit seiner Berührung abendländischen und
morgenländischen Wesens, taucht wie eine Märchen-
welt malerischer Reize aus dem schimmernden Spiegel
der Adria. In der Tat strömen in diesen Gegenden
kulturgeschichtliche Einflüsse zusammen , die , be-
günstigt durch geographische Verhältnisse, in hohem
Grade die aesthetische Macht des Augenscheines zur
Geltung bringen mochten, wie droben im Norden in
den flandrischen Häfen und Handelsplätzen zwischen
germanischen und romanischen Völkern. Ein BHck
auf die Darstellung städtischer und ländlicher Pro-
30
Geschichtliche Vorbereitung
spekte der Wandgemälde der Altichiero und Avanzi,
dieser ausserordentlich wichtigen Malerschule Veronas
am Ausgang des vierzehnten Jahrhunderts, belehrt
nicht allein über den ausgeprägten Geschmack der
Meister selbst am bildlichen Erfassen aller möglichen
Raumgebilde, sondern auch über den malerischen
Charakter dieser Architektur, die sicher nur zum Teil
phantastische Weiterdichtung vorhandener Beispiele
bietet. Überall offene Hallen mit ihren gewundenen
Säulchen und gezackten Bogen, überall Treppen und
Durchgänge zu mannichfaltiger Vermittlung, Gebäude-
komplexe, deren einzelne Körper unter lauter ver-
schiedenen Gesichtspunkten gesehen werden, und
sich grade so zur lebendigsten Gruppe zusammen-
schieben. Ein Blick auf die Scaligergräber oder die
alten Kirchen, auf das zinnenbekrönte Kastell an der
Etsch, auf die Gassen und Höfe, bezeugt das Vor-
handensein einer Kunstrichtung, die im Innern lom-
bardischer Kathedralen wie am Äufsern veneziani-
scher Paläste die Gesetze rhythmischer Ghederung,
ja einen komplizierten Strophenbau durchführt, den
nach Verfolg aller Teile nur das ruhig schauende
Auge zusammenfassen kann , um das Zuströmen
zahlreicher Lebensregung in einem Bilde nachzu-
fühlen.
Die nämhche Kunstrichtung, germanischer Ver-
wandtschaft, die sich schon durch eurhythmische
; Fenster, durch Gruppierung grösserer und kleinerer
Offnungen , ja symmetrische Komposition der Fas-
saden um eine Dominante , von Florenz mit sei-
ner einfachen Reihung unterscheidet, begegnet uns
Hochrenaissance
31
oben in Siena, wo sie noch im Quattrocento ge-
pflegt wird.
Aber Brunelleschis Freude an mannich faltig ge-
gliederten Flächen, seine Durchblicke durch Säulen-
hallen im Innern der Kirche, wie sie besonders reich
Sto. Spirito durchführt, die sämtlichen, dem Menschen-
mafs so nahe bleibenden Werke seiner Gesinnungs-
genossen, — verraten sie nicht auf Schritt und Tritt,
wie diesen Vertretern einer neuen Zeit, dieser ersten
Generation der modernen Welt in Toskana das
Malerische nicht minder am Herzen liegt?
Mit dem Übergang zur Hochrenaissance dringt
diese Macht, der die ferne Zukunft gehören sollte,
fühlbar auch an den Palast der Städte, der besonders
in Florenz sich lange widersetzt. Es lockert sich der
strenge Zusammenhalt des monumentalen Baukörpers.
Das Ideal des Tempels gar verwandelt sich von
Aussen wie von Innen.
Die Aufnahme eines Gartens als integrieren-
den Bestandteiles in den Schlossbau von Urbino,
während er zu Rom am Palazzo Venezia, nach
orientalischer Art von Mauern eingeschlossen, noch
ein Anhängsel für sich gebildet; die Loggia zwi-
schen den Warttürmen an den Gemächern des
Fürsten, gegen sein Land hinaus zu schauen, die
mannichfaltige Überleitung vollends gegen den an-
steigenden Hügel, wo ein Tempelchen als Abschluss
der luftigsten Spielplätze und Terrassenanlage er-
richtet werden sollte ; — die Entwürfe eines Giuliano
da Sangallo, der für die Rovere in Savona gebaut,
zur Vereinigung des Giardino Medici bei S. Marco
32
Geschichtliche Vorbereitung
mit einem umfassenden Wohnbau nach solchem Vor-
bild; die offene Wandelbahn am obersten Stock des
Palazzo Guadagni bei Sto. Spirito in Florenz; die
Einverleibung des Belvedere Innocenz' VIII. in den
Palast des Vatikans unter Julius IL, d. h. die An-
sprüche zweier Päpste, die von der Riviera stammen:
— all das sind Symptome dieser malerischen Tendenz.
In Genua selbst verbindet sich Stadtpalast und Villa
suburbana noch inniger in den hochgelegenen Strassen,
und malerische Gedanken hegen den Säulenhallen
droben auf dem Altan, wie drunten im Hof, und
dem perspektivischen Durchblick gegen die seitlich
verschobene Treppe, wie vom Hauptportal in das
Innere zu Grunde.
BraiBante vor Allen, der gefeierte Meister der
Hochrenaissance, verdankt seiner Herkunft von der
Malerei und deren Perspektive jedenfalls das offene
Auge für diese Reize der Architektur. Notgedrungen
noch Hefert er an S. Satiro in Mailand eine Schein-
erweiterung der versagten Chorpartie und eines Um-
ganges daneben, in Projektion tektonischer Körper
und ihrer Zwischenräume auf die Fläche, also schon
ein Kunststück, bei dem die raffiniertesten Mittel
des Rehefplastikers und des Malers sich in die Hände
arbeiten zu Gunsten des Augenscheines. Lang-
gestreckte Klosterhöfe wirken mit ihren Säulenhallen
ringsum zu einem Einblick in eine Bühnenöffnung
zusammen, wie der Vorbau der Kirche von Abbiate-
grasso oder die Exedra im Giardino della pigna des
Vatikans. Selbst das erste ächt römische Meister-
Hochrenaissance
33
stück, der Tempietto bei S. Pietro in montorio, war
ja nicht so isoliert gedacht, wie er dasteht in seinem
Hofe — contradictio in adjecto — , sondern von Hallen
ringsum und wirksamen Perspektiven umgeben, deren
Grundplan uns SerUo aufbewahrt, also im Zusammen-
wirken mit ausgemacht malerischen Potenzen , die
den Beifall der Zeitgenossen erst recht begreiflich
machen. Ja, sogar sein Entwurf für S. Peter, von
dem uns Geymüllers Bemühen endlich eine greif-
bare Vorstellung gegeben, — gieng er nicht eben-
falls auf eine mannichfaltige Gesamtheit malerischer
Durchblicke aus, die den Centraibau aussen wie innen
mit reichem Leben umziehen und die letzte Einheit
schliesslich im höchsten Licht des Kuppelraumes
finden sollten? Säulenhallen aussen, zwischen den
Armen des griechischen Kreuzes, sollten den Bau-
körper mit seiner räumUchen Umgebung vermitteln,
wie droben der Säulenkranz um den fensterdurch-
brochenen, allseits geöffneten Lichtgaden, den Tam-
bour der Kuppel, die über diesem luftigen Aufbau
nur zu schweben schien. Drinnen ebenso in den
Doppelhallen der Kreuzarme , in den freien Halb-
kreisen von Säulenreihen vor den Konchen, überall
Vermittelungen und Vorbereitungen gegen den Mittel-
raum, der selbst als vierghedrige Gruppe unter der
centralen Einheit der Kuppel sich ausbreiten sollte,
— also die Schönheit dieses Innenraumes nicht allein
das Ergebnis der strengen Architektur, der einfach
klaren, einheithchen Raumbildung an sich, sondern
vielmehr umsponnen von dem Zauber malerischer
Reize, das Ergebnis einer vielteiUgen Harmonie, ja
Schmarsow, Barock und Rokoko. 3
34
Geschichtliche Vorbereitung
mit täuschender Aufhebung der konstruktiven Wahr-
heit durch den Augenschein einer „schwebenden"
Kuppel.^)
Kein Zweifel, dass auch Bramantes Schüler und
Rafaels Nachfolger, Antonio da Sangallo, noch ebenso
denkt; seine Entwürfe zur Fassade von S. Peter be-
zeugen die nämliche malerische Tendenz der Hoch-
renaissance bis an das Ende. In überraschender
Breite dehnt sich nach seiner Absicht der Frontbau
mit offenen Säulenhallen unten und Glockentürmen
an den Ecken, so dass über einem niedrigen Mittel-
giebel erst die zurückliegende Kuppel als Dominante
der auf- und absteigenden Gruppe hervortritt. Bei
solcher Disposition der Bauteile kann also nur ein
bildmäfsiges Zusammenwirken für einen Standpunkt
erwartet werden , eben für die Vorderansicht der
Fassade, und zu Gunsten dieser malerischen Auf-
fassung wird der monumentale Zusammenhalt des
Baukörpers preisgegeben. Es ist die nämliche Be-
handlung der Kirchenfront, der wir auch in Michel-
angelos Entwürfen für S. Lorenzo in seiner Heimat
Florenz begegnen, wenn hier (1516) auch zwei nie-
drigere Risalite zu den Seiten mit Segmentgiebel das
höhere Hauptstück mit Dreieckgiebel in die Mitte
nehmen. Im zweiten Entwurf (15 17— 15 19) handelt
es sich nicht nur um eine vorgelegte Wandverklei-
dung, sondern um eine hallenartige Vorlage, in der
i) Vgl. auch Wölff lins Charakteristik (Renaissance und Barock),
dessen Auffassung Sangallos ich im folgenden allerdings wider-
sprechen muss.
>
Hochrenaissance
35
unten also die Raumöffnung vorherrscht, während
oben reicher Schmuck von stehenden und sitzenden
Statuen (zwölf in Marmor, sechs in Bronce), nebst
zahlreichen Broncerehefs den Gesamteindruck voll-
enden musste, der, nach Michelangelos eigenem Ver-
sprechen, als ,,der Spiegel der Baukunst und Skulp-
tur von ganz Italien" erscheinen sollte. Wir können
jedoch nicht verhehlen: je mehr die Wucht der Ge-
staltenbildung den Wettkampf mit den plastischen
EinzelgUedern der Architektur selbst aufnahm, desto
mehr musste das Ganze — der malerischen Auffassung
anheimfallen, die allein das Nebeneinander der Kör-
per im Raum zu einem Gesamteindruck vereinigen
konnte !
Nehmen wir zu diesen entscheidenden Kirchen-
bauten noch die einflussreichen Beispiele von Villen,
die Farnesina für Agostino Chigi mit ihrer Querhalle
zwischen den Flügeln, die Entwürfe Rafaels zur Villa
Madama für den Kardinal Giulio de' Medici mit
ihrer lockeren Gruppierung selbständigerer GUeder,
so kann das Vorhandensein einer starken malerischen
Intention in den Bauwerken der Hochrenaissance
gerade in den Tagen Leos X. nicht mehr bezweifelt
werden. In ihr liegt sogar der Schlüssel zum Ver-
ständnis ihres Wesens , den man bis dahin anders-
wo gesucht.
Diese Richtung hängt mit dem innersten Cha-
rakter des ganzen Kunstgeistes der Renaissance zu-
sammen. Sie will als ,,menschHche Kunst sich nur
einreihen in den Zusammenhang der Naturgebilde
und damit in jene allgemeine Harmonie der Dinge",
3*
36
Geschichtliche Vorbereitung
die bei ihrem prophetischen Theoretiker Leonbattista
Alberti wiederholt einen begeisterten Ausdruck findet.
,,Das Geheimnis Hegt eben darin, dass die Kunst
arbeitet wie die Natur, in dem Einzelnen stets das
Bild des Ganzen wiederholt", erklärt auch Wölfflin.^)
Und wenn wir darin einig sind , dass die Schönheit
in der Architektur Bramantes und Aller, die in sei-
nem Geiste schaffen, in der Harmonie eines viel-
gHedrigen Ganzen beruhe , so bedarf es nur der
weiteren Frage, wie weit schon die simultane, oder
wie weit dagegen erst die successive Auffassung des
Mannichfaltigen imstande sei, eben diese ,, Harmonie"
zu erfassen (also auch ihre Melodie zu verfolgen?).
Dann wird es klar, eine wie bedeutende Rolle dem
Nebeneinander der Formen links und rechts von
einer Mitte zufällt, also der Breite unseres Sehfeldes.
Je mehr Einzelglieder sich nach den Gesetzen der
Symmetrie und Proportionalität unter einer solchen
Mittelaxe zusammen gruppieren, desto weiter muss
der Abstand des Beschauers werden , der sie als
Einheit umspannen will, desto entschiedener stellt
sich die Projektion des Körperlichen und Räumlichen
in die Fläche des Fernbildes ein, d. h. der male-
rische Standpunkt des geniessenden wie vorher des
schaffenden Subjekts.
Die Baukunst braucht deshalb noch nicht ihr
eigentümliches Wesen zu verlassen , da ihr überall
in ihrer Raumentfaltung die successive Auffassung
an der Hand der Ortsbewegung zu Hülfe kommt;
i) A. a. O. S. 54 u. 57.
Der Begriff „Renaissance"
37
aber sie geht hier unläugbar Wirkungen nach , die
der Schwesterkunst Malerei vor allen vertraut sind,
ja sie lebt sich im Verfolg der höchsten Schönheit
als Harmonie wie von selbst in die eigenste An-
schauung des Malerischen ein. Damit erst blicken
wir in die Tiefe der Renaissancekunst und zugleich
in die historischen Bedingungen ihres Wesens.
Der Name „Renaissance" bezeichnet in der
Kunstgeschichte eine Periode, deren historische Be-
dingungen durchaus einseitig verkannt werden, wenn
man sie nur in der Nachahmung der Antike sucht.
Davor hat schon Jakob Burckhardt gewarnt , obwol
er selbst seiner eignen Bildung gemäfs im Wesent-
Hchen bei dieser Anschauung beharrt. Daneben
weist er nur auf die eigene Schöpferkraft der Künst-
lergeneration ; das ist sehr wichtig , in den Händen
Anderer zum umwälzenden Gesichtspunkt geworden.
Aber auch damit sind die Voraussetzungen nicht er-
schöpft , wie man leicht gewahr wird , sowie man
weiter fragt: wo liegen nun die Wurzeln dieser Kraft.?*
Ist sie ausschliefsUch angebornes Kunstgenie , oder
ist auch sie in einem merklichen Grade der Eltern
Erbteil.!^ — Das heisst, die Renaissance ist für
den Historiker eine ganz bestimmte Periode,
die das Mittelalter in erster Linie voraussetzt, auf das
sie folgt, aus dem sie herauswächst, so sehr sie sich
dazu im Gegensatz fühlen mag. Wir brauchen zu
ihrer Erklärung diesen Faktor ebenso notwendig wie
das wieder entdeckte Altertum, zu dem man zurück-
38
Geschichtliche Vorbereitung
kehren möchte; ja, wir brauchen dies Erbe der
leibhchen Väter vielleicht notwendiger als das Ideal,
dem die neue Generation nachstrebt , die Antike,
die man wieder zu erobern wähnt. Alle Kunsttradi-
tion , alle Schulung im Handwerk ist gotisch , ohne
Frage, und es wäre Sache der vorurteilsfreien For-
schung festzustellen, wie viel trotz alles antikischen
Eifers die Anschauungen und Empfindungen der
Künstler noch mittelalterlich bleiben , gleich den
Darstellungskreisen, die Volk und Kirche von ihnen
neu belebt zu sehen verlangen.
In dem unvermittelten , oder doch ungenügend
ausgegUchenen Nebeneinanderbestehen der mittel-
alterlichen Vererbung und der antiken Erwerbung
liegt der Charakter der Kunst beschlossen, die wir
Frührenaissance" nennen , wenn erst die originelle
Schöpferkraft als Antrieb wenigstens begriffen wird.
Wichtiger noch erscheint die Erkenntnis , dass der
entwickelte Stil, den wir „Hochrenaissance" heissen,
seinem innersten Wesen nach nicht sowol auf einer
glücklichen Nachahmung der Antike beruht, sondern
vielmehr auf einer glücklichen Vereinigung des mit-
telalterlichen und des antiken Kunstideals, und zwar
im Sinne eines Neuen , das kulturgeschichtlich nur
als die Wiedergeburt des ganzen Menschen zu har-
monischer Entwickelung aller Anlagen, zu glücklich-
stem Zusammenwirken seiner physischen und psy-
chischen Kräfte bezeichnet werden darf.
Deshalb ist in den Augen des Kunsthistorikers
jedenfalls alle andere Verwendung des Wortes ,, Re-
naissance" nach der etymologischen Bedeutung in
Der Begriff „Renaissance"
39
den romanischen Sprachen ein Unfug, und Verbin-
dungen wie ,,karohngische Renaissance", ,, romanische
Renaissance", ja schon Burckhardts ,,Protorenais-
sance" sind ebensoviel Begriffsverwirrungen. Könnte
man doch in ebenso wolfeiler Geistreichelei mit
dem Ausdruck ,, romanische Renaissance" denKirchen-
baustil Brunelleschis bezeichnen und hielte sich da-
mit noch frei von dem historischen Anachronismus
oder dem philologischen Pleonasmus , denen alle
Übertragungen dieses Terminus ins volle Mittelalter
anheimfallen. Uns ist die Renaissance in histo-
rischem Sinne nur Eine bestimmte Periode,!
die das Mittelalter ablöst und, es wird sich j
später zeigen wie weit, bis an die Neuzeit reicht;'
in ästhetischem Sinne verstehen wir darunter einen
Stil , der sich wieder in drei Entwickelungsphasen :
Früh-, Hoch- und Spätrenaissance gliedert, und
zu dem Barock wie Rokoko jedenfalls auch in be-
stimmter Beziehung stehen müssen.
Die geschichtliche Mission eines grossen Meisters
der Hochrenaissance wie Bramante z. B. wird, nach
den mafsgebenden Forschungen Geymüllers nur be-
griffen, wenn man sich klar macht, was sein Aufent-
halt in der Lombardei, nach der Herkunft von Urbino
aus dem Wirkungskreis des Luciano Lauranna und des
Leonbattista Alberti, für seine Kunst bedeutete. Dem
mittelalterhchen Kirchenbau in Oberitalien, besonders
den reichen romanischen Basiliken mitEmporen, Zwerg-
galerien, Vierungskuppeln, der luftigen Leichtigkeit
40
Geschichtliche Vorbereitung
und dem farbigen Reichtum der Backsteinarchitektur
aus gotischer Zeit, der vielgHedrigen Gruppierung
der Einzelformen im Innern , wie der Baukörper im
Äussern, von Haupt- un^d Nebenapsiden, Dreikonchen-
Anlagen, zu TurmtraWnten und Nebenkuppeln , das
Alles ist in seine umfassende Baukunst verarbeitet,
und es reicht durchaus nicht hin, auf das eine Bei-
spiel, das Geymüller mit dem Ausdruck ,, rhythmische
Travee" bezeichnet, allein Rücksicht zu nehmen. Es
ist die Gesamtheit der mittelalterlichen Architektur,
in die er sich mit voller Sachkenntnis bis zur Voll-
endungsfrage des gotischen Doms von Mailand ver-
tieft hat , und die Aufnahme aller kongenialen Ele-
mente aus diesem Erbe, die er in Rom dann, mitten
im erneuten Studium der Antike, verwertet. Welcher
antike Bau oder welche Verbindung vorhandener
Beispiele aus dem Altertum genügte wol, die har-
monische Schönheit seiner Idee für S. Peter zu er-
klären — ganz abgesehen von den beweiskräftigen
Bindegliedern zwischen Oberitalien und Rom , wie
Cancellaria und Vatikan, die das Studium des Mittel-
alters in demselben Umfang dartun. Die Verbindung
mittelalterlich toskanischer Rustika als Sockel und
römisch-antiker Säulen als Hauptordnung am eigenen
Hause ist ebenso charakteristisch für dies Verhältnis,
wie malerisch empfunden als Erscheinung.
Mit dieser Erkenntnis modifiziert sich auch etwas
die Charakteristik der ,, Hochrenaissance". Schon
Geymüllers Ausdruck ,, rhythmisch" für die Gliede-
rung eines Gewölbejoches im Innern oder einer ent-
sprechenden Abteilung der Fassade , d. h. für den
Hochrenaissance
41
komplizierten strophenähnlichen Aufbau einer zu-
sammengehörigen Gruppe von Einzelgliedern, die in
regelmässiger Reihe wiederkehrt oder doch an korre-
spondierender Stelle ihr Gegenbild findet, mit der
Verschränkung der Reimpaare und dem Wechsel der
SchnelHgkeit in der Gliederfolge — all diese nur in
successiver Auffassung geniefsbaren Eigenschaften
einer solchen ,,Travee", die aus einfacher Arkaden-
öffnung unten , mehrgliedriger Emporenarkade dar-
über und Lichtgadenfeld mit Fenster oben, ja noch
der Gewölbkappe bis zum Schlussstein hinauf be-
stehen müsste, — sie fordern die Aufnahme der
,, Bewegung" als ein wesentliches Charakteristikum
und gestatten nicht mehr, die Renaissance aus-
schliesslich als ,, Kunst des schönen ruhigen Seins"
zu bezeichnen , wie noch Wölfflin es versucht. In
solchem Bau Bramantes ist Alles Leben und Be-
wegung, aber in heiterer Harmonie oder melo-
dischem Verlauf. Eben dadurch bietet er jene be-
freiende Schönheit , die wir als allgemeines Wol-
gefühl und gleichmäfsige Steigerung unserer Lebens-
lust empfinden. An seiner vollkommenen Schöpfung
findet man allerdings ,, nichts , was gedrückt oder
gehemmt, unruhig und aufgeregt wäre; jede Form
ist frei und ganz und leicht zur Erscheinung ge-
kommen ; der Bogen wölbt sich im reinsten Rund",
— hier weit und klar, dort in eiHgerem fröhlichem
Schwünge. Alles atmet Befriedigung, als flösse den
Menschen darin , wie ihren Göttern droben , das
Leben in seHger Heiterkeit ,,ewig klar und spiegel-
rein" dahin. Wenn auch in munterem Wellen-
42
Geschichtliche Vorbereitung
gekräusel , ja in schäumender Bewegung ohn' Er-
matten und Erlahmen die angeregten Vorstellungen
in uns sich fortpflanzen , werden sie doch auch
nirgends gewaltsam ünd tobend, im Schwall mit sich
fortreissend, ausser Rand und Band geraten. Aussen-
welt und Innenwelt haben sich , wie Altertum und
Mittelalter in der vollendeten Renaissance, zu glück-
lichstem Einklang zusammengefunden.
Aber dieser Einklang, zu dem die Wiedergeburt
des ganzen Menschen in jenen Tagen der höchsten
Blüte gedeiht, ist nur von kurzer Dauer. Seit dem
Tode Rafaels keine reine Lösung mehr ! Sei es die
grausame Hand des Schicksals , die rächende der
Nemesis, die Angst schon vor dem Neid der Götter
oder die Ahnung des Widerspruchs der Welt zu
dem idealen Dasein der Olympischen in Rom. Es
genügt schon sich zu erinnern : ,, nichts ist schwerer
zu ertragen, als eine Reihe von guten Tagen". —
Ein einziger Anstoss, ein leichtes Zucken genügt,
das Gleichmafs der Schwingungswellen zu verschie-
ben, den Zusammenklang zu stören und zu drang-
vollem Zuwiderwogen, wo nicht schrillem Missklang
zu steigern.
3. EIN MALERISCHER STIL?
So stehen wir, wenigstens um einige Winke be-
reichert, der Frage gegenüber: was wird aus der
Renaissance.
,,Man hat sich gewöhnt, den Stil, in den die
Renaissance sich auflöst oder — wie man sich öfter
Ein malerischer Baustil?
43
ausdrückt — in den die Renaissance entartet," unter
dem Namen Barock zu begreifen.
Als wesentlichstes Merkmal dieses Stiles wird
aber übereinstimmend von den Geschichtschreibern
der Kunst ,,der malerische Charakter" angegeben.
Besonders Jakob Burckhardt, dessen glänzende
Charakteristik für alle folgenden Versuche mafs-
gebend geblieben ist, hat von dem ,, malerischen
Grundgefühl des Barockstiles" gesprochen und mehr
als ein Prinzip, das aller strengen Architektur wider-
streitet, in malerischen Grundsätzen erkannt. ,, Ab-
wechslung in den Linien und starke Schattenwirkung,
möglichste Verschiedenheit in Haupt- und Neben-
formen , in der gleichzeitigen Ansicht homogener
Bauglieder, in der Aneinanderreihung hellerer und
dunklerer Räume" u. s. w. hebt er ausdrücklich her-
vor; aber auch ,,ein starkes ReUef, ein Vorwärts-
und Rückwärtstreten der Mauerkörper" im Interesse
der Licht- und Schattenkontraste, und ,,die Schein-
erweiterung für das Auge, die perspektivische Ver-
tiefung der Fassaden".
In dieser Auffassung ist ihm, ausser Robert Dohme
in einzelnen Aufsätzen, auch Cornelius Gurlitt gefolgt,
der sein Buch eine ,, Geschichte des Barockstiles, des
Rococo und des Klassicismus" nennt und in der
Vorrede besonders hervorhebt, er wolle die Erschei-
nungen der Baukunst nicht ,,von vorhergefassten
Grundsätzen aburteilen" (Stuttgart 1887, 3 Bde.).
Ihm hat Heinrich Wölfflin in seiner Schrift
,, Renaissance und Barock, eine Untersuchung über
Wesen und Entstehung des Barockstiles in Italien"
44 Kritische Vorbereitung
(München 1888) ein hartes Urteil gesprochen, das
von seinem Standpunkt aus sicher zutrifft, doch gern
die zahlreichen Einzelbeobachtungen und unentbehr-
lichen Vorarbeiten anerkennen durfte, auf denen er
selber fufst. Wölfflins Abhandlung hat jedenfalls die
Erkenntnis des Stiles in seinem Wesen seit Burck-
hardt am entschiedensten gefördert. Er geht vor
allen Dingen darauf aus, den Ursprung zu begreifen,
das Verhältnis des Neuen zur Renaissance aufzuklären.
Bei solcher Stellung der Aufgabe liegt die Gefahr
nahe, entweder die Gegensätze allzu sehr zu ver-
schärfen, oder andrerseits vereinzelte Vorboten des
Kommenden schon als Belege des Vorhandenseins
hervorzuheben. Dagegen liegt ein unbestreitbares
Verdienst in der scharfen Betonung der Herkunft
des Stiles von Rom, ja in der Neigung vorerst ,, über-
haupt nur von einem römischen Barock zu sprechen".
Dieser Einsicht liegt bereits Jakob Burckhardts Schil-
derung zu Grunde , die sich überwiegend auf rö-
mische Beispiele beruft, aber durch Seitenblicke auf
den weiteren Umkreis wieder unbestimmter wird.
Schon hier ist die entscheidende Bemerkung über
Venedig. So konnte das historische wie das
aesthetische Verständnis nur gewinnen , wenn die
Uberzeugung: ,,aus der Hochrenaissance in Rom
führt der Weg unmittelbar in den Barock hinein"
einmal entschieden durchgeführt wurde. Die me-
thodische Konsequenz ist heilsamer zur Förderung
echt wissenschaftlicher Erkenntnis , auch wenn sie
nachträglich modifiziert werden müsste, als unsicheres
Schwanken ohne klaren Begriff von der Hauptsache.
Barock und Rokoko
45
Doch konnte es leider nicht ohne nachteiUge
Folgen bleiben, wenn die andre Seite, die weitere
Durchführung des Stiles zu kurz kam. Schon Burck-
hardt bemerkt, dass die geschichtliche Darstellung
bei Bernini unbedingt einen neuen Abschnitt an-
fangen müsste. Und Wölfflin selbst gesteht, dass
man Mühe habe, die durchgehenden Züge zu erkennen
und festzuhalten , Anfang und Ende sähen sich
wenig gleich. Seine Betrachtung bricht denn auch
ab, wo die Bewährung des ursprünglichen Charakters
stattfinden sollte; aber dieser Verzicht hat keines-
wegs vor dem Fehler behütet, einzelne Symptome
der spätem Entwickelung schon in die Grundlage
aufzunehmen. So ist das Wichtige , das Wölfflin
bietet, nicht allein freiwiUig ein Bruchstück geblieben,
sondern auch als Erkenntnis des Wesens nicht all-
seitig ausgereift und an den historischen Erschei-
nungen erprobt, wie dies nur im Verfolg des ganzen
Zusammenhanges erreicht werden konnte.
Auch ihm fehlt ausserdem eine bündige De-
finition des Malerischen, und damit auch der übrigen
Künste, so dass er meines Erachtens Architektur und
Plastik gradezu einer Verwechslung aussetzt.^) Diese
Unbestimmtheit wirkt aber um so empfindhcher, als
der geschichtliche Prozess, der begriffen werden soll,
nicht auf die Baukunst allein beschränkt bleibt, son-
dern vielmehr eine ,, allgemeine Formwandlung be-
deutet, die alle Künste durchzieht," — wie er selber
weiss — , jedenfalls zwischen Architektur, Plastik und
i) Vgl. Heft I dieser Beiträge, S. löfF.
46
Kritische Vorbereitung
Malerei gleichmäfsig an allen kritischen Punkten zum
Austrag kommen muss.
Wölfflin gelangt denn auch zu der Ansicht, dass
der Begriff des Malerischen in seiner Allgemeinheit
nicht fähig sei, den Barock zu fassen, wie man es
bisher versucht hat. Leider gerät er dann selbst
auf den erkannten Abweg zurück, und die ganze
Analyse des ,, malerischen Stiles" in der Malerei, die
er voranschickt, scheint nur der folgenden Charak-
teristik des Baustiles zuKebe vorweggenommen, wirkt
aber ebendeshalb auf unerfahrene Leser (wie ich an
Schülern und Freunden erlebt) fascinierend, so dass
sie dem Circulus vitiosus unvermerkt erliegen. Und
grade in diesen Abschnitten (S. 52 f. 71 ff.) stecken
auch die zeitUchen Anticipationen, werden Symptome
des Späteren, nicht ohne Eingeständnis des Verfassers
selbst mit der Wesensbestimmung des Barock ver-
quickt. Und die zusammenfassende Erklärung lautet:
,,der interessante Prozess, der in Italien beobachtet
werden kann, ist der Obergang vom Strengen zum
Freien und Malerischen, vom Geformten zum
Formlose n."
Demzufolge hätten wir nach dem allgemeinen
Urteil im Barock einen ganzen Stil , in dem ,,das
Malerische in der Architektur" ausgiebig genug zur
Erscheinung gekommen, also ein lehrreiches Beispiel
für unsere kritische Auseinandersetzung, die einer
ruhigen historischen Würdigung der Jahrhunderte
zwischen der höchsten Blüte der Hochrenaissance
und dem Beginn der Neuzeit, ja bis zum heutigen
Barock und Rokoko
47
Ringen nach Objektivität, jedenfalls vorangehen muss.
Unser Beitrag zur Frage nach dem Malerischen, mit
seinem Versuch, den Grundbegriff wenigstens für
die Malerei als solche zunächst festzustellen und
seine Entwickelung durch mafsgebende Perioden der
Geschichte zu verfolgen, hat uns hoffentlich auch
hier schon den Weg bereitet. Unser Standpunkt
hat sich der Frage nach dem Wesen des Barock
gegenüber schon verschoben, und zwar besonders in
zwei Beziehungen:
Erstens haben wir die Berechtigung des Male-
rischen in der Baukunst selber nachzuweisen ver-
sucht , sind also vor dem engherzigen Vorurteil
bewahrt , als ob malerische Absichten an und für
sich den Ruin der Architektur als Kunst bedeuten
müssten oder mit aller strengen Architektur in Wider-
spruch gerieten.
Zweitens haben wir im Fortschritt der Früh-
renaissance und Hochrenaissance selbst bereits An-
wandlungen malerischer Tendenz zu erkennen ge-
glaubt, können also von vornherein WölffUns
Ergebnis beipflichten, dass der. Begriff des Malerischen
in seiner Allgemeinheit nicht fähig sei, den Barock
zu fassen; der ,, malerische Charakter" könnte kein
hinreichend unterscheidendes Merkmal dieses Neuen
gegenüber der Renaissance ergeben, wie man bis
dahin meint.
Damit ist aber drittens ein engerer Zusammen-
hang zwischem dem Barock und dem grossen kunst-
geschichthchen Prozess anerkannt, den wir ,, Renais-
sance" nennen. Der Barock ist eine Abwandlung
48
Barock und Rokoko
der Renaissance; es fragt sich, wie weit er etwa
eine Ai|flösung, oder gar, wie Andre sich ausdrücken,
eine Entartung ihres Wesens bedeute. Ich will mit
dem Wort ,, Abwandlung'-' jeden moralischen Bei-
geschmack vermeiden, den ,, Entartung eines Charak-
ters" so leicht bekommt, wenn es sich tatsächlich
auch mehr um Entstehung einer Abart in natur-
wissenschaftUchem Sinne handeln könnte, bei dem
ethische Reflexionen vorerst nicht zu Worte kommen
sollen. Eben deshalb, weil wir beim Barock noch
immer den breiteren Strom der Renaissance weiter-
fluten sehen, mag sein Lauf auch müder, sein Bett
seichter werden, eben deshalb erstreckt sich unsre
Betrachtung weiter auch auf das Rokoko. ^) Auch
ihm stellen wir die Frage, wie steht es mit dem Male-
rischen in der Architektur
Erst die Erweiterung der Hauptfrage: welchen
Anteil hat die Malerei als eigene Grofsmacht an
der Stilbildung dieser Perioden überhaupt.^ — vermag
zur ersehnten Einhelligkeit in der Beurteilung der
historischen Tatsachen und zur fruchtbaren Ver-
wertung aesthetischer Erkenntnis hindurchzuführen.
Ich möchte an dieser Stelle ausdrücklich den
Leistungen der Vorgänger die Anerkennung zollen,
i) Die Schrift von Paul Schumann, Barock und Rococo,
Leipzig 1885, trägt diesen Haupttitel mit Unrecht; sie enthält im
Wesentlichen nur „vStudien zur Baugeschichte des 18. Jahrhunderts
mit besonderem Bezug auf Dresden", wie der Untertitel lautet, und
sucht in einer Einleitung dem Rokoko an der Hand der Theoretiker
jener Zeit beizukommen, — ein Versuch, über den ich an seiner
Stelle meine Ansicht aussprechen muss.
Barock und Rokoko
49
die jeder an seinem Teil verdient hat und bei dem
Stand der Forschung erwarten darf; denn ohne ihre
Vorarbeit würde es mir nicht mögUch sein, meine
Gesichtspunkte auch nur soweit durchzuführen, wie
ich es im Folgenden versucht habe. Für grosse
Kapitel freilich fehlt die Beschreibung, Veröffent-
Hchung, Beobachtung nach durchgehenden Gesichts-
punkten fast vollständig, weil man sich gewöhnt hat,
die innere Raumbildung als solche über den Einzel-
formen zu vergessen, statt immer von ihr als Haupt-
sache auszugehen. Dagegen habe ich mir zur Pflicht
gemacht , überall , wo ich die Feststellung des
Sachverhaltes bereits vorfand, sie möglichst ebenso
herüberzunehmen, um so die objektive Zuverlässigkeit
meiner oft sehr abweichenden Erklärung zu sichern.
So wenigstens wird eine Verständigung über die
Tatsachen, die wir ins Auge fassen, am schnellsten
erreichbar sein, und die Differenz der Ansichten, die
ich gewärtigen muss, sich nur auf die Auslegung
oder Verwertung des Materials beziehen können.
Diese Geduldsprobe für mich schien vielleicht über-
flüssig , wenn meine Schrift sich allein an Fach-
genossen wendete, die sich mit diesen Perioden der
Kunst eingehend beschäftigt haben, so dass sie keiner
Schilderung bedürfen; sie wurde notwendig für jeden
weiteren Leserkreis, dem am liebsten die wenigen
entscheidenden Beispiele , die ich auswähle , nicht
allein in Worten, sondern auch in Abbildungen vor-
geführt werden sollten.
Schmarsow, Barock und Rokoko.
4
n.
MICHELANGELO
ALS BEGRÜNDER DES BAROCKSTILS
ichelangelo Buonarroti gilt bei allen bisherigen
Forschern, bei Burckhardt, Gurlitt und Wölff-
lin, als der eigentliche ,, Vater des Barock".
Gurlitt freilich beginnt trotz dieser Bezeichnung des
Urhebers seine Geschichte des Barockstiles erst nach
Michelangelo. Burckhardt hat seine Bemerkungen
nur gelegentlich eingeflochten. Wölff"lin erklärt :
,,jede Linie von ihm ist wichtig". — ,,Die ganze
folgende Entwickelung ist abhängig von ihm. Es
kann sich keiner , der in seine Nähe kommt , dem
Zauber entziehen ; keiner wagt aber, ihn direkt nach-
zuahmen." War es darnach nicht geboten , sein
Schaffen in diesem Sinn für sich allein heraus-
zuheben, besonders wenn der Zug der Übrigen nicht
unmittelbar in seine Fufstapfen tritt .^^
Wer die Frage stellt, ob sich der Stil einer
ganzen grossen Kunstperiode aus dem persönlichen
Schaffen eines Einzelnen erklären lasse, der darf zu-
nächst allein nach dem künstlerischen Wollen dieses
Prinzipielles
51
Schöpfers fragen. Damit würde schon ein wesent-
Ucher Fehler vermieden, der aus einer Vermischung
dieses Faktors mit dem gänzlich anders gearteten
der psychologischen Wirkung des Werkes auf den
Betrachter entsteht, ein Fehler, der in Wölfflins
Schrift durchgehends auftritt und leider störende
Trugschlüsse veranlasst.
Bei einem solchen Zutrauen zu der Machtvoll-
kommenheit des schöpferischen Subjekts kommt es
darauf an , alle seine Äusserungen aus der Einheit
des Ich zu verstehen. Die vorhandenen Mittel, die
er aus dem Vorrat der Vergangenheit herausgreift,
die neuen Anv^endungen und Verbindungen, die er
sich zurecht macht, oder die bis dahin völlig un-
erhörten Bestandteile der Formensprache, die er er-
findet, um zum Ausdruck seines Wesens zu dienen,
sie dürfen zunächst nur darauf geprüft werden, was
sie im Zusammenhang seiner Originalität bedeuten.
Erst in zweiter Linie oder gar für eine folgende
Phase der Entwickelung kommt dagegen der Ein-
druck seiner Werke auf die Zeitgenossen in Betracht.
Die Sorge um die Art der psychologischen Wirkung
auf die Mitmenschen mochte solchem Genius , je
notwendiger er schuf, und besonders bei den per-
sönlichen Eigenschaften eines Michelangelo, vielleicht
ganz gleichgiltig sein, zumal in einem Alter, wo die
Erfahrung ihn gelehrt, dass er doch unverstanden
bleibe. Jedenfalls aber müssen seine Schöpfungen
erst eine Weile dagestanden haben, bevor sie, selbst
auf andere Künstlernaturen, bestimmend weiter wir-
ken konnten. Oft werden erst folgende Generationen
4*
Michelangelo
des vollen Sinnes seiner Taten inne. Je grösser er
selbst an subjektiver Begabung, desto schwerer wird
es vollends dem Verehrer, den Fortschritt seines
Geistes, vielleicht gar einen tiefgreifenden Um-
schwung seiner Überzeugungen zu begreifen ; grade
die eifrigsten Jünger ahmen die Werke der frühern
wie der spätem Zeit unterschiedslos nach. Und ob
die Epigonen, die sein Wollen durchschauen , auch
die Kraft haben, noch Verwandtes hervorzubringen,
ist eine andere Frage. Desto näher Hegt alsdann
die Absicht auf verlangte Wirkungen. Auch hier
vermag nur strenge chronologische Sonderung uns
einigermafsen vor Irrtümern zu bewahren. Und eine
einzige unbemerkte Falte verschuldet schon , dass
das Ganze , das wir sorgsam ab- und wieder auf-
gerollt, am Ende doch schief gewickelt daliegt, so
dass der BUck des Unbefangenen sich nicht dabei
beruhigen kann.
Wer aber zu der Einsicht, oder nur auf die
Vermutung gekommen ist, die Anfänge des Barock-
stiles lägen bei keinem Andern als Michelangelo,
soweit überhaupt das Weltschicksal der Kunst je-
mals von Einem Menschen ausgegangen, — der
darf seinen Ausgangspunkt auch nur da nehmen,
wo Michelangelo selbst den Kernpunkt seines Wesens
immer erkannt hat : nicht beim Architekten , noch
beim Maler, sondern beim Bildhauer. Gezwungen
fast und widerstrebend übernimmt er spät erst Auf-
gaben der Architektur im Grossen; nach langem
Kampfe bestimmt ihn der Wille des Papstes, die
Decke der Sixtinischen Kapelle zu malen; nur pla-
Der Bildner
53
stische Schöpfungen hat er immer aus eigenstem
Antrieb verkörpern wollen oder auch in anderem
Material unwillkürlich zum Dasein geboren. Es wäre
doch ebenso unerlaubte wie gefährliche Willkür, die-
sem Gange seines Künstlerwillens nicht auch unsrer-
seits zu folgen. Die wichtigsten Urkunden für die
Entstehung des Barock sind Michelangelos Skulp-
turen ; der Bildner muss zuerst zu Worte kommen.
Wenn von dem grössten Plastiker der Früh-
renaissance, Donatello, mit Recht gesagt worden ist:
Altertum und Mittelalter haben an seiner Wiege ge-
sessen , haben ihre Gaben gespendet , ihre Lieder
gesungen und um die Wette seine ersten Jahre be-
stimmt , um ihn schliesslich einander streitig zu
machen ; aber keins von beiden hat ihn ganz ge-
wonnen, weil er, ein Kind der neuen Zeit, aus bei-
den erwachsen, von beiden erzogen, von dem einen
nicht lassen kann, um dem andern allein zu folgen,
eben ein Neues war, das sich von allem Früheren
unterschied,-^) — so darf dies ebenso von Michel-
angelo gelten. Denn auch er hat mit der heid-
nischen Antike, wie mit dem christHchen Mittelalter
gerungen, um sich selber durchzusetzen, wie eben
er geartet war. Er ist in seinen Jugendwerken ein
Angehöriger des fünfzehnten Jahrhunderts gleich den
andern Meistern im letzten Viertel des Quattro-
cento, und es wäre gänzlich unhistorisch und gänz-
i) Schmarsow, Donatello, eine Studie über den Entwickelungs-
gang des Meisters und die Reihenfolge seiner Werke. Breslau und
Leipzig 1886.
1
54 Michelangelo
lich^-<mpsychologisch , aus einzelnen unläugbaren
Symptomen , die als Vorboten seiner persönlichen
Eigenart auftreten , den geborenen Meister des
„grossen Stiles" oder gar des Barock selber kon-
struieren zu wollen. In den Blütetagen der Hoch-
renaissance steigt Michelangelo dann neben Lionardo
und Bramante zur glücklichen Vereinigung jener
beiden Mächte, der Leibesschönheit und der Seelen-
schönheit auf, in originaler Schöpferlust, eingeweiht
in die heihgsten Mysterien des Piatonismus, in dem
die Besten seiner Zeit des Heidentums und Christen-
tums Versöhnung fanden. Und endlich wird er,
nach dem schnellen Fall des Medicäerglückes, nach
dem Tode Rafaels und der Zerstreuung seiner Erben,
zum Vater des Barock. NatürUch nur durch Ele-
mente, die von früh an in ihm steckten, aber als
die Zeit erfüllet war , nicht schon am Ende des
Quattrocento, noch unter dem heitern Sonnenschein
der Hochrenaissance, nicht vor den Tagen auch ihres
Niederganges. ^)
Während die Plünderung Roms das Ansehen
der glänzenden Hauptstadt erschütterte, und alle Ge-
müter, tief herabgedrückt, noch SchUmmeres erwar-
teten, — schuf Michelangelo das ErstUngswerk eines
i) Es liegt am Fortschritt der Kunstwissenschaft im allge-
meinen, dass die früheren grossen Biographieen Michelangelos diese
Stufenfolge nicht betonen und, wie es künftig geschehen muss, zur
Grundlage ihrer ganzen Disposition machen. Erst dann tritt auch
das Verhältnis der Spätrenaissance zu Michelangelo in das rechte
Licht, nämlich als negatives gegenüber dem Barockmeister, positiv
nur durch seinen Beitrag zur Hochrenaissance bestimmt.
Der Bildner
55
neuen Stiles, mit einem Wurf die Reihe der Riesen-
kinder in der Grabkapelle der Medici. Die Zer-
knirschung der Glücklichen wird für ihn zur Einkehr
in sich selbst; mit der Kraft des Geistes, die er
immer betätigt, sobald er sich selber gefunden, greift
er in das eigne Innere , greift er tiefer in die Ge-
heimnisse der Seelenwelt, als die andern Meister der
Hochrenaissance im Glück des Genusses es je ver-
suchten. Und diese Verinnerlichung des Ideen-
gehaltes bedarf notwendig einer stärkern Unterlage,
den Gedanken zu tragen, damit der plastische Kör-
per unter der Intensität des Ausdrucks , unter dem
tragischen Widerspruch der Gebärde nicht zusammen-
breche, gleich den mimisch lebhaften, aber leiblich
kaum lebensfähigen Gebilden der gotischen Skulptur.
Deshalb greift er mit seiner Titanenhand auch tiefer
in den bildsamen Stoff und nimmt ein gewaltiges
Mafs von Materie zur Durchgestaltung auf.
Es ist neuerdings wenigstens anerkannt, dass
Michelangelo in den ersten Jahrzehnten des sechzehn-
ten Jahrhunderts seine Statuen noch wesentlich um
ihres schönen Körpers willen bildete, dass die gleich-
mäfsige Durchbildung und Belebung der mensch-
hchen Gestalt auch sein Ziel war. Das letzte Werk
dieser Art ist der milde Christus als Sieger über den
Tod in S. M. sopra Minerva, das Ideal des Menschen-
sohnes nach dem Herzen der Renaissance, die Ver-
herrlichung eines schönen Mannes von römischem
Gewächs in reiner Nacktheit, durchaus dem Auf-
erstandenen in Rafaels Karton verwandt. Dieser
15 14 bestellten, aber erst 1521 vollendeten Statue
I
56(^ Michelangelo
ZU Rom sind noch die Idealportraits der Medici, in
der Grabkapelle zu Florenz, am nächsten verwandt,
in Auffassung sowol wie in Arbeit. Während die
Kapelle selbst in Plänen seit 15 19 vorbereitet war,
beginnt die Ausführung, nach dem Verzicht auf die
Fassade, seit 1521. Durch die politischen Ereignisse
unterbrochen, wird sie 1524 erst wieder aufgenom-
men und bis 1527 so weit gefördert, wie sie über-
haupt gedieh.
Die lagernden Gestalten von Tag und Nacht,
Morgen und Abend, bezeichnen den Anbruch einer
neuen Zeit und zugleich das Verhängnis ihres Ab-
laufs. Es ist ein andres Geschlecht, so grundver-
schieden von jenem Ideal der Renaissance, als wäre
nach dem jähen Untergang des goldenen Alters mit
diesem einen Schöpfungsakt ein ehernes geboren.
Michelangelo erscheint wie Deukalion nach der Zer-
störung der menschlichen Wesen: aus den Steinen,
die er hinwirft, weckt er sich Nachkommen; aber
sie bewahren die Felsnatur ihres Ursprungs. Um
ihretwillen allein schon nennen wir Michelangelo den
Vater des Barock.
Über das Wesen dieser plastischen Gebilde sind
die Stimmen einig. Die herkulische Bildung fällt
zunächst ins Auge : ,,mit allem Streben, der Statue
die vollkommenste Wirklichkeit zu verleihen , um
derentwillen er durch rastlose anatomische Studien
alle Ursachen und Äusserungen der menschlichen
Form und Bewegung zu ergründen trachtet, sucht
er doch nur das Übermenschliche," schreibt Jakob
Der Bildner
57
Burckhardt. ,,Ein Bild der gealterten Menschheit,
die sich nicht mehr in naivem Behagen ihres Lebens
im Leibe freut, sondern ihn nur als Werkzeug des
Geistes gebraucht," sagt der Anatom Henke, —
,, diese Gestalten lassen die wirklich verständliche
Beseelung des Körpers, das Spiel seiner Muskeln,
die Stellung der Knochen mit gesteigerter DeutHch-
keit erkennen, als wenn wir es im eigenen Körper
nachfühlten." ,,Die natürliche Harmonie zwischen
Leib und Seele, die Verkörperung des Lebens in
vollem Gebrauch seiner Organe wird zur Dissonanz,
wenn die GHeder getrennte Wege geführt werden,
dies hierhin, dies dorthin geworfen, das dritte sich
selbst überlassen." Die harmonische Schönheit der
Menschengestalt nach dem Vorbild der reinsten an-
tiken Meisterwerke ist also aufgegeben die gleich-
mäfsige Belebung des plastischen Gebildes durch
mimische Gebärdung gesteigert , um des stärkeren
Ausdrucks willen, und dies Hervorbrechen des Innen-
lebens durch gigantische Bildung nach Art spät-
römischer Kolossalfiguren unterstützt, ja es ist so
viel wie möglich ins Physische übertragen, so dass es
mit der Stärke eines elementaren Naturereignisses
uns entgegendringt. ,,Je mächtiger sich die Muskeln
auf diesen Schultern und Schenkeln häufen und auf
einen grossen Kraftvorrat schliessen lassen, je mehr
haben wir den Eindruck der Masse, die zu nichts
nütze ist, weil die Seele sie nicht mit Lust verwendet,
sich also auch nicht wol und wie in ihrem eigenen
Leibe darin zu Hause fühlt," meint der Anatom;
aber desto zwingender entsteht auch der Eindruck
58
Michelangelo
des Werdens von Innen her vor iinsern Augen
und des unläugbaren Zusammenhangs zwischen der
sinnUch sichtbaren Hülle und dem geheimnisvollen
Kern, aus dem die erste wie die letzte Regung
seelischen Lebens stammt. Sowie sich der Impuls
weiterstralend im Ganzen ausbreitet, so verflüchtigt
sich der Hinweis auf den Ursprung, und das Leib-
Uche an sich, das vegetative Gewächs selber scheint,
das Äusserliche, der Sitz und Schauplatz des Seelen-
lebens. Je einseitiger das Motiv und seine Steige-
rung von Innen her, desto notwendiger fordert dies
Festhalten des Augenblicks, dies Hängenbleiben im
ganz Transitorischen eine Ergänzung nach der Seite
ruhigen Bestandes und unbezweifelbarer Existenz,
desto unentbehrlicher wird die Quantität der Materie,
der Aufwand von Naturfülle, die herkulische Bildung
und die Nacktheit der Leiber. Als ächter Bildhauer
rechnet Michelangelo auch bei stärkster psycholo-
gischer Vertiefung in das Seelenleben mit der Aus-
drucksfähigkeit des ganzen Körpers und aller seiner
Gliedmafsen , im Zusammenwirken hier , im Aus-
einanderbleiben da, überall mehr als mit dem Mienen-
spiel allein. Deshalb kann er vollends in diesen
lagernden Gestalten die Gewandung garnicht brauchen,
deshalb erscheinen diese Titanen aber auch dem
modernen, der Nacktheit so ganz entfremdeten
Menschen so leicht als äusserliche Bravourstücke,
wol gar als seelenarme und gemütsleere Gebilde.
Aber gerade sie sind nichts weniger als das, wenn
auch übermenschlich an Innerlichkeit und Seelen-
grösse, gerade sie sind künstlerische Taten in voll-
Der Bildner
59
Stern Umfange und Eroberungen für die Bildnerei von
unmittelbarster Wahrhaftigkeit.
Ebenso entscheidend für die Kunst des Barock
wie dieses Verhältnis zwischen Motiv und Körper,
zwischen Mimischem und Plastischem der Einzelfigur,
ist die cyklische Komposition. Es war die Ver-
einigung einer Mehrzahl von Statuen zu einem zu-
sammenhängenden Ganzen geplant, das nur teilweise
zur Ausführung kam, und auch so nicht einmal zur
Aufstellung durch Michelangelo selbst. Vier Liegende
und zwei Sitzende sehen wir an den Grabmälern
jetzt, die Liegenden unten paarweis gesellt und doch
einander entgegen, die Sitzenden einander gegenüber
im Kontrast und doch ein Paar von Brüdern. Diese
oberen sind bekleidet, Idealportraits abgeschiedener
Persönlichkeiten ; die unteren nackt , riesenhafte
Naturwesen, deren Gebaren sich so persönlich zum
Ausdruck eines ganz subjektiven Widerspruchs gegen
das eigene unausweichliche Dasein zuspitzt, dass sich
ein Individuum und sein Geheimnis, die Stunde seines
Lebens selbst sich offenbart : Morgen und Abend,
Tag und Nacht ; aber diese Zeiten in einer Grab-
kapelle , im Angesicht des Todes , also im Banne
eines unerbittlichen , alle Daseinsfreude wie alle
Lebenstätigkeit lähmenden Gedankens. Der Morgen
ein verzweifeltes Erwachen, des Tages Vollkraft starr,
dem Hohn auf sich selber anheimgegeben, der Abend
erst müde zu sanfterer Wehmut geneigt , und die
Nacht, umhergeworfen, mitten in ruhelosem Seelen-
schmerz vom Schlaf übermannt. Erlöserin ins Dunkel
der Vergessenheit zurück. Und über dem Auf und
60
Michelangelo
Ab dieser wiederkehrenden Bewegung die beiden
sitzenden Fürsten, zu Herren dieser Welt, zu Macht-
habern dieses Daseins berufen, der Denker hier, der
Handler dort, mit dem Blick nach Innen und nach
Aussen, aber beide erstarrt, der eine im Grübeln,
der andre im Wollen, als entschleiere sich eben
das Bild von Sais und zeige das Medusenhaupt des
Todes. ^)
Als plastisches Werk nicht so sehr den gemalten
Propheten an der Decke der Sixtina, als vielmehr
diesen cyklischen Gestalten der Medicäerkapelle ver-
wandt , erscheint auch der Moses in S. Pietro in
vincoli. Auch er ist mit einer Mehrzahl von Figuren
in Zusammenhang gedacht, in seiner einseitigen Be-
handlung nur so erklärbar, nachträglich erst — in
verzweifelter Resignation — so als Hauptstück unten
aufgestellt, wie er jetzt — immer unvorteilhaft —
gesehen wird. Auch hier die nämlichen Grundlagen
des künstlerischen Schaffens wie dort, die Steigerung
der physischen Macht, mit der er ausgestattet ist,
wie der geistigen Energie, mit der er den gewaltigen
Ausbruch zurückhält, zum Eindruck eines Über-
menschUchen. Nicht allein der Knochenbau, Umfang
und Grösse der Körperformen gehen über das ge-
wöhnhche Mafs auch der Helden des menschlichen
Geschlechtes hinaus, sondern Arme und Hände zeigen
anerkanntermafsen das charakteristische Leben dieser
i) Vgl. Dialogi di Messer Donato Giannotti (Firenze 1859);
L. V. Scheffler , Michelangelo (Altenburg 1892) und neuerdings
O. Ollendorf, Preuss. Jahrb. 81, 2 (1895).
Der Bildner
61
Teile auf eine Weise hervorgetrieben, die in Wirk-
lichkeit nicht so vorkommt. Ja, der Kontrast der
Haltung des rechten Armes, der fest aufgestützt auf
die Gesetztafeln drückt, und der planlosen Bewegung
dieser Hand, die mit gekrümmten Fingern in die
Locken des Bartes greift, dieser mimische Wider-
spruch ist notwendig ; denn er ist kein müfsiges
Spiel, sondern das unwillkürliche, mechanische Ar-
beiten, das Überströmen der Innervation unter der
Hemmung des Willens, dessen furchtbare Anspan-
nung sie verrät, gegen eine solche Wucht verhaltener
Körperkraft noch aufzukommen mit der Herrschaft
des Geistes. Man fühlt, wie bei solchem Widerspruch
zwischen vorhandener Lage und vorbereiteter Be-
wegung die Gelenke in den Fugen knirschen , als
gälte es biegen oder brechen.
Die weiblichen Gestalten , die jetzt zu beiden
Seiten des furchtbar drohenden, auf seinem Tronsitz
festgebannten ,, Jupiter tonans" angebracht sind, und,
in ganzer Figur gezeigt, nur dazu dienen, den Ein-
druck des Ubergewaltigen erst recht hervorzuheben,
entsprechen als minder erfreuliche Beispiele doch dem
selben Stil, der allein die Summe der anerkannten
Eigenschaften , Vorzüge wie Mängel , erklärt. Die
doppelte Bewegung in der Einen , die soeben auf
dem Schemel nach rechts gekniet hat und aufstehend
sich ebenso im Gebet mit dem Oberkörper nach
links wendet, die unwillkürlich hervorgebrachten Ge-
wandmotive der Andern, das ,, Grandios -Neutrale"
der Köpfe, das ,, Unpersönliche" dieser beiden Wesen,
die zwei Seiten der weiblichen Natur in vertiefter
62
Michelangelo
Auffassung und plastisch gesteigert, indes nur als
Folie des Heros selber geben, sie gehören einer
Komposition an, deren Rechnung überall aus dem
Ganzen bestimmt, auf das Ganze geh^ und ihre stärk-
sten Mittel alle auf eine bestimmte Stelle wirft, die
rücksichtslos dominieren soll.
Der Abfall alles Übrigen darf um so weniger
befremden, als Michelangelos bildnerische Kraft sich
damals (bis 1 545 entstand das Grabmal) in Archi-
tektur und Malerei zugleich ergiefst: das Jüngste
Gericht und die Umgestaltung des Kapitols — zwei
entscheidende Aufgaben — beschäftigen ihn zur
selben Zeit. Noch unter Clemens VII. beginnt er
mit Entwürfen für die Altarwand der Sixtinischen
Kapelle, mit deren Freilegung Paul III. 1534 Ernst
macht; zu Weihnacht 1541 wird das fertige Werk
enthüllt.
Die Mauerfläche, die sich darbot, ist anderthalb
mal so hoch als breit. Dies Verhältnis der Dimen-
sionen bestimmt den Charakter des Bildes ebenso
mit, wie der Standort am Kopfende des längUchen,
saalartigen Innenraums, ohne vortretende Gliederung
an den beiden Hauptwänden, die nur durch Fenster-
reihen oben und Bilderreihen darunter geteilt sind.
Auf dem Wege des Betrachters, der durch die Sala
regia hereintretend sich auf den Altar zu bewegt, ist
nur eine Zwischenpause gegeben : in dem Durchgang
durch die marmornen Schranken, die den Vorraum
für die Laien vom Hauptraum für die Geistlichkeit
trennen. Daher die Anordnung eines höheren und
Der Maler
63
eines tieferen Mittelpunktes im Bilde, deren letzterer
sich seiner Stelle gemäfs dem oberen unterordnet;
daher auch die Herrschaft der Höhenaxe zwischen
diesen beiden Kraftzentren über die Gesamtheit aller
Körper, die auf der ganzen Bildfläche zur Erschei-
nung kommen.
Diese Wand ist nicht der unendlich freie Raum
der Welt, in die man hinausblickt, sondern wie
eine Kluft von den höchsten Höhen des Firmaments
bis in den untersten Abgrund , wo die Hölle sich
auftut, wie ein Spalt zwischen beiden Hemisphären
des Alls, der vom Innenraum der einen Seite ge-
sehen, nur die Tiefe eines starken Reliefs zu klarer
Anschauung kommen lässt, während Wolken, Licht,
Bläue, Nebelschleier oder Qualm und Finsternis das
Weiterdringen des Auges hindern. Somit bleibt der
gewaltige Umschwung, der sich hier vollzieht, die
ewige Scheidung von Oben und Unten, die nach
Joels Prophezeihung ,,im Tale Josaphat" geschehen
solU), von der Schwelle des Schattenreiches, wo
Minos und Charon ihres Amtes walten, und der Erd-
oberfläche, wo die Gräber sich öffnen und die Seelen
ihre Leiber wiederfinden , bis zum Triumphzug der
himmlischen Heerschaaren mit den Waffen Christi
ganz oben, durchaus nur nach den Formgesetzen
der Körperbildnerin darstellbar, wird alles in pla-
stischer Bestimmtheit ausgemalt. Und von dem
Endpunkt des einspringenden Gewölbzwickels oben
bis hinunter auf das Zeichen des Altares geht die
i) Propli. Joel III, 2, vgl. auch Dante, Inferno X, Ii.
64
Michelangelo
Vertikalaxe dieses Zeichenreiches, als Dominante der
Relief komposition, von der alles abhängt, was für
das Auge des Betrachters in die Erscheinung tritt.
Am untern Pol dieses Magneten posaunen die
Engel des Gerichts und rufen die Toten aus den
Grüften der Erde, wie aus den Tiefen des Meeres
empor; am obern Ende wirkt die Machtgebärde des
Richters, die das bisherige Naturgesetz aller Körper
aufhebt, und anstatt der Schwere dem Innern Wert
befiehlt, das Oben und Unten zu entscheiden. So
kommt Bewegung in die Masse der Gestalten, Be-
wegung, die allem Erwarten widerstreitet, und das
Wunder vollzieht sich, das Entsetzen hier und Selig-
keit dort hervorbringt. So füllt sich die Luftregion
mit Leibern trotz der Erdenschwere, ja dieses wieder-
gewonnene Fleisch befreit sich von allem vergäng-
hchen Beiwerk und stellt sich, nach dem Herzen des
ächten Bildners, in voller Nacktheit vor Augen, hier
einzeln in mancherlei Haltung und Betätigung, dort
zu Gruppen vereint, ja zu Knäueln geballt im Han-
deln und im Leiden. Dort zur Rechten des Gottes-
sohnes steigen die Auserwählten aufatmend, ahnend,
sehnend, jubelnd zur Seligkeit hinauf; hier dagegen,
wo er abwehrt, sinken die Schuldigen, von ihrer
eignen Sünden Last gezogen, dem Ort der Strafe
zu; denn ,,die Gerechtigkeit treibt diese Scharen",
heisst es bei Dante, ,,und wandelt ihre bange Furcht
in Gier." So verzweifelt sich ihr Leib zurückbäumt
vor dem Abgrund, so unausweichUch gehen sie zu
Grunde. Wo aber Gewissensangst auch in diesem
Augenblick versagt, da wird dem Bösen vollends
Der Maler
65
Macht gegeben, an sich zu reissen, was der Finsternis
verfiel. So entsteht überall für unser, Ursach und
Wirkung suchendes , Betrachten der Eindruck der
Bewegung, selbst da, wo im unabsehbaren Räume,
der nach unten wie nach oben sich fortsetzt, ein
scheinbares Verweilen im Übergang sich einstellt.
Mitten im Aufstieg und im Sturze des Gestalten-
stromes breitet sich die werdende Gränze zwischen
Oben und Unten, ein Hangen und Bangen in schwe-
bender Pein, die Region der Peripetie, zum Eingang
in die ewige Freude dort , zur furchtbaren Kata-
strophe hier.
Unten ist Alles im Werden und Wachsen oder
im Verschwinden und Vergehen , in Aufruhr und
Empörung oder im Bann des Unbewusstseins und
des langen Schlafes seither, in klaffendem unverein-
barem Gegensatz diese Ströme des Geschehens, ein
chaotisches Ringen zwischen Leben und Tod. Dro-
ben dagegen löst sich aller Widerspruch zwischen
Körperschwere und Seelenschwungkraft , oder zwi-
schen Selbsterhaltungstrieb und Gewissenslast in
Klarheit und Ordnung auf. Die Massen umgeben
ihren Pol in koncentrischen Bahnen wie Planeten
ihre Sonne , ja im äussersten Grunde dehnt sich,
wie eine Milchstrasse , noch eine letzte Sphäre, wo
wir nur Köpfe noch hervorschauen sehen, von Seli-
gen, deren Blick am Gottessohne hängt, als gewinne
die Unendlichkeit nur Gestalt durch seinen Anblick,
wie nur was zum Lichte eingeht auch sichtbar in
Erscheinung tritt. Hier oben sind Bewegung und
Beharrung Eins, weil die Ewigkeit sich auftut.
Schmarsovv, Barock und Rokoko. 5
66
Michelangelo
Damit haben wir abermals, wie im statuarischen
Schmuck der Medicäerkapelle , dessen Höhepunkt
noch die Madonna bezeichnen sollte, hier im Fresko-
bilde der Sixtina zu Rom , das Kompositionsgesetz
des neuen Stiles gefunden , — eine Schöpfertat
Michelangelos. Eine Richtung durchwaltet das Ganze,
und zwar, der natürlichen Wurzel alles bildnerischen
Schaffens gemäfs. _die Höhe. Aber sie vollzieht sich
nicht in harmonischem Wachstum, im Einklang aller
Teile und stetiger Entfaltung nach dem uranfäng-
lichen Gesetz des Keimes bis zur Blüte, sondern sie
nimmt den Gegensatz in sich auf und gelangt erst
durch den Widerspgich, in gewaltigem Umschwung,
der sie im Innersten durchwühlt , zur^Ab^iäming^ im
Erfolg des Dranges. Unten herrscht das Streben,
oben erst Erfüllung, und zwischen Beiden erhält sich
die Spannung , die erst Jedem von beiden seinen
Wert bestimmt.
Es ist dasselbe Verhältnis der Teile zum Gan-
zen, die man in Rafaels Vermächtnis, der unvollendet
hinterlassenen Transfiguration gefunden hat : unten
der Widerspruch zwischen der Qual der Hilfsbedürf-
tigen mit dem besessenen Knaben und der Ohn-
macht der strebenden Jünger, die Spannung im Hin-
weis auf den Einzigen, der helfen kann, aber droben
weilt im Lichte der Verklärung , zum Schauen des
Ewigen entrückt. In Rafaels letztem Gedanken also
eine Vorahnung des Neuen , das Michelangelo im
Jüngsten Gericht zum Kompositionsgesetz des ge-
waltigsten Gemäldes erhoben hat, und zwar im Gegen-
satz^ gegen alle Eroberungen der Harmonie , gegen
Der Maler
67
alle Entdeckungen des Malerischen , die ein Tizian
vor Augen gestellt oder ein Correggio in der Ver-
borgenheit gezeitigt hatte.
Der Altarwand der Sixtinischen Kapelle gegen-
über wird, wie gesagt, wol niemand den Mut haben
vom ,, malerischen Stil" dieses Freskobildes zu reden;
denn es zeugt in der Tat nach jeder Hinsicht für
das Gegenteil, bedeutet die bewusste, rücksichtslose
Wendung zum eminent Plastischen. Darin liegt,
rein künstlerisch genommen, erst die genetische Er-
klärung für die weitere Konsequenz , die damit in
den Kauf genommen werden musste, eben das, was
Jakob Burckhardt vom ideellen Standpunkt aus als
den ,, grossen Hauptfehler" dieser wunderreichen
Schöpfung bezeichnet hat: ,,die Aufhebung jedes
kenntlichen Unterschiedes zwischen Heiligen, Sehgen
und Verdammten". Nacktheit gehört wesenthch zur
Äusserung der erhöhten Macht, mit der Michelangelo
seine Gestalten bildete , meint er ; aber beide ge-
hören, wie die Statuen der Medicäergräber uns ge-
lehrt, auch wesentlich zur Äusserung des gesteigerten
Innenlebens, zur Metamorphose der Seelen, die hier
vollzogen wird ; gesteigerte Leiblichkeit und unge-
schmälerte Nacktheit sind die Voraussetzungen, ohne
welche die Wiedergewinnung des Fleisches und die
Scheidung der Geister zugleich sich gar nicht ver-
sinnlichen Uefsen, nachdem einmal die symboHsche
Sprache der mittelalterlichen Kunst verlassen war,
und die WirkUchkeitstreue der Renaissance Gene-
rationen hindurch die Grundlage alles Dichtens und
Trachtens der Maler bestimmt hatte. Denkt man
5*
68
Michelangelo
sich nun aber statt des frommen Fra Angelico oder
des gesinnungstüchtigen Ghirlandajo bei der Dar-
stellung der letzten Dinge einen Bekenner des plasti-
schen Prinzips wie Signorelli oder vollends Michel-
angelo , den Urheber des Schlachtkartons mit den
badenden Soldaten , ja der Deckenmalerei in der
Sixtina selbst, so markieren sich deutlich die Etap-
pen der Vorbereitung für dies Neue, das sich eben
damit trotz der Personalunion als wesentlich Anderes,
von allem Frühern auch der Hochrenaissance unter-
scheidet.
Mit der Aufgabe das Jüngste Gericht auf dieser
Altarwand vor Augen zu stellen , wird der Meister
durch das Vorhandene selbst schon zu einer höch-
sten Steigerung gedrängt, im letzten Teil des grofsen
Ganzen über die künstlerische Ökonomie , die bis
dahin in diesem Raum gewaltet , hinaus zu gehen
veranlasst, je mehr er selbst die Komposition im
Grofsen zu handhaben weiss, die er bei allen Andern
vermisste. Und er selbst ist mittlerweile über Alles
hinweg. Die Päpste, die bis dahin sein Leben be-
stimmt, — Julius IL, Leo X., Clemens VII., — sind
dahin gesunken ; die Künstlergeneration, die mit ihm
das Quattrocento zur Hochrenaissance hinaufgeführt,
— Bramante , Lionardo , Rafael , — sind ebenfalls
dahin, kein Grosser mehr übrig als er, und die ganze
Erbschaft der Ansprüche ebenso wie der Errungen-
schaften fällt auf ihn allein. So wird er zum Künstler
der ewigen Stadt, wie kein Zweiter vor ihm es aus-
schliesslich gewesen, und der Sitz der Weltherrschaft,
der Imperatoren wie der Päpste, überträgt all seine
Der Maler
69
Vollmacht auf den Einzigen , der aufs Neue den
beiden Eltern der Renaissance, dem Mittelalter und
der Antike gegenübersteht, die auf ihn als ihren
Stammhalter blicken. So berät er sich mit Piaton
hier, mit Dante dort, ein gewaltiger Geist, der allen
hergebrachten Denkweisen gleich überlegen, durch
keine Rücksichten mehr gebunden, den ewigen Ge-
heimnissen der Aussenwelt und Innenwelt ins Auge
schaut, nur auf das Eine noch erpicht, ihre letzten
Rätsel zu fassen. Aber es ist , wir wissen es und
erwarten es nach seinem zornigen Bekenntnis nicht
anders, ein Bildnergeist, der hier des Schöpferamtes
waltet, und wie er dort oben an der Decke als Ver-
treter Jehovahs den Anfang dieser Welt und die
Erstgeburten der Menschheitsgeschichte geschildert,
nun hier als Vertreter Christi das Ende dieser Welt
und die letzten Dinge beim Aufgehen in die Ewig-
keit verkörpert. Er kann nicht anders als plastisch
denken und plastisch malen ; seine Kunst, die Körper-
bildnerin allein , führt ihm die Hand , auch wo es
gilt das All zu bewältigen und die unsichtbaren Er-
eignisse der Geisterwelt im neuerworbenen Leibe zu
versinnlichen, und zwar für Menschensinn, der noch
im Irdischen befangen leibt und lebt, und wie der
Meister selbst ein Jahrhundert lang plastisch zu sehen
gelernt hatte. So ,, schwelgt er in dem prometheischen
Glück" alle Möglichkeiten der Bewegung, Stellung,
Verkürzung und Verschlingung menschlicher Ge-
stalten zu erschöpfen. Nicht die ,, malerischen", wie
Burckhardt meint , sondern die plastischen Gedan-
ken" sind im Ganzen das Bestimmende gewesen.
70
Michelangelo
Deshalb darf man überall nach dem Warum und
Wie der Haltung und Wendung fragen und wird
Antwort erhalten ; denn kein Teil ist in dieser Hin-
sicht vernachlässigt. So ward der ,, neuen Gene-
ration himmlischer Gestalten hier der letzte Stempel
aufgedrückt", ward der Christus zu „einem breit-
schultrigen Heros , dessen Kopf an den Apoll von
Belvedere erinnert , mit der selben siegatmenden
Hoheit in den Zügen", wie Herman Grimm hervor-
hebt; so ,,kam das Ungeheure in die Leiber hinein,
das gewaltig Muskulöse", das den neuen Stil so
Avesentlich bestimmt.
Kein Wunder, dass die Gedanken des Greises
nach der Verkörperung des Jüngsten Gerichts sich
nicht mehr fassen wollen , ohne die Berührung des
Unendlichen, dass sie in keinen engern Rahmen, in
keine beschränkte Hauskapelle mehr eingehen , da
er zu gleicher Zeit als Architekt seine durchgreifende
Tätigkeit im Grossen walten Hess. Ich meine die
Malereien der Cappella Paolina, wo Christus als Ver-
körperung eines Blitzschlages herunterfährt, umgeben
von nackten Jünglingen , die gleich dem Donner
durch die Wolken rollen , während unten der Ver-
folger Saulus, wie ein herabgestürzter Moses, sich am
Boden krümmt, sein Rösslein und seine Knappen in
Furcht auseinander fahren, — das Ganze dieses Bil-
des, wie die Kreuzigung des Petrus gegenüber, vor
Allem unglücklich durch den Zwang, sich in das
Breitenformat des Wandfeldes zu schicken.
Der Baumeister I
Das nämliche Kompositionsprinzip, das im Wand-
gemälde der Sixtina auf den ankommenden Betrachter
rechnet, so dass der Vorgang zwischen Himmel und
Hölle vor seinen Augen emporwächst, und je näher
er zum Altar schreitet, auch die Scheidung zwischen
Rechts und Links in die Scheidung von Oben und
Unten übergeht, — das nämliche Prinzip bestimmt
zur selben Zeit Michelangelos Umgestaltung des K a -
pitols. Die Anlage des Platzes, wie er sie damals
in den ersten Jahren Pauls III. angegeben, rechnet
mit dem ankommenden Wanderer wie mit dem auf-
steigenden Hügel und dem vorhandenen Senatoren-
palast als Höhepunkt der gleichsam lebendigen, im
Wachstum begriffenen Mittelaxe. Unten der langsam
emporgleitende Aufgang (die spät erst vollendete
Cordonnata), in der Mitte der Balustraden links und
rechts , die den eigentlichen Platz nach vorn be-
gränzen. Dann die Fläche mit dem Standbild
Marcaurels auf ovalem Sockel inmitten der ovalen
Einfassung des Pflasters mit den beiden schräg gegen
den Hauptpalast gestellten Fassaden zur Seite. An
der Front des Mittelbaues eine doppelte Freitreppe,
von links und rechts zur Rampe aufsteigend, unter
der sich eine Nische für die Kolossalstatue Jupiters
öffnet, und als Dominante zwischen den liegenden,
der Richtung der Aufgänge entsprechend angeord-
neten Flussgöttern, den Wert der Centrailinie noch
einmal in plastischer Gestaltung ausprägt, während
sie auf der Höhe des Palastes selbst als Glocken-
turm alles überragend emporschiesst. Im Centrum
des Platzes, wo das Reiterdenkmal steht, zwischen
5
72
Michelangelo
den beiden Brennpunkten der Ellipse, vollzieht sich
die Wandlung zwischen den drei Dimensionen; hier
weicht die Tiefenaxe, die wir bis dahin verfolgt, der
Breitenansicht, in der das Ganze der obern Kom-
position sich darbietet, und die Breite wieder der
Höhe , die im Aufbau dieser Gruppe entschieden
dominiert, und an sich wieder zusammenfällt mit der
Richtung der Tiefe , d. h. der Lebensaxe des Ge-
samtraumes.
Erst nach diesem durchschlagenden Beispiel
solcher Rechnung im Grossen gewinnt auch eine
frühere Anlage in Florenz ihren unzweifelhaften Sinn :
das Innere der BibHoteca Laurenziana, das Michel-
angelo um 1523 schon entworfen hatte, wenn auch die
Treppe erst am Ende der fünfziger Jahre hinzukam,
also ein Werk , das als Raumkomposition mit der
Entstehung des Stiles in der Skulptur der Medicäer-
gräber gleichzeitig zur Welt kam , während der An-
ordnung dieser Figuren wieder die Gruppierung an
der Palasttreppe des Kapitols verwandt bleibt.
Mit Recht ist auf den beabsichtigten Kontrast
zwischen den beiden Räumen der Laurenziana, der
Vorhalle mit der Treppe und dem .Studiensaal, auf-
merksam gemacht worden. Im Treppenhause wird
die spannende, mannichfaltig-strebende, unruhig sich
bewegende Vorbereitung gegeben, im oberen Saal
dagegen waltet einfache Klarheit, Ruhe, Befriedigung.
Der nämUche Gegensatz wird ebenso schon in der
Eintrittshalle selbst beobachtet, d. h. zwischen der
unteren Ordriung der Architekturglieder und der
oberen im selben Räume, die erst mit dem zweiten
Der Baumeister
73
Räume auf gleichem Niveau Hegt. Es ist somit die-
selbe künstlerische Ökonomie , wie wir sie im pla-
stischen Ganzen der Medicäergräber, wie im Wand-
gemälde der Sixtinischen Kapelle nachgewiesen, und
und sie ist an dieser Stelle auch für die Architektur
schon als deutliches Symptom des Barockstils an-
erkannt. Folgen wir nun auch in dieser Verbindung
zweier Innenräume dem Gang des Besuchers und
schreiten aus der engen hohen Eintrittshalle über
die Treppe hinauf in den Lesesaal , so verwandelt
sich auch hier im Fortschritt die Tiefe in die Höhe
und umgekehrt die Höhe in die Tiefe, wir erhalten also
als bleibendes Ergebnis ein Oben und Unten, genau
so wie auf dem Jüngsten Gericht und auf dem Kapitol-
platz, und die obere Region des Treppenhauses be-
zeichnet den Wendekreis, in dem sich die Wandlung
vollzieht. Die Bewegungsaxe wird als Wachstums- |
axe zur Vermittlung und leitet so den psycholo- :
gischen Fortschritt in einander über. So erst offen-
bart sich in jeder Richtung der Zusammenhang mit
der Wurzel plastischer Gestaltung auch hier, d. h. die
Höhenaxe als eigentliche Dominante des Ganzen.
Das ist weit wichtiger als die Formensprache
im Einzelnen und unterscheidet die Laurenziana
prinzipiell von der Grabkapelle der Medici, die, von
Einzelformen ebenso abgesehen , durchaus noch als
achtes Werk der Hochrenaissance zu gelten hat.
,,Als Ganzes", sagt Geymüller, ,,ist sie ein leichtes,
herrliches Gebäude , welches das Prinzip Brunelles-
chischer Sakristeien auf das Geistvollste erweitert
und erhöht darstellt," — also historisch in notwen-
3
74
Michelangelo
digem Zusammenhang mit dem Bau des Giuliano
da Sangallo und Cronaca an Sto. Spirito aufzufassen.
,,Es ist nicht blofs die reinere und vollständigere
Handhabung einer untern und einer obern Pilaster-
ordnung, was hier den Fortschritt des i6. Jahrhunderts
im Verhältnis zum 15. klar macht, sondern vor Allem
ein höheres Gefühl der Verhältnisse," also das, was
Burckhardt ,, Organisation" nennt, — ein Vorzug,
der wieder aus dem innersten Verständnis des pla-
stischen Prinzips hervorgewachsen ist, und den Bild-
ner weit über alle vom Zimmermann zum Baumeister
gewordenen Vorgänger und Zeitgenossen hinaushebt.
In der weitern Durchgliederung der Innenwände
waltet dann freilich die Rücksicht des selben Künstlers
auf seine eigenen plastischen Gestalten , und es ist
unläugbar, dass hier eine planmäfsige Zerkleinerung
stattgefunden hat, die jetzt nach Beseitigung der
oberen von Giovanni da Udine in Stuckrelief und
Malerei ausgeführten Dekoration erst recht unvermittelt,
wie ein willkürliches, aus lauter Stückwerk zusammen-
geschobenes Schachtelsystem erscheint , nur be-
rechnet , die Grössenwirkung der Figuren noch zu
zu steigern. So gehört diese bauliche Dekoration
der Cappella Medici in eine Kategorie mit der ge-
malten Architektur an der Decke der Sixtina und
mit der marmornen Bekleidung des Juliusgrabmals,
wie Michelangelo sie in unverkennbarer Verwandt-
schaft mit einander gedacht.
Die Wandgliederung der Laurenziana reiht sich
in chronologischer Folge dann ebenso natürlich an,
wie in stilistischem Fortschritt von der Hochrenaissance
Der Baumeister
75
zum Barock. Schon die Einzelheiten der Grabkapelle
bedeuten den Uebergang , je notwendiger sie mit
den Statuen und ihrer cyklischen Komposition , von
der wir keine volle Vorstellung mehr erreichen kön-
nen, in Zusammenhang gedacht sind. Jedenfalls aber
ist diese dekorative Wandbekleidung hier nur noch
Folie des Bildwerks, nicht schon als architektonische
Schöpfung im Zusammenhang mit dem Bauwerk als
solchem zu verstehen. Nur die schräg ansteigenden
Pfosten der obern Fenster dürfen als Symptome des
Hochdranges , im Sinne der Organisation noch, auf-
gefasst werden , und greifen über die Gränze des
Renaissancegefühles bereits hinaus.
Erst im Vorraum der Laurenziana begegnet uns
die bewusste Überlegenheit in der Handhabung aller
Einzelformen , die den ausschliesslichen Verehrern
der Antike als Willkür erscheinen muss, weil sie dem
bisherigen Sinn absichtlich zuwiderläuft. Für ihren
Urheber Michelangelo beurkundet sie unzweifelhaft
den entscheidenden Wandel, wo ihm diese Auffassung
des Organismus zum überwundenen Standpunkt ge-
worden war , weil er durch eigne Vertiefung einen
Fortschritt erreicht hat. Er greift tiefer und will
höher hinaus als die Hochrenaissance auch hier.
Und wir empfangen die ebenso unzweifelhafte Be-
stätigung , dass sein künstlerisches Wollen sich zu-
nächst auf die psychologische Veranstaltung , also
auf die Innenseite, den geistigen Gehalt des Werkes
richtet , — dass er den Innenraum anders auffasst,
noch nicht den Baukörper auch nach Aussen anders
gestaltet. Die Laurenziana ist nur Innenarchitektur
76
Michelangelo
Michelangelos , im Anschluss an vorhandene Räume
sogar; in diesen Schranken aber bietet er alle Mittel
auf, die gewollte Metamorphose durchzusetzen : das
Gefühl des Strebenden hier , des Befriedigten dort
hervorzurufen. Nur fehlt der Eintrittshalle immer
noch der abschliessende Oberbau zur Erklärung alles
Übrigen. Unverkennbar ist jedoch das Vor- und Zu-
rücktreten der Mauermasse als solcher. An der
Stirnfläche der einwärts vordringenden Pfeiler stehen
blinde Fenster mit der Frage, wie weit sie für bild-
nerischen Schmuck gedacht waren, der die Schwel-
lung erst recht lebendig machen sollte, während da-
zwischen die zurückweichenden Offnungen, gleich
Wandschränken oder Kästen, mit je zwei dicht an-
einander gedrängten Säulen darin , keinen Zweifel
über ihre Bedeutung übrig lassen : der gewohnten
Selbständigkeit dieses plastisch am freiesten ent-
wickelten Ghedes läuft solche Stellung zuwider, sie
kann also nur eine Zwangslage versinnUchen. Diese
unterjochten , eingeschachtelten Säulen wirken wie
invertierte Wortstellung oder eine gewaltsame Satz-
konstruktion, die das leidenschafthche Ungestüm des
hervorbrechenden , ungeduldig mit der Sprache rin-
genden Gedankens versinnlicht. Aus Freigeborenen
sind Sklaven geworden, oder umgekehrt, sie harren
schon ausgebildet und lebensfähig im Schol's der
Mauer , die sie gebären soll zu eigner Tätigkeit ; in
solchem Gleichnis würden wir etwa die Gestaltung
ausdrücken, wenn die vorHegende Erscheinung nur
Plastik wäre. Das eben ist es, was der Bildner Mi-
chelangelo sagen will und mit den überkommenen
Der Baumeister
Mitteln der Architektur nur durch Umkehrung der
geläufigen Organisationsweise ausdrücken kann. Des-
halb verfällt auch der Gegensatz zwischen unten und
oben auf künstliche Wiederholung des selben Motivs
in abweichendem Sinne : die lukenartige Eintiefung
über den Hauptnischen ist unten als aufrechtes Ob-
longum mit langen Ohren gebildet, oben dagegen
quadratisch mit eingeschriebenem Kreis. ,,Eine voll-
ständigere Beruhigung" , meint Wölfflin , ,,ist nicht
denkbar." Aber das Neue, der triebkräftige Ge-
danke, der weiter wirkt, liegt in der Auffassung der
Mauermasse, die sich einzieht und vordrängt, wie
in Wehen. Die später (1558/59) gegebene Treppe
redet diese Sprache der bildsamen Materie schon
ganz konsequent ; der Bildnergeist durchdringt das
Geschiebe stereometrischer Formen. Michelangelo
modellierte sie ganz in Thon, und es ist dem feinen
Sinn Jakob Burckhardts nicht entgangen , dass Mi-
chelangelos Gebäude durch eigenen Formenausdruck
dies Verfahren noch verraten. Aber das kommt
später hinein. Ursprünglich war die Treppe der
Laurenziana wol in Holz beabsichtigt , in einem Ma-
terial also , das die Formen der organischen und
der unorganischen Natur so zu vereinigen noch un-
mittelbarer gestattet, wie er sie Vasari aus Schachteln
aufgebaut.
In dieser Zutat vom Ende der fünfziger Jahre liegt
jedenfalls die Lösung des ganzen Rätsels zu Tage:
Michelangelo ist auch als Architekt in erster Linie
Bildner. Die plastisch ausgebildeten Formen der
Baukunst versteht er zunächst , und besser als alle
78
Michelangelo
Falegnami. Seine Pilasterordnung der Cappella Me-
dici ward so ein Höchstes solcher Organisation" der
Wand. Je lebendiger sein Mitgefühl für die statu-
arische Regung der Säule , desto unmittelbarer ver-
fällt er auf das wirksame Mittel, sie im Widerspruch
zu ihrer eigensten Natur einzusperren. Aber die
Einzelbildung der Formen, wie die Wandbehandlung
sonst verraten in Florenz überall noch die Herkunft
aus den Gewohnheiten der Schreiner und Zimmer-
leute, da Sangallo oder da Majano, in deren Hände
die florentinische Baukunst geraten war. In der
Laurenziana sind wie in der Cappella Medici alle
Kapitelle, Basen, Konsolen, Rahmenprofile mit ihren
Ausläufern scharf geschnitten , spitzig , trocken , wie
in hartem Holz gedacht. So denkt er gelegentlich
auch in Erz haarscharf gerandet, wie mit dem Messer.
In Rom erst kommt die Gelegenheit zur wirk-
lichen Ausführung eines Aussenbaues ; und zwar sind
der Konservatorenpalast auf dem Kapitol und Palazzo
Farnese die nächsten Beispiele, wo wir Michelangelo
zu suchen haben. Da gilt es entschiedener als bis-
her auf das römische Material hinzuweisen : den
Travertin , dessen innere Ungleichheit , strichweis
wiederkehrende Körnigkeit und Durchlöcherung keine
haarscharfen Formen verträgt, wie die Pietra Serena,
oder zarte Blattbildung begünstigt wie der Marmor.
Grade diese Höhlungen und Bruchstellen aber offen-
baren die Entstehung des Travertin, veranschaulichen
die Versteinerung des Flüssigen und lassen uns fast
in die Lebensadern, die einst die weiche Masse durch-
zogen , ins Pulsieren der warmen Schwefelquellen
Der Baumeister
79
hineinblicken, — so dass der Künstler, der mit diesem
Material zu tun hat , hier zu einer Auffassung des
Gesteines von Innen her gradezu genötigt wird, wie
nirgend anders. Wer je beim Sturz des Anio zwi-
schen den Travertinwänden von Tivoli das Wühlen
des Wassers beobachtet hat , oder das Brodeln der
Solfatara, die Verkalkung der strömenden Adern
oder das unablässige Wachstum der Tropfsteinhöhlen,
der begreift, wie der Verkehr mit dem Travertin an
seiner Geburtsstätte dazu führen muss, von dem tek-
tonischen Gefüge der Mauern , von der gewohnten
Schichtung der Quadern , von den immer noch cy-
klopischen Erinnerungen der Rustica vollends ab-
zusehen, und statt dessen den gewachsenen Stein als
bildsamen Stoff, als einheitlich zusammenhängende,
noch von innen regsame Masse zu denken, ihre
Selbständigkeit als Naturwesen anzuerkennen , das
nur des Antriebes einer Schöpferkraft bedarf, um
aus sich selber die Form zu gestalten , die ,,als Ur-
bild in ihr schlummert". So versetzt sich der Bildner
Michelangelo in die gewachsene Masse selbst, durch-
waltet mit seinem Willen die Naturkraft und haucht
sie an mit seinem Odem, dass sie vollends lebendig
werde zum Vollzug seiner plastischen Gedanken.
So reden auch die Einzelformen in Rom eine
andere Sprache. Das berühmte Säulenkapitell am
Konservatorenpalast mag statt aller Beispiele die-
nen, von der Muschel droben im 'Fenstergiebel noch
gar nicht zu reden. Hier ist die Geburtsstätte des,,Ohr-
waschlstils", wie die Münchener sagen. Volltönen-
der kehren die Motive der Laurenziana wieder. Auf
80
Michelangelo
dem Kapitol werden in der Halle des Erdgeschosses
die Säulen unter gerades Gebälk mit starker Ober-
mauer gejocht und ganz gegen die grossen Pfeiler
der Hauptordnung gedrängt , die ihrerseits durch-
gehend sowol die Raumöffnung unten als die ge-
schlossene Wand des Obergeschosses umspannt, ja
zusammenquetscht. Das verraten deutlich die ge-
streckten Fenster, die mit dem Intervall unten ein
Ganzes bilden , das sich im Rundgiebel (mit jener
Muschel darin) abschliesst. Es ist ein unbefriedigtes
Streben von unten empor, das erst im zusammen-
fassenden geraden Gebälk der Hauptordnung Be-
ruhigung findet , wie unter einer reinen Herrscher-
stirn, mit seiner Einordnung in einen bewussten Zu-
sammenhang, zur Klarheit gedeiht.
Damit stossen wir auf das innere Prinzip der
Komposition: den Hochdrang, der bei einer hof-
ähnlichen Einfassung des Kapitolsplatzes durch seit-
liche Hallen hüben und drüben, wie sie beabsichtigt
war, natürlich bei diesen Nebenpalästen sich einem
andern Prinzip unterordnen, musste , nämlich der
Breitenaxe , die ihrerseits in der Mitte , dem Denk-
mal inmitten des Platzes entsprechend , sich der
Dominante der Gesapitkomposition d. h. der Tiefe
einfügen und der Vertikalaxe am Hauptpalast unter-
ordnen soll, wie wir oben schon angedeutet haben.
Die entscheidende Ausprägung des Hochdrangs
für den Baukörper als solchen findet sich aber am
Palazzo Farnese. Soweit an dem vorhandenen Bau
des Antonio da Sangallo eine solche Durchführung
neuer Stilprinzipien noch möglich war, ist hier Alles
Der Baumeister
81
aufgeboten, worauf Michelangelo hinaus wollte. Die
Steigerung der Frontalhöhe zunächst. Wuchtig und
schwer genug waren die Formen Sangallos schon,
aber immer noch mit sich selber eins, wie die besten
Römerwerke auch; vollendet und in sich abgeschlos-
sen wäre der Eindruck gewesen , aber keine Äusse-
rung eines Gesamtlebens von Innen her, in dem
gleichwertigen Übereinander kein Aufschwung aus
eigner Kraft. Es ist wieder der Ausdruck der Inner-
lichkeit, den Michelangelo entbehrt, und durchführt,
selbst auf Kosten der gelungenen Leistung des Vor-
gängers , auf dessen gedrungene Proportionen nun
erst der Schein der Gedrücktheit fällt, nachdem
Michelangelo darüber hinausgegangen. Bei Sangallo
wäre das erste Geschoss , als Piano nobile in der
Mitte , der vorherrschende Bestandteil geblieben.
Michelangelo fasst die Selbständigkeit aller Geschosse
zu einem Höheren zusammen, so dass sie zur Vor-
stufe von beschränkter Genügsamkeit werden, ver-
einigt sie auch hier unter einer glatten hohen Stirn
mit dem mächtig schattenden Kranzgesims als Ab-
schluss. Und was wohnt hinter dieser steinernen
Stirn , die so hochragend und fest die gewaltige
Krönung des Ganzen trägt , was leuchtet in ihrer
klaren unbeweglichen Fläche, wenn nicht die Über-
legenheit des denkenden Geistes, die über das wech-
selnde Getriebe des Lebens drunten hinausreicht.'
Und was nach Aussen Hoheit und Ruhe zu-
gleich, wie die Stirn des Olympiers, das ist gewollte
Bewegung und höchste Kraft nach Innen zu, wo die
Gebärde der Gedanken zu Tage tritt. Bewusste
Schmarsow, Barock und Rokoko. Q
82
Michelangelo
Tätigkeit des vernünftigen Wollens führt aus der
materiellen Befangenheit, die selbst der Grofsheit
des römischen Altertums noch anhaftet, empor : —
so denkt Michelangelo über Sangallo hinaus ; sein
Obergeschoss des Hofes drinnen sagt es.
Er setzt auf die beiden ruhig ernsten , nach
Römerart sicher in sich selbst beruhenden Geschosse
dieses Hofes ein so lebendig bewegtes , mit allen
Formen nach oben drängendes Drittes, das doch in
seinen Bogenformen und Durchbrechungen schon
das vorbereitende Gefühl des Abschlusses verrät,
ein unbefriedigtes Drängen, das im Kampf mit höher
liegender Masse • die Vollendung des Ganzen ein-
trägt. Deshalb will dem Geniesser des harmonischen,
auch in seinem Mafshalten woltuenden Renaissance-
gefühles unten diese Zutat Michelangelos droben
nicht mehr in den Sinn ; sie erscheint ihm wol als
Gewalttat, so sehr er — von den Nischen der Lau-
renziana herkommend — auch ihre Sprache ver-
steht, ja von dem subjektiven Gefühl in diesen ge-
drückten Bogen , in den gestreckten GUedern , in
den gequetschten Öffnungen und den gebrochenen
Verdachungen unmittelbar ergriffen wird. Das ob-
jektive Dastehn dieser Hallen Sangallos bekommt
einen Hauch eisiger Kälte gegen den persönHchen,
ganz individuellen Formendrang droben.
Die ausgesprochene Vorherrschaft der Höhen-
richtung, die so in letzter Stunde über den Bau der
Farnese gekommen, konnte auch die Erscheinung
des ganzen Palastkörpers nicht mehr durchgreifend
bewältigen. Dazu überwog die Breitenausdehnung
Der Baumeister
83
des Kolosses schon allzu sehr, die ,, solche Herberge
des römischen Adels" mit seinem Dienertross mit
sich brachte. Aber wenn auch ebenso nachträglich
wie am Äussern ist der Hochdrang auch im Innern
noch bei der Raumbildung tätig gewesen. Das
Hausgesetz des Bildners bemächtigt sich ihrer über-
all da, wo es gilt der PersönHchkeit des Hausherrn
selber, in die der schöpferische Künstler seine Sinnes-
art hineinträgt, Ausdruck zu leihen. Da steckt auch
die Triebfeder des Neuen, die den bisherigen Palast-
bau von Innen her verwandeln sollte. Michelangelo
zeigt in den Sälen , die er anordnet , dass er tiefer
greift und höher hinaus will als der Letztling der
Hochrenaissance , dessen Werk ihn einengt. Er
schafft hier den oblongen Saal von möglichster
Grösse und Höhe, aus einem Stück, der allein den
adäquaten Ausdruck der Würde , der Erhabenheit
des Charakters ermögUcht, den er, der überlegene
Genius, dem innersten Bedürfnis dieser Generation
vermittelt. Über das zerschlagene Glück des goldenen
Zeitalters kam er selbst nur im Zusammenraffen der
eigenen Kraft hinaus, sich selber die Rettung dankend;
sie ist es, die er strebend eben hier durchsetzt und
in der Folge auch hochhält als wolverdienten Preis.
Das Verlangen des Meisters geht , wie in den
Statuen der Medicäerkapelle und im Jüngsten Ge-
richt, auch hier im Raumgebilde auf die Steigerung
ins Übermenschliche. Und wie dort in den Werken
der späten Römerzeit, dem Heraklestorso, den er
noch als Greis mit seinen Fingern Hebkosen gieng,
wo das Auge nicht mehr reichte , den Flussgöttern,
6*
84
Michelangelo
denen er den Ehrenplatz auf dem Kapitol zugedacht,
dem Laokoon, dessen tragischer Gewalt ein Wider-
hall in seinem tiefsten Innern entgegenkam, fand er
hier das Vorbild in den Palasträumen und Thermen-
sälen, den Überresten der Kaiserbauten Roms. Ein
besonders wolerhaltenes Beispiel der Diocletians-
thermen hat er selbst später zur Kirche S. M. degli
Angeli ausgebaut.
Einen solchen Raum im Baukörper des üblichen
Renaissancepalastes zu schaffen, war aber nur mög-
lich durch Überhöhung des sonstigen Durchschnitts
der durchlaufenden Geschosse, d. h. etwa auf Kosten
des darüberliegenden Mezzanins , das man einzu-
schieben schon hier und da gewohnt war. Man
könnte versucht sein , einer solchen Absicht auch
die Steigerung der Obermauern am Palazzo Farnese
beizumessen, aber das zweite Stockwerk eignete sich
nicht sehr zur Verwirklichung des neuen Ideals , da
nur das Piano nobile zur Repräsentation bestimmt
war. Die Ausbeutung eines darüber oder darunter
gelegenen Zwischengeschosses zu Gunsten eines
Saales ergab indessen immer nur mässigen Zuwachs
an Höhe ; eine volle Befriedigung schien erst durch
vollständige oder doch annähernde Verwertung zweier
Geschosshöhen erreichbar. Hier liegt die Verbin-
dung zwischen Michelangelo und seinen Nachfolgern
Giacomo da Vignola und Giacomo della Porta , die
solchen Raum, die berühmte Galleria Farnese, nach-
träglich noch eingeführt haben, freilich als ebenso
erzwungene Zutat, die sich als Einschiebsel verrät.
Eine Hauptfrage, die mit dem Hochdrang und
Der Baumeister
85
der Weiträumigkeit eines solchen Saales gleicher-
mafsen zusammenhängt , ist die der Beleuchtung.
Und diese ergiebt ihre verschiedenen Möglichkeiten
erst aus der Lage dieses Raumes im Baukörper der
Paläste. Die Vorbilder in den antiken Bauwerken
haben seitliches Oberlicht unmittelbar unter dem
Gewölbe. Im Palastbau nach bisherigem Brauch der
Renaissance muss gerade auf diese wirksamste Form
der Beleuchtung, die den Grundgedanken der Raum-
gestaltung wesentUch charakterisieren hilft, verzichtet
werden. Zunächst galt es jedenfalls einen solchen
Hauptsaal dem Haupttrakt des Palastes gegen Platz
oder Strasse , also hinter der Fassade einzuordnen,
so dass entweder die eine Schmalseite des Oblon-
gums, dem Eingang gegenüber mit Fenstern durch-
brochen wurde , oder aber so , dass eine Langseite
des Rechtecks, in die Frontmauer fallend, eine ganze
Reihe von Fenstern erhielt. Im erstem Fall war die
Tiefenaxe, im zweiten die Längsrichtung die Domi- ;
nante des Raumes, und darin sind wesentliche Unter-
schiede vorbereitet, die durch Erfahrung erst zum
deutlichen Gefühl entwickelt werden konnten. Die
Erfüllung des Ideales aber, mit dem feierlichen Ober-
licht von beiden Seiten her, ist nur in eigner Ge-
staltung ad hoc erreichbar, in einem Mittelbau, der,
wenn nicht ganz frei gelegen, doch die anstofsenden ^
Teile des Traktes mit seinem Lichtgaden überragt, i
Diese Bildung gehört der bewussten Raumgestal-
tung des Barockstiles an, wie andrerseits die Konse-
quenz der doppelten Fensterreihe an einer Seite den
Fassadenbau betrifft. Da berührt sich Michelangelos
86
Michelangelo
Ausbau des Palazzo Farnese wieder mit seinen Ge-
danken am Konservatorenpalast des Kapitols , wo
wir statt zweier übereinander geordneter Geschosse,
wie die Hochrenaissance sie beibehahen hatte, schon
eine einzige Hauptordnung gefunden haben , wie
auch Palladio sie für seine grossartigsten Monumen-
talbauten adoptiert. Die Weiterführung dieser Auf-
gaben fiel den Nachfolgern Michelangelos zu.
Aber das Ideal des Innenraumes, das vom Mit-
telpunkt des Baues her die ganze übrige Anlage
verschieben oder umgestalten sollte, dürfen wir aller
Wahrscheinlichkeit nach Michelangelo selber bei-
messen, je mehr er allein die Persönlichkeit war, das
Grundgefühl seiner Zeitgenossen in Rom, und auch
nur der Grössten unter ihnen , zum Bewusstsein zu
bringen und so dem künstlerischen Wollen der Bau-
kunst einzuverleiben.
Die kraftvolle PersönHchkeit jener Tage sucht
in solchem ,,Raum aus einem Stück" das Spiegel-
bild ihres Selbstgefühles , das über die Sphäre des
eigenen Leibes hinausgreift, in weiteren und höheren
Umkreis ausladend, so dass sein Schalten und Walten
sich über Allen geltend macht , die diesem Räume
nahen. Deshalb behängt man sich nicht allein mit
reicher Fülle von Stoffen , zur Erweiterung des zu-
gehörigen Volumens, mit einer mehr oder weniger
schwerfälligen Masse, die bei jeder Bewegung den
Aufwand der Muskelkraft bemerklich macht , aber
auch jeder Tätigkeit der Ghedmafsen die leichte
Freiheit verwehrt, um ihr Würde zu verleihen, — -
sondern man prägt diesen Rhythmus des Benehmens
Der Baumeister
87
und des Vortrags schwülstiger Redekunst, auch der
Raumgestaltung selber auf. Unten wird durch Holz-
getäfel in dunkler Farbe die Geschlossenheit aufrecht
erhalten, gleichsam zusammengenommen; so steigt
die umschHessende Masse ringsum empor. Gegen
die Decke zu beginnt die Schwellung, sei es in
flacher Balkenlage , sei es in tonnenähnlicher Wöl-
bung, einander zuzustreben. Und wie sich hier von
beiden Hauptwänden her der plastische Drang in
der Höhe begegnet, im Austausch mit den Aus-
läufern der Schmalseite beruhigt, so recken und
strecken sich die Strebungen an der Holzdecke hin-
über und herüber, nur in der Mitte ein Hauptfeld
oder eine Gruppe von kleineren umspannend. In
solchen Räumen muss man nicht sofort ,, überwäl-
tigende erdrückende Verhältnisse" sehen, wie Wölff-
lin aus heutiger Empfindlichkeit heraus sie nennt,
sondern eher das Vorrecht der Architektur erkennen,
,,das Lebensgefühl der Epoche ideal zu erhöhen,
das zu geben, was der Mensch sein möchte," das
ihr sonst doch zuerkannt wird. Ich habe es hier
ebenso gemacht, d. h. das Raumgebilde ausgedichtet,
auch ohne ein sicheres Belegstück im Profanbau von
Michelangelo selbst aufzuweisen. Wir müssen uns
an dieser Stelle erinnern, dass wir den oberen Ab-
schluss der Laurenziana entbehren , dass aber eine
alte Tradition Michelangelo solche Deckengebilde
beimisst , deren Autor wir, wie bei jenem Pracht-
stücke der Lateransbasihka, nicht kennen.
Der Holzstil in der Wandbehandlung des Treppen-
hauses der Laurenziana würde seine beste Motivie-
88
Michelangelo
rimg finden, wenn wir solch ein Deckengebilde hinzu-
dächten, das den Kräftedrang vor- und rückwärts
tretender Glieder zum Ausgleich brächte. Die Decke
des Lesesaales soll ohnehin nach seiner Idee von
Tassi uud Caroto geschnitzt sein. In Rom aber hat
die bisherige Forschung gerade die Innenbekleidung
der Palasträume so vernachlässigt, dass erst Spezial-
arbeit das nötige Material für die hier postuHerte
Lösung erbringen kann.
Noch in einem Punkt hat Michelangelos Anteil
am Palazzo Farnese der folgenden Generation ein
Vermächtnis hinterlassen, das die späteren Nachfolger
erst verwerten lernten: sein Gedanke war, den
Stadtpalast der Farnese mit der jenseits des Tiber
gelegenen Villa Farnesina, durch eine Brücke über
den Fluss und Gartenanlagen hüben wie drüben zu
verbinden, so dass man mit einem Blick die ganze
Ausdehnung überschauen , in einer Richtungsaxe
durchwandeln sollte. Dieser Plan, der sich der Um-
gestaltung des Kapitols künstlerisch anschloss, war
wieder ächt römisch, im Geist antiker Kaiserpaläste,
wie die Orti Farnesiani am Palatin, gedacht; aber
er kam damals nicht zur Ausführung.
Neben diesem weit umfassenden Prospekt für die
Lebensaxe eines Weltgebieters auf Erden steht nun
das Gegenteil, die strengste Koncentration für das
gewaltigste Gotteshaus der Welt, der P e t e r s d o m.
Hier erst können wir den vollen Ausdruck der Ab-
sichten erwarten , die Michelangelo für den Bau-
stil gezeitigt hat. Gleichzeitig mit dem Palastbau
der Farnese trat er auch hier das Erbteil des
Der Baumeister
89
Antonio da Sangallo an, als dieser 1546 gestor-
ben war.
Auch hier bewährt sich der Übergang aus der
Hochrenaissance, aus der Sangallo mit seinen Plänen,
so sehr er Michelangelos Entwurf für S. Lorenzo
verwerten mochte, bis zuletzt nicht herausgetreten
ist, unmittelbar in die Kunst des Barock. Michel-
angelo hat den römischen Kaiserbauten etwas abge-
lernt, was der lombardisch, gotisch, im leichten
Backsteinbau mit möglichster Sparsamkeit an Material
geschulte Bramante nicht gelernt hatte, so dass seine
Galerien zum Belvedere, wie seine Pfeiler für S. Peter
mit Einsturz drohten: den Massenbau der Imperatoren-
stadt, im UntA-schied vom Gliederbau der mittel-
alterlichen Konstruktion. Bramante hat den Innen-
raum, die Ideale spätrömischer Raumkunst wol er-
fasst, aber nicht den Kern, der solche Spannweiten
ermöglichte. Er glaubte seine wundervollen Raum-
gedanken im grössten Mafsstab mit dem Erbteil der
gotischen Schule bewältigen zu können. Michel-
angelo dringt bis zum Kern der baulichen Masse
römischer Ruinen durch und vollzieht in der Wieder-
aufnahme des Massenbaues den entscheidenden Schritt, \
der dem durchgreifenden Unterschied des Barock ^
von allem Bauwesen der Hochrenaissance zu Grunde
liegt. Er verbraucht als Unterlage für seine Absichten
ein Quantum von Materie wie keiner seiner Vor-
gänger an diesem Bau getan, verfährt somit als Bau-
meister genau so, wie wir ihn als Bildner an den
Grabmälern der Medici, als Maler im Jüngsten Ge-
richt verfahren sahen.
90
Michelangelo
Den Kern aus Backstein, und Gusswerk gar, um-
kleidet er mit Travertin; wie er als Bronzebildner
zu denken gewohnt war, kommt die Füllung nicht
in Betracht: für die struktive Idee ist das erscheinende
Material, das ästhetisch wirksame nur, allein ent-
scheidend. Nun greift der Bildner wie der Erdgeist
selber in die Masse von Travertin, und am Tiber-
strand erwächst ein Centraibau nach durchaus pla-
stischem Ideal.
Die ganze Umgestaltung, die er als getreuester
Fortsetzer Bramantes dem Werk seiner Vorgänger
angedeihen lässt, beweist, dass hier die entscheidende
Tatsache für Michelangelos Baustil zu suchen ist.
Er hat aber auch den römischen Wunderwerken
den Sinn für einheitlich geschlossene Räume von
grössten Dimensionen abgelernt. Sein Plan übertrifft
alle früheren an Einfachheit und Klarheit zugleich.
Die Entwicklung der Nebenräume ist nichts als die
unmittelbare Konsequenz der Mittelkuppel, die ohne
jene gar nicht bestehen kann. Es ist die anerkannt
knappste Lösung eines Problems, das Jahrhunderte
hindurch die grössten Techniker beschäftigt, die
Baumeister der Hochrenaissance vollends in Atem
gehalten hatte. Ihm gelingt es, weil er als Bildner
gar nichts anders denken kann, als organische Körper,
wenn auch fühlbar gegliedert, doch in strengstem
Zusammenhang eines Ganzen, das keine Vielköpfig-
keit verträgt , keiner Selbständigkeit mannichfaltiger
Teile auseinander zu gehen gestattet.
Deshalb bleibt die Hauptsache, die zunächst zum
Verständnis dieser künstlerischen Schöpfung erfasst
Der Baumeister
91
werden miiss, die unbedingte Herrschaft des Höhen-
lotes als Dominante. Es liegt die innigste Verbin-
dung der aufwärts gerichteten Vertikalkraft mit der
stofflichen Masse des Baues vor, und diese Einheit
der Raumbildung findet ihre befriedigende Erklärung
mit allem, was daraus folgt, nur in der Auffassung
des Höhenlotes als der Axe des Wachstums, gleich
wie an einem organischen, aus dem Grunde empor-
wachsenden Geschöpfe, also in einer letzten Ver-
tiefung aller Begriffe von Organisation, die auf den
innersten Kern des Raumgebildes zurückgeht. Hier
wird die Centraisteile des Innern, an der alle Axen
sich schneiden , aus der alle Ausdehnungen hervor-
gehen, auch zur Keimzelle des Organismus ; von hier
aus waltet die schöpferische Idee des Bildners, Raum-
volumen und Körpermasse durchzugestalten.
Als Grundidee in Michelangelos St. Peter giebt
sich demnach die Übertragung seines plastischen
Prinzips auf die Architektur der Renaissance zu er-
kennen , deren Vermächtnis hier in ihrer höchsten
Aufgabe unter seine Hand kam. Sein Verfahren
läuft auf eine rücksichtslose, strengstens konsequente
Durchführung bildnerischenSchaffens hinaus, und zwar
vom Innersten des Raumgebildes her. Und wenn sich
sein Schaffen als Architekt bisher schon, wie wir ge-
sehen, überall als Anwendung organischen Gestaltens
nach Analogie der statuarischen Kunst charakteri-
sierte, so dringt er hier im Centraibau von S. Peter
zur stärksten Verinnerlichung dieser Analogie vor,
da keine Aufgabe sonst sie so vollständig erlaubte,
und erhebt sich damit zu einer Auffassung des Bau-
92
Michelangelo
Werkes als Organismus, wie es die höchsten Meister
der Renaissance , des Mittelalters wie des Altertums
nicht vermochten.
Nur so entspringen auch alle Eigenschaften,
die hier und da hervorgehoben worden und sich
sonst wol zu widersprechen scheinen, aus einem ein-
heitlichen Grunde und erklären sich aus Einem Prinzip.
Nur darf man natürlich die subjektive Eigentümlich-
keit auch der bildnerischen Kunst Michelangelos
nicht ausser Acht lassen. Es ist, wie in Cappella
Medici, der Bildner des Barock, der hier denkt ; wir
dürfen nicht erwarten, dass er den persönUchen Stil
verläugne , zu dem er in der Darstellung des Men-
schenleibes als Bildhauer hindurchgedrungen war.
Von diesem Standpunkt aus ist vor allen Dingen
die weitere Raumbildung zu betrachten. Das Absehen
auf einen einzigen möglichst grossen Raum, als den
eigentUchen Sitz der Höhe und ihrer Centraigewalt,
hat doch nicht ganz so, wie man gesagt hat, einen
,,Raum aus einem Stück" ergeben. Alles umher ist
allerdings drinnen nur unmittelbare Vorbereitung auf
den Kuppelraum in der Mitte , wie draussen nur so
weite Ausladung als dieser Hochdrang zur festen
Verkörperung in solcher Quantität von Materie braucht.
Aber diese Vorbereitung des Hauptraumes ist eben
doch als solche sichtbar und deshalb fühlbar geworden;
um den einheitlichen Dom , in dem die bewusste
Seele wohnt, lagert sich in Halbdunkel unten herum
eine Art Bildungssphäre, wie die Regionen des Un-
bewusäfeiT," "in~'derrelT^ die physischen Mächte
walten und die Organisation der niedern Sinne zu
Der Baumeister
93
spüren ist. Grade durch diesen Aufwand von mehr
Stoff und Kraft, als zum Vollzug des klaren Willens
allein unentbehdich wären , bekommen wir das Ge-
fühl des sichern Beruhens im Grunde der durch-
gehenden Naturgesetze , bekommen wir mit räum-
lichen und körperHchen Mitteln die Versinnlichung
der dauerhaften Unterlage , aus der auch der Wil-
lensenergie noch fortgesetzte Stärkung ihres Auf-
schwungs zuwächst. Ihr Dunkel erst hält der Hellig-
keit der Kuppel selbst die Wage.
Das ist meines Erachtens auch nicht anders bei
Michelangelos Ausgestaltung des grossen oblongen
Saalbaues der Diocletiansthermen zur Kirche S. M.
degli Angeli, die entstand. Er hat auch hier
zu den Seiten des ,, Hauptraumes aus einem Stück",
dessen Vorherrschaft zweifellos gesichert war , die
Reihen dunkler Kapellen angeordnet , die hernach
im 18. Jahrhundert wieder zugebaut worden sind.
Wir müssen also nicht mit der jetzigen Redaktion
durch VanviteUi , sondern mit der ursprünglichen
Michelangelos rechnen , und deshalb Burckhardts
Ausdruck ,,Raum aus einem Stück", den Wölfflin
adoptiert hat , vielmehr dahin ergänzen , dass eine
fühlbare Begleitung durch dunklere Seitenlagen inj
der untern Region stattfindet. Sie bilden auch das
notwendige Gegengewicht für die Wucht des Hoch-
dranges gegen das Gewölbe des Hauptraumes zu,
wie die Zufuhr des Oberlichtes auf solcher Höhe.
So erst erklärt sich auch das Innere des Gesü.
Mit der unbedingten Monarchie des Kuppelraumes
in S. Peter verbindet sich die Einführung einer einzigen
94
Michelangelo
I Ordnung in der Gliederung des Innern. Über alles
menschliche Mafs hinaus gehend beherrscht sie die
ganze Wucht der aufgewandten Masse und steigert
den Ausdruck ins ÜbermenschHche. Die Verstärkung
der aufgemauerten Kerne gränzt an die Moles Had-
riani, das Pantheon Agrippas und die unverwüst-
lichen Kolosse der Caracallathermen ; aber der Umriss
der Kuppelpfeiler erscheint nach Aussen wie das
tiefgefurchte und mit scharfen Vorsprüngen bewehrte
Pfeilerbündel gotischer Kathedralen, so völlig anders
auch die Einkleidung mit römischen Baugliedern sich
ausspricht. Mit der Formensprache der Antike allein
vermag man dem Kern ihres Wesens nicht gerecht
zu werden ; denn in ihm lebt eine energisch zusam-
mengeraffte Anstrengung , die Selbständigkeit eines
subjektiven Wollens, das die Kaiserzeit nicht kennt.
Wie Ausstralungen dieser Kraft breiten sich die
Zwickel zwischen den weitgespannten Bögen aus,
und deutlich betont die innere Gliederung des Tam-
bours^), wie die Kuppelschale, das nämliche Gesetz,
das die Gotik selbst in Itahen eingebürgert hatte :
die Unterscheidung der aufsteigenden Kraftlinie von
dem füllenden Sichausbreiten dazwischen.
Ebenso in der äusseren Erscheinung dieses
Riesenorganismus. Ringsum waltet die Rücksicht
auf die krönende Kuppel. Von Unten an strebt
Alles nach Oben. Nach Beseitigung der Umgänge,
i) Bekanntlich gedieh Michelangelo selbst nur bis an den
Kuppelring ; aber sein Modell darf auch für das Weitere berück-
sichtigt werden.
Der Baumeister
95
die Bramante beabsichtigt hatte , sind die Absiden
um ein und ein Drittel Meter hinausgerückt , und
die einspringenden Winkel zwischen den Kreuzarmen
bleiben , obgleich sie durch schräge Wände ab-
gestumpft werden, als Einziehungen des Baukörpers
fühlbar , der festgeschlossen ringsum bis auf den
Eingang vorn alle Beziehung zur umgebenden Raum-
sphäre ablehnt. Dazu kommt dann am Äussern der
gewaltigen Travertinmasse die Durchführung des
korinthischen Pilastersystems wie im Innern , da-
zwischen in den Mauerflächen abwechselnd je zwei
und je drei Fensterrahmen über einander, die das
Aufstreben erst recht beleben, ja durch den Wechsel
in Unruhe halten , und über dieser Kolossalordnung
doch noch eine Attika, die das Gefühl des unbefrie-
digten Dranges und die Vorbereitung eines weiteren
Anlaufs über alles Erreichte hinführt. Selbst an der
Fassade, die kein selbständiges Ganze werden, sondern
sich dem Ganzen einordnen sollte, ebenso. Die Front
ist durch zehn Säulen von gleicher Höhe und Ord-
nung geschmückt, in ihrer Mitte tritt ein viersäuUger
Giebelbau heraus ; aber dieses Giebeldach weist nur
weiter auf die Attika mit Balustrade und Statuen-
schmuck , auf die kleineren Nebenkuppeln , die dar-
über hervorsehen, und sich ihrerseits wieder der
grossen Hauptkuppel unterordnen, die erst Abschluss
und Befriedigung giebt , — gleichwie die Helden-
gestalt Laokoons die Hauptsache bleibt zwischen
seinen beiden Knaben.
Über dem festen Mauerringe der Vierung erhebt
sich zunächst der Tambour , der von sechzehn Pfci-
96
^Michelangelo
lern gebildet wird, aussen durch gekuppelte Säulen
mit verkröpftem Gebälk hervorgehoben, so dass sie
wie lebendige Träger zusammen wirken. Denken wir
sie, wie beabsichtigt , mit Statuen bekrönt , so ist,
trotz aller antiken Formensprache , die Anwendung
des gotischen Prinzips für das Gefühl ebenso deut-
lich, wie in den Rippen der Kuppel, die hinter ihnen
emporsteigen, gleichgut ob die konstruktive Funktion
dem Strebesystem entspreche oder nicht. Und diese
wieder ordnen sich ebenso der Laterne aus eben-
solchem Säulenkranz unter, bis zur letzten Gipfelung
der allherrschenden Dominante in Kugel und Kreuz.
Die überhöhte Kuppelschale mit der Laterne ist im
Gedanken unverkennbar von der gotischen Voll-
endung des Florentiner Domes , dem heimischen
,,Chupolone" abhängig, wenn auch in der Ausführung
und in den Verhältnissen natürlich, in der Rundung
der Grundform wie im Schwung der Kurve weit
überlegen. Das Übergewicht der Wölbung über
dem Tambour und die unnachahmliche Spannung
der Kuppellinie charakterisieren allein schon den
Unterschied von Bramante, wie von allen Entwürfen
der Hochrenaissance sonst. Bramante dachte den
Tambour als offenen gleichmässig umlaufenden Säu-
lengang mit Statuen darauf, über dem die leicht-
geschwungene Kalotte hervortrat, deren ,, niedrigere
aber feinere Wölbungslinie" das glückliche Lebens-
gefühl seiner Tage in unvergleichlicher Klarheit
wiedergab ; aber sie bedurfte auch der stolz aufstei-
genden Türme als Begleitung auf den Ecken des
Quadrates , und hätte mit ihnen dann ein Ganzes
Der Baumeister 97
von idealer Schönheit im Sinne der reinsten , viel-
gliedrig ineinander greifenden Harmonie gebildet.
Eine weit mannichfaltigere Wirkung noch dachte
Antonio da Sangallo zu erzielen, dessen vielgestaltige
Auflockerung des Baukörpers mit ihrer komplicierten
Abhängigkeit aller GUeder nur in bildlicher An-
schauung von weiterm Abstand aus zur selben Zeit
zusammengefasst werden kann.
Die Ideale der Hochrenaissance waren malerisch
gesonnen, das Michelangelos ist plastisch im höchsten
Sinne. Er leitet strengstens zur statuarischen Un-
abhängigkeit zurück. Der geschlossene Baukörper,
der sich schon im schwellenden Anlauf unten als
von Innen her gewachsener verkündet, sondert sich
ringsum selbständig von der Umgebung und steigt,
nur dem Bildungsgesetz seines eignen Wesens folgend,
zur höchsten Spitze hinauf, die keine Loslösung ein-
zelner Teile vom durchgehenden Zuge neben sich
duldet, so weit sie nicht Unterlagen weiterer Ver-
vollkommnung nach Oben zu bedeuten. So wirkt
sie von allen Seiten, wie die Gruppe des Laokoon
für ihren Standort wirken muss.
Und wie im Äussern die Einheitlichkeit des
Gewächses in strenger Plastik gewahrt ist , so im
Innern die Einheit des Bewusstseins über den untern
Regionen des Seelenlebens; wie die Herrschaft des
Wagenlenkers über sein Viergespann , um ein pla-
tonisches Gleichnis im Sinne Michelangelos zu wählen,
liegt die Einheit des Lichtes im Kuppelraum, der sich
auch so, im Austausch der Innenwelt und Aussenwelt,
Schmarsow, Barock und Rokoko. 7
98
Michelangelo
als Haupt des Ganzen, als der Schauplatz des höchsten
Lebens bewährt.
Auch in diesem Architekturwerk Michelangelos,
dem Einzigen , das er ganz wenigstens im Modell
vollendet, waltet also das nämHche Kompositions-
prinzip , wie im Jüngsten Gericht , das er gemalt,
und in den Grabmälern , die er gemeisselt : unten
ein unbefriedigtes Streben , ein dunkler Drang des
Wachsens und Werdens, der mit sich fortreisst, aber
nicht in die Breite sich verlierend, nicht in die Tiefe
unklar sich verzettelnd , sondern zur Höhe drängt,
zum Sieg emporführt, wo wirklicher Erfolg, der Mühen
wert , grofsartig und erhebend sich darstellt. Da
liegt auch der Unterschied vom gotischen Hochdrang
sichtbar vor Augen : die zahllosen Einzelgebilde eines
gotischen Bauwerks, dieses wie aus einem Stück her-
ausgehauenen Steinmetzenbravourstückes, weisen mit
ihren Spitzen in stetiger Verjüngung ins Unbestimmte
weiter, nur immer hinauf, wo in Luft und Licht ihr
eigner Körper sich verzehrt. Hier ist nur eine Höhe,
nur ein Körper, von beträchthcher Wucht und Fülle,
eine Grofsmacht des Geistes, die ihren Leib als un-
veräusserliches Besitztum mit hinauf nimmt. Auch
im Aufstieg der Kuppel verkündet sich die Ganzheit
und Geschlossenheit des plastischen Ideals, nirgends
Vereinzelung der Funktion zu angestrengter Leistung
und erstarrter Gebärde wie im mittelalterlichen Strebe-
system, sondern Rundung und Schwellung der un-
gebrochenen Form , die alle Grofsartigkeit der rö-
mischen Antike in sich aufgenommen hat, und doch
Spannung, Willensäufserung, Innervation, also Energie
Der Baumeister
99
von Innen her bis zuletzt bewahrt. Und die gleiche
lebendige Befriedigung im Hinuntergleiten bis an die
Region des Strebens, und bei der Wiederkehr zum
Gipfel empor , — der volle Preis des Ringens für
jeden, der voi;i Unten her nach Oben drang aus
eigner Kraft.
Fassen wir darnach den Sinn des neuen Stiles,
der in allen Werken dieser letzten Periode Michelangelos
waltet, seitdem das Glück der Hochrenaissance da-
hingesunken war, zusammen, so lautet er nicht mehr
wie damals : ,, Schönheit ist Harmonie", sondern
,, Schönheit ist Kraft", und spricht in allen seinen
Aufserungen aus einem Bildnergeist.
Kein Wunder, dass der Tempel des Höchsten
allein das statuarische Wesen so vollkommen offen-
bart ; denn diese Aufgabe allein verlangt und gestattet
die Verkörperung zu vollem Dasein wie ein Ewiges,
ein Monumentum aere perennius. Die Grabkapelle
der Medici, mit dem entscheidenden Meisterwerk der
Plastik darin, vermag uns in dem unvollendeten Zu-
stand des letztern keinen Aufschluss über die letzte
Gesamtidee des Gestaltencyklus zu geben. Jetzt,
ohne verbindenden Höhepunkt für die beiden Wand-
gruppen , die ursprünglich ein Aufbau vermitteln
sollte, können wir nur im Vorhandenen ahnen, was
gemeint war: ein Erstarren der Kraft, eine ewige
Resignation im Angesicht des Todes ; vielleicht dazu,
über Allem lebendig allein der Gottessohn auf dem
Schofs der Mutter: Ego sum vita. — Das Wand-
gemälde der Sixtina dagegen ist vollendet, ist ge-
schlossen im Sinne eines übermenschlichen Historien-
7*
100
Michelangelo
bildes : ein ewiges Geschehen , ein ewiges Erleben
in der Vorstellung bis ans Ende , wo es Ereignis
wird, über Nacht, wo aus dem unaufhaltsamen Strom
des Werdens, aus der ruhelosen Bewegung zwischen
Entstehen und Vergehen, aus dem Kampf zwischen
Leben und Tod auf einmal die Scheidung von Oben
und Unten da ist, nach dem jüngsten Tag in Saecula
Saeculorum.
Natürlich zeigen alle andern architektonischen
Gebilde Michelangelos die nämUchen Eigentümlich-
keiten , die wir damals an seinen Bildwerken beob-
achten , so besonders auch Porta Pia , die als Tor
demgemäfs im Zusammenhang mit der Stadtmauer,
d. h. mit dem Körper Roms , gedacht ist : — die
Massigkeit des Leiblichen und den einseitigen Aus-
bruch des Innenlebens in gewaltiger Steigerung eines
plötzlichen Motivs. Das kann bei einer so starken
Subjektivität garnicht anders sein, zumal da diese
Verbindung von Eigenschaften, wie wir nachzu-
weisen versucht, untrennbar und unentbehrlich ist
zum Ausdruck des neuen Wollens, das seine Kunst
von allem Früheren, von der Antike wie vom Mittel-
alter und von der Renaissance grundsätzlich unter-
scheidet.
Wer einmal das plastische Prinzip in dem ar-
chitektonischen Schaffen Michelangelos bis in das
innerste Leben des organischen Körpers zu erkennen
gelernt hat, wird sich mit uns auch gegen unfertige
Erklärung auflehnen, die bis zu dieser Wurzel seiner
Gebilde nicht vordringt und deshalb einseitig bleibt.
Bildner und Baumeister
101
Wer noch allein an der äusserlichen Organisation
durch die gewohnten Ordnungen und deren rück-
sichtslose Behandlung, am Zusammenschieben ein-
zelner BaugHeder oder gar an dem dekorativen
Beiwerk und Auswüchsen aus dem Überschuss dieser
Einzelkräfte hangen will , der wird zu unparteiischer
Würdigung und einheitUcher Charakteristik nicht ge-
langen.
Dann lautet das Ergebnis wol : ,,der Barock
suche überall nur den Ausdruck des Massenhaften,
des Schweren , des Lastenden , zur Versinnlichung
eines leidentlichen, erdrückenden Zustandes ; deshalb
entbehre die Materie der vollkommenen Durch-
gliederung, verharren alle Teile in stofflicher Befangen-
heit, überwältige uns die unvermittelte Kolossalität
seiner Gebilde, ein Zug zum Schweren, zum Breiten
überall." Burckhardt und Wölfflin gehen von der
Betrachtung der Einzelformen aus^); versuchen auch
wir ihrem Gang gerecht zu werden , um zu sehen,
zu welchen Erträgnissen das führt, so ergiebt sich
vielleicht eine Verständigung, wie wir sie wünschen.
Wenn Wölfflin sagt: ,,die Form ringt mit der
Masse, aber das Erreichte bedeutet im Vergleich zur
Renaissance eine Rückbildung zu einem formloseren
I ) Von dekorativen Einzelheiten auszugehen , wie es bei
Wölfflin geschieht, ist freilich wenig ratsam. Er stellt z. B. a. a. O.
S. 27 die Balusterform der Renaissance und die des Barock einander
gegenüber; beide Formen aber kommen nebeneinander auf einem
■Gemälde des Paolo Veronese (im Salon carre des Louvre) vor, ja
noch mit einer dritten Variation , der Umkehrung des angeblichen
Barockbalusters zugleich.
I
102
Michelangelo
Zustande", so entsteht die Anschauung, als käme
die Form von Aussen an den Stoff, bleibe aber in
dem Zustande unfertiger Ausbildung darin stecken.
— An andrer Stelle spricht er von ,, Säulen, die
von der Mauer nicht loskommen , etwa zur Hälfte
noch darin stecken, aber nach Befreiung ringen,"
also von einem Innern Antrieb. ,,Die Formglieder
vermögen aus der erstickenden Umhüllung der Mauer
sich nicht loszulösen." — An dritter Stelle heisst
es: ,,die Aktion bleibt nicht einzelnen Kraftgliedern
überlassen, sondern teilt sich der ganzen Masse mit,
der ganze Körper wird in den Schwung der Be-
wegung hineingezogen", — die Absicht geht ,,auf
den Ausdruck einer bestimmten Bewegung in diesem
Körper". Das ist der Punkt, wo auch wir einsetzen
können, wenn nur ein plastisch organisches Prinzip
von Innen her gemeint ist, das als Wachstum wirkt,
im Ganzen und im Einzelnen. Die Absicht geht
nicht ,,auf die Schönheit des Gewächses, wie
Winckelmann sagte", wenn es den fertigen, in sich
vollkommenen Organismus bedeuten soll, der in
seiner ,, Blüte" die höchste Annäherung an seine
,,Idee" erreicht hat, sondern sie geht auf das Wachs-
tum selber , den Verfolg des Werdens , das Leben
vor unsern Augen, den mimischen Ausdruck eines
Motivs. Doch können wir nicht als allgemein gül-
tig zugestehen : „der Barock gebe nirgends das
Fertige und Befriedigte, nicht die Ruhe des Seins,
sondern nur die Unruhe des Werdens, die Spannung
eines veränderlichen Zustandes". Der Barock giebt
in der Tat Beides, aber das Eine nicht ohne das
Bildner und Baumeister
103
Andre, die Ruhe des Seins nicht ohne die Unruhe /
des Werdens; er giebt erst die Spannung des Stre- i
bens und dann den Erfolg, aber diesen wirklich als ^
Abschluss, als Fertiges, das uns befriedigt. So löst
sich die Reihe der Einzelbeobachtungen , wenn sie
nicht vorschnell verallgemeinert werden, in eine
künstlerische Ökonomie auf; nur jedes Moment an
seiner Stelle, und alle in Beziehung zu einem Gan-
zen. Es ist System darin , selbst in dem ,, Wider-
sinn", den die Klassiker hier finden, deren mildester,
verständnisvollster noch von ,,Fieberphantasieen"
redet. Es gilt die Komposition im Grossen zu
verstehen.
Das von Innen her gestaltende Formprinzip, das
die ganze Masse durchdringt, kann aber in einem
Beharrlichen , wie das Bauwerk es sein muss , gar
nicht anders verkörpert werden , als in partiellem
Erfolg, gleichsam im Übergangszustand erstarrt. Wir
müssen die Form an einzelnen Stellen soweit fertig
sehen , dass wir das gewollte Ziel bestimmt genug
daraus abnehmen können, die lebendige Kraft muss
nicht nur in voller Stärke hervordringen, das Einzel-
glied fertig zu bringen , sondern mit einem Uber-
schuss , dem wir zutrauen , auch das Übrige zu er-
fassen und auszugestalten im selben Sinn. Damit
erklären sich alle Symptome der ,, unvollständigen
Durchformung" auch aus dem plastischen Prinzip.
,,Die Form wird nicht mit einem Mal gegeben, ganz
und voll und klar, sondern man schafft gleichsam
eine Bildungssphäre, einen Komplex von Linien, wo
man unsicher bleibt , welche die richtige sei." —
104
Michelangelo
Diese Vervielfältigung des Umrisses entspringt zunächst
aus dem plastischen Wollen, giebt den Werde-
prozess , das Verfahren der Körperbildung , wie in
natürlichem Wachstum. Wendet sich die Auffassung
des Betrachters aber vom Drang der innern Kraft
ab und dem Zusammenhang der äussern Form mit
der Oberfläche der Umgebung, also vielmehr der
fortbestehenden Verbindung mit der Umhüllung un-
organischer oder ungeformter Materie zu, dann frei-
lich entsteht für das ästhetische Gefühl etwas ganz
Andres, nämlich die Wirkung im Sinne des Male-
rischen, eben des Zusammenhangs der Dinge im
Raum oder zunächst in ihrer flächenhaften Ausbrei-
tung im Nebeneinander. Das sind zwei sehr ver-
schiedene Dinge. Ich habe deshalb im plastischen
Sinne, auch in der Raumbildung (von S. Peter und
S. M. degli Angeh) den Ausdruck Bildungssphäre"
absichtlich beibehalten, im malerischen Sinne wäre
es das ,,Miheu", — Ambiente", die Sphäre kos-
mischer oder geschichtlicher Einflüsse von Aussen
her, die Mitwirkung des weiten Weltzusammenhangs
auf das Einzelwesen. Davon ist hier, bei Michel-
angelo sicher nicht die Rede ; sondern wir müssen
auf dem plastischen Erklärungsprinzip beharren, da
es gilt der Absicht des Bildners in erster Linie ge-
recht zu werden , nicht der Wirkung auf den Be-
schauer. ^) Der Eindruck des ,, Malerischen" ent-
i) Zur Verdeutlichung noch ein Beispiel aus der Zeichnung.
Im Skizzenbuch zu Venedig befindet sich eine Studie nach den drei
Grazien, in der ich nach wie vor Rafaels Hand erkenne. Da sind
die Umrisse der Körper nach den Marmorfiguren in mehreren An-
J
Bildner und Baumeister
105
steht nur, weil das betrachtende Subjekt seinen
ästhetischen Standpunkt gewechselt hat, nämlich von
dem plastischen, der Körperbildung und ihren Inter-
essen als solchen, auf den malerischen , mit seinem
anderweitigen Beziehungsreichtum , übergetreten ist.
Uns ist die Intention des Bildners Michelangelo zu-
nächst allein mafsgebend.
Erfassen wir aber den plastischen Trieb , den
Ausdruck der Kraft, so entsteht eben dadurch ,,ein
Bewegungsausdruck: die Form scheint sich erst sam-
meln zu müssen", und die unfertige bewahrt desto
mehr ihren Zusammenhang mit dem drinnen wohnen-
den Willen, den Ausdruck des Seelischen , die Be-
ziehung des Teiles zum Kern des Ganzen. Deshalb
,,begränzen sich auch die Formen nach oben und
unten nicht mehr so exakt wie früher", denn das
Einsetzen unten will den Zusammenhang mit der
Wurzel fühlbar machen , das Abschliessen oben will
dem freiwilligen oder doch vorgeahnten Aufhören
des Triebes, der Befriedigung im Erreichten Sprache
leihen. Deshalb ein Formenreichtum, wie ihn die
krystallinische Bildung, deren Gesetz wir von Anfang
überschauen, nicht aufweist, sondern erst die orga-
nische Natur zeitigt, die oft im Wipfel des Baumes
läufen neben einander zu sehen, nur um die Gränze der plastischen
Form auf das Papier zu werfen, also sicher nicht der malerischen
Wirkung zu liebe. Ich habe den Eindruck als beweglicher Um-
riss" charakterisiert. Dem selben Zweck folgen auch die Strich-
lagen der Innern Schattierung, d. h. sie dienen der Modellierung,
gehen noch nicht von der Form weiter auf die Umgebung, auf den
malerischen Zusammenhang mit dieser.
106
Michelangelo
eine Verzweigung und Verästelung sehen lässt , die
wir aus dem Stamm allein nicht vermuten, während
die Wurzel das gleiche Verfahren im Grunde des
nährenden Bodens verhüllt. Sollte nicht die Säule
dem Pfeiler Platz machen, wie es der Barockstil zu-
nächst entschieden verlangt, um die Masse als Gan-
zes desto fühlbarer zu betonen, vor Vereinzelung zu
bewahren ? — sollte Michelangelo nicht eben deshalb
seinen Bündelpfeiler am Kapitol nur unvollständig
mit Pilastern bekleiden, damit die bildsame Masse
dazwischen sichtbar werde ? — Wo aber eine breitere
Masse ohnehin vorhanden ist, sei es eine Wand oder
ein Block, da ,, wirft sich die ganze Kraft auf einen
Punkt, bricht mit einem übermässigen Aufwand los,
indessen die andern Partieen — (im Vergleich dazu)
— dumpf und unbelebt bleiben". — ,,Der plasti-
sche Ausdruck wächst beständig nach der Mitte zu."
Und innerhalb dieses Kraftausbruches von Innen
her, der zunächst die Fähigkeit des plastischen Trie-
bes bekunden muss, weiter und weiter um sich
greifend das Ganze zu erfassen, äussert sich ebenso
bestimmt schon die Richtung, in der sich die Kunst
der Körperbildnerin in erster Linie zu ergehen pflegt,
die Vertikalkraft des Wachstums aufrecht auf der
Erdoberfläche stehender Gebilde. Das Motiv des
Hochdrangs tritt im Ganzen des Baukörpers hervor,
dringt aber bis ins Einzelne, bis in die Fenster und
in die Baugheder hinein. „Die Funktionen des
Hebens und Tragens, die früher gleichsam als selbst-
verständlich verrichtet wurden, ohne Hast und ohne
Mühe, werden hier mit einer gewissen Gewaltsam-
Bildner und Baumeister
107
keit, mit leidenschaftlicher Anstrengung ausgeübt."
Deshalb wirft sich die Plastik stärker ausladend auf
das Kapitell der Säule, drängt sich im hermenartigen
Pilaster die stärkere Masse nach oben, die am Fusse
enger aneinander gerückten Gränzen scheinen ,,so
divergierend mit grösserer Schnelligkeit aufzusteigen
als parallele Linien"; — deshalb legen die Fenster
ebenso ihren ganzen Aplomb nach oben: ,,von dem
klassischen Fenster der Renaissance mit Giebel und
Halbsäulen verschwinden rasch die letzteren; sie
werden ersetzt durch blosse Konsolen , die Giebel
aber deswegen nicht gemäfsigt, sondern im Gegen-
teil in schwerster ausladender Bildung gegeben."
Weshalb alle diese Symptome } Es ist die bildsame
Masse, die als Ganzes plastische Gestaltung erlangen
will, aber nicht Teile verselbständigen zu eignem
Aufbau. Portale sowol wie einzeln stehende Tore
sind besonders charakteristische Belegstücke der ge-
wachsenen Öffnung, wie schon am Kapitolspalast die
Säulenstellung unten als Hallenöffnung mit dem
Rahmen der Fensteröffnung oben zu einem Ganzen
zusammenwächst.
So erhalten alle diese Momente die richtige Er-
klärung wie die volle Verwertung erst in der Kom-
position im Grossen : Fenster und Nischen wie alle
Raumöffnungen, die die Masse durchbrechen, geraten
durch diesen Hochdrang und die Durchbrechung
der Horizontallagen darüber ausser Verhältnis zu
dem umgebenden Abschnitt der Wand. Die Nische
mit ihrer Giebelarchitektur , das Portal mit seinem
Aufsatz drängt so hoch hinauf, bis sie irgendwo an-
108
Michelangelo
Stessen, sie erscheinen wol gar seitlich wie einge-
klemmt, so dass der Ausweg nach oben ohnehin
sich aufnötigt.
Dann aber tritt in den oberen Teilen Abklärung
und Beruhigung ein, so dass z. B. S. Peter auch
hier das Kompositionsgesetz, das Streben unten und
die Erfüllung oben, ganz entwickelt und bewusst
durchgeführt zeigt. ,,Im grossartigsten Sinn lässt
Michelangelo die Formen nach Oben immer reiner
und stiller werden, und giebt selbst einem grösseren
Hauptteil, wie der Fassade an sich unbefriedigenden
Charakter, um der Lösung willen, die erst die Kuppel
bieten soll."
Ebendeshalb ist endlich auch das System der
Proportionalität im Barockstil Michelangelos ein
durchweg andres als in der Hochrenaissance. Herrscht
bei Leon Battista Alberti in der Theorie, bei Bra-
mante und Rafael in der Vollendung stets das Ge-
setz der Harmonie aller Teile unter einander und
mit dem Ganzen, so geht man leicht irre, wenn man
hier das Gleichnis vom Organismus anwendet. ,,Man
spricht in solchen Fällen von dem Eindruck des
Organischen," sagt Wölfflin und fügt bestätigend
hinzu , ,,mit Recht ; denn das Geheimnis Hegt eben
darin, dass die Kunst arbeitet wie die Natur, die in
dem Einzelnen stets das Bild des Ganzen wieder-
holt." — Ich vermag das nicht ganz so aufzufassen.
Zunächst würde ich sogar antworten : Nein, mit Un-
recht; denn so arbeitet am reinsten und für uns
Menschen verständlichsten grade die anorganische
Natur. Wo ,,die mannichfachen Proportionen des
/
Bildner und Baumeister j^QQ
Ganzen und der Teile sich ausweisen, als bedingt
von einer allen zu Grunde liegenden Einheit , wo
keine zufällig scheint, sondern jede aus der andern
sich mit Notwendigkeit ergiebt," — da verehren wir
die objektiven Naturgesetze, die Grundlagen unsrer
Welterklärung in ihrem unfehlbaren Wirken , d. h.
physikalisches Geschehen, und reden, wenn es die
Regelmäfsigkeit hervorzuheben gilt, die unsern In-
tellekt befriedigt, besser von ,,Krystallisation". — Das
organische Wachstum jedoch der vegetabilischen und
animalischen Geschöpfe , selbst der eigne Leib ver-
birgt uns manches Geheimnis , seine Metamorphose
scheint uns vom rätselhaften Walten spontaner Kräfte,
von uranfänglicher Organisation des Keimes abhängig;
an dessen Vollendung zur reifen Gestalt wirke die
eigne Seele mit, als ob in ihrem tiefsten Schofs ein
Ideal als Ziel vorleuchte. Ins Organische spielt die
Macht des Subjektiven wunderbar hinein. Ja, das
sichtbare Wachstum bietet Überraschungen und Über-
gänge, deren Notwendigkeit wir glauben, die wir für
die allein natürlichen oder allein denkbaren halten
mögen, aber doch lange noch nicht begreifen. Diese
Übergänge des Wachstums eben bieten Proportionen,
die unsre regelfrohe, auf jene krystallinische Gesetz-
mäfsigkeit der anorganischen Natur wol eingeübte
Intelligenz als unbefriedigend empfinden mag, als
dissonierend mit der adoptierten Skala ihres Be-
griffssystems , eben weil sie rätselhaft und unver-
standen bleiben, auf Zusammenhänge weiter weisen,
die wir nicht mehr übersehen. Doch grade sie
sind Wahrzeichen des Lebens im Unterschied von
110
Michelangelo
dem toten Krystall, der dagegen das Beharrliche
verbürgt.
Der feinere Beobachter -organischer Geschöpfe,
der Anatom und Biologe , der plastische Künstler
vollends, erkennt in ihnen die Vorboten der folgenden
Entwicklung, die mit dem bereits Vorhandenen nicht
mehr stimmen , aber im höchsten Stadium , zu dem
der Organismus hinstrebt, ihre Lösung finden. An
Stelle der harmonischen Proportionen treten pro-
gressive. Solche bietet der menschliche Körper im
Übergang vom Knaben zum Jüngling, vom Jüngling
zum Manne dar. Nicht umsonst hat Michelangelo
als Quattrocentist sich suchend um die Schönheit
des Knaben bemüht, vom Giovannino bis zum David
als Giganten, während der Hochrenaissance in zahl-
reichen Gestalten die Vollkommenheit des reifen
JüngHngs gefeiert bis zum Ideal des starken Mannes
im Christus von S. M. sopra Minerva ; dann über-
schreitet er die Gränze jenseits des Höhepunktes an
der Hand des Problemes gesteigerter Innerlichkeit,
das die gemalten Propheten und Sibyllen an der
Decke der Sixtina ihm nahe gebracht. Den Fürsten-
bildern der Cappella Medici folgt wieder der Fortschritt
zur absteigenden Linie des alternden Organismus,
vom Entstehen zum Vergehen , soweit die Plastik
solchen Aufgaben überhaupt noch folgen kann, ohne
sich selber aufzugeben. Da rühren wir an das Recht
des umfassenden Naturzusammenhanges, und damit
an die Domäne der Malerei.
Die Baukunst vollends kennt die Aufnahme tran-
sitorischer Verhältnisse aus dem Wachstum oder
Bildner und Baumeister
III
der Entartung organischer Lebewesen nur in sehr
beschränktem Umfang. Die Analogie mit dem Organis-
mus ist und bleibt eine Übertragung, weil die Metamor-
phose der Bauformen überall an dem strengen Gesetz
der Krystallisation den härteren Widerstand findet.
Das ältere Recht der Beharrung steht jedem Anlauf
des lebendigen Dranges nach Bewegung gegenüber,
der die architektonische Schönheit gefährdet, ohne
die plastische Schönheit rein und auf sich selber
gestellt veranschaulichen zu können. Selbst im suc-
cessiven Gange durch den Raum oder um den Körper,
im Nacheinander der Betrachtung stehen immer die
Bestandteile simultaner Anschauung, steht das Neben-
einander der festen Formen da, und spotten des
Willens , der Bewegung selber sehen will , wol gar
an starrer Körpermasse Leben zu sehen verlangt.
Wäre diese spontane Regung wirklich da, oder die
Illusion nur vollkommen , ohne das Bewusstsein ge-
setzmässigen Bestandes daneben, so würde der Einfall
Schopenhauers sich erfüllen: „der Kampf zwischen
Schwere und Starrheit" lebendig werden und den
menschlichen Bewohner bald aus seinem Hause, den
frommen Beter bald aus seinem Tempel treiben.
Michelangelo , der Bildner , versucht die Durch-
führung organischen Gestaltens in der Baukunst weiter
zu treiben, als die klassische Architektur der Antike
sowol wie der Renaissance sich träumen Hess; er
nähert sich im Ausdruck des Gebarens unläugbar
dem mimischen Prinzip der Steinmetzenbaukunst des
Mittelalters: aber er ist selbst ein zu gewaltiger Kenner
der tiefsten Geheimnisse plastischer Kunst, um über
1
112
Michelangelo
diesem Streben im Bauwerk den ewigen Unterschied
zu vergessen , der architektonische Schönheit von
plastischer trennt. Dieser Irrtum blieb einem Bor-
romini vorbehalten, oder vielmehr auch er kennt die
Gränze wol , setzt sich nur willkürlich darüber weg,
weil es ihm lediglich auf die Wirkung beim Be-
schauer ankommt, während die Wahl der Mittel ihm
keine Skrupel macht. Die konstruktive Lösung des
Centraibaues in ihrer knappesten Form , wie sie in
Michelangelos S. Peter vorliegt, beweist den Abstand
zur Genüge.
Wol aber kommt es Michelangelo darauf an,
das ganze Bauwerk ebenso psychologisch zu durch-
dringen, wie er die Natur überhaupt, die weite Welt
mit seinem Bildnergeist zu durchdringen und be-
wältigen sucht, so genial — wenn auch immer ein-
seitig — , wie Dante, vom Standpunkt seiner Welt-
auffassung aus, es als Dichter getan.
Er allein verfällt auf die kühne Verbindung eines
unteren Teiles im Zustand des unbefriedigten Wer-,
dens und eines oberen im Zustand des ruhigen
Seins , der gewaltigen Anspannung der Kraft mit
dem Vollgenuss ihres Überschusses auf der Höhe.
Dieser Gedanke mochte dem statuarischen Künstler
zuerst aufgehen, mag nur ihm erwachsen können aus
dem Gegensatz der geistigen Ausdrucksfähigkeit und
mannichfaltigen Betätigung zwischen der unteren und
der oberen Körperhälfte des Menschen. Die statu-
arische Kunst seiner Zeitgenossen hatte diesem
Übelstand , der die Gestalt als solche ganz zu ver-
werten hinderte , durch das künstliche Mittel des
Bildner und Baumeister
113
Kontrapostes entgegen gearbeitet, und besonders
die Bemühung Andrea Sansovinos war darauf ge-
richtet gewesen, dem Kontrast zwischen Spielbein
und Standbein ein Aequivalent zwischen den beiden
Armen zu gesellen, und zwar so, dass die Entspre-
chung in diagonaler Richtung je eine der obern
Extremitäten mit einer der unteren verband. Durch
dieses Chiasma wurde die Einheit zwischen Unter-
körper und Oberkörper hergestellt, zugleich- aber
ein Gegensatz zwischen der ruhigen Körperlichkeit
des Organismus in der einen und der beweglichen
Leitungsbahn des Motivs in der andern Diagonale
geschaffen. Auf dieser Grundlage wirkt Michelangelos
statuarische Kunst vertiefend, vergrössernd und ver-
innerlichend weiter, bis er zu jenem gewaltigen
neuen, subjekiv modernen Stil der Plastik gelangt,
den wir zu verstehen uns vorhin bemüht haben.
Gerade von diesen Voraussetzungen seines bildne-
rischen Denkens aus wird es bedeutsam , dass er
in der Architektur den Gegensatz aus der diagonalen
Richtung im beweghch gedachten Menschenleib in
die Vertikale des ruhig gedachten Baukörpers über-
trägt, zurückverlegt in Unten und Oben, wie in den
Anfängen der Statuenbildnerei das Abbild unbeweg-
licher Gottheiten , die Beharrlichkeit eines Prinzips
gegeben wird.
So aber gewinnt er auch hier den Eindruck
der Bewegung, eines Motivs, den Ausbruch leben-
diger Kraft auf einen Innern Impuls. IMan denke
nur an die eine Gestalt , die als Meisterwerk der
Antike damals die Phantasie so mächtig ergriff wie
Schmarsow, Barock und Rokoko. g
114
Michelangelo
keine andere : den Laokoon, wie er mit letzter ver-
zweifelter Anstrengung sich der furchtbaren Um-
strickung zu entwinden trachtet und mit beiden
Armen abwehrend hinausdrängt aus dem Knäuel
empor. So ringt Michelangelos Jehovah mit dem
Chaos, aus dem er als Wolkenschieber hervortaucht
auf dem Bilde der Sixtina ; so wälzt die Gebärde
des Weltenrichters bei der Wiederkehr die Gestalten-
ströme durch ihren Machtbefehl zur Hölle hinab,
zum Himmel hinauf. Wie leicht wurde, bei dem
fragmentarischen Zustand vollends, nach Abstreifung
der Schlangenstücke dieser arbeitende Laokoon zum
Atlas, der die Himmelskugel auf sich nimmt. Da
liegt der Übergang des Hochdrangs als plastisch-
struktives Motiv unter der Kuppel des Domes von
S. Peter begreiflich genug angebahnt, und zwar in
ganzer Massigkeit.
In der Übertragung eines solchen Kontrastes
zwischen unruhig drängender Vorbereitung und be-
friedigender Klärung auf eine Tiefenaxe, also zwischen
einem ersten und einem folgenden Raum sahen wir
das nämliche Prinzip ja schon in der Laurenziana.
Daraus ergiebt sich, wie von selber, wenn man die
Anlage des Kapitolsweges, die Absichten mit Palazzo
Farnese und die Raumbildung von S. M. degli Angeli
hinzunimmt, die Ausbildung eines ähnlichen Gegen-
satzes zwischen Aussen und Innen oder die Durch-
führung strengster Übereinstimmung zwischen dem
Innenraum und dem Aussenbau als verschiedene
Möglichkeiten, die je nach dem Charakter der Auf-
gabe zu Gebote stehen , — d. h. die Grundlagen
Sein Barockstil
115
eines umfassenden Systemes psychologischer Kom-
positionskunst für das ganze Gebiet der Architektur.
Die volle Einheitlichkeit des Ganzen entspricht
dem Ideal statuarischer Kunst, dem Götterbild , also
in der Baukunst seinem Gehäuse, dem Tempel. So
steht Michelangelos S. Peter vor uns da, die einzige
Durchführung im Sinne eines Gotteshauses , in der
Reihe jener Verkörperungen absoluter Machtvoll-
kommenheit, die wir in Centraibauten der Römer
und der Byzantiner bewundern, — während der selbe
Meister, das darf nicht übersehen werden, für andre
Aufgaben andre Formen wählt, für Gemeindekirchen
den Langhausbau, oder den Saalbau bevorzugt, mit
ganz andrer psychologischer Veranstaltung , wie
S. Giovanni de' Fiorentini und S. M. degli AngeH.
Dort im höchsten Tempel des Christengottes simul-
tane Anschauung, hier für den Verkehr des reUgiösen
Lebens zwischen Priesterschaft und Volk der succes-
sive Verlauf als mafsgebende Dominante.
Nur ist auch sein Centraibau bei aller Berufung
auf den ursprünglichen Plan aus den Tagen Julius' IL,
der von Nachfolgern der Hochrenaissance nur ent-
stellt worden, doch ein andrer geworden vom Grund
aus bis zum Gipfel; denn Michelangelos Gott ist ein
andrer Gott, als der Bramantes und Rafaels gewesen.
— Es war ein Gott, der schon den folgenden Genera-
tionen viel zu übergewaltig, viel zu persönlich gewalt-
sam erschien, so dass sie diese seine unmittelbarste
und unvermittelte Offenbarung wieder verhüllten und
verkleideten, — durch das Langhaus und andre Zu-
taten mehr.
8*
116
Michelangelo
Versuchen wir darnach die struktive Idee des
Barockstiles, die Michelangelo darstellt, noch einmal
in ihrem genetischen Fortschritt zusammen zu fassen.
Die erste Bedingung für die Analogie des Bau-
werks mit dem Menschen ist für den Bildner die
unbedingte Herrschaft der Vertikalaxe im Sinne der
Einheit des "Individuums wie der Kicntung des Wachs-
' tums. Zur Aufrechterhaltung der Erstem wird also
in seinem Raumgebilde die Einheitlichkeit des Innen-
raumes gefordert. Diese mag einfache Einheit ohne
jede Gliederung in Nebenräume, also zugleich strenge
Geschlossenheit sein , wird aber entschieden orga-
nischer, im Sinne vollkräftiger physischer Ausstat-
tung und reicheren psychischen Lebens , wenn eine
Begleitung von Nebenräumen hinzutritt. Aber
strengste Subordination dieser Weiterungen unter
das monarchische Prinzip , das im mittelsten und
höchsten Hauptraum sich zweifellos ausprägt, wird wie
Rückgrat und Kopf auf einer Axe bei der Statue gefor-
dert. Weitere Lockerung und selbständigere Durchbil-
dung der Teile würde zur Gruppenbildung übergehen.
Die absolute Einheitlichkeit oder strenge Kon-
centration um eine Dominante fordert im Innenraum
auch Einheit der Beleuchtung oder ebenso zweifel-
lose Unterordnung unter die Centraistelle. Hier be-
währt sich die fortgeschrittene Auffassung des Orga-
nismus von seinem Kerne her, gegen die jede sonstige
Organisation mit Säulenordnungen oder gar Wand-
bekleidung nur sehr viel äusserlicheren Wert behält.
Dieser durchgreifende Unterschied von allem Früheren
verbindet sich aufs Innigste mit dem Gefühl für die
Sein Barockstil
117
Einheit des Bewusstseins, die Überlegenheit des per-
sönUchen Geistes, besonders als Wille und Erkenntnis.
Das nämliche Prinzip prägt sich sodann im
Aussenbau durch strenge Geschlossenheit und all-
seitige Abhängigkeit von einem Gipfelpunkt an sich
selber aus. Der Baukörper duldet keine Raum-
öffnung nach Aussen bis auf den Eingang , an der
Fassade, die sich ebenso wenig selbständig geltend
macht. Fenster sind nur wie Augen offen oder bhnd,
Nischen wie Eintiefungen , Einziehungen am Leibe.
Schon damit ist das plastische Ideal der isolie-
renden Geschlossenheit und Ablehnung ringsum im
Monumentalbau Michelangelos festgestellt. Die Ver-
tikalaxe des Centraibaues gewinnt nun aber noch
einen besondern Sinn als Richtungsaxe des Wachs-
tums, in deren Entwicklung die Analogie mit dem
menschlichen Geschöpf sich weiter ausgestaltet. An
ihr vollzieht sich die Wiederholung homologer Glie-
der in leichterer und vollkommnerer Form von Unten
nach Oben, wiederum ein wichtiges Bildungsgesetz
sowol für den Innenraum, wie für den Aussenbau,
als Auseinandersetzung der Höhendimension mit den
beiden Horizontalaxen , nach Mafsgabe der Propor-
tionalität und der Symmetrie bei aufrecht gewachse-
nen Geschöpfen.
Als Ausdruck des organischen Wachstums giebt
sich also die Erscheinung , die man nach dem ver-
wandten Prinzip der Gotik, dem schlankeren Hoch-
streben, hier als Hochdrang der Masse bezeichnet.
Dies Prinzip beherrscht ebenso das System der
Bauglieder, nach dem man sonst die Durchbildung
118
Michelangelo
zum „organischen Stil" (nach Burckhardt) zu be-
urteilen pflegt. Der Barock redet mit ihnen eine
ganz andre Sprache als die Renaissance, schon weil
er jede Form sowol in positiver wie in negativer
Bedeutung verwertet, je nach der Mitwirkung der
Nachbarschaft, also je nach dem Vorzeichen in der
Syntax und im Zusammenhang des Ganzen, der
seinerseits viel inniger wird. An Stelle der Mehr-
zahl von Geschossen, wie die Renaissance sie über
einander schob, tritt demgemäfs nun die Durch-
führung einer einzigen Hauptordnung , die alle Ge-
schosse durchdringt, und zwar durch kolossale Grösse,
Verdoppelung u. s. w. verstärkt. So werden auch
Zwischengeschosse nicht mehr dekorativ verläugnet,
sondern können ihrem Werte nach in die Entwick-
lung aufgehen, sogar sehr charakteristisch eine Pe-
riode des Wachstums gleichsam gegen die folgende
absetzen, Anlauf zu neuem Aufschwung oder Über-
leitung zu einem folgenden werden. So auch die
Attika, die sich dem Hauptgesims gesellt, um wieder
etwa weiter zurückHegende Teile des hinausragenden
Mittelkörpers vorzubereiten und den Zusammenhang
der abhängigbleibenden Vorlagen mit dem Kern
aufrecht zu erhalten.
Diese Vereinheitlichung Hand in Hand mit dem
Hochdrang zeigt sich dann ebenso in der Flächen-
gHederung, in Portal-, Fenster-, Nischen-Architektur,
bis hinein in Schilder, Kartouchen und sonstiges Bei-
werk. Die Plastik wirft sich nach Oben ans Kopf-
ende und hier dann gern wieder auf die Mittelaxe,
weil eine gleichmäfsig fortlaufende Reihe solcher
Sein Barockstil
119
nach oben wuchtiger Glieder stets den Eindruck des
Lastenden , Schwerfälligen hervorbringt , und zwar
unbeholfener, als es dem organisch beseelten Kraft-
gebilde gemäfs wäre. So wirkt der Hochdrang
weiter auf die Fassadenbildung und führt auch hier
die Gesetze statuarischer Gestaltung und monumen-
taler Gruppierung durch; das heisst, er beseitigt die
Horizontalgliederung, die einfache metrische Reihung
und Alles , was sonst die Breitenausdehnung als
solche geltend macht, und bevorzugt statt dessen
die Symmetrie mit betonter Dominante , hält also
das Gesetz der körperlichen Gruppe aufrecht. Ich
erinnere nochmals an das Verhältnis von Laokoon
zu seinen Knaben.
Jede Verwechslung dieses durchgehenden Hoch-
drangs mit dem gotischen Hochstreben als Aus-
stralung ins Unendliche bleibt ausgeschlossen durch
das Hineinnehmen und Hinaufnehmen eben der
Wucht selbst , des zweiten Faktors , der sich im
Barockstil untrennbar mit dem Vertikalismus ver-
bindet, — das ist die Masse des KörperUchen.
Dieser Stil greift tiefer in die unorganische
Materie , als es zur Grundlage der Gestaltung not-
wendig wäre. Die Quantität der aufgewendeten
Masse wird vergrössert, und insofern darf von ,, Mas-
sigkeit" die Rede sein, doch nirgend für sich allein.
Dieser Ausdruck würde irre flihren , sobald man
annähme oder die Vorstellung erweckte , der Stoff
sei lediglich seiner selbst willen da, mit seiner er-
drückenden Schwere , sei den Formen zur Last.
Auch wenn man, wie Henke, vom Leibe der Menschen
120
Michelangelo
Michelangelos sagt, er sei ihnen zur Last, zu nichts
nütze, so sind die Wesen, die sich zu diesem Körper
so verhalten, eben damit postuliert, wir ergänzen die
Seele , die darin haust , den Geist , der etwas damit
anfangen möchte, hinzu. Der bildliche Ausdruck
des Anatomen beweist also nur, wie stark durch
diesen Marmorleib , den der Bildner allein zu geben
vermag, der ganze Mensch, sein Innenleben mit
versinnlicht worden ist. Der Körper ist also vielmehr
notwendig als Gegengewicht des Innenlebens, als
Träger der gewaltigen Energie des Willens, selbst
wenn seine Last und dieser Wille auseinandergehn.
Die Wucht der physischen Ausstattung muss vor allen
Dingen jeden Anschein aufheben, als sei eine Abirrung
ins Gebiet asketischer Weltflucht, in abstrakte Ver-
geistigung im Spiel, statt der vollen Intensität leiden-
schaftlicher Affekte, die den Kraftmenschen der
Renaissance in ihrem Schiffbruch gefolgt war.
Die ^,Massip^keit'' bezieht sich zunächst nicht so-
wol auf den äussern Eindruck als auf den innern
Kern des Baues. Michelangelo lernt den antiken
Kolossalbauten die massive Festigkeit des Baukörpers
ab, und verwendet sie wie jene, nicht in der Absicht
auf brutale Schwerfälligkeit, sondern auf Weiträumig-
keit und Hoheit zugleich. Deshalb lehnt er auch
das sinnlich wirksamere Massenelement ab, das ihm
am Äussern heimatlicher Paläste vor Augen stand,
die toskanische Rustica , die selbst Bramante für
seinen malerischen Standpunkt nicht verschmähte.
Michelangelos Masse ist keine solche , aus der man
Berge türmen, sondern eine viel entwickeltere Materie,
4
Sein Barockstil
121
aus der man Menschen erschaffen kann. Sie ist auch
nicht aus Blöcken aufgeschichtet, sondern aus innerer
Naturkraft gewachsen, also nicht von Aussen, son-
dern von Innen geformt. Sie wird als zusammen-
hängend und gleichartig empfunden, wie der Marmor,
das Erz, die Thonerde, aus der er Statuen bildet;
dabei ist es gleichgültig, wie sie sich tektonisch zu-
sammensetzt oder bekleidet. Er sieht nur den bild-
samen Stoff, der sich modellieren lässt , und fühlt
die Gestaltung als Bildner durch, wenn auch gigan-
tisch aus eignem Wachstum sich vollziehend, indem
er gleich dem Schöpfer seinen persönlichen Willen
hineinversetzt, als sei er die spontane Triebkraft der
Materie oder der Erdgeist selber.
Wie der Bildhauer jedoch seine Gestalt zu dauern-
dem Bestände dem harten Stein aufnötigen muss,
so dass die Hand , den funkensprühenden Meissel
schwingend, nicht selten erlahmt, so feurig auch der
Geist den Marmorblock in Angriff nahm, — so schaltet
und waltet der Baumeister mit ganz andren Massen,
und im Widerstand der Beharrung selbst , die er
sichern will, erstarrt wol der unmittelbare Aufdruck
seiner eigensten Empfindung mehr noch als dort.
Damit ist jedenfalls die Grundlage für die pla-
stische Durchformung gewonnen, die sich von Innen
nach Aussen vollziehend supponiert wird, nicht um-
gekehrt wie bisher. Die BaugUeder wachsen erst
aus dem geballten Klumpen hervor, sie können sich
nicht vollständig loslösen , oder gar von Aussen, ur-
sprüngHch vereinzelt, in Koordination und Subordina-
tion zusammen treten zu einem systematischen Ge-
122
Michelangelo
füge, wie die Bausteine der geschichteten Wand auch,
wie die sogenannten organischen Säulenordnungen
mit ihrem Gebälk und wie verschiedene Stockwerke
aus solchen Bestandteilen sich übereinander schieben.
Sie bleiben vielmehr wie unsre Gliedmafsen bündig
mit dem Rumpfe. So erklärt sich die ,, Mauersäule",
die Pfeilerbildung, selbst die Begleitung der Pilaster
durch Hälften in Profil, das Rahmenprofil der Wand-
fläche, wie deren Einziehung, als lauter Stadien des
lebendigen Wachstums. Ganz irreführend ist die
Auffassung als Symptom des Verfalles, der erlah-
menden Durchformung oder gar als Mangel der pla-
stischen Kraft, denn nirgends ist die Form verschwom-
men, überall scharf genug die gewollte Abstufung
erkennbar; es wäre also subjektiv von ,, stofflicher
Befangenheit" zu reden. Die Materie selbst ist als
organischen Lebens fähig anzunehmen.
Dagegen begreift sich von selbst das Verschwin-
den der scharfen Ecken und Kanten, die Abstumpfung
des Harten und Spitzigen, ja die Rundung im Anlauf
der senkrechten Wand sogar (aussen an S. Peter),
das Wulstige, Vollsaftige der entwickelteren Formen
überhaupt, wie das Überquellen des bildsamen, noch
von Innen her im Fluss begriffenen Materiales , die
Abundanz, der Pleonasmus im Ausdruck des Einzelnen,
der so mit wortkargem Ernst und ablehnender Strenge,
die man darin gesucht hat , wol nicht immer über-
einstimmt.
Michelangelos Auffassung des Organismus geht
eben tiefer als bisher jemals in der Baukunst, nämUch
bis an den Sitz des Lebens. Wenn wir aber in der
Sein Barockstil
123
Architektur einem solchen Genius keine Verläugnung
des Bildnergeistes zutrauen dürfen, den er in der
Skulptur bewiesen hat, so werden wir uns auch über
das Eindringen der nämlichen Erscheinungen , die
Einseitigkeit koncentrierter Lebensäusserung, der ab-
sichtlichen Ungleichmäfsigkeit in der Beteiligung des
Körpers am Ausdruck nicht mehr wundern , und
werden deshalb noch nicht von einem Rückfall in
formloseren Zustand sprechen mögen.
Suchen wir endlich von diesem Prinzip aus den
Anschluss an das vorher verfolgte der Höhenaxe,
mit dem Ausdruck der Einheitlichkeit des organischen
Geschöpfes und dem Hochdrang seines natürlichen
Wachstums, zu gewinnen, so kommen wir wieder
zum Gesetz der Proportionalität und zum höchsten
Gesetz seiner Komposition im Grossen: dem Kontrast
zwischen Streben und Erfüllung, zwischen Unten und
Oben , Aussen und Innen , und allen ihren Modi-
fikationen in Raum und Zeit.
Da rühren wir an die Erkenntnis, dass Michelangelo
nicht nur Bildner und Maler wie Baumeister dazu,
sondern auch Dichter gewesen , und der Gröfsten
Einer zu seiner Zeit. Seine Architektur enthält auch
sowol in ihrer psychologischen Charakteristik der
Formensprache, wie in ihrer durchgehenden psycho-
logischen Veranstaltung die unverkennbaren Anfänge
einer grossartigen und umfassenden Raumdichtung,
die den zeitlichen Ablauf des Erlebens der Raum-
einheiten nach einander voraussetzt, also die Ver-
wandtschaft mit poetischer und musikahscher Kom-
position im Grossen.
m.
DIE ZWEITE PHASE
DES RÖMISCHEN BAROCKSTILS
~ie Schöpfungen Michelangelos , die wir be-
j trachtet, stehen bei seinem Tode 1564 für
i die Mehrzahl der Zeitgenossen als Rätsel da,
überwältigend wol in ihrer Wirkung, aber unverstanden
in ihrem Wesen. Den Kern der Sache mochten
auch die Künstler, selbst die nächst befreundeten,
die doch alle nicht an ihn hinanreichen, gewiss kaum
erfassen, geschweige denn zur Norm der eignen
Sinnesart und Kunst zu machen im Stande sein.
Der Greis gieng mit der Absicht um, in schrift-
Hcher Darlegung sein künstlerisches Wollen zusammen-
zufassen, wie ein Vermächtnis ; aber er hat es unter-
lassen, solche Erklärung zu geben. So konnten seine
Nachfolger ihm nur soviel ablernen , wie sie den
wenigen einheitlich vollendeten Werken abzusehen
vermochten, jeder nach seiner Wahl, aus früheren oder
späteren, und jeder nach seinen Kräften. Es dauerte
jedenfalls eine Weile, bis es ihnen wie Schuppen
von den Augen fiel ; denn die Gewohnheit aller An-
Ausgleich mit der Spätrenaissance 125
schauungen und die Begriffe des mühsam errungenen
Wissens von antiker Kunst standen seiner ganz per-
sönUchen Weise nur befremdet gegenüber.
Es sind seine Hilfskräfte bei S. Peter und seine
Nachfolger in der Oberleitung dieses Baues (den er
selbst nur bis zum Schlussgesims des Kuppeltambours
gedeihen sah) , bei denen wir am ehesten eine be-
wusste Auseinandersetzung mit ihm erwarten dürfen,
also Giacomo Barozzi da Vignola (f 1573)
und Giacomo della Porta (j- 1603). Aber neben
der Vollendung des Riesendomes drängten sich andere
Aufgaben, Kirchen und Paläste , die für die Gegen-
wart schneller Erledigung heischten als ein so weit
aussehendes , in unfertigem Zustand immer wieder
erlahmendes Werk für die Zukunft. So hegt grade
in ihrer Tätigkeit für die lebende Generation die
Bedeutung für die Stilgeschichte Roms. Die nächste
Phase der Entwicklung, die auf Michelangelo folgt,
charakterisiert sich , wie es bei seiner Ausnahme-
stellung kaum anders sein kann , als allmählicher
Ausgleich der Spätrenaissance mit dem Barockstil,
in der Architektur zunächst zwischen der klassisch
geschulten Tradition und den plastischen Tendenzen
des gewaltigen Bildners.
KIRCHENBAU
Nur die Hauptkirche der Christenheit, S. Peter
selbst, sollte nach Michelangelos Plan als Centraibau
von übermenschHcher Erhabenheit aufsteigen ; darin
war er einig mit Bramante. ,,Mehr als ein halbes
126
Die zweite Phase
Jahrhundert hindurch wusste man von nichts Anderem,
als dass diese Kirche aller Kirchen ein griechisches
Kreuz werden und bleiben sollte, welches von seiner
Kuppel nach allen Seiten hin beherrscht worden
wäre. In dieser Gestalt kannten die grossen Bau-
meister von 1550 bis 1600 S. Peter." ^) — Kein
Zweifel, dass sich in Bramantes Sieg mit dieser Form,
im Gegensatz zu der vorhandenen altchristlichen
Basilika, der Sieg eines Ideales der Renaissance voll-
endete. Aber bis dahin hatte die Verwirklichung
dieses Ideales sich doch nur auf kleinere Kirchen
und Kapellen beschränkt, und noch in der ersten
Hälfte des 16. Jahrhunderts bilden die Centralanlagen
zweifellos Ausnahmen von der Regel, die dem Kir-
chenbau , besonders Pfarr- und Klosterkirchen für
regelmäfsigen Gottesdienst, das Langhaus vorschrieb.
So befriedigte sich die Vorliebe der Renaissance für
die Centralform eigentlich in der Verbindung einer
Vierungskuppel mit dem Langhaus und in der ein-
heitlichen Ausbildung der unter ihr zusammenstossen-
den Kreuzarme zu einem Ganzen nach Art jenes
Ideales. Dies ist der eigentliche, durchweg vorherr-
schende Typus im Kirchenbau der Renaissance , zu
dem man angebaute Kapellen für besondere Zwecke
oder vereinzelte Heihgtümer kleinern Umfangs na-
türlich nicht ohne Weiteres hinzurechnen darf. Jeden-
falls erbt die Zeit, mit der wir uns beschäftigen, beide
Typen neben einander, Langbau und Centraibau,
und selbst Michelangelo behandelt S. Giovanni de'
i) Burckhardt-Geymüller im Cicerone.
4
Kirchenbau
127
Fiorentini in Rom nach einander in beiderlei Gestalt ^)
und weiss den Saalbau der Diocletiansthermen, den
er zur Kirche S. M. degH AngeU ausbaut , ein Ob-
longum mit ausgesprochener Tiefenaxe ebenso zu
schätzen wie das Pantheon und die Minerva medica.
Die Herrichtung eines vorhandenen antiken Raumes
für den Gottesdienst und die Rückkehr zum Lang-
haus bei der Pfarrkirche der Florentiner in Rom darf
deshalb als Empfehlung der Longitudinalrichtung
nicht allzu hoch veranschlagt werden: der Gegensatz
war in solcher Zuspitzung, wie Wölffhn meint, über-
haupt nicht vorhanden.
Vor allen Dingen ist die Tiefenaxe für den
Innenraum die allernatürlichste Richtung, die es giebt;
denn an ihrer Hand muss sich das Raumgebilde,
nach den Anforderungen unsrer gewohnten Tätigkeit
vor uns her, entwickeln. Die Neigung zur Centra-
lisation, unter Bevorzugung der Höhenaxe als Domi-
nante im Kuppelbau, bedeutet dagegen die Wahl
eines ruhigen Hauptpunktes, den Übergang zu gleich-
mäfsiger BeschauHchkeit im Selbstgefühl, und des-
halb zugleich eine Tendenz nach der Axe des pla-
stischen Gebildes, der Vertikale, der auch der Aussen-
bau als Monument um so mehr sich anschliesst,
je fester sich der Baukörper zusammenfasst und von
vornherein zu einem Höhepunkt emporgipfelt. Die
Rückkehr zur dritten Dimension bedeutet also für
i) Die Kenntnis des Centralplanes für S. Giovanni de' Fio-
rentini (Rossi , Insignium Romae Templorum Prospectus) hat s. Z.
jedenfalls autoritativ weitergewirkt, vgl. S. Giacomo degli Incurabili.
128
Die zweite Phase
die reine Baukunst nur eine Wiederherstellung ihres
natürUchen Wesens , wo immer in einem Bau das
Recht der Bewegung das Recht der Ruhe überwiegt.
Es ist somit kaum erforderlich für die fernere Vor-
herrschaft des Longitudinalbaues bei Gemeindekirchen
noch besondere ästhetische Gründe zur Erklärung
heranzuziehen (wie Wölfflin fordert). Charakteristisch
für den Barock ist nur die Begleitung des Hauptraumes
durch seithche Bildungssphären, wie wir die dunklere
Kapellenreihe im Gegensatz zu Nebenschiffen genannt,
und die Ausbeutung der Tiefenaxe zur Befriedigung
seines ästhetischen Wollens in einer psychologischen
Veranstaltung für das vorwärts schreitende und
schauende Subjekt. Diese künstlerische Verwertung
war von Michelangelo schon beim Innenraum von
S. M. degli Angeli in dem einen, bei der Laurenziana
in dem andern , und bei der Anlage des Kapitols-
platzes oder beim projektierten Durchblick aus Pa-
lazzo Farnese in mehrfachem Sinne vorbereitet wor-
den, so dass wir sie bei verlorenen Entwürfen ebenso
voraussetzen dürfen.
Darnach beschränkt oder verschiebt sich doch
der Wert der entscheidenden Tatsache , von der
Wölfflin mit Dohme wie Gurlitt ausgeht: ,,Vignola
schuf im Gesü einen neuen Typus als Langhaus,
und dieser wurde bestimmend nicht nur für die neuen
Bauten der Folgezeit, sondern es musste selbst S. Peter
ihm sich beugen." Für S. Peter ist der Bruch mit
dem plastischen Ideal Michelangelos durch die Vor-
lage des Langhauses tatsächlich von grösster, ver-
hängnisvollster Bedeutung. Mit dem Sieg der Tiefen-
Kirchenbau
129
dimension an dieser Stelle, mit der Konkurrenz dieser
Axe um die Vorherrschaft, auch über die bisdahin
allein anerkannte Dominante beginnt eine Umwälzung
folgenschwerer Art ; aber es ist wieder S. Peter, an
dem Carlo Maderna erst auf Geheiss. Pauls V. 1605
die Verlängerung des einen Flügels beginnt. Bis
zu diesem Zeitpunkt reicht auch genau die zweite
Phase des Barockstils in Rom , die wir abzugränzen
im Begriffe sind ; sie könnte mit den Meisterwerken
des selben Carlo Maderna, die der Umgestaltung von ;
S. Peter voranliegen, geschlossen werden. Mit dem
Problem der Fassade für dies Langhaus erst beginnt
die folgende Entwicklung.
Jacopo Barozzi, aus Vignola im Modenesischen
gebürtig, ist als junger Mensch zuerst nach Rom ge-
kommen, da kein Gedanke noch auf etwas Anderes
als klassische Schulung ausgieng. Als eifriger Vitru-
vianer , der die Denkmäler zu messen kam, und als
Verfasser des Lehrbuches von den fünf Ordnungen,
in dem er seine Ergebnisse darbot, gehört er seinen
theoretischen Erkenntnissen nach gewiss ebenso sicher
zur Spätrenaissance , wie Andrea Palladio oder Se-
bastiano Serlio. Er ist auch in seinem künstlerischen
Schaffen ein Meister dieser auf Gelehrsamkeit be-
gründeten Richtung , die aus den Studien des An-
tonio da Sangallo und des Baldassare Peruzzi desto
notwendiger erwuchs, je tiefer zunächst mit dem
Mute der Bauherrn auch die Erfindungskraft der
Geister gesunken war. Ein zw^eijähriger Aufenthalt
Schmarsow, Barock und Rokoko. 9
130
Zweite Phase des Barock
in Frankreich mit Primaticcio (seit 1537) mochte
seinen Gesichtskreis im Schlossbau erweitern; aber
in Bologna fehlte wieder Tördersame Gelegenheit.
Erst sein zweiter Aufenthalt in Rom unter Julius III.
und die Ausführung des Schlosses Caprarola für die
Farnese steigert sein Können zur Originalität , lang-
sam genug. Damals erfolgt die Berührung des
Dreiundvierzigj ährigen mit Michelangelo, der ihn am
Palazzo Farnese verwendet. Ausser vielen Einzel-
heiten der Innenausstattung, die auf seinen Anteil
entfallen, gehört ihm auch meiner Überzeugung nach
die strenge klassische Durchbildung des berühmten
Kranzgesimses, bei dem es Michelangelo sicher nur
auf die plastische Gesamtwirkung als krönender Ab-
schluss des Baukörpers ankam. Ebenso selbständig
hat er als Bauführer auf dem Kapitol die seitlichen
Hallen oben an den Treppen zu Aracoeli und Mon-
tecaprino hinauf einander gegenüber ausgeführt (vor
1555)» denen die Vorhalle von S. M. in Navicella
durchaus verwandt ist , alle drei schon mit leisen
Symptomen der Auffassung Michelangelos (z. B. ohne
Eckpfeiler). Ebenso zurückhaltend ist noch der
kleine Centraibau bei Ponte Molle, das Oratorium
S. Andrea, dessen oblonger Grundriss nur wenig
über das Quadrat hinaus geht, während die Kuppel
in entsprechendem Oval darauf, diese leise Bevor-
zugung der Tiefenaxe nach Aussen ebenso verbirgt,
wie die Fassade, mit korinthischen Pilastern gegliedert,
mit zierlichen Fenstern dazwischen und breitem Giebel
darüber, noch strenge Zeichnung aber schwache
Formkraft aufweist. Erst im Hof des fünfeckigen
Kirchenbau
131
Festungsbaues von Caprarola (bis 1559) wird der
Ubergang von Peruzzis polygonem oder kreisrundem
Plan zum Oval ein Schritt von entscheidender Be-
deutung, denn hier ist die Längenaxe deutlich als
Bewegungsaxe fühlbar geworden, während andrer-
seits die Rustikahallen unten und die gepaarten
Halbsäulen oben noch das Festhalten an der selben
Tradition bezeugen, die wir von Bramante zu San-
micheli und Palladio verfolgen.
Nach dem Tode Michelangelos wird Vignola
dann der Leiter des Baues von S. Peter selbst und
führt die beiden vorderen der vier Nebenkuppeln
aus, die Michelangelo als Trabanten der Hauptkuppel
plante. Hier zeigt sich, wie weit Vignola in die
Denkweise dieses durchgreifenden Schöpfers ein-
gedrungen war, die er solange zu vollziehen sich
gewöhnt; seine Ausführung geht über das Modell
des Meisters selbst hinaus, aber durchaus michelange-
lesk, in stärkerer Betonung der strebepfeilerartigen
Glieder. Während das Modell am Tambour dieser
kleinern Kuppel nur Halbsäulen resp. Pilaster auf-
weist, um dem stärkern Motiv der herrschenden
Mitte noch nicht vorzugreifen , führte Vignola ein
der Hauptkuppel verwandtes System durch : acht
Vorlagen mit herausspringender, von Pilastern be-
gränzter Mauermasse und je zwei Dreiviertelsäulen
daneben, — und betont auch in den Kuppeln selbst
die entsprechende Rippenbildung und den gestreck-
tem Aufschwung in der Gesamtform, mit stärkerer
Laterne und helmartiger Spitze darauf.
Seit 1568 beginnt aber daneben der Bau der
9*
132
Zweite Phase des Barock
Jesuitenkirche del Gesü, wieder im Dienst der Far-
nese, aber im Auftrage des dritten Ordensgenerals,
Borgia. Keine Frage, dass die straffe Organisation
des Ordens und die Betonung seiner strengen Dis-
ziplin nach Aussen im Sinne dieses Bauherrn den
Gedankenzug des Architekten beeinflusst hat, wie
er sich andrerseits grade damals in die Willenskraft
Michelangelos und seine Absichten mit S. Peter ein-
gelebt, also in künstlerischer Beziehung verwandte
Wege gieng. — Auch wer als Historiker die Kirchen-
bauten Michelangelos, S. Giovanni de' Fiorentini und
S. M. degli Angeli als unmittelbare Vorstufen zur
Vergleichung fordert , gelangt indes zu charakte-
ristischen Unterschieden, durch die das Werk Vigno-
las für sich selber redet, wie ich glaube, jedoch
r eher im Sinne der Spätrenaissance als im Sinne des
/ Barock über Michelangelo hinaus. Die Pfarrkirche
der Florentiner gab wol die Grundlage für die Chor-
partie , die hier wie dort im Halbrund geschlossen
ist , mit quadratischer Vierung davor aber kurzen
Armen zur Seite ; die Nebenschiffe jedoch, die dort
vorhanden sind, werden hier der Einheit des Lang-
hauses zuliebe beseitigt. Dadurch nähert sich dieses
dem andern Vorbild, dem Saalbau von S. M. degli
Angeli, dessen Wände auch Michelangelo mit Ka-
pellen durchbrochen hatte. Diese wirken mit dem
breiteren Schiff in strenger Unterordnung zusammen,
wie die kurzen Querarme mit der Vierung, dort eine
dunklere, hier eine hellere Bildungssphäre, und der
ganze Plan bildet bis auf die Apsis ein geschlossenes
Rechteck. — Dennoch sondert sich im Innern die
Kirchenbau
133
Kreuzung mit der darüber schwebenden Kuppel
fühlbar genug als Centralanlage von dem Lang-
haus mit seinen drei Jochen ab. Dies letztere er-
scheint, wenn man vom Eingang her der Gliederung
folgt, freilich nur wie eine Vorbereitung auf jene,
greift aber bis zur Chortribune hindurch, und die Glie-
derung selbst bleibt in musterhafter Klarheit erkenn-
bar, wie das Gewissen der strengen Architektur sie
fordert. Der Meister der Spätrenaissance verläugnet
sich nicht. — Gekuppelte Pilaster mit niedrigen
Sockeln und Kompositkapitellen begleiten die Ka-
pellenöffnungen, deren Scheidbögen nicht bis zum
Architrav emporsteigen, sondern in einem Wandstück
über sich noch emporenartigen Einbauten die starke
Betonung der Wagerechten gestatten, die so mit
dem Gebälk zusammen wirkt. Dieses liegt verhältnis-
mäfsig niedrig, aber über ihm drängt sich eine über-
höhte Attika mit wuchtiger Plastik hervor, bis zum
Kämpfergesims des mächtigen Tonnengewölbes, das
den ganzen Raum vor der Vierung überspannt. Die
halbcylindrische Wölbung, die bei Vignola ganz ein-
heithch fortlaufend gedacht war, ist der wichtigste
Faktor sowol für den Zusammenhalt des weit-
räumigen Langhauses nach Art eines antiken Saales,
als auch für den Zusammenhang mit dem Kuppelbau
am Ende. Dazu kommt das OberHcht durch die
Fenster in den Stichkappen, das nur dem Mittelraum
zu Teil wird, und die Dunkelheit der Kapellen als
Gegensatz dazu. Dieser Kontrast zwischen den
dunklen Raumöffnungen und den hellen Mauerflächen
mit ihren Pilasterpaaren durchhin ist wieder die Grund-
134
Zweite Phase des Barock
, läge der zweiten Kraftäufserung, die nun im Sinne
der Höhenaxe sich geltend macht. Die aufsteigenden
Träger mit iRren Kapitellen, mit den vorkragenden
Emporen dazwischen, dem durchlaufenden Gebälk
und der Attika darüber, betonen allesamt den Hoch-
drang, der, vom Oberlicht begünstigt, auch das
Tonnengewölbe erfasst, so dass wir ein Wachsen des
Raumgebildes nach Oben zu gewahren glauben. Das
I nämliche Prinzip aber greift in den letzten Abschnitt
zwischen den Pfeilerpaaren umgestaltend ein, um
den Kuppelraum der Vierung hervorzubringen: hier
öffnet sich die Wandfläche zwischen den Trägern
nicht mehr als Kapellenbogen, sondern nur zu einer
Tür unter der Loge, und eine kreisrunde Kapelle
liegt dahinter, wie jenseits der Vierung ebenso. Die
kürzeren Intervalle verkünden also das Zusammen-
raffen der Kraft zum neuen, gesteigerten Hochdrang.
An den Pfeilern der Vierung verkröpft sich dem-
gemäfs das Gebälk und hier allein; denn über ihm
wächst innen rund, aussen polygon der Tambour, und
aus diesem vollen Cylinder die letzte, — in der Halb-
tonne vorn und der Halbkugel hinten in der Apsis
vorbereitete — Vollendung, die kreisrunde Kuppel
selbst. Und hier auch im Gegensatz zum gedämpften
Oberlicht des Langhauses die Steigerung der Hellig-
keit durch die Fensterreihe im Tambour oder gar
\ die Laterne droben. Wenn die Höhe der Kuppel
J sich verhältnismäfsig beschränkt, so geschieht dies
ebenso der Einheit des~Gesamtraumes zuliebe wie
alle übrigen Mafsnahmen. Mit S. Peters Kuppel,
die ohnehin noch gar nicht fertig dastand, darf kein
Kirchenbau
135
Vergleich gezogen werden. Denn dort ist das Höhen-
lot die Dominante des Ganzen, das Michelangelo
auftürmen wollte, hier dagegen die Tiefenaxe. Ganz
abgesehen von dem Rangstreit, den die erste Jesuiten-
kirche in Rom sicher nicht aufzunehmen bestimmt
war. Darüber sollte kein Zweifel aufkommen, auch
wenn das Langhaus so kurz gebildet ist, dass die
Kuppel ihre centralisierende Kraft noch geltend
machen kann, ja im Vorwärtsschreiten vor unsern
Augen zu erwachsen scheint. ,, Leicht und graziös
schwebt sie," meint Gurlitt; da kann vom ,, Herab-
sinken zu einer gedrückten Bildung" wol mit Wölff-
lin keine Rede sein, ebenso wenig wie vom
,, Schwererwerden aller Formen" überhaupt, das grade
bei der Kürze des Langhauses noch nicht so eintritt,
wie es der Hochdrang in einer fortlaufenden Reihe
sonst leicht zur Folge haben würde.
So ist in diesem Innern eine einheitliche, wenn
auch in sich gegUederte Entfaltung des Raumes er-
reicht, die,, über die tatsächlichen Dimensionen hinaus"
wirkt, — auch heute noch, wo die spätem Zutaten,
die Deckenmalerei und die ,, malerische Architektur"
der Wandaltäre den ursprünglichen Charakter grade
in dieser Hinsicht beeinträchtigt haben. Die Bedeu-
tung dieses Raumes als organisches Gebilde im Sinne
Michelangelos zu ermessen, hilft besonders der Hin-
weis auf ein oberitalienisches Beispiel, das sich aus-
drücklich Vignolas Gesü zum Vorbild nahm. Als
man in Venedig beim Bau des Redentore über die
Wahl der Centralanlage oder des Langbaues zweifel-
haft war, entschied (wie Dohme berichtet) die Schön-
136
Zweite Phase des Barock
heit der Jesuitenkirche in Rom. Aber wie verschieden
wirkt Palladios Raumkomposition von dem römischen
Muster, durch die Abtrennung des Kuppelraumes
vom Langhaus, die Durchsicht durch die Säulen
hinter der Vierung in den Mönchschor, der aber-
mals einen Saal für sich ausmacht: da sind unläug-
I bar malerische Tendenzen im Spiel, und als Kompo-
sitionsgesetz waltet die Harmonie zwischen mehreren,
selbständiger ausgebildeten Raumteilen auf einer Axe
und der Durchblick durch sie hin, also das Erbe
der Renaissance. Gilt es aber in Rücksicht auf solche
Erscheinungen der nämlichen Zeit in Oberitalien nun
den Charakter dieses mafsgebenden Kirchenbaues in
Rom zu bezeichnen, so kann das Schielen nach
,, malerischen Wirkungen" wol nur irre führen. Was
Vignola in diesem Innenraum will, ist ein Ausgleich
,der plastischen Tendenzen, der einheitlichen Gestal-
jtungsenergie Michelangelos mit den Gesetzen der
i strengen Architektur, die er den Meisterwerken der
'j römischen Antike abgelernt hat. Die Jesuiten-
Idrche in Rom ist eine Ordenskirche, nicht der
höchste Tempel der ganzen Christenheit wie S. Peter;
deshalb ist die volle Konsequenz des plastischen
Ideals, wie Michelangelo sie in diesem einzig da-
stehenden Sakralbau durch strengste Centralisation
erreicht, von vorn herein ausgeschlossen: die Höhen-
axe und damit der Hochdrang ordnet sich der Tiefen-
dimension als Dominante des Innenraumes unter.
An der Hand der Longitudinale gewinnt aber auch
, das Prinzip successiver Anschauung, der fortschrei-
^ tenden Bewegung unsres Körpers und unsres Blickes
i
Kirchenbau
137
gemäfs, bestimmenden Einfluss auf die psychologische
Veranstaltung. Also das Nacheinander, das Werden
erhält auch hier über das ruhige Sein die Oberhand,
aber in andrer Richtung. Also schliefst sich Vignola
bei aller Strenge des Vitruvianers doch dem Vorbild
Michelangelos, d. h. dem Barockstil nach Möglich-
keit an.
Nur ein Faktor fehlt noch , der dem Hochaltar
in der Tiefe mit der Apsis , die das Langhaus ab-
schliefst, entsprechen soll, und zwar der erste Faktor
im fortschreitenden Gange des Betrachters : die Fas-
sade, die wir als Exposition der ganzen Aufführung
anzusehen pflegen. Nur sie kommt bei dieser neuen
Rechnung noch am Äussern zur eigentlichen Geltung ;
bei der ausgesprochenen Vorherrschaft des Innen-
raumes , der die ganze künstlerische Ökonomie be-
stimmt, tritt das Interesse an monumentaler Gestal-
tung des Baukörpers nach allen andern Seiten völlig
zurück. Hier hegt der wesentliche Unterschied in
der Denkweise des Architekten von Hause aus, dem
die Raumbildung Hauptsache seines Schaffens ist
und bleibt , wie Vignola , und der des Büdners von
Hause aus, dem die Körperbüdung allzeit das höchste
Anliegen gewesen, wie Michelangelo.
Der Tod hat Vignola daran gehindert , seiner
Jesuitenkirche noch die Fassade hinzuzufügen, die
er ihr zugedacht hatte. Sein Entwurf aber ist uns
im Kupferstich bei Fr. Villamena überliefert ; ob seine
Ausführung sich unverändert daran gehalten hätte,
muss freilich dahin gestellt bleiben. Sein Nachfolger
138
Zweite Phase des Barock
Giacomo della Porta hat jedenfalls nicht gezögert,
eine neue Rechnung an die Stelle zu setzen. Halten
wir uns aber an den gestochenen Entwurf Vignolas,
so erscheint seine Fassade noch am wenigstens vom
Barockstil Michelangelos durchdrungen , und ich
glaube , wir müssen annehmen , die Zeichnung sei
zu Anfang, zugleich mit dem Grundplan und Aufriss
der Kirche, 1568 entstanden; denn mit diesem ist
sie in strengem Einvernehmen , wol als Vorlage
für die Bauherrn sorgsam ausgearbeitet. Sie Hefert
einen neuen Beweis, wie sehr die eigene Denkweise
dieses Architekten mit dem Wesen der Spätrenais-
sance verwachsen war. Für sich betrachtet ein
ausserordentlich fein abgewogenes, als Frucht strenger
Schulung gezeitigtes Meisterstück, bleibt sie dem
Innenraum, besonders seiner DurchgUederung gegen-
über in alter Befangenheit zurück. Das ist kein
Wunder ; denn die Fassadenentwicklung war über-
haupt beim Kirchenbau der Renaissance zu kurz
gekommen , wenn auch in Rom selbst zusammen-
hängender fortgeschritten als anderswo.^) Vignola
persönlich zeigt in seinem Entwurf für die Fassade
von S. Petronio in Bologna, bei dem er jedenfalls
sein höchstes Können eingesetzt , die völlig unzu-
längliche Vielheit seiner Mittel, die nicht im Stande
war, ein Ganzes gross und durchgreifend zu gestalten.
Hier, wie im Entwurf für den Gesü, leuchtet am
I ) Vgl. S. Maria del Popolo , S. Agostino — wie eine Art
Versuchsstation — , S. M. dell' Anima u. s. w. Abbildung des altern
Zustandes bei Schmarsow, Melozzo da Forli, Stuttgart 1886, p. 108.
Kirchenbau
139
meisten die Verwandtschaft mit dem gleichstreben-
den Galeazzo Alessi ein, wie er die Fassade von
S. M. presso S. Celso in Mailand durch Einschiebsel
steigert. Aber das letzte Ergebnis Vignolas ist we-
nigstens einheitlich und streng.
Gegen die Wucht der inneren GUederung mit
ihrem plastischen Hochdrang kommt sie freihch nicht
auf; aber wenn schon das „prachtvoll raumschliefsende
Tonnengewölbe" der Ausführung seines Nachfolgers
Giacomo della Porta verdankt werden soll, ^) so darf
man bei der Attika darunter wenigstens die selbe
Frage stellen und begreift, weshalb dieser auch die
Wirkung der Fassade so verständnisvoll gesteigert hat.
Eine Vorlage mit zwei gleichwertigen Geschossen
übereinander kennzeichnet bei Vignola nach Aussen
die Breite des Schiffes, während die Seitenteile vor
den Kapellertreihen unten als geschlossene Wände
zurücktreten, nur mit dem Sockel des Obergeschosses
als Balustrade bekrönt, auf deren Postamenten Sta-
tuen stehen, und mit dem Mittelbau durch ein streben-
artiges Mauerstück sehr dürftig verbunden. Als
Gliederung erscheinen hier wie an beiden Geschossen
der streng dominierenden Mitte die gekuppelten
Pilaster des Langhauses , aber durch Nischen mit
Statuen darin auseinander gehalten und verselbstän-
digt, und in abermaliger Steigerung an der Mittel-
axe zu Säulen geworden. Hier öffnet sich die Haupt-
türe mit reichem Rahmenschmuck in freier, triumph-
i) So giebt Gurlitt an, und damit würde sich unsre Charak-
teristik noch mehr zuspitzen.
140
Zweite Phase des Barock
bogenartiger Arkade zwischen den vortretenden
Säulen , deren vorgekröpftes Gebälk ein Segment-
giebel bekrönt ; sie wird seitlich von den Nebentüren
begleitet ; ebenso im Obergeschoss das grosse Haupt-
fenster von zwei kleineren, während über den Säulen
Gebälk und Giebelfeld sich in der Mitte vorschiebt,
überragt von drei entsprechenden Postamenten mit
Statuen darauf. Sonst überspannt die Breite des Giebels,
genau der Dachlinie gemäfs, den ganzen Risalit, über
dessen Eckpfeilern wieder Postamente mit Statuen
emporsteigen. Die Mauerfläche, die zwischen diesen
Trägern und Offnungen übrig bleibt, wird mit einem
Gurtgesims in jedem Geschosse, unten in zweidrittel,
oben in dreiviertel Höhe horizontal geteilt und so
in kleinere Felder zerlegt, die durch Rahmen wieder
selbständigen Wert erhalten. So wird der Eindruck
der ganzen Fassade, wie Wölfflin anerkennt, haupt-
sächUch ,, durch den alten Sinn für bestimmte Durch-
gliederung und das Gefühl der Selbständigkeit des
Einzelnen bedingt", — gehört also der vorwiegenden
Gesinnung nach ohne Zweifel zur Spätrenaissance,
d. h. noch ebenso wenig in die Geschichte des
Barock wie Sto. Spirito in Sassia. Nur Einzelformen
würden vielleicht die Nächbarschaft Michelangelos
verraten, wenn nicht doch die scharfe Betonung und
Durchführung der Mitte immerhin deutlich an die
Rechnung mit plastischen Kontrasten appellierte, die
den neuen Stil verkündet.
Viel entschiedener arbeitet in diesem Sinne
Giacomo della Porta, der nach einem neuen
Entwurf das Werk bis 1575 vollendet hat. Er ist
Kirchenbau
141
denn auch ohne Frage die bedeutendste Kraft unter
den Zeitgenossen , der tonangebende Meister des
Barockstils unmittelbar nach Michelangelo. Er hatte
bei andern Kirchenbauten Roms schon Gelegenheit
gehabt, auch an der Fassade den Wert der alten
und neuen Prinzipien gegen einander abzuwägen
und so den Übergang bereits durchgemacht, als das
Problem am Gesü in seine Hände kam.
Sein Erstlingswerk an Sta. Caterina de' Funari,
wenigstens am untern Stockwerk auf 1563 datiert,
lässt noch starke Verwandtschaft mit Bramantes be-
rühmter Umkleidung der Casa Santa di Loreto er-
kennen, während die Flächenfüllung sich im oberen,
sonst gleichwertigen Geschoss erweitert und erleich-
tert , so dass ein Drang von Unten nach Oben zu
wirken beginnt, — ohne dass wir sicher wären, ob
der Gegensatz von Anfang an gewollt, ob erst nach-
träglich hineingekommen sei. — Jedenfalls vor dem
Gesü entworfen, wenn auch später ( 1 580) vollendet,
ist S. Maria de' Monti, eine der vorzüglichsten Lei-
stungen, die nach Wölfflins treffender Charakteristik
nicht mehr in Burckhardts Renaissance figurieren
darf, sondern den Anfang des Barockstils im Fas-
sadenbau bezeichnet. Hier ist nicht allein die Ab-
stufung durch die Mittelvorlage, sondern auch durch
die plastischen Werte vorhanden, dem Untergeschoss
durch eine starke Attika vollends das Übergewicht
gesichert, der Gegensatz zu dem oberen Aufbau
mit seiner grösseren Ruhe und Freiheit schon fühl-
bar, wenn auch noch nicht bewusst mit allen Mitteln
herausgearbeitet.
142
Zweite Phase des Barock
Dies geschieht zum ersten Mal in grösseren
Verhältnissen am Gesü, und zwar in durchgreifender
Vereinfachung gegen den Entwurf Vignolas. Porta
rückt die Pilaster dicht aneinander, so dass sie nur
als Paar erscheinen, und entkleidet die Mauermasse
selbst aller auflockernden oder verselbständigenden
Teilgliederung. Er fasst den Baukörper wie Mi-
chelangelo als plastisch bildsame Materie auf, die
an solcher Stirn die Geschlossenheit des Zusammen-
halts bewahrt. Sie lässt weder die Lagerung der
geschichteten Bestandteile , noch die Rundung der
Formen in voller Loslösung hervortreten , sondern
bleibt auch in der Mitte selbst zurückhaltend mit
sich selber Eins. Unzweifelhaft kommt im Uber-
gewicht der oberen plastischen Elemente, der Giebel
über Türen, Fenstern, Nischen der beiden mäch-
tigen , die ganze Breite der Rücklagen emporneh-
menden Voluten, der Verkröpfungen im Hauptgiebel
und seiner Mittelaxe, der durchgehende Hochdrang
zum Ausdruck. Das Gestaltungsprinzip des Bildners
/ Michelangelo wird hier von einem streng geschulten
I Architekten gehandhabt , so dass es unläugbar die
Grundlage des Baustiles bestimmt ; aber es durch-
bricht noch nicht die Gesetze der Baukunst selber,
die mit eignen Mitteln auszukommen trachtet. ^)
l) Daneben erscheint, auch meiner Überzeugung nach, eine
Fassade wie S. Luigi de' Francesi mit ihrer Anlehnung an die
breite, Schirmwand von S. Maria dell' Anima als ein verunglücktes
Machwerk, das nur durch allmähliche Kompromisse zwischen ver-
schiedenen Anläufen nacheinander historisch erklärt werden kann,
eben deshalb aber für die Entwicklung des Stiles ausser Be-
Kirchenbau
143
Und wie sollte dies anders sein bei einem Manne,
der das nämliche Verständnis für die schöpferische
Kraft des grossen Meisters und die gleiche Über-
zeugungstreue in den Grundsätzen der eignen Kunst
bei allen andern Aufgaben, die ihm damals zufielen,
betätigt hat. Seine höchste Leistung in dem selben
Sinne war die Vollendung der Hauptkuppel von
S. Peter (1588— 1590) nach Michelangelos Modell,
von dem er, wenn auch sehr wenig im äussern Um-
riss, doch im Innern durch Weglassung der untersten
Schale beträchthch genug abzuweichen gewagt hat,
so dass es nun ein Drittel höher aufsteigt als das
Vorbild angiebt. Die Umgestaltung der halbkuge-
ligen Form dieser Innenschale in eine sphärische
beweist allerdings die Tendenz, dem Hochdrang auch
hier im energischen Aufschwung sein Recht zu ver-
schaffen, das der Körperbildner Michelangelo nur
nach Aussen auszuprägen verlangte, der Raumbildner
dagegen, der den Gedanken schöpferisch auf zunehmen
verstand, auch im Innern fordern musste. — Un-
verkennbar geht aus dieser Tatsache hervor , wie
tief sich Giacomo della Porta in die Auffassung des
Bauwerks als eines vom innersten Kernpunkt aus
gewachsenen Organismus hineingelebt hat, und wie
weit auch er in der Auffassung des Baumateriales
als einer bildsamen Masse mitgeht, einer Masse, die
besonders in dieser Höhenregion als sinnlich wahr-
nehmbare Hülle dem Wachstum des Raumes von
tracht fällt. Giacomo della Porta kommt oben sicher nicht mehr
in Frage. Vgl. übrigens den Dom von Pienza.
144
Zweite Phase des Barock
Innen her folgt und das Spiel der Kräfte, die sie
durchdringen , im Recken und Strecken der Glieder
zugleich mit dem Aufschwung der Fülle selbst zum
Ausdruck bringt. Aber ebenso unläugbar ergiebt
sich aus der ganzen Tätigkeit Portas beim Kirchen-
bau dieser Zeit, dass von malerischen Anwand-
lungen in seiner Kunst nirgends die Rede sein
kann, sondern nur vom Eindringen plasti-
schen Wollens und bildnerischen Denkens in
das architektonische Schaffen. Damit ist der
Stil Michelangelos ebenso bestimmt charakterisiert,
wie die nächste Nachfolge der strengen Architekten, die
den notwendigen Ausgleich zwischen der plastischen
und der architektonischen Dominante, d. h. zwischen
der ersten und der dritten Dimension vollzogen haben.
Die abschliessende Leistung für diese Periode
römischer Kirchenfassaden gehört dann einem Meister,
der von Haus aus für die ausgesprochene Allein-
herrschaft plastischer Kontraste vorgebildet scheint,
als wäre er in seiner Comaskenheimat schon zum Bild-
ner geschult: ich meine Carlo Maderna und sein
allgemein anerkanntes Werk an S. Susanna, das
1595 — 1603 vollendet ward.
Es war allerdings verhängnisvoll , dass es sich
in diesem Falle nur um eine Aufgabe handelte, die
den Zusammenhang zwischen der Fassade und dem
dahinter stehenden Raumgebilde von vornherein aus-
schloss. Es ist eine altchristliche Basilika, deren
Schlusswand nur ein neues Angesicht bekam. An
die Stirn des Baukörpers selbst aber schhessen links
und rechts fortlaufende Mauern an, deren Höhe das
Kirchenbau
145
Untergeschoss wenigstens um ein Stück noch über-
ragt und so die Seitenansicht der Kirche den BHcken
entzieht. Diese Mauern mit ihrer verwandten aber
einfachem GHederung bilden mit dem Hauptstück
in der Mitte die abschliefsende Wand des Platzes.
Aus der Flächendekoration daneben hebt sich also
die Fassade mit ihrer dreifachen Abstufung gegen
die Mitte heraus, ,,im plastischen Ausdruck von Pi-
lastern zu Halbsäulen, von Halb- zu Dreiviertelsäulen
fortschreitend". Das letzte Drittel dieser Säulen ist
in tiefe Rinnen eingelegt, eine technische Mafsnahme,
die unläugbar für die ausgesprochene Reliefauffassung
zeugt, aber eines Reliefs, das überall den Zusammen-
hang des Geformten mit dem geschlossenen Körper
der bildsamen Masse aufrecht erhält. FreiUch an
besonders bevorzugten Stellen der Lebensäusserung
von Innen her ist sie schon hier im Begriff, zu
weiterer Auflockerung überzugehen, aber noch räumt
sie klar genug der statuarischen Kunst diese Stellen
ein. So erklärt sich die Behandlung der Mauer-
flächen zwischen der Ordnung : die äussersten Felder
bleiben nicht leer, sondern sind schon mit zwei Re-
lieftafeln übereinander geschmückt, deren Gesamt-
umriss mit flachem Giebelbogen an die Nischenform
anklingt; dann folgen wirkliche Nischen mit Fenster-
umrahmung, an denen der schattende Dreieckgiebel
nicht fehlt, und Statuen von bewegter, gegen die Mitte
gerichteter Haltung darin. Die reichverzierte Tür
trägt auf ihrer Einfassung einen niedrigen Segment-
giebel , das Säulenpaar daneben auf seinem vor-
gekröpften Gebälk einen Dreieckgiebel , der die
Schmarsow, Barock und Rokoko. j^Q
146
Zweite Phase des Barock
unteren Krönungen zusammen fasst und zugleich in
die Sockellage des Obergeschosses überleitet. Dies
obere Stockwerk wiederholt drei Paare von Trägern
über den entsprechenden untern, aber nur als Pilaster
auf den Postamenten der Unterlage, während über
den zurücktretenden Seitenteilen zuäusserst kräftige
Voluten in doppelter Knickung der Umrisslinie sich
lebendig emporheben und oben gegen den Mittelbau
pressen. Reicher umrahmte Nischen mit Statuen
drängen mit gebrochenen Giebeln aufwärts, während
die Mittelöffnung über dem Portalbau mit Balustrade
und Rundbogen, Pilasterstellung, verkröpftem Gebälk
und Segmentgiebel zu voller Selbständigkeit aus-
gebildet, das ganze Mittelrisalit in das Feld des
Hauptgiebels emportreibt, wo ein Wappenschild,
unter der Spitze hervorquellend, in kräftiger Betonung
der Dominante den plastischen Hochdrang zusammen-
fasst. Ja, noch über den schattenden Dachrand selbst
dringen die tragenden Kräfte hindurch als Pfosten
einer Balustrade, die von denEckbekrönungen empor-
steigend, im Kreuz auf der Mitte gipfelt, und so dem
Ganzen einen ausserordentlich wirksamen, das Empor-
streben völlig beruhigenden Abschluss geben, in dem
sich das Leben in gleichmäfsiger Fülle verbreitet.
Mit dieser glücklichen Lösung der Aufgabe an
S. Susanna war somit durch Carlo Maderna am Ein-
gang des 17. Jahrhunderts in Rom das System der
Fassadenbildung für den eigentlichen Barockstil fertig
ausgebildet; aber, wie sich leicht erkennen lässt,
nicht ohne abermaligen Ausgleich mit dem Stil der
Renaissance. In engstem Anschluss an dieses Vor-
Kirchenbau
147
bild entstand nicht allein die bedeutend schwächere
Fassade der Chiesa nuova (von Fausto Rughesi aus
Montepulciano erbaut) , sondern auch S. M. della
Vittoria noch um 1630 von dem tüchtigen Nach-
zügler Giovanni Battista Soria, der in vereinzelten
Beispielen sonst sein ächt römisches Gefühl für mo-
numentalen Ernst mit fremdartigen Regungen der
folgenden Generation durchsetzte.
Obwol nur Schaustück, das ohne organischen
Zusammenhang mit dem Innern vor den Kirchen-
körper hingestellt ward , verfällt das Meisterwerk
Madernas noch nicht der Versuchung , sich in ein-
seitiger Befriedigung des Hochdranges über alle
Rücksicht auf die Firsthöhe der Kirche hinweg-
zusetzen. In dieser Auseinanderreissung der Stirn-
seite des Baues und der Höhenaxe (eines etwa da-
hinter liegenden Kuppelraumes z. B.) lag die Gefahr
für den Barockstil, weil eben durch die Einschiebung
der Tiefendimension des Langhauses der natürliche
Anschluss nach Art organischen Wachstums verloren
gieng. Der Centraibau kann auf selbständige Aus-
bildung einer bestimmten Schauseite ganz verzichten,
jemehr er, allseitig gerichtet, sich ringsum gleich-
mäfsig entfaltet und zum Höhepunkt der Mittelaxe
emporgipfelt. Aber auch da , wo er Eine Ansicht
bevorzugt, ordnet sich diese dem allgemeinen Hoch-
drang unter, um so unbedingter, je mehr die pla-
stische Gestaltung nach Art statuarischer Kunst über-
wiegt, wie bei Michelangelos S. Peter. Bleibt aber
der Hochdrang im Sinne des Bildners in Kraft, und
waltet, weit ab vom Mittelpunkt, also ohne genügenden
10-
148
Zweite Phase des Barock
Rückhalt und ohne organischen Zusammenhang , in
der Stirnwand des Langhauses für sich weiter , so
ergiebt sich als natürliche Folge, dass er sich so-
zusagen sein eignes Rückgrat ausbildet , d. h. die
Höhenaxe der Fassadenmauer selbst als Dominante
anerkennt und alle plastischen Kräfte gegen die
Mitte und hier nach Oben wirft. Je weiter die Seiten-
ansicht des Kirchenkörpers mitspielt oder je höher
die Kuppel noch hinter der Fassade sichtbar empor-
steigt, desto stärker wird der Anreiz, die selbständige
Entwicklung der Stirnwand zu steigern, um gegen
die Tiefenaxe des Langhauses , oder die Höhenaxe
der Centraisteile dahinter aufzukommen , — schon
zu Gunsten des Gesamtaufbaues der architektonischen
Gruppe. Für die Auffassung dieser letztern kommt
aber entweder das strenge Gesetz der Subordination
in Anwendung, das heisst der Gesichtspunkt der sta-
tuarischen Kunst, oder die nachlässigere Verbindung
j der Koordination mehr oder minder selbständiger
Faktoren, d. h. der Gesichtspunkt der Malerei, der
Zusammenfassung eines in die Breite gehenden Neben-
einander, von einem vorgeschriebenen Standpunkt
aus, als Bild.
Im Übergang von Jenem zu Diesem Hegt die
Geschichte des Barockstiles überhaupt vorgezeichnet,
und der Schauplatz der Krisis ist , wie das Relief
zwischen Skulptur und Malerei, so hier in der Bau-
(kunst die Fassade zwischen plastischer und male-
rischer Tendenz. Madernas Lösung des Problems
an S. Susanna hält sich noch in glücklichem Ge-
lingen zwischen den Abweichungen in das eine oder
Kirchenbau
149
das andre Extrem. War für Giacomo della Porta
am Gesü , wo man die eine Langseite des ganzen
Baues überblicken kann, die mäfsige Höhe der Kuppel
von Vorteil für seine Fassade, so für Carlo Maderna
an S. Susanna das Fehlen einer Kuppel an der
alten Basilika sowol wie das Verschwinden jeder
Seitenansicht durch die Flügelbauten. Vermochte
Porta mit den ernsten Formen der Architektur aus-
zukommen, so ergab sich für Maderna grade aus
diesen Seitenmauern die Aufforderung zu plastischer
Bewegung der Masse , zu stärkerer Schwellung des
Reliefs. Und wenn irgendwo ein Symptom gefunden
werden soll, das schon in dieser ersten Hauptleistung
des Oberitalieners in Rom die Richtung seiner künf-
tigen Laufbahn oder sein Schicksal in schwierigeren
Aufgaben verkündet, so muss es in diesem Übergang
•des kraftvollen Fassadenreliefs in den Zusammenhang
der Fläche Hnks und rechts gesucht werden, das
heisst im Übergang von der Höhe in die Breiten-
dimension.
Zunächst aber musste der Kampf zwischen dem
Höhenlot und der Tiefenaxe zum Austrag kommen,
und dies geschah an S. Peter selbst. Carlo Maderna
war es, dem der Vollzug der verhängnisvollen Peri-
petie zwischen Centraibau und Langhaus zufiel. Er
war schon seit dem Tode des Pietro Paolo Olivieri
(t 1599) JTiit der Fortführung von S. Andrea della
Valle betraut, also in lebendigstem Verkehr mit einem
Kirchenbau , der entschiedener zur Form des latei-
nischen Kreuzes zurückkehrt, in der Innern Raum-
bildung jedoch die wesentlichen Charakterzüge des
150
Zweite Phase des Barock
Gesü im Geiste freierer Weiträumigkeit entwickelt.
Die Langhausarkaden ergeben hier ohne das Ein-
schiebsel der Emporen eine glückUche Lösung; statt
der gekuppelten Pilaster erscheint hier nur Einer,
aber von zwei Halbpilastern begleitet , also in fühl-
barem Wachstum aus der Masse, und dem entspre-
chend mit verkröpftem Gesims. Die Attika läuft
nicht gleichmäfsig durch, sondern tritt nur unter den
Gurten auf, die das weit gespannte, stark überhöhte
Tonnengewölbe gliedern, so dass auch der Hoch-
drang entschieden und einheitlich zum Ausdruck
kommt. Die Oberlichter sind gross und erleuchten
die Kirche so , dass eine Steigerung vom Langhaus
zum Kuppelraum eintritt, dessen Tambour schlanker
aufsteigt und in lebhafterem Hochschwung des Ge-
wölbes schhesst. Das Ganze gewährt, durch keine
störenden Dekorationsstücke beeinträchtigt, einen der
edelsten Gesamteindrücke , den die Raumkunst des
römischen Barock hervorgebracht. Hauptschiff, Quer-
schiff und Chor zusammengerechnet ergeben einen
verhältnismässig grösseren ununterbrochenen Frei-
raum als irgend ein früherer Baustil".
So begreift sich, dass Carlo Maderna beim Lang-
haus, das er dem vorderen Kreuzarm von S. Peter
vorzulegen hatte, wieder von dem Vorbild des Gesü
ausgieng, aber auch durch möglichste Verbreiterung
der Spannweite des Mittelschiffes die verderbliche
Wirkung gegen die Centraianlage zu mildern suchte.
So schrumpfen die Seitenschiffe zu nebensächlicher
Begleitung des Hauptraumes zusammen, den Arkaden
entsprechend in ovale Kuppelräume mit nischen-
Kirchenbau
151
artigen Kapellen daran geteilt , aber durch die Pfei-
lerbreite dem Blick entzogen , so dass auch hier
nur von seitlichen Vorbereitungen des Mittelschiffes,
also von einer Bildungssphäre der organischen Ge-
staltung im Sinne Michelangelos die Rede sein kann.
Ja für diese ovalen, die Richtung der Tiefenaxe be-
gleitenden Kapellen bleiben nur je zwei Joche zu
beiden Seiten übrig ; denn weiterhin gegen die Cen-
tralstelle zu sind zwei völlig abgeschlossene gröfsere
Kapellen angeordnet, und zwar in Form rechteckiger
Säle, deren längere Axe wieder gleich jenen Ovalen
in der Tiefenrichtung Hegt. Durch ihre Aussonde-
rung aber entsteht für das Hauptschiff noch ein
Neues: die Entziehung der Lichtzufuhr an dieser
Stelle, während das Tonnengewölbe sonst durch Ober-
lichtfenster durchbrochen wird. Von dem Mittelton,
der in den vorderen Jochen des Langhauses herrscht,
verdunkelt sich die Kirche langsam gegen den Kup-
pelraum zu, um dann im vollsten Glänze zu erstralen.
An der Hand der Tiefendimension entwickelt sich
also eine psychologische Veranstaltung, deren Fak-
toren nach einander in Wirkung treten und auf die
Stimmung des fortschreitenden Subjekts ihren be-
stimmenden Einfluss üben. Daraus erklärt sich auch
die künstlerische Ökonomie der übrigen Mittel , der
Bauglieder wie des figürlichen Schmuckes in den
Zwickeln , die Enge der Pilasterstellung , das Ent-
gegendringen übermäfsiger Gestalten u. s. w. , die
zum Teil schon auf die Rechnung seines Nachfolgers
Bernini kommen.
Vor dem Langhause jedoch hat Maderna noch
152
Zweite Phase des Barock
eine Eingangshalle geschaffen, die den rechteckigen
Saalbau nicht mehr wie im Innern in die Richtung
der Tiefenaxe , sondern in die Breite legt. Und
dieses quergestellte Oblongum gehört anerkannter-
mafsen zu den schönsten Raumgebilden dieser Zeit.
Es ist ein Vorraum von den Verhältnissen stattlicher
Kirchen, aber seinem Charakter nach weder ernstes
Heihgtum, noch prunkender Festsaal, noch trauHche
Umschliessung des menschUchen Daseins selber, son-
dern ein Übergang aus der Welt da draussen in die
Stätte der Andacht, zur Einkehr in die Geheimnisse
des Innern. So bilden diese drei rechteckigen Säle,
die Kapellen drinnen und das Vestibül draussen mit
ihrer bezeichnenden Axenstellung auch für uns die
Mittelglieder zur Betrachtung des Profanbaues, wäh-
rend der nämlichen Phase des Barock.
PALASTBAU
,,Die profane Architektur des Barock steht zur
kirchlichen in einem auffallenden Gegensatz", lautet
das Ergebnis, das Wölfflins Untersuchung über Wesen
und Entstehung dieses Stiles voranstellt. ,,Man wäre
geneigt, hier überhaupt eine barocke Stilentwicklung
zu läugnen, so sehr überrascht es, nach der quellen-
den Fülle und Kraft der Kirchenfassaden hier eine
zurückhaltende strenge Formgebung zu finden." —
Allein, diese Überraschung befällt uns wol nur,
wenn wir in die alte Gewohnheit synchronistischer Ta-
bellen zurücksinken, d. h. die Jahreszahlen zu unsern
Leitsternen machen, statt den Urkunden des Stilwan-
Palastbau
153
dels nachzugehen, womöglich der Seele des Stiles,
den wir ergründen wollen, wo immer sie sich äussern
mag, nachzulauschen, und erst dann, wenn wir die un-
bezweifelbaren Tatsachen festgestellt, weiter zu fragen,
wie sich diese Offenbarungen des innern Triebes
zeitlich zu einander ordnen. Ein einziges Zugeständ-
nis an den Kalendermann führt den feinsinnigsten
Psychologen zuweilen schon irre. So auch hier die
Annahme eines vielleicht beachtenswerten Vorboten
als vollgültiges Beweisstück für den Eintritt des
Wandels, als vollendete Tatsache für die Herrschaft
des neuen Prinzips: ich meine den Versuch, Antonio
da Sangallo zum Barockkünstler zu stempeln und
seinen eignen Palast als ersten ausgemachten Barock-
bau unter den Profanwerken Roms zu begrüfsen.
Die Folge ist das Zugeständnis eines Widerspruchs:
,,Der Barockstil ist auch hier vorhanden, aber die
Fassade des Palastes hat eben andre Gesetze als
die Kirche; sie ist nur zu verstehen als Aussenarchi-
tektur, der eine ganz andere Innenarchitektur ent-
spricht: aussen kalte, ablehnende FörmUchkeit, innen
üppige, sinnberauschende Pracht." Das heisst doch
wol soviel, als: die Rettung aus dem Widerstreit
gleichzeitiger Erscheinungen ist nur mögUch indem
man das Erklärungsprinzip aus einem ganz andern
Gebiet entlehnt, als dem der Kunst, um die es sich
hier handelt, also, aristotelisch zu reden, durch eine
fierdßaoig eig ällo yivog , deutsch zu reden, durch
einen Seitensprung oder eine Hintertür. Und soll
diese Ausflucht ausserdem mit der Preisgabe der durch-
gehenden Gesetze alles architektonischen Schaffens
154
Zweite Phase des Barock
erkauft werden, die Kirchenbau und Palastbau gleicher-
mafsen binden, die das Verhältnis zwischen Fassade
und Baukörper, zwischen Aussen und Innen über-
haupt bestimmen? Dann wären wir ja vollends bei
Bekleidungskunst und Maskerade angelangt, und was
die Herrn Stil nennen, wäre nur Mode.
Es hegt hier der nämliche Fehler vor, auf den wir
beiBetrachtungMichelangelos alsBegründer desBarock
hingedeutet haben: den Ausgangspunkt dieser Analyse
bildet nicht, wie es soUte, das schöpferische Subjekt,
sondern das betrachtende, nicht die Ursache, sondern
die Wirkung. Sucht man auch hier den Ursprung
im Willen des schöpferischen Subjektes, so ist beim
Profanbau, besonders bei der Wohnung, zunächst
eine viel unmittelbarere Betätigung des eigenen in-
timsten Wollens anzunehmen, als beim Sakralbau,
wo auch beim Künstler eine Selbstversetzung in ein
ganz ideales Subjekt vorangehen muss, sei dies wie
beim Tempel der Gott selber, oder wie bei der
Kirche ein Kollektivum die Gemeinde dazu. Insofern
verschiebt sich der Standpunkt und mit ihm auch
die Zugkraft der Gesetze zwischen dem Kirchenbau
und Palastbau, aber zu Gunsten des innersten Gesetzes,
der Übereinstimmung mit sich selbst, je mehr die
ursprünghchste Aufgabe aller Raumbildung, die Um-
I Schliessung des Menschen, seines eigenen Daseins
• und Lebens mit dem ganzen System seiner Betätigung
zu ihrem Rechte kommt. Der Zusammenhang zwischen
Aussen und Innen müsste also beim Wohnhaus des
Baumeisters selber zunächst am unverbrüchlichsten
erwartet werden. Erst wenn die Übereinstimmung
Palastbau
155
hier durchaus nicht vorliegt, sind wir veranlasst, vom
"Künstler zum Menschen als einem Angehörigen seiner
Kulturschicht überzugehen, und kommen hier vielleicht
auf den vornehmen Herrn und die Absichten der
Repräsentation als Motiv eines Unterschiedes zwischen
Aussenseite und Innenbau mit ihren vermittelnden
Zwischenstufen. Zunächst aber sollte der leitende
Gesichtspunkt aller Kunstgeschichte und Kunstpsycho-
logie nicht verlassen werden, und erst, wenn er völlig
erschöpft ist, den benachbarten der Kulturgeschichte
weichen, die natürlich ihr Recht hat, wo die künst-
lerische Rechnung nicht ab integro beginnt, son-
dern Fortsetzung eines Überkommenen bedeutet
wie hier.
Die Voraussetzung des Synchronismus, von der
Wölffhn ausgehend zu einem Widerspruch gelangt,
ist vielleicht selbst schon eine unberechtigte, — näm-
lich hervorgegangen aus der alten Annahme, die
Erscheinungen derKunstgeschichte müssten mit denen
der allgemeinen Kulturgeschichte Hand in Hand gehen,
müssten sich hüben und drüben unmittelbar ent-
sprechen, zeitHch und örtlich parallel gehen. Dieser
Ausgangspunkt für die psychologische Erklärung
aus dem Lebensgefühl und Körpergefühl heraus,
die Wölffhn geben will, ist tatsächlich unstatthaft,
grade für diese fortgeschrittene Zeit der Entwicklung,
und deshalb ihr Ergebnis in vielen Punkten vöUig
irreführend. Das eben hätte eine Vorstudie strenger
Kulturgeschichte, mit chronologischer Gewissen-
haftigkeit angestellt, zu erbringen vermocht, ehe
die Zugbrücke zwischen der eigenen Burg der
156
Zweite Phase des Barock
Kunst und der Kultur ringsum herabgelassen wer-
den durfte.
Bis dahin sollten künstlerische Gesichtspunkte,
soweit sich irgend auskommen lässt, allein herrschen
und fremdes Wollen nur in zweiter Linie zu Worte
kommen. Das glückliche Lebensgefühl der Hoch-
renaissance hatte die Ansprüche an menschenwürdiges
Wohnen bei allen Würdenträgern der Kultur so ausser-
ordentUch gesteigert, dass in ihren Palästen vor-
läufig Alles erreicht war, was den breiteren Schichten
der Vornehmen und Reichen als Ideal vorschweben
konnte. Hier war eine Steigerung zu neuem Wollen
kaum zu erwarten, um so weniger, sowie die sorg-
lose Heiterkeit, das göttergleiche Dasein gestört ward,
und der Mut für weitere Errungenschaften dahinsank.
Da ist es allerdings die nächste und natürlichste
Folge, dass die fröhliche Siegesgewissheit von der
Stirn verschwindet, dass die Ansprüche an das Leben,
die man nicht so leicht verlernt, sich von der Aussen-
seite zurückziehen und erst hinter den eignen Mauern
im engern Kreis der Eingeweihten die gewohnte
Befriedigung suchen. Aber dieser Rückzug ist zu-
nächst nur ein Negatives; er versagt dem Künstler
eine Gelegenheit seine Kräfte zu tummeln. Die
Auffindung eines aesthetisch fruchtbaren Keimes
fällt wieder der schöpferischen Phantasie zu. Und
selbst die Verwertung des Gegensatzes der Aussen-
seite zum Innern gehört der psychologischen Ver-
anstaltung im Ganzen, d. h. der Wirkung auf das
Subjekt des Betrachters so ausschliesslich an, dass
sich ein treibendes Moment für die neue Gestaltung
I
i
Palast Vj au
157
dieser Aussenseite zunächst ebenso wenig ergiebt.
Es fehlt die genetische Erklärung des Positiven in
der Charakteristik des Stiles.
Erst wenn aus der Anmut (der Frührenaissance?)
nicht nur die Harmonie oder vollendete Schönheit
(der Hochrenaissance), sondern aus dieser, nach
dem innern Widerspruch, wieder die Würde her-
vorgegangen ist, die den Weg zum Erhabenen
findet, — • erst dann kommt wieder ein schöpferischer
Antrieb hinein, der die Kunst herausfordert und
beseelt. Dies aber ist ebenso ein ethischer Prozess
wie ein aesthetischer. ,, Schönheit ist Kraft" lautet
das künstlerische Evangelium für das Bedürfnis nach
dem Erhabenen, in dem sich die Selbsterhaltung
der Enttäuschten zusammenrafft. Aber es ist die
Frage, ob hier das Verlangen der Bauherrn auf die
Entdeckung des adäquaten Ausdrucks hingedrängt,
oder ob es auch hier der schöpferische Geist Michel-
angelos und sein persönlicher Charakter zugleich
gewesen, der ihn fand. Die Kunstgeschichte darf
kühnlich, solange sie nicht eines Bessern belehrt wird,
das Letztere behaupten: Michelangelo war auch in
diesem Sinne der Vater des Barock, wie wir es bei
Gelegenheit des Palazzo Farnese oder der Laurenziana
darzulegen versucht haben. Und seinen Nachfolgern
fiel nur die Aufgabe zu, den Weg, den er gewiesen,
auch im Palastbau, besonders in Schöpfung von
Innen her, wozu ihm die Gelegenheit gefehlt hatte,
weiter zu verfolgen und seine Prinzipien der Ge-
staltung mit den Bedingungen des Vorhandenen
auseinander zu setzen , wie es im Kirchenbau seit
158
Zweite Phase des Barock
Vignola und Giacomo della Porta eben damals ge-
schah.
Es ist der hohe Saal, den die kraftvolle Persön-
lichkeit für sich fordert, nicht mehr mit gleicher
Ausdehnung in die Breite und die Tiefe, sondern
mit entschiedenem Übergewicht der Längsaxe als
der Richtschnur aller lebendigenBetätigung imHandeln.
Von diesem Ideal, das die Paläste und Thermen der
römischen Kaiserzeit boten, gleich dem erhabenen
Bilde des Laokoon, geht die Umgestaltung des ganzen
Palastbaues aus. Erst als dieser oblonge Saal bewusst
f zum Kern der Neuschöpfung gemacht wird, beginnt
die entscheidende Stilbildung auch auf profanem
Gebiete und damit die Geschichte des Barockpalastes
in vollem Umfang.' Darüber fehlen uns leider noch
die grundlegenden Untersuchungen, die vom Raum-
gebilde als solchem ihren Ausgang nehmen.
Während der ganzen Renaissance war seither
/der Binnenhof derjenige Innenraum gewesen, bei
' dem die Gestaltung des Palastes einsetzt, weil er
der Mittelpunkt des Lebens, der Versammlungsort
war, wo der Hausherr mit seinen Freunden, seiner
Klientel, seiner Familie, seiner Dienerschaft in Berührung
trat. Hierher öffneten sich alle Bestandteile des
mannich faltigen Systems von Zwecken, das die Mauern
eines solchen Hauses umschlossen. Von hier aus
erfolgte somit die möglichst gleichartige, auf sym-
metrische Gliederung gerichtete Organisation nach
allen Seiten. Aber im H^ause des geistlichen Herrn
in Rom lagen die Bedingungen anders als sonst
Palastbau
159
überall, schon weil die Gattin, das weibliche Ober-
haupt der Familie fehlt, und die Stadt der Päpste
wurde ja tonangebend seit dem Aufstieg der Hoch-
renaissance an diesem Mittelpunkt der Welt. So
verliert in Rom auch der Hof schneller die umfassende
Bedeutung und wird zum Durchgangsraum, wo Herren-
reich und Dienerreich, Repräsentation und Haus-
halt sich scheiden in ein Vorn und Hinten. Der
Eigentümer will nur seinem persönhchen Leben und
Charakter Ausdruck geUehen sehn, und nur von seiner
besten Seite sich zeigen, sei es im Spiegel für sich
oder beim Empfang vorübergehender Besuche. Des-
halb betätigt sich hier das neue Prinzip zuerst, aber
nicht mehr allseitig und gleichmäfsig, sondern in
Einer Richtung und mit sichtlicher Bevorzugung be-
stimmter Seiten, die für den Hausherrn und seinen
Verkehr in Betracht kommen. Es vollzieht sich die
Betonung und künstlerische Verwertung der Longi-
tudinale auch hier. Unzweifelhaft mit Bewusstsein
wählt Vignola, wie gesagt, im fünfeckigen Schloss-
bau von Caprarola für den Hof die ovale Form, in
der die längere Axe zur Lebensaxe wird. Giacomo 'l
della Porta baut den Hof der Sapienza als läng-
liches Rechteck, mit dem Eingang an der Schmal-
seite. Damit ist aber im Innern des Baukörpers das
nämliche Gesetz wie im gleichzeitigen Kirchenbau
verständlich, und von hier aus zeigt sich eine durch-
aus konsequente Entwicklung des Stiles; nur kann
sie naturgemäfs nicht so rasch und durchgreifend
erfolgen, weil in der Wohnung die Gewohnheit
widerstrebt, das hergebrachte Leben des Bewohners
160
Zweite Phase des Barock
der Umgestaltung entgegensteht, die im Bau für
Ideale abstrakter Art sich ohne Hindernis voll-
ziehen mag.
Immer deutlicher heben sich die Eingangsseite
hüben und die Schauseite drüben als bevorzugte
Stellen der plastischen Gliederung heraus vor dem
schlichten Fortlaufen der beiden Langseiten, die ein-
ander zu nahe gegenüber Hegen, um denselben Kraft-
aufwand aufzubieten, den der durchgehende Betrachter
unten übersieht, der stillstehende oben nicht verträgt.
Ja, wenn das Langhaus der Kirchen wolweislich
selten über drei Joche hinausgeht, damit die starke
Plastik seiner Glieder sich nicht schwerfälUg
häufe und perspektivisch zusammengeschoben form-
los erscheine, so war hier im Palast entweder eben
solche Kürzung geboten, die den Anforderungen
nicht entsprach, oder eine Vereinfachung der Glieder
in länger fortlaufender Reihe notwendig. So werden
aber auch die beiden Schmalseiten drinnen im Hof,
was sie im Kirchenraum waren, und dem Eingang
gegenüber gestaltet sich, wie die Chornische mit
,l dem Hochaltar, hier an der Schlusswand die Mitte
l\ als besonders schmuckreiches Schaustück mit Nische,
Brunnen, Statuen und Säulen zum vollen Ausdruck
des plastischen Hochdrangs, der die Seele des Barock-
stils geworden, oder es öffnet sich eine neue Per-
^ spektive, wie Michelangelo bei Pal. Farnese gewollt,
und damit eine umfassendere Komposition aus
mehreren Raumganzen hintereinander, also erstrecht
Gelegenheit zur Ausbeutung der Tiefenaxe, die erst
die Folgezeit verstand.
Palastbau
161
Zunächst sucht die persönUche Würde des Herrn,
ja die Erhabenheit seines Charakters hier in über-
schaubarer Weite die Sprache plastischer Formen,
volltönend und überlegen, also in allen Äusserungen
des Hochdrangs und der wuchtigen Fülle , die von
Innen her, aus dem einheitlichen Körper hervorwächst,
wie in lebendiger Spannung der Muskulatur, in ener-
gischer Gebärde sich zusammenfassend, aber stets
mit dem Vorrat für noch grösseren Aufwand an Kraft
dahinter.
Und wie dort im Kirchenraum die centralisierende
Vierung durch ihren Kuppelbau noch die Höhen-
axe selbst an bestimmter Stelle der Longitudinale
als zweite Dominante einstellt und für sich ent-
wickelt , so auch hier im Palast die Verbindung der
Einfahrt und des Vestibüls unten mit dem Piano
nobile darüber, das Treppenhaus. Je mehr der Hof
die alte Bedeutung als Hauptraum für den Besitzer
und seine Gäste verliert, desto wichtiger wird diese
Verbindungsstelle, wo die Faktoren im Aufstieg zu-
sammenwirken, besonders der Blick in den Hof seine
Rolle spielt. Sobald sich die Idee des plastischen
Hochdrangs dieses Mittelgliedes zwischen unten und
oben bemächtigt, ist ein Schauplatz für fruchtbare
Motive gefunden, wie für die Komposition im Sinne
einer psychologischen Kontrastwirkung , gleich der
Laurenziana Michelangelos, mit der Treppe zwischen
Vorbereitung und Erfüllung.
Dann aber schliefst sich der oblonge Festsaal
als Höhepunkt, sei es allein, sei es wieder mit einer
Bildungssphäre um sich oder einer Vorbereitung
Schmarsow, Barock und Rokoko. -[ |
162
Zweite Phase des Barock
durch Warteräume vor sich, durchaus im Sinn der
wolbekannten Barockgedanken an : die Tiefenaxe
wird überall als Weg des successiven Verlaufes der
Leitfaden der Raumkomposition, Fragen wir aber,
wie weit die nächste Generation der Architekten
nach Michelangelo auf dieser Bahn künstlerisch er-
findend vorgedrungen sei , so ist vorerst kaum eine
Antwort möglich. Schon am Palazzo Farnese stand,
wie wir uns gesagt, das Vorhandene den neuen
Wünschen entgegen. Aber als Resignation dazu
veranlasste, die weitgehenden Projekte Michelangelos
aufzugeben , die eine Verbindung mit der Farnesina
forderten , da entstand durch diese Nachfolger doch
eine so charakteristische Schöpfung , wie die be-
rühmte Galleria Farnese , die nach Aussen in dem
Flickwerk zwischen der einstigen Mittelöffnung und
den kompakten Stücken der sonstigen Masse nur
die Verlegenheit der nachträglichen Zutat verbrieft,
indem sie die Arkaden des Hofes wiederholt.
So lange der Binnenhof als Erbteil der Renaissance
seine Bedeutung bewahrt, bleibt der Fassade nach
Aussen nur übrig, die Geschlossenheit des Baukörpers
zu betonen, und der Barockstil versucht vorerst nichts
anderes als den Ausdruck verhaltener Kraft in we-
nigen Zeichen und gedämpftem Ton. An der Kir-
chenfassade will die gesteigerte Plastik grade den
persönlichen Eindruck hervorbringen, den die un-
sichtbare Gottheit , die drinnen gegenwärtig gedacht
wird, nicht selber ausüben kann, wie die leibhaftige
Person des irdischen Machthabers in seinen Räumen.
Es wäre ein Fehler in der künstlerischen Ökonomie
Palastbau
163
gewesen, die selben Mittel auf die Fassade des Pri-
vatbaues zu werfen , so lange der Bewohner selbst
sich die Kraft zutraut, als imponierende Persönlichkeit
darin aufzutreten, unterstützt oder sekundiert von
dem wirkungsvollen Hof und Empfangssaal , den
Spiegelungen des Kraftideales von übermenschli-
cher Art.
So hat es seinen guten Sinn, wenn im Profan-
bau der umgekehrte Kontrast auftritt wie im Kir-
chenbau. War dort das Äussere reich gestaltet,
das Innere ruhig und schlicht, so hier das Gegenteil,
der Reichtum drinnen und die Schlichtheit draussen.
Doch , das ist nur ein Ubergang wie bei den Kir-
chen auch.
Sobald nämlich der Hof der römischen Paläste '
zum Durchgangsraum und Durchblick nur geworden
ist oder überhaupt aufgegeben wird, so müssen auch
die Rollen anders verteilt werden. Das geht zu-
sammen mit dem Aussterben der tatkräftigen Cha-
raktere, mit dem Erlahmen der Energie, die der
Würde und Erhabenheit selber fähig ist , und damit
beginnt eine ganz andre Rechnung als Angelegenheit
der folgenden Generation. Es ist der letzte Schritt
in der Entwicklung des Aussenbaues, wenn die Fas-
sade als Bestandteil einer Komposition im Grofsen
behandelt wird, die nur im zeitHchen Verlauf nach-
einander genossen werden kann.
Bis dahin dürfen wir uns nicht wundern, wenn
die überkommene Masse des Baukörpers solcher rö-
mischen Paläste, die zu ,, Herbergen des Adels" ge-
worden, der künstlerischen Bewältigung nach den
11*
164
Zweite Phase des Barock
Prinzipien eines neuen Stiles sehr nachhaltigen Wi-
derstand entgegensetzt , und vorerst nur von ver-
schiedenen Anläufen , meist auf Einzelnes gerichtet,
erzählt werden kann, bis man begreift, dass die ganze
Disposition der Geschosse einen andern Sinn be-
kommen muss als je zuvor.
Der Auffassung des Baumateriales als einer
einheithchen bildsamen Masse entsprechend , bleibt
die Mauer möglichst ungeteilt und ungegliedert. Be-
kleidung mit Travertin bezeichnet das Höchste ; aber
auch wo sie in Wirkhchkeit nur aus Backstein be-
steht, wird sie doch gleichmäfsig übermörtelt. Von
einer dekorativen Flächenfüllung, die zur Zeit der
Hochrenaissance für solche Fälle behebt war, und
z. B. an Pal. Sacchetti, dem eignen Haus des male-
risch gesonnenen Antonio da Sangallo wol sicher
beabsichtigt gewesen, ist nun keine Rede mehr. Der
Barock verzichtet deshalb auf die GHederung durch
Gurtgesimse und belässt die Mauer in mögUchst
ungebrochener Ganzheit. Er bedarf auch für die
Öffnungen keines weitern tektonischen Haltes als
die Masse selber gewährt; aber die ,,eurhythmischen"
Fenster der Renaissance werden demgemäfs schlanker
und höher; der durchgehende Hochdrang presst sie
zusammen und zieht sie mit sich aufwärts, während
die Überhöhung der Räume drinnen doch grosse ge-
schlossene Mauerflächen über allen Fenstern stehen
lässt. Aber allmählich tritt auch hier der plastische
Trieb zu Tage und bereitet im Hochdrang der Fen-
sterrahmen und Portalfassung mit Giebelaufsatz das
mächtige Kranzgesims vor, das noch lange als fester
Palastbau
165
Abschluss ringsum in Geltung bleibt. Die hohe Stirn
des Pal. Farnese bezeugt, wie Michelangelo die Ana-
logie mit dem Vorbild des menschUchen Äussern
durchgedacht, und die Konsequenz: ,Je höher das
Geschoss , desto deutlicher als Sitz der geistigen
Überlegenheit," ergiebt sich von selber, steht aber
im Widerstreit zur tradionellen Bedeutung des Piano
nobile , das sich nicht ohne Weiteres ins zweite
Stockwerk hinauf verlegen lässt.
So bleibt es lange bei dem Anlauf, wenigstens
die Vorherrschaft eines Geschosses deutlich heraus-
zuarbeiten und durch strenge Subordination des
Erdgeschosses wie des zweiten Stocks zu sichern.^)
In solchem Verhältnis braucht auch das Mezzanin
nicht mehr verhehlt zu werden wie bisher, sondern
kann, wie gesagt, in Abhängigkeit von dem einen
oder dem andern Geschoss sehr wirksam verwendet
werden. Zu der Einsicht, dass die struktive Idee
des hochgemuten Wachstums eigentlich ein ganz and-
res Verhältnis fordert, das Hauptgeschoss jedenfalls
nicht in der Mitte duldet, und mit seiner lebendigen
Kraft das Kranzgesims durchbrechen müsste , dazu
gelangt erst die Folgezeit. Wol aber zeigen sich
Ansätze dieses Gedankens, indem die Proportionen
auch hier progressiv werden. Die entscheidenden
Schritte tut wieder Giacomo della Porta, noch knapp
und gemessen an Palazzo Paluzzi bei S. M. in Cam-
pitelli, an Pal. Boadile und einem jetzt abgetragenen
i) Vignola fasst im Pal. Farnese zu Piacenza fünf Geschosse
so zusammen, dass für den Anblick nur ein Hauptstockwerk existiert.
1.66
Zweite Phase des Barock
Hause an Via del Gesü, dann Pal. Chigi, Pal. d'Este
und am unvollendeten Pal. Serlupi. Mezzaninfenster
sind es , die Bewegung , Wachstum in den Aufstieg
bringen. Sie legen sich als Kellerluken unter die
Fenster des Erdgeschosses, wirken überhöhend über
denen des Piano nobile und verschwinden ganz im
zweiten Geschoss , oder treten dort gar allein auf,
so dass es nur als Attika wirken mag. Aber auch
Beispiele, dass das zweite Obergeschoss wie an Pal.
Farnese das höhere geworden, fehlen nicht, wie Pal.
Crescenzi neben dem Pantheon , Pal. d'Hasti an
der Ecke des Corso bei Piazza Venezia noch , Pal.
Mattei und Meilini bei S. Caterina de' Funari und
andre kleine Häuser z. T. schon späteren Datums.
Dann aber begegnen auch hier wie beim Kir-
chenbau die Regungen , der Mittelaxe die centrali-
sierende Gewalt als sichtbare Dominante der Sym-
metrie zu sichern. Zunächst wird im schlichten
Mauerkörper die regelmäfsige Reihung der Offnungen
I aufgegeben und statt dessen die Bildung rhythmischer
/ Abschnitte in symmetrischer Folge um die stärkere
Mittelgruppe versucht, wie es bereits in der Renaissance,
besonders in Oberitalien geschehen war.^) In schnelle-
rem und schnellerem Tempo folgen die Reihen nach
dem Centrum zu, von beiden Seiten her ; aber immer
noch wird die Masse als eine einheitliche zusammen-
gehalten. So am Pal. Ruspoli von Ammanati mit
seiner ausserordentlichen Breite, Pal. Chigi von Gia-
i) Vgl. aber auch Pal, Salviati vom Florentiner Nanni di
Baccio Bigio 1557.
Palastbau
167
como della Porta, gegen den Corso zu, und Pal. Lu-
dovisi an Piazza Colonna.
Verbindet sich diese rhythmische Gruppierung
(i. 2. 2. 3. 2. 2. I.) dann fühlbarer mit der architektoni-
schen Ausgestaltung des Portales, an dem zuerst der
plastische Drang gleichsam aus Hof und Vestibül her-
ausschlägt, dann ist der neue Ansatz für die Durch-
führung des Vertikalismus auch hier gegeben. Diese
strenger monumentale Behandlung aber scheint sich
während dieser Phase des Barockstiles auf die öffent-
lichen Paläste beschränken zu wollen, als deren Beispiel
der Konservatorenpalast nach Michelangelos Entwurf
allmählich vollendet ward, mit seiner einzigen durch-
greifenden Pfeilerordnung und seinem jedenfalls spät
erst hineingekommenen Mittelfenster. ^) Die Erweite-
rung manches Portales zum Zweck der Einfahrt rührt
aus dieser Zeit her und nähert seine Erscheinung
dem Kirchenportal, so dass die weiteren Folgerungen
für die Höhenentwicklung sich von selber einstellen.
Es wird zum Sockelbau für die Dominante durch
die Geschosse durch, und von hier aus durchbricht
der plastische Hochdrang die letzten Querstreifen,
die ihm noch als merkbare Horizontalen entgegen-
stehen. Nun beginnen die Fenster, die aller Selb-
ständigkeit entkleidet waren, wenigstens nach Oben
an ihren Rändern konsolenartige Vorsprünge an-
zusetzen, die zuerst eine einfache Verdachung tragen,
I) Vgl. von Giacomo del Duca, dem sicilianischen Bildhauer,
auch Pal. Cornari bei Fontana Trevi von 1575 (6 + 5 -f 6 Fenster
mit betonter Mitte, in Keller, Erdgeschoss und Piano nobile, oben
nur Luken), Ferrerio, Tav. 36.
168
Zweite Phase des Barock
dann zu reicherem und reicherem Giebelwerk sich
auswachsen, bis diese steigende Bewegung auch das
Kranzgesims erreicht und in sein fortschreitendes
Wachstum aufzunehmen trachtet.
Diese Fortschritte der Palastfassade werden aber
erst dann übersichtlich vor Augen treten, wenn wir
eine florentinische (oder toskanische) Gruppe
mit ihren charakteristischen Fenstern im Erdgeschoss,
und eine oberitalienische (Martino Lunghi u. s.
Stilverwandten) von der specifisch römischen unter-
scheiden, die in dieser Zeit unter Führung des Gia-
como della Porta allein die Entwicklung des Barock-
stils gefördert hat.
Ein andres Verhältnis dieser Faktoren stellt sich
natürlich ein, wo immer die Zahl und Folge der räum-
Hchen Bestandteile eines solchen Palastes sich ändert,
d. h. wo wir die herkömmliche Anlage der grossen
Stadtwohnungen verlassen und auf das einfache
Wohnhaus ohne beträchtlichen Binnenhof oder auf
das Lusthaus mit seinem Garten statt des Hofes
weiter blicken. Eine weitere grundsätzUche Ver-
schiebung findet endUch in der Villa draussen auf
dem Lande statt, die dem ganzen Haushalt zu mo-
natelangem Aufenthalt dienen, zugleich aber wenigstens
teilweise den Ansprüchen der Repräsentation gerecht
werden , wie andrerseits in vollem Umfang die Er-
holungen des Landlebens gewähren soll.
Das Stadthaus auf beschränktem Bauplatz bietet
der plastischen Tendenz des Barockstils schon als
geschlossener Körper die willkortimenste Unterlage,
Villenbau
169
sich im Ganzen zu betätigen. Hier, wo keine Tiefen-
dimension dem Wachstum der Vertikale Konkurrenz
macht , waltet die Analogie mit der statuarischen
Kunst reiner und ungestörter als sonst, und die
Baukunst des Barock entwickelt sich völHg im Sinne
Michelangelos als Hochbau. Ein Vergleich zwischen
dem Bramanteschen Häuschen gegenüber Pal. del
Governo vecchio , oder den weitern Beispielen der
Hochrenaissance neben S. M. dell' Anima, selbst
Pal. Linotte (der nicht von Peruzzi, sondern von
Antonio da Sangallo herrührt), auf der einen Seite
und dem Haus des Vignola an Piazza Navona, nebst
andern, leider z. T. abgebrochenen oder veränderten
Einzelwerken beim Pantheon und beim Gesü, bis in
die Tage des Giacomo della Porta und Giov. Batt.
Soria hinein, ergiebt überall die entscheidenden Sym-
ptome.
Die Villa suburbana behält vom Stadtpalast
des grossen Herrn nur einen Trakt, etwa eine Schmal-
seite des rechteckigen Grundrisses, und dahinter
tritt der Garten, wie gesagt, an die Stelle des Bin-
nenhofs. Gegen die Strasse zu, die vom Stadttor
aus vorbeiführt, kehrt sich die Stirn nun als ge-
schlossener Körper, mit glatter Mauer, schlichten
Offnungen über stärker entwickeltem Portal , ernst
und streng nach dem Sinn des städtischen Ansehens,
von dem man herkommt, für einige Stunden nur,
und ohne dieser Rücksicht entsagen zu wollen, d. h.
immer im Gefühl des Zusammenhangs mit dem Pa-
last desselben Besitzers innerhalb der Mauern. So-
weit mag Villa Medici auf dem Pincio als Beispiel
/ 170 Zweite Phase des Barock
Geschlossenheit auf andre Zusammenhänge, von denen
hier noch abgesehen werden muss, wie auf die Flü-
gelansätze hinten gegen den Garten zu. Auf der
Rückseite gehören die Motive selbst freilich im Ein-
zelnen noch wesentlich der Spätrenaissance und er-
innern an Galeazzo Alessi und Vasari; die durch-
gehenden Gesetze plastischer Gestaltung im Sinne
Michelangelos sind nicht erfasst. Der Sinn für diese
befriedigte sich in dem beschränkten , klar überseh-
baren Garten an der bildsamen Masse der vegeta-
bilischen Natur, die selbstgewachsen aber vom mensch-
lichen Willen durchdrungen ist und beherrscht wird,
— sei es in geschlossenem Buschwerk und gescho-
rener Heckenwand , der die Menschenhand das Ge-
setz tektonischer Formen aufgenötigt, oder in den
jungen Pinien mit ihrem kurzen Stamm und der ge_
füllten Kuppel ihrer Krone darauf. Erst jenseits
dieser willkürlichen Gestaltung der Natur, wo der
Ausblick über die Mauer auf die Gründe der Villa
Borghese freier in die Weite schweift, bis auf den
Hintergrund der Hügelketten, der plastischen Natur-
gestaltung der Erdoberfläche selber, mögen wir von
der Mitwirkung des aesthetischen Gegensatzes reden,
der als Folie nur dazu dient, die positiven Faktoren
des Geformten erstrecht als Woltat der Kunst fühl-
bar zu machen. Wir dürfen in diesen Gärten durchaus
nur das Genüge des schöpferischen und geniessenden
Subjekts suchen, das aus eigener Kraft die umgebende
Welt bewältigen will, ohne sich selbst einen Augen-
blick abhängig vom All zu fühlen oder gar über-
wältigt vom Unendlichen sich selber zu verlieren.
Villenbau
171
dienen, die 1550 für den Kardinal Giov. Ricci da
Montepulciano begonnen war , dann aber seit 1 590
für den Kardinal Ferdinande Medici von dem Tos-
kaner Annibale Lippi wesentlich umgebaut worden
ist, so dass sie besser zu den Vorbereitungen der
folgenden Phase gerechnet wird. Schon der obere
Aufsatz auf dem Dach weist von dieser körperhaften
Das Aufgehen im Unbegränzten, Unabsehbaren ent-
spräche durchaus nicht dem Kraftideal dieser Gene-
ration , das von einer so mächtigen Persönlichkeit
wie Michelangelo gestaltet, dem Verlangen nach
strenger Würde, ja persönlicher Erhabenheit, dem
eigensten möglichst übermenschlichen Selbstgefühle
gerecht ward. Solange es noch willensstarke Cha-
raktere gab gleich ihm, und diese als Herrn der
Welt in der Hauptstadt der Welt mit allen Mitteln
der Kunst befriedigt sein wollten, hat auch diese Villa
suburbana mit ihrem Garten keine andre Aufgabe.
Die Lage der Landvillen auf den Hügeln der
Nachbarschaft, in der Nähe der mittelalterhchen
Castelli Romani begünstigt eine umfassendere Ge-
samtkomposition. ^) Baumreihen in der Ebene, bei
ansteigendem Terrain mit Vorliebe Cypressen, führen
als Viale auf sie hin und verbinden besonders das
Gattertor an der Landstrafse mit dem Gebäude. So
wundern wir uns nicht, den selben Prinzipien zu
i) Die Villa Lante bei Viterbo mit ihrem Casino kann ich
nicht mit Wölfflin zur Landvilla rechnen, sondern nur zu suburbana,
und zwar eher zur Spätrenaissance als zum Barock. Die Villa
Caprarola ist dagegen vielmehr Schloss , dem französischen Chateau
verwandt.
172
Zweite Phase des Barock
begegnen, die in Michelangelos Anlage des Kapitols-
platzes mit dem Aufstieg zum Senatorenpalast als
Hauptstück am Ende der durchgehenden Mittelaxe
walteten. So verquickt sich die Richtung des Weges
mit der Vertikale des Baues, je nach dem Grade
des Anstiegs zu einer strafferen oder im Fortschritt
erst sich vollziehenden Einheit, mit sofortigem oder
an bestimmtem Wendepunkt erst herausspringendem
Obergewicht der Höhendimension. — Schroff an-
steigend über der schmalen Cypressenstrafse baut
sich das Terrassenwerk der Villa d'Este in Tivoli
nach der einen Seite durchaus im Verfolg des Hoch-
drangs auf, und der Mittelaxe des Zugangs ent-
sprechend tritt an der breiten Masse des Hauses
grade hier nur die plastische Gestaltung heraus.
Alle Gebärde des Lebens koncentriert sich auf die
durchgehende Bewegungslinie des Motivs, während
der kolossale Körper sonst ruhig, wie vegetierend
nur als Unterlage dieses gesteigerten Ausbruchs da-
liegt. Ein genaueres Eingehen auf die Ähnlichkeit
des Bauwerks mit Michelangelos herkulischen Natur-
wesen in Cappella Medici war mit dieser umfäng-
lichen Herberge für monatelangen Landaufenthalt
garnicht ausführbar. Deshalb fällt dieses Beispiel
einseitiger Gestaltung sehr ins Gewicht, von wem
immer das ursprüngliche Wohngebäude herrühren
möge. — Milder, aber ebenso zweifellos ist die
Befriedigung des selben plastischen Prinzips an der
andern Seite, dem sanfteren Anschwellen des Bodens
gemäfs. Hier nähern sich die örtHchen Bedingungen
mehr den Villen von Frascati, besonders der Villa
Villenbau
173
Aldobrandini, dem berühmten Beispiel, das für Gia-
como della Porta als ein Werk seiner letzten Zeit
(1598 — 1603) in Anspruch genommen wird, obgleich
die Rückseite grade mit dem ,,Teatro", vollends
aber die ,, höchst malerische Umzäunung des Vor-
gartens" dem strengen Sinn dieses Architekten gar-
nicht entsprechen.^) Villa Mondragone hat dagegen
wieder wie Villa d'Este das schmale Mittelstück, das
durch die Cypressen des Aufgangs sichtbar wird,
wie die persönliche Charakteräusserung ihres Eigen-
tümers, neben der die sonstige Moles nicht in Betracht
kommt. Die Gebäude selbst sind samt und sonders
nur ,, mächtige Steinhaufen", bestimmt den Insassen
des Stadtpalastes samt Gästen und deren Begleitung
rhöglichst freien Spielraum während der heissen
Jahreszeit zu gewähren, wo Schatten, Kühle, Luft-
zug die wichtigsten Erfordernisse werden. Deshalb
ist auf die künstlerische Gestaltung des Äussern fast
gar kein Wert gelegt, wol aber im Innern und dem
Teatro, das als Innenraum unter freiem Himmel wie
einst der Palasthof anzusehen ist, mit bilHgem Material
und flüchtiger Formgebung manche Verwirklichung
von Raumgedanken und Dekorationsweisen versucht,
die hernach als Ideal auch in den Stadtpalast ein-
zogen. Deshalb wäre grade über die römischen
i) Bei Dominicus Barriere, Villa Aldobrandina Tusculana 1647
wird Taf. 6 in der Unterschrift dieses Teatro ausdrücklich Horazio
Olivieri als der geistige Urheber hervorgehoben, der auch an Villa
d'Este in Tivoli beteiligt gewesen. Der Erbauer Card. Pietro Aldo-
brandini starb 1621. Ain Hauptbau ist aber die dreiteilige Gipfelung
durchaus plastisch !
i
174
Zweite Phase des Barock
Villen eine Monographie mit gewissenhaftester chrono-
logischer Genauigkeit durchaus zu wünschen.
Ebenso vorsichtig muss über den Gartenstil
dieser Villen geurteilt werden, deren alter vernach-
lässigter und deshalb viel malerischer gewordenen
Vegetation gegenüber wir gar zu leicht zu Irrtümern
geneigt sind, so dass wir die gleichzeitigen Publi-
kationen als Gegenwirkung brauchen, auch wenn sie
zur Anweisung für Gärtner die Grundrissanlage und
Verteilung der Gewächse in übersichtlicher Disposition
mehr hervorkehren, als es dem aesthetischen Ein-
druck als solchem entspricht.
Sehr charakteristisch für den künstlerischen Willen
auch der Vegetation, besonders der Baumnatur gegen-
über, ist das Verhältnis dieser Zeit zu dem Lieblings-
element des Wassers. Seine Behandlung hängt
unmittelbar mit dem Verständnis des Travertins als
gewachsener, von Schwefelquellen durchzogener,
hier porös versteinerter, dort noch weich gefüllter
Masse zusammen. Das Ideal des Stiles, der ,, Schön-
heit ist Kraft" bekennt, erhält im rauschenden Wasser-
strom eine natürlichere Verwirklichung als irgend
sonst. ,,Es wird ein gewaltiger Aufwand getrieben,
um das Wasser möglichst reichlich und mit starker
Kraft zu gewinnen", sagt auch Wölffhn, aber auch
da ist als ächtestes Beispiel der Barockgestaltung
meines Erachtens für diese Zeit an dem Aufspringen
des Wassers in einem möglichst vollen Strom oder
als Stralenbündel fest zu halten, mit dem sich das
Niederrauschen nur als notwendige Folge und bestä-
tigende Nachwirkung verbindet. Die eigentliche Be-
Darstellende Kunst
175
friedigung liegt in dem Hochdrang der Wassermasse,
wie im Triumph des eignen Willens; das ist die
übermenschliche Erhabenheit des brausenden Ele-
ments, die man liebt.
DER BAROCKSTIL
IN DER DARSTELLENDEN KUNST
Wir Modernen heute, gesteht sich selber warnend
Wölfflin, ,,wir sind jedenfalls geneigt, die Dinge
malerischer aufzufassen als die Zeitgenossen, mehr
malerische Absicht hinein zu sehen, als wirklich darin
liegt." Das trifft die ganze Beurteilung des Barock-
stils, soweit wir ihn bis jetzt kennen gelernt, und
besonders seiner Gartenkunst in Burckhardts Cicerone.
,,Man muss als prinzipiellen Gesichtspunkt festhalten,
dass ein Sinn für Effekte der Beleuchtung", und viele
andre ,, malerische Wirkungen" die der Schwester-
kunst entlehnt sind, ,, nicht vorhanden sein kann, so-
lange die Malerei keinen derartigen Geschmack zeigt".
Bevor wir weiter gehen, haben wir einen Blick auf
diese andre Kunst zu werfen, ebenso wie es bei
Michelangelo geschehen ist, und haben ihren Werken
gegenüber die Frage zu beantworten, wie es mit der
,, Entdeckung des Malerischen" oder aber mit dem
Anschluss an das plastische Gestaltungsprinzip des
Barockstiles bestellt sei. Vor allen Dingen wird die
Betrachtung der Malerei grade in Rom als Gegen-
probe der Charakteristik dienen, die wir bis dahin
vom Kunstgeist dieses Übergangs ins siebzehnte Jahr-
176
Zweite Phase des Barock
hundert auf Grund der römischen Denkmäler ent-
worfen.
Nach Michelangelos Tode geht es mit der
Malerei sehr ähnlich wie mit der Architektur: nach
den unmittelbaren AbkömmUngen des grofsen Meisters
wie Daniele da Volterra und Marcello Venusti, bei
denen man immer noch seine Gedanken vermutet,
übernehmen die Manieristen der Spätrenaissance
die Aufgaben, die ihnen gestellt werden. ,,Eine Zeit
lang verlangte die Mode lauter Gegenstücke zum
Jüngsten Gericht", schreibt Burckhardt; aber man
verstand dies gewaltige Muster des Barockstiles nicht
besser als etwa die schwachen Nachklänge der Cappella
Paolina dies an die Hand gaben, nämlich als ,, Ge-
wimmel nackter oder eng gekleideter Figuren, die in
allen möglichen und unmöghchen Stellungen durch
einander stürzen," und man malte sie ebenso blind-
Hngs ,,auf einem Räume, der sie nicht zum dritten
Teil beherbergen könnte". — Nach der ,, frechen
Improvisation historischer sowol biblischer als profaner
Gegenstände," die mit den Brüdern JZaaccaro auch
nach Rom drang und besonders den Ruhm der
Farnese in den vordem Sälen ihres Palastes, wie
im Schloss Caprarola, zu verherrlichen half, ja den
Vatikan nicht verschonte, müssen wir doch neben
Vignola die Existenz der Spätrenaissance auch in
der Malerei der ewigen Stadt anerkennen. Aber die
Geschichte des Barockstiles befasst sich jedenfalls
nicht mit ihnen, sondern erst mit dem Auftreten
der Carracci, Agostino und besonders Annibale, der
^ eine"'Sfeirung wie Giacomo della Porta beanspruchen
Darstellende Kunst
177
darf. Wie der letztere als Architekt ist Annibale
Carraci als Maler besonders wichtig für den Durch-
bruch des neuen Gestaltungsprinzips in seiner Kunst,
die auf strenger Schulung und gelehrten Studien
fussend, doch das Ideal Michelangelos verstehen lernt
und mit dem ganzen Reichtum ihrer eignen Mittel
zu verwirklichen unternimmt. Im unmittelbaren An- i
schluss an die Raumbildung im Gartentrakt desPalazzo
Farnese sehen wir ihn mit seinem Genossen über
Alles hinausgehen, was sie bis dahin in Bologna
oder im umliegenden Kreis ihrer Kunst ausserhalb
Roms geleistet hatten. Annibale steigert sich zum
vollsten Vertreter des Lebensgefühls ,, Schönheit ist
Kraft", soweit sich dies irgend mit dem heimischen
Erbteil der Freskomalerei vor Augen stellen liefs,
und folgt Michelangelo, dem Begründer des Barock,
so eifrig, wie einst GiuHo Romano und Sebastiano
del Piombo dem selben Meister als Maler der Hoch-
renaissance gefolgt waren.
Man vergleicht die Decke der Galleria Farnese
gern mit Michelangelos Decke der Sistina. Und
gewiss ist das lehrreich nach mancher Seite, wie ein
Vergleich mit Rafaels Decke der Farnesina es nicht
minder wäre; aber wer nur das Gemeinsame hervor-
höbe, würde sich starker Anachronismen schuldig
machen. Für uns bleibt die Hauptsache hier der
Unterschied zwischen den Schöpfungen der Hoch-
renaissance und der des Barock. Bei Michelangelo bleibt
die gemalte Architektur, die alle Flächen zerteilt und .
den Cyklus von Bildern und Gestalten disponiert, als
Unterlage für alles Figürliche doch für sich, ein Gerüst
Schmarsow, Barock und Rokoko.
178 Zweite Phase des Barock
ohne nothwendigen Zusammenhang mit dem Leben-
digen darauf und dazwischen, ebenso wie der mar-
morne Aufbau des Juliusgrabmals. Die Verbindung
durch Bögen und Rahmen oben beansprucht vollends
keinen architektonischen Sinn als Umdichtung des
wirkHchen Raumgebildes, sondern hebt im Gegen-
teil die Einheit der flachen Tonnenwölbung auf,
um sie nach dem Prinzip der Hochrenaissance in
vielgliedrige Harmonie auseinanderzulegen. Bilder
und Gestalten durchsetzen dies System , ebenso
mannichfaltig an Wert: hier statuarische, dort dekora-
tive Figuren, hier in vollen Farben, gewandet, dort
nackt in natürlichem Fleischton, oder gar in Bronze,
in Marmor verwandelt; hier reliefmäfsige, dort per-
spektivisch vertiefte Bilder, also bald die Fläche
wahrend, bald durchbrechend; aber alle diese räum-
lichen, körperlichen, augenscheinlichen Werte, zwischen
Wahrheit und Dichtung weisHch abgestuft, alle Gegen-
sätze harmonisch ausgeteilt und im fortlaufenden
Zusammenhang verbunden, ohne irgend welche beun-
ruhigende Spannung von Kontrasten.
Hier dagegen, an der gewölbten Decke der Gal-
leria Farnese, hebt sich über der ruhig fortlaufenden
Wandgliederung (die wegen einiger Bedenken gegen
Herstellung und Zutaten Ueber ausser Betracht bleibt )
ein vielgestaltiger Hochdrang der Kräfte doch in
durchgehender Einheit empor. Der Raum gewinnt
im Stirnband des Simses seine körperliche Geschlossen-
heit ringsum, und darüber erscheint Alles aus der
bildsamen Masse der Umfassungsmauern gewachsen.
Tektonisches Rahmenwerk und herkulische Gestalten
Darstellende Kunst
179
in Bronze- oder Naturfarbe, Reliefbilder Grau in Grau
oder in vollfarbigem Dasein, Alles ist mit einander
verwachsen, durchdrungen, im Zusammenhang des
Werdens erfasst und nimmt den ganzen Pomp des
Fleisches und der Kraft mit nach Oben, wo die beiden
Seiten der Wölbung einander begegnend sich ver-
binden und Raum lassen für die reichsten Scenen
des Bilderkreises. Nur in den Ecken eröffnet sich
ein Ausbhck ins Freie, so dass dies Drängen und
Schieben, dies Arbeiten und Übereinandertürmen
doch nicht erdrückend wirkt, sondern immer noch
einen Überschuss athletischer Stärke, einen Vorrat
neuen Zuwachses zu bergen scheint, der den freien
Genuss ihrer Spannung gestattet. Verfolgen wir,
von diesem Eindruck des Luftigen durch die Öff-
nungen aus, die Ökonomie des Malers, so begreifen
wir nicht allein die MögHchkeit der Bilder mit dem
selben Himmelsblau im Grunde, sondern auch die
Stufenfolge zwischen Verwirklichung und Entwirk-
lichung der naturfarbenen oder willkürHch getönten
Körper, der Träger und Dränger, und erkennen die
entfärbten und erstarrten als Söhne der Karyatiden,
die blutwarmen Gesellen aber als plastische Ver-
körperung lebendiger Kräfte. Hier ist, mit den
Mitteln der Malerei erst, die Organisation der raum-
schliessenden Baumasse vollständig vor Augen ge-
bracht, dass ,,der Gestalten Fülle verschwenderisch
aus Wand und Decke quillt". Aber vom ,, malerischen
Stil" wird nur das Vorurteil noch reden. Das durch-
waltende Prinzip ist der plastische Drang. Dieser
erzeugt die Einheit in der allseitigen Berufung auf
12*
180
Zweite Phase des Barock
unser Körpergefühl, wie auf unsre Kraftempfindungen.
Es ist der Bildnergeist Michelangelos in Annibale
Carracci gefahren, — aber nicht aus der Decke der
Sistina, sondern aus dem Jüngsten Gericht, nicht der
Stil der Hochrenaissance, sondern des Barock.
Sehr wesentlich aber erscheint doch der Unter-
schied zwischen dem grossen Wandgemälde, das die
Weite der Welt am letzten Tag umspannen will,
und diesem dekorativen Werke der Carracci , das
zunächst den plastischen Hochdrang der sich
wölbenden Mauern eines beschränkten Raumes im
unmittelbaren Anschluss an die bauliche Wirklichkeit
aufnimmt und nur zwischen der statuarischen Ge-
staltung noch freiere Bilder eröffnet, die weder an
Körperrelief noch an Farbenschwere Rir das Rea-
litätsbedürfnis jener Generation etwas zu wünschen
übrig lassen. Michelangelo sucht wenigstens durch
plastische Mittel, nämlich durch das Gedränge der
körperlichen Erscheinungen Raumwerte zu schaffen,
die weitere Tiefenausdehnung fordern ; er erweckt
durch zahllose Büsten und Köpfe, die übereinander
hervortauchen, wenigstens den Eindruck des Unüber-
sehbaren ; wenn sich auch nirgends die unendHche
Tiefe des Raumes öffnet , will doch die Menge des
Gestalteten nicht aufhören ; Welle auf Welle taucht
als Form empor, sowie sie unser Blick erreicht, so
dass ein Gewoge sich uns entgegendrängt, als wollte
das Meer noch ein Meer gebären. Von alledem ist
an der Decke der Galleria Farnese nichts zu spüren!
Nichts vom Unergründlichen, Unfassbaren, Endlosen,
das Wölfflin hineingesehen hat, nur das Unerschöpf-
Darstellende Kunst
181
liehe der Gestaltungskraft, das Unermüdliche des
Gebarens von Innen heraus, das auch jenseits des
AnschauHchen noch zu wirken scheint. Aber alles
ist nah, absehbar, beinahe tastbar. Und jener Ein-
druck eines Plus sichert nur der Anstrengung orga-
nischer Geschöpfe unsern Glauben an das Bestehen
dieses Kraftaufwandes vor und nach dem Gegen-
wärtigen, während wir betrachtenden Menschen wol
wissen: der Wille sei stark, unser Fleisch ist schwach;
auch Giganten von unsrer Art erlahmen. Die Ma-
lerei ist eben in diesen Hünenleibern Ein Fleisch
geworden mit der Architektur, nimmt also vom
Wesen dieser Schwester den Charakter der Behar-
rung an. Die unverbrüchliche Fortdauer der ver-
anschaulichten organischen Kraft ist ästhetisch not-
wendig für das gemeinsame Kunstwerk, das durch
und durch plastisch gedacht ist. Da darf noch
kein Hang zum Dämmerschein des Nirvana gewit-
tert werden , eine derartige Interpretation wäre
abermals Anachronismus.
Nach diesem schlagenden Beispiel für die pla-
stische Tendenz des Barockstiles auch in der Malerei,
wie er als Erbteil Michelangelos in Rom sich weiter
zeugt, bedarf es keiner weitern Belege für die näm-
lichen Symptome in den Gemälden sonst. Die
Lebenskraft des plastischen Gestaltens geht so sehr
in diesen Schwesterkünsten auf, dass die eigentliche
Skulptur im selben Augenblick nur Ohnmacht zu
182
Zweite Phase des Barock
bekennen hat. Wol aber ist es wichtig, am Schluss
dieser strengen Periode des neuen Stils noch einer
folgenreichen Übertragung zu gedenken, die damals
in Rom stattfand. Unter den italienischen Nachfol-
gern des Annibale Carracci wäre nur durchzuver-
folgen, wie weit ihre Kraft reicht und wo das Ver-
ständnis versagt; aber ein viel gewaltigerer Träger des
Barock wird in einem fremden Maler gewonnen, der
von Norden gekommen hier die entscheidende An-
regung empfängt , um heimgekehrt den ganzen ka-
tholischen Norden für diesen Stil zu erobern. Es ist
das Bündnis mit der Grossmacht des modernen
Kunstlebens überhaupt, das eben nun durch Rubens
in Rom geschlossen wird.
Während seines Aufenthaltes in ItaHen von 1600
bis 1608 hat der vlämische Meister, mit der ganzen
Vorbereitung heimischer Kunst und Bildung aus-
gestattet, vor allen Dingen aber mit einer überquel-
lenden Erfindungsgabe, einem schwungvollen feurigen
Temperament und einer Schöpferkraft ohne gleichen
gesegnet, die Erbschaft der italienischen Malerei an-
getreten. In Venedig von Tintoretto, dem kon-
genialen Vorläufer seiner eigenen Sendung ange-
zogen, zu Mantua in stetem Verkehr mit den Werken
des Mantegna und des Giulio Romano, mit ihrer
gedrangen Festigkeit plastischer Körperformen, dann
fortgerissen vom malerischen Gliedergewoge Correg-
gios, verrät er schon im Altarbilde für S. Ambrogio
zu Genua ,,das eifrige Studium nach den Typen der
Carracci in den kolossalen Gestalten", während die
Komposition dieser Beschneidung" unverkennbar auf
1
Rubens
183
Correggios Nacht zurückgeht. — Sind diese frühen
Werke für Alantua und Genua noch vielfach unselb-
ständig, so erbhckt man zu Rom in den Bildern der
Chiesa nuova den Einfluss , den die Kolossalfiguren
der- Antike, der Laokoon, die Flussgötter, der Her-
kulestorso, die Kaiserbüsten und Barbarenkönige auf
ihn ausgeübt, — d. h. die selben kraftvollen, cha-
rakteristischen und pathetischen Beispiele der späten,
physisch und psychich gesteigerten Skulptur, denen
auch Michelangelo gehuldigt und Carracci sich hin-
gegeben. Diese grossmächtigen Heiligen in S. M.
in Vallicella malte Rubens 1608, zur selben Zeit wo
Carracci noch an der Galleria Farnese beschäftigt
war. Und aus dieser Berührung ist auch ihm das
volle Verständnis für das Jüngste Gericht Michel-
angelos aufgegangen ; ihm, dem geborenen Historien-
maler, mochte das letzte Geheimnis des Barockstils
daraus in die Seele dringen. Damit wird er der
Erbe auch dieses gewaltigen Vermächtnisses , das
den darstellenden Künsten insgesamt hinterlassen
war, und vereinigt es mit dem Erbe der nordischen
Renaissance, das er in sich selber mitbringt, d. h.
mit dem innersten Wesen einer Kunst, die weit mehr
noch als die Italiens mit den Ansprüchen des Seelen-
lebens , mit dem Hang nach Verinnerlichung , mit
dem Geist des Mittelalters und der Gemütstiefe ger-
manischer Völker durchdrungen war. So vollzieht
sich in ihm erst der volle Umschwung zur Malerei,
der specifisch modernen Kunst, die allen diesen For-
derungen gerecht zu w^erden vermochte ; so ent-
scheidet er, obgleich als begeisterter Vertreter des
184
Zweite Phase des Barock
plastischen Ideales, doch die Vorherrschaft male-
rischen Geistes, der im Norden seine Heimat hat.
Den tiefblickenden Augen der Denker, die das
Urteil über Rubens' Stil begründet haben, sind diese
Eigenschaften nicht entgangen, ja die Notwendigkeit
grade dieser Verbindung nicht verborgen geblieben.
Einige Bemerkungen über das Wesen seiner Kunst,
die ich im Einverständnis mit einem Meister der
Kunstwissenschaft wie Schnaase verantworten darf,
gewinnen also grundlegende Bedeutung für den Ba-
rockstil der Malerei überhaupt.
Das glänzendste Beispiel für das Kompositions-
prinzip eines spannenden Gegensatzes zwischen Unten
und Oben, den wir bei Michelangelo kennen gelernt,
wo eine unbefriedigte Bewegung, eine unruhig über
sich hinausdrängende Stimmung sich nach Oben ab-
klärt und im Gipfelpunkt des Ganzen erst , ohne
Einbufse an Kraft und Fülle, ihren Abschluss findet,
ist neben zahlreichen Belegen sonst seine Kreuz-
abnahme im Dom von Antwerpen (i6ii — 1612).
Sehr entscheidend für den Übergang ins Malerische
spricht aber ein Vergleich der verschiedenen Ge-
mälde, in denen sich Rubens mit dem Jüngsten Ge-
richt und dem Engelsturz beschäftigt, wenn wir sie
unter dem Gesichtspunkt ihres Verhältnisses zum
Urbild in der Sixtina betrachten. Rubens vereinigt
den Vorteil plastischer Klarheit und Nähe der Ge-
stalten, den Michelangelo durch seine ReHefkompo-
sition erlangte, mit der räumUchen Tiefe und Man-
nichfaltigkeit der Perspektive , indem er von der
senkrechten Mittelaxe — durchaus im Sinne des
Rubens
185
ächten Malers — zur Diagonale übergeht. Diese
Form gestattet, wie Schnaase sich ausdrückt zu-
gleich einen grossen Reichtum und die kühnste feu-
rigste Darstellung der Tat. Wo aber die Vertikale
zwischen Unten und Oben aufrecht bleibt, da weicht
die Himmelsregion räumlich zurück hinter den vorn
sich drängenden Gestalten, und Ströme des Lichtes
um die Hauptfiguren, zwischen dem Helldunkel der
Wolkentrone durchbrechend , übernehmen die Her-
vorhebung, während die Bewegung in feierlicher Ge-
tragenheit daherwallt, wie ausklingend in mächtigen
Akkorden, nach rauschendem, betäubendem Ge-
brause. Immer jedoch geht Rubens auch im male-
rischen Zusammenhang seiner Gruppen in sich, wie
unter einander über sein römisches Vorbild hinaus.
Während dort nur durch Aufhebung des Zeitlichen
die volle plastische Gestaltung in herkulischen For-
men und nur durch die Enthaltsamkeit von allem
Beiwerk die klare Bestimmtheit in allem Geformten
erreicht wird , bewahrt der dramatischer veranlagte
Vlame durchaus die Wahrheit der physischen Tätig-
keit , der momentanen Anstrengung und Gebärde,
wie des Seelenausdrucks im gesteigerten Augenblick
selber. Die Gruppe wird so belebt und so feurig,
dass sie, wie ein Moment eines grossen Dramas uns
unmittelbar in das Ereignis hineinreisst und mit sei-
ner gigantischen Gewalt ergreift. Denn bei ihm ist
jede einzelne Figur ,,in ihrer vollen Kraft und Be-
wegung auf die Handlung gerichtet und alle ver-
I) Niederländische Briefe, Stuttgart und Tübingen 1834, S. 279.
186
Zweite Phase des Barock
einigen sich daher natürlich in der Mitte" ihres Voll-
zuges. Die menschHche Gestalt ist in ihrer ganzen
Bedeutsamkeit erfasst und in ihrer vollen Ausdrucks-
fähigkeit gegeben. Deshalb spricht sie in der Welt
des Bildes nicht allein die Bedeutung des Ganzen
im Wesentlichen schon allein aus , sondern alles
Übrige, was darin neben ihr erscheint und die Welt
bedeuten soll , ist so in die selbe Auffassung ein-
gegangen und von der Beweglichkeit ihrer Glieder
durchdrungen , vom Wachstum und der Gebärdung
ihrer Formen erfüllt , dass auch der aufmerksame
Beschauer, wenn er vorn Bilde zurücktritt, sich kaum
erinnert, noch ein Beiwerk ausser dem eigentlichen
Gegenstande gesehen zu haben, nämlich ausser der
Gruppe und den Handelnden oder dem Strom des
Geschehens, der von ihnen bestimmt wird, aber auch
alles Andre , die ganze Umgebung , die weite Welt
mit sich fortreisst.
So steigert sich bei Rubens ganz entschieden
der Eindruck der Bewegung im Vergleich zu Mi-
chelangelo, obgleich beide von dem nämlichen Drange
ausschUefslich plastischer Gestaltung ausgehen. Wir
glauben ein wirkliches Geschehen zu erleben , weil
die Erscheinung, die im Bilde festgehalten uns vor
Augen steht, transitorisch wirkt und zwar im höchsten,
jemals erreichten Grade. Und fragen wir, durch
welche Mittel diese Steigerung zu intensivster Le-
bendigkeit zu Stande kommt, ohne dass unser Wirk-
lichkeitsgefühl durch das flüchtige Vorüberrauschen
den geringsten Eintrag erleidet, wie es bei diesem
Streben nach mehr Bewegung sowol früheren als
Rubens
IST
spätem Malern oft begegnet ist , — so haben wir
wieder von der gemeinsamen Grundlage anzufangen,
die Rubens mit Alichelangelo teilt, d. h. von den
Faktoren plastischer Gestaltung auch im Bilde.
Beide kommen von der harmonischen Ausbildung
der Gestalten in der Vollkommenheit her, wie der
Stil der Hochrenaissance sie gepflegt hatte ; aber in
Beiden war der persönliche Geist zu stark, um sich
bei dieser Darstellung beruhigen zu können. Je
mehr sie die menschUche Kraft anerkennen und ver-
herrlichen, desto mehr mussten sie empfinden, dass
der Mensch in seiner höchsten Leistung, in der le-
bendigen Tat mehr bedeutet , als das harmonische
Gleichgewicht körperlicher und seelischer Gaben im
rein plastischen Ideal auszudrücken vermag, dass der
Geist bei solcher Willensäusserung im Handeln kei-
neswegs ganz in die Erscheinung eingeht , sondern
vor wie nach der sichtbaren Ausführuug der Tat über
den Augenblick , den das Bild vorstellt , hinausragt,
also gleichsam im Übermafse da ist , um wieder in
sich zurückzuströmen und sich des Vollbrachten be-
wusst zu werden. Sie beide müssen also die aktive
Kraft des Individuums, die Wärme des persönlichen
Gefühls, die Schärfe des Verstandes, die Überlegen-
heit des Gedankens aussprechen. Bei Michelangelo
geschieht es durchaus mit den Rütteln der Skulptur,
durch die Steigerung des ^lotivs als einseitiger Aus-
bruch der Innenwelt, der mit dem Körper in seinem
vegetativen Dasein und geschlossenen Selbstgefühl
kontrastiert, diese Grundlage des Lebens zeitweiHg
vergewaltigt. Bei Rubens geschieht es in allen Haupt-
188
Zweite Phase des Barock
Personen, die an der dargestellten Handlung beteiligt
sind , ebenso intensiv , aber im vollen , den ganzen
Körper durchdringenden Strome, und in gesteigerter
Gebärde , sei es in zweckentsprechender Tätigkeit,
sei es in sprechender Gestikulation, also mit dem
dem ganzen Pathos dramatischen Auftretens. Es ist
eine mimische Steigerung im Sinne der lebhaften
romanischen Völker, und dazu eine Vertiefung des
Ausdrucks psychischer Kraft, besonders des Willens
und der mannichfaltigen Affekte, die den Höhepunkt
der Leidenschaft bezeichnen und die Tat mit Not-
wendigkeit hervortreiben , wie eine Explosion. Je
mächtiger dieser scharfe persönliche Geist, im Aus-
druck der Köpfe koncentriert , in allen Teilen auch
der nackten Körper überwiegt, desto unentbehrlicher
wird als Gegengewicht auch die Steigerung der leib-
Uchen Fülle , der physischen Ausstattung , der kraft-
vollen SinnUchkeit. Durch dies Gegengewicht kommt
freilich kein harmonisches Gleichgewicht beider Na-
turen zu Stande , wie in der Hochrenaissance , oder
es vollzieht sich doch nur in wenigen Gestalten, wie
etwa in der obern Region des Bildes, während unten
bald die physische , bald die psychische Macht das
Übergewicht behält, so dass in ihrem Kontrast eben
der Eindruck der Unruhe, des Strebens, der Be-
wegung, ja der Hässhchkeit zu Stande kommt, —
der Sturm und Drang, der zur Vollendung erst em-
porsteigen muss.
Die Intensitätsgrade des Innenlebens, die hier
nach Aussen hervorbrechend gezeigt werden, sie
nötigen zu der übervollen Form der Körper, zu der
Rubens
189
strotzenden Wucht des Fleisches, die man dem
vlämischen Geschmack als solchem auf die Rechnung
zu setzen pflegt. Sie ist auch hier, und hier erst-
recht ein unveräufserlicher Faktor des Barockstiles;
denn der Ausdruck der Willenskraft und des Selbst-
gefühls, der Verstandesschärfe oder der Leidenschaft,
als gemeinschaftlicher Grundzug in allen Gestalten,
würde, ohne die gesunde heitere Fülle der Sinnlich-
keit, nur ein Reich des Bösen und der Hässlichkeit
ergeben oder eine Welt seelenloser Schatten; das }
lehrt die Kunst des Mittelalters zur Genüge. Und
eben hier Hegt der tiefste Unterschied des Barock
von der Gotik auch bei Rubens, der diesem Erbteil !
des nordischen Wesens so * viel näher stand als
Michelangelo, dieser tiefsinnigste Denker und Dichter
selbst unter allen italienischen Meistern.
Von dieser grundlegenden Erkenntnis aus wird
man die Folgerungen selbst für den durchgehenden
Typus der Gesichter, den Schnaase meisterhaft
analysiert hat, und die Formbildung im Einzelnen
gern anerkennen, wie andrerseits für das Verhältnis
der nackten und der bekleideten Figuren zu ein-
ander. Ebenso bestimmt aber erwächst für die
Charakteristik seines malerischen Stiles noch die
Aufgabe, alle Konsequenzen für seine Farbenökono-
mie zu verfolgen, besonders des wirklichkeitsgetreuen
Kolorits und seiner Steigerungen ins Überwirkliche
hier oder seiner Herabminderungen ins Schattenhafte
dort gegeneinander abzuwägen, — Faktoren, die
allein es ihm ermöglichen, alle Regionen vomHimmels-
tron bis zum Höllenpfuhl samt allen Zwischenreichen
190
Zweite Phase des Barock
der Vorstellung im Bilde von Körpern und Räumen
glaubhaft und wirksam vor Augen zu bringen. Bei
dieser Beobachtung vor den Gemälden wird sich
herausstellen, dass Rubens mit seinen Farbentönen,
von der Stofflichkeit der Venezianer bis zur mono-
chromen Abstraktion Mantegnas, von der feurigen
Glut bis zum Wolkengrau Correggios ebenso souverän
wirtschaftet, wie Michelangelo mit der Formensprache
der Baukunst im Dienst seiner höheren Intentionen.
Hier auf dem Gebiete der Farbenwerte und ihrer
Ökonomie, die neben der Absicht auf Verwirklichung
auch die der Steigerung ins Übermenschliche, wie
die der Entwirklichung kennt, — ein Standpunkt,
der erst nach errungener Herrschaft über alle Mittel
eingenommen werden konnte und wieder die Über-
legenheit der geistigen Auffassung der Barockzeit
kennzeichnet, die tiefer greift und höher hinaus will
als die glückliche Harmonie der Hochrenaissance
— hier ist auch der Ort, diesen Standpunkt für die
Beurteilung der Barockmalerei und ihrer Geschichte
zu fordern und so den natürUchen Anschluss an die
farbige Dekoration des Gesamtkunstwerkes zu ge-
winnen, besonders im Innenraum, der Gemälde, ReUefs,
Statuen, wie tektonische Formen und Flächen, von
verschiedener Farbe in sich vereinigt, und auch mit
allen diesen integrierenden Bestandteilen als einheit-
liches Gebilde gedacht sein dürfte.
Ohne die Erkenntnis eines bewusst freien, ja
selbstherrHchen Schaltens mit diesen Faktoren der
Darstellung sind alle bisherigen Versuche, dem
Charakter und der Entwicklung des Barockstiles auch
Dekorative Kunst
191
in der Malerei, der Skulptur, wie im Kunsthandwerk
beizukommen, ziemlich planlos und erfolglos gebUeben.
Die Begriffe Manierismus, Eklecticismus und Natura-
lismus reichen nicht aus, den wesentlichen Inhalt der
Bestrebungen zu erschöpfen. Ja, die beiden Haupt-
eigenschaften der darstellenden Künste des Barock,
das WirkUchkeitsbedürfnis in den Formen wie in
der Auffassung des Geschehens und die Anwendung
des Affektes um jeden Preis, erklären noch nicht
den Stil, so lange sie nicht als die beiden Pole einer
und derselben Kraft erkannt werden, die sich be-
dingen und ergänzen.
Schon auf dem Gebiete der Farbenwerte be-
zeichnen die Namen: Michelangelo — Carracci —
Rubens eine fortschreitende Reihe, während von
Caravaggio und Ribera ein AusbHck zu Velasquez
sich empfiehlt, — schon um die Wandlung von
Rubens zu van Dyck und die andre zu Murillo, ja
zu Rembrandt mit umfassendem Sinn zu begreifen.
Für die Periode, die wir an dieser Stelle noch im
Auge haben, ist in Rom das Beispiel der Carracci
entscheidend, und hier lässt sich mit Wölfflin sagen:
in den Farben ,,eine Bevorzugung der schweren
dunklen Töne. Die Gemälde bekommen gleichsam
mehr Gewicht;" denn es sind undurchsichtige, stoff-
lich beinahe massiv wirkende Pigmente, die ver-
wertet werden, den Schein der Körperlichkeit, des
Volumens zu erhöhen.
Diesem Zuwachs an Quantität der Materie, der
durch Farbenwahl allein gewonnen wird, begegnen
wir auch in den Nachbarkünsten, der Plastik wie
192
Zweite Phase des Barock
der Architektur, in Dekoration und Kunstgewerbe
gleichermafsen. Hierher zunächst, und nicht unter
die Kategorie der Prunksucht mit kostbaren Stoffen,
gehört die Inkrustation mit Marmorarten von tiefer
oder energischer, besonders dunkler Farbe. Es sollte
auch hier streng chronologisch herausgehoben werden,
wie viel, von den reichen Kapellen römischer Kirchen
z. B., dem strengen Stil dieser Barockperiode noch
angehört. Nur so wird man verstehen, weshalb die
Dekoration der Innenräume, oder die Bildner selbst
die selbe Farbenskala bevorzugen wie die Maler mit
ihren Tinten; — weshalb man Marmor und Stuck
nicht mehr hell sondern dunkel wählt, auch für
Figuren Schwarz, porphyrähnliches Rot, für tek-
tonische Formen ausserdem Lapis lazuli, ja gespren-
kelte, buntgeaderte Sorten herbeizieht. Die Politur,
die man dem ächten Material, wie der künstlichen
Stuckimitation überall ursprünglich gegeben hat, erhöht
zunächst den Schein der Härte, giebt der Gränze
ringsum eine ablehnende Wirkung, steigert also die
wuchtige Beharrung des Körperlichen, aber der Glanz
enthält auch ein andres Element durch die Reflex-
erscheinungen, die er hervorruft, und daraus wird
eine wirksame Triebfeder der weitern Entwicklung
auf die wir an ihrer Stelle zurückkommen müssen.
Hierher gehört endlich auch die Verwertung des
Spiegels selbst, aber ebenfalls nur in beschränktem
Sinne: nämlich als Steigerung der körperhaften
Wirkhchkeit. Zu dem Original tritt, einmal oder gar
mehrfach zurück geworfen sein Spiegelbild, das alle
sichtbaren Merkmale seines Daseins wiederholend
Dekorative Kunst
193
betont. Es ist ein Zuwachs für unser Realitätsgefühl,
ähnUch wie Farbe und Textür der Oberfläche den
Glauben an die Existenz und Widerstandsfähigkeit
der reinen Körperform für sich verstärken, ausser
dem Tastsinn gleichsam noch Geruch, Geschmack
u. s. w. zur Bestätigung herausfordern, — durch den
Augenschein. Wie das Körpergefühl kräftigt sich
auch das Raumgefühl am Spiegelbild; aber nur wenn
es mäfsig auftritt und die Gränzen des wirklichen
Raumes nicht verwirrend durch einander wirft.
Auch solche Raumerweiterung und Gefühlsver-
vielfältigung ist noch kein vages Schweifen ins Un-
endliche. Erst mit der Verwertung des Glanzes wird
auch die Verwertung der spiegelnden Fläche eine
andre. Das aber ist bereits ein Wahrzeichen der
späteren Entwicklung, deren Gränzen wir, zur klaren
Gliederung in mehrere Phasen, möglichst auseinander
halten möchten. Auch hier liegen uns noch Unter-
suchungen ob, die eine eigne Monographie erfordern
und die wertvollsten Beiträge für die Wirkung des
Materials in Architektur und Kunstgewerbe ver-
sprechen.
Schmarsow, Barock und Rokoko.
13
IV.
DIE GLANZPERIODE DES BAROCKSTILS
UND IHR INNERER UMSCHWUNG
ie höchste Glanzperiode des römischen Barock,
in der eine Reihe hervorrap^end schöpferischer
Kräfte mit einander wetteifert und auf allen
Gebieten der Kunst die erstaunlichste Fruchtbarkeit
entfaltet, ist zugleich die Zeit eines innern Um-
schwungs in den Grundprinzipien und enthält des-
halb neben der reichsten Ausbildung des Stiles auch
schon die Auflösung des bisherigen Charakters und
den Beginn eines Neuen nebeneinander.
Giacomo della Porta, der die plastischen Ten-
denzen Michelangelos am glücklichsten mit dem
Hausgesetz der strengen Architektur vereinigt und
so die Verarbeitung der Spätrenaissance in den
Barockstil, die mit Vignola begann, in immer engerm
Anschluss an die Denkweise des gewaltigen Bildners
vollzogen hatte, tritt schon unter Sixtus V. (1585
Domenico Fontana
195
bis 1590) eine Weile zurück hinter Domenico Fon-
tana, dem 'geschickten Ingenieur, der den ObeHsken
vor S. Peter aufgerichtet und als bevorzugter Bau-
meister dieses unternehmenden Papstes die Phy-
siognomie der Stadt so entscheidend bestimmt hat.
Domenico Fontana (1543 — 1607) mit seinem
Bruder Giovanni (1546 — 16 14), dem eigentlichen
Brunnenbauer, gehört aber neben Martino Lunghi,
dem Älteren , und dessen Sohn Onorio zu jenen
Oberitalienern^ die von Hause aus handwerklich ge-
schult, als Maurer, Steinmetzen und Bautechniker
geschätzt, dem römischen Baugeist eigentlich fremd
gegenüber stehen und erst allmählich in den grossen
Sinn der Spätrenaissance sich hineinfinden lernen ;
— hinter den Meistern des Barockstiles bleiben sie
vollends zurück. Das Aufkommen dieser Lombarden
zu tonangebender Tätigkeit bedeutet also an sich
keinen Fortschritt in der Entwicklung, sondern eher
ein retardierendes Element, und zwar im schulmäfsigen
Festhalten an dem Herkommen der Renaissance.
Nur die Steigerung der Grössenverhältnisse, die
damit aller Reize der Einzelform verlustig geht,
kennzeichnet ihre Werke als Erzeugnisse dieser Spät-
zeit, die sich entwöhnt hat, den Menschen in seiner
natürlichen Sphäre als Mafsstab aller Beziehungen
anzuerkennen, wie es die Hochrenaissance noch im
grossartigsten Bau getan. Der Inhalt entspricht aber
nicht den Mafsen; es sind die leeren Dimensionen
allein, die hier aufgeboten werden ; es fehlt das fühl-
bare Leben, das die Steinmassen und Raumformen
geniessbar macht. So wirken sie nur öde und er-
13*
196
Glanzperiode und Umschwung
schreckend. Allein in Aufgaben , die von der Re-
naissance völlig durchgearbeitet waren und in ihrer
Ausdehnung an sich übersichtlich bleiben, wie die
Cappella del Presepe an S. Maria Maggiore, leistet
auch Domenico Fontana (seit 1584) Vortreffliches.
Wie dieser reine Centraibau nach Art der Madonna
di San Biagio vor Montepulciano erscheint auch die
Fassade des Lateranspalastes vor dem nüchternen
Innern wie eine Rückkehr zur Renaissance, und zwar
zu dem selben Meister Antonio da Sangallo : nämlich
zur ursprünglichen Idee des Pal. Farnese , mit ab-
sichthcher Beseitigung aller veränderten Zutat Michel-
angelos. Das abschhessende Gesims ist ganz nahe
über den Giebeln der obern Fensterreihe hingeführt,
ja durch Fensterluken im Fries eine noch nähere
Verbindung gewonnen, so dass dem Hauptgeschoss
mit seiner hohen Obermauer die stärkste Massen-
wirkung bleibt. In demselben Geiste der Reaktion
im Anschluss an Sangallo, also der Renaissance
gegen Michelangelos Barockgedanken, die zunächst
als Versündigungen erscheinen mochten, sind auch
Fontanas offene Hallen gedacht, die als Benediktions-
loggia an der Seite der LateransbasiUka und im Erd-
geschoss der Fassade vor der Scala Santa entstan-
den , dann aber ziemlich unmotiviert auch für den
Dekorationsbau der Fontana dell' Acqua Paola wie
für die Fontana di Termini verwertet werden. Da-
mit aber kommt, neben dem wolmotivierten Beispiel
am Seitenpalast (de Conservatori) auf dem Kapitols-
platz, dies Motiv der Raumöffnung auch für Front-
ansicht in Aufnahme , also eine Auflockerung des
Domenico Fontana
197
Baukörpers an seiner Aussenseite, welche der Barock-
auffassung der geschlossenen Masse durchaus wider-
strebt. Auch Carlo Lambardo von Arezzo hat es
an seiner unglücklichen Fassade von S. Francesca
Romana 1615 mit der Einen Ordnung im Sinne
Palladios zu vereinigen gesucht, und der ernste Römer
Giov. Batt. Soria vermochte es über sich in der
Vorhalle von S. Crisogono 1623, an S. Caterina da
Siena und S. Gregorio Magno in Monte Celio 1633.
Dazu gesellt sich noch ein andres Motiv, das direkt
aus Oberitalien übernommen wird : die beiden
Glockentürme über den Rücklagen der Fassade von
S. Atanasio de' Greci von Martino Lunghi und der
Trinitä de' Monti von Domenico Fontana. Es ist
ein Erbteil des Mittelalters , von den Gränzen der
nordischen Kunst stammend, das mit seinem Kom-
positionsprinzip dem plastischen Streben nach Ein-
heitlichkeit und Gipfelung der Mitte gradeswegs zu-
widerläuft. Statt der Einen Vertikale als Dominante
des Hochdrangs, mit ihren untergeordneten symme-
trischen Abseiten, stehen hier zwei Höhenlote sym-
metrisch nebeneinander und die Mitte sinkt zum ab-
hängigen BindegHed herab, das nur den Durchgang
in das Innere des Langbaues enthält.
So wundern wir uns nicht, wenn Domenico
Fontana als Baumeister von S. Peter auch auf den
Wunsch eingieng, dem Centraibau ein Langhaus vor-
zulegen , das neben seiner westlichen Tribuna wol
sicher das nämliche Paar von Glockentürmen erhal-
ten hätte, wenn auch vielleicht selbständig daneben
wie einst Sangallo an der Madonna di S. Biagio vor
1,98
Glanzperiode und Umschwung
Montepulciano oder in seinen Plänen für S.Peter selbst
sie vorgebildet hatte. Indes, er hat nur den Kuppel-
bau , den Giacomo della Porta bis an die Laterne
geführt, mit einer kleineren Wiederholung des säulen-
umkränzten Tambours und einem geschweiften, von
Konsolenreihen gestützten Helm bekrönt, so dass
dieser 'Aufsatz wieder selbständig werden will im
Sinne der Renaissance. Dann fiel er 1592 bei Cle-
' mens VIII. in Ungnade und zog sich nach Neapel
/ zurück, wo er den riesenhaften, aber langweiHgen
Königspalast erbaute.
Neben den Lombarden, zu denen auch Flaminio
Ponzio mit seinem Quirinalsbau gerechnet werden
darf, drängen Toskaner heran, die durchaus noch
von Prinzipien der Renaissance erfüllt sind. So
Francesco da Volterra und der Maler Luigi Cardi
genannt Cigoli, der ebenfalls einen Entwurf für den
Langhausbau von S. Peter zeichnen musste und
161 3 in Rom gestorben ist. So auch Annibale Lippi,
der seit 1590 die Villa Medici einem Umbau unter-
zog, dem sie jedenfalls entscheidende Charakterzüge
verdankt. Die offene Säulenhalle an ihrer Rückseite
mit dem mittleren Rundbogen erinnert an Vasaris
Uffizienmitte, die Nischen in der Mauer, der Schmuck
von ReUefs , Kränzen , Medaillons , die sich zum
Teil übereinander schieben, während die äussersten
Nischen leer bleiben , vollführen eine Steigerung
gegen die Mitte ; aber die Üppigkeit und Flachheit
dieser Ausstattung lässt doch keinen Zweifel über
den Sinn als ,, geschmückte Wand", bei der von
plastischer Gestaltung um eine Höhenaxe nicht die
Villa Medici und Borghese
199
Rede sein kann. Zu beiden Seiten treten vielmehr
die Flanken als Einfassung dieser Schlusswand und
der untern Raumöffnung hervor, und der Aufsatz
auf dem Dach des Hauptbaues betont ebenso fühl-
bar , wenn auch nachträglich , die Gipfelung an
deren äussersten Endpunkten der Breitenaxe, jenen
Flügelbauten der Rückseite entsprechend, mit ihren
zwei Türmen, als symmetrisch emporsteigendem Paar
und gleichmäfsig ausgedehnter Verbindung da-
zwischen Daran reiht sich, die nämlichen Gesetze
nur noch deutlicher ausprägend, um 1615 die Villa
Borghese, die Hans von Xanten, Giovanni Vasanzio
genannt , entwarf Der umfassenderen Anlage des
grossen Parkes entsprechend setzt sich das Casino
an seiner Gartenseite viel energischer mit der zu-
gehörigen Umgebung auseinander. Die Front gegen
die Landstrasse ist kaum von Belang ausser durch
die Breitendimension des gleichmäfsig verlaufenden
dreigeschossigen Traktes, der durch Ecktürme flan-
kiert wird, also die nämUche Symmetrie ohne Aus-
bildung eines dominierenden Mittelgliedes aufweist.
Nach dem Garten zu öffnet sich der Baukörper in
einer Bogenhalle toskanischer Ordnung mit hoher
Attika und bekrönender Balustrade , hinter der die
offene Terrasse bis an den Hauptbau reicht ; aber
diese Loggia wird durch weitausladende zweigeschos-
i) Vgl. hierzu auch die Ansicht der Benediktionsloggia am
Lateran mit den beiden älteren Türmen aus dem Quattrocento da-
hinter und dem Obelisken in der Mitte des Platzes davor, z. B. im
Holzschnitt Le cose maravigliose dell' alma cittä di Roma, 1595,
200
Glanzperiode und Umschwung
sige Eckrisalite eingeschlossen, die sich turmartig
vorschieben. Diese Flanken sind freilich keine freien
selbständigen Teile , sondern bleiben im Baukörper
stecken, aber im Ganzen waltet doch deutUch das
Gefühl der Auseinandersetzung mit der umgebenden
Natur, — und sehr bezeichnend wird in der Mitte
grade, wo wir bei statuarischer Gruppe die Gipfelung
an vertikaler Dominante erwarten, hier völlig auf
plastische Gestaltung verzichtet und die Lagerung in
die Breite betont, um dem Zusammenhang mit dem
Ganzen der Parkanlage sein Recht zu lassen. Die
Belastung der Arkaden mit einer Attika, die Glie-
derungslosigkeit der Mauer , der Ersatz der Pilaster
durch Lisenen, ja die schlichte Zwischenlage, die,
der Attika entsprechend, die beiden Geschosse der
Eckrisalite durchsetzt, wie eine Schachtelung im Ge-
wächs, alles das sind Barocksymptome; aber das
Motiv der geschmückten Wand im Schutz der vor-
tretenden Flanken ist etwas durchaus Malerisches
und ebenso die Gesamtanlage, mit ihrer allseitigen
Beziehung zum Parke.
,,Um gerecht zu sein," schreibt von der Land-
villa wenigstens auch WölffHn, ,,muss man stets im
Auge behalten, dass die Architektur gar keine selb-
ständige Rolle spielen will. Das Haus ordnet sich
der Umgebung bescheiden ein." — Damit aber
würde die Baukunst hier nicht nur des monumen-
talen Charakters sich entwöhnen, sondern eben durch
ihre Einordnung in den weitern Zusammenhang der
Gartenanlage wie der Gegend umher einem ganz
andern Prinzip unterstellt als dem plastisch -monu-
Uebergang ins Malerische
201
mentalen , das wir im Barockstil ^^lichelangelos als
herrschendes anerkannt. Der leitende Gesichtspunkt,
der dann die ganze Ökonomie des Kunstwerkes be-
stimmt, ist nicht mehr der des Bildners, sondern des
Bildes, nicht mehr der plastisch-statuarische, sondern
der malerische. In der Baugruppe des Casino Bor-
ghese wie an der Rückseite der Villa Medici zeigen
sich solche Willensäusserungen meines Erachtens
ganz zweifellos. Hier tritt wirklich ein , was vor-
schnell von der Barockarchitektur im Allgemeinen
gesagt worden ist : ,,sie geht Wirkungen nach, die
einer andern Kunst entlehnt sind: sie wird malerisch."
Daher das Motiv der geschmückten Wand, das
die Freude an der belebten Fläche, am Bildeindruck
verkündet, daher die Tendenz des ganzen Baues in
die Breitendimension, als abschliefsender Hintergrund
einer perspektivischen ^Ansicht vom Standpunkt des
Beschauers aus. Es ist kein Wachstum mehr, das
von Innen heraus den Keim des eigensten Wesens
in der Körperform um ein Rückgrat, eine Richtungs-
axe nur entwickelt und im Interesse beharrhchen
Bestehens die feste Geschlossenheit der Masse be-
wahrt, sondern es ist von Innen her die mannich-
faltige Vermittlung nach Aussen, von Aussen her die
Zusammenfassung mehrerer Körper im Raum, nicht
ihrem Kern, ihrem Wachstum nach, sondern nach
ihrer Erscheinung von einer Seite her. Es ist die
Auffassung ihres Zusammenhanges im Nebeneinander
und mit der Welt umher, die hier waltet, und
dieser umfassenderen Einheit zuliebe wird geordnet,
verbunden, bezogen und ausgeglichen.
202
Glanzperiode und Umschwung
Diese Tendenz auf Vermittlung des Baukörpers
mit seiner Umgebung ist aber, wie wir uns bei
Bramante und Antonio da Sangallo noch klar gemacht,
ein Erbteil der Renaissance, eben dort schon vom
Villenbau auch in den Palastbau eingedrungen. Das
strenge Prinzip plastischer Gestaltung der Körper-
masse, das Michelangelo dagegen verfolgte und sein
Nachfolger Giacomo della Porta selbst in der Auf-
nahme der Tiefendimension durchzuführen bestrebt
war , wird nun durch das erneute Andringen der
Renaissance wieder in Frage gestellt. Und nun
erst, in der Tätigkeit der Oberitaliener und Toskaner
in Rom, können wir glauben, es sei auf eine „An-
näherung der beiden Gebiete", der Villen- und Palast-
architektur, der Villa suburbana und Villa rustica ab-
gesehen, wie Wölfflin schreibt. Diesen Schritt voll-
zieht, — - und deshalb habe ich die vorbereitenden
Beispiele hierher genommen, — nicht Giacomo della
j Porta, sondern Carlo Maderna, der OberitaHener,
' der Neffe des Domenico Fontana, der die verlorne
Stellung seines Oheims wieder errang und der Nach-
folger des Francesco da Volterra wurde.
Als Carlo Maderna (geb. zu Bissano am Comer-
see 1556, aber schon jung nach Rom gekommen)
nach dem Weggang Fontanas in Rom festen Fufs
zu fassen versuchte, waren ihm zunächst angefangene
Aufgaben Anderer zugefallen, wie Chor und Kuppel
von S. Giovanni de' Fiorentini, S. Giacomo degli
Incurabili, die Francesco da Volterra unvollendet
hinterlassen, und besonders der 1586 begonnene
Palazzo Lancelotti. Grade dieser Bau erinnert, wie
Carlo Maderna
203
Gurlitt mit Recht hervorhebt, durch die Hofanlage
an die Blüte der Hochrenaissance in Genua; die
zierliche Doppelloggia an der einen Seite, deren Ar-
kaden auf toskanischen Säulen ruhen; die reiche
plastische Dekoration der Türen ist mit voller Liebe
ausgeführt. Die festlich schmückende Verteilung
geschmackvoll umrahmter antiker Reliefs, — sollte
sie vor dem Obergeschoss entstanden sein, das dem
Carlo Maderna zugewiesen wird? — Mit dem Schmuck
durch antike Reliefs sehen wir Maderna auch den
Hof seines selbständig erbauten Palazzo Matt ei di
Giove (um 1602?) ganz ähnlich beleben, dessen eine
Schmalseite sich bereits, nur durch eine niedrige
Mauer getrennt, gegen den Garten öffnet, während
die andre hinter der Strafsenfront gelegene mit drei-
mal drei Arkaden über einander, diesem Ausblick
zuliebe so luftig gestaltet ist und zu den Langseiten,
die den geschlossenen Charakter bewahren, in be-
wusstem Gegensatze steht.
Im Hof des Palazzo Chigi an Piazza SS. Apos-
toli (später Colonna di Gallicano, jetzt Odescalchi)
hat Maderna noch im weiteren Verlauf seiner Tätig-
keit ebenso unzweifelhaft zu den Motiven der Renais-
sance zurückgegriffen. In dem später von Bernini
vollendeten und hernach sehr erweiterten Bau gehört
ihm jedenfalls ,,das Palladiomotiv mit schönen tos-
kanischen Säulen, darüber die Gliederung durch
ionische Pilaster mit Bogen und eingestellten Fenstern
dazwischen."
In den letzten Jahren seines Lebens 1624 — 1629
begann er dann noch den epochemachenden Bau
204
Glanzperiode und Umschwung
des Palazzo Barberini für den Nepoten Urbans VIII.
Der Grundgedanke ward offenbar durch die beson-
dere Lage des Bauplatzes mitbestimmt, so dass er
nicht nachträgUch erst entwickelt sein kann, und hängt
ausserdem mit den oberitalienischen Tendenzen der
lombardischen Künstlerfamilie, zu der Maderna gehört,
wie mit seinen eignen Anläufen in Pal. Mattei di
Giove so notwendig zusammen, dass wir nicht zweifeln
können, die entscheidende Tat für ihn in Anspruch
zu nehmen. Es ist die vollendete Verbindung
zwischen dem römischen Palastbau und der Villa
suburbana, und zwar mit völligem Verzicht auf den
Binnenhof zu Gunsten der offenen Vermittlung mit
Garten und sonst umgebender Anlage. Nicht ein
einheitlicher geschlossener Baukörper ist vorhanden,
sondern zwei Hälften, die nach Aussen besonders
gegen die Piazza zu den ernsten Charakter römischer
Paläste bewahren; aber zwischen beide parallel
laufende [Kolosse schiebt sich gegen die Haupt-
strasse zu ein verbindendes Mittelstück, so dass die
Schmalseiten der beiden Flügel links und rechts wie
Eckrisalite vorspringen und turmartig über die Höhe
dieser Mittelfront emporsteigen, die ihrerseits ganz den
offnen Charakter der Villa und zwar der Gartenseite
zur Geltung bringt. Das ganze Erdgeschoss erscheint
als Eingangshalle, deren rusticierte Pfeilerarkaden
von einer toskanischen Pilasterordnung mit reichem
Triglyphenfries eingeschlossen werden. Nur in der
Mitte treten Säulen als Träger des Balkons hervor.
Das Obergeschoss hat eine ionische Halbsäulenord-
nung, von Lisenen begleitet, zwischen denen ,,die
Carlo Maderna
205
Rundbogenfenster wie in Füllungen hineingezeichnet
erscheinen". Hier aber hat wol, wie vermutet werden
darf^), schon der Nachfolger die perspektivische
Durchführung der schrägen Gewände hinzugetan,
und die oberen Teile erweitert, während Maderna
wahrscheinlich die Doppelloggia mit einem ge-
schlossenen Halbgeschoss beenden und somit dem
Hauptgesims der Flügelbauten unterordnen wollte. -)
Die innere Anlage des Vestibüls folgt, die beiden
Seitenkoulissen weiter führend, schon ganz dem Gesetz
der Bühnenperspektive, die den entscheidenden
Kernpunkt für die Rechnung des erfindenden Archi-
tekten ausser Zweifel stellt. Auch sie bezeugt den
Übergang vom plastischen zum malerischen Stand-
punkt und eröffnet die Reihe der umfassenden Barock-
anlagen des reichen Stils, die überall, wo sie vor-
kommen, so wesentlich zur Verschönerung des Stadt-
bildes, beitragen. •
Aber wenn wir diese durchgreifende Neuerung
in Rom bei einem Angehörigen der selben Baumeister
1) Doch scheint auch Giovanni Fontana dergleichen schon
ausgeführt zu haben, vgl. Falda, Fontane di Roma ,,Teatro della
Villa Borghese di Mondragone a Frascati".
2) Ich stimme dieser Ansicht Gurlitts vollständig bei , indem
ich daran erinnere, dass Maderna nicht allein die Fontana di Acqua
Paola vollendet , sondern auch wol die Benediktionsloggia an S.
Giov. in Laterano weitergeführt, sowie Sonstiges mit Giovanni Fon-
tana gearbeitet, also mit den Unternehmungen dieser Art in Ver-
kehr gestanden hat. Vgl. auch den Wandbrunnen des Domenico
Fontana ,,a Ponte Sisto in capo strada Giulia", und der frei stehen-
den ,,su la piazza della porta del Popolo sotto la guglia" bei Falda
a. a. O.
206
Glanzperiode und Umschwung
erklärlich finden, die an den Alpenseen daheim im
Dienst der Mailänder oder an der Riviera im Dienst
der Genuesen den heitern Charakter des Villenstiles
und der Säulenhallen am Äussern wie im Innern der
Paläste zur Geltung brachten, so dürfen wir andrer-
seits nicht vergessen, dass Carlo Maderna seine Über-
legenheit über die ältern Landsleute in Rom grade
dadurch bewies, dass er mit vollem Verständnis auf
den Barockstil des Giacomo della Porta eingieng, ja
im Geiste Michelangelos ihn weiter zu führen bestrebt
war. Er hatte im Kirchenbau nicht allein die Central-
anlage von S. Giacomo degli Incurabili übernommen,
sondern den Langhausbau von S. Andrea della Valle
und S. Peter bis zur Fassade hin vollendet, und hatte
in einem frühen Meisterwerk an S. Susanna ja die
glücklichste Lösung des Fassadenproblems selber
gefunden. Daneben beweist er in seinen Brunnen
wieder die glückHche Gabe , hier den plastischen
Grundgedanken des Barock entschiedener als seine
Vorgänger zum Ausdruck zu bringen, dort an andrer
Stelle zu neuen Erfindungen fortzuschreiten. Beson-
ders berühmt sind die prächtigen Exemplare vor
S. Peter. ,,Das Wasser wird von einem breiten
pilzartigen Körper ausgestofsen und fällt auf diese
rundliche Fläche zurück," so dass der geschlossene
Hochdrang des flüssigen Elements noch entschieden
vor dem Niederrauschen die Oberhand behält. Auf
Piazza ScossacavalU wie am Tor des Belvedere,
besonders aber vor S. M. Maggiore wähh er dagegen
die oblonge Grundform des Beckens, die sich in
die Breite legt.
Carlo Maderna
207
In der Vereinigung des römischen Barock mit
dem Reichtum der Hochrenaissance besteht grade
die Bedeutung des Carlo Maderna für die Geschichte
des Stiles in Rom. Je mehr er vor die mannich-
faltigen und gewaltigen Aufgaben gestellt wird, desto
mehr gewinnt das Besitztum der Renaissanceschulung,
die er genossen haben muss, das Übergewicht in
seinem künstlerischen Schaffen. Er muss Alles auf-
bieten, was sich irgend an verwertbaren Keimen für
Weiterbildung hereinnehmen Hess. Und in der Tat,
der Geschichtschreiber wird im Voraus die historische
Notwendigkeit begreifen: der römische Barock-
stil musste, um zur vollen Herschaft zu gelangen,
um auch im übrigen Italien und der weitern Macht-
sphäre seiner Kultur Eingang zu gewinnen, zuvor die
hö chsten Errungenschaften der Renaissance in
sich aufnehmen, mit den glückHchsten Schöpfun-
gen der Blütezeit einen Wettkampf bestehen. Wie
an S. Peter schon das Ideal der Renaissance im cen-
tralen Kuppelbau dem Ideal Michelangelos gewichen
war, sich dann aber mit der neuen Forderung der
Tiefendimension im Langbau verbunden hatte , so
blieb nun noch ein weiteres Problem im Fassaden-
bau zu lösen übrig, und an diesem Prüfstein mochte
der kühnste Hochsinn dieser Künstlergeneration zu
Schanden werden, wenn es nicht gelang, eine be-
friedigende Versöhnung jener Gegensätze zu erreichen.
Wie im Innern des Langhauses, von dem wir
bereits gesprochen haben, geht Maderna auch in der
Fassade von S. Peter die Wege des Barockstiles,
die Michelangelo vorgezeichnet, in den Fufstapfen
208
Glanzperiode und Umschwung
des Giacomo della Porta weiter. Ja, er schliefst sich,
soviel es mögUch war, dem vorhandenen Modell des
Meisters auch in den Hauptmassen seines Aufrisses
an. Aber er verwertet zugleich die Erfahrungen an
S. Susanna und sucht auch hier im Grofsen mit der
nämlichen Stufenfolge des Reliefs auszukommen. —
Auf frei vortretende Säulen wird ganz verzichtet,
nur vier Dreiviertelsäulen in der Mitte, mit dem
Dreieckgiebel darüber, als höchste Stufe plastischer
Rundung verwendet, sodass der Zusammenhang mit
dem Baukörper bewahrt bleibt. Neben dem Mittel-
risalit folgt auf beiden Seiten zunächst ein Paar von
Halbsäulen mit verkröpftem Gebälk, für die erste
Rücklage, dann ein Paar von Halbpilastern, als Ein-
rahmung des folgenden Wandstückes, und endlich
mit stark vorgekröpftem Pilasterpaar die neuen Zu-
taten Madernas, die Eckrisalite, die über die Flucht-
linien des Langhauses hinaustreten, die Fassade
somit absichtlich verbreitern und von vornherein
bestimmt sind , Türme zu tragen. In den Inter-
kolumnien dieser Reihe von riesigen Trägern unter
dem ebenso abgestuften Gebälk kommen die beiden
Stockwerke der Langseiten zum Ausdruck. Den
drei Haupteingängen entsprechen Säulenpaare unter
gradem Gebälk, wie Michelangelo sie am Konserva-
torenpalast unter das Joch gestellt; in den Eckrisa-
liten öffnen sich dagegen zwischen den Pfeilerbündeln
hohe Rundbogen, deren Scheitel mit der Fenster-
balustrade des zweiten Geschosses zusammenstösst.
Über die ganze Breite zieht sich die schwere Attika,
wie Michelangelo sie gewollt, nur reicher geghedert
Carlo jSIaderna
209
und im Zusammenhang mit untern Teilen in ihrer
Plastik abgestuft, so dass in der vielteiligen Gruppe
nun neben der niedrigeren Mitte, hinter der die
Kuppel aufwächst, von den Nebenkuppeln ^) not-
wendig vorbereitet die Türme links und rechts als
Höhenpunkte gefordert werden. Diese Türme Ma-
dernas bestanden aus einem luftigen Geschoss, das
an allen vier Seiten des quadratischen Tempels einen
Dreieckgiebel auf korinthischen Ecksäulen zeigt,
zwischen denen eine dreiteilige Gruppe von Bogen-
öffnungen mit einem Paar von Rundnischen neben
dem höheren Mittelbogen also eine Art Palladio-
motiv eingeschlossen wird. Darüber steigt, von
Kandelabern voraus verkündet, eine Laterne empor
die aus einem Tambour, von umgekehrt aufwachsenden
Konsolen, und einem einwärts geschwungenen Helm
mit wulstigem Kegelkopf besteht.
Unverkennbar durchsetzen sich die Formge-
danken des Barock grade in diesen letzten Zutaten
mit Renaissancemotiven. Und die Lösung des
Widerstreites zwischen dem Kuppelbau und dem
Langhaus, der grade hier an der Fassade zum Aus-
trag kommen musste, wird garnicht mehr im Sinne
des strengen Barockstiles versucht, sondern nach dem
Sinne der Hochrenaissance, durch Harmonie zwischen
l) Es ist bezeichnend für die vorherrschende Anschauungs-
weise, dass nur die beiden vordem Nebenkuppeln ausgeführt wor-
den, auf die beiden hintern , die Michelangelo notwendig dazu ge-
setzt, ganz verzichtet wurde. Die Vorderansicht wird mafsgebend.
Vgl. aber das Projekt zur Vervielfachung der Kuppeln über das
ganze Langhaus bei- Carlo Fontana, II tempio Vaticano 1694, p. 423 ff.
Schmarsow, Barock und Rokoko.
210
Glanzperiode und Umschwung
den vielgestaltigen Teilen einer mehrgliedrigen Gruppe,
ganz ähnlich wie es in Sangallos Plänen für S. Peter
vorbereitet war. Aber auch nach dieser Richtung
konnte keine Übereinstimmung aller Teile unter
einander und mit dem Ganzen erreicht werden, dem
widerstrebte schon die Proportionalität des organischen
Wachstums in den untern ganz michelangelesk an-
gelegten Teilen; sondern mit allen Reizen der Re-
naissancce war nur eine spielende Täuschung über
die eigentliche Schwierigkeit hinweg erreichbar. Und
diesen gefährlichen Weg betritt Maderna, indem er
vom plastischen Standpunkt zum malerischen über-
geht und auch den Beschauer dahin verlockt, ja
durch künstliche Mafsnahmen dahin drängt. Wie
an S. Susanna die Langseiten der Basilika durch
Mauern neben der Fassade dem Blick des Betrachters
entzogen sind, so geschieht es hier an S. Peter
durch die Turmvorlagen an den Ecken der Front.
So muss auch hier wie dort die Frage nach dem
organischen Zusammenhang der Stirnseite mit dem
übrigen Baukörper unbeantwortet bleiben, oder die
aufsteigenden Zweifel werden vertuscht, — bis die
hinten aufsteigende Gruppe der Kuppeln sie ge-
bieterisch wiederholt. Um des ersten, so oft ent-
scheidenden Eindrucks willen, geht Madernas Fassade
so sehr in die Breite, folgt eben jener Tendenz, die
wir bei S. Susanna leise schon sich melden sahen,
nun nolens volens entschiedener. Und folgen wir
der künstlerischen Ökonomie weiter nach, so er-
kennen wir selbst von dem festen Standpunkte aus,
der uns dieser geschmückten Wand gegenüber an-
i
Carlo Maderna
211
gewiesen wird, also zum Hintergrund des weiten
Platzes, — dass die Faktoren, die hier zusammen
wirken sollen, einer in sich zwiespältigen Rechnung
entspringen. Die mittlere Fassade, d. h. die Stirn
des Langhauses, soweit seine Breite wirklich reicht,
ist eine Reliefkomposition wie S. Susanna, nur fünf-
ghedrig abgestuft. Die Ecktürme jedoch sind Voll-
körper, die nur einer Gruppe von Körpern angehören
können, deren jeder soviel Wert hat wie die einzelne
Menschengestalt, also einer statuarischen Verbindung
von drei oder fünf organischen Geschöpfen, wie
Laokoon und seine Söhne in der Umstrickung der
Schlangen. Die Türme weisen auf die Kuppeln des
Centraibaues, und die Fassade dazwischen will und
kann dort nur dem Langhaus Ausdruck leihen, da
ihr Abstand von jener Vertikalaxe jede sichtbare
organische Verbindung aufhebt.
Madernas Tod verhinderte die Ausführung der
oberen Abschlüsse, wie er sie beabsichtigt hatte,
und überlieferte damit wieder andern Händen ein
dringendes Problem, dessen Erledigung für die Ge-
schichte des Stiles von ausserordentlicher Wichtig-
keit war. Ein Ausgleich zwischen der ersten und
der dritten Dimension musste versucht werden, und
es unterlag kaum noch einem Zweifel , dass er mit
Hülfe der Breitendimension allein zu erreichen sei.
14*
212 Glanzperiode und Umschwung
2.
Madernas Nachfolger am Bau der Peterskirche wie
des Palazzo Barberini ward Giovanni Lorenzo Ber-
nini, der, 1599 von florentinischen Eltern in Neapel
geboren, seit 1608 mit seinem Vater Pietro , einem
geachteten Porträtbildner, in Rom lebte und als Bild-
hauer schon frühzeitig auch selbst die ersten Lorbeern
zu ernten begann. Es ist bezeichnend für den Ent-
wicklungsgang des ganzen Stiles, dass dieser Träger
des ferneren Schicksals von der Plastik ausgegangen,
sich dann der Architektur zuwandte, und auf Betrieb
seines Gönners Urban VIII. auch die Malerei sich
angeeignet hat, so dass er alle drei Künste mit
voller Meisterschaft auszuüben im Stande war.
Die berühmteste Leistung des jungen Bildners,
mit der die Aufmerksamkeit der vornehmen Lieb-
haber gewiss gewonnen ward , die Marmorgruppe
von Apoll und Daphne in Villa Borghese gewährt
auch uns noch den besten Ausgangspunkt für die
Erkenntnis seines Wesens. Die Jünglingsphantasie,
die das Werk geboren, bewahrt einen gewissen Grad
verschämter Befangenheit und damit die keuschen
Reize der Liebespoesie , die er später so keck ent-
weiht hat ; aber die künstlerische Empfindung durch-
dringt seine Arbeit schon bis in die letzten Fein-
heiten, und die unerschöpflichen Mittel seiner Tech-
nik scheinen kein Hindernis mehr zu kennen, dem
Marmor die zartesten Regungen des Seelenlebens
mitzuteilen. Vorbilder der Form wie des Ausdrucks
gehen bereits mit einer Geschmeidigkeit zusammen,
Lorenzo Bernini
213
die ausserordentliche Begabung voraussetzt, aber auch
die eigentliche Sphäre ihrer Gestaltung mit einer
Sicherheit dartut , die nicht für diesen besondern
Gegenstand allein gilt, sondern die Organisation
seines Geistes überhaupt bezeichnet. Man stelle sich
nur den Apoll von Belvedere neben diesen Apoll,
der unter Berninis Augen und Hand aus ihm her-
vorgegangen. Neben der Grossheit der Form , die
auch dieser glänzenden Verkörperung des delphischen
Gottes noch eigen ist, bei Bernini graziöseste Schlank-
heit ; neben der elastischen Beharrung des Siegers
im Heraustreten hier geschwindeste Bewegung des
Liebhabers nach dem Ziele , wo die Fliehende fest-
wurzelt und die hülfesuchenden Arme in die Lüfte
breitet , während aus den Fingern schon Lorbeer-
zweige wachsen und die Rinde schützend den Lieb-
reiz ihres Leibes umspannt. Und so wandelt sich
in Beiden der eilende Lauf in den Aufschwung des
kritischen AugenbUcks, in dem sie hier erstarrt sind.
Schon ,,dies Übermafs des Momentanen" ist als
Übersetzung des Apoll von Belvedere eine ganz er-
staunliche, für den Geschmack der Zeit wie für das
eifrigste Bestreben dieser Künstlergeneration ent-
scheidende Äusserung. Sie war nur möglich, wenn
jede Anwandlung, durch leibliche Wucht und geistige
Kraft zu wirken wie Michelangelo, dem Bildungsgang
des jungen Meisters fern geblieben war.
Sein Vater, bei dem er geschult ward, muss als
ächter Florentiner auch in Neapel und dann in Rom
dem Bekenntnis der Spätrenaissance treu gebheben
sein , und bei aller technischen Verfeinerung seiner
214
Glanzperiode und UmschAvung
Mittel und aller gewissenhaften Vertiefung seiner
Naturstudien doch neben den Bildnissen, die grade
dabei vortrefflich gediehen, in der Gestaltenbildung
und Formensprache seiner Idealfiguren an der alten
Tradition aus den Tagen des Andrea Sansovino her
festgehalten haben. Es ist die Schlankheit und Ele-
ganz der Manieristen , von denen auch der Sohn
herkommt , nur gesteigerte Lebendigkeit der Be-
wegung und abgefeimte Natürlichkeit in der Wieder-
gabe der Haut, der Nägel, der Haare, selbst wo die
glänzende Politur den Eindruck des Wirklichen wie-
der verschiebt. So reiht sich das römische Beispiel
etwa zunächst an die Bronzefiguren kauernder Jüng-
linge , mit denen der Florentiner Taddeo Landini
den Schildkrötenbrunnen des Giacomo della Porta,
die Fontana delle Tartarughe von 1585 geschmückt
hatte. Sie haben dieselbe toskanische Hagerkeit,
wie Michelangelos Giovannino, und die Gelenkigkeit
wie seine Überschüssigen in der Sixtina, aber fast
in umbrische Zierlichkeit zurück übertragen, wie bei
Bernardino Poccetti. Das ist auch die Figurenart,
die Pietro da Cortona in seine Stuckgebilde zum
Schmuck der Decken und Simse dann im Palazzo
Pitti aufnahm, und in Rom nicht minder verwertete.
Der Cortonese arbeitet ja mit Bernini zusammen für
die Famihe Urbans VIII. Aber die Formensprache
des Letzteren steht für die Jugendwerke früher fest,
als die Berührung im Pal. Barberini erfolgte, und
weist auf einen andern Ursprung hin.
Die Typen der Köpfe und die Behandlung des
Fleisches , der Zug der Körperbewegungen wie der
I^orenzo Bernini
215
Fluss der Gewänder sind in Berninis Apoll und
Daphne schon nicht florentinisch, sondern ganz nach
Correggio gebildet, dessen berühmtesten Ölgemäl- \
den sie nachweisbar Stück für Stück entnommen sind.
Und diese Wahl ist wieder charakteristisch und ent-
scheidend. Während die Carracci immer mehr die
grossformigen Deckenmalereien Correggios in Fresko
bevorzugen , die am meisten ihrem Bedürfnis nach
Wucht und Fülle entsprachen, hält sich Bernini an
die Staffelbilder und muss einen ganzen Schatz von
Studien daraus zur Hand gehabt haben. Seine
Übersetzung dieser gemalten Vorbilder in die Skulp-
tur ist nur aus voller Freude an den malerischen
Vorzügen erklärbar , wenn nicht zugleich aus dem
fascinierenden Zauber der liebestrunkenen, selig
lüsternen Welt, die Correggio so sinnbetörend, und
er allein bis damals , zu schildern gewusst hatte.
Bernini ist in Allem sein begeisterter Verehrer und
sein ausgemachter Nachfolger, auf dem Gebiet der
Plastik. Neben Apoll , den das Belvedere bot , hat
sofort die Daphne eins von jenen Mädchengesichtern
des Malers, deren Unschuld nicht zu ihrem Schutz
mit der Einfalt und Üppigkeit junger Gänse gepaart
ist. Seine Büfserinnen gleichen Correggios schmieg-
samer Magdalena oder Katharina , und selbst der
Engel , der die heilige Teresa mit dem Liebespfeil
verwunden will, ist ein Bruder Amors auf dem Bette
der Danae, d. h. auf einem Bilde des Meisters von
Parma in der Gallerie Borghese. Wie die weib-
hchen Typen und die Idealköpfe Berninis sich zu-
nächst , bis in die allegorischen Personen seiner
216
Glanzperiode und Umschwung
Papstgräber hinein , aus dieser Quelle herleiten , so
auch seine männlichen Charaktere, wenn später auch
, jener gemein heroische Ausdruck", den Pietro da
Cortona zu geben liebt , bei dem Bildhauer seine
Wirksamkeit fortsetzte, — sobald er ebenso deko-
rativ zu arbeiten begann , wie etwa im Constantin,
Longinus und andern Kostümhelden der Kirche.
Correggios Vorliebe für schlanke feinknochige Ge-
stalten mit zarter Fülle des Fleisches, die allmählich
üppiger , aufgedunsener ward , überträgt sich nicht
minder auf Bernini und erklärt seinen Geschmack
von vornherein. Zu den knospenhaften Werken der
Frühzeit gehört noch die heilige Bibiana auf dem
Hochaltar der Kirche gleiches Namens, die er 1625
mit einer Fassade im schhchten Geschmack des Do-
menico Fontana versehen hat. Später jedoch giebt
er ,,jugendHchen und idealen Körpern ein weiches
Fett, das allen wahren Bau unsichtbar macht, und
durch glänzende Politur vollends widedich wird," —
ja sogar die Art wie Plutos Finger beim Raub der
Proserpina (Villa Ludovisi) ,,in das Fleisch seiner
Beute hineintauchen", ist niemand anders abgesehen
als dem Liebling des Rokoko , dessen vibrierende
Nervosität wir den Marmorgliedern Berninis zutrauen
lernen. Von diesem Virtuosen gelenker Beweglich-
keit, für die er eben solche Körper braucht, hat er
auch das ausserordentlich Transitorische seiner Stel-
lungen und Verschränkungen angenommen, jenes
weiche Gewoge, das Correggios Wesen so wandel-
bar und leicht erscheinen lässt, wie die Wolken, in
denen sie wohnen oder zeitweiUg in Entzückung
Lorenzo Bemini
217
gebettet sind. Der Bildhauer freilich kann die ma-
lerischen Reize solcher Anmut nicht immer ohne
Weiteres verwerten, weil er über die Haltbarkeit und
Kraftleistung jeder Figur genauere Rechenschaft zu
geben hat und des erklärenden, vermittelnden, nicht
selten verwundbare Stellen verhüllenden Beiwerks
entraten muss. Aber auch diese Vorteile sichert
sich Bernini häufig dadurch, dass er dem Beschauer
den günstigsten Standpunkt, wo er ihn allein haben
will, durch zwingende Vorkehrungen anweist , dass
er die Beleuchtung dämpft und leitet, ja färbt für
seine Zwecke. Neben diesen Künsten des Hell-
dunkels und der Farbentöne verwendet er bei seinen
nackten Gliedern den Schein gesteigerter Spann-
kraft, zuweilen auch wider die Natur, durch Verdop-
pelung der Furchen und Grate des straffen Sehnen-
zuges , wie bei seinen Engeln auf Ponte S. Angelo
und sonst. Der Wetteifer mit Michelangelos wuch-
tigem Bau und herkulischer Muskulatur lag Bernini
bei solchem Sinn für Eleganz gewiss noch fern. Er
sucht den grossen Meister des Barock in andern
Dingen zu überbieten : das zeigt der schleudernde
David in Villa Borghese, der die heftigste physische
Anstrengung des Augenblicks auf die Spitze treibt,
bei der das natürUche Gewächs des Leibes , die
plastische Schönheit des organischen Geschöpfes so
völlig zurücktritt, ja zerrissen wird, dass nicht ohne
Grund ,,eine gemeine jugendUche Natur" für diese Ver-
körperung der Schwungkraft gewählt ist; — sie gehört
vielmehr notwendig als Unterlage der gläubigen An-
erkennung des Bravourstücks dazu. Und Bernini weiss
218
Glanzperiode und Umschwung
in diesem Punkt immer was er tut. Je hastiger die
Bewegung, die er zeigt, und je weniger innere Mo-
tivierung dafür da ist , desto absichtlicher bietet er
auch das Gewand zur Begleitung des Motives auf.
So erklärt sich ohne Weiteres, was Burckhardt rätsel-
haft findet, dass Bernini seine Gewänder, bis hinein
in die runden Furchen , die ,,wie mit dem Löffel"
in Gallertmasse gegraben scheinen, ganz nach male-
rischen Massen komponiert und ihren hohen plasti-
schen Wert als VerdeutHchung des Körpermotivs
völlig preisgiebt. Seine Faltengebung folgt ebenso
durchweg der Weise Correggios ! — Dann ,, ver-
schlingt wol gar die ideale Tracht" zu einem Teil
,,den Körper in ihren weiten fliegenden Massen und
flatternden Enden", und in dieser malerischen Dra-
perie, die den Körper mit andern Faktoren seiner
Umgebung vermittelt, erwächst von selber eine Quan-
tität der Materie, deren Aufwand als solche gar nicht
in seiner Absicht liegt. Ich glaube nicht, dass
,, unser Auge recht gut weiss, dass sie faktisch cent-
nerschwer sind", wie uns Burckhardt sagt, wenig-
stens sollte es im ästhetischen Sehen diese vorlaute
Bemerkung des Verstandes nicht hören, nach des
Künstlers Wunsch und Willen. Für ihn und seine
Zeitgenossen war die Schnellkraft, die er darstellte,
so ungewöhnlich stark, dass dieser Eindruck den
Sieg davon trug, — gleich gut, ob er uns Modernen
nachträglich zu lahm erscheine. Ich erkläre mir
auch ein andres Mittel derselben Art nicht mit
Burckhardt in diesem Sinne als ,, pikant gemeintes
Interesse", nämlich die ,, allzu grosse Bildung im
Lorenzo Bemini
219
Verhältnis zur Kleinheit der Nische", die Bernini bei
einzelnen kirchlichen Statuen zu geben wagt (Siena,
Dom, Capp. del voto). ,,Die Ausgleichung liegt in
gebückter, sonderbar sprungbereiter Stellung u. dgl.",
fügt Burckhardt hinzu , und meint wol die Aus-
gleichung des Missverhältnisses im Mafsstab der
Figur zur Nische ; aber es fragt sich , wie weit die
Stärke des Motivs, von dem dieser Bildner ausgeht,
der Intensitätsgrad der innern Spannung, die sich
darin ausprägt, einer solchen Körpergrösse als Unter-
lage braucht. In kleinerm Mafsstab und schlankerer
Masse erschiene die Bewegung affenartig. — Die Auf-
merksamkeit um jeden Preis auf seine Gestalt zu len-
ken, die jene Wand gebiert, das Hegt ihm mehr am
Herzen als die Harmonie des Marmorwerks mit seinem
Rahmen nur als Stein betrachtet ; im Gegenteil, das
Überquellen des bildnerischen Dranges über die vor-
gezeichneten Gränzen war ein Erbteil des Barock-
stiles , das Bernini in Rom allerwegen vorfand , in
Siena somit gewiss nicht fürchtete. Dagegen rech-
net er ebenso sicher mit dem Bedürfnis nach Wirk-
lichkeit bei seiner Gemeinde, wenn er den Märtyrern
ihre Todeswerkzeuge in natürlicher Grösse beigiebt;
,, soviel gehört notwendig mit zur Illusion", und ebenso
notwendig zur Auffindung oder Ausbeutung eines
plastisch wirksamen Motives. Wie sollten sich sonst
die HeiUgen alle unterscheiden, wenn ihre Leidens-
geschichte nicht dabei zu Hülfe kam, oder ein selt-
sames Attribut , ein unhandliches Instrument dazu
beitrug, die innere Erregung nach Aussen zu locken.
Da muss Berninis Prophet so gut wie Michelangelos
220
Glanzperiode und Umschwung
auffahren, heftig im Buche blättern, und nicht Mat-
thäus allein mit seinem Engel sich unterhalten , so
schlecht es zur Sache passen will.
Da rühren wir an das Gemeinsame der ganzen
Zeit, dem sich der Einzelne nicht entziehen kann,
und dürfen nicht eine Generation für das Erbteil
verantwortlich machen, das die vorige ihr hinterlassen.
Lehrreicher als alle solche Censuren ist die weitere
Frage, wie jede das Überkommene verstand, wie sie
es aufnahm und ihrerseits weiter bildete im allgemeinen
Drang des Vorwärtsstrebens.
Die Skulptur gieng eben unter Berninis Führung
auch hierin getreulich der Malerei nach, die ihr Vor-
bild geworden war und werden musste , wenn sie
selbst aus der langen Lethargie, in der sie seit Michel-
angelos Ende versunken lag, heraus zu kommen
sich bemühte. Denn die Malerei allein war im Stande
gewesen, die neuen Bahnen, die der Vater des
Barock gewiesen, mit Aufbietung aller ihrer Fähig-
keiten zu verfolgen, d. h. die Verinnerlichung zu
versuchen, die nach seinem Vorgang bald unent-
behrlich ward. Annibale Carracci und Rubens sind
auf diesem Wege weitergegangen, und die beiden
Prinzipien, die man in dem neuen Stil der Malerei
entdeckt: Der Naturalismus der Formen und der
Auffassung des Geschehenden, — und 2. die An-
wendung des Affektes um- jeden Preis", sind weiter
nichts als das Vermächtnis Michelangelos, nur müssen
sie, zu ihrer genetischen Erklärung, in umgekehrter
Reihenfolge stehen; denn die Vertiefung in die Innen-
welt, die ganz subjektive, ist bei ihm die Wurzel
Lorenzo Bernini 22 t
des Neuen , und die Verstärkung der natürlichen
Grundlage, der physischen Ausstattung so willens-
kräftiger Charaktere ist nur die notwendige Folgerung,
der sich auch Rubens, der geistigem Ausdruckschon
von Natur so viel geneigtere Nordländer, nicht ver-
schloss. Grade von diesem Gesichtspunkt aus ist
es lehrreich zu sehen, wie der Bildhauer Bernini bei
dem dringenden Bedürfnis für seine Kunst ange-
kommen, sich derselben Quelle zuwendet, von der
auch Rubens zu Michelangelo und Carracci über-
gegangen ist, — zu dem Letztling der Hochrenais-
sance, dem in aller Stille noch erblühten Correggio,
Denn die ganze Künstlergeneration, die jetzt in
Rom emporkommt, gehört in ihrem Herzen mehr
der lebensfreudigen Überlieferung aus der glück-
lichsten Blütezeit an, als dem Ernst der Reformation
und Gegenreformation. Und was Rubens weder von
den Venezianern noch von Michelangelo lernen konnte,
wol aber im Studium Correggios vorbereitet hat,
die enge, bei ihm innerlichst motivierte Verbindung
der Gruppe zum Ausdruck einer bestimmten Hand-
lung, bei Correggio noch mehr Verschlingung der
Leiber nur, — das hat auch Bernini von dort herüber
genommen und in die Plastik übertragen, die als
Körperbildnerin sogar mehr auf dem Standpunkt
des Renaissancemalers stehen bleiben konnte als der
Historienmaler im Norden.
So erscheint an Berninis Gruppierung mehrerer
Statuen zu einem Ganzen auch sofort ein neues
Prinzip: die Verinnerlichung ihres Zusammenhangs.
Eine ganz andersartige Komposition als früher beginnt
222
Glanzperiode und Umschwung
mit seinen Grabmälern der Päpste in S. Peter.
,,Noch Guglielmo della Porta", sagt Burckhardt, ,, hatte
seine Klugheit und Gerechtigkeit ruhig auf dem
Sarkophag Pauls III. lagern lassen, allerdings nicht
mehr so unbekümmert um den Beschauer als Michel-
angelos Tag, Nacht und Dämmerungen. Seit Bernini
aber müssen die zwei allegorischen Frauen eine
dramatische Scene aufführen; ihre Stelle ist deshalb
nicht mehr auf dem Sarkophag, sondern zu beiden
Seiten, wo sie stehend oder sitzend (und dann auf-
fahrend) ihrem Affekt freien Lauf lassen können.
Der Inhalt dieses Affektes soll meist Trauer und
Jammer, Bewunderung, verehrende Ekstase um den
Verstorbenen sein . . . ." Es ist also die Kom-
position der Kirchenbilder Correggios, die hierher
in das Nischengrab übertragen wird, von der Santa
Conversazione um die tronende Madonna oder einen
bevorzugten Titelheiligen, bis zur Darstellung einer
hingebenden Tätigkeit wie die Verlobung der hl.
Katharina und die Pietä. Das sind die Normen für
die Grabmonumente, wo der Tron in der Mitte
selbstverständlich vom Papst eingenommen wird, —
und die Scenen der Beweinung, der Martyrien u. s. w.
werden ebenso als Altargruppen in Marmor, Bronze
oder gar in farbiger Plastik wiedergegeben. So
begreift sich selbst, aus malerischen Vorstellungen
heraus, das Auftauchen ,,der scheusslichen Allegorie
des Todes in Gestalt eines Skeletts," — das hier
auf einem marmornen Zettel die Grabschrift für
Urban VIII. zu Ende schreibt, dort die kolossale
Draperie von gelb und braun geflecktem Marmor
Lorenzo Bernini
223
emporhebt, unter der sich die Tür befindet, also
hier zu Füssen Alexanders VII. sichtHch bestimmt,
das Dunkel der Öffnung unten zur Erweckung des
Grauens auszubeuten, wie andrerseits die schwer-
fälligen Massen der Prachtstoffe in ebenso malerische
wie unheimlich lebendige Bewegung zu bringen.
Damit hängen auch die übrigen Hilfsmittel zu-
sammen, die Bernini in Anspruch nimmt, um seine
plastischen Werke möglichst den Bedingungen eines
Bildes anzunähern, je mehr er schon durch die Zu-
lassung dieser Schreckensfigur, die das Gegenteil
des plastischen Ideales bedeuten soll, aus den Voraus-
setzungen der statuarischen und tektonischen Kunst
herausgetreten war. Neben dem Knochengerippe
braucht er reiche Stoffe, an sich unorganisches Zeug,
das dem Wachstum des natürlichen Gebildes ebenso
wie dem krystallinischen Gesetz stereometrischer
Körper widerstrebt, und braucht sie zur Ergänzung
dieser negativen Macht in wirklichen Farben wenigstens,
wenn die wirkliche Textur zu vergänglich war. So
treten bunte Marmorsorten neben dunkle Bronze-
masse , und Vergoldung oder weisser Marmor als
höchste Werte zusammen. W^ie Rubens giebt er
allegorische Wesen neben wirklichen und behandelt
diese unpersönlichen Personifikationen wie jener
mit dem vollsten Abglanz der Natürlichkeit; aber
während der Maler in Farbenunterschieden und nebel-
hafter Form die Unwirklichkcit der Begriffe oder
die Aussergewöhnlichkeit der Begegnung beider
Welten kenntlich machen kann, muss der Plastiker
mit dem Körper rechnen, der, auch noch so fein-
224
Glanzperiode und Umschwung
knochig und schlank gebildet, doch Körper bleibt.
So stellt sich der Gegensatz von bleichem Marmor und
kräftig dunkler Bronze ein, als die ideale Bezeichnung
der geistigen Personen dort, als die reale der leibhaf-
tigen hier. Und so erscheint das Bildnis des Abgeschie-
denen zwischen seinen erblassten Vorzügen auf dieser
Voraussetzung einer sinnlich plausiblen Stufenfolge
von Existenzgraden nun in vollster Lebenswahrheit des
irdischen, den Zeitgenossen wolbekannten Individuums.
Auch da werden wir überzeugend vorbereitet und
unser Glaube kräftig genährt. Nicht nur ,,mit einem
wahren Stolz" — sondern auch mit vollem Bewusst-
sein des aesthetischen Bedürfnisses — »J^gte sich
die Skulptur darauf, den schwerbrüchigen Purpur
des gestickten Palliums, die feinfaltige Alba, die
Glanzstoffe der Ärmel, der Tunica u. s. w. in ihren
Kontrasten darzustellen". Die frühere von diesen
Arbeiten Berninis, das Bildnis am Grabmal Urbans
VIII., hat besonders ,, niedliche Partieen sorgfältigster
Ausführung, durchbrochene Manschetten, Säume
u. s. w." Aber stets bewahrt die Gebärde des Dar-
gestellten selbst und der ausserordentlich charak-
teristische Kopf das entschiedene Übergewicht über
all diese stoffUchen und technischen Unterlagen.
Sie geben das Individuum ,, nicht idealisiert, aber in
freier, grofsartiger Weise wieder, wie es nur eine
mit den gröfsten idealen Aufgaben vertraute Skulp-
tur kann". Hier zeigt sich also, dass aus den beiden
Prinzipien des Barock, Steigerung der Innenauffassung
und der Naturwahrheit zugleich, ganz von selbst eine
wahrhaft historische Kunst sich entwickelt.
Lorenzo Bernini
225
Betrachtet man das Ganze dieser Grabmäler
und fragt nach dem künstlerischen Prinzip, das die
Einheit zwischen so verschiedenen Bestandteilen
innerUch begründet und äusserlich herstellt, so kann
wol kein Zweifel aufkommen, dass hier weder archi-
tektonische noch plastische Grundsätze mehr ent-
scheiden. Wenn das Monument Urbans VIII. in der
Tribuna, als Gegenstück zu dem Pauls III. geschaffen,
noch die Selbständigkeit des Aufbaues und die Ab-
sonderung der Gruppe wenigstens im Hauptumriss
aufrecht zu erhalten sucht, legt sich das Prunkstück
zu Ehren Alexanders VII. über einer Seitentür
vollends in die Breite. Wie der innere Gehalt nicht
in ruhigem Dasein, sondern in augenbUcklicher Be-
teiligung an einem bestimmten Auftritt nur gefunden
wird, so vermissen wir den beharrlichen Existenz-
grund der allegorischen Personen, der ihr gegen-
wärtiges Benehmen auch vor und nach dieser monu-
mentalen Anteilnahme garantiert, und nur das Bild-
nis des Verstorbenen, dessen ganze Lebensgeschichte
sichtbar vor uns geschrieben steht, während die Be-
dingungen der Fortdauer kräftig genug vorhanden
bleiben, erhebt den Anspruch auf mehr als eine vor-
übergehende Beziehung. Auch dieser Eindruck des
zufälligen Zusammenfindens verstärkt sich in dem
zweiten Beispiel dadurch, dass die beiden Beglei-
terinnen nicht auf gleicher Höhe stehen, so dass
die Gruppe bewegUcher Wesen nirgends als im
Schwerpunkt des Tronenden an die Gesetze stabilen
Gleichgewichts erinnert. — Damit ist auch in der
Anordnung der Körper zu einander, — ganz abge-
Schmarsow, Barock und Rokoko. ;[5
226
Glanzperiode und Umschwung
sehen von ihrem ungewöhnlichen Platz, wo niemand
dauernde Wohnung sucht, — an einem Kardinal-
punkt die Wendung zum Malerischen eingetreten.
Malerische Grundsätze walten aber auch zur Her-
stellung der Einheit schon im Ersten. Die Verbindung
der wirklichen Person des soeben dahingeschiedenen
Papstes mit den Verkörperungen abstrakter Ideen,
die neben solchem Individuum doch nicht für voll
angesehen werden, die Zusammenstellung verschieden-
artiger Stoffe, die zur Unterscheidung dieser Wirk-
lichkeitswerte beitragen, sie verlangten beide wenig-
stens für den Augenschein ein gemeinsames Medium,
in dem sich alle Gegensätze vermitteln, und alles
Gemeinsame zum Bilde in einander fliesst. Absicht-
lich sind die Farben des Materiales auf einander
gestimmt, in Auswahl und Tönung, und die Ver-
goldung der Bronze wie die Politur des Marmors
steigert den Schein einer einheitlichen Atmosphäre,
die der Maler mit Luft und Licht darzustellen im
Stande ist, denen der Bildner nur heimlich entgegen-
zukommen vermag. Das ist der Sinn der Politur,
die man so gern nur tadelt; ihr Schimmer hebt in
dieser Anwendung einen Teil . der körperlichen Be-
stimmheit auf, denn mit den Reflexen zerstreut sich
der harte Rand des massiven Volumens, verflüchtigt
sich die Erinnerung an Stöfs und Druck der Sachen
im Raum, verschwimmt das Sonderdasein in den
Strom des allzeit wechselnden Geschehens, als dessen
Träger Licht und Luft, Schatten und Nebelschleier
uns allen vertraut sind.
Wie in diesen beiden Hauptwerken seiner aus-
Lorenzo Bernini
227
gereiften Bildnerkimst, zeigte sich aber die malerische
Tendenz schon in den Jugendwerken Berninis: wie
in der flüchtigen Bild-Erscheinung, die seine Marmor-
gruppe Apoll und Daphne mit allen erdenklichen
Mitteln der Technik wiederzugeben trachtet, so in
seinen Bildnissen, die denen Urbans VIII. und seiner
Familie im Pal. Barberini vorausgehen. So ist auch
die Grabbüste des spanischen Juristen Pedro Mon-
toya (jf 1630), diese ,,edle leidende Physiognomie"
in der Halle hinter S. M. in Monserrato, deren treff-
lichste Behandlung Burckhardt bewundert, nichts an-
dres als ein authentisches Werk des Lorenzo Bernini.
Und die schwunghaft vorgetragenen Halbfiguren sonst,
in ,, denen das lange Haar, der Kragen, die Amts-
tracht mit dem ausdrucksvollen Kopf ein schönes
Ganzes ausmachen," — wem verdanken sie ihre
künstlerische Einheit, wie ihre lebendigen Reize, wenn
nicht der malerischen Auffassung und Verschmelzung
dieser Bestandteile , als Bild?
Nach solcher Bekanntschaft mit dem berühmten
Bildhauer sind wir erst recht vorbereitet, seine Lauf-
bahn als Architekt mit vorurteilsfreiem Blick zu ver-
folgen. Schon seine erste Leistung (1625), die Fas-
sade von S. Bibiana, eine ,, schlichte, mafsvolle und
streng in den Formen des Domenico Fontana ge-
haltene Anlage", beweist, wie verkehrt es ist, den
Charakter seiner Baukunst von vornherein nach dem
Tabernakel des Hochaltars von S. Peter zu beurteilen,
das er 1633 vollendet hat. Als ob dieser Meister
15*
228
Glanzperiode und Umschwung
ein Dekorationsstück nicht besser von Architektur
zu unterscheiden gewusst hätte als seine Kritiker im
19. Jahrhundert! Da wird die tölpelhafte Chronologie
schon zum gröberen Fehler.
. Seine Tätigkeit an Palazzo Barberini zeigt
durchaus das ernste Studium strenger Vorbilder, ja in
den Einzelformen einen entschiedenen Anschluss an
Vitruvianer wie Vignola. Seine Treppe, an der rechten
Seite des Vestibüls anschliessend , ist eine in sechs
Windungen aufsteigende , vergrösserte Wiedergabe
der Wendelstiege im Schloss von Caprarola , aber
bezeichnender Weise aus der kreisrunden Form ins
Oval übertragen. Die Treppe zur Linken umzieht
mit vier Armen ein mittleres Quadrat. Hier wie
dort ruhen die Stufen auf einem ansteigenden, von
gekuppelten toskanischen Säulen getragenen Gebälk
und gewähren so einen Reichtum lebendiger Be-
wegung und perspektivischer Reize, die im damaligen
Rom nicht Ihresgleichen hatten. Und der Vorsaal
im Piano nobile hat wieder die ovale Grundform, wie
das Vestibül für die Einfahrt darunter, aber beide —
wieder sehr charakteristisch — mit der längeren Axe
nicht mehr in die Tiefenrichtung , sondern in die
Breite gelegt; denn so eben bietet der Innenraum
für den Eintretenden die günstigste Zusammen-
fassung in einen Bildeindruck dar und spart
die Tiefenwirkung für den grossen Hauptsaal, der sich
in der Mitte dieser geschmückten Wand eröffnet.
Eine gewichtige Vorstufe für seine Tätigkeit an
S. Peter ist auch die Fassade von St. Anastasia
Lorenzo Bernini
229
am Fuss des palatinischen Hügels. ^) Bei einer Aus-
besserung der Kirche im Auftrag des Kardinals San-
dova ly Roias war i6o6 eine neue Vorderseite mit
Vorhalle, also ganz im Sinne der Fontana errichtet,
aber im Jahre 1634 stürzten sie bei einem Sturm-
wind zusammen. So entstand zwei Jahre darauf das
Werk Berninis, das im Nuovo Teatro delle fabriche
et edificii in prospettiva di Roma moderna (1665)
von Gio. Batt. Falda gezeichnet und gestochen vor-
Uegt (Lib. III, 28). Danach erhebt sich als Schluss-
wand des Hauptschiffes , das von der alten Basilika
noch übrig war, ein zweigeschossiges Mittelrisalit
mit je sechs schlichten Pilastern gegliedert, so dass
wieder ein breiteres Mittelfeld , für die Tür unten
und das Fenster oben , und zwei schmälere Seiten-
teile entstehen, deren Mauer mit ganz glattem Rah-
men umzogen wird, und dass die Pilaster, aussen
einzeln, nach Innen paarweis zusammenrücken , also
eine rhythmische Reihe bilden , die im dreieckigen
Giebelfeld mit vorgekröpftem Mittelstück zusammen-
gefasst, in Krönungsgliedern ausgeht. An das Erd-
geschoss schliessen sich ebenso einfache von Halb-
pilastern eingefasste Rücklagen und verbinden den
Hauptkörper mit zwei Türmen, die unten gleich den
Seitenteilen des Mittelbaues gegliedert auf einem
niedrigen , mit Eckkonsolen besetzten Untersatz ein
i) Vgl. Fr. Albertini, Opusculum de Mirabilibus Romae 15 10
ed. Schmarsow, Heilbronn 1886, p. 12. Ugonio, Historia delle
Stazioni di Roma, p. 61. Crescimbeni , Storia della Basilica di
S. Anastasia.
230
Glanzperiode und Umschwung
offenes Tempelchen mit Rundbogenstellung in allen
vier Wänden und welscher Haube darauf tragen.
Es ist also eine möglichst einfach ausgeführte , ab-
sichtlich niedrig gehaltene Redaktion der Doppel-
turmfassade von S. Trinitä de' Monti und S. Atanasio
de' Greci, ^) also jener oberitalienischen Beispiele der
Lunghi und Fontana, nur mit einer merkwürdigen
Neigung in die Breite zu gehen und die Plastik der
GHeder zu verflachen.
So wundern wir uns nicht, wenn Madernas Eck-
türme für S. Peter auch bei allen Nachfolgern, die
am Wettbewerb beteiligt waren, als selbstverständ-
liche Forderung gelten, und wenn Bernini seit 1638
ihre Weiterführung ins Werk zu setzen beginnt.
Aber er steigert hier zugleich das Projekt Madernas
mit einer reichen, doch formenstrengen Säulenarchi-
tektur, die nur ganz oben in plastischem Schmuck
und dekorativer Gipfelung heiter und schwungvoll
ausklingt, wie triumphierend über die Masse drunten.
Die Türme sollten aus ,,zwei Ordnungen übereinan-
der bestehen; die Ecken bildeten schräg gestellte
Pfeiler, vor denen sich an jeder Seite eine Säule
frei verkröpfte und zwischen denen je zwei als Trä-
ger der Gesimse eingestellt waren." Über der Ba-
lustrade des zweiten Geschosses baute sich , durch
Statuen auf den Ecken und Volutenanläufe dahinter
vermittelt, die durchsichtige Laterne mit ihrer ge-
i) Vgl. auch den kleineren Bau dieser Art, der hinter dem
Oratorium S. Andrea vor Ponte Molle auf einer Anhöhe bei Falda,
in, 37 erscheint.
Lorenzo Bernini
231
-schwungenen Kuppel und ihren Krönungsgliedern
auf. Bernini gelangt also erstrecht zu dem System
der Hochrenaissance zurück, ,,die Teile je als Ganzes
und doch wieder im Verhältnis zur Gesamterschei-
nung zu gliedern". Neben diesen mächtigen Turm-
bauten würde die Kuppel in der Vorderansicht Rü-
den Näherkommenden völlig verschwunden sein,
von Weitem betrachtet allein ihre Wucht und Höhe
geltend gemacht haben , aber als GHed einer vier-
teiligen Gruppe.
Indes, der Nordturm, der zuerst angefangen bis
an den Helm vollendet ward^), veranlasste durch seine
Last eine Senkung der Fundamente, drohte Einsturz
und musste 1647 wieder abgetragen werden. Da-
mit aber war das ganze Projekt für die Bekrönung
der Fassade mit Ecktürmen überhaupt vereitelt, wäh-
rend diese Lösung der Schwierigkeit allein dem
neuen Ideal der damaligen Kunst entsprach, ja vom
eigenen Geschmack des Meisters so dringend gefor-
dert ward , dass die ehrwürdige Fassade des Pan-
theons selbst nicht ohne die Glockentürmchen zu
den Seiten des Giebels mehr bestehen durfte-).
Der furchtbare Querstrich, den die Senkung der
Grundmauern durch seine künstlerische Rechnung
machte, die Niederlage seiner technischen Sicherheit
in den Augen eifersüchtiger Kunstgenossen und die
Ungnade seines päpstUchen Bauherrn, haben Bernini
1) Vgl. Carlo Fontana, II tempio Vaticano p. 267 und 263.
2) Falda giebt sogar zwei Redaktionen dieser später als „Esels-
ohren des Bernini" verspotteten und neuerdings beseitigten Türme.
Lib. I, Taf. 31 und II, 3.
232
Glanzperiode und Umschwung
jedoch zu einer gewaltigen Anspannung seiner gei-
stigen Kräfte getrieben und eine neue Lösung der
nun vollends überwältigend aufgewachsenen Schwie-
rigkeiten veranlasst, die das gesamte Kapital der
bisherigen Entwicklung zusammenfasst. Auch diesen
Fortschritt müssen wir aus Werken des Künstlers
und dem Gang des römischen Bauwesens herzu-
leiten versuchen.
Schon an einem andern Bau , den Bernini als
Nachfolger Madernas zu vollenden hatte, dem Palazzo
Chigi - Odescalchi an Piazza SS. Apostoli zeigt
sich an der Fassade sein neues Prinzip in beachtens-
werter Anwendung auf den Palastbau , und zwar im
Anschluss an die Lage an der einen Langseite des
Platzes, der Kirche und den beiden Palästen neben
ihr gegenüber. Die Komposition des Ganzen betont
die Breitenausdehnung und gliedert sich in drei Haupt-
teile, so dass ein reicheres Mittelstück von sieben
Axen aus den schlichteren Rücklagen von je drei
Axen in strenger Symmetrie heraustritt. Das Erd-
geschoss dieses Risalites ist als Sockel behandelt,
nach florentinischer Art von einfachen Fenstern durch-
brochen ; nur das Rundbogenportal wird von zwei
Säulen begleitet, die einen Balkon tragen. Über dem
Gurtstreifen aber steigt eine mächtige Pilasterordnung
auf, die die beiden Obergeschosse umfasst und das
Hauptgesims mit einer Attika und Statuen trägt.
Die Fenster in den Zwischenräumen sind unten mit
Säulengewänden besetzt und nach Oben besonders
in der Axe entwickelt , oben dagegen mit ausbie-
genden Einfassungen umzogen und gradlinig ver-
/
Lorenzo Eernini
283
dacht, so dass dem Piano nobile klar und bestimmt
der Vorrang gesichert, aber das einheitliche Wachs-
tum der durchgreifenden Gesamtordnung nirgend un-
terbrochen wird bis hinauf zum gemeinsamen Kranze.
Die Rücklagen sind etwas niedriger, an Stelle des
Konsolengesimses mit einer weit ausladenden Keh-
lung abgeschlossen, und ohne senkrechte Glieder
durchweg als Flächen rusticiert. Diese Palastfassade
Berninis war bald ein allgemein bewundertes Vor-
bild: ,,ein Bau von überzeugendem künstlerischen
Gleichgewicht der Glieder und einer durch die rö-
mischen Zeitgenossen nirgends erreichten monumen-
talen Ruhe bei grösstem Reichtum des Eindrucks."
Es ist ausserordentUch lehrreich , sich den Un-
terschied des ausgemachten Barockstils zu vergegen-
wärtigen, wie etwa durch einen Blick auf den pracht-
vollen Palazzo Madama, den der florentinische Maler
Luigi Cardi, genannt Cigoli, entworfen und der rö-
mische Baumeister Paolo Maroscelli 1642 für Ferdi-
nand II. von Toskana vollendete , oder andrerseits
durch einen Blick auf den ernsten Palazzo Sciarra
di Carbognano, der auch erst gegen 1640 vollendet
sein muss und doch schon zeitHch so weit dahinter
zurück zu stehen scheint. Hier noch einmal die alte
Strenge in einem letzten sorgfältig berechneten Bei-
spiel; dort der kräftige Hochbau, mit wuchtiger, immer
entschiedener von Geschoss zu Geschoss sich nach
Oben werfender Plastik und ebenso kühnem Über-
gewicht des obersten Stockwerks, dessen überhöhende
Reihe von Lukenfenstern halb in den schmückenden
Fries des Kranzgesimses hineinragt und so auf sehr
234
Glanzperiode und Umschwung
geschmackvolle Weise das Durchwachsen der auf-
strebenden Elemente durch die Horizontale des Ab-
schlusses motiviert, über der pyramidale Gipfelungen
emporsteigen. UnwillkürUch stellt sich bei dem An-
blick dieses Baues in Rom die Erinnerung an die üppig
prunkenden Paläste Genuas ein , wo solcher Hoch-
drang schon durch die Lage der Stadt und die Enge
des Bauplatzes natürlich sich aufdrängt. Neben diesen
Beispielen erscheint Berninis Bau in seiner ursprüng-
lichen Gestalt schon wie eine bewusste Verwertung
der Breitenlage , d. h. als der Anfang einer neuen
Richtung, der beim spätem Erweiterungsbau desselben
Palastes durch Salvi und Vanvitelli in der selben
Dimension gar mancher Vorzug zum Opfer fallen
sollte. Und wie von selbst schUesst der Übergang
in den Platzanlagen Roms von dem Tiefenformat
zum Breitenformat sich an. Wo die Längsaxe
zugleich als Bewegungsaxe entwickelt wird (wie an
Michelangelos Kapitol), geht sie im Monumentalbau
an der Schmalseite, auf den alles zustrebt, von selbst
in die Höhenaxe über. Wo aber die Längsaxe als
Breitendimension, für ruhige Betrachtung aufgefasst,
das Übergewicht erhält, da stellt sich auch der
Standpunkt der Bildanschauung wie ungerufen ein,
d. h. es entwickelt sich jedenfalls das Nebeneinander
in der Breite. Dieser Wandel war es, der sich auch
an S. Peter vollzog. Aber mit dem Platze von
SS. Apostoli gehören noch der Circo Agonale
(Navona) und Piazza Campitelli in eine Reihe.
Maler und Architekten
235
3.
Immer deutlicher beginnt damals neben Bernini,
der selbst dazu gehörte , die Mitwirkung der Maler,
die sich mit architektonischen Dingen befassten, ihren
Einfluss auf die Baukunst zu äussern. Von Cigoli
ist mehrfach gesprochen worden. Domenichino,
der schon das letzte Bild der Galleria Farnese im
Anschluss an die Carracci gemalt, lebt sich zunächst
völHg in die plastische Anschauungsweise des Ba-
rockstiles ein. Er soll im Innern von S. Andrea
della Valle , das er mit grossartigen Malereien ge-
schmückt, entscheidend mit gesprochen haben, wol
am ehesten, was die Abstufung der Lichtzufuhr be-
trifft, noch mehr aber bei S. Ignazio, das seit 1626
direkt nach seinen Plänen durch den Jesuitenpater
Orazio Grassi gebaut wäre. Seine Raumgestaltung
hier, wie seine Malereien dort bezeugen beide noch
das volle Verständnis für den grossartigen Schöpfer-
drang des strengen Stiles. Doch unwillkürlich macht
die vermittelnde Gewohnheit des Malers, Übergänge
zu suchen und Zusammenhang zu sehen, sich geltend,
wo Plastik und Architektur für sich arbeitend ihre
Teile klar gegeneinander absetzen und geflissenthch
die Körper sondern, die vor allen Dingen dem eig-
nen Gesetz ihr Dasein und ihr Sosein danken. Und
sein persönlicher Sinn ist eher auf das Heitere, das
freundlich Helle gerichtet , so dass wir seinen Rat
ahnen , wenn S. Ignazio gleichmäfsig lichter wird
gegen S. Andrea oder gar gegen den Gesü , das
gemeinsame Vorbild sonst. Langhaus und Vierung
236
Glanzperiode und Umschwung
gehen einheitlicher, ohne Zwischenglied bis zum
Chorschluss ineinander; aber die Reihe der Kapellen
ist unter sich durch Offnungen verbunden, die nach
Art schmaler Nebenschiffe wirken, d. h. den fort-
laufenden Zusammenhang betonen. Und zwischen
den Doppelpilastern der Langhauspfeiler sind Säulen
als Trägerinnen der Arkaden eingestellt, und Säulen
begleiten die Durchgänge zwischen den Kapellen,
so dass auch die Formensprache sich wesentlich er-
heitert. An der Fassade, die der Bildhauer Ales-
sandro Algardi (1636) ausgeführt, bestimmt so-
gar die Fläche schon mehr den Eindruck, als wir bei
einem Vertreter der Plastik erwarten, und die etwas
spätere Ausgestaltung des ganzen kleinen Platzes nach
Art eines Teatrino mit wolberechneten Zugängen und
durchaus flächenhafter Dekoration der Koulissen be-
zeugt , wie klar sich die Erbauer gewesen , dass es
darauf ankam, die Wirkung dieser Kirchenfront durch
künstUche Mafsnahmen vorteilhaft zu unterstützen.
Ein letztes Beispiel , die Kirchenfassade für sich all-
ein mit den Prinzipien des Barockstiles selbst (in
ursprünglich enger Gasse) wirksam zu machen, ist die
von S. Andrea della Valle, die (erst 1665 — 1670)
von Carlo Rainaldi erbaut ward, und auch eigent-
lich nichts Anderes mehr versucht als die Fläche
gleichmäfsig durchzudekorieren. Der Reichtum an
Säulen bezweckt eine energisch durchgehende Ver-
tikalteilung, die, allen Vorkragungen auch des Haupt-
giebels zum Trotz , sogar in kandelaberartigen Be-
krönungen ausklingt. Statt der Voluten sind Engel-
gestalten zur Vermittlung des Oberbaues mit den
Maler und Architekten
237
Seitenteilen angebracht, und mit fliegenden Genien,
Wappen und andrem Behang wird schon ein über-
mäfsiger Aufwand getrieben.
Doch neben diesen plastischen Anstrengungen
an den Fassaden der beiden grofsartigsten Kirchen-
räume , die noch der ältern Richtung angehören,
kann es nicht zweifelhaft bleiben , dass der Einfluss
eines Malers zu den wichtigsten Veränderungen im
Stil dieser Baukunst den Anstoss gegeben; es ist
wieder ein Angehöriger der florentinischen Schule,
wie Cigoli und Bernini auch: Pietro Berettini da
Cortona. Er hat um 1636 schon den Innenraum
von S. Luca e Martina am Forum geschaffen,
der nach Aussen als Baukörper noch viel plastischer
gedacht ist. Der Bau zeigt eine Centraianlage mit
gleichen , aber im Verhältnis zur Kreuzungskuppel
langen Armen, die im Halbkreis schliessen. In die-
sem Nachklang des aufgegebenen Ideales von S.Peter,
der den Ausgleich mit der Tiefendimension in einer
Vermittlung der griechischen und lateinischen Kreuz-
* form versucht, wirken auch im Innern die mannich-
faltigsten Faktoren im Sinne des Bildeindruckes zu-
sammen. Jonische Säulen tragen die hochgestelzten
Bogen der Kuppel und ordnen sich so paarweis vor
den Ecken der Vierung, während andre in die Wand
gestellte Paare die Altarbauten in den Conchen be-
gleiten, so dass der Blick des Besuchers, kurz nach
dem Eintritt, den ganzen Raum in der Breitenaxe
umspannend, eine reichgegliederte, in sich bewegte
Wand und in ihrer Mitte die perspektivische Ver-
tiefung des Chores mit der lichtspendenden Kuppel
238
Glanzperiode und Umschwung
Über sich, als einheitliche Anschauung geniefst. Der
Architekt, der vor Allem nach Verwirklichung seiner
Raumgedanken strebt, stellt sein Gebilde, je reiner
er schafft, desto unbekümmerter um Nebenrücksichten
als Realität auf seinen Grund und Boden hin; der
Maler, der ihm über die Schulter sieht, fragt viel-
mehr nach den Ruhepunkten der Anschauung und
sorgt für den Anblick , den es dem Auge des ver-
weilenden Betrachters gewähre.
Den nämlichen Zweck verfolgt die ganze Um-
gestaltung des Äussern von S. M. de IIa Pace, die
Pietro da Cortona vor 1659 vollendet haben muss.
Vor die gradlinige Front der kleinen unter Sixtus IV.
erbauten Kirche ^) legt er im Erdgeschoss eine halb-
kreisförmige Vorhalle mit gekuppelten toskanischen
Säulen und gradem Gebälk; das Obergeschoss wölbt
sich minder vor und enthält in der Mitte ein hohes
Rundbogenfenster von Säulen flankiert und mit einem
Rundbogengiebel überspannt, während ein Dreieck-
giebel über dem Ganzen auf mehrfach verkröpftem
Gebälk von Eckpilastern getragen wird. An diesen
Vorbau legen sich unten grade Flügel, mit beschei-
denen Anläufen vermittelt, im Obergeschoss aber
links und rechts im Viertelkreis ausschweifende An-
bauten, wie eine offne Loggia mit rundbogigen und
rechtwinkligen Öffnungen und mit Attika darauf, —
so dass die konvexe Kirchenfassade als Mittelrisalit
auf dieser konkaven Einfassung doppelt wirksam
hervortritt, und der ganze Platz durch dies Schau-
l) Ursprüngliche Fassade bei Schmarsow, Melozzo da Forli p. 258.
jSIaler und Architekten
239
stück geschlossen wird. Mit Recht galt es und gilt
es als „ein Meisterstück der Berechnung perspek-
tivischer Wirkungen, von erstaunlicher Sicherheit
des malerischen Geschickes".
Den Kupferstichen von Falda zufolge wäre 1665
auch schon die Fassade von S. Maria in Via lata
dagestanden, wie Pietro da Cortona sie entworfen
hatte. Die Stirnwand öffnet sich in einer zweige-
schossigen Loggia aus je vier korinthischen Säulen
mit weiterem Mittelintervall, das in der oberen Reihe
das grade Gebälk durchbricht und im Rundbogen
überwölbt in den Dreieckgiebel emporsteigt. Wenn
hier die ererbte Formensprache der Architektur in
sorgfältiger Bildung, ja nicht selten in überraschender
Reinheit sich mit malerischen Absichten verbindet,
die zur Heiterkeit der Hochrenaissance zurückzu-
kehren scheinen, so darf es nicht verwundern, wenn
auch streng geschulte Baumeister mit Freuden die
selben Wege gehen.
So bringt Girolamo Rainaldi (1570 — 1655), der
den Palast derPamfili am Circo Agonale gebaut hat, ent-
schiedene Neigung zur oberitalienischen Renaissance
aus seiner längern Tätigkeit in Modena mit nach Rom,
wo er das Professhaus beim Gesü noch mehr im Sinne
des Giacomo della Porta zu halten bestrebt gewesen.
Seinem Sohne Carlo Rainaldi (161 1 — 1691) ge-
bührt aber wol tatsächlich das Hauptverdienst an der
Kirche S. Agnese, die im Anschluss an diesen
Familienpalast unter Innocenz X. (1644 — 1655) ent-
stand. Das Innere verwirklicht in einer geschlossenem
Raumbildung als die Kreuzform von S. Luca e Mar-
240
Glanzperiode und Umschwung
tina das Vorherrschen der Breitendimension, das
Pietro da Cortona dort zu erreichen gesucht hatte.
Den Kern des Grundrisses bildet ein Quadrat, dessen
abgeschrägte Ecken sich zu Nischen ausrunden, wäh-
rend die Seiten in den Hauptaxen sich zu Armen
eines griechischen Kreuzes erweitern; die derQueraxe
jedoch sind abermals durch Tribunen vergröfsert, so
dass diese Richtung zur unzweifelhaften Dominante
wird, und das ganze Innere, das sich dem Eintretenden
darbietet, sofort unter dem Gesichtspunkte der Bild-
wirkung zusammengeht. Auch hier Ecksäulen an den
Kreuzarmen, darüber auf hoher Attika Bogen von
reichstem Profil, deren zahlreiche Gliederungen erst-
recht dazu beitragen, die Tiefe des Querhauses zur
Wirkung zu bringen. In der Mitte ,,die grofse wol-
gebildete Kuppel, die den Raum mit ruhigem, leicht
dämmerndem Licht erfüllt und das überaus kostbare
Material zu harmonischem Gesamtton stimmt".
Nach Aussen erfüllt S. Agnese in Piazza Navona
in glücklichster Verbindung zweier Türme mit der
Kuppel das Ideal der Gruppierung, das bei S. Peter
nicht erreicht werden konnte, und verwertet sowol
in der plastischen Gliederung, wie in der malerischen
Verbindung der Körper alle Errungenschaften, die
dort, selbst im missglückten Turmbau Berninis, ge-
zeitigt waren. Aber auch dieses Prachtstück, dessen
bewegte Linien ein leichtes Spiel vollführen, das
mühelos über die Masse triumphiert, wie es nur
der höchsten Meisterschaft gelingt, ist an seiner
Stelle nur als Mittelstück eines gröfsern Ganzen ge-
dacht, zunächst mit den geschmückten Wänden der
Maler und Architekten
241
anstossenden Palastbauten, die an derselben Seite
des Platzes sich hinziehen, dessen dominierende
Breitenaxe dann mit den berühmten Brunnen Berninis
besetzt ward.
Die nämliche Ökonomie, eine Kirchenfassade
als bedeutsam ausgebildetes Mittelrisalit zwischen
zwei ruhigeren Palastwänden anzuordnen, befolgt
Carlo Rainaldi bei S. M. in Portico an Piazza Cam-
pitelli, im Auftrag Alexanders VII. (1655—67). Auch
dieser Fassadenbau steht — sozusagen — auf den
Schultern des Pietro da Cortona. Er steigert die
Selbständigkeit der Träger und die Verkröpfung der
Giebel und Gebälke, den Abstand zwischen den
Fluchtlinien der Rücklagen und frei vortretenden
Säulen zu ausserordentlichen Kontrasten von Licht
und Schatten. So entsteht in dem fünfteiligen Erd-
geschoss mit reich entwickelter Hauptaxe ein wuch-
tiger Bewegungseindruck, aber nicht der Masse,
sondern lauter selbständiger Körper und Flächen,
wie im stärksten Hochrelief. Nichts mehr von dem
Gegensatz eines unbefriedigten Strebens unten und
einer beruhigten Abklärung oben, nichts mehr vom
Wachstum nach Analogie organischer Körper, son-
dern Rückkehr zur Kompositionsweise der Renais-
sance, wie zur Formensprache der Antike, und doch
weder dies noch jenes allein, sondern ein Neues,
in seiner Verbindung plastischer und malerischer
Tendenzen. Sehr bezeichnend bleibt aber im Kreise
der verwandten Aufgaben das völUge Zurücktreten des
bildnerischen Dranges zu Gunsten der Fläche an den
beiden Kollegiengebäuden zu den Seiten der Kirche.
Schmarsow, Barock und Rokoko. j^g
242
Glanzperiode und Umschwung
Nicht minder entschieden verfährt der Archi-
tekt im Innern. Kein einheitUcher Raum mehr „aus
einem Stück", sondern eine Kombination mehrerer
selbständiger Einheiten, durch kouUssenartig nach
einander vortretende Säulenpaare deutlich von ein-
ander abgehoben, deren Zusammenhang sich, wie
beim Anblick der Bühne, nur für den Standpunkt
bildmäfsiger Betrachtung ergiebt.^) Das Ganze be-
steht aus drei hinter einander liegenden Teilen:,
zuerst an Stelle des Langhauses ein griechisches Kreuz
mit breitem Schiff in der Hauptaxe: ,,Das mittlere
Tonnengewölbe ist schlicht behandelt, hell erleuchtet
(und erwartet noch die Bemalung), während die seit-
Uchen Wölbungen, nebst den Kapellen (später in
kräftigen Farben ausgeschmückt) sich in geheimnis-
voll wirkendem Dämmerlicht befinden." Dann folgt
,,der quadratische Kuppelraum, in den aus niederm
Tambour durch ovale Fester und mehr durch seit-
Uches OberHcht, der Tag mächtig einflutet". EndUch
die Apsis mit dem tempelartigen, an der Rückwand
schwebendenMadonnenaltar, auf den die Aufmerksam-
keit mit allen Mitteln hingeleitet wird, — also das
Ganze ,,ein Bild, dessen Kompositionsprinzip dem
Theater entlehnt scheint".
Immer ist die Perspektive die Führerin, beim
Aussenbau wie beim Innenbau und bei der um-
fassenden Anlage der Strafsen und Plätze, d. h. ein
i) Ich möchte in der Tat an die Bibbiena und Guarini er-
innern, wie an die obenerwähnte Wirksamkeit des Girolamo Rai-
naldi in Modena. Vgl. auch Palladios Redentore u. s. w.
j
Maler und Architekten
•243
wesentlich malerisches Prinzip. Die Piazza del Po-
polo mit den drei Strafsen, die an einer Seite, dem
Tor gegenüber münden, und zur Auszeichnung des
Corso zwischen Via delBabuino undRipetta damals mit
den beiden Kirchlein besetzt wurden, und die ebenso
radial von der Engelsbrücke gegen den Vatikan
laufenden Strafsen des Borgo Leonino sind Auf-
gaben, die damals von der Architektur als Städte-
bauerin im grofsartigsten Sinne begriffen und nach
künstlerischen Grundsätzen behandelt wurden.
Damit wird auch die Stelle für das Problem von
S. Peter bezeichnet, wie Bernini es nun erfasst hat
und zu einer Lösung hindurchführt, die der gesamten
Baukunst mit einem Kapital von fruchtbaren Gedanken
zu Gute kommen sollte. Durch den Zwang, auf die
Ecktürme zu verzichten, war die ganze Höhenent-
wicklung der Fassade vergeblich geworden, der an
sich enorme Aufwand des Hochdrangs durch die
Masse hin umsonst. Die Breite, nun zwecklos über
die Ausdehnung des Langhausquerschnitts nach beiden
Seiten vergröfsert, war aller Plastik zum Trotz zur
Dominante geworden, und unerbittlich stempelte die
Horizontale das Ganze zu einer geschmückten Wand,
die gedrückt und schwerfällig ohne allen Zusammen-
hang vor der triumphierenden Kuppel des Centrai-
baues zu lagern schien. Berninis Aufgabe war, dem
vorhandenen Fassadenkoloss durch künstliche Mittel
die Wirkung zurückzugeben, und dies konnte nur
durch Anerkennung der Breitendimension als Grund-
lage der ganzen künstlerischen Rechnung geschehen.
16*
244
Glanzperiode und Umschwung
Er nahm deshalb seine Zuflucht notgedrungen zum
malerischen Standpunkt, und seine Retterin ward die
Perspektive mit ihren täuschenden Mitteln Rir den
Augenschein.
So kommt wieder ein Keim zur Entwicklung,
den Michelangelo in seiner Anlage des Kapitols-
platzes der Städtebaukunst eingepflanzt hatte. Wie
dort die beiden seitlichen Palastfassaden sich schräg
zu dem Mittelbau richten , der als Hauptstück her-
vorgehoben werden solP), so hier die beiden seit-
lichen Gänge, die sich der Kirchenfassade zunächst
anschhessen und , nach vorn zu näher aneinander
rückend , die Senkung des Terrains begleiten , so
dass der BUck des Beschauers auf den überragenden
Baukörper sich einengt und dessen Höhe um so
wirksamer zur Geltung kommt. An die Eckpavillons
dieser Gänge, die (obwol 20 m. hoch) noch nicht
an die Hälfte der Hauptordnung des Kirchenbaues
selbst hinanreichen , schliessen sich als halbkreis-
förmige Flügel die berühmten Kolonnaden, die den
vordem Platz umspannen, so dass er ein geschlos-
senes, nur gegen die Kirche sich öffnendes Oval
bildet-), dessen längere Axe sich in die Breite legt
und mit dem Obelisken und den beiden Spring-
brunnen zu dessen Seiten auf den Hochdrang der
1) Vgl. Falda & de Rossi, Nuovo Teatro delle Fabriche I, 10
und I, II. Letarouilly, Edifices de Rome mod. Tav. 352 ff.
2) Die ursprüngliche Absicht auch die Mitte vorn zu schliessen,
also einen ovalen Vorhof zeigt die eine Abbildung bei Falda , die
wirkliche Ausführung III, 3. Vgl. Piazza del Popolo und Piazza
S. Ignazio, später Carlo Fontana, II tempio Vaticano 1694 p. 421.
Lorenzo Bernini
245
Fassade wie der Kuppel mit ihren Trabanten vor-
bereitet. Die Kolonnaden selber bestehen aus vier
koncentrischen Reihen kräftiger toskanischer Säulen
rhit gradem Gebälk, die in ihrer schUchten Bildung
nur den Zweck verfolgen, den Platz in geschlossener
Reliefbewegung zu umgränzen, und durch die radiale
Richtung auf einen Punkt hüben und drüben die
gewaltige Anziehungskraft dieser Pole der Breiten-
axe zum Gefühl bringen. Die vordersten, schräg
gegen die Mitte des Platzes gekehrten Fronten der
beiden ausgeführten Kolonnadenarme wirken wie der
vertiefte Rahmen eines Bildes, in dem die springen-
den Punkte der Queraxe die ersten entscheidenden
Raumwerte schaffen, dahinter die Innern Eckpavillons
der beiden Gänge und endlich die geschmückte
Wand der Fassade mit ihren tiefschattenden Öff-
nungen als abschliessende Skene dasteht. So ist
die ganze Umgebung des Baues unter ein wag-
rechtes System gebracht und für den malerischen
Standpunkt, der die Körper mit ihrem Raum im
Gesichtsfeld zusammenzufassen trachtet , wirken die
Grössen in wolberechnetem Verhältnis. Aber das
eigentliche Bauwerk , sowol das Langhaus wie die
Kreuzarme, entziehen sich für diesen vorgeschriebe-
nen Anblick und bleiben geflissentHch hinter den
Koulissen.
Damit ist der Eindruck , mit dem das vor-
nehmste HeiUgtum der christlichen Welt seine Be-
sucher empfängt, durchaus verändert. Nichts mehr
von dem gewaltigen Wachstum des Centraibaues
mit seinem durchgreifenden Streben unten und sei-
246
Glanzperiode und Umschwung
nem Triumph der Vollkraft oben ; nichts mehr von
dem Ernst der Basilika, die alle frommen Pilger in
sich aufnahm und sie sammelnd vorbereitete bis zur
Grabstätte der Apostelfürsten ; nichts mehr von der
erdrückenden Wucht der erdgeborenen Masse , die
an der vorgeschobenen Stirn des Ganzen doch immer
den Drang zu höherem Aufstieg als leitendes Motiv
auch eines langen schweren Ringens anzukünden
sucht und zwischen dem Aufwand all der stofflichen
Mittel doch die Richtung des vorgeschriebenen
Weges auf ein Ziel hin einhält; — sondern festlich
und heiter umfängt der säulenumstellte Platz die
Scharen, schon weit vor der Schwelle des HeiUgtums
selber, und lässt sie vor dem Eintritt in den Schat-
ten der Kirche noch einmal die Freuden dieser
Welt im Sonnenglanz und Himmelsblau gemessen.
Ein umfassender dritter Bestandteil der psycho-
logischen Veranstaltung hat sich vor die beiden
andern geschoben, und die Fassade, die früher diese
Einführung allein übernehmen sollte, ist nur noch
ein letzter Abschluss der Propyläen gebUeben, ein
Durchgang aus dem weiten Festplatz , der wie ein
antiker Tempelbezirk die Stämme mit all ihrem welt-
lichen Treiben umgiebt, in das trübe Dämmerlicht
des geschlossenen Innenraumes, wo dem Gläubigen,
der das Heil sucht, erst das erdrückende Gefühl der
Belastung und damit reumütige Zerknirschung sich
aufdrängt, bevor er am Ende seiner Wanderung,
nach eifrigem Bemühen, der Allmacht des dreifaltigen
Gottes, wie einer persönUchen Offenbarung, im Wun-
derbau des Kuppelraumes gewürdigt wird. Vom
Lorenzo Bernini
247
Centraibau Michelangelos zum Langhaus Madernas
und zu Berninis Kolon^iaden hat sich die architek-
tonische Schöpfung von S. Peter zu einer gross-
artigen Trilogie erweitert, und jeder Teil verkörpert
den besondern Geist seiner Entstehungszeit, dreier
grundverschiedener Generationen, wie jeder einer
andern Dimension als Dominante gehorcht. Der
erste verherrlicht die Höhe, der zweite die Tiefe,
der dritte die Breite, und bezeichnet so den Ent-
wicklungsgang, den der Baustil durch alle drei Teile
der Architektur genommen: vom Monumentalbau
unter dem plastischen Gesichtspunkt , zum Innen-
raum in rein architektonischer Absicht, und endlich
zur Gesamtanlage des Platzes, als Städtebauerin
von wesentlich malerischem Standpunkt aus.
Bis zum Jahre 1667, wo die letzte Vermittlung
der kathoHschen Religion mit der unverholenen
Freude an der Schönheit dieser Welt als vollendete
Tatsache künstlerisch ausgestaltet vor Aller Augen
stand , hatte sich auf allen Gebieten der römischen
Kunst der entscheidende Wandel vollzogen, der hier
seine höchste Bestätigung erhält und nun der ganzen
Christenheit sich als Vorbild zeigt.
Die Grundlinie der malerischen Anschauung,
als welche wir die Breitendimension erkennen, wird
nun zur anerkannten Herrscherin in allen umfassen-
den Anlagen der städtischen Baukunst Roms, die
noch heute den Charakter seiner Strafsen und Plätze
wesentlich bestimmen. Besonders der alte Circo
Agonale wurde durch Berninis Brunnen mit vollem
Bewusstsein für die Herrschaft der Bildanschauung
248
Glanzperiode und Umschwung
ausgestaltet , wie der Zugang von Palazzo Madama
und der Sapienza her gegen den Obeliskenbrunnen
in der Mitte sie fordert oder nahe legt. Die Kupfer-
stiche von Falda geben eine sehr willkommene Er-
läuterung, besonders aus den Tagen Alexanders VII.
und Clemens' IX. aus den Jahren 1665 — 1667, und
zeigen uns in den „Vedute delle Fabbriche , Piazze
et Strade fatte fare nuovamente in Roma" die da-
malige Physiognomie der Stadt unter dem Gesichts-
punkt, den wir so dringend als den herrschenden be-
tonen. Da verflacht sich unläugbar die Plastik der
Einzelformen im Interesse der Flächen Wirkung.
Die Gesamtgliederung der mächtigen Palastfassaden
ist konsequent im Sinne des Hochdrangs entwickelt,
aber die durchgehende Pilasterordnung wirkt fast
nur noch einrahmend, beschränkt sich auf die Ecken
oder weicht , wo sie zahlreicher auftritt , einfachen
Lisenen und schlichten Rahmenprofilen, bedeutet also
nichts anderes als den Verzicht auf jede der alt-
überlieferten Ordnungen überhaupt. Dagegen ist
die rhythmische Gruppierung dieser Flächen, die Sym-
metrie in der Breitendimension und die Zusammen-
fassung mehrerer, sei es neben, sei es über einander
liegender Systeme unter einer Dominante in der Mitte
überall deutlich. Diese Mitte wird fast immer durch
ein eigenes Attikageschoss oder turmartige Aufbauten,
mindestens aber durch einen Giebelaufsatz betont.
Man betrachte nur den Platz von Campitelli mit den
beiden Kollegienhäusern neben S. M. in Portico
(I, 32), den bei Monte Giordano, einmal mit dem
Haus der Padri di S. Filippo Neri und seinem Uhr-
Maler und Architekten
249
türm als Mittelstück, einmal mit dem Palazzo Spada
in der Breitenlage (I, 22 und 23), oder die „Piazza
del collegio Romano ampliata da N. S. Papa Ale-
sandro VII." mit der sicher nun erst zurecht gemach-
ten (niemals von Bartolommeo Ammanati verbroche-
nen) Fassade (Ferrerio Tav. 43) und dem Palast der
Doria Pamfili, oder endlich das Spital bei S. Gio-
vanni in Laterano und die Schlossfassade von Castel
Gandolfo. Wie bezeichnend wirken die aufgesetzten
Halbgeschosse in der Umkleidung des Hospitals von
Sto. Spirito (I, 29) oder in der Nachbarschaft von
S. M. della Pace neben der Überhöhung des zweiten
Stockwerks durch die Lukenreihe am Pal. Gambirasi
daselbst (I, 26), an der Sapienza (I, 19), an Pal.
Mattei und Pal. Meilini bei S. Caterina de' Funari
(III, 29) und als einziges Mittel der Steigerung gar
am Senatorenpalast des Kapitols. In solchem Zu-
sammenhang erscheint dann Berninis angefangener
Palastbau Ludovisi an Montecitorio mit seinem
turmartig vorgeschobenen Eckrisalit (I, 14. 15), wo
am Erdgeschoss jene malerisch flächenhaft behandelte
Rustica wie in den Felsblöcken des Brunnens auf
Piazza Navona auftritt, flache Eckpilaster darüber als
Hauptordnung die beiden Geschosse, mit ihren drei
schmalen hohen Fenstern, einfassen und endlich noch
drei quergelagerte Luken den Fries unter dem Dach
durchsetzen.
Das ist das zweite Bindeglied neben Pal. Ode-
scalchi an Piazza SS. Apostoli, das Berninis römische
Tätigkeit auf diesem Gebiete mit seinem Entwurf
für den Louvrebau in Paris verbindet. Darnach aus-
t
250
Glanzperiode und Umschwung
geführt, wie er 1665 in persönlicher Anwesenheit
durchzusetzen versuchte , wäre das französische Kö-
nigsschloss ein durchaus römischer Palast geworden,
nur in seinen Abmessungen von ausserordentlicher
Grösse, so dass er ein gewaltiges, ringsum in voller
Monumentalität und einheitUchem Charakter geschlos-
senes Viereck umspannte. Nicht ausgeführt, wie er
geblieben, ist er doch eine geistige Tat des römischen
Meisters, kaum minder bedeutsam als S. Peter, und
gehört als solche zunächst hierher, weil ohne ihn
die weitere Entwicklung in Rom, Turin und Neapel
unverständlich bliebe , wie Juvara , Fuga , Vanvitelli
sie wol vollzogen, aber nicht allein erdacht haben.
In die vier Ecken des Quadrates drinnen wollte er
je ein eigenes Treppenhaus mit vierarmigem Aufstieg
legen, so dass ein kreuzförmiger Binnenhof entstand,
an den sich in der Hauptaxe Durchfahrten und Vesti-
büle , das Erdgeschoss der Trakte durchbrechend
anschlössen. Rings um diesen freien Mittelraum
sollten in zwei Geschossen offene Umgänge führen,
deren Rundbogen-Arkaden von einer einzigen korin-
thischen Halbsäulenordnung zusammengefasst wurden,
die dann auf mächtigem Hauptgesims noch eine
Attika mit Statuen trug. Diese künstUch gesteigerte
Dekoration verbarg für den Anblick die noch über-
ragende Höhenentwicklung des nach Aussen treten-
den Palastbaues selbst. Auch hier aber stand auf
dem sockelmäfsigen Erdgeschoss, mit florentinischen
Fenstern in kräftiger Quaderung, nur eine Ordnung
mit hohem Konsolengesims und statuenbekrönter
Balustrade darüber. Dazwischen waren die beiden
Berninis Louvreprojekt
251
Fensterreihen in vollem Formen als am Palazzo
Odescalchi, nämlich mit Halbsäulen, glattem Gebälk
und Segmentgiebeln im ersten , Konsolen , Ver-
kröpfung und grader Verdachung im zweiten Ge-
schoss — also denen am Pal. Farnese von Antonio da
Sangallo verwandter gebildet. An der Hauptfassade
trat ein breites Mittelrisalit mit eilf Fenstern in rhyth-
mischer Reihe und zwei Eckrisalite mit je vieren in
symmetrischer Verteilung aus dem Baukörper her-
vor, und zeigten in dieser fünfgliedrigen Komposition
ebenso wol die erweiterte Steigerung von Pal. Odes-
calchi wie die Verwertung bramantesker Gedanken
am Bau der Cancellaria, die Beziehung zum Palast
des Kardinals Antonio di Monte von Sangallo wie
zu Pal. Ludovisi an Monte Citorio von Bernini selbst
wieder. Das Mittelrisalit hat im Erdgeschoss drei Rund-
bogentore neben einander, zwischen denen zwei Gi-
ganten Wache halten, während links und rechts die
acht Fenster sich paarweis zusammen rücken. AchtHalb-
säulen darüber verteilen sich so, dass die mittleren vier
eng gereiht über den Toren stehen und diesen ent-
sprechend drei Fenster jedes Geschosses einschliessen,
während die beiden äusseren hüben und drüben weiter
auseinander tretend in ihren Interkolumnien je zwei
Fenster aufnehmen, die sich paarweis wie im Sockel
gesellen. An den Rücklagen erscheinen nur in den
Ecken Pilaster und nehmen je vier Fenster in ihre
Mitte. Während am Hauptteil kein Giebel die mittlere
i) Vgl. die Vignette nach dem Stich von Israel Silvestre bei
Letarouilly, Texte p. 416.
252
Glanzperiode und Umschwung
Säulenreihe zusammenfasst, so dass dem Mittelfenster
des ersten Geschosses allein durch ein krönendes
Wappen die Betonung der Dominante überlassen
bleibt, bezeichnen die Eckrisalite ihre Unselbständig-
keit durch schUchte Symmetrie zwischen je vier Pi-
lastern und ebensoviel Fenstern; aber auch hier
waltet rhythmische Gruppierung statt der regelmäs-
sigen Reihe. Die Pilaster lassen in der Mitte einen
breitern Zwischenraum und rücken nach Aussen paar-
weis einander näher, so dass in den seitlichen In-
terkolumnien ein, in den mittleren je zwei Fenster
Platz finden. Die nämliche symmetrische Gruppe
zeigen auch die vier Fenster im Sockel.
An der gegenüberliegenden Fassade nach den
Tuilerien zu , die eine Rolle gleich den Kolonnaden
von S. Peter übernehmen sollten , sind am Mittel-
risalit zwischen zwölf Halbsäulen die Doppelarkaden
des Hofes wiederholt.^) An den Seitenfassaden
gegen die Seine und die Rue RivoH zu bleiben da-
gegen die Halbsäulen ganz weg, nur einrahmende
Pilaster treten an die Ecken, und zwischen den beiden
Geschossen ist ein Mezzanin eingeschoben.
Am Schluss der römischen Wirksamkeit Berninis
stehen dann endlich noch zwei kleinere Kirchen-
bauten. S. M. deir Assunzione in Ariccia ist 1664
als Centraibau auf kreisförmigem Grundriss errichtet;
l) Vgl. Galleria Pal. Famese. — Voyage du Cavalier Bemin
en France pour lui confier l'achevement du Louvre, bei Patte Me-
moires sur les objects les plus importants de l'Architecture, Paris
1769 p. 320. R. Manard im L' Art 1875. L. Laianne in Gaz. des
Beaux Arts 1877. Gurlitt a. a. O. II p. 145 f.
Lorenzo Bernini
253
aber ihr Arkadenportikus mit schlichtem Giebel wird
auf beiden Seiten von niedrigen Flügelbauten ein-
gefasst, so dass die dreiteilige Breitenkomposition,
wie Mittelrisalit und Rücklagen am Palazzo Ode-
scalchi überwiegt, d. h. nicht die Auffassung des cent-
ralen Baukörpers, sondern der bewegten Relieffläche
sich aufdrängt. Und für diesen Anblick ist ausser-
dem noch, wie an S. M. della Face von Pietro da
Cortona, durch den hintern Abschluss mit einer
Wanddekoration gesorgt: ,,von der innern Fläche
der Flügelbauten zieht sich nämlich eine Halbrund-
mauer als zweite Schale um den Kuppelbau , ja sie
wird nach hinten allmähHch niedriger", und ertäuscht
so noch eine perspektivische Wirkung — lediglich
für den Augenschein vom vorgeschriebenen Standort
aus. Es ist der nämliche Kunstgriff, den Bernini 1661
auch bei der Umkleidung der Acqua acetosa an-
gewendet hat (Falda, Fontane). Nicht minder ist
das Innere durch zartere Bildung der Glieder und
sorgsam vermittelte Übergänge bei aller Schlichtheit
ein Beweis für die malerische Sinnesart , die der
künstlerischen Raumbildung vorgestanden hat.
Und 1678 baute der selbe Meister für die Je-
suiten den prächtigen kleinen Centraibau von S. An-
drea am Quirinal, in dem er wieder einen entschei-
denden Schritt nach dieser Richtung vollzog. Es
ist ein ovaler Grundriss , nicht ohne Verwandtschaft
mit S. Giacomo degli Incurabili am Corso, aber Ein-
gang und Hochaltar in die kürzere Axe gelegt, also
für die Breitenansicht geschaffen wie S. Agnese in
Piazza Navona. Zur Seite der Richtungsaxe legen
254
Glanzperiode und Umschwung
sich je zwei ovale und zwei rechtwinklige Kapellen
nischenartig in das äussere Oval der Umfassungs-
mauer, so dass sie wie ein niedriger Ring den Kern-
bau umgeben , der sich nur am Eingang durch
eine vonPilastern flankierte, von zwei jonischen Säulen
getragene Halbrundhalle öffnet. Der Giebel dieses
Vorbaues aber bäumt sich und rollt sich auf und
versinnlicht, wie die volutenähnlichen Strebepfeiler
ringsum und die Gewölbrippen der Kuppel, das pla-
stische Wachstum der Masse , die sich stufenförmig
aus dem Boden hebt. Der Innenraum dagegen ist
so vollendet, wie nur irgend eine Schöpfung Ber-
ninis , im Interesse fliessenden Übergleitens unsrer
Blicke, geschmeidiger Linien- und Flächenbewegung
für unser Gefühl ausgestaltet , so dass nur zugleich
malerische Reize der lebendigen Erscheinung sich
vor uns hinbreiten. Aus der korinthischen Pilaster-
ordnung, die das Ganze beherrscht, hebt sich in
der Mitte vor dem Hauptaltar ein Säulenportikus
mit schwellend verkröpftem Giebel. Ebenso gliedert
sich die Kuppel mit kassettierten Gewölbkappen da-
zwischen und spendet durch die Laterne wie durch
die Oberlichtfenster ringsum eine gleichmäfsige, leise
dämmernde Beleuchtung. „Auf dem Gesims und
an den Fenstern spielen Kinder mit Blumenranken,
Figuren lagern auf dem Altargiebel. Das prächtige
Material , die feine Ausbildung namenthch der in
braunem Marmor gehaltenen Säulen , das Gold der
Kapitelle und der Glanz der weissen Marmorbasen,
die tiefe mit Gold gehöhte Farbe des Gewölbes
geben dem kleinen Tempelraum einen unläugbar
Francesco Borromini
255
feierlichen Charakter," — • der den rnalerisch sehen-
den Künstler ebenso bekundet wie die Gestalt des
Baukörpers den plastisch fühlenden Architekten.
4-
Das Urteil über Berninis Baukunst im engeren
Sinne, wo rein dekorative Nebenabsichten nicht mit-
sprechen, wird um so mehr zu Gunsten seines über-
legenen und grofsartigen Geistes ausfallen, sobald
unser Blick auf die gleichzeitigen Bestrebungen seines
Nebenbuhlers fällt.
Francesco Borromini aus Bissone am Lago di
Lugano war Berninis Altersgenosse und musste die-
sem florentinisch geschulten und gesonnenen Günst-
ling Urbans VIII. gegenüber, den man als zweiten
Michelangelo pries , sich selbst als den Erben der
oberitalienischenKünstlerfamilien, der Maestri Comacini
betrachten, und deshalb als berechtigten Nachfolger
der Fontana und Maderna. Gewiss hat er in diesem
Sinne bei S. Peter Beschäftigung gesucht, aber uns
ist es nur wichtig im künstlerischen , nicht im bio-
graphischen Interesse. Er hat sogar in eifriger
Freundschaft Bernini zuerst abzulernen getrachtet,
soviel er vermochte. Das Tabernakel von S. Peter
war ihm so vollständig kongenial, dass man glauben
könnte, nicht Bernini, sondern Borromini habe dies
Meisterstück verwegener Dekoration erfunden. Von
diesem Punkt an glühender Wettstreit und aufsta-
chelnde Steigerung rücksichtslosester Eifersucht. Das
sind die Motive, die Borrominis unläugbare Genialität
auf die Bahn getrieben haben, die sein Name wieder
256
Glanzperiode und Umschwung
weit richtiger als der Berninis bezeichnet, aber auch
nur er bezeichnen darf, wo man sich verleitet fühlt,
den ganzen Barockstil verantwortlich zu machen.
Borromini will der neue Michelangelo sein, der
Bernini nicht war; er treibt den plastischen Drang
des Bildners, der auch die Baukunst mit seiner Ge-
staltungskraft gemeistert hatte, zur Karikatur. Schon
im Umbau des Langhauses von S. Giovanni in La-
teran o zeigen seine Mafsnamen die äusserste An-
strengung, das gleichförmige Mittelschiff der alten
BasiHka ,,in Aufruhr zu bringen". Er führt lang-
gestreckte Pilaster als Träger eines hohen Gebälks
von Unten bis Oben an die Decke, die ihrerseits aus
den Tagen der ersten kraftvollen Barockphase , so-
fort die innere Ohnmacht dieser aufgeklebten Ord-
nung bemerkbar macht. Statt der einfachen Reihe
der Arkaden füllt er abwechselnd den Zwischenraum
mit einer Nischenwand und lässt im Obergaden
ebenso je ein geschlossenes Feld , mit Relief über
den Nischen, mit je einem seltsamen, das Gebälk
überschneidenden Fenster alternieren. Und das un-
gebärdige Auftreten dieser Nebendinge täuscht über
die Bedeutung, die ihnen zukommt. Das bekrönende
Gebälk der Nischen drängt sich wie ein Baldachin
hervor, die grade Verdachung der Fenster schwingt
sich in der Mitte zu Bogen auf, und ihre Giebel
bäumen sich mit unwiUiger Verkröpfung, als lebte
wirklich in dieser lahmen Organisation der Wände
ein energisches Hochstreben, das es mit der Wucht
der Holzdecke — eines Giacomo della Porta } — auf-
zunehmen vermöchte.
Francesco Borromini
257
Mit demselben Bewegungsdurst ergreift Borro-
mini die Gestaltung eigener Räume und bringt die
bauliche Masse drinnen wie draussen zu einem förm-
lichen Gewoge , das in allerlei abenteuerliche Ana-
logieen organischen Wachstums auszugehen droht.
Solche Bauten sind S. Carlo alle quattro fontane ^ ,
(1640? — 1667) und St. Ivo alla Sapienza (1660). Die ^ /^9;-Co
kleine Kirche der Universität schliesst den ernsten
Hof von Giacomo della Porta und verbirgt an dessen
Schmalseite in einer halbovalen Exedra, deren Re-
liefarchitektur sich der vorhandenen Geschossteilung
natürlich anschliesst, ^) den unteren Baukörper, wie
nach Aussen hinter der Schlusswand des Palastes,
die zwischen zwei Portalen zu den Korridoren und
den beiden Stirnseiten der Haupttrakte nur anspruchs-
los als Querlage verbindet. Erst hinter dieser Aussen-
wand auf der einen Seite und der halbovalen Exedra
des Hofes auf der andern steigt der obere Teil des
Kirchenkörpers empor und bietet hüben wie drüben
je drei halbcylindrische Ausbauchungen dar, deren
Anblick wieder in geschmeidiger Bewegung nach
i) Wölfflin nimmt dieses perspektivische Kunststück für das
Werk des Giacomo della Porta (S. 51) und traut deshalb diesem auch
die Umfriedigung der Villa Aldobrandini in Frascati zu, wo die
querliegenden Ovale wie hier in der Balustrade oben vorkommen ;
er kommt deshalb zu einer m. E. falschen Chronologie für die
Charakteristik. Diese Form gehört erst der dritten Phase des Ba-
rockstiles an. Und der Abschluss des Hofes der Sapienza von
Borromini stellt sich in eine Kategorie mit dem täuschenden Säulen-
gang in Pal. Spada und andern Mafsnahmen am Pal. Barberini,
hängt also mit den Bestrebungen des Pietro da Cortona an S. M.
della Pace ebenso zusammen wie die Berninis.
Schmarsow, Barock und Rokoko.
258
Glanzperiode und Umschwung
der Breite drängt. In den einspringenden Winkeln
dieser Rundungen schiebt sich die schlichte Pilaster-
ordnung zu Bündeln zusammen, und diese tragen auf
ihrem verkröpften Gebälk auch Postamente mit wul-
stiger Fialenbekrönung, hinter denen je ein Mauerband
über das abgetreppte Steindach läuft. Diese Strebe-
bahnen deuten den innern Organismus der Raum-
bildung an , und zwar die sechs Grate der Kuppel,
die darunter liegt , mit sechs tiefen Gewölbkappen
dazwischen, und die Gipfelungen auf den Ecken ent-
sprechen den sechs übereck stehenden Pfeilern, die
auf korinthischen Pilastern drinnen und hoher Attika
die Kuppel tragen. Der Innenraum umschUesst also
in der Mitte ein Kreisrund, aber zwischen den radial
gestellten Trägern erweitert es sich zu sechs Ka-
pellen , die sich abwechselnd dem Halbrund oder
dem Dreieck mit kleinern Apsiden an der Spitze
nähern, während der Eingang und der Altar (in der
Mittelaxe des Hofes gelegen) noch fernere Erweite-
rungen veranlassen. In der Mitte der Kuppelwölbung
erhebt sich die breite Laterne mit vier gestreckten nach
Oben sich verjüngenden Fenstern und nimmt nach
Aussen durch sechs Paare gekuppelter Säulen auf
vorspringendem Postament und ebenso vorgekröpf-
tem Gebälk die Betonung der tragenden Teile auf,
zwischen denen der Mauerkörper sich in ebenso
energischer Kurve nach einwärts schwingt wie Kup-
peldach und Mauerkörper sich nach Aussen runden.
In schwülstigen Kandelabern klingt dieser Hochdrang
aus und begleitet dahinter die schneckenförmige
Windung der Helmpyramide , die mit ihrem Balu-
Francesco Borromini
259
stradenrand aus diesen Drehungen und Kuppelkrö-
nungen zuletzt eine wirkliche Krone mit eiförmiger
Spitze entwickelt.
Borromini greift also, dem Eindruck der Massen-
bewegung und des Hochdrangs zuliebe, zur Nach-
ahmung der elastischen Ausdehnung und Einziehung
eines organischen Körpers, wie wir es beim Ein- und
Ausatmen unsrer Lunge fühlen. Systole und Dia-
stole_\vechseln mit einander ab und bilden, in immer
schnellerem Tempo aufsteigend, die Geschosse immer
leichter und schlanker, aber auch immer plastischer ins
Einzelne gehend und die Füllung zur vollen Durch-
sichtigkeit verdünnend, bis zum letzten Atemzug im
Jubelschrei des Gipfels. Die ]\Iauer wird als bild-
same Masse beliebig konvex oder konkav geschwun-
gen, je nach dem es auf ein strotzendes Schwellen
und Aufblähen oder auf ein angestrengtes Zusam-
menraffen und Einziehen ankommt, und die Wieder-
holung homologer Glieder, wie sie an unserm orga-
nischen Leibe in steigender Vervollkommnung auf-
tritt, vollzieht sich jener Hauptbewegung von Innen
her entsprechend in massigeren, schwerfälligeren, un-
vollständig ausgebildeten Gliedern unten, und plasti-
scher durchgebildeten , fertig klaren , verfeinerten
Organen oben. Das Körpergefühl ist überall die
Quelle der Erfindung, und die letzte Instanz der Ge-
staltung, also bildnerisches Schaffen, die Grundlage
des architektonischen , und die Körperbildnerin Pla-
stik beherrscht die Raumbildnerin so vollständig, dass
die Sprache tektonischer Gesetzmäfsigkeit durchweg
ganz zurücktritt, ja vergessen wird.
17*
260
Glanzperiode und Umschwung
So erst verstehen wir auch das Innere wie das
Äussere des berüchtigten Baues von S. Carlo alle
quattro fontane (1667). Borromini bildet auch hier
den Kirchenraum aus dem Oval, aber so, dass Ein-
gang und Hochaltar, also die Bewegungsrichtung in
die längere Axe fällt (wie schon der schmale Bauplatz
an der Strassenecke nahe legte). Aber zwischen den
festen Gränzpunkten der beiden Axen schwingen sich
die verbindenden Kurven an ihrer Mitte nach ein-
wärts, nur an der Queraxe bleiben nahezu halbkreis-
förmige Kapellenräume, wie Anläufe zu Kreuzarmen
stehen , während sich der Anfang des Langhauses
gegen den Eingang zuspitzt, sein Ende in flachbogiger
Altarnische schhesst. Vor die geschwungenen Wände
stellen sich an jedem Wendepunkt der Grundlinie
korinthische Säulen auf, die das Gebälk und darüber
die in Korbform gehaltenen Scheidbogen der Ka-
pellen tragen. Über deren Scheitel zieht sich ein
Gurtgesims, auf dem die ovale reichkassettierte Kuppel
mit ihrer breiten, allein das Licht spendenden La-
terne sich empor wölbt. Die mannichfachsten Raum-
formen drängen sich hinter dem Innern und schieben
sich ineinander, jeden Winkel des Bauplatzes neben
der gradlinigen Parcelle des anstossenden Klosters
für die praktischen Erfordernisse des Kirchendienstes
auszubeuten. Die Fassade besteht, der innern Be-
wegung entsprechend, aus einer dreifachen Kurve,
die sich in der Mitte nach auswärts, an den Seiten
einwärts schwingt. Vor den Wendepunkten dieser
Grundlinie stehen wieder Säulen in beiden Stock-
werken übereinander und tragen das ebenso ge-
Francesco Borromini
261
schwimgene und nach vorn sich bäumende Konsolen-
gesims, das im Oberbau abbricht, um, von Engeln
getragen, vom Volutengiebel zwischen der Balustrade
umspannt, ein Medaillon zu fassen, das die aufrechte
Ovalform noch einmal wie im Triumph über dem
Ganzen erhebt. Die Wandflächen zwischen diesem
Aufbau sind in beiden Stockwerken wieder zwei-
geschossig , nur die oberste konkave Felderreihe
bleibt geschlossen; darunter öffnen sich tiefe Nischen
für Statuen an den Seiten, während die Mitte einen
Pavillon gebiert, der selbst wieder ,,wie ein Schil-
derhaus" mit dunkler Öffnung an Stelle eines Mittel-
fensters hinter der Balustrade steht. Im Erdgeschoss
sitzen oben drei Nischen mit Statuen, in der Mitte
S. Carlo von Engelflügeln beschirmt, darunter der
Eingang und seitUch zwei ovale Fenster in Kartou-
chen , wieder wie im Obergeschoss von Säulen mit
einwärts und abwärts , oder aufwärts und auswärts
schwingendem Gebälk begleitet. ,,Es ist unmöglich,"
schreibt der Architekt, der dies Wunderwerk ge-
feiert hat, ,,all das wirre Detail, all die gezierten
Einzelheiten bis hinauf zu der treppenförmigen Spitze
der Laterne zu schildern. Zum Überfluss ist dem
Ganzen noch seitlich ein übereck stehender Turm
angefügt, der in keiner Linie mit der Fassade stimmt,
so dass an ihm sich die Profile hart und unkünst-
lerisch totlaufen." Da diese Zutat nur der perspek-
tivischen Wirkung des Baues an der Strassenecke
zuliebe (über ihrem dekorativen Wandbrunnen von
Fontana) hinzugefügt worden, so erhellt grade aus
ihrem Missverständis die Eigenart des Borromini,
262
Glanzperiode und Umschwung
bei dem die plastische Absicht mit ihrem Formen-
gedränge und ihren starken Kontrasten von Licht
und Schatten stets die Oberhand_behäl^über die
malerischen Ausgleichungen und über das Gefühl
für Übergänge , das bei andern Zeitgenossen auch
in der Baukunst so fortschreitend sich ausgebildet
hat. Der Eindruck der Bewegung ist eben nicht
ohne Weiteres das Malerische , ebenso wenig wie
dies vom stark schattenden Relief als solchem schon
gesagt werden darf ; aber Beides kann malerisch
werden, wenn die Auffassung den Zusammenhang
zwischen körperlichen und räumlichen Faktoren als
die Hauptsache zu betrachten lernt. (Vgl. das „Mo-
tiv der Deckung" bei Wölfflin,) Vergleichen wir
in diesem Sinne die Fassade Borrominis an S. Carlo
mit der Leistung des Carlo Rainaldi an S. M. in
Campitelli, so leuchtet bei aller Verwandtschaft doch
der Unterschied des Standpunktes ein. Die Lang-
seite der Piazza Campitelli bietet sich fast ihrer
ganzen Breite nach der ruhigen Anschauung dar,
und die schlichten Hausfassaden zur Seite der Kirche
leiten zur flächenhaften Auffassung hin. Beim An-
blick von S. Carlo alle quattro fontane bestimmt
uns immer die schräge Strassenperspektive, die Fas-
sade wirkt als KouHsse oder als vorübergehende Er-
scheinung, aber nicht als Relief bild von vorn auf die
Mitte gesehen. Ja die Aufnahme von diesem Stand-
punkt wie der Kupferstich sie bietet,^) aus der per-
i) Insignium Romae Templorum Prospectus a Jo. Jacobo de
Rubels Romano . . . Anno 1684, vgl. dagegen die Aufnahme F. O.
Schulzes bei Gurlitt.
Francesco Borromini
263
spektivischen Fluchtlinie herausgerissen , offenbart
unerbittlich den Charakter : es ist ein Bravourstück
raffinierter Dekoration.
So kann Borromini auch nicht seine besten
Gaben verwerten, wenn ihm nur die Gestaltung
einer Aussenwand ohne Zusammenhang mit dem
ganzen Baukörper und seinem Innenraum zugemutet
wird, wie am CoUegio di Propaganda Fide (Falda,
Teatro I, 9) oder am Oratorio di S. Filippo Neri
neben der Chiesa Nuova^), mit dem auch wol der
Uhrturm am Hause der Padri di S. Filippo Neri an
Piazza Monte Giordano zusammenhängt (Falda,
Teatro I, 22). Während er drinnen hinter der Kirche
S. Maria in VaUicella das Refektorium wieder in
ovaler Form mit zahlreichen Nebengelassen vortreff-
Hch in den beengten Überrest des Bauplatzes hinein-
passt-), schafft er an der Aussenseite mit ein- und
ausgeschwungenen Wänden, auf- und abwogenden
Giebeln und ebenso konsequent nun auch in Be-
wegung geratenem Kranzgesimse das Vorbild für
den Palastbau, wie er selber an Palazzo Falconieri,
selbst im Hofe, noch nicht gewagt hatte, wol aber
sein eifrigster in Rom vereinzelt auftretender Nach-
folger Gabriele Valvassori im Ausbau des Pal. Doria-
Pamfili am Korso, dessen Hauptflügel am Platz des
Collegio Romano am ehesten noch auf Borrominis
eigene Rechnung gehört (bei Falda, I, 18 schon 1665
vgl. I, 27), — Auf den Vorübergehenden üben diese
1) Bei de Rossi a. a. O.
2) Letarouilly, Edifices de Rome moderne, I, 109.
264
Glanzperiode und Umschwung
geschwungenen Mauerflächen einen eigentümlichen
Eindruck. Werden schon auf den ersten BUck ,,die
homogenen BaugUeder, z. B. alle Fenstergiebel, alle
Kapitelle desselben Ranges, dem Beschauer unter ganz
verschiedenen Gesichtspunkten vorgeführt, sieht er also
gleichartige Formen gleichzeitig unter verschiedenem
Winkel" (Burckhardt), so wirken schon viele Anwei-
sungen auf die dritte Dimension mit ihrem Anreiz zum
Vollzug in der Vorstellung, wie wir ihn sonst beim Ver-
folg der Ortsbewegung erleben. Gehen wir nun wirk-
lich, oder kommen an, ohne einen ruhigen Standpunkt
zu finden, wo in der Uberschau des Ganzen seine klare
Gesetzmäfsigkeit im Beharren erfasst werden könnte,
so entsteht für das Auge ein äusserst lebhafter Be-
wegungseindruck, den die Einbildungskraft sofort auf-
nimmt und mit Erinnerungsbildern der Bewegungsvor-
stellung verbindet. So ist denn die Wirkung die, dass
z. B. Säulen die nach verschiedenen Axen orientiert
sind, sich beständig zuwenden und zu drehen scheinen.
Man glaubt, ein wilder Taumel habe plötzlich alle Glie-
der ergriffen" (Wölfflin). Aber es ist wichtig, sich klar
zu machen, dass weder die Absicht, noch die Wir-
kung eine ,, malerische" genannt werden darf. Die
beste Probe dafür ist, dass keine Abbildung auf
der Fläche den Beschauer befriedigt, der den An-
blick des Originalwerkes selber erlebt hat und in
der Erinnerung aufbewahrt. Man betrachte nur ein
Mal die Fassade von S. Vincenzo ed Anastasio bei
Fontana Trevi mit ihren gegen das Portal hin en
echelon aufgestellten Säulen von Martino Lunghi
dem Jüngern (1650) in dem Stich bei Falda (Lib.
Francesco Borromini
265
III, 23) oder im Holzschnitt (nach Fr. O. Schulze)
bei Gurlitt. Bei der Betonung der Breitenaxe, die
sich bei solchen Bauten von selbst ergiebt, also auf
dem malerischen Standpunkt ihnen gegenüber, voll-
zieht sich ausserdem im Eindruck der gewohnten
Einzelformen ein bemerkenswerter Wandel. Wo bei
der Vorherrschaft der Vertikale nur Empordringen
der Kraft zu spüren war, da stellt sich jetzt der
Schein des Schweren und Lastenden ein, — eine
Gefahr wie sie vorher schon im Innern der Lang-
hausbauten hervorgehoben wurde, die nur durch
Kürzung der Fluchtlinien links und rechts vermieden
ward. Hier nun will selbst der Giebel sich nicht mehr
heben, sondern droht dem eignen Gewichte folgend
herabzusinken, so dass eine Brechung, ein Wechsel
der Richtung, ein Gewoge als Ausdruck spontanen
Lebens zur Woltat wird für das ästhetische Gefühl.
,,Das sind die Künste des Borromini", ruft Wölff-
lin aus; aber auch nur seine. Denn sehen wir uns
um, wer in Rom derselben Richtung angehört oder
seinem Beispiel folgt, so ist es ausser seinen ober-
italienischen Landsleuten Martino Lunghi, dem |
Jüngeren (f 1657) und Carlo Fontana (1634 — 1714)^) i
oder Gabriele Valvassori kaum Einer von nennens-
wertem Namen. Wirklich tonangebend wird
Borromini für die Baukunst erst ausser-
I) Von ihm ist die Fassade an S. Marcello al Corso 1683,
wo die Voluten schon durch Pahnzweige ersetzt sind. Vgl. auch
seinen früheren Bau S. Biagio e B. Rita alla Scala d'Araceli bei
Falda I, 11 (also vor 1665).
266
Glanzperiode und Umschwung
halb Roms, besonders in seiner Rückwir-
kung auf die lombardische Heimat und
Alles, was jenseits der Alpen auf diesem
Wege den Barock empfängt. Rom selbst
war noch immer viel zu monumental gesonnen,
und die nächste Zukunft gehörte nicht dem bild-
nerischen Drang, der Borrominis beste Kraft beseelte,
oder dem plastischen Schwulst, zu dem seine Nach-
folger ihn übertrieben, sondern, wenn nicht alle
Zeichen trügen, — einer andern Richtung, in der
Bernini grade seine glänzendsten Gaben bewährte,
während sein Nebenbuhler, verzweifelt gegen ihn auf-
zukommen, durch Selbstmord vom Schauplatz Roms
verschwand.
Wem es aber darauf ankommt, die Richtung
des Zeitgeschmackes und seinen fortschreitenden Um-
schwung zunächst in Rom allein zu verfolgen, der
muss auch mit vorurteilsfreiem Auge die Dekoration
der Innenräume prüfen, wo die Raumgestalterin
Architektur sich aufs Innigste mit den Schwestern,
der Plastik und der Malerei, verbündet und eine
Einheit zu erreichen trachtet, deren Charakter sich
deutlich verändert, sobald hier die Eine, dort die
Andre dieser Genossinnen das Ubergewicht über die
rein architektonische Schöpfung erlangt.
Die plastischen Grundgedanken, denen Michel-
angelo die Baukunst dienstbar gemacht hatte, indem
er den ganzen Bau gleichsam als organischen Körper
aus bildsamer Masse herausmodellierte, oder doch
im Wachstum daraus hervor darzustellen suchte, sie
Dekorative Kunst
267
vertrugen sich wenig mit einer sorgfältigen Klein-
arbeit, die schon die letzten Meister der Hoch-
renaissance um so mehr abzustreifen gesucht hatten,
je besser sie die monumentale Grofsheit der Römer-
kunst zu verstehen gelernt. Selbst die Säulen und
Pfeiler, die Nischen und Wandfelder, die Gebälke
und Giebel mussten bei dieser Auffassung ihre
Selbständigkeit verUeren und in viel bestimmterem
Sinne als Glieder in den organischen Zusammen-
hang des Ganzen eingehen. Und in dem ange-
strengten Ringen und Streben, in dem energischen
Ausdruck eines Affektes, ja eines gegensätzlichen
Fortschrittes von Unten nach Oben, mussten die
Einzelformen ihr eignes Wesen um dieses Mäch-
tigeren willen zeitweilig sogar verläugnen oder, in eine
Zwangslage gebannt, das Gegenteil ihres ursprüng-
lichen Charakters bedeuten. So treten die Säulen-
stämme unter das Joch und werden in die Wand
eingeschachtelt wie Gefangene, so klemmen sich
die Nischen in die Mauer und drängen gequetscht
empor bis sie an Querlagen sich stossen. Diese
neue Formensprache, die überall ein hochgesteigertes
Innenleben verkündet, wie die plastischen Gestalten
des gewaltigen Bildners selbst, bedarf nun, nachdem sie
durchgedrungen ist und als Gemeinsames wiederholt
wird, auch im kleineren Gebilde schon einer intimeren
Befriedigung des subjektiven Formgefühles, als die
Antike sie je versucht hat, und nähert sich immer be-
wusster der Gebärdensprache und dem Mienenspiel des
besonderen Sinnes, d. h. der mimischen Beweglichkeit
und variablen Natur eines psychologischen Vor-
268
Glanzperiode und Umschwung
gangs, der im Grunde nur successiv erfasst wird,
als Evolution, und seinem eigentlichen Wesen nach
transitorisch bleibt. Statt der ruhigen Beharrung
und klaren Harmonie tritt die lebendige Bewegung
ein und die vorwärtsdrängende Dissonanz.
Diese Richtung vervielfältigte sich, wenn statt des
Hochdrangs allein, der nur im Centraibau den ganzen
Körper einheitlich durchdringen kann, nun die Tiefen-
entfaltung hinzutrat, die durch Anfügung eines Lang-
hauses an den Kuppelraum gefordert ward. Die fort-
laufende Reihe der Pfeilerarkaden mit Gebälk und
Attika darüber drängt freilich hüben wie drüben in
lauter Vertikalen nach Oben, findet aber im Tonnen-
gewölbe nicht allein die Verbindung und Ausglei-
chung der Langseiten mit der wachsenden Wucht
ihrer Massen, sondern empfängt darin auch eine ent-
schiedene Betonung der durchgehenden Bewegungs-
axe, der Richtung in die Tiefe, und gewinnt so
erst die Beziehung auf das weitere Ziel in Kuppel-
raum und Altarhaus, die zur Herstellung einer ge-
schlossenen Einheit auch mit diesen Teilen des
Baues treibt. Diese Einheit aber kann nur an der
Leitungsbahn der Bewegungsaxe des menschlichen
Körpers und an der Hand der vorwärts gerichteten
Blicke geschaffen werden; d. h. im Anschluss an
Ortsbewegung und Blickbewegung erlangt auch die
Perspektive ihre Macht. Sie äussert sich schon in
der Lichtführung, im Fortschritt der Intensitätsgrade,
die wir in der Beleuchtung des Gesü und aller fol-
genden Kirchenbautea wie S. Andrea della Valle,
S. Pietro, S. Ignazio, S. Maria in CampitelU beobachtet
Dekorative Kunst
269
haben. Aber auch die rem formale Gestaltung
ergiebt unter dem Einfluss dieser Blickbahn in die
Tiefe eine andre Wirkung, als jede Abteilung, nur
im Sinne des Hochdrangs betrachtet, ursprünglich
als gewollten Charakter ausprägt. Die Längsrichtung
im Verfolg des durchgehenden Gebälks, des Kämpfer-
simses, der Tonnenwölbung, giebt all diesen Wage-
rechten eine fühlbare Schwere, die dem Hochdrang
der Pilaster, der Hermen, der Arkaden und Fenster
widerstrebt. Wird jeder Abschnitt dieses Aufbaues
aber durch Sonderung verselbständigt, durch Ver-
kröpfung des Gebälks über den Hauptträgern die
Fluchtlinie unterbrochen, so bedeutet das eine Auf-
lockerurig des strengen Zusammenhangs, der Ge-
schlossenheit des Raumgebildes aus einer einheit-
lichen Masse. Und so entsteht für den perspek-
tivischen Anblick, der diese Raumeinheit wesentlich
aufrecht erhalten soll, eine andre Wirkung, die der
Plastiker zunächst garnicht will: die Zusammen-
schiebung der Formen hintereinander, so dass die
ferneren in immer stärkerer Verkürzung erscheinen.
Grade die Verkröpfungen decken sich zuerst, und
die Formenfülle, die sich im Hochdrang nach Oben
wirft, bietet sich dem Auge des Betrachters bei
ruhigem Stillstehen neben bestimmten Formen als
eine wulstige unverständliche Masse, im Vorüber-
gehen aber als ein fortlaufendes Geschiebe, aus dem
organische Gebilde hervorwachsen um wieder zurück-
zuschwinden, ein Werden und Vergehen also, das
— über der gewöhnlichen Blickhöhe sich vollziehend — i
chaotisch bleibt. Je einheitUcher der Raum als ein
270
Glanzperiode und Umschwung
plastisches Geschöpf gestaltet ist, desto schlimmer
werden diese Folgeerscheinungen: der Verzicht auf
geometrische Klarheit und unverrückbares Ausein-
anderhalten der kubischen Verhältnisse raubt unserm
Raumgefühl seinen Halt, die notwendige Voraus-
setzung ästhetischen Genusses.
Diese Einheit plastischer Gliederung wurde jen-
seits der Gebälkhöhe sowie der vermittelnden Attika
dann gewöhnlich durch die Fortführung der näm-
lichen Organisation an der flachen Decke oder am
Deckengewölbe erreicht. Die senkrechten Graden
der Pilasterordnung und Rundbogenarkaden da-
zwischen entsenden ihre charakteristischen Vertreter
hinauf, und es entstehen schematisch zunächst und
deshalb unbefriedigend im organischen Sinne die
Gurtbänder als Verbindung der Vertikalen und die
kreisförmigen oder elliptischenRahmungen dazwischen.
Verschränkung der rechtwinkligen Bestandteile und
der Kreissegmente führt zu den gebrochenen Rahmen
und Kartouchen. Aber eine Befriedigung des plas-
tischen Sinnes tritt auch hier erst ein, wenn der
Schein des Wachstums eines Elementes aus dem
andern gewonnen wird. Gleichzeitig aber regt sich
das Bedürfnis, auch den Hochdrang dieses Wachs-
tums auszuprägen. So wurzelt die Rahmenform
fester auf Gebälk oder Attika und Gesimsrand, und
umspannt die ganze Breite der zugehörigen Glieder
des Joches, um nach Oben gegen den Höhepunkt
des Tonnengewölbes oder gegen die Mittelaxe der
Deckenlage sich zuzugipfeln, wie eine Baumkrone
nach Oben sich verjüngt oder ein mächtiges Blatt
Dekorative Kunst.
271
nach dem einen Ende sich zuspitzt. Soweit mochte
auch die strenge Architektur unter der Führung
eines Giacomo della Porta gedeihen.
Nun aber regt sich unter den oberitaUenischen
Meistern, die dann die Oberhand gewinnen, die alte
VorUebe der Renaissance für die Selbständigkeit der
Glieder, und das Idealgebilde der freien Säule wagt
sich immer häufiger wieder hervor. Mit ihr kehrt
die Heiterkeit genuesischer Paläste , der Formen-
reichtum der Nachbarprovinzen nach Rom zurück,
und eine neue Auflockerung der Baumasse wird die
unvermeidliche Folge auch im Innenraum. Der
Säule, dem plastisch selbständigsten Geschöpf der
Baukunst, schliessen sich in den höheren Regionen,
in den Zwickeln der Arkaden, auf den Simsen und
neben den Kartouchen nun Figuren nach dem Eben- #
bilde des^ M£nschen an , und ersetzen wol gar die /
Volute, dies charakteristische Gebilde des eigent--
liehen Barock. Sie werden zu lebendigen Trägern
frei schwebender Guirlanden , die in reizvollen Be-
wegungslinien die Vermittlung zwischen den Wänden
herstellen und dem Auge die angenehmsten Blick-
bahnen gewähren. Das ist die Kunst des Pietro da. 1
Cortona, aus der sich die weiteren Fortschritte samt '
und sonders , wenn auch in langsamem Fortschritt,
erst ergeben. Sehr entscheidend ist auch hier die
Unterordnung des Figürlichen unter die Forderungen
der Komposition des Ganzen: wie die Säulen und
Nischen in allen Grössen verwertet werden, so wech-
seln auch die menschenähnUchen Gestalten ihren
Mafsstab zwischen dem Kolossalen und dem Win-
272
Glanzperiode und Umschwung
zigen , besonders langgestreckte Engelburschen und
zwerghafte Kinder wohnen bald so friedlich bei ein-
ander wie Michelangelos Moses zwischen den beiden
Frauen am Grabmal Julius' II.
Je mehr der daseinsfröhliche Sinn der Renaissance,
die Weltfreude nach dem ernsten Druck wieder
durchbricht, desto mehr vermenschlicht sich der
Mafsstab, desto mehr besinnt sich auch die Bildner ei
wieder auf ihr eignes humanes Wesen ; aber die
Beispiele, wo sie selbständig auftritt, sind noch sehr
selten. Fast überall steht sie im Dienst der Archi-
tektur und wird so zur Dekoration, d. h. Bestandteil
eines grösseren Ganzen: der geschmückten Wand
aussen, oder des Innenraums.
Solange noch in diesem Ganzen das Prinzip der
plastischen Gestaltung, das wir als Seele des eigent-
lichen Barockstils betrachten, die Herrschaft behält und
damit die Vertikale dominiert, ergiebt sich auch für
den Figurenschmuck eine natürliche Abstufung, wie
in der Wiederholung homologer Glieder in immer
vollkommnerer und verfeinerterer Form von Unten
nach Oben, oder von den Seiten nach der Mitte zu.
Sowie aber die Verselbständigung der Teile zu viel-
gliedriger Harmonie nach dem Sinne der Renaissance
zurückkehrt, entsteht natürUch ein Konflikt in der
Verteilung der Werte. Und so erklärt sich ,,das
Missverhältnis der Dekorationsweisen zu einander",
das Jakob Burckhardt als Hauptübel bezeichnet, —
wie für die Architekturformen, so für die plastische
Dekoration zunächst.
Ein weiterer Schritt zur Ausgleichung ergiebt
Dekorative Kunst
273
sich dann durch die Verwendung eines bequemern,
schnellfertigeren und billigeren Materials , das diese
Gestaltenfreude eher befriedigt als Marmor und Bronze :
der Stuckmasse. Damit tritt zunächst allerdings ein
grelleres Weifs und stralendes Gold an die Stelle;
das stärkere Hervortreten der figürlichen Bestandteile
aus den dunkleren Tönen des Baumateriales und
der sonstigen Wandbekleidung stört wieder empfind-
licher. Es verletzt das Auge ein neues Missverhältnis
auf dem Gebiet der farbigen Dekoration , das in
seinen schreienden Kontrasten den Mangel an aller
Vermittlung nicht selten so stark bemerkbar macht,
dass der Sinn fürs Malerische völlig zu fehlen scheint.
Und doch sollte man meinen, das Auftreten eines
Malers wie Pietro da Cortona müsse für die Aus-
gleichung der heterogenen Bestandteile von beson-
derem Einfluss gewesen sein, besonders wo er nicht
die Ausschmückung allein, sondern die Raumgestal-
tung selber mit übernahm. Seine Malereien im
Palazzo Barberini , in denen die gemalten Nachah-
mungen von Stuckornamenten eine Rolle spielen,
seine Ausstattung der Chiesa nuova (S. M. in Val-
licella) mit voll ausgebildeten Stuckfiguren , Kartou-
chen und Übergangsgebilden aller Art, seine festliche
Bereicherung des Innern von S. Carlo al Corso, und
die einheitliche Durchführung von S. Luca e Martina
beim Forum haben unstreitig zur Förderung des
malerischen Gefühles in Rom beigetragen. Aber es
ist unläugbar, dass auch bei ihm das Gemeinsame
zwischen den drei Künsten , die in seiner Decken-
dekoration zusammen wirken, vorwiegend im Bla-
se hm arsow, Barock und Rokoko. j[g
1
274
Glanzperiode und Umschwung
stischen gesucht wird. Der Schwung der Körper
und Linien, die Ersetzung aller Graden durch Kurven,
besonders durch geschweifte Diagonalbewegungen
und Gliederverschlingungen sind die Grundzüge sei-
nes Verfahrens. Nirgends wird das Vortreten starker
Lichter vor dunkeln Schatten geopfert oder gemildert.
Im Gegenteil, die Vervielfältigung der Formlagen im
Widerspruch mit der Natur, ganz nach Analogie der
Häufung tektonischer Glieder, wie Dreiviertelsäule,
Pilaster nebst begleitenden Halbpilastern u. dgl. ver-
dankt wol ihm die Einführung in diese plastische
Dekoration und damit auch in die Malerei, besonders
auch der Franzosen , die sich seinem Vorbild am
eifrigsten angeschlossen.
Aber das Hauptmaterial, das jetzt zur Gestaltung
der tektonischen wie der figürlichen Gebilde ver-
wandt wird, die Stuckmasse, gestattet selbst ja ver-
schiedene Grade der Mischung, eine Abstufung, wie
von den härtesten Teilen des Knochengerüstes zur
Weichheit des Fleisches, ja zur mannichfaltigen Textur
der schwereren und der leichteren Stoffe; selbst zu
Blumengehängen und flatternden Bändern wird sie
verwertet , und eignet sich deshalb vor Allem , die
Übergänge zwischen dem Körperhaften und der
Fläche herzustellen, d. h. von der dreidimensionalen
Form allmählich in die zweidimensionale Anschauung
überzugleiten. Die Ausbeutung dieser Vorteile für
die bildmäfsige Ausgleichung plastischer Formen im
Innenraum wäre gewiss schon zeitiger zur Klarheit
über sich selbst gelangt, wäre nicht in Francesco
Borromini noch einmal ein unläugbar genialer, wenn
Dekorative Kunst
275
auch manchmal verzweifelter Vorkämpfer des plasti-
schen Prinzips dazwischen getreten.
Bei Borromini werden alle Bauglieder zu deko-
rativen Hülfsmitteln für seine Absicht auf den Schein
organischer Gestaltung. Er verwendet nicht allein
die überlieferten Ordnungen willkürlich zu diesem
Zweck, den Eindruck lebendiger Bewegung zu er-
zielen, sondern erfindet neue Einzelheiten, die aus-
drücklicher noch dazu dienen sollen. Diese Stellung
Borrominis als Beweger des bildsamen Stoffes drängt
sich uns in jeder Linie, in jedem Schattenschlag
seiner Raumgebilde wie S. Ivo della Sapienza und
S. Carlo alle quattro Fontane entgegen ; aber sie
wird auch durch alle seine Altaranlagen und deko-
rativen Aufbauten bezeugt. Hier ist es , wo das
Tabernakel von S. Peter, das Bernini 1633 geschaffen,
während der nächsten Jahrzehnte seine fast schon
exotischen Früchte trägt. Der Aufbau des Hoch-
altares besonders wird zum Gegenstück im Innern
für die Fassade, und von selbst ergiebt sich bei dieser
Perspektive die Ähnlichkeit mit Theaterbau und
Theaterdekoration, die der Theoretiker dieses Zwei-
ges, der Jesuitenpater Pozzo, ganz ruhig eingesteht,
und ohne die wir die folgende Entwicklung des
Stiles durch die Bibbiena hin und über Guarini )
hinaus garnicht zu erklären vermöchten. Es war dann
die Deckenmalerei eines Genuesen wie GauUi im ,
Gesü, und des Pozzo selbst in S. Ignazio , die den
Kirchenräumen wieder zur Einheit half, freilich in
prunkvollem Reichtum und auf völHg malerischer
Grundlage.
18*
276
Glanzperiode und Umschwung
Wenn Borromini im zweiten Hof des Palazzo
Spada seine perspektivischen Kenntnisse an einem
Säulengang dazu verwertet, dem Besucher eine grö-
fsere Tiefe vorzuspiegeln als wirklich vorhanden ist,
und deshalb von vollrunder Ausführung der Bau-
formen zur ReHefprojektion auf die Fläche übergeht,
nach hinten auch den Fufsboden ansteigen lässt und
alle Verhältnisse um ein Drittel verkürzt^), — so tut
er im Grunde damit nichts Anderes, als w^as er in
Mailand schon von Bramante am Chor von S. Satiro
gesehen hatte. Aber sein Kunststück im Palazzo
Spada blieb ein harmloser Scherz an unverfänglicher
Stelle gegen das Bravourstück, das Bernini mit dem
ganzen Platz von S. Peter zu veranstalten wagte.
Ins Gebiet der Innendekoration leitet jedenfalls eben
deshalb die Prunktreppe des Vatikanischen Palastes
über, ein andres Wunderwerk Berninis, die berühmte
Scala regia. Auf einem ungünstigen Raumstreifen,
dessen Grundlinien nach hinten leise zusammenfliehen,
benutzt er die scheinbare Verlängerung der Wände,
stellt koulissenartig Säulen davor, um den Eindruck
der Raumtiefe erst recht zu verstärken , und ver-
ringert alle Verhältnisse wie in den Theaterstrassen
nach hinten zu. Das Tonnengewölbe steigt zwischen
dem graden Gebälk der Säulen mit reicher Kassetten-
gliederung und regelmäfsig wiederkehrenden Gurt-
bändern an , in der Mitte seines Laufes von einem
Podest mit hellem Seitenlicht unterbrochen, wo die
i) C. Fontana, II tempio Vaticano , p. 239. Letarouilly,
Tafel 243. Grundriss.
Dekorative Kunst
277
Säulen eng aneinanderrücken wie am Anfang. Hier
an der Stirnseite, wo als Grundmotiv des Ganzen
das Bramantefenster der Sala regia erscheint, d. h.
ein Rundbogen in der Mitte auf dem graden Gebälk
der eingestellten Säulen, — halten schwebende Engel
das Wappen des Papstes und stossen in die Posaune,
während auf dem vorbereitenden Podest , zu dem
der staunende Besucher auf wenigen sanften Stufen
emporgleitet, dem grossen Fenster gegenüber, zur Rech-
ten der Kaiser Konstantin zuRoss denselben Affekt
versinnlicht, nämlich bei der stralenden Erscheinung
des Kreuzes, die ihn überrascht. Das Ross fufst mit
den Hinterbeinen auf einem Sockel, hebt aber, sich
bäumend, die vorderen hoch in die Luft ; der sichere
Reiter wirft sich ebenso zurück und begleitet mit
staunender Gebärde den Aufblick zur Höhe, — wo-
hin fragen wir vor dem Vorhang, der hinter dem
malerischen Reiterbild als Folie die Wand verhüllt,
und wären zufrieden, von dieser Draperie nur hinauf
geleitet zu werden zum Licht, das wirkungsvoll ge-
nug durch die Scheiben fällt , oder zu den Wolken
am Himmel draussen , die es verbergen ; aber da
stösst unser Auge noch auf eine weitere Vorkehrung,
die nur auf den abziehenden Gast wirken kann, dem
man mit Fackelschein heimleuchtet : ein grosses ver-
goldetes Kreuz in der Ecke des Fensters oben, die
sich dem Kommenden verbirgt. So reichen sich in
dieser Zeit das krasse Wirklichkeitsbedürfnis und die
naive Theaterillusion die Hände selbst an der Schwelle
des apostolischen Palastes, und die Vision des Kon-
stantin für den Ankömmling mischt sich für den
278
Glanzperiode und Umschwung
Scheidenden, wenn er an jenem Zeichen droben
achtlos vorübereilen sollte, mit einem Anklang an die
Vertreibung Heliodors.
Bei solchen Tendenzen lässt sich von vorn-
herein vermuten, dass die innere Umgestaltung einer
Kirche aus den Tagen der Frührenaissance, wie
S. Maria del Popolo, mit ihren bescheidenen
Höhenmafsen und der Gedrungenheit aller Formen,
nur völlig missglücken konnte. Die Lieblingskirche
Sixtus' IV. hat dadurch nur die Einheit ihres ursprüng-
lichen Charakters eingebüsst und ist durch alle Er-
leichterung und Erhellung des Obergadens, durch
allen Goldglanz am Hochaltar und flatternde Engel
überall doch kein bezaubernder Tempel nach dem
Herzen Alexanders VII. geworden. Aber unverkenn-
bar ist das Verlangen nach mehr Licht, nach Auf-
hebung des Drückenden und Beklemmenden, nach
freundUchen Eindrücken ringsum. Einzelne Heihg-
tümer in besonderm Räume weifs Bernini freilich
mit Meisterhand auf die raffinierte Wirkung für den
Augenschein zu berechnen. In den Kapellen von
S. Domenico e Sisto ebenso wieS.M. della Vitto-
ri a ordnet er für seine Skulpturen eine Art Rundhalle
an, indem er die Rückwand nischenartig zurücktreten
und vorn eine Säulenreihe konvex sich vorschieben
lässt. Fällt nun wie hier durch ein eignes Fenster das
Licht aus mögUchster Nähe auf das Bildwerk, wol
gar durch farbige Glasscheiben, die unserm Auge
verborgen sind, auf die vergoldeten Stralen oder die
glattpolierten Marmorflächen, die selbst in besondern
Farben gewählt sind, so entsteht wieder jene seit-
r)ekorati\'e Kunst
279
sam gemischte Wirkung, die damals aufgeboten
werden musste, um des Herzens Härtigkeit zur gläu-
bigen Andacht fortzureissen. In die visionäre Er-
scheinung selbst, die hier gewollt wird, muss sich
ein mögUchst sinnfälliges Quantum stofflicher Leib-
haftigkeit hinein retten, wenn sie den Künstler wie
seine Gemeinde befriedigen soll. Und in solchem
farbigen Helldunkel offenbart sich das Geheimnis
der Klosterzelle: auf einer Wolkenmasse, wie auf
schwellenden Kissen liegt hier eine Nonne; ,,in hyste-
rischer Ohnmacht," sagtBurckhardt, ,,mit gebrochenem
Blick streckt sie ihre Glieder von sich, während ein
lüsterner Engel mit dem Pfeil, dem Sinnbild gött-
licher Liebe, auf sie zielt," — das ist die Verzückung
der heiligen Teresa.
Das letzte und handgreiflichste Dekorationsstück
Berninis ist dann seine Cattedra di S. Pietro. Dieser
ideale Tron des Apostelfürsten, auf den seine neu
erwählten Nachfolger erhoben werden, ist ein riesen-
hafter Aufbau aus kostbarem Stein und vergoldeter
Bronze, aus tektonischen und menschlichen Gebilden,
die allesamt phantastisch unter dem ovalen Mittelfenster
der Chortribuna zusammengreifen, durch deren gemalte
Scheiben die Abendsonne stralend zwischen goldgelben
Wolken die Taube des heiligen Geistes über dem
Haupt des Gekrönten erscheinen lässt. Auf einem
Steinsockel stehen die gigantischen Bronzegestalten
der vier Kirchenväter in ihren flutenden Pontifikal-
gewändern und halten an geschwungenem Voluten-
gestell den ebenso gewaltigen Tronstul, hinter dessen
Lehne mit jubelnden , Papstkrone und Schlüssel
2S0
Glanzperiode und Umschwung
tragenden Engelkindern, mit Wolkengeschiebe und
Sonnenstralen aus verschiedenem Material, die Über-
leitung zwischen Freigruppe und Reliefwand mit dem
AusbHck in das Glasgemälde dazwischen vermittelt
wird. Es giebt kein Beispiel, in dem die Verwandlung
des künstlerischen Wollens dieser Zeit so unbezweifel-
bar versinnlicht wäre wie hier: die letzte abenteuer-
lichste Steigerung des Hochdrangs, von übermensch-
lichen Erdensöhnen selbst vollzogen, aber im Taumel
der rauschenden Bewegung, die doch Beharrung in
Ewigkeit bedeuten will, hinüberjauchzend in die
Weite des Alls da draufsen, durch Wolken zum
Licht, zum Urquell alles Lebens empor. — Das
mochte den Zeitgenossen wie eine höchste Verwirk-
lichung des Gedankens erscheinen, den man als
Seele im ganzen Schaffen Michelangelos zu ahnen
gelernt, denn die eigenste Zutat in diesem Motive,
den innersten Hohn dieser Stulfeier konnten sie nicht
durchschauen, wie niemand den Balken im eignen
Auge sieht. Statt der siegreich schwebenden Kuppel
über den vier Kreuzarmen droben wird hier von
den athletischen Säulen der Kirche ein totes Koloss,
aus Tronsitz und Sedia gestatoria zusammenge-
wachsen, emporgeschwenkt und hoch gehalten, als
wären die Kirchenväter verkappte Sesselträger des
Papstes und Matadoren der Arena zugleich, und weil
dies pomphafte Stück Möbel, das ihren Triumph
ausmacht, doch nur ein schwerfälUger Klotz ist, und
mögen sich noch so viel Stulanbeter vor ihm beugen,
so ^ bleibt nichts Anderes als einleuchtender Höhe-
punkt übrig, denn die Zuflucht zum heihgen Geiste,
Dekorative Kunst
281
wenn seine Stralen nur gnädig kommen wollen
und die liebe Sonne, die auf Gerechte und Ungerechte
herniederscheint, soviel helfen mag, wie man sie
braucht.
Bernini ,, bedarf auch des irrationalen Elementes",
wo er während seiner späteren Zeit die Ausschmückung
freier Plätze mit Brunnen und Bildwerken unter-
nimmt. In der grofsen Brunnengruppe der Piazza
Navona ist dies ,,der mit unsäglicher Schlauheit
arrangierte Naturfels", aus dessen Höhlung die wilden
Tiere hervorschauen, während vorn die Flussgötter
lagern. Durch diese Beigabe wird das Thema selbst
viel geographischer gefasst, d. h. die charakteristische
Umgebung der Flüsse selbst hineingezogen, nämlich so
wie beim Maler, — ich erinnere nur an Rubens. Damit
aber verschiebt sich auch die Voraussetzung, die man
als selbstverständlich aussprechen zu dürfen glaubt,
Bernini ,, strebe hier nach dem Ausdruck elemen-
tarer Naturgewalten im Sinne Michelangelos, allein
er könne statt eines blofsen gewaltigen Seins auch
hier sein Pathos nicht unterdrücken". Diese Fluss-
götter am Brunnen sollen und w^oUen überhaupt keine
Selbständigkeit beanspruchen, die sich von Innen
für sich allein erklärt; sie sind hier in ihre zugehörige
Umgebung zwischen die Tiere, die Pflanzen ihres
Landes gesetzt, dessen Geschichte somit auf sie
zurückwirkt, und das flüssige Element zu ihren Füfsen,
wie der Fels in ihrem Rücken stellen vollends den
Zusammenhang her. Ja, die Oberfläche des Nackten
ist sehr beachtenswerter Weise hier nicht blank
pohert, sondern mit dem porösen Gestein daneben
282
Glanzperiode und Unischwung
in Einklang gebracht. Am Sockel des Obelisken
entfalten sich Bilder je nach seinen Seiten, und der
Naturfels", auf dem er ruht, ist eben deshalb nicht
tektonisch, nicht plastisch, sondern dekorativ nach den-
selben malerischen Grundsätzen behandelt wie Drape-
rie, d.h. in zusammenhängendem Fluss der Linien und
Flächen, mit absichtlicher Vermeidung aller stereo-
metrischen Regelmäfsigkeit oder krystallinischen
Gesetzes. Und an malerischer Wirkung ist das Ganze
jedenfalls den Quattro Fontane wie dem Moses, der
die Acqua FeUce aus dem Grottenfels der Nische
schlägt, weit überlegen.
Vom malerischen Standpunkt erklärt sich auch
die Form des Brunnens auf Piazza di Spagna mit
der Barcaccia, die vor der spanischen Treppe schon
vorhanden war. Der Breite des Platzes zuhebe dehnt
sich das Ganze, ohne höheren Aufbau, vielmehr mit
dem Hinweis auf die Seiten, während das Becken
sogar als Bassin in den Boden verlegt ist. Auch
hier also ein Symptom des innern Umschwungs
künstlerischer Prinzipien, die Wendung zur zweiten
Dimension, zu der sich schon Maderna gelegentlich,
wenn auch in strengern Formen, bereit fand. Die
Durchführung der malerischen Tendenz ist auch für
Berninis Entwicklung um so bedeutsamer, je ver-
ständnisvoller er selbst dem früheren Ideal, dem
Hochdrang auch des feuchten Elementes gehuldigt
hatte. Wie Madernas Springbrunnen auf dem Platz
vor S. Peter die glückUchste tektonische Lösung in
der balusterartigen Pilzform gegeben, die doch immer
noch keine einheitUche Verbindung der Naturkraft
Dekorative Kunst
283
des Wassers mit dem künstlerischen Motiv der Ge-
staltung als solchem darbot, hat Bernini mit seinem
Tritonen auf Piazza Barberini die lebendige Ver-
schmelzung des plastischen Gebildes mit dem vollen
Stral des Springquells vollzogen. Bei der drastischen
Art, wie die Muschelschale sich ausgreifend vom
Boden hebt, ein abenteuerliches Gewächs, stofflich
den Tropfgesteinen im Schofs der Erde verwandt,
und doch den Schaltieren auf dem Grund des Meeres
durch den organischen Trieb seiner Gestaltung ver-
gleichbar, der als Willensregung überall seinen Nerv
hervorreckt; — wie in ihrer Mitte dann das Getier
sich regt und zusammenschliesst, um als lebendigen
Träger seines dumpfen Dranges den Triton selbst
zu entsenden, der wieder mit eifrigem Bemühen
ein Muschelrohr an den Mund setzt, um den Schwall
der Flut wie den Luftstrom seines Odems hervor-
zutreiben, so dass der Schall seiner Tuba sich ins
brausende Gedröhn der Wasserader verwandelt, —
bei so sinnfälliger Sprache des durchgehenden Ge-
fühls kann wol kein Zweifel bleiben, dass für den
Künstler und seine Zeitgenossen das Aufspringen
des Wassers noch mindestens ebenso Hauptsache
bleibt, wie das Niederrauschen und Überfliessen in
breiter Masse schon als willkommener Erfolg begrüfst
wird. Die malerische Wirkung des letzteren löst aber
bereits unläugbar malerische Empfindung auch des
Plastikers aus; und die Vermittlung aller Formen
mit einander und mit dem aesthetischen Raum, der
das Ganze schon als bewegliches Medium des auf
und ab strömenden Wassers und als Atmosphäre
4
284
Glanzperiode und Umschwung
zerstäubter Silbertropfen umgiebt, beweist, wie stark
sie zur malerischen Absicht geworden^).
Bald erfasst der malerische Sinn auch dies Motiv
der Entfaltung im Nebeneinder für sich allein und
ordnet, wie an Wänden herabfallend, so auf eigens
dazu aufgehäuftes Felsgestein die vielgeteilte, hin
und wieder springende Kaskade, deren Wesen eben
in der Zerlegung der Vollkraft in lauter einzelne
Streifen, Spiralen, Spritzwässerlein und schäumenden
Gischt besteht und stets in die Breite sich ausein-
ander legt. Darin malt sich wieder, wie einst im
Hochdrange des vollen Strales, nun die veränderte
Sinnesart der Zeit, wie ihr Geschmack so auch ihr
innerstes Wesen.
,, Schönheit ist Kraft" verlangten die kraftvollen
Charaktere zur Geltendmachung und zum Genügen
ihrer selbst; sie liebten Trommelschall und Drom-
metenklang wie das Rauschen der Elemente zur Be-
kräftigung ihrer eignen Willensenergie, wie als Echo
ihres würdevollen Auftretens. — ,, Schönheit ist Kraft"
betet auch ein schwächeres Geschlecht; wer sie
selber nicht mehr besitzt, liebt sie desto schwär-
merischer an Andern und geniefst sie mit Freuden
an Seinesgleichen. Aber die Lust an Allem ,,was
sauset und was brauset" geht auch vorüber; das
Ohr fühlt sich beleidigt, die Stimme, die mildere,
wird vom Geräusch zu sehr übertönt, wo das Auge
i) Sehr beachtenswert für die Auffassung der Muschel ist auch
das dekorativ überhaupt lehrreiche Titelblatt von Falda, Lib. I, 2
(1665. Vedute delle Fabriche Piazze u. s. w.).
Landschaft
2S5
noch lange am sprudelnden Leben sich freut und
die malerischen Reize sich gefallen lässt. Bald
müssen sie stiller werden, die fröhHchen Kaskaden,
und wenn sie erst überzierlich tänzeln, charakterlos
hüpfen oder schleichen lernen, wie man ihnen auf-
spielt, wenn auch sie nur tändeln dürfen wie alle
Welt, dann ist die Entwicklung des Barock in allen
seinen Phasen vorüber, und ein neuer Name zur
Bezeichnung des Stiles am Platz.
Schon dem römischen Kunstleben des sieb-
zehnten Jahrhunderts würden einige seiner bedeut-
samen Züge fehlen, wenn die Charakterköpfe fran-
zösischer Künstler nicht hervorträten, wie ihnen
gebührt. Für unsere Zwecke, denen eine ausführliche
Geschichte des glanzvollen Umschwungs fern liegt,
bedarf es nur einer leichten Erinnerung an zwei oder
drei Namen , die für die Entwicklung des Stiles in
Rom selbst unentbehrlich scheinen : ich meine in
erster Linie Nicolas Poussin (1594 — 1665). /
Poussin ist daheim in erster Linie der Historien-
maler, den man — auch ohne sich recht zu erwär-
men — als französischen Klassiker ehrfurchtsvoll
bewundert. In Rom liegt seine Bedeutung, wenn
irgendwo , auf einem ganz andern Gebiete ; es ist
der Landschaftsmaler , der für den Umschwung der
Stilprinzipien in Betracht kommt. Durch die selb-
ständige Pflege dieses Zweiges trug er wesenthch
dazu bei, dass die Errungenschaften der Carracci im
286
Glanzperiode und Umschwung
Anschluss an Tizian und die guten Eigenschaften
Domenichinos nicht wieder verloren giengen, seitdem
der plastische Drang nach nackten Gestalten , nach
übermenschlichen Figuren allein, eine Zeit lang diese
Erweiterung des malerischen Blickes wieder preis-
zugeben gesonnen war. Es ist bezeichnend , wie
Poussins Begabung grade da einsetzt, wo das Ver-
ständnis am ehesten in der römischen Welt eine
Anknüpfung finden mochte: bei der Architekto-
nik der Landschaft.
Die Überleitung der Massen und Linien aus
dem festgegründeten, gesetzmäfsig aufgebauten Vor-
dergrund in die Ferne , die klare Disposition der
Raumwerte, von voller plastischer Bestimmtheit vorn
bis an die Gränze seines Hintergrundes, der sich
nirgends noch ins Endlose verliert, das ist Poussins
Stärke , und steht natürlich in Zusammenhang mit
dem Anteil des berechnenden Verstandes in seinem
Schaffen sonst. Aber so wenig er ohne biblische
oder mythologische Figuren eine Landschaft für sich
allein zu bieten unternimmt , so sicher sind diese
Menschenkinder doch der natürlichen Umgebung
eingeordnet, ja immer bewusster schon untergeord-
net. Dem Betrachter muss das Gefühl aufgehen,
dass diese Felsen und Bäume schon im Einzelnen
mehr Gewicht haben als die Personen daneben, dass
diese Gegend in ihrer allmählich gewordenen For-
mation der überlegene Bestandteil ist, der unter
mannichfaltigem Wechsel doch dauernder besteht als
das vorübergehende Geschöpf, das diesen Natur-
mächten gegenüber nur wie eine Eintagsfliege er-
Landschaft
287
scheint. Das ist eine fruchtbare Erweiterung des
Gesichtskreises für die Generation der römischen
Gönner, die nur Verherrlichung des Menschen und
die Steigerung seiner Kraft ins ÜbermenschUche zu
sehen gewohnt w^ar. Es ist zunächst der ästhetische
Gegensatz gegen den hochtrabenden Gestaltungs-
drang der Barockmeister, den diese Landschafts-
malerei, aus der Villeggiatur gleichsam in die Stadt,
einführte. Und in diesem Sinne hat besonders Pous-
sins Schwager und Schüler Gaspard Dughet(f 1675) |
durch seine Malereien in Palästen wie in Kirchen
gewirkt. Eine solche Landschaft braucht allerdings
noch nicht der Farbe so unbedingt , dass sie ohne
die natürliche Buntheit der Dinge ihrem eigentlichen
Ziel entsagen müsste : sie will Raumerweiterung
schaffen auf den Flächen des geschlossenen Innen-
raumes , und diese unverkennbar gefühlte Aufgabe
hat in Rom ausserordentlich dazu beigetragen , den
innern Umschwung zum Bewusstsein zu bringen.
Die Schönheit dieser Welt dann, in ihrer lachen-
den Farbigkeit und ihrem Sonnenglanz entdeckt erst ]
Claude Lorrain (1600 — 1682), wie für die römische
Kunst und ihre Schutzpatrone, so für die Anhänger
der nämlichen Kultur da draussen bis Watteau hin.
Der Lothringer, der in Rom erst sich selber gefunden,
scheint freilich die Erde nur als Paradies zu sehen,
aber ein Land des ungetrübten Glückes, in dem die
Menschengeschlechter keineswegs die Hauptsache
sind , sondern immer und überall nur die Staffage
für Erscheinungen, die in flüchtigstem Erglühen noch
als Äusserung des umfassenden Ganzen einen ewigen
288 Glanzperiode und Umschwung
Wert in sich bergen , der entzückend uns Allen zu
Herzen dringt. Gegen Dughet erweitert er beson-
ders die Tiefe durch einen niedrig gelegten Horizont
mit fernem Talgrunde , der im Sonnenduft ver-
schwimmt, oder mit schimmerndem Meeresspiegel,
den der Himmel küsst in endloser goldgetränkter
Bläue. Welch ein Abstand von dem Ernst und der
Strenge des eigentlichen Barock in diesen seligen
Gefilden auf der Erde , die dem armseligen Fremd-
ling in Rom mit Gold aufgewogen wurden. Mit wie
wenigen Faktoren der Wirklichkeit webt er diesen
zauberischen Anblick zusammen , der auch uns Mo-
dernen wieder allzubald als kindlich erträumtes Arka-
dien erscheinen will. Wie stark muss also das Be-
dürfnis nach solchem Eldorado gewesen sein, das
diesem Poeten in seinen Zeitgenossen entgegenkam.
Wir müssen uns erinnern, dass Urban VIII. (1623
bis 1644) aus dem Hause Barberini, und die Pamfili,
aus denen Innocenz X. (1644 — 1655) hervorgieng,
wie die Rospigliosi mit ihrem Clemens IX. (1667 bis
1669) zu den vornehmsten Gönnern dieses Land-
schaftsmalers gehörten, der ebenso die Monarchen
von Spanien und Frankreich zur Sehnsucht nach der
Schäferwelt bekehrte, — um uns klar zu machen, was
der Petersplatz mit den Kolonnaden Berninis, die
y Rückkehr des Sonnenscheins in alle Kirchen Roms
i bedeuten will. Diese römisch gewordenen Vertreter
der französischen Malerei sind einsame Naturen, die,
der Innern Stimme gehorchend, aus sich hervor-
bringen , was ihnen allein vertraut war ; aber von
hier beginnt die Auflösung alles Stofflichen, die Be-
Letzte Phase des Barock
289
freiung von Körper und Form, von Farbe und Wirk-
lichkeit bis auf die zarteste, verschwebende Erschei-
nung selbst, die nur der Maler noch fassen kann.
Länger, als ein Menschenalter sonst zu dauern
pflegt, hat Giovanni Lorenzo Bernini mit einem künst-
lerischen Schaffen im Mittelpunkt der Stilentwicklung
Roms gestanden. Durch ihn ist die Aufnahme aller
Anwartschaften der Hochrenaissance in den Barock
und damit auch der innere Umschwung in den lei- II
tenden Prinzipien vollzogen , eine Verwandlung , die
vorangehen musste, damit sich der römische Stil an
den übrigen Mittelpunkten im Kunstleben Italiens
Eingang verschaffen und so weiter verbreiten könne.
Von dieser Zeit ab beginnt die siegreiche Ausströ-
mung über Florenz und Bologna nach Mailand, nach
Genua und nach Venedig, oder südwärts nach Nea-
pel und Sicihen. Die Provinzen alle unterscheiden
sich je nach ihrem Charakter bei dieser Verarbeitung
des römischen Vorbilds. Die reinste und wichtigste
Abzweigung gedeiht in Turin, weil hier noch kein
ausgeprägtes Lokalwesen im Wege steht, sondern
mit der ganzen Stadt sozusagen von vorn angefangen
wird. Eine unverkennbare Rückströmung erst erzeugt
in Rom selbst ein letztes Aufflackern des grofsartigen
Barockgeistes, bevor sich Alles dem klassischen Ideal
der archäologischen Nachahmung unterwirft.
Nach einer so grofsartigen und vielseitigen Tä-
tigkeit, wie die Künstlergeneration unter Führung
Berninis sie entfaltet hatte , blieb der Folgezeit nur
Schmarsovv, Barock und Rokoko.
290
Letzte Phase
Übrig , die letzten Aufgaben zu vollziehen , die auf
dem Boden der ewigen Stadt noch erwachsen moch-
ten, oder mit den Folgerungen sich abzufinden, die
aus der eingeschlagenen Richtung sich ergaben.
Fast ein Widerspruch zu der Grundanschauung des
strengen Barockstiles stellte sich schon durch die
Zutat der Deckenmalereien eines Gaulli im Innenraum
des Gesü heraus, und in der noch stärkeren perspek-
tivischen Scheinerweiterung der Raumhöhe durch die
Deckenmalerei des Andrea Pozzo inS.Ignazio, nur
dass die letztere Kirche als vorgeschritteneres Raum-
gebilde den Ausgleich mit der malerischen Anschauung
besser verträgt als die geschlossenere Gestaltung des
Gesü das buntfarbige Wolkenreich des Genuesen.
Die wichtigsten Ereignisse betreffen jedoch die
Baugeschichte im Grossen^): die Anlage des Hafens
der Ripetta durch Alessandro Specchi (1704) im
unmittelbaren Anschluss an die vorhandene Fassade
von S. Girolamo degli Schiavoni-) ; dann die Erbau-
ung der Spanischen Treppe zur Verbindung der
Piazza di Spagna und des Pincio, zwischen S. Tri-
nitä de Monti oben und dem Brunnen Berninis vor
Via Condotta unten, — jene geniale Leistung, an
der die Erfahrungen der Perspektive und die An-
wendung malerischer Prinzipien mindestens ebenso-
viel Anteil haben , wie der monumentale Sinn und
1) Die Erweiterung der Piazza S. Pietro und des Strassen-
zuges bis zur Engelsbrücke, vgl. bei Carlo Fontana, II tempio Vati-
cano 1694, S. 231 ff.
2) Vgl. Letarouilly Tav. 349 mit Falda III, 38 (1667).
des römischen Barock
291
die Grossartigkeit aller römischen Verhältnisse , —
von Alessandro Specchi und Francesco di Sanctis
1721 — 1725 vollendet; endlich die imposante Deko-
ration der Fontana Trevi, die nur Roms Wasser-
reichtum und Ruinenstätte zugleich so hervorbringen
konnten , mit ihrer breitgelagerten Palastfassade als
Hinterwand , aus deren Triumphbogen in der Mitte,
während er selbst sich als Nische verschliesst , der
Siegeszug Neptuns daherbraust, wie über einen Trüm-
merhaufen von Felsgestein, der dem Durchbruch des
Wassers vorangestürzt war, — ein Werk des Nic-
colö Salvi (1735 — 62), an dem sich Früchte der
ganzen bisherigen Entwicklung zusammenfinden.
Daneben tritt der Kirchenbau zurück, fast völlig
soweit es sich um eigene Raumgestaltung handelt,
und sonst bis auf einige Ausnahmen. Sehr charak-
teristisch für den Sinn ist aber das Beispiel, das im
Umbau von S. M. degli AngeU durch Vanvitelli
(1749) gegeben wird: Michelangelos einheitUcher
Raum, der aus dem herrlichsten Thermensaal ge-
bildet war, erscheint nun zu sehr ,,aus einem Stück"
und wird durch Anreihung andrer zum kreuzförmigen
Langbau erweitert. Rücksichtsloser konnte man das
Ideal der ersten Barockzeit nicht zerstören, um die
malerische Tendenz der folgenden zu befriedigen,
der ein Durchblick in unabsehbare, scheinbar endlose
Raumentfaltung allein entsprach. Aber die Kapellen-
reihe , die Bildungssphäre um den Hauptraum , die
i) Letarouilly II, 226.
19*
292
Letzte Phase
Michelangelo verlangt hatte, wird zugemauert, also
geschlossene Fläche gewonnen.
Der Fassadenbau dagegen wird im Zusammen-
hang mit jenen grossartigen Gesichtspunkten der
Platz- und Strassenanlage gehandhabt und arbeitet nun
voraussetzungsloser in diesem Sinne denn je zuvor.
So entstehe.n freilich die verschiedenartigsten Konse-
quenzen der bisherigen Systeme in seltsamer Folge :
S. Giovanni in Laterano von Alessandro Ga-
lilei 1734, dann S. M. Maggiore von Ferdinando
Fuga 1743 undS.Croce in Gerusalemme vonGre-
gorini 1744. Bei Weitem die vorzüglichste Leistung
ist die offene Pfeilerhalle, mit der sich die Laterans-
basilika nach dem weiten Platz an der Stadtmauer
kehrt : in einer einzigen Ordnung nach dem Sinne
Palladios aufsteigend , mit durchaus sekundärer Ge-
schossteilung dahinter, die durch die Forderung einer
oberen Loggia veranlasst war. In fünf Durchgängen
mit gradem Gebälk unten und fünf Bogen darüber,
zusammengefasst unter einem gewaltigen Stirnband,
tritt hier zu Tage, was für S. Peter zu erringen keinem
Früheren gelungen war. Nicht umsonst war G a 1 i 1 e i
sieben Jahre im Lande des eifrigsten Palladiokultus,
in England , und nicht umsonst beim Fassadenbau
von S. Giovanni de' Fiorentini, dessen vonMichel-
angelo gefertigten Entwürfe veruntreut worden, auf
dieses Meisters Vorarbeiten für S. Lorenzo in seiner
Heimat zurückgegangen. — Ferdinando Fuga ver-
stand einem ähnlichen Anspruch beiS. M. Maggiore ')
l) Letarouilly III, 304, 305, 306.
des römischen Barock
293
nicht anders als mit zwei Ordnungen über einander
gerecht zu werden, indem er zur Doppelhalle Fon-
tanas an der andern Seite des Laterans seine Zu-
flucht nahm und sie als offenes Mittelstück zwischen
geschlossenen Seitenlagen ausbildete : d. h. er schuf
ein Werk, das durch reiche Abwechslung und durch
den Einblick in Loggia und Vestibül malerisch wirkt,
aber (selbst abgesehen von den sehr ausgearteten
Einzelformen) kleinlich und durch die Seitenbauten
gedrückt erscheint". — Die gewundene Fassadenhalle
von S. Croce in Gerusalemme von Gregorini
vereinigt freilich mit diesen malerischen Absichten
vollends das Gegenteil des Monumentalen, die rein
dekorative Bravour Borrominis, aber ohne dessen
geniale Geisteskraft, und kann deshalb in Rom nur
als Zerrbild gelten, während sie im übrigen Italien
nun überall Ihresgleichen findet.
Die Breite der Gesamtfassade von S. M. Mag-
giore und das Kompositionsprinzip , das sich in ihr
als reich belebter Schlusswand des Platzes darstellt,
ist ein Erbteil aus den Tagen Berninis, das auch im
Palastbau dieser Epigonen sich auslebt. Van viteil i
und Salvi mussten eben damals das erste Vorbild
selbst, den Palazzo Odescalchi an Piazza SS.
Apostoli, von den ursprünglichen dreizehn Axen auf
vierundzwanzig erweitern, ein Umbau nach dem Herzen
dieser Endlosen, der ebenso durch den Zuwachs der
Breitendimension, wie durch den Übergang von un-
grader Zahl mit betonter Mittelaxe zur graden Zahl
ohne diesen Accent bezeichnend ist. Als Neubau
entstand im nämlichen Geschmack der Palazzo della
294
Letzte Phase
Consulta auf dem Ouirinal von Ferdinando Fuga
selbst 1739, also im unmittelbaren Zusammenhang
mit dem Aufsern der Basilica Liberiana. Bei manchen
ausserordentlichen Vorzügen seiner Front wird man
sich doch schwerlich verhehlen , dass er eigentlich
die Fläche fast nur als solche durchdekoriert, ohne
noch eine Steigerung in der Plastik des Bau-
körpers selbst zu versuchen. So ist auch der Hof,
der keinen weiten Spielraum nach der Tiefe ge-
stattet , als Ersatz dafür ein Meisterstück perspek-
tivischer Kunst für den Einblick des Besuchers,
aber eben eine beabsichtigte Täuschung wie im
Theater. ^)
Dagegen hat durch Ferdinando Fuga ein andrer
Teil des Palastbaues in Rom eine letzte Vollendung
erhalten , die ihm bis dahin noch fremd war ; das ist
die Ausgestaltung des Treppenhauses und seine
glückhche Verbindung mit dem Vestibül und Vor-
saal auf der Frontseite und dem Hof oder Garten
nach der andern Seite. Überrascht uns, besonders
nach Genua, Mailand oder Bologna selbst, in Rom,
sogar bei einer so ausgedehnten Anlage wie Palazzo
Barberini, der enge Hochbau der Treppenhäuser
und die mangelnde Verwertung dieses malerisch so
fruchtbaren Mittelgliedes zwischen unten und oben,
so erkennen wir die Wirkung jener auswärtigen Vor-
bilder der Renaissance mit Genugtuung an dem eige-
nen Treppenausbau des Palazzo Corsini (1732).-)
1) Letarouilly I, 29, 30.
2) Letarouilly II, 191. 192.
des römischen Barock
295
Damals empfängt auch Vanvitelli , der als Maler an-
gefangen hat , in Rom seine Richtung , und zwar
ebenso bezeichnender Weise als Architekt von S.Peter
(1726) beginnend, um im Palastbau der Fürsten nach
dem Vorbild französischer Königsschlösser, wie Caserta,
zu enden. Und wie hier, so vermuten wir schon in
der berühmten Galerie des Palazzo Colonna,
mit ihrem Vorzimmer und Schlufssalon an den En-
den, und ihren hohen Fensterreihen, den Einfluss
der französischen Mode bei dem Umbau des alten
Familienpalastes , den Niccolö Michetti und Paolo
Posi (c. 1730) in die gegenwärtige Gestalt geleitet
haben.
Denn mittlerweile strömt auch nach Rom die
Flut des künstlerischen Lebens aus Frankreich zu-
rück, das im siebzehnten Jahrhundert von dieser
Quelle ausgegangen war, und bringt von dem neuen,
schon unläugbar überlegenen Mittelpunkt der Welt
nun wenigstens, wo es am alten Tiber zu ebben be-
gonnen, den Dank zurück, — als Kultus der ewigen
Stadt und des klassischen Bodens.
o o o o
V.
DIE LETZTE WEITERENTWICKLUNG
IN FRANKREICH
DAS EINDRINGEN DES BAROCK
ubens, der Maler, ist in Frankreich der Vater
des Barock geworden, wie in Rom der Bild-
ner Michelangelo. Seitdem seine Gemälde
zur Verherrlichung der Maria de' Medici und Hein-
richs IV. im Palais du Luxembourg vollendet da-
standen (1625), ist sein malerischer Barockstil eine
Grossmacht inmitten der Kunstentwicklung Frank-
reichs.
Bisher war diese getreu den Wegen der Renais-
sance gefolgt, so langsam und schwer sich auch die
heimische Überlieferung des Mittelalters im Grunde
mit dem Wesen der südlichen Nachbarin vertrug.
Je mehr sich aber in Oberitalien selbst die gelehrte
Nachahmung der Antike verbreitete , weil die schö-
pferische Genialität erlahmt und das künstliche
Pumpenwerk zur Förderung unentbehrlich war, desto
deutlicher stellt sich auch in Frankreich der Cha-
rakter der Spätrenaissance ein, die besonders in der
Frankreich
297
Architektur dem wissenschaftlichen Studium des
Vitruv und seiner Ausleger oder dem praktischen
Vorbild italienischer Klassicisten mehr verdankt, als
dem lebendigen Zusammenhang mit den Aufgaben
daheim. Und wo immer die -eigene Kraft nationalen
Lebens sich regt, wo künstlerische Triebe mit diesen
erlernten Formen in Widerspruch geraten, da drän-
gen sie der nordischen Gesinnung folgend in die
Richtung der flandrischen Malerei, als deren Vor-
kämpfer Rubens erschienen war. Das bedeutete nicht
einmal einen Bruch mit der Neigung zur romanischen
Kultur, keine Abwendung von den anerkannten Bil-
dungsstätten Italiens ; dafür bürgte der Name der
Königin Witwe, davon zeugte die Kunst des grossen
Historienmalers selber , die von klassischer Gelehr-
samkeit durchdrungen, dem plastischen Ideal so völ-
liges Genüge bot.
Dieser Gemäldecyklus gab mit seiner hinreissen-
den Gestaltenfülle das Beispiel eines so unerschöpf-
lichen Vermögens, eines so unbezweifelbaren Trium-
phes nordischer Begabung, die alle Mittel südHcher
Kunst sich zu eigen gewonnen und als Gebieterin
der Welt einhergieng, dass sein Vorhandensein in
Paris genügte, um den französischen Geistern keine
Ruhe zu lassen. Zum Wettstreit mahnend, trieb das
Beispiel dieses Antwerpeners die Künstler Frank-
reichs über die Alpen. Ja , noch mehr , der junge
Königssohn , der die Geschicke ferner bestimmen
sollte und als Erbe dieser Legende des Luxembourg
aufwuchs , Ludwig XIV. selbst , hat nirgend anders
das Ideal seines Dichtens und Trachtens so lebendig
298
Weiterentwicklung des Barock
in sich aufgenommen wie vor den Bildern des Vla-
men, der Henriade , die Rubens hier so viel gross-
artiger gestaltet und so viel eindringlicher vor Augen
gestellt, als die geschichtlichen Zustände Frankreichs
sie tatsächlich überlieferten. Der Zug der Olym-
pischen, das Geleit der allegorischen Wesen in die-
ser farbigen Anschauung macht auch den Enkel
zum Erben all der Hoheit und all der Vorrechte,
als deren irdischer Ursprung das Römerreich und
die Hauptstadt der Welt dalag, als deren neuer
Wohnsitz nun aber die Stätte gelten musste, wo sie
so sichtbar eingezogen, so überzeugend gegenwärtig
waren. Der Gedankenkreis des Roi Soleil ist ein
Sprössling dieser Historien von Rubens.
Wenn von klassischer Kunst in Frankreich, als
der Erbin des goldenen Zeitalters in Rom gesprochen
wird, so tritt freilich der Name Nicolas Poussin
zuerst auf die Lippen. Aber er gehört im Grunde
seiner Gesinnung noch zu den Bekennern der Spät-
renaissance, die nach klassischen Vorbildern mit der
starken Beihilfe des Verstandes, mehr wissenschaft-
f? 'i/o 24 ^0 ^^^^ arbeiten als im ursprünglichen Schaffensdrang
aus künstlerischer Phantasie gebären. Er. ist seit
seiner ersten Studienreise, schon 1624, sein ganzes
Leben, mit kurzer Unterbrechung 1640 — 1642, bis
zu seinem Tode in Rom gebUeben ; aber er bedeutet
mit seiner fruchtbaren Tätigkeit, die der Heimat zu
gute kam, für diese fast noch mehr als die Grün-
dung der französischen Akademie , die den dauern-
den Verkehr zwischen Paris und Rom sichern sollte,
die neben den klassischen Studien jedoch, denen sie
Frankreich
299
galt , auch dem Recht der Lebenden Vorschub ge-
leistet hat, d. h. zum Heile Frankreichs der Be-
fruchtung durch die schöpferischen Kräfte der römi-
schen Künstlerschaft des Barockstiles förderlich ward-
So ist die Übertragung von Rom nach Paris
schneller und unmittelbarer vor sich gegangen als
in mancher Provinz Italiens selber. Auf Poussin
hatte die Offenbarung der Barockmalerei, der Cyklus
von Rubens noch nicht gewirkt, als er auswanderte.
Und in Rom gelangte er durch Domenichino, seinen
Lehrer, grade schon in den Rückzug zur Mäfsigung
des Kraftstiles, zu dem Annibale Carracci im Palazzo
Farnese sich aufgeschwungen hatte , wo das letzte
Bild schon von Domenichino herrührt. Auch unter
den Malern von Bologna vollzog sich ein Ausgleich
mit der Hochrenaissance. Charles Lebrun da- >
gegen erfasste schon in Paris ohne Zweifel mit seinem
praktischen Unternehmungsgeist das Beispiel , das '
die Siegeslaufbahn des Antwerpener Meisters ent-
hielt, und der schwungvolle Schulbetrieb in den
Niederlanden Hess ihn nicht schlafen. Er arbeitet
in Rom dann 1642 — 1645 ^^^^ jener Geschäftigkeit,
der es darauf ankommt zu erobern, und die fremden
Errungenschaften einheimst, um sie im eigenen Wir-
kungskreise zu verwerten, ja ein persönliches Reich
damit zu gründen. Mit der allgemeinen Bewunde-
rung der vielseitigen Tätigkeit, die sich dort steigerte
und überbot , nahm er die Kunstweise des Pietro
da Cortona so vollständig in sich auf, wie der be-
rechnende Lerneifer es irgend vermag. Kaum war
er nach Paris zurückgekehrt , so legte auch sein
300
Weiterentwicklung des Barock
Erstlingswerk, der Deckenschmuck im Hotel Lambert
de Thorigny (1649) von dieser Bekehrung zum Ba-
rockstil Zeugnis ab. Genau so wie Pietro da Cor-
tona verband Lebrun die plastischen und die male-
rischen Bestandteile mit der tektonischen Gliederung
vom Kämpfersims durch die Wölbung hin. Und
bald stellte sich in seinen weiteren Malereien, be-
sonders in den Entwürfen , die er verbreitete , die
entscheidende Tatsache heraus, dass seine rauschende
Bewegung von Formen und Farben in ihrer glän-
zend dekorativen Weise mit der Sinnesart des jungen
Monarchen übereintraf, und dass dieser nur zu sehr
gesonnen war, diese Sprache zu der einzig gültigen
seines Königshofes zu machen. Charles Lebrun
wurde zum Interpreten des Wunsches, die römische
Würde mit französischer Eleganz zu vermälen, und
damit zum Ratgeber in allen künstlerischen Dingen
der Residenz. Seit 1660 an der. Spitze der Gobelin-
fabrik, übernahm er auch die Leitung der Manufac-
ture royale des meubles de la couronne, die Colbert
zur Hebung der französischen Industrie 1662 be-
gründete, und verwirklichte hier erstrecht die Rich-
tung , die wir in seinem Streben angedeutet. —
Die glänzende Schulung der flandrischen AteUers,
besonders der Zeichner und Kupferstecher, wurde
nach Paris verpflanzt und auf der andern Seite wurden
die Fortschritte des italienischen Barockstiles so voll-
ständig aufgenommen , wie der Wetteifer der fran-
zösischen Kunst auf dem Weltmarkt es erforderte.
Hier begegnet sich Lebruns Denkweise mit dem
Geiste Colberts noch unmittelbarer als mit dem
Frankreich
301
Hang des Königs zu pomphafter Repräsentation, die
durch Mazarin gewiss mehr dem Auftreten römischer
Kirchenfürsten und päpstUcher Nepoten nachgebildet
war als irgend einem sonstigen Vorbild.
Und neben Charles Lebrun (1619 — 1690) steht
ein Bildhauer wie Pierre Puget (1622 — 1694), den
man den grössten Vertreter dieser Kunst in Frank-
reich überhaupt genannt hat, ein ebenso ausgemach-
ter Anhänger des römischen Barock. Auch er war
seit 1641 in Rom, und zwar als Maler bei Pietro da
Cortona geschult, und deshalb als Bildner malerisch
gesonnen wie Alessandro Algardi, nur mit südfran-
zösischem Temperament , vor Allem zur Verherr-
lichung übermenschlicher Kraft unter jedem Vorwand
geneigt , und seien" es die grässlichsten Situationen.
Ihm wuchs aus seinen Anfängen als Schiffsbildhauer
im Hafen von Marseille die wogende Bewegung in
seine Bildwerke hinein , und dieser Stil des heimi-
schen Elementes blieb ihm auch eigen , als er vom
Holz zum Steine übergieng. „Der Marmor zittert
vor mir," sagte er im Gefühl seines unwiderstehlichen
Willens, aber er zittert auch heute noch, als wohne
den verzerrten Massen die Illusion der Bewegung
inne, die er ihnen beigebracht. Man hat ihn ,,ber-
ninischer als Bernini selber" genannt, aber mit Un-
recht — scheint mir — gegen Bernini.
Wenn somit in den darstellenden Künsten Frank-
reichs der Einfluss des römischen Barockstils durch
Rubens hier, durch Pietro da Cortona dort unzweifel-
haft zu Tage tritt, so bedarf auch die Frage nach
seinem Eindringen in die Architektur einer sorg-
302
Weiterentwicklung des Barock
sanieren Erwägung als bisher. Von den Dekora-
tionsstücken des Jardin du Luxembourg wird nicht
viel Wesens zu machen sein. Aber nach der Ein-
sicht über den römischen Ursprung des Barock und
nach der Erkenntnis seiner Ausbildung von Michel-
angelo zu Giacomo della Porta, die wir gewonnen,
verlangt der schärfere Begriff auch hier konsequente
^^-y/ ir^^cu*^ Verwertung, um festzustellen, wann zuerst in Frank-
. y. /[reich Vignolas Richtung sich neben der Palladios
^ £>(c 4.<^i/Ce4^r^ y^jl geltend macht, und damit auch hier dem plastischen
^^$4^ .€i^U< Gestaltungsprinzip im strengen Sinne sich Tür und
^ Tor zu öffnen beginnt. Die Kirche der Sorbonne
^^/i^y9 /y^f^ Lemercier, die 1635 — 1659 datiert wird, fordert
mindestens durch ihre Fassade zum Vergleich mit
römischen Kirchen der entscheidenden , dem Gesü
folgenden Entwicklungsreihe heraus , während ihr
hölzerner Kuppelbau noch deutlich an oberitalienische
Vorbilder gemahnt. Umgekehrt muss die ächt fran-
zösische Anfügung der Marienkapelle hinter dem
Chor, wie der Kirche de l'Oratoire und S. Roch,
als ein nordischer Gedanke der Raumverbindung be-
achtet werden, den man in malerischen Anlagen des
spätem norditalienischen Barock so häufig nur als
freie Zutat des erfinderischen Baukünstlers be-
trachtet. ')
Die innigste Berührung mit den gleichzeitigen
i) Es wäre natürlich nicht schwer, diese Beispiele von histo-
rischen Problemen und pragmatischen Zusammenhängen zu häufen.
Besonders erwähnenswert erscheint mir auch Antoine Lepautres
Hotel de Beauvais. Vgl. Blondel, Livre IV, Nr. VI (rue Frangois-
Miron Nr. 68), 1655 — 1660.
Frankreich
303
Fortschritten des Stiles in Rom beurkundet jedenfalls
ein andrer französischer Architekt, den man darnach
mit Unrecht zu den Vertretern der Spätrenaissance
rechnet, das ist Louis Levau (1612 — 1670). Wird
es schon anerkannt, dass er in der Grundrissbildung
beim Schlosse Vaux-le-Vicomte z. B., also 1643 (der
Bau selbst war 1661 vollendet) mit der bisherigen'
Überlieferung brach, so verlohnt es auch der Mühe,
die Herkunft des Neuen, das er einführt, zu ermitteln.
Ist dies doch , auffallend genug , grade als Kern in
die üblichen Bestandteile des französischen Landsitzes
hineingeschoben , und um diese triebkräftige Zelle
mit innerer Folgerichtigkeit eine Verschiebung des
Überlieferten vollzogen, die kaum anders als ,, Orga-
nisation" genannt werden darf. ,,Über einen breiten
Kiesweg , — sagt die Beschreibung -r- tritt man in
ein Vorhaus, einen rechtwinkligen, von Arkaden auf
toskanischen Säulen umgebenen, streng architektonisch
gebildeten Raum. Zu beiden Seiten befinden sich
die — nun aus der Axe verlegten — sehr beschei-
denen Treppen , dahinter ein ovaler , durch beide
Geschosse reichender und überwölbter Saal , der
durch Kompositpilaster und darüber durch Hermen
gegliedert ist." Und fügt man hinzu: ,, Vorhaus wie
Saal sind neue Erscheinungen im französischen Grund-
riss. Man war sich der Herkunft des letztern völlig
bewusst, indem man ihn als Salon ä l'italienne ein-
führte," — so regt sich doppelt die Wissbegier,
woher dies erste Beispiel gekommen sei. Beachtet
man aber die auffallende Paarigkeit der seitlich ge-
schobenen Treppen , die Verbindung mit der Ein-
304
Weiterentwicklung des Barock
gangshalle vorn und ovalem Saale hinten , ja die
Formensprache, die Wahl der Säulenordnung, — so
lehrt ein vergleichender Blick nach Rom, dass alle
diese Elemente vom Palazzo Barberini stammen, den
Maderna 1624 begonnen und Bernini weitergeführt
hatte, also von derselben für die Geschichte des rö-
mischen Bauwesens so wichtigen Schöpfung, in der
Pietro Berettinis viel bewunderte Deckenmalerei zu
sehen war, während hier in Vaux-le-Vicomte der
eifrige Schüler des Cortonesen, Lebrun, die Aus-
schmückung übernahm. Die Breitenausdehnung des
ganzen Schlosses , mit dem Vor- und Zurücktreten
der selbständig bedachten Baukörper, das eine Gruppe
von fünf Hauptgliedern bildet, geht sogar in der
malerischen Entwicklung noch weiter als jene rö-
mische Verbindung von Stadtpalast und Villa, so
dass hier Gedanken Berninis von französischer Tra-
dition gradezu umarmt werden. Die Bestimmung als
Landsitz trug eben das Ihrige dazu bei, die bequeme
Disposition der Räume und die freie Lagerung des
Baues zu begünstigen.
Sollte es Zufall sein , dass Louis Levau recht
eigentlich der Zeit des Mazarin angehört, d. h. der
allmächtigen Regierung eines geborenen Italieners,
der, 1642 Kardinal geworden, in Rom die Kirche
S. Vincenzo ed Anastasio bei Fontana Trevi erbauen
Hess, die Martino Lunghi der Jüngere 1650, wie
oben erwähnt, mit jener prahlerischen Fassade ver-
sah, die noch heute zu den ,,barockesten" Beispielen
in Rom gehört. Levau war es auch, der einer Stiftung
des Kardinals in Paris Gestalt verUeh, dem College
Frankreich
305
des quatre nations, jetzt Institut de France
mit der Bibliotheque ^lazarine ( 1660 — 62). Dem
Louvre gegenüber, an der Seine gelegen, zeigt sich
hier an einem ^lonumentalbau ganz bewusst der
Anschluss an die Prinzipien der gleichzeitigen römi-
schen Baukunst , und zwar so früh , dass wir nicht
anders als unmittelbaren Austausch voraussetzen
können. Und wieder sind es französische ^Momente,
die den malerischen Charakter des Ganzen erst recht
entscheiden : die Pavillons an den Ecken. In der
r^Iitte der Vorderfront liegt die Kirche der Erziehungs-
anstalt mit tempeiförmigem Portikus, hinter dem ein
Vorraum in den Kuppelsaal überleitet; der Grundriss
des letztern bildet wieder ein quergelegtes Oval, das
sich durch Kapellen nach hinten zu einem Rechteck
erweitert. Schon dieser Plan bezeugt den Einfluss
der Bauten, wie sie Bernini, Rainaldi, Borromini zu
Rom in Aufnahme brachten. Besonders S. Agnese
an Piazza Xavona ist verwandt; ihr ähnelt auch die
weitere Frontbildung am meisten. An die Seiten
des ^littelstückes schliessen sich nämlich Viertelkreise
an und enden in Pavillons an den Ecken wie in
Türmen dort; nur ist das Ganze viel breiter ausge-
zogen. [Mittelbau und Eckbauten haben eine korin-
thische Ordnung, dort Säulen, hier Pilaster, während
die geschwungenen Wände dazwischen zwei Ord-
nungen über einander aufweisen , doch nicht die
Höhe der Hauptbestandteile erreichen. Die Dächer
der Flügelbauten sind niedrig, und überall tritt der
itahenische Charakter auch in der Durchbildung des
Einzelnen hervor, obwol die ganze Kuppel hier
Schmarsow, Barock und Rokoko. OQ
306
Weiterentwicklung des Barock
wie an der Sorbonne nur noch aus Holz herge-
stellt ist.J)
Das Wichtigste für uns ist die malerische Ten-
denz, die den Grundzug in einer zusammenfassenden
Charakteristik der fortschrittlichsten Bauten Levaus
zu bilden hätte ; denn in diesem Punkt begegnet sich
die persönliche Tätigkeit Berninis mit dem Villenbau
Palladios, und auf diesem Boden konnten sich auch
die strengern Architekten in Paris, die Palladio nur
allein noch anerkannten , mit dem Streben Levaus
und Berninis verständigen. Viel fremder jedoch, ja
wie ein Gräuel gegen alle Gesetze der reinen Bau-
kunst, musste ihnen das überplastische Wesen eines
Borromini erscheinen und Alles, was aus seinem Vor-
bild weiter, auf dem Wege durch Oberitalien hin, sich
abgeleitet hatte. Wie eine Kriegserklärung nur kann
die Wahl eines Guarino Guarini zum Architekten
der Theatinerkirche mitten in Paris gewirkt haben
(1662), die Berufung eines Fremdlings nicht nur, der
allerdings dem Orden angehörte , sondern auch die
Empfehlung Lebruns, der ihn nur deshalb bevorzugte,
weil er entschiedener als Andre den Barockstil nach
dem Geschmack des tonangebenden Kunstintendanten
vertrat.
1) Interessant ist eine Art Vorbereitung dieser Anlage in Fr.
Mansarts Schlossbau von Choisy-le- Roy , wo leider nur noch die
beiden vorderen Pavillons mit verbindenden Mauerarmen gegen die
Einfahrt zu übrig sind, aber ihre Beziehung zu der alten Allee von Ver-
sailles her deutlich genug erkennen lassen. Aus derselben Zeit steht dort
eine sehr strenge Fassade, das Haus des Architekten selbst genannt.
2) Ste. Anne wurde von Guarini nur begonnen , von Lievain
17 14 erst weitergebaut und 1747 von Desmaisons vollendet (jetzt
Frankreich
307
Es soll der Beirat Lebruns nicht minder im Spiel
gewesen sein, als der neue Minister Colbert plötzlich
1664 dem damaligen Leiter des Louvrebaues Levau
befahl, die Weiterführung der Arbeiten einzustellen,
da sein Plan den Absichten des Königs nicht ent-
spreche. Ludwig XIV. wollte sein Schloss in Paris
zum schönsten Bau der Welt erheben. Deshalb
wurde eine Konkurrenz der besten Baumeister Frank-
reichs veranstaltet; aber die Wahl blieb unentschieden.
So erhielt Poussin in Rom den Auftrag, die sämt-
lichen Entwürfe der dortigen Akademie zur Begut-
achtung vorzulegen, und die Angelegenheit gelangte
vor den Richterstul des berühmtesten Künstlers, des
Architekten von S. Peter, Bernini selber. Ihm frei-
lich mussten die Pläne der Franzosen, die mit vor-
handenen Bestandteilen aus früherer Zeit und mit
heimischen Anschauungen zu rechnen hatten, allesamt
als befangenes Stückwerk erscheinen. Sie alle hatten
in seinen Augen keine Ahnung, was es heisst im
Grossen und Ganzen zu schaffen. So Hess Bernini,
den man schon lange für Frankreich zu gewinnen
versucht hatte , durch die dringende Einladung des
Königs sich selber zur Reise bestimmen und kam
1665 nach Paris, um den Bau des Louvre zu über-
nehmen.
Vollständige Beseitigung der bestehenden Ge-
bäudeteile war sein erstes Ansinnen, als er das Kon-
glomerat von Anfängen gesehen hatte. Und dieser
zerstört) , war somit als Monument kaum von Bedeutung für den
Gang der Dinge in Paris, desto wichtiger ist sie uns als Symptom.
20*
308
Weiterentwicklung des Barock
radikale Vorschlag musste schon einen Sturm der
Entrüstung hervorrufen , dem selbst der König und
sein Minister Stand zu halten sich scheuten. Das
Neue vollends , das Bernini an die Stelle zu setzen
gedachte, war — wie wir oben gesehen — ein durch-
aus römischer Palast, nur in seinen Abmessungen
von ausserordentlicher Grösse , so dass er ein ge-
waltiges ringsum in voller Monumentalität und ein-
heitlichem Charakter geschlossenes Viereck umspannte.
Der ganze Bau wäre damals ein rücksichtsloser Wi-
derspruch gegen die Kunst der Franzosen geworden ;
aber er widersprach auch den Lebensgewohnheiten
derer, die ihn bewohnen sollten. Mit Recht wurde
von den heimischen Architekten gegen ihn geltend
gemacht, dass er die Ansprüche an bequeme Raum-
verbindung, die Einfügung notwendiger Nebengelasse,
grade diejenigen Erfordernisse ausser Acht gelassen,
die man in Paris neuerdings erst recht zu schätzen
und wie nirgend sonst zu erfüllen gelernt hatte, —
und zwar nicht zum geringsten Teile grade durch
das Verdienst des Mannes, dessen Bautätigkeit man
am Louvre soeben plötzHch unterbrochen hatte:
Levaus.
Bernini kehrte sehr bald unverrichteter Sache
nach Italien zurück.^) Sein Projekt aber hat den
Franzosen , die ihn befehdeten und verurteilten , in
Wahrheit die Augen geöffnet für das , was ihnen
i) Vgl. für das Nähere dieser Geschichte Patte, Memoires . .
de l'Architecture 1769 p. 320 ff., Rene Manard, Le Bernin en France,
L'Art 1875 und Laianne, Gazette des Beaux-Arts 1877.
Frankreich
309
abgieng. Ganz ohne Zweifel hat Claude Perrault,
nach dessen Plan dann 1667 — 1674 die Louvre-
fassade wirklich ausgeführt ward, den Grundgedanken
des Aufrisses von Bernini übernommen, obgleich er
die Formensprache mit dem Bekenntnis der franzö-
sischen Schule, d. h. dem Vorbild Palladios in Ein-
klang zu bringen sucht. Tempelfassade (in der
Mitte), Triumphbogenmotiv (an den Seiten) bestimmen
die geschlossenen Risalite; eine offene Gallerie mit
gekuppelten Säulen , beide Geschosse zusammen-
fassend, öffnet den langgestreckten Körper in re-
gelmäfsiger Reihung links und rechts von dem
Mittelbau, der durch das Einschneiden des Rund-
bogentores in das Hauptgeschoss nur gewaltsam die
Einheit des Aufbaues zu betonen strebt. Durch den
Verzicht , auch im Binnenhof den Charakter eines
einheitlichen Ganzen durchzuführen, da man das
Vorhandene, wenn auch nicht ohne Überhöhung stehen
Hess , war es möglich , das Schaustück der Aussen-
seite auch mit Säulenarchitektur zu beleben , wie es
Bernini im Hof und an der Seite der Tuilerien ge-
wollt hatte. So kam ein Aufschwung zum Wetteifer
mit dem klassischen Tempelbau in die französische
Baukunst, der im Innern der Schlosskapelle von Ver-
sailles zunächst seine Früchte trug. Aber an der
Seitenfassade des Louvre gegen die Seine zu sehen
wir die Kraft Perraults schon erlahmen ; völlige Tro-
ckenheit der Flächendekoration tritt an die Stelle
und damit das Übergewicht der Breitenausdehnung
erstrecht hervor. So wird auch bei diesem Parade-
ritt der verstandesmäfsig erlernten hohen Schule der
310
Weiterentwicklung des Barock
Renaissance die Grundlage der malerischen Auffassung
adoptiert, die sich auch in manchen andern Eigen-
schaften an Perraults Hauptfassade ebenso verrät.
Den Einfluss des geschlossenen Breitbaues, den
Bernini für das Schloss in Paris vorgeschlagen, erfuhr
auch sofort die Erweiterung dessen von Versailles.
An der Gartenseite wurden die beiden vorspringen-
den Flügel beseitigt , indem man über dem Saal
Ludwigs XIII. dazwischen, an Stelle der offenen Ter-
rasse einen Vollbau errichtete , und so durch die
Galerie des glaces auch hier eine einheitlich fort-
laufende Fassade gewann. Selbst diese wurde dann
noch durch beträchtliche Anbauten an den Seiten
verlängert, so dass das Ganze nur als Schlusswand
einer weitumfassenden Perspektive noch die gross-
artige Bedeutung erhält, die es beansprucht. Und
die Herrschaft der ruhig ausgestreckten Breiten-
dimension als Dominante über Alles hin war so an-
erkannt im aesthetischen Gefühl der Gebildeten, dass
Saint-Simon das Kapellendach , das hinten darüber
emporstiegt), als unerträgHch empfand, und ,,cet
i) Im Bau der Schlosskapelle (1699 — 17 10) wird die Säulen-
stellung der Louvrefassade ins Innere genommen und bestimmt
wesentlich den festlichen Charakter ; aber die Ausdehnung der Tiefe
geht nur soweit, als die Loge des Königs ein einheitliches Bild der
Sängertribüne empfängt , d. h. soweit sich zwei Bühnenbilder er-
geben , die in der Mitte zusaramenstossen. Da der Gottesdienst
selbst im Erdgeschoss stattimdet , so ist der königliche Hof und
seine Musikkapelle schon in der oberen Region, unter der heitern
Säulenhalle mit ihren breiten hellen Fenstern ringsum , in Gemein-
schaft mit dem Reich der Himmel, das vom Gew^ölbe hernieder-
steigt und einheitlich zum Bilde des Ganzen gehört, während die
Frankreich
311
horrible exhaussement" nur als Mittel erklären konnte,
den König zur Überhöhung des ganzen Schlosses
zu zwingen.
,,Von jetzt an gilt das Schloss", sagt Dohme,
„überall um so vornehmer, je weiter sich seine Flügelf
dehnen. Absichtlich zerrt man sie deshalb durch :
weitgestreckte Galleriebauten u. s. w. in die Länge,
so gelegentlich Ausdehnungen erzielend, welche alles
bisher Geschaffene hinter sich lassen." Es ist ästhe-
tisch genommen die Vorherrschaft der zweiten Di-
mension, der Breite, die hier triumphiert und wie
in Deutschland auch in Italien den Sieg des neuen
Prinzips verkündet ; es ist die Flächenfreude , die
sich damit eine Stätte schafft.
Mit dieser äussern Umgestaltung des Schlosses
von Versailles nach der Seite, nach der französische
Wohnungen überhaupt ihren Anspruch zu betonen
pflegten, hat auch Jules HardouinMansart seine Be-
kehrung zu Berninis Kunstprinzip bekundet, während
er noch später in der Schlossanlage zu Nancy einen
neuen Beweis geliefert hat , mit welchem empfäng-
lichen Sinn auch er die Kolonnaden von S. Peter
und die geschlossenen Plätze Roms studiert hat und
nach Möglichkeit , selbst in der Absicht dekorativer
Wirkung nur, verwertete.
Indessen , für die Kunstentwicklung in Frank-
reich und die Erkenntnis ihres Ganges ist es wich-
tiger , die wolbekannte Tatsache zu betonen , dass
untere Region, einfach und dunkel bis auf den Altar , unter ihren
Füssen lagert.
312
Weiterentwicklung des Barock
die Bedeutung des Schlosses von Versailles wesent-
lich nicht sowol in seinem Äussern als vielmehr in
I der Gestaltung und Anordnung seiner Innenräume
beruht, und dass grade hierin das Werden des Neuen
i beobachtet werden kann, dem die Zukunft gehört,
\ji d. h, die Keime des Stiles, den wir Rokoko nennen.
Eine Reihe von kleinen Schlössern, die der
König, seiner selbstgesteigerten Hoheit mit ihrer un-
ausgesetzten Repräsentation überdrüssig, als Zufluchts-
stätte menschlicher Regung erbaute, bezeichnet eben
damit schon die Umkehr zur Natur und den Ver-
zicht auf das übermenschliche Wesen, das der Barock-
stil postulierte. Nur konnte dieser eitelste Träger
der erhabenen Würde, der alle Ansprüche römischen
Prälatentums aufgesogen und in Hofceremonien aus-
geprägt, die Selbstvergötterung nicht los werden, und
überall taucht aus seinen Spiegeln die unausstehliche
Physiognomie seines Sonnenantlitzes mit dem Nimbus
der Allongenperrücke als Glanz- und Bildungssphäre
vor dem Auge des Besuchers auf, das zu fragen weifs,
was diese Formen und Farben bedeuten. Es wohnt
in ihnen das verstockteste Selbstgefühl, das die Welt
nur als Reflex seiner eigenen Person zu nehmen
gewohnt ist.
Diese Lustschlösser würden gewiss Schritt für
Schritt den Weg der innern wie der äufsern Entwick-
lung vom Grofsartigen zum Eleganten und von da
bis an die Gränze des Anmutigen erkennen lassen,
wenn sie unverändert und unzerstört als historische
Urkunden der Kunst noch dastünden. Bei der Ere-
^^/^-/^ mitage von Marly wissen wir jedenfalls, dafs die
Frankreich
313
Villen Palladios wie die Rotonda von Vicenza
und ihre Erweiterungen auf dem Lande das unver-
holene Vorbild waren. Vier vollständig ausgebildete
Einzelwohnungen legten sich, durch gangartige
Gallerien verbunden, um den Mittelbau, der zwei
Geschosse von sieben Axen unter einer Pilaster-
ordnung vereinigte, und ein weites Parterre mit Teich
darin überblickte, während zu den Seiten ausserhalb
dieses Komplexes noch sechs Pavillons, für je zwei
Bewohner eingerichtet, sich locker anreihten. Damit
war auch der Gruppierung kleinerer und gröfserer,
mehr oder minder selbständiger Bestandteile freier
Spielraum eröffnet, und jemehr sich alle diese An-
lagen wie in Versailles, Grand Trianon u. s. w. mit
den Gärten Le Notres verbanden, desto mehr ent-
wickelte sich in der Gruppierung, wie in der Kunst
des Gartenbaues selbst, der malerische Sinn. Ja, es
ist wol kein Zweifel, dass die Parkanlagen Le Notres
selbst, von Versailles bis Marly, eine Stufenfolge be-
zeichnen: von der Geltendmachung eines herrschenden
Willens nach Aussen, so weit das Auge reicht, bis
zur Umkehrung dieses Verhältnisses zur umgebenden
Natur, die den Flüchtling der menschlichen Gesell-
schaft in ihre Einsamkeit aufnimmt, ihn nach Aussen
abschliefst und einhegt, damit er sich selber wieder-
finde im Schofs der Wälder, — die sich deshalb nach
Innen ihm zukehrt und ringsum mit ihren grofsen
ruhigen Augen hinein schaut in das Innere seines
Hauses.
Immer freilich war dies eine erlesene, den ge-
wohnten Anwartschaften des alternden Königs be-
314
Weiterentwicklung des Barock
reitete Stätte; aber gerade diese Bedürfnisse der
Bequemlichkeit und Vertraulichkeit des intimen Ver-
kehrs geben die Gelegenheit, den ländlichen Villen-
bau Palladios mit Vorliebe zu studieren, ihm abzulernen
was er zu bieten vermochte, und in der Erfüllung
dieser neuen Ansprüche französischer GeseUigkeit
und nordisch häuslichen Daseins über jenes Vorbild
weit hinauszugehen. Von jenen Landhäusern des
ItaUeners entnahm man die breite Lagerung in un-
mittelbarem Zusammenhang mit Garten und Terrasse,
also den Verzicht auf den Hochbau und die Bevor-
zugung des Erdgeschosses für diesen stetigen Aus-
tausch mit der Natur, — damit auch die zalreichen
Raumöffnungen und vermittelnden Übergänge, die
Vorliebe für Säulengänge und Wandelbahnen um
einen Mittelplatz, für einen gemeinsamen Mittelraum
im Innern, der seinem Charakter gemäfs centrale
Grundform erhält, und für möglichste Mannichfaltig-
keit runder, ovaler, polygoner Zimmer neben den
regelmäfsigen am Korridor entlang. Diese Studien
sind auch in Berninis Tagen für die Entwicklung
des römischen Baustiles von unverkennbarer Wichtig-
keit gewesen, also der itahenischen wie der fran-
zösischen Schule zu Paris gemeinsam. Dagegen ent-
sprachen diese Vorbilder weder in der lockeren und
luftigen Gestaltung der Sommervilla, noch in der
weiträumigen Monumentalität des Palastes den An-
forderungen, die schon das nordische Klima und
die häusliche Lebensweise in Frankreich an die
Wohnung stellen mussten. Die schweren Kamine
freilich, die den Renaissancebau Frankreichs beengten
in Frankreich zum Rokoko
315
und beeinträchtigten, wichen immer mehr den ele-
ganteren, mögUchst zurücktretenden ,,Cheminees ä la
royale" mit Spiegel darüber, die Mansart erfunden
hatte; aber immer noch ist der Einfluss der nieder-
ländisch-nordischen Stube, deren Grundgefühl Italien
nicht kennt, unläugbar lebendig. Sehr bezeichnend
jedoch für den Charakter des Lustschlosses ist auch
die Erleichterung der Deckendekoration und der be-
freiende Übergang zu schlichtem Weifs und Gold für
die Ausstattung des ganzen Innenraums.
Je mehr der Monarch selbst sich kränkelnd
und verstimmt zu bigotten Anwandlungen zurück-
zog, desto ungestörter genoss andrerseits die Jugend
in den ,,petites maisons" zu Paris und auf den Land-
sitzen in der Runde das Dasein nach ihrer Art, in-
dem sie sich die Wirklichkeit des Augenblicks mit
allen Reizen schmückte, die dem sorglosen Sinn und
der sprudelnden Laune des Glücklichen sich bieten
mögen.
R OKOKO
I.
Um die strengen Gewohnheiten des Monumen-
talbaues in Fhiss zu bringen und die vorwiegend
verstandesmäisige Tätigkeit der Meister zu schöpfe-
rischer Gestaltung fortzureifsen , bedurfte es der
wiederholtenDurchdringung mit dem genialen Schwung
des itaUenischen Barockstiles und der niederländischen
Malerei, und nur die glücklichste Klärung dieser be-
fruchtenden Elemente, die feinsinnigste Läuterung
in dem geistig so viel höher gebildeten und sorg-
fältiger geschulten französischen Geschmack hat jene
köstlichsten Früchte des neuen Stiles gezeitigt, die
als vollendeter Ausdruck der eleganten Welt in den
Tagen Ludwigs XV. zu gelten berechtigt sind.
So geschieht es nicht ,, auffallender Weise", wie
Albert v. Zahn^) sich ausdrückt, sondern sowol für
den Zusammenhang der Kunstentwicklung sehr er-
i) Barock, Rococo und Zopf, Zeitschr. f. bildende Kunst,
Leipzig 1873.
Watteau
317
klärlicher, man möchte sagen notwendiger Weise",
dass ein Maler, der vor der vollen ,, Ausbildung des /
architektonischen Rokoko gestorben ist, der charak-
teristischeste Künstler dieses Stiles ward: Watte.au, tfaHou f
der nach etwa zehnjähriger gereifter Kunsttätigkeit
1721 starb."
Ein Maler wie Rubens hatte den römischen
Barockstil mit vollstem Verständnis nach den Nieder-
landen herübergenommen und das plastische Ge-
staltungsprinzip in das malerische Fluidum versetzt,
so dass es für den nordischen Kunstgeist geschmeidig
wurde. Ein Maler, der die Vorzüge dieser nieder-
ländischen Schulung sich angeeignet, mochte auch
zunächst im Stande sein, dem neuen Ideal, das sich
so vielfach aus diesen Einflüssen erst entwickelt, den
lebendigsten Ausdruck zu leihen. Der technische
und koloristische Zusammenhang der Malweise
Watteaus mit dem Vorbild der Meister von Ant-
werpen, wie Rubens, van Dyck oder Teniers, ist
mittlerweile eine anerkannte Tatsache. Aber Rubens
hatte, wie A. v. Zahn bemerkt, neben seiner voll-
kräftig leuchtenden auch eine schimmernde und
spielende Palette von Tönen, die er vorwiegend in
seinen Skizzen oder auch in den Hintergründen und
Nebensachen verwendete. Und bezeichnender Weise
war es grade diese, nicht die volle oder gar ge-
steigerte Wirklichkeit wiedergebende, sondern nur
den malerischen Schein der Dinge bewahrende Kunst,
die Watteau sich angeeignet hat. Nur sie entsprach
dem Ausdruck dessen, was diese verfeinerte Gene-
ration vom Leben wollte: alle Reize der Daseins-
318 Rokoko
wonne, noch immer den ganzen berauschenden
Schimmer seiner übersprudelnden Fülle, ja möglichst
vervielfältigten und erfinderisch ausgebeuteten Genufs,
nur bei Leibe keinen Ernst, keine brutale Wahrheit,
die alle Beteiligten beim Wort nimmt, keine uner-
bittlichen Konsequenzen des Vergnügens.
Watteau hat ,,die farbenreizenden Kontraste
flandrischer Bilder in ein so lichtes, feingestimmtes
Aquarell-Kolorit übersetzt", sagt Zahn; aber er hat
auch immer den Goldton des Sonnenscheins darüber
ausgegossen, den er wol Niemand anders als Claude
Lorrain abgesehen, mit dem er schon durch seine
VorHebe für die herrliche Parknatur Le Notres ver-
wandt ist. Das Gröfsenverhältnis seiner Figuren zu
ihrer Umgebung, wie es seine beliebtesten Meister-
werke aufweisen, ist auch nur erklärbar, wenn wir die
Staffage der Landschaft Claude's auf der andern Seite
den Bildern und Skizzen verwandten Formates von
Rubens gegenüber denken und eine Annäherung
dieser Wirklichkeitsgrade versuchen: nicht ganz
Märchen wie bei Claude, nicht ganz Leibhaftigkeit
wie bei Rubens. Grade in diesem Prozess aber be-
zeichnet der herrUche Gilles" der Sammlung La Caze
im Louvre den Ausgang vom Mafsstab der Rubens
und van Dyck.
Watteau hat ,,die überquellende oder mindestens
dem kräftigsten Naturleben entstammende SinnUch-
keit jener Schule in so konventionell galante Ko-
mödienscenen verwandelt, seine Gebärden so inner-
halb des eleganten Tanzmeisterbenehmens gehalten,
dass Alles, was in ihm tatsächlich stilistische Eigen-
Watteau
319
Schäften des Rokoko sind, als neue und originelle
Erscheinung des malerischen Gebietes bezeichnet
werden muss". Es ist geradezu die Grundlage der
französischen Kunst darin gewonnen: Schönheit ist
" lautet ihr Bekenntnis, in dem das eitle Selbst-
gefühl des Einzelnen sich auflöst in die einheUige
Gesellschaft der bevorzugten Stände, um in diesem
mannichfaltigen Reflex erstrecht der Daseinswonne
teilhaftig zu werden. Das Konventionelle ist nichts
Anderes als die Voraussetzung dieses Spieles , der
Salonton der adligen Kreise und aller Vertrauten,
die sich darin zu bewegen wissen, bis hinunter zu
den Komödianten, die notwendig mit dazu gehören.
Watteau hat wie in seinem Kolorit und seinen
Typen , so ,, namentlich in seinen dekorativen Kom-
positionen, Grotesken mit Figuren, zwar nicht die
Ornamentformen, aber die stilistischen Grundzüge
des Rokoko in unverkennbarer Eigentümlichkeit vor-
gebildet. Bei ihm ist die gesuchte Einfachheit, das
Schlanke, Graziöse, Spielende, Elegante der vor-
herrschende Zug der künstlerischen Phantasie", urteilt
ein so feinsinniger Kenner dieses Stiles, wie Albert
V. Zahn es war, und es kommt mir darauf an, nicht
allein pietätvoll, sondern auch auktoritativ, die vollste
Ubereinstimmung mit ihm in dieser Hauptsache zu
betonen. ^)
War Antoine Watteau 1684 in Valenciennes,
also im alten Hennegau geboren, das erst 1678 an
l) Ich lasse hier natürlich mit Absicht die seither ange-
M'achsene Litteratur über Watteau ausser Betracht.
320
Rokoko
Ludwig XIV. abgetreten wurde und damals seinem
niederländischen Wesen noch nicht entfremdet w^ar,
so steht in Paris unmittelbar neben ihm der Sohn
eines niederländischen Tischlers Gilles-Marie op
den Oordt, 1672 in Paris geboren und französisch
Oppenort genannt, den ein Kunstkritiker von 1748
in lobendem Sinne als ,, Lebrun der Architektur" be-
zeichnet, während Quatremere de Quincy ihn tadelnd
1832 sogar zum ,, Borromini Frankreichs" erhebt. —
Jedenfalls verquickt auch er ein starkes italienisches
Element, das er während eines achtjährigen Aufent-
haltes in der Heimat des Barock in sich aufgenommen
hatte, mit der unverkennbaren Verwandtschaft seines
niederländischen Stammes , mit dem derben, aber
schwungvollen Geschmack der Zeichner und Stecher,
die sich an Rubens geschult, d. h. mit der Eigen-
schaft, die auch seinem Vater schon die Aufnahme
bei Lebrun verschafft haben wird. ,,In vielen, na-
mentlich in seinen schweren Profilen steckt er noch
ganz im Barock", bemerkt Dohme, und will ihn des-
halb den eigentlichen Rokokomeistern noch nicht zu-
gezählt wissen. Aber zu den Begründern oder Vor-
läufern des Stiles gehört er jedenfalls, so gut wie
Watteau als Maler; denn grade seine Feder- und
Tuschzeichnungen waren es nach dem Zeugnis
d'Argensvilles , die aufs Eifrigste gesucht wurden
und seinen grossen Ruhm allein begründet haben :
,,denn ihre geniale und doch liebenswürdige Be-
handlung verhinderte die Wahrnehmung, dass sie
ausgeführt eben weniger wirkten". — Seine Stiche,
die 17 15 — 1722 erschienen, haben viel dazu beige-
Op den Oordt
321
tragen, das Gefühl zu schmeidigen und in die Schule
Mansarts , aus der er selber hervorgegangen , den
Schwung der malerischen Auffassung hineinzubringen.
Seit 17 19 bis 1736 war er beim Weiterbau von St.
Sulpice beschäftigt und leitete vor allen Dingen die
dekorative Ausschmückung des Palais Royal , also
die Herstellung des Schauplatzes für die Feste des
Herzogs von Orleans während der Regentschaft.
Hier „tritt an die Stelle der geometrischen Grund-
gestaltungen in den Wandvertäfelungen, Türen und
Verkleidungen eine vielfach geschwungene Linien-
führung. Die Straffheit der Formen verschwindet,
um einer zierlich flotten, in hohem Mafs gekünstelten
Zeichnung Platz zu machen, und verwandelt die tra-
genden GUeder in nur schmückende, nimmt ihnen
den Ausdruck ihrer baulichen Pflichten , vertauscht
ihn mit dem eines mühelos heitern Daseins , und
vermischt ihre Einzelheiten wie die Muscheln, Fratzen
und Gehänge willkürlich zu überschwänglichen viel-
förmigen Gebilden, aber stets in leichtbeweglichem
Fluss." ^)
Der Dritte, der die künstlerische Genialität des
Barockstües in den Fortschritt der französischen Be-
strebungen hineinbrachte, war Juste Aurele Meis-
sonier (1695 — ^750)^ der Goldschmied und Bild-
hauer, Zeichner und Maler wie Baumeister in einer
Person war. Er kommt aus Turin, wo seit Guarinis
Tagen sich ein neuer Mittelpunkt mit neuer Schaf-
fensgelegenheit ausgebildet hatte , und bringt von
i) Gurlitt a. a. O. II.
Schmarsow, Barock und Rokoko.
21
322
Rokoko
dort die entschiedenste überall plastisch fühlende
Gestaltungskraft mit. ,,In Bibbienas Entwürfen und
den Dekorationen des Schlosses von Stupinigi bei
Turin findet man die Keime seiner blendend geist-
reichen Kunstweise, die mit breiter Pracht, wie mit
ungewöhnlicher Sicherheit der Auffassung und völ-
liger Beherrschung des Technischen die französische
Feinheit und Schärfe verjüngen half" — lautet das
Urteil des Einen ^). ,,Meissonier gieng vom Studium
Borrominis und Pozzos aus, und selbst, als er dann
in Paris mit voller Seele sich der neuen, eben empor-
blühenden Stilrichtung hingab , deren spätem Cha-
rakter er wesentlich ausbilden half, bÜeb ihm immer
ein gut Teil von dem Schwulst des Barock eigen.
Durch die Bedeutung, welche dieser Mann gewinnt,
geht die eigentliche national-französische Grazie zum
guten Teil verloren/' — schreibt der andere Kenner.-)
Durch ihn aber wird , darüber sind alle vor-
urteilsfreien Forscher einig, das Rokoko zu seiner
vollen Erfüllung geführt. Rein auf nationale Ele-
mente kann es sich nicht gründen. Seine Pariser
Entwürfe für getriebene Silberarbeiten ,, zeigen schon
1723 ein völlig reifes Rokoko", lesen wir (nach
Zahn) auf der selben Seite, wie Gurlitts eigene An-
sicht, die Ausführung seines Entwurfes zur Fassade
von St. Sulpice (1726) wäre ,,die barockeste Ge-
staltung in Frankreich geworden". Sein Haus Bre-
1) Gurlitt a. a. O.
2) Dohme, Im neuen Reich 1874: Barock- und Rokokobauten
in Berlin und Potsdam.
Meissonier
323
thous wird hinsichtlich der Grundrissbiidung die
höchste Vollendung des französischen Wohnhauses
genannt, aber seine Stiche für die Innenausschmückung
eines Salons der Prinzessin Czartoryski oder den
Saal des Grafen Bielinski (1734) „überbieten die lau-
nischesten Erzeugnisse der Barockarchitektur und
zeigen sein Vergnügen, ganze Aufbauten und Bogen-
stellungen zu biegen, zu strecken, wie weiches bild-
sames Wachs" (Gurlitt) ; — ,,sie streben das Über-
ladene des Barock mit seinen perspektivisch gemalten
schwer stuckierten Decken doch mit der Grazie der
national-französischen Meister zu vereinigen," ,, wäh-
rend das Vollendetste , was Meissonier in eigent-
Uchem Rokoko leistet , in dem projet d'un trumeau
de glace pour un grand cabinet fait pour le Portu-
gal; Huguier sculp. zu Tage tritt" (Dohme).
Daraus geht jedenfalls hervor, dass die beiden
Erscheinungen, die man in der Kunstgeschichte mit
den Namen Barock und Rokoko bezeichnet , eine
ganze Weile in Frankreich neben einander her-
gehen. Und da das Eindringen des Barockstiles in
der Malerei durch Rubens schon seit 1625, in der
Baukunst aber jedenfalls von Rom aus schon in den
dreissiger oder vierziger Jahren begonnen hat, so
ist historisch das Wahrscheinlichste , dass die Ent-
stehung des Rokoko diese spätere ins Malerische
gehende Milderung des römischen Barockstiles vor-
aussetzt , dass es als Kind der lebendigen Durch-
dringung der nationalen französischen Kunst mit
diesem Gestaltungsprinzip betrachtet werden muss.
Fragen wir aber nach der französischen Kunst, die
324
Rokoko
dieser italienische Stil im 17. Jahrhundert vorfindet,
so ist es wieder eine wesentlich von Italien be-
stimmte, nämlich die Renaissance, die in Frankreich
vorzugsweise aus Oberitalien übernommen ward und
die Entwicklungsphasen dieser Nachbarin in der
nämUchen Folge nacherlebt. Es Hegt also in Paris
ein umgekehrtes Verhältnis vor als das oben in
Rom festgestellte. In Rom war der Barockstil durch
Michelangelo geschaffen ; die Renaissance drang aber
wieder von ausserhalb auf ihn ein und verwandelte
sein streng plastisches Wesen in malerischem Sinne,
wie wir besonders an Berninis Beispiel nachzuweisen
versucht. In Paris dagegen war die Renaissance vor-
handen , immer ausschliesslicher auf das Vorbild
Palladios und der gelehrten Vitruvianer sich steifend,
und der Barockstil drang erobernd ein, so dass grade
da eine Verquickung erfolgte , wo er in der gemil-
derten Form auftrat, d. h. wo Berninis Richtung mit
der Palladios übereintraf : in der Stadtwohnung mit
Garten oder im Landhause draussen im Park.
Wird dieser historische Erklärungsversuch vor-
läufig zugelassen, so ergiebt sich für den Geschichts-
forscher wie für den Ästhetiker die Aufgabe, den
Beitrag aller dieser Faktoren in der angegebenen
Reihenfolge herauszuschälen und nach dem Wesen
der drei Hauptkünste zu unterscheiden. Aber sie
dürfen beide auch des angestammten Erbteils der
französischen Kunst nicht vergessen, das diese aus den
Jahrhunderten ihrer selbständigen Blüte bewahrt und
aus dem Mittelalter durch alle Bemühungen der Re-
naissance hindurch gerettet hat. Hier liegt ihr Cha-
Ein StiP
325
rakter als nordische Kunst, die sie von allem Italie-
nischen unterscheidet, und hier auch die Neigung
ihrer eigenen Natur, die der künstlerischen Gross-
macht im Norden , der niederländischen Malerei,
einen so starken, all ihre Schicksale mit bestimmen-
den Einfluss gewährt : parce qu'on revient toujours
ä ses Premiers amours.
2.
Unsere besten Kenner des Rokoko, die mit be-
geisterter Liebe an ihm gehangen haben , Albert
V. Zahn und Robert Dohme, waren nacheinander zu
der zweifelnden Frage gekommen, ob es denn über-
haupt als Stil gelten dürfe. ,,Bei der Baukunst kann
von einer eigentlichen Rokoko - Periode nicht die
Rede sein," erklärt A. v. Zahn; ,, dieser Stil hat mit
den Bauformen des Äussern im Grunde nur einen
negativen Zusammenhang." — Also wol ein Stil,
aber kein Baustil. Von der Innendekoration aus-
gehend, bleibe das Rokoko auch wesentlich auf diese
beschränkt. Es seien die Decorateurs , welche die
neue Ausschmückung der Innenräume zunächst in
den bereits fertigen Palästen und Wohnhäusern
,, französischen oder italienischen Barockstils" an-
bringen , an deren Grundrisse und räumliche Ver-
hältnisse sich der veränderte Stil der Ornamentik
ohne grellen Missklang anschliesse. Ja, man gewinne
den Eindruck, wo das Rokoko bis in die Bauformen
des Äussern vordringe, da verrate sich überall eine
dilettantische Unsicherheit, die mit der durchgehen-
326
Rokoko
den Meisterschaft in der Handhabung dieser Formen
zur Innendekoration in auffallendem Widerspruch
stehe. Alle diese mit dem Rokoko in Zusammen-
hang stehenden Formen des Aussenbaues könnten
als negative Leistungen , als reine Abschwächungen
des nüchtern gewordenen Barockstiles betrachtet
werden. Die positiven Gestaltungen lägen auf dem-
jenigen Gebiete, wo ,,die struktiven Gesetze nicht
mehr materiell, sondern symbolisch erfüllt werden"
(wie Gottfried Semper sich ausdrückt) und die tek-
tonische Formensprache in das freie Spiel der Phan-
tasie auf der einen, in die bildliche Darstellung der
schmückenden Naturgestalten auf der andern Seite
übergeht.
Man sieht wol, so logisch folgerichtig und ge-
wissenhaft erwägend v. Zahn gedacht hat, er stellt
sich doch auf den Boden der ,, technischen und tek-
tonischen Künste", von denen er mit Semper auch
in der stilistischen Analyse des Rokoko ausgeht, und
verliert grade den Punkt der Baukunst aus den Augen,
auf den es vor allen Dingen ankam, um die Selb-
ständigkeit des Stiles zu ergründen, nämlich ,, Grund-
risse und räumliche Verhältnisse" des Innern. Er
betrachtet diese Grundlage nur als ererbt und fertig
zu Anfang, — das aber könnte historisch ein Über-
gang sein — , und geht dann, wie Jakob Burckhardt
in der Analyse des Barock, zum Aussenbau über,
— in dessen unzureichender Durcharbeitung auch
wieder ein historisches Moment, d. h. ein Abbrechen
der Entwicklung vor ihrer Reife gesehen werden
könnte. Vielleicht hat ihn doch Cochins Polemik,
Ein Stil?
327
die er als litterarische Quelle noch überschätzt, ver-
leitet, oder es fehlt die unbefangene Betrachtung
der Denkmäler in Frankreich selber. Jedenfalls lässt
er sich die Hauptfrage der Architektur, die schöpfe-
rische Raumbildung, ganz entschlüpfen.
Hier grade setzt Dohme mit seinen Beobach-
tungen ein, wie es vom Architekten nicht anders
erwartet werden kann, obwol auch er ausdrücklich
anerkennt, an Sempers- grundlegende Gedanken
müsse jede wissenschaftliche Erörterung von Stil-
fragen sich anschhefsen. Aber Dohme hat weder
so klar gedacht, noch so entschieden gefolgert, wie
es zur vollen Verwertung seiner Ergebnisse wünschens-
wert gewesen wäre. Auch er erklärt: das Rokoko
sei kaum ein Architekturstil zu nennen; ,,es ist viel-
mehr nur eine Dekorationsweise." Er geht also,
wenn man ihn beim Wort nähme, in der Negative
noch weiter als Zahn, dem er zu folgen glaubt. Und
er fragt sich gar nicht, wie dieser doch getan, was
denn — das Rokoko als Dekorationsweise nur ein-
mal hinweggedacht — als Unterlage für diese ,, Beklei-
dungskunst" übrig bleibe, als bauliches Gerüst, auf
dem sie ihr Wesen trieb. Und doch ist er mit der
Sachkenntnis des Architekten zum Verständnis der
Baukunst in der Rokokozeit viel weiter vorgedrungen
als sein Vorgänger. Es bedarf nur der Anwendung
der einfachsten Grundbegriffe über das Wesen der
drei Hauptkünste, um den Fortschritt zum Bewusst-
sein zu bringen.
Gehen wir in unserer bisherigen aesthetischen
Analyse nur vorurteilsfrei vom r()mischen Barock
328
Rokoko
unter Bernini und der französischen Kunst unter
Ludwig XIV., die Zahn mit dem Namen „französischer
Barock" zu belegen rät, weiter zu den Erscheinungen,
die im i8. Jahrhundert uns zuerst in Paris begegnen
und in den Tagen der Regentschaft unverkennbar
die Oberhand gewinnen, so muss sich eine Klärung
der grundlegenden Prinzipien historischer wie ästhe-
tischer Betrachtung dieser Kunst wie von selbst er-
geben. ^)
3-
Schon in der Glanzzeit Ludwigs XIV. bestimmt
sich der Gang der Kunstentwicklung in Frankreich
nicht mehr durch die Aufgaben der Kirche, und die
Geschichte des Stiles eilt am Kirchenbau fast ohne
ernstliche Teilname vorüber, während der Palastbau
\ sie in steigendem Mafse beschäftigt. Nicht die Kirche
von Val-de-Gräce in den Händen des Frangois Man-
sart, oder die der Sorbonne in denen Lemerciers,
nicht St. Sulpice in den Händen Levaus , nicht
l) Verfehlt dagegen erscheint uns von vornherein der Versuch,
die litterarischen Zeugnisse der Theoretiker unter den Architekten
oder gar unter den gebildeten Laien zur Ergründung des Rokoko
zu verwerten, bevor nicht die historischen Denkmäler in vollem
Umfang zu Worte gekommen. Theorie und Praxis der ausübenden
Künstler stimmen oft wenig überein, und zwar oft um so weniger,
je Wertvolleres sie schöpferisch hervorbringen. Vor allen Dingen
aber gehört zur kritischen Ausbeutung solcher Schriftquellen eine
sichere Vorbildung in den Grundzügen aller Architektonik. Wo
Beides, Kenntnis der Denkmäler und Klarheit der Prinzipien, noch
fehlt, kann dadurch nur Verwirmng angerichtet werden.
Kern der Stilbildung
329
Ste. Anne der Theatiner in denen Guarinis, noch
selbst der Invalidendom in denen Hardouin Mansarts,
diese offenkundige Bestrebung einen Kuppelraum
wie St. Peter in Rom für Paris zu schaffen, — nicht
sie entscheiden über die Herrschaft der einen oder
der andern Schule, sondern — der Bau der Königs-
schlösser. Und auch diese nicht sowol von Aussen
durch ihren Charakter als Monumentalwerke an der
Öffentlichkeit, so stark sie ihn betonen, sondern von
Innen, durch ihre Anordnung und Gestaltung
der Räume für den Bewohner und für die An-
sprüche seines Lebens. Grade darin aber liegt
das historische Zeugnis, dass an dieser Stelle etwas
Neues sich vorbereitet, dass die Bestrebungen den
Kern der Sache selbst erfassen, dass das Verlangen
der Zeit mit den eigentlichen stilbildenden Faktoren
beschäftigt ist und grade dort ansetzt, wo jeder durch-
greifende Umschwung seinen Anfang nimmt.
Der Schauplatz der künstlerischen Tätigkeit des
Rokoko ist darnach vollends in der Wohnung der
gebildeten Stände zu suchen, die das Erbteil des
grofsen Königs übernehmen, immer noch einer be-
vorzugten Gesellschaft nur, aber doch einer Mehrheit,
die zusammen wirkt. Und eben dieser Kreis der
Privilegierten sucht und findet in der Kunst des
Rokoko den vollendeten Ausdruck seines Wesens,
— so dass selbst die Fürsten und Könige in ihren
Palästen nur die Ausgestaltung dieses gemeinsamen
Ideales verlangen. Freilich konnte solche Aufgabe
in ihrer allgemeinen Bedeutung als treibendes Prin-
zip der neuen Entwicklung erst erfasst werden, als
330
Rokoko
die Höhe der Lebensauffassung auch hier im Norden
nicht mehr für den Souverän und seine FamiHe
allein galt, sondern als Grundlage der ganzen höfisch
erzogenen Gesellschaft gepflegt ward. Die Wieder-
geburt des Menschen, die wir als Ideal der ganzen
Renaissance anerkennen, hat diesseits der Alpen in
dem monarchisch regierten Staat, an dem neuen
Mittelpunkt der europäischen Welt diese Stufe er-
reicht und diese Form angenommen. Sie drängt
nach der künstlerischen Fassung, nach einem eignen
Stil in den bildenden Künsten, die wir betrachten.
Im Wohnhaus, Landhaus, Lusthaus sollte das
Rokoko zunächst gesucht werden, nicht im öffent-
lichen Gebäude, das doch keine Person beherbergt, ja
damals nicht einmal eine selbständige Idee, sondern
Gerechtigkeit und Verwaltung, Handel und Industrie,
Ackerbau und Armenpflege nur als Ausfluss der
könighchen Majestät erscheinen lässt, — noch weniger
im Gotteshaus, das so deutUch wie nur je die Spal-
tung der irre gewordenen Grundgedanken zeigt, und
zwischen dem absolutistischen Ideal im Centraibau
und dem intimen Ideal des Betsaales oder der Haus-
kapelle schwankt, für das Gemeindehaus aber gar
kein Verständnis besitzt, ja sich ausdrücklich von
ihm lossagt. Leider ist nun aber die Stätte der
bevorzugten Wirksamkeit des Rokoko, wo der Ein-
blick in die treibenden Kräfte möghch wird, der
Natur der Sache nach grade am meisten der Wan-
delbarkeit im Lauf der Generationen unterworfen,
während Monumentalbauten auch als fossile Ver-
körperungen oft lange noch aufragen. Grade die
Kern der Stilbild un<,'
331
glücklichsten Schöpfungen der französischen Gesell-
schaft des i8. Jahrhunderts sind von der rächenden
Nemesis ereilt, und die mannichfaltigste Veränderung
hat entstellt, was der absichtlichen Zerstörung ent-
gangen war. Die Häufigkeit dieser Umwälzungen
von Paris erschwert die Erkenntnis des historischen
Zusammenhangs wie die Auswahl der entscheidenden
Belege.^) Die Ergänzung, die Kupferstich und Zeich-
nung gleichzeitiger Hände wol gewähren können, sogar
in reicher Fülle bieten, hat doch nur relativen Wert,
verschiebt den Schwerpunkt von selbst auf die Be-
standteile, die sich überhaupt zu Papier bringen
lassen, und verleitet nicht selten dazu, die wirklich
ausgeführten Bauwerke selbst und die Raumwirkung
im Ganzen zu vernachlässigen. So ist es gekommen,
dass die Meister des Ornamentstichs heute das Ur-
teil über die Kunst des Rokoko in einem Grade be-
stimmen, der bei dem eifrigen Bemühen um das
Kunstgewerbe zur Ausschliesslichkeit zu werden
droht. Die grofsartige Leistung, die in Gottfried
Sempers ,,Stil in den technischen und tektonischen
Künsten" vorliegt, darf doch nicht vergessen machen,
dass dies Werk unvollendet geblieben, dass der ent-
scheidende Übergang vom Kunsthandwerk zu den
grofsen Hauptkünsten, der Architektur in erster Linie,
dem Verfasser nicht mehr vergönnt gewesen, und
damit der Schritt zu tun übrig bleibt, wo der
i) L'Ami des jSIonuments et des Arts (p. Charles Normand)
und Le Nouvel Itineraire. Guide artistique et archeologique de
Paris par Charles Normand. Paris, Rue Miromesnil 98.
332
Rokoko
schaffende Architekt ohne Zweifel sich selber wieder-
gefunden hätte, um den gewaltigen Unterschied
zwischen Tektonik und Architektur zu betonen.
Sollte es nicht möglich sein, durch eine Verstän-
digung zwischen den Stimmführern über die Kunst
des achtzehnten Jahrhunderts, die von allen histo-
rischen Perioden noch am nächsten liegt, schon
einen Fortschritt in der Erkenntnis ihres Wesens
zu erreichen, die uns über die Dekorationsweise und
die darstellenden Künste zugleich hinausführt an
die Wurzeln ihrer Entstehung?
4-
Das französische Hotel, wie es die Zeit Lud-
wigs XIV. ausgebildet hat, unterscheidet sich sehr
wesentlich von dem italienischen Palazzo. Es kehrt
nicht wie dieser seine Stirnseite von Unten bis Oben
unmittelbar gegen die Strasse, sondern zieht sie ge-
flissentlich davon zurück. Der Hof mit seiner vor-
deren Umfassungsmauer legt sich geschlossen davor,
und die Stallungen, Dienerwohnungen, Küchen- und
Vorratsräume umziehen die Innenseite neben der
Einfahrt links und rechts. An der andern Schmal-
seite des Hofes öffnet sich dann das Herrenhaus
und umspannt wol mit seinen Seitenflügeln die innere
Hälfte des Rechtecks. Schon hier waltet oft ein
doppeltes Prinzip des Barockstiles deutlich genug:
die Vorherrschaft der Tiefenaxe für den Hof, die
Betonung der Höhe für den Hauptbau an ihrem
Ende, aber auch der Unterschied der Vorder- und
der Rückseite : die erstere einfach und ernst gehalten,
Der Stil
333
die andre erst gegen den Garten zu ein architek-
tonisch durchgebildetes Schaustück, das die Anwart-
schaft der Famihe voll entfaltet. Weder hier noch
dort begünstigt der Zusammenhang mit Hof und
Garten einen vollständigen Fassadenbau. Wie an
der Rückseite diese Beziehung sofort eine offene
Vermittlung mit dem Innern nahe legt, je fester die
hohen Mauern oder Gebüsch und Bäume den Gar-
ten selbst nach Aussen abschliessen, so verbietet der
,, Ehrenhof" vorn gradezu, die stereometrische Un-
abhängigkeit des Baukörpers zu betonen , wie ein
italienischer Palast etwa sich als grossen Steinwürfel
oder als kolossales Parallelepipedon darstellt, son-
dern verlangt auch hier die Ausbreitung der Arme
um den Zugang wie zum Empfange, bahnt sich un-
willkürlich eine Überleitung der Flügel zu den vor-
geschobenen Nebenbestandteilen des Hauswesens an,
wie eine fühlbare Beziehung zur Mittelaxe des Innern.
Das Alles sind Keime der malerischen Schönheit,
die sofort gedeihen , sowie auch hier die Tendenz
in die Breite sich geltend macht, und die rechteckige
oder ovale Grundform des Hofes wie der Haupt-
gemächer des Innern sich quer zu legen beginnt. Es
fehlt nicht an diesen Symptomen , wie wir sahen,
schon in den Werken des Levau.
Vor allen Dingen aber mussten diese malerischen
Neigungen zum Durchbruch kommen , wenn Stadt-
haus und Landhaus ihre Vorzüge mit einander aus-
gHchen, und das geschah jetzt schon dadurch, dass
eben der Garten in der Ausbildung, die er durch
Le Notre empfangen, nun auch zum integrierenden
334
Rokoko
Teil der architektonischen Gesamtkomposition ward.
Gab schon das alte französische Chäteau mit vor-
geschobenen Ecktürmen diesen Trabanten bald die
Aufgabe , die Ausbreitung der Hauptstücke da-
zwischen in festem Rahmen einzuschliessen, so dass
das Auge des Ankommenden, sobald es das gleich-
förmige Paar der Pavillons bemerkt, der natürUchen
Tendenz seiner Sehkraft, in die Tiefe zu dringen,
folgt und die Körper, die dazwischen hervor oder
zurück treten, nach den Fühlfäden der Perspektive
ordnet, so trägt die Gartenkunst nun erstrecht dazu
bei, den freistehenden Komplex, sei es von Gebäu-
den, sei es von mehr oder minder selbständigen
Teilen eines Ganzen, mit der Umgebung zu vermit-
teln, und zwar nach malerischen Gesichtspunkten.
So ergiebt sich aber für das Landhaus und für
das Stadthaus eine viel grössere Unbefangenheit in
der Disposition der innern Raumbildung , weil das
Streben nach Geschlossenheit des Äussern sich ein-
schränkt, und statt der tektonisch stereometrischen
oder der plastischen Gesetze , die den italienischen
Monumentalbau so lange beherrscht hatten, viel mehr
die malerischen, die in Frankreich schon durch die
Spätgotik ausgebildet waren, unvermerkt wieder die
Oberhand gewinnen. Bei dieser lebendigen Be-
ziehung zu Hof und Garten aber musste sich noch
ein entscheidender Wandel einstellen: der Verzicht
auf den Hochbau und statt dessen die bequeme
Lagerung in der Breite. Deshalb verlegt diese Zeit
y< das Hauptgeschoss gern ins Parterre. Wenige Stufen,
oft als Freitreppe, führen zu ihm hinauf. In das
Der Stil
335
obere Stockwerk kommen dann untergeordnete
Räume. Und selbst wo die Gesellschaftszimmer,
etwa wegen der Beschränktheit des Bauplatzes , im
ersten Stock liegen , da ist doch die eigentUche
Wohnung des Hausherrn oder der Dame im Erd-
geschoss. Die Treppenanlagen für den Gesellschafts-
verkehr werden ausserordentUch breit, die einzelnen
Stufen niedriger noch als im Barock angelegt, und
überall der malerische Reiz solcher Vermittlung aus-
gebeutet
Darnach erst gewinnen wir den rechten Stand-
punkt für die Beurteilung des Raumgebildes selber,
das nun so ungezwungen und einfach , wie nie zu-
vor, dem eigenen Gesetz von Innen nach Aussen zu
folgen vermag. In vielen Fällen erhält sich gradezu
als Kernzelle der Salon ä l'italienne in der Mitte
des ganzen Grundrisses. Seinem Ursprung aus dem
Barock getreu, betont er die Höhenentwicklung, wie
das eigentliche Wachstum über die durchgehende
Geschosshöhe des übrigen Baues hinaus , und wird
wol gar durch Oberlicht erhellt. Um dies Mittel-
stück reihen sich mannichfaltige Räume in unmittel-
barer Folge aneinander, Vorzimmer, Speisesaal,
Salons für Herren und für Damen, Gallerie, Kabinette,
und Schlafzimmer, und zwar die gemeinsamen unter
sich die Hauptgruppe bildend , die besondern Ge-
mächer des Hausherrn hier, der Herrin da, der ein-
zelnen Familienglieder oder Gäste fernerhin, in klei-
neren Gruppen enger zusammengeschlossen , aber
durch Vorsäle, Gänge, Zwischengelasse und Durch-
schlupfe bequem unter einander wie mit dem Auf-
336
Rokoko
enthalt der Dienerschaft und der Wirtschaft ver-
bunden. Wo der Mittelsalon ä l'italienne weicht,
da tritt die Gruppierung der zusammengehörigen
Komplexe noch freier hervor, macht also die Orga-
nisation im plastischen Sinne erstrecht der male-
rischen Ausbreitung Platz. Die letztere erst ent-
spricht dem Wesen des Rokoko vollauf, bezeichnet
aber auch die Auflockerung bis zur Auflösung des
Zusammenhalts von Innen her.
Genug, es bietet sich, noch ganz abgesehen von
der Form im Einzelnen , das Bild eines lebendigen
Organismus als Ausdruck des Systems von Zwecken,
das sich hier zu einer Einheit ineinander schlingt.
Dies beachtenswerte Gefühl für die lebendige Be-
wegung , nicht nur des allmählichen Wachstums,
sondern auch des Ein- und Ausatmens der Luft, für
das Schwellen und Steigen der Daseinslust und ihre
sanfteren Modulationen, bis zurück ins lässige Be-
hagen, prägt sich dann weiter aus in der mannich-
faltigen Raumbildung selber. Auch hier ein Erbteil
des römischen Barock , das weiter entwickelt wird
zu freierem Zuge. Der Grundriss der Räume wech-
selt je nach ihrer Bestimmung zwischen viereckiger
und kreisrunder, elliptischer und sechseckiger oder
achteckiger Grundform , zwischen centralisierender
und gestreckter Gestalt. Wo aber die alte regel-
mäfsige Rechteckform auftritt, da runden sich gern
die Ecken ab , sodass nirgends die Gränzlinien in
scharfem Winkel auf einander stossen, — und da-
mit rühren wir an das innewohnende Grundgefühl,
)l die Geschmeidigkeit des Lebens im Gegensatz zur
Der Stil
337
Starrheit des stummen Gesteins, die flüssige, spie-
lende Gewandtheit des Benehmens , das darinnen
haust. Dies vermittelnde Übergleiten tritt auch an
allen andern Stellen der Raumbildung auf, wo sonst
die Härte des Gesetzes, die Schroffheit der Abson-
derung sich betonen mochte. Überall weicht die
KrystaUisation der Organisation, die Beharrung der
Bewegung.
Jedes Gemach hat seine luftige lustige Weite,
zu der es sich ungehemmt entfaltet, oder es weiss
sich in seine Kleinheit und Enge selbst so Uebens-
würdig und anmutig zu finden , dass weder Ein-
schränkung noch Beklemmung gespürt wird. Alle
Wohnräume steigen zu beträchtlicher Höhe über die
Häupter ihrer Bewohner empor, und die Decke legt
sich nicht rechtwinklig und kantig wie eine horizon-
tale Wand darauf, sondern die senkrechten Wände
wachsen, sich gegeneinander neigend , in der Mitte
zusammen, ein leichtes Gewölbe breitet sich aus und .
geht in ebenso sanften Kurven in die aufrechten !
Graden über, oder eine flache Decke vermittelt sich
ringsum in weich geschwungener Kehlung. Dem
entsprechend sind auch die RaumöfTnungen hoch
und weit, Türen und Fenster steigen gern an diese
obere Gränze hinauf, selbst wenn das letzte Stück
über den beiden Flügeln sich nicht mehr öffnet, als
Sopraporte oder Oberfenster geschlossen bleibt, und
als solche Zusammenfassung der lebendigen Glieder
die Einheit des ganzen Gewächses betont. Deshalb
sind sie von einem einheitlich verlaufenden Rahmen
umzogen, der sie meist in dem weichen Flachbogen
Schmarsow, Barock und Rokoko. 22
338
Rokoko
Überspannt, der auch die Grundform aller Wölbungen
bildet, — wieder ein charakteristisches Wahrzeichen
der Zeit, das man charakterlos genannt hat, weil
sich noch immer die ethische Auslegung so leicht
der ästhetischen Auffassung unterschiebt.
Flügeltüren und Flügelfenster (die auch ihrerseits
wie Türen auf den Boden reichen) bekunden das
starke Bedürfnis nach Raumöffnung und Vermittlung
zwischen den Gemächern unter sich wie mit ihrer
Umgebung draussen, die Abneigung gegen alle ab-
geschnittene Geschlossenheit, die als Hindernis freier
Bewegung oder gar als Zwang und Haft empfunden
werden könnte , während überall die MögHchkeit
bleiben soll, die Raumschliessung zu vollziehen nach
Bedarf und Laune. Auch geschlossen , erhalten
diese Fenster und Türen das Gefühl des Zusammen-
hangs lebendig.
Das Bedürfnis nach Licht und Luft, die Freude
am Hellen und Weiten kommt hinzu, und ihm
weichen sogar die Mauern selbst. Alle geschlossenen
Flächen, die Türflügel wie die Wände werden mög-
Hchst licht gehalten, das Weiss wird herrschende
Farbe des Innern. Bevor aber die Farbenskala des
Stiles sich darnach abtönt, tritt auch eine andre Er-
findung hinein, die die Wand nicht nur erhellt, son-
dern sie dem Fenster, der Öffnung ähnlicher macht,
und ausser dem Licht auch der Luft, der Weite
selber Eingang gestattet: das ist der Spiegel. Über
dem Kamin, der zu einem eleganten Wandschmuck
geworden ist, jemehr man sein eigenstes Volumen
in die Mauer selbst verlegt, und nicht aufdringlicher
Der Stil
339
sich vorschiebt als ein Spiegeltisch oder ein Bet-
schemel, also über der unvermeidlichen Öffnung, ist
der erste Platz für die Scheinöffnung, die Spiegel-
fläche, die eine ähnliche Erweiterung des Raumes
bewirkt. Dann aber erscheinen ganze Spiegelwände
als Äquivalente der Fenster, von der nämlichen
Rahmenform umgränzt, so dass in einem ovalen
oder polygonen Salon, der gegen den Garten hinaus
gebaut ist, wol nur die Türen oder eine feste Wand-
fläche, die gar noch verkleidete Türöffnung sein kann,
übrig bleibt, wie z. B. im Hotel de Soubise, während
die Decke mit ihrem blauen Grunde zwischen goldenem
Rahmenwerk den offenen Himmel bedeuten will.
Mit diesem Verlangen nach Helligkeit und Luftig-
keit auch der heizbaren Gemächer verschwindet
dann aus der WandgUederung der letzte Rest tek-
tonischen Aufbaues, der die Konstruktion als solche
darstellt und hervorhebt. Die volle Beleuchtung des
ganzen Raumes verträgt nicht ihren Gegensatz, den
scharfen dunkeln Schatten; deshalb müssen die vor-
springenden Profile der Pilaster und Gesimse zu-
sammenschrumpfen, überhaupt alle starken Relief-
erhebungen sich mildern, glätten, in sanften Über-
gängen in einander fliessen. Die ererbten Bauglieder
werden durch verdünnte Formen ersetzt. Der Pi-
laster verwandelt sich in eine Lisene, die nur schwach
über die Fläche vorragt, und giebt damit auch Ka-
pitell und Basis auf. Der Unterschied von tragenden
und getragenen Teilen, der Gegensatz von Kraft
und Last, den die Barockmeister aus Freude an
dem plastischen Drang gesteigert hatten, um die
22*
340
Rokoko
Leistung der Energie recht fühlbar hervorzutreiben,
er wird in leichtem Spiel hier mühelos ausgeglichen,
vermittelt, ja wie in Lauben unter freiem Himmel
völlig aufgehoben. Die Decke drückt ja nicht schwer,
sondern schwingt sich freiwillig; aber nicht aus ein-
zelnen Bestandteilen wie das gotische Rippengewölbe,
sondern als einheithch gewachsene Fläche, als ge-
breitetes Zelt, weiss wie das feinste Linnen oder gar
blau wie das Sternenzelt. Deshalb genügt überall ein
schmales Leistenwerk. Die Verwandlung in diesem
Sinne lässt sich, wie es unsern Kennern nicht ent-
gangen, durch alle einzelnen Stadien verfolgen: die
Regentschaft hat meistens noch die letzten Andeu-
tungen von Kapitellen. Die Gesimse verUeren viele
der traditionellen Einzelgheder , vor allem die Kon-
sole und den Zahnschnitt, die das Gefüge des Zimmer-
manns bezeichnen. Scharfe Winkel geben auch noch
zu entschiedene Schattenabstufung; um sie zu ver-
meiden, werden deshalb überall die Ecken abgeschrägt
und ausgefüllt, sodass nun das Licht gleichmäfsig
in den stumpfen oder abgerundeten Übergang hinein-
fliesst. Selbst die Holzbekleidung, die unten bis
zu einer gewissen Höhe ringsum läuft, schwindet
mehr und mehr ein; denn der stärkere Anlauf hat
keinen Sinn mehr bei einem so leichten Aufschwung
des Ganzen. Es bleibt nur die elastische Berührung
des Parquets, wie beim graziösen Gang auf den
Zehen oder in der Tanzpose des Menuetts: nur
Rahmenwerk, kein tektonisches Gefüge geschichteten
Materiales, aber auch keine wuchtig schwellende
Masse mehr.
Der Stil
341
5-
Damit sind wir bei Sempers Charakteristik des
Stoffgebildes angekommen, der nur die desRaum-
gebildes vorangehen musste. ,,Das Rahmenwerk
wird zum Organismus und beginnt alle andern
traditionellen Formen der Baukunst zu ersetzen." —
,,Der Rahmen umschliesst die Füllung pflanzenhaft,
umrankt sie gleichsam als organisch Belebtes, hört
daher auf, wie früher, krystallinisch-eurhythmisch zu
sein. Das Pegma löst sich in gleichsam flüssige
vegetabihsche, der strengen Regelmäfsigkeit wider-
streitende Elemente auf."^)
Sempers Meinung, aus ,,der wahren Idee des
Rokoko", die er damit gefunden zu haben glaubt,
,, Hesse sich dieser Stil in seinem Wesen konstruieren",
ist zunächst nur für ,,die technischen und tekto-
nischen Künste", mit denen sich sein ,,Stil" befasst,
zu verstehen. Und fragen wir, in welchem Material
sich die struktive Idee des Rokoko nach Semper
am Adäquatesten verwirklichen liefs, so weist er
dem Porzellan diesen Einfluss auf die Geburt des
Rokoko an. A. v. Zahn hebt dagegen hervor, dass
chronologische Beweisstücke sich dieser Annahme
entgegenstellen, und setzt dafür die Stuckmasse an
die Stelle. Der Porzellanstoff, dessen eigentümliche
Natur sich allerdings den Rokokoformen auf das
Fügsamste anschmiegt, sei doch wesenthch infolge
der Verwandtschaft mit den struktiven und plasti-
schen Eigenschaften des Stuckes ein so überaus
I) Der Stil II {1879), S. 333-
342
Rokoko
charakteristischer Träger und Repräsentant dieses
Stiles geworden. Und in der Tat, wer die Ausbil-
dung der Stuckatur in der Innendekoration des
Barockstiles, etwa seit den Tagen des Pietro da
Cortona verfolgt hat, begleitet sie auch ohne Be-
fremden in diese letzte Verwandlung hinein. Dieser
leicht bewegliche, auf die empfindhchste Fühlung
und Ubereinstimmung mit den Launen des Mode-
geschmacks hingewiesene Zweig des Kunsthandwerks"
verriet schon in Rom, wie wir gesehen, die durch-
gehende Verflachung, die flüssigere Geschmeidigkeit,
die Mäfsigung der Überkraft des eigentlichen Barock-
stiles zu Gunsten der Flächenfreude, so dass äussere
wie innere Gründe dafür sprechen, auch der weiteren
Entwicklung unter französischen Händen habe dies
nämliche Material zu Grunde gelegen , und schon
Meistern wie Berain die Rücksicht auf seine tech-
nische Behandlungsweise aufgenötigt, wie das Frei-
handmodellieren, die Verwendung von Hohlformen
zum Aufdrücken der Ornamente auf den frischen
Kalkstuck, der Profilschablone (Leyer), zum Ziehen
der gradlinigen und in regelmäfsigen Kurven laufenden
Profilleisten u. s. w., wie Zahn hervorhebt. Sicher
ist auch die Beobachtung richtig, dass sich im Rokoko
die breiartige und erhärtende, die plastisch duktile
Natur der Stuckmasse herauserkennen lässt. Aber
wenn das Rokoko ihr die Textur der im Wachs-
tum erhärtenden Muschelschale entlehnt, so fehlt
eben doch zur vollen Erklärung des Stiles noch dies
zweite Moment, das Wachstum, — eben das
Vegetabilische", das Semper in seiner Definition
Der Stil
343
neben das „Flüssige" setzt, in das sich das Pegma
auflöst. Und da der Stuckmasse selbst solche Ten-
denz organischen Lebens nicht inne wohnt, da sie
für sich allein sich niemals pflanzenhaft benehmen
würde, so fragen wir erstaunt, wie sie gar zu jenen
„der strengen Regelmäfsigkeit widerstreitenden Mo-
menten" kommen soll?
Der breiartig flüssige, plastisch duktile, im
Trockenwerden gerinnende und erhärtende Stoff allein
vermag das Aufhören krystallinischer Äusserungen
nicht zu erklären. Es fehlt die Hauptsache, die In-
nervation der toten Masse , der Impuls spontaner
Bewegung. Deshalb hat auch Semper an andrer
Stelle die Stuckbekleidung der Decken und Wände,
das charakteristische Rahmenwerk des Rokoko, in
dem Abschnitt über den ,, Innern Holzbau" behandelt,
und den Übergang des Tischlerrahmenvv^erkes in den
Steinstil ausdrücklich als die ,,an sich betrachtet höchst
geniale Neuerung" bezeichnet. Die Analogie mit
dem Wachstum des Holzes, der Vergleich der Holz-
faser mit dem Nerv der Muschel, den Graten, die
sich zu recken und zu strecken und die flache Fül-
lung dazwischen zusammen zu ziehen scheinen , sie
sind für die ästhetische Auffassung unentbehrlich,
und insofern geht auch Zahn fehl, wenn er wenig-
stens fragweise die Ansicht ausspricht, dass an jener
Neuerung des Rahmenwerkes überhaupt nicht sowol
der Holzstil als der Stuckstil den grössten Anteil ge-
habt habe. Das Material an sich hat überhaupt nie-
mals ,,Stil", sondern es kann nicht umhin das na-
türHche Gesetz zu erfüllen , das in der Zusammen-
344
Rokoko
Setzung seiner Bestandteile gegeben ist; es ist nur
eine abgekürzte , und wie man sieht , verführerische
Metapher, wenn man von Holzstil, Steinstil, Stuck-
stil , Metallstil oder sonstigem Materialstil redet. Es
ist schon ästhetische Auffassung, wenn wir die Ver-
änderung des Aggregatzustandes, den Übergang aus
dem formlosen Brei z. B. in. geronnene Masse oder
gar krystallinisch regelmäfsige Körperform als Äusse-
rung eines innern Lebens auslegen.
So hat auch Zahn nicht bemerkt, wie er selbst,
statt seinen Stuckstil im Rokoko genetisch zu erklären,
nur eine poetische Schilderung giebt, die er aus
Jakob Burckhardts Charakteristik der Stuckdekoration
des Barock oder verwandten Bemerkungen Sempers
herausgesponnen. ,,Die bis dahin immer entweder
struktiven oder bildhchen Motive des Ornaments,
sagt er, Bänder , Stäbe , Rollen auf der einen Seite,
Blätter, Blumen und sonstige Naturmotive auf der
andern, verschmelzen in ein neues ornamentales
Gewächs, welches von seinem Stoffe die Textur,
. . . vom Ornament des Barockstiles die Verschrän-
kung der einzelnen Stücke zusammengehöriger Ver-
zierungen annimmt." — ,,Ganz so, wie im Stuck ein
weiches Stück an das andre geklebt festhält, reiht
sich ein gebogenes Stück an das andre , und so
bilden die Hauptlinien, sobald die gegebenen graden
Rahmenstücke verlassen werden , unaufhörlich jene
jjContours ä l'S... ." Beinah von selber führt
diese Bildung zum Verlassen der Symmetrie. Es
wäre wunderlich, wenn ein solches Gewächs
rechts und links ganz gleiche Schnörkel und Ranken
Der Stil
345
treiben sollte! Man weicht also, schon wegen
der coc/i förmigen Verbindung der beiden Mittel-Ran-
kenstücke von der strengen Symmetrie ab. Bei den
älteren Meistern und bei den geschmackvollen De-
korateuren überhaupt nur in den Linien , nicht in
den Massen des Ornaments , dem schon die langen
gradünigen Seitenstreifen aller Rahmen und Füllungen
einen architektonischen Halt geben."
Es ist der Ausdruck „ornamentales Gewächs",
der zwischen dem flüssigen, aber toten Stoff auf der
einen Seite und den Bewegungsvorstellungen aus
dem Gebiet der organischen Natur, wie unsrer eige-
nen Körpergefühle auf der andern Seite die Brücke
geschlagen hat. Wenn unsre Vorstellung erst den
Brei wachsen und treiben zu sehen glaubt, so wun-
dert sie sich nicht mehr über sein organisches Be-
nehmen, das eben nicht mehr krystallinisch und
symmetrisch ausfällt. Aber erklärt wird mit solcher
Ideenassociation wol kaum, warum ,,die gegebenen
graden Rahmenstücke verlassen werden", warum —
die Bildung ,, beinah von selber" dazu führt, die Re-
gelmäfsigkeit aufzugeben, wenn einmal das Anfangs-
stück gebogen" ist. Wie ward dieser erste Klex
„gebogen" .^^ Doch jedenfalls durch den selben ,, man",
der hernach doch nur ,, beinah von selber" vom Ge-
setz der unorganischen ,, toten Natur" abweicht, um
zu Äusserungen der organischen Natur, zur Betäti-
gung eigenen Lebens überzugehen , nämUch durch
den Willen, den künstlerischen wenn auch halb un-
bewussten, doch immer vom Geschmack durchdrun-
genen Willen — des Meisters!
346
Rokoko
Auch hier ist es das künstlerische Empfinden,
die Beseelung, der Beitrag des Menschengeistes, der
das Wunder wirkt und uns die Materie nahe bringt,
sodass es uns nachträglichen Anempfindern wie ein
eigenes selbständig bewegliches Wesen entgegen-
dringt und wol gar ,,wunderUch" vorkommt, wenn
ein solches ,, Gewächs" sich symmetrisch benähme,
wie der Wassertropfen , der vor unsern Augen zum
Schneekrystall gerinnt. Warum aber friert der Hauch
unsres Mundes, der Dunst unsres warmen Stübchens
auf den Glasscheiben des Fensters zu so pflanzen-
haftem Krystall , zu Schlinggewächs aus Wasser-
teilchen? — —
Jedenfalls ist aber, ohne dass Zahn und Semper
es wussten und wollten , auch dies zweite Moment,
das Wachstum des bildsamen Stoffes , auf die Tra-
dition des italienischen Barockstiles zurückgeführt, als
dessen Erbe das französische Rokoko erscheint. Eben-
deshalb aber ist sein eigenes Benehmen mit diesem
Erbteil noch festzustellen, wenn es als ,,Stil" auch in
diesem Sinne für selbständig angesehen werden soll.
Kehren wir deshalb zu Sempers ,, wahrer Idee"
zurück , so redet diese vom Selbständigwerden des
Rahmenwerks, das als Organismus auftrete und alle
andern traditionellen Formen der Baukunst zu er-
setzen beginne. Zahn bemerkt dazu, in diesen Worten
liege schon ausgesprochen, dass eben nur innerhalb
der WandgUederung die traditionellen Elemente der
Baukunst von den Rokokoformen ersetzt werden
und ersetzt werden könnten. Semper selbst aber
redet zunächst von dem Rahmen, ,,der die Füllung
Der Stil
347
umschliesst" und sich dabei ,,pflanzenhaft" benimmt,
setzt also die Füllung als vorhanden voraus. Das
aber wäre zunächst eine Fläche, im Innern des Raum-
gebildes die schliessende Wand. Indess wir sahen
oben , der Rahmen umschliesst ebenso die Öffnung
des Kamins, der Tür, der offenen wie der geschlos-
senen , und ebenso des Fensters, oder den Spiegel,
die in dieser Stufenfolge zur geschlossenen einheit-
lichen Fläche übergehen. Für die leere Öffnung der
Tür, der Fensterhöhle muss der Rahmen also doch
auch Gränze sein, nicht allein flüssig, beweglich, um-
rankend gedacht werden, sondern als aufrechtes Ge-
wächs, als festes umschliessendes Pegma. Ein völ-
liges Aufgeben des struktiven Charakters, des sta-
bilen Gleichgewichts findet auch hier nicht statt; denn
auch die Pflanze hat ihr statisches Gesetz zu er-
füllen, hat ihre haltbare Struktur. Sonst könnte der
Rahmen ferner nicht einmal selbständig werden! Es
lässt sich überall, bei noch so lebendiger Schmieg-
samkeit an den Ecken und Rändern, die senkrechte
und wagrechte Grade von dem umrankenden, flüssig
werdenden , in lebendigem Wechsel erfassten Pflan-
zenwerk und Muschelwerk unterscheiden. Grade
im Widerspruch des Starren und des Beweglichen
entwickelt sich der Reiz des Lebens; was ,, aller strengen
Regelmäfsigkeit widerstreitet", bedarf eben dieser
zur Bewährung seines Wesens , bedarf, um künst-
lerisch wirksam zu werden , seines Gegenteils, we-
nigstens einer Andeutung der gesetzmäfsigen Unter-
lage, die es in seiner Freiheit voraussetzt.
Deshalb ist, wie Zahn bemerkt, auch Cochin im
348
Rokoko
Irrtum und Alle, die seiner polemischen Übertreibung
nachgeschrieben haben: die Architektur des Rokoko
kenne keine graden Linien. Schon für die Innen-
dekoration ist dies nicht richtig, und für die Raum-
bildung als solche noch weniger. Wir kommen
vielmehr durch das Vorhandensein der Graden erst
zur eigenen Leistung des Rokoko: es ist eine Stei-
gerung des Lebendigen erreicht, die über die un-
mittelbar vorangehende Phase des Barockstils noch
hinausgeht. Es ist kein feindlicher Kontrast, kein
innerer verletzender Widerspruch zwischen Beharrung
und Bewegung , sondern ein Widerspiel der Kräfte,
die so ihren Reichtum, ihren Übermut entfalten, aber
es bleibt ein Spiel und will nichts andres bedeuten
als ein Spiel. Dies aber setzt die Anerkennung eines
selbstgewählten Gesetzes voraus. Deshalb ist die
erste Bedingung , dass die beiden Gegner sich an-
nähernd gewachsen seien, nicht das Unterliegen des
Einen oder des Andern von vornherein ausgemacht
erscheine. Und zu diesem Zwecke darf die Rech-
nung sich nicht materiell aufdrängen, sondern muss
sich dem ScharfbUck des Verstandes entziehen, da-
mit das Zuwiderstreben die Phantasie beschäftigen
könne ohne Einspruch des Zweifels. Deshalb wird
auch die folgerichtige Durchführung eines Materiales
in seiner besondern Natur vermieden, und die An-
deutung der Eigenschaften für unsern Glauben an
die Wirklichkeit verschiedenen Stoffen, ja verschie-
denen Gebieten der Natur entlehnt, hier der toten
Masse, dort der organischen Welt. Die erstere mit
den gesetzmäfsigen Erscheinungen der Krystallisation
Der Stil
349
giebt den festen Bestand , die Grundlagen der Be-
harrung, die andre mit den Äusserungen organischen
Lebens die wechselnde Mannichfaltigkeit, das Transi-
torische der Bewegung: aber beide verwenden ein
möglichst geringes Quantum von Materie und ver-
meiden geflissentlich die Geltendmachung hier des
organischen, dort des krystaUinischen Prinzips überall,
wo die Konsequenz der Wirklichkeit eintreten müsste,
also das Spiel in Ernst umschlagen würde. Darin
liegt ein wesentlicher Unterschied vom Barock.
Und wie steht es nun mit dem selbständigen
Auftreten des Rahmenwerks als Organismus , das
Semper behauptet.^ Das Rahmenwerk, das in der
Raumbildung des Rokoko an die Stelle des Systems
von tragenden und getragenen Teilen tritt, — die
man aus Bewunderung für die Antike gern schon
,, Organismus" genannt hat, — dieses viel organischer
gewordene Gewächs umschliesst mit seinen festen,
umrankt mit seinen beweglichen Gliedern so Off-
nungen wie Füllungen. Diesem leichten Stabwerk
und Mafswerk entsprechend wird aber die Fläche,
die dazwischen liegt, mögUchst erleichtert, mit allen
Mitteln entstofflicht , wenn ich so sagen darf. Sie
ist, wie gesagt, weder die geschichtete Mauer mehr,
wie in der Renaissance, noch die einheitUche, wenn
auch bildsame, doch wuchtige Masse, wie im Barock
nach dem Sinne des Plastikers Michelangelo, sondern
nur Fläche; sie ist, wo nicht Öffnung oder beweg-
Uches Gitterwerk mit durchsichtigen Glasscheiben,
wie das Fenster, doch nur dünne Holzfüllung, wie
die Türflügel und die Täfelung unten, oder auf sol-
350
Rokoko
chem Rahmenwerk — gleich den Treillages der
Laubengänge im Garten — ausgespanntes Panneau :
Seidengewebe oder Gobehn oder deren gemalte Imi-
tation. So haben wir im Rokoko eine andre,
schon oben absichtUch im Ausdruck Stabwerk und
Mafswerk angedeutete Ähnlichkeit mit der franzö-
sischen Kunst des Mittelalters vor uns, die strenge
Sonderung nur füllender Teile, die der Raumabschluss
erfordert, von den struktiven. Da indess diese letz-
tern nicht in dem Sinne der Gotik das Gerippe des
Aufbaues hervortreten lassen , so lässt sich noch
mehr von einer Rückkehr zu den leichten Prinzipien
der Zeltarchitektur reden , die sich aus Rohrstäben
und Bastgeflecht zusammensetzt. Aus der Biegung
solcher Rohrstöcke gewinnen wir sogar die flache
Bogenform, die man aus dem Zeitalter Ludwigs XIV.
beibehält, aber in der schwanken Form wie in der
Gartenbaukunst Le Notres.
Die Füllung besteht jedoch zuweilen, und an
diesem Punkt hält Sempers Betrachtung fest: aus
Holzbekleidung, wo immer sich eine Fläche darbot,
mit der Forderung, den Raum gegen Aussen zu
schliessen, d. h. alle Wände bestanden wie die Türen
aus diesem Stoff. Die einzelnen Felder waren dann
wol mit feinem Blumenschnitzwerk bedeckt, der
Grund mit Leimfarben oder später in Ölfarbe ge-
strichen, die Reliefs vergoldet oder bunt bemalt, doch
so, dass die Textur des Holzes nicht völlig ver-
schwand. Daher die Freude über die Erfindung,
das Gold ohne Kreidegrund unmittelbar auf das Holz
aufzutragen. Das Durchscheinen der Fasern und
Der Stil
351
der Maserung, der Unterschiede zwischen den
strafferen Nerven und Sehnen gleichsam und der
lockeren, weicheren Füllung war das Willkommene;
diese Spuren lebendigen Wachstums, organischen
Lebens bringen den toten Stoff stets der mensch-
lichen Empfindung näher. Deshalb aber können an
die Stelle des Holzes auch andre Stoffe treten, die
das selbe Durchscheinen der Textur gewähren.
Nicht das Holz als solches ist das Wesentliche, wie
Semper meint; man überzieht es an andern Stellen
mit Stuckornament und Rahmen, die nichts vom
Schreinergefüge bewahren, sondern erstrecht ,, ge-
wachsen" erscheinen wollen, deckt also das wahre
Material mit einem ganz heterogenen, weil es auf
künstlichem Wege die vollere Imitation der Stengel
und Ranken, der Knospen und Blätter erlaubt.
An die Stelle der Holztäfelung treten als Flächen-
füllung die Gobelins und Seidengewebe, die soge-
nannten Panneaux überhaupt. Die Kreuz- und Quer-
lagen der Fäden, die Abwechslung zwischen glän-
zendem Relief und matter Schraffierung im Muster,
bringen schon auf dem Flächengrunde selbst ein
mannichfaltiges Leben hervor, das sich regelmäfsig
nach Art naturgesetzUch entstandener Textur aus-
breitet. Darauf aber entspinnt sich auch hier ein
intensiveres Spiel und überwuchert wol die starre
Gleichförmigkeit des Musters. Die Grotteske, in den
berühmten Panneaux seit Watteau besonders behebt,
beruht ursprünghch und noch letztHch ihrem Wesen
nach auf einer Auflösung des gesetzHchen Zusammen-
hangs, sei es des tektonischen im Kandelaber, sei
352
Rokoko
es des vegetabilischen in der Ranke, oder des ani-
malischen und menschlichen der Gestalt im plastischen
Sinne, der Gruppe in zusammengreifender Tätigkeit.^)
Sie mischt alle diese Bestandteile der Wirklichkeit,
indem sie sich mit deren malerischem Schein begnügt,
flicht willkürliche Erfindungen der Phantasie dazwischen
und bietet so der Vorstellung ein unterhaltendes
Schauspiel, das auf ernstere Bedeutung keinen An-
spruch erhebt. Die Hauptsache ist die Negation der
vollen Wahrheit, die ein Gemälde sonst zu erstreben
wagt, besonders die Aufhebung oder Verzettelung
der dritten Dimension, mit der überall, wo sie auf-
tritt, ein neckischer Scherz getrieben wird. So
geraten dieser Spätzeit, wo die Perspektive ganz ge-
läufiges Gemeingut geworden und die Maler sich
schwer von der gewohnten Raumentfaltung los-
machen, selbst Figurengruppen, ja Landschaften und
Architekturprospekte in die Schwebe zwischen Sein
und Nichtsein. Ganz ähnlich verhält es sich mit
den gewebten Zeugen, in denen bei kräftiger Muste-
rung die Blumen und Blätter, nach der Natur
gezeichnet , doch weder ganz rund in der wirk-
lichen Form sich geltend machen, noch ganz glatt
und fest umrandet in der Fläche liegen. Das Ein-
dringen japanischer Vorbilder ist schon hier nicht
zu übersehen.
Wie darin bereits eine Aufhebung der gewohn-
i) Vgl. Schmarsow , Der Eintritt der Grottesken in die De-
koration der Renaissance, Jahrb. der kgl, preuss. Kunstsammlungen
i88i, und Pinturicchio in Rom, Stuttgart 1882, p. 21 fF.
Der Stil
353
ten Gesetze formalen Zusammenhangs und räum-
licher Anschauung waltet, so bezweckt die Wahl der
Farbenskala und ihr Verhältnis zur Naturfarbe einen
andern Beitrag zu diesem allgemeinen Abonnement
suspendu. Überall sind es nur gebrochene und ver-
waschene Töne, Lichtrosa, Grünlichgrau, Hellgelb,
ein verdünntes Blau, ein verblichenes Violett, ein
mattes Chamois, die hier auftreten, um in den hellen
lichtdurchströmten Räumen nur die malerische Er-
scheinung der Dinge zu geben, nirgends ihre Voll-
kraft und Leibhaftigkeit in der Nähe hinzusetzen und
aufzudrängen. Man will die Farbenpracht, das viel-
stimmige Konzert da draussen nicht mehr laut und
rauschend, wie in schmetternden Fanfaren, wie der
Barock es hebte, sondern eher den Frühlingshauch,
die Herbstwelke nur, wie eine sanfte Begleitung a
Sordini, oder wie Äolsharfen aus der Ferne mit-
wirken lassen.
Und jene zarten unbestimmten Töne sind wieder
nötig, wie Zahn hervorhebt, um das FlachreHef der
leichten Stuckornamente vom Grunde abzuheben
und sichtbar bleiben zu lassen, während auf tiefen
Grundfarben die ModeHierung des weissen und ver-
goldeten Muschelwerks verschwindet und den Um-
riss des Ornaments betont, statt ihn als spielenden
Ausläufer der kräftigen Rankenstäbe oder Rippen
vielmehr leicht in die Fläche aufgehen zu lassen.
Nunmehr verstehen wir auch diesen Teil, die zier-
liche Reliefbehandlung in ihrem eigentlichen Sinne :
auch sie hält sich in der Schwebe zwischen Körper
und Raum, wie eine auftauchende und wieder ver-
Schmarsow, Barock und Rokoko. 23
354
Rokoko
schwimmende Erscheinung, um nicht volle Wirklich-
keit, nahe Gegenwart zu werden, sondern Bild zu
bleiben, und statt belästigend auf uns einzudringen,
eher bereit ist, ins Fernbild zu verduften. Diese
Reliefkunst des Rokoko will im Innenraum nur die
weiche Berührung der lebendigen sanft gerundeten
Form, die der Liebkosung des Auges sich darbietet,
zu Gefühl bringen, nirgends aus dem Spiel heraus-
tretend Ernst machen. Sie bleibt deshalb malerisch,
soweit es der ReUefkunst in zusammenhängender
Fläche irgend möglich ist.
Unter dem nämlichen Gesichtspunkt muss auch
die Vergoldung und Versilberung dieser Formen
als ein Mittel zur Auflösung der festen Gränzen, des
bestimmten Volumens in die Scheinsphäre der Re-
flexlichter angesehen werden, und ebenso die Ver-
wendung des Spiegels in fortgeschrittenem Raffine-
ment. Zunächst wird man, von der grossen Spiegel-
fläche besonders, die oft einer zweiten gegenüber
angebracht wird, eine Verstärkung des Realitäts-
glaubens erwarten, wie der Barock sie wünschen
musste und zweifellos erstrebt. Aber ausser dem
Spiegel, der die Wiedergabe des Raumes mit allen
Körpern darin so täuschend herbeifuhrt, dass man
das Gefühl der Erweiterung des Räumlichen und
der Vervielfältigung des Gegenständlichen so lange
als Zuwachs der Existenz in die ästhetische Rech-
nung setzen darf, solange die Täuschung nicht als
solche kontroliert wird, ausser dem Spiegel hat diese
Wandfläche noch eine sehr bedeutsame Eigenschaft,
die grade für den Wissenden, der über die rohe
Der Stil
355
Illusion hinaus zu sein glaubt, ihren Zauber aufspart:
das ist der Glanz.
Der Glanz wird nach Wundts Untersuchungen
zur physiologischen Psychologie ^) ganz als Eigen-
schaft der zunächst gesehenen Fläche aufgefasst^
,,Er tritt unter solchen Bedingungen ein , wo die
Auffassung der spiegelnden Fläche und die des
hinter ihr gelegenen Spiegelbildes annähernd gleich-
mäfsig begünstigt ist. Hier sollten wir also zwei
Oberflächen in der selben Richtung sehen. Aber
wir sind nicht im Stande, dies in einer Vorstellung
zu vereinigen ; wir fassen daher das gespiegelte Licht
nur als eine Modifikation der spiegelnden Fläche auf,
die wir daneben doch in ihrer ursprünglichen Farbe
und Helligkeit annähernd erkennen. Hierin besteht
das Wesen des Glanzes , der demnach ebensogut
eine psychologische wie eine physikalische Erschei-
nung genannt werden kann."
Diese Tatsachen sind es, mit denen das Rokoko
in seinem Stoffgebilde rechnet : denn die grossen
Spiegelflächen seiner Zimmer sollen nicht nur Spiegel
sein , um etwa die selbstgefällige Erscheinung des
damaligen Salonlebens wiederzugeben (wie Dohme
sich denkt) , sondern auch Flächen ; sie sollen eine
Wand wenigstens bis zu gewissem Grade bedeuten,
also dazu beitragen , die Umgebung als Sphäre des
Spiels herzustellen und vor jedem derben Verstoss
zu bewahren, d. h., das Abonnement suspendu auf-
recht zu erhalten. Deshalb trifft diese Kunst allerlei
i) Physiol. Psych. 3. Aufl. 1887, II, 179, vgl. Beiträge zur
Theorie der Sinneswahrnehmung, S. 315.
23*
356
Rokoko
Vorkehrungen , die das Auge grade auf die Beach-
tung der Oberfläche als solcher jhinleiten. So be-
wirken schon die aufgemalten Blumen der venezia-
nischen Spiegel eine Trennung der Glasfläche vorn
.von der Raumillusion dahinter. Im Rokoko sind es
die vom Rahmen ausgehenden Ranken , das über-
gespannte Gitterwerk , die herabhangenden Blumen-
gewinde , die mannichfaltigen Zierraten , die sich in
flacherem Relief auf der Fläche hinbreiten und sie
als Unterlage für sich fordern , so dass das Auge
nicht umhin kann , sie als Glaswand anzuerkennen,
wie das Fenster daneben oder gegenüber. Der
Spiegel selbst aber giebt ein Bild so räumhch und
körperlich wie der Ausschnitt aus der örtlichen Um-
gebung , aus Garten , Platz oder Strasse , die durch
Fenster oder Türen hereinschauen, also das wirkliche
Fernbild da draussen, das in freierem Abstand doch
immer dazu beiträgt, das Wirklichkeitsgefühl wach zu
halten und die Wärme des Lebens in all dem schönen
Schein als Pulsschlag der ganzen Welt zu spüren.
Nehmen wir im Innern aber noch die Zwiefaltig-
keit des Lichtes hinzu , die durch die glänzenden
und spiegelnden Flächen entsteht, nämlich einerseits
das gespiegelte oder Glanz-Licht, das -im Allgemeinen
die Farbe der Lichtquelle bewahrt , andrerseits das
eigene der Stoffe selbst, das der Körper an sich hat,
solange er nicht poliert worden, also solange er noch
nicht glänzt, so entsteht ein Schimmern und Flimmern,
das den materiellen Bestand des Einzelnen noch weiter
der Kontrole entrückt, so dass die Frage, aus welcher
körperlichen Masse nun eigentHch das Kunstwerk
Der Stil
357
des Rokokostiles bestehe , angesichts des Ganzen
zur Torheit wird. Alle bisherigen Versuche , mit
Einem Material auszukommen, gehen fehl oder stellen
sich bei genauer Analyse als Selbsttäuschung heraus.
Die Eigenschaften all der verschiedenen Stoffe werden
gedämpft und gemäfsigt, durch allerlei Proceduren
modificiert und so in ihrer äusseren Erscheinung mit-
einander verbunden und verwoben , dass eben eine
einheitliche Gesamterscheinung entsteht, die
jedes prosaische Zutappen auf das Herstellungsmaterial
des Einzelnen verbietet. R. Dohme hat mit richtigem
Gefühl , wenn auch mehr zur Verteidigung der Un-
vollkommenheiten als zur Anerkennung des objek-
tiven Sachverhaltes im Rokoko , wenigstens für das
Ornament die Ansicht ausgesprochen : ,,Das Rokoko
darf eben nur auf Gesamtwirkung betrachtet werden."
Das muss für das ganze Kunstwerk als mafsgebender
Standpunkt angenommen werden, schon als Folge-
rung des bisherigen Fortschrittes im Barock einerseits,
wie der ausgesprochenen Erkenntnis, dass alle Teile nur
zu einem Spiel zusammenwirken, das nicht zur selben
Zeit voller Ernst sein kann und den nüchternen An-
sprüchen der Aufklärung nicht gerecht werden will.
Aber ebendeshalb ist es wichtig, vor allen Dingen
den Standpunkt zurückzugewinnen, den die Gesamt-
wirkung des Ganzen ursprünglich dem Betrachter
anwies. Ich glaube , dass auch Semper zu sehr am
Einzelnen hängen bleibt, weil er sich vorerst nur
mit den technischen und tektonischen Künsten be-
schäftigt, die zu einem Ganzen erst hinstreben. Die
Selbständigkeit des Rahmenwerks ist nur solange das
358
Rokoko
letzte Wort für die Erkenntnis dieser besondern
Organisation , solange man auf Burckhardts Stand-
punkt beharrt, und nicht der Raumgestaltung als
solcher allein das innerste Wesen eines Stiles zu
erschhessen anheim giebt. Auch Dohme fällt selbst
in die übHche Einzelbetrachtung zurück: „sobald man
die Grammatik der Formensprache im Einzelnen
studiert, stösst man, wie er meint, im Rokoko über-
all auf Geschmacklosigkeiten, wo nicht auf Roheiten."
Dies sei schon in der Frühzeit des Stiles der Fall,
und eine Ausnahme davon machen allein die natura-
listisch behandelten zarten Blumen und Guirlanden
in Holz oder Gips , die nicht selten eine Uebevolle
Zeichnung und Durchführung bis in die letzte Kleinig-
keit verraten. Er fragt sich aber nicht, woher denn
grade hier eine Ausnahme von der sonstigen über-
all auf die Gesamtwirkung berechneten Behandlung
eintritt } Nun gehören aber diese Blumengehänge,
wie jenes Gitterwerk über den Spiegeln und wie die
Grotteskengebilde der Panneaux eben der Gränz-
sphäre zwischen der Wirklichkeit des lebendigen Be-
wohners und dem mannichfaltigen Schein des Raum-
gebildes an, der ihn umgiebt. Es ist die Zone, wo
Wahrheit und Dichtung ineinander gehen , aber
doch der Glaube an sie zunächst erweckt werden
muss , — wo sich der Raum wenigstens in zarter
Reliefauffassung körperlich konstituieren soll , damit
alles jenseits Erscheinende als einheitliche Hülle sich
darüber breite. In dieser Zone des klaren Abstands
vom eigenen Leibe des Bewohners wurzelt auch das
ornamentale Gewächs , vollzieht sich jenes pflanzen-
Der Stil
359
hafte Leben , das die Füllungen umrankt ; hier löst
sich das Pegrna in vegetabilische, der strengen Regel-
mäfsigkeit widerstrebende Elemente auf, ja hier wird
es gleichsam flüssig (wie Semper sagt), und dies ist
für uns die Hauptsache ; denn damit ist der Über-
gang vom Körperhaften und Konstitutiven ins Bild-
Hche bezeichnet, das Aufgehen in die Einheit zwischen
Plastischem und Räumlichem. Im Augenschein
verfliesst die Organisation wie die Kry-
stallisation zu einem gemeinsamen Ein-
druck, in dem wir allein des Zusammen-
hanges aller Dinge als solchen inne wer-
den. Das heisst, der entscheidende Standpunkt für
das Stoffgebilde des Rokoko ist nicht mehr der tek-
tonisch-stereometrische, nicht der plastisch-organische,
sondern der malerische. Mit den beiden ersten oder
einem von beiden allein auskommen wollen, ist Ge-
walt, heisst nicht, der Erscheinung gerecht werden,
wie sie sich giebt. Die konsequenten aber einseitigen
Anschauungen, die jene beiden Standpunkte für sich
ergeben , werden aufgelöst im Spiel des Ineinander-
webens, und die Auffassung des Bildes allein ist das
Mafsgebende für das Ganze. Das Rokoko ist male-
risch gewordene Kunst im eminenten Sinne.
Uberall wo wir, um mit Dohme zu reden, ,,die Gram-
matik der Formensprache" für Architektur oder Plastik
im Besondern verfolgen , da stossen wir auf Inkon-
sequenzen, nach bisherigen Schulbegriffen vielleicht
auf Ungereimtheiten ; mit keinem Hausgesetz eines
,, Materialstiles" ist auszukommen , die Phantasie des
Rokoko verspottet sie alle mit der Hebenswürdigsten
360
Rokoko
Schmiegsamkeit, mit der es alle Illusionen des Stoffes
ausbeutet, solange sie ihr dienen mögen. Jede Eigen-
schaft der Materie verschwindet , jede Form ver-
schwimmt, jede Farbe verduftet in der Region, wo
über alle Zeugnisse unsrer Sinne sonst der Augen-
schein als Bild sein Recht verlangt.
6. ■
Es sind aufrechte Flächen ringsum, ohne Zwei-
fel, hier aus Holz, dort aus Stuck, dort aus Glas be-
stehend , aber mit schimmerndem Glanz umwebt,
der diese Unterschiede schon ausgleicht, hier mit
einem Seidengewand bezogen, dort mit einem leich-
ten Ornament übersponnen , hier in zartem Relief
hervorquellend und wieder zerfliessend , dort mit
mannichfaltigster Erscheinung bemalt. Überall macht
sich fast nur die Oberfläche, mehr oder minder be-
weghcher Art, als solche geltend, und die Sicherung
in diesem Bestände wird hinter der Scene voraus-
gesetzt. Wo Flächen aneinanderstossen, die Fugen
oder Nähte sichtbar werden könnten, da gesellen
sich gradlinige Leisten, die sich oben in irgend einer
geschwungenen Form zusammenschliessen, und jenes
schlanke dünne Gewächs, das dieser Andeutung des
statischen Gesetzes und der ganzen regelmäfsigen
Voraussetzung des Raumkörpers widerstreitet , und
neckisch nur der eigenen unberechenbaren Laune
zu folgen scheint, aber nirgends — und das ist ent-
scheidend — in ernstlichen Konflikt tritt, nirgends
das ruhige Walten der Grundlage, die selbstverständ-
liche Beharrung des Gegebenen stört, sondern über-
Der Stil
361
all feinfühlig, leicht und schwungvoll sein lustiges
Spiel, so ausgelassen es sich geben mag, mit sicherm
Takt in den Gränzen bewegt, die für den lebendigen
Bewohner auch bestehen , eben die Voraussetzung
ihrer GeseUigkeit sind. Mag ihre sprudelnde Lebens-
lust auch schäumend emporsteigen und den Becher
kränzen, nur in duftigsten, perlend schimmernden Bläs-
chen quillt sie über den Rand des Glases und seine
feingeschnittenen Muster in durchsichtiger Wandung.
Je höher die Ranken am Rahmenwerk steigen,
desto reicher, übermütiger wird wol gar ihr Treiben ;
aber es sind leichte Gebilde, die es mehr wie Schilf
und Blätter, denn wie volle Früchte, trägt, und selbst
Muscheln und allerlei abenteuerliche Gestaltungen
vom Grunde des Meeres werden hier oben so ent-
körpert, dass sie nur ihrer malerischen Erscheinung,
nicht ihres Stoffes wegen da sind , das heisst nur
den Reiz ihrer Form mit allen Anklängen des drin-
nen waltenden Lebens, mit allem Antrieb fliessender
übergleitender Bewegung ausbreiten , aber nirgends
zum Nacherleben ihrer ursprünglichen Leibhaftigkeit
und ihrer vollen plastischen Ausgestaltung, ihres ur-
kräftigen Wachstums auffordern. Das ganze Raum-
gebilde mag sich wie im Aufschwung , im Empor-
wachsen vor unsern Augen zu bewegen scheinen ;
mögen wie die Bogen des Rahmenwerks aufwärts
und abwärts, auch die Flächen der Füllung sich ein-
wärts und auswärts schwingen , und so gemeinsam
den letzten Abschluss , der sie zusammenfasst , vor-
bereiten. Doch ist auch hier kein innerer Wider-
streit, kein feindlicher Gegensatz zwischen unten und
362
Rokoko
oben , sondern nur die wolabgewogene , wirksame,
spannende Steigerung des Spiels, von dem jeder
hinreichend gebildete Teilnehmer weiss, dass es nicht
in Zwistigkeit oder verletzenden Kampf ausarten
Vierde. So sind die bildsamen .Kräfte des Barock-
baues verwertet, ohne ernsten Innern Widerstreit,
vielmehr von vornherein bei aller Mannichfaltigkeit
des Strebens in der Absicht auf harmonischen Aus-
gleich. Und diese Vermittlung vollzieht sich als Be-
wegung der Flächen, der Linien , des Lichtes und
der Farben in gleichmässiger Helligkeit und unge-
trübter Heiterkeit, — wie ein Spiel.
Und den Ausklang giebt dann die Decke. Hier
im Festsaal z. B. überzieht sich ihre weisse Fläche
mit einem Schlussreigen fröhlicher Ornamentik, der
wol gar ein grosses Deckengemälde einfasst, in dem
der Olymp sich öffnet ; dort im Salon sind wenigstens
die Eckstücke und die Mitte mit dem Stuckzierat
ausgezeichnet, der sich locker und sanft in der Ebene
verliert; oder im Eckpavillon gegen den Garten zu
erwächst aus dem Rahmenwerk des Aufbaues rings-
um gar ein Bilderkranz vor dem Deckenrand , über
dem nur der blaue Grund noch den freien Himmel
selber bedeutet.
Begreifhcher Weise jedoch werden nur die be-
vorzugten Räume zur vollen Ausprägung der Ideale,
während die übrigen Gemächer, je mehr sie sich
dem gewöhnlichen Gebrauch des Alltagslebens nähern,
auch in der Form die Regelmäfsigkeit des sichern
Bestandes und das ruhige Verhalten des Durchschnitts
annehmen. Auch darin liegt ein Fortschritt gegen
Der Stil
363
den Barockstil, der ausschliesslich die erhabene Ton-
art und den übermenschlichen Mafsstab kennt, wenig-
stens für die ebenbürtige Gesellschaft , d. h. von
Zwischengeschossen für Diener und Zwerge allein
abgesehen. Nur allmählich lernt er, die Pracht zu
mäfsigen und durch Zurückhaltung , wo sie woltut,
auch Abwechselung und dauerndere Befriedigung zu
erreichen. Im Rokoko ist der berechtigte und natür-
liche Ausdruck der verschiedenen Seiten des Lebens
viel mannichfaltiger und entspricht in durchgebildeten
Bauten stets der besondern Aufgabe viel mehr. Es
liegt auch darin eine Rückkehr zu den Bestrebungen
der itahenischen Frührenaissance , die man im ein-
seitigen Verfolg des grossen Stiles vergessen hatte.
Man sehe nur die Gallerie im Hotel de Villars,
ein vollendetes Meisterstück des Rokoko, in dem Stich
der Innendekoration an, wie sie Leroux (f 1745)
geschaffen ! Man beachte einmal in diesem Durch-
schnitt an der Schmalseite, wie sich das Raumgebilde
vom oberen Rand der Wände über dem Simsstreifen
ausbaucht und zwischen den kartouchenförmigen
Eck- und Mittelstücken wieder zusammenzieht , vor
dem letzten Aufschwung der Decke , die sich flach
über den Boden breitet. Oder man vergleiche den
Aufriss der Gartensäle in Eckpavillons mit dem der
anstossenden Gemächer, je nachdem diese zu ein-
heitlicher Zimmerflucht gehören , doch durch ver-
borgene Türen zugänglich eine Zuflucht aus der fest-
lichen Gesellschaft, aus dem Spiel in die Wirklich-
keit gewähren. Da überbieten jene wol noch im
Hochdrang das Durchschnittsmafs der andern, steigen
364
Rokoko
wol gar in kühnerer Wölbung auf, während die andern
flach gedeckt bleiben, oder gar dem Mafsstab der
Zwischengeschosse sich nähern. Überall aber ist im
Innenraum die letzte Absicht aller Formen- und
Flächenbewegung wie aller Verhältnisse : der Aus-
gleich zum Bilde für das Auge.
7-
Diese Verschiedenheit der Raumgestaltungen
pflanzt sich sodann natürlich auch ins Äussere des
Baukörpers fort; aber sie tritt dort nicht immer so
unmittelbar hervor, wo ein gemeinsames Dach die
Reihe der abwechselnden Räume zusammenfasst. Nur
bei dem Einzelraum, wie beim isolierten Pavillon im
Garten, oder an der Spitze eines Flügels freier heraus-
tretend, oder als Mittelrisalit wenigstens teilweise über
die Flucht der Seiten vorragend, verkündet sich die
innere Form des Raumgebildes auch mehr oder
minder vollständig nach Aussen. Doch dürfen wir
auch hier nicht vergessen , dass das Interesse des
I Stiles garnicht darauf gerichtet ist, für den plastischen
oder tektonischen Gesichtspunkt befriedigend zu
wirken , an das Verständnis krystallinischer Körper
oder organischer Gewächse für sich zu appeUieren;
er will vielmehr auch hier überall durch den Zusam-
menhang wirken. Besonders in Landhäusern, wo
die Rücksicht auf den Zuschnitt des Bauplatzes und
den vorhandenen Linienzug der Strassen nicht mit-
spielt , hat der Rokokobau Gelegenheit, im Äussern
eine unbefangene Freiheit zu entwickeln. Wie die
einzelnen Zimmer im Grundriss vor- oder zurück-
Der Stil
365
springen , hier im Halbrund dort in Polygonecken,
so bewegen sich auch die Aussenmauern, die körper-
lichen Massen des ganzen Baues. Und jemehr der
heutige Architekt sich sagen mag, dass es mit wenigen
Strichen geändert werden könnte, desto weniger ist
er berechtigt , diesen unmittelbaren Ausdruck der
innern Raumbildung als eine ,, tadelnswerte Spielerei"
zu bezeichnen, die eine andre Schule mit ebensoviel
Recht als ,, lobenswerte Aufrichtigkeit" ansehen dürfte.
Wir haben jedenfalls zu fragen, weshalb die Rokoko-
meister, die es bei ihrer Virtuosität in der Grund-
rissbildung sehr leicht regelmäfsiger machen konnten,
eben dies nicht gewollt haben, — weshalb sie es so
und nicht anders gemacht .^^ Es ist das ästhetische
Wollen jener Zeit, das wir verstehen sollten, ehe wir
urteilen. Vielleicht ist ihr Geschmack dem unsrigen
weitaus überlegen , so dass die Schulmeisterei des
neunzehnten Jahrhunders vor der Kunst des acht-
zehnten zu erröten hätte , sobald ihr eine Ahnung
der eignen barbarischen Gefühllosigkeit aufgeht.
Sicher wirken hier die nämlichen Stilprinzipien
weiter, wie im Innern: zunächst die Gestaltung jedes
Raumes , dessen Wände , von hohen und breiten
Fenstern durchsetzt, wenigstens in einigen Bruch-
teilen des Ganzen heraustreten , und zweitens die
Zusammenordnung dieser Aussenseiten der fortlaufen-
den Reihe von gleichmäfsigen oder abwechselnden
Raumformen. Bewegung der Körper und Flächen
ist es , die sich einstellt , Abwechselung der hellen
Mauerteile und der Fenster- oder Türöffnungen ausser-
dem , die dem Vermächtnis des Barockstiles gemäfs
366
Rokoko
den Gesetzen malerischer Gruppierung folgt. Und
hier machen sich bald alle jene malerischen Nei-
gungen geltend, die der nordischen Kunst besonders
seit der Spätgotik schon eigentümlich waren und im
altfranzösischen Schloss ihre Befriedigung finden
mochten. Wo die Meister des Rokoko selbst den
Aussenbau gestalteten, da wundern sich die heutigen
Beurteiler wol ebenso über die Schlichtheit im Ver-
gleich zu dem üppigen Reichtum des Innern ; aber
auch da ist zu antworten , dass die besten Künstler
ihre Mittel wol überlegt und absichtlich so verteilt
haben. Sie wussten besser, was Rechnung im Ganzen
heisst als wir, das ist wol ausser Zweifel.
Der Innenraum ist in jeder Wohnung die Haupt-
sache. Die Übertragung der Ansprüche und Bedeu-
tung des Monumentalbaues auf das Äussere des
Hauses ist ein Verfahren, über dessen Tragweite man
sich klar sein sollte. Wenn die Italiener so gedacht
haben und von allen Verehrern der Renaissance
wegen dieser Sinnesart gerühmt werden, so lag es
dem Nordfranzosen und Hegt es den Völkern ger-
manischen Stammes noch jetzt nicht ohne Weiteres
nahe. Der natürliche Geist unterscheidet zwischen
der Sprache des Monumentalbaues, der eine drinnen
wohnende Idee in ihrem bleibenden Bestände cha-
rakterisieren will, und der Sprache des Privathauses,
der traulichen Fassung des eigenen menschlichen Da-
seins im Wechsel des Lebens. Im Vergleich zur Ge-
wohnheit der Renaissance und des Barock, die sogar
zur Selbstvergötterung der Person des Bauherrn in
seinem Palast gediehen war, und in der Person desRoi
Der Stil
3G7
Soleil den höchsten Grad erreicht hatte, bedeutet auch
hier die anspruchslose SchUchtheit des Rokoko eine
Rückkehr zur Natur, die als Sehnsucht wenigstens im
allgemeinen Wesen der Zeit liegt. Immer freilich bleibt
ein starker Rest von Selbstgefälligkeit, der die vollere
Hingebung an die grosse Naturmacht hindert. Die
Einfachheit selbst fällt noch gesucht aus. Aber sie
nimmt wenigstens keine Wirkungen vorweg, die das
Innere bieten soll. Und es ist eine Abirrung von
den ächten Prinzipien des Stiles, wenn spätere Meister
oder auswärtige Nachahmer, wie in Deutschland, die
Innendekoration nach Aussen kehren, oder wenn, wie
es in Frankreich selbst geschah, hier die Formen-
sprache der Antike , das säulengetragene herrliche
Dach, die Tempelfassade sich wieder einstellt.
Bei den eigentümlichen Originalwerken des Ro-
koko muss aber auch der besondre Charakter des
Baues nicht ausser Acht gelassen werden. Das Stadt-
haus trägt ein andres Äussere zur Schau, als es das
Landhaus, besonders mitten im Park versteckt, ent-
falten mag. Die stark ausladenden und verkröpften
Gesimse, das ganze Pilaster- und Säulenwesen des
Barock hört auf ; denn diese Generation in Frank-
reich huldigt nicht mehr dem Grundgefühl : Schön-
heit ist Kraft, die übermenschliche gar der Materie,
der Elemente. Ganz glatte , gradlinige Bänder um-
ziehen kaum sichtbar statt der kräftigen Sockel, der
stark schattenden Simse den Bau. Vor den hohen
Fenstern mit den immer grösser werdenden , dünn
in Blei gefassten Scheiben darf kein vorspringender
Giebel das helle Licht wegnehmen. Als Wandflächen
4
368
Rokoko
zwischen ihnen bleiben nur schmale Streifen übrig,
die keine senkrechte Teilung mehr erheischen oder
nur vertragen. Auch das ist schon vorbereitet in
Rom seit den Tagen Berninis , wo es zunächst das
schlichte Durchschnittsmafs der Flächengliederung,
als ruhigere Grundlage, aber eben deshalb auch be-
günstigende Folie für die stark instrumentierten
Hauptkompositionen der Kirchen- und Palastfassaden
abgab. Das Rokoko bewährt sich als Flächenstil,
indem es diese Felderteilung, Lisenenumrahmung u.s.w.
adoptiert. Wo aber Paläste gebaut werden, die zu-
gleich nach Aussen repräsentieren sollen, da ist es
die Renaissance mit ihren Säulen , wie bei Bernini,
die den Schmuck herleiht, oder wenn es hoch kommt
die klassischere Bildung der Palladioschule. Stets
aber wird die Verwendung im malerischen Sinne
gehalten, d. h. raumöffnend, mit der Aussenwelt ver-
mittelnd, soweit es sich mit der Lichtfreude und der
Flächenfreude irgend verträgt. Bald Hebt man es
nicht mehr, sie vor die Fassade zu stellen, sondern
legt sie in die Fluchtlinie des Ganzen, indem man
die Wand hinter ihnen nach Innen zieht und so eine
Loggia bildet, wie schon bei Palladio, bei Pietro da
Cortona (S. M. in via Lata), später Ferdinando Fuga
(S. M. Maggiore) in Rom, aber auch bei Claude
Perrault an der Louvrefassade. So ziehen sich wol
Säulengänge um den Vorhof und runden sich zü
den Seiten des Portales, für den Bewohner des Palastes
die Bildwirkung dieser Schlusswand begünstigend,
für den Besucher eine freundliche Begleitung des
BUckes wie des Ganges auf die gastHche Schwelle
Der Stil
369
zu. Aber, wie auf dem Gebälk die Balustraden und
auf diesen die Statuen und Vasen nicht fehlen mit
ihrem malerischen Schwung und ihrer rhythmischen
Gruppierung in der Reihe, so nimmt auch die Einzel-
bildung malerische Elemente an, wie das Kranzgehänge
am Kapitell und die Blumen, Knospen oder Perlen-
füllung an den Enden der Kannelüren. Schon in Palla-
dios Villa Maser finden sich an der Kirche, dieser
Miniaturausgabe des Pantheon in seinem persönUchsten
Geschmacke , von Kapitell zu Kapitell Festons , als
versteinerter Gelegenheitsschmuck nicht nur, sondern
als Ausdruck malerischer Vermittlung zwischen Körper
und Raum, die selbst dem strengen Architekten Be-
dürfnis war.
Sonst aber herrscht im Äussern der Rokoko-
bauten zunächst die flächenhafte Schlichtheit überall
im Gegensatz zu den Volutengiebeln, den schwellen-
den Gesimsen , den ausspringenden Erkern des Ba-
rock, ja die ,, Linealstreifen", als zweifelloseste Be-
tonung der Graden, steigen vom Erdgeschoss bis
zum Mansardendach hinauf, und ,, Rechtecke, flach
wie Papptafeln" , bilden die einzige Gliederung zwi-
schen den möglichst wenigen Geschossen. ,,Der
Umstand , dass in vielen Fällen die Höhenerhebung
im Verhältnis zur Breite eine äusserst geringe war*',
wirkte gleichfalls herabmindernd auf die Ausgestal-
tung im plastischen Sinne. Die Fensterpfeiler sind
nur durch Rahmen eingefasst , auch die Fenster-
gewände als einfache Rahmstücke behandelt; in die
Mitte der flachen Bogen tritt eine spielende Ver-
zierung (Verknüpfung der Rohrstäbe zunächst.!^), bald
Schmarsow, Barock und Rokoko. 24
370
Rokoko
ein Kopf, eine Gruppe von Emblemen, eine Kar-
touche oder Muschel. Das Hauptgesims verflacht
sich, selbst wo es mit seinen drei Teilen als volles
Kranzgesims auftritt. Fast nie fehlt eine mehr oder
minder hohe Attika. Am ganzen Bau kommt auch
wol eine rechteckige Felderteilung vor, die an Eck-
lisenen noch in äusserster Flachheit an die Quader-
imitation bei Bernini anklingt.
Nur selbständige Pavillons oder Mittelrisalite, wie
gesagt, nehmen zu diesen Mitteln noch die Schwin-
gung der Wandfläche selbst hinzu, um konkave oder
konvexe Körperbildung zu erzielen. Aber auch diese
sind mit ihren wiederholten stumpfwinkUg verbro-
chenen Eckkanten nur leise geschweift, und legen
sich immer noch breit auseinander, damit die helle
Fläche wol zarte Schattierung, nicht aber scharfe Kon-
traste und dunkle Streifen bekomme. Albert v. Zahns
"Vergleich mit ,, Kartenhäusern" bleibt, richtig ver-
standen, eine ausserordentlich treffende Charakteristik.
Viel kräftiger bewegt sich, öffnet und vermittelt
sich, wie man erwarten wird, die Gartenfassade, oder
wol gar der ganze Baukörper des Gartenhauses im
Parke drinnen. Die geschmückte Wand der rö-
mischen Villen setzt sich lebendiger und freier auf-
gelockert mit der Umgebung auseinander. Büsten
auf Konsolen und Trophäengehänge schmücken sogar
schon das Haus J. Hardouin-Mansarts in der rue
des Tournelles, wie das Hotel de Pompadour von de
la Maire. Draussen auf dem Lande zeigt sich denn
doch , dass die malerischen Anschauungen zu stark
entwickelt sind, um sich noch zurückzuhalten , wo
Der Stil
371
keine Rücksicht mehr beengt. Je weniger Aufwand
von kostspieÜgen Mitteln noch im Innern getrieben
wird, desto mannichfaltiger darf das Äussere werden,
und mit dem Hintergrund der schattigen Baum-
gruppen, der tiefen Perspektive durch die Alleen und
dem schimmernden Spiegel eines Teiches in Be-
ziehung treten. Das Gefühl stetigen Zusammen-
hanges und regen Verkehrs zwischen Bewohner und
Natur ringsum gewinnt seinen Ausdruck überall, be-
vor noch das Bewusstsein klar sein mag, wie male-
risch diese Betonung der Abhängigkeit von den
örtUchen Bedingungen, diese Auffassung des Hauses
in, mit und unter dem umgebenden Raum eigentlich
werden kann. Noch hindert der Überrest selbst-
gefäUiger Bespiegelung daran, die Sehnsucht nach dem
weiten All da draussen zu befriedigen ; noch bewahrt
die verwöhnte französische Gesellschaft die Über-
zeugung menschlicher Überlegenheit zu stark; aber
die litterarischen Zeugen des aufkeimenden Natur-
gefühls fehlen ja nicht, wenn es auch zunächst eine ^
sentimentale Wendung nimmt, wie in Rousseaus Nou-
velle Heloise und im englischen Garten selber. Selbst ^f'/tn^i^ f
Jagdschlösser und Gloriettes umarmen gradezu die luuJti
Landschaft, indem sie ihre Seitenflügel, oft in schräger ^ >
Richtung , ja als Doppelarme nach vorn und hinten,
vom centralen Mittelbau in die Gegend hinausstrecken. ^^*c^ dh^^^-:^
Und dieser Mittelsaal mit seiner Kuppel unter dem
Zeltdach, wie die Gallerien, die von ihm auslaufen, [j^ir/
enthalten weiter nichts als Fenster und Türen zum
Ausblick ins Freie, zum Einlass von Luft und Licht
und zum Einblick der Natur in die Hallen. Das be-
24*
9
372
Rokoko
zeugt z. B. Boffrands Jagdschloss für den Statthalter
der Niederlande schon vor dem Spanischen Erbfolge-
krieg , der 1 706 die Vollendung vereitelte , nach
dem Stich, den er unter den Namen ,,Boucheford"
bei Brüssel veröffentlicht hat , und ebenso sein Ent-
wurf für das Schloss Malgrange bei Nancy, das
Herzog Leopold Joseph Karl von Lothringen (also vor
17 19) erbauen wollte, — von ausgeführten Beleg-
stücken auf deutschem Boden garnicht mehr zu reden.
Die allseitige Gemeinschaft des Bauwerkes mit seinem
MiHeu kann kaum hebenswürdiger in den Formen
der gebildeten „wolerzogenen" Gesellschaft sich aus-
prägen, als wie es im Lusthaus des Rokoko geschieht.
Der Baukörper öffnet sich ausser den Eingängen
durch eine Reihe von hohen, wie Türen bis auf den
Boden reichenden Fenstern, um die weite Welt als
Bild in sich aufzunehmen ; er entwickelt in der Mitte
eine möglichst grosse Fläche für diese Berührung,
wölbt sie wol rund hervor oder legt sie in stumpfwink-
ligem Polygon heraus ; er streckt gar Flügel mit
solchen runden oder polygonen Pavillons noch selb-
ständiger hinaus in den Garten, oder verteilt vöUig
losgetrennte Sendlinge an bevorzugte Stellen.
Das Bestreben nach Gemeinschaft mit der Natur
draussen war so'stark, dass man die Kälte der rauheren
Jahreszeit mehr vergass, als es das günstige KHma
selbst der Umgegend von Paris erklärlich macht,
und auch diesen Schattenseiten der Uchtvollen Bau-
art gegenüber scheint dem lebenslustigen Optimismus
ein hoher Grad von Selbsttäuschung gelungen zu
sein , wie so mancher Nachtseite der sozialen Zu-
Der Stil
373
stände gegenüber. Fragen wir nur den Baukörper,
soweit er seine Aussenseite zeigt, so dürfen wir die
Raiimöffnung für die Hauptsache halten. Was nicht
mehr zu deren Einrahmung gehört und zur künst-
lerischen Bezeichnung ihres Wertes , das ist nur
glatte Oberfläche, die sich ebenso schlicht im Stoffe
wie einfach in der Form darlegt. Nicht mehr ein
erdgeborenes , felsenfestes Körpergebüde haben wir
vor uns , wie in den Zeiten strotzender Kraft , son-
dern nur den unentbehrlichen Aufbau der Schirm-
wände , die keine höhere Bedeutung beanspruchen
als der Innenraum, zu dessen Verwirklichung sie da
sind , mit dessen Sinn und Leben sie stehen und
fallen. Das unbefangene Urteil kann die Sorglosig-
keit in der Ausbildung des Äussern nur als voll-
kommen berechtigt anerkennen. Die glänzende far-
big schillernde Aussenseite der Bewohner selbst be-
gegnet sich festlich geschmückt mit dem Innern der
Räume , und das lockere , überall zugänghche , den
mannichfaltigen Reizen der Aussenwelt sich öffnende
Äussere ihrer Bauten entspricht dem im Grunde
ebenso sorglosen als genufssüchtigen , ebenso raf-
finierten als liebenswürdigen Wesen dieser Generation
von Aristokraten. ') Selbst die Dachbildung bekennt
den Verzicht auf das italienische Streben , „Alles
unter einen Hut zu bringen", und gestattet dem Ein-
zelnen oder der Gruppe wieder den freien Spielraum
i) Über die kulturgeschichtlichen Zusammenhänge vgl. Anton
Springers Essay „Der Rococostil" in den Bildern aus der neuern
Kunstgeschichte, 2. Aufl., Bonn 1886, II, p. 211.
374
Rokoko
nach Oben , wie die französische Renaissance als
Erbin der Gotik auch getan.
Wir erkennen darnach in der ganzen Architektur
des Rokoko eine so völlige Ubereinstimmung mit
sich selbst , dass wir die Bezeichnung als Stil ihr
ebensowenig vorenthalten dürfen, wie der Dekora-
tionsweise oder den sonstigen Betätigungen in Ma-
lerei und Skulptur, oder in allen damals überhaupt
gepflegten Zweigen des Kunsthandwerks, das, grade
unter dem Einfluss dieser Geschmacksrichtung auf
. das Malerische, zu hoher Blüte und vollendetem Ein-
klang aller Erzeugnisse in ihrer Beziehung zum
Ganzen hindurchdrang. Es ist ein Leichtes, an der
Hand der feinsinnigen Analysen, die Gottfried Semper,
Albert v. Zahn und Robert Dohme gegeben haben,
den Stil in allen diesen Äusserungen weiter zu ver-
folgen. Die liebevolle Charakteristik, die französische
Kenner der Sache und Meister des Wortes den ein-
zelnen Erscheinungen gewidmet haben , muss nur
vorurteilsfrei zunächst in rein ästhetischem und kunst-
geschichtlichem Sinne verarbeitet werden, ohne den
stets noch moralisierenden Beigeschmack, den unsre
Historiker dabei angenommen. So verständlich dieses
ethische Bekenntnis auch als Bedürfnis überzeugter
Anhänger andrer Lehren erscheinen mag, so gefähr-
lich sind die pathetischen Vorwürfe oder die witzigen
Seitenhiebe, die sich immer häufiger einstellen, je
weniger der litterarisch gebildete oder kulturgeschicht-
lich interessierte Forscher von den eigensten An-
gelegenheiten der Kunst zu sagen sich getraut.
375
HISTORISCHER VERLAUF
Je bestimmter wir das Rokoko als einen eignen
Stil anerkennen, der in der Entwicklungsgeschichte
der Renaissance, ebenso wie der Barock, seine
bestimmte Stelle beansprucht, und zwar aus dem
malerisch gewordenen Barockstil Roms durch seine
Verpflanzung auf den Boden der französischen Spät-
renaissance hervorwächst, also eine w^eitere Phase
nach diesem von specifisch nordischem Charakter
bedeutet, die mit der Grossmacht der niederländischen
Malerei in ebenso innigem und natürlichem Bunde
steht, — desto mehr drängt sich die Frage auf, was
denn von dem historischen Verlauf dieses Stiles zu
halten sei.
Zunächst in der Architektur , deren selbständige
Rolle wir geflissenHch hervorzuheben bemüht waren.
Erkennt man mit Destailleur schon in Robert de /jf 32^^-
C Ott es Arbeiten im Hotel de Toulouse 1713 — 1719
(Banque de France) die Kennzeichen des Übergangs
in den neuen Stil , besonders in der berühmten
Gallerie, so wird sich auch gleichzeitig im Hotel ^^^^ ^
Conti (später du Maine) 17 16 — 17 19, das hernach ^
wieder umgebaut worden, noch mancher Überrest
des Früheren erkennen lassen mitten im Verzicht
auf jede Gliederordnung und in dem Hang zur Ver-
schlingung aller Linien und Formen. Dagegen steht
als vollständiger Beweis der veränderten Raumbildung
in erster Linie das Palais Bourbon, leider auch dies ■ ^«^^ ^'mc/-
durch den Umbau für die Chambre des Deputes "■■ ^
(1804 — 1807) nach Aussen unkenntUch geworden.
376
Rokoko
Seine Anlage gehört einem Italiener, Girardini
(1722), der statt Eines Haupteinganges in der Mitte
deren zwei in den vorderen Pavillons anzuordnen
wagte, während sich das Ganze in drei Flügeln um
den Hof, ein quergelegtes Rechteck, durchaus male-
risch hinlagerte. Die unregelmäfsige Gruppierung
der vielgestaltigen Teile nach Innen zu, die offene
Villenartigkeit des einstöckigen, mit flachem Dach
schliessenden Gebäudes nach Aussen, besonders auf
freier Terrasse gegen die Seine zu, mit dem spätem
Platz Louis XV. gegenüber, waren ausserordentUch
klare Veranschaulichungen des neuen Ideales, während
die Einzelformen der Stichbogenfenster im Hof, wie
der korinthischen Säulenordnung ringsum wol als
Anteil der französischen Vollender Lassurance dort,
hier Gabriel und Aubert gelten dürfen. Von Girar-
dini rührt auch das benachbarte Hotel de Lassay
her, das dann durch den Prinzen von Conde mit
dem Palais Bourbon vereinigt ward (1765 — 1775),
ursprünglich aber eine ganz verwandte Anlage von
kleinerem Mafsstabe gewesen ist. Lassurance, Cour-
tonne und andre Meister vertreten in ihren Werken
, die frühere Phase des Rokoko, die man Stil der
''Regentschaft nennt.
Durch den neuen Anlauf der schöpferischen Ge-
jj staltungskraft in Juste-Aurele Meissonier kommt
' dann, je mehr es sich in Frankreich läutert und ver-
feinert, das Rokoko zu seiner vollen Entwicklung,
die wir unter den eigentlichen Franzosen gleich-
I zeitig am Reinsten bei Jean Baptiste Leroux
(f 1745) erkennen. Ein Stil, der so vollständig alle
Historischer Verlauf
377
Teile der Baukunst, die raumbildende wie die körper-
bildende Seite ihrer Tätigkeit nach malerischen Prin-
zipien behandelt, und die architektonische wie die
plastische Schönheit durchaus der malerischen unter-
ordnet, — der die Bildauffassung, den Zusammen-
hang alles Körperlichen und Räumlichen unter dem
Gesichtspunkt des Gesamteindrucks, selbst nicht
mehr der Reliefauffassung, sondern des Fernbil-
des, über Alles stellt, ist begreifUcher Weise ganz
dem mafshaltenden Schönheitssinn, dem Zartgefühl
eines feingebildeten Geschmackes anheimgegeben.
Und dieser leicht beweglichen, unaufhörlich zitternden
Nadel des einzigen Kompass fehlte, wie bekannt,
die unentwegbare Grundlage einer starken ethischen
Richtung, die unter allen Schwankungen den stetigen
Einfluss ihres Poles aufweist. Sowie die Grundsätze
der französischen Schulung von malerisch noch so
genial begabten Künstlern ausser Acht gelassen
werden, gerät die Tendenz, die natürHche des Stiles
selbst, auf die abschüssige Bahn eines Betriebes,
dem es nur um die Erscheinung als solche zu tun
ist; sie entartet in rein dekoratives Schaffen, in un-
solide Einkleidung und lüderliche Schnellproduktion.
Die gute Zeit des Rokoko hört von dem Moment
an auf, wo die scharfe Zeichnung der sorgfältig ge-
schulten Generation verschwindet und unklare ver-
schwommene Formen bevorzugt werden; denn diese
Unbestimmtheit des Einzelnen, das Übergleiten des
Körperlichen ins Flächenhafte , des Geformten ins
Formlose, die Betonung der allseitigen Bedingtheit
und des ewig veränderlichen Flusses aller Dinge,
378
Rokoko
diese Anempfindung an das Naturleben in seinem
Entstehen und Vergehen, an das knospenhafte
Werden aus dem Unbegränzten und die verwelkende
Auflösung des Besondern ins Allgemeine stellen sich
nur als Konseqenzen der malerischen Auffassung
von selber ein.
Dann aber wird durch den Sieg des Malerischen
in der Architektur zunächst die Malerei selber be-
troffen. Der Rahmen, der ihre Bildfläche sondert
und begränzt, aber auch ihr eigenes Reich darinnen
konstituiert, löst sich wuchernd und spielend nun auf
in die Fläche nach Aussen wie nach Innen. Die
Fläche selbst verliert ihre Eigenschaft als senkrechte
Ebene gegenüber dem Beschauer und geht in sanf-
ter Schwingung, hier konkav dort konvex, in das
grössere Ganze des Raumgebildes auf, das seiner-
seits die stereometrische Form verläugnet, um desto
lebendigeres Gebilde zu bleiben. Alle plastische
GUederung überzieht und durchwächst wie Adern
und Nerven der organischen Geschöpfe diese Raum-
gestalt und verschmilzt mit ihm so einheitUch, dass
nirgends mehr eine feste Umgränzung sich entschieden
genug aussondert, um auf der Fläche ein Bild mit
voller RäumHchkeit und Körperlichkeit darin auszu-
gestalten. Selbst die strenge Theaterperspektive,
die in drei Plänen hintereinander oder übereinander
sich aufzubauen gewohnt war, muss nun möglichst
verschwimmen und verschweben. Hier ist kein Platz
mehr für monumentale, stark in die Tiefe und ins
Relief gehende Malerei, wie sie im Anschluss an
Jouvenet und die ,,Tenebrosi" unter den Italienern,
Historischer Verlauf
379
oder weit heller, aber immer noch stark konstitutiv
im Anschluss an Tiepolo sich ausgebildet hatte. Da-
mit kamen die Grundsätze der ererbten Routine,
die kunstreichen Kompositionsregeln, die man auf
diese Perspektive gebaut hatte, überall da ins Schwan-
ken, wo die selbständige Weiterdichtung des Raumes
durch die Bravour des Malers nicht am Platze war.
Nur eine dekorative Behandlung, die selber leicht
und spielend, schemenhaft auf der Oberfläche bleibt,
kann wirkHch noch gedeihen, bis auf die wenigen
Stellen, wo die starken Raumwerte wie in Decken-
gemälden erträglich, ja willkommen bleiben. Wo
mit der Darstellung des Raumes auf der Fläche
nicht mehr Ernst gemacht werden darf, da schwinden
auch die Körperwerte, die der Maler hinsetzen kann,
empfindlich zusammen; der Mafsstab sowol wie die
Rundung der Gestalten vertragen nicht mehr die
Grössenverhältnisse, die der monumentale Stil bis
dahin ausgebildet hatte.
Schon der erste wieder selbständig begabte
Nachfolger W atteaus muss diese Wirkung des durch-
gehenden Stiles auf die Malerei bedrohlich erfahren,
da ihm die Ausschmückung der Innenräume des
architektonisch vollendeten Rokoko zufällt, Frangois
Boucher(i703 — 1777) ist ja der Maler des Louis XV.,
der Liebling der Madame de Pompadour. Wir be-
merken aber mitten in vollster schöpferischer Tätig-
keit eine Wendung seines Strebens , die höchst be-
zeichnend ist für die Geschichte des Stiles. Eben
der Maler muss vorangehen. Die Lebensgefahr der
eigenen Kunst , die alle andern Schwestern unter
380
Rokoko
ihr Gesetz gezwungen, veranlasst seinen Versuch zur
Rettung ihrer Existenz in höheren Aufgaben. Er
kann das Heilmittel nur bei der Nachbarin Plastik
suchen, der Körperbildnerin als solcher, und verschafft
sich diese Hülfe selbst für Einbusse an Farbenkraft.
Wir bemerken eine entschiedene Vergrösserung der
Figuren, eine plastische Verstärkung aller Formen bei
ihm, und es ist merkwürdig zu sehen, wie dabei der
Urquell malerischer Energie, aus dem auch Watteau
das sprudelnde Leben seines Pygmäengeschlechtes
noch geschöpft hatte, der Vlame Rubens in Anspruch
genommen wird, neben den Marmorbildern der an-
tiken Kunst , die man aufs Neue zu betrachten an-
fieng. Boucher kehrt zu der fleischigen Fülle der
Formen im Sinne des Niederländers zurück, aber er
läutert sie durch klassische Studien nach dem Vor-
bild antiker Götterstatuen, die er mit andern, milder
gewöhnten Augen sieht als Rubens. Und im Sinne
dieser statuarischen Auffassung, der reineren Marmor-
anschauung, die durch französische Bildung ihm
anerzogen ward , mäfsigt sich auch die Röte der
Färbung. Nicht mehr die strotzende Blutwärme der
flandrischen Blondinen , sondern die rosige Zartheit
oder gar mit einem Stich ins Bläuliche, die Nüance
des durchscheinenden Geäders, des blauen Venen-
saftes, des verbrauchten, ermattenden, alten Geblütes
im verwelkenden Leibe gesellt sich der aufgedunsenen
und verschwommenen Form, und statt des goldigen
Tons, der bei Watteau noch immer aus den Tagen
Claude Lorrains, ja Tizians manchmal, herüberschim-
merte, tritt nun der silberne Mondlichtglanz auch in
Historischer Verlauf
381
voller Helligkeit der Mittagsstunden. Der grünblaue
Gesamtton dieser Malereien bringt als Entgelt für
den Zuwachs der Form wieder eine Entwirklichung
der Farbe mit sich. Will man aber das Berechtigte
in diesem Streben Bouchers verstehen, den Drang nach
vollerer, grösserer Gestaltung, der hernach zum Sta-
tuenmalen selber führt, so entdeckt man eine Reaktion
im Sinne des plastischen Ideales grade da, wo seine
Palette fast Verblasen wird. Und hier steht ihm die
Formengebung eines Frangois Girardon (1628 bis
171 5) vor Augen, und ein Gesinnungsgenosse wie
Edm. Bouchardon (1698 — 1762) unmittelbar zur
Seite.
Mit diesem Lieblingsbildhauer der Pompadour
bezeichnen wir eine Wendung in den Bestrebungen
der Plastik selbst, von dem vöUig Malerischen, äusserst
Transitorischen zum eigensten Wesen zurück, und
zur Abklärung mit Hülfe der Antike. Als besonders
malerische Beispiele der Plastik im Louvre seien
hier nur die Dido auf dem Scheiterhaufen von Cayot
171 1, der Titan von Fr. Dumont 1712 und der
hl. Sebastian von Coudray 17 12, der bogenspannende
Soldat von Bousseau 171 5, der Charon von Hutin
1742, der schlafende Hirt von Vasse 1751 und der
Prometheus von L. S. Adam 1762 erwähnt. Des
Letztgenannten Neptun von 1737, wie die lyrische
Poesie aus St. Cloud 1752 gehören schon völHg zu
Bouchers Geschmack. Augustin Pajou (1750 — 1809)
und selbst Jean Bapt. Pigalle (1714 — 1785) in seinem
Merkur bemühen sich um grössere Fülle und Rein-
heit zugleich, während die glückliche Rettung zur
382
Rokoko
Einfachheit und Grösse hindurch nur J. Ant. Houdon
(1741 — 1828) gehngt.
Daneben aber stellt sich auch in der Architektur
das Verlangen nach körperhafter Ausrundung der
Bauglieder , die Rückkehr zu ihrem plastisch selb-
ständigsten Gliede, der Säule nach dem Vorbild der an-
tiken Baukunst wieder ein. Jacques Germain Soufflot
(1709 — 1780) erbaut seit 1755 das Pantheon von
Paris, Ste. Genevieve, und lässt 1764 sein Werk über
die Tempel von Paestum erscheinen. So fällt die
Haupttätigkeit Bouchers tatsächhch schon in eine
Zeit, wo die strenger antikisierende Richtung der
Architektur von Aussen her der malerischen Auf-
lösung entgegentritt, ja in öffentlichen Bauwerken,
die den Charakter der Wohnung verläugnen , schon
das Feld behauptet.
Aber für das Verständnis der Kunstentwicklung
ist es wichtig, sich klar zu machen, welchen Gang
sie, von der Malerei rückwärts, einzuschlagen im Be-
griff war. Wenn man sich sagt, Boucher werde mit
seinen Mythologien den Bestellern ebenso willkommen
gewesen sein , wie der Dekorateur mit den neuen
antikisierenden Details, so ist damit nur eine äusser-
liche Gemeinschaft, die nämliche Grundlage der Bil-
dung erklärt. Neben dem Inhalt gilt es jedoch, für
den Stil vor Allem, die Form zu beachten, die Be-
handlung — seien es Mythologien, seien es Schäfer-
idyllen — seiner lüsternen Verführungsscenen im
Wesen der Gestaltung zu erfassen, die auf plastische
Stärkung ausgeht. Seine Typen haben zu Anfang
jedenfalls noch Verwandtschaft genug mit der Formen-
Historischer Verlauf
383
spräche des Rokoko, „sie sind in ihrer ewigen Rund-
lichkeit", wie Zahn sich ausdrückt, ,, Produkte eines
routinierten Manierismus , der im Grunde mehr mit
den letzten Ausläufern der itahenischen Maler der
Grazien zusammenhängt"; aber eben durch diesen Zu-
sammenhang werden sie in der Periode seines kräf-
tigsten Schaffens zu einer Förderung des nämlichen
Umschwungs, der in der Skulptur bei Bouchardon,
in der Architektur jedenfalls bei Soufflot, wenn nicht
schon bei Gabriel wahrzunehmen ist. Bouchers Kolo-
rit aber bleibt das des Rokoko ; oder er grade ist
es , der die Farbenblässe der Dekoration und ihre
zarten nur wie angehauchten Töne in die Malerei
überträgt, so dass seine ,,Dessus de portes" sehr
einheitlich mit dem Innern des Rokokoboudoirs zu-
sammengehen, wie das Breitformat seiner Bilder aus
der vorwaltenden Tendenz der Raumanschauung her-
vorgewachsen war.
In dieser Verblassenheit, die über alle natürlichen
Farben kommt , wo die bildliche Darstellung der
Dinge beginnt , und zwar weil man in diesem Spiel
der festlichen Umgebung nirgends die volle Wirk-
lichkeit selber will, in dieser Entkräftung des Kolorits
berührt sich Boucher doch mit den Pastellmalern der
Zeit, ebenso wie mit der ,, ganzen Gruppe des Lairesse
und seiner Nachfolger , die in ihren antikisierenden
Bestrebungen vor und während der Herrschaft des
Rokoko bereits die stilistischen Eigentümlichkeiten
des Zopfes erkennen lassen, sofern sie überhaupt —
wie Zahn hinzusetzt — architektonisch -dekorativen
Aufgaben nahe treten".
384
Rokoko
Wie der Stil des Rokoko ist auch die letzte
Phase, die in Frankreich den Namen Louis XVI. er-
halten hat, langer Hand vorbereitet, ja unmittelbar
und vielleicht lange unvermerkt aus dem Rokoko
herausgewachsen, wie dieses aus dem Barock, und
das zweite Element ist hier wie dort noch immer
das Hauptprinzip der grossen Bewegung, die wir
,,Renaissance" nennen. Nur gewinnt, je weiter wir
uns von ihrem Ursprung aus dem Mittelalter, also
vom Quattrocento entfernen, die Nachahmung der
Antike bei jedem neuen Anlauf mehr die Oberhand.
Und je mehr schon im Rokoko der ernste Wille sich
in selbstgefälliger Liebenswürdigkeit verzettelt, und
die Kunst im heitern Spiel nur der Laune des Augen-
blicks genügen soll , desto mehr wird diese Nach-
ahmung des klassischen Vorbildes daneben eine re-
signierte, desto mehr ermattet der Gestaltungsdrang
der eignen Erfindungsgabe selbst, erlahmt die schöpfe-
rische Kraft nun am Ai.usgang, um in der antiqua-
rischen Renaissance zu enden.
Die wichtigste stilistische Einwirkung sehen wir,
in voller Ubereinstimmung mit Albert v. Zahn , in
der antikisierenden Liebhaberei, die in gleicher Stärke
durch die antiquarischen Neigungen der Gelehrten
und Künstler wie durch die Entdeckung von Herku-
laneum und Pompeji Anregung empfiengjän£st bevor
die Mahnung Winckelmanns der entarteten Kunst die
Nachahmung der Griechen als einziges Heilmittel
Es ist die grade Linie des Rahmens, die allem
geschmackvollen Rokoko noch als Halt zu Grunde
verkündete.
Historischer Verlauf
385
lag oder als stillschweigende Voraussetzung den ge-
schmeidigsten Evolutionen des Rankenwerks und der
Muschelgewächse hier und da das Rückgrat stärkte.
Es ist die grade Linie , die kürzeste Bezeichnung
aller Dimensionen , die in allgemeiner Asymmetrie
der Formen und der Verzierungen sozusagen ab-
handen gekommen war, wenn auch nach Art japa-
nesischer Flächenmuster, die man zum Vorbild nahm,
der Widerspruch zur symmetrischen Gränze oder zur
stereometrischen Regelmäfsigkeit des geschmückten
Gegenstandes selbst den geheimen Reiz dieser spie-
lenden, eigensinnig aller Erwartung spottenden Frei-
heit bildet , oder wenn auch die einseitigsten Ab-
weichungen einer Konsole , einer Kartouche , eines
Bündels von Einzelheiten stets ein Gegenstück mit
den nämlichen Abweichungen nach der andern Seite
fordert, d. h. überall ein Links und Rechts, ein Oben
und Unten oder Vorn und Hinten im Spiel ist, also
das menschliche Subjekt mit seinem Höhenlot als
unveräusserlicher Mafsstab fungiert. Es ist die grade
Linie, die sich wieder betont, nachdem das unsicher
gewordene Gefühl ihre Notwendigkeit empfunden hat,
die wieder zur Herrschaft kommt, und eine neue
Phase, ein letztes Spiel der erschöpften Renaissance
hervorbringt, das Spiel der Gradheit , Einfachheit,
Naivetät. Man sucht sie in der kleinen wiederauf-
gedeckten Provinzialstadt aus römischer Kaiserzeit,
wie auf der unbekannten Insel des Robinson Crusoe.
Beide Vorbilder sind Postulate der Phantasie , und
auch der ,, Stile Louis Seize" bleibt ein Flächenstil,
dessen graziöser Aufschwung im Sinne eines wirk-
Schmarsow, Barock und Rokoko. 25
386
Rokoko
lieh verfeinerten Genusses der zierlichsten Formen,
die vom Griechentum zum Vorschein gekommen
waren, um 1775 beginnt.
Die eigenthch fruchtbaren Keime der Erneuerung
dürfen aber nicht in dem antikischen Spiel dieser
letzten und vergänglichsten Blüte des französischen
Geschmackes gesucht werden ; denn das gepriesene
Heilmittel Winckelmanns war doch nur ein Testimo-
nium paupertatis, oder die Nachahmung der Einfach-
' heit ä la grecque doch nur ein Notbehelf, weil man
die Hauptsache, die Einfalt der Natur, eben nicht
zu erjagen vermochte. Was bUckt uns an aus der
Maske des Schäferspiels, das selbst Marie Antoinette
inTrianon eingeführt, was blickt durch das vergoldete
Gitter des Parks in die Wälder von Fontainebleau
und St. Germain hinaus, als die Sehnsucht nach der
Natur.?* Was besagen die Angriffe Jean Jacques
Rousseaus auf die Civilisation überhaupt und die
Schilderungen des Seelenlebens in Beziehung zur
umgebenden Landschaft anders , als das Verlangen
nach dem gesunden natürlichen Zustand zurück .^^
Was ist die Verkündigung des Naturrechts anders,
als die peremptorische Forderung , dass die allge-
meine Sehnsucht der Menschen sich erfülle } Da
rühren wir an das treibende Moment der ganzen
Entwicklung, da liegt das Gemeinsame, das aus der
langen Periode der Renaissance und ihren mannich-
faltigen Metamorphosen im Laufe von mehr als vier
Jahrhunderten hinüberführt in die Neuzeit. Die Re-
volution ist nur der äusserliche Abschluss ; sie macht
mit allem Bestehenden tabula rasa, soweit dies irgend
Historischer Verlauf
387
möglich ist, damit man ganz von vorn anfange. Aber
auch die Generation der Revolutionsmänner war ja
weder vom Himmel gefallen, noch aus Drachensaat
emporgeschossen oder aus Steinen erweckt, sondern
auf natürUchem Wege zur Welt gekommen ; also
jeder von ihnen war das Kind seiner Eltern, der
Abkömmling seiner Vorfahren, der Sprössling seines
Landes und seiner Zeit , konnte also einen neuen
Adam nur anziehen, d. h. eben nicht ganz ,,ab in-
tegro" anfangen, sondern auf die Tafel, die ererbte,
wenn auch gründhch abgewaschene, mit dem Griffel
in der Hand, dem ebenso ererbten, wenn auch neu
zugespitzten, vielleicht allzu scharfen, die Buchstaben
schreiben, die er gelernt, oder die Figuren zeichnen,
die er zu sehen und zu fassen gewohnt war. Daher
eine abermalige Rückkehr zur Antike: zur römischen
Republik mit ihren Konsuln, zur griechischen Kunst
mit ihren Statuen. Der Mensch geht in die Schule
der uralten Lehrmeisterin Grammatica ; denn als das
reinste, allgemeingültigste Bildungsmittel gilt — nach
ererbtem Urteil der Väter oder allerneuestem Vor-
urteil der Neulinge — die Antike.
Das Studium des klassischen Altertums seit An-
beginn der Revolutionszeit ist aber ein ganz anderes
Wesen, als die spielende genufssüchtige Nachahmung
des antiken Geschmacks am letzten Ende der Re-
naissance im Stile Louis Seize zu Paris oder im Zopf
zu Berlin. Einmal die antiquarische Liebhaberei als
Begleiterin, das andre Mal die archäologische Wissen-
schaft. Die Jagdgeschichte Münchhausens von seiner
Rettung aus dem Brunnen scheint hier zur Wahrheit
25-
388
Rokoko
geworden : man musste sich an dem eigenen Zopf
herausziehen und konnte nicht anders als am letzten,
dünnsten, armseligsten Ende wieder anfangen. Der
sogenannte Klassicismus , der dem achtzehnten und
neunzehnten Jahrhundert gemeinsam sein soll , ist
genau besehen ein Doppelgänger oder hat mindestens
einen Januskopf mit zwei Gesichtern, einem alten
abgelebten, greisenhaften, wieder kindisch gewordenen
und einem jungen, kindlichen, eben dem des gesun-
den, jedenfalls sehr hungrigen, nach langem Wieder-
geburtsprocess glücklich in die Welt gesetzten Men-
schenkindes, das dann so bald wieder in die Schule
gieng und sich als Zeitalter der Bildung entpuppt hat.
Doch gehen wir nicht unter die Propheten, son-
dern suchen das wirklich Vergangene zunächst richtig
zu verstehen. Vorerst bleibt das Verhältnis zur
Natur ein durchaus sentimentales, bis man ehrlich
und stetig sie wieder zu erobern gelernt hat. Wir
beobachten in der letzten Zeit , wo Rokoko dem
Zopfe weicht, bei den bildenden Künsten , die wir
allein ins Auge fassen, ein unverkennbares Streben
zur Rückkehr in das natürliche Verhältnis der
Schwestern , das durch die Vorherrschaft und Füh-
rung der Malerei völlig verschoben war. Auch dies
allmähUche Zurechtfinden erfolgt genau in umgekehr-
ter Folge, wie die Abirrung geschehen war, d.h. in der
geduldigen Zurücklegung des nämlichen Weges von
seinem Ende bis zu seinem Anfang hinauf. Die Ma-
lerei, die alle übrigen Künste mit sich fortgerissen,
1 muss als Statuen- und Reliefmalerei das Joch der
Skulptur auf sich nehmen. Die malerisch gewordene
Historischer Verlauf
389
Plastik lernt erst wieder tektonische Abhängigkeit
durchkosten, ehe sie ihre statuarische Selbständigkeit
wiedergewinnt, und müht sich mit dem Problem der
Form überhaupt, bis sie wieder von Innen heraus
gestalten mag. Die malerisch gewordene Baukunst
findet sich zu plastischer KörperUchkeit ihrer Einzel-
bestandteile und dann zur Gradlinigkeit ihrer Flächen,
zur senkrechten Starrheit und kahlen Geschlossen-
heit ihrer Wände zurück, bevor sie selbst als Raum-
schöpferin aufs Neue gedeihen kann. Und die eigent-
liche Triebkraft, die diesen Zeiten der Busse die
Hoffnung auf das Heil lebendig hält, ist überall die
Rückkehr zur Natur.
Ist aber das nicht grade das Evangelium der
Malerei ? so fragen wir am Ende unseres Weges, der
uns so manches Mal das Streben dieser Kunst ge-
zeigt , den innigsten Zusammenhang der Welt im
Augenschein zu fassen. Gewiss , im Augenschein,
aber auch nur dieser ist ihres Amtes allein, nur so-
weit die Gemeinschaft der körperlichen und der
räumlichen Faktoren unserer Welt in sinnlich sicht-
barem Bilde dem Auge des Menschen erscheinen
kann. So weit ist die Malerei die Trägerin dieses
Ideals, ist es ihres Amtes, den ganzen Reichtum der
Beziehungen zwischen Mensch und Natur künstlerisch
zu bewältigen, und dieses Weges gehen alle Schwester-
künste, die malerisch werden in ihrem Tun. Da
ist Einkehr in die Natur, wenigstens durch das Auge,
doch gegeben!
Warum vermochte denn die Malerei , die so
völlig zur Zeit des Rokoko die Führung aller Kunst
390
Rokoko
Übernommen hatte, warum vermochte sie nicht die
Verheissung zu erfüllen, die ihr gegeben ist ? — Das
ist wol die letzte Frage, die noch eine Antwort
heischt, wenn über das Wesen des Rokoko und die
Malerei des achtzehnten Jahrhunderts Rechenschaft
gegeben werden soll im Sinne eines Stiles. Diese
höchste sinnlich - geistige Anwartschaft der Malerei,
uns den Zusammenhang mit der Natur, der weiten
Welt da draussen zu vermitteln, durchs Auge zum
tiefsten Seelengrund, diese Aufgabe verlangt die Mit-
wirkung des ganzen Menschen in voller Hingebung,
des geniessenden nicht nur, sondern auch des schöpfe-
rischen Subjekts. Sie setzt eine Weltauffassung oder
doch ein Weltgefühl voraus, das in Land und Leuten
Rembrandts wol gedeihen mochte , bei den Erben
Ludwigs XIV. aber, in der aristokratischen Gesell-
schaft Ludwigs XV. und seines Nachfolgers jedoch
nicht vorhanden war und auch bei Künstlern höchster
Art nicht aufkommen konnte. Im arkadischen Schäfer-
kleid wie im Gemälde eines Watteau, Boucher, Fra-
gonard wird mit dem natürhchen Wesen nur gespielt,
mit Natur und Welt nur kokettiert, gescherzt, ge-
schäkert und getändelt, wie mit dem Herzen und
dem Schicksal der Schönen. Ein starker Rest von
Selbstgefühl und eitler Selbstbespiegelung ist in allem
Tun und Treiben, im Schaffen wie im Geniessen der
Rokokozeit, und deshalb bleibt die Schwelle zum
eigenthchen Geheimnis der Malerei, wie zum heiligsten
Mysterium der Natur, verschlossen.
Es giebt keinen Sohn dieser Kultur, der diesen
Bezirk der konventionellen Voraussetzung, den Bann-
Historischer Verlauf
391
kreis des Spieles überschritten hätte und wirklich
zu überbrücken wagt. Auch Rousseau ist viel zu
sehr Egoist, im stillen Kämmerlein seiner Bekennt-
nisse wie als Stimmführer der grossen Gemeinde
draussen , um wirklich die Kluft zu überbrücken ;
auch er liebäugelt nur mit der Einfachheit des Na-
turzustandes und dämmert im Traume einer SeUgkeit,
die den grossen Spiegel der Reflexe nur erweitert
und die gebrochenen Stralen nur unbestimmter zer-
streuend verschwimmen lässt. Die Sehnsucht nach
Natürlichkeit predigt auch Diderot, der weichherzige
Enthusiast, aber seine Begeisterung am Schreibtisch
ist Genussbedürfnis, wie dem Moralisten die Predigt
auf der Kanzel. Er sieht die Erfüllung seines Ide-
ales in den Gemälden von Grenze, ohne zu merken,
dass auch sie nur ein ganz sentimentales Verhältnis
zu der Einfachheit und Rechtschaffenheit des dritten
Standes aufweisen, genauer betrachtet aber in Kom-
position und Ausdruck, wie in Zeichnung und Farbe
durchaus dem konventionellen System der Rokoko-
malerei angehören, ja durch den Schein der Unschuld
erstrecht verführen, oder zum Genuss ihrer ethischen
Eigenschaften eben den Gegensatz der zerrütteten
Zustände , die ganze Zerknirschung über die Kor-
ruption, wenn auch nur als vorübergehende Anwand-
lung voraussetzen, während sie dem unbefangenen,
ästhetisch nicht so für das Rührstück empfänglichen
Betrachter als eitel Künstelei erscheinen. Der Ein-
zige, der wirldich den Mut der Entsagung hatte,
das Schlichte um seiner selbst willen und das Ein-
fache allein zu wollen, war unter diesen Malern Jean
392
Rokoko
Baptiste Chardin, der dem anspruchslosen Genre
der holländischen Kunst sich ganz ergeben, dafür aber
von dieser zeitgenössischen Gesellschaft auch nur
als petit dessert gewürdigt ward. Seine Kraft war
nicht gross, seine Bedeutung nicht umfassend genug,
um überzeugend das Ideal der Malerei zu erfüllen,
wie es einem Rembrandt aufgegangen war ; er bleibt
nur ein merkwürdiges Zeugnis für den Austausch
der Bewegung zwischen Holland und Frankreich seit
der Invasion von 1672 , wo auf niederländischem
Boden die klassische Reaktion beginnt.
Die Malerei des Rokoko in Frankreich musste,
ganz abgesehen von kulturgeschichtlicher Umgebung
und politischen Ereignissen, wo eben Alles kopfüber
geht, musste in sich zu Grunde gehen, auf ihrem
eigensten Grunde, in ihrer unangefochtenen Herr-
schaft als Kunst, weil zu dem letzten psychologischen
Erguss in die Weite der Welt die notwendige Vor-
aussetzung im schaffenden Künstler, wie im ge-
niessenden Betrachter fehlte, die Entäusserung des
eitlen Selbstgefühls vor der Allmutter Natur, die Hin-
gebung an das allseitig bedingende Weltgefühl, um
deren Preis allein der ewige Urgrund alles Lebens
und Daseins erlaubt , mit Menschenhand an seine
Geheimnisse zu streifen.
So gieng das eigentliche Erbteil der nordischen
Grossmacht Malerei, nach den Tagen eines Rem-
brandt und Ruysdael an England über, und zwar
zur selben Zeit, als dem urwüchsigen holländischen
Wesen, den kostbarsten Eigenschaften seines Cha-
rakters, seiner Sitten und seiner Weltauffassung ein
Neuzeit
393
neuer Boden in dem Inselreich eröffnet ward, das
die Stuarts durch ihre Schuld verloren. Mit Wilhelm
von Oranien setzte ein gut Teil des Besten nach
England über. Englischer Gartenbau und englische
Parkanlagen, englisches Sittenbild und englische Por-
trätkunst bereiten in langsamem Fortschritt die Über-
nahme der höchsten Aufgaben in die englische Malerei
vor, deren Vollzug in Reynolds und Gainsborough
anerkannt werden mag, auch wenn man sich sagt, dass
in der ganzen englischen Kunst am Ende des acht-
zehnten Jahrhunderts das Verhältnis zu Natur und
Welt ebenso ein sentimentales bleibt , wie in der
englischen Litteratur, im Rührstück und Roman.
Auch jenseit des Kanals ist der Anfang der
eigentlichen Neuzeit wol später zu suchen, und der
geistige Verkehr der europäischen Völkerfamilie nach
Aufhebung der gewaltsamen Kontinentalsperre dabei
gewiss nicht ohne Einfluss geblieben. Das neunzehnte
Jahrhundert beruht auf diesem Austausch allzu we-
sentlich, als dass wir ihn entbehren dürften und für
das Verständnis unsrer eigensten Anliegen unter-
schätzen sollten. Aber die geistige Arbeit des acht-
zehnten hat die notwendige Vorbereitung erbracht.
Und der Übergang der Vorherrschaft unter den
Künsten von der Malerei an die Dichtung, oder von
der Anschauung überhaupt an die Vorstellung, er-
scheint uns der eindringlichsten Aufmerksamkeit wert;
denn in ihm vollzieht sich die Scheidung der Neu-
zeit von dem Zeitalter der Renaissance.
INHALT
Seite
Einführung i — 4
I. Aesthetische und geschichtliche Vorbereitung 5—49
1. INI alerische Gesichtspunkte in der Baukunst 5 — 27
Architektonischer Standpunkt — Plastischer Stand-
punkt — Malerischer Standpunkt — Unmalerisches
in der Architektur — Übergang ins Malerische —
Plastische und malerische Wirkung — Keime des
Malerischen im Innenraum — Reliefanschauung und
Bildanschauung.
2. Renaissance 27 — 42
Mittelalter und Quattrocento — Oberitalien und Ger-
manisches — Brunelleschi — L. Lauranna — Giuliano
da Sangallo — Bramante — Antonio da Sangallo —
Der Begriff „Renaissance" — Malerisches in der
Hochrenaissance.
3. Ein malerischer Stil? 42 — 49
Kritische Vorbereitung — Barock — Rokoko — Die
Grossmacht der Malerei im Norden.
II. Michelangelo als Begründer des Barockstils
(1524— 1564) 50-123
1. DerBildner 53 — 62
Donatello und Michelangelo — Michelangelo der
Quattro centist ; der Meister der Hochrenaissance —
Die Grabmäler der Medici — Gestaltenbildung —
Komposition — Der Moses am Juliusgrabmal.
2. Der Maler 62 — 70
Das Jüngste Gericht in der Sixtinischen Kapelle —
Komposition — Gestalten — Cappella Paolina.
3
396
Inhalt
Seite
3. Der Baumeister 71 — 100
Der Kapitolsplatz — Biblioteca Laurenziana — Kon-
servatorenpalast — Pal. Farnese — Das Ideal des
Innenraumes — Der Petersdom — S. M. degli An-
geli — Der Centraibau.
4. Bildner und Baumeister 100 — 115
Plastische Gestaltung — Hochdrang — Proportio-
nalität — Dissonanz und Harmonie
5.SeinBarockstil 116 — 123
III. Die zweite Phase des römischen Barockstils
(1564— 1605) 124—193
1. Kirchenbau 125 — 152
Vignola — Gesü — Giacomo della Porta — S. Ca-
terina de' Funari, S. M. de' Monti - — Gesü — Peters-
kuppel — Carlo Maderna, S. Susanna — S. Andrea
della Valle — Langhaus von S. Peter.
2. Palastbau und Villenbau 152 — 175
Barockstil im Profanbau — Der oblonge Saal —
Der Binnenhof — Die Fassade — Baumaterial —
Römische, toskanische und oberitalienische Gruppe
— Villa Suburbana - — Villa Medici — Landvillen
— Villa d'Este in Tivoli — Villa Aldobrandini in
Frascati — Villa Mondragone — Gartenstil — Wasser.
3. Der Barock Stil in der darstellenden Kunst 175 — 193
Die Carracci in Rom — Galeria Farnese — Rubens
in Rom — Sein Barockstil in der Malerei — De-
korative Kunst.
IV. Die Glanzperiode des römischen Barock und ihr
innerer Umschwung 194—295
I. Die Oberitaliener und die Renaissance-,
tradition 195 — 211
Dom. Fontana — Villa Medici und Villa Borghese
— Übergang ins Malerische — Carlo Maderna : Pal.
Chigi (Odescalchi) — Pal. Barberini — Fassade von
S. Peter.
Inhalt
397
Seite
2. Giovanni Lorenzo Bernini (1598 — 1680) . 212 — 234
Der Bildner und Correggio — Die Grabmäler in
S. Peter — Der Baumeister : S. Bibiana, Pal. Bar-
berini, S. Anastasia — Die Fassade von S. Peter —
Pal. Chigi (Odescalchi).
3. Maler und Architekten 235 — 255
Domenichino : S. Ignazio • — Pietro da Cortona : S.
Luca e Martina, S. M. della Pace, S. M. in Via lata
— Carlo Rainaldi: S. Agnese, S. M. in Porticu —
Bernini : Kolonnaden von S. Peter — Römische
Plätze — Louvreprojekt — Kirche von Ariccia —
S. Andrea in Quirinale.
4. FrancescoBorromini und dieDekoration 255 — 285
Lateransbasilika — S. Ivo della Sapienza — S, Carlo
alle quattro fontane — Oratorio S. Filippo Neri —
Pal. Falconieri — Dekoration der Innenräume —
Beminis Scala regia, Cattedra di S. Pietro, Brunnen.
5. Sieg des Malerischen und der Städtebau 285—295
Landschaft: Nicolas Poussin — Gaspard Dughet —
Claude Lorrain — Die letzte Phase des Barockstils
in Rom (erste Hälfte des 18. Jahrhunderts) — Decken-
malerei : Gaulli, Pozzo — Hafen der Ripetta, Spa-
nische Treppe, Fontana Trevi — S. M. degli An-
geli — Fassaden von S. Giovanni in Laterano,
S. M. Maggiore, S. Croce in Gerusalemme — Pal.
Odescalchi, Pal. della Consulta, Pal. Corsini — Gall.
Colonna.
V. Die letzte Weiterentwicklung in Frankreich 296—392
1. Das Eindringen des Barock 296 — 315
Charles Lebrun — Pierre Puget — Louis Levau —
Beminis Louvre — Claude Perraults Fassade — Jules
Hardouin Mansart : Versailles — Trianon und Marl3^
2. Rokoko 316 — 374
Entstehung: Watteau, Op den Oordt, Meissonier —
Ein Stil ? — Der Stil — das Raumgebilde — das
Stoffgebilde — Gliederung des Ganzen — der Aussen-
398
Inhalt
Seite
bau — Zusammenwirken aller Künste im Dienst des
Malerischen.
Architektur : R. de Cotte , Girardini , Lassurance,
Leroux — Malerei : Boucher — Plastik : Bouchardon,
Adam, Pigalle — Louis Seize — Antiquarische Re-
naissance und archäologische Reformation — Ausgang
der französischen Malerei, Übergang nach England.
Schluss : Beginn der Neuzeit 393
3. Historischer Verlauf
375
•392
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Druck von Fischer & Wittig in Leipzig.
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