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Seteu unl) 6|iarafter.
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ßtttto iFtfd)er.
3KannI)cim,
SetlagS^u^fjanblung bon 0rtcbrt(!^ ^affctntann.
1865.
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1
gefccn ni\t){Q.^avafttx.
c^in Vortrag
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üon
fVcA^l^r^.'.
SRann^eim,
8eTlag6&n4{)aitMung t>on griebric^ ^affermaniL
1865, *V^
-'^nio-
3nl)ait0iier^eii^ni|l.
•
I. 6ptn03a'iS gefd^id^tlid^e ^ebeutung 2
H Sic futlid^c ©runbrid^tung 5
III S)ad ftttltd^e äSorMIb ((BM^t, e^lmmoä^tt, Sacobi) . 10
IV. Sic bio9rap]&if($en Gucücn (®a^lc, flort^olt; Golcrug,
2ucag, aSoulIainoilHerS) 13
V. Sie portugieftfd^cn Subcn in Slmftcrbam 18
VI. ©pinoja'g gamilic. ©eine l^cbrdifd^c SJilbung ... 20
1. Sie eitern 20
2. Sic Mabbinenf^ulc 20
3. Sie RabMa 21
VII. Ser atud^ mit bem gubcntl^um ; . 22
1. Sie entfrembung 22
2. Sic ßonflictc 24
3. Ser »ttnnflucj^ 27
4. SaS Scben in bcr SSerborgenl^cit. Slufcntl^att^
orte 30
Vin. ©pinoga'g pl^ilofopl^ifd^c unb latcinifd^c SBilbung . . 32
1. Sag ©tubium Sc^carteS' 32
2. Sic Iateim[d^e Spraye 33
«rite
IX. Set Sertel^t mit oan ben @nbe 34
1. grätig Dan bcn @nbc 34
2. Qlaxa IDlaria van ben @nbe 36
X. epinoja'd QfyxtaUzt unb Sebendweife 38
1. Unobl^ftngtgfeit unb ßmfantfett 38
2. Scbcnsetmcrb 39
3. Uneigcnnüftigfcit 41
4. »cbürfnifelopölcit 42
5. StiWcben 43
6. S)er Stuf nad^ ^eibelberg 43
7. gur(6tIoft9!cit 45
8. ^rnfl unb Sd^wennutl^. Sie Senoerfung ber
^eud^elei 47
XL S)ct 2ob ©pitti^a'ö 49
1. Sag rul^ige Sterben 49
2. Sie falfd^en @erüd^te • . 50
XII. 6pino}a*d äußere ^rfd^einung 52
•
3)er ®egen{lanb biefeS SorttagS Qt^bxt ni^t in bie iRett^e
htm, bic nur genannt ju »erben brau(f^en, um unter ben 3n»
tereffen, bie in ber gebilbeten ffielt einf)eimifdS> unb geläufig ftnb,
fogleic^ eine für jie vorbereitete unb empfängliche ©teile ju fin*
ben; unb in ber wenigen S^it, bie mir frei fie^t, merbe icb
nic^t im ©tanbe fein, gerabe bie Seite beS ®egenftanbe8 ju
beleuchten , ttjel^e bie nja|)re If)eilna^me an bemfelben erfl er*
totH.
(58 ifi ein tief verborgenes, einfameä, feinem anberen ^mi
ali bem ber reinen @rfenntni^ ganj gen)ibmete8 9Renf(|ienIeben,
ba8 i^ S^nen fd^iilbern will , fo weit e8 aufgef(^lof[en unb er*
fennbar ijl für bie äußere öetrocl^tung. Slber wie wenig mti^t
bie äupere a3etra(|itung ben Äem eineS ^olä)m ßcbenä! SBie
arm f*einbar unb einförmig mu^ bie Slu§enfeite eineS Sebenä
fein , weldS^eS ganj m^ "^nmn gef e^rt ijil 68 entbehrt bie ge*
täufci^ooüen ©dS^icffale unb bie %Mt reidber, mannigfaltiger,
impofanter ßrlebniffe, bie unfere SinbilbungSfraft anjiefjen unb
bent Darfleflenben aüemal bie banfbarjie Slufgabe gewähren.
a5a8 ©tillleben eine8 2)enfer8 will von Snnen ^txmi betrati^tet
fein , unb wa8 in biefer Betrachtung ben aWenfd^enf enner nicijit
aufhört ju bef(f>äftigen unb ju belehren, ifl ber Sinflang ber ®t*
banfen« unb SebenSrid^tung, ifl bie SBecbfelwirfung jWifcäJ^en 6r*
1
fenntni^ unb ßeben , bie jtc^ gegenfeitig reßuliten unb in i^rer
Sin^eit einen jener feltenen S^ataftete erjeugen, bie ganj in \\^
tu^en; bie üoüfommen au8 einem ®u§ jtnb unb genau fo leben
unb ()Qnbeln tote jte benfen.
aiBenn ic^ nun einen bet feltenfien aWenfd^en biefer 9lrt in
feinem ßeben unb fö^atafter batfiellen tt)iü, o^ne bie ©ebanfen^^
noelt feines Si^nern ^iet erteud^ten ju* f önnen , fo fü^Ie id^ njo|)l,
tt)ie fel)r id^ mid[) gerabe mit biefer Slufgabe in einer ungünjKgen
Sage befinbe.
I.
<Spittoja's 0ef(l)td)tUd)e fiekututig,
3(^ toiü ba|)er t)erfu(|)en , ob i^ mit wenigen 3Ö8^" *i<^
@ebanfenridi)tunfl bejeici^nen tann, bie in bem ©baraftcr, bcn
idi) f(i^ilbern möchte, ganj eine* toar mit ber perfönlid[)en 2cben8^
rid^tung.
68 lag in ber Slufgabe ber neuen '^t\i, bie fi(| oon bem
aWittelalter Io8rei§en wollte, ba§ fie mit ber JReligion auc^ bie
(&r!enntni§ unb SBtffenfc^aft t)on ®runb au8 erneuerte, jebe »pn
beiben au8 ber il)r eigent^ümli(!^en Duelle : bie SReligion au8 ber
©d^rift, bie 5Biffenf(J)aft au8 ber natürli(|>en aSernunft. Siner
ber größten 2)en!er ber ÜBelt ber in bem ®ebiete ber ip|>il0foj)f)ie
bie SWeformation unternahm , 9len6 S)e8cartc8 , ^iiüt ba8 f üf>ne
SBort au8gefpro(!^en : bie ®ac^e muffe wieber einmal ganj öon
t)orn angefangen werben ; e8 bürfe nii^tS für wa^r gelten , al8
wa8 man flar unb beutlid^ erfannt i^abe; nur ba8 tlar unb
beutlic^ (Srfannte fei tt)al)r. SKun ftnb bie tlarfien unb beuttic^*
fien Sinfic^ten, bie wir l^aben, bie matbematif^en in i^rer jwci«^
fellofen (Scwi§beit, in i^rer flrengcn unb folgericä^gen Drb*
nung. ®o flar, fo gewiß, fo folgerid^tig follen alle unfere (Sr^
>
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3
f cnntmffe fein, ffienn jte e8 weniger ftnb , fo ^aben fte nt(|it
ben ®tah ber Älor^eit unb J)eutK(i&feit, ber ben S^tiftl gänjs
licl^ au8f(i^(te§t unb allein bad 9{e(|it t)Qt, SBa^rbeitju ^ei§en.
28a8 bu nid^t fo flar gebad[)t unb begriffen ^a^, atö ben 8a^,
ba§ in einem 3)reie(f bie Summe ber ffiinfel gleii^b iP V^^^ ^f^^*
ten, baS b^ft bu überbau))! niä^i begriffen!
®8 liegt baber in bem (Seijl unb in ber SHicibtung ber neuem
^bMopb*^' ^i^ ^on I)egcarte8 b^rfömmt, ba§ jte fici^ btefe
Slufgabe flellt : bie gefammte @rf enntni§ nacb bem ®efe^ ma«
t^ematif4)er Sftotbnoenbigf eit ju reguliren , ben ganjen S^bölt ber
aaSelt in eine Stzüt matbemntifd^er @^Iu§folgerungen ju bringen,
in ber jebeS ©lieb au8 bem früberen folgt fo einleudbtenb loie
ein geometrifcber ©a^. 5)ie ^bilofopbi^ foB, »ie eS b'^i
more geometrico betoeifen. 3n ibrer gefdbicbtli^en Sntwirflung
ifl bi^i^ ^^^ micbtige unb bebeutfame $unft, wo biefe ^lufgabe
an fie b^antritt, wo bie ßofung biefer Slufgabe ibr nädbfleä
unb unt)ermeibli(äbe§ Problem bilbet wo ber 93erfud[) ber Söfung
in ibrem ganjen Umfange gemacht werben nm§ , foHte eS au($
nur fein , um beutlii^ unb flar einjufeben , wie oiel oon bem
3nbölte ber ffielt fiiSb motbematif^ nidbt beweifen lägt, ©olcbe
negatit)e ©nficbten ftnb ebenfo wi^tig unb oft bei weitem frui^^t*
barer al8 bie })ojttiioen.
9Bir fönnen unabbängig oon ben S^ftemen ber $bH<>f<^t^J&i^
au8 ber (Srfabrung beä eigenen aSerfianbeS biefe Slufgabe un*
mittelbor ernennen. SBem ifi ni^t einmal in feinem ßeben , fo«»
balb ber SSerfianb anfängt fxi) ju fublen unb ftdb in fübnem
©elbjioertrauen erbebt bie ^^orberung gefommen: i^ will Sllle*
fo flar bewiefen b^ben, wie ben ©ajj jwei mal jWei gleiij) t)ier;
waä mir weniger flar ifl, gilt mir al8 unbewiefen unb im Sinne
ber 3Bif[enf#aft al8 nidS^tig! Diefe ^orberung wirb man nodS> oft
boren. 3^^ ^^^ ^^\)Ho^bii>^u bat fte ibre ßrfüUung unb ibr Seit-
1*
dtet gehabt. 9lur ein einiigeg mal in ber ©elt ijl jte toitRi^,
emfifiaft, in x^xtx SBeife ooflfommen etffiüt toorben: but^
Um jte ju jteüen biefe ^^ovberung , baju gehört faum mt^x
atö baä ®elbfft)erttauen be8 emporfitebenben, juöerjic^tlid^ ge*
irorbenen SSerfianbeä, ber jum erflenmal feine ÜWad^t füp. Um
jte ernjili(j^ unb ft)}iematifdb burd^jufu|)ren > baju gef)&rt eine
unbeugforne OeijleS«' unb 2BiBen8jtärf e , bie ben ®Ieid^mut|)
l)at, ben 9!öiberfpru(^ ber ganjen SBelt augju^alten. 3« ^^^^^
Jftütfjt^t iji ®pinoja'8 ^^ilofop^ie unb Sl^araWer eine beifpiel*
lofe unb einzige ßrfdfieinung. SRic^t blo§ bie ®rö§en, aud^
bie 3)inge , ni(^t bIo§ bie Äörperroelt , anä) ba8 geijiige 3Wen*
fc^enleben erflärt er nadj) mat^ematifd^er 3Met|)obe. 6r giebt
eine geometrifctie S()eoIogie, eine geometrifci^e ©tttenlebre unb
t)erneint SlüeS, wai fxd) biefem aWaftjtabe nid^t fugt*).
Unb e8 giebt einen Segriff, ber in ta9 mat^matifdf)e 2)en**
fen nxü)t eingeigt, ber in biefe Dentoeife ni^t pa^t 68 ^at
feinen ©inn, menn man fragen VDoüte: moiu jtnb bie SBinfel
eine? S)reictf8 jufammen glei^ jmei redeten? moju jtnb bie
iRabien beä ÄreifeS einanber gleid^? tüoju ijl jnjei mal jtoei
^glei(|i t)ier? aWan fann bi^r nur fragen, »arum eä jtd^ fo oer*»
]j)dlt? 3>ie mat^ematif(i^en SBa^r^eiten ^aben nur (Sriinbe, aber
feine 3^^*^-
Söenn nun alle ffia^rl^eiten bem ®efe^ mat^ematif(ä^er
giot{)»enbigfeit folgen , fo giebt e8 über^auj)t feine S^^ecfe, fo
tji ber 3^^* ^in Unbing in ber 938ett , ein Ungebanfe in meinem
Äopfe , eine unf lare unb t^erworrcne Sorjtellung, ni(^t8 al8 eine
njefenlofe 3ntagination , fo giebt e8 meber natürlid^e nod^ mo»
ralifd^e nod^ göttlid^e ^mtdt, fo müjfen bie ©runbtagen für
nid^tig erflärt »erben , auf benen bie ^büofo^}bie be8 clafjtfd^en
*) aRcinc OefdS). b, neuem W^l ®b. III m^l^ I Sap. I S. 7.
3Uiett6um8, bie 4)ri|t(i(^e t^eologie, bie gefammte I)errf(|ienbe
9ßeltanf(^auung beruht. 9le|)men mit baju , ba§ bie erftcn ^^\^
lofop^en ber neuen 3^^, bie ©pinoja öorauSgel^en, wie Sacon
unb 2)e8carte8, bie Oeltung bet 3^^*^ nid^t ooQfommen t)er*
mint Ifiaben, fo fe|)r jte biefelbe fd^on üon bei* p()9JtfaUf4)en ßr*
tldtung bei ^inge au8f(|^lie§en ; ba§ bie folgenben $|)iIofo)>^en,
nie Seibni^ unb Jlant biefe ©eltung miebei üon ®runb avA auf*
Hinten, fo ifJ ®pinoia'8 ffieltfiettung in ber S^ot einzig, öolt*
fommen Qu8f(i^Iie§enb unb t^oUfommen ouSgefc^Ioffen^ entgegen«
gefegt ben entf^eibenben Denfern fomo^I ber frühem al8 ber
folgenben ^txt
6r fte^t einfam ba, tt)ie fein änberer; einfam in feinem
S)enfen, eben fo einfam unb öerlaffen in feinem fieben: in ber
$^at ein ooUfommner 3^wge ber 93Ba^rf)eit, mie jte feinem
©eifte einleud^tcte , »ie fie auf biefem fünfte in ber (Sntmitf*
lung ber $|^ilofop^ie geba(!^t fein »oüte. Soll id^ e8 einen 3u*
faü nennen, ^a^ \)m, xoo bie ^()iIofo<)|)ie ein Softem brandete
unb forberte, meld^eS fie in ben äu|er|len ©egenfa^ bringen
mußte mit ber SSorfteüungätüeife ber ffielt, ein toerftoßener 3ube
e8 mar, bem fie {t($ unb i^re Sa^ie anvertraute?
n.
Die ftüUd^e (Sritnbnd^titnj.
,,3d^ betra(|ite bie menf^lid^en ^anblungen gan} fo, aI8
ob e8 ft^^ um Sinien, gläd[>en , Äörper l^anbelte." Diefer 8lu8*
fprud^ d^arafterifirt ben 3Wann unb feine 2)enfmeifc. „3<ä&
l^abe mid^ gem5[;nt, bie menfd^Ii(|ien Seibenfd^aften, mie ißiebe,
^a§, 3önt, Jleib, S^rgeij, ÜWitfeib unb alle bie anbem ®e*
mut()dbemegungen nid^t atö ^^el^ler ber menfd)lic|)en 9tatur, fon**
bem atö beren @igenfc^aften }U betrad^ten , bie jum 9Befen ber«
1
i^artut) i|itno)a'0
^xn 'Vortrag
üon
8er!ag6&nctil^aitblung t>on gviebTicd ^affertnanxu
1865. 'V'^
;
8
HBege ftnb t)erf(fiieben. @ine8 Don beiben mu§ man mtU^ntt:
entoebet baS eh^ige ®ut ober bie üergängli^en , enttoebet baS
®ut ober bie ®ütcr. SBel^en ber beiben ffiege man au^ er*
greift, fo mu§ man einem t)on beiben entfagen, man mu§ {t$ jn
biefer ßntfagung entf(i^Iie§en, nad^bem man jid^ biefelbe in i^rer
ganzen ^ebeutung f(ar gemalt })at @8 f)anbelt [x6) alfo im
Sinne S^)inoia'8 ni^t blo§ um bie Söfung einer Aufgabe, fon»
bern um bie SBa^I einer Seben8ri(!^tung.
S)er @ntf$Iu§ ifi ju faffen mit aQer 9{u|)e unb ffilar^eii
@r ifi ni(^t leidet unb bie Slbmägung beS emigen ®ut8 gegen
bie t)ergäng(i(i^en fo einfad^ unb ftd^er nid^t aI8 ti n)o]()I fd^einen
möd^te. SBenn man beS enjigen ®ut8 jtd^er tt)äre, töenn tS t>or
un8 läge, gleidbfam mit Jg)änben ju greifen, bann »äre bie ©a^l
nid^t fd^toer ju treffen! 9Ber toürbe bie bauernbe tjteube nid^t
ber Dergänglid^en t)or}ieben? Slber junäd^ft ifl ieneS eh)ige ®ut
eine blo^e Slnna^me, einefebr <)roblematif(6e. ®8 beift: nocnn
ein foI(^e8 @ut ejiftirt! loenn e8 jtd^ ertoerben unb btfxi^tn lä§t!
Ob biefe8 ®ut in 9Bal^r|)eit efiflirt unb für un8 ejiftirt, ifi un*
gen)i§. 68 liegt junädlS)fl im ^unfel. S)agegen bie ®fiter be8
Seben8 liegen oor un8 in beutlid^er unb todfenber 3l&^t @inb
jic aud^ vergänglich, fo jinb jte bodb gett)i§, fo |inb ober fc^einen
fie loenigfiene bei toeitem geioijfer, at8 iene8 etoige ®ut, t>on
bem h)ir nid^t miffen, toai unb mo e8 ift. ©ollen tt)ir atfo ben
ffleg nad^ ben fi(fieren, eneidbbaren, lodfenben 3*^^^ Derlaffew,
um jenen anberen ju ergreifen nad^ bem ungetoijfen unb üiel*
leiclit unmöglicben ^Mt ? Soßen wir bie getoiiJen ®üter aufge*
ben gegen ba8 ungemiffe?
SBel(^e8 ftnb bie, »ie e8 ^ei§t getoijfen ® fiter? Sie laf*
fen jtdb fämmtlic^ auf biefe brei jurüdffü^ren : ®innengenu§,
(Reid^t^um, e^re. 3n ©a^r^eit* biefe ®uter be8 8eben8, bie
aI8 bie ftd{)erflen begehrt »erben , öertoanbeln ft^i , menn man
9
i^nen auf ben ®mnb {te|)i, in lautet 9}erlufte. ®ie ftnb n\^t%
a(8 ©(fieingütei, ^^antome, ml6)t bie SSemefung in ftc^ tta*
gen. 9Ba8 tvir in ber %^at bun^ fte getoinnen, ifl Safin unb
Betäubung, Unluft unb Unfreiheit SRangel unb 3;äuf$ung.
9Ifo, bie @a(f)e ri^itig emogen, ^aben mit }U wäf^len ^toi«
filmen einem ungetoiffen ®ut unb einem ^eete fixerer unb um
}timfel^aftei Uebel. jtann je^t bie 9Ba^l no(^ jmeifet^aft fein?
3)ie ®a|)I, bei welcher auf ber einen ©eite ber jtcfiere 2^ob, auf
ber anbeten bie mdgli^e Leitung ifl ? Vort bie $lu8{td^t in bie
SeüDefung, })m bie 9lu8ft<i^t ind Seben! ^ier offenbar ift unfte
einzige Hoffnung , unfte einzige mdglidgie (Rettung. ,,^enn i^
faf^/' fagt @pino}a, M^ i^ in bet gt5§ten ©efa^t f^^toebte
unb mit attet ^raft ein SRittel, menn au(^ ein ungetpiffed, fu^en
mfi§te; fo toie ein töbtlicib 6tf tauftet, bet ben fu|)etn Job wx
ft$ fie^t menn nid^t ettvaS no$ bUft, biefeS SRittel fdbfl, e3 fei
auäf no(^ fo unftd^et, "Init aller Jltaft etgteift, benn in ibm liegt
feine ganje Hoffnung. 3ene ®ütet inägefamnit/ benen bet
^aufe na^jagt, f^elfen nid^t blo§ nid^td jut 6tbaltung unfeteS
Safeind, fonbetn fte l^emmen eS fogat; fte ftnb häufig Sd^ulb an
bem Untetgang betet bie fte beft^en, unb fte finb aQemal @4)ulb
an bem Untetgang betet , bie bon ibnen befeffen njetben."
Diefe Sinftd^t ifl e8 , bie ben Sntfii^Iug jut lÄeife bringt
bie ®utet beS Sebend fallen ju laffen unb nacb bem unoetgäng«
liefen ®ut ju fheben. ®o beginnt ©pinoja'S etfle ^ä)x\ft mit
biefem SBefenntnig: „nadbbem mid^ bie Stfabrung gele^tt l^at
ba§ 9l0e8, ma8 ben gemöl^nlidben Sebendinbalt auSmad^t, eitel
unb fd^le^itifl, unb ba i^ fa^, ba§ alle Utfacben unb Dbjecte
meinet ^utd^t an ftd^ tt)ebet gut no(ib böfe unb beibe* nur wären
je nai^bem fte baS ©emutf) bewegen, fo entf(^lo§ i^ mid^ enb«
(id^, ju untetfud^en, ob e8 ein wa^ti^afteS unb etteid^bateS ®ut
gäbe, t)on bem ba8 ®emut^ ganj unb gat mit ^u8fd^lu§ alleS
10
' • r -w
Anbeten ergriffen »erben tdnnte, ja ob fid^ etea« finben liefte,
beffen 93eft^ mir ben ®enu§ einer bauernben unb l^öd^f^en $reube
auf etoig getoci^rte."
SBo^er fommen benn jene JBegierben, bie.unS betrüben unb
t^etfKmmen, mie Iraner, 5ur(|)t, ^a% 9leib u. f. f.? Sie ent«
fpringen aUe auS berfelben DueQe: au8 unfter Siebe ju ben t>tx^
gänglid^en 5)inflen. ÜRit biefer Siebe t)erf(|)tt)inbet ba8 gonje
®cf(i^lec^t jener 93eflierben. ,,SBenn biefe S^inge ni^t mel^r ge*
liebt merben, fo njirb fein Streit me^r entjlel^en, feine Jrauer,
wenn fte ju ®runbe geljen, fein SReib, wenn jte ein ^Rubrer be*
m feine %vix6)t fein J^a§ , mit einem 9Bort feine ®emütf)8be«
»egungen biefer Slrt, bie alle jufantmentreffen in ber Siebe ju
ben vergänglichen Dingen." 3^ne8 ®ut alfo , beffen Siebe bie
©eele gauj erfüllen foU mit ^uäfd^lug alleä Uebrigen, fann
nii^tä anbereä fein, al8 ein etoige« unb unenbli(ibe8 SBefen.
,JS)\t Siebe ju einem emigen unb uncnbliä^en SBefen", fagt @^*
noja, ,,erfällt ba8 ®emütb mit einer greube, bie jebe Slrtber
Stauer oon ft(|i au8fd^lie§t. ®n \olä)tx 3«^^«^ ift <*iif* Jw*
nigjie ju tt)ünf(^en unb mit ganjer ©eele ju erjheben *)/' (S8 ifi
bie Siebe jur 9ßa()rbeit, bie bad menf(J^li<$e ^erj etgreift unb
t)on ben aSegierben läutert.
in.
Das fttUidie tlurbUb.
^ier ift ©pinoja ein ftttlic^eä Sorbilb gen)orben , baä jttjar
fein eignet 3^W^tt^t nici^t erfannte, toeit e8 t)or ber Se^re be8
*) Sicfe erfte ©d^nft ©pinoja^, an^ beten Slitfang bie obigen
Stellen gefd^öpft ftnb, ift ber leibet fragmentarifd^ gebliebene tracta-
tos de intellectuB emendatione.
11
äRantted noie oot einem SOtebufen^aupte jtirucfkDic^; aber bie
fRad^ioelt unb namentiiii^ bie beutfc^e touxht in einet !Hei()e i^rer
cbelfien ®cifier öon biefem aSotbifbe burt^btungen unb geruf^tt.
Seffing, ber überall, tt)o eä^lettungen galt, bei ber^anb
tt)Ot, tt)ie8 auf ®^)inoja bin, mie et auf S^afeäpeate fiingemie*
fen l&atte. tRebet man bod^ noc^ ()eute t)on Spinoja xoit t>on
einem tobten* ^unbe, fagte et in jenet berühmten unb folgetei*
c^en Untembung mit Söcobi. 6t füblte ftd^ ibm in feinem
SBal^t^eitäfinn fo öetnuanbt, ba§ et beffcn ©ad^e füt bie feinige
ou8gab unb fi(f) a\i einen ©eifteSgenojfen Sipino^a'd bef annte, fo
ba% bie Setmut^ung entfielen fonnte , et fei 6pino;if! genoefen.
3n einem genjijfen Sinn wat eä ®Stbe tt)itfli(ä^, ©eine
fietbenf($a^en loStoetben in bet liebet)oUen unb tein gefHmmten
99etta(i^tung bet SBelt toat biefem 5Di^tet 3)ebutfni§ unb SSBo^U
tl^at. 3)iefe Eingebung an bie ffialfitbeit bet 3)inge , biefe be*
gietbelofe unb flate ®emüt^8ftimmung empfanb et al8 St^ö^
^ung beä Sebenä, al8 ßtneuetung unb aBeil)e bet Ätaft. Sagt
et bo(^ felbp, ba§ et bie f;ei§e ©titn gefüllt f)abt in bet gtie*
benSluft, mit bet it)n ftetS oon neuem bet ®pinoii8mu8 an«
toebe. @8 ijt bie 9Bal^tbeit, bet feine ßueignung unb ba8
SBefenntnil gilt:
Santf l^ab' id& bid& gefül^tt;
SDu gabft mir Stul^, voenn hnxä) bie jungen ©lieber
S)ie Seibenfd&aft fid^ raftlo^ burd&geroül^It ;
S)u l^aft mir mie mit l^immlifd^em (Sefieber
2lm l^ei^en Sag bie 6time fanft qd^li;
3)u fd^enfteft mir ber 6rbe befte ®aben,
Unb a0eS ©lud miß id^ burd^ bid^ nur l^aben!
Diefe leibenf(!^aft8lofe , t)on bem 3)ru(I bet SBegietben/et^
Idfle @eifte8fKmmung , in bet ft^ ba8 ®emutf) bet teinen 93e^
\
12
tra(|^tung ber Singe, bei @Tfenntni$ bed ßwigen mie loon feffeft
jutoenbet , ^at ®öt^e in feinem ^^auft ä(|t fpinojifüfd^ mit ben
SBorten audgebrädt:
Sntfd^Iafen ftnb nun n)tlbe Sirtebe
Slit il^rem ungeftümen 31^un;
6« reget ftd^ bie SWenfd^enliebe,
3)te Siebe @otte^ regt fxtl^ nun!
Die ©runbflimmung bei 2e^re ©pinoja'8 ifl religio«. 2)enn
jie t|)eilt mit ber (Religion biefe beiben a(i^ten Sü%t : 6rl5fung
üon ber ©elbfifuc^t Eingebung an ba8 Steige! Unb fo erflärt
fi^i, tt)ie ®4>lßi^tiiiiac|ier, ber in feinen JRcben über {Religion
baS gro§e 3:bema be^anbelte , ba§ nii^t bie 93Dr{!eQungen unb
ni^t bie @ä^e, fonbern einzig unb allein bie <Seele religidd
ift, in biefer Betrachtung übertt)äUigt lourbe t>on bem ^nbenfen
©<)inoja'8 unb auSrufen tonnte : ,,tt)enn bie ^f)ilofopf)en »erben
religiös fein unb ®ott fu^en , wie ©pinoja , unb bie MnjMer
»erben fromm fein unb ßbriftuS lieben, mie Jloüaliö, bann
toirb bie grofe äuferftef^ung gefeiert »erben für beibe Kelten !"
„Opfert mir ehrerbietig eine Sode ben 3Wanen be8 b^ilig^it, öer*
fto^enen ©pinoja ! 3bn burii^brang ber ^of)e SBeltgeift, ba8 Un*
enblii^e »ar fein Einfang unb @nbe, ba8 Uniüerfum feine einzige
unb etoige Siebe, unb barum pefjt er au(^ ba aOein unb uner*
reid^t, SWeifter in feiner Äunfi, aber ergaben über bie profane
3unft, o^ne 3önger unb of)ne 93ürgerre(^t."
Unb i^riebric!^ «^einrit^ S^cobi, ber bai 3Serflänbni§ ®pi-
noja'ä »ieber ertoedte, ber felbfi in ber ip^ilofop^ie fein du^erfler
Oegner »ar , ber e8 mar auf ®runb ber (Religion, erfennt bocj)
in bem innerffen aWotio ber Seigre ©pinoja'ä ben religiftfen
SebenSfern: „®ei bu mir gefegnet gto§er, ja ^eiliger öenebictuä!
»ie bu aud^ über bie Statur beS (^öc^ften SBefenS pf^ilofop^iren
13
unb in Sßorten bi$ oeritren mo6)ttft , feine SBal^t^eit toox in
beinet @eeie unb feine Siebe toat bein Seben!
<3o entoerfe id^ biet baS 99ilb biefed Seben9 in feinen ein^
fa(|>en nnb etgteifenben 3^9^«,
IV.
Die bbgrap^tfi^en (AneUnt.
(Saple, jlott^olt, (Soletu^, Suca^, SouUainotQtetd).
Sei bet tiefen Setbotgenf^eit in tDelc^et ©pinoja lebte, toax
fein ganzes 3)Qfein bem SBiide t>on 9lu§en ju üetfcf^Ioffen , um
einen Äennet ju finben, bet im ©tanbe gettjefen toäte, ein tteueS
unb üotltommeneS Slbbilb beSfelben bei Sloi^melt ju übetliefetn.
3)aiu fam , bag bie fdbiiffalSüoUen @tlebniffe feinet 3ugenb in
i|)ten (Sinjetnl^eiten mit einem 3>unfel umgeben maten , toiläfzi
bie SBiogtap^en nii^t aufbeDen fonnten. @o n^utbe iai Seben
©pinoja« nut naä) feinen dugeten Umtiffen bef^itieben unb au8
9}Q$ti(|»ten , bie au3 fpätliii^en unb oetfd^iebenattigen DueDen
gef4i5pft maten, (utfen|)Qft sufammengefleQt. SDie @(aub)out«
bigfeit biefet 9tad^ti(|ten ift in me^t a(8 einem fünfte bebenffi^.
X)et teligiöfe ^atteieifet but [xä) in einjelne äSerid^te übet ba8
Seben beS $^iIofo{)f)en gemifc^it unb bie potemifd^en unb apolo»
getif(|ien 3nteteffen , roeldb« bieSefite ©pinoja'8 ettegte, ^aben
oon beiben Seiten baju beigettagen , and) bie einfad^en S^atfa«
d&en feineä Seben« ju entjiellcn unb ju oetbunleln.
Die etfle unbebeutenbe SebenSffiijc gab ^Ji^ttc »aple in
feinem Sßöttetbud^ . baS ftdb mit bem ^ttifei ®))inoia ben 2:ite(
,,Ititifd^4ipwfdb", ben e8 fübtte, nic^ uetbient ^at Diefe
©fijje tt)urbe im 3^^^^ t698 t)on g. |)alma in8 SRiebetldnbi»
fd(ie ubetfe^t.
3toei 3ö|)t fpätet etfdj^ien oon bem ^tofeffot bet tefotmit»
14
ten J^eoCoflie S^tipian Äortfiott eine ®(^rift „fiter bie btei gro«*
§en ©etrüßet'""). Setanntlid^ war im 3JlittelQlter ein Sud^ bie^^
fe8 litefö, ba8 al8 Oipfcl ber Äe^erei galt, gegen bie Urheber
ber brei monot^eijüf(f)en ^Religionen 3Wofe8 , S^rifhi« , ÜJio^am*
meb gef^rieben morben. Äortf)olt fc^irieb ba8 feinige gegen bie
brei naturalijlif(^en ^büofop^en «Herbert, ^^obbeä, ©pinoja.
5)en ®eifi biefeä 99uc^8 ju bejeidi)nen, genügt ein ®a^, ber ju^
gleich bart^ut, mie mi^ig Äort^olt fein fonnte. 6r iji barüber
erboft, ba§ ©pinoja ben SRamen Senebittuä angenommen ^at
(bie lateinif(^e Ueberfe^ung beS ^cbräifdßen SRamen« 8aru^).
,,38an ^att^ x\)n mlmtl)x SÄalebictuä (ben Öerfiu^ten) nennen
foüen, benn bie na(|> bem g&ttlicben }^i\x6) im erflen ©utib 9Wojt8
bomige (Srbe (spinosa terra) \)at nie einen t)erflü(^teren 3Ren*=
f^en getragen atö biefen Spinoja, bejfen SBerfe mit fo t)iel S^or^^
nen (spinis) befäet jinb. Der SRann toar iuerjt 3ube, aber fpä==
ter öon ber ©Jjnagoge au8gepo§en (anoöwayaYog) iji er julejjt
i^ tüti^ ni^t burd^ meldte 9ldnte unb kniffe unter bie 6f)rifien
gefommen, ju beren Flamen er ftd^ betannt l^aV J)ie SBabr^eit
iji, ba§ Spinoja baä ^ubentbum üerlatfen ^at, o^ne jum (ii)n^
iient^um jematö weber öffcntlicb nocb im (Se^eimen überjutreten.
3u biefem aSud^ ^at ©ebojiian Äortf)ott, ber Sol^n beS
Öerfafferä, eine SBorrebe gefcf^rieb^n, bie einige ?Ra^nä)kn toom
Öeben ®^)inoia'8 entplt, meldte ber Slutor felbft im ^aag au8
bem aWunbe glaubtoürbiger unb unterrid^teter ^erfonen gcfom*
melt Ijaben mifl. ($r nennt ®t)inoja fi^lec^tioeg ben äit^eijien,
Da§ biefer biämeilen $rit)atunterri(^ ert^eilt l)abe , obnc jemals
®elb bafur ju nehmen, erjä^lt Äort^olt, inbem er begrfinbenb
binjufugt: „benn bie 93o8beit war umfonji bei i^m px ^aben."
I)er bebeutenbfle unb in feiner 8lrt noürbigjle Siogra^j^
') De tcibus bnpostonbus maguis. Hamburgi 1700.
15
Qpm^a'9 iß 3o^anne9 doUxni, ^lebigeT bet (uif^iifti^en ^x^
^t im ^aag. ^r ifi in bet örforfd^unß ber äu§eren 8e6cn8ijer*
^ältniffe bed $|)i{ofop^en forgföltig ju Setfe gegangen unb ^at
ma()T|^eitögetreu bexid^tet bis auf bie fteinflen unb unfii^einbat«
9tn Umfldnbe fo oiel er üon bem Seben «Sipinoja'^ erfahren f onnte.
<5eine S)aTf}e(Iung ift junt gt&§ten S^eil aud munblid^en Duet*
len ftef(i^&pft, unb eä tuurbc i^m leicht, auf biefem unmittelbar*
Ten äSege ^lad^ri^ten über <Spinoja ein}UjtieI)en, noeil et im ^aag
baS ^au8 ber 338itt»e r)an Selben betüobnte, mo ©pinoja ftül^et
gelebt, unb au§erbem in j^etfönlid^em 93etfebt mit bem 3Kalet
Dan bet ^pr)i ßanb, in beffen ^aufe bet $|)ilofopb ben legten
J^eil feine« Sebenä jugebtad^t bot. (ioletu? entfe^t jt^ oft tJot
ben ßebten ©<jinoja'§, abet et ifi juglei^) t>on bet Sittentein^eit
bet befcbeibenen Uneigennufeigfeit, bet einfadS)en ®tö§e biefeä
6bötaftet8 fo jid^tbat etgtiffen , ba§ man meinen f önntc , eine
beftcunbete «^anb babe biefe 3üg^ aufgejeic^net. St gab juetfi
baS Seben ^pinojaS in niebetlänbif(Jbet ^pxai^t betau8 juglei(ib
mit einet ißtebigt übet bie nidbt mit @j)inoia aüegotifcfe ju etflä*
tenbe Slufetpebung 3^fn. SRocb in bemfelben 5abr erfdbi^n bie
Siograpbie in franj5jtf(^er ©ptacbe*). ßolctuä ip in feinem
ßifet gegen bie ^etfon be« $^ilofo<j^en, beffen öebte et üettoitft,
nie toS^aft, abet bei allet menf^lic^en S^b^ilna^me, bie et fut
ibn em^)flnbet, bulbet et nid^it, ba§ ©pinoja nacb feinem 2!obe
„feiig" genonnt »erbe. Die Gelegenheit, bei toelc^iet ftoletuS
gegen biefen au8btud ?Ptote)i einlegt, fällt inä Äomifc^e. „93ei*
läufig miü icb bemetfen," fo etjä^lt et, „ba§ naS) bem lobe
Spinoja'ä fein SBatbiet eine Äe^nung btadbte, in bet e8 |>ie§:
*) La vie de B. de Spinosa, tiree des Berits de ce fameux
philosophe et de temoignage de plusieurs personnes dignes de
foi, qui Tont connu particulierement, par Jean Colerus, ministre
de Teglise lutherienne de la Haye. a la Haye 1700.
If tt
^en ®j)moja fcUgcn SlnbenfenS f^ulbet bem dl^rutgen
Slbta^ain Äettjel für bcffen Dienilc md^renb beS legten Siertel*
ial^rS einen ®ulben unb ac^ije^n ©ou8." " S)et lobtenbitter unb 1
jtoei ©(^neiber machten in i^ten Oiet^nungen bem SJerflotbenen
ein ä^nli(^e8 6om<)Iiment. SBenn bie guten ßeute flehoujt i^dtten,
toa? biefet ©pinoja für teligiöfe ®runbfä|c gehabt f^at fo tüüt*
ben jie mit btm 8lu8btud ^^felig" noo^t nici^t fo lei(!^tfinnig gerne*
fen fein. Dber l^aben fte i^n blo§ gebraui^t tt)eil e8 bie gett)6^n*
\\^^ Sitte fo mit fi(^ bringt, bie biSioeifen ben ü)W|brau^
foI(!^er SBorte fetbft für foI(!^e ^erfonen bulbet , bie in SSti^ipeif»
(nng unb Unbuf fertigfeit geftorbenftnb?" Unb bo(!^ berietet ber*
felbe Soleru8 furj oorl)er, bQ§ aße ©agen über ein oeriWeifelteä
SebenSenbe ©pinoja'^ lauter Sügen feien, ba§ fein Sob ipie fein
ßeben rul^ig unb fanft »ar.
5)iefe fiebenSbef^reibung erft^ien fpäter in beutft^er ©pra«
(|>e. 5Der Ueberfefeer f)at feinem i5ttnati8mu8 auf eigentf)ümli(|ie
©eife Suft gemad^t. Da er baS reine S^araftergemälbe be8 60*
leru8 ni(^t befleden fonnte, fo ^at er feiner ®(|irift ba8 ©ilb
©pinoja'8 üorgefe^t, ju einer ijra^e entjieüt mit ber Unterf(|irift
„characterem in vultu gerens". 6r tragt baS '^zxi^txi ber
!8ertt)erfung auf ber ©tirn *) !
(Sine jtoeite apologetift^e ©(i^rift ffi^rt ben litel: „geben
unb ®eifi ©t)inoja8". J)er biograjj^if^e I^eil be^anbelt ©t)i«
noja mie eine Slrt ^eiligen, ber bibaftifii^e ifi eine wert^Iofe
(Kompilation. 8118 SBerfajfer »irb ber feiner 3eit berü(!^tigte ?li^t
ßuta8 im ^aag bejeit^net. 35ie ©(|>rift ifi nur in wenigen
(Sjemplaren gebrurft unb fe^r balb feiten unb tf^euer getoorben.
SRan l^at fte fpäter ^anbf(!^riftli(]^ verbreitet unb ben erjten S^eil
*) 2)a^ Seben be8 9). von Spinosa aud ben Sd^tften biefe8 beru<
fenen äßelttoeifen u. f. f. 1733.
17
berfdben tt)iebcr befonbcrS f)crau8gcflcben unter bcm litel: „ta8
Scben SpinojaS t)on einem feiner ©^üler"*).
93eibe biogräpt^if^e Duellen böben fid^ in einem britten
aSerfe unfritif^) gemif^it tt)el(^e8 J-enelon, 2ami unb Souöain*
toiUierä Verausgaben**).
*) La vie et TeBprit de Mr. Benoit de Spinosa. 1719.
La vie de Spinosa par un de ses disciples; nouvelle edition
non tronqu^e, augmentee de quelques notes et du catalogue
de ses ecrits par uu autre de ses disciples. Hambourg 1735.
Stefer jtdeite @#!er ift 9i\^tt ia @eloe, ein 6pino§aentl^uftaft ol^ne
©nftd^t.
**) Refutation des erreurs de Benoit de Spinosa par Mr.
de Fenelon, archeveque de Cambray, par le P. Lami Benedic-
tin, et par le conite BouUainvilliers, avec la vie de Spinosa ecrite
par M. J. ColeruB, augmentee de beaucoup de particularites,
tirees d'une vie manuscrite faite par un de ses amis. Bruxelles
1731.
S)a5U fommcn in ncuftcr 3eitbic beiben Sd^riftcn, bic »an Slo*
tcn t)cröffentlidt)t ^at:
Barutjh d'Espinoza, zijn Leven en Schriften. Amst. 1862.
Ad B. de Spinoza opera, quae supersunt omnia, supple*-
meutum. Amst. 1862.
V.
Die portngieftfc^en 3itben tit ^m^txlam.
2)et fiegteic^e Äantpf bcr Sliebctlanbe gegen bie f})anifd^e
^errfci^aft l^atte in bem befreiten Sanbe einen Sd^aupla^ burger»
lii^er unb religiöfer ^^ci^eit eröffnet, ber ben Sebürfhiffen nad)
unge()inberter 6nttt)i(flung in ©loube unb SBiffeufdiiaft eine fiebere
unb günfhge B^^f^i^^t barbot. !De8carte8 I;atte in bem ^^ranf*
rei^ befreunbeten «fjollanb feine crflen Äriegäbienfie genommen
unb fpäter l^ier bie beimlic^e aWuge gefunben, au8 ber bie SBerfe
feiner neuen Se^ire I;eroorgingen.
ffion überall ^er fammelten fi$ in biefer ^teijiätte bie an*
ber9n?o unterbrüdten unb namentlii^ um beS (Staubend toiQen
verfolgten ©eijier. I)iefer 3üg tt>ör ti , ber f(|ion im 3lnfang
beS fiebjelmten 3af)r^unbert8 bie in ©jjanien oon ber Snquijttion
bebrol^tcn S^ben in 3Wajfe nad^ ben Sliebertanben führte, too fie
at8 ,,portugiefif(f)e 3uben", »ie fie genannt »urben, eine
neue gefidi^erte ©emeinbe grünbeten, beren ÜKittelpunft bie ©^n*
agoge t)on Slmjierbam toar. Slu8 einer Semerfung, bie ®pi*
noja felbfl gelegentli(i^ in feinem t^ieologifdfi * politifdj^en Iractat
mai)i, lä^t fui^ ertlären, marum biefe 3uben ootjugänjeife bie
portugieftfci^en gießen. Die Juben ber pprendifdj^en ^albinfel
fo lautet bie SBemerfung, mürben gejmungen cnttveber fat^olififi
\\x toerben ober auSjumanbern ; bie ßonoertiten erf)ielten \xi^)fQ^
\
19
nictt üoüc bütflCTÜi^e {Re^^te unb t)ermif(ä|)ten fi^ mit ber fpanU
fd^en Station; bagegen in Portugal blieben fte ou8gef(f)Io{fen
t)on ber Sfieitna^me am ^taat unb abgefonbett für ftd^ , ba^er
beiüül&tten fie ^ier ungemifd^t i^re a3olfäeigettt^üm8(|»!eit *).
3n furjer 3cit er^ob fic^ bie Schule in Slmflerbam ju ei*
nem folc^en Slnfeben , ba§ fte ali ein ^auptfifc be8 euroj)äifc^en
3ubentf)um« gelten fonnte. 68 f4)iett al8 ob bie gro§e 3^it beä
)ubif(f)en äRittelalterS. bie \i6) toalfxmt beS jm&lften unb brei«
jef^nten Sobrbunbertä in Spanien entfaltet ^atte , je^t no(^ eine
SRa(ä^blüt^e in ben SRieberlanben hervorbringen foUte. Um bie
SWitte beä ftebjebnten 3al^rl)unbert8 fle^t bie neu gegrünbetc ®c*
meinbe in üoüer Tla6)i unb Sebeutung.
2>a8 9lft)l ber ©erfolgten erfc^eint leidet al8 ein Slftjl über«
^aupt ber freieren ®eifte8beroegung. Unter bem ®d^u^ ber nieber»
länbif(jj)en ^r^ibeit, unab{)ängig unb fic^er gepeilt gegen bie tir^»
lic^ * politifd^en Tl&d)k beä ßbrift^ntbumg, felbft eine ^od^fi^ule
jübifi^^'orientalifiJ^er 2Bei8I)eit unb (äetel^rfamfeit übt bieS^n*
agoge oon ^mflerbam eine ^njiebungSfraft aud^ auf <Bolä)t
au8, bie mit bem G^riftentbum innerlich jerfaUen unb oon tix^*
\iä)tn Verfolgungen bebrobt fmb. Spanif4)e ßliriflen t)erlaffen
I i^r 35aterlanb , um in 5lmjlcrbam jum Subent^um überzutreten,
ßiner bcrfelben, UrielSlfojla, ifi burd^ fein ©d^idffal eine tra«»
gif^e $erfon, burc^ feine Äämpfe innerbalb ber Synagoge
unb bie Verfolgungen oon Seiten beS {übifcben ®lauben8fana*
ti8mu8 gen)ijf«ma§en ein Vorgänger ®pinoja'8 getoorben. SU8
er in Serjifoeiflung über ben ^a§ feiner ®lauben8genoffen ein
freimiüigeS (Snbe naf)m, roarSpinoja ein fünfiebnjäl[)riger Änabe
unb unter ben jüngeren Jalmubiften SlmfterbamS ber erfie.
i
*) Traetatus theologico-politicus. Cap. III.
2*
JO
VI.
3pm}iCt Jamilte. Seine j^ebratfi^e BUlittn0*
1. Die eitern.
3nneT^a(b biefer portugicfif^en ©emeinbe mürbe 99aru(^
©pinosa (b' Gfpinofa) ben 24. SRoDcmber 1632 ju ?lmflerbam
in einem ^aufe auf bem ©urfltüall in ber 3labt ber olten portu^
ßicftfi^en 8t)n(;igoge geboren. @r ^atte jmei <Bä)to^\tan, Stebecfa
unb aWirjam, Don benen bie erpe untjer^eirat^et blieb, bie j»eite
einen i^rer ®lauben8geno[fcn Samuel SarceriS jum aWannc
na^m. S)ie (SItern waren ehrbare ^anbeläleute, bie ben einji*
gen So^n, beffen au§erorbentlid^e pfjigfeiten fxäf frü^ bemerk
bar machten, forgfältig erjieben liegen unb bem jübifc^en ®e*
le^rtenberuf »ibmeten,
3la^ ßucaä feien bie eitern nic^t reicb genucj genjefen, um
ben @of)n Kaufmann merben ju laffen; na(^ <Sebaftian ^ort^olt
babe [x^ ber So^n gegen ben SBillen beä 93ater8 felbft jum
SRabbiner befiimmt. Seibe erjä^lungen erfcbeinen roenig glaub*
^aft. Der SBermogenSfianb ber eitern , wie er au<^ befc|>affen
gewefen, ^&üt bie faufmännifc|>e Saufbabn beä ®obne8 nicbt
gebinbcrt unb n?ie ^üt ein frommer unb glaubenseifriger 3ube,
wie Spinojaä 93ater o^ne 3'wt\\tl mar, nidjit gern in feinem
<So^n ein fünftigeS Si^t ber Synagoge erblicfen follen, nament»
li$ ba er ber geiftigen 93egabung biefeS ®o^ne8 genoig fein
fonnte?
2. Die SRabbinenfcbule.
Sie bem au(^ fei, fo Diel ftebt fefl, bag 93aru(^ ®pino}a
bie iübif(|)e (äelefirtenlaufba^n ergriff unb alle Stufen ber IRab*
21
Inncnfcfiule bur^tief toon bcn Elementen be8 ^c6rdif(^cn Bi8 j«
bcn ^cilißcn Stritten bc8 alten Scftamentä , inSbcfonbere bcm
?ßcntateuc|) unb bcn ?ßroptcten, ww ^icr jumlolmub bi« binnuf
ju bcr Äenntni§ bcr jübifcben Gommcntatorcn unb €dS)üIaf!ifcr
bcä aWittclaltcrä , bercn flrö§tcr SDlaimonibcS war. S>icfc8 aw8*
flcbrcitctc ®cbict jübtfc|icr Sbcologic burdS)forfcbtc Spinoja lern«
6cßierifl unb mit rafllofem Gifcr. ©ein ße^rer ttjar einer ber
größten Jolmubipcn feiner 3cit, ber erflc SRame unter ben Mab»
6inern Smperbomd, felbfl ®rünbcr einer t^eoloflifc^en <8(ffule,
€aul Sem aWorteira. Unb in furjer 3«i* ft^Jt Spinoja ali
ein fo fieroonoftcnber unb gclefirtcr Schüler, ba§ er bcr Stolj
feines 8ebrer8 unb bie ^opung ber Q\)mQOQt roax.
3. S>ie Äabbala,
Sieben bent alten Seftament unb bcm S^atmub ftubirt^ er
bie fabba(iflifdS)en ^üd[)er, in benen eine fp&tere iäbif(f)e 2Bei8beit
ein t()eoTopl()if(i^e8 <S9f!em auSgebilbet i)at baS fici^ ju bem uio«
.faif4)en ®lauben ä^nlid^ t)erba(t, al8 jum *rifMicben bie (SnopS
unb jum flriedbif^ ^ beibnif^en ber 5leuplatoni8mu8. (S8 ift bc*
fannt, tütld^t SBebeutung in bem Uebergange üon ber Sci^otaftif
jur ßrneuerung ber ^bi'^föpbie bie fabboliftif^e Sebre feit ^ico
t)on äJliranboIa unb 9leu$(in gefiabt bat. 93on bem t^eotogi«
feben ®eijie be8 ÜRittelalterS ju bem naturalijJifi^en einer neuen
9BeIterfenntni§ bilbete bie %\)to^op^\t einen not^menbigen unb
iit)id)tigen 2)urcbgang8punft . imb gerabe ^ier mifc^te ftcb bie
jlabbata bebeutungSt^od unb noirffam in ben n^iffenfdbaftlidbcn
@ntmidnung8gang be8 cbriflli^ea ®eifte8. <£o fam Spinoja an
ber^anb ber jübifcben ßiteratur untoiüfürlitib bi8 an bie Scibweüe
ber neuen ^^ilofopbi^. 3^ tt>itt ^^mit nidbt faßen, bag bie
Äabbala für i^n felbft eine 2lrt SSorf^ule jur ^ßbilofopbic fl^"
wefen fei , nocb tueniger , ba§ bie f abbalijtif(^en ße^ren ibn ju
2i
feiner eigenen geführt ^aben. 9Ran f)at \)on einem Sufannnen«
^ang biefer 9lrt biSn^eilen gefafelt unb ben '^^ilofop^en Spinoza
unter bie jtabbafijten bringen moUen, barnit er bem 3uben«
tf)um, ba^ it)n a\x9 ber Synagoge audgejlo^en, bur^ bie ^eim«
(i^^e %i)üx ber jtabbnfa lieber ^ugefäl)rt n^erbe. ffiontm mac^i
mon nictit au^ !Dedcarte9 ju ^inem Aabbaliflen ! ^oS ganje
Oerebe bemeifl nur , bo§ bie fieute t>on bem eigentli(i^en S^a*
rttfter ber tobbalifKf<|icn 35Bei?^eit nid)t8 toerfte^en unb nod) toe*
niget Don Spinoja'ö ßel)re unb feiner ®eijie8art. ©ie wtffen
Qu$ ni^t n)ie <Spinoja fefbft wn ben ^obbdiflen geurt^eUt f)at
^ier i{} feine @rf iärung : J^ \)abt and^ noä) einige tabbaliftifdbe
S(i)tt)tt^er gelefen unb mid[> nie genug über i^ren Unjinn wun-«
bern fönnen*)/'
6r \)atk bie jübif^e IJieoIogie unb I^eofop^ie burc^fiubirt,
unb ber le Jite 6rfolg war , bo§ er ficf) batoon lo8ri§ , im 3nner*
ften unbefriebigt. ^tait beS {Rabbiners roax ein ©fe^jtifer qu8
i^m gemorben. Sr burftete nad^ Srfenntni§ (SotteS unb ber
IRatut unb biefer Durfi blieb ungefüllt bur^ baS alte lejiament
ben 2:almub unb bie ftabbala.
VIL
Der firud) mit bem 3ttknti|itm.
1. 2)ie ßntfrcmbung.
3>ie erfien ^^iIofopf)en ber neuen ^ni l)aben e8 fdjimcr, bie
€elbjlänbigfeit ju erringen, tpeld^e ba8 SBert ber freien unb \>ox^
auSfc^ungSIofcn 6rfcnntni§ »erlangt. 3^re Swgenb unb Grjic*
^ung ijl unter bie 3nai)t ber Srabition gegeben , bie mit einem
*) Tract. theologico - politicuB. Cap. IX. (Ed. Paulus I
p. 297.)
«3
gel^eififlteit Unfeinen unb einer tnoffcn^often @d)«Itt)ei8^eit bie
Ä5pfe gefangen nimmt unb bie ®eifie8frei^eit bei S^xkn unter*
io(ä{>t. 3)e8carte8 in ber 3^fuitenf(!^ule üon 2a }^lhä)t, ©pinoja
in ber JRabbinenf4)u(e öon Slmperbam! 3^^^^ ^i" ©(ä^üler beä
fhengften Orben» im ©inne ber päbfili^cn Slutorität, biefer ein
3ünger be8 Salmub. Aber fo foU eä fein. SRur bie f^toer er*
Tungenc ©elbftänbigfeit ifl bie ä(f)te. ©eibe ^aben grünblii^ ge*
lernt, tba8 fte lernen fonnten; jte ^aben beibe eine SWeifierfii^aft
über ben erlernten Stoff mää)i, fie fmb bett)unberte Sanier
getoefen , unb im SluSgange ifjrer Se^rjabre traren fie bem ®eifl
ber Schule, bie fie erjogen, innerli^ öoütommen entfrembet unb
in i|>rem Urt^eil iioeit überlegen.
SBir ^aben öon Spinoja feine ©elbftbefcnntniffe Weber
münblic^er no^ fd^riftli^ier 3lrt, bie un8 einen Slid gett)ä^ren
fönnten in bie inneren Ääm>)fe, bie er in ber SRabbinenfd^ule er«»
kW \)at, xm er allmäbUt^ 5U ber ßntfd^cibung in fi<^ fam, bie
innetfi<i& lebe ®eijle8gemeinf(|)aft jwifilren i^m unb ber ®i)ttagoge
auf f^ob.
3c|) glaube ni(!^t, ba§ biefe Äämpfe ftürmif(ä^er IRatur wa«
rcn. Diefer flore unb ^eüe Äoj>f fud^te ßid^t unb fanb S)unfel;
er wollte SBa^rl^eit unb Srfenntni§, unb e8 mu§tc i^m, je reifer
et würbe, um fo beutli^er einlenkten, ba$ bie gefammte iäbif(|)e
©elcfirfamfeit ganj anbere al8 wiffenfAaftli^e ©runblagen ^atte,
ba§ bie fabbalifiif4)en ©ü^er oon einer flaren 6rfenntni§ ber
3)inge weit entfernt unb baS mofaifi^e ®efe^e8ft)ftem über^iaupt
nid^t befiimmt war, wiffenfd^aftliiibe Sinjt^ten ju gewähren.
Diefe Ueberjeugung ^atte er mit aller 3)eutli(^feit gewonnen
unb fie l^atte p(^ ru^ig in iljm befejiigt. Sr ^atte in ben ©d^rif«
ten be8 alten SeftamentS eine (Rei^e oon SBiberfprüc^en erfannt,
einen üKangel an Biif^intn^n^ang unb Uebereinftimmung gefun*
ben , ber in feinen Slugen ba8 änfe^en not^wenbig erf(^üttcrn
24
mufte , ivelc^cS bcr jitbifc^e ®(aube tiefen feinen Urfunben ju«
f^reibt. Süld)e Sebenfen muffen in if)m fdion emadjt fein,
(ilS er uo(^ ben {Rabbinenberuf üor jid) Ijntte. 3>cnn er bcmerft
in feinem t^eoto()if^ « politifc^en S^ractat audbrndti^ , noc^bem
er feine Sebenfen ausgeführt \)(ii: ,M^ fc^reibe (jier nid^tS, tt)a8
ic|> nid^t fe^on lanfle unb iangfl bebaut f)abe*)/'
Sein (SrfenntnigbebürfniB Prett avA bcm JRabbinent^um
\)ixmi unb fmbet cnbli^ baä erfeljntc Si^t in ben SBerfen
2^e8corte8\ 2lu8 bem Jdmubiften wirb ein ^^ilofop^, eiuS
bcm Sfeptifcr ein Gartcfianer unb jn?ar unter allen ber fc^orf*
fmnigfie unb geifle8mädbtiß|le.
2. Die ßonflicte.
3)er Ueberganc) ®pinoja8 au8 ber jubifd^en %\)to\o%\t ju
S)e8cartc8 unb ber ^l)ilofopt)ie, ber fi^ in ber Stille feine8 %t^
müt^8 vorbereitet unb DoUjiebt ift t)on einet genjaltfamcn Äata*
jirop^e begleitet bie fein äu§erc3 Seben erfc^üttcrt. 6r flerät() mit
feinen ße^rern in 3tt)i^fpölt unb e8 f ömmt julejit jum Sruc^ mit
ber S^naflofle, bie i^n al8 einen 2lbtrünnigcn feierli^ au8ftö§t.
Ueber bie einjelnen Sorgcrnge, bie babei ftattgefunben ^aben
unb ber legten aWa§regel t)orau8ginflen, fmb wir nur menig unter*
* riebtet. So t)ieJ ifi gen)i§, ba§ bie Synagoge 2lüc8 aufbot, um
einen offenen 93ru4 %\x t^ermeiben. Unb auf bcr anbern Seite
barf man ficl)er fein, ba§ Spinoja nichts l^at, um eine folc^e
Äataflropfje ^crauSsuforbern, fo wenig er biefclbe fürc!^tete. 68
lag \\\i^t in feiner 3latur, gewaltfame Scenen ^erbeijufüfircn ;
nod) weniger aber tag e8 in biefem ß^orafter, ber in bcr Siebe
jur SBa^r^eit feinen S(!)werpunft l^atte, jematö ein Slnberer ju
fc()einen al8 er war. 3^be 2lrt ber ^eu(|)elei war if)m unmöglid^.
*) Tract theologico-poliücus. Cap. IX.
fRailttem et innerlii^ bie ®eifl(Sftcmcinf$Qft mit bct 2\)m^oit
aufflCflebcn ^attc, t)crmod[)tc er ni^t, jte no^ äu§erü(^ feflju^ol*
tcn. Qx würbe mit bem 99efu4> ber Synagoge feltener unb i)Mt
auf,i^ren 6ullu8 ju tfjeiten.
3)iefe fiiUe ^Jlbfonberimg toax ;unä(!^{l ba8 einjig auffadenbe
3ei(^en feiner ©eiiMoeränberung, ba8 er gob. I)o(^ war er in
ben Slugcn ber (Synagoge felbfl ju bebeutenb , ein ®egenj!anb
f4)on JU gemid^tiger ^opungen, oIS bQ§ feine Slbfonberung nic^t
'^atU bebenfli^^ auffallen foüen. ÜKan fürd^tete, biefen üortreff»
li^tn Aopf }u t^erlieren, t)ieUei4)t gar an bie feinblid^e Sieligion.
Sebeutenbe 9Wenf4)en enegen in bem Äreife, ber fie umgiebt,
immer ben Jleib folc^jer, bie fie untDiüfürlid; üerbunfeln unb bie
fxäf ungern in (Sdfiatten gefteUt feben, Tlan barf fK^er fein, ba§
unter ben ®Iauben8genojfen SpinojaS , namentfid^ unter ben
gelehrten, bie i^m junäd^ft fianben , neibif(i{)e 6mppbungen ge*
nug erregt tt)aren, bie i^m auflauerten. Unb unter ben Öeiben*
fifiaften, bie ben SerfoIgungSgeijt anfachen unb erl^i^en, bleiben
and} bie niebrigen ©mpfinbungen nie au8, t)on bencn ber SReib
bie nicbrigfte, bie ungcred{)tefte unb jugleicl) bie t^ätigfle ijt
68 fd)eint, ba§ man Spinoja juerji auS^ord^en n)oBte, um
feine eigentliche ®ejinnung ju erforfcben. 3wei angeblid^c J^reunbe
übemabmen ti au8 freien Stüdfen ober auf l)b^txn SBinf , ifim
bie S^lingc ju legen. Sic bracbten i^n in ein ®cfprä^ über
bie fWatur ®otte8 , bie Unfterblidbteit ber Seele , bie iRealität ber
enget. 6r foflte i^nen fagen, ob Qioü förperlicbcr Jlatur, bie
Seele unfierbli^), bie 6ngel njirflicbe SBefen feien. Spinoja
fu4)te ba8 ®efprä(^ ju oermeiben, inbem er ibnen antnjortete:
J^x babt ja aWofen unb bie ^ropbeten!" %li man aber tueiter
unb, mie e8 fcbien, mit tt)irfli4)er SSBi§begierbe in i^n brang, fo
crflärte er fidb freimutbig unb jeigte, wie man nacf> ber SBibel
@ott inobl al8 fdr)>erli(b, bie @ngel atö $b<^ntome, bie Seele al8
2«
6(o§ed SebenSptincip anfe()en bürfe. 9Ran fud^te il^n no^ öfter
auSjui^oIen, aber et blieb üetfd^Iojfen.
3e^t fomen f^iUmme ®erä(|ite über feinen Glauben in Um«
lauf, er tt)urbe al8 gottlofer greöler öerfArieen , aI8 Serä^tet
be8 mofaif(|en ®efe|;e8, t>on bem er flefagt ^aben foflte, ba^ eS
nur auf poütifc^e ^mit, nxä)i auf 6rfcnntni§ ®otte8 unb bet
Statur gegrünbet fei. 6r tourbe öor bie ©d^ranfen be8 jubif(|en
®Iauben8geri(f)t8 gerufen, oerl^ört, pr ä3u^e aufgeforbert unb
mit ber Gjcommunication bztxo^t Der SRabbi aWorteira foB felbfl
nad^ ber Synagoge geeilt fein unb na(f) vergeblichen ißerfud^en.
©pinoja ju bef ebren ober jum 9Biberruf ju belegen, feinen Sieb*
ling8fd)ü(er mit 93ertt)ünfd^ungen überfcbüttet ^aben. 3>ie eir^el*
neu Söge , mit n)eldS)en biefe ®cene t)on ©ouUainoillicrS txfßlt
wirb, finb offenbar falfc^ unb erfunben. aWan barf ertwarten,
bag [xä) @pinojo in jenem (SlaubenStoer^ör mit ber größten QnU
fd^iebenbeit unb otjne alle ^nxihi erflärt bat, aber niä^i mit bem
fd^üter^aften unb frechen Sro^, ben ibm jene ßrjäfjlung in ben
SRunb legt. Mt 9efe^rung8t^erfudbe unb aUe 3)ro^ungen, bie
man anmenbete, fd^Iugen fei^l.
SRan griff ju einem anberen Glittet um ibn menn nic^t bem
®Iauben to^ noenigftend bem Flamen be8 3ubent|ium8 no(| ju
erl^alten. Die Siabbinen boten i()m ein ^^f^^sebalt wn taufenb
Oulben, wenn er 3ube bleiben unb biStoeifen bie Synagoge bc?
füllen iDoUte, Diefe I^atfac^e fle^t fep. Spinoja felbfl ^at fte^
5fter8 bem SWaler t)an ber ®j)9cf erjäl^lt, oon bem fie 6oleni8
ge^rt ^at. Sr fe^te l)inäu , ba§ er biefe Slnerbietungen nie an*^
genommen ^abcn mürbe, menn fie anS) je^nmal größer ge»efen
mären , benn er fei fein ^m^Ux unb fu^e nitfet ®elb , fonbetn
aSBafjrbeit.
SBeber bie 93efe^rung8t)erfud^e no6) bie Drohungen nod^ bie
SefledEiung tonnten ibn bemegen. ®d^on maren bie Seibenfii^of'
27
Uli gegen i^n betgeftalt aufgeregt unb ertittett, baf man anfing
na4) feinem ßeben ju trac^iten. Sßie ©atjle berid^tet, fofl i^n
beim 2lu8göng au8 bem 3;()eatet ein ^nht angefallen unb mit
einem aMejferfÜdgi in« ®eftc|)t uenDunbet ^afeen. Spinoja felbjt
^at bie Gegebenheit anbet« erjäblt unb fo ^ai fie ßoleruS t)on
bem aWaler \)an ber ®pt)d oernommen. 6ine8 ?lbenb8 al8 er
au8 ber alten portugieftf4)en Synagoge {)erau8tritt, bemerft er
bi^t neben jtd[^ einen aWenfii^en mit bem 35oI^ in ber ^anb ; er
ift auf feiner ^ut unb njei^t bem <Bio^ au8, ber fein Äleib burd^*
*o^rt. 3wm Slnbenfen an biefeS (Srlebni§ ^at ©pinoja baS
burd^bo^rte Äleib aufbewahrt. 2)iefe fo beglaubigte S^atfad^e
ifl m6)t ju be^n^eifeln. Slb^r man mödbte fragen, tt)ie fam gpi»
noja baju, mitten in biefen Gonflicten nod[> bie Synagoge ju be*
fu<ä^en? Seit bem SWorbanfall fonnte er jid^ in SÄmfterbam nidSit
me^r für f\d)tx fialten, unb e8 ifl »a^rfd^einlicib , ba§ er f(|on
bamal8 eine 3wffu<^t au§er|)alb ber ©tabt gefud^t ^at.
3. !Der Sonnfludb.
Jladbbem bie 9Serfu4)e, i^n ju genjinnen ober ju öernid^ten,
fe^lgefci^lagen waren, blieb a(8 le^teS üRittel nur bie SluSfd^lie«
§ung au8 ber ©emeinbe übrig, ber förmli^^e SBannftu^. 3)ie
iJorm be8 jübif^en SMnat^emS bat brei ®rabe: 5libbui, ßberem,
€(ä^ammat^a. Der erffe Orab oer^cingt eine älu8f(^Ke§ung auf
gcwiffe 3^it. }unadS)fi auf brei§ig Sage, bet jweite begleitet bie
StnSf^iliefung mit 33ermünf(^ungen, ber britte t)erflud^t ben ^xz\>^
ler ju iegli4)em Unbeil. 5>ie alteren Salmubifien unterf^eiben
nur iioei ®rabe unb neljmen Sb^tem <il8 ben pc^jten, »abrenb
Scbammatba bei i{)nen nur al8 ein anberer SluSbrutf be8 erpen
©rabeS gilt.
3)a8 größte SSerbrec^en, bejfen ©pinoja f(|)ulbig erflärt njur«=
be, ift bie a3(a8pf)emie, bie 3Sera(|tung be8 ®efefee8. 35arum
28
meint (£o(eTU9 , ba§ cd bic S(|)ammat^a obei bcr groge Sann
njat, bcn ber olte iRaDbi 6^Q(fiam Slbwab^*) öffentli^) über
Spinoja auSfprac^. 92ä^ercS über bie €a(f)e l^at er ni4)t crmit^
te(u fönnen. 9ud[) ifl cd if^m nici^t gelungen , t)on ben €5(;nen
beä Wobbi bie Urfunbe bcr gegen Spinosa auägefproc^enen SBann*
formel ju erhalten; fie gaben üor, ba^ pe unter bcn papieren
i^red aSaterä bad ®cl^ri[tjlftd ni^t bätten auffinben f 5nnen, ober
c8 n?ar flar, ba§ fic e8 ni(i()t mittbeilcn n)oIlten.
6rft in jüngjler 3^it ijt burd[) bie Semü^ung tian SlotcnS
ba8 merfnjürbige Document and ßidbt gejogen roorben. 68 war
ben 6. Slugufl 1656, atö in ber Synagoge ju Slmftcrbam folgen*
ber 93annflu^ gegen @pinoja au8gefprod[)en nmrbe:
„Die ^errn be8 geiftlicben JRatf)8 laffen eu(^ tt)i)Ten,. ba§ fie,
f(i^on längfi funbig ber frcöelbaften (Sefmnungen unb 2lcu§crun*
gen be8 93arudi> Spinoza, oerfcbiebenc mal unb audb buriib 35er*
fpred^ungen bcmüt)t maren , if)n t)on feinen böfcn SBegen abju*
lenfen. J)a fie aber nicbt8 bei i^m auSri^ten fonnten, im ®e^
gentbeil feine burd) J^at unb SBort befunbeten fcfirerflidjjen ^xx^
Ief)ren unb febamlofcn 3leu^erungen täglicb mebr in (Srfabrung
brad[)ten unb bafür eine ÜWcnge gfaubwürbigcr S^wg^n l[)atten,
bic in feiner ®egennjart i^r B^uflnife ablegten unb ibn übcrfu|^r*
ten, fo bctbcn fie tjor ben Mabbinen unb unter beren 3uftimmung
ben Sefcblug gefaxt, biefen Spinoja mit bem a3annf(u(ä^ ju bc*
legen unb au8 bem ?5olf Sfrael au8jufto§en unter folgenbem ?lna*
t^em. 3lacf) bem Urtbeil ber 6ngel unb ^eiligen öcrbannen, t)er=*
flogen, toerbammen unb üerfiut^en tt)ir ben IBarudb Spinoja un*
ter 3ufHmmung be8 geifttic^^en Sribuna(8 unb unter aSeifKmmung
jeber l)eiligen ©emeinfcbaft im ^ängejicbtc ber beiligen SBücber mit
bcn fe(|)8bunbert brei^el^n barin enthaltenen Sorf^riften, mit bem
*) !Ra<i^ 9ouQainottlier8 loar e8 SRorteira felbft.
2fl
/
©ann, bcn Jofua über Jeri^o ouSgcfpro^cn, mit bcm ghid^,
womit eiifa bic Änaben ocrflud^t !^at mit allen ^jW^^^^ ^i^ i"^
Sud^ bc8 ®efe^c8 gcf errieten fielen: er fei üerfluc^t bei laß unb
fei öerfludöt bei 9lQ^t\ er fei oerfluci^t, trenn er fd^läft, unb fei
tjerflu^t, wenn er aufjtebt; er fei tjerflud^t bei feinem SluSgang
unb fei öerflu^t bei feinem Gingang ! Der ^err wolle i^m nie
oerjeiben ! Gr wolle feinen ®rimm unb 6ifer fortan gegen biefen
3Wenfc|^en lobem laffen unb ibn mit allen glücfien b'elaben, bie
im 33u(!b be8 ®efc0e8 gefdjirieben fteben ! (£r wirb feinen SRamen
oertilgen unter bem Fimmel unb wirb ibn trennen ju feinem Un«
beil üon allen ©tämmcn SfraelS mit 9lllem roai oerflu(^t ijt im
SBucb beS ©efe^eg. '^})x aber, bie i^r bem J^errn eurem Ootte
anklängt feib alle ^eute gegru§t! ^nkt mä), ba§ niemanb i^n
münblicb, niemanb fiä^ripli^i anrebe, niemanb ibm tixoai ®ute8
erweife, niemanb mit it)m unter einem ^ai), niemanb tjier 61*
len weit oon il)m ftel)en bleibe, niemanb etwa8 lefe, ba8 er ge*
Wii^t ober gefd^rieben/'
©pinoja war abwefenb, al8 bie Synagoge biefe SSertoun*
fcbungen über il)n ergo§. Sr emjjfmg ba8 Urt^eil fc^riftli^l unb
crwiberte e8 bur^ einen ^rotejl in f|)anif^er @<)rac!^e, ber un8
leiber tjerloren ifi. ^m Uebrigen lie§ er bic Sac^e, wie jte lag.
Gt war in feine ®ebanfen oertieft unb befümmerte ficSb wenig um
bie Sannfluc|)e eineS ®lauben8 , ber ibm gänjüd^ wert^lo8 gc*
worben. SBa8 galten i^m nod^ bie SRabbinen gegen 5)e8carte8 ?
3n i^m batte er ben ßel^rer gefunben, ben fein ®eifl unb 2öal;r»
^eitSftnn brandete. Gr Ijörte je^t auf, ^\xtt ju fein, unb öer«*
taufc^te ben jubif4)en SRamen 93arudb mit bem glei4)bebeutenben
lateinif^ien SBenebictuS. ®o nennt er fi^) in feinen ^Briefen unb
®(|>riften.
80
4. Da8 Scben in ber SJerbotflen^eit.
Slufentl^altgorte.
SBenn ber ßrjä^lung, au8 ber 93oullainüiüier8 gefd^öjjft ^at
ju trouen ifi, fo tvax bie Slufregunfl in ber iübifd[)en ©emeinbc
mä) ber %ud{fo§ung @pinojad feineSniegS gefKUt unb nomentlici^
bie 9taä)^vi^t ber SRabbinen nii^t befriebigt. 33or SlUen mar e8
SWorteira felbjl, ber in ber Verfolgung beä abtrünnigen SüngerS
ji4) gar ni(f)t genugttjun fonnte. 3^ Sunbe mit ben (ferifili^ien
®eif}(i4ien ber @tabt^ bie in Spinoja einen (älauben8fret)(er fa«^
^en unb ben ^a§ ber JRabbinen mitempfanben , \)abt üRorteira
bie Obrigfeit üon Slmfterbam baju gebraut, ba§ fte jur 3luf*
red^tbaltung ber Crbnung unb Slutorität Spinoja auf einige
Tlomk aus ber ®tabt oerbannte. (SoIeruS meig nidbt^ bat>on.
%xä) ift bie 6ad^e noenig glaubhaft, ba Spinoza jur ^^it beS
93annflu(i^8 2lmfierbam fc^on öerlaffen ^atte.
Son je^t an lebte er in ber tiefjlen ©nfamfeit. 3>ie näH)*
fien ^a^n t)on 1656—1661 mol^nte er in ber 3lä^e ton 9lm*
fterbam in einem abgelegenen ßanb^aufe an ber Strafe na(|)
Outtoerferfc, wo er bei einem gteunbe gafHid^e 3^Pw^* ta^^-
3)iefer ^Jteunb gehörte ju ben in ben Slieberlanben unterbrürften
^roteftanten, ben Slrminianern ober SRemonjtranten , toeld^e bie
S^nobe oon ^ortrec^t oerbammt l)atte. 95efanntli(^ waren
unter ben tf)eologifd^en unb tird^lid^en ®egnern ber ?lrminianer
aud^ bie i^^inbe ^eScarteä' unb feiner ®c|>ule. Sine jtoeite StjUi*
obe r)on 5)ortre^t ^atte ben GartefianiSmug oerbammt in bem*
felben 3^^^, ali bie Juben ©pinoja oerpie§en. Der t)erfolgte
3ube fianb ein Slf^l bei bem verfolgten ß{;riften. Siele Slrminia*
ner njaren au8gemanbert; bie in ben SWieberlanben jurüdgebüe*
benen bilbeten eine ftille Oemeinbe o^ne ® eiftlii^e ; jte nannten
fi^i Soüegianten, Ratten if^ren |)aupt|l^ in SR^pnSburg na^e bei
81
Serben , n^oj^er fie au$ ,,9i^9n96urger" ()ie§en , unb oermif^-^
ten ftd^ fpäter mit ben armintanif^i geftnnten äRennoniten. ^tx
rdigiöfen Dcnfiüeife bicfet ßeute, bie ft($ o^ne jebe 2lrt fir4)tt(^cn
Spange« fhrengc Sittenreinbeit iur ^flid[it mod^ten, fonnte \\i^
®<)mojo t)ertt)anbt fublen ; eä mar bic einjige religiöfe ©ette, mit
ber er ho^) in 9)e¥ül()rung fom unb mo ber ^lu^) feiner frul^eren
®Iauben8genojfen fciiien 9Bieber|)Qn fonb. ^tm Schriften unb
©riefe , bie toan 93loten jüngfl tjerauSgegeben, ftnb in bem SBai*
fenfiaufe t)er (SoUegionten ju Slmflerbom entbecft morben.
95icüei^t ijl bie Si)m^)atbie, weli^e ©pinoja für biefe flifle
(Semeinbe empfanb , mit ein ©emeggrunb gemefen , ba§ er fei*
nen ®aftfrcunb no6 9l^t)n8burfl begleitete unb fi$ bier bie
no(|)fien So^re auffielt. 5«^ 3Wai be8 "^okfui 1 664 begab er
fid^ na^i 93oorburg beim -^aag, mo er im ^aufe be8 9KaIer8
Daniel Jijbeman wofjnte unb bis in ba8 3abr 1669 blieb.
Dann lief er fic^ auf bie Sitten feiner ^reunbe im ^ a a g felbfl
nieber. -f)ier »o^nte er juerft auf bem ißeerfa^ . in ^enfton bei
ber 9Bitttt)e loan 93elben , in einem fleinen Stubdb^n be8 jmeiten
©toctoerfä ganj am jSnbe be? ^interbaufe?. 3n bemfelben
3immer \^(!X fpater 6oleru8 gtmobnt unb bie Siograpbif ®J)ino*
}a*8 gefc^rieben. Um ftd^ öfonomif^i nodb tne^r einjufcbränfen
al8 ba8 fieben in ber !Penfton i^m erlaubte, jog er in ba8 ^auS
beä ÜWalerÄ oan ber S^j^tf (1671), mo er felbft feinen Hei*
nen |)au8l^a(t beforgte. -^ier ift er bi8 ju feinem Sobe ge*
blieben.
jtel()ren mir jet^t }U ber 93ilbung8gef(f)i(|ite be8 $^ilofop|ien
*) @8 ift ein ^^rtl^um, wenn i^n ^lerud erft im ^ol^r 1664
nac^ 9S^p8burg fonimcn unb nur einen äBinter bort bleiben l&^t, benn
ts> ift ftd^r, ba^ Otbenbur^ f($on im ^obr 1661 Spinoja in St^^niS-
bürg befucbt bat. Epist. I.
32
iurfirf, bie tt)ir in il^rcm jübif^cn Setlaufe fennen gcleml
^abcn.
VIII.
Bpm^a'B |)l|ilofo|)t|ifd)e ml lateimfdie ßxlUn^.
1. Daä ©tubium !De8carte8\
SBir fönncn nic^t genau bejMmmen, in weld^em 3^Wpuntte
©pinoja mit ben ©etfen DeScarteä' betannt ttjurbe. ®en?i§ ifl,
ia^ CT in bet SR^^näburger 3«t bereite über ben SWeifter bin*«
auggefiangen unb mit bem ^auptmert ber eigenen 8e^re be«^
fdiiäftigt mar. @^on im ^cii)xt 1661, alfo in bcr erpen ^tit
feine? ?lufentbalt8 in 9ib9n8burg, fcbitfte er feinem ^Jreunbe ^ein«^
rid) Olbenburg in ßonbon ein Sruc^fiüd ber etf)if, Unb jn^ei
3abre fpäter pnben tpir, ba^ einer feiner jüngeren greunbe in
Slmjlerbam, ©imonSBrieS, bie(St][)if in ber ^anbfcbrift liefi*).
9lebmen tüir nun an , ba§ offenbar mehrere "^a^xt nöt^ig
waren, um 3)e8carte8 ju ftubiren, ju burci^bringen , felbft ben
böseren Stanbpunft ju gewinnen unb auäjubilben, fo werben
wir ni^t ju weit jurücf greifen, wenn wir ben Slnfang feiner
cartefianifd)cn Stubien in bie le^te 3^it ber rabbinifd^en t)erlegcn
unb bem 3crWürfni§ mit ber Synagoge Dorauäfejien. 93lo§e
3weifel, bie in ibm aufgetaucht waren, ptten i^m ben SRabbinen
gegenüber eine fo fefte unb unerfci^ütterlicbe Haltung nic!^t geben
ßnnen, al8 womit er it)re $)efebrung8t)erfu(j^e f^eitern lieg, i^re
a3erfpre(ä^ungen jurücfwieä, i^re DroI;ungcn unb ^lixd^t rul^ig
^inna^m unb ertrug. 6r war fein fd^wanfenbe? Siofor, wie
Utiel Slfofta! 6eine 3w^if^l f)ölten bie fi4)erpen Stü^punfte, fie
*) Epist. U (an DIbenburö). Epist. XXVI (oon ©imon
SJrie«).
i
33
loaien umim{l5§lic(^ unb feine Uebetieugungen gen)i§, a(8 er bem
3ubent{ium obfagte. Damals fc^on \oax fein Äopf t>on ben
3been DeScarteS' erfüllt unb geläutert. 6r trug eine ßc^te
Sßelt in [\ä) unb lie^ e8 ru^ig gef(|^e^en, ba§ bie trübe 2Be(t
i^rc Slijie m^ ibm fd^Ieuberte.
2. 2)ie (ateinifd)e Sprad^e.
2lber ba« Stubium ber SBcrfe DeScarteä', namentlic^i ber
beiben grunblegenben , ber OWebitationen unb ^rincipien , fejte
bie Äenntni^ ber lateinifci^en ®))rac^e porauä. ©pinoja mu§te
biefe S^)rad[)c fd^on t?erfie^en, um bie ^auptf(^riften De8*
carteS' leicht unb fcbneü ju burdi)bringen ; er mu§te fie mie eine
j^weite aWutterfpra^e fi^ angeeignet (;aben, um felbjl feinem
3eitalter unb ber äSJelt ein 2e^rer ber ^^J^üofoptjie merben ju fön*
nen. . Unb er l)at ]\d) biefe SSilbung in einem bemunberungä*
tDÜrbigen ®rabe ern^orben. Denn bie lateinifcbe gomj feiner
©Triften ift fo flar unb bur^fid^tig , bem Jn^alte jebeämal fo
Doflf ommen entfpred^enb unb angemeifen , in i^rem ®epräge fo
fi(^cr unb feft, ba§ fie in ber Öebeutung, in ber allein biefeä
ffiort gelten follte, claffift^ in it^rer 5lrt genannt »erben barf.
SBenn mir nun feine cartefianif4)en Stubien fd^on unter ben
aWotit)en erblicfen, bie ben ^xnöf mit bem Jubent^um unb ber
®9nagoge entf^ieben ^aben, fo muffen mir annehmen, bag bie
lateinifd^e ©ilbung ©pinoja'ä biefem S^itpunfte Dorauäge^t. Su
feinem fünfje^nten 3a^re ift er ein ausgemachter lalmubijt. ©i9
babin mar feine SBilbung unget^eilt jübifd^. Sr fte^t in feinem
oierunbjmanjigften 3öbre, als ibn bie ©ijinagoge uerbammt
unb fein (Seift fcbon in ben Sinftci^ten ber Se^re DcScarteS' lebt.
3n bie 3tt)ifc^enjeit fallt feine lateinif^e ©ilbung, bie er natür*
li(^ au§er^alb ber äiabbinenfd^ule empfing, ^r lernte bie @pra«
^en lei(!bt unb ^atte einen nic^t geringen Umfang in ber Jtennt«
8
34
nif unb bem ©cbrou^je frember 3biomc. 9}on ben neueren üer*
flanb er portugieftfd^, fpanifc^, italienifd^, franjöjtfdE), ^oüänbifd^,
beutfdi). S)aiu fam bie t)oriügli(!^e Äenntni^ be8 ^ebräifd^en,
hjorin er felbjl eine ®rammatif auf neuen ©runblaßen cntnjarf ;
baäu bie lateinifc^e Sprad^e.
3>a8 3ntereffe für bie leWe führte i^n in bie Schule eineS
aKanneS, ber niijt blo^ feine lateinifc^e SBilbung cjeförbert, fon=
bem ani) feine njiffenfci^aftli^e ®eij}e8entn)idflung mitbejlimmt
J)at , in beffen Umgänge feine Slbneiflung gegen ba^ Jubent^um
genährt unb ©pinoja t)ie(leic^t juerft auf bie !P^ilofopl;ie unb
S)e8carte8 ^ingetoiefen tionrbe.
IX.
Her ))erke^r tntt um ben dnlt.
1. ^ranj loan ben 6nbe.
Den erfien lateinifd^en Unterricht empfing Spinoja t)on ei*
nem 35eutf(^en , beffen 9iame unbefannt ijJ. Die f;ö^ere latei*
nifc^e Silbung üerbanft er bem ^ärjt %xmi t)an ben ®nbe in
Slmperbam, ber al8 gelehrter |)umanifl befannt unb atö pl^ilo^
logifi^er Se^rer allgemein gefuii^t ttjar. Die reic^ften Seute ber
®tabt liegen i^re ©ö^ne t)on i^m unterrichten. Die 2iebe jur 8i=
teratur beä clafftfc^en Slltert^umS', vt)orin er ftdj) l^eimif^ füllte,
l^atte im Sunbe mit ben 9laturtt)iffenf(^aften, bie er al8 2lrjt be^
trieb, ben ©eift biefe? 9Wanne8 ben ®lauben8öorjieÜungen feiner
Äirc^e eganj entfrembet. (Sr ttjar ein i5reigeiji, ber ni^it blog
bur$ feine ^umanipifc^e SBilbung, fonbern aud^ burd^ feine natu*
ralijtifc^e Denfnjeife auf bie ©emüt^er feiner SößK^fl^ eintvirfte.
©ein Untcrrid^t wutbe üerbäi^tig, unb man entberfte enblic^,
fagt (Soleru8, bap er in ben jungen Seuten, bie man i^m anoer^
35
traut Wk, ben ©oomcn be8 2ltf>ci8mu8 auSfiteute. ,,S)a8 ift
eine l^atfa^e/' fe^t er ^inju, „bie id^, tücnn e8 nöt^ig fein
folltc, burdj) ba8 3^^9"i§ mehrerer el^rbarer Seute, bie noi)
leben, betoeifen fönnte. J)iefe guten Seelen fcgnen nocf) ^eute
i^re Sltem im ®rabe bafür, bo§ biefe fte ben ^änben eineS fo
oe^berbttd^en unb gottlofen ße^rer8 entjogen unb bei 3eiten ber
Schule be8 SotanS entrijfen ^aben."
S8 iji naä) alle bem fc^r n^afjrfc^einlic^, ba§ ©Jjinoja unter
bem (SinpuB bicfeS aWonneS ftc^ n\it)t blo§ im Sateih oeröoU*
fommnete, fonbem juglei^ ju ber 9tid[)tung auf bie SWaturnoiffen*
f^aften angeregt mürbe, bie i^n ju 5De8carte8 ^infübile. 93on
feiner bebräif^en ju feiner tarteftanifd^en SBilbung ijt burd^ bie
lateinifc^e ber Uebergang »ermittelt, unb bi^r ijt in bem Seben
©pinoja'S ber einpu§ ^ranj t)an ben 6nbe'8 wiAtig genjefen *).
35ie legten 2eben8iabre it^ gelehrten 3lrite8 maren aben«'
*) Souüaint)tllier§ ergäl^It; ba^ mn ben ßnbe fein ^au§ unb fci=
nen Unterrid^t Spinoza unter ber Sebingung angeboten l^abe , ba^ bie-
fer il^n fpätcr gleid^fam afö ^ülfglel^rer unterftü^cn foßte, wenn er bie
baju ndtlSiige Silbung erreid^t l^abe. Sein $au§ !ann Dan ben @nbe
il^m tpol^l nur aU Slfpl angeboten l^aben in bem 3eitpun!te, wo ©pts
noga eine fold^e Sufind^t beburfte, nad& bem Srud^ mit ber ©pnagoge.
S)iefc ßinlabung fejt offenbar eine nabere S3e!anntfd^aft jroifdjen S3eibcn
vorauf, bie molil nur ftattfinben !onnte, wenn ©pinoja fd^on eine
3eit lang in ber Sd^ule oan ben @nbe'g geroefen mar. 3n iteinfem gaUe
!ann fein Sl^erl^ältni^ ju bem geleierten Slr^t erft nad^ bem Srud^ mit ber
6pnagoge begonnen b^ben, benn bamalg mar fein SBobnort nid^t me^r
Slmfterbam ; aud& nid^t menige 3eit Dorl^er, benn fonft märe ber 3eitraum
für feine lateinifd^e SBilbung ju !ur5. ©o ift aud^ in biefem fünfte \)k
Grjäblung, aujg ber S. gefd^öpft b^t, unfid^er unb üerroorren. Qn bem
3eitpun!te, mo wan ben @nbe fein ^au^ a(g 5lft)I bem t)crfto^enen 6pi-
noja anbieten tonnte, ift eS unmöglich, ba^ er i^m erft feinen Untere
rid^t angeboten 'f)at
3*
36
teuerlidg) unb fein 6nbe fcf)v tragif^. ?{a(^)bem et in ^oflanb
waMdiieinlic^ , but^ ben JRuf eine« atjjeiften, in ben et geforn*
men toat, bie ®eltung bei ben 8euten unb feinen 8eben8untet^alt
oetloten ^atte, ging et mä) gtanftciii^, »o et einige 3^it fein
mebicinifc^e« (Sef^fift trieb unb jule^t wegen eine«. politif(^en
Setbted^enä am ®algen enbete (1672). (Sin ®etü(^t ging, ba§
et ein Sittentat auf baS fieben be8 S)aup^in gemad[)t ^aU, ^n
©a^tl^eit \)attt et tt)eilgenommen an einet politifc^en Setf^noö*
tung, bie ben 3wcd f)aüt bie Jlotmanbie unb SBtetagne in 2lu^
jlanb ju btingen unb ben ^^oüänbetn auäjuUefetn. iRoban unb
2a 2:tuaumont ftanben an bet ©pi^e unb btauc^ten al8 SBert^
ieug, »ie be la ^ate in feinen aWemoiten etjä^lt, ,,eincn ^oU
Iänbif(f)en ©c^)ulmeiflet." San ben 6nbe ^atte babei baS pa^^
triotif(|ie 3nteteffe , bem Äftnige t)on gtanfteic!^ , bet bamatö bie
IRiebetlanbe bef riegte , in feinem eigenen 9lei(j^ eine 35it)etfion ju
mad^en.
2. 6Iata aWatio Dan ben Snbe.
©pinoüa fanb in bem |)aufe feineS fiel^tetS au§et ben 93iU
bungSobjccten unb Slntegungen, bie et empfing, noä) eine an*
bete ?lnjie()ung8ftaft, bie fein ^et^ etgtiff. San benSnbe ^attc
eine einjige lochtet (Xlato üWatia, bie an bet gelebtten S3il*
bung i^teä Sätet? t^eilna()m unb bie Iateinif(!^e Sptad^e fo öot«
ttepd) Detftanb , ba§ fie in 9lbtt)efenbeit beä Sätet? bie Sog*
linge felbfl unteni(i[)ten fonnte. ®ie wat ni^t f^on, abet geifi*
öoü, fä^ig, leiteten <Sinne8, funbig bet üKufif , unb biefe Sleiie
gewannen bie Siebe Spinoäa'8. Gt felbji ^at e8 fpätet oft befannt
ba§ et fte geliebt unb bie Slbfic^t gehabt ^abe, fie ju beitat^en.
3n einem anbetn ©c^ület Dan ben Snbe'S, 9lamen8 Äetd*
rindf, ^atte et einen fRebenbu^let, bet ben ^teiS baöonttug mit
$ü(fe eines Jg)al8banbe8, ba8 et feinet 8e()terin f4)enfte. Sie
37
- ■i-i,-,
tt)urbe Äetrftincfä ^rau, nac^^bem biefcr jum Äat^oliciämu« über-
getreten. ®o erjd^lt ßolerua bie ©od^e mit ^inttjeifung auf
f&at)k unb ©ebafiian Äortl)olt. 3)er Se^tre tt)ei§ nicfttä öon ei»
ner Siebe ®|)inoia*8 , fonbem nur ba^ er im Öatein üon einem
SRäbd^en unterrichtet morben fei i\x%U\^ mit fterdrincf ani ^am«
bürg, ber fpdter bie ßefirerin ge{)eirat()et ^abe. Dagegen fagt
Coleruä ni^t auSbrüdlidSi, ba§ ©pinojo i^r S^üler genoefen fei,
fonbern nur bag er jte ()Qufig ju fe^en unb ju fpre(|ien (gelegen»
f^eit gebabt unb fo bie Steigung ju i^r gefaxt l)aU. ^^reilici^
fc^eint e8, ba§ and) ßoleruä baS S^fammenfein beiber ji(ä^ mit
bem Unterricbt ©pinoja'ö in 35erbinbung batfite.
@in S^eil biefer ßrjä^ilung jerfäüt in ni(^t8 üor ben cbro«
noiogifcben Ib^tfacben, bie neuerbingä oan 93(oten au8 ben ^tU
ratbäregifiern oon ?lmjterbam erhoben f^at. Die 6()e jtpifd^en
Dird Äerdrind unb ßlara Tlaxxa toan ben 6nbe tourbe ben 5. gebr.
1671 gef^loffen. Damals war Äercfrind jweiunbbrei^ig 3a^r
alt unb feine a3raut pebenunbjwanjig. ^m 3«it beä 35annflu4i8
mar 6Iara aWaria swblf 3ö^t; nacb biefer S^it fann t>an ben
Snbe ni^i mebr ©pinoia'8 ße^rer gewefen fein, alfo ifl e8 un»
möglich, ba§ bejfen loäfUx jemalä feine fiel^rcrin war. 3^ ^8
iji fogar fc^wer, für bie Siebe ®pinoja*8 felbji bie S^it auäfin*
big iu ma^en. ®o lange er in Slmfterbam lebte, war bie %o^^
ter t)an ben 6nbe'8 ein Äinb; al8 er bieSRä^e 9lmfterbam8 für
immer üerlie^ , war fte fed[)8sebn 3^^^ ölt. Da nun ©pinoja
frfbft, wießoleruä gewi§ glaubwürbig berietet, öfter t)on fei-
ner Steigung gefproij^en ^at, fo müjfen wir annefimen, ba§ er
nac^ bem Sannfiuc^ unb nacib feiner Entfernung oon Slmfterbam
nod) längere 3^it ^inburcb befucbäweife mit bem ^au8 »an ben
gnbe ücrfebrte. iBon jenem Sanb^aufe au8 jwif^icn Slmjterbam
unb Duwerferfe war ber Serfebr mit ben ^Jreunben in SlmfJer-
bam ki^t, unb er ijt in ben S^^ten öon 1656—1660, xoo er
38
ft4 bort auffielt, gett)i^ oft na(|> ber ®tabt gefommcn. %\x6)
»iffctt tt)it au9 feinen ^Briefen, ba§ er t)on (R^pnSberg unb Soor^
bürg au8 SReifen m^ Slmjierbam machte unb bort tvoci&enlang
Wieb. ©0 im ^erbji 1661. im 9lprU 1663, enbeäKärj 1665*).
3n biefen Sorten mu§te ©pinoja bie SReigunß ernjiböft gefa|t
unb an eine SSerbinbung mit ber Sod^ter [eineS fie^rerä gebaut
l[)aben. ÜRerfwürbig aber, ba§ in feinen ©riefen ber SWame öan
ben 6nbe nirgenbS t)orf5mmt.
J)a8 ®lüd biefer 8iebe, mm ©pinoja jematö leibenf(^aft*
lid^ baöon ergriffen toar , iji ein flüci^tiger Sraum genoefen, bem
f(f)neU bie 6ntfagung für immer folgte, bie für baS ®emüt() bie*
feg ÜWanneä fein f^toereS Sd^itffal, fonbern bie i^m gemäße
bauernbe ©runbflimmung war. 3^ einem folc^en ®emüt^
l^aben bie Seibenfc|aften feine jiürmif(j^e unb nieberfc^Iagenbc
^errf4)aft. 9Wan barf fxü) bie ßiebe unb bie Sntfagung ©pino*
ja'8 nid^t m6) Slrt fenlimentaler Smpfinbungen oorfteüen. Die
Seiben ber Siebe paffen nid^t für biefen Äopf. 6r ift ju ^tü,
um t)on ben 8eibenfd[)aften oerbunfeft ju werben. S)arum ifl
biefe Siebe !ein glüdflid^er unb ergiebiger ®egenjtanb für einen
5Roman, benn um barau8 eine empfinbfame ^^erjenggefd^id^te ju
ma^en, mu§ man ben Äoj)f ©pinoja'8 üergeffen, unb toai bleibt
bann üon ©pinoja nod^ für ben JRoman übrig?
X.
äpm^a'B Cliarakter ttnli tthtnsmift.
1. Unabf)ängigfeit unb Sinfamfeit.
S)ie aWittel noaren erfdböpft, meldte feine JJeinbe gegen <S>pu
noja anzubieten üermod^ten ; fte|)atten nad^einanber üerfud^t bie
*) Epist. IV unb IX (an Olbenburg). Ep. XXXYIII (an
^lyznhtxgfy).
39
Se{le(|)ung, ben ÜReuc^etmorb, baS Slnot^em unb bie Serban«
nung, bie et oenott)igt lourbe freitDidig ju n)ä()Ien, n)enn man
nitJ^t fönnli4> ^in ©biet bicfer 3lrt gegen il)n auSfptac^. SWie ip
ein felbjijlänbifle« Seben fc^merer erfämpft, nie reiner unb fiitler
geführt tüorben atö ^iet, wo ein aWenfd^ mit feinen Altern, feiner
©emeinbc , feinem ®lauben unb bem getpö^nlic^en ®Iüde beä
ßebeng breci^en mu§te, um feinen ©ebonten leben ju Knnen,
unb biefe Sc^icffale fo l[)innimmt unb erträgt baj feine ®emüt^8*
rufie ni4)t barunter leibet.
S)ie ererbte Sieligion ^at il;n t)ertt)orfen unb er jte. Sinem
anbem @lauben tritt er nid^t bei ; feiner ber in ber SBelt gelten«
ben ^Religionen ge()ört er mef)r an, auc^ nid^t äuferli^^ bem
©(^eine m6), benn er t?erf(i^mäbt ben <Sd^ein; er Ijat bie ®runb*
lagen oerlajfen, auf benen bie menf(|ili^en ®emeinfd^aften ruf)en;
er ift tt)ie loägerijfen t)on. bem Sanbe ber menfci^li^en ®efell*
f4)aft: er ift oollfommen unabf)ängig unb üoUtommen einfam!
2)iefe Unabl;ängigfeit unb biefe Sinfamfeit ^at er fi4) bi8 jum
legten Sltbemjuge gett)a^)rt, nad^bcm er jte bem ©(^icffale mit
unbeugfomer a3e^)arrlic|)feit abgerungen. Sie waren fein cinji«^
fleS unb größtes ®ut, bie Sebenäform, in ber fein ®eijt f\ä)
tt)o|)l füblte , ber einfache unb ä^te SÄuäbrucI feine« d^axattixi.
2. ßebenSerwerb.
a3i8 in bie f leinften 3äge anä) ber äußeren ßebenäart hinein |>at
fi^ biefer ß^aratter fo fejl unb befümmt auägeprdgt, ba§» man
überall biefelbe einfädle unb lautere ®runbform »i^bererf ennt. 6r
mupte felbjl feinen ßebenäunterlialt üerbicnen al8 erfte Sebingung
eine« unabl)ängigen 3)afein8 ; benn »aä Ijilft alle ®eifie8frei^eit,
wenn man o|^ne frembe^ülfe niä^t ejifliren f ann ? Sine weife SBor-
fd^rift beä lalmub mac^t ben jubifc^ien ®ele^rten jur ^^\ä)i ba§
{te neben il;rer SSiffenfci^aft ein ^anbwert ober eine mec^antfd^e
40
Äun|i lernen, in beten Hebung pe ji$ üon ben geifliflen Slnfhen»
gungen in Srforf^ung ber ©^rift erl^olen fodten. 5)a ber @ei|l
n\d)t fortwd^renb t()ätig fein fönne, fo erftfiien gerabe für bic
2:almubi{len eine foI(|ie 9le6enbef(fiäftigung not^n?enbig, bamit
in intern fieben ber SWufltggang , biefe Duelle übler ®txoo^n^
Reiten, feinen SRoum finbe.
3u biefem 3tt>«* ^^tte ©pinoja freilief) nidS)t not^ig, bie
95orf(^rift be8 Salmub ju erfüllen. Gr broui^^te neben ber ^f)Ho*
fopdie, bie fein innerer unb wahrer Seruf war, ein ®ef(fidft, ba8
i^n emäbrte; unb er tt)u§te m^ biefeä ©cfd^iäft mit feinen mo*
tbentatif(i^en unb natum)iffenf(|iaflli(|en Jntereffen ju Derbinbcn.
Sr erlernte bie Äunfi ot)tif(i^e ®läfer ju fc^leifen, mit ber jtd^ au(^
2)e8carte8, mt toxi »iffen, ml unb eifrig unter ben SJorfhi«*
bien JU feiner 5>ioptrif bef(j^äftigt IJiat*). Unb er foll, xok ßoleru8
üerjttfiert, ein fo geft^irfter Dptifu« getoefen fein, ba§ feine ®lä*
fer t)on allen Seiten gefui|)t würben. 9lo^ au8 feinem 9la(i^-
laffe würben eine SWenge fold^er ®läfer ju guten greifen Der*
tauft.
daneben ^atte er bie 8ieb()aberei ju jei^^nen unb er foH
jtd^ gern im fportrdt t)erfu(j^t ^aben, natürlid^ nici^t um ein ®e^
f(i^dft barauS ju ma^en. SoleruS felbjt J)at ein ^eft folcj^et
^anbjei(f)nungen gefeiten, eine Art Sllbum, worin ©pinoja ?Per-
fonen feiner 95efanntfd^aft portrdtirt ^)atte., unter anbern jtcf)
felbfl, — wie e8 fcfiien al8 SWafanieüo. 68 mu§ eine fieiterc
ßaune gewefen fein, in ber [xi) ©pinoja ben ©^erj mad^te, bie
eigenen 3üge in bem 93ilbe be8 neapolitanifd^en t$if4)er8 Dorju*
jteüen.
*) kleine ®ef(|. bet neuem !ßl^tIo[op]^ie. (3ioeite Sluflage) I. 9b.
X^ill. erftcg »u*. aap. V 6. 167 unb 168.
41
3. Uneigennu^igfeit.
SWan f ann ni^t unabhängig fein , »enn man eigcnnü^ig
ip. Denn bet (Sigennu^ ifl gen)innfu(|)tig unb liebt ben ®e»inn
am meipen , ber i|)m o^m SMü^c a\9 ©efc^enf jufiiegl 9li(!^t8
»irb bem Sigennü^igen leistet aI8 ba8 8lnnef)men , baä efijti*
ren auf frembe Äoften, momit untt)iÜfürH(|i bem Smpfänget jtd^
Verpflichtungen aufbrdngen, ttjelc^e bie Unab^dngigfeit gefd^r»
ben. ©elbfl »enn mit ben S33op|)aten unb ©unjibejeugungen
Anbetet gat feine SetpfJid^tungen toetbunben finb, fo üetliert
man io6) in ben eigenen Slugen baS {tcl[)ete S)en)u§tfein feineS
unab|)dngigen DafeinS. Datum ifl ein feineä ®efü^( eigenct
Unab()dngigfeit fo fptöbe gegen baä ?lnnef)men frembet (Sunfi.
34> will bamit nid[)t fagen , ba§ ©pinoja*? t)oÜf ommene
Uneigennü^igteit nut feinet Unab^dngigfeit bienen iDoUte , abet
fte fam biefet ju gute unb n^at felbft in feinet Siatut begtünbet
bie mä)ii Don ben Dingen bege()tte, bie bem menf^li4)en ©igen*
nu^ mici^tig finb. ©ogat gegen bie tDol^Igemeinten Snetbietun*
gen feinet i^teunbe oet^ielt et ft^ able^nenb. Ginet feinet tteue*'
ften gteunbe unb ©(^ület mat Simon SBtieä in SImftetbam. Die*
fet bot \\)m ein (Sefd^enf oon jttjeitaufenb ®ulben, ba8 Spinoja
jutudtmic« , »eil et e8 nid^t btauc^en f önne unb if)m bet Sefife
unbequem fein tt)ütbe. SSI? Simon aStieS bem Sobe na^e mat,
ttJoBte et, felbji finbetloS unb un^etfjeitat^et, feinen ^xmni
jum einzigen 6tben feine? Setmögen« einfe^en; ©pinoja fc^Iug
bie (Stbfd[)aft au8 unb hat, ba§ et fte bem eigenen SBtubet ^in*
tetlaffenmöge; felbft ba8 fleine Sa^tgel&alt, »eld^eS biefet Stu*
bet i^m jaulen foüte, fe^te et auf eine meit getingete Summe
l^etuntet.
Da8 t)ätetli4)e 6tbt()eil mad^ten i()m bie ©d^mefietn fitei*
tig. @t lie§ fein SRec^t geti^itli^i entfd^eiben unb na4)bem eS
X
42
fejigefieüt toax, fd^enfte et ben B6)m^tm fteitoillig feinen Sin*
t^eil. 6injl bat ifjn einer feiner JJreunbe , ber i^n drmlid^ ge*
fleibetfonb, ein bejfereä Äleib üon i^m anjune^men ; ©pinoja
bonfte mit ben SBorten : »oäu eine foftbare ^üüe für ein wert^«'
lofeg SDing?
4. a3ebürfni§lofigfeit
(Sr öerbiente fo m\ alä er brauchte. 3We^r tooüte er ni^t
J)aUn , unb er brauchte unenbli4> »enig, 68 giebt für bie du«
§ere Unabf)ängigfeit feinen bejferen ®d^u^ atö bie 33ebürfni§*
lofigteit. 3)iefe Sugenb befog ©pinoja im ^öci^jlen ®rabe. 3rt
biefer iRücfft^t erinnert er an bie SUorbilber großartiger Sinfac^*^
\)t\t unter ben $()i(ofo:>)^en be8 Slltert^umä. üKan ^at i{)m na^^
geregnet ba§ fein täglidjier 8eben3unterl;alt ettoa imanjig ^en*
nige fojlete.
©eine Defonomie mar bie fparfamjlc. 3)en geringen ^auä*»
][)alt, ben er in ben legten ^a\)xtn felbjl führte, ^ielt er forgfdU
tig georbnet, unb bie Heinen ®(^ulben, bie njci^renb eineä SSier«^
telja^rg aufliefen, mürben pünftli^ mit bem Jage beja^It
%xi) feine Äleibung mar arm unb z\)tx oerna^Idffigt al8
gepflegt
9Ber forgenfrei fein miU, mu§ bebürfni§lo8 fein fönnen.
Spinoza ^atte fein Seben auf ba8 tleinjle 3Wa§ menfc^lid^er ©e*
bürfniffe äurüdgefül)rt unb baburd^ fäf)ig gemadjit, jtd^ ganj ber
@ttenntni§ ber iffia^r^eit ^injugeben. 3Ba8 er fic^ in ber2:i)at fpa*
ren moUte , mar ni^t ®elb , fonbern ©ebürfniffe unb ©orgen,
bie ben ©eiji gefangen nefjmen unb in einen elenben B^^P^nb
fe^en, ©eine fiebenäart mar bie richtige 2)ietfiobe , um bie ®c*
müt^örube ju fx^tm unb fid^ in fürjefter JJ^rm mit ber ffielt
ab}uftnben.
43
5. ©tilUeben.
3n bem Serfe^t mit feinen ^auägenoffen war et freunblid^
unb fanft, tf)eilne^menb an i^ren ©(^idfalen, feinem jemaK
läfhg, in feinen ®ef))rci(i^en mi(b unb friebfertig. 3« biefem
©inne liebte er eä, mit feinen ^auäfreunben biSnoeilen über bie
©onntag8j)rebigt ju fpred^en, bie fte gehört fjatten. 5)ie^aupt*
fa<i^e in ber JReligion fei ein frommeä , friebfertigeä unb ru^igeä
Seben. Stuf biefen Sa^ fam er gern jurücf unb lie§ im Uebrigen
bie (SlaubenSöorfieUungen ber Slnberen unangefod^ten.
34) g^6^ wit ben ©orten be8 Soleruä ein fleine« 33ilb feine«
^äuälid&en ©tilllebenS. „6r blieb ben größten J^eil be8 Sage?
rubig auf feinem ßinimer. SBenn er fic^ biSmeilen t)on feinen
tiefen aWebitationen ju ermübet fanb, fo fam er berunter, um
pcf) ju erbolen , unb fpra^ mit ben ^auägenoffen t?on ben ge*
lüöfmiicbjien Dingen , felbji üon tleinigfeiten. aWanci^mal jer«*
fiteute er fi^) bei einer ipfeife labacf , ober tioenn er jicib eine et«
tvaS längere Sr^olung gönnen moUte, fo fing er ®^)innen, bie
er mit einanber fäm^)fen lie§, ober Obliegen, bie er in ein ©pin*
nenne^ »arf, unb betrachtete bann ben Äampf biefer Z^kxt mit
fo oiel Vergnügen , ba§ er biSmeilen laut lacfite. 6r beobac!^*
tttt auä) bie Steile ber fleinjten 3nfecten unter bem üWifroffop
unb jog barauS ©cfilüffe, bie feinen p|)t)fifalifci^en ^infu^ten
bienten."
6. Der SRuf nad^ ^eibelberg.
SBie er feine SKrmut^ bebalten unb ni^t t)ertauf(j^t ^at ge*
gen bie ßrbfci^aft beä reichen ^teunbeä, fo blieb er feiner Sin:»
famfeit treu, al8 i^m n^enige 3ö^re üor feinem Sobe burc^ einen
e{)renoollen SRuf eine öffentliche t)^ilofop{)ifc|)e äffiirtfamfeit ange*
boten nourbe.
46
t)or äußeren, jtnnbctäuBenben ©efal^ren ni^t jurüdfbebte. (Sr
90b batDon eine merftpütbige $robe, bie t)an bcr ©J)i)(f miterlebt
unb bem Sofeniä erjä^lt \)at Tlan follte mä)t meinen, ba^ ®pi^
noja, ber fo jiiü för f\6) lebte, aüen äffielt^cinbeln entrürft, jemals
einem morbgierigen ißöbelauflauf ^aüt auSgefe^t fein fönnen.
Säber ber ^öbel ift j!et8 berfelbe, ein wüfter ^aufe blinber itu
benfc^aften,
68 njar bie 3^it beS franjöfifc^ * nieberlänbifd[)en ÄriegeS,
ber bie ®emüt^er in «^oüanb aufS äu§erfie gegen bie ret)ublifa==
nifd^e ißartei unb alle üermeintfic^en t^ranjofenfreunbe erbitterte.
S)er SRame „^rranjofenfreunb" genügte, um gefteinigt ju tt)erben.
3m Slugujt beS Saures 1672 ^atte ber $öbel im^aag bieSBrü«^
ber aSBitt, bie Häupter ber JRepublifaner, in ®tüde geriffen. 9lun
traf e8 fic^ im folgenben '^a\)x, ba§ ber Dberji eine8 franjöfi*
f(iben 9legiment8 in \Xtxtä)t, 9?amen8 ©toupe, ber jtd^ für ®pi*
noja'S ©d^riften unb befonber8fürben ifingjl erfc^ienenen tfieolo*
gif(^*!politifc^en Iractat interefjtrte, ben (ß^ilofopben einfub, nac|>
VUxt^t i\x fommen, um bie 93efanntf(i^aft be8 $rinjen Sonbe
JU mad^en. 8118 ©pinoja t)on biefer 9leife jurürffebrte, ^attc
jtc^ im^aag ba8 ©erüd^t verbreitet, er fei ein franjöfifc^er ©pion,
ber in toerrätberifc^en Sibftcbten mit bem JJeinbe be8 8anbe8
^eimtic^e Unterfjanblungen (pflege. ®^on bötte man bie Serro*
riften fagen , man muffe i^n umbringen, ©ein ^au8rt)irt^ t)an
ber ®pt)d n)ar in ber grd§ten Sorge, baj feinem ^aufe ein ^b^
belfturm beüorfte^e. SDer ©innige, ber rubig blieb unb ibn trö=
ftete, tt)ar ©pinoja. „J^ürd^ten ©ie nic^t8," fagte er; „fobalb
ba8 fleinjle ®eräuf(^ fi* an ber 3:bür 3^re8 ^aufe8 bemerfbar
ma4)t, werbe i^f)erau8ge^en unb gerabeju unter bieSeute treten,
ttjenn fte m\6) ani) ebenfo be^anbeln foltten, al8 bie armen ®e*
brüber SBitt. 3<l) Wn ein guter SRepublifaner unb ^abe jiet8
nur ben iRu^m unb Cort^cil it^ ©taat8 im 2luge gcbabt."
47
8. ßrnjt unb ©d^tioetmut^. Die SScrtperfung ber
Der Äem unb S^^alt feines SebenS toaren feine einfamen
unb tiefen ÜWebitationen. 9lud^ barin jeigte jt^ biefer unabf)än*
flifle ®eifi, ba§ ibn bie eigenen ©ebonfen meit me^r atö frembe
bef(|>äftigten unb er ba^er menifl laS. SBenn er in ber ©tiüe
feines ©tubirjimmerS allein mit feinen ®ebanfen fein fonnte,
ttjar ©pinoi^a ganj er felbji. 2)a mar er fllüdlic^ unb frei. 5Die
©infamfeit flel)örte ju feiner IKatur. Dft blieb er Sage lang,
o^ne jemanb ju fe^en, obne aud^ nur fein 3i»nmer ju t)erlaffen.
©eine pl[)iIofop^if^en Slrbeiten fd^rieb er pm flrö§ten Sbeil mä^«*
renb ber SWa(f)t.
3n biefem SWanne mar ber ®eip feiner Se^re tjöüiß perfo*
nificirt Sr ^atte f\d) toon ben Segierben unb 8eibenf(S^apen
ganä befreit, meil er |te ganj burc^fc^aut \)aüt ®o mar er fei«
ner felbft öoüfommen mäd^tig, in feiner ©eijleSflar^eit jtetS un*
getrübt, t)on feinem Slffect übermältigt, nie auSgelaffen meber
in ber ^reube nod[) im S^merj^. . (är mar, mie bie Grfenntni§
felbft, ernfi.
68 giebt eine Siefe ber 6infi(^t, mit ber jtd^ bie Sebenälufl
nic^t mebr verträgt, meil ber frö^lid^e ®(!^ein ber 3)inge biefe
eittftdj)t ni^t mebr blenben fann. „SWur ber Srrtfjum ift baS
Seben." Siefe unb a^tt SWenfd^enfenner, ju beren fe()r geringer
3ö^I ©pinoja gel^ört — \ü) meine fold^e, bie ber menfd^Iid[>en
SRatur auf ben ®runb fe^en — nel^men leicht einen fd^mer^
müt^igen 3ug, ber ni^t trauriger ober ftnfierer Slrt ift, benn
biefe ©emüt^er finb ju flar, um trüb ju merben, aber fte fdn=*
nen ni*t anberS al8 bie gemo^nlic^e SBelt* unb fiebenSlufl: tief
unter ftc^ fel)en alä ein frembeS unb t)ermorrene8 treiben. J)a*
{)er bie unmiberftet)Iic^e SReigung jur ©nfamteit, bie fic^ unmill'*
48
furli$ mit biefet ®emut()8art üerbinbet unb einen i^tet ©tunb»
{äge auSmad^t.
SBer bie menf(|ili(i^e Statut in iJöa^r()eit bur(i^f(ijiaut, bcr
mirb jic in \i)xtn einfac^jlen unb fcbli^teflen '^oxmm am Heb*
jlen ertrogen , il)ren Jrrt^ümem unb ©lenbungen nidjit jünten,
unb nur in einem %a\l wirb eä i^m ferner fein, (ie ni6)t rücf*
fic^t8lo8 ju üermerfen: menn fte abjt(!^tKd{j täuf(!^entt)iü, toenn
jte, innerlich })oJ)l einen falfd^en ®<^ein annimmt menn jie auf*
bort tt)af)r ju fein unb \)^\xä)tlt, al8 ob ber aWenfc^enfenner jie
nicibt burd^blitfte. 3ebe 9lrt ber |)eucbelei, bie fo ftjeit reii^t unb
fo toiele JJormen annimmt atö bie ©ud^t ju tduf(fien , ift bem
ÜRenfc^entenner gegenüber gerabeju unt)erf^ämt. Unb gegen
biefe Untöerfd^ämt^eit ber Süge ift 3^3inoia ftet« unerbitttii^ ge*
wefen. J)iefen Unmiüen , ber au8 bem Äern feiner aBa^r()eit8«=
Bebe entfprang, ))at er nic^t bemeiftem n)onen, nic^t jurürfbalten
fbnnen, benn bieä tv&xt gegen feine Statur gemefen. Seine Slu8*
brücfe werben burt^bobrenb unb ftreng, wenn ibn biefe 2lrt ber
ßüge ^erauäforbert. 3n biefer jurücffc^recfenben gorm \^xkb
er ben Srief an Sllbert 33urg^ , atö biefer fein frü|)erer ©(i^iüler,
ber in 3tölien jum ÄatboticiSmu« befe^rt morben, jic^ ^erauä*
na^m, ibn felbfl in einem ©riefe, ber im Sonc einer ungefcfiicften
©trafprebigt gebalten war, bef el;ren ju wollen *). Unb id^ fann mir
benfen, ba§ ©pinoga jwanjig Jabre früher, atö er e8 mit ben
{Rabbinern ju t|)un ^attt, — einmal oon biefen berauägeforbert
unb überzeugt, wie er war, t)on ber inneren Unwa^r^eit be8
tf)eologif(^en unb talmubiflifcf)en 3ubent^um8 — eine fo entfc^iie»
bene unb jurüdweifenbe Haltung annahm, ba^ ben aWannem
ber ©pnagoge ni(^t8 übrig blieb al8 bie SerWünfd^ung.
♦) EpiBt LXXTn — LXXTT.
4^
XL
Der Sob Spm}a\
1. J)a8 ruhige Sterben.
6tifl unb ruf)i8, tt)ie er ßclcbt ^at tpar fein Gnbe, frei wn
allen S(ä^recfen unb afler %\xx6)t be8 SobeS, 25ic ßntfaguncj,
tt)cl^e ber Job unä aufbrängt unb bie bcr menf(6IidS)cn €^n)ä(^e
unb ßebenäliebe fo fc^toer fällt, war in i^m Idngft eine freinjil*
lige unb njiüfommene. SBenn in bicfer Gntfogung, in ber innern
Slbwenbung üon ber Sebenäfu^t unb t)on ben SBegierbcn , bie
ftd) ,,mit Hammcrnben Organen" an bie Sffielt Ijalten, bie fittlici^e
gorm be8 Sterbenä beftel)t, fo mar biefe ®emüt^8t)evfalTung
unfcrem ^^ilofop^en üollfommen gewohnt unb vertraut. Sein
ßeben war, wie SofrateS baä «Sterben erfldrt \)at Unb er ijt,
wie Sofrateä, fo rubig unb unüeränbert in feiner gen)o[;nten
Haltung ber legten Stunbe entgegengegangen.
Seit mel;r oli jwanjig ^af)xm war er bruftfranf , unb fein
forperlic^cä 2lu3fe^en trug bie unüerfennbaren Spuren ber ab*
je^renben Äranf^eit. Slber er fprad; t)on feinen Seiben nid^t mit
?(nberen, er flagte nie, er wollte aucfi leibenb fein ®egenftanb
frember ^ülfe fein, um niemanb läftig ju werben. So ahnten felbfl
feine ^auägenoffen nici^t, wie na^ ibm ber lob beüorftanb. 3n
gewohnter Sffieife war er Slbenbä ju feinen ^auSgenojfcn l^erab«»
gefommen unb ^atte fic^ über bie ^y^ftenprebigt, bie fie eben
ge^rt, lange mit i^nen unterf;alten. S^i^'ß^^ öK fonft ging er
biefen Slbenb jur JRu^e. Den folgenben Sag, eä war Sonntag
ber 23. gebruar 1677, (lieg er frü|) üor ber ilir^e noc!b einmal
][)erunter, um feine ^auäfreunbe ju fprec^en. 3n8tt)ifd^en war
auf einen S3rief Spinoja^ä ber i^m befreunbete Slrjt Subwig SWe^er
4
V
50
au8 Slmfterbam angefommen, in mit äxiiliS)tx Sürforge bcm
leibenben J^rcunbe jur ^anb ging unb unter anbeten Slnorbnun*
gen, bie er traf, no4) bie ^auSIeute bat einen ^a^n ju fci^lac^*
ten , bamit ©pinoja ju SWittag bie Srülie genießen f onne. (58
gef(!^al) unb er a§ nod^ mit gutem ?lp^3etit. 9118 üan ber ©pptf
unb feine S^Qu au8 bem 9la(f)mittag8gotte8bienPe na^ ^aufe
iurürffef)rten , hörten fie, ta^ €|)inoja gegen brei U^r geflorben
fei. SWiemanb nmr in feiner SobeSftunbe bei i^m aI8 jener 8lrgt
au8 8lmfietbam, ber nod) benfelben Slbenb jurürfrcijle.
®o ^aben bie legten ®tunben ©pino5a*8 bie 2eute be8 ^au*
fe8 meljr al8 einmal bem 6oleru8 erjd^lt. Sie ^aben ibn Der««
ft^ert, ba§ alle onbcren ®erü(|)te ni(S^t8 al8 Sügen feien.
1 Die falf*en (Serü^te.
ffiaS aWenagiuS berietet, bag Spinoja naci^ granfrei^ gc«'
reift, t)on bem ÜKiniffer ^omponne au8 SReligionSeifer mit ber
Saftiüe bebrobt worben, beS^alb ald 5i^anji8faner öerKeibet
eitigft gefJofien unb nacb feiner SKücffebr au8 9lng|! t)or ber SBa*
ftiüe gejtorben fei, — biefe ßiigen erlDäbne i^ blo§ aI8 ßügen«'
beifpiel Sic fmb au8 ber Duelle gef(j^öpft, au8 ber ÜWenagiug
jugleicb erfahren ^aben njiü, ba^ Spinoja auf feinem 2lntliji ba8
3eic^en ber Sertt)erfung getragen. I)icfe8 S^\6)tn ftc^t t)ielmef)r
Auf ber Sügenflirn ber „üWenagiana" *).
SBenn er nicfit au8 J^urcbt gejtorbcn ifi, fo ^aben Slnbere
ba8 ®erüd^t t)er breitet, er fei in ^mä)i unb 9lngjt geftorben,
^abe n)ieberl)oIt ju (Sott gefeufjt unb ausgerufen: „(Sott erbarme
fxä) meiner, er fei mir armen ©ünber gndbig!" ffiäre e8 tx^abr,
fo träre biefer 9lu8bru(f ber 2lngft nur menfd^licb. 9Ber ift feis
ner SobeSjiunbe fic^er? Sagt bocb Sefftng öon f\6) felbfl, al8 er
im «Streit mit ben 3:()eologen an bie Ic^te ®e»iffen8ang|l glei^ifam
*) Menagiana. Amst. 1695.
51
brol^enb erinnert tDurbe: J^ merbe t)ieOei(i^t in meinet SobcS«
fhtnbe gittern, aber t) or meiner 3:obe8{}unbe merbe ic^ ni(|)t jit«
tern !" — 3nbeffen fmb jene ®erü$te nic^t toa^r, unb ßoleruS
felbfl, ber fein Jntereffe ^at jte ju t)erneinen, flraft fie ßüflen.
Kiemanb fcnnt bic legten ©tunben ©pinoja'ä, niemanb tt>ax ba»
bei jugegen ali ein ^^reunb , ber mS)ti bat)on gefagt fiat. ^er
lob ©pinoja'S fonnte ni(f)t f(i6limmer fein al8 feine langjäf^rigen
Seiben. Unb ^ier f)aben tt)ir ba8 befümmte 3^wgni§ Söldner, bie
^al)xt long in feiner tägli(!^en ^äf)t gelebt ^aben : fte b<^ben nie
einen 2aut ber Älage uon ibm oernontmcn.
(Sin anbereS ®erä^t bad ßoIeruS ebenfalls au3 aflen @rün«
ben »iberlegt, »ollte, ba§ fic^ ©pinojn, ali er ben lob ^eran*
naiven füllte, mit SWanbragorafaft betäubt ^abe, um jt^) bie
lejiten Slugenblicfe ju erleic^item. 3"^^* W^ *^^> ^ö§ er al8
©elbfhnörber geftorben fei. (Sine t^ermorrene Stelle in ber 8e*
benäbefcfircibnng Don ßucaä \)at bicfem ®erüdS)te t)ielleid^t 93or*
f4)ub gelciflet. ,,Unfer ^P^ilofop^/' fo lautet bie Stelle, ,,ifl ni^ft
b(o§ tT)egen be8 SRu^m? feiner lugenb glütftic^ ju ipreifen, fon*
bern au^ megen ber Umftänbe feineS lobeS, bem er furc|itlo8
inä SlnttiJ gefd^aut \)ai, toxt tt)ir t>on benen miffen, bie zugegen
maren, al8 ob e8 i^m lieb noäre, [\ä) für feine S^nbe ju opfern,
bamit beren ?lnbenfen ni^it mit feinem 3Worbe beflecft mürbe."
^iemadSi fönnte e8 fc^einen, ba§ fi^ ©pinoja burd^ freimiüigen
Sob ben Verfolgungen entjogen l^abe, nid^t um feinetmillen, fon^
bern um feinen JJeinben ein iBerbre^en ju fparen. SBeld^e al-
berne (ärfinbung! ©enn man jmanjig 3a^re unb langer bie
®d[)minbfu(!bt gehabt ^at, fo f)ai man, um ju jlerben, ben
Selbfhnorb nid^t nötbig. ilnb menn ©pinoja au8 2iebe ju ober
^urc^t Dor feinen Verfolgern ben lob fu^ien moUte, fo |)ätte er
jmaniig 3öl;re früher flerben müjfen. Slber man fie^t au8 allen
biefen (Serücfiten, mie unfä{)ig bie a)lenfc|)en maren, fowo^l feine
4*
52 ^
^cinbc üI8 feilte Settunberet, bie ® eelengtö§e ©jjinoja'« ju aJfmn.
Die einen ntad[)en au8 i^m einen elenben Feigling, bie anbeten
einen öerworrenen QWärtprer.
xn.
55a8 Silb feiner dugeten ßrftlieinung f)Ot jt(ij) ßoleruS Don
einet aWenge ^ßerfonen im ^aog befi^reiben laffen, bie il^n ge*
feben unb gefannt ^aben. ,,@t toax wn mittlerem SBuc^S, feine
©eft^tääüge iDoren regelmäßig imb tt)of)lgeformt bie Hautfarbe
thvai bunfd, bie »^aare locfig unb f(|)tt)Qrj, bie f4)ttjarjcn 9lu*=
genbrauen lang; man erfannte in i^m auf ber Stelle ben pox^
tugiefifc^cn 3ut^n." %xä) fieibni^, ber ®pinoja ein ^a^x \)ox
bcffen Sobe im ^aag befugte, befc^reibt fein 9lu8fe^cn ä^nli^:
,,bcr berühmte 3ube S<)inoja \)aik eine oliöenartige Hautfarbe
unb etmaS Spanifc^eS in feinem ©efid^te."
2)ie an^altenbe unb Derje^renbe Äranf^eit ^at bie ©pur beS
fieibenä in feinem Slntlifie ausgeprägt, aber am meiflen auSgebiU
bet ijt bie ©eiDo^n^eit beS Denfcn«, bie [\ä) in ber eblen ©tirn
unb bem ernflen ©liefe uerfünbet.
,,er trägt ba8 ^t\6)tn ber 95ertt)erfung auf ber ©tirn!" ©o
bat blinber ^a§ biefen SluSbrutf gebeutet.
„68 ijt ber büflre 3ug eine8 tiefen Denfer8/' fagt ein beut*
fcfeer 5P^ilofop() , ber [\6) beffet Derfle^t auf bie ©ignatur eineS
©pinoja. 9lllerbing8 ein ^ti^m ber Sertüerfung, aber nic^t ber
paffmen, fonbern ber actiüen! (58 ifl ber ij^^ilofopf), mlä)n
ücrn^irft bie S^^&ümer, bie gcbanfenlofen Seibcnfcbaften unb
öor 9lllem bie Süge ber aWcnf(^en!
APR 3 1943
f