Baster Jahrbuch
.% 1917
Serausgegeben von Albert Gefler u. Auguft Huber
Bofel
Verlag von Helbing 3 Lichtenhahn
Drud von Friedrich Reinhardt in Bajel.
\ E 7
Vorwort.
en
Sm Moment, da das Jahrbuch 1917 die Preffe verläßt,
wird feine Redaktion von einem ſchweren Verlufte betroffen.
Profefior Albert Geßler ift am 26. November uns entriffen
worden. Trotz körperlicher Schwäche hat er bis in die letzten
Tage noch mit treubeforgtem Herzen an der Herausgabe des
vorliegenden Jahrbuches tatkräftig mitgewirkt. Während
eines vollen Menfchenalters betätigte fih Albert Geßler
als Mitarbeiter am Basler Jahrbuch, feit 1893 als ftän-
diges Mitglied der Redaktion. Eine eingehende Würdigung
feiner Perfönlichkeit wird das nächſte Jahrbuch bringen;
heute, da wir an feinem Grabe ftehben, wünfchen wir vor
allem dem Verftorbenen unfern von Herzen fommenden Dank
und die hohe Anerkennung auszufprechen für die reiche Fülle
von Arbeit, die er im Laufe der vielen Jahre für unjer
Jahrbuch geleitet hat.
Baſel, Ende November 1916.
Die Redaktion:
Auguft Huber.
Inhaltsverzeichnis.
Arnold von Salis-Haegler, Carl Sebaftian Haegler
Karl Gauß Die ———— im basleriſch⸗biſchöflichen
Raufen . . .
Ferdinand Shwar : Jſaat Iſelins Reiſetagebuch 1754
Rudolf Thommen, Aus den Briefen eines Baslers vor
Hundert Fahren . . .
Friedrich von Thierſch, Emil Faeſch Architett
Fritz Baur, Aus den Aufzeichnungen des —
Jakob Meyer 1670—1674 —
R. Oeri-Saraſin, Beiträge zum Berhäftnis zwifchen
Jacob Burdhardt und Arnold Boedlin .
E. Refardt, Bürgermeifter Andreas Merians Renkbe:
ſchreibung nad) Chambery . ge
Hermann Blodher, Autobiographiidhe Aufhzeichnungen
von Prof. Johann Jakob Bachofen
Albert Geßler, E. Th. Markees, Robert — ———
Das künſtleriſche Leben in Baſel
Fritz Baur, Basler Chronik vom 1. November 1915 bis
31. Oktober 1916. f F
213
276
365
Lichtdruckanstalt Aitred Ditisheim, Basel.
Carl Sebaftian Haegler
Dr. med. et chir., Profefior e. o.
Don Arnold von Salis-Haegler.
Obgleich Carl Sebafian Haegler am öffent:
lichen Leben in Staat oder Stadt nicht direkt beteiligt war,
weder in amtlicher Stellung, abgejeben von jeiner außer-
ordentlihen Profeflur an unferer Hochſchule, noch in einer
freien Geſellſchaft gemeinnüßiger Art, ift der mit vierund-
fünfzig Sahren Vollendete Doch in weiteren Kreifen jo be-
kannt und gefchäßt geweien, daß es nicht unberechtigt fein
mag, feinem Lebensbild im „Basler Sahrbuche” Raum zu
gönnen.
Geboren wurde er am 20. Zuni 1862 als drittes Rind
und erfter Sohn von Dr. Adolph Haegler und Frau Ste-
phanie, geborener Gußwiller, zu Fleurier im Val de Travers
(Kanton Neuenburg), wo fein Vater als Arzt feit 1856
niedergelaffen war und einer fehr ausgedehnten Praris nach-
ging, außerdem fich eifrigft an allen Bemühungen beteiligte,
das geiftige Leben in dem Ihrenmacher-Dorfe zu fördern
und zu heben. Im Oktober 1863 bewog ihn vor allem die
Rückſicht auf die Erziehung feiner Kinder, mit feiner Fa—
milie nad) Baſel Überzufiedeln.
Hier durchlief Carl in normaler Weife die ftädtifchen
Schulen, von 1871 bis 1881 das humaniſtiſche Gymnaſium
und Pädagogium. Die wejentlichften Züge feines Charakters
fündigten fich bereits an in der Form, welche: diefer Ent:
widlungsitufe entſprach.
Er ſelber bezeichnete in reifem Alter als die hervor:
ftechendften Eigenfchaften feiner Vorfahren väterlicherfeits:
Willenskraft, bis zu Eigenfinn und Steckköpfigkeit; Pflicht⸗
1 1
gefühl, bis zur pedantifchen Disziplin gegen fi) und andere;
eine gewille Degeifterungsfähigkeit, Initiative und Or—
ganifationstalent. Als Erbe der mütterlihen Zamilie:
Herzensgüte und hilfsbereite Menfchenliebe, reihe Phan—
tafie und Lebhaftigkeit.
Diefe äußerte fich bei dem Knaben zunächſt in leiden-
Ihaftlihem Lefebedürfnis, Intereſſe an alten Sagen und
Rittergefchichten; fpäter in verftändnispoller und anhaltender
Freude an deutfchen und franzöfifchen Klaffitern, an Homer,
Shafefpeare, Goethe, Frig Reuter, Gottfried Keller, wie
an aller Kunſt überhaupt, und eine gewifle Romantik und
Ritterlichkeit blieb ihm SZeitlebens eigen. Die anererbte
Willenskraft aber trat zunächft hervor als Luft am Sleber-
winden von Schwierigkeiten, an Veberrfchung des Körpers
duch allfeitige Leibesübung und Abhärtung, im Ertragen
felbfterwählten Schmerzes; aber auch gegenüber WUlters-
genofien ald Kampf: und Raufluft, in „Uuartierhändeln”
u. dgl., als berrifches Wefen, und gegenüber den väterlichen
Bemühungen, feinen Willen zu brechen, als paffiver Wider-
fand in Eigenfinn und Starrköpfigkeit. Seine häusliche Er-
ziehung bot darum manche Schwierigkeit und erforderte die
unentwegte Liebe und Geduld der trefflichen Mutter, welche
es verftand, die Geltung des einheitlichen Elternwilleng zu
wahren und doch durch ihre Güte den Troß des Zungen zu
befänftigen und zu entwaffnen. Sn der Schule dagegen hatte
er feine Mühe, mit den befleren. Klaſſengenoſſen Schritt zu
balten, ſchon aus Ehrgefühl, aber auch aus lebhaftem In—
tereffe an dem Unterricht, den ihm einzelne hervorragende
Lehrer, — er nannte als ſolche gerne Jakob und Achilles
Burckhardt, — lieb zu machen verftanden.
Beide Eltern waren tief religiös, und die entjprechende
Ordnung und Disziplin im Haufe, der fich niemand entziehen
durfte, hat auf ihn viel tiefer eingewirft, als er in jeinen
früheren Jahren wohl zugegeben hätte, ſowohl die Fonfequente
riftlihe Bekenntnis: und Pflichttreue des Vaters, al3 das
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ftille, innige Gottvertrauen der Mutter, welcher Gebet und
Fürbitte eine unverfennbare Kraft gaben in allen Sorgen
und Kümmerniffen. Auf feinem Leidenslager hat er, rüd-
blidend, gejchrieben: „Der Glaube meines Vaters hatte für
mein Empfinden etwas Starres, Unfrohes und Drüdendes;
während das Chriftentum meiner Mutter einen mehr beitern,
duldfamen und erhebenden Charakter hatte. Bei ihr ftanden
im Mittelpunft die alles verzeihende Liebe und die Duldſam—
feit Undern gegenüber, immer geneigt zu verzeihen und die
guten Seiten in Undern hervorzuheben. Bei mir zeigte ſich
ſchon frühe eine gewiſſe Grübelfucht, und die Ronfirmation
bat mir nicht die Ruhe gegeben, die ich davon erhoffte. Sch
babe in Glaubensfachen jeither viel gefämpft und erfahren,
daB nur ein durch Kämpfe erworbener Glaube wirklich
lebendig ift und uns beruhigen fann, und daß für Menfchen
meiner Art der Weg zum Licht der bittern und fchmerzlichen
Lebenserfahrungen nicht entbehren Tann. Der Glaube wird
dabei allerdings ein ganz individueller, und wenn ich auch
den fröhlichen, duldfamen Glauben meiner Mutter nicht mit
der Kindlichkeit fefthalten Eonnte, wie fie dies ihr ganzes
Leben lang getan bat, jo habe ich Doch einen Standpunft ge-
funden, der mir erlaubt, ruhig und freudig meinem Ende
entgegenzuſehen.“ |
Sm Frühjahr 1881 beftand er die Maturitätsprüfung.
Die Berufswahl plagte ihn nicht; die Neigung zum Stu—
dDium der Medizin war bei ihm, — wie fpäter auch bei jeinen
jüngern Brüdern, — enticheidend; ein Beweis für den
großen Eindrud, welchen die ideale Berufsauffaſſung und
Verufsfreudigfeit des Vaters auch auf feine Nächiten alle:
zeit gemacht bat; denn aus fonftigem „Atavismus“ läßt fich
jene Neigung kaum erflären, da fein früherer väterlicher Vor—
fahre Arzt geweſen if. Eher würde eine gewille Neigung
zur Landwirtichaft, die Carl Haegler zeitweile mag ver:
fpürt haben, als Familienerbe gelten dürfen, da mehrere
feiner väterlihen Anverwandten angeſehene Mühlenbefiger
3 ie
im Bafelbiet waren oder noch find, fein eigener Großvater
Sebaftian und einige Defzendenten desjelben in Laufen. Ueb-
rigens waren Carls Großvater mütterlicherfeits, ſowie deflen
einziger Sohn und ein Großſohn Mediziner.
Einen Teil des erften Semefters feiner Studienzeit ver-
lor er zu feinem Bedauern infolge einer fchweren Leichen:
infeftion, von der er fich erft nach vielen Wochen völlig er-
holte. Die „großen Ferien” des Spätfommers 1881 ver-
brachte er, hauptſächlich um fih im Sranzöfifchen befler aus-
zubilden, in der feinen Eltern eng befreundeten Pfarrfamilie
de Coulon in Corcelles bei Neuenburg, welcher er mancherlei
geiftige Anregung verdankte. In diefe Zeit fiel ein Er-
eignis, deſſen tiefgreifende Folgen für fein ganzes Leben be-
ſtimmend werden follten.
Mit einem in Laufanne weilenden Freunde, der in
jenem Sommer bereit zweimal die Diablerets beftiegen
hatte und alſo fich des Weges ficher fühlte, wollte er diejelbe
Hochtour ohne Führer ebenfalls unternehmen, obgleich die
Sennen bei den Hütten von Anzeindaz, der vorgerüdten
Sahreszeit zu Ende Geptembers und der Inficherheit der
Witterung wegen, vor dem Aufftieg warnten. Spät am
Tage erft erreichten die Veiden den Pas du Diable. Neu-
Schnee und Lamwinengefahr machten weiteres Fortkommen
unmöglich und nötigten zum Abſtieg. Nebel und einbrechende
Dunkelheit zwangen fie zu kaltem Biwak an erponierter
Stelle. Sturm und woltenbruchartiger Regen überfielen fie;
von den Felſen flürzten Bäche und große Steine herab, Die
ihn mehrfah am Kopf verwundeten. Dann fam der Schnee
und eifige Kälte. Um nicht einzufchlafen, blieben fie die
ganze Nacht auf den Beinen und in Bewegung Durch
DBlutverluft und Nahrungsmangel geihwächt, verlor er das
Bewußtſein; fein Freund fchleppte fih in der erften Morgen:
Dämmerung etwas weiter, bis die beunruhigten Sennen ihn
bemerften und holten und, nach einigen Stunden erft, auch
bis zu Haegler gelangten. Sie fanden ihn fteif gefroren
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und trugen ihn, ihrer fechs, ohne ihn wieder zum Leben er-
weden zu Fönnen, in einer Dede nach den Hütten hinunter.
Abends vier Uhr endlich erwachte er zum Bewußtjein, er-
holte fi) dann aber fo rajch, daß er am nähften Morgen,
mühfam zwar, zu Fuß ins Tal fteigen Tonnte.
Am darauffolgenden Sonntag bemerkte er in der Kirche,
daß er an einem Ohr nicht mehr deutlich hörte. Die Gehör-
Ihwäche, deren Natur von jedem Spezialiften — er kon—
fultierte nachgerade die bedeutendften des KRontinentes —
anders beurteilt, von allen aber für unheilbar erklärt wurde,
bat fih dann im Verlauf der Jahre, vorerft langſam, noch
verftärkt, ift fpäter aber glüdlichermweife faft ftationär geblieben.
An dem einen Ohr trat nahezu Taubheit ein; am andern
börte er nach Ausfage der Otologen noch !/go des normalen
Minimums. Daß diefer Befund ihm fchwere Sorgen und
Kämpfe verurfachte, läßt fich denken. Der drohende Verzicht
auf eine Menge von Genüflen und Anregungen erfchien noch
erträglich; aber der Gedanke, daß der Verluft des Gehörs
die Ausübung der ärztlihen Praris hindern und ihm den
Verkehr mit Patienten unendlich erfchweren werde, daß er
darum vielleicht den erwählten Lebensberuf aufgeben und
gegen irgend einen andern vertaufchen müfje, war ihm wie
ein Todesurteil und verfegte ihn in düſtere Stimmung.
Dennoch fügte ſich's, daß er der Medizin treu bleiben
durfte. Vorläufig hinderte ihn die befonders linksſeitig nur
fehr langfam zunehmende Schwerhörigfeit nicht welentlich
in feinen Studien, fodaß er diefe im ganzen getroft fort-
feßen und, feinem Temperament und romantifchen Zuge fol-
gend, Die Studienjahre fogar fröhlich genießen Fonnte. Ob:
gleich einft eifriges Mitglied der Pädagogia, trat er Feiner
Studentenverbindung bei, auch der Zofingia nicht, unter
deren Mitgliedern er viele perfönliche Freunde zählte. Eine
Berbindung, deren Farbenbrüder nicht unter Umſtänden für
einander auch mit der blanfen Waffe einträten, entiprach
feinem damaligen deal nicht. Wider den Willen der
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Eltern einem Corps fih anfchliegen mochte er nicht. Und fo
hielt er fih, fern von feften Vereinigungen, zu einem kleinen
Kreis von Freunden, welche fich zu gemeinfchaftlicher Er—
holung und zur Pflege fportlicher Uebungen, Fechten und
Zußballipiel, zufammenfanden, unter Anleitung von Carl
Spengler aus Davos. Später hat er feine Unfichten modi-
fiziert und es öfters bedauert, daß er der Zofingia nicht an-
gehört habe. Und ebenfo, daß er, wefentlich jenem roman-
tifchen Studentenleben zulieb, das Sommerfemefter 1882 in
Tübingen verbradte, vor der Beendigung feiner propä-
deutifchen Studien, welche dadurch nicht gefördert wurden.
Als er nach zwei weiteren, in Bafel abfolvierten Se—
meftern im Herbft 1883 die propädeutifche Prüfung beftehen
wollte, welche Damals noch die Fächer der Botanik, Zoologie,
Chemie, Phyſik, Anatomie und Phyfiologie umfaßte, miß—
glüdte fein Vorhaben. Er hatte die lebte Zeit vor dem
Eramen in gefundbeitlich fo unfinniger Weife verbracht, in
unausgefeßter Tages- und DNachtarbeit, daß er in einem
Hauptfach, der Phyſik, auf die einfachften Fragen in völliger
Denk-Unfähigkeit nicht mehr Beſcheid wußte.
Während des Winterfemefters 1883/84 war er Vo—
Lontäraffiftent am anatomischen Inftitut, füllte nebenbei feine
Lüden aus und beftand dann im Frühjahr 1884 das Pro-
pädeutitum in ehrenvoller Weife.
Die nähftfolgenden drei Elinifchen Semeſter verbrachte
er wieder in Tübingen, wohin ihn diesmal, mehr als
das reizvolle Studentenleben, die vorzüglichen afademifchen
Lehrer zogen, der Interne LCiebermeifter, der Chirurg
v. Bruns, der pathologiihe Anatom Ziegler, der
Gynälologe Saeringer und endlich Zürgenfen für
Poliklinif und WUrzneimittellehre. Ihre Urt, Klinif ab-
zubalten und zu lehren, befriediate ihn im höchſten Maße.
Sie hielten darauf, die einzelnen Studenten perjönlich Tennen
zu lernen und fie baldmöglichft im Denken, Beobachten und
Handeln felbftändig zu machen. Dem Praftifanten wurde
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der Patient, der in der Klinik vorgeftellt wurde, ganz über-
geben zur weiteren felbftändigen Beobachtung bis zu feinem
Austritt aus der Klinik oder bis zum Tod. Sederzeit mußte
bei Veränderungen des Zuftandes der Praftifant in der
Klinit darüber berichten können; bei den wöchentlichen
großen Viſiten hatte er am Kranfenbett über die Beob-
achtungen der vergangenen Woche zu referieren. Nicht
felten hatte er während eines Semefters in den verjchiedenen
Kliniken zufammen bis zu zehn Patienten unter eigener
felbftändiger Beobachtung. Dabei Eonnte einer mehr lernen,
als ihm auf irgend einer größeren Univerfität möge ge:
weſen wäre.
Die ſtudentiſche Fröhlichkeit kam neben folcher ernit-
haften Arbeit gleichwohl nicht zu kurz: in der Schweizer—
geſellſchaft „Helvetia“ war reger freundſchaftlicher Verkehr;
es wurde gefochten, geſchwärmt und geſungen, die ſchöne
Umgebung durchwandert, am Himmelfahrtstag Schloß
Lichtenftein und die Nebelhöhle befucht, und das alt:
berühmte Volksfeſt mitgefeiert,; in den Sommerferien auf
Floß oder Ruderboot von Heilbronn den Nedar hinunter:
gefahren bis nach Heidelberg und mit den Dorfigen
Schweizern den Rhein hinab bis nah Köln, in den
Winterferien ausgeflogen nah Ulm, Nürnberg, Erlangen,
München.
Sm Frühjahr 1885 war er wieder in Bafel, und da
eben eine Podenepidemie berrfchte und es an Werzten fehlte,
übernahm er für einige Wochen die Leitung eines Poden-
Ipitals in Birsfelden. Vom September 1885 bis zum Mai
1887 war er als Unteraffiftent im Bürgerſpital befchäftigt,
zuerft ein halbes Zahr auf der internen Abteilung bei Prof.
Smmermann, die übrige Zeit auf der chirurgischen bei Prof.
Socin, und bier zeitweife als ftellvertretender Alfiftenzarzt,
der bereits felbitändig operieren durfte. Es war für ihn
eine fehr nütliche, aber. außerordentlich anftrengende Seit:
neben feinen vermehrten Spitalfunktionen hatte er noch einen
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Kurs für Miffionszöglinge abzuhalten und den ordentlichen
Kurs für Sanitätsrefruten, fodaß er oft kaum für zwei big
drei Stunden ins Bett Fam.
Schon in feinen erften Einifchen Semeftern 309 ihn die
Chirurgie befonders an. Zum Zeil wirkte dabei wohl die
Sreude an manueller Tätigkeit mit, da er zu folcher von Kind
auf befondere Geichidlichkeit hatte. Zum Zeil imponierten
ihm, wie jedem Laien, die eflatanten Erfolge, welche bei der
Chirurgie mehr bervortreten und Eontrolliert werden Eünnen,
als beim Wirken des internen Mediziners. Später erkannte
er immer mehr, daß die hohe Stellung, welche die Chirurgie
in den letzten Dezennien erhalten bat, darin begründet fei,
daß fie für die Praris der univerfellfte Zweig der Medizin
geworden if. Da es Fein Organ mehr gibt, das nicht
hirurgifhe Hilfe erfordert, fo muß der Chirurg in der
Pathologie der innern Organe mindeftens fo beichlagen fein
wie der Interne. Seine Diagnoftit muß faft noch ſchärfer
und ficherer fein; trägt er Doch die Verantwortlichkeit für
die richtige Diagnofe in erhöhten Maße, indem er beftimmt,
ob ein operativer Eingriff fol vorgenommen, oder unter-
laſſen werden.
Die UInteraffiitentenzeit bei Socin wirkte enticheidend
auf Haeglers Pläne: er wollte Chirurg werden aus Neigung,
und darin beftärkte ihn noch die Erwägung, daß feine Gehör-
ſchwäche in diefem Spezialfach ihm weniger binderlich fein
werde, als in Ausübung der inneren Medizin. Das ift ihm
fpäter freilich als Irrtum erfchienen, weil die Unterfuchungs-
methoden bei beiden Spezialdisziplinen genau Diejelben
feien, und der Chirurg 3. U. mindeftens diefelbe Fertigkeit
haben müfle im Perfutieren und Auskultieren, wie der
Snterne.
Damals trat Haegler in ein freundfchaftliches Ver—
hältnis zu Carl Garre, den Prof. Socin zu feinem
Privataſſiſtenten gemacht batte, und zwar ſpeziell für
Bakteriologie. Die Bedeutung diefer neuen Disziplin für
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die Chirurgie, wie für die Medizin Überhaupt, hatte Socin
frühzeitig in ihrem vollen Umfang erkannt, und da die
Berwaltung des DBürgerfpitals die Schaffung einer Alfi-
ftentenftele und eines Laboratoriums für Balteriologie da-
mals noch nicht bewilligen wollte, fo ließ Socin den jungen
Garre, welcher Schon bei Prof. Rocher in Bern Balteriologie
getrieben hatte, als Privataffiftenten nach Baſel fommen
und richtete ihm ein bafteriologifches Laboratorium ein in
einem Geitenflügel feiner eigenen Privatwohnung.
Hier arbeitete nun Haegler öfters aus eigener Initiative,
während er weiter als Unteraffiftent tätig war und, unmittel-
bar vor dem Staatseramen, zwei Monate den Alfiitenzarzt
der geburtshilflich-gynäfologifchen Klinif von Prof. Fehling
zu vertreten hatte. Die notwendige Rörperbewegung, deren
er bedurfte, um ſich in diefer arbeitsreichen Zeit leiſtungs⸗
fähig zu erhalten, verfchaffte er fih durch Reiten, meift in
frühen Morgenftunden. |
Am 7. Dezember 1887 erhielt er, nach wohlbeftandener
Staatsprüfung, das Diplom eines praftifchen Arztes. Don
einem folgenden Erbolungsaufenthalt an der Riviera, den
er auf mannigfachen Ausflügen zu Fuß oder zu Pferd von
Nizza aus in die nähere und fernere, malerifch ſchöne Um—
gebung in vollen Zügen genoß, wurde er ſchon im Januar
1888 beimgerufen dur ein Anerbieten von Prof. Socin,
ihm in Baſel die Stelle Garré's zu Übertragen, welcher eine
Berufung nah Tübingen angenommen hatte. Nachdem ihm
zugleich eine befoldete Stellung im Spital als Leiter der
Poliklinik, fowie in abfehbarer Zeit diejenige eines erften
Alfiftenzarztes und Gtellvertreters des Oberarztes auf der
hirurgifhen Abteilung in fichere. Ausficht geftellt wurden,
nahm er diefen Vorſchlag an auf Ende März 1888, und
warf fih nun mit voller Energie auf bafteriologifche Arbeiten
und pathologiſch-anatomiſche Unterfuchungen für die chirur:
giſche Klinif und für Socin privatim. Sn den erften Jahren
während diefer Tätigfeit hat er öfters des Nachts das Bett
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gar nicht aufgefucht, fondern höchftens im Stuhl fitend eine
Stunde geruht. Ein Ausritt um 6 Uhr morgens, dann ein
Bad oder eine Douche, und abends nach 7 Uhr ein Tennis-
Spiel genügten, um ihn frifch und leiſtungsfähig zu erhalten.
Während er anfänglich noch im Elternbaufe wohnte und
feine Mahlzeiten einnahm, bezog er jpäter ein Schlafzimmer
in dem Geitenflügel von Socins Wohnung, welcher au
das Laboratorium enthielt, und begnügte fich mit feltenen
und unregelmäßigen Mahlzeiten. Es war das für ihn eine
wundervolle Zeit, je mehr feine innere Selbſtändigkeit in der
Bakteriologie zunahm. Er fah fo viel brach liegendes Feld
vor fih, und die Forfchertätigteit im Laboratorium befriedigte
ihn mehr als alles, was er bisher getrieben hatte. Daneben
gab ihm die chirurgifhe Poliklinik, die er zu leiten batte,
reiche praftifche und wiflenfchaftlihe Anregung. Die Tre:
quenz nahm fo rafch zu, daß dem Inftitut in einem der Straße
anliegenden Nebengebäude eine Unzahl von Simmern mußte
eingeräumt werden. Er wurde, fowie die betreffende Stelle
vafant war, erfter Affiftenzarzt und Eonnte oft felbftändig ope-
tieren, hatte auch die Narkofen oder eventuell die Alfiftenz in
Socins Privatklinik zu beforgen.
Als auf Socins Antrieb dem Bürgerfpital das baf-
teriologifche Snftitut eingegliedert, und in den unterirdilchen
Räumen des fogen. „Merianflügels" ein „ideales“ Labo-
ratorium für Dasfelbe eingerichtet wurde, wuchs für Haegler
mit der vermehrten Arbeit zugleich die Genugtuung und
Freude an ihr. Und da für die Poliklinik bald ein Aſſiſtent
nötig wurde, befam er an diefem auch einen Schüler und
Helfer im bafteriologifchen. Laboratorium.
An feinem Chef, Prof. Socin, hing er mit unbedingter
dankbarer Verehrung. Das eigentlich freundfchaftlihe Ver:
hältnis zu ihm, das fich mehr. und mehr herausbildete, tat
feiner Achtung und feiner Unterordnung gegenüber dem
feltenen Manne nicht den mindeften Eintrag. Noch mehr
als der wiflenfchaftliche Chirurg, der formvollendete Schrift:
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fteller, der vorzügliche und elegante Techniker, imponierte
ihm der Menſch Soein, mit feiner Schönen Erfcheinung, feinen
gervinnenden Imgangsformen, feiner Runft geiftvoller Unter:
haltung, feinem feinen Humor und liebenswürdigen Gar:
fasmus, feinem ritterlihen Wefen, feiner glänzenden Gaſt—
freundfchaft, feiner vornehmen Gefinnung. Offenbar fand
Socin an dem vielfeitig begabten, firebfamen und brauch:
baren gewiflenhaften jungen Manne, den er öfters auf feine
Jagden mitnahm und zu Tifche lud, und dem er fein 2er:
trauen fchenkte, viel Wefensverwandtes nach mancher Rich-
tung hin. Seine etwas „großherrliche” Eigenart hat auf
den ihm unbedingt ergebenen langjährigen Jünger unmwill-
fürlich abgefärbt, mehr als diefer wohl merfte.
Reben der Befriedigung, welche dieſe reiche Gegenwart
ihm bot, ſchlich als unbeimlicher Schatten die Sorge um die
Zukunft. Die Schwerbörigkeit nahm fo zu, daß fie die Mög—
lichkeit einer akademifchen Karriere, zu der Haegler durch—
aus qualifiziert war, in Frage ftellen mußte, nach Socins
Urteil. Deshalb zögerte er auch immer wieder, fih zu babi-
litieren. Und doch mußte er für feine Fünftige Lebensitellung
irgend einen Entſchluß fallen. Da er regelmäßige Kurſe für
Miffionszöglinge abzuhalten hatte, dachte er vorerft daran,
in den Dienft der ärztlihen Miffion zu treten und Tpeziell
die Tropenkrankheiten zu ftudieren. Der Entihluß zur
Heirat aber machte diefen erotifhen Plänen ein Ende.
Er befaßte fih auch etwa mit dem Gedanken, zufammen
mit Freunden eine Privatklinit zu gründen. Verſchiedene
Projekte diefer Art zerfchlugen fih aber noch vor einem Ver:
fu, fie auszuführen.
Inzwiſchen wurde ihm immer klarer und gewiller, daß
nur die alademifche Karriere, auch wenn er dabei von vorn-
herein auf ein Ordinariat verzichten müfle, feinem Drang
nah wiflenfchaftlicher Tätigkeit, hauptfählihd im Labo—
ratorium, entipreche, allerdings nur in Verbindung mit Be—
obachtungen am Krankenbett.
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Er promovierte deshalb den 9. März 1889 zum Doctor
med. et chir. mit einer Differtation über „YBehandlung der
Harnröhrenverleßungen und ihrer Folgen”, und wurde am
8. Februar 1893 zum Privatdozenten für Chirurgie und Bak—
teriologie ernannt. Seine Habilitationsjchrift betraf „Die
Hirurgifhe Bedeutung des Staubes“; im Fakultätseramen
hatte er zu reden über „Narcotica und WUnaefthetica”; die
öffentliche Habilitationsvorlefung in der Aula hielt er am
18. Zuli 1893 über „Die Vedeutung des Wundftarrframpfes
für die Lehre von der Immunität”.
Großen Eindrud mahte ihm während diefer Zeit das
Eifenbahnunglüd in Münchenftein am 14. Zuni 1891. Er
war als einziger Arzt im Spital zurüdgeblieben, während
die anderen alle an die Inglüdsftätte hinauseilten, und etwa
70 Zerwundete und Sterbende nun in den Spital gefahren
wurden und bier follten operiert und verbunden werden. Da
hatte er denn alle Hände voll zu tun, bis gegen Abend Socin
und die Uerzte aus Münchenftein eintrafen, bedauernd, daß
fie Dort wenig hatten helfen können, während fie im Spital
nötiger gewejen wären. Erſt lange nah Mitternacht waren
endlich alle Verwundeten verforgt. Am folgenden Tag be:
gleitete er Socin zur Drientierung für die fpätere ärztliche
Erpertife nah Münchenftein, wo die Toten in einer Scheune
aufgebahrt waren. Ein fchauerlicher Anblid, deſſen Eindrud
ihm unvergeßlich blieb und ihm eine PVorftellung gab von
den Schwierigkeiten, welche den Chirurgen in einem Krieg
erwarten.
Um 4. Zuli 1894 verheiratete er fich mit Fräulein Emilie
Paflavant, nachdem die beiden feit längerer Zeit einander
fennen gelernt hatten, und die Zuneigung der jungen willens-
ſtarken Braut durch alle Bedenken nicht zu erfchüttern war,
welche, bei feiner vorausfichtlich zunehmenden Schwerhörigfeit
und bei der Ingewißheit feiner davon bedingten künftigen
inneren und äußeren Lebensgeftaltung, fich aufdrängen mußten.
Haeglers Stellung im Spital Tonnte nicht geändert
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werden; Doch fuchte ihm Socin zu vermehrter Selbſtändigkeit
zu verhelfen durch Gewährung einer perfünlichen Nachmittags:
ſprechſtunde, welche hauptſächlich von unfallverficherten ver-
letzten Arbeitern frequentiert wurde. Piel zu tun gab ihm
die 1898/99 geplante und durchgeführte Erftellung des neuen
Dperationsgebäudes im DBürgerfpital, deſſen Bezug Prof.
Socin leider nicht mehr erleben durfte. Sein am 22. Januar
1899 nad) kurzer Krankheit erfolgter Tod war für Haegler
ein tiefgreifender Schmerz und Verluſt, auch für feine Fünftige
Lebensftelung bedeutfam. Obgleich er, da der neue Or:
Dinarius und Nachfolger Socins feine angebotene Demiffion
nicht annahm, vorläufig als Alfiftenzarzt weiter funktionierte,
fühlte er fehr wohl, daß das Verhältnis eines alten Affiftenz-
arztes zu einem jungen Ordinarius auf die Länge unhaltbar
fei. Als er im Dezember 1900 zum Ertraordinarius er-
nannt wurde und im Sanuar 1903 den Lehrauftrag für „all
gemeine Chirurgie” erhielt, verjuchte er Darum, eine dauernde
felbftändige Stellung im Spital dadurch zu gewinnen, daß
ihm neben der Leitung des bafteriologifchen Laboratoriums
eine Eleinere Spitalabteilung zur Beſorgung überlafien und
zugefichert würde. Und als dies fatutengemäß ihm nicht
fonnte bewilligt werden, blieb ihm nichts anderes übrig, als
fein bisheriges AUnftellungsverhältnis aufzuldjen und dem
Spitalpflegamt am 10. Februar 1903 fein Entlaffungsgefuch
einzureichen und fich der chirurgifchen Praris zuzumenden,
für die er durch eine achtzehnjährige Tätigkeit im Bürger:
Ipital, feine Unteraffiitentenjahre eingerechnet, allerdings vor-
züglich ausgebildet war.
Die erfte Vorausfegung hiezu aber war eine Privat-
klinik. Eigene und fremde Beobachtungen lberzeugten
ihn, daB durch Umbau eines Privathaufes nie ein allen
berechtigten Anforderungen genligendes Krankenhaus zu er-
reichen fei, und daß ein folcher Umbau Überdies finanziell
faum weniger Eoftipielig ausfalle, als ein zwedmäßiger Neu-
bau. Er entichloß fih daher im März 1903, einen folchen
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zu wagen, als gerade durch Todesfall ein außerordentlich
geeignetes Grundftüd in der Nähe feiner Privatwohnung
am Petersgraben Fäuflih wurde, ein Zeil des früheren
„Andlauerhofes". Nach feinen forafältigen Skizzen find die
Pläne für den Neubau von der Firma Romang & Ber:
noulli ausgearbeitet worden. Um fruchtbare Erfahrungen
für Einzelheiten des inneren Ausbaues und der zweckmäßigſten
modernen Einrihtung zu fammeln und zugleich noch etwas
von der Welt zu feben, unternahm er vom Auguſt bis zum
Oftober 1903 eine große Reife, welche ihn durch verfchiedene
Städte Deutichlands, Defterreihs, Rußlands, Schwedens,
Dänemarks und Hollands führte und ihm viel Gewinn und
Genuß bradte. Im Sommer 1903 wurde mit dem Yau der
Klinik begonnen, im Dftober 1904 der Betrieb eröffnet. Um
fie zu fichern vor allfälliger Schädigung Durch Neubauten
in der Nahbarfchaft, wurde 1911 noch ein anftoßendeg
Grundftüd erworben und in einen ftilvollen Garten um—
gewandelt, der von allen Inſaßen ſehr gefhäßt ward. Nach
einigen Jahren hatte die „Andlauerklinik“, wie fie genannt
wurde, einen guten Namen in der ganzen Schweiz. Zahl:
reiche Kollegen beſuchten fie, um fefte Richtpunkte für eigene -
Unternehmen zu befommen; mehrere Fopierten Haus und
Einrichtung ziemlich genau und ließen durch ihre Architekten
alles abzeichnen und ausmeflen.
Was aber diefem Snftitut die Anerkennung ſtets weiterer
Kreife erwarb und erhielt, war vor allem der Geift, welcher
die Behandlung und Pflege der Patienten durch das ge:
famte Anftaltsperfonal bejeelte, beim dirigierenden Arzt, wie
bei den Pflegerinnen und bei der Leiterin des Hausbaltes.
Haealer hatte bei Beobachtung der Rrankenfürforge in großen
öffentlichen und Heinen privaten Spitälern oft den depri:-
mierenden Eindrud, daß ihre moralifche Seite vielfach ver-
nachläffigt werde. Er äußerte fich darüber felber fo: „Der
Patient wird da nur eine Nummer; er ftellt nicht mehr eine
Sndividualität vor, fondern einen „Fall“. Und doch ift im
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Menſchenleben zu Feiner Zeit Die Hebung der Pfyche und
das Hervorheben und Pflegen der Individualität jo dringend
notwendig, wie in kranken Tagen. Die Degradierung zur
Nummer wird unterftüßt durch die fchablonenmäßige, Fritif-
loſe und nüchterne Art, in der befonders in chirurgiſchen Kli—
niken die Rrandenzimmer eingerichtet werden. „Aſeptiſch“
galt die Stube, wenn fie ganz kahl, mit grauer oder leicht
blau getönter Farbe geftrichen war, und wenn das ganze, in
der gleihen Farbe gehaltene Mobiliar aus. Glas und Eifen
beftand. Man glaubte unter folchen „ſtaubfreien“ Verhält—
niffen den Kranken am beiten gefhüst vor dem Hinzutreten
von Wundinfektionskfrankheiten; als ob, bei einiger Sorgfalt,
. je ein Kranker in feinem Bett infiziert würde, und die Ein-
Pflanzung von Wundinfektionskrankheiten fich nicht vielmehr
im Operationsjaal vollzöge! — Wenn etwas die Oberfläch-
lichkeit der Vorftelungen über Wundinfeftionen, das auto-
matenhafte Nachahmen von Einrichtungen, die einer Tchlechten
Verdauung von allgemein hirurgifchen Errungenfchaften ent:
ſprungen find, zeigen kann, fo ift es die Einrichtung von
Krankenzimmern in chirurgifchen Kliniken. Die Räume, wo
Menſchen ihre fchwerften Stunden verbringen müſſen, und
wo daher die Hebung ihrer Piyche befonders nötig wäre,
gleichen Gefängniszellen mehr, als Wohnräumen.
Wollte ich jelber Befriedigung haben von meiner Tätig:
feit, fo mußte mit diefer nüchternen Schablone radikal ge:
brochen werden. Gelbftverftändlich muß alles im Kranken:
haus den Eindrud großer Reinlichkeit machen. Aber wenn
man ein gutes Gewiflen bezüglich der Afeptif der Hände und
der Materialien im Operationsfaal bat, jo fteht der Aus:
Ihmüdung eines Krankenzimmers nichts entgegen.
Sn erfter Linie müflen fowohl das Haus, als auch die
Rrankenzimmer den Eindrud des Spitalmäßigen verlieren.
Schon das Haus bedarf äußerlich eines gewiſſen einfachen
Schmudes; jedenfalls muß es duch Architektonif, Farbe
oder Pflanzenfhmud einen beitern, lebensfrifchen Eindrud
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hervorrufen. Auch der Eingangshalle und den Gängen foll
der Charakter von forefältig und frohfinnig gehaltenen
Privaträumen gegeben werden. DBefonders aber muß das
Kranfenzimmer, gefhmadvol eingerichtet und deforiert, einem
privaten, individuellen Wohnraum gleichen.
Der leichteren Reinigung wegen habe ich auch in meiner
Klinik von Tapeten abgejehen und die Wände mit Delfarbe
geftrichen, und zwar matt, damit nicht der Glanz die Augen
beleidigt. Die Farben waren aber bunt, in allen, auch den
lebhafteften Nüancen, ohne daß fich je ein Kranker über die
Buntheit beklagt hätte. Um bei den Patienten den Ein-
drud des Eigenen zu erhöhen, war jede Stube in Farbe und
Dekoration von den andern verfchieden. Bilder in einfachen
Rahmen fhmüdten die Wände; fie flören die Reinlichkeit
nicht, erhöhen aber erheblih die Wohnlichkeit und, darf
wohl beigefügt werden, befchäftigen in wohltätiger Weiſe
Gedanken und Einbildungstraft der Refonvaleszenten. So
babe ich in den Gängen und den Kranfenzimmern über zwei—
hundert, zum Zeil recht gute Bilder aufgehängt. Auf das
Mobiliar wurde eine befondere Sorofalt gelegt. Von dem
„aleptifchen" Prinzip, Eifen und Glas, babe ich in den
meiften Zimmern abgefehen, auch für die Betten. Hierzu:
lande find die Leute an Holzbetten gewöhnt, die fie gemüt-
licher und wärmer finden, als die Eifenbetten. Die meiften
meiner Kranfenzimmer erhielten daher Holzbetten, die, aus
edleren Holzarten bergeftellt, glatt gebohnt, mindeftens fo
gut zu reinigen waren, als die eifernen. Blumen durften
in den KRranfenftuben nie fehlen; fie haben den Kranken jchon
begrüßt, wenn er die Stube betrat. Die Sorgfalt muß fi
ſelbſt auf die Kleinigkeiten ausdehnen, auch Blumenvaſen
und Waſchtiſchgeſchirr z. DB. dürfen den Geſchmack nicht ver-
legen. Eine Solche Klinik darf nicht der Ort fein, wo die
ausrangierten Gegenftände der Privatwohnung Verwendung
finden; für den Kranken ift das Schönfte und Beſte gut ge:
nug. Das Efien foll befonders fauber und. appetitlich auf
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einfach, aber ftilvoll deforiertem Geſchirr aufgetragen werden,
genau fo wie im Reftaurant des beften Hotels.
Ich aebe zu, daß diefe Maßnahmen zum Teil auch
meinen eigenen äfthetifchen Bedürfnifien Rechnung trugen.
Sch wußte aber, daß das äſthetiſche Empfinden nie fo leicht
verleglich ift, wie in Franken Tagen, wo die Moral darnieder-
liegt, und ich weiß, daß ich mit diefen, fcheinbar unwejentlichen
AHeußerlichkeiten vielen Rranfen fchwere Stunden babe tragen
belfen. |
Wie die Einrichtung, jo mußte auch der Vetrieb dem
Andividualitätsgefühl des Kranken Rechnung tragen und es
heben, foweit dies möglich war. Dazu gehört vor allem ein
genügendes und tüchtiges Wartperfonal, fo daß der Patient
nie den Eindrud des Verlaſſenſeins hat. Mein Prinzip,
nur Wartperfonal aus den befiern Ständen zu bejchäftigen,
hatte verfchiedene Gründe. Wenn fih Damen zur Kranken:
pflege entjchließen, fo fpielt Dabei das Intereſſe die Haupt:
rolle; denn bei andern Berufen, die weniger mühevoll find
und vielleicht auch weniger allgemeine Kenntniſſe erfordern,
ift die Bezahlung eine befiere, als in der Krankenpflege.
Schweftern aus den befleren, gebildeten Ständen haben für
die Geelenregungen und für alle Bedürfniſſe der zum Teil
verwöhnten Kranken ein größeres Perftändnis, als Un—
gebildete, und Eünnen Wünſche und Bedürfniſſe auch ohne
Wort erraten. Bei Perfonal und Arzt muß der Kranke den
Eindrud haben, daß er im Mittelpunkt des Intereſſes ftebe,
daß er die Aufmerffamkeit feiner Umgebung in erhöhten
Grade wahrufe.. So wirken Nachtbefuhe von feiten des
Arztes auf die Pſyche von Kranken, welche leiden, oft
Wunder. Diefe Hebung der Pfyche, die Pflege des In—
dDividualitätsgefühls durch alle möglichen Mittel ift aber
meines Erachtens ein wichtiger Teil der Therapie und ein
nicht zu unterfchägender Heilfaftor. Die dankbare Anhäng—
lichkeit meiner Patienten hat mir gezeigt, daß ich auf dem
rehten Wege war.
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Ich hatte das Glüd, ein vorzügliches Perfonal um mich
zu gruppieren, fodaß in der Klinik neben einem edlen Wett-
eifer ein felten frober Geift berrichte, und die Arbeit, aud)
wenn fie anftrengend war und viel Abnegation erforderte,
zu einer rechten Freude wurde.”
Sn dDiefem Sinne baute und beforgte Haealer feine
Klinik. Don der erften Zeit ihres Beſtandes an ftand ihm
eine Schwägerin tatkräftig zur Seite, welche ihren Gatten
plößlich infolge eines Unfalles verloren hatte und nun in
folcher regelmäßigen und bingebenden Arbeit innere Be—
ruhigung und Befriedigung fand. Sie beforgte die Poli:
Einik, welche Haegler eingerichtet hatte, um ſtets Material
für feine Kurſe zu haben; fie affiftierte oder inftrumentierte
bei Operationen, half und legte Hand an, wo e3 nötig war.
Da er die ganze ärztliche Arbeit nicht allein bewältigen
fonnte und während allfälliger Abweſenheit einen Gtell-
vertreter brauchte, half ihm ein chirurgifh ausgebildeter
Alfiftent, der in der Nähe der Klinik wohnte und daneben
in befchränttem Maße eigene Privatpraris ausüben konnte.
Sn den erften fünf Jahren hatte Dr. Achilles Müller die
Stellung inne, fpäter, bis zur Liquidation der Klinik,
Dr. Hans Meerwein. Befriedigung fand Haegler auch in
der Ausbildung von Krankenpflegerinnen. Es waren ftets
zwei oder drei „Lehrſchweſtern“ im Haufe, welche praftifche
Anleitung durch die Oberin und die Stationsfchweitern er:
hielten, theoretifche in Rurfen, welche der Chef felber oder
fein Alfiftent erteilten. Die Lehrzeit betrug ein Jahr. Nach
gründlihem Eramen erhielt die Schwefter ein Zeugnis über
ihre Befähigung, auf Grund deflen fie leicht in andern In—
ftituten Anftellung finden Eonnte.
Große Genugtuung verfchaffte dem Leiter der Alinit,
daß ein von Verwandten und dankbaren Patienten ge:
ftifteter und gemehrter „Zreibettenfonds” ihm ermöglichte,
Bedürftige unentgeltlich aufzunehmen und nötigenfalls mit
zwedmäßigen Apparaten zu verfehen. Eine unjchäßbare Er-
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leichterung des Klinikbetriebes wurde ihm zuteil durch Die
bochherzige Schenkung eines Automobiles, das, nach feiner
Idee Eonftruiert, den fchnellften und jchonendften Kranken:
transport ermöglichte und zugleich mit Leichtigkeit fo um-
zugeftalten war, daß es auch zu privaten Spazierfahrten
dienen konnte, das Nützliche und das Ungenehme verbindend.
Diefe etwas ausführlihe Darftellung der Einrichtung
und Entwidlung der „Andlauerklinik“ mag ihre Entichul-
digung darin finden, daß fie für Haegler eben fein Hauptf-
lebenswerk und feine Lebensfreude gewejen ift.
Was feiner Wirkſamkeit die höchfte und allgemeinfte An-
erfennung verfchaffte und eine einzigartige Bedeutung weit
über Baſels Bannkreis hinaus, das war eben die Urt und
Weife, wie er diefe feine Privatklinik führte mit unbegrenzter
Treue und Hingebung und mit wachjendem Erfolg. Ohne fie
wäre feine Perfönlichkeit undenkbar, und von feinem fonftigen
Wirken kaum viel zu jagen. Denn feine afademifche Tätig:
feit (mit offiziellem Lehrauftrag für „allgemeine Chirurgie”
feit 1903 und für „Unfallmedizin” feit 1913), welche
von der mediziniihen Fakultät und von allen Nachfolgern .
auf Socins chirurgiſchem Lehrftuhl gefchäßt und Hfters
ausdrüdlich anerfannt wurde, blieb feiner Schwerhörigfeit
wegen auf die eines Ertraordinarius befchränft, obgleich
feine Rollegen ihn ftets als gleichgeftellt refpeftierten und be-
bandelten und ihm gelegentlich ihre Stellvertretung in der
birurgifchen Klinik des Bürgerſpitals Üübertrugen, und auch
die Studenten feine wiflenfchaftliche Zuverläſſigkeit, wie feine
Lehrgabe und die Klarheit feiner Darftelung zu würdigen
wußten. Von ausgedehnter fchriftftellerifcher Arbeit aber
hielt ihn die anftrengende gewifienhafte Arbeit in feiner
Privatklinit ab, fowie der Umſtand, daß eine wiflenfchaft-
liche Stage, deren Löfung er einmal gefunden hatte, ihn
nachher nicht mehr genügend feflelte, um ihn zu zeitraubender,
jorgfältig abgerundeter Darftellung zu bewegen; lieber ging
er fofort wieder neuen Fragen nah. Strebertum lag ihm
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fern. Titel und äußere Ehren reizten ihn nicht; innere Be—
friedigung und Unabhängigkeit waren ihm die Hauptfache.
Man mag unter Sahverftändigen bedauern, daß darum
manch eine Publikation unterblieb, für welche das Material
ihm zur Verfügung fland, und welche vielleicht von Wert
gewefen wäre. Immerhin hat er außer feinem Buche über
„Händereinigung und Händefchug” (1900) eine Reihe von
etwa 55 EHeineren Arbeiten gelegentlih in Vorträgen und
Fachzeitſchriften veröffentlicht, befonders über Tetanus, über
Wundinfeltion und Wundbehandlung, und etwa acht
publizierte Schülerarbeiten find unter feiner Anregung und
Auffiht entftanden. Ihre Aufzählung mag in einem all-
fälligen wiflenfchaftlihen Nachruf für Fachgenoſſen am
Platze fein; hier aber verzichten wir darauf.
Die Tätigkeit in feiner chirurgiſchen Privatklinif war
und blieb demnah bis an fein Ende feine Hauptleiftung.
Hier kam feine DPerfönlichkeit zur charafteriftifchen Ent-
faltung, nach ihrer wiſſenſchaftlichen und technifchen Be—
fähigung, wie nad) ihrer moralifchen Kraft. Er felber ſagte,
darauf zurüdblidend: „Jedenfalls hat mir die Klinik in über:
reihem Maße das gejchenkt, was ich von ihr erhofft babe:
innere Befriedigung, Anerkennung durh die Patienten,
Anhänglichkeit des Perfonals und ausreichenden materiellen
Erfolg. Ein Stachel im ZFleifche blieb mir allerdings die
Unmöglichkeit, meine wiflenfchaftlide Laboratoriumsarbeit
weiterzuführen. Die große innere Ruhe und das Glüd des
Forſchens, wie ich es im Laboratorium genoflen hatte, habe
ich durch die Praris nicht im gleihen Maß gefunden.”
Seine fortwährende Snanfpruchnahme dur die Berufs:
arbeit brachte es mit fih, daß er feiner eigenen Familie fi)
nicht fo widmen konnte, wie er es gewünfcht hätte, zu feinem
eigenen Bedauern, denn er befaß einen, zum Teil fchon
ererbten ſtarken Familienfinn. Porerft eine tiefe Anbänglich-
feit an Eltern und Gejchwifter. In den Aufzeichnungen aus
feinen Rrankheitstagen, da er unfreiwillige Muße im Lleber-
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fluß fand zu befchaulidem Rüdblid auf feine Vergangenheit
und zu pbilofophierender Zeraliederung aller Lebens:
erſcheinungen, wie fie ihm Bedürfnis war, fagt er: „Wenn
ich jet zurüdjehe, fo wird mir Har, daß die ftärkften und
folideften Bande unter YBlutsverwandten beftehen. Dabei
ift es nicht das gemeinfame Blut oder die ähnliche pſychiſche
Organifation, was ihre Feftigfeit bedingt, es find vielmehr
die gemeinfamen Erinnerungen. Ich fage ausdrüdlich
Erinnerungen, nicht etwa Erlebniſſe. Denn es koͤnnen
Menſchen zehn Fahre neben einander leben, ohne daß ihre
gemeinfamen Erlebniffe fih zu Erinnerungen FEriftallifieren,
weil der Eindrud diefer Erlebniffe nicht tief genug war.
Sm Kindesalter ift das Gehirn am meiften aufnahmsfähig;
die Eindrüde find am ftärkften, und außerdem lieat auf ihnen
der Zugendzauber. Ge zahlreicher und je tiefer diefe Erleb-
niffe find, je mehr die CEreigniffe, welche die Erinnerung
wiedergibt, für die Entwidlung eine Rolle fpielen, defto
ſtärker und dauerhafter find jene Bande. Deswegen jind
die Bande der Blutsverwandtfchaft die folideiten.”
Run, die Betätigung feiner Sohnes- und Bruderliebe
hat unter feiner Berufsarbeit nicht leiden müſſen. Perio-
difche regelmäßige Zuſammenkünfte aller Familienglieder zu
gemeinfamer Mahlzeit und vertraulihem Gedantenaustaufch
verfäumte er jelten; nach des Vaters Tod empfand er’s als
feine Pflicht, fie nicht eingehen und die Geſchwiſter nicht
auseinandergehen zu laflen. Und die gelegentliche gegen-
feitige Hilfeleiftung mit Rat und Tat, die aufrichtigfte
gegenfeitige Teilnahme in Freud und Leid hat nie verfagt,
sebend und empfangend, bis an fein Ende.
Dagegen bedrüdte ihn öfters das Gefühl, daß er, feiner
Berufsarbeit wegen, mit feinen Rindern, drei Söhnen und
einer Tochter, fih nicht jo einläßlich befchäftigen Eonnte, wie
er's gewünfcht hätte. Seine anfangs ideale Häuslichkeit
wurde überdies durch Krankfein feiner Frau vielfach geftört;
die Kinder mußten zum Teil auswärts erzogen werden, und
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das alles erfchwerte ihm vollends einen intenfiveren direkten
Einfluß auf ihre Entwidlung. Er nüßte gerne nah) Mög—
Lichleit befonders die Ferienzeiten aus, um auf gemeinjamen
Wanderungen und Reifen feinen Zungen aud innerlich
näher zu fommen. Und im Jahre 1909 erwarb er fih in
Egerten bei Wollbah im badifchen Schwarzwald ein kleines
Landhaus, das der Familie als leicht erreichbare ftille
Zuflushtsftätte dienen follte. Während feiner langen Krank:
beit hat er fchließlich fih noch ganz befonders bemüht, jedem
einzelnen feiner Rinder durch Wort und eigenes Beifpiel
heilfame Eindrüde und Anregungen zu binterlaffen.
Was ihm über die zahllojfen Trübſale und Sorgen hin—
überhalf, war, neben dem energifhen Willen, obaufiegen, und
neben der verftändnispollen Teilnahme und Hilfe feiner An—
verwandten, auch der Familie feiner Frau, die raftlofe Tätig:
feit in feiner Klinik. Hier fühlte er fich in feinem Element,
und kam feine Seele immer wieder in Gleichgewicht und
Ruhe. Heberdies fand er, bei vielfeitiger Begabung, immer
wieder ein Interefle an Dingen, welche außerhalb feines
Berufsfreifes und Alltagslebens Tagen. Er pflegte folche
Sntereffen mit Abſicht; nicht nur weil es feinen Neigungen
entiprach, fondern weil er Davon eine wohltätige Erfrifchung
feines Geelenlebens verfpürte, eine Stärkung der Spanntraft
zur Wiederaufnahme des ihm verordneten Kampfes. Er
empfand oft wirkliche Lebensfreude, welche aus Depreffionen
ihm beraushalf, fo daß er ein anregender und unterbaltender
Gefellichafter fein fonnte und für feine Patienten aus den
mannigfaltiogften Gefellfchaftskreifen ein verftändnispoller und
willfommener Arzt, weil er in ihre Gedantenwelt einzugehen
wußte, als Menſch ihnen ſympathiſch war und ſchon Durch
feinen Umgang wohltuend und ermunternd auf ihr Gemüts⸗
leben einwirkte, den Lebenswillen anregend.
Bor allem war und blieb ihm das Wandern im Ge:
birge eine eigentlihe Erfriſchung. Bon Zeit zu Seit, und
gerade wenn depreffive Momente fich geltend machten, über-
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fiel ihn ein faft krankhaftes Heimweh nach den Bergen. Noch
auf feinem Todbette reiste es ihn, eine Erklärung dafür zu
fuchen, und er fchrieb darüber: „Was zog mich denn fo zu
den Bergen hin? Der Genuß des Landfchaftsbildes fpielte
natürlich eine Rolle; aber in den Bergen empfand ich dieſen
Genuß für ih allein kaum intenfiver als im Tal. Es fällt
dabei allerdings ins Gewicht, daß in den Bergen der Natur-
genuß erfämpft werden muß. Eine Berabefteigung ift immer
ein Eramen, das man fich felber ablegt zur Meflung feiner
förperlichen Kraft und Elaftizität, der Ausdauer gegenüber
äußeren Schwierigkeiten und Widerwärtigkeiten, des Ver—
zichtenfönnens auf ungehbemmte Befriedigung von zum Teil
eingebildeten Förperlichen Bedürfniffen. Das Bewußtſein
einer intakten Förperlichen Leiſtungsfähigkeit und einer weit-
reichenden Willenskraft macht froh und wirkt wie ein Zung-
brunnen. Zweifellos war dies imftande, den Zug zu den
Bergen einigermaßen zu erklären, es genügte aber nicht.
Smmer mehr lernte ich erfennen, daß bei mir ein anderes
Moment noch wefentlicher war: das Große, Unmeßbare
wirfte reinigend auf das Gemüt. Angefichts der unbeichreib-
lichen, fait erdrüdenden Pracht und Majeftät der Hochgebirgs-
welt wurde ich von vielen Schladen gereinigt, und immer
mehr fiel das Kleinliche von mir ab. Ich lernte wieder
größer und ruhiger denken; die meiften meiner Sorgen er:
Ihienen mir nichtig und unbedeutend, und ich merkte, daß ich
von den Bergen nicht nur erfreut und erfüllt von all diefen
Schönheiten, fondern auch befler ins Tal bernieder fam. Die
Stimmung war für mich deshalb meift feierlich, wie ich fie
in einer Kirche empfand, und ich war mir bewußt, daß ich in
den Bergen nicht nur äußerlich, fondern auch innerlich Gott
näher geftanden bin. Sehr wohltuend wirkte dabei das Ge-
fühl des Alleinſeins; lärmende Unterhaltung empfand ich als
förend. Die große Stille und die Einfamleit gehören dazu
für den, der den Zauber des Hochgebirges ganz empfinden
will.“
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Eigentliche Rekordleiftungen beabfichtigte Haegler nicht;
Doch hat er eine Reihe von recht anfehnlihen Befteigungen
ausgeführt, und es war ihm feine geringe Genugtuung, daß
er bis zum Beginn feiner Krankheit leiftungsfähiger war
nicht nur als Gleichaltrige, fondern auch als Züngere, ohne
daß ihn je Ermüdung um den Genuß feiner Wanderungen
gebracht hätte. Am meiften Eindprud hat ihm immer das
Engadin gemacht, und zwar fowohl im Sommer-, wie im
Winterfleid.
Seiner Erholung dienten ferner von jeber die ver-
Ichiedenften fportlichen VBetätigungen: Turnen, Fechten, Foot:
ball, Cridet, Lawn Tennis, Reiten. Allſeitigſte Ausbildung
aller leiblichen und geiftigen Fähigkeiten galt ihm als menſch—
liches Ideal. So pflegte er, befonders während feiner Ge-
meinſchaft mit Prof. Socin, au mit Eifer und gutem Er—
folg die Jagd auf allen Gebieten, indem er öfters von
Sreunden und DBelannten in ihre Jagdreviere eingeladen
wurde, felbft zur Hochwildjagd in den Alpen. In welchem
Sinne er auch diefem Sport oblag, zeigen einige feiner
Weußerungen, welche hier wohl eine Stelle finden dürfen.
„Am ſchönſten erfchien mir die Pirfh auf den NRehbod.
Auch da war Übrigens die Genugtuung nicht abhängig von
der Beute. WUllerdings wenn nah einem längeren Pirſch—
gang, oder nach einem ſchwierigen Vefchleichen des Wildes
der Schuß abgegeben wird, und der Bod im Feuer zufammen-
bricht, fo fchwellt ein Gefühl des Iriumphes die Bruſt; aber
im allgemeinen war für mich die „Vorfreude” faft größer:
das unter Umſtänden fchwierige Aufluchen des Wildes in
allen feinen Schlupfwinfeln, das Beobachten des Tierlebens
und nicht zuleßt der Naturgenuß, der damit verbunden ift.
Es beichleicht einen ein feierliches Gefühl, wenn man leiſe
durh den ftillen, menfcheneinfamen Wald wandert mit
ſpähenden Augen, welche ſchärfer find für die Vegetation und
für das reiche Tierleben, als bei gewöhnlichen Spaziergängen.
Wenn dann langfam der Abend einfällt, und die Nacht mit
24
ihren erften Schatten alle harten Ronturen verwifcht, fo über:
fommt einen das Gefühl einer Ruhe, wie ich fie fonft nur im
Hochgebirge empfunden habe.“
Oder: „Als ich oberhalb von Langen am Arlberg an
einem prächtigen Morgen in Iuftiger Höhe auf einer Fels-
zade ſaß und einen Gemsbod erwartete, der mir von unten
hätte follen zugetrieben werden, erhob fich faum ſechzig Meter
von mir aus den Felſen ein WUdlerpaar. DReflektoriich lag
eine Sekunde fpäter die Büchfe an der Wange. Der Adler
ſchwebte mehrere Minuten lang über mir; ich jah jede Einzel:
heit genau, hauptfächlich auch die ſcharfen Augen, mit denen
er mich längere Zeit mufterte. Immer noch zielte ich, und
der Schuß wäre bei diefer Nähe ein leichter geweſen. Sch
Datte aber nicht den Mut, loszudrüden, das Bild war fo
groß und ergreifend, daß ich es nicht Über das Herz gebracht
hätte, duch einen Schuß den mächtigen Eindrud zu flören
oder zu verkürzen.”
Den größten und eindrüdlichften Genuß empfing Haegler
vom Skiſport, den er erft im März 1906 kennen lernte, als
der ihm befreundete Prof. Kilian ihn einlud, die Faſtnacht—
Zerientage mit ihm auf dem Feldberg zuzubringen. Mit der
ihm eigenen Begeifterung erfaßte er fofort den Reiz dieſer
Runft und ließ nicht nah, bis er, troß feiner Jahre, fie fo
weit beberrichte, daß fie ihm Genuß bot, und er hinfort jede
Gelegenheit und freie Zeit benüßte, ſich denfelben zu ver:
Ihaffen. „Einen einzigartigen Zauber hat das Hochgebirge”,
— jagt er — „mit feinen ungebeuren Schneemaflen, mit feiner
Winterfonne, die alle Farben verftärft und der Landfchaft
eine feſtliche Note gibt, die tüchtig wärmt und Doch nicht be—
läftiot. Und wie anregend wirkt die reine, flaubfreie Luft!
Dabei die weiche, gleitende Fortbewegung auf den Sfis,
ohne Erſchütterung, wie fie harte Schritte bei Sommer:
wanderungen hervorrufen! Erft mit den Sfis ift das winter:
liche Hochgebirge erjchloffen worden. Wie herrlich ift es, in
ſtillen Tälern oder auf Höhen durch die unberührte Schnee:
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Dede die erfte Spur zu ziehen! Nie babe ich das Einsfein
mit der Natur fo Föftlich empfunden, wie in folchen Stunden;
aber auch nie fo das Erhabenfein über alle Trivialität, über
das Abgenützte, Geringe, Niedrige. Und endlich die Wonnen
der Abfahrt, mit dem Eindrud des Fliegens, des feligen Los—
gelöftfeins von aller Erdenfchwerel — Neben den großen
Fahrten den Höhen zu, von denen man in Eöftlichen langen
Abfahrten jauchzend wieder dem Tal zufliegt, gehören zu
den fchönften Erinnerungen Heine WUbendfahrten, zum Teil
durch den Hochwald, wo man, felber ſchon im Dunkel ſtehend,
zwifchen den Stämmen die von den lebten Sonnenftrahlen
farbig beleuchteten Schneefpigen durchſchimmern fieht, während
im Tal, wo ſchon die Schatten des Abends liegen, ein Licht:
lein nah dem andern aufblißt und aus der gleichmäßigen
weißen Dede befonders lebhaft leuchtet. Und fchließlich die
Abfahrt mit all dem Zauber der Heberrafchungen, die abend-
lich verwifchte Terrainwellen ſchaffen!“
Uebrigens fühlte er fich jeweilen Durch einige Tage folchen
Winterfportes nicht nur feelifch gehoben, fondern auch
förperlich und geiftig beſſer erholt, als durch längere „Sommer:
ferien”, wohl bauptfächlich dank der reinen Luft und dem
Einfluß der Sonne.
Das poefievolle Empfinden und die fichere plaftifche Dar-
ftelung, wie fie in derartigen Schilderungen fich Fundtun,
zeigen wohl, daß Haealer jelber eine Fünftlerifche Begabung
befaß. Sn jüngeren Jahren bat er gelegentlich in dDeforativen
Zeichnungen und Heineren Dichtungen fih mit Gefchid ver:
ſucht. Als er meinte, feines Gebörleidens wegen von der
medizinischen Laufbahn abgehen, zu müſſen, dachte er etwa
daran, Goldfcehmied werden zu wollen. Später aber, als er
in feinem Berufe feftgewurzelt war, fpürte er, daß diefer feine
volle Kraft fordere, und verzichtete auf eigene künſtleriſche
Produktion. Doch blieb ihm die rezepfive Freude an der
Runft bis ans Ende eigen, fo ſehr, daß er noch auf feinem
Todbette den höchſten Genuß darin fand, für Andere Heine
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Kunſtwerke als Andenken nad feinen Ideen anfertigen zu
laſſen.
Er hatte Verſtändnis für die verſchiedenen Küunſte. Mit
Dichtung und Literatur, auch franzöfifcher, blieb er vertraut.
Den Genuß der Muſik verfchloß ihm zu feinem Bedauern
die Schwerbörigfeit immer mehr. Im fo Teidenfchaftlicher
liebte er die bildende Runft. Er erwarb fich auf diefem Ge:
biete durch eigene Beobachtung und Beſuch der Gemälde:
fammlungen und Mufeen auf feinen mehrfachen, zum Zeil
ausgedehnten Reifen, wie durh Sammlung und Studium
aller einfchlägigen Publikationen ein beftimmtes und jelb-
Händiges Urteil, das er gerne begründete und rechtfertigte in
dDozierendem Vortrag, wie es feiner Neigung, feiner philo-
fophierenden Denkweiſe, feinem durch die Schwerhörigfeit ge:
fteigerten Snnenleben entſprach. Auf Einzelnes einzugehen,
würde bier zu weit führen.
Er liebte den Umgang mit Künftlern. „Es ift über-
haupt auffällig,” — fchreibt er, — „wie die Mediziner mehr,
als Angehörige anderer Berufe, Neigung haben, mit den
Künftlern zu verkehren. Bei den gemütlichen Zuſammen—
fünften der Künftlergefellfchaft Eonnte es vorkommen, daß ein
Drittel der Anweſenden und weitaus der arößte Zeil der
Gäfte überhaupt Mediziner waren. Die Erklärung für diefe
intereflante Tatſache fcheint mir in Folgendem zu liegen.
Wenn einer, jo muß der Mediziner außer feiner Runft oder
feinem Beruf einen Eeinen Tempel in feinem Innern haben,
wohin er fih von feiner Verufsarbeit zurüdziehen und wo er
fih erholen fann. Es gibt ja allerdings Mediziner, die reft-
los in ihrem Beruf aufgehen. Daß folche Aerzte oder ärzt-
liche Lehrer die beiten Fachleute fein können, fogar fein
müfjen, weil fie von ihrem Berufsweg auch nicht Durch die
Heinfte Ablenkung abgezogen werden, ift zweifellos. Ich
zweifle aber daran, ob diefe Männer wirklich gute Aerzte fein
können im umfaflenden Sinn diefes Wortes. Es gehört
etwas Phantafie und Menjchenliebe dazu; es gehört dazu
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der Trieb, fih in die Gedankenwelt, in die Weſensart der
Andern hineinzuverfeßen, und dies lettere ift wohl die Grund:
bedingung für einen guten Arzt. Dabei ift es denn nicht ver:
wunderlih, daß die mit Phantafie begabten Mediziner
hauptfächlich bei den Künſtlern und fpeziell bei den bildenden
Künftlern ihre Erholung fuchen. Füllt doch beide auh in
ihrem Beruf das Menfhlihe aus mit all feinen Licht: und
Schattenfeiten.”
Am enoften fchloß er fih an den Maler Hans Sandreuter
an. Mit ihm reifte er im Frühjahr 1896 nach Florenz, im Auf:
trag des Komites für die auf den Herbft projeltierte Bödlin-
Seier, um Böcklin zu derfelben einzuladen. Sandreuter be-
zwedte ferner, diefen zu porträtieren zur Herftellung einer
Medaille. „Unvergehlihe Tage“, fchreibt Haegler, „haben
wir dort verlebt. Wir wohnten in Florenz, zogen aber meift
fchon morgens zur Böcklin'ſchen Villa in Fiefole und haben
öfters den ganzen Tag dort zugebracht, plaudernd, Boccia
ipielend oder Spaziergänge machend .. ... Vöcklin hatte
damals feine Apoplerie hinter fich und ging wegen einer par:
tielen Lähmung des Tinten Beines etwas unbeholfen; ift
aber dabei Doch genau der Inorrige Schweizer geblieben, der
er vorher war, und der nicht den geringften Eingriff in feine
Selbſtändigkeit duldete. Es ärgerte ihn, wenn man, um ihm
die Mühe zu erfparen, ihm den Boccia-Ball aufhob, oder
durch irgend ein Wort oder eine Hilfeleiftung fein Alter oder
feine Invalidität zu berüdfichtigen ſchien. Lange und oft
verweilten wir in feinem Atelier, das vollftändig kahl war,
mit grauem Papier ausgefchlagen, ohne Schmud, ohne Bilder,
ohne Skizzen, kurz, ganz leer bis auf einen Glasſchrank, wo
er in Heinen Fläfchchen feine Temperafarben aufbewahtrte.
Mit Stolz wies er Sandreuter drei neue Erdfarben vor, die
er in der leßten Zeit gefunden hatte, und wohl eine Stunde
lang demonftrierte er den Effekt diefer Farben in verfchiedener
Dide, oder in ihrem Verhältnis andern Farben gegenüber.
Längere Zeit debattierten die Beiden auch über die befte
28
Mifchung der Temperafarben, ob Eiweiß und Eigelb, oder
nur das eine den Farben beigemifcht werden fol. Auf einigen
Staffeleien fab man angefangene Bilder: einen Pan, der
in der Sonne auf einem grünen Hügel figend die Nymphen
des Waldes anlodt;, einen rafenden Roland, wie er nadt mit
einem Baumftamm fi der Philifter erwehrt; die große Faf-
fung der apokalpptifchen Reiter. An einem Geftell hing
Zaumzeug für ein Pferd, das einzige Requifit, das er für
die apofalyptifchen Reiter brauchte. Sm übrigen malte er
alles aus dem Gedächtnis; ich fah ihn felber auf dem Ro-
land-Bild zwei Köpfe malen. . . . . Wenn man das Wefen
Böcklins, fpeziell auch das der fpäteren Zeit, wo neben dem
Ausgeglichenen, Abgeklärten, aber immer Lebenbejahenvden,
der gefunde Humor einen guten Pla einnimmt, überfieht,
fo fann man, bei genauerer Kenntnis feiner überaus kom—
plizierten und fchwierigen Familienverhältnifie, faum ver-
kleben, wie er die nötige Ruhe und das feelifche Gleichgewicht
gefunden hat, um fo malen zu können. Meine Beobachtungen
in Florenz gaben mir die Erflärung. In Boöcklin lebten zwei
Menſchen: der Menſch in gejelichaftlihem Sinne und der
Künftler. Der letztere war der mächtigere. Die Heinften
fünftlerifchen oder äfthetiihen Reize genligten, um ihm das
Reich der Phantafie oder der Kunſt zu öffnen, zu dem der
Geſellſchaftsmenſch mit feinen Sorgen feinen Zutritt hatte.
Ich habe mehrmals bemerkt, wie er’s vermochte, fih von
allem, auch von den Menfchen, die neben ihm faßen, von einem
Augenblid zum andern abzufchließen und alles verfinfen zu
lafien, was ihn im Reiche feiner Phantafie flörte..... .
Wenn wir abends im Garten faßen und auf Slorenz hin:
unterblidten, ſo konnte er mitten in einem Sat ftill werden;
er Ihien irgend eine Stelle im Tal oder am Horizont zu
ftudieren und war fo verfunfen, daß er der Anrede nicht
achtete, bis er plößlich fich wieder am Geſpräch beteiligte. —
Schon äußerlich war er ein Menſch, den man nicht überfehen
fonnte. Er hatte einen der mächtigſten Röpfe, denen ich be-
29
gegnet bin, mit einem Gefiht wie aus Holz gefchnigt, klaren
blauen Augen, von denen man, wenn fie einen trafen, den
Eindrud hatte, daß fie durch und durch fehen. Das Geficht
behielt auch im Geſpräch das monumental Ernfte; aber felber
vol Humor, war er auch für den Humor Underer fehr zu-
gänglich und quittierte mit einem Elangvollen furzen Lachen.
ae Er felber und das Leben dort haben mir einen tiefen
Eindrud gemadt.... Mit einem Gefühl großer Be—
reicherung habe ih Florenz verlaflen.”
Biel Genuß und Förderung verdantte Haegler au
feinen Reifen. Er hatte den Eindrud, daß durch die Kenntnis
des Lebens der verfchiedenen Völker nicht nur das Snterefle
für diefe geftärkt werde, fo daß man bei Zeitungs: und Buch:
Lektüre oder bei mündlichen Berichten fih in allen erwähnten
Gegenden mehr oder weniger daheim fühle, fondern daß man
durch ſolche Reifen auch die Leiftungen anderer Völker befler
werten, die Verhältniffe zu Haufe wieder richtiger einſchätzen
und jedenfalls großzügiger denken und urteilen lerne.
So war Haegler eine charakftervolle, vieljeitige Perfdn-
lichkeit geworden. Als Arzt imponierte er durch fein wohl-
erwogenes, klares und beitimmtes Urteil; beruhigte durch
felbftbewußtes, ficheres Auftreten; erwedte Vertrauen durch
fein bloßes Erfcheinen am SKranfenbett, wohlwollende Zeil-
nahme und größte Gewiflenhaftigkeit, wie bei der Operation,
fo auch bei der Nachbehandlung der Patienten. Als geiftig
lebendiger und gebildeter Menſch war er im Umgang über:
haupt anregend und belebend. Er war e3 geworden, mit
Willen und durch energifchen Kampf gegen größere und
Heinere Widerftände und Hindernifle, tägliche Widerwärtig:
keiten und deprimierende Erlebniſſe. Dabei fam ihm aller:
dings feine, von Natur und durch Selbftdisziplin ftarke körper⸗
liche Gefundheit und Leiftungsfähigkeit ſehr zu ftatten.
KRörperfchädigungen durch Unfälle bat er zwar oft erlitten,
doch meift überwunden ohne fich zu Bette zu legen und feine
Berufsarbeit zu unterbrechen.
30
Da zeigten fi im Herbſt 1913 die Anfänge des Leidens,
welches ihn zum Tode führen follte. Er fträubte fich zu-
nächft, ihnen Bedeutung beizulegen. Als fie ih im Frühling
1914, wie er meinte infolge einer Influenza, verftärkten, fon-
fultierte er im Zuli einen Kollegen, der das Leiden für ein
gutartiges, aber recht langwieriges erflärte. Dann fam der
Krieg, und die erhöhte Tätigkeit, welche dieſer für ihn mit
fih brachte, ließ ihn die Störungen vergeflen oder nicht be-
achten. Schmerzen und Beſchwerden fteigerten fih jedoch
und wurden bald fo charakteriftifch, daß er im Oktober 1914
an der Diagnofe eines Proftatacarcinoms feinen Zweifel mehr
haben konnte. Angefichts der üblen Prognofe auch bei opera:
tiver Therapie, ſah er von einem operativen Eingriff ab.
Andrerfeits wußte er, Daß das Leiden von fehr langer Dauer
fei, und fette alles daran, es feinen Angehörigen jolange als
irgend möglich zu verheimlichen, weil fie in jedem Falle noch
lange genug darunter würden zu leiden haben. Wollte er
feiner Tätigkeit weiter nachgeben, jo mußte auch dem Publi-
tum verborgen bleiben, daß er krank fei. Die inneren Kämpfe,
welche die Erkenntnis feines baldigen Todes mit fich brachte,
bat die damalige große Zeit ihm erleichtert. Wie viele
junge, leiftungsfähige Menfchen gaben ihr Leben hin für
ideelle Güter! Wie viele ſah er in den Lazaretten Eörperlich
ſchwer leiden oder zu Krüppeln werden, ohne daß fie davon
viel Aufhebens machten! Durfte er, angefihts diefer großen
moraliſchen Kraft, die er überall fand, über fein Schickſal
jammern oder den Mut verlieren?! — „Und wie ift mir”,
— fagte er, — „Über diefe fchwere erfte Zeit, big der mo-
ralifche innere Rampf durchgelämpft war, binweggeholfen
worden! Mein Affiftent war mobilifiert; ich hatte die Klinik
allein mit den Schweſtern zu beforgen, was übrigens vor-
züglich ging; dazu fam meine Stellung in den Lazaretten des
nahen Elfafjes und Badens, die mich intereffierte und, da
ih Gutes wirken konnte, auch befriedigte. Diefe felten große
und ſchöne Aufgabe duldete kein Grübeln und keine Mut-
31
lofigfeit,; ich war glüdlich, daß ich noch mit vollen Händen
geben und viel Elend mildern konnte.“
Mitte Auguft war Haegler nämlich als chirurgifcher
Eonfiliarius und Operateur in die PVereinslazarette nad
St. Ludwig, Eimeldingen, Haltingen, Weil, Lorrach, Brom:
bach gerufen worden, wo er reiche Arbeit fand und viel
intereflante Beobachtungen machen fonnte. Es war ihm ge:
ftattet, mit feinem Automobil das näher liegende Operations:
gebiet im Elfaß zu befuhen. Mehrfach bat er, zum Teil
während der Kämpfe, die Verwundeten direft an der Front
geholt und ift bis zu den vorderften Vorpoften gekommen.
Darüber hat er befondere Aufzeichnungen binterlaflen.
Die erhebliche Eörperlihe Abnahme, die fih bald ein-
ftellte, erklärten feine Angehörigen dur die übermäßige
beruflihde Snanfpruchnahme. Im Februar 1915 ſchloß er
feine Zorlefungen etwas früher als gewöhnlich und 309 mit
feiner Schwiegermutter und mit feiner Schwägerin zur Er:
bolung ins Engadin. „Sch finde keine Worte” — fagt er —
„um richtig auszudrüden, wie fehr ich diefe Tage inmitten
meiner lieben Berge genofien habe. Glücdlicherweife war
ich Eörperlich raſch ſo weit erholt, daß ich faft die Bewegungs:
freiheit eines Gefunden erlangte und fchließlich imftande war,
mich bis acht Stunden täglich auf den Skis zu bewegen,
ohne körperlich wefentlich zu ermüden. Immer ift mir das
Engadin der liebfte Zeil der Schweiz gewefen, und im
Winterkleid erfhien es mir noch fchöner alg zur Sommers:
zeit. Sch wußte jede Stunde, daß es der Abſchied von den
Bergen war, und jeder Tag war mir daher ein Feſt ...
Sch bin nicht nur körperlich und feelifch neu geftärkt zurück
gekehrt, fondern mit einem reichen Schab der fchönften
Natureindrüde, deren Erinnerung mir mande Stunde auf
dem Schmerzenslager erleichtert bat.”
Das Leiden ging aber feinen Gang, und im Sommer
verftärkten fich die Beſchwerden fo, daß er feiner Tätigkeit
nur mit Aufwand der lebten Energie nachgehen konnte. In
32
der Hoffnung, nicht daß eine Heilung, wohl aber durch Ver—
‚Heinerung des Tumors eine Beflerung der Befchwerden er:
zielt werde, unterzog er fich in Berlin, unter treuer Freundes:
pflege, einer zehnwöchigen Röntgen- und Radiumbehand-
lung, die ſehr anftrengend war. Der Erfolg fehien vorerft
ein verblüffender, der Tumor war faft vollftändig ver-
Ihwunden. Doch hatten ſich Darmbefchwerden eingeftellt,
die zweifellos als Schädigungen durch die Strahlenbehand-
lung mußten aufgefaßt werden, und die in der Folge eigent:
ih mehr Störungen und Schmerzen bervorriefen, als das
urfprüngliche Leiden, das nun auch bald wieder fich fundgab.
Sm Dezember wurde eine Feine Erleichterungsoperation
unvermeidlich, und von da an blieb er ans Bett gefeflelt.
Alles, was an leiblihen und feelifchen Qualen über
einen Menſchen kommen Tann, ift in Fülle über ihn aus-
gefchüttet worden. Hatte er anfangs fich dankbar darüber
gefreut, Daß feine Frau mit großer Hingebung fich feiner
Dflege widmen konnte, fo brach ihre Kraft bald zufammen,
und mußten Undere die Fürforge für den Todkranken über:
nehmen. Alle damit zufammenhängende Kümmernis laitete
ſchwerer auf ihm, als die oft bis zum Aeußerſten gefteigerte
leibliche Pein. Uber wie er entichloflen war, diefe aus-
zubalten mit ungebeugtem Heldenmut, fo hat er auch durch
jene fih nicht zu Klagen über fein Schidfal hinreißen oder
zu ſtumpfem Lebensüberdruß berabitimmen laflen. Schon
bevor er fich legte, hatte er feine perfönlichen Angelegen-
beiten zu ordnen, fein Haus zu beitellen begonnen. Nun
mußte er feine geliebte Klinik veräußern und war dankbar,
daß der Bürgerſpital fie erwarb und fortführte. Er be-
mühte ih, feine Kinder noch einzeln zu beraten für ihren
fünftigen Lebensweg. Er fühlte das Bedürfnis, über den
geiftigen Ertrag feines Lebens fih Rechenfchaft zu geben
und verfaßte bis in feine lebten Tage hinein eine ausführ-
liche Autobiographie, welche Lediglich dieſem Zwecke dienen
follte, nicht für die Deffentlichkeit beftimmt war, und welche
33 .
er feinem Schwager, dem Schreiber diefer Zeilen, an-
vertraute zu Aufbewahrung und allfälliger teilweifer Be—
nügung nah deflen Gutfinden. Sie ift nach Inhalt und
Sorm fo lebensfriih, gedächtniskträftig und Ddarftellungs-
gewandt, wie die mitgeteilten Zitate in diefer Lebensſtizze
wohl beweifen, daß fein Menſch in ihr das Diktat eines
todkranken Mannes vermuten würde. Er bat feine volle
Geiftesflarheit fih wahren wollen, hat darum gegen nar-
kotiſche Mittel fich ablehnender verhalten, als feine Rollegen
wünfchten, und lieber fchlaflofe Nächte und heftige Schmerzen
fih gefallen laflen. Er hat fih zwar nad) dem Tode gejehnt,
weniger, um felbft der Qual enthoben zu fein, als damit
feine Angehörigen und Freunde nicht länger um feinetwillen
und mit ihm leiden müßten. Gern von Lebensüberdruß
und Unmut, freute er fih unbefangen, fo oft und fo lange
ihm noch ein irdifcher Gemuß zugänglich war: ein Freundes:
befuch, ein intereflantes Buch, eine gute Illuſtration, ein
Blick auf blühenden Kaftanienbaum, ein von ihm erdachtes
und beftelltes Kunſtwerk, das er noch felber als „Andenken“
überreichen durfte, durch verftändnispolle, die Wehmut ver:
bergende Freude des Empfängers beglüdt. Und das alles
nicht etwa in lebenboffender Gelbfttäufchung, fondern bei
fteter Gewißheit des unvermeidlihen Endes. Das Sterben
hatte für ihn nichts Schred- und Grauenhaftes.
Seine großartige Leidens- und Sterbensbereitichaft fpricht
für die Richtigkeit der Marime, die er als Arzt befolate.
„Sch babe gefehen” — fchrieb er — „wie wichtig es ift, wenn
man das Vertrauen des Patienten behalten will, daß man
ihm immer die Wahrheit ſagt. Es wird unter WUerzten viel
disfutiert, ob man das Recht oder fogar die Pflicht babe,
dem Patienten die Wahrheit zu fagen, auch wenn fie un-
angenehm oder fchmwer if. Sch ftehe auf dem Standpunft,
daß der Arzt niemals feinem Patienten mit einer Unwahr⸗
‚beit antworten darf. Gelbftverftändlich fol dem Patienten
die Wahrheit nicht aufgedrängt werden, wenn er fie aber
34
fennen will, fo darf man nicht damit zurüdhalten. Die
Wahrheit wird ihm fchließlich Doch nicht verborgen bleiben,
und fein Vertrauen zum Arzt hat ein Ende, wenn er merft,
daß diefer ihn getäufcht Hat. Sch habe mich ſtets an die
Pflicht zur Wahrheit meinen Patienten gegenüber gehalten
und hatte niemals den Eindrud, daß der Patient unter der
Wahrheit gelitten hat. Bei weitaus den meiften Menfchen
beunruhigt und ängftigt die Ungewißheit viel mehr, als
wenn fie fih einem offenen Viſir gegenüber fehen. Der
Eindrud beim Patienten hängt aber ganz von der Form ab,
in der ihm die, vielleicht traurige, Wahrheit mitgeteilt wird.
Es ift demnah eine Frage des Taktes, alfo der Fähigkeit,
fih in den Andern hineinzuverfegen, die Regungen feiner
Seele zu fennen. Das ift umjo notwendiger, weil die Mit-
teilung der Wahrheit in ſolchen Fällen ftets eine ganz
individuelle Form haben muß; wer fich Dabei an ein Schema
hält, wird den Zweck, den Patienten zu beruhigen, nie
erreichen.”
Sn dem andauernden offenen, durch kein PVerftedens-
ipielen fomplizierten und erfchwerten Verkehr mit dem Tod⸗
kranken haben feine Umgebung, wie er felber, erfahren
dürfen, daß die Wahrheit frei macht.
Die Stimmung Haeglers wird befonders erfichtlich
aus Geftändniflen, wie die folgenden:
„Denn ich zurüdiehe, fo kann ich deutlich erkennen,
wie ich durch eine Prüfung zum Ertragen einer anderen,
größeren erzogen worden bin, und wie notwendig diefe
Prüfungen waren, um dem Guten in mir zum Durchbruch
zu verhelfen... .
Jedes Rütteln an Verhältniſſen, die nicht zu ändern
find, jedes fentimentale Bedauern derfelben macht ſchwach
und lähmt das Anpaflungsvermdgen. . . .
Sn diefer fchweren Zeit fand ich Freundfchaft und Liebe
in fo reihem Maß, dat es mich ganz befchämt hat; treue
Freunde, die mich regelmäßig befuchten und mich, mit Auf:
35 3*
opferung ihrer Zeit, in der Drdnung meiner Angelegenheiten
unterftüßten, und zahlreiche frühere Patienten, die mir brief:
lich oder durch Blumenſpenden zeigten, Daß fie an mid
dachten und an mir hingen. Wenn ich auch zu leiden hatte,
fo waren doch meine Angehörigen und Freunde mehr zu
bedauern. Gott hat mich durch Schwere Schidfale zum Leiden
erzogen und mir Kraft gegeben, zu tragen. Aeberdies
fonnte ich für meine Leiden einem Ziel und Ende entgegen-
feben, während fie angefihtsS meiner Leiden fi) grämten
und unter dem drüdenden Gefühl litten, mir nicht helfen zu
fönnen, und Dabei Doch immer den definitiven Verluft vor
Augen batten. Leider konnte ich der Dankbarkeit für all
die treue Liebe, die ich erfahren durfte, nicht fo Ausdrud
geben, wie ich es gerne gewollt hätte.
... Der Gedanke an meine Kinder maht mir den
Abſchied vom Leben befonders ſchwer; ich wäre ihnen bis zu
ihrer Selbftändigfeit mit Rat und Tat doppelt nötig gewefen.
Hoffentlich kommen die guten Eigenfchaften aus beiden Fa—
milien, befonders auch die Veharrlichkeit im Verfolgen eines
Zieles und die Neigung, das Ziel fehr hoch zu fteden, zum
Durchbruch. Gott, der mich fo früh abruft, wird fie ftüßen,
und ich weiß, daß auch meine Verwandten und meine vielen
Sreunde ihnen Rat und Hilfe nicht verfagen werden.”
Der lebte Anfturm des fortjchreitenden Leidens war fo
ſchwer und qualvoll, Daß die erfchütterten Angehörigen dank-
bar aufatmeten, als am 4. Auguft 1916 gegen Mittag Herz:
fchlag und Atem bei ihm endlich ftille ftanden.
Ob fein tätiges Wirken bewundernswerter geweſen fei,
oder jein ftandhaftes Leiden, läßt fi) kaum entfcheiden. Dort
wie bier offenbarte fich diefelbe Energie, den Leib dem Geift
und Willen dienftbar zu machen, das gleiche Heldentum,
welches felbft Niederlage in Sieg verwandelt.
36
Die Reformation
im baslevifch-bifchöflichen Laufen.
Don Rarl Bauf.
Die Reformation war in ihrem immerften Weſen eine
religiöfe Bewegung. Don diefer Beurteilung abzugeben,
liegt auch in der Gegenwart, wo die evangelifche Chriftenheit
ſich anfchicdt, die Feier ihres vierhundertjährigen Beſtandes
zu begehen, fein Anlaß vor. Denn was auch im Laufe
der Zeit über die Entftehung und den Verlauf diejer Be—
wegung Durch alljeitige und eindringende Forſchung ans
Licht geftelt worden ift, mußte nur zur Beſtätigung dafür
dienen, Daß in der Reformation religidfe Kräfte aus den
Tiefen aufgebrochen find. Damit fteht nicht im Wider-
ſpruch, dat der Strom diefer Kräfte nicht rein gefloflen ift,
fondern fchon in feinen Anfängen Zuflüffe andrer Art in
fih aufgenommen hat, welche feine Klarheit trübten. Diefe
Tatſache leugnen zu wollen, wäre weder wahr noch Flug und
noch viel weniger ein Beweis des Vertrauens und der
Dankbarkeit. Denn die rechte Dankbarkeit kann uns Doch
nie verleiten, uns vor der Wirklichkeit zu verfchließen, welche
die fortfchreitende Erforfhung der Reformationsgefchichte
aufdedt. Es ift in der Tat nicht alles fo erbaulich ver-
laufen, wie man es jich evangelifcherfeits gewünſcht und viel-
fah im Rüdblid aus größerer Entfernung vorgeftellt und
dargeftellt Hat. Wenn wir dies heute unummunden zuge:
fteben, jo find wir um fo eher davor bewahrt, die Geaner
der Reformation ungerecht zu beurteilen, fondern vielmehr
imflande, auch ihnen Gerechtigkeit widerfahren zu laſſen,
den guten Willen und die guten Abſichten anzuerkennen,
welche fie an ihrer Auffaffung des chriftlichen Glaubens feft-
37
halten liefen. Wir laufen aber ebenfowenig Gefahr, die
große Gabe zu verfennen, welche der Menfchheit in der
Reformation gejchenkt worden if. Im Gegenteil, wenn wir
die Widerftände deutlicher fchauen, welche fih dem Strom
diefes neuen Lebens entgegenftellten, dann wird ung auch
erft die Kraft zum Bewußtſein fommen, die bier bervor-
gebrochen ift. Ueberall haben fih der Reformation Schwie—
rigfeiten und Hinderniffe gewaltigfter Urt entgegengeftellt.
Se nah den Verhältnifien hat darum die Bewegung an den
verſchiedenen Orten auch fehr verjchiedene Geftalt angenom—
men. In der Regel kam die neue Bewegung nur da zum
Siege, wo fie fih mit der politifhen Macht verband und
dieſe Macht ihr über die Widerftände hinweohalf. Wer es
anders haben möchte, müßte verlangen, daß nicht nur die
Führer, fondern auch die Mafle des Volkes lauter Herven
des Glaubens geweſen wären. Ebenſo war es die Regel,
daß die neue Bewegung unterlag, wo fie die politiſche Macht
gegen fich hatte. Wer dies nicht zu verftehen vermöchte,
müßte glauben, dat die Mehrzahl der Menfchen zum vorn:
herein zum Martyrium gefchaffen fei. In beiden Fällen
würden wir an die SZeitgenofien der Reformation For:
derungen ftellen, deren Erfüllung Kräfte erforderte, die nicht
nur das gewöhnliche, fondern auch ein außergewöhnliches
Maß bei weitem überfteigen. Im Gebiete des Bistums
Baſel treten die verfchiedenen Möglichkeiten in die Er-
fcheinung. |
Am leichteften und glatteften vollzog fich der Imfchwung
da, wo die reformatorifche Bewegung mit der politifchen
Macht im Bunde fland und von ihr getragen wurde. So
geſchah es in Baſel. Nachdem die Stadt fih zum Evange:
lium befannt hatte, führte fie durch die Reformationsordnung
ihr ganzes Gebiet zum neuen Glauben hinüber. Am fchwie-
rigften oder geradezu unmöglich war das Auflommen der
evangelifchen Bewegung an den Orten, wo der Biſchof die
geiftliche und weltliche Gewalt in feiner Hand vereinigte.
38
Auch in Pruntrut, wo der Erzbifhof von Beſançon die
geiftliche und der Biſchof von Baſel die weltlihe Gewalt
befaß, mußten alle Reformationsverfuche fehlfchlagen oder
nach kurzer Zeit völlig erdrüdt werden. Wo darum bei den
Untertanen des Bischofs wirklich der Wille vorhanden war,
der neuen Bewegung fi anzufchliegen oder bei ihr zu
bleiben, da mußte erft die Herrfchaft des geiftlichen Fürften
abgefchüittelt werden, wenn ein dauernder Erfolg erzielt
werden follte. Diefen Weg haben die fürftbifchöflichen Vog—
feien Laufen, Zwingen, Pfeffingen und Birsed bejchritten.
Welche Geftalt die evangelifhe Bewegung in Laufen an-
genommen hat, davon möchten dieſe Blätter erzählen. Erft
nachdem Laufen mit Baſel in ein Burgrecht getreten und
ſich dadurch der Gewalt des Biſchofs entzogen hatte,
fonnte die Reformation zum Siege gelangen, und erft nach-
dem der Biſchof durch die Aufhebung des Burgrechts mit
Baſel die Vogtei Laufen-Zwingen fih wieder unterworfen
hatte, Eonnte er feinen Plan, die Untertanen zur Fatholifchen
Kirhe zurüdzuführen, verwirklichen. In beiden Fällen war
religiöſe Kraft vorhanden. Das einemal erwies fie fih nicht
jo ſtark daß fie ohne Verbindung mit der politifchen Macht
fich durchgefeßt hätte; das andere Mal war fie fo mächtig,
daß nur die entichloflenfte Geltendmachung der weltlichen
Gewalt von Geiten des Biſchofs fie niederzuringen ver:
mochte.
J. Vorgeſchichte.
Un der fchon von den Römern begangenen Straße
durchs Birstal war Laufen eine der älteften Rirchgemeinden.
Daß einft den Mlamannen die fich hier niedergelaflen hatten,
aus dem GZranfenlande der chriftlide Glaube vermittelt
worden war, verrät noch der Heilige der Kirche in Laufen,
Martin von Tours. Wie die Rüchlein unter den Flügeln
der Henne fanden die Gemeinden der Umgebung bei der
Mutterfiche Schuß. Im Laufe der Zeit trennten fi ein:
39
zelne Gemeinden ab und wurden felbftändig, wie Blauen,
welches die Erinnerung an feinen urfprünglichen Zufammen-
bang in feinem Patrone, dem Heiligen der Mutterfirche
fefthielt, und Nunningen, welches noch im Sabre 1375
Filiale von Laufen war.!)
Sn der Zeit, als das welfifche Königreich Burgund an
das deutſche Reich gefommen war, gelangte die ganze Ge:
marfung Laufen an das ehemals von den Welfen begünftigte
und mächtig aufftrebende Klofter St. Blafien im Schwarz:
wald. Im Jahre 1141 aber wußte der Biſchof Ortlieb von
Bafel, aus dem Haufe der Froburger, Laufen an fich zu
bringen und duch diefe Erwerbung fein Herrichaftsgebiet
nah Süden auszudehnen?) Der Biſchof mußte damals
die Verpflichtung eingehen, den neuen Beſitz niemals der
Basler Kirche zu entfremden. In der Tat ift, eine kürzere
Zwifchenzeit abgerechnet, Laufen dem Fürftbistum Baſel
erhalten geblieben. Nachdem im Jahre 1792 der Fürft-
biſchof von Baſel abgefegt worden war, teilte Laufen die
Gefhide der raurachiſchen Republik, bis es im Wiener:
frieden im Jahre 1815 zum Kanton Bern gefchlagen wurde.
Dagegen vertaufehte im Jahre 1265 der Biſchof das
DPatronatsreht von Laufen dem Domkapitel gegen Das
Patronatsreht von St. Theodor in Klein-Vafel.?)
Laufen blühte unter der bifchöflichen Fürforge auf.
Der Bifhof umgab den Ort mit Ringmauern und baute
die Tore. Bifhöflicde Dienftmannen übernahmen die Hut
des Städthens. Die Bürger wärmten fi an der freund-
lichen Sonne bifchöflicher Gnade. Im Sabre 1296 erhielten
fie diefelben Rechte wie die Bürger von Bafel.) DPeue
Rechte kamen im Laufe der Zeit hinzu, fo das Umgeldsrecht,
wogegen aber die Bürger verpflichtet wurden, felbft für den
Unterhalt der Stadtmauern zu forgen?) Us Laufen zur
Stadt erhoben worden war, war der Kirche das Miß—
gefhid widerfahren, durch die Mauern von der Stadt aus—
geichloflen zu werden. Daß aber des Nachts oder in
at
Kriegszeiten, wenn die Tore gefchloflen werden mußten, die
Blirger ohne Kirche waren, war auf die Dauer ein unhalt-
barer Zuftand. Darum wurde innerhalb der Mauern eine
neue Kirche gebaut und im Jahre 1364 von Biſchof Johann
Senn zu Ehren der heiligen Katharina geweiht.) Schon
vorher hatten die Barfüßermönche ihr Haus im Städtchen.”)
Sn der alten Haupfficche wurde in einer befonderen Kapelle
die Sungfrau Maria verehrt.) Ein befonderer Priefter
verfahb ihren Dienf. Das Patronatsrecht diefer Kapelle
ftand den Herren von Blauenſtein zu und wurde im Sabre
1445 von Agnes von Blauenftein an die St. PDetersitift in
Bafel abgetreten?) Um dieſe Zeit verfahen der Leut—
priefter und ein Vikar, die Rapläne an der Marienfapelle,
der Ratharinenkapelle und der Oswaldkapelle in Zwingen
den Dienft an der Gemeinde. In den verwidelten Firch-
lichen Verhältniſſen lag die Gefahr von allerlei Reibungen
und Gfreitigfeiten jchon zu der Zeit, wo der eine Glaube
alle verband, noch viel mehr aber jpäter, wo der alte und
der neue Glaube um die Herrichaft miteinander im Kampfe
lagen. So befchwerte fih im Jahre 1516 der Kaplan der
Marienfapelle, Hans Hafner, der ſchon feit 14 Jahren
auh Zwingen „bejungen” hatte, bei der Stift ©t. Peter
darüber, daB ihm der Leutpriefter allerlei Gefälle von
Fahrzeiten und andern Firchlichen PVerrichtungen vor:
enthalte.) Das geſchah am Vorabend der neuen Zeit,
die mit dem Auftreten Luthers im Jahre 1517 für die Kirche
anbrad).
2. Saufen im Bauernkrieg.
Vom Eindringen evangeliihder Regungen war im
Laufentale lange Zeit nichts zu fpüren. Dagegen hatte fich
im Laufe der Zeit allerlei Unzufriedenheit angefammelt
gegen den Biſchof, die Klöfter Vellelay und Lützel und
auch gegen verfchiedene adelige Herren. Schon im Jahre
1523 war der Wunfch Tebendig, fi der Herrichaft des
4
Biſchofs zu entziehen und fi) Baſel anzufchließen.!!) Der
Bauernkrieg in Deutfchland im Jahre 1525 war auch im
Laufental das Zeichen zum Aufftande.. Mit einem Schlage
war die Bewegung da. Zuerſt erhoben fich die von Laufen.
Sie zogen am 2. Mai ins Delsberger Tal, überfielen das
Klofter Lütel, erbrahen die große Ronventsftube und alle
Gemäder, taten die ſchönen eifernen Gitter vor dem „fron
vnd onfer frowen” ab, plünderten den Kirchenfchaß und zer:
Ihlugen die fteinernen Pfoften im Kreuzgange.!?) Der Abt
beflagte fich fpäter, daß der Schaden fich auf dreißigtaufend
Gulden belaufe.!3) An Hans von Hafenburg und feinem
Bruder fowie dem Herrn von Varſchanndt ließen fie ihren
Zorn aus, indem fie ihnen Korn, Wein und anderes ab-
nahmen. Gie mußten aber auch die Bauern aus den
ſolothurniſchen WUemtern Tierftein, Gilgenberg, Dornad)
und jenfeits der Birs und der bifchöflichen Herrfchaft Pfef—
fingen dahin zu bringen, daß fie fich ihnen anſchloſſen. Am
5. Mai waren etwa 1500 Bauern auf dem Felde zwifchen
Reinah und Dornach verfammelt in der Abficht, den Biſchof
mit Gewalt zu zwingen, fie von allen Abgaben und Dieniten
zu befreien. Ihre Forderungen hatten fie in XUrtifeln zu-
fammengefaßt, die je nach) den drtlichen Verhältniſſen das—
felbe Thema von der Freiheit variierten. Worauf es
die Bürger von Laufen abgeſehen hatten, das hatten fie in
ihren vierzehn Artikeln niedergelegt."*) In erfter Linie
verlangten fie, von der Zuridiftion des Biſchofs befreit zu
werden. Die Hochwälder follten als „allen Menfchen ge:
meinſam“ frei fein, damit fie die „Tümerlich häslin“ haben
möchten, ebenfo die Fifchweide. Sie forderten Abfchaffung
der Zinje von den Rüttenen, des Umgelds, des Zolles von
Holz auf dem Wafler, des Wucherzinfes und des Todfalles,
ebenfo des Heinen Zehntens, der Frondienſte, des Chrift-
babers und der zwei Pfennige, welche bisher ein jeder dem
Kirchherrn und Erzprieiter hatte geben müflen. Dagegen
erklärten fie fich bereit, den großen Zehnten zu geben, jedoch
42
follte, was nach) der Vefoldung des Pfarrers übrig bleibe,
für die Urmen und für die VBedürfniffe der Gemeinde ver-
wendet werden. Zulegt wünfchten fie, daß Zwingen und
Laufen nur ein Gericht hätten und daß das Gericht nicht
in Zwingen, wo der bifchöflihe Vogt fein Weſen hatte,
fondern in Laufen gehalten werde. Aus allen diefen For:
derungen gebt deutlich hervor, daß es fih vorerft nur um
rein weltliche Ziele handelte. Von der Wahl des Pfarrers
durch die Gemeinde, welche die meiſten Aemter im Baſel—
biet an die Spige ihrer Forderungen ftallten, wird fein
Wort gejagt, gejchweige denn von der PVerfündigung des
Evangeliums. Don einer religidfen Bewegung ift eben noch
gar nichts zu ſpüren; aber was hier angefangen war, Fonnte
raſch über die nächftliegenden Ziele hinausführen.
Der Biſchof berichtete fofort an Baſel, Solothurn und
Bern über die große Gefahr, worin er ftand. Der Rat von
Bern entfandte unverzüglich Rafpar von Mülinen ins bifchöf-
liche Gebiet: Am 5. Mai berieten die Gefandten von Solo—
thurn und Greiburg in Bern. Nahvdem fie fortgeritten
waren, um zu Haufe zu berichten, und ein Schreiben von
Mülinens mit den Bauernartikeln eingelangt war, lag dem
Rate von Bern bauptfählich daran, Zeit zu gewinnen. Er
wies von Mülinen an, alles aufzubieten, daß er die „un:
ruhigen Leute in Gütigkeit ab und heimbringen“ möchte.")
Zur Sicherheit und um für alle Fälle bereit zu fein, wurde
ein Aufgebot erlaflen. Der Roadjutor des Bifchofs, Niklaus
von Dießbach, wurde verftändigt, daß fihb Bern gerüftet
halte, und an Solothurn die Zuſage gegeben, mit 6000 guten
Büchſenſchützen zu fommen, falls Solothurn von den Auf:
rührern überzogen würde, „Doch jo witt, das ir nit zu hitzig
fin vnnd verrer dann die notturfft eruorderte ziechenn vnnd
vffbrächenn”. Auch Solothurn und Freiburg befchloflen den
Auszug. 6)
Unterdeſſen waren die Geſandten von Baſel, Bern,
Solothurn, Freiburg und Luzern mit den aufſtändiſchen
43
Bauern an der Drüde von Dornah zufammengetreten.
Während vier Stunden wurde verhandelt, ein Vorſchlag
nach dem andern gemacht und verworfen. Solothurn wollte
fih zu feinen SZugeftändniffen berbeilaflen. Der Bifchof
gab fchliehlich nach, nur damit die Bauern aus dem Felde
zogen. Man einigte fi fohließlich dahin, daß die Bauern
heimziehen, ihre Beſchwerden, in Artikel gefaßt, ihren
Herren übergeben und nah acht Tagen ihre Boten wieder
nah Dornach ſchicken follten.!”)
Die Bauern gingen auseinander, aber fie fehrten nicht
heim. Im Delsbergertale fammelten fi) die Aufftändifchen
von neuem. Am 9. Mai lag ein Haufe, der Vellelay über:
fallen wollte, eine Meile von Bellelay entfernt, Tehrte fi
„gan Hupthefien, da der recht groß Hufen gelegen” um mit
ihnen und mit ganzer Macht nah Münfter und Bellelay zu
ziehen und die beiden Gotteshäufer und andere Obrigfeiten
und Amtleute zu frafen. Bern, das am 10. Mai morgens
3 Uhr Bericht erhalten hatte, rief Solothurn und Freiburg
zu einer Veratung auf den folgenden Tag.!?) Die Lage
erſchien noch bedrohlicher, als befannt wurde, daß die ſchwä—
bifhen Bauern bei Laufenburg, Sädingen und Rheinfelden
in fteter Werbung ftanden, um einen friedliden Durchzug
zu erlangen. Cine Vereinigung der ſchwäbiſchen und
ſchweizeriſchen Bauern hätte zu „viel Unkommlichkeit“ ge:
führt. Baſel wurde von Bern aufgefordert, den Durchzug
zu bintertreiben, und Bern gab feinen Boten nah) Baden
Auftrag, ebenfalls dahin zu wirfen.'?)
Die Gefahr ging vorüber. Am 16. Mai fand bei der
Brüde in Dornach die zweite Verhandlung ftatt.2?) Die
Beſchwerden von Laufen und Pfeffingen wurden behandelt. -
Das Ergebnis fiel niht nah dem Wunſche der Laufen:
taler aus. Die Bauern hatten urfprünglich gehofft, die
Kriegskoften duch die Plünderung der Gotteshäufer und
der Burgen der Adeligen wieder einzubringen, ſahen fich
nun aber durch die frühzeitige Vereinbarung getäufcht. Sie
44
verlangten daher vom Biſchof eine Entfchädigung an ihre
KRoften. Der Bifchof trat auf die Forderung nicht ein, und
die Berner drangen fogar darauf, daß den Brüdern von
Hafenburg und dem Herrn von Varſchanndt die geftohlenen
Güter zurüderftattet würden?!) Die Verhandlungen zer:
Ichlugen ih. Wenige Tage Später erhoben fih die Bauern
im Laufentale von neuem, um einen Drud auf den Biſchof
auszuüben oder, wenn er nicht nachgeben wollte, ihn von
neuem zu überziehen. Bern ſchlug den Bauern „ein grümel
und beliman” vor; es drohte, wenn fie von ihrem Vorhaben
nicht abftünden, würde es dem Roadjutor zu Hilfe kommen;
auf der andern Geite aber warnte es den Gtellverfreter
des Bifhofs, mit den Bauern etwas Unfreundliches anzu-
fangen.22)
Erneute Perhandiungen wurden eingeleitet. Um
26. Mai fanden fi) Vertreter des Bischofs und der Bauern
von Laufen, Iwingen, Birsed und Pfeffingen auf dem
Schloſſe Birseck ein.??) Baſels Bote wirkte bei der Ver:
mittlung mit. Der Biſchof mußte fi zu dem Verfprechen
berbeilafien, die aufgelaufenen Koften der Empörung, die
aufgezeichnet werden follten, zu übernehmen, wogegen die
Bauern verfprachen, fich nicht mehr gegen ihren Fürften zu
erheben, jondern in aller Stille den Austrag der ftrittigen
Artikel abzuwarten, wie es der Abſchied auf dem Felde bei
Reinach beftimmt hatte. Der Bifchof follte mittlerweile von
Sleden zu Zleden über die fpännigen Artikel freundlich ver-
handeln. Ungern genug erklärte fih der Bifchof zur Zah—
lung der Aufruhrkoften bereit. Er tat es nur, um ſich vor
einer neuen Erhebung der Bauern zu fihern und in der
Meinung, daß er mit einer Summe von 100 Pfund werde
zu rechnen haben. Als aber dem Biſchof die Rechnung vor-
gewiefen wurde, belief fie fich auf 400 Pfund. Das war nun
dem Bifchof Doch zu viel; er verweigerte die Zahlung.2*) Noch
einmal verfammelte fih die Bauerfame im Delsbergertal,
um gegen Bellelay zu ziehen und fich bezahlt zu machen.?®)
45
Baſel ſprach, indem es die frühere Plünderung verurteilte,
fein Befremden auch im Namen Zürihs und Schaffhaufens
aus?®), auch Bern ariff wieder vermittelnd ein; es forderte
die Bauern auf, nichts Unfreundliches gegen Bellelay zu
unternehmen, fondern von ihrem Begehren abzuftehen und
beimzuzieben. Der Biſchof aber mußte fich fchließlich dazu
bequemen, die 400 Pfund zu bezahlen.?”)
Die Verhandlungen mit dem Biſchof über die Streit—
punkte famen aber zu feinem Abſchluß. Die Gemeinden
Laufen, Wahlen und Röfchenz famen, um einmal in einem
Punkte eine Eare Sachlage zu fchaffen, überein, „Das ein
gantze gemeind den zehnden ſelbs behalten, Doch darumb
geben wöllen, was zimlich fye irer achtung”. In Wahlen
wurden alsdann vier Männer verordnet, welche auf den
Zehnten bieten follten. Sie glaubten, wie einer ihrer Führer
nachher verficherte, damit nicht Unrecht getan zu haben,
„dann die Thumberren die wal haben, den zebenden felbs
zu behalten und inzufamlen oder inen zu laflen”.23) Der
Biſchof vermochte nicht, die Gemeinden an der Durchfüh-
rung ihres Beſchluſſes zu hindern.
3, Der Schirmvertrag mit Bafel.
Schon früher hatten die Gemeinden des Laufentales
und des DBirseds die Neigung Fund werden laflen, mit
Baſel oder Solothurn in einen Schirmvertrag zu treten, und
waren von beiden Seiten ummorben worden. Der Roadjutor
hatte fich deshalb am 3. November 1523 veranlaßt gefeben,
den Laufentalern zu verbieten, einen andern Schirm oder
ein anderes Bündnis ohne Wiflen und Willen des Bi—
ſchofs zu fuchen und anzunehmen. Die Wirren des Yauern-
frieges hatten das ohnehin ſchon Iofe Band, das die Inter-
fanen mit dem Bifchof zufammenbielt, noch mehr gelodert.
Nicht ohne Grund hatte man in Baſel den Eindrud, daß
der günftige Augenblid gefommen fei, durch ein Burgrecht
mit den bifchöflichen Untertanen in die Herrfchaftsrechte des
46
Biſchofs einzutreten und auf diefe Weife den Eidgenoflen
von Solothurn, welche es ebenfall$ auf eine Gebietserwei-
terung auf KRoften des Biſchofs abgefehen hatten, zuvor zu
fommen. DBafel machte daber dem KRoadjutor den Vor:
ſchlag, daß fie fi gegenfeitig mit Land und Leuten auf
ewige Zeiten oder doch auf 70 oder 100 Zahre in ein
Burgrecht verpflichteten. Da jedoch der KRoadjutor nicht:
einzufehben vermochte, daß ein folches Burgrecht für beide
Teile erfprießlich fei, trat er auf den Vorſchlag nicht ein,
jondern wandte fih an Solothurn, um mit ihm zu unter-
handeln.??) Baſel ließ die Angelegenheit nicht fallen. Vom
Fürſten abgewiejen, betrieb es nun feine Sache mit den
Untertanen felbft. Es legte Laufen Artikel vor, wie.man
das Städtchen „ſampt feinen zugehörden in ein burarecht
fallen wel". Das Recht zu einem folchen Zertrage leitete
Bafel aus dem Beſitze der Kaftvoatei des Münfters und
der Domftift her. Es ſchlug Laufen vor: „Zum erften follen
ſy von vnns als Faftuegten onnfer lieben frowen vnnd der
ftifften Bafel in ein burgrecht vaflen vnnd annemen, das ſy
nit deſtweniger dem bifchoff in hochen vnnd andern gerichten
ouh allen andern wy bishar gehörig vnnd gehorfam fin
ſollen vnnd in folichen Dingen dem bifchoff nüt benomen fin
ſolt.“ „Zum andern ob fach wer, ob ſy nott, es wer in
friegsleuffen oder funft, an gan wurde, das wyr ſy dar inne
nach vnnſerm beften vermegenn als vnnſere purger ſchützen
vnnd fchirmen joltenn.” Weiterhin verpflichtete fih Baſel,
fie fo zu halten, „wy wir vnnſer Empter balten”.3°)
Solothurn verfuchte, Bafel in dem Wettlaufe zu über:
holen. Der Vogt von Dorned: erfchien mit einer Anzahl
Knechten, um das Schloß Pfeffingen zu befegen. Sofort
fandte Baſel Leute nach Pfeffingen und Birseck. Die Solo-
thurner mußten ſich zurüdziehen. Drei Tage darauf, am
27. September 1525, ſchworen Reina, Therwil, Oberwil,
Ettingen und Allſchwil, ſowie Stadt und Amt Laufen dem
Rat von Bafel treu und hold zu fein, ihren Nuten zu für:
47
dern und Schaden zu wenden und befonders mit der Stadt
Baſel in ihren Widerwärtigfeiten, Anliegen und Gefchäften
Lieb und Leid zu leiden und feinen andern Herrn anzu:
nehmen. Der Rat aber nahm fie in den Schuß und Schirm
der Stadt auf, jo zwar, daß die Stadt verfprach, dem Biſchof
und der Stift „an allen iren gerechtigfeyten oberfeyten zehen
den zinfen renten gülten ftüren unnd allen andern gefällenn
unnd nugungen gan unnd gar dhein abzug zu thun” und
ebeno die Bürger von Laufen bei allen ihren Rechten, alten
Bräuchen und Gewohnheiten bleiben zu laflen.?!) Biſchöf—
licherfeits war man fich der Tragweite diefes Schirmvertrags
wohl bewußt. Der Koadjutor verlangte daher fofort den
Rüdzug der baslerifchen Beſatzung und die Aufhebung des
Schirmvertrags. Als Bafel fi) deflen weigerte, wandte er
fh Eagend an die Eidgenofien, die am 3. November in
Luzern fich verfammelten. Allein Baſel blieb fe. Seine
Boten gaben Solothurn gegenüber die Erklärung ab, Baſel
werde nicht zulaflen, daß ein Fleden, er fei Elein oder groß,
dem Bistum entfremdet werde. Es folaten am 7. Dezember
wiederum Verhandlungen in Luzern, wo der Vilchof fi
neuerdings bejchwerte, dat Baſel die Untertanen von Laufen
und aus dem Birsed nicht aus dem Burcgrechte entlaffen
wolle. Die Eidgenoflen forderten Baſel auf, vom Burg—
reht mit Laufen abzufteben oder den Rechtsweg zu be-
treten.??) Allein Baſel ließ fich nicht bewegen, das, was es
einmal in die Hand befommen hatte, wieder fahren zu laſſen.
Das Burgrecht mit Bafel war aber die Vorausfegung, unter
. welcher die Reformation in der Heinen bifchöflichen Stadt
Eingang finden und zum Siege gelangen Fonnte.
4. Die erften Anfänge der Reformation.
Der Bauernkrieg hatte es nicht religidfen Beweg—
gründen zu danken, wenn er auch das Laufental in feinen
Bann zu ziehen vermocht hatte. Denn bei feinem Auftreten
wie auch in feinem weitern Verlaufe ift von einem religiöfen
48
Charakter an der Bewegung nichts zu erfennen. Trotzdem
bat er für die Reformation in Laufen entjchieden eine nicht
zu verfennende Bedeutung gehabt. Er hat die Gemüter
erregt und für das Erleben des neuen Glaubens empfäng:
lich gemacht; er hat gleichfam das Aderland aufgebrochen und
zur Aufnahme des Samens zubereitet. Der Leutpriefter
erg jpielte in der Bewegung eine Rolle. Es behaupteten
ipäter einmal Leute, die „faft nach der teufferey” fchmedten:
„Der gemein man jagt offenlich, der predicant genant Jerg
ſy in den irtumb oder vngehorfam brocht mit deme, das er
inen erftlich gebrediget vnd gelert, ſy follen Feiner oberfeyt
gehorfamen ouch Fein zinß noch zebenden geben.” Allein
diefer Vorwurf, welchen jene des Täufertums verdächtigen
Leute vorbrachten, entſprang vielmehr dem Wunſche, ſich vor
dem bifchöflihen Beamten hinter den Prädifanten zu ver:
Ihanzen. Zudem traten andere diefer Behauptung mit Ent-
ſchiedenheit entgegen.??®)
Sm Herbft 1525 wurden die Verhandlungen über die
Beſchwerden der Laufentaler wieder aufgenommen. ' Der
Dompropft und das Domkapitel anerboten fich, zu vermit-
teln.38) Der Bifchof war etwas nachgiebiger geworden, wie
umgefehrt die Gemeinde von Laufen mit ihrem Rüdhalt an
Bafel ein gefteigertes Kraftgefühl fpüren ließ. Der Biſchof
fam in der Forderung betreffend den Zehnten der Ge:
meinde entgegen. Er verſprach, ein treues Einfeben zu tun,
damit ein Leutpriefter von dem großen Zehnten verſehen
werde und „ein zimbliche narung daruon” habe. Auch ver:
pflichtete er fih, daß er keinen Leutpriefter mehr anitellen
werde „denn mit dem anhang, wenn fi) einer nit gbürlich
bielte, daz wir inn widerumb babennd dannenzutun.”3?)
Diefe Zuſage läßt erkennen, Daß die Gemeinde in Zukunft
bei der Wahl der Pfarrer irgendwie auch ihre Stimme gel-
tend-machen wollte und daß ein Snterefie an der Firchlichen
Entwidlung erwacht war, das früher nicht oder doch in dem
Maße nicht vorhanden war. Es währte nicht mehr lange
49 =
und die religiöfe Bewegung kam in Fluß. Im Frübjahr
1526 erf&hienen die Täufer in den bifchöflihen Dörfern
Therwil, Oberwil, Ettingen und Reinah und trieben „mit
Predigen und dergleichen Lefens” eine energiihe Propa-
sanda. Am 17. Mai forderte der Rat von Baſel die Ge-
meinden auf, diefe Leute fortzufchiden, und verlangte am
folgenden Tag vom Roadjutor, daß er zwei Basler, einen
in Allſchwil, den andern in Reinach, fodann zwei Prädi-
fanten und Wiedertäufer in Oberwil gefangen nehmen und
Baſel zuführen laffe.?) SIwei Monate fpäter erließ der
Rat ein ftrenges Verbot aller Winfelpredigten, wie folche
bisher durch bergelaufene unberufene Prediger in Ihermwil,
Oberwil, St. Margaretben und im Holee gehalten worden
waren. Daß die Täufer damals aud in Laufen ihr Wefen
getrieben hätten, wird nicht ausdrüdlich bezeugt, aber ift
doch ehr wahrfcheinlih, um fo mehr, als Laufen gerade
damals entgegen feinem PVerfprechen allerlei fremde Ban—
diten beherbergte und von Baſel ernftlich aufgefordert wurde,
fie abzumweifen.?) Durch die Täufer wurde aber die Er:
regung noch gefteigert.
Seit Palmfonntag 1525 war der evangelijch gefinnte
Johannes Balthafar Lederfchneider von Rheinfelden Rapları
in Laufen. Sm Frühjahr 1526 trat auch ein evangelifcher
Leutpriefter fein Amt in Laufen an.?”) Er war vom Dom:
fapitel gefegt und vom Biſchof auf ein Jahr beftätigt worden.
Es war bald zu fpüren, daß in Laufen ein neuer Wind wehte.
Die Befürchtung des Biſchofs war nicht unbegründet, daß
feine Untertanen ihm noch mehr entfremdet würden, ſobald die
evangelifche Bewegung um fi greife. Der Biſchof bemühte
fih daher von neuem, den Schirmvertrag mit Baſel aufzu-
heben. Am 4. Suni 1526 fam zwifchen dem Koadjutor und
den Leuten, die an den Stein Zwingen gehörten, eine Ab—
rede zuſtande. Die Leute follten wieder dem Biſchof
ſchwören, der Biſchof aber und die Stift follten wieder in
die alten Rechte eingefeßt werden wie vor dem Bauernkrieg.
50
Die Punkte, worüber feit der Empörung eine Einigung noch)
nit erzielt war, jollten einem Schiedsgericht anvertraut
werden. Es wurden in Ausfiht genommen Rudolf Reb-
ftod von Biel und Hüglin Kämy von Pruntrut als Ver—
treter des Biſchofs, Martin Eberlin und Lux Seigler von
Bafel als Vertreter des Amtes Laufen und Junker Hans
von Flachsland als Obmann.) WUllein bevor fie zufam-
mentraten, rüdten andere Ereigniffe in den Vordergrund.
Sm Dezember 1526 309 fich der bifchöfliche Roadjutor
Niklaus von Dießbach nah Beſançon zurüd. Am 18. De-
zember verfammelte fih das Domkapitel im Schlofle von
Pruntrut und wählte Philipp Jakob von AUndlau zum
Biſchof. Allein diefer farb infolge einer Operation, bevor
er vom heiligen Stuhl beftätigt worden war. Am 28. Fe—
bruar 1527 wurde Philipp von Gundelsheim zum Nach—
folger gewählt. Die Bürger von Laufen fchidten ihre Bot—
haft zum neuen Herrn und fragten ihn an, wie fie fi
halten follten und ob er fie beihirmen und fchügen wolle.
Der Zürft fertigte fie unfreundlich ab: „er hab ſy nit zu der
ee genommen, jo haben ſy inn ouch nit zu der ee genom-
men.” 3%) Ein verheißungsvoller Anfang war es Nicht.
Smmerhin leiftete bald darauf Laufen dem neuen Bifchof
den Eid.
Das neue Regiment des Biſchofs machte fih bald
bemerfbar. Philipp von Gundelsheim wollte wieder Ord-
nung fohaffen, Verfäumtes nachholen, Verfahrenes zurecht:
bringen und vor allem der mächtiger werdenden evangelifchen
Bewegung einen Damm feten. Das Domkapitel hatte be-
obachtet, DaB Laufen und die Gemeinden der Herrfchaften
Pfeffingen und Birseck das Gericht hatten ftill ftehen laſſen, fo
dad niemand mehr Recht finden konnte. Es verlangte Darum,
daB in Laufen wieder Gericht gehalten werde.) Der
Biſchof bewilligte den Gemeinden, daß fie wiederum wie von
alters her Gericht hielten. Allein die Gemeinden beeilten
ih nicht, Das Gericht zu befegen. Der Biſchof befchwerte
51 4°
fih über die Widerfeglichfeit der Gemeinden beim Rat in
Baſel. Diefer wußte wohl, daß die Gemeinden ihrem
Fürſten diefen paffiven Widerftand leifteten, weil er die
Streitigkeiten nicht erledigen wollte, die er, eine Erbichaft
feines Vorgängers, mit ihnen hatte. Baſel Fam dem Biſchof
zu Hilfe und forderte die Gemeinden auf, mit der Beſetzung
des Gerichtes nicht länger zuzumarten, Damit man erfenne,
„das wir vch nit der vrfachen zu bürgern angenomen, dag
ir niemanden rechtens gehörig fin follen, fonder vch vor ge:
walt zefchirmen”.*!) Auch die Burgrechtsfrage wurde wieder
aufgerollt. Der Biſchof wünſchte mit Baſel in gütliche
Unterhandlung zu treten. Die Stadt erklärte fih dazu be:
reit und forderte den Biſchof auf, Ort und Tag der Per:
handlungen zu bezeichnen.*?) Nach vier Monaten war man
jo weit, daß man fih in Pruntrut einigte, es follten ſowohl
Baſel als der Bifchof je zehn Männer vorfchlagen und aus
diefen je zwei Schiedsrichter gewählt werden.??) Allein die
Verhandlungen kamen nicht vorwärts.
Dagegen errang in einer andern wichtigen Sache der
Biſchof einen nicht unbedeutenden Erfolg. Der entfchieden
evangelifche Leutpriefter hatte ein Zahr lang das Evangelium
verfündigt und die Gemeinde für die neue DBotfchaft ge:
wonnen. Der Bifchof verfolgte mit fteigendem Unwillen die
Sortfchritte, welche die evangelifche Sache in Laufen machte.
Als daher das Jahr zu Ende ging, das dem Prädifanten
bei feiner Anftellung zugefichert worden war, fündigte ihm
der Biſchof den Dienft, in der Abficht, die Untertanen mit
einem andern Leutpriefter zu verfehen. Die Gemeinde aber
war nicht gewillt, den Mann ihres Vertrauens fahren zu
laflen und ging Baſel um Fürfprahe beim Biſchof an. Gie
Ihidten am 2. April 1527 eine Botſchaft in die Stadt. Sie
rühmten von ihrem Leutpriefter, er fei ehrbaren Lebens und
verfündige das Wort Gottes mit folhem Erfolge, daß da-
duch das fündliche Gottesläftern, Zutrinfen und andere
Ueppigkeit nicht wenig abgenommen habe. Sie fprachen
5
aber auch die Hoffnung aus, es werde Gott, der Herr, fie
je länger je mehr begnadigen, „daz ſy in ein gant chriftenlich
leben erbumwen vnnd gepracht mogen werden”. Sie machten
auch geltend, daß ihnen der Leutpriefter vom Kapitel geſetzt
worden fei. Der Rat von Bafel erfuchte den Biſchof, dem
Städtchen Laufen feinen Leutpriefter zu laſſen oder falls
eine Abſetzung gerechtfertigt fei, Die Gründe anzugeben, und
berief fich, um fein Eintreten für den Priefter zu rechtfertigen,
auf fein Burgrecht mit Laufen. Allein der Biſchof wollte
nicht willfahren. Er behauptete, den Priefter, wie gerne er
es täte, „von wegen böjes vorgetragnen erempels vnd ver-
fuerung finer vnderthanen“ nicht belaffen zu Fünnen. Er fei
auf ein Jahr angeftellt worden, und nun die Zrift abgelaufen
fei, habe er ihm vor guter Zeit den Dienft abgefündet. Er
ftellte in Ausficht, die Untertanen mit einem andern Leut—
priefter zu verſehen, der gefchidt und tauglich ſei. Dabei
unterließ er es nicht, fein Befremden darüber auszusprechen,
daB Baſel Das Burgrecht geltend gemacht babe. Baſel
feßte noch einmal an. Der Biſchof möchte den Priefter
wenigftens über die Feftzeit in Laufen fein Amt noch verfehen
laſſen. Der Fürſt gab nah. Allein als Oftern vorüber
war, blieb der Priefter. Die Gemeinde hatte fich feinet-
wegen verfammelt und mit Mehr befchloflen, ihn zu behalten;
fie hatte ihm fogar feine Beſoldung erhöht. Der Biſchof
ließ den Bürgern von Laufen zufchreiben, daß fie den Prä—
dikanten entlaſſen follten, und befchwerte ſich beim Rate in
Bafel über die Widerfeglichkeit der Gemeinde. Die Ant—
wort des Rates zeigte ein völlig Eorreftes Verhalten. Dem
Biſchof wurde, nahdem er fein Verfprechen eingelöft hatte,
anheimgeftellt, ob er den Leutpriefter abberufen wolle. Die
Gemeinde von Laufen aber wurde angehalten, dem Willen
des Biſchofs fich zu fügen. Es blieb ihr darum nichts andres.
übrig als nachgugeben. Der Pfarrer mußte bald darauf fein
Urbeitsfeld in Laufen aufgeben und einen andern ernten
laſen, was er geſät hatte.**)
58
5. Der Sortgang der evangelifhen Bewegung
und der Bilderfturm.
Biſchof Philipp lag daran, die auflproflende evange-
liſche Saat in Laufen zu vernichten. Er ſchickte darum, als
der Prädifant Laufen verlaflen hatte, einen altgläubigen
Priefter. Allein die Gemeinde nahm ihn nicht an, fie wollte
feinen mehr dulden, der ihnen Meile leſens); nach kurzer
Zeit mußte er weihen. Die Gemeinde nahm nun die Be—
fegung der Pfarrei felbft an die Hand. Eine Minorität
hielt zum alten Glauben; fie verteilte fih auf die Dörfer
Zwingen, wo der bifhöflihe Vogt ihr Rüdhalt gewährte,
und Blauen und Dittingen.?®)
In Reigoldswil hatte Jerg Gapdenheimer oder Gat-
tenbeimer oder VBattenheimer, wie fein Name auch gefchrie-
ben wurde, als Pfarrer Anftellung gefunden. Er war fon
vorher an vielen Orten wegen feiner Lehre und evangelifchen
Gefinnung vertrieben worden.?”) Auch in Reigoldswil ver-
fündigte er die neue Lehre und unterließ es, Mefle zu Iefen.
Sm September 1527 erließ der Rat von Baſel ein Mandat,
welches jeden Priefter bei Verluft der Pfründe zwang, Meile
zu leſen, mit alleiniger Ausnahme der Geiftlichen in der
Stadt, die das Abendmahl nach neuem Ritus hielten. Bat—
tenbeimer fümmerte fich aber nicht um das Verbot und gab
auch fonft nach wie vor feiner evangelifchen Ueberzeugung
Ausdrud. Er wurde, weil er „der Meß halb auch andrer
fachen halb” gegen das Mandat gehandelt hatte, in Baſel
ing Gefängnis gejebt, bald darauf aber, am 22. Oktober
1527, gegen UÜrfehde entlafien. Er mußte fchwören, falls
es ihm nicht gelegen fei, Meſſe zu lefen, feine Pfründe abzu-
geben.) Battenheimer Eonnte fi nicht dazu verfteben,
etwas wider fein Gewiflen zu tun. Er gab fein Amt in Rei-
goldswil auf. Auf diefen Mann griffen nun die Bürger
von Laufen. Wie weit der Rat von Baſel an feiner An-
ſtellung beteiligt war, ift nicht ganz Har. DBattenheimer
94
erklärte fpäter, von Baſel nah Laufen geihidt worden zu
fein. Wenn es auch befremdlich erfcheint, Daß derjelbe Rat,
der Battenheimer wegen feiner evangelifchen Gefinnung ver-
trieb, ihn nach Laufen empfahl, jo ift bei der unklaren Lage
der Dinge, wie fie Damals beftand, dieſes widerfpruchsvolle
Verhalten doch nicht unmöglich. Der Biſchof wehrte fich
mit aller Macht gegen die Anftellung Battenheimers. „Zu
diden moll” gebot er der Gemeinde Tchriftlich und mündlich,
ihn nicht anzunehmen, wandte ih auch an den Pfarrer felbit,
daß er fih der Pfarrei nicht unterwinde. DBattenheimer
gab zur Antwort, daß er von der Stadt Baſel nach Laufen
geordnet fei, der wolle er gehorfam fein.) Die Wirkfam-
keit eines Mannes von der entjchieden evangelifchen Ge:
finnung und der Entfchlofienbeit Battenheimers Fonnte nicht
ohne jchwerwiegende Folgen bleiben.
Schon den Sommer über hatte es im Laufental be-
fändig gegährt. Man wußte nicht, wann die Bewegung
fih wieder gewaltfam Luft machen werde. Der Abt Niklaus
vom Bellelay hatte, wie übrigens das Jahr zuvor fchon,
nit gewagt, feine Badenfahrt zu unternehmen, wiewohl
fein franfer Leib deflen jo dringend bedurft hätte.) Die
Spannung wurde aber noch größer und die Erbitterung der
Untertanen wuchs zufehends. Es bedurfte nur eines Kleinen
Porfalles, und das Feuer des Aufruhrs brach wieder aus.
Der Vorfall trat ein. Der Laufener Bürger Min Fuchs
wurde — aus welcher Urfache, ift unbefannt — vom Vogt
gefangen genommen und eingefperrt. Da flanden am
5. Sanuar 1528 die Laufener auf und zogen bei Nacht und
Rebel mit gewehrter Hand vor das Schloß Zwingen. Gie
forderten den Gefangenen beraus, fchimpften, verbrannten
die Schloßzäune und zwangen fchließlih den Vogt, ihrer
Forderung zu willfahren. Der Biſchof verlangte innerhalb
acht Tagen Schadenerfag. Im Weigerungsfalle ftellte er
ihnen ein ernftliches Vorgehen gegen fie in Ausfiht. Er
wandte ih um Hilfe nah Biel. Der Rat von Biel fandte
55
eilends eine Botſchaft nah Laufen, Damit der Stoß befriedet
werde, und verſprach dem Bifchof, wenn die Not es erfor-
dere, Unterſtützung. In Bellelay erhielt die Botſchaft vom
Bifhof die Nachricht, Daß er mit den Aufftändifchen eine
Einigung erzielt habe. Sie Eonnte deshalb die Heimreife
antreten. Der Aufbruch der Laufener hatte aber die Ge:
müter im ganzen Tale mächtig erregt. Es war ein groß
Geſchrei im Lande gewefen. Der Abt von Vellelay legte
darum dem Bifchof nahe, energiihere Mafregeln zu er:
greifen: „ich bfor fo ver vnd nit anders den bißhar mit denen
von Lauffen gehandlet werde, u. g. vnd der ftifft zu groflem
nachteil dienen werde“.“ Auch Baſel war nicht untätig
geblieben. Der Rat hatte am 8. Januar den Meyer und
die Räte von Laufen auf Ratszeit nach) Baſel gefordert
und in der Folge neun Rädelsführer gefangen gelegt. Sie
wurden am 21. Januar frei gelaflen. Der befreite Ulin
Fuchs wurde jedoh vom Biſchof wieder aufgegriffen. Baſel
legte für ihn Fürfpradhe ein, da es erbärmlich wäre, daß
der arme Mann, „der durch angezeigt vertreften” fich zur
Kundſchaft herbeigelaflen hatte, deſſen jett entgelten follte.°')
Während diefer unruhigen Wochen war Battenheimer
von Laufen abmwefend. Er hatte fi auf die Disputation
nah Bern begeben, welche vom 6. bis zum 26. Januar ab-
gehalten wurde. Er war begleitet von Hans Schmidlin,
dem Schuhmacher zu Laufen, und Peter Hans Meyer, auch
zu Laufen, welche ihrem Kirchherrn von der Gemeinde mit-
gegeben worden waren, „zuzelojfen". Auch der Prädilant
Simon Weber von Therwil und Ettingen und der Prädifant
von Bärfehwil, Jodocus Himmelkron, machten die Reife
mit. In Bern traf er auch den früheren Kaplan Sohannes
Balthafar von Rheinfelden. Als die Disputation zu Ende
ging, erklärten fie alle, Prädilanten wie Laien, dur) ihre
Unterfchrift die Zuſtimmung zu den Schlußreden.5?) Batten-⸗
heimer kehrte, in feiner evangelifchen Heberzeugung durch die
perfönliche Berührung mit Swingli, Berchtold Haller, Oeko—
06
lampad und andern mächtig aeftärkt, nach Laufen zurüd.
Der Biſchof aber fette alle Hebel an, den entfchieden evange:
lichen Prädifanten zu entfernen. Er bejchwerte fih allen
Ernftes in Baſel und machte folhen Eindrud, daß der Rat
der Gemeinde von Laufen empfahl, Battenheimer, der dem
Biſchof „Jo gar widrig”, gütlich hinwegzuweiſen, da ihnen
aus dem Widerftande große Ungnade erwachlen Fünnte.’?)
Allein die Gemeinde, welche Battenheimer ihr Vertrauen
gefchenkt hatte und von der Wahrheit des evangelifchen
Glaubens überzeugt war, Fieß fich dur diefe Drohungen
nicht einſchüchtern. Battenheimer blieb, ja er trat entichie-
dener denn je für den neuen Glauben ein. Er batte nicht
ohne Gewinn der Disputation beigewohnt und mitangehört,
wie die Theſe verfochten wurde, „Daß die jet gebräuchliche
Meſſe, als ein Opfer für Lebendige und Tote, der Schrift
zuwider, dem Opfer Chrifti eine Läfterung und um der Miß—
bräuche willen ein Greuel vor Gott jei”. Durch feine Ver—
fündigung brachte er die Gemeinde dahin, daß fie die Meſſe
und „alle chriftlihe Ordnung” abtat. Pergeblich hatte der
Amtmann von Zwingen auf das höchſte ermahnt, gebeten
und geboten, daß fie bei den alten Bräuchen und Ordnungen
bleiben follten bis auf die Zeit, wo eine ganze Reformation
in der Chriftenheit eingeführt würde?) Daß nicht alle mit
der Neuordnung einverftanden waren, ift nicht verwunder-
lich. Die Gegner der Reformation, die in Zwingen, Blauen
und Dittingen in der Mehrheit waren, verlangten vom
Biſchof, daß er die alte Ordnung wieder herftelle, widrigen:
fals fie feine Zinfen und Zehnten mehr geben würden. Für
den Biſchof war diefe Forderung eine willlommene Gelegen-
beit, mit den Dörfern und Fleden des Zwingener Amtes
in Unterhandlungen einzutreten. Sie führten am 14. April
zu einem Bertrage. Der Bifchof erklärte fich bereit, den
Untertanen die UHebertretungen und Frevel, deren fie fi
feit dem Bauernkriege fchuldig gemacht hatten, zu vergeben,
wenn fie die rüdftändigen Zinfen bezahlen wollten. Er ver:
97
ſprach auch, allen Fleiß und Ernit anzuwenden, ihnen nad)
ihrem Begehren „Hriftlihe Ordnung mit Mefle und andern
göttlichen Dienften in der Kirche und anderswo" wieder
einzuführen, da er fich hiezu verpflichtet wifle.°°) Diefes
Verſprechen war feineswegs geeignet, die Gemüter zu be-
ruhigen. Wenn aber die Abfiht des Biſchofs verwirklicht
werden follte, dann mußten die Untertanen aus dem Burg—
recht mit Baſel entlafien werden. An einer Schiedsgerichts-
verhandlung vom 5. Mai 1528, an welcher als Vertreter
des Biſchofs Hans Jakob Freiherr zu Mörsberg, Landvogt
im Unterelfaß, und Abt Niklaus von VBellelay, und als Ver:
treter Bafels der VBürgermeifter Adalberg Meyer und Wolf:
sang Harnafcher mitwirkten, verlangte der Biſchof die Auf:
hbebung des Burgrechts. Baſel aber weigerte fih, fi
darauf einzulaflen. Nach langem Hin- und Herreden fam
es zu einem vorläufigen Vergleiche, der feftftellte, daß die,
die ing Burgrecht aufgenommen feien, dem Biſchof mit allen
Rechten und Dienftbarfeiten gehorfam fein follten, da das
Burgrecht dem Bifhof und der Stift unfchädlich fein
Tollte.5®)
Der Biſchof war nicht imftande, die reformatgrifche
Bewegung in Laufen aufzuhalten. Die Anregungen, welche
Battenheimer an der Berner Disputation empfangen hatte,
wirkten mächtig fort. Er predigte gegen die Bilder und bewies,
daß Bilder zur Verehrung zu machen, dem Worte Gottes zu:
wider fei. Die Worte fchlugen ein. Die Heinen Vilderftürme,
welche in den Oftertagen 1528 zuerft zu St. Martin und darauf
bei den Auguftinern in Baſel unternommen wurden, wirkten
anftedend und aufreizend. Zwar ließ der Rat ein Schreiben
in alle WUemter ausgehen, welches gebot, „Daß niemand
einichley bilder oder Eilchen zier vB den kilchen thue ouch
die nit fchmehe”, und die Untertanen anwies, in bezug auf
die Bilder die Anordnungen der Obrigkeit abzuwarten.
Allein in Laufen war man mit der Geduld zu Ende. Der
Meyer wurde aufgefordert, eine Gemeinde einzuberufen,
98
damit fie über die Entfernung der Bilder Beſchluß falle.
Da er fi) weigerte, vem Begehren zu entiprechen, „Syend
ſy zufamen gangen das Meer gemaht vnnd alle famen
gemeinlich bi wenig an vier oder fünff puren des willens
worden, die gegen haruß zethund.“ Die Leute fanden fich,
welche bereit waren, das Vorhaben ins Werk zu feten,
nämlih Peter Scherer und Claus Ihonat von Laufen,
Heinrih Schmidlin und Zeltin Summer von Wahlen und
Hans Karrer und Heini Newer von Röfchenz. Auch aus
Liesberg halfen zwei Männer mit, Stephan Ferrer und
Hans Birri. Sie ftürmten die Bilder, trugen fie aus der
Kirche und verbrannten fie. Dann zerbrachen fie die Altäre.
Es famen noch andere dazu. Mit Srevelhänden wurden
die Büchſen erbrochen, worin das Geld zur Zierung der
Kirche eingefchloflen war.
Der Bilderfturm erregte gewaltiges Aufſehen. Baſel
fandte eine Botſchaft hinaus, um zu erfahren, wer die Auf-
wiegler gewejen jeien. Da kamen die Bürger zufammen
und einigten fih dahin, daß fie alle miteinander „in der
Bütt” fein wollten. Nur einer, der Metzger vor dem Städt-
lein, wollte nicht in dem Bund fein. Die Täter wurden
jedoch ermittelt und nah Baſel geführt, gefürmt und ver-
hört. Sie hielten Wort und verrieten fih nit. Es war
nicht aus ihnen herauszubringen, wer die Bilder verbrannt
hatte. Am 22. Mai wurden die beiden Liesberger, am
28. Mai die andern fechs Bilderftürmer aus dem Gefängnis
entlaflen.5”) Es dürfte fchwerlich behauptet werden, daß
alle, die am Vilderfturm beteiligt waren, nur aus religiöfen
Beweggründen, aus dem Zwange des Gewiſſens beraus,
gehandelt haben. Beim Prädifanten Battenheimer an
wirfficher evangelifcher Ueberzeugung zu zweifeln, liegt Feine
Veranlaſſung vor. Daß auch noch andere als nur religiöfe
Beweggründe mit im Spiele waren, läßt fich nicht leugnen.
Denn dafür fpricht fchon die Tatſache, daß das Geld aus
den Büchſen, das zur Zierung der Kirche beftimmt war, ge:
9
raubt wurde, weiterhin, daß die Führer beim Bilderſturm
auch die Weigerung, Zehnten und Zinfe zu zahlen, als durch—
aus begründet rechtfertigten.®?) Die Verwechslung evan-
geliſcher Freiheit mit der Freiheit von ökonomiſchen Laften,
wie fie überall damals zu beobachten war, ift ganz unver:
fennbar. Gene rechte, aus dem Glauben fließende Freiheit
galt vielen wenig oder nichts; fie hatten es nur auf Er—
weiterung ihrer bürgerlichen Rechte abgejehen, jo gewiß auch
die Dürger von Laufen, welhe Tag und Naht in den
Waflern des Biſchofs fifchten und zwar mit ganz ungewöhn-
lihen Mitteln, mit Wellen und dergleichen, wodurch Die
Wafler auch des Samens beraubt wurden, und worüber fich
der Biſchof in jenen Tagen befchwerte.5°)
Der DBilderfturm hatte aber noch eine andere Folge.
Blauen und Dittingen wollte wieder einen Fatholifchen
Pfarrer, und auch der Obervoat von Zwingen wollte feine
Kapelle wieder von einem altgläubigen Kaplan befingen
laflen. Ob die beiden Pfründen bisher von Laufen aus be-
dient worden waren, oder ob die Rapläne, dem evangelijchen
Glauben zugetan, der Bewegung zum Opfer fielen, welche
mit dem Bilderſturm eingejegt hatte, ift nicht befannt. So—
viel aber ift fichtbar, daß fowohl Blauen und Dittingen als
auch der Obervogt in Zwingen wieder Eatholifche Priefter
wünfchten. In der erftien Maiwoche beredete fih Erasmus
Sigelmann, der Vogt von Iwingen, mit Meifter Hans
Viſcher, Chorherrn von Sf. Peter in DBafel, wegen der
Pfründe von Blauen und Dittingen. Auf Grund diefer
Beſprechung ftellte fih ein Eatholifcher Priefter am folgenden
Sonntage den Gemeinden Ylauen und Dittingen vor und
fab fih die Sahe an. Die Bauern waren mit ihm zu-
frieden und wollten ihn anftellen. Allein der Priefter hatte
Bedenken, da die Behaufung, die in Dittingen war, zu Hein
und zu eng war. Der Vogt dachte auf Abhilfe. Er wollte
die Bürger von Laufen veranlaflen, den Priefter im Haufe
in Laufen wohnen zu laflen; er machte darum den Vorfchlag,
60
es möchten Vertreter des Domkapitels und der Chorberren
von St. Peter mit ven Bürgern von Laufen reden oder
fohriftlich verhandeln und, falls fie fich fperren follten, fie bei
ihren Eiden ermahnen. Seinen Plan, dem neuen Priefter
von Blauen und Dittingen auch die Kapelle von Iwingen
zu Übertragen, um den neuen Priefter eher zur Annahme des
Amtes zu bewegen, batte er fallen Laflen müflen, da der
Obervogt zu diefer Vereinigung feine Einwilligung nicht ge-
geben, fondern die Kapelle einem andern verdingt hatte, „Der
ſy befingen fol". Welchen Verlauf die Verhandlungen ge:
nommen baben, ift nicht erfihtlihd. Eine glüdlihe Löfung
wäre es jedenfalls nicht gewefen, den gut katholiſchen Priefter
von Blauen mit dem evangelifch gefinnten Kaplan von
Laufen im felben Haufe unterzubringen, und es ift wohl
denkbar, daß der Bewerber um die Pfrund Blauen noch
aus andern Urfachen die angebotene Stelle ausgefchlagen
bat, als darum, weil ihm das Pfarrhaus zu Hein und eng
war.e®)
Sm Bilderfturm hatte fih das Gewitter entladen. Die
drüdende Schwüle war gewichen. Anangefochten Tonnte
Battenheimer das Evangelium verfündigen, wie auch der
Hirtenbrief bezeugt, den Defolampad am 13. November 1528
an die evangelifchen Pfarrer im Baſelbiet fandte und der neben
den bifchöflichen Pfarrern von Iherwil, Oberwil und Rei-
nah auch an Georg Battenheimer gerichtet war.) Die
‚endgültige Entfcheidung Fonnte freilich für das Landftädt-
chen erſt fallen, wenn einmal in Bafel felbft das Evangelium
zum Giege gefommen war. Die Zeit fam. Um 12. Ze:
bruar 1529 wurden in Baſel die Mefje und die Vilder als
„todt und ab” erklärt, ebenfo wurde befchloflen, daß auf der
Landfchaft ohne Verzug alles „hölzerne Götzenwerk“ abgetan
und verbrannt werde. Am 1. April aber Tieß der Rat die
Reformationsordnung der Basler Kirche ausgehen. Der
Wellenfhlag der Bewegung machte fih fofort auch im
Birstale bemerkbar. Die Bevölkerung wurde unruhig und
. 61
verlangte auch die Reformation. Es ftand ein Yeberfall
des Schloffes Zwingen zu befürdhten. Der Rat von Bafel
warnte den Vogt, daß er das Schloß gut verwahre, damit der
Stift Feine Untreue widerfahre. Der Biſchof mußte nad
geben. Am 4. Zuni fam in Imwingen ein Vertrag zwiſchen
dem Biſchof von Baſel und dem Meyer, Rat, Gejchworenen
und ganzer Gemeinde in Laufen und den Dörfern Wahlen,
Röſchenz und Liesberg, am 4. September ein folcher mit den
Gemeinden Reina, Oberwil, Therwil, Ettingen und All—
ſchwil zuftande.. Die Perbandlungen waren durch Abt
Niklaus von DBellelay, Bürgermeifter Jakob Meyer und
Wolfgang Harnafcher von Bafel geführt worden. Im Ber:
trage mit Laufen wurde vereinbart, daß die Kirchenzierden
inventarifiert und bis auf weiteren Beſcheid an einen fihern
Ort gelegt werden follten, daß der Biſchof eine Abfchrift des
Snventars erhalten follte.. „Des Gotsworts halb” wurde
der damalige Zuftand zu Recht erkannt. „Vnd das die
vnderthanen vnd auch ire predicanten von des gotsworts
wegen frig wandlen megen in meins gn. Herrn. Oberfeit. Vnd
fol ouch inen niemand nüß args von des gotsworts wegen
zufügen. Deßglichen füllen ouch die predicanten nütz anders
denn die heilige fchrifft als nümw vnd allt Teftament predigen,
vnd füllen ouch vff den cantlen niemand nennen noch die:
felben fchelten.” Das Burgrecht mit Yafel wurde belaffen.
„Stem den Artikel der onderthanen betreffend die entpörung
mit allem anhang laſſen wir zu difer zit anftan, biß die vor-
benempten Artikel, fo offgefchriben find, vßgericht werden.”
Alsdann follte den Vermittlern diefer Artikel „gan vnd gar
vertrauwet werden von beiden parthien, darumb ein vßſpruch
zethund.“°2)
Die Durchführung der Reformation vollzog fih nun
in aller Ruhe. Die Kirchenzierden wurden aus der Kirche
entfernt, aber nicht aufbewahrt, fondern nach dem Vorgange
der Gemeinden im Gebiet der Stadt Yafel verkauft oder
vergantet und der Erlös von 96 Pfund von der Gemeinde
62
nah ihrem Gefallen verwendet.) Die Zahl der Geift-
lichen wurde auf das notwendige Maß bejchränft. Neben
dem Leutpriefter, der vom Domkapitel gefegt wurde, blieb
nun nur noch der Diakon, deflen Wahl der Stift von
St. Peter zuftand. Der erfte, der diefes Amt verfah, war
Urih Wefener.) Er fand kaum fein Ausiommen, mußte
die Stift St. Peter um Hilfe anrufen, damit er fein Brot
haben möge, und 300 es deshalb vor, nach kurzer Zeit die
Kaplansſtelle auf der Farnsburg anzunehmen. Auch der
Nachfolger Wefeners, Conrad Dlant, lebte in bedrängten
Verhältniſſen. Denn der Leutpriefter mußte ihm in der
Teurung des Winters 1531 auf 1532 für 9 Pfund und
5 Schilling Bürge fein, die er hatte aufnehmen müljen.°°)
Reben den beiden Geiftlichen wirkte an der Gemeinde auch
ein Schulmeifter, doch dringt über feine Tätigkeit nichts ans
Licht. Die Prädilanten mußten wie die Pfarrer in Stadt
und Land den Eid leiften und traten Damit in die Synode ein.
Die Gemeinden Zwingen, Blauen und Dittingen ver-
barrten auch jest noch in ihrem Widerftande gegen die Re-
formation. Über auch in Laufen und den Gemeinden
Wahlen, Röfchenz und Liesberg fanden fih noch offene oder
verfteckte Anhänger des alten Glaubens. Das friedliche
Zufammenleben der getrennten Brüder, namentlich auch aus
dem katholiſch gebliebenen Delsbergertal, Tieß fi dur
eine obrigteitlide Verordnung befeblen. Es kam darum
hin und wieder zu allerlei Zufammenftößen. Einmal fam der
junge Müller von Delsberg nach Laufen. Nachdem er etwas
lange im Wirtshaufe gefeflen war, ließ er fih auf dem
Heimmwege vom Wein übermeiſtern und redete öffentlich,
daß alle, die dem Evangelium anhängig feien, fie feien von
Bafel oder von Laufen oder woher fie jeien, Reber feien,
Böfewichter und Schelmen. Der Meyer von Laufen ließ
ihn feftnehmen. Nach drei Tagen wurde er auf Vitten feiner
PBerwandten vom Amtmann entlafjen, nachdem er öffentlich
im Beiſein des Vogtes, des Rates, einiger Vürger und
63
des Prädikanten um Perzeihung gebeten und die Evange:
liſchen als „hriftlich ehrlich und gut fromm Leut” bezeichnet
hatte. Er mußte aber zudem noch die Koften feiner Ein:
fperrung bezahlen.) Für die Prädifanten war aljo noch
ein weites Feld, wo fie ihre Kräfte zur Gewinnung der Alt:
gläubigen betätigen konnten.
Dazu Fam nun aud) noch der Kampf gegen die Täufer.
Es ift bereit darauf hingewielen worden, daß nach) dem
Bauernfriege viele Täufer fi ins Gebiet des Biſchofs
zogen, aber daß von Bafel aus auch bier auf fie Jagd ge:
macht wurde. Auch etwas fpäter, nach der Durchführung
der Reformation im Baſelbiet, famen vereinzelte Fälle vor.
Als in Lieftal der Umſchwung ſich vollzogen hatte, verließen
zwei Täufer das Städtchen und begaben fih nah Laufen.
Der eine, Cafpar Heinrih, der Schuhmacher, hatte fich im
Frühjahr 1528 mit Heinrich Dettlin von Rheinfelden von
Hans Seckler taufen laſſen und lag im April in Baſel ge-
fangen. Am 21. Dezember 1530 wurde in Laufen der Wie-
dertäufer Zeit Dettlin, der Gattler, von Rheinfelden
gefangen. Er hatte wiederholt dem Basler Gerichte zu
Schaffen gemacht. Er war am 19. Mai 1528 mit Vernhart
Sacher von Bremgarten aus dem Gefängnis entlaflen wor:
den. Da er nicht hatte ſchwören wollen, war ihm gedroht
worden, er werde, wenn er wieder betroffen werde, ins
Halseifen gelegt und mit Ruten gefchlagen werden. Allein
fchon einige Tage fpäter war er wieder aufgegriffen worden,
diesmal in Begleitung von Konrad Winkler vom Rapf im
Zürichbiet. Er wurde noch einmal gewarnt und mit Ruten,
Halseifen und Schwemmen bedroht. Sm Auguft war Veit
Dettlin mit Konrad Winkler und Nyſius Schmit von
Dießenhofen wieder im Gefängnis gefeflen. Nachdem fie
die Urfehde geſchworen hatten, waren fie entlaffen worden.
Sie waren fünf Meilen weit fortgewiefen worden und hatten
bei Strafe der Ertränfung das Verbot erhalten, nicht zu
predigen oder predigen zu hören. Veit Oettlin hatte in
64
Laufen feine Zuflucht gefucht. Aber nun war er auch bier
aufgejagt worden. Er wurde am folgenden Morgen wieder
frei gelaffen und aufgefordert, das Land zu meiden, „dDieweill
er def glaubens“ fei, bei Strafe des Ertränkens, wenn er
wieder getroffen werde.) Auch Lind wurde wieder gegen
die Täufer gehandelt.
6. Erneute Verhandlungen über das Burgredt.
Ein gefährliches Unternehmen.
Als am 4. Zuni 1529 für Laufen eine wenn auch vor-
läufig recht dürftige, eigentlich nur die Hauptfrage, die Ver:
fündigung des Wortes Gottes regelnde kirchliche Ordnung
feftgefegt worden war, da waren die Burgrechtsfrage, ſowie
alle die Streitpunfte, die feit dem Bauernkriege hängig
waren, einer |pätern Erledigung vorbehalten worden. Die
zweite, am 5. Mai 1528 in Ausficht genommene Verhand-
lung batte am 29. September 1528 ftattgefunden. Nach—
dem verfchiedene Wege vorgefchlagen worden waren, aber
fh als ungangbar erwiejen hatten, war eine Einigung
erzielt worden. Der Bifchof hatte verjprochen, das Schloß
und Amt Birsed mit den Dörfern AUrlesheim, Reinach,
Oberwil, Allſchwil, Binningen und Bottmingen an die
Stadt Bafel zu verlaufen. Zuvor aber follten die übrigen
beiderjeitsS übergebenen Klagartikel zu friedlihem Austrag
gebracht werden. Baſel aber hatte fich verpflichtet, nach:
dem dieſe Klagartifel erledigt und der Kauf in Kraft
getreten fei, vom Burgrecht mit Laufen und feinen zugeböri-
sen Dörfern zurüdzutreten, fie dem Bifchof wieder zuhanden
zu fellen, und in Zukunft ohne Wiflen und Willen des
Sürften mit feinem feiner Ilntertanen ein Burgrecht ein-
zugeben. Dagegen bätte vor Aufhebung des Burgrechts der
Bischof fih mit feinen Untertanen wegen aller verlaufenen
Handlungen und vorgebradhten DBefchwerden verftändigen
ſollen. Zunächſt hätte zu dDiefem Zwede zwifchen dem Biſchof
65 5
und der Bauernſchaft, die im Burgrecht begriffen war, ver:
handelt werden follen, wobei der Biſchof wie der Rat von
Bafel allen Zlei anzuwenden verpflichtet worden waren,
daß die Streitigkeiten gefchlichtet würden. Auf keiner Seite
hatte man fich die großen Schwierigkeiten verhehlt. Darum
war fchlieflich die Beftimmung in den Vertrag aufgenommen
worden, wenn feine Einigung zuftande komme, fo follten
gleichwohl Laufen und die andern PVerburgrechteten dem
Bifhof wie früher Sinfen und Gefälle bezahlen.*®)
Der Vertrag war in der Tat eine Totgeburt gewejen.
Nachdem Baſel die Reformation angenommen hatte, ver:
ſpürte der Biſchof begreiflicherweife noch weniger als früher
Luft, einen Zeil feines Gebietes der reformierten Stadt zu
verfaufen und damit feine Untertanen endailtig dem evange:
liſchen Glauben auszuliefern. Baſel war aber auch nicht
gewillt, Laufen und die zu ihm gehörigen Dörfer um den
Preis der Dörfer im Birseck fahren zu laflen, welche die
Stadt eigentlich jet fchon feft genug in Händen hatte, um
fie fih nicht mehr entreißen zu laſſen. Zudem war die
Hoffnung für die Stadt noch nicht gejchwunden, mit Der
Zeit auch Laufen ganz an fi) ziehen zu können. Am aller:
wenigften aber war Laufen jelbft geneigt, in die volle Ge-
walt des Bifchofs zurüdzufehren, vielmehr richtete es fein
ganzes Sinnen darauf, dauernd fi unter den Schuß der
Stadt am Rheine zu ftelen. Es war eingetroffen, was
vorauszufehen gewejen war, es war alles wieder im Sande
verlaufen. Sollte aber, wenn auf dem Rechtswege nichts
erreicht werden Eonnte, nicht endlich einmal ein anderer Weg
befchritten, follten nicht die Waffen aufgerufen werden, um
eine Entfcheidung herbeizuführen? Es gab in Baſel und
auch in Laufen Männer, denen die Rechtsfrage Feine große
Sorge machte, welche ohne Gewiflensbefchwerung den
Waffen die Entfcheidung glaubten überlaflen zu können;
e3 gab aber auch andere, denen es zweifelhaft war, ob die
Raftvogtei der Hochitift, welche Baſel befaß, die Berechti—
66
sung begründe, das Gebiet des Biſchofs an: die Stadt zu
ziehen, die ihr Ziel, das Bistum an die Stadt zu bringen,
nicht um den Preis einer offenbaren Nechtsverlegung er-
reichen wollten, und diefe aus Rechtsgefühl Bedächtigen
sewannen den Sieg über die fErupellofen Stürmer. Die
Stage wurde im Rate aufgeworfen: „ob man dem Bilchof
das Land innemmen welle und wie man diefe Sach) anariffen
ſolte“. Gie wurde an die Kriegsherren verwiejen, welche
fie im Dezember 1529 verhandelten. „Sit Davon geratten,
das noch zur zyt weder gut noch not fye zu ratichlagen, wie
man ein frömbd Land innemmen, fonder vil me bedenden und
erwegen ſolle: ob man eins folchen Ingriffs Fug babe, uß
was Urſach wir das thun mögen, und ob folche Urjach vor
einer Erbarkeit beftan möge oder nit; damit wir mit unred:
lihen Sachen dem Wort Gottes, deflen wir uns berümen,
nit Nachteil zufügen und alfo den Zorn Gottes über uns
Iudend. — Zum andern fol man ouch wol erwägen, fo
man etwas dätlichs anzenemmen glich Fug und gut AUr—
fach) bette, ob wir ftard genug fyend, wie wir die Sad) be-
barren wellend, mit waß hilff wir’s thun mögend, waß das
End fon werde. Und wenn man deß endlihen Willens
würde das Land inzenemmen, alsdann foll man ratjchlagen,
wie die Sad) anzegriffen fye und alih die Dath mit Rath
an die Hand nemmen. Hieby möchte nüt fohaden, daß man
zu Fürforg ein Ußzug mache under dem Schin und Gefchrey,
als ob es von wegen der verbottenen Zehenden und Zinfen
befcheche u. |. w.” Als die Räte fih über die Angelegenheiten
ausfprechen follten, wurde nach dem Rate der Kriegsherren
entfchieden. Die zornige Rede Heinrich Zellers, der dem
Rote Feigheit vorwarf: „Sr hend nit fo vil hertzes, das irs
thun dörffen”, vermochte den Rat nicht umzuftimmen.
Die Frage konnte nicht zur Ruhe fommen. Der Bifchof
verfuchte, die Untertanen zu nötigen, ihm gehorfam zu fein
und zu ſchwören. Sie weigerten fih. Ja, um fi in Zu:
funft vor ſolchen Zumutungen des Biſchofs zu fchüsen,
67 *
wurde von einigen Männern der Plan ins Auge gefaßt,
das Band, das fie mit dem Biſchof verband, völlig zu
durchfchneiden, das Klofter Lübel zu. überfallen und in Ver:
bindung mit Baſel das Land des Bifchofs einzunehmen.
An der Spitze der Bewegung flanden Hans Karrer von
Laufen und Heinrih Newer von Röſchenz, die beide ſchon
im Bilderfturm in Laufen fih bervorgetan hatten. Ohne
Zweifel hatten die Zührer Kenntnis davon, daß auch in
Baſel die Burgredhtsfrage die Gemüter wieder beichäftiate,
und es Leute in der Bürgerfchaft und auch im Rate gab,
welche den Augenblid für günftig hielten, das Bistum zu
befeßen. Anfangs Oktober 1530 war die Angelegenheit im
Rate zur Sprache gefommen. Allein der Rat wollte fih auf
dieſes Wagnis nicht einlaffen. Darüber war Urban Schwarz,
der Weinfchenf, der ſich durch feine Teilnahme an der Berner
Disputation als eifrigen evangelifch gefinnten Mann aus-
gewielen hatte, fehr ungebalten. Er äußerte fich dem Stadt-
knecht Urban DBlechnagel gegenüber in der Metzg: „Botz
licham, es will im rat nit ganz ich bin im alten rath ge-
fanden vnnd han gemeint, ich wette die ding fürderen, das
wir bede lender innemmen, fo will es nit hetten. () Sumer
bo& licham, es muß ein nuwen gebenfrieg gen, ich vermöge
e3 dann nit an der burgerſchaft.“
Am 19. Oktober kamen Heinrih Rewer und Hans
Karrer mit einigen andern von Laufen nad DBafel, ſtiegen
im Ochſen in der Spalen ab und aßen dort zu Abend. Gie
erzählten Urban Blechnagel, der erfchienen war, was fie im
Schilde führten. Unter dem Scheine, als ob fie den Eid-
genofien von Bern, welche den Genfern gegen den Herzog
von Savoyen zu Hilfe geeilt waren und noch im Felde lagen,
zuzögen, wollten fie aufbrechen, das Kloſter Lützel überfallen
und auch des Biſchofs Land einnehmen. Am Sonntag den
23. Dftober follte der Plan zur Ausführung fommen. Gie
forderten Blechnagel auf, mit guten Gefellen in der Stadt
zu reden, daß fie ihnen zuzögen. Blechnagel verſprach, ihrem
68
Wunſche gemäß zu handeln. Schon am folgenden Tage bot
fih dazu Gelegenheit. Im Rate war „der Ornaten halb”
verhandelt worden. Die Domberren hatten, nachdem fie
Baſel verlaflen hatten, verlangt, daß ihnen ihre Bücher,
Kirchenzierden, Ornate und anderes, was in den Gewölben
der Kirchen verwahrt wurde, herausgegeben würden. Allein
der Rat hatte die Herausgabe verweigert. Wiederholt hatten
deswegen zwifchen dem Domkapitel und dem Rate Ver—
bandlungen fattgefunden, ohne indeſſen zu einem Abfchluffe
zu gelangen.) Um 20. Oktober war die Angelegenheit
wieder einmal zur Sprache gekommen. Urban Schwarz und
Ludwig Becherer hatten im alten Rate „ein ftand getan”;
aber fie waren nicht durchgedrungen. Schwarz berichtete
Darüber Blechnagel. Diefer aber erzählte ihm nun von
feiner Beiprechung mit den Abgeſandten von Laufen und
ihrer Abſicht. Schwarz bezeugte feine Freude: „Das ift
recht; ich wet, daß vnſere gefellen ouch vffwerend”. Er
forderte Blechnagel auf, mit Steffen Bart,7!) dem Blattern⸗
arzte, der im Bauernkriege den Sundgauer Bauern zuge:
z0gen war und deshalb wie Blechnagel im Gefängnis ge-
legen hatte, und Urban Gürtler, dem Leutnant, der im Zug
nah Genf zum Fähnrich beftimmt war, zu reden, daß fie
fih rüften follten, und ihm wieder Beſcheid zu geben, wie
diefe beiden unternehmungsiuftigen Männer fi) zu der
- Sache ftellten. DBlechnagel fagte zu. Um Samstag den
22. Dftober war wieder Rat. „Man hat uns eins uffs
mul geben”, berichtete Schwarz dem Stadtfnecht Blechnagel,
„wir dürfen gar nit me daruon reden; aber es muß nit darby
pliben”. Blechnagel fuhr bei Steffen Bart und Urban
Gürtler mit feinen Bemühungen fort. Er redete Steffen
Bart zu, daß er, wenn die Bauern im Laufental fich erhöben,
ihnen mit einem Fähnlein zuzöge. Dart ließ fi willig
finden. As nah dem Imbis Hans Lotterer, der auch im
Bauernkrieg ſchon eine Rolle gefpielt hatte, in die Schol
fam, um SFleiſch zu Faufen, redete ihn der Stadtknecht Michel
69
Fink an. Steffen Bart habe neuen guten Baſelwein auf:
getan, Blechnagel und er wollten ihn auch verfuchen. Lot:
terer follte auch fommen und die Büchſe mitbringen, denn es
fei ein Zug beabfichtigt. Als kurz nachher Blechnagel mit
Hans Lotterer in Barts Stube faß, ging Jakob Herre vor-
über. Bart rief ihm und fragte ihn, ob das Fähnlein frei
fei. „wan es nit wider myne herren ift, fo will ich vch das
venlin geben; doch fo hat es dhein ftangen”, lautete die Ant-
wort. Dlechnagel wurde nun fofort zu Urban Schwarz und
Heinrich Zeller, dem Kuefer, gefhidt, um fie zu Bart zum
Eſſen einzuladen und ihnen zu berichten, wie weit die An-
gelegenheit ſchon gediehen fei, und daß Dart bereits ein
Fähnlein zur Verfügung ſtehe. Sie follten kommen, damit
Bart ſehe, daß es ihr Wille fei, mitzubandeln. Er fand die
beiden Männer vor dem Haufe Urban Schwarz’s. Beide
verfpradhen zu fommen. Hans Lotterer ging zu Simon
Morgenftern, um ihn zu bearbeiten. Urban Schwarz über:
legte fih aber die Sache noch einmal, eilte zu Blechnagel und
eröffnete ihm: „Urban, ich hab mich bedacht, ich will nit by
vch eſſen; dann wan ich vnd Heinrich Kuffer bed do fin
ſolten vnnd etwan die fach vßbrechen wurde, jo mußtend wir
bed, warn man daruon hant botte, im rath vßtretten, das
were aber nit gut. Dann wir mochten nit wüflen, waß
gerathen werde. So ich aber jeß nit gan vnd fchon die Sad
lutprecht werdeth, fo plib ich darby fißen, hören waß man
rathet vnnd kann vch allewegen jagen, wy es by minen herren
flat. Darum fo find gutter dinge vnnd frölich vnnd wenn
ſy myner warten, fo ſprich: Man folle eflen vnnd furfaren
alß ob er ſelbs da were, mir ſy ettwaß fürgefallen. Aber
ich wölle in der vrten fin.”
Am Abend ſtellten fih die Geladenen, Urban Blech—
nagel, Heinrich Zeller, der Keufer, Hans Lotterer, Urban
Gürtler und Simon Morgenftern bei Steffen Dart zum
Efien ein. Es wurde lebhaft verhandelt. Heinrich Seller
machte die Einleitung: „Hey, min herren ligend zu lang im
70
armbruft. ES ift nit lang das vuch daruon geratten worden,
man folte dem Biſchof fin land innemen vnnd wurden botten
verordnet die fachen zu beratfchlagen. Aber da es wieder
für rath Tam, bin ich vffgeflanden vnd gejagt: Ir hand nit
fo vil herges, das irs thun dörffen, ond bin damit von inen
vßtretten.“ Beſonders zuverfichtlich äußerte fich nach feinen
Erfahrungen im Bauernkrieg Steffen Bart. Ihrer vier
hätten damals den Gößenkrieg angefangen. Das wollten
fie aub tun. Bei der ganzen Geſchichte verfolgte er nicht
nur das Intereſſe der Stadt, auch nicht das der bifchöflichen
Antertanen, er hoffte vielmehr endlich zu feinem ausftehen-
den Solde vom Bauernkrieg ber zu gelangen”) und wollte
„ven Pfaffen am Bifhof rächen”. Uber au allerlei Be—
denken famen zu Wort. Us Hans Lotterer und Simon
Morgenftern gefragt wurden, ob fie mitmachen wollten, gab
der erfte zur Antwort: „Myn lib vnd gut bin ich geneigt dar:
auftreden, wenn es mit mynen berren if. Doch fo fißt einer
miner Herren da, der weißts wohl.” Heinrich Seller er:
widerte: „Sch bin nit hergeſchickt vch zeheißen oder ze weren,
ir wüflend wol, was ir thun fond.” Und Urban Gürtler
warf vorwurfsvoll die Frage dazwifchen: „Meinft du, das
wir ettwaß thun welten, das wider mine berren were.” ,
Blechnagel aber erklärte: „Worfür Hand ir mich, ich bin
myner Herren diener. Ich neme mit ein hutli vol fleiſch
dann es ftunde mir zu vil daran.” Morgenftern antwortete,
wenn es nicht wider die Herren fei und ihm nicht an der
Urfehde Schade, die er den Herren geſchworen habe, wollte er
fommen. „Botz liden,” fuhr Blechnagel auf, „waß fott es
dir ſchaden. Wenn ir vßhin komen, fo wirt das paner glich
nadhin gan.“ Simon entgegnete, daß er zu der Büchfen
verordnet fei, auf fie müffe er warten. Blechnagel erwiderte:
„Hey das fchat nüt, wan du vorhin duſſen bift, fo darfft du
nit nachin ziehen.” DBlechnagel, Bart und Gürtler hatten
fih darauf gefaßt gemacht, daß die Stage, ob der Rat ein-
verftanden fei, aufgeworfen werde. Sie hatten fich bereits
71
dahin verftändigt: Wenn fie fähen, daß der Rat den Zug
verbiete, fo follten Blechnagel und andere Rnnechte umberlaufen
und die Leute bearbeiten, daß fie ih nicht abwendig machen
ließen. Das Verbot des Rates fei nichts als ein „mennlin”,
wodurd der Rat „defter mit befler fugen den iren, fo fy nit
verloflen wurden, mit gewalt nochziehen, lüt und gefhüß,
difen zug flattlich zeuolenden, mit bringen möchten.” Auf
dDiefe Weife wußten fie Die Bedenken zu zerftreuen und die
noch Zaudernden zu beruhigen, daß der Zug nicht gegen
den Willen des Rats, „[ondern nit me den ein mennlin
were, damit fy es defter baß konndthen verantiwurten.” AU-
gemein waren die Männer von der Notwendigkeit überzeugt,
noch weitere Leute in die Sache hineinzuziehen. Unter andern
wurde Gebharts, des Ratsherrn Sohn, und Fridolin Ryffs
Bruder genannt. Man hielt es auch für ratfam, viele Ge-
felen von Zern, die ihnen befreundet waren, in den Handel
zu bringen, „Damit mans defter baß durhin druden möchte".
Auf dem Heimmwege wurden Lotterer und Morgen:
fern wieder unruhig; es müfle dennoch etwas an der Sache
fein. Der Ratsherr Zeller aber beruhigte fie: fie follten
nur tapfer fortfahren und, wenn fie an die Götzen kämen,
nichts bleiben laſſen. Allein fie ließen fih doch nicht mehr
beruhigen, fondern wurden miteinander eins, von der Sache
zurüdzutreten. Sie fanden fih darum auch nicht mehr eim,
als am Sonntag vormittag Seller, Schwarz, Bart, Gürtler
und Blechnagel zufammen famen, um „alle Ding eigentlich”
abzureden.
An die Laufentaler hatte Blechnagel einen Brief ab-
gefaßt, Die Bauern möchten an Steffen Bart berichten, ob
fie nach ihrer Zufage am Sonntag den 23. Oftober gerüftet
feien und das Spiel beginnen wollten. Er hatte ihn jedoch
nicht abgefchidt, nachdem er ihn am Sonntag morgen Urban
Gürtler vorgelefen hatte, zerriß er ihn. Am Sonntag nad:
mittag wurde auf der Schützenmatte geſchoſſen. Am Abend
jaßen einige von den Eingeweihten mit andern Schüßen zu-
172
fammen. Der Wein löfte die Zunge. Simon Morgenftern
ließ fich vernehmen, fie würden bald ein Schießen am
Blauen haben. Schon am folgenden Tage war die Sache
dem Rate zur Kenntnis gefommen. Dlechnagel wurde zu
den Predigern und zu Heinrich Seller und Hans Nagel ge-
Ihidt, diefe in den Rat zu holen. „Meifter Heinrich,” redete
der Stadtknecht den Ratsherrn an, „es gott vbel. Min
herren wiflen alle ding.” „Schweig nur ftill vnd fag nie-
manden nüt,” erwiderte diefer, „wir wend im woll recht. (!)
Hans Nagel weißs ouch.“
Bereits waren etliche heimlich Hinausgezogen. Der Rat
mahnte die Bürger bei großer Strafe und den Eiden wieder
beim. Benedikt Bart wollte eben zum Aeſchentor binaus-
zieben, als ihm der Bürgermeifter Jakob Meyer zum Hirzen
begegnete und ihn bei feinem Eide aufforderte, umzukehren.
Aber der Knecht antwortete „ſtölzlich“. So gebe er feinen
Eid auf. Erft nach langem Hin- und Herreden ließ er fich
bewegen, zu bleiben. Auf allen Zünften wurde das Verbot,
fortzuzieben, bekannt gemadt. Noch am Montag wurde
mit beiden Räten erkannt, alle die zu flrafen, „Die folichen
vfflouff gemacht hatten und follich rottung zufammen trieben
hatten”. Die Hauptihuldigen wurden gefangen gelegt:
Urban DBlechnagel, Hans Lotterer, der Weber, Konrad
Locherer, der Neftler, Heinrich Zeller, Urban Schwarz, Vene:
dit Bart und Michel Fink, der Stadtfnecht, und die beiden
LZaufentaler Heinrih Newer und Hans Karrer. Etlichen
Blirgern, jo Steffen Bart, „Der in diefer fah ein houpt—
man was" und Urban Gürtler wurde ein „gleyd“ gegeben,
aber fie taten fich wieder hinweg.’?)
Die Bauern des Laufentales hatten fich unterdeflen am
Sonntag den 23. Oktober erhoben und fi) vor die Schlöfler
Zwingen und Virsed gelegt, hatten aber, da fie von Bafel
feinen Zuzug erhalten hatten, wieder abziehen müflen. Das
Schloß Birsed wurde von den GSolothurnern eingenommen,
mußte jedoch von ihnen wieder herausgegeben werden.
73
Die Teilnehmer an der Empörung wurden bald wieder
freigelafien, am 31. Oktober Hans Lotterer und Benedikt
Bart, am 1. November Konrad Locherer, der verbannt wurde,
und am 5. November Heinrich Zeller, Urban Schwarz und
Michel Fink, die als „nicht geftändig ganz unfchuldig” in
die Freiheit zurüdfehrten. Steffen Bart und Urban Gürt:
ler hatten fi durch Flucht dem Arm der Gerechtigkeit ent-
zogen. Ein blutiges Opfer blieb auf dem Plate. Urban
Blechnagel wurde am 15. Dezember enthauptet, gevierteilt
und an die Straßen gehängt. Zu diefer Strenge hat nicht
bloß die amtliche Stellung des Stadtimechtes, fondern aud)
fein wenig rühmliches Verhalten im VBauernfriege Veran:
laſſung gegeben.”*) Am 21. Januar des folgenden Jahres
erhielten auch die beiden Laufentaler wieder ihre Freiheit,
nahdem fie Urfehde gefchworen hatten.
So hatte diefer Verſuch, die Burgrechtsfrage des
Laufentals mit der Waffe flatt auf dem Nechtswege zu
entfcheiden, fehlgefchlagen. Das Maß der Gelbftverleug-
nung, welches der Rat von DBafel übte, indem er feine
Wünfche hinter der Forderung des Rechts zurüditellte,
verdient alle Anerkennung, ebenfo wie das Verantwortlich-
feitsgefühl, von dem er fich leiten ließ und das ihn bewog,
als Behörde einer nah dem Worte Gottes reformierten
Stadt nichts zu unternehmen, was mit der Ehrbarkeit nicht
beftehen und der evangelifhen Sache nur Schaden zufügen
fonnte. Die Folge war allerdings die, daß die Verhält—
nifje fich nicht abflärten und daß die langwierigen Verhand⸗
lungen von neuem einfeßten, ohne eine wirkliche Entfcheidung
herbeizuführen.
7. Die Verträge des Bifchofs mit Laufen von 1532,
1533 und 1535.
Nachdem im Sommer des Zahres 1529 in den bifchöf:
lichen Gemeinden die Reformation durchgeführt und durch
Berträge fihergeftellt worden war, leifteteten die Pfarrer
74
wie die in den Basler Uemtern den Eid und wurden als
Glieder der Basler Kirche gehalten. Vom Herbft 1530 an
erfchienen fie deshalb auch auf den Synoden in Bafel.”?)
Allein es traten bald Mißftimmungen ein. Zum Zeil trugen
die unklaren Verhältniſſe daran ſchuld, zum Teil aber auch
die Verſuche der Untertanen, eben diefe Verhältniſſe zu
ihrem Porteile zu benüßen. Sie machten vielfach, was
ihnen beliebte. Gab ihnen die Stadt ihre Weifungen, dann
waren fie bifchöflich, follten fie dem Biſchof Gehorſam Ieiften,
beriefen fie fi auf das Burgrecht mit Baſel, oder wie ein
andermal geklagt wurde, fie wollten weder die Mandate
Baſels noch des Biſchofs halten. Sie feßten Priefter ab,
machten eigene Feiertage, ftraften die, welche fie nicht hielten
und wiefen den Pfarrern ihre Rompetenz nicht aus und
hielten auch fonft in der Verwaltung der Kirchengüter nicht
die erforderliche DOrdnung.’®) Es war darum geboten, daß
ein neuer Vertrag die firchlichen Verhältniffe ordnete. Bür—
germeifter Jakob Meyer wurde als Schiedsrichter angerufen.
Durch feine Vermittlung fam es am 12. Zuni 1532 zu einem
Vertrage zwifchen dem Bifchof von Baſel und Meyer, Rat,
Gefchworenen und ganzer Gemeinde von Laufen und den
Dörfern Wahlen, Röfchenz und Liesberg.’””) Die Gemein:
den Iwingen, Blauen und Dittingen hatten ihren Wider:
fand gegen die Reformation auch jeßt noch nicht aufgegeben.
Unter dem Zwang der Verbältniffe hatte der Biſchof
fhon einige Zeit auf die Ausübung des geiftlichen Gerichtes
verzichten müflen. Der neue Vertrag ließ es vorläufig bei
der bisherigen Uebung bleiben, doch „Shrer fürftlichen Gna-
den Jurisdiktion und gerechtigkeit onverzigen”. Deutlicher
und beftimmter als früher ſprach fich der Vertrag über die
DBerfündigung des Evangeliums aus und faßte die Lehren
zufammen, die aus den bisherigen Erfahrungen gezogen
worden waren. Es wurde beftimmt, daß den Untertanen
„das heilig Wort Gottes, das Evangelium Jeſu Chrifti
nah vermög des newen auch alten Teftaments zu der ehren
75
Gottes und pflangung gutter gehorfame ouch brüderlicher
liebe trewlich verfündt werde". „Es follent aber die prediger
vff der Cantzlen alle nidifche ſchmach- und fcheltwort, dadurch
jemand verlümbdet oder verargwont werden möchte, vonder:
laſſen, khein füönderige perfohnen nemmen noch anziehen fon-
der die lafter in gemein von mißfallens der fünden wegen
fraffen. Dazu follent vnd mögent bemelte underthanen und
ihre predicanten im Bistum frey ohne forg wandlen alfo, daß
ihnen von wegen des göttlichen wort, daß ſy demfelbigen
anhengig findt, nichts args zugefügt werde.” Doc follten
fih die Untertanen, und ihre Prädilanten auch ihrerjeits,
wenn fie in das Fatholifche Gebiet des Biſchofs kämen, „mit
worten vnd werfhen befcheidenlich vnd fründlich halten von
wegen deß aloubens vnd chriftenlicher religion niemanden
fchmehen reizen noch anziehen“. Weiterhin fah der Biſchof
davon ab, die Laufener wegen des Verkaufs der Kirchen-
zierden zu ftrafen. Wenn aber durch ein allgemeines Kon—
zil beftimmt würde, daß die Altäre und Rirchenzierden wieder
aufgerichtet werden follten, dann follten die Bürger von
Laufen die 96 Pfund, die fie beim Perfauf der Kirchen:
zierden gelöft hatten, wieder erftatten. Damit wieder eine
geordnete Verwaltung der Kirchengüter einſetze, follten im
ganzen Amte wie von alters ber Pfleger geordnet werden,
welche über ihre Verwaltung alljährlich den bifchöflichen
Beamten Rechnung abzulegen batten.
Der Biſchof war mit diefen Beſtimmungen den Inter:
fanen offenbar in weitgehbender Weife entgegengefommen
und mochte wohl hoffen, daB die Gemeinde Gleiches mit
Gleichem vergelten werde. Ja, es ſchien, als ob diefe Hoff:
nung in Erfüllung gehen wollte. Wenige Tage fpäter näm-
Lich, nachdem der Biſchof mit Laufen den Vertrag abge:
ſchloſſen hatte, berichtete er nach Baſel, es fei gütlich ver-
einbart worden, daß die Laufener und zum Teil auch die
vom Amte Iwingen dem Bifhof wiederum buldigen follten.
Die Huldigung folle am 1. Zuli ftattfinden. Baſel möge
76
auf Sonntag den 30. Zuni einen Gefandten nah Zwingen
fhiden, damit in feiner Anweſenheit die Huldigung deſto
ftattlicher vor fich gehe.) Es läßt fi) wohl vorftellen, was
für Gefichter die Ratsherren in Baſel gemacht haben, als fie
das Schreiben lafen. Was fie geantwortet haben, ift leider
nicht befannt, Doch iſt fchwerlich anzunehmen, daß fie durch
ihre Anweſenheit in Zwingen die Laufentaler ermutigt
‚hätten, dem Bifchof wiederum zu ſchwören.
Das Errungene feftzuhalten war nur möglih, wenn
Saufen fowohl in politifher als in kirchlicher Hinfiht die
Stadt Baſel den erforderlihen Rüdhalt bot. Deſſen waren
fih die Einfihtigen in dem bifhöflichen Städtchen wohl
‚bewußt. Es war darum auch mehr als ein augenblidlicher
Einfall, wenn im Herbft 1532 der Schulmeifter von Laufen
an die Ringmauer des Städtchens die Ehrenzeichen der
Stadt Baſel und des Biſchofs malte. Der Biſchof gab
fofort Vefehl, das Basler Wappen zu übermalen. Der
Rat von Baſel aber, der von dem Vorhaben des Schul:
meifters Teine Kenntnis gehabt hatte, betrachtete es als
einen Alt der Gerechtigkeit, daß auch des Biſchofs Zeichen
wieder abgetan würde, und forderte den Schulmeifter auf,
es ebenfo zu entfernen. Den Biſchof bat der Rat, den
Schulmeifter nicht zu beftrafen.”?)
Das zwieipältige Wefen, an welchem das Städtchen
litt und das der Schulmeifter duch feinen Einfall richtig ins
Licht geftellt hatte, erwies ſich auch in der nächſten Zeit für
eine gedeihliche Entwidlung recht hHinderlih. Auf Firchlichem
Gebiete Fam es zu neuen Reibungen mit der Basler Synode,
die fich derart verjchärften, daß im Mai 1533 die Präpdi-
fanten des Bistums von der Synode ausgefchloffen wurden.
Der Rat hatte bei diefer Maßregel dem Drängen der Geift-
lichkeit nachgegeben. Allein der Basler Pfarrer Gaft urteilte
mit Recht, daß dadurh dem Biſchof Gelegenheit gegeben
werde, das Evangelium, das ohnehin fehon bei ihm verhaßt
jei, ganz auszutilgen.?°) Vorläufig fam es nicht dazu. Im
77
folgenden Sahre brachten die fchwebenden Kriegsläufe den
Biſchof und die Stadt einander wieder näher. Man wußte
zu gut, daß man in der Gefahr auf gegenfeitige Hilfe ange:
wiefen fei und gab ſich Mühe, fich gegenfeitig zu ertragen.
Sie fchloffen am 20. April 1534 auf ſechs Jahre ein Yünd-
nis, wonadh im Bistum die bisher geübte Religion, „wie
die vff difen tag by inen geprüchlich“, ganz unangefochten
und frei bleiben und von dem Bündnis, beiden Teilen ohne
Schaden, nicht berührt werden follte?!) Tags darauf be:
fchloffen die Bannherren, die Prädifanten des Bistums
zur Synode wieder einzuladen; allein für diefes Mal unter:
blieb die Einladung.??) Der Zorn der Basler Pfarrer hatte
fih offenbar noch nicht gelegt und leiftete dem Willen der
Bannberren erfolgreihen Widerftand. Gleichwohl machte
in der nächiten Zeit die Annäherung wieder Fortfchritte.
Darum machte fih der Bifchof felbft verdient. Er erließ
am 18. Sanuar 1535 für Laufen und die Dörfer Wahlen,
Röfchenz und Liesberg in Anlehnung an die Basler Refor-
mationsordnung eine Polizeiordnung, von der die Prädi-
fanten mit Recht rühmten, daß fie der göttlichen Wahrheit
nicht zuwider war.??) Was für ein Geift zu diefer Ordnung
geführt hatte, erhellt Har aus den Beftimmungen, welche
der Heiligung des Sonntags, der Einfchränfung des Spiels
und der Bekämpfung der Kirchweihen dienten. Während
des Gottesdienftes mußten die Wirtfchaften gefchloflen fein
und die Wirte durften vor dem Gottesdienft niemandem
etwas verabreichen, „es were dann fremden wandleten geften
oder fo einer vber veldt wollt". Ebenſo war am Sonntag
die Vogeljagd und das Zifchen verboten, fowie das Schießen
mit Büchſe und Bogen in Wald und Zeld, „es were dann
vmb furgwill zur fchiben oder zum zill“. In bezug auf das
Spiel wurde feſtgeſetzt, daß nicht höher als um einen Rappen
und nicht mit Würfeln und nicht zu Seiten gefpielt werde,
„jo fh gebürt ann gottesdienften ze fein”. Mit befonderem
Nahdrud wurde der Beſuch der Kirchweihen befämpft, aus
78
dem viel Unrats entftehe, da fie mehr dem Wein als dem
Gottesdienft zuliebe befucht würden. So war es bei Strafe
verboten, innerhalb zwei Meilen Weges im Umkreis KRirch-
weihen zu befuchen, wenn es nicht aus chriftlicher Andacht
geſchehe. Diefe aber war vom Kirchweihbefucher dadurch)
zu beweifen, daß er ohne beim Wirt oder beim Drum und
Dran der Kirchweihe fich aufzuhalten, fich nach Haufe verfüge.
Die Wirkungen diefer Polizeiordnung laflen fih im ein-
zelnen nicht mehr feſtſtellen. Daß fie es auf eine ftraffere
Zucht abgefehen hatte und den Volksfchäden mit Entfchieden-
beit entgegenzutreten fuchte, ift zweifellos. Mit diefer neuen
Ordnung bänat es wohl auch zufammen, daß nun auch
gegen die Täufer wieder entfchiedener vorgegangen wurde,
nachdem feit einigen Jahren es in Ddiefer Hinficht ftille
geblieben war. Anfangs Mai 1535 war Urs Marfichall,
der Vogt, in Laufen, „der Täufer halben zu handeln”. Er
ließ allerlei Leute verhören, welche „faft nach der Täuferei
ſchmeckten“. Dei diefer Gelegenheit fielen auch jene An—
Hagen gegen den Leutpriefter Serg, welche ihn für den Un—
geborfam der Intertanen gegen den Biſchof verantwortlich
machten.®?)
Zn Bafel ließ man fich endlich wieder herbei, die Prädi—
kanten des bifchöflichen Gebietes zur Synode einzuladen.
Sie erſchienen am 11. Auguft, unter ihnen auch Georg
Battenheimer. Sie beflagten fih, dab ſchon zwei Synoden
in Bafel abgehalten worden feien, zu denen fie nicht befchrie-
ben worden feien. Diefe Ausfchließung habe bei ihren Ge:
meinden Anftoß und WUergernis erregt und dahin geführt,
„Das by inen fein geborfame mer gelten wil, obglich der
bifhof von Bafel ir natürlich vnd weltlich ber mandata zu-
ihidt, jo der göttlichen wahrheit nit zuwider find”. Sie
baten eindringlich, man möchte fie nicht ausfchließen und
verlafien, denn es fei leicht einzufehen, was zuletzt daraus
erfolgen werde. Wenn die Basler von ihnen wichen, wüßten
fie nicht zu bleiben. Man gab ihnen gute Worte, man
79
werde fih ihnen gegenüber der Gebühr nach verhalten.®®)
Als aber im folgenden Jahre zur Synode eingeladen wurde,
wurden die bifchöflichen Prädifanten wieder libergangen.
Wie fehr ihnen aber daran gelegen war, den Zuſammenhang
mit Baſel aufrecht zu erhalten und die unverftändliche Ab—
neigung der Basler zu überwinden, bewiejen fie dadurch,
daß fie an der nächſten Synode vollzählig erfchienen, „wie
wohl fy nit befchriben” waren.®®)
8. Der Abfhluß der Reformation in Laufen.
Daß die Gemeinde Laufen der Unterftügung der Basler
Kirche wert war, bewies fie bald darauf durch eine Ordnung,
welche fie fich felbft gab. Die Gemeinden Zwingen, Blauen
und Dittingen hatten fih bisher nicht zum Anfchluß an die
evangelifche Gemeinde Laufen bewegen lafjen und auch in
Laufen jelbft und den Gemeinden Röfchenz, Wahlen und
Liesberg hielten ſich noch einzelne Familien zum alten
Glauben. Sie liefen ihre Kinder katholiſch taufen und
empfingen auswärts an Fatholifchen Orten das Sakrament.
Dagegen fcehritt nun die Gemeinde ein. Am 26. November
1536 verfammelte fi) die gemeine Kilchhöri Laufen, Rö—
Ichenz, Wahlen, Dittingen, Blauen, Zwingen und Liesberg
und traf über die Religion und Anliegen der Kirche eine
Vereinbarung. Cinmütig und einmündig wurde in ihrer
chriſtlichen Verfammlung befchloflen, die katholiſch Geblie-
benen aus den Gemeinden Röfchenz, Wahlen, Dittingen und
Iwingen, die von jeher zu Laufen gehört hatten, auf das
ernftlichfte zu ermahnen, von ihrem Vornehmen, wie bisher
die Rinder an Eatholifchen Orten taufen zu laflen und die
Saframente auf Eatholifche Weife zu empfangen, abzulaffen.
Sm Weigerungsfalle drohte die Gemeinde mit Verweigerung
der Taufe, des Nachtmahls und des Begräbnifles, was ihr
doch leid wäre. Auf diefe Weife follte die Einheit der Ge-
meinde wieder bergeftellt werden. Die Ordnung fprach fich
80
alsdann über den Bann und feine Handhabung, über den
Sonntag, den Kirchgang und die Hörung des göttlichen
Worts aus: „Diweil wir kein virtag hand, das wort gottes
zu hören, dann den fonentag, fol fich jederman befleißen,
fobald man zufamenläutet, fih an feinen ort zu feßen.”
Wer nadhläffig ift, fol der Kirche verfallen fein. Beſondere
Beftimmungen werden für die Mebger aufgeftellt. Gegen
die Kirchweihen wird in ähnlicher Weife gekämpft, wie in
der Polizeiordnung des Biſchofs. Von der Rampfesftellung
gegen den Katholizismus legt der Abſchnitt „vom touf wie
der gehalten vnd wer die gefatteren fin oder fin ſollen“, deut-
ih Zeugnis ab. Die Kinder müflen zu St. Martin getauft
werden. Es dürfen keine Andersgläubigen, auch keine Töch-
terlein unter zwölf und feine Rnaben unter vierzehn Jahren
als Paten eintreten. In dem Abfchnitt „von der Kranken
Heimfuchung” wird darauf gedrungen, daß man bei Zeiten
zum Prädifanten fchide, damit er noch mit dem Kranken
reden und nachher den himmlifchen Vater loben und preifen
fan, wie er „unfre brüder oder fchwefter inn riftenlichem
glouben vß difem jamertal inn das ewig himmliſch vaterland
beruft bat.” Wenn ein Kranker das heilige Abendmahl
begebre, „rechter und wahrer meinung” um feinen Glauben
zu färken, jo folle man es ihm nicht abjchlagen; und wenn
zu befürchten wäre, daß der, der es begehre, es nach früherem
Gebrauch verlange, fol es ihm Doch gereicht werden, nachdem
er vom Pfarrer über den rechten Gebrauch aufgeklärt worden
fei.87)
So angenehm die Weitherzigfeit berührt, welche in
diefer Abendmahlspraris zum Ausdrud kommt, jo befremd-
lich erfcheint daneben die im Grunde unevangelifche Art und
Weife, wie man durch den Drud der Drohung die noch
katholiſch Gefinnten zur evangelifchen Kirche herüberholen
wollte, und es ift ein eigentümliches Schaufpiel, welches in
den nachfolgenden Verhandlungen fich darbietet, daß der
Biſchof der evangelifhen Gemeinde gegenüber Glaubens-
81 >
und Gewiflensfreiheit zu verteidigen ſich anfchidte. Der
Biſchof beſchwerte ſich nämlich bei Baſel darüber, daß die
IIntertanen von Laufen Ordnungen und GSaßungen ohne
Wiffen ihres Herrn fogar mit Androhung von Strafen auf:
geftellt hätten, während fie die Artikel, die der Biſchof aus
den Basler Drdnungen gezogen habe, nicht annehmen wollten.
Auch die Basler hätten diefe Ordnung der Laufener, wenn
fie darüber gejeflen wären, verurteilen müſſen. Mit Ent-
ſchiedenheit wehrte fich der Bifchof dagegen, daß feine Inter:
tanen von Laufen Leute, die zum Stein Zwingen gehörten,
zwingen wollen, ihre Kinder in Laufen taufen zu laflen,
während doch der Glaube frei fei und „Niemand wider fein
Eonfciens, bis ihn der Allmächtig auff die eine oder andere
weife erleuchte, gedrungen werden” ſollte. Wenn er ihnen
in bezug auf die Wahl der Kirchenpfleger und die Verwal:
tung der Rirhengüter in Wahlen, Röfchenz und Liesberg
nachgegeben habe, fo feien im Vertrage Doh Zwingen, Dit:
fingen und andere Gemeinden nicht erwähnt. Diefe Ge-
meinden feien daher beim katholiſchen Glauben zu belaffen.
Der Biſchof ftellte Baſel in Ausfiht, er werde Laufen ver-
bieten, feine eigenwilligen Satungen zu gebrauchen, und
‚ihnen gebieten, fih an die bifchöfliche Ordnung zu balten.
Er habe nicht die Abficht, ihnen ihre angenommene Religion
zu nehmen. Uber der Biſchof erwarte von Baſel, daß es
ihn unterftüße, damit die Katholifchen katholiſch Leben
fönnten. Allein der Bifchof vermochte an dem, was gefchehen
war, nichts mehr zu ändern. Laufen behielt feine Ord-
nung.38) Zn Blauen wurde von nun an jeden Sonntag vom
Diakon evangelifher Gottesdienft gehalten.
Auf die Dauer fonnte Baſel den Glaubensgenofien im
Bistum fein Herz nicht verfchließen. Auf der Synode vom
Sabre 1538 erſchien auch wieder Serg YBattenheimer, wo er
fih mit dem Prädifanten von Therwil „erclagt". Der
Grund feiner Rlage ift nicht befannt. Es war das lebte
Mal. Nachher verſchwindet er vom Schauplag. Aber er
82
durfte es doch noch erleben, Daß Laufen den Anihluß an
Baſel in Eirchlicher Hinficht wieder fand. Zwei Sahre fpäter
löfte Baſel auch fein Verfprechen ein, welches es feinerzeit
gegeben hatte, es wolle Laufen halten wie die eigenen Aemter.
Als nämlih im Jahre 1540 in Lieftal eine luſtige „Rilby”
gehalten wurde, da lud der Rat von Baſel auch Laufen und
die fünf Dörfer Wahlen, Röſchenz, Liesberg, Dittingen
und Blauen ein, nach Lieftal zu fommen, und erwirkte dazu
beim Biſchof die Erlaubnis, daß fie wie die Aemter ihr
SFähnlein mitbringen durften. Dreibundert Mann ſtark
rüdten die Laufentaler mit ihrem Fähnlein auf. Den guten
Willen zu mehren und zu pflanzen, wurden fie am folgenden
Tag in den Zünften und Gefellfchaften YBafels ehrlich traf:
tiert und koſtfrei gebalten.®?)
9, Die Pfarrer und das Firdhlidhe Leben in Saufen
bis zur Begenreformation.
Nachdem Laufen die Verbindung mit Baſel gefunden
batte, brach eine Zeit an, wo der neue Glaube, nachdem er
Wurzel gefaßt hatte, fih mehr und mehr zu entfalten und
Srüchte zu bringen vermochte. Die folgende Zeit erwedt
den Eindrud, daß die Bewegung mehr und mehr in die Tiefe
gegangen ift.
DBattenheimers Nachfolger im Amt des Leutpriefters
von Laufen war Herr Cafpar, von dem wir gar nichts als
nur den halben Namen willen und erfahren, daß er auf der
Synode vom Zahre 1542 in Baſel mit allen Prädikanten
des mit Baſel verburgrechteten bifchöflihden Gebietes er:
fhien?) Vom Diakon in Laufen wird in diefer Zeit
überhaupt nichts fichtbar. Dagegen tritt nun im Jahre 1546
ein Mann auf, der fih als Dichter einen Namen gemacht
bat. Valentin Bol?!), aus Rufach flammend, war erft
Prediger in Alpirsbach, Diakonus in Tübingen und Prädi-
fant in Schorndorf, wo er mit feiner Frau, „einer harten,
83 6
unleidlichen Bremſe“, in unheilbarem Zwieſpalt gelebt hatte.
Durch eine Empfehlung von Straßburg nad) Zürich hatte
er in Schwanden wieder eine Stellung gefunden und tauchte
nun plöglih in Laufen als Diakon auf. Hier entftand fein
älteftes Wert, „Dauli Belehrung”, welches am 6. Juni
1546 bei fchönftem Wetter in Baſel aufgeführt wurde. Auf
öffentliche Roften wurde die Schaubühne errichtet, Bürger:
meifter von Brunn übernahm die Rolle des Saulus. Der
Ratsherr Balthaſar Han fpielte den „hergoth“, Chriftus.
Die Schaufpielergefellfchaft erhielt von der Stadt eine Be—
lohnung von 20, der Dichter eine folche von fünf Kronen.
Das Werk wurde zudem auf Staatskoften gedrudt. Beinahe
wäre Bol& die Genugtuung verfagt geblieben, der Auffüh—
rung feines Erftlingswerfes beizumohnen. Denn als er
wenige Tage zuvor mit Meifter Wilhelm Glafer von der
Eifengafie nah Laufen hinauswanderte, wurde er in Rei-
nah von Trafin Lüdin angefallen. Der wütende Bauer
hatte einige Wochen zuvor im Schaltenbrand in Baſel fich ,
über die Maßen mit Wein beladen und einem Gafte, der
eben fein Glas angefegt hatte, das Glas mit der Fauft in
den Mund gefchlagen, daß die Splitter in der Haut fteden
geblieben waren. Er war dafür gefangen geſetzt worden.
Als nun die beiden Männer nad) Reinach kamen, fing Lüdin
an, mit zornmütigen Worten und Gottesläfterungen über
den Bürgermeifter und den Rat der Stadt Bafel fi aus—
zulafien. Valentin Bol fuchte ihn zu begütigen und redete
ihm freundlich zu; aber er richtete nichts aus. Da geriet der
Meifter Glafer in Zorn und ſchlug dem Wüterich mit der
Fauſt ins Gefiht. Lüdin lief ins Dorf, holte feine Helle-
barte, kam mit einem andern Bauern zurüd, ſchlug Bolt
zu Boden und verlegte ihn übel mit feiner Waffe. Meifter
Glafer kam ohne Schaden davon. Sobald der Heberfall in
Bafel bekannt wurde, rüdten fechzig Bürger nah) Reina
aus und brachten die beiden Bauern gefangen nach der
Stadt. Lüdin wurde für immer aus Baſel verbannt.??)
84
Ein Zahr fpäter wurde Bolt zum Prediger an Bar—
füßer na) Bafel berufen. Boltz hatte fi) nach der Schei-
dung von feiner erften Frau mit feiner Magd verheiratet.
Sie hatte mit ihm in Laufen gelebt. In Baſel hatte fie
eine ſchwache Stunde, fie wurde ihrem Manne untreu. Ge:
Ihieden und ein Kind erwartend, des Aergerniſſes wegen im
Sahre 1553 ausgewiefen, wußte fie keine Zuflucht. Es
war zu befürchten, daß fie fich etwas antun koͤnnte. Da fie
fh fonft gut gehalten hatte, neigten Antiftes Sulzer und
die Basler Pfarrer zur Milde. Sie fahen fih zwar aus Rüd-
fiht auf das Gerede und ihr Amt genötigt, fie etwas weiter
wegzuſchicken. Aber Sulzer empfahl fie Ambrofius Blaurer,
dem Dorfteber der Kirche in Biel, in der Meinung, daß fie
dort mit Nähen und Weben ihren Unterhalt verdienen folle,
und in der. Erwartung, daß fie niemand läſtig fallen werde,
da fie ihr befcheidenes Austommen habe und arbeiten Eünne.
Blaurer hatte viel Unangenebmes um ihretwilen. Die
Frau fand nun aber in Laufen eine Zuflucht, und Sulzer
boffte, nah Rüdfprache mit dem Bürgermeiſter von Baſel,
daß fie dort auch gegen Valentin Boltz's Wiffen und Willen
gelafien werden koͤnne. Sulzer redete mit dem Bürgermeiſter,
fchrieb auch an den Pfarrer Konrad Schred, und fah nun
feine Gefahr mehr, daß die Frau, die unterdeflen ein ſchönes
Rnäblein geboren hatte, aus Laufen vertrieben werde. Er
dankte Blaurer für alle der Armen erwiejene Liebe. Später,
im Sabre 1555 wurde Magdalena Bolt von einem ehrbaren
Laufener Bürger zur Stau begehrt. Sulzer und? Marcus
Bertſchi zu St. Leonhard bemühten fih beim Kirchenrat, die
Erlaubnis zur Heirat zu erwirfen, ohne welche fie nicht zu
heiraten wagte, und erreichten, daß der Kirchenrat ihrem
Begehren entfprach.??) Boltz's Nachfolger in Laufen, Ron-
rad Schred, trat am 21. Oftober 1547 fein Amt als Diakon
zu Laufen und Blauen an.) Im folgenden Zahre trat der
Leutpriefter, Herr Cafpar, vom Schauplaße zurüd. Es war
die Zeit des Interims. Bei feinem Beginne war aus
85
Speyer Michael Diller, ein in Wiflenfhaft und Sprachen
hervorragender Mann, um feiner evangelifchen Ueberzeugung
willen vertrieben worden. Er fand in Laufen als Leut—
priefter ein neues Feld der Wirkffamkeit.) Nach vier-
jährigem Aufenthalt wurde er vom Fürft Ottheinrich von der
Pfalz wieder in feine Heimat berufen und wurde Pfarrer
in Heidelberg.
Der Diakon Konrad Schred hatte mit feinen gepntern
Streitigkeiten gehabt, weil fie ihm die fehuldige Frucht nicht
hatten abliefern wollen. Cr wandte fich Tlagend an die
Herren der Stift von St. Peter, von denen der befanntefte
und einflußreichfte Wolfgang Wiflenburg war, der ehemals
als der erfte in Bafel deutfche Meſſe gelejen hatte. Er fand
Gehör und Unterflügßung Die Stiftsherren verordneten,
daß die Güter der Kaplanei St. KRatberina zu Laufen neu
aufgefchrieben würden. Dadurch mußte Ordnung gejchaffen
werden.?*) As Michael Diller Laufen verließ, wurde Kon—
rad Schred von der Gemeinde beauftragt, die Paftoration in
Laufen bis zur Wiederbefeßung der Stelle zu übernehmen.
Er ließ deshalb der Gemeinde von Blauen anfagen, er
fönne am Sonntag nicht zur gewohnten Stunde in Blauen
predigen. Die Gemeinde möge ihm einen Tag in der Woche
angeben, an welchem er in Blauen feine Predigt halten
fönne, oder er wolle Sonntags nad) der Predigt in Laufen
zu ihnen hinauf fommen, bis wieder ein Leutpriefter ge-
wählt fei. Allein die Leute von Blauen beftanden eigenfinnig
auf ihrem Rechte; fie beichloflen in der Gemeinde, fie wollten
nichtS anderes, „Denn wie der bruch und man inen fchuldig
fige". Es war um fo befremdlicher, daß, „ob ſy ſchon nit
ze Filchen gönndt”, fie Doch die Kirche von Laufen mit etwa
500 Menſchen unverfehen laſſen wollten. Daraus ſei doch
zu erkennen, meinte der Dfarerr, welcher Art und Natur
die Leute von Blauen feien und „was liebs fie zu dem
Evangelium haben”. Michael Diller hatte in feiner Ab—
Ichiedspredigt den Diakon Schred zum Nachfolger im Leut-
86
priefteramte empfohlen. Er hatte der Gemeinde, die ihn
anfragte, eine Zufage gegeben, vorausgeſetzt, daß die Kol-
latoren, die Dombherren, fich mit feiner Wahl einverftanden
erklären würden. Die Wahl fand ftatt, und die Veftätigung
folgte.?”) Die Stiftsherren von St. Peter hatten nun aber
wieder für den Diakon einen Nachfolger zu ernennen. Gie
fandten Yartholomäus Weftheimer. Er predigte. WUllein
er erschien der Gemeinde zu alt. Sie wollten einen jüngeren
Mann, der tüchtig fei, die Jugend zu unterrichten. In
- Laufen wurde auh von dem Pfarrer von Arlesheim, Jo—
hannes Herold, und von Gabriel Hummel geredet. Gegen
den erften hatte Schred eine ftarfe Abneigung.??) Die Stifts-
herren von St. Peter ließen Weftheimer fallen und ſchickten
Chriftoph Megerich, vormals Pfarrer in Glarus, zur Probe-
predigt nah Laufen. Die Gemeinde befchloß, fo wie es
der Bifchof früher auch gehalten hatte, ihn auf ein Jahr
anzunehmen und zu verfuchen und, wenn er ihnen gefalle,
ihn weiter zu behalten, wenn nicht, ihm nach einem halben
Sabre zu fünden. Den Stiftsherren in Baſel aber wollte
es nicht billig erfcheinen, „Das man in göttlichen vnd ſeelen
ſachen handle wie man in zittlichen vnd liblichen handeln zu
tun pfleget, da gemeinlich beftellte Dienft off gewifle zit und
tag geftellt werden.” Megerih wurde in Laufen Diakon.??)
Sm Fahre 1554 farb Biſchof Philipp von Gundels-
heim. Es folgte ihm Melchior von Lichtenfels. Als der
neugewählte Fürft die Untertanen von Laufen zur Huldi-
gung empfing, verſprach er ihnen, fie bei ihren alten Ge:
wohnbeiten zu laflen, und als nach längern Verhandlungen
im Sabre 1559 zwischen dem Biſchof und Baſel ein Vertrag
zuftande kam, wiederholte der Fürft fein Verjprechen, die
Untertanen bis zu einem Generalfonzil bei ihrem Glauben
zu laflen. Als das geſchah, waren Konrad Schred und
Megerich noch in Laufen an der Arbeit. Bald nachher haben
beide ihr WUrbeitsfeld verlaffen. Us Diakon erfcheint feit
dem Sahre 1561 Matthis Schaller von Bregenz.'?°) Schaller
87
309g mit Frau und Rindern und feinem dürftigen Hausrat
und allen feinen Büchern auf, die er fi) kurz zuvor um
12 % erfauft hatte. Er fah ſich auch „wegen fürgehender
noturfft” gezwungen, bei der Stift von St. Peter eine Summe
von 45 % aufzunehmen, für die er feinen fämtlichen Hausrat
als Pfand einfegen mußte. Die finanziellen PVerhältnifie
des Diakons beflerten fih nicht. Statt daß er an feiner
Schuld etwas abzuzahlen vermocht hätte, ſah er fich genötigt,
von den GStiftsherren ein weiteres Darlehen von 15 Pfund
fh zu erbitten. Durch feine Notlage ließ er fich verleiten,
auch in der Gemeinde Geld aufzunehmen. Daraus erwuchs
dem bedrängten Pfarrer bald allerlei Anfechtung. Er wurde
von feinen eigenen Pfarrlindern verklagt. Er anerbot fich,
fih vor den Gtiftsherren in Gegenwart der Verkläger zu
verantworten. Im Sahre 1563 erfchien er vor dem Amts—
meyer von Zwingen und der ganzen Kirhhöri von Laufen,
um fih gegen die Verleumdungen, welche gegen ihn erhoben
worden waren, zu rechtfertigen. Die Gemeinde aber be-
zeugte ihm, daß er fih „frombgklich, erlich und wol gehalten”
babe, wie fi) einem Prediger geziemt.
Im folgenden Zahre erfcheint in Laufen wieder ein
neuer Leutpriefter, Philipp Zetterlin.!!) Ob Konrad Schred
in dem furchtbaren Peftiahre 1564 ein Opfer feines Berufes
geworden ift? Die Akten jchweigen. Im Sanuar 1565
dagegen farb der Diakon Matthis Schaller. Schon fünf
Wochen vor feinem Tode hatte der Leutpriefter Vetterlin
die Rinder des Erkrankten „in feinem Muß und Brot”
erhalten und bebielt fie auch nachher noch eine Zeitlang bei
ſich. Uber auf die Länge erklärte er fich dazu nicht imftande.
Schaller hatte fich finanziell nicht mehr erholen können. „Da
ift wenig gut und .aber der fohulden gar viel.” Das „armut-
lin” war fofort in Verbot gelegt worden. Der Pfarrer bat
darum Wolfgang Wiflenburg als Stiftsherrn von St. Peter,
der armen verlaflenen Rinder in Gnaden fih anzunehmen,
damit fie erhalten werden möchten. Die Amtsgefchäfte des
88
Diakons verfprach er zu beforgen, bis ein neuer gewählt fei,
und darum in Blauen am Sonntag nach dem Gottesdienft
in Laufen oder am Montag früh die Predigt zu halten.
Als Nachfolger wurde bald darauf Jakob Linder gewählt.!2)
Er friftete ein Fümmerliches Dafein, aber er hatte Verftänd-
nis für die Bedürfniffe feiner Pfarrfinder. Nachdem der
Maurer am Pfrundbaus gearbeitet hatte, begehrte der Dia-
fon bei der Stift St. Peter, da man den Meifter für Sand
und Ralf bezahle; „denn was er macht, das ift gemacht vnnd
maht ein ding gutt“. Nachdem Linder fih fechs Jahre
lang mit feiner Vefoldung begnügt hatte, nun aber in den
ſchweren und teuren Zeiten nicht mehr beftehen konnte, bat
die Gemeinde für ihn um eine Beſoldungserhöhung und
erreichte, Daß ihm um 20 aufgebeflert wurde.
Sm Jahre 1565 war die „forkilchen” zu St. Martin
erbaut und bedacht worden. Zwiſchen der Domftift und der
Stift St. Peter entftand Streit, wer die Roften zu bezahlen
babe. Beide juchten fie auf die Gemeinde abzuladen. Dieſe
aber beftritt ihre Baupflicht und wies darauf hin, daß, als
vor dreißig Jahren das Dach auf. der Kirche erneuert worden
war, die beiden Stifte die Roften getragen hätten und feit-
dem die Domftift den Chor von neuem hätte deden Laflen.
Die Domftift aber wollte nun auf die 96 W greifen, welche
die Gemeinde aus den Kirchenzierden gelöft hatte. Allein die
Gemeinde wandte fih klagend an den Biſchof und bewies,
indem fie auf den Artikel des Vertrags vom Jahre 1532
fih berief, daß fie nichts zu geben fehuldig fei. Der Biſchof
konnte fich fchwerlich der Beweisführung der Gemeinde ent-
ziehen.!o3) Es war das lebte Mal, dab von dem Erlös aus
den Rirchenzierden die Rede war. Der Streit war auch von
feinem Belang gegenüber den großen ernften Entfcheidungen,
welche bald die Gemeinde im Innerſten erregen follten.
Philipp Petterlin fiedelte 1566 als Pfarrer nad
Bretzwil über. An feine Stelle wurde von der Domſtift
Jakob Gugger, der ältere, zum Pfarrer geordnet, ein Mann,
89
der völlig dem Lutbertum, wie es durch den Untiftes Simon
Sulzer vertreten wurde, ergeben war. In der Gemeinde
felbft Scheint diefer Wechfel feinen großen Eindrud gemacht
zu baben. Im übrigen erwies fih Gugger in Laufen wie
auch Später als überaus tüchtigen Hirten feiner Gemeinde.
Sie rühmte bald von ihm, daß er durch feine Lehre und
Hriftlichen Unterricht den Widerfachern, auf der einen Seite
den Papiften, auf der andern Oeite den Täufern, das Maul
geftopft babe. Da aber bei der großen Zeurung, der vielen
Müh und Arbeit, welche der Pfarrer von Laufen „rings:
wyß herum zu verſehen“ hatte, und bei der geringen Be—
foldung zu befürchten war, daß Gugger nicht länger bleiben
werde, wandte fich die Gemeinde an den Rat in Baſel, er
möchte ihr Gefuch bei der Domftift unterftügen und dahin
wirken, daß das Einkommen gebeflert werde.!%) Der Dom:
defan fand zwar, daß der Pfarrer mit feinem Einfommen
ausfommen follte, und ließ darum den Beſchluß, ihm 12 %
jährlich mehr zu bewilligen, in um fo hellerem Lichte er:
ftrablen.!°®)
Die Gemeinde hatte in ihrem Schreiben verlauten
laflen, daß fie vor viel Jahren aus Barmherzigkeit Gottes
zu Erkenntnis der Wahrheit gekommen feien, und ver:
fiherte den Rat, daß fie bei der Wahrheit bis in den
Tod verbleiben wollten. Wie weit es der Gemeinde mit
dieſem Verſprechen ernft war, das zu beweifen, follte ihr
nur allzubald Gelegenheit geboten werden.
90
Anmerkungen.
St. A. = Staatsardiv.
E. f. b. A. = Ehemaliges fürjtbifhöfliches Archiv in Bern.
Tr. = Trouillat, Monuments de l’histoire de l’ancien &v&che
de Bäle.
B. Chr. = Basler Chronilen.
1) Tr. V.©.122. IV. ©. 345. — ?) Tr. I. ©. 282. — ®) Tr. II
©. 154. — 9 Tr. II. ©. 642. — °) Tr. III. ©. 503. — ©) Tr. IV. ©. 694. —
7) Wadernagel, Geſch. der Stadt Bafel I. 148. — 8) Tr. V. ©. 84, —
9) St A. Bajel, Kirden St. Peter JJJ. 78. Laufen. — 19%) Daj. Hans
Hafner Hatte an das Salve in Laufen eine Vergabung gemadjt. 114
hat her Hans Hafner vergobt an das Salve. St. A. Balel, St. Peter
XX.1.6 480. — 1) E. Schmidlin, Gelhichtsblätter IV. 35. — 12) Vgl.
Burdhardt, Baul: Die Politik der Stadt Bajel im Bauerntrieg des
Sahres 1525. ©.39. Schmidlin,2.R.: Solothurns Glaubenstampf und
Reformation. ©. 49. St. A. Bajel Mill. A 28. 1525. IV. 14. — 12) 2.
Chr. VII. ©. 283. — 1) St. A. Bajel, Bistum Baſel F 3 Laufen:
Die Artidell, duch die vonn Lauffenn jampt anndern, so mit inen
inn der empörung inn das Teljperg tall am anndern tag des Mayen
im xve ond xxv jar gezogenn vnd durch die gejandten miner ge.
Hn. von Bern, Yryburg und Goloturn wider abgezogen findt. E. f.
b. A. COXXXIV. No. 2. — 2) St. A. Bern Teutjh Mill. P. 376.
Bern an Kaspar von Mülinen. 1525 V. 6. 5 Uhr Nachmittags. —
6) Daf. 1525 V.7. Bern an Kaspar von Mülinen. 1525 V.7. Bern
an Niklaus von Dießbach, Coadjutor des Bistums. — 1525 V. 8.
Bern an Solothurn. ©.380. An „Stadt vnnd Lanndt“ — vßzug.
— 7) Url. Bud Bajel. X. 32. — 8) wie 15) Bern an Freiburg
1525 V.10. — 19) Daj. 1525 V.12. Bern an Bafel. — 2%) Eidg. Ab⸗
ſchiede. IV. 1a. 658. Nr. 273. — 2) St. A. Bern Teutih Mill. P. 386.
Bern an den Coadjutor von Bajel, 1525 Mai 20. An Laufen.
1525 V. 23. — 2) Dal. An den Bildhof. 1525 V. 23, — 3) Urt.
Bud Bajel. X. ©. 32. No. 37. — 4) St. A. Bajel. Bild. Archiv XVI.
No.64. Inſtruktion für den Tag in Quzern. [1525.) — 2) St. A.
Bern, Teutih Mill. P. 4040. An die gemeine Burjame im Dels-
bergertal, wo die jet verjammelt find. 1525 VI. 17. — 2%) St. A.
Bajel, Miſſ. A. 28. Bajel an die Burfame im Laufental. 1525 VI.
14. — 27) wie *). — 3) St. A. Bajel, Religionsſachen. ne u
19 ff. — 2) Merz, W., Burgen des Sisgaus I. ©. 148 %) 6
Bajel, Bistum Bafel. F3 Laufen [1525]. — 3) Urk. Bud) —* —
©. 64. No. 47. — 8) St. A. Baſel. Biſchöfl. Archiv XVI. No. 64.
Inſtruktion für den Tag in Luzern [1525]. No. 63. Abſchied vom Tag
von Yuzern. 1525 XII. 8. — %#e) St. A. Bajel, St. Beter 229. Her
Jerg 1525. — Bilhöfl. Archiv XVII. 652 Urs Marihall an den
91
Biſchof. 1535 V. 4. — 8) St. U. Bafel, Bistum Bajel F3 Laufen:
1525 XI. 14. Dienstag nad Martini. — %) E. f. b. A. CCXXXIV.
No. 10. Antwort des Bilhofs auf die Artifel der Zaufener ohne
Datum. — 3) Burdhardt Paul, Die Basler Täufer ©. 237. St. 4.
Bafel, Bifhöfl. Archiv XVI. 61. Der Rat von Bafel an den Coad—
jutor 1526 V. 16. — %) St. A. Bafel. Miff. A. 29. Baſel an Laufen
1526 IV. 16. — %) Ueber die Leutprieſter und Kapläne tit folgendes
zu jagen. Leutpriefter war 1525 Herr Jerg. St. U. Bajel, St. Peter
229: für die x 8, die Her Jerg hatt gen dem caplan zu LZouffen.
Im Frühjahr 1526 tritt ein neuer Leutpriefter auf. Shmidlin L. R.
Solothurns Glaubenstampf 2c. 205 nennt vermutungsmweile zum
Sabre 1526 Konrad Molitor. Als Rapläne folgen ſich: 1526 nod
Her Hanf, vermutlih Hans Hafner: Bon Palmjonntag 1525
bis Sohannis 1526 Johannes Balthajar LYederjhneider
von Rheinfelden, der ſpäter bis zum 6. Februar 1534 enangelijcher
Pfarrer von Hofitetten, Witterswil und Bättwil war (St. A. Bafel,
Ratsbücher D. I. VI.) und bis 1544 als Pfarrer von Gebensdorf,
dann bis 1547 von Zweifimmen und ſchließlich 1547—1548 von Suß
erſcheint. Vgl. Lohner, Die reformierten Kirchen und ihre Bor:
fteher im eidg. Freiſtaate Bern, ©. 372, 525. (Joes Balthajar. Joes
zweifellos Abkürzung für Johannes). 1526—1527 Her Bernhart;
1527—1529 Her Meinrat; 1530 Ulrih Wejener. — Bor dem
Bauerntrieg war Her Michel Priefter. Im Oktober 1526 erſcheint
Her Eruperantius, der aber nur etwa 6 Wochen bleibt. Sein Nadj-
folger wird Her Michel, von dem es am 25. Jan. 1527 heißt: ietz
frühmeſſer daſelbß. Vgl. St. U. Bajel, St. Beter XX 1. 225.9. —
8) E. f. 6b. A. COXXXIV. No. 14. 1526 VI.4. — 39) St. A. Baſel, Bistum
Bafel F3. Laufen: ohne Datum. — 4%) St. A. Bafel, Bistum Bajel
F3: 1627 III. 19. — #1) St. A. Baſel, Miſſ. A 29.: Bajel an Laufen
1527 VI. 4. Dienstag nad) Eraudi. Stridler I. No. 1732 gibt 6. Juni
an, was unridtig iſt. — %) Dal. Miſſ. A 29: Bafel an den Bilchof,
1527 IV. 29. — 2) St. X. Bajel Bistum F 3: Biſchof an Bajel, 1527,
Freitag nad) Barth., VIII. 30. — %) St. A. Bafel, Bistum Bajel F 3.
— Miſſ. A 29. S. 83: Meltinger an den Biſchof von Bajel 1527 IV. 2.
Ditern fiel in diefem Jahre auf den 21. April. — Das. Biſchof Philipp
an den Rat von Bajel, 1527 IV. 11. — Daſ. Bifchof Philipp an den
Rat von Bajel, 1527 VI. 23. Miſſ. A 28. Rat von Bajel an Biſchof
Philipp, 1527 IV. 27. — 8%) E. f. b. U. CCXXXIV. No. 11. Unda⸗
tiert, gehört, da der Bilderfturm im Mai 1528 erfolgt, in dieſen Monat.
— %) Daf. No. 17: Bertrag des Bilhojs mit den Dörfern und
Flecken Zwingen Amts, 1528 IV. 14. — 9) wie 2). — #8) St. A. Bajel,
Urfehden III. 145, 1527 X. 22. — 29) wie) — 9) E. f.b. U. COXXXIV.
Ro. 16. Niklaus, Abt zu Bellelay, 1528 1.9. — 91) E.f. b. A. COXXXIV.
No. 15.: Meyer und Rat von Biel an den Bifchof. 1528 I. 8. „ylends zu
nacht.“ St. A. Bajel, Bistum Bafel F3: Biſchof Philipp an Laufen,
1528 1. 8. — €. .b. 4. COXXXIV. No. 16. Abt Niklaus an den Bilchof,
1528 1. 9. — St. A. Bafel, Urfehden. O. 3.6. 150. 1528 I. 21. Unter
92
den Schuldigen auch Claus Thonat, der fpäter beim Bilderfturm
beteiligt war, und Hans Schmidlin von Laufen, der mit Battenheimer
an die Berner Disputation wanderte. — Daj. Miſſ. A 29. Bafel an
Laufen, 1528 I. 8. — Biſchöfl. Archiv XVI. No. 13, 1528 II. 22. —
52) Sm Verzeichnis der Teilnehmer an der Berner Disputation wird
von Hans Schmidli und Peterhbans Meyer von Laufen gejagt, daß
fie ihrem Kirchherrn Simon von einer Gemeinde zugegeben worden
feien. Simon Weber wird vorher als Pfarrer von Therwil auf-
geführt. Cs Handelt ih um ein Verfehen. Es müßte ftatt Simon,
Serg heißen. — 53) St. A. Bajel, Mill. A 29. An Laufen, 1528 II.
8. — 5) wie 5). — 5) E. f. 6. U. COXXXIV. No. 8 und 17. 14. April
1528. — 56) Url. Bud) Bafel. X. ©. 92. No. 79. — 57) Die Ausjagen
der Bilderftürmer finden jih: St. A. Bafel, Religionsſachen. A 1, %ol.
19 ff: Die Zeit ergibt fi) aus den Urfehden der Teilnehmer, St. X.
Bajel, Urfehden, III: Stefan Ferrer und Hans Birri von Liesberg,
1528 V. 22. Die ſechs Laufener, 1528 V. 27. Die Angabe bei Ochs,
welche den Bilderjturm ins Jahr 1525 verlegt iſt demnach zu korri-
gieren. Ochs V. 524. — 58) wie %), und St. U. Baſel, Religions
fadhen A 1. Fol. 19 ff. — 9) St. A. Bajel, Bistum F 3. Der Bilchof
an Bajel, 1528 VIII. 6. — 60) St. X. Bajel, St. Peter JJJ. 34. Blauen.
1528 V, 13. Erasmus Gigelmann Vogt zu Zwingen an Meiſter Hans
Viſcher, Chorherrn der Stift St. Peter in Bafel. — 61) Decolampads
Briefe. Vgl. Herzog: Das Leben Decolampads. II. 87. — 8) St. A.
Bajel, Bifchöfl. Archiv, XVII. No. 38. Bafel an den Bogt von
Zwingen, 1629 IV.14. — €. f. 5.9. CCXXXIV. No. 9. Artitel der
Untertheidinger betr. Zwingen, Laufen 1529 VI. 4. 7. — 8) St. A.
Bajel, Biihöfl. Handlung L. 20., 1532 VI. 12: Vertrag zwiſchen
dem Bilchof von Bafel und Meyer, Rat, Geſchworenen und ganzer
Gemeinde von Laufen und den Dörfern Wahlen, Röſchenz und Lies-
berg. — 4) St. Arch. Bajel, Kirchen, St. Peter XX 1. JJJ. 78. Laufen,
1530 XII. 19. — Daj. Liber synodorum, 1534 Dienstag nad) Eraudi.
— 1542 VI. 12, in Benten. Aus dem Zinsbudh von Kaufen, St U.
Bajel, St. Beter XX 1., laſſen fi) die Kapläne in Laufen vor Ulrich
Wejener erheben. Her Eruperantius 1525, 1526; Her Bernhart 1526;
Her Meinrat bis 1529. „In vergangenen joren ung 1529 hat her
Meinrat dijen Zink ingenomen vnd von den vorverluffenen joren
andere finer vorfarenden Capplanen.“ — 8) St. U. Baſel, St. Beter
JJJ. 78. Zaufen. 15%2 Freitag vor Palmarum. Joh. Yortmiller an
Hans Schulthek, Schaffner von St. Peter. — ) E. f.b. U. COXXXIV.
No. 2. 1531. V. 14. — 9) Merz, W., Burgen des Sisgaus II. ©. 246.
— St. A. Bajel, Urfehden, III. ©. 157. 1528 IV. 7. Caspar Heinrich
und Heinrich Dettlin. — ©. 164. 1528 V. 19. Bernhart Sager, Veit
Detlin. — V.28. Conrad Winkler und Veit Detlin. — 1528 Samstag
vor St. Laur., Conrad Winkler, Veit Detlin, Nyfius Schmit. —
E. f. b. A. COXXXIV. 1523—1526. No 2. Urfehden von 1628 an; 1531
XII. 21. Beyt von Rheinfelden. — 8) Urk. Bud Bajel X. ©. 9.
No. 84. — 9) Buxtorf⸗Falkeiſen, Basleriihe Stadt: und Landgeihichten
93
I. 87. Zur Rede Zellers: St.A. Bafel, Bistum F 3 Laufen, Ber:
giht Urban Blecdhnagels. — 79%) St. A. Bajel, Biſchhöfl. Handlung.
O. 10. 1529 VII. 1. — IX. 7. — Daf. O. 12. 1529 Sonntag nad
unfer lieben (grauen Tag. — IX. 12. —- Daf. O. 13. 1529 IX. 17. —
Daf. O. 14 1529 X. 21. — 71) St. A. Bafel, Urfehden. III. ©. 67.
— 7) Bgl. B. Chr. VII. 299. Anm. 9. St. A. Bafel. Miſſ. A
29. BI. 31. v. — 3) Das ausführlide Vergicht Urban Blechnagels
vom 31. Oktober 1530, das in interefjanter Weife den Bericht
der Ryffſchen Chronik ergänzt und berichtigt, findet fih: St. 4.
Bafel. Bistum F 3. — Dazu fommen die Urfehden Benedikt Barts
in Sant Alban Borjtadt, Urfehden IV. ©. 167. — Hans Lotterer,
IV. 168, 31. X. — Konrad Locherer, XI. 1. ©. 169. Heinrich Zeller,
Urban Schwarz, beide der Räten, Michel Fink. XI. 5. — Heinrich
Newer und Hans Karrer IV. 184, 1531 I. 21. Vgl. B. Chr. I. 116.
Das Datum des Auflaufs iſt unrichtig. Richtig ift der Sonntag, aber
ftatt 21. Oktober muß es 23. Oktober heißen. Der Große Rat wurde
nit am 23., jondern Montag, den 24. Oktober gehalten. Urban
Gürtler und Urban Blechnagel find zwei Perfonen, nicht, wie W.
Viſcher I. 588 annimmt, eine. Stephan Bart flüdhtete nad) Zürich.
Stephan Bart evasit. Tigurum migravit medicus pustularum.
Basler Zeitihrift IV 49. Aus dem Diarium des Johannes Rütiner
von St. Gallen. — 4) Burdhardt, P., Die Politik Bafels ufw.
©. 126. — °) St. A. Bafel. Liber Synodorum. — 76) Daſ. Kirchen—
atten C 2. Syn. Dienstag nah Trinitatis 1532. — Kirchenakten
A 9.5. 1531 IX. 21. — 7) E. f.b. U. CCXXXIV und St. 4. Bafel,
Bilhöfl. Handlung L 20. — 7%) St. U. Bafel, Bistum Bafel F 3.
Der Bilhof an Bafel 1532 VI. 21. — °) €. f. 6.4. CCXXXIV.
1532 X. 9. — 8) Stadtbibliothet Zürich, Simmlerifche Brieffammlung
3.33. Nr. 109. Gaſt an Conrad? 1533 V. 12. Das Datum ijt un
richtig, Die Synode fand am'19. V. jtatt. — 31) St. X. Bajel, Biſchöfl.
Arhiv XVII. Nr. 61. — 8) St. A. Bafel, Kirchenakten A 9. 280:
1534 IV. 21. — 8) €. f. b. 4. CCXXXIV. 1535 I. 18. — 4) St. A.
Bajel, Biihöfl. Arhiv XVII 65a. Urs Marihall an den Bildhof.
1535 V. 4. — 8) St. U. Baſel, Kirchenakten A 9. 1615. Anbringen
der Predikanten inns Bilhoffs landt. — 8) St. X. Bafel, Kirchen:
atten Liber synodorum. — 8°) St. X. Bafel, Bistum. F3. 78. Yaufen.
— 8) Daſ. Biſchof Philipp an Bajel, 1537 IV. 19. — 89) 8. Chr. I.
159. — Buxtorf⸗Falkeiſen, Baslerifche Stadt: und Landgeſchichten, II
595. St. U. Bajel, Biſch. Archiv XVII 83. Baſel an den Biſchof,
1540 V. 5. — 9%) St. A. Baſel, Liber synodorum zum Jahre 1542. —
2) Zu Balentin Bol: vgl. Bächtold, Geihichte der deutſchen
Riteratur der Schweiz; Bächtold, Jakob: Schweizeriihe Schaufpiele
des 16. Jahrh. Band II: Der Weltjpiegel, von Valentin Bolt, 1550/
1551, bearbeitet von Dr. A. Geßler. — Boſſert, Guſtav: Zur Bio-
graphie des Dichters Valentin Bolg von Rufach. Zeitjhrift für
Geihichte des Oberrheins. N. %. Band XIV. 194 ff. Daß Boltz im
Sabre 1546 in Laufen gewejen ift, wird bezeugt: St. U. Baſel,
94
St. Peter JJJ. 78. Laufen. Wie lange er in Laufen geweſen iſt,
ift nicht zu erkennen. Sein Nachfolger tritt an Freitag nah Galli
1547 auf. Bol war von Pellifan in Züri, der wie Bol von
Rufach ftammte, nad) Bafel empfohlen worden: Misit ad nos Dn.
Pellicanus Valentinum quendam ex Glareana ſchreibt am 1. Junt
1548 Miyconius an Bullinger. St. U. Züri E II 336f., 289.
Außer diejem Schreiben ijt ein Brief des Myconins an Bullinger
vom 20. Juli 1549 für die Beurteilung Bolgens äußerft lehrreich.
Daj. E 336 f. 302. Den Hinweis verdante ich Herrn Pfarrer A. Kind
in Mitlödi. — 9%) St. A. Bajel, Urfehden, 1546 V 19; 1546 VI 3.
Dazu Gaft’s Tagebuch, 1546 VI. 29. Gaft hat fi) im Datum geirrt.
Die Angabe des Urfehdenbudes muß maßgebend fein. Verbannung
Lüdins Urfehden 1546 VI. 24. — %) Schieß Traugott, Briefwechlel
der Brüder Ambrofius und Thomas Blaurer. Band III. No. 1873,
1886, 1888, 1895, 1980 und 1985. — 9%) St. A. Bajel, St. Peter JJJ.
78. — 8) St. A. Zürich EII. 366. 18. Konrad Lyfofthenes, Pfarrer
an St. Leonhard in Bajel, an Bullinger, 1552 IX. 1. St. A. Bajel,
Kirchenakten A. 9. ohne Datum (1548), wird Michael Tiller als
Pfarrer von Laufen erwähnt. St. A. Zürid. EII. 366. 1552 X.
17. Lykoſthenes an Bullinger, bezeichnet Diller als vir in omni
scientiarum et linguarum genere clarissimus. — *%) St. X. Bajel,
St. Peter JJJ 78. 1550. — 9) Daf. Conrad Schred an Wolfgang
MWillenburg 1552 X. 15. Nat von Laufen an Stift St. Peter, 1552
XI. 9. — 8) Daj. Schred an Wiljenburg, 1552 XI. 26. — 9) Daſ.
Stift St. Peter an Laufen, 1552 XII. 7 — Conrad Schred an Stift
St. Peter. 1552 XII. 26. (ipsa die St. Stephani 1553, ift ein Vor:
ſchrieb), — Stift St. Peter an Yaufen, 15631.3. — 10) Daſ. 1561 VII,
24. — 1562 V. 21. — 1563. III. 7. — 19) Daf. 1565 1. 31. Philipp
Betterlin an Wolfgang Wiflenburg. — 1%) Daf. Supplication der
Gemeinde Laufen bet der Stift St. Peter, 1571X. 10. — Jakob Linder
an Wolfgang Willenburg 1568. VIII. 20. — 1%) Daſ. 1565 VIII.
3. — 19) St. A. Bafel, Bistum Bajel, F 3. Laufen an Rat von
Bajel, verlejen 1569 XII. 28. — 1%) Daf. Domdelan an Baſel, 1570
II. 10.
95
Iſaak Iſelins Reifetagebuch 1754.
Don Serdinand Schwarz.
Mehrfach geäußertem Wunfche entfprechend bringe ich
auch in diefem Jahrgang des Basler Jahrbuches einen Bei—
trag zur Aufbellung der bis jest faft unbekannten Zugend-
zeit Iſaak Sfelins.
Es ift das Tagebuch über eine Reife, die Iſelin im
Sommer 1754 mit dem uns wohlbelannten*) „Oncle
Oberſt“, dem Geheimrat Iſaak Burckhardt, auf die Tag:
fagung nach Frauenfeld hat machen dürfen. Diefer „Oncle
Oberſt“ hatte nämlich zu feinen zahlreichen Aemtern und
Ehrenftellen in diefem Jahre 1754 noch die Auszeichnung
erhalten, neben dem Deputaten Joh. Rudolf YZurdhardt als
zweiter Ehrengefandter des Standes Baſel auf die Tag-
faßung in Frauenfeld abgeordnet zu werden. Die Tag:
fagung wurde damals als eine vortrefflihe Schule für an-
gehende Staatsmänner und Diplomaten betrachtet, und die
Gejfandten nahmen deshalb ihre Söhne, Großföhne oder
fonftige Verwandte mit. Für Iſelin hatte diefe „Schule”
noch eine ganz befondere Bedeutung, da er wenige Jahre
fpäter als Kollege in den Kreis diefer meift ehrwürdigen
Männer treten durfte. Die Bekanntſchaft mit fo vielen
vorzüglichen Schweizern, die er in Frauenfeld und namentlich
in Züri) machte, erleichterte ihm fpäter feine erhabene Auf-
gabe, die Beſten der Schweizeriihen Nation zu einem pa-
triotifhen Freundſchaftsbunde zu vereinigen, der dann in
der Gründung der Helvetifchen Gefellichaft im Sabre 1761
feine Verwirklichung fand.
Sfelin (1728—1782) ftand im Jahre 1754 auf der
*) Iſaak Iſelin als Student in Göttingen 1747/48.
96
Grenze der Zünglingsjahre, in feinem Aeußern und no
mehr in feinem leutfeligen Weſen eine herzgewinnende Er-
fheinung. Seine Studien waren abgefchloflen; er hatte am
23. Zuni 1754 vor einer glänzenden Verſammlung feine
gedrudten Theſen Observationes historicae selectae zur
Erlangung der juriftiihen Doktorwürde mit großem Erfolg
verteidigt, aber — um dies einmal pofitiv feftzuftelen —
die eigentliche Doftorkreierung, ein ganz profaifcher Akt, ge-
ſchah erft am 25. April 1755. Unter diefem Datum notierte
Sfelin in feinem Tagebuch:
Sn dem untern collegio, wo ih von dem Dr. Nic.
Bernoulli zum Doctor promoviert wurde.
Zur Beglaubigung diefer Notiz erwähne ich die hand-
fohriftliche Eintragung eines Ungenannten in einem Sammel-
band der Un.Bibl. E. 3. IV, 31, welche lautet: „Den
Zuriftiihen Doctorgrad erlangte Sfelin 25. April 1755
von Dr. Nikolaus Bernoulli.” Iſelins Beſtreben ging nun
darauf aus, ein Amt und eine Frau zu erwerben. Beides
war feineswegs leiht. Was das Amt betrifft, erftweder
eine Profefiur oder eine beflere „Staatsbedienung”, fo
brauchte es dazu hoher Empfehlungen, um nur in das
Senarium, den Sechſervorſchlag, zu kommen, und bei der
Wahl entichied das blinde Los. Sehr oft gelangte man nur
zu einem Amt, indem man die Frau in Kauf nehmen mußte.
Was die Frau betrifft, jo war Sfelin einftweilen nit in
der Lage, eine Familie ftandesgemäß zu erhalten, wenn er
nicht eines der wenigen gutbezahlten Aemter befam. Er
hatte wohl durh den Tod feiner Großmutter Sfelin im
September 1751 ein befcheidenes Erbe von zirka 15 000
Basler Pfund erhalten; aber das Kapital war feither be-
deutend herabgefchmolzen, und bei dem niedrigen Zinsfuß von
21% oder gar nur 2% konnte er nicht unabhängig von feinen
Berwandten leben. Er war alfo auf ein anfehnliches
Srauengut angewiefen. Anderfeits wollte er feine Frau nur
um des Geldes willen heiraten, was ihm nicht ſchwer gewefen
97 1
wäre, fondern er ftellte an feine Zukünftige große An—
forderungen: außer dem unumgänglichen nervus rerum
ein angenehmes Aeußere, eine fchöne Seele, Geift, Wis,
Perftand, gute Herkunft, gute Erziehung, gute Manieren,
häuslihen Sinn, befcheidenes Benehmen und noch vieles
andere. Jahrelang fuchte Sfelin unter den Basler „Mägdgen“
nach diefem deal, und diefem Suchen verdanken wir in:
feinen Tagebüchern und in den Driefen an feinen Herzens:
freund und Gefinnungsgenofien Joh. Rud. Frey, damals
(1754) capitaine-aidemajor im franzöfifchen Schweizer:
regiment Boccard, eine Anzahl der pilanteften Porträts
der jungen „Mägdgen” aus der vornehmen Gefellichaft des
damaligen Bafel. Sfelin war ein Meifter in der Runft des
Porträtierens mit der Feder, was wir im Nachfolgenden noch
genug bewundern Eönnen. Dei diefem Suchen nach der
„ſchönen Seele" war es unvermeidlich, daß er, wie Rlopftod,
Wieland und fo viele andere feiner Seitgenoflen, in Kleine,
meift harmlofe Liebeleien oder Galanterien geriet, die ihm
bei feiner anftrengenden geiftigen Tätigkeit ein angenehmer
Zeitvertreib” waren; einer wirklichen Leidenfhaft jcheint
Sfelin bei feinem barmonifchen Wefen und feiner philo—
ſophiſchen Denkweiſe nicht fähig gewefen zu fein. — Und
nun fommt er auf der Nüdreife nah Baden und lernt
die Küngold Landolt kennen und... da find wir bei
unſerm Tagebuch angelommen.
Das Manuffript dieſes Tagebuches befindet ſich im
vierten Bande der Sfelinfchen Sammlung am Schluß der
TSagebuhaufzeihnungen des Jahres 1754 als ein für fi
beftehendes Ganzes: Geite 320—428. Es ift von Sfelin
befonders paginiert, ©. 1—108. Auf der erften Seite fteht
nur der Titel: „Srauenfeld-Zürich- Yaden. 1754 im Bradh-
monat und Heümonat.” Die zweite Seite ift leer. Es ift
auf ſtarkem Büttenpapier, Groß-Quart, mit faft einem
Drittel Rand fehr fauber gefchrieben und forafältig redi-
siert, jo daß man fih fragen kann, ob Sielin feine Auf:
98
zeichnungen von der Reife zu Haufe verbeflert und ing
Reine gejchrieben bat. Der Titel „Reifetagebuch”, den
ih der Berftändlichfeit wegen gewählt habe, ift alfo nicht
von Iſelin. Man könnte fi auch fragen, ob er nicht an
eine Veröffentlichung diefes Tagebuches gedacht babe;
denn die Tagebuh-Manie, über die ſich Goethe in „Dich:
fung und Wahrheit" fo luftig macht, war ſchon zu Sfelins
Zeiten eine wahre Krankheit. So ein Tagebuch war
fein Geheimnis, das man im Schreibtifch verfchloß, fondern
e3 lag im Salon auf, wie heutzutage ein Photographie-
album. Sfelin hatte nah feiner Rückkehr auch nichts
Eiligeres zu tun, als feinem Freunde Frey Auszüge daraus
zu machen, und er ging damit in den Salon der Igfr.
Geymüller im Lichtenfelfer Hof, der damals der Mittelpunkt
aller fchöngeiftigen Basler war.
Der Drud des „Reifetagebuches” ift, abgefehen vom
Titel, eine genaue Wiedergabe des Manuffriptes, auch der
Orthographie.e Von meiner Hand find nur an einem Satz
ein fehlendes Wort und da und dort zum Datum das Wort
Zuni oder Zuli in Klammer beigefügt. Erläuterungen
finden fih nur in den Anmerkungen. Die Anmerkungen
im Tert find von Sfelin, ebenfo das Sperrgedrudte. Auf
eine eingehende Beſprechung des Inhalts und der Be—
deutung dieſes Tagebuches will ih mich nicht einlaffen.
Sch kann nur fagen: es ift eine entzüdende Lektüre, die von
Seite zu Seite an Intereffe und Spannung zunimmt und
in Sfelins Erlebnis mit der „Eleinen Schwarzen” in Baden
feinen Höhepunkt erreiht. Sur Bequemlichkeit und zur Be:
lehrung babe ich einen Fleinen Rommentar beigefügt. Zum
tieferen Perftändnis für „Zürich“ empfehle ih Mörikofer
„Die Schweizeriſche Literatur des achtzehnten Jahrhunderts”
und Fr. Munder „Sr. ©. Klopftod”; für „Baden „Die
Bavdenfahrt" von David Heß und B. Frider „Geſchichte
der Stadt und Bäder zu Baden”, wo man alles Wünfchens:
werte findet.
99 ”
Zum Schluß babe ich die angenehme Pfliht, den
Eigentümern des Sfelinfchen Litterarifhen Nachlafles: Zrau
Wwe. Sfelin-Merian und Herrin Dr. La Roce-Sfelin,
meinen verbindlihen Dank für die mir güfigft gegebene
Erlaubnis zum Drud des Tagebuches auszusprechen.
* *
*
Sreitags, den 28ten (Zuni) frühe Morgens mit
Mhhgeacht. H. Deputat Yurkard und m. Oncle 9. Oberft
Burkard von Baſel verreifet. Zu Stein am Rein bei Sek—
fingen zu Mittag geipiefen. Zu Brukk übernadhtet. Zu
Brukk war ich bei Dr. Zimmermann, meinem guten De:
fannten, mit dem ich anno 1747 und 1748 in Göttingen ftu-
dieret. Sch fand ihn verheürahtet und, was noch mehr ift,
ehr vergnügt über fein Schikkſal.
Sein Haus ift fehr wol meübliert, zum mindften das
Zimmer, in das er mich geführet, welches ein Zeichen ift,
daB auch feine Glüffesumftände ziemlich gut fein müßen,
was mich fehr freüet. Sch ſah feine Frau nit; er fagte,
fie müßte bei ihrer Muter fein, die krank wäre. — Als ich
von Zimmermannen wider zurüffem, bies es, die Herren
Ehrengefandten wären gegen Königsfelden jpazieren ge:
sangen. Sch ging auch denfelben Weg und fand diejelben
mit 9. Tſcharner, Hofmeifter von Königsfelden. Difer
Tſcharner fcheinet ein verftändiger Mann zu fein; er redet
wol, aber es fcheinet Doch, von allen feinen Bewunderern
fei er der gröste. Er gibt fih ein gewißes aravitätifches
Anſehn, welches noch mehr als Berneriſch if. Die Herren
- Berner affectieren fonft überhaubt in ihren Manieren ein
gewißes Anfehn und eine Größe, die oft nichts fagen wollen.
Sn dem Herzen wohnet die wahre Größe. — Wir gingen
durch Baden und fpiefen zu Weiningen zu Mittag. — Es
ift ein Basler, Namens Steinbrüchel, dafelbft Wirt. Difer
läst gewis feinen Reifenden vorbei, ohne ihm zu jagen, daß
er in der Schlacht zu Fridlingen geweſen und daß er bei
100
Hochſtätt ein Zeüge gewefen, mit welch einem Wuht die
Engelländer auf die Franzoſen gefeüret. — Wir kamen bei
Zeiten in Zürich an. Ich ging alfobald zu Schinzen, den
ich nicht bei Haus antrafz allein fein Vater war fo höflich
und lies ihn holen. Er fcheinet ein fehr guter Menſch zu
fein, allein ein blinder Bewunderer Bodmers und ein
fhlechter Renner der Welt, die er nur von ferne gefehn und
die ihm nur aus den Büchern befannt if. Zudem fcheinet
er vile idola soli oder Vorurteile, die ihm von feinem Vater:
lande anbangen, zu haben. Seine Frau, mit der er fich erft
die näml. Woche verheürahtet, ift überaus artig; es leüchtet
eine Befcheidenheit und eine Annemlichkeit aus ihren Minen
hervor, die recht ausnemend if. Wenn eine Weibesperfon
zur Tugend gebohren ift, fo fcheinet es diſe Schinzin zu fein.
Schinzens Glülkk ift in der Taht recht beneidenswürdig. —
Auf meiner Reife habe ich das Testament politique du
Cardinal Alberoni und den erften Zeil der Histoire de
la confederation helvetique par Mr. de Watteville ge-
lefen. Das erftere zeigt vil Genie von Geiten des Ver:
faßers; alleine, ob alles fo richtig ift, das iſt ſchwer zu ent-
Iheiden. Indeßen finden fich vile Einfälle darinnen, die
mir einen großen Grad von Wahrfcheinlichkeit zu haben
feinen. Es fan aber auch fein, daß dife Proiecte nichts
als ungegründete Traüme fein. Indeßen wird gewiß ein
armer Autor, der Verſtand und Einfichten befizt, allemal
beßre Proiecte machen als ein Minifter, der dreimal fo er:
leüchtet ift; der Autor gedenket allezeit nur an das all-
gemeine Vefte, und der Minifter vergist fich felbften niemals.
Sonntags, den 30ten (Zuni) frühe verreifeten wir von
Zürich und kamen in ftarlem Regen zu Wintertur an, wo
wir zu Mittag fpiefen. Wir famen eben an, da man aus
der Kirche Fam. Die Frauenzimmer fcheinen mir bier wie.
zu Zürich ein fehr fittfames Anſehn zu haben, welches mir
ausnemend wolgefält. Die Befcheidenheit und die Sittſam—
keit fein Doch allezeit die erften Tugenden des ſchönen Ge-
101
Ichlechtes. — Wir fpiefen zu Wintertur mit den CEhren-
gefandten von Bern zu Mittag. Penner Imhof fcheinet
ein verftändiger Mann, der ziemlich wol denfet und infonder-
beit, was die Sitten anbetrifft, feinen Scherz verfteht: Ich
beivundre und verehre ihn, wenn difes fein wahrer Charafter
ift, und wenn nicht ein bisgen Heüchelei mit unterlaüft,
welches ich Doch nicht bemerfet habe. Venner Freüdenreich
fcheinet fchon Iuftiger. Er ift ein wizziger Mann und Tiebet
die Wißenſchaften; allein ausnemlihen Geſchmak mus er
Doch nicht befizzen: ein Mann, der Sprengens Pfalmen für
das Ichönfte Werk hält, das die deütſche Dichtkunft hervor—
gebracht hat; ein Mann, der Sprengen den Vorzug vor
Hallern zufpricht, wie H. Freüdenreich mir felbft gejagt bat,
fol difer Geſchmak befizzen? — Mit den Bernern waren
ihr Secretarius Lerber und Graffenried, Landammann im
Turgow, die artige Leüte zu fein ſcheinen.
Wintertur deücht mich eine fchöne Stadt. Sie hat das
Anfehn einer gewißen Opulenz; es fein auch fehr reiche
Leüte und ſchöne Manufacturen daſelbſt. Die Goldborden-
manufactur aber, die ehmals ftark dafelbft getrieben worden,
ift in Abgang gerahten. — Dife Stadt hat aroße Freiheiten.
Sie iſt beinahe fouverain — Doch unter dem Schuzze und
einiger Abhängigkeit von Zürich, auch in der Schweiz, in
dem Lande der Freiheit felbft, werden die Freiheiten der
Municipalftädte nah und nah untergraben. In dem 12.
13. 14. und fünfzehnten Sahrhunderte haben die Untertahnen
nah und nach fih der Herrfchaft ihrer Herren unterzogen
und frei gemachet; izzund zernichten Die Herren, Fürften
und Obrigfeiten alle Rechte der Stände und gefreiten Unter-
tahnen. Iſt ienes nicht ein Zeichen der Schwachheit und
SInklugheit der damaligen Regenten und diſes der Un—
gerechtigkeit der izzigen? Waren die damaligen Untertahnen
nicht aufrührerifch und fein die izzigen nicht feig? Indeßen
iſt es der Wille der allweifen Vorfehung, daß die menschliche
Gefelihaft durch alle dife widerfprechenden Veränderungen
102
gehe. Wer mit einer filojofiihen Betrachtung die Gefchichte
Viefet, wird diefelben nicht ohne Vergnügen bemerken.
Sonntag Abends kamen wir in Frauenfelden wol be:
regnet an. Mit den Zürchern zu Nacht gefpiefen.
Montags (1. Zuli) frühe, indem man mich frifierete,
fragte ich den Srifierer von der Beſchaffenheit des Ortes
und von der Beichäftigung des Landvolfes. Er ſagte mir,
die Lelite wären nicht reich, und es wäre feine Emfigfeit bei
ihnen; fie lebten auch ehr ſchlecht. Der Pater Rellermeifter
der Cartaus bat mir nachmals das nämliche gejagt und bei-
gefüget, Die Leüte im Lande wären noch dazu Tiederlich und
dem Trunke und dem Müßiggange ergeben.
Auf dem Rahthauſe, um die Verfammlung der Ehren:
gefandten anzufehen. Sie war fo vollftändig als noch jemals
— einmal jo vollftändig, als fie fein Fan, indem fein Canton
und fein zugewandtes Ort von denen, die gewöhnlich auf
die Tagfazzungen berufen zu werden pflegen, fehlete. Dife
RBerfammlung ift ziemlich anſehnlich; dennoch gibt es aller:
hand feltfame Figuren aus einigen Heinen Gantonen. Der
Gefandte der Stadt St. Gallen, H. Caspar Bernet, hat in-
ſonderheit ein jeltfames Anſehn, indeßen redt er ſehr wol.
Die Ceremonie des Eidsgendßifchen Grußes, womit die
Tagfazzung eröfnet wird, delicht mich etwas recht ſchönes.
Sch hatte mir vorher eine Idée davon gemacht, die mir die:
jelbe als etwas ungereimtes vorftellete, und es mus einem
teden alfo gehen, der diefelbe niemals gejeben hat. Sieben:
zehn Reden von ebenfo vil fchweizerifchen Demoftenen, welch
eine feltfame Sache! Welch ein Stoff wäre difes nicht für
einen franzöfifchen wizzigen Kopf, fich darüber Iuftig zu
machen! Alle dife Reden wollen zwar das nämliche fagen;
alle verfprechen Liebe, Treüe, Freündſchaft und Einigkeit.
Zwar zeiget fich felten ein Zug, der nel, der original ift;
fie ſehen faft alle einander gleich. Indeßen berrfchet beinahe
in allen eine edle Einfalt und etwas rührendes. Es redten
von Appenzell 2 Gefandte oder vilmehr beftimmter zu reden,
103
es legten beide den Eidsgenößiſchen Grus ab, indem ein
ieder befonders als von einer befondern Republif abaefandt
und inftruieret wird. Die Befchaffenheit difer Republifen
will difes alfo haben. Indeßen bat es mich zuerft beftüirzet
— und ich ehe es für etwas unpolitifches an — indem ich
es für einen Haubtarundfaz unferes Eidsgenößiſchen Staates
halte, alles zu vermeiden, was uns nur errinnern fan, daß
wir von zweierlei Religion fein. Sch babe bemerfet, daß
die zugewandten Orte nur einen Geſandten ſchikken. Man
ſagt, difes fei alfo das Herfommen, und als der Abt v.
St. Gallen einigemale zwei gejchiffet, hätte man es geahndet.
Alleine ich ſehe es für zweifelhaft an. Sch glaube, es ift aus
Sparſamkeit, daß dife Stände nur einen Gefandten Ichiffen*).
Der Landvogt von Frauenfeld tuht die Umfrage.
Der Landfchreiber von Frauenfeld, der nad) den Ver:
frägen der regierenden Orte allezeit ein Eatholifcher ift und
difes Amt Tebenslänglich bekleidet, führet das Protocol und
fertigt die Abfchiede aus, fo wol für die evangelifchen als
fatholifchen Orte. Auch wenn zu Baden eine gemeineidg-
genößiſche Tagſazzung gehalten wird, fo wohnet der Land-
Ihreiber v. Frauenfelden vderfelben bei und verfibet diſe
Pflicht. Die Fatholifchen Orte würden nicht zugeben, daß
ein andrer als der in der VIII alten Orte Pflicht ſtehet,
dife Stelle vertvete. Indeß ift ohne Zweifel der Landfchreiber
von F. auch in der Orte Freib. und Solothurn Pflicht, wie
auch der Landvogt dafelbft, indem dife zwei Stände auch an
dem Malefizgerichte im Turgöw Zeil haben. Indeßen haben
die Züricher allemal ihren Rahtsfubftituten bei fich, welcher
auch ein Protocol führet, aber nicht die Abfchiede ausfertigt;
auch fertiot der Landfchreiber die gemeineidsgenößiſchen
Schreiben aus.
Wenn Unterwalden Gefandte auf die Tagſazzung
fchifket, fo fchiffet der Zeil nid dem Kernwald 2 Zahre Ge:
*) Anmertung: Es iſt auch falſch, wie mir der Rahtsjubftitut
von Züri, den ic) nachher ausdrüklich befragt, gejagt Hat.
104
fandte nacheinander, da der Teil ob dem Kernwald allemal
nur einmal dargegen ſchikket. Die Snftructionen aber werden
gemeinfchaftlich auf dem Landtage abgefaßet, der allemal ge:
halten wird in dem Lande desienigen Teiles, welcher alsdann
Gefandte fchikket.
| Man redte dien Montag Abends auch über Tifche von
der Einrichtung, die in Betrachtung Glarus wegen Regierung
der gemeinfchaftl. Landvogteien gemacht worden. So vil
ih mich zu errinnern weis, fo hat 9. Leü in feinen Anmer—
tungen zu Simmler difen Punkt nicht mit aller erforderlichen
Deütlichkeit ausgeführet; der Haubtgrundfaz über diſen
Punkt ift: Glarus fol volllommen bei allen denienigen
Rechten bleiben, welche es vor der Abänderung gehabt und
auch nicht mehr Laften tragen, Zürich u. Bern treten in alle
Vorteile und alle Laften der katholiſchen Orte, von denen fie
dife Länder erobert; alfo, wo Bern ehemals mitregieret,
ſezzen fie das 15. und 16te Zahr ihren Landvogt, und, wo
Bern nicht mitregieret hat, das 13. und 14te. Bei dem Gin-
dicat zu Baden haben Bern und Zürich die Stimmen, die
ehmals die Katbolifchen gehabt neben den ihrigen und
Glarus die, fo es vorher gehabt; alfo wird es auch mit Aus:
teilung der Einkünfte und Ausgaben gehalten.*)
Montag Mittags fpies der franz. Legationsfecretarius
Monfieur de Vermont auf Einladung der Herrn Züricher
mit uns. Er ſcheinet ein verftändiger Mann; er ift fehr
lebhaft und wizzig, aber er ift allzu jehr ein Franzoſe.
9. Deputat Burkard hat mir bei diſem Mittageßen liberaus
wol gefallen. Diſer Mann fcheinet recht fittlih gut zu
denken. Bürgermeifter Eſcher von Zürich redt freffl. wol
und fcheinet ein vortreffliher Staatsmann zu fein. Er ift
etl. und fiebenzig Jahre alt, aber noch von einer Munterkeit
und Aufgewektheit, die bewunderungsmwürdig ift. Indeßen
*) Randbemertung: So hat ein jeder 3. und B. Gejandte 3
und 1/s Stimme, weldhes 14 ausmacht zu Baden und in den obern
freien Aemtern; ein jeder Glarniſche Gejandte aber hat nur eine.
105
fiebe ich Venners Imhof Ernitbaftigfeit mehr. Der Um:
gang diſes würdigen Zürcherifhen Bürgermeiſters wird in
meinen Augen für eine rechte Schule von jungen Leüten,
die fih auf Staatsjachen legen wollen, angefehen. Sch habe
alles, was er gefagt, mit einem unbejchreiblichen Vergnügen
angehöret. — Sein College, Sfr. Schwerzenbach, bat auch
Verſtand und Verdienfte; allein ich habe bis dato wol zieml.
vil Gründliches, aber nichts Feines, nichts Großes an ihm be-
merfet. — Sein Sohn, den er bei fich hat und der ein Menfch
von meinem Alter oder etwas darüber ift, fcheinet mir von
gleichem Schrote zu fein. Er wird einft durch die Hebung ein
Mann werden, der im Stande ift, feinem Vaterlande gute
Dienfte zu leiften. — Brgmſtr. Efcher hat feinen Grosjohn,
einen Sohn des Landvoat von Kiburg, bei ih. Difer ift
eben der Begenfaz von feinem würdigen Grosvater; ich hatte
ihn ſchon in Baſel gekannt, wo er fih gar nicht zu feinem
Borteile zeigte. — Der Zürcherifhe Rahtsjubftitut Landolt
ift ein guter Mann, der gründlich zu fein, im übrigen aber
weder eine große Feinheit des Wizzes, noch eine befondere
Erbabenheit des Geiftes zu befizzen fcheinet. Er hat ziem:
lich Einfihten in die Schweizzerfachen; allein es wäre eber
tadelhaft, wenn er fie nicht befäße, als daß er zu loben ift,
daß er fie befizzet. — Der Gefandte von Mühlhauſen, Stadf-
fchreiber Joſua Hofer, fpeifet auch mit uns. Er betreibet
hier ein Füzlichtes Gefchäfte. Mühlhauſen verlanget von den
katholiſchen Orten, wieder in den Yund aufgenommen zu
werden, aus dem fie anno 1588 von denfelben nicht eben
alläurechtmäßiger Weife ausgefchloßen worden. Hofer ift
ein verftändiger und gejcheider Mann, der ſchöne Einfichten
und Talente befizzet. Er betreibet fein Gefchäft mit einer
Gefchiklichkeit und mit einem Eifer, welche verdienen, daß
er darinnen glüfflich fei. —
Man redte Des Nachts über Tiſche von unfern Se—
paratiften. — 9. Dep. Burkard und jedermann fagte, daß
fie deswegen fträflich fein, daß fie alle nach Baſel fommen
106
und daß unfer Magiftrat deswegen ein Recht habe, härter
mit denfelben zu verfahren. Ich Fan difes auf einen ge-
wißen Grad zugeben; allein ift es nicht möglich, daß eben
deswegen dife Leüte, weil man fie zu Baſel zu verfolgen
angefangen, fih dahin begeben und difen Ort als die Stätte
anjeben, wo ihnen die Ehre des Martyrtums beftimmt ift?
Difes ift einmal die unglüfffelige Schwachheit difer Leüte;
„es ift ihre Krankheit. Dife Sache hätte im Anfange mit
mehr Behutſamkeit follen behandelt werden, und es wäre
villeichte ein Glükke gewefen, wenn man fie nie für jo ge:
fährlich angejehn hätte, als man getahn hat. Sch halte auch
in der Taht darfür, daß fie es nicht gewejen. —
Dienftags, den 2ten Heümonats, des Morgens ritt ich
mit Schwerzenbadhen, Efchern, einem Haubtmann Nüfcheler
von Zürich und einem Frauenfelder, deßen Namen ich nicht
weis, nad) der Cartaus Sttingen, die eine Stunde von bier
entfernt ift; es ift diefelbe ein ziemlich artiges Clofter. Der
Pater Schafner und der Pater Rellermeifter fein fehr artige
und manierlihe Leute. Sie empfingen uns fehr höflich und
wollten uns zu Mittag zu eßen geben; allein meine Ge-
fährten zeigten keine Luft dazu, und ich, der ich große Luft
dazu hatte, lies mich Durch den Grund davon abhalten, weil
ich den Vorteil, an unfrer Tafel, wo vil nüzliches zu hören
ift, zu fpeifen, dem Vorteil, mich bei den Cartaüfern Iuftig
zu machen, vorzog. —
Nüfcheler, der mit ung in der Cartaus gewefen, |pies
an unfrer Tafel zu Mittag Nah Mittags redte ich vil
mit demfelben. Er ift ein verftändiger Mann, der fein
PBaterland und die Angelegenheiten deßelben zu kennen
Icheinet. Er geftund die fchlechte Führung des Krieges anno
1712 von Seiten Zürich. Es ift wirklich ein Heberreiter
von Zürich bier, der Damals fchon Ueberreiter gewefen und
den der Obmann Nabholz von Zürich, der im Toggenburg
commandieret, als einen Maior gebrauhet. Difr Mann
fchreibet ſich vile glüffliche Erfolge von Nabholz zu (die
107
doch in der Tat nicht vil haben fagen müßen), und man
fagt, er babe nicht unrecht. Wir redten von den ebmaligen
Sreiheiten der Zürcheriſchen Untertahnen. Nüfcheler geftebet
freilih, daß diefelben ehmals groß geweſen, deren fie fih
aber nach und nach verluftig gemadt. Er fügte bei, die
Züricher hätten nicht aus Furt vor fremden Mächten die
Stadt befeftigen laßen, fondern teils aus Vorſorge wegen
den KRatholiichen, haubtfächl. aber wegen ihren unruhigen .
Untertahnen. —
9. Dep. Burkard bat difen Mittag nicht mit ung ge:
fpiefen; er ift auch nicht bei der heütigen Seßion geweſen;
er befand fih nicht wol. —
Es fein heüte eine große Mänge Toggenburgerpferde
hiedurch. Dife gehen mit Butter nah Schafhaufen und
bringen in Heinen Fäßgens Wein nah Toggenburg, aljo
daß diſes einen zieml. vorteilhaften Handel machen fol. --
Mit meinem Oncle zweimal fpazieren gegangen. Das
erfte Mal famen wir zu den Capucinern. Wir trafen einen
artigen Pater an, der aus dem Geſchlechte Gasmann von
Soloturn ift; er ift zu Neapolis, in Frankreich und in
Lotringen gewefen. Sein Umgang ift fehr angenem; er
weis von allen Sachen zu reden und ift ſehr aufgewelt. Das
Clofter und der Garten fein ziemlich artig, obgleich Hein.
Er wies uns die Bibliothek des Clofters, allein was will
man von einer Bibliothek von Capucinern erwarten. —
Ehmals pflegten die Ehrengefandten auf dem Sindicate
in Stalien durch die mehren Stimmen das Eidsg. Bürger:
recht zu erteilen — oder vilmehr zu verfaufen. Dieienigen,
die fich alfo eingefaufet, genofen in Frankreich und anderswo
die Rechte der Schweizzer; difes Fonnte zu taufend fchlimmen
Folgen Anlaß geben und war ziemlich fehändlich; alleine
die Ehnetbürgifchen Gefandten zogen ihren Nuzzen davon.
Man nennte diſes ein Picinat. Dife fein nun in der
heütigen Verſammlung abgefchaffet worden und follen nicht
mehr erteilet werden.
108
Difes Gefäzze ift jehr weile und gut, auch nöhtig zu
einer Zeit, da man die in Frankreich gefchwächten Rechte
und Zreiheiten der Eidsgenoßen zu behaubten trachtet. Nur
die 12 Orte haben hiezu zu reden gehabt, weil das italienifche
Sindicat nur die 12 Orte angeht. —
Geftern babe ich 6 Seiten iournalifiert und beüte 12.
Es ift auch in der beütigen Verſammlung ausgemachet
worden, daß wenn im Namen der gefammten Eidsgenopen-
Schaft Repräfentanten geſchikt werden, diefelben von gefammter
Eidsgenoßenſchaft follen verköftigt werden. Zu diefer Sache,
als welche gemeineidsgenoßiſch ift, hatten auch die Gefandten
der zugewandten Orte zu reden. — Heüte bei dem Nacht:
eßen, wie auch fonft bei allen Gelegenheiten, babe ich an-
gemerfet, mit welch einer befondern Achtfamkeit Hofer die
Siebe und die Freündfchaft der SZürichergefandten fuchet;
wie fehr und mit wie viler Gefchifflichkeit er den Hof machet
und wie fertig er ift, alle Gelegenheiten zu ergreiffen, den-
felben etwas verbindliches zu jagen. Sch zweifle nicht daran,
er wird dife Kunſt auch gegen andre und infonderhbeit gegen
die Fatholifchen gebrauchen, welche zu gewinnen feine Haubt-
abficht if. Diſes ift eine Eigenfchaft, die einem Negocia-
toren unumgänglich if, und wie in einem höhern Grade er
diefelbe befizzet, deſto gejchikter ift er zu Unterhandlungen.
Das GSarganfer- und Reintaler Gindicat und das
Sindicat desienigen Teiles der freien Aemter, die den VIII
Orten gehören, wird hier richtig gemacht; von den Gefällen
des Sindicats im Turgow werden 2 Perteilungen gemadt.
Erftlich was aus criminalibus fließet, daran Bern, Freiburg
und Ooloturn auch Teil haben. Dife Teilung wird natürlich
in 10 Zeile gemachet,; was aber die andern Gefälle betrifft,
daran Bern vor 1712 feinen Anteil gehabt, da nimmt Glarus
feinen fiebenten Teil voraus, den es auch ehmals hatte, und
dann wird erft die repartition gemacht, darinnen auch Bern
Rechnung getragen wird. So geht es auch bei Sargans und
den freien Aemtern, fo auch beim Reintal, wo auch Appenzell
109
feine alten Rechte wie Glarus unverlezt behalten hat. —
Wenn das GSindicat in Italien aus ift, fo halten Uri,
Schwiz und Unterwalden ihr Sindicat zu Bellenz wegen
difer Graffchaft, die ihnen alleine zuftändig if. — 9.
Hofer fagte beüte, er hätte, als er wegen feines Ge:
Ihäftes in difem Lande geweſen, angemerket, daß nun alle
Streitigkeiten, die dife 3 Orte vor einigen Jahren wegen
Bellenz mit einander gehabt, ganz fill wären. Difer Mann
hat den Vorteil gehabt, wegen der Vetreibung der Sachen
feines Standes die gefammte Eidsgenoßenſchaft fennen zu
lernen, und fein Fleiß und feine Geſchikklichkeit haben ge-
machet, daß er fich dife Gelegenheit recht zu Nuzzen gemacht
hat. Schwiz und Glarus haben einen bejondern Sindicat
wegen Mar und Gafter, fo fie gemeinfchaftlich beberrfchen
und welcher zu Schännis gehalten wird, welches Stift ver-
bunden ift, die Gefandten indeßen zu fpeifen, aus welchen
Urfachen difer Sindicat, der nicht vil fagen will, allemal bei
vier Wochen währen fol. Die Herrn Gefandten laßen fich
ohne Zweifel auf Unkoften des guten Stiftes wol fein. —
Don Zürich gehen die Yürgermeifter alternative auf den
Sindicat. Eſcher, fo difes Jahr darauf geweſen, geht das
folgende nicht und das Ite Jahr geht er wieder, er mag nun
regierend fein oder nit. — Difer Sindicat ift ihnen ein:
träglih, indem ein Teil der Gefälle von Rechtes wegen
den Gejandten zufümmt. Der Sindicat von der Grafichaft
Baden und dem Teile der freien Aemter, daran nur Zürich,
Bern und Glarus Anteil haben, wird zu Baden nad) Endi-
gung des Sindicats zu Frauenfelden von den 3 Orten ge-
halten. Der Rabtsfubftitut Landolt hat nun gejagt, die
Stände zögen von Baden und dem Teile der freien Aemter,
der ihnen alleine geböret, nicht nur nichts, ſondern Zürich
und Bern hätten noch alle Sahre iedes 100 fl. Unkoſten damit
über ihre Einname, teils, weil die Landvögte vil verbauen,
teils weil fie ihre Rechnungen fo geſchikt einzurichten wißen
— fo einen großen Nuzzen hätten fie bei ihren Eroberungen.
110
Die Schweiz wäre alüfflich, wenn dife Eroberungen von
3. u. B. nie wären gemacht worden. — Der Gefandte von
Mühlhaufen, der difen Tag der Verfammlung der Ratho-
liſchen ſeine Werbung vorgetragen, ift damit nicht glükklich
geweſen; es bies, es wäre nun nicht Zeit an dife Sache zu
gedenken. Zürich hat einige Lehen von dem Fürften von
Sürftenberg, wie auch von dem Abte von Reinau und einigen
andern Fürften; hingegen gibt es auch großen Herren Lehen.
Difes fein Erempel von Dienftbarfeitdes Völker—
rechtes, die aus dem verwirrten Zuftande der mittlern
Zeiten übriggeblieben fein.
Sch weis mich nun eben michts mehr zu errinnern, daß
ich merfwürdiges gehöret habe. Sch will alfo hier die Namen
der H. Ehrengefandten einrüffen, die von iedem Orte auf
die disiährige Tagſazzung gefchiffet worden:
Züri:
Johann Cafpar Eicher, Brgmſtr.
Johann Jakob von Schwerzenbadh, Statthalter.
Bern:
Georg Imhof, VBenner.
Abraham Zreüdenreih, Venner.
Luzern:
Aurelian zur Gilgen, Schulteis.
Caſpar Joſef Rud. Benedict Moor, Alt Pannerherr.
Uri:
Carl Alfons Beßler, Marfhal und Landammann.
Carl Antoni Epp, Haubtmann und Landfchreiber.
Schweiz:
Soft Dominicus Erler, Landammann.
Sofef Franz Reding v. Viberegg, Alt Landammann und
Pannerherr.
Unterwalden:
Selir Leonzi Kaiſer, Landammann.
Jakob Michel Zelger, Alt Landammann.
111
Zug:
Ambrofius Ur, des Rahts.
Joh. Zaf. Andermatt, Haubtmann u. des Rahts.
Glarus:
Sridolin Sofef Haufer, Landammann.
Soban Peter Zwikki, Landesftatthalter.
Bafel:
Joh. Rud. Yurkhard, des Geh. Rahts u. Deputat.
Iſaac Burkhard, des Geb. Rahts u. Rriegscommißarius.
Steiburg:
Sranz Marr Ignatius Gatti, Schulteis.
Philipp Reiff, Herr zu Lüßy und des Rahts.
Solothurn:
Sranz Auguft von Roll, Stadtvenner.
Urs Franz Joſef Suri von Bußi, Oeffelmeifter.
Schafhaufen:
Joh. Zaf. Deyer im Hof, Statthalter.
Anſelm Franz von Meienburg, des Rahts- und Geffel-
meifter.
Appenzell:
J. R. Carl Jakob Shüß, Landammann und Pannerherr.
Gebhard Zürcher, Landammann.
Abt St. Gallen:
Johann Victor Baron von Thurn und Valſaßine, Ge—
heimerraht und Landshofmeiſter.
Stadt St. Gallen:
Caſpar Bernet, Brgmſtr.
Biel:
Heinrich Hermann, Brgmſtr.
Mühlhauſen:
Joſua Hofer, Stadtſchreiber.
NB. Glarus ſchikt in die Orte, an deren Mitregierung
Bern vor 1712 feinen Anteil gehabt, allemal das 13. u. 14.
Sahr feinen Landvogt, aljo daß die Reihe nicht, wie es die
Drdnung nun erforderte, fondern feinem alten Recht nad)
112
fommt. ch zweifle nicht, daß es im Reintale mit Appenzell
auch alſo gehalten werde.
Mittwochs, den 3. (Zuli), Vormittags, habe ich 6 und
1% Seite iournalifieret. Das 7te und Ste Bud der Histoire
de la confederation helvetique gelefn. Ich fand bei
Efchern den 2ten Zeil der Histoire du siècle de Louis XIV.
auf dem Tiſche ligen. Sch nam denfelben und durchlas die
die Anmerkungen des La Beaumelle, in denen viles gut
ſcheinet; villeicht ift auch viles wahr. Zum mindeften ver-
dienen die Stellen, die diſe Anmerkungen zweifelhaft machen,
eine genauere Interfuchung. — Schwerzenbach hatte mir
verfprochen, dien Morgen mit mir fpazieren zu geben;
allein da er nicht Fam, machte ich alleine eine ziemlich an-
geneme Promenade. — Ueber Tiſch machte mir der 9. Vürger-
meifter Efcher ein fehr verbindliches Compliment. Nach
Tiſche blieb ich lange mit unfern H. Gefandten und dem
Mühlhauſiſchen. Difer ift gewis ein gefcheider und recht-
IShafner Mann. Man redte von dem droit d’aubaine, das
man nun an den reformierten Schweizern ausüben will. Er
redte jehr gründlich davon. Man fast, difes Recht der Aus-
name davon gehöre nur den Fatholifchen Orten, als denen es
in dem Bündnis von anno 1715 zugeftanden fei. Da die
übrigem difem Bündniße nicht beigetreten, fo haben fie difes
Recht nicht zu genießen. Allein H. Hofer fragt, ob nicht vor
1722 die Eidsgenofen alle das Recht difer Ausname ge-
noßen. Difes fan nicht gelalignet werden. Hiemit kommt es
darauf an, worauf fi die Ausname gründe, welche Die
Schweizzer vor difem Bunde genofen. Sn feinem der
Bündniße von 1668 und 1602 efc. wird nicht die geringfte
Meldung von dem droit d’aubaine getahn und difes in
allen bis man auf den ewigen Friden kommt.
Sn difem gründet fih dife Ausname, obgleich fie nicht
darinnen mit eben fo vil Worten ausgedrüffet if. Difer
Fride fol ewig währen, hiemit auch dife Freiheit, die fih
darinnen gründet. — Alleine 9. Hofer fagt, fchon 9. von
113 8
Paulmi babe geantwortet, difer ewige Fride und nichts
wären eines fo vil als das andre. Die Schweizzer bätten
dadurch nichts als Vorteile und wären zu nichts verbunden.
Sch weis wol, daß die Antwort vil jagen will; ich weis,
daß die Sache darnach wird betrachtet werden; alleine, daß
fie ih in der Billigfeit, ich will nicht fagen in dem ftrengen
Rechte, gründet, das wollte ich nicht fagen. Die andern
Greibeiten daneben, welche der Nation und infonderheit den
Raufleüten von derfelben zu verfchionen Zeiten fein mit:
geteilet worden, fezzen teils dife Ausname zum voraus, teils
bringen fie diefelbe mit fih. Alleine es fcheinet, die Ab—
ſchlagung diſer fo gegründeten Freiheit habe befondere Ab—
fihten. — Die Herrn Gefandte haben heüte gejagt, es fei
no feine Tagſazzung mit fo großer Einigkeit und ohne
Zank abaeloffen als die izzige. Indeßen ift es auch wahr,
daß nicht vil richtig zu machen geweſen. Dennoch fehlet
vil, daß eine vollflommene Harmonie in dem helvetifchen
Staatstörper herrſche. —
Ich mus doch ein Wort von Frauenfelden fagen. Es
ift noch ein Städtgen, das mitgeht, und die Gegend darum ift
ausnemend ſchöne. Es fein allerorten die fchönften Wiefen
und Reben und eine dem Auge fehr angeneme Abwechslung
von Berg, Tahl und Waldung. Es fein auf allen Seiten
difes Ortes die allerangenemften und Iuftigften Spazier—
sänge, die die Natur fchöner zubereitet hat, als fie immer die
Kunſt machen könnte. — Difen Nachmittag babe ich
3 u. Seite ivurnalifiert. —
Die Ausfertigung der Abfchiede gefchihet alfo: beide
Protocolliften machen in der Verfammlung ihre notanda.
Der Landfchreiber fertigt dann aus den feinen feinen Ab-
Ihied aus und teilet ihn dem Züricher mit, der denfelben
alsdann mit feinen notatis vergleiht. Der evangelifche
Protocollift verfertigt darauf nach des Landfchreibers feinem
Concepte — oder wie fie beide diefelben in Ordnung ge-
bracht — die Abſchiede für die Reformierten, wie der Land-
114
fchreiber für die Katholiſchen. — Die evangeliihe Ver—
fammlung bat erftaunlich Lange gewähret. Der belvetilche
Staat bat doch unbegreiflich aus der Art gefchlagen, da nun
die Züricher felbft nicht zugeben wollen, daß man wegen
Betreibung des Gefchäftes mit den aubaines, wie es der
Gefandte von Mühlhauſen ſehr wohl angegeben, etwas ein-
fliegen laßen fol. Diſes Gefchäft wäre um deſto nötiger
ſchleünig abgetahn zu werden, da ſich täglich Fälle ereignen,
die ſowol des Königs Untertahnen als unfere Leüte betreffen
und intereßieren. Was ift hierinnen, daran fih der König
ftoßen fann! Was ift, das der Ehrerbietung, fo man dem-
felben fchuldig ift, zuwider wäre!
Man will dem Botjchafter — denn. an ihn fol eigent-
lich gejchriben werden — um eine Untwort über ein Me-
morial zu betreiben, das ſchon vor 8 Monaten ift überfchiffet
worden, man will, fage ich, dem Botſchafter dadurch zu
verfteben geben, Daß wenn man in des Königs Lande das
droit d’aubaine an den Unfern ausübe, fo werde man bei
uns das Gegenrecht brauchen. Es ift wahr, alleine ift difes
nicht in den erften Grundfäzzen des Völkerrechts gegründet?
Sch will noch mehr zugeben: ich geftehe es, daß es vilen
Schwierigkeiten würde unterworfen fein, wenn man diſes
Recht ausüben wollte, und wir würden villeicht gar zu vil
dabei verlieren. Allein, daß man es nicht einmal wolle
empfinden machen, das Fan ich nicht verdauen, und wenn
die Klugheit wahrhaftig es erfodert, daß man dijes nicht
tube, fo fan ih es noch minder verdauen. Sollen die
Schweizzer fo weit beruntergefommen fein? Indeßen fagt
9. Statthalter Schwerzenbadh, difen Grund müße man im
Hinterhalte behalten; man werde ihn noch wol nöhtig haben.
E3 fan auch fein, daß in gewißen Sachen die guten Gründe
zu frühe kommen können. — Es fan auch mit difem alfo
fein; alleine daß es alfo fein fol, dis fcheinet mir unerträg-
Gb. Daß fie follen ein Recht erbetteln, daS man ehmals
frob gewefen wäre, ihnen zu ſchenken, ift dis erlaubet? Daß
115 | e
fie ihr Blut für die Erhaltung des Königreiches vergoßen,
um ihr Gut, das ihnen von Gott und Natur zufömmt, in
dem Königreihe zurüdlaßen folen? Welch eine Undank—
barfeit, daß die Schweizer difes alles jo gleichgiltig anſehn
follen und nichts als demütig bitten dürfen! Welch eine
Schwadhheit! Allein man mus fi in die Aenderung der
Zeiten ſchikken, und nichts ift unfruchtbarer als die Decla-
mationen darmwider. —
Sch babe difen Abend des H. von Wattewil feine
Histoire de la confederation helvetique ausgelefen,
darinnen gewis vil Gutes iſt; alleine es ift mir doch eines
und das andre anftößig vorgefommen, und 9. v. Wattewil
icheint die alten Reichsfahen nicht am beften verftanden zu
haben. Ich wüßte dennoch fein Werk, daraus man einen
deütlichern und Eörnichtern Begriff der Eidsg. Gefchichte
erlangen Fünnte. — Zweimal fpazieren gegangen. —
Als die evangelifche Verfammlung aus war, ging id
mit H. Deputat Burkhard und meinem Oncle fpazieren.
Wir trafen die H. von Bern an. Difer Lerber fcheinet ein
verftändiger Menfch zu fein; allein alles Fündet an ihm den
Berner an. Penner Freüdenreich ift hingegen in feinen
Manieren ziemlih einfältig (uni). Venner Imhof ift ein
anfehnliher Mann; Freüdenreich befizt aber villeicht mehr
polierten Wiz. — Man redte geftern Abends tiber der Tafel
von Wintertur. Dife Stadt hat einen Zeil ihrer großen
Freiheiten im Jahre 1540 verlohren, da dieſelbe von
Carl dem Vten fih große Greiheitsbriefe ausgewirket,
worüber fie von den Zürchern mit dem Verluft eines Teils
ihrer Freiheiten beftraft worden. — Es ift eine Eoftbare Ge—
legenheit für die Obrigfeiten, wenn ihre gefreiten Inter:
tahnen noch freier fein wollen, als fie es fein follen. Die:
Winterturer urteilen in Criminalfachen ohne Appellation,
in Civilfachen zwiſchen Bürgern auch, allein zwiſchen
Bürgern und Fremden geben die Appellationen nad) Zürich.
Sie huldigen alle Sahre dem Stand Zürich.
116
Donnerftags, den 4. (Zuli). Den Morgen las ich
La B.(eaumelle) Anmerkungen zu dem Sten Teile von
Boltairens Siöcle de Louis XIV. Ih ging ein wenig
fpazieren. Des Nachmittags verreisten wir und über:
nachteten zu Wallifellen.
Sreitags, den Sten (Zuli) verlies ich die H. Deputierten
und kam bei Zeiten in Zürih an. Bei Buchbinder Denzler;
bei Heidegger; bei Schinzen. Einer feiner Vettern, der ein
ausnemend artiger Menſch ift, war daſelbſt. Die Errichtung
des 3. franz. Regimentes ift zum Zeile einer Rache zuzu-
fchreiben, die der Stadthaubtmann Landolt ausgeübet, weil
fein Sohn in Holland nicht Jo geſchwind und fo wol befördert .
worden, als er gern gewollt hätte. Difer Landolt bat
einen Verwandten, den Obmann Landolt, der bier überaus
mächtig ift und den man ſchon zum Bürgermeifter beftimmet.
Er ift fehr populär. — Von Schinzen Tam ich, weis felber
nicht recht wie, zu Nüfcheler, mit dem ich die Reife in die
Cartaus gemacht hatte, er war ausnemend höflich. Beim
Zunftmeifter Ulrich, an den ich einen Brief von Schulteis
Wolleb hatte. Sch war eine Zeit lang mit feiner Tochter,
die eine verftändige Frau ift und von einem angenemen Um—
gange. H. Ulrich ift auch ein artiger und gefcheider Mann,
der fehr wol zu denken fcheinet. Er denfet mit großer Mäßi—
gung Über den Separatismus. Er wohnt in dem obrigfeit-
lichen Bauhaus, welches eine ausnemend ſchone Ausficht auf
den See bat. Ich blieb ziemlich lange daſelbſt; ich fand vil
Vergnügen, bei difen Leüten zu fein. 9. Ulrichs Frau
fheint auch eine gute Stau zu fein. — Beim Schwerd in
ziemlich guter Gefellfchaft gefpiefen. — Ich traf unter andern
einen Bündner an, einen 9. von Salis, der YBundesland-
ammann ift. Difen hatte man unrecht berichtet. Er glaubte,
ih wäre ein Neveü des H. Oberftzunftmeifter Säfchen, wo-
rüber er mir ein fehr verbindliches Compliment machte. Ich
benam ihm aber feinen Irrtum, und indem wir lange mit:
einander redten, und er mich eines und Das andere von Baſel
117
fraste, fragte er auch nach) meinem Vater fel. Als er hörte,
Daß ich deßelben Sohn fei, umarmte er mich und fagte, er
wäre deßelben befter Freünd gewefen; er überfchüttete mich
darauf mit Höflichkeiten. — H. Zunftmeifter rich fchikte
zu mir und lies mich einladen, dien Nachmittag auf dem
See zu fahren. Es tabt mir laid, daß ich mir dife Einladung
nicht zu Nuzzen machen konnte; allein die Schinzen und
Nüfcheler hatten mir verfprochen, zu mir zu fommen. Gie
kamen auch. Es feien alle recht artige Leüte. Des Abends
ging ich mit dem einen Schinz und Nüfcheler in die Opera;
wenn man es alfo nennen darf. Es ift eben die Heine Truppe,
die zu Baſel gewejen; man fpielte einige ziemlich Tchlechte
Stüffe. Sch fan mich aber nicht genug über die Gejellfchaft
verwundern, die dafelbft geweſen. Alles ift franzöfilch ge-
leidet, alles hat ein franz. Anfehn — aufert in den Ma:
nieren, die noch fehr gezwungen und vil ungehbobelter fein
als unferer VBaslerinnen ihre. Die meiften Frauenzimmer
haben auch etwas allzu niais, allzu einfältiges. Dieienigen
aber, die difes nicht haben, gefallen mir befler als unſre
Baslerinnen, indem fie eine gewiße Beſcheidenheit und
Schambaftigkeit in ihren Minen zeigen, die faft feine von
unſren Frauenzimmern haben, und diſes deücht mich Doc
der wahre Charakter des Frauenzimmers zu fein. WUllein
Geduld. Die H. franz. Officiers dürfen nur ein Mal ſechſe
in dem Semeſter gewefen fein, das Dings wird alles in
andres Anjehn bringen.
Es waren einige fchöne Derjonen da, unter andern eine
Soft. Lavater, die ich ausnemend ſchön gefunden. Nach der
Dpera fpazierten wir auf dem Schüzzenplazze, einer jehr
angenemen Promenade, die eine große Gleichheit mit dem
Plainpalais zu Genf hat. Dieſer Plaz war heute recht mit
Srauenzimmern und [chönen Herren befezzet. Er mahnete
mich, obgleich fehr im Kleinen, an den Palais royal bei der
Sortie de l’opera. Es ift eine Art von Halbinfel, die rings
umber mit einer Allee von Lindenbalimen befezzet if. Die
118
tungen Herren fehn noch gar gut aus, und ich Fan mich über
die meiften unferer dummen Kerls erzürnen, die bei weiten
nicht fo gut ausfehn und fi) Doch eine jo große Superiorität
über die Züricher anmafen. Wie unmwißender und dümmer
man ift, defto hochmütiger ift man. — Die Stadt ift in ihrem
Snnern überhaubt fo luftig nicht als Baſel; doch hat fie ein
Quartier, das Ichöner ift als villeicht unfere fchönften alle zu-
fammen, und ihre Lage ift noch fchöner als die von Baſel,
obgleich auch die von Baſel ausnemend ſchoͤn if. — Des
Nachts fpies ich wieder in ſehr angenemer Geſellſchaft. Ich
faß an der Tafel neben einer Schwefter des Wirtes, die ein
fehr Tliebenswürdiges Frauenzimmer iſt; diſes bat etwas
Stilles und Sanftes in ihren Minen, das recht einnimmt.
Sie Spricht noch ziemlich Franzoſiſch. Sie fcheinet einen vor-
trefflichen Charakter zu befizzen und mangelt nicht an Ver—
ftand. Sie ift daneben ziemlich fchön. Indeßen bat fie, ob-
gleich in einem mindern Grade, was ich an den meiften bie-
figen Frauenzimmern bemerft habe, une certaine fadeur,
iln’y a rien de piquant dans sa physionomie — wenig
Lebhaftigkeit. Sie ift eine ftarfe Blondine. Dife haben im
allgemeinen eine fo große Lebhaftigkeit nicht, indeßen fcheinet
fie feine kleine Neigung zur Zärtlichkeit zu haben. Es ſpies
noch eine ihrer Schweftern mit uns, die eine Brünette ift,
die mir aber nicht fo fehr eingeletichtet. Ich begleitete fie
beide nad) Haus; fie waren beide, infonderheit die Blonde,
ausnemend manterlih. Sch wüßte Tein Srauenzimmer zu
Bafel, das manierlicher wäre als dife leztere. — Sch wollte,
als ich nach Haufe kam, ein wenig lefen, allein ich war zu
müde.
Sonnabend, den 6ten (Zuli). 1 und 12 Seite ivurna-
lifiert. Der verdammte Kerl, der Buchbinder Denzler, hatte
mir verfprochen, heüte fo früh ich wollte, auf die Bibliothek
zu gehn. Sch war vor 7 bei ihm; er war nicht mehr anzu-
treffen. Ich Eehrte alfo wieder zurüf und iournalifierte 41%
Seiten. Sch las darauf ein paar Seiten in H. Langhanfens
119
Beihreibung vom Simmental und ging wider zu Denzlern,
mit welchem ich endlich auf die Burgerbibliothek ging. Die
Sammlung von hiftorifchen Büchern, die dafelbft ift, fcheinet
noch fo ziemlich beträchtlich. Ich Eonnte mich aber nicht lange
aufhalten, diefelbe zu durchgehen. Don Msc., die die
Schweizerfachen angehen, ift eine vortrefflihe Sammlung
dafelbft, und diſe machet mir große Luft, einft einen Auf-
enthalt von etwas Zeit hier zu machen. — Dife Sachen
verdienen durchgangen zu werden. Daneben ſehe ich, daß
bier in einigen Sammlungen alles enthalten ift, was mir
noch von Tractaten fehle. Das Gebaüde oder — beßer zu
jagen — das Zimmer, darinnen die Vibliothek enthalten ift*).
— Bei Schinzen. Weil es fchon ſpäht war, fo fonnten wir
nicht mehr, wie wir uns vorgenommen hatten, zu Bodmern
und Breitingern geben. Wir gingen deswegen nur noch zu
Breitingern alleine. Difer vortreffliche Gelehrte ift zugleich
ein recht liebenswürdiger Mann. Er redt fehr wol und mit
einem Felier und einer Lebhaftigfeit, die überaus angenem
fein; er fcheinet aufrichtig (cordale) zu denken und mit einer
großen Mäßigung in Religionsfahen; er gewinnt, gekannt
zu werden. Er bat feine angenommene Höflichkeit, wie wir
diejelbe von den Ausländern lernen, aber die Natur bat ihm
einen milden und feinen Charrafter gefchenfet, daraus bei
ihm eine natürliche Höflichkeit entftehet, die weit ſchäzbarer
ift als alle Politeße der Franzoſen.
Ingenuam diceres orbanitatem atque civilitatem
quae ex vera humanitate provenit. Er ift mit unferm
Erdiaconus Wettftein fel. gar nicht zufriden. Ich brachte
mehr als eine Stunde [ehr angenem mit demfelben zu. Man
bemerfet gar feinen Hochmut, gar Feine Einbildung an dem-
felben, welches ich für ein Rennzeichen der wahren Größe
halte. Sch babe an ihm auch eine Entfernung von aller
Pedanterie wahrgenommen, die mir überaus wol gefallen
Rurz ich habe vil Vergnügen bei demfelben gefunden.
*) [Unvollitändig.]
120
Mit Ott, dem Schwerdwirt, allein zu Mittag gefpiefen;
difer ift ein ſchlechter Menſch.
1, Seite iournalifiert. Schinz und fein Eoufin bei mir,
der ein überaus artiger Mann ift. Er hat vilen Perftand
und hat denfelben fehr wol angebauet. Er denket jehr gut,
und fein moralifcher Charakter fcheinet eine gewiße Annem—
lichkeit und eine gewiße Güte zu haben, die die vortrefflichen
Mittel fein, die Herzen zu gewinnen. Solche Leüte fein
meiftens weit angenemer als Gelehrte von Profeßion und
auch der Gefellichaft weit nüzlicher. Wir gingen miteinander
zu VBodmern. Sch weis nicht, was ich von diſem Manne
lagen fol. Sch babe fchon gar zu vil und zu allerhand Ur-
teile von demjelben gehöret, als daß fich das Ding in einer
Unterhaltung von einer Stunde follte auseinander leſen laßen.
Ich Habe ihn nicht fo einbildifch gefunden, als H. Wolleb mir
ihn abgemahlet hatte, und den kritifchen Neid, von dem 9.
Schmelzer faot, Daß er ihm aus den Augen ſehe, habe ich gar
nicht an ihm bemerfet. So Tiebenswürdig als Breitingern
fand ich Bodmern nicht. Er redet auch nicht fonderlich wol,
obgleich er fehr gute Sachen fagt. Die natürliche Höflich-
feit von Breitingern zieret feinen Charakter nicht, und Die
Manierlichkeit, die eine Ausdrüffung der natürlichen Höflich-
feit fein fol, und bei den meiften den Mangel derfelben er-
ſezzet, fcheinet ihm noch fremder. Ich habe zwar bemerket,
daß er von fich felbft eingenommen ift und das in einem ziem-
lihen Grade; indeßen nicht fo fehr, als die Welt fagt. Ich
glaube, die Urſache, warum er für fo eitel angefehen wird,
ligt zum Zeil darinnen, daß er allzuaufrichtig ift, und da
er fich, welches ia einem ieden großen Manne erlaubet ift,
empfindet, fich deßen allzufehr merfen läst. Er hat nichts
edels in feinem Anſehen und in feinen Manieren und driffet
ih ohne Annemlichkeit aus. Er hat aber ftarfe und gute Ein-
fäle. Er ift noch allezeit über Gottſcheden erbittert und
Iheinet diſen Gegner, den er verachten follte, noch allezeit zu
fürchten. Difes ift bei mir ein Grund zu glauben, daß 9.
121
Bodmer unendlich weit befcheidener ift, als man darfür hält.
Pfarrer Schinz fam hernach mit mir zum Schwerde, wo wir
eine Stunde miteinander fhwazten. H. Zunftmeifter Ulrich
fam darauf zu mir, und wir gingen mit ihm in fein Haus.
Er führte uns zuerft auf ein Bollwerk, das zu dem obrigfeit:
lihen Haufe, darinnen er wohnet, — man nennet es das
Bauhaus — gehöret, man hat dafelbft die fchönfte Ausficht,
die man fi auf der Welt wünfchen kan, auf den See. Der
See ift ſchon an fih ein prächtiger Gegenftand, der in Per:
wunderung und Entzüffen fezzet. Auf beiden Seiten ift er
mit lieblihen und lachenden Hügeln umgeben, die mit vilen
Iuftigen Landhaüfern, Zeihen des Wohlftandes der Bürger,
befeazet fein. Sn der Ferne über andere Berge aus, die die
Ausfiht begränzen, zeigen fi) Eisberge, und fcheinen ge:
macht zu fein, um dife reizzende Gegend zu vervolllommnen.
Dei H. Zunftmeifter Ulrich trafen wir Profeßor Ulrichen
an. Difer fcheinet ein guter Mann; allein große Einfichten
traue ih ihm nicht zu. Er hat Dr. Hubern von Muttenz
auf feinen Reifen zu Bikkeburg ‘angetroffen und das in
einem fehr elenden Zuftande. Er bat denfelben mit viler
Mühe nah Baſel gebracht, indem Huber allezeit in der
äußerften Furcht geftanden, fein Schwäher, der Oberftzunft:
meifter Bekk, wolle ihn ermorden laßen. Wlrich erzählte mir,
Huber hätte einft einen armen Kerl fehen in einem Wirts-
haus in die Stube treten, darinnen fie gewefen und wäre wie
ein Wütender aufgefahren und hätte gejchrien: „Sehet, ſehet,
da ligt es an dem Tage, daß ich Recht habe; das ift der Kerl,
den mein Schwäher gefchilt hat, mich zu ermorden.” Cs
wäre auch beinahe nicht möglich geweien, Hubern zu be-
ruhigen. Difer vortrefflihe Mann ift ein großes Beiſpil,
wie weit eine verderbte Einbildungskraft einen Mann zer:
rütten fan. Bei 9. Zunftmeifter Ulrich brachte ich meine
Zeit fehr angenem zu. Er ift ein guter, rechtichaffener Mann,
der eben feine große Feinheit in der Denkungsart noch in
den Sitten und Feine weitläufigen Einfichten befizzet; allein
122
er denket richtig und hat eine gewiße Einfältigfeit in feinen
Manieren, die mir überaus gefällt, obwol er auf einer andern
Seite aus einer allzugroßen Wolmeinenheit allzuvil Umftände
mit einem machet. Ich ſehe aber difes als eine Folge der
hiefigen gezwungenen Lebensart an.
Bon H. Alrich ging ih in das Schinzifche Haus, wo
bei Schinzens Vetter eine artige Geſellſchaft von jungen
Leüten verfammelt war: ein Gandidat oder Pfarrer Heß,
ein Keller, ein Hirzel, mit dem ich in Relation geftanden und
der ein guter und geſchikter Menfch zu fein fcheinet. Dife
fein alle gute Compagnie, und ich brachte die Zeit angenem
mit denfelben zu, infonderhbeit mit dem Rahtsſubſtituten
Hirzel. — Mit Heidegger, dem Buchhändler, und einem
Kaufmann von Turin, Droner, zu Naht geipiefen. Difer
Heidegger hat Verſtand wie ein Teüfel; er ift ein feltfamer
Kerl, ein großer Schwelger, und man fagt, er fei wegen
feiner Bosheit fehr gefürchtet. Er hat feine Zunft geändert,
um auf Sfr. Obmann Blarers Zunft zu geben und alles
angewandt, difen Mann zu ftürzen*), der einer der ver-
Dienteften der Republik ift; allein es ift ihm nicht geraten.
Dlarer war bei feiner Zunft, deren er als Zunftmeifter vor-
fund, allzubeliebt. —
Sonntags, den 7. (Zuli). 1 und 1% Geite iournalifert.
Ich wollte mih difen Morgen frifieren laßen; allein es
fonnte nicht fein. Es ift das Frifieren verboten, und das
Gebot ift erft erneüert worden. Man fagt mir, man halte
die Gefäzze hier auch nicht länger als fo lange fie neü fein
und etwann, wenn man fie wider erneliert. — Schinzens
Vetter bei mir. Welch ein liebenswürdiger Menſch ift
er nicht! Mit ihm in die St. Petersfirche gegangen. Es
predigte der ordentliche Prediger dafelbft: Pfarrer Brei—
finger. Man fagte mir, es gerahten ihm bisweilen feine
Predigten fehr aut; allein heüte hat er diſes Glüffe nicht
Anmerkung: Difes Factum wird in der Stadt erzählet, allein
es ift noch zweifelhaft.
123
gehabt. Seine Predigt war zieml. fchlecht, und einer feiner
Haubtfäzze war, daß es fehr gut fei, daß die Geiftlichen
reihe Pfründen haben. — Nah der Kirche ging ih mit
Schinzen, Rabtsfubftitut Hirzeln und einigen andern auf
den Lindenhof. Difes ift eine ziemlich Iuftige Promenade;
in dem Innern hat er viles mit unferm St. Petersplazze
gemein und in dem Aüßern mit unferer Pfalz. Er ift nicht
fo groß als der erftere und nicht fo Klein als die leztere.
Auch ift er in feinem Innern nicht fo vollfommen als wie
der erftere, der Doch fehr unvolllommen ift, und feine Ausficht
ift mit der Pfalz ihrer gar nicht zu vergleichen. Hingegen
ift die Ausfiht auf dem Bollwerke, da ich geftern mit
H. Alrich geweſen, weit fchöner als die von der Pfalz zu
Baſel ift,; wie auch die Ausfiht in dem Bauhaus und an
einigen andern Orten von Züri. — Unter den Leüten,
mit denen ich heüte auf dem Lindenhofe fpazieret, waren
gewiß einige artige, allein auch einige, die eime fchlechte
Figur machten und die doch gar feine gemeinen Leüte waren.
Ich habe am Freitag zu vorteilhaft von den Zürchern ge:
urteilet, wenn ich gejagt babe, fie hätten überhaubt ein
beßeres oder ein eben jo autes Anſehen als unfere Basler.
Es fehlet ich fehr vil. Die meiften fehen etwas roh aus;
indeßen ift feine Regel ohne Ausname, und es gibt einige,
die man allerorten präfentieren fönnte und ficher feine Ehre
mit ihnen einzulegen. Über die Kleidungen, in denen ihre
Weiber in die Kirche geben, ift etwas recht ſpöttiſches. Ich
will ihnen alles dabei zugeben — ich billige es noch, denn es
ift befcheiden — allein dife Tächerlichen aufgetürmten Tüch-
gens fein etwas fchrefflihes. Bei uns ift es verboten in
der Fasnacht fich zu masquieren, hier find die Weiber ver-
bunden, nicht anders als masquiert in die Kirche und an
die Leichen zu geben. Die Mannsperjonen, auch jogar die
ledigen, tragen auch über ihren gefarbten Kleidern fchwarze
woppene Mäntel in die Kirche, aber nicht in den Raht.
Difes ift etwas recht ungereimtes, und fie fehen in diſer
124
Tracht den Juden zu Frankfurt jo ähnlich, als ein Ei dem
andern. —
Wir redten vil von unfern beiden Staaten. Es
fcheinet, die Zürcher haben vil mit den Schwaben zu tuhn
wegen der Frucht, auch mit den Schwäbifchen Herrn und
fhmwäbifchen und andern Gtiften wegen Lehn, Zins und
Einkommen. Hirzel beklagt fich, ihr Staat neige fich völlig
zur Demokratie. Sch ſehe es doch nicht, indem er mir auch)
fast, der große Raht habe fo vil als nichts zu bedeüten. Die
Wahl der Zunftmeifter, fo durch alle Zunftbrüder geſchiht,
und wodurch es fich zuträgt, daß bisweilen fehr fchlechte
Leite oder zum mindeften Leüte, die nicht von Familie fein,
zu anfehnlichen Poften fommen, ſcheinet dife Lelite zu in-
commodiren, wie auch die Abhängigkeit der Sunftmeifter
von der Bürgerſchaft; allein difes hat mir noch Fein fo
demofratifches Anſehen, und mich deücht, es könne von
großem Vorteile fein. Sie weifen mir aber einen Zunft-
meifter, der auf dem Lindenhofe fpazierte, und vom Stuben:
fnecht feiner Zunft zum Zunftmeifter davon geworden; denn
für SZunftmeifter zu werden, darf man nicht vorher vom
stoßen Rabte fein. —
Mit Droner zum Schwerd zu Mittag gefpiefen. Diſes
ift ein arfigr Mann. Schinzens Bruder bei mir; er ift
ein guter Menſch; er bolte mich ab zu feinem Bruder,
dem Pfarrer, wohin ich aufs Caffé eingeladen war.
Schinzens Frau fam mir heüte nicht fo artig vor als das
erfte Mal, da ich fie geſehen; indeßen deücht fie mich doch
ziemlich artig; er wis mir vile Sachen von Bodmer, die
ich gröstenteils ale Fanntee Wir waren bernah auf
einem DBollwerfe hinter Schinzens Haufe, wo eine aus-
nemend fchöne Ausfiht if. Sie fagten mir, außert den
Urfachen, die Stadt zu befeftigen, die ich ſchon oben auf-
gezeichnet, waren noch die gewelen, daß zu der Seit, da man
dDifes Werk vorgenommen, die VBürgerfchaft großen Mangel
an Nahrungsmitteln gelitten, welche man auf dife Weiſe
125
ihr Leben gewinnen mahen wollen; von difem Bollwerk
hinunter fan man die ganze Stadt überſehen. — Es
feblet fi) vil, daß Zürich fo groß fei als Baſel, obgleich
es weit volkreicher if. Sie beklagen fich bier über Die
allzugroße Mänge ihrer Bürger, da bei ung ewige Klagen
über den Mangel an Bürgern geführet werden. — Schinzens
Vetter führte mich von difem Bollwerfe in eine Gefellichaft,
die bei einem H. Gosmweiler gehalten wurde. Man fpielte
daſelbſt; ich aber fpielte nicht; ich redte meiftens mit Hirzeln
und Schinzen, der mich bingeführt hatte. Hirzel erzählte
mir von der izzigen Beſchaffenheit der Toggenburgerfachen,
darinnen fih auf Anſuchen des Abtes auch Frankreich zu
mifhen angefangen, welches an die Cantons Zürich und
Bern deswegen gejchrieben und des Abtes Sache difen
Cantons empfohlen. Es ift noch nicht lange, daß die Züricher
H. RahtsH. Heidegger nah Solothurn geſchikket, um den
Botſchafter über diſe Sache zu berichten und zu zeigen,
worinnen diſes Gefchäft eigentl. beftebe. Der Botfchafter
fei auch über die Sache fehr wol erbauet worden, und der
Erfolg wäre fo gut geweſen, daß der Abt nun mit vil größerer
Höflichkeit an beide Stände, infonderheit an Zürich, ge-
fchrieben habe. Man babe auch den Toggenburgern von
Seiten beider Stände fehr ernftl. zugefchriben, die aber in
einem ausnemend wol abgefasten Schreiben fich verteidigt.
Der Credit des Venners Imhof wäre indeßen zu Bern
gefallen. Die Berner hätten unter anderm an Zürich ge:
Ichriben, es wäre gut, wenn die alte Harmonie zwijchen
beiden Ständen wider bergeftellet würde; über welches
Wort Harmonie zu Bern wäre im großen Raht ab-
gemehret worden, ob es follte gebraucht werden oder nicht.
Seit difer Zeit hätten beide Stände wider gut gefunden,
ihre Schreiben in difer Sache gemeinſchaftlich abzufaßen,
welcher Gebrauch ſeit ungefähr anderthalb Jahren wäre
unterbrochen geblieben. — Ich ſah auch dafelbft einen Aus—
zug aus dem Tractat des Königs in Sardinien mit Genf,
126
durch welchen alle Streitigkeiten zwifchen difem König und
difem Staate aufgehoben worden. Man bat mir aber fchon
vorbergefagt, der Erbprinz babe wider diſes proteftieret, es
ift nur die Frage, ob es wahr if. Sch will nun nicht von
der Gerechtigfeit der Proteftation reden, aber wenn fie
geſchehen ift, jo fan fie mit der Zeit allezeit ein Vorwand
fein, die alten Sachen wider bervorzujuchen, und wer
Meifter bleibt, auf deßen Seite ift alsdann allemal Die
Gerechtigkeit. Difer Tractat beftehet in Austaufhung von
Rechten, Herrihaften und Gerechtigfeiten, wodurch vile
Anomalien und Anläße zu Zwiſtigkeiten aufgehoben werden.
Züri und Bern haben auch an der Beilegung difer Sache
gearbeitet. Es gefchihet ihrer auch in dem Eingange des
Tractates auf eine Art Meldung, die ihnen Ehre machet.
Sch habe dennoch bemerket, dat in difem Tractat das Wort
souverain nie gebraucht wird, und der König niemals
fagt, daß er fie für folche erkenne, obaleich, was ihnen zu-
geftanden wird, difes nohtwendig mit fich bringet. Villeicht
ift dis ohne Abſicht gefchehen, villeicht für den König zu
begnügen, einen gewißen Anftand zu beobachten und difen
Schritt nicht jo offenbar tuhn wollen. Es ift allezeit gewis,
daß die Ausdrüfflung des Iractates bündig genug ift, für
die Souveränität an fich zu bringen. —
Schinzen redte mir hernad von Rlopftoffeng Streitig-
feiten mit Bodmern. Man kan von difem Streite gewis
fagen: Iliacos intra muros peccatur et extra. Der ver:
götterte Klopftot ward von dem guten Bodmer mit einem
Entzüffen, dem nichts zu vergleichen ift, erwartet. Klopftof
war nur durch feinen Meßias bekannt. Man ftellte fih den
Mann vor, wie das Gedicht: dunkel, maieſtätiſch, geſezt,
ernfthaft. Bodmer war in einem Alter, da ein folder Freünd
feine Sache war und war fehr durch die Vorftellung ein:
genommen, daß der gröste Geift, den unfere Seit hervor:
gebracht Hat, zu ihm käme, fein Schüler und Freünd zu
werden. Der gute Rlopftof, der reicher an Ideen als an Geld
127
war, erhielt noch von Bodmern Borfhuß für feine Reife.
Er machte diefelbe mit Sulzern von Verlin und langte endlich
in Zürich an, wo er von Bodmern mit ebenfo großer Un-
geduld erwartet wurde, als Simeon den Heiland erwarten
fonnte. Es war alfobald alles Herrlichkeit. Man bewunderte
einander nur, man war noch nicht fo befümmert, einander
fennen zu lernen. Dife Schönen Tage floßen auf das aller:
angenemſte; aber fie währeten für beider Ehre nur zu kurz.
Dife vortrefflihen Leüte waren gemacht, einander zu ver:
ehren und zu bewundern, aber nicht, miteinander zu leben.
Shre Charaktere waren zu verfhiden. Bodmer, ernfthaft
und von einem Alter, wo man für das Vergnügen und die
Ergdzlichkeiten unempfindlich ift; Klopſtok, munter, aufgewelt,
iung, ein Freünd der Ergdzlichkeiten und Freüden. Der
ftile Lebbäus war in feinem Umgange ein muntrer Anakreon.
DBodmer war gelehrt, ein großer Criticus, der alle Aus—
drüffungen zu erwägen und alle Säzze zu analyfieren pflegte;
KRlopftof war ungelehrt, verftand wenig oder nichts von den
Kritik, die Natur hatte ihn zum großen Poeten gemadt,
und es ftund ihm nicht an, von allen feinen Gedanken, Bildern
und Ausdrüffungen als ein Schüler Rechnung zu geben.
Er war es auch nicht im Stande.
Bodmer war arbeitfam, eingezogen, hätte gern KRlopftof
den ganzen Tag bei fih gehabt, um das Vergnügen zu
haben, mit ihm zu arbeiten und ihm Errinnerungen zu geben.
Klopitof, wie alle feürigen Röpfe arbeitete, wenn es ihm in
Laune war, liebte das Leben, war gerne in der Welt und
von feiner Gemühtsart, Bodmers Errinnerungen allezeit mit
Vergnügen anzuhören. Bodmer wollte alle Schritte feines
Sreündes, der bei ihm wohnte und an feiner Tafel fpies,
nach feiner Santafie abgemeßen haben und gab ihm über
das, was ihm nicht anftunde, etwas derbe und meifterhafte
Moralen. Klopftof liebte die Freiheit, und e3 war ihm un:
erträglich gemeiftert zu werden, fein Mentor mochte au
noch fo ein großer Mann und noch fo fehr fein Guttähter
128
fein. Nach und nach entftunden aus difer Verfchidenheit
der Charaktere Misverftändnife und endlich Erbitterung,
‚wobei die Achtung (Eegards), die dife großen Leüte hätten
haben follen, nach und nach außert Augen gefezzet wurde.
Sie erklärten fich gegen einander, und dife Erflärung wirkte
nur noch mehr Erbitterung. Man beobachtete den Wolftand
eine Zeitlang; endlich Fam es zu einem Bruce. Klopftof
verlies Bodmers Haus und begab ih zu einem H. Rahn,
einem feltfamen Menfchen, der auch KRlopftoffen feltfame und
paradore Meinungen beibrachte. Hierüber ward VBodmer
allzuböje, andere halfen das Feüer noch vermehren, und
Bodmer ward endl. angetrieben, von Klopftoffen das vor:
geftreffte Geld zu fodern. Man jagt, H. Breitinger habe
hieran großen Anteil gehabt; ich Fan es faft nicht glauben.
Difes brachte die Sache auf den höchften Grad der Erbitte-
rung, und man beobachtete Fein Maas mehr. Klopſtok hatte
einigen Argwohn gegeben, daß er die Ergdzlichkeiten liebe;
er hatte Fehler begangen; man beobachtete alle feine Schritte
und legte alles auf das fchlimmfte aus, und aus Jugend—
fehlern machte man Lafter. Klopſtok hatte auch fehr gefehlet,
daß, als er Bodmern das Geld wider gejchiktet, er es ihm
mit Zins und Marchzahl ſchikkte und difes zum 2ten Male,
nebft Schreiben, die fehr empfindlih waren. Man fagt,
Bodmer habe bei diſem Anlaße die hellen Trähnen geweinet.
Difes währete bis zu der Seit, da Klopftof bald verreifen
follte, und difer Streit hatte in Deutfchland fein geringes -
Auffehen gemacht. Breitinger, den man befchuldigte, eben
jo fein und politifch als gelehrt zu fein, ſah die Folgen eines
ſolchen Zwiftes ein und wuste zu wol, wie fchändlich es fein
würde, wenn Klopftof und Bodmer unverföhnt fcheiden
follten. Er vermittelte alſo mit großer Mühe eine Art Ver—
fohnung aus. Man fah fich etlihe Male. Man umarmte
fh. Man ſchied voneinander; allein feitdem ift Nlopftof
nicht mehr der große Mann, der er ehmals gewefen; er ift
nicht mehr derfelbe große Dichter. Der Meßias hatte zu
129 ®
der Zeit, da Klopftof in Zürich ankam, feinen einzigen
Fehler; ſeitdem er fi mit Bodmer abgebrochen, verhält es
fih ganz anders. Man fagt mir au, Klopſtok fei, ehe er
von Bodmer verderbet worden, ſehr beicheiden geweſen.
Bodmer aber hätte ihn durch fein beftändiges Loben ftolz
gemachet, und difes wäre eine der Urfachen gewejen, warum
er auch nachher Bodmer minder nachgeben wollen und in
difem Streite allzu hizzig gewejen. — Mit Droner und vilen
Piemontefen zu Nacht gefpiefen, die ihre Bauernſprache
unter einander redten, davon ich nichts verftund. — Sour:
nalifiert.
Montags, den Sten (Zuli). 10 oder 12 Seiten iournali-
fiert. Der Pfarrer Schinz und fein Vetter bei mir. Mit
Schinzens Vetter zu Gesnern, dem PVerfaßer des Dafnis
gegangen. Difer ift ein wizziger Menfch; er ift ein Buch—
händler und neben feinem Talente wol zu fchreiben, ift er
noch ein ziemlicher Maler. Er ift in allen feinen Idéen
original und malt lauter feltfame Gefichter: Satyren, Faune
und wilde Ausfichten, darinnen aber doch die Natur fih
ſchön und groß zeiget. Er führete ung in ein Zimmer, dar-
innen er das Getäfel auf diſe Weife gemahlet hatte. Er
fcheinet ein fehr befcheidener und gejcheider Menfch zu fein;
er zeiget gar nicht, daß er von fich oder von feiner Arbeit ein-
genommen ift, obgleich feine Arbeit fo vortrefflich wol ge-
rahten iſt; er ift in allem ganz natürlid. Schinz, der mich
zu demjelben geführet, fcheinet jein großer Freünd zu fein,
und wie mehr ich difen Schinzen kennen lerne, defto mehr
Hochachtung, Freündſchaft und Liebe faße ich für denfelben.
Er denfet wol; er hat feinen Geift ungemein wol angebauet
und bat denfelben von Natur überaus fein und delicat. Es
wird ein rechtihafner Mann aus ihm werden; es ift ewig
Schade, wenn er in feinem Paterlande nicht einmal ins Re:
giment gezogen wird. Beide Schinzen fagten mir heüte, der
König in Frankreich hätte anno 1663 zugeben wollen, daß
der erfte Gefandte der Eidsgenopen, der Yurgermeifter von
130
Zürich bei dem Bundesſchwure den Hut aufhätte, und es
wäre fchon eine Medaille geichlagen gewejen, darauf der
Bromftr. von Zürich mit dem Hufe auf dem Haubte vor-
geftellet wäre; von difer Medaille follen noch 2 Stükke in
Zürich fein. Allein da die übrigen Gefandten den Zürichern
dife Ehre allein nicht gönnen wollen, und das nämliche für
fih alle hartnäffigt verlanget, hätte der Rönig gar nicht mehr
anders wollen, als dat alle mit entblöstem Haubte vor ihm
ftehen follten, welches auch geſchehen ift.
Mit Droner und den Piemontefen zu Mittag gejpiefen.
— Rlopftofs Gebeter eines Freigeiftes, eines guten Chriften
und eines guten Königs gelejen, welche ich ſehr fchöne ge-
funden und die mir weit beßer eingeleüchtet als Wielands
Gebeter eines Deiften und eines Chriften. Das Gebet eines
guten Königs ift infonderbeit ausnemend ſchöne; ich las auch
Treüers Parodie von difen 3 Gebetern: das Gebet eines
Antiklopftoffianers, eines Klopſtokkianers und eines guten
Griticus, darinnen ziemlich viel Wiz ift und noch einige
gefchriebene Stüffe von KRlopftoffen. 1 und Seite iour-
nalifiert. — Schinzens Vetter bei mir; mit demfelben zw
Rabtsfubftitut Hirzel gegangen, wo ich die Zeit angenem
zugebracht. Hirzel ift doch ein artiger Mann; er gab mir
das Schreiben zu lefen, das der Landraht von Toggenburg
wegen der Rechtfertigung der Landleüte, die das Mannrecht
feiner rechtlichen IInterfuchung unterwerfen wollen, an Zürich
geſchriben. Difes Schreiben ift fehr ftarf und nachdrükklich.
Wir redten von denen mächtigen Leüten in unfern Repu:
blifen. Sfr. Obmann Blarer wird von ihm als ein wahr:
haftig großer Mann beichrieben, der mit einem werten Um-
fange von Einfichten eben fo viel Ehrlichkeit, Grosmuht und
Liebe für das Vaterland vereinigt und den jedermann liebet
und verehret. Sch habe fchon zu Frauenfelden auf diſem Fuße
von demfelben reden hören. Er hat einen Sohn, der eben
jo vil verfprechen fol, und nun des arofen Rahts ift, dar-
innen er fih durch feine Beredtſamkeit und durch die Hof:
131 9
nung, die er dem Staat machet, feinen Vater zu erfezzen,
bervortut*). Die Klugheit und die Einfichten des Rahts 9.
Heideggers werden auch fehr gerühmet, und die Republif
braucht denfelben in allen wichtigen Gefhäften. Brgmſtr.
Eicher, den man doch Blarar nachfezt und den ich nicht genug
bewundern fan, habe ich oben ſchon beſchriben. Brgmſtr.
Sries ift ein fehr fähiger Mann, aber ein Pedant; ich ftelle
mir Seffelmeifter Leiten auch alfo vor. Sie befchriben mir
noch einige andre, aber nicht fo ausführlih. Sie haben auch
bier wie bei uns und an allen Orten Leüte, die Einfichten
haben, aber dabei übel denken. Sie beklagen fich über ihren
Staat, aber nur unbeftimmter Weife. Ich habe nichts aus
ihren Klagen fchließen Eünnen. Freilich wird auch bier die
Mänge nicht richtig denken und nicht alles nach der Regel
der erhabenften Ehrlichkeit abgemeßen fein. Wo ift der Ort
der Welt, wo man difen Vorteil finde? Man nenne mir
ihn, und wäre es in Indien, ich will mein Vaterland mit
dilem alüfffeligen Lande vertaufchen. Indeßen geht es in
3. wie in 3. Contenti simus hoc Catone oder wenn man
'will his Antoniis. — Bei H. Zunftmeifter Ulrich, Abfchied
zu nehmen. Sch habe in der Taht Urfache, für feine Höflich-
feit empfindlich zu fein. Bei. Pfarrer Schinzen; der gute
Menſch fcheinet mir verlegen, daß er mir nicht mehr Ehre
angetahn, da ich Doch nicht wüste, was ich mehr von ihm
verlangen hätte follen, injfonderheit in difen Imftänden, da
er morgen auf feine Pfründe verreifet. — Auch von feinem
Better und feinem ganzen Haufe Abfchied genommen; es fein
recht gute und artige Leute. — Mit Droner, feinen Pie-
montefern, Violant von Augsburg, jr. Frauen und fr. Tochter
zu Nacht gefpiefen. Dife kleine Violant ift gar nicht ſchön,
aber fie ift doch aufgewelt und von einem ziemlich angenemen
Umgange; ich redte vil mit derfelben. 2 Seiten iournalifitert.
*) Ich habe hiemit Urjache, mit der Frau Zunftmeilter Ulrich
zufrieden zu fein. Sie madte mir verjhiedene Male das Compli-
ment, ich habe mit diſem iungen Sfr. Blarer gar zu vil gleiches.
132
Dienftags, den Iten (Zuli) 3 und 1% Seiten iournali-
fiert. Auf dem Rahthauſe. Sch verftehe mich gar nicht auf
die Baukunſt; mich hat difes Gebalide fehr ſchön und prächtig
gedeüht. Man jagt mir, man habe die Anmerkung darüber
‚gemacht, daß deßelben Aüßeres mit Zierahten allzu beladen
fei. Die Heine Rabhtsftube ift ein prächtiges Zimmer und
ausnemend wol eingerichtet. Die Räht- und Bürgerftube
ift Schon vil einfältiger. Es fein einige Zimmer darinnen,
die zur Gefangenfchaft der Bürger in Fällen, die nicht cri-
minal find, beftimmt fein. Der Grosweibel hat feine Woh—
nung auf dem Rahtbaufe. Indem ich auf dem Rahthaufe
war, kam ein Bedienter des Zunftmeifters Ulrich zu mir,
mich auf eine Taße Caffé einzuladen und hernach das Zeüg⸗
haus zu ſehen.
Sch ging noch einen Augenblik zum Schwerd und dar—
auf alfobald zu H. Wlrichen, wo ich eine Zeitlang verweilte.
H. U. führete mich hernach ins Zelighaus oder vilmehr in
4 Zeüghaüſer; in dem einen zeiget man Wilhelms Tells
Armbruſt — gleich einer Reliquie, als ob iemals ein Wil:
beim Zell geweien wäre. In einem andern fein alle Beüte,
die die Zürch. und Fatholifchen Brüder ihren Brüdern, ab-
genommen haben. In noch einem andern, wohin man nicht
iedermann führet, ift ein großer Vorraht von Bomben, Mu-
nition, Feldgerähten, Selten, Dielen und anderm Holze:
kurz von allem, was zum Kriege gehöre. Es ift darinnen
eine fonderbare Feldfchmitte, da auf einem Wagen Paz
zum Umbofe, Plaz, alles Gerähte zu einer folchen Schmitte
mitzuführen, ein Feüerherd und ein Blasbalg, das Feier
in der Glut zu erhalten. — Wir waren au in dem Schif-
magazine; da hat die Republik ihre Schiffe, infonderheit eines,
das ziemlich groß ift und das man den Bucentaurus von
Zürich nennen könnte.
H. Zunftmeifter rich trieb die Höflichkeit fo weit, mich
von dannen bis zum Schwerde zu begleiten. — Ich fpies
zum Schwerd mit H. Enderlin von Lindau zu Mittag und
133
fezte mich hernach mit demfelben und zwei Modehändlerinnen
von Brukk, einer Frau Wezlerin und ihrer Tochter, in die
Bernerkutſche. Die Zeit von Zürich bis auf Baden auf
das angenemfte zugebraht. Difer Envderlin ift ein aus:
nemend artiger Menſch; er ift ein Kaufmann, bat aber vil
Verſtand und ift von einem angenemen Umgange. Auch
unfere Frauenzimmer waren fehr artig und luſtig. Die
Tochter ift ziemlich Schöne. Zu Baden verließen wir ein-
ander. Sch begleitete dife Weiber noch bis an die Limmat,
wo fie in einen Nahen faßen und ohne Ablöfung der Canone
nah Brukk verreifeten.
Zu Baden logierte ih im Hinderhofe. Ich fpies in
angenemer Gefelichaft an Dorers Tafel zu Naht. Es war
ein Haubtmann von Neüfchatel und feine Frau, die fehr gute
Leüte zu fein fcheinen. Ein deütfcher Baron, der mich fehr
artig gedeiht und ein Zr. Grebel von Zürich. Der alte
Dorer ift nichts fonderlihes. Man brachte indeßen die Zeit
ziemlich angenem zu; nur babe ich zu vil geplaudert. Cs
ift eine verdammte Sache um dife Unmäßigkeit der Zunge.
Ich mus mich angewähnen, in meinem guten Laune minder
zu reden; wenn ich in meinem ſchlimmen bin, jo laße ich es
fchon bleiben.
Mitwochs, den 10ten (Suli). 3 Geiten iournalifiert.
An dem grünen Saale. Es ift der Ort, wo fi die Gefell-
fchaft hier verfammelt. Es war ein überaus artiges Frauen:
zimmer darinnen; fie bat etwas überaus Feines und Deli-
cates in ihren Manieren. Sie hat in ihrer Fifionomie etwas
das der Legrandin, die eine Harfcherin ift, gleichet, und fie
ift Schöner als die Legrandin. Sie ift eine Tochter des
Junker Grebels, mit dem ich geftern zu Nacht gefpiefen. Es
war noch da ein Heidegger, Landfchreiber von Baden, fein
Sohn, ein Pfarrer Pfenninger von Züri) und ein H. Rein-
hard von Wintertur. Der iunge Heidegger fagte mir, der
Baron und der Haubtmann, mit denen ich geftern gefpieien,
wollen ihre Namen nicht entdekken; fie wären aber gelehrte
134
und verftändige Leite. Das Dings kommt mir verdädtig
vor, indeßen fönnen fie unfchuldige Urfachen dazu haben,
ohne Avantürrer zu fein. Allein difes mus Doch in De:
trahtung gezogen werden und ift ein Grund zur PVorfichtig-
keit. — Die 5 erften Capitel in Lerbers Buche de legis na-
turalis summa gelefen, 1 Seite iournalifiert. An dem Tä—
felin; es ift eine große Tafel in dem Hofe, wo man aud)
fih verfammelt. Sfr. Grebel, der Landfchreiber Heidegger
und fein Sohn dafelbf. Geplaudert. Grebel erzählte, die
Haüislerin zum Fuchs hätte, als fie einft hier in Baden ge-
wefen, jehr oft ihnen 3 bouteilles Toffaier, da die Boutteelle
eine Dufate Foftet, zu trinken gegeben.
Mit der geftrigen Gefelihaft zu Mittag gefpiefen.
Nachmittags im grünen Saale. Es war eine große Gefell-
ſchaft daſelbſt; erftlich meine geftrige Tiſchgeſellſchaft, die
Soft. Grebel, eine Jgfr. Heideager, des Landfchreibers
Tochter, ein reizzend artiges Mägdgen, Das ſchöne Manieren
und ein edels Anfehn hat. Sie fol ſehr aufgewelt fein.
Sr. Rahtſchr. Wyß von Zürich und feine Frau. Dife Frau
hat Eein oroßes Anſehen. Des Landichreiber Heidegaers
feine Frau bat ein ausnemend gutes Anfeben und gleichet
von allen Frauen, die hier fein, am meiften einer Frau von
Stande. Ein Graffenrievd von Bern; ein Reinhard von
Wintertur und feine Schwefter, nebft vilen andern, die ih
nach und nach nennen will. Eine Frau Ziegler von Zürich
gab das Caffé. Ihr Mann ift auch da, nebft zwei jungen
Töchtern und einem noch ganz jungen Knaben. Man macht
eine erftaunlihe Mänge Cerimonien, und mir wäre ohne
den Baron und ohne den Haubtmann die Zeit am Anfange
fehr lange geworden. Sch redte hernach mit einigen Frauen:
zimmern, aber nicht vil; zulezt mit einer Igfr. Gosweiler
von Zürich, einem nicht unartigen Mägdgen,*) allein die
Unterhaltung bat mit dien Mägdgens fo bald ein Ende.
Sch hoffe, es wird befer gehen, wenn man einmal Materie
Anm. Nein, dife Gosweiler ijt nichts minder als artig.
135
zur Unterhaltung gefammelt und dife Perfonen ein bisgen
beßer kennen gelernt hat. Es gibt verfchidene, die noch ziem—
ich gut ausfehen, und die Zürcher fangen an, artigere
Rinder zu machen, als fie felbft fein. Nah und nad) wird
alles beßer gehen; allein ich habe mich betrogen, da ich ge-
fagt babe, fie feben überhaubt fo gut aus als die Basler
und DBaslerinnen. Es fehlet ih noch vil. Indeßen gibt
e3 einige Frauenzimmer, die fo vil Annemlichkeiten und
Manieren haben als irgend eines zu Baſel. Von Cavaliers
babe ich Eeinen gekannt als Keller, der mit unfern artigften
Leuten, einem Ortmann zum F., oder einem Wettftein zu
vergleihen wären. 21, Geiten iournalifiert. In Lerbers
Bude de summa iuris nat. fortgef. bis c. 11. Wider in
dem grünen Saale. Bil mit Zr. Grebel, Reinhard von
Wintertur etc. geredt. — Mit meiner Gefellfchaft zur Nacht
gefpiefen; die Zeit angenem zugebradt. Nach dem Ehen.
famen die Familien Grebel und NReinharden, Wertmüller
und feine Frau; wir machten ung recht Iuftig. Dife Wert:
müller ift eine recht artige Frau, und die Grebel ift recht
reizzend. Sie hat etwas fo janftes, etwas jo Liebliches in
ihren Manieren; eine ſolche Schambaftigkeit, fie fcheinet die
Beſcheidenheit felbft zu fein; die fchönen Augen, die fie hat!
Sie hat mich recht eingenommen; ihr Charakter ſcheint mir
recht gut zu fein. Unfere Neüfchatellerin ift ausnemend
liebenswürdig und munter; es fteffet gewis nichts verborgenes
hinter difen Leüten. Die Neüfchateller fein fchon bier ge:
weien. Der Baron bat feinen Namen nicht gejagt; niemand
bat ihn fragen mögen, das ift alles. — Ich weis der Henker
nicht, was difes geben wird: alles fcheinet in einer Ser:
rüttung in difem Bade; alles gebet feltfam. Die DBerner-
und Zürcherweiber fünnen einander nicht leiden. Ich ſehe
fhon, wo diſes herfommt. Die DBernerinnen haben die
andern Eritifieret; fie geben fich daneben einen gewißen Vorteil
über die Züricherinnen und fein auch von denjelben ge-
fürhtet. Daneben fol eine Soft. Imhof von Bern ein ver-
136
zweifeltes Maul haben, welches die andern alle fürchten.
Das Ding fängt erft izzt an; es fol mir recht Iuftig geben;
ih möchte nur länger bier bleiben, für den Fortgang diſes
Lärms zu fehn. Wenn ich länger hier bleibe, fo könnte Doch
die reizzende Grebel einen größern Anteil an meinem Ent-
ſchluß haben als alle dife Weiberdisputen. In der Taht,
fie ift liebenswürdig. Es ift in einem Bade die befte Ge-
legenbeit, ein Frauenzimmer fennen zu lernen, und wer
weis, e8 wäre dife Sache etwas ..... doch ich bin nicht
geicheide. 2 Seiten ivurnalifiert.
Donnerftags, den 11ten (Zuli). Lerbers Buch de
summa iuris nat. ausgelefen. In dem grünen Saale. Der
Helfer Pfenninger, H. Reinhard, der iunge Heidegger; die
Grebel daſelbſt. Diſes Mägdgen leüchtet mir beüte nicht
fo fehr ein als geftern. Verreiſe nur, Sfelin; es hält dich
nichts zurüffe. Bei dem Baron; difer ift gewig ein ver-
fländiger Mann; er ift fo artig und der Haubtmann aud). Die
Heine Violant war mit ihrem Vater bier, ein Logement
zu fuchen. Das verdammte Ding! Gie fagte mir viles
aus meinem Tagebudhe. Der nichtswürdige Kerl, der Ott
zum Schwerde oder fein Keller haben, da ich es einmal Ligen
laßen, mir es gelefen und mus alles wider erzäblet haben.
Das Dings ift ein böllifcher Streich, indeßen ift er lächer—
Lich; ich Eonnte mich nicht enthalten, ihn dem Baron und dem
Haubtmann zu erzählen. Indeßen fann ich mich fortpaften;
wenn man erfährt, daß ich alles beobachtet, jo fürchtet oder
haßet man mich, und alsdann Fan ich fein Vergnügen mehr
hoffen. — Am Täfelein. Der YBaron erzählte mit vilem
Berftande von dem alten Fürften von Deßau und andere
Sachen; der Mann hat gereijet; er bat fehr vil erfahren.
Mich deücht, ich betrüge mich nicht, wenn ich aus feinen
Reden jchließe, daß er ein Curländer ift oder Littauer;
ich glaube eher das letztere; einmal aus Polen ift er. —
Ueber Tiſch entwarfen wir die Partie, einen Bal zu
geben; wir trugen diſes unfern Frauenzimmern bei dem
137
Caffe im Saale vor, die unfern Antrag annamen. Das
wird mir einen komischen Ball geben: ein Schwarm alter
Weiber; eine eben fo große Anzahl iunger, von denen ein
großer Zeil weder Annemlichleit noch Schönheit hat und
nicht tanzen fan; ein Duzzend alte Cavaliers; ich, der ih
ein feltfamer Narr bin, der mich, eine foldhe Partie zu be:
leben, nicht fchikfet und dem der Val fchon verlaidet ift; der
Baron, der alles nur um feine Luft und zum Lachen an-
ftellet. Sein Lebtag ift fein folcher Ball nicht gewefen. —
Eine Promenade in die Stadt ganz alleine gemachet.
2 Seiten iournalifiert. — Auf der Matte mit einem Zürcher,
den ich nicht kenne und der mich anredte, [pazieret; er fcheint
ein braver Mann zu fein; bernah mit Helfer Pfenninger
und endlich mit einigen Frauenzimmern, der Grebel u. a.
Mit meiner gewöhnlichen Gefelfhaft zu Mittag gefpiefen.
Die Frau Wertmüller, die Grebel. — Zwei Landolt etc.
abgeholt. — Unſer Ball ſah noch recht gut aus und alles
ging unendlich weit beßer, als ich mir es vorgeftellt. Die
Sofr. Imhof und die Obriftin Tormann von Bern tanzten
am beften; die Igfr. Heidegger tanz auch fehr aut. Sch habe
es mit Tanzen übertrieben. Die Heine Landolt ift recht
reizzend. Man tanzte bis um halb eins. Ich führte die
Landolts wider in ihre Zimmer. —
Sreitags, den 12ten (Juli). Vormittags. Gebadet;
aber nicht gar lange; hernakh war der Baron bei mir. Im
grünen Saale niemand als Landfchreiber Heidegger und
Helfer Pfenninger angetroffen. Mit der Grebel von einem
Senfter hinunter, das auf das ihrige geht, geplaudert. Dei
den Landolts; die artigen Mägdgens! Wir gingen hernach
miteinander auf die Matte, wohin nach und nach andere
Geſellſchaft Fam: die Grebel, die Heidegger, die Steiner etc.
Lange mit der Heinen Landolt geplaudert. — Zr. Grebel, der
von unferer Tiſchgeſellſchaft war, ift verreifet. Nachmittags.
Einen Augenblik bei den Landolts; fie hernach in den Saal
geführet, wo wir das Caffé tranten. Mit der Imhof, mit
138
der ich geftern Schon gefchwazzet hatte, geredt und mit vilen
andern, aber meiftens mit difer reizzenden Landolt, die ich
nicht genug bewundern fan. Sie befizzet einen Wiz, eine
Artigkeit; fie redt mit einem fonderbaren Verſtande; fie ift
fo ſchön; fie hat etwas fo einnemends in ihren Manieren.
Bon allen Mägdgens, die hier fein, gefällt fie mir am beften.
Dife Grebel ift ein verderbtes Kind, obgleich fie fehr artig
if. Sch bin in die Landolt verliebt. Das Ding fiht feltfam
aus. Wenn mın.... . aber wie vile Betrachtungen . . .
allein ich bin ein Narr. — 2 Seiten iournalifiert.
Auf die Matte gegangen. Die Gosweiler und die
Heine Landolt dafelbft angetroffen. Mit ihnen mehr als
eine Stunde aeplaudert. Dife Landolt hat doch einen Ver—
fand, einen Wiz. Ich betriege mich fehr oder es eriftieret
feine fchönere Seele. Ihr Herze fcheinet noch trefflicher als
ihr Geif. Güte, Menfchenliebe, Edelmut, alles was eine
Perfon ſchäzbar und liebenswürdig machen Fan, leüchten aus
ihr hervor. In difer fchönen Seele ligen die Samen von
allen Tugenden noch unerftiffet. Sie Ligen in dem fchönften
Grunde, darinnen fie ligen können .... und die meiften
zeigen ſchon die Tieblichften Blühten ... Glüfffelig der-
ienige, der die Früchte derjelben fehen wird; noch glükkſeliger
derienige, der zu dem Befizze, zu dem Genuß derfelben be-
ſtimmt if. O, Sfelin, wenn dir ein folches Glüffe beftimmt
wäre . . . . wenn dein günftiges Schikfal dich deswegen auf
Baden geführet hätte, um . . . . Doch du fehweifeft aus, und
Dife lieblichen Traüme werden laider nur allaugefchwind ver-
Ihwinden, und dir wird nichts als ein trauriges Angedenken
daran bleiben... . Sndeßen, wenn du hoffen dürfteft . . .
Es deücht mich, die Schöne möge mich ziemlich wol leiden...
und auch fcheinen ihre und meines Glüffes Umſtände bei-
nahe gleich zu fein. — Auf dife angeneme Unterhaltung mit
der Schönen Landolt fpazierte ich bis nach dem Hof Wyl und
von dannen wider zurüf.
Ich wollte Lefen, ich konnte aber nicht, ich dachte nur an
139
meine fchöne Landolt, und als ich zu mir fam, traf ich den
Haubtmann und f. Frau, Wertmüller und feine Stau, wie
auch Reinhard und feine Frau, nebft Frau Eicher und Grau
Steiner an. Wir fpazierten an einen angenemen Ort; ich
war allezeit nachdentend, wie auch bei Tiſche, fo daß ich un-
höflich war. Ich dachte nur an die Landolt; ich ging um
9 gleich zu Bette. Ich wuste nichts mehr bei der Gefellfchaft
zu tuhn, da ich nicht reden Eonnte. Ich gab auf nichts Ach:
fung, was man redte. — Himmel, was wird noch aus diſem
Dinge werden!
Sonnabend, den 13ten (Zuli). Vorm. 2 Seiten iourna-
lifiert. Einen Brief an meine Muter gefchriben, darinnen
ich derfelben melde, daß ich ein paar Tage fpähter ankommen
werde. Den dümmften Brief von der Welt angefangen an
Schinzen zu fohreiben wegen meiner Liebe gegen die Landolt.
Ich babe ihn aber des Nachmittags zerrißen. Die Kleine
Landolt zum Fenfter hinaus gegrüßet. Sch alaubte, fie hätte
mir nicht gedanfet, das Ding verdroß mich. Es ift ein dummes
Ding um einen Verliebten. — Mit dem Haubtmann in die
Stadt gegangen; verfalimt, mit der artigen Landolt zu ſpa—
zieren. Netter Stoff zum Verdruß. Beim Caffe; nicht vil
mit der Landolt geredt; ein wenig mit der ältern Schwefter.
Was gilts, ich werde noch auch in die Schweiter verliebet.
Auf der Matte. Zeit angenem einfam zugebradt . .. In
m. Zimmer... . Grillen gemacht. Ich wollte, daß die
Liebe, ih weis nicht wo wäre... Sch will verreifen, fo
bin ich ruhig. 1 Seite tournalifiert. — Als die ältere Lan:
dDolt aus dem Bade fam, — die jüngere war in die Stadt
gegangen — war ich einen Augenblif bei derfelben. Ich
ſchlug ihr vor, eine Promenade zu mahen. Indeßen kam
ihre Schwefter zurüffe, und der Haubtmann ſagte mir, man
hätte eine Partie gemacht auf dem Mättelein, wo wir geftern
Abends geweſen, zu Nacht zu fpeifen. Sch bat die beiden Lan-
dolts, ob ich fo glüfflich fein Eonnte, daß fie auch Davon wären;
ich fürchtete eine abichlägige Antwort; allein ich war fo glüff-
140
lich, mich zu betriegen. Es taht mir aber fehr laid, als ich
nachher merkte, daß es ihnen wegen den Nachreden, die fie
fürchteten, Mühe machte. Indeßen ging unfere Partie ganz
Iuftig von GStatten. Der Haubtmann, Wertmüller und ihre
Weiber, der Baron, Reinhard und feine Frau, die Grebel,
die Steiner, die Efcher waren auch davon. — Diſe Landolts
fein Doch beide gar zu arfige Mägdgens. Eine volllommene
Sittfamkeit zieret ihre übrigen ſchönen Eigenfchaften. So
vortrefflihe Mägdgens gibt es in Baſel nicht. Es ſcheinet
einmal, die Kleine möge mich gar nicht übel leiden und ...
ich jehe, daß mein Herze rechtichaffen eingenommen if. Ich
entferne alle Zdeen, welche mir dife Liebe als gefährlich an-
fehen machen Eönnen und bin ieden Augenblik gleichfam be-
reit, mich allen Gefahren, die diefelbe begleiten Eönnen, aus:
zuſezzen. Sfelin, na fo vilen Erfahrungen bift du nicht
Hüger! Allein willt du allezeit der Märtrer deiner Un-
entjchloffenheit und deiner Furchtſamkeit bleiben... . Dife
Eicher, Heidegger und Grebel fein doch wilde Mägdgens.
Mein Lebtag habe ich nichts desgleichen gefeben. Die 2
leztern fein indeßen fehr artig, infonderheit die Heidegger, die
etwas Großes und Anjehnlichs in ihrer Geftalt und in ihren
Zügen bat. Sch ging bei Seiten zu Bette, fchlief aber ſpät
ein; ich dachte allezeit an die reizende Kleine.
Sonntags, den 14ten (Juli). Vormittags 2 Geiten
iournal. Eines und das andere in dem Espion turc gelejen.
Bei den liebenswürdigen Landolts das Kaffe getrunken.
Die reizenden Kinder! Der Baron war hernach auch einen
Augenblid mit ung. — Mit den Landolts und vilen andern
Perfonen in die Kirche gegangen. Eine fehr artige Predigt
geböret. Der Prediger nennt fih Ulrich; er fagt feine Sache
ganz truffen, ohne Uenderung der Stimme, der Stellung und
der Geberden daher, welches nur angenem if. Aus der
Kirche fpazierten wir ein wenig auf die Matte: der Haubt-
mann, die beiden Landolts, die Efcher, die Gosweiler. —
Dife Landolts müßen von fehr gutem Herkommen fein; der
141
Obmann Blarer ift ihr Grosoncle. Diefes Ding macht
mir närriihem Kerl Mühe; ich ſehe, daß es die Schwierig:
keiten, in meiner Liebe glüfflich zu fein, vermehret .... .
aber fol ich wünfchen, guten Erfolg zu haben? .... Beim
Mittageßen vil mit dem Baron geredt. Der Mann hat vil
Erfahrung und PVerftand; ich möchte ihn genauer Tennen
lernen. Beim Caffé mit der Imhof geredt. Mit Land:
ichreiber Steffen, vil mit dem Baron, wenig mit den Lan—
Dolts. Sch babe beinahe nur das Herze nicht, mit diſem
fleinen Geschöpfe zu reden. Sch babe eine Ehrfurcht vor
derſelben; wenn ich ihr nur dürfte meine Liebe erklären. Ich
beftimme ihre Schwefter für Freien... . Welch ein göft-
liches Leben Eünnte ich uns beiden alsdann verfprechen . . . .
aber bin ich geſcheide ... Nun ift die Landolt allein in
ihrem Simmer .... ih bin binuntergegangen ... . . id)
babe fachte angeflopfet ... . . fie tuht dergleichen, als ob nie:
mand da wäre. Ich darf nicht unverfchämt fein. Ich könnte
alles verderben... . aber Sielin.... und zulezt. —
2 Geiten iournalifiert. Noch eins und das andre in dem
Espion turec gelefen. Wllezeit unruhig. Ich paßete bis die
ältere Landolt aus dem YBade und aus dem Bette wäre.
Es ging mir verzweifelt lange, bis ich fie unter dem Fenfter
ſah. Es fing an zu donnern, als ich diefelbe fah. Ich dachte
an das Speluncam Dido dux et Troianus eandem. Ich
ging hinunter, ich brachte den ganzen Abend auf das aller-
angenemfte mit difen 2 Mägdgens zu, obgleich die Kleine
nicht im beften Laune war. Die ältere bat einen gründlichen
Verſtand, und ihr Umgang ift recht Lieblich; die Kleine liebt
die Lectür nicht, allein fie hat von Natur ausnemend vil
Verſtand, und daneben ift fie von einem Wlter, da es noch
erlaubet ift, ein bisgen flüchtig zu fein. Indeßen ift mein
Geift difen Abend vil ruhiger geworden; ich liebe aber den-
noch diſe Mägdgens ſehr.
An der Tafel ziemlich vil mit dem Baron geredt und
nachher mit ihm zu Reinharden gegangen, wo der Baron
142
der Grebel Papillotten machte. — Welch ein verderbtes Kind
ift dife Grebel niht! Der Baron ift fehr wol bei ihr... .
Sch Habe nicht die gleiche Ehre. Wir blieben nicht lange ...
oder vilmehr wir Eonnten nicht lange bleiben, indem man
uns böflich den Abſchied gab. Sch ging hernach noch mit
dem Baron in fein Zimmer, wo wir lange von unfern Mägd-
gens Ihwazten. Der Baron hat Recht, daß er die Heidegger
die artigfte findet. Er, der bei den Weibsbildern nur auf
das Vergnügen der Sinne fihet, allein die Feine fchwarze
2. ift ganz was anders. Das Mägdgen denket und ift, als
ob es für mich gemachet wäre. Es ift von einer Sittſam—
teit .... von einer Beſcheidenheit . .. Sc babe mein
Lebtag nichts eingezogeneres gefehen als dieſe Liebens-
würdigen Mägdgens, und dennoch macht fich die verdammte
Kritit an dem unfchuldigen Umgang, den ich mit denjelben
babe. Der Baron fagt mir, man fage, ich wäre des Morgens,
wenn fie noch im Bette wären, des Mittags und des Abends
bei denfelben. Dife giftigen Reden fommen blos aus Eifer:
ſucht. Sie tuhn mir aber fehr wehe. Nicht meinetwegen,
denn bei mir verteidigt mich mein gutes Gewißen, und diſe
Leüte glauben . . . ich tube nichts hieran, als was ganz recht
fei,; aber die guten Mägdgens dauern mich, denn fie können
nicht anders als dabei leiden und verlieren. — Der Baron
und ich, wir redten noch eine Piertelftunde mit dem Oberft
Heßen von Zürich. Difer Mann fcheinet vilen natürlichen
Berftand zu haben.
Montags, den 1Sten (Juli). 3 Geiten iournalifiert.
Zn dem Saale. Die Grebel, Helfer Pfenninger und Rein-
bard daſelbſt. Der Helfer und die Grebel fangen aus Bach—
ofens Gefangbuh. Das Ding verlaidete mir bald; ich
lagte, fie follte dafür italienifche Arien fingen. Die Grebel
lies folche aus ihrem Zimmer holen; allein Dorer der Sohn,
der die 2te Violine fpielen follte, war ausgegangen. Es
ward alfo nichts aus unferer Freüde. — Dei dem Baron.
Wir redten von allerhand Sachen. Er erzählte mir von
143
Hagedorn, von de Bar . . . Beide fein die größten Schwelger
von der Welt. Sie haben in Hamburg eine Gefellfchaft von
den grösten Luftbrüdern, davon Treuer, der junge Denner
etc. fein; de Bar fol bei 3 Millionen durchaebracht haben.
Er foll gerade der Gegenfaz von feinem Schreiber fein; er
ift alfo von denen qui Curios simulant et bachanalia vi-
vunt.... Der Baron fennt die Menfchen ziemlid wol.
Es ift fchade, daß feine Sittenlehre jo nachläßig ift; es ift
würdiger, tugendhaft zu fein... Sc liebe ihn allezeit
mehr, allein ich möchte Doch wißen, wer er auch wäre. Der
Haubtmann von Neüfchatel heist Gentil. — Wider in dem
Saal; nur den iungen Heidegger angetroffen, der auf eine
Art von den bier ammefenden DBernerinnen redte, daß ich
ſehe, daß ein großer Haß zwifchen denfelben und den Zürche:
rinnen fein mus. An dem ZTäfelein. Oberft Heß, Ziegler
und feine Frau waren dafelbfl. Heüte babe ich meine 2
Schönen noch nicht gefehen. Die guten Mägdgend . . . fie
fein mir doch recht lieb... aber es ift aus ... morgen
muß ich verreifen ... Mittwochs Abends will ich, wills
Gott, in Bafel fein. 2 Seiten iournalifiert. Wider an dem
Täfelein; endlih fommen auch die 2. hin. Wir fpazierten
nachher alle auf die Matte. Ich finde Doch unendlich vil
Vergnügen, mit difen Mägdgens zu fein. Gie fein zur
Tugend geboren. Ihr ganzes Betragen zeiget Weisheit und
eine gute Denktungsart. Es ift in allem etwas Edels und
Liebenswürdiges. Das Heine ſchwarze Mägdgen bat mich
bezaubert. Nachmittags waren wir große und gute Gefell-
fchaft bei dem Haubtmann Gentil, mir aber war nicht wohl
bei der Sache; meine artigen Schweftern waren anderswo.
Wie fonnte mir wohl fein! Die andern merfens wol, daß
mich nichts rühret als die Eleine Schwarze. Difes wird wol
difes gute Mägdgen und ihre Schwefter noch Laid machen;
denn diſe Zürchermägdgens find böllifch eiferfüchtig, und ich
babe ſchon gemerfet, daß fie ihre Kritik über dife guten Lan-
Dolts ziemlich ausüben. Ich habe es aus des Haubtmanns
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Baden im Aargau, nach einem Stiche des XVII. Jahrhunderts.
und des Barons Reden geſchloßen. Mir tuht es von Herzen |
laide, allein was ift da zu machen? Ich Tiebe fie nun einmal.
Ich babe Vergnügen in ihrem Umgang gefunden. Es ift
das reinfte und unfchuldigfte Vergnügen von der Welt ge-
wefen. Mein Gewißen gibt mir ein gutes Selignig. —
Einen Augenblid bin ich bei difen reizzenden Landolts ge:
wefen. 115 Geiten iournalifiert.
Droben lange Seit verlohren und mich mit Gedanken
von meinen Schönen beichäftigt. Im grünen Saal; niemand
angetroffen. Am Zäfelein; ein wenig mit Landfchreiber
Heidegger geredt. Dei der Heinen Landolt; die Gosweiler
waren bei derfelben. Den Abend angenem zugebraht. Wie
vil Verſtand bat dife 2. nit... . fie ift das Tiebens-
würdigfte Gefchöpf von der Welt. Nach dem Ehen eine
Stunde mit dem Baron.
Dienftags, den 16ten (Zul). Vorm. Seite iour⸗
nalifiert. Geftern im Bette faste ich den Entichluß, der ar-
tigen 2. meine Liebe und meine Abfichten durch einen Brief
befannt zu machen. Ich will einen Entwurf von difem Briefe
hieher fchreiben, obgleich es noch fehr ungewis ift, ob er an
diejelbe fol übergeben werden ..... .
„Ich babe Thon allzulange eine Gelegenheit gejuchet,
Sie alleine zu fprechen, meine allzuliebenswürdige Schöne
.... alleine entweder habe ich diefelbe nicht finden Eönnen,
oder meine Furchtfamkeit hat mich gehindert, diefelbe, wenn
ich fie gefunden, zu gebrauchen. Ich neme meine Zuflucht
zu meiner Feder, um Ihnen zu fagen, daß ich Sie liebe, daß
ich, was mein Herze ſchon ſeit vielen Jahren gefuchet, ge:
funden: eine Perfon, an der ih die Eigenjchaften einer
reizzenden Geliebten beftändig lieben und die von einem
weifen, aufrichtigen und tugendhaften Freünde beftändig ver-
ehren Fönne. Ich will mich nun nicht aufhalten, Ihnen zu
befchreiben, was mein zärtliches Herze gegen Sie empfindet. _
Es läst fi) eher fühlen als ſchildern .... und ich bin num
in einer Gemühtsverfaßung, da man ganz unfähig ift, zu
145 u
mahlen. Ich zittre, wenn ich daran gedenke, wie vile Schwie-
rigfeiten meine Liebe bei Ihnen finden wird. Fremd...
unbefannt ... . ohne Verdienfte, die mich Ihrer Gegenliebe
würdig machen fünnten. Ich fehe, daß Ihr edel Herze auf
taufenderlei Weife mit den Lieblichften Verhältnißen an
Shrem Vaterlande hängt. Was foli ich alfo erwarten, als
meine Neigung verworfen zu ſehen. Indeßen ift fie zu
Hark und zu ſchön, als daß ich diefelbe unterdrüffen follte.
Ich wage es alfo, Ihnen mein Herze, meine Hand und mein
Glükke anzutragen. Die erften werde ich trachten, durch
Liebe zur Tugend und durch Rectichaffenheit Ihrer würdig
zu machen, und das andre, wenn es Schon nicht groß ift, fo
bin ich doch allezeit in fo guten Umftänden, daß ich der Vor—
ſehung nicht genug dafür danken fan, daß ich mir verfprechen
fönnte, in meinem Paterlande von den meiften der beften
Parteien nicht ausgefchlagen zu werden und daß, wenn ich
vernünftig denken will, die Glüffesumftände der Perfon, von
deren ich das Glüffe haben werde, geliebt zu werden, nicht
anders in Betrachtung ziehen darf, als infofern fie die Zeit
entjcheiden folle, da ich zu dem Beſizze eines fo reizzenden
Glükkes völlig gelangen werde. Ich verlange nicht, daß Sie
mir izzund auf mein Wort glauben follen. Ich hoffe in-
deßen keinen Anlaß gegeben zu haben, meine Aufrichtigfeit
in Zweifel zu ziehen. Wenn ich nur fo alüfflich wäre, mit
der Hoffnung zu verreifen, daß es, wenn ih die Wahrheit
geredet, möglich fei, daß ich Ihre Gegenliebe erhalten werde,
fo ſchäzze ich mich glüfffelig. Wenn Sie mir erlauben werden,
mich nur 1, Stunde mit Ihnen entweder auf Ihrem Zimmer
oder auf der Promenade zu unterhalten und Ihnen mündlich)
meine Gedanken zu eröffnen und wenn ich alsdann die reiz-
zende Erlaubnis zu hoffen von Ihnen erhalten ſollte ....
jo würde ich nicht mit dem glüfffelioften Menſchen von der
Welt mein Glüffe vertaufchen. — Sie machen, wie ich ge-
höret, nad) dem Bade Beſuche. Nah den Beſuchen wird
man ta auf die Matte geben. Ich fchmeichle mir, Sie da
146
zu fehen.... Sch boffe, Sie zu fpreden.... Sch
zittre .... Wenn ich nicht hoffen fol, glükklich zu fein,
fo hoffe ich, Sie werden mich doch mit der Schande ver-
ihonen, mich lächerlich zu machen und meine döhrichte Ver—
wegenheit der Welt zu eröffnen. Ich fehmeichle mir, mein
Geheimnis werde zwiichen Ihnen, Ihrer verehrungswürdigen
Sofr. Schwefter und mir bleiben. Sch bin mit der tiefften
Ehrfurcht, allzuliebenswürdige Schöne, Ihr eifrigfter Be—
wunderer und Verehrer.“ —
Nachdem ich difen feltfamen Brief aufgefezzet hatte,
Ihrieb ich denſelben noch ab; allein ich machte ihn der
Perſon, der er beftimmt war, nicht zulommen. — In dem
grünen Saale. Die Grebel, Oberft Heben dafelbft; aber ich
blieb nicht lange. Bei dem Baron. Bei den Landolts;
mit denfelben, der Gosweiler und dem Amtmann Heß in die
Stadt gegangen. Es fpies ein Zimmermann von Brukk bei
uns, nebſt einem Roht, des Hofichreibers von Rönigsfelden
fein Sohn. 3. ift der liebenswürdigfte und wizzigfte Menſch
von der Welt. Man fcherzte überaus vil.... Sch habe
zu vil geplaudert. Er kam von Züri. Er fagte, man fage
in Zürich, ich wäre mit einer Igfr. Ulrich verfprochen. Ich.
weis nicht, ob er es erfunden oder ob es wahr if. Wenn
es ift, fo fein die Züricher die feltfamften Leüte von der Welt.
Beim Haubtmann das Caffe getrunfen. Im grünen Saale.
Mit Zimmermann und hernach vil mit der ältern Landolt
geredt. Difes Mägdgen hat vil Gründlichkeit. —
Das ift ein feltfames Ding in difem Bade; alles be-
Hagt fich Über das andre, Feines lebt mit dem andern ver-
gnügt; alles beobachtet, alles richtet einander; alles klaget
über die Langeweile. — Mehr als eine Stunde in
m. Zimmer. Dei den Landolts. Sie gingen nachher mit
der Stau Peyer jpazieren. Ich folgte ihnen nicht, nur
damit man nicht jage, ich wäre allezeit bei ihnen. Dife
Behutſamkeit nüzte weder diefelben noch mich nichts, als
daß fie mich machte den Abend auf das verdrüstichite mit
147 20:
der Grebel, der Heideager etc., auf der Matte zubringen. —
An dem ZTäfelein redte ich hernach noch ein bisgen mit
meinen Schönen. Sie fein Doch arumdartige Kinder. Gie
waren nun wider ein bisgen aufgeweffter als difen Abend;
fie dauern mi recht. Meine Leidenfhaft war den Tag
durh ganz ruhig: die fcherzhaften und aufgeweltten Ge:
fpräche über Tifche, der Umgang mit Zimmermann etc. hatten
fie ein bisgen erftiffet. — Zei Tiſche fpis noch der Canzler
von KEinfidlen nebft einem Mönche aus difem Klofter
mit uns. Der Canzler jcheinet ein fehr verftändiger Mann,
der ſchöne Einfichten in Staatsjachen befizzet. Der Baron
kömmt mir auch alle Tage fchäzbarer vor. Nachdem
m. Geift fi) wider ein bisgen von f. Iuftigen Ausfchweifung
erholet, erwachte meine Neigung gegen die fehöne 2. wider
ftärfer. —
Mittwochs, den 17ten (Zuli). 21% Seiten iournalifiert.
Sn der Stadt berumgelaufen. Pferde oder eine Chaife für
den Baron und für mich zu ſuchen; ich Eonnte nichts Finden.
Zn dem grünen Saale. Ein wenig mit Pfenningern und
Reinharden geiprohen. Bei dem Haubtmann; 2 Briefe
gefchrieben: einen an m. Muter um ein Pferd, und den
andern an m. Oncle um Geld. Einen Augenblift bei den
Landolts, An dem Täfelein mit den Landolts, dem Baron,
der Grebel etc. —
Nah Tiſche bei den liebenswürdigen Landolts. Eine
Igfr. Schulteis von Züri, die Wielands Freundin fein
fol und an welche man jagt, daß er die Errinnerungen an
eine Freundin gejchriben, dafelbft angetroffen. Die Zeit bis
um 4 Uhr auf das allerangenemfte dafelbft zugebracht. Dife
Schulteis ift eben nicht gar zu fchön, alleine ich habe wenige
Perfonen gefunden, deren Umgang fo angenem wäre. Gie
icheinet ihren Geift mit großem Fleiße angebaut zu haben.
Sie zeiget vilen Wiz und eine edle Denkungsart. Ich habe
nichts Pedantifches an derjelben bemerkt; alles fcheint natür-
üb an ihr. Sie war munter, aufgewelt, lebhaft, unge-
148
zwungen. Einen großen Weltgebrauch wird man aber nicht
an derfelben bemerken, alleine fie ift mir deſto reizzender.
Was die Natur groß und fchön machet, das nimmt allezeit
ein. Wir redten vil von Wieland und von 9. Schinzen,
dem Vetter meines Freündes, der mir fo wol gefallen. Ich
fehe, dat er einen allgemeinen Beifall findet. Sch hörte
aus der Rede difer Srauenzimmer, daß fie au in Zürich
wie wir in Baſel Pedantinnen haben; alleine, die Wahr:
heit zu geftehen, die Züricher Frauenzimmer gefallen mir
beßer als die unfern. Diſes fanfte Wefen, dife Scham-
baftigfeit, nebft den trefflichen Eigenfchaften des Herzens
und des Geiftes, die ich bei den Zürcherinnen finde, leichten.
mir weit mehr ein als das freie und oft auch artige Wefen
unferer meiften Baslerinnen. Ich finde einmal nichts
Urtigeres als die Manieren diſer reizzenden kleinen
Schwarzen. Die Natur hat auf alles, was diejelbe tuht
und fagt, eine gewiße Anmut geftreüet, wodurch es taufend-
mal einnemender wird als alles närrifche Zeug von Ma—
nieren und XUrtigfeiten, womit man fich bei uns fo groß
machet. —
Bei dem Baron bis gegen 5. Er erzählte mir von
den biefigen Factionen, die entitanden waren, ehe ich an-
sefommen, und deren Fortgang er wol beobachtet zu haben
ſcheinet. Dife Sachen fein Doch verdammt lächerlich. Er
machte mich auf viles Achtung geben, wodurch unfer Ball
in der Taht die lächerlichfte Sache von der Welt ward und
die ich nicht beobachtet, teils weil ich die Karte noch nicht
sefannt, teils weil ich zu fehr mit der Grebel und der Heinen
Landolt beſchäftigt war. — Die Berner haben, wie es
Icheinet, doch nicht in allen Sachen unreht. Diſes Zahr
wird in difem Bade faum mehr ein rechtfchaffenes gemein-
Ihaftliches Vergnügen zu hoffen fein. Was ligt mir daran,
ih reife fort. Wir gingen hernach in den grünen Gaal,
trafen aber niemand an. Wir lafen einige Stüffe aus den
Pieces &chapp6es du Feu — — alle find platt und fchlecht,
149
auch die Moifiade, die man dem Voltaire oder Rouffeau
zujchreibt. Endlich famen die Landolts mit der Schulteis,
auf welche endlih Reinhard, feine Frau und die Grebel
folgten. — Die Zeit ohne große Annemlichkeit verfchlentert.
Dife Grebel ift ein Kind. Sie hat Verftand, allein fie if
findifcher als ein Kind von zwölf Sahren. — Auf der
Matten und hernach in der Kirche beim Bade. Dife Kirche
ift feit etlichen Jahren erneüert und fehr artig. Ich ging bei
Zeiten fchlafen. Diſe Heine 2. ligt mir noch allezeit im
Sinne, und ich finde fie täglich liebenswürdiger. Ich glaube
zwar den Charakter ihrer Schwefter noch beßer, allein auch
der ihrige fcheinet mir vortrefflich gut zu fein und fo gut
als irgend eines Frauenzimmers, das ich kenne. Doch ich
mus dis alles als Idéen anfehen, die mir nichts als Mig:
vergnügen und Sehnſucht bringen werden. Ich werde fie
verlaßen müßen . . und darf nicht gedenken, mit ihr glükklich
zu fein. —
Donnerftags, den 18ten (Zuli). 4 Seiten iournalifiert.
Im Saale. Reinhard und die Grebel darinnen angetroffen.
Die Grebel war heüte recht artig. Us fie fort war, redte
ih eine Zeitlang alleine mit Reinharden; er ift der befte
Mann von der Welt und bat ziemlich Verſtand. Gein
Umgang ift angenem. Bei dem Baron. Der gute Mann
leidet ziemlich Schmerzen von der güldenen Ader; er dauert
mid. 1% Seite iournalifiert. Ein wenig bei dem Petſchier—
ftecher drunten. Wieder bei dem Baron. An dem Zäfelein
mit der Schulteis und den Landolt3 etc.
Nachmittags. Beim Caffe im Saale. Die Zeit ward
mir lange. Einige Briefe von Holberg gelefen. Ein wenig
sefchlafen. 15 Seite iournalifiert. Auf der Matte allein.
Ein wenig bei den Landolts. Mit denfelben bei Rein:
hards, wo die: Schulteis, Dr. Gronauer und feine Frau
waren. Hernach im grünen Saale. Dife Heine Landolt
fcheint mir nicht mehr fo freundlich gegen mid. Ich Tan
nicht begreifen, was die Schuld ift, wenn es nicht ift, daß
150
ih ihrer Schwefter mehr verbindliche Sachen fage, als
ihren, und difes kommt eben Daher, weil ich fie mehr lieb
als ihre Schwefter, obgleich auch ihre Schweſter, wenn fie
Ihon nicht ſchöne ift, mich rühret; villeicht auch, weil ich
aögere, ihr meine Gefinnung zu erflären; allein auch diſes
kann ich kaum ohne Unklugheit tuhn.
Sch bin ein unglüfflicher Menſch mit meiner allzugroßen
Bedachtſamkeit. Der Streit zwifchen derfelben und meiner
Zärtlichkeit machet mir manche Schmerzen. Meine Zurct-
ſamkeit und Schüchternheit tragen auch nicht wenig Dazu bei.
Difen Abend war nun meine Neigung ganz ſtille. Sch war
beinahe böfe über die Heine Schwarze. Daneben glaubte ich
vil Rindifches und Meifterlofes an ihr bemerket zu haben...
und die andern vernünftigen Vetrachtungen, die über eine
folhe Neigung zu machen fein, fanden hiedurh auch Ein-
sang. WUllein izzund erwachet meine Neigung wider; das
Mägdgen hat einmal etwas Einnemends und fcheinet ge:
bohren, tugendhaft zu fein. Zu Baſel wüste ich nun ein:
mal fein jo artiges Rind zu finden und das mir fo jehr ein-
lelichtete, wenn es ſchon gewis fchönere gibt. Ich bin ein
ſeltſamer Hafe. — Heber Tifch ärgerte mich der Haubtmann
mit feinen närriſchen Reden; er ift ungefchliffen und feine
Grau eine Plauderin. Es ift etwas anders um den Baron;
er ift ein recht [häzbarer Mann; er verdienet, tugendhaft zu
fein. 2 Seiten iournalifiert und einer angenemen Muſik
zugeböret, die an dem Täfelein war.
Steitags, den 19ten (Suli). Zeit verfchlentert. Im
grünen Saale; niemand angetroffen. In meinem Zimmer.
Sn Holbergs Briefen gelefen. Auf der Matte; mit dem
alten Dorer und dem iungen Heidegger fpaziert. Wider
auf meinem Zimmer. Ein wenig bei den Landolts. Die
Schulteis dafelbft angetroffen. Mit difen 3 Mägdgens fpa-
zieren gegangen. An dem Täfelein; vil Leüte dafelbf. Im
Saale beim Caffe; die Frau Peyer gab ihn. Es war einer
ihrer Verwandten da, ein von Hardenberg von Schafhaufen,
151
ein netter Menſch; er ift in holländifchen Dienften Offizier
von der Garde. ch betriege mich, oder er ift ein Stuzzer.
— Die Heine 2. fchien mir heüte ein bisgen beßer gegen mich;
ich bin nur zu furchtſam, allein es ift villeichte gut. Meine
Neigung wird auf dife Weife weder fehlimme noch gute
Solgen haben. Ich wünfchte doch fehr, daß dife Perfon
für meine Umſtände fo wie für mein Herze gemachet wäre
und daß ich das Glükk hätte, ihr zu gefallen und ... allein
dis fein unnüzze Tralime. 1 Seite iournalifiert. Sch wollte
mit den riefen des Holbergs, die mir der Baron geliehen,
fpazieren gehen . . . allein ich ſah die ältere Landolt in
ihrem Zimmer und foderte ihr Herveys Erbaulide Be—
trachtungen über die Herrlichkeit der Schöpfung in Gärten
und Feldern, die fie mir auch gab. Sch las auf der Pro-
menade die Betrachtung über einen Blumengarten und den
poetiihen Lobgefang über die Werke der Schöpfung. Dife
Arbeiten fein weit deütlicher und natürlicher al$ Youngs
feine . . . alleine wo Young vortrefflid — und diſes ift
er Doch meiftenteild — da ift er weit erhabener und größer
als Hervey. Indeßen hat es mich gedelicht, ich finde auch
bei Hervey bin und wider Ausdrüffungen, die nicht allzu-
natürlich fein. — Die Zeit während difer Lectür und auch
während den Paufen derfelben angenem zugebracht. 1 Seite
iournalifiert. — Sn dem Saale niemand angetroffen. Un dem
Täfelein Herveys Betrachtung Über die Nacht durchgangen.
Indem ich fie auslas, fam mein Pferd. Ich erfchrak recht.
Anftalten wegen der Abreiſe gemacht. Dei den Tiebens-
würdigen Landolts. Mit denjelben und einigen andern Per:
jonen fpazieren gegangen.
Heüte infonderheit habe ich diſen beiden Schweftern den
Hof gemacht. Der Geift und der Charafter der ältern ge-
fallt mir beßer, und an der iüngern gefällt mir ihre Artig—
feit und ihre Tugend. Die ältere nimmt auch meine Freünd—
Ihaftsbezeügung mit mehr Empfindlichkeit und Gegen:
bezeügung auf als die ilingere, fo gar, daß fie mir geftand,
152
das Pferd, das für mich angefommen, habe fie erfchreffet.
An dem Täfelein von einigen Perfonen Abſchied genommen
und hernach droben von meinen liebenswürdigen Landolts
— nicht ohne Schmerz; doch mit minderm, als ich glaubte.
Indeßen war mein Herze fehr beflemmt bei Tifhe. Don
meiner Tiſchgeſellſchaft Abfchied genommen: von Wertmüller
und feiner Graue, von Reinhard, von Steiner und Der
Grebel. Die Grebel zeigte mir durch den Vorzug, den fie
dem Baron vor mir gab, genug, daß fie böfe über mich fei.
Sn der Taht, ich habe ihr von Anfang an den Hof zu fehr
gemachet; hernach habe ich fie ſizzen laßen. Sch verreife recht
mit Sehnſucht von bier, obgleich ich vile Lange Zeit gehabt
habe; aber die mit den Landolts zugebrachten Augenblikke
erfezzen mir alles wider. Artige Mägdgens . . . mus ich
euch denn verlaßen ... Dein, ich halte es für unmöglich,
allein es mus fein. Reife, Iſelin; villeicht hat das Schiff:
jal .. . aber du bift nicht gefcheid . . . gehe zu Bette...
Ihlafe und reife morgen in Gottes Namen . . . 2 Geiten
iournaliſiert.
Sonnabend, den 20. (Zuli). frühe aufgeſtanden. Ein—
gepakkt. Die ältere Landolt war auch früh auf. Sie fast,
es wäre ihr nicht ganz wol. Ich nam noch von ihr Abſchied.
Sch hätte noch gerne die Fleine Here, ihre Schwefter, gefehen,
allein fie fchlief nodh. Sch dachte unterwegs nur an diſe
liebenswürdigen Schweftern. — Zu Hornußen lies ich dem
Pferd Haber geben, ging aber gar nah Stein zum Mittag:
eſſen. Vile Basler dafelbft angetroffen. Die Zeit an-
genem zugebradt. Mit dem alten Vondermühle gar nad)
Bajel geritten. Ich redte oft nichts und dachte an meine
ihöne kleine Schwarze. Als ich Baſel näherte, hatte ich
die zärtlichtten Empfindungen ſowohl wegen derjelben als
Baſel. |
Meine Muter empfing mich noch gar wol, welches ich
nicht verhoffte. Ich danke dem Höchiten, daß meine Reife fo
glükklich geweſen.
153
Unmerfungen.
3u Seite %.
Von den gedrudten Quellen, die ih zu den Anmerkungen
benütte, erwähne ih außer den im Vorwort genannten in erfter
Linie Zeus Schweiz. Lerilon, dann Allg. Deutihe Biogr., Lutz, Ne:
frolog dentwürdiger Schweizer, die Zürder und Berner Tafchen-
büder. Cinige wertvolle Notizen verdante ih dem Zürcher Stadt:
arhiv und dem Basler Staatsardiv.
3u Seite 10.
Die Reife ging über den Böhberg. Die beiden Tagſatzungs—
gejandten madten die Reife im Wagen, wahrſcheinlich in der Staats:
kutſche; Iſelin war zu Pferd.
Mhhgeacht. — Meine Hochgeadhteten Herrn.
Deputat Burkhard: Johann Rudolf Burdhardt, 1701—1757,
Geheimer Rat oder Dreigehner Herr, jeit 1744 Deputat, d. h. Mit-
glied des Aufjihtsrates über Kirche und Schule zu Stadt und Land.
Oberſt Burkard: Iſaak Burdardt, 1699—1757, ebenfalls Ge-
heimer Rat, Oberſt eines Regiments Landmiliz, Kriegstommiljär
2c., der uns, wie in der Vorrede bemerkt, aus meiner legtjährigen
Arbeit befannte originelle „Oncle Oberft“, der an Iſelin wirtlid
Baterftelle vertrat, bei allen Fehlern ein ausgezeihneter Mann.
Dr. Zimmermann: Johann Georg Zimmermann von Brugg
im Aargau, 1728—1795, Dr. med., großbritannifher Leibarzt in
Hannover, berühmter Schriftiteller; am befannteiten ift fein Werk
„Weber die Einjamkeit“. Im Alter wurde er ein Sonderling und
Hypochonder. Mit Sfelin ſtand er bis an deilen Tod (1782) im
Briefwechfel. Seine Briefe, ein ftattliher Band, befinden fi im
Iſelinſchen Nachlaſſe.
Tſcharner: Emanuel Tſcharner von Bern, 1699— 1777, ſeit 1752
Hofmeilter (Verwalter) des ehemaligen Klofters Königsfelden.
Schlacht zu Fridlingen: Schlacht auf dem Friedlingerfeld bei
Weil zwilhen dem franz. Marihall Billars und dem Markgrafen
von Baden am 14. Oft. 1702.
3u Seite 101.
Hoditätt: Schlacht bei Hochſtädt, 13. Aug. 1704. Sieg der
Kaiſerlichen und Engländer über das franz.-bayriie Heer.
Schinzen: H. Heinrih Schinz von Zürich, 17261788, eben im
Begriff als Pfarrer nah Altitetten bei Zürich überzufiedeln. Er
gehörte zu den älteſten Freunden Iſelins, obſchon fie einander noch
nie gejehen hatten. Seine Yrau: Barbara Meyer, geitorben 1780.
Schinzens Bater: Hans Rudolf Schinz, 1705 —1760, ohne Amt.
154
Bodmer: Johann Jakob Bodmer von Zürid, 1698-1783,
Profeſſor der vaterländiihen Geſchichte am Collegium in Zürid,
Schriftiteller, einer der Führer und Kämpfer in der deutſchen
Literaturbewegung des 18. Jahrhunderts im Verein mit feinem
Freunde Breitinger.
Testament politigque du cardinal Alberoni: Giulio Alberoni,
Sohn eines Gärtners, 1664-1752, Kardinal und ſpaniſcher Staats:
minifter. Le Testament politique ift nit von Alberoni, jondern
von Maubert de Conveſt (Lauſanne, Bousquet 1753).
Histoire de la Confederation helvetique de Watteville:
Alerander Ludwig von Wattenwil von Bern, 1714—1780, Land⸗
vogt zu Nidau 1752, Oberfommandant des Münjtertales 1758.
Seine Schweizergefhidhte wurde von Uriel Yreudenberger ins
Deutſche überjegt und 1754 zu Bajel gedrudt. Er war Mitglied
der helv. Gejellihaft und 1780 der Antiquariihen Gejellihaft zu
Bafel.
3u Seite 1%.
Venner Imhof: Georg Imhof von Bern, 1679—1765, viel-
fach als Gejandter verwendet, ftarb Tinderlos.
Venner Kreüdenreih: Abraham Freudenreich von “Bern,
1693—1773, ebenfalls öfters Gefandter.
Venner waren PBannerträger, von jedem der vier Stadiquar-
tiere einer; mit der Zeit hatten fi) die Wahlart und Befugnifje ver-
ändert. Ein Benner mußte Mitglied des kleinen Rates fein und
wurde auf vier Jahre gewählt, Hatte fi aber jedes Jahr einer
Neuwahl zu unterziehen.
Sprengens Pjalmen: Johann Jakob Spreng von Bajel, 1699—
1768, urfprünglih Theologe, 1743 außerordentlier Profejlor der
Beredjamfeit und der deutihen Sprade, 1746 Prediger der Waijen-
hauskirche und 1762 Profeſſor der griehiihen Sprade. Geine
Meberfegung der Palmen Davids auf die gewöhnliche Singweije
war 1741 in Bafel im Drud erfchienen.
von Hallern: Albrecht von Haller von Bern, 1708—1777, der
berühmte Dichter der „Alpen“.
Gecretarius Lerber: Johann Rudolf von Lerber von Bern, geb.
1716, Stadtſchreiber 1760, Landvogt zu Werdon 1771, Statthalter
von Edallens 1780.
Graffenried: Bernhard von Grafenried von Bern, 1691—1764,
Landammann im Thurgau, Benner.
Zu Seite 10.
der Cartaus: Ittingen.
Cafpar Bernet: Hans Kaſpar Bernet von St. Gallen, 1698—
1766, jpäter Bürgermeifter in St. Gallen 1752—1764, in weld
legterm Jahr er fein Amt infolge Altersbejchwerden niederlegte.
155
3u Seite 104.
Rahtsjubftitut von Zürih: Hans Heinrich Landolt von Zürich,
1721—1780, diente von der Pike auf und bradte es bis zum
Bürgermeilter der Republit Züri, 1778—1780. Ein verdienter
Staatsmann.
Tagſazzung: Die Verhandlungen der Gemeineidg.-Tagjagung
zu Srauenfeld anfangs Juli 1754 find abgedrudt in Band 7,
Abt. II, ©. 133f. der Eidg. Abſchiede. Die Seffion begann am
1. Juli und dauerte nebft den getrennten Sigungen der reformierten
und katholiſchen Stände bis zum 4. Juli. Am 4. vormittags war
die Protofollausfertigung (Bafel zahlte für fein Exemplar 24
Pfund), und an den nädjiten Tagen bis zum 19. Zuli wurden die
weitläufigen Gejchäfte der Jahresrechnung ꝛc. des Thurgaus erledigt,
an denen Bajel, Schaffhaujen und Appenzell keinen Teil Hatten.
Deshalb verließen die Basler Gefandten jhon am 4. Zuli nad:
mittags Frauenfeld. — Band Eidgenoſſenſchaft K 15 des Basler
Staats-Archivs enthält interefjante Notizen von der Hand des Oberft
Iſaak Burdhardt über die ganze Reife.
Der Landovogt von Frauenfeld: Fridolin Zojeph Haujer von
Glarus, alt Landammann und Tagjakungsgefandter.
Zandichreiber von Frauenfeld: Ludwig Wolfgang von NReding
von Schwyz; geitorben 1760.
3u Geite 10.
Leu: Hans Jakob Leu von Züri, 1689-1768, Bürgermeilter
von Zürih 1759—1768, Herausgeber des befannten Schweizertihen
Lexikons, ausgezeichneter Yinanzmann, Gründer des obrigkeitlichen
Geldverwaltungsinititutes (1754) unter dem Namen Leu & Lie.
Simmler: Joſias Simmler von Züri, 1530—1576, Theologe
und Hiltorifer. Der obgenannte Hans Jakob Leu veröffentlichte 1722,
vermehrt und verbefjert 1735, mit Anmerkungen verjehen nad) der
deutihen Ueberjegung von 1645 Simmlers Hauptwerk: De repu-
blica Helvetiorum unter dem Titel: Bon dem Regiment der löb—
lichen Eidgenofjenjhaft zc.
Sindicat: Unter den Symdilaten verjtand man die Abord-
nungen der regierenden Stände in den gemeinen Herrichaften zur
Abnahme der Jahrrehnung und Bejorgung von allerlei Geſchäften,
wie Appellationen ꝛ2c. In Baden und Frauenfeld ſchloß jih das
Syndikat an die Jahrrehnung der allgemeinen Tagjakung an,
wenn es paßte, und dauerte oft länger als die leßtere. In diejem
Halle waren die Syndifatsherren zugleih Tagſatzungsgeſandte. An
andern Orten waren bejondere Syndilatsherren. So war 3. B. im
Sabre 1757 Iſaak Iſelin Syndikator in den vier ennetbirgijchen
Bogteien. 1
Bremitr. Eicher: Johann Kaſpar Eicher von Züri, 1678—
1762, Bürgermeijlter von Züri 1740-1762, ein ausgezeichneter
Staatsmann und hochgebildet. Cr Hatte 16 Kinder, von denen
156
aber die Söhne alle früh wegitarben. (Seine ſchöne Biographie im
Stammbud der Eicher).
3u Seite 106.
Gein Großfohn, Hans Kaſpar Eicher 1731—1781, war der
Sohn feiner Tochter Dorothea, 1706—1765, verheiratet mit Johannes
Eicher zum Grunditein, 1704—1765, jeit 1753 Landvogt zu Kyburg.
Der junge Eicher brachte es nicht weit im Staatsdienit; er wurde
Landſchreiber zu Ermatingen. Sm Jahre 1765 gab er fein zürder-
iſches Bürgerredt auf, ging nad Berlin und jtarb zu Erlangen.
Str. Schwerzenbadh: Hans Jakob von Schwerzenbach von
Züri, 1701—1778, war jeit 1752 Statthalter des Bürgermeijters,
wurde fpäter Mitglied des Geheimen Rats und Obmann, un:
gefähr dem Basler Deputatenamt entjpredhend, öfters Gejandter.
Sein Sohn: Es könnte in Betracht fommen Hans Ulrich, 1727
bis 1787, in verjhiedenen Yemtern, 1780 Amtmann zu Stein am
Rhein, ein tühtiger Mann.
Stadtijhreiber Joſua Hofer: von Mühlhaufen, 1721—1798,
ftudierte in Bajel die Rechte und erwarb ſich den Lizentiatentitel;
oom Jahre 1748 bis zu feinem Tode war er Stadtſchreiber. Er
ftarb kurz nad) Anſchluß der Stadt an Frankreich. Vergeblich hatte
er ih für eine Bereinigung Mühlhaujens mit der gejamten Eid-
genofjenihaft abgemüht.
GSeparatiften: Es Handelt fih um die Verfolgung der Herren:
Huter in Bajel im Jahre 1754, aljo um ein aktuelles Thema. Zu
vergleichen: Die feparatiftiihen Strömungen in Bajel im 18. Jahr:
Hundert, Dilfertation von Ernſt Rud. Grob.
3u Seite 107.
Haubtmann Nüfcheler: fünnte Hans Rudolf Nüſcheler von
Züri fein, 1717—1780, Quartierhauptmann im Lande.
Schwerzenbach, Eſcher: find natürlih die jungen Herrn ge:
meint.
Obmann Nabholz: Hans Ulrich NabHolz von Zürich, 1667
bis 1740, Ratsherr und Obmann, ſpielte eine Hauptrolle in den
Toggenburgerwirren und im Toggenburgerkrieg 1712, ein höchſt
merkwürdiger Mann, der noch viel zu wenig bekannt iſt.
Zu Seite 108.
Gasmann: die Gaßmann, eine angeſehene Familie in Solo—⸗
thurn. |
3u Geite 111.
Namen der Chrengefandten: Iſelins Verzeichnis ftimmt nicht
ganz mit dem gedrudten; es handelt fih aber nur um kleine Ab⸗
weichungen, die ich hier nicht erörtern will.
3u Seite 113.
Histoire du siöcle de Louis XIV: von Voltaire, war im Jahre
1751 erſchienen. Der Literat Ya Beaumelle, 1727—1773, hatte 1753
157
einen Rahdrud mit Anmerkungen, die ihm die Feindſchaft Vol—
taires zugezogen, herausgegeben.
Droit d’aubaine: das Redt des Königs auf die Hinterlaffen-
haft nicht naturalijierter Fremder. In den Verträgen mit Franf:
reih waren die Schweizer davon ausgenommen; man hatte aber
fortwährend Anlaß zu Reklamationen von reformierter Geite. Erft
1771 wurde endlid durch einen förmlichen Vertrag mit den refor-
mierten Ständen diejes Recht des Einzugs aufgehoben.
ewige ride: Der ewige Friede, die Grundlage aller ſpätern
tsriedensverträge, wurde am 29. November 1516 zwilhen Frank—
rteih und den Eidgenofjen nebjit Graubünden, Wallis und Mühl:
haufen in Freiburg abgeſchloſſen.
9. von PBaulmi: Antoine Rene de Voyer d’Argenson, marquis
de Paulmy. 1722—1787, war vom 3. April 1749 bis zum 11. März
1752 franzöfiiher Gejandter in der Schweiz, ſpäter Minilter, ein
Freund der Willenihaften und der jchönen Literatur. Iſelin Hatte
während feines Aufenthaltes in Paris (1752) vergeblich verfudt,
ih ihm zu nähern.
Zu Seite 115.
Botihafter: Theodore de Chavigny 1753—1762 franz. Ge:
jandter in der Schweiz, galt als einer der gewiegteften Diplomaten
von Europa.
Zu Seite 117.
Buchbinder Denzler: aus angejehenem Geſchlecht. Ein Bor:
fahr rettete das Banner von Züri in der Schladt von Kappel
(1531). Einzelne Buhbinder waren damals, wie zum Teil heute
noch, Berlagsbuhhändler, namentlih von Zeitſchriften.
Heidegger: Tohannes Heidegger von Züri, berühmter Bud:
druder und Buchhändler, geit. 1768.
Shinzens Better: wahrjheinlih Johann Heinrih Schinz von
Zürich, 1727—1792, ein jehr gebildeter Kaufmann, ein Verehrer
Klopftods und Wielands, Mitbegründer der Helv. Gejellihaft, ge-
langte mit der Zeit zu höhern Staatswürden, war 1777 Tag:
laßungsgejandter und bradte es 1789 bis zur Statthalterwürde.
Erridtung des 3. franz. Regimentes: das neue Regiment in
franz. Dieniten wurde 1752 errichtet und hieß nah dem Oberiten:
Regiment Lohmann.
Stadthaubtmann Landolt: David Landolt von Zürid, 1701
bis 1774, Stadthauptmann im Jahre 1752, des geheimen Rats 1759.
Gein Sohn David, 1725—1777, erhielt 1752 eine Grenadier-
fompagnie mit Oberjtleutnantstang im Regiment Locdhmann.
Dbmann Landolt: Hans Kajpar Landolt von Züri), 1702 bis
1781, Bürgermeilter von 1762—1778.
Zunftmeijter Ulrih: Hans Kafpar Ulrih von Züri, 1708
bis 1778, Zunftmeilter 1750, Bauherr 1753. Er wohnte im Bau-
haus, in einem 1583 gleih an dem Ausfluß des Sees in die Stadt
158
auf der Iinfen Seite der Eleinen Stadt erbauten „Iuftigen“ Haus;
er hatte die Auffiht über die obrigfeitlihen Gebäude.
v. Salis: Gaudenz von Salis, 1708-1777, wurde 1750 Bun:
deslandammann der X Geridte, Großvater des Dichters. Iſelins
Bater erjheint uns nun dod in einem befjern Licht.
Oberitzunftmeiiter Fäſch: Johann Rudolf Fäſch von Bafel,
1680—1762, Oberjtzunftmeifter 1735, Bürgermeiſter 17601762,
Großvater der Helena Forkart, der zukünftigen Gattin Iſelins.
Zu Seite 118.
Semeiter: Urlaub.
Palais royal bet der Sortie de l’opera: in Paris.
3u Seite 119.
Langhans: Daniel Langhans von Bern, 1730—1813, Iſelins
Stidienfteund in Göttingen, Dr. Med. Stadtphufitus von Bern.
SHriftiteller: Beſchreibung verjhiedener Merkwürdigkeiten des
Simmenthals, nebit einem Bericht über eine neue anitedende Krank⸗
heit, die in diefem Lande entitanden. Züri, Anno 1753.
Zu Seite 1%.
Breitinger: Johann Jakob Breitinger von Züri, 1701—1776,
Profeſſor der griechiſchen und hebräiſchen Sprade in Züri, Freund,
Mitarbeiter und Kampfgenoſſe in den lit. Gtreitigleiten Bodmers.
ingenuam diceres ete.: lateiniſches unbefanntes Zitat, auf
deutih: Wirklihe Höflichkeit und Lebensart fann man nur die
beißen, welche von wahrer Menihlichkeit ſtammt.
Erdiaconus Wettftein: Johann Jakob Wettjtein von Baſel,
1693—1754, war von 1720—1730 Diakon oder Helfer ſeines Vaters
Top. Rudolf, Pfarrer zu St. Leonhard. Er geriet in theologiſche
Streitigfeiten, wurde feines Amtes entjeßt und begab fih nad
Amjterdam, wo er Profeſſor an der theolog. Hochſchule der Remon⸗
itranten wurde. Er machte fi verdient durch die frit. Herausgabe
des griechiſchen N. Teft. Er ftarb am 20. März 1754 unverbeiratet
in Amjterdam. Er war ein Märtyrer der beginnenden Aufllä-
rung (Hagenbad).
3u Seite 121.
Dtt, Schwerdwirt: Matthias Ott von Züri), 1718—1766, Ritt⸗
meijter, 1764 Mitglied des großen Rates, aus ſehr angejehener
Familie, Befiker und Wirt des berühmten Gajthofs zum Schwert,
der befanntlih noch heute im Betrieb tft. Ott Bat mehr als vor-
nehmer Herr, denn als Geihäftsmann die Wirtichaft betrieben. Er
Binterließ bei feinem Tode den Gajthof mit einer Schuldenlaft von
etlihen und 60000 Fr.
Schmelzer: Gebhard Auguſt Schmelzer, nad der Allg. D. 28.
geb. 1733, was nicht gut möglich iſt, gejt. 1798, Theologe, Studien-
genofje Sjelins in Göttingen. Im Jahre 1749 fam er nad) Bajel,
um Handidriften des griehifhen Teſtaments zu einer Difjertation,
159
die 1750 in Göttingen erſchien, zu ftudieren. Es ift anzunehmen,
daß er Bodmer in Züri befudte. Cinige Briefe von ihm find in
unfrer Sammlung.
Gottihed: Johann Chriftoph Gottjhed, in der Nähe von
Königsberg geboren, 1700—1766, Profeſſor der Poefie und dann aud
der Logik und Metaphyfit an der Univerfität Leipzig, ein viel-
feitiger Gelehrter und Dichter, der lange verfannt und bejonders
von Leffing und den Schweizern heftig angegriffen wurde, in neuerer
Zeit wieder eine gerechtere Beurteilung findet.
3u Seite 12.
Profeßor Ulrih: Hans Jakob Ulrih von Züri, 17141788,
war feit 1744 Profefjor des Naturredhts am obern Collegio, 1764
Chorherr und PBrofefjor der Theologie, ein gelehrter Mann. Gebr
mertwürdig ift, was er von feinem Zujammentreffen mit Dr. Huber
von Muttenz, reſp. Bajel, jagt. Wernhard Huber, 1700-1755, machte
1724 den Dr. Juris, hatte fein Amt, fondern zog ji jpäter als
Privatgelehrter nah Muttenz zurüd. Er war eine bedeutende Ber-
lönlichkeit, ein Philojoph, in deffen Bann Sfelin nad feiner Rüd-
fehr aus Göttingen einige Fahre lang ftand; jpäter rüdte er von
ihm ab. Hubers Schwiegervater, Oberjtzunftmeijter Hans Heinrich
Bed, 1687—1735, erhielt diefe Würde im Juni 1734 und ftarb im
Auguft 1735. Die Begegnung fällt a vermutli in den Herbft
1734.
3u Seite 129.
Kandidat oder Pfarrer Heß: wahrfüeinfic der Profeſſor Hans
Kajpar Heß, geb. 1727.
Hirzel: Salomon Hirzel von Züri, 1727—1818, ward 1753
Ratsjubititut, 1762 Stadtſchreiber, 1783 Standesjedelmeilter und
gelangte hiemit zum zweithöchſten Staatsamt der Republik, einer
der vorzüglidäiten Staatsmänner der Schweiz, hocdhgebildet und ge-
lehrt, Mitbegründer der Helv. Gefellfhaft, einer der intimjten
Freunde und ein großer Bewunderer Iſelins. Er ſchrieb nad) Iſelins
Tod (1782): „Dentmahl Iſaak Iſelin“, das Schönjte, was jemals
über Sielin geihrieben wurde. Ihr hochbedeutender Briefwechlel
harrt noch immer der Beröffentlihung.
Obmann Blarer: Hans Blarer von Zürid, 1685 —1757, Rats:
Kar und Obmann, ein feiner und hochgebildeter Mann, guter
atriot.
Pfarrer Breitinger: Johannes Breitinger von Zürich, 1701—
1756, Pfarrer zu St. Beter feit 1750. Am 2. März 1755 traf ihn
der Schlag auf der Kanzel, geft. 14. Febr. 1756.
Zu Seite 1.
woppene Mäntel: Mäntel mit eingemobenen- Wappen — Familie.
Zu Seite 125.
Schinzens Bruder: vermutlich Salomon, 1734-1784, im Jahre
1754 noch stud. med.,fpäter Arzt, Chorherr und vrofeſſor in Zürich.
160
3u Seite 12%. j |
Heidegger: Johann Konrad Heidegger von Zürich, 1710—1778,
wurde 1768 Bürgermeifter, einer der größten Staatsmänner der
Schweiz.
Tractat des Königs von Sardinien mit Genf: Es handelte fi
um bedeutende Grengberichtigungen. Der Vertrag wurde am 3. Juni
1754 in Turin abgeſchloſſen, am 13. von Genf und am 15. vom
König Karl Emanuel I. ratifiziert! Anfangs Juli beſaß Züri
Ihon eine Abichrift und ſchickte eine jolde am 6. Juli nad Balel,
wo fie noch auf dem Staatsardiv Tiegt. Der Erbprinz und jpätere
König hieß Viktor Amadeus.
3u Seite 127.
Klopftoffens Streitigkeiten mit Bodmer: Der Dichter Friedrich
Gottlieb Klopitod, 1724—1803, fam am 23. Suli 1750 mit Sulzer
und Schulthek in Züri an und wohnte bei Bodmer, fiedelte aber
Ihon im September zu Rahn über, verließ Zürih Mitte Februar
1751. Alles ausführlich bei Mörikofer.
Iliacos intra muros peccatur et extra. Horaz I. 2. 16. Grade
wie drinnen in Slions Burg wird draußen gefrefelt.
3u Seite 18.
Sulzer: Johann Georg Sulzer von Winterthur, 1720—1779,
Aeſthetiker, Philofoph und Schulmann. Urſprünglich Theologe, dann
Hauslehrer in Magdeburg, wurde er 1747 Profeſſor der Mathematit
am Joachimsthal'ſchen Gymnafium in Berlin, 1763 an der neu-
begründeten Nitterafademie. Mitglied der Zönigl. Akademie der
FA Sein Hauptwerk: Allgemeine Theorie der ſchönen
nite. |
Lebbäus: einer der zwölf Apoſtel, erfheint im dritten Gejang
der Meſſiade von Klopftod, deſſen Abbild er fein fol.
Anafreon, griechiſcher Lyriker, Sänger des Weins und der
Liebe. Seine Nahahmer: Hagedorn, Gleim, Uz, Ewald von Kleift
u. a. nannten ſich Anafreontifer.
3u Seite 1%.
Rahn: Hartmann von Zürich, 1721—1795. Manufalturijt, der
eine neue Art, auf weiße Seide farbige Mufter zu druden, erfunden
hatte, begeijterter Verehrer Klopftods. Er folgte ihm nad) Kopen⸗
hagen, heiratete dejjen Schweiter Johanna Vittoria und gründete
eine Seidendrudfabrit, Hatte aber damit fein Glüd. Er fehrte
Ipäter nad Züri) zurüd, erhielt das einträglihe Amt eines Wag-
meilters und kam ſchließlich Doch nod zu Wohlftand. Seine einzige
Toter Johanna wurde die Gattin des Philoſophen Fichte.
3u Seite 130.
Gesner: Salomon Geßner von Züri, 1730-1788, Buchhänd-
ler, Maler und Dichter. Daphnis, ein Schäferroman, war eben
(1754) erſchienen. Am befannteften ift Geßner als Idyllendichter.
161 11
3u Seite 131.
Klopftots Gebeter: „Drei Gebete eines Freigeiſtes, eines Chri-
ften und eines guten Königs“ (gemeint ijt Friedrich V. von Däne-
marf) erſchienen anfangs 1753 anonym in Hamburg. Hierauf
erfdien einige Wochen jpäter, ebenfalls anonym, die von ielin
erwähnte Parodie; nur war fie nidt von Treuer, jondern von Jo⸗
Hann Matthias Dreyer, 1716—1769, einem witigen, aber ſcham—
loſen Reimſchmied. — Auch Chriftoph Martin Wieland, 1733—1813,
ahmte die beiden erften Gebete Klopftods fofort nad in dem „Gebet
eines Freigeiftes“ und in dem „Gebet eines Chrijten“ (Munder,
Fr. 6. Klopitod). Wieland lebte 1754 in Zürid. Iſelin Hatte
vergeblich gejucht, feine Bekanntſchaft zu maden, erjt einige Jahre
ipäter fam er mit ihm in einen kleinen Briefwedhjel. Wielands
Briefe find gedrudt, die feinigen fehlen.
Blarer, Sohn: Hans Ulrich Blarer, geb. 1717, war 1754 Land-
vogt von Wädenihwil, brachte es bis zum geheimen Rat.
Zu Seite 132.
Bürgerm. Fries: Tohannes Fries, 1680-1759, Bürgermeilter
von Züri) 1742—1759, Gejandter auf Tagjagungen ıc.
Contenti simus hoc Catone oder, wenn man will, his Antoniis.
’ Geien wir zufrieden mit diefem Cato, d. h. mit diefem Manne
von altrömiſcher Sittenitrenge.. Wenn Iſelin das Zitat erweitert:
„oder, wenn man will, his Antoniis“, jo ift wohl für Antoniis
„Antoninis“ zu leſen und zu überjegen: oder, wenn man will, mit
dieſen Antoninen, d. 5. diefen Männern von der Bortrefflichkeit
der beiden römilhen Kaiſer Antoninus Pius und Mark Aurel.
Zu Seite 133.
Wilhelm Tell: Ueber W. T. jehreibt Iſelin an Frey: On m’a
montr6 dans un des arsenaux de Zuric (car il y en a quatre) l’arc
de ce c&l&bre heros avec autant de veneration qu’on montre dans
celui de Bruxelles ou d’Aix-la-Chapelle l’&pee de Charlemagne. Je
me gardai bien de ne rien laisser echapper de mon pyrhonisme
devant le concierge. Il n’aurait pas entendu badinage.
Bucentaurus: Staatsihiff im alten Venedig.
3u Seite 134.
Hinderhof: Der Hinterhof (Hinderhof) Hatte feinen Namen
von dem ehemaligen Lehensträger dem zu Baden jeßhaften Bürger:
geſchlechte „Schinder”, daraus wurde jpäter „Hinder-“ und ſchließlich
Hinterhof. Er gehörte Jahrhunderte Iang der Familie Dorer bis in
die neueite Zeit, umfaßte ein großes Areal und erlitt im Laufe der
Zeit große Veränderungen. An feine Stelle wurde 1883 ein fom-
fortables Hotel gebaut: die neue Kuranftalt. Näheres bei rider.
Deutjhe Baron: er hie Baron von Hanef.
Ser. Grebel und Toter: eine bejtimmte Angabe faſt unmög-
lid. Ein Amt muß er nicht beſeſſen haben, ſonſt hätte es Iſelin
angegeben.
162
Die Legrandin: Anna Maria Legrand, geb. Harſcher, 1734
bis 1753, Gattin des Gerichtsherrn Daniel Legrand, 1728—1766.
Landſchreiber Heidegger: Hans Heinrich Heidegger von Züri),
1711—1763, feit 1745 Landſchreiber zu Baden, wurde 1754 Zunft:
meilter, in verſchiedenen Beamtungen tätig.
Pfarrer Pfenninger: Hans Kaſpar Pfenninger von Züri,
1712—1768, Diakon, wurde 1768 Pfarrer am Fraumüniter; fein
Sohn Johann Konrad, 1747—1792, Pfarrer zu St. Peter, der
Freund Lavaters. |
Zu Seite 18.
Sigmund Ludwig von Lerber von Bern, 1723—1783, wurde
1748 Profeſſor der Rechte zu Bern. Sein Werf Librum de legis
naturalis summa erjhien 1752 in Zürid).
Haüslerin zum Fuchs: Antoinette Katharina geb. Burdhardt,
1687—1760, in zweiter Ehe mit 3. 3. Häusler, des Rats, verhei-
tatet, früh Witwe. In einer Hausangelegenheit von 1743 wird
fie Frau Häuslerin zum „Fur“ genannt. Das Haus „zum Fuchs“
(Stadthausgafje 5) verkaufte fie 1753 an Emanuel Stähelin,
den Handelsmann. | |
Täfelein: Ueber das „Täfeli“ jchreibt David Heß im Sabre
1817: Alle Honoratioren, einige ſchon gepußt, andere noch in der
ausgejudtejten Morgenkleidung, verjammelten ſich gewöhnlid vor
dem Ejjen im Hinterhofe an einem kleinen runden fteinernen Tiſch,
das „Täfeli“ genannt, wo fie in der Regel ſich au nad) der Mahl-
zeit wieder einzufinden pflegten. Hier ward mit Gemütlichkeit
alles in die Länge und Breite beihwaht, feine Neuigkeit unbehan-
delt gelafjen und mander ſinnreich und fein verblümte Scherz ge:
wagt und angehört. |
Ser. Rahtſchr. Wyß: vielleicht der Landvogt David von Wyß,
jedenfalls nicht der |pätere berühmte Bürgermeilter David von Wyß
(der Xeltere),1737—1815.
3u Seite 1836. |
Drtmann zum Fuchs: wahrjheinlid Andreas Ortmann, 173
bis 1799, jeit 1751 Gerichtsherr, fpäter Ratsherr und geheimer Rat.
ein Wetitein: Die jungen Wettftein 3. Eder, St. Zohannvorftadt.
3u Seite 137. |
Fürſt von Deſſau: Fürft Leopold von Anhalt-Deffau, 1676—
1747, Feldmarſchall, eine populäre Figur, wie ſpäter Blücher, unter
dem Namen „der alte Defjauer“ überall bekannt.
3u Seite 138.
Auf der Matte: Diefe Matte gehörte zum Hinderhof, war
aber laut Tagjagungsbeihlug vom Zahre 1424 ein für jedermann
offener Spiel- und Beluftigungsplaß, an der Limmat gelegen. Um
die Verjhönerung der Matte machte fih gegen Ende des XVII.
Jahrhunderts bejonders der Oberſt Burkhardt aus dem Kirfch-
garten von Bajel verdient. Ä
163 11°
Zwei Landolt: die Schweitern Landolt, die ältere Lijette,
die jüngere Küngolt, die Hauptperfon des Tagebudes, in die fid
Iſelin verliebte, aus jehr angejehener Yamilie aus Zürid. Ihr
Bater, Hans Kalpar Landolt, 1708-1751, war Oberjtadtarzt in
Zürich gewejen. Sein Sohn Matthias, 1735—1787, Dr. Med. war
in fpätern Jahren praftifher Arzt in Bern. Vom tit. Stadtardiv
Züri) erhielt ic über die beiden Schweſtern noch folgende ver-
dantenswerte Mitteilungen: Elijabeth ijt geboren 6. Oktober 1731,
geftorben? Küngolt ift geboren 10. Juni 1736, heiratete 10. No:
vember 1763 Lorenz Wetter, Landammann zu Herisau und ftarb im
März 1793.
Lorenz Wetter, 1726—1793, wurde 1772 Zandammann und
blieb es bis zu feinem Tod. Er hinterließ nur eine Tochter.
3u Seite 14.
Mättelein: nicht zu verwechſeln mit der Matte: Tleine Na⸗
turwieſe an der Limmat mit ſchattigem Gehölz, welche Iſelin die
bezauberte Inſel nannte.
Zu Seite 141.
Espion turc: l'Espion du Grand Seigneur dans les cours des
princes chretiens ete. von Jean Paul Marana (1642—1693), eine
Standaldronit in vielen Bänden, jpäter noch fortgejet.
Zu Seite 12.
Ulrich: Heinrich Ulrih von Züri), 1724—1785, war 1751—1767
Pfarrer der reformierten Kirche in Baden.
Zandichreiber Stekk: Emanuel Sted von Bern, 1688—1772,
war 1744 LZandichreiber im Rheinthal.
Frei: Gemeint ift Sjelins Herzensfreund Johann Rudolf Frey
von Bafel, 1727—17%9. (Die Geburtszahl 1729 auf ſeinem ſchönen
Grabftein im Kreuzgang des Münfters iſt, wie ich nachweiſen kann,
faljh.) Frey war jeit feinem 12. Jahr in franz. Dienſten, brachte
es bis zum Oberitlieut. und zog fih um die Mitte der adjtziger
Sabre nad feiner Vaterjtadt mit einer PBenfion von 4400 L. zu:
rüd. Er war ein hochgebildeter Mann, der ſich aud) als Schrift:
fteller einen Namen gemadt hat. Der großartige Briefwedjel
der beiden freunde, das Ihönjte Denkmal einer Männerfreundſchaft,
meijt franzöfilh, wartet auch no auf eine Bearbeitung. Frey war
im Sahre 1754 capitaine-aidemajor im Schweizerregiment Boccard.
M. Zub Hat eine Lleine, ziemlih genaue Biographie, gibt aud) das
Geburtsjahr richtig an.
Speluncam Dido dux et Troianus eandem ®Bergil. Wen. 4. 165.
Dido und der Führer der Trojaner fommen in die gleihe Höhle.
3u Geite 14.
Die kleine ſchwarze Landolt: Iſelin nennt fie fo, weil fie
Trauerfleider trug; fie war brünett (aus einem Brief an Frey).
164
Bahofens Geſangbuch: Hans Kaſpar Bachofen von Züri,
.1697—1755, Cantor an den Zürderjhulen und am Großmüniter.
Seine Lieder wurden bis in die neuere Zeit auch bei uns, nament-
lich auf der Landihaft, mit Vorliebe gejungen.
3u Seite 144.
Hagedorn: Yriedrih von Hagedorn, 1708-1754, neben Haller
der Lieblingsdichter des jungen Sjelin, war GSefretär einer Ham-
burger Handelsgejellihaft.. Treuer (Dreyer), ſchon erwähnt; de
Bar : Georg Ludwig von Bar, 1701—1767, gilt als der beite franz.
Diter unter den Deutſchen; der junge Denner: wahrſcheinlich
der Sohn des berühmten’ Borträtmalers Balthafar Denner von
Hamburg.
qui Curias simulant et bachanalia vivunt aus Juvenal 2. 2.
welche fidh für Curier ausgeben und fi den größten Ausichweifungen
hingeben.
Zu Seite 147.
Amtmann Heb: Hans Ulrih Heß von Züri geit. 1778, Amt:
mann des Stiftes Schännis.
Roht: Samuel von Rodt aus Bern, feit 1722 Hofichreiber zu
Königsfelden. |
3u Seite 148.
Der Canzler von Einfiedeln: Karl Dominik Jütz von Schwyz,
1697—1777, ein Laie, wird ſchon 1726 als Kanzler des Stifts Ein-
fiedeln erwähnt; 1756 wurde er Landammann und 1757 Pannerherr
von Schwyz, viele Jahre Tagſatzungsgeſandter.
Sfr. Schulteis: Ueber dieje fchöngeiftige Jungfer Schultheß
fonnte ih nichts Weiteres erfahren. Sie darf nit mit der Frau
Barbara Schulthek, geb. Wolf (1745— 1818), der Freundin Lavaters
und Goethes, verwedjjelt werden.
Zu Seite 14.
Pièces &chappees du Feu: eine Sammlung anonymer oder
pſeudonymer Stüde in Poefie und Profa.
Zu Seite 150. | j
La Mossiade: von J. B. Roufjeau, 1670—1741.
Briefe von Holberg: Yudwig, Freiherr von Holberg, 1684 bis
1754, berühmter däniſcher Dichter. Cpifteln 1748-54, 5 Bo.
3u Seite 151.
ein von Hardenberg: ein Zweig der Yamilie Harder aus
Schaffhaufen jtand in fürftenbergifhen Dienften und nannte fih von
Hardenberg; aus dieſer Familie jtammt der erwähnte Offizier.
3u Seite 13.
Hervey: James Hervey, 1714-1758, engliſcher Theologe und
Shriftiteller, ein Nahahmer des Ed. Young, 1681—1765, des Ber:
faffers der „Nachtgedanken“.
165
Zu Seite 153.
alte Bondermühle: Johann Vonder Mühll, 1695 —1774, Han:
delsmann und Beiſitzer des Stadtgerichts.
zärtlihften Empfindungen: Am 22. Juli 1754 ſchrieb Iſelin
einen Brief an Küngolt Landolt, der zwar nit mehr vorhanden,
den er aber auszugsweije feinem Freunde Yrey mitteilte.
Der Paſſus lautete: Als ich meine ſchöne Baterjtadt von
weitem erblittte, als id mich wider in unſern glüfkjeligen Gegen-
den befand, jo wurden meine Empfindungen wider lebhafter und
diles fo ſehr, daß ih wie außer mir ſelbſt mein Baterland auf
dile Weile anredte: Reizzende Gegend, die der Himmel mit allen
feinen Gütern gefegnet und mit allen feinen Schönheiten ausge-
ſchmükket! Schöne Stadt! Siz des Yridens, die du die Zierde des
Landes und der Schuz deßelben biſt. Süßes Vaterland! Warum
Iheineft du mir nit mehr jo ſchön als ehmals, warum nähere id
mid dir nit mit ebendemjelben Vergnügen wie ehmals, da
ih den Augenbliff nicht erwarten konnte, da ich dich erreidhete?
Warum fürdte ih izzund gleihjfam anzulangen. Ich empfinde es
Ihon, ih) werde nun nit mehr mit eben demjelben Bergnügen
wie ehemals in deinen Mauern wohnen, weil du dasienige darin-
nen nicht beſizzeſt, was mid alleine zu rühren fähig if. IH
werde wol beitändig dein Bürger und dein Bewohner bleiben, weil
das Schikſal mid) mit feinem harten Sprud dazu verurteilt Hat.
Allein meine Wünſche und meine Gedanken werden alle nad der
glüfkjeligen Stadt gehen, weldhe die reizzende Landolt bewohnt und
zieret ac. (Sjelin an Frey, 24. Juli 1754).
Shlußwort: Sjelin tonnte die „Eleine Schwarze“ noch Tange
nicht vergefjen, aber bei dem Widerjtand der Mutter und noch mehr
des Oncle Oberft, des „NRegents“ in der Familie, war an eine
Heirat mit einer unbemittelten Fremden nicht zu denfen. So judte
er wenigitens dur einen kleinen Briefwedhjel mit den beiden
Zandolts feine angenehmen Empfindungen wach zu Halten. Aber
die beiden Zürderinnen waren feine jehöngeiftigen Naturen und
gaben ihm höflich, aber bejtimmt den Abſchied. Er jah fih alſo
wieder bei den Basler „Mägdgens“ um, unter denen es eigentlich
recht annehmbare gab, und richtig fand er endlich das deal der
Weiblichkeit, das er in fo vielen Jahren vergeblich geſucht Hatte, in
Helene Forcart, der Igfr. Stadtjchreiber. Mit ihr vermählte er
ih anfangs April 1756. Er lebte mit feiner Gattin, feiner lieben
„Freundin und Frowe“, wie er fie mit Vorliebe in feinen Briefen
an Frey nannte, in der glüdlihiten Ehe. Er lachte über jeine frü-
bern „Dohrheiten“ und las zum Beſchluß derjelben den Don Quichote
des Cervantes.
166
Aus den Briefen eines Baslers
vor bundert “jahren.
Mitgeteilt von Rudolf Thommen,
Unter obigem Titel find in dem vorausgehenden Yande
des Basler Jahrbuchs eine Anzahl von Eduard Ochs, bez.
His-La Roche, an feinen Zugendfreund Johann Jakob
Witeft gerichtete Briefe aus den Jahren 1811—1815 ver-
öffentlicht worden, und obwohl in der Einleitung darauf
Dingewiefen wurde, dab auch noch aus den folgenden Jahren
bis 1840 Briefe vorhanden find (f. ©. 252), fo unterblieb
Doch jede Andeutung, daß die Publikation felbft fortgeſetzt
werden könnte. Denn es jchien rätlih, das Urteil von
Lefern über diejen erften Teil abzuwarten, bevor die Ver-
öffentlichung eines zweiten ernftlich ins Auge gefaßt werden
durfte. Nachdem aber wenigftens die mir bekannt ge-
wordenen Yeußerungen ein merfliches Intereſſe auch für eine
Fortſetzung vorausjegen ließen, möge fie hiemit erfcheinen.
Wie von den früheren Briefen, fo find auch von dieſen
Ipäteren nicht alle gedrudt, fondern es ift eine Auswahl ge-
troffen worden, und wie dort die Vriefe, Die von den ge:
waltigen, mit dem Sturze Napoleons zufammenhängenden
Ereigniffen handeln, den eigentlihen Kern der ganzen Reihe
bilden, ebenfo ergab ſich auch für diefe zweite Serie unfchwer
ein ſolcher Mittelpunkt in jenen Briefen, die von den ver-
hängnisvollen Erjehlitterungen der dreißiger Sahre handeln.
Ihnen konnten dann auch wieder einige andere, in derjelben
Art und Weife ausgewählte und bearbeitete Briefe angereiht
werden. Im fibrigen ift, was die dabei befolgte Methode
und die biographifchen Angaben über den Briefichreiber und
167
den Empfänger betrifft, auf die Einleitung zum erften Teil
zu verweilen (j. Basler Zahrbuh 1916, ©. 249 ff.). Auch
mag noch bemerkt werden, daß allerdings der Titel der
Publifation zu diefem Teil, fireng genommen, nicht mehr
paßt, daß jedoch aus nahe liegenden Gründen von einer
Aenderung abgefehen wurde.
Endlich erübrigt mir nur noch, für verfchiedene Beihilfe
den Herren Ed. Hig-Schlumberger, Oberbibliothefar Dr.
C. Ehr. Bernoulli, Dr. Auguft Huber und Ludwig Säuber—
lin, bier, Dr. 9. Herzog und R. Hunziker in Yarau und U.
Hersberger in Lieftal beftens zu danken.
Baſel, den 28. Mai 1816.
1.
Lieber Wüſt. Reiner von uns beiden fann dem andern
Borwürfe machen. Sie find wenigftens ebenfo fparfam mit
Shren Briefen als ich mit den meinigen. Denn feit Ihrem
legten Hierfeyn babe keine Sylbe von Ihnen gejehen und
weiß aljo gar nicht, ob der außerordentlihe Trieb zum
Militär-Stand Ihnen noch ferner erlaubt bat ruhig bei
Haufe zu bleiben. Indeſſen will ich hoffen, daß, wenn
der Dumme Streich begangen worden wäre, Sie mich davon
unterrichtet hätten. Hauptveränderungen müflen wir doc
einander melden und dann mag unfer Briefwechſel wieder
ins Stoden gerathen; wir werden Doch gute Freunde bleiben.
Ich mahe Ihnen alfo die heimliche Anzeige, daß mein
Schickſal endlih entichieden und ich mich etabliere.. Wo —
in Liffabon oder Odeſſa werden Sie denken. Rein, in
meiner lieben Paterftadt. — Am End von diefem Monath
verlafle ih Hrn. Merian, um bei meinem Vetter, Hr. Be:
nedict Laroche, einzutreten und mich dann 4 Wochen fpäter
mit ihm zu afjocieren. Alle meine Verwandten ... . . find
darüber ſehr erfreuet und auch ich, wie Sie fich wohl vor-
ftellen können, ergöge mich über den glüdlichen Ausgang aller
meiner vielen Projecte. —
168
Politiihe Neuigkeiten gibt es Feine. Ueber diejen
Punkt habe Shnen daher nichts mitzutheilen. Leben Gie
wohl. — |
Wenn Sie mir fohreiben, fo bitte Ihren Brief an
meinen Vater zu adreffieren.
2.
Bafel, den 15. Auguft 1817.
— Mein Vater hat ſchon ſeit Anfang des Jahrs
ſein Haus auf der Schantz verlaſſen und iſt in die Mitte
der Stadt gezogen; nun laſſe aber dasſelbe für mich arran-
gieren und will dort ein recht philoſophiſch Leben führen.
Die Ausfiht ift herrlich und in meinem Alter fcheut man
ven Weg nicht. — Diele Einrichtungen nebft andern vor-
gefallenen Gefchäften werden mir nicht erlauben, Ihnen nad)
der Zurzacher Meile einen Beſuch abzuftatten, da ich aber
diefe Meſſe wahrfcheinlich alle Jahr zweimal befuchen werde,
fo hoffe, daß uns Fünftiges Jahr das Schidfal wird zufammen
führen. —
Man beichäftiget fih nun hier viel mit dem Militair-
wefen, befonders mit den Officiers Ernennungen; ich werde
wahrjcheinlich als Oberlieutenant zu den Auszügern fommen.
Peter Bischoff als Hauptmann. Dies will ihm aber nicht
ganz behagen. —
Bor einigen Tagen babe nun auch ein neues Amt an-
getreten, nämlich das GSecretariat des Handlungs Comite.
Es werden da zuweilen ſehr intereffante Gegenftände ver:
handelt und da der Gecretair voix deliberative hat, fo hat
mich die Berufung zu diefer Stelle gefreut. —
Wie geht's mit der Flöte? Ich vernachläffige folche
ein bischen. —
Leben fie wohl.
Ihr Freund
Eduard.
169
3.
(16. Sber 1817.)
. . .. Hier beichäftiget fi nun alles mit der neuen
Militair-Organifation. Die Uniformirung giebt befonders
viel zu thun. Einige wollen dunkelblau mit heiterhellen Re-
vers und Hofen; andere behaupten, es fey zu tod und be-
barren auf rothbe Revers. Heute fol nun diefer wichtige
Punft von unferm Kriegs-Rath entfchieden werden. — Ich
bin Oberlieutenant bei der erften Säger-Compagnie. Abr.
Sfelin ift mein Hauptmann. —
Künftige Woche habe großen Herbft auf der Schanz c.
acd. viel Gäfte, aber wenig Trauben. —
Leben Sie wohl, lieber Freund, und laflen Sie auch
bald wieder ein Wort von Ihnen hören.
4.
Baſel, den 10. Zuli 1819.
Lieber Freund! Ich werde mich nicht bei Ihnen über
mein langes Stillſchweigen entfchuldigen. Denn ich weiß
wirklich nicht, wer zuletzt gefchrieben hat... . . So viel
ich mich erinnere, haben Sie mir f. 3. zu meiner Verlobung
gratuliert. Die Hochzeit erfolgte in einem der wärmften Tage
des Auguſt und zwar in Pratteln, wo wir im Kreis unferer
Familie und einiger auter Freunde ein recht fröhliches Mit-
tageffen einnahmen. Gegen Abend feste fich das junge Paar
in den Reißwagen und befuchte das Münfterthal, Neuchätel,
Genf und ein großer Theil des Pays de Vaud. —
ee Sm Xber mußte wiederum als Abgeordneter
von unferer Handlungs-Rammer und mit einem Creditif von
unjerer Regierung verfehen die Rheingegenden bis Mainz
fowie auch Frankfurt befuhen, um wegen unjerer Rhein-
Ihiffahrt mit den betreffenden Behörden Unterhandlungen
anzubahnen. Ich war 5 Wochen abweſend, und obgleich mir
die Trennung von meiner Frau weh that, jo war diefe Reife
für mich doch von großem Snterefle, da ich diefe Gegenden
170
noch nicht beſucht hatte und übrigens bei einer ſolchen Miffion
vieles zu lernen if. —
— Um mich, wie es ſcheint, für dieſe übernommene
Miſfion zu belohnen, bin ich vor einem Monath zu einem
Gerichtsherrn, das heißt Mitglied des Civil-Gerichts er—
nannt worden .....
Leben Sie wohl.
| Ihr Freund
Eduard His.
Bafel, den ‚27. Zuli 1819.
Gratuliere von Herzen, lieber Freund, daß Sie nun
auch mein gutes Beiſpiel befolgt haben. Sie werden bald
finden, daß es doch was ganz anderes ift, wenn man von
der Arbeit ermüdet nach Haufe kömmt und beim Eintritt ins
Zimmer von feinem Weibchen begrüßt wird... .. Es
thut mir fehr leid, daß durch das Abſterben (von) einem
unferer Haupt- Mufidliebbaber (Herrn Oberftlieutenant Burck⸗
hardt) die Hieherkunft der Mufidgefellichaft vereitelt worden
it. Sehr hätte es mich gefreut, Sie wieder bei ung zu
feben. Doch wird wahrfcheinlich Fünftiges Jahr die Ver—
fammlung bier ftattfinden und dann fünnen Sie mit Ihrer
Grau fommen. Sagen Sie ihr indeflen, daß Sie hier einen
Sreund haben, der den wärmften Antheil an diefer Vermäh—
lung nimmt. —
Sie flötieren alfo noch immer? Was mich anbelangt,
fo vernachläffige ein wenig diefe ſchöne Runft und nun babe
Mufid genug zu Haufe. Es giebt aber doch Augenblide, wo
ih noch die Flöte hervorſuche, um doch nicht alles zu ver-
geſſen. Sch habe auch einige leichte Sonaten fürs Clavier,
mit WUccompagnement, welche zuweilen mit meiner Frau
ſpiele. —
Run werden wir bald großes Militair-Spedtafel haben,
da Anfangs des Fünftigen Monath die Eydsgenöſſiſche
171
Mufterung ftattfinden fol. Ich werde alsdann für 14 Tag
in Dienft fommen. —
Künftige Woche wird es ein Spedtafel anderer Art
geben. Drei Erz-Spisbuben, die in unferer Stadt Mord:
brennereien ausgeübt haben und fogar den Pulver-Thurm
in die Luft fprengen wollten, follen hingerichtet werden. Dies
wird eine unzählige Volksmenge herbeiführen. Ich werde
dann wohl das Comptoir fchließen müflen. —
Ahr Freund
6.
Baſel den 27. Sber 1820.
Lieber Freund! Nah dem Gemählde, fo ein Hr. Pro-
feffor Bernoulli erft Fürzlich von Ihrer jegigen Lage gemacht
bat, muß Ihnen wenig zu wünjchen übrig bleiben, was mid)
um fo mehr freute, da mich feit fo langer Zeit ohne directe
Nachrichte von Ihnen befinde. Dei mir geht es auch nicht
übel.
Eduard His.
— Vor einigen Tagen hatte den Beſuch meines
alten Patrons Hr. KRlimrath, der bei feinem Tochtermann
in Bern eine Chicorie-Fabride errichtet! Wie mir fcheint,
hat er große Luft, fich daſelbſt niederzufegen, da ihm Straß:
burg verleidet if. Rein Wunder, wenn es ung am End dort
auch nicht mehr bebagte, da felbft die dortigen Kaufleute
auswandern wollen. — Sie werden vernommen haben, daß
Sreund Rud. Gemufeus fich auch eine Ehehälfte ausgefucht
bat. Schon vorher ſahen wir ihn felten, nun wird er fi
gar nicht mehr unter ung erbliden laſſen, da die meiften unferer
jungen Eheleute den falihen Grundſatz haben, fie müßten
mit ihren Sreunden abbrechen, fobald fie verheirathet jeyen.
— So habe e3 nota bene nicht gemacht, fondern habe meiner
Stau gleih am eriten Tag bemerkt, ich fey gewohnt, alle
Abend ein halb Stündchen im Kämmerlein zuzubringen.
Nun befinde mich wohl dabei und bin dem Vorwurf nicht
ausgefett, als hätten zwei Jahr Ehe eine WAenderung in
172
meiner Lebens Art bervorgebradht. — Des Hr. Bernoulli
Vorträge über die Technologie haben geftern bei ftarfem
Beſuch ihren Anfang genommen . . . .
Sch hoffte Sie im Lager von Wohlen zu fehen, wo für
meine Sünden 9 Tage ausharren mußte. — Dies war eine
Er3-Strapaße, deren Erinnerung nicht fobald auslöſchen wird,
obgleich nun, da alles überftanden ift, froh bin, dabei geweſen
zu feyn. Sch habe unter anderm einmal eine Feldwache von
100 Mann gehabt, wo faft verjoffen wäre, da bei fürchter-
lihem Sturm und Regen 24 Stunden unter freiem Himmel
bleiben mußte, indem der Hr. Oberbefehlshaber, um uns
gleich zu abgehärteten Kriegern umzugeftalten, Befehl ertheilt
hatte, weder Wachtfeuer noch Zelte aufrichten zu laſſen. —
Sn der Hoffnung, bald ein fchriftliches Lebenszeichen
von Ihnen zu erhalten, verbleibe Ihr alter Freund
Ed. His.
7.
Baſel, den 18. Juni 1823.
Wie viel Fahre verftrichen find, jeitdem wir uns gegen:
feitig ein Lebenszeichen gegeben haben, weiß ich nicht, daß
mich aber an das Sprichwort halte, „alte Freundſchaft roftet
nicht”, werde Ihnen nicht zu verfihern brauchen. Ohne
Smeifel werden Sie noch am Poſt-Ruder feyn; wie es aber
mit Ihren Familien-Verhältniſſen ausfieht, ob Sie Nach—
kommenſchaft und wie viel haben, werde mit Antheil von
Ahnen vernehmen. Ich denke, daß man fi in Ihrem ge-
lobten Ländchen wenig um die Politid befümmert und daher
feine Zage ungeachtet des trüben Horizonts ruhig verlebt.
— Hier wird hingegen gewaltig politifiert und wenn ich
einige alte Zopfburger abrechne, fo kann man fagen, daß
ganz Baſel fehr Fiberal gefinnt if. Wie follten es aber alte
. Republikaner nicht ſeyn, und doch will man behaupten, daß es
in einigen Kantonen Leute giebt, die nur auf Gelegenheiten
lauern, um wieder vermoderte Vorrechte auf den Teppich
‚zu bringen. — Möge Gott (verhüten), daß deren Zahl nicht
173
groß werde. Denn nur durch Einigkeit koönnen wir ung in
dem jegigen Zuftand erhalten. — Gut angefchrieben find wir
einmal nicht; es dürfte alfo nur bei ung fpuden, um einen
Machtſpruch der heiligen Allianz herbeizuführen. — Sonder:
bare Erfcheinung, ftatt fortzufchreiten, fol man nun den
Krebsgang geben! Mit der Conftitution in Portugal bat
es nun auch ein Ende, wenn das geftrige Yulletin die Wahr:
beit ſagt .... .
Sm übrigen bin ich nun aus einem Speditor und
Waaren-Speculant, Bandfabrilant geworden, habe alſo wie
Sie umgefattelt. — Mein neues Fach intereffiert mich, be-
fonders da es ſchöne Ausfichten gewährt und wieder nahe
Anverwandte zu Affocies habe.
Eduard His
Aſſocié von Hs. Fr. Sarafın.
8.
Baſel, den 7. Sber 1823.
Eine ziemlich lange Reife, in deren Swifchenzeit Ihr
Brief vom 28. Zuli bier anlanate, ift Schuld, daß folcher
nicht früher beantwortet wurde. Seit Anfangs Juli big
Ende September babe ..... den orößten Theil von
Deutfhland durchwandert und daß es für mich viel Intereſſe
hatte, werden Sie gern glauben. Am interefjanteiten fand
ih Hamburg und Dresden, Berlin hingegen hat meinen Er:
wartungen nicht entſprochen. Die fchönften Gegenden fand
ich in Ober-Schlefien, wo die Schneefoppe, das ift der höchſte
Gipfel des NRiefengebirgs, beftiegen habe. Man hat 4
Stunden zu fleigen, dann wird man aber durch eine Ausficht
belohnt, welche fih mit unjern Schweizer Ausfichten meſſen
darf. —
Es freute mich übrigens fehr lieber Freund wieder
einmal Nachrichten über Ihre Familien-Verhältniffe zu er:
halten, bejonders da mir jolche zeigen, dat es auch Ihnen
in allen Theilen aut geht. Sehr gerne hätte auf meiner
174
Heimreife über Schaffhaufen einen Geitenfprung zu Ihnen
gemacht. Die Ungeduld wieder zu den Meinigen zu fehren
war aber fo groß, daß ich mich zu dDiefem Umweg doch nicht
entichließen fonnte, um fo mehr, da durch die Schweiß Feine
Poft-Straße geht. —
Wie es fcheint, haben Sie fi gewaltig in das Diplo:
matifche lanciert. Sch wünfche Shnen zu diefer carriere
alles mögliche Glück. Was mich anbelangt, habe auf der:
gleichen Ehren-Aemter vor der Hand verzichtet und bereits
vor einem Jahre meine Gerichtsherren-Stelle abgegeben.
Sreilich bin ich in andern Verhältniſſen. Sie find Zurift und
ih bloß Raufmann, und wenn man heut zu Tag in einem
Sach fh emporſchwingen will, jo darf man ih nicht noch
mit andern Beichäftigungen überladen. —
Run zur Beantwortung Ihrer Anfrage. — Das
DBernoullifhe Inſtitut ift feit mehr als einem Jahr auf:
gelöft.... Wenn Gie ganz folide Anlagen zu 41, an:
zutragen haben, fo follten folche hier wohl Liebhaber finden,
befonders wenn Sie die richtige Bezahlung der Zinfen ga-
rantieren. Haben Gie juft dergleichen zu proponieren, jo
fönnen Sie mir fchreiben; ich kann vielleicht in den Familien
was anbringen, da man juft am Erben begriffen ifl. Sie
müßten aber... Auskunft geben. — Man ift bier fehr difficil.
Wenn ich Ihnen den Interfchied des hiefigen Wechjel-
gelds gegen Schweizer Währung beftimmen fol, fo müflen
Sie letztere näher bezeichnen. Denn find es Brabanter—
Taler zu 40 bz., jo beträgt der Unterfchied 334 %, ift es
Schweizer Münze, jo variert er von 21% bis 5%. Unfer
MWechielgeld befteht in Brabanter-Talern zu 381% bz., auch
in Schweizer Neuthalern oder Louisd’or. Obige 381% b3.
ftellen unfer Wechfelgeld 2% höher als Reichsvaluta, was
aus der Vergleichung von f. 2.42 für den Vrabanter-Taler
gegen 381%, bz. hervorgeht. — Die reduction von f. 10
Zürher Währung oder f. 11 ReichsVta gegen F (?) £. 16 ift
ganz richtig, nur müflen Sie 2% dazu fchlagen, wenn Gie
175
biefiges Wechfelgeld haben wollen, weil auch in Zürich der
DBrabanter-Taler höher angenommen wird als bier, näm-
fih zu f. 2.27. — Ihr ergebener Ed. His.
9.
Baſel, den 2. Febr. 1831.
Werther Freund!
Geſtützt auf das Sprichwort: „alte Freundſchaft roſtet
nie“ will ich auch Ihre Mitwirkung in Anſpruch nehmen,
um den gräßlichen Verläumdungen zu begegnen, welche ſeit
einiger Zeit gegen unſere Stadt ausgeſtreut werden und
welche dahin zielen, durch Aufreitzung des Landvolks einen
allgemeinen Bürgerkrieg herbeizuführen. —
Bis dahin hielten wir es unter unſerer Würde, An—
ſchuldigungen zu widerlegen, welche durch ihren augen-
fheinlihen Perläumdungsgeift jeden rechtlichen Mann
empdren mußten. Wer uns fennt und von unferm frei:
finnigen Verfaſſungsvorſchlag Einfiht genommen hat, der
wird fich leicht Überzeugen Fünnen, daß es nie in unferer Ab—
ficht liegen Eonnte dem SZeitgeift entgegen zu ftreben oder
durch Unterdrüdung unferes Landvolfs den allgemeinen und
gerechten Haß auf uns zu laden.
Da aber die wenigen elenden Menfchen, welche durch
niederträhtige Rüdfichten geleitet und vom Terrorismus
begleitet, den Bürgerkrieg in unferm fonft fo friedlichen
Kanton angefacht hatten, nun fortfahren ihr Unweſen in den
andern Kantonen zu treiben und darinn durch mehrere mord-
brenneriſche Zeitungsfchreiber unterftüßt werden, fo muß
endlich auch von hier aus entgegen gewirkt werden. Aus
diefem Grund find auch bereits verfchiedene, auf Thatfachen
berubende Widerlegungen im Drud berausgefommen. Die
ältern als: Worte an die Eidgenofien, Gegenerflärung der
ins NReigoltswyler Thal gefandten Officiers etc. werden
Ahnen bereits zugelommen jeyn. Nun ift diefen Morgen
noch mitfolgende Erklärung unferer Landsgemeinden er:
176
Schienen. Aus diefem Actenſtück werden Sie erfehen, wie
abfurd die Anfchuldigung ift, als befände fich unſere Land—
Ihaft unter irgend einem Drud und wie wenig folche fremde
Einmifhung verträgt. Ich erwarte von Shrer alten be-
währten Freundſchaft, daß Sie zur Ausbreitung von diefer
Erklärung nah allen Gegenden der Landfchaft beitragen
werden. Sollten Sie gegen Erwarten die älteren Drud-
fachen fowie auch unfern Verfaſſungsvorſchlag nicht erhalten
haben, fo werde damit auf den erftien Wink an die Hand
gehen. Eine vollftändige Widerlegung der faulen Guß-
willerihen Proclamation ift nun auch unter der Prefie;
auch wird das im Lauf nähfter Woche unferm großen Rath
vorzulegende Amneftie-Gefeb, wodurd blos eine Feine Zahl
von Haupträdelsführern ausgenommen, hingegen aber auch
für diefe nur auf milde Strafen angetragen wird, erjcheinen.
— Wir werden gewiß bier alles aufbieten, was den Aus—
bruch eines allgemeinen Bürgerkriegs verhüten könnte, aber
einfchüchtern laſſen wir ung nicht und follte gegen Erwarten
das Unheil ftattfinden und DBafel zur Sielfcheibe dienen
wollen, fo würden wir im Vertrauen auf Gott unfere ge-
rechte Sache mit Muth zu vertheidigen willen.
PBerwichenen Samstag war ich in Wädenſchwyl, wo
die bewußte Vollsverfammlung gehalten worden ift. Uber
auch da ließen fich die vernünftigen Leute eines Beſſern be-
lehren und fo wie die Sachen gelenkt worden find, wird von
diefer Seite Fein Ausbruch flattfinden . . . .
Empfangen Sie nun die PVerfiherung meiner fteten
Steundfchaft. |
Ed. Hit, App.-Rath.
10.
Baſel, den 12. Febr. 1831.
Lieber Freund.
Sch danke für die Übernommene Verbreitung der Ihnen
gefandten Erklärungen und überreiche hiemit einige Erem-
plare unſeres Verfafiungsvorichlags. Die Behandlung des-
177 12
felben ift heute beendiget worden und am 28. ds. fol die neue
Verfaſſung dem Volk zur Annahme oder Verwerfung vor:
geleot werden. Nur wenige unbedeutende Veränderungen
find bei der Behandlung im großen Rath gemacht worden.
So ift feitgefegt worden, daß die Wahl der Kleinräthe frei
feyn fol, während der erfte Entwurf der Landfichaft we:
nioftens 5 zufichern wollte. Ferner wird bei der Annahme
oder Verwerfung die Stadt eine Stimme und das Land
eine Stimme haben; entfcheidet nun die Mehrheit des einen
oder andern Theil gegen die Annahme, fo ift die neue Ver:
fallung verworfen. Diejes wird aber hoffentlich nicht ge:
Tchehen, obgleich diefer Vorſchlag in der Stadt viele Gegner
findet. Auf die Annahme von Seite der Landichaft glauben
wir zählen zu können, wenn nicht wieder befondere Umftände
eintreten. Zum beften Beweis, daß die Ruhe wieder voll:
fommen eingetreten ift, mag dienen, daß wir feit 10 Tagen
3 Compagn. Auszüger aus allen Bezirken in der Stadt
haben und daß fih während diefer Zeit nicht der mindelte
unangenehme Vorfall ereignet hat. —
Run fuht man uns Hader wegen dem Anfangs diefer
Woche genehmigten Amneftiegefes. Unbedingte Amneftie
follten wir geben! Diefes Eonnten und durften wir nicht thun,
wenn wir nicht zu neuen Unordnungen Veranlaſſung geben
wollten. Glauben Sie übrigens nur ficher, daß es den
ſchweitzeriſchen Demagogen weniger um die Umneftie zu
tbun war als uns eine Schwähe abzuloden. Die Will:
fährigfeit unferer Seits follte nur der erfte Schritt zu weitern
Anforderungen feyn. — Diefe Herren können nicht ertragen,
daß wir unſere Verfaſſungs-Aenderung nicht nach dem vor-
gefchriebenen Model gemaht haben. Wir follten uns
ihrem Zoch unterwerfen und diefes werden wir nit. Wer
unfere Berbältniffe kennt, der wird finden, daß wir in unferer
Verfaſſung an Sreifinnigfeit feinem andern Kanton nad)-
ftehen. — Ich bin nun begierig zu vernehmen, welche Maß—
nahmen die Tagſatzung in unferer Angelegenheit nehmen
178
wird. Bis dahin hat fich dDiefe Yundesbehörde außerorden-
lich ſchwach gezeigt. Unfer waderer Bſtr. Frey ift vorgeftern
Nacht nah Luzern abaereift, um felbft der Situng der
Tagſatzung beizumohnen. Den Kreuzzug nach Baſel be-
fürchte nicht mehr, da die Wahrheit anfängt durchzudringen
und die Gemüter fi nach) und nach abfühlen. LHebrigens ift
unfer Wahlipruch, eher mit Ehren untergegangen als mit
Unehre beftanden. Zum Empfang find wir bereit. 6 & 700
Mann arbeiten feit 14 Tagen an den Feftungswerfen. Einige
taufend Mann würden nicht3 ausrichten und ein ſtarkes
Armeecorps von 15 & 20000 Mann erfordert eine Menge
Vorkehrungen und Zurüftungen, welche bei Volkshaufen
nicht zu Stande gebracht werden fünnen. Zudem würde fich
auch bald eine Gegenparthei zu unjern Gunften bilden.
Hoffentlich wird aber von allem diefem nichts geſchehen;
denn wer Sollte doch die Hand zu einem allgemeinen Vürger-
trieg bieten wollen. —
Hier erjcheinen nun auf einmal zu viel Flugfchriften,
während man zu lange gefchwiegen hatte. Nicht alle find im
angemefienen Styl abgefaßt.
Ihr Freund
Ed. His.
Laut ſoeben angelangtem Beriht von der Tagſatzung
wird dieſe Behörde in unfere Angelegenheit vor der Hand
nicht eintreten, fondern den Regierungen ans Herz legen, wie
nothwendig es fey, den Vollsbewegungen zu begegnen und
Ruhe und Ordnung wieder überall herzuftellen. —
11.
Bajel, den 26. Aug. 1831.
Sch danke Ihnen, lieber Freund, für die überfandten
Zeitungen; mein Erftaunen war aber groß, als ich darinn die
merkwürdige Snftrudtion Ihres Standes in Betreff unferer
Angelegenheit las. Wahrlih fo weit ift es mit uns noch
nicht gefommen, dab das Thurgauer fouveraine Volk uns
179 12°
Befehle ertheilen fann. Mit welhem Zug und Redt will
man uns vorfchreiben, eine von der großen Mehrheit an-
genommene Verfaflung wieder zur Abftimmung vorzulegen?
Wo fol dies hinführen, wenn die ftörrifhe Minderheit ftatt
abgewiejen zu werden bei andern Kantons-Regierungen Ge-
Hör und Unterftügung findet?
Doh warum diefe Frage? Jederman weiß ja, daß
unfere Radicalen wiederum Unruhen hervorrufen mußten,
wenn ihnen einige Hoffnung bleiben fol, ihren Centrali-
fationsplan durchzufegen. Unſere jebigen Infurgenten find
Werkzeuge jener Herren und wir die Zielfcheibe. Ich muß
mit Ihnen befürdten, daß wir am Vorabend eines all-
gemeinen Bürgerkriegs find, der ſich in einer fremden Ein-
mifchung auflöfen würde. —
| Die 4 eidgenöffifchen Reprefentanten haben fich bereits
überzeugt, welche ftrafbaren Mittel angewendet worden find,
um die Empdrung zum Ausbruch zu bringen und wie fehr
nun unfere Landleute von den Rädelsführern terrorifiert
werden. Sie werden bereits die Proclamation diefer Re:
prejentanten vom 24. d8. gelefen haben. — Sie ift brav und
zeigt, Daß unfer gutes Recht einmal anerkannt worden ift. —
Heute ift nun eine Proteftation von diefen Herren erſchienen,
worinn fie erklären, daß ihr Nahme von den Empörern mis:
braucht worden fey, um eine Landsgemeinde in Lieftal zu-
fammen zu berufen, gegen deren Beichlüffe fie fich feierlichft
verwahren und jederman ermahnen, zur gejeglichen Ordnung
zurüd zu kehren. Dieſe geftern abgebaltene Landsgemeinde
wurde nur von ca. 600 Mann aus wenigen Ortichaften be-
ſucht und als die Erklärung der Reprefentanten durch den
Lieſtaller Gemeinds-Präfidenten, der aut gefinnt ift, ab-
gelefen worden war, bat fih der größere Theil des Volks
wieder heim begeben. — Nur das noyau der Aufwiegler
blieb zurüd, um den Beſchluß zu fallen, daß man fich dem
Befehl der Tagſatzung nicht unterwerfen wolle, fondern daß
wieder eine proviforifche Regierung ernannt werden mülle,
180
wozu auf Übermorgen Ausfhüfle aus den Gemeinden zu-
fammen berufen werden jollen. — Der größere Theil der
Gemeinden wird gewiß niemand fchiden, ohne Zweifel wird
man aber dennoch zur Wahl fchreiten. —
Es wird ih nun zeigen, auf welche Art die Tagſatzung
ihrem Beſchluſſe Nachdruck geben wird. —
Ich will mich in feine Widerlegung der gräuelhaften
Schilderung des Republ(ifaners) über den Kampf vom 21. ds.
einlaffen. — Wer fih zu folchen plumpen Perläumdungen
erniedrigt, verdient tiefe Verachtung, aber nicht die Ehre
einer Widerlegung. Soviel kann ich Ihnen Jagen, daß
unfere Truppen, nachdem fie während 5 à 6 Stunden dem
verrätberifhen Feuer der im Hinterhalt lauernden Scharf:
hüten ausgefeßt worden waren und endlich Lieftal mit
Sturm einnehmen mußten, ſich dennoch zu feinen andern Er:
zefien verleiten ließen, als daß die Scheiben denen Häufern,
woraus Schüffe fielen, eingefchoffen wurden. Das außer Lieftall
abgebrannte Häuslein wurde durch eine Haubite entzunden.
Als diefes alles vorfiel, war ich in Luzern, wo ich unſerm
Gefandten die erfte Runde der Empörung überbringen mußte
und zugleich auf den Beſchluß der Tagſatzung wartete. —
Ahr ergebener
(Ed. His.)
12;
Bafel, den 9. Xbr. 1831.
Sieber Freund!
Obgleich die legten Berichte der Herren Reprefentanten
über die jegige Lage unferer Angelegenheiten auch Ihrem
großen Rath werden vorgelegt werden, jo wird es Sie wahr:
fheinlich dennoch intereffieren, dieſe Uctenftüde felbft zu be-
fien. In diefer Vorausſetzung Üüberfende Ihnen mitfolgend
1 Eremplar.
Wer fih durch diefe Berichte nicht Überzeugen laffen
will, daß bloß eine Faction in unferm Kanton wüthet und
die ruhigen Landbürger durch die heillofeften Mittel unter
181
ihr Joch zu bringen ſucht, der muß durchaus blind feyn
wollen.
Sie werden unfern vorgeftrigen Großrathsbeichluß in
den Zeitungen finden. Ich bin nun begierig zu fehen, was
die Tagſatzung bejchließen wird. — Wird unferm Antrag
nicht entjprochen, fo wird es bei uns zur Trennung kommen.
Das Betragen der meiften eidgenöffifchen Truppen war
bis dahin mufterhaft und ihre Anweſenheit wird manche An-
fiht in der Schweiß berichtigen. —
Unter Shrer Scharfichügencompagnie follen ſehr artige
Leute ſeyn; ich felbft hatte noch feinen im Quartier. — Wenn
demnach geftern das Gerücht ausgeftreut wurde, als hätte ein
Theil davon in ihrem jegigen Quartier Yubendorf die Lie:
ftaller Revolutionscocarde aufgepflanzt, jo muß es entweder
eine Verläumdung feyn oder es betrifft nur wenige. — Diefe
Scharfſchützencompagnie fol übrigens heute wieder in die
Stadt fommen und dann wird es fi) wohl zeigen, daß jenes
Gerücht zu den 100 Mäbhrchen gehört, welche erdichtet werden.
— Ceci entre nous, ich möchte nicht im Republifaner oder
Appenzeller paradieren. —
Sn aller Eile Ihr Ergebener
Ed. His).
13.
Bafel, den 13. Xber 1831.
Sch danke Ihnen, lieber Freund, für die ſchnelle Mit:
theilung der Verhandlungen Zhres großen Raths in Bezug
auf unfere Angelegenheit. — Da wir nicht viel Gutes von
Shrem Stand erwarten fonnten, fo müſſen wir die ertheilte
Spftruction noch onädig finden. Sie entipricht wenigftens
dem zweiten 8 unferes Beſchluſſes. —
Daß fi übrigens der Geift der großen Räthe beflert,
diefes beweifen die bedeutenden Minderheiten, welche fi)
nun den SInftructionen der Radicalen widerfegen. So ift
der abjurde Beſchluß in Arau nur mit 81 gegen 60 Stimmen
182
dDurchgegangen und die Tagſatzungsgeſandten Bertichinger
und Lützelſchwab haben hierauf fogleich ihre Entlafjung mit
Fräftigen Ausdrüden eingelegt. In Zürich wollte eine auch
bedeutende Minderheit unfere Verfaſſung handhaben. —
Durchgeht man nun die Derjönlichkeiten dDiefer Minderheiten,
jo wird man finden, dab deren Mitglieder den Kern der
Bevölkerung bilden. —
— Ueber Ihre Scharfſchützencompagnie kann ich
Ihnen nun im Weſentlichen mittheilen, daß wirklich Ver—
ſchiedene ſelbſt in der Stadt die roth und weiße cocarde,
welche das Rebellions-Zeichen von unſern Inſurgenten iſt,
getragen haben. Dieſes hat Anlaß zu fatalen Auftritten ge-
geben und würden dieſe cocarden nicht bald verſchwunden
feyn, fo hätte Die Sache gewiß eine fehr ernfthafte Wendung
genommen; denn die Vürgerfchaft wäre unfehlbar in Gäb-
rung gerathen. Ein Scharfſchütz, der auf die Anfrage, warum
er diefe cocarde und nicht diejenige feines Kantons frage,
grob antwortete, erhielt eine Ohrfeige von einem Kaufhaus:
beamten, an welchen die Antwort gerichtet war. — Den
Dfficiers thut diefe cocarden-Geſchichte außerordentlich Leid.
Zwei davon, nämlich die beiden Ilnterlieutenants, find bei
meinem Aſſocié Viſcher einquartiert. Es feyen ſehr lebhafte
junge Leute, die fi) wenig um die Politik befümmern und
daher lieber von Sagd und Pferden ſprechen al3 von Den
Verfaſſungsgeſchichten. Wie man jagt, feyen bei der ganzen
Compagnie nur 12 à 15, welche im Sinne der Lieftaller
agirten; aber es bedarf nicht mehr, um oft ein ganzes Corp3
in Miscredit zu bringen. Als Entfchuldigung wegen den
cocarden haben fie angeführt, fie gehörten zu einem eidgend]-
fiihen Schüßenverein, welcher diefe cocarde trage. — Es
war nun aber einmal befannt, daß die Snfurgenten dieſe
eidgenöffiiche cocarde zum Symbol gewählt haben und daher
hätten die Dfficiers darauf wachen follen, daß ihre Leute
fie nicht aufftedten. —
Was Sie mir Übrigens in Bezug auf diefe Compagnie
183
mittbeilen, theile ich überall mit, damit nicht wegen Wenigen
die ganze Mannſchaft in Verdacht komme. —
Wenn Sie bedenken, wie lange wir fchon hier gegen alle
erdenklichen Umtriebe kämpfen und wie fehr wir verläumdet
worden find, fo werden Sie die reißbare Stimmung unferer
Bürgerfchaft, die fih fonft mufterbaft zeigt, wohl begreiffen
fönnen. —
Sollte was Wichtiges vorfallen, fo werde ich nicht er:
mangeln, Sie davon zu benadhrichtigen. —
Inzwiſchen grüße ich Sie aufs Freundfchaftlichite.
Ed.
14.
Baſel, den 7. Mai 1832.
Lieber Freund!
Bei meiner Rüdkunft von Laufanne, wo ich meinen
älteften Sohn in Penſion gethan habe, fand ich Ihr Briefchen
vom 25. April, welches mir das Vergnügen verfchaffen follte
die Belanntfchaft Ihres Freundes Hr. Debrunner zu machen
und mich mit ihm über die jeßige politifche Lage der Schweiß
zu unterhalten. Recht fehr bedauere ich, daß die Hieberkunft
Ihres Freundes juft während meiner Abweſenheit ftattfand;
denn es hätte mich gefreut, einmal wieder mündliche Nach—
rihten von Ihnen zu erhalten. —
Die Laufanner Reife mußte ich antreten, nachdem ich
erft feit 2 Tagen von einer Miffions-Reife in unfern An—
gelegenheiten heimgefehrt war. Sch hatte zur Aufgabe, in
Bern, Solothurn und Arau auf Sufammenberufung der Tag:
fagung zu wirken und zugleich die Gelterfinder Gefchichte zu
beleuchten.
Die Gelterfinder Gefchichte bedurfte übrigens bei den
Bernünftigen keiner Beleuchtung. Denn wer nicht im Ra-
dDicalismus bis über den Ropf ftedt und wer noch [chweiße-
riſches Ehrgefühl hat, der muß über das Benehmen der Re-
prefentanten und Truppencommandanten entrüftet feyn. Man
fann fich in der That nichts WUergeres denken als die Art,
184
wie die eidgendffiichen Truppen fih aus dem Staub gemacht
haben beim einzigen Anlaß, wo fie nach gehabter Inftruction
von Nuten hätten jeyn können. Man darf mit aller Ve:
fimmtheit annehmen, daß ohne dieſen unbegreifflichen Nüd-
zug auf neutralen Boden die Gelterfinder Gräuel nicht ftatt
oefunden hätten. Ihr Hr. Merd, deſſen erfte Schritte bei
feiner Ankunft im Kanton dahin gingen, die getreuen Ge—
meinden zum Abfall zu bewegen, hat nın an Hr. Doctor
Schnell einen wadern Genofien gefunden. Diefe faubern
Reprejentanten haben es fo weit getrieben, daß felbft der
Vorort fie desavouieren mußte. Aber Schnell ſcheint fich nicht
viel um die Vorwürfe des Vororts zu befümmern. Denn
ohneracht des wiederholten Befehls, die Freilaffung der Ge-
fangenen zu bewerfftelligen, ift noch nichts erfolgt. — Es wird
fh nun zeigen, welchen Erfolg die Tagſatzung haben wird.
— Vielleicht einen fehr wichtigen für die ganze Schweiß. —
Sn unfern Angelegenheiten wird wahrjcheinlich die Trennung
beichloffen werden, doch kömmt es dabei viel auf die Art
und Weife an. — Wie mir fcheint, gebt der Plan der Ra:
dicalen dahin, dem infurgierten Theil der Landichaft vor:
erft eine rechtliche Stellung zu verſchaffen; fodann wird man
beide Regierungen auf gleiche Linie ftellen, Vermittlungs-
verſuche anwenden, wollen folche aber nicht gelingen, wird
man vielleicht zu Gewaltsmitteln gegen uns chreiten efc.
— Diele Herren dürften aber wohl die Rechnung ohne den
Wirth machen. Denn fo leichtes Spiel werden fie nicht mit
uns haben und es ift nicht zu glauben, daß die Mehrzahl der
Stände zur Ausführung folcher Pläne je die Hände bieten
werde. — Es frägt ſich überhaupt, ob nicht auf der nächſten
Tagſatzung folche Ereigniffe flattfinden werden, welche zu
einer Auflöfung des Bundes führen, bevor nur ein Beſchluß
in unfern Angelegenheiten gefaßt jeyn wird. —
Hier ift alles ruhig und auch unfer wegen der Inftruc-
(tion) ftatt gehabter Gr. Rath) ift ruhig vorüber gegangen.
Unſere Gefandten find Bſtr. Yurdhardt, den Sie von Hr.
185
Bernoullis Snftitut ber kennen werden, Rathshr. Heußler
und Minder. Man hatte mich zum 2ten Gefandten ernannt,
ich lehnte aber ab, da ich (in) mir nicht die nöthigen Fähig—
feiten fühle, um auf einer fo wichtigen Tagſatzung das Probe:
ftüd abzulegen. — Ueberhaupt ftede ich noch zu tief in den
Handelsaefchäften, um mich viel mit den Staatsgefchäften
abgeben zu Eönnen.
Ihr mit aller Freundſchaft
Ergebener Ed. 9.
15.
Baſel, den 19. April 1833.
Lieber Freund!
— Ich danke Ihnen für Ihre Mittheilungen wegen
Pf. B. und wünſche mit Ihnen, daß dem Volk einmal die
Augen aufgehen mögen. — Ueber unſere Angelegenheiten
babe Ihnen nichts Intereſſantes mitzutheilen. — Wir warten
bier in Ruhe ab, wie ſich die Umſtände geftalten wollen. —
Es ift uns wahrfcheinlich befler zu Muth als den Gefandten
der Quafi-Tagfagung. — Wäre unfer Landvolf nicht fo fehr
unter dem Joch der Dorfterroriften, fo wäre die Lieftaller
Regierung ſchon längft fortgejagt. Freilich dürfen wir nicht
verhehlen, daß es in verfchiedenen Gemeinden noch fchlimmer
ausfieht, indem durch die langen Wirren und die daraus er-
folgte Geſetzloſigkeit vollftändige Verwilderung und Scheu
vor jeder Regierung eingetreten ift. Diefes ift hauptſächlich
der Fall in allen Gemeinden, wo das Lumpengefindel die
Mehrheit bildet. Denn die vermdalichen Landbürger find der
Sache müde und würden je eher je lieber die Hand zur
Wiedervereinigung bieten. — Die im Kanton Bern an-
gelangten Polen dürften die Schweiß oder wenigftens die
Berner Regierung in nicht geringe Verlegenbeit verjegen,
da fie weder nach Frankreich zurüd dürfen, noch den Durch:
marſch durchs Badiſche erhalten koͤnnen. Es heißt, es feyen
neuerdings 300 Mann von Nancy fommend in Porrentruy
eingerükt. Doch Fann ich diefe Nachricht nicht verbürgen.
186
Hingegen ſcheint es gewiß, daß der Großherzog von Baden
bereit Truppen an unfere Gränzen verlegt hat aus Ve:
forgniß, die Polen möchten fie überfchreiten wollen. — Der
Oberamtmann von Lörrach war geftern bier, um ſich wegen
diefen fremden ..... zu erkundigen. — Es bleibt außer
Zweifel, d(aß di)e Parifer Propaganda ſowohl diefen Polen-
marſch als die Srankfurter Empörung leitete. In Mainz
und Frankfurt hat man die Nachricht, daß ein Aufftand ftatt-
finden werde, von der Parifer Polizei erhalten... .. .
Ihr Ergebener €. 9.
16.
Baſel, den 6. Mai 1840.
Werther Freund!
Sch beantworte wohl fpät Ihren Brief vom vorigen
Jahr und Doch darf ich hoffen, Sie werden nicht daran ge-
zweifelt haben, wie jehr es mich gefreut bat, wieder einmal
Nachrichten von Ihnen felbft zu empfangen und wie fehr ich
auch meiner Seits bedauerte, daß wir einander in Rippolsau
vor 2 Zahren verfehlt haben. — Ein eigenes Gefchid Scheint
feit bald 30 Jahren unfer Zufammentreffen zu verhindern;
denn im Verlauf diefer langen Zeit hätte es bei der geringen
Entfernung unferer Wohnorte und bei der ftattfindenden
Reifeluft wohl mehrmals gefchehen follen ....... .
Meine AUppellationsrichterftelle habe vor 4 Wochen ab-
gegeben, indem ... . . ich ohnehin genug Partikulargefchäfte
babe. Sn politifcher Beziehung befinden wir uns hier nun-
mehr befler daran als die meiften andern Kantone; denn
während es dort abermals fpudt, haben wir dieſes hier nicht
mebr zu befürchten. — Es gibt wohl bei Anlaß von gewiſſen
geſetzlichen Beftimmungen Heine Reibungen zwifchen dem
‚Handwerksftand, der nie genug Schuß gegen fremde Con-
currenz bat, und dem Handelsftand, der unter diefen Privi-
fegien etwas leidet, aber im Ganzen genommen (wird die
Ein)igfeit dadurch nicht bedenklich geſtört .. ...
187
17.
Bafel, den 11. Mai 1840.
rare Sch bedaure fehr, daß Ihr Austritt aus der
gemeinnügigen Gefellfchaft mir die Hoffnung nimmt, Sie im
Lauf des nächften Jahrs bier zu ſehen. Wie ich vernehme,
haben einige vormalige Zöglinge von Herrn Profefior Ver:
noulli, namentlih Hr. Felix Sarafin des Raths, im Sinn,
der Zufammenkunft in Frauenfeld beizumvohnen. — Die Leb-
baftigfeit und das Gefticulieren des Hr. Vernoulli haben mit
dem Alter eher zu als abgenommen. Erſt vorgeftern fagte.
mir mein Sohn, der feit dem neuen Cours die Bernoullifchen
Vorträge über Technologie anhört, fie feyen doch gar zu
Iuftig, man könne fi) des Lachens nicht enthalten. — :
— Bis nächſten October ſoll man die Eiſenbahn
von hier oder vielmehr Burglibre bis Mülhauſen befahren
können. Im Jahr 1842 ſoll die ganze Bahn bis Strasburg
fertig werden. Dann will ich Sie hier beſtimmt erwarten,
um mit einander unſern frühern Aufenthaltsort zu beſuchen.
Ihr ganz ergebener
Ed. His.
Anmerkungen.
Zu Brief 1. Das „letzte Hierſeyn“ iſt nicht genauer zu
beſtimmen. Es fällt in die Zeit zwiſchen den Daten dieſes und des
vorhergehenden Briefes vom 19. Auguſt 1815 (Basler Jahrbuch
1916, ©. 270)
Zu Brief 2. Das Haus „auf der Shan“. Vrgl. dazu
Adreßbuch von: 1811: A275 Scheure von Deputat Peter Ochs.
St. Johann Schanz. 8275 Deffen Wohnhaus.
Peter Ochs felbit bezog bei der Ueberjiedelung in die Mitte
der Stadt im Sanuar 1817 ein Logis beit Hek „zum Hafen“ neben
dem Rathaus, früher Marktplag Nr. 2, jebt in das Areal des Rat-
hauſes einbezogen.
Gefretariat des Handlungskomitees. Laut Protokoll des
Handlungstomitees (Staatsarhiv N 2) gab es zwei Gefretäre,
und nachdem in der Sitzung vom 9. Juli 1817 (a. a. DO. ©. 221)
beide, nämlich die Herren Lukas Viſcher und Dietrich Preiswerf, zu
wirklichen Mitgliedern des Komitees gewählt worden waren, wur=
188
den als Nachfolger vorgeihlagen die Herren Eduard Ochs und
Andreas Bilhoff. Definitiv gewählt wurden aber Ochs und Peter
Merian.
3u Brief 3 Militär-Organifation. Das Gejeß betr. die
M.:D. datiert vom 4. Gebr. 1817. |
Schanz. Am Dienjtag den 2. September 1817 ſchreibt His
u. a. feinem Freunde: Ende der Woche ziehe auf die Shanz. Es
foll mich freuen, wenn Sie mid bald dort beſuchen.
Zu Brief A Berlobung Am 13. Mai 1818 fchreibt His
feinem Freunde u. a.: Geitern als mein 27.ter Geburtstag hat die
Belanntmahung meiner Verlobung mit der ältejten Tochter meines
Aſſocié jtattgefunden.
Er ſchließt diefen Brief mit folgender Mitteilung: Sintemal
und alldieweil ih) meinen Nahmen ſchon längſt häßlich gefunden
babe und die Zugiehung mehrerer anderer Gründe haben mid) ver-
anlakt, den Nahmen meines Weltervaters His von Hamburg, der
ein berühmter Kaufmann war, anzunehmen. Dieje Aenderung iſt
mir mit väterlider Cinwilligung von Geite unjerer Regierung
ebenfalls bewilligt worden. Man gewöhnt jih ſchon recht artig,
mich mit meinem neuen Nahmen zu betitteln. Es wird mir darüber
eine Urkunde ausgefertigt. — Ihr Freund
Eduard His.
wie Hiß ausgejproden.
Ueber diefe Namensänderung vrgl. E. His-Heusler und W.
His-Bilhher, der Namenswechlel der Söhne von Peter Ochs. Basler
Sahrbud 1901, ©. 202 ff.
Rheinſchiffahrt. Auf Grund der Ratserfanntnis vom 21. Nov.
1818 mit dem Auftrag an das Handlungstomitee, „jemanden aus
feiner Mitte nach ſämtlichen Stappelplägen des NRheinjtroms bis
noch Mainz abzuordnen, um zum Beiten unjerer Schiffahrt zu wir-
fen, die nötigen Erkundigungen einzuziehen und über alles Bericht
zu eritatten‘, wurde von dem Komitee in der Sitzung vom 24.Nop.
1818, nachdem deſſen Mitglieder ſämtlich „wegen eigenen Umijtän-
den“ abgelehnt hatten, „Herr Sekretär His diefe Milfion vorzu-
nehmen erſucht, welder fie unter Vorbehalt feiner weiteren Berant-
wortung annahm.“ In der Situng vom 20. Januar 1819 „ertheilte
er an Herrn Statthalter feine ſchriftliche Relation über feine Ber:
richtung“. (Protokoll des Handlungstomitees, |. oben, S. 266 und
268
).
Ueber den damaligen üblen Zujtand der Rheinihiffahrt von
Bafel aus vrgl. Fritz Weiß, Zur Gedichte der Basler Rheinihiff-
fahrt und der Schiffleutenzunft, im Basler Jahrbuch 1901, ©. 140 ff.
Gerichtsherr. Laut Kantonsblatt von 1819, 2, ©. 91 „tamen
an die erledigte Stelle eines Civil-Rihhters aus dem von €. E. und
W. W. Gr. Rathe eingegebenen Vorſchlag in die Wahl Herr Eduard
His und Herr Jakob Heinrih von Mechel. Erwählt durch das Los
189
wurde Herr Ed. His. 5. Juni 1819.“ Die Belohnung war aljo etwas
zufälliger Art.
3u Brief 5. Öberitlieutenant Burdhardt ift Johannes
B., geb. am 2. Nov. 1783, geit. am 5. Mai 1819, vermählt mit Su—
ſanna Burdhardt 1807—1813 und nad) der Scheidung von ihr nod)
im ſelben Sahre mit Dorothea Sfelin, die ihn faft um ein halbes
Sahrhundert überlebte (F 1867). Vrgl. die Stammtafel der Yamilie
B. von Ludwig Säuberlin, Taf. III C.
Muſikgeſellſchaft. Die in Zürich 1808 gegründete jchweizerijche
- Mufitgejellihaft, die im Jahre 1820 das jchweizeriihe Mufikfeft in
Baſel abhielt. Vrgl. Paul Meyer, Baſels Konzertweien im 18. und
zu Anfang des 19. Jahrhunderts im Basler Jahrbuch 1884 ©. 234.
Hinrichtung: Vergl. das Urteil des Criminal-Geridts des Kt.
Bajel im Kantonsblatt vom 14. Juli 1818: Nahdem vor geraumer
Zeit Jakob Föller von Sondernad), und Xaver Herrmann von Coll:
mar im fränkiſchen und oberrheinijichen Departement als mehrerer
Kapitalverbreden angeihuldigt von der hohen Standes Regierung
dem Criminal-Gericht zu näherer Unterfuhung und Beurtheilung
überwiejen und während im Laufe der Unterfuhung Joſeph Studer
von Ober-Hagenthal im gleihen fränkiſchen Departement nebit Fer—
dinand Deisler von Inzlingen im Großherzogl. Badilhen, auf dem
Neuenweg ohnfern St. Louis aber wohnhaft, als Gejellichafter der
beid Erfteren dargegeben worden und im allgemeinen durch die
weitihichtige Procedur ſich gezeigt, daB dieſe vier Verbrecher eine
wahre NRäuberbande gebildet, die bereits feit ſechs bis fieben
Sahren (!!) auf alle nur erfinnlie Art vorzüglid) die Bewohner der
bieligen Stadt und dann aud) Hin und wieder in den benachbarten
Gemeinden des Kantons in Schreden und Schaden verjegt und
deren verbrederifhe Handlungen fih immer verjtärtt haben wür-
den, hätte denjelben nicht durch Zufall... endlich Ziel gejeßt werden
fönnen; denn Diebſtahl war bald ihre tägliche Arbeit. Was nur
immer Wert hatte, juhten fie in ihr Eigenthum zu bringen. Bald
feine Thüre war ſo fejt verſchloſſen, fein eijernes Gitter jo ftarf,
das nicht ihren Diebs-Schlüjfeln oder Bred-Eijen ſich hätte öffnen
müßen, Mord, Straßenraub, Yeuereinlegen, Kirchenraub, gewalt-
jame Diebftähle aller Art und jonftige Verbrechen waren bey diejen
Böſewichtern erjter Clafje zur Tages-Drdnung geworden; im Ganzen
find Einhundert und Ein Verbreden eingeitanden worden.
Nah Aufzählung der widtigiten eines jeden im Einzelnen,
worunter auch „der beabjihtigten Sprengung des obrigkeitlidhen
Pulverthurms“ Erwähnung geidhieht, Tautet das Urteil: Herrmann,
Deisler und Föller jollen zu wolverdienter Strafe und andern
Böjewichtern zum Schreden dur das Schwert vom Leben zum Tode
gebradht, das Urteil zuerft an Föller, dann an Deisler und endlid)
an Herrmann vollzogen und der Joſef Studer angehalten werden
diefer . . . Erxefution beizumwohnen; alsdann joll Studer auf der
Richtſtätte gebrandmarkt, auf vierundzwanzig Jahre in die erite
1%
Klaſſe des Schellenwerks geichlagen, mit einem Bleh auf dem
Rüden mit der Aufihrift „Erz-Dieb“ zu öffentlider Arbeit aus-
geführt, nad) ausgejtandener Strafezeit auf zwanzig Jahr bey höherer
Beitrafung im Widerhandlungsfalle aus gefammt Löbl. Eidgenoj-
ſenſchaft verwieſen ... . werden.
Im 31. Stüd Wöhentlider Nachrichten aus dem Berichthaus
zu Bajel, Donnerftag 5. Auguft 1819 findet fih unter der Rubrif:
„Es wird zum Berfauf angetragen“ No. 29: Ueberfiht der Haupt:
verbredhen der am 4. Auguſt 1819 in Bajel zur Richtſtatt geführten
- Herrmann, Feller, Deisler und Studer, nebit ihren Bildniffen in
Feßeln geſchloſſen dargeitellt in gr. 4 à 7 BE, ohne Bildnijje
; zu haben in der Holdeneder’ihen Leihbiblioth. beym Korn
aufe.
3u Brief 6. Profellor Bernoulli. Wahrſcheinlich identisch
mit dem am Schluſſe desjelben Briefes genannten befannten Ted):
nologen Chriftoph Bernoulli, geb. am 15. Mai 1782, geit. 6. Febr.
1863, von 1817—1861 Profeffor der Naturgeſchichte an der hieſigen
Univerfität. Vgl. Allgem. deutihe Biographie 2, 483 und die
biographiiche Skizze von Prof. Fritz Burdhardt in der Zeitſchrift
für ſchweizer. Statiftit 33. Jahrg. 1897.
3u Brief 7. Portugal. Am 2. Suni 1823 Hatten die
Cortes, „die noch vor drei Monaten ſich einmütig zu dem Schwur
erhoben hatten, für die Verfaſſung zu fallen“, nad) dem Abgang
des Königs in das Lager ihrer Gegner ih fluchtartig aufgelöſt.
Bol. 6. G. Gervinus, Geſchichte des neunzehnten Jahrhunderts
4, 693.
3u Brief 9. Zum Inhalte diefes und der folgenden
Briefe ift im allgemeinen zu vrgl.: Auguft Bernoulli, Bajel in den
Dreikigerwirren, 85. bis 88. Neujahrsblatt, Baſel 1907—1910 und
Karl Weber, die Revolution im Kanton Bafel 1830—1833. Lieltal,
1907.
Worte an die Eidgenoſſen. Gemeint iſt damit ohne Zweifel die
ohne eigentlichen Titel veröffentlichte Schrift: Eidgenoſſen aller
Kantone! 8 ©. Baſel, den 27. Januar 1831. Unterzeichnet: Ein Verein
von Bürgern aller Stände und in derjelben Namen: folgen 12
Unterſchriften. — Drudigriften über die politiiden Wirren im Kan:
ton Bajel I/1 No. 31 im Staatsardjiv. |
Gegenerflärung. Gegenbemerkungen auf die Erklärung der
jogenannten provijoriihen Regierung des Kantons Bajel an die
gejamte freie Eidgenoſſenſchaft. — Bajel, 27. Januar 1831. Unter:
ſchrieben: Die ins Reigoldswilerthaler (!) gejandten Offiziere und
in deren Namen 3. Riggenbad, Major. 7 S. Ebenda No. 38.
Erklärung. Erklärung von 54 Gemeinden der Landihaft Bafel
gegen die provijoriihe Regierung und gegen fremde Hilfe. Unter-
zeichnet den 29. Januar 1831. 8 unpaginierte ©. in 40 Ebenda.
Nr. 34.
191
Verfaſſungsvorſchlag. Ratſchlag über eine Revifion der Ber:
faffung vom 6. Dezember 1830 und Ratihlag über Feſtſtellung ei-
niger Hauptgrundjäße zur Reviſion der Verfaſſung. E. E. und W.
W. Rath eingegeben den 9. Dezember 1830. Cbenda No. 2 und No. 4
ſamt mehreren anderen einidhlägigen Schriften.
Proflamation. Proflamation an die Bürger der Landbezirke
des Kantons Bafel und Appellation an die gejamte freie Eid—
genofjenihaft von der (durch Gutzwiller und Plattner repräjen-
tierten) proviſoriſchen (das heißt zehntägigen) Regierung der Land—
Ihaft Bajel. Getreulih abgedrudt und mit erläuternden Anmer—
tungen verjehen. Bafel bey Tat. Heinr. von Medel. 1831. 0 ©.
in 4%. Die von Gugwiller und Plattner unterzeichnete Erklärung
ift datiert: Aarau, den 19. Januar 1831. — Ebenda. No. 31.
Amneitiegejeg. Das U. datiert vom 8. Februar 1831. Der
Borihlag dazu vom 7. Februar 1831. Cbenda No. 43 und 44.
MWädenihwyl. Ueber dieje Verfammlung, wo der Plan eines
- Shüßenzuges gegen Bajel entitanden war, vgl. Karl Dändliker,
Geſchichte der Schweiz. 2. Aufl. 3, 590. — Weber, Die Revolution
im Kt. Bajel, ©. 49.
3u Brief 10. Berfaffung des Kantons Bajel von 1831
famt Ausführungsgejegen. 30 S. Ebenda No. 48. — Die Berfaffung
war vom Großen Rat am 9., 10. und 11. Februar 1831 und von
der Bürgerfhaft am 28. desjelben Monats angenommen worden.
Bürgermeijter Frey. — Tohann Rudolf Yrey, geb. am 30. Nov.
1781, geit. am 8. Nov. 1859, war Bürgermeifter von 1830—1849.
Bol. Basler Zeitung 1849, No. 84 und 1859 No. 265; Basler
Intelligenzblatt 1849 No. 82; Chrijtliher Volksbote 1859 No. 46.
Tagſatzung. Auszug aus den Protofollen der außerordent-
Iihen eidg. Tagfagung vom 11. und 12. Hornung 1831 über die
Angelegenheiten des Kantons Bajel. Gedrudte Abſchrift. 6 ©. Fol.
Drudichriften II No. 29. Vrgl. au amtlide Sammlung der neuern
eidg. Abjchiede 1,528 Al. VIII und IX.
Zu Brief 11. Inſtruktion. Sie lautete dahin, für die
Basler Injurgenten unbedingte Amneftie und eine nodhmalige Ab-
ftimmung über die im Februar angenommene Berfaflung zu er:
langen. ©. Bernoulli No. 86, ©. 35.
Repräjentanten. Als joldhe haben laut den Unterſchriften auf
den nadjtehend angegebenen Altenftüden fungiert: Konrad von
Muralt, Bürgermeifter von Zürich; Cosmus Heer, Alt-Landammann
von Glarus; ©. I. Sidler, Yandammann von Zug und %. von
Meyenburg, Bürgermeifter von Schaffhaufen.
Die Proflamation der NRepräfentanten vom 24. Auguft und
ihre Proteitation vom 26. Yuguft 1831 in den Drudidriften 1/2,
No. 8 und 9.
Gemeindeprälident von Lieſtal war in den Jahren 183034
Sohannes Holinger, geb. am 29. Nov. 1761, gelt. am 12. Mai 1835.
192
Kampf vom 21. Auguft. Vgl. Bernoulli No. 86, S. 23 ff. —
Meber ©. 78.
Republifaner. Der jchweizeriihe R. Zürich, Geßner, 1830—51.
3u.Brief 12. Berichte der Herren Repräjentanten. Als
ſolche fungierten damals die Herren 3. Zr. von Tiharner und
V. Glutz von Bloßheim. Es Tiegen im ganzen fieben Berichte vor.
Der Haupt: und Schlußbericht an die Tagjakung datiert vom
12. Dez. 1831 (Druckſchriften 1/2 No. 41). Das an Wüeft gefchidte
Cremplar war zweifellos identiſch mit der Broſchüre „Bericht der
eidgenöſſiſchen Repräjentanten im Kanton Bafel, Herren 3. Fr. von
Tſcharner und V. Gluß von Bloßheim, an den hohen Vorort. Bajel,
den 25. November 1831“, in der die vier Berichte vom 31 Dit. und
7. Nov. an die Tagſatzung, vom 17. und 25. Nov. an den Vorort,
der erſte auszugsweije, die andern wörtlich abgedrudt find (Drud-
Ihriften 1/2 No. 39).
Großratsbeihluß. Beſchluß des Großen Raths als Folge der
ftattgehabten Abftimmung über die Trennungsfrage. Gegeben den
6. Dez. 1831 (Drudichriften 1/2 No. 37).
Appenzeller. Appenzeller Zeitung. Trogen, 1828—94.
3u Brief13. Die beiden aargauifhen Tagjagungsgejandten
waren Dr. Karl Bertihinger von Lenzburg und Oberrichter Gregor
Lützelſchwab, diefer geb. am 4. Febr. 1793, geft. am 29, Febr. 1860.
3u Brief 14 Die Gelterfinder Geſchichte. S. Bernoulli
No. 87, ©. 13 ff. — Weber ©. 136.
Schnell. Dr. Karl Schnell, geb. am 14. Juni 1786, geft. am
10. Yebr. 1844. — Vgl. Allgemeine deutſche Biographie 32, 160 ff.
Borort war in den Jahren 1831/32 Quzern.
Bürgermeilter Burdhardt. Karl B., geb. am 19. uni 1795,
geit. am 10. Febr. 1850, feit 1822 vermählt mit Rofina Paravicini
(} 1835), „einer der ſchönſten Baslerinnen“, wie His feinem Freunde
gelegentlich jchreibt, wurde 1832 Bürgermeifter. — Vrgl. Stamm:
tafel IV C; Basler Zeitung 1850 No. 36; Allgem. deutihe Biogra-
phie 3, 574. |
Ratsherr Heusler. Prof. Undreas Heusler, geb. am 8. März
1802, geit. am 11. April 1868. Vrgl. Allgemeine deutihe Biographie
12, 337.
Ratsherr Minder. — Samuel Minder, geb. am 2. Sept. 1782,
geft. am 12. April 1868. ©. „Basler Nachrichten“ vom 15. April
1868, ©. 724.
Zu Brief 15. Polen. Vrgl. N. U. Kubalski, Memoires sur
l’expedition des r&öfugies polonais en Suisse et en Savoie dans les
années 1833/34. Paris 1836. — Kurz geitreift auch von Treitſchke,
Deutihe Geſchichte im 19. Jahrh. 4, 298 und 302.
Frankfurter Empörung. Weber den jämmerliden Putih vom
3. April vgl. Treitſchke, a. a. O. 4, 300 ff.
13 0 13
3u Brief 16. NRippolsau Rippoldsau im Schwarzwald
w. Offenburg.
Satobstal im Kt. Thurgau ſö. Yrauenfeld an der Murg.
3u Brief17. Felix Sarafin, geb. am 7. Oft. 1797, geit. am
21. Sanuar 1862. Vrgl. Geſchichte der Familie Sarafin in Bajel,
2, 23 ff., bei. ©. 57.
CEifenbahn. Die Strede Mülhaufen — St. Ludwig — iden-
tif mit dem im Brief genannten Burglibre — wurde am 25. Oktober
1840 eröffnet. Die Strede Mülhaufen— Straßburg, von der einzelne
Teile zu verjhiedenen Zeiten fertiggeftellt wurden, konnte erſt am
26. März 1844 und die Verlängerung bis Bajel am 13. Juni des-
felben Jahres dem Verkehr übergeben werden. — Vrgl. das Reids-
land Eljak-Lothringen, hrg. vom ftatiltiihden Bureau des Mini—
fteriums für ©.-2., Straßburg 1898 ff. 1, 158.
194
Emil Faeſch, Architekt.
Beb. 15. Juli 1865, geft. 23. Dezember 1935.
Don Sriedrih von Thierfch, München.
Wenn ein Mann in gutem Alter dahingeht, fo ift es
ein Sohn oder ein jüngerer Freund, welcher ihm den Nachruf
widmet. Nun greife ich als älterer Freund zur Feder, nicht
aus Vermeflenbeit, fondern weil ich im Kreis der Freunde
dazu beftimmt worden bin, dem Frühvollendeten ein Wort
der Dankbarkeit nachzurufen. Eine innere Stimme fagt mir
auch: „Du bift es ihm fchuldig.”
Das Wirken Emil Faeſchs wäre würdig, ausführlicher
gefchildert und mit vielen Abbildungen feiner Werke aus-
geftattet zu werden. Denn ein Künftlerleben wird nur der
ganz verftehen, der die Werke des Künftlers fchaut. Das
Dürftige und zögernde Wort bringt nur einen ſchwachen
Erſatz.
Wenn ich nun verſuche, das Lebensbild Emil Faeſchs
zu ſtizzieren, fo wird es in dem Rahmen feiner Zeit und feiner
Umgebung gefchehen müflen. Mit dem reinen Bericht, wird
auch Kritif verbunden fein, fo gefährlich es ift, wenn. ein
Künftler den anderen Eritifiert. Auch an Einfeitigleit muß
diefe Lebensfkizze leiden, da ich dem Verewigten als Lehrer
und Freund nahe geftanden babe.
Nicht die Baufchulen find es, die mit ihrer befonderen
Richtung den Ton der Zeit angeben, fondern einzelnen
Künftlern ift es vorbehalten, durch ihre Werke bahnbrechend
zu wirken.
Bei gemeinfamer Arbeit in der Werfftatt des Meifters
leben die Traditionen weiter. Dort entwidelt fih, wie in
alter Zeit, die Kette der Eünftlerifchen Kultur. Deshalb ift
195 13*
auch die Beſtrebung berechtigt, den Fünftlerifchen Unterricht
an den Hochſchulen wieder auf die Grundlage der Werfftatt-
Arbeit zu ftellen.
Die im Schuße Tiebreicher Eltern glüdlich durchlebte
Augend bildet die Grundlage des Lebens. Auch trägt fie
mehr zur WAusgeftaltung der DPerfönlichkeit bei, als ge—
meiniglich angenommen wird. Das Elternhaus Emil Faeſchs
war von jener fonnigen Wärme und echten Frömmigkeit
durchzogen, in der fich jeder Freund wohl fühlen durfte, zu-
mal wenn er dort einen Anklang an die eigene Heimat ver:
fpürte.. Das Haus beim Spalentor war fo recht ein Bild
des Familienglüds.
Daß man den Fünftlerifeh begabten Sohn, nachdem er
unter Fritz Schider die Gewerbefchule befucht und dort den
Grund zu einem ficheren zeichnerifchen Können gelegt hatte,
in die Lehre zu den in weiten Kreifen befannten Architekten
Viſcher und Zueter in Baſel gab, lag nahe. Auch führte
das freumdfchaftliche Verhältnis zwifchen den Familien
Faeſch und Thierſch und die gemeinfame religidfe Gefinnung
zu dem Wunſch, Emil nah München zu ſchicken. Als mein
Gehilfe im Baubureau war Emil Fäſch bei einer Reihe von
DBauausführungen, fo auch bei der Errichtung des Bern:
heimer Haufes und den Vorarbeiten für den Zuftizpalaft
tätig. In der erften Zeit vermochte er als Hörer an der
tehnifhen Hochſchule feine wiflenfchaftlihen und Fünft-
lerifchen Fähigkeiten zu erweitern, und ich gedenfe jo mancher
anderer junger Schweizer, die vor und nah ihm die Mün-
chener Hochſchule bejucht haben.
Es ift für den Lehrer eine befondere Freude, mit einem
Schüler zu arbeiten, der aus der Praris kommt. Emil Faeſch
war aber zugleich Gehilfe und Freund. Schon in jenen
Seiten zeigte ih) das innere Bleichmaß feiner Eigenfchaften
und der Adel feines Herzens. Wie er mit feinem mufikalifchen
Sinn die Gemütlichkeit des Familienlebens zu erhöhen
wußte, fo war er auch gegen jedermann von Steundlichkeit
1%
und Wohlwollen bejeelt. Die fonnige Wärme feines Ge-
müts, die feltene Reinheit und Treue feines Wefens ge-
wannen jeden, der ihm nahe trat, unmittelbar. Es ging etwas
wie eine anftedende Kraft etbifcher Gefundheit von ihm aus.
Auch in dem Haufe meines Bruders Auguft ging er wie ein
Sohn aus und ein; er wurde den Söhnen dort zum Bruder
und, man darf jagen, zum Erzieher. Hilfreich und erzieherifch
bat er natürlich auch auf feine Freunde und feine weitere
Umgebung gewirkt, und mancher, der jebt um ihn trauert,
ift mit unvergänglicher Dankbarkeit für ihn erfüllt. Co
fchreibt einer feiner nächftftehenden Freunde an mid: „Mir
felbft war er der Freund, den man im Leben nur einmal
findet. Die DBrüde zu einer anderen Welt, ein Stüd der
gütigen Vorfehung Gottes auf dem Wege, der die Menfchen,
die Shm vertrauen, ſchon von weitem Himmelsluft atmen
läßt. Solcher Verluft wird nicht mehr erfegt.”
Ein anderer Freund fchrieb in den Tagen der erften
Trauer an mih: „Ein edler und durch und durch reiner Cha:
rakter ift mitten im Leben abgefnidt und uns weggeholt
worden. Mir gebt diefer Verluft befonders nahe. Mit
fieben Sahren find wir zufammen zur Gemeindefchule ge-
gangen. Mit meinem Bruder, dem Mathematiker, hatten fich
intime Bande geknüpft, fo daß lebterer ihm faft täglich im
Faeſch'ſchen Haus nah der Schule die Aufgaben beforgte.
Emil zeichnete den Fries der Villa Carlotta von Thor:
waldfen jo wunderbar forgfältis, daß es mir immer als ein
Vorbild von feiner Zeichenkunft vorfchwebte. Noch fehe ich
ihn unmittelbar vor feiner Abreife nah München. Er war
der Stolz und die Sonne der ganzen Familie Faeſch, und
unter der einfachen Form wohnte der Ariſtokrat des alten
Geſchlechtes. Iſt doch der Turm von Thann und die Leicht
Losgelöfte Endigung des Martinsturms am Basler Münfter
von einem feiner Vorfahren ausgeführt... . Mit ihm
finft ein fröhlicher, feines Chriftenglaubens ficherer Menſch
ins Grab, der bei feinem Amte als Priefter die ſchwere Auf:
197
gabe, mitten im Berufe ohne übertriebenen Ehrgeiz zu fteben,
vol erfüllte.”
Hier darf ih auch feiner Wirkſamkeit als Geiftlicher
an der apoftolifchen Gemeinde gedenken. Lange Sahre hin-
dureh war er die rechte Hand und der jehr geſchätzte Rat-
geber des leitenden Vorſtehers in Baſel. Für außerhalb
diefer Gemeinden Stehende mag eine foldhe Verbindung des
weltlichen und geiftlihen Berufes etwas Unverftändliches
haben. Es liegt aber im Wefen diefer Gemeinden, daß ein
Teil der Geiftlihen ihren weltlichen Beruf beibehält und
beiden nach Kräften dient. So ift es ja auch bei den erften
riftlihen Gemeinden gewefen. Emil Faeſch, den unbewußt
man auch ſchon im Profanen als eine Art Seelforger achten
muß, der mitzutragen wie felten einer verftand; ihm Tag
eine folche doppelte Wirkfamkeit durchaus nahe. Nicht nur
als Künftler und Erzieher, fondern auch als Menſch und
Chrift war er hilfreich und gut. Ja man darf jagen, in diefer
fpirituellen Seite lag das Geheimnis feiner Kraft. Ohne fie
wäre er nicht halb gewejen, was er war.
Wer einmal in der Lage war, zur Durchführung einer
größeren WUrbeit oder zur Erfüllung feines Berufes eine
Gruppe von Helfern und Mitarbeitern zu einer fändigen
Werkftatt zufammenzufegen, der weiß, wie ſchwer die Aus-
wahl der Perfönlichkeiten ift, und wie leicht durch die Ver—
fchiedenheit der Charaktere und Anſchauungen Störungen in
der gemeinfamen Arbeit eintreten. Da ift es denn ein be:
fonders glüdlicher Umftand, wenn unter den divergierenden
Kräften ein verfühnliches und friedenftiftendes Element fißt.
Diefes war in jenen Zeiten auf meinem Münchener Utelier
Emil Fach. Seine vermittelnde Hilfe habe ich ftets mit
befonderer Dankbarkeit empfunden.
Sn hohem Maße zeigte fich die erzieberifche Gabe, als
er nad feiner Münchener Zeit und einer fie frönenden
Studienreife in Stalien als Leiter des Gewerbemufeums und
als Lehrer der Gewerbefchule in den Dienft feiner Vaterftadt
198
trat und damit eine Stellung übernahm, die der durch das
Münchenfteiner Unglück fo jäh dahingeraffte unvergefliche
Bubeck verwaltet hatte. In folchem Amte galt es nicht nur,
das Penjum des Unterrichtes durchzunehmen, fondern auch
dem Schüler das Fünftlerifche und geiftige Auge zu Öffnen
und ihn der Freude an der Arbeit zuzuführen. Auch dort
bat er fid manche bleibende Dankbarkeit erworben. Sch er-
innere mi 3. DB. eines jungen Mannes, der den Eltern
Sorgen gemacht bat, da er in den Schulen nicht recht anzog
und körperlich zart entwidelt war. Emil Faeſch wußte ihn
mit liebreiher Hand zu nehmen, und es erwachte die Arbeits-
luft, verbunden mit einer befonderen Fünftlerifchen Begabung,
gleich einer wunderfamen Blume Der Lebensweg diefes
Schülers ging von da ab aufwärts. So wird es auch mit
manchem anderen gegangen fein. Die Jugend jpürte es
bald, daß er fie lieb hatte.
Aber nicht nur die Schüler der Gewerbejchule, auch
Lehrer und Direktor haben Emil Faeſch viel zu verdanken
gehabt. In glüdlichfter Weife, von allen als eine Wohltat
empfunden, hat er zwilchen der autofratifhen Natur von
Eduard Spieß und feinen Rollegen vermittelt. Durch feinen
ausgeprägten Gerechtigkeitsſinn, feine ruhige, leidenfchaft:
lihen Smpulfen nicht zugängliche Belonnenbeit, fein Flares
jachlihes Urteil, feine herzlich verföhnliche Art hat er auch
da die fchroffen Gegenfäße vielfach ausgeglichen, zum Zeiten
des Ganzen immer wieder zum Frieden gewirkt. Sm Lauf
der Zahre wuchs noch das ihm eigene Maß von Umficht und
Weisheit, aus der Harmonie feiner inneren Kräfte fih ent-
widelnd, und machte ihn, wohin er fam, zum geborenen Be—
rater feiner Imgebung. Jeder fplirte, wie unbedingt ge-
wiſſenhaft und rechtlich, vor allem wie ſtrenge Faeſch gegen
fich jelbft war. So wandte fih ihm rafch das allgemeine
Bertrauen zu. Don ihm fonnte man wirklich fagen: ein
Mann wie Gold! — unbedingt zuverläffig, befcheiden und
innerlich vornehm zugleich.
199
Zu feinen Verdienften im Schulwefen gehört die Or-
ganifation von Sammlung und Bibliothef des Gewerbe:
mufeums, einer Einrichtung, die bei feiner gewerblichen Schule
fehlen darf und dank welcher der Jugend eine Fülle von Be—
lehrung geboten wird. i
Nicht nur ein gediegener technifcher Zeichenunterricht in
KRonftruftion und Ornament, fondern auch das freie Studium
nad) der Natur in ihrer Form und Farbe, jener Quelle aller
wahren Schönheit, lag ihm am Herzen. Wie wenige konnte
er fih freuen auch an den Eleinften Dingen, dankbar jein
auch für die geringfte Gabe. Unerfchöpflich war feine Freude
gerade an dem, was die Natur uns darbietet im Kleinen wie
im Großen. Auch darin hat er fih eine Findlihe Reinheit
und Srifche der Seele ftets bewahrt.
Es ift fehwer, die Tätigkeit eines praftifchen Architekten
mit wenig Worten zufammenzufaflen.
Sie ift ein Kampf mit den Unvollkommenheiten der
menſchlichen Natur, ſowohl der eigenen als derjenigen der
Bauherrn und der ausführenden Kräfte. Nicht in ruhiger
Zurüdgezogenheit, wie der Maler und Bildhauer, kann fi
der DBaumeifter feiner Kunſt hingeben; er muß hinaus ins
„feindliche Leben" und muß eine Flut von geichäftlichen und
perfönlichen Schwierigkeiten überwinden, um das, was ihm
vorfchwebt, zu verwirklichen. Sm Verhältnis zu diejer ge-
ihäftlichen Laft ift der Anteil der Runft oftmals verzweifelt
gering. Deshalb ift es einem Architelten von Herzen zu
gönnen, wenn er auf dem dornenvollen Wege des friedlichen
Wettkampfes Schließlich die Ausführung feiner Gedanken er-
ringt, und wenn es ihm befchert ift, fih und feiner Heimat
bleibende Denkmäler zu feßen.
Wie im Handelsgebiet Qualität und Preis der Ware
den Ausichlag gibt, fo ift es auch auf dem Gebiet des geiftigen
Wettbewerbes. Auch der Beſte muß fih in die Schranken
wagen und muß ehrlich mitfämpfen, um das irdiſche Kleinod
des Erfolges zu erringen. Rommt der Erfolg nicht fo, wie
200
man fi ihn erjehnt hat, fo gilt es, den Kopf hochzubalten
und fih auf den nächſten „Gang“ zu rüften.
So war es zu allen Seiten, die Großes geleiftet haben.
Man fann es verftehen, daß e8 dem Manne, der fich als
Architekt in feiner Vaterftadt niederließ und dabei mit feinen
Freunden Friedrich Werz und Paul Huber in Wiesbaden
im Bunde ftand, unmöglich wurde, alle die herankommenden
Aufgaben zu bewältigen. So legte er im Zahre 1897 nad)
fünf Sahren feine Arbeit am Gewerbemujeum nieder, bebielt
aber feine Tätigkeit in der Bauformenlehre und in den Fach:
furfen bis an fein Lebensende bei. In gar manchen Be:
amtungen hat er feiner Vaterftadt treu gedient. So war er
neun Jahre hHindurh Mitglied der Runftlommiffion. Welche
Bedeutung fein unermüdliches Schaffen für Baſel und die
Schweiz gewann, die er auf dem Weltkongreß der Architekten
in London 1906 inoffiziell, aber ehrenvoll vertreten durfte,
wird aus der nachfolgenden Schilderung feiner wichtigeren
Entwürfe und ausgeführten Bauten hervorgehen.
Schon im Jahr 1897 beginnen die Studien zur Basler
Rheinbrüde. Die alte Brüde, aus Stein: und Holzpfeilern
mit gerader YUeberdedung beftehend, war unhaltbar geworden,
und jedes Hochwafler gefährdete ihren Beſtand. Nur un-
gern trennte man fi) von dem malerifhen Bild, von den
grauroten, fpignafigen Sandftein-Pfeilern, von dem gotifchen
„Käppeli“, das in der Mitte errichtet war, und den Kalt:
feinfanzeln zur Beſchwerung der hölzernen Strompfeiler.
Aber „gut Ding braucht Weil”. Erft 1905 Eonnte die neue
Brüde eingeweiht werden. Es war auch Feine leichte Sache;
denn die rafchen Wellen des Altvaters Rhein follten in
Baſel zum erftenmal unter eine vollkommen fteinerne Brücke
gezwängt werden. Ohne die rührige Arbeit des Herrn Al—
bert Buß, mit deſſen Firma Emil Faefh noch manchen
anderen Sieg feiern durfte, wäre es wohl auch in diefer Zeit
nicht zu einer Brüdenerneuerung gefommen.
Sch erinnere mich fehr wohl an diefe „Schwergeburt”,
201
deren Einzelheiten nicht hieher gehören; denn es war eine
ganze Gruppe von Ingenieuren und Architekten, die ihr Beſtes
zujammen taten. In diefer gemeinfamen Arbeit liegt ein
Segen. Die Trennung von Ingenieur: und Hochbaufunft
ift eine minderwertige moderne Erfindung. Die beiden Be—
rufe waren früher Eins, und nur die PVielfächerei unferes
Schulwefens hat fie zu Unrecht auseinander geriffen. Die
Entwidlung der Technik bat zu dem Glauben geführt, daß
im Gebiet des Sngenieurbaus die „Runft” Feine Heimat habe.
Das ift längft überwunden, und unfere Zeit fieht ein, daß
jedes Werft menſchlicher Konftruftion Fünftlerifchen Ge:
halt bat.
Nachdem der Gedanke für die Basler Rheinbrüde ein-
mal ducch den Sieg im Wettbewerb Hargeftellt worden war,
tonnte man die Ausführung ohne Sorge den am Orte tätigen
Kräften überlaffen. Mit großer Hingebung bat Faefch die
architektonische Arbeit durchgeführt und fo für feine Vater:
ftadt ein Denkmal von bleibendem Werte fchaffen dürfen.
Vielleicht ift die Wahl des hellen Granites für die Brücke
nicht ganz glüdlich geweien. In Deutjchland find wir ver-
wöhnt durch den grauen Mufchel: und den belleren Donau:
fall. Beide find dem Granit überlegen durch die feinere
Farbe im Alter und durch die malerifhe Wirkung des un-
gleichmäßigen und abwechslungsreichen Kornes der Struktur,
welche uns fchon durch feine Rauhigkeit bei neuen Bauten
ſympathiſch anfprieht. Granit hat das mit Runftftein gemein,
daß er für die „Wärme des Alters” unzugänglich if. Noch
vor dem Ende feiner Arbeit erbaute er auch das Spillmann-
haus am Basler Brückenkopf und feste fo zwiſchen Brücke
und Stadt ein Bindeglied ein, welches fi) in Anlehnung an
beide als ein liebenswürdiger Vermittler darftellt.
Wieviel Unglüd entſtehen kann, wenn fih inmitten der
Altftadt ein neuer Bau in aufdringlihen und unverdauten
Formen rüdfichtslos breit macht, davon kann der ein Lied
fingen, der den Basler Marftplat betritt. Es ift ein Haupt-
202
verdienft der Wendung zur vollstümlichen Kunſt, daß folche
Mißgriffe heute unmdalich find.
Die Gefahr, daß hier am Großbasler Brückenkopf ein
ähnliches Unheil geichähe, war tatfächlich vorhanden. Gie
wurde durch Faeſchs Spillmannhaus glüdlich vermieden.
Sn einfachen, großen und flähigen Formen ift der Bau—
törper fo entwidelt, daß er an die einheimifche Bauweiſe
anklingt und dabei Doch fein Weſen als Neubau und feine
Zugehörigkeit zur Brücke fefthält.
Daß die Baulinienfrage bei derartigen Aufgaben von
der größten künſtleriſchen Wichtigkeit ift, hat wohl bisher
nicht vol zum allgemeinen Verftändnis durchzudringen ver-
mocht. Faeſch war bemüht, auch hier das Richtige zu er-
fämpfen und die GStarrheit der Bauflucht zu überwinden.
Bei der Ausgeftaltung des Spillmannfchen Haufes hat auch
Faeſchs treuer Gebilfe: Faucherre feine Verdienfte.
In München hatte fih Faeſch mit Friedrih Werz aus
MWiesbaden befreundet. Seine Beziehungen zu Paul Huber
gehen in die erfte Schulzeit zurüd. Obwohl verjchieden be-
gabt und aus verfchiedenen Schulen ftammend, fühlten fich
die drei KRünftler zu gemeinfamer Arbeit zu einander hin—
gezogen. Von 1902 ab finden wir Werz und Huber in
Wiesbaden vereinigt, aber Doch noch in manchen Fragen
von Faeſch beeinflußt. Er war e8 eben, der die Gegenfäße
auch hier zu vereinigen wußte und deflen Autorität man fi
gerne fügte.
Sn Gemeinfhaft mit Faeſch und Huber errang Werz
1898 bei dem Wettbewerb für das Wiesbadener Rurhaus
einen Preis. Das Programm für diefen Bau befand fi
damals noch in unreifem Zuftand, da es nicht auf einem ge-
funden Vorprojeft aufgebaut war. Erft als Friedrich Werz
und Paul Huber die Anregung gegeben hatten, eine Wandel-
halle einzufchalten, Eonnte eine Löſung entftehen, zu deren
Ausführung ich fpäter berufen wurde.
Bei den gelungenen Pavillonbauten, die Faeſch am
203
Anfang des neuen Zahrhunderts für feine Vaterftadt aus-
führte, zeigt ih ein offener Sinn für die neueren Runft-
beftrebungen und die Anpaflungsfähigkeit an die Eigentüm:
lichkeiten der Eifenfonftruftion.
Das Trambahnhaus am Barfüßerplas nimmt als ein
Werf moderner Konftruftion weniger Rüdficht auf feine alte
Umgebung, als es möglich gewefen wäre. Aber „rüdfichts-
vol” ift die elektriſche Bahn ſchon an fih nicht, wenn fie mit
eiferner Furche das Herz unferer alten Städte durchquert.
Natürlicher zeigt ih uns der einfache Zirfigtalbahnhof mit
feiner Iuftigen Vorhalle. Aus diefer Zeit ſtammt auch der
hölzerne Mufitpavillon auf der Schützenmatte mit feiner
verfenkbaren Vorderwand. Daß man das Holz als Material
für diefen Bau wählte, hatte auch darin feinen Grund, daß
es der Akuſtik befonders günftig ift.
Im Fahre 1903 trat Faefh mit Hindermann und Mund
zujammen, um mit Erfolg eine Lanze im Basler Bahnhof:
wettbewerb zu brechen. Zunächſt fchien diefer Gang des
Turniers unentfhieden zu fein. Darnach aber waren es
die Basler Architekten E. Faeſch und E. La Roche, die für
die Generaldireftion auf der Grundlage der Faeſch'ſchen Ar—
beit das endailtige Projekt zufammenfchmiedeten und im
Sabre 1904 zur Ausführung brachten.
Der zu früh verftorbene Olbrich war bei jenem Bewerb
mit einem dritten Preife bedacht worden. Seine Arbeit
fand aber gleichwohl an erfter Stelle nah der Meinung
ſolcher Fachleute, die ihren Sinn für die guten Seiten der
neueren Runft nicht verfchloffen haben. Die Schweizerische
Bauzeitung hat feinerzeit den Olbrich'ſchen Wettbewerb-
Entwurf eingehend veröffentliht. Das Basler Bahnhof:
projeft war eine von Olbrichs beften 2Urbeiten.
Mehr und mehr gewinnt die Frage an Berechtigung,
ob es angezeigt ift, unferen Verkehrsbauten, deren Lebens-
dauer bei der ungeahnten Entwidlung des Verkehrsweſens
vecht beſchränkt ift, überhaupt mit einem monumentalen Ur:
204
hitefturgewand zu verſehen. Iſt es nicht richtiger, einem
Haus, in dem der reifende Menih nur wenige Minuten
weilt, die allereinfahften Formen des Nutzbaus zu geben,
wie fie der Flüchtigkeit des neuern Verkehrs entfprechen?
Wenn gleichwohl heute noch architekturftrogende neue Bahn—
höfe entftehen, fo wirkt hier die Eiferfucht der Städte, Staaten
und der Verkehrszentren mit, eine Eiferfucht, die ja, wie
uns die alte Runftgefchichte lehrt, auch manchmal Gutes ber:
vorgebracht bat.
Der Faeſch-La Roche'ſche Basler Bahnhof befteht in
Ehren als eine tüchtige Leiftung. Bei den eifernen Bahn—
bofhallen bat fih Faefch bemüht, in Verbindung mit Buß
der Löfung des Problems folcher Konſtruktionen näherzu-
fommen. Daß es ihm bier nicht ganz gelang, bis zur
äußerften Konſequenz durchzudringen, liegt in der Schwierig-
feit der Sache jelbft.
Sn die Jahre 1905—1906 fällt der IImbau des Haufes
Ab. Buß in der Schügenmattftraße. Trotz aller Schwierig-
keiten löfte Faeſch die unerfreuliche Aufgabe mit gutem Er-
folg. Freier und einheitlicher wäre ein vollftändiger Neu-
bau geworden, was Bauherr und Architekt vielleicht zuletzt
felbft eingefehen haben.
Unendlih mühevoll und vielgeftaltig ift für den Bau—
meifter die Errichtung des Familienwohnhaufes. Jedesmal
liegen die Wünfche des Bauherrn oder der Bauherrin ganz
verfhieden. Das rein Geſchäftliche und Finanzielle über:
wiegt das Snftallatorifche und Wohntechnifche fo ftark, daß
es ſchwer ift, den Fünftlerifchen Anforderungen geredyt zu
werden. Semper hat einmal fehr treffend geſagt: „Wer ein
Haus gerecht beurteilen will, muß den Baumeiſter und den
Bauherrn fragen.“
Gelingt es dem YBaumeifter, den Bauherrn davon zu
überzeugen, daß er allein das Haus gebaut habe, fo hat er,
der Baumeifter, jedenfalls feine Sache gut gemacht.
Wir fehen Emil Faeſch in der Folge mit einer Reihe
205
von Familienbhäufern und Villen befchäftigt, welche einzeln
zu befchreiben bier zu weit führen würde. Soviel darf aber
bier gefagt werden, daß an ihnen jene gejunde und heiß er-
kämpfte Entwidlung zur Einfachheit beobachtet werden kann,
die unferer neuen vielwiffenden Baukunſt bitter not tut. Er:
fcheint ein Werk natürlih und einfach, fo ift es meift ein
Erzeugnis von Selbſtzucht und geiftiger Reife.
Wohl die befanntefte unter Faeſchs Geſchäftsbauten ift
das Bankhaus der Schweizerifhen Kreditanftalt an der
Sreienftraße, das im Jahr 1906 feiner Beftimmung über:
geben werden konnte. Mit Recht bat die Schweizerifche
Bauzeitung in ihren DVlättern eine eingehende Veröffent:
lichung diefes Bauwerkes unternommen.
Den weitgehenden gefchäftlihen Anforderungen der
Bauherrin ift der Architekt hier mit einer vorbildlihen Hin-
gabe an Planbearbeitung und Bauausführung entgegen-
gefommen. Bei der inneren Ausftattung wurde durch die
Wahl echter Materialien und guter Farbenzufammenftellung
mancher wohltuende Effekt erreicht.
Man kann vermuten, daß der Architekt die Hauptfacade
noch einfacher geftaltet haben würde, wenn er den Bau ein
zweitesmal zu machen befommen hätte. Bei dem flarfen
Lichtbedürfnis folcher Gefchäftshäufer gibt es an der Schau:
feite jenen Rampf zwifchen den großen Fenfteröffnungen
und den nad Fläche ringenden Mauerförpern. Rommt nun
noh der Wunfh nach einer vertifalen Lifenengliederung
hinzu, fo entfteht leicht des Guten zu viel. Der Werfftein
ift an fich fchon eine Gewähr für monumentale Wirkung,
und es bedarf nicht viel architeftonifcher Einzelformen, um
das Ganze zu einer ruhigen Wirkung zu bringen. Un den
einfachen, in engen Straßen gelegenen alten Stadthäufern
können die jegt lebenden Architekten immer noch für ihre Auf:
gaben hinzulernen.
Zwei Erfolge auf dem Gebiet des Brückenbaus hatte
Faeſch in der Verbindung mit der Firma Buß in den nächſten
206
Jahren zu verzeichnen: Einmal im Jahre 1909 beim Wett:
bewerb für die Rheinbrüde bei Rheinfelden und dann im
Sabre 1911 bei dem zweiten Wettbewerb für die Loraine-
DBrüde in Bern.
Sm erften Falle war Architekt Franz Habich in Rhein-
felden als Mitarbeiter beigetreten. Der Entwurf errang
einen dritten Preis. Der Strom wird dort von der Inſel
des Burgkaſtells in zwei Arme geteilt, und die neue Brücke
mußte, dem Zug der alten folgend und die Inſel benügend,
im Knick hinübergeführt werden. Bei der notwendigen Flach:
beit der Bogen griff man zur Konftruftion mit armiertem
Beton mit Dreigelenkbogen, eine Auskunft, die heutigen
Tages unvermeidlih ift, und die möglihft viel von der
monumentalen Wirkung der echt gewölbten Steinbrüden in
die Zukunft hinüberrettet. Schade, daß feine Veranlaflung
da war, die Infel mit einem intereflanten Aufbau zu beleben,
welcher ein Gegenftüd zu dem gelungenen Zorbau auf der
" Schweizer Seite hätte abgeben können.
Danfbarer lag die Aufgabe im zweiten Falle. Schon
bei dem erften Wettbewerbe im Jahre 1897 war Faeſch in
Berbindung mit Buß ein zweiter Preis zugefallen. Dem
neuen Entwurf, den E. Faeſch mit den Ingenieuren E. Gub-:
willer und U. Lufler der Firma Buß zufammen bearbeitete,
wurde der erfte Preis zuerkannt: Ein mächtiger, mit 88 m
Stüßweite aus VBetonquadern gewölbter Bogen überfpannt
zwifchen ihren fteilen Talhängen die in der Tiefe braufende
Ware. Der ungefünftelte und große Wurf diefer Arbeit und
die Echtheit des gelenflojen Hauptbogens hat etwas Herz-
erquidendes. Erwünſcht wäre es natürlich, wenn es die
Koften geftatten, überall natürliches Material zu verwenden.
Der Eindrud würde einheitlicher und im Laufe der Zeit
malerifher. Es wäre in hohem Grad erfreulich, wenn der
ſchöne Entwurf, deflen Ausführung nur hinausgeſchoben
wurde, zu Ehren der ION Hauptftadt feine Ver⸗
wirklichung fände.
207
Daß es Faeſch verftand, fih dem Landfchaftsbild der
Stadt Brugg mit dem Bau der Yargauifchen Hypothefen-
banf vortrefflih anzupaflen, zeigt das dort im Jahre 1908
entftandene Bauwerk. Es ift feine anfpruchsvolle und groß-
ftädtifche Löfung, fondern ein angenehmer Gruppenbau, der
dem mit alten Bäumen belebten Plate fih gut einfügt und
mit dem baroden Turm der Fatholifchen Kirche ein gut ver-
träglihes Gefamtbild abgibt. Ein weifes Maßhalten in
der Verwendung der Motive, die Ausdehnung des Sockel—
mauerwerfes al3 Plateinfaffung und die Einrahmung der
Gartenteile machen die Löfung befonders fompathifh. Zwei
Jahre fpäter entftand dort das fchlichte Bezirkskrankenhaus.
Der Hauptbau wird erft dann ganz verftändlich fein, wenn
einmal fein Oftflügel vollends ausgebaut fein wird. Auch
hier liegt der befondere Reiz in der Rnappheit der Programm:
erfüllung und in der liebenswürdigen Zurüdhaltung der
Einzelform. Anſprechend ift auch der eingeſchoſſig angelegte
ebenerdige Abfonderungsbau mit feiner Iuftigen Vorhalle
inmitten des Anftaltsogartens von regelmäßiger Anlage.
Sm Fahre 1910 errang Faeſch den erften Preis für die
Hohbauten des zu erftellenden Kraftwerkes mit Schiff:
Schleufe in Laufenburg gegen deutfche Architekten im engern
Wettbewerb, der von der Deutfch-fhweizerifchen Waſſerbau⸗
oefellichaft ausgeschrieben war. Mit wenigen Aenderungen
wurde der Faeſch'ſche Entwurf der Ausführung zugrunde
gelegt. Im Gegenſatz zum Kraftwerk Augſt-Wyhlen legt
fih Hier die ganze Anlage mit dem Turbinenhaus als eigent-
liche Zalfperre zwifchen das fchweizerifche und badiſche Ufer.
Wohl wurden viele Stimmen laut bei der Niederlegung
der zum Zeil hölzernen gededten Brücke in Laufenburg und
dem Verſchwinden des herrlichen Waflerfpieles der Strom:
fchnellen, die infolge der Stauung des Rheines und eines
befieren Durchflufles geopfert werden mußten. |
Faeſch wußte fi in meifterhafter Weife der land-
ichaftlich fo fchönen Gegend anzupafien, mit fachlicher Ver⸗
208
00T
wendung der gebotenen Materialien für die Hoc: und
Wehrbrüdenbauten. Als Kopf der Anlage jchließt das Tur—
binenhaus mit einem großen fchlichten Turmbau ab, der zu
Berwaltungszweden eingerichtet wurde. Auch das Innere,
im befondern die mächtige Halle mit ihrer vom hoben Stand
der fchweizerifchen Technik zeugenden Maſchinen beweift die
fihere Geftaltungsgabe Faeſchs und fein Verfländnis, Hand
in Hand mit den Ingenieuren zu arbeiten.
Oberhalb der Kraftwerfanlage im ſog. Siechenbyfang
ift mit der Anlage einer Wohnhäufergruppe begonnen worden,
in welcher zwei Direktoren ihr eigenes Heim im Jahre 1913
beziehen Eonnten. Der Reiz diefer beiden einfachen Häufer
liegt in der zweddienlichen Einordnung in unjere heutigen
MWohnungsbedürfniffe. Jedem Gebäude konnte ein groß-
angelegter Garten mit zum Zeil altem Nußbaumbeftand bei-
gegeben werden. |
Sm Bau befindet fih, gemeinfam wiederum mit Buß
& Cie. erftellt, eine ebenfalls große Kraftwerkanlage in Faal
in Steiermarf, die von Faeſchs Mitarbeiter Faucherre aus-
fchlieflich bearbeitet und vollendet wurde.
Die immer mehr fih entwidelnde eleftrifche Induſtrie
rief auch bei dem Kraftwerke in Badiih-Rheinfelden nad
einem eigenen Verwaltungsfiß, der gemeinfam mit Stanz
Habich in den Zahren 1908—1910 erftelt worden ift.
Schon vom fehweizerifchen Rheinufer her präfentiert fich
das Gebäude als eigentliher Gefchäftsbau mit weifer Ver:
teilung von Fenfter- und Mauerfläche und dem großen Man-
fardendache, das die Zeichenrdume aufzunehmen hatte. Der
Eingang und die Vorhalle erhielten eine Verkleidung in
bayriihem Mufchelkallfandftein, der in Ton und Struktur
dem aus der Gegend entnommenen Bruchſtein entfpricht und
ein hbarmonifches Gefüge mit dem Sodel und der Einfriedi-
gung ergibt. Ein dekorativer Pußfries zieht fi um das
Dachgeſims herum und gibt der Anlage eine etwas beiterere
Rote.
209 3“
Sm Innern find anfprehende Wartehallen für das
Publikum, fowie die Bureaur für die Direktion zweddienlich
geſchaffen worden.
Auch bier, wie bei fo vielen Bauten Faeſchs, ift mit
Liebe und Sorgfalt ein Pla dem Kunfthbandwerf, im be:
fondern der Schmiedekunft, eingeräumt worden.
Sm Anihluß an das PVerwaltungsgebäude find einige
Beamteneinzelhäufer erftellt worden, die alle nah Licht und
Luft gut orientiert und zufammen mit dem Hauptbau eine
vorzügliche Baugruppe ergeben.
Als freiftehendes Gefchäftshaus von anmutiger Gliede-
rung darf das Perwaltungsgebäude der Firma Genny in
Ziegelbrüde vom Fahre 1911 angefprochen werden. Wir
begeanen bier wieder der wohldurchdadhten und den geichäft-
lihen Anfprüchen gerecht werdenden Anordnung im Inneren,
welcher die äußere Baugeftalt fcheinbar mühelos entipringt.
Auch ift mit der einzelnen Bauform haushälterifch verfahren,
was nicht verhindert hat, das Innere in gediegener Aus—
fattung durchzuführen. Auch dort verbindet fih Faeſchs
Kunſt mit der feines langjährigen und hervorragenden Ge-
bilfen Faucherre. Als angefchmiegter Seitenbau von Heinen
Abmeſſungen fchließt ih das Pförtnerhaus an das Haupt—
gebäude an. Bei diefer engen Verwachſung ift die Ver—
fhiedenheit des Maßſtabes glüdlich überwunden, und ge-
wiſſe Aehnlichkeiten treten zutage, wie wir fie in der Natur
zwifhen Mutter und Rind beobachten.
Ueberall wird man es ja nicht verteidigen können, daß
der Zwed der Innenräume fi auch im Außenbau klar aus:
drüden fol. Bei Wohn: und Geſchäftshäuſern ift, von dieſem
Gefichtspunft aus betrachtet, die Mannigfaltigfeit der Typen
fehbr groß. Dauernd werden jedoch vorwiegend folche Lö—
jungen befriedigen, bei denen es gelingt, Die Gefamtheit der
inneren Bedürfniffe und der einfachen parallel:epipedifchen
Geftalt der Baukörper mit einem ebenfo einfachen Dach zu
verbinden. Der gefunde Zug unferer Zeit räumt auch mit
210
der „Vieldächerei”, d. b. mit der Anwendung vielgeftaltiger
und umftändlicher Dachbildungen an ein und demſelben
Bau auf.
Wie vornehm und wohltuend eine Rompofition folch
einfacher Art auf den Befchauer wirkt, läßt fih an dem in
den lebten Zahren entftandenen Neubau der Schweizerischen
Rüdverfiherungsgejelihaft in Zürich erkennen. Die Fünft-
lerifhen Verdienfte diefer Arbeit, an der Faeſch mehr nad
der praftifchen Seite mitzuwirken berufen war, find dem
Zürcher Architekten von Senger zuzufchreiben. Es entzieht
fih meiner Beurteilung, wie weit bei diefer gemeinfamen
Arbeit die geiftige Machtiphäre des Einzelnen gegangen ift.
Emil Faeſch hatte bei dem erften Wettbewerb für das
Basler Runftmufeum als Preisrichter mitgewirft. Nach:
dem fich die Regierung entichloflen hatte, den Neubau auf
die Schüßenmatte zu ftellen, war im Jahr 1914 ein neuer
Wettbewerb ausgejchrieben worden, an dem fih Faeſch noch
mit voller Kraft beteiligte. Ein erfter Preis fam nicht zur
Verteilung; fein Entwurf wurde aber, wie derjenige Ber—
noullis, mit einem Preije im erften Range ausgezeichnet.
Man flaunt über die Verfchiedenartigkeit der Löfung zwifchen
den erftprämierten und den anderen preisgefrönten Ent:
würfen und kommt bald zu der Meinung, daß es die Srei-
beit der Situation auf der geräumigen Ochligenmatte war,
aus der fich diefes Refultat erflärt. Wenn Faeſchs Arbeit
im Aeußern mehr den Charakter der Spätrenaiflance an fich
trug, fo finden wir in Bernoullis Arbeit mehr einen Haffi-
ziſtiſchen Wurf. Die beiden Erftprämierten wurden ver-
anlaßt, unter VBerüdfihtigung gewiffer Wünfche der Runft-
fommiffion ihre Entwürfe umzuarbeiten. Die Wahl fiel
dann auf Bernoulli, und Faeſch erlebte den Schmerz, zu
unterliegen.
Die Rämpfe um den Basler Mufeumsbau haben mit
Faeſchs letter Erkrankung nichts zu tun. Es war ein or-
ganiſches Leiden, welches feinem Leben ein leider allzu frühes
211 14°
Ziel ſetzte. Eine Perbitterung trat bei Faeſch nicht ein.
Die göttliche Vorſehung erhielt ihm feine Freudigkeit und
fein Wohlmwollen bis an das Ende.
Allzu früh abgebrochen erfcheint ung der Lebenslauf
unferes Emil Faeſch, jäh zerriffen das Glüd feines vorbildlich
barmonifchen Familienlebens; denn mitten in feiner beiten
Kraft ging er dahin, beweint von allen, denen er in welt-
lihen und geiftlihen Fragen fo viel hatte ſchenken fünnen.
Ueberbliden wir die Summe feiner Arbeit, fo liegt ein
reiches und glüdliches Leben vor ung. Daß er, der Tradition
der alteingefefienen Familie und einem befonderen Wunfche
feines alten Waters entiprechend, gerade feiner Vaterftadt
und feinem Vaterland die Hauptkraft feiner Arbeit und feines
Lebens widmen durfte, hat ihn immer mit Freude und ge-
rehtem Stolz erfüllt. Auf diefer feiner Tätigkeit in der
alten Heimat lag ein befonderer Segen. Baſel hat in ihm
zweifellos einen feiner allertreueften und beften Söhne ver:
loren.
212
Aus den Aufzeichnungen
des Lohnherrn Jakob Mieyer.
670-1673.
Don Sris Baur,
Dr Lohndherr Jakob Meyer ift kein Un—
befanntr. Fritz Burckhardt Hat von ihm in feiner
Arbeit über Pläne und Karten des Baſelgebiets (Basl.
Zeitfehr. V, 306 ff.) ausführlich gehandelt, indem er feine und
feines Sohnes Georg Friedrih Tätigkeit auf dem Gebiet
der Landesvermeflung erörterte. Weiter bringt das Yurgen:
werk von Walter Merz eine ganze Reihe von Zeich-
nungen feiner Hand, beitimmt, bei der Fartographifchen
Wiedergabe des Bafelbiets als Materialien zu dienen. Es
find flüchtige Skizzen, nicht zu vergleichen mit den forafältig
ausgeführten Heinen Zeichnungen des eben genannten
Sohnes und Gehilfen Georg Friedrih, die man gleichfalls
im Burgenbudh findet.
Den bei Burdhardt abgedrudten Perfonalien if
zu entnehmen, daß Jakob Meyer am 21. Auguſt 1614 in
Baſel geboren wurde. Er ftudierte einige Zeit Theologie;
während eines Aufenthaltes im Ausland machte er in der
Rechen-, der Abmeſſen- und der Fortififation-Runft „treff:
liche Progrefius". Dann wirkte er 1641—1659 als Schul:
lehrer zu Barfüßern. Nachdem ihm ſchon 1659 die Schaff:
neien zu St. Martin und zu Auguftinern waren anvertraut
worden, verwaltete er von 1668 an das wichtige Lohnamt.
Er hat eine Menge von Plänen und Aufnahmen, viele da-
von gemeinfam mit feinem Sohn, ausgeführt, auch eine
Reihe von mathematifchen Lehrbüchern herausgegeben.
Bon diefen Werken, foweit fie noch vorhanden find, hat
Fritz Burckhardt am angeführten Ort ein Verzeichnis ge-
213
geben. Meyer ftarb am 21. Zuni 1678, 63 Jahre und
10 Monate alt.
Durch Zufall find in meine Hand fünf Kalender ge-
fommen, die die täglihben Aufzeihnungen
Meyers aus den Jahren 1670—1674 enthalten. Es
find Ddiefelben Kalender, die heutzutage noch unfere Haus:
frauen benüßgen, wenn fie vor Neujahr Wäfcherin und
Glätterin eintragen. Zu diefem Zweck läßt der Kalender
eine halbe Kolumne neben dem Kalendarium frei. Außer—
dem bat Meyer die von ihm benüßten Hefte mit ftarfem,
feftem Handpapier durchſchoſſen. Auf jener freigelaflenen
Kolumne und auf diefen Durchfchußblättern fteben Die
Notizen. Im allgemeinen enthalten die oroßen weißen
Seiten die längern zufammenhängenden Abfchnitte, während
die engern Spalten Fürzeren ftichwortartigen Aufzeichnungen
vorbehalten find. Verbreiten jene fich über alle möglichen An-
gelegenheiten, jo betreffen diefe meift Dinge hauswirtfchaft:
licher Natur, wie den Bezug der VBefoldung, Zinszahlungen,
Kauf von Heu, Stroh und Holz, Gevatterfchaften u. drgl.
Zreilich nennen die Kalender nirgends Meyers Namen.
Ein Zweifel ift aber ausgefchloflen. Denn die Aufzeich-
nungen bandeln zum größten Zeil von den amtlichen
Dbliegenheiten der Lohnberren. Der in den Kalendern
regelmäßig erwähnte Geburtstag des Ochreibers, Die
Nennung feiner Verwandten und andere Anzeichen laflen
feine andere Autorfchaft zu als die Meyers.
Als Meyer die Eintragungen in feinem Hausfalender
aufzeichnete, da ahnte er nicht, daß ein PVierteljahrtaufend
fpäter ein Basler Jahrbuch fi damit beichäftigen werde.
Aber gerade das macht ihren Wert aus. Gerade weil er fie
nur für fich felber, vielleicht noch für die Augen feiner Kinder
beftimmt bat, gab er fich darin ganz wie er war, redete er
frifeh von der Leber weg über das, was ihn bewegte, und
läßt uns damit Eoftbare Ylide tun in das gewöhnliche Leben
unferer Vorfahren. Es ift nicht ein zufammenhängendes
214
Gemälde, das er uns entrollt. Vielmehr find es einzelne
Heine Bildchen, ohne große Anfprüche für den Hausgebrauch
gezeichnet, oft, leider nur zu oft, unvollendet. Denn wie
häufig findet fih in den Notizen eine unausgefüllte Lüde,
ift von irgend einem Ereignis der Anfang erzählt, und die
Folge bleibt uns der GErzähler ſchuldig. Uber dennoch
werden die Gaflen und die Häufer unferer alten Stadt
lebendig durch das, was die vergilbten Blätter melden; der
Lefer wird berumgeführt auf den Bauplätzen, er begleitet
den Schreiber bei feinen amtlichen Gängen und Ritten über
Land, er hört feine Klagen über den Verdruß, den er mit
läftigen Untergebenen und mit fäumigen Lieferanten hatte,
er vernimmt das Urteil über abgeftorbene Mitbürger und die
Erzählung von allem, was die Bürgerſchaft fih aus der
Nähe und aus der Ferne erzählt, er nimmt teil an Freud
und Leid in der Familie, am Ochweinemeggen und am
Herbftvergnügen, an Hochzeit und an Todestrauer.
Neue Tatſachen erfährt man nicht aus den Kalendern.
Sie verbreiten fein neues Licht über dunkle Zeiten in der
Gefhichte unferer Vaterſtadt. So ift auch der Zweck der
nachfolgenden Blätter nur, einen befcheidenen kulturgeſchicht⸗
lichen Beitrag zu liefern zum täglichen Leben eines Bürgers
und Beamten aus dem baslerifhen Mittelftand in der Zeit
des ausgehenden 17. Zahrhunderts.
: Weyer als Beamter.
Die beruflihe Stellung Jakob Meyers läßt
ſich in unfer 20. Zahrhundert nicht Leicht überfegen. Am
ebeften möchte man die Aufgaben des Lohnherrn mit denen
des Rantonsbaumeifters vergleichen, und zwar des Kantons:
baumeifters für Hoch- und für Tiefbau. Zugleich macht der
Lohnherr den Materialverwalter und den Sachverftändigen
für alle baulichen Angelegenheiten; auch für forftliche Fragen
ift er der Vertrauensmann feiner Gnädigen Herrn. Dies
hindert nicht, daß er gelegentlich auf längere Zeit im Auf—
215
trage des Gouverneurs des Elfafles, des Herzogs von
Mazarin, arbeitet. Enge gefchäftlihe Beziehungen unter:
hält er auch mit dem markgräflich badifhen Hof. Ob es,
fireng genommen, zu dem Amte des Lohnherrn gehörte, auch
für das Leeren der obrigfeitlichen Fiſchweiher zu forgen,
einen gefährlich gewordenen Hirſch im Stadtgraben abtun
zu laflen, bei Ausfahrten der Herren Häupter zu Bauten in
der Umgegend an die notwendige Collation zu denfen, mag
dahingeftellt bleiben.
Bor allem gibt der Rhein dem Lohnamt viel Arbeit.
Gleich auf dem erften Blatt wird ein durch plößliches Tau—
wetter in den erften Sanuartagen 1670 berporgerufener
ſchwerer Eisgang verzeichnet. Da „treibt das gelöfte Eis
große Stüde und Schämel wider die Zoch, alfo daß ich fie
in der Nacht mußt befchweren laflen. Gegen Tag führte es
ung die Henfi hinweg, und fahren gegen 200 Klafter buchen
Holz, denen von DBreitenbah gehörig, den Rhein ab.
Mußten in 3 Näht wachen, und war die Not mädtig
groß; warn es an ein Zoch angieng, erfchallt die ganze
Bruck, litten doch an unferem Rheinthorgebäu feinen
Schaden. Den 13. ließ ich die Henki wieder fchlagen. War
den 10. mit den 9. Häuptern auf dem Augenfchein an der
Zirs. Der neue Birsgraben litt keinen fonderlichen
Schaden.”!)
Wie noch heute benüstte man die Seit der Kälte und
des niedrigen Waflerftandes zu den Waflerbauten. So
wird im Winter 1670/71 „am Rheinthor ftark gearbeitet.”
Sn den Wintern von 1671—1674 find eingreifende Bauten
1) Die Orthographie der Anführungen aus Meyers Kalender
wurde der überflüjligen Konjonanten- und Vokalanhäufungen, die
den Text für unjer Auge fchwerfällig machen, entfleidvet und der
jegt üblichen Rechtſchreibung nah) Möglichteit angenäbert.
Die Henki ift der Ort, wo die Holzflöße am Ufer felt-
gebunden, angehängt wurden. Es waren dort nur jehr wenige und
flüchtige ftändige Einrichtungen getroffen. Die Henki an der Birs,
auf deren linfem Ufer oberhalb des Wuhres der Neuen Welt, wurde
für jeden Floß befonders geichlagen.
216
an der Brücke im Gang. Es handelte fi um größere Aus:
befferungen an den erften Sochen vom Rheintor an gezählt.
Nach der alten Methode baute man Waflerftuben, die leer:
gepumpt wurden. Da ging’s nicht ohne Unfälle ad. Zum
Dezember 1671 wird berichtet: „Den 13. befam der Werk:
meifter ... . . ein Loch in den Kopf, und den 20. Sjac
Merdli der Wagner, fo bei dem Fuhrrad geftanden und
der Fallen nicht recht wahrgenommen, ward durch das Geil
erwijcht, unter das Rad gezogen und das eine Dein ent:
zwei, am anderen aber der Knoden auseinander gezogen.“
Da „Sonn: und Feiertag wie auch zur Nacht ftark gefchafft“
wurde, fo Eonnte Meyer zum 17. Sanuar 1672 verzeichnen,
daß man angefangen habe, das vierte Zoch zu fchlagen. Im
Dezember 1672, im folgenden Winter ging’s dann an das
zweite Joch vom Rheintor an, das Birsjoch genannt. Noch
im nämlichen Monat wurde das Werk vollendet, „Dabei Fein
ander Unglüd gefchab, als daß der Bruckenknecht von einer
Leiteren im Schlagwerk herabfiel, fodann den andern Tag
hernach eine Magd im Vergaffen mit einem Fledling über die
Bruck herunter fiel, doch Gottlob beiderfeits ohne Schaden.“
Neben der Arbeit an der Brücke gehen durchgreifende
Ausbeflerungen am benahbarten Salzhaufe ber. Am
19. Dezember 1671 hatten die Bauherren einen Augenjchein
an diefem prefthaften Gebäu vorgenommen, worauf der Rat
erfannte, „Daß folches unverzogenlich fol gebaut und ver:
beflert werden. Das Rheintor aber, fo weit gefährlicher,
follt bis der Rhein Heiner worden und unterdef die Werf-
meifter von Colmar, Rheinfelden und Mülbaufen befchidt,
und auch ihr Gutachten darüber angehört, verfchoben fein”.
Die Arbeit vom vorigen Winter, die dem Rheintor gegolten
hatte, war alfo offenbar nicht befonders dauerhaft ausgefallen.
Am 26. Dezember trafen die Sachverftändigen aus den Nach:
barftädten ein und übergaben am 28. den Herren Häuptern
und Bauherren ihr „Bedenken“; Meyer verfaßte darüber
einen „Abriß“, der noch am 30. für Rat fam. Zum Januar
217
1672 meldet das Tagebuch weiter: „Deren im vorigen Jahr
End Decembris fremden Werfmeiftern gegebenen Mei-
nungen werden von U. G. Herren theils placitiert, theils
aber als nichtig aus der Acht gelaſſen. Sie unterdefien, der
von Colmar mit 15, der von Mülbaufen mit 6, und der von
Rheinfelden mit 4 Thalern befchenft und aus dem Wirts-
haus gelöf. 17 E. Mir inzwifchen befohlen, daß ich mit
guter Refolution das Werf angreifen und mit mehreren Ur:
beitern continuieren ſollte. So auch mit der Hilf Gottes
und gutem Wetter befchehen, maßen wir den 10. diß mit
4 Gefhiht Quaderen unter dem Rheintor dem Rhein und
Wafler entrunnen.” Zu Anfang Hornung kann Meyer
melden: „Noch vor WUenderung des Wetters, ward das
vierte Zoch gefchlagen, bandet und verbürgt. Sodann auch
die neue Dohlen vom Ropf an bis zum Rheinthor verfertiat
und befchloflen.”
Ende 1674 taucht das Rheintor wieder auf, und zwar
handelte es fih um die Einrihtung einer Wachtftube,
während gleichzeitig drei Joche ausgeflidt, eine eingefallene
Mauer bei der Bärenhaut?) wieder aufgerichtet und Die
Baar?) ausgebaut wurde. Auch diefe Baar fcheint ein
befonderes Sorgenfind des Lohnberrn geweſen zu fein. Im
Dezember 1672 wurde fie „geichliffen, höher und eingezogener
gemauert und beiderfeits Gräben gemacht”; noch Anfang Fe:
bruar 1673 war man an der Urbeit. Nachdem am 2. die
Herren Häupter „auf St. Peters Pla gefahren und dem
Erercitio zugefehen, welches feit etwas Zeits hero in 80 von
ihren Unterthanen mit der musqueten und piquen erlernet,
und fie ihnen, weilen fie fi wohl verhalten, Wein und Brot
verehreten, und fie hernach dimittiert hatten”, fahren fie „von
dar Über Rhein zur der Var, allda wir im Bauen begriffen”.
2) Bärenhaut: Gefängnis beim St. Alban-Schwibbogen.
8) Die Baar nannte man eine oberhalb der Kartaus in den
Rhein gebaute Mauer, die dazu dienen jollte, Die Strömung nad) der
Großbasler Seite hinüberzudrängen. Jedenfalls jollte fie au) das
Eindringen von geinden erjchweren.
218
Meyer hat aber auch die Mühe mit der Leitung folcher
Bauarbeiten nicht umfonft getan. Mit Genugtuung ver:
zeichnet er zum September 1672: „Unſere Gnädige Herren die
HH. Häupter, nachdeme fie Ihnen zu Gemüt führen laſſen
die vergangenen Winter an dem Rhein von ung zugebrachte
Naht und Sonntags Sorg und Mühe, haben fie folches zu
©. angefehen und mir dafür verehrten laflen ein doppelten
Dukaten und zween Saum Wein, dem Baufchreiber und.
beiden Werfmeiftern jedem 1 Dufaten und 1 Saum Wein.”
Mit dem Münfter befaffen fih die Aufzeichnungen des
Lohnherrn nit. Es befand fich Damals in gutem baulichem
Zuftand. Auch von Bauarbeiten an andern ftädtifchen
Kirchen verlautet nichts. Dagegen gab die Erweiterung des
Kirhleins zu St. Margarethen im Frühjahr und
Sommer 1673 viel Urbeit. Es hängten fih daran allerlei
Streitigkeiten mit dem damaligen Beſitzer des Guts, Franz
Henzgi, die der Lohnherr auszufechten hatte. Aehnlich mußte
Meyer mit den widerhaarigen Sohanniterrittern verhandeln,
als beim „SKlofter” eine Stützmauer in den Rhein rutjchte
und der Orden fi) weigerte, die Herftellungskoften zu tragen.
Henzgi, der Gutsbefiger zu St. Margarethen, erjcheint in
unfern Notizen als ein ftarrföpfiger Prozeßnidel und ein
ſchlimmer Schwäßer, deſſen böfe Zunge fogar U. Gn. H9.
die Herren Häupter „ganz ſchimpflich“ behandelt, worauf
„ein Ehrf. Rat erkannt, daß Henzgi Gott und die Obrigfeit
um Verzeihung beten, Er aber ehr- und wehrlos gemacht fein
folle”. Der Bau der Kirche wurde vollendet, und „Sonn-
tags den 30. November ward die neu erweiterte Kirch zu
St. Margarethen duch Hrn. Werenfels den neuen Pfarrer
in Gegenwart vielen Volks eingeweihet und das erſte Mal
wieder darin geprediget". Noch ſeien hier die wiederholten
Ritte und Fahrten nach Benken um die Jahreswende 1673
bis 1674 erwähnt, die mit dem Aufzug eines neuen Pfarrers
und dem mißlichen baulichen Zuftand des dortigen Pfarr:
haufes zufammenbhingen.
219
Es ift nicht möglich, mit gleicher Ausführlichkeit Meyers
geſamte amtliche Tätigkeit zu verfolgen. In allen mit dem
Baumwefen nur irgendwie zufammenhängenden Fragen fritt
er wie natürlih als der vornehmfte Berater feiner Vor:
gefeßten auf. So auch bei den Stadtbefeftigungen.
Daß er in der Fortifilationskunft über gute Kenntniſſe ver-
fügte, heben die Perfonalien hervor. So find denn auch
über diefe Angelegenheiten Gutachten und Vorſchläge von
ihm nicht felten. Er leitet die von aus der Landfchaft her-
fommandierten Bauern „fronsweis" ausgeführten Ausbefle:
rungen an den Befeftigungen des St. Johanntors. Don
ihm dürfte auch nah Frig YurdhardtS Vermutung ftammen
der „Brundriß eines Baftions zwifchen Riehemer und Bläſi—
tor, außerhalb dem Stadtgraben an dem Zwinger gelegen,
famt unvorgreiflihen Bedenken, wie ein folches wieder re:
pariert und in Defenfion gebracht werden Eünnte”, das im
Staatsarhiv aufbewahrt wird. Wohl nahmen die Herren
Häupter oft und viel an den Vefeftigungen Augenfcheine und
fonftige Befuche vor. Im allgemeinen dürften Meyers Vor-
ihläge angenommen worden fein. Wo es nicht geſchieht,
hebt er es befonders hervor. So zum Zuni 1674, als die
Herren Häupter und die Bauherren wegen Beſchließung der
Schanzen hinter dem Drabtzug jenfeit Rheins auf dem
Augenſchein geweſen. Da bemerkt er: „Hier mußte fich die
beſſere Meinung leiden.”
Bon dieſen fortififatoriihen zu eigentlihd militä-
rifhen Ratfhlägen ift nur noch ein Schritt. Auch
ihn taten die gnädigen Herren, als 1673 und 1674 die Kriegs:
unruben unfrer Stadt immer näher rüdten. Am 13. Januar
1674 waren in der Nacht „in 500 Raiferifche von Rheinfelden
in 3 Schiffen bis an die Birs gefahren. Die geben famt
50 Reitern, fo zu St. Jakob durchkommen, ſtill durch das
Bistum in Burgund”. Diefe Neutralitätsverlegung ver-
anlaßte die Obrigkeit, von Meyer einen „Abriß“ tiber die
Angelegenheit zu fordern, den er am 27. desfelben Monats
220
einreicht. Zur Aufftellung der Stüde auf den Befeftigungen
hat der Lohnberr feine Anficht zu geben und den Probe:
Ihießen mit neuen Gefchügen beizumohnen.
Ihm unterfieht das Brunnenwerk der ganzen
Stadt. Er hat die Quellen hinter dem Holee faflen und in
die Stadt führen lafien, den Markgräfifchen Hof hat er mit
Wafler verforgt, im Auguft und September 1674 ift er mit
einigen Herren des Rats „zu den Hofbrünnen gangen, felbige
pifitiert und insgemein mit einem eingelötheten Bürlein ge-
ring gemacht, ohne Anfehen einiger Perfon”. Ein ander
Mal notiert er, er habe zugunften des beim Urbansbrunnen
wohnenden Schreiners Würt „eine Mußerbs groß vom Ab—
wafler in feine Behaufung zu leiten” erlangt, wofür der Be—
dachte jährlich dem Ladenamt 5 B. abrichten fol.
Oftmals trifft man Meyern ander Birs bei St. Ja—
kob und auf der Neuen Welt. WUugenfcheinlich erforderte
das Wuhr viel Aufmerkfamkeit und beftändige Arbeit. Zu:
dem waren auf den dortigen Wiefen in den Niederungen des
noch nicht Forrigierten Fluffes oft Anftände zwifchen Eigen:
tümern und Pächtern zu fjchlichten, bei denen die Hilfe eines
erfahrenen Geometers von befonderm Werte war. Ebenſo
hat er die drei Wuhren der Ergolz ob Auaft zu befuchen,
mit den Wäflerungsverbältniflen an der Wiefe fich zu be-
fallen, als bei anhaltendem Regen ih im Schlipf eine Rut-
hung einftellt, „Das verfchwellte Waſſer abaraben” zu laſſen,
und der ſchadhafte Einlauf des Baches in der Kleinen Stadt
wird auf feine Anordnung „verküttet”. Für das Abfchlagen
der Teiche hat er zu forgen, wie er auch das Austreten
des einen diefer Waflerläufe erwähnt.
Häufig ift in den vorliegenden Vlättern von der Holz
flößerei auf der Birs die Rede. Wir kennen den Drau
niht nur aus Wurftifen, fondern noch aus der bedeutend
jpätern 3eit Bruckners. Der Lohnherr hatte von jedem
Floß eine Kompetenz von 2 KRlaftern zu beanfpruchen. Da-
für mag er bei der Henki Auslagen gehabt haben, namentlich
221
wenn ein Mitalied der Obrigfeit geruhte, als fein Gaft dem
Anlaß beizumohnen. Gegen Ende 1674 gelangt er wegen
des Junkers von Zwingen und defien „unverfchämter Flöße—
rei” für Rat. Aber er wurde angewiefen, „Diskretion zu
brauchen”, was wohl auch mit den damaligen unrubigen Zeit:
läuften zufammenhing, die den Eidgenoflen Einigkeit nahe
legte. Meyer aber mißbilligt diefe „zum Schaden U. Gn.
HH." ihm vorgezeichnete Marfchroute.
Der Aufficht des Lohnherrn unterftanden die Land-
vooteifhlöffer auf der Landfchaft. Zwei Stellen aus
dem Tagebuch Meyers reden von den WUusflügen, die er
1673 mit feinem Sohne Friedrih nah Ramftein und Hom—
burg unternahm; das prefthafte Schloß Homburg verdang er
zur Verbeflerung dem Johann Studer aus St. Gerold und
defien Gefpanen zu 240 w, 7 Pierzel Korn und 4 Saum
Wein. In Ramftein verdingt er andern Tages zwei ab-
gebrannte Mauern abzubrechen. Zwei Monate fpäter wurden
die Arbeiten befichtigt und gutgeheißen. Meyer gibt die Reife-
route an. Um Abend des 14. Zuni ritt er mit feinem Sohn
nach Seewen, von da am 15. früh nah Ramſtein; am Nach:
mittag wurde der Ritt fortgefeßt nah Höllftein, am Abend
„gen Bukten im Donnerwetter”; der 16. fieht die Reifenden
in Homburg; das Mittageflen nahmen fie beim Pfarrherrn
in Läufelfingen und fehrten am Abend in Vegleit des Land:
vogts Senn nah Bafel zurüd. Merz erwähnt in feinem
Burgenwerf in der Tat die Ausbeflerungen am Schloß Ram:
ftein 1673/74, und von Homburg heißt es, es fei in diefer
Zeit beftändig daran herumgeflickt worden.
Meyer war vermöge feiner Kenntniſſe und Fähigkeiten
auch ganz der Mann, bei Grenzbereinigungenund
Landvermeffungen mitzuwirken. Bald erledigt er
mit dem Junker Obervogt des Biſchofs auf dem Bruderholz
derartige Gefchäfte, bald überwacht er, wie ein dem Wafler-
Inecht in der Neuen Welt überlaflenes Gut von einem E.
Geſcheid von Münchenftein mit acht Marchiteinen ausgefteint
222
wird, bald hilft er mit Deputat Hagenbach, dem Landvogt
von Riehen, zwiſchen Riehen und Grenzach Herrlichkeititeine
verfegen, wobei der Junker von Bärenfels anweſend war.
Sm Mai 1673 reitet er mit Oberftzunftmeifter Burckhardt
und dem Dreierherrn DBurdhardt famt dem Ratsherrn
Hebelin auf den Sonnenberg bei Maiſprach, um mit den
kaiſerlichen Deputierten, dem Freiherrn von Wydenbach,
dem Dr. Sommervogel, Rommiflari von Greiburg, dem
Amtmann Hug und dem Einnehmer von Rheinfelden eine
Streitigfeit zu erledigen. Die Sache wurde „mit ziem-
lichem Perlurft und Nachgeben“ zu Möhlin verglichen.
Aber zwei Jahre fpäter lebt fie wieder auf. Anfang No—
vember 1674 trifft man den Lohnheren mit feinem Sohn
Georg Friedrih, fowie Herrin Chriftoph Burdhardt dem
Dreierherrn, Herrn Landvoat Spoͤrlin und dem Stadt—
ichreiber von Lieftal auf der Farnsburge. Am 9. verfügte man
fih auf den Sonnenberg; da traf man von öſterreichiſcher
Seite an Herrn Baron von Grammont, den neuen Oberamt-
mann von Rheinfelden und den Einnehmer. „Nach langem
Konzertieren find vier Herrlichkeitfteine geſetzt worden.
Abends famen wir auf den Schönenberg, und weilen Wider:
part den anno 72 gemachten Vergleih nicht wollte gelten
laflen, ward die Sad) ad referendum genommen und unfer-
feitS wider den Verlauf am Sonnenberg proteftiert. Nachts
ritten wir nach Meli, wurden wohl traftiert. Den 10. nad
Ausft und gegen Abend nad) Haus.“
Soll ein Haus in Kleinhüningen vermietet werden, fo
muß der Lohnberr dabei fein. Für den Neubau der langen
Stegen zu St. Martin hat er zu forgen. Kommen Romd-
dianten in die Stadt, fo wenden fie fi an ihn wegen des
Baues einer „großen Brügin und hohen Stägen” im Ballen—
haus. Bei einer Ausfahrt der Herren Häupter zu dem durch-
gebrochenen Holeegraben und dem Einfall eines Mauer:
ftüdes am Binninger Schuß, zum Augenfchein eines farken
Gritts in Hrn. v. Salis Matten, dann nah: St. Jakob zu
223
der neugereuteten Matte und endlih in die Neue Welt
wurde Meyern befohlen, eine Rollation zubereiten zu laflen.
Die Herren waren, wie er mit Befriedigung bemerkt, „Tehr
guter Dinge, und bezahlte Hr. Oberftzunftmeifter Burdhardt
hiefür 3 Thlr. famt dem Wein”. Und wie ein andermal die
Herren Häupter und die Dreierherren auf dem Riehenfeld
fifhen ließen, da erhielt ihr Vertrauensmann den Auftrag,
ihnen eine gute Mahlzeit zuzurüften, „welche fie in der er:
größten Hütten fröhlich genoflen”. Aehnlich wurde nach einer
Befihtigung der Schanzen und des Paſſes bei St. Jakob
abends in der Neuen Welt eine „geringe Kollation” ein-
genommen. Ind als die Herren wieder einmal den untern
Weiher auf Riehener Feld filchen ließen, da Iuden fie dazu
den Kapitän von der Basler Rompagnie Stupa, der damals
Generalflommiffär für franzöffihe Werbungen in der
Schweiz war. Meyer erzählt: „Er wird neben feiner Ge:
mahlin und feiner Rameradin zu Rieben in Herrin Bürger:
meifter Rrugen Hof?) traftiert. Dies Frauenzimmer machte
ihnen mit fyrenifhem Gefang und franzöfiihen Buhlen—
liedlinen gute Rurzweil. Ich hörte mit großer Verwunde—
rung zu.”
Wiederholt befuchte die Obrigkeit ihren Beamten in
feiner Amtwohnung, dem St. Leonhbardflofter, das
noch heute zur Erinnerung an feine frühere Beſtimmung der
Lohnhof Heißt. Bald hatte er ihnen eine neu gezeichnete
Karte oder einen Plan zu zeigen, bald ihnen irgend ein
Modell vorzuweifen. Im Januar 1671 drohte ihm der Ver:
luft diefer Wohnung, die ihm lieb geworden war. Damals
war an Stelle des verftorbenen Pfarrers Theodor Richard
zu St. Leonhard M. Peter Werenfels gewählt worden, bis:
ber Archidiakonus am Münfter. Meyer freute fich der Wahl
dieſes Seelforgers, den er als hochgelehrt in heiliger Schrift
und in Philofophie und im Predigen trefflih erfahren
4) Früheres Landgut von Bürgermeilter Wettitein, jetzt Beſitz
des Erben Heusler-Chrift.e Krug war Schwiegerfjohn Wettiteins.
224
rühmt. Uber unmittelbar nach der Wahl trägt er in feinen
Kalender ein: „O geiftlihe Falſchheit über alle Falfchheiten!
Etlihe falfche Rät und Praftitanten bringen für Rat an
wider Willen der HH. Häupter und redlichen Räten, daß
man mich wieder aus dem Klofter tun und den neuerwählten
Pfarrherrn (qui axioma Dn. nostri Jesu Christi quod
tibi non vis fieri alteri ne feceris, nescit practicare)
darein jeße. Hr. Chriftoph YBurdhardt der Dreierberr macht
mir zu gutem das Mehr, dem es Gott vergelte.”
Wir haben Mühe, in unferer Seit der ftrengen Amts-
ordnungen es zu verftehen, dag Meyer neben der Be—
forgung feiner Stellung in Baſel Monate lang in aus-
wärtigen Dienften abmwefend fein durfte, fei es, um
im Auftrage des Herzogs von Mazarin das Elfaß zu ver:
meflen, fei es in Gefhäften des Markgrafen Carolus
Magnus oder fpäter von deflen Witwe. Man muß fih’s
damit erklären, daß die Regierung aus Rüdfiht auf gute
nachbarliche Beziehungen fünfe gerad fein Tief.
Vollends aber läßt uns unfer Verftändnis im Stich bei
den mannigfahen Nebenbefhäftigungen Des
Lohnherrn in der Stadt felber und bei der Unbefangenbeit,
womit er die ihm für folche Tätigkeit gefpendeten Geſchenke
verzeichnet. Dafür nur wenige Beiſpiele: Jakob Strauß
der Nagelſchmied verehrt wegen geleifteter Dienfte bei Er:
langung und Bauung feiner Werkftatt außerhalb dem Eſel—
thürlin einen Dufaten und filbernen Löffel; Herr Auguftin
Schnell „wegen daß ich ihm gute Dienfte geleiftet bei feinem
von U. Gn. HH. erlangten Brunnen verehret mir einen
zierlich verguldten Becher von (Lüde) Lot”; weiter „verehret
- mir der neue DBallierer jenjeit Rheins 2 Thlr. und der
Seidenfärber auch 2 Thlr., Urfah, weil ih ihnen bei
U. Gn. HH. den HH. Häuptern wegen ihres Bauweſens mit
gutem Gewiſſen ein gut Wort verliehen”. In den Zahren
1673 und 1674 häufen fih die Fälle, wo der Lohnherr
„wegen eines DBrennhüslins” von Privaten größere oder
995 15
Heinere Zrinfgelder bezieht. Die Vermittlung des Ver—
faufs einer obrigfeitlihen Liegenfhaft auf dem Heuberg
an Herrn Johann DBurtorf d. R. und die Belchleuni-
sung des Gefchäftes nimmt, weil bier die Obrigkeit felbft
Partei war und alſo amtli darum willen mußte, eine
etwas andere Stelle ein. Meyer verdiente fich dabei, wie
er fchreibt, ein Trinkgeld, und zwar von Burtorf 6 Louis:
tbaler.
Bei der Interfuhung des Gehaltes, den Meyer
als Lohnherr bezog, bliden wir in eine uns volllommen
fremd gewordene Welt. Einen Hauptteil der Beſoldung
erhielt er in Holz, Ron und Wein. Er bat darüber un:
gezählte Eintragungen gemacht, aber wohl nicht alle Ein:
sänge regelmäßig aufgezeichnet, auch faum immer zwijchen
ordentlichen und außerordentlihen Einnahmen, Rompetenzen
und Sporteln unterfchieden.
Während der fünf Zahre, über die uns Aufzeichnungen
vorliegen, hat er insgefamt bezogen 583 Pfund in bar,
82 Vierzel Korn, 32 V. Hafer, 57 Saum Wein, weißen und
roten, 27 Klafter Holz, 8 Wagen Weiden, Holz und Wellen,
15 Wagen Heu und Stroh, 16 Wagen, Wägelein und Fährt
Eichenholz, 800 Hardtwellen, 150 Wellen Stroh. . Bei
einem Monat find die Notizen Über die Eingänge fo ab-
geblaßt, daß fie unleferlih wurden. Was an Holz, Heu,
Stroh u. drgl. zum Gehalt gehörte oder Gefälle war, und
was in die Haushaltung gekauft wurde, ift nicht auseinander
gehalten. Sicher find die Hardtwellen, 200 Stüd im Jahr,
Kompetenz. Auch Heu gehörte, zum Teil wenigftens, zu den
regelmäßigen Einnahmen. Dagegen ift das Holz, wie fchon
erwähnt, 3. T. Sportel für das Flößen.
Der Bargehalt if zum Juni und zu Weihnachten
verfallen, die Naturallompetenzen teils zu den Fronfaſten
(Wein), teils zu Pfingften und zu Weihnachten (Frudt).
Lestere fcheinen aber felten zu rechter Zeit voll entrichtet
worden zu fein. Es ift eine beftändige Notiererei, wie viel
226
jest noch ausftehe. Ob es mit dem Bargehalt fh ähnlich
verhielt, daS wagen wir nicht zu enticheiden. Das Jahr
1670 enthält gar Feine Angaben für Barbezüge, das Zahr
1671 mit 132, das Jahr 1672 mit 226 Pfd. befonders hobe
Summen. Pielleiht laſſen ſich dieſe LUngleichheiten mit
nadhläffiger Buchung erflären. Es muß immer wieder an
die Lüdenhaftigfeit und die Zufälligfeiten der Kalender:
notizen erinnert werden. Zum Gehalt Meyers darf man
auh die Umtwohnung rechnen. Sie war geräumig
genug, daß er Teile davon ausmieten und auf diefe Weiſe
fein Gehalt vermehren konnte. So fehen wir ihn „Herrn
Daniel Elpfen drei Gemah auf dem Kreuzgang zu
Schüttenen” um 12 Pfd. verleihen. „Herr Einnehmer von
Altkirch fol Früchten dahin legen”, wird dazu bemerkt.
Später hat er „R. Johann Fuchs, Pfarrherrn zu Helfranz:
fire) und Hans Groß von dar das obere Stüblin und Neben-
fämmerlin verlieben auf 1 Zahr lang um 11 Rthlr.“
Der Anftellungsvertrag Meyers (Staats:
Archiv, Bau⸗-Akten, F. 2) gibt uns über diefe. Verhältnifie
genauer Auskunft als die Kalender: Meyer bezog demnach)
wöchentlih 2 Pfd. 10 Btz. 12 Vierzel Rorn famt 8 Saum
Wein, und 12 Pfd. 6 BE. für ein Paar Stiefel als fein be-
fimmte jährlihde Beſoldung, dazu wie bisher 120 Pfd.,
10 PVierzel Korn und 4 Saum Wein wegen der Meßkunſt
(d. h. als obrigfeitlicher Geometer), alfo in allem 262 Pfd.
10 Btz., 22 Vierzel Korn und 12 Saum Wein. Weiter
fol er feine Wohnbehaufung in dem nun vacierenden Rlofter
St. Leonhard nehmen. Und weil der Herr Lohnberr eines
Pferds und Zungen wegen der vielen Gefchäfte in der Neuen
Welt, im Ziegelhof, im Steinbruch und anderſtwo hochvon-
nöten, fol er empfangen für des Pferds Unterhaltung 8 O.
Haber und einen Wagen mit Heu, für den Zungen aber
wöchentlich 2 Pfd. Dazu die ordinari Accidentien, als einen
Wagen mit Holz und Wellen von U. Gn. HH., famt denen
von den Flößern; mit den gewöhnlichen Faftnachthühnern,
997 15*
Fiſchen und Herbftweid auf der Schügenmatte foll er fi
„tontentieren und erjättigen”.
Unfer alloholfeindliches Sahrhundert hat Mühe, fich den
Weinkonſum vorzuftellen, in den diefe DVlätter einen
Blick tun laffen. Der Rompetenzwein ift lange nicht der
einzige, der in Meyers Haushalt fam. Er befaß auch eigene
Reben in Münchenftein und jenfeit Rheins. Weiter fällt
ihm der Ertrag der Landeren im Lohnhof zu. Diefer betrug
im Sahre 1672 3. B. 2 Saum. Im nämlichen Jahr werden
in den Kleinbasler Reben „in I Saum”, in Münchenftein
25 Saum gemadt. Das war aber ein befonders gutes Jahr.
Man fcheint diefen Herbft entfprechend nachdrüdlich gefeiert
zu haben. Die Markgräfin Witwe fchidte Meyern Die
Damen ihres Haushalts, ihr „Frauenzimmer” ſamt dem
Hofprediger nah Münchenftein in den Herbft. In der Neuen
Welt, wo Meyer auch) etwas fcheint befeflen zu haben, wurde
dann die Geſellſchaft gaftiert.
Zu dem Rompetenzwein und dem eigenen Gewächs Kauft
der Lohnherr noch weiteren Wein. Von einem Haltinger
erhält er an eine alte Schuld 315 Saum Roten, in Reina)
kauft er 1, in Weil 2 Saum. Seinem Tochtermann dem
Bierfieder nimmt er 3 Saum roten Baſelwein ab, feine Grau
dem Untervogt von Muttenz 2 Saum Weißen. Der Wein
fcheint zum großen Zeil in Meyers Haushaltung vertilgt
worden zu fein. Nur den Apotheker Friedrich Calinger
nennen die Kalender als Empfänger verhältnismäßig be-
fheidener Mengen Wein „an feine Apothefermedilamenta
a conto”.
Die Naturalwirtfchaft, unter der Meyers Ge-
haltverhältniffe zum Zeil fanden, erklärt fih daraus, daß
die Obrigkeit felbft viele ihrer Einnahmen in natura bezieht.
Aus den Aufzeichnungen des Lohnberrn erfahren wir 3. 3.,
dat „Meine Herren von Bajel dem Jakob Ryf und Gefpanen
den Anftoß an S. Margareten Kirche” zu 10 Pfd. 9 2.
Korn und 5 ©. Wein verdingen. Unter den zahlreichen
228
Beamtungen werden demgemäß genannt der Kornherr, der
Kellerherr, der Holzherr, der Stallherr, aber auch der Herren-
farrer, der Herrenfübler; auch von U. Gn. HH. Zug und vom
Herenkeller ift die Rede. Die wenig entwidelten Verkebrs-
verhältnife zwangen dazu, alle Vedürfniffe möglichft aus der
Nähe zu bezieben. Daher der Lohnherr das Holz zu den
obrigfeitlihen Bauten und Zlidereien aus den Waldungen
der Umgebung, auch der Marksrafichaft, des Schwarzwaldes
und des Sundgaus bezog, die Steine in den ſchon im 15.
Sahrhundert von Baſel erworbenen Steinbrüchen bei Rhein:
felden brechen ließ und mit ftädtifchen Pferden auf eigenen
Wagen oder auf dem Wafler in eigenen Schiffen zur Stadt
führte. Es entjpricht diefem ganzen Betrieb, daß, wie wir
gefehen haben, die ftädtifchen Bauten unter eigener Leitung
des Bauherrn ausgeführt werden. Auch Privatleute ſahen
fich bei größeren Bauten zu diefer Bauweiſe gezwungen. So
bat Lukas Sarafin zum Bau des Blauen und des Weißen
Haufes zwei Menfchenalter fpäter als Meyer auch für die
meiften GErforderniffe feines Unternehmens felbft forgen
müſſen.
Um zu der Gehaltfrage zurückzukehren, fo bildeten für
den Lohnherrn gewiflermaßen ein Zwifchending zwifchen den
feiten Einnahmen und den GSporten die Neujahr:
geſchenke. Anſre Kalender verzeichnen fie genau, mit
Ausnahme des Jahres 1672. Greifen wir den Gabentifch
des Jahres 1670 heraus. Da heißt’s: „Herr Schmied ver-
ehret mir zum guten Zahr einen welfchen Hahnen, H. M.
Bartt einen fhönen Parmefaner Räs, Garnus einen Hafen
und die Zunft ein Ralbsviertel; Hr. Friedr. Eglinger einen
Zuderftod, Hr. Landvogt Spörlin einen Hafen und die vier
Fasnachthühner von Farmsburg, vier Fasn. Hühner von
Wallenburg, zwei von Lieftal; der Werkmeifter von Mül:
haufen verehret mir drei Becher fchöne Gerfte, der Siegler
über Rhein ein Spanferflin, der Birsmeifter ein gut Lämm-
lin.” Zu den hier aufgezählten Gebern und Gaben kommen
229
an ſpätern Neujahrtagen neue, frühere bleiben zurüd. Co
Ihidt 1672 der Raminfeger ein halb Dutzend Zitronen, der
neue Birsmeiſter Herr Löffel ftellt fih mit einem guten
Lamm ein, 1674 fpendet die Gremberin 6 Pfd. Kerzen.
Offenbar find die Geber meift Leute, die mit Meyer
in gefchäftlicher Beziehung fanden und ihren Vorteil darin
fanden, ihn warm zu halten, fo der Herrenfchmied, der Schmied
in Rheinfelden, der VBirsmeifter, der KRaminfeger. Der
Lohnherr hat wohl auf einzelne diefer Gaben mit Sicherheit
rechnen fünnen. Die unbefangene Urt, mit der er darüber
Buch führt, beweift, daß er die Gefchenfe nicht als etwas
Unrechtes, als Beſtechung empfand. Die vielen ledern
Sachen deuten vielleicht darauf hin, Daß er ein Renner guter
Dinge war. Diefer Vermutung würde die Tatſache nicht
widerjprechen, daß im gedrudten Zeil der Kalender viele
Kochrezepte fih finden, die Einem beim bloßen Lefen das
Wafler im Munde zufammenlaufen laffen.
deitungen und Verwandtes.
Bon dem, was die Kalender über Meyers Beruf und
Amt enthalten, wenden wir uns dem zu, was fie über öffent:
fihe Angelegenheiten zu fagen willen. Um Anfang jedes
Jahres teilt der Lohnberr die Hauptzahlen der Bevölke—
rungsftatiftif des abgelaufenen mit. Hiefür diene als
Beifpiel die Statiftik für 1669: „Verfloſſen 1669. Jahr über
find allhier in Yafel in beiden Städten getauft worden 407
Kinder und hingegen geftorben 279 Perfonen, der Fürſchutz
ift 128. Gott fei gepriefen für feinen Segen. Der bebüte
uns vor der fchädlichen Peſtilenz. Gott gebe uns feinen
Segen.” |
Ganz befonders bei allen Mitteilungen aus dem Gebiet
der Politit und der Weltbegebenheiten im weiteften Sinn
muß nachdrüdlich betont werden, daß die Ralender Meyers
feine aftenmäßigen Darftellungen enthalten. Konſequenz
230
und PVollftändigfeit in diefen Aufzeichnungen ift nicht fein
Ehrgeiz. Er kann über den Beginn einer Angelegenheit fehr
ausführlich berichten, und die Fortſetzung läßt er auf fich be-
ruhen. Er kann einen Todesfall weitläufig erwähnen und
für Lebensdauer, Vornamen u. dal. Lüden frei Laflen, die
jpäter nie ausgefüllt wurden. So bietet, was er der Auf-
zeichnung für wert erachtet, beinahe nur Intereſſe für feine
Beurteilung al3 Perfönlichkeit und als Kennzeichen für die
Denkweiſe feiner Zeit.
Vom Großen Rat, der heutzutage dem Bürger in
erfter Linie Anlaß bietet zur Unterhaltung und zur Kritik,
ift in unfern Blättern felten die Rede. In jenen Jahren
gefchah die Zufammenberufung der Behörde nur zur Oelten-
beit. Am 26. September 1670 fand eine Situng ftatt, weil
„der Herr Biſchof von Bafel und feine Ronventuales oder
Domherren zu Freiburg . . . das hiefige Münfter famt allen
Dertinentien ... als ihr Eigentum begehrten” (f. Ochs,
VIII, 104). ber die Herren Häupter hatten den Rat nur
zufammenberufen, um ihm nach Erledigung der Angelegen:
beit das Geſchehene mitzuteilen und feine Genehmigung ein-
zubolen. Das Placet blieb auch nicht aus. „Herr Rudolf
Burdhardt, der erfte Sechs von der oberften Zunft zu den
Hausgenoflen führet in dem Namen aller Sechs die Red,
daß U. Gn. HH. in dieferem wichtigen Gefchäft fehr weislich
procediert, Deswegen wollten fie es ihnen weiters übergeben,
den Allerhöchften bittend, daß er ihre Ratfchläg ſegnen wolle;
ihme haben von Zunft zu Zunft gefolget, welches durch den
oberften Recht geöffnet worden. Letztens beſchloß der Neu
Herr Burg. Meifter diefen Actum mit einem berzlichen Ser—
mon und berzlidem Wunſch.“ Die Ausritte und die Heim-
ehr der Zagfabungsgefandten werden als politiiche Ereig—
niffe und ftädtifche Schaufpiele oft erwähnt. Um weiteres
in der Leitung der oͤffentlichen Gefchäfte hatte ſich damals
der Bürger nicht zu Fümmern. Das war die Sache der
Herren vom Regiment.
231
Doh gehörte Meyer nicht zu denen, die das Staats-
Schiff teilnahmslos durch die am Steuer ftehenden Männer
leiten laſſen. Man entnimmt dies feinen Bemerkungen bei
Todesfällen. Es geht aus diejen deutlich hervor, daß
er die Amtsführung jedes Einzelnen fcharf beobachtete. Er
hat darüber feinem Tagebuch manch ein räßes Lrteil anver:
traut. Oft begnügt er fich mit der einfachen Anzeige des
Todesfalls und einer knappen Charafteriftif des Verftorbenen,
3. B. zum 26. April 1673: „Es geben mit Tod ab 1. Hr.
M. Heinr. Kiſelbach, prof. physices, ein bochgelehrter
Mann, ward olim mit mir Mag. philosophiae; 2. Zriedr.
Zurdhardt, J. U. D., prof. oratoriae. Diefen bat der
Schlag getroffen in feinem beiten Alter.“
Oft aber fügt Meyer zu der kurzen Charafteriftif einige
weitere Verumftändungen. So beißt es: „Am 24. Dez.
1671 ftarb Herr Theobald Schönauer d. R., nachdem er aus
der Predig fam und mit dem franzöfifchen Pfarrberrn fich
auf das Wienachtfeft zubereitete. Starb urplögiih. Ein
frommer Herr.” „1671, Mai 18 ftarb H. Mag. Nikolaus
Herbog, Diaconus zu St. Clara, ein gelehrter Herr, dem
die Heilige Schrift wie das Unſer Vater gemein und be-
fannt war. aetat. (Lüde) Die Klein Vasler befamen
wegen diejer Beſtellung fchwere Händel, etliche wurden ge-
türmt und beftraft, der alt Dürring (mußte) 200 Louis:
tbale büßen. Den 22. Zuni ward endlih mit Wohlgefallen
diefe Gemein zum Diacono gewählt H. Mag. Melchior
Hertenftein, communis diaconus.”
Einen Schritt weiter tut der Lohnherr, wenn er die
Todesnachricht dazu benüßt, ein ausführlihes Ur—
teil über einen Verftorbenen zu fällen, fo über Jakob Mel:
finger, deflen Tod zum 6. September 1670 gemeldet wird:
„Herr Jakob Meltinger d. R., Dreizehner und Stadt:
quartierhauptmann etc. ward den 6. Sept. Abends gegen
6 Uhr in feinem Garten vor Spalentor durch einen gächen
und fchnellen Tod ohne ein Wort zu fprechen dahingerafft.
232
Diefer, nachdem er in der Jugend aus Unvorfichtigkeit zu
Lieftal einen Knaben erſchoſſen, ift dann auf eine Zeit lang
als ein Bereiter dem Krieg nachgezogen, hernach durch
Heirat eines großen Herm Tochter nach und nach) gewaltig
berfürgezogen worden und zu Aemtern fommen. War ein
Mann ohne fonderlihen Verftand, unbillig, zornmütig und
rachgierig. Und hat der große und gerechte Gott ein merklich
Erempel an ihm erwiefen. Daran feine Mitgenofien fi
billig ftoßen und befehren follten.” Meyer fchließt mit einer
umftändlichen Aufzählung der neuen Inhaber von Meltingers
vielen Aemtern und mit dem Ausruf: „Herr Gott, du bift
fehr wunderlich in deinen Werfen und Gerichten, dir allein
gebührt die Ehre.”
Ueber den am 2. Juni 1672 geftorbenen Pfarrer 3. R.
Dietrih wird folgendes Urteil abgegeben: „Den 2. uni
ftarb der ehrwürdig und wohlgelehrte 9. M. Joh. Rudolf
Dietrich, Pfarrer der Mindern Stadt, ein guter Prediger
und Geelforger feiner Pfarrfinder, jonderlich reicher alter
Wittiben; war olim mein praeceptor in quinta classe, der
mir oft und did meinen Ruden um der griechifchen Gram-
matif jämmerlich zerfchlagen." Weiter: „Den 7. Zuni (1672)
morgens gegen Tag ftarb in flore aetatis an dem Grimmen
H. Hieronymus Mentzinger d. R. und Schultheiß zu Lieftal,
war ein Witwer, ein fehr hoher Geift, olim in mathesi et in
fortificatione meus discipulus. An feiner Statt ward
Meifter zu Gartnern Herr Emanuel Meyer der Raufbaus:
ihreiber, und Pfleger auf Burg 9. Hans Franz Bed.
Schultheißenamt zu Lieftal ward eingeftellt. Mirum quod
vix auditem: obgedacht Hr. Emanuel Meyer bat den 15. dito
für Rat wieder ab. Nachmittags ward an fein Statt ge-
ordnet Meifter Heine. Reller der Gremper.” Wenig weiß
unfer Lohnberr zu rühmen von Hieronymus Geymüller, dem
Kürfchner, d. R., der am 2. Hornung 1673 ftarb. Er hatte,
wie Meyer erzählt, „feit der Zeit nach) Johann Baptiſt ver:
wichenen Zahrs wegen einer faulen Praftif Hrn. Ratsh.
233
Weißen Fonzernierend, neben diefem vor E. E. Rat einen
offendlichen fcharfen Eid geſchworen, fein fröhliche noch ge:
funde Stund mehr.” Den 16. September 1673 „ftarb 9.
Hans Bulacher d. R., Meifter von der Mebgernzunft, homo
sordidus et avarus; fein Vermögen war in 60,000 Reiche:
thaler, hatte lauter lachende Erben.” „Den 1. Oft. (1673)
ftarb zu Rheinfelden 9. (Lüde) Hug, Juris Doctor und
Amtmann der Herrfhaft Rheinfelden, ein beimlicher Baſel—
feind, der doch viel Jahr in feinem Erilio große Wohltaten
von hier empfangen.“
So zieht in dieſen Kalendern eine ganze Basilea se-
pulta, aber nicht immer eine Basilea illustris am Leſer
vorüber.
Nirgends deutlicher als bei diefen Todesfällen tritt ung
die oft erwähnte Lüdenhaftigfeit von Meyers QIagebüchern
entgegen. Er pflegt beim Hinfchied einer Amtsperfon ftets
ven Nachfolger zu nennen. Da er nur wenige Todesfälle
erwähnt, die nicht eine Amtsperjon betrafen, oder da es in
Baſel damals nur wenige gab, die nicht irgend ein Pöftlein
bekleideten, jo fland er oft vor diefer Aufgabe. Da muß er
nur zu häufig für den ganzen oder wenigfteng für den Ruf:
namen des Nachfolgers eine Lüde laflen, die er nachträglich
nicht ausfüllte. Beiſpiele folcher Nachläffigkeit ließen fi
leicht häufen.
Politiſche und andere Nachrichten aus der Nähe und
Serne bezeichnet Meyer dem Sprachgebrauch feines Jahr—
hunderts folgend als Zeitungen. Was er unter diefem
Titel mitteilt, beruht meift auf Hörenfagen. Schon aus
diefem Grund Eünnen wir auch hier keine Vollftändigfeit er:
warten. Zn den erften Sahrgängen finden fih die Zeitungen
ſpärlich. Sie fcheinen hauptfächlich Durch das Eonfeffionelle
Snterefie beftimmt zu fein. So wird erwähnt die Papftwahl
Clemens X. (Altieri); die Hochzeit der „überaus jchönen und
liebreichen Churprinzeffin von Heidelberg”, der Lifelotte von
Orleans, von der mit dem Ausruf o stupendum piaculum
234
gemeldet wird, fie fei unterwegs nad) Paris abgefallen und
habe die papiftifche Religion angenommen. Später find es
die Eroberungsfriege Ludwigs XIV. gegen Holland, die den
Schreiber zu fchadenfrohen Bemerkungen gegen den katho—
liſchen König und zu fcharfen Ausfällen gegen Karl LI.
Stuart von England veranlaflen, als diefer an Ludwigs
Seite April 1672 in den Kampf eingreift. Gegen Frankreich
bat Meyer immer Mißtrauen gehegt und ihm etwa auch
Ausdrud gegeben, wo es fih um Verhandlungen ſchweize—
riſcher oder baslerifcher Staatsmänner mit franzöfifchen Di-
plomaten handelte.
Einen unmittelbaren Wert baben beareiflicherweife
diefe Aufzeichnungen nicht. Sie verdienen nur Beachtung
als Zeuaniffe für die Stimmung eines Basler Bürgers gegen-
über den damaligen Weltbegebenheiten. Anders wollen die
Notizen angejehen werden aus der Seit, da 1673 und zumal
1674 der Kriegsfchauplag in den Sundgau und in unfere
nächfte Nähe verlegt wurde. Damals war das Theater der
Seindjeligkeiten noch nicht für jeden Unbeteiligten hermetifch
abgefperrt, wie in unfern Tagen, und ein Basler konnte
mancherlei erfahren und fiber allerlei fich ein Urteil bilden,
was vor den Toren der Stadt vor fi ging. In den erften
Tagen des Zahres 1674 hat der Lohnherr fremdes Kriegs:
volt bei einer Neutralitätsverlegung beobachtet. (Siebe
©. 220.) Zum Februar desfelben Jahres wird aufgezeichnet:
„Franzoſen fahren von Hüningen über den Rhein, zu denen
flogen andere Reiter von Breiſach, wird deswegen in der
Nachbarſchaft Lermen, wie auch zu Kleinhüningen.” Im
Dftober fodann „Flechten Sundgäuer und Elfaßer Früchten
und Wein mit Macht herein, müſſen gleichfam für den
Zollern: und Breiſach⸗Tragonern alles ranzionieren, als ob
fie es ftählen”. Damals mag man wohl Kriegsnachrichten
auf den Gaſſen Baſels aus erfter, wenn auch nicht immer
aus unparteiifcher Quelle vernommen haben. Im Dezember
1674 famen die Trümmer der von Turenne bei Mülhaufen
235
überrannten Eaiferlihen Reiterei auf ihrer Flucht durch die
Stadt. „Die unforgfamen faulen Hünd“, jagt Meyer,
„tamen den 20. Dez. mit blutigen Köpfen bier an die
Porten, bis 600 Mann, fliehen den 21. über die Rhein:
bruden, follen neben ihren Offizieren zu Neuenburg und der
Orten wieder über Rhein zu der Armee gangen fein.” Am
26. Dezember wurde Meyer perfönlich von der Regierung
abgeordnet, um kaiſerliche Offiziere von der Errichtung einer
Feldſchanze wider die Franzoſen auf baslerifhem Boden
bei Kleinhüningen abzuhalten. Er war fomit im Fall, über
Einzelnes aus eigenem Augenfchein zu berichten.
AU dies Tief nicht ab, ohne den Herren vom Regiment
ſchwere Sorgen zu veranlaffen. Auch an Anfechtung gegen
die Haltung der Behoörden fehlte es nicht. Und weil „von
bosfertigen Leuten ungütlih von ihrer Verrichtung geredt”
worden, ergriff die Regierung die Flucht in die Deffentlich-
feit und ließ in einer Großratsfigung am 22. April 1674
„alle Acta, Abfcheid zu Baden, Kriegsverfaflungen von et:
lichen Sahren hero, auch unterfchiedenliche Brief, fo unter
den eidgenöffifchen Städten, dem König und feinem Am—
baflador diefer Zeit gewechflet worden, durch den Herrn
Stadtichreiber ablefen”. Dabei aber blieb fie nicht ftehen.
Die Wälle wurden mit Gefchligen verfehen, Mannfchaften
aus dem Bafelbiet in die Stadt gezogen, auch beichloflen
U. Gn. H9H., „fich felber anzugreifen und in specie jeder
ſich felber freiwillig zu Eontribuieren. Zugleich wurde er:
fannt, daß alle Beamten, desgleichen alle Glieder der Uni—
verfität ebenmäßig nach jedwederens Belieben und Per:
mögen beitragen ſollen.“ Unſer Meyer fchätte fich für feine
Derfon zu diefer Rriegsfteuer mit einem monatlichen Beitrag
von 2 Reichstaler ein. Etwa 2000 Eidgenofien ftellten fi
auf Anfuchen Baſels zur Grenzbefegung. Gleich hatte man
auch Unannehmlichkeiten mit Spionen. „Giffredy, ein
Irummgejchoflener Franzos, Rommandant auf Landsfron,
nachdem er eine gute Zeit her zu Stadt und Land Tag und
236
Nacht fpioniert, ward den 27. April durch die von Zürich
zur Stadt hinaus begleitet mit Bedrohung Leib- und Lebens-
gefahr." Im Zuni wurden die eidgenöffifchen Hilfsvölfer
wieder entlafien, nicht ohne anfehnliche Geſchenke. „Allen
Hilfsvölfern, wie auch den Solothurnern, die zwar nie:
malen in diefe Stadt famen, haben U. Gn. HH. jedem ge-
meinen Soldaten einen Reichsthaler, einem Hauptmann
ein Goldftüd von 10 Dufaten, einem Leutenant von 8 Du-
taten u. |. f., nachdem einer ein Officium befleidet, gefchenkt.”
‚Sn der Zeit, die ung befchäftigt, floß eine Quelle über
die Begebenheiten auf jedem Kriegsichauplat in der Schweiz
vielleicht reichlicher als irgendwo. Denn unter allen
Fahnen fanden Schweizer Söldner, und ihr Verkehr mit
der Heimat brach nie ab. Wir finden auch in diefen Blättern
häufige Hinweife auf die Reisläuferei. Ein Sohn Meyers,
Jakob Cornelius, fand in Lothringifhen Dienften. Im
April 1670 war der früher erwähnte Sohn Georg Friedrich,
nicht mit des Vaters Wohlgefallen, dem Bruder zugezogen,
um das Franzöſiſche zu erlernen, aber ſchon im Juni wieder
beimgeflommen. Don Jakob Cornelius erfahren wir, daß
er am 22. September famt feiner Frau nah Philippenville
in Flandern reifte.. Im Auguſt 1671 finden wir ihn mit
feiner Rompagnie in Arras, im Oftober 1672 wieder in
Lothringen, Zuni 1673 ftreift er, wohl im Eaiferlichen Heer
bei Sädingen, am 28. Auguſt desfelben Zahres ift er in Baſel.
Wenn Meyer fich über die Ereigniffe in den Niederlanden
befonders gut unterrichtet zeigt, fo gebt Dies wohl auf diejen
Sohn zurüd. Ein anderer Sohn, Daniel, hatte al3 Zimmer:
mannslehrling bei der Einnahme von Colmar durch Die
Stanzofen am 20. Auguft 1673 in diefer Stadt gemeilt.
Leutnant Baumgartner von des Königs Garde half ihm
davon, und der Zunge brachte einige Tage fpäter die Nach:
richt nad Baſel. Hier mußte er von dem, was er gefehen,
dem Rate Bericht erftatten.
Außer politifchen Nachrichten aus der Nähe und aus
237
der Zerne verfchmäht aber Meyer keineswegs den gewöhn—
lichen Stadtklatſch. Die Rubrit „Unglüdsfäle und
Verbrechen“ ift in feinem Tagebuch gut vertreten. Aber
auch hier feheint der Lohnherr ohne jeden Anfpruh auf Voll:
ftändigfeit nur erwähnt zu haben, was er zufällig erfuhr
oder was ihn aus irgend einem Grunde befonders in-
tereffierte. So erwähnt er zum Zuni 1670, daß „Niklaus
Rofenmund d. R., welcher wegen Schuldfachen feine eigene
Hand und Petfchaft mit abfcheulichen Flüchen und Läfte-
rungen geleugnet”, von allen feinen Uemtern entjegt worden
ſei; daß Hr. Johann König Dreizehner ward, „weilen
Hr. Rihiner abgefeßt und propter practicam um 500 Thlr.
geftraft worden.” Es werden regiftriert ertrunfene oder fonft
verunglüdte Kinder, ein Müllerfnecht, den der bochgebende
Birfig, ohne daß er Schaden litt, unter der halben Stadt
hindurch vom Steinenthor bis an die Gerbergafle ſchwemmte,
während das Pferd gleichfalls unbeichädigt an der School
herausgezogen wurde, der Karren aber mit einem Rad und
zwei Sad Mehl, fo verderbt, in Hüningen aufgefangen
ward; eine Prügelei bei einer Feuerfprigenprobe mit einem
Todſchlag und PVogelfrei-Erflärung des flüchtigen Täters;
der Ertrintungstod eines jungen Bündners Giuvalta in
der Wiefe bei Riehen — er wollte durch den Fluß feßen,
das Pferd fürzte mit ihm, feine großen franzöfifchen Stiefel
wurden vol Wafler und er ertrank in einem Augenblid —;
der Schiffbruch bei Neuenburg a. Rh., wo ein Weidling
bei hohem Waflerfland und Wind zu etlichen Zentnern
Käfe neun Perjonen geladen hatte und wobei drei Menſchen—
leben verloren gingen; die zwei Roßdiebe Berner Gebiets,
die mit dem Schwert gerichtet werden, während ein anderer
Verbrecher, „der fih unterftanden, ob Walenftadt einen
Krämer zu mörden”, auf das Rad geflochten wird, u. a. m.
Dann die Selbftmordfälle! Da ward am
4. Sebruar 1674 „Sohann Kolb, der Thorwart unter
Spalenthor, wegen liederlihen Vollfaufens auf dem Spalen-
238
turm gefangen gefeßt, gegen Abend erhenkte er fich felber in
dem Ramin. Weil er folches aus Kleinmut getan, ward er
zu St. Elifabetha begraben.” „Den 10. (Mai 1673) Nach—
mittags fprang ein junger Pfarrer zu Eimeldingen, Herrn
Specials zu Schopfheim Sohn, welcher erft vergangenen
Dienstag zu Detlingen Hochzeit gehabt, von einem Schrank
beifeits hinab aus Schwermut in den Rhein und erfäufte
fich felber. Die Urſach ift Gott bekannt.“ Seberhaupt hilft
die badische Nachbarfchaft mit ihrer Chronique scandaleuse
die Aufzeichnungen Meyers bereichern. So lejen wir, daß
am 9. Auguft 1672 ein junger Waldbauer aus Gersbah zu
Rötteln lebendig verbrannt wurde, „weil er feine geweſte
Liebite famt ihrem diesmalen verfprochenen Bräutigam bat
verbrennen wollen, zu welchem er das Haus, darin fie lagen,
an vier Orten angeftedt, alſo daß in 24 Stud Rindvieh
verbrannten, die Leute aber fich falviert.”" Einige Monate
vorher war der geweſene Burgvogt Spreng von Rötteln
„wegen daß er die Landfchaft und feinen Herrn den Marf:
grafen vielfaltig betrogen... zum Schwert Eondemniert,
von dem Meifter von Hagen erbärmlich mit etlichen Streichen
auf dem Boden hingerichtet und maflafriert” worden. Ge—
Ichietter als diefer Scharfrichter erwies fih am 14. Zanuar
16/4 in Baſel der junge Meifter von Hagen, vielleicht der
Sohn des eben erwähnten. Er hatte an einer Rindsmörderin,
einer ledigen Weibsperfon aus Buus, feine erfte Probe zu
tun und bat fie „beberzt vollbracht, nachdem der Kopf:
abbauen wieder aufgeworfen und gefüllt worden“. Die
Deliquentin aber ward anatomiert.
Don FSeuersbrünften erwähnt Meyer zumeift
auswärtige, fo einen Brand in Genf, einen in Durlach), in
Chur, in München. Bei dem leßtern wagt er einen feiner
wenigen Wiße. Es heißt da nämlich zum April 1674, alfo
in der Zeit der Kriege deutfcher Herren, u. a. des Kurfürſten
von Bayern gegen Ludwig XIV.: „Zeitung, daß zu
Münden in Bayern das halbe Refidenzfchloß durch Ver:
239
wahrlofung eines angezündeten Wachsſtocks abgebrannt.
n. b. zweifelsfrei war franzöfiihes Wachs dabei.” Don
Seuersbrünften in Baſel wird eine folche an der Lys aus:
führlich befchrieben. Es verbrannte dabei am 12. November
1674 viel Lebware, mehrere Perfonen wurden durch ein:
flürzende Mauern verlegt, und das Lohnamt hatte „in den
drei Tagen nahmärts mit Raumen und Weoführen zu
thun.”
Die Berufstätigkeit Meyers am Lohnamt bringt es
begreiflicherweife mit fih, daß er über allerlei Unfälle im
Baumwefen zu beridten hat. Am 26. April 1671 follte
ein Gartenhäuslein des Tuchmanns Zriedrih Stern in der
Neuen Vorſtadt, das in gefegwidriger Weife und zur Be—
läftigung des Nachbars Dr. Bauhini allzu nahe an des
letztern Mauer gebaut war, durch die Arbeiter des Lohnamts
abgetragen und an geeigneter Stelle wieder errichtet werden.
Werfmeifter und Simmerleute befchloffen, den Bau mit Hebe-
gefhirr und Winden niederzulafien. „Solches haben fie
früh morgens unterfangen, und hätten es zweifelsohne mit
der Hilf Gottes ins Werk gefegt, wenn nicht auf der linken
Seite die Winde, welche Johann Andres der Zimmermeifter
gehalten, ausgewichen und gefehlet und das Häuslein in
Schwang fommen und von einer Seiten zur andern urploͤtzlich
gefallen wäre. Ich fand allernähft vor dem unfternifchen
Häuslin und fache, wie der Giebel nad) der linken Hand ih
neigte, dahero ich zeitlich gefchrauen, daß die Arbeiter, deren
in 10 Perfonen waren, fliehen und fich retirieren follten,
welches auch Gottlob befchechen, aljo daß außer Johann
Andres, welcher über einen Haufen Kalch gefallen, und von
den Trämen des fallenden Häuslins ergriffen und fein Kopf
mit etlihen Wunden befchädiget und fonft übel in dem Leib
gequeticht wurde; fodann der Brudknecht, der auch ein Loch
in Ropf befame, Uebrige alle gefund davon Tamen. Anfangs
meinten wir alle, er der Werfmeifter fei wo nicht tot, doch
meifte Glieder entzwei gefchlagen, bis wir ihn mit eilender
240
Hilf und Aufwindung des Gebäus lebend wieder berfür
brachten. Er war übel entftellt, und ſchoß ihm das Blut
häufig zum Mund aus; die Herren Aerzte und Dr. Bauhin
taten ihr beftes, alſo daß er fih nachwärts von Tag zu Tag
wieder befierte.e U. Gn. HH. die Herren Häuptere, denen
ichs zeitlich Fund tate, und fonft männiglich hatte ein groß
Bedauern und Mitleiden.”
Meyer gab diefer ausführlichen Schilderung den Titel:
„Anglückdoch GlüdimLlohnamt”, und ſchloß einen
zwei Tage fpäter geſchehenen Fall an, wo auf der Wiefen-
brüde ein Wagen mit Tannenftämmen mit genauer Not dem
Sturz in den Fluß entging. Und an den Fuß ſetzt er die
Worte: „Dem WUllerhöchften jei ewig Lob und Dank gejagt
für feine väterliche Rettung. Der behüte auch ferners Meiner
Gn. HH. Werkleut und gebe feinen Segen zu unferer Ar-
beit. Amen.” |
Aber nicht immer geht’s fo alimpflih ab. Am 1. Au:
guft 1672 werden in M. Gn. HH. Steinbruh zu Rhein
felden durch vorzeitige Entzündung einer Sprengmine drei
Mann „elendiglih zerfchlagen”. Am 24. Februar 1674
wird? Benedikt Baumgartner, U. Gn. HH. Ziegler zu
St. Jakob, „als er in dem Steinbruch fprengen wollen, durch
den Zapfen gefchlagen, daß er fich verblutet, und vollends
durch den Scherer verwahrlofet, jo daß er noch felbige Nacht
den Geift aufgab; war ein junger, fleißiger und gottes-
fürchtiger Menfh. Sein Weib folget ihm bald nad.“
Auh über Witterung enthalten unfere Kalender
manche Bemerkungen: Samstag 18. Juni 1670, Nachm.
um 2 Uhr „ist ein ſtarkes Donnerwetter angangen und fchlägt
der Strahl zwei Mal in den untern Münfterturm an drei
Orten mit großem Schaden”. „Den 3. Mai 1671 Nachm.
um 3 Uhr erhub fih ein ziemliches Donnermwetter. Darauf
folgt ein gräulicher Hagel. Der zerfchlägt um beide Städt
Bafel die Reben und Roggen bis in Grund, dergleichen
noch kaum gejehen noch erhört worden. Gott erbarm ſich.“
241 16
„Den 29. Zuli 1674 um Y22 Uhr Nachmittag, nachdem es
etliche Tag zuvor fchwere Wetter zu Nacht gehabt, ift eins:
mals ein graufam Hagelwetter entftanden, fo hin und ber,
fonderlih vor St. Yläfithor großen Schaden getan. Die
Stein waren wie Taubeneier.” Mit derartigen Witterungs-
notizen überfchreitet Meyer manchmal die Grenzen des vater-
ftädtifchen Gebiets; er zeichnet 3. B. ein großes Hagel- und
Donnerwetter zu Straßburg und zu Frankfurt, Stürme über
Amfterdam u. dgl. auf.
Erdbeben werden in unfern Kalendern zwei ver-
merkt. Das eine, vom 2. Dezember 1672, das „in zweien
pulsibus währete, in Colmar und auch den Rhein auf:
wärts” verjpürt wurde, notiert Meyer kurz und fachlich. Um
fo mehr Eindrud foheint ihm das vom 6. Dezember 1674
hinterlaffen zu haben. Er meldet es mit folgenden Worten:
„Bott erbarme fih unfer. Sonntag den 6. ein Viertel vor
9 Ahren, als die Leut in der Morgenpredig waren, geichah
urplößglich ein fehr ftarfer Erdbidem, dergleichen bei Manns-
gedenken nicht erhört und weit und breit im Land verjpüret
worden. Die Leut zu St. Leonhard und im Münfter feind
haufenweis davon geloffen; die Kirchen und Gebäu haben
gezittert, gewantet, und der Erdboden fich beweget, die Gloden
zu St. Martin und im Mlüünfter haben angefchlagen. In
summa, es war ein fehr großer Schreden und Zammer unter
uns. Geine Vedeutung ift Gott befannt. Der gebe, was
zu feiner Ehr und feiner bedrängten Kirchen Heil dienen
wird.”
Derfönliches.
Meyer erfreute fih einer rüfligen Gefundheit.
Zweimal in den fünf Jahren, über die fih die vorliegenden
Aufzeichnungen erftreden, Hagt er über Unmwohlfein. Der
erfte Sal fette im Februar 1671 ein mit einem ftarfen
Schnupfen, einer Influenza, würden wir heute jagen. Es
war der Anfang der ernten Unpäßlichkeit, über die im April
242
desjelben Zahres berichtet wird: „Den 14. Bon 12 Wochen
ber habe ich ein graufam Hauptweh auf der rechten Seiten,
fo die Franzoſen Migrene namfen. Gott, der höchſte und
befte Arzt, wolle mich in Gnaden wieder gefund machen.
Den 16. Abends den größten Hauptjchmerzen erlitten. Den
17. hat mir Gott wieder geholfen und um etwas Milderung
verichafft.” Die Beſſerung fcheint von Dauer geweſen zu
fein. Sn den frommen Einleitungsworten, die Meyer nad)
feiner Gewohnheit dem Kalender für 1672 voranfchidt, dankt
er Gott „infonderheit, daß er hingelegtes 71ſtes Jahr mir
das graufam Hauptweh fo gnädiglich abgenommen”. Im
Sanuar 1674 war der Lohnherr genötigt, „wegen großer
Schmerzen, jo er eine Zeit lang innert der linken Bruſt er-
litten”, den Dr. Bauhin zu Eonfultieren. Der verordnete
Aderlaß und Purgatz. Mit welchem Erfolg, wird nicht ge-
fagt. Daß Meyer mit dem Apotheker Eglinger in gejchäft-
lichem Verkehr fand und ihm einmal für gelieferte Medila-
mente eine A conto-3ahlung in Wein leiftete, wurde fchon
weiter vorn erwähnt.
Was feine Kleidung betrifft, jo hielt fih der Lohn-
herr ftandesgemäß. Im November 1671 läßt er fich ein mit
Fuchspelz gefüttertes Kleid anfertigen, das in allem 64 Pfo.
toftete. Hornung 1673 ſehen wir ihn neun Brabanter Ellen
famelbaren Ramblot für zwei Doppeldufaten kaufen, und im
Dftober desfelben Jahres gewährt er feinem Schneider Jakob
Hatzmüller ein Darlehen von 2 Pfod., vielleiht einen Vor:
ſchuß auf die Verarbeitung diefes Stoffes. Daß man unferm
Sreund mit fchidlichen Rleidungsftüden eine Freude bereiten
fonnte, entnehmen wir der Eintragung vom Oktober 1672:
„Herr Ratsherr Gregorius Brandmüller verehret mir wegen
der Gefandtichaft über das Bürg ein Paar fchöne Hand-
ſchuhe und ein Räpplin. Und wegen des, daß ich ihm bei
feinem Bronnen gedient, ein fhön Paar fchwarzfeidene
Strümpf.”
Sein Amt zwingt Meyer, einen großen Zeil feiner Zeit
243 16*
auf Reifen über Land zuzubringen. Bald hatte er Holz:
ftämme zu erhandeln, bald galt es um Steine auszugeben,
bald waren fchadhafte Bauten zu befuchen, bald mußte er
an Örenzbereinigungen teilnehmen. Meift gefchaben diefe
Reifen zu Pferd, und die halbe Zeit brachte Meyer dem:
gemäß im Sattel zu. So ermöglichte ihm denn auch die
Obrigkeit, wie wir gefehen haben, durch befondere Gebalt-
zulage, ein eigenes Reitpferd zu halten. Mit Kauf und
Berkauf, fowie mit Tauſch von Pferden bat er nicht wenig
zu fun. Geinen Falken verkauft er einem Franzoſen, dem
Schmied von Altkirch handelt er einen jungen Braunen ab,
fein Heines Roß vertaufcht er an ein anderes und gibt dem
Juden noch 21 Taler drauf, er erfteht einen Eeinen Schimmel
um 23 Taler, muß ihn aber hernach wieder hinweg geben,
„weilen er für mich zu ſchwach“, feinen Dunfelbraunen gibt
er einem Juden von Vreifah um 41 Taler, kurz darauf Eauft
er von einem von Colmar „ein Hein Pferdlin” für 15 Taler.
Da Meyer ohne Zweifel au für „Uni. Gn. HH. Zug” zu
forgen hatte, jo dürfte ihm die Unterbringung feiner eigenen
Tiere im obrigfeitlichen Stall leicht geworden fein.
So geübt Meyer als Reiter mag geweſen fein, es gibt
doch auch Unfälle zu melden. Vom 27. März 1672 erzählt
er, er babe „auf dem Rauchfeld bei Setzung etlicher Bäume
von feinem fcheuen und ftettigen Pferd einen abjcheulichen
und gefährlichen Fall getan. Ich lag eine gute Weil in
Ohnmacht. Gott erbarm fih." Nicht minder betrüblich
war das Ereignis vom Afchermittwoch 1674, das er wie
folgt meldet: „Den 4. an der Eſcher Mittwochen, als ich
Abends von der Zunft reiten wollt, ift mein Pferdlin mit
mir durchgangen und von der bintern Kronen an bis in
St. Leonhards Klofter in einem Galopp gerennt, da ich vor
der Haustür ganz atemlos abgefallen. Da ich die rechte
Seiten und Arm mächtig verqueticht, mußte nachwärts in
zehn Tage mit großen Schmerzen der Stuben und das Bett
hüten. Gott erbarm fih meiner.” Solche Vorkommniſſe,
244
vieleicht auch mit dem Alter fich einftellende Schwerfälligkeit,
bewogen wohl den Lohnherrn, im Zuli 1674 „eine Heine
Gautſchen“ bauen zu laflen; die Eoftete ihn in allem 100
Reichstaler. Don
Meyer tritt uns als eine durchaus anfprechende Der:
fönlichkeit entgegen. Bor allem bewundern wir feinen un-
ermüdlihen Fleiß. Und er berichtet über feine Tätig:
feit fo felbftverftändlich, daß der bloße Gedanke, als wollte
er damit glänzen oder fonft Eindrud machen, dem Lefer gar
nie auffteigt. Seinen Obern gegenüber ift er ebrerbietig und
fünfam, aber die Kritik läßt er fich nicht verbieten. Die
Frömmigkeit des Lohnherrn möchte ich nit bloß dem all-
gemeinen Zug der Zeit zufchreiben. Gewiß, es ift faum mehr
als gedanfenlofe Formel, wenn er jeweilen den Ertrag der
Reben mit einem „Gottlob” bucht. Auch das bei den zahl-
reichen Gevatterfchaften unabänderlich wiederfehrende „Gott
geb ihm feinen heiligen Geift und Segen” wird faum immer
empfunden fein. Dagegen machen einen durchaus wahren
Eindrud die immer zu Neujahr dem Kalender vorangeſetzten
erbaulihen Betrachtungen. Sie wechleln nah der Form
und, fo weit es der Anlaß geftattet, auch nach dem Inhalt
und pflegen Bezug zu nehmen auf die Ereignifle des ab-
oelaufenen Jahres. Ebenfo halte ich das kurze Dankwort
für echt, das er an feinem Geburtstag, wenn er ein weiteres
Lebensjahr „Eompliert” bat, feinem Kalender einverleibt, und
wenn er Gott als den höchſten und beiten Arzt preift, To
klingt mir auch dies wahr und aufrichtig. Doch dies find
perfönliche Eindrüde, die ich niemandem aufdrängen möchte.
Sedenfalls treten die lebhaften religidjen Intereflen, die ſchon
bei der Auswahl der Weltbegebenheiten hervorgehoben
wurden, auch zutag in der bejondern Aufmerkſamkeit, die
Meyer den Pfarrwahlen fchenkt und in der Ausführlichkeit,
mit der er bei dem bekannten Ihurneyfen- Prozeß verweilt.
Für Meyers Gefälligkeit und Gutmütigfeit zeugt die
Menge der von ihm angenommenen Gevatterfhaften
245
und Hochzeiteinladungen Meiſt tat er Diele
Liebesdienfte Leuten niedrigern Standes. Er war wohl der
Vorgeſetzte oder Arbeitgeber des Herrenglafers, des welfchen
Maurers, des Werkmeifters Friedrich Lederli, des Gaffen-
bejegers u. f. f., deren Rindern oder Enkeln er Pate ftand.
Auch bei einigen Hochzeitern, die er zur Kirche führte, mag
dasſelbe Verhältnis gewaltet haben, fo beim Zimmermann,
beim Steinmeßgefellen, beim Herrenfübler. Er machte freilich
ſolche Angelegenheiten auch ziemlih geihäftlih ab. Am
Zaufftein ließ er fih in der Regel durch einen Sohn oder
eine Tochter vertreten. Oft find für die Namen der Täuf—
finge Lüden offen geblieben. Ja als er die Hochzeit des
Herrenfüblers aufzeichnete, war ihm der Name der Hoc)
zeiterin entfallen, und er hat ihn nicht nachgetragen.
Meyer war zweimal verheiratet, das erfte Mal 1637
mit Unna Katharina Lewerin, das zweite Mal 1648
mit Maria Ringlin. Die eine der beiden Gattinnen
brachte ihm eine Anzahl Stieffinder mit Namen Heber zu.
Aus der erften Ehe überlebten ihn drei, aus der zweiten vier
Kinder, zwei Söhne und fünf Töchter. Aus den gegen:
wärtigen Aufzeichnungen lernt man drei Söhne Tennen.
| Zür den älteften Sohn Jakob Eornelius, geb.
1638, verweifen wir auf das ſchon früher Gefagte (©. 237).
Sein jüngerer Bruder Georg Friedrich befindet fi
feit Juni 1670 meift an der Geite des Vaters. Georg
Sriedrich hat gleich dem alten Meyer die Ingenieur:, ins⸗
befondere die Vermeſſungskunſt aus dem Grunde verftanden,
und die beiden gewöhnten ſich daran, einander in die Hände
zu arbeiten. Die Kalender enthalten eine Menge wertvoller
Angaben über die Entftehung der im Auftrage des Herzogs
von Mazarin im Sommer 1671 von den beiden Meyer an-
gefertigten Karte des Elſaßes. Für die Mitarbeit an diefem
Werft fchenkte der Vater dem Sohne von dem Honorar
25 Duplonen, „Damit er wohl zufrieden war”. Daneben
gehen ftetS andere Arbeiten auf diefem Gebiet her. Es fei
246
hervorgehoben die Karte des Brunnwerfs, die Georg Friedrich
den Herren Häuptern dedizierte und für die ihn dieſe mit
10 Dukaten belohnten. Fritz Yurdhardt führt fie in feinem
Verzeichnis der Werke der beiden Meyer nicht auf. Sie
ſcheint verfchollen zu fein. Sm Sommer 1672 reifte der junge
Meyer, wiederum im Dienfte des franzöfiihen Statthalters,
in Angelegenheiten der Landesvermeflung bis an die Mofel.
Bald lefen wir auch vom Brautftand des jungen Rartograpben,
demnädhft von feiner Verheiratung mit Jungfrau Sarah
Zurdhardtin, „weiland Herrn Hieronymi Burckhardt des
Handelsmanns und Gerichtsherrn allhier fel. und Frau Si—
bylla Sreiin ebelihen Tochter. Die Ropulation geſchah zu
St. Margarethen und der Imbiß zu Schmieden”. Wieder-
holt treffen wir Georg Friedrich Meyer als Begleiter des
Vaters auf deffen Reifen nah den Landvogteifchlöflern.
Dann brechen unfre Notizen ab. Den Perfonalien des
Sohnes entnimmt man, daß er „ift überaus fleißig und
arbeitfam geweſen, junge Leut hat er in den mathematifchen
Künften getreulich unterrichtet . . . auch ein und das andere
Specimen fehen laffen durch mathematische Schriften, welche
zum Zeil in den Drud fommen ... Iſt anno 1691 ein-
bellig zu einem Lohnherrn erwählt worden.” Cr ftarb 1693
in feinem 48. Lebensjahr.
Ein Urteil fällt in unfern Vlättern der Vater Meyer
über diefe feine beiden Söhne nicht. Zwiſchen den Zeilen
lefen wir, daß er mit ihnen zufrieden, auf Georg Friedrich
geradezu folz war. Anders mit dem dritten, Daniel,
geb. 1652, den er ſchon, da er ihn zum erftenmal nennt, als
feinen ungeratenen Sohn einführt. Damals, Sommer 1672,
fehrt er aus Holland, „aus dem elenden Krieg” heim, und
die Schulden, die der Vater damals für ihn zu berichtigen
hatte, fprechen nicht zu feinen Gunften. Ein halb Jahr ſpäter
wird der Burſch als Simmermannslehrling nah Colmar ge:
Ihidt, und im Mai folgenden Jahres trifft fein Lehrherr
famt Gemahlin und Tochter in dreifpännigem Fuhrwerk un-
247
erwartet in Baſel ein. Die Geſellſchaft ftellt fih vor als
die Fünftigen Schwiegereltern und die Braut Daniels. Kurz
darauf muß Hochzeit gehalten werden. Die Trauung findet
diesmal nicht allzu nahe bei der Stadt, in Siſſach ftatt. Später
feßte der junge Ehemann feine Z3immermannslehre in Col-
mar fort.
Die Kalenderaufzeichnungen nennen zwei Töchter,
Mariaund Runigund. Die erfte hebt zufammen mit
Herrn Daniel GStidelberger ihrem Bruder Cornelius eine
Tochter aus der Taufe, die zweite tritt als Patin bei Meyers
Stieftochtermann Thomas Dolles dem Bierfieder auf.
Weiter werden zwei Tochtermänner genannt, denen Meyer
ihr Heiratsgütlein ausbezahlt, „tut beiden 50 Pfd., darüber
von ihnen quittiert ward”. Auch den Stieffindern if
Meyer ein guter Vater. Für den Stieffohn Johann hält
er um die Schmiedenzunft an, mit gewünfchtem Erfolg, „ob-
wohlen der alt Zeilenhauer fi) darwider legt". Kurz da:
rauf heiratet Johann die Jungfrau Sarah von Wengen, des
Sigriften Tochter, und zum drittenmal treffen wir ihn, als
er — gewiß ein Beweis hohen Vertrauens — für den Stief—
vater ein Pferd kauf. Mit dem Stiefiohn Rudolf Heber
ftand Meyer in gefchäftlichen Beziehungen.
Der Lefer wundert fih, daß über Meyers Battin
nichts berichtet wird. Wenn die Frau die befte ift, von
der man das Wenigfte weiß, jo war die Meyerin ein Aus:
bund. Unſre Aufzeichnungen betreffen die zweite Gattin,
die geborene Ringli. Zunächſt ift verfchiedentlich die Rede
von Geldangelegenheiten. Von einem Sahreszins für eine
Schütte auf St. Leonbardsklofter im Betrag von 12 Taler
erhält die Stau 1 Dukaten, und Meyer bemerkt dazu: „Der
Reit fol verwahrt bleiben.“ Oder er fchießt der Hausfrau
3 Taler vor. Oder die Frau kauft 2 Saum weißen Wein
vom Untervogt von Muttenz. Dem uns fchon befannten
Stieffohn Johann Heber dem Feilenhauer verkauft fie ihr
Haus zu 650 Pfd. Als Hausfrau tritt Frau Meyer auf,
248
wenn ihr Gatte bei Aufzeichnung der Hausmetzgeten bervor-
hebt, daß von den „Schwinlin”, die das Leben laflen mußten,
feine Frau drei aufgezogen hat. Einmal ſehen wir fie eine
Badefahrt nah Rheinfelden unternehmen, von der der Gatte
fie nach viertägiger Dauer wieder abholt, und zwar ging
die Heimreife zu Schiff vor fih. Eine amtliche Inſpektions
reife nach Sifjah unternimmt er mit dem Baufchreiber und
dem Werfmeifter und deren Frauen; dazu kommt auch die
Grau Lohnherrin mit. Das ift alles, was die Kalender über
des GSchreibers Gattin verraten. Es ift nicht genug, daß
man fi) auf Grund Davon von ihr ein Bild machen Eönnte.
Die Frau hatte einen Bruder, den M. Joh. Jakob
Ringli. Der fand mit feinem Schwager Meyer infofern
in Gefchäftsverbindung, als er zu den zahlreichen mathema-
tifehen und geometrifchen Lehrbüchern des Lohnherrn, deren
Titel man bei Fri Burckhardt nachfchlagen mag, die ein-
leitenden Gedichte verfaßte. Außer Ringli erwähnen unſre
Blätter eine Reihe von Gevattern und fonftigen Bekannten,
die für uns leere Namen bleiben.
Soweit e3 die dlürftigen Angaben geftatten, mag ganz
furz noch von den öfonomifhen Verhältniffen
Meyers die Rede fein. Auch hier fteht die Unvollftändigfeit
und Lücdenhaftigkeit der Aufzeichnungen hindernd im Wege.
Ziemlich regelmäßig zu Anfang jedes Ralenderhalbjahrs wird
der Empfang eines Vetrags von 20 Pfd. für Hauszins von
Meifter Wieland gebucht. Dagegen hat Meyer an den
Schaffner Rippel einen Zins zu bezahlen und an eine Schuld
regelmäßige AUbzahlungen zu leiften, fo daß er mit dieſem
in einer unendlichen Abrechnung ſteht. Wenn da nicht neben
den Ralendernotizen noch weitere genauere Eintragungen
nachhalfen, fo fteht zu befürchten, daß die Verrechnung über:
haupt nie ing Reine fam. Leber einige andere Zinfen, an
Simon Segefler, an den Herin Rektor, müflen wir hinweg:
gehen, weil fie ganz vereinzelt nur genannt werden.
‚Ueber die Geſelligkeit Meyers bieten die vor-
249
liegenden Blätter Eeinerlei Anhaltspunkte. Man lieft wohl
zur Geltenheit, daß er an dem und dem Tage bei dieſem
oder bei jenem zu Gafte war. Man glaubt aus den Fällen,
wo er den Herren vom Regiment eine Rollation ausrichten
und daran teilnehmen mußte, einen Unterton der Miß—
billigung oder wenigftens des Unbehagens heraustönen zu
hören. Uber einen Schluß daraus zu ziehen, wird niemand
wagen.
Auch fonft Fönnen wir über Liebhabereien und Gteden:
pferde Meyers, wie fie heute auch der Geringfte nicht un-
gepflegt läßt, Feine Auskunft erteilen. Von Runft if,
foviel ich fehe, kaum je, und ohne alle perfönliche Anteil:
nahme die Rede. Ganz kühl berichtet der Lohnberr, daß
man im Oftober 1674 „in dem Graben hinter dem Holee
alte heidnifche urnas und Münzen” gefunden habe. Was
die Poefie betrifft, fo wird einmal eine Schaufpielergefell-
Schaft erwähnt (f. auch Ochs, VII., 324/25), für die Meyer
nit ohne gute Vezahlung, wie weiter vorn (©. 223) er:
mwäbhnt, die Bühne aufrichtete. Er befuchte auch die Vor—
ftelung. Uber es fieht fo aus, als fei dies bloß gefchehen,
weil er fiher war, da den Markgrafen von Baden zu treffen,
mit dem er Geſchäfte zu befprechen batte.
Die ſprachliche Form der Meyer'ſchen Auf:
zeichnungen läßt auf eine gute Bildung ſchließen. Er hand—
habt fein Deutfch recht gewandt und mit genauer Beobach—
tung der Regeln, trotz dem damals verwidelten und wenig
überfichtlichen Satzbau mit Anfchaulichkeit und oft mit treff-
fihderem Ausdrud. Dazu hilft ihm ein merflicher bajel-
deutfcher Einfchlag, den wir dem Lohnberrn zu befonderem
Lob anrechnen. Hie und da hat er lateinifhe Brocken ein-
geſtreut. Man würde fih wohl vergeblich bemühen, ein
Prinzip in diefer Verwendung des Lateins zu entdeden.
Perfönlih neige ich zu der Anfiht, daß Meyer auf die
Sprache Ciceros griff, wo er etwas einem unbefugten Lefer
zu verbergen wünfchte.e So faßte er etwa das Lrteil über
250
einen Pfarrer, die Charakterifierung eines Verſtorbenen
lateinifh. Die Handfhrift, um auch von dieſer noch
ein Wörtlein zu jagen, ift die prächtige alte Baslerſchrift.
Sn ihrem ganzen fchnörkelreichen Glanz tritt fie auf bei den
frommen Betradhtungen zum Jahresbeginn. Aber auch die
furfiven Partien auf den Durhichußblättern und auf den
Randkolumnen der KRalendarien find fehr Leicht zu leſen, fo-
bald man fih einigermaßen hineingearbeitet hat. Manch-
mal bat das Drudpapier durhgefhlagen, aber nur an fehr
wenigen Stellen war es unmöglich, die Schrift zu entziffern,
und nur an folchen, die für das Gefamtverftändnis unweſent—
lich fcheinen.
Sch fürchte, ih bin zu weitläufig geworden. Es lag
mir daran, möglichft viele von den fprechenden Einzelheiten
bervorzubeben, an denen diefe Quelle befonders reich ift.
Einen Beitrag zur Gefchichte des ausgehenden 17. Zahr:
hunderts in Baſel zu johreiben, lag mir fern. Dagegen hoffe
ich, daß die Kenntnis des baslerifchen Lebens in dieſem Seit:
abfchnitt durch das, was ich mitteilen konnte, vielleicht in
einzelnen Punkten dem Lefer nahe gebracht wird.
Es mag füglich bezweifelt werden, ob fi) aus irgend
einer beliebigen Stadt Deutfchlands aus der Zeit, die uns
bier bejchäftigt, das Bild eines fo behaglichen und behäbigen
bürgerlichen Lebens zeichnen Tiefe. Den Deutfchen im
Reich verliefen diefe Jahre, wenigftens foweit es den
Mittelftand betrifft, dem Meyer angehörte, unter den Nach:
wirfungen des großen Krieges freudlos und in engen, dürf:
tigen Verhältniſſen. Damit verglichen herrſchte in der
Schweiz ein gewifler Wohlftand. Es war eine Folge der
Peutralitätspolitit unferer Vorfahren während des dreißig:
jährigen Krieges. Möge es ein gütiges Geſchick fügen, daß
wir ähnlich auch aus dem gegenwärtigen Völkerkrieg ohne
allzu fchwere Wunden hervorgehen.
251
Beiträge zum Verhältnis zwifchen
Jacob Burdbardt und Arnold Boedlin.
Mitgeteilt von A. Deri-Sarafin.
Wer fih über die bekannte Entzweiung zwijchen dem
Runftpiftorifer und dem KRünftler, die im Oftober 1869 zum
dauernden Bruch einer alten Freundſchaft führte, orientieren
will, findet in einem Artikel von Albert Deri (Bafel):
Arnold DBoedlin und Jacob DBurdhardt (Süddeutſche
Monatshefte, März 1911) eine ausführliche und auf Alten
berubende Darftellung, welche vielen der in den Boecklin—
memoiren von Frau Angela Boedlin 1910 durch Ferdinand
Runfel mitgeteilten Fabeln ein Ende machen follte. Sie ift
aber faum fo befannt, daß fie imftande fein wird, das ein-
gewurzelte und verbreitete Vorurteil, Jacob Burckhardt und
auch Boedlins PVaterftadt hätten ungerecht und feindlich an
dem Künftler gehandelt und ihm die Eriftenz in Bafel un:
möglich gemacht, umzuftoßen.
Die Boedlinbiographen find in diefen Dingen oft falſch
oder wenigſtens fehr einfeitig orientiert. Auch U. Frey (Ar—
nold Boedlin nach den Erinnerungen feiner Zürcher Freunde,
1903), der das Beſtreben bat, billig abzumwägen, der aber
eigentlich hätte willen müflen, daß Boedlin an Jacob Burd-
hardt bei dem Erlangen des Auftrags zu den Mufeums:
fresten, wie fchon bei früheren Gelegenheiten, den lebhafteften
Befürworter bei Privaten und vor der Behörde gehabt hatte,
wird Burdhardt nicht gerecht, wenn er ſagt, „Daß Burd-
hardt Damals (1869) die Größe der Boecklin'ſchen Begabung
nicht erfannt hatte, wo fie ſchon einer ganzen Reihe von
252
Künftlern aufgegangen war, foweit die jpäte Entwidlung
des Meifters dies geftattete”", „Daß er Boedlin nie ganz be-
griffen habe”, daß es aber befonders Burchhardts laue, zau-
dernde Haltung in der Fresfenangelegenbeit, feine unmänn:
liche, im Ausjprechen eines Urteils über Lebende an Eras-
mus erinnernde Behutſamkeit, fein Mangel an Wärme, das
Entihlüpfen, wenn einer die Freundeshand zu fallen ge:
Dachte, geweien fei, was Boedlin vergrämt und ihn fchließlich
in den Wahn gebracht habe, Yurdhardt fei feinem Auf:
fommen in Baſel am meiften im Wege gewefen und habe
ihm das Leben in der Paterftadt unmöglich gemacht.
Wenn ih auch Burchkhardt in der zweiten Hälfte der
jechziger Zahre oft mit Anerkennung und Freude über Boeck—
lins Arbeiten reden hörte, fo ift es mir doch ohne weiteres
verftändlich, daß bei dem damals beftehenden vertraulichen
Verkehr zwifchen beiden Männern Burckhardt annahm, mit
Boedlin frei auch über das Neue in deflen Fünftlerifcher Ent-
widlung fprechen zu dürfen, ohne ihm zu nahe zu treten oder
eine Erplofion feiner Künftlerempfindlichkeit riskieren zu
müflen. In Yurdhardts Wefen lag es eben nicht, auf feinen
eigenen Gefchmad und auf fein eigenes freies Urteil zu ver-
zichten oder fich einer einzelnen Runftrichtung fo verfallen zu
erklären, daß er fich unbedingt, auf jeden Fall und ohne
MWiderfpruh zu einem Meifter hätte befennen wollen.
Seine Stellung als Mitglied der Mufeumstommiffion ver-
pflichtete ihn zu einem objektiven, nicht durch die Freund-
Schaft beeinflußten Urteil.
Sacob Burckhardt hat es feit dem Konflikt vermieden,
fih nit nur über Boedlins, fondern über Werfe lebender
Künftler überhaupt auszusprechen da, wo er nicht auf ab-
folute Diskretion rechnen Fonnte. Aus Iangjährigem Verkehr
weiß ich jedoch, daß er bis zu feinem Ende nicht aufhörte,
in Boecklin einen wahrhaft großen, jchöpferifchen KRünftler
zu ſehen. Er nahm den unglüdlichen Bruch) der alten Freund:
Ihaft refigniert als fein Schidfal Hin und vermied es nad)
253
feiner vornehmen Urt, WUerger über erlittene Unbill zu
zeigen.
Bei den in der Boedlin-Literatur fo verfchieden, meift
für Burckhardt und die Stadt ZVafel nicht gerade günffig
lautenden Irteilen kann es für künftige Boedlin-Biographen
von Nuten fein, wenn auch Zeugnifle aus einer früheren
Periode, aus den Zeiten der ungetrübten Freundſchaft, be:
fannt werden. Der Eürzlich erfchienene Briefwechſel von
Sacob Yurdhardt und Paul Heyfe (herausgegeben von Eric)
Patzet, 1916) geftattet nicht nur Einblide in das intime Ver:
hältnis zwifchen dem Gelehrten und dem Dichter, das voll:
fommene Greiheit der Ausfprache und auch der Aritif ge:
ftattete, er enthält zugleich Dokumente über gemeinfchaftliche
Sorgen aus der Zeit, Winter 1858/59, wo Boedlin, der
Freund DBeider, an einem fchweren Typhus todfranf in
Münden lag.
Wenn es mir auch nicht Leicht fällt, im Folgenden einige
Briefe Burdhardts zu verwenden, jo glaube ich Doch, mich
über meine Bedenken hinweojeben zu dürfen, da in einer
ftattlichen Reihe von Publikationen das Gebot Burckhardts,
feine feiner Briefe zu veröffentlichen, umgangen worden ift.
Wenn je, fo ift das Nichteinhalten diejes Gebots doch wohl
dann berechtigt, wenn es fih um die Ehre von Yurdhardts
angegriffenem Andenken handelt. Das Wenige, was ich
mitzuteilen babe, ift übrigens fchon im Sahre 1914 von Herrn
Dr. €. Schaub im 2. Band der Gefchichte der Familie Sa—
rafin auszuasweife publiziert worden.
Diefe Briefe Yurdhardts aus dem Jahre 1851 find an
den Bürgermeifter Felix Sarafin-Brunner (1797—1862)
gerichtet; fie wurden mir von dem Sohne des Wdreflaten,
Herrn Jakob Sarafin-Schlumberger, aus dem Saraſin'ſchen
Samilienarchiv freundlich zur Verfügung geſtellt. Vorerſt
die Erwerbung eines intereflanten alten Gemäldes betreffend,
führen fie bei diefer Gelegenheit auf das Verhältnis von
Burckhardt zu VBoedlin.
254
Zum Schluffe werde ich Einiges aus vier Briefen Boed:
Iins aus der Zeit feines Weimarer Aufenthalts (1861 und
1862) mitteilen.
Am 27. November 1850 Eaufte Jacob Burdhardt aus
der Sammlung der Herren Merian-Roedlin und Bifchoff-
Reftner im Kirfehgarten laut Quittung ©. Merians um den
Preis von 500 Stanken ein Delgemälde, „Den St. Sohannes
Darftellend, angebl. von Leonh. da Vinci”. Burckhardt hielt
das Bild für einen echten Lionardo und Faufte es in der
Annahme, e3 zum Anfaufspreis dem Mufeum zuwenden zu
können. Bezüglich einiger anderer Bilder mit berühmten
Namen (Andrea del Sarto, Carlo dolce, Solario und an:
deren), die Herr S. Merian-Forcart am 7. Dezember Yurd-
hardt zu befichtigen bat, bevor er fie nach Paris weiter gebe,
verfprach der Befiter, „Daß er Alles, was in feinen Kräften
ftebe, thun werde, um Burckhardt den Ankauf zu erleichtern
und diefe hübfchen Bilder dem hiefigen Mufeum zu fichern”.
Burckhardt, damals 32 Zahre alt, war nicht in der Lage,
weitere Wagniffe mit Erwerbungen zu machen, da er ſchon
das Geld für das Lionardobild hatte entlehnen müflen. Nach
ſechs meift im Ausland und auf Reifen verlebten Studien-
jahren 1843 zum Doctor philofophiae promoviert, 1844 an
der Univerſität Bafel habilitiert, 1845 zum Profeflor ertra-
ordinarius ohne Gehalt ernannt, von 1846 bis 47 zuerft ein
halbes Jahr lang in Stalien, dann ein Zahr zur Neubear:
beitung von Ruglers Geſchichte der Malerei in Berlin, hatte
Burckhardt März 1847 feine außerordentlihe Profeflur
niedergelegt und den Winter 1847/48 in Rom verbradt;
von 1848—52 war er in Baſel mit Anftellung für acht
Stunden Geihichtsunterriht an zwei Realiftenflaflen des
Gymnafiums neben der weiter unbezahlten außerordentlichen
Profeffur. Ich weiß aus Burckhardts Munde, daß, als er
im Sabre 1852 feine acht Geichichtsftunden an den Realiften-
Haflen verlor, er den Reft feines mütterlichen Erbes zu dem
255
14 Monate dauernden Aufenthalt in Stalien 1853/54 ver-
wendete, während deflen er das Material zum —2—
(erſchienen 1855) vollends ſammelte!).
Mit dem Lionardobild hatte er fein Glück; als er es
der Mufeumstommiffion um den Ankaufspreis anbot, wurde
er abgewiefen. Ein Mitglied machte ihm fogar direft den
Vorwurf, „Daß der Herr Profeflor, da er den Irrtum bei
feiner privaten Erwerbung eingefeben habe, das Bild nun
dem Mufeum anhängen wolle”. Burckhardt fandte nun das
Gemälde an Inſpektor 3. D. Paflavant in Frankfurt a. M.
zum Ankauf für das Städel’fche Kunſtinſtitut oder wenigftens
zur. Erlangung eines Gutachtens.
Vier mir vorliegende Vriefe von Paflavant an Burck
hardt von Ende 1850 und Anfang 1851, in denen die Edht-
heit des Gemäldes als einer Originalarbeit Lionardos ver:
neint und in nicht durchwegs höflicher Weife der Ankauf
diefer allerdings alten Kopie abgelehnt wird, werden bier
übergangen, da fie nicht zum engeren Zwecke diefer Arbeit
gehören. Ich denke, daß fie in nicht zu langer Zeit von
anderer Seite veröffentlicht werden. Das Wefentliche über
Paflavants Begutachtung folgt unten (©. 257).
Nah den Üblehnungen der Sammlungen von Bafel
und Stanffurt bot Burdbardt am 25. Sanuar 1851 dag Ge:
mälde dem ihm als Runftliebhbaber und Sammler bekannten
Herrn Bürgermeifter Felir Sarafin zum Kaufe um die 500
Franken an, die es ihn felbft gefoftet hatte. Wie ich mich
aus einer Erzählung Burckhardts erinnere, hatte Sarafin
ihm im November den Kaufpreis vorgefhoflen. YBurdhardt
fügte bei, „Daß er das Bild nicht mehr für ein Original gebe,
aber für eine gute und gleichzeitige Kopie, in welcher
die Seele Lionardos lebt”.
In einer freundlichen fehriftlihen Antwort erklärte fih
Bürgermeifter Sarafin bereit, das Bild zum vorgefchlagenen
1) Die Zeitangaben find der Burdhardt-Biographie von H.Trog -
im Basler Jahrbud von 1898 entnommen.
256
Preife zu übernehmen, zugleich Burckhardt bittend, ihm beim
Ausfuchen eines angemeflenen Plaßes in feinem Haufe zum
Schöned behilflich zu fein. Am 1. Februar 1851 ging das
Gemälde in feinen Beſitz über, nach dem Tode feiner Witwe
(1908) kam es an den Sohn, Herrn Dr. Fri Sarafin, den
jegigen Beſitzer. Es wurde fpäter mehrere Male von Auto-
ritäten der Kunſtgeſchichte befichtigt, u. a. von Waagen und
Lübke. Waagen, jo glaube ich mich aus einem Gefpräche
mit Burckhardt Mitte oder Ende der fechziger Jahre zu er:
innern, hielt es für ein längft vermißtes Bild Lionardos,
einen Sohannes, der noch fchöner fer als der des Louvre.
Burckhardt begleitete die Llebergabe mit einer „Notiz“
zu Handen des Käufers, d. h. einer genauen Darftellung der
bisherigen Schidfale des Bildes, die ich bier folgen Lafle:
Der Unterzeichnete ſah diefes Bild zum erftenmal im
legten November im Beſitz der Herren Merian-Roedhlin und
Bifhoff-Reftner dahier, im Kirſchgarten. Er erfuhr zugleich,
daß dDasfelbe feit der erften franzöfiihen Revolution in der
Schweiz fei und daß es feither fich bei dem verftorbenen Kunſt⸗
händler Lamy dabier befunden babe. Der Ilnterzeichnete
faufte das Bild den 27. November 1850 um 500 frfr. (lauf
Schein von diefem Tage). Nachdem er e3 vergebens der
Commilfion des hiefigen Mufeums um diefelbe Summe zum
Kauf angeboten, faßte er den Entichluß, dasjelbe dem nam-
hafteften Kenner Lionardos und feiner Schule, Herrn In—
fpector 3. D. Paflavant in Srankfurt am Main zuzufenden,
und es ihm entweder zum Ankauf für das Städel’fche Runft-
inftitut anzubieten oder ihn wenigftens um ein Gutachten zu
erjuhen. Die Abſendung erfolgte auf eine vorherige, von
Herren Paſſavant unterm 23. Dec. bewilligte Anfrage bin,
den 26. Dec. Unterm 3. Sanuar d. 3. gab Herr Paffavant
fein Gutachten dahin ab:
„Das Gemälde ift in ganz ähnlicher Weile behandelt
„(wie dasjenige im Louvre) und wohl faft gleihzeitig
„angefertigt worden. Es fteht indeflen in der Ausführung
257 17
„dem Parifer Eremplar fehr nach, ſowohl in Zeichnung als
„Modellierung” etc. (im Folgenden wird zugegeben, daß
auch in dem Parifer Eremplar die Hände und der Arm nicht
bloß ſtark reftauriert, fondern vielleicht überhaupt nicht von
Lionardo gemalt feien) „Das Vild fei alfo bloß eine alte
Copie“.
Der Anterzeichnete antwortete hierauf Herrn Paſſavant,
daß ihm das Bild um 200 Gulden feil ſei, und erſuchte ihn,
wenigſtens den Schüler näher zu bezeichnen, welcher das—
felbe gefertigt haben Fönnte.
Die Antwort Herrn Paflavants, vom 9. Januar, ver-
rieth eine ältere, von dem Unterzeichneten, wie er betheuern
kann, nicht verfchuldete Animofität; im Uebrigen wurde da-
Hin entjchieden, „man Tönne zwar nicht angeben, von wem die
„Copie fein dürfte, denn der Schüler des Meifters waren gar
„viele, von denen wir entweder die Werfe oder ihren Namen
„nicht einmal kennen; Doc) ift die Copie immerhin gut genug,
„am einen Preis von 500 francsnihtübermäßig
„zu finden.”
Das Grundlofe der erfteren WUeußerung fällt in die
Augen. Ein Schüler, der vorliegendes Bild malen Eonnte,
hätte wohl anderweitig Spuren feines Namens und feiner
Werke binterlaflen müſſen.
Der Unterzeichnete bot das ihm wohlerhalten zurüd-
gefandte Bild, für welches ihm den 29. Zanuar die nach—
gefuchte Zollfreibeit bewilligt wurde, Ew. Wohlgeboren zum
Kaufe an und erhielt am 28. Januar Ihre geehrte Zufage.
Inzwiſchen entdedte er auf dem Rüden des Bildes den
Ahnen bekannten Gallerieftempel?2). Sein Gutachten über
denjelben geht dahin, daß wenigftens die Eftampillen, womit
derſelbe gemacht wurde, noh aus der erften Hälfte
des XVI Jahrhunderts herrühren mußten, und daß
auch die Anwendung der lateiniſchen Spradhe für einen
2) 3 Lilien und in Iateiniiden Budjftaben: LIONARD
VINCIUS. Der Herausgeber.
258
Gegenftand koͤniglich franzöfiihen Domänenbefiges in der
gweiten Hälfte des XVI. Jahrhunderts ſchon auffallend,
fpäter aber kaum erbört wäre. Ferner bätte die jeweilige
Verwaltung des Föniglichen Gemäldeſchatzes in Fontaine:
bleau oder wo fonft, Fein Intereſſe gehabt, abfichtlih einen
unrichtigen Namen an dem Bilde anzubringen; fie müßte
diefes 2 oder 3 Zahrzehnde nad) dem Tode Lionardos un-
wiflentlich gethban haben, was immerhin möglich bleibt.
Andererfeit3 bat der Linterzeichnete niemals dem Pa:
rifer Eremplar zu nahe treten wollen; obſchon dasſelbe an
höherer Idealität entfchieden neben dem vorliegenden zurück⸗
fteht, fo will er die allgemein anerkannte Originalität nicht
antaften; er hält es aber doch für möglich, Daß dieje Eigen:
händigkeit die des vorliegenden Vildes nicht ausfchließe.
Hohakhtungsvol und ergebenit
Zac. Burckhardt,
Profeflor.
Bafel, 31. Januar 1851.
Einige Tage, nahdem Burckhardt YVürgermeifter Sa—
tafin das Angebot gemacht hatte, hatte er an diefen zur Be—
gründung feines Schrittes gefchrieben:
Baſel, 28. Sanuar 1851.
Hocgeehrter Herr DBürgermeifter!
Um Ihnen den Entſchluß über Ankauf oder Ablehnung
meines Bildes zu erleichtern, fehe ich mich veranlaßt, im
Bertrauen auf Ihre volllommene Diskretion, Ihnen einige
Andeutungen zu geben.
Der Schein ift gegen mich; es fieht aus, als fuchte ich
auf Ihre Unkoften eine begangene Lebereilung rüdgängig zu
machen.
Aber fürs Erfte wäre ich, felbft wenn ich mich übereilt
hätte mit dem Ankauf, Mannes genug, dergleichen in der
Stille zu ertragen und zu beißen.
259 17°
Fürs Zweite brauche ich das Geld nicht für mid. Es
handelt fih um einen Künftler, der aus Mangel an Mitteln
Stalien im März verlaflen müßte. Sch bin gefonnen, ihm
durch eine Veftellung von 250 frfr noch die paar Frühlings:
wochen zu leiften. Auch dafür würde ich das Bild nicht
verkaufen, wäre ich nicht anderweitig in meinen Eleinen Geld-
ſachen auf läftige Weife im Stiche gelaflen worden. Die
übrigen 250 fr werden allmälig auch auf Runftzwede ver-
wendet werden.
Fürs. Dritte ift zwar mein Seugniß für den Werth des
Bildes null, weil es in eigener Sache gefällt ift; allein ich
bin glüdlicher Weife im Stande, Ihnen die jehriftlide Aus-
fage einer in diefer Sache ganz unmwiderlegbaren Autorität
vorzulegen, dahin lautend: 500 ffr feien ein mäßiger Preis
für diefes Werk.
Sch habe dieſes Bild gekauft in der erſten Aufwallung
des Enthufiasmus, den es wohl zu erregen im Stande ift.
Sch ſah, daß es, wenn nicht von Lionardos Hand, jedenfalls
unter feinen Augen gemalt fein mußte; ich rechnete nach und
fand, daß das Mufeum noch feinen einzigen Idealkopf be-
fie, etwa Holbeins Lais ausgenommen. Das Bild ift des-
halb nicht weniger werth, weil das Mufeum den Rauf ab-
Lehnte. Ä
Wenn Ihnen, hochgeehrtefter Herr Bürgermeifter, gleich-
wohl der Ankauf nicht conveniert, fo nehme ich dieß als ein
Schidjal für Senen an, dem die Hälfte der Rauffumme be-
flimmt if. Er ift ein Maler, der jet nichts gilt, von dem
aber in 10 Zahren Zedermann etwas wird haben wollen.
Das unbedingte Zutrauen allein, das ich in Ihre Ver-
Ihwiegenbeit jege, gibt mir den Muth, Ihnen mit diefer
Sache befchwerlich zu fallen. Dem Betreffenden felber kann
ich nur durch eine anonyme Beſtellung durch dritte Hand nahe
fommen, jedes direkte Einfchreiten würde feine Delicatefle
verletzen.
260
Ich weiß, daß ich auf den Wegen der Pflicht wandle
und mache mir aus diefer meiner fcheinbaren Zudringlichkeit
feinen Vorwurf, fo ſchwer fie mich ankoͤmmt, namentlich
gegenüber einem verehrten Mann, auf deflen Achtung und
Wohlwollen mir fo viel anfommen muß.
An aufrichtigfter Hochachtung
Ew. Wohlgeboren
ergebeniter
3. Burckhardt
Profeflor.
Sn einem Briefe vom 14. Februar 1851 an Bürger:
meifter Sarafin kommt Burckhardt nochmals auf das Gemälde
zurüd, nachdem er in der Sammlung von Oberft Merian im
Kirſchgarten „ein zweites, aber jehr mittelmäßiges Eremplar
des Johannes, Copie des XVII. Zahrhunderts” gefehen
hatte. Er ffizziert mit einigen Strichen die Geftalt des Jo—
hannes und fchreibt u. a.: „Beim Anblid desfelben ging mir
„rolgendes Liht auf: Diefes ift die Compofition des
„Merian’fchen und des Parifer Eremplars, wie ih
„mich jetzt klar zu erinnern glaube, Ihr Bild ift ſomit nicht
„einmal eine Wiederholung des Parifer Bildes, fondern
„eine ganz neue von Lionardo apart er:
„Tundene Compofition mit wefentlidh ver:
„Hiedener Haltung des Kopfes, man Tünnte
„etwa durch Herrn Weber in Paris Haren Aufihluß er-
„balten. Sch habe mich geirrt, als ich die Compofition des
„Shrigen und des Bildes im Louvre für diefelbe hielt, aber
„Herr Paſſavant hat fih auch geirrt!“ „Unfer Willen ift
„Stückwerk.“
Ob der Kupferſtecher Friedr. Weber über die Sache
befragt wurde, weiß ich nicht. Man kann es bedauern, daß
damals das Hilfsmittel der Photographie noch nicht zur
Verfügung ſtand, das über einige Hauptpunkte raſch und ſicher
261
Auffchluß gegeben hätte. Es bleibt der in Ausficht ftehenden
Publikation von Herrn Dr. Paul Sarafin vorbehalten, ein
überrafchendes Licht auf den damaligen Streit über die Autor:
fchaft und auch über den Inhalt des Lionardobildes zu
werfen.
Sm Briefe Jacob Burckhardts vom 28. Zanuar 1851
(. S. 259) an DBürgermeifter Sarafin taucht zum erften
Male, wenn auch nicht der Name, fo doch die Perfon des
DBurdhardt befreundeten, damals 24 Jahre alten Basler
Malers Arnold DBoedlin auf, dem er zur Verlängerung
feines feit März 1850 dauernden Aufenthalts in Stalien
helfen möchte. :
Sn einem ferneren Briefe tritt die Sorge für den not-
leidenden Freund Boedlin neuerdings zutage, diesmal mit
Nennung des Namens. Beide Vriefe find nicht nur Zeugen
einer zu Opfern fähigen Freundfchaft, fie atmen den feften
Glauben an Boedlins Ingenium, „feinen tiefen poetifchen
Fonds" und feine Zukunft als Künftler. Der zweite rief
lautet:
Bafel, 17. Mai 1851.
Hochgeehrter Herr Bürgermeifter!
Entihuldigen Sie, wenn ich unter dem Siegel der Dis-
cretion noch einmal an eine Sache zu erinnern wage, von
welcher ich fchon Einmal Ew. Wohlgeboren zu unterrichten
die Ehre hatte.
Es wird Morgen eine Landfchaft von VBoedlin in Rom
im Nebenzimmer der Lefegefellfchaft ausgeftellt fein (und
mehr. als acht Tage daſelbſt bleiben), welche nicht bloß
fehbr bedeutende technifche Fortfchritte, fondern auch
den tiefen poetifchen Fonds des Künftlers deutlich an den Tag
lest. Sch bin für meine Perfon überzeugt, daß derfelbe
unferer Vaterftadt nicht geringere Ehre machen wird als
Frey, und ich habe deshalb für ihn gethan, was in meinen
262
ſchwachen Kräften ftand. Es war nothwendig, daß ich felber
den Anfang machte, weil die früheren Arbeiten B's nichts
Beftechendes hatten und weil es unmöglich ift, dem Publi-
fum fünftige Vorzüge eines Malers aus unvolllommenen
Bildern zu beweifen. Allein, meine beſchränkten Mittel ge-
ftatten mir nicht, Über ein gewiſſes Maaß hinauszugeben.
Alles, um was es fich handelt, ift: dem Künftler noch den
Aufenthalt in Rom für diefen Sommer zu ermöglichen, ver:
mittelft einer mäßigen Beſtellung.
Ich weiß, daß die Güte Ew. Wohlgeboren. be-
fändig und von vielen Seiten in Anfpruch genommen wird,
auch würde ih von dieſer Seite gar nicht an Sie zu
appellieren wagen. Allein, nad) dem vorliegenden Bilde Tann
ich mich auf das Sicherfte dafür verbürgen, daß Sie für eine
geringe Summe ein Runftwerf von dDauerndem Werthe ge:
winnen würden. Es ift nicht zu beforgen, daß der Charakter
desselben durchaus düfter und melancholifch fein müßte, ein
Wort des Beftellers würde genügen, damit das Freundliche
und Heitere neben dem Großartigen vorherrſcht.
Emw. Wohlgeboren könnten gegen diejes mein Anliegen
ein gerechtes Mißtrauen fallen, wenn ih nur mit fremden
Mitteln eine für mich wohlfeile Protection ausüben wollte.
Allein Sie willen (und zwar nur Sie), daß mir auch ein
großes Opfer für diefen Zweck nicht zu ſchwer geworden ift,
weil ih mit der größten Sicherheit vorausfagen Tann, daß
es fi hier um die Förderung eines geborenen echten Land-
Ichaftsmalers handelt, der nicht nur arfige Veduten malen,
fondern feinen ganzen Runftzweig fördern wird, wenn ihm
Leben und Freiheit gegönnt ift.
Ich Schließe mit dem feierlichen Versprechen, Ihnen fonft
mit Anliegen diefer Art möglichft felten befchwerlich zu fallen,
wie denn dergleichen fonft meiner Art und meinem Gefchmad
gänzlich zumider ift, und ich Anläſſe dazu nach Kräften ver-
meide. Hier aber handelt es fich meinerfeits um eine Klar
erfannte Pflicht.
263
Doch, wie auch Ihr Entfchluß ausfalle, es ift Nichts
im Stande, meine volllommene Ergebenheit und —.
zu erfchlittern, womit verbarrt
Ew. Wohlgeboren
unterthänigfter
J. Zurdhardt, Prof.
Diefer dringenden Fürfprache gab Bürgermeifter Sa-
rafin nad), zwar nicht indem er das ausgeftellte Gemälde
faufte, aber indem er fich zu einer Beftellung entihloß und
Burckhardt um den Entwurf zu einer folchen an Boedlin bat,
der bier folgt; er ift von Burckhardts Hand gefchrieben.
(Entwurf.)
P. P.
Der Unterzeichnete wünſcht von Ihnen ein Bild zu er—
halten, etwa von der Größe des neulich nah) Baſel ge:
fommenen oder nach) Höhe und Breite etwas geringer. Die
Wahl des Gegenftandes bleibt Ihnen überlaflen, Doch wird
der Charakter eines friedlichen Abends und einer füdlichen
Vegetation gewünjcht, nebft einer nicht zu geringen Ferne.
Sn Betreff der gleihmäßig durchzuführenden fleißigen Be—
handlung, welche die wefentlihe Bedingung der Beſtellung
bildet, verweife ih Sie auf die beifolgenden Zeilen Ihres
Sreundes Prof. Burchkhardt.
Der Preis des Vildes würde bis auf frfr 500 gehen
dürfen.
Wenn Sie, Tit., auf diefe Vedingungen einzugehen
gefonnen find, jo bittet um gef. Anzeige
(Sarafin.)
Nachſchrift:
Verehrteſter Herr Bürgermeiſter!
Beifolgend finden Sie mein Schreiben an Boecllin.
Sollte Ihnen dasjelbe ungenügend fcheinen, jo bitte ich um
264
Bezeihnung des Fehlenden und bin bereit, es noch nad):
drüdlicher zu redigieren.
Hochachtungsvoll und ergebenft
3. Burckhardt, Prof.
Adreſſe:
Monfieur U. Boedlin, artifte
Roma, Dia Gregoriana No. 7.
Zur Verfendung ift auch der Llnterzeichnete bereit.
3.2.
Boedlins Antwort an den Beſteller (ohne deſſen Adrefle),
durch Einfhluß in einen Brief an 9. Durdhardt vermittelt,
lautet:
Rom, den 6. Zuni 1851.
Hochgeachteter Herr!
Die Beftellung, womit Sie mich beehrt, hat mich auf
die angenehmite Weife überraſcht. Da ich die volllommene
Richtigkeit der Forderung an ein Kunſtwerk, das vollendet
fein fol, einfehe und mir daher die Aufgabe in jeder Hin-
fiht nur erwünscht fein kann, fo nehme ich fie mit Freuden
an und werde fuchen, durch Fleiß und paflende Ausführung
des Einzelnen das Gemälde genießbar zu machen.
Der Erfolg wird zeigen, ob ich meine Kräfte überjchäße;
unterdeflen glaube ich Ihnen, hochgeachteter Herr, veriprechen
zu Eönnen, daß die Mängel, deren es leider im vorigen Bilde
viele gibt, im jegigen nicht mehr vorfommen werden, ſondern
daß diejes in Bezug auf elegante und ſorgfältige SID
Shren Erwartungen entiprechen wird.
Empfangen Sie inzwifchen meinen ergebenften Gruß.
Arnold Boedlin.
Das Bild, das dann Boedlin Tieferte, fcheint zur Zu-
friedenbeit des Beſtellers ausgefallen zu fein, es ift das als
„ideale Landfchaft" bei H. Mendelfohn (©. 249) aufgeführte
Gemälde, das jegt Herin 3. Sarafin-Schlumberger gehört.
265
Jacob Burckhardt Faufte von Boecklin im Anfang der
fünfziger Jahre mehrere Heine Landfchaften in Del und 14
fehr ſchön ausgeführte Landfchaftszeichnungen, die jebt im
DBelige feiner Verwandten find. Er faufte fie feinerzeit,
wie er mir gegenüber ausdrüdlich betonte, „bei feiner eigenen
Armuth, um zu belfen, Boedlin über Wafler zu halten”.
Jacob Burdhardt war mit dem um neun Jahre jüngeren
Doedlin, der von 1845 an mit kurzen Unterbrechungen in
Düffeldorf, Belgien und Paris geweilt hatte und nach vier
Wanderjahren nah) Baſel zurüdgelehrt war, wohl im Jahre
1849 näher befannt geworden. Boecklin ging im März 1850
nad) Rom, war dann den Sommer 1852 in Baſel und von
Herbft 1852 bis 1859 wieder in Rom.
In die Jahre 1853 und 1854, alfo nahdem YBurdhardt
Länoft in Baſel für Boedlin eingetreten war, fällt während
Zurdhardts dritter italienifcher Reife der längere gleich:
zeitige Aufenthalt beider in Rom. Burckhardt ftand damals
in Boedlins höchſtem Vertrauen, fo daß er 1853 bei deflen
Bewerbung um die fiebzehnjährige Angela Pascucci „als
Sreiwerber ihr und ihrer Tante lebhaft zuriet, in die Heirat
(mit dem 26 Zahre alten Maler) einzuwilligen” (f. Boecklin⸗
Memoiren, ©. 34). Zur Hochzeit, bei der Yurdhardt, von
DBoedlin gebeten, als Trauzeuge anwefend war, trug der
Bräutigam den fchwarzen Anzug des Freundes; ich weiß
diefen Umſtand daher, daß 30 oder 40 Zahre fpäter, als ich
als Arzt mich einmal mit den Kleidern des alten Herrn zu
befaflen hatte, Burckhardt fcherzweife äußerte: „Man muß
Reſpekt haben vor diefem Gewand, denn in diefen Hofen ift
Doedlin vor feiner Trauung katholiſch geworden.”
Da Burdhardt vom Herbft 1854 bis Herbft 1855, nun
als Lehrer am humaniftifchen Gymnafium und als Gtell-
vertreter des Ordinarius der Gefchichte, in etwas feiterer
Stellung in Baſel war und Herbft 1855 bis Frühling 1858
als Profeflor am eidgenöffifihen Polytechnikum in Zürich,
266
« DBoedlin aber bis Sommer 1857 in Rom, dann bis Frühling
1858 in Bafel, dann einige Monate in Hannover, von Herbft
1858 bis Mai 1860 in München, 1860 bis 1862 als Pro-
fefjor an der Runftalademie in Weimar, 1862—66 bei feinem
zweiten italienischen Aufenthalte in Rom lebte, dürften per-
fünlihe Begegnungen Burckhardts und Boedlins zwifchen
1854 und 1866 nur flüchtig ftattgefunden haben.
Von dem auch in diefer Trennungszeit weiter dauernden
freundfchaftlichen Verhältnis geben vier Briefe Boecklins
aus der Zeit feines Aufenthalts in Weimar Zeugnis. Ich
laffe fie hier folgen, allerdings mit einigen Auslafjungen, die
wie ich glaube, Jacob Burckhardts Billigung finden würden.
Seine zugehörigen Antworten fenne ich nicht.
1. St. Wohlgeboren Herrn Prof. 3. Burckhardt
St. Albanvorftadt, Baſel.
Weimar, den 28. Zuli 1861.
Mein lieber alter Freund!
Den letten Tag meines Aufenthalts in Bafel war ich
fo in Anfpruch genommen, daß ich mich zur beftimmten Stunde
nicht losreißen konnte, um dich noch einmal zu fehen, und
Doch hätte ich jo Manches noch zu Tprechen gehabt. Schreiben
läßt fich nicht Alles, und ich befchränfe mich einfach darauf,
zu verfichern, Daß ich Deutfchland, deutfches Gemüth, deutſche
Bildung, Runft, Poefie etc. allmählig fo kennen gelernt habe,
daß ich gleihb Morgen mit dem erften Schnellzug nach dem
uncivilifierten Süden fahren möchte. Weil’ aber nicht Tann
fein, bleib ich Profeflor.
Nun das Thema, weshalb ich mich denn überhaupt ent-
ſchloſſen babe, dich mit einem Brief zu beläftigen. Nach
meinem gegebenen Verſprechen, einige Entwürfe zu dem
St. Jakobsdenkmal zu Ichiden, fchleppte ich mich einige Zeit
mit fog. Ideen herum, zeichnete auf, verbrannte die Papiere
wieder, furz, ich machte es, wie jeder, der nicht recht weiß,
267
was er wil. Wie ih nun zu feinem Grund kam, fing ich
an, den Grundgedanken zu Eritifieren. Was fol dargeftellt
werden, ein Grabmal oder ein Sieg? Zuvoͤrderſt gewiß ein
Grabmal. Da kommt gleich die Trage über Einheit des
Gedankens, ohne welche in der bildenden Runft feine Wir-
fung möglich if. Sol ein Gedanke fchlagend wirken, fo muß
er allein in feiner ganzen Größe daftehen. Jeder andere
Gedanke, der beigefügt wird, macht nicht das Ganze reich,
fondern theilt nur das Intereſſe und nimmt folglich dem
erften feine Größe. Hier fommen wir auf den Punkt, wo
die ganze moderne Hiftorienmalerei faul if. Ueber dem
viel erzählen wollen, was Doch fiher in das Fach der Ge-
fhichtsfchreiberei gehört, geräth fie ganz aus dem Feld der
Schönheit und Einheit, verwechjelt die poetiihe Idee mit
der malerifchen, und fo entſtehen dieſe formlofen, kühlen,
leeren, arroganten, verfluchten Bilder und Bronzeſtatuen,
über die fich etwas Schreiben läßt, die man aber feine Minute
lang anfeben Tann.
Ich bin in meinem Eifer etwas abfeits gerathen, doch
nicht fo fehr, um nicht Nutzanwendungen auf das oben Ge:
fagte machen zu fünnen, was ih aber Dir überlaffen muß.
Das Refultat diefer weifen Betrachtungen war, daß ich
verfuchte, alle Schauer, die mich von je bei diefer Gefchichte
ergriffen, in einem einfachen Grabdenkmal darzuftellen. Auf
dem Grabbügel fteht ein einfacher Stein, worauf ein Todten-
feuer in einem breiten Beden brennt. Um den Stein halten
4 Giganten, bärenmäßige Helden, Todtenwadhe. Sie find
halb figend, halb liegend eingefchlummert, die Waffen in
den Händen oder neben ihnen auf den Stufen.
Un den vier Geiten des GSteins find große Kränze,
worin zur Genüge noch gefchrieben werden kann mit ein-
fahen Worten, was zur Gefhichte und zur Poefie gehört,
3. B.:
1° Den gefallenen Kriegern — Ort und Datum.
2° Die für die Freiheit in den Tod giengen.
268
3° Sterbend festen.
4° Das dankbare Vaterland.
Auf diefe Art ungefähr, doch fo,. daß womöglich jeder
Sat für fih abgefchloflen wäre und fich Doch auf das Lebrige
bezöge und auf die, die unterm Stein gedacht find, wäre einem
dringenden Bedürfnis ebenfalls abgeholfen.
Wie nun dieß in Thon entworfen war, dachte ich, fo
und nicht anders wüßte ich den Gedanken auszudrüden, alle
andern Entwürfe wären Doch nur gegen meine Lleberzeugung.
Wie ich nun den Entwurf fo weit gebracht, daß fich der
Gedanke verftändlih ausiprah, legte mein Freund, Bild-
bauer Begas, hülfreich mit Hand an und fo fam die Sache
in wenig Tagen jo weit, daß fie vorftellungsfähig wurde.
Sch glaube, die Wirkung wird nicht ganz verfehlt fein. Die
Figuren, die von Begas ganz Durchgearbeitet find, d. h. immer
noch ffizzenhaft, machen einen mächtigen Eindrud. Das
ganze Monument ift ernft und feierlih und wird ficherlich
das Licht Schlöth einigermaßen verdunfeln.
SH kann die Lob ohne Eigenruhm ausfprechen, da
alles Gute, was daran ift, von Vegas herrührt. Ich erwarte
nur Deine Antwort, an welche Adreſſe die Kifte gejchidt
werden fol, um fie abzujchiden, fobald es gewünjcht wird.
Nun muß ih Dir noch ein Geftändnis machen, das
Dich freilich nicht fehr überrafchen wird. Sch warte nur auf
die erfte befte Gelegenheit, um aus diejfer Enge wieder auf
offene See zu fommen. Gollte die Sfizze allgemein ge-
fallen und mir die Ausführung überlaffen werden, jo werde
ich das Reifegeld nach Stalien herausſchlagen — dann lebe-
wohl Großherzog und Profeflortitel mit Gehalt, lebt wohl
ihr Rartoffel- und Rübenfelder, — — — — — — — —
— — — — — — — — — —— — — —
— — — — — — — — —— — — — — —
— — — — —— — — — — — — — —
Menſchen zu verargen, dem die Gegenwart Nichts bietet?
269
Eitelkeit und Ruhmfucht hat mir das Schidfal Längft aus:
geprügelt. Geben mir die Götter nur ein ftiles Plätzchen,
wo ich für mich ungefchoren leben kann. Schauen und ſchaffen
möchte ih und mich ferne von allem Kunftgefindel halten.
Herzlihften Gruß von Deinem
U. Boedlin,
Prof., Theaterplag, Weimar.
2. Weimar, 19. Aug. 1861.
Mein lieber Freund! .
Heute endlich Tonnte die Skizze der Eiſenbahn über:
geben werden. Du baft feinen Begriff, was das heißt, in
einer ganz Heinen Stadt zu fein, was für Nöthe das mit fich
bringt, wenn man auf Handwerker und andere Knoten an:
gewiejen if. Nun nach allen Hinderniflen ift doch wenigſtens
die Rifte noch vor Thorſchluß fort. Test kommt's nur noch
darauf an, daß die Skizze wohlbehalten anlommt und eben-
fogut aus der Kifte gebracht wird. Dazu muß ih Dich in
einige Geheimniſſe einweihen. Erft wird das Stroh hinaus:
genommen. Dabei kommen an den 4 Geitenwänden die
Knoten der Stridhenfel zum Vorfchein. Diefe werden ab-
gefchnitten, um das Monument oben hinausziehen zu können.
Das Monument fteht auf einem Brett frei in der Kite.
Unter dem Brett durch geht doppelt ein Strid, mit dem das
Ganze mit Leichtigkeit hinausgezogen werden Tann. Iſt das
Ding etwa ganz zerbrochen, fo bitte ih Dich, wenn Du nur
einen Funken Erbarmen haft, den Inhalt der Kifte auf irgend
eine Weife verfhwinden zu machen, 3. B. mit einem Hammer
hineinzuhauen, bis die Kerle nicht mehr im Stande find, fi
zu rühren. Auf hölliſches Gelächter bin ich in diefem Fall
gefaßt, werde auch von Herzen mithelfen.
Was Du mir von Bezahlung faoft, verfteht fi) von
felbft. Sch habe nie daran gedacht, irgend ein Utile dabei
zu machen. Pläne und ftille Hoffnung wirft Du mir ver:
270
zeihen, die macht am Ende jeder in fhwachen Stunden und
ih will ja nur ftill fein.
Sollte das Monument wohlbehalten angefommen fein,
fo wäre es fo aufzuftellen, daß der Blick eines urteilsfähigen
Menſchen wagrecht auf die oberfte Stufe fällt, wo nach tech:
nifcher Benennung der Horizont ifl. Es ift damit nicht ge-
fagt, daß das, was darüber ift, über feinen Horizont geht.
Sch fehe, DaB es Zeit ift, für jeßt abzubrechen. Laße
mich nur mit Gelegenheit das Schidfal der Skizze erfahren
oder la es auch bleiben. Ich werde nicht auf eine Ant-
wort von Dir warten, um Dir wieder zu fchreiben, weil
ich in diefem Brief noch lange nicht fertig bin. Webrigens
werde ich fehr wahrjcheinlich gegen Ende September durch
Bafel fommen, weil ich wieder ein wenig die Nafe in Italien
fteden möchte, wenigftens bis nah Mailand oder Genua.
Sollteft Du dazu aufgelegt fein, jo können wir dann eine
Stunde plaudern.
Herzlichften Gruß von Deinem
U. Boedlin.
3. Weimar, den 1. Sept. 1861.
Liebſter Freund!
Bei Empfang eines Artikels in den „Basler Nach—
richten“, wo die Entwürfe kritiſiert werden, reitet mich der
Teufel, Dir die verſprochene Fortſetzung meines vorigen
Briefes zu ſchreiben. Biſt Du nicht zu dergleichen aufgelegt,
ſo wirf den Brief unverzüglich in Deinen Papierkorb, denn
du wirſt ſchwerlich etwas Vernünftiges zu leſen bekommen,
ſondern lauter unpraktiſche und unzeitgemäße Anfichten.
Begas iſt ſeit einigen Wochen verreiſt, für mich der
einzige Menſch in Deutſchland, mit dem ſich überhaupt über
Kunſt reden läßt. Mit ihm würde ich vielleicht gelacht haben
und die ganze Sache wäre mit einigen Worten abgethan ge-
wefen. Jetzt mußt Du feine Abweſenheit büßen, wenn Du
271
nicht nach diefer zweiten Warnung den bewußten Papier-
- ball mad.
Ueber die Kritik felbft läßt fich Fein Wort verlieren.
Nur eines fiel mir befonders auf, weil es ih in einem Brief
von meinem Vater wiederholt, daß fih die höchſt Eomifche
Meinung in einigen Köpfen angefiedelt zu haben fcheint,
meine Grabeshüter, das perfonifizierte Reckenthum, feien
fterbende Krieger und man von diefem Gefichtspunft aus in
allen Bewegungen und den Köpfen den Ausdrud des höchften
Schmerzes trefflich ausgedrüdt findet. Ich bemerfe mit Ver:
onügen, daß ich endlich dem Thema nahe Tomme, weßwegen
ich den Brief zu fehreiben dachte. Ich wollte nämlich meine
früher mitgetheilte Abficht, Deutfchland auf ewig zu verlaflen,
motivieren, um etwaigen Mißverftändniflen vorzubeugen,
„DaB ich noch auf dem naiven Standpunkt fei, das Glüd in
‚der Rlaufe zu fuchen und mich nicht mit dem bloß Leidlichen
zufrieden gebe.” |
Sage mir ums Himmelswillen — was ift dann bloß
leidlich? Zindeft Du es leidlich, fih auf fteter Flucht
vor Flachheit, Roheit und Anmaßung zu befinden? Sit es
nur einigermaßen leidlich, fich ftündlich fein bischen Ueber:
zeugung mit allen zu Gebot flehenden Waffen vertheidigen
zu müſſen, und dann doch kaum noch, für ehrlich zu gelten?
Dder ift es etwa leidlich, immer an den eigenen Pfoten
faugen zu müſſen, während doch nur der vorwärts kommen
kann, der geiftig von Zinfeszinfen lebt? Menfch, ich frage
Did: Iſt dieß und jo manches Andere erträglih? Ich will
zufrieden fein, wenn ich ehrlich Durchs Leben komme, wenn
ich die Hälfte von meinen Bildern zum halben Preis ver-
faufe, wenn mich fein Menſch anſieht. Uber ungefchoren
will ich fein und meine eigenen Wege gehen. Wenn mich
auch das Schidjal geftoßen und gefchlagen hat, fo ift Doch
noch) jo viel Kraft in mir, oder gerade darum fuche ich eben
nad dem Glüd, für das mir noch Sinn geblieben ift, das
ich allein für wirkliches Glück halte.
. 272
Alles diefes fteht in Feiner näheren Beziehung zum
Monument. Sch habe Dir auch nur bei Anlaß anvertraut,
was mich drüdt, und in Zeit von 1 Zahr denke ich fo wie fo
die Alpen wieder im Rüden zu haben. Daß Du die In-
tention unferer Skizze verftanden haft, hat mich ungemein
gefreut. Es ift wenigftens doch was Empfundenes dran,
das einem immer lieb ift und das man wenigftens von Einem
Menſchen in der Welt nachempfunden wiflen will. Ich
glaube Dir Übrigens wohl, daß Du Begas und mich nicht
unterfcheiden kannſt. Der erfte Entwurf ift von mir, dann
machte jeder von uns 2 Kerle, Vegas den liegenden und
den mit der Lanze, worauf dann gemeinjchaftlich berathen
und gerüdt wurde, bis die Einzelnen etwas mehr durch:
geführt werden Eonnten. — Mit dem Surüdfchiden bat’s
feine Eile. Wenn ih nah Baſel Tomme, Tann ich dann
felbft beim Einpaden zugegen fein. Bitte von Honorar fein
Wort weiter. Sch machte mir nur leife Hoffnung auf Be—
ftellung, was Du begreiflih finden wirft. Im Uebrigen
kann ich Jagen, ih brauch's nicht, und lieber nicht fordern,
als die geringfte Unannehmlichkeit.
Jetzt muß ih noch den Reft Raum benüten, um Dir
zu geftehen, wie ich mich freue, Dir nächftens wieder auf die
Bude rüden zu Fünnen. Ein Stündchen mußt Du mir
ſchenken; wir ſehen dann vielleicht einander fobald nicht
wieder, und ich hoffe, Du opferft es gerne Deinem getreuen |
A. DBoedlin.
4. Weimar, 24. M;. 1862.
Mein lieber Zreund!
Ich fange meine Erzählung gleich damit an, daß ich
mich um allen Credit bringe, wenn Du irgend einen Begriff
273 22
haft von dem, was man folid nennt. Im September gebe
ich wieder nah Rom und zwar, fo der Herr will, auf immer.
Die Gründe alle herzuzählen dauert zu lang, denn das er:
fordert eine Schilderung der hiefigen Verhältnifle, der Klein-
ftädterei, des Adels und Hofes (vide Kater Murr von Hoff:
mann), der deutſchen Runftanfichten und aller meiner Geelen-
leiden, meinem Rampfe zwifchen Ueberzeugung und Rüd-
fihten. Ich werde alt, müde, menfchenfcheu, habe fein Ver:
trauen mehr zu mir, finde das Leben reizlos, was alles
Schaffen unmöglich macht; kurz ih muß fort, um nicht zu
Grunde zu geben.
Dephalb war mir fo dran gelegen, die Beftellung fürs
Mufeum zu befommen.. Was da vorgegangen, wirft du
ſchon willen und mich nicht beneiden. Die Landfchaft, die
ih jetzt vorgefchlagen?), wird wohl diefem zartfühlenden
Publikum anftändiger fein. — Dieſes Bild, ein anderes, das
Fürſt Reuß, jüngere Linie, beftellt hat, eines für die hiefige
Großberzogin und 3 fchon fertige Vilder (morunter für Dich
merkwürdig eine lebensgroße Venus mit amor), die nächftens
vom Stapel laufen, werden mir die Reife deden und die
erften Jahre Aufenthalt fichern.
Sch Tann mich Überhaupt nur Dir anvertrauen, denn
nur Du kannſt meine Seufzer nach Freiheit verftehen. Nenne
mir den Mann, der den nicht für verrückt erklärt, welcher
eine Stellung mit Gehalt, mit Uniform und was fonft noch
Ehrenhaftes damit verbunden ift, aufgibt wegen bloßen
Künftlerideen. Ich weiß, was Seder fagen würde. Es wäre
8) Es handelt fih um die Jagd der Diana im Basler Mufeum.
274
mir fogar ein Leichtes, eine Strafrede an mich felbft zu
halten und einige freffende giftige Redensarten einzuflechten,
daß ich kaum wüßte, was erwidern. Aber ich thue es nicht.
Mag die Welt denken und fagen, was fie will, mein Glüd
ift meine Sache und ich kann meine Vegriffe darüber nicht
nah andern richten.
Ich Habe Dich jetzt durch einige Seiten mit meinen An-
gelegenheiten befchäftigt und fürchte, es fchaue etwas Auf:
regung durch, weil ich immer beim felben Thema bleibe.
Das foll aber nicht mehr geſchehen. Du begreifft mich aber
gewiß, wenn Du folche fieberhafte Zuftände gehabt haft,
in denen die Seele wie wund ift.
Lebe Du glücklich.
Herzlichen Gruß von Deinem
alten
A. Boedlin.
275 187
Bürgermeifter Andreas Merians Repf-
befchreibung nach Chambery
zur Complimentierung des franz. Rayfers als König
von Italien April 1809.
Aerausgegeben von E. Hefardt.
Am 18. Mai 1804 Hatte Napoleon den KRaijerthron
beftiegen. Eine „Großbotichaft” hatte den Glückwunſch der
Eidgenoſſenſchaft auszurichten, nebenbei aber auch allerlei
Verhandlungen zu betreiben. Durch Zollerhöhungen war
unlängft die fchweizerifche Induſtrie geſchädigt worden, die
Stage der Offiziersernennungen für die ſchweizeriſchen Regi-
menter, das dfterreichifcehe Inkamerationsgefchäft und anderes
folte beiprochen werden. Die Deputation blieb unbemerkt
und erreichte nichts.!) Ihr Führer, Landammann d’Affry,
der fchon im Auguft in Voulogne eine Audienz beim Kaiſer
erhalten hatte, war ziemlich fchroff behandelt worden.?) Als
nun im Frühjahr 1805 Napoleon fi) nah Mailand begab,
um fihb noch die italienifhe Königsfrone aufs Haupt
zu fegen, lag es nahe, durch eine nochmalige Glückwunſch—
deputation verföhnlichere und fürderlichere Stimmungen zu
erlangen. Der Landammann Glutz von Solothurn berief
darum eine Gefandtichaft, die er aus folgenden Perfonen
zufammenftellte: Alt-Landammann Wattenwyl?), von Bern,
Bürgermeifter Andreas Merian von Bafelt), Schultheiß
Grimm von Solothurn und Oberft Gluß, dem Bruder des
Landammanns. Der Gefandtfchaft durften fih ein Sohn
Wattenwyls und ein Sohn Merians anfchließen.
Andreas Merian, befannt als Haupt der Basler Alt:
gefinnten und Gegner des Peter Ochs, war 1803 zum
zweiten Bürgermeiſter gewählt worden; fein Amtsantritt
276
als Landammann ftand für 1806 bevor. Es war alſo an-
gezeigt, den Fünftigen „Regenten” dem Kaifer vorzuftellen.
Ueber dieſe Gefandtfchaft, die im April 1806 den Raifer
in Chamboͤry aufjuchte, hat Merian außer feiner offiziellen
Relation vor dem Heinen Rate ein privates QTagebuch?)
geführt, anfcheinend an Ort und Stelle, und manchmal ſehr
eilig niedergefchrieben; es trägt die Aufichrift:
Reygbefhreibung nah Chambery zur
Complimentierung des franz Rayfers als
Rönig von Stalien. April 1805.
und lautet folgendermaßen?):
Dienstag 9. April 1805 früh von Yafel mit meinem
Sohn Johann Lucas”) verreift und bei guter Tageszeit in
Solothurn angefommen, in Langenbrud ward zu Mittag
sefpiefen. In Solothurn fogleih meine Aufwartung bei
Herrn Landammann Glutz gemacht, allwo Gefellihaft an-
getroffen und wo Herr Landammann eine Unterredung wegen
den bevorſtehenden Gefchäften mit mir hatte, auch mir wie
allen übrigen Gefandten ein förmliches Schreiben und Auf-
trag zuftelte. Mit Herrn Mitgefandten Herrn Schultheiß
Grimm verabredet, morgen in aller Frühe nach Bern zu
verreifen, weil Herr Schultheig Wattenwyl berichten Tieß,
fogleich nach unferer Ankunft zu verreijen.
10. Mittwoch nad 10 Uhr in Bern vor Herrn Watten-
wyls Haus auf dem Münfterplat angelangt, wo unfere zwei
sroßen Reifekutfchen, mit vier Pferden beipannt, ſchon be-
reit ftanden, nebft einer großen Chaise für unfere Bedienten;
‚eilends ward umgepadt, eine Tafle Tee genommen und nad)
Murten gefahren, allwo abends 4 Z’mittag geeflen?) und um
6 hr fort, um halb 10 Uhr in Petterling angefommen, allwo
alfo blieben und übernachten mußten, & la maison de ville.
Sn Murten & la couronne in der Hintern Gaß. Heute
babe ich bei 16 Stunden Wegs gemacht.
11. Donnerstags früh 5 Uhr fort, in Moudon zum Hir-
Ihen, ein prächtig neues Wirtshaus, Z'morgen geeflen, um
277
1 Uhr in Laufanne au lion d’or Z'mittag geeffen, abends
fort auf Rolle, alwo um 7 Uhr angelommen und übernachtet.
Dafiges ſchönes Schloß eines Herrn [? 9)] Bürgers von
Bern hat nun die Stadt gefauft; es wird repariert, wie auch
der ruinierte Garten. , Herr Landammann Wattenwyl über:
nachtete bei feiner Frau Mutter auf einer Campagne, 14
Stunde von Rolle. |
12. Morgens 9 Uhr verreift nach Genf, um 3 hr an-
. gekommen, unterwegs uns aber auf dem Gut des Herrn
Crud!?) aufgehalten und diefen Herrn als Mitdeputierten
mitgenommen. Man wartete uns mit einem artigen De-
jeuner auf. Seine Campagne liegt nicht weit von der
Straße auf einer Heinen Anhöhe und ift groß. Sie ift auf
franzöfiihem Boden, ehemals Genf. In Genf übernachtet
à l’ecu de Geneve, allwo ich meinen Brief!!) abgegeben und
eine Empfehlung nach EChambery an M. Sonnet, nögociant
pres de la rue couverte, erhalten.
13. Bon Genf Samstag früh verreift um 6 Uhr (mar
zu fpät) durch Carrouge nahe bei Genf, ein wohlgebauter
Ort, St. Julien, auch ein ordentlicher Ort, nah Frangy
um 12 Uhr angeflommen aux treize cantons de la Suisse
(ein malpropres Wirtshaus). Beim Hineinfahren in den
Hof ift die Deichfel!?) an unferer Kutſche zerbrochen, der
Wagner gieng in Wal, holte eine Stange, machte in
2 Stunden eine neue, forderte 2 Neuthaler, wenn wir nicht
Schweizer gewejen wären, fo forderte er einen Heinen Thaler
mehr, wie er ſagte. Welches uns fehr aufbielt und fo
aud ein Pferd, jo an der andern Kutſche hinkte. Abends in
Remillier — oder Rimillier — nur bei einem Beck rafrai-
chiert. Bis hieher mußten wir einen hoben Berg paffieren,
von 3 bis 6 Uhr hinauf und hinunter; die Straße aber if
fo prächtig und fo ſchön als möglich, immer im Zirkel ge-
führt, daß fie ſehr leicht zu befteigen, Doch nimmt man Zor-
fpann. Ueber einen Fluß führt eine Brüde, von einer enor-
men Höhe, es fchwindelt wenn man hinunter ſieht; vor
278
einigen Jahren foll eine Kutſche hinuntergefallen fein, weil
es juft einen Rank macht; die Seitenmauern find nun höher
geführt.
Abends erft gegen 10 Uhr in Air angefommen, & l’ecu
de la France Iogiert und übernachtet; unterwegs ift Fein
Dorf und kein Wirtshaus, alfo eine langweilige Route,
aber ein jehr fchöner Weg. Von Genf bis hieher, fonderlich
auf dem erg bei Frangy hat es jehr viele Reben.
14. Sonntag. Dftertag. Nachdem die Herren von
Solothurn in der Meſſe geweien, gegen 9 Uhr verreift, und
auf Ihönem Weg um 12 Uhr [in Chambery] angekommen,
wo Logis & la parfaite Union beftelt war. Zwiſchen
zwei und drei ward zu Mittag gefpiefen. Nach vier Uhr
eine Staatsvifite bei Herrn Vial, ambassadeur im der
Schweiz, der auch bieher gereift, in fchwarzem Grad und
ohne Degen, in zwei Kutfchen; er war nicht zu Haufe und
man gab die cartes ab. Er logiert vor der Stadt, in einem
Particular- Landgut: eine halbe Viertelftunde von der Stadt.
Nachwärts eine Vifite bei einem Herrn Delisle, der unfer
Lofament beftellt hat und allerhand beforgte.. Statt Nacht:
effen eine Taſſe Thee mit einigen übrigen Herren getrunken
und zeitig ins Bett. Sobald wir angekommen, hat es an-
gefangen regnen, und regnete den ganzen Tag außerordent-
lich ftarf;, big hieher von Haus weg hatten wir das prächtigite
Wetter.
Bei dem hiefigen Herrn Maire haben Herr Erud und
der junge Herr von Wattenwyl eine Vifite gemacht und er:
fahren, daß der Kaiſer Dienstags und die KRaiferin in der
Naht darauf anfommen ‚werden; vorher hatte man Nach:
richt, die Ankunft fei Schon Montags; daher unfere Reife
befchleunigt worden. Der Herr Talleyrand und verfchiedene
Minifter find fhon Mittwohs hindurch nah Mailand
paffieret. |
15. Montag. Herr Landammann von Wattenwyl bat
bei dem Herrn Praefect eine Particular Visite gemadt,
279
mit cartes, in Begleit des Herrn Crud; auch babe ich bei
Herrn Sonnet meinen Brief abgegeben, der uns fehr höflich
einige Fenſter auf den Einzug angeboten. Heute haben die
zwei Herren Deputierten vor Genf, die namens der Stadt
auch hier find, mit uns zu Mittag geeſſen. Nachmittags hat
Herr Ambassadeur Dial nad befchehener Anfrage uns
eine Vifite gemacht mit feinem Secretär Herrn Le Leu, und
ift bei einer Stunde bei uns geblieben; von Geſchäften ward
gar nichts geredet. Abends eine Promenade gemacht, auf
eine Promenade Cotteroux, dem Herrn Baſſe zuftändig,
‚ eine Viertelftunde vor der Stadt an der Landftraße, da wir
berfamen, links an der Felfenwand erbauen, wo es fo präch-
tige Steine hat, daß er auf den Gedanken gefallen, anftatt
Weinfäfler Baſſins oder Käften von Stein zu machen, deren
er etwa vier nebeneinander erbauen, jeden. fepariert, von
12 & 20 Saum haltend. Wie gededte große Brunnenkäften
geviert, obenauf ein vieredig Loch, wo der Küfer hinunter:
fteigt zum Putzen. Drei KRäften waren wirklich geflillt, der
Wein fol fih fehr gut darin halten. Er macht alles von
Stein, fo bat er nur gewölbte Scheuern. Große Stüde in
einer Reblandern allbier find auch von Stein; bei 40 der-
gleichen Eolonnes, jede 15 Schuh von der andern. — Nach
einer langen Promenade müde nah Haus gefommen. —
Nachts um 1510 Uhr Fam der Herr Praefect und machte
dem Herrn Landammann eine Gegenpifite, da wir am Nacht:
effen waren.
16. April. Dienstag. Nachts ein Viertel ab acht Ahr ift
der Raifer angefommen, einige Kanonenſchüſſe zeigten die nahe
Ankunft an, auch mit den Gloden ward gelitten. Zwiſchen
Licht hat ein Tambour umgefchlagen, daß illuminiert werden
folle, da jedermann zwei Kerzen unter jeden Kreuzſtock ftellte,
bei Andern waren es Lampions. — Pie Avantgarde
machten etliche dreißig Gardes d’honneur & cheval, aus
der Stadt und umliegenden Orten, mit einigen Trompetern
vorher. Darauf ein Trupp Gensdarmes, darauf 3 Kutſchen
280
ANDREAS MERIAN
Burgermeiker des (anfonsBalel.
) ® Va |
L endammann derAchtwers fir deur- Tr 211806.
ec
Lichtdruckanstalt Alfred Ditisheim, Basel.
mit 6 Pferden, darauf eine Rutfche mit 8 Pferden (vermut-
lich der Kaiſer), darauf drei Kutſchen mit ſechs Pferden,
darauf wiederum ein Corps Gensdarmes, und noch einige
kleinere Rutfchen und Poſtchaiſen; mitunter ritten einige
Gardes und Guides. Bald nad) der Ankunft kam der Kaiſer
auf den Balcon und machte einige Kleinere Verbeugungen.
Er logiert im Haus eines cidevant Bellegarde, mit
fünfzehn SKreuzftöden, fo nun ſechs Particularen gekauft
haben. Ä
Eine Viertelftunde vor der Ankunft ward in der Nach—
barichaft des Herrn Sonnet, wo wir einige Fenſter hatten,
Zeuer gerufen. Es war in einem Kamin, jo aber zum
Glück bald gelöſcht worden.
Des Morgens einen Spaziergang gemacht aux Char-
mettes, ein Heines Landhaus, eine Heine halbe Stunde. von
der Stadt auf einem Berg, wo ehemals Roufleau eine
Zeitlang wohnte. Am Haus ift eine Auffchrift auf Stein.
M. Gerandeau secretaire general du ministre de l’in-
terieur ift auch mitgegangen. — Nachmittags eine Viſite
in Geremonie gemacht bei Herrn Champagny, ministre de
Yinterieur, der im Schloß logiert, er war nicht zu Haufe,
alfo cartes abgegeben. Auch haben wir den Herrn PVial
noch einmal befuchen wollen. Diefen Abend oder Nacht bat
der Herr Landammann annoh an Herren General Duroc,
Grand maréchal du Palais angefragt, wann wir zu Ihme
fommen fönnen. |
17. Mittwochs. Früh 8 Uhr ift der Kaiſer um die Stadt
herum ausgeritten, etwa eine Stunde, vorher einige Offi-
ciers der biefigen Chasseurs, und einige Gardes. Der
Kaiſer, einige Stabsofficiers oder Generäle, Guides und
die Gardes d’honneur, alles in großem Trott. Die do-
mestiques des Kaiſers find grün gekleidet, Die Guides rof.
Herr Landammann gieng diefen Morgen zu Herrn
Champagny en particulier.
Eine Madame Rouffillon, deren Mann, von Laufanne,
281
in der Eonfpirationsjache in Ketten erfannt worden, bat fi
dem Kaifer zu Füßen geworfen, und bat ſogleich Gnade
erhalten, mit dem Zuſatz, mais s’il recommencera... Rod
eine Frau hat Gnade erhalten, deren Mann als juge den
Prozeß des Morau!?) nicht unterfchreiben wollte und ab-
gefeßt worden, und dadurch allen Unterhalt verloren.
Diefen Morgen brachte der Herr Ambassadeur Vial
ein Billet von General Doupille, chambellan, daß die
Deputation heute Abend um 4 Uhr von dem Kaiſer werde
empfangen werden.!?)
Herr Champagny bat bei Sleberreichung des Me&moires
in Handlungsfahen, fo ihme in Paris nicht mehr konnte
augeftellt werden, geantwortet, daß er alles mit Attention
lefen werde und aller Deliberation würdigen, daß aber
einige Artikel mit der Administration des douanes zufam-
menbangen und de concert müßen behandelt werden; daß
eine letthinige Verminderung der Zölle ſchon PVorftellung
der Kaufleute nach fi) gezogen, daB Se. Majeftät diefem
Gegenftande alle Aufmerffamfeit widmen und diefes neue
Spftem der inländifchen Handlung fehr vorteilhaft glauben.
Dem Herrn von Bonftetten von Bern, ehemals Land-
vogt zu Nyon, in Genf wohnhaft, hier im Wirtshaus
logierend, haben wir feine diefer Tage uns gemachte Zifite
wiederum gegeben.
Diefen Morgen machte mir Herr Chriftof Sfelin von
Baſel, der feit einigen Jahren bier ift, eine Viſite; er dirigiert
eine Seidenzwirnmühle.!°)
Um 4 Uhr find wir zum Kaiſer gefahren. Da wir
binfamen fagte uns ein Chambellan, der Kaifer habe nur
einige Audienzen erteilt, und die andern alle auf den Abend
verfchoben, weil er erft nach Fort Barreau gefahren, diejes
zu fehen. Man werde uns berichten, fobald er zurüdfomme.
Wir unterhielten uns ein wenig, Herr Vial war auch da,
und dann retirierten wir ung.
Um 157 Uhr kam ein Rammerdiener, grün gekleidet mit
282
fhwerem Gold, und einem großen Stab in der Hand, wie
ein Major Tambour; der die Rüdkunft annoncierte und
uns rufte. Wir fuhren eilends hin und kamen durch ein
Vorzimmer, wo es von grünen Bedienten mit Gold, breit
auf allen Nähten, wimmelte, in ein anderes, wo auch viele
Leute auf Audienz warteten. Der Chambellan meldete
uns, es fei dato eine andere Audienz beim Kaifer, fobald
diefe entlaffen werde er uns einführen. Da wir dann bald
darauf vor allen anderen, die da warteten, eingeführt worden.
Durh ein Vorzimmer worin eine Tafel von ca. 10 Per:
fonen gededt war, und wo einige Seigneurs fanden; im
Empfang Zimmer fam der Kaifer vom Ramin uns mehrere
Schritte entgegen. Es mag bei 7 Uhr gewefen fein, da
wir eingiengen und über % auf 8 Uhr, da wir entlaflen
worden.
Der Herr Landammann hielt eine nicht Furze Rede mit
vielem Anftand und ohne ein Wort anzuftoßen. Der
Kaiſer war in grüner Uniform faft wie unjere Freicompagnie,
oder Chasseurs; er ift dider und geſünder als vor Sahren.!®)
Der Kaiſer antwortete lang und fehr bedächtlich, aber
fehr Leis, foda wir Mühe hatten, alles im Zuſammenhang
zu veritehen. Er fagte unter anderem, die Schweiz babe
für fich nicht Force genug, fie müfle von einer großen Macht
unterflüßt werden. Er nehme allen Anteil an derjelben
Glück; er freue ih, daß Ruhe berrfche, er werde fich immer
für die Schweiz intereffieren, wie die Rönige feine Vor:
fahren. « Je tächerai de reparer les fautes que le gou-
vernement francais a commises envers la Suisse. Je
ne suis pas jaloux du bonheur de la Suisse. > Und noch
viel mehrere dergleichen freundfchaftliche Ausdrüde, < je de-
sire que tout le passe soit oublie. >17) Er fagte darauf
auch, Daß vielleicht mit der Zeit auch in unfern Verfaſſungen
Berbeflerungen fönnen angebracht werden, da man aber in-
defien [fih] an die Mediationsacte zu halten habe. (NB. Diefes
muß man geheimhalten.) 18)
283
Darauf ift der Kaifer in freundfchaftlichen Discours
eingetreten, fprac) von dem commercio, er werde für die
Schweiz alles tun, was immer ohne Nachteil «de mon
peuple » befcheben Eönne; was in Zollfachen befcheben, fei
bloß damit nicht zum Schaden feiner Fabriken das Land mit
fremden verbotenen Waaren Überladen werde; wegen Leinen,
Hanf und dem Tranfit könne vielleicht entiprochen werden.!?)
Wegen den rüdftändigen Militärpenfionen fing er auch an,
und fagte, daß er alle Jahre 500.000 liv. auszahlen laße. Es
ward ihm vorgeftellt, da er glaubt, daß alles bezahlt werde,
daß viele nichts und einige fehr weniges erhalten; fo er nicht
glauben wollte; er werde fich deilen gründlich erkundigen.
Wegen den piemontefifchen Dienften fei es möglih, daß
diefes noch nicht in Ordnung fei. Wegen neuem Schweizer:
dienft habe er die helvetifchen Auriliartruppen in ein Regi-
ment verändert, und werde noch zwei Regimenter organi-
fieren, bis in Zeit [von] einem Jahre. Er habe mit den
Rominationen nicht eilen wollen, damit er diefelben nicht
etwa bereuen müfle.2°) Darauf fiel der Discurs auf Bün—
den, wegen im Peltlinifchen fequeftrierten und vielen ver-
fauften bündnerifchen Gütern, jo er in Mailand zu unter:
fuchen verfprah. Am Ende fagte er, je suis fäche de vous
recevoir ici, où je suis comme campèé et presque sans
appartement, j’aurai prefere & cet egard de vous voir &
Turin, mais j’ai voulu vous &pargner le voyage.
Er war fo aufgeräumt und fo freundichaftlich, daß es
einigemale etwas zu laden gab: — Man fprach auch von
den Staatsjchulden und -Gülten und der Liquidation, und
den englifchen Geldern?!) Er fchien nicht zu willen, daß
das Haus ©. Didier in Paris eine große Summe diefer
englifchen Gelder gekauft hat. Auch das vefterreichifehe In⸗
camerationsgefchäft ward berührt, welche Procedur er zu
mißbilligen fchien.2?)
Die Unterhaltung hat fih fo verzogen, daß wir am
Ende ganz finfter im Zimmer waren. Der Kaifer ſprach
284
auch von Ronftanz inwieweit folches der Schweiz convenieren
fönnte.23- ?*)
Darauf baten wir den Chambellan um die Audienz
bei der Raiferin, worüber man des Morgens fchon hat fchrift-
lich anfragen laſſen. Nach einer Heinen Weile führte man
uns eine Treppe hinauf zu der Kaiſerin, welche in ſchwarzer
Kleidung mit einem Diadem um die Haare gewunden und
einer Halskette von Diamanten gezieret war. Gie fund auf
und fam uns ein paar Schritte entgegen. Zur Rechten ftand
die erfte dame d’honneur Madame Rochefaucault, eine
Heine übelgewachfene Dame, zur Linken ein halbes Dutzend
anderer Damen, alle fchwarz gekleidet. Die Kaiferin ant-
wortete auf die Anrede mit vieler Würde, aber fehr leife,
tat noch einige Fragen an den Herrn Landammann, und
entließ uns, da wir endlich nah 8 Uhr nah Haufe kamen.
Bald darauf giengen wir an den Ball?5), wozu wir alle Tags
vorher mit cartes eingeladen worden. Der Ball war in
einem ſehr großen Saal, der zur Comoͤdie fehr fchön ein-
gerichtet war, mit etlichen und fünfzig Loges; es mögen
über 1200 Perſonen da gewejen fein. Alles war jehr ſchön
eingerichtet, alles auch aut gemalt; Orchefter und ein Pla
hinten daran war das Theater; der hintere Pla war mit
einem Vorhang bejchloffen, und bei Ankunft des Kaiſers
aufgezogen, da eine fchöne Sllumination bervorfam, mit
einer Heinen Pyramide und Aufſchrift vive Napoleon, und
einige große Adler fehend unten daran. Sobald wir im .
Parterre anfamen führte uns ein Herr hinauf in eine der
fhönften und geräumiaften Loges für uns beftimmt. Nach:
wärts fam auch Herr General Vial zu uns. — Um 10 Uhr
fam der Kaiſer und die Raiferin, die auf zwei Fauteuilg
neben einander jagen, mit den Hofkavalieren hinter ihm, und
den Damen neben ihro. Sie find mit Vive l’Empereur
und Händeflatfchen empfangen worden. Darauf war Mufil
und ein Gefang, Anrede an den Raifer. — Darauf bat der
Ball angefangen, wozu aber wenig Plab da war wegen
285
Menge der Leute. Eine franzöfifche Contredanse machte
den Anfang, ein Walzer darauf, und fo immer abgewechlelt.
Nah einer halben Stunde retirierte fich der Kaiſer und
gieng unter Zuruf und Händellatichen fort. — j
Man gab orgeade und Limonade zu Rafraichisse-
ments in Menge. Der junge Herr von Wattenwyl und
Lucas haben getanzt. Wie man auf dem Ball erfcheinen
mußte, ward auf der Carte gefchrieben. — Um Mitternacht
herum haben wir uns auch retirieret. Und fo ward dieſer
Tag fehr glüdlich und vergnügt zugebradt. Es find gegen
1800 Perfonen im Zimmer gewefen.
18. April. Domnerstag. Verkündigten die Kanonen
mit Anbruch des Tages die AUbreife des Kaifers. Es find
3 Tours etlih und 60 Schüfle getan worden, und mit
heutigem Morgen ift die Stille in diefer Stadt wiederum
eingetreten, da es bisher auf den Straßen ein außerordent:
lihes Gewimmel war. Auf diefen Mittag ward Herr Gene:
ral Dial zu uns zum Mittagefien eingeladen, er war aber
Ihon engagiert und lud uns dagegen auf Abends 7 Uhr
zu fih auf den Thee ein, welches wir angenommen. Diefen
Abend war spectacle, von Comoedianten, jo man bat kom—
men laflen; fie gaben drei Feine Operetten.
Diefen Nachmittag mahten wir eine Promenade, eine
ftarfe Stunde von bier, genannt au bout du monde;
in einer gorge, wo alle hohen Felſen in einem halben Zirkel
- zufammenftoßen und unüberfteiglich werden. Mitten ber:
unter fommt ein prächtiger hoher Waflerfall über die Felſen
berunter, und zu beiden Seiten fliegt Wafler gerade aus den
Felſen, mehr als an zwanzig Orten, und fällt hoch herunter;
einige ſehr ftarf wie ein Heiner Bach, andere mit weniger
Wafler. Nahe dabei fteht eine Papiermübhle, welche täglich
riskiert bedeckt zu werden, da allda große Zelfenftüde her-
unterfallen.
19. April. Freitags Morgens ein neu erridh:
tetes hiefiges Bad befehen, vortrefflich angelegt, mit etlichen
286
und 40 Kleinen Zimmern, in jedem ein Kaften, und zwei
Hahnen mit Falt und warmem Waſſer. Das Wafler fällt
von einem Berg, läuft auf den Eftrich, treibt im obern Stod
mit einem Rad eine Menge Seidenwinder-Räder, und eine
Swirnmübhle, eine fehr fchöne mechanifche Einrichtung. —
Eine ſchöne Pepiniere ift allhier mit vielen Arten Bäumen,
heißt ni fallor Martin.
Abends von 7 big 10 in einer großen Soiree gewefen,
von etwa 40 Perſonen, Herr Delisle hat uns hingeführt, der
heute feine Campagne, fo ihm bei der Revolution genom:
men und verfauft worden, wiederum an fich erhandelt und
eine große Freude hatte. (ca. 40—50.000 liv) Während
diefer Gefellfhaft um 9 Uhr find 4 Cardinäle in 3 à 4
Kutſchen angefommen, welche morgen früh wiederum ver:
reifen. Ihr und des Papftes Empfang fol ohne großen
Pomp fein, weil das Ceremoniale wolle, daß nur einige
Tage nah einem großen Feft, wie das des Kaifers gewefen,
nicht wiederum ein anderes fünne gegeben werden, weil man
über die Abreiſe des Erfteren in Trauer fein folle.
20. April 1805. Hm 7 Uhr Tam der Papft an.
Ranonen und Gloden ließen fih hören. Er follte in der
Kirchen abfteigen, war aber nicht wohl und fuhr in fein
Hotel; und die ganze Stadt war in der Kirche. Auf fchrift-
liche Anfrage antwortete der Chambellan, er werde den
Brief dem Papfte zuftellen, diefer nehme aber gar Feine
Viſite an, fogar der Clergé ward gleich fortgefchidt, er gebe
fogleich ins Vett und verreife morgen früh um 5 Uhr. Der
Brief ward dem Papft im Bett vorgelefen, er ließ fi
entjchuldigen und fehe die Viſite als empfangen an.?®)
21. April. Sonntag. Früh um 15 Uhr find wir
zum Hotel wo er logierte, geloffen;, da er bald darauf heraus:
fuhr und wir in der Kutſchen feinen Ropf gefeben, ein alter
ehrwürdiger Mann in weißem Haar. Noch drei Kutfchen
folgten ihm, es waren feine neumodifchen, fondern Rutichen
nach altem großem Schnitt, incirca wie unfere alten Rarren:
287
hof Rutfchen?”), auf Riemen hängend, 8 & 10 Kanonen:
ſchüſſe find gefchoflen worden.
Darauf padten wir ein, und reiften um 8 Uhr ab, gegen
11 Uhr in Wr angelommen, und eine Promenade noch
vor dem Eſſen gemacht, eine halbe Stunde weit, den lac
Bourget zu fehen. 5 Stunden lang und kaum eine halbe.
Stunde breit; bat Communication mit der Rhone, und find
Schiffe mit Waaren von Arles angeflommen.
Nachmittags verreift und nun den Weg Über Annecy
genommen, um 7 Uhr angefommen, außert der Stadt nahe
bei dem See und neuer fhöner Promenade logiert. Der
See ift drei Stunden lang, eine Piertelftunde breit.
22. April Montags Don Annecy nah Genf
(7 bis 3 Uhr) unterwegens rafraichiert, eine prächtige
lange Bruck mit fehr hohen Bogen, Pont de la Caille, paf-
fiert, und andere intereflante Gegenden. In Genf & V’ecu
de Genève Iogiert, gut, und abends die Stadt befeben.
23. April. Dienstags von Genf verreift, auf
der Campagne bei Herrn Erud z’morgen geeflen, etwa eine
Stunde von Genf, ein prächtiges Landgut auf einer Fleinen
Anhöhe. Allee bis an die Landftraße; war ehemals dem
Laharpe.??) Bon da gegen Mittag verreift, nah) Rolle und
bei des Herrn Wattenwyl Mutter um 3 Uhr zmittag
geeflen, eine Viertelftunde von Rolle. Den Abend big
Nacht da geblieben in einer aroßen Geſellſchaft. Nachts
in der Krone übernachtet — ein ordentliher Mann.
24.April. Mittwochs. Zrüh nach 6 hr verreift,
über Coffonay nad) Orbe; & la Maison de ville passable-
ment az mittag; erft nah 1 Uhr angefommen, unterwegs
Pferde rafraichiert. Abends nad) Vverdon — 2 à 3
Stunden — nad) 6 Uhr angefommen; im Roten Haus gleich
beim Eingang fehr wohl logiert, ein prächtiges neues Wirts-
baus.
25. April. Donnerstag. Von Pverdon früh ver-
reift nach Neuchätel, eine ftarfe Reife, und immer Berg auf
288
und ab. Das neue prächtige Rathaus befehen. Nachmittag
auf Aarberg zu übernachten, erft in der Nacht angekommen.
26. April. Freitags früh verreift und beim Herrn Ober:
amtmann zu Büren z’morgen geeflen und dann um 1 Uhr
zu Solothurn angelommen, gleich von zwei Herren des Rates
bewillflommt und zum Herin Landammann zum Mittag:
efien eingeladen worden. Am Mittageflen, das fehr prächtig
war, eine fchweizerifche Ganitätscommiffion angetroffen,
Herr Fiſcher von Yern, Dr. !fteri von Zürich, Dr. Zolli—
fofer von St. Gallen, und ein Herr vom Teſſin.
Nachmittags haben wir dem Herrn Landammann
relatieret und abends 6 Uhr bin ih nad Balsthal mit
einer der Berner Kutſchen, welche ung geführt haben, ver-
reift.
27. April Samstag, in Lieftal z’mittag geeflen und
um 4 Uhr herum bier glüdlich angefommen.
Mittwoch 1. Mai habe vor Heinem Rat relatieret
und defien Dank in einer Erfanntnuß erhalten.
Die Unfoften der ganzen Reife belaufen fich etwas über
200 Neudublonen.
Anmerfungen.
1) Dedsli, Geſchichte der Schweiz im 19. Jahrhundert,
Bd. 1, ©. 503. |
2) Oechsli, ©. 508.
3) Shultheiß Niklaus Rudolf von Wattenwyl von Bern,
Altlandammann, derjelbe, der 1799 gemeinfam mit Merian auf
Anordnung des helvetiſchen Directoriums in Bitſch gefangen ge-
wejen war, und jeitdem zu Merian herzlide Beziehungen unter-
hielt. (ſ. E. 3. Fiſcher, Erinnerung an N. R. von Wattenwyl.)
4) Andreas Merian-Sfelin (2. September 1742—25. Fe⸗
bruar 1811), Sohn des Pfarrers gleihen Namens zu Buus und
Großjohn des Pfarrers gleihen Namens an der Gt. Theodors-
gemeinde in Bajel, 3. U. €. 1768 Kanzleijecretär, 1783 Staats»
ſchreiber, 1791 Oberjter Zunftmetfter; legte 1798 dieſe Stelle nieder,
wurde am 2. April 1799 auf Befehl des helvetiſchen Directoriums
289 2
als „Geijel” gefänglid) eingezogen und verblieb bis 6. Januar 1800
gefangen in Bitih. Merian wurde im September 1802 zum Präſi⸗
denten der Municipalität gewählt, nahm als jolder an der Tag:
fagung zu Schwyz teil (|. 3. Bilder, Andreas Merian und die
Tagſatzung in Schwyz, Basler Jahrbuch 1911, S. 176) und entzog
fih der beim Cinrüden der Franzoſen drohenden erneuten Ge-
fangennahme durdh die Flucht. Bom 11. November 1802 bis 24.
März 1803 weilte er in Schopfheim in Verborgenheit, tehrte nad
Annahme der Mediationsverfajjung zurüd, und wurde am 20. April
1803 zum zweiten Bürgermeilter gewählt. Als regierender Bürger:
meijter übernahm Merian für das Jahr 1806 die Stelle des Land-
ammanns der Schweiz. (Bergl. Aug. Bernoulli in der Allg.
Deutihen Biogr., Bd. 21, ©. 427, Hans Bujer, Bafel während
der eriten Jahre der Mediation, Neujahrsblatt 1903, ©. 14, 38, und
F. Bilder a a. DO.)
Merians Gattin meldet das Ereignis dem in Nürnberg
weilenden Sohn Andreas (j. Anm. 8) mit folgenden Worten:
„Geſchwind, mein Herkiger, ehe Du es aus der Zeitung er-
fährt, muß id Dir melden, daß geitern Abends %9 Uhr Herr
Hauptmann Cettier von Solothurn als Courier abgefhidt mit
einem Schreiben vom Landammann bey uns angelangt, weldes
Papa auffordert, künftigen Dienstag den 9. April von hier ab-
zugehen und als Gejandter dem großen Napoleon [den fie fonjt
in Briefen meiſt Qucifer, das große Tier und ähnlich betitelt] in
Chambery bey feiner Durdreije zur Krönung nah Italien, ein
Compliment zu maden im Nahmen der ganten Eidsgenoſſenſchaft.
Die Geſandtſchaft beiteht blos aus Herrn von Wattevill und
Papa; eriterer, wie fi) der Landammann ſehr artig ausdrüdt, als
fein Borfahr und Papa als fein Nachfahr. Nun iſt alles in Bewe-
gung um zu ordnen, einzupaden und dergleichen, ich aber ließ
alles liegen um meinem Lieben die große Neuigkeit zu melden. Du
wirst Doch wohl nicht zweiflen, daß ich Dich lieb Habe. Die Reiſe
geht über Solothurn, Bern und Genf in 2 vierfpännigen Wagen.“
(Staatsarchiv, Privatardhive 158.)
5) Staatsarhiv Baſel, Privatardhive 157.
6) Bei der Herausgabe iſt die heutige Rechtſchreibung an-
gewendet worden. Edige Klammern enthalten Anmerkungen d. 9.
7) Johann Lukas Merian-Ryhiner, 5. Mai 1777—6. April
1851. |
8), Merian Hat zeitlebens „geeilen“ geſchrieben. Sein Sohn
Andreas (Merian-Falkach 1772—1828), damals öſterreichiſcher Ge⸗
ihäftsträger in Nürnberg, der ſich diefe Schreibweife ebenfalls zu
eigen gemacht Hatte, ſchrieb ihm aber 1805:
Es jtritten voriges Jahr zwey, ob man joll jagen geeſſen
oder gegejjen und wetteten um ein Pfund Zuder. Adelungs
290
MWörterbuh jollte entijheiden. Man ſchlug nah und fand ge-
geijen. Der Ueberwundene zalte das Pfund Zuder, ſandte aber
damit folgendes
Quodlibet.
Ich habe mich kläglich gegirret,
Und finde mich tüchtig gegäffet,
Das hätte ich nimmer gegahnet!
Du haſt nun das Schifflein gegentert,
Du haſt nun die Lorbeern gegerntet
Und wirſt nun allein noch gegehret.
Es hat ſich die Sprache gegändert,
Sie hat das Gemeine gegadelt —
Und ſetzt für geeſſen gegeſſen.
Drum ſey Dir die Gabe gegopfert,
Nach der Du die Lippen gegöffnet.
So ſind nun die Berge gegebnet,
Es haben die Ochſen gegackert,
Die Söhne die Väter gegerbet.
Jetzt iſt die Geſchichte gegendet.
Ueber Andreas Merian-Falkach vergl. Biogr. univer—⸗
ſelle Michaud, Bd. 28, ©. 33ff, Fel. Burckhardt, Die
Schweiz. — 1798—1801, ©. 461, und Noſti tz, Briefwechſel
Dresden 1848, beſ. ©. 176 ff.
9) Name unlejerlid.
10) Erud, Mitglied des Großen Rates des Kantons MWaadt,
ſcheint die Reife als waadtländijcher, nit als eidgenöffiiher Depus
tierter mitgemadt zu haben. Bon ihm ijt aber wahrſcheinlich die
officielle Relation an den Landammann geichrieben worden.
(Tillier, Geld. d. Eidg. während der Herridaft der Vermittlungs-
acte, Bd. 1, ©. 184 ff.)
11) Laut einer Notiz auf dem Umſchlag des Manuffripts:
„au Messieurs Viollier et Compagnie. (Bon Herrn Preiswert und
Zimmerli in Bajel.)
12) Merian ſchreibt „Dierlen“.
13) Sean Victor Moreau (geb. 1763), der franzöfiihe General
der Jahre 1799 und 1800, der Gegner Napoleons, auf deſſen An⸗
itiften am 10. Suni 1804 verurteilt. Cr fiel befanntlih vor
Dresden am 21. Auguft 1813 auf Seiten der Allierten. (Biogr.
univ., Bd. 20, ©. 256, 261.)
14) Das Billet ift erhalten, ein unſcheinbarer Zettel mit fol:
genden Worten: Le Chambellan de service a l’honneur de pre6-
venir Messieurs les Dé putès envoyös par son Excellence le Land-
amman de Suisse, que S. M. l’Empereur les recevra aujourd’hui
mercredi 27 germinal & quatre heures.
991 19*
15) Vielleicht Chriſtoph Iſelin, 1752—1833, da nad) der Iſelin⸗
hen Chronif ein anderer gleihen Namens damals nicht lebte.
(Heinrih Iſelin von NRofenfeld und ſein Geſchlecht, Bajel 1909,
©. 174.)
16) Merian hatte den Kailer als General Bonaparte auf
feiner Reife von Italien zum Raftatter Congrek im Dezember 1797
in Bafel gejehen. (Hans Yrey, Die Staatsummwälzung des
Kantons Bafel im Jahre 1798. Neujahrsblatt für 1876, ©. 20 ff.)
‚ 17) Nah Tillier a. a. D, der die Originalnote Cruds
benüßt zu haben ſcheint, ſagte Napoleon folgendes:
„Ich habe Urjache genug, mit den von Ihnen ausgejprodhenen
Gefinnungen zufrieden zu fein. Meinerfeits habe ih nicht vergellen,
daß Frankreich fih wegen desjenigen, das in der Schweiz geſchehen
ift, einige Vorwürfe zu machen Hat, und werde mid verpflichtet
glauben, euch dafür Erſatz zu leiſten, foviel als in meinen Kräften
fteht. Ih werde in diefer Beziehung das Gyitem der Könige be-
folgen. Mit Vergnügen fehe ih, daß alles in der Schweiz ziemlich
gut geht. Jetzt, wo Piemont, Savoyen und Mailand unter meiner
Herrihaft vereinigt find, kann nichts einigermaßen Bedeutendes,
was in der Schweiz vorgeht, mir gleichgültig fein. Wenn ihr Ber:
trauen zu mir habt, und mir die Dinge auf eine angemefjene Weife
vorbringt, jo werde ich mich jtets bemühen, ihnen eine befriedigende
Mendung zu geben.
18) Nah Fiſcher, Wattenwyl ©. 116, jagte der Kaiſer:
Die Mediationsacte ijt euch erteilt worden, um die Ruhe in der
Schweiz herzuftellen; wenn es in einiger Zeit nötig ilt, einige
Aenderungen vorzunehmen, jo fönnen wir uns verftändigen. Watten-
wyl ſcheint in jeinem (privaten) Beriht anzumerken, er habe
hierauf jede Entgegnung vermieden, ungeadtet des Wunſches des
Zandammanns, daß über das Abberufungsteht (Grabeau) Bejorg-
nifje ausgejproden werden möchten; die Vorgänge in Italien und
Holland ſtanden Wattenwyl zu nahe vor Augen. (Fiſcher, ebenda.)
19) Tillier a. a. D.: Er berührte nun jelbft die Handels-
verhältniffe und Außerte fi) dahin, dag er auf den Wohlitand der
Schweiz nicht eiferjüchtig fei, und ihr mit Freuden jede Erleidte-
rung zukommen lajjen würde, injofern diejelbe ihr wirklich und
nicht dem verhaßten England oder andern Gegnern zufäme.
20) Fiſcher, Wattenwyl a. a. D.: Wegen des Aufihubs der
DOfficiersernennungen für die neuen Schweigerregimenter habe
Napoleon geäußert: que dans un moment de vivacit6 il aurait pü
faire des choses dont ensuite il aurait eu des regrets.
21) Es Handelt fih um die von Bern, Zürih und andern
Kantonen in England angelegten Kapitalien des Staatsichages, die
zur Abzahlung der helvetiihen Nationaljhuld verwendet werden
jollten, von England aber nicht herausgegeben wurden, weil es die
mediationsmäßigen Regierungen nit als rechtmäßige Eigen-
292
tümer anerkannte. (C. C. %. von Fiſcher: Bent Ferdinand
Zudwig von Jenner, nad feinem Tagebuche geſchildert, ©. 57, und
4. von Tillier, Geſchichte des eidg. Freiſtaates Bern, Bd. 5,
©. 342 ff.)
22) Das Edict vom 4A. December 1803, wonach alles Eigen:
tum der helvetiihen Republif und der Schweizerifhen Klöfter, das
in öſterreichiſchem Bereiche lag, eingezogen und „incameriert“
werden ſollte, ein mit dem Reichsdeputationshauptſchluſſe im
Widerſpruch ſtehender Akt des Fauſtrechts. od: Oechs li, Geſch. der
Schweiz im 19. Jahrhundert, Bd. 1, ©. 509 ff.)
23) Vrgl. Hiezu die Audienz Reinhards in Regensburg 1809,
wo das verhängnisvolle Projeft der Angliederung Tirols zur
Spradhe fam. Damals hatte Reinhard gerade mit der Erwähnung
von Konſtanz abgelenft. (6. Steiner, Napoleons I. Politik und
Diplomatie in der Schweiz, Bd. 1, ©. 158, 159, 167 ff., au) ©. 11.)
24) Man vermikt vielleiht in diefer Erzählung eine Er-
wähnung des Vorfalles, daß Napoleon Merian ziemlid) unfreund-
fi) behandelt Habe, weil Glieder der Yamilie Merian mit Eng-
land Schleichhandel getrieben hätten; vrgl. Tilliera.a. DO. und
nah ihm Hans Bufer, Bajel während der erften Sabre der
Mediation, Neujahrsblatt für 1903, ©. 31; ferner F. Viſcher, Bei:
träge zur Geihichte der Mediation, Basl. Zeiiſcht. XII. S. 141, 156,
226 und T. Geering, Chriſtoph Merian (Baſel 1908) ©. 24, 25.
Bufer glaubt, Merian habe den Vorfall in der officiellen Relation
abfichtlich verjhwiegen. Das Tagebud) ijt jedenfalls rein zur eigenen
Erinnerung und für die Familie gejchrieben. Die Allg. Zeitung
1805 erwähnt feinen jolden Borfall in ihren Berichten (©. 471, 483,
580). Den von Crud geſchriebenen Originalbericht habe ich nicht ge-
leben. Fiſcher, Wattenwyl, erwähnt ©. 131, Merian habe auf der
Abordnung in Chambery erfahren, daß Napoleon ihn jelbft für einen
Gegner Franfreihs Halte. — Daß Merian, wie Tillier behauptet,
bei jene Antwort feine Gewandtheit in der franzöſiſchen Sprade
gezeigt Habe, jcheint mir gegenüber den vielen franzöſiſchen Briefen
Merians fraglich. — Das Recreditiv des Katjers wurde von Mailand
unterm 11. Mai 1805 an den Landammann erlajjen und befagte:
Nous ne devons pas vous laisser ignorer, que vos d&putes se sont
acquittes tr&s dignement de la mission, dont vous les avez honore,
nous ne doutons pas qu'ils ne se fassent un devoir de vous rendre
compte... du desir que nous avons de favoriser tout ce qui
pourra concourir & la prosperit6 et au bonheur de votre r&pu-
blique (Fiſcher, Wattenwyl, ©. 117.)
Im übrigen war ein halbes Jahr jpäter die gute Stimmung
des Kaiſers verflogen, als man in der Schweiz in militärijhen
Dingen einen jelbitändigen Schritt wagte (Steiner Na
poleons I. Politik ꝛc. ©. 147), und das Directionsjahr 1806 wurde
für 3 und die Schweiz peinlih genug (Hans Buſer
a. a. O.)
293
25) Merian ſchreibt in echter Basler Ausiprade „Baal“.
26) Tillier läßt durhbliden, daß die Ablehnung der De-
putation gegen den Willen des Papftes geihah, und „man“ be-
fürdhtete, die Deputation, an deren Spite ein Reformierter ftand,
könne es möglicherweije an ehrerbietiger Huldigung fehlen laſſen.
Aus dem Tagebud) geht zur Genüge hervor, daß der Papit fi
überhaupt jedem öffentlihen Empfang entzog.
27) d. h. die Rats- oder Herrenkutſchen, die im Karrenhof,
der ſtaatlichen Wagenremije, (in der Gegend des heutigen Beja-
lianums) eingeftellt wurden.
28) Mitglied des Directoriums der Helvetif.
294
Autobiographiſche Aufzeichnungen
von Prof. Jobann Jakob Bachofen.
Die Aufzeichnungen, die im Nachfolgenden veröffent-
ficht werden, ftammen von einem der bedeutendften Gelehrten
und jelbitändigften Forſcher, die Baſel im 19. Zahrhunvdert
hervorgebracht hat, dem Zuriften und AUltertumsforfcher Jo—
hann Jakob Bachofen, geboren am 22. Dezember 1815, ge-
ftorben am 25. November 1887.
Es ift Bachofens Schidjal geweien, daß er im Auslande,
in den Kreifen der internationalen Wiflenfchaft, viel mehr
Anerkennung gefunden bat als in feiner Vaterftadt. Durch
jein wiſſenſchaftliches Hauptwerk, das tiefgründige, eigen-
artige, aber fehwer zugängliche „Mutterrecht”*) hat er feinen
feften Pla& in der Geichichte der Wiffenfchaft: von dieſem
genialen Werk, das im Jahre 1861 erfchienen ift, datiert die
Geihichte der Familie als einer fozialen Inftitution. Drei
verfchiedene Wiffenfchaften verdanken ihm die allerftärkften
Anregungen: die vergleihende Rechtswiflenfchaft, die in
Bachofen einen ihrer Begründer verehrt, die Soziolpgie als
die Wiffenfchaft von den fozialen Lebensformen des Men-
fchen und die Völkerkunde. Neben dem „Mutterrecht” haben
Bachofens übrige Werke troß der Fülle reichfter Gelehrfam-
feit und eigener, oft tiefer, wenn auch fremdartig anmutender
Gedanken nicht recht auflommen können; fie find über den
erigften Kreis der Fachgelehrten nicht hinausgedrungen.
Hinter dem Werfe ift der Mann ganz zurüdgetreten.
Bon dem Verfafler des Mutterrechtes, der in der gelehrten
Welt Europas und Amerikas feit Jahrzehnten ein hohes An-
) Das Mutterreht. Cine Unterſuchung über die Gynaiko⸗
fratie der Alten Welt nad) ihrer religiöjen und rechtlichen Natur.
Bon 3. 3. Bachofen, Appellationsrath zu Bajel. Stuttgart 1861.
Zweite unveränderte Auflage. Baſel 1897.
295
jehen genoß, wußte man bisher außerordentlich wenig. Außer
dem, was Teichmann in dem überaus fympathifch gehaltenen,
aber Eurzen Aufſatze im 47. Band der Allg. Deutfchen Bio-
graphie mitgeteilt hat, ift nicht viel über ihn befannt geworden.
Sn feiner Vaterftadt felber, der er einige Fahre als Profeffor
des römischen Rechtes an der Iniverfität und eine lange
Reihe von Zahren als Mitglied des Appellationsgerichtes
gedient hat, ift die Tatſache, daß Bachofen zu den hervor-
ragendſten Baslern des vergangenen Zahrhunderts gehört
hat, noch nicht allgemein in das Bewußtſein der gebildeten
Kreife gedrungen. Vielleicht wird die vorliegende Veröffent-
lichung dazu helfen, daß dem Gedächtnis Bachofens in Baſel
endlich der Platz eingeräumt wird, der ihm längſt gebührt.
Die autobivgraphifhen Aufzeichnungen, die wir bier
veröffentlichen, find erft im Frühjahr 1916 durch die Witwe
des Verfaflers, Frau Prof. Luife Bachofen-Burckhardt, auf-
gefunden worden, als der Unterzeichnete, der fich vor Jahren
al3 Student lange und eingehend mit dem „Mutterrecht”
beichäftigt hatte und im Lauf der Zahre wiederholt aus dem
Auslande um Lebensnahrichten über den Verfafler gebeten
worden war, fich nach) Materialien zur Lebensgefhichte Bach—
ofens ertundigte. Sie haben eine eigentümliche Entftehungs-
geſchichte.
Im Sommer 1854 traf Bachofen in Ragaz mit ſeinem
ehemaligen Berliner Lehrer, dem berühmten Juriſten
Sriedrih Karl von Savigny, zufammen. Es fcheint, daß
die eigenartige Perfönlichkeit Bachofens, der urfprünglich
ja auf dem gleichen Arbeitsfelde, wie Savigny felber, dem
. der Gejchichte und Auslegung des römischen Rechtes, tätig
gewelen war, auf Savigny einen fehr ftarfen Eindrud ge-
macht hat. Er Tieß ihn nicht los, bis jener ihm eine zu—
fammenhängende Darftellung feiner bisherigen und feiner
für die Zukunft geplanten literariſchen Tätigkeit verfprochen
hatte, und erinnerte ihn auch, als fie fich von einander ge-
trennt hatten, Sohriftlich an die Zufage. Bachofen fam dem
296
Berfprechen noch im Laufe des Septembers nach und fchidte
im Oftober 1854 durch einen fludierenden jungen Basler Sa:
vigny, der inzwilchen nach Berlin zurüdgefehrt war, ein Heft
von 60 Folioſeiten, in dem er für fih und feinen einftigen
Lehrer einen Rüdblid auf die legten 15 Bu feines Lebens
geworfen hatte. |
Jeder, der aus Bachofens Schriften einen Eindrud von
der tiefen Perfönlichkeit des Verfaflers gewonnen hat, wird
es dankbar begrüßen, daß die Witwe des Verftorbenen die
Erlaubnis zur Veröffentlichung gegeben hat. Füllen diefe
Aufzeichnungen Doch endlich die dürftigen Umriſſe deflen, was
über Bachofen bisher befannt war, mit Anſchauung und Leben
aus! Ihr eigentlicher Wert liegt — abgefehen von Mit:
teilungen und Urteilen über zeitgenöffiiche Perfönlichkeiten
und CEreigniffe — in dem Einblid, den fie in das Weſen
und in die geiftige Entwidlung Bachofens gewähren. Sie
zeigen, wie aus dem Romaniften, der die üblihen Wege
der biftorifchen Rechtsfchule gegangen war, der felbitändige
Forſcher und einfame Denker wurde, der ſchließlich als Ent-
deder des Mutterrechtes die Früchte jahrelanger geduldiger
Arbeit ernten durfte. Shren Höhepunkt erreichen fie in der
Darftellung der geiftigen Revolution, die Bachofen auf feiner
erften italienifchen Reife erlebte, und die für feine ganze Fünf:
tige Entwidlung enticheidend wurde. Niemand wird ohne
Bewegung die Seiten über das Gräberwefen der Alten lejen
können, in denen Bachofens tief religidſe Natur einen eigent⸗
lich ergreifenden Ausdruck findet. Wir fühlen: bier fließen
die Quellen, aus denen das, was an Bachofens Wefen genial
genannt werden darf, feine lebendigen Kräfte gefchöpft hat. —
Was die Wiedergabe des Tertes betrifft, jo haben wir
die Schreibweiſe des PVerfaflers fo viel als möglich bei-
behalten; die Abficht Tief fich aber nicht bis in alle Einzel-
heiten ftreng durchführen, namentlich weil Bachofen, der fich
im allgemeinen der deutfchen Schrift bediente, Doch da und
dort ohne erkennbaren Grundfaß die lateinifche Schrift ver-
297
wendet. Einige Anmerkungen vorwiegend biographiichen
und bibliographifchen Snhaltes glaubten wir dem Terte bei-
geben zu follen.
Für die Erlaubnis zur Wiedergabe des Vildniffes, das
Deſchwanden im Jahre 1843 von Bachofen gezeichnet hat,
werden die Lefer mit dem Herausgeber Frau Prof. Bachofen
dankbar fein.
Endlih müflen wir noch hinzufügen, daß Bachofens
Aufzeichnungen gleichzeitig von anderer Seite in der bei Ferd.
Ente in Stuttgart erfcheinenden Zeitfchrift für vergleichende
Rechtswiſſenſchaft herausgegeben werden. Bachofen gehört
ja nicht nur der Stadt Bafel, fondern der internationalen
Wiffenfchaft an.
Hermann Blocher.
* *
*
Die Rückſchau auf die Arbeit von 15 Zahren ift eine
Aufgabe ernitefter Art. Die PVergegenwärtigung früherer
Unternehmungen führt mitten in das Leben vergangener
Perioden zurüd, und wedt Erinnerungen, welche längſt be-
graben fchienen. Denn, wo immer inneres und Äußeres
Leben ein Ganzes bilden, muß auch jede litterarifche Er-
fcheinung nothwendig in dem Sufammenhange des ganzen
damaligen Zuftandes, Dichtens und Trachtens auftreten.
Innere Erlebniffe und Umſtände rein Außerlider Natur -
verbinden fi, unſere Beſchäftigung und deren Charakter zu
beftimmen. Des Einen zu gedenken ohne des Andern ift
unmöglich. So bat, da ich meine bisherigen Arbeiten im
Gedächtniffe überfah, mein ganzes bisheriges Leben fih im
Bilde wieder vor meine Seele geftellt, und es ift Das, Was
Eure Ercellenz von mir wünfchen, aus einem bloß literarifchen
Snoventarium berangewachlen zu einer Art Gelbitbiographie,
welche auf den Schreiber ein Gefühl von Unbehaglichkeit
298
bervorbringt, ähnlich dem, das man beim Anblick feines
eigenen Bildniffes empfindet, — dem Lefer aber oft Hebung
von Nachſficht und Geduld auferlegen wird. Das ganze
Gebilde feiner Gedanken und Anfchauungen einem fremden
Auge bloßzulegen, Toftet einen Seden Heberwindung. Mir
ift es Leicht geworden, E. Erc. gegenüber diefe natürliche
Scheu zu überwinden. Ich fpreche ja zu einem Lehrer,
deflen Unterricht in Schrift und Wort mich durch die ganze
Dauer des erwähnten Zeitabfchnittes hindurch begleitete,
dem zu vertrauen längſt Gewohnheit geworden ift, und deſſen
Alter, durch Die milde und ruhige Objektivität des Lrtheils,
welche es allein zu verleihen vermag, rüdhaltsiofe Offen-
beit aleihfam von felbft hervorruft.
Zu der Rechtswiſſenſchaft zog mich die Philologie, von
der ich ausgegangen bin, und zu welcher jene mich wieder
zurüdführte. In Ddiefer Beziehung ift meine Stellung zu
meiner Wiflenfchaft ftets die gleiche geblieben. Das roem.
Recht erfchien mir ftets als ein Theil der alten, befonderg
der lateiniſchen Philologie, alfo als der Abſchnitt eines
großen Ganzen, das die klaſſiſche Alterthumswiſſenſchaft
überhaupt umfaßt. Es ift mir wichtig, diefe Anſchauungs⸗
weife gleich in ihren Hauptfolgen zu veranfchaulichen. Die
Wichtigkeit des römifhen Rechts beitand mir nicht darin,
daß es als Beftandtheil des heutigen Rechts eine ſo bervor-
ragende Stellung einnimmt; es erfchien mir dieß, wenn ich
iiberhaupt darauf achtete, als ein Vorzug ſehr untergeord-
neter, ja jehr unmwefentlicher Natur. Als ebenbürtiger Gegen-
ftand des Nachdenfens trat es mir nur in feiner andern
Qualität entgegen, wonach in ihm eine Haupffeite des alten
Lebens zu Tage: tritt, eine Seite, ohne deren genauere
KRenntniß alles wefentlih Tüdenhaft und unvollkommen
bleiben muß. Der Gefichtspunft praftifcher Anwendung
leitete mich alſo hiebei fo wenig als bei den griechijchen
Staatsalterthlimern, die ih ein Jahr vor den Pandekten
bei Prof. Boeckh hörte. Das Antike war der Reiz, der mich
299
feflelte, nicht das heute Anmwendbare, und ich wollte fo recht
wahrhaft altes römifhes Recht ftudieren, Feineswegs
beutiges röm. Recht. Mit diefen aus der Philologie
berübergenommenen Grundanfchauungen ausgeftattet gerieth
ich oft in einen mir gar peinlichen Gegenfaß zu Lehrern und
Büchern, welchen ih mich als Führern bingegeben hatte.
Das Perhältniß zu dem gemeinen Recht fehien mir ganz
unwejentlich, und ich leugne nicht, mit welchem Triumph
ich immer fah, wie fruchtlos alle Verfuche blieben, in jene
Stage Klarheit und natürlichen Zuſammenhang zu bringen.
Aber vollends die Reception in Deutichland und die darnach
unternommene Sonderung der Materien, was follte ich
damit anfangen? Diefe und ähnliche Erdrterungen, welche
beinahe in jedem Kollegium wiederlehrten, dienten nur dazu,
in mir den Gegenfaß jener philologifhen Grundanfhauung
zu voller Klarheit und zur Durchbildung in allen Con—
fequenzen zu bringen. Immer mehr gelang es mir, von dem
modernen Standpunkt abzuſehen, und ihm in allen Stüden
den antiken zu unterftelen. Daher niftete fich bei mir ein
ſtets wachlender Widerwille gegen alle modernen Syſteme
ein. Ich bätte das Kleid gerne in feinen urfprünglichen
Salten gefehen und erachtete jeden Verſuch, den Stoff
heutigen Begriffen mundgereht zu machen, für Nichts
Befleres, als für eine das alte Verſtändniß erfchwerende
Entftellung. Ein Schema nach heutigen Begriffen und dar-
unter der alte Stoff vertbeilt, das erfohien mir als un-
berechtigtes Dogmatifieren, dem wahren Verſtändniß ver-
derblich, eine reiche Quelle vieler Srrthlimer und Verlegen:
heiten. Die Vehandlungsweife der Eontroverfen war mir
ein weiterer Gegenftand des Anftoßes. Ihre durch alle Mittel
juriftiihen Scharffinns und Wiges, durch die gezwungenfte
Kritif fowie duch die willführlichiten Diftinktionen herbei:
geführte Vereinigung widerfprechender Ausiprüche der Alten
mochte allein dem Bedürfniß, einen für die Praris anwend-
baren, feften Sat zu gewinnen, entfprechen: mir erjchien
300
das ganze Verfahren nicht befler als die Juſtinianiſche
Träumerei von der Möglichkeit einer Zweifel- und Wider:
ſpruchsloſen Zurisprudenz, und für viel würdiger, rejultat-
reicher und wiſſenswerther erachtete ich das, den Grund und
Gedanfengang zu ermitteln, der gleich ausgezeichnete Ju—
riften zu abweichenden Enticheidungen führen Eonnte. Denn
fo fonderbar es Elingen mag, fo wahr ift es dennoch, daß
in Fragen der Zurisprudenz entgegenftehende Anfichten gar
oft einen gleihen Grad von Berechtigung haben Fönnen.
Sch freute mich darüber, daß es Juſtinian nicht gelungen
war, alle Spuren diefer Streitigkeiten, Folgen jeder freien
Geiftesrichtung, zu vertilgen. Sch lebte ſelbſt der Sleber-
zeugung, daß gerade die Blüthezeit des röm. Rechts
auf allen Gebieten der Rechtspflege an Abweichungen und
Streitigkeiten am reichften geweien fein müſſe. Von dieſen
Gefihtspunften geleitet fand ich mein hauptfächlichftes Ver—
gnügen ſtets und allein in der Lektüre einzelner Theile
unferer Rechtsquellen, und, wäre es auf mich angefommen,
fo bätte ich der Erklärung von Pandectentiteln den Vorzug
eingeräumt vor allen ſyſtematiſchen Vorleſungen mit ihren
dDogmatifch formulierten Sätzen und den dazu aus allen
Eden zufammengetriebenen fogen. Beweisftellen und Eides-
beifern. — Einen großen Nachtheil diefer meiner Auf:
faflungsweife befam ich indeß bald zu fpüren. Sch hatte ſehr
wenige pofitive Rechtsregeln meinem Gedächtnifle ein-
geprägt, und war immer verlegen, follte ich die einzelnen
Materien in Regeln und Ausnahmen fchulgerecht herſagen.
Geiftig glaubte ich Dabei nicht gerade viel einzubüßen. Aber
für ein examen rigorosum war meine Gtudienweife
nicht berechnet geweifen. Das fühlte ib. Um das Per:
fäumte nachzuholen, mußte ih nun für ein Sahr den Quellen
entfagen, und nad Lehrbüchern memoriern. Ein Pri-
votiffimum zu Göttingen paufte mich gehörig ein, und ein
Paar Monate zu Baſel vollendeten die Arbeit. Es gab
Damals eine kurze Zrift, in welcher ih Mübhlenbruchs
301
Doctrina!) beinahe wörtlich innehatte, und in den ab-
gegriffenen Bänden felbft bei Nacht jeden 8 hätte auf:
Ichlagen können. War mir doch als Zdeal eines vollendeten
Doctoranden derjenige bingeftellt worden, der in jenem
Werke ohne Licht und Regiſter jeden Gegenftand nad:
zumweifen vermöge. Die Arbeit war nicht vergeblich gewefen.
Durch) tentamen und examen kam ich glüdlich hindurch,
empfieng die erfte Nummer, und konnte meine Lehr: und
Handbücher wieder mit dem corpus juris, den Klaſſikern
und Cujacius vertaufhen. Es war hohe Zeit. Denn nicht
erquidender erſchien mir Fürzlich die friſche Ulpenluft des
Engadinsg nah) der dumpfen Atmofphäre des Pfäferfer
Krankenhaufes, als Damals der ftärfende Hauch des Alter
thbums aus den Werfen feiner Litteratur belebend zu mir
Armen herüberwehte. Mit ganz anderer Freudigfeit ftudierte
ich jebt Gajus und Cicero als zuvor Mübhlenbruch, und meine
Differtation de judiciis civilibus, de legis actionibus de
formulis et de condict.?) brachte mir einige Monate des
fröhlichften und befriedigendften Umgangs mit den Quellen.
Diefe Arbeit vollendet fchwebte mir der Gedanke vor, in einer
Heinen Schrift den Unterfchied der res mancipi und Tes
nec m. zu erflären. Er fehbien mir fo einfach, jo Har, und
doch von den Dogmatikern in einem fo wenig antiten Sinne
aufgefaßt. Noch jebt glaube ich, daß der Grundftod des Ver:
mögens und deſſen Erträgniß unterfohieden wird. Genen
nennen die Griechen TO xteag, dieſes befteht in den Pro-
duften, welche zur Verzehrung alfo zur Unterhaltung des
täglihen Lebens dienen, wie Korn, Gemüfe, Schweine,
Schafe, Gold und fo vieles andere. Sch unterließ es, theils
weil mir die Lectüre der bedeutenden Litteratur den Gegen:
fand gründlich verleidet hatte, theils weil durch die Arbeit
meine Abreiſe nah) Paris, die auf den Winter 1839/40
bevorftand, verzögert worden wäre. Die Ausſicht, nad)
Schweizeriihen und Deutſchen Hochſchulen eine Sranzöfiiche
zu befuchen, hatte für mich fehr viel Anziehendes, und ob-
302
wohl es an derfelben von den Klaffifern wenig mehr zu hören
gab, jo harrte ich dennoch an der Parifer Ecole de droit
einen vollen Jahreskurſus aus. Für mich hatte die unter:
geordnete Stellung, in welcher dort das röm. Recht auf:
tritt, Nichts Anftößiges. Mir war es ja immer ein Theil
des alten Lebens gewefen, nicht des heutigen, ein Stüd Haf-
ficher Philologie, ein Beftandtheil längſt verfunfener Zu—
fände, ein Erzeuaniß von Grundanfchauungen, welche mit
denen der Khriftlich germanischen Vöolker eigentlich nur ge:
ringe Verwandtichaft hatten. In das Penfum einer die
Heranziehung praftifcher Zuriften zur Beſetzung der fran-
zöfifchen Gerichtshöfe und des franzöfifchen barreau be:
zwedenden NRechtsichule gehörte alfo das alte Recht durch:
aus nicht. Dazu war es theils zu gut und theils zu fchlecht,
alfo jedenfalls unpaſſend. Hatte ich bisher das Erzeugniß
vergangener Zeiten zum Gegenftand meiner Beſchäftigung
gemacht, ohne alle Rüdficht auf defien heutige Geftaltung und
Anwendung, fo kam ich jebt zuerft in gründlichen Verkehr
mit einer der berühmteften und verbreitetften Geſetzgebungen
ver Neuzeit und mit der darauf ruhenden Litteratur und
Aurisprudence, und gewährte mir dieſe auch nicht den gleichen
geiftigen Genuß wie der Romanismus, fo war mir doch der
Eintritt in ein ausfchließlich praftifches Gebiet und die mit
Ausiheidung aller antiken Gelehrfamkfeit unternommene Be—
handlung des ganzen heutigen Rechtslebens eine durchaus
angenehme Beſchäftigung. Ja aus diefer Zeit fehreibt fich
bei mir die Üeberzeugung ber, daß eine auf gleiche Trennung
gegründete Geftaltung des Rechtsftudiums der dermalen in
Deutſchland berrfchenden Verbindung weit vorzuziehen fein
müßte. Schüler und Lehrer würden dabei gewinnen, am
meiften aber die Disciplinen fell. Die Vermengung der
römifchen Zurisprudenz und der heutigen Doftrin in dem-
felben Rollegium oder Buch ift gründlich verderblich, und
verrückt für beide den wahren Gefichtspunft. Gebe man dem
Altertbum fein Recht und der Neuzeit ihr Recht, jedem be-
303
fonders, und man wird fo wie die gründlichften Gelehrten,
fo auch) die fähigften Praktiker bilden. Durch zwei Mittel
wahrt die Zurisprudenz ihre Friſche, oder erwirbt fie wieder,
bat fie fie einmal für einige Zeit eingebüßt, durch den un-
mittelbaren Verkehr mit der alten Weisheit und durch die
Beſchäftigung mit dem praftifchen Leben. Leiftet Paris au
für das Erftere Nichts, fo bringt es doch in dem Zweiten
den Schüler zu mehrerer Tüchtigfeit als der deutfche Unter:
richt, und ich fan wohl jagen, daß mir wie in Deutfchland
der Eintritt in die alte Welt, fo in Frankreich der in die
heutige Zeit eröffnet worden if. Wejentlich förderte mich
in meinen neuen Beitrebungen auch der Beſuch der Gerichts:
böfe von der Feierlichfeit der Pairstammer bis herab zu
ven Tragödien der Zuries und den Skandalen der police
correctionelle. 3a unter allen diefen Einflüffen war mein
Hang zu der praftifchen Seite unjerer Wiffenfchaft fo ſtark
geworden, daß ich fogar beichloß, in die Etude eines der
größern Notaires, mit deſſen chef de bureau ih an der
Mittagstafel befannt geworden war, einzutreten. Man gebt
im 25ften Jahre fo leicht in Alles ein! Doc dießmal Hatte
ich meine Ausdauer überfhäßt. Nah 14 Tagen waren
Meifter und Gefelle wieder auf die Gemeinfchaft der Mit-
fagstafel und auf den beiterften gejelligen Verkehr befchräntt.
Aber feither habe ich Doch öfters zu erfennen Gelegenheit ge-
habt, daß felbft die Einführung in einen folchen bureau Dienft
mit der daran genüpften Renntniß der Documentirkunft und
der Buchführung mit zu den Aufgaben einer praftifchen
Rechtsſchule gehören würde. —
Aus der damaligen Zeit datiert meine Bekanntſchaft
mit Pardefjus?), mit dem Grafen Pellegrino Roffit) und mit
vem alten Kanzler von Frankreich, dem hochbejahrten Grafen
Poftoret?), Männern, welche alle für unſere Wiffenfchaft,
wiewohl in verjchiedenen Zweigen derfelben, Bedeutendes ge:
leiftet haben, und von welchen die beiden Lesteren aus ihren
früheren Lebensjahren ber mit der Schweiz im Zufammen-
304
Johann Jakob Bachofen
gezeichnet im Jahre 1843 von Paul Deschwanden
Lichtdruckanstalt Alfred Ditisheim, Basel.
bang der Anhänglichkeit und Dankbarkeit fanden. Vielleicht
daß ich gerade diefem Umſtande meine gute Aufnahme in
ihren Häufern zuzufchreiben habe. Paftoret und Roffi hatten
beide im Innern unferes Landes ein Aſyl gefucht und ge-
funden, Roffi gegen die Strenge des Gefeßes, Paftoret vor
der Wut der Republikaner der erften Revolution. Aber
der Zerfaffer der histoire de la legislation war fchon
gänzlich dem zweiten Kindesalter verfallen, Roffi fland da-
gegen da in der Kraft feines Geiftes. Un ihn war ich durch
den feeligen Ritter Hugo®) empfohlen, der mit Gelehrten des
Auslandes bis an fein Lebensende einen intellektuellen Ver—
fehr unterhielt. Ich fand in großer Erwartung, die nicht in
allen Stüden in Erfüllung gegangen if. Die: afademifche
Wirkſamkeit des fonft fo fähigen Mannes hat mir feinen
günftigen Eindrud hinterlaſſen. Werthlos und oft trivial
waren feine Vorträge über conftitutionelles Staatsrecht, mit
etwas mehr Liebe ausgearbeitet die über politifche Efo-
nomie, die fpäter, wiewohl in der Ueberarbeitung unfennt-
ih, im Drude erfhienen find. Ich weiß nicht, ob Eurer
Ercellenz Wirkſamkeit in dem gedrudten Buche ebenfo
charakteriſiert worden ift, wie damals mündlich in einem der
Hörfäle der Ecole de France. Mit ſchönerm Schwanen-
sefang habe das römische Recht nicht zu Grabe gefungen _
werden können. Roffi fland damals bei den Studenten,
welche ihn einige Sahre früher mit Steinwürfen empfangen
hatten, in hoher Gunft. Die beiden Gensd’armes, welche
ihn lange bealeitet hatten, waren längft überflüffig ge-
worden. Seine oft mit Runft angebrachten, gewiß nicht
aufrichtigen Lobreden auf Gefchworenen-Gerichte, Charte,
freie Prefle, ein felbftändiges Polen und ähnliche Lofungs-
‘worte der damaligen revolutionären Zournaliftif hatten jene
Umftimmung bewirkt. In dem übrigen Benehmen war
feine WUenderung eingetreten. Es haftete an ihm ein
vorzugsweife italienischer, verlegender Dünkel,; der mit dem
Glanz der äußern Lage wuchs oder doch ungefcheuter hervor:
305 ”
trat, und mit unter die Urſachen gehört, welche dem Grafen
zu Rom jenen unerwarteten Fall bereiteten. ch glaube, daß
er in feinem Herzen diejenigen CEigenfchaften des fran-
zöfiſchen Volks am meiften verachtete, denen er öffentlich
die wärmften Huldigungen darbrachte. Viel höher fand
ihm die Engliſche Nation, und die befondere Hochachtung,
die er bei jeder Gelegenheit vor ihren großen politifchen
Eigenfchaften an den Tag legte, war gewiß feine Conceffion
an die Öffentliche Stimmung in den glänzendften Zeiten der
Suliusdynaftie, fondern vielmehr der Ausdrud einer fehr
tief wurzelnden Heberzeugung und das abfichtlich gefuchte
Mittel, der franzöfifchen Eitelkeit einen Spiegel vorzuhalten.
Diefe vielfahen Blicke auf England waren es, welche mich
hauptſächlich dazu beftimmten, meinem Aufenthalt in Paris
fogleich einen andern in London anzureihen. Geitdem ich
aus DBladftone”) und einigen franzöfifhen Werfen eine
überfichtlihe Renntnif der Englifchen Staats: und Rechts-
zuftände gejchöpft hatte, wuchs mein Verlangen. Der Plan
fand feine Ausführung. Kein Jahr meines Lebens ift an
Arbeit, Belehrung und Genuß reicher gewejen als das in
England verlebte. Kaum wird Jemand fähig fein, den
ganzen Gewinn folcher Zeitabfchnitte feines Lebens richtig
zu würdigen. Die Elaftizität meines damaligen Alters be-
fähigt, das PVerfchiedenfte mit gleicher Lebendigkeit auf:
zufaflen, und das Durchſchreiten fo vieler neuer Gebiete
giebt das GSiegesgefühl eines fortwährenden Triumphzugs.
As ih mih in London feftfeste, war mir noch nicht klar,
was ich vorzugsweife zu fuchen gefommen fei. Alles, dachte
ih, oder doh ein Wenig von Allem, Grundlagen für
fpätern Ausbau, Material und Gedanken für die Zukunft.
Sch fand in dem Lebensalter, dem noch Alles angehört,
dem fogar dieß AU nicht genügt, und das noch nicht weiß,
in welcher Ede des weiten Gebiets der Geift am Ende fh
friedlich niederlaffen wird. Feſſelten mich einerfeits das
Rechtsweſen und. die Gerichte mit al’ dem altwäterifchen
306
Pomp, der fie umgiebt, jo war doch auch das brittifhe
Mufeum mit feinen Schäßen vorhanden. Ließ ſich nicht
Beides vereinigen? nicht Beides nebeneinander benügen?
Der Berfuch zeigte, daß es möglich war, ja daß das Eine
das Andere förderte. Sah’ ih in Weftminfter und Guild—
hall die Rechtspflege in ihrer Wirklichkeit, das Menuett in
der ganzen KRünftlichkeit feiner dußern Erfcheinung, jo fand
Ah in den Leferäumen des brittiihen Mufeums die Litte-
ratur, die bequemfte Ruhe und überhaupt alles, was nöthig
war, um mich über den Sinn und Gehalt jener Erfchei-
nungen zu unterrihten. Der Gegenfab des enalifchen
Rechts zu allen denjenigen, welche mit roemifchen Grund-
fägen in Einklang gebracht worden find, verbunden mit
einem oft ſchlagend ähnlichen Entwidlungsgang einzelner
Theile, 3. B. des Formelweſens und der Hypotheken, das
war es, was mich zulegt am meiften anzog. Leber le&teres
Beifpiel glaube ich Eurer Erc. in meinem Begleitſchreiben
zum Pfandreht?) Einiges mitgeteilt zu haben. Aber unter
das PBorzüglichfte aller Zeiten gehören Blackſtone's Com-
mentaries, deren ganzen Werth man erft alsdann vollftändig
ermißt, wenn man die Schwierigkeit, in folchen Stoff Licht
und hiftorifches ZVerftändniß zu bringen, an der Drangſal
des eigenen Verſuchs erfahren hat. Von Blackſtone wird
auch für Engländer ftet8 Alles ausgehen müflen, um fo mehr
wird fih für ung Fremdlinge alles jelbftändig Erworbene
an ihn anfchließen. In den neuen Ausgaben ift die reiche
fpätere Gefetgebung und Zurisprudenz auf das Genauefte
nachgeführt. Schwierig wird das Studium des Englischen
Rechts durch den völligen Gegenfab feiner Grund-
anfchauungen zu denen des Fontinentalen Juriſten, ins-
befondere des Romaniften, jehwierig durch die Sonderung
feiner Gerichtshöfe und Jurisprudenz in equity und
common law, ſchwierig ganz befonders durch den Ent-
widlungsgang in unzähligen Precedents, welche in fo viel
Hundert Bänden zerftreut Tiegen, durch die ungeheure
307 *
Mafle von Parliamentsaften, die immer im Detail fliden,
und ein Amendment unter dem andern begraben, endlich
durh die Darftellungsweife der englifchen Gchriftfteller,
welche hauptfählich die Praris im Auge haben, Kenntniß
mit allem Allgemeinern vorausfegen, ihre Darftellung fchon
auf der erften Seite mit einzelnen Fällen eröffnen, und
felten fih zu irgend einer logifhen Ordnung oder zur
Hervorhebung von Prinzipien bequemen. Gin folches
Material ift dem Fremden meift erft nach langer Uebung zu-
sänglih. ES zu ordnen, die höchſten Prinzipien zu er:
fennen, und dieſe zu einem Jus civile zufammenzuftellen,
würde vollends die Arbeit eines ganzen Lebens fein. Der
englifche Geift fcheint nicht dazu angelegt, diefe Aufgabe je
erfüllen zu Eönnen. Es fehlen ihm jene großen Pro-
portionen, in denen das Einzelne feine gehörige aber unter-
geordnete Stellung findet. Er bleibt am Staube Heben, und
läßt das Ganze unter dem Reichthbum des Details ver:
fhwinden. Unter allen Rechtsgelehrten, die ich hörte, jeien
fie Anwälte oder Richter, fchien mir bloß der fpäter unbheil-
barem Siehthum zu Genua erlegene Sir William Follef?)
eine Haffifchere Geiftesanlage zu befiten. Darin bat fi
an England die Verbannung des röm. Rechts furchtbar ge:
rät. Den fremden Stoff brauchten fie nicht aufzunehmen,
wenn es gleich in jenen Zeiten fchwer fein mochte, ſich dem
doppelten Köder innerer und äußerer Vollendung zu ent-
ziehen, und ich beneide Englands Rechtsaelehrte um den
Vorzug, daB fie die Geſchichte ihres Volks und ihres
Rechts ftatt, wie wir, jene eines fremden Volls und eines
fremden Rechts zum Gegenftand ihrer Studien und ihrer
Vorliebe erheben können. Aber an der Betrachtung des
röm. Rechts hätten fie lernen Eönnen, was dem eigenen fehlt,
und in welcher Weife dieß Fehlende zu ergänzen ift, lernen,
wie man den Stoff ordnet und fichtet, wie man zu einem
Jus civile gelangt, wie man fchleppende Fictionen durch)
eine directe formula petitoria erfegen, ein einfaches Hy⸗
308
pothefar Recht berftellen, Jus und aequitas zu einer einheit-
fihen Rechtspflege verbinden, und ftatt der vielen species
of tenure den höhern Begriff des Eigenthbums felbft auf-
faffen, und das Dinglihe in feinem Gegenfage zu dem
Obligatorifhen durchführen kann. Alles Wohlthaten, deren
nun das Englifhe Rechtswejen verluftig geht, die ihm auch
weder Wiſſenſchaft noch Praris bringen werden, weil jene
in böherm Sinne gar nicht befteht, und aus dieſer das
bildende fchöpferifche Leben Längft gewichen if. Sch weis-
fage daher dem Engl. Rechte diejenige Zukunft, die
aller Staatszuftände wartet, denen zeitgemäße Fortbildung
unmöglich gemacht wird: Sie werden zulegt Gegenftand ge-
waltfamer Uenderung, erft das Augenmerk, dann das Opfer
einer fortichreitenden Demokratie. Dann aber wird das eng-
liſche Recht eben jo fpurlos untergehn, wie das von Car-
thago. Denn es trägt Fein Element der Bildung in fich,
wie das roemifche, das Fünftigen Zeiten Sehnfucht nach feinem
Beſitze einflößen, und fpätern Gefchlechtern zum Ausgangs:
punkte eines neuen FortfchrittS werden fünnte. Das ift in
allen Stüden allein und ausfchließlich der Vorzug des klaſ—
fiihen Alterthums. Die ganze germanifche Welt hat Nichts
geliefert, das fpäter einmal andere Welten belehren, auf:
richten, begeiftern köͤnnte. — Schriftliche Arbeiten über Eng:
liſches Recht habe ich Feine zu Stande gebracht. Sch wundere
mich jest, daß es mir Damals gelang, überhaupt nur fo viel
in mich aufzunehmen, als zur Ueberficht der Hauptmaterien
erforderlich ift, und diejenigen litterarifchen Hilfsmittel zu-
- fammenzubringen, die der Engländer etwa als das unent-
behrlichite einer Lawyer’s library anfehen würde, und die
mich befähigte, je nach Bedürfni über irgend einen Rechts:
theil biftorifche und Dogmatifche Auskunft zu erlangen. Ob-
wohl ich allerdings Hier ganz befonders die Wahrheit des
Platonifchen Worts erfahren habe, auch die beft’ gefchriebenen
Werke feien immer nur wie ſtumme Bilder, an die man
taufend Fragen zu richten habe ohne je eine Antwort zu er-
309
halten. Von Pielem befige ich auch wieder Ercerpte, die
mir jedoch feit jener Zeit völlig fremd geworden find. —
Die Gefhichte des Engl. Rechts, oder beftimmter das von
König Stephan ausgegangene Verbot feines Studiums
führte mich ganz natürlich auf Magiſter Vacarius!?), der als
einzig befannte Perfon in mitten von fo vielem unbekanntem
wohl einer etwelchen größeren Aufmerkſamkeit werth Tchien.
Ueber dem Suchen nach feiner Summa pauperum fam id)
mitten in die Schäße des Brittiſchen Muſeums aus dem
Gebiete der Roemiſchrechtlichen Litteratur des Mittelalters
hinein. Schon feit Berlin hatte ich mich mit Ew. Erc. Ge:
Ihichte d. roem. R. im MA) befannt gemacht. Theil 3
und 4 führte ich damals bei mir, und bediente mich ihrer
nun als Richtſchnur in mitten des reichen Materials, das fich
mir darbot. Soll ich es bereuen, daß ich von manchen Werten
vollftändige Abichrift nahm? Betrachte ich jeßt die drei dicken
Bände Anglica, die ich damals ſchwarz auf wei aus dem
Britiſchen Mufeum mit nach Haufe nahm, jo will mir mein
Eifer für einen doch nicht eben ſehr gehaltreichen Gegenftand
beinahe zu übertrieben erfcheinen. Publicirt habe ich davon
Nichts, zufammengeftellt aber einige Notizen, die ich nun
nad 13 Sahren zum erften Male wieder bervornehme, um
fie Ew. Erc. zur Einficht vorzulegen!?). — Ein ähnliches
Schidjal hatten Ercerpte anderer Art aus meinen damaligen
britiihen Tagen. Aeußerſt merfwürdige Briefe britifcher
Gejandter aus dem Anfange des XVI. Jahrh. über Die
Stalienifchen Schweizerfriege, die Schlachten von Novara, an
der Bicocca, von Marignano, Schreiben der Herzöge Sforza
und an diefelben, des berühmten Rardinals Schinner, andere,
welche Stanz I., feine Unternehmungen in Stalien, feine Ge-
fangenſchaft betreffen, kurz eine große Mannigfaltigkeit merk⸗
würdiger Dokumente aus jener fo merfwürdigen Zeit, in
welcher fchweizerifche Sreifcharen ihrem Vaterlande in der
Lombardei eine große gemeine Herrfchaft zu erobern Luft
und Kraft genug zeigten, fiel damals zufälliger Weife in
310
meine Hände. Sch nahm ein genaues Verzeichniß und Ab—
fchrift der merfwürdigften Stüde!?.) Auch diefe lag lange
nutzlos in meinem Pulte. Jetzt dient fie dem fchweizerifchen Ge:
ſchichtsſchreiber Vuilluiemin!*) in Laufanne zu Studien über
über jene Zeit. Unter allen diefen Beſchäftigungen Fam jachte,
fachte, wie das Alter, jo Damals das Ende des Winters
heran. Ich wünfchte mich weg aus dem Nebel, dem Gewühl
und Getriebe der Hauptftadt. Ein ruhiger und ftiller Mufen-
fiß, das war mir nöthig, um das Erlebte und Erlernte über-
bliden und in Gedanken verarbeiten zu fünnen. Orford ent-
fprach meinen Erwartungen nit. Diefe eisfalte VBornehm-
beit, der hohle Glanz, die Regungslofigfeit, die über allem
lag, über Land und Menſchen, insbefondere über den Geiftern,
fie trieb mich nach wenigen Tagen wieder fort. Ich 309 nach
Cambridge und fand dort, was ich fuchte, wiflenjchaftliche
Beihäftigung, angenehmen Umgang und vor Allem Ruhe
und Stile. Mit großem Behagen feste ich nun in der
öffentlichen Bibliothef und in mehreren Collegiatbibliothefen
meine Entdedungszüge nach mittelalterlihen Prozeflualiften
fort. Die guten Cambridger vermochten gar nicht einzu-
eben, was man an dergleichen heut zu Tage noch finden könne.
Vielleicht war es auch aus Mitleid, daß fie mir in den Er:
holungsſtunden alle erdenklichen Genüfle zu bereiten fuchten.
Sch Fam an ihre gemeinfchaftlihen Mahle, und wurde in
den Stand gefett, ſchon nad) dem Reichthum der Tafel den
Rang der einzelnen Collegien zu errathben. Nachdem ich
aus diefen Vorübungen mit einem leidlichen Anſtrich von
Cambridgerthum hervorgegangen war, fah ich mich fogar zu
dem engern Zirkel der höhern Würdeträger beigezogen,
welchem der Vice-Chancellor in full dress präfivirte. Von
jest an war es Ehrenſache, mich zu allen Zeierlichkeiten zu
laden. Jeden Abend und jeden Morgen erfchien ich zum
Gottesdienfte in der Christ-Church Kapelle, war bei den
Promotionen gegenwärtig, ohne über deren Drolliges Ritual zu
lachen, erlebte die Creation eines master of music, zwifchen-
311
ein eine Parliaments Wahl mit all ihrem Lärm, und endlich
die Promotion eines Doctor in civil law, natürlich in
partibus; aber der Titel verleiht das Recht, Hermelin zu
tragen, und in diefem Aufzug bei allen Feierlichkeiten tiber
die Zurba aller übrigen Graduirten gleich einem Edelmann
über den Sahnhagel hervorzuragen, und ift zudem noch die
PBorbedingung einer Aufnahme unter die Richter der Ec-
clesiastical courts; hier, meinen die guten Engländer, habe
das roem. Eaiferlihe ‚ Recht’ in aller Reinheit fih erhalten.
Sch bin der Meinung, daß es zwar fchlimm ift, die Sache zu
verlieren, aber doch immer noch befler Name und Form bei-
zubebalten, als auch diefe der Vernichtung preiszugeben. Ich
glaube auch, Daß ich in dDiefem Punkte nicht nur roemifch und
fchweizerifch, fondern auch ganz engliſch denke. Was Vielen
als Kinderspiel und verwerfliher Pomp erfcheinen mag,
machte damals auf mich einen ganz andern Eindrud. “Geier:
lichkeiten und Formen find nur dann hohl und lächerlich, wenn
willführlich erfunden und angeordnet; ftammen fie aus alter
Zeit, jo verfehlen fie nie, die Ehrfurcht vor der Vergangenheit
zu befeftigen und dem Gemüth die VBefreundung mit der-
felben werth zu machen. tr. v. Raumer’s wegwerfendes Ur-
tbeil über die Englifchen Univerfitäten fchien mir eines
gründlichen und befonnenen Hiftorikers unwürdig'®.) Sch be-
griff und theilte den Unwillen, den alle Rreife des gelehrten
Cambridge über den Vorwitz an den Tag legten, über jo alte
Snftitute nach den oberflählichen Eindrüden eines Nach:
mittags ohne Weiteres den Stab zu breden. Wäre ich
nicht Basler, ich hätte wohl Fellow des Magdalen College
werden mögen, deflen Genoſſen mir den Eintritt in ihre Kor⸗
poration anerboten. Es wäre nun wiederum fehr unhiſtoriſch
und nicht weniger oberflählich, ald v. Raumer's oben-
gerügtes Urtheil, wollte ich England’s Univerfitäten deutjcher
Nachahmung empfehlen. Sie gehören als Theil mit zu dem
großen Gebäude Englifcher Einrichtungen und Englifchen
Lebens, und find auf andere gefellichaftliche Zuftände nicht
312
berechnet. Wenn ich fie nun alfo auch mit großem Lobe
auszuftatten geſonnen bin, jo gefchieht dieß nicht mit irgend
einem praftiihen Hintergedankfen, noch in befonderer Bezug—
nahme auf Deutfchland. „Englands AUnftalten bezwecken
Erziehung der höhern Stände des Landes, fie wollen
weder Gelehrte bilden, noch Beamte heranziehen. Erziehung
aber ift vieljeitiger als Gelehrfamlkeit, zumal Erziehung zum
Englifhen Staatsbürger, zur Ausübung der Rechte und
Pflichten, welche die Verfaffung und die Sitten des Landes
zumal den auf jenen Hochfchulen vertretenen Ständen ein-
räumt. Dieſer höhere Zweck würde durch Fakultätsftudien
nicht erreicht, am allerwenigften durch eine Verweiſung auf
fich felbft, und durch volle Unabhängigkeit fowohl in Betreff
der Studien als namentlich außerhalb der Studienzeit. Da:
ber in England der Anſchluß jedes Zünglings an einen be-
ftimmten Lehrer, in deſſen Rollegiumsaebäude er dann feine
Aufnahme nahhjucht, daher der ftete gefellfchaftliche Zufammen:
bang unter ihnen, der fich felbft auf die Ferienzeit und die
üblichen Continentaltouren erftredt. Sch fand damals meinem
deuffchen Studentenleben noch fo nabe, daß mir der Gegen-
fat desjelben zu dem Englifchen fo recht lebendig vor die Seele
trat. Wie fteht ein 20jaehriger Süngling in Berlin oder Paris,
wenn ihn das elterlihe Haus vertrauensvoll zum Studium
entlafien hat? Die Trage ift gewiß der aründlichften Er-
wägung werth. Für Vafel habe ich ſchon viel darüber nach—
gedacht; denn, um eine Sache ganz praktiſch aufzufaflen, muß
man gleich mitten in gegebene Verhältniſſe bineintreten.
Auch babe ich die Hoffnung nicht aufgegeben, daB da noch
einmal Aehnliches zu Stande kommen wird. Die Form ift
am Ende gleichgiltig, wenn nur das Ziel, allgemeine Er-
ziehung auf der Grundlage humaner Wiffenfchaften an der
Stelle ausſchließlich erzielter Fachbildung, erreicht wird.
Ohnedie dürfte, wenn die materielle Richtung, welche die
Welt nimmt, zur Herrfchaft gelangt, die Wiffenfchaft wieder
ein Priefterthbum werden, das, faatlicher Unterſtützung ent-
313
behrend, zu Privatmitteln und Privatthätigfeit jeder Urt
feine Zuflucht nehmen muß. Dann erft wird es möglich fein,
jenes deal zu verwirklichen und dem litterarifchen Prole—
tariat mit allen übeln Folgen, die daran hängen, erfolgreich
an die Wurzel zu gehn. — Mit Cambridge giengen meine
längern Aufenthalte in England zu Ende. Sn den Manu:
factur-Diftrikten verweilte ich nur fo lange, als die damals
nod im Poſtwagen zurüdgeleate Reife es von felbft mit fi
brachte. Etwas länger in Edinborongh, deſſen Aufenthalt
mir dureh den Verkehr mit verfchiedenen Männern von Aus—
zeichnung, unter andern mit Sir William Hamilton!®), Tieb
geworden ift. Uber der gute Stern verließ mich ganz, feitdem
ih von Glasgow aus die merkwürdigen, und für die Euro-
päiſche Civilifation nicht bedeutungslofen KRlofterruinen der
Snfel Jona befucht hatte. Von einem heftigen Nervenfieber
überfallen, über zwei Monate zu Liverpool in einer unwirth-
lihen Schenke auf dem Kranfenlager feftgebalten, den Tod
vor Augen, aber dem Leben erhalten durch die liebevolle
Pflege eines unvergehlichen alten Arztes, der jeßt felbft Längft
naxdowv Ev vaooıs 17), — fo befchloß ich eine zweijährige, ſonſt
fo glüdliche Abmwefenheit. Aber felten ermißt man am Anfang
das Ende, fo fagt ein fchon zu Herodots Zeit altes Sprich:
wort. Ein in Liverpool niedergelaflener Basler Handels:
mann, der mir im Übrigen treulich beigeftanden, meinte, es
wäre eine äußerft Eoftfpielige Sache gewefen, fih in Liverpool
beerdigen laffen zu müflen. Es follte der fchönfte Glückwunſch
jein, den er mir zu meiner Geneſung darzubringen vermochte.
Jeder mißt die Dinge nach feinem Maßftabe. Am Ende ift
auch das Geld wirklich oft mehr werth, als deſſen Befſitzer.
Als ich wieder im Kreiſe der Meinen zurüd war, traf
mir das Zrdornv Elayes!E) alsbald fehr ernft vor die Seele.
Beim Umtaufh großer Verhältniſſe mit fo Heinen, wie fie
mich jetzt umgaben, war jener philofophifche Troſt mir wirk⸗
ich fehr nöthig. Doch fand ich des Guten und Ehrwürdigen
gar bald auch nicht Wenig. Das ift der Segen einer gründ-
314
lich und wahrhaft hiftorifchen Grundanfhauung der Dinge,
daß der, welchem fie zu Theil geworden ift, in Allem, auch
dem Kleinften, die gleiche Weihe erblidt, wie in dem Größten.
Wahr fagt auch Frau von Staäl: « Les anndes passees "
& l’etranger sont comme des branches sans racine. >
Seftgewurzelt ftehbt man nur im heimathlichen Boden. Die
großen Erfahrungen des Lebens Fünnen nur da gemacht
werden, denn die Gefchide der Familien und Staaten voll:
enden fich nicht in Einem Leben, fondern nur in einer ganzen
Reihe aufeinanderfolgender Geſchlechter. Soll ih nun Ew.
Erc. mitten in das Leben und Getriebe einer Heinen regfamen
Schweizer Republik hineinftelen? Ich trage Bedenken, und
Doch würde es Ihnen vielleicht ergehen wie mir damals, aus
der Beobachtung und Iufammenftellung des Einzelnen würde
ſich zulegt ein Gemälde gewinnen lafjen, das an Reichthum
merkwürdigen und barofen Details manchem größeren wenig
nachftände. Am meiften Belehrung enthalten immer die Zu-
ftände, deren Entwidlung zum größten Theil fich felbft über:
Laflen blieb. Zudem Tiegt in unfern Republifen alles jo offen
und EHar vor Augen. Man fieht hier das Spiel aller Kräfte,
aller Leidenfchaften, man fieht es nicht nur, man überfieht es
auch. Die Zeit webt ihr Gewebe fo offen vor unfern Augen,
daß Jeder das Schifflein fliegen, und Zettel und Einfchlag
zu einem Gewebe fich verbinden fehen Tann. Darum find
diefe Heinen Verhältniſſe fo reich an Belehrung, jo bildend
für den Hiftoriker, der erft an der Stednadel die Kraft des
Eifens entdeden muß, ebe er daran denkt, fie an großen
Maflen in Anwendung bringen zu wollen. — Sn öffentlichen
Gefchäften mitzuwirken, in welcher Stellung es immer fei,
dem Tann fih bier Niemand entziehen wer ftudiert hat, am
Wenigften wer fih ven Rechten ergeben, und es zum J. U.D.
hinter feinem Namen gebracht, und wie der Kaufmann fi)
auszudrüden pflegt, Nichts zu thun hat. Studium bloß um
des Studiums willen, das begreift ein Volk nicht, deſſen Cha:
rakter vorzugsweife durch die Richtung auf bürgerliche Er-
315
werbstätigfeit ausgezeichnet if. Die Meinung jenes grie-
chiſchen Mathematikers, jede Wiffenfchaft verliere an Werth
und Reinheit, fobald fie in die Praris berabfteige und auf
nützliche Anwendung ausgehe, ja fie verdiene ihren Namen
nicht mehr, fobald fie das Reich der reinen dee, ihre wahre
Heimath, aufgebe, diefe würde bier dem Wahnfinn jener
Sndifchen Philoſophen gleichgeachtet werden, welche ihr Leben
auf der Höhe einer Säule zubringen, regungslos und ohne
den Wunfch, ihren Fuß je wieder auf die Erde zu feßen.
Meine Pläne waren indef mit diefer Hffentlihen Meinung
meines Vaterlands in entfchiedenem Widerfprud. Nach all
den AUbfchweifungen in Frankreich und England drängte es
mi, in meinem geiftigen Heimathland, der Philologie und
Aurisprudenz, mich ruhig niederzulaflen. Sch unternahm da-
mals die Arbeit über das Voconifche Gefeß!?), und die andere
über das Altrömifhe Schuldrecht?°), die als Zugendverfuche
auch beide dem Drud übergeben worden find. Vielleicht hätte
die Verbindung der VBoconifchen Hauptbeftimmung mit dem
Legatum partitionis mehr Beachtung verdient. Die als
Manuser. gedrudte Antrittsporlefung „Das Naturrecht und
das geichichtlihe Recht“?), womit ich meine Vorleſung
über roem. Rechtsgefchichte eröffnete, ftieß die philofophifchen
Naturen durch die Anerkennung jeder gefchichtlichen Erfchei-
nung, die Staatskünftler durch die Hervorhebung eines
höhern, von menſchlicher Willführ unabhängigen Urfprungs
der Rechtsſyſteme. Während der Eine mir vorwarf: Wollen
Sie denn gar Nichts Höheres, abfolut Wahres gelten laſſen?,
meinte der Andere: Sollte denn das Recht wirklich fo tief
fiten, und ihm gegenüber die Thätigkeit des Geſetzgebers
wirklich eine fo befcheidene Rolle jpielen? Ich Eonnte mich
alfo rühmen, zwei ganze Klaſſen von Menfchen, auf.die ich
es eben abgefehn hatte, in Unruhe und Alarm verfegt zu
haben. Dennoch verzweifelte man nicht an mir. Es fei viel-
leicht eine Probe zu wagen. Eine revolutionaire Natur fei
ich einmal entjchieden nicht, vielleicht eher umgekehrt allaufehr
316
Savignyaner. Kurz, bei der nächiten Bacanz einer Kriminal
Richterftelle wurde ich vom großen Rathe zum ordentlichen
Mitglied des Basler Rriminalgerichts, und von diefem felbft
einige Zeit fpäter zum Statthalter, d. h. zum PVice-Präfi-
denten befördert. Der Arbeit und Situngen gab es nun
genug, aber auch der Belehrung, und diejes auf einem Felde,
das mehr als andere Theile der Rechtswiflenfchaft auch dem
tiefern Seelenleben des Menfchen angehört, und in die Ge-
beimnifle feiner rätbjelhaften dunfeln Gründe bineinführt.
Das mündliche Stimmgeben von zwölf den verjchiedenen
Ständen und Lebensaltern angehörenden Männern brachte
mich von Anfang an mit verjchiedenen Denk- und An—
ſchauungsweiſen in belehrende Berührung, und ich hatte gar
oft Gelegenheit, die juriftiihe Seite der Dinge, die mir zu—
nächſt zu betonen fchien, durch andere nicht weniger berech-
figte, zu ergänzen. |
Sn wie wenige Worte gebt Doch jet zufammen, was
damals Monate und Zahre erfüllte! Wie thatkräftig fühlt
fih der beranreifende Mann, wenn er zuerft feine Renntniffe
im praftifchen Leben erprobt und Gelegenheit findet, fich, mit
Menſchen und Dingen zu meflen! Uber meine Hoffnung
auf ungetheilte willenfchaftliche Ihätigfeit war wieder da—
hin. Doch fand ih auch dafür nicht unbeträchtliche Seit.
SH fieng damals an, meinem Plane, alle Klaſſiker, jurifti-
ſchen und nichtjuriftifchen Inhalts wenigftens Einmal durch-
zulefen, Ausführung zu geben, und ftudierte Daneben auch die
Hauptwerfe der heutigen Litteratur, insbefondere vom Be—
fiö, von der Litis Contestation, von der Culpa. Z3wei
Jahre waren feit meiner Rüdkehr verflofien. Da beftimmten
mich Erfhöpfung fowohl als unmwiderftehliche Sehnfucht zu
einer Reife nah Stalien. Den Boden meiner geiftigen Hei-
math wollte ich auch einmal mit eigenen Augen ſehen, und mich
überzeugen, ob dort wirklich «in altisono caeli clupeo>22)
die Sonne fo viel fehöner jcheine, als bei und. O daß ih
es Doch nicht wahr gefunden hätte! Sch wäre jet von einer
317
großen Sehnfucht weniger gemartert. Seder beftimmte Einzel-
zweck bätte mir für mein Unternehmen zu gering gefchienen.
Mit Bildern aller Art wollte ich mein Inneres bereichern,
zwar auch den Augenblid genießen, Doch aber das DBefte für
künftige Seiten bei Seite legen. Gerade davon kann man
Andern nur wenig mittheilen. Wie wenige von unfern Grund:
anſchauungen laſſen fi) ausfprechen. Der Eün. Hannoverfche
Minifterrefident beim Päbftlihen Stuhle, Legations-Rath
AU. KReftner, Lottens vierter ganz fürzlich erft verftorbener
Sohn, der damals eben bei gemeinfamen Verwandten in
Bafel einen Sommer verbrachte, gab manche Anleitung und
verſprach auch für Rom felbft thätige Hilfe??). Mit Empfeh-
lungen an den Senator Sclopis?*) zu Turin, an Bartolommeo
Belli, einen gelehrten Advokaten zu Rom, fo wie zu Neapel an
Mancini25), der einer felbft errichteten Rechtsfchule mit Erfolg
vorftand, hatte mich die Gefälligkeit des Herrn Prof. Mitter-
maier?®) ausgerüftet. Meine Vorbereitungen litterarifcher Art
befchränften fih auf das Studium zweier Werke, Blume's
Iter Italicum??) und Winkelmanns Gefhichte der Runft mit
Fernow's Anmerkungen. Das eritere gab einige gelehrte
Notizen, half mir auch fpäter in den Vibliothefen von Mai-
land, Turin und Rom, wo die Collation einiger Reden
Cicero's, befonders auch der Philippicae orr. mich einige
Zeit beichäftigte. Aber dem Umgang mit Winkelmanns
Merken danke ich einen Genuß weit höherer Natur, und eine
der Ichönften Blüthen, Die mir das Leben überhaupt geboten.
Sn den Regionen, welche er mir eröffnet, habe ich feither oft
und lange verweilt, am meiften, wenn alles Andere reizlos
zu werden drohte. Die Betrachtung der alten Kunſt ge:
winnt dem klaſſiſchen Alterthum unfer Herz, das Studium
der Zurisprudenz unfern Verſtand. Erſt beides verbunden
bringt einen harmonischen Genuß und befriedigt beide
Hälften der geiftigen Menfchen-Watur. Philologie ohne
Umgang mit den Kunſtwerken bleibt ein lebloſes Skelett.
Das Id quod decet, das was Archias bei Cicero als das
318
Höchfte erklärt in omni arte?®), zugleich aber gerade für das-
jenige, was man nicht lehren und nicht erlernen fünne, das
nimmt man aus dem Umgang mit der alten Runft gleichfam
als jeinen Antheil nah Haufe. In allem Maß und in
allem Fülle, die höchfte menjchlihe Harmonie, das ift des
Räthiels Löfung, die aus ihren Erzeuaniflen ſpricht. Sie
verwirklicht im Bilde jene weroorns??), die dem Ariftoteles
deßhalb als das wahre Weſen der Tugend erfchien, weil fie die
Maßloſigkeit, welche des Menſchen Seele eigenthümlich ift,
ausichließt. Allerdings darf man jene Frucht nicht gerade
von dem gelehrten Studium oder von der Kenntniß und dem
Zufammentragen eines ungeheuren Apparats erwarten. An
KR. D. Müller?) ift zu erfehen, wie man großer Meifter
diefes Stoffes und doch nicht fonderlich fähig fein Tann,
dem Kunſtwerke als folchem fich ‚hinzugeben. Sn der Ver:
bindung beider Vollkommenheiten, in der Verbreitung der
antifen edeln, nicht der modernen tanzmeifterartigen Grazie
über das ganze Werk, darin liegt der Zauber von Wintel-
mann’s Kunſtgeſchichte. Man fieht es ihr an, fie ift unter
der wärmeren Sonne Stalieng gefchrieben, wo man alles
tiefer fühlt, Schmerz und Wonne und den wahren Gehalt
der Dinge, fie ſtammt nicht aus einer unferer verrauchten
Studierftuben, die der ranzige Geruch des Talglichts oder
der Dellampe mit Qualm erfüllt. Unter den Lebenden,
deren Werfe mir zur Kenntniß gekommen, kann etwa bloß
der Herzog von Lupnes®!) fich ähnlicher hoher Anlage und
einer gewiflen Rongenialität mit dem Stoffe rühmen, den er
behandelt. Nicht der Mann bat feine Wiſſenſchaft, fie hat
vielmehr ihn auserforen. Ws ih die Mufeen Staliens
durchiwanderte, trat mir aus der ungebeuren Fülle ihrer
Reichthümer mehr und mehr Ein Gegenftand bervor, in
welchem fih das Altertum von einer feiner fchönften Seiten
darftellt, das Gräberweſen. Wenn ich die tiefe Innigkeit
des Gefühls, verbunden mit der wärmften Humanität,
welche diefen Theil des alten Lebens auszeichnet, betrachte,
319
fo Shäme ich mich der Armuth und Dürre unferer heutigen
Welt. Sn den eilf Jahren, welche feit dem erften Eintreten
in dieſen Gegenftand verfloflen find, haben fi meine
Golleftaneen aus Scriftftelern und Dentmälern zu einem,
mich beinahe erfchredenden Umfang vermehrt, big jegt aber
feine andere Anwendung gefunden, als die nöthig war, um
in drei Vorträgen einer biefigen gelehrten Geſellſchaft theils
die Wichtigkeit des Gegenftandes für alle Zweige der
Altertbumswiflenichaft, theils meine Grundgedanken dar-
zulegen, theils endlich durch Hinweifung auf Einzelnes die
eigentbümliche Poefie der alten Gedanken fühlbar zu machen.
Inerfchöpflich beinahe ift es, was fi Alles an die Gräber
anfnüpfl. Man glaubt einen ganz fpeziellen Gegenftand der
Runft-Archeologie unter den Händen zu haben, und findet
fih zulegt in mitten einer wahren Univerfaldoctrin. Dur
ein enges Pförtchen ift man eingetreten, und nun blidt man
erftaunt empor in die hohen Räume des ſchönen Pallaftes,
entzüdt ob ihrer Geräumigfeit, ihrer befriedigenden Verhält—
nifje, ihrer herrlichen Ornamentif.?2)
Sp wie aus den Gräbern alle jene Schäße ftammen,
welche unjere Mufeen erfüllen, fo verdankt auch die menſch—
lihe Civilifation den Gräbern mehr als man vermuthet.
Nomadiſchen Zuftänden find fie das erfte und einzig Zefte,
wie denn auch Agathyrſus, der Scythe, bei Herodot dem
Darius erklärt, zum Steben werde er feine Nomaden erft
dann bringen, wenn er ihre Gräber angreife. Für die
Zodten bat man eher gebaut als für die Lebenden, und
wenn für die Spanne Zeit, die diefen gegeben ift, vergäng-
liches Holzwerk genügt, jo verlangt die Ewigkeit jener Be:
haufung den feften Stein der Erde. Diefen Gegenfat heben
die Memphiten Aegyptens bei Diodor ausdrüdlih hervor.
Sn allen hohen Dingen dachten die älteften Menfchen richtig
und groß, wie man e3 von denen zu erwarten berechtigt ift,
die ihrem ewigen Urfprung noch fo nahe ftehen. Kinder
waren fie bloß in den Künften des täglichen Lebens, und
320
hätten es hierin wohl bleiben können. An den Stein, der
die Grabftätte bezeichnet, knüpft fich der ältefte Kult, an das
Grabgebäude der ältefte Tempelbau, an den Grabihmud
der Urſprung der KRunft und der Drnamentif. An dem
Grabftein entftand der Veariff des Sanctum, des Unbeweg-
lichen, Unverrüdbaren. Wie er bier gebildet, fo gilt er
nun auch für Grenzpfäle und Mauern, die daher mit den
Grabfteinen zufammen den Kreis der res sanctae aus—
machen. Sn ihnen fieht der alte Menſch ein Bild jener
Urkraft, die in der Erde wohnt, und deren Symbol daher
auch auf allen dreien angebracht worden ift. Die Erde [endet
Grabfteine, Grenzpfähle und Mauern gleihjfam aus ihrem
Schoße hervor, wo fie, wie Plato jagt, zuvor fchlummerten.
Der Phalus ift ihre Marke, und es konnte daher in der
älteften Seit die Meinung entftehn, ein entdedter, aber
liegengelaffener Schaß bringe dem Enthaltſamen Segen ins
Chebett. An die Gräber knüpft fih der Altarkult, ja das
Grab ift felbft ein Altar, bei den älteften Völkern fo gut
als in den chriſtlichen Katakomben. Ueber der Stätte des
Leichnams wird dem Geber des Lebens geopfert. Sn den
Gräbern hat ſich das Symbol gebildet, jedenfalls auch am
längiten erhalten. Was am Grabe gedacht, empfunden, fill
gebetet wird, das Tann fein Wort ausfprechen, fondern nur
das in ewig gleihem Ernfte ruhende Symbol ahnungsreich
andeuten. Durch und durch war das Alterthum ſymboliſch,
am längſten und tiefften in feiner Runft. Daß die Römer
aus ihrem Rechtsleben die Symbolif entfernt, zeigt wie
jung fie find der taufendjährigen Kultur des Oftens, und
felbft der Italiens gegenüber, rechtfertigt aber noch lange
nicht, fie als Rationaliften zu bezeichnen, wie Mommfen
das in feiner Religion und feinem Altertum fo tief und
feftgegründete Volk mit frevelhaftem Ausdrucke benennt.
Soll ih auch die Epigraphif und Epigrammatik und fo un:
endlich Viel anderes noch aufzählen, womit die Gräber
zulammenhängen, um das Interefle zu erklären, das fie ein-
321 a
flößen? Sch will lieber noch des Genufles gedenken, den
der Beſuch alter Gräberftädte mir gebracht hat. Es giebt
zwei Wege zu jeder Erfenntniß, den weitern, langfameren,
mübfameren verftändiger Rombination, und den fürzern, der
mit der Kraft und Schnelligkeit der Elektrizität durchfchritten
wird, den Weg der Phantafie, welche von dem Anblid und
der unmittelbaren Berührung der alten Refte angeregt, ohne
Mittelglieder das Wahre wie mit Einem Schlage erfaßt.
Un Leben und Farbe ift das auf dem zweiten Wege Er:
worbene den PVerftandesproduften mächtig überlegen. Es
hält auch länger nad) und bietet mehr Genuß, gewiß im
Alter noch, wenn man mit Cato fagen fann tamen talia
cogitantem hic me lectulus delectat??). Die Gräberftädte
Süd-Etruriens liegen der großen Heerftraße, welche von
Slorenz nah Rom läuft, fo nahe, und find doch fo wenig
beſucht. Gaftel d'Aſſo, Vorchia, Bieda, Toscanella, Cor-
neto erregen nicht die traurigen Gefühle wie neuere Stätten
menſchlicher Vergänglichkeit. Gleich wie an die Ruinen
Roms knüpft ſich auch an jene nur der Gedanke des end-
fihen nothwendigen Aufhörens aller menfchlihen Dinge.
Kein jchmerzliches Gefühl mifcht fich in die Betrachtung des
natürlichen Ganges der Entwidlung, und dieſe Ruinen
erinnern eher an die Macht als an die Schwäche der menfch-
lihen Dinge. Ich liebe die Völker und Zeiten, die nicht
für den Tag arbeiten, jondern in all ihrem Schaffen die
Ewigfeit vor Augen haben. Sie verdienen, daß ihre Gräber
noch da ftehen wie am Tage ihrer Errichtung. Die Dinge,
von welchen man glaubt, daß fie einmal aufhören, koͤnnen nie
Befriedigung geben. Die Zerſtörung, welche das üppige
Wuchern der Vegetation an den Grabfacaden bervor-
gebracht hat, ftört nicht im Mindeften. Man zürnt der
Wurzel nicht, welche gleich einem künſtlich eingefchlagenen
Keile die Dede geiprengt oder ein Stüd des Portals los—
getrennt und in die Tiefe hinabgeftürzt hat. Die Stille der
Natur ift die würdigfte Umgebung einer ewigen Wohnung.
322
Wenn den Menfchen Alles verlaflen hat, fo umfchlingt noch
die Erde liebevoll mit ihren Gewächſen das fleinerne Haus.
Sm Sinne des Alterthums ift das nicht etwa nur ein Bild,
fondern eine Wahrheit, und dafür gibt es ung Cicero. Alle
jene Nefropolen liegen zur Seite eines Gewällers. Das
Gemurmel der Woge ſcheint dem Todten fein ewiges Lob
zu raufchen, wie fi ein Epigramm der Anthologie aus-
fpriht, und nah Aeſchyſus im Prometheus beweinen der
heiligen Ströme riefelnde Quellen ihre Trübfal. Auch das
find nicht bloß Bilder, fondern Wahrheiten, wie fie aus
dem innerften Gehalt der alten Naturreligionen fich ergeben.
Für uns freilih ift das nur noch Poefie, deren reichite
Quelle in der Aufdedung der innern Beziehung zwiſchen
den Erfcheinungen der leblofen Natur und unfern Empfin-
dungen liegen dürfte. Ergreifender werden alle dieſe Ein-
drüde noch durch die gänzliche Dede und Zerlaffenheit der
alten Grabftätten. Wer fie betritt, glaubt fie zu entdeden.
Uber diefe Stille erfcheint als eine Huldigung der Lebenden
gegen die Todten. Zwiſchen fie und uns tritt nichts in die
Mitte. Die Sonne durhmwärmt und erhellt fo wunderbar
diefe Rubeftätten der Todten, und übergießt die Site des
Schredens mit dem Sauber des wonnereichen Lebens.
Steilih möchte man nun willen, Wem jedes diefer Ge-
bäude gegolten, ob Trauer oder Prunffucht es errichtet, ob
die Thräne, welche es weihte, naß war oder nit. Dem
Edeln wird fi) wohl damals wie heute viel fremder und
bäßlicher Stoff angehängt haben. Aber Gedanken diefer Art
freten vor der Macht des Gefamteindruds zurüd. Wie viel
Schönes muß eine Zeit in fih getragen haben, die noch in
ihren Gräbern folche Sehnſucht nach ſich zu erweden vermag!
Sch zweifle, daß Refte unferer Kirchhöfe künftigen Seiten
gleiche Theilnahme erweden. Und noch habe ich der bild-
lichen Grabvorftelungen auf Vaſen und Sarkophagen Feine
Erwähnung gethan. Wie groß ift die Zülle der fchönften
ethiſchen Ideen, welche die Alten ihrem reihen Mythenkreiſe
323 a
entlehnten! Derfelbe Schaß, welcher ihre älteften Erinne-
rungen über die Gefchichte von Land und Volk in fich ſchließt,
dient zugleich als Darftelung der höchften fittlichen Wahr⸗
heiten und als Ausdrud des Troftes und der Hoffnung für
Sterbende. So erfcheint die verwundete Denthefilea ihrem
Befieger Ahil im Augenblide ihres Todes doppelt ſchön, erſt
an der Sterbenden entdedt er die ganze Fülle von Liebreiz.
Es ift Plato, der uns diefe Bedeutung des Vildes enthüllt.
Sch verlaffe einen Gegenftand, der mir immer neue Reize
entwidelt, und der in feinem Zuſammenhang und feiner Ge-
famtheit noch nie Gegenftand der Betrachtung geweſen ift.
Sm Genuß folcher Gegenftände, im Verkehr mit Livius und
Tacitus, im Umgang mit den Reften des Alterthums, in ge-
feligem Verkehr mit den Gelehrten des kön. Preußifchen
Archeolog. Inftituts und italienischen Gelehrten, im vollen
Gefühl der Herrlichkeit des Landes und feines Klimas führte
ih damals ein reicheres Leben als irgend ein König der
Erde. Ya, es hängt an den Mauern Roms Etwas, das das
Tieffte im Menſchen aufregt. Wenn man eine Metall:
Iheibe fchlägt, jo tönt das Erz fort, bis die Auflegung des
Fingers den Schwingungen ein Ende madt. So berührt
auh Rom den mit dem Alterthum verfehrenden Geift. Ja
ein Schlag folgt dem andern, bis alle Saiten des Menfchen
fih rühren und regen, und er zulest inne wird, was Alles
bisher in ihm ſchlief. Sch habe aus jenem Aufenthalt in
Rom einen größeren Reichthbum des Geiftes, für mein fol-
gendes Leben einen tiefern Ernſt der Seele, für meine Studien
einen lebendigern, pofitivern Hintergrund mit nach Haufe ge:
bradt. Das Rad des Lebens hat fih dort ein tieferes Ge-
leife geholt. Unter die liebften Bilder meines Innern ge-
hört immer noch die Campagna. Oft zieh ich den Vorhang
von ihr hinweg, und folge mit Entzliden den Tanggezogenen
Schattenlinien, welche die Abendfonne auf den weiten grünen
Plan diefes für die Weltgefchichte unvergleichlich wichtigen
Stüds Erde hinzeichnet. Es ift in feinem Elend und feiner
324
bettelbaften Nadtheit Doch unendlich reicher als das beft-
bebaute Rönigreich der Erde. So viele Kronen zieren Italiens
Stirne, noch mehrere als ihrer der Pabſt trägt. Hier bat,
um mit Plato zu reden, der Fuß der Unfterblichen mehr als
nur eine Spur zurüdgelafien. Aber die menfchliche Forſchung
bat, ftatt ihnen nachzugehen, mehr als eine abfichtlich ver-
wilht. In Dunft und Nebel hatten fie alles aufgelöft, die
Hpperboreer, die in ihrer Vermeflenheit es für möglich hielten,
die großen Seiten der alten Welt zu den Kleinen Propor-
tionen ihres eigenen Hauptes auf die Dauer zu erniedrigen.
Stalieng goldne Zeit, deren Glanz jelbft die Blüthe des
XVI. Zahrhunderts nicht tiberftrahlte, Roms große Epoche
unter den fieben Rönigen, Alba’s Reich, Pythagoras’ echt
italifhe Weisheit, und fo vieles Andere, es war dem
Heinen Gefchlechte zu groß, man ſchnitt es in Stüde, wie jene
gewaltigen Mauerfteine der alten Zeit, deren man fonft nicht
hätte Herr werden fünnen. Es blieb Nichts als Gefchichte
ohne Perjonen, Ereigniffe ohne menfchliche Träger, Gefeß-
sebungen ohne Gefetgeber, Städtegründungen ohne Gründer.
Mit diefen negativen Anfchauungen ausgeftattet, betrat ih
den Boden Italiens. Als Republifaner kam ich nah) Rom,
der von fieben Rönigen Nichts willen wollte, als Ungläubiger,
der feiner Tradition ein Recht einräumte, als Abentheurer,
der gerne fein Schiff der hohen See anvertraute, ftatt furcht-
fam dem Slfer entlang zu fteuern und das feite Land nie aus
den Augen zu verlieren. Das Alles ift in Stalien geblieben.
Sch hätte es gerne einem der alten Landesgätter zum Ab—
Ihiedsopfer dargebracht. Aber fie verhüllten alle ihr Antlitz
noch böfe über die Entweihung der alten Seit. In meinem
Kopfe gewann allmälig Alles eine fo völlig verfchiedene Ge—
Kalt. Stalien flieg herab von dem Sfolirfchemel, auf dem
e3 die Gelehrten fo lange feitgehalten hatten. Seine Bildung
trat in das Verhältniß der Abſtammung zu dem Often, es
wollte mir fcheinen, als könne überhaupt eine Einzelkultur
unmöglich richtig aufgefaßt werden. Immer fefter begründet,
325
immer unzweifelbafter erfchien mir die Tradition. Immer
weiter hinauf ſchien mir die Gefchichte zu reichen, immer
größere Proportionen anzunehmen. War mir Roms Gründer
als ein wahrer Stalifcher Adam dargeftellt worden, fo erblidte
ich jest in ihm eine fehr moderne Geftalt, in Rom den Schluß:
fein und Untergang einer Periode taufendjähriger Kultur.
Kurz, ich wollte nicht länger ftatt der Göttin ihr Iuftiges
Trugbild umarmen. Schon aus jener Zeit ftammt der fefte
Entihluß, Staliens alter Gefhichte die fefte Grundlage
wieder zu geben, die man ihr unter den Füßen weggezogen,
und in allen Dingen den Stoff als meinen Lehrmeifter anzu:
erfennen mit derjenigen Befcheidenheit des Geiftes, von der
es mit Recht heißt, fie hauptfählich bringe Gelehrſamkeit?).
In Folge diefer geiftigen Revolution war es mir unmöglich,
nad meiner Rückkehr das alte Rollegium über Rom. Rechts:
gefchichte wieder anzufünden. Meine alten hiftorifchen An:
ſchauungen waren zu ſehr erfchüttert, die neuen noch nicht ge:
börig ausgebildet. Sch wählte Gajus. Interpretation einer
alten Quelle war meiner damaligen Geiftesverfaflung am
entfprechendften. So faßte ich auch damals den Plan, das
ganze corp. iur. civ. zu lejen, Fragment nah Fragment zu
überlegen und zu annotiren. Dieß ift mehrere Jahre hin-
durch das tägliche Brot geblieben, von dem ich lebte. Alle
andern Gedanken und Pläne traten davor einftweilen in den
Hintergrund. Sie find feither, jo lange im Geifte mit mir herum⸗
getragen, der legten Reife nähergekommen. Aus der Zeit jenes
ftilen Studiums Tann ich wenig bervortretendes melden.
Bon allen Büchern hatte mid) das XXte35) am meiften
mit Beſchlag gelegt. Auf Alles das Pfandreht Betreffende
gab ich auch bei den übrigen Abjchnitten am meiſten Obadht,
und kehrte zulest mit Vorliebe zu jenem Buche zurüd. Hier
ſchien es mir vorzüglich des Preifes werth, in die antike
Auffaffung einzudringen; denn die meiften Schwierigkeiten
der Lehre wurzelten entjchieden in den gangbaren begriffs-
artigen Dogmen, welche die Doctrin über den Gegenftand
326
aufgeftellt hatte. Man jagt fo oft, die römifchen Yuriften
-rechneten mit Begriffen, ja in diefer Kunſt rejumiere fi
hauptfächlich ihre Vortrefflichkeit. Sch glaubte an dem Pfand-
recht zu erkennen, daß fie in der Regel mit ganz andern Fac⸗
toren rechnen als mit Begriffen und Begriffs-Confequenzen.
Das Bud, das jener Zeit feine Entftehung verdankt, fand
beinahe mehr Anerkennung, als ich erwartet hatte. KReller?®)
vergalt mit feiner Recenfion diejenige, in welcher ich früber
den erften Band feiner Semeſtria befprochen hatte. Uber
der größere Theil meiner Arbeit, die einläßliche Behandlung
der missiones in possessionem, bat in den mehreren Zahren,
die feit ihrem Erfcheinen verftrichen find, wenig VBerüdfichti-
gung gefunden, ich denke weil der genannte Gegenftand nicht
zu den beneidenswerthen Stüden des heutigen roem. Rechts
gehört. Von dem zweiten Bande find bloß die zwei eriten
Abſchnitte ausgearbeitet. Sch wollte erft durch Eeinere Ar-
beiten mich noch zu etwas mehr Geſchick erheben. Cine
Sammlung von zehn derfelben habe ich als ausgewählte
Lehren des roem. Civilrechts zu Bonn bei Marcus erfcheinen
laffen?”). Studien über die falcidifche und trebellianifhe
Quart behielt ich in meinem Pult. Ueber Recuperatio und
Municipium [as ich in der biftorifchen Gefellfchaft. Ebenfo
über die Gefchichte der Freilaſſungen. Die Steuerverfafiung
des roem. Raiferreichs vor Conftantin hatte ich zur Vorlefung
in der Philologen-Berfammlung zu YBafel ausgearbeitet??).
Als der beftimmte Tag erſchienen war, hinderte mich Kopf—
fchmerz am Erjcheinen.
Was mid in diefen Befchäftigungen theoretifcher Natur
am meiften unterbrah, waren praftifche Arbeiten, zu denen
mich neue Öffentliche Ehren in größerer Abwechſelung als
früher verpflichteten. Vom Kriminalrihter zum Mitglied
der zweiten und lebten Inſtanz befördert, ſah ich mich jetzt
zum erften Male mit der Civiljurisdiction in größerem Ver—
ehr, und zum Großrath erwählt, Fam ich auch hie und da
zur Theilnahme an gefeßgeberifchen Arbeiten. Die erftere
327
Stelle befleide ich nun ins 10te Zahr. Die zweite Dagegen
habe ich, mit der Richtung der fchweizerifchen Politik in der
Neuzeit nicht einverftanden, und Doch überzeugt, daß fieg:
reihen Meinungen gegenüber die Rolle ewiger Oppofition
mehr erbittere als nüße, bald nach der Wallifer Verfaffungs-
angelegenheit niedergeleat??). Der wenige Jahre fpäter aus-
gebrochene Sonderbundsfturm, diefe That einer von dem Fan:
tonalen auf das allgemein eidgendffifche Gebiet hinüber:
fchreitenden und felbft ſchon zu europäifcher Wirkſamkeit fih
vorbereitenden Umſturzpartei, bewahrbeitete meine Voraus:
fiht des nabenden Untergangs der alten Schweiz. Ich hatte
der entfcheidenden Landsgemeinde am Rothen Thurme bei-
gewohnt, und in der Basler Zeitung eine Befchreibung der:
felben veröffentliht. Cine berbe Enttäufchung wurde mir
nicht erfpart. Dach den angehörten Reden hatte ich die
Widerftandsentfchlofienheit höher angefchlagen. Zur Täu—
ſchung gefellte ih Scham. Von einem folhen Falle erhebt
man fih nicht wieder, man wird höchſtens durch die An-
firengung eines Dritten wieder auf die noch zitternden Beine
geftellt. Die alte Schweiz war mir fein deal, auch will
ich der neuen ihren gewaltfamen Urfprung nicht zu hoch an-
rechnen, diefer Hebt Reichen und Zufländen an, welche fich den-
noch jehr legitim benehmen, — aber ich erblidte und erblide
heute noch in der Confoederation der 22 Kantone die einzige
Form, welche mit Wahrheit und nicht bloß zum Scheine be-
fteben kann, in der die Kraft und das Marf des Landes
rubt, und mit welcher die guten und biedern Eigenfchaften
meines Volkes aufs Innigſte zufammenhängen. Seit dem
Siege von Luzern bat fih die Lehre von der Volksſouve—
rainität und der Allgewalt der Demokratie zur praftifchen
Grundlage unferer öffentlichen Zuftände ausgebildet. Ich
zweifle nicht, daß fie zu allen, auch zu ihren äußerften Con-
fequenzen fortichreiten wird, wenn es die Geftaltung Der
Europäifchen Zuftände erlaubt, und nicht große Unglüdsfälle
das Volk wieder zu den wahren Grundlagen eines gefunden
328
Staatslebens zurüdführen. Aber vollendete Demokratie ift
der Untergang alles Guten. Republifen haben von ihr am
meiften zu fürchten. Sch zittre vor ihrer Ausbildung, nicht
um Hab’ und Guts willen, fondern weil fie uns in die Bar:
barei zurüdwirft. Die Lehre von der Volksſouverainität
Keht meinen tiefften gefchichtlihen und religidfen Sleber-
zeugungen entgegen. Nicht Daß ich das Volk verachtete oder
gar vor der Berührung mit ihm aus Ekel zurüdbebete, —
al’ das Elend, dem es unterliegt, würde ihm eher mein Herz
gewinnen. Nein, weil ich eine höhere Weltordnung an-
erkenne, der allein Die Souverainität und Majeftät zukommen
fann. Aus diefer höhern Weltordnung ftammt die obrig-
“Teitliche Gewalt. Gie ift das Amt Gottes, fo lautet die
roemijch-heidnifche ſowohl als die hriftliche Lehre. Auch das
Richteramt ift von Gott, und der es übt, übt ein Recht höhern
Uriprungs. Das Amt habe ich von Gott, nur die Berufung
dazu flammt mir vom Volle. In dem erften Punkte ftimmen
alle Zerfaflungen überein, in dem zweiten, der Verufung,
mag unter ihnen die größte Verfchiedenheit berrfchen, das
ift das weniger Wefentlihde. Darin nun findet die heutige.
Demofratie ihre Verdammung, daß fie den göttlichen Cha-
rafter der Obrigkeit vernichtet, und die göttliche Staats:
ordnung in allen Stüden verweltliht. Schon oft habe ich
iiber das wahre Wefen der Demokratie nachgedacht. Nun,
laſſen ſich nicht alle ihre Erjcheinungen darauf zurüdführen,
daß fie die Auflöfung jener Bande, welche des Menſchen
Seele an ein Höheres knüpfen, darftellen, und jene Scheu ge-
brochen ift, welche allein vermag, die wilden Leidenfchaften,
die auf dem Grund der Geele lauern, darniederzuhalten.
Denn das ift der Fluch der Demokratie, daß fie ihre Ver-
wüftungen in alle Gebiete des Lebens hineinträgt, Kirche,
Haus und Familie gerade am fehwerften ergreift, und für
jede, auch die Fleinfte Frage den wahren Standpunkt verrüdt.
Weil ich die Freiheit liebe, fo hafle ich Die Demokratie. Ya,
die auf Selbitregierung rubende Freiheit eines tapfern, from:
329
men, gottesfürdhtigen, arbeitfamen Volkes, das feine Vor:
fahren höher ftellt als fich, mit der Vergangenheit nie bricht,
und feiner Nachlommen mehr gedentt als feines augenblid:
lichen Genufles, — ja, der Genuß einer folchen Freiheit fcheint
mir reicher Erfaß für manche Entbehrung. Größerer Wir:
kungskreis, größerer Glanz der Lebensftellung für den Ein:
zelnen, für die Gefamtheit größere Macht unter den Völkern,
ein fchwerer wiegendes Wort in der Waofchale der Politik,
das Alles mit feinen Vortheilen und feinem Nutzen entbehren
wir. Was es uns vergeflen lehrte, war jene auf Selbſt—
tegierung rubende, befcheidene altväterifch einherfchreitende
Sreibeit, der fchönfte Schmud diefer herrlichen Gaue, das
ftile Glüd der Heimath. — — Es gibt einen Zeitpunkt, wo
das Öffentliche Leben der Staaten und Völker dem Fatalis-
mus verfällt. Da fteben wir. Jeder fühlt es, daß man es
jest muß geben laflen wie's Gott gefällt. Im Einzelnen
kann noch vieles Gute gerettet, viel Neues Tüchtige gefchaffen
werden. Die Beten fuchen den Wirkungsfreis der Munr
cipal-Snterefien. Von hier aus hoffen fie fpäter einen Theil
‚des verlorenen Gebiets wieder erobern zu können. Mir
weiſen Studien und Vergangenheit vorzugsweife die richter-
liche Thätigfeit zur Provinz an. Nach dem Gebot eines
wahrhaft hiftorifchen Sinnes habe ich es über mich vermocht,
in diefer Stellung weniger der übrigens verzeihlichen Eitel-
feit des Gelehrten als größern Gefichtspunften des öffentlichen
Wohls und befcheidener Unterordnung unter biftorifch ge:
gebene Zuftände dienftbar zu fein. Die Zurisprudenz der
Logik und der mathematifhen Deduftion auf dem Grunde
römifch-rechtlicher Säße ift unferm Volke fremd, und feiner
ganzen Geiftesanlage zuwider. Jene, die das Funftreiche,
feine Gewebe einer ftreng wiflenfchaftlichen Disciplin dem
funft- und anfpruchslofen Verfahren einer in Erwägungen
der verfchiedenften Art feine Entfcheidungen fuchenden Ge:
rechtigfeitspflege fubftituirten, die haben einer wiflenfchaft-
lichen Vorliebe, vielleicht noch mehr dem DBedürfniß per-
330
fönlicher Geltung, ein Stüd der alten Volksweife zum Opfer
gebracht und den Sinn des Volkes für wahre Gerechtigkeit
geſchwächt. Geſetzbücher, fo abftrafter Faſſung, daß fie den
Meiften unverftändlich bleiben, und Urtheile mit endlofen Er-
wägungen weniger materieller als zumeift formeller Natur,
gehören mit zu den Segnungen diefer neuen Errungenfchaft.
" Sie haben das fchweizerifche Rechtswefen um feinen alten
Reiz gebracht, um jene fo werthvolle Harmonie mit dem
Ganzen der Vollsanfhauung, und die Weisthumartige Un—
mittelbarfeit feiner oft Salomonifchen Entfcheidungen. Statt
einfacher der Erkenntniß zu Hilfe kommender Richtfteige haben
wir jet Gefeßbücher, deren Wortlaut entjcheidet. Go
gründlich ift num fchon der Volksfinn verdorben, daß die An-
fiht, ein Rechtsſatz ſei nur wahr, weil er fo im Geſetze ftebt,
eine Schandthat werde nur darum mit Strafe belegt, weil das
Geſetz fie ausdrüdlih als unzuläffig erkläre, felbft aus dem
- Munde von Richtern vernommen werden Tann. Wenige
Anfchauungsweifen dürften in ihren Confequenzen fo gründ⸗
lich verderblich fein als die gerügte, wenige auch der So—
phiftit und unverftändiger Wortglauberei einen weiteren
Spielraum einräumen. Als die mit Gewaltthätigfeiten jeder
Art verbundenen Freiſcharenzüge zu gerichtlicher Beurtheilung
gelangten, fonnte man jene Verwirrung der Meinungen aufs
Detrübendfte erfennen. Wo ift das Geſetz, das Solches ver-
bietet? Wir in Baſel find diefem verderblichen Umſchwunge
der Meinungen, der in der Trennung von Verwaltung und
Juſtiz einen befondern Anhalt gewann, zwar nicht entgangen.
Doch ift in den meiften Zweigen der Zurisdiction ein gut
Stüd des Alten gerettet worden. Damit hängt der eigen-
ihümliche Reiz zufammen, welcher die biefige richterliche
Praxis umgiebt. Er befteht in der äußerft freien Stellung,
welche der hiefige Richter einnimmt. Die hiefige Stadt-
gerichtsordnung von 1719 enthält in der marfigen Sprache
jener Zeit gerade fo Viel, als zur Belehrung über die Grund-
fäße jeder Lehre durchaus erforderlich if. Die Handhabung
331
im Einzelnen wird dem Richter gänzlich überlaffen. Er ift
mehr als Gejetesmafchine, er ift Richter im vollen Sinn des
Worts, berufen in feiner Intelligenz, feiner Lebenserfahrung
und in feiner Moral die Gründe feiner Enticheidungen zu
ſuchen. Selbſt die Verweifung auf die gemeinen befchriebenen
Faiferliden Rechte ift immer nur als ein Fingerzeig des Ge:
feßes, wo Belehrung zu finden fei, nie als Anerkennung der
wörtlihen Geſetzeskraft des roem. Rechts aufgefaßt und aus:
gelegt worden. Mit Citaten ift alfo nichts geleiftet, Stellen
und Schriftfteller beweifen Nichts. Soll eine Meinung durch-
gefochten werden, fo muß es immer mit innern Gründen ge-
fchehn. SKeinerlei rechtlicher Gemeinbefit Tann dabei zum
Ausgangspunkte genommen werden. Man ift genöthigt, die
anerfannteften Rechtsregeln nad) ihrer innern Berechtigung
zu fragen, um fie durch Demonftration der Anerkennung auf:
zudringen. Männern gegenüber, welche mit römifchen An—
Ihauungen nicht auferzogen worden find, hat dieß oft mehr
Schwierigkeit ald man vermuthet. Uber die Handhabung
des Rechts wird dadurch doch eine geiftigere.e Nie nimmt
der Wortlaut einer Stelle, nie das adrös &pa*P) der Pytha—
soräer die Mühe felbftftändigen Denkens dem Richter ab.
Kein Raifonnement kann durch Berufung auf eine Stelle be-
gründet oder niedergefchlagen werden. So fallen auch alle
jene Reductionen heutiger Rechtsgeſchäfte auf die römischen
Snftitute, dDiefe Betrachtung des Lebens in einem fremden
Spiegel, diefe den wahren Standpunkt meift fo verrüdenden
gezwungenen Analogien, völlig hinweg. Der Richter ift ge:
nötbigt, den Gehalt der Dinge aus fich felbft zu meflen, und
fo das gleiche Talent zu üben, was man ung an den alten
AZuriften als eine ihrer hoben Trefflichkeiten fo fehr rühmt.
Es fallen alle jene Banden, mit welchen die Praris in den
meiften deutſchen Ländern belaftet, und an jedem geiftigen
Aufſchwung gehindert if. Das e vinculis judicare?!) if
unmdolih. Man ſchwimmt ohne KRorkbruft, und freut fich der
freien Bewegung, mag fie auch oft mit Gefahr für den Richter
332
ſowohl als für die Partheien verbunden fein. Die Teft-
ftellung des Sinnes ftreitiger Stellen, die in deutſchen Ur—
theilen jo oft unendliden Raum wegnimmt, und fie zu wahren
Abhandlungen umgeftaltet, fällt damit von felbft weg. Diefe
bier angedeutete Eigenthlimlichkeit der biefigen Praris bat
mich ganz befonders auf den wahren geiftigen Gehalt des
roem. Rechts hingewiefen, und, weit entfernt, meine Achtung
vor demfelben zu ſchwächen, im Gegentheil mich immer mehr
von der Inentbehrlichkeit dieſes Studiums für alle Zeiten
und alle Zuftände überzeugt. Aber freilich wird die Be—
trachtungs⸗ und Lehrweiſe fich auch auf einen höhern geifti-
gern Standpunkt erheben müflen. Das ift eine Anforderung,
welche der Stand der Zeit und die Lage der Geiſter dringend
an die Vertreter des Romanismus ftelt. Noch zeigt unfere
Litteratur fo wenig Anlage, einen Schritt vorwärts zu thun.
Uber das Bedürfniß dazu fpricht, wenn gleich immer noch
unllar, aus einer beträchtlichen Zahl neuerer Werke, und
wird auch wohl zu neuen Bildungen führen. Hat das roe-
mifche Recht einmal als Geſetzbuch für Deutfchland zu gelten
aufgehört, dann erft wird es die hohe willenfchaftliche Be—
deutung erlangen, die ihm gebührt.
Die Periode, deren Arbeit und Lehren ich eben be-
fprochen babe, reicht bis zum Jahre 1848. Da entichloß ich
mich zu einem zweiten römifchen Aufenthalte Wie erft
Studien die Sehnfucht nach Italien, dann Stalien das Ver:
langen nach neuem gründlichem Verkehr mit den Klaſſikern
erwedt hatte: fo begann nun damals diefelbe Wechſelwirkung
von Neuem, nur mit ungleich reihern Mitteln als das erfte
Mal. Es ift au in der That mit Rom und Italien wie
mit den Klaffifern. Sie paflen für jedes Lebensalter, und
Ihließen fich jeder Entwidlungsftufe unfres Geiftes auf das
Wunderbarfte an. Man Lieft denfelben Schriftfteller, man
durchwandert das gleiche Land, aber neue Seiten unfers Ichs
werden berührt, neue Gedanken fleigen auf. Sch hätte gerne
dem auf verfchiedenen Gebieten Erworbenen fo manche ma-
333
terielle Ergänzung und meinem Geifte eine neue Anregung
gegeben: aber die Ruhe, die dazu vor Allem erforderlich ift,
wurde durch die wilden Leidenfchaften, die Rom zu ihrem
Schauplage auserforen, auf die Dauer geftört??). Roffi fiel
am zweiten Tage nach meiner Ankunft. Die Erftürmung des
Quirinals, des Pabftes Flucht, die CEonftituante, die Er-
Härung der Republik folgten fih Schlag auf Schlag. Alles
war aufgelöft, gelehrte Freunde unzugänglich, gelehrte Be—
ftrebungen als zu friedlich verladt. Rom gefiel fh in dem
ungewohnten und einftweilen noch fo gefahrlofen Waffen:
fpiele.. Kein Tag vergieng ohne Feier, feine Nacht ohne
Beleuchtung. Der Taumel ergriff felbft das Alter und den
hoben Adel. Mit umgefchlagenem Hemdkragen, fliegender
Halsbinde, fpigem breitfrämpigen Filzhut erfchien der 80-
jährige Fürft Corfini unter den Bekreuzten. Uber Canino*?)
durchzog in ſchwarzem Frack die Straßen, mit übergeworfenem
Geitengewehr, von einer Leibgarde des vermwegenften Ge—
findels umgeben, in Gedanken ſchon das Haupt einer italifchen
Republil. Die Worte Freiheit und Vaterland mußten au
damals ihre alte Rolle wieder fpielen. Aber dem eiteln
Römer fpiegelte man überdieß die Wiedererftehung feiner
alten Macht vor.
L’antico scettro
Alza, o Regina,
Giä s’avvicina
Il tuo trionfor
E noi tuoi figli
Fin che vivremo
Ti salveremo
Dai traditor! .
So fang man damals durch alle Strafen. Wäre nicht
des Gräßlichen zu Viel vorgefallen, man hätte fich mitten in
die ausgelafiene aber harmloje Luft eines Karnevals verſetzt
glauben Eönnen. Doch nach dem Einzug der Garibaldi’jchen
Bande und nach) der Ankunft der verjchiedenen patriotiſchen
334
Legionen Italiens wurde Alles unheimliher. Im Klofter
San Silveſtro war eine derfelben untergebracht, Lärm und
Unordnung aller Art an die Stelle des andächtigen Requiem
aeternam getreten. Sch wohnte dem Haupteingang gerade
gegenüber. Das finftere Antli entfchlofiener Banditen feßte
das ganze Quartier in Angſt und Ochreden. Unter fie ge:
mischt manch’ glatte bartlofe Wange verführter, jett ſchwer
büßender Mutterföhnchen. Auch Amazonen fehlten nicht, die
fih und Andern in dem unternehmenden Aufzuge zu gefallen
Schienen. In den Händen diefes Gefindels ſah nun der
Römer fich felbft, feine Familie, Habe und Haus. Er war
bedenflih und wagte Doc Fein Zeichen des Unmuths. Er-
ſchien Garibaldi, feuerroth gekleidet auf fchwarzem Rappen,
Hinterher der Neger auf weißem Roß, fo flogen ſchon in der
Ferne alle Hüte von den Köpfen. Man trieb Unfug jeder Art.
Bald wurden die fchweren vergoldeten Kutſchen des höhern
Klerus unter allerhand Mummenſchanz auf offenem Pla
den Flammen libergeben, bald unter Hohngelächter des Volks
und Abfingung Firhlicher Litaneien das Bildniß irgend eines
Rardinals in den Tiber geworfen. Meine Sammlung merf-
würdiger Erlebniffe aus dem Kreife der Volkserhebungen
wurde damals um das grellite Farbenftüd vermehrt. In der
Schweiz hatte ich die Basler Wirren, fpäter die Putfche der
Freiſchaaren, in Paris einen mehrtägigen Straßentumult,
in Berlin Rravalle mit zerbrochenen Lanternen, in Ödttingen
den Verfaffungs-Enthufiasmus der 7 Profefloren und ihrer
Anhänger unter der Studentenfchaft geſehen. Jetzt Fannte
ih auch die GStreiter für Stalienifche Zreibeit und Unab-
hängigkeit. Der Himmel hatte mich überdieß aufbehalten,
Zeuge ihrer erften Heldenthaten gegen die anrüdenden Fran⸗
zoſen, bald darauf in Tivoli als verdächtiger Spio Francese
- Gegenftand einer höchſt bedenklichen Volksaufmerkſamkeit,
endlich auf der Heimreife Zeuge der gänzlichen Auflöfung
aller Ordnung durch ganz Italien zu werden. Gebt ift,
was mich damals umgab, aus Tebendiger That Gegenftand
335
ruhiger objeftiver Erinnerung geworden, und wenn ich in
der Allg. Augsb. Zeitung meine Darftellung „Der roemifchen
Staatsumwälzung vom Tode Gregor’s XVI bis zur
Wiederberftelung Pius’ IX” durchlefe, fo ſtellt fich mir ihr
Inhalt wie das Erlebnif eines Dritten entgegen. Zu wiflen-
fchaftlihen WUrbeiten waren die damaligen Verhältniſſe
nicht angethan geweſen. Doch war mir von der Ser:
ftreuung und Aufregung immer noch genug Zeit geblieben,
die Agrimenforen, Livius, Macchiavellis Werke und manches
Archeologifhe zu leſen und zu ercerpiren, auch über die
älteften Ereignifle der römifchen Gefchichte 12 Betrachtungen
politiihen Inhalts im Gefhmad der Machiavelli’fchen
Discorsi zu fchreiben. Kein Tag war ohne allen Umgang
mit den Alten geblieben. Geit jener Zeit haben fih nun
Sturm und Wogen wieder gelegt. Sühne iſt eingetreten.
Sante Eonftantini hat auf dem Schaffot gebüßt, der Oberft
Grandoni fih im Kerker felbft gerichtet. Ereigniſſe anderer
Art haben den Finger auf das tönende Erz gelegt. Für
mich ift Stalien längft wieder das Land alter Zeit und
ruhiger Studien geworden. Es war mir fogar nach jenen
Erlebniffen doppelt tiefes Bedürfniß, auf Zeiten und Dingen
auszuruhen, welche die Stille von Zahrtaufenden umgiebt,
auf Gebieten, wo die Fluth der Leidenfchaften längſt ab-
gelaufen if. Der Menfch ift, troß des Namens den er
trägt, Doch eigentlich ein fehr anonymes Wefen, und es
bleibt der Name derfelbe, fo oft fich auch feines Inhabers
inneres Wefen verändern mag. Ich hatte eine Zeit gehabt,
wo die mittelalterlihen Prozefjualiften mich beglüdten, und
ein zufällig aufgefundener lange verfchollener Name mich
mit Wonne erfüllte. Später hätte ich über einer fchönen
Pandectenftelle alles andere vergefien und durch eine ge-
Iungene Interpretation mich für lange Arbeit hinlänglich
belohnt erachtet. Nah und nach waren alle diefe Reize
verfhwunden. Was ich las, was ich ftudierte, es fchien mir,
bei Lichte befehen, ein fo wenig wiegendes Befisthum, fo
336
geringe Nahrung für die Seele, für die Vervolllommnung
unfers unfterblichen Theiles im Ganzen fo gleichgiltig. Ich
Hand in einer Zeit des Uebergangs, wie fie jedem ftrebenden
Wefen aufbehalten find. Was fie herbeigeführt, wer Tann
tief genug in die Gründe der menschlichen Seele hinein:
hauen? Der Uebergang war peinlich, jetzt fegne ich ihn.
Es muß die Zeit fommen, in welcher der Gelehrte feine
Studien über ihr Verhältniß zu den höchſten Dingen ernft:
lich zur Rede ftellt, und fie hiezu in eine richtige Stellung
bringt. Dann wird auch der Wunfh erwahen, ja ein
dringendes Bedürfniß fih geltend machen, dem ewigen Ge-
balt der Dinge doch wenigftens um ein Kleines näher zu
treten. Die Schale allein genügt nicht mehr. Martervoll
ift der Gedanke, fich fo lange ſchon mit bloßen werthlofen
Sormen herumzufchlagen. Da tritt rettend der Glaube da-
zwifchen, daß man auch in diefen Dingen „den unfterblichen
Sußftapfen” entdeden Tann. Sch weiß nur zu fehr, wie
große Gefahr ich Damals lief. Ich hätte auf metaphyſiſche
Abwege gerathen, und die rechte Leuchte für immer aus
dem Auge verlieren koͤnnen. Dann hätte das lange Kreiſen zu
Huſchke'ſchen“) Mißgeburten führen müßen. Gottlob, daß
zu dergleichen meine Seele zu gefund if. Sie hat jich einen
andern Ausweg gebahnt.e Die religiöfe Grundlage des
ganzen alten Denkens und Lebens, das ift feit jener Zeit
mein leitender Gedanke und mein großes Augenmerk ge-
worden. Sc glaube darin einen Ochlüflel gefunden zu
haben, der gar Vieles öffnet. Ja ich fchmeichle mir, mit
Hilfe diefes Inftruments der Kenntniß der alten Dinge
ein etwas tieferes Geleife bölen zu fünnen. Zu Seiten will
es mir fogar erfcheinen, als werde fi) mir am Ende diefer
Bahn Etwas von dem göttlichen, ewigen Gehalt der menſch—
lichen Gedanken enthüllen. Sch habe Ihnen im Laufe diefes
Schreibens fhon fo manchen geheimen Gedanken aus:
gekramt, warum follte ich die Hoffnungen der Zukunft ge-
heim halten? In meiner Darftellung der Grundlage des
337 =
toemifchen Staatsrechts!?) habe ich den erften Verſuch ge-
wagt, den Einfluß der Religion auf die Geftaltung des alten
Lebens, dießmal des ftaatlihen Lebens, nachzumweifen. De:
lobnend war mir zu fehen, wie ein Stüd nad) dem andern,
eine Einrichtung nach der andern fih des Charakters der
Willkührlichkeit entkleide, wie ſich Alles an einen göttlichen
Kern anfchließe, wie es nur das irdiſche Bild einer über-
irdifhen Weltordnung enthalte. Diefe Seite des Alter:
thums ift mehr als irgend eine andere unferm heutigen Geifte
unzugänglih. Wie vermag der aufgelöfte zerfahrene Sinn
des heutigen Geſchlechts ein in feinen Gedanken fo feftes,
concentrirtes, in feiner Religion fo tief bearündetes Volk
wie das römische war, richtig zu erfaflen. Wenn es wahr
ift, was WAriftoteles jagt, daß Gleiches nur von Gleichen be:
griffen werde, fo kann auch das Göttliche nur ein göttlicher
Sinn erfaflen, niemals der rationaliftifhe Dünkel, der fich
über die Dinge ftelt. Ein deutjcher Gelehrter ließ mir
fagen, ob ih denn wirflih an die Offenbarung durch
Augurien glaube? Ein anderer bemerkte, meine Auffaflung
rieche nah Weihrauch. In einem gedrudten Buche las ich
die Bemerkung, eine pfäffifche Theokratie (wie die meine)
pafle fchleht zu der Lebenstüchtigkeit des roem. Volke.
Alles Bemerkungen, die zeigen, wie weit unfere Tage von
der richtigen Auffaflungsweife entfernt find, ja wie unmdg:
lich es überhaupt ift, einen mit den heutigen Staatsideen
erfüllten Geift dem Altertbum nahe zu bringen. Die Mafle
von Renntniffen macht nicht alles aus, ja nicht einmal die
Hauptfahe. Es gehört zu meinen tiefften Sleberzeugungen,
daß ohne gänzliche Umgeftaltung all unferer Zuftände, ohne
Rückkehr zu der alten einfachen Geelenfrifhe und Gefund-
beit, nicht einmal eine Ahnung von der Größe jener alten
Zeit und Denkweife möglich fein wird, da das Menfchen-
geichlecht noch nicht, wie heut zu Tage, aus der Harmonie
mit der Schöpfung und dem außerweltlihen Schöpfer ge-
wichen war. Und diefelbe Idee, aus der das Staatsrecht
338
der Alten gefloffen ift, beherrſcht auch alle andern Geiten
ihres Denkens und Schaffens. Ich fehe mehr und mehr,
daß Ein Gefeg Alles regiert, und daß der urfprüngliche
Menſch gleihfam mit der Regelmäßigkeit des thierifchen
Snftinktes fein irdifches Leben angelegt und geregelt bat.
Diefe Eigenthlimlichkeit der älteften Denkweiſe, namentlich
in Sachen des Rechts und Staats, gehörig zu ergründen,
das ift mein Dichten und Trachten. Es ift eine wahre
Naturforſchung, was ich jeßt treibe. Der Stoff allein ift
‚mein Lehrmeifter. Er muß erft gefammelt, dann beobachtet
und zerlegt werden. Nur fo kann man boffen, ein in der
Sache, nicht in unferm fubjeltiven Geifte liegendes Geſetz
ang Tageslicht zu ziehen. Nur fo Wenigen ift der Stoff
oberfter Gefetgeber gewefen! Man findet taufend Mei—
nungen, Drebhungen, Wendungen, alle fubjeftiver Art.
Ganze Bibliotheken find nur damit angefüllt, und tragen
deßhalb fo gut wie Nichts zu der endlichen Löfung, oder
wenigftens der Förderung der Aufgabe bei. Anter diefen
Umftänden ift mir das Studium der alten Litteratur eine
Doppelt wichtige und doppelt liebe Veichäftigung geworden.
Die Rubrik meiner Auszüge bat fih mit der Arbeit felbft
vermehrt, und ihr materieller Inhalt ift nun fo fehr an-
gewachlen, daß ich, um am Ende nicht von ihm überwältigt
zu werden, nun alles Ernftes daran denken muß, den Meißel
an den Stein zu legen, und in der Arbeit fo weit fort-
zufchreiten, daß das jeßt noch. in meinem Innern ruhende
Bild allmälig, wenn auch noch roh Doch erkennbar aus dem
Steine hervortrete. Zch möchte eine Gefchichte Staliens bis
zum Intergange feiner Stämme entwerfen, und in diefer
den Geift alter Völker und Zeiten nach allen Seiten hin ent-
wideln. Natürlich wird das Jus sacrum und überhaupt
Alles, was mit der Religion zufammenhängt, darin vorzugs-
weife bedacht werden. Aber auch die Stüde, welche ich zu
‚unferer Röm. Gefhichte geliefert, werden darin, um-
gearbeitet und vermehrt, wieder Aufnahme finden. Sch hoffe
339 —
in eminentem Sinne pofitiv zu fein, ja werde es auch gar
nicht verfcehmähen, in der geringen Stellung eines Sammlers
zu erfcheinen, der hie und da zum Verſtändniß des Stoffes,
zur Entwidlung der darin liegenden antiken Idee Etwas
beiträgt, wenn auch das Meifte ungelöft und unerklärt, gleich
alten Basreliefs, wird liegen bleiben. Sch babe im Laufe
gerade diefer Studien fo viele Bücher auf meinem Wege
gefunden, die Alles geiftreich beleuchten, aber auch für Fein
Titelchen des alten Stoffes das Perftändniß finden und
andern eröffnen, dat ich vor Zedem, der dieß auch nur für
den geringften Punkt zu leiften vermag, mit wahrer Hoch-
achtung den Hut vom Kopfe nehme. Schnell mit meiner
Aufgabe fertig zu werden, ift nicht möglich, auch gar nicht
mein Beftreben. Sch möchte vielen Jahren Antheil an dem
Genuß diefer VBeihäftigung gönnen, und recht lange die
Befriedigung haben, mehr für mich als für das Publitum
zu ftudieren. In foweit es mir aber wie jedem Gelehrten
natürlich auch um einen Namen zu thun ift, fo möchte ich mir
lieber Ruhm als Ruf erwerben. In derfelben Abficht richte
ich mein Augenmerk auch noch auf einen andern Gegenftand,
die Auguftifhe Zeit, und auch über Ddiefen find meine
Sammlungen an Stoff und Gedanken fchon zu einer
etwelchen Bedeutung gediehen. Es ift hier die Zeit der
Reife, dort die der Jugend Italiens, welche mir zur Be—
trachtung vorliegt. Und fo will ih auch aus jener die
VBeihäftigung meiner den Jugendgefühlen noch näber
ftehenden mittleren Jahre machen, und diefe dagegen zur
Nahrung und Ergötzung des fpätern Alters aufbehalten,
deflen reichere und allfeitige Lebenserfahrung zu einer
ftaatsmännifchen Auffaſſung jener Zeit der Reife und Um—
geftaltung in befjonderem Maße erforderlich iſt. Diefe beiden
Gegenftände bilden nun den doppelten Stamm, an welchem
ich wachſe und emporranfe, deflen Spitze ich auch gar zu
gerne erreichen möchte. Daß fie mir die Bedürfniſſe der
Seele, bis zu einem gewiflen Grade wenigftens, befriedigen,
340
und einem fonft viel bearbeiteten Innern Ruhe und Zriede
geben, beweißt mir, daß ich einem Stoffe anheimgefallen bin,
der der Widmung eines Lebens wohl werth if. In dem
Alter, in welchem ich ftehe, wird es ſchon nöthig, den Gegen:
fand feiner Wahl nicht mehr aus den Augen zu verlieren,
und eine größere Beſchränkung der Geiftesthätigfeit eintreten
zu laflen, als man wohl fonft geneigt wäre. Für mich wird
diefe Nothwendigkeit um fo zwingender, da meine gerichtlichen
Arbeiten und die damit verbundenen Rechtsftudien einen
ſehr beträchtlichen Theil der Zeit in Anfpruch nehmen. Obne-
dieß gehört das praftifche Civilrecht jo fehr zu meinem befleren
Sein, daß ich die Vertaufhung jener alten Zeit mit diefer
Beſchäftigung ſtets zu den erquidendften Erhohlungen zähle.
Noch außerdem giebt es der Interbrehungen und Ab—
Ihweifungen nicht wenige. Die biefigen gelehrten Gefell-
Ihaften, deren Mitglied ich bin, verlangen Vorträge, deren
Ausarbeitung oft längere Zeit in Anfpruh nimmt. Ich
denke zu diefem Imwede Andrea Alciatit®) zu bearbeiten, über
welchen ich, noch neben den hiefigen Briefen an Amerbach,
aus Andrefius, A. Augustini Epistolae, Parmae 1804, und
Andern manches zufammengebracht habe, obwohl mir gerade
bier mehrere wichtige Werke fehlen. Eine Seitfchrift für
Litterärgefhichte der Philologie und Zurisprudenz fehlt
ganz. Hätten wir eine folche, wie manches würde zur Öffent-
lihen Kenntniß gebracht, wie manches erhalten. — Eine
Unterbrehung anderer Art bleibt mir noch zu erwähnen, be-
vor ich dieſe Mittheilungen fchließe. Reifen bald geringern,
bald größern Umfangs halten mich zuweilen Monate lang
von Haufe fern. Das brittiihe Mufeum babe ich feither
zweimal wieder geſehen, theils um mir anderwärts unzu-
sängliche Litteratur, theils um die Lyeifchen und Aſſyriſchen
Erwerbungen?”) zu genießen. Don größerer Bedeutung aber
ift eine im Frühjahr 1851 unternommene Griechifche Reife,
die alle Theile des jebigen Königreichs in fich fchloß, und
mit großem Glüd durchgeführt worden ift. Sie verdanfte
341
ihre Unternehmung dem Plane, wie durch fortgefegte Lec-
türe den ganzen Umfang der älteren Litteratur, fo durch auf-
einanderfolgende Reifeausflüge allmälig die Hauptfchaupläße
der alten Welt in den Kreis meiner perfönlichen Kenntniß
zu zieben, und durch diefe Art des unmittelbaren Verkehrs
mit Elementen des alten Lebens meinen Sinn und meine
Empfänglichkeit für das Haffifche Alterthum zu ſtärken. Wie
fönnte ich würdig den Eindrud befchreiben, welchen jener
Boden auf mid gemaht bat? Es bewirkte, was unter
Männern eine nah langer Bekanntſchaft endlich berbei-
geführte perſonliche Zuſammenkunft zu bewirken pflegt,
größeres Intereſſe an einander und größere Wärme im per:
ſönlichen und litterarifhen Verkehr. Sch babe jett auch
für die griechiſchen Schriftiteller einen reellen, belebten, farben:
reihen Hintergrund gewonnen. Was immer fie erzählen,
zu Allem babe ich eine reich ausgeftattete Szene. Ich bin
fürs ganze Leben reicher geworden, ohne Doch eine einzige
unbefannte Infchrift mit nach Haufe gebracht zu haben. Als
ich die Wahl hatte, durch Kleinafien und über Ronftantinopel
meine Rüdreife zu nehmen, 309 ich Stalien vor. Dieſer
Gelbftentfagung, die bei mir zu Haufe Niemand begreifen
fonnte, babe ich eine fehr wefentlihe Ergänzung meiner
Kenntni jenes Landes zu danken. Großagriehenland und
Samnium fah ich damals zuerft, den Fucinus und mande
Theile Etrurieng wiederum. Meine Reifejournale babe ich
zum Theile zu Haufe ausgearbeitet, über Griechenland fo-
gar jehr umfangreiche, aber wenig wiflenfchaftliche Reife:
fcenen entworfen, die Eigenthum einer befreundeten Familie
geworden find*). Geit jener Zeit bin ich mit Griechenland
ſowohl durch brieflichen Verkehr als durch manche Beſchäfti—
gung mit diefem Lande, in fteter Verbindung geblieben, und
auch aus Intereſſe an feinem Schidfal zu einer Verteidigung
der griechifhen Sache in der Prefie gefchritten. Der Artikel
erſchien im Laufe diefes Sommers in der Allgem. Augsb.
Zeitung unter dem Titel „Die orientalifche Frage aus dem
342
Standpunkt einer chriftlichen Politik”, jedoch mannigfach ab-
gekürzt.
Sch ftehe am Ende meiner Bekenntniſſe. Gewiß habe
ih zu Viel von mir, zu Wenig von den Sachen gefprochen.
Sch erwarte diefen Vorwurf und finde ihn begrlndet. Einen
andern mache ich mir felbft, den zu großer Ausführlichkeit und
ermüdender Länge. Diefe jedoch bitte ich Ew. Ercellenz als
Beweis vertrauensvoller Hingabe zu entfhuldigen, zu welcher
mich Dero liebevoller Empfang im Hofe Ragaz ermutigt hat.
Gefchrieben vom 24. his zum 27. Sept. 1854.
Anmerfungen.
1) Chriſtian Friedrich Mühlenbrud, geb. 1785, F 18483, be-
rühmter Lehrer des römiihen Rechtes, Hauptjählih in Halle und
Göttingen tätig. Seine in Iateinifher Sprache gefchriebene, 1823
bis 1825 in Halle herausgegebene dreibändige «Doctrina Pandec-
tarum>, von der 1835 auch eine deutſche Bearbeitung erſchien, war
zu ihrer Zeit das angejehenite Compendium des römiſchen Rechtes.
2) De Romanorum judiciis civilibus de legis actionibus de
formulis et de condictione dissertatio historico-dogmatica. Die
den beiden Basler Profefforen Agathon Wunderih und ob.
Schnell gewidmete Diſſertation erſchien 1840 im Verlage der Diete-
rihihen Buhhandlung in Göttingen, 346 Seiten ftarf.
3) Jean-Marie Pardeflus, geb. 1772, T 1853, bedeutender Hi-
ftorifer und Juriſt und royaliftiicher Politiker. Infolge der Juli-
revolution freiwillig von feinen Aemtern als Profeſſor des Handels-
rechtes in Paris und als Mitglied des Kaflationshofes zurüdgetreten,
lebte er feit 1830 nur noch der Wiſſenſchaft.
4) Graf Pellegrino Roſſi, geb. 1787, F 1848, der befannte
Staatsmann, Jurift und Nationalölonom, der, Italiener von Ge⸗
burt, von 1816 bis 1833 in Genf eine hervorragende Rolle fpielte,
dann in Frankreich als Profeſſor des öffentlihen Rechtes und der
politiihen Defonomie in Paris, als Pair von Frankreich, Mitglied
des Staatsrates und Gejandter bei der Kurie eine glänzende Kar-
tiere madte, bis er im November 1848 als Minijterpräjident
Pius’ IX. ermordet wurde. Das tragiide Ende Roſſis fiel in die
= des zweiten römiſchen Aufenthaltes von Bachofen (f. oben
. 334).
5) Claude-Emmanuel-Sojeph-Pierre Marquis de Paſtoret,
geb. 1756, F 1839. Wie Pardefjus ein hochangeſehener Jurift, Hi-
343
ftorifer und royaliftifcher Politiker. Einer der treueften Anhänger und
Ratgeber Qudwigs XVI., mußte er während der Revolutionszeit zwei-
mal Frankreich verlaffen und hielt ſich abwechjelnd in der Schweiz und
in Italien auf. Senator unter Napoleon I., unter der Reftauration
Bair, Staatsminifter, 1829 franzöfiiher Kanzler. Legte wie Par⸗
deſſus nad der Julirenolution alle feine Aemter nieder. Sein
wiſſenſchaftliches Hauptwerk, die Histoire de la l&gislation, erſchien
von 1817 bis 1839 in 11 Bänden; es behandelte die Geihichte der
Gejeßgebung in den Staaten des Altertums. Da Paftoret am 28.
September 1839 ftarb, kann Bachofen ihn nur no flühtig kennen
gelernt haben.
6) Der berühmte Göttinger Juriſt Guſtav von Hugo, einer
der Begründer der Hiftoriihen Rechtsſchule, geb. 1764 zu Lörrad),
T 1844 in Göttingen. |
7) William Bladitone, geb. 1723, + 1780, engliſcher Zurift.
Der erite Band feiner Commentaries on the lawg of England ift
1765 erihienen. Das Werk iſt feither immer wieder neu aufgelegt
worden und gilt noch heute als grundlegend für das engliſche Ber:
faſſungsrecht.
8) „Begleitſchreiben zum Pfandrecht“: gemeint iſt der erfte (und
einzige) Band eines umfallenden Werkes von Bachofen über „Das
römiſche Pfandredt“. (Bafel, Schweighauferfhe Buchhandlung.
1847. 691 ©.) Bachofen Hatte feinerzeit Savigny ein Exemplar
des Wertes überreicht.
9) Sir William Webb Kollett, geb. 1798, 7 1845 an der
Schwindſucht, hervorragender engliiher Anwalt und Barlaments-
tedner.
10) Magiſter Bacarius, engliiher Jurift, der um die Mitte
des 12. Jahrhunderts in Orford das römiſche Recht lehrte. Sein in
neun Bücher gegliedertes Hauptwerf «Liber ex universo enucleato
jure exceptus et pauperibus praesertim destinatus> ſcheint populär
«Summa pauperum de legibus> genannt worden zu fein. König
Stephan von England verjuhte das römiſche Recht zu unterdrüden
und verbot dem Bacarius, in Orfordb zu lehren.
11) Savigny's hiſtoriſches Hauptwerk, die jehsbändige „Ge-
ſchichte des römiſchen Rechts im Mittelalter“ (Heidelberg 1815
bis 1831). Dem Magilter Bacarius ift hier ein bejonderes Kapitel
gewidmet (in der zweiten Auflage des Werkes im 4. Bde. ©. 411 ff.).
12) Bahofen Hat Savigny gleichzeitig mit den autobiogra-
phiſchen Aufzeichnungen, die hier veröffentlicht find, denjenigen Teil
feiner im Britiſchen Muſeum gemadten Auszüge geihidt, der fi
auf die Geihichte des römiſchen Rechtes im Mittelalter bezog. Sa-
vigny dankt für beides in einem Brief vom 19. Januar 1855:
„.... Ich komme nun auf das Heft über die Juriſten des Mittel-
alters. Auch dafür danke ih Ihnen ſehr Herzlich, ich habe mir
Ihon Vieles daraus egcerpiert. Am meilten haben mich angezogen
344
die Abſchnitte Über Vacarius und über Bagarottus, deſſen Spa-
niſches Vaterland daraus als ganz neue Entdedung hervorgeht.“
13) Vergleiche Hiezu „Beiträge zur Schweizergeihichte aus eng-
liſchen Manuftripten. Mitgeteilt von 3. 3. Bachofen, J. U. D.
und Karl Stehlin, J. U. D.“ im Archiv für Schweiz. Geichidhte,
Bd. 12, 1858. Hier find die Auszüge aus den Handidhriften-Samm:
lungen des Brit. Mufeums, die Bahofen im Jahre 1840 gemadt
Bat, mit denjenigen von Dr. Karl Stehlin aus dem Jahre 1854 ver-
öffentlich.
14) Der waadtländiihe Hiſtoriker Louis Vulliemin hat in der
von ihm mit Monnard zufammen ins Franzöſiſche überjegten und
fortgejegten Ausgabe der Schweizergeihichte von Joh. v. Müller
die Gejhichte des 16., 17. und des Anfangs des 18. Jahrhunderts
behandelt:
15) Die Urteile, auf die Bachofen anfpielt, finden fih in dem
au heute noch nicht vergeflenen Buche „England im Fahre 1835“
von Yriedr. von Raumer (Leipzig 1836), jpeziell im 57. und 64.
Brief (Bd. II ©. 273 ff. und vor allem ©. 455 ff.).
16) Sir William Hamilton, offenbar der bekannte ſchottiſche
an 1788—1856, der feit 1821 an der Univerfität Edinburgh
ehrte.
17) Maxaowv &v yaooıs : auf den Infeln der Seligen.
18) Irapınv Elayes iſt die vordere Hälfte eines ſprichwörtlichen
Satzes: Zndpınv Maxec, xelvnv xdousı. „Sparta ijt dir (als Heimat)
zugefallen: das follft du ſchmücken.“ Bezeugt zuerft Euripides,
Fragment 722 (Naud), aus dem „Telepho3“, dann Cicero ad.
tranquillitate Att. 4, 6, 2 (vergl. 1, 20, 3), dann BPlutard de
animi 13, p. 472 E und derſelbe de exilio 8, p. 602 B. Befonders be-
zeichnend iſt die zweite Plutarch-Stelle (de exilio): „Man fol
feiner eignen roAıs treu bleiben, auch wenn fie no jo vom Unglüd
heimgeſucht iſt: Zrdornv ıc.“ (Gütige Mitteilung des Herrn Dr. Felix
Stähelin.)
19) Die Ler Voconia und die mit ihr zufammenhängenden
Rechtsinſtitute. Cine redtshiftoriihde Abhandlung von Profeſſor
Dr. 3. 3. Bachofen. ur Verlag der Schweighaujer'iden Bud:
handlung. 1843. 122 ©
20) Das Nerum, die Neri und die Ler Petillia. Eine rechts⸗
biftoriide Abhandlung von Dr. J. I. re Profeſſor. Bajel,
Verlag von %. ©. Neulich. 1843. 160 ©
21) Das Naturredht und das geſchichtliche Recht in ihren Gegen⸗
fügen. Antrittsrede von I. J. Bachofen. (Als Manuſkript für
einige Freunde gedrudt.) Bajel, Buhdruderei von 3. ©. Neu:
kirch. 1841. 28 ©.
22) In altisono caeli clupeo, „am hodtönenden Rund des
Himmels“, ftammt aus Ennius Tragödie „Sphigenia“, Frag:
ment 1, Bers 177. der Ausgabe von bbed, Scaenicae Roma-
345
norum poesis fragmenta, vol I (zweite Auflage, Leipzig 1871),
Geite 38. (Mitteilung von Herrn Dr. Fel. Stähelin.)
23) Auguft Kejtner, „der römiſche Keſtner“, der vortrefflicdhe
Kunftlenner und Ardäologe, 1777—1853, der dur feine Schweiter
Charlotte in engeren Beziehungen mit Bajel ftand. Bergl. dar-
über den ſchönen „Briefwechſel zwiſchen Auguſt Keftner und feiner
Schweiter Charlotte. Herausgegeben von Hermann Keſtner-Köch—
lin“. (Straßburg 1904.)
24) Genator Sclopis: der bekannte italieniihe Hiſtoriker,
Juriſt und Staatsmann Yederigo Graf Sclopis di Galerano.
25) Mancini: der fpäter als Politiker und Staatsmann be-
rühmt gewordene Pasquale Stanislao Mancini war damals als
Profeſſor der Rechtswiſſenſchaft in Neapel tätig.
26) Der Heidelberger Kriminaliſt Mittermaier (1787—1867)
unterhielt lebhafte perjönlihe Beziehungen mit einer großen Zahl
von ttalieniihen Gelehrten und war ein genauer Kenner Staliens.
Geine 1844 erjhienenen „Stalienifhen Zuftände“, die Hehn „ein Bud
voll trefflider Charafteriftif“ nennt, find aud) heute noch leſens—
wert.
27) Des deutihen Zuriften Yriedr. Bluhme <Iter Italicum>,
in 4 Bänden von 1824—1836 erſchienen, enthält die Ergebniffe einer
von 1821—1823 nah Italien unternommenen Reife, die dem Gtu-
dium der Geſchichte und des Beſtandes der italienifhen Bibliotheken
gegolten hatte. Bachofens Reijezwed war neben dem Studium der
alten Kunſt die wiſſenſchaftliche Arbeit in den Bibliotheken Staliens.
28) Id quod decet in omni arte: Das, was in jeder Art von
Kunſt ih ſchickt (wohl anfteht).
29) Meroorns: die Mäßigung, Mäpßigfeit.
30) Bachofens Urteil bezieht fi offenbar auf Otfried Müllers
1830 erſchienenes „Handbuch der Archäologie der Kunjt“.
31) Der Herzog Honore Albert de Luynes (1802—1867) unter-
fügte nit nur mit feinen reihen Mitteln die archäologiſchen Ar:
beiten anderer, jondern war auch jelber mit Erfolg als Archäologe
tätig, u. a. in Süditalien, in Aegypten, auf Cypern, in Petra, im
Hauran u. |. wm. Als einer der Gründer und Gönner des 1828 in
Rom eröffneten ardäologiihen Inſtituts, dem auch Bachofen bei-
trat, dürfte er dieſem bejonders ſympathiſch geworden fein.
32) Dem antifen Gräberwejen und den damit verfnüpften re-
ligiöjen und ſittlichen Vorftellungen gehört ein großer Teil von Bad:
ofens Studien und Arbeiten während der letzten Jahrzehnte feines
Lebens. Der Gegenstand, der ihm auf feiner erjten italieniſchen
Reife zum erſten Male entgegengetreten war, ließ ihn nicht mehr
los und begleitete ihn bis an fein Ende. Wenige Tahre nad) der
Niederſchrift feiner autobiographiihen Aufzeichnungen erſchien fein
„Berfuh über die Gräberjymbolif der Alten“, (Bajel, Bahnmaiers
Buhhandlung. 1859. 433 ©.), und die letzte Arbeit des Greijes, Die
346
erſt nad feinem Tode herausgegeben wurde, galt der Erklärung
römiſcher Grablampen und anderer Grabdenftmäler. (Römiſche Grab-
lampen u. |. w. von Dr. 3. 3. Bachofen. Herausgegeben von jeiner
Witwe und feinem Sohne. Mit einer Einleitung von U. Giraud-
Teulon, Prof. hon. an der Univerfität Genf. Leipzig 1912, 123 ©.)
33) «Tamen me lectulus meus oblectaret ea ipsa cogitantem>,
wie der von Bachofen offenbar aus dem Gedädtnis zitierte Sat
lautet, jteht bei Cicero, Cato maior de senectute 11, 38. Der Sinn
it: Noch bin ich volllommen leiltungsfähig an Körper und Geift,
fomme häufig in den Senat und bringe da Ideen vor, die ich lang
und viel durchgedacht Habe. Und wenn ih dazu nicht mehr die Kraft
hätte, jo würde mih doh immer noh’mein Ruhebett
(Lefejofa) erfreuen, indem ih eben die Dinge
durchdächte, die ih nicht mehr redend vorbringen könnte. (Gü-
tige Mitteilung des Herrn Dr. Felix Stähelin.)
34) Den Entihluß, eine Geſchichte der Römer zu ſchreiben, hat
Bahofen dann in Berbindung mit dem Basler Philologen Prof.
Kranz Dorotheus Gerlach auszuführen begonnen. Das Werf (Die
Geihichte der Römer von Fr. Dor. Gerlad) und 3. 3. Bachofen. Erſter
Band. Erfte Abteilung: Aelteſte Geihichte bis zur Gründung der
Stadt. Zweite Abteilung: Die Zeiten der Könige. Bafel. Bahn:
maiers Buchhandlung, 1851. 297 und 372 ©.) ift über die Zeit
der Könige nit Hinausgediehen. Geine jtreng fonjervative Gtel-
lung zur römiſchen Ueberlieferung vermodte ſich Mommſens Rö—
milder Geihichte gegenüber, die wenige Jahre darauf erſchien, nit
zu behaupten.
35) Gemeint ift das 20. Buch der Pandekten, das vom Pfand-
recht handelt.
36) Der berühmte Züricher, jpäter Berliner Romaniſt Ludwig
Keller, deſſen lateiniſch geichriebene jehs Bücher Semestria (Se-
mestrium ad C. Tullium Ciceronem libri sex, Züri 1841—51)
Bachofen beiproden Hatte.
37) Ausgewählte Lehren des römiſchen Civilrechts. Von J. J.
Bachofen, Mitglied des Appellationsgerichts der Stadt Baſel. (Bonn
bei Adolph Marcus. 1848. 420 S.)
38) Eine Abhandlung von Bachofen über „Die Grundlagen der
Steuerverfaſſung des römiſchen Reiches“ erſchien im Jahre 1862 im
Schweizeriihen Mufeum.
. 39) Die Wallifer Verfaſſungsangelegenheit. Gemeint find die
Kämpfe zwiſchen den radikalen Unter- und den klerikal-konſervativen
Dberwallifern im Jahre 1844, die mit dem Sieg der Lebteren und
infolge davon im Jahre 1845 mit dem Anſchluß der Wallijer an
den Sonderbund endigten.
40) adrös Epa „Er felbft hat es gejagt.“ Die Berufung auf
ihren Meifter, mit der die Anhänger des Pythagoras fi nad) der
Tradition zu redtfertigen pflegten.
347
41) E vinculis judicare: unfrei (gebunden) urteilen.
42) Bachofen wurde während feines zweiten römiſchen Auf:
entbaltes Zeuge der revolutionären Ereigniffe, die fih vom No-
vember 1848 bis zum Sommer 1849 abipielten.
43) Charles Lucien Brinz Bonaparte, Fürft von Canino (1808
bis 1857), ein Sohn von Lucien Bonaparte, |pielte während der
Revolution von 1848/49 in Rom als einer der Führer der republi-
fanifhen Partei eine leitende Rolle.
44) Der berühmte Breslauer Romanift Phil. Ed. Huſchke (1801
bis 1886) war ein Anhänger der Philoſophie Schellings. Nicht nur
in feinen philoſophiſchen, ſondern aud in feinen juriltilden Ar-
beiten finden fi nit felten myſtiſche und phantaſtiſche Elemente.
Darauf ſpielt Bachofen offenbar an.
45) Bachofen und Gerlachs Geſchichte der Römer ſchließt mit
einer von Bachofen verfaßten Darftellung der Grundlagen des rö-
milden Staatsredtes. (Bd. I, 2. Abt. ©. 211—372.)
46) Andreas Alciati, berühmter Humanift und Juriſt, geb.
1492, 7 1550.
7) Von Bahofens eindringender Beihäftigung mit den Ly—
fiern legt u. a. Zeugnis ab feine im Jahre 1862 erſchienene Schrift
„Das Lykiſche Volk und feine Bedeutung für die Entwidlung des
Altertums“. (freiburg i. B., Herder’ihe Verlagshandlung. 87 ©.)
48) Bachofens griehiihe Tagebücher find no erhalten; fie
würden es wohl verdienen, mindeftens auszugsweije veröffentlicht
gu werden.
348
Das lünfflerifche Leben in Baſel
vom J. November 1915 bis zum 3J. Oktober 1916,
Ein Rüdblid
auf Theater, Mufit und bildende Runft.
Don Albert Beßler, E. Th. Markees und Robert Brüninger.
A. Theater.
Auch im zweiten Rriegswinter hat das Basler Theater
erfreulicherweife durchgehalten werden konnen. GZreilich
fonnten Opern nur mit Gäften zuftande fommen. Es wurden
im ganzen 213 Vorftellungen gegeben, worunter 9 franzöfifche
und 5 Wophltätigfeitsparbietungen. Opern und Operetten
fanden, unter den erwähnten fchwierigen Verhältniſſen,
immerhin ihrer 19 auf dem Spielplan, fogar Erftaufführungen.
An großen Opern wurden eine von Bizet, eine von Gounod,
drei von Verdi, zwei von Wagner, eine von Loring, eine
von dD’Albert, eine von Leoncavallo, eine von Mascagni, zwei
von Puccini gegeben.
Sm Schau: und Luftfpiel fanden nicht weniger als 11
Erftaufführungen ſtatt. Wir erwähnen davon: Anzengruber
„Das vierte Gebot”, Ibſen „Baumeiſter Solneß“ und
„Wenn wir Toten erwachen”; außerdem wurden Stüde von
Goethe, Schiller, Leffing, Grillparzer, Shakeſpeare und Tol-
ftoi aufgeführt. Unſere Bühne verfügte Über einen aus-
gezeichneten Charakter-Schaufpieler, dank deſſen die klaſ—⸗
fiſchen Dramen mit innerem und äußerem Erfolge konnten
dargeftellt werden. Von den franzöfifchen Vorſtellungen ver-
dient die Vorführung von Corneilles „Horace” durch Schau
fpieler der Comédie Francaise befondere Erwähnung. Ein
Gaftfpiel von 5 Nummern bradte die Wiener Erl-Bühne
por uns.
349
Für das Jahr 1916/17 ift wieder ein Vollbetrieb in
Oper und Schaufpiel eingerichtet worden. Die Oper fcheint
vorzüglich zu fein; im Schaufpiel haben wir als Haupt:
ereignis ein Gaftfpiel von Alexander Moifft erleben dürfen, -
der gegenwärtig in der Schweiz interniert ift. Der berühmte
Gaft gab zweimal „Hamlet“, einmal den „Lebenden Leich:
nam” von Tolſtoi.
Im Theaterverein, der zu grünen beginnt, wurden ſechs
Vortragsabende abgehalten, zu denen fich die Herren Dr. ©.
Hinrihfen, Dr. E. Jenny, Dr. ©. Steiner, Dr. 9. Trog,
Prof. Dr. F. Rintelen und Direktor 2. Meliß in dankens—
werter Weife haben bereit finden laſſen.
B. Literarifhe Abende.
Das „Quodlibet” hat, wie feit einigen Jahren, feine
Mitglieder, fowie ein weiteres Publitum zu Literarifchen
Abenden geladen, die immer recht gut befucht waren. Es
traten mit Vorträgen eigener Werke bezw. mit Gefängen auf:
Hanns Zn der Band, Johannes Zegerlehner, Robert de Traz,
Meinrad Lienert.
C. Konzerte.
Trotz der Kriegszeit war das KRonzertleben ein ſehr
teges, und es waren namentlich die Soliftenfonzerte, die eine
Zunahme felbft gegenüber normalen Zeiten aufzumweifen
hatten. Die letztere Tatſache ift nur ſchwer verftändlich, da
diefe Konzerte meiftens fchlecht befucht find und denen, die
fie geben, zum mindeften feinen materiellen Gewinn ein-
fragen.
Die Allgemeine Muſikgeſellſchaft, die
im vorhergegangenen Winter unter dem Drud der Verhält-
niffe nur fehs Symphoniefonzerte gegeben hatte, erhöhte
deren Zahl auf acht. Sie hatte indeflen immer noch mit
den gleichen Schwierigkeiten zu kämpfen, da eine Anzahl der
350
fländigen Mitglieder des Orchefters fortwährend im Heeres:
dienft abwefend waren. Immerhin boten ihre Aufführungen
unter Dr. Hermann Suters Leitung wieder viel
Schönes und Intereflantes, Altes und Neues in buntem
Wechfel, wie es der Betrieb diefer Konzerte erfordert, wenn
er jedem Geſchmack Rechnung tragen und auf der Höhe der
Zeit ftehen will. Der Beſuch der Symphonieabende darf
als ein guter bezeichnet werden; das ift wohl auf den Imftand
zurüdzuführen, daß fie nunmehr, ftatt wie früher am Sonn-
tag, am Samstag abgehalten werden, und zu einer Zeit, die
es jedem ermöglicht, fie anzuhören. — Unter den Soliſten
verzeichnen wir Adolf Buſch, Eugen dD’Albert,
Bufoni Vianna da Motta, Frau Durigo. —
Rammermufitabende fanden ihrer ſechs ftatt.
Der Gefangverein bradte am 5. Dezember zwei
Berlioz'ſche Werke heraus: l’enfance du
Christ und das Te Deum; fodann am 27. Februar
Haydns „Sahreszeiten”. Ende Mai führte er in
einem Künftlerfonzert die C-moll:-Meffe von Mo:
zart auf und machte in einem darauffolgenden Onliften-
konzert die biefige Mufitwelt mit einer ganzen Anzahl Elei-
nerer, felten zu Gehör gebrachter KRompofitionen des Mei:
ters befannt. Ä
Der Bahhor fang am 20. Dezember die Cdur-
Meffevon Beethoven, fowie eine Kantate von Bach
Meine Seelerhebtden Herrn). Weitere Ran-
taten desfelben Meifters gelangten am 6. Mai zur Wieder:
gabe („Herr, gehe niht ins Gericht", „Mein
Herzefhwimmt im Blut”, „Haltim Gedächt—
nis").
Der Volkschor trat am 3. Oktober mit einem Volls-
liederfongert auf. Am 4. Zuni ließ er fih mit Haydng
„Shöpfung” hören.
Die BaslerLiedertafel hatte für ihr erftes Ron-
zert am 29. Januar Cherubinig „Requiem“ auf das
351
Programm gefeßt. Am 14. und 15. Mai veranftaltete der
Verein eine Aufführung, in der lauter Schubert'ſche
KRompofitionen zum Vortrag gelangten.
Der Basler Männerchor hielt fein Orhhefter:
fonzertam 28. November, fein Frühjahrs-Lieder—
fonzert am 8. April ab.
Außer den genannten Ronzerten fanden, wie oben an:
gedeutet wurde, eine große Anzahl von Ooliftenabenden ftatt.
Die hervorragenden Erfcheinungen unter diefen waren eine
Serie von vier Brahms-Abenden, an denen Frau
Elly Ney mit den Herren von Hoogftraten um
Reit Kammermuſikwerke des Meifters fpielten, und vier
KRlavierabende, an denen Har Bufoni Haffifhe und
moderne Rompofitionen vortrug.
Ebenfo find zu erwähnen die regelmäßigen Orgel:
fonzerte von Adolf Hamm (im Münfter).
D. Malerei und Plaſtik.
Sn der Runftballe haben diesmal elf Ausftelungen ftatt-
gefunden. |
Sm November waren auf Einladung des Runft:
vereins Werke jüngerer welfchichweizerifcher Maler zu feben.
Die Richtung diefer Künftler ift modern, fo daß fih viele
Beſucher nicht mit den Werken befreunden konnten. Nach—
dem aber der Ronfervator zwei belehrende Vorträge über die
Kunft der P. Ih. Robert, E. Breßler, W. Müller, ©. de
Traz, 2. Moilliet, M. Barraud u. |. w. gehalten hatte, begann
die Ausftellung dem Verftändnis der Runftfreunde Harer zu
werden, und fie wurde viel befucht. Immerhin fanden ihr
eine Anzahl Mitglieder des Runftvereins fo feindlich gegen:
über, daß fie eine Austrittsbewegung einleiteten; richtig find
ihr auch einige Perfonen gefolgt. Ein Gegenzirfular der
Ausftellungsleitung brachte dann die betreffende Motion zum
Stehen. Ein größtes Werk der Ausftellung, ein meiftum-
352
ftrittenes, „Im Zirkus“ von Louis R. Moilliet, ift von der
öffentlichen Runftfammlung erworben worden.
Darauf folgte die traditionelle Weihbnahtsaus-
ftellung. Es hatten darin 98 Basler Künftler und Künft-
lerinnen 442 Werke ausgeftellt: 409 Bilder, 30 plaftifche
Sachen und 3 funftgewerbliche Nummern.
Die JZanuar-Ausftellung brachte erftens 112 Bilder
und Sfizzen, namentlich Landſchaften von dem plößlich ver-
ftorbenen DBafellandfchäftler Jakob Wagner. Ein gutes
Porträt des Künftlers von der Hand feiner Gattin, der
Bildnismalerin Clara Wagner-Grofch, war der Ausftellung
beigegeben. — Die übrigen Räume und Wände waren an-
gefüllt mit Bildern und Holzichnitten von Elifabeth Alten-
burger (Romanshorn), tüchtigen Porträts und fein auf-
gefaßten provencaliichen Landfchaften von Walther Bär in
Baſel, durch frifhe Näturftudien aus England, Baſel und
der übrigen Schweiz, auch Durch plaftiiche Altzeichnungen von
Frank ©. €. Budgen, duch WUquarelle in ungebrochenen
Sarben von Auguſto Giacometti (Stampa), durch gute
Kinderporträts von Erifa von Kager (Chur) und Martha
Wittwer-Gelpfe in Baſel, durch) Aquarelle von E. Heman
(Bafel), durch Landfchaften und Genrebilder von Fr. Gilfi
(St. Gallen). Im untern Saale waren 25 Bilder und Zeich-
nungen, meift in Farbe und Form originelle Werke, von dem
Parifer Georges D’Efpagnat zu fehen: Wilder von feinfter
Reizſamkeit, die aber kaum von denjenigen verftanden worden
find, welche die Novemberausftellung der Unfittlichkeit und
die welfchen Maler der Unfähigkeit bezichtigt hatten. — Hugo
Siegwart, ein Luzerner Bildhauer von Ruf und gediegenem
Können, hatte 16 Werke ausgeftellt, meiftens Bronzen: Men-
fhen und Tiere.
Der Februar bradte ung Künftler von der „Neuen
Münchner Sezeffion”. Ihr Haupt war der im Kriege ge-
fallene Albert Weißgerber. Er hat eine neue Farbigfeit und
in diefer eine hohe, rein malerifche Plaftif gefucht. Seine
353 | 23
Bilder: ein liegender Frauenakt, ein machtvoller „David“,
eine „Rubende in der Sonne”, ein „Sebaftian in Ylau”
fonnten nur zum Zeil als gelungen betrachtet werden; aber
fie offenbarten ein mächtiges Wollen. — Karl Cafpar und
Robert Benin fannte man von früher ber. Sie haben fi
nicht weſentlich entwickelt. Von jenem find uns eine „Zu:
dith“, von diefem ein „Prediger” und eine „Rompofition
mit Pferd” eindrüdlich geblieben, von Guftav Zagerfpacher
ein „Ruhendes Mädchen”, von Franz Nölken ein Bildnis
Mar Regers, von Edwin Scharff ein „Abend“, von Rudolf
Sied eine Landfhaft „Mairegen”, von Mar Unold eine
„Dame in Blau”, von Walther Teutfch eine „Schäferfzene”,
von dem Basler A. H. Pellegrini ein „Morgen” und zwei
Bildniffe, von Oscar Mol ein feintoniges Stilleben. Feder:
zeichnungen von dem berühmten Alfred Rubin haben ung den
Eindrud gemacht, als ob der Slluftrator des Unheimlichen
und Unterbewußten an einer gewiflen Grenze feines Könnens
angelangt fei.
Die Mär z-Ausftellung brachte lediglich Schweizer
Kunſt. Rudolf Dürwang GBaſel) hatte ideenreiche, gut
gezeichnete Radierungen zu zeigen, Eſther Socin (Bafel)
erquifite malerifche Stilleben, Paul Bodmer dekorative Ent-
würfe für die Zürcher Univerfität. Von Otto Meifter (3ü-
ri) ragten Stilleben und Landichaften hervor. Don Leo
Sted (ern) ift uns eine Gruppe „Adam und Eva” weniger
durch ihre Farbigfeit als durch den ftrengen Ausdrud in Er-
innerung geblieben, Paul Zehnder (Bern) durch einen Akt
und intereflante Zeichnungen, Viktor Surbed (Bern) durch
eine „Schlafende” und durch Zeichnungen Tandfchaftlichen
Charakters. — Im erften Stod war eine Sammlung von
Werken des Gegantini nachftrebenden Teffiners Edoardo
Berta zu ſehen, meiftens Landfchaften, aber auch Porträts
und Genrebilder von zarter Stimmung.
Die Hauptausftellung des Jahres war diejenige des
April. Da hatte der Runftverein, bezw. deſſen rühriger, in
354
früherer Zeit felbft Fünftlerifch tätig gewejener Ronfervator,
eine bedeutende Zahl neuerer Kunſtwerke aus Basler Privat-
fammlungen zufammengebradht. Es war eine reine Freude,
die Runfthalle zu betreten, und das Wort wurde laut, diefe
Galerie könnte man geradezu ing neue Mufeum binüber-
nehmen; die fchweizerifche Runft vom Ende des 19. und des
beginnenden 20. Zahrhunderts wäre darin mit Ehren ver-
treten. Hodler waren nicht weniger als 26 vereinigt, und
zwar konnte man geradezu die Entwidlung des Meifters ftu-
dieren. Cuno Amiet, Giovanni Giacometti, Mar Zuri,
Alerander Blanchet, Hermann Huber und Albert Trachjel
waren jeder mit mehreren Bildern vertreten. Der Hauptteil
der Ausftellung war „Basler Schule": P. 3. Barth, Numa
Donze, Karl Did, 3. 3. Lüfcher, Hermann Meyer, Eftber
Mengold, Carl Burdhardt, Frau Sophie Burdhardt, Paul
Zurdhardt, Heinrih Müller, Eduard Niethbammer u. a.
waren mit ihren beften Werfen zugegen: ein erfreuliches
Zeichen, daß eine jüngere Generation von Runftliebhabern
da ift, welche, unbekümmert um die Protefte älterer Leute,
für gediegene moderne Beftrebungen ein offenes Auge
und — offene Hand hat. Von andern Baslern waren Wil-
beim Balmer, Walther Bär, Theodor Barth, Emil eur:
mann, Louis Difchler, Arnold Fiechter, Rudolf Löw, Alb-
recht Mayer, €. Th. Meyer, Paul Altherr, U. H. Pellegrini,
Karl Pflüger, Otto Roos, Ernft Schieß, Emil Schill, Paul
Schweizer, Auguft Suter, Fritz Völlmy, Ernft Bolens mit
charakteriſtiſchen Werken da. Hiezu kamen aus der übrigen
Schweiz Hans Berger (Genf), Erneft Bieler (Gavidze), Ed.
Boß (Bern), W. Gimmi (Züri), Louis R. Moilliet (Gun:
ten), Heinrih Oreli (Zürich), H. Sturzenegger (Schaff:
haufen), Georges de Traz (Genf), Ed. Vallet (Genf), Otto
Bautier (Genf), Albert Welti (F), Ernft Würtenberger
(Zürih), Otto Wyler (Uarau): auch von diefen lauter be-
mertenswerte Bilder. Von Ausländern waren ebenfalls
gute Sachen zu fehen: von Karl Caspar, Paul Gauguin,
355 2°
Henri Matiffe, Pablo Picaſſo. Kleinplaftifen von Dalou
Sremiet, Rodin und Hildebrand. Don Carl Burchkhardt
fonnte man eines feiner beften Skulpturwerfe, einen frühen
„Knabenkopf“, wiederum bewundern.
Sm Mai fand eine Ausftellung franzöfifher Maler
und Zeichner ftatt. Inter ihnen ragten drei Delbilder, zwei
Aquarelle und vier Zeichnungen von P. Gauguin, vier Del:
bilder von V. van Gogh, Landihaften von Lucien Mainf-
fieur, Akt: und Blumenftüde von Felix Vallotton hervor. Im
erſten Stod waren reizvolle Landichaften von dem malerifch
unendlich feinnervigen Heinrich Orelli ausgeftellt. Dazu ge-
fellte fih der Basler Auguft Wanner mit gemalten und ge-
zeichneten Aklt- und Porträtftudien, fowie mit Landichaften.
Die Zuni-Ausftellung brachte von dem fehr felb-
ftändigen Wilhelm Gimmi (Zürich) farbig und linear be-
deutende GStilleben, Landfchaften, Ute. Andere Zürcher,
Willy Fries und Adolf Holzmann, hatten ebenfalls gute
Bilder zu zeigen. Don DBaslern gab Theodor Barth im
Porträt eines alten Herrn eine Meifterleiftung, Marie Lob
ein tüchtiges Doppelporträt, Paul Burckhardt fonnige Bilder
aus dem Teſſin, Ernft Buchner gute GStilleben, Joſeph
Schönenberger eindrudsvolle Aquarelle, Maria Schultheß
feine Radierungen, Bertha Züricher (Bern) intereflante
Dlumen:Holziehnitte.. Hans Joͤrin GBaſel) hatte vier pla-
ſtiſche Arbeiten ausgeftellt.e. Daneben waren farbige Blätter
uus dem Mar Klinger-Studienwerf, fowie KRlingers groß-
artige Radierung „Meereszug” ausgeftellt. —
Sogar eine Zuli-Ausftelung gab’3 diesmal. Aus der
Bibliothek des Kunftvereins waren Reproduftionen alter
und neuer Runftwerfe in verfchiedenen Folgen von Blättern
vereinigt. Die Sammlung fand nicht den Zuſpruch, den fie
verdient hätte. -
Sm September rüdte der „Turnus“ des ſchweize⸗
riſchen Runftvereins ein. Er war fehr gut beichidt,; nur
waren die Haupfbilder ſchon einmal in Baſel ausgeftellt ge-
356
wefen. Bon den ganz berühmten Schweizern ragten Hodler
dur ein Gelbftbildnis, Amiet durch ein Iniendes Mädchen
hervor. Die Welfchen zeigten ihr feines Farbenempfinden
in Bildern von Rend Francillon, Alerandre Mairet, Abra-
bam SHermanjat, Emile Breßler, P. Th. Robert, Alfred
Dlaile. Moys Hugonnet, Fernand Blondin, C. E. Ele-
ment, Maurice Barraud, Albert Sauter. — Auf Licht
und Farbe gehen die Berner aus: Ernft Geiger, Viktor
Surbed, Arnold Brügger, Emil Cardinaur, Plinio Colombi,
Werner Engel, Rarl Hänni. Zu ihnen gehören künſtleriſch
die Aarauer Otto Wyler und Mar Yurgmeier. Don denen
allen unterfcheiden ſich durchaus die Basler; fie ziehen
eine tonigere, farbig Teidenfchaftlihere Malerei vor, allen
voran Paul 3. Barth („Liegendes Mädchen”), dann Paul
Burdhardt („Indiſche Flußlandſchaft“), 3. 3. Liifher („Kind
mit Puppe”), Ernft Bolens („Landſchaft“), Hermann
Meyer („KRreuzigung”), Eugen Ammann („Abend”), Auguft
Wanner („Adam und Eva”), Paul Altherr („Vor dem
Stall”), Albreht Mayer („Steinwerfer”). Selma Sieben:
mann, Charlotte Weiß, Maria Stüdelberg, Walther Bär,
Charles Bernoulli, Wild. Bronner, Ernft Buchner, Rudolf
Dürrwang, Rudolf Löw, Fritz Mod, A. H. Pellegrini,
Karl Reber, Maria Schulthef, Ida Schulz, Gertrud
Schwabe, Hans Schwabe, Arthur Riedel hatten ebenfalls
Treffliches geliefert. Don älteren Baslern waren E. Th.
Meyer („Im Porland"), Wilhelm DBalmer („Herren:
bildnis”) und Emil Beurmann („Cherubin”) gut vertreten.
— Die Zürcher arbeiten weniger einheitlich, es ragten da
hervor Alfred Marrer durch feinen „Heimatfucher”, Jo—
bannes Weber, Marie Stiefel, Adolf Thomann, Ernft
Würtenberger, Rarl Itſchner, Wild. Hartung, Willy Gries,
Ehriftian Conradin, Albert Welti jun., Georg Rüegg, Adolf
Holzmann, Otto Meifter, Albert Kohler, Paul Bodmer,
Werner Weber, Carl Montag, Jean Affeltranger. — Lu:
zern hat feinen Tiermaler Franz Elmiger; ihm ftrebt Georges
357
Trorler nad, auch Ernft Hodel, K. F. Schobinger und Ma-
rianne Damon find bemerfenswerte KRünftler. — Zeffin war
duch Edoardo Berta und Augufto Sartori vertreten. Ein
Appenzeller ift Paul Tanner („Meine Schweſter“), ein
St. Galler Theo Glinz; Hanny Bay malt in Chur („Mäd-
chenbildnis“). W. 2. Lehmann batte aus München eine
fimmungsvolle Flußlandſchaft zum Turnus gegeben.
Die Hauptleiftung in der Skulptur hatte Auguft Heer
(Bafel) aufzuweifen (Bronzebüfte des Generals Wille), auch
Arnold Hünerwadels „Sitende”" war ein gutes Bildhauer—
werf, ebenfo Rud. Wenings „Chüngelibueb”, Eduard Zim-
mermanns „Bachantenzug”, Hugo Sigwarts „Mädchen mit
Dal”, Ida Shärs „Bildnisbüfte”, Jakob Probfts „Sän-
ger”, Walther Mettlers „Rindertanz”, Hermann Hubachers
„Stalienerin”, Georges Auberts „Gipsftudie”, Leo Bergers
„Dberft de Loys“. Ernft Kißlings „Ropfftudie”. Hans Frei
hatte vier famoſe Plafetten zu zeigen, Arnold Stodmann vier
in Eifen getriebene Medaillen, Karl Hänny einen Rahmen
mit Plafetten.
Sm Oftober ftellte übungsgemäß die Basler Künftler-
gefellichaft aus: Es waren 222 Werke zu ſehen, darunter 57
von Theophil Preiswerk, zu deflen 70. Geburtstage
30 Delbilder und 27 Aquarelle aus den verfchiedenften Zeiten
feines Schaffens zufammengebracht worden waren. Der von
vielen nahezu vergeflene Rünftler ift durch dDiefe Veranftaltung
wieder manchem ſympathiſch näher geführt worden. Die
übrigen Maler, die in diefer Ausftelung auftreten: W. Yal-
mer, Charles Bernoulli, E. Beurmann, 2. Diſchler, R.
Dürrwang, Arnold Fiehter, P. Rammüller, W. de Gou—
mois, Paula Häberlin, ©. Herzig, Sr. Krauß, R. Löw,
Dtto Mähly, Burkhard Mangold, Albr. Mayer, F. Mod,
Chr. Oehler, K. Pflüger, Otto Plattner, €. Schill, Hans
Süffert, Frig Völmy, Ab. Wagen, Aug. Wanner (aus
St. Gallen) find nebft den Plaftitern Hans Frei und Auguft
Heer im Vorhergehenden meift ſchon genannt worden.
358
Im Runftfalon bei Wepf, Schwabe & Co. haben auch
wieder elf Ausftellungen fattgefunden, zum Zeil fehr interef-
fante. Es waren da Rolleftionen von Eduard Boß aus
Bern, von dem Bildhauer Otto Roos aus Baſel, von Ernft
Schieß aus Paris, von dem Graphifer Edouard Vallet aus
Sapieze, von dem tüchtigen Sluftrator Walo v. May, Ge-
mälde von Dem Genfer Figurenmaler Alexandre Blanchet,
Aquarelle von E. Geiger (Twann), Radierungen von Alb.
Welti, Gemälde und Handzeichnungen von Cuno Amiet,
Photographien nah) Cözanne, Gauguin, van Gogh, Renoir
u. A., Zeichnungen, Radierungen, Holzfchnitte von Fritz
Baumann (Bafel), Zeichnungen und Lithographien von
Rud. Urech (Bafel) zu feben.
Eine Peranftaltung eigener Art waren die zum Zeil
prächtigen Leiftungen, welche im Oktober das öfterreichifche
f. k. Rriegs-Prefle-Quartier im Kafino zu zeigen batte.
E. Architektur.
Die ſchon im Lestjährigen Bericht an diefer Stelle ge:
machte Bemerkung über die Lahmlegung der Bautätigkeit
durch den Krieg gilt auch heute noch und teilweife in er-
höhtem Maße. Immerhin find einige wenige ISnduftrien in
der glüdlichen Lage, größere Bauaufträge erteilen zu können
zur Schaffung von geeigneten Räumen für ihre zum Teil
ganz bedeutend gefteigerte Fabrikation, doch handelt es fich
biebei meift nur um induftrielle Anlagen, die für ung nicht
in Betracht fallen.
Sn dem für die hiefige Bädereifirma Singer errichteten
Geſchäftshaus am Marktplatz ift der Betrieb in den Ver—
faufsräumen mit Beginn der diesjährigen Mefle eröffnet
worden. Dei diefem Anlaß find in einem großen Erdgefchoß-
raum, der vorläufig für den Gefchäftsbetrieb noch nicht ein-
gerichtet ift, Verkaufsftände für Lebkuchen, fowie Waffeln:
und Rofenküchlibädereien u. deral. während der Mefle-
359
zeit in originellfter Weife eingebaut worden, und an der
Ruppeldede hat Paul Hofch das ganze Leben und Treiben
auf einer Basler Meſſe in feiner befannten hHumorvollen Art
zur Darftellung gebracht. Ueber die äußere Architektur des
Baues finden wir im lestjährigen Jahrbuch fchon einiges
notiert. Beſonders markant wirft am Aeußern der um das
ganze Gebäude im erften Stod berumgeführte, auf kräftigen
Steinfonfolen weit austragende Balkon mit feinem fchmied-
eifernen Geländer. Die von den Architekten Edenftein
und Berker angewandten, an Haffiziftifche Vorbilder des
legten Zahrhunderts anklingenden Architekturformen und die
ſchmückenden Skulpturen verleihen dem Bau ein aus:
gefprochen neuzeitliches Gepräge, wodurch diefer in ftarfen
Kontraſt zu der feingliedrigen Architektur des Stadthaufes
tritt. Ueber die innere Geftaltung des Baues gibt ung die
in Form und Farbe gut wirkende Ausftattung des Bäckerei—
ladens ein reizvolles ZVeifpiel. Der große Tee- und Er:
frifhungsraum im erften Stod ift zurzeit noch nicht fertig
ausgebaut, doc darf man, foviel fich big jetzt erkennen läßt,
auf eine anfprechende und phantafievolle Ausbildung dieſes
Snnenraumes geipannt fein. Die dekorative Bemalung im
Teeraum ift von Maler Georges Kaufmann aus:
geführt.
Schon lettes Zahr Eonnte an diefer Stelle auf einige
wohlgelungene Renovationen und Umbauten bingemwiefen
werden. Wir wollen auch heute nicht unterlaffen, auf die
Reugeftaltung der Faſſade des Haufes Marktplag Nr. 29
„zum Bafelftab” duch Architek Sandreuter aufmerf-
fam zu machen, und es wäre erfreulich, wenn auch die Befitzer
der anſtoßenden Gebäulichkeiten fih zu einer Umgeſtaltung
der Faſſaden entjchließen Eönnten, Damit die unangenehm ber:
vortretende YBadfteinarchiteftur aus dem Gtraßenbild ver:
ſchwinden würde.
Einen eingreifenden Umbau hat der „Eptingerhof”, Ede
Rittergaffe und Bäumleingaſſe duch die Architeften Suter
360
und Burckhardt erfahren, indem dort für ein GSeiden-
bandgefchäft neue fchöne Yureauräume mit feiner künftlerifcher
Ausftattung gefchaffen worden find. Zei diefem Umbau ift
eine in Stein gehauene, reich profilierte, jpätgotifhe Tür-
umrahmung im alten Mauerwerk freigelegt worden, die nun:
mehr nach Verſetzung an andere Stelle wieder in befter Weiſe
zur Geltung kommt.
Durch die vorerwähnten Architekten hat auch das Haus
„zum Luft” an der Bäumleingafle eine Renovation erfahren
und zur Erweiterung der Arbeitsräume des auch in diefem
Haufe eingerichteten Seidenbandgefchäftes wurde am Luft:
gäßli an Stelle alter niedergelegter Gebäulichkeiten ein An—
bau errichtet. Auch bei diefem Umbau find die Hauftein-
einfafiungen von zwei gotifchen Spigbogenäffnungen an der
Saflade gegen das Luftoäßli zutage getreten; über Der
größeren Deffnung, dem ehemaligen Einfahrtstor zum Hof,
findet fih die ganz befonders fchöne und fcharf gehauene
Jahreszahl MCECCCLXXXVIL.
Im aäußeren St. Albanquartier ift durch die Basler
Baugefellfhaft das berrfhaftlihe Wohnhaus am
Lindenweg Nr. 11 erbaut worden. Inmitten auggedehnter
Gärten mit hochftämmigen Bäumen, wo im Herbft die filber:
grauen Birkenftämme zierlich durchs goldiggelbe Laub fchim-
mern, abfeits von Stadtlärm und Verkehr, macht das große
Haus mit dem hohen Ziegeldach über der ruhigen Architektur,
die uns ebenfo wie die fatte graublaue Bemalung der Faſ—⸗
faden an typifche Basler Bauten aus der fpäten Barodzeit
erinnert, einen vornehmen und doch wohnlichen Eindrud.
Ede Hardftraße-Hirzbodenweg hat Architekt Pfrun-
der ein mehrftödiges Miethaus mit Verkaufsräumen im
Erdgefhoß errichtet, die Gliederung der Fafladen mit den
grau verputzten Mauerflächen ift einfach, ohne befonderen
architektonifchen Anſpruch.
An der St. Jakobskirche find die durch die Vereinigung
für Heimatihuß in Vorfchlag gebrachten Safladenmalereien
361
immer noch nicht zur Ausführung gelommen; vorerft ift nun
eine Verbeflerung der arhitektonifchen Geftaltung der ganzen
DVorderfront und des Dachreiters geplant, wodurch der Ge:
famtafpeft des Heinen Gotteshaufes wefentli gewinnen
dürfte.
Der größte Neubau, der in der diesjährigen Chronik er:
wähnt werden muß, ift die für die Basler Straßenbahnen
errichtete, ausgedehnte Wagenhalle famt Wohngebäude für
Beamte auf dem Dreifpis, nah Plänen der Basler
Baugejellfhbaft md des flädtiihen Hochbau—
bureaus. Längs der Münchenfteinerftraße erftredt fich der
sroße Hallenbau mit den breiten mächtigen Giebeln an den
langen Geitenfronten, während das zweigeſchoſſige Wohn:
haus mit dem Fräftig ausgebildeten Walmdach weftlich der
Wagenhalle als jelbftändiger Bau von der Straße weit zu:
rückgeſchoben liegt, um die Einfahrt den Tramwagen frei:
zulaflen, womit eine wirkungsvolle und zwedentiprechende
Gruppierung der verfchiedenartigen Gebäulichkeiten erreicht
wurde. Bemerkenswert ift die weitgefpannte hölzerne Dad):
fonftruftion und die gewölbte Holzdede über der Wagenhalle,
deren Dach mit roftbraun gefärbtem Eternit gededt ift.
Werfen wir noch einen Blick auf die vier neuen zu:
Sammengebauten Einfamilienhäufer Nr. 18, 20, 22 und 24
an der Lindenhofftraße und wenden uns dann nad) dem
Weftplateau der Stadt, wo ebenfalls nur einige wenige Neu:
bauten entftanden find.
Eine große Miethausgruppe am Bundesplatz, zwijchen
Dirfig: und Rütimeyerftraße ift hier zu erwähnen. Diefer
Dau zeigt im Ganzen eine günftige einheitliche Geftaltung in
ſtreng fymetrifcher Anordnung und die einfache Silhouette
des behäbigen Manfarddahhes und die wenigen großen
Formen entiprechen der Lage des Gebäudes an dem offenen
Platz in befter Weife.
‚ Außerdem find im Bachlettenquartier an der Rütimeyer⸗
ftraße zwei größere Einfamilienhäufer im Rohbau fertig er-
362
ftellt, das eine Nr. 18 nah Plänen von Architekt H. Flü—
gel, das andere Nr. 49 duch das Baugeſchäft Gebr.
Stamm; ferner erwähnen wir noch die von dieſer letzteren
Firma gebauten Reihenhäufer Rütimeyerftraße Nr. 68, 70
und 72.
Der Umbau des Schütenhaufes durch die Architekten
Widmer Erlaber und Calini ift munmehr voll:
endet und es haben damit die Feuerſchützen ein überaus reiz-
volles und gemütliches neues Geſellſchaftshaus erhalten. In
geſchickter Weife find neue Zeile dem alten Gebäude angefügt
und diefes felbft den weitgehenden Bedürfniffen des Wirt:
fchaftsbetriebes entfprechend umgeftaltet worden. Eine neue
Sandfteintreppe führt vom ftadtwärts gelegenen Hauptein:
sang nach den Gefellfchaftsräumen im erften Stod, wo der
alte große Saal eine frifche, gelungene Bemalung im Cha:
rafter feiner Zeit erhalten hat. Sehr lebhaft in der Farbe
und faft üppig in der formalen Durchbildung ift der neue
Gartenfaal im Anbau gehalten. Eine bunt bemalte, ge-
wölbte Holzdede überfpannt den Raum, deſſen ganze Lang:
wand gegen den mur um wenige Stufen tiefer liegenden
Garten in einzelne Pfeiler und weite Deffnungen aufgelöft
if, um einen umgehemmten Blick ins Freie zu gewinnen.
Sm äußeren Spalen- und St. Zohannquartier können
nur eine Miethausaruppe an der Sängergafle, ferner an der
Bündnerftraße die beiden Einfamilienhäushen Nr. 36 und
38 in der Rolonie von Rleinwohnungen der Basler Bau:
geſellſchaft nambaft gemacht werden.
Auch im Kleinbaſel finden fih außer einigen größeren
induftriellen YBauten nur wenige neue Wohnhäufer, von
denen jedoch Feine hier befonders hervorzubeben find. Eine
bedeutende Vergrößerung ihres Gefchäftshaufes an der
Klybeditraße hat die Gefellfchaft für chemifche Induſtrie nad)
Plänen von Architekt Fritz Stehlin vornehmen laflen;
ftadtfeits des vor einigen Jahren erbauten Yureaugebäudes
ift ein entfprechender neuer Traft mit einem um Stodwerfs-
363
höhe über die Geitenflügel emporgeführten Mittelbau an:
gefügt worden.
Ueber zwei große Bauprojekte, deren Verwirklichung
hoffentlich nicht allaulange auf ſich warten läßt, wurden letztes
Jahr öffentliche Wettbewerbe ausgejchrieben. Es handelte
ih um Erlangung von Entwürfen für den Neubau eines
KRollegiengebäudes der Univerfität an Stelle des alten Zeug:
baufes am Petersplag und für eine neue Filialfirhe der
Detersgemeinde an der Meter: und Mülhauferftraße. Eine
einläßlihe Beſprechung der eingelieferten Arbeiten bat
feinerzeit in den Tagesblättern ftattgefunden, währenddem
fämtlihe Pläne in den Turnhallen an der Rittergafle und
im Iſaak Sfelin-Schulhbaus in den Monaten März bezw.
Sanuar Öffentlich ausgeftellt waren. Es fol darum nicht
nochmals darauf zurüdgeflommen werden, Doch feien zum
Schluß die Architekten, deren Arbeiten prämiert wurden, bier
genannt:
Bon den Entwürfen für das Kollegiengebäude ift an
erfter Stelle die Arbeit der Architekte Widmer Er-
laher und Calini in DBafel ausgezeichnet worden;
weitere Preife wurden zuerkannt den Architekten Biſchoff und
Weideli, Gebr. Pfifter und Gebr. Bräm, alle in Zürich,
ferner an Bracher Widmer und Darelhofer in Bern.
Am Wettbewerbe für die Kirche in der Petersgemeinde
fonnten fi) nur Basler Architekten beteiligen, von denen die
Architekten Suter und Burckhardt einen im erften
Rang prämierten Entwurf einlieferten,; es folgten mit
weiteren durch Preife ausgezeichneten Projekten die Ardi-
teten Ludwig Senn, Albert Rieder und Albert Gyßler.
Unter den bei beiden Wettbewerben ausgeftellten Ar-
beiten fanden fich Fünftlerifch fehr fchöne Entwürfe.
Basler Chronik.
Dom J. November 1915 bis 31. Oktober 1916.
Don Srig Baur.
Der Bericht über Baſel im zweiten Kriegsjahr wird
bedeutend fürzer ausfallen als der in der lestjährigen Chronif.
S3war ging alles, was fi) auf den Krieg bezieht, unverändert
weiter wie 1914/15. Die fchweizerifchen Truppen, die den
Grenzbewachungsdienft verfahen, Töften einander ab; die
Basler, ſowohl Auszug als Landwehr, wurden aufgeboten
und entlaflen; jenjeitsS der Grenze rollte der Ranonendonner
und Hang bis in unfre Stadt herein, zogen die Flieger ihre
Kreife und warfen über unjre Nachbarftädte- Yomben ab,
fpielten nachts die Scheinwerfer und Frachten die Abwehr-
geſchütze; die Zahl der Deferteure fowie der von der Feldarbeit
jenfeit8 des Rheins entwichenen Kriegsaefangenen mehrte
fih. Aber die Bevölkerung Baſels gewöhnte fih an das
Treiben. Man ift erftaunlich, faft befhämend Faltblütig ge-
worden gegen das Leiden des Nächften. Mit einem fata-
Kiftifchen Gleichmut vernimmt die Menge felbft das Trommel:
feuer und lieft in der Zeitung, daß ein Bombenwurf in Loͤr⸗
rach oder in Kandern fo und fo viele Menfchenleben ge-
fordert bat.
Dagegen geben die wirtfhaftlihen und poli-
tifhen Folgen, die der Krieg auch für unfere Stadt
wie für das gefamte Vaterland nach fich zieht, viel zu reden
und zu denken. Seitdem durch den Eintritt Staliens in den
Krieg im Frühjahr 1915 die Schweiz vollftändig von krieg⸗
führenden Staaten eingefchloflen ift, wurde die Zufuhr der
notwendigen Lebensmittel ſtark erfhwert. Nicht nur be-
365
anfpruchen die umgebenden Staaten ihre Eifenbahnlinien
und ihr Rollmaterial in erfter Linie für ihre eigenen Truppen:
transporte und für die Beförderung ihres Rriegsbedarfs und
beeinträchtigen dadurch unfere Zufuhr. Sur Zurüdhaltung
in der Verforgung der Schweiz mit Lebensmitteln veranlaft
fie alle ebenfo fehr die Vefürchtung, auf dem Umweg über
neutralen Boden dem Kriegsgegner Proviant zuzuführen und
ihm die Eriftenz zu erleichtern. Die Vemühungen, dies zu
verhindern, führten zu Den mannigfaltigften Einfchräntungen
im regelmäßigen Verkehr, diefe wiederum zu einer Verteue-
rung der gangbarften Lebensmittel, die in einer Stadt, wo
jedes Pfund Mehl, jede Kartoffel bezahlt und meift bar be-
zahlt werden muß, bedeutend härter empfunden wird als auf
dem Lande, das viele Lebensbedürfniffe felbft hervorbringt.
Unfere Behörden, der Bundesrat an der Spitze, fuchten
mit redlihem Bemühen diefen Schwierigkeiten abzuhelfen.
Es wurde mit Rontingentierung der im Lande liegenden Vor-
räte und mit Feſtſetzung von Höchftpreifen u. dgl. der un-
nötigen Verfehwendung, wie auch dem unfinnigen Aufhäufen
von Lebensbedürfniffen und dem Wucher nah Möglichkeit
vorgebeugt. Mit wechfelndem Erfolg wurde durch Unter:
Handlungen mit den Regierungen unferer Nachbarftaaten eine
tegelmäßige Verforgung des Landes mit dem Nötigften an-
geftrebt. Ein ſehr mittelmäßiger Ertrag der Landwirtfchaft
trug weiter zu einer Verfchärfung der Lage bei, und man
fann wirklich mit einem gewiflen Recht von einer Teue-
rung reden. Die Führer der Sozialdemofratie Tiefen fi
auch die aus al diefen Verhältnifien emporwachlende Mip-
fimmung nicht entgehen. Sie veranftalteten gelegentlich
Bolfsverfammlungen und Umzüge als Demonftration gegen
die Teuerung. Inwieweit dazu ein Anlaß vorlag, kann hier
nicht unterfucht werden. Zweifellos lag der Hauptgrund zu
den ſchlimmen Zeitläuften in Mißftänden, die man von der
Schweiz aus nicht zu heben vermag. Don diefem Standpunkt
aus jcheinen auch diefe Demonftrationen durchaus müßig.
—
Jedenfalls tat die Regierung von Bafelftadt
was in ihrer Macht fand, um der Notlage der minder:
bemittelten Bevölkerungsſchicht abzuhelfen, und fie verdient
feinerlei Tadel. Die gleich bei Beginn des Kriegs nieder-
geſetzte ftaatliche Hilfstommiffion führte an einheimifchen Not:
leidenden und an Ausländern, die bei uns wohnen, un-
ermüdlich ihr Liebeswerk fort. In den erften 17 Monaten des
Kriegs, Auguft 1914 bis Ende Dezember 1915 gab fie
983,500 Zr. aus, von denen die weit größere Hälfte, 378,500
Franken, durch freiwillige Liebestätigkeit aufgebracht wurde.
Die ftaatliche Lebensmittelfürforge fchaffte für die Bevölke—
rung Iuder, Reis, Rartoffeln, Rüben, Eier, Rochfett, Teig-
waren, Mehl, Petrol und Obft herbei fo viel ihr möglich
war und zu erfcehwinglichen Preifen. Die Verforgung mit
Milch, Butter und Käſe ift durch eine Vereinbarung zwifchen
dem Schweiz. Vollswirtjchaftsdepartement, den Tandwirt-
Ihaftlichen Organifationen und den KRonfumverbänden für
die ganze Schweiz geordnet und fichergeftellt.
Was die wirtfhaftlihe Lage im all
gemeinen betrifft, fo liegt für die in Baſel arbeitende
Großinduftrie fein Grund zur Klage vor. Diele Fabriken
der verjchiedenften Zweige jollen mit Aufträgen überhäuft
fein und fehr gut verdienen. Da aber die fertige Ware aller
Art zum größten Teil direlt ins Ausland gebt, jo bat bei
diefer für die Großinduftrie wie für den Wrbeiterftand im
eigentlichen Sinn erfreulichen Gefchäftslage der Mittelftand
des Handwerks und des Swifchenhandels das Nachfehen.
Daraus ergibt ſich eine gedrüdte Stimmung in diefen Kreiſen.
Die Internehmungsluft ſchlummert. So ftodt 3. 3. das
Baugewerbe und alle mit ihm zufammenhängenden Hand-
werke. Der viele und lang andauernde, regelmäßigen Zer-
dienft unterbrechende Militärdienft bei Meiftern und Ar—
beitern trägt weiter Dazu bei, die allgemeine Sorge zu ver:
breiten.
Zu al diefer materiellen Unbehaglichkeit fügen fich p o-
367
Litifhe Kümmerniffe Es wäre unangebradt, hier
des weitern den Gegenſatz zu erörtern, der bald nach Aus:
bruch des Kriegs aus der verfchiedenen Auffaflung der Neu-
tralität in der deutfchen und in der welfchen Schweiz ſich er-
gab. Es ift nicht die Aufgabe der Chronik, in diefem Streit
Stellung zu nehmen oder zu unterfuchen, wo das Recht und
wo das Unrecht liegt. Sie hat lediglich zu verzeichnen, daß
der Gegenfaß in einzelnen „Affären”, die noch in aller Er-
innerung ſtehen, fich zu bedenflicher Schärfe zufpiste und je-
weilen in den Tagungen der Yundesverfammlung nicht ohne
Leidenfchaft befprohen wurde. Wenn man au in Baſel
im Allgemeinen diefen Fragen gegenüber einen fühlen Ropf
behielt und überzeugt war, daß der Zwieſpalt von verhältnis:
mäßig wenigen Wortführern gefchaffen und offen gehalten
wird, und daß fich in der Stunde der Gefahr alle Schweizer
zufammenfinden werden, jo trugen doch diefe Ereigniffe im
weitern Vaterland dazu bei, die forgenvollen Gemüter weiter
zu bejchweren und eine getrofte Stimmung nicht aufflommen
zu laflen. Mit Befriedigung darf man indeflen feftftellen,
daß gegen Ende des DBerichtjahres hüben und drüben der
redlihe Wille zur Verftändigung und zum Verſtändnis fich
mehr und mehr ausbreitet und ftärkt.
Man würde fi aber von dem Baſel während des
zweiten KRriegsjahres ein gänzlich falſches Bild machen mit
der Vorftelung, dat die Stadt unter dem Drud der Nöte
und Sorgen verfhiedener Art fich tatenlofem Sammer hin—
gebe. Sehen wir recht, jo bewirkte die Bedrängnis im
Gegenteil ein Doppelt rühriges Leben. So ift es in Handel
und Gewerbe. Auch im Kunftbetrieb bemerkt man nichts
von Abflauen, wie aus den damit fich befchäftigenden Ab—
fchnitten des Jahrbuch mag erjehen werden. An diefem Ort
haben wir uns vor allem mit der Liebestätigfeit
Baſels zu befaflen, und es Tann uns mit Genugtuung er-
füllen, daß diefe fi) den von Monat zu Monat gefteigerten
Anforderungen gewachſen zeigt.
368
Die Bereinigung „Zwiſchen Licht”, die von Baſel
ausging, findet immer neue Mittel, den im Feld ftehenden
Schweizer Soldaten Greude zu mahen. Neben den Obft-
und Gemüfefpenden und den Feftgefchenken fowie der Zür-
forge für folche, die der Familie entbehren, trachtet fie auch,
perfönlihe Verbindungen zwiſchen Wehrmännern und der
Schweizer Bürgerfhaft anzubahnen. Das Weihnachts—
feft begingen die damals in und um Baſel ftehbenden Grenz-
wachttruppen, es waren Aargauer, gemeinfam mit ihren Of:
figieren in großen Lofalen der Stadt, und auch Baſel ftellte
ſich zu den Anläffen mit feinen Gaben ein. Unheimlich tünte
mitten in die Fefttage hinein der Schlachtenlärm vom Hart—
mannsweiler Ropf. Der Mufitfaal, der eine diefer Weih—
nachtsfeiern gefehen hatte, öffnete fih am 29. Februar für
die Genfer Soldaten, unfre damaligen Gäfte, und der Ge:
fangverein bot ihnen eine Aufführung von Haydn’s
Jahreszeiten.
Neben al dem gingen die Unternehmungen für die
Rriegsgefangenen, für die ISnterniertenu. dgl.
ber. Neu gefellten fih zu ihnen Gründungen nationaler
Art, wie des Bundes für deutſche Rriegerfürjorge, und künſt
lerifhe Wohltätigkeitsveranftaltungen für die notleidenden
Angehörigen der deutſchen, der franzöfifchen, der italienijchen,
der öfterreichifcehen Kolonie unferer Stadt. Alle warfen fchöne
Beträge ab. Einen ganz befondern Erfolg erzielte die Auf-
führung der Studenten im Gtadttheater zugunften Des
Hilfswertes für friegsgefangene Studie:
rende, die dreimal gegeben werden mußte.
Noch manches wäre in diefem Zufammenhange zu er-
wähnen: Wohlfahrtseinrichtungen, wie die Aufftellung einer
Soldatenftube am Grenzübergang beim Otterbach; eine
DPuppenausftellung im Stadtlafino zum Beſten notleidender
fchweizerifcher Wehrmänner; eine Ausftellung von Arbeiten
internierter Kriegsgefangener; eine ſolche öſterreichiſcher
Kriegskunft, Sammlungen für die verfolgten Armenier, für
369 m
die notleidenden Serben . . . niemand wendete ſich umfonft
an die Wohltätigkeit und die Freigebigkeit der Basler.
Manches Werk mag in unferer Aufzählung Üübergangen fein,
manches trat überhaupt nicht an die Deffentlichkeit. Uns al
deflen zu rühmen haben wir nicht Urfache. Es wurde hier
nur erwähnt, weil es mit zum Bild Baſels im Krieg ge-
bört. Allgemein faßte man bei uns diefe Betätigung als
felbftverftändliche Pfliht auf. Ihre Erfüllung gibt keinen
Anfpruh auf Lob. Ihre Unterlaflfung würde fcharfen und
berechtigten Tadel hervorrufen.
Es war vorhin die Rede davon, daß man die Wechſel—
fälle Des Krieges im allgemeinen anfing mit Gleich:
mut aufzunehmen. Dies hindert nicht, daß jedesmal, wenn
von jenfeitS der Grenze das KRampfoetöfe ftärfer berüber-
ſchallte, auch das Snterefle der Deffentlichkeit fich wieder auf-
merkſamer dem Krieasfchauplag zuwandte.. In der Regel
fiel ein folches bei uns vernehmbares Aufflammen der Rampf:
tätigkeit zufammen mit arößern Aktionen auf den Haupt:
friegsfchauplägen, mit dem Angriff der Deutfchen gegen
Verdun oder mit der großen DOffenfive der Entente an der
Somme. Sn foldhen Zeiten brauchte nur noch jemand —
wirklich oder vermeintlid — einen Flieger oder gar einen
Zeppelin haben über dem Sundgau fehweben fehen, brauchte
man nur von einem ungewöhnlich ſtarken Verkehr auf der
Hüninger Eifenbahnbrüde oder vom Beſuche des deutichen
KRronprinzen an der Grenze zu hören, fo war der fchönfte
Nährboden für die ausfchweifendften Gerüchte bereitet. Das
war noch das wenigfte, daß man von der Grenze aus mit
bloßem Auge wollte beobachtet haben, wie ganze Flieger:
geſchwader fih Schlachten Tieferten, daß man die Feſſel—
ballons über dem Sundgau nach Dugenden zählte, daß man
von der Terraſſe der St. Margaretenfirche oder bei den
nächtlichen Maffenwallfahrten nah Schönenbuh auch Klein-
gewehrfeuer ganz deutlich wollte wahrgenommen haben. Die
Strategen von der Zunft wußten 3. 3. in einer folchen Zeit
370
befonderer Aufregung, im Dezember 1915, zu berichten, daß
Madenfen mit 300 000 Mann im badifchen Oberland ftebe
und dab zwifchen Beſançon und Belfort ein großes fran-
zöftfehes Heer fich fammle. Die wenigften diefer Gerüchte
wurden nachträglich von der amtlichen Verichterftattung be-
ſtätigt. Offiziell wurden gemeldet die fchwere Beſchießung
von Velfort durch die Deutfchen im Februar und die fran-
zöſiſchen Fliegerangriffe auf Randern (17./18. Zuli) und auf
SLörrach (10./11. Oftober).
Sn ähnlicher Weife boten Anlaf zur Entftehung von
Gerüchten die unaufhörlich wechfelnden Vorſchriften über
die Handhabung der Grenzklontrolle Jede Per:
Ihärfung wurde in Zufammenhang gebracht mit größern
Truppenverfchiebungen jenfeitsS der Grenze. Wer Dielen
Dingen ferne fteht, vermag allerdings die häufigen Aende—
rungen in Handhabung der Grenzpolizei fich nicht zu er-
Hären, und man begreift bei der nun einmal bherrfchenden
Aufregung den Klatſch, der fih daraus immer neue Nah—
rung holt. Webrigens haben im Lauf des Verichtsjahres
der ehemalige Reichskanzler Fürft Bülow und der Kardinal
Mercier wiederholt bei Baſel die Grenze überſchritten.
Diele Häufer ftehen in unferer Stadt, die im Gegenſatz
zu bloßen Gerühten die graufame Wirklichkeit
des Krieges zu fühlen befommen. Wohl in fait allen
Heeren der Friegführenden Staaten kämpfen auch) Bewohner
Bafels, zum Zeil folche, die von Geburt an unter ung Tebten
und gänzlich zu den Unfrigen geworden find. Diele von
ihnen find gefallen, und auch unfer Gemeinwefen hat durch
ihren Tod Verlufte erlitten. Es mag an das Miffionshaus
erinnert werden, das die meiften feiner deutfchen Zöglinge
mußte in den Krieg ziehen laflen und fchon von manchem die
Todesbotſchaft erhielt.
Noch fei erwähnt, daß von Anfang Oktober bis Mitte
Dezember unſer Grenzabfhnitt von Luzernern be-
wacht wurde; an fie ſchloſſen fih Aargauer, die Ende Fe—
371 24°
bruar durch Truppen der welfchen Schweiz, erft Genfer, dann
Waadtländer, abgelöft wurden; an ihre Stelle traten Ende
Auguft unfere Bafelftädter und für diefe traten vor einigen
Wochen die Mannfchaft von Vafelland an.
Das bafelftädtifche Auszug-Infanterie- Regiment
22 (Sataillon 54, 97 und 99) ftand vom 6. Oftober 1915
bis zum 14. März 1916 mit wechfelnden Beftänden im Dienft.
Dann rüdte es am 21. Auguft 1916 wieder ein und hofft
vor Ablauf des Jahres noch entlaffen zu werden. Das Land-
wehr-Infanterie-Bataillon 144 (Bafelftadt) war vom 22. Mai
bis zum 29. Zuli 1916 aufgeboten.
* *
%
November 1915.
2. Vom Appellationsgericht wird der Banlier
Hans Bauder in Milderung des ftrafgerichtlichen Urteils
vom 12. Zuni d. 3. wegen Betrugs zu ſechs Jahren Zucht:
haus unter Einrehnung von acht Monaten Unterſuchungs
baft und zu zebnjähriger Einftellung im Aktivbürgerrecht
verurteilt. Bauder hatte durch fchwindelhafte Angaben eine
sroße Menge hauptjächlich Eeinere Leute zur Beteiligung
an angeblich gewinnbringenden amerifanifhen Finanzunter:
nehmungen veranlaßt und fie dadurch um ihre Erfparniffe
gebracht.
6. Durh Sturz vom Dach der im Bau begriffenen
Srauenarbeitsfchule verliert Spenglermeifter Ab. Riggen:
bad, ein allgemein befannter Handwerker und KRunft-
gewerbler, 38 Jahre alt, das Leben.
6. Die Nationale Frauenfpende für Die
Kriegsausgaben der Eidgenoflenfchaft wurde in Baſel in
der Woche vom 1. bis zum 6. November durch Hausfollefte
erhoben und warf 43 002 Gr. ab.
7. Am beutign Reformationsfonntag ergab
das für den Kirchenbau in Grenchen in den Gottesdienften
372
der evangelifch-reformierten Kirche erhobene Opfer 4962 Gr.
(1914: 4338).
8 Die franzöſiſche Rolonie veranftaltet ihre
alljährliche übliche Erinnerungsfeier am Grabe der Inter:
nierten von 1870/71 auf dem Rannenfeldfriedhof.
9, Dr. Hermann Henrici hält feine Habilitations-
vorlefung als Privatdozent an der juriftifchen Fakultät über
Schenkungen an die Kirche.
10. Die Synode der evangelifh-refor-
mierten Kirche genehmigt das Budget für 1916 mit
340,430 Sr. Einnahmen und 433,810 Sr. Ausgaben (Defizit
93380 Zr.), bewilligt die Kredite für den Ankauf eines
Areals auf dem Gebiet des alten badifhen Bahnhof für
ein Gemeindehaus der St. Matthäusgemeinde, und an der
Gundeldingerftraße am Fuß des Thierſteinerrains für einen
Kirchenbau und beftätigt als Abgeordneten zum theologifchen
KRonkordat Prof. Böhringer, als feinen Stellvertreter Dr.
Ed. Kern.
11. Sn einer Vormittagsfisung genehmigt der Große
Rat die Staatsrechnung für 1914 (21,4 Mil. Ausgaben,
20,2 Mill. Einnahmen, 12 Mil. Defizit anftatt der budge-
tierten_3,4 Mil), befchließt eine weitere Beteiligung des
Staates mit 60,000 Sr. an der Sodafabrit Zurzach, fo daß
Baſelſtadt jest für 188,000 Gr. Aktien davon befißt, und
lehnt mit Stichentfcheid des Präfidenten eine fozialdemo-
tratifhe Motion betr. Aufhebung der Lohnabzüge der im
Militärdienft ftehenden Staatsangeftellten: ab.
12. Die diesjährige Rektoratsfeier befchränfte
fich auf den alademifchen Aktus in der Aula: Der abtretende
Rektor Prof. H. Rupe ſprach über die Entwidelung der
organifchen Chemie im Testen Jahrhundert. Eine Preis:
frage der juriftifhen und eine der medizinifchen Fakultät
wurden gelöft, die lettere in hervorragender Weife durch
einen Medizinftudenten aus Tokio. — Poriges Zahr war
373
die Rektoratsfeier gänzlich unterblieben, weil der damalige
Rektor Prof. Eger im Felde ftand.
13. Der Regierungsrat beftätigt die vom Erziehungstat
getroffene Wahl von Dr. Herm. Kienzle aus Baſel,
d. 3. in Darmftadt, zum Adjunkten des Direktors der Alle.
Gewerbefchule.
13./14. Zum dritten Pfarrer der neuen Kirchgemeinde
St. Elifabethben-Gundeldingen wird bei 1188 abgegebenen
giltigen Stimmen und einem abfoluten Mehr — 595 ge:
wählt der Randidat der Zreifinnigen Pfr. A. Wald
burger in Ragaz; der von den Pofitiven unterftügte un⸗
abhängige Pfr. O. Moppert in Frauenfeld machte 289, der
von den Sozialdemokraten vorgefchlagene Pfr. A. Knellwolf
in Erlach 242 Stimmen.
15. DBafel begeht die Morgartenfeier durd
paflende Vorträge in den Schulen am Vormittag. Die
Neue Helvetifche Gefellfchaft ließ in den Straßen zugunften
der Sammlung für Uri durch Pfadfinder Rarten und Ge:
denkhlätter verkaufen.
16. Der Weitere Vürgerrat erledigt eine An-
zahl Begehren um Aufnahme ins Bürgerrecht und genehmigt
und verdankt Rechnung und Bericht des Engern Bürger:
rats für 1914.
17. Zum Subftituten des 4. Sekretärs der QVormund-
fchaftsbehörde wird vom Regierungsrat gewählt Dr. iur.
Carl Miville von Bafel.
19. Dr. Paul Hüffy hält feine Antrittsporlefung als
Privatdozent an der medizinifchen Fakultät über Strahlen-
therapie in der Gynäkologie.
23. Der Kirchenvorftand der Münftergemeinde befchließt
in Wiedererwägung eines frühern Entfcheides, das Müniter
duch fehs niedrig hängende Kronleuchter elek:
trifch zu beleuchten. — Die gemeinfame Sahresverfammlung
der Dofitiven Gemeindevereine im großen
374
PVereinshausfaal hört einen Vortrag von Pfr. G. Benz
über das Verhältnis des Chriften zum Staat.
24. Im Alter von 70 Sahren ftirbt nach Furzer Krank:
beit Ferdinand Boller, feit Jahrzehnten Leiter des Basler
Haufes der Firma Hug & Cie.
| 26. Alexander Mangolod-Grillo, langjähriger Po-
lizeihauptmann von Baſel, ftirbt im Alter von 69 Zahren.
27.28. Zu den Erneuerungswabhlen fürden
MWeitern Dürgerrat wurden 5 Liften eingereicht.
Es beteiligten fi 5892 von 15,329 Wahlberechtigten —
384% (1912: 52,6%), darunter eine Anzahl in aftivem
Militärdienft ftehend. Weil die Stimmen der Soldaten, die
mit der Zeldpoft eingeliefert wurden, mußten abgewartet
werden, verzögerte fich die Ermittlung des Wahlergebnifies
Dis zum 1. Dezember. Es wurden gewählt 12 (1912: 12)
Liberale, 8 (7) Sozialdemokraten, 7 (7) Mitglieder der
Fortſchrittlichen Yürgerpartei, 7 (8) Sreifinnige und 6 (6)
Angehörige der Eatholifchen Volkspartei.
28. Bei den Gottesdienften der evangelifch-reformierten
Kirche wurde das Opfer für die Miffion erhoben. Es
fielen im ganzen 5066 $r., davon für die Basler Miffion
4357, für die Allgem. Proteft. Miffion 537, für die Mission
Romande 171 Fr. — Der Shweiz. Alpenflub hält
in Baſel feine Delegiertenverfammlung ab. WUußer den
Sahresaefchäften werden die Weiterentwidlung des alpinen
Rettungswefens, die Frage der Heranbildung eines Nach-
wuchſes durch Zugendorganifationen und eine Reihe von
Subventionsgefuhen behandelt. Die Beratungen wurden
unterbrochen durch ein Bankett zu Safran.
30. Zum Rektor der Univerfität für 1916 wird von der
Regenz gewählt Prof. D. Paul Wernle, als Schreiber
der Regenz beftätigt Prof. 3. Wendland.
Witterung Im Monat November 1915 betrug
das mittl. Temp. - Minimum 0,2, das mittl. Temp.-Marimum
5,6, das Mittel der Temperatur 2,80 C, das Mittel des
875
Luftdruds 736,1, die Summe der Niederfchlagmenge 84
mm, die Summe der Sonnenfcheindauer 60 Stunden. Der
Monat wies entiprechend den wechlelnden Luftdrudverhält-
niffen eine unftäte Witterung auf. Eine Sroftperiode gegen
Ende des Monats, wo (am 28.) das Thermometer auf
— 10,89 fant, eine Temperatur, die feit 1849 nicht mehr
im November beobachtet wurde, bewirkte, daB die mittlere
Zemperatur 1,7° unter der normalen blieben.
Dezember 1915.
2. Der Benoffenfhaftsrat des A. ©. 2.
nimmt die Mitteilung entgegen, daß die Genoffenfchaft ſich
laut Beſchluß der Verwaltung mit 150,000 Sr. am Einfuhr:
truft beteiligt, und daß die Delegiertenverfammlung die dazu
nötige Statutenänderung angenommen bat, befchließt über
die Beſoldung der im Militärdienft abwejenden Angeftellten
und bewilligt 278,000 Sr. für Ueberbauung des ehemaligen
Areals des Zollpoftens an Elfäßer: und Hüningerftraße.
8. Die Freiwillige Shulfynode nimmt nad
einem Referat von Dr. H. Meyer Shefen an betr. Neu-
geftaltung der Lehrerkonferenzen, Verftaatlichung der Schul:
ſynode und Vertretung der Lehrerfchaft in den Schulbehörden.
Der Nachmittag war den Zahresgefchäften gewidmet.
9. Der Große Rat bewilligt Nachtragskredite für
Rotftandarbeiten auf den Zeitpunkt der Entlaſſung der
4. Divifion aus dem Dienft der Grenzbefegung und eröffnet
die Diskuffion Über den Verkauf eines Stüdes Land vom
Areal der ehemaligen Klybeckinſel an die Gutehoffnungs-
hütte zum Bau einer Brikettfabrik.
Die Frequenz der Univerfität im Winter
1915/16 weift auf 132 afademifche Lehrer, 980 immatriku-
lierte Studierende (darunter 52 Damen) und 206 (143)
nicht immatrikulierte Hörer. Don den Studenten find 170,
meitt wegen Militärdienftes, dispenfiert. Auf die Fakul⸗
376
täten verteilen fie fih wie folgt: Theologie 71, Zurisprudenz
84, Medizin 327, Philofophie I 252, Philofophie II 246.
Schweizer find 728 (45), Ausländer 252 (7), darunter 140
Rufen. — Von den 402 (34) immatrikulierten Vafelftädtern
ftudieren 18 Theologie, 55 Surisprudenz, 61 (7) Medizin,
142 (22) Philofophie I und 126 (5) Philofophie II.
10. Nicht ohne Humor nimmt die Stadt die in der
Preſſe verbreitete Nachricht entgegen, daß die Witwe U.
3Zimmerli-Schweizer, die feinerzeit auch von den Be—
hörden als Hundertjährige war gefeiert worden (ſ. Basler
Jahrbuch 1915, Basler Chronif zum 24. Dezember 1913),
ih in Berechnung ihres Alters um 22 Jahre geirrt hat,
indem fie am 24. Dezember 1835 zur Welt gefommen ift.
14. Der neugewähltee Weitere Bürgerrat be:
ftätigt in feiner Fonftituierenden Sitzung den ausjcheidenden
Engern Bürgerrat mit Dr. Fritz Viſcher als Präfidenten
auf eine neue Amtsdauer von drei Jahren und beftellt die
Prüfungstommiffion für 1915.
22. Der Entwurf der Regierung zu dem Budget
für 1916 fieht vor an Einnahmen 18,164,240 Fr., an Aus:
gaben 22,214,292 Sr., fomit ein Defizit von 4,050,051 Gr.
23. Der Große Rat wählt zum Unterfuchungsrichter
Dr. Karl Ludwig und bejchließt den Verkauf eines Ab-
fchnittes vom Areal des alten badifhen Bahnhofs an die
reformierte Rirche zum Vau eines Gemeindehaufes für
St. Matthäus; einen Anzug betr. Milchverteilung an fchul-
pflichtige Rinder: überweift er der Regierung und befchließt
nad) langer Debatte Eintreten auf den Verkauf eines Stüdes
Land an der Kiybedinfel an die Gutehoffnungshütte ohne
Beratung durch eine Großratstommiffion.
Sm Alter von 501, Fahren flirbt Architekt Emil Fa ef cd:
Geering, ein Baumeifter, der im In- wie im Ausland großes
Anſehen genoß, und dem feine Vaterftadt u. a. die neue
Mittlere Rheinbrüde, das Haus Spillmann und den Bau
377
der Schweiz. Kreditbant an der obern Freien Straße ver-
dankt.
24. Die Regierung befördert fünf SInfanterieleutnants
zu Oberleutnants und ernennt neunzehn neue Leutnants.
31. Witterung. Die meteorologifhen Hauptwerte
des Monats Dezember 1915 find: Mittel der Temperatur
6,6, mittl. Temp. -Minimum 3,8, mittl. Temp.-Marimum
95° C, Mittel des Luftoruds 734,7, Summe der Nieder:
Ihlagmenge 69 mm, Summe der GSonnenfcheindauer 46
Stunden. Der Monat war mit feinem Sleberfhuß von
5,70 über das langjährige Mittel der Temperatur der
wärmſte einer feit 1895 nur viermal unterbrochenen Reihe
zu warmer Dezember. Er war regnerifch, trübe und un-
freundlich, jedenfalls Fein Wintermonat.
Sanuar 1916.
1. Der Zivilſtandverkehr des Jahres 1915
verzeichnet 640 in Baſel gejeglich vollzogene Trauungen
(1914: 913), inbegriffen 79 hieſige Trauungen auswärts
wohnender Paare. Lebendgeburten wurden angezeigt 2446
(3124), inbegriffen 385 Paffantengeburten, Totgeburten 84
(107), darunter 13 Pafjantengeburten; von den Lebend-
geborenen find 1217 Knaben und 1229 Mädchen; davon
waren 614 Rantonsbürger, 724 Schweizer andrer Rantone,
763 Kinder von Ausländern (unter Weglafiung der Paſ—
fantengeburten aus der Berechnung). Es fanden 1693
(1609) Todesfälle ftatt, unter Einrechnung von 17 bier ver-
ftorbenen Schweizer Soldaten und 209 Paflanten-Todes-
fällen, von den Perftorbenen waren 786 männlichen und
907 weiblichen Gefchlehts, nach Abzug der Paffanten:Todes-
fälle 668 und 816; davon waren 589 KRantonsbürger, 478
Schweizer anderer Rantone, 533 Ausländer. Durch Ueber:
Ihuß der Zahl der Geburten über die der Todesfälle ver:
mehrte fich die hiefige Wohnbevölkerung um 25 Kantons-
378
bürger (+32 Knaben, — 7 Mädchen), 246 Gchweizer
anderer Rantone und 230 Ausländer, total 501 Perfonen.
5. Die Regierung befchließt, auch 1916 die übliche $ a ft-
nacht nicht zu geftatten, Dagegen das Trommeln nicht ver-
Heideter Gruppen zuzulaflen.
8. Ein Geſuch der Gefellichaft für Sonntaasfeier, es
fei den hiefigen Zeitungsdrudereien für die öffentlichen
Rubhetage die Herausgabe und das Pertragen von
Ertrablättern womöglich gänzlich zu verbieten, wird
von der Regierung dahin beantwortet, daß zurzeit ein gänz-
liches Verbot nicht als tunlich erfcheine, Daß aber die Zei:
tungsdrudereien an den Öffentlichen Rubetagen inskünftig
nur noch ein Ertrablatt herausgeben und vertragen laſſen
dürfen.
Sn diefen Tagen erfolgen eine ganze Reihe von Offi—
ziersernennungen und Befdrderungen, von
denen viele auch Bafelftädter betreffen: Der Yundesrat er⸗
nennt eine Menge von Leutnants in den Opezialwaffen;
die Regierung von Bafelftadt nimmt verfchiedene Beförde-
rungen vor; die von Luzern befördert Inf.-Hauptmann Peter
Schmid (1/97), von und in Baſel, zum Major der In-
fanterie, nachdem er in der lebten Zeit das Kommando des
Dat. 44 geführt hatte.
11. Der Bundesrat wählt zum Präfidenten der eid-
genöſſiſchen Maturitätstommiffion Dr. Emanuel Prob
in Bafel. ° |
12. Sm Alter von 55 Jahren ftirbt Sekundarlehrer Alfr.
Widmer-Bürke, deſſen Name vor allem in ftenographifchen
Kreifen einen fehr guten Klang batte.
14. Nach Erledigung einer Snterpellation bewilligt der
Große Rat einen Rredit von 110,000 Sr. zur Erftellung
einer Deftillieranlage und fiehbt von der Referendumsklaufel
ab, damit die Arbeiten fogleich beginnen können. Hierauf
wird mit 61 gegen 14 Stimmen bei vielen Enthaltungen die
Borlage betr. Verkauf von Land an die Gutehoffnungshütte
379
an die Regierung zurüdgewiefen (f. zum 9. und 23. De:
zember 1915) und endlich der Gefeßesentwurf betr. das
Zureauperfonal öffentlicher Verwaltungen in erfter Lefung
durchberaten.
18. Nah Erledigung einer Interpellation validiert der
Weitere Bürgerrat die Wahlen vom 27./28. No:
vember 1915, befchließt den Ankauf eines Stüdes Land für
die Chr. Merianfhe Stiftung und behandelt eine Reihe
Begehren um Aufnahme ins Bürgerrecht.
20. Bei wenig einladender Witterung findet der. U m-
zug der Drei Ehrenzeichen Rleinbafels fatt,
und zwar ohne das fonft üblihe Böllerſchießen.
23. In der St. Elifabethenkirche wird der im November
gewählte dritte Pfarrer der Gemeinde St. Elifabethen-
Gundeldingen, Pfr. Aug Waldburger, bisher in
Ragaz, in fein Amt eingeführt.
25. Der Genoflenfhaftsrat des Alle Ronfum-
vereins befchließt finanzielle Beteiligung feines Unter-
nehmens an der Milcheinfaufgenoffenfchaft fchweizerifcher
- Ronfumvereine.
27. Der Große Rat genehmigt die ihm von der
Regierung beantragte Ausführung der Pläne des Architekten
Hans DBernoulli für ein Runftmufeum im Schligenmattparf
für eine Summe von 2,422,500 Zr., indem ausdrüdlich der
ausführenden Behörde für die Wahl des endgiltigen Yau-
plaßes und für bauliche Aenderungen Spielraum gewährt
wird. Das revidierte Straßengefeb von 1902 wird an eine
Kommiſſion gewiefen und in die Beratung der Vorlage der
Rommiffion betr. die Aenderung der Situngszeit des Großen
Rates eingetreten.
31. Witterung Im Monat Sanmar 1916 betrug
das Mittel der Temperatur + 5,1, das mittl. Temp.-
- Minimum 25, das mittl. Temp.-Marimum 79° C, das
Mittel des Luftdruds 745,5 die Summe der Niederfchlag-
menge 23 mm, die Summe der Sonnenfcheindauer 64
380
Stunden. Seit 1834 hat Bafel feinen fo warmen Januar
erlebt. Der Witterungscharafter war trübe, aber am Durch:
fhnitt gemeflen war der Monat viel zu froden — ein
Januar ohne Schnee und faft ohne Eis! Die Vegetation
war beängftigend weit entwidelt. Ä
Sebruar 1916.
5. Im Alter von 731%, Jahren ftirbt der ehemalige
Univerfitäts-Bibliothefar Dr. Rarl Meyer, f. 3. Lehrer
der deutichen Sprache am Obergymnaſium, Privatdozent
und a. 0. Profeflor der Germaniftif an der Univerfität, Ver:
fafler von „Der Aberglaube im Mittelalter", Mitarbeiter
des Basler Jahrbuchs.
9. Die fozialdemofratiihe Partei veranftaltet eine
Manifeftationsverfammlung im Greifenbräu
Horburg und läßt eine Refolution befchließen gegen die
„Militärhierarhhie”, die „Die Rechte und die Menfchen:
würde der Schweizer Wehrmänner mit Füßen tritt, ander:
feit8 aber die fchwerften PVerfehlungen hoher Offiziere zu
vertufchen fucht”. Bei einer ähnlichen Verfammlung am 10.
im Gundoldinger Rafino macht ſich Widerſpruch geltend,
bleibt aber bei der Abftimmung in Minderheit.
10. Der Große Rat lehnt das Eintreten auf den
KRommiffionsbericht betr. Aenderung feiner Sisungszeit ab
und beginnt die Beratung des Prüfungsberichts für 1914.
11. Privatdozent Dr. Walter Bally hält feine Ha-
bilitationsvorlefung über Riefen und Zwerge im Pflanzen-
reich.
‚13. In den Gottesdienften der evangelifch-reformierten
Kirche wird das Opfer zu Gunften der Staatlidhen
Hilfsfommiffion erhoben und wirft 5013 Sr. ab.
Bei der Zahresfeier der Evang. Stadtmiffion
im Vereinshaus fpriht Pfr. Hahn aus Genf.
15. Im Alter von wenig über 60 Zahren ftirbt an einem
Lungenſchlag Dr. Pierre Chappuis-Garafin, früher
381
Mitglied des Internat. Inftituts für Maß und Gewicht in
Sövres, feit 1902 in Baſel niedergelaffen, hervorragendes
Mitglied der baslerifhen und der fchweizerifhen Natur:
forfhenden Gefellihaften, Präfident der DBernoullianum-
fommiffion, in vielen wohltätigen und gemeinnützigen Rom-
miffionen, u. a. auch für die notleidenden Opfer des gegen-
wärtigen Krieges tätig.
16. Nach längerem Leiden ftirbt Emanuel Sand-
reuter-KRündig, Kaufmann, bochverdient um Baſels
mufifalifches Leben und als Sänger mit glänzender Tenor:
flimme in der ganzen Schweiz wohlbelannt. 65 Zahre alt.
17. Der Große Rat hört eine SInterpellation betr.
Bürgeraufnahmen und deren Beantwortung und fährt fort in
der Beratung des Verwaltungsberichts für 1914.
18. Sn der Safranzunft veranftaltet die liberale, in der
Rebleutenzunft die freifinnig-demofratifche Partei eine große
Verſammlung zur Beſprechung der eidgendffifhen
Tagesfragen, der Angriffe der Sozialiſten und der
Welſchſchweizer gegen Yundesrat und Armeeleitung. Dort
referierte Reg.-Rat Dr. R. Miefcher, hier Ständerat Dr.
Paul Scherer. Beide Verfammlungen waren fo ftark be-
ſucht, daß Hunderte umkehren mußten. In beiden wurden
Tagesordnungen angenommen, die den politifchen und den
militärifchen FZührern das Zutrauen der Basler Bevölkerung
aussprechen.
Dr. R. Th. Fäſch, ein fehr beliebter und vielbefchäf:
tigter Zahnarzt, ftirbt plöglich in den beften Jahren.
21. In Davos ftirbt 32 Zahre alt nach) ſchwerem Leiden
Dr. Albert Grübel, Lehrer der Mathematik an der Obern
Realichule.
24. Der Große Rat erledigt den Verwaltungs:
bericht für 1914 und überweift der Regierung die Poftulate
betr. Gebaltzahlung der ftändigen Lehrkräfte der Gewerbe:
und der Frauenarbeitsfchule nach Jahresſummen ftatt nach
Wochenſtunden, betr. gefeßliche Regelung des Privatdeteltiv-
382
wefens, betr. Vermehrung der Kleingärten auf Staatsareal
und betr. Schuß der Bäume auf Öffentlihem Boden. Er
nimmt die Verfaffungsänderung betr. Reduktion der Zahl
der Großratsmitglieder von 130 auf 100 an, die, weil aus
einer Snitiative hervorgegangen, noch unter die obligatorische
Volksabſtimmung fällt, und fett endlich die Beratung des
Gemeindegefetes fort. |
25. Dr. Eduard Hi 8 von Baſel hält feine Habilitations-
vorlefung als Privatdozent an der juriftifchen Fakultät über
die Öliederung des Redts.
26. Die venia legendi für englifhe Philologie wird
erteilt an Dr. phil. Karl Zoft von Baſel.
27. Zm Alter von 78 Zahren ftirbt der frühere Stadt:
milfionar oh. Bauder- Ritter.
28. Nach Eurzer fehwerer Krankheit ftirbt 56jährig der
ehemalige Staatsanwalt Dr. Arnold Müller.
29. Witterung. Im Gebruar 1916 betrug das
Mittel der Temperatur 3, 5, das mittl. Temp.- Minimum
0,9, das mittl. Temp.-Marimum 6,5° C, das Mittel des
Luftöruds 7349, die Summe der Niederfchlagmenge
67 mm, die Summe der Sonnenfcheindauer 67 Stunden.
Gemeſſen am langjährigen Durchfchnitt fiel diefer Februar
bedeutend zu warm und zu trübe aus, hatte eine viel zu
ſtarke Niederfchlagmenge und erwies fih als außerordentlich
wetterwendifch.
März 1916.
1. Die Fortfchrittlihe Bürgerpartei veranftaltet in der
Safranzunft eine gut bejuchte Berfammlung, in der Dr. Aus.
Brenner über die eidgendffifhen Tagesfragen
referiert und eine Vertrauensrefolution für Yundesrat und
Armee angenommen wird.
8. Der Regierungsrat wählt zum aufßerordentlichen
Profeſſor der Pharmazeutif an der Univerſität Dr. Heinr.
383
3örner, d. 3. Euftos am pflanzenphufiologifchen Inftitut
in München.
Sm Alter von 65 Zahren ftirbt Petr Mörikofer-
Widmer, hervorragend als Sänger und eine der Hauptſtützen
von Gefangverein und Liedertafel.
9. Der Große Rat bewilligt der Regierung den
Kredit für den Bau eines Polizeipoftens an der Bruderholz-
ftraße, nimmt den Großratsbefchluß betr. Beurteilung der
Zuwiderhandlungen gegen KRriessmaßnahmen des Bundes
unter Ausschluß des Referendums an und beendigt die erfte
Lefung der Revifion des Gemeindegefebes. Hierauf werden
die Vorlagen betr. Eröffnung der Mitgliederflaffen der
öffentlichen Krankenkaſſen und betr. Uenderung des Schul:
geſetzes und der Gefege betr. Srauenarbeitsfchule und betr.
Kleinfinderanftalten unter Verzicht auf eine zweite Lefung
genehmigt, endlich die Anzüge betr. Bau eines Lagerhaufes
beim Rheinhafen und betr. Zaren der Autodrofchlen für das
rehte Wiefenufer (Rlein-Hüningen) überwieſen.
10. Dr. Sohannes Strour hält feine Antrittsvor:
lefung als außerordentlicher Profefior der alten Philologie
über die Selbſtändigkeit der römifchen Literatur.
11. Das mit Beurteilung der Wettbewerbentwürfe
für ein neues Rollegiengebäude der Univer-
fität auf dem Werthofareal betraute Preis:
gericht hat folgende Preife zuerkannt: 1. Preis, 4000 Fr.,
Widmer, Erladher & Calini, Bafel; 2. Preis, 3500 $r.,
Biſchoff & Weidele, Zürih; 3. Preis, 2000 Fr., Gebr.
Pfifter, Zürich; 4. Preis, 1500 Fr. Gebr. Bräm, Züri;
5. Preis, 1000 $r., Bracher, Widmer & Darelhofer, Bern.
Dem Entwurf mit dem Motto „Zeughaus der Wiſſenſchaft“
wurde eine ehrende Erwähnung zuerkannt.
14. Die Faftna ch t befchränkt fich auf einen gewaltigen
unktoftümierten Zapfenftreih vom Alten Warted durch die
ganze Stadt nad) dem Varietetheater in der Steinenvorftadt,
wo ein Trommelfonzert vor ausverkauften Haufe zu einem
384
wohltätigen Zweck ſich anfhloß. Am Vormittag war nad
faft jechsmonatigem Dienft das Inf.-Regt. 22 (Bajelftadt)
in reduziertem Beſtand wieder eingerüdt und hatte zu der
PVeranftaltung noh einige Mitwirkende geſtellt. Zum
Sapfenftreih war bei der fchönen milden Witterung halb
Baſel auf den Beinen.
15. Der Regierungsrat wählt zum Hausvater her An:
ſtalt Slofterfiechten Sr. Leu MNyffeler, d. 3. Lehrer in
Huttwil.
20. Dr. Bruno Blod, a. 0. Profefior an der medi-
zinischen Fakultät, folgt einem Ruf als ordentlicher Profeflor
für Haut: und Geſchlechtskrankheiten nah Zürich.
23. Der Große Rat behandelt das Budget für 1916.
Es fieht in der von ihm angenommenen Geftalt vor
22,171,008 Fr. 50 Ausgaben und 18,336,240 Zr. 95 Ein-
nahmen, fomit ein Defizit von 3,834,767 Sr. 55 und ver:
langt au für 1917 Steuerzufchläge von 20%.
25. Die Resierung wählt zum Mitglied der Univer—
fitätsturatel an Stelle des zurücdtretenden Dr. Rud. Deri-
Sarafın Dr. 3. Karcher.
28. Die Generalverfammlung der Aktionäre des
Shweiz. Bankvereins ift ftärker befucht und nimmt
einen bewegtern Verlauf als gewöhnlich, weil dabei die
über 2 Millionen betragenden Veruntreuungen des gewejenen
Haupfkaffiers Bloch (f. zum 22. Zuli 1915) zur Sprache
fommen. Die Verfammlung endigt damit, daß dem Ver—
waltungsrat Decharge erteilt wird.
Dem Dr. phil. M. Nußberger von Winterthur
wird die venia docendi an der —— für deutſche
Literatur erteilt.
29. Der ſoeben erſcheinende Jahresbericht der Ver:
waltungsfommiffion des Allg. Ronfumvereins ver
zeichnet für 1915 einen Umſatz von 26,082,079 Fr., d. h.
417,328 Fr. oder 1,57% weniger als 1914. Es wird eine
Rüdvergütung von 8% an die Mitglieder beantragt.
385 *
Sm Alter von 65 Jahren erliegt den Folgen einer
Dperation E. Chriften, Comeftibleshändler, dem es ge-
Iungen ift, Bafel für ganz Binneneuropa zum Zentralplatz
des Geefifchhandels zu machen.
Witterung Im Monat März 1916 betrug das
Mittel der Temperatur 6,1, das mittl. Temp. Minimum 2,7,
das mittl. Temp. -Marimum 10,2% C, das Mittel des Luft:
druds 7293, die Summe der Niederfchlagmenge 38 mm,
die Summe der Sonnenſcheindauer 102 Stunden. Der
Monat fiel veraglihen mit dem langjährigen Durchfchnitt
viel zu trüb aus, dagegen blieb die Niederichlagmenge um
ein Viertel niedriger als normal.
April 1916.
1. Die neue Straßenbahnlinie Feldbergftraße-Zeug:
Haus (Hardtfitraße- Linie) wird dem Verkehr über-
geben. Gie ftand feit Anfang des Jahres betriebfertig.
Die Eröffnung mußte aber unterbleiben, weil der Kupfer:
draht für die Oberleitung nicht über die Grenze fam. An
der Fortfegung der Linie bis zur Kantonsgrenze am Birs—
fteg bei St. Jakob wird eifrig gearbeitet. Die Weiterführung
nah Muttenz ift, wie man hofft, nur eine Stage Furzer
Zeit.
4. Der Genoffenfhaftsratdes A. C. 2. ge:
nehmigt die Sahresrechnung für 1915, fest eine Kommiſſion
nieder zur Vorbereitung einer Statutenrevifion, die die Ver-
ſchiebung der ordentlihen Neuwahlen (wegen des Krieges)
ermöglichen fol und erledigt einige Heinere Gefchäfte.
5. Im nahen Riehen ftirbt 82 Jahre alt Pfr. Chriftoph
Lo tz-Socin, früher langjähriger Geelforger von Läufel-
fingen.
7. Sm Alter von 68 Zahren ftirbt Dr. Hermann G ott-
ſched, Lehrer an der Evangelifchen Predigerfchule.
9. Sn der Aula des Mufeums finden die Tauf-
männifhen Lehrlingsprüfungen flatt.
386
11. Der Weitere Bürgerrat genehmigt die
Budgets der bürgerlihen Verwaltungen für 1916 und be-
willigt die Kredite für den Ankauf der fog. Andlauijchen
Klinik von Prof. R. Hägler durch den Vürgerfpital und für
den Aufbau eines Stodwerfes zu Wohnräumen für das
Derfonal auf dem Referveflügel des Spitals. Zum Schluß
werden 126 Begehren um Aufnahme ins Bürgerrecht er-
ledigt.
12. Die venia docendi an der medizinischen Fakultät
wird verlieben an Dr. 9. Hößli aus Splügen.
13. Großer Rat. Don den SInterpellationen, mit
denen die Situng eingeleitet wurde, befaßten fich zwei mit
dem Fall Lallemand. Sie bieten Anlaß, -diefen kurz
zu erwähnen. Ein deutfcher Refraktär, der junge Elfäfler
Lallemand, hatte in den erften Tagen des Jahres auf Schleich-
wegen Basler Boden zu gewinnen gewußt und war duch
das Polizeidepartement als Läftiger Ausländer an Die
Grenze geftellt worden. Hier fieht er nun feiner Aburteilung
entgegen. Während der Polizei: die Berechtigung zu der
Maßregel nicht kann abgeftritten werden, erhob fich vielenorts
laute Klage wegen Mißachtung der moraliſchen Aſylpflicht
der Schweiz.
Bei der Neubeftellung des Bureaus wurde zum Präfi-
denten des Großen Rates gewählt Dr. V. E. Scherer, zum
Statthalter Dr. P. Speiſer, zum Regierungspräfidenten
Dr. R. Miefcher, zum Pizepräfidenten U. Stödlin. Das
Doftulat der Rechnungsfommiffion betr. den Neubau eines
Berwaltungsgebäudes auf dem Areal des Großen Collmar
wurde der Regierung überwiejen.
16. Im Alter von 74 Zahren ftirbt in Baſel im Rube-
fand Pfr. Sulius Thellung, früher am Münfter in
Bern. — Im großen Hörfaal des Bernoullianums findet
die Schlußfeier der gewerbliden Lehrlings—
prüfungen fatt.
26. Der Genoflenichaftsrat des Allg Ronfum-
387 Bu
vereins befchließt mit Rüdficht auf den Krieg eine Sta—
tutenänderung, laut welcher die 1916 zu treffenden Wahlen
auf 1919 verfhoben werden. Die weitern VBerhandlungs-
gegenftände betreffen interne Gefchäfte.
27. Der Große Rat bewilligt auf Rechnung des
Eleftrizitätswerts einen Kredit von 70,000 Zr. für Ankauf
der Liegenfhaft Rebgafle 7 und verwendet den ganzen
übrigen Teil der Sitzung auf Beſprechung der Poftulate zum
Budget 1916, ohne jedoch damit zu Ende zu kommen.
Die Generalverfammlung der Allgem. Kranken—
pflege genehmigt Zahresbericht und Zahresrehnung für
1915. — In einer Perfammlung im Cafe Spitz ſprach
Ing. Rud. Gelpke über die Bedeutungder Klein
basler Hafen: und Rraftanlage, indem er für
baldige Einrichtung eines Handelshafens bei Kleinhüningen
unter Berüdfihtigung der Bedürfniffe des Fünftigen Kraft-
werkes an der Landesarenze eintrat.
28. An der Generalverfammlung der Mitglieder des
Allg. Ronfumpvereins wird nah Antrag der Lei-
tung eine Rüdvergütung von 8% auf den Ronfum von 1915
beſchloſſen.
30. An einer raſch verlaufenden Krankheit ſtirbt im
Alter von 60 Jahren Prof. Otto von Herff, feit Anfang
diefes Jahrhunderts Vertreter der Gynäkologie an der Uni—
verfität und Direktor des Srauenjpitals.
Die Hauptwerte der Witterung im Monat April
1916 waren: Mittel der Zeemperatur 9,6, mittl. Temp.
Minimum 5,3, mittl. Zemp.-Marimum 14,3 C, Mittel
des Luftoruds 735,0, Summe der Niederfchlagmenge 59 mm,
Summe der Sonnenfcheindauer 175 Stunden. Die Zahlen
hielten fich ziemlih nahe an die Durchfchnittswerte; nicht
daß der Monat oleihmäßig verlaufen wäre, jondern zwei
Schönwetterperioden am Anfang und am Ende des Monats
hielten der allzu Falten und unfreundlichen Zeit vom 11.—24.
die Wage.
388
Mai 1916.
1. Die Feier des 1. Mai zerfiel in einen Alt am
Bormittag im Greifenbräu Horburg und einen Feſtzug mit
nachfolgendem Feſt in den Langen Erlen bei mäßiger Be—
teiligung. Seftredner war Red. Nobs vom Zürcher „Volks⸗
recht". |
2. Prof. Dr. Rudolf Unger hält feine Antrittspor-
lefung über „Nathan und Fauft”.
4. Zum Präfidenten der Allg. Lefegefellfichaft wird ge-
wählt an Stelle des zurüdtretenden Prof. E. Hoffmann-
Krayer Prof. Rud. Shommen. |
6. Die Feuerſchützengeſellſchaft begeht zur
Geier ihres A450jährigen Beftehens in Anweſenheit von
bürgerlichen und militärifchen Behörden und befreundeten
Gefelichaften die Einweihung des mit ftaatlicher Subvention
umgebauten und erweiterten Schüßenhaufes.
6. 7. Der Verein [hweizerifher Eifen-
babn-Angeftellter hält zur Abwicklung der regel:
mäßigen Vereinsgefchäfte feine Delegierten-Verfammlung in
Baſel ab.
8. In einer Verfammlung zu Safran hielt Ing. R.
Gelpfe einen Vortrag über neue wirtfhaftlide
DOrganifationsformen Nah ftarf benüster Dis-
fuffion wurde eine Kommiffion beftellt, die über Belebung
des wirtichaftlihen Lebens von Baſel beraten joll.
10. Die Synode der evangeliſch-refor—
mierten Kirche genehmigt und verdankt Zahresbericht
und Rechnung des Kirchenrats für 1915, nimmt einen Be—
richt über die finanzielle Lage der Kirche entgegen, nimmt
ein Reglement über Verwaltung der Gemeindefisci an und
befchließt über Verwendung des Rirchenopfers in der Zeit
vom 1. April 1916 bis zum 31. März 1919.
Das Hebelmähliin Haufen wird wie 1915 in
Abweſenheit der Hebelfreunde von Baſel gefeiert. Doc
389
ift dafür geforgt, daß die Schüler und die Alten ihre ge:
wohnte Hebelfreude nicht entbehren müſſen.
11. Nach der Erledigung einer Interpellation behandelt
der Große Rat die Poftulate zum Gejchäftsbericht und
den Rüdftändebericht des Regierungsrats und bewilligt die
nötigen Kredite für Legung eines zweiten GStraßenbahn-
geleifes und Neupfläfterung in der Spalen: und für Neu:
pfläfterung in der WUefchenvorftadt.
13. Im Alter von 90 Zahren ftirbt Ri. Stödlin:
Weißenberger, früher Mitglied des Großen Rats und der
Synode, bis wenige Fahre vor feinem Tod noch an leitender
Stelle in der Armenfürforge tätig, feinerzeit ein eifriger
Sörderer: des Turnweſens.
17. Die Regierung entbindet auf fein Anfuchen bin
Prof. Friedr. Heman von feinem Lehrauftrag für Pä-
Dagogif und von der Leitung der 1. Abteilung des päda—
gogiſchen Seminars an der Univerfität.
19. Zur Erinnerung an die Haager Friedenstonferenzen
wird in der Martinskirche eine fehr ſtark befuhte Ver:
fammlung abgehalten. Nach einem Vortrag von Nat.
Rot. 3. Scherrer-Füllemann aus St. Gallen nimmt fie
eine Refolution an, die den Bundesrat zum Einjchreiten
bei den kriegführenden Mächten für den Frieden auffordert.
Am 20. folgt darauf ein von den Sozialdemokraten organi-
fierte Droteft- und Demonflrationsumzug
mit Berfammlung und Anſprachen für den Frieden und gegen
den Krieg. |
20. 21. Ber fhweizerifhe Betriebs:
arbeiterverband und die AUrbeiter-Union
Thweizerifher TIransportanftalten halten
ihre Delegiertenverfammlungen in Baſel ab.
21. Sm Alter von 35 Zahren ftirbt Dr. D. Groß, in
Bafel geboren und aufgewachlen, erfolgreicher Schaufpieler
am König Albert-Theater in Dresden.
390
24. Die Staatsrehnung für 1915 weift auf an
Ausgaben 22 251,564 Fr., an Einnahmen 20,241,299 Fr.,
fomit ein Defizit von 2,010,264 Zr. gegen 3,233,993 Fr.,
wie budaetiert.
25. Der Große Rat nimmt einen Bericht der Re—
sierung Über den für 1917 und 1918 geplanten Bau einer
neuen chirurgifchen Klinik entgegen, erledigt eine Reihe von
Petitionen, überweift einen Anzug über Einführung einer
MWaren-Muftermeffe und berät in erfter Lefung die Abände—
rung des Gefeßes betr. das Haufierwefen.
28. Im Margarethenparf wird ein ftarf befuchter
Shwingertag abgehalten. — Im Gewerbemufeum
wird eine Basler Gewerbefhau eröffnet, die mit
mwechfelnden Ausftellungen bis Weihnachten dauern fol.
30. Der frühere Miffionar und Buchdruckereibeſitzer
Ludw. Phil. Reinhbardt-Goeß, der feinerzeit auch Durch
ſchriftſtelleriſche Tätigkeit von fih reden machte, ſtirbt plößlich
im 80. Altersjahr.
31. Witterung Im Monat Mai 1916 betrug das
Mittel der Temperatur 14,5, das mittl. Temp.-Minimum
10,1, das mittl. TZemp.-Marimum 19,70 C, das Mittel des
Luftdruds 736,8, die Summe der Niederfchlagmenge 67 mm,
die Summe der Sonnenfcheindauer 201 Stunden. Der
Monat brachte meift fchöne,_ warme, durch wenige Regen-
perioden und Gewitter unterbrochene Witterung ohne Fröfte.
Juni 1916.
2. Der 1912 verftorbene Bartlin Tanner batte ver-
fhiedene lestwillige Verfügungen binterlaflen, die namhafte
Summen zugunften wohltätiger und gemeinnüßiger Inter:
nehmungen beftimmten, einander aber in wichtigen Punkten
widerſprachen. Es entflanden daraus weitläufige und lang:
wierige Rectftreitigfeiten, die jetzt durch einen Vergleich
erledigt wurden: Serienverforgung u. Konſ. erhalten 70%
391
ihrer Legatenfumme, Zoologifcher Garten und Katholifches
Spital geben mit einer Abfindung aus.
3. Prof. de Quervain lehnte, wie die Verband-
lungen des DRegierungsrats mitteilen, einen an ihn er:
sangenen Ruf an die Univerfität Genf ab.
Sm Alter von 59 Zahren ftirbt nah längerm Leiden
Chriſt. Müller-Fiſcher, feit 1881 Volksſchullehrer in
Bafel, daneben in Firchlichen, gemeinnüßigen und fozialen
Werken vielfah mit Hingebung tätig.
3./4. Zn der Volks abſtimmung wird die Ver:
faflungsänderung betr. Reduktion der Mitgliederzahl des
Großen Rates von 130 auf 100 bei fchwacher Beteiligung
(7740 von 25,221 Stimmberechtigten) mit 3833 gegen 3831
Stimmen verworfen (die erftien Nachrichten hatten auf An—
nahme mit einer Mehrheit von 25 Stimmen gelautet), und
die Abftimmung betr. Uenderung der Wahlfreiseinteilung
(Ermöglihung eines einzigen Wahlkreiſes) mit 5714 gegen
1835 Stimmen angenommen.
4. Durch den günftigen Ausgang des Entfcheidungs-
matches gegen F. E. Bern (4:3) gewinnen DId Boys
Bafel die zentralfhweizerifhbe Meiſter—
ſchaft.
8. Der Große Rat bewilligt einen Nachtragkredit
für bauliche Aenderungen im Margaretenaut und beichließt
Eintreten auf die dritte Leſung des Geſetzes betr. unlautern
Wettbewerb; das Geſetz wird hierauf angenommen, ebenſo
in zweiter Leſung das Geſetz betr. das Bureauperſonal der
öffentlichen Verwaltungen.
9. Die Gemeinnügige Gefellfhaft be:
ihließt eine WUenderung von Verfaſſung und Gefchäftsord-
nung mit zeitgemäßen Neuerungen; u. a. erhält die Gefell-
Ihaft das feite Gewand einer juriftifchen Perſon.
10. Die philofophifcehe Fakultät der Univerſität erteilt
dem Dr. phil. Theodor Gerold aus Straßburg i. E. die
venia docendi für Muſikwiſſenſchaft.
392
Sn der St. Leonhardskirche wird eine Gedächtnisfeier
abgehalten für das vor 25 Zahren erfolgte Eifenbahn:
unglüd bei Münchenſtein. Es halten Anfprachen
Pf. E. Miefher und Pfr. W. Yurdhardt, früher in
Münchenftein. Das Opfer fällt zugunften der Anftalt
Hofmatt.
15. Der Große Rat beichließt nach Erledigung einer
Snterpellation ein Begnadigungsgefuh, genehmigt den Be:
richt der Rantonalbanf für 1915, ebenfo die revidierte Leber-
eintunft zwifchen dem Grziehungsdepartement und dem
Pflegamt betr. die Kliniken und die Pathologifche Anftalt
im Bürgerfpital, weift den regierungsrätlicden Entwurf
betr. Uenderung der Beſtimmungen über die gewerblichen
Schiedsgerihhte an eine Rommiffion, überweift Anzüge betr.
Ausdehnung der ftaatlihen Unterſtützung von Unbemittelten
und betr. eine Schulzahnklinif und beginnt die Beratung des
Rinematographengefeßes. |
16. Dr. Felix Speifer hält feine Habilitations-
vorlefung über das Thema: Ethnologifhe Betrachtungen
über den Krieg.
Die Univerfität zählte im laufenden Sommerfemefter
991 immatrifulierte Studenten, 65 Theologen, 83 Juriſten,
334 Mediziner, 257 Angehörige der philofophifchen Fa-
kultät I und 244 der philofophifchen Fakultät II; 54 Sm:
matrifulierte gehören dem weiblichen Gefchleht an. Dazu
fommen 123 nicht immatrifulierte Zuhörer, worunter 67
Damen. 743 (48) Studierende ftammen aus der Schweiz,
248 (6) aus dem Ausland. DBafelftädter find 412 (38), und
zwar Theologen 14, Zuriften 58, Mediziner 64 (8), Philo-
fopben I 144 (24) und II 132 (6); 246 Studierende find,
meift wegen Militärdienftes, vom Beſuch der Vorlefungen
beurlaubt.
Der frühere Hauptlaffier des Schweiz. Bankvereins in
Bafel, Zulius Bloch, wird vom Gtrafgericht nach mehr:
tägigen Verhandlungen wegen Unterfchlagung, Privat-
393
urfundenfälfehung und Teichtfinnigen Bankerotts zu 41%
Jahren Zuchthaus verurteilt.
Der Genoffenfhaftsrat. des Allgem.
Ronjumvereins validiert die Abftimmung über eine
Statutenrevifion, die die Neuwahlen für den Genofjen-
ſchaftsrat vorläufig verfchiebt, beftellt fein Bureau und den
Auffichtsrat neu, bewilligt einen Kredit für Einrichtung
einer Mofterei und erhöht mit Mehrheit fämtlichen aushilfs-
weife oder proviforifch angeftellten Arbeitern ihren Taglohn
auf 6 Fr.
17. Die Regierung befördert den außerordentl. Pro-
feſſor Dr. €. Hede zum ordentl. Profeffor der Mathematik.
20. Der Weitere Bürgerrat verlängert das Ab—
fommen mit der evangelifch-reformierten Kirche betr. Ver⸗
wendung des Kirchenopfers auf weitere drei Jahre, ge-
nehmigt eine neue Verteilung des Anteils der Bürger—
gemeinde an der Chr. Merian’fchen Stiftung, fowie den
Verkauf der ehemaligen Hardthügelgriengrube bei Birs—
felden und erledigt eine Reihe von Begehren um Aufnahme
ins Bürgerrecht.
23. Die theologische Fakultät der Univerſität ernennt
Miffionsinfpektor Lic. Joh. Frohnmeyer zur Erinne-
rung an die vor 100 Zahren erfolgte Eröffnung der Basler
Miffionsfchule zum Doctor theologiae hon. c.
24. Zn der Aula des Mufeums findet die General:
verfammlung des Schweiz. Bundes für Natur-
ſchutz ftatt.
26.—28. Die Wohepderreligidfen Jahres—
feſte (Miffionsfeft) geht wie voriges Jahr mit Rüdficht
auf die kriegeriſchen Ereigniſſe in beſchränktem Maßftabe
vor fi.
26. Der zweite Staatsanwalt, Dr. Stanz Freuler,
firbt 34 Jahre alt.
29. Großer Rat. Der Beriht des Regierungsrats
über die Ermittlung des angefochtenen Ergebnifles der Ab—
394
fimmung vom 3./4. Zuni wird nach einer faft den ganzen
Bormittag in Anspruch nehmenden Debatte genehmigt; am
Nachmittag wird nach Beantwortung einer am Vormittag
geftellten Snterpellation betr. ven Bau des Mufeums das
Kinematographengeſetz zu Ende geführt und ein dazu ge-
börendes Poftulat angenommen.
30. Zum neuen Vorfteher der Gemeinnüßigen Gefell-
fchaft wird erwählt Major Hans Lihtenhbahn- Im
Oberfteg.
Sm benachbarten Arlesheim ftirbt nach längerem Leiden
im Alter von 68 Jahren Oberft Rud. Alioth-v. Speyr,
einer der Begründer der eleftrifchen Induftrie der Schweiz,
Oberft des Genie, in vielen gemeinnügigen und Fünftlerifchen
Unternehmungen tätig.
Witterung Im Monat Juni 1916 betrug das
Mittel der Temperatur 14,2, das mittl. Temp. Minimum
10,7, das mittl. Temp.-Marimum 18,8° C, das Mittel des
Luftöruds 736,8, die Summe der Niederfchlagmenge 136 mm,
die Summe der Sonnenfheindauer 145 Stunden. Der
Monat ift charakterifiert durch fortwährenden Regen, und
zwar weniger einzelne ftarfe Güffe, als immer wiederfehrendes
Regenwetter. Darum, verglichen mit dem Durchſchnitt, zu
niedrige Temperatur, zu große Niederfchlagmenge, Vor:
herrſchen trüber Witterung und ein troftlofer Stand der
Begetation, die unter dem Mangel an Sonnenlicht und
Wärme gleich fchwer leidet wie unter dem Slebermaß an
Rap.
Sult 1916,
1. Die Regierung wählt an Stelle des zurüdtretenden
Direktors de Praetere zum Direktor der Allgem. Gewerbe-
fchule und des Gewerbemufeums Dr. Hermann Rienzle.
5. Lie. theol. Ernft Stäbelin erhält die venia
legendi an der theologifhen Fakultät für Kirchen: und
Dogmengeſchichte.
395
6. Der Große Rat bewilligt einen Kredit von
500 000 Sr. für Anlage von Refervoirs der Waflerverforgung
in Rieben, befchließt Maßnahmen zur Teeichverlegung und
Ergänzung des Kanalifationsaefebes, gewährt Xlnter-
flügungen für das Stadttheater und für die Allgem. Mufit-
gefellichaft, befchließt den Umbau des Stachelſchützenhauſes
für die bygienifche Anftalt (Bakteriologie) und nimmt nad
Erledigung der zweiten Lefung das neue Gemeindegejeh
mit großem Mehr an.
7. Prof. Dr. Erich Hede hält feine Antrittsporlefung
über Beziehungen zwiſchen Mathematit und Phyſik.
11. Dr. Mar RNußbaumer hält feine Habilitations-
vorlefung Über die Staatsidee bei Schillet.
16. Zei einer Regatta auf dem Zugerfee erringt der
Basler Ruderflub die fohweizeriihe Meifterfchaft
für Voles-de-mer mit Steuermann.
30. Im benachbarten Niehen ftirbt 84jährig Jak.
Mory-Stump, früher Präfivent der Gemeinde Riehen,
Mitglied des Großen Rats und verfchiedener ftaatlicher und
Gemeindefommilfionen.
Auf dem Landhof wideln fih unter außerordentlicher
Gunft der Witterung, veranftaltet vom Fußballklub Baſel
und vom Leichtathletil-Sportklub fehr gelungene ſchwei—
zerifhe olympifhe Spiele ab.
3. Witterung. Im Monat Zuli 1916 betrug das
Mittel der Temperatur 175, das mittl. Temp. Minimum
13,4, das mittl. Temp.-Marimum 22,3% C, das Mittel des
Luftdruds 7382, die Summe der DNiederfchlagmenge
137 mm, die Summe der Sonnenfcheindauer 206 Stunden.
Der Monat fiel wie fein Vorgänger, gemeflen am lang-
jährigen Durchſchnitt, viel zu naß und zu kalt aus und über—
ließ dem Auguft ein großes Manko an Sonnenfhein und
Wärme zu deden.
396
Auguft 1916.
1. Die Bundesfeier madt ih in buntem Flaggen-
fhmud der innern Stadt und in dem üblichen abendlichen
Seftgeläute geltend. Nach Feierabend verfammeln fich die
Vereine und vaterländifchen Organifationen zu gemein:
famer Begehung des Tages mit Reden, Mufil, Gefang und
turnerifchen Vorführungen.
Eine Autobus-QBerbindung zum regelmäßigen
Dienft zwifchen den im Bundesbahnhof und in Leopoldshöhe
ankommenden und abgebenden Schnellzügen macht ihre
erften Fahrten vom Sentralbahnplag zum Otterbach.
2. Das Finanzdepartement teilt der Regierung mit, daß
der Ertrag der eidgendffifhen Kriegsfteuer für
DBafelftadt ih auf rund 16 Millionen belaufen wird,
wovon 20% — 3,200,000 Sr. dem Kanton zufallen. — Die
Regierung befchließt, im Monat April 1917 in Baſel eine
ſchweizeriſche Muftermeffe abzuhalten.
4. Zm Alter von 55 Jahren flirbt nach) ſchwerem Leiden
Dr. 8. Hägler-Paflavant, a. o. Profeflor an der Uni-
verfität und Leiter einer ſtark befuchten Privatklinik, ein
weithin befannter Chirurg und Bakteriolog und gefchidter
Operateur. — M. Nehrakher-Gilbert, Hausvater der
Anftalt zur Hoffnung für ſchwachſinnige Kinder vor deren
Perftaatlihung, ftirbt im Alter von 72 Jahren.
7. Durch Abfturz in den Bergen von Melchjee-Frutt
findet den Tod Senſal Gottl. Probft-Schilling, ein all-
gemein bekannter und beliebter Mann, KRaflier des Hilfs-
vereins für Bruſtkranke.
13. Auf der Breite findet ein Turntag des bafel-
ftädtifchen Zurnverbandes, im benachbarten Binningen ein
nordweftffhweizerifhesNRing und Shwing-
fett ftatt; auf der Strecke Birsfelden-Stein und zurüd
mefjen fih die Vereine des Basler Radfahrerbundes im
Gruppenwettfahren. Das Zufammentreffen diefer
397
Anläffe auf einen Sonntag liegt darin begründet, daß die
auf den 21. Auguft bevorftehende Mobilifation der 11. Aus-
zug-Infanterie-Brigade eine große Zahl der Teilnehmer für
längere Zeit unter den Waffen halten wird.
14. Im Alter von 61 Zahren flirbt Ronr. Born:
hauſer, fehr gefchäßter Lehrer der Rnaben-Primarfchule.
19. Der Trambetrieb auf der Linie Zeughaus:
St. Jakob wird aufgenommen (f. zum 1. April).
20. Die Rreispoftdireftion Baſel teilt mit, daß bis auf
weiteres der Beftelldienft an Sonntagen auf:
gegeben werden muß. — Zum Pfarrer an der Matthäus:
gemeinde für den aus Gefundbeitsrüdfichten zurüdtretenden
D. Marbah wird ohne Gegenkandidaten einftimmig ge-
wählt Pfr. Fridolin Heer, zurzeit an der reformierten Ge—
meinde in Luzern.
Auf der Breite widelt fih programmgemäß der zweite
Teil und Schluß des Turntages des bafelftädtifchen
Turnverbandes ab.
23. Die Regierung wählt zum 2. Gefretär des Vor—
mundfchaftswefens Louis Bent von Bafel.
26. Das St. Zafobsfeft fpielt fi bei günſtiger
Witterung und unter zahlreicher Beteiligung ab. Feftredner
war der derzeitige Präfivdent des Großen Rates, Dr. ®. €.
Scherer. Für das Militär und für die Radetten waren be-
fondere Heine Feiern veranftaltet worden.
30. Die Regierung wählt zum ordentl. Profeflor für
Gynäkologie und Geburtshilfe und zum Direktor des Frauen-
jpital$ Dr. Alfred Labhard. — In Ronftanz ftirbt S1-
jährig Oberftlt. W. Miville aus Baſel, früher fchweize-
riſcher KRavallerie-Inftruftor.
31. Witterung Im Monat Auguft 1916 betrug
das Mittel der Temperatur 17,7, das mittl. TZemp.- Minimum
13,5, das mittl. Temp.-Marimum 23,09 C, das Mittel des
Luftdrucks 737,6, die Summe der'Niederfchlagmenge 107 mm,
die Summe der Sonnenjcheindauer 244 Stunden. Wenn
398
— ——— — —
auh der Monat noch bedeutend wärmer und beller hätte
ausfallen dürfen, ohne daß die Natur darunter gelitten haben
würde, fo ift Doch anzuerkennen, daß er feit mehr als 11%
Jahren der erſte Monat ift, deſſen Bewölfung erheblich unter
dem 52jährigen Mittel Liegt (48% der Himmelfläche anftatt
52%). |
September 1916.
1. Die Regenz der Univerfität ernennt zum Lektor für
Kriegsaefhichte an der philofophifchen Fakultät den Oberft
i. ©. Rarl Egli.
2. Die an der Binnenſchiffahrt in der
Schweiz intereffierten Behörden und Verbände bejprechen
unter dem Vorſitz von Ständerat Dr. Wettftein (Zürich)
die Gründung eines neuen Vertrags betr. die Rheinichiffahrt
mit Mannheimer und holländifchen Firmen. Die Verfamm-
fung beſchloß, die neuen Vorfchläge zur Prüfung der Zen:
tralfommiffion der fchweizerifhen Schiffahrtsverbände zu
unterbreiten.
Sm Hotel Univers findet eine von der Gefellichaft
Pro Gallia organiferte Mufterfhau franzöſiſcher
Modeartitel und Neuheiten für die Gefchäfts:
welt ftatt.
3. Die ſozialdemokratiſche Partei hatte den
heutigen Tag mit den Parteigenofjen der übrigen Schweizer
Städte zu Demonftrationen der fozialdemokratifchen Jugend
gegen das Militär benützen wollen. Der Bundesrat verbot
aber alle Umzüge und Verfammlungen im Freien. Um jede
Zuwiderhandlung im Keim zu erftiden, hatte das Armee:
fommando eine Yrigade bei Baſel zufammengezogen. So
erlebte die Stadt flatt des „roten” Sonntags einen militä-
riihen Sonntag. Die Angehörigen der Brigade wurden für
dieſen Sonntag mit einem freien Tag am 5. September ent-
fhädigt und belebten zahlreich in ungezwungenen Verbänden
an diefem Tag die Gaſſen Baſels.
399
5. Im Alter von 82 Zahren ftirbt 9. 6. Schwarz
Gutzwiller, ehemals Präfident des bafellandfchaftlichen Ap—
pellationsgerichts, Direktor der bafellandfchaftlihen Hypo-
thefenbanf und Leiter der Filiale diejes Inftituts in Baſel.
12. Der Weitere BDürgerrat erledigt eine An-
zahl Begehren um Aufnahme ins Bürgerrecht.
13. Eine von der fozialdemofratifchen Partei und vom
Arbeiterbund veranftaltete Berfammlung zum Pro
teft gegen die Lebensmittelteuerung auf dem
Marktplag nahm einen ruhigen Verlauf und ſchloß mit der
Annahme einiger an die Regierung zu richtender Forderungen
zur Erleichterung der Notlage.
15. Im Ulter von 81 Jahren ftirbt Hptm. 3. Stauf
fer, früher fantonaler Snftruftor und Rafernenverwalter, viel-
verdient um KRadettenwefen und militärifchen Vorunterricht.
16. Die Regierung befördert zum Major der Feuer:
wehr den bisherigen Hauptmann R. Flügel und ernennt
ihn zum Kommandanten der Feuerwehr.
20. Die Regierung wird wegen des Verbots betr. den
Verkehr mit poftregalpflihtigen Sendun—
gen über Die Grenze beim eidgen. Poft- und Eifen-
bahndepartement vorftellig.
21. Jahresfeſt der Diakoniffenanftalt in
Riehen.
23./24. Die Sektion Baſel des Schweiz. Rennvereing
veranftaltet einen Concours hippique mit Gelände:
ritt und Springfonfurrenz famt Rennen auf
den St. Zafobsmatten, der bei außergewöhnlicher Gunft der,
Witterung und ehr ftarker Teilnahme der Reiterfchaft und
des Publikums einen ungetrübten Verlauf nimmt. Dei der
ganzen Peranfaltung war das militärifche Element ſtark
vertreten. |
Sn Rieben hält der dortige Tandwirtfchaftliche Verein
eine ſtark beihidte interfantonale landmwirt-
ſchaftliche Ausftellung ab.
400
24. In feinem 70. Altersjahr ftirbt 3. Thalmann,
gebürtig aus dem Kanton Thurgau, feit Jahrzehnten in Baſel
als Primarlehrer erzieheriſch tätig.
27. Die Allg. Mufifgejellichaft wählt zu ihrem Präſi—
denten Dr. Paul Speiſer-Thurneyſen.
28. Nah Erledigung einiger Fleinerer während feiner
Serien aufgelaufener Gefchäfte wählt ver Große Rat zum
zweiten Staatsanwalt Dr. Walter Meyer, bisher Unter:
fuhungsrichter, zum Unterfuchungsrichter Dr. Paul Röhrl.
Hierauf wird die Kriegsteuerungszulage für einen Teil des
Perſonals der öffentlichen Verwaltung an Hand genommen
und die vom Rate an den Anſätzen vorgenommenen Er-
böhungen an den Regierungsrat gewiefen mit dem Auftrag,
bis zur nächſten Sigung über deren finanzielle Tragweite
zu berichten. |
30. Witterung. Im September 1916 betrug der
Durchſchnitt der Temperatur 12,9, das mittl. TZemp.-Minimum
94, das mittl. Temp.-Marimum 17,20 C, das Mittel des
Luftdruds 737,5, die Summe der Niederfchlagmenge 76 mm,
die Summe der Sonnenfcheindauer 131 Stunden. Die Wit-
terung des Monats war fchlecht, da namentlich die Sonnen:
fcheindauer viel zu gering war Gojähriges Mittel 179
Stunden) und infolgedeflen ein erhebliches Manko an Wärme
fi einftellte.
Oktober 1916.
1. Sn Arlesheim flirbt nach langer Krankheit im Alter
von 71 Zahren Oberft Wilh. Alioth-Viſcher, Direktor der
Snöduftriegefelihaft für Schappe, früher Präfident Der
Handelsfammer, langjähriges Mitglied des Großen Rates,
Doktor der Philofophie hon. c. u. f. f.; und in Preles im
. dortigen Basler Ferienheim nach) fchwerem Leiden Lehrer
3. Müller-Landolf, Präfident der Peftalozzigefellichaft
und Mitglied der Verforgungstommiffion, 64 Jahre alt.
401 26
4. Antiftes D. U. v. Salis vollendet das 25. Zahr
feiner Tätigkeit als Hauptpfarrer am Münfter und Präſi—
dent des Kirchenrats der evangelifch-reformierten Kirche (ehe:
mals Antiftes). Obfehon er fi eine öffentliche Feier ver:
beten bat, ftellen fih Doch feine Gemeinde, das Kapitel, die
gefamte Basler Kirche und die Regierung des Kantons mit
ihren Glüdwünfchen ein.
12. Sm Großen Rat wird nah Erledigung zweier
Snterpellationen die Vorlage betr. Rriegsteuerungszulage an
einen Teil des Perfonals der öffentlichen Verwaltungen, die
dem Staat gegen das Budget eine Mehrausaabe von 305 000
Franken bringt, angenommen, ein Kredit für Anſchaffung
eines GElektromobils für die Bad: und Wafchanftalt (18 250
Franken) bewilligt, die Staatsrechnung 1915 genehmigt und
die Perfonal-VBermehrung bei der Finanzkontrolle befchloflen.
Endlich werden ein Anzug betr. Einführung der amerifa-
nifchen Arbeitszeit überwiesen, ein anderer betr. Revifion des
Rantonalbanfgefeges abgelehnt.
| 15. Der neu gewählte Geiftlihe zu St. Matthäus, Pfr.
Sridol. Heer, wird im Morgengottesdienft in fein Amt
eingeführt.
16. Sn hohem Alter flirbt Prof. Ed. Hagenbach—
Burckhardt, 1872—1912 Profeflor der KRinderheiltunde an
der Univerfität, Oberleiter des Rinderfpitals, in feinem Spe-
zialfach auch Über die Grenzen der Schweiz hinaus als Auto-
rität hoch angefehn, in fanitarifhen und in Schulbehörden,
fowie auch feinerzeit im Großen Rat für das Wohl feiner
Vaterſtadt vielfach tätig.
18. Sn der Lufasfapelle findet eine befcheidene
Seier zur Erinnerung an die vor 25 Zahren erfolgte Ein-
weihung des Gotteshaufes ftatt.
24.ffg. In diefen Tagen findet ein Verkauf von Ar—
beiten Eranker und refonvaleszenter Schweizer Wehr:
männer Statt, die in Leyfin und in Solothurn verpflegt
werden, und, damit zeitlich zum Teil zufammenfallend, ein
402
großer Bazar zugunften des Jugendwerks der
Guttempler im Mufilfaal des Stadtkafinos.
25. Der Regierungsrat genehmigt das Rücktrittgeſuch
des langjährigen Gefretärs des Polizeidepartements ©.
Haller. | |
27. Die Meſſe wird eröffnet und bietet auf Bar—
füßer-, Roblen- und Petersplaß, fowie auf dem Areal des
alten Badifhen Bahnhofs die gewöhnlichen Schaubuden
und KRaufgelegenheiten.
29. Die fantonalen und ftädtifhen Che
mifer der Schweiz halten ihre Verfammlung in Baſel
mit vielen wiflenfchaftlichen Vorträgen und mit Belfichtigung
des neuen ftädtifchen Laboratoriums. — Pfr. 8. Herzog
zu St. Deter begeht die Feier feiner 25jährigen Amtstätigkeit.
Sn einer Wohnung an der Voltaftraße ereignet fich in-
folge unvorfihtigen Gebrauhs von Petrol eine Erplo-
fion, die einer Hausmutter und zwei Kindern das Leben
koſtet.
30. Zum Präſidenten der Hiſtoriſchen Geſellſchaft wird
auf drei Jahre gewählt Dr. Auguſt Huber.
31. Der Weitere Bürgerrat behandelt nad) Er—
ledigung zweier Interpellationen eine Anzahl Begehren um
Aufnahme ins Bürgerrecht. — Dr. Theodor Gerold hält
ſeine Habilitationsvorleſung über „Das Mittelalter in der
franzöfifchen Oper des 18. Jahrhunderts“.
Witterung Die Hauptwerte der Witterung im
Monat Oktober 1916 waren: Mittel der Temperatur 10,2,
mittl. Temp. -Minimum 7 1, mittl. Temp. -Marimum 14,19 C,
Mittel des Luftvruds 739,7, Summe der Niederfchlagmenge
73 mm, Summe der Sonnenfcheindauer 122 Stunden. Die
Witterung des Monats war zu trüb und fonnenarm bei nor:
malen Niederichlagverhältniffen. Verglichen mit dem lang-
jährigen Mittel fiel der Monat etwas zu warm aus. Der
22. Dftober brachte den erften Froft des Winters, den ein-
zigen im Monat.
403
UNIVERSITY OF CALIFORNIA LIBRARY
Los Angeles
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