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Full text of "Basler Jahrbuch 1917"

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Baster Jahrbuch 
.% 1917 








Serausgegeben von Albert Gefler u. Auguft Huber 





Bofel 
Verlag von Helbing 3 Lichtenhahn 


Drud von Friedrich Reinhardt in Bajel. 


\ E 7 
Vorwort. 


en 


Sm Moment, da das Jahrbuch 1917 die Preffe verläßt, 
wird feine Redaktion von einem ſchweren Verlufte betroffen. 
Profefior Albert Geßler ift am 26. November uns entriffen 
worden. Trotz körperlicher Schwäche hat er bis in die letzten 
Tage noch mit treubeforgtem Herzen an der Herausgabe des 
vorliegenden Jahrbuches tatkräftig mitgewirkt. Während 
eines vollen Menfchenalters betätigte fih Albert Geßler 
als Mitarbeiter am Basler Jahrbuch, feit 1893 als ftän- 
diges Mitglied der Redaktion. Eine eingehende Würdigung 
feiner Perfönlichkeit wird das nächſte Jahrbuch bringen; 
heute, da wir an feinem Grabe ftehben, wünfchen wir vor 
allem dem Verftorbenen unfern von Herzen fommenden Dank 
und die hohe Anerkennung auszufprechen für die reiche Fülle 
von Arbeit, die er im Laufe der vielen Jahre für unjer 
Jahrbuch geleitet hat. 


Baſel, Ende November 1916. 


Die Redaktion: 
Auguft Huber. 


Inhaltsverzeichnis. 


Arnold von Salis-Haegler, Carl Sebaftian Haegler 

Karl Gauß Die ———— im basleriſch⸗biſchöflichen 
Raufen . . . 

Ferdinand Shwar : Jſaat Iſelins Reiſetagebuch 1754 

Rudolf Thommen, Aus den Briefen eines Baslers vor 
Hundert Fahren . . . 

Friedrich von Thierſch, Emil Faeſch Architett 

Fritz Baur, Aus den Aufzeichnungen des — 
Jakob Meyer 1670—1674 — 

R. Oeri-Saraſin, Beiträge zum Berhäftnis zwifchen 
Jacob Burdhardt und Arnold Boedlin . 

E. Refardt, Bürgermeifter Andreas Merians Renkbe: 
ſchreibung nad) Chambery . ge 

Hermann Blodher, Autobiographiidhe Aufhzeichnungen 
von Prof. Johann Jakob Bachofen 

Albert Geßler, E. Th. Markees, Robert — ——— 
Das künſtleriſche Leben in Baſel 

Fritz Baur, Basler Chronik vom 1. November 1915 bis 
31. Oktober 1916. f F 


213 


276 


365 





Lichtdruckanstalt Aitred Ditisheim, Basel. 


Carl Sebaftian Haegler 
Dr. med. et chir., Profefior e. o. 
Don Arnold von Salis-Haegler. 


Obgleich Carl Sebafian Haegler am öffent: 
lichen Leben in Staat oder Stadt nicht direkt beteiligt war, 
weder in amtlicher Stellung, abgejeben von jeiner außer- 
ordentlihen Profeflur an unferer Hochſchule, noch in einer 
freien Geſellſchaft gemeinnüßiger Art, ift der mit vierund- 
fünfzig Sahren Vollendete Doch in weiteren Kreifen jo be- 
kannt und gefchäßt geweien, daß es nicht unberechtigt fein 
mag, feinem Lebensbild im „Basler Sahrbuche” Raum zu 
gönnen. 

Geboren wurde er am 20. Zuni 1862 als drittes Rind 
und erfter Sohn von Dr. Adolph Haegler und Frau Ste- 
phanie, geborener Gußwiller, zu Fleurier im Val de Travers 
(Kanton Neuenburg), wo fein Vater als Arzt feit 1856 
niedergelaffen war und einer fehr ausgedehnten Praris nach- 
ging, außerdem fich eifrigft an allen Bemühungen beteiligte, 
das geiftige Leben in dem Ihrenmacher-Dorfe zu fördern 
und zu heben. Im Oktober 1863 bewog ihn vor allem die 
Rückſicht auf die Erziehung feiner Kinder, mit feiner Fa— 

milie nad) Baſel Überzufiedeln. 

Hier durchlief Carl in normaler Weife die ftädtifchen 
Schulen, von 1871 bis 1881 das humaniſtiſche Gymnaſium 
und Pädagogium. Die wejentlichften Züge feines Charakters 
fündigten fich bereits an in der Form, welche: diefer Ent: 
widlungsitufe entſprach. 

Er ſelber bezeichnete in reifem Alter als die hervor: 
ftechendften Eigenfchaften feiner Vorfahren väterlicherfeits: 
Willenskraft, bis zu Eigenfinn und Steckköpfigkeit; Pflicht⸗ 


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gefühl, bis zur pedantifchen Disziplin gegen fi) und andere; 
eine gewille Degeifterungsfähigkeit, Initiative und Or— 
ganifationstalent. Als Erbe der mütterlihen Zamilie: 
Herzensgüte und hilfsbereite Menfchenliebe, reihe Phan— 
tafie und Lebhaftigkeit. 

Diefe äußerte fich bei dem Knaben zunächſt in leiden- 
Ihaftlihem Lefebedürfnis, Intereſſe an alten Sagen und 
Rittergefchichten; fpäter in verftändnispoller und anhaltender 
Freude an deutfchen und franzöfifchen Klaffitern, an Homer, 
Shafefpeare, Goethe, Frig Reuter, Gottfried Keller, wie 
an aller Kunſt überhaupt, und eine gewifle Romantik und 
Ritterlichkeit blieb ihm SZeitlebens eigen. Die anererbte 
Willenskraft aber trat zunächft hervor als Luft am Sleber- 
winden von Schwierigkeiten, an Veberrfchung des Körpers 
duch allfeitige Leibesübung und Abhärtung, im Ertragen 
felbfterwählten Schmerzes; aber auch gegenüber WUlters- 
genofien ald Kampf: und Raufluft, in „Uuartierhändeln” 
u. dgl., als berrifches Wefen, und gegenüber den väterlichen 
Bemühungen, feinen Willen zu brechen, als paffiver Wider- 
fand in Eigenfinn und Starrköpfigkeit. Seine häusliche Er- 
ziehung bot darum manche Schwierigkeit und erforderte die 
unentwegte Liebe und Geduld der trefflichen Mutter, welche 
es verftand, die Geltung des einheitlichen Elternwilleng zu 
wahren und doch durch ihre Güte den Troß des Zungen zu 
befänftigen und zu entwaffnen. Sn der Schule dagegen hatte 
er feine Mühe, mit den befleren. Klaſſengenoſſen Schritt zu 
balten, ſchon aus Ehrgefühl, aber auch aus lebhaftem In— 
tereffe an dem Unterricht, den ihm einzelne hervorragende 
Lehrer, — er nannte als ſolche gerne Jakob und Achilles 
Burckhardt, — lieb zu machen verftanden. 

Beide Eltern waren tief religiös, und die entjprechende 
Ordnung und Disziplin im Haufe, der fich niemand entziehen 
durfte, hat auf ihn viel tiefer eingewirft, als er in jeinen 
früheren Jahren wohl zugegeben hätte, ſowohl die Fonfequente 
riftlihe Bekenntnis: und Pflichttreue des Vaters, al3 das 


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ftille, innige Gottvertrauen der Mutter, welcher Gebet und 
Fürbitte eine unverfennbare Kraft gaben in allen Sorgen 
und Kümmerniffen. Auf feinem Leidenslager hat er, rüd- 
blidend, gejchrieben: „Der Glaube meines Vaters hatte für 
mein Empfinden etwas Starres, Unfrohes und Drüdendes; 
während das Chriftentum meiner Mutter einen mehr beitern, 
duldfamen und erhebenden Charakter hatte. Bei ihr ftanden 
im Mittelpunft die alles verzeihende Liebe und die Duldſam— 
feit Undern gegenüber, immer geneigt zu verzeihen und die 
guten Seiten in Undern hervorzuheben. Bei mir zeigte ſich 
ſchon frühe eine gewiſſe Grübelfucht, und die Ronfirmation 
bat mir nicht die Ruhe gegeben, die ich davon erhoffte. Sch 
babe in Glaubensfachen jeither viel gefämpft und erfahren, 
daB nur ein durch Kämpfe erworbener Glaube wirklich 
lebendig ift und uns beruhigen fann, und daß für Menfchen 
meiner Art der Weg zum Licht der bittern und fchmerzlichen 
Lebenserfahrungen nicht entbehren Tann. Der Glaube wird 
dabei allerdings ein ganz individueller, und wenn ich auch 
den fröhlichen, duldfamen Glauben meiner Mutter nicht mit 
der Kindlichkeit fefthalten Eonnte, wie fie dies ihr ganzes 
Leben lang getan bat, jo habe ich Doch einen Standpunft ge- 
funden, der mir erlaubt, ruhig und freudig meinem Ende 
entgegenzuſehen.“ | 

Sm Frühjahr 1881 beftand er die Maturitätsprüfung. 
Die Berufswahl plagte ihn nicht; die Neigung zum Stu— 
dDium der Medizin war bei ihm, — wie fpäter auch bei jeinen 
jüngern Brüdern, — enticheidend; ein Beweis für den 
großen Eindrud, welchen die ideale Berufsauffaſſung und 
Verufsfreudigfeit des Vaters auch auf feine Nächiten alle: 
zeit gemacht bat; denn aus fonftigem „Atavismus“ läßt fich 
jene Neigung kaum erflären, da fein früherer väterlicher Vor— 
fahre Arzt geweſen if. Eher würde eine gewille Neigung 
zur Landwirtichaft, die Carl Haegler zeitweile mag ver: 
fpürt haben, als Familienerbe gelten dürfen, da mehrere 
feiner väterlihen Anverwandten angeſehene Mühlenbefiger 


3 ie 


im Bafelbiet waren oder noch find, fein eigener Großvater 
Sebaftian und einige Defzendenten desjelben in Laufen. Ueb- 
rigens waren Carls Großvater mütterlicherfeits, ſowie deflen 
einziger Sohn und ein Großſohn Mediziner. 

Einen Teil des erften Semefters feiner Studienzeit ver- 
lor er zu feinem Bedauern infolge einer fchweren Leichen: 
infeftion, von der er fich erft nach vielen Wochen völlig er- 
holte. Die „großen Ferien” des Spätfommers 1881 ver- 
brachte er, hauptſächlich um fih im Sranzöfifchen befler aus- 
zubilden, in der feinen Eltern eng befreundeten Pfarrfamilie 
de Coulon in Corcelles bei Neuenburg, welcher er mancherlei 
geiftige Anregung verdankte. In diefe Zeit fiel ein Er- 
eignis, deſſen tiefgreifende Folgen für fein ganzes Leben be- 
ſtimmend werden follten. 

Mit einem in Laufanne weilenden Freunde, der in 
jenem Sommer bereit zweimal die Diablerets beftiegen 
hatte und alſo fich des Weges ficher fühlte, wollte er diejelbe 
Hochtour ohne Führer ebenfalls unternehmen, obgleich die 
Sennen bei den Hütten von Anzeindaz, der vorgerüdten 
Sahreszeit zu Ende Geptembers und der Inficherheit der 
Witterung wegen, vor dem Aufftieg warnten. Spät am 
Tage erft erreichten die Veiden den Pas du Diable. Neu- 
Schnee und Lamwinengefahr machten weiteres Fortkommen 
unmöglich und nötigten zum Abſtieg. Nebel und einbrechende 
Dunkelheit zwangen fie zu kaltem Biwak an erponierter 
Stelle. Sturm und woltenbruchartiger Regen überfielen fie; 
von den Felſen flürzten Bäche und große Steine herab, Die 
ihn mehrfah am Kopf verwundeten. Dann fam der Schnee 
und eifige Kälte. Um nicht einzufchlafen, blieben fie die 
ganze Nacht auf den Beinen und in Bewegung Durch 
DBlutverluft und Nahrungsmangel geihwächt, verlor er das 
Bewußtſein; fein Freund fchleppte fih in der erften Morgen: 
Dämmerung etwas weiter, bis die beunruhigten Sennen ihn 
bemerften und holten und, nach einigen Stunden erft, auch 

bis zu Haegler gelangten. Sie fanden ihn fteif gefroren 


4 


und trugen ihn, ihrer fechs, ohne ihn wieder zum Leben er- 
weden zu Fönnen, in einer Dede nach den Hütten hinunter. 
Abends vier Uhr endlich erwachte er zum Bewußtjein, er- 
holte fi) dann aber fo rajch, daß er am nähften Morgen, 
mühfam zwar, zu Fuß ins Tal fteigen Tonnte. 

Am darauffolgenden Sonntag bemerkte er in der Kirche, 
daß er an einem Ohr nicht mehr deutlich hörte. Die Gehör- 
Ihwäche, deren Natur von jedem Spezialiften — er kon— 
fultierte nachgerade die bedeutendften des KRontinentes — 
anders beurteilt, von allen aber für unheilbar erklärt wurde, 
bat fih dann im Verlauf der Jahre, vorerft langſam, noch 
verftärkt, ift fpäter aber glüdlichermweife faft ftationär geblieben. 
An dem einen Ohr trat nahezu Taubheit ein; am andern 
börte er nach Ausfage der Otologen noch !/go des normalen 
Minimums. Daß diefer Befund ihm fchwere Sorgen und 
Kämpfe verurfachte, läßt fich denken. Der drohende Verzicht 
auf eine Menge von Genüflen und Anregungen erfchien noch 
erträglich; aber der Gedanke, daß der Verluft des Gehörs 
die Ausübung der ärztlihen Praris hindern und ihm den 
Verkehr mit Patienten unendlich erfchweren werde, daß er 
darum vielleicht den erwählten Lebensberuf aufgeben und 
gegen irgend einen andern vertaufchen müfje, war ihm wie 
ein Todesurteil und verfegte ihn in düſtere Stimmung. 

Dennoch fügte ſich's, daß er der Medizin treu bleiben 
durfte. Vorläufig hinderte ihn die befonders linksſeitig nur 
fehr langfam zunehmende Schwerhörigfeit nicht welentlich 
in feinen Studien, fodaß er diefe im ganzen getroft fort- 
feßen und, feinem Temperament und romantifchen Zuge fol- 
gend, Die Studienjahre fogar fröhlich genießen Fonnte. Ob: 
gleich einft eifriges Mitglied der Pädagogia, trat er Feiner 
Studentenverbindung bei, auch der Zofingia nicht, unter 
deren Mitgliedern er viele perfönliche Freunde zählte. Eine 
Berbindung, deren Farbenbrüder nicht unter Umſtänden für 
einander auch mit der blanfen Waffe einträten, entiprach 
feinem damaligen deal nicht. Wider den Willen der 


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Eltern einem Corps fih anfchliegen mochte er nicht. Und fo 
hielt er fih, fern von feften Vereinigungen, zu einem kleinen 
Kreis von Freunden, welche fich zu gemeinfchaftlicher Er— 
holung und zur Pflege fportlicher Uebungen, Fechten und 
Zußballipiel, zufammenfanden, unter Anleitung von Carl 
Spengler aus Davos. Später hat er feine Unfichten modi- 
fiziert und es öfters bedauert, daß er der Zofingia nicht an- 
gehört habe. Und ebenfo, daß er, wefentlich jenem roman- 
tifchen Studentenleben zulieb, das Sommerfemefter 1882 in 
Tübingen verbradte, vor der Beendigung feiner propä- 
deutifchen Studien, welche dadurch nicht gefördert wurden. 

Als er nach zwei weiteren, in Bafel abfolvierten Se— 
meftern im Herbft 1883 die propädeutifche Prüfung beftehen 
wollte, welche Damals noch die Fächer der Botanik, Zoologie, 
Chemie, Phyſik, Anatomie und Phyfiologie umfaßte, miß— 
glüdte fein Vorhaben. Er hatte die lebte Zeit vor dem 
Eramen in gefundbeitlich fo unfinniger Weife verbracht, in 
unausgefeßter Tages- und DNachtarbeit, daß er in einem 
Hauptfach, der Phyſik, auf die einfachften Fragen in völliger 
Denk-Unfähigkeit nicht mehr Beſcheid wußte. 

Während des Winterfemefters 1883/84 war er Vo— 
Lontäraffiftent am anatomischen Inftitut, füllte nebenbei feine 
Lüden aus und beftand dann im Frühjahr 1884 das Pro- 
pädeutitum in ehrenvoller Weife. 

Die nähftfolgenden drei Elinifchen Semeſter verbrachte 
er wieder in Tübingen, wohin ihn diesmal, mehr als 
das reizvolle Studentenleben, die vorzüglichen afademifchen 
Lehrer zogen, der Interne LCiebermeifter, der Chirurg 
v. Bruns, der pathologiihe Anatom Ziegler, der 
Gynälologe Saeringer und endlich Zürgenfen für 
Poliklinif und WUrzneimittellehre. Ihre Urt, Klinif ab- 
zubalten und zu lehren, befriediate ihn im höchſten Maße. 
Sie hielten darauf, die einzelnen Studenten perjönlich Tennen 
zu lernen und fie baldmöglichft im Denken, Beobachten und 
Handeln felbftändig zu machen. Dem Praftifanten wurde 


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der Patient, der in der Klinik vorgeftellt wurde, ganz über- 
geben zur weiteren felbftändigen Beobachtung bis zu feinem 
Austritt aus der Klinik oder bis zum Tod. Sederzeit mußte 
bei Veränderungen des Zuftandes der Praftifant in der 
Klinit darüber berichten können; bei den wöchentlichen 
großen Viſiten hatte er am Kranfenbett über die Beob- 
achtungen der vergangenen Woche zu referieren. Nicht 
felten hatte er während eines Semefters in den verjchiedenen 
Kliniken zufammen bis zu zehn Patienten unter eigener 
felbftändiger Beobachtung. Dabei Eonnte einer mehr lernen, 
als ihm auf irgend einer größeren Univerfität möge ge: 
weſen wäre. 

Die ſtudentiſche Fröhlichkeit kam neben folcher ernit- 
haften Arbeit gleichwohl nicht zu kurz: in der Schweizer— 
geſellſchaft „Helvetia“ war reger freundſchaftlicher Verkehr; 
es wurde gefochten, geſchwärmt und geſungen, die ſchöne 
Umgebung durchwandert, am Himmelfahrtstag Schloß 
Lichtenftein und die Nebelhöhle befucht, und das alt: 
berühmte Volksfeſt mitgefeiert,; in den Sommerferien auf 
Floß oder Ruderboot von Heilbronn den Nedar hinunter: 
gefahren bis nach Heidelberg und mit den Dorfigen 
Schweizern den Rhein hinab bis nah Köln, in den 
Winterferien ausgeflogen nah Ulm, Nürnberg, Erlangen, 
München. 

Sm Frühjahr 1885 war er wieder in Bafel, und da 
eben eine Podenepidemie berrfchte und es an Werzten fehlte, 
übernahm er für einige Wochen die Leitung eines Poden- 
Ipitals in Birsfelden. Vom September 1885 bis zum Mai 
1887 war er als Unteraffiftent im Bürgerſpital befchäftigt, 
zuerft ein halbes Zahr auf der internen Abteilung bei Prof. 
Smmermann, die übrige Zeit auf der chirurgischen bei Prof. 
Socin, und bier zeitweife als ftellvertretender Alfiftenzarzt, 
der bereits felbitändig operieren durfte. Es war für ihn 
eine fehr nütliche, aber. außerordentlich anftrengende Seit: 
neben feinen vermehrten Spitalfunktionen hatte er noch einen 


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Kurs für Miffionszöglinge abzuhalten und den ordentlichen 
Kurs für Sanitätsrefruten, fodaß er oft kaum für zwei big 
drei Stunden ins Bett Fam. 

Schon in feinen erften Einifchen Semeftern 309 ihn die 
Chirurgie befonders an. Zum Zeil wirkte dabei wohl die 
Sreude an manueller Tätigkeit mit, da er zu folcher von Kind 
auf befondere Geichidlichkeit hatte. Zum Zeil imponierten 
ihm, wie jedem Laien, die eflatanten Erfolge, welche bei der 
Chirurgie mehr bervortreten und Eontrolliert werden Eünnen, 
als beim Wirken des internen Mediziners. Später erkannte 
er immer mehr, daß die hohe Stellung, welche die Chirurgie 
in den letzten Dezennien erhalten bat, darin begründet fei, 
daß fie für die Praris der univerfellfte Zweig der Medizin 
geworden if. Da es Fein Organ mehr gibt, das nicht 
hirurgifhe Hilfe erfordert, fo muß der Chirurg in der 
Pathologie der innern Organe mindeftens fo beichlagen fein 
wie der Interne. Seine Diagnoftit muß faft noch ſchärfer 
und ficherer fein; trägt er Doch die Verantwortlichkeit für 
die richtige Diagnofe in erhöhten Maße, indem er beftimmt, 
ob ein operativer Eingriff fol vorgenommen, oder unter- 
laſſen werden. 

Die UInteraffiitentenzeit bei Socin wirkte enticheidend 
auf Haeglers Pläne: er wollte Chirurg werden aus Neigung, 
und darin beftärkte ihn noch die Erwägung, daß feine Gehör- 
ſchwäche in diefem Spezialfach ihm weniger binderlich fein 
werde, als in Ausübung der inneren Medizin. Das ift ihm 
fpäter freilich als Irrtum erfchienen, weil die Unterfuchungs- 
methoden bei beiden Spezialdisziplinen genau Diejelben 
feien, und der Chirurg 3. U. mindeftens diefelbe Fertigkeit 
haben müfle im Perfutieren und Auskultieren, wie der 
Snterne. 

Damals trat Haegler in ein freundfchaftliches Ver— 
hältnis zu Carl Garre, den Prof. Socin zu feinem 
Privataſſiſtenten gemacht batte, und zwar ſpeziell für 
Bakteriologie. Die Bedeutung diefer neuen Disziplin für 


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die Chirurgie, wie für die Medizin Überhaupt, hatte Socin 
frühzeitig in ihrem vollen Umfang erkannt, und da die 
Berwaltung des DBürgerfpitals die Schaffung einer Alfi- 
ftentenftele und eines Laboratoriums für Balteriologie da- 
mals noch nicht bewilligen wollte, fo ließ Socin den jungen 
Garre, welcher Schon bei Prof. Rocher in Bern Balteriologie 
getrieben hatte, als Privataffiftenten nach Baſel fommen 
und richtete ihm ein bafteriologifches Laboratorium ein in 
einem Geitenflügel feiner eigenen Privatwohnung. 

Hier arbeitete nun Haegler öfters aus eigener Initiative, 
während er weiter als Unteraffiftent tätig war und, unmittel- 
bar vor dem Staatseramen, zwei Monate den Alfiitenzarzt 
der geburtshilflich-gynäfologifchen Klinif von Prof. Fehling 
zu vertreten hatte. Die notwendige Rörperbewegung, deren 
er bedurfte, um ſich in diefer arbeitsreichen Zeit leiſtungs⸗ 
fähig zu erhalten, verfchaffte er fih durch Reiten, meift in 
frühen Morgenftunden. | 

Am 7. Dezember 1887 erhielt er, nach wohlbeftandener 
Staatsprüfung, das Diplom eines praftifchen Arztes. Don 
einem folgenden Erbolungsaufenthalt an der Riviera, den 
er auf mannigfachen Ausflügen zu Fuß oder zu Pferd von 
Nizza aus in die nähere und fernere, malerifch ſchöne Um— 
gebung in vollen Zügen genoß, wurde er ſchon im Januar 
1888 beimgerufen dur ein Anerbieten von Prof. Socin, 
ihm in Baſel die Stelle Garré's zu Übertragen, welcher eine 
Berufung nah Tübingen angenommen hatte. Nachdem ihm 
zugleich eine befoldete Stellung im Spital als Leiter der 
Poliklinik, fowie in abfehbarer Zeit diejenige eines erften 
Alfiftenzarztes und Gtellvertreters des Oberarztes auf der 
hirurgifhen Abteilung in fichere. Ausficht geftellt wurden, 
nahm er diefen Vorſchlag an auf Ende März 1888, und 
warf fih nun mit voller Energie auf bafteriologifche Arbeiten 
und pathologiſch-anatomiſche Unterfuchungen für die chirur: 
giſche Klinif und für Socin privatim. Sn den erften Jahren 
während diefer Tätigfeit hat er öfters des Nachts das Bett 


9 


gar nicht aufgefucht, fondern höchftens im Stuhl fitend eine 
Stunde geruht. Ein Ausritt um 6 Uhr morgens, dann ein 
Bad oder eine Douche, und abends nach 7 Uhr ein Tennis- 
Spiel genügten, um ihn frifch und leiſtungsfähig zu erhalten. 
Während er anfänglich noch im Elternbaufe wohnte und 
feine Mahlzeiten einnahm, bezog er jpäter ein Schlafzimmer 
in dem Geitenflügel von Socins Wohnung, welcher au 
das Laboratorium enthielt, und begnügte fich mit feltenen 
und unregelmäßigen Mahlzeiten. Es war das für ihn eine 
wundervolle Zeit, je mehr feine innere Selbſtändigkeit in der 
Bakteriologie zunahm. Er fah fo viel brach liegendes Feld 
vor fih, und die Forfchertätigteit im Laboratorium befriedigte 
ihn mehr als alles, was er bisher getrieben hatte. Daneben 
gab ihm die chirurgifhe Poliklinik, die er zu leiten batte, 
reiche praftifche und wiflenfchaftlihe Anregung. Die Tre: 
quenz nahm fo rafch zu, daß dem Inftitut in einem der Straße 
anliegenden Nebengebäude eine Unzahl von Simmern mußte 
eingeräumt werden. Er wurde, fowie die betreffende Stelle 
vafant war, erfter Affiftenzarzt und Eonnte oft felbftändig ope- 
tieren, hatte auch die Narkofen oder eventuell die Alfiftenz in 
Socins Privatklinik zu beforgen. 

Als auf Socins Antrieb dem Bürgerfpital das baf- 
teriologifche Snftitut eingegliedert, und in den unterirdilchen 
Räumen des fogen. „Merianflügels" ein „ideales“ Labo- 
ratorium für Dasfelbe eingerichtet wurde, wuchs für Haegler 
mit der vermehrten Arbeit zugleich die Genugtuung und 
Freude an ihr. Und da für die Poliklinik bald ein Aſſiſtent 
nötig wurde, befam er an diefem auch einen Schüler und 
Helfer im bafteriologifchen. Laboratorium. 

An feinem Chef, Prof. Socin, hing er mit unbedingter 
dankbarer Verehrung. Das eigentlich freundfchaftlihe Ver: 
hältnis zu ihm, das fich mehr. und mehr herausbildete, tat 
feiner Achtung und feiner Unterordnung gegenüber dem 
feltenen Manne nicht den mindeften Eintrag. Noch mehr 
als der wiflenfchaftliche Chirurg, der formvollendete Schrift: 


10 


fteller, der vorzügliche und elegante Techniker, imponierte 
ihm der Menſch Soein, mit feiner Schönen Erfcheinung, feinen 
gervinnenden Imgangsformen, feiner Runft geiftvoller Unter: 
haltung, feinem feinen Humor und liebenswürdigen Gar: 
fasmus, feinem ritterlihen Wefen, feiner glänzenden Gaſt— 
freundfchaft, feiner vornehmen Gefinnung. Offenbar fand 
Socin an dem vielfeitig begabten, firebfamen und brauch: 
baren gewiflenhaften jungen Manne, den er öfters auf feine 
Jagden mitnahm und zu Tifche lud, und dem er fein 2er: 
trauen fchenkte, viel Wefensverwandtes nach mancher Rich- 
tung hin. Seine etwas „großherrliche” Eigenart hat auf 
den ihm unbedingt ergebenen langjährigen Jünger unmwill- 
fürlich abgefärbt, mehr als diefer wohl merfte. 

Reben der Befriedigung, welche dieſe reiche Gegenwart 
ihm bot, ſchlich als unbeimlicher Schatten die Sorge um die 
Zukunft. Die Schwerbörigkeit nahm fo zu, daß fie die Mög— 
lichkeit einer akademifchen Karriere, zu der Haegler durch— 
aus qualifiziert war, in Frage ftellen mußte, nach Socins 
Urteil. Deshalb zögerte er auch immer wieder, fih zu babi- 
litieren. Und doch mußte er für feine Fünftige Lebensitellung 
irgend einen Entſchluß fallen. Da er regelmäßige Kurſe für 
Miffionszöglinge abzuhalten hatte, dachte er vorerft daran, 
in den Dienft der ärztlihen Miffion zu treten und Tpeziell 
die Tropenkrankheiten zu ftudieren. Der Entihluß zur 
Heirat aber machte diefen erotifhen Plänen ein Ende. 

Er befaßte fih auch etwa mit dem Gedanken, zufammen 
mit Freunden eine Privatklinit zu gründen. Verſchiedene 
Projekte diefer Art zerfchlugen fih aber noch vor einem Ver: 
fu, fie auszuführen. 

Inzwiſchen wurde ihm immer klarer und gewiller, daß 
nur die alademifche Karriere, auch wenn er dabei von vorn- 
herein auf ein Ordinariat verzichten müfle, feinem Drang 
nah wiflenfchaftlicher Tätigkeit, hauptfählihd im Labo— 
ratorium, entipreche, allerdings nur in Verbindung mit Be— 
obachtungen am Krankenbett. 


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Er promovierte deshalb den 9. März 1889 zum Doctor 
med. et chir. mit einer Differtation über „YBehandlung der 
Harnröhrenverleßungen und ihrer Folgen”, und wurde am 
8. Februar 1893 zum Privatdozenten für Chirurgie und Bak— 
teriologie ernannt. Seine Habilitationsjchrift betraf „Die 
Hirurgifhe Bedeutung des Staubes“; im Fakultätseramen 
hatte er zu reden über „Narcotica und WUnaefthetica”; die 
öffentliche Habilitationsvorlefung in der Aula hielt er am 
18. Zuli 1893 über „Die Vedeutung des Wundftarrframpfes 
für die Lehre von der Immunität”. 

Großen Eindrud mahte ihm während diefer Zeit das 
Eifenbahnunglüd in Münchenftein am 14. Zuni 1891. Er 
war als einziger Arzt im Spital zurüdgeblieben, während 
die anderen alle an die Inglüdsftätte hinauseilten, und etwa 
70 Zerwundete und Sterbende nun in den Spital gefahren 
wurden und bier follten operiert und verbunden werden. Da 
hatte er denn alle Hände voll zu tun, bis gegen Abend Socin 
und die Uerzte aus Münchenftein eintrafen, bedauernd, daß 
fie Dort wenig hatten helfen können, während fie im Spital 
nötiger gewejen wären. Erſt lange nah Mitternacht waren 
endlich alle Verwundeten verforgt. Am folgenden Tag be: 
gleitete er Socin zur Drientierung für die fpätere ärztliche 
Erpertife nah Münchenftein, wo die Toten in einer Scheune 
aufgebahrt waren. Ein fchauerlicher Anblid, deſſen Eindrud 
ihm unvergeßlich blieb und ihm eine PVorftellung gab von 
den Schwierigkeiten, welche den Chirurgen in einem Krieg 
erwarten. 

Um 4. Zuli 1894 verheiratete er fich mit Fräulein Emilie 
Paflavant, nachdem die beiden feit längerer Zeit einander 
fennen gelernt hatten, und die Zuneigung der jungen willens- 
ſtarken Braut durch alle Bedenken nicht zu erfchüttern war, 
welche, bei feiner vorausfichtlich zunehmenden Schwerhörigfeit 
und bei der Ingewißheit feiner davon bedingten künftigen 
inneren und äußeren Lebensgeftaltung, fich aufdrängen mußten. 

Haeglers Stellung im Spital Tonnte nicht geändert 


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werden; Doch fuchte ihm Socin zu vermehrter Selbſtändigkeit 
zu verhelfen durch Gewährung einer perfünlichen Nachmittags: 
ſprechſtunde, welche hauptſächlich von unfallverficherten ver- 
letzten Arbeitern frequentiert wurde. Piel zu tun gab ihm 
die 1898/99 geplante und durchgeführte Erftellung des neuen 
Dperationsgebäudes im DBürgerfpital, deſſen Bezug Prof. 
Socin leider nicht mehr erleben durfte. Sein am 22. Januar 
1899 nad) kurzer Krankheit erfolgter Tod war für Haegler 
ein tiefgreifender Schmerz und Verluſt, auch für feine Fünftige 
Lebensftelung bedeutfam. Obgleich er, da der neue Or: 
Dinarius und Nachfolger Socins feine angebotene Demiffion 
nicht annahm, vorläufig als Alfiftenzarzt weiter funktionierte, 
fühlte er fehr wohl, daß das Verhältnis eines alten Affiftenz- 
arztes zu einem jungen Ordinarius auf die Länge unhaltbar 
fei. Als er im Dezember 1900 zum Ertraordinarius er- 
nannt wurde und im Sanuar 1903 den Lehrauftrag für „all 
gemeine Chirurgie” erhielt, verjuchte er Darum, eine dauernde 
felbftändige Stellung im Spital dadurch zu gewinnen, daß 
ihm neben der Leitung des bafteriologifchen Laboratoriums 
eine Eleinere Spitalabteilung zur Beſorgung überlafien und 
zugefichert würde. Und als dies fatutengemäß ihm nicht 
fonnte bewilligt werden, blieb ihm nichts anderes übrig, als 
fein bisheriges AUnftellungsverhältnis aufzuldjen und dem 
Spitalpflegamt am 10. Februar 1903 fein Entlaffungsgefuch 
einzureichen und fich der chirurgifchen Praris zuzumenden, 
für die er durch eine achtzehnjährige Tätigkeit im Bürger: 
Ipital, feine Unteraffiitentenjahre eingerechnet, allerdings vor- 
züglich ausgebildet war. 

Die erfte Vorausfegung hiezu aber war eine Privat- 
klinik. Eigene und fremde Beobachtungen lberzeugten 
ihn, daB durch Umbau eines Privathaufes nie ein allen 
berechtigten Anforderungen genligendes Krankenhaus zu er- 
reichen fei, und daß ein folcher Umbau Überdies finanziell 
faum weniger Eoftipielig ausfalle, als ein zwedmäßiger Neu- 
bau. Er entichloß fih daher im März 1903, einen folchen 


13 


zu wagen, als gerade durch Todesfall ein außerordentlich 
geeignetes Grundftüd in der Nähe feiner Privatwohnung 
am Petersgraben Fäuflih wurde, ein Zeil des früheren 
„Andlauerhofes". Nach feinen forafältigen Skizzen find die 
Pläne für den Neubau von der Firma Romang & Ber: 
noulli ausgearbeitet worden. Um fruchtbare Erfahrungen 
für Einzelheiten des inneren Ausbaues und der zweckmäßigſten 
modernen Einrihtung zu fammeln und zugleich noch etwas 
von der Welt zu feben, unternahm er vom Auguſt bis zum 
Oftober 1903 eine große Reife, welche ihn durch verfchiedene 
Städte Deutichlands, Defterreihs, Rußlands, Schwedens, 
Dänemarks und Hollands führte und ihm viel Gewinn und 
Genuß bradte. Im Sommer 1903 wurde mit dem Yau der 
Klinik begonnen, im Dftober 1904 der Betrieb eröffnet. Um 
fie zu fichern vor allfälliger Schädigung Durch Neubauten 
in der Nahbarfchaft, wurde 1911 noch ein anftoßendeg 
Grundftüd erworben und in einen ftilvollen Garten um— 
gewandelt, der von allen Inſaßen ſehr gefhäßt ward. Nach 
einigen Jahren hatte die „Andlauerklinik“, wie fie genannt 
wurde, einen guten Namen in der ganzen Schweiz. Zahl: 
reiche Kollegen beſuchten fie, um fefte Richtpunkte für eigene - 
Unternehmen zu befommen; mehrere Fopierten Haus und 
Einrichtung ziemlich genau und ließen durch ihre Architekten 
alles abzeichnen und ausmeflen. 

Was aber diefem Snftitut die Anerkennung ſtets weiterer 
Kreife erwarb und erhielt, war vor allem der Geift, welcher 
die Behandlung und Pflege der Patienten durch das ge: 
famte Anftaltsperfonal bejeelte, beim dirigierenden Arzt, wie 
bei den Pflegerinnen und bei der Leiterin des Hausbaltes. 
Haealer hatte bei Beobachtung der Rrankenfürforge in großen 
öffentlichen und Heinen privaten Spitälern oft den depri:- 
mierenden Eindrud, daß ihre moralifche Seite vielfach ver- 
nachläffigt werde. Er äußerte fich darüber felber fo: „Der 
Patient wird da nur eine Nummer; er ftellt nicht mehr eine 
Sndividualität vor, fondern einen „Fall“. Und doch ift im 


14 


Menſchenleben zu Feiner Zeit Die Hebung der Pfyche und 
das Hervorheben und Pflegen der Individualität jo dringend 
notwendig, wie in kranken Tagen. Die Degradierung zur 
Nummer wird unterftüßt durch die fchablonenmäßige, Fritif- 
loſe und nüchterne Art, in der befonders in chirurgiſchen Kli— 
niken die Rrandenzimmer eingerichtet werden. „Aſeptiſch“ 
galt die Stube, wenn fie ganz kahl, mit grauer oder leicht 
blau getönter Farbe geftrichen war, und wenn das ganze, in 
der gleihen Farbe gehaltene Mobiliar aus. Glas und Eifen 
beftand. Man glaubte unter folchen „ſtaubfreien“ Verhält— 
niffen den Kranken am beiten gefhüst vor dem Hinzutreten 
von Wundinfektionskfrankheiten; als ob, bei einiger Sorgfalt, 
. je ein Kranker in feinem Bett infiziert würde, und die Ein- 
Pflanzung von Wundinfektionskrankheiten fich nicht vielmehr 
im Operationsjaal vollzöge! — Wenn etwas die Oberfläch- 
lichkeit der Vorftelungen über Wundinfeftionen, das auto- 
matenhafte Nachahmen von Einrichtungen, die einer Tchlechten 
Verdauung von allgemein hirurgifchen Errungenfchaften ent: 
ſprungen find, zeigen kann, fo ift es die Einrichtung von 
Krankenzimmern in chirurgifchen Kliniken. Die Räume, wo 
Menſchen ihre fchwerften Stunden verbringen müſſen, und 
wo daher die Hebung ihrer Piyche befonders nötig wäre, 
gleichen Gefängniszellen mehr, als Wohnräumen. 

Wollte ich jelber Befriedigung haben von meiner Tätig: 
feit, fo mußte mit diefer nüchternen Schablone radikal ge: 
brochen werden. Gelbftverftändlich muß alles im Kranken: 
haus den Eindrud großer Reinlichkeit machen. Aber wenn 
man ein gutes Gewiflen bezüglich der Afeptif der Hände und 
der Materialien im Operationsfaal bat, jo fteht der Aus: 
Ihmüdung eines Krankenzimmers nichts entgegen. 

Sn erfter Linie müflen fowohl das Haus, als auch die 
Rrankenzimmer den Eindrud des Spitalmäßigen verlieren. 
Schon das Haus bedarf äußerlich eines gewiſſen einfachen 
Schmudes; jedenfalls muß es duch Architektonif, Farbe 
oder Pflanzenfhmud einen beitern, lebensfrifchen Eindrud 


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hervorrufen. Auch der Eingangshalle und den Gängen foll 
der Charakter von forefältig und frohfinnig gehaltenen 
Privaträumen gegeben werden. DBefonders aber muß das 
Kranfenzimmer, gefhmadvol eingerichtet und deforiert, einem 
privaten, individuellen Wohnraum gleichen. 

Der leichteren Reinigung wegen habe ich auch in meiner 
Klinik von Tapeten abgejehen und die Wände mit Delfarbe 
geftrichen, und zwar matt, damit nicht der Glanz die Augen 
beleidigt. Die Farben waren aber bunt, in allen, auch den 
lebhafteften Nüancen, ohne daß fich je ein Kranker über die 
Buntheit beklagt hätte. Um bei den Patienten den Ein- 
drud des Eigenen zu erhöhen, war jede Stube in Farbe und 
Dekoration von den andern verfchieden. Bilder in einfachen 
Rahmen fhmüdten die Wände; fie flören die Reinlichkeit 
nicht, erhöhen aber erheblih die Wohnlichkeit und, darf 
wohl beigefügt werden, befchäftigen in wohltätiger Weiſe 
Gedanken und Einbildungstraft der Refonvaleszenten. So 
babe ich in den Gängen und den Kranfenzimmern über zwei— 
hundert, zum Zeil recht gute Bilder aufgehängt. Auf das 
Mobiliar wurde eine befondere Sorofalt gelegt. Von dem 
„aleptifchen" Prinzip, Eifen und Glas, babe ich in den 
meiften Zimmern abgefehen, auch für die Betten. Hierzu: 
lande find die Leute an Holzbetten gewöhnt, die fie gemüt- 
licher und wärmer finden, als die Eifenbetten. Die meiften 
meiner Kranfenzimmer erhielten daher Holzbetten, die, aus 
edleren Holzarten bergeftellt, glatt gebohnt, mindeftens fo 
gut zu reinigen waren, als die eifernen. Blumen durften 
in den KRranfenftuben nie fehlen; fie haben den Kranken jchon 
begrüßt, wenn er die Stube betrat. Die Sorgfalt muß fi 
ſelbſt auf die Kleinigkeiten ausdehnen, auch Blumenvaſen 
und Waſchtiſchgeſchirr z. DB. dürfen den Geſchmack nicht ver- 
legen. Eine Solche Klinik darf nicht der Ort fein, wo die 
ausrangierten Gegenftände der Privatwohnung Verwendung 
finden; für den Kranken ift das Schönfte und Beſte gut ge: 
nug. Das Efien foll befonders fauber und. appetitlich auf 


16 


einfach, aber ftilvoll deforiertem Geſchirr aufgetragen werden, 
genau fo wie im Reftaurant des beften Hotels. 

Ich aebe zu, daß diefe Maßnahmen zum Teil auch 
meinen eigenen äfthetifchen Bedürfnifien Rechnung trugen. 
Sch wußte aber, daß das äſthetiſche Empfinden nie fo leicht 
verleglich ift, wie in Franken Tagen, wo die Moral darnieder- 
liegt, und ich weiß, daß ich mit diefen, fcheinbar unwejentlichen 
AHeußerlichkeiten vielen Rranfen fchwere Stunden babe tragen 
belfen. | 

Wie die Einrichtung, jo mußte auch der Vetrieb dem 
Andividualitätsgefühl des Kranken Rechnung tragen und es 
heben, foweit dies möglich war. Dazu gehört vor allem ein 
genügendes und tüchtiges Wartperfonal, fo daß der Patient 
nie den Eindrud des Verlaſſenſeins hat. Mein Prinzip, 
nur Wartperfonal aus den befiern Ständen zu bejchäftigen, 
hatte verfchiedene Gründe. Wenn fih Damen zur Kranken: 
pflege entjchließen, fo fpielt Dabei das Intereſſe die Haupt: 
rolle; denn bei andern Berufen, die weniger mühevoll find 
und vielleicht auch weniger allgemeine Kenntniſſe erfordern, 
ift die Bezahlung eine befiere, als in der Krankenpflege. 
Schweftern aus den befleren, gebildeten Ständen haben für 
die Geelenregungen und für alle Bedürfniſſe der zum Teil 
verwöhnten Kranken ein größeres Perftändnis, als Un— 
gebildete, und Eünnen Wünſche und Bedürfniſſe auch ohne 
Wort erraten. Bei Perfonal und Arzt muß der Kranke den 
Eindrud haben, daß er im Mittelpunkt des Intereſſes ftebe, 
daß er die Aufmerffamkeit feiner Umgebung in erhöhten 
Grade wahrufe.. So wirken Nachtbefuhe von feiten des 
Arztes auf die Pſyche von Kranken, welche leiden, oft 
Wunder. Diefe Hebung der Pfyche, die Pflege des In— 
dDividualitätsgefühls durch alle möglichen Mittel ift aber 
meines Erachtens ein wichtiger Teil der Therapie und ein 
nicht zu unterfchägender Heilfaftor. Die dankbare Anhäng— 
lichkeit meiner Patienten hat mir gezeigt, daß ich auf dem 
rehten Wege war. 


17 2 


Ich hatte das Glüd, ein vorzügliches Perfonal um mich 
zu gruppieren, fodaß in der Klinik neben einem edlen Wett- 
eifer ein felten frober Geift berrichte, und die Arbeit, aud) 
wenn fie anftrengend war und viel Abnegation erforderte, 
zu einer rechten Freude wurde.” 

Sn dDiefem Sinne baute und beforgte Haealer feine 
Klinik. Don der erften Zeit ihres Beſtandes an ftand ihm 
eine Schwägerin tatkräftig zur Seite, welche ihren Gatten 
plößlich infolge eines Unfalles verloren hatte und nun in 
folcher regelmäßigen und bingebenden Arbeit innere Be— 
ruhigung und Befriedigung fand. Sie beforgte die Poli: 
Einik, welche Haegler eingerichtet hatte, um ſtets Material 
für feine Kurſe zu haben; fie affiftierte oder inftrumentierte 
bei Operationen, half und legte Hand an, wo e3 nötig war. 
Da er die ganze ärztliche Arbeit nicht allein bewältigen 
fonnte und während allfälliger Abweſenheit einen Gtell- 
vertreter brauchte, half ihm ein chirurgifh ausgebildeter 
Alfiftent, der in der Nähe der Klinik wohnte und daneben 
in befchränttem Maße eigene Privatpraris ausüben konnte. 
Sn den erften fünf Jahren hatte Dr. Achilles Müller die 
Stellung inne, fpäter, bis zur Liquidation der Klinik, 
Dr. Hans Meerwein. Befriedigung fand Haegler auch in 
der Ausbildung von Krankenpflegerinnen. Es waren ftets 
zwei oder drei „Lehrſchweſtern“ im Haufe, welche praftifche 
Anleitung durch die Oberin und die Stationsfchweitern er: 
hielten, theoretifche in Rurfen, welche der Chef felber oder 
fein Alfiftent erteilten. Die Lehrzeit betrug ein Jahr. Nach 
gründlihem Eramen erhielt die Schwefter ein Zeugnis über 
ihre Befähigung, auf Grund deflen fie leicht in andern In— 
ftituten Anftellung finden Eonnte. 

Große Genugtuung verfchaffte dem Leiter der Alinit, 
daß ein von Verwandten und dankbaren Patienten ge: 
ftifteter und gemehrter „Zreibettenfonds” ihm ermöglichte, 
Bedürftige unentgeltlich aufzunehmen und nötigenfalls mit 
zwedmäßigen Apparaten zu verfehen. Eine unjchäßbare Er- 


18 


leichterung des Klinikbetriebes wurde ihm zuteil durch Die 
bochherzige Schenkung eines Automobiles, das, nach feiner 
Idee Eonftruiert, den fchnellften und jchonendften Kranken: 
transport ermöglichte und zugleich mit Leichtigkeit fo um- 
zugeftalten war, daß es auch zu privaten Spazierfahrten 
dienen konnte, das Nützliche und das Ungenehme verbindend. 

Diefe etwas ausführlihe Darftellung der Einrichtung 
und Entwidlung der „Andlauerklinik“ mag ihre Entichul- 
digung darin finden, daß fie für Haegler eben fein Hauptf- 
lebenswerk und feine Lebensfreude gewejen ift. 

Was feiner Wirkſamkeit die höchfte und allgemeinfte An- 
erfennung verfchaffte und eine einzigartige Bedeutung weit 
über Baſels Bannkreis hinaus, das war eben die Urt und 
Weife, wie er diefe feine Privatklinik führte mit unbegrenzter 
Treue und Hingebung und mit wachjendem Erfolg. Ohne fie 
wäre feine Perfönlichkeit undenkbar, und von feinem fonftigen 
Wirken kaum viel zu jagen. Denn feine afademifche Tätig: 
feit (mit offiziellem Lehrauftrag für „allgemeine Chirurgie” 
feit 1903 und für „Unfallmedizin” feit 1913), welche 
von der mediziniihen Fakultät und von allen Nachfolgern . 
auf Socins chirurgiſchem Lehrftuhl gefchäßt und Hfters 
ausdrüdlich anerfannt wurde, blieb feiner Schwerhörigfeit 
wegen auf die eines Ertraordinarius befchränft, obgleich 
feine Rollegen ihn ftets als gleichgeftellt refpeftierten und be- 
bandelten und ihm gelegentlich ihre Stellvertretung in der 
birurgifchen Klinik des Bürgerſpitals Üübertrugen, und auch 
die Studenten feine wiflenfchaftliche Zuverläſſigkeit, wie feine 
Lehrgabe und die Klarheit feiner Darftelung zu würdigen 
wußten. Von ausgedehnter fchriftftellerifcher Arbeit aber 
hielt ihn die anftrengende gewifienhafte Arbeit in feiner 
Privatklinit ab, fowie der Umſtand, daß eine wiflenfchaft- 
liche Stage, deren Löfung er einmal gefunden hatte, ihn 
nachher nicht mehr genügend feflelte, um ihn zu zeitraubender, 
jorgfältig abgerundeter Darftellung zu bewegen; lieber ging 
er fofort wieder neuen Fragen nah. Strebertum lag ihm 


19 2 


fern. Titel und äußere Ehren reizten ihn nicht; innere Be— 
friedigung und Unabhängigkeit waren ihm die Hauptfache. 
Man mag unter Sahverftändigen bedauern, daß darum 
manch eine Publikation unterblieb, für welche das Material 
ihm zur Verfügung fland, und welche vielleicht von Wert 
gewefen wäre. Immerhin hat er außer feinem Buche über 
„Händereinigung und Händefchug” (1900) eine Reihe von 
etwa 55 EHeineren Arbeiten gelegentlih in Vorträgen und 
Fachzeitſchriften veröffentlicht, befonders über Tetanus, über 
Wundinfeltion und Wundbehandlung, und etwa acht 
publizierte Schülerarbeiten find unter feiner Anregung und 
Auffiht entftanden. Ihre Aufzählung mag in einem all- 
fälligen wiflenfchaftlihen Nachruf für Fachgenoſſen am 
Platze fein; hier aber verzichten wir darauf. 

Die Tätigkeit in feiner chirurgiſchen Privatklinif war 
und blieb demnah bis an fein Ende feine Hauptleiftung. 
Hier kam feine DPerfönlichkeit zur charafteriftifchen Ent- 
faltung, nach ihrer wiſſenſchaftlichen und technifchen Be— 
fähigung, wie nad) ihrer moralifchen Kraft. Er felber ſagte, 
darauf zurüdblidend: „Jedenfalls hat mir die Klinik in über: 
reihem Maße das gejchenkt, was ich von ihr erhofft babe: 
innere Befriedigung, Anerkennung durh die Patienten, 
Anhänglichkeit des Perfonals und ausreichenden materiellen 
Erfolg. Ein Stachel im ZFleifche blieb mir allerdings die 
Unmöglichkeit, meine wiflenfchaftlide Laboratoriumsarbeit 
weiterzuführen. Die große innere Ruhe und das Glüd des 
Forſchens, wie ich es im Laboratorium genoflen hatte, habe 
ich durch die Praris nicht im gleihen Maß gefunden.” 

Seine fortwährende Snanfpruchnahme dur die Berufs: 
arbeit brachte es mit fih, daß er feiner eigenen Familie fi) 
nicht fo widmen konnte, wie er es gewünfcht hätte, zu feinem 
eigenen Bedauern, denn er befaß einen, zum Teil fchon 
ererbten ſtarken Familienfinn. Porerft eine tiefe Anbänglich- 
feit an Eltern und Gejchwifter. In den Aufzeichnungen aus 
feinen Rrankheitstagen, da er unfreiwillige Muße im Lleber- 


20 


fluß fand zu befchaulidem Rüdblid auf feine Vergangenheit 
und zu pbilofophierender Zeraliederung aller Lebens: 
erſcheinungen, wie fie ihm Bedürfnis war, fagt er: „Wenn 
ich jet zurüdjehe, fo wird mir Har, daß die ftärkften und 
folideften Bande unter YBlutsverwandten beftehen. Dabei 
ift es nicht das gemeinfame Blut oder die ähnliche pſychiſche 
Organifation, was ihre Feftigfeit bedingt, es find vielmehr 
die gemeinfamen Erinnerungen. Ich fage ausdrüdlich 
Erinnerungen, nicht etwa Erlebniſſe. Denn es koͤnnen 
Menſchen zehn Fahre neben einander leben, ohne daß ihre 
gemeinfamen Erlebniffe fih zu Erinnerungen FEriftallifieren, 
weil der Eindrud diefer Erlebniffe nicht tief genug war. 
Sm Kindesalter ift das Gehirn am meiften aufnahmsfähig; 
die Eindrüde find am ftärkften, und außerdem lieat auf ihnen 
der Zugendzauber. Ge zahlreicher und je tiefer diefe Erleb- 
niffe find, je mehr die CEreigniffe, welche die Erinnerung 
wiedergibt, für die Entwidlung eine Rolle fpielen, defto 
ſtärker und dauerhafter find jene Bande. Deswegen jind 
die Bande der Blutsverwandtfchaft die folideiten.” 

Run, die Betätigung feiner Sohnes- und Bruderliebe 
hat unter feiner Berufsarbeit nicht leiden müſſen. Perio- 
difche regelmäßige Zuſammenkünfte aller Familienglieder zu 
gemeinfamer Mahlzeit und vertraulihem Gedantenaustaufch 
verfäumte er jelten; nach des Vaters Tod empfand er’s als 
feine Pflicht, fie nicht eingehen und die Geſchwiſter nicht 
auseinandergehen zu laflen. Und die gelegentliche gegen- 
feitige Hilfeleiftung mit Rat und Tat, die aufrichtigfte 
gegenfeitige Teilnahme in Freud und Leid hat nie verfagt, 
sebend und empfangend, bis an fein Ende. 

Dagegen bedrüdte ihn öfters das Gefühl, daß er, feiner 
Berufsarbeit wegen, mit feinen Rindern, drei Söhnen und 
einer Tochter, fih nicht jo einläßlich befchäftigen Eonnte, wie 
er's gewünfcht hätte. Seine anfangs ideale Häuslichkeit 
wurde überdies durch Krankfein feiner Frau vielfach geftört; 
die Kinder mußten zum Teil auswärts erzogen werden, und 


21 


das alles erfchwerte ihm vollends einen intenfiveren direkten 
Einfluß auf ihre Entwidlung. Er nüßte gerne nah) Mög— 
Lichleit befonders die Ferienzeiten aus, um auf gemeinjamen 
Wanderungen und Reifen feinen Zungen aud innerlich 
näher zu fommen. Und im Jahre 1909 erwarb er fih in 
Egerten bei Wollbah im badifchen Schwarzwald ein kleines 
Landhaus, das der Familie als leicht erreichbare ftille 
Zuflushtsftätte dienen follte. Während feiner langen Krank: 
beit hat er fchließlich fih noch ganz befonders bemüht, jedem 
einzelnen feiner Rinder durch Wort und eigenes Beifpiel 
heilfame Eindrüde und Anregungen zu binterlaffen. 

Was ihm über die zahllojfen Trübſale und Sorgen hin— 
überhalf, war, neben dem energifhen Willen, obaufiegen, und 
neben der verftändnispollen Teilnahme und Hilfe feiner An— 
verwandten, auch der Familie feiner Frau, die raftlofe Tätig: 
feit in feiner Klinik. Hier fühlte er fich in feinem Element, 
und kam feine Seele immer wieder in Gleichgewicht und 
Ruhe. Heberdies fand er, bei vielfeitiger Begabung, immer 
wieder ein Interefle an Dingen, welche außerhalb feines 
Berufsfreifes und Alltagslebens Tagen. Er pflegte folche 
Sntereffen mit Abſicht; nicht nur weil es feinen Neigungen 
entiprach, fondern weil er Davon eine wohltätige Erfrifchung 
feines Geelenlebens verfpürte, eine Stärkung der Spanntraft 
zur Wiederaufnahme des ihm verordneten Kampfes. Er 
empfand oft wirkliche Lebensfreude, welche aus Depreffionen 
ihm beraushalf, fo daß er ein anregender und unterbaltender 
Gefellichafter fein fonnte und für feine Patienten aus den 
mannigfaltiogften Gefellfchaftskreifen ein verftändnispoller und 
willfommener Arzt, weil er in ihre Gedantenwelt einzugehen 
wußte, als Menſch ihnen ſympathiſch war und ſchon Durch 
feinen Umgang wohltuend und ermunternd auf ihr Gemüts⸗ 
leben einwirkte, den Lebenswillen anregend. 

Bor allem war und blieb ihm das Wandern im Ge: 
birge eine eigentlihe Erfriſchung. Bon Zeit zu Seit, und 
gerade wenn depreffive Momente fich geltend machten, über- 


22 


fiel ihn ein faft krankhaftes Heimweh nach den Bergen. Noch 
auf feinem Todbette reiste es ihn, eine Erklärung dafür zu 
fuchen, und er fchrieb darüber: „Was zog mich denn fo zu 
den Bergen hin? Der Genuß des Landfchaftsbildes fpielte 
natürlich eine Rolle; aber in den Bergen empfand ich dieſen 
Genuß für ih allein kaum intenfiver als im Tal. Es fällt 
dabei allerdings ins Gewicht, daß in den Bergen der Natur- 
genuß erfämpft werden muß. Eine Berabefteigung ift immer 
ein Eramen, das man fich felber ablegt zur Meflung feiner 
förperlichen Kraft und Elaftizität, der Ausdauer gegenüber 
äußeren Schwierigkeiten und Widerwärtigkeiten, des Ver— 
zichtenfönnens auf ungehbemmte Befriedigung von zum Teil 
eingebildeten Förperlichen Bedürfniffen. Das Bewußtſein 
einer intakten Förperlichen Leiſtungsfähigkeit und einer weit- 
reichenden Willenskraft macht froh und wirkt wie ein Zung- 
brunnen. Zweifellos war dies imftande, den Zug zu den 
Bergen einigermaßen zu erklären, es genügte aber nicht. 
Smmer mehr lernte ich erfennen, daß bei mir ein anderes 
Moment noch wefentlicher war: das Große, Unmeßbare 
wirfte reinigend auf das Gemüt. Angefichts der unbeichreib- 
lichen, fait erdrüdenden Pracht und Majeftät der Hochgebirgs- 
welt wurde ich von vielen Schladen gereinigt, und immer 
mehr fiel das Kleinliche von mir ab. Ich lernte wieder 
größer und ruhiger denken; die meiften meiner Sorgen er: 
Ihienen mir nichtig und unbedeutend, und ich merkte, daß ich 
von den Bergen nicht nur erfreut und erfüllt von all diefen 
Schönheiten, fondern auch befler ins Tal bernieder fam. Die 
Stimmung war für mich deshalb meift feierlich, wie ich fie 
in einer Kirche empfand, und ich war mir bewußt, daß ich in 
den Bergen nicht nur äußerlich, fondern auch innerlich Gott 
näher geftanden bin. Sehr wohltuend wirkte dabei das Ge- 
fühl des Alleinſeins; lärmende Unterhaltung empfand ich als 
förend. Die große Stille und die Einfamleit gehören dazu 
für den, der den Zauber des Hochgebirges ganz empfinden 
will.“ 


23 


Eigentliche Rekordleiftungen beabfichtigte Haegler nicht; 
Doch hat er eine Reihe von recht anfehnlihen Befteigungen 
ausgeführt, und es war ihm feine geringe Genugtuung, daß 
er bis zum Beginn feiner Krankheit leiftungsfähiger war 
nicht nur als Gleichaltrige, fondern auch als Züngere, ohne 
daß ihn je Ermüdung um den Genuß feiner Wanderungen 
gebracht hätte. Am meiften Eindprud hat ihm immer das 
Engadin gemacht, und zwar fowohl im Sommer-, wie im 
Winterfleid. 

Seiner Erholung dienten ferner von jeber die ver- 
Ichiedenften fportlichen VBetätigungen: Turnen, Fechten, Foot: 
ball, Cridet, Lawn Tennis, Reiten. Allſeitigſte Ausbildung 
aller leiblichen und geiftigen Fähigkeiten galt ihm als menſch— 
liches Ideal. So pflegte er, befonders während feiner Ge- 
meinſchaft mit Prof. Socin, au mit Eifer und gutem Er— 
folg die Jagd auf allen Gebieten, indem er öfters von 
Sreunden und DBelannten in ihre Jagdreviere eingeladen 
wurde, felbft zur Hochwildjagd in den Alpen. In welchem 
Sinne er auch diefem Sport oblag, zeigen einige feiner 
Weußerungen, welche hier wohl eine Stelle finden dürfen. 

„Am ſchönſten erfchien mir die Pirfh auf den NRehbod. 
Auch da war Übrigens die Genugtuung nicht abhängig von 
der Beute. WUllerdings wenn nah einem längeren Pirſch— 
gang, oder nach einem ſchwierigen Vefchleichen des Wildes 
der Schuß abgegeben wird, und der Bod im Feuer zufammen- 
bricht, fo fchwellt ein Gefühl des Iriumphes die Bruſt; aber 
im allgemeinen war für mich die „Vorfreude” faft größer: 
das unter Umſtänden fchwierige Aufluchen des Wildes in 
allen feinen Schlupfwinfeln, das Beobachten des Tierlebens 
und nicht zuleßt der Naturgenuß, der damit verbunden ift. 
Es beichleicht einen ein feierliches Gefühl, wenn man leiſe 
durh den ftillen, menfcheneinfamen Wald wandert mit 
ſpähenden Augen, welche ſchärfer find für die Vegetation und 
für das reiche Tierleben, als bei gewöhnlichen Spaziergängen. 
Wenn dann langfam der Abend einfällt, und die Nacht mit 


24 


ihren erften Schatten alle harten Ronturen verwifcht, fo über: 
fommt einen das Gefühl einer Ruhe, wie ich fie fonft nur im 
Hochgebirge empfunden habe.“ 

Oder: „Als ich oberhalb von Langen am Arlberg an 
einem prächtigen Morgen in Iuftiger Höhe auf einer Fels- 
zade ſaß und einen Gemsbod erwartete, der mir von unten 
hätte follen zugetrieben werden, erhob fich faum ſechzig Meter 
von mir aus den Felſen ein WUdlerpaar. DReflektoriich lag 
eine Sekunde fpäter die Büchfe an der Wange. Der Adler 
ſchwebte mehrere Minuten lang über mir; ich jah jede Einzel: 
heit genau, hauptfächlich auch die ſcharfen Augen, mit denen 
er mich längere Zeit mufterte. Immer noch zielte ich, und 
der Schuß wäre bei diefer Nähe ein leichter geweſen. Sch 
Datte aber nicht den Mut, loszudrüden, das Bild war fo 
groß und ergreifend, daß ich es nicht Über das Herz gebracht 
hätte, duch einen Schuß den mächtigen Eindrud zu flören 
oder zu verkürzen.” 

Den größten und eindrüdlichften Genuß empfing Haegler 
vom Skiſport, den er erft im März 1906 kennen lernte, als 
der ihm befreundete Prof. Kilian ihn einlud, die Faſtnacht— 
Zerientage mit ihm auf dem Feldberg zuzubringen. Mit der 
ihm eigenen Begeifterung erfaßte er fofort den Reiz dieſer 
Runft und ließ nicht nah, bis er, troß feiner Jahre, fie fo 
weit beberrichte, daß fie ihm Genuß bot, und er hinfort jede 
Gelegenheit und freie Zeit benüßte, ſich denfelben zu ver: 
Ihaffen. „Einen einzigartigen Zauber hat das Hochgebirge”, 
— jagt er — „mit feinen ungebeuren Schneemaflen, mit feiner 
Winterfonne, die alle Farben verftärft und der Landfchaft 
eine feſtliche Note gibt, die tüchtig wärmt und Doch nicht be— 
läftiot. Und wie anregend wirkt die reine, flaubfreie Luft! 
Dabei die weiche, gleitende Fortbewegung auf den Sfis, 
ohne Erſchütterung, wie fie harte Schritte bei Sommer: 
wanderungen hervorrufen! Erft mit den Sfis ift das winter: 
liche Hochgebirge erjchloffen worden. Wie herrlich ift es, in 
ſtillen Tälern oder auf Höhen durch die unberührte Schnee: 


25 


Dede die erfte Spur zu ziehen! Nie babe ich das Einsfein 
mit der Natur fo Föftlich empfunden, wie in folchen Stunden; 
aber auch nie fo das Erhabenfein über alle Trivialität, über 
das Abgenützte, Geringe, Niedrige. Und endlich die Wonnen 
der Abfahrt, mit dem Eindrud des Fliegens, des feligen Los— 
gelöftfeins von aller Erdenfchwerel — Neben den großen 
Fahrten den Höhen zu, von denen man in Eöftlichen langen 
Abfahrten jauchzend wieder dem Tal zufliegt, gehören zu 
den fchönften Erinnerungen Heine WUbendfahrten, zum Teil 
durch den Hochwald, wo man, felber ſchon im Dunkel ſtehend, 
zwifchen den Stämmen die von den lebten Sonnenftrahlen 
farbig beleuchteten Schneefpigen durchſchimmern fieht, während 
im Tal, wo ſchon die Schatten des Abends liegen, ein Licht: 
lein nah dem andern aufblißt und aus der gleichmäßigen 
weißen Dede befonders lebhaft leuchtet. Und fchließlich die 
Abfahrt mit all dem Zauber der Heberrafchungen, die abend- 
lich verwifchte Terrainwellen ſchaffen!“ 

Uebrigens fühlte er fich jeweilen Durch einige Tage folchen 
Winterfportes nicht nur feelifch gehoben, fondern auch 
förperlich und geiftig beſſer erholt, als durch längere „Sommer: 
ferien”, wohl bauptfächlich dank der reinen Luft und dem 
Einfluß der Sonne. 

Das poefievolle Empfinden und die fichere plaftifche Dar- 
ftelung, wie fie in derartigen Schilderungen fich Fundtun, 
zeigen wohl, daß Haealer jelber eine Fünftlerifche Begabung 
befaß. Sn jüngeren Jahren bat er gelegentlich in dDeforativen 
Zeichnungen und Heineren Dichtungen fih mit Gefchid ver: 
ſucht. Als er meinte, feines Gebörleidens wegen von der 
medizinischen Laufbahn abgehen, zu müſſen, dachte er etwa 
daran, Goldfcehmied werden zu wollen. Später aber, als er 
in feinem Berufe feftgewurzelt war, fpürte er, daß diefer feine 
volle Kraft fordere, und verzichtete auf eigene künſtleriſche 
Produktion. Doch blieb ihm die rezepfive Freude an der 
Runft bis ans Ende eigen, fo ſehr, daß er noch auf feinem 
Todbette den höchſten Genuß darin fand, für Andere Heine 


26 


Kunſtwerke als Andenken nad feinen Ideen anfertigen zu 
laſſen. 

Er hatte Verſtändnis für die verſchiedenen Küunſte. Mit 
Dichtung und Literatur, auch franzöfifcher, blieb er vertraut. 
Den Genuß der Muſik verfchloß ihm zu feinem Bedauern 
die Schwerbörigfeit immer mehr. Im fo Teidenfchaftlicher 
liebte er die bildende Runft. Er erwarb fich auf diefem Ge: 
biete durch eigene Beobachtung und Beſuch der Gemälde: 
fammlungen und Mufeen auf feinen mehrfachen, zum Zeil 
ausgedehnten Reifen, wie durh Sammlung und Studium 
aller einfchlägigen Publikationen ein beftimmtes und jelb- 
Händiges Urteil, das er gerne begründete und rechtfertigte in 
dDozierendem Vortrag, wie es feiner Neigung, feiner philo- 
fophierenden Denkweiſe, feinem durch die Schwerhörigfeit ge: 
fteigerten Snnenleben entſprach. Auf Einzelnes einzugehen, 
würde bier zu weit führen. 

Er liebte den Umgang mit Künftlern. „Es ift über- 
haupt auffällig,” — fchreibt er, — „wie die Mediziner mehr, 
als Angehörige anderer Berufe, Neigung haben, mit den 
Künftlern zu verkehren. Bei den gemütlichen Zuſammen— 
fünften der Künftlergefellfchaft Eonnte es vorkommen, daß ein 
Drittel der Anweſenden und weitaus der arößte Zeil der 
Gäfte überhaupt Mediziner waren. Die Erklärung für diefe 
intereflante Tatſache fcheint mir in Folgendem zu liegen. 
Wenn einer, jo muß der Mediziner außer feiner Runft oder 
feinem Beruf einen Eeinen Tempel in feinem Innern haben, 
wohin er fih von feiner Verufsarbeit zurüdziehen und wo er 
fih erholen fann. Es gibt ja allerdings Mediziner, die reft- 
los in ihrem Beruf aufgehen. Daß folche Aerzte oder ärzt- 
liche Lehrer die beiten Fachleute fein können, fogar fein 
müfjen, weil fie von ihrem Berufsweg auch nicht Durch die 
Heinfte Ablenkung abgezogen werden, ift zweifellos. Ich 
zweifle aber daran, ob diefe Männer wirklich gute Aerzte fein 
können im umfaflenden Sinn diefes Wortes. Es gehört 
etwas Phantafie und Menjchenliebe dazu; es gehört dazu 


27 


der Trieb, fih in die Gedankenwelt, in die Weſensart der 
Andern hineinzuverfeßen, und dies lettere ift wohl die Grund: 
bedingung für einen guten Arzt. Dabei ift es denn nicht ver: 
wunderlih, daß die mit Phantafie begabten Mediziner 
hauptfächlich bei den Künſtlern und fpeziell bei den bildenden 
Künftlern ihre Erholung fuchen. Füllt doch beide auh in 
ihrem Beruf das Menfhlihe aus mit all feinen Licht: und 
Schattenfeiten.” 

Am enoften fchloß er fih an den Maler Hans Sandreuter 
an. Mit ihm reifte er im Frühjahr 1896 nach Florenz, im Auf: 
trag des Komites für die auf den Herbft projeltierte Bödlin- 
Seier, um Böcklin zu derfelben einzuladen. Sandreuter be- 
zwedte ferner, diefen zu porträtieren zur Herftellung einer 
Medaille. „Unvergehlihe Tage“, fchreibt Haegler, „haben 
wir dort verlebt. Wir wohnten in Florenz, zogen aber meift 
fchon morgens zur Böcklin'ſchen Villa in Fiefole und haben 
öfters den ganzen Tag dort zugebracht, plaudernd, Boccia 
ipielend oder Spaziergänge machend .. ... Vöcklin hatte 
damals feine Apoplerie hinter fich und ging wegen einer par: 
tielen Lähmung des Tinten Beines etwas unbeholfen; ift 
aber dabei Doch genau der Inorrige Schweizer geblieben, der 
er vorher war, und der nicht den geringften Eingriff in feine 
Selbſtändigkeit duldete. Es ärgerte ihn, wenn man, um ihm 
die Mühe zu erfparen, ihm den Boccia-Ball aufhob, oder 
durch irgend ein Wort oder eine Hilfeleiftung fein Alter oder 
feine Invalidität zu berüdfichtigen ſchien. Lange und oft 
verweilten wir in feinem Atelier, das vollftändig kahl war, 
mit grauem Papier ausgefchlagen, ohne Schmud, ohne Bilder, 
ohne Skizzen, kurz, ganz leer bis auf einen Glasſchrank, wo 
er in Heinen Fläfchchen feine Temperafarben aufbewahtrte. 
Mit Stolz wies er Sandreuter drei neue Erdfarben vor, die 
er in der leßten Zeit gefunden hatte, und wohl eine Stunde 
lang demonftrierte er den Effekt diefer Farben in verfchiedener 
Dide, oder in ihrem Verhältnis andern Farben gegenüber. 
Längere Zeit debattierten die Beiden auch über die befte 


28 


Mifchung der Temperafarben, ob Eiweiß und Eigelb, oder 
nur das eine den Farben beigemifcht werden fol. Auf einigen 
Staffeleien fab man angefangene Bilder: einen Pan, der 
in der Sonne auf einem grünen Hügel figend die Nymphen 
des Waldes anlodt;, einen rafenden Roland, wie er nadt mit 
einem Baumftamm fi der Philifter erwehrt; die große Faf- 
fung der apokalpptifchen Reiter. An einem Geftell hing 
Zaumzeug für ein Pferd, das einzige Requifit, das er für 
die apofalyptifchen Reiter brauchte. Sm übrigen malte er 
alles aus dem Gedächtnis; ich fah ihn felber auf dem Ro- 
land-Bild zwei Köpfe malen. . . . . Wenn man das Wefen 
Böcklins, fpeziell auch das der fpäteren Zeit, wo neben dem 
Ausgeglichenen, Abgeklärten, aber immer Lebenbejahenvden, 
der gefunde Humor einen guten Pla einnimmt, überfieht, 
fo fann man, bei genauerer Kenntnis feiner überaus kom— 
plizierten und fchwierigen Familienverhältnifie, faum ver- 
kleben, wie er die nötige Ruhe und das feelifche Gleichgewicht 
gefunden hat, um fo malen zu können. Meine Beobachtungen 
in Florenz gaben mir die Erflärung. In Boöcklin lebten zwei 
Menſchen: der Menſch in gejelichaftlihem Sinne und der 
Künftler. Der letztere war der mächtigere. Die Heinften 
fünftlerifchen oder äfthetiihen Reize genligten, um ihm das 
Reich der Phantafie oder der Kunſt zu öffnen, zu dem der 
Geſellſchaftsmenſch mit feinen Sorgen feinen Zutritt hatte. 
Ich habe mehrmals bemerkt, wie er’s vermochte, fih von 
allem, auch von den Menfchen, die neben ihm faßen, von einem 
Augenblid zum andern abzufchließen und alles verfinfen zu 
lafien, was ihn im Reiche feiner Phantafie flörte..... . 
Wenn wir abends im Garten faßen und auf Slorenz hin: 
unterblidten, ſo konnte er mitten in einem Sat ftill werden; 
er Ihien irgend eine Stelle im Tal oder am Horizont zu 
ftudieren und war fo verfunfen, daß er der Anrede nicht 
achtete, bis er plößlich fich wieder am Geſpräch beteiligte. — 
Schon äußerlich war er ein Menſch, den man nicht überfehen 
fonnte. Er hatte einen der mächtigſten Röpfe, denen ich be- 


29 


gegnet bin, mit einem Gefiht wie aus Holz gefchnigt, klaren 
blauen Augen, von denen man, wenn fie einen trafen, den 
Eindrud hatte, daß fie durch und durch fehen. Das Geficht 
behielt auch im Geſpräch das monumental Ernfte; aber felber 
vol Humor, war er auch für den Humor Underer fehr zu- 
gänglich und quittierte mit einem Elangvollen furzen Lachen. 
ae Er felber und das Leben dort haben mir einen tiefen 
Eindrud gemadt.... Mit einem Gefühl großer Be— 
reicherung habe ih Florenz verlaflen.” 

Biel Genuß und Förderung verdantte Haegler au 
feinen Reifen. Er hatte den Eindrud, daß durch die Kenntnis 
des Lebens der verfchiedenen Völker nicht nur das Snterefle 
für diefe geftärkt werde, fo daß man bei Zeitungs: und Buch: 
Lektüre oder bei mündlichen Berichten fih in allen erwähnten 
Gegenden mehr oder weniger daheim fühle, fondern daß man 
durch ſolche Reifen auch die Leiftungen anderer Völker befler 
werten, die Verhältniffe zu Haufe wieder richtiger einſchätzen 
und jedenfalls großzügiger denken und urteilen lerne. 

So war Haegler eine charakftervolle, vieljeitige Perfdn- 
lichkeit geworden. Als Arzt imponierte er durch fein wohl- 
erwogenes, klares und beitimmtes Urteil; beruhigte durch 
felbftbewußtes, ficheres Auftreten; erwedte Vertrauen durch 
fein bloßes Erfcheinen am SKranfenbett, wohlwollende Zeil- 
nahme und größte Gewiflenhaftigkeit, wie bei der Operation, 
fo auch bei der Nachbehandlung der Patienten. Als geiftig 
lebendiger und gebildeter Menſch war er im Umgang über: 
haupt anregend und belebend. Er war e3 geworden, mit 
Willen und durch energifchen Kampf gegen größere und 
Heinere Widerftände und Hindernifle, tägliche Widerwärtig: 
keiten und deprimierende Erlebniſſe. Dabei fam ihm aller: 
dings feine, von Natur und durch Selbftdisziplin ftarke körper⸗ 
liche Gefundheit und Leiftungsfähigkeit ſehr zu ftatten. 
KRörperfchädigungen durch Unfälle bat er zwar oft erlitten, 
doch meift überwunden ohne fich zu Bette zu legen und feine 
Berufsarbeit zu unterbrechen. 


30 


Da zeigten fi im Herbſt 1913 die Anfänge des Leidens, 
welches ihn zum Tode führen follte. Er fträubte fich zu- 
nächft, ihnen Bedeutung beizulegen. Als fie ih im Frühling 
1914, wie er meinte infolge einer Influenza, verftärkten, fon- 
fultierte er im Zuli einen Kollegen, der das Leiden für ein 
gutartiges, aber recht langwieriges erflärte. Dann fam der 
Krieg, und die erhöhte Tätigkeit, welche dieſer für ihn mit 
fih brachte, ließ ihn die Störungen vergeflen oder nicht be- 
achten. Schmerzen und Beſchwerden fteigerten fih jedoch 
und wurden bald fo charakteriftifch, daß er im Oktober 1914 
an der Diagnofe eines Proftatacarcinoms feinen Zweifel mehr 
haben konnte. Angefichts der üblen Prognofe auch bei opera: 
tiver Therapie, ſah er von einem operativen Eingriff ab. 
Andrerfeits wußte er, Daß das Leiden von fehr langer Dauer 
fei, und fette alles daran, es feinen Angehörigen jolange als 
irgend möglich zu verheimlichen, weil fie in jedem Falle noch 
lange genug darunter würden zu leiden haben. Wollte er 
feiner Tätigkeit weiter nachgeben, jo mußte auch dem Publi- 
tum verborgen bleiben, daß er krank fei. Die inneren Kämpfe, 
welche die Erkenntnis feines baldigen Todes mit fich brachte, 
bat die damalige große Zeit ihm erleichtert. Wie viele 
junge, leiftungsfähige Menfchen gaben ihr Leben hin für 
ideelle Güter! Wie viele ſah er in den Lazaretten Eörperlich 
ſchwer leiden oder zu Krüppeln werden, ohne daß fie davon 
viel Aufhebens machten! Durfte er, angefihts diefer großen 
moraliſchen Kraft, die er überall fand, über fein Schickſal 
jammern oder den Mut verlieren?! — „Und wie ift mir”, 
— fagte er, — „Über diefe fchwere erfte Zeit, big der mo- 
ralifche innere Rampf durchgelämpft war, binweggeholfen 
worden! Mein Affiftent war mobilifiert; ich hatte die Klinik 
allein mit den Schweſtern zu beforgen, was übrigens vor- 
züglich ging; dazu fam meine Stellung in den Lazaretten des 
nahen Elfafjes und Badens, die mich intereffierte und, da 
ih Gutes wirken konnte, auch befriedigte. Diefe felten große 
und ſchöne Aufgabe duldete kein Grübeln und keine Mut- 


31 


lofigfeit,; ich war glüdlich, daß ich noch mit vollen Händen 
geben und viel Elend mildern konnte.“ 

Mitte Auguft war Haegler nämlich als chirurgifcher 
Eonfiliarius und Operateur in die PVereinslazarette nad 
St. Ludwig, Eimeldingen, Haltingen, Weil, Lorrach, Brom: 
bach gerufen worden, wo er reiche Arbeit fand und viel 
intereflante Beobachtungen machen fonnte. Es war ihm ge: 
ftattet, mit feinem Automobil das näher liegende Operations: 
gebiet im Elfaß zu befuhen. Mehrfach bat er, zum Teil 
während der Kämpfe, die Verwundeten direft an der Front 
geholt und ift bis zu den vorderften Vorpoften gekommen. 
Darüber hat er befondere Aufzeichnungen binterlaflen. 

Die erhebliche Eörperlihe Abnahme, die fih bald ein- 
ftellte, erklärten feine Angehörigen dur die übermäßige 
beruflihde Snanfpruchnahme. Im Februar 1915 ſchloß er 
feine Zorlefungen etwas früher als gewöhnlich und 309 mit 
feiner Schwiegermutter und mit feiner Schwägerin zur Er: 
bolung ins Engadin. „Sch finde keine Worte” — fagt er — 
„um richtig auszudrüden, wie fehr ich diefe Tage inmitten 
meiner lieben Berge genofien habe. Glücdlicherweife war 
ich Eörperlich raſch ſo weit erholt, daß ich faft die Bewegungs: 
freiheit eines Gefunden erlangte und fchließlich imftande war, 
mich bis acht Stunden täglich auf den Skis zu bewegen, 
ohne körperlich wefentlich zu ermüden. Immer ift mir das 
Engadin der liebfte Zeil der Schweiz gewefen, und im 
Winterkleid erfhien es mir noch fchöner alg zur Sommers: 
zeit. Sch wußte jede Stunde, daß es der Abſchied von den 
Bergen war, und jeder Tag war mir daher ein Feſt ... 
Sch bin nicht nur körperlich und feelifch neu geftärkt zurück 
gekehrt, fondern mit einem reichen Schab der fchönften 
Natureindrüde, deren Erinnerung mir mande Stunde auf 
dem Schmerzenslager erleichtert bat.” 

Das Leiden ging aber feinen Gang, und im Sommer 
verftärkten fich die Beſchwerden fo, daß er feiner Tätigkeit 
nur mit Aufwand der lebten Energie nachgehen konnte. In 


32 


der Hoffnung, nicht daß eine Heilung, wohl aber durch Ver— 
‚Heinerung des Tumors eine Beflerung der Befchwerden er: 
zielt werde, unterzog er fich in Berlin, unter treuer Freundes: 
pflege, einer zehnwöchigen Röntgen- und Radiumbehand- 
lung, die ſehr anftrengend war. Der Erfolg fehien vorerft 
ein verblüffender, der Tumor war faft vollftändig ver- 
Ihwunden. Doch hatten ſich Darmbefchwerden eingeftellt, 
die zweifellos als Schädigungen durch die Strahlenbehand- 
lung mußten aufgefaßt werden, und die in der Folge eigent: 
ih mehr Störungen und Schmerzen bervorriefen, als das 
urfprüngliche Leiden, das nun auch bald wieder fich fundgab. 
Sm Dezember wurde eine Feine Erleichterungsoperation 
unvermeidlich, und von da an blieb er ans Bett gefeflelt. 

Alles, was an leiblihen und feelifchen Qualen über 
einen Menſchen kommen Tann, ift in Fülle über ihn aus- 
gefchüttet worden. Hatte er anfangs fich dankbar darüber 
gefreut, Daß feine Frau mit großer Hingebung fich feiner 
Dflege widmen konnte, fo brach ihre Kraft bald zufammen, 
und mußten Undere die Fürforge für den Todkranken über: 
nehmen. Alle damit zufammenhängende Kümmernis laitete 
ſchwerer auf ihm, als die oft bis zum Aeußerſten gefteigerte 
leibliche Pein. Uber wie er entichloflen war, diefe aus- 
zubalten mit ungebeugtem Heldenmut, fo hat er auch durch 
jene fih nicht zu Klagen über fein Schidfal hinreißen oder 
zu ſtumpfem Lebensüberdruß berabitimmen laflen. Schon 
bevor er fich legte, hatte er feine perfönlichen Angelegen- 
beiten zu ordnen, fein Haus zu beitellen begonnen. Nun 
mußte er feine geliebte Klinik veräußern und war dankbar, 
daß der Bürgerſpital fie erwarb und fortführte. Er be- 
mühte ih, feine Kinder noch einzeln zu beraten für ihren 
fünftigen Lebensweg. Er fühlte das Bedürfnis, über den 
geiftigen Ertrag feines Lebens fih Rechenfchaft zu geben 
und verfaßte bis in feine lebten Tage hinein eine ausführ- 
liche Autobiographie, welche Lediglich dieſem Zwecke dienen 
follte, nicht für die Deffentlichkeit beftimmt war, und welche 


33 . 


er feinem Schwager, dem Schreiber diefer Zeilen, an- 
vertraute zu Aufbewahrung und allfälliger teilweifer Be— 
nügung nah deflen Gutfinden. Sie ift nach Inhalt und 
Sorm fo lebensfriih, gedächtniskträftig und Ddarftellungs- 
gewandt, wie die mitgeteilten Zitate in diefer Lebensſtizze 
wohl beweifen, daß fein Menſch in ihr das Diktat eines 
todkranken Mannes vermuten würde. Er bat feine volle 
Geiftesflarheit fih wahren wollen, hat darum gegen nar- 
kotiſche Mittel fich ablehnender verhalten, als feine Rollegen 
wünfchten, und lieber fchlaflofe Nächte und heftige Schmerzen 
fih gefallen laflen. Er hat fih zwar nad) dem Tode gejehnt, 
weniger, um felbft der Qual enthoben zu fein, als damit 
feine Angehörigen und Freunde nicht länger um feinetwillen 
und mit ihm leiden müßten. Gern von Lebensüberdruß 
und Unmut, freute er fih unbefangen, fo oft und fo lange 
ihm noch ein irdifcher Gemuß zugänglich war: ein Freundes: 
befuch, ein intereflantes Buch, eine gute Illuſtration, ein 
Blick auf blühenden Kaftanienbaum, ein von ihm erdachtes 
und beftelltes Kunſtwerk, das er noch felber als „Andenken“ 
überreichen durfte, durch verftändnispolle, die Wehmut ver: 
bergende Freude des Empfängers beglüdt. Und das alles 
nicht etwa in lebenboffender Gelbfttäufchung, fondern bei 
fteter Gewißheit des unvermeidlihen Endes. Das Sterben 
hatte für ihn nichts Schred- und Grauenhaftes. 

Seine großartige Leidens- und Sterbensbereitichaft fpricht 
für die Richtigkeit der Marime, die er als Arzt befolate. 
„Sch babe gefehen” — fchrieb er — „wie wichtig es ift, wenn 
man das Vertrauen des Patienten behalten will, daß man 
ihm immer die Wahrheit ſagt. Es wird unter WUerzten viel 
disfutiert, ob man das Recht oder fogar die Pflicht babe, 
dem Patienten die Wahrheit zu fagen, auch wenn fie un- 
angenehm oder fchmwer if. Sch ftehe auf dem Standpunft, 
daß der Arzt niemals feinem Patienten mit einer Unwahr⸗ 
‚beit antworten darf. Gelbftverftändlich fol dem Patienten 
die Wahrheit nicht aufgedrängt werden, wenn er fie aber 


34 


fennen will, fo darf man nicht damit zurüdhalten. Die 
Wahrheit wird ihm fchließlich Doch nicht verborgen bleiben, 
und fein Vertrauen zum Arzt hat ein Ende, wenn er merft, 
daß diefer ihn getäufcht Hat. Sch habe mich ſtets an die 
Pflicht zur Wahrheit meinen Patienten gegenüber gehalten 
und hatte niemals den Eindrud, daß der Patient unter der 
Wahrheit gelitten hat. Bei weitaus den meiften Menfchen 
beunruhigt und ängftigt die Ungewißheit viel mehr, als 
wenn fie fih einem offenen Viſir gegenüber fehen. Der 
Eindrud beim Patienten hängt aber ganz von der Form ab, 
in der ihm die, vielleicht traurige, Wahrheit mitgeteilt wird. 
Es ift demnah eine Frage des Taktes, alfo der Fähigkeit, 
fih in den Andern hineinzuverfegen, die Regungen feiner 
Seele zu fennen. Das ift umjo notwendiger, weil die Mit- 
teilung der Wahrheit in ſolchen Fällen ftets eine ganz 
individuelle Form haben muß; wer fich Dabei an ein Schema 
hält, wird den Zweck, den Patienten zu beruhigen, nie 

erreichen.” 

Sn dem andauernden offenen, durch kein PVerftedens- 
ipielen fomplizierten und erfchwerten Verkehr mit dem Tod⸗ 
kranken haben feine Umgebung, wie er felber, erfahren 
dürfen, daß die Wahrheit frei macht. 

Die Stimmung Haeglers wird befonders erfichtlich 
aus Geftändniflen, wie die folgenden: 

„Denn ich zurüdiehe, fo kann ich deutlich erkennen, 
wie ich durch eine Prüfung zum Ertragen einer anderen, 
größeren erzogen worden bin, und wie notwendig diefe 
Prüfungen waren, um dem Guten in mir zum Durchbruch 
zu verhelfen... . 

Jedes Rütteln an Verhältniſſen, die nicht zu ändern 
find, jedes fentimentale Bedauern derfelben macht ſchwach 
und lähmt das Anpaflungsvermdgen. . . . 

Sn diefer fchweren Zeit fand ich Freundfchaft und Liebe 
in fo reihem Maß, dat es mich ganz befchämt hat; treue 
Freunde, die mich regelmäßig befuchten und mich, mit Auf: 


35 3* 


opferung ihrer Zeit, in der Drdnung meiner Angelegenheiten 
unterftüßten, und zahlreiche frühere Patienten, die mir brief: 
lich oder durch Blumenſpenden zeigten, Daß fie an mid 
dachten und an mir hingen. Wenn ich auch zu leiden hatte, 
fo waren doch meine Angehörigen und Freunde mehr zu 
bedauern. Gott hat mich durch Schwere Schidfale zum Leiden 
erzogen und mir Kraft gegeben, zu tragen. Aeberdies 
fonnte ich für meine Leiden einem Ziel und Ende entgegen- 
feben, während fie angefihtsS meiner Leiden fi) grämten 
und unter dem drüdenden Gefühl litten, mir nicht helfen zu 
fönnen, und Dabei Doch immer den definitiven Verluft vor 
Augen batten. Leider konnte ich der Dankbarkeit für all 
die treue Liebe, die ich erfahren durfte, nicht fo Ausdrud 
geben, wie ich es gerne gewollt hätte. 

... Der Gedanke an meine Kinder maht mir den 
Abſchied vom Leben befonders ſchwer; ich wäre ihnen bis zu 
ihrer Selbftändigfeit mit Rat und Tat doppelt nötig gewefen. 
Hoffentlich kommen die guten Eigenfchaften aus beiden Fa— 
milien, befonders auch die Veharrlichkeit im Verfolgen eines 
Zieles und die Neigung, das Ziel fehr hoch zu fteden, zum 
Durchbruch. Gott, der mich fo früh abruft, wird fie ftüßen, 
und ich weiß, daß auch meine Verwandten und meine vielen 
Sreunde ihnen Rat und Hilfe nicht verfagen werden.” 

Der lebte Anfturm des fortjchreitenden Leidens war fo 
ſchwer und qualvoll, Daß die erfchütterten Angehörigen dank- 
bar aufatmeten, als am 4. Auguft 1916 gegen Mittag Herz: 
fchlag und Atem bei ihm endlich ftille ftanden. 

Ob fein tätiges Wirken bewundernswerter geweſen fei, 
oder jein ftandhaftes Leiden, läßt fi) kaum entfcheiden. Dort 
wie bier offenbarte fich diefelbe Energie, den Leib dem Geift 
und Willen dienftbar zu machen, das gleiche Heldentum, 
welches felbft Niederlage in Sieg verwandelt. 


36 


Die Reformation 
im baslevifch-bifchöflichen Laufen. 


Don Rarl Bauf. 


Die Reformation war in ihrem immerften Weſen eine 
religiöfe Bewegung. Don diefer Beurteilung abzugeben, 
liegt auch in der Gegenwart, wo die evangelifche Chriftenheit 
ſich anfchicdt, die Feier ihres vierhundertjährigen Beſtandes 
zu begehen, fein Anlaß vor. Denn was auch im Laufe 
der Zeit über die Entftehung und den Verlauf diejer Be— 
wegung Durch alljeitige und eindringende Forſchung ans 
Licht geftelt worden ift, mußte nur zur Beſtätigung dafür 
dienen, Daß in der Reformation religidfe Kräfte aus den 
Tiefen aufgebrochen find. Damit fteht nicht im Wider- 
ſpruch, dat der Strom diefer Kräfte nicht rein gefloflen ift, 
fondern fchon in feinen Anfängen Zuflüffe andrer Art in 
fih aufgenommen hat, welche feine Klarheit trübten. Diefe 
Tatſache leugnen zu wollen, wäre weder wahr noch Flug und 
noch viel weniger ein Beweis des Vertrauens und der 
Dankbarkeit. Denn die rechte Dankbarkeit kann uns Doch 
nie verleiten, uns vor der Wirklichkeit zu verfchließen, welche 
die fortfchreitende Erforfhung der Reformationsgefchichte 
aufdedt. Es ift in der Tat nicht alles fo erbaulich ver- 
laufen, wie man es jich evangelifcherfeits gewünſcht und viel- 
fah im Rüdblid aus größerer Entfernung vorgeftellt und 
dargeftellt Hat. Wenn wir dies heute unummunden zuge: 
fteben, jo find wir um fo eher davor bewahrt, die Geaner 
der Reformation ungerecht zu beurteilen, fondern vielmehr 
imflande, auch ihnen Gerechtigkeit widerfahren zu laſſen, 
den guten Willen und die guten Abſichten anzuerkennen, 
welche fie an ihrer Auffaffung des chriftlichen Glaubens feft- 


37 


halten liefen. Wir laufen aber ebenfowenig Gefahr, die 
große Gabe zu verfennen, welche der Menfchheit in der 
Reformation gejchenkt worden if. Im Gegenteil, wenn wir 
die Widerftände deutlicher fchauen, welche fih dem Strom 
diefes neuen Lebens entgegenftellten, dann wird ung auch 
erft die Kraft zum Bewußtſein fommen, die bier bervor- 
gebrochen ift. Ueberall haben fih der Reformation Schwie— 
rigfeiten und Hinderniffe gewaltigfter Urt entgegengeftellt. 
Se nah den Verhältnifien hat darum die Bewegung an den 
verſchiedenen Orten auch fehr verjchiedene Geftalt angenom— 
men. In der Regel kam die neue Bewegung nur da zum 
Siege, wo fie fih mit der politifhen Macht verband und 
dieſe Macht ihr über die Widerftände hinweohalf. Wer es 
anders haben möchte, müßte verlangen, daß nicht nur die 
Führer, fondern auch die Mafle des Volkes lauter Herven 
des Glaubens geweſen wären. Ebenſo war es die Regel, 
daß die neue Bewegung unterlag, wo fie die politiſche Macht 
gegen fich hatte. Wer dies nicht zu verftehen vermöchte, 
müßte glauben, dat die Mehrzahl der Menfchen zum vorn: 
herein zum Martyrium gefchaffen fei. In beiden Fällen 
würden wir an die SZeitgenofien der Reformation For: 
derungen ftellen, deren Erfüllung Kräfte erforderte, die nicht 
nur das gewöhnliche, fondern auch ein außergewöhnliches 
Maß bei weitem überfteigen. Im Gebiete des Bistums 
Baſel treten die verfchiedenen Möglichkeiten in die Er- 
fcheinung. | 
Am leichteften und glatteften vollzog fich der Imfchwung 
da, wo die reformatorifche Bewegung mit der politifchen 
Macht im Bunde fland und von ihr getragen wurde. So 
geſchah es in Baſel. Nachdem die Stadt fih zum Evange: 
lium befannt hatte, führte fie durch die Reformationsordnung 
ihr ganzes Gebiet zum neuen Glauben hinüber. Am fchwie- 
rigften oder geradezu unmöglich war das Auflommen der 
evangelifchen Bewegung an den Orten, wo der Biſchof die 
geiftliche und weltliche Gewalt in feiner Hand vereinigte. 


38 


Auch in Pruntrut, wo der Erzbifhof von Beſançon die 
geiftliche und der Biſchof von Baſel die weltlihe Gewalt 
befaß, mußten alle Reformationsverfuche fehlfchlagen oder 
nach kurzer Zeit völlig erdrüdt werden. Wo darum bei den 
Untertanen des Bischofs wirklich der Wille vorhanden war, 
der neuen Bewegung fi anzufchliegen oder bei ihr zu 
bleiben, da mußte erft die Herrfchaft des geiftlichen Fürften 
abgefchüittelt werden, wenn ein dauernder Erfolg erzielt 
werden follte. Diefen Weg haben die fürftbifchöflichen Vog— 
feien Laufen, Zwingen, Pfeffingen und Birsed bejchritten. 
Welche Geftalt die evangelifhe Bewegung in Laufen an- 
genommen hat, davon möchten dieſe Blätter erzählen. Erft 
nachdem Laufen mit Baſel in ein Burgrecht getreten und 
ſich dadurch der Gewalt des Biſchofs entzogen hatte, 
fonnte die Reformation zum Siege gelangen, und erft nach- 
dem der Biſchof durch die Aufhebung des Burgrechts mit 
Baſel die Vogtei Laufen-Zwingen fih wieder unterworfen 
hatte, Eonnte er feinen Plan, die Untertanen zur Fatholifchen 
Kirhe zurüdzuführen, verwirklichen. In beiden Fällen war 
religiöſe Kraft vorhanden. Das einemal erwies fie fih nicht 
jo ſtark daß fie ohne Verbindung mit der politifchen Macht 
fich durchgefeßt hätte; das andere Mal war fie fo mächtig, 
daß nur die entichloflenfte Geltendmachung der weltlichen 
Gewalt von Geiten des Biſchofs fie niederzuringen ver: 
mochte. 


J. Vorgeſchichte. 


Un der fchon von den Römern begangenen Straße 
durchs Birstal war Laufen eine der älteften Rirchgemeinden. 
Daß einft den Mlamannen die fich hier niedergelaflen hatten, 
aus dem GZranfenlande der chriftlide Glaube vermittelt 
worden war, verrät noch der Heilige der Kirche in Laufen, 
Martin von Tours. Wie die Rüchlein unter den Flügeln 
der Henne fanden die Gemeinden der Umgebung bei der 
Mutterfiche Schuß. Im Laufe der Zeit trennten fi ein: 


39 


zelne Gemeinden ab und wurden felbftändig, wie Blauen, 
welches die Erinnerung an feinen urfprünglichen Zufammen- 
bang in feinem Patrone, dem Heiligen der Mutterfirche 
fefthielt, und Nunningen, welches noch im Sabre 1375 
Filiale von Laufen war.!) 

Sn der Zeit, als das welfifche Königreich Burgund an 
das deutſche Reich gefommen war, gelangte die ganze Ge: 
marfung Laufen an das ehemals von den Welfen begünftigte 
und mächtig aufftrebende Klofter St. Blafien im Schwarz: 
wald. Im Jahre 1141 aber wußte der Biſchof Ortlieb von 
Bafel, aus dem Haufe der Froburger, Laufen an fich zu 
bringen und duch diefe Erwerbung fein Herrichaftsgebiet 
nah Süden auszudehnen?) Der Biſchof mußte damals 
die Verpflichtung eingehen, den neuen Beſitz niemals der 
Basler Kirche zu entfremden. In der Tat ift, eine kürzere 
Zwifchenzeit abgerechnet, Laufen dem Fürftbistum Baſel 
erhalten geblieben. Nachdem im Jahre 1792 der Fürft- 
biſchof von Baſel abgefegt worden war, teilte Laufen die 
Gefhide der raurachiſchen Republik, bis es im Wiener: 
frieden im Jahre 1815 zum Kanton Bern gefchlagen wurde. 
Dagegen vertaufehte im Jahre 1265 der Biſchof das 
DPatronatsreht von Laufen dem Domkapitel gegen Das 
Patronatsreht von St. Theodor in Klein-Vafel.?) 

Laufen blühte unter der bifchöflichen Fürforge auf. 
Der Bifhof umgab den Ort mit Ringmauern und baute 
die Tore. Bifhöflicde Dienftmannen übernahmen die Hut 
des Städthens. Die Bürger wärmten fi an der freund- 
lichen Sonne bifchöflicher Gnade. Im Sabre 1296 erhielten 
fie diefelben Rechte wie die Bürger von Bafel.) DPeue 
Rechte kamen im Laufe der Zeit hinzu, fo das Umgeldsrecht, 
wogegen aber die Bürger verpflichtet wurden, felbft für den 
Unterhalt der Stadtmauern zu forgen?) Us Laufen zur 
Stadt erhoben worden war, war der Kirche das Miß— 
gefhid widerfahren, durch die Mauern von der Stadt aus— 
geichloflen zu werden. Daß aber des Nachts oder in 


at 


Kriegszeiten, wenn die Tore gefchloflen werden mußten, die 
Blirger ohne Kirche waren, war auf die Dauer ein unhalt- 
barer Zuftand. Darum wurde innerhalb der Mauern eine 
neue Kirche gebaut und im Jahre 1364 von Biſchof Johann 
Senn zu Ehren der heiligen Katharina geweiht.) Schon 
vorher hatten die Barfüßermönche ihr Haus im Städtchen.”) 
Sn der alten Haupfficche wurde in einer befonderen Kapelle 
die Sungfrau Maria verehrt.) Ein befonderer Priefter 
verfahb ihren Dienf. Das Patronatsrecht diefer Kapelle 
ftand den Herren von Blauenſtein zu und wurde im Sabre 
1445 von Agnes von Blauenftein an die St. PDetersitift in 
Bafel abgetreten?) Um dieſe Zeit verfahen der Leut— 
priefter und ein Vikar, die Rapläne an der Marienfapelle, 
der Ratharinenkapelle und der Oswaldkapelle in Zwingen 
den Dienft an der Gemeinde. In den verwidelten Firch- 
lichen Verhältniſſen lag die Gefahr von allerlei Reibungen 
und Gfreitigfeiten jchon zu der Zeit, wo der eine Glaube 
alle verband, noch viel mehr aber jpäter, wo der alte und 
der neue Glaube um die Herrichaft miteinander im Kampfe 
lagen. So befchwerte fih im Jahre 1516 der Kaplan der 
Marienfapelle, Hans Hafner, der ſchon feit 14 Jahren 
auh Zwingen „bejungen” hatte, bei der Stift ©t. Peter 
darüber, daB ihm der Leutpriefter allerlei Gefälle von 
Fahrzeiten und andern Firchlichen PVerrichtungen vor: 
enthalte.) Das geſchah am Vorabend der neuen Zeit, 
die mit dem Auftreten Luthers im Jahre 1517 für die Kirche 
anbrad). 


2. Saufen im Bauernkrieg. 


Vom Eindringen evangeliihder Regungen war im 
Laufentale lange Zeit nichts zu fpüren. Dagegen hatte fich 
im Laufe der Zeit allerlei Unzufriedenheit angefammelt 
gegen den Biſchof, die Klöfter Vellelay und Lützel und 
auch gegen verfchiedene adelige Herren. Schon im Jahre 
1523 war der Wunfch Tebendig, fi der Herrichaft des 


4 


Biſchofs zu entziehen und fi) Baſel anzufchließen.!!) Der 
Bauernkrieg in Deutfchland im Jahre 1525 war auch im 
Laufental das Zeichen zum Aufftande.. Mit einem Schlage 
war die Bewegung da. Zuerſt erhoben fich die von Laufen. 
Sie zogen am 2. Mai ins Delsberger Tal, überfielen das 
Klofter Lütel, erbrahen die große Ronventsftube und alle 
Gemäder, taten die ſchönen eifernen Gitter vor dem „fron 
vnd onfer frowen” ab, plünderten den Kirchenfchaß und zer: 
Ihlugen die fteinernen Pfoften im Kreuzgange.!?) Der Abt 
beflagte fich fpäter, daß der Schaden fich auf dreißigtaufend 
Gulden belaufe.!3) An Hans von Hafenburg und feinem 
Bruder fowie dem Herrn von Varſchanndt ließen fie ihren 
Zorn aus, indem fie ihnen Korn, Wein und anderes ab- 
nahmen. Gie mußten aber auch die Bauern aus den 
ſolothurniſchen WUemtern Tierftein, Gilgenberg, Dornad) 
und jenfeits der Birs und der bifchöflichen Herrfchaft Pfef— 
fingen dahin zu bringen, daß fie fich ihnen anſchloſſen. Am 
5. Mai waren etwa 1500 Bauern auf dem Felde zwifchen 
Reinah und Dornach verfammelt in der Abficht, den Biſchof 
mit Gewalt zu zwingen, fie von allen Abgaben und Dieniten 
zu befreien. Ihre Forderungen hatten fie in XUrtifeln zu- 
fammengefaßt, die je nach) den drtlichen Verhältniſſen das— 
felbe Thema von der Freiheit variierten. Worauf es 
die Bürger von Laufen abgeſehen hatten, das hatten fie in 
ihren vierzehn Artikeln niedergelegt."*) In erfter Linie 
verlangten fie, von der Zuridiftion des Biſchofs befreit zu 
werden. Die Hochwälder follten als „allen Menfchen ge: 
meinſam“ frei fein, damit fie die „Tümerlich häslin“ haben 
möchten, ebenfo die Fifchweide. Sie forderten Abfchaffung 
der Zinje von den Rüttenen, des Umgelds, des Zolles von 
Holz auf dem Wafler, des Wucherzinfes und des Todfalles, 
ebenfo des Heinen Zehntens, der Frondienſte, des Chrift- 
babers und der zwei Pfennige, welche bisher ein jeder dem 
Kirchherrn und Erzprieiter hatte geben müflen. Dagegen 
erklärten fie fich bereit, den großen Zehnten zu geben, jedoch 


42 


follte, was nach) der Vefoldung des Pfarrers übrig bleibe, 
für die Urmen und für die VBedürfniffe der Gemeinde ver- 
wendet werden. Zulegt wünfchten fie, daß Zwingen und 
Laufen nur ein Gericht hätten und daß das Gericht nicht 
in Zwingen, wo der bifchöflihe Vogt fein Weſen hatte, 
fondern in Laufen gehalten werde. Aus allen diefen For: 
derungen gebt deutlich hervor, daß es fih vorerft nur um 
rein weltliche Ziele handelte. Von der Wahl des Pfarrers 
durch die Gemeinde, welche die meiſten Aemter im Baſel— 
biet an die Spige ihrer Forderungen ftallten, wird fein 
Wort gejagt, gejchweige denn von der PVerfündigung des 
Evangeliums. Don einer religidfen Bewegung ift eben noch 
gar nichts zu ſpüren; aber was hier angefangen war, Fonnte 
raſch über die nächftliegenden Ziele hinausführen. 

Der Biſchof berichtete fofort an Baſel, Solothurn und 
Bern über die große Gefahr, worin er ftand. Der Rat von 
Bern entfandte unverzüglich Rafpar von Mülinen ins bifchöf- 
liche Gebiet: Am 5. Mai berieten die Gefandten von Solo— 
thurn und Greiburg in Bern. Nahvdem fie fortgeritten 
waren, um zu Haufe zu berichten, und ein Schreiben von 
Mülinens mit den Bauernartikeln eingelangt war, lag dem 
Rate von Bern bauptfählich daran, Zeit zu gewinnen. Er 
wies von Mülinen an, alles aufzubieten, daß er die „un: 
ruhigen Leute in Gütigkeit ab und heimbringen“ möchte.") 
Zur Sicherheit und um für alle Fälle bereit zu fein, wurde 
ein Aufgebot erlaflen. Der Roadjutor des Bifchofs, Niklaus 
von Dießbach, wurde verftändigt, daß fihb Bern gerüftet 
halte, und an Solothurn die Zuſage gegeben, mit 6000 guten 
Büchſenſchützen zu fommen, falls Solothurn von den Auf: 
rührern überzogen würde, „Doch jo witt, das ir nit zu hitzig 
fin vnnd verrer dann die notturfft eruorderte ziechenn vnnd 
vffbrächenn”. Auch Solothurn und Freiburg befchloflen den 
Auszug. 6) 

Unterdeſſen waren die Geſandten von Baſel, Bern, 
Solothurn, Freiburg und Luzern mit den aufſtändiſchen 


43 


Bauern an der Drüde von Dornah zufammengetreten. 
Während vier Stunden wurde verhandelt, ein Vorſchlag 
nach dem andern gemacht und verworfen. Solothurn wollte 
fih zu feinen SZugeftändniffen berbeilaflen. Der Bifchof 
gab fchliehlich nach, nur damit die Bauern aus dem Felde 
zogen. Man einigte fi fohließlich dahin, daß die Bauern 
heimziehen, ihre Beſchwerden, in Artikel gefaßt, ihren 
Herren übergeben und nah acht Tagen ihre Boten wieder 
nah Dornach ſchicken follten.!”) 

Die Bauern gingen auseinander, aber fie fehrten nicht 
heim. Im Delsbergertale fammelten fi) die Aufftändifchen 
von neuem. Am 9. Mai lag ein Haufe, der Vellelay über: 
fallen wollte, eine Meile von Bellelay entfernt, Tehrte fi 
„gan Hupthefien, da der recht groß Hufen gelegen” um mit 
ihnen und mit ganzer Macht nah Münfter und Bellelay zu 
ziehen und die beiden Gotteshäufer und andere Obrigfeiten 
und Amtleute zu frafen. Bern, das am 10. Mai morgens 
3 Uhr Bericht erhalten hatte, rief Solothurn und Freiburg 
zu einer Veratung auf den folgenden Tag.!?) Die Lage 
erſchien noch bedrohlicher, als befannt wurde, daß die ſchwä— 
bifhen Bauern bei Laufenburg, Sädingen und Rheinfelden 
in fteter Werbung ftanden, um einen friedliden Durchzug 
zu erlangen. Cine Vereinigung der ſchwäbiſchen und 
ſchweizeriſchen Bauern hätte zu „viel Unkommlichkeit“ ge: 
führt. Baſel wurde von Bern aufgefordert, den Durchzug 
zu bintertreiben, und Bern gab feinen Boten nah) Baden 
Auftrag, ebenfalls dahin zu wirfen.'?) 

Die Gefahr ging vorüber. Am 16. Mai fand bei der 
Brüde in Dornach die zweite Verhandlung ftatt.2?) Die 
Beſchwerden von Laufen und Pfeffingen wurden behandelt. - 
Das Ergebnis fiel niht nah dem Wunſche der Laufen: 
taler aus. Die Bauern hatten urfprünglich gehofft, die 
Kriegskoften duch die Plünderung der Gotteshäufer und 
der Burgen der Adeligen wieder einzubringen, ſahen fich 
nun aber durch die frühzeitige Vereinbarung getäufcht. Sie 


44 


verlangten daher vom Biſchof eine Entfchädigung an ihre 
KRoften. Der Bifchof trat auf die Forderung nicht ein, und 
die Berner drangen fogar darauf, daß den Brüdern von 
Hafenburg und dem Herrn von Varſchanndt die geftohlenen 
Güter zurüderftattet würden?!) Die Verhandlungen zer: 
Ichlugen ih. Wenige Tage Später erhoben fih die Bauern 
im Laufentale von neuem, um einen Drud auf den Biſchof 
auszuüben oder, wenn er nicht nachgeben wollte, ihn von 
neuem zu überziehen. Bern ſchlug den Bauern „ein grümel 
und beliman” vor; es drohte, wenn fie von ihrem Vorhaben 
nicht abftünden, würde es dem Roadjutor zu Hilfe kommen; 
auf der andern Geite aber warnte es den Gtellverfreter 
des Bifhofs, mit den Bauern etwas Unfreundliches anzu- 
fangen.22) 

Erneute Perhandiungen wurden eingeleitet. Um 
26. Mai fanden fi) Vertreter des Bischofs und der Bauern 
von Laufen, Iwingen, Birsed und Pfeffingen auf dem 
Schloſſe Birseck ein.??) Baſels Bote wirkte bei der Ver: 
mittlung mit. Der Biſchof mußte fi zu dem Verfprechen 
berbeilafien, die aufgelaufenen Koften der Empörung, die 
aufgezeichnet werden follten, zu übernehmen, wogegen die 
Bauern verfprachen, fich nicht mehr gegen ihren Fürften zu 
erheben, jondern in aller Stille den Austrag der ftrittigen 
Artikel abzuwarten, wie es der Abſchied auf dem Felde bei 
Reinach beftimmt hatte. Der Bifchof follte mittlerweile von 
Sleden zu Zleden über die fpännigen Artikel freundlich ver- 
handeln. Ungern genug erklärte fih der Bifchof zur Zah— 
lung der Aufruhrkoften bereit. Er tat es nur, um ſich vor 
einer neuen Erhebung der Bauern zu fihern und in der 
Meinung, daß er mit einer Summe von 100 Pfund werde 
zu rechnen haben. Als aber dem Biſchof die Rechnung vor- 
gewiefen wurde, belief fie fich auf 400 Pfund. Das war nun 
dem Bifchof Doch zu viel; er verweigerte die Zahlung.2*) Noch 
einmal verfammelte fih die Bauerfame im Delsbergertal, 
um gegen Bellelay zu ziehen und fich bezahlt zu machen.?®) 


45 


Baſel ſprach, indem es die frühere Plünderung verurteilte, 
fein Befremden auch im Namen Zürihs und Schaffhaufens 
aus?®), auch Bern ariff wieder vermittelnd ein; es forderte 
die Bauern auf, nichts Unfreundliches gegen Bellelay zu 
unternehmen, fondern von ihrem Begehren abzuftehen und 
beimzuzieben. Der Biſchof aber mußte fich fchließlich dazu 
bequemen, die 400 Pfund zu bezahlen.?”) 

Die Verhandlungen mit dem Biſchof über die Streit— 
punkte famen aber zu feinem Abſchluß. Die Gemeinden 
Laufen, Wahlen und Röfchenz famen, um einmal in einem 
Punkte eine Eare Sachlage zu fchaffen, überein, „Das ein 
gantze gemeind den zehnden ſelbs behalten, Doch darumb 
geben wöllen, was zimlich fye irer achtung”. In Wahlen 
wurden alsdann vier Männer verordnet, welche auf den 
Zehnten bieten follten. Sie glaubten, wie einer ihrer Führer 
nachher verficherte, damit nicht Unrecht getan zu haben, 
„dann die Thumberren die wal haben, den zebenden felbs 
zu behalten und inzufamlen oder inen zu laflen”.23) Der 
Biſchof vermochte nicht, die Gemeinden an der Durchfüh- 
rung ihres Beſchluſſes zu hindern. 


3, Der Schirmvertrag mit Bafel. 


Schon früher hatten die Gemeinden des Laufentales 
und des DBirseds die Neigung Fund werden laflen, mit 
Baſel oder Solothurn in einen Schirmvertrag zu treten, und 
waren von beiden Seiten ummorben worden. Der Roadjutor 
hatte fich deshalb am 3. November 1523 veranlaßt gefeben, 
den Laufentalern zu verbieten, einen andern Schirm oder 
ein anderes Bündnis ohne Wiflen und Willen des Bi— 
ſchofs zu fuchen und anzunehmen. Die Wirren des Yauern- 
frieges hatten das ohnehin ſchon Iofe Band, das die Inter- 
fanen mit dem Bifchof zufammenbielt, noch mehr gelodert. 
Nicht ohne Grund hatte man in Baſel den Eindrud, daß 
der günftige Augenblid gefommen fei, durch ein Burgrecht 
mit den bifchöflichen Untertanen in die Herrfchaftsrechte des 


46 


Biſchofs einzutreten und auf diefe Weife den Eidgenoflen 
von Solothurn, welche es ebenfall$ auf eine Gebietserwei- 
terung auf KRoften des Biſchofs abgefehen hatten, zuvor zu 
fommen. DBafel machte daber dem KRoadjutor den Vor: 
ſchlag, daß fie fi gegenfeitig mit Land und Leuten auf 
ewige Zeiten oder doch auf 70 oder 100 Zahre in ein 
Burgrecht verpflichteten. Da jedoch der KRoadjutor nicht: 
einzufehben vermochte, daß ein folches Burgrecht für beide 
Teile erfprießlich fei, trat er auf den Vorſchlag nicht ein, 
jondern wandte fih an Solothurn, um mit ihm zu unter- 
handeln.??) Baſel ließ die Angelegenheit nicht fallen. Vom 
Fürſten abgewiejen, betrieb es nun feine Sache mit den 
Untertanen felbft. Es legte Laufen Artikel vor, wie.man 
das Städtchen „ſampt feinen zugehörden in ein burarecht 
fallen wel". Das Recht zu einem folchen Zertrage leitete 
Bafel aus dem Beſitze der Kaftvoatei des Münfters und 
der Domftift her. Es ſchlug Laufen vor: „Zum erften follen 
ſy von vnns als Faftuegten onnfer lieben frowen vnnd der 
ftifften Bafel in ein burgrecht vaflen vnnd annemen, das ſy 
nit deſtweniger dem bifchoff in hochen vnnd andern gerichten 
ouh allen andern wy bishar gehörig vnnd gehorfam fin 
ſollen vnnd in folichen Dingen dem bifchoff nüt benomen fin 
ſolt.“ „Zum andern ob fach wer, ob ſy nott, es wer in 
friegsleuffen oder funft, an gan wurde, das wyr ſy dar inne 
nach vnnſerm beften vermegenn als vnnſere purger ſchützen 
vnnd fchirmen joltenn.” Weiterhin verpflichtete fih Baſel, 
fie fo zu halten, „wy wir vnnſer Empter balten”.3°) 
Solothurn verfuchte, Bafel in dem Wettlaufe zu über: 
holen. Der Vogt von Dorned: erfchien mit einer Anzahl 
Knechten, um das Schloß Pfeffingen zu befegen. Sofort 
fandte Baſel Leute nach Pfeffingen und Birseck. Die Solo- 
thurner mußten ſich zurüdziehen. Drei Tage darauf, am 
27. September 1525, ſchworen Reina, Therwil, Oberwil, 
Ettingen und Allſchwil, ſowie Stadt und Amt Laufen dem 
Rat von Bafel treu und hold zu fein, ihren Nuten zu für: 


47 


dern und Schaden zu wenden und befonders mit der Stadt 
Baſel in ihren Widerwärtigfeiten, Anliegen und Gefchäften 
Lieb und Leid zu leiden und feinen andern Herrn anzu: 
nehmen. Der Rat aber nahm fie in den Schuß und Schirm 
der Stadt auf, jo zwar, daß die Stadt verfprach, dem Biſchof 
und der Stift „an allen iren gerechtigfeyten oberfeyten zehen 
den zinfen renten gülten ftüren unnd allen andern gefällenn 
unnd nugungen gan unnd gar dhein abzug zu thun” und 
ebeno die Bürger von Laufen bei allen ihren Rechten, alten 
Bräuchen und Gewohnheiten bleiben zu laflen.?!) Biſchöf— 
licherfeits war man fich der Tragweite diefes Schirmvertrags 
wohl bewußt. Der Koadjutor verlangte daher fofort den 
Rüdzug der baslerifchen Beſatzung und die Aufhebung des 
Schirmvertrags. Als Bafel fi) deflen weigerte, wandte er 
fh Eagend an die Eidgenofien, die am 3. November in 
Luzern fich verfammelten. Allein Baſel blieb fe. Seine 
Boten gaben Solothurn gegenüber die Erklärung ab, Baſel 
werde nicht zulaflen, daß ein Fleden, er fei Elein oder groß, 
dem Bistum entfremdet werde. Es folaten am 7. Dezember 
wiederum Verhandlungen in Luzern, wo der Vilchof fi 
neuerdings bejchwerte, dat Baſel die Untertanen von Laufen 
und aus dem Birsed nicht aus dem Burcgrechte entlaffen 
wolle. Die Eidgenoflen forderten Baſel auf, vom Burg— 
reht mit Laufen abzufteben oder den Rechtsweg zu be- 
treten.??) Allein Baſel ließ fich nicht bewegen, das, was es 
einmal in die Hand befommen hatte, wieder fahren zu laſſen. 
Das Burgrecht mit Bafel war aber die Vorausfegung, unter 
. welcher die Reformation in der Heinen bifchöflichen Stadt 
Eingang finden und zum Siege gelangen Fonnte. 


4. Die erften Anfänge der Reformation. 


Der Bauernkrieg hatte es nicht religidfen Beweg— 
gründen zu danken, wenn er auch das Laufental in feinen 
Bann zu ziehen vermocht hatte. Denn bei feinem Auftreten 
wie auch in feinem weitern Verlaufe ift von einem religiöfen 


48 


Charakter an der Bewegung nichts zu erfennen. Trotzdem 
bat er für die Reformation in Laufen entjchieden eine nicht 
zu verfennende Bedeutung gehabt. Er hat die Gemüter 
erregt und für das Erleben des neuen Glaubens empfäng: 
lich gemacht; er hat gleichfam das Aderland aufgebrochen und 
zur Aufnahme des Samens zubereitet. Der Leutpriefter 
erg jpielte in der Bewegung eine Rolle. Es behaupteten 
ipäter einmal Leute, die „faft nach der teufferey” fchmedten: 
„Der gemein man jagt offenlich, der predicant genant Jerg 
ſy in den irtumb oder vngehorfam brocht mit deme, das er 
inen erftlich gebrediget vnd gelert, ſy follen Feiner oberfeyt 
gehorfamen ouch Fein zinß noch zebenden geben.” Allein 
diefer Vorwurf, welchen jene des Täufertums verdächtigen 
Leute vorbrachten, entſprang vielmehr dem Wunſche, ſich vor 
dem bifchöflihen Beamten hinter den Prädifanten zu ver: 
Ihanzen. Zudem traten andere diefer Behauptung mit Ent- 
ſchiedenheit entgegen.??®) 

Sm Herbft 1525 wurden die Verhandlungen über die 
Beſchwerden der Laufentaler wieder aufgenommen. ' Der 
Dompropft und das Domkapitel anerboten fich, zu vermit- 
teln.38) Der Bifchof war etwas nachgiebiger geworden, wie 
umgefehrt die Gemeinde von Laufen mit ihrem Rüdhalt an 
Bafel ein gefteigertes Kraftgefühl fpüren ließ. Der Biſchof 
fam in der Forderung betreffend den Zehnten der Ge: 
meinde entgegen. Er verſprach, ein treues Einfeben zu tun, 
damit ein Leutpriefter von dem großen Zehnten verſehen 
werde und „ein zimbliche narung daruon” habe. Auch ver: 
pflichtete er fih, daß er keinen Leutpriefter mehr anitellen 
werde „denn mit dem anhang, wenn fi) einer nit gbürlich 
bielte, daz wir inn widerumb babennd dannenzutun.”3?) 
Diefe Zuſage läßt erkennen, Daß die Gemeinde in Zukunft 
bei der Wahl der Pfarrer irgendwie auch ihre Stimme gel- 
tend-machen wollte und daß ein Snterefie an der Firchlichen 
Entwidlung erwacht war, das früher nicht oder doch in dem 
Maße nicht vorhanden war. Es währte nicht mehr lange 


49 = 


und die religiöfe Bewegung kam in Fluß. Im Frübjahr 
1526 erf&hienen die Täufer in den bifchöflihen Dörfern 
Therwil, Oberwil, Ettingen und Reinah und trieben „mit 
Predigen und dergleichen Lefens” eine energiihe Propa- 
sanda. Am 17. Mai forderte der Rat von Baſel die Ge- 
meinden auf, diefe Leute fortzufchiden, und verlangte am 
folgenden Tag vom Roadjutor, daß er zwei Basler, einen 
in Allſchwil, den andern in Reinach, fodann zwei Prädi- 
fanten und Wiedertäufer in Oberwil gefangen nehmen und 
Baſel zuführen laffe.?) SIwei Monate fpäter erließ der 
Rat ein ftrenges Verbot aller Winfelpredigten, wie folche 
bisher durch bergelaufene unberufene Prediger in Ihermwil, 
Oberwil, St. Margaretben und im Holee gehalten worden 
waren. Daß die Täufer damals aud in Laufen ihr Wefen 
getrieben hätten, wird nicht ausdrüdlich bezeugt, aber ift 
doch ehr wahrfcheinlih, um fo mehr, als Laufen gerade 
damals entgegen feinem PVerfprechen allerlei fremde Ban— 
diten beherbergte und von Baſel ernftlich aufgefordert wurde, 
fie abzumweifen.?) Durch die Täufer wurde aber die Er: 
regung noch gefteigert. 

Seit Palmfonntag 1525 war der evangelijch gefinnte 
Johannes Balthafar Lederfchneider von Rheinfelden Rapları 
in Laufen. Sm Frühjahr 1526 trat auch ein evangelifcher 
Leutpriefter fein Amt in Laufen an.?”) Er war vom Dom: 
fapitel gefegt und vom Biſchof auf ein Jahr beftätigt worden. 
Es war bald zu fpüren, daß in Laufen ein neuer Wind wehte. 
Die Befürchtung des Biſchofs war nicht unbegründet, daß 
feine Untertanen ihm noch mehr entfremdet würden, ſobald die 
evangelifche Bewegung um fi greife. Der Biſchof bemühte 
fih daher von neuem, den Schirmvertrag mit Baſel aufzu- 
heben. Am 4. Suni 1526 fam zwifchen dem Koadjutor und 
den Leuten, die an den Stein Zwingen gehörten, eine Ab— 
rede zuſtande. Die Leute follten wieder dem Biſchof 
ſchwören, der Biſchof aber und die Stift follten wieder in 
die alten Rechte eingefeßt werden wie vor dem Bauernkrieg. 


50 


Die Punkte, worüber feit der Empörung eine Einigung noch) 
nit erzielt war, jollten einem Schiedsgericht anvertraut 
werden. Es wurden in Ausfiht genommen Rudolf Reb- 
ftod von Biel und Hüglin Kämy von Pruntrut als Ver— 
treter des Biſchofs, Martin Eberlin und Lux Seigler von 
Bafel als Vertreter des Amtes Laufen und Junker Hans 
von Flachsland als Obmann.) WUllein bevor fie zufam- 
mentraten, rüdten andere Ereigniffe in den Vordergrund. 

Sm Dezember 1526 309 fich der bifchöfliche Roadjutor 
Niklaus von Dießbach nah Beſançon zurüd. Am 18. De- 
zember verfammelte fih das Domkapitel im Schlofle von 
Pruntrut und wählte Philipp Jakob von AUndlau zum 
Biſchof. Allein diefer farb infolge einer Operation, bevor 
er vom heiligen Stuhl beftätigt worden war. Am 28. Fe— 
bruar 1527 wurde Philipp von Gundelsheim zum Nach— 
folger gewählt. Die Bürger von Laufen fchidten ihre Bot— 
haft zum neuen Herrn und fragten ihn an, wie fie fi 
halten follten und ob er fie beihirmen und fchügen wolle. 
Der Zürft fertigte fie unfreundlich ab: „er hab ſy nit zu der 
ee genommen, jo haben ſy inn ouch nit zu der ee genom- 
men.” 3%) Ein verheißungsvoller Anfang war es Nicht. 
Smmerhin leiftete bald darauf Laufen dem neuen Bifchof 
den Eid. 

Das neue Regiment des Biſchofs machte fih bald 
bemerfbar. Philipp von Gundelsheim wollte wieder Ord- 
nung fohaffen, Verfäumtes nachholen, Verfahrenes zurecht: 
bringen und vor allem der mächtiger werdenden evangelifchen 
Bewegung einen Damm feten. Das Domkapitel hatte be- 
obachtet, DaB Laufen und die Gemeinden der Herrfchaften 
Pfeffingen und Birseck das Gericht hatten ftill ftehen laſſen, fo 
dad niemand mehr Recht finden konnte. Es verlangte Darum, 
daB in Laufen wieder Gericht gehalten werde.) Der 
Biſchof bewilligte den Gemeinden, daß fie wiederum wie von 
alters her Gericht hielten. Allein die Gemeinden beeilten 
ih nicht, Das Gericht zu befegen. Der Biſchof befchwerte 


51 4° 


fih über die Widerfeglichfeit der Gemeinden beim Rat in 
Baſel. Diefer wußte wohl, daß die Gemeinden ihrem 
Fürſten diefen paffiven Widerftand leifteten, weil er die 
Streitigkeiten nicht erledigen wollte, die er, eine Erbichaft 
feines Vorgängers, mit ihnen hatte. Baſel Fam dem Biſchof 
zu Hilfe und forderte die Gemeinden auf, mit der Beſetzung 
des Gerichtes nicht länger zuzumarten, Damit man erfenne, 
„das wir vch nit der vrfachen zu bürgern angenomen, dag 
ir niemanden rechtens gehörig fin follen, fonder vch vor ge: 
walt zefchirmen”.*!) Auch die Burgrechtsfrage wurde wieder 
aufgerollt. Der Biſchof wünſchte mit Baſel in gütliche 
Unterhandlung zu treten. Die Stadt erklärte fih dazu be: 
reit und forderte den Biſchof auf, Ort und Tag der Per: 
handlungen zu bezeichnen.*?) Nach vier Monaten war man 
jo weit, daß man fih in Pruntrut einigte, es follten ſowohl 
Baſel als der Bifchof je zehn Männer vorfchlagen und aus 
diefen je zwei Schiedsrichter gewählt werden.??) Allein die 
Verhandlungen kamen nicht vorwärts. 

Dagegen errang in einer andern wichtigen Sache der 
Biſchof einen nicht unbedeutenden Erfolg. Der entfchieden 
evangelifche Leutpriefter hatte ein Zahr lang das Evangelium 
verfündigt und die Gemeinde für die neue DBotfchaft ge: 
wonnen. Der Bifchof verfolgte mit fteigendem Unwillen die 
Sortfchritte, welche die evangelifche Sache in Laufen machte. 
Als daher das Jahr zu Ende ging, das dem Prädifanten 
bei feiner Anftellung zugefichert worden war, fündigte ihm 
der Biſchof den Dienft, in der Abficht, die Untertanen mit 
einem andern Leutpriefter zu verfehen. Die Gemeinde aber 
war nicht gewillt, den Mann ihres Vertrauens fahren zu 
laflen und ging Baſel um Fürfprahe beim Biſchof an. Gie 
Ihidten am 2. April 1527 eine Botſchaft in die Stadt. Sie 
rühmten von ihrem Leutpriefter, er fei ehrbaren Lebens und 
verfündige das Wort Gottes mit folhem Erfolge, daß da- 
duch das fündliche Gottesläftern, Zutrinfen und andere 
Ueppigkeit nicht wenig abgenommen habe. Sie fprachen 


5 


aber auch die Hoffnung aus, es werde Gott, der Herr, fie 
je länger je mehr begnadigen, „daz ſy in ein gant chriftenlich 
leben erbumwen vnnd gepracht mogen werden”. Sie machten 
auch geltend, daß ihnen der Leutpriefter vom Kapitel geſetzt 
worden fei. Der Rat von Bafel erfuchte den Biſchof, dem 
Städtchen Laufen feinen Leutpriefter zu laſſen oder falls 
eine Abſetzung gerechtfertigt fei, Die Gründe anzugeben, und 
berief fich, um fein Eintreten für den Priefter zu rechtfertigen, 
auf fein Burgrecht mit Laufen. Allein der Biſchof wollte 
nicht willfahren. Er behauptete, den Priefter, wie gerne er 
es täte, „von wegen böjes vorgetragnen erempels vnd ver- 
fuerung finer vnderthanen“ nicht belaffen zu Fünnen. Er fei 
auf ein Jahr angeftellt worden, und nun die Zrift abgelaufen 
fei, habe er ihm vor guter Zeit den Dienft abgefündet. Er 
ftellte in Ausficht, die Untertanen mit einem andern Leut— 
priefter zu verſehen, der gefchidt und tauglich ſei. Dabei 
unterließ er es nicht, fein Befremden darüber auszusprechen, 
daB Baſel Das Burgrecht geltend gemacht babe. Baſel 
feßte noch einmal an. Der Biſchof möchte den Priefter 
wenigftens über die Feftzeit in Laufen fein Amt noch verfehen 
laſſen. Der Fürſt gab nah. Allein als Oftern vorüber 
war, blieb der Priefter. Die Gemeinde hatte fich feinet- 
wegen verfammelt und mit Mehr befchloflen, ihn zu behalten; 
fie hatte ihm fogar feine Beſoldung erhöht. Der Biſchof 
ließ den Bürgern von Laufen zufchreiben, daß fie den Prä— 
dikanten entlaſſen follten, und befchwerte ſich beim Rate in 
Bafel über die Widerfeglichkeit der Gemeinde. Die Ant— 
wort des Rates zeigte ein völlig Eorreftes Verhalten. Dem 
Biſchof wurde, nahdem er fein Verfprechen eingelöft hatte, 
anheimgeftellt, ob er den Leutpriefter abberufen wolle. Die 
Gemeinde von Laufen aber wurde angehalten, dem Willen 
des Biſchofs fich zu fügen. Es blieb ihr darum nichts andres. 
übrig als nachgugeben. Der Pfarrer mußte bald darauf fein 
Urbeitsfeld in Laufen aufgeben und einen andern ernten 
laſen, was er geſät hatte.**) 


58 


5. Der Sortgang der evangelifhen Bewegung 
und der Bilderfturm. 


Biſchof Philipp lag daran, die auflproflende evange- 
liſche Saat in Laufen zu vernichten. Er ſchickte darum, als 
der Prädifant Laufen verlaflen hatte, einen altgläubigen 
Priefter. Allein die Gemeinde nahm ihn nicht an, fie wollte 
feinen mehr dulden, der ihnen Meile leſens); nach kurzer 
Zeit mußte er weihen. Die Gemeinde nahm nun die Be— 
fegung der Pfarrei felbft an die Hand. Eine Minorität 
hielt zum alten Glauben; fie verteilte fih auf die Dörfer 
Zwingen, wo der bifhöflihe Vogt ihr Rüdhalt gewährte, 
und Blauen und Dittingen.?®) 

In Reigoldswil hatte Jerg Gapdenheimer oder Gat- 
tenbeimer oder VBattenheimer, wie fein Name auch gefchrie- 
ben wurde, als Pfarrer Anftellung gefunden. Er war fon 
vorher an vielen Orten wegen feiner Lehre und evangelifchen 
Gefinnung vertrieben worden.?”) Auch in Reigoldswil ver- 
fündigte er die neue Lehre und unterließ es, Mefle zu Iefen. 
Sm September 1527 erließ der Rat von Baſel ein Mandat, 
welches jeden Priefter bei Verluft der Pfründe zwang, Meile 
zu leſen, mit alleiniger Ausnahme der Geiftlichen in der 
Stadt, die das Abendmahl nach neuem Ritus hielten. Bat— 
tenbeimer fümmerte fich aber nicht um das Verbot und gab 
auch fonft nach wie vor feiner evangelifchen Ueberzeugung 
Ausdrud. Er wurde, weil er „der Meß halb auch andrer 
fachen halb” gegen das Mandat gehandelt hatte, in Baſel 
ing Gefängnis gejebt, bald darauf aber, am 22. Oktober 
1527, gegen UÜrfehde entlafien. Er mußte fchwören, falls 
es ihm nicht gelegen fei, Meſſe zu lefen, feine Pfründe abzu- 
geben.) Battenheimer Eonnte fi nicht dazu verfteben, 
etwas wider fein Gewiflen zu tun. Er gab fein Amt in Rei- 
goldswil auf. Auf diefen Mann griffen nun die Bürger 
von Laufen. Wie weit der Rat von Baſel an feiner An- 
ſtellung beteiligt war, ift nicht ganz Har. DBattenheimer 


94 


erklärte fpäter, von Baſel nah Laufen geihidt worden zu 
fein. Wenn es auch befremdlich erfcheint, Daß derjelbe Rat, 
der Battenheimer wegen feiner evangelifchen Gefinnung ver- 
trieb, ihn nach Laufen empfahl, jo ift bei der unklaren Lage 
der Dinge, wie fie Damals beftand, dieſes widerfpruchsvolle 
Verhalten doch nicht unmöglich. Der Biſchof wehrte fich 
mit aller Macht gegen die Anftellung Battenheimers. „Zu 
diden moll” gebot er der Gemeinde Tchriftlich und mündlich, 
ihn nicht anzunehmen, wandte ih auch an den Pfarrer felbit, 
daß er fih der Pfarrei nicht unterwinde. DBattenheimer 
gab zur Antwort, daß er von der Stadt Baſel nach Laufen 
geordnet fei, der wolle er gehorfam fein.) Die Wirkfam- 
keit eines Mannes von der entjchieden evangelifchen Ge: 
finnung und der Entfchlofienbeit Battenheimers Fonnte nicht 
ohne jchwerwiegende Folgen bleiben. 

Schon den Sommer über hatte es im Laufental be- 
fändig gegährt. Man wußte nicht, wann die Bewegung 
fih wieder gewaltfam Luft machen werde. Der Abt Niklaus 
vom Bellelay hatte, wie übrigens das Jahr zuvor fchon, 
nit gewagt, feine Badenfahrt zu unternehmen, wiewohl 
fein franfer Leib deflen jo dringend bedurft hätte.) Die 
Spannung wurde aber noch größer und die Erbitterung der 
Untertanen wuchs zufehends. Es bedurfte nur eines Kleinen 
Porfalles, und das Feuer des Aufruhrs brach wieder aus. 
Der Vorfall trat ein. Der Laufener Bürger Min Fuchs 
wurde — aus welcher Urfache, ift unbefannt — vom Vogt 
gefangen genommen und eingefperrt. Da flanden am 
5. Sanuar 1528 die Laufener auf und zogen bei Nacht und 
Rebel mit gewehrter Hand vor das Schloß Zwingen. Gie 
forderten den Gefangenen beraus, fchimpften, verbrannten 
die Schloßzäune und zwangen fchließlih den Vogt, ihrer 
Forderung zu willfahren. Der Biſchof verlangte innerhalb 
acht Tagen Schadenerfag. Im Weigerungsfalle ftellte er 
ihnen ein ernftliches Vorgehen gegen fie in Ausfiht. Er 
wandte ih um Hilfe nah Biel. Der Rat von Biel fandte 


55 


eilends eine Botſchaft nah Laufen, Damit der Stoß befriedet 
werde, und verſprach dem Bifchof, wenn die Not es erfor- 
dere, Unterſtützung. In Bellelay erhielt die Botſchaft vom 
Bifhof die Nachricht, Daß er mit den Aufftändifchen eine 
Einigung erzielt habe. Sie Eonnte deshalb die Heimreife 
antreten. Der Aufbruch der Laufener hatte aber die Ge: 
müter im ganzen Tale mächtig erregt. Es war ein groß 
Geſchrei im Lande gewefen. Der Abt von Vellelay legte 
darum dem Bifchof nahe, energiihere Mafregeln zu er: 
greifen: „ich bfor fo ver vnd nit anders den bißhar mit denen 
von Lauffen gehandlet werde, u. g. vnd der ftifft zu groflem 
nachteil dienen werde“.“ Auch Baſel war nicht untätig 
geblieben. Der Rat hatte am 8. Januar den Meyer und 
die Räte von Laufen auf Ratszeit nach) Baſel gefordert 
und in der Folge neun Rädelsführer gefangen gelegt. Sie 
wurden am 21. Januar frei gelaflen. Der befreite Ulin 
Fuchs wurde jedoh vom Biſchof wieder aufgegriffen. Baſel 
legte für ihn Fürfpradhe ein, da es erbärmlich wäre, daß 
der arme Mann, „der durch angezeigt vertreften” fich zur 
Kundſchaft herbeigelaflen hatte, deſſen jett entgelten follte.°') 

Während diefer unruhigen Wochen war Battenheimer 
von Laufen abmwefend. Er hatte fi auf die Disputation 
nah Bern begeben, welche vom 6. bis zum 26. Januar ab- 
gehalten wurde. Er war begleitet von Hans Schmidlin, 
dem Schuhmacher zu Laufen, und Peter Hans Meyer, auch 
zu Laufen, welche ihrem Kirchherrn von der Gemeinde mit- 
gegeben worden waren, „zuzelojfen". Auch der Prädilant 
Simon Weber von Therwil und Ettingen und der Prädifant 
von Bärfehwil, Jodocus Himmelkron, machten die Reife 
mit. In Bern traf er auch den früheren Kaplan Sohannes 
Balthafar von Rheinfelden. Als die Disputation zu Ende 
ging, erklärten fie alle, Prädilanten wie Laien, dur) ihre 
Unterfchrift die Zuſtimmung zu den Schlußreden.5?) Batten-⸗ 
heimer kehrte, in feiner evangelifchen Heberzeugung durch die 
perfönliche Berührung mit Swingli, Berchtold Haller, Oeko— 


06 


lampad und andern mächtig aeftärkt, nach Laufen zurüd. 
Der Biſchof aber fette alle Hebel an, den entfchieden evange: 
lichen Prädifanten zu entfernen. Er bejchwerte fih allen 
Ernftes in Baſel und machte folhen Eindrud, daß der Rat 
der Gemeinde von Laufen empfahl, Battenheimer, der dem 
Biſchof „Jo gar widrig”, gütlich hinwegzuweiſen, da ihnen 
aus dem Widerftande große Ungnade erwachlen Fünnte.’?) 
Allein die Gemeinde, welche Battenheimer ihr Vertrauen 
gefchenkt hatte und von der Wahrheit des evangelifchen 
Glaubens überzeugt war, Fieß fich dur diefe Drohungen 
nicht einſchüchtern. Battenheimer blieb, ja er trat entichie- 
dener denn je für den neuen Glauben ein. Er batte nicht 
ohne Gewinn der Disputation beigewohnt und mitangehört, 
wie die Theſe verfochten wurde, „Daß die jet gebräuchliche 
Meſſe, als ein Opfer für Lebendige und Tote, der Schrift 
zuwider, dem Opfer Chrifti eine Läfterung und um der Miß— 
bräuche willen ein Greuel vor Gott jei”. Durch feine Ver— 
fündigung brachte er die Gemeinde dahin, daß fie die Meſſe 
und „alle chriftlihe Ordnung” abtat. Pergeblich hatte der 
Amtmann von Zwingen auf das höchſte ermahnt, gebeten 
und geboten, daß fie bei den alten Bräuchen und Ordnungen 
bleiben follten bis auf die Zeit, wo eine ganze Reformation 
in der Chriftenheit eingeführt würde?) Daß nicht alle mit 
der Neuordnung einverftanden waren, ift nicht verwunder- 
lich. Die Gegner der Reformation, die in Zwingen, Blauen 
und Dittingen in der Mehrheit waren, verlangten vom 
Biſchof, daß er die alte Ordnung wieder herftelle, widrigen: 
fals fie feine Zinfen und Zehnten mehr geben würden. Für 
den Biſchof war diefe Forderung eine willlommene Gelegen- 
beit, mit den Dörfern und Fleden des Zwingener Amtes 
in Unterhandlungen einzutreten. Sie führten am 14. April 
zu einem Bertrage. Der Bifchof erklärte fich bereit, den 
Untertanen die UHebertretungen und Frevel, deren fie fi 
feit dem Bauernkriege fchuldig gemacht hatten, zu vergeben, 
wenn fie die rüdftändigen Zinfen bezahlen wollten. Er ver: 


97 


ſprach auch, allen Fleiß und Ernit anzuwenden, ihnen nad) 
ihrem Begehren „Hriftlihe Ordnung mit Mefle und andern 
göttlichen Dienften in der Kirche und anderswo" wieder 
einzuführen, da er fich hiezu verpflichtet wifle.°°) Diefes 
Verſprechen war feineswegs geeignet, die Gemüter zu be- 
ruhigen. Wenn aber die Abfiht des Biſchofs verwirklicht 
werden follte, dann mußten die Untertanen aus dem Burg— 
recht mit Baſel entlafien werden. An einer Schiedsgerichts- 
verhandlung vom 5. Mai 1528, an welcher als Vertreter 
des Biſchofs Hans Jakob Freiherr zu Mörsberg, Landvogt 
im Unterelfaß, und Abt Niklaus von VBellelay, und als Ver: 
treter Bafels der VBürgermeifter Adalberg Meyer und Wolf: 
sang Harnafcher mitwirkten, verlangte der Biſchof die Auf: 
hbebung des Burgrechts. Baſel aber weigerte fih, fi 
darauf einzulaflen. Nach langem Hin- und Herreden fam 
es zu einem vorläufigen Vergleiche, der feftftellte, daß die, 
die ing Burgrecht aufgenommen feien, dem Biſchof mit allen 
Rechten und Dienftbarfeiten gehorfam fein follten, da das 
Burgrecht dem Bifhof und der Stift unfchädlich fein 
Tollte.5®) 

Der Biſchof war nicht imftande, die reformatgrifche 
Bewegung in Laufen aufzuhalten. Die Anregungen, welche 
Battenheimer an der Berner Disputation empfangen hatte, 
wirkten mächtig fort. Er predigte gegen die Bilder und bewies, 
daß Bilder zur Verehrung zu machen, dem Worte Gottes zu: 
wider fei. Die Worte fchlugen ein. Die Heinen Vilderftürme, 
welche in den Oftertagen 1528 zuerft zu St. Martin und darauf 
bei den Auguftinern in Baſel unternommen wurden, wirkten 
anftedend und aufreizend. Zwar ließ der Rat ein Schreiben 
in alle WUemter ausgehen, welches gebot, „Daß niemand 
einichley bilder oder Eilchen zier vB den kilchen thue ouch 
die nit fchmehe”, und die Untertanen anwies, in bezug auf 
die Bilder die Anordnungen der Obrigkeit abzuwarten. 
Allein in Laufen war man mit der Geduld zu Ende. Der 
Meyer wurde aufgefordert, eine Gemeinde einzuberufen, 


98 


damit fie über die Entfernung der Bilder Beſchluß falle. 
Da er fi) weigerte, vem Begehren zu entiprechen, „Syend 
ſy zufamen gangen das Meer gemaht vnnd alle famen 
gemeinlich bi wenig an vier oder fünff puren des willens 
worden, die gegen haruß zethund.“ Die Leute fanden fich, 
welche bereit waren, das Vorhaben ins Werk zu feten, 
nämlih Peter Scherer und Claus Ihonat von Laufen, 
Heinrih Schmidlin und Zeltin Summer von Wahlen und 
Hans Karrer und Heini Newer von Röfchenz. Auch aus 
Liesberg halfen zwei Männer mit, Stephan Ferrer und 
Hans Birri. Sie ftürmten die Bilder, trugen fie aus der 
Kirche und verbrannten fie. Dann zerbrachen fie die Altäre. 
Es famen noch andere dazu. Mit Srevelhänden wurden 
die Büchſen erbrochen, worin das Geld zur Zierung der 
Kirche eingefchloflen war. 

Der Bilderfturm erregte gewaltiges Aufſehen. Baſel 
fandte eine Botſchaft hinaus, um zu erfahren, wer die Auf- 
wiegler gewejen jeien. Da kamen die Bürger zufammen 
und einigten fih dahin, daß fie alle miteinander „in der 
Bütt” fein wollten. Nur einer, der Metzger vor dem Städt- 
lein, wollte nicht in dem Bund fein. Die Täter wurden 
jedoch ermittelt und nah Baſel geführt, gefürmt und ver- 
hört. Sie hielten Wort und verrieten fih nit. Es war 
nicht aus ihnen herauszubringen, wer die Bilder verbrannt 
hatte. Am 22. Mai wurden die beiden Liesberger, am 
28. Mai die andern fechs Bilderftürmer aus dem Gefängnis 
entlaflen.5”) Es dürfte fchwerlich behauptet werden, daß 
alle, die am Vilderfturm beteiligt waren, nur aus religiöfen 
Beweggründen, aus dem Zwange des Gewiſſens beraus, 
gehandelt haben. Beim Prädifanten Battenheimer an 
wirfficher evangelifcher Ueberzeugung zu zweifeln, liegt Feine 
Veranlaſſung vor. Daß auch noch andere als nur religiöfe 
Beweggründe mit im Spiele waren, läßt fich nicht leugnen. 
Denn dafür fpricht fchon die Tatſache, daß das Geld aus 
den Büchſen, das zur Zierung der Kirche beftimmt war, ge: 


9 


raubt wurde, weiterhin, daß die Führer beim Bilderſturm 
auch die Weigerung, Zehnten und Zinfe zu zahlen, als durch— 
aus begründet rechtfertigten.®?) Die Verwechslung evan- 
geliſcher Freiheit mit der Freiheit von ökonomiſchen Laften, 
wie fie überall damals zu beobachten war, ift ganz unver: 
fennbar. Gene rechte, aus dem Glauben fließende Freiheit 
galt vielen wenig oder nichts; fie hatten es nur auf Er— 
weiterung ihrer bürgerlichen Rechte abgejehen, jo gewiß auch 
die Dürger von Laufen, welhe Tag und Naht in den 
Waflern des Biſchofs fifchten und zwar mit ganz ungewöhn- 
lihen Mitteln, mit Wellen und dergleichen, wodurch Die 
Wafler auch des Samens beraubt wurden, und worüber fich 
der Biſchof in jenen Tagen befchwerte.5°) 

Der DBilderfturm hatte aber noch eine andere Folge. 
Blauen und Dittingen wollte wieder einen Fatholifchen 
Pfarrer, und auch der Obervoat von Zwingen wollte feine 
Kapelle wieder von einem altgläubigen Kaplan befingen 
laflen. Ob die beiden Pfründen bisher von Laufen aus be- 
dient worden waren, oder ob die Rapläne, dem evangelijchen 
Glauben zugetan, der Bewegung zum Opfer fielen, welche 
mit dem Bilderſturm eingejegt hatte, ift nicht befannt. So— 
viel aber ift fichtbar, daß fowohl Blauen und Dittingen als 
auch der Obervogt in Zwingen wieder Eatholifche Priefter 
wünfchten. In der erftien Maiwoche beredete fih Erasmus 
Sigelmann, der Vogt von Iwingen, mit Meifter Hans 
Viſcher, Chorherrn von Sf. Peter in DBafel, wegen der 
Pfründe von Blauen und Dittingen. Auf Grund diefer 
Beſprechung ftellte fih ein Eatholifcher Priefter am folgenden 
Sonntage den Gemeinden Ylauen und Dittingen vor und 
fab fih die Sahe an. Die Bauern waren mit ihm zu- 
frieden und wollten ihn anftellen. Allein der Priefter hatte 
Bedenken, da die Behaufung, die in Dittingen war, zu Hein 
und zu eng war. Der Vogt dachte auf Abhilfe. Er wollte 
die Bürger von Laufen veranlaflen, den Priefter im Haufe 
in Laufen wohnen zu laflen; er machte darum den Vorfchlag, 


60 


es möchten Vertreter des Domkapitels und der Chorberren 
von St. Peter mit ven Bürgern von Laufen reden oder 
fohriftlich verhandeln und, falls fie fich fperren follten, fie bei 
ihren Eiden ermahnen. Seinen Plan, dem neuen Priefter 
von Blauen und Dittingen auch die Kapelle von Iwingen 
zu Übertragen, um den neuen Priefter eher zur Annahme des 
Amtes zu bewegen, batte er fallen Laflen müflen, da der 
Obervogt zu diefer Vereinigung feine Einwilligung nicht ge- 
geben, fondern die Kapelle einem andern verdingt hatte, „Der 
ſy befingen fol". Welchen Verlauf die Verhandlungen ge: 
nommen baben, ift nicht erfihtlihd. Eine glüdlihe Löfung 
wäre es jedenfalls nicht gewefen, den gut katholiſchen Priefter 
von Blauen mit dem evangelifch gefinnten Kaplan von 
Laufen im felben Haufe unterzubringen, und es ift wohl 
denkbar, daß der Bewerber um die Pfrund Blauen noch 
aus andern Urfachen die angebotene Stelle ausgefchlagen 
bat, als darum, weil ihm das Pfarrhaus zu Hein und eng 
war.e®) 

Sm Bilderfturm hatte fih das Gewitter entladen. Die 
drüdende Schwüle war gewichen. Anangefochten Tonnte 
Battenheimer das Evangelium verfündigen, wie auch der 
Hirtenbrief bezeugt, den Defolampad am 13. November 1528 
an die evangelifchen Pfarrer im Baſelbiet fandte und der neben 
den bifchöflichen Pfarrern von Iherwil, Oberwil und Rei- 
nah auch an Georg Battenheimer gerichtet war.) Die 
‚endgültige Entfcheidung Fonnte freilich für das Landftädt- 
chen erſt fallen, wenn einmal in Bafel felbft das Evangelium 
zum Giege gefommen war. Die Zeit fam. Um 12. Ze: 
bruar 1529 wurden in Baſel die Mefje und die Vilder als 
„todt und ab” erklärt, ebenfo wurde befchloflen, daß auf der 
Landfchaft ohne Verzug alles „hölzerne Götzenwerk“ abgetan 
und verbrannt werde. Am 1. April aber Tieß der Rat die 
Reformationsordnung der Basler Kirche ausgehen. Der 
Wellenfhlag der Bewegung machte fih fofort auch im 
Birstale bemerkbar. Die Bevölkerung wurde unruhig und 


. 61 


verlangte auch die Reformation. Es ftand ein Yeberfall 
des Schloffes Zwingen zu befürdhten. Der Rat von Bafel 
warnte den Vogt, daß er das Schloß gut verwahre, damit der 
Stift Feine Untreue widerfahre. Der Biſchof mußte nad 
geben. Am 4. Zuni fam in Imwingen ein Vertrag zwiſchen 
dem Biſchof von Baſel und dem Meyer, Rat, Gejchworenen 
und ganzer Gemeinde in Laufen und den Dörfern Wahlen, 
Röſchenz und Liesberg, am 4. September ein folcher mit den 
Gemeinden Reina, Oberwil, Therwil, Ettingen und All— 
ſchwil zuftande.. Die Perbandlungen waren durch Abt 
Niklaus von DBellelay, Bürgermeifter Jakob Meyer und 
Wolfgang Harnafcher von Bafel geführt worden. Im Ber: 
trage mit Laufen wurde vereinbart, daß die Kirchenzierden 
inventarifiert und bis auf weiteren Beſcheid an einen fihern 
Ort gelegt werden follten, daß der Biſchof eine Abfchrift des 
Snventars erhalten follte.. „Des Gotsworts halb” wurde 
der damalige Zuftand zu Recht erkannt. „Vnd das die 
vnderthanen vnd auch ire predicanten von des gotsworts 
wegen frig wandlen megen in meins gn. Herrn. Oberfeit. Vnd 
fol ouch inen niemand nüß args von des gotsworts wegen 
zufügen. Deßglichen füllen ouch die predicanten nütz anders 
denn die heilige fchrifft als nümw vnd allt Teftament predigen, 
vnd füllen ouch vff den cantlen niemand nennen noch die: 
felben fchelten.” Das Burgrecht mit Yafel wurde belaffen. 
„Stem den Artikel der onderthanen betreffend die entpörung 
mit allem anhang laſſen wir zu difer zit anftan, biß die vor- 
benempten Artikel, fo offgefchriben find, vßgericht werden.” 
Alsdann follte den Vermittlern diefer Artikel „gan vnd gar 
vertrauwet werden von beiden parthien, darumb ein vßſpruch 
zethund.“°2) 

Die Durchführung der Reformation vollzog fih nun 
in aller Ruhe. Die Kirchenzierden wurden aus der Kirche 
entfernt, aber nicht aufbewahrt, fondern nach dem Vorgange 
der Gemeinden im Gebiet der Stadt Yafel verkauft oder 
vergantet und der Erlös von 96 Pfund von der Gemeinde 


62 


nah ihrem Gefallen verwendet.) Die Zahl der Geift- 
lichen wurde auf das notwendige Maß bejchränft. Neben 
dem Leutpriefter, der vom Domkapitel gefegt wurde, blieb 
nun nur noch der Diakon, deflen Wahl der Stift von 
St. Peter zuftand. Der erfte, der diefes Amt verfah, war 
Urih Wefener.) Er fand kaum fein Ausiommen, mußte 
die Stift St. Peter um Hilfe anrufen, damit er fein Brot 
haben möge, und 300 es deshalb vor, nach kurzer Zeit die 
Kaplansſtelle auf der Farnsburg anzunehmen. Auch der 
Nachfolger Wefeners, Conrad Dlant, lebte in bedrängten 
Verhältniſſen. Denn der Leutpriefter mußte ihm in der 
Teurung des Winters 1531 auf 1532 für 9 Pfund und 
5 Schilling Bürge fein, die er hatte aufnehmen müljen.°°) 
Reben den beiden Geiftlichen wirkte an der Gemeinde auch 
ein Schulmeifter, doch dringt über feine Tätigkeit nichts ans 
Licht. Die Prädilanten mußten wie die Pfarrer in Stadt 
und Land den Eid leiften und traten Damit in die Synode ein. 

Die Gemeinden Zwingen, Blauen und Dittingen ver- 
barrten auch jest noch in ihrem Widerftande gegen die Re- 
formation. Über auch in Laufen und den Gemeinden 
Wahlen, Röfchenz und Liesberg fanden fih noch offene oder 
verfteckte Anhänger des alten Glaubens. Das friedliche 
Zufammenleben der getrennten Brüder, namentlich auch aus 
dem katholiſch gebliebenen Delsbergertal, Tieß fi dur 
eine obrigteitlide Verordnung befeblen. Es kam darum 
hin und wieder zu allerlei Zufammenftößen. Einmal fam der 
junge Müller von Delsberg nach Laufen. Nachdem er etwas 
lange im Wirtshaufe gefeflen war, ließ er fih auf dem 
Heimmwege vom Wein übermeiſtern und redete öffentlich, 
daß alle, die dem Evangelium anhängig feien, fie feien von 
Bafel oder von Laufen oder woher fie jeien, Reber feien, 
Böfewichter und Schelmen. Der Meyer von Laufen ließ 
ihn feftnehmen. Nach drei Tagen wurde er auf Vitten feiner 
PBerwandten vom Amtmann entlafjen, nachdem er öffentlich 
im Beiſein des Vogtes, des Rates, einiger Vürger und 


63 


des Prädikanten um Perzeihung gebeten und die Evange: 
liſchen als „hriftlich ehrlich und gut fromm Leut” bezeichnet 
hatte. Er mußte aber zudem noch die Koften feiner Ein: 
fperrung bezahlen.) Für die Prädifanten war aljo noch 
ein weites Feld, wo fie ihre Kräfte zur Gewinnung der Alt: 
gläubigen betätigen konnten. 

Dazu Fam nun aud) noch der Kampf gegen die Täufer. 
Es ift bereit darauf hingewielen worden, daß nach) dem 
Bauernfriege viele Täufer fi ins Gebiet des Biſchofs 
zogen, aber daß von Bafel aus auch bier auf fie Jagd ge: 
macht wurde. Auch etwas fpäter, nach der Durchführung 
der Reformation im Baſelbiet, famen vereinzelte Fälle vor. 
Als in Lieftal der Umſchwung ſich vollzogen hatte, verließen 
zwei Täufer das Städtchen und begaben fih nah Laufen. 
Der eine, Cafpar Heinrih, der Schuhmacher, hatte fich im 
Frühjahr 1528 mit Heinrich Dettlin von Rheinfelden von 
Hans Seckler taufen laſſen und lag im April in Baſel ge- 
fangen. Am 21. Dezember 1530 wurde in Laufen der Wie- 
dertäufer Zeit Dettlin, der Gattler, von Rheinfelden 
gefangen. Er hatte wiederholt dem Basler Gerichte zu 
Schaffen gemacht. Er war am 19. Mai 1528 mit Vernhart 
Sacher von Bremgarten aus dem Gefängnis entlaflen wor: 
den. Da er nicht hatte ſchwören wollen, war ihm gedroht 
worden, er werde, wenn er wieder betroffen werde, ins 
Halseifen gelegt und mit Ruten gefchlagen werden. Allein 
fchon einige Tage fpäter war er wieder aufgegriffen worden, 
diesmal in Begleitung von Konrad Winkler vom Rapf im 
Zürichbiet. Er wurde noch einmal gewarnt und mit Ruten, 
Halseifen und Schwemmen bedroht. Sm Auguft war Veit 
Dettlin mit Konrad Winkler und Nyſius Schmit von 
Dießenhofen wieder im Gefängnis gefeflen. Nachdem fie 
die Urfehde geſchworen hatten, waren fie entlaffen worden. 
Sie waren fünf Meilen weit fortgewiefen worden und hatten 
bei Strafe der Ertränfung das Verbot erhalten, nicht zu 
predigen oder predigen zu hören. Veit Oettlin hatte in 


64 


Laufen feine Zuflucht gefucht. Aber nun war er auch bier 
aufgejagt worden. Er wurde am folgenden Morgen wieder 
frei gelaffen und aufgefordert, das Land zu meiden, „dDieweill 
er def glaubens“ fei, bei Strafe des Ertränkens, wenn er 
wieder getroffen werde.) Auch Lind wurde wieder gegen 
die Täufer gehandelt. 


6. Erneute Verhandlungen über das Burgredt. 
Ein gefährliches Unternehmen. 


Als am 4. Zuni 1529 für Laufen eine wenn auch vor- 
läufig recht dürftige, eigentlich nur die Hauptfrage, die Ver: 
fündigung des Wortes Gottes regelnde kirchliche Ordnung 
feftgefegt worden war, da waren die Burgrechtsfrage, ſowie 
alle die Streitpunfte, die feit dem Bauernkriege hängig 
waren, einer |pätern Erledigung vorbehalten worden. Die 
zweite, am 5. Mai 1528 in Ausficht genommene Verhand- 
lung batte am 29. September 1528 ftattgefunden. Nach— 
dem verfchiedene Wege vorgefchlagen worden waren, aber 
fh als ungangbar erwiejen hatten, war eine Einigung 
erzielt worden. Der Bifchof hatte verjprochen, das Schloß 
und Amt Birsed mit den Dörfern AUrlesheim, Reinach, 
Oberwil, Allſchwil, Binningen und Bottmingen an die 
Stadt Bafel zu verlaufen. Zuvor aber follten die übrigen 
beiderjeitsS übergebenen Klagartikel zu friedlihem Austrag 
gebracht werden. Baſel aber hatte fich verpflichtet, nach: 
dem dieſe Klagartifel erledigt und der Kauf in Kraft 
getreten fei, vom Burgrecht mit Laufen und feinen zugeböri- 
sen Dörfern zurüdzutreten, fie dem Bifchof wieder zuhanden 
zu fellen, und in Zukunft ohne Wiflen und Willen des 
Sürften mit feinem feiner Ilntertanen ein Burgrecht ein- 
zugeben. Dagegen bätte vor Aufhebung des Burgrechts der 
Bischof fih mit feinen Untertanen wegen aller verlaufenen 
Handlungen und vorgebradhten DBefchwerden verftändigen 
ſollen. Zunächſt hätte zu dDiefem Zwede zwifchen dem Biſchof 


65 5 


und der Bauernſchaft, die im Burgrecht begriffen war, ver: 
handelt werden follen, wobei der Biſchof wie der Rat von 
Bafel allen Zlei anzuwenden verpflichtet worden waren, 
daß die Streitigkeiten gefchlichtet würden. Auf keiner Seite 
hatte man fich die großen Schwierigkeiten verhehlt. Darum 
war fchlieflich die Beftimmung in den Vertrag aufgenommen 
worden, wenn feine Einigung zuftande komme, fo follten 
gleichwohl Laufen und die andern PVerburgrechteten dem 
Bifhof wie früher Sinfen und Gefälle bezahlen.*®) 

Der Vertrag war in der Tat eine Totgeburt gewejen. 
Nachdem Baſel die Reformation angenommen hatte, ver: 
ſpürte der Biſchof begreiflicherweife noch weniger als früher 
Luft, einen Zeil feines Gebietes der reformierten Stadt zu 
verfaufen und damit feine Untertanen endailtig dem evange: 
liſchen Glauben auszuliefern. Baſel war aber auch nicht 
gewillt, Laufen und die zu ihm gehörigen Dörfer um den 
Preis der Dörfer im Birseck fahren zu laflen, welche die 
Stadt eigentlich jet fchon feft genug in Händen hatte, um 
fie fih nicht mehr entreißen zu laſſen. Zudem war die 
Hoffnung für die Stadt noch nicht gejchwunden, mit Der 
Zeit auch Laufen ganz an fi) ziehen zu können. Am aller: 
wenigften aber war Laufen jelbft geneigt, in die volle Ge- 
walt des Bifchofs zurüdzufehren, vielmehr richtete es fein 
ganzes Sinnen darauf, dauernd fi unter den Schuß der 
Stadt am Rheine zu ftelen. Es war eingetroffen, was 
vorauszufehen gewejen war, es war alles wieder im Sande 
verlaufen. Sollte aber, wenn auf dem Rechtswege nichts 
erreicht werden Eonnte, nicht endlich einmal ein anderer Weg 
befchritten, follten nicht die Waffen aufgerufen werden, um 
eine Entfcheidung herbeizuführen? Es gab in Baſel und 
auch in Laufen Männer, denen die Rechtsfrage Feine große 
Sorge machte, welche ohne Gewiflensbefchwerung den 
Waffen die Entfcheidung glaubten überlaflen zu können; 
e3 gab aber auch andere, denen es zweifelhaft war, ob die 
Raftvogtei der Hochitift, welche Baſel befaß, die Berechti— 


66 


sung begründe, das Gebiet des Biſchofs an: die Stadt zu 
ziehen, die ihr Ziel, das Bistum an die Stadt zu bringen, 
nicht um den Preis einer offenbaren Nechtsverlegung er- 
reichen wollten, und diefe aus Rechtsgefühl Bedächtigen 
sewannen den Sieg über die fErupellofen Stürmer. Die 
Stage wurde im Rate aufgeworfen: „ob man dem Bilchof 
das Land innemmen welle und wie man diefe Sach) anariffen 
ſolte“. Gie wurde an die Kriegsherren verwiejen, welche 
fie im Dezember 1529 verhandelten. „Sit Davon geratten, 
das noch zur zyt weder gut noch not fye zu ratichlagen, wie 
man ein frömbd Land innemmen, fonder vil me bedenden und 
erwegen ſolle: ob man eins folchen Ingriffs Fug babe, uß 
was Urſach wir das thun mögen, und ob folche Urjach vor 
einer Erbarkeit beftan möge oder nit; damit wir mit unred: 
lihen Sachen dem Wort Gottes, deflen wir uns berümen, 
nit Nachteil zufügen und alfo den Zorn Gottes über uns 
Iudend. — Zum andern fol man ouch wol erwägen, fo 
man etwas dätlichs anzenemmen glich Fug und gut AUr— 
fach) bette, ob wir ftard genug fyend, wie wir die Sad) be- 
barren wellend, mit waß hilff wir’s thun mögend, waß das 
End fon werde. Und wenn man deß endlihen Willens 
würde das Land inzenemmen, alsdann foll man ratjchlagen, 
wie die Sad) anzegriffen fye und alih die Dath mit Rath 
an die Hand nemmen. Hieby möchte nüt fohaden, daß man 
zu Fürforg ein Ußzug mache under dem Schin und Gefchrey, 
als ob es von wegen der verbottenen Zehenden und Zinfen 
befcheche u. |. w.” Als die Räte fih über die Angelegenheiten 
ausfprechen follten, wurde nach dem Rate der Kriegsherren 
entfchieden. Die zornige Rede Heinrich Zellers, der dem 
Rote Feigheit vorwarf: „Sr hend nit fo vil hertzes, das irs 
thun dörffen”, vermochte den Rat nicht umzuftimmen. 

Die Frage konnte nicht zur Ruhe fommen. Der Bifchof 
verfuchte, die Untertanen zu nötigen, ihm gehorfam zu fein 
und zu ſchwören. Sie weigerten fih. Ja, um fi in Zu: 
funft vor ſolchen Zumutungen des Biſchofs zu fchüsen, 


67 * 


wurde von einigen Männern der Plan ins Auge gefaßt, 
das Band, das fie mit dem Biſchof verband, völlig zu 
durchfchneiden, das Klofter Lübel zu. überfallen und in Ver: 
bindung mit Baſel das Land des Bifchofs einzunehmen. 
An der Spitze der Bewegung flanden Hans Karrer von 
Laufen und Heinrih Newer von Röſchenz, die beide ſchon 
im Bilderfturm in Laufen fih bervorgetan hatten. Ohne 
Zweifel hatten die Zührer Kenntnis davon, daß auch in 
Baſel die Burgredhtsfrage die Gemüter wieder beichäftiate, 
und es Leute in der Bürgerfchaft und auch im Rate gab, 
welche den Augenblid für günftig hielten, das Bistum zu 
befeßen. Anfangs Oktober 1530 war die Angelegenheit im 
Rate zur Sprache gefommen. Allein der Rat wollte fih auf 
dieſes Wagnis nicht einlaffen. Darüber war Urban Schwarz, 
der Weinfchenf, der ſich durch feine Teilnahme an der Berner 
Disputation als eifrigen evangelifch gefinnten Mann aus- 
gewielen hatte, fehr ungebalten. Er äußerte fich dem Stadt- 
knecht Urban DBlechnagel gegenüber in der Metzg: „Botz 
licham, es will im rat nit ganz ich bin im alten rath ge- 
fanden vnnd han gemeint, ich wette die ding fürderen, das 
wir bede lender innemmen, fo will es nit hetten. () Sumer 
bo& licham, es muß ein nuwen gebenfrieg gen, ich vermöge 
e3 dann nit an der burgerſchaft.“ 

Am 19. Oktober kamen Heinrih Rewer und Hans 
Karrer mit einigen andern von Laufen nad DBafel, ſtiegen 
im Ochſen in der Spalen ab und aßen dort zu Abend. Gie 
erzählten Urban Blechnagel, der erfchienen war, was fie im 
Schilde führten. Unter dem Scheine, als ob fie den Eid- 
genofien von Bern, welche den Genfern gegen den Herzog 
von Savoyen zu Hilfe geeilt waren und noch im Felde lagen, 
zuzögen, wollten fie aufbrechen, das Kloſter Lützel überfallen 
und auch des Biſchofs Land einnehmen. Am Sonntag den 
23. Dftober follte der Plan zur Ausführung fommen. Gie 
forderten Blechnagel auf, mit guten Gefellen in der Stadt 
zu reden, daß fie ihnen zuzögen. Blechnagel verſprach, ihrem 


68 


Wunſche gemäß zu handeln. Schon am folgenden Tage bot 
fih dazu Gelegenheit. Im Rate war „der Ornaten halb” 
verhandelt worden. Die Domberren hatten, nachdem fie 
Baſel verlaflen hatten, verlangt, daß ihnen ihre Bücher, 
Kirchenzierden, Ornate und anderes, was in den Gewölben 
der Kirchen verwahrt wurde, herausgegeben würden. Allein 
der Rat hatte die Herausgabe verweigert. Wiederholt hatten 
deswegen zwifchen dem Domkapitel und dem Rate Ver— 
bandlungen fattgefunden, ohne indeſſen zu einem Abfchluffe 
zu gelangen.) Um 20. Oktober war die Angelegenheit 
wieder einmal zur Sprache gekommen. Urban Schwarz und 
Ludwig Becherer hatten im alten Rate „ein ftand getan”; 
aber fie waren nicht durchgedrungen. Schwarz berichtete 
Darüber Blechnagel. Diefer aber erzählte ihm nun von 
feiner Beiprechung mit den Abgeſandten von Laufen und 
ihrer Abſicht. Schwarz bezeugte feine Freude: „Das ift 
recht; ich wet, daß vnſere gefellen ouch vffwerend”. Er 
forderte Blechnagel auf, mit Steffen Bart,7!) dem Blattern⸗ 
arzte, der im Bauernkriege den Sundgauer Bauern zuge: 
z0gen war und deshalb wie Blechnagel im Gefängnis ge- 
legen hatte, und Urban Gürtler, dem Leutnant, der im Zug 
nah Genf zum Fähnrich beftimmt war, zu reden, daß fie 
fih rüften follten, und ihm wieder Beſcheid zu geben, wie 
diefe beiden unternehmungsiuftigen Männer fi) zu der 
- Sache ftellten. DBlechnagel fagte zu. Um Samstag den 
22. Dftober war wieder Rat. „Man hat uns eins uffs 
mul geben”, berichtete Schwarz dem Stadtfnecht Blechnagel, 
„wir dürfen gar nit me daruon reden; aber es muß nit darby 
pliben”. Blechnagel fuhr bei Steffen Bart und Urban 
Gürtler mit feinen Bemühungen fort. Er redete Steffen 
Bart zu, daß er, wenn die Bauern im Laufental fich erhöben, 
ihnen mit einem Fähnlein zuzöge. Dart ließ fi willig 
finden. As nah dem Imbis Hans Lotterer, der auch im 
Bauernkrieg ſchon eine Rolle gefpielt hatte, in die Schol 
fam, um SFleiſch zu Faufen, redete ihn der Stadtknecht Michel 


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Fink an. Steffen Bart habe neuen guten Baſelwein auf: 
getan, Blechnagel und er wollten ihn auch verfuchen. Lot: 
terer follte auch fommen und die Büchſe mitbringen, denn es 
fei ein Zug beabfichtigt. Als kurz nachher Blechnagel mit 
Hans Lotterer in Barts Stube faß, ging Jakob Herre vor- 
über. Bart rief ihm und fragte ihn, ob das Fähnlein frei 
fei. „wan es nit wider myne herren ift, fo will ich vch das 
venlin geben; doch fo hat es dhein ftangen”, lautete die Ant- 
wort. Dlechnagel wurde nun fofort zu Urban Schwarz und 
Heinrich Zeller, dem Kuefer, gefhidt, um fie zu Bart zum 
Eſſen einzuladen und ihnen zu berichten, wie weit die An- 
gelegenheit ſchon gediehen fei, und daß Dart bereits ein 
Fähnlein zur Verfügung ſtehe. Sie follten kommen, damit 
Bart ſehe, daß es ihr Wille fei, mitzubandeln. Er fand die 
beiden Männer vor dem Haufe Urban Schwarz’s. Beide 
verfpradhen zu fommen. Hans Lotterer ging zu Simon 
Morgenftern, um ihn zu bearbeiten. Urban Schwarz über: 
legte fih aber die Sache noch einmal, eilte zu Blechnagel und 
eröffnete ihm: „Urban, ich hab mich bedacht, ich will nit by 
vch eſſen; dann wan ich vnd Heinrich Kuffer bed do fin 
ſolten vnnd etwan die fach vßbrechen wurde, jo mußtend wir 
bed, warn man daruon hant botte, im rath vßtretten, das 
were aber nit gut. Dann wir mochten nit wüflen, waß 
gerathen werde. So ich aber jeß nit gan vnd fchon die Sad 
lutprecht werdeth, fo plib ich darby fißen, hören waß man 
rathet vnnd kann vch allewegen jagen, wy es by minen herren 
flat. Darum fo find gutter dinge vnnd frölich vnnd wenn 
ſy myner warten, fo ſprich: Man folle eflen vnnd furfaren 
alß ob er ſelbs da were, mir ſy ettwaß fürgefallen. Aber 
ich wölle in der vrten fin.” 

Am Abend ſtellten fih die Geladenen, Urban Blech— 
nagel, Heinrich Zeller, der Keufer, Hans Lotterer, Urban 
Gürtler und Simon Morgenftern bei Steffen Dart zum 
Efien ein. Es wurde lebhaft verhandelt. Heinrich Seller 
machte die Einleitung: „Hey, min herren ligend zu lang im 


70 


armbruft. ES ift nit lang das vuch daruon geratten worden, 
man folte dem Biſchof fin land innemen vnnd wurden botten 
verordnet die fachen zu beratfchlagen. Aber da es wieder 
für rath Tam, bin ich vffgeflanden vnd gejagt: Ir hand nit 
fo vil herges, das irs thun dörffen, ond bin damit von inen 
vßtretten.“ Beſonders zuverfichtlich äußerte fich nach feinen 
Erfahrungen im Bauernkrieg Steffen Bart. Ihrer vier 
hätten damals den Gößenkrieg angefangen. Das wollten 
fie aub tun. Bei der ganzen Geſchichte verfolgte er nicht 
nur das Intereſſe der Stadt, auch nicht das der bifchöflichen 
Antertanen, er hoffte vielmehr endlich zu feinem ausftehen- 
den Solde vom Bauernkrieg ber zu gelangen”) und wollte 
„ven Pfaffen am Bifhof rächen”. Uber au allerlei Be— 
denken famen zu Wort. Us Hans Lotterer und Simon 
Morgenftern gefragt wurden, ob fie mitmachen wollten, gab 
der erfte zur Antwort: „Myn lib vnd gut bin ich geneigt dar: 
auftreden, wenn es mit mynen berren if. Doch fo fißt einer 
miner Herren da, der weißts wohl.” Heinrich Seller er: 
widerte: „Sch bin nit hergeſchickt vch zeheißen oder ze weren, 
ir wüflend wol, was ir thun fond.” Und Urban Gürtler 
warf vorwurfsvoll die Frage dazwifchen: „Meinft du, das 
wir ettwaß thun welten, das wider mine berren were.” , 
Blechnagel aber erklärte: „Worfür Hand ir mich, ich bin 
myner Herren diener. Ich neme mit ein hutli vol fleiſch 
dann es ftunde mir zu vil daran.” Morgenftern antwortete, 
wenn es nicht wider die Herren fei und ihm nicht an der 
Urfehde Schade, die er den Herren geſchworen habe, wollte er 
fommen. „Botz liden,” fuhr Blechnagel auf, „waß fott es 
dir ſchaden. Wenn ir vßhin komen, fo wirt das paner glich 
nadhin gan.“ Simon entgegnete, daß er zu der Büchfen 
verordnet fei, auf fie müffe er warten. Blechnagel erwiderte: 
„Hey das fchat nüt, wan du vorhin duſſen bift, fo darfft du 
nit nachin ziehen.” DBlechnagel, Bart und Gürtler hatten 
fih darauf gefaßt gemacht, daß die Stage, ob der Rat ein- 
verftanden fei, aufgeworfen werde. Sie hatten fich bereits 


71 


dahin verftändigt: Wenn fie fähen, daß der Rat den Zug 
verbiete, fo follten Blechnagel und andere Rnnechte umberlaufen 
und die Leute bearbeiten, daß fie ih nicht abwendig machen 
ließen. Das Verbot des Rates fei nichts als ein „mennlin”, 
wodurd der Rat „defter mit befler fugen den iren, fo fy nit 
verloflen wurden, mit gewalt nochziehen, lüt und gefhüß, 
difen zug flattlich zeuolenden, mit bringen möchten.” Auf 
dDiefe Weife wußten fie Die Bedenken zu zerftreuen und die 
noch Zaudernden zu beruhigen, daß der Zug nicht gegen 
den Willen des Rats, „[ondern nit me den ein mennlin 
were, damit fy es defter baß konndthen verantiwurten.” AU- 
gemein waren die Männer von der Notwendigkeit überzeugt, 
noch weitere Leute in die Sache hineinzuziehen. Unter andern 
wurde Gebharts, des Ratsherrn Sohn, und Fridolin Ryffs 
Bruder genannt. Man hielt es auch für ratfam, viele Ge- 
felen von Zern, die ihnen befreundet waren, in den Handel 
zu bringen, „Damit mans defter baß durhin druden möchte". 

Auf dem Heimmwege wurden Lotterer und Morgen: 
fern wieder unruhig; es müfle dennoch etwas an der Sache 
fein. Der Ratsherr Zeller aber beruhigte fie: fie follten 
nur tapfer fortfahren und, wenn fie an die Götzen kämen, 
nichts bleiben laſſen. Allein fie ließen fih doch nicht mehr 
beruhigen, fondern wurden miteinander eins, von der Sache 
zurüdzutreten. Sie fanden fih darum auch nicht mehr eim, 
als am Sonntag vormittag Seller, Schwarz, Bart, Gürtler 
und Blechnagel zufammen famen, um „alle Ding eigentlich” 
abzureden. 

An die Laufentaler hatte Blechnagel einen Brief ab- 
gefaßt, Die Bauern möchten an Steffen Bart berichten, ob 
fie nach ihrer Zufage am Sonntag den 23. Oftober gerüftet 
feien und das Spiel beginnen wollten. Er hatte ihn jedoch 
nicht abgefchidt, nachdem er ihn am Sonntag morgen Urban 
Gürtler vorgelefen hatte, zerriß er ihn. Am Sonntag nad: 
mittag wurde auf der Schützenmatte geſchoſſen. Am Abend 
jaßen einige von den Eingeweihten mit andern Schüßen zu- 


172 


fammen. Der Wein löfte die Zunge. Simon Morgenftern 
ließ fich vernehmen, fie würden bald ein Schießen am 
Blauen haben. Schon am folgenden Tage war die Sache 
dem Rate zur Kenntnis gefommen. Dlechnagel wurde zu 
den Predigern und zu Heinrich Seller und Hans Nagel ge- 
Ihidt, diefe in den Rat zu holen. „Meifter Heinrich,” redete 
der Stadtknecht den Ratsherrn an, „es gott vbel. Min 
herren wiflen alle ding.” „Schweig nur ftill vnd fag nie- 
manden nüt,” erwiderte diefer, „wir wend im woll recht. (!) 
Hans Nagel weißs ouch.“ 

Bereits waren etliche heimlich Hinausgezogen. Der Rat 
mahnte die Bürger bei großer Strafe und den Eiden wieder 
beim. Benedikt Bart wollte eben zum Aeſchentor binaus- 
zieben, als ihm der Bürgermeifter Jakob Meyer zum Hirzen 
begegnete und ihn bei feinem Eide aufforderte, umzukehren. 
Aber der Knecht antwortete „ſtölzlich“. So gebe er feinen 
Eid auf. Erft nach langem Hin- und Herreden ließ er fich 
bewegen, zu bleiben. Auf allen Zünften wurde das Verbot, 
fortzuzieben, bekannt gemadt. Noch am Montag wurde 
mit beiden Räten erkannt, alle die zu flrafen, „Die folichen 
vfflouff gemacht hatten und follich rottung zufammen trieben 
hatten”. Die Hauptihuldigen wurden gefangen gelegt: 
Urban DBlechnagel, Hans Lotterer, der Weber, Konrad 
Locherer, der Neftler, Heinrich Zeller, Urban Schwarz, Vene: 
dit Bart und Michel Fink, der Stadtfnecht, und die beiden 
LZaufentaler Heinrih Newer und Hans Karrer. Etlichen 
Blirgern, jo Steffen Bart, „Der in diefer fah ein houpt— 
man was" und Urban Gürtler wurde ein „gleyd“ gegeben, 
aber fie taten fich wieder hinweg.’?) 

Die Bauern des Laufentales hatten fich unterdeflen am 
Sonntag den 23. Oktober erhoben und fi) vor die Schlöfler 
Zwingen und Virsed gelegt, hatten aber, da fie von Bafel 
feinen Zuzug erhalten hatten, wieder abziehen müflen. Das 
Schloß Birsed wurde von den GSolothurnern eingenommen, 
mußte jedoch von ihnen wieder herausgegeben werden. 


73 


Die Teilnehmer an der Empörung wurden bald wieder 
freigelafien, am 31. Oktober Hans Lotterer und Benedikt 
Bart, am 1. November Konrad Locherer, der verbannt wurde, 
und am 5. November Heinrich Zeller, Urban Schwarz und 
Michel Fink, die als „nicht geftändig ganz unfchuldig” in 
die Freiheit zurüdfehrten. Steffen Bart und Urban Gürt: 
ler hatten fi durch Flucht dem Arm der Gerechtigkeit ent- 
zogen. Ein blutiges Opfer blieb auf dem Plate. Urban 
Blechnagel wurde am 15. Dezember enthauptet, gevierteilt 
und an die Straßen gehängt. Zu diefer Strenge hat nicht 
bloß die amtliche Stellung des Stadtimechtes, fondern aud) 
fein wenig rühmliches Verhalten im VBauernfriege Veran: 
laſſung gegeben.”*) Am 21. Januar des folgenden Jahres 
erhielten auch die beiden Laufentaler wieder ihre Freiheit, 
nahdem fie Urfehde gefchworen hatten. 

So hatte diefer Verſuch, die Burgrechtsfrage des 
Laufentals mit der Waffe flatt auf dem Nechtswege zu 
entfcheiden, fehlgefchlagen. Das Maß der Gelbftverleug- 
nung, welches der Rat von DBafel übte, indem er feine 
Wünfche hinter der Forderung des Rechts zurüditellte, 
verdient alle Anerkennung, ebenfo wie das Verantwortlich- 
feitsgefühl, von dem er fich leiten ließ und das ihn bewog, 
als Behörde einer nah dem Worte Gottes reformierten 
Stadt nichts zu unternehmen, was mit der Ehrbarkeit nicht 
beftehen und der evangelifhen Sache nur Schaden zufügen 
fonnte. Die Folge war allerdings die, daß die Verhält— 
nifje fich nicht abflärten und daß die langwierigen Verhand⸗ 
lungen von neuem einfeßten, ohne eine wirkliche Entfcheidung 
herbeizuführen. 


7. Die Verträge des Bifchofs mit Laufen von 1532, 
1533 und 1535. 
Nachdem im Sommer des Zahres 1529 in den bifchöf: 
lichen Gemeinden die Reformation durchgeführt und durch 
Berträge fihergeftellt worden war, leifteteten die Pfarrer 


74 


wie die in den Basler Uemtern den Eid und wurden als 
Glieder der Basler Kirche gehalten. Vom Herbft 1530 an 
erfchienen fie deshalb auch auf den Synoden in Bafel.”?) 
Allein es traten bald Mißftimmungen ein. Zum Zeil trugen 
die unklaren Verhältniſſe daran ſchuld, zum Teil aber auch 
die Verſuche der Untertanen, eben diefe Verhältniſſe zu 
ihrem Porteile zu benüßen. Sie machten vielfach, was 
ihnen beliebte. Gab ihnen die Stadt ihre Weifungen, dann 
waren fie bifchöflich, follten fie dem Biſchof Gehorſam Ieiften, 
beriefen fie fi auf das Burgrecht mit Baſel, oder wie ein 
andermal geklagt wurde, fie wollten weder die Mandate 
Baſels noch des Biſchofs halten. Sie feßten Priefter ab, 
machten eigene Feiertage, ftraften die, welche fie nicht hielten 
und wiefen den Pfarrern ihre Rompetenz nicht aus und 
hielten auch fonft in der Verwaltung der Kirchengüter nicht 
die erforderliche DOrdnung.’®) Es war darum geboten, daß 
ein neuer Vertrag die firchlichen Verhältniffe ordnete. Bür— 
germeifter Jakob Meyer wurde als Schiedsrichter angerufen. 
Durch feine Vermittlung fam es am 12. Zuni 1532 zu einem 
Vertrage zwifchen dem Bifchof von Baſel und Meyer, Rat, 
Gefchworenen und ganzer Gemeinde von Laufen und den 
Dörfern Wahlen, Röfchenz und Liesberg.’””) Die Gemein: 
den Iwingen, Blauen und Dittingen hatten ihren Wider: 
fand gegen die Reformation auch jeßt noch nicht aufgegeben. 

Unter dem Zwang der Verbältniffe hatte der Biſchof 
fhon einige Zeit auf die Ausübung des geiftlichen Gerichtes 
verzichten müflen. Der neue Vertrag ließ es vorläufig bei 
der bisherigen Uebung bleiben, doch „Shrer fürftlichen Gna- 
den Jurisdiktion und gerechtigkeit onverzigen”. Deutlicher 
und beftimmter als früher ſprach fich der Vertrag über die 
DBerfündigung des Evangeliums aus und faßte die Lehren 
zufammen, die aus den bisherigen Erfahrungen gezogen 
worden waren. Es wurde beftimmt, daß den Untertanen 
„das heilig Wort Gottes, das Evangelium Jeſu Chrifti 
nah vermög des newen auch alten Teftaments zu der ehren 


75 


Gottes und pflangung gutter gehorfame ouch brüderlicher 
liebe trewlich verfündt werde". „Es follent aber die prediger 
vff der Cantzlen alle nidifche ſchmach- und fcheltwort, dadurch 
jemand verlümbdet oder verargwont werden möchte, vonder: 
laſſen, khein füönderige perfohnen nemmen noch anziehen fon- 
der die lafter in gemein von mißfallens der fünden wegen 
fraffen. Dazu follent vnd mögent bemelte underthanen und 
ihre predicanten im Bistum frey ohne forg wandlen alfo, daß 
ihnen von wegen des göttlichen wort, daß ſy demfelbigen 
anhengig findt, nichts args zugefügt werde.” Doc follten 
fih die Untertanen, und ihre Prädilanten auch ihrerjeits, 
wenn fie in das Fatholifche Gebiet des Biſchofs kämen, „mit 
worten vnd werfhen befcheidenlich vnd fründlich halten von 
wegen deß aloubens vnd chriftenlicher religion niemanden 
fchmehen reizen noch anziehen“. Weiterhin fah der Biſchof 
davon ab, die Laufener wegen des Verkaufs der Kirchen- 
zierden zu ftrafen. Wenn aber durch ein allgemeines Kon— 
zil beftimmt würde, daß die Altäre und Rirchenzierden wieder 
aufgerichtet werden follten, dann follten die Bürger von 
Laufen die 96 Pfund, die fie beim Perfauf der Kirchen: 
zierden gelöft hatten, wieder erftatten. Damit wieder eine 
geordnete Verwaltung der Kirchengüter einſetze, follten im 
ganzen Amte wie von alters ber Pfleger geordnet werden, 
welche über ihre Verwaltung alljährlich den bifchöflichen 
Beamten Rechnung abzulegen batten. 

Der Biſchof war mit diefen Beſtimmungen den Inter: 
fanen offenbar in weitgehbender Weife entgegengefommen 
und mochte wohl hoffen, daB die Gemeinde Gleiches mit 
Gleichem vergelten werde. Ja, es ſchien, als ob diefe Hoff: 
nung in Erfüllung gehen wollte. Wenige Tage fpäter näm- 
Lich, nachdem der Biſchof mit Laufen den Vertrag abge: 
ſchloſſen hatte, berichtete er nach Baſel, es fei gütlich ver- 
einbart worden, daß die Laufener und zum Teil auch die 
vom Amte Iwingen dem Bifhof wiederum buldigen follten. 
Die Huldigung folle am 1. Zuli ftattfinden. Baſel möge 


76 


auf Sonntag den 30. Zuni einen Gefandten nah Zwingen 
fhiden, damit in feiner Anweſenheit die Huldigung deſto 
ftattlicher vor fich gehe.) Es läßt fi) wohl vorftellen, was 
für Gefichter die Ratsherren in Baſel gemacht haben, als fie 
das Schreiben lafen. Was fie geantwortet haben, ift leider 
nicht befannt, Doch iſt fchwerlich anzunehmen, daß fie durch 
ihre Anweſenheit in Zwingen die Laufentaler ermutigt 
‚hätten, dem Bifchof wiederum zu ſchwören. 

Das Errungene feftzuhalten war nur möglih, wenn 
Saufen fowohl in politifher als in kirchlicher Hinfiht die 
Stadt Baſel den erforderlihen Rüdhalt bot. Deſſen waren 
fih die Einfihtigen in dem bifhöflichen Städtchen wohl 
‚bewußt. Es war darum auch mehr als ein augenblidlicher 
Einfall, wenn im Herbft 1532 der Schulmeifter von Laufen 
an die Ringmauer des Städtchens die Ehrenzeichen der 
Stadt Baſel und des Biſchofs malte. Der Biſchof gab 
fofort Vefehl, das Basler Wappen zu übermalen. Der 
Rat von Baſel aber, der von dem Vorhaben des Schul: 
meifters Teine Kenntnis gehabt hatte, betrachtete es als 
einen Alt der Gerechtigkeit, daß auch des Biſchofs Zeichen 
wieder abgetan würde, und forderte den Schulmeifter auf, 
es ebenfo zu entfernen. Den Biſchof bat der Rat, den 
Schulmeifter nicht zu beftrafen.”?) 

Das zwieipältige Wefen, an welchem das Städtchen 
litt und das der Schulmeifter duch feinen Einfall richtig ins 
Licht geftellt hatte, erwies ſich auch in der nächſten Zeit für 
eine gedeihliche Entwidlung recht hHinderlih. Auf Firchlichem 
Gebiete Fam es zu neuen Reibungen mit der Basler Synode, 
die fich derart verjchärften, daß im Mai 1533 die Präpdi- 
fanten des Bistums von der Synode ausgefchloffen wurden. 
Der Rat hatte bei diefer Maßregel dem Drängen der Geift- 
lichkeit nachgegeben. Allein der Basler Pfarrer Gaft urteilte 
mit Recht, daß dadurh dem Biſchof Gelegenheit gegeben 
werde, das Evangelium, das ohnehin fehon bei ihm verhaßt 
jei, ganz auszutilgen.?°) Vorläufig fam es nicht dazu. Im 


77 


folgenden Sahre brachten die fchwebenden Kriegsläufe den 
Biſchof und die Stadt einander wieder näher. Man wußte 
zu gut, daß man in der Gefahr auf gegenfeitige Hilfe ange: 
wiefen fei und gab ſich Mühe, fich gegenfeitig zu ertragen. 
Sie fchloffen am 20. April 1534 auf ſechs Jahre ein Yünd- 
nis, wonadh im Bistum die bisher geübte Religion, „wie 
die vff difen tag by inen geprüchlich“, ganz unangefochten 
und frei bleiben und von dem Bündnis, beiden Teilen ohne 
Schaden, nicht berührt werden follte?!) Tags darauf be: 
fchloffen die Bannherren, die Prädifanten des Bistums 
zur Synode wieder einzuladen; allein für diefes Mal unter: 
blieb die Einladung.??) Der Zorn der Basler Pfarrer hatte 
fih offenbar noch nicht gelegt und leiftete dem Willen der 
Bannberren erfolgreihen Widerftand. Gleichwohl machte 
in der nächiten Zeit die Annäherung wieder Fortfchritte. 
Darum machte fih der Bifchof felbft verdient. Er erließ 
am 18. Sanuar 1535 für Laufen und die Dörfer Wahlen, 
Röfchenz und Liesberg in Anlehnung an die Basler Refor- 
mationsordnung eine Polizeiordnung, von der die Prädi- 
fanten mit Recht rühmten, daß fie der göttlichen Wahrheit 
nicht zuwider war.??) Was für ein Geift zu diefer Ordnung 
geführt hatte, erhellt Har aus den Beftimmungen, welche 
der Heiligung des Sonntags, der Einfchränfung des Spiels 
und der Bekämpfung der Kirchweihen dienten. Während 
des Gottesdienftes mußten die Wirtfchaften gefchloflen fein 
und die Wirte durften vor dem Gottesdienft niemandem 
etwas verabreichen, „es were dann fremden wandleten geften 
oder fo einer vber veldt wollt". Ebenſo war am Sonntag 
die Vogeljagd und das Zifchen verboten, fowie das Schießen 
mit Büchſe und Bogen in Wald und Zeld, „es were dann 
vmb furgwill zur fchiben oder zum zill“. In bezug auf das 
Spiel wurde feſtgeſetzt, daß nicht höher als um einen Rappen 
und nicht mit Würfeln und nicht zu Seiten gefpielt werde, 
„jo fh gebürt ann gottesdienften ze fein”. Mit befonderem 
Nahdrud wurde der Beſuch der Kirchweihen befämpft, aus 


78 


dem viel Unrats entftehe, da fie mehr dem Wein als dem 
Gottesdienft zuliebe befucht würden. So war es bei Strafe 
verboten, innerhalb zwei Meilen Weges im Umkreis KRirch- 
weihen zu befuchen, wenn es nicht aus chriftlicher Andacht 
geſchehe. Diefe aber war vom Kirchweihbefucher dadurch) 
zu beweifen, daß er ohne beim Wirt oder beim Drum und 
Dran der Kirchweihe fich aufzuhalten, fich nach Haufe verfüge. 
Die Wirkungen diefer Polizeiordnung laflen fih im ein- 
zelnen nicht mehr feſtſtellen. Daß fie es auf eine ftraffere 
Zucht abgefehen hatte und den Volksfchäden mit Entfchieden- 
beit entgegenzutreten fuchte, ift zweifellos. Mit diefer neuen 
Ordnung bänat es wohl auch zufammen, daß nun auch 
gegen die Täufer wieder entfchiedener vorgegangen wurde, 
nachdem feit einigen Jahren es in Ddiefer Hinficht ftille 
geblieben war. Anfangs Mai 1535 war Urs Marfichall, 
der Vogt, in Laufen, „der Täufer halben zu handeln”. Er 
ließ allerlei Leute verhören, welche „faft nach der Täuferei 
ſchmeckten“. Dei diefer Gelegenheit fielen auch jene An— 
Hagen gegen den Leutpriefter Serg, welche ihn für den Un— 
geborfam der Intertanen gegen den Biſchof verantwortlich 
machten.®?) 

Zn Bafel ließ man fich endlich wieder herbei, die Prädi— 
kanten des bifchöflichen Gebietes zur Synode einzuladen. 
Sie erſchienen am 11. Auguft, unter ihnen auch Georg 
Battenheimer. Sie beflagten fih, dab ſchon zwei Synoden 
in Bafel abgehalten worden feien, zu denen fie nicht befchrie- 
ben worden feien. Diefe Ausfchließung habe bei ihren Ge: 
meinden Anftoß und WUergernis erregt und dahin geführt, 
„Das by inen fein geborfame mer gelten wil, obglich der 
bifhof von Bafel ir natürlich vnd weltlich ber mandata zu- 
ihidt, jo der göttlichen wahrheit nit zuwider find”. Sie 
baten eindringlich, man möchte fie nicht ausfchließen und 
verlafien, denn es fei leicht einzufehen, was zuletzt daraus 
erfolgen werde. Wenn die Basler von ihnen wichen, wüßten 
fie nicht zu bleiben. Man gab ihnen gute Worte, man 


79 


werde fih ihnen gegenüber der Gebühr nach verhalten.®®) 
Als aber im folgenden Jahre zur Synode eingeladen wurde, 
wurden die bifchöflichen Prädifanten wieder libergangen. 
Wie fehr ihnen aber daran gelegen war, den Zuſammenhang 
mit Baſel aufrecht zu erhalten und die unverftändliche Ab— 
neigung der Basler zu überwinden, bewiejen fie dadurch, 
daß fie an der nächſten Synode vollzählig erfchienen, „wie 
wohl fy nit befchriben” waren.®®) 


8. Der Abfhluß der Reformation in Laufen. 


Daß die Gemeinde Laufen der Unterftügung der Basler 
Kirche wert war, bewies fie bald darauf durch eine Ordnung, 
welche fie fich felbft gab. Die Gemeinden Zwingen, Blauen 
und Dittingen hatten fih bisher nicht zum Anfchluß an die 
evangelifche Gemeinde Laufen bewegen lafjen und auch in 
Laufen jelbft und den Gemeinden Röfchenz, Wahlen und 
Liesberg hielten ſich noch einzelne Familien zum alten 
Glauben. Sie liefen ihre Kinder katholiſch taufen und 
empfingen auswärts an Fatholifchen Orten das Sakrament. 
Dagegen fcehritt nun die Gemeinde ein. Am 26. November 
1536 verfammelte fi) die gemeine Kilchhöri Laufen, Rö— 
Ichenz, Wahlen, Dittingen, Blauen, Zwingen und Liesberg 
und traf über die Religion und Anliegen der Kirche eine 
Vereinbarung. Cinmütig und einmündig wurde in ihrer 
chriſtlichen Verfammlung befchloflen, die katholiſch Geblie- 
benen aus den Gemeinden Röfchenz, Wahlen, Dittingen und 
Iwingen, die von jeher zu Laufen gehört hatten, auf das 
ernftlichfte zu ermahnen, von ihrem Vornehmen, wie bisher 
die Rinder an Eatholifchen Orten taufen zu laflen und die 
Saframente auf Eatholifche Weife zu empfangen, abzulaffen. 
Sm Weigerungsfalle drohte die Gemeinde mit Verweigerung 
der Taufe, des Nachtmahls und des Begräbnifles, was ihr 
doch leid wäre. Auf diefe Weife follte die Einheit der Ge- 
meinde wieder bergeftellt werden. Die Ordnung fprach fich 


80 


alsdann über den Bann und feine Handhabung, über den 
Sonntag, den Kirchgang und die Hörung des göttlichen 
Worts aus: „Diweil wir kein virtag hand, das wort gottes 
zu hören, dann den fonentag, fol fich jederman befleißen, 
fobald man zufamenläutet, fih an feinen ort zu feßen.” 
Wer nadhläffig ift, fol der Kirche verfallen fein. Beſondere 
Beftimmungen werden für die Mebger aufgeftellt. Gegen 
die Kirchweihen wird in ähnlicher Weife gekämpft, wie in 
der Polizeiordnung des Biſchofs. Von der Rampfesftellung 
gegen den Katholizismus legt der Abſchnitt „vom touf wie 
der gehalten vnd wer die gefatteren fin oder fin ſollen“, deut- 
ih Zeugnis ab. Die Kinder müflen zu St. Martin getauft 
werden. Es dürfen keine Andersgläubigen, auch keine Töch- 
terlein unter zwölf und feine Rnaben unter vierzehn Jahren 
als Paten eintreten. In dem Abfchnitt „von der Kranken 
Heimfuchung” wird darauf gedrungen, daß man bei Zeiten 
zum Prädifanten fchide, damit er noch mit dem Kranken 
reden und nachher den himmlifchen Vater loben und preifen 
fan, wie er „unfre brüder oder fchwefter inn riftenlichem 
glouben vß difem jamertal inn das ewig himmliſch vaterland 
beruft bat.” Wenn ein Kranker das heilige Abendmahl 
begebre, „rechter und wahrer meinung” um feinen Glauben 
zu färken, jo folle man es ihm nicht abjchlagen; und wenn 
zu befürchten wäre, daß der, der es begehre, es nach früherem 
Gebrauch verlange, fol es ihm Doch gereicht werden, nachdem 
er vom Pfarrer über den rechten Gebrauch aufgeklärt worden 
fei.87) 

So angenehm die Weitherzigfeit berührt, welche in 
diefer Abendmahlspraris zum Ausdrud kommt, jo befremd- 
lich erfcheint daneben die im Grunde unevangelifche Art und 
Weife, wie man durch den Drud der Drohung die noch 
katholiſch Gefinnten zur evangelifchen Kirche herüberholen 
wollte, und es ift ein eigentümliches Schaufpiel, welches in 
den nachfolgenden Verhandlungen fich darbietet, daß der 
Biſchof der evangelifhen Gemeinde gegenüber Glaubens- 


81 > 


und Gewiflensfreiheit zu verteidigen ſich anfchidte. Der 
Biſchof beſchwerte ſich nämlich bei Baſel darüber, daß die 
IIntertanen von Laufen Ordnungen und GSaßungen ohne 
Wiffen ihres Herrn fogar mit Androhung von Strafen auf: 
geftellt hätten, während fie die Artikel, die der Biſchof aus 
den Basler Drdnungen gezogen habe, nicht annehmen wollten. 
Auch die Basler hätten diefe Ordnung der Laufener, wenn 
fie darüber gejeflen wären, verurteilen müſſen. Mit Ent- 
ſchiedenheit wehrte fich der Bifchof dagegen, daß feine Inter: 
tanen von Laufen Leute, die zum Stein Zwingen gehörten, 
zwingen wollen, ihre Kinder in Laufen taufen zu laflen, 
während doch der Glaube frei fei und „Niemand wider fein 
Eonfciens, bis ihn der Allmächtig auff die eine oder andere 
weife erleuchte, gedrungen werden” ſollte. Wenn er ihnen 
in bezug auf die Wahl der Kirchenpfleger und die Verwal: 
tung der Rirhengüter in Wahlen, Röfchenz und Liesberg 
nachgegeben habe, fo feien im Vertrage Doh Zwingen, Dit: 
fingen und andere Gemeinden nicht erwähnt. Diefe Ge- 
meinden feien daher beim katholiſchen Glauben zu belaffen. 
Der Biſchof ftellte Baſel in Ausfiht, er werde Laufen ver- 
bieten, feine eigenwilligen Satungen zu gebrauchen, und 
‚ihnen gebieten, fih an die bifchöfliche Ordnung zu balten. 
Er habe nicht die Abficht, ihnen ihre angenommene Religion 
zu nehmen. Uber der Biſchof erwarte von Baſel, daß es 
ihn unterftüße, damit die Katholifchen katholiſch Leben 
fönnten. Allein der Bifchof vermochte an dem, was gefchehen 
war, nichts mehr zu ändern. Laufen behielt feine Ord- 
nung.38) Zn Blauen wurde von nun an jeden Sonntag vom 
Diakon evangelifher Gottesdienft gehalten. 

Auf die Dauer fonnte Baſel den Glaubensgenofien im 
Bistum fein Herz nicht verfchließen. Auf der Synode vom 
Sabre 1538 erſchien auch wieder Serg YBattenheimer, wo er 
fih mit dem Prädifanten von Therwil „erclagt". Der 
Grund feiner Rlage ift nicht befannt. Es war das lebte 
Mal. Nachher verſchwindet er vom Schauplag. Aber er 


82 


durfte es doch noch erleben, Daß Laufen den Anihluß an 
Baſel in Eirchlicher Hinficht wieder fand. Zwei Sahre fpäter 
löfte Baſel auch fein Verfprechen ein, welches es feinerzeit 
gegeben hatte, es wolle Laufen halten wie die eigenen Aemter. 
Als nämlih im Jahre 1540 in Lieftal eine luſtige „Rilby” 
gehalten wurde, da lud der Rat von Baſel auch Laufen und 
die fünf Dörfer Wahlen, Röſchenz, Liesberg, Dittingen 
und Blauen ein, nach Lieftal zu fommen, und erwirkte dazu 
beim Biſchof die Erlaubnis, daß fie wie die Aemter ihr 
SFähnlein mitbringen durften. Dreibundert Mann ſtark 
rüdten die Laufentaler mit ihrem Fähnlein auf. Den guten 
Willen zu mehren und zu pflanzen, wurden fie am folgenden 
Tag in den Zünften und Gefellfchaften YBafels ehrlich traf: 
tiert und koſtfrei gebalten.®?) 


9, Die Pfarrer und das Firdhlidhe Leben in Saufen 
bis zur Begenreformation. 


Nachdem Laufen die Verbindung mit Baſel gefunden 
batte, brach eine Zeit an, wo der neue Glaube, nachdem er 
Wurzel gefaßt hatte, fih mehr und mehr zu entfalten und 
Srüchte zu bringen vermochte. Die folgende Zeit erwedt 
den Eindrud, daß die Bewegung mehr und mehr in die Tiefe 
gegangen ift. 

DBattenheimers Nachfolger im Amt des Leutpriefters 
von Laufen war Herr Cafpar, von dem wir gar nichts als 
nur den halben Namen willen und erfahren, daß er auf der 
Synode vom Zahre 1542 in Baſel mit allen Prädikanten 
des mit Baſel verburgrechteten bifchöflihden Gebietes er: 
fhien?) Vom Diakon in Laufen wird in diefer Zeit 
überhaupt nichts fichtbar. Dagegen tritt nun im Jahre 1546 
ein Mann auf, der fih als Dichter einen Namen gemacht 
bat. Valentin Bol?!), aus Rufach flammend, war erft 
Prediger in Alpirsbach, Diakonus in Tübingen und Prädi- 
fant in Schorndorf, wo er mit feiner Frau, „einer harten, 


83 6 


unleidlichen Bremſe“, in unheilbarem Zwieſpalt gelebt hatte. 
Durch eine Empfehlung von Straßburg nad) Zürich hatte 
er in Schwanden wieder eine Stellung gefunden und tauchte 
nun plöglih in Laufen als Diakon auf. Hier entftand fein 
älteftes Wert, „Dauli Belehrung”, welches am 6. Juni 
1546 bei fchönftem Wetter in Baſel aufgeführt wurde. Auf 
öffentliche Roften wurde die Schaubühne errichtet, Bürger: 
meifter von Brunn übernahm die Rolle des Saulus. Der 
Ratsherr Balthaſar Han fpielte den „hergoth“, Chriftus. 
Die Schaufpielergefellfchaft erhielt von der Stadt eine Be— 
lohnung von 20, der Dichter eine folche von fünf Kronen. 
Das Werk wurde zudem auf Staatskoften gedrudt. Beinahe 
wäre Bol& die Genugtuung verfagt geblieben, der Auffüh— 
rung feines Erftlingswerfes beizumohnen. Denn als er 
wenige Tage zuvor mit Meifter Wilhelm Glafer von der 
Eifengafie nah Laufen hinauswanderte, wurde er in Rei- 
nah von Trafin Lüdin angefallen. Der wütende Bauer 
hatte einige Wochen zuvor im Schaltenbrand in Baſel fich , 
über die Maßen mit Wein beladen und einem Gafte, der 
eben fein Glas angefegt hatte, das Glas mit der Fauft in 
den Mund gefchlagen, daß die Splitter in der Haut fteden 
geblieben waren. Er war dafür gefangen geſetzt worden. 
Als nun die beiden Männer nad) Reinach kamen, fing Lüdin 
an, mit zornmütigen Worten und Gottesläfterungen über 
den Bürgermeifter und den Rat der Stadt Bafel fi aus— 
zulafien. Valentin Bol fuchte ihn zu begütigen und redete 
ihm freundlich zu; aber er richtete nichts aus. Da geriet der 
Meifter Glafer in Zorn und ſchlug dem Wüterich mit der 
Fauſt ins Gefiht. Lüdin lief ins Dorf, holte feine Helle- 
barte, kam mit einem andern Bauern zurüd, ſchlug Bolt 
zu Boden und verlegte ihn übel mit feiner Waffe. Meifter 
Glafer kam ohne Schaden davon. Sobald der Heberfall in 
Bafel bekannt wurde, rüdten fechzig Bürger nah) Reina 
aus und brachten die beiden Bauern gefangen nach der 
Stadt. Lüdin wurde für immer aus Baſel verbannt.??) 


84 


Ein Zahr fpäter wurde Bolt zum Prediger an Bar— 
füßer na) Bafel berufen. Boltz hatte fi) nach der Schei- 
dung von feiner erften Frau mit feiner Magd verheiratet. 
Sie hatte mit ihm in Laufen gelebt. In Baſel hatte fie 
eine ſchwache Stunde, fie wurde ihrem Manne untreu. Ge: 
Ihieden und ein Kind erwartend, des Aergerniſſes wegen im 
Sahre 1553 ausgewiefen, wußte fie keine Zuflucht. Es 
war zu befürchten, daß fie fich etwas antun koͤnnte. Da fie 
fh fonft gut gehalten hatte, neigten Antiftes Sulzer und 
die Basler Pfarrer zur Milde. Sie fahen fih zwar aus Rüd- 
fiht auf das Gerede und ihr Amt genötigt, fie etwas weiter 
wegzuſchicken. Aber Sulzer empfahl fie Ambrofius Blaurer, 
dem Dorfteber der Kirche in Biel, in der Meinung, daß fie 
dort mit Nähen und Weben ihren Unterhalt verdienen folle, 
und in der. Erwartung, daß fie niemand läſtig fallen werde, 
da fie ihr befcheidenes Austommen habe und arbeiten Eünne. 
Blaurer hatte viel Unangenebmes um ihretwilen. Die 
Frau fand nun aber in Laufen eine Zuflucht, und Sulzer 
boffte, nah Rüdfprache mit dem Bürgermeiſter von Baſel, 
daß fie dort auch gegen Valentin Boltz's Wiffen und Willen 
gelafien werden koͤnne. Sulzer redete mit dem Bürgermeiſter, 
fchrieb auch an den Pfarrer Konrad Schred, und fah nun 
feine Gefahr mehr, daß die Frau, die unterdeflen ein ſchönes 
Rnäblein geboren hatte, aus Laufen vertrieben werde. Er 
dankte Blaurer für alle der Armen erwiejene Liebe. Später, 
im Sabre 1555 wurde Magdalena Bolt von einem ehrbaren 
Laufener Bürger zur Stau begehrt. Sulzer und? Marcus 
Bertſchi zu St. Leonhard bemühten fih beim Kirchenrat, die 
Erlaubnis zur Heirat zu erwirfen, ohne welche fie nicht zu 
heiraten wagte, und erreichten, daß der Kirchenrat ihrem 
Begehren entfprach.??) Boltz's Nachfolger in Laufen, Ron- 
rad Schred, trat am 21. Oftober 1547 fein Amt als Diakon 
zu Laufen und Blauen an.) Im folgenden Zahre trat der 
Leutpriefter, Herr Cafpar, vom Schauplaße zurüd. Es war 
die Zeit des Interims. Bei feinem Beginne war aus 


85 


Speyer Michael Diller, ein in Wiflenfhaft und Sprachen 
hervorragender Mann, um feiner evangelifchen Ueberzeugung 
willen vertrieben worden. Er fand in Laufen als Leut— 
priefter ein neues Feld der Wirkffamkeit.) Nach vier- 
jährigem Aufenthalt wurde er vom Fürft Ottheinrich von der 
Pfalz wieder in feine Heimat berufen und wurde Pfarrer 
in Heidelberg. 

Der Diakon Konrad Schred hatte mit feinen gepntern 
Streitigkeiten gehabt, weil fie ihm die fehuldige Frucht nicht 
hatten abliefern wollen. Cr wandte fich Tlagend an die 
Herren der Stift von St. Peter, von denen der befanntefte 
und einflußreichfte Wolfgang Wiflenburg war, der ehemals 
als der erfte in Bafel deutfche Meſſe gelejen hatte. Er fand 
Gehör und Unterflügßung Die Stiftsherren verordneten, 
daß die Güter der Kaplanei St. KRatberina zu Laufen neu 
aufgefchrieben würden. Dadurch mußte Ordnung gejchaffen 
werden.?*) As Michael Diller Laufen verließ, wurde Kon— 
rad Schred von der Gemeinde beauftragt, die Paftoration in 
Laufen bis zur Wiederbefeßung der Stelle zu übernehmen. 
Er ließ deshalb der Gemeinde von Blauen anfagen, er 
fönne am Sonntag nicht zur gewohnten Stunde in Blauen 
predigen. Die Gemeinde möge ihm einen Tag in der Woche 
angeben, an welchem er in Blauen feine Predigt halten 
fönne, oder er wolle Sonntags nad) der Predigt in Laufen 
zu ihnen hinauf fommen, bis wieder ein Leutpriefter ge- 
wählt fei. Allein die Leute von Blauen beftanden eigenfinnig 
auf ihrem Rechte; fie beichloflen in der Gemeinde, fie wollten 
nichtS anderes, „Denn wie der bruch und man inen fchuldig 
fige". Es war um fo befremdlicher, daß, „ob ſy ſchon nit 
ze Filchen gönndt”, fie Doch die Kirche von Laufen mit etwa 
500 Menſchen unverfehen laſſen wollten. Daraus ſei doch 
zu erkennen, meinte der Dfarerr, welcher Art und Natur 
die Leute von Blauen feien und „was liebs fie zu dem 
Evangelium haben”. Michael Diller hatte in feiner Ab— 
Ichiedspredigt den Diakon Schred zum Nachfolger im Leut- 


86 


priefteramte empfohlen. Er hatte der Gemeinde, die ihn 
anfragte, eine Zufage gegeben, vorausgeſetzt, daß die Kol- 
latoren, die Dombherren, fich mit feiner Wahl einverftanden 
erklären würden. Die Wahl fand ftatt, und die Veftätigung 
folgte.?”) Die Stiftsherren von St. Peter hatten nun aber 
wieder für den Diakon einen Nachfolger zu ernennen. Gie 
fandten Yartholomäus Weftheimer. Er predigte. WUllein 
er erschien der Gemeinde zu alt. Sie wollten einen jüngeren 
Mann, der tüchtig fei, die Jugend zu unterrichten. In 
- Laufen wurde auh von dem Pfarrer von Arlesheim, Jo— 
hannes Herold, und von Gabriel Hummel geredet. Gegen 
den erften hatte Schred eine ftarfe Abneigung.??) Die Stifts- 
herren von St. Peter ließen Weftheimer fallen und ſchickten 
Chriftoph Megerich, vormals Pfarrer in Glarus, zur Probe- 
predigt nah Laufen. Die Gemeinde befchloß, fo wie es 
der Bifchof früher auch gehalten hatte, ihn auf ein Jahr 
anzunehmen und zu verfuchen und, wenn er ihnen gefalle, 
ihn weiter zu behalten, wenn nicht, ihm nach einem halben 
Sabre zu fünden. Den Stiftsherren in Baſel aber wollte 
es nicht billig erfcheinen, „Das man in göttlichen vnd ſeelen 
ſachen handle wie man in zittlichen vnd liblichen handeln zu 
tun pfleget, da gemeinlich beftellte Dienft off gewifle zit und 
tag geftellt werden.” Megerih wurde in Laufen Diakon.??) 

Sm Fahre 1554 farb Biſchof Philipp von Gundels- 
heim. Es folgte ihm Melchior von Lichtenfels. Als der 
neugewählte Fürft die Untertanen von Laufen zur Huldi- 
gung empfing, verſprach er ihnen, fie bei ihren alten Ge: 
wohnbeiten zu laflen, und als nach längern Verhandlungen 
im Sabre 1559 zwischen dem Biſchof und Baſel ein Vertrag 
zuftande kam, wiederholte der Fürft fein Verjprechen, die 
Untertanen bis zu einem Generalfonzil bei ihrem Glauben 
zu laflen. Als das geſchah, waren Konrad Schred und 
Megerich noch in Laufen an der Arbeit. Bald nachher haben 
beide ihr WUrbeitsfeld verlaffen. Us Diakon erfcheint feit 
dem Sahre 1561 Matthis Schaller von Bregenz.'?°) Schaller 


87 


309g mit Frau und Rindern und feinem dürftigen Hausrat 
und allen feinen Büchern auf, die er fi) kurz zuvor um 
12 % erfauft hatte. Er fah ſich auch „wegen fürgehender 
noturfft” gezwungen, bei der Stift von St. Peter eine Summe 
von 45 % aufzunehmen, für die er feinen fämtlichen Hausrat 
als Pfand einfegen mußte. Die finanziellen PVerhältnifie 
des Diakons beflerten fih nicht. Statt daß er an feiner 
Schuld etwas abzuzahlen vermocht hätte, ſah er fich genötigt, 
von den GStiftsherren ein weiteres Darlehen von 15 Pfund 
fh zu erbitten. Durch feine Notlage ließ er fich verleiten, 
auch in der Gemeinde Geld aufzunehmen. Daraus erwuchs 
dem bedrängten Pfarrer bald allerlei Anfechtung. Er wurde 
von feinen eigenen Pfarrlindern verklagt. Er anerbot fich, 
fih vor den Gtiftsherren in Gegenwart der Verkläger zu 
verantworten. Im Sahre 1563 erfchien er vor dem Amts— 
meyer von Zwingen und der ganzen Kirhhöri von Laufen, 
um fih gegen die Verleumdungen, welche gegen ihn erhoben 
worden waren, zu rechtfertigen. Die Gemeinde aber be- 
zeugte ihm, daß er fih „frombgklich, erlich und wol gehalten” 
babe, wie fi) einem Prediger geziemt. 

Im folgenden Zahre erfcheint in Laufen wieder ein 
neuer Leutpriefter, Philipp Zetterlin.!!) Ob Konrad Schred 
in dem furchtbaren Peftiahre 1564 ein Opfer feines Berufes 
geworden ift? Die Akten jchweigen. Im Sanuar 1565 
dagegen farb der Diakon Matthis Schaller. Schon fünf 
Wochen vor feinem Tode hatte der Leutpriefter Vetterlin 
die Rinder des Erkrankten „in feinem Muß und Brot” 
erhalten und bebielt fie auch nachher noch eine Zeitlang bei 
ſich. Uber auf die Länge erklärte er fich dazu nicht imftande. 
Schaller hatte fich finanziell nicht mehr erholen können. „Da 
ift wenig gut und .aber der fohulden gar viel.” Das „armut- 
lin” war fofort in Verbot gelegt worden. Der Pfarrer bat 
darum Wolfgang Wiflenburg als Stiftsherrn von St. Peter, 
der armen verlaflenen Rinder in Gnaden fih anzunehmen, 
damit fie erhalten werden möchten. Die Amtsgefchäfte des 


88 


Diakons verfprach er zu beforgen, bis ein neuer gewählt fei, 
und darum in Blauen am Sonntag nach dem Gottesdienft 
in Laufen oder am Montag früh die Predigt zu halten. 
Als Nachfolger wurde bald darauf Jakob Linder gewählt.!2) 
Er friftete ein Fümmerliches Dafein, aber er hatte Verftänd- 
nis für die Bedürfniffe feiner Pfarrfinder. Nachdem der 
Maurer am Pfrundbaus gearbeitet hatte, begehrte der Dia- 
fon bei der Stift St. Peter, da man den Meifter für Sand 
und Ralf bezahle; „denn was er macht, das ift gemacht vnnd 
maht ein ding gutt“. Nachdem Linder fih fechs Jahre 
lang mit feiner Vefoldung begnügt hatte, nun aber in den 
ſchweren und teuren Zeiten nicht mehr beftehen konnte, bat 
die Gemeinde für ihn um eine Beſoldungserhöhung und 
erreichte, Daß ihm um 20  aufgebeflert wurde. 

Sm Jahre 1565 war die „forkilchen” zu St. Martin 
erbaut und bedacht worden. Zwiſchen der Domftift und der 
Stift St. Peter entftand Streit, wer die Roften zu bezahlen 
babe. Beide juchten fie auf die Gemeinde abzuladen. Dieſe 
aber beftritt ihre Baupflicht und wies darauf hin, daß, als 
vor dreißig Jahren das Dach auf. der Kirche erneuert worden 
war, die beiden Stifte die Roften getragen hätten und feit- 
dem die Domftift den Chor von neuem hätte deden Laflen. 
Die Domftift aber wollte nun auf die 96 W greifen, welche 
die Gemeinde aus den Kirchenzierden gelöft hatte. Allein die 
Gemeinde wandte fih klagend an den Biſchof und bewies, 
indem fie auf den Artikel des Vertrags vom Jahre 1532 
fih berief, daß fie nichts zu geben fehuldig fei. Der Biſchof 
konnte fich fchwerlich der Beweisführung der Gemeinde ent- 
ziehen.!o3) Es war das lebte Mal, dab von dem Erlös aus 
den Rirchenzierden die Rede war. Der Streit war auch von 
feinem Belang gegenüber den großen ernften Entfcheidungen, 
welche bald die Gemeinde im Innerſten erregen follten. 

Philipp Petterlin fiedelte 1566 als Pfarrer nad 
Bretzwil über. An feine Stelle wurde von der Domſtift 
Jakob Gugger, der ältere, zum Pfarrer geordnet, ein Mann, 


89 


der völlig dem Lutbertum, wie es durch den Untiftes Simon 
Sulzer vertreten wurde, ergeben war. In der Gemeinde 
felbft Scheint diefer Wechfel feinen großen Eindrud gemacht 
zu baben. Im übrigen erwies fih Gugger in Laufen wie 
auch Später als überaus tüchtigen Hirten feiner Gemeinde. 
Sie rühmte bald von ihm, daß er durch feine Lehre und 
Hriftlichen Unterricht den Widerfachern, auf der einen Seite 
den Papiften, auf der andern Oeite den Täufern, das Maul 
geftopft babe. Da aber bei der großen Zeurung, der vielen 
Müh und Arbeit, welche der Pfarrer von Laufen „rings: 
wyß herum zu verſehen“ hatte, und bei der geringen Be— 
foldung zu befürchten war, daß Gugger nicht länger bleiben 
werde, wandte fich die Gemeinde an den Rat in Baſel, er 
möchte ihr Gefuch bei der Domftift unterftügen und dahin 
wirken, daß das Einkommen gebeflert werde.!%) Der Dom: 
defan fand zwar, daß der Pfarrer mit feinem Einfommen 
ausfommen follte, und ließ darum den Beſchluß, ihm 12 % 
jährlich mehr zu bewilligen, in um fo hellerem Lichte er: 
ftrablen.!°®) 

Die Gemeinde hatte in ihrem Schreiben verlauten 
laflen, daß fie vor viel Jahren aus Barmherzigkeit Gottes 
zu Erkenntnis der Wahrheit gekommen feien, und ver: 
fiherte den Rat, daß fie bei der Wahrheit bis in den 
Tod verbleiben wollten. Wie weit es der Gemeinde mit 
dieſem Verſprechen ernft war, das zu beweifen, follte ihr 
nur allzubald Gelegenheit geboten werden. 


90 


Anmerkungen. 


St. A. = Staatsardiv. 

E. f. b. A. = Ehemaliges fürjtbifhöfliches Archiv in Bern. 

Tr. = Trouillat, Monuments de l’histoire de l’ancien &v&che 
de Bäle. 

B. Chr. = Basler Chronilen. 





1) Tr. V.©.122. IV. ©. 345. — ?) Tr. I. ©. 282. — ®) Tr. II 
©. 154. — 9 Tr. II. ©. 642. — °) Tr. III. ©. 503. — ©) Tr. IV. ©. 694. — 
7) Wadernagel, Geſch. der Stadt Bafel I. 148. — 8) Tr. V. ©. 84, — 
9) St A. Bajel, Kirden St. Peter JJJ. 78. Laufen. — 19%) Daj. Hans 
Hafner Hatte an das Salve in Laufen eine Vergabung gemadjt. 114 
hat her Hans Hafner vergobt an das Salve. St. A. Balel, St. Peter 
XX.1.6 480. — 1) E. Schmidlin, Gelhichtsblätter IV. 35. — 12) Vgl. 
Burdhardt, Baul: Die Politik der Stadt Bajel im Bauerntrieg des 
Sahres 1525. ©.39. Schmidlin,2.R.: Solothurns Glaubenstampf und 
Reformation. ©. 49. St. A. Bajel Mill. A 28. 1525. IV. 14. — 12) 2. 
Chr. VII. ©. 283. — 1) St. A. Bajel, Bistum Baſel F 3 Laufen: 
Die Artidell, duch die vonn Lauffenn jampt anndern, so mit inen 
inn der empörung inn das Teljperg tall am anndern tag des Mayen 
im xve ond xxv jar gezogenn vnd durch die gejandten miner ge. 
Hn. von Bern, Yryburg und Goloturn wider abgezogen findt. E. f. 
b. A. COXXXIV. No. 2. — 2) St. A. Bern Teutjh Mill. P. 376. 
Bern an Kaspar von Mülinen. 1525 V. 6. 5 Uhr Nachmittags. — 
6) Daf. 1525 V.7. Bern an Kaspar von Mülinen. 1525 V.7. Bern 
an Niklaus von Dießbach, Coadjutor des Bistums. — 1525 V. 8. 
Bern an Solothurn. ©.380. An „Stadt vnnd Lanndt“ — vßzug. 
— 7) Url. Bud Bajel. X. 32. — 8) wie 15) Bern an Freiburg 
1525 V.10. — 19) Daj. 1525 V.12. Bern an Bafel. — 2%) Eidg. Ab⸗ 
ſchiede. IV. 1a. 658. Nr. 273. — 2) St. A. Bern Teutih Mill. P. 386. 
Bern an den Coadjutor von Bajel, 1525 Mai 20. An Laufen. 
1525 V. 23. — 2) Dal. An den Bildhof. 1525 V. 23, — 3) Urt. 
Bud Bajel. X. ©. 32. No. 37. — 4) St. A. Bajel. Bild. Archiv XVI. 
No.64. Inſtruktion für den Tag in Quzern. [1525.) — 2) St. A. 
Bern, Teutih Mill. P. 4040. An die gemeine Burjame im Dels- 
bergertal, wo die jet verjammelt find. 1525 VI. 17. — 2%) St. A. 
Bajel, Miſſ. A. 28. Bajel an die Burfame im Laufental. 1525 VI. 
14. — 27) wie *). — 3) St. A. Bajel, Religionsſachen. ne u 
19 ff. — 2) Merz, W., Burgen des Sisgaus I. ©. 148 %) 6 
Bajel, Bistum Bafel. F3 Laufen [1525]. — 3) Urk. Bud) —* — 
©. 64. No. 47. — 8) St. A. Baſel. Biſchöfl. Archiv XVI. No. 64. 
Inſtruktion für den Tag in Luzern [1525]. No. 63. Abſchied vom Tag 
von Yuzern. 1525 XII. 8. — %#e) St. A. Bajel, St. Beter 229. Her 
Jerg 1525. — Bilhöfl. Archiv XVII. 652 Urs Marihall an den 


91 


Biſchof. 1535 V. 4. — 8) St. U. Bafel, Bistum Bajel F3 Laufen: 
1525 XI. 14. Dienstag nad Martini. — %) E. f. b. A. CCXXXIV. 
No. 10. Antwort des Bilhofs auf die Artifel der Zaufener ohne 
Datum. — 3) Burdhardt Paul, Die Basler Täufer ©. 237. St. 4. 
Bafel, Bifhöfl. Archiv XVI. 61. Der Rat von Bafel an den Coad— 
jutor 1526 V. 16. — %) St. A. Bafel. Miff. A. 29. Baſel an Laufen 
1526 IV. 16. — %) Ueber die Leutprieſter und Kapläne tit folgendes 
zu jagen. Leutpriefter war 1525 Herr Jerg. St. U. Bajel, St. Peter 
229: für die x 8, die Her Jerg hatt gen dem caplan zu LZouffen. 
Im Frühjahr 1526 tritt ein neuer Leutpriefter auf. Shmidlin L. R. 
Solothurns Glaubenstampf 2c. 205 nennt vermutungsmweile zum 
Sabre 1526 Konrad Molitor. Als Rapläne folgen ſich: 1526 nod 
Her Hanf, vermutlih Hans Hafner: Bon Palmjonntag 1525 
bis Sohannis 1526 Johannes Balthajar LYederjhneider 
von Rheinfelden, der ſpäter bis zum 6. Februar 1534 enangelijcher 
Pfarrer von Hofitetten, Witterswil und Bättwil war (St. A. Bafel, 
Ratsbücher D. I. VI.) und bis 1544 als Pfarrer von Gebensdorf, 
dann bis 1547 von Zweifimmen und ſchließlich 1547—1548 von Suß 
erſcheint. Vgl. Lohner, Die reformierten Kirchen und ihre Bor: 
fteher im eidg. Freiſtaate Bern, ©. 372, 525. (Joes Balthajar. Joes 
zweifellos Abkürzung für Johannes). 1526—1527 Her Bernhart; 
1527—1529 Her Meinrat; 1530 Ulrih Wejener. — Bor dem 
Bauerntrieg war Her Michel Priefter. Im Oktober 1526 erſcheint 
Her Eruperantius, der aber nur etwa 6 Wochen bleibt. Sein Nadj- 
folger wird Her Michel, von dem es am 25. Jan. 1527 heißt: ietz 
frühmeſſer daſelbß. Vgl. St. U. Bajel, St. Beter XX 1. 225.9. — 
8) E. f. 6b. A. COXXXIV. No. 14. 1526 VI.4. — 39) St. A. Baſel, Bistum 
Bafel F3. Laufen: ohne Datum. — 4%) St. A. Bafel, Bistum Bajel 
F3: 1627 III. 19. — #1) St. A. Baſel, Miſſ. A 29.: Bajel an Laufen 
1527 VI. 4. Dienstag nad) Eraudi. Stridler I. No. 1732 gibt 6. Juni 
an, was unridtig iſt. — %) Dal. Miſſ. A 29: Bafel an den Bilchof, 
1527 IV. 29. — 2) St. X. Bajel Bistum F 3: Biſchof an Bajel, 1527, 
Freitag nad) Barth., VIII. 30. — %) St. A. Bafel, Bistum Bajel F 3. 
— Miſſ. A 29. S. 83: Meltinger an den Biſchof von Bajel 1527 IV. 2. 
Ditern fiel in diefem Jahre auf den 21. April. — Das. Biſchof Philipp 
an den Rat von Bajel, 1527 IV. 11. — Daſ. Bifchof Philipp an den 
Rat von Bajel, 1527 VI. 23. Miſſ. A 28. Rat von Bajel an Biſchof 
Philipp, 1527 IV. 27. — 8%) E. f. b. U. CCXXXIV. No. 11. Unda⸗ 
tiert, gehört, da der Bilderfturm im Mai 1528 erfolgt, in dieſen Monat. 
— %) Daf. No. 17: Bertrag des Bilhojs mit den Dörfern und 
Flecken Zwingen Amts, 1528 IV. 14. — 9) wie 2). — #8) St. A. Bajel, 
Urfehden III. 145, 1527 X. 22. — 29) wie) — 9) E. f.b. U. COXXXIV. 
Ro. 16. Niklaus, Abt zu Bellelay, 1528 1.9. — 91) E.f. b. A. COXXXIV. 
No. 15.: Meyer und Rat von Biel an den Bifchof. 1528 I. 8. „ylends zu 
nacht.“ St. A. Bajel, Bistum Bafel F3: Biſchof Philipp an Laufen, 
1528 1. 8. — €. .b. 4. COXXXIV. No. 16. Abt Niklaus an den Bilchof, 
1528 1. 9. — St. A. Bafel, Urfehden. O. 3.6. 150. 1528 I. 21. Unter 


92 


den Schuldigen auch Claus Thonat, der fpäter beim Bilderfturm 
beteiligt war, und Hans Schmidlin von Laufen, der mit Battenheimer 
an die Berner Disputation wanderte. — Daj. Miſſ. A 29. Bafel an 
Laufen, 1528 I. 8. — Biſchöfl. Archiv XVI. No. 13, 1528 II. 22. — 
52) Sm Verzeichnis der Teilnehmer an der Berner Disputation wird 
von Hans Schmidli und Peterhbans Meyer von Laufen gejagt, daß 
fie ihrem Kirchherrn Simon von einer Gemeinde zugegeben worden 
feien. Simon Weber wird vorher als Pfarrer von Therwil auf- 
geführt. Cs Handelt ih um ein Verfehen. Es müßte ftatt Simon, 
Serg heißen. — 53) St. A. Bajel, Mill. A 29. An Laufen, 1528 II. 
8. — 5) wie 5). — 5) E. f. 6. U. COXXXIV. No. 8 und 17. 14. April 
1528. — 56) Url. Bud) Bafel. X. ©. 92. No. 79. — 57) Die Ausjagen 
der Bilderftürmer finden jih: St. A. Bafel, Religionsſachen. A 1, %ol. 
19 ff: Die Zeit ergibt fi) aus den Urfehden der Teilnehmer, St. X. 
Bajel, Urfehden, III: Stefan Ferrer und Hans Birri von Liesberg, 
1528 V. 22. Die ſechs Laufener, 1528 V. 27. Die Angabe bei Ochs, 
welche den Bilderjturm ins Jahr 1525 verlegt iſt demnach zu korri- 
gieren. Ochs V. 524. — 58) wie %), und St. U. Baſel, Religions 
fadhen A 1. Fol. 19 ff. — 9) St. A. Bajel, Bistum F 3. Der Bilchof 
an Bajel, 1528 VIII. 6. — 60) St. X. Bajel, St. Peter JJJ. 34. Blauen. 
1528 V, 13. Erasmus Gigelmann Vogt zu Zwingen an Meiſter Hans 
Viſcher, Chorherrn der Stift St. Peter in Bafel. — 61) Decolampads 
Briefe. Vgl. Herzog: Das Leben Decolampads. II. 87. — 8) St. A. 
Bajel, Bifchöfl. Archiv, XVII. No. 38. Bafel an den Bogt von 
Zwingen, 1629 IV.14. — €. f. 5.9. CCXXXIV. No. 9. Artitel der 
Untertheidinger betr. Zwingen, Laufen 1529 VI. 4. 7. — 8) St. A. 
Bajel, Biihöfl. Handlung L. 20., 1532 VI. 12: Vertrag zwiſchen 
dem Bilchof von Bafel und Meyer, Rat, Geſchworenen und ganzer 
Gemeinde von Laufen und den Dörfern Wahlen, Röſchenz und Lies- 
berg. — 4) St. Arch. Bajel, Kirchen, St. Peter XX 1. JJJ. 78. Laufen, 
1530 XII. 19. — Daj. Liber synodorum, 1534 Dienstag nad) Eraudi. 
— 1542 VI. 12, in Benten. Aus dem Zinsbudh von Kaufen, St U. 
Bajel, St. Beter XX 1., laſſen fi) die Kapläne in Laufen vor Ulrich 
Wejener erheben. Her Eruperantius 1525, 1526; Her Bernhart 1526; 
Her Meinrat bis 1529. „In vergangenen joren ung 1529 hat her 
Meinrat dijen Zink ingenomen vnd von den vorverluffenen joren 
andere finer vorfarenden Capplanen.“ — 8) St. U. Baſel, St. Beter 
JJJ. 78. Zaufen. 15%2 Freitag vor Palmarum. Joh. Yortmiller an 
Hans Schulthek, Schaffner von St. Peter. — ) E. f.b. U. COXXXIV. 
No. 2. 1531. V. 14. — 9) Merz, W., Burgen des Sisgaus II. ©. 246. 
— St. A. Bajel, Urfehden, III. ©. 157. 1528 IV. 7. Caspar Heinrich 
und Heinrich Dettlin. — ©. 164. 1528 V. 19. Bernhart Sager, Veit 
Detlin. — V.28. Conrad Winkler und Veit Detlin. — 1528 Samstag 
vor St. Laur., Conrad Winkler, Veit Detlin, Nyfius Schmit. — 
E. f. b. A. COXXXIV. 1523—1526. No 2. Urfehden von 1628 an; 1531 
XII. 21. Beyt von Rheinfelden. — 8) Urk. Bud Bajel X. ©. 9. 
No. 84. — 9) Buxtorf⸗Falkeiſen, Basleriihe Stadt: und Landgeihichten 


93 


I. 87. Zur Rede Zellers: St.A. Bafel, Bistum F 3 Laufen, Ber: 
giht Urban Blecdhnagels. — 79%) St. A. Bajel, Biſchhöfl. Handlung. 
O. 10. 1529 VII. 1. — IX. 7. — Daf. O. 12. 1529 Sonntag nad 
unfer lieben (grauen Tag. — IX. 12. —- Daf. O. 13. 1529 IX. 17. — 
Daf. O. 14 1529 X. 21. — 71) St. A. Bafel, Urfehden. III. ©. 67. 
— 7) Bgl. B. Chr. VII. 299. Anm. 9. St. A. Bafel. Miſſ. A 
29. BI. 31. v. — 3) Das ausführlide Vergicht Urban Blechnagels 
vom 31. Oktober 1530, das in interefjanter Weife den Bericht 
der Ryffſchen Chronik ergänzt und berichtigt, findet fih: St. 4. 
Bafel. Bistum F 3. — Dazu fommen die Urfehden Benedikt Barts 
in Sant Alban Borjtadt, Urfehden IV. ©. 167. — Hans Lotterer, 
IV. 168, 31. X. — Konrad Locherer, XI. 1. ©. 169. Heinrich Zeller, 
Urban Schwarz, beide der Räten, Michel Fink. XI. 5. — Heinrich 
Newer und Hans Karrer IV. 184, 1531 I. 21. Vgl. B. Chr. I. 116. 
Das Datum des Auflaufs iſt unrichtig. Richtig ift der Sonntag, aber 
ftatt 21. Oktober muß es 23. Oktober heißen. Der Große Rat wurde 
nit am 23., jondern Montag, den 24. Oktober gehalten. Urban 
Gürtler und Urban Blechnagel find zwei Perfonen, nicht, wie W. 
Viſcher I. 588 annimmt, eine. Stephan Bart flüdhtete nad) Zürich. 
Stephan Bart evasit. Tigurum migravit medicus pustularum. 
Basler Zeitihrift IV 49. Aus dem Diarium des Johannes Rütiner 
von St. Gallen. — 4) Burdhardt, P., Die Politik Bafels ufw. 
©. 126. — °) St. A. Bafel. Liber Synodorum. — 76) Daſ. Kirchen— 
atten C 2. Syn. Dienstag nah Trinitatis 1532. — Kirchenakten 
A 9.5. 1531 IX. 21. — 7) E. f.b. U. CCXXXIV und St. 4. Bafel, 
Bilhöfl. Handlung L 20. — 7%) St. U. Bafel, Bistum Bafel F 3. 
Der Bilhof an Bafel 1532 VI. 21. — °) €. f. 6.4. CCXXXIV. 
1532 X. 9. — 8) Stadtbibliothet Zürich, Simmlerifche Brieffammlung 
3.33. Nr. 109. Gaſt an Conrad? 1533 V. 12. Das Datum ijt un 
richtig, Die Synode fand am'19. V. jtatt. — 31) St. X. Bajel, Biſchöfl. 
Arhiv XVII. Nr. 61. — 8) St. A. Bafel, Kirchenakten A 9. 280: 
1534 IV. 21. — 8) €. f. b. 4. CCXXXIV. 1535 I. 18. — 4) St. A. 
Bajel, Biihöfl. Arhiv XVII 65a. Urs Marihall an den Bildhof. 
1535 V. 4. — 8) St. U. Baſel, Kirchenakten A 9. 1615. Anbringen 
der Predikanten inns Bilhoffs landt. — 8) St. X. Bafel, Kirchen: 
atten Liber synodorum. — 8°) St. X. Bafel, Bistum. F3. 78. Yaufen. 
— 8) Daſ. Biſchof Philipp an Bajel, 1537 IV. 19. — 89) 8. Chr. I. 
159. — Buxtorf⸗Falkeiſen, Baslerifche Stadt: und Landgeſchichten, II 
595. St. U. Bajel, Biſch. Archiv XVII 83. Baſel an den Biſchof, 
1540 V. 5. — 9%) St. A. Baſel, Liber synodorum zum Jahre 1542. — 
2) Zu Balentin Bol: vgl. Bächtold, Geihichte der deutſchen 
Riteratur der Schweiz; Bächtold, Jakob: Schweizeriihe Schaufpiele 
des 16. Jahrh. Band II: Der Weltjpiegel, von Valentin Bolt, 1550/ 
1551, bearbeitet von Dr. A. Geßler. — Boſſert, Guſtav: Zur Bio- 
graphie des Dichters Valentin Bolg von Rufach. Zeitjhrift für 
Geihichte des Oberrheins. N. %. Band XIV. 194 ff. Daß Boltz im 
Sabre 1546 in Laufen gewejen ift, wird bezeugt: St. U. Baſel, 


94 


St. Peter JJJ. 78. Laufen. Wie lange er in Laufen geweſen iſt, 
ift nicht zu erkennen. Sein Nachfolger tritt an Freitag nah Galli 
1547 auf. Bol war von Pellifan in Züri, der wie Bol von 
Rufach ftammte, nad) Bafel empfohlen worden: Misit ad nos Dn. 
Pellicanus Valentinum quendam ex Glareana ſchreibt am 1. Junt 
1548 Miyconius an Bullinger. St. U. Züri E II 336f., 289. 
Außer diejem Schreiben ijt ein Brief des Myconins an Bullinger 
vom 20. Juli 1549 für die Beurteilung Bolgens äußerft lehrreich. 
Daj. E 336 f. 302. Den Hinweis verdante ich Herrn Pfarrer A. Kind 
in Mitlödi. — 9%) St. A. Bajel, Urfehden, 1546 V 19; 1546 VI 3. 
Dazu Gaft’s Tagebuch, 1546 VI. 29. Gaft hat fi) im Datum geirrt. 
Die Angabe des Urfehdenbudes muß maßgebend fein. Verbannung 
Lüdins Urfehden 1546 VI. 24. — %) Schieß Traugott, Briefwechlel 
der Brüder Ambrofius und Thomas Blaurer. Band III. No. 1873, 
1886, 1888, 1895, 1980 und 1985. — 9%) St. A. Bajel, St. Peter JJJ. 
78. — 8) St. A. Zürich EII. 366. 18. Konrad Lyfofthenes, Pfarrer 
an St. Leonhard in Bajel, an Bullinger, 1552 IX. 1. St. A. Bajel, 
Kirchenakten A. 9. ohne Datum (1548), wird Michael Tiller als 
Pfarrer von Laufen erwähnt. St. A. Zürid. EII. 366. 1552 X. 
17. Lykoſthenes an Bullinger, bezeichnet Diller als vir in omni 
scientiarum et linguarum genere clarissimus. — *%) St. X. Bajel, 
St. Peter JJJ 78. 1550. — 9) Daf. Conrad Schred an Wolfgang 
MWillenburg 1552 X. 15. Nat von Laufen an Stift St. Peter, 1552 
XI. 9. — 8) Daj. Schred an Wiljenburg, 1552 XI. 26. — 9) Daſ. 
Stift St. Peter an Laufen, 1552 XII. 7 — Conrad Schred an Stift 
St. Peter. 1552 XII. 26. (ipsa die St. Stephani 1553, ift ein Vor: 
ſchrieb), — Stift St. Peter an Yaufen, 15631.3. — 10) Daſ. 1561 VII, 
24. — 1562 V. 21. — 1563. III. 7. — 19) Daf. 1565 1. 31. Philipp 
Betterlin an Wolfgang Wiflenburg. — 1%) Daf. Supplication der 
Gemeinde Laufen bet der Stift St. Peter, 1571X. 10. — Jakob Linder 
an Wolfgang Willenburg 1568. VIII. 20. — 1%) Daſ. 1565 VIII. 
3. — 19) St. A. Bafel, Bistum Bajel, F 3. Laufen an Rat von 
Bajel, verlejen 1569 XII. 28. — 1%) Daf. Domdelan an Baſel, 1570 
II. 10. 


95 


Iſaak Iſelins Reifetagebuch 1754. 


Don Serdinand Schwarz. 


Mehrfach geäußertem Wunfche entfprechend bringe ich 
auch in diefem Jahrgang des Basler Jahrbuches einen Bei— 
trag zur Aufbellung der bis jest faft unbekannten Zugend- 
zeit Iſaak Sfelins. 

Es ift das Tagebuch über eine Reife, die Iſelin im 
Sommer 1754 mit dem uns wohlbelannten*) „Oncle 
Oberſt“, dem Geheimrat Iſaak Burckhardt, auf die Tag: 
fagung nach Frauenfeld hat machen dürfen. Diefer „Oncle 
Oberſt“ hatte nämlich zu feinen zahlreichen Aemtern und 
Ehrenftellen in diefem Jahre 1754 noch die Auszeichnung 
erhalten, neben dem Deputaten Joh. Rudolf YZurdhardt als 
zweiter Ehrengefandter des Standes Baſel auf die Tag- 
faßung in Frauenfeld abgeordnet zu werden. Die Tag: 
fagung wurde damals als eine vortrefflihe Schule für an- 
gehende Staatsmänner und Diplomaten betrachtet, und die 
Gejfandten nahmen deshalb ihre Söhne, Großföhne oder 
fonftige Verwandte mit. Für Iſelin hatte diefe „Schule” 
noch eine ganz befondere Bedeutung, da er wenige Jahre 
fpäter als Kollege in den Kreis diefer meift ehrwürdigen 
Männer treten durfte. Die Bekanntſchaft mit fo vielen 
vorzüglichen Schweizern, die er in Frauenfeld und namentlich 
in Züri) machte, erleichterte ihm fpäter feine erhabene Auf- 
gabe, die Beſten der Schweizeriihen Nation zu einem pa- 
triotifhen Freundſchaftsbunde zu vereinigen, der dann in 
der Gründung der Helvetifchen Gefellichaft im Sabre 1761 
feine Verwirklichung fand. 

Sfelin (1728—1782) ftand im Jahre 1754 auf der 


*) Iſaak Iſelin als Student in Göttingen 1747/48. 


96 


Grenze der Zünglingsjahre, in feinem Aeußern und no 
mehr in feinem leutfeligen Weſen eine herzgewinnende Er- 
fheinung. Seine Studien waren abgefchloflen; er hatte am 
23. Zuni 1754 vor einer glänzenden Verſammlung feine 
gedrudten Theſen Observationes historicae selectae zur 
Erlangung der juriftiihen Doktorwürde mit großem Erfolg 
verteidigt, aber — um dies einmal pofitiv feftzuftelen — 
die eigentliche Doftorkreierung, ein ganz profaifcher Akt, ge- 
ſchah erft am 25. April 1755. Unter diefem Datum notierte 
Sfelin in feinem Tagebuch: 

Sn dem untern collegio, wo ih von dem Dr. Nic. 
Bernoulli zum Doctor promoviert wurde. 

Zur Beglaubigung diefer Notiz erwähne ich die hand- 
fohriftliche Eintragung eines Ungenannten in einem Sammel- 
band der Un.Bibl. E. 3. IV, 31, welche lautet: „Den 
Zuriftiihen Doctorgrad erlangte Sfelin 25. April 1755 
von Dr. Nikolaus Bernoulli.” Iſelins Beſtreben ging nun 
darauf aus, ein Amt und eine Frau zu erwerben. Beides 
war feineswegs leiht. Was das Amt betrifft, erftweder 
eine Profefiur oder eine beflere „Staatsbedienung”, fo 
brauchte es dazu hoher Empfehlungen, um nur in das 
Senarium, den Sechſervorſchlag, zu kommen, und bei der 
Wahl entichied das blinde Los. Sehr oft gelangte man nur 
zu einem Amt, indem man die Frau in Kauf nehmen mußte. 
Was die Frau betrifft, jo war Sfelin einftweilen nit in 
der Lage, eine Familie ftandesgemäß zu erhalten, wenn er 
nicht eines der wenigen gutbezahlten Aemter befam. Er 
hatte wohl durh den Tod feiner Großmutter Sfelin im 
September 1751 ein befcheidenes Erbe von zirka 15 000 
Basler Pfund erhalten; aber das Kapital war feither be- 
deutend herabgefchmolzen, und bei dem niedrigen Zinsfuß von 
21% oder gar nur 2% konnte er nicht unabhängig von feinen 
Berwandten leben. Er war alfo auf ein anfehnliches 
Srauengut angewiefen. Anderfeits wollte er feine Frau nur 
um des Geldes willen heiraten, was ihm nicht ſchwer gewefen 


97 1 


wäre, fondern er ftellte an feine Zukünftige große An— 
forderungen: außer dem unumgänglichen nervus rerum 
ein angenehmes Aeußere, eine fchöne Seele, Geift, Wis, 
Perftand, gute Herkunft, gute Erziehung, gute Manieren, 
häuslihen Sinn, befcheidenes Benehmen und noch vieles 
andere. Jahrelang fuchte Sfelin unter den Basler „Mägdgen“ 
nach diefem deal, und diefem Suchen verdanken wir in: 
feinen Tagebüchern und in den Driefen an feinen Herzens: 
freund und Gefinnungsgenofien Joh. Rud. Frey, damals 
(1754) capitaine-aidemajor im franzöfifchen Schweizer: 
regiment Boccard, eine Anzahl der pilanteften Porträts 
der jungen „Mägdgen” aus der vornehmen Gefellichaft des 
damaligen Bafel. Sfelin war ein Meifter in der Runft des 
Porträtierens mit der Feder, was wir im Nachfolgenden noch 
genug bewundern Eönnen. Dei diefem Suchen nach der 
„ſchönen Seele" war es unvermeidlich, daß er, wie Rlopftod, 
Wieland und fo viele andere feiner Seitgenoflen, in Kleine, 
meift harmlofe Liebeleien oder Galanterien geriet, die ihm 
bei feiner anftrengenden geiftigen Tätigkeit ein angenehmer 
Zeitvertreib” waren; einer wirklichen Leidenfhaft jcheint 
Sfelin bei feinem barmonifchen Wefen und feiner philo— 
ſophiſchen Denkweiſe nicht fähig gewefen zu fein. — Und 
nun fommt er auf der Nüdreife nah Baden und lernt 
die Küngold Landolt kennen und... da find wir bei 
unſerm Tagebuch angelommen. 

Das Manuffript dieſes Tagebuches befindet ſich im 
vierten Bande der Sfelinfchen Sammlung am Schluß der 
TSagebuhaufzeihnungen des Jahres 1754 als ein für fi 
beftehendes Ganzes: Geite 320—428. Es ift von Sfelin 
befonders paginiert, ©. 1—108. Auf der erften Seite fteht 
nur der Titel: „Srauenfeld-Zürich- Yaden. 1754 im Bradh- 
monat und Heümonat.” Die zweite Seite ift leer. Es ift 
auf ſtarkem Büttenpapier, Groß-Quart, mit faft einem 
Drittel Rand fehr fauber gefchrieben und forafältig redi- 
siert, jo daß man fih fragen kann, ob Sielin feine Auf: 


98 


zeichnungen von der Reife zu Haufe verbeflert und ing 
Reine gejchrieben bat. Der Titel „Reifetagebuch”, den 
ih der Berftändlichfeit wegen gewählt habe, ift alfo nicht 
von Iſelin. Man könnte fi auch fragen, ob er nicht an 
eine Veröffentlichung diefes Tagebuches gedacht babe; 
denn die Tagebuh-Manie, über die ſich Goethe in „Dich: 
fung und Wahrheit" fo luftig macht, war ſchon zu Sfelins 
Zeiten eine wahre Krankheit. So ein Tagebuch war 
fein Geheimnis, das man im Schreibtifch verfchloß, fondern 
e3 lag im Salon auf, wie heutzutage ein Photographie- 
album. Sfelin hatte nah feiner Rückkehr auch nichts 
Eiligeres zu tun, als feinem Freunde Frey Auszüge daraus 
zu machen, und er ging damit in den Salon der Igfr. 
Geymüller im Lichtenfelfer Hof, der damals der Mittelpunkt 
aller fchöngeiftigen Basler war. 

Der Drud des „Reifetagebuches” ift, abgefehen vom 
Titel, eine genaue Wiedergabe des Manuffriptes, auch der 
Orthographie.e Von meiner Hand find nur an einem Satz 
ein fehlendes Wort und da und dort zum Datum das Wort 
Zuni oder Zuli in Klammer beigefügt. Erläuterungen 
finden fih nur in den Anmerkungen. Die Anmerkungen 
im Tert find von Sfelin, ebenfo das Sperrgedrudte. Auf 
eine eingehende Beſprechung des Inhalts und der Be— 
deutung dieſes Tagebuches will ih mich nicht einlaffen. 
Sch kann nur fagen: es ift eine entzüdende Lektüre, die von 
Seite zu Seite an Intereffe und Spannung zunimmt und 
in Sfelins Erlebnis mit der „Eleinen Schwarzen” in Baden 
feinen Höhepunkt erreiht. Sur Bequemlichkeit und zur Be: 
lehrung babe ich einen Fleinen Rommentar beigefügt. Zum 
tieferen Perftändnis für „Zürich“ empfehle ih Mörikofer 
„Die Schweizeriſche Literatur des achtzehnten Jahrhunderts” 
und Fr. Munder „Sr. ©. Klopftod”; für „Baden „Die 
Bavdenfahrt" von David Heß und B. Frider „Geſchichte 
der Stadt und Bäder zu Baden”, wo man alles Wünfchens: 
werte findet. 


99 ” 


Zum Schluß babe ich die angenehme Pfliht, den 
Eigentümern des Sfelinfchen Litterarifhen Nachlafles: Zrau 
Wwe. Sfelin-Merian und Herrin Dr. La Roce-Sfelin, 
meinen verbindlihen Dank für die mir güfigft gegebene 
Erlaubnis zum Drud des Tagebuches auszusprechen. 


* * 
* 


Sreitags, den 28ten (Zuni) frühe Morgens mit 
Mhhgeacht. H. Deputat Yurkard und m. Oncle 9. Oberft 
Burkard von Baſel verreifet. Zu Stein am Rein bei Sek— 
fingen zu Mittag geipiefen. Zu Brukk übernadhtet. Zu 
Brukk war ich bei Dr. Zimmermann, meinem guten De: 
fannten, mit dem ich anno 1747 und 1748 in Göttingen ftu- 
dieret. Sch fand ihn verheürahtet und, was noch mehr ift, 
ehr vergnügt über fein Schikkſal. 

Sein Haus ift fehr wol meübliert, zum mindften das 
Zimmer, in das er mich geführet, welches ein Zeichen ift, 
daB auch feine Glüffesumftände ziemlich gut fein müßen, 
was mich fehr freüet. Sch ſah feine Frau nit; er fagte, 
fie müßte bei ihrer Muter fein, die krank wäre. — Als ich 
von Zimmermannen wider zurüffem, bies es, die Herren 
Ehrengefandten wären gegen Königsfelden jpazieren ge: 
sangen. Sch ging auch denfelben Weg und fand diejelben 
mit 9. Tſcharner, Hofmeifter von Königsfelden. Difer 
Tſcharner fcheinet ein verftändiger Mann zu fein; er redet 
wol, aber es fcheinet Doch, von allen feinen Bewunderern 
fei er der gröste. Er gibt fih ein gewißes aravitätifches 
Anſehn, welches noch mehr als Berneriſch if. Die Herren 
- Berner affectieren fonft überhaubt in ihren Manieren ein 
gewißes Anfehn und eine Größe, die oft nichts fagen wollen. 
Sn dem Herzen wohnet die wahre Größe. — Wir gingen 
durch Baden und fpiefen zu Weiningen zu Mittag. — Es 
ift ein Basler, Namens Steinbrüchel, dafelbft Wirt. Difer 
läst gewis feinen Reifenden vorbei, ohne ihm zu jagen, daß 
er in der Schlacht zu Fridlingen geweſen und daß er bei 


100 


Hochſtätt ein Zeüge gewefen, mit welch einem Wuht die 
Engelländer auf die Franzoſen gefeüret. — Wir kamen bei 
Zeiten in Zürich an. Ich ging alfobald zu Schinzen, den 
ich nicht bei Haus antrafz allein fein Vater war fo höflich 
und lies ihn holen. Er fcheinet ein fehr guter Menſch zu 
fein, allein ein blinder Bewunderer Bodmers und ein 
fhlechter Renner der Welt, die er nur von ferne gefehn und 
die ihm nur aus den Büchern befannt if. Zudem fcheinet 
er vile idola soli oder Vorurteile, die ihm von feinem Vater: 
lande anbangen, zu haben. Seine Frau, mit der er fich erft 
die näml. Woche verheürahtet, ift überaus artig; es leüchtet 
eine Befcheidenheit und eine Annemlichkeit aus ihren Minen 
hervor, die recht ausnemend if. Wenn eine Weibesperfon 
zur Tugend gebohren ift, fo fcheinet es diſe Schinzin zu fein. 
Schinzens Glülkk ift in der Taht recht beneidenswürdig. — 
Auf meiner Reife habe ich das Testament politique du 
Cardinal Alberoni und den erften Zeil der Histoire de 
la confederation helvetique par Mr. de Watteville ge- 
lefen. Das erftere zeigt vil Genie von Geiten des Ver: 
faßers; alleine, ob alles fo richtig ift, das iſt ſchwer zu ent- 
Iheiden. Indeßen finden fich vile Einfälle darinnen, die 
mir einen großen Grad von Wahrfcheinlichkeit zu haben 
feinen. Es fan aber auch fein, daß dife Proiecte nichts 
als ungegründete Traüme fein. Indeßen wird gewiß ein 
armer Autor, der Verſtand und Einfichten befizt, allemal 
beßre Proiecte machen als ein Minifter, der dreimal fo er: 
leüchtet ift; der Autor gedenket allezeit nur an das all- 
gemeine Vefte, und der Minifter vergist fich felbften niemals. 

Sonntags, den 30ten (Zuni) frühe verreifeten wir von 
Zürich und kamen in ftarlem Regen zu Wintertur an, wo 
wir zu Mittag fpiefen. Wir famen eben an, da man aus 
der Kirche Fam. Die Frauenzimmer fcheinen mir bier wie. 
zu Zürich ein fehr fittfames Anſehn zu haben, welches mir 
ausnemend wolgefält. Die Befcheidenheit und die Sittſam— 
keit fein Doch allezeit die erften Tugenden des ſchönen Ge- 


101 


Ichlechtes. — Wir fpiefen zu Wintertur mit den CEhren- 
gefandten von Bern zu Mittag. Penner Imhof fcheinet 
ein verftändiger Mann, der ziemlich wol denfet und infonder- 
beit, was die Sitten anbetrifft, feinen Scherz verfteht: Ich 
beivundre und verehre ihn, wenn difes fein wahrer Charafter 
ift, und wenn nicht ein bisgen Heüchelei mit unterlaüft, 
welches ich Doch nicht bemerfet habe. Venner Freüdenreich 
fcheinet fchon Iuftiger. Er ift ein wizziger Mann und Tiebet 
die Wißenſchaften; allein ausnemlihen Geſchmak mus er 
Doch nicht befizzen: ein Mann, der Sprengens Pfalmen für 
das Ichönfte Werk hält, das die deütſche Dichtkunft hervor— 
gebracht hat; ein Mann, der Sprengen den Vorzug vor 
Hallern zufpricht, wie H. Freüdenreich mir felbft gejagt bat, 
fol difer Geſchmak befizzen? — Mit den Bernern waren 
ihr Secretarius Lerber und Graffenried, Landammann im 
Turgow, die artige Leüte zu fein ſcheinen. 

Wintertur deücht mich eine fchöne Stadt. Sie hat das 
Anfehn einer gewißen Opulenz; es fein auch fehr reiche 
Leüte und ſchöne Manufacturen daſelbſt. Die Goldborden- 
manufactur aber, die ehmals ftark dafelbft getrieben worden, 
ift in Abgang gerahten. — Dife Stadt hat aroße Freiheiten. 
Sie iſt beinahe fouverain — Doch unter dem Schuzze und 
einiger Abhängigkeit von Zürich, auch in der Schweiz, in 
dem Lande der Freiheit felbft, werden die Freiheiten der 
Municipalftädte nah und nah untergraben. In dem 12. 
13. 14. und fünfzehnten Sahrhunderte haben die Untertahnen 
nah und nach fih der Herrfchaft ihrer Herren unterzogen 
und frei gemachet; izzund zernichten Die Herren, Fürften 
und Obrigfeiten alle Rechte der Stände und gefreiten Unter- 
tahnen. Iſt ienes nicht ein Zeichen der Schwachheit und 
SInklugheit der damaligen Regenten und diſes der Un— 
gerechtigkeit der izzigen? Waren die damaligen Untertahnen 
nicht aufrührerifch und fein die izzigen nicht feig? Indeßen 
iſt es der Wille der allweifen Vorfehung, daß die menschliche 
Gefelihaft durch alle dife widerfprechenden Veränderungen 


102 


gehe. Wer mit einer filojofiihen Betrachtung die Gefchichte 
Viefet, wird diefelben nicht ohne Vergnügen bemerken. 

Sonntag Abends kamen wir in Frauenfelden wol be: 
regnet an. Mit den Zürchern zu Nacht gefpiefen. 

Montags (1. Zuli) frühe, indem man mich frifierete, 
fragte ich den Srifierer von der Beſchaffenheit des Ortes 
und von der Beichäftigung des Landvolfes. Er ſagte mir, 
die Lelite wären nicht reich, und es wäre feine Emfigfeit bei 
ihnen; fie lebten auch ehr ſchlecht. Der Pater Rellermeifter 
der Cartaus bat mir nachmals das nämliche gejagt und bei- 
gefüget, Die Leüte im Lande wären noch dazu Tiederlich und 
dem Trunke und dem Müßiggange ergeben. 

Auf dem Rahthauſe, um die Verfammlung der Ehren: 
gefandten anzufehen. Sie war fo vollftändig als noch jemals 
— einmal jo vollftändig, als fie fein Fan, indem fein Canton 
und fein zugewandtes Ort von denen, die gewöhnlich auf 
die Tagfazzungen berufen zu werden pflegen, fehlete. Dife 
RBerfammlung ift ziemlich anſehnlich; dennoch gibt es aller: 
hand feltfame Figuren aus einigen Heinen Gantonen. Der 
Gefandte der Stadt St. Gallen, H. Caspar Bernet, hat in- 
ſonderheit ein jeltfames Anſehn, indeßen redt er ſehr wol. 

Die Ceremonie des Eidsgendßifchen Grußes, womit die 
Tagfazzung eröfnet wird, delicht mich etwas recht ſchönes. 
Sch hatte mir vorher eine Idée davon gemacht, die mir die: 
jelbe als etwas ungereimtes vorftellete, und es mus einem 
teden alfo gehen, der diefelbe niemals gejeben hat. Sieben: 
zehn Reden von ebenfo vil fchweizerifchen Demoftenen, welch 
eine feltfame Sache! Welch ein Stoff wäre difes nicht für 
einen franzöfifchen wizzigen Kopf, fich darüber Iuftig zu 
machen! Alle dife Reden wollen zwar das nämliche fagen; 
alle verfprechen Liebe, Treüe, Freündſchaft und Einigkeit. 
Zwar zeiget fich felten ein Zug, der nel, der original ift; 
fie ſehen faft alle einander gleich. Indeßen berrfchet beinahe 
in allen eine edle Einfalt und etwas rührendes. Es redten 
von Appenzell 2 Gefandte oder vilmehr beftimmter zu reden, 


103 


es legten beide den Eidsgenößiſchen Grus ab, indem ein 
ieder befonders als von einer befondern Republif abaefandt 
und inftruieret wird. Die Befchaffenheit difer Republifen 
will difes alfo haben. Indeßen bat es mich zuerft beftüirzet 
— und ich ehe es für etwas unpolitifches an — indem ich 
es für einen Haubtarundfaz unferes Eidsgenößiſchen Staates 
halte, alles zu vermeiden, was uns nur errinnern fan, daß 
wir von zweierlei Religion fein. Sch babe bemerfet, daß 
die zugewandten Orte nur einen Geſandten ſchikken. Man 
ſagt, difes fei alfo das Herfommen, und als der Abt v. 
St. Gallen einigemale zwei gejchiffet, hätte man es geahndet. 
Alleine ich ſehe es für zweifelhaft an. Sch glaube, es ift aus 
Sparſamkeit, daß dife Stände nur einen Gefandten Ichiffen*). 

Der Landvogt von Frauenfeld tuht die Umfrage. 

Der Landfchreiber von Frauenfeld, der nad) den Ver: 
frägen der regierenden Orte allezeit ein Eatholifcher ift und 
difes Amt Tebenslänglich bekleidet, führet das Protocol und 
fertigt die Abfchiede aus, fo wol für die evangelifchen als 
fatholifchen Orte. Auch wenn zu Baden eine gemeineidg- 
genößiſche Tagſazzung gehalten wird, fo wohnet der Land- 
Ihreiber v. Frauenfelden vderfelben bei und verfibet diſe 
Pflicht. Die Fatholifchen Orte würden nicht zugeben, daß 
ein andrer als der in der VIII alten Orte Pflicht ſtehet, 
dife Stelle vertvete. Indeß ift ohne Zweifel der Landfchreiber 
von F. auch in der Orte Freib. und Solothurn Pflicht, wie 
auch der Landvogt dafelbft, indem dife zwei Stände auch an 
dem Malefizgerichte im Turgöw Zeil haben. Indeßen haben 
die Züricher allemal ihren Rahtsfubftituten bei fich, welcher 
auch ein Protocol führet, aber nicht die Abfchiede ausfertigt; 
auch fertiot der Landfchreiber die gemeineidsgenößiſchen 
Schreiben aus. 

Wenn Unterwalden Gefandte auf die Tagſazzung 
fchifket, fo fchiffet der Zeil nid dem Kernwald 2 Zahre Ge: 


*) Anmertung: Es iſt auch falſch, wie mir der Rahtsjubftitut 
von Züri, den ic) nachher ausdrüklich befragt, gejagt Hat. 


104 


fandte nacheinander, da der Teil ob dem Kernwald allemal 
nur einmal dargegen ſchikket. Die Snftructionen aber werden 
gemeinfchaftlich auf dem Landtage abgefaßet, der allemal ge: 
halten wird in dem Lande desienigen Teiles, welcher alsdann 
Gefandte fchikket. 
| Man redte dien Montag Abends auch über Tifche von 
der Einrichtung, die in Betrachtung Glarus wegen Regierung 
der gemeinfchaftl. Landvogteien gemacht worden. So vil 
ih mich zu errinnern weis, fo hat 9. Leü in feinen Anmer— 
tungen zu Simmler difen Punkt nicht mit aller erforderlichen 
Deütlichkeit ausgeführet; der Haubtgrundfaz über diſen 
Punkt ift: Glarus fol volllommen bei allen denienigen 
Rechten bleiben, welche es vor der Abänderung gehabt und 
auch nicht mehr Laften tragen, Zürich u. Bern treten in alle 
Vorteile und alle Laften der katholiſchen Orte, von denen fie 
dife Länder erobert; alfo, wo Bern ehemals mitregieret, 
ſezzen fie das 15. und 16te Zahr ihren Landvogt, und, wo 
Bern nicht mitregieret hat, das 13. und 14te. Bei dem Gin- 
dicat zu Baden haben Bern und Zürich die Stimmen, die 
ehmals die Katbolifchen gehabt neben den ihrigen und 
Glarus die, fo es vorher gehabt; alfo wird es auch mit Aus: 
teilung der Einkünfte und Ausgaben gehalten.*) 

Montag Mittags fpies der franz. Legationsfecretarius 
Monfieur de Vermont auf Einladung der Herrn Züricher 
mit uns. Er ſcheinet ein verftändiger Mann; er ift fehr 
lebhaft und wizzig, aber er ift allzu jehr ein Franzoſe. 
9. Deputat Burkard hat mir bei diſem Mittageßen liberaus 
wol gefallen. Diſer Mann fcheinet recht fittlih gut zu 
denken. Bürgermeifter Eſcher von Zürich redt freffl. wol 
und fcheinet ein vortreffliher Staatsmann zu fein. Er ift 
etl. und fiebenzig Jahre alt, aber noch von einer Munterkeit 
und Aufgewektheit, die bewunderungsmwürdig ift. Indeßen 

*) Randbemertung: So hat ein jeder 3. und B. Gejandte 3 
und 1/s Stimme, weldhes 14 ausmacht zu Baden und in den obern 
freien Aemtern; ein jeder Glarniſche Gejandte aber hat nur eine. 


105 


fiebe ich Venners Imhof Ernitbaftigfeit mehr. Der Um: 
gang diſes würdigen Zürcherifhen Bürgermeiſters wird in 
meinen Augen für eine rechte Schule von jungen Leüten, 
die fih auf Staatsjachen legen wollen, angefehen. Sch habe 
alles, was er gefagt, mit einem unbejchreiblichen Vergnügen 
angehöret. — Sein College, Sfr. Schwerzenbach, bat auch 
Verſtand und Verdienfte; allein ich habe bis dato wol zieml. 
vil Gründliches, aber nichts Feines, nichts Großes an ihm be- 
merfet. — Sein Sohn, den er bei fich hat und der ein Menfch 
von meinem Alter oder etwas darüber ift, fcheinet mir von 
gleichem Schrote zu fein. Er wird einft durch die Hebung ein 
Mann werden, der im Stande ift, feinem Vaterlande gute 
Dienfte zu leiften. — Brgmſtr. Efcher hat feinen Grosjohn, 
einen Sohn des Landvoat von Kiburg, bei ih. Difer ift 
eben der Begenfaz von feinem würdigen Grosvater; ich hatte 
ihn ſchon in Baſel gekannt, wo er fih gar nicht zu feinem 
Borteile zeigte. — Der Zürcherifhe Rahtsjubftitut Landolt 
ift ein guter Mann, der gründlich zu fein, im übrigen aber 
weder eine große Feinheit des Wizzes, noch eine befondere 
Erbabenheit des Geiftes zu befizzen fcheinet. Er hat ziem: 
lich Einfihten in die Schweizzerfachen; allein es wäre eber 
tadelhaft, wenn er fie nicht befäße, als daß er zu loben ift, 
daß er fie befizzet. — Der Gefandte von Mühlhauſen, Stadf- 
fchreiber Joſua Hofer, fpeifet auch mit uns. Er betreibet 
hier ein Füzlichtes Gefchäfte. Mühlhauſen verlanget von den 
katholiſchen Orten, wieder in den Yund aufgenommen zu 
werden, aus dem fie anno 1588 von denfelben nicht eben 
alläurechtmäßiger Weife ausgefchloßen worden. Hofer ift 
ein verftändiger und gejcheider Mann, der ſchöne Einfichten 
und Talente befizzet. Er betreibet fein Gefchäft mit einer 
Gefchiklichkeit und mit einem Eifer, welche verdienen, daß 
er darinnen glüfflich fei. — 

Man redte Des Nachts über Tiſche von unfern Se— 
paratiften. — 9. Dep. Burkard und jedermann fagte, daß 
fie deswegen fträflich fein, daß fie alle nach Baſel fommen 


106 


und daß unfer Magiftrat deswegen ein Recht habe, härter 
mit denfelben zu verfahren. Ich Fan difes auf einen ge- 
wißen Grad zugeben; allein ift es nicht möglich, daß eben 
deswegen dife Leüte, weil man fie zu Baſel zu verfolgen 
angefangen, fih dahin begeben und difen Ort als die Stätte 
anjeben, wo ihnen die Ehre des Martyrtums beftimmt ift? 
Difes ift einmal die unglüfffelige Schwachheit difer Leüte; 
„es ift ihre Krankheit. Dife Sache hätte im Anfange mit 
mehr Behutſamkeit follen behandelt werden, und es wäre 
villeichte ein Glükke gewefen, wenn man fie nie für jo ge: 
fährlich angejehn hätte, als man getahn hat. Sch halte auch 
in der Taht darfür, daß fie es nicht gewejen. — 

Dienftags, den 2ten Heümonats, des Morgens ritt ich 
mit Schwerzenbadhen, Efchern, einem Haubtmann Nüfcheler 
von Zürich und einem Frauenfelder, deßen Namen ich nicht 
weis, nad) der Cartaus Sttingen, die eine Stunde von bier 
entfernt ift; es ift diefelbe ein ziemlich artiges Clofter. Der 
Pater Schafner und der Pater Rellermeifter fein fehr artige 
und manierlihe Leute. Sie empfingen uns fehr höflich und 
wollten uns zu Mittag zu eßen geben; allein meine Ge- 
fährten zeigten keine Luft dazu, und ich, der ich große Luft 
dazu hatte, lies mich Durch den Grund davon abhalten, weil 
ich den Vorteil, an unfrer Tafel, wo vil nüzliches zu hören 
ift, zu fpeifen, dem Vorteil, mich bei den Cartaüfern Iuftig 
zu machen, vorzog. — 

Nüfcheler, der mit ung in der Cartaus gewefen, |pies 
an unfrer Tafel zu Mittag Nah Mittags redte ich vil 
mit demfelben. Er ift ein verftändiger Mann, der fein 
PBaterland und die Angelegenheiten deßelben zu kennen 
Icheinet. Er geftund die fchlechte Führung des Krieges anno 
1712 von Seiten Zürich. Es ift wirklich ein Heberreiter 
von Zürich bier, der Damals fchon Ueberreiter gewefen und 
den der Obmann Nabholz von Zürich, der im Toggenburg 
commandieret, als einen Maior gebrauhet. Difr Mann 
fchreibet ſich vile glüffliche Erfolge von Nabholz zu (die 


107 


doch in der Tat nicht vil haben fagen müßen), und man 
fagt, er babe nicht unrecht. Wir redten von den ebmaligen 
Sreiheiten der Zürcheriſchen Untertahnen. Nüfcheler geftebet 
freilih, daß diefelben ehmals groß geweſen, deren fie fih 
aber nach und nach verluftig gemadt. Er fügte bei, die 
Züricher hätten nicht aus Furt vor fremden Mächten die 
Stadt befeftigen laßen, fondern teils aus Vorſorge wegen 
den KRatholiichen, haubtfächl. aber wegen ihren unruhigen . 
Untertahnen. — 

9. Dep. Burkard bat difen Mittag nicht mit ung ge: 
fpiefen; er ift auch nicht bei der heütigen Seßion geweſen; 
er befand fih nicht wol. — 

Es fein heüte eine große Mänge Toggenburgerpferde 
hiedurch. Dife gehen mit Butter nah Schafhaufen und 
bringen in Heinen Fäßgens Wein nah Toggenburg, aljo 
daß diſes einen zieml. vorteilhaften Handel machen fol. -- 

Mit meinem Oncle zweimal fpazieren gegangen. Das 
erfte Mal famen wir zu den Capucinern. Wir trafen einen 
artigen Pater an, der aus dem Geſchlechte Gasmann von 
Soloturn ift; er ift zu Neapolis, in Frankreich und in 
Lotringen gewefen. Sein Umgang ift fehr angenem; er 
weis von allen Sachen zu reden und ift ſehr aufgewelt. Das 
Clofter und der Garten fein ziemlich artig, obgleich Hein. 
Er wies uns die Bibliothek des Clofters, allein was will 
man von einer Bibliothek von Capucinern erwarten. — 

Ehmals pflegten die Ehrengefandten auf dem Sindicate 
in Stalien durch die mehren Stimmen das Eidsg. Bürger: 
recht zu erteilen — oder vilmehr zu verfaufen. Dieienigen, 
die fich alfo eingefaufet, genofen in Frankreich und anderswo 
die Rechte der Schweizzer; difes Fonnte zu taufend fchlimmen 
Folgen Anlaß geben und war ziemlich fehändlich; alleine 
die Ehnetbürgifchen Gefandten zogen ihren Nuzzen davon. 
Man nennte diſes ein Picinat. Dife fein nun in der 
heütigen Verſammlung abgefchaffet worden und follen nicht 
mehr erteilet werden. 


108 


Difes Gefäzze ift jehr weile und gut, auch nöhtig zu 
einer Zeit, da man die in Frankreich gefchwächten Rechte 
und Zreiheiten der Eidsgenoßen zu behaubten trachtet. Nur 
die 12 Orte haben hiezu zu reden gehabt, weil das italienifche 
Sindicat nur die 12 Orte angeht. — 

Geftern babe ich 6 Seiten iournalifiert und beüte 12. 
Es ift auch in der beütigen Verſammlung ausgemachet 
worden, daß wenn im Namen der gefammten Eidsgenopen- 
Schaft Repräfentanten geſchikt werden, diefelben von gefammter 
Eidsgenoßenſchaft follen verköftigt werden. Zu diefer Sache, 
als welche gemeineidsgenoßiſch ift, hatten auch die Gefandten 
der zugewandten Orte zu reden. — Heüte bei dem Nacht: 
eßen, wie auch fonft bei allen Gelegenheiten, babe ich an- 
gemerfet, mit welch einer befondern Achtfamkeit Hofer die 
Siebe und die Freündfchaft der SZürichergefandten fuchet; 
wie fehr und mit wie viler Gefchifflichkeit er den Hof machet 
und wie fertig er ift, alle Gelegenheiten zu ergreiffen, den- 
felben etwas verbindliches zu jagen. Sch zweifle nicht daran, 
er wird dife Kunſt auch gegen andre und infonderhbeit gegen 
die Fatholifchen gebrauchen, welche zu gewinnen feine Haubt- 
abficht if. Diſes ift eine Eigenfchaft, die einem Negocia- 
toren unumgänglich if, und wie in einem höhern Grade er 
diefelbe befizzet, deſto gejchikter ift er zu Unterhandlungen. 

Das GSarganfer- und Reintaler Gindicat und das 
Sindicat desienigen Teiles der freien Aemter, die den VIII 
Orten gehören, wird hier richtig gemacht; von den Gefällen 
des Sindicats im Turgow werden 2 Perteilungen gemadt. 
Erftlich was aus criminalibus fließet, daran Bern, Freiburg 
und Ooloturn auch Teil haben. Dife Teilung wird natürlich 
in 10 Zeile gemachet,; was aber die andern Gefälle betrifft, 
daran Bern vor 1712 feinen Anteil gehabt, da nimmt Glarus 
feinen fiebenten Teil voraus, den es auch ehmals hatte, und 
dann wird erft die repartition gemacht, darinnen auch Bern 
Rechnung getragen wird. So geht es auch bei Sargans und 
den freien Aemtern, fo auch beim Reintal, wo auch Appenzell 


109 


feine alten Rechte wie Glarus unverlezt behalten hat. — 
Wenn das GSindicat in Italien aus ift, fo halten Uri, 
Schwiz und Unterwalden ihr Sindicat zu Bellenz wegen 
difer Graffchaft, die ihnen alleine zuftändig if. — 9. 
Hofer fagte beüte, er hätte, als er wegen feines Ge: 
Ihäftes in difem Lande geweſen, angemerket, daß nun alle 
Streitigkeiten, die dife 3 Orte vor einigen Jahren wegen 
Bellenz mit einander gehabt, ganz fill wären. Difer Mann 
hat den Vorteil gehabt, wegen der Vetreibung der Sachen 
feines Standes die gefammte Eidsgenoßenſchaft fennen zu 
lernen, und fein Fleiß und feine Geſchikklichkeit haben ge- 
machet, daß er fich dife Gelegenheit recht zu Nuzzen gemacht 
hat. Schwiz und Glarus haben einen bejondern Sindicat 
wegen Mar und Gafter, fo fie gemeinfchaftlich beberrfchen 
und welcher zu Schännis gehalten wird, welches Stift ver- 
bunden ift, die Gefandten indeßen zu fpeifen, aus welchen 
Urfachen difer Sindicat, der nicht vil fagen will, allemal bei 
vier Wochen währen fol. Die Herrn Gefandten laßen fich 
ohne Zweifel auf Unkoften des guten Stiftes wol fein. — 
Don Zürich gehen die Yürgermeifter alternative auf den 
Sindicat. Eſcher, fo difes Jahr darauf geweſen, geht das 
folgende nicht und das Ite Jahr geht er wieder, er mag nun 
regierend fein oder nit. — Difer Sindicat ift ihnen ein: 
träglih, indem ein Teil der Gefälle von Rechtes wegen 
den Gejandten zufümmt. Der Sindicat von der Grafichaft 
Baden und dem Teile der freien Aemter, daran nur Zürich, 
Bern und Glarus Anteil haben, wird zu Baden nad) Endi- 
gung des Sindicats zu Frauenfelden von den 3 Orten ge- 
halten. Der Rabtsfubftitut Landolt hat nun gejagt, die 
Stände zögen von Baden und dem Teile der freien Aemter, 
der ihnen alleine geböret, nicht nur nichts, ſondern Zürich 
und Bern hätten noch alle Sahre iedes 100 fl. Unkoſten damit 
über ihre Einname, teils, weil die Landvögte vil verbauen, 
teils weil fie ihre Rechnungen fo geſchikt einzurichten wißen 
— fo einen großen Nuzzen hätten fie bei ihren Eroberungen. 


110 


Die Schweiz wäre alüfflich, wenn dife Eroberungen von 
3. u. B. nie wären gemacht worden. — Der Gefandte von 
Mühlhaufen, der difen Tag der Verfammlung der Ratho- 
liſchen ſeine Werbung vorgetragen, ift damit nicht glükklich 
geweſen; es bies, es wäre nun nicht Zeit an dife Sache zu 
gedenken. Zürich hat einige Lehen von dem Fürften von 
Sürftenberg, wie auch von dem Abte von Reinau und einigen 
andern Fürften; hingegen gibt es auch großen Herren Lehen. 
Difes fein Erempel von Dienftbarfeitdes Völker— 
rechtes, die aus dem verwirrten Zuftande der mittlern 
Zeiten übriggeblieben fein. 

Sch weis mich nun eben michts mehr zu errinnern, daß 
ich merfwürdiges gehöret habe. Sch will alfo hier die Namen 
der H. Ehrengefandten einrüffen, die von iedem Orte auf 
die disiährige Tagſazzung gefchiffet worden: 

Züri: 
Johann Cafpar Eicher, Brgmſtr. 

Johann Jakob von Schwerzenbadh, Statthalter. 
Bern: 

Georg Imhof, VBenner. 

Abraham Zreüdenreih, Venner. 

Luzern: 
Aurelian zur Gilgen, Schulteis. 

Caſpar Joſef Rud. Benedict Moor, Alt Pannerherr. 
Uri: 
Carl Alfons Beßler, Marfhal und Landammann. 
Carl Antoni Epp, Haubtmann und Landfchreiber. 

Schweiz: 
Soft Dominicus Erler, Landammann. 
Sofef Franz Reding v. Viberegg, Alt Landammann und 
Pannerherr. 
Unterwalden: 
Selir Leonzi Kaiſer, Landammann. 
Jakob Michel Zelger, Alt Landammann. 


111 


Zug: 

Ambrofius Ur, des Rahts. 

Joh. Zaf. Andermatt, Haubtmann u. des Rahts. 
Glarus: 

Sridolin Sofef Haufer, Landammann. 

Soban Peter Zwikki, Landesftatthalter. 

Bafel: 

Joh. Rud. Yurkhard, des Geh. Rahts u. Deputat. 

Iſaac Burkhard, des Geb. Rahts u. Rriegscommißarius. 
Steiburg: 

Sranz Marr Ignatius Gatti, Schulteis. 

Philipp Reiff, Herr zu Lüßy und des Rahts. 
Solothurn: 

Sranz Auguft von Roll, Stadtvenner. 

Urs Franz Joſef Suri von Bußi, Oeffelmeifter. 
Schafhaufen: 

Joh. Zaf. Deyer im Hof, Statthalter. 

Anſelm Franz von Meienburg, des Rahts- und Geffel- 

meifter. 
Appenzell: 
J. R. Carl Jakob Shüß, Landammann und Pannerherr. 
Gebhard Zürcher, Landammann. 
Abt St. Gallen: 
Johann Victor Baron von Thurn und Valſaßine, Ge— 
heimerraht und Landshofmeiſter. 
Stadt St. Gallen: 
Caſpar Bernet, Brgmſtr. 
Biel: 

Heinrich Hermann, Brgmſtr. 
Mühlhauſen: 

Joſua Hofer, Stadtſchreiber. 

NB. Glarus ſchikt in die Orte, an deren Mitregierung 
Bern vor 1712 feinen Anteil gehabt, allemal das 13. u. 14. 
Sahr feinen Landvogt, aljo daß die Reihe nicht, wie es die 
Drdnung nun erforderte, fondern feinem alten Recht nad) 


112 


fommt. ch zweifle nicht, daß es im Reintale mit Appenzell 
auch alſo gehalten werde. 

Mittwochs, den 3. (Zuli), Vormittags, habe ich 6 und 
1% Seite iournalifieret. Das 7te und Ste Bud der Histoire 
de la confederation helvetique gelefn. Ich fand bei 
Efchern den 2ten Zeil der Histoire du siècle de Louis XIV. 
auf dem Tiſche ligen. Sch nam denfelben und durchlas die 
die Anmerkungen des La Beaumelle, in denen viles gut 
ſcheinet; villeicht ift auch viles wahr. Zum mindeften ver- 
dienen die Stellen, die diſe Anmerkungen zweifelhaft machen, 
eine genauere Interfuchung. — Schwerzenbach hatte mir 
verfprochen, dien Morgen mit mir fpazieren zu geben; 
allein da er nicht Fam, machte ich alleine eine ziemlich an- 
geneme Promenade. — Ueber Tiſch machte mir der 9. Vürger- 
meifter Efcher ein fehr verbindliches Compliment. Nach 
Tiſche blieb ich lange mit unfern H. Gefandten und dem 
Mühlhauſiſchen. Difer ift gewis ein gefcheider und recht- 
IShafner Mann. Man redte von dem droit d’aubaine, das 
man nun an den reformierten Schweizern ausüben will. Er 
redte jehr gründlich davon. Man fast, difes Recht der Aus- 
name davon gehöre nur den Fatholifchen Orten, als denen es 
in dem Bündnis von anno 1715 zugeftanden fei. Da die 
übrigem difem Bündniße nicht beigetreten, fo haben fie difes 
Recht nicht zu genießen. Allein H. Hofer fragt, ob nicht vor 
1722 die Eidsgenofen alle das Recht difer Ausname ge- 
noßen. Difes fan nicht gelalignet werden. Hiemit kommt es 
darauf an, worauf fi die Ausname gründe, welche Die 
Schweizzer vor difem Bunde genofen. Sn feinem der 
Bündniße von 1668 und 1602 efc. wird nicht die geringfte 
Meldung von dem droit d’aubaine getahn und difes in 
allen bis man auf den ewigen Friden kommt. 

Sn difem gründet fih dife Ausname, obgleich fie nicht 
darinnen mit eben fo vil Worten ausgedrüffet if. Difer 
Fride fol ewig währen, hiemit auch dife Freiheit, die fih 
darinnen gründet. — Alleine 9. Hofer fagt, fchon 9. von 


113 8 


Paulmi babe geantwortet, difer ewige Fride und nichts 
wären eines fo vil als das andre. Die Schweizzer bätten 
dadurch nichts als Vorteile und wären zu nichts verbunden. 
Sch weis wol, daß die Antwort vil jagen will; ich weis, 
daß die Sache darnach wird betrachtet werden; alleine, daß 
fie ih in der Billigfeit, ich will nicht fagen in dem ftrengen 
Rechte, gründet, das wollte ich nicht fagen. Die andern 
Greibeiten daneben, welche der Nation und infonderheit den 
Raufleüten von derfelben zu verfchionen Zeiten fein mit: 
geteilet worden, fezzen teils dife Ausname zum voraus, teils 
bringen fie diefelbe mit fih. Alleine es fcheinet, die Ab— 
ſchlagung diſer fo gegründeten Freiheit habe befondere Ab— 
fihten. — Die Herrn Gefandte haben heüte gejagt, es fei 
no feine Tagſazzung mit fo großer Einigkeit und ohne 
Zank abaeloffen als die izzige. Indeßen ift es auch wahr, 
daß nicht vil richtig zu machen geweſen. Dennoch fehlet 
vil, daß eine vollflommene Harmonie in dem helvetifchen 
Staatstörper herrſche. — 

Ich mus doch ein Wort von Frauenfelden fagen. Es 
ift noch ein Städtgen, das mitgeht, und die Gegend darum ift 
ausnemend ſchöne. Es fein allerorten die fchönften Wiefen 
und Reben und eine dem Auge fehr angeneme Abwechslung 
von Berg, Tahl und Waldung. Es fein auf allen Seiten 
difes Ortes die allerangenemften und Iuftigften Spazier— 
sänge, die die Natur fchöner zubereitet hat, als fie immer die 
Kunſt machen könnte. — Difen Nachmittag babe ich 
3 u. Seite ivurnalifiert. — 

Die Ausfertigung der Abfchiede gefchihet alfo: beide 
Protocolliften machen in der Verfammlung ihre notanda. 
Der Landfchreiber fertigt dann aus den feinen feinen Ab- 
Ihied aus und teilet ihn dem Züricher mit, der denfelben 
alsdann mit feinen notatis vergleiht. Der evangelifche 
Protocollift verfertigt darauf nach des Landfchreibers feinem 
Concepte — oder wie fie beide diefelben in Ordnung ge- 
bracht — die Abſchiede für die Reformierten, wie der Land- 


114 


fchreiber für die Katholiſchen. — Die evangeliihe Ver— 
fammlung bat erftaunlich Lange gewähret. Der belvetilche 
Staat bat doch unbegreiflich aus der Art gefchlagen, da nun 
die Züricher felbft nicht zugeben wollen, daß man wegen 
Betreibung des Gefchäftes mit den aubaines, wie es der 
Gefandte von Mühlhauſen ſehr wohl angegeben, etwas ein- 
fliegen laßen fol. Diſes Gefchäft wäre um deſto nötiger 
ſchleünig abgetahn zu werden, da ſich täglich Fälle ereignen, 
die ſowol des Königs Untertahnen als unfere Leüte betreffen 
und intereßieren. Was ift hierinnen, daran fih der König 
ftoßen fann! Was ift, das der Ehrerbietung, fo man dem- 
felben fchuldig ift, zuwider wäre! 

Man will dem Botjchafter — denn. an ihn fol eigent- 
lich gejchriben werden — um eine Untwort über ein Me- 
morial zu betreiben, das ſchon vor 8 Monaten ift überfchiffet 
worden, man will, fage ich, dem Botſchafter dadurch zu 
verfteben geben, Daß wenn man in des Königs Lande das 
droit d’aubaine an den Unfern ausübe, fo werde man bei 
uns das Gegenrecht brauchen. Es ift wahr, alleine ift difes 
nicht in den erften Grundfäzzen des Völkerrechts gegründet? 
Sch will noch mehr zugeben: ich geftehe es, daß es vilen 
Schwierigkeiten würde unterworfen fein, wenn man diſes 
Recht ausüben wollte, und wir würden villeicht gar zu vil 
dabei verlieren. Allein, daß man es nicht einmal wolle 
empfinden machen, das Fan ich nicht verdauen, und wenn 
die Klugheit wahrhaftig es erfodert, daß man dijes nicht 
tube, fo fan ih es noch minder verdauen. Sollen die 
Schweizzer fo weit beruntergefommen fein? Indeßen fagt 
9. Statthalter Schwerzenbadh, difen Grund müße man im 
Hinterhalte behalten; man werde ihn noch wol nöhtig haben. 
E3 fan auch fein, daß in gewißen Sachen die guten Gründe 
zu frühe kommen können. — Es fan auch mit difem alfo 
fein; alleine daß es alfo fein fol, dis fcheinet mir unerträg- 
Gb. Daß fie follen ein Recht erbetteln, daS man ehmals 
frob gewefen wäre, ihnen zu ſchenken, ift dis erlaubet? Daß 


115 | e 


fie ihr Blut für die Erhaltung des Königreiches vergoßen, 
um ihr Gut, das ihnen von Gott und Natur zufömmt, in 
dem Königreihe zurüdlaßen folen? Welch eine Undank— 
barfeit, daß die Schweizer difes alles jo gleichgiltig anſehn 
follen und nichts als demütig bitten dürfen! Welch eine 
Schwadhheit! Allein man mus fi in die Aenderung der 
Zeiten ſchikken, und nichts ift unfruchtbarer als die Decla- 
mationen darmwider. — 

Sch babe difen Abend des H. von Wattewil feine 
Histoire de la confederation helvetique ausgelefen, 
darinnen gewis vil Gutes iſt; alleine es ift mir doch eines 
und das andre anftößig vorgefommen, und 9. v. Wattewil 
icheint die alten Reichsfahen nicht am beften verftanden zu 
haben. Ich wüßte dennoch fein Werk, daraus man einen 
deütlichern und Eörnichtern Begriff der Eidsg. Gefchichte 
erlangen Fünnte. — Zweimal fpazieren gegangen. — 

Als die evangelifche Verfammlung aus war, ging id 
mit H. Deputat Burkhard und meinem Oncle fpazieren. 
Wir trafen die H. von Bern an. Difer Lerber fcheinet ein 
verftändiger Menfch zu fein; allein alles Fündet an ihm den 
Berner an. Penner Freüdenreich ift hingegen in feinen 
Manieren ziemlih einfältig (uni). Venner Imhof ift ein 
anfehnliher Mann; Freüdenreich befizt aber villeicht mehr 
polierten Wiz. — Man redte geftern Abends tiber der Tafel 
von Wintertur. Dife Stadt hat einen Zeil ihrer großen 
Freiheiten im Jahre 1540 verlohren, da dieſelbe von 
Carl dem Vten fih große Greiheitsbriefe ausgewirket, 
worüber fie von den Zürchern mit dem Verluft eines Teils 
ihrer Freiheiten beftraft worden. — Es ift eine Eoftbare Ge— 
legenheit für die Obrigfeiten, wenn ihre gefreiten Inter: 
tahnen noch freier fein wollen, als fie es fein follen. Die: 
Winterturer urteilen in Criminalfachen ohne Appellation, 
in Civilfachen zwiſchen Bürgern auch, allein zwiſchen 
Bürgern und Fremden geben die Appellationen nad) Zürich. 
Sie huldigen alle Sahre dem Stand Zürich. 


116 


Donnerftags, den 4. (Zuli). Den Morgen las ich 
La B.(eaumelle) Anmerkungen zu dem Sten Teile von 
Boltairens Siöcle de Louis XIV. Ih ging ein wenig 
fpazieren. Des Nachmittags verreisten wir und über: 
nachteten zu Wallifellen. 

Sreitags, den Sten (Zuli) verlies ich die H. Deputierten 
und kam bei Zeiten in Zürih an. Bei Buchbinder Denzler; 
bei Heidegger; bei Schinzen. Einer feiner Vettern, der ein 
ausnemend artiger Menſch ift, war daſelbſt. Die Errichtung 
des 3. franz. Regimentes ift zum Zeile einer Rache zuzu- 
fchreiben, die der Stadthaubtmann Landolt ausgeübet, weil 
fein Sohn in Holland nicht Jo geſchwind und fo wol befördert . 
worden, als er gern gewollt hätte. Difer Landolt bat 
einen Verwandten, den Obmann Landolt, der bier überaus 
mächtig ift und den man ſchon zum Bürgermeifter beftimmet. 
Er ift fehr populär. — Von Schinzen Tam ich, weis felber 
nicht recht wie, zu Nüfcheler, mit dem ich die Reife in die 
Cartaus gemacht hatte, er war ausnemend höflich. Beim 
Zunftmeifter Ulrich, an den ich einen Brief von Schulteis 
Wolleb hatte. Sch war eine Zeit lang mit feiner Tochter, 
die eine verftändige Frau ift und von einem angenemen Um— 
gange. H. Ulrich ift auch ein artiger und gefcheider Mann, 
der fehr wol zu denken fcheinet. Er denfet mit großer Mäßi— 
gung Über den Separatismus. Er wohnt in dem obrigfeit- 
lichen Bauhaus, welches eine ausnemend ſchone Ausficht auf 
den See bat. Ich blieb ziemlich lange daſelbſt; ich fand vil 
Vergnügen, bei difen Leüten zu fein. 9. Ulrichs Frau 
fheint auch eine gute Stau zu fein. — Beim Schwerd in 
ziemlich guter Gefellfchaft gefpiefen. — Ich traf unter andern 
einen Bündner an, einen 9. von Salis, der YBundesland- 
ammann ift. Difen hatte man unrecht berichtet. Er glaubte, 
ih wäre ein Neveü des H. Oberftzunftmeifter Säfchen, wo- 
rüber er mir ein fehr verbindliches Compliment machte. Ich 
benam ihm aber feinen Irrtum, und indem wir lange mit: 
einander redten, und er mich eines und Das andere von Baſel 


117 


fraste, fragte er auch nach) meinem Vater fel. Als er hörte, 
Daß ich deßelben Sohn fei, umarmte er mich und fagte, er 
wäre deßelben befter Freünd gewefen; er überfchüttete mich 
darauf mit Höflichkeiten. — H. Zunftmeifter rich fchikte 
zu mir und lies mich einladen, dien Nachmittag auf dem 
See zu fahren. Es tabt mir laid, daß ich mir dife Einladung 
nicht zu Nuzzen machen konnte; allein die Schinzen und 
Nüfcheler hatten mir verfprochen, zu mir zu fommen. Gie 
kamen auch. Es feien alle recht artige Leüte. Des Abends 
ging ich mit dem einen Schinz und Nüfcheler in die Opera; 
wenn man es alfo nennen darf. Es ift eben die Heine Truppe, 
die zu Baſel gewejen; man fpielte einige ziemlich Tchlechte 
Stüffe. Sch fan mich aber nicht genug über die Gejellfchaft 
verwundern, die dafelbft geweſen. Alles ift franzöfilch ge- 
leidet, alles hat ein franz. Anfehn — aufert in den Ma: 
nieren, die noch fehr gezwungen und vil ungehbobelter fein 
als unferer VBaslerinnen ihre. Die meiften Frauenzimmer 
haben auch etwas allzu niais, allzu einfältiges. Dieienigen 
aber, die difes nicht haben, gefallen mir befler als unſre 
Baslerinnen, indem fie eine gewiße Beſcheidenheit und 
Schambaftigkeit in ihren Minen zeigen, die faft feine von 
unſren Frauenzimmern haben, und diſes deücht mich Doc 
der wahre Charakter des Frauenzimmers zu fein. WUllein 
Geduld. Die H. franz. Officiers dürfen nur ein Mal ſechſe 
in dem Semeſter gewefen fein, das Dings wird alles in 
andres Anjehn bringen. 

Es waren einige fchöne Derjonen da, unter andern eine 
Soft. Lavater, die ich ausnemend ſchön gefunden. Nach der 
Dpera fpazierten wir auf dem Schüzzenplazze, einer jehr 
angenemen Promenade, die eine große Gleichheit mit dem 
Plainpalais zu Genf hat. Dieſer Plaz war heute recht mit 
Srauenzimmern und [chönen Herren befezzet. Er mahnete 
mich, obgleich fehr im Kleinen, an den Palais royal bei der 
Sortie de l’opera. Es ift eine Art von Halbinfel, die rings 
umber mit einer Allee von Lindenbalimen befezzet if. Die 


118 


tungen Herren fehn noch gar gut aus, und ich Fan mich über 
die meiften unferer dummen Kerls erzürnen, die bei weiten 
nicht fo gut ausfehn und fi) Doch eine jo große Superiorität 
über die Züricher anmafen. Wie unmwißender und dümmer 
man ift, defto hochmütiger ift man. — Die Stadt ift in ihrem 
Snnern überhaubt fo luftig nicht als Baſel; doch hat fie ein 
Quartier, das Ichöner ift als villeicht unfere fchönften alle zu- 
fammen, und ihre Lage ift noch fchöner als die von Baſel, 
obgleich auch die von Baſel ausnemend ſchoͤn if. — Des 
Nachts fpies ich wieder in ſehr angenemer Geſellſchaft. Ich 
faß an der Tafel neben einer Schwefter des Wirtes, die ein 
fehr Tliebenswürdiges Frauenzimmer iſt; diſes bat etwas 
Stilles und Sanftes in ihren Minen, das recht einnimmt. 
Sie Spricht noch ziemlich Franzoſiſch. Sie fcheinet einen vor- 
trefflichen Charakter zu befizzen und mangelt nicht an Ver— 
ftand. Sie ift daneben ziemlich fchön. Indeßen bat fie, ob- 
gleich in einem mindern Grade, was ich an den meiften bie- 
figen Frauenzimmern bemerft habe, une certaine fadeur, 
iln’y a rien de piquant dans sa physionomie — wenig 
Lebhaftigkeit. Sie ift eine ftarfe Blondine. Dife haben im 
allgemeinen eine fo große Lebhaftigkeit nicht, indeßen fcheinet 
fie feine kleine Neigung zur Zärtlichkeit zu haben. Es ſpies 
noch eine ihrer Schweftern mit uns, die eine Brünette ift, 
die mir aber nicht fo fehr eingeletichtet. Ich begleitete fie 
beide nad) Haus; fie waren beide, infonderheit die Blonde, 
ausnemend manterlih. Sch wüßte Tein Srauenzimmer zu 
Bafel, das manierlicher wäre als dife leztere. — Sch wollte, 
als ich nach Haufe kam, ein wenig lefen, allein ich war zu 
müde. 

Sonnabend, den 6ten (Zuli). 1 und 12 Seite ivurna- 
lifiert. Der verdammte Kerl, der Buchbinder Denzler, hatte 
mir verfprochen, heüte fo früh ich wollte, auf die Bibliothek 
zu gehn. Sch war vor 7 bei ihm; er war nicht mehr anzu- 
treffen. Ich Eehrte alfo wieder zurüf und iournalifierte 41% 
Seiten. Sch las darauf ein paar Seiten in H. Langhanfens 


119 


Beihreibung vom Simmental und ging wider zu Denzlern, 
mit welchem ich endlich auf die Burgerbibliothek ging. Die 
Sammlung von hiftorifchen Büchern, die dafelbft ift, fcheinet 
noch fo ziemlich beträchtlich. Ich Eonnte mich aber nicht lange 
aufhalten, diefelbe zu durchgehen. Don Msc., die die 
Schweizerfachen angehen, ift eine vortrefflihe Sammlung 
dafelbft, und diſe machet mir große Luft, einft einen Auf- 
enthalt von etwas Zeit hier zu machen. — Dife Sachen 
verdienen durchgangen zu werden. Daneben ſehe ich, daß 
bier in einigen Sammlungen alles enthalten ift, was mir 
noch von Tractaten fehle. Das Gebaüde oder — beßer zu 
jagen — das Zimmer, darinnen die Vibliothek enthalten ift*). 
— Bei Schinzen. Weil es fchon ſpäht war, fo fonnten wir 
nicht mehr, wie wir uns vorgenommen hatten, zu Bodmern 
und Breitingern geben. Wir gingen deswegen nur noch zu 
Breitingern alleine. Difer vortreffliche Gelehrte ift zugleich 
ein recht liebenswürdiger Mann. Er redt fehr wol und mit 
einem Felier und einer Lebhaftigfeit, die überaus angenem 
fein; er fcheinet aufrichtig (cordale) zu denken und mit einer 
großen Mäßigung in Religionsfahen; er gewinnt, gekannt 
zu werden. Er bat feine angenommene Höflichkeit, wie wir 
diejelbe von den Ausländern lernen, aber die Natur bat ihm 
einen milden und feinen Charrafter gefchenfet, daraus bei 
ihm eine natürliche Höflichkeit entftehet, die weit ſchäzbarer 
ift als alle Politeße der Franzoſen. 

Ingenuam diceres orbanitatem atque civilitatem 
quae ex vera humanitate provenit. Er ift mit unferm 
Erdiaconus Wettftein fel. gar nicht zufriden. Ich brachte 
mehr als eine Stunde [ehr angenem mit demfelben zu. Man 
bemerfet gar feinen Hochmut, gar Feine Einbildung an dem- 
felben, welches ich für ein Rennzeichen der wahren Größe 
halte. Sch babe an ihm auch eine Entfernung von aller 
Pedanterie wahrgenommen, die mir überaus wol gefallen 
Rurz ich habe vil Vergnügen bei demfelben gefunden. 

*) [Unvollitändig.] 


120 


Mit Ott, dem Schwerdwirt, allein zu Mittag gefpiefen; 
difer ift ein ſchlechter Menſch. 

1, Seite iournalifiert. Schinz und fein Eoufin bei mir, 
der ein überaus artiger Mann ift. Er hat vilen Perftand 
und hat denfelben fehr wol angebauet. Er denket jehr gut, 
und fein moralifcher Charakter fcheinet eine gewiße Annem— 
lichkeit und eine gewiße Güte zu haben, die die vortrefflichen 
Mittel fein, die Herzen zu gewinnen. Solche Leüte fein 
meiftens weit angenemer als Gelehrte von Profeßion und 
auch der Gefellichaft weit nüzlicher. Wir gingen miteinander 
zu VBodmern. Sch weis nicht, was ich von diſem Manne 
lagen fol. Sch babe fchon gar zu vil und zu allerhand Ur- 
teile von demjelben gehöret, als daß fich das Ding in einer 
Unterhaltung von einer Stunde follte auseinander leſen laßen. 
Ich Habe ihn nicht fo einbildifch gefunden, als H. Wolleb mir 
ihn abgemahlet hatte, und den kritifchen Neid, von dem 9. 
Schmelzer faot, Daß er ihm aus den Augen ſehe, habe ich gar 
nicht an ihm bemerfet. So Tiebenswürdig als Breitingern 
fand ich Bodmern nicht. Er redet auch nicht fonderlich wol, 
obgleich er fehr gute Sachen fagt. Die natürliche Höflich- 
feit von Breitingern zieret feinen Charakter nicht, und Die 
Manierlichkeit, die eine Ausdrüffung der natürlichen Höflich- 
feit fein fol, und bei den meiften den Mangel derfelben er- 
ſezzet, fcheinet ihm noch fremder. Ich habe zwar bemerket, 
daß er von fich felbft eingenommen ift und das in einem ziem- 
lihen Grade; indeßen nicht fo fehr, als die Welt fagt. Ich 
glaube, die Urſache, warum er für fo eitel angefehen wird, 
ligt zum Zeil darinnen, daß er allzuaufrichtig ift, und da 
er fich, welches ia einem ieden großen Manne erlaubet ift, 
empfindet, fich deßen allzufehr merfen läst. Er hat nichts 
edels in feinem Anſehen und in feinen Manieren und driffet 
ih ohne Annemlichkeit aus. Er hat aber ftarfe und gute Ein- 
fäle. Er ift noch allezeit über Gottſcheden erbittert und 
Iheinet diſen Gegner, den er verachten follte, noch allezeit zu 
fürchten. Difes ift bei mir ein Grund zu glauben, daß 9. 


121 


Bodmer unendlich weit befcheidener ift, als man darfür hält. 
Pfarrer Schinz fam hernach mit mir zum Schwerde, wo wir 
eine Stunde miteinander fhwazten. H. Zunftmeifter Ulrich 
fam darauf zu mir, und wir gingen mit ihm in fein Haus. 
Er führte uns zuerft auf ein Bollwerk, das zu dem obrigfeit: 
lihen Haufe, darinnen er wohnet, — man nennet es das 
Bauhaus — gehöret, man hat dafelbft die fchönfte Ausficht, 
die man fi auf der Welt wünfchen kan, auf den See. Der 
See ift ſchon an fih ein prächtiger Gegenftand, der in Per: 
wunderung und Entzüffen fezzet. Auf beiden Seiten ift er 
mit lieblihen und lachenden Hügeln umgeben, die mit vilen 
Iuftigen Landhaüfern, Zeihen des Wohlftandes der Bürger, 
befeazet fein. Sn der Ferne über andere Berge aus, die die 
Ausfiht begränzen, zeigen fi) Eisberge, und fcheinen ge: 
macht zu fein, um dife reizzende Gegend zu vervolllommnen. 
Dei H. Zunftmeifter Ulrich trafen wir Profeßor Ulrichen 
an. Difer fcheinet ein guter Mann; allein große Einfichten 
traue ih ihm nicht zu. Er hat Dr. Hubern von Muttenz 
auf feinen Reifen zu Bikkeburg ‘angetroffen und das in 
einem fehr elenden Zuftande. Er bat denfelben mit viler 
Mühe nah Baſel gebracht, indem Huber allezeit in der 
äußerften Furcht geftanden, fein Schwäher, der Oberftzunft: 
meifter Bekk, wolle ihn ermorden laßen. Wlrich erzählte mir, 
Huber hätte einft einen armen Kerl fehen in einem Wirts- 
haus in die Stube treten, darinnen fie gewefen und wäre wie 
ein Wütender aufgefahren und hätte gejchrien: „Sehet, ſehet, 
da ligt es an dem Tage, daß ich Recht habe; das ift der Kerl, 
den mein Schwäher gefchilt hat, mich zu ermorden.” Cs 
wäre auch beinahe nicht möglich geweien, Hubern zu be- 
ruhigen. Difer vortrefflihe Mann ift ein großes Beiſpil, 
wie weit eine verderbte Einbildungskraft einen Mann zer: 
rütten fan. Bei 9. Zunftmeifter Ulrich brachte ich meine 
Zeit fehr angenem zu. Er ift ein guter, rechtichaffener Mann, 
der eben feine große Feinheit in der Denkungsart noch in 
den Sitten und Feine weitläufigen Einfichten befizzet; allein 


122 


er denket richtig und hat eine gewiße Einfältigfeit in feinen 
Manieren, die mir überaus gefällt, obwol er auf einer andern 
Seite aus einer allzugroßen Wolmeinenheit allzuvil Umftände 
mit einem machet. Ich ſehe aber difes als eine Folge der 
hiefigen gezwungenen Lebensart an. 

Bon H. Alrich ging ih in das Schinzifche Haus, wo 
bei Schinzens Vetter eine artige Geſellſchaft von jungen 
Leüten verfammelt war: ein Gandidat oder Pfarrer Heß, 
ein Keller, ein Hirzel, mit dem ich in Relation geftanden und 
der ein guter und geſchikter Menfch zu fein fcheinet. Dife 
fein alle gute Compagnie, und ich brachte die Zeit angenem 
mit denfelben zu, infonderhbeit mit dem Rahtsſubſtituten 
Hirzel. — Mit Heidegger, dem Buchhändler, und einem 
Kaufmann von Turin, Droner, zu Naht geipiefen. Difer 
Heidegger hat Verſtand wie ein Teüfel; er ift ein feltfamer 
Kerl, ein großer Schwelger, und man fagt, er fei wegen 
feiner Bosheit fehr gefürchtet. Er hat feine Zunft geändert, 
um auf Sfr. Obmann Blarers Zunft zu geben und alles 
angewandt, difen Mann zu ftürzen*), der einer der ver- 
Dienteften der Republik ift; allein es ift ihm nicht geraten. 
Dlarer war bei feiner Zunft, deren er als Zunftmeifter vor- 
fund, allzubeliebt. — 

Sonntags, den 7. (Zuli). 1 und 1% Geite iournalifert. 
Ich wollte mih difen Morgen frifieren laßen; allein es 
fonnte nicht fein. Es ift das Frifieren verboten, und das 
Gebot ift erft erneüert worden. Man fagt mir, man halte 
die Gefäzze hier auch nicht länger als fo lange fie neü fein 
und etwann, wenn man fie wider erneliert. — Schinzens 
Vetter bei mir. Welch ein liebenswürdiger Menſch ift 
er nicht! Mit ihm in die St. Petersfirche gegangen. Es 
predigte der ordentliche Prediger dafelbft: Pfarrer Brei— 
finger. Man fagte mir, es gerahten ihm bisweilen feine 
Predigten fehr aut; allein heüte hat er diſes Glüffe nicht 

Anmerkung: Difes Factum wird in der Stadt erzählet, allein 
es ift noch zweifelhaft. 


123 


gehabt. Seine Predigt war zieml. fchlecht, und einer feiner 
Haubtfäzze war, daß es fehr gut fei, daß die Geiftlichen 
reihe Pfründen haben. — Nah der Kirche ging ih mit 
Schinzen, Rabtsfubftitut Hirzeln und einigen andern auf 
den Lindenhof. Difes ift eine ziemlich Iuftige Promenade; 
in dem Innern hat er viles mit unferm St. Petersplazze 
gemein und in dem Aüßern mit unferer Pfalz. Er ift nicht 
fo groß als der erftere und nicht fo Klein als die leztere. 
Auch ift er in feinem Innern nicht fo vollfommen als wie 
der erftere, der Doch fehr unvolllommen ift, und feine Ausficht 
ift mit der Pfalz ihrer gar nicht zu vergleichen. Hingegen 
ift die Ausfiht auf dem Bollwerke, da ich geftern mit 
H. Alrich geweſen, weit fchöner als die von der Pfalz zu 
Baſel ift,; wie auch die Ausfiht in dem Bauhaus und an 
einigen andern Orten von Züri. — Unter den Leüten, 
mit denen ich heüte auf dem Lindenhofe fpazieret, waren 
gewiß einige artige, allein auch einige, die eime fchlechte 
Figur machten und die doch gar feine gemeinen Leüte waren. 
Ich habe am Freitag zu vorteilhaft von den Zürchern ge: 
urteilet, wenn ich gejagt babe, fie hätten überhaubt ein 
beßeres oder ein eben jo autes Anſehen als unfere Basler. 
Es fehlet ich fehr vil. Die meiften fehen etwas roh aus; 
indeßen ift feine Regel ohne Ausname, und es gibt einige, 
die man allerorten präfentieren fönnte und ficher feine Ehre 
mit ihnen einzulegen. Über die Kleidungen, in denen ihre 
Weiber in die Kirche geben, ift etwas recht ſpöttiſches. Ich 
will ihnen alles dabei zugeben — ich billige es noch, denn es 
ift befcheiden — allein dife Tächerlichen aufgetürmten Tüch- 
gens fein etwas fchrefflihes. Bei uns ift es verboten in 
der Fasnacht fich zu masquieren, hier find die Weiber ver- 
bunden, nicht anders als masquiert in die Kirche und an 
die Leichen zu geben. Die Mannsperjonen, auch jogar die 
ledigen, tragen auch über ihren gefarbten Kleidern fchwarze 
woppene Mäntel in die Kirche, aber nicht in den Raht. 
Difes ift etwas recht ungereimtes, und fie fehen in diſer 


124 


Tracht den Juden zu Frankfurt jo ähnlich, als ein Ei dem 
andern. — 

Wir redten vil von unfern beiden Staaten. Es 
fcheinet, die Zürcher haben vil mit den Schwaben zu tuhn 
wegen der Frucht, auch mit den Schwäbifchen Herrn und 
fhmwäbifchen und andern Gtiften wegen Lehn, Zins und 
Einkommen. Hirzel beklagt fich, ihr Staat neige fich völlig 
zur Demokratie. Sch ſehe es doch nicht, indem er mir auch) 
fast, der große Raht habe fo vil als nichts zu bedeüten. Die 
Wahl der Zunftmeifter, fo durch alle Zunftbrüder geſchiht, 
und wodurch es fich zuträgt, daß bisweilen fehr fchlechte 
Leite oder zum mindeften Leüte, die nicht von Familie fein, 
zu anfehnlichen Poften fommen, ſcheinet dife Lelite zu in- 
commodiren, wie auch die Abhängigkeit der Sunftmeifter 
von der Bürgerſchaft; allein difes hat mir noch Fein fo 
demofratifches Anſehen, und mich deücht, es könne von 
großem Vorteile fein. Sie weifen mir aber einen Zunft- 
meifter, der auf dem Lindenhofe fpazierte, und vom Stuben: 
fnecht feiner Zunft zum Zunftmeifter davon geworden; denn 
für SZunftmeifter zu werden, darf man nicht vorher vom 
stoßen Rabte fein. — 

Mit Droner zum Schwerd zu Mittag gefpiefen. Diſes 
ift ein arfigr Mann. Schinzens Bruder bei mir; er ift 
ein guter Menſch; er bolte mich ab zu feinem Bruder, 
dem Pfarrer, wohin ich aufs Caffé eingeladen war. 
Schinzens Frau fam mir heüte nicht fo artig vor als das 
erfte Mal, da ich fie geſehen; indeßen deücht fie mich doch 
ziemlich artig; er wis mir vile Sachen von Bodmer, die 
ich gröstenteils ale Fanntee Wir waren bernah auf 
einem DBollwerfe hinter Schinzens Haufe, wo eine aus- 
nemend fchöne Ausfiht if. Sie fagten mir, außert den 
Urfachen, die Stadt zu befeftigen, die ich ſchon oben auf- 
gezeichnet, waren noch die gewelen, daß zu der Seit, da man 
dDifes Werk vorgenommen, die VBürgerfchaft großen Mangel 
an Nahrungsmitteln gelitten, welche man auf dife Weiſe 


125 


ihr Leben gewinnen mahen wollen; von difem Bollwerk 
hinunter fan man die ganze Stadt überſehen. — Es 
feblet fi) vil, daß Zürich fo groß fei als Baſel, obgleich 
es weit volkreicher if. Sie beklagen fich bier über Die 
allzugroße Mänge ihrer Bürger, da bei ung ewige Klagen 
über den Mangel an Bürgern geführet werden. — Schinzens 
Vetter führte mich von difem Bollwerfe in eine Gefellichaft, 
die bei einem H. Gosmweiler gehalten wurde. Man fpielte 
daſelbſt; ich aber fpielte nicht; ich redte meiftens mit Hirzeln 
und Schinzen, der mich bingeführt hatte. Hirzel erzählte 
mir von der izzigen Beſchaffenheit der Toggenburgerfachen, 
darinnen fih auf Anſuchen des Abtes auch Frankreich zu 
mifhen angefangen, welches an die Cantons Zürich und 
Bern deswegen gejchrieben und des Abtes Sache difen 
Cantons empfohlen. Es ift noch nicht lange, daß die Züricher 
H. RahtsH. Heidegger nah Solothurn geſchikket, um den 
Botſchafter über diſe Sache zu berichten und zu zeigen, 
worinnen diſes Gefchäft eigentl. beftebe. Der Botfchafter 
fei auch über die Sache fehr wol erbauet worden, und der 
Erfolg wäre fo gut geweſen, daß der Abt nun mit vil größerer 
Höflichkeit an beide Stände, infonderheit an Zürich, ge- 
fchrieben habe. Man babe auch den Toggenburgern von 
Seiten beider Stände fehr ernftl. zugefchriben, die aber in 
einem ausnemend wol abgefasten Schreiben fich verteidigt. 
Der Credit des Venners Imhof wäre indeßen zu Bern 
gefallen. Die Berner hätten unter anderm an Zürich ge: 
Ichriben, es wäre gut, wenn die alte Harmonie zwijchen 
beiden Ständen wider bergeftellet würde; über welches 
Wort Harmonie zu Bern wäre im großen Raht ab- 
gemehret worden, ob es follte gebraucht werden oder nicht. 
Seit difer Zeit hätten beide Stände wider gut gefunden, 
ihre Schreiben in difer Sache gemeinſchaftlich abzufaßen, 
welcher Gebrauch ſeit ungefähr anderthalb Jahren wäre 
unterbrochen geblieben. — Ich ſah auch dafelbft einen Aus— 
zug aus dem Tractat des Königs in Sardinien mit Genf, 


126 


durch welchen alle Streitigkeiten zwifchen difem König und 
difem Staate aufgehoben worden. Man bat mir aber fchon 
vorbergefagt, der Erbprinz babe wider diſes proteftieret, es 
ift nur die Frage, ob es wahr if. Sch will nun nicht von 
der Gerechtigfeit der Proteftation reden, aber wenn fie 
geſchehen ift, jo fan fie mit der Zeit allezeit ein Vorwand 
fein, die alten Sachen wider bervorzujuchen, und wer 
Meifter bleibt, auf deßen Seite ift alsdann allemal Die 
Gerechtigkeit. Difer Tractat beftehet in Austaufhung von 
Rechten, Herrihaften und Gerechtigfeiten, wodurch vile 
Anomalien und Anläße zu Zwiſtigkeiten aufgehoben werden. 
Züri und Bern haben auch an der Beilegung difer Sache 
gearbeitet. Es gefchihet ihrer auch in dem Eingange des 
Tractates auf eine Art Meldung, die ihnen Ehre machet. 
Sch habe dennoch bemerket, dat in difem Tractat das Wort 
souverain nie gebraucht wird, und der König niemals 
fagt, daß er fie für folche erkenne, obaleich, was ihnen zu- 
geftanden wird, difes nohtwendig mit fich bringet. Villeicht 
ift dis ohne Abſicht gefchehen, villeicht für den König zu 
begnügen, einen gewißen Anftand zu beobachten und difen 
Schritt nicht jo offenbar tuhn wollen. Es ift allezeit gewis, 
daß die Ausdrüfflung des Iractates bündig genug ift, für 
die Souveränität an fich zu bringen. — 

Schinzen redte mir hernad von Rlopftoffeng Streitig- 
feiten mit Bodmern. Man kan von difem Streite gewis 
fagen: Iliacos intra muros peccatur et extra. Der ver: 
götterte Klopftot ward von dem guten Bodmer mit einem 
Entzüffen, dem nichts zu vergleichen ift, erwartet. Klopftof 
war nur durch feinen Meßias bekannt. Man ftellte fih den 
Mann vor, wie das Gedicht: dunkel, maieſtätiſch, geſezt, 
ernfthaft. Bodmer war in einem Alter, da ein folder Freünd 
feine Sache war und war fehr durch die Vorftellung ein: 
genommen, daß der gröste Geift, den unfere Seit hervor: 
gebracht Hat, zu ihm käme, fein Schüler und Freünd zu 
werden. Der gute Rlopftof, der reicher an Ideen als an Geld 


127 


war, erhielt noch von Bodmern Borfhuß für feine Reife. 
Er machte diefelbe mit Sulzern von Verlin und langte endlich 
in Zürich an, wo er von Bodmern mit ebenfo großer Un- 
geduld erwartet wurde, als Simeon den Heiland erwarten 
fonnte. Es war alfobald alles Herrlichkeit. Man bewunderte 
einander nur, man war noch nicht fo befümmert, einander 
fennen zu lernen. Dife Schönen Tage floßen auf das aller: 
angenemſte; aber fie währeten für beider Ehre nur zu kurz. 
Dife vortrefflihen Leüte waren gemacht, einander zu ver: 
ehren und zu bewundern, aber nicht, miteinander zu leben. 
Shre Charaktere waren zu verfhiden. Bodmer, ernfthaft 
und von einem Alter, wo man für das Vergnügen und die 
Ergdzlichkeiten unempfindlich ift; Klopſtok, munter, aufgewelt, 
iung, ein Freünd der Ergdzlichkeiten und Freüden. Der 
ftile Lebbäus war in feinem Umgange ein muntrer Anakreon. 
DBodmer war gelehrt, ein großer Criticus, der alle Aus— 
drüffungen zu erwägen und alle Säzze zu analyfieren pflegte; 
KRlopftof war ungelehrt, verftand wenig oder nichts von den 
Kritik, die Natur hatte ihn zum großen Poeten gemadt, 
und es ftund ihm nicht an, von allen feinen Gedanken, Bildern 
und Ausdrüffungen als ein Schüler Rechnung zu geben. 
Er war es auch nicht im Stande. 

Bodmer war arbeitfam, eingezogen, hätte gern KRlopftof 
den ganzen Tag bei fih gehabt, um das Vergnügen zu 
haben, mit ihm zu arbeiten und ihm Errinnerungen zu geben. 
Klopitof, wie alle feürigen Röpfe arbeitete, wenn es ihm in 
Laune war, liebte das Leben, war gerne in der Welt und 
von feiner Gemühtsart, Bodmers Errinnerungen allezeit mit 
Vergnügen anzuhören. Bodmer wollte alle Schritte feines 
Sreündes, der bei ihm wohnte und an feiner Tafel fpies, 
nach feiner Santafie abgemeßen haben und gab ihm über 
das, was ihm nicht anftunde, etwas derbe und meifterhafte 
Moralen. Klopftof liebte die Freiheit, und e3 war ihm un: 
erträglich gemeiftert zu werden, fein Mentor mochte au 
noch fo ein großer Mann und noch fo fehr fein Guttähter 


128 


fein. Nach und nach entftunden aus difer Verfchidenheit 
der Charaktere Misverftändnife und endlich Erbitterung, 
‚wobei die Achtung (Eegards), die dife großen Leüte hätten 
haben follen, nach und nach außert Augen gefezzet wurde. 
Sie erklärten fich gegen einander, und dife Erflärung wirkte 
nur noch mehr Erbitterung. Man beobachtete den Wolftand 
eine Zeitlang; endlich Fam es zu einem Bruce. Klopftof 
verlies Bodmers Haus und begab ih zu einem H. Rahn, 
einem feltfamen Menfchen, der auch KRlopftoffen feltfame und 
paradore Meinungen beibrachte. Hierüber ward VBodmer 
allzuböje, andere halfen das Feüer noch vermehren, und 
Bodmer ward endl. angetrieben, von Klopftoffen das vor: 
geftreffte Geld zu fodern. Man jagt, H. Breitinger habe 
hieran großen Anteil gehabt; ich Fan es faft nicht glauben. 
Difes brachte die Sache auf den höchften Grad der Erbitte- 
rung, und man beobachtete Fein Maas mehr. Klopſtok hatte 
einigen Argwohn gegeben, daß er die Ergdzlichkeiten liebe; 
er hatte Fehler begangen; man beobachtete alle feine Schritte 
und legte alles auf das fchlimmfte aus, und aus Jugend— 
fehlern machte man Lafter. Klopſtok hatte auch fehr gefehlet, 
daß, als er Bodmern das Geld wider gejchiktet, er es ihm 
mit Zins und Marchzahl ſchikkte und difes zum 2ten Male, 
nebft Schreiben, die fehr empfindlih waren. Man fagt, 
Bodmer habe bei diſem Anlaße die hellen Trähnen geweinet. 
Difes währete bis zu der Seit, da Klopftof bald verreifen 
follte, und difer Streit hatte in Deutfchland fein geringes - 
Auffehen gemacht. Breitinger, den man befchuldigte, eben 
jo fein und politifch als gelehrt zu fein, ſah die Folgen eines 
ſolchen Zwiftes ein und wuste zu wol, wie fchändlich es fein 
würde, wenn Klopftof und Bodmer unverföhnt fcheiden 
follten. Er vermittelte alſo mit großer Mühe eine Art Ver— 
fohnung aus. Man fah fich etlihe Male. Man umarmte 
fh. Man ſchied voneinander; allein feitdem ift Nlopftof 
nicht mehr der große Mann, der er ehmals gewefen; er ift 
nicht mehr derfelbe große Dichter. Der Meßias hatte zu 


129 ® 


der Zeit, da Klopftof in Zürich ankam, feinen einzigen 
Fehler; ſeitdem er fi mit Bodmer abgebrochen, verhält es 
fih ganz anders. Man fagt mir au, Klopſtok fei, ehe er 
von Bodmer verderbet worden, ſehr beicheiden geweſen. 
Bodmer aber hätte ihn durch fein beftändiges Loben ftolz 
gemachet, und difes wäre eine der Urfachen gewejen, warum 
er auch nachher Bodmer minder nachgeben wollen und in 
difem Streite allzu hizzig gewejen. — Mit Droner und vilen 
Piemontefen zu Nacht gefpiefen, die ihre Bauernſprache 
unter einander redten, davon ich nichts verftund. — Sour: 
nalifiert. 

Montags, den Sten (Zuli). 10 oder 12 Seiten iournali- 
fiert. Der Pfarrer Schinz und fein Vetter bei mir. Mit 
Schinzens Vetter zu Gesnern, dem PVerfaßer des Dafnis 
gegangen. Difer ift ein wizziger Menfch; er ift ein Buch— 
händler und neben feinem Talente wol zu fchreiben, ift er 
noch ein ziemlicher Maler. Er ift in allen feinen Idéen 
original und malt lauter feltfame Gefichter: Satyren, Faune 
und wilde Ausfichten, darinnen aber doch die Natur fih 
ſchön und groß zeiget. Er führete ung in ein Zimmer, dar- 
innen er das Getäfel auf diſe Weife gemahlet hatte. Er 
fcheinet ein fehr befcheidener und gejcheider Menfch zu fein; 
er zeiget gar nicht, daß er von fich oder von feiner Arbeit ein- 
genommen ift, obgleich feine Arbeit fo vortrefflich wol ge- 
rahten iſt; er ift in allem ganz natürlid. Schinz, der mich 
zu demjelben geführet, fcheinet jein großer Freünd zu fein, 
und wie mehr ich difen Schinzen kennen lerne, defto mehr 
Hochachtung, Freündſchaft und Liebe faße ich für denfelben. 
Er denfet wol; er hat feinen Geift ungemein wol angebauet 
und bat denfelben von Natur überaus fein und delicat. Es 
wird ein rechtihafner Mann aus ihm werden; es ift ewig 
Schade, wenn er in feinem Paterlande nicht einmal ins Re: 
giment gezogen wird. Beide Schinzen fagten mir heüte, der 
König in Frankreich hätte anno 1663 zugeben wollen, daß 
der erfte Gefandte der Eidsgenopen, der Yurgermeifter von 


130 


Zürich bei dem Bundesſchwure den Hut aufhätte, und es 
wäre fchon eine Medaille geichlagen gewejen, darauf der 
Bromftr. von Zürich mit dem Hufe auf dem Haubte vor- 
geftellet wäre; von difer Medaille follen noch 2 Stükke in 
Zürich fein. Allein da die übrigen Gefandten den Zürichern 
dife Ehre allein nicht gönnen wollen, und das nämliche für 
fih alle hartnäffigt verlanget, hätte der Rönig gar nicht mehr 
anders wollen, als dat alle mit entblöstem Haubte vor ihm 
ftehen follten, welches auch geſchehen ift. 

Mit Droner und den Piemontefen zu Mittag gejpiefen. 
— Rlopftofs Gebeter eines Freigeiftes, eines guten Chriften 
und eines guten Königs gelejen, welche ich ſehr fchöne ge- 
funden und die mir weit beßer eingeleüchtet als Wielands 
Gebeter eines Deiften und eines Chriften. Das Gebet eines 
guten Königs ift infonderbeit ausnemend ſchöne; ich las auch 
Treüers Parodie von difen 3 Gebetern: das Gebet eines 
Antiklopftoffianers, eines Klopſtokkianers und eines guten 
Griticus, darinnen ziemlich viel Wiz ift und noch einige 
gefchriebene Stüffe von KRlopftoffen. 1 und Seite iour- 
nalifiert. — Schinzens Vetter bei mir; mit demfelben zw 
Rabtsfubftitut Hirzel gegangen, wo ich die Zeit angenem 
zugebracht. Hirzel ift doch ein artiger Mann; er gab mir 
das Schreiben zu lefen, das der Landraht von Toggenburg 
wegen der Rechtfertigung der Landleüte, die das Mannrecht 
feiner rechtlichen IInterfuchung unterwerfen wollen, an Zürich 
geſchriben. Difes Schreiben ift fehr ftarf und nachdrükklich. 
Wir redten von denen mächtigen Leüten in unfern Repu: 
blifen. Sfr. Obmann Blarer wird von ihm als ein wahr: 
haftig großer Mann beichrieben, der mit einem werten Um- 
fange von Einfichten eben fo viel Ehrlichkeit, Grosmuht und 
Liebe für das Vaterland vereinigt und den jedermann liebet 
und verehret. Sch habe fchon zu Frauenfelden auf diſem Fuße 
von demfelben reden hören. Er hat einen Sohn, der eben 
jo vil verfprechen fol, und nun des arofen Rahts ift, dar- 
innen er fih durch feine Beredtſamkeit und durch die Hof: 


131 9 


nung, die er dem Staat machet, feinen Vater zu erfezzen, 
bervortut*). Die Klugheit und die Einfichten des Rahts 9. 
Heideggers werden auch fehr gerühmet, und die Republif 
braucht denfelben in allen wichtigen Gefhäften. Brgmſtr. 
Eicher, den man doch Blarar nachfezt und den ich nicht genug 
bewundern fan, habe ich oben ſchon beſchriben. Brgmſtr. 
Sries ift ein fehr fähiger Mann, aber ein Pedant; ich ftelle 
mir Seffelmeifter Leiten auch alfo vor. Sie befchriben mir 
noch einige andre, aber nicht fo ausführlih. Sie haben auch 
bier wie bei uns und an allen Orten Leüte, die Einfichten 
haben, aber dabei übel denken. Sie beklagen fich über ihren 
Staat, aber nur unbeftimmter Weife. Ich habe nichts aus 
ihren Klagen fchließen Eünnen. Freilich wird auch bier die 
Mänge nicht richtig denken und nicht alles nach der Regel 
der erhabenften Ehrlichkeit abgemeßen fein. Wo ift der Ort 
der Welt, wo man difen Vorteil finde? Man nenne mir 
ihn, und wäre es in Indien, ich will mein Vaterland mit 
dilem alüfffeligen Lande vertaufchen. Indeßen geht es in 
3. wie in 3. Contenti simus hoc Catone oder wenn man 
'will his Antoniis. — Bei H. Zunftmeifter Ulrich, Abfchied 
zu nehmen. Sch habe in der Taht Urfache, für feine Höflich- 
feit empfindlich zu fein. Bei. Pfarrer Schinzen; der gute 
Menſch fcheinet mir verlegen, daß er mir nicht mehr Ehre 
angetahn, da ich Doch nicht wüste, was ich mehr von ihm 
verlangen hätte follen, injfonderheit in difen Imftänden, da 
er morgen auf feine Pfründe verreifet. — Auch von feinem 
Better und feinem ganzen Haufe Abfchied genommen; es fein 
recht gute und artige Leute. — Mit Droner, feinen Pie- 
montefern, Violant von Augsburg, jr. Frauen und fr. Tochter 
zu Nacht gefpiefen. Dife kleine Violant ift gar nicht ſchön, 
aber fie ift doch aufgewelt und von einem ziemlich angenemen 
Umgange; ich redte vil mit derfelben. 2 Seiten iournalifitert. 








*) Ich habe hiemit Urjache, mit der Frau Zunftmeilter Ulrich 
zufrieden zu fein. Sie madte mir verjhiedene Male das Compli- 
ment, ich habe mit diſem iungen Sfr. Blarer gar zu vil gleiches. 


132 


Dienftags, den Iten (Zuli) 3 und 1% Seiten iournali- 
fiert. Auf dem Rahthauſe. Sch verftehe mich gar nicht auf 
die Baukunſt; mich hat difes Gebalide fehr ſchön und prächtig 
gedeüht. Man jagt mir, man habe die Anmerkung darüber 
‚gemacht, daß deßelben Aüßeres mit Zierahten allzu beladen 
fei. Die Heine Rabhtsftube ift ein prächtiges Zimmer und 
ausnemend wol eingerichtet. Die Räht- und Bürgerftube 
ift Schon vil einfältiger. Es fein einige Zimmer darinnen, 
die zur Gefangenfchaft der Bürger in Fällen, die nicht cri- 
minal find, beftimmt fein. Der Grosweibel hat feine Woh— 
nung auf dem Rahtbaufe. Indem ich auf dem Rahthaufe 
war, kam ein Bedienter des Zunftmeifters Ulrich zu mir, 
mich auf eine Taße Caffé einzuladen und hernach das Zeüg⸗ 
haus zu ſehen. 

Sch ging noch einen Augenblik zum Schwerd und dar— 
auf alfobald zu H. Wlrichen, wo ich eine Zeitlang verweilte. 
H. U. führete mich hernach ins Zelighaus oder vilmehr in 
4 Zeüghaüſer; in dem einen zeiget man Wilhelms Tells 
Armbruſt — gleich einer Reliquie, als ob iemals ein Wil: 
beim Zell geweien wäre. In einem andern fein alle Beüte, 
die die Zürch. und Fatholifchen Brüder ihren Brüdern, ab- 
genommen haben. In noch einem andern, wohin man nicht 
iedermann führet, ift ein großer Vorraht von Bomben, Mu- 
nition, Feldgerähten, Selten, Dielen und anderm Holze: 
kurz von allem, was zum Kriege gehöre. Es ift darinnen 
eine fonderbare Feldfchmitte, da auf einem Wagen Paz 
zum Umbofe, Plaz, alles Gerähte zu einer folchen Schmitte 
mitzuführen, ein Feüerherd und ein Blasbalg, das Feier 
in der Glut zu erhalten. — Wir waren au in dem Schif- 
magazine; da hat die Republik ihre Schiffe, infonderheit eines, 
das ziemlich groß ift und das man den Bucentaurus von 
Zürich nennen könnte. 

H. Zunftmeifter rich trieb die Höflichkeit fo weit, mich 
von dannen bis zum Schwerde zu begleiten. — Ich fpies 
zum Schwerd mit H. Enderlin von Lindau zu Mittag und 


133 


fezte mich hernach mit demfelben und zwei Modehändlerinnen 
von Brukk, einer Frau Wezlerin und ihrer Tochter, in die 
Bernerkutſche. Die Zeit von Zürich bis auf Baden auf 
das angenemfte zugebraht. Difer Envderlin ift ein aus: 
nemend artiger Menſch; er ift ein Kaufmann, bat aber vil 
Verſtand und ift von einem angenemen Umgange. Auch 
unfere Frauenzimmer waren fehr artig und luſtig. Die 
Tochter ift ziemlich Schöne. Zu Baden verließen wir ein- 
ander. Sch begleitete dife Weiber noch bis an die Limmat, 
wo fie in einen Nahen faßen und ohne Ablöfung der Canone 
nah Brukk verreifeten. 

Zu Baden logierte ih im Hinderhofe. Ich fpies in 
angenemer Gefelichaft an Dorers Tafel zu Naht. Es war 
ein Haubtmann von Neüfchatel und feine Frau, die fehr gute 
Leüte zu fein fcheinen. Ein deütfcher Baron, der mich fehr 
artig gedeiht und ein Zr. Grebel von Zürich. Der alte 
Dorer ift nichts fonderlihes. Man brachte indeßen die Zeit 
ziemlich angenem zu; nur babe ich zu vil geplaudert. Cs 
ift eine verdammte Sache um dife Unmäßigkeit der Zunge. 
Ich mus mich angewähnen, in meinem guten Laune minder 
zu reden; wenn ich in meinem ſchlimmen bin, jo laße ich es 
fchon bleiben. 

Mitwochs, den 10ten (Suli). 3 Geiten iournalifiert. 
An dem grünen Saale. Es ift der Ort, wo fi die Gefell- 
fchaft hier verfammelt. Es war ein überaus artiges Frauen: 
zimmer darinnen; fie bat etwas überaus Feines und Deli- 
cates in ihren Manieren. Sie hat in ihrer Fifionomie etwas 
das der Legrandin, die eine Harfcherin ift, gleichet, und fie 
ift Schöner als die Legrandin. Sie ift eine Tochter des 
Junker Grebels, mit dem ich geftern zu Nacht gefpiefen. Es 
war noch da ein Heidegger, Landfchreiber von Baden, fein 
Sohn, ein Pfarrer Pfenninger von Züri) und ein H. Rein- 
hard von Wintertur. Der iunge Heidegger fagte mir, der 
Baron und der Haubtmann, mit denen ich geftern gefpieien, 
wollen ihre Namen nicht entdekken; fie wären aber gelehrte 


134 


und verftändige Leite. Das Dings kommt mir verdädtig 
vor, indeßen fönnen fie unfchuldige Urfachen dazu haben, 
ohne Avantürrer zu fein. Allein difes mus Doch in De: 
trahtung gezogen werden und ift ein Grund zur PVorfichtig- 
keit. — Die 5 erften Capitel in Lerbers Buche de legis na- 
turalis summa gelefen, 1 Seite iournalifiert. An dem Tä— 
felin; es ift eine große Tafel in dem Hofe, wo man aud) 
fih verfammelt. Sfr. Grebel, der Landfchreiber Heidegger 
und fein Sohn dafelbf. Geplaudert. Grebel erzählte, die 
Haüislerin zum Fuchs hätte, als fie einft hier in Baden ge- 
wefen, jehr oft ihnen 3 bouteilles Toffaier, da die Boutteelle 
eine Dufate Foftet, zu trinken gegeben. 

Mit der geftrigen Gefelihaft zu Mittag gefpiefen. 
Nachmittags im grünen Saale. Es war eine große Gefell- 
ſchaft daſelbſt; erftlich meine geftrige Tiſchgeſellſchaft, die 
Soft. Grebel, eine Jgfr. Heideager, des Landfchreibers 
Tochter, ein reizzend artiges Mägdgen, Das ſchöne Manieren 
und ein edels Anfehn hat. Sie fol ſehr aufgewelt fein. 
Sr. Rahtſchr. Wyß von Zürich und feine Frau. Dife Frau 
hat Eein oroßes Anſehen. Des Landichreiber Heidegaers 
feine Frau bat ein ausnemend gutes Anfeben und gleichet 
von allen Frauen, die hier fein, am meiften einer Frau von 
Stande. Ein Graffenrievd von Bern; ein Reinhard von 
Wintertur und feine Schwefter, nebft vilen andern, die ih 
nach und nach nennen will. Eine Frau Ziegler von Zürich 
gab das Caffé. Ihr Mann ift auch da, nebft zwei jungen 
Töchtern und einem noch ganz jungen Knaben. Man macht 
eine erftaunlihe Mänge Cerimonien, und mir wäre ohne 
den Baron und ohne den Haubtmann die Zeit am Anfange 
fehr lange geworden. Sch redte hernach mit einigen Frauen: 
zimmern, aber nicht vil; zulezt mit einer Igfr. Gosweiler 
von Zürich, einem nicht unartigen Mägdgen,*) allein die 
Unterhaltung bat mit dien Mägdgens fo bald ein Ende. 
Sch hoffe, es wird befer gehen, wenn man einmal Materie 

Anm. Nein, dife Gosweiler ijt nichts minder als artig. 


135 


zur Unterhaltung gefammelt und dife Perfonen ein bisgen 
beßer kennen gelernt hat. Es gibt verfchidene, die noch ziem— 
ich gut ausfehen, und die Zürcher fangen an, artigere 
Rinder zu machen, als fie felbft fein. Nah und nad) wird 
alles beßer gehen; allein ich habe mich betrogen, da ich ge- 
fagt babe, fie feben überhaubt fo gut aus als die Basler 
und DBaslerinnen. Es fehlet ih noch vil. Indeßen gibt 
e3 einige Frauenzimmer, die fo vil Annemlichkeiten und 
Manieren haben als irgend eines zu Baſel. Von Cavaliers 
babe ich Eeinen gekannt als Keller, der mit unfern artigften 
Leuten, einem Ortmann zum F., oder einem Wettftein zu 
vergleihen wären. 21, Geiten iournalifiert. In Lerbers 
Bude de summa iuris nat. fortgef. bis c. 11. Wider in 
dem grünen Saale. Bil mit Zr. Grebel, Reinhard von 
Wintertur etc. geredt. — Mit meiner Gefellfchaft zur Nacht 
gefpiefen; die Zeit angenem zugebradt. Nach dem Ehen. 
famen die Familien Grebel und NReinharden, Wertmüller 
und feine Frau; wir machten ung recht Iuftig. Dife Wert: 
müller ift eine recht artige Frau, und die Grebel ift recht 
reizzend. Sie hat etwas fo janftes, etwas jo Liebliches in 
ihren Manieren; eine ſolche Schambaftigkeit, fie fcheinet die 
Beſcheidenheit felbft zu fein; die fchönen Augen, die fie hat! 
Sie hat mich recht eingenommen; ihr Charakter ſcheint mir 
recht gut zu fein. Unfere Neüfchatellerin ift ausnemend 
liebenswürdig und munter; es fteffet gewis nichts verborgenes 
hinter difen Leüten. Die Neüfchateller fein fchon bier ge: 
weien. Der Baron bat feinen Namen nicht gejagt; niemand 
bat ihn fragen mögen, das ift alles. — Ich weis der Henker 
nicht, was difes geben wird: alles fcheinet in einer Ser: 
rüttung in difem Bade; alles gebet feltfam. Die DBerner- 
und Zürcherweiber fünnen einander nicht leiden. Ich ſehe 
fhon, wo diſes herfommt. Die DBernerinnen haben die 
andern Eritifieret; fie geben fich daneben einen gewißen Vorteil 
über die Züricherinnen und fein auch von denjelben ge- 
fürhtet. Daneben fol eine Soft. Imhof von Bern ein ver- 


136 


zweifeltes Maul haben, welches die andern alle fürchten. 
Das Ding fängt erft izzt an; es fol mir recht Iuftig geben; 
ih möchte nur länger bier bleiben, für den Fortgang diſes 
Lärms zu fehn. Wenn ich länger hier bleibe, fo könnte Doch 
die reizzende Grebel einen größern Anteil an meinem Ent- 
ſchluß haben als alle dife Weiberdisputen. In der Taht, 
fie ift liebenswürdig. Es ift in einem Bade die befte Ge- 
legenbeit, ein Frauenzimmer fennen zu lernen, und wer 
weis, e8 wäre dife Sache etwas ..... doch ich bin nicht 
geicheide. 2 Seiten ivurnalifiert. 

Donnerftags, den 11ten (Zuli). Lerbers Buch de 
summa iuris nat. ausgelefen. In dem grünen Saale. Der 
Helfer Pfenninger, H. Reinhard, der iunge Heidegger; die 
Grebel daſelbſt. Diſes Mägdgen leüchtet mir beüte nicht 
fo fehr ein als geftern. Verreiſe nur, Sfelin; es hält dich 
nichts zurüffe. Bei dem Baron; difer ift gewig ein ver- 
fländiger Mann; er ift fo artig und der Haubtmann aud). Die 
Heine Violant war mit ihrem Vater bier, ein Logement 
zu fuchen. Das verdammte Ding! Gie fagte mir viles 
aus meinem Tagebudhe. Der nichtswürdige Kerl, der Ott 
zum Schwerde oder fein Keller haben, da ich es einmal Ligen 
laßen, mir es gelefen und mus alles wider erzäblet haben. 
Das Dings ift ein böllifcher Streich, indeßen ift er lächer— 
Lich; ich Eonnte mich nicht enthalten, ihn dem Baron und dem 
Haubtmann zu erzählen. Indeßen fann ich mich fortpaften; 
wenn man erfährt, daß ich alles beobachtet, jo fürchtet oder 
haßet man mich, und alsdann Fan ich fein Vergnügen mehr 
hoffen. — Am Täfelein. Der YBaron erzählte mit vilem 
Berftande von dem alten Fürften von Deßau und andere 
Sachen; der Mann hat gereijet; er bat fehr vil erfahren. 
Mich deücht, ich betrüge mich nicht, wenn ich aus feinen 
Reden jchließe, daß er ein Curländer ift oder Littauer; 
ich glaube eher das letztere; einmal aus Polen ift er. — 

Ueber Tiſch entwarfen wir die Partie, einen Bal zu 
geben; wir trugen diſes unfern Frauenzimmern bei dem 


137 


Caffe im Saale vor, die unfern Antrag annamen. Das 
wird mir einen komischen Ball geben: ein Schwarm alter 
Weiber; eine eben fo große Anzahl iunger, von denen ein 
großer Zeil weder Annemlichleit noch Schönheit hat und 
nicht tanzen fan; ein Duzzend alte Cavaliers; ich, der ih 
ein feltfamer Narr bin, der mich, eine foldhe Partie zu be: 
leben, nicht fchikfet und dem der Val fchon verlaidet ift; der 
Baron, der alles nur um feine Luft und zum Lachen an- 
ftellet. Sein Lebtag ift fein folcher Ball nicht gewefen. — 
Eine Promenade in die Stadt ganz alleine gemachet. 
2 Seiten iournalifiert. — Auf der Matte mit einem Zürcher, 
den ich nicht kenne und der mich anredte, [pazieret; er fcheint 
ein braver Mann zu fein; bernah mit Helfer Pfenninger 
und endlich mit einigen Frauenzimmern, der Grebel u. a. 
Mit meiner gewöhnlichen Gefelfhaft zu Mittag gefpiefen. 
Die Frau Wertmüller, die Grebel. — Zwei Landolt etc. 
abgeholt. — Unſer Ball ſah noch recht gut aus und alles 
ging unendlich weit beßer, als ich mir es vorgeftellt. Die 
Sofr. Imhof und die Obriftin Tormann von Bern tanzten 
am beften; die Igfr. Heidegger tanz auch fehr aut. Sch habe 
es mit Tanzen übertrieben. Die Heine Landolt ift recht 
reizzend. Man tanzte bis um halb eins. Ich führte die 
Landolts wider in ihre Zimmer. — 

Sreitags, den 12ten (Juli). Vormittags. Gebadet; 
aber nicht gar lange; hernakh war der Baron bei mir. Im 
grünen Saale niemand als Landfchreiber Heidegger und 
Helfer Pfenninger angetroffen. Mit der Grebel von einem 
Senfter hinunter, das auf das ihrige geht, geplaudert. Dei 
den Landolts; die artigen Mägdgens! Wir gingen hernach 
miteinander auf die Matte, wohin nach und nach andere 
Geſellſchaft Fam: die Grebel, die Heidegger, die Steiner etc. 
Lange mit der Heinen Landolt geplaudert. — Zr. Grebel, der 
von unferer Tiſchgeſellſchaft war, ift verreifet. Nachmittags. 
Einen Augenblik bei den Landolts; fie hernach in den Saal 
geführet, wo wir das Caffé tranten. Mit der Imhof, mit 


138 


der ich geftern Schon gefchwazzet hatte, geredt und mit vilen 
andern, aber meiftens mit difer reizzenden Landolt, die ich 
nicht genug bewundern fan. Sie befizzet einen Wiz, eine 
Artigkeit; fie redt mit einem fonderbaren Verſtande; fie ift 
fo ſchön; fie hat etwas fo einnemends in ihren Manieren. 
Bon allen Mägdgens, die hier fein, gefällt fie mir am beften. 
Dife Grebel ift ein verderbtes Kind, obgleich fie fehr artig 
if. Sch bin in die Landolt verliebt. Das Ding fiht feltfam 
aus. Wenn mın.... . aber wie vile Betrachtungen . . . 
allein ich bin ein Narr. — 2 Seiten iournalifiert. 

Auf die Matte gegangen. Die Gosweiler und die 
Heine Landolt dafelbft angetroffen. Mit ihnen mehr als 
eine Stunde aeplaudert. Dife Landolt hat doch einen Ver— 
fand, einen Wiz. Ich betriege mich fehr oder es eriftieret 
feine fchönere Seele. Ihr Herze fcheinet noch trefflicher als 
ihr Geif. Güte, Menfchenliebe, Edelmut, alles was eine 
Perfon ſchäzbar und liebenswürdig machen Fan, leüchten aus 
ihr hervor. In difer fchönen Seele ligen die Samen von 
allen Tugenden noch unerftiffet. Sie Ligen in dem fchönften 
Grunde, darinnen fie ligen können .... und die meiften 
zeigen ſchon die Tieblichften Blühten ... Glüfffelig der- 
ienige, der die Früchte derjelben fehen wird; noch glükkſeliger 
derienige, der zu dem Befizze, zu dem Genuß derfelben be- 
ſtimmt if. O, Sfelin, wenn dir ein folches Glüffe beftimmt 
wäre . . . . wenn dein günftiges Schikfal dich deswegen auf 
Baden geführet hätte, um . . . . Doch du fehweifeft aus, und 
Dife lieblichen Traüme werden laider nur allaugefchwind ver- 
Ihwinden, und dir wird nichts als ein trauriges Angedenken 
daran bleiben... . Sndeßen, wenn du hoffen dürfteft . . . 
Es deücht mich, die Schöne möge mich ziemlich wol leiden... 
und auch fcheinen ihre und meines Glüffes Umſtände bei- 
nahe gleich zu fein. — Auf dife angeneme Unterhaltung mit 
der Schönen Landolt fpazierte ich bis nach dem Hof Wyl und 
von dannen wider zurüf. 

Ich wollte Lefen, ich konnte aber nicht, ich dachte nur an 


139 


meine fchöne Landolt, und als ich zu mir fam, traf ich den 
Haubtmann und f. Frau, Wertmüller und feine Stau, wie 
auch Reinhard und feine Frau, nebft Frau Eicher und Grau 
Steiner an. Wir fpazierten an einen angenemen Ort; ich 
war allezeit nachdentend, wie auch bei Tiſche, fo daß ich un- 
höflich war. Ich dachte nur an die Landolt; ich ging um 
9 gleich zu Bette. Ich wuste nichts mehr bei der Gefellfchaft 
zu tuhn, da ich nicht reden Eonnte. Ich gab auf nichts Ach: 
fung, was man redte. — Himmel, was wird noch aus diſem 
Dinge werden! 

Sonnabend, den 13ten (Zuli). Vorm. 2 Seiten iourna- 
lifiert. Einen Brief an meine Muter gefchriben, darinnen 
ich derfelben melde, daß ich ein paar Tage fpähter ankommen 
werde. Den dümmften Brief von der Welt angefangen an 
Schinzen zu fohreiben wegen meiner Liebe gegen die Landolt. 
Ich babe ihn aber des Nachmittags zerrißen. Die Kleine 
Landolt zum Fenfter hinaus gegrüßet. Sch alaubte, fie hätte 
mir nicht gedanfet, das Ding verdroß mich. Es ift ein dummes 
Ding um einen Verliebten. — Mit dem Haubtmann in die 
Stadt gegangen; verfalimt, mit der artigen Landolt zu ſpa— 
zieren. Netter Stoff zum Verdruß. Beim Caffe; nicht vil 
mit der Landolt geredt; ein wenig mit der ältern Schwefter. 
Was gilts, ich werde noch auch in die Schweiter verliebet. 


Auf der Matte. Zeit angenem einfam zugebradt . .. In 
m. Zimmer... . Grillen gemacht. Ich wollte, daß die 
Liebe, ih weis nicht wo wäre... Sch will verreifen, fo 


bin ich ruhig. 1 Seite tournalifiert. — Als die ältere Lan: 
dDolt aus dem Bade fam, — die jüngere war in die Stadt 
gegangen — war ich einen Augenblif bei derfelben. Ich 
ſchlug ihr vor, eine Promenade zu mahen. Indeßen kam 
ihre Schwefter zurüffe, und der Haubtmann ſagte mir, man 
hätte eine Partie gemacht auf dem Mättelein, wo wir geftern 
Abends geweſen, zu Nacht zu fpeifen. Sch bat die beiden Lan- 
dolts, ob ich fo glüfflich fein Eonnte, daß fie auch Davon wären; 
ich fürchtete eine abichlägige Antwort; allein ich war fo glüff- 


140 


lich, mich zu betriegen. Es taht mir aber fehr laid, als ich 
nachher merkte, daß es ihnen wegen den Nachreden, die fie 
fürchteten, Mühe machte. Indeßen ging unfere Partie ganz 
Iuftig von GStatten. Der Haubtmann, Wertmüller und ihre 
Weiber, der Baron, Reinhard und feine Frau, die Grebel, 
die Steiner, die Efcher waren auch davon. — Diſe Landolts 
fein Doch beide gar zu arfige Mägdgens. Eine volllommene 
Sittfamkeit zieret ihre übrigen ſchönen Eigenfchaften. So 
vortrefflihe Mägdgens gibt es in Baſel nicht. Es ſcheinet 
einmal, die Kleine möge mich gar nicht übel leiden und ... 
ich jehe, daß mein Herze rechtichaffen eingenommen if. Ich 
entferne alle Zdeen, welche mir dife Liebe als gefährlich an- 
fehen machen Eönnen und bin ieden Augenblik gleichfam be- 
reit, mich allen Gefahren, die diefelbe begleiten Eönnen, aus: 
zuſezzen. Sfelin, na fo vilen Erfahrungen bift du nicht 
Hüger! Allein willt du allezeit der Märtrer deiner Un- 
entjchloffenheit und deiner Furchtſamkeit bleiben... . Dife 
Eicher, Heidegger und Grebel fein doch wilde Mägdgens. 
Mein Lebtag habe ich nichts desgleichen gefeben. Die 2 
leztern fein indeßen fehr artig, infonderheit die Heidegger, die 
etwas Großes und Anjehnlichs in ihrer Geftalt und in ihren 
Zügen bat. Sch ging bei Seiten zu Bette, fchlief aber ſpät 
ein; ich dachte allezeit an die reizende Kleine. 

Sonntags, den 14ten (Juli). Vormittags 2 Geiten 
iournal. Eines und das andere in dem Espion turc gelejen. 
Bei den liebenswürdigen Landolts das Kaffe getrunken. 
Die reizenden Kinder! Der Baron war hernach auch einen 
Augenblid mit ung. — Mit den Landolts und vilen andern 
Perfonen in die Kirche gegangen. Eine fehr artige Predigt 
geböret. Der Prediger nennt fih Ulrich; er fagt feine Sache 
ganz truffen, ohne Uenderung der Stimme, der Stellung und 
der Geberden daher, welches nur angenem if. Aus der 
Kirche fpazierten wir ein wenig auf die Matte: der Haubt- 
mann, die beiden Landolts, die Efcher, die Gosweiler. — 
Dife Landolts müßen von fehr gutem Herkommen fein; der 


141 


Obmann Blarer ift ihr Grosoncle. Diefes Ding macht 
mir närriihem Kerl Mühe; ich ſehe, daß es die Schwierig: 
keiten, in meiner Liebe glüfflich zu fein, vermehret .... . 
aber fol ich wünfchen, guten Erfolg zu haben? .... Beim 
Mittageßen vil mit dem Baron geredt. Der Mann hat vil 
Erfahrung und PVerftand; ich möchte ihn genauer Tennen 
lernen. Beim Caffé mit der Imhof geredt. Mit Land: 
ichreiber Steffen, vil mit dem Baron, wenig mit den Lan— 
Dolts. Sch babe beinahe nur das Herze nicht, mit diſem 
fleinen Geschöpfe zu reden. Sch babe eine Ehrfurcht vor 
derſelben; wenn ich ihr nur dürfte meine Liebe erklären. Ich 
beftimme ihre Schwefter für Freien... . Welch ein göft- 
liches Leben Eünnte ich uns beiden alsdann verfprechen . . . . 
aber bin ich geſcheide ... Nun ift die Landolt allein in 
ihrem Simmer .... ih bin binuntergegangen ... . . id) 
babe fachte angeflopfet ... . . fie tuht dergleichen, als ob nie: 
mand da wäre. Ich darf nicht unverfchämt fein. Ich könnte 
alles verderben... . aber Sielin.... und zulezt. — 
2 Geiten iournalifiert. Noch eins und das andre in dem 
Espion turec gelefen. Wllezeit unruhig. Ich paßete bis die 
ältere Landolt aus dem YBade und aus dem Bette wäre. 
Es ging mir verzweifelt lange, bis ich fie unter dem Fenfter 
ſah. Es fing an zu donnern, als ich diefelbe fah. Ich dachte 
an das Speluncam Dido dux et Troianus eandem. Ich 
ging hinunter, ich brachte den ganzen Abend auf das aller- 
angenemfte mit difen 2 Mägdgens zu, obgleich die Kleine 
nicht im beften Laune war. Die ältere bat einen gründlichen 
Verſtand, und ihr Umgang ift recht Lieblich; die Kleine liebt 
die Lectür nicht, allein fie hat von Natur ausnemend vil 
Verſtand, und daneben ift fie von einem Wlter, da es noch 
erlaubet ift, ein bisgen flüchtig zu fein. Indeßen ift mein 
Geift difen Abend vil ruhiger geworden; ich liebe aber den- 
noch diſe Mägdgens ſehr. 

An der Tafel ziemlich vil mit dem Baron geredt und 
nachher mit ihm zu Reinharden gegangen, wo der Baron 


142 


der Grebel Papillotten machte. — Welch ein verderbtes Kind 
ift dife Grebel niht! Der Baron ift fehr wol bei ihr... . 
Sch Habe nicht die gleiche Ehre. Wir blieben nicht lange ... 
oder vilmehr wir Eonnten nicht lange bleiben, indem man 
uns böflich den Abſchied gab. Sch ging hernach noch mit 
dem Baron in fein Zimmer, wo wir lange von unfern Mägd- 
gens Ihwazten. Der Baron hat Recht, daß er die Heidegger 
die artigfte findet. Er, der bei den Weibsbildern nur auf 
das Vergnügen der Sinne fihet, allein die Feine fchwarze 
2. ift ganz was anders. Das Mägdgen denket und ift, als 
ob es für mich gemachet wäre. Es ift von einer Sittſam— 
teit .... von einer Beſcheidenheit . .. Sc babe mein 
Lebtag nichts eingezogeneres gefehen als dieſe Liebens- 
würdigen Mägdgens, und dennoch macht fich die verdammte 
Kritit an dem unfchuldigen Umgang, den ich mit denjelben 
babe. Der Baron fagt mir, man fage, ich wäre des Morgens, 
wenn fie noch im Bette wären, des Mittags und des Abends 
bei denfelben. Dife giftigen Reden fommen blos aus Eifer: 
ſucht. Sie tuhn mir aber fehr wehe. Nicht meinetwegen, 
denn bei mir verteidigt mich mein gutes Gewißen, und diſe 
Leüte glauben . . . ich tube nichts hieran, als was ganz recht 
fei,; aber die guten Mägdgens dauern mich, denn fie können 
nicht anders als dabei leiden und verlieren. — Der Baron 
und ich, wir redten noch eine Piertelftunde mit dem Oberft 
Heßen von Zürich. Difer Mann fcheinet vilen natürlichen 
Berftand zu haben. 

Montags, den 1Sten (Juli). 3 Geiten iournalifiert. 
Zn dem Saale. Die Grebel, Helfer Pfenninger und Rein- 
bard daſelbſt. Der Helfer und die Grebel fangen aus Bach— 
ofens Gefangbuh. Das Ding verlaidete mir bald; ich 
lagte, fie follte dafür italienifche Arien fingen. Die Grebel 
lies folche aus ihrem Zimmer holen; allein Dorer der Sohn, 
der die 2te Violine fpielen follte, war ausgegangen. Es 
ward alfo nichts aus unferer Freüde. — Dei dem Baron. 
Wir redten von allerhand Sachen. Er erzählte mir von 


143 


Hagedorn, von de Bar . . . Beide fein die größten Schwelger 
von der Welt. Sie haben in Hamburg eine Gefellfchaft von 
den grösten Luftbrüdern, davon Treuer, der junge Denner 
etc. fein; de Bar fol bei 3 Millionen durchaebracht haben. 
Er foll gerade der Gegenfaz von feinem Schreiber fein; er 
ift alfo von denen qui Curios simulant et bachanalia vi- 


vunt.... Der Baron fennt die Menfchen ziemlid wol. 
Es ift fchade, daß feine Sittenlehre jo nachläßig ift; es ift 
würdiger, tugendhaft zu fein... Sc liebe ihn allezeit 


mehr, allein ich möchte Doch wißen, wer er auch wäre. Der 
Haubtmann von Neüfchatel heist Gentil. — Wider in dem 
Saal; nur den iungen Heidegger angetroffen, der auf eine 
Art von den bier ammefenden DBernerinnen redte, daß ich 
ſehe, daß ein großer Haß zwifchen denfelben und den Zürche: 
rinnen fein mus. An dem ZTäfelein. Oberft Heß, Ziegler 
und feine Frau waren dafelbfl. Heüte babe ich meine 2 
Schönen noch nicht gefehen. Die guten Mägdgend . . . fie 
fein mir doch recht lieb... aber es ift aus ... morgen 
muß ich verreifen ... Mittwochs Abends will ich, wills 
Gott, in Bafel fein. 2 Seiten iournalifiert. Wider an dem 
Täfelein; endlih fommen auch die 2. hin. Wir fpazierten 
nachher alle auf die Matte. Ich finde Doch unendlich vil 
Vergnügen, mit difen Mägdgens zu fein. Gie fein zur 
Tugend geboren. Ihr ganzes Betragen zeiget Weisheit und 
eine gute Denktungsart. Es ift in allem etwas Edels und 
Liebenswürdiges. Das Heine ſchwarze Mägdgen bat mich 
bezaubert. Nachmittags waren wir große und gute Gefell- 
fchaft bei dem Haubtmann Gentil, mir aber war nicht wohl 
bei der Sache; meine artigen Schweftern waren anderswo. 
Wie fonnte mir wohl fein! Die andern merfens wol, daß 
mich nichts rühret als die Eleine Schwarze. Difes wird wol 
difes gute Mägdgen und ihre Schwefter noch Laid machen; 
denn diſe Zürchermägdgens find böllifch eiferfüchtig, und ich 
babe ſchon gemerfet, daß fie ihre Kritik über dife guten Lan- 
Dolts ziemlich ausüben. Ich habe es aus des Haubtmanns 


144 


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ale pro ou se promenent ler hommes 
walıe et se baa, 


les hormmes de 


mun. de 


Baden im Aargau, nach einem Stiche des XVII. Jahrhunderts. 


und des Barons Reden geſchloßen. Mir tuht es von Herzen | 
laide, allein was ift da zu machen? Ich Tiebe fie nun einmal. 
Ich babe Vergnügen in ihrem Umgang gefunden. Es ift 
das reinfte und unfchuldigfte Vergnügen von der Welt ge- 
wefen. Mein Gewißen gibt mir ein gutes Selignig. — 
Einen Augenblid bin ich bei difen reizzenden Landolts ge: 
wefen. 115 Geiten iournalifiert. 

Droben lange Seit verlohren und mich mit Gedanken 
von meinen Schönen beichäftigt. Im grünen Saal; niemand 
angetroffen. Am Zäfelein; ein wenig mit Landfchreiber 
Heidegger geredt. Dei der Heinen Landolt; die Gosweiler 
waren bei derfelben. Den Abend angenem zugebraht. Wie 
vil Verſtand bat dife 2. nit... . fie ift das Tiebens- 
würdigfte Gefchöpf von der Welt. Nach dem Ehen eine 
Stunde mit dem Baron. 

Dienftags, den 16ten (Zul). Vorm. Seite iour⸗ 
nalifiert. Geftern im Bette faste ich den Entichluß, der ar- 
tigen 2. meine Liebe und meine Abfichten durch einen Brief 
befannt zu machen. Ich will einen Entwurf von difem Briefe 
hieher fchreiben, obgleich es noch fehr ungewis ift, ob er an 
diejelbe fol übergeben werden ..... . 

„Ich babe Thon allzulange eine Gelegenheit gejuchet, 
Sie alleine zu fprechen, meine allzuliebenswürdige Schöne 
.... alleine entweder habe ich diefelbe nicht finden Eönnen, 
oder meine Furchtfamkeit hat mich gehindert, diefelbe, wenn 
ich fie gefunden, zu gebrauchen. Ich neme meine Zuflucht 
zu meiner Feder, um Ihnen zu fagen, daß ich Sie liebe, daß 
ich, was mein Herze ſchon ſeit vielen Jahren gefuchet, ge: 
funden: eine Perfon, an der ih die Eigenjchaften einer 
reizzenden Geliebten beftändig lieben und die von einem 
weifen, aufrichtigen und tugendhaften Freünde beftändig ver- 
ehren Fönne. Ich will mich nun nicht aufhalten, Ihnen zu 
befchreiben, was mein zärtliches Herze gegen Sie empfindet. _ 
Es läst fi) eher fühlen als ſchildern .... und ich bin num 
in einer Gemühtsverfaßung, da man ganz unfähig ift, zu 


145 u 


mahlen. Ich zittre, wenn ich daran gedenke, wie vile Schwie- 
rigfeiten meine Liebe bei Ihnen finden wird. Fremd... 
unbefannt ... . ohne Verdienfte, die mich Ihrer Gegenliebe 
würdig machen fünnten. Ich fehe, daß Ihr edel Herze auf 
taufenderlei Weife mit den Lieblichften Verhältnißen an 
Shrem Vaterlande hängt. Was foli ich alfo erwarten, als 
meine Neigung verworfen zu ſehen. Indeßen ift fie zu 
Hark und zu ſchön, als daß ich diefelbe unterdrüffen follte. 
Ich wage es alfo, Ihnen mein Herze, meine Hand und mein 
Glükke anzutragen. Die erften werde ich trachten, durch 
Liebe zur Tugend und durch Rectichaffenheit Ihrer würdig 
zu machen, und das andre, wenn es Schon nicht groß ift, fo 
bin ich doch allezeit in fo guten Umftänden, daß ich der Vor— 
ſehung nicht genug dafür danken fan, daß ich mir verfprechen 
fönnte, in meinem Paterlande von den meiften der beften 
Parteien nicht ausgefchlagen zu werden und daß, wenn ich 
vernünftig denken will, die Glüffesumftände der Perfon, von 
deren ich das Glüffe haben werde, geliebt zu werden, nicht 
anders in Betrachtung ziehen darf, als infofern fie die Zeit 
entjcheiden folle, da ich zu dem Beſizze eines fo reizzenden 
Glükkes völlig gelangen werde. Ich verlange nicht, daß Sie 
mir izzund auf mein Wort glauben follen. Ich hoffe in- 
deßen keinen Anlaß gegeben zu haben, meine Aufrichtigfeit 
in Zweifel zu ziehen. Wenn ich nur fo alüfflich wäre, mit 
der Hoffnung zu verreifen, daß es, wenn ih die Wahrheit 
geredet, möglich fei, daß ich Ihre Gegenliebe erhalten werde, 
fo ſchäzze ich mich glüfffelig. Wenn Sie mir erlauben werden, 
mich nur 1, Stunde mit Ihnen entweder auf Ihrem Zimmer 
oder auf der Promenade zu unterhalten und Ihnen mündlich) 
meine Gedanken zu eröffnen und wenn ich alsdann die reiz- 
zende Erlaubnis zu hoffen von Ihnen erhalten ſollte .... 
jo würde ich nicht mit dem glüfffelioften Menſchen von der 
Welt mein Glüffe vertaufchen. — Sie machen, wie ich ge- 
höret, nad) dem Bade Beſuche. Nah den Beſuchen wird 
man ta auf die Matte geben. Ich fchmeichle mir, Sie da 


146 


zu fehen.... Sch boffe, Sie zu fpreden.... Sch 
zittre .... Wenn ich nicht hoffen fol, glükklich zu fein, 
fo hoffe ich, Sie werden mich doch mit der Schande ver- 
ihonen, mich lächerlich zu machen und meine döhrichte Ver— 
wegenheit der Welt zu eröffnen. Ich fehmeichle mir, mein 
Geheimnis werde zwiichen Ihnen, Ihrer verehrungswürdigen 
Sofr. Schwefter und mir bleiben. Sch bin mit der tiefften 
Ehrfurcht, allzuliebenswürdige Schöne, Ihr eifrigfter Be— 
wunderer und Verehrer.“ — 

Nachdem ich difen feltfamen Brief aufgefezzet hatte, 
Ihrieb ich denſelben noch ab; allein ich machte ihn der 
Perſon, der er beftimmt war, nicht zulommen. — In dem 
grünen Saale. Die Grebel, Oberft Heben dafelbft; aber ich 
blieb nicht lange. Bei dem Baron. Bei den Landolts; 
mit denfelben, der Gosweiler und dem Amtmann Heß in die 
Stadt gegangen. Es fpies ein Zimmermann von Brukk bei 
uns, nebſt einem Roht, des Hofichreibers von Rönigsfelden 
fein Sohn. 3. ift der liebenswürdigfte und wizzigfte Menſch 
von der Welt. Man fcherzte überaus vil.... Sch habe 
zu vil geplaudert. Er kam von Züri. Er fagte, man fage 
in Zürich, ich wäre mit einer Igfr. Ulrich verfprochen. Ich. 
weis nicht, ob er es erfunden oder ob es wahr if. Wenn 
es ift, fo fein die Züricher die feltfamften Leüte von der Welt. 
Beim Haubtmann das Caffe getrunfen. Im grünen Saale. 
Mit Zimmermann und hernach vil mit der ältern Landolt 
geredt. Difes Mägdgen hat vil Gründlichkeit. — 

Das ift ein feltfames Ding in difem Bade; alles be- 
Hagt fich Über das andre, Feines lebt mit dem andern ver- 
gnügt; alles beobachtet, alles richtet einander; alles klaget 
über die Langeweile. — Mehr als eine Stunde in 
m. Zimmer. Dei den Landolts. Sie gingen nachher mit 
der Stau Peyer jpazieren. Ich folgte ihnen nicht, nur 
damit man nicht jage, ich wäre allezeit bei ihnen. Dife 
Behutſamkeit nüzte weder diefelben noch mich nichts, als 
daß fie mich machte den Abend auf das verdrüstichite mit 


147 20: 


der Grebel, der Heideager etc., auf der Matte zubringen. — 
An dem ZTäfelein redte ich hernach noch ein bisgen mit 
meinen Schönen. Sie fein Doch arumdartige Kinder. Gie 
waren nun wider ein bisgen aufgeweffter als difen Abend; 
fie dauern mi recht. Meine Leidenfhaft war den Tag 
durh ganz ruhig: die fcherzhaften und aufgeweltten Ge: 
fpräche über Tifche, der Umgang mit Zimmermann etc. hatten 
fie ein bisgen erftiffet. — Zei Tiſche fpis noch der Canzler 
von KEinfidlen nebft einem Mönche aus difem Klofter 
mit uns. Der Canzler jcheinet ein fehr verftändiger Mann, 
der ſchöne Einfichten in Staatsjachen befizzet. Der Baron 
kömmt mir auch alle Tage fchäzbarer vor. Nachdem 
m. Geift fi) wider ein bisgen von f. Iuftigen Ausfchweifung 
erholet, erwachte meine Neigung gegen die fehöne 2. wider 
ftärfer. — 

Mittwochs, den 17ten (Zuli). 21% Seiten iournalifiert. 
Sn der Stadt berumgelaufen. Pferde oder eine Chaife für 
den Baron und für mich zu ſuchen; ich Eonnte nichts Finden. 
Zn dem grünen Saale. Ein wenig mit Pfenningern und 
Reinharden geiprohen. Bei dem Haubtmann; 2 Briefe 
gefchrieben: einen an m. Muter um ein Pferd, und den 
andern an m. Oncle um Geld. Einen Augenblift bei den 
Landolts, An dem Täfelein mit den Landolts, dem Baron, 
der Grebel etc. — 

Nah Tiſche bei den liebenswürdigen Landolts. Eine 
Igfr. Schulteis von Züri, die Wielands Freundin fein 
fol und an welche man jagt, daß er die Errinnerungen an 
eine Freundin gejchriben, dafelbft angetroffen. Die Zeit bis 
um 4 Uhr auf das allerangenemfte dafelbft zugebracht. Dife 
Schulteis ift eben nicht gar zu fchön, alleine ich habe wenige 
Perfonen gefunden, deren Umgang fo angenem wäre. Gie 
icheinet ihren Geift mit großem Fleiße angebaut zu haben. 
Sie zeiget vilen Wiz und eine edle Denkungsart. Ich habe 
nichts Pedantifches an derjelben bemerkt; alles fcheint natür- 
üb an ihr. Sie war munter, aufgewelt, lebhaft, unge- 


148 


zwungen. Einen großen Weltgebrauch wird man aber nicht 
an derfelben bemerken, alleine fie ift mir deſto reizzender. 
Was die Natur groß und fchön machet, das nimmt allezeit 
ein. Wir redten vil von Wieland und von 9. Schinzen, 
dem Vetter meines Freündes, der mir fo wol gefallen. Ich 
fehe, dat er einen allgemeinen Beifall findet. Sch hörte 
aus der Rede difer Srauenzimmer, daß fie au in Zürich 
wie wir in Baſel Pedantinnen haben; alleine, die Wahr: 
heit zu geftehen, die Züricher Frauenzimmer gefallen mir 
beßer als die unfern. Diſes fanfte Wefen, dife Scham- 
baftigfeit, nebft den trefflichen Eigenfchaften des Herzens 
und des Geiftes, die ich bei den Zürcherinnen finde, leichten. 
mir weit mehr ein als das freie und oft auch artige Wefen 
unferer meiften Baslerinnen. Ich finde einmal nichts 
Urtigeres als die Manieren diſer reizzenden kleinen 
Schwarzen. Die Natur hat auf alles, was diejelbe tuht 
und fagt, eine gewiße Anmut geftreüet, wodurch es taufend- 
mal einnemender wird als alles närrifche Zeug von Ma— 
nieren und XUrtigfeiten, womit man fich bei uns fo groß 
machet. — 

Bei dem Baron bis gegen 5. Er erzählte mir von 
den biefigen Factionen, die entitanden waren, ehe ich an- 
sefommen, und deren Fortgang er wol beobachtet zu haben 
ſcheinet. Dife Sachen fein Doch verdammt lächerlich. Er 
machte mich auf viles Achtung geben, wodurch unfer Ball 
in der Taht die lächerlichfte Sache von der Welt ward und 
die ich nicht beobachtet, teils weil ich die Karte noch nicht 
sefannt, teils weil ich zu fehr mit der Grebel und der Heinen 
Landolt beſchäftigt war. — Die Berner haben, wie es 
Icheinet, doch nicht in allen Sachen unreht. Diſes Zahr 
wird in difem Bade faum mehr ein rechtfchaffenes gemein- 
Ihaftliches Vergnügen zu hoffen fein. Was ligt mir daran, 
ih reife fort. Wir gingen hernach in den grünen Gaal, 
trafen aber niemand an. Wir lafen einige Stüffe aus den 
Pieces &chapp6es du Feu — — alle find platt und fchlecht, 


149 


auch die Moifiade, die man dem Voltaire oder Rouffeau 
zujchreibt. Endlich famen die Landolts mit der Schulteis, 
auf welche endlih Reinhard, feine Frau und die Grebel 
folgten. — Die Zeit ohne große Annemlichkeit verfchlentert. 
Dife Grebel ift ein Kind. Sie hat Verftand, allein fie if 
findifcher als ein Kind von zwölf Sahren. — Auf der 
Matten und hernach in der Kirche beim Bade. Dife Kirche 
ift feit etlichen Jahren erneüert und fehr artig. Ich ging bei 
Zeiten fchlafen. Diſe Heine 2. ligt mir noch allezeit im 
Sinne, und ich finde fie täglich liebenswürdiger. Ich glaube 
zwar den Charakter ihrer Schwefter noch beßer, allein auch 
der ihrige fcheinet mir vortrefflich gut zu fein und fo gut 
als irgend eines Frauenzimmers, das ich kenne. Doch ich 
mus dis alles als Idéen anfehen, die mir nichts als Mig: 
vergnügen und Sehnſucht bringen werden. Ich werde fie 
verlaßen müßen . . und darf nicht gedenken, mit ihr glükklich 
zu fein. — 

Donnerftags, den 18ten (Zuli). 4 Seiten iournalifiert. 
Im Saale. Reinhard und die Grebel darinnen angetroffen. 
Die Grebel war heüte recht artig. Us fie fort war, redte 
ih eine Zeitlang alleine mit Reinharden; er ift der befte 
Mann von der Welt und bat ziemlich Verſtand. Gein 
Umgang ift angenem. Bei dem Baron. Der gute Mann 
leidet ziemlich Schmerzen von der güldenen Ader; er dauert 
mid. 1% Seite iournalifiert. Ein wenig bei dem Petſchier— 
ftecher drunten. Wieder bei dem Baron. An dem Zäfelein 
mit der Schulteis und den Landolt3 etc. 

Nachmittags. Beim Caffe im Saale. Die Zeit ward 
mir lange. Einige Briefe von Holberg gelefen. Ein wenig 
sefchlafen. 15 Seite iournalifiert. Auf der Matte allein. 
Ein wenig bei den Landolts. Mit denfelben bei Rein: 
hards, wo die: Schulteis, Dr. Gronauer und feine Frau 
waren. Hernach im grünen Saale. Dife Heine Landolt 
fcheint mir nicht mehr fo freundlich gegen mid. Ich Tan 
nicht begreifen, was die Schuld ift, wenn es nicht ift, daß 


150 


ih ihrer Schwefter mehr verbindliche Sachen fage, als 
ihren, und difes kommt eben Daher, weil ich fie mehr lieb 
als ihre Schwefter, obgleich auch ihre Schweſter, wenn fie 
Ihon nicht ſchöne ift, mich rühret; villeicht auch, weil ich 
aögere, ihr meine Gefinnung zu erflären; allein auch diſes 
kann ich kaum ohne Unklugheit tuhn. 

Sch bin ein unglüfflicher Menſch mit meiner allzugroßen 
Bedachtſamkeit. Der Streit zwifchen derfelben und meiner 
Zärtlichkeit machet mir manche Schmerzen. Meine Zurct- 
ſamkeit und Schüchternheit tragen auch nicht wenig Dazu bei. 
Difen Abend war nun meine Neigung ganz ſtille. Sch war 
beinahe böfe über die Heine Schwarze. Daneben glaubte ich 
vil Rindifches und Meifterlofes an ihr bemerket zu haben... 
und die andern vernünftigen Vetrachtungen, die über eine 
folhe Neigung zu machen fein, fanden hiedurh auch Ein- 
sang. WUllein izzund erwachet meine Neigung wider; das 
Mägdgen hat einmal etwas Einnemends und fcheinet ge: 
bohren, tugendhaft zu fein. Zu Baſel wüste ich nun ein: 
mal fein jo artiges Rind zu finden und das mir fo jehr ein- 
lelichtete, wenn es ſchon gewis fchönere gibt. Ich bin ein 
ſeltſamer Hafe. — Heber Tifch ärgerte mich der Haubtmann 
mit feinen närriſchen Reden; er ift ungefchliffen und feine 
Grau eine Plauderin. Es ift etwas anders um den Baron; 
er ift ein recht [häzbarer Mann; er verdienet, tugendhaft zu 
fein. 2 Seiten iournalifiert und einer angenemen Muſik 
zugeböret, die an dem Täfelein war. 

Steitags, den 19ten (Suli). Zeit verfchlentert. Im 
grünen Saale; niemand angetroffen. In meinem Zimmer. 
Sn Holbergs Briefen gelefen. Auf der Matte; mit dem 
alten Dorer und dem iungen Heidegger fpaziert. Wider 
auf meinem Zimmer. Ein wenig bei den Landolts. Die 
Schulteis dafelbft angetroffen. Mit difen 3 Mägdgens fpa- 
zieren gegangen. An dem Täfelein; vil Leüte dafelbf. Im 
Saale beim Caffe; die Frau Peyer gab ihn. Es war einer 
ihrer Verwandten da, ein von Hardenberg von Schafhaufen, 


151 


ein netter Menſch; er ift in holländifchen Dienften Offizier 
von der Garde. ch betriege mich, oder er ift ein Stuzzer. 
— Die Heine 2. fchien mir heüte ein bisgen beßer gegen mich; 
ich bin nur zu furchtſam, allein es ift villeichte gut. Meine 
Neigung wird auf dife Weife weder fehlimme noch gute 
Solgen haben. Ich wünfchte doch fehr, daß dife Perfon 
für meine Umſtände fo wie für mein Herze gemachet wäre 
und daß ich das Glükk hätte, ihr zu gefallen und ... allein 
dis fein unnüzze Tralime. 1 Seite iournalifiert. Sch wollte 
mit den riefen des Holbergs, die mir der Baron geliehen, 
fpazieren gehen . . . allein ich ſah die ältere Landolt in 
ihrem Zimmer und foderte ihr Herveys Erbaulide Be— 
trachtungen über die Herrlichkeit der Schöpfung in Gärten 
und Feldern, die fie mir auch gab. Sch las auf der Pro- 
menade die Betrachtung über einen Blumengarten und den 
poetiihen Lobgefang über die Werke der Schöpfung. Dife 
Arbeiten fein weit deütlicher und natürlicher al$ Youngs 
feine . . . alleine wo Young vortrefflid — und diſes ift 
er Doch meiftenteild — da ift er weit erhabener und größer 
als Hervey. Indeßen hat es mich gedelicht, ich finde auch 
bei Hervey bin und wider Ausdrüffungen, die nicht allzu- 
natürlich fein. — Die Zeit während difer Lectür und auch 
während den Paufen derfelben angenem zugebracht. 1 Seite 
iournalifiert. — Sn dem Saale niemand angetroffen. Un dem 
Täfelein Herveys Betrachtung Über die Nacht durchgangen. 
Indem ich fie auslas, fam mein Pferd. Ich erfchrak recht. 
Anftalten wegen der Abreiſe gemacht. Dei den Tiebens- 
würdigen Landolts. Mit denjelben und einigen andern Per: 
jonen fpazieren gegangen. 

Heüte infonderheit habe ich diſen beiden Schweftern den 
Hof gemacht. Der Geift und der Charafter der ältern ge- 
fallt mir beßer, und an der iüngern gefällt mir ihre Artig— 
feit und ihre Tugend. Die ältere nimmt auch meine Freünd— 
Ihaftsbezeügung mit mehr Empfindlichkeit und Gegen: 
bezeügung auf als die ilingere, fo gar, daß fie mir geftand, 


152 


das Pferd, das für mich angefommen, habe fie erfchreffet. 
An dem Täfelein von einigen Perfonen Abſchied genommen 
und hernach droben von meinen liebenswürdigen Landolts 
— nicht ohne Schmerz; doch mit minderm, als ich glaubte. 
Indeßen war mein Herze fehr beflemmt bei Tifhe. Don 
meiner Tiſchgeſellſchaft Abfchied genommen: von Wertmüller 
und feiner Graue, von Reinhard, von Steiner und Der 
Grebel. Die Grebel zeigte mir durch den Vorzug, den fie 
dem Baron vor mir gab, genug, daß fie böfe über mich fei. 
Sn der Taht, ich habe ihr von Anfang an den Hof zu fehr 
gemachet; hernach habe ich fie ſizzen laßen. Sch verreife recht 
mit Sehnſucht von bier, obgleich ich vile Lange Zeit gehabt 
habe; aber die mit den Landolts zugebrachten Augenblikke 
erfezzen mir alles wider. Artige Mägdgens . . . mus ich 
euch denn verlaßen ... Dein, ich halte es für unmöglich, 
allein es mus fein. Reife, Iſelin; villeicht hat das Schiff: 
jal .. . aber du bift nicht gefcheid . . . gehe zu Bette... 
Ihlafe und reife morgen in Gottes Namen . . . 2 Geiten 
iournaliſiert. 

Sonnabend, den 20. (Zuli). frühe aufgeſtanden. Ein— 
gepakkt. Die ältere Landolt war auch früh auf. Sie fast, 
es wäre ihr nicht ganz wol. Ich nam noch von ihr Abſchied. 
Sch hätte noch gerne die Fleine Here, ihre Schwefter, gefehen, 
allein fie fchlief nodh. Sch dachte unterwegs nur an diſe 
liebenswürdigen Schweftern. — Zu Hornußen lies ich dem 
Pferd Haber geben, ging aber gar nah Stein zum Mittag: 
eſſen. Vile Basler dafelbft angetroffen. Die Zeit an- 
genem zugebradt. Mit dem alten Vondermühle gar nad) 
Bajel geritten. Ich redte oft nichts und dachte an meine 
ihöne kleine Schwarze. Als ich Baſel näherte, hatte ich 
die zärtlichtten Empfindungen ſowohl wegen derjelben als 
Baſel. | 

Meine Muter empfing mich noch gar wol, welches ich 
nicht verhoffte. Ich danke dem Höchiten, daß meine Reife fo 
glükklich geweſen. 


153 


Unmerfungen. 


3u Seite %. 


Von den gedrudten Quellen, die ih zu den Anmerkungen 
benütte, erwähne ih außer den im Vorwort genannten in erfter 
Linie Zeus Schweiz. Lerilon, dann Allg. Deutihe Biogr., Lutz, Ne: 
frolog dentwürdiger Schweizer, die Zürder und Berner Tafchen- 
büder. Cinige wertvolle Notizen verdante ih dem Zürcher Stadt: 
arhiv und dem Basler Staatsardiv. 


3u Seite 10. 

Die Reife ging über den Böhberg. Die beiden Tagſatzungs— 
gejandten madten die Reife im Wagen, wahrſcheinlich in der Staats: 
kutſche; Iſelin war zu Pferd. 

Mhhgeacht. — Meine Hochgeadhteten Herrn. 

Deputat Burkhard: Johann Rudolf Burdhardt, 1701—1757, 
Geheimer Rat oder Dreigehner Herr, jeit 1744 Deputat, d. h. Mit- 
glied des Aufjihtsrates über Kirche und Schule zu Stadt und Land. 

Oberſt Burkard: Iſaak Burdardt, 1699—1757, ebenfalls Ge- 
heimer Rat, Oberſt eines Regiments Landmiliz, Kriegstommiljär 
2c., der uns, wie in der Vorrede bemerkt, aus meiner legtjährigen 
Arbeit befannte originelle „Oncle Oberft“, der an Iſelin wirtlid 
Baterftelle vertrat, bei allen Fehlern ein ausgezeihneter Mann. 

Dr. Zimmermann: Johann Georg Zimmermann von Brugg 
im Aargau, 1728—1795, Dr. med., großbritannifher Leibarzt in 
Hannover, berühmter Schriftiteller; am befannteiten ift fein Werk 
„Weber die Einjamkeit“. Im Alter wurde er ein Sonderling und 
Hypochonder. Mit Sfelin ſtand er bis an deilen Tod (1782) im 
Briefwechfel. Seine Briefe, ein ftattliher Band, befinden fi im 
Iſelinſchen Nachlaſſe. 

Tſcharner: Emanuel Tſcharner von Bern, 1699— 1777, ſeit 1752 
Hofmeilter (Verwalter) des ehemaligen Klofters Königsfelden. 

Schlacht zu Fridlingen: Schlacht auf dem Friedlingerfeld bei 
Weil zwilhen dem franz. Marihall Billars und dem Markgrafen 
von Baden am 14. Oft. 1702. 


3u Seite 101. 

Hoditätt: Schlacht bei Hochſtädt, 13. Aug. 1704. Sieg der 
Kaiſerlichen und Engländer über das franz.-bayriie Heer. 

Schinzen: H. Heinrih Schinz von Zürich, 17261788, eben im 
Begriff als Pfarrer nah Altitetten bei Zürich überzufiedeln. Er 
gehörte zu den älteſten Freunden Iſelins, obſchon fie einander noch 
nie gejehen hatten. Seine Yrau: Barbara Meyer, geitorben 1780. 

Schinzens Bater: Hans Rudolf Schinz, 1705 —1760, ohne Amt. 


154 


Bodmer: Johann Jakob Bodmer von Zürid, 1698-1783, 
Profeſſor der vaterländiihen Geſchichte am Collegium in Zürid, 
Schriftiteller, einer der Führer und Kämpfer in der deutſchen 
Literaturbewegung des 18. Jahrhunderts im Verein mit feinem 
Freunde Breitinger. 

Testament politigque du cardinal Alberoni: Giulio Alberoni, 
Sohn eines Gärtners, 1664-1752, Kardinal und ſpaniſcher Staats: 
minifter. Le Testament politique ift nit von Alberoni, jondern 
von Maubert de Conveſt (Lauſanne, Bousquet 1753). 

Histoire de la Confederation helvetique de Watteville: 
Alerander Ludwig von Wattenwil von Bern, 1714—1780, Land⸗ 
vogt zu Nidau 1752, Oberfommandant des Münjtertales 1758. 
Seine Schweizergefhidhte wurde von Uriel Yreudenberger ins 
Deutſche überjegt und 1754 zu Bajel gedrudt. Er war Mitglied 
der helv. Gejellihaft und 1780 der Antiquariihen Gejellihaft zu 
Bafel. 


3u Seite 1%. 


Venner Imhof: Georg Imhof von Bern, 1679—1765, viel- 
fach als Gejandter verwendet, ftarb Tinderlos. 

Venner Kreüdenreih: Abraham Freudenreich von “Bern, 
1693—1773, ebenfalls öfters Gefandter. 

Venner waren PBannerträger, von jedem der vier Stadiquar- 
tiere einer; mit der Zeit hatten fi) die Wahlart und Befugnifje ver- 
ändert. Ein Benner mußte Mitglied des kleinen Rates fein und 
wurde auf vier Jahre gewählt, Hatte fi aber jedes Jahr einer 
Neuwahl zu unterziehen. 

Sprengens Pjalmen: Johann Jakob Spreng von Bajel, 1699— 
1768, urfprünglih Theologe, 1743 außerordentlier Profejlor der 
Beredjamfeit und der deutihen Sprade, 1746 Prediger der Waijen- 
hauskirche und 1762 Profeſſor der griehiihen Sprade. Geine 
Meberfegung der Palmen Davids auf die gewöhnliche Singweije 
war 1741 in Bafel im Drud erfchienen. 

von Hallern: Albrecht von Haller von Bern, 1708—1777, der 
berühmte Dichter der „Alpen“. 

Gecretarius Lerber: Johann Rudolf von Lerber von Bern, geb. 
1716, Stadtſchreiber 1760, Landvogt zu Werdon 1771, Statthalter 
von Edallens 1780. 

Graffenried: Bernhard von Grafenried von Bern, 1691—1764, 
Landammann im Thurgau, Benner. 


Zu Seite 10. 

der Cartaus: Ittingen. 

Cafpar Bernet: Hans Kaſpar Bernet von St. Gallen, 1698— 
1766, jpäter Bürgermeifter in St. Gallen 1752—1764, in weld 
legterm Jahr er fein Amt infolge Altersbejchwerden niederlegte. 


155 


3u Seite 104. 

Rahtsjubftitut von Zürih: Hans Heinrich Landolt von Zürich, 
1721—1780, diente von der Pike auf und bradte es bis zum 
Bürgermeilter der Republit Züri, 1778—1780. Ein verdienter 
Staatsmann. 

Tagſazzung: Die Verhandlungen der Gemeineidg.-Tagjagung 
zu Srauenfeld anfangs Juli 1754 find abgedrudt in Band 7, 
Abt. II, ©. 133f. der Eidg. Abſchiede. Die Seffion begann am 
1. Juli und dauerte nebft den getrennten Sigungen der reformierten 
und katholiſchen Stände bis zum 4. Juli. Am 4. vormittags war 
die Protofollausfertigung (Bafel zahlte für fein Exemplar 24 
Pfund), und an den nädjiten Tagen bis zum 19. Zuli wurden die 
weitläufigen Gejchäfte der Jahresrechnung ꝛc. des Thurgaus erledigt, 
an denen Bajel, Schaffhaujen und Appenzell keinen Teil Hatten. 
Deshalb verließen die Basler Gefandten jhon am 4. Zuli nad: 
mittags Frauenfeld. — Band Eidgenoſſenſchaft K 15 des Basler 
Staats-Archivs enthält interefjante Notizen von der Hand des Oberft 
Iſaak Burdhardt über die ganze Reife. 

Der Landovogt von Frauenfeld: Fridolin Zojeph Haujer von 
Glarus, alt Landammann und Tagjakungsgefandter. 

Zandichreiber von Frauenfeld: Ludwig Wolfgang von NReding 
von Schwyz; geitorben 1760. 


3u Geite 10. 

Leu: Hans Jakob Leu von Züri, 1689-1768, Bürgermeilter 
von Zürih 1759—1768, Herausgeber des befannten Schweizertihen 
Lexikons, ausgezeichneter Yinanzmann, Gründer des obrigkeitlichen 
Geldverwaltungsinititutes (1754) unter dem Namen Leu & Lie. 

Simmler: Joſias Simmler von Züri, 1530—1576, Theologe 
und Hiltorifer. Der obgenannte Hans Jakob Leu veröffentlichte 1722, 
vermehrt und verbefjert 1735, mit Anmerkungen verjehen nad) der 
deutihen Ueberjegung von 1645 Simmlers Hauptwerk: De repu- 
blica Helvetiorum unter dem Titel: Bon dem Regiment der löb— 
lichen Eidgenofjenjhaft zc. 

Sindicat: Unter den Symdilaten verjtand man die Abord- 
nungen der regierenden Stände in den gemeinen Herrichaften zur 
Abnahme der Jahrrehnung und Bejorgung von allerlei Geſchäften, 
wie Appellationen ꝛ2c. In Baden und Frauenfeld ſchloß jih das 
Syndikat an die Jahrrehnung der allgemeinen Tagjakung an, 
wenn es paßte, und dauerte oft länger als die leßtere. In diejem 
Halle waren die Syndifatsherren zugleih Tagſatzungsgeſandte. An 
andern Orten waren bejondere Syndilatsherren. So war 3. B. im 
Sabre 1757 Iſaak Iſelin Syndikator in den vier ennetbirgijchen 
Bogteien. 1 

Bremitr. Eicher: Johann Kaſpar Eicher von Züri, 1678— 
1762, Bürgermeijlter von Züri 1740-1762, ein ausgezeichneter 
Staatsmann und hochgebildet. Cr Hatte 16 Kinder, von denen 


156 


aber die Söhne alle früh wegitarben. (Seine ſchöne Biographie im 
Stammbud der Eicher). 


3u Seite 106. 

Gein Großfohn, Hans Kaſpar Eicher 1731—1781, war der 
Sohn feiner Tochter Dorothea, 1706—1765, verheiratet mit Johannes 
Eicher zum Grunditein, 1704—1765, jeit 1753 Landvogt zu Kyburg. 
Der junge Eicher brachte es nicht weit im Staatsdienit; er wurde 
Landſchreiber zu Ermatingen. Sm Jahre 1765 gab er fein zürder- 
iſches Bürgerredt auf, ging nad Berlin und jtarb zu Erlangen. 

Str. Schwerzenbadh: Hans Jakob von Schwerzenbach von 
Züri, 1701—1778, war jeit 1752 Statthalter des Bürgermeijters, 
wurde fpäter Mitglied des Geheimen Rats und Obmann, un: 
gefähr dem Basler Deputatenamt entjpredhend, öfters Gejandter. 

Sein Sohn: Es könnte in Betracht fommen Hans Ulrich, 1727 
bis 1787, in verjhiedenen Yemtern, 1780 Amtmann zu Stein am 
Rhein, ein tühtiger Mann. 

Stadtijhreiber Joſua Hofer: von Mühlhaufen, 1721—1798, 
ftudierte in Bajel die Rechte und erwarb ſich den Lizentiatentitel; 
oom Jahre 1748 bis zu feinem Tode war er Stadtſchreiber. Er 
ftarb kurz nad) Anſchluß der Stadt an Frankreich. Vergeblich hatte 
er ih für eine Bereinigung Mühlhaujens mit der gejamten Eid- 
genofjenihaft abgemüht. 

GSeparatiften: Es Handelt fih um die Verfolgung der Herren: 
Huter in Bajel im Jahre 1754, aljo um ein aktuelles Thema. Zu 
vergleichen: Die feparatiftiihen Strömungen in Bajel im 18. Jahr: 
Hundert, Dilfertation von Ernſt Rud. Grob. 


3u Seite 107. 

Haubtmann Nüfcheler: fünnte Hans Rudolf Nüſcheler von 
Züri fein, 1717—1780, Quartierhauptmann im Lande. 

Schwerzenbach, Eſcher: find natürlih die jungen Herrn ge: 
meint. 

Obmann Nabholz: Hans Ulrich NabHolz von Zürich, 1667 
bis 1740, Ratsherr und Obmann, ſpielte eine Hauptrolle in den 
Toggenburgerwirren und im Toggenburgerkrieg 1712, ein höchſt 
merkwürdiger Mann, der noch viel zu wenig bekannt iſt. 

Zu Seite 108. 

Gasmann: die Gaßmann, eine angeſehene Familie in Solo—⸗ 
thurn. | 

3u Geite 111. 

Namen der Chrengefandten: Iſelins Verzeichnis ftimmt nicht 
ganz mit dem gedrudten; es handelt fih aber nur um kleine Ab⸗ 
weichungen, die ich hier nicht erörtern will. 

3u Seite 113. 

Histoire du siöcle de Louis XIV: von Voltaire, war im Jahre 
1751 erſchienen. Der Literat Ya Beaumelle, 1727—1773, hatte 1753 


157 


einen Rahdrud mit Anmerkungen, die ihm die Feindſchaft Vol— 
taires zugezogen, herausgegeben. 

Droit d’aubaine: das Redt des Königs auf die Hinterlaffen- 
haft nicht naturalijierter Fremder. In den Verträgen mit Franf: 
reih waren die Schweizer davon ausgenommen; man hatte aber 
fortwährend Anlaß zu Reklamationen von reformierter Geite. Erft 
1771 wurde endlid durch einen förmlichen Vertrag mit den refor- 
mierten Ständen diejes Recht des Einzugs aufgehoben. 

ewige ride: Der ewige Friede, die Grundlage aller ſpätern 
tsriedensverträge, wurde am 29. November 1516 zwilhen Frank— 
rteih und den Eidgenofjen nebjit Graubünden, Wallis und Mühl: 
haufen in Freiburg abgeſchloſſen. 

9. von PBaulmi: Antoine Rene de Voyer d’Argenson, marquis 
de Paulmy. 1722—1787, war vom 3. April 1749 bis zum 11. März 
1752 franzöfiiher Gejandter in der Schweiz, ſpäter Minilter, ein 
Freund der Willenihaften und der jchönen Literatur. Iſelin Hatte 
während feines Aufenthaltes in Paris (1752) vergeblich verfudt, 
ih ihm zu nähern. 


Zu Seite 115. 

Botihafter: Theodore de Chavigny 1753—1762 franz. Ge: 
jandter in der Schweiz, galt als einer der gewiegteften Diplomaten 
von Europa. 


Zu Seite 117. 

Buchbinder Denzler: aus angejehenem Geſchlecht. Ein Bor: 
fahr rettete das Banner von Züri in der Schladt von Kappel 
(1531). Einzelne Buhbinder waren damals, wie zum Teil heute 
noch, Berlagsbuhhändler, namentlih von Zeitſchriften. 

Heidegger: Tohannes Heidegger von Züri, berühmter Bud: 
druder und Buchhändler, geit. 1768. 

Shinzens Better: wahrjheinlih Johann Heinrih Schinz von 
Zürich, 1727—1792, ein jehr gebildeter Kaufmann, ein Verehrer 
Klopftods und Wielands, Mitbegründer der Helv. Gejellihaft, ge- 
langte mit der Zeit zu höhern Staatswürden, war 1777 Tag: 
laßungsgejandter und bradte es 1789 bis zur Statthalterwürde. 

Erridtung des 3. franz. Regimentes: das neue Regiment in 
franz. Dieniten wurde 1752 errichtet und hieß nah dem Oberiten: 
Regiment Lohmann. 

Stadthaubtmann Landolt: David Landolt von Zürid, 1701 
bis 1774, Stadthauptmann im Jahre 1752, des geheimen Rats 1759. 

Gein Sohn David, 1725—1777, erhielt 1752 eine Grenadier- 
fompagnie mit Oberjtleutnantstang im Regiment Locdhmann. 

Dbmann Landolt: Hans Kajpar Landolt von Züri), 1702 bis 
1781, Bürgermeilter von 1762—1778. 

Zunftmeijter Ulrih: Hans Kafpar Ulrih von Züri, 1708 
bis 1778, Zunftmeilter 1750, Bauherr 1753. Er wohnte im Bau- 
haus, in einem 1583 gleih an dem Ausfluß des Sees in die Stadt 


158 


auf der Iinfen Seite der Eleinen Stadt erbauten „Iuftigen“ Haus; 
er hatte die Auffiht über die obrigfeitlihen Gebäude. 

v. Salis: Gaudenz von Salis, 1708-1777, wurde 1750 Bun: 
deslandammann der X Geridte, Großvater des Dichters. Iſelins 
Bater erjheint uns nun dod in einem befjern Licht. 

Oberitzunftmeiiter Fäſch: Johann Rudolf Fäſch von Bafel, 
1680—1762, Oberjtzunftmeifter 1735, Bürgermeiſter 17601762, 
Großvater der Helena Forkart, der zukünftigen Gattin Iſelins. 


Zu Seite 118. 
Semeiter: Urlaub. 
Palais royal bet der Sortie de l’opera: in Paris. 


3u Seite 119. 

Langhans: Daniel Langhans von Bern, 1730—1813, Iſelins 
Stidienfteund in Göttingen, Dr. Med. Stadtphufitus von Bern. 
SHriftiteller: Beſchreibung verjhiedener Merkwürdigkeiten des 
Simmenthals, nebit einem Bericht über eine neue anitedende Krank⸗ 
heit, die in diefem Lande entitanden. Züri, Anno 1753. 


Zu Seite 1%. 

Breitinger: Johann Jakob Breitinger von Züri, 1701—1776, 
Profeſſor der griechiſchen und hebräiſchen Sprade in Züri, Freund, 
Mitarbeiter und Kampfgenoſſe in den lit. Gtreitigleiten Bodmers. 

ingenuam diceres ete.: lateiniſches unbefanntes Zitat, auf 
deutih: Wirklihe Höflichkeit und Lebensart fann man nur die 
beißen, welche von wahrer Menihlichkeit ſtammt. 

Erdiaconus Wettftein: Johann Jakob Wettjtein von Baſel, 
1693—1754, war von 1720—1730 Diakon oder Helfer ſeines Vaters 
Top. Rudolf, Pfarrer zu St. Leonhard. Er geriet in theologiſche 
Streitigfeiten, wurde feines Amtes entjeßt und begab fih nad 
Amjterdam, wo er Profeſſor an der theolog. Hochſchule der Remon⸗ 
itranten wurde. Er machte fi verdient durch die frit. Herausgabe 
des griechiſchen N. Teft. Er ftarb am 20. März 1754 unverbeiratet 
in Amjterdam. Er war ein Märtyrer der beginnenden Aufllä- 
rung (Hagenbad). 


3u Seite 121. 

Dtt, Schwerdwirt: Matthias Ott von Züri), 1718—1766, Ritt⸗ 
meijter, 1764 Mitglied des großen Rates, aus ſehr angejehener 
Familie, Befiker und Wirt des berühmten Gajthofs zum Schwert, 
der befanntlih noch heute im Betrieb tft. Ott Bat mehr als vor- 
nehmer Herr, denn als Geihäftsmann die Wirtichaft betrieben. Er 
Binterließ bei feinem Tode den Gajthof mit einer Schuldenlaft von 
etlihen und 60000 Fr. 

Schmelzer: Gebhard Auguſt Schmelzer, nad der Allg. D. 28. 
geb. 1733, was nicht gut möglich iſt, gejt. 1798, Theologe, Studien- 
genofje Sjelins in Göttingen. Im Jahre 1749 fam er nad) Bajel, 
um Handidriften des griehifhen Teſtaments zu einer Difjertation, 


159 


die 1750 in Göttingen erſchien, zu ftudieren. Es ift anzunehmen, 
daß er Bodmer in Züri befudte. Cinige Briefe von ihm find in 
unfrer Sammlung. 

Gottihed: Johann Chriftoph Gottjhed, in der Nähe von 
Königsberg geboren, 1700—1766, Profeſſor der Poefie und dann aud 
der Logik und Metaphyfit an der Univerfität Leipzig, ein viel- 
feitiger Gelehrter und Dichter, der lange verfannt und bejonders 
von Leffing und den Schweizern heftig angegriffen wurde, in neuerer 
Zeit wieder eine gerechtere Beurteilung findet. 

3u Seite 12. 

Profeßor Ulrih: Hans Jakob Ulrih von Züri, 17141788, 
war feit 1744 Profefjor des Naturredhts am obern Collegio, 1764 
Chorherr und PBrofefjor der Theologie, ein gelehrter Mann. Gebr 
mertwürdig ift, was er von feinem Zujammentreffen mit Dr. Huber 
von Muttenz, reſp. Bajel, jagt. Wernhard Huber, 1700-1755, machte 
1724 den Dr. Juris, hatte fein Amt, fondern zog ji jpäter als 
Privatgelehrter nah Muttenz zurüd. Er war eine bedeutende Ber- 
lönlichkeit, ein Philojoph, in deffen Bann Sfelin nad feiner Rüd- 
fehr aus Göttingen einige Fahre lang ftand; jpäter rüdte er von 
ihm ab. Hubers Schwiegervater, Oberjtzunftmeijter Hans Heinrich 
Bed, 1687—1735, erhielt diefe Würde im Juni 1734 und ftarb im 
Auguft 1735. Die Begegnung fällt a vermutli in den Herbft 
1734. 

3u Seite 129. 

Kandidat oder Pfarrer Heß: wahrfüeinfic der Profeſſor Hans 
Kajpar Heß, geb. 1727. 

Hirzel: Salomon Hirzel von Züri, 1727—1818, ward 1753 
Ratsjubititut, 1762 Stadtſchreiber, 1783 Standesjedelmeilter und 
gelangte hiemit zum zweithöchſten Staatsamt der Republik, einer 
der vorzüglidäiten Staatsmänner der Schweiz, hocdhgebildet und ge- 
lehrt, Mitbegründer der Helv. Gefellfhaft, einer der intimjten 
Freunde und ein großer Bewunderer Iſelins. Er ſchrieb nad) Iſelins 
Tod (1782): „Dentmahl Iſaak Iſelin“, das Schönjte, was jemals 
über Sielin geihrieben wurde. Ihr hochbedeutender Briefwechlel 
harrt noch immer der Beröffentlihung. 

Obmann Blarer: Hans Blarer von Zürid, 1685 —1757, Rats: 
Kar und Obmann, ein feiner und hochgebildeter Mann, guter 

atriot. 

Pfarrer Breitinger: Johannes Breitinger von Zürich, 1701— 
1756, Pfarrer zu St. Beter feit 1750. Am 2. März 1755 traf ihn 
der Schlag auf der Kanzel, geft. 14. Febr. 1756. 


Zu Seite 1. 
woppene Mäntel: Mäntel mit eingemobenen- Wappen — Familie. 
Zu Seite 125. 


Schinzens Bruder: vermutlich Salomon, 1734-1784, im Jahre 
1754 noch stud. med.,fpäter Arzt, Chorherr und vrofeſſor in Zürich. 


160 


3u Seite 12%. j | 

Heidegger: Johann Konrad Heidegger von Zürich, 1710—1778, 
wurde 1768 Bürgermeifter, einer der größten Staatsmänner der 
Schweiz. 

Tractat des Königs von Sardinien mit Genf: Es handelte fi 
um bedeutende Grengberichtigungen. Der Vertrag wurde am 3. Juni 
1754 in Turin abgeſchloſſen, am 13. von Genf und am 15. vom 
König Karl Emanuel I. ratifiziert! Anfangs Juli beſaß Züri 
Ihon eine Abichrift und ſchickte eine jolde am 6. Juli nad Balel, 
wo fie noch auf dem Staatsardiv Tiegt. Der Erbprinz und jpätere 
König hieß Viktor Amadeus. 


3u Seite 127. 

Klopftoffens Streitigkeiten mit Bodmer: Der Dichter Friedrich 
Gottlieb Klopitod, 1724—1803, fam am 23. Suli 1750 mit Sulzer 
und Schulthek in Züri an und wohnte bei Bodmer, fiedelte aber 
Ihon im September zu Rahn über, verließ Zürih Mitte Februar 
1751. Alles ausführlich bei Mörikofer. 

Iliacos intra muros peccatur et extra. Horaz I. 2. 16. Grade 
wie drinnen in Slions Burg wird draußen gefrefelt. 


3u Seite 18. 

Sulzer: Johann Georg Sulzer von Winterthur, 1720—1779, 
Aeſthetiker, Philofoph und Schulmann. Urſprünglich Theologe, dann 
Hauslehrer in Magdeburg, wurde er 1747 Profeſſor der Mathematit 
am Joachimsthal'ſchen Gymnafium in Berlin, 1763 an der neu- 
begründeten Nitterafademie. Mitglied der Zönigl. Akademie der 
FA Sein Hauptwerk: Allgemeine Theorie der ſchönen 

nite. | 

Lebbäus: einer der zwölf Apoſtel, erfheint im dritten Gejang 
der Meſſiade von Klopftod, deſſen Abbild er fein fol. 

Anafreon, griechiſcher Lyriker, Sänger des Weins und der 
Liebe. Seine Nahahmer: Hagedorn, Gleim, Uz, Ewald von Kleift 
u. a. nannten ſich Anafreontifer. 


3u Seite 1%. 


Rahn: Hartmann von Zürich, 1721—1795. Manufalturijt, der 
eine neue Art, auf weiße Seide farbige Mufter zu druden, erfunden 
hatte, begeijterter Verehrer Klopftods. Er folgte ihm nad) Kopen⸗ 
hagen, heiratete dejjen Schweiter Johanna Vittoria und gründete 
eine Seidendrudfabrit, Hatte aber damit fein Glüd. Er fehrte 
Ipäter nad Züri) zurüd, erhielt das einträglihe Amt eines Wag- 
meilters und kam ſchließlich Doch nod zu Wohlftand. Seine einzige 
Toter Johanna wurde die Gattin des Philoſophen Fichte. 


3u Seite 130. 


Gesner: Salomon Geßner von Züri, 1730-1788, Buchhänd- 
ler, Maler und Dichter. Daphnis, ein Schäferroman, war eben 
(1754) erſchienen. Am befannteften ift Geßner als Idyllendichter. 


161 11 


3u Seite 131. 

Klopftots Gebeter: „Drei Gebete eines Freigeiſtes, eines Chri- 
ften und eines guten Königs“ (gemeint ijt Friedrich V. von Däne- 
marf) erſchienen anfangs 1753 anonym in Hamburg. Hierauf 
erfdien einige Wochen jpäter, ebenfalls anonym, die von ielin 
erwähnte Parodie; nur war fie nidt von Treuer, jondern von Jo⸗ 
Hann Matthias Dreyer, 1716—1769, einem witigen, aber ſcham— 
loſen Reimſchmied. — Auch Chriftoph Martin Wieland, 1733—1813, 
ahmte die beiden erften Gebete Klopftods fofort nad in dem „Gebet 
eines Freigeiftes“ und in dem „Gebet eines Chrijten“ (Munder, 
Fr. 6. Klopitod). Wieland lebte 1754 in Zürid. Iſelin Hatte 
vergeblich gejucht, feine Bekanntſchaft zu maden, erjt einige Jahre 
ipäter fam er mit ihm in einen kleinen Briefwedhjel. Wielands 
Briefe find gedrudt, die feinigen fehlen. 

Blarer, Sohn: Hans Ulrich Blarer, geb. 1717, war 1754 Land- 
vogt von Wädenihwil, brachte es bis zum geheimen Rat. 

Zu Seite 132. 

Bürgerm. Fries: Tohannes Fries, 1680-1759, Bürgermeilter 
von Züri) 1742—1759, Gejandter auf Tagjagungen ıc. 

Contenti simus hoc Catone oder, wenn man will, his Antoniis. 
’ Geien wir zufrieden mit diefem Cato, d. h. mit diefem Manne 
von altrömiſcher Sittenitrenge.. Wenn Iſelin das Zitat erweitert: 
„oder, wenn man will, his Antoniis“, jo ift wohl für Antoniis 
„Antoninis“ zu leſen und zu überjegen: oder, wenn man will, mit 
dieſen Antoninen, d. 5. diefen Männern von der Bortrefflichkeit 
der beiden römilhen Kaiſer Antoninus Pius und Mark Aurel. 

Zu Seite 133. 

Wilhelm Tell: Ueber W. T. jehreibt Iſelin an Frey: On m’a 
montr6 dans un des arsenaux de Zuric (car il y en a quatre) l’arc 
de ce c&l&bre heros avec autant de veneration qu’on montre dans 
celui de Bruxelles ou d’Aix-la-Chapelle l’&pee de Charlemagne. Je 
me gardai bien de ne rien laisser echapper de mon pyrhonisme 
devant le concierge. Il n’aurait pas entendu badinage. 

Bucentaurus: Staatsihiff im alten Venedig. 

3u Seite 134. 

Hinderhof: Der Hinterhof (Hinderhof) Hatte feinen Namen 
von dem ehemaligen Lehensträger dem zu Baden jeßhaften Bürger: 
geſchlechte „Schinder”, daraus wurde jpäter „Hinder-“ und ſchließlich 
Hinterhof. Er gehörte Jahrhunderte Iang der Familie Dorer bis in 
die neueite Zeit, umfaßte ein großes Areal und erlitt im Laufe der 
Zeit große Veränderungen. An feine Stelle wurde 1883 ein fom- 
fortables Hotel gebaut: die neue Kuranftalt. Näheres bei rider. 

Deutjhe Baron: er hie Baron von Hanef. 

Ser. Grebel und Toter: eine bejtimmte Angabe faſt unmög- 
lid. Ein Amt muß er nicht beſeſſen haben, ſonſt hätte es Iſelin 
angegeben. 


162 


Die Legrandin: Anna Maria Legrand, geb. Harſcher, 1734 
bis 1753, Gattin des Gerichtsherrn Daniel Legrand, 1728—1766. 

Landſchreiber Heidegger: Hans Heinrich Heidegger von Züri), 
1711—1763, feit 1745 Landſchreiber zu Baden, wurde 1754 Zunft: 
meilter, in verſchiedenen Beamtungen tätig. 

Pfarrer Pfenninger: Hans Kaſpar Pfenninger von Züri, 
1712—1768, Diakon, wurde 1768 Pfarrer am Fraumüniter; fein 
Sohn Johann Konrad, 1747—1792, Pfarrer zu St. Peter, der 
Freund Lavaters. | 

Zu Seite 18. 

Sigmund Ludwig von Lerber von Bern, 1723—1783, wurde 
1748 Profeſſor der Rechte zu Bern. Sein Werf Librum de legis 
naturalis summa erjhien 1752 in Zürid). 

Haüslerin zum Fuchs: Antoinette Katharina geb. Burdhardt, 
1687—1760, in zweiter Ehe mit 3. 3. Häusler, des Rats, verhei- 
tatet, früh Witwe. In einer Hausangelegenheit von 1743 wird 
fie Frau Häuslerin zum „Fur“ genannt. Das Haus „zum Fuchs“ 
(Stadthausgafje 5) verkaufte fie 1753 an Emanuel Stähelin, 
den Handelsmann. | | 

Täfelein: Ueber das „Täfeli“ jchreibt David Heß im Sabre 
1817: Alle Honoratioren, einige ſchon gepußt, andere noch in der 
ausgejudtejten Morgenkleidung, verjammelten ſich gewöhnlid vor 
dem Ejjen im Hinterhofe an einem kleinen runden fteinernen Tiſch, 
das „Täfeli“ genannt, wo fie in der Regel ſich au nad) der Mahl- 
zeit wieder einzufinden pflegten. Hier ward mit Gemütlichkeit 
alles in die Länge und Breite beihwaht, feine Neuigkeit unbehan- 
delt gelafjen und mander ſinnreich und fein verblümte Scherz ge: 
wagt und angehört. | 
Ser. Rahtſchr. Wyß: vielleicht der Landvogt David von Wyß, 
jedenfalls nicht der |pätere berühmte Bürgermeilter David von Wyß 
(der Xeltere),1737—1815. 


3u Seite 1836. | 

Drtmann zum Fuchs: wahrjheinlid Andreas Ortmann, 173 
bis 1799, jeit 1751 Gerichtsherr, fpäter Ratsherr und geheimer Rat. 

ein Wetitein: Die jungen Wettftein 3. Eder, St. Zohannvorftadt. 


3u Seite 137. | 

Fürſt von Deſſau: Fürft Leopold von Anhalt-Deffau, 1676— 
1747, Feldmarſchall, eine populäre Figur, wie ſpäter Blücher, unter 
dem Namen „der alte Defjauer“ überall bekannt. 


3u Seite 138. 

Auf der Matte: Diefe Matte gehörte zum Hinderhof, war 
aber laut Tagjagungsbeihlug vom Zahre 1424 ein für jedermann 
offener Spiel- und Beluftigungsplaß, an der Limmat gelegen. Um 
die Verjhönerung der Matte machte fih gegen Ende des XVII. 
Jahrhunderts bejonders der Oberſt Burkhardt aus dem Kirfch- 
garten von Bajel verdient. Ä 


163 11° 


Zwei Landolt: die Schweitern Landolt, die ältere Lijette, 
die jüngere Küngolt, die Hauptperfon des Tagebudes, in die fid 
Iſelin verliebte, aus jehr angejehener Yamilie aus Zürid. Ihr 
Bater, Hans Kalpar Landolt, 1708-1751, war Oberjtadtarzt in 
Zürich gewejen. Sein Sohn Matthias, 1735—1787, Dr. Med. war 
in fpätern Jahren praftifher Arzt in Bern. Vom tit. Stadtardiv 
Züri) erhielt ic über die beiden Schweſtern noch folgende ver- 
dantenswerte Mitteilungen: Elijabeth ijt geboren 6. Oktober 1731, 
geftorben?  Küngolt ift geboren 10. Juni 1736, heiratete 10. No: 
vember 1763 Lorenz Wetter, Landammann zu Herisau und ftarb im 
März 1793. 

Lorenz Wetter, 1726—1793, wurde 1772 Zandammann und 
blieb es bis zu feinem Tod. Er hinterließ nur eine Tochter. 


3u Seite 14. 

Mättelein: nicht zu verwechſeln mit der Matte: Tleine Na⸗ 
turwieſe an der Limmat mit ſchattigem Gehölz, welche Iſelin die 
bezauberte Inſel nannte. 


Zu Seite 141. 

Espion turc: l'Espion du Grand Seigneur dans les cours des 
princes chretiens ete. von Jean Paul Marana (1642—1693), eine 
Standaldronit in vielen Bänden, jpäter noch fortgejet. 


Zu Seite 12. 

Ulrich: Heinrich Ulrih von Züri), 1724—1785, war 1751—1767 
Pfarrer der reformierten Kirche in Baden. 

Zandichreiber Stekk: Emanuel Sted von Bern, 1688—1772, 
war 1744 LZandichreiber im Rheinthal. 

Frei: Gemeint ift Sjelins Herzensfreund Johann Rudolf Frey 
von Bafel, 1727—17%9. (Die Geburtszahl 1729 auf ſeinem ſchönen 
Grabftein im Kreuzgang des Münfters iſt, wie ich nachweiſen kann, 
faljh.) Frey war jeit feinem 12. Jahr in franz. Dienſten, brachte 
es bis zum Oberitlieut. und zog fih um die Mitte der adjtziger 
Sabre nad feiner Vaterjtadt mit einer PBenfion von 4400 L. zu: 
rüd. Er war ein hochgebildeter Mann, der ſich aud) als Schrift: 
fteller einen Namen gemadt hat. Der großartige Briefwedjel 
der beiden freunde, das Ihönjte Denkmal einer Männerfreundſchaft, 
meijt franzöfilh, wartet auch no auf eine Bearbeitung. Frey war 
im Sahre 1754 capitaine-aidemajor im Schweizerregiment Boccard. 
M. Zub Hat eine Lleine, ziemlih genaue Biographie, gibt aud) das 
Geburtsjahr richtig an. 

Speluncam Dido dux et Troianus eandem ®Bergil. Wen. 4. 165. 
Dido und der Führer der Trojaner fommen in die gleihe Höhle. 


3u Geite 14. 
Die kleine ſchwarze Landolt: Iſelin nennt fie fo, weil fie 
Trauerfleider trug; fie war brünett (aus einem Brief an Frey). 


164 


Bahofens Geſangbuch: Hans Kaſpar Bachofen von Züri, 
.1697—1755, Cantor an den Zürderjhulen und am Großmüniter. 
Seine Lieder wurden bis in die neuere Zeit auch bei uns, nament- 
lich auf der Landihaft, mit Vorliebe gejungen. 

3u Seite 144. 

Hagedorn: Yriedrih von Hagedorn, 1708-1754, neben Haller 
der Lieblingsdichter des jungen Sjelin, war GSefretär einer Ham- 
burger Handelsgejellihaft.. Treuer (Dreyer), ſchon erwähnt; de 
Bar : Georg Ludwig von Bar, 1701—1767, gilt als der beite franz. 
Diter unter den Deutſchen; der junge Denner: wahrſcheinlich 
der Sohn des berühmten’ Borträtmalers Balthafar Denner von 
Hamburg. 

qui Curias simulant et bachanalia vivunt aus Juvenal 2. 2. 
welche fidh für Curier ausgeben und fi den größten Ausichweifungen 
hingeben. 

Zu Seite 147. 

Amtmann Heb: Hans Ulrih Heß von Züri geit. 1778, Amt: 
mann des Stiftes Schännis. 

Roht: Samuel von Rodt aus Bern, feit 1722 Hofichreiber zu 
Königsfelden. | 


3u Seite 148. 

Der Canzler von Einfiedeln: Karl Dominik Jütz von Schwyz, 
1697—1777, ein Laie, wird ſchon 1726 als Kanzler des Stifts Ein- 
fiedeln erwähnt; 1756 wurde er Landammann und 1757 Pannerherr 
von Schwyz, viele Jahre Tagſatzungsgeſandter. 

Sfr. Schulteis: Ueber dieje fchöngeiftige Jungfer Schultheß 
fonnte ih nichts Weiteres erfahren. Sie darf nit mit der Frau 
Barbara Schulthek, geb. Wolf (1745— 1818), der Freundin Lavaters 
und Goethes, verwedjjelt werden. 

Zu Seite 14. 

Pièces &chappees du Feu: eine Sammlung anonymer oder 
pſeudonymer Stüde in Poefie und Profa. 

Zu Seite 150. | j 

La Mossiade: von J. B. Roufjeau, 1670—1741. 

Briefe von Holberg: Yudwig, Freiherr von Holberg, 1684 bis 
1754, berühmter däniſcher Dichter. Cpifteln 1748-54, 5 Bo. 

3u Seite 151. 

ein von Hardenberg: ein Zweig der Yamilie Harder aus 
Schaffhaufen jtand in fürftenbergifhen Dienften und nannte fih von 
Hardenberg; aus dieſer Familie jtammt der erwähnte Offizier. 

3u Seite 13. 

Hervey: James Hervey, 1714-1758, engliſcher Theologe und 
Shriftiteller, ein Nahahmer des Ed. Young, 1681—1765, des Ber: 
faffers der „Nachtgedanken“. 


165 


Zu Seite 153. 

alte Bondermühle: Johann Vonder Mühll, 1695 —1774, Han: 
delsmann und Beiſitzer des Stadtgerichts. 

zärtlihften Empfindungen: Am 22. Juli 1754 ſchrieb Iſelin 
einen Brief an Küngolt Landolt, der zwar nit mehr vorhanden, 
den er aber auszugsweije feinem Freunde Yrey mitteilte. 

Der Paſſus lautete: Als ich meine ſchöne Baterjtadt von 
weitem erblittte, als id mich wider in unſern glüfkjeligen Gegen- 
den befand, jo wurden meine Empfindungen wider lebhafter und 
diles fo ſehr, daß ih wie außer mir ſelbſt mein Baterland auf 
dile Weile anredte: Reizzende Gegend, die der Himmel mit allen 
feinen Gütern gefegnet und mit allen feinen Schönheiten ausge- 
ſchmükket! Schöne Stadt! Siz des Yridens, die du die Zierde des 
Landes und der Schuz deßelben biſt. Süßes Vaterland! Warum 
Iheineft du mir nit mehr jo ſchön als ehmals, warum nähere id 
mid dir nit mit ebendemjelben Vergnügen wie ehmals, da 
ih den Augenbliff nicht erwarten konnte, da ich dich erreidhete? 
Warum fürdte ih izzund gleihjfam anzulangen. Ich empfinde es 
Ihon, ih) werde nun nit mehr mit eben demjelben Bergnügen 
wie ehemals in deinen Mauern wohnen, weil du dasienige darin- 
nen nicht beſizzeſt, was mid alleine zu rühren fähig if. IH 
werde wol beitändig dein Bürger und dein Bewohner bleiben, weil 
das Schikſal mid) mit feinem harten Sprud dazu verurteilt Hat. 
Allein meine Wünſche und meine Gedanken werden alle nad der 
glüfkjeligen Stadt gehen, weldhe die reizzende Landolt bewohnt und 
zieret ac. (Sjelin an Frey, 24. Juli 1754). 


Shlußwort: Sjelin tonnte die „Eleine Schwarze“ noch Tange 
nicht vergefjen, aber bei dem Widerjtand der Mutter und noch mehr 
des Oncle Oberft, des „NRegents“ in der Familie, war an eine 
Heirat mit einer unbemittelten Fremden nicht zu denfen. So judte 
er wenigitens dur einen kleinen Briefwedhjel mit den beiden 
Zandolts feine angenehmen Empfindungen wach zu Halten. Aber 
die beiden Zürderinnen waren feine jehöngeiftigen Naturen und 
gaben ihm höflich, aber bejtimmt den Abſchied. Er jah fih alſo 
wieder bei den Basler „Mägdgens“ um, unter denen es eigentlich 
recht annehmbare gab, und richtig fand er endlich das deal der 
Weiblichkeit, das er in fo vielen Jahren vergeblich geſucht Hatte, in 
Helene Forcart, der Igfr. Stadtjchreiber. Mit ihr vermählte er 
ih anfangs April 1756. Er lebte mit feiner Gattin, feiner lieben 
„Freundin und Frowe“, wie er fie mit Vorliebe in feinen Briefen 
an Frey nannte, in der glüdlihiten Ehe. Er lachte über jeine frü- 
bern „Dohrheiten“ und las zum Beſchluß derjelben den Don Quichote 
des Cervantes. 


166 


Aus den Briefen eines Baslers 
vor bundert “jahren. 
Mitgeteilt von Rudolf Thommen, 


Unter obigem Titel find in dem vorausgehenden Yande 
des Basler Jahrbuchs eine Anzahl von Eduard Ochs, bez. 
His-La Roche, an feinen Zugendfreund Johann Jakob 
Witeft gerichtete Briefe aus den Jahren 1811—1815 ver- 
öffentlicht worden, und obwohl in der Einleitung darauf 
Dingewiefen wurde, dab auch noch aus den folgenden Jahren 
bis 1840 Briefe vorhanden find (f. ©. 252), fo unterblieb 
Doch jede Andeutung, daß die Publikation felbft fortgeſetzt 
werden könnte. Denn es jchien rätlih, das Urteil von 
Lefern über diejen erften Teil abzuwarten, bevor die Ver- 
öffentlichung eines zweiten ernftlich ins Auge gefaßt werden 
durfte. Nachdem aber wenigftens die mir bekannt ge- 
wordenen Yeußerungen ein merfliches Intereſſe auch für eine 
Fortſetzung vorausjegen ließen, möge fie hiemit erfcheinen. 

Wie von den früheren Briefen, fo find auch von dieſen 
Ipäteren nicht alle gedrudt, fondern es ift eine Auswahl ge- 
troffen worden, und wie dort die Vriefe, Die von den ge: 
waltigen, mit dem Sturze Napoleons zufammenhängenden 
Ereigniffen handeln, den eigentlihen Kern der ganzen Reihe 
bilden, ebenfo ergab ſich auch für diefe zweite Serie unfchwer 
ein ſolcher Mittelpunkt in jenen Briefen, die von den ver- 
hängnisvollen Erjehlitterungen der dreißiger Sahre handeln. 
Ihnen konnten dann auch wieder einige andere, in derjelben 
Art und Weife ausgewählte und bearbeitete Briefe angereiht 
werden. Im fibrigen ift, was die dabei befolgte Methode 
und die biographifchen Angaben über den Briefichreiber und 


167 


den Empfänger betrifft, auf die Einleitung zum erften Teil 
zu verweilen (j. Basler Zahrbuh 1916, ©. 249 ff.). Auch 
mag noch bemerkt werden, daß allerdings der Titel der 
Publifation zu diefem Teil, fireng genommen, nicht mehr 
paßt, daß jedoch aus nahe liegenden Gründen von einer 
Aenderung abgefehen wurde. 

Endlich erübrigt mir nur noch, für verfchiedene Beihilfe 
den Herren Ed. Hig-Schlumberger, Oberbibliothefar Dr. 
C. Ehr. Bernoulli, Dr. Auguft Huber und Ludwig Säuber— 
lin, bier, Dr. 9. Herzog und R. Hunziker in Yarau und U. 
Hersberger in Lieftal beftens zu danken. 


Baſel, den 28. Mai 1816. 
1. 

Lieber Wüſt. Reiner von uns beiden fann dem andern 
Borwürfe machen. Sie find wenigftens ebenfo fparfam mit 
Shren Briefen als ich mit den meinigen. Denn feit Ihrem 
legten Hierfeyn babe keine Sylbe von Ihnen gejehen und 
weiß aljo gar nicht, ob der außerordentlihe Trieb zum 
Militär-Stand Ihnen noch ferner erlaubt bat ruhig bei 
Haufe zu bleiben. Indeſſen will ich hoffen, daß, wenn 
der Dumme Streich begangen worden wäre, Sie mich davon 
unterrichtet hätten. Hauptveränderungen müflen wir doc 
einander melden und dann mag unfer Briefwechſel wieder 
ins Stoden gerathen; wir werden Doch gute Freunde bleiben. 
Ich mahe Ihnen alfo die heimliche Anzeige, daß mein 
Schickſal endlih entichieden und ich mich etabliere.. Wo — 
in Liffabon oder Odeſſa werden Sie denken. Rein, in 
meiner lieben Paterftadt. — Am End von diefem Monath 
verlafle ih Hrn. Merian, um bei meinem Vetter, Hr. Be: 
nedict Laroche, einzutreten und mich dann 4 Wochen fpäter 
mit ihm zu afjocieren. Alle meine Verwandten ... . . find 
darüber ſehr erfreuet und auch ich, wie Sie fich wohl vor- 
ftellen können, ergöge mich über den glüdlichen Ausgang aller 
meiner vielen Projecte. — 


168 


Politiihe Neuigkeiten gibt es Feine. Ueber diejen 
Punkt habe Shnen daher nichts mitzutheilen. Leben Gie 
wohl. — | 

Wenn Sie mir fohreiben, fo bitte Ihren Brief an 
meinen Vater zu adreffieren. 

2. 
Bafel, den 15. Auguft 1817. 

— Mein Vater hat ſchon ſeit Anfang des Jahrs 
ſein Haus auf der Schantz verlaſſen und iſt in die Mitte 
der Stadt gezogen; nun laſſe aber dasſelbe für mich arran- 
gieren und will dort ein recht philoſophiſch Leben führen. 
Die Ausfiht ift herrlich und in meinem Alter fcheut man 
ven Weg nicht. — Diele Einrichtungen nebft andern vor- 
gefallenen Gefchäften werden mir nicht erlauben, Ihnen nad) 
der Zurzacher Meile einen Beſuch abzuftatten, da ich aber 
diefe Meſſe wahrfcheinlich alle Jahr zweimal befuchen werde, 
fo hoffe, daß uns Fünftiges Jahr das Schidfal wird zufammen 
führen. — 

Man beichäftiget fih nun hier viel mit dem Militair- 
wefen, befonders mit den Officiers Ernennungen; ich werde 
wahrjcheinlich als Oberlieutenant zu den Auszügern fommen. 
Peter Bischoff als Hauptmann. Dies will ihm aber nicht 
ganz behagen. — 

Bor einigen Tagen babe nun auch ein neues Amt an- 
getreten, nämlich das GSecretariat des Handlungs Comite. 
Es werden da zuweilen ſehr intereffante Gegenftände ver: 
handelt und da der Gecretair voix deliberative hat, fo hat 
mich die Berufung zu diefer Stelle gefreut. — 

Wie geht's mit der Flöte? Ich vernachläffige folche 
ein bischen. — 

Leben fie wohl. 

Ihr Freund 
Eduard. 


169 


3. 
(16. Sber 1817.) 

. . .. Hier beichäftiget fi nun alles mit der neuen 
Militair-Organifation. Die Uniformirung giebt befonders 
viel zu thun. Einige wollen dunkelblau mit heiterhellen Re- 
vers und Hofen; andere behaupten, es fey zu tod und be- 
barren auf rothbe Revers. Heute fol nun diefer wichtige 
Punft von unferm Kriegs-Rath entfchieden werden. — Ich 
bin Oberlieutenant bei der erften Säger-Compagnie. Abr. 
Sfelin ift mein Hauptmann. — 

Künftige Woche habe großen Herbft auf der Schanz c. 
acd. viel Gäfte, aber wenig Trauben. — 

Leben Sie wohl, lieber Freund, und laflen Sie auch 
bald wieder ein Wort von Ihnen hören. 

4. 
Baſel, den 10. Zuli 1819. 

Lieber Freund! Ich werde mich nicht bei Ihnen über 
mein langes Stillſchweigen entfchuldigen. Denn ich weiß 
wirklich nicht, wer zuletzt gefchrieben hat... . . So viel 
ich mich erinnere, haben Sie mir f. 3. zu meiner Verlobung 
gratuliert. Die Hochzeit erfolgte in einem der wärmften Tage 
des Auguſt und zwar in Pratteln, wo wir im Kreis unferer 
Familie und einiger auter Freunde ein recht fröhliches Mit- 
tageffen einnahmen. Gegen Abend feste fich das junge Paar 
in den Reißwagen und befuchte das Münfterthal, Neuchätel, 
Genf und ein großer Theil des Pays de Vaud. — 

ee Sm Xber mußte wiederum als Abgeordneter 
von unferer Handlungs-Rammer und mit einem Creditif von 
unjerer Regierung verfehen die Rheingegenden bis Mainz 
fowie auch Frankfurt befuhen, um wegen unjerer Rhein- 
Ihiffahrt mit den betreffenden Behörden Unterhandlungen 
anzubahnen. Ich war 5 Wochen abweſend, und obgleich mir 
die Trennung von meiner Frau weh that, jo war diefe Reife 
für mich doch von großem Snterefle, da ich diefe Gegenden 


170 


noch nicht beſucht hatte und übrigens bei einer ſolchen Miffion 
vieles zu lernen if. — 

— Um mich, wie es ſcheint, für dieſe übernommene 
Miſfion zu belohnen, bin ich vor einem Monath zu einem 
Gerichtsherrn, das heißt Mitglied des Civil-Gerichts er— 
nannt worden ..... 

Leben Sie wohl. 

| Ihr Freund 
Eduard His. 


Bafel, den ‚27. Zuli 1819. 

Gratuliere von Herzen, lieber Freund, daß Sie nun 
auch mein gutes Beiſpiel befolgt haben. Sie werden bald 
finden, daß es doch was ganz anderes ift, wenn man von 
der Arbeit ermüdet nach Haufe kömmt und beim Eintritt ins 
Zimmer von feinem Weibchen begrüßt wird... .. Es 
thut mir fehr leid, daß durch das Abſterben (von) einem 
unferer Haupt- Mufidliebbaber (Herrn Oberftlieutenant Burck⸗ 
hardt) die Hieherkunft der Mufidgefellichaft vereitelt worden 
it. Sehr hätte es mich gefreut, Sie wieder bei ung zu 
feben. Doch wird wahrfcheinlich Fünftiges Jahr die Ver— 
fammlung bier ftattfinden und dann fünnen Sie mit Ihrer 
Grau fommen. Sagen Sie ihr indeflen, daß Sie hier einen 
Sreund haben, der den wärmften Antheil an diefer Vermäh— 
lung nimmt. — 

Sie flötieren alfo noch immer? Was mich anbelangt, 
fo vernachläffige ein wenig diefe ſchöne Runft und nun babe 
Mufid genug zu Haufe. Es giebt aber doch Augenblide, wo 
ih noch die Flöte hervorſuche, um doch nicht alles zu ver- 
geſſen. Sch habe auch einige leichte Sonaten fürs Clavier, 
mit WUccompagnement, welche zuweilen mit meiner Frau 
ſpiele. — 

Run werden wir bald großes Militair-Spedtafel haben, 
da Anfangs des Fünftigen Monath die Eydsgenöſſiſche 


171 


Mufterung ftattfinden fol. Ich werde alsdann für 14 Tag 
in Dienft fommen. — 

Künftige Woche wird es ein Spedtafel anderer Art 
geben. Drei Erz-Spisbuben, die in unferer Stadt Mord: 
brennereien ausgeübt haben und fogar den Pulver-Thurm 
in die Luft fprengen wollten, follen hingerichtet werden. Dies 
wird eine unzählige Volksmenge herbeiführen. Ich werde 
dann wohl das Comptoir fchließen müflen. — 

Ahr Freund 


6. 
Baſel den 27. Sber 1820. 

Lieber Freund! Nah dem Gemählde, fo ein Hr. Pro- 
feffor Bernoulli erft Fürzlich von Ihrer jegigen Lage gemacht 
bat, muß Ihnen wenig zu wünjchen übrig bleiben, was mid) 
um fo mehr freute, da mich feit fo langer Zeit ohne directe 
Nachrichte von Ihnen befinde. Dei mir geht es auch nicht 
übel. 


Eduard His. 


— Vor einigen Tagen hatte den Beſuch meines 
alten Patrons Hr. KRlimrath, der bei feinem Tochtermann 
in Bern eine Chicorie-Fabride errichtet! Wie mir fcheint, 
hat er große Luft, fich daſelbſt niederzufegen, da ihm Straß: 
burg verleidet if. Rein Wunder, wenn es ung am End dort 
auch nicht mehr bebagte, da felbft die dortigen Kaufleute 
auswandern wollen. — Sie werden vernommen haben, daß 
Sreund Rud. Gemufeus fich auch eine Ehehälfte ausgefucht 
bat. Schon vorher ſahen wir ihn felten, nun wird er fi 
gar nicht mehr unter ung erbliden laſſen, da die meiften unferer 
jungen Eheleute den falihen Grundſatz haben, fie müßten 
mit ihren Sreunden abbrechen, fobald fie verheirathet jeyen. 
— So habe e3 nota bene nicht gemacht, fondern habe meiner 
Stau gleih am eriten Tag bemerkt, ich fey gewohnt, alle 
Abend ein halb Stündchen im Kämmerlein zuzubringen. 
Nun befinde mich wohl dabei und bin dem Vorwurf nicht 
ausgefett, als hätten zwei Jahr Ehe eine WAenderung in 


172 


meiner Lebens Art bervorgebradht. — Des Hr. Bernoulli 
Vorträge über die Technologie haben geftern bei ftarfem 
Beſuch ihren Anfang genommen . . . . 

Sch hoffte Sie im Lager von Wohlen zu fehen, wo für 
meine Sünden 9 Tage ausharren mußte. — Dies war eine 
Er3-Strapaße, deren Erinnerung nicht fobald auslöſchen wird, 
obgleich nun, da alles überftanden ift, froh bin, dabei geweſen 
zu feyn. Sch habe unter anderm einmal eine Feldwache von 
100 Mann gehabt, wo faft verjoffen wäre, da bei fürchter- 
lihem Sturm und Regen 24 Stunden unter freiem Himmel 
bleiben mußte, indem der Hr. Oberbefehlshaber, um uns 
gleich zu abgehärteten Kriegern umzugeftalten, Befehl ertheilt 
hatte, weder Wachtfeuer noch Zelte aufrichten zu laſſen. — 

Sn der Hoffnung, bald ein fchriftliches Lebenszeichen 
von Ihnen zu erhalten, verbleibe Ihr alter Freund 

Ed. His. 
7. 
Baſel, den 18. Juni 1823. 

Wie viel Fahre verftrichen find, jeitdem wir uns gegen: 
feitig ein Lebenszeichen gegeben haben, weiß ich nicht, daß 
mich aber an das Sprichwort halte, „alte Freundſchaft roftet 
nicht”, werde Ihnen nicht zu verfihern brauchen. Ohne 
Smeifel werden Sie noch am Poſt-Ruder feyn; wie es aber 
mit Ihren Familien-Verhältniſſen ausfieht, ob Sie Nach— 
kommenſchaft und wie viel haben, werde mit Antheil von 
Ahnen vernehmen. Ich denke, daß man fi in Ihrem ge- 
lobten Ländchen wenig um die Politid befümmert und daher 
feine Zage ungeachtet des trüben Horizonts ruhig verlebt. 
— Hier wird hingegen gewaltig politifiert und wenn ich 
einige alte Zopfburger abrechne, fo kann man fagen, daß 
ganz Baſel fehr Fiberal gefinnt if. Wie follten es aber alte 
. Republikaner nicht ſeyn, und doch will man behaupten, daß es 
in einigen Kantonen Leute giebt, die nur auf Gelegenheiten 
lauern, um wieder vermoderte Vorrechte auf den Teppich 
‚zu bringen. — Möge Gott (verhüten), daß deren Zahl nicht 


173 


groß werde. Denn nur durch Einigkeit koönnen wir ung in 
dem jegigen Zuftand erhalten. — Gut angefchrieben find wir 
einmal nicht; es dürfte alfo nur bei ung fpuden, um einen 
Machtſpruch der heiligen Allianz herbeizuführen. — Sonder: 
bare Erfcheinung, ftatt fortzufchreiten, fol man nun den 
Krebsgang geben! Mit der Conftitution in Portugal bat 
es nun auch ein Ende, wenn das geftrige Yulletin die Wahr: 
beit ſagt .... . 

Sm übrigen bin ich nun aus einem Speditor und 
Waaren-Speculant, Bandfabrilant geworden, habe alſo wie 
Sie umgefattelt. — Mein neues Fach intereffiert mich, be- 
fonders da es ſchöne Ausfichten gewährt und wieder nahe 
Anverwandte zu Affocies habe. 

Eduard His 
Aſſocié von Hs. Fr. Sarafın. 


8. 
Baſel, den 7. Sber 1823. 

Eine ziemlich lange Reife, in deren Swifchenzeit Ihr 
Brief vom 28. Zuli bier anlanate, ift Schuld, daß folcher 
nicht früher beantwortet wurde. Seit Anfangs Juli big 
Ende September babe ..... den orößten Theil von 
Deutfhland durchwandert und daß es für mich viel Intereſſe 
hatte, werden Sie gern glauben. Am interefjanteiten fand 
ih Hamburg und Dresden, Berlin hingegen hat meinen Er: 
wartungen nicht entſprochen. Die fchönften Gegenden fand 
ich in Ober-Schlefien, wo die Schneefoppe, das ift der höchſte 
Gipfel des NRiefengebirgs, beftiegen habe. Man hat 4 
Stunden zu fleigen, dann wird man aber durch eine Ausficht 
belohnt, welche fih mit unjern Schweizer Ausfichten meſſen 
darf. — 
Es freute mich übrigens fehr lieber Freund wieder 
einmal Nachrichten über Ihre Familien-Verhältniffe zu er: 
halten, bejonders da mir jolche zeigen, dat es auch Ihnen 
in allen Theilen aut geht. Sehr gerne hätte auf meiner 


174 


Heimreife über Schaffhaufen einen Geitenfprung zu Ihnen 
gemacht. Die Ungeduld wieder zu den Meinigen zu fehren 
war aber fo groß, daß ich mich zu dDiefem Umweg doch nicht 
entichließen fonnte, um fo mehr, da durch die Schweiß Feine 
Poft-Straße geht. — 

Wie es fcheint, haben Sie fi gewaltig in das Diplo: 
matifche lanciert. Sch wünfche Shnen zu diefer carriere 
alles mögliche Glück. Was mich anbelangt, habe auf der: 
gleichen Ehren-Aemter vor der Hand verzichtet und bereits 
vor einem Jahre meine Gerichtsherren-Stelle abgegeben. 
Sreilich bin ich in andern Verhältniſſen. Sie find Zurift und 
ih bloß Raufmann, und wenn man heut zu Tag in einem 
Sach fh emporſchwingen will, jo darf man ih nicht noch 
mit andern Beichäftigungen überladen. — 

Run zur Beantwortung Ihrer Anfrage. — Das 
DBernoullifhe Inſtitut ift feit mehr als einem Jahr auf: 
gelöft.... Wenn Gie ganz folide Anlagen zu 41, an: 
zutragen haben, fo follten folche hier wohl Liebhaber finden, 
befonders wenn Sie die richtige Bezahlung der Zinfen ga- 
rantieren. Haben Gie juft dergleichen zu proponieren, jo 
fönnen Sie mir fchreiben; ich kann vielleicht in den Familien 
was anbringen, da man juft am Erben begriffen ifl. Sie 
müßten aber... Auskunft geben. — Man ift bier fehr difficil. 

Wenn ich Ihnen den Interfchied des hiefigen Wechjel- 
gelds gegen Schweizer Währung beftimmen fol, fo müflen 
Sie letztere näher bezeichnen. Denn find es Brabanter— 
Taler zu 40 bz., jo beträgt der Unterfchied 334 %, ift es 
Schweizer Münze, jo variert er von 21% bis 5%. Unfer 
MWechielgeld befteht in Brabanter-Talern zu 381% bz., auch 
in Schweizer Neuthalern oder Louisd’or. Obige 381% b3. 
ftellen unfer Wechfelgeld 2% höher als Reichsvaluta, was 
aus der Vergleichung von f. 2.42 für den Vrabanter-Taler 
gegen 381%, bz. hervorgeht. — Die reduction von f. 10 
Zürher Währung oder f. 11 ReichsVta gegen F (?) £. 16 ift 
ganz richtig, nur müflen Sie 2% dazu fchlagen, wenn Gie 


175 


biefiges Wechfelgeld haben wollen, weil auch in Zürich der 
DBrabanter-Taler höher angenommen wird als bier, näm- 
fih zu f. 2.27. — Ihr ergebener Ed. His. 


9. 
Baſel, den 2. Febr. 1831. 
Werther Freund! 

Geſtützt auf das Sprichwort: „alte Freundſchaft roſtet 
nie“ will ich auch Ihre Mitwirkung in Anſpruch nehmen, 
um den gräßlichen Verläumdungen zu begegnen, welche ſeit 
einiger Zeit gegen unſere Stadt ausgeſtreut werden und 
welche dahin zielen, durch Aufreitzung des Landvolks einen 
allgemeinen Bürgerkrieg herbeizuführen. — 

Bis dahin hielten wir es unter unſerer Würde, An— 
ſchuldigungen zu widerlegen, welche durch ihren augen- 
fheinlihen Perläumdungsgeift jeden rechtlichen Mann 
empdren mußten. Wer uns fennt und von unferm frei: 
finnigen Verfaſſungsvorſchlag Einfiht genommen hat, der 
wird fich leicht Überzeugen Fünnen, daß es nie in unferer Ab— 
ficht liegen Eonnte dem SZeitgeift entgegen zu ftreben oder 
durch Unterdrüdung unferes Landvolfs den allgemeinen und 
gerechten Haß auf uns zu laden. 

Da aber die wenigen elenden Menfchen, welche durch 
niederträhtige Rüdfichten geleitet und vom Terrorismus 
begleitet, den Bürgerkrieg in unferm fonft fo friedlichen 
Kanton angefacht hatten, nun fortfahren ihr Unweſen in den 
andern Kantonen zu treiben und darinn durch mehrere mord- 
brenneriſche Zeitungsfchreiber unterftüßt werden, fo muß 
endlich auch von hier aus entgegen gewirkt werden. Aus 
diefem Grund find auch bereits verfchiedene, auf Thatfachen 
berubende Widerlegungen im Drud berausgefommen. Die 
ältern als: Worte an die Eidgenofien, Gegenerflärung der 
ins NReigoltswyler Thal gefandten Officiers etc. werden 
Ahnen bereits zugelommen jeyn. Nun ift diefen Morgen 
noch mitfolgende Erklärung unferer Landsgemeinden er: 


176 


Schienen. Aus diefem Actenſtück werden Sie erfehen, wie 
abfurd die Anfchuldigung ift, als befände fich unſere Land— 
Ihaft unter irgend einem Drud und wie wenig folche fremde 
Einmifhung verträgt. Ich erwarte von Shrer alten be- 
währten Freundſchaft, daß Sie zur Ausbreitung von diefer 
Erklärung nah allen Gegenden der Landfchaft beitragen 
werden. Sollten Sie gegen Erwarten die älteren Drud- 
fachen fowie auch unfern Verfaſſungsvorſchlag nicht erhalten 
haben, fo werde damit auf den erftien Wink an die Hand 
gehen. Eine vollftändige Widerlegung der faulen Guß- 
willerihen Proclamation ift nun auch unter der Prefie; 
auch wird das im Lauf nähfter Woche unferm großen Rath 
vorzulegende Amneftie-Gefeb, wodurd blos eine Feine Zahl 
von Haupträdelsführern ausgenommen, hingegen aber auch 
für diefe nur auf milde Strafen angetragen wird, erjcheinen. 
— Wir werden gewiß bier alles aufbieten, was den Aus— 
bruch eines allgemeinen Bürgerkriegs verhüten könnte, aber 
einfchüchtern laſſen wir ung nicht und follte gegen Erwarten 
das Unheil ftattfinden und DBafel zur Sielfcheibe dienen 
wollen, fo würden wir im Vertrauen auf Gott unfere ge- 
rechte Sache mit Muth zu vertheidigen willen. 
PBerwichenen Samstag war ich in Wädenſchwyl, wo 
die bewußte Vollsverfammlung gehalten worden ift. Uber 
auch da ließen fich die vernünftigen Leute eines Beſſern be- 
lehren und fo wie die Sachen gelenkt worden find, wird von 
diefer Seite Fein Ausbruch flattfinden . . . . 
Empfangen Sie nun die PVerfiherung meiner fteten 
Steundfchaft. | 
Ed. Hit, App.-Rath. 
10. 
Baſel, den 12. Febr. 1831. 
Lieber Freund. 
Sch danke für die Übernommene Verbreitung der Ihnen 
gefandten Erklärungen und überreiche hiemit einige Erem- 
plare unſeres Verfafiungsvorichlags. Die Behandlung des- 


177 12 


felben ift heute beendiget worden und am 28. ds. fol die neue 
Verfaſſung dem Volk zur Annahme oder Verwerfung vor: 
geleot werden. Nur wenige unbedeutende Veränderungen 
find bei der Behandlung im großen Rath gemacht worden. 
So ift feitgefegt worden, daß die Wahl der Kleinräthe frei 
feyn fol, während der erfte Entwurf der Landfichaft we: 
nioftens 5 zufichern wollte. Ferner wird bei der Annahme 
oder Verwerfung die Stadt eine Stimme und das Land 
eine Stimme haben; entfcheidet nun die Mehrheit des einen 
oder andern Theil gegen die Annahme, fo ift die neue Ver: 
fallung verworfen. Diejes wird aber hoffentlich nicht ge: 
Tchehen, obgleich diefer Vorſchlag in der Stadt viele Gegner 
findet. Auf die Annahme von Seite der Landichaft glauben 
wir zählen zu können, wenn nicht wieder befondere Umftände 
eintreten. Zum beften Beweis, daß die Ruhe wieder voll: 
fommen eingetreten ift, mag dienen, daß wir feit 10 Tagen 
3 Compagn. Auszüger aus allen Bezirken in der Stadt 
haben und daß fih während diefer Zeit nicht der mindelte 
unangenehme Vorfall ereignet hat. — 

Run fuht man uns Hader wegen dem Anfangs diefer 
Woche genehmigten Amneftiegefes. Unbedingte Amneftie 
follten wir geben! Diefes Eonnten und durften wir nicht thun, 
wenn wir nicht zu neuen Unordnungen Veranlaſſung geben 
wollten. Glauben Sie übrigens nur ficher, daß es den 
ſchweitzeriſchen Demagogen weniger um die Umneftie zu 
tbun war als uns eine Schwähe abzuloden. Die Will: 
fährigfeit unferer Seits follte nur der erfte Schritt zu weitern 
Anforderungen feyn. — Diefe Herren können nicht ertragen, 
daß wir unſere Verfaſſungs-Aenderung nicht nach dem vor- 
gefchriebenen Model gemaht haben. Wir follten uns 
ihrem Zoch unterwerfen und diefes werden wir nit. Wer 
unfere Berbältniffe kennt, der wird finden, daß wir in unferer 
Verfaſſung an Sreifinnigfeit feinem andern Kanton nad)- 
ftehen. — Ich bin nun begierig zu vernehmen, welche Maß— 
nahmen die Tagſatzung in unferer Angelegenheit nehmen 


178 


wird. Bis dahin hat fich dDiefe Yundesbehörde außerorden- 
lich ſchwach gezeigt. Unfer waderer Bſtr. Frey ift vorgeftern 
Nacht nah Luzern abaereift, um felbft der Situng der 
Tagſatzung beizumohnen. Den Kreuzzug nach Baſel be- 
fürchte nicht mehr, da die Wahrheit anfängt durchzudringen 
und die Gemüter fi nach) und nach abfühlen. LHebrigens ift 
unfer Wahlipruch, eher mit Ehren untergegangen als mit 
Unehre beftanden. Zum Empfang find wir bereit. 6 & 700 
Mann arbeiten feit 14 Tagen an den Feftungswerfen. Einige 
taufend Mann würden nicht3 ausrichten und ein ſtarkes 
Armeecorps von 15 & 20000 Mann erfordert eine Menge 
Vorkehrungen und Zurüftungen, welche bei Volkshaufen 
nicht zu Stande gebracht werden fünnen. Zudem würde fich 
auch bald eine Gegenparthei zu unjern Gunften bilden. 
Hoffentlich wird aber von allem diefem nichts geſchehen; 
denn wer Sollte doch die Hand zu einem allgemeinen Vürger- 
trieg bieten wollen. — 

Hier erjcheinen nun auf einmal zu viel Flugfchriften, 
während man zu lange gefchwiegen hatte. Nicht alle find im 
angemefienen Styl abgefaßt. 

Ihr Freund 
Ed. His. 

Laut ſoeben angelangtem Beriht von der Tagſatzung 
wird dieſe Behörde in unfere Angelegenheit vor der Hand 
nicht eintreten, fondern den Regierungen ans Herz legen, wie 
nothwendig es fey, den Vollsbewegungen zu begegnen und 
Ruhe und Ordnung wieder überall herzuftellen. — 


11. 
Bajel, den 26. Aug. 1831. 
Sch danke Ihnen, lieber Freund, für die überfandten 
Zeitungen; mein Erftaunen war aber groß, als ich darinn die 
merkwürdige Snftrudtion Ihres Standes in Betreff unferer 
Angelegenheit las. Wahrlih fo weit ift es mit uns noch 
nicht gefommen, dab das Thurgauer fouveraine Volk uns 


179 12° 


Befehle ertheilen fann. Mit welhem Zug und Redt will 
man uns vorfchreiben, eine von der großen Mehrheit an- 
genommene Verfaflung wieder zur Abftimmung vorzulegen? 
Wo fol dies hinführen, wenn die ftörrifhe Minderheit ftatt 
abgewiejen zu werden bei andern Kantons-Regierungen Ge- 
Hör und Unterftügung findet? 

Doh warum diefe Frage? Jederman weiß ja, daß 
unfere Radicalen wiederum Unruhen hervorrufen mußten, 
wenn ihnen einige Hoffnung bleiben fol, ihren Centrali- 
fationsplan durchzufegen. Unſere jebigen Infurgenten find 
Werkzeuge jener Herren und wir die Zielfcheibe. Ich muß 
mit Ihnen befürdten, daß wir am Vorabend eines all- 
gemeinen Bürgerkriegs find, der ſich in einer fremden Ein- 
mifchung auflöfen würde. — 
| Die 4 eidgenöffifchen Reprefentanten haben fich bereits 

überzeugt, welche ftrafbaren Mittel angewendet worden find, 
um die Empdrung zum Ausbruch zu bringen und wie fehr 
nun unfere Landleute von den Rädelsführern terrorifiert 
werden. Sie werden bereits die Proclamation diefer Re: 
prejentanten vom 24. d8. gelefen haben. — Sie ift brav und 
zeigt, Daß unfer gutes Recht einmal anerkannt worden ift. — 
Heute ift nun eine Proteftation von diefen Herren erſchienen, 
worinn fie erklären, daß ihr Nahme von den Empörern mis: 
braucht worden fey, um eine Landsgemeinde in Lieftal zu- 
fammen zu berufen, gegen deren Beichlüffe fie fich feierlichft 
verwahren und jederman ermahnen, zur gejeglichen Ordnung 
zurüd zu kehren. Dieſe geftern abgebaltene Landsgemeinde 
wurde nur von ca. 600 Mann aus wenigen Ortichaften be- 
ſucht und als die Erklärung der Reprefentanten durch den 
Lieſtaller Gemeinds-Präfidenten, der aut gefinnt ift, ab- 
gelefen worden war, bat fih der größere Theil des Volks 
wieder heim begeben. — Nur das noyau der Aufwiegler 
blieb zurüd, um den Beſchluß zu fallen, daß man fich dem 
Befehl der Tagſatzung nicht unterwerfen wolle, fondern daß 
wieder eine proviforifche Regierung ernannt werden mülle, 


180 


wozu auf Übermorgen Ausfhüfle aus den Gemeinden zu- 
fammen berufen werden jollen. — Der größere Theil der 
Gemeinden wird gewiß niemand fchiden, ohne Zweifel wird 
man aber dennoch zur Wahl fchreiten. — 

Es wird ih nun zeigen, auf welche Art die Tagſatzung 
ihrem Beſchluſſe Nachdruck geben wird. — 

Ich will mich in feine Widerlegung der gräuelhaften 
Schilderung des Republ(ifaners) über den Kampf vom 21. ds. 
einlaffen. — Wer fih zu folchen plumpen Perläumdungen 
erniedrigt, verdient tiefe Verachtung, aber nicht die Ehre 
einer Widerlegung. Soviel kann ich Ihnen Jagen, daß 
unfere Truppen, nachdem fie während 5 à 6 Stunden dem 
verrätberifhen Feuer der im Hinterhalt lauernden Scharf: 
hüten ausgefeßt worden waren und endlich Lieftal mit 
Sturm einnehmen mußten, ſich dennoch zu feinen andern Er: 
zefien verleiten ließen, als daß die Scheiben denen Häufern, 
woraus Schüffe fielen, eingefchoffen wurden. Das außer Lieftall 
abgebrannte Häuslein wurde durch eine Haubite entzunden. 

Als diefes alles vorfiel, war ich in Luzern, wo ich unſerm 
Gefandten die erfte Runde der Empörung überbringen mußte 
und zugleich auf den Beſchluß der Tagſatzung wartete. — 

Ahr ergebener 
(Ed. His.) 
12; 
Bafel, den 9. Xbr. 1831. 
Sieber Freund! 

Obgleich die legten Berichte der Herren Reprefentanten 
über die jegige Lage unferer Angelegenheiten auch Ihrem 
großen Rath werden vorgelegt werden, jo wird es Sie wahr: 
fheinlich dennoch intereffieren, dieſe Uctenftüde felbft zu be- 
fien. In diefer Vorausſetzung Üüberfende Ihnen mitfolgend 
1 Eremplar. 

Wer fih durch diefe Berichte nicht Überzeugen laffen 
will, daß bloß eine Faction in unferm Kanton wüthet und 
die ruhigen Landbürger durch die heillofeften Mittel unter 


181 


ihr Joch zu bringen ſucht, der muß durchaus blind feyn 
wollen. 

Sie werden unfern vorgeftrigen Großrathsbeichluß in 
den Zeitungen finden. Ich bin nun begierig zu fehen, was 
die Tagſatzung bejchließen wird. — Wird unferm Antrag 
nicht entjprochen, fo wird es bei uns zur Trennung kommen. 

Das Betragen der meiften eidgenöffifchen Truppen war 
bis dahin mufterhaft und ihre Anweſenheit wird manche An- 
fiht in der Schweiß berichtigen. — 

Unter Shrer Scharfichügencompagnie follen ſehr artige 
Leute ſeyn; ich felbft hatte noch feinen im Quartier. — Wenn 
demnach geftern das Gerücht ausgeftreut wurde, als hätte ein 
Theil davon in ihrem jegigen Quartier Yubendorf die Lie: 
ftaller Revolutionscocarde aufgepflanzt, jo muß es entweder 
eine Verläumdung feyn oder es betrifft nur wenige. — Diefe 
Scharfſchützencompagnie fol übrigens heute wieder in die 
Stadt fommen und dann wird es fi) wohl zeigen, daß jenes 
Gerücht zu den 100 Mäbhrchen gehört, welche erdichtet werden. 
— Ceci entre nous, ich möchte nicht im Republifaner oder 
Appenzeller paradieren. — 

Sn aller Eile Ihr Ergebener 

Ed. His). 
13. 
Bafel, den 13. Xber 1831. 

Sch danke Ihnen, lieber Freund, für die ſchnelle Mit: 
theilung der Verhandlungen Zhres großen Raths in Bezug 
auf unfere Angelegenheit. — Da wir nicht viel Gutes von 
Shrem Stand erwarten fonnten, fo müſſen wir die ertheilte 
Spftruction noch onädig finden. Sie entipricht wenigftens 
dem zweiten 8 unferes Beſchluſſes. — 

Daß fi übrigens der Geift der großen Räthe beflert, 
diefes beweifen die bedeutenden Minderheiten, welche fi) 
nun den SInftructionen der Radicalen widerfegen. So ift 
der abjurde Beſchluß in Arau nur mit 81 gegen 60 Stimmen 


182 


dDurchgegangen und die Tagſatzungsgeſandten Bertichinger 
und Lützelſchwab haben hierauf fogleich ihre Entlafjung mit 
Fräftigen Ausdrüden eingelegt. In Zürich wollte eine auch 
bedeutende Minderheit unfere Verfaſſung handhaben. — 
Durchgeht man nun die Derjönlichkeiten dDiefer Minderheiten, 
jo wird man finden, dab deren Mitglieder den Kern der 
Bevölkerung bilden. — 

— Ueber Ihre Scharfſchützencompagnie kann ich 
Ihnen nun im Weſentlichen mittheilen, daß wirklich Ver— 
ſchiedene ſelbſt in der Stadt die roth und weiße cocarde, 
welche das Rebellions-Zeichen von unſern Inſurgenten iſt, 
getragen haben. Dieſes hat Anlaß zu fatalen Auftritten ge- 
geben und würden dieſe cocarden nicht bald verſchwunden 
feyn, fo hätte Die Sache gewiß eine fehr ernfthafte Wendung 
genommen; denn die Vürgerfchaft wäre unfehlbar in Gäb- 
rung gerathen. Ein Scharfſchütz, der auf die Anfrage, warum 
er diefe cocarde und nicht diejenige feines Kantons frage, 
grob antwortete, erhielt eine Ohrfeige von einem Kaufhaus: 
beamten, an welchen die Antwort gerichtet war. — Den 
Dfficiers thut diefe cocarden-Geſchichte außerordentlich Leid. 
Zwei davon, nämlich die beiden Ilnterlieutenants, find bei 
meinem Aſſocié Viſcher einquartiert. Es feyen ſehr lebhafte 
junge Leute, die fi) wenig um die Politik befümmern und 
daher lieber von Sagd und Pferden ſprechen al3 von Den 
Verfaſſungsgeſchichten. Wie man jagt, feyen bei der ganzen 
Compagnie nur 12 à 15, welche im Sinne der Lieftaller 
agirten; aber es bedarf nicht mehr, um oft ein ganzes Corp3 
in Miscredit zu bringen. Als Entfchuldigung wegen den 
cocarden haben fie angeführt, fie gehörten zu einem eidgend]- 
fiihen Schüßenverein, welcher diefe cocarde trage. — Es 
war nun aber einmal befannt, daß die Snfurgenten dieſe 
eidgenöffiiche cocarde zum Symbol gewählt haben und daher 
hätten die Dfficiers darauf wachen follen, daß ihre Leute 
fie nicht aufftedten. — 

Was Sie mir Übrigens in Bezug auf diefe Compagnie 


183 


mittbeilen, theile ich überall mit, damit nicht wegen Wenigen 
die ganze Mannſchaft in Verdacht komme. — 

Wenn Sie bedenken, wie lange wir fchon hier gegen alle 
erdenklichen Umtriebe kämpfen und wie fehr wir verläumdet 
worden find, fo werden Sie die reißbare Stimmung unferer 
Bürgerfchaft, die fih fonft mufterbaft zeigt, wohl begreiffen 
fönnen. — 

Sollte was Wichtiges vorfallen, fo werde ich nicht er: 
mangeln, Sie davon zu benadhrichtigen. — 

Inzwiſchen grüße ich Sie aufs Freundfchaftlichite. 

Ed. 
14. 
Baſel, den 7. Mai 1832. 
Lieber Freund! 

Bei meiner Rüdkunft von Laufanne, wo ich meinen 
älteften Sohn in Penſion gethan habe, fand ich Ihr Briefchen 
vom 25. April, welches mir das Vergnügen verfchaffen follte 
die Belanntfchaft Ihres Freundes Hr. Debrunner zu machen 
und mich mit ihm über die jeßige politifche Lage der Schweiß 
zu unterhalten. Recht fehr bedauere ich, daß die Hieberkunft 
Ihres Freundes juft während meiner Abweſenheit ftattfand; 
denn es hätte mich gefreut, einmal wieder mündliche Nach— 
rihten von Ihnen zu erhalten. — 

Die Laufanner Reife mußte ich antreten, nachdem ich 
erft feit 2 Tagen von einer Miffions-Reife in unfern An— 
gelegenheiten heimgefehrt war. Sch hatte zur Aufgabe, in 
Bern, Solothurn und Arau auf Sufammenberufung der Tag: 
fagung zu wirken und zugleich die Gelterfinder Gefchichte zu 
beleuchten. 

Die Gelterfinder Gefchichte bedurfte übrigens bei den 
Bernünftigen keiner Beleuchtung. Denn wer nicht im Ra- 
dDicalismus bis über den Ropf ftedt und wer noch [chweiße- 
riſches Ehrgefühl hat, der muß über das Benehmen der Re- 
prefentanten und Truppencommandanten entrüftet feyn. Man 
fann fich in der That nichts WUergeres denken als die Art, 


184 


wie die eidgendffiichen Truppen fih aus dem Staub gemacht 
haben beim einzigen Anlaß, wo fie nach gehabter Inftruction 
von Nuten hätten jeyn können. Man darf mit aller Ve: 
fimmtheit annehmen, daß ohne dieſen unbegreifflichen Nüd- 
zug auf neutralen Boden die Gelterfinder Gräuel nicht ftatt 
oefunden hätten. Ihr Hr. Merd, deſſen erfte Schritte bei 
feiner Ankunft im Kanton dahin gingen, die getreuen Ge— 
meinden zum Abfall zu bewegen, hat nın an Hr. Doctor 
Schnell einen wadern Genofien gefunden. Diefe faubern 
Reprejentanten haben es fo weit getrieben, daß felbft der 
Vorort fie desavouieren mußte. Aber Schnell ſcheint fich nicht 
viel um die Vorwürfe des Vororts zu befümmern. Denn 
ohneracht des wiederholten Befehls, die Freilaffung der Ge- 
fangenen zu bewerfftelligen, ift noch nichts erfolgt. — Es wird 
fh nun zeigen, welchen Erfolg die Tagſatzung haben wird. 
— Vielleicht einen fehr wichtigen für die ganze Schweiß. — 
Sn unfern Angelegenheiten wird wahrjcheinlich die Trennung 
beichloffen werden, doch kömmt es dabei viel auf die Art 
und Weife an. — Wie mir fcheint, gebt der Plan der Ra: 
dicalen dahin, dem infurgierten Theil der Landichaft vor: 
erft eine rechtliche Stellung zu verſchaffen; fodann wird man 
beide Regierungen auf gleiche Linie ftellen, Vermittlungs- 
verſuche anwenden, wollen folche aber nicht gelingen, wird 
man vielleicht zu Gewaltsmitteln gegen uns chreiten efc. 
— Diele Herren dürften aber wohl die Rechnung ohne den 
Wirth machen. Denn fo leichtes Spiel werden fie nicht mit 
uns haben und es ift nicht zu glauben, daß die Mehrzahl der 
Stände zur Ausführung folcher Pläne je die Hände bieten 
werde. — Es frägt ſich überhaupt, ob nicht auf der nächſten 
Tagſatzung folche Ereigniffe flattfinden werden, welche zu 
einer Auflöfung des Bundes führen, bevor nur ein Beſchluß 
in unfern Angelegenheiten gefaßt jeyn wird. — 

Hier ift alles ruhig und auch unfer wegen der Inftruc- 
(tion) ftatt gehabter Gr. Rath) ift ruhig vorüber gegangen. 
Unſere Gefandten find Bſtr. Yurdhardt, den Sie von Hr. 


185 


Bernoullis Snftitut ber kennen werden, Rathshr. Heußler 
und Minder. Man hatte mich zum 2ten Gefandten ernannt, 
ich lehnte aber ab, da ich (in) mir nicht die nöthigen Fähig— 
feiten fühle, um auf einer fo wichtigen Tagſatzung das Probe: 
ftüd abzulegen. — Ueberhaupt ftede ich noch zu tief in den 
Handelsaefchäften, um mich viel mit den Staatsgefchäften 
abgeben zu Eönnen. 
Ihr mit aller Freundſchaft 
Ergebener Ed. 9. 
15. 
Baſel, den 19. April 1833. 
Lieber Freund! 

— Ich danke Ihnen für Ihre Mittheilungen wegen 
Pf. B. und wünſche mit Ihnen, daß dem Volk einmal die 
Augen aufgehen mögen. — Ueber unſere Angelegenheiten 
babe Ihnen nichts Intereſſantes mitzutheilen. — Wir warten 
bier in Ruhe ab, wie ſich die Umſtände geftalten wollen. — 
Es ift uns wahrfcheinlich befler zu Muth als den Gefandten 
der Quafi-Tagfagung. — Wäre unfer Landvolf nicht fo fehr 
unter dem Joch der Dorfterroriften, fo wäre die Lieftaller 
Regierung ſchon längft fortgejagt. Freilich dürfen wir nicht 
verhehlen, daß es in verfchiedenen Gemeinden noch fchlimmer 
ausfieht, indem durch die langen Wirren und die daraus er- 
folgte Geſetzloſigkeit vollftändige Verwilderung und Scheu 
vor jeder Regierung eingetreten ift. Diefes ift hauptſächlich 
der Fall in allen Gemeinden, wo das Lumpengefindel die 
Mehrheit bildet. Denn die vermdalichen Landbürger find der 
Sache müde und würden je eher je lieber die Hand zur 
Wiedervereinigung bieten. — Die im Kanton Bern an- 
gelangten Polen dürften die Schweiß oder wenigftens die 
Berner Regierung in nicht geringe Verlegenbeit verjegen, 
da fie weder nach Frankreich zurüd dürfen, noch den Durch: 
marſch durchs Badiſche erhalten koͤnnen. Es heißt, es feyen 
neuerdings 300 Mann von Nancy fommend in Porrentruy 
eingerükt. Doch Fann ich diefe Nachricht nicht verbürgen. 


186 


Hingegen ſcheint es gewiß, daß der Großherzog von Baden 
bereit Truppen an unfere Gränzen verlegt hat aus Ve: 
forgniß, die Polen möchten fie überfchreiten wollen. — Der 
Oberamtmann von Lörrach war geftern bier, um ſich wegen 
diefen fremden ..... zu erkundigen. — Es bleibt außer 
Zweifel, d(aß di)e Parifer Propaganda ſowohl diefen Polen- 
marſch als die Srankfurter Empörung leitete. In Mainz 
und Frankfurt hat man die Nachricht, daß ein Aufftand ftatt- 
finden werde, von der Parifer Polizei erhalten... .. . 
Ihr Ergebener €. 9. 


16. 
Baſel, den 6. Mai 1840. 
Werther Freund! 

Sch beantworte wohl fpät Ihren Brief vom vorigen 
Jahr und Doch darf ich hoffen, Sie werden nicht daran ge- 
zweifelt haben, wie jehr es mich gefreut bat, wieder einmal 
Nachrichten von Ihnen felbft zu empfangen und wie fehr ich 
auch meiner Seits bedauerte, daß wir einander in Rippolsau 
vor 2 Zahren verfehlt haben. — Ein eigenes Gefchid Scheint 
feit bald 30 Jahren unfer Zufammentreffen zu verhindern; 
denn im Verlauf diefer langen Zeit hätte es bei der geringen 
Entfernung unferer Wohnorte und bei der ftattfindenden 
Reifeluft wohl mehrmals gefchehen follen ....... . 

Meine AUppellationsrichterftelle habe vor 4 Wochen ab- 
gegeben, indem ... . . ich ohnehin genug Partikulargefchäfte 
babe. Sn politifcher Beziehung befinden wir uns hier nun- 
mehr befler daran als die meiften andern Kantone; denn 
während es dort abermals fpudt, haben wir dieſes hier nicht 
mebr zu befürchten. — Es gibt wohl bei Anlaß von gewiſſen 
geſetzlichen Beftimmungen Heine Reibungen zwifchen dem 
‚Handwerksftand, der nie genug Schuß gegen fremde Con- 
currenz bat, und dem Handelsftand, der unter diefen Privi- 
fegien etwas leidet, aber im Ganzen genommen (wird die 
Ein)igfeit dadurch nicht bedenklich geſtört .. ... 


187 


17. 

Bafel, den 11. Mai 1840. 
rare Sch bedaure fehr, daß Ihr Austritt aus der 
gemeinnügigen Gefellfchaft mir die Hoffnung nimmt, Sie im 
Lauf des nächften Jahrs bier zu ſehen. Wie ich vernehme, 
haben einige vormalige Zöglinge von Herrn Profefior Ver: 
noulli, namentlih Hr. Felix Sarafin des Raths, im Sinn, 
der Zufammenkunft in Frauenfeld beizumvohnen. — Die Leb- 
baftigfeit und das Gefticulieren des Hr. Vernoulli haben mit 
dem Alter eher zu als abgenommen. Erſt vorgeftern fagte. 
mir mein Sohn, der feit dem neuen Cours die Bernoullifchen 

Vorträge über Technologie anhört, fie feyen doch gar zu 
Iuftig, man könne fi) des Lachens nicht enthalten. — : 
— Bis nächſten October ſoll man die Eiſenbahn 
von hier oder vielmehr Burglibre bis Mülhauſen befahren 
können. Im Jahr 1842 ſoll die ganze Bahn bis Strasburg 
fertig werden. Dann will ich Sie hier beſtimmt erwarten, 
um mit einander unſern frühern Aufenthaltsort zu beſuchen. 

Ihr ganz ergebener 
Ed. His. 


Anmerkungen. 


Zu Brief 1. Das „letzte Hierſeyn“ iſt nicht genauer zu 
beſtimmen. Es fällt in die Zeit zwiſchen den Daten dieſes und des 
vorhergehenden Briefes vom 19. Auguſt 1815 (Basler Jahrbuch 
1916, ©. 270) 


Zu Brief 2. Das Haus „auf der Shan“. Vrgl. dazu 
Adreßbuch von: 1811: A275 Scheure von Deputat Peter Ochs. 
St. Johann Schanz. 8275 Deffen Wohnhaus. 

Peter Ochs felbit bezog bei der Ueberjiedelung in die Mitte 
der Stadt im Sanuar 1817 ein Logis beit Hek „zum Hafen“ neben 
dem Rathaus, früher Marktplag Nr. 2, jebt in das Areal des Rat- 
hauſes einbezogen. 

Gefretariat des Handlungskomitees. Laut Protokoll des 
Handlungstomitees (Staatsarhiv N 2) gab es zwei Gefretäre, 
und nachdem in der Sitzung vom 9. Juli 1817 (a. a. DO. ©. 221) 
beide, nämlich die Herren Lukas Viſcher und Dietrich Preiswerf, zu 
wirklichen Mitgliedern des Komitees gewählt worden waren, wur= 


188 


den als Nachfolger vorgeihlagen die Herren Eduard Ochs und 


Andreas Bilhoff. Definitiv gewählt wurden aber Ochs und Peter 
Merian. 


3u Brief 3 Militär-Organifation. Das Gejeß betr. die 
M.:D. datiert vom 4. Gebr. 1817. | 

Schanz. Am Dienjtag den 2. September 1817 ſchreibt His 
u. a. feinem Freunde: Ende der Woche ziehe auf die Shanz. Es 
foll mich freuen, wenn Sie mid bald dort beſuchen. 


Zu Brief A Berlobung Am 13. Mai 1818 fchreibt His 
feinem Freunde u. a.: Geitern als mein 27.ter Geburtstag hat die 
Belanntmahung meiner Verlobung mit der ältejten Tochter meines 
Aſſocié jtattgefunden. 

Er ſchließt diefen Brief mit folgender Mitteilung: Sintemal 
und alldieweil ih) meinen Nahmen ſchon längſt häßlich gefunden 
babe und die Zugiehung mehrerer anderer Gründe haben mid) ver- 
anlakt, den Nahmen meines Weltervaters His von Hamburg, der 
ein berühmter Kaufmann war, anzunehmen. Dieje Aenderung iſt 
mir mit väterlider Cinwilligung von Geite unjerer Regierung 
ebenfalls bewilligt worden. Man gewöhnt jih ſchon recht artig, 
mich mit meinem neuen Nahmen zu betitteln. Es wird mir darüber 
eine Urkunde ausgefertigt. — Ihr Freund 

Eduard His. 
wie Hiß ausgejproden. 
Ueber diefe Namensänderung vrgl. E. His-Heusler und W. 
His-Bilhher, der Namenswechlel der Söhne von Peter Ochs. Basler 
Sahrbud 1901, ©. 202 ff. 

Rheinſchiffahrt. Auf Grund der Ratserfanntnis vom 21. Nov. 
1818 mit dem Auftrag an das Handlungstomitee, „jemanden aus 
feiner Mitte nach ſämtlichen Stappelplägen des NRheinjtroms bis 
noch Mainz abzuordnen, um zum Beiten unjerer Schiffahrt zu wir- 
fen, die nötigen Erkundigungen einzuziehen und über alles Bericht 
zu eritatten‘, wurde von dem Komitee in der Sitzung vom 24.Nop. 
1818, nachdem deſſen Mitglieder ſämtlich „wegen eigenen Umijtän- 
den“ abgelehnt hatten, „Herr Sekretär His diefe Milfion vorzu- 
nehmen erſucht, welder fie unter Vorbehalt feiner weiteren Berant- 
wortung annahm.“ In der Situng vom 20. Januar 1819 „ertheilte 
er an Herrn Statthalter feine ſchriftliche Relation über feine Ber: 
richtung“. (Protokoll des Handlungstomitees, |. oben, S. 266 und 
268 


). 

Ueber den damaligen üblen Zujtand der Rheinihiffahrt von 
Bafel aus vrgl. Fritz Weiß, Zur Gedichte der Basler Rheinihiff- 
fahrt und der Schiffleutenzunft, im Basler Jahrbuch 1901, ©. 140 ff. 

Gerichtsherr. Laut Kantonsblatt von 1819, 2, ©. 91 „tamen 
an die erledigte Stelle eines Civil-Rihhters aus dem von €. E. und 
W. W. Gr. Rathe eingegebenen Vorſchlag in die Wahl Herr Eduard 
His und Herr Jakob Heinrih von Mechel. Erwählt durch das Los 


189 


wurde Herr Ed. His. 5. Juni 1819.“ Die Belohnung war aljo etwas 
zufälliger Art. 

3u Brief 5. Öberitlieutenant Burdhardt ift Johannes 
B., geb. am 2. Nov. 1783, geit. am 5. Mai 1819, vermählt mit Su— 
ſanna Burdhardt 1807—1813 und nad) der Scheidung von ihr nod) 
im ſelben Sahre mit Dorothea Sfelin, die ihn faft um ein halbes 
Sahrhundert überlebte (F 1867). Vrgl. die Stammtafel der Yamilie 
B. von Ludwig Säuberlin, Taf. III C. 

Muſikgeſellſchaft. Die in Zürich 1808 gegründete jchweizerijche 
- Mufitgejellihaft, die im Jahre 1820 das jchweizeriihe Mufikfeft in 
Baſel abhielt. Vrgl. Paul Meyer, Baſels Konzertweien im 18. und 
zu Anfang des 19. Jahrhunderts im Basler Jahrbuch 1884 ©. 234. 

Hinrichtung: Vergl. das Urteil des Criminal-Geridts des Kt. 
Bajel im Kantonsblatt vom 14. Juli 1818: Nahdem vor geraumer 
Zeit Jakob Föller von Sondernad), und Xaver Herrmann von Coll: 
mar im fränkiſchen und oberrheinijichen Departement als mehrerer 
Kapitalverbreden angeihuldigt von der hohen Standes Regierung 
dem Criminal-Gericht zu näherer Unterfuhung und Beurtheilung 
überwiejen und während im Laufe der Unterfuhung Joſeph Studer 
von Ober-Hagenthal im gleihen fränkiſchen Departement nebit Fer— 
dinand Deisler von Inzlingen im Großherzogl. Badilhen, auf dem 
Neuenweg ohnfern St. Louis aber wohnhaft, als Gejellichafter der 
beid Erfteren dargegeben worden und im allgemeinen durch die 
weitihichtige Procedur ſich gezeigt, daB dieſe vier Verbrecher eine 
wahre NRäuberbande gebildet, die bereits feit ſechs bis fieben 
Sahren (!!) auf alle nur erfinnlie Art vorzüglid) die Bewohner der 
bieligen Stadt und dann aud) Hin und wieder in den benachbarten 
Gemeinden des Kantons in Schreden und Schaden verjegt und 
deren verbrederifhe Handlungen fih immer verjtärtt haben wür- 
den, hätte denjelben nicht durch Zufall... endlich Ziel gejeßt werden 
fönnen; denn Diebſtahl war bald ihre tägliche Arbeit. Was nur 
immer Wert hatte, juhten fie in ihr Eigenthum zu bringen. Bald 
feine Thüre war ſo fejt verſchloſſen, fein eijernes Gitter jo ftarf, 
das nicht ihren Diebs-Schlüjfeln oder Bred-Eijen ſich hätte öffnen 
müßen, Mord, Straßenraub, Yeuereinlegen, Kirchenraub, gewalt- 
jame Diebftähle aller Art und jonftige Verbrechen waren bey diejen 
Böſewichtern erjter Clafje zur Tages-Drdnung geworden; im Ganzen 
find Einhundert und Ein Verbreden eingeitanden worden. 

Nah Aufzählung der widtigiten eines jeden im Einzelnen, 
worunter auch „der beabjihtigten Sprengung des obrigkeitlidhen 
Pulverthurms“ Erwähnung geidhieht, Tautet das Urteil: Herrmann, 
Deisler und Föller jollen zu wolverdienter Strafe und andern 
Böjewichtern zum Schreden dur das Schwert vom Leben zum Tode 
gebradht, das Urteil zuerft an Föller, dann an Deisler und endlid) 
an Herrmann vollzogen und der Joſef Studer angehalten werden 
diefer . . . Erxefution beizumwohnen; alsdann joll Studer auf der 
Richtſtätte gebrandmarkt, auf vierundzwanzig Jahre in die erite 


1% 


Klaſſe des Schellenwerks geichlagen, mit einem Bleh auf dem 
Rüden mit der Aufihrift „Erz-Dieb“ zu öffentlider Arbeit aus- 
geführt, nad) ausgejtandener Strafezeit auf zwanzig Jahr bey höherer 
Beitrafung im Widerhandlungsfalle aus gefammt Löbl. Eidgenoj- 
ſenſchaft verwieſen ... . werden. 

Im 31. Stüd Wöhentlider Nachrichten aus dem Berichthaus 
zu Bajel, Donnerftag 5. Auguft 1819 findet fih unter der Rubrif: 
„Es wird zum Berfauf angetragen“ No. 29: Ueberfiht der Haupt: 
verbredhen der am 4. Auguſt 1819 in Bajel zur Richtſtatt geführten 
- Herrmann, Feller, Deisler und Studer, nebit ihren Bildniffen in 
Feßeln geſchloſſen dargeitellt in gr. 4 à 7 BE, ohne Bildnijje 
; zu haben in der Holdeneder’ihen Leihbiblioth. beym Korn 

aufe. 


3u Brief 6. Profellor Bernoulli. Wahrſcheinlich identisch 
mit dem am Schluſſe desjelben Briefes genannten befannten Ted): 
nologen Chriftoph Bernoulli, geb. am 15. Mai 1782, geit. 6. Febr. 
1863, von 1817—1861 Profeffor der Naturgeſchichte an der hieſigen 
Univerfität. Vgl. Allgem. deutihe Biographie 2, 483 und die 
biographiiche Skizze von Prof. Fritz Burdhardt in der Zeitſchrift 
für ſchweizer. Statiftit 33. Jahrg. 1897. 


3u Brief 7. Portugal. Am 2. Suni 1823 Hatten die 
Cortes, „die noch vor drei Monaten ſich einmütig zu dem Schwur 
erhoben hatten, für die Verfaſſung zu fallen“, nad) dem Abgang 
des Königs in das Lager ihrer Gegner ih fluchtartig aufgelöſt. 
Bol. 6. G. Gervinus, Geſchichte des neunzehnten Jahrhunderts 
4, 693. 


3u Brief 9. Zum Inhalte diefes und der folgenden 
Briefe ift im allgemeinen zu vrgl.: Auguft Bernoulli, Bajel in den 
Dreikigerwirren, 85. bis 88. Neujahrsblatt, Baſel 1907—1910 und 
Karl Weber, die Revolution im Kanton Bafel 1830—1833. Lieltal, 
1907. 

Worte an die Eidgenoſſen. Gemeint iſt damit ohne Zweifel die 
ohne eigentlichen Titel veröffentlichte Schrift: Eidgenoſſen aller 
Kantone! 8 ©. Baſel, den 27. Januar 1831. Unterzeichnet: Ein Verein 
von Bürgern aller Stände und in derjelben Namen: folgen 12 
Unterſchriften. — Drudigriften über die politiiden Wirren im Kan: 
ton Bajel I/1 No. 31 im Staatsardjiv. | 

Gegenerflärung. Gegenbemerkungen auf die Erklärung der 
jogenannten provijoriihen Regierung des Kantons Bajel an die 
gejamte freie Eidgenoſſenſchaft. — Bajel, 27. Januar 1831. Unter: 
ſchrieben: Die ins Reigoldswilerthaler (!) gejandten Offiziere und 
in deren Namen 3. Riggenbad, Major. 7 S. Ebenda No. 38. 

Erklärung. Erklärung von 54 Gemeinden der Landihaft Bafel 
gegen die provijoriihe Regierung und gegen fremde Hilfe. Unter- 
zeichnet den 29. Januar 1831. 8 unpaginierte ©. in 40 Ebenda. 
Nr. 34. 


191 


Verfaſſungsvorſchlag. Ratſchlag über eine Revifion der Ber: 
faffung vom 6. Dezember 1830 und Ratihlag über Feſtſtellung ei- 
niger Hauptgrundjäße zur Reviſion der Verfaſſung. E. E. und W. 
W. Rath eingegeben den 9. Dezember 1830. Cbenda No. 2 und No. 4 
ſamt mehreren anderen einidhlägigen Schriften. 

Proflamation. Proflamation an die Bürger der Landbezirke 
des Kantons Bafel und Appellation an die gejamte freie Eid— 
genofjenihaft von der (durch Gutzwiller und Plattner repräjen- 
tierten) proviſoriſchen (das heißt zehntägigen) Regierung der Land— 
Ihaft Bajel. Getreulih abgedrudt und mit erläuternden Anmer— 
tungen verjehen. Bafel bey Tat. Heinr. von Medel. 1831. 0 ©. 
in 4%. Die von Gugwiller und Plattner unterzeichnete Erklärung 
ift datiert: Aarau, den 19. Januar 1831. — Ebenda. No. 31. 

Amneitiegejeg. Das U. datiert vom 8. Februar 1831. Der 
Borihlag dazu vom 7. Februar 1831. Cbenda No. 43 und 44. 

MWädenihwyl. Ueber dieje Verfammlung, wo der Plan eines 
- Shüßenzuges gegen Bajel entitanden war, vgl. Karl Dändliker, 
Geſchichte der Schweiz. 2. Aufl. 3, 590. — Weber, Die Revolution 
im Kt. Bajel, ©. 49. 


3u Brief 10. Berfaffung des Kantons Bajel von 1831 
famt Ausführungsgejegen. 30 S. Ebenda No. 48. — Die Berfaffung 
war vom Großen Rat am 9., 10. und 11. Februar 1831 und von 
der Bürgerfhaft am 28. desjelben Monats angenommen worden. 

Bürgermeijter Frey. — Tohann Rudolf Yrey, geb. am 30. Nov. 
1781, geit. am 8. Nov. 1859, war Bürgermeifter von 1830—1849. 
Bol. Basler Zeitung 1849, No. 84 und 1859 No. 265; Basler 
Intelligenzblatt 1849 No. 82; Chrijtliher Volksbote 1859 No. 46. 

Tagſatzung. Auszug aus den Protofollen der außerordent- 
Iihen eidg. Tagfagung vom 11. und 12. Hornung 1831 über die 
Angelegenheiten des Kantons Bajel. Gedrudte Abſchrift. 6 ©. Fol. 
Drudichriften II No. 29. Vrgl. au amtlide Sammlung der neuern 
eidg. Abjchiede 1,528 Al. VIII und IX. 


Zu Brief 11. Inſtruktion. Sie lautete dahin, für die 
Basler Injurgenten unbedingte Amneftie und eine nodhmalige Ab- 
ftimmung über die im Februar angenommene Berfaflung zu er: 
langen. ©. Bernoulli No. 86, ©. 35. 

Repräjentanten. Als joldhe haben laut den Unterſchriften auf 
den nadjtehend angegebenen Altenftüden fungiert: Konrad von 
Muralt, Bürgermeifter von Zürich; Cosmus Heer, Alt-Landammann 
von Glarus; ©. I. Sidler, Yandammann von Zug und %. von 
Meyenburg, Bürgermeifter von Schaffhaufen. 

Die Proflamation der NRepräfentanten vom 24. Auguft und 
ihre Proteitation vom 26. Yuguft 1831 in den Drudidriften 1/2, 
No. 8 und 9. 

Gemeindeprälident von Lieſtal war in den Jahren 183034 
Sohannes Holinger, geb. am 29. Nov. 1761, gelt. am 12. Mai 1835. 


192 


Kampf vom 21. Auguft. Vgl. Bernoulli No. 86, S. 23 ff. — 
Meber ©. 78. 
Republifaner. Der jchweizeriihe R. Zürich, Geßner, 1830—51. 


3u.Brief 12. Berichte der Herren Repräjentanten. Als 
ſolche fungierten damals die Herren 3. Zr. von Tiharner und 
V. Glutz von Bloßheim. Es Tiegen im ganzen fieben Berichte vor. 
Der Haupt: und Schlußbericht an die Tagjakung datiert vom 
12. Dez. 1831 (Druckſchriften 1/2 No. 41). Das an Wüeft gefchidte 
Cremplar war zweifellos identiſch mit der Broſchüre „Bericht der 
eidgenöſſiſchen Repräjentanten im Kanton Bafel, Herren 3. Fr. von 
Tſcharner und V. Gluß von Bloßheim, an den hohen Vorort. Bajel, 
den 25. November 1831“, in der die vier Berichte vom 31 Dit. und 
7. Nov. an die Tagſatzung, vom 17. und 25. Nov. an den Vorort, 
der erſte auszugsweije, die andern wörtlich abgedrudt find (Drud- 
Ihriften 1/2 No. 39). 

Großratsbeihluß. Beſchluß des Großen Raths als Folge der 
ftattgehabten Abftimmung über die Trennungsfrage. Gegeben den 
6. Dez. 1831 (Drudichriften 1/2 No. 37). 

Appenzeller. Appenzeller Zeitung. Trogen, 1828—94. 

3u Brief13. Die beiden aargauifhen Tagjagungsgejandten 
waren Dr. Karl Bertihinger von Lenzburg und Oberrichter Gregor 
Lützelſchwab, diefer geb. am 4. Febr. 1793, geft. am 29, Febr. 1860. 


3u Brief 14 Die Gelterfinder Geſchichte. S. Bernoulli 
No. 87, ©. 13 ff. — Weber ©. 136. 

Schnell. Dr. Karl Schnell, geb. am 14. Juni 1786, geft. am 
10. Yebr. 1844. — Vgl. Allgemeine deutſche Biographie 32, 160 ff. 

Borort war in den Jahren 1831/32 Quzern. 

Bürgermeilter Burdhardt. Karl B., geb. am 19. uni 1795, 
geit. am 10. Febr. 1850, feit 1822 vermählt mit Rofina Paravicini 
(} 1835), „einer der ſchönſten Baslerinnen“, wie His feinem Freunde 
gelegentlich jchreibt, wurde 1832 Bürgermeifter. — Vrgl. Stamm: 
tafel IV C; Basler Zeitung 1850 No. 36; Allgem. deutihe Biogra- 
phie 3, 574. | 

Ratsherr Heusler. Prof. Undreas Heusler, geb. am 8. März 
1802, geit. am 11. April 1868. Vrgl. Allgemeine deutihe Biographie 
12, 337. 

Ratsherr Minder. — Samuel Minder, geb. am 2. Sept. 1782, 
geft. am 12. April 1868. ©. „Basler Nachrichten“ vom 15. April 
1868, ©. 724. 


Zu Brief 15. Polen. Vrgl. N. U. Kubalski, Memoires sur 
l’expedition des r&öfugies polonais en Suisse et en Savoie dans les 
années 1833/34. Paris 1836. — Kurz geitreift auch von Treitſchke, 
Deutihe Geſchichte im 19. Jahrh. 4, 298 und 302. 

Frankfurter Empörung. Weber den jämmerliden Putih vom 
3. April vgl. Treitſchke, a. a. O. 4, 300 ff. 


13 0 13 


3u Brief 16. NRippolsau Rippoldsau im Schwarzwald 
w. Offenburg. 
Satobstal im Kt. Thurgau ſö. Yrauenfeld an der Murg. 


3u Brief17. Felix Sarafin, geb. am 7. Oft. 1797, geit. am 
21. Sanuar 1862. Vrgl. Geſchichte der Familie Sarafin in Bajel, 
2, 23 ff., bei. ©. 57. 

CEifenbahn. Die Strede Mülhaufen — St. Ludwig — iden- 
tif mit dem im Brief genannten Burglibre — wurde am 25. Oktober 
1840 eröffnet. Die Strede Mülhaufen— Straßburg, von der einzelne 
Teile zu verjhiedenen Zeiten fertiggeftellt wurden, konnte erſt am 
26. März 1844 und die Verlängerung bis Bajel am 13. Juni des- 
felben Jahres dem Verkehr übergeben werden. — Vrgl. das Reids- 
land Eljak-Lothringen, hrg. vom ftatiltiihden Bureau des Mini— 
fteriums für ©.-2., Straßburg 1898 ff. 1, 158. 


194 


Emil Faeſch, Architekt. 


Beb. 15. Juli 1865, geft. 23. Dezember 1935. 
Don Sriedrih von Thierfch, München. 


Wenn ein Mann in gutem Alter dahingeht, fo ift es 
ein Sohn oder ein jüngerer Freund, welcher ihm den Nachruf 
widmet. Nun greife ich als älterer Freund zur Feder, nicht 
aus Vermeflenbeit, fondern weil ich im Kreis der Freunde 
dazu beftimmt worden bin, dem Frühvollendeten ein Wort 
der Dankbarkeit nachzurufen. Eine innere Stimme fagt mir 
auch: „Du bift es ihm fchuldig.” 

Das Wirken Emil Faeſchs wäre würdig, ausführlicher 
gefchildert und mit vielen Abbildungen feiner Werke aus- 
geftattet zu werden. Denn ein Künftlerleben wird nur der 
ganz verftehen, der die Werke des Künftlers fchaut. Das 
Dürftige und zögernde Wort bringt nur einen ſchwachen 
Erſatz. 

Wenn ich nun verſuche, das Lebensbild Emil Faeſchs 
zu ſtizzieren, fo wird es in dem Rahmen feiner Zeit und feiner 
Umgebung gefchehen müflen. Mit dem reinen Bericht, wird 
auch Kritif verbunden fein, fo gefährlich es ift, wenn. ein 
Künftler den anderen Eritifiert. Auch an Einfeitigleit muß 
diefe Lebensfkizze leiden, da ich dem Verewigten als Lehrer 
und Freund nahe geftanden babe. 

Nicht die Baufchulen find es, die mit ihrer befonderen 
Richtung den Ton der Zeit angeben, fondern einzelnen 
Künftlern ift es vorbehalten, durch ihre Werke bahnbrechend 
zu wirken. 

Bei gemeinfamer Arbeit in der Werfftatt des Meifters 
leben die Traditionen weiter. Dort entwidelt fih, wie in 
alter Zeit, die Kette der Eünftlerifchen Kultur. Deshalb ift 


195 13* 


auch die Beſtrebung berechtigt, den Fünftlerifchen Unterricht 
an den Hochſchulen wieder auf die Grundlage der Werfftatt- 
Arbeit zu ftellen. 

Die im Schuße Tiebreicher Eltern glüdlich durchlebte 
Augend bildet die Grundlage des Lebens. Auch trägt fie 
mehr zur WAusgeftaltung der DPerfönlichkeit bei, als ge— 
meiniglich angenommen wird. Das Elternhaus Emil Faeſchs 
war von jener fonnigen Wärme und echten Frömmigkeit 
durchzogen, in der fich jeder Freund wohl fühlen durfte, zu- 
mal wenn er dort einen Anklang an die eigene Heimat ver: 
fpürte.. Das Haus beim Spalentor war fo recht ein Bild 
des Familienglüds. 

Daß man den Fünftlerifeh begabten Sohn, nachdem er 
unter Fritz Schider die Gewerbefchule befucht und dort den 
Grund zu einem ficheren zeichnerifchen Können gelegt hatte, 
in die Lehre zu den in weiten Kreifen befannten Architekten 
Viſcher und Zueter in Baſel gab, lag nahe. Auch führte 
das freumdfchaftliche Verhältnis zwifchen den Familien 
Faeſch und Thierſch und die gemeinfame religidfe Gefinnung 
zu dem Wunſch, Emil nah München zu ſchicken. Als mein 
Gehilfe im Baubureau war Emil Fäſch bei einer Reihe von 
DBauausführungen, fo auch bei der Errichtung des Bern: 
heimer Haufes und den Vorarbeiten für den Zuftizpalaft 
tätig. In der erften Zeit vermochte er als Hörer an der 
tehnifhen Hochſchule feine wiflenfchaftlihen und Fünft- 
lerifchen Fähigkeiten zu erweitern, und ich gedenfe jo mancher 
anderer junger Schweizer, die vor und nah ihm die Mün- 
chener Hochſchule bejucht haben. 

Es ift für den Lehrer eine befondere Freude, mit einem 
Schüler zu arbeiten, der aus der Praris kommt. Emil Faeſch 
war aber zugleich Gehilfe und Freund. Schon in jenen 
Seiten zeigte ih) das innere Bleichmaß feiner Eigenfchaften 
und der Adel feines Herzens. Wie er mit feinem mufikalifchen 
Sinn die Gemütlichkeit des Familienlebens zu erhöhen 
wußte, fo war er auch gegen jedermann von Steundlichkeit 


1% 


und Wohlwollen bejeelt. Die fonnige Wärme feines Ge- 
müts, die feltene Reinheit und Treue feines Wefens ge- 
wannen jeden, der ihm nahe trat, unmittelbar. Es ging etwas 
wie eine anftedende Kraft etbifcher Gefundheit von ihm aus. 
Auch in dem Haufe meines Bruders Auguft ging er wie ein 
Sohn aus und ein; er wurde den Söhnen dort zum Bruder 
und, man darf jagen, zum Erzieher. Hilfreich und erzieherifch 
bat er natürlich auch auf feine Freunde und feine weitere 
Umgebung gewirkt, und mancher, der jebt um ihn trauert, 
ift mit unvergänglicher Dankbarkeit für ihn erfüllt. Co 
fchreibt einer feiner nächftftehenden Freunde an mid: „Mir 
felbft war er der Freund, den man im Leben nur einmal 
findet. Die DBrüde zu einer anderen Welt, ein Stüd der 
gütigen Vorfehung Gottes auf dem Wege, der die Menfchen, 
die Shm vertrauen, ſchon von weitem Himmelsluft atmen 
läßt. Solcher Verluft wird nicht mehr erfegt.” 

Ein anderer Freund fchrieb in den Tagen der erften 
Trauer an mih: „Ein edler und durch und durch reiner Cha: 
rakter ift mitten im Leben abgefnidt und uns weggeholt 
worden. Mir gebt diefer Verluft befonders nahe. Mit 
fieben Sahren find wir zufammen zur Gemeindefchule ge- 
gangen. Mit meinem Bruder, dem Mathematiker, hatten fich 
intime Bande geknüpft, fo daß lebterer ihm faft täglich im 
Faeſch'ſchen Haus nah der Schule die Aufgaben beforgte. 
Emil zeichnete den Fries der Villa Carlotta von Thor: 
waldfen jo wunderbar forgfältis, daß es mir immer als ein 
Vorbild von feiner Zeichenkunft vorfchwebte. Noch fehe ich 
ihn unmittelbar vor feiner Abreife nah München. Er war 
der Stolz und die Sonne der ganzen Familie Faeſch, und 
unter der einfachen Form wohnte der Ariſtokrat des alten 
Geſchlechtes. Iſt doch der Turm von Thann und die Leicht 
Losgelöfte Endigung des Martinsturms am Basler Münfter 
von einem feiner Vorfahren ausgeführt... . Mit ihm 
finft ein fröhlicher, feines Chriftenglaubens ficherer Menſch 
ins Grab, der bei feinem Amte als Priefter die ſchwere Auf: 


197 


gabe, mitten im Berufe ohne übertriebenen Ehrgeiz zu fteben, 
vol erfüllte.” 

Hier darf ih auch feiner Wirkſamkeit als Geiftlicher 
an der apoftolifchen Gemeinde gedenken. Lange Sahre hin- 
dureh war er die rechte Hand und der jehr geſchätzte Rat- 
geber des leitenden Vorſtehers in Baſel. Für außerhalb 
diefer Gemeinden Stehende mag eine foldhe Verbindung des 
weltlichen und geiftlihen Berufes etwas Unverftändliches 
haben. Es liegt aber im Wefen diefer Gemeinden, daß ein 
Teil der Geiftlihen ihren weltlichen Beruf beibehält und 
beiden nach Kräften dient. So ift es ja auch bei den erften 
riftlihen Gemeinden gewefen. Emil Faeſch, den unbewußt 
man auch ſchon im Profanen als eine Art Seelforger achten 
muß, der mitzutragen wie felten einer verftand; ihm Tag 
eine folche doppelte Wirkfamkeit durchaus nahe. Nicht nur 
als Künftler und Erzieher, fondern auch als Menſch und 
Chrift war er hilfreich und gut. Ja man darf jagen, in diefer 
fpirituellen Seite lag das Geheimnis feiner Kraft. Ohne fie 
wäre er nicht halb gewejen, was er war. 

Wer einmal in der Lage war, zur Durchführung einer 
größeren WUrbeit oder zur Erfüllung feines Berufes eine 
Gruppe von Helfern und Mitarbeitern zu einer fändigen 
Werkftatt zufammenzufegen, der weiß, wie ſchwer die Aus- 
wahl der Perfönlichkeiten ift, und wie leicht durch die Ver— 
fchiedenheit der Charaktere und Anſchauungen Störungen in 
der gemeinfamen Arbeit eintreten. Da ift es denn ein be: 
fonders glüdlicher Umftand, wenn unter den divergierenden 
Kräften ein verfühnliches und friedenftiftendes Element fißt. 
Diefes war in jenen Zeiten auf meinem Münchener Utelier 
Emil Fach. Seine vermittelnde Hilfe habe ich ftets mit 
befonderer Dankbarkeit empfunden. 

Sn hohem Maße zeigte fich die erzieberifche Gabe, als 
er nad feiner Münchener Zeit und einer fie frönenden 
Studienreife in Stalien als Leiter des Gewerbemufeums und 
als Lehrer der Gewerbefchule in den Dienft feiner Vaterftadt 


198 


trat und damit eine Stellung übernahm, die der durch das 
Münchenfteiner Unglück fo jäh dahingeraffte unvergefliche 
Bubeck verwaltet hatte. In folchem Amte galt es nicht nur, 
das Penjum des Unterrichtes durchzunehmen, fondern auch 
dem Schüler das Fünftlerifche und geiftige Auge zu Öffnen 
und ihn der Freude an der Arbeit zuzuführen. Auch dort 
bat er fid manche bleibende Dankbarkeit erworben. Sch er- 
innere mi 3. DB. eines jungen Mannes, der den Eltern 
Sorgen gemacht bat, da er in den Schulen nicht recht anzog 
und körperlich zart entwidelt war. Emil Faeſch wußte ihn 
mit liebreiher Hand zu nehmen, und es erwachte die Arbeits- 
luft, verbunden mit einer befonderen Fünftlerifchen Begabung, 
gleich einer wunderfamen Blume Der Lebensweg diefes 
Schülers ging von da ab aufwärts. So wird es auch mit 
manchem anderen gegangen fein. Die Jugend jpürte es 
bald, daß er fie lieb hatte. 

Aber nicht nur die Schüler der Gewerbejchule, auch 
Lehrer und Direktor haben Emil Faeſch viel zu verdanken 
gehabt. In glüdlichfter Weife, von allen als eine Wohltat 
empfunden, hat er zwilchen der autofratifhen Natur von 
Eduard Spieß und feinen Rollegen vermittelt. Durch feinen 
ausgeprägten Gerechtigkeitsſinn, feine ruhige, leidenfchaft: 
lihen Smpulfen nicht zugängliche Belonnenbeit, fein Flares 
jachlihes Urteil, feine herzlich verföhnliche Art hat er auch 
da die fchroffen Gegenfäße vielfach ausgeglichen, zum Zeiten 
des Ganzen immer wieder zum Frieden gewirkt. Sm Lauf 
der Zahre wuchs noch das ihm eigene Maß von Umficht und 
Weisheit, aus der Harmonie feiner inneren Kräfte fih ent- 
widelnd, und machte ihn, wohin er fam, zum geborenen Be— 
rater feiner Imgebung. Jeder fplirte, wie unbedingt ge- 
wiſſenhaft und rechtlich, vor allem wie ſtrenge Faeſch gegen 
fich jelbft war. So wandte fih ihm rafch das allgemeine 
Bertrauen zu. Don ihm fonnte man wirklich fagen: ein 
Mann wie Gold! — unbedingt zuverläffig, befcheiden und 
innerlich vornehm zugleich. 


199 


Zu feinen Verdienften im Schulwefen gehört die Or- 
ganifation von Sammlung und Bibliothef des Gewerbe: 
mufeums, einer Einrichtung, die bei feiner gewerblichen Schule 
fehlen darf und dank welcher der Jugend eine Fülle von Be— 
lehrung geboten wird. i 

Nicht nur ein gediegener technifcher Zeichenunterricht in 
KRonftruftion und Ornament, fondern auch das freie Studium 
nad) der Natur in ihrer Form und Farbe, jener Quelle aller 
wahren Schönheit, lag ihm am Herzen. Wie wenige konnte 
er fih freuen auch an den Eleinften Dingen, dankbar jein 
auch für die geringfte Gabe. Unerfchöpflich war feine Freude 
gerade an dem, was die Natur uns darbietet im Kleinen wie 
im Großen. Auch darin hat er fih eine Findlihe Reinheit 
und Srifche der Seele ftets bewahrt. 

Es ift fehwer, die Tätigkeit eines praftifchen Architekten 
mit wenig Worten zufammenzufaflen. 

Sie ift ein Kampf mit den Unvollkommenheiten der 
menſchlichen Natur, ſowohl der eigenen als derjenigen der 
Bauherrn und der ausführenden Kräfte. Nicht in ruhiger 
Zurüdgezogenheit, wie der Maler und Bildhauer, kann fi 
der DBaumeifter feiner Kunſt hingeben; er muß hinaus ins 
„feindliche Leben" und muß eine Flut von geichäftlichen und 
perfönlichen Schwierigkeiten überwinden, um das, was ihm 
vorfchwebt, zu verwirklichen. Sm Verhältnis zu diejer ge- 
ihäftlichen Laft ift der Anteil der Runft oftmals verzweifelt 
gering. Deshalb ift es einem Architelten von Herzen zu 
gönnen, wenn er auf dem dornenvollen Wege des friedlichen 
Wettkampfes Schließlich die Ausführung feiner Gedanken er- 
ringt, und wenn es ihm befchert ift, fih und feiner Heimat 
bleibende Denkmäler zu feßen. 

Wie im Handelsgebiet Qualität und Preis der Ware 
den Ausichlag gibt, fo ift es auch auf dem Gebiet des geiftigen 
Wettbewerbes. Auch der Beſte muß fih in die Schranken 
wagen und muß ehrlich mitfämpfen, um das irdiſche Kleinod 
des Erfolges zu erringen. Rommt der Erfolg nicht fo, wie 


200 


man fi ihn erjehnt hat, fo gilt es, den Kopf hochzubalten 
und fih auf den nächſten „Gang“ zu rüften. 

So war es zu allen Seiten, die Großes geleiftet haben. 

Man fann es verftehen, daß e8 dem Manne, der fich als 
Architekt in feiner Vaterftadt niederließ und dabei mit feinen 
Freunden Friedrich Werz und Paul Huber in Wiesbaden 
im Bunde ftand, unmöglich wurde, alle die herankommenden 
Aufgaben zu bewältigen. So legte er im Zahre 1897 nad) 
fünf Sahren feine Arbeit am Gewerbemujeum nieder, bebielt 
aber feine Tätigkeit in der Bauformenlehre und in den Fach: 
furfen bis an fein Lebensende bei. In gar manchen Be: 
amtungen hat er feiner Vaterftadt treu gedient. So war er 
neun Jahre hHindurh Mitglied der Runftlommiffion. Welche 
Bedeutung fein unermüdliches Schaffen für Baſel und die 
Schweiz gewann, die er auf dem Weltkongreß der Architekten 
in London 1906 inoffiziell, aber ehrenvoll vertreten durfte, 
wird aus der nachfolgenden Schilderung feiner wichtigeren 
Entwürfe und ausgeführten Bauten hervorgehen. 

Schon im Jahr 1897 beginnen die Studien zur Basler 
Rheinbrüde. Die alte Brüde, aus Stein: und Holzpfeilern 
mit gerader YUeberdedung beftehend, war unhaltbar geworden, 
und jedes Hochwafler gefährdete ihren Beſtand. Nur un- 
gern trennte man fi) von dem malerifhen Bild, von den 
grauroten, fpignafigen Sandftein-Pfeilern, von dem gotifchen 
„Käppeli“, das in der Mitte errichtet war, und den Kalt: 
feinfanzeln zur Beſchwerung der hölzernen Strompfeiler. 
Aber „gut Ding braucht Weil”. Erft 1905 Eonnte die neue 
Brüde eingeweiht werden. Es war auch Feine leichte Sache; 
denn die rafchen Wellen des Altvaters Rhein follten in 
Baſel zum erftenmal unter eine vollkommen fteinerne Brücke 
gezwängt werden. Ohne die rührige Arbeit des Herrn Al— 
bert Buß, mit deſſen Firma Emil Faefh noch manchen 
anderen Sieg feiern durfte, wäre es wohl auch in diefer Zeit 
nicht zu einer Brüdenerneuerung gefommen. 

Sch erinnere mich fehr wohl an diefe „Schwergeburt”, 


201 


deren Einzelheiten nicht hieher gehören; denn es war eine 
ganze Gruppe von Ingenieuren und Architekten, die ihr Beſtes 
zujammen taten. In diefer gemeinfamen Arbeit liegt ein 
Segen. Die Trennung von Ingenieur: und Hochbaufunft 
ift eine minderwertige moderne Erfindung. Die beiden Be— 
rufe waren früher Eins, und nur die PVielfächerei unferes 
Schulwefens hat fie zu Unrecht auseinander geriffen. Die 
Entwidlung der Technik bat zu dem Glauben geführt, daß 
im Gebiet des Sngenieurbaus die „Runft” Feine Heimat habe. 
Das ift längft überwunden, und unfere Zeit fieht ein, daß 
jedes Werft menſchlicher Konftruftion Fünftlerifchen Ge: 
halt bat. 

Nachdem der Gedanke für die Basler Rheinbrüde ein- 
mal ducch den Sieg im Wettbewerb Hargeftellt worden war, 
tonnte man die Ausführung ohne Sorge den am Orte tätigen 
Kräften überlaffen. Mit großer Hingebung bat Faefch die 
architektonische Arbeit durchgeführt und fo für feine Vater: 
ftadt ein Denkmal von bleibendem Werte fchaffen dürfen. 
Vielleicht ift die Wahl des hellen Granites für die Brücke 
nicht ganz glüdlich geweien. In Deutjchland find wir ver- 
wöhnt durch den grauen Mufchel: und den belleren Donau: 
fall. Beide find dem Granit überlegen durch die feinere 
Farbe im Alter und durch die malerifhe Wirkung des un- 
gleichmäßigen und abwechslungsreichen Kornes der Struktur, 
welche uns fchon durch feine Rauhigkeit bei neuen Bauten 
ſympathiſch anfprieht. Granit hat das mit Runftftein gemein, 
daß er für die „Wärme des Alters” unzugänglich if. Noch 
vor dem Ende feiner Arbeit erbaute er auch das Spillmann- 
haus am Basler Brückenkopf und feste fo zwiſchen Brücke 
und Stadt ein Bindeglied ein, welches fi) in Anlehnung an 
beide als ein liebenswürdiger Vermittler darftellt. 

Wieviel Unglüd entſtehen kann, wenn fih inmitten der 
Altftadt ein neuer Bau in aufdringlihen und unverdauten 
Formen rüdfichtslos breit macht, davon kann der ein Lied 
fingen, der den Basler Marftplat betritt. Es ift ein Haupt- 


202 


verdienft der Wendung zur vollstümlichen Kunſt, daß folche 
Mißgriffe heute unmdalich find. 

Die Gefahr, daß hier am Großbasler Brückenkopf ein 
ähnliches Unheil geichähe, war tatfächlich vorhanden. Gie 
wurde durch Faeſchs Spillmannhaus glüdlich vermieden. 
Sn einfachen, großen und flähigen Formen ift der Bau— 
törper fo entwidelt, daß er an die einheimifche Bauweiſe 
anklingt und dabei Doch fein Weſen als Neubau und feine 
Zugehörigkeit zur Brücke fefthält. 

Daß die Baulinienfrage bei derartigen Aufgaben von 
der größten künſtleriſchen Wichtigkeit ift, hat wohl bisher 
nicht vol zum allgemeinen Verftändnis durchzudringen ver- 
mocht. Faeſch war bemüht, auch hier das Richtige zu er- 
fämpfen und die GStarrheit der Bauflucht zu überwinden. 
Bei der Ausgeftaltung des Spillmannfchen Haufes hat auch 
Faeſchs treuer Gebilfe: Faucherre feine Verdienfte. 

In München hatte fih Faeſch mit Friedrih Werz aus 
MWiesbaden befreundet. Seine Beziehungen zu Paul Huber 
gehen in die erfte Schulzeit zurüd. Obwohl verjchieden be- 
gabt und aus verfchiedenen Schulen ftammend, fühlten fich 
die drei KRünftler zu gemeinfamer Arbeit zu einander hin— 
gezogen. Von 1902 ab finden wir Werz und Huber in 
Wiesbaden vereinigt, aber Doch noch in manchen Fragen 
von Faeſch beeinflußt. Er war e8 eben, der die Gegenfäße 
auch hier zu vereinigen wußte und deflen Autorität man fi 
gerne fügte. 

Sn Gemeinfhaft mit Faeſch und Huber errang Werz 
1898 bei dem Wettbewerb für das Wiesbadener Rurhaus 
einen Preis. Das Programm für diefen Bau befand fi 
damals noch in unreifem Zuftand, da es nicht auf einem ge- 
funden Vorprojeft aufgebaut war. Erft als Friedrich Werz 
und Paul Huber die Anregung gegeben hatten, eine Wandel- 
halle einzufchalten, Eonnte eine Löſung entftehen, zu deren 
Ausführung ich fpäter berufen wurde. 

Bei den gelungenen Pavillonbauten, die Faeſch am 


203 


Anfang des neuen Zahrhunderts für feine Vaterftadt aus- 
führte, zeigt ih ein offener Sinn für die neueren Runft- 
beftrebungen und die Anpaflungsfähigkeit an die Eigentüm: 
lichkeiten der Eifenfonftruftion. 

Das Trambahnhaus am Barfüßerplas nimmt als ein 
Werf moderner Konftruftion weniger Rüdficht auf feine alte 
Umgebung, als es möglich gewefen wäre. Aber „rüdfichts- 
vol” ift die elektriſche Bahn ſchon an fih nicht, wenn fie mit 
eiferner Furche das Herz unferer alten Städte durchquert. 
Natürlicher zeigt ih uns der einfache Zirfigtalbahnhof mit 
feiner Iuftigen Vorhalle. Aus diefer Zeit ſtammt auch der 
hölzerne Mufitpavillon auf der Schützenmatte mit feiner 
verfenkbaren Vorderwand. Daß man das Holz als Material 
für diefen Bau wählte, hatte auch darin feinen Grund, daß 
es der Akuſtik befonders günftig ift. 

Im Fahre 1903 trat Faefh mit Hindermann und Mund 
zujammen, um mit Erfolg eine Lanze im Basler Bahnhof: 
wettbewerb zu brechen. Zunächſt fchien diefer Gang des 
Turniers unentfhieden zu fein. Darnach aber waren es 
die Basler Architekten E. Faeſch und E. La Roche, die für 
die Generaldireftion auf der Grundlage der Faeſch'ſchen Ar— 
beit das endailtige Projekt zufammenfchmiedeten und im 
Sabre 1904 zur Ausführung brachten. 

Der zu früh verftorbene Olbrich war bei jenem Bewerb 
mit einem dritten Preife bedacht worden. Seine Arbeit 
fand aber gleichwohl an erfter Stelle nah der Meinung 
ſolcher Fachleute, die ihren Sinn für die guten Seiten der 
neueren Runft nicht verfchloffen haben. Die Schweizerische 
Bauzeitung hat feinerzeit den Olbrich'ſchen Wettbewerb- 
Entwurf eingehend veröffentliht. Das Basler Bahnhof: 
projeft war eine von Olbrichs beften 2Urbeiten. 

Mehr und mehr gewinnt die Frage an Berechtigung, 
ob es angezeigt ift, unferen Verkehrsbauten, deren Lebens- 
dauer bei der ungeahnten Entwidlung des Verkehrsweſens 
vecht beſchränkt ift, überhaupt mit einem monumentalen Ur: 


204 


hitefturgewand zu verſehen. Iſt es nicht richtiger, einem 
Haus, in dem der reifende Menih nur wenige Minuten 
weilt, die allereinfahften Formen des Nutzbaus zu geben, 
wie fie der Flüchtigkeit des neuern Verkehrs entfprechen? 
Wenn gleichwohl heute noch architekturftrogende neue Bahn— 
höfe entftehen, fo wirkt hier die Eiferfucht der Städte, Staaten 
und der Verkehrszentren mit, eine Eiferfucht, die ja, wie 
uns die alte Runftgefchichte lehrt, auch manchmal Gutes ber: 
vorgebracht bat. 

Der Faeſch-La Roche'ſche Basler Bahnhof befteht in 
Ehren als eine tüchtige Leiftung. Bei den eifernen Bahn— 
bofhallen bat fih Faefch bemüht, in Verbindung mit Buß 
der Löfung des Problems folcher Konſtruktionen näherzu- 
fommen. Daß es ihm bier nicht ganz gelang, bis zur 
äußerften Konſequenz durchzudringen, liegt in der Schwierig- 
feit der Sache jelbft. 

Sn die Jahre 1905—1906 fällt der IImbau des Haufes 
Ab. Buß in der Schügenmattftraße. Trotz aller Schwierig- 
keiten löfte Faeſch die unerfreuliche Aufgabe mit gutem Er- 
folg. Freier und einheitlicher wäre ein vollftändiger Neu- 
bau geworden, was Bauherr und Architekt vielleicht zuletzt 
felbft eingefehen haben. 

Unendlih mühevoll und vielgeftaltig ift für den Bau— 
meifter die Errichtung des Familienwohnhaufes. Jedesmal 
liegen die Wünfche des Bauherrn oder der Bauherrin ganz 
verfhieden. Das rein Geſchäftliche und Finanzielle über: 
wiegt das Snftallatorifche und Wohntechnifche fo ftark, daß 
es ſchwer ift, den Fünftlerifchen Anforderungen geredyt zu 
werden. Semper hat einmal fehr treffend geſagt: „Wer ein 
Haus gerecht beurteilen will, muß den Baumeiſter und den 
Bauherrn fragen.“ 

Gelingt es dem YBaumeifter, den Bauherrn davon zu 
überzeugen, daß er allein das Haus gebaut habe, fo hat er, 
der Baumeifter, jedenfalls feine Sache gut gemacht. 

Wir fehen Emil Faeſch in der Folge mit einer Reihe 


205 


von Familienbhäufern und Villen befchäftigt, welche einzeln 
zu befchreiben bier zu weit führen würde. Soviel darf aber 
bier gefagt werden, daß an ihnen jene gejunde und heiß er- 
kämpfte Entwidlung zur Einfachheit beobachtet werden kann, 
die unferer neuen vielwiffenden Baukunſt bitter not tut. Er: 
fcheint ein Werk natürlih und einfach, fo ift es meift ein 
Erzeugnis von Selbſtzucht und geiftiger Reife. 

Wohl die befanntefte unter Faeſchs Geſchäftsbauten ift 
das Bankhaus der Schweizerifhen Kreditanftalt an der 
Sreienftraße, das im Jahr 1906 feiner Beftimmung über: 
geben werden konnte. Mit Recht bat die Schweizerifche 
Bauzeitung in ihren DVlättern eine eingehende Veröffent: 
lichung diefes Bauwerkes unternommen. 

Den weitgehenden gefchäftlihen Anforderungen der 
Bauherrin ift der Architekt hier mit einer vorbildlihen Hin- 
gabe an Planbearbeitung und Bauausführung entgegen- 
gefommen. Bei der inneren Ausftattung wurde durch die 
Wahl echter Materialien und guter Farbenzufammenftellung 
mancher wohltuende Effekt erreicht. 

Man kann vermuten, daß der Architekt die Hauptfacade 
noch einfacher geftaltet haben würde, wenn er den Bau ein 
zweitesmal zu machen befommen hätte. Bei dem flarfen 
Lichtbedürfnis folcher Gefchäftshäufer gibt es an der Schau: 
feite jenen Rampf zwifchen den großen Fenfteröffnungen 
und den nad Fläche ringenden Mauerförpern. Rommt nun 
noh der Wunfh nach einer vertifalen Lifenengliederung 
hinzu, fo entfteht leicht des Guten zu viel. Der Werfftein 
ift an fich fchon eine Gewähr für monumentale Wirkung, 
und es bedarf nicht viel architeftonifcher Einzelformen, um 
das Ganze zu einer ruhigen Wirkung zu bringen. Un den 
einfachen, in engen Straßen gelegenen alten Stadthäufern 
können die jegt lebenden Architekten immer noch für ihre Auf: 
gaben hinzulernen. 

Zwei Erfolge auf dem Gebiet des Brückenbaus hatte 
Faeſch in der Verbindung mit der Firma Buß in den nächſten 


206 


Jahren zu verzeichnen: Einmal im Jahre 1909 beim Wett: 
bewerb für die Rheinbrüde bei Rheinfelden und dann im 
Sabre 1911 bei dem zweiten Wettbewerb für die Loraine- 
DBrüde in Bern. 

Sm erften Falle war Architekt Franz Habich in Rhein- 
felden als Mitarbeiter beigetreten. Der Entwurf errang 
einen dritten Preis. Der Strom wird dort von der Inſel 
des Burgkaſtells in zwei Arme geteilt, und die neue Brücke 
mußte, dem Zug der alten folgend und die Inſel benügend, 
im Knick hinübergeführt werden. Bei der notwendigen Flach: 
beit der Bogen griff man zur Konftruftion mit armiertem 
Beton mit Dreigelenkbogen, eine Auskunft, die heutigen 
Tages unvermeidlih ift, und die möglihft viel von der 
monumentalen Wirkung der echt gewölbten Steinbrüden in 
die Zukunft hinüberrettet. Schade, daß feine Veranlaflung 
da war, die Infel mit einem intereflanten Aufbau zu beleben, 
welcher ein Gegenftüd zu dem gelungenen Zorbau auf der 
" Schweizer Seite hätte abgeben können. 

Danfbarer lag die Aufgabe im zweiten Falle. Schon 
bei dem erften Wettbewerbe im Jahre 1897 war Faeſch in 
Berbindung mit Buß ein zweiter Preis zugefallen. Dem 
neuen Entwurf, den E. Faeſch mit den Ingenieuren E. Gub-: 
willer und U. Lufler der Firma Buß zufammen bearbeitete, 
wurde der erfte Preis zuerkannt: Ein mächtiger, mit 88 m 
Stüßweite aus VBetonquadern gewölbter Bogen überfpannt 
zwifchen ihren fteilen Talhängen die in der Tiefe braufende 
Ware. Der ungefünftelte und große Wurf diefer Arbeit und 
die Echtheit des gelenflojen Hauptbogens hat etwas Herz- 
erquidendes. Erwünſcht wäre es natürlich, wenn es die 
Koften geftatten, überall natürliches Material zu verwenden. 
Der Eindrud würde einheitlicher und im Laufe der Zeit 
malerifher. Es wäre in hohem Grad erfreulich, wenn der 
ſchöne Entwurf, deflen Ausführung nur hinausgeſchoben 
wurde, zu Ehren der ION Hauptftadt feine Ver⸗ 
wirklichung fände. 


207 


Daß es Faeſch verftand, fih dem Landfchaftsbild der 
Stadt Brugg mit dem Bau der Yargauifchen Hypothefen- 
banf vortrefflih anzupaflen, zeigt das dort im Jahre 1908 
entftandene Bauwerk. Es ift feine anfpruchsvolle und groß- 
ftädtifche Löfung, fondern ein angenehmer Gruppenbau, der 
dem mit alten Bäumen belebten Plate fih gut einfügt und 
mit dem baroden Turm der Fatholifchen Kirche ein gut ver- 
träglihes Gefamtbild abgibt. Ein weifes Maßhalten in 
der Verwendung der Motive, die Ausdehnung des Sockel— 
mauerwerfes al3 Plateinfaffung und die Einrahmung der 
Gartenteile machen die Löfung befonders fompathifh. Zwei 


Jahre fpäter entftand dort das fchlichte Bezirkskrankenhaus. 


Der Hauptbau wird erft dann ganz verftändlich fein, wenn 
einmal fein Oftflügel vollends ausgebaut fein wird. Auch 
hier liegt der befondere Reiz in der Rnappheit der Programm: 
erfüllung und in der liebenswürdigen Zurüdhaltung der 
Einzelform. Anſprechend ift auch der eingeſchoſſig angelegte 


ebenerdige Abfonderungsbau mit feiner Iuftigen Vorhalle 


inmitten des Anftaltsogartens von regelmäßiger Anlage. 
Sm Fahre 1910 errang Faeſch den erften Preis für die 
Hohbauten des zu erftellenden Kraftwerkes mit Schiff: 
Schleufe in Laufenburg gegen deutfche Architekten im engern 
Wettbewerb, der von der Deutfch-fhweizerifchen Waſſerbau⸗ 
oefellichaft ausgeschrieben war. Mit wenigen Aenderungen 
wurde der Faeſch'ſche Entwurf der Ausführung zugrunde 
gelegt. Im Gegenſatz zum Kraftwerk Augſt-Wyhlen legt 
fih Hier die ganze Anlage mit dem Turbinenhaus als eigent- 
liche Zalfperre zwifchen das fchweizerifche und badiſche Ufer. 
Wohl wurden viele Stimmen laut bei der Niederlegung 
der zum Zeil hölzernen gededten Brücke in Laufenburg und 
dem Verſchwinden des herrlichen Waflerfpieles der Strom: 
fchnellen, die infolge der Stauung des Rheines und eines 
befieren Durchflufles geopfert werden mußten. | 
Faeſch wußte fi in meifterhafter Weife der land- 
ichaftlich fo fchönen Gegend anzupafien, mit fachlicher Ver⸗ 


208 


00T 


wendung der gebotenen Materialien für die Hoc: und 
Wehrbrüdenbauten. Als Kopf der Anlage jchließt das Tur— 
binenhaus mit einem großen fchlichten Turmbau ab, der zu 
Berwaltungszweden eingerichtet wurde. Auch das Innere, 
im befondern die mächtige Halle mit ihrer vom hoben Stand 
der fchweizerifchen Technik zeugenden Maſchinen beweift die 
fihere Geftaltungsgabe Faeſchs und fein Verfländnis, Hand 
in Hand mit den Ingenieuren zu arbeiten. 

Oberhalb der Kraftwerfanlage im ſog. Siechenbyfang 
ift mit der Anlage einer Wohnhäufergruppe begonnen worden, 
in welcher zwei Direktoren ihr eigenes Heim im Jahre 1913 
beziehen Eonnten. Der Reiz diefer beiden einfachen Häufer 
liegt in der zweddienlichen Einordnung in unjere heutigen 
MWohnungsbedürfniffe. Jedem Gebäude konnte ein groß- 
angelegter Garten mit zum Zeil altem Nußbaumbeftand bei- 
gegeben werden. | 

Sm Bau befindet fih, gemeinfam wiederum mit Buß 
& Cie. erftellt, eine ebenfalls große Kraftwerkanlage in Faal 
in Steiermarf, die von Faeſchs Mitarbeiter Faucherre aus- 
fchlieflich bearbeitet und vollendet wurde. 

Die immer mehr fih entwidelnde eleftrifche Induſtrie 
rief auch bei dem Kraftwerke in Badiih-Rheinfelden nad 
einem eigenen Verwaltungsfiß, der gemeinfam mit Stanz 
Habich in den Zahren 1908—1910 erftelt worden ift. 

Schon vom fehweizerifchen Rheinufer her präfentiert fich 
das Gebäude als eigentliher Gefchäftsbau mit weifer Ver: 
teilung von Fenfter- und Mauerfläche und dem großen Man- 
fardendache, das die Zeichenrdume aufzunehmen hatte. Der 
Eingang und die Vorhalle erhielten eine Verkleidung in 
bayriihem Mufchelkallfandftein, der in Ton und Struktur 
dem aus der Gegend entnommenen Bruchſtein entfpricht und 
ein hbarmonifches Gefüge mit dem Sodel und der Einfriedi- 
gung ergibt. Ein dekorativer Pußfries zieht fi um das 
Dachgeſims herum und gibt der Anlage eine etwas beiterere 
Rote. 


209 3“ 


Sm Innern find anfprehende Wartehallen für das 
Publikum, fowie die Bureaur für die Direktion zweddienlich 
geſchaffen worden. 

Auch bier, wie bei fo vielen Bauten Faeſchs, ift mit 
Liebe und Sorgfalt ein Pla dem Kunfthbandwerf, im be: 
fondern der Schmiedekunft, eingeräumt worden. 

Sm Anihluß an das PVerwaltungsgebäude find einige 
Beamteneinzelhäufer erftellt worden, die alle nah Licht und 
Luft gut orientiert und zufammen mit dem Hauptbau eine 
vorzügliche Baugruppe ergeben. 

Als freiftehendes Gefchäftshaus von anmutiger Gliede- 
rung darf das Perwaltungsgebäude der Firma Genny in 
Ziegelbrüde vom Fahre 1911 angefprochen werden. Wir 
begeanen bier wieder der wohldurchdadhten und den geichäft- 
lihen Anfprüchen gerecht werdenden Anordnung im Inneren, 
welcher die äußere Baugeftalt fcheinbar mühelos entipringt. 
Auch ift mit der einzelnen Bauform haushälterifch verfahren, 
was nicht verhindert hat, das Innere in gediegener Aus— 
fattung durchzuführen. Auch dort verbindet fih Faeſchs 
Kunſt mit der feines langjährigen und hervorragenden Ge- 
bilfen Faucherre. Als angefchmiegter Seitenbau von Heinen 
Abmeſſungen fchließt ih das Pförtnerhaus an das Haupt— 
gebäude an. Bei diefer engen Verwachſung ift die Ver— 
fhiedenheit des Maßſtabes glüdlich überwunden, und ge- 
wiſſe Aehnlichkeiten treten zutage, wie wir fie in der Natur 
zwifhen Mutter und Rind beobachten. 

Ueberall wird man es ja nicht verteidigen können, daß 
der Zwed der Innenräume fi auch im Außenbau klar aus: 
drüden fol. Bei Wohn: und Geſchäftshäuſern ift, von dieſem 
Gefichtspunft aus betrachtet, die Mannigfaltigfeit der Typen 
fehbr groß. Dauernd werden jedoch vorwiegend folche Lö— 
jungen befriedigen, bei denen es gelingt, Die Gefamtheit der 
inneren Bedürfniffe und der einfachen parallel:epipedifchen 
Geftalt der Baukörper mit einem ebenfo einfachen Dach zu 
verbinden. Der gefunde Zug unferer Zeit räumt auch mit 


210 


der „Vieldächerei”, d. b. mit der Anwendung vielgeftaltiger 
und umftändlicher Dachbildungen an ein und demſelben 
Bau auf. 

Wie vornehm und wohltuend eine Rompofition folch 
einfacher Art auf den Befchauer wirkt, läßt fih an dem in 
den lebten Zahren entftandenen Neubau der Schweizerischen 
Rüdverfiherungsgejelihaft in Zürich erkennen. Die Fünft- 
lerifhen Verdienfte diefer Arbeit, an der Faeſch mehr nad 
der praftifchen Seite mitzuwirken berufen war, find dem 
Zürcher Architekten von Senger zuzufchreiben. Es entzieht 
fih meiner Beurteilung, wie weit bei diefer gemeinfamen 
Arbeit die geiftige Machtiphäre des Einzelnen gegangen ift. 

Emil Faeſch hatte bei dem erften Wettbewerb für das 
Basler Runftmufeum als Preisrichter mitgewirft. Nach: 
dem fich die Regierung entichloflen hatte, den Neubau auf 
die Schüßenmatte zu ftellen, war im Jahr 1914 ein neuer 
Wettbewerb ausgejchrieben worden, an dem fih Faeſch noch 
mit voller Kraft beteiligte. Ein erfter Preis fam nicht zur 
Verteilung; fein Entwurf wurde aber, wie derjenige Ber— 
noullis, mit einem Preije im erften Range ausgezeichnet. 
Man flaunt über die Verfchiedenartigkeit der Löfung zwifchen 
den erftprämierten und den anderen preisgefrönten Ent: 
würfen und kommt bald zu der Meinung, daß es die Srei- 
beit der Situation auf der geräumigen Ochligenmatte war, 
aus der fich diefes Refultat erflärt. Wenn Faeſchs Arbeit 
im Aeußern mehr den Charakter der Spätrenaiflance an fich 
trug, fo finden wir in Bernoullis Arbeit mehr einen Haffi- 
ziſtiſchen Wurf. Die beiden Erftprämierten wurden ver- 
anlaßt, unter VBerüdfihtigung gewiffer Wünfche der Runft- 
fommiffion ihre Entwürfe umzuarbeiten. Die Wahl fiel 
dann auf Bernoulli, und Faeſch erlebte den Schmerz, zu 
unterliegen. 

Die Rämpfe um den Basler Mufeumsbau haben mit 
Faeſchs letter Erkrankung nichts zu tun. Es war ein or- 
ganiſches Leiden, welches feinem Leben ein leider allzu frühes 


211 14° 


Ziel ſetzte. Eine Perbitterung trat bei Faeſch nicht ein. 
Die göttliche Vorſehung erhielt ihm feine Freudigkeit und 
fein Wohlmwollen bis an das Ende. 

Allzu früh abgebrochen erfcheint ung der Lebenslauf 
unferes Emil Faeſch, jäh zerriffen das Glüd feines vorbildlich 
barmonifchen Familienlebens; denn mitten in feiner beiten 
Kraft ging er dahin, beweint von allen, denen er in welt- 
lihen und geiftlihen Fragen fo viel hatte ſchenken fünnen. 

Ueberbliden wir die Summe feiner Arbeit, fo liegt ein 
reiches und glüdliches Leben vor ung. Daß er, der Tradition 
der alteingefefienen Familie und einem befonderen Wunfche 
feines alten Waters entiprechend, gerade feiner Vaterftadt 
und feinem Vaterland die Hauptkraft feiner Arbeit und feines 
Lebens widmen durfte, hat ihn immer mit Freude und ge- 
rehtem Stolz erfüllt. Auf diefer feiner Tätigkeit in der 
alten Heimat lag ein befonderer Segen. Baſel hat in ihm 
zweifellos einen feiner allertreueften und beften Söhne ver: 
loren. 





212 


Aus den Aufzeichnungen 
des Lohnherrn Jakob Mieyer. 
670-1673. 

Don Sris Baur, 


Dr Lohndherr Jakob Meyer ift kein Un— 
befanntr. Fritz Burckhardt Hat von ihm in feiner 
Arbeit über Pläne und Karten des Baſelgebiets (Basl. 
Zeitfehr. V, 306 ff.) ausführlich gehandelt, indem er feine und 
feines Sohnes Georg Friedrih Tätigkeit auf dem Gebiet 
der Landesvermeflung erörterte. Weiter bringt das Yurgen: 
werk von Walter Merz eine ganze Reihe von Zeich- 
nungen feiner Hand, beitimmt, bei der Fartographifchen 
Wiedergabe des Bafelbiets als Materialien zu dienen. Es 
find flüchtige Skizzen, nicht zu vergleichen mit den forafältig 
ausgeführten Heinen Zeichnungen des eben genannten 
Sohnes und Gehilfen Georg Friedrih, die man gleichfalls 
im Burgenbudh findet. 

Den bei Burdhardt abgedrudten Perfonalien if 
zu entnehmen, daß Jakob Meyer am 21. Auguſt 1614 in 
Baſel geboren wurde. Er ftudierte einige Zeit Theologie; 
während eines Aufenthaltes im Ausland machte er in der 
Rechen-, der Abmeſſen- und der Fortififation-Runft „treff: 
liche Progrefius". Dann wirkte er 1641—1659 als Schul: 
lehrer zu Barfüßern. Nachdem ihm ſchon 1659 die Schaff: 
neien zu St. Martin und zu Auguftinern waren anvertraut 
worden, verwaltete er von 1668 an das wichtige Lohnamt. 
Er hat eine Menge von Plänen und Aufnahmen, viele da- 
von gemeinfam mit feinem Sohn, ausgeführt, auch eine 
Reihe von mathematifchen Lehrbüchern herausgegeben. 
Bon diefen Werken, foweit fie noch vorhanden find, hat 
Fritz Burckhardt am angeführten Ort ein Verzeichnis ge- 


213 


geben. Meyer ftarb am 21. Zuni 1678, 63 Jahre und 
10 Monate alt. 

Durch Zufall find in meine Hand fünf Kalender ge- 
fommen, die die täglihben Aufzeihnungen 
Meyers aus den Jahren 1670—1674 enthalten. Es 
find Ddiefelben Kalender, die heutzutage noch unfere Haus: 
frauen benüßgen, wenn fie vor Neujahr Wäfcherin und 
Glätterin eintragen. Zu diefem Zweck läßt der Kalender 
eine halbe Kolumne neben dem Kalendarium frei. Außer— 
dem bat Meyer die von ihm benüßten Hefte mit ftarfem, 
feftem Handpapier durchſchoſſen. Auf jener freigelaflenen 
Kolumne und auf diefen Durchfchußblättern fteben Die 
Notizen. Im allgemeinen enthalten die oroßen weißen 
Seiten die längern zufammenhängenden Abfchnitte, während 
die engern Spalten Fürzeren ftichwortartigen Aufzeichnungen 
vorbehalten find. Verbreiten jene fich über alle möglichen An- 
gelegenheiten, jo betreffen diefe meift Dinge hauswirtfchaft: 
licher Natur, wie den Bezug der VBefoldung, Zinszahlungen, 
Kauf von Heu, Stroh und Holz, Gevatterfchaften u. drgl. 

Zreilich nennen die Kalender nirgends Meyers Namen. 
Ein Zweifel ift aber ausgefchloflen. Denn die Aufzeich- 
nungen bandeln zum größten Zeil von den amtlichen 
Dbliegenheiten der Lohnberren. Der in den Kalendern 
regelmäßig erwähnte Geburtstag des Ochreibers, Die 
Nennung feiner Verwandten und andere Anzeichen laflen 
feine andere Autorfchaft zu als die Meyers. 

Als Meyer die Eintragungen in feinem Hausfalender 
aufzeichnete, da ahnte er nicht, daß ein PVierteljahrtaufend 
fpäter ein Basler Jahrbuch fi damit beichäftigen werde. 
Aber gerade das macht ihren Wert aus. Gerade weil er fie 
nur für fich felber, vielleicht noch für die Augen feiner Kinder 
beftimmt bat, gab er fich darin ganz wie er war, redete er 
frifeh von der Leber weg über das, was ihn bewegte, und 
läßt uns damit Eoftbare Ylide tun in das gewöhnliche Leben 
unferer Vorfahren. Es ift nicht ein zufammenhängendes 


214 


Gemälde, das er uns entrollt. Vielmehr find es einzelne 
Heine Bildchen, ohne große Anfprüche für den Hausgebrauch 
gezeichnet, oft, leider nur zu oft, unvollendet. Denn wie 
häufig findet fih in den Notizen eine unausgefüllte Lüde, 
ift von irgend einem Ereignis der Anfang erzählt, und die 
Folge bleibt uns der GErzähler ſchuldig. Uber dennoch 
werden die Gaflen und die Häufer unferer alten Stadt 
lebendig durch das, was die vergilbten Blätter melden; der 
Lefer wird berumgeführt auf den Bauplätzen, er begleitet 
den Schreiber bei feinen amtlichen Gängen und Ritten über 
Land, er hört feine Klagen über den Verdruß, den er mit 
läftigen Untergebenen und mit fäumigen Lieferanten hatte, 
er vernimmt das Urteil über abgeftorbene Mitbürger und die 
Erzählung von allem, was die Bürgerſchaft fih aus der 
Nähe und aus der Ferne erzählt, er nimmt teil an Freud 
und Leid in der Familie, am Ochweinemeggen und am 
Herbftvergnügen, an Hochzeit und an Todestrauer. 

Neue Tatſachen erfährt man nicht aus den Kalendern. 
Sie verbreiten fein neues Licht über dunkle Zeiten in der 
Gefhichte unferer Vaterſtadt. So ift auch der Zweck der 
nachfolgenden Blätter nur, einen befcheidenen kulturgeſchicht⸗ 
lichen Beitrag zu liefern zum täglichen Leben eines Bürgers 
und Beamten aus dem baslerifhen Mittelftand in der Zeit 
des ausgehenden 17. Zahrhunderts. 


: Weyer als Beamter. 


Die beruflihe Stellung Jakob Meyers läßt 
ſich in unfer 20. Zahrhundert nicht Leicht überfegen. Am 
ebeften möchte man die Aufgaben des Lohnherrn mit denen 
des Rantonsbaumeifters vergleichen, und zwar des Kantons: 
baumeifters für Hoch- und für Tiefbau. Zugleich macht der 
Lohnherr den Materialverwalter und den Sachverftändigen 
für alle baulichen Angelegenheiten; auch für forftliche Fragen 
ift er der Vertrauensmann feiner Gnädigen Herrn. Dies 
hindert nicht, daß er gelegentlich auf längere Zeit im Auf— 


215 


trage des Gouverneurs des Elfafles, des Herzogs von 
Mazarin, arbeitet. Enge gefchäftlihe Beziehungen unter: 
hält er auch mit dem markgräflich badifhen Hof. Ob es, 
fireng genommen, zu dem Amte des Lohnherrn gehörte, auch 
für das Leeren der obrigfeitlichen Fiſchweiher zu forgen, 
einen gefährlich gewordenen Hirſch im Stadtgraben abtun 
zu laflen, bei Ausfahrten der Herren Häupter zu Bauten in 
der Umgegend an die notwendige Collation zu denfen, mag 
dahingeftellt bleiben. 

Bor allem gibt der Rhein dem Lohnamt viel Arbeit. 
Gleich auf dem erften Blatt wird ein durch plößliches Tau— 
wetter in den erften Sanuartagen 1670 berporgerufener 
ſchwerer Eisgang verzeichnet. Da „treibt das gelöfte Eis 
große Stüde und Schämel wider die Zoch, alfo daß ich fie 
in der Nacht mußt befchweren laflen. Gegen Tag führte es 
ung die Henfi hinweg, und fahren gegen 200 Klafter buchen 
Holz, denen von DBreitenbah gehörig, den Rhein ab. 
Mußten in 3 Näht wachen, und war die Not mädtig 
groß; warn es an ein Zoch angieng, erfchallt die ganze 
Bruck, litten doch an unferem Rheinthorgebäu feinen 
Schaden. Den 13. ließ ich die Henki wieder fchlagen. War 
den 10. mit den 9. Häuptern auf dem Augenfchein an der 
Zirs. Der neue Birsgraben litt keinen fonderlichen 
Schaden.”!) 

Wie noch heute benüstte man die Seit der Kälte und 
des niedrigen Waflerftandes zu den Waflerbauten. So 
wird im Winter 1670/71 „am Rheinthor ftark gearbeitet.” 
Sn den Wintern von 1671—1674 find eingreifende Bauten 

1) Die Orthographie der Anführungen aus Meyers Kalender 
wurde der überflüjligen Konjonanten- und Vokalanhäufungen, die 
den Text für unjer Auge fchwerfällig machen, entfleidvet und der 
jegt üblichen Rechtſchreibung nah) Möglichteit angenäbert. 

Die Henki ift der Ort, wo die Holzflöße am Ufer felt- 
gebunden, angehängt wurden. Es waren dort nur jehr wenige und 
flüchtige ftändige Einrichtungen getroffen. Die Henki an der Birs, 
auf deren linfem Ufer oberhalb des Wuhres der Neuen Welt, wurde 
für jeden Floß befonders geichlagen. 


216 


an der Brücke im Gang. Es handelte fi um größere Aus: 
befferungen an den erften Sochen vom Rheintor an gezählt. 
Nach der alten Methode baute man Waflerftuben, die leer: 
gepumpt wurden. Da ging’s nicht ohne Unfälle ad. Zum 
Dezember 1671 wird berichtet: „Den 13. befam der Werk: 
meifter ... . . ein Loch in den Kopf, und den 20. Sjac 
Merdli der Wagner, fo bei dem Fuhrrad geftanden und 
der Fallen nicht recht wahrgenommen, ward durch das Geil 
erwijcht, unter das Rad gezogen und das eine Dein ent: 
zwei, am anderen aber der Knoden auseinander gezogen.“ 
Da „Sonn: und Feiertag wie auch zur Nacht ftark gefchafft“ 
wurde, fo Eonnte Meyer zum 17. Sanuar 1672 verzeichnen, 
daß man angefangen habe, das vierte Zoch zu fchlagen. Im 
Dezember 1672, im folgenden Winter ging’s dann an das 
zweite Joch vom Rheintor an, das Birsjoch genannt. Noch 
im nämlichen Monat wurde das Werk vollendet, „Dabei Fein 
ander Unglüd gefchab, als daß der Bruckenknecht von einer 
Leiteren im Schlagwerk herabfiel, fodann den andern Tag 
hernach eine Magd im Vergaffen mit einem Fledling über die 
Bruck herunter fiel, doch Gottlob beiderfeits ohne Schaden.“ 

Neben der Arbeit an der Brücke gehen durchgreifende 
Ausbeflerungen am benahbarten Salzhaufe ber. Am 
19. Dezember 1671 hatten die Bauherren einen Augenjchein 
an diefem prefthaften Gebäu vorgenommen, worauf der Rat 
erfannte, „Daß folches unverzogenlich fol gebaut und ver: 
beflert werden. Das Rheintor aber, fo weit gefährlicher, 
follt bis der Rhein Heiner worden und unterdef die Werf- 
meifter von Colmar, Rheinfelden und Mülbaufen befchidt, 
und auch ihr Gutachten darüber angehört, verfchoben fein”. 
Die Arbeit vom vorigen Winter, die dem Rheintor gegolten 
hatte, war alfo offenbar nicht befonders dauerhaft ausgefallen. 
Am 26. Dezember trafen die Sachverftändigen aus den Nach: 
barftädten ein und übergaben am 28. den Herren Häuptern 
und Bauherren ihr „Bedenken“; Meyer verfaßte darüber 
einen „Abriß“, der noch am 30. für Rat fam. Zum Januar 


217 


1672 meldet das Tagebuch weiter: „Deren im vorigen Jahr 
End Decembris fremden Werfmeiftern gegebenen Mei- 
nungen werden von U. G. Herren theils placitiert, theils 
aber als nichtig aus der Acht gelaſſen. Sie unterdefien, der 
von Colmar mit 15, der von Mülbaufen mit 6, und der von 
Rheinfelden mit 4 Thalern befchenft und aus dem Wirts- 
haus gelöf. 17 E. Mir inzwifchen befohlen, daß ich mit 
guter Refolution das Werf angreifen und mit mehreren Ur: 
beitern continuieren ſollte. So auch mit der Hilf Gottes 
und gutem Wetter befchehen, maßen wir den 10. diß mit 
4 Gefhiht Quaderen unter dem Rheintor dem Rhein und 
Wafler entrunnen.” Zu Anfang Hornung kann Meyer 
melden: „Noch vor WUenderung des Wetters, ward das 
vierte Zoch gefchlagen, bandet und verbürgt. Sodann auch 
die neue Dohlen vom Ropf an bis zum Rheinthor verfertiat 
und befchloflen.” 

Ende 1674 taucht das Rheintor wieder auf, und zwar 
handelte es fih um die Einrihtung einer Wachtftube, 
während gleichzeitig drei Joche ausgeflidt, eine eingefallene 
Mauer bei der Bärenhaut?) wieder aufgerichtet und Die 
Baar?) ausgebaut wurde. Auch diefe Baar fcheint ein 
befonderes Sorgenfind des Lohnberrn geweſen zu fein. Im 
Dezember 1672 wurde fie „geichliffen, höher und eingezogener 
gemauert und beiderfeits Gräben gemacht”; noch Anfang Fe: 
bruar 1673 war man an der Urbeit. Nachdem am 2. die 
Herren Häupter „auf St. Peters Pla gefahren und dem 
Erercitio zugefehen, welches feit etwas Zeits hero in 80 von 
ihren Unterthanen mit der musqueten und piquen erlernet, 
und fie ihnen, weilen fie fi wohl verhalten, Wein und Brot 
verehreten, und fie hernach dimittiert hatten”, fahren fie „von 
dar Über Rhein zur der Var, allda wir im Bauen begriffen”. 

2) Bärenhaut: Gefängnis beim St. Alban-Schwibbogen. 

8) Die Baar nannte man eine oberhalb der Kartaus in den 
Rhein gebaute Mauer, die dazu dienen jollte, Die Strömung nad) der 


Großbasler Seite hinüberzudrängen. Jedenfalls jollte fie au) das 
Eindringen von geinden erjchweren. 


218 


Meyer hat aber auch die Mühe mit der Leitung folcher 
Bauarbeiten nicht umfonft getan. Mit Genugtuung ver: 
zeichnet er zum September 1672: „Unſere Gnädige Herren die 
HH. Häupter, nachdeme fie Ihnen zu Gemüt führen laſſen 
die vergangenen Winter an dem Rhein von ung zugebrachte 
Naht und Sonntags Sorg und Mühe, haben fie folches zu 
©. angefehen und mir dafür verehrten laflen ein doppelten 
Dukaten und zween Saum Wein, dem Baufchreiber und. 
beiden Werfmeiftern jedem 1 Dufaten und 1 Saum Wein.” 

Mit dem Münfter befaffen fih die Aufzeichnungen des 
Lohnherrn nit. Es befand fich Damals in gutem baulichem 
Zuftand. Auch von Bauarbeiten an andern ftädtifchen 
Kirchen verlautet nichts. Dagegen gab die Erweiterung des 
Kirhleins zu St. Margarethen im Frühjahr und 
Sommer 1673 viel Urbeit. Es hängten fih daran allerlei 
Streitigkeiten mit dem damaligen Beſitzer des Guts, Franz 
Henzgi, die der Lohnherr auszufechten hatte. Aehnlich mußte 
Meyer mit den widerhaarigen Sohanniterrittern verhandeln, 
als beim „SKlofter” eine Stützmauer in den Rhein rutjchte 
und der Orden fi) weigerte, die Herftellungskoften zu tragen. 
Henzgi, der Gutsbefiger zu St. Margarethen, erjcheint in 
unfern Notizen als ein ftarrföpfiger Prozeßnidel und ein 
ſchlimmer Schwäßer, deſſen böfe Zunge fogar U. Gn. H9. 
die Herren Häupter „ganz ſchimpflich“ behandelt, worauf 
„ein Ehrf. Rat erkannt, daß Henzgi Gott und die Obrigfeit 
um Verzeihung beten, Er aber ehr- und wehrlos gemacht fein 
folle”. Der Bau der Kirche wurde vollendet, und „Sonn- 
tags den 30. November ward die neu erweiterte Kirch zu 
St. Margarethen duch Hrn. Werenfels den neuen Pfarrer 
in Gegenwart vielen Volks eingeweihet und das erſte Mal 
wieder darin geprediget". Noch ſeien hier die wiederholten 
Ritte und Fahrten nach Benken um die Jahreswende 1673 
bis 1674 erwähnt, die mit dem Aufzug eines neuen Pfarrers 
und dem mißlichen baulichen Zuftand des dortigen Pfarr: 
haufes zufammenbhingen. 


219 


Es ift nicht möglich, mit gleicher Ausführlichkeit Meyers 
geſamte amtliche Tätigkeit zu verfolgen. In allen mit dem 
Baumwefen nur irgendwie zufammenhängenden Fragen fritt 
er wie natürlih als der vornehmfte Berater feiner Vor: 
gefeßten auf. So auch bei den Stadtbefeftigungen. 
Daß er in der Fortifilationskunft über gute Kenntniſſe ver- 
fügte, heben die Perfonalien hervor. So find denn auch 
über diefe Angelegenheiten Gutachten und Vorſchläge von 
ihm nicht felten. Er leitet die von aus der Landfchaft her- 
fommandierten Bauern „fronsweis" ausgeführten Ausbefle: 
rungen an den Befeftigungen des St. Johanntors. Don 
ihm dürfte auch nah Frig YurdhardtS Vermutung ftammen 
der „Brundriß eines Baftions zwifchen Riehemer und Bläſi— 
tor, außerhalb dem Stadtgraben an dem Zwinger gelegen, 
famt unvorgreiflihen Bedenken, wie ein folches wieder re: 
pariert und in Defenfion gebracht werden Eünnte”, das im 
Staatsarhiv aufbewahrt wird. Wohl nahmen die Herren 
Häupter oft und viel an den Vefeftigungen Augenfcheine und 
fonftige Befuche vor. Im allgemeinen dürften Meyers Vor- 
ihläge angenommen worden fein. Wo es nicht geſchieht, 
hebt er es befonders hervor. So zum Zuni 1674, als die 
Herren Häupter und die Bauherren wegen Beſchließung der 
Schanzen hinter dem Drabtzug jenfeit Rheins auf dem 
Augenſchein geweſen. Da bemerkt er: „Hier mußte fich die 
beſſere Meinung leiden.” 

Bon dieſen fortififatoriihen zu eigentlihd militä- 
rifhen Ratfhlägen ift nur noch ein Schritt. Auch 
ihn taten die gnädigen Herren, als 1673 und 1674 die Kriegs: 
unruben unfrer Stadt immer näher rüdten. Am 13. Januar 
1674 waren in der Nacht „in 500 Raiferifche von Rheinfelden 
in 3 Schiffen bis an die Birs gefahren. Die geben famt 
50 Reitern, fo zu St. Jakob durchkommen, ſtill durch das 
Bistum in Burgund”. Diefe Neutralitätsverlegung ver- 
anlaßte die Obrigkeit, von Meyer einen „Abriß“ tiber die 
Angelegenheit zu fordern, den er am 27. desfelben Monats 


220 


einreicht. Zur Aufftellung der Stüde auf den Befeftigungen 
hat der Lohnberr feine Anficht zu geben und den Probe: 
Ihießen mit neuen Gefchügen beizumohnen. 

Ihm unterfieht das Brunnenwerk der ganzen 
Stadt. Er hat die Quellen hinter dem Holee faflen und in 
die Stadt führen lafien, den Markgräfifchen Hof hat er mit 
Wafler verforgt, im Auguft und September 1674 ift er mit 
einigen Herren des Rats „zu den Hofbrünnen gangen, felbige 
pifitiert und insgemein mit einem eingelötheten Bürlein ge- 
ring gemacht, ohne Anfehen einiger Perfon”. Ein ander 
Mal notiert er, er habe zugunften des beim Urbansbrunnen 
wohnenden Schreiners Würt „eine Mußerbs groß vom Ab— 
wafler in feine Behaufung zu leiten” erlangt, wofür der Be— 
dachte jährlich dem Ladenamt 5 B. abrichten fol. 

Oftmals trifft man Meyern ander Birs bei St. Ja— 
kob und auf der Neuen Welt. WUugenfcheinlich erforderte 
das Wuhr viel Aufmerkfamkeit und beftändige Arbeit. Zu: 
dem waren auf den dortigen Wiefen in den Niederungen des 
noch nicht Forrigierten Fluffes oft Anftände zwifchen Eigen: 
tümern und Pächtern zu fjchlichten, bei denen die Hilfe eines 
erfahrenen Geometers von befonderm Werte war. Ebenſo 
hat er die drei Wuhren der Ergolz ob Auaft zu befuchen, 
mit den Wäflerungsverbältniflen an der Wiefe fich zu be- 
fallen, als bei anhaltendem Regen ih im Schlipf eine Rut- 
hung einftellt, „Das verfchwellte Waſſer abaraben” zu laſſen, 
und der ſchadhafte Einlauf des Baches in der Kleinen Stadt 
wird auf feine Anordnung „verküttet”. Für das Abfchlagen 
der Teiche hat er zu forgen, wie er auch das Austreten 
des einen diefer Waflerläufe erwähnt. 

Häufig ift in den vorliegenden Vlättern von der Holz 
flößerei auf der Birs die Rede. Wir kennen den Drau 
niht nur aus Wurftifen, fondern noch aus der bedeutend 
jpätern 3eit Bruckners. Der Lohnherr hatte von jedem 
Floß eine Kompetenz von 2 KRlaftern zu beanfpruchen. Da- 
für mag er bei der Henki Auslagen gehabt haben, namentlich 


221 


wenn ein Mitalied der Obrigfeit geruhte, als fein Gaft dem 
Anlaß beizumohnen. Gegen Ende 1674 gelangt er wegen 
des Junkers von Zwingen und defien „unverfchämter Flöße— 
rei” für Rat. Aber er wurde angewiefen, „Diskretion zu 
brauchen”, was wohl auch mit den damaligen unrubigen Zeit: 
läuften zufammenhing, die den Eidgenoflen Einigkeit nahe 
legte. Meyer aber mißbilligt diefe „zum Schaden U. Gn. 
HH." ihm vorgezeichnete Marfchroute. 

Der Aufficht des Lohnherrn unterftanden die Land- 
vooteifhlöffer auf der Landfchaft. Zwei Stellen aus 
dem Tagebuch Meyers reden von den WUusflügen, die er 
1673 mit feinem Sohne Friedrih nah Ramftein und Hom— 
burg unternahm; das prefthafte Schloß Homburg verdang er 
zur Verbeflerung dem Johann Studer aus St. Gerold und 
defien Gefpanen zu 240 w, 7 Pierzel Korn und 4 Saum 
Wein. In Ramftein verdingt er andern Tages zwei ab- 
gebrannte Mauern abzubrechen. Zwei Monate fpäter wurden 
die Arbeiten befichtigt und gutgeheißen. Meyer gibt die Reife- 
route an. Um Abend des 14. Zuni ritt er mit feinem Sohn 
nach Seewen, von da am 15. früh nah Ramſtein; am Nach: 
mittag wurde der Ritt fortgefeßt nah Höllftein, am Abend 
„gen Bukten im Donnerwetter”; der 16. fieht die Reifenden 
in Homburg; das Mittageflen nahmen fie beim Pfarrherrn 
in Läufelfingen und fehrten am Abend in Vegleit des Land: 
vogts Senn nah Bafel zurüd. Merz erwähnt in feinem 
Burgenwerf in der Tat die Ausbeflerungen am Schloß Ram: 
ftein 1673/74, und von Homburg heißt es, es fei in diefer 
Zeit beftändig daran herumgeflickt worden. 

Meyer war vermöge feiner Kenntniſſe und Fähigkeiten 
auch ganz der Mann, bei Grenzbereinigungenund 
Landvermeffungen mitzuwirken. Bald erledigt er 
mit dem Junker Obervogt des Biſchofs auf dem Bruderholz 
derartige Gefchäfte, bald überwacht er, wie ein dem Wafler- 
Inecht in der Neuen Welt überlaflenes Gut von einem E. 
Geſcheid von Münchenftein mit acht Marchiteinen ausgefteint 


222 





wird, bald hilft er mit Deputat Hagenbach, dem Landvogt 
von Riehen, zwiſchen Riehen und Grenzach Herrlichkeititeine 
verfegen, wobei der Junker von Bärenfels anweſend war. 
Sm Mai 1673 reitet er mit Oberftzunftmeifter Burckhardt 
und dem Dreierherrn DBurdhardt famt dem Ratsherrn 
Hebelin auf den Sonnenberg bei Maiſprach, um mit den 
kaiſerlichen Deputierten, dem Freiherrn von Wydenbach, 
dem Dr. Sommervogel, Rommiflari von Greiburg, dem 
Amtmann Hug und dem Einnehmer von Rheinfelden eine 
Streitigfeit zu erledigen. Die Sache wurde „mit ziem- 
lichem Perlurft und Nachgeben“ zu Möhlin verglichen. 
Aber zwei Jahre fpäter lebt fie wieder auf. Anfang No— 
vember 1674 trifft man den Lohnheren mit feinem Sohn 
Georg Friedrih, fowie Herrin Chriftoph Burdhardt dem 
Dreierherrn, Herrn Landvoat Spoͤrlin und dem Stadt— 
ichreiber von Lieftal auf der Farnsburge. Am 9. verfügte man 
fih auf den Sonnenberg; da traf man von öſterreichiſcher 
Seite an Herrn Baron von Grammont, den neuen Oberamt- 
mann von Rheinfelden und den Einnehmer. „Nach langem 
Konzertieren find vier Herrlichkeitfteine geſetzt worden. 
Abends famen wir auf den Schönenberg, und weilen Wider: 
part den anno 72 gemachten Vergleih nicht wollte gelten 
laflen, ward die Sad) ad referendum genommen und unfer- 
feitS wider den Verlauf am Sonnenberg proteftiert. Nachts 
ritten wir nach Meli, wurden wohl traftiert. Den 10. nad 
Ausft und gegen Abend nad) Haus.“ 

Soll ein Haus in Kleinhüningen vermietet werden, fo 
muß der Lohnberr dabei fein. Für den Neubau der langen 
Stegen zu St. Martin hat er zu forgen. Kommen Romd- 
dianten in die Stadt, fo wenden fie fi an ihn wegen des 
Baues einer „großen Brügin und hohen Stägen” im Ballen— 
haus. Bei einer Ausfahrt der Herren Häupter zu dem durch- 
gebrochenen Holeegraben und dem Einfall eines Mauer: 
ftüdes am Binninger Schuß, zum Augenfchein eines farken 
Gritts in Hrn. v. Salis Matten, dann nah: St. Jakob zu 


223 


der neugereuteten Matte und endlih in die Neue Welt 
wurde Meyern befohlen, eine Rollation zubereiten zu laflen. 
Die Herren waren, wie er mit Befriedigung bemerkt, „Tehr 
guter Dinge, und bezahlte Hr. Oberftzunftmeifter Burdhardt 
hiefür 3 Thlr. famt dem Wein”. Und wie ein andermal die 
Herren Häupter und die Dreierherren auf dem Riehenfeld 
fifhen ließen, da erhielt ihr Vertrauensmann den Auftrag, 
ihnen eine gute Mahlzeit zuzurüften, „welche fie in der er: 
größten Hütten fröhlich genoflen”. Aehnlich wurde nach einer 
Befihtigung der Schanzen und des Paſſes bei St. Jakob 
abends in der Neuen Welt eine „geringe Kollation” ein- 
genommen. Ind als die Herren wieder einmal den untern 
Weiher auf Riehener Feld filchen ließen, da Iuden fie dazu 
den Kapitän von der Basler Rompagnie Stupa, der damals 
Generalflommiffär für franzöffihe Werbungen in der 
Schweiz war. Meyer erzählt: „Er wird neben feiner Ge: 
mahlin und feiner Rameradin zu Rieben in Herrin Bürger: 
meifter Rrugen Hof?) traftiert. Dies Frauenzimmer machte 
ihnen mit fyrenifhem Gefang und franzöfiihen Buhlen— 
liedlinen gute Rurzweil. Ich hörte mit großer Verwunde— 
rung zu.” 

Wiederholt befuchte die Obrigkeit ihren Beamten in 
feiner Amtwohnung, dem St. Leonhbardflofter, das 
noch heute zur Erinnerung an feine frühere Beſtimmung der 
Lohnhof Heißt. Bald hatte er ihnen eine neu gezeichnete 
Karte oder einen Plan zu zeigen, bald ihnen irgend ein 
Modell vorzuweifen. Im Januar 1671 drohte ihm der Ver: 
luft diefer Wohnung, die ihm lieb geworden war. Damals 
war an Stelle des verftorbenen Pfarrers Theodor Richard 
zu St. Leonhard M. Peter Werenfels gewählt worden, bis: 
ber Archidiakonus am Münfter. Meyer freute fich der Wahl 
dieſes Seelforgers, den er als hochgelehrt in heiliger Schrift 
und in Philofophie und im Predigen trefflih erfahren 


4) Früheres Landgut von Bürgermeilter Wettitein, jetzt Beſitz 
des Erben Heusler-Chrift.e Krug war Schwiegerfjohn Wettiteins. 


224 


rühmt. Uber unmittelbar nach der Wahl trägt er in feinen 
Kalender ein: „O geiftlihe Falſchheit über alle Falfchheiten! 
Etlihe falfche Rät und Praftitanten bringen für Rat an 
wider Willen der HH. Häupter und redlichen Räten, daß 
man mich wieder aus dem Klofter tun und den neuerwählten 
Pfarrherrn (qui axioma Dn. nostri Jesu Christi quod 
tibi non vis fieri alteri ne feceris, nescit practicare) 
darein jeße. Hr. Chriftoph YBurdhardt der Dreierberr macht 
mir zu gutem das Mehr, dem es Gott vergelte.” 

Wir haben Mühe, in unferer Seit der ftrengen Amts- 
ordnungen es zu verftehen, dag Meyer neben der Be— 
forgung feiner Stellung in Baſel Monate lang in aus- 
wärtigen Dienften abmwefend fein durfte, fei es, um 
im Auftrage des Herzogs von Mazarin das Elfaß zu ver: 
meflen, fei es in Gefhäften des Markgrafen Carolus 
Magnus oder fpäter von deflen Witwe. Man muß fih’s 
damit erklären, daß die Regierung aus Rüdfiht auf gute 
nachbarliche Beziehungen fünfe gerad fein Tief. 

Vollends aber läßt uns unfer Verftändnis im Stich bei 
den mannigfahen Nebenbefhäftigungen Des 
Lohnherrn in der Stadt felber und bei der Unbefangenbeit, 
womit er die ihm für folche Tätigkeit gefpendeten Geſchenke 
verzeichnet. Dafür nur wenige Beiſpiele: Jakob Strauß 
der Nagelſchmied verehrt wegen geleifteter Dienfte bei Er: 
langung und Bauung feiner Werkftatt außerhalb dem Eſel— 
thürlin einen Dufaten und filbernen Löffel; Herr Auguftin 
Schnell „wegen daß ich ihm gute Dienfte geleiftet bei feinem 
von U. Gn. HH. erlangten Brunnen verehret mir einen 
zierlich verguldten Becher von (Lüde) Lot”; weiter „verehret 
- mir der neue DBallierer jenjeit Rheins 2 Thlr. und der 
Seidenfärber auch 2 Thlr., Urfah, weil ih ihnen bei 
U. Gn. HH. den HH. Häuptern wegen ihres Bauweſens mit 
gutem Gewiſſen ein gut Wort verliehen”. In den Zahren 
1673 und 1674 häufen fih die Fälle, wo der Lohnherr 
„wegen eines DBrennhüslins” von Privaten größere oder 


995 15 


Heinere Zrinfgelder bezieht. Die Vermittlung des Ver— 
faufs einer obrigfeitlihen Liegenfhaft auf dem Heuberg 
an Herrn Johann DBurtorf d. R. und die Belchleuni- 
sung des Gefchäftes nimmt, weil bier die Obrigkeit felbft 
Partei war und alſo amtli darum willen mußte, eine 
etwas andere Stelle ein. Meyer verdiente fich dabei, wie 
er fchreibt, ein Trinkgeld, und zwar von Burtorf 6 Louis: 
tbaler. 

Bei der Interfuhung des Gehaltes, den Meyer 
als Lohnherr bezog, bliden wir in eine uns volllommen 
fremd gewordene Welt. Einen Hauptteil der Beſoldung 
erhielt er in Holz, Ron und Wein. Er bat darüber un: 
gezählte Eintragungen gemacht, aber wohl nicht alle Ein: 
sänge regelmäßig aufgezeichnet, auch faum immer zwijchen 
ordentlichen und außerordentlihen Einnahmen, Rompetenzen 
und Sporteln unterfchieden. 

Während der fünf Zahre, über die uns Aufzeichnungen 
vorliegen, hat er insgefamt bezogen 583 Pfund in bar, 
82 Vierzel Korn, 32 V. Hafer, 57 Saum Wein, weißen und 
roten, 27 Klafter Holz, 8 Wagen Weiden, Holz und Wellen, 
15 Wagen Heu und Stroh, 16 Wagen, Wägelein und Fährt 
Eichenholz, 800 Hardtwellen, 150 Wellen Stroh. . Bei 
einem Monat find die Notizen Über die Eingänge fo ab- 
geblaßt, daß fie unleferlih wurden. Was an Holz, Heu, 
Stroh u. drgl. zum Gehalt gehörte oder Gefälle war, und 
was in die Haushaltung gekauft wurde, ift nicht auseinander 
gehalten. Sicher find die Hardtwellen, 200 Stüd im Jahr, 
Kompetenz. Auch Heu gehörte, zum Teil wenigftens, zu den 
regelmäßigen Einnahmen. Dagegen ift das Holz, wie fchon 
erwähnt, 3. T. Sportel für das Flößen. 

Der Bargehalt if zum Juni und zu Weihnachten 
verfallen, die Naturallompetenzen teils zu den Fronfaſten 
(Wein), teils zu Pfingften und zu Weihnachten (Frudt). 
Lestere fcheinen aber felten zu rechter Zeit voll entrichtet 
worden zu fein. Es ift eine beftändige Notiererei, wie viel 


226 


jest noch ausftehe. Ob es mit dem Bargehalt fh ähnlich 
verhielt, daS wagen wir nicht zu enticheiden. Das Jahr 
1670 enthält gar Feine Angaben für Barbezüge, das Zahr 
1671 mit 132, das Jahr 1672 mit 226 Pfd. befonders hobe 
Summen. Pielleiht laſſen ſich dieſe LUngleichheiten mit 
nadhläffiger Buchung erflären. Es muß immer wieder an 
die Lüdenhaftigfeit und die Zufälligfeiten der Kalender: 
notizen erinnert werden. Zum Gehalt Meyers darf man 
auh die Umtwohnung rechnen. Sie war geräumig 
genug, daß er Teile davon ausmieten und auf diefe Weiſe 
fein Gehalt vermehren konnte. So fehen wir ihn „Herrn 
Daniel Elpfen drei Gemah auf dem Kreuzgang zu 
Schüttenen” um 12 Pfd. verleihen. „Herr Einnehmer von 
Altkirch fol Früchten dahin legen”, wird dazu bemerkt. 
Später hat er „R. Johann Fuchs, Pfarrherrn zu Helfranz: 
fire) und Hans Groß von dar das obere Stüblin und Neben- 
fämmerlin verlieben auf 1 Zahr lang um 11 Rthlr.“ 

Der Anftellungsvertrag Meyers (Staats: 
Archiv, Bau⸗-Akten, F. 2) gibt uns über diefe. Verhältnifie 
genauer Auskunft als die Kalender: Meyer bezog demnach) 
wöchentlih 2 Pfd. 10 Btz. 12 Vierzel Rorn famt 8 Saum 
Wein, und 12 Pfd. 6 BE. für ein Paar Stiefel als fein be- 
fimmte jährlihde Beſoldung, dazu wie bisher 120 Pfd., 
10 PVierzel Korn und 4 Saum Wein wegen der Meßkunſt 
(d. h. als obrigfeitlicher Geometer), alfo in allem 262 Pfd. 
10 Btz., 22 Vierzel Korn und 12 Saum Wein. Weiter 
fol er feine Wohnbehaufung in dem nun vacierenden Rlofter 
St. Leonhard nehmen. Und weil der Herr Lohnberr eines 
Pferds und Zungen wegen der vielen Gefchäfte in der Neuen 
Welt, im Ziegelhof, im Steinbruch und anderſtwo hochvon- 
nöten, fol er empfangen für des Pferds Unterhaltung 8 O. 
Haber und einen Wagen mit Heu, für den Zungen aber 
wöchentlich 2 Pfd. Dazu die ordinari Accidentien, als einen 
Wagen mit Holz und Wellen von U. Gn. HH., famt denen 
von den Flößern; mit den gewöhnlichen Faftnachthühnern, 


997 15* 


Fiſchen und Herbftweid auf der Schügenmatte foll er fi 
„tontentieren und erjättigen”. 

Unfer alloholfeindliches Sahrhundert hat Mühe, fich den 
Weinkonſum vorzuftellen, in den diefe DVlätter einen 
Blick tun laffen. Der Rompetenzwein ift lange nicht der 
einzige, der in Meyers Haushalt fam. Er befaß auch eigene 
Reben in Münchenftein und jenfeit Rheins. Weiter fällt 
ihm der Ertrag der Landeren im Lohnhof zu. Diefer betrug 
im Sahre 1672 3. B. 2 Saum. Im nämlichen Jahr werden 
in den Kleinbasler Reben „in I Saum”, in Münchenftein 
25 Saum gemadt. Das war aber ein befonders gutes Jahr. 
Man fcheint diefen Herbft entfprechend nachdrüdlich gefeiert 
zu haben. Die Markgräfin Witwe fchidte Meyern Die 
Damen ihres Haushalts, ihr „Frauenzimmer” ſamt dem 
Hofprediger nah Münchenftein in den Herbft. In der Neuen 
Welt, wo Meyer auch) etwas fcheint befeflen zu haben, wurde 
dann die Geſellſchaft gaftiert. 

Zu dem Rompetenzwein und dem eigenen Gewächs Kauft 
der Lohnherr noch weiteren Wein. Von einem Haltinger 
erhält er an eine alte Schuld 315 Saum Roten, in Reina) 
kauft er 1, in Weil 2 Saum. Seinem Tochtermann dem 
Bierfieder nimmt er 3 Saum roten Baſelwein ab, feine Grau 
dem Untervogt von Muttenz 2 Saum Weißen. Der Wein 
fcheint zum großen Zeil in Meyers Haushaltung vertilgt 
worden zu fein. Nur den Apotheker Friedrich Calinger 
nennen die Kalender als Empfänger verhältnismäßig be- 
fheidener Mengen Wein „an feine Apothefermedilamenta 
a conto”. 

Die Naturalwirtfchaft, unter der Meyers Ge- 
haltverhältniffe zum Zeil fanden, erklärt fih daraus, daß 
die Obrigkeit felbft viele ihrer Einnahmen in natura bezieht. 
Aus den Aufzeichnungen des Lohnberrn erfahren wir 3. 3., 
dat „Meine Herren von Bajel dem Jakob Ryf und Gefpanen 
den Anftoß an S. Margareten Kirche” zu 10 Pfd. 9 2. 
Korn und 5 ©. Wein verdingen. Unter den zahlreichen 


228 


Beamtungen werden demgemäß genannt der Kornherr, der 
Kellerherr, der Holzherr, der Stallherr, aber auch der Herren- 
farrer, der Herrenfübler; auch von U. Gn. HH. Zug und vom 
Herenkeller ift die Rede. Die wenig entwidelten Verkebrs- 
verhältnife zwangen dazu, alle Vedürfniffe möglichft aus der 
Nähe zu bezieben. Daher der Lohnherr das Holz zu den 
obrigfeitlihen Bauten und Zlidereien aus den Waldungen 
der Umgebung, auch der Marksrafichaft, des Schwarzwaldes 
und des Sundgaus bezog, die Steine in den ſchon im 15. 
Sahrhundert von Baſel erworbenen Steinbrüchen bei Rhein: 
felden brechen ließ und mit ftädtifchen Pferden auf eigenen 
Wagen oder auf dem Wafler in eigenen Schiffen zur Stadt 
führte. Es entjpricht diefem ganzen Betrieb, daß, wie wir 
gefehen haben, die ftädtifchen Bauten unter eigener Leitung 
des Bauherrn ausgeführt werden. Auch Privatleute ſahen 
fich bei größeren Bauten zu diefer Bauweiſe gezwungen. So 
bat Lukas Sarafin zum Bau des Blauen und des Weißen 
Haufes zwei Menfchenalter fpäter als Meyer auch für die 
meiften GErforderniffe feines Unternehmens felbft forgen 
müſſen. 

Um zu der Gehaltfrage zurückzukehren, fo bildeten für 
den Lohnherrn gewiflermaßen ein Zwifchending zwifchen den 
feiten Einnahmen und den GSporten die Neujahr: 
geſchenke. Anſre Kalender verzeichnen fie genau, mit 
Ausnahme des Jahres 1672. Greifen wir den Gabentifch 
des Jahres 1670 heraus. Da heißt’s: „Herr Schmied ver- 
ehret mir zum guten Zahr einen welfchen Hahnen, H. M. 
Bartt einen fhönen Parmefaner Räs, Garnus einen Hafen 
und die Zunft ein Ralbsviertel; Hr. Friedr. Eglinger einen 
Zuderftod, Hr. Landvogt Spörlin einen Hafen und die vier 
Fasnachthühner von Farmsburg, vier Fasn. Hühner von 
Wallenburg, zwei von Lieftal; der Werkmeifter von Mül: 
haufen verehret mir drei Becher fchöne Gerfte, der Siegler 
über Rhein ein Spanferflin, der Birsmeifter ein gut Lämm- 
lin.” Zu den hier aufgezählten Gebern und Gaben kommen 


229 


an ſpätern Neujahrtagen neue, frühere bleiben zurüd. Co 
Ihidt 1672 der Raminfeger ein halb Dutzend Zitronen, der 
neue Birsmeiſter Herr Löffel ftellt fih mit einem guten 
Lamm ein, 1674 fpendet die Gremberin 6 Pfd. Kerzen. 

Offenbar find die Geber meift Leute, die mit Meyer 
in gefchäftlicher Beziehung fanden und ihren Vorteil darin 
fanden, ihn warm zu halten, fo der Herrenfchmied, der Schmied 
in Rheinfelden, der VBirsmeifter, der KRaminfeger. Der 
Lohnherr hat wohl auf einzelne diefer Gaben mit Sicherheit 
rechnen fünnen. Die unbefangene Urt, mit der er darüber 
Buch führt, beweift, daß er die Gefchenfe nicht als etwas 
Unrechtes, als Beſtechung empfand. Die vielen ledern 
Sachen deuten vielleicht darauf hin, Daß er ein Renner guter 
Dinge war. Diefer Vermutung würde die Tatſache nicht 
widerjprechen, daß im gedrudten Zeil der Kalender viele 
Kochrezepte fih finden, die Einem beim bloßen Lefen das 
Wafler im Munde zufammenlaufen laffen. 


deitungen und Verwandtes. 


Bon dem, was die Kalender über Meyers Beruf und 
Amt enthalten, wenden wir uns dem zu, was fie über öffent: 
fihe Angelegenheiten zu fagen willen. Um Anfang jedes 
Jahres teilt der Lohnberr die Hauptzahlen der Bevölke— 
rungsftatiftif des abgelaufenen mit. Hiefür diene als 
Beifpiel die Statiftik für 1669: „Verfloſſen 1669. Jahr über 
find allhier in Yafel in beiden Städten getauft worden 407 
Kinder und hingegen geftorben 279 Perfonen, der Fürſchutz 
ift 128. Gott fei gepriefen für feinen Segen. Der bebüte 
uns vor der fchädlichen Peſtilenz. Gott gebe uns feinen 
Segen.” | 

Ganz befonders bei allen Mitteilungen aus dem Gebiet 
der Politit und der Weltbegebenheiten im weiteften Sinn 
muß nachdrüdlich betont werden, daß die Ralender Meyers 
feine aftenmäßigen Darftellungen enthalten. Konſequenz 


230 


und PVollftändigfeit in diefen Aufzeichnungen ift nicht fein 
Ehrgeiz. Er kann über den Beginn einer Angelegenheit fehr 
ausführlich berichten, und die Fortſetzung läßt er auf fich be- 
ruhen. Er kann einen Todesfall weitläufig erwähnen und 
für Lebensdauer, Vornamen u. dal. Lüden frei Laflen, die 
jpäter nie ausgefüllt wurden. So bietet, was er der Auf- 
zeichnung für wert erachtet, beinahe nur Intereſſe für feine 
Beurteilung al3 Perfönlichkeit und als Kennzeichen für die 
Denkweiſe feiner Zeit. 

Vom Großen Rat, der heutzutage dem Bürger in 
erfter Linie Anlaß bietet zur Unterhaltung und zur Kritik, 
ift in unfern Blättern felten die Rede. In jenen Jahren 
gefchah die Zufammenberufung der Behörde nur zur Oelten- 
beit. Am 26. September 1670 fand eine Situng ftatt, weil 
„der Herr Biſchof von Bafel und feine Ronventuales oder 
Domherren zu Freiburg . . . das hiefige Münfter famt allen 
Dertinentien ... als ihr Eigentum begehrten” (f. Ochs, 
VIII, 104). ber die Herren Häupter hatten den Rat nur 
zufammenberufen, um ihm nach Erledigung der Angelegen: 
beit das Geſchehene mitzuteilen und feine Genehmigung ein- 
zubolen. Das Placet blieb auch nicht aus. „Herr Rudolf 
Burdhardt, der erfte Sechs von der oberften Zunft zu den 
Hausgenoflen führet in dem Namen aller Sechs die Red, 
daß U. Gn. HH. in dieferem wichtigen Gefchäft fehr weislich 
procediert, Deswegen wollten fie es ihnen weiters übergeben, 
den Allerhöchften bittend, daß er ihre Ratfchläg ſegnen wolle; 
ihme haben von Zunft zu Zunft gefolget, welches durch den 
oberften Recht geöffnet worden. Letztens beſchloß der Neu 
Herr Burg. Meifter diefen Actum mit einem berzlichen Ser— 
mon und berzlidem Wunſch.“ Die Ausritte und die Heim- 
ehr der Zagfabungsgefandten werden als politiiche Ereig— 
niffe und ftädtifche Schaufpiele oft erwähnt. Um weiteres 
in der Leitung der oͤffentlichen Gefchäfte hatte ſich damals 
der Bürger nicht zu Fümmern. Das war die Sache der 
Herren vom Regiment. 


231 


Doh gehörte Meyer nicht zu denen, die das Staats- 
Schiff teilnahmslos durch die am Steuer ftehenden Männer 
leiten laſſen. Man entnimmt dies feinen Bemerkungen bei 
Todesfällen. Es geht aus diejen deutlich hervor, daß 
er die Amtsführung jedes Einzelnen fcharf beobachtete. Er 
hat darüber feinem Tagebuch manch ein räßes Lrteil anver: 
traut. Oft begnügt er fich mit der einfachen Anzeige des 
Todesfalls und einer knappen Charafteriftif des Verftorbenen, 
3. B. zum 26. April 1673: „Es geben mit Tod ab 1. Hr. 
M. Heinr. Kiſelbach, prof. physices, ein bochgelehrter 
Mann, ward olim mit mir Mag. philosophiae; 2. Zriedr. 
Zurdhardt, J. U. D., prof. oratoriae. Diefen bat der 
Schlag getroffen in feinem beiten Alter.“ 

Oft aber fügt Meyer zu der kurzen Charafteriftif einige 
weitere Verumftändungen. So beißt es: „Am 24. Dez. 
1671 ftarb Herr Theobald Schönauer d. R., nachdem er aus 
der Predig fam und mit dem franzöfifchen Pfarrberrn fich 
auf das Wienachtfeft zubereitete. Starb urplögiih. Ein 
frommer Herr.” „1671, Mai 18 ftarb H. Mag. Nikolaus 
Herbog, Diaconus zu St. Clara, ein gelehrter Herr, dem 
die Heilige Schrift wie das Unſer Vater gemein und be- 
fannt war. aetat. (Lüde) Die Klein Vasler befamen 
wegen diejer Beſtellung fchwere Händel, etliche wurden ge- 
türmt und beftraft, der alt Dürring (mußte) 200 Louis: 
tbale büßen. Den 22. Zuni ward endlih mit Wohlgefallen 
diefe Gemein zum Diacono gewählt H. Mag. Melchior 
Hertenftein, communis diaconus.” 

Einen Schritt weiter tut der Lohnherr, wenn er die 
Todesnachricht dazu benüßt, ein ausführlihes Ur— 
teil über einen Verftorbenen zu fällen, fo über Jakob Mel: 
finger, deflen Tod zum 6. September 1670 gemeldet wird: 
„Herr Jakob Meltinger d. R., Dreizehner und Stadt: 
quartierhauptmann etc. ward den 6. Sept. Abends gegen 
6 Uhr in feinem Garten vor Spalentor durch einen gächen 
und fchnellen Tod ohne ein Wort zu fprechen dahingerafft. 


232 


Diefer, nachdem er in der Jugend aus Unvorfichtigkeit zu 
Lieftal einen Knaben erſchoſſen, ift dann auf eine Zeit lang 
als ein Bereiter dem Krieg nachgezogen, hernach durch 
Heirat eines großen Herm Tochter nach und nach) gewaltig 
berfürgezogen worden und zu Aemtern fommen. War ein 
Mann ohne fonderlihen Verftand, unbillig, zornmütig und 
rachgierig. Und hat der große und gerechte Gott ein merklich 
Erempel an ihm erwiefen. Daran feine Mitgenofien fi 
billig ftoßen und befehren follten.” Meyer fchließt mit einer 
umftändlichen Aufzählung der neuen Inhaber von Meltingers 
vielen Aemtern und mit dem Ausruf: „Herr Gott, du bift 
fehr wunderlich in deinen Werfen und Gerichten, dir allein 
gebührt die Ehre.” 

Ueber den am 2. Juni 1672 geftorbenen Pfarrer 3. R. 
Dietrih wird folgendes Urteil abgegeben: „Den 2. uni 
ftarb der ehrwürdig und wohlgelehrte 9. M. Joh. Rudolf 
Dietrich, Pfarrer der Mindern Stadt, ein guter Prediger 
und Geelforger feiner Pfarrfinder, jonderlich reicher alter 
Wittiben; war olim mein praeceptor in quinta classe, der 
mir oft und did meinen Ruden um der griechifchen Gram- 
matif jämmerlich zerfchlagen." Weiter: „Den 7. Zuni (1672) 
morgens gegen Tag ftarb in flore aetatis an dem Grimmen 
H. Hieronymus Mentzinger d. R. und Schultheiß zu Lieftal, 
war ein Witwer, ein fehr hoher Geift, olim in mathesi et in 
fortificatione meus discipulus. An feiner Statt ward 
Meifter zu Gartnern Herr Emanuel Meyer der Raufbaus: 
ihreiber, und Pfleger auf Burg 9. Hans Franz Bed. 
Schultheißenamt zu Lieftal ward eingeftellt. Mirum quod 
vix auditem: obgedacht Hr. Emanuel Meyer bat den 15. dito 
für Rat wieder ab. Nachmittags ward an fein Statt ge- 
ordnet Meifter Heine. Reller der Gremper.” Wenig weiß 
unfer Lohnberr zu rühmen von Hieronymus Geymüller, dem 
Kürfchner, d. R., der am 2. Hornung 1673 ftarb. Er hatte, 
wie Meyer erzählt, „feit der Zeit nach) Johann Baptiſt ver: 
wichenen Zahrs wegen einer faulen Praftif Hrn. Ratsh. 


233 


Weißen Fonzernierend, neben diefem vor E. E. Rat einen 
offendlichen fcharfen Eid geſchworen, fein fröhliche noch ge: 
funde Stund mehr.” Den 16. September 1673 „ftarb 9. 
Hans Bulacher d. R., Meifter von der Mebgernzunft, homo 
sordidus et avarus; fein Vermögen war in 60,000 Reiche: 
thaler, hatte lauter lachende Erben.” „Den 1. Oft. (1673) 
ftarb zu Rheinfelden 9. (Lüde) Hug, Juris Doctor und 
Amtmann der Herrfhaft Rheinfelden, ein beimlicher Baſel— 
feind, der doch viel Jahr in feinem Erilio große Wohltaten 
von hier empfangen.“ 

So zieht in dieſen Kalendern eine ganze Basilea se- 
pulta, aber nicht immer eine Basilea illustris am Leſer 
vorüber. 

Nirgends deutlicher als bei diefen Todesfällen tritt ung 
die oft erwähnte Lüdenhaftigfeit von Meyers QIagebüchern 
entgegen. Er pflegt beim Hinfchied einer Amtsperfon ftets 
ven Nachfolger zu nennen. Da er nur wenige Todesfälle 
erwähnt, die nicht eine Amtsperjon betrafen, oder da es in 
Baſel damals nur wenige gab, die nicht irgend ein Pöftlein 
bekleideten, jo fland er oft vor diefer Aufgabe. Da muß er 
nur zu häufig für den ganzen oder wenigfteng für den Ruf: 
namen des Nachfolgers eine Lüde laflen, die er nachträglich 
nicht ausfüllte. Beiſpiele folcher Nachläffigkeit ließen fi 
leicht häufen. 

Politiſche und andere Nachrichten aus der Nähe und 
Serne bezeichnet Meyer dem Sprachgebrauch feines Jahr— 
hunderts folgend als Zeitungen. Was er unter diefem 
Titel mitteilt, beruht meift auf Hörenfagen. Schon aus 
diefem Grund Eünnen wir auch hier keine Vollftändigfeit er: 
warten. Zn den erften Sahrgängen finden fih die Zeitungen 
ſpärlich. Sie fcheinen hauptfächlich Durch das Eonfeffionelle 
Snterefie beftimmt zu fein. So wird erwähnt die Papftwahl 
Clemens X. (Altieri); die Hochzeit der „überaus jchönen und 
liebreichen Churprinzeffin von Heidelberg”, der Lifelotte von 
Orleans, von der mit dem Ausruf o stupendum piaculum 


234 


gemeldet wird, fie fei unterwegs nad) Paris abgefallen und 
habe die papiftifche Religion angenommen. Später find es 
die Eroberungsfriege Ludwigs XIV. gegen Holland, die den 
Schreiber zu fchadenfrohen Bemerkungen gegen den katho— 
liſchen König und zu fcharfen Ausfällen gegen Karl LI. 
Stuart von England veranlaflen, als diefer an Ludwigs 
Seite April 1672 in den Kampf eingreift. Gegen Frankreich 
bat Meyer immer Mißtrauen gehegt und ihm etwa auch 
Ausdrud gegeben, wo es fih um Verhandlungen ſchweize— 
riſcher oder baslerifcher Staatsmänner mit franzöfifchen Di- 
plomaten handelte. 

Einen unmittelbaren Wert baben beareiflicherweife 
diefe Aufzeichnungen nicht. Sie verdienen nur Beachtung 
als Zeuaniffe für die Stimmung eines Basler Bürgers gegen- 
über den damaligen Weltbegebenheiten. Anders wollen die 
Notizen angejehen werden aus der Seit, da 1673 und zumal 
1674 der Kriegsfchauplag in den Sundgau und in unfere 
nächfte Nähe verlegt wurde. Damals war das Theater der 
Seindjeligkeiten noch nicht für jeden Unbeteiligten hermetifch 
abgefperrt, wie in unfern Tagen, und ein Basler konnte 
mancherlei erfahren und fiber allerlei fich ein Urteil bilden, 
was vor den Toren der Stadt vor fi ging. In den erften 
Tagen des Zahres 1674 hat der Lohnherr fremdes Kriegs: 
volt bei einer Neutralitätsverlegung beobachtet. (Siebe 
©. 220.) Zum Februar desfelben Jahres wird aufgezeichnet: 
„Franzoſen fahren von Hüningen über den Rhein, zu denen 
flogen andere Reiter von Breiſach, wird deswegen in der 
Nachbarſchaft Lermen, wie auch zu Kleinhüningen.” Im 
Dftober fodann „Flechten Sundgäuer und Elfaßer Früchten 
und Wein mit Macht herein, müſſen gleichfam für den 
Zollern: und Breiſach⸗Tragonern alles ranzionieren, als ob 
fie es ftählen”. Damals mag man wohl Kriegsnachrichten 
auf den Gaſſen Baſels aus erfter, wenn auch nicht immer 
aus unparteiifcher Quelle vernommen haben. Im Dezember 
1674 famen die Trümmer der von Turenne bei Mülhaufen 


235 


überrannten Eaiferlihen Reiterei auf ihrer Flucht durch die 
Stadt. „Die unforgfamen faulen Hünd“, jagt Meyer, 
„tamen den 20. Dez. mit blutigen Köpfen bier an die 
Porten, bis 600 Mann, fliehen den 21. über die Rhein: 
bruden, follen neben ihren Offizieren zu Neuenburg und der 
Orten wieder über Rhein zu der Armee gangen fein.” Am 
26. Dezember wurde Meyer perfönlich von der Regierung 
abgeordnet, um kaiſerliche Offiziere von der Errichtung einer 
Feldſchanze wider die Franzoſen auf baslerifhem Boden 
bei Kleinhüningen abzuhalten. Er war fomit im Fall, über 
Einzelnes aus eigenem Augenfchein zu berichten. 

AU dies Tief nicht ab, ohne den Herren vom Regiment 
ſchwere Sorgen zu veranlaffen. Auch an Anfechtung gegen 
die Haltung der Behoörden fehlte es nicht. Und weil „von 
bosfertigen Leuten ungütlih von ihrer Verrichtung geredt” 
worden, ergriff die Regierung die Flucht in die Deffentlich- 
feit und ließ in einer Großratsfigung am 22. April 1674 
„alle Acta, Abfcheid zu Baden, Kriegsverfaflungen von et: 
lichen Sahren hero, auch unterfchiedenliche Brief, fo unter 
den eidgenöffifchen Städten, dem König und feinem Am— 
baflador diefer Zeit gewechflet worden, durch den Herrn 
Stadtichreiber ablefen”. Dabei aber blieb fie nicht ftehen. 
Die Wälle wurden mit Gefchligen verfehen, Mannfchaften 
aus dem Bafelbiet in die Stadt gezogen, auch beichloflen 
U. Gn. H9H., „fich felber anzugreifen und in specie jeder 
ſich felber freiwillig zu Eontribuieren. Zugleich wurde er: 
fannt, daß alle Beamten, desgleichen alle Glieder der Uni— 
verfität ebenmäßig nach jedwederens Belieben und Per: 
mögen beitragen ſollen.“ Unſer Meyer fchätte fich für feine 
Derfon zu diefer Rriegsfteuer mit einem monatlichen Beitrag 
von 2 Reichstaler ein. Etwa 2000 Eidgenofien ftellten fi 
auf Anfuchen Baſels zur Grenzbefegung. Gleich hatte man 
auch Unannehmlichkeiten mit Spionen. „Giffredy, ein 
Irummgejchoflener Franzos, Rommandant auf Landsfron, 
nachdem er eine gute Zeit her zu Stadt und Land Tag und 


236 


Nacht fpioniert, ward den 27. April durch die von Zürich 
zur Stadt hinaus begleitet mit Bedrohung Leib- und Lebens- 
gefahr." Im Zuni wurden die eidgenöffifchen Hilfsvölfer 
wieder entlafien, nicht ohne anfehnliche Geſchenke. „Allen 
Hilfsvölfern, wie auch den Solothurnern, die zwar nie: 
malen in diefe Stadt famen, haben U. Gn. HH. jedem ge- 
meinen Soldaten einen Reichsthaler, einem Hauptmann 
ein Goldftüd von 10 Dufaten, einem Leutenant von 8 Du- 
taten u. |. f., nachdem einer ein Officium befleidet, gefchenkt.” 

‚Sn der Zeit, die ung befchäftigt, floß eine Quelle über 
die Begebenheiten auf jedem Kriegsichauplat in der Schweiz 
vielleicht reichlicher als irgendwo. Denn unter allen 
Fahnen fanden Schweizer Söldner, und ihr Verkehr mit 
der Heimat brach nie ab. Wir finden auch in diefen Blättern 
häufige Hinweife auf die Reisläuferei. Ein Sohn Meyers, 
Jakob Cornelius, fand in Lothringifhen Dienften. Im 
April 1670 war der früher erwähnte Sohn Georg Friedrich, 
nicht mit des Vaters Wohlgefallen, dem Bruder zugezogen, 
um das Franzöſiſche zu erlernen, aber ſchon im Juni wieder 
beimgeflommen. Don Jakob Cornelius erfahren wir, daß 
er am 22. September famt feiner Frau nah Philippenville 
in Flandern reifte.. Im Auguſt 1671 finden wir ihn mit 
feiner Rompagnie in Arras, im Oftober 1672 wieder in 
Lothringen, Zuni 1673 ftreift er, wohl im Eaiferlichen Heer 
bei Sädingen, am 28. Auguſt desfelben Zahres ift er in Baſel. 
Wenn Meyer fich über die Ereigniffe in den Niederlanden 
befonders gut unterrichtet zeigt, fo gebt Dies wohl auf diejen 
Sohn zurüd. Ein anderer Sohn, Daniel, hatte al3 Zimmer: 
mannslehrling bei der Einnahme von Colmar durch Die 
Stanzofen am 20. Auguft 1673 in diefer Stadt gemeilt. 
Leutnant Baumgartner von des Königs Garde half ihm 
davon, und der Zunge brachte einige Tage fpäter die Nach: 
richt nad Baſel. Hier mußte er von dem, was er gefehen, 
dem Rate Bericht erftatten. 

Außer politifchen Nachrichten aus der Nähe und aus 


237 


der Zerne verfchmäht aber Meyer keineswegs den gewöhn— 
lichen Stadtklatſch. Die Rubrit „Unglüdsfäle und 
Verbrechen“ ift in feinem Tagebuch gut vertreten. Aber 
auch hier feheint der Lohnherr ohne jeden Anfpruh auf Voll: 
ftändigfeit nur erwähnt zu haben, was er zufällig erfuhr 
oder was ihn aus irgend einem Grunde befonders in- 
tereffierte. So erwähnt er zum Zuni 1670, daß „Niklaus 
Rofenmund d. R., welcher wegen Schuldfachen feine eigene 
Hand und Petfchaft mit abfcheulichen Flüchen und Läfte- 
rungen geleugnet”, von allen feinen Uemtern entjegt worden 
ſei; daß Hr. Johann König Dreizehner ward, „weilen 
Hr. Rihiner abgefeßt und propter practicam um 500 Thlr. 
geftraft worden.” Es werden regiftriert ertrunfene oder fonft 
verunglüdte Kinder, ein Müllerfnecht, den der bochgebende 
Birfig, ohne daß er Schaden litt, unter der halben Stadt 
hindurch vom Steinenthor bis an die Gerbergafle ſchwemmte, 
während das Pferd gleichfalls unbeichädigt an der School 
herausgezogen wurde, der Karren aber mit einem Rad und 
zwei Sad Mehl, fo verderbt, in Hüningen aufgefangen 
ward; eine Prügelei bei einer Feuerfprigenprobe mit einem 
Todſchlag und PVogelfrei-Erflärung des flüchtigen Täters; 
der Ertrintungstod eines jungen Bündners Giuvalta in 
der Wiefe bei Riehen — er wollte durch den Fluß feßen, 
das Pferd fürzte mit ihm, feine großen franzöfifchen Stiefel 
wurden vol Wafler und er ertrank in einem Augenblid —; 
der Schiffbruch bei Neuenburg a. Rh., wo ein Weidling 
bei hohem Waflerfland und Wind zu etlichen Zentnern 
Käfe neun Perjonen geladen hatte und wobei drei Menſchen— 
leben verloren gingen; die zwei Roßdiebe Berner Gebiets, 
die mit dem Schwert gerichtet werden, während ein anderer 
Verbrecher, „der fih unterftanden, ob Walenftadt einen 
Krämer zu mörden”, auf das Rad geflochten wird, u. a. m. 

Dann die Selbftmordfälle! Da ward am 
4. Sebruar 1674 „Sohann Kolb, der Thorwart unter 
Spalenthor, wegen liederlihen Vollfaufens auf dem Spalen- 


238 


turm gefangen gefeßt, gegen Abend erhenkte er fich felber in 
dem Ramin. Weil er folches aus Kleinmut getan, ward er 
zu St. Elifabetha begraben.” „Den 10. (Mai 1673) Nach— 
mittags fprang ein junger Pfarrer zu Eimeldingen, Herrn 
Specials zu Schopfheim Sohn, welcher erft vergangenen 
Dienstag zu Detlingen Hochzeit gehabt, von einem Schrank 
beifeits hinab aus Schwermut in den Rhein und erfäufte 
fich felber. Die Urſach ift Gott bekannt.“ Seberhaupt hilft 
die badische Nachbarfchaft mit ihrer Chronique scandaleuse 
die Aufzeichnungen Meyers bereichern. So lejen wir, daß 
am 9. Auguft 1672 ein junger Waldbauer aus Gersbah zu 
Rötteln lebendig verbrannt wurde, „weil er feine geweſte 
Liebite famt ihrem diesmalen verfprochenen Bräutigam bat 
verbrennen wollen, zu welchem er das Haus, darin fie lagen, 
an vier Orten angeftedt, alſo daß in 24 Stud Rindvieh 
verbrannten, die Leute aber fich falviert.”" Einige Monate 
vorher war der geweſene Burgvogt Spreng von Rötteln 
„wegen daß er die Landfchaft und feinen Herrn den Marf: 
grafen vielfaltig betrogen... zum Schwert Eondemniert, 
von dem Meifter von Hagen erbärmlich mit etlichen Streichen 
auf dem Boden hingerichtet und maflafriert” worden. Ge— 
Ichietter als diefer Scharfrichter erwies fih am 14. Zanuar 
16/4 in Baſel der junge Meifter von Hagen, vielleicht der 
Sohn des eben erwähnten. Er hatte an einer Rindsmörderin, 
einer ledigen Weibsperfon aus Buus, feine erfte Probe zu 
tun und bat fie „beberzt vollbracht, nachdem der Kopf: 
abbauen wieder aufgeworfen und gefüllt worden“. Die 
Deliquentin aber ward anatomiert. 

Don FSeuersbrünften erwähnt Meyer zumeift 
auswärtige, fo einen Brand in Genf, einen in Durlach), in 
Chur, in München. Bei dem leßtern wagt er einen feiner 
wenigen Wiße. Es heißt da nämlich zum April 1674, alfo 
in der Zeit der Kriege deutfcher Herren, u. a. des Kurfürſten 
von Bayern gegen Ludwig XIV.: „Zeitung, daß zu 
Münden in Bayern das halbe Refidenzfchloß durch Ver: 


239 


wahrlofung eines angezündeten Wachsſtocks abgebrannt. 
n. b. zweifelsfrei war franzöfiihes Wachs dabei.” Don 
Seuersbrünften in Baſel wird eine folche an der Lys aus: 
führlich befchrieben. Es verbrannte dabei am 12. November 
1674 viel Lebware, mehrere Perfonen wurden durch ein: 
flürzende Mauern verlegt, und das Lohnamt hatte „in den 
drei Tagen nahmärts mit Raumen und Weoführen zu 
thun.” 

Die Berufstätigkeit Meyers am Lohnamt bringt es 
begreiflicherweife mit fih, daß er über allerlei Unfälle im 
Baumwefen zu beridten hat. Am 26. April 1671 follte 
ein Gartenhäuslein des Tuchmanns Zriedrih Stern in der 
Neuen Vorſtadt, das in gefegwidriger Weife und zur Be— 
läftigung des Nachbars Dr. Bauhini allzu nahe an des 
letztern Mauer gebaut war, durch die Arbeiter des Lohnamts 
abgetragen und an geeigneter Stelle wieder errichtet werden. 
Werfmeifter und Simmerleute befchloffen, den Bau mit Hebe- 
gefhirr und Winden niederzulafien. „Solches haben fie 
früh morgens unterfangen, und hätten es zweifelsohne mit 
der Hilf Gottes ins Werk gefegt, wenn nicht auf der linken 
Seite die Winde, welche Johann Andres der Zimmermeifter 
gehalten, ausgewichen und gefehlet und das Häuslein in 
Schwang fommen und von einer Seiten zur andern urploͤtzlich 
gefallen wäre. Ich fand allernähft vor dem unfternifchen 
Häuslin und fache, wie der Giebel nad) der linken Hand ih 
neigte, dahero ich zeitlich gefchrauen, daß die Arbeiter, deren 
in 10 Perfonen waren, fliehen und fich retirieren follten, 
welches auch Gottlob befchechen, aljo daß außer Johann 
Andres, welcher über einen Haufen Kalch gefallen, und von 
den Trämen des fallenden Häuslins ergriffen und fein Kopf 
mit etlihen Wunden befchädiget und fonft übel in dem Leib 
gequeticht wurde; fodann der Brudknecht, der auch ein Loch 
in Ropf befame, Uebrige alle gefund davon Tamen. Anfangs 
meinten wir alle, er der Werfmeifter fei wo nicht tot, doch 
meifte Glieder entzwei gefchlagen, bis wir ihn mit eilender 


240 


Hilf und Aufwindung des Gebäus lebend wieder berfür 
brachten. Er war übel entftellt, und ſchoß ihm das Blut 
häufig zum Mund aus; die Herren Aerzte und Dr. Bauhin 
taten ihr beftes, alſo daß er fih nachwärts von Tag zu Tag 
wieder befierte.e U. Gn. HH. die Herren Häuptere, denen 
ichs zeitlich Fund tate, und fonft männiglich hatte ein groß 
Bedauern und Mitleiden.” 

Meyer gab diefer ausführlichen Schilderung den Titel: 
„Anglückdoch GlüdimLlohnamt”, und ſchloß einen 
zwei Tage fpäter geſchehenen Fall an, wo auf der Wiefen- 
brüde ein Wagen mit Tannenftämmen mit genauer Not dem 
Sturz in den Fluß entging. Und an den Fuß ſetzt er die 
Worte: „Dem WUllerhöchften jei ewig Lob und Dank gejagt 
für feine väterliche Rettung. Der behüte auch ferners Meiner 
Gn. HH. Werkleut und gebe feinen Segen zu unferer Ar- 
beit. Amen.” | 

Aber nicht immer geht’s fo alimpflih ab. Am 1. Au: 
guft 1672 werden in M. Gn. HH. Steinbruh zu Rhein 
felden durch vorzeitige Entzündung einer Sprengmine drei 
Mann „elendiglih zerfchlagen”. Am 24. Februar 1674 
wird? Benedikt Baumgartner, U. Gn. HH. Ziegler zu 
St. Jakob, „als er in dem Steinbruch fprengen wollen, durch 
den Zapfen gefchlagen, daß er fich verblutet, und vollends 
durch den Scherer verwahrlofet, jo daß er noch felbige Nacht 
den Geift aufgab; war ein junger, fleißiger und gottes- 
fürchtiger Menfh. Sein Weib folget ihm bald nad.“ 

Auh über Witterung enthalten unfere Kalender 
manche Bemerkungen: Samstag 18. Juni 1670, Nachm. 
um 2 Uhr „ist ein ſtarkes Donnerwetter angangen und fchlägt 
der Strahl zwei Mal in den untern Münfterturm an drei 
Orten mit großem Schaden”. „Den 3. Mai 1671 Nachm. 
um 3 Uhr erhub fih ein ziemliches Donnermwetter. Darauf 
folgt ein gräulicher Hagel. Der zerfchlägt um beide Städt 
Bafel die Reben und Roggen bis in Grund, dergleichen 
noch kaum gejehen noch erhört worden. Gott erbarm ſich.“ 


241 16 


„Den 29. Zuli 1674 um Y22 Uhr Nachmittag, nachdem es 
etliche Tag zuvor fchwere Wetter zu Nacht gehabt, ift eins: 
mals ein graufam Hagelwetter entftanden, fo hin und ber, 
fonderlih vor St. Yläfithor großen Schaden getan. Die 
Stein waren wie Taubeneier.” Mit derartigen Witterungs- 
notizen überfchreitet Meyer manchmal die Grenzen des vater- 
ftädtifchen Gebiets; er zeichnet 3. B. ein großes Hagel- und 
Donnerwetter zu Straßburg und zu Frankfurt, Stürme über 
Amfterdam u. dgl. auf. 

Erdbeben werden in unfern Kalendern zwei ver- 
merkt. Das eine, vom 2. Dezember 1672, das „in zweien 
pulsibus währete, in Colmar und auch den Rhein auf: 
wärts” verjpürt wurde, notiert Meyer kurz und fachlich. Um 
fo mehr Eindrud foheint ihm das vom 6. Dezember 1674 
hinterlaffen zu haben. Er meldet es mit folgenden Worten: 
„Bott erbarme fih unfer. Sonntag den 6. ein Viertel vor 
9 Ahren, als die Leut in der Morgenpredig waren, geichah 
urplößglich ein fehr ftarfer Erdbidem, dergleichen bei Manns- 
gedenken nicht erhört und weit und breit im Land verjpüret 
worden. Die Leut zu St. Leonhard und im Münfter feind 
haufenweis davon geloffen; die Kirchen und Gebäu haben 
gezittert, gewantet, und der Erdboden fich beweget, die Gloden 
zu St. Martin und im Mlüünfter haben angefchlagen. In 
summa, es war ein fehr großer Schreden und Zammer unter 
uns. Geine Vedeutung ift Gott befannt. Der gebe, was 
zu feiner Ehr und feiner bedrängten Kirchen Heil dienen 
wird.” 

Derfönliches. 

Meyer erfreute fih einer rüfligen Gefundheit. 
Zweimal in den fünf Jahren, über die fih die vorliegenden 
Aufzeichnungen erftreden, Hagt er über Unmwohlfein. Der 
erfte Sal fette im Februar 1671 ein mit einem ftarfen 
Schnupfen, einer Influenza, würden wir heute jagen. Es 
war der Anfang der ernten Unpäßlichkeit, über die im April 


242 


desjelben Zahres berichtet wird: „Den 14. Bon 12 Wochen 
ber habe ich ein graufam Hauptweh auf der rechten Seiten, 
fo die Franzoſen Migrene namfen. Gott, der höchſte und 
befte Arzt, wolle mich in Gnaden wieder gefund machen. 
Den 16. Abends den größten Hauptjchmerzen erlitten. Den 
17. hat mir Gott wieder geholfen und um etwas Milderung 
verichafft.” Die Beſſerung fcheint von Dauer geweſen zu 
fein. Sn den frommen Einleitungsworten, die Meyer nad) 
feiner Gewohnheit dem Kalender für 1672 voranfchidt, dankt 
er Gott „infonderheit, daß er hingelegtes 71ſtes Jahr mir 
das graufam Hauptweh fo gnädiglich abgenommen”. Im 
Sanuar 1674 war der Lohnherr genötigt, „wegen großer 
Schmerzen, jo er eine Zeit lang innert der linken Bruſt er- 
litten”, den Dr. Bauhin zu Eonfultieren. Der verordnete 
Aderlaß und Purgatz. Mit welchem Erfolg, wird nicht ge- 
fagt. Daß Meyer mit dem Apotheker Eglinger in gejchäft- 
lichem Verkehr fand und ihm einmal für gelieferte Medila- 
mente eine A conto-3ahlung in Wein leiftete, wurde fchon 
weiter vorn erwähnt. 

Was feine Kleidung betrifft, jo hielt fih der Lohn- 
herr ftandesgemäß. Im November 1671 läßt er fich ein mit 
Fuchspelz gefüttertes Kleid anfertigen, das in allem 64 Pfo. 
toftete. Hornung 1673 ſehen wir ihn neun Brabanter Ellen 
famelbaren Ramblot für zwei Doppeldufaten kaufen, und im 
Dftober desfelben Jahres gewährt er feinem Schneider Jakob 
Hatzmüller ein Darlehen von 2 Pfod., vielleiht einen Vor: 
ſchuß auf die Verarbeitung diefes Stoffes. Daß man unferm 
Sreund mit fchidlichen Rleidungsftüden eine Freude bereiten 
fonnte, entnehmen wir der Eintragung vom Oktober 1672: 
„Herr Ratsherr Gregorius Brandmüller verehret mir wegen 
der Gefandtichaft über das Bürg ein Paar fchöne Hand- 
ſchuhe und ein Räpplin. Und wegen des, daß ich ihm bei 
feinem Bronnen gedient, ein fhön Paar fchwarzfeidene 
Strümpf.” 

Sein Amt zwingt Meyer, einen großen Zeil feiner Zeit 


243 16* 


auf Reifen über Land zuzubringen. Bald hatte er Holz: 
ftämme zu erhandeln, bald galt es um Steine auszugeben, 
bald waren fchadhafte Bauten zu befuchen, bald mußte er 
an Örenzbereinigungen teilnehmen. Meift gefchaben diefe 
Reifen zu Pferd, und die halbe Zeit brachte Meyer dem: 
gemäß im Sattel zu. So ermöglichte ihm denn auch die 
Obrigkeit, wie wir gefehen haben, durch befondere Gebalt- 
zulage, ein eigenes Reitpferd zu halten. Mit Kauf und 
Berkauf, fowie mit Tauſch von Pferden bat er nicht wenig 
zu fun. Geinen Falken verkauft er einem Franzoſen, dem 
Schmied von Altkirch handelt er einen jungen Braunen ab, 
fein Heines Roß vertaufcht er an ein anderes und gibt dem 
Juden noch 21 Taler drauf, er erfteht einen Eeinen Schimmel 
um 23 Taler, muß ihn aber hernach wieder hinweg geben, 
„weilen er für mich zu ſchwach“, feinen Dunfelbraunen gibt 
er einem Juden von Vreifah um 41 Taler, kurz darauf Eauft 
er von einem von Colmar „ein Hein Pferdlin” für 15 Taler. 
Da Meyer ohne Zweifel au für „Uni. Gn. HH. Zug” zu 
forgen hatte, jo dürfte ihm die Unterbringung feiner eigenen 
Tiere im obrigfeitlichen Stall leicht geworden fein. 

So geübt Meyer als Reiter mag geweſen fein, es gibt 
doch auch Unfälle zu melden. Vom 27. März 1672 erzählt 
er, er babe „auf dem Rauchfeld bei Setzung etlicher Bäume 
von feinem fcheuen und ftettigen Pferd einen abjcheulichen 
und gefährlichen Fall getan. Ich lag eine gute Weil in 
Ohnmacht. Gott erbarm fih." Nicht minder betrüblich 
war das Ereignis vom Afchermittwoch 1674, das er wie 
folgt meldet: „Den 4. an der Eſcher Mittwochen, als ich 
Abends von der Zunft reiten wollt, ift mein Pferdlin mit 
mir durchgangen und von der bintern Kronen an bis in 
St. Leonhards Klofter in einem Galopp gerennt, da ich vor 
der Haustür ganz atemlos abgefallen. Da ich die rechte 
Seiten und Arm mächtig verqueticht, mußte nachwärts in 
zehn Tage mit großen Schmerzen der Stuben und das Bett 
hüten. Gott erbarm fih meiner.” Solche Vorkommniſſe, 


244 


vieleicht auch mit dem Alter fich einftellende Schwerfälligkeit, 
bewogen wohl den Lohnherrn, im Zuli 1674 „eine Heine 
Gautſchen“ bauen zu laflen; die Eoftete ihn in allem 100 
Reichstaler. Don 

Meyer tritt uns als eine durchaus anfprechende Der: 
fönlichkeit entgegen. Bor allem bewundern wir feinen un- 
ermüdlihen Fleiß. Und er berichtet über feine Tätig: 
feit fo felbftverftändlich, daß der bloße Gedanke, als wollte 
er damit glänzen oder fonft Eindrud machen, dem Lefer gar 
nie auffteigt. Seinen Obern gegenüber ift er ebrerbietig und 
fünfam, aber die Kritik läßt er fich nicht verbieten. Die 
Frömmigkeit des Lohnherrn möchte ich nit bloß dem all- 
gemeinen Zug der Zeit zufchreiben. Gewiß, es ift faum mehr 
als gedanfenlofe Formel, wenn er jeweilen den Ertrag der 
Reben mit einem „Gottlob” bucht. Auch das bei den zahl- 
reichen Gevatterfchaften unabänderlich wiederfehrende „Gott 
geb ihm feinen heiligen Geift und Segen” wird faum immer 
empfunden fein. Dagegen machen einen durchaus wahren 
Eindrud die immer zu Neujahr dem Kalender vorangeſetzten 
erbaulihen Betrachtungen. Sie wechleln nah der Form 
und, fo weit es der Anlaß geftattet, auch nach dem Inhalt 
und pflegen Bezug zu nehmen auf die Ereignifle des ab- 
oelaufenen Jahres. Ebenfo halte ich das kurze Dankwort 
für echt, das er an feinem Geburtstag, wenn er ein weiteres 
Lebensjahr „Eompliert” bat, feinem Kalender einverleibt, und 
wenn er Gott als den höchſten und beiten Arzt preift, To 
klingt mir auch dies wahr und aufrichtig. Doch dies find 
perfönliche Eindrüde, die ich niemandem aufdrängen möchte. 
Sedenfalls treten die lebhaften religidjen Intereflen, die ſchon 
bei der Auswahl der Weltbegebenheiten hervorgehoben 
wurden, auch zutag in der bejondern Aufmerkſamkeit, die 
Meyer den Pfarrwahlen fchenkt und in der Ausführlichkeit, 
mit der er bei dem bekannten Ihurneyfen- Prozeß verweilt. 

Für Meyers Gefälligkeit und Gutmütigfeit zeugt die 
Menge der von ihm angenommenen Gevatterfhaften 


245 


und Hochzeiteinladungen Meiſt tat er Diele 
Liebesdienfte Leuten niedrigern Standes. Er war wohl der 
Vorgeſetzte oder Arbeitgeber des Herrenglafers, des welfchen 
Maurers, des Werkmeifters Friedrich Lederli, des Gaffen- 
bejegers u. f. f., deren Rindern oder Enkeln er Pate ftand. 
Auch bei einigen Hochzeitern, die er zur Kirche führte, mag 
dasſelbe Verhältnis gewaltet haben, fo beim Zimmermann, 
beim Steinmeßgefellen, beim Herrenfübler. Er machte freilich 
ſolche Angelegenheiten auch ziemlih geihäftlih ab. Am 
Zaufftein ließ er fih in der Regel durch einen Sohn oder 
eine Tochter vertreten. Oft find für die Namen der Täuf— 
finge Lüden offen geblieben. Ja als er die Hochzeit des 
Herrenfüblers aufzeichnete, war ihm der Name der Hoc) 
zeiterin entfallen, und er hat ihn nicht nachgetragen. 
Meyer war zweimal verheiratet, das erfte Mal 1637 
mit Unna Katharina Lewerin, das zweite Mal 1648 
mit Maria Ringlin. Die eine der beiden Gattinnen 
brachte ihm eine Anzahl Stieffinder mit Namen Heber zu. 
Aus der erften Ehe überlebten ihn drei, aus der zweiten vier 
Kinder, zwei Söhne und fünf Töchter. Aus den gegen: 
wärtigen Aufzeichnungen lernt man drei Söhne Tennen. 
| Zür den älteften Sohn Jakob Eornelius, geb. 
1638, verweifen wir auf das ſchon früher Gefagte (©. 237). 
Sein jüngerer Bruder Georg Friedrich befindet fi 
feit Juni 1670 meift an der Geite des Vaters. Georg 
Sriedrich hat gleich dem alten Meyer die Ingenieur:, ins⸗ 
befondere die Vermeſſungskunſt aus dem Grunde verftanden, 
und die beiden gewöhnten ſich daran, einander in die Hände 
zu arbeiten. Die Kalender enthalten eine Menge wertvoller 
Angaben über die Entftehung der im Auftrage des Herzogs 
von Mazarin im Sommer 1671 von den beiden Meyer an- 
gefertigten Karte des Elſaßes. Für die Mitarbeit an diefem 
Werft fchenkte der Vater dem Sohne von dem Honorar 
25 Duplonen, „Damit er wohl zufrieden war”. Daneben 
gehen ftetS andere Arbeiten auf diefem Gebiet her. Es fei 


246 


hervorgehoben die Karte des Brunnwerfs, die Georg Friedrich 
den Herren Häuptern dedizierte und für die ihn dieſe mit 
10 Dukaten belohnten. Fritz Yurdhardt führt fie in feinem 
Verzeichnis der Werke der beiden Meyer nicht auf. Sie 
ſcheint verfchollen zu fein. Sm Sommer 1672 reifte der junge 
Meyer, wiederum im Dienfte des franzöfiihen Statthalters, 
in Angelegenheiten der Landesvermeflung bis an die Mofel. 
Bald lefen wir auch vom Brautftand des jungen Rartograpben, 
demnädhft von feiner Verheiratung mit Jungfrau Sarah 
Zurdhardtin, „weiland Herrn Hieronymi Burckhardt des 
Handelsmanns und Gerichtsherrn allhier fel. und Frau Si— 
bylla Sreiin ebelihen Tochter. Die Ropulation geſchah zu 
St. Margarethen und der Imbiß zu Schmieden”. Wieder- 
holt treffen wir Georg Friedrich Meyer als Begleiter des 
Vaters auf deffen Reifen nah den Landvogteifchlöflern. 
Dann brechen unfre Notizen ab. Den Perfonalien des 
Sohnes entnimmt man, daß er „ift überaus fleißig und 
arbeitfam geweſen, junge Leut hat er in den mathematifchen 
Künften getreulich unterrichtet . . . auch ein und das andere 
Specimen fehen laffen durch mathematische Schriften, welche 
zum Zeil in den Drud fommen ... Iſt anno 1691 ein- 
bellig zu einem Lohnherrn erwählt worden.” Cr ftarb 1693 
in feinem 48. Lebensjahr. 

Ein Urteil fällt in unfern Vlättern der Vater Meyer 
über diefe feine beiden Söhne nicht. Zwiſchen den Zeilen 
lefen wir, daß er mit ihnen zufrieden, auf Georg Friedrich 
geradezu folz war. Anders mit dem dritten, Daniel, 
geb. 1652, den er ſchon, da er ihn zum erftenmal nennt, als 
feinen ungeratenen Sohn einführt. Damals, Sommer 1672, 
fehrt er aus Holland, „aus dem elenden Krieg” heim, und 
die Schulden, die der Vater damals für ihn zu berichtigen 
hatte, fprechen nicht zu feinen Gunften. Ein halb Jahr ſpäter 
wird der Burſch als Simmermannslehrling nah Colmar ge: 
Ihidt, und im Mai folgenden Jahres trifft fein Lehrherr 
famt Gemahlin und Tochter in dreifpännigem Fuhrwerk un- 


247 


erwartet in Baſel ein. Die Geſellſchaft ftellt fih vor als 
die Fünftigen Schwiegereltern und die Braut Daniels. Kurz 
darauf muß Hochzeit gehalten werden. Die Trauung findet 
diesmal nicht allzu nahe bei der Stadt, in Siſſach ftatt. Später 
feßte der junge Ehemann feine Z3immermannslehre in Col- 
mar fort. 

Die Kalenderaufzeichnungen nennen zwei Töchter, 
Mariaund Runigund. Die erfte hebt zufammen mit 
Herrn Daniel GStidelberger ihrem Bruder Cornelius eine 
Tochter aus der Taufe, die zweite tritt als Patin bei Meyers 
Stieftochtermann Thomas Dolles dem Bierfieder auf. 
Weiter werden zwei Tochtermänner genannt, denen Meyer 
ihr Heiratsgütlein ausbezahlt, „tut beiden 50 Pfd., darüber 
von ihnen quittiert ward”. Auch den Stieffindern if 
Meyer ein guter Vater. Für den Stieffohn Johann hält 
er um die Schmiedenzunft an, mit gewünfchtem Erfolg, „ob- 
wohlen der alt Zeilenhauer fi) darwider legt". Kurz da: 
rauf heiratet Johann die Jungfrau Sarah von Wengen, des 
Sigriften Tochter, und zum drittenmal treffen wir ihn, als 
er — gewiß ein Beweis hohen Vertrauens — für den Stief— 
vater ein Pferd kauf. Mit dem Stiefiohn Rudolf Heber 
ftand Meyer in gefchäftlichen Beziehungen. 

Der Lefer wundert fih, daß über Meyers Battin 
nichts berichtet wird. Wenn die Frau die befte ift, von 
der man das Wenigfte weiß, jo war die Meyerin ein Aus: 
bund. Unſre Aufzeichnungen betreffen die zweite Gattin, 
die geborene Ringli. Zunächſt ift verfchiedentlich die Rede 
von Geldangelegenheiten. Von einem Sahreszins für eine 
Schütte auf St. Leonbardsklofter im Betrag von 12 Taler 
erhält die Stau 1 Dukaten, und Meyer bemerkt dazu: „Der 
Reit fol verwahrt bleiben.“ Oder er fchießt der Hausfrau 
3 Taler vor. Oder die Frau kauft 2 Saum weißen Wein 
vom Untervogt von Muttenz. Dem uns fchon befannten 
Stieffohn Johann Heber dem Feilenhauer verkauft fie ihr 
Haus zu 650 Pfd. Als Hausfrau tritt Frau Meyer auf, 


248 


wenn ihr Gatte bei Aufzeichnung der Hausmetzgeten bervor- 
hebt, daß von den „Schwinlin”, die das Leben laflen mußten, 
feine Frau drei aufgezogen hat. Einmal ſehen wir fie eine 
Badefahrt nah Rheinfelden unternehmen, von der der Gatte 
fie nach viertägiger Dauer wieder abholt, und zwar ging 
die Heimreife zu Schiff vor fih. Eine amtliche Inſpektions 
reife nach Sifjah unternimmt er mit dem Baufchreiber und 
dem Werfmeifter und deren Frauen; dazu kommt auch die 
Grau Lohnherrin mit. Das ift alles, was die Kalender über 
des GSchreibers Gattin verraten. Es ift nicht genug, daß 
man fi) auf Grund Davon von ihr ein Bild machen Eönnte. 

Die Frau hatte einen Bruder, den M. Joh. Jakob 
Ringli. Der fand mit feinem Schwager Meyer infofern 
in Gefchäftsverbindung, als er zu den zahlreichen mathema- 
tifehen und geometrifchen Lehrbüchern des Lohnherrn, deren 
Titel man bei Fri Burckhardt nachfchlagen mag, die ein- 
leitenden Gedichte verfaßte. Außer Ringli erwähnen unſre 
Blätter eine Reihe von Gevattern und fonftigen Bekannten, 
die für uns leere Namen bleiben. 

Soweit e3 die dlürftigen Angaben geftatten, mag ganz 
furz noch von den öfonomifhen Verhältniffen 
Meyers die Rede fein. Auch hier fteht die Unvollftändigfeit 
und Lücdenhaftigkeit der Aufzeichnungen hindernd im Wege. 
Ziemlich regelmäßig zu Anfang jedes Ralenderhalbjahrs wird 
der Empfang eines Vetrags von 20 Pfd. für Hauszins von 
Meifter Wieland gebucht. Dagegen hat Meyer an den 
Schaffner Rippel einen Zins zu bezahlen und an eine Schuld 
regelmäßige AUbzahlungen zu leiften, fo daß er mit dieſem 
in einer unendlichen Abrechnung ſteht. Wenn da nicht neben 
den Ralendernotizen noch weitere genauere Eintragungen 
nachhalfen, fo fteht zu befürchten, daß die Verrechnung über: 
haupt nie ing Reine fam. Leber einige andere Zinfen, an 
Simon Segefler, an den Herin Rektor, müflen wir hinweg: 
gehen, weil fie ganz vereinzelt nur genannt werden. 

‚Ueber die Geſelligkeit Meyers bieten die vor- 


249 


liegenden Blätter Eeinerlei Anhaltspunkte. Man lieft wohl 
zur Geltenheit, daß er an dem und dem Tage bei dieſem 
oder bei jenem zu Gafte war. Man glaubt aus den Fällen, 
wo er den Herren vom Regiment eine Rollation ausrichten 
und daran teilnehmen mußte, einen Unterton der Miß— 
billigung oder wenigftens des Unbehagens heraustönen zu 
hören. Uber einen Schluß daraus zu ziehen, wird niemand 
wagen. 

Auch fonft Fönnen wir über Liebhabereien und Gteden: 
pferde Meyers, wie fie heute auch der Geringfte nicht un- 
gepflegt läßt, Feine Auskunft erteilen. Von Runft if, 
foviel ich fehe, kaum je, und ohne alle perfönliche Anteil: 
nahme die Rede. Ganz kühl berichtet der Lohnberr, daß 
man im Oftober 1674 „in dem Graben hinter dem Holee 
alte heidnifche urnas und Münzen” gefunden habe. Was 
die Poefie betrifft, fo wird einmal eine Schaufpielergefell- 
Schaft erwähnt (f. auch Ochs, VII., 324/25), für die Meyer 
nit ohne gute Vezahlung, wie weiter vorn (©. 223) er: 
mwäbhnt, die Bühne aufrichtete. Er befuchte auch die Vor— 
ftelung. Uber es fieht fo aus, als fei dies bloß gefchehen, 
weil er fiher war, da den Markgrafen von Baden zu treffen, 
mit dem er Geſchäfte zu befprechen batte. 

Die ſprachliche Form der Meyer'ſchen Auf: 
zeichnungen läßt auf eine gute Bildung ſchließen. Er hand— 
habt fein Deutfch recht gewandt und mit genauer Beobach— 
tung der Regeln, trotz dem damals verwidelten und wenig 
überfichtlichen Satzbau mit Anfchaulichkeit und oft mit treff- 
fihderem Ausdrud. Dazu hilft ihm ein merflicher bajel- 
deutfcher Einfchlag, den wir dem Lohnberrn zu befonderem 
Lob anrechnen. Hie und da hat er lateinifhe Brocken ein- 
geſtreut. Man würde fih wohl vergeblich bemühen, ein 
Prinzip in diefer Verwendung des Lateins zu entdeden. 
Perfönlih neige ich zu der Anfiht, daß Meyer auf die 
Sprache Ciceros griff, wo er etwas einem unbefugten Lefer 
zu verbergen wünfchte.e So faßte er etwa das Lrteil über 


250 


einen Pfarrer, die Charakterifierung eines Verſtorbenen 
lateinifh. Die Handfhrift, um auch von dieſer noch 
ein Wörtlein zu jagen, ift die prächtige alte Baslerſchrift. 
Sn ihrem ganzen fchnörkelreichen Glanz tritt fie auf bei den 
frommen Betradhtungen zum Jahresbeginn. Aber auch die 
furfiven Partien auf den Durhichußblättern und auf den 
Randkolumnen der KRalendarien find fehr Leicht zu leſen, fo- 
bald man fih einigermaßen hineingearbeitet hat. Manch- 
mal bat das Drudpapier durhgefhlagen, aber nur an fehr 
wenigen Stellen war es unmöglich, die Schrift zu entziffern, 
und nur an folchen, die für das Gefamtverftändnis unweſent— 
lich fcheinen. 


Sch fürchte, ih bin zu weitläufig geworden. Es lag 
mir daran, möglichft viele von den fprechenden Einzelheiten 
bervorzubeben, an denen diefe Quelle befonders reich ift. 
Einen Beitrag zur Gefchichte des ausgehenden 17. Zahr: 
hunderts in Baſel zu johreiben, lag mir fern. Dagegen hoffe 
ich, daß die Kenntnis des baslerifchen Lebens in dieſem Seit: 
abfchnitt durch das, was ich mitteilen konnte, vielleicht in 
einzelnen Punkten dem Lefer nahe gebracht wird. 

Es mag füglich bezweifelt werden, ob fi) aus irgend 
einer beliebigen Stadt Deutfchlands aus der Zeit, die uns 
bier bejchäftigt, das Bild eines fo behaglichen und behäbigen 
bürgerlichen Lebens zeichnen Tiefe. Den Deutfchen im 
Reich verliefen diefe Jahre, wenigftens foweit es den 
Mittelftand betrifft, dem Meyer angehörte, unter den Nach: 
wirfungen des großen Krieges freudlos und in engen, dürf: 
tigen Verhältniſſen. Damit verglichen herrſchte in der 
Schweiz ein gewifler Wohlftand. Es war eine Folge der 
Peutralitätspolitit unferer Vorfahren während des dreißig: 
jährigen Krieges. Möge es ein gütiges Geſchick fügen, daß 
wir ähnlich auch aus dem gegenwärtigen Völkerkrieg ohne 
allzu fchwere Wunden hervorgehen. 


251 


Beiträge zum Verhältnis zwifchen 
Jacob Burdbardt und Arnold Boedlin. 


Mitgeteilt von A. Deri-Sarafin. 


Wer fih über die bekannte Entzweiung zwijchen dem 
Runftpiftorifer und dem KRünftler, die im Oftober 1869 zum 
dauernden Bruch einer alten Freundſchaft führte, orientieren 
will, findet in einem Artikel von Albert Deri (Bafel): 
Arnold DBoedlin und Jacob DBurdhardt (Süddeutſche 
Monatshefte, März 1911) eine ausführliche und auf Alten 
berubende Darftellung, welche vielen der in den Boecklin— 
memoiren von Frau Angela Boedlin 1910 durch Ferdinand 
Runfel mitgeteilten Fabeln ein Ende machen follte. Sie ift 
aber faum fo befannt, daß fie imftande fein wird, das ein- 
gewurzelte und verbreitete Vorurteil, Jacob Burckhardt und 
auch Boedlins PVaterftadt hätten ungerecht und feindlich an 
dem Künftler gehandelt und ihm die Eriftenz in Bafel un: 
möglich gemacht, umzuftoßen. 

Die Boedlinbiographen find in diefen Dingen oft falſch 
oder wenigſtens fehr einfeitig orientiert. Auch U. Frey (Ar— 
nold Boedlin nach den Erinnerungen feiner Zürcher Freunde, 
1903), der das Beſtreben bat, billig abzumwägen, der aber 
eigentlich hätte willen müflen, daß Boedlin an Jacob Burd- 
hardt bei dem Erlangen des Auftrags zu den Mufeums: 
fresten, wie fchon bei früheren Gelegenheiten, den lebhafteften 
Befürworter bei Privaten und vor der Behörde gehabt hatte, 
wird Burdhardt nicht gerecht, wenn er ſagt, „Daß Burd- 
hardt Damals (1869) die Größe der Boecklin'ſchen Begabung 
nicht erfannt hatte, wo fie ſchon einer ganzen Reihe von 


252 


Künftlern aufgegangen war, foweit die jpäte Entwidlung 
des Meifters dies geftattete”", „Daß er Boedlin nie ganz be- 
griffen habe”, daß es aber befonders Burchhardts laue, zau- 
dernde Haltung in der Fresfenangelegenbeit, feine unmänn: 
liche, im Ausjprechen eines Urteils über Lebende an Eras- 
mus erinnernde Behutſamkeit, fein Mangel an Wärme, das 
Entihlüpfen, wenn einer die Freundeshand zu fallen ge: 
Dachte, geweien fei, was Boedlin vergrämt und ihn fchließlich 
in den Wahn gebracht habe, Yurdhardt fei feinem Auf: 
fommen in Baſel am meiften im Wege gewefen und habe 
ihm das Leben in der Paterftadt unmöglich gemacht. 

Wenn ih auch Burchkhardt in der zweiten Hälfte der 
jechziger Zahre oft mit Anerkennung und Freude über Boeck— 
lins Arbeiten reden hörte, fo ift es mir doch ohne weiteres 
verftändlich, daß bei dem damals beftehenden vertraulichen 
Verkehr zwifchen beiden Männern Burckhardt annahm, mit 
Boedlin frei auch über das Neue in deflen Fünftlerifcher Ent- 
widlung fprechen zu dürfen, ohne ihm zu nahe zu treten oder 
eine Erplofion feiner Künftlerempfindlichkeit riskieren zu 
müflen. In Yurdhardts Wefen lag es eben nicht, auf feinen 
eigenen Gefchmad und auf fein eigenes freies Urteil zu ver- 
zichten oder fich einer einzelnen Runftrichtung fo verfallen zu 
erklären, daß er fich unbedingt, auf jeden Fall und ohne 
MWiderfpruh zu einem Meifter hätte befennen wollen. 
Seine Stellung als Mitglied der Mufeumstommiffion ver- 
pflichtete ihn zu einem objektiven, nicht durch die Freund- 
Schaft beeinflußten Urteil. 

Sacob Burckhardt hat es feit dem Konflikt vermieden, 
fih nit nur über Boedlins, fondern über Werfe lebender 
Künftler überhaupt auszusprechen da, wo er nicht auf ab- 
folute Diskretion rechnen Fonnte. Aus Iangjährigem Verkehr 
weiß ich jedoch, daß er bis zu feinem Ende nicht aufhörte, 
in Boecklin einen wahrhaft großen, jchöpferifchen KRünftler 
zu ſehen. Er nahm den unglüdlichen Bruch) der alten Freund: 
Ihaft refigniert als fein Schidfal Hin und vermied es nad) 


253 


feiner vornehmen Urt, WUerger über erlittene Unbill zu 
zeigen. 

Bei den in der Boedlin-Literatur fo verfchieden, meift 
für Burckhardt und die Stadt ZVafel nicht gerade günffig 
lautenden Irteilen kann es für künftige Boedlin-Biographen 
von Nuten fein, wenn auch Zeugnifle aus einer früheren 
Periode, aus den Zeiten der ungetrübten Freundſchaft, be: 
fannt werden. Der Eürzlich erfchienene Briefwechſel von 
Sacob Yurdhardt und Paul Heyfe (herausgegeben von Eric) 
Patzet, 1916) geftattet nicht nur Einblide in das intime Ver: 
hältnis zwifchen dem Gelehrten und dem Dichter, das voll: 
fommene Greiheit der Ausfprache und auch der Aritif ge: 
ftattete, er enthält zugleich Dokumente über gemeinfchaftliche 
Sorgen aus der Zeit, Winter 1858/59, wo Boedlin, der 
Freund DBeider, an einem fchweren Typhus todfranf in 
Münden lag. 

Wenn es mir auch nicht Leicht fällt, im Folgenden einige 
Briefe Burdhardts zu verwenden, jo glaube ich Doch, mich 
über meine Bedenken hinweojeben zu dürfen, da in einer 
ftattlichen Reihe von Publikationen das Gebot Burckhardts, 
feine feiner Briefe zu veröffentlichen, umgangen worden ift. 
Wenn je, fo ift das Nichteinhalten diejes Gebots doch wohl 
dann berechtigt, wenn es fih um die Ehre von Yurdhardts 
angegriffenem Andenken handelt. Das Wenige, was ich 
mitzuteilen babe, ift übrigens fchon im Sahre 1914 von Herrn 
Dr. €. Schaub im 2. Band der Gefchichte der Familie Sa— 
rafin auszuasweife publiziert worden. 

Diefe Briefe Yurdhardts aus dem Jahre 1851 find an 
den Bürgermeifter Felix Sarafin-Brunner (1797—1862) 
gerichtet; fie wurden mir von dem Sohne des Wdreflaten, 
Herrn Jakob Sarafin-Schlumberger, aus dem Saraſin'ſchen 
Samilienarchiv freundlich zur Verfügung geſtellt. Vorerſt 
die Erwerbung eines intereflanten alten Gemäldes betreffend, 
führen fie bei diefer Gelegenheit auf das Verhältnis von 
Burckhardt zu VBoedlin. 


254 


Zum Schluffe werde ich Einiges aus vier Briefen Boed: 
Iins aus der Zeit feines Weimarer Aufenthalts (1861 und 
1862) mitteilen. 


Am 27. November 1850 Eaufte Jacob Burdhardt aus 
der Sammlung der Herren Merian-Roedlin und Bifchoff- 
Reftner im Kirfehgarten laut Quittung ©. Merians um den 
Preis von 500 Stanken ein Delgemälde, „Den St. Sohannes 
Darftellend, angebl. von Leonh. da Vinci”. Burckhardt hielt 
das Bild für einen echten Lionardo und Faufte es in der 
Annahme, e3 zum Anfaufspreis dem Mufeum zuwenden zu 
können. Bezüglich einiger anderer Bilder mit berühmten 
Namen (Andrea del Sarto, Carlo dolce, Solario und an: 
deren), die Herr S. Merian-Forcart am 7. Dezember Yurd- 
hardt zu befichtigen bat, bevor er fie nach Paris weiter gebe, 
verfprach der Befiter, „Daß er Alles, was in feinen Kräften 
ftebe, thun werde, um Burckhardt den Ankauf zu erleichtern 
und diefe hübfchen Bilder dem hiefigen Mufeum zu fichern”. 

Burckhardt, damals 32 Zahre alt, war nicht in der Lage, 
weitere Wagniffe mit Erwerbungen zu machen, da er ſchon 
das Geld für das Lionardobild hatte entlehnen müflen. Nach 
ſechs meift im Ausland und auf Reifen verlebten Studien- 
jahren 1843 zum Doctor philofophiae promoviert, 1844 an 
der Univerſität Bafel habilitiert, 1845 zum Profeflor ertra- 
ordinarius ohne Gehalt ernannt, von 1846 bis 47 zuerft ein 
halbes Jahr lang in Stalien, dann ein Zahr zur Neubear: 
beitung von Ruglers Geſchichte der Malerei in Berlin, hatte 
Burckhardt März 1847 feine außerordentlihe Profeflur 
niedergelegt und den Winter 1847/48 in Rom verbradt; 
von 1848—52 war er in Baſel mit Anftellung für acht 
Stunden Geihichtsunterriht an zwei Realiftenflaflen des 
Gymnafiums neben der weiter unbezahlten außerordentlichen 
Profeffur. Ich weiß aus Burckhardts Munde, daß, als er 
im Sabre 1852 feine acht Geichichtsftunden an den Realiften- 
Haflen verlor, er den Reft feines mütterlichen Erbes zu dem 


255 


14 Monate dauernden Aufenthalt in Stalien 1853/54 ver- 
wendete, während deflen er das Material zum —2— 
(erſchienen 1855) vollends ſammelte!). 

Mit dem Lionardobild hatte er fein Glück; als er es 
der Mufeumstommiffion um den Ankaufspreis anbot, wurde 
er abgewiefen. Ein Mitglied machte ihm fogar direft den 
Vorwurf, „Daß der Herr Profeflor, da er den Irrtum bei 
feiner privaten Erwerbung eingefeben habe, das Bild nun 
dem Mufeum anhängen wolle”. Burckhardt fandte nun das 
Gemälde an Inſpektor 3. D. Paflavant in Frankfurt a. M. 
zum Ankauf für das Städel’fche Kunſtinſtitut oder wenigftens 
zur. Erlangung eines Gutachtens. 

Vier mir vorliegende Vriefe von Paflavant an Burck 
hardt von Ende 1850 und Anfang 1851, in denen die Edht- 
heit des Gemäldes als einer Originalarbeit Lionardos ver: 
neint und in nicht durchwegs höflicher Weife der Ankauf 
diefer allerdings alten Kopie abgelehnt wird, werden bier 
übergangen, da fie nicht zum engeren Zwecke diefer Arbeit 
gehören. Ich denke, daß fie in nicht zu langer Zeit von 
anderer Seite veröffentlicht werden. Das Wefentliche über 
Paflavants Begutachtung folgt unten (©. 257). 

Nah den Üblehnungen der Sammlungen von Bafel 
und Stanffurt bot Burdbardt am 25. Sanuar 1851 dag Ge: 
mälde dem ihm als Runftliebhbaber und Sammler bekannten 
Herrn Bürgermeifter Felir Sarafin zum Kaufe um die 500 
Franken an, die es ihn felbft gefoftet hatte. Wie ich mich 
aus einer Erzählung Burckhardts erinnere, hatte Sarafin 
ihm im November den Kaufpreis vorgefhoflen. YBurdhardt 
fügte bei, „Daß er das Bild nicht mehr für ein Original gebe, 
aber für eine gute und gleichzeitige Kopie, in welcher 
die Seele Lionardos lebt”. 

In einer freundlichen fehriftlihen Antwort erklärte fih 
Bürgermeifter Sarafin bereit, das Bild zum vorgefchlagenen 


1) Die Zeitangaben find der Burdhardt-Biographie von H.Trog - 
im Basler Jahrbud von 1898 entnommen. 


256 


Preife zu übernehmen, zugleich Burckhardt bittend, ihm beim 
Ausfuchen eines angemeflenen Plaßes in feinem Haufe zum 
Schöned behilflich zu fein. Am 1. Februar 1851 ging das 
Gemälde in feinen Beſitz über, nach dem Tode feiner Witwe 
(1908) kam es an den Sohn, Herrn Dr. Fri Sarafin, den 
jegigen Beſitzer. Es wurde fpäter mehrere Male von Auto- 
ritäten der Kunſtgeſchichte befichtigt, u. a. von Waagen und 
Lübke. Waagen, jo glaube ich mich aus einem Gefpräche 
mit Burckhardt Mitte oder Ende der fechziger Jahre zu er: 
innern, hielt es für ein längft vermißtes Bild Lionardos, 
einen Sohannes, der noch fchöner fer als der des Louvre. 

Burckhardt begleitete die Llebergabe mit einer „Notiz“ 
zu Handen des Käufers, d. h. einer genauen Darftellung der 
bisherigen Schidfale des Bildes, die ich bier folgen Lafle: 

Der Unterzeichnete ſah diefes Bild zum erftenmal im 
legten November im Beſitz der Herren Merian-Roedhlin und 
Bifhoff-Reftner dahier, im Kirſchgarten. Er erfuhr zugleich, 
daß dDasfelbe feit der erften franzöfiihen Revolution in der 
Schweiz fei und daß es feither fich bei dem verftorbenen Kunſt⸗ 
händler Lamy dabier befunden babe. Der Ilnterzeichnete 
faufte das Bild den 27. November 1850 um 500 frfr. (lauf 
Schein von diefem Tage). Nachdem er e3 vergebens der 
Commilfion des hiefigen Mufeums um diefelbe Summe zum 
Kauf angeboten, faßte er den Entichluß, dasjelbe dem nam- 
hafteften Kenner Lionardos und feiner Schule, Herrn In— 
fpector 3. D. Paflavant in Srankfurt am Main zuzufenden, 
und es ihm entweder zum Ankauf für das Städel’fche Runft- 
inftitut anzubieten oder ihn wenigftens um ein Gutachten zu 
erjuhen. Die Abſendung erfolgte auf eine vorherige, von 
Herren Paſſavant unterm 23. Dec. bewilligte Anfrage bin, 
den 26. Dec. Unterm 3. Sanuar d. 3. gab Herr Paffavant 
fein Gutachten dahin ab: 

„Das Gemälde ift in ganz ähnlicher Weile behandelt 
„(wie dasjenige im Louvre) und wohl faft gleihzeitig 
„angefertigt worden. Es fteht indeflen in der Ausführung 


257 17 


„dem Parifer Eremplar fehr nach, ſowohl in Zeichnung als 
„Modellierung” etc. (im Folgenden wird zugegeben, daß 
auch in dem Parifer Eremplar die Hände und der Arm nicht 
bloß ſtark reftauriert, fondern vielleicht überhaupt nicht von 
Lionardo gemalt feien) „Das Vild fei alfo bloß eine alte 
Copie“. 

Der Anterzeichnete antwortete hierauf Herrn Paſſavant, 
daß ihm das Bild um 200 Gulden feil ſei, und erſuchte ihn, 
wenigſtens den Schüler näher zu bezeichnen, welcher das— 
felbe gefertigt haben Fönnte. 

Die Antwort Herrn Paflavants, vom 9. Januar, ver- 
rieth eine ältere, von dem Unterzeichneten, wie er betheuern 
kann, nicht verfchuldete Animofität; im Uebrigen wurde da- 
Hin entjchieden, „man Tönne zwar nicht angeben, von wem die 
„Copie fein dürfte, denn der Schüler des Meifters waren gar 
„viele, von denen wir entweder die Werfe oder ihren Namen 
„nicht einmal kennen; Doc) ift die Copie immerhin gut genug, 
„am einen Preis von 500 francsnihtübermäßig 
„zu finden.” 

Das Grundlofe der erfteren WUeußerung fällt in die 
Augen. Ein Schüler, der vorliegendes Bild malen Eonnte, 
hätte wohl anderweitig Spuren feines Namens und feiner 
Werke binterlaflen müſſen. 

Der Unterzeichnete bot das ihm wohlerhalten zurüd- 
gefandte Bild, für welches ihm den 29. Zanuar die nach— 
gefuchte Zollfreibeit bewilligt wurde, Ew. Wohlgeboren zum 
Kaufe an und erhielt am 28. Januar Ihre geehrte Zufage. 
Inzwiſchen entdedte er auf dem Rüden des Bildes den 
Ahnen bekannten Gallerieftempel?2). Sein Gutachten über 
denjelben geht dahin, daß wenigftens die Eftampillen, womit 
derſelbe gemacht wurde, noh aus der erften Hälfte 
des XVI Jahrhunderts herrühren mußten, und daß 
auch die Anwendung der lateiniſchen Spradhe für einen 


2) 3 Lilien und in Iateiniiden Budjftaben: LIONARD 
VINCIUS. Der Herausgeber. 


258 


Gegenftand koͤniglich franzöfiihen Domänenbefiges in der 
gweiten Hälfte des XVI. Jahrhunderts ſchon auffallend, 
fpäter aber kaum erbört wäre. Ferner bätte die jeweilige 
Verwaltung des Föniglichen Gemäldeſchatzes in Fontaine: 
bleau oder wo fonft, Fein Intereſſe gehabt, abfichtlih einen 
unrichtigen Namen an dem Bilde anzubringen; fie müßte 
diefes 2 oder 3 Zahrzehnde nad) dem Tode Lionardos un- 
wiflentlich gethban haben, was immerhin möglich bleibt. 
Andererfeit3 bat der Linterzeichnete niemals dem Pa: 
rifer Eremplar zu nahe treten wollen; obſchon dasſelbe an 
höherer Idealität entfchieden neben dem vorliegenden zurück⸗ 
fteht, fo will er die allgemein anerkannte Originalität nicht 
antaften; er hält es aber doch für möglich, Daß dieje Eigen: 
händigkeit die des vorliegenden Vildes nicht ausfchließe. 
Hohakhtungsvol und ergebenit 
Zac. Burckhardt, 
Profeflor. 
Bafel, 31. Januar 1851. 


Einige Tage, nahdem Burckhardt YVürgermeifter Sa— 
tafin das Angebot gemacht hatte, hatte er an diefen zur Be— 
gründung feines Schrittes gefchrieben: 


Baſel, 28. Sanuar 1851. 
Hocgeehrter Herr DBürgermeifter! 

Um Ihnen den Entſchluß über Ankauf oder Ablehnung 
meines Bildes zu erleichtern, fehe ich mich veranlaßt, im 
Bertrauen auf Ihre volllommene Diskretion, Ihnen einige 
Andeutungen zu geben. 

Der Schein ift gegen mich; es fieht aus, als fuchte ich 
auf Ihre Unkoften eine begangene Lebereilung rüdgängig zu 
machen. 

Aber fürs Erfte wäre ich, felbft wenn ich mich übereilt 
hätte mit dem Ankauf, Mannes genug, dergleichen in der 
Stille zu ertragen und zu beißen. 


259 17° 


Fürs Zweite brauche ich das Geld nicht für mid. Es 
handelt fih um einen Künftler, der aus Mangel an Mitteln 
Stalien im März verlaflen müßte. Sch bin gefonnen, ihm 
durch eine Veftellung von 250 frfr noch die paar Frühlings: 
wochen zu leiften. Auch dafür würde ich das Bild nicht 
verkaufen, wäre ich nicht anderweitig in meinen Eleinen Geld- 
ſachen auf läftige Weife im Stiche gelaflen worden. Die 
übrigen 250 fr werden allmälig auch auf Runftzwede ver- 
wendet werden. 


Fürs. Dritte ift zwar mein Seugniß für den Werth des 
Bildes null, weil es in eigener Sache gefällt ift; allein ich 
bin glüdlicher Weife im Stande, Ihnen die jehriftlide Aus- 
fage einer in diefer Sache ganz unmwiderlegbaren Autorität 
vorzulegen, dahin lautend: 500 ffr feien ein mäßiger Preis 
für diefes Werk. 

Sch habe dieſes Bild gekauft in der erſten Aufwallung 
des Enthufiasmus, den es wohl zu erregen im Stande ift. 
Sch ſah, daß es, wenn nicht von Lionardos Hand, jedenfalls 
unter feinen Augen gemalt fein mußte; ich rechnete nach und 
fand, daß das Mufeum noch feinen einzigen Idealkopf be- 
fie, etwa Holbeins Lais ausgenommen. Das Bild ift des- 
halb nicht weniger werth, weil das Mufeum den Rauf ab- 
Lehnte. Ä 

Wenn Ihnen, hochgeehrtefter Herr Bürgermeifter, gleich- 
wohl der Ankauf nicht conveniert, fo nehme ich dieß als ein 
Schidjal für Senen an, dem die Hälfte der Rauffumme be- 
flimmt if. Er ift ein Maler, der jet nichts gilt, von dem 
aber in 10 Zahren Zedermann etwas wird haben wollen. 

Das unbedingte Zutrauen allein, das ich in Ihre Ver- 
Ihwiegenbeit jege, gibt mir den Muth, Ihnen mit diefer 
Sache befchwerlich zu fallen. Dem Betreffenden felber kann 
ich nur durch eine anonyme Beſtellung durch dritte Hand nahe 
fommen, jedes direkte Einfchreiten würde feine Delicatefle 
verletzen. 


260 


Ich weiß, daß ich auf den Wegen der Pflicht wandle 
und mache mir aus diefer meiner fcheinbaren Zudringlichkeit 
feinen Vorwurf, fo ſchwer fie mich ankoͤmmt, namentlich 
gegenüber einem verehrten Mann, auf deflen Achtung und 
Wohlwollen mir fo viel anfommen muß. 


An aufrichtigfter Hochachtung 
Ew. Wohlgeboren 
ergebeniter 
3. Burckhardt 
Profeflor. 


Sn einem Briefe vom 14. Februar 1851 an Bürger: 
meifter Sarafin kommt Burckhardt nochmals auf das Gemälde 
zurüd, nachdem er in der Sammlung von Oberft Merian im 
Kirſchgarten „ein zweites, aber jehr mittelmäßiges Eremplar 
des Johannes, Copie des XVII. Zahrhunderts” gefehen 
hatte. Er ffizziert mit einigen Strichen die Geftalt des Jo— 
hannes und fchreibt u. a.: „Beim Anblid desfelben ging mir 
„rolgendes Liht auf: Diefes ift die Compofition des 
„Merian’fchen und des Parifer Eremplars, wie ih 
„mich jetzt klar zu erinnern glaube, Ihr Bild ift ſomit nicht 
„einmal eine Wiederholung des Parifer Bildes, fondern 
„eine ganz neue von Lionardo apart er: 
„Tundene Compofition mit wefentlidh ver: 
„Hiedener Haltung des Kopfes, man Tünnte 
„etwa durch Herrn Weber in Paris Haren Aufihluß er- 
„balten. Sch habe mich geirrt, als ich die Compofition des 
„Shrigen und des Bildes im Louvre für diefelbe hielt, aber 
„Herr Paſſavant hat fih auch geirrt!“ „Unfer Willen ift 
„Stückwerk.“ 

Ob der Kupferſtecher Friedr. Weber über die Sache 
befragt wurde, weiß ich nicht. Man kann es bedauern, daß 
damals das Hilfsmittel der Photographie noch nicht zur 
Verfügung ſtand, das über einige Hauptpunkte raſch und ſicher 


261 


Auffchluß gegeben hätte. Es bleibt der in Ausficht ftehenden 
Publikation von Herrn Dr. Paul Sarafin vorbehalten, ein 
überrafchendes Licht auf den damaligen Streit über die Autor: 
fchaft und auch über den Inhalt des Lionardobildes zu 
werfen. 

Sm Briefe Jacob Burckhardts vom 28. Zanuar 1851 
(. S. 259) an DBürgermeifter Sarafin taucht zum erften 
Male, wenn auch nicht der Name, fo doch die Perfon des 
DBurdhardt befreundeten, damals 24 Jahre alten Basler 
Malers Arnold DBoedlin auf, dem er zur Verlängerung 
feines feit März 1850 dauernden Aufenthalts in Stalien 
helfen möchte. : 

Sn einem ferneren Briefe tritt die Sorge für den not- 
leidenden Freund Boedlin neuerdings zutage, diesmal mit 
Nennung des Namens. Beide Vriefe find nicht nur Zeugen 
einer zu Opfern fähigen Freundfchaft, fie atmen den feften 
Glauben an Boedlins Ingenium, „feinen tiefen poetifchen 
Fonds" und feine Zukunft als Künftler. Der zweite rief 
lautet: 


Bafel, 17. Mai 1851. 


Hochgeehrter Herr Bürgermeifter! 


Entihuldigen Sie, wenn ich unter dem Siegel der Dis- 
cretion noch einmal an eine Sache zu erinnern wage, von 
welcher ich fchon Einmal Ew. Wohlgeboren zu unterrichten 
die Ehre hatte. 

Es wird Morgen eine Landfchaft von VBoedlin in Rom 
im Nebenzimmer der Lefegefellfchaft ausgeftellt fein (und 
mehr. als acht Tage daſelbſt bleiben), welche nicht bloß 
fehbr bedeutende technifche Fortfchritte, fondern auch 
den tiefen poetifchen Fonds des Künftlers deutlich an den Tag 
lest. Sch bin für meine Perfon überzeugt, daß derfelbe 
unferer Vaterftadt nicht geringere Ehre machen wird als 
Frey, und ich habe deshalb für ihn gethan, was in meinen 


262 


ſchwachen Kräften ftand. Es war nothwendig, daß ich felber 
den Anfang machte, weil die früheren Arbeiten B's nichts 
Beftechendes hatten und weil es unmöglich ift, dem Publi- 
fum fünftige Vorzüge eines Malers aus unvolllommenen 
Bildern zu beweifen. Allein, meine beſchränkten Mittel ge- 
ftatten mir nicht, Über ein gewiſſes Maaß hinauszugeben. 
Alles, um was es fich handelt, ift: dem Künftler noch den 
Aufenthalt in Rom für diefen Sommer zu ermöglichen, ver: 
mittelft einer mäßigen Beſtellung. 

Ich weiß, daß die Güte Ew. Wohlgeboren. be- 
fändig und von vielen Seiten in Anfpruch genommen wird, 
auch würde ih von dieſer Seite gar nicht an Sie zu 
appellieren wagen. Allein, nad) dem vorliegenden Bilde Tann 
ich mich auf das Sicherfte dafür verbürgen, daß Sie für eine 
geringe Summe ein Runftwerf von dDauerndem Werthe ge: 
winnen würden. Es ift nicht zu beforgen, daß der Charakter 
desselben durchaus düfter und melancholifch fein müßte, ein 
Wort des Beftellers würde genügen, damit das Freundliche 
und Heitere neben dem Großartigen vorherrſcht. 

Emw. Wohlgeboren könnten gegen diejes mein Anliegen 
ein gerechtes Mißtrauen fallen, wenn ih nur mit fremden 
Mitteln eine für mich wohlfeile Protection ausüben wollte. 
Allein Sie willen (und zwar nur Sie), daß mir auch ein 
großes Opfer für diefen Zweck nicht zu ſchwer geworden ift, 
weil ih mit der größten Sicherheit vorausfagen Tann, daß 
es fi hier um die Förderung eines geborenen echten Land- 
Ichaftsmalers handelt, der nicht nur arfige Veduten malen, 
fondern feinen ganzen Runftzweig fördern wird, wenn ihm 
Leben und Freiheit gegönnt ift. 

Ich Schließe mit dem feierlichen Versprechen, Ihnen fonft 
mit Anliegen diefer Art möglichft felten befchwerlich zu fallen, 
wie denn dergleichen fonft meiner Art und meinem Gefchmad 
gänzlich zumider ift, und ich Anläſſe dazu nach Kräften ver- 
meide. Hier aber handelt es fich meinerfeits um eine Klar 
erfannte Pflicht. 


263 


Doch, wie auch Ihr Entfchluß ausfalle, es ift Nichts 
im Stande, meine volllommene Ergebenheit und —. 
zu erfchlittern, womit verbarrt 
Ew. Wohlgeboren 
unterthänigfter 
J. Zurdhardt, Prof. 


Diefer dringenden Fürfprache gab Bürgermeifter Sa- 
rafin nad), zwar nicht indem er das ausgeftellte Gemälde 
faufte, aber indem er fich zu einer Beftellung entihloß und 
Burckhardt um den Entwurf zu einer folchen an Boedlin bat, 
der bier folgt; er ift von Burckhardts Hand gefchrieben. 


(Entwurf.) 


P. P. 

Der Unterzeichnete wünſcht von Ihnen ein Bild zu er— 
halten, etwa von der Größe des neulich nah) Baſel ge: 
fommenen oder nach) Höhe und Breite etwas geringer. Die 
Wahl des Gegenftandes bleibt Ihnen überlaflen, Doch wird 
der Charakter eines friedlichen Abends und einer füdlichen 
Vegetation gewünjcht, nebft einer nicht zu geringen Ferne. 
Sn Betreff der gleihmäßig durchzuführenden fleißigen Be— 
handlung, welche die wefentlihe Bedingung der Beſtellung 
bildet, verweife ih Sie auf die beifolgenden Zeilen Ihres 
Sreundes Prof. Burchkhardt. 

Der Preis des Vildes würde bis auf frfr 500 gehen 
dürfen. 

Wenn Sie, Tit., auf diefe Vedingungen einzugehen 
gefonnen find, jo bittet um gef. Anzeige 

(Sarafin.) 

Nachſchrift: 

Verehrteſter Herr Bürgermeiſter! 

Beifolgend finden Sie mein Schreiben an Boecllin. 
Sollte Ihnen dasjelbe ungenügend fcheinen, jo bitte ich um 


264 


Bezeihnung des Fehlenden und bin bereit, es noch nad): 
drüdlicher zu redigieren. 
Hochachtungsvoll und ergebenft 
3. Burckhardt, Prof. 
Adreſſe: 
Monfieur U. Boedlin, artifte 
Roma, Dia Gregoriana No. 7. 


Zur Verfendung ift auch der Llnterzeichnete bereit. 
3.2. 


Boedlins Antwort an den Beſteller (ohne deſſen Adrefle), 
durch Einfhluß in einen Brief an 9. Durdhardt vermittelt, 
lautet: 

Rom, den 6. Zuni 1851. 


Hochgeachteter Herr! 

Die Beftellung, womit Sie mich beehrt, hat mich auf 
die angenehmite Weife überraſcht. Da ich die volllommene 
Richtigkeit der Forderung an ein Kunſtwerk, das vollendet 
fein fol, einfehe und mir daher die Aufgabe in jeder Hin- 
fiht nur erwünscht fein kann, fo nehme ich fie mit Freuden 
an und werde fuchen, durch Fleiß und paflende Ausführung 
des Einzelnen das Gemälde genießbar zu machen. 

Der Erfolg wird zeigen, ob ich meine Kräfte überjchäße; 
unterdeflen glaube ich Ihnen, hochgeachteter Herr, veriprechen 
zu Eönnen, daß die Mängel, deren es leider im vorigen Bilde 
viele gibt, im jegigen nicht mehr vorfommen werden, ſondern 
daß diejes in Bezug auf elegante und ſorgfältige SID 
Shren Erwartungen entiprechen wird. 

Empfangen Sie inzwifchen meinen ergebenften Gruß. 

Arnold Boedlin. 


Das Bild, das dann Boedlin Tieferte, fcheint zur Zu- 
friedenbeit des Beſtellers ausgefallen zu fein, es ift das als 
„ideale Landfchaft" bei H. Mendelfohn (©. 249) aufgeführte 
Gemälde, das jegt Herin 3. Sarafin-Schlumberger gehört. 


265 


Jacob Burckhardt Faufte von Boecklin im Anfang der 
fünfziger Jahre mehrere Heine Landfchaften in Del und 14 
fehr ſchön ausgeführte Landfchaftszeichnungen, die jebt im 
DBelige feiner Verwandten find. Er faufte fie feinerzeit, 
wie er mir gegenüber ausdrüdlich betonte, „bei feiner eigenen 
Armuth, um zu belfen, Boedlin über Wafler zu halten”. 


Jacob Burdhardt war mit dem um neun Jahre jüngeren 
Doedlin, der von 1845 an mit kurzen Unterbrechungen in 
Düffeldorf, Belgien und Paris geweilt hatte und nach vier 
Wanderjahren nah) Baſel zurüdgelehrt war, wohl im Jahre 
1849 näher befannt geworden. Boecklin ging im März 1850 
nad) Rom, war dann den Sommer 1852 in Baſel und von 
Herbft 1852 bis 1859 wieder in Rom. 

In die Jahre 1853 und 1854, alfo nahdem YBurdhardt 
Länoft in Baſel für Boedlin eingetreten war, fällt während 
Zurdhardts dritter italienifcher Reife der längere gleich: 
zeitige Aufenthalt beider in Rom. Burckhardt ftand damals 
in Boedlins höchſtem Vertrauen, fo daß er 1853 bei deflen 
Bewerbung um die fiebzehnjährige Angela Pascucci „als 
Sreiwerber ihr und ihrer Tante lebhaft zuriet, in die Heirat 
(mit dem 26 Zahre alten Maler) einzuwilligen” (f. Boecklin⸗ 
Memoiren, ©. 34). Zur Hochzeit, bei der Yurdhardt, von 
DBoedlin gebeten, als Trauzeuge anwefend war, trug der 
Bräutigam den fchwarzen Anzug des Freundes; ich weiß 
diefen Umſtand daher, daß 30 oder 40 Zahre fpäter, als ich 
als Arzt mich einmal mit den Kleidern des alten Herrn zu 
befaflen hatte, Burckhardt fcherzweife äußerte: „Man muß 
Reſpekt haben vor diefem Gewand, denn in diefen Hofen ift 
Doedlin vor feiner Trauung katholiſch geworden.” 

Da Burdhardt vom Herbft 1854 bis Herbft 1855, nun 
als Lehrer am humaniftifchen Gymnafium und als Gtell- 
vertreter des Ordinarius der Gefchichte, in etwas feiterer 
Stellung in Baſel war und Herbft 1855 bis Frühling 1858 
als Profeflor am eidgenöffifihen Polytechnikum in Zürich, 


266 


« DBoedlin aber bis Sommer 1857 in Rom, dann bis Frühling 
1858 in Bafel, dann einige Monate in Hannover, von Herbft 
1858 bis Mai 1860 in München, 1860 bis 1862 als Pro- 
fefjor an der Runftalademie in Weimar, 1862—66 bei feinem 
zweiten italienischen Aufenthalte in Rom lebte, dürften per- 
fünlihe Begegnungen Burckhardts und Boedlins zwifchen 
1854 und 1866 nur flüchtig ftattgefunden haben. 

Von dem auch in diefer Trennungszeit weiter dauernden 
freundfchaftlichen Verhältnis geben vier Briefe Boecklins 
aus der Zeit feines Aufenthalts in Weimar Zeugnis. Ich 
laffe fie hier folgen, allerdings mit einigen Auslafjungen, die 
wie ich glaube, Jacob Burckhardts Billigung finden würden. 
Seine zugehörigen Antworten fenne ich nicht. 


1. St. Wohlgeboren Herrn Prof. 3. Burckhardt 
St. Albanvorftadt, Baſel. 


Weimar, den 28. Zuli 1861. 
Mein lieber alter Freund! 


Den letten Tag meines Aufenthalts in Bafel war ich 
fo in Anfpruch genommen, daß ich mich zur beftimmten Stunde 
nicht losreißen konnte, um dich noch einmal zu fehen, und 
Doch hätte ich jo Manches noch zu Tprechen gehabt. Schreiben 
läßt fich nicht Alles, und ich befchränfe mich einfach darauf, 
zu verfichern, Daß ich Deutfchland, deutfches Gemüth, deutſche 
Bildung, Runft, Poefie etc. allmählig fo kennen gelernt habe, 
daß ich gleihb Morgen mit dem erften Schnellzug nach dem 
uncivilifierten Süden fahren möchte. Weil’ aber nicht Tann 
fein, bleib ich Profeflor. 

Nun das Thema, weshalb ich mich denn überhaupt ent- 
ſchloſſen babe, dich mit einem Brief zu beläftigen. Nach 
meinem gegebenen Verſprechen, einige Entwürfe zu dem 
St. Jakobsdenkmal zu Ichiden, fchleppte ich mich einige Zeit 
mit fog. Ideen herum, zeichnete auf, verbrannte die Papiere 
wieder, furz, ich machte es, wie jeder, der nicht recht weiß, 


267 


was er wil. Wie ih nun zu feinem Grund kam, fing ich 
an, den Grundgedanken zu Eritifieren. Was fol dargeftellt 
werden, ein Grabmal oder ein Sieg? Zuvoͤrderſt gewiß ein 
Grabmal. Da kommt gleich die Trage über Einheit des 
Gedankens, ohne welche in der bildenden Runft feine Wir- 
fung möglich if. Sol ein Gedanke fchlagend wirken, fo muß 
er allein in feiner ganzen Größe daftehen. Jeder andere 
Gedanke, der beigefügt wird, macht nicht das Ganze reich, 
fondern theilt nur das Intereſſe und nimmt folglich dem 
erften feine Größe. Hier fommen wir auf den Punkt, wo 
die ganze moderne Hiftorienmalerei faul if. Ueber dem 
viel erzählen wollen, was Doch fiher in das Fach der Ge- 
fhichtsfchreiberei gehört, geräth fie ganz aus dem Feld der 
Schönheit und Einheit, verwechjelt die poetiihe Idee mit 
der malerifchen, und fo entſtehen dieſe formlofen, kühlen, 
leeren, arroganten, verfluchten Bilder und Bronzeſtatuen, 
über die fich etwas Schreiben läßt, die man aber feine Minute 
lang anfeben Tann. 

Ich bin in meinem Eifer etwas abfeits gerathen, doch 
nicht fo fehr, um nicht Nutzanwendungen auf das oben Ge: 
fagte machen zu fünnen, was ih aber Dir überlaffen muß. 
Das Refultat diefer weifen Betrachtungen war, daß ich 
verfuchte, alle Schauer, die mich von je bei diefer Gefchichte 
ergriffen, in einem einfachen Grabdenkmal darzuftellen. Auf 
dem Grabbügel fteht ein einfacher Stein, worauf ein Todten- 
feuer in einem breiten Beden brennt. Um den Stein halten 
4 Giganten, bärenmäßige Helden, Todtenwadhe. Sie find 
halb figend, halb liegend eingefchlummert, die Waffen in 
den Händen oder neben ihnen auf den Stufen. 

Un den vier Geiten des GSteins find große Kränze, 
worin zur Genüge noch gefchrieben werden kann mit ein- 
fahen Worten, was zur Gefhichte und zur Poefie gehört, 
3. B.: 

1° Den gefallenen Kriegern — Ort und Datum. 

2° Die für die Freiheit in den Tod giengen. 


268 


3° Sterbend festen. 

4° Das dankbare Vaterland. 

Auf diefe Art ungefähr, doch fo,. daß womöglich jeder 
Sat für fih abgefchloflen wäre und fich Doch auf das Lebrige 
bezöge und auf die, die unterm Stein gedacht find, wäre einem 
dringenden Bedürfnis ebenfalls abgeholfen. 

Wie nun dieß in Thon entworfen war, dachte ich, fo 
und nicht anders wüßte ich den Gedanken auszudrüden, alle 
andern Entwürfe wären Doch nur gegen meine Lleberzeugung. 

Wie ich nun den Entwurf fo weit gebracht, daß fich der 
Gedanke verftändlih ausiprah, legte mein Freund, Bild- 
bauer Begas, hülfreich mit Hand an und fo fam die Sache 
in wenig Tagen jo weit, daß fie vorftellungsfähig wurde. 
Sch glaube, die Wirkung wird nicht ganz verfehlt fein. Die 
Figuren, die von Begas ganz Durchgearbeitet find, d. h. immer 
noch ffizzenhaft, machen einen mächtigen Eindrud. Das 
ganze Monument ift ernft und feierlih und wird ficherlich 
das Licht Schlöth einigermaßen verdunfeln. 

SH kann die Lob ohne Eigenruhm ausfprechen, da 
alles Gute, was daran ift, von Vegas herrührt. Ich erwarte 
nur Deine Antwort, an welche Adreſſe die Kifte gejchidt 
werden fol, um fie abzujchiden, fobald es gewünjcht wird. 

Nun muß ih Dir noch ein Geftändnis machen, das 
Dich freilich nicht fehr überrafchen wird. Sch warte nur auf 
die erfte befte Gelegenheit, um aus diejfer Enge wieder auf 
offene See zu fommen. Gollte die Sfizze allgemein ge- 
fallen und mir die Ausführung überlaffen werden, jo werde 
ich das Reifegeld nach Stalien herausſchlagen — dann lebe- 
wohl Großherzog und Profeflortitel mit Gehalt, lebt wohl 
ihr Rartoffel- und Rübenfelder, — — — — — — — — 


— — — — — — — — — —— — — — 
— — — — — — — — —— — — — — — 


— — — — —— — — — — — — — — 


Menſchen zu verargen, dem die Gegenwart Nichts bietet? 


269 


Eitelkeit und Ruhmfucht hat mir das Schidfal Längft aus: 

geprügelt. Geben mir die Götter nur ein ftiles Plätzchen, 

wo ich für mich ungefchoren leben kann. Schauen und ſchaffen 

möchte ih und mich ferne von allem Kunftgefindel halten. 
Herzlihften Gruß von Deinem 


U. Boedlin, 
Prof., Theaterplag, Weimar. 


2. Weimar, 19. Aug. 1861. 
Mein lieber Freund! . 


Heute endlich Tonnte die Skizze der Eiſenbahn über: 
geben werden. Du baft feinen Begriff, was das heißt, in 
einer ganz Heinen Stadt zu fein, was für Nöthe das mit fich 
bringt, wenn man auf Handwerker und andere Knoten an: 
gewiejen if. Nun nach allen Hinderniflen ift doch wenigſtens 
die Rifte noch vor Thorſchluß fort. Test kommt's nur noch 
darauf an, daß die Skizze wohlbehalten anlommt und eben- 
fogut aus der Kifte gebracht wird. Dazu muß ih Dich in 
einige Geheimniſſe einweihen. Erft wird das Stroh hinaus: 
genommen. Dabei kommen an den 4 Geitenwänden die 
Knoten der Stridhenfel zum Vorfchein. Diefe werden ab- 
gefchnitten, um das Monument oben hinausziehen zu können. 

Das Monument fteht auf einem Brett frei in der Kite. 
Unter dem Brett durch geht doppelt ein Strid, mit dem das 
Ganze mit Leichtigkeit hinausgezogen werden Tann. Iſt das 
Ding etwa ganz zerbrochen, fo bitte ih Dich, wenn Du nur 
einen Funken Erbarmen haft, den Inhalt der Kifte auf irgend 
eine Weife verfhwinden zu machen, 3. B. mit einem Hammer 
hineinzuhauen, bis die Kerle nicht mehr im Stande find, fi 
zu rühren. Auf hölliſches Gelächter bin ich in diefem Fall 
gefaßt, werde auch von Herzen mithelfen. 

Was Du mir von Bezahlung faoft, verfteht fi) von 
felbft. Sch habe nie daran gedacht, irgend ein Utile dabei 
zu machen. Pläne und ftille Hoffnung wirft Du mir ver: 


270 


zeihen, die macht am Ende jeder in fhwachen Stunden und 
ih will ja nur ftill fein. 

Sollte das Monument wohlbehalten angefommen fein, 
fo wäre es fo aufzuftellen, daß der Blick eines urteilsfähigen 
Menſchen wagrecht auf die oberfte Stufe fällt, wo nach tech: 
nifcher Benennung der Horizont ifl. Es ift damit nicht ge- 
fagt, daß das, was darüber ift, über feinen Horizont geht. 

Sch fehe, DaB es Zeit ift, für jeßt abzubrechen. Laße 
mich nur mit Gelegenheit das Schidfal der Skizze erfahren 
oder la es auch bleiben. Ich werde nicht auf eine Ant- 
wort von Dir warten, um Dir wieder zu fchreiben, weil 
ich in diefem Brief noch lange nicht fertig bin. Webrigens 
werde ich fehr wahrjcheinlich gegen Ende September durch 
Bafel fommen, weil ich wieder ein wenig die Nafe in Italien 
fteden möchte, wenigftens bis nah Mailand oder Genua. 
Sollteft Du dazu aufgelegt fein, jo können wir dann eine 
Stunde plaudern. 

Herzlichften Gruß von Deinem 
U. Boedlin. 


3. Weimar, den 1. Sept. 1861. 
Liebſter Freund! 

Bei Empfang eines Artikels in den „Basler Nach— 
richten“, wo die Entwürfe kritiſiert werden, reitet mich der 
Teufel, Dir die verſprochene Fortſetzung meines vorigen 
Briefes zu ſchreiben. Biſt Du nicht zu dergleichen aufgelegt, 
ſo wirf den Brief unverzüglich in Deinen Papierkorb, denn 
du wirſt ſchwerlich etwas Vernünftiges zu leſen bekommen, 
ſondern lauter unpraktiſche und unzeitgemäße Anfichten. 

Begas iſt ſeit einigen Wochen verreiſt, für mich der 
einzige Menſch in Deutſchland, mit dem ſich überhaupt über 
Kunſt reden läßt. Mit ihm würde ich vielleicht gelacht haben 
und die ganze Sache wäre mit einigen Worten abgethan ge- 
wefen. Jetzt mußt Du feine Abweſenheit büßen, wenn Du 


271 


nicht nach diefer zweiten Warnung den bewußten Papier- 
- ball mad. 

Ueber die Kritik felbft läßt fich Fein Wort verlieren. 
Nur eines fiel mir befonders auf, weil es ih in einem Brief 
von meinem Vater wiederholt, daß fih die höchſt Eomifche 
Meinung in einigen Köpfen angefiedelt zu haben fcheint, 
meine Grabeshüter, das perfonifizierte Reckenthum, feien 
fterbende Krieger und man von diefem Gefichtspunft aus in 
allen Bewegungen und den Köpfen den Ausdrud des höchften 
Schmerzes trefflich ausgedrüdt findet. Ich bemerfe mit Ver: 
onügen, daß ich endlich dem Thema nahe Tomme, weßwegen 
ich den Brief zu fehreiben dachte. Ich wollte nämlich meine 
früher mitgetheilte Abficht, Deutfchland auf ewig zu verlaflen, 
motivieren, um etwaigen Mißverftändniflen vorzubeugen, 
„DaB ich noch auf dem naiven Standpunkt fei, das Glüd in 
‚der Rlaufe zu fuchen und mich nicht mit dem bloß Leidlichen 
zufrieden gebe.” | 

Sage mir ums Himmelswillen — was ift dann bloß 
leidlich? Zindeft Du es leidlich, fih auf fteter Flucht 
vor Flachheit, Roheit und Anmaßung zu befinden? Sit es 
nur einigermaßen leidlich, fich ftündlich fein bischen Ueber: 
zeugung mit allen zu Gebot flehenden Waffen vertheidigen 
zu müſſen, und dann doch kaum noch, für ehrlich zu gelten? 
Dder ift es etwa leidlich, immer an den eigenen Pfoten 
faugen zu müſſen, während doch nur der vorwärts kommen 
kann, der geiftig von Zinfeszinfen lebt? Menfch, ich frage 
Did: Iſt dieß und jo manches Andere erträglih? Ich will 
zufrieden fein, wenn ich ehrlich Durchs Leben komme, wenn 
ich die Hälfte von meinen Bildern zum halben Preis ver- 
faufe, wenn mich fein Menſch anſieht. Uber ungefchoren 
will ich fein und meine eigenen Wege gehen. Wenn mich 
auch das Schidjal geftoßen und gefchlagen hat, fo ift Doch 
noch) jo viel Kraft in mir, oder gerade darum fuche ich eben 
nad dem Glüd, für das mir noch Sinn geblieben ift, das 
ich allein für wirkliches Glück halte. 


. 272 


Alles diefes fteht in Feiner näheren Beziehung zum 
Monument. Sch habe Dir auch nur bei Anlaß anvertraut, 
was mich drüdt, und in Zeit von 1 Zahr denke ich fo wie fo 
die Alpen wieder im Rüden zu haben. Daß Du die In- 
tention unferer Skizze verftanden haft, hat mich ungemein 
gefreut. Es ift wenigftens doch was Empfundenes dran, 
das einem immer lieb ift und das man wenigftens von Einem 
Menſchen in der Welt nachempfunden wiflen will. Ich 
glaube Dir Übrigens wohl, daß Du Begas und mich nicht 
unterfcheiden kannſt. Der erfte Entwurf ift von mir, dann 
machte jeder von uns 2 Kerle, Vegas den liegenden und 
den mit der Lanze, worauf dann gemeinjchaftlich berathen 
und gerüdt wurde, bis die Einzelnen etwas mehr durch: 
geführt werden Eonnten. — Mit dem Surüdfchiden bat’s 
feine Eile. Wenn ih nah Baſel Tomme, Tann ich dann 
felbft beim Einpaden zugegen fein. Bitte von Honorar fein 
Wort weiter. Sch machte mir nur leife Hoffnung auf Be— 
ftellung, was Du begreiflih finden wirft. Im Uebrigen 
kann ich Jagen, ih brauch's nicht, und lieber nicht fordern, 
als die geringfte Unannehmlichkeit. 

Jetzt muß ih noch den Reft Raum benüten, um Dir 
zu geftehen, wie ich mich freue, Dir nächftens wieder auf die 
Bude rüden zu Fünnen. Ein Stündchen mußt Du mir 
ſchenken; wir ſehen dann vielleicht einander fobald nicht 
wieder, und ich hoffe, Du opferft es gerne Deinem getreuen | 

A. DBoedlin. 


4. Weimar, 24. M;. 1862. 
Mein lieber Zreund! 


Ich fange meine Erzählung gleich damit an, daß ich 
mich um allen Credit bringe, wenn Du irgend einen Begriff 


273 22 


haft von dem, was man folid nennt. Im September gebe 
ich wieder nah Rom und zwar, fo der Herr will, auf immer. 
Die Gründe alle herzuzählen dauert zu lang, denn das er: 
fordert eine Schilderung der hiefigen Verhältnifle, der Klein- 
ftädterei, des Adels und Hofes (vide Kater Murr von Hoff: 
mann), der deutſchen Runftanfichten und aller meiner Geelen- 
leiden, meinem Rampfe zwifchen Ueberzeugung und Rüd- 
fihten. Ich werde alt, müde, menfchenfcheu, habe fein Ver: 
trauen mehr zu mir, finde das Leben reizlos, was alles 
Schaffen unmöglich macht; kurz ih muß fort, um nicht zu 
Grunde zu geben. 

Dephalb war mir fo dran gelegen, die Beftellung fürs 
Mufeum zu befommen.. Was da vorgegangen, wirft du 
ſchon willen und mich nicht beneiden. Die Landfchaft, die 
ih jetzt vorgefchlagen?), wird wohl diefem zartfühlenden 
Publikum anftändiger fein. — Dieſes Bild, ein anderes, das 
Fürſt Reuß, jüngere Linie, beftellt hat, eines für die hiefige 
Großberzogin und 3 fchon fertige Vilder (morunter für Dich 
merkwürdig eine lebensgroße Venus mit amor), die nächftens 
vom Stapel laufen, werden mir die Reife deden und die 
erften Jahre Aufenthalt fichern. 


Sch Tann mich Überhaupt nur Dir anvertrauen, denn 
nur Du kannſt meine Seufzer nach Freiheit verftehen. Nenne 
mir den Mann, der den nicht für verrückt erklärt, welcher 
eine Stellung mit Gehalt, mit Uniform und was fonft noch 
Ehrenhaftes damit verbunden ift, aufgibt wegen bloßen 
Künftlerideen. Ich weiß, was Seder fagen würde. Es wäre 


8) Es handelt fih um die Jagd der Diana im Basler Mufeum. 
274 


mir fogar ein Leichtes, eine Strafrede an mich felbft zu 
halten und einige freffende giftige Redensarten einzuflechten, 
daß ich kaum wüßte, was erwidern. Aber ich thue es nicht. 
Mag die Welt denken und fagen, was fie will, mein Glüd 
ift meine Sache und ich kann meine Vegriffe darüber nicht 
nah andern richten. 


Ich Habe Dich jetzt durch einige Seiten mit meinen An- 
gelegenheiten befchäftigt und fürchte, es fchaue etwas Auf: 
regung durch, weil ich immer beim felben Thema bleibe. 
Das foll aber nicht mehr geſchehen. Du begreifft mich aber 
gewiß, wenn Du folche fieberhafte Zuftände gehabt haft, 
in denen die Seele wie wund ift. 

Lebe Du glücklich. 

Herzlichen Gruß von Deinem 
alten 
A. Boedlin. 


275 187 


Bürgermeifter Andreas Merians Repf- 
befchreibung nach Chambery 


zur Complimentierung des franz. Rayfers als König 
von Italien April 1809. 


Aerausgegeben von E. Hefardt. 


Am 18. Mai 1804 Hatte Napoleon den KRaijerthron 
beftiegen. Eine „Großbotichaft” hatte den Glückwunſch der 
Eidgenoſſenſchaft auszurichten, nebenbei aber auch allerlei 
Verhandlungen zu betreiben. Durch Zollerhöhungen war 
unlängft die fchweizerifche Induſtrie geſchädigt worden, die 
Stage der Offiziersernennungen für die ſchweizeriſchen Regi- 
menter, das dfterreichifcehe Inkamerationsgefchäft und anderes 
folte beiprochen werden. Die Deputation blieb unbemerkt 
und erreichte nichts.!) Ihr Führer, Landammann d’Affry, 
der fchon im Auguft in Voulogne eine Audienz beim Kaiſer 
erhalten hatte, war ziemlich fchroff behandelt worden.?) Als 
nun im Frühjahr 1805 Napoleon fi) nah Mailand begab, 
um fihb noch die italienifhe Königsfrone aufs Haupt 
zu fegen, lag es nahe, durch eine nochmalige Glückwunſch— 
deputation verföhnlichere und fürderlichere Stimmungen zu 
erlangen. Der Landammann Glutz von Solothurn berief 
darum eine Gefandtichaft, die er aus folgenden Perfonen 
zufammenftellte: Alt-Landammann Wattenwyl?), von Bern, 
Bürgermeifter Andreas Merian von Bafelt), Schultheiß 
Grimm von Solothurn und Oberft Gluß, dem Bruder des 
Landammanns. Der Gefandtfchaft durften fih ein Sohn 
Wattenwyls und ein Sohn Merians anfchließen. 

Andreas Merian, befannt als Haupt der Basler Alt: 
gefinnten und Gegner des Peter Ochs, war 1803 zum 
zweiten Bürgermeiſter gewählt worden; fein Amtsantritt 


276 


als Landammann ftand für 1806 bevor. Es war alſo an- 
gezeigt, den Fünftigen „Regenten” dem Kaifer vorzuftellen. 

Ueber dieſe Gefandtfchaft, die im April 1806 den Raifer 
in Chamboͤry aufjuchte, hat Merian außer feiner offiziellen 
Relation vor dem Heinen Rate ein privates QTagebuch?) 
geführt, anfcheinend an Ort und Stelle, und manchmal ſehr 
eilig niedergefchrieben; es trägt die Aufichrift: 

Reygbefhreibung nah Chambery zur 
Complimentierung des franz Rayfers als 
Rönig von Stalien. April 1805. 
und lautet folgendermaßen?): 

Dienstag 9. April 1805 früh von Yafel mit meinem 
Sohn Johann Lucas”) verreift und bei guter Tageszeit in 
Solothurn angefommen, in Langenbrud ward zu Mittag 
sefpiefen. In Solothurn fogleih meine Aufwartung bei 
Herrn Landammann Glutz gemacht, allwo Gefellihaft an- 
getroffen und wo Herr Landammann eine Unterredung wegen 
den bevorſtehenden Gefchäften mit mir hatte, auch mir wie 
allen übrigen Gefandten ein förmliches Schreiben und Auf- 
trag zuftelte. Mit Herrn Mitgefandten Herrn Schultheiß 
Grimm verabredet, morgen in aller Frühe nach Bern zu 
verreifen, weil Herr Schultheig Wattenwyl berichten Tieß, 
fogleich nach unferer Ankunft zu verreijen. 

10. Mittwoch nad 10 Uhr in Bern vor Herrn Watten- 
wyls Haus auf dem Münfterplat angelangt, wo unfere zwei 
sroßen Reifekutfchen, mit vier Pferden beipannt, ſchon be- 
reit ftanden, nebft einer großen Chaise für unfere Bedienten; 
‚eilends ward umgepadt, eine Tafle Tee genommen und nad) 
Murten gefahren, allwo abends 4 Z’mittag geeflen?) und um 
6 hr fort, um halb 10 Uhr in Petterling angefommen, allwo 
alfo blieben und übernachten mußten, & la maison de ville. 
Sn Murten & la couronne in der Hintern Gaß. Heute 
babe ich bei 16 Stunden Wegs gemacht. 

11. Donnerstags früh 5 Uhr fort, in Moudon zum Hir- 
Ihen, ein prächtig neues Wirtshaus, Z'morgen geeflen, um 


277 


1 Uhr in Laufanne au lion d’or Z'mittag geeffen, abends 
fort auf Rolle, alwo um 7 Uhr angelommen und übernachtet. 
Dafiges ſchönes Schloß eines Herrn [? 9)] Bürgers von 
Bern hat nun die Stadt gefauft; es wird repariert, wie auch 
der ruinierte Garten. , Herr Landammann Wattenwyl über: 
nachtete bei feiner Frau Mutter auf einer Campagne, 14 
Stunde von Rolle. | 

12. Morgens 9 Uhr verreift nach Genf, um 3 hr an- 
. gekommen, unterwegs uns aber auf dem Gut des Herrn 
Crud!?) aufgehalten und diefen Herrn als Mitdeputierten 
mitgenommen. Man wartete uns mit einem artigen De- 
jeuner auf. Seine Campagne liegt nicht weit von der 
Straße auf einer Heinen Anhöhe und ift groß. Sie ift auf 
franzöfiihem Boden, ehemals Genf. In Genf übernachtet 
à l’ecu de Geneve, allwo ich meinen Brief!!) abgegeben und 
eine Empfehlung nach EChambery an M. Sonnet, nögociant 
pres de la rue couverte, erhalten. 

13. Bon Genf Samstag früh verreift um 6 Uhr (mar 
zu fpät) durch Carrouge nahe bei Genf, ein wohlgebauter 
Ort, St. Julien, auch ein ordentlicher Ort, nah Frangy 
um 12 Uhr angeflommen aux treize cantons de la Suisse 
(ein malpropres Wirtshaus). Beim Hineinfahren in den 
Hof ift die Deichfel!?) an unferer Kutſche zerbrochen, der 
Wagner gieng in Wal, holte eine Stange, machte in 
2 Stunden eine neue, forderte 2 Neuthaler, wenn wir nicht 
Schweizer gewejen wären, fo forderte er einen Heinen Thaler 
mehr, wie er ſagte. Welches uns fehr aufbielt und fo 
aud ein Pferd, jo an der andern Kutſche hinkte. Abends in 
Remillier — oder Rimillier — nur bei einem Beck rafrai- 
chiert. Bis hieher mußten wir einen hoben Berg paffieren, 
von 3 bis 6 Uhr hinauf und hinunter; die Straße aber if 
fo prächtig und fo ſchön als möglich, immer im Zirkel ge- 
führt, daß fie ſehr leicht zu befteigen, Doch nimmt man Zor- 
fpann. Ueber einen Fluß führt eine Brüde, von einer enor- 
men Höhe, es fchwindelt wenn man hinunter ſieht; vor 


278 


einigen Jahren foll eine Kutſche hinuntergefallen fein, weil 
es juft einen Rank macht; die Seitenmauern find nun höher 
geführt. 

Abends erft gegen 10 Uhr in Air angefommen, & l’ecu 
de la France Iogiert und übernachtet; unterwegs ift Fein 
Dorf und kein Wirtshaus, alfo eine langweilige Route, 
aber ein jehr fchöner Weg. Von Genf bis hieher, fonderlich 
auf dem erg bei Frangy hat es jehr viele Reben. 

14. Sonntag. Dftertag. Nachdem die Herren von 
Solothurn in der Meſſe geweien, gegen 9 Uhr verreift, und 
auf Ihönem Weg um 12 Uhr [in Chambery] angekommen, 
wo Logis & la parfaite Union beftelt war. Zwiſchen 
zwei und drei ward zu Mittag gefpiefen. Nach vier Uhr 
eine Staatsvifite bei Herrn Vial, ambassadeur im der 
Schweiz, der auch bieher gereift, in fchwarzem Grad und 
ohne Degen, in zwei Kutfchen; er war nicht zu Haufe und 
man gab die cartes ab. Er logiert vor der Stadt, in einem 
Particular- Landgut: eine halbe Viertelftunde von der Stadt. 
Nachwärts eine Vifite bei einem Herrn Delisle, der unfer 
Lofament beftellt hat und allerhand beforgte.. Statt Nacht: 
effen eine Taſſe Thee mit einigen übrigen Herren getrunken 
und zeitig ins Bett. Sobald wir angekommen, hat es an- 
gefangen regnen, und regnete den ganzen Tag außerordent- 
lich ftarf;, big hieher von Haus weg hatten wir das prächtigite 
Wetter. 

Bei dem hiefigen Herrn Maire haben Herr Erud und 
der junge Herr von Wattenwyl eine Vifite gemacht und er: 
fahren, daß der Kaiſer Dienstags und die KRaiferin in der 
Naht darauf anfommen ‚werden; vorher hatte man Nach: 
richt, die Ankunft fei Schon Montags; daher unfere Reife 
befchleunigt worden. Der Herr Talleyrand und verfchiedene 
Minifter find fhon Mittwohs hindurch nah Mailand 
paffieret. | 

15. Montag. Herr Landammann von Wattenwyl bat 
bei dem Herrn Praefect eine Particular Visite gemadt, 


279 


mit cartes, in Begleit des Herrn Crud; auch babe ich bei 
Herrn Sonnet meinen Brief abgegeben, der uns fehr höflich 
einige Fenſter auf den Einzug angeboten. Heute haben die 
zwei Herren Deputierten vor Genf, die namens der Stadt 
auch hier find, mit uns zu Mittag geeſſen. Nachmittags hat 
Herr Ambassadeur Dial nad befchehener Anfrage uns 
eine Vifite gemacht mit feinem Secretär Herrn Le Leu, und 
ift bei einer Stunde bei uns geblieben; von Geſchäften ward 
gar nichts geredet. Abends eine Promenade gemacht, auf 
eine Promenade Cotteroux, dem Herrn Baſſe zuftändig, 
‚ eine Viertelftunde vor der Stadt an der Landftraße, da wir 
berfamen, links an der Felfenwand erbauen, wo es fo präch- 
tige Steine hat, daß er auf den Gedanken gefallen, anftatt 
Weinfäfler Baſſins oder Käften von Stein zu machen, deren 
er etwa vier nebeneinander erbauen, jeden. fepariert, von 
12 & 20 Saum haltend. Wie gededte große Brunnenkäften 
geviert, obenauf ein vieredig Loch, wo der Küfer hinunter: 
fteigt zum Putzen. Drei KRäften waren wirklich geflillt, der 
Wein fol fih fehr gut darin halten. Er macht alles von 
Stein, fo bat er nur gewölbte Scheuern. Große Stüde in 
einer Reblandern allbier find auch von Stein; bei 40 der- 
gleichen Eolonnes, jede 15 Schuh von der andern. — Nach 
einer langen Promenade müde nah Haus gefommen. — 
Nachts um 1510 Uhr Fam der Herr Praefect und machte 
dem Herrn Landammann eine Gegenpifite, da wir am Nacht: 
effen waren. 

16. April. Dienstag. Nachts ein Viertel ab acht Ahr ift 
der Raifer angefommen, einige Kanonenſchüſſe zeigten die nahe 
Ankunft an, auch mit den Gloden ward gelitten. Zwiſchen 
Licht hat ein Tambour umgefchlagen, daß illuminiert werden 
folle, da jedermann zwei Kerzen unter jeden Kreuzſtock ftellte, 
bei Andern waren es Lampions. — Pie Avantgarde 
machten etliche dreißig Gardes d’honneur & cheval, aus 
der Stadt und umliegenden Orten, mit einigen Trompetern 
vorher. Darauf ein Trupp Gensdarmes, darauf 3 Kutſchen 


280 





ANDREAS MERIAN 
Burgermeiker des (anfonsBalel. 


) ® Va | 
L endammann derAchtwers fir deur- Tr 211806. 
ec 


Lichtdruckanstalt Alfred Ditisheim, Basel. 


mit 6 Pferden, darauf eine Rutfche mit 8 Pferden (vermut- 
lich der Kaiſer), darauf drei Kutſchen mit ſechs Pferden, 
darauf wiederum ein Corps Gensdarmes, und noch einige 
kleinere Rutfchen und Poſtchaiſen; mitunter ritten einige 
Gardes und Guides. Bald nad) der Ankunft kam der Kaiſer 
auf den Balcon und machte einige Kleinere Verbeugungen. 
Er logiert im Haus eines cidevant Bellegarde, mit 
fünfzehn SKreuzftöden, fo nun ſechs Particularen gekauft 
haben. Ä 

Eine Viertelftunde vor der Ankunft ward in der Nach— 
barichaft des Herrn Sonnet, wo wir einige Fenſter hatten, 
Zeuer gerufen. Es war in einem Kamin, jo aber zum 
Glück bald gelöſcht worden. 

Des Morgens einen Spaziergang gemacht aux Char- 
mettes, ein Heines Landhaus, eine Heine halbe Stunde. von 
der Stadt auf einem Berg, wo ehemals Roufleau eine 
Zeitlang wohnte. Am Haus ift eine Auffchrift auf Stein. 
M. Gerandeau secretaire general du ministre de l’in- 
terieur ift auch mitgegangen. — Nachmittags eine Viſite 
in Geremonie gemacht bei Herrn Champagny, ministre de 
Yinterieur, der im Schloß logiert, er war nicht zu Haufe, 
alfo cartes abgegeben. Auch haben wir den Herrn PVial 
noch einmal befuchen wollen. Diefen Abend oder Nacht bat 
der Herr Landammann annoh an Herren General Duroc, 
Grand maréchal du Palais angefragt, wann wir zu Ihme 
fommen fönnen. | 

17. Mittwochs. Früh 8 Uhr ift der Kaiſer um die Stadt 
herum ausgeritten, etwa eine Stunde, vorher einige Offi- 
ciers der biefigen Chasseurs, und einige Gardes. Der 
Kaiſer, einige Stabsofficiers oder Generäle, Guides und 
die Gardes d’honneur, alles in großem Trott. Die do- 
mestiques des Kaiſers find grün gekleidet, Die Guides rof. 

Herr Landammann gieng diefen Morgen zu Herrn 
Champagny en particulier. 

Eine Madame Rouffillon, deren Mann, von Laufanne, 


281 


in der Eonfpirationsjache in Ketten erfannt worden, bat fi 
dem Kaifer zu Füßen geworfen, und bat ſogleich Gnade 
erhalten, mit dem Zuſatz, mais s’il recommencera... Rod 
eine Frau hat Gnade erhalten, deren Mann als juge den 
Prozeß des Morau!?) nicht unterfchreiben wollte und ab- 
gefeßt worden, und dadurch allen Unterhalt verloren. 

Diefen Morgen brachte der Herr Ambassadeur Vial 
ein Billet von General Doupille, chambellan, daß die 
Deputation heute Abend um 4 Uhr von dem Kaiſer werde 
empfangen werden.!?) 

Herr Champagny bat bei Sleberreichung des Me&moires 
in Handlungsfahen, fo ihme in Paris nicht mehr konnte 
augeftellt werden, geantwortet, daß er alles mit Attention 
lefen werde und aller Deliberation würdigen, daß aber 
einige Artikel mit der Administration des douanes zufam- 
menbangen und de concert müßen behandelt werden; daß 
eine letthinige Verminderung der Zölle ſchon PVorftellung 
der Kaufleute nach fi) gezogen, daB Se. Majeftät diefem 
Gegenftande alle Aufmerffamfeit widmen und diefes neue 
Spftem der inländifchen Handlung fehr vorteilhaft glauben. 

Dem Herrn von Bonftetten von Bern, ehemals Land- 
vogt zu Nyon, in Genf wohnhaft, hier im Wirtshaus 
logierend, haben wir feine diefer Tage uns gemachte Zifite 
wiederum gegeben. 

Diefen Morgen machte mir Herr Chriftof Sfelin von 
Baſel, der feit einigen Jahren bier ift, eine Viſite; er dirigiert 
eine Seidenzwirnmühle.!°) 

Um 4 Uhr find wir zum Kaiſer gefahren. Da wir 
binfamen fagte uns ein Chambellan, der Kaifer habe nur 
einige Audienzen erteilt, und die andern alle auf den Abend 
verfchoben, weil er erft nach Fort Barreau gefahren, diejes 
zu fehen. Man werde uns berichten, fobald er zurüdfomme. 
Wir unterhielten uns ein wenig, Herr Vial war auch da, 
und dann retirierten wir ung. 

Um 157 Uhr kam ein Rammerdiener, grün gekleidet mit 


282 


fhwerem Gold, und einem großen Stab in der Hand, wie 
ein Major Tambour; der die Rüdkunft annoncierte und 
uns rufte. Wir fuhren eilends hin und kamen durch ein 
Vorzimmer, wo es von grünen Bedienten mit Gold, breit 
auf allen Nähten, wimmelte, in ein anderes, wo auch viele 
Leute auf Audienz warteten. Der Chambellan meldete 
uns, es fei dato eine andere Audienz beim Kaifer, fobald 
diefe entlaffen werde er uns einführen. Da wir dann bald 
darauf vor allen anderen, die da warteten, eingeführt worden. 
Durh ein Vorzimmer worin eine Tafel von ca. 10 Per: 
fonen gededt war, und wo einige Seigneurs fanden; im 
Empfang Zimmer fam der Kaifer vom Ramin uns mehrere 
Schritte entgegen. Es mag bei 7 Uhr gewefen fein, da 
wir eingiengen und über % auf 8 Uhr, da wir entlaflen 
worden. 

Der Herr Landammann hielt eine nicht Furze Rede mit 
vielem Anftand und ohne ein Wort anzuftoßen. Der 
Kaiſer war in grüner Uniform faft wie unjere Freicompagnie, 
oder Chasseurs; er ift dider und geſünder als vor Sahren.!®) 

Der Kaiſer antwortete lang und fehr bedächtlich, aber 
fehr Leis, foda wir Mühe hatten, alles im Zuſammenhang 
zu veritehen. Er fagte unter anderem, die Schweiz babe 
für fich nicht Force genug, fie müfle von einer großen Macht 
unterflüßt werden. Er nehme allen Anteil an derjelben 
Glück; er freue ih, daß Ruhe berrfche, er werde fich immer 
für die Schweiz intereffieren, wie die Rönige feine Vor: 
fahren. « Je tächerai de reparer les fautes que le gou- 
vernement francais a commises envers la Suisse. Je 
ne suis pas jaloux du bonheur de la Suisse. > Und noch 
viel mehrere dergleichen freundfchaftliche Ausdrüde, < je de- 
sire que tout le passe soit oublie. >17) Er fagte darauf 
auch, Daß vielleicht mit der Zeit auch in unfern Verfaſſungen 
Berbeflerungen fönnen angebracht werden, da man aber in- 
defien [fih] an die Mediationsacte zu halten habe. (NB. Diefes 
muß man geheimhalten.) 18) 


283 


Darauf ift der Kaifer in freundfchaftlichen Discours 
eingetreten, fprac) von dem commercio, er werde für die 
Schweiz alles tun, was immer ohne Nachteil «de mon 
peuple » befcheben Eönne; was in Zollfachen befcheben, fei 
bloß damit nicht zum Schaden feiner Fabriken das Land mit 
fremden verbotenen Waaren Überladen werde; wegen Leinen, 
Hanf und dem Tranfit könne vielleicht entiprochen werden.!?) 
Wegen den rüdftändigen Militärpenfionen fing er auch an, 
und fagte, daß er alle Jahre 500.000 liv. auszahlen laße. Es 
ward ihm vorgeftellt, da er glaubt, daß alles bezahlt werde, 
daß viele nichts und einige fehr weniges erhalten; fo er nicht 
glauben wollte; er werde fich deilen gründlich erkundigen. 
Wegen den piemontefifchen Dienften fei es möglih, daß 
diefes noch nicht in Ordnung fei. Wegen neuem Schweizer: 
dienft habe er die helvetifchen Auriliartruppen in ein Regi- 
ment verändert, und werde noch zwei Regimenter organi- 
fieren, bis in Zeit [von] einem Jahre. Er habe mit den 
Rominationen nicht eilen wollen, damit er diefelben nicht 
etwa bereuen müfle.2°) Darauf fiel der Discurs auf Bün— 
den, wegen im Peltlinifchen fequeftrierten und vielen ver- 
fauften bündnerifchen Gütern, jo er in Mailand zu unter: 
fuchen verfprah. Am Ende fagte er, je suis fäche de vous 
recevoir ici, où je suis comme campèé et presque sans 
appartement, j’aurai prefere & cet egard de vous voir & 
Turin, mais j’ai voulu vous &pargner le voyage. 

Er war fo aufgeräumt und fo freundichaftlich, daß es 
einigemale etwas zu laden gab: — Man fprach auch von 
den Staatsjchulden und -Gülten und der Liquidation, und 
den englifchen Geldern?!) Er fchien nicht zu willen, daß 
das Haus ©. Didier in Paris eine große Summe diefer 
englifchen Gelder gekauft hat. Auch das vefterreichifehe In⸗ 
camerationsgefchäft ward berührt, welche Procedur er zu 
mißbilligen fchien.2?) 

Die Unterhaltung hat fih fo verzogen, daß wir am 
Ende ganz finfter im Zimmer waren. Der Kaifer ſprach 


284 





auch von Ronftanz inwieweit folches der Schweiz convenieren 
fönnte.23- ?*) 

Darauf baten wir den Chambellan um die Audienz 
bei der Raiferin, worüber man des Morgens fchon hat fchrift- 
lich anfragen laſſen. Nach einer Heinen Weile führte man 
uns eine Treppe hinauf zu der Kaiſerin, welche in ſchwarzer 
Kleidung mit einem Diadem um die Haare gewunden und 
einer Halskette von Diamanten gezieret war. Gie fund auf 
und fam uns ein paar Schritte entgegen. Zur Rechten ftand 
die erfte dame d’honneur Madame Rochefaucault, eine 
Heine übelgewachfene Dame, zur Linken ein halbes Dutzend 
anderer Damen, alle fchwarz gekleidet. Die Kaiferin ant- 
wortete auf die Anrede mit vieler Würde, aber fehr leife, 
tat noch einige Fragen an den Herrn Landammann, und 
entließ uns, da wir endlich nah 8 Uhr nah Haufe kamen. 
Bald darauf giengen wir an den Ball?5), wozu wir alle Tags 
vorher mit cartes eingeladen worden. Der Ball war in 
einem ſehr großen Saal, der zur Comoͤdie fehr fchön ein- 
gerichtet war, mit etlichen und fünfzig Loges; es mögen 
über 1200 Perſonen da gewejen fein. Alles war jehr ſchön 
eingerichtet, alles auch aut gemalt; Orchefter und ein Pla 
hinten daran war das Theater; der hintere Pla war mit 
einem Vorhang bejchloffen, und bei Ankunft des Kaiſers 
aufgezogen, da eine fchöne Sllumination bervorfam, mit 
einer Heinen Pyramide und Aufſchrift vive Napoleon, und 
einige große Adler fehend unten daran. Sobald wir im . 
Parterre anfamen führte uns ein Herr hinauf in eine der 
fhönften und geräumiaften Loges für uns beftimmt. Nach: 
wärts fam auch Herr General Vial zu uns. — Um 10 Uhr 
fam der Kaiſer und die Raiferin, die auf zwei Fauteuilg 
neben einander jagen, mit den Hofkavalieren hinter ihm, und 
den Damen neben ihro. Sie find mit Vive l’Empereur 
und Händeflatfchen empfangen worden. Darauf war Mufil 
und ein Gefang, Anrede an den Raifer. — Darauf bat der 
Ball angefangen, wozu aber wenig Plab da war wegen 


285 


Menge der Leute. Eine franzöfifche Contredanse machte 
den Anfang, ein Walzer darauf, und fo immer abgewechlelt. 
Nah einer halben Stunde retirierte fich der Kaiſer und 
gieng unter Zuruf und Händellatichen fort. — j 

Man gab orgeade und Limonade zu Rafraichisse- 
ments in Menge. Der junge Herr von Wattenwyl und 
Lucas haben getanzt. Wie man auf dem Ball erfcheinen 
mußte, ward auf der Carte gefchrieben. — Um Mitternacht 
herum haben wir uns auch retirieret. Und fo ward dieſer 
Tag fehr glüdlich und vergnügt zugebradt. Es find gegen 
1800 Perfonen im Zimmer gewefen. 

18. April. Domnerstag. Verkündigten die Kanonen 
mit Anbruch des Tages die AUbreife des Kaifers. Es find 
3 Tours etlih und 60 Schüfle getan worden, und mit 
heutigem Morgen ift die Stille in diefer Stadt wiederum 
eingetreten, da es bisher auf den Straßen ein außerordent: 
lihes Gewimmel war. Auf diefen Mittag ward Herr Gene: 
ral Dial zu uns zum Mittagefien eingeladen, er war aber 
Ihon engagiert und lud uns dagegen auf Abends 7 Uhr 
zu fih auf den Thee ein, welches wir angenommen. Diefen 
Abend war spectacle, von Comoedianten, jo man bat kom— 
men laflen; fie gaben drei Feine Operetten. 

Diefen Nachmittag mahten wir eine Promenade, eine 
ftarfe Stunde von bier, genannt au bout du monde; 
in einer gorge, wo alle hohen Felſen in einem halben Zirkel 
- zufammenftoßen und unüberfteiglich werden. Mitten ber: 
unter fommt ein prächtiger hoher Waflerfall über die Felſen 
berunter, und zu beiden Seiten fliegt Wafler gerade aus den 
Felſen, mehr als an zwanzig Orten, und fällt hoch herunter; 
einige ſehr ftarf wie ein Heiner Bach, andere mit weniger 
Wafler. Nahe dabei fteht eine Papiermübhle, welche täglich 
riskiert bedeckt zu werden, da allda große Zelfenftüde her- 
unterfallen. 

19. April. Freitags Morgens ein neu erridh: 
tetes hiefiges Bad befehen, vortrefflich angelegt, mit etlichen 


286 


und 40 Kleinen Zimmern, in jedem ein Kaften, und zwei 
Hahnen mit Falt und warmem Waſſer. Das Wafler fällt 
von einem Berg, läuft auf den Eftrich, treibt im obern Stod 
mit einem Rad eine Menge Seidenwinder-Räder, und eine 
Swirnmübhle, eine fehr fchöne mechanifche Einrichtung. — 
Eine ſchöne Pepiniere ift allhier mit vielen Arten Bäumen, 
heißt ni fallor Martin. 

Abends von 7 big 10 in einer großen Soiree gewefen, 
von etwa 40 Perſonen, Herr Delisle hat uns hingeführt, der 
heute feine Campagne, fo ihm bei der Revolution genom: 
men und verfauft worden, wiederum an fich erhandelt und 
eine große Freude hatte. (ca. 40—50.000 liv) Während 
diefer Gefellfhaft um 9 Uhr find 4 Cardinäle in 3 à 4 
Kutſchen angefommen, welche morgen früh wiederum ver: 
reifen. Ihr und des Papftes Empfang fol ohne großen 
Pomp fein, weil das Ceremoniale wolle, daß nur einige 
Tage nah einem großen Feft, wie das des Kaifers gewefen, 
nicht wiederum ein anderes fünne gegeben werden, weil man 
über die Abreiſe des Erfteren in Trauer fein folle. 

20. April 1805. Hm 7 Uhr Tam der Papft an. 
Ranonen und Gloden ließen fih hören. Er follte in der 
Kirchen abfteigen, war aber nicht wohl und fuhr in fein 
Hotel; und die ganze Stadt war in der Kirche. Auf fchrift- 
liche Anfrage antwortete der Chambellan, er werde den 
Brief dem Papfte zuftellen, diefer nehme aber gar Feine 
Viſite an, fogar der Clergé ward gleich fortgefchidt, er gebe 
fogleich ins Vett und verreife morgen früh um 5 Uhr. Der 
Brief ward dem Papft im Bett vorgelefen, er ließ fi 
entjchuldigen und fehe die Viſite als empfangen an.?®) 

21. April. Sonntag. Früh um 15 Uhr find wir 
zum Hotel wo er logierte, geloffen;, da er bald darauf heraus: 
fuhr und wir in der Kutſchen feinen Ropf gefeben, ein alter 
ehrwürdiger Mann in weißem Haar. Noch drei Kutfchen 
folgten ihm, es waren feine neumodifchen, fondern Rutichen 
nach altem großem Schnitt, incirca wie unfere alten Rarren: 


287 


hof Rutfchen?”), auf Riemen hängend, 8 & 10 Kanonen: 
ſchüſſe find gefchoflen worden. 

Darauf padten wir ein, und reiften um 8 Uhr ab, gegen 
11 Uhr in Wr angelommen, und eine Promenade noch 
vor dem Eſſen gemacht, eine halbe Stunde weit, den lac 
Bourget zu fehen. 5 Stunden lang und kaum eine halbe. 
Stunde breit; bat Communication mit der Rhone, und find 
Schiffe mit Waaren von Arles angeflommen. 

Nachmittags verreift und nun den Weg Über Annecy 
genommen, um 7 Uhr angefommen, außert der Stadt nahe 
bei dem See und neuer fhöner Promenade logiert. Der 
See ift drei Stunden lang, eine Piertelftunde breit. 

22. April Montags Don Annecy nah Genf 
(7 bis 3 Uhr) unterwegens rafraichiert, eine prächtige 
lange Bruck mit fehr hohen Bogen, Pont de la Caille, paf- 
fiert, und andere intereflante Gegenden. In Genf & V’ecu 
de Genève Iogiert, gut, und abends die Stadt befeben. 

23. April. Dienstags von Genf verreift, auf 
der Campagne bei Herrn Erud z’morgen geeflen, etwa eine 
Stunde von Genf, ein prächtiges Landgut auf einer Fleinen 
Anhöhe. Allee bis an die Landftraße; war ehemals dem 
Laharpe.??) Bon da gegen Mittag verreift, nah) Rolle und 
bei des Herrn Wattenwyl Mutter um 3 Uhr zmittag 
geeflen, eine Viertelftunde von Rolle. Den Abend big 
Nacht da geblieben in einer aroßen Geſellſchaft. Nachts 
in der Krone übernachtet — ein ordentliher Mann. 

24.April. Mittwochs. Zrüh nach 6 hr verreift, 
über Coffonay nad) Orbe; & la Maison de ville passable- 
ment az mittag; erft nah 1 Uhr angefommen, unterwegs 
Pferde rafraichiert. Abends nad) Vverdon — 2 à 3 
Stunden — nad) 6 Uhr angefommen; im Roten Haus gleich 
beim Eingang fehr wohl logiert, ein prächtiges neues Wirts- 
baus. 

25. April. Donnerstag. Von Pverdon früh ver- 
reift nach Neuchätel, eine ftarfe Reife, und immer Berg auf 


288 


und ab. Das neue prächtige Rathaus befehen. Nachmittag 
auf Aarberg zu übernachten, erft in der Nacht angekommen. 

26. April. Freitags früh verreift und beim Herrn Ober: 
amtmann zu Büren z’morgen geeflen und dann um 1 Uhr 
zu Solothurn angelommen, gleich von zwei Herren des Rates 
bewillflommt und zum Herin Landammann zum Mittag: 
efien eingeladen worden. Am Mittageflen, das fehr prächtig 
war, eine fchweizerifche Ganitätscommiffion angetroffen, 
Herr Fiſcher von Yern, Dr. !fteri von Zürich, Dr. Zolli— 
fofer von St. Gallen, und ein Herr vom Teſſin. 

Nachmittags haben wir dem Herrn Landammann 
relatieret und abends 6 Uhr bin ih nad Balsthal mit 
einer der Berner Kutſchen, welche ung geführt haben, ver- 
reift. 

27. April Samstag, in Lieftal z’mittag geeflen und 
um 4 Uhr herum bier glüdlich angefommen. 

Mittwoch 1. Mai habe vor Heinem Rat relatieret 
und defien Dank in einer Erfanntnuß erhalten. 

Die Unfoften der ganzen Reife belaufen fich etwas über 
200 Neudublonen. 


Anmerfungen. 


1) Dedsli, Geſchichte der Schweiz im 19. Jahrhundert, 
Bd. 1, ©. 503. | 

2) Oechsli, ©. 508. 

3) Shultheiß Niklaus Rudolf von Wattenwyl von Bern, 
Altlandammann, derjelbe, der 1799 gemeinfam mit Merian auf 
Anordnung des helvetiſchen Directoriums in Bitſch gefangen ge- 
wejen war, und jeitdem zu Merian herzlide Beziehungen unter- 
hielt. (ſ. E. 3. Fiſcher, Erinnerung an N. R. von Wattenwyl.) 

4) Andreas Merian-Sfelin (2. September 1742—25. Fe⸗ 
bruar 1811), Sohn des Pfarrers gleihen Namens zu Buus und 
Großjohn des Pfarrers gleihen Namens an der Gt. Theodors- 
gemeinde in Bajel, 3. U. €. 1768 Kanzleijecretär, 1783 Staats» 
ſchreiber, 1791 Oberjter Zunftmetfter; legte 1798 dieſe Stelle nieder, 
wurde am 2. April 1799 auf Befehl des helvetiſchen Directoriums 


289 2 


als „Geijel” gefänglid) eingezogen und verblieb bis 6. Januar 1800 
gefangen in Bitih. Merian wurde im September 1802 zum Präſi⸗ 
denten der Municipalität gewählt, nahm als jolder an der Tag: 
fagung zu Schwyz teil (|. 3. Bilder, Andreas Merian und die 
Tagſatzung in Schwyz, Basler Jahrbuch 1911, S. 176) und entzog 
fih der beim Cinrüden der Franzoſen drohenden erneuten Ge- 
fangennahme durdh die Flucht. Bom 11. November 1802 bis 24. 
März 1803 weilte er in Schopfheim in Verborgenheit, tehrte nad 
Annahme der Mediationsverfajjung zurüd, und wurde am 20. April 
1803 zum zweiten Bürgermeilter gewählt. Als regierender Bürger: 
meijter übernahm Merian für das Jahr 1806 die Stelle des Land- 
ammanns der Schweiz. (Bergl. Aug. Bernoulli in der Allg. 
Deutihen Biogr., Bd. 21, ©. 427, Hans Bujer, Bafel während 
der eriten Jahre der Mediation, Neujahrsblatt 1903, ©. 14, 38, und 
F. Bilder a a. DO.) 

Merians Gattin meldet das Ereignis dem in Nürnberg 
weilenden Sohn Andreas (j. Anm. 8) mit folgenden Worten: 


„Geſchwind, mein Herkiger, ehe Du es aus der Zeitung er- 
fährt, muß id Dir melden, daß geitern Abends %9 Uhr Herr 
Hauptmann Cettier von Solothurn als Courier abgefhidt mit 
einem Schreiben vom Landammann bey uns angelangt, weldes 
Papa auffordert, künftigen Dienstag den 9. April von hier ab- 
zugehen und als Gejandter dem großen Napoleon [den fie fonjt 
in Briefen meiſt Qucifer, das große Tier und ähnlich betitelt] in 
Chambery bey feiner Durdreije zur Krönung nah Italien, ein 
Compliment zu maden im Nahmen der ganten Eidsgenoſſenſchaft. 
Die Geſandtſchaft beiteht blos aus Herrn von Wattevill und 
Papa; eriterer, wie fi) der Landammann ſehr artig ausdrüdt, als 
fein Borfahr und Papa als fein Nachfahr. Nun iſt alles in Bewe- 
gung um zu ordnen, einzupaden und dergleichen, ich aber ließ 
alles liegen um meinem Lieben die große Neuigkeit zu melden. Du 
wirst Doch wohl nicht zweiflen, daß ich Dich lieb Habe. Die Reiſe 
geht über Solothurn, Bern und Genf in 2 vierfpännigen Wagen.“ 
(Staatsarchiv, Privatardhive 158.) 

5) Staatsarhiv Baſel, Privatardhive 157. 

6) Bei der Herausgabe iſt die heutige Rechtſchreibung an- 
gewendet worden. Edige Klammern enthalten Anmerkungen d. 9. 

7) Johann Lukas Merian-Ryhiner, 5. Mai 1777—6. April 
1851. | 

8), Merian Hat zeitlebens „geeilen“ geſchrieben. Sein Sohn 
Andreas (Merian-Falkach 1772—1828), damals öſterreichiſcher Ge⸗ 
ihäftsträger in Nürnberg, der ſich diefe Schreibweife ebenfalls zu 
eigen gemacht Hatte, ſchrieb ihm aber 1805: 

Es jtritten voriges Jahr zwey, ob man joll jagen geeſſen 
oder gegejjen und wetteten um ein Pfund Zuder. Adelungs 


290 


MWörterbuh jollte entijheiden. Man ſchlug nah und fand ge- 
geijen. Der Ueberwundene zalte das Pfund Zuder, ſandte aber 
damit folgendes 


Quodlibet. 


Ich habe mich kläglich gegirret, 
Und finde mich tüchtig gegäffet, 
Das hätte ich nimmer gegahnet! 
Du haſt nun das Schifflein gegentert, 
Du haſt nun die Lorbeern gegerntet 
Und wirſt nun allein noch gegehret. 
Es hat ſich die Sprache gegändert, 
Sie hat das Gemeine gegadelt — 
Und ſetzt für geeſſen gegeſſen. 
Drum ſey Dir die Gabe gegopfert, 
Nach der Du die Lippen gegöffnet. 
So ſind nun die Berge gegebnet, 
Es haben die Ochſen gegackert, 

Die Söhne die Väter gegerbet. 
Jetzt iſt die Geſchichte gegendet. 

Ueber Andreas Merian-Falkach vergl. Biogr. univer—⸗ 
ſelle Michaud, Bd. 28, ©. 33ff, Fel. Burckhardt, Die 
Schweiz. — 1798—1801, ©. 461, und Noſti tz, Briefwechſel 
Dresden 1848, beſ. ©. 176 ff. 

9) Name unlejerlid. 


10) Erud, Mitglied des Großen Rates des Kantons MWaadt, 
ſcheint die Reife als waadtländijcher, nit als eidgenöffiiher Depus 
tierter mitgemadt zu haben. Bon ihm ijt aber wahrſcheinlich die 
officielle Relation an den Landammann geichrieben worden. 
(Tillier, Geld. d. Eidg. während der Herridaft der Vermittlungs- 
acte, Bd. 1, ©. 184 ff.) 


11) Laut einer Notiz auf dem Umſchlag des Manuffripts: 
„au Messieurs Viollier et Compagnie. (Bon Herrn Preiswert und 
Zimmerli in Bajel.) 


12) Merian ſchreibt „Dierlen“. 


13) Sean Victor Moreau (geb. 1763), der franzöfiihe General 
der Jahre 1799 und 1800, der Gegner Napoleons, auf deſſen An⸗ 
itiften am 10. Suni 1804 verurteilt. Cr fiel befanntlih vor 
Dresden am 21. Auguft 1813 auf Seiten der Allierten. (Biogr. 
univ., Bd. 20, ©. 256, 261.) 

14) Das Billet ift erhalten, ein unſcheinbarer Zettel mit fol: 
genden Worten: Le Chambellan de service a l’honneur de pre6- 
venir Messieurs les Dé putès envoyös par son Excellence le Land- 
amman de Suisse, que S. M. l’Empereur les recevra aujourd’hui 
mercredi 27 germinal & quatre heures. 


991 19* 


15) Vielleicht Chriſtoph Iſelin, 1752—1833, da nad) der Iſelin⸗ 
hen Chronif ein anderer gleihen Namens damals nicht lebte. 
(Heinrih Iſelin von NRofenfeld und ſein Geſchlecht, Bajel 1909, 
©. 174.) 


16) Merian hatte den Kailer als General Bonaparte auf 
feiner Reife von Italien zum Raftatter Congrek im Dezember 1797 
in Bafel gejehen. (Hans Yrey, Die Staatsummwälzung des 
Kantons Bafel im Jahre 1798. Neujahrsblatt für 1876, ©. 20 ff.) 

‚ 17) Nah Tillier a. a. D, der die Originalnote Cruds 
benüßt zu haben ſcheint, ſagte Napoleon folgendes: 

„Ich habe Urjache genug, mit den von Ihnen ausgejprodhenen 
Gefinnungen zufrieden zu fein. Meinerfeits habe ih nicht vergellen, 
daß Frankreich fih wegen desjenigen, das in der Schweiz geſchehen 
ift, einige Vorwürfe zu machen Hat, und werde mid verpflichtet 
glauben, euch dafür Erſatz zu leiſten, foviel als in meinen Kräften 
fteht. Ih werde in diefer Beziehung das Gyitem der Könige be- 
folgen. Mit Vergnügen fehe ih, daß alles in der Schweiz ziemlich 
gut geht. Jetzt, wo Piemont, Savoyen und Mailand unter meiner 
Herrihaft vereinigt find, kann nichts einigermaßen Bedeutendes, 
was in der Schweiz vorgeht, mir gleichgültig fein. Wenn ihr Ber: 
trauen zu mir habt, und mir die Dinge auf eine angemefjene Weife 
vorbringt, jo werde ich mich jtets bemühen, ihnen eine befriedigende 
Mendung zu geben. 

18) Nah Fiſcher, Wattenwyl ©. 116, jagte der Kaiſer: 
Die Mediationsacte ijt euch erteilt worden, um die Ruhe in der 
Schweiz herzuftellen; wenn es in einiger Zeit nötig ilt, einige 
Aenderungen vorzunehmen, jo fönnen wir uns verftändigen. Watten- 
wyl ſcheint in jeinem (privaten) Beriht anzumerken, er habe 
hierauf jede Entgegnung vermieden, ungeadtet des Wunſches des 
Zandammanns, daß über das Abberufungsteht (Grabeau) Bejorg- 
nifje ausgejproden werden möchten; die Vorgänge in Italien und 
Holland ſtanden Wattenwyl zu nahe vor Augen. (Fiſcher, ebenda.) 


19) Tillier a. a. D.: Er berührte nun jelbft die Handels- 
verhältniffe und Außerte fi) dahin, dag er auf den Wohlitand der 
Schweiz nicht eiferjüchtig fei, und ihr mit Freuden jede Erleidte- 
rung zukommen lajjen würde, injofern diejelbe ihr wirklich und 
nicht dem verhaßten England oder andern Gegnern zufäme. 


20) Fiſcher, Wattenwyl a. a. D.: Wegen des Aufihubs der 
DOfficiersernennungen für die neuen Schweigerregimenter habe 
Napoleon geäußert: que dans un moment de vivacit6 il aurait pü 
faire des choses dont ensuite il aurait eu des regrets. 


21) Es Handelt fih um die von Bern, Zürih und andern 
Kantonen in England angelegten Kapitalien des Staatsichages, die 
zur Abzahlung der helvetiihen Nationaljhuld verwendet werden 
jollten, von England aber nicht herausgegeben wurden, weil es die 
mediationsmäßigen Regierungen nit als rechtmäßige Eigen- 


292 


tümer anerkannte. (C. C. %. von Fiſcher: Bent Ferdinand 
Zudwig von Jenner, nad feinem Tagebuche geſchildert, ©. 57, und 
4. von Tillier, Geſchichte des eidg. Freiſtaates Bern, Bd. 5, 
©. 342 ff.) 

22) Das Edict vom 4A. December 1803, wonach alles Eigen: 
tum der helvetiihen Republif und der Schweizerifhen Klöfter, das 
in öſterreichiſchem Bereiche lag, eingezogen und „incameriert“ 
werden ſollte, ein mit dem Reichsdeputationshauptſchluſſe im 
Widerſpruch ſtehender Akt des Fauſtrechts. od: Oechs li, Geſch. der 
Schweiz im 19. Jahrhundert, Bd. 1, ©. 509 ff.) 

23) Vrgl. Hiezu die Audienz Reinhards in Regensburg 1809, 
wo das verhängnisvolle Projeft der Angliederung Tirols zur 
Spradhe fam. Damals hatte Reinhard gerade mit der Erwähnung 
von Konſtanz abgelenft. (6. Steiner, Napoleons I. Politik und 
Diplomatie in der Schweiz, Bd. 1, ©. 158, 159, 167 ff., au) ©. 11.) 

24) Man vermikt vielleiht in diefer Erzählung eine Er- 
wähnung des Vorfalles, daß Napoleon Merian ziemlid) unfreund- 
fi) behandelt Habe, weil Glieder der Yamilie Merian mit Eng- 
land Schleichhandel getrieben hätten; vrgl. Tilliera.a. DO. und 
nah ihm Hans Bufer, Bajel während der erften Sabre der 
Mediation, Neujahrsblatt für 1903, ©. 31; ferner F. Viſcher, Bei: 
träge zur Geihichte der Mediation, Basl. Zeiiſcht. XII. S. 141, 156, 
226 und T. Geering, Chriſtoph Merian (Baſel 1908) ©. 24, 25. 
Bufer glaubt, Merian habe den Vorfall in der officiellen Relation 
abfichtlich verjhwiegen. Das Tagebud) ijt jedenfalls rein zur eigenen 
Erinnerung und für die Familie gejchrieben. Die Allg. Zeitung 
1805 erwähnt feinen jolden Borfall in ihren Berichten (©. 471, 483, 
580). Den von Crud geſchriebenen Originalbericht habe ich nicht ge- 
leben. Fiſcher, Wattenwyl, erwähnt ©. 131, Merian habe auf der 
Abordnung in Chambery erfahren, daß Napoleon ihn jelbft für einen 
Gegner Franfreihs Halte. — Daß Merian, wie Tillier behauptet, 
bei jene Antwort feine Gewandtheit in der franzöſiſchen Sprade 
gezeigt Habe, jcheint mir gegenüber den vielen franzöſiſchen Briefen 
Merians fraglich. — Das Recreditiv des Katjers wurde von Mailand 
unterm 11. Mai 1805 an den Landammann erlajjen und befagte: 
Nous ne devons pas vous laisser ignorer, que vos d&putes se sont 
acquittes tr&s dignement de la mission, dont vous les avez honore, 
nous ne doutons pas qu'ils ne se fassent un devoir de vous rendre 
compte... du desir que nous avons de favoriser tout ce qui 
pourra concourir & la prosperit6 et au bonheur de votre r&pu- 
blique (Fiſcher, Wattenwyl, ©. 117.) 

Im übrigen war ein halbes Jahr jpäter die gute Stimmung 
des Kaiſers verflogen, als man in der Schweiz in militärijhen 
Dingen einen jelbitändigen Schritt wagte (Steiner Na 
poleons I. Politik ꝛc. ©. 147), und das Directionsjahr 1806 wurde 
für 3 und die Schweiz peinlih genug (Hans Buſer 
a. a. O.) 


293 


25) Merian ſchreibt in echter Basler Ausiprade „Baal“. 

26) Tillier läßt durhbliden, daß die Ablehnung der De- 
putation gegen den Willen des Papftes geihah, und „man“ be- 
fürdhtete, die Deputation, an deren Spite ein Reformierter ftand, 
könne es möglicherweije an ehrerbietiger Huldigung fehlen laſſen. 
Aus dem Tagebud) geht zur Genüge hervor, daß der Papit fi 
überhaupt jedem öffentlihen Empfang entzog. 

27) d. h. die Rats- oder Herrenkutſchen, die im Karrenhof, 
der ſtaatlichen Wagenremije, (in der Gegend des heutigen Beja- 
lianums) eingeftellt wurden. 


28) Mitglied des Directoriums der Helvetif. 


294 


Autobiographiſche Aufzeichnungen 
von Prof. Jobann Jakob Bachofen. 


Die Aufzeichnungen, die im Nachfolgenden veröffent- 
ficht werden, ftammen von einem der bedeutendften Gelehrten 
und jelbitändigften Forſcher, die Baſel im 19. Zahrhunvdert 
hervorgebracht hat, dem Zuriften und AUltertumsforfcher Jo— 
hann Jakob Bachofen, geboren am 22. Dezember 1815, ge- 
ftorben am 25. November 1887. 

Es ift Bachofens Schidjal geweien, daß er im Auslande, 
in den Kreifen der internationalen Wiflenfchaft, viel mehr 
Anerkennung gefunden bat als in feiner Vaterftadt. Durch 
jein wiſſenſchaftliches Hauptwerk, das tiefgründige, eigen- 
artige, aber fehwer zugängliche „Mutterrecht”*) hat er feinen 
feften Pla& in der Geichichte der Wiffenfchaft: von dieſem 
genialen Werk, das im Jahre 1861 erfchienen ift, datiert die 
Geihichte der Familie als einer fozialen Inftitution. Drei 
verfchiedene Wiffenfchaften verdanken ihm die allerftärkften 
Anregungen: die vergleihende Rechtswiflenfchaft, die in 
Bachofen einen ihrer Begründer verehrt, die Soziolpgie als 
die Wiffenfchaft von den fozialen Lebensformen des Men- 
fchen und die Völkerkunde. Neben dem „Mutterrecht” haben 
Bachofens übrige Werke troß der Fülle reichfter Gelehrfam- 
feit und eigener, oft tiefer, wenn auch fremdartig anmutender 
Gedanken nicht recht auflommen können; fie find über den 
erigften Kreis der Fachgelehrten nicht hinausgedrungen. 

Hinter dem Werfe ift der Mann ganz zurüdgetreten. 
Bon dem Verfafler des Mutterrechtes, der in der gelehrten 
Welt Europas und Amerikas feit Jahrzehnten ein hohes An- 

) Das Mutterreht. Cine Unterſuchung über die Gynaiko⸗ 
fratie der Alten Welt nad) ihrer religiöjen und rechtlichen Natur. 


Bon 3. 3. Bachofen, Appellationsrath zu Bajel. Stuttgart 1861. 
Zweite unveränderte Auflage. Baſel 1897. 


295 


jehen genoß, wußte man bisher außerordentlich wenig. Außer 
dem, was Teichmann in dem überaus fympathifch gehaltenen, 
aber Eurzen Aufſatze im 47. Band der Allg. Deutfchen Bio- 
graphie mitgeteilt hat, ift nicht viel über ihn befannt geworden. 
Sn feiner Vaterftadt felber, der er einige Fahre als Profeffor 
des römischen Rechtes an der Iniverfität und eine lange 
Reihe von Zahren als Mitglied des Appellationsgerichtes 
gedient hat, ift die Tatſache, daß Bachofen zu den hervor- 
ragendſten Baslern des vergangenen Zahrhunderts gehört 
hat, noch nicht allgemein in das Bewußtſein der gebildeten 
Kreife gedrungen. Vielleicht wird die vorliegende Veröffent- 
lichung dazu helfen, daß dem Gedächtnis Bachofens in Baſel 
endlich der Platz eingeräumt wird, der ihm längſt gebührt. 

Die autobivgraphifhen Aufzeichnungen, die wir bier 
veröffentlichen, find erft im Frühjahr 1916 durch die Witwe 
des Verfaflers, Frau Prof. Luife Bachofen-Burckhardt, auf- 
gefunden worden, als der Unterzeichnete, der fich vor Jahren 
al3 Student lange und eingehend mit dem „Mutterrecht” 
beichäftigt hatte und im Lauf der Zahre wiederholt aus dem 
Auslande um Lebensnahrichten über den Verfafler gebeten 
worden war, fich nach) Materialien zur Lebensgefhichte Bach— 
ofens ertundigte. Sie haben eine eigentümliche Entftehungs- 
geſchichte. 

Im Sommer 1854 traf Bachofen in Ragaz mit ſeinem 
ehemaligen Berliner Lehrer, dem berühmten Juriſten 
Sriedrih Karl von Savigny, zufammen. Es fcheint, daß 
die eigenartige Perfönlichkeit Bachofens, der urfprünglich 
ja auf dem gleichen Arbeitsfelde, wie Savigny felber, dem 
. der Gejchichte und Auslegung des römischen Rechtes, tätig 
gewelen war, auf Savigny einen fehr ftarfen Eindrud ge- 
macht hat. Er Tieß ihn nicht los, bis jener ihm eine zu— 
fammenhängende Darftellung feiner bisherigen und feiner 
für die Zukunft geplanten literariſchen Tätigkeit verfprochen 
hatte, und erinnerte ihn auch, als fie fich von einander ge- 
trennt hatten, Sohriftlich an die Zufage. Bachofen fam dem 


296 


Berfprechen noch im Laufe des Septembers nach und fchidte 
im Oftober 1854 durch einen fludierenden jungen Basler Sa: 
vigny, der inzwilchen nach Berlin zurüdgefehrt war, ein Heft 
von 60 Folioſeiten, in dem er für fih und feinen einftigen 
Lehrer einen Rüdblid auf die legten 15 Bu feines Lebens 
geworfen hatte. | 

Jeder, der aus Bachofens Schriften einen Eindrud von 
der tiefen Perfönlichkeit des Verfaflers gewonnen hat, wird 
es dankbar begrüßen, daß die Witwe des Verftorbenen die 
Erlaubnis zur Veröffentlichung gegeben hat. Füllen diefe 
Aufzeichnungen Doch endlich die dürftigen Umriſſe deflen, was 
über Bachofen bisher befannt war, mit Anſchauung und Leben 
aus! Ihr eigentlicher Wert liegt — abgefehen von Mit: 
teilungen und Urteilen über zeitgenöffiiche Perfönlichkeiten 
und CEreigniffe — in dem Einblid, den fie in das Weſen 
und in die geiftige Entwidlung Bachofens gewähren. Sie 
zeigen, wie aus dem Romaniften, der die üblihen Wege 
der biftorifchen Rechtsfchule gegangen war, der felbitändige 
Forſcher und einfame Denker wurde, der ſchließlich als Ent- 
deder des Mutterrechtes die Früchte jahrelanger geduldiger 
Arbeit ernten durfte. Shren Höhepunkt erreichen fie in der 
Darftellung der geiftigen Revolution, die Bachofen auf feiner 
erften italienifchen Reife erlebte, und die für feine ganze Fünf: 
tige Entwidlung enticheidend wurde. Niemand wird ohne 
Bewegung die Seiten über das Gräberwefen der Alten lejen 
können, in denen Bachofens tief religidſe Natur einen eigent⸗ 
lich ergreifenden Ausdruck findet. Wir fühlen: bier fließen 
die Quellen, aus denen das, was an Bachofens Wefen genial 
genannt werden darf, feine lebendigen Kräfte gefchöpft hat. — 

Was die Wiedergabe des Tertes betrifft, jo haben wir 
die Schreibweiſe des PVerfaflers fo viel als möglich bei- 
behalten; die Abficht Tief fich aber nicht bis in alle Einzel- 
heiten ftreng durchführen, namentlich weil Bachofen, der fich 
im allgemeinen der deutfchen Schrift bediente, Doch da und 
dort ohne erkennbaren Grundfaß die lateinifche Schrift ver- 


297 


wendet. Einige Anmerkungen vorwiegend biographiichen 
und bibliographifchen Snhaltes glaubten wir dem Terte bei- 
geben zu follen. 

Für die Erlaubnis zur Wiedergabe des Vildniffes, das 
Deſchwanden im Jahre 1843 von Bachofen gezeichnet hat, 
werden die Lefer mit dem Herausgeber Frau Prof. Bachofen 
dankbar fein. 

Endlih müflen wir noch hinzufügen, daß Bachofens 
Aufzeichnungen gleichzeitig von anderer Seite in der bei Ferd. 
Ente in Stuttgart erfcheinenden Zeitfchrift für vergleichende 
Rechtswiſſenſchaft herausgegeben werden. Bachofen gehört 
ja nicht nur der Stadt Bafel, fondern der internationalen 
Wiffenfchaft an. 

Hermann Blocher. 


* * 
* 


Die Rückſchau auf die Arbeit von 15 Zahren ift eine 
Aufgabe ernitefter Art. Die PVergegenwärtigung früherer 
Unternehmungen führt mitten in das Leben vergangener 
Perioden zurüd, und wedt Erinnerungen, welche längſt be- 
graben fchienen. Denn, wo immer inneres und Äußeres 
Leben ein Ganzes bilden, muß auch jede litterarifche Er- 
fcheinung nothwendig in dem Sufammenhange des ganzen 
damaligen Zuftandes, Dichtens und Trachtens auftreten. 
Innere Erlebniffe und Umſtände rein Außerlider Natur - 
verbinden fi, unſere Beſchäftigung und deren Charakter zu 
beftimmen. Des Einen zu gedenken ohne des Andern ift 
unmöglich. So bat, da ich meine bisherigen Arbeiten im 
Gedächtniffe überfah, mein ganzes bisheriges Leben fih im 
Bilde wieder vor meine Seele geftellt, und es ift Das, Was 
Eure Ercellenz von mir wünfchen, aus einem bloß literarifchen 
Snoventarium berangewachlen zu einer Art Gelbitbiographie, 
welche auf den Schreiber ein Gefühl von Unbehaglichkeit 


298 


bervorbringt, ähnlich dem, das man beim Anblick feines 
eigenen Bildniffes empfindet, — dem Lefer aber oft Hebung 
von Nachſficht und Geduld auferlegen wird. Das ganze 
Gebilde feiner Gedanken und Anfchauungen einem fremden 
Auge bloßzulegen, Toftet einen Seden Heberwindung. Mir 
ift es Leicht geworden, E. Erc. gegenüber diefe natürliche 
Scheu zu überwinden. Ich fpreche ja zu einem Lehrer, 
deflen Unterricht in Schrift und Wort mich durch die ganze 
Dauer des erwähnten Zeitabfchnittes hindurch begleitete, 
dem zu vertrauen längſt Gewohnheit geworden ift, und deſſen 
Alter, durch Die milde und ruhige Objektivität des Lrtheils, 
welche es allein zu verleihen vermag, rüdhaltsiofe Offen- 
beit aleihfam von felbft hervorruft. 

Zu der Rechtswiſſenſchaft zog mich die Philologie, von 
der ich ausgegangen bin, und zu welcher jene mich wieder 
zurüdführte. In Ddiefer Beziehung ift meine Stellung zu 
meiner Wiflenfchaft ftets die gleiche geblieben. Das roem. 
Recht erfchien mir ftets als ein Theil der alten, befonderg 
der lateiniſchen Philologie, alfo als der Abſchnitt eines 
großen Ganzen, das die klaſſiſche Alterthumswiſſenſchaft 
überhaupt umfaßt. Es ift mir wichtig, diefe Anſchauungs⸗ 
weife gleich in ihren Hauptfolgen zu veranfchaulichen. Die 
Wichtigkeit des römifhen Rechts beitand mir nicht darin, 
daß es als Beftandtheil des heutigen Rechts eine ſo bervor- 
ragende Stellung einnimmt; es erfchien mir dieß, wenn ich 
iiberhaupt darauf achtete, als ein Vorzug ſehr untergeord- 
neter, ja jehr unmwefentlicher Natur. Als ebenbürtiger Gegen- 
ftand des Nachdenfens trat es mir nur in feiner andern 
Qualität entgegen, wonach in ihm eine Haupffeite des alten 
Lebens zu Tage: tritt, eine Seite, ohne deren genauere 
KRenntniß alles wefentlih Tüdenhaft und unvollkommen 
bleiben muß. Der Gefichtspunft praftifcher Anwendung 
leitete mich alſo hiebei fo wenig als bei den griechijchen 
Staatsalterthlimern, die ih ein Jahr vor den Pandekten 
bei Prof. Boeckh hörte. Das Antike war der Reiz, der mich 


299 


feflelte, nicht das heute Anmwendbare, und ich wollte fo recht 
wahrhaft altes römifhes Recht ftudieren, Feineswegs 
beutiges röm. Recht. Mit diefen aus der Philologie 
berübergenommenen Grundanfchauungen ausgeftattet gerieth 
ich oft in einen mir gar peinlichen Gegenfaß zu Lehrern und 
Büchern, welchen ih mich als Führern bingegeben hatte. 
Das Perhältniß zu dem gemeinen Recht fehien mir ganz 
unwejentlich, und ich leugne nicht, mit welchem Triumph 
ich immer fah, wie fruchtlos alle Verfuche blieben, in jene 
Stage Klarheit und natürlichen Zuſammenhang zu bringen. 
Aber vollends die Reception in Deutichland und die darnach 
unternommene Sonderung der Materien, was follte ich 
damit anfangen? Diefe und ähnliche Erdrterungen, welche 
beinahe in jedem Kollegium wiederlehrten, dienten nur dazu, 
in mir den Gegenfaß jener philologifhen Grundanfhauung 
zu voller Klarheit und zur Durchbildung in allen Con— 
fequenzen zu bringen. Immer mehr gelang es mir, von dem 
modernen Standpunkt abzuſehen, und ihm in allen Stüden 
den antiken zu unterftelen. Daher niftete fich bei mir ein 
ſtets wachlender Widerwille gegen alle modernen Syſteme 
ein. Ich bätte das Kleid gerne in feinen urfprünglichen 
Salten gefehen und erachtete jeden Verſuch, den Stoff 
heutigen Begriffen mundgereht zu machen, für Nichts 
Befleres, als für eine das alte Verſtändniß erfchwerende 
Entftellung. Ein Schema nach heutigen Begriffen und dar- 
unter der alte Stoff vertbeilt, das erfohien mir als un- 
berechtigtes Dogmatifieren, dem wahren Verſtändniß ver- 
derblich, eine reiche Quelle vieler Srrthlimer und Verlegen: 
heiten. Die Vehandlungsweife der Eontroverfen war mir 
ein weiterer Gegenftand des Anftoßes. Ihre durch alle Mittel 
juriftiihen Scharffinns und Wiges, durch die gezwungenfte 
Kritif fowie duch die willführlichiten Diftinktionen herbei: 
geführte Vereinigung widerfprechender Ausiprüche der Alten 
mochte allein dem Bedürfniß, einen für die Praris anwend- 
baren, feften Sat zu gewinnen, entfprechen: mir erjchien 


300 


das ganze Verfahren nicht befler als die Juſtinianiſche 
Träumerei von der Möglichkeit einer Zweifel- und Wider: 
ſpruchsloſen Zurisprudenz, und für viel würdiger, rejultat- 
reicher und wiſſenswerther erachtete ich das, den Grund und 
Gedanfengang zu ermitteln, der gleich ausgezeichnete Ju— 
riften zu abweichenden Enticheidungen führen Eonnte. Denn 
fo fonderbar es Elingen mag, fo wahr ift es dennoch, daß 
in Fragen der Zurisprudenz entgegenftehende Anfichten gar 
oft einen gleihen Grad von Berechtigung haben Fönnen. 
Sch freute mich darüber, daß es Juſtinian nicht gelungen 
war, alle Spuren diefer Streitigkeiten, Folgen jeder freien 
Geiftesrichtung, zu vertilgen. Sch lebte ſelbſt der Sleber- 
zeugung, daß gerade die Blüthezeit des röm. Rechts 
auf allen Gebieten der Rechtspflege an Abweichungen und 
Streitigkeiten am reichften geweien fein müſſe. Von dieſen 
Gefihtspunften geleitet fand ich mein hauptfächlichftes Ver— 
gnügen ſtets und allein in der Lektüre einzelner Theile 
unferer Rechtsquellen, und, wäre es auf mich angefommen, 
fo bätte ich der Erklärung von Pandectentiteln den Vorzug 
eingeräumt vor allen ſyſtematiſchen Vorleſungen mit ihren 
dDogmatifch formulierten Sätzen und den dazu aus allen 
Eden zufammengetriebenen fogen. Beweisftellen und Eides- 
beifern. — Einen großen Nachtheil diefer meiner Auf: 
faflungsweife befam ich indeß bald zu fpüren. Sch hatte ſehr 
wenige pofitive Rechtsregeln meinem Gedächtnifle ein- 
geprägt, und war immer verlegen, follte ich die einzelnen 
Materien in Regeln und Ausnahmen fchulgerecht herſagen. 
Geiftig glaubte ich Dabei nicht gerade viel einzubüßen. Aber 
für ein examen rigorosum war meine Gtudienweife 
nicht berechnet geweifen. Das fühlte ib. Um das Per: 
fäumte nachzuholen, mußte ih nun für ein Sahr den Quellen 
entfagen, und nad Lehrbüchern memoriern. Ein Pri- 
votiffimum zu Göttingen paufte mich gehörig ein, und ein 
Paar Monate zu Baſel vollendeten die Arbeit. Es gab 
Damals eine kurze Zrift, in welcher ih Mübhlenbruchs 


301 


Doctrina!) beinahe wörtlich innehatte, und in den ab- 
gegriffenen Bänden felbft bei Nacht jeden 8 hätte auf: 
Ichlagen können. War mir doch als Zdeal eines vollendeten 
Doctoranden derjenige bingeftellt worden, der in jenem 
Werke ohne Licht und Regiſter jeden Gegenftand nad: 
zumweifen vermöge. Die Arbeit war nicht vergeblich gewefen. 
Durch) tentamen und examen kam ich glüdlich hindurch, 
empfieng die erfte Nummer, und konnte meine Lehr: und 
Handbücher wieder mit dem corpus juris, den Klaſſikern 
und Cujacius vertaufhen. Es war hohe Zeit. Denn nicht 
erquidender erſchien mir Fürzlich die friſche Ulpenluft des 
Engadinsg nah) der dumpfen Atmofphäre des Pfäferfer 


Krankenhaufes, als Damals der ftärfende Hauch des Alter 


thbums aus den Werfen feiner Litteratur belebend zu mir 
Armen herüberwehte. Mit ganz anderer Freudigfeit ftudierte 
ich jebt Gajus und Cicero als zuvor Mübhlenbruch, und meine 
Differtation de judiciis civilibus, de legis actionibus de 
formulis et de condict.?) brachte mir einige Monate des 
fröhlichften und befriedigendften Umgangs mit den Quellen. 
Diefe Arbeit vollendet fchwebte mir der Gedanke vor, in einer 
Heinen Schrift den Unterfchied der res mancipi und Tes 
nec m. zu erflären. Er fehbien mir fo einfach, jo Har, und 
doch von den Dogmatikern in einem fo wenig antiten Sinne 
aufgefaßt. Noch jebt glaube ich, daß der Grundftod des Ver: 
mögens und deſſen Erträgniß unterfohieden wird. Genen 
nennen die Griechen TO xteag, dieſes befteht in den Pro- 
duften, welche zur Verzehrung alfo zur Unterhaltung des 
täglihen Lebens dienen, wie Korn, Gemüfe, Schweine, 
Schafe, Gold und fo vieles andere. Sch unterließ es, theils 
weil mir die Lectüre der bedeutenden Litteratur den Gegen: 
fand gründlich verleidet hatte, theils weil durch die Arbeit 
meine Abreiſe nah) Paris, die auf den Winter 1839/40 
bevorftand, verzögert worden wäre. Die Ausſicht, nad) 
Schweizeriihen und Deutſchen Hochſchulen eine Sranzöfiiche 
zu befuchen, hatte für mich fehr viel Anziehendes, und ob- 


302 


wohl es an derfelben von den Klaffifern wenig mehr zu hören 
gab, jo harrte ich dennoch an der Parifer Ecole de droit 
einen vollen Jahreskurſus aus. Für mich hatte die unter: 
geordnete Stellung, in welcher dort das röm. Recht auf: 
tritt, Nichts Anftößiges. Mir war es ja immer ein Theil 
des alten Lebens gewefen, nicht des heutigen, ein Stüd Haf- 
ficher Philologie, ein Beftandtheil längſt verfunfener Zu— 
fände, ein Erzeuaniß von Grundanfchauungen, welche mit 
denen der Khriftlich germanischen Vöolker eigentlich nur ge: 
ringe Verwandtichaft hatten. In das Penfum einer die 
Heranziehung praftifcher Zuriften zur Beſetzung der fran- 
zöfifchen Gerichtshöfe und des franzöfifchen barreau be: 
zwedenden NRechtsichule gehörte alfo das alte Recht durch: 
aus nicht. Dazu war es theils zu gut und theils zu fchlecht, 
alfo jedenfalls unpaſſend. Hatte ich bisher das Erzeugniß 
vergangener Zeiten zum Gegenftand meiner Beſchäftigung 
gemacht, ohne alle Rüdficht auf defien heutige Geftaltung und 
Anwendung, fo kam ich jebt zuerft in gründlichen Verkehr 
mit einer der berühmteften und verbreitetften Geſetzgebungen 
ver Neuzeit und mit der darauf ruhenden Litteratur und 
Aurisprudence, und gewährte mir dieſe auch nicht den gleichen 
geiftigen Genuß wie der Romanismus, fo war mir doch der 
Eintritt in ein ausfchließlich praftifches Gebiet und die mit 
Ausiheidung aller antiken Gelehrfamkfeit unternommene Be— 
handlung des ganzen heutigen Rechtslebens eine durchaus 
angenehme Beſchäftigung. Ja aus diefer Zeit fehreibt fich 
bei mir die Üeberzeugung ber, daß eine auf gleiche Trennung 
gegründete Geftaltung des Rechtsftudiums der dermalen in 
Deutſchland berrfchenden Verbindung weit vorzuziehen fein 
müßte. Schüler und Lehrer würden dabei gewinnen, am 
meiften aber die Disciplinen fell. Die Vermengung der 
römifchen Zurisprudenz und der heutigen Doftrin in dem- 
felben Rollegium oder Buch ift gründlich verderblich, und 
verrückt für beide den wahren Gefichtspunft. Gebe man dem 
Altertbum fein Recht und der Neuzeit ihr Recht, jedem be- 


303 


fonders, und man wird fo wie die gründlichften Gelehrten, 
fo auch) die fähigften Praktiker bilden. Durch zwei Mittel 
wahrt die Zurisprudenz ihre Friſche, oder erwirbt fie wieder, 
bat fie fie einmal für einige Zeit eingebüßt, durch den un- 
mittelbaren Verkehr mit der alten Weisheit und durch die 
Beſchäftigung mit dem praftifchen Leben. Leiftet Paris au 
für das Erftere Nichts, fo bringt es doch in dem Zweiten 
den Schüler zu mehrerer Tüchtigfeit als der deutfche Unter: 
richt, und ich fan wohl jagen, daß mir wie in Deutfchland 
der Eintritt in die alte Welt, fo in Frankreich der in die 
heutige Zeit eröffnet worden if. Wejentlich förderte mich 
in meinen neuen Beitrebungen auch der Beſuch der Gerichts: 
böfe von der Feierlichfeit der Pairstammer bis herab zu 
ven Tragödien der Zuries und den Skandalen der police 
correctionelle. 3a unter allen diefen Einflüffen war mein 
Hang zu der praftifchen Seite unjerer Wiffenfchaft fo ſtark 
geworden, daß ich fogar beichloß, in die Etude eines der 
größern Notaires, mit deſſen chef de bureau ih an der 
Mittagstafel befannt geworden war, einzutreten. Man gebt 
im 25ften Jahre fo leicht in Alles ein! Doc dießmal Hatte 
ich meine Ausdauer überfhäßt. Nah 14 Tagen waren 
Meifter und Gefelle wieder auf die Gemeinfchaft der Mit- 
fagstafel und auf den beiterften gejelligen Verkehr befchräntt. 
Aber feither habe ich Doch öfters zu erfennen Gelegenheit ge- 
habt, daß felbft die Einführung in einen folchen bureau Dienft 
mit der daran genüpften Renntniß der Documentirkunft und 
der Buchführung mit zu den Aufgaben einer praftifchen 
Rechtsſchule gehören würde. — 

Aus der damaligen Zeit datiert meine Bekanntſchaft 
mit Pardefjus?), mit dem Grafen Pellegrino Roffit) und mit 
vem alten Kanzler von Frankreich, dem hochbejahrten Grafen 
Poftoret?), Männern, welche alle für unſere Wiffenfchaft, 
wiewohl in verjchiedenen Zweigen derfelben, Bedeutendes ge: 
leiftet haben, und von welchen die beiden Lesteren aus ihren 
früheren Lebensjahren ber mit der Schweiz im Zufammen- 


304 





Johann Jakob Bachofen 
gezeichnet im Jahre 1843 von Paul Deschwanden 


Lichtdruckanstalt Alfred Ditisheim, Basel. 


bang der Anhänglichkeit und Dankbarkeit fanden. Vielleicht 
daß ich gerade diefem Umſtande meine gute Aufnahme in 
ihren Häufern zuzufchreiben habe. Paftoret und Roffi hatten 
beide im Innern unferes Landes ein Aſyl gefucht und ge- 
funden, Roffi gegen die Strenge des Gefeßes, Paftoret vor 
der Wut der Republikaner der erften Revolution. Aber 
der Zerfaffer der histoire de la legislation war fchon 
gänzlich dem zweiten Kindesalter verfallen, Roffi fland da- 
gegen da in der Kraft feines Geiftes. Un ihn war ich durch 
den feeligen Ritter Hugo®) empfohlen, der mit Gelehrten des 
Auslandes bis an fein Lebensende einen intellektuellen Ver— 
fehr unterhielt. Ich fand in großer Erwartung, die nicht in 
allen Stüden in Erfüllung gegangen if. Die: afademifche 
Wirkſamkeit des fonft fo fähigen Mannes hat mir feinen 
günftigen Eindrud hinterlaſſen. Werthlos und oft trivial 
waren feine Vorträge über conftitutionelles Staatsrecht, mit 
etwas mehr Liebe ausgearbeitet die über politifche Efo- 
nomie, die fpäter, wiewohl in der Ueberarbeitung unfennt- 
ih, im Drude erfhienen find. Ich weiß nicht, ob Eurer 
Ercellenz Wirkſamkeit in dem gedrudten Buche ebenfo 
charakteriſiert worden ift, wie damals mündlich in einem der 
Hörfäle der Ecole de France. Mit ſchönerm Schwanen- 
sefang habe das römische Recht nicht zu Grabe gefungen _ 
werden können. Roffi fland damals bei den Studenten, 
welche ihn einige Sahre früher mit Steinwürfen empfangen 
hatten, in hoher Gunft. Die beiden Gensd’armes, welche 
ihn lange bealeitet hatten, waren längft überflüffig ge- 
worden. Seine oft mit Runft angebrachten, gewiß nicht 
aufrichtigen Lobreden auf Gefchworenen-Gerichte, Charte, 
freie Prefle, ein felbftändiges Polen und ähnliche Lofungs- 
‘worte der damaligen revolutionären Zournaliftif hatten jene 
Umftimmung bewirkt. In dem übrigen Benehmen war 
feine WUenderung eingetreten. Es haftete an ihm ein 
vorzugsweife italienischer, verlegender Dünkel,; der mit dem 
Glanz der äußern Lage wuchs oder doch ungefcheuter hervor: 


305 ” 


trat, und mit unter die Urſachen gehört, welche dem Grafen 
zu Rom jenen unerwarteten Fall bereiteten. ch glaube, daß 
er in feinem Herzen diejenigen CEigenfchaften des fran- 
zöfiſchen Volks am meiften verachtete, denen er öffentlich 
die wärmften Huldigungen darbrachte. Viel höher fand 
ihm die Engliſche Nation, und die befondere Hochachtung, 
die er bei jeder Gelegenheit vor ihren großen politifchen 
Eigenfchaften an den Tag legte, war gewiß feine Conceffion 
an die Öffentliche Stimmung in den glänzendften Zeiten der 
Suliusdynaftie, fondern vielmehr der Ausdrud einer fehr 
tief wurzelnden Heberzeugung und das abfichtlich gefuchte 
Mittel, der franzöfifchen Eitelkeit einen Spiegel vorzuhalten. 
Diefe vielfahen Blicke auf England waren es, welche mich 
hauptſächlich dazu beftimmten, meinem Aufenthalt in Paris 
fogleich einen andern in London anzureihen. Geitdem ich 
aus DBladftone”) und einigen franzöfifhen Werfen eine 
überfichtlihe Renntnif der Englifchen Staats: und Rechts- 
zuftände gejchöpft hatte, wuchs mein Verlangen. Der Plan 
fand feine Ausführung. Kein Jahr meines Lebens ift an 
Arbeit, Belehrung und Genuß reicher gewejen als das in 
England verlebte. Kaum wird Jemand fähig fein, den 
ganzen Gewinn folcher Zeitabfchnitte feines Lebens richtig 
zu würdigen. Die Elaftizität meines damaligen Alters be- 
fähigt, das PVerfchiedenfte mit gleicher Lebendigkeit auf: 
zufaflen, und das Durchſchreiten fo vieler neuer Gebiete 
giebt das GSiegesgefühl eines fortwährenden Triumphzugs. 
As ih mih in London feftfeste, war mir noch nicht klar, 
was ich vorzugsweife zu fuchen gefommen fei. Alles, dachte 
ih, oder doh ein Wenig von Allem, Grundlagen für 
fpätern Ausbau, Material und Gedanken für die Zukunft. 
Sch fand in dem Lebensalter, dem noch Alles angehört, 
dem fogar dieß AU nicht genügt, und das noch nicht weiß, 

in welcher Ede des weiten Gebiets der Geift am Ende fh 
friedlich niederlaffen wird. Feſſelten mich einerfeits das 
Rechtsweſen und. die Gerichte mit al’ dem altwäterifchen 


306 


Pomp, der fie umgiebt, jo war doch auch das brittifhe 
Mufeum mit feinen Schäßen vorhanden. Ließ ſich nicht 
Beides vereinigen? nicht Beides nebeneinander benügen? 
Der Berfuch zeigte, daß es möglich war, ja daß das Eine 
das Andere förderte. Sah’ ih in Weftminfter und Guild— 
hall die Rechtspflege in ihrer Wirklichkeit, das Menuett in 
der ganzen KRünftlichkeit feiner dußern Erfcheinung, jo fand 
Ah in den Leferäumen des brittiihen Mufeums die Litte- 
ratur, die bequemfte Ruhe und überhaupt alles, was nöthig 
war, um mich über den Sinn und Gehalt jener Erfchei- 
nungen zu unterrihten. Der Gegenfab des enalifchen 
Rechts zu allen denjenigen, welche mit roemifchen Grund- 
fägen in Einklang gebracht worden find, verbunden mit 
einem oft ſchlagend ähnlichen Entwidlungsgang einzelner 
Theile, 3. B. des Formelweſens und der Hypotheken, das 
war es, was mich zulegt am meiften anzog. Leber le&teres 
Beifpiel glaube ich Eurer Erc. in meinem Begleitſchreiben 
zum Pfandreht?) Einiges mitgeteilt zu haben. Aber unter 
das PBorzüglichfte aller Zeiten gehören Blackſtone's Com- 
mentaries, deren ganzen Werth man erft alsdann vollftändig 
ermißt, wenn man die Schwierigkeit, in folchen Stoff Licht 
und hiftorifches ZVerftändniß zu bringen, an der Drangſal 
des eigenen Verſuchs erfahren hat. Von Blackſtone wird 
auch für Engländer ftet8 Alles ausgehen müflen, um fo mehr 
wird fih für ung Fremdlinge alles jelbftändig Erworbene 
an ihn anfchließen. In den neuen Ausgaben ift die reiche 
fpätere Gefetgebung und Zurisprudenz auf das Genauefte 
nachgeführt. Schwierig wird das Studium des Englischen 
Rechts durch den völligen Gegenfab feiner Grund- 
anfchauungen zu denen des Fontinentalen Juriſten, ins- 
befondere des Romaniften, jehwierig durch die Sonderung 
feiner Gerichtshöfe und Jurisprudenz in equity und 
common law, ſchwierig ganz befonders durch den Ent- 
widlungsgang in unzähligen Precedents, welche in fo viel 
Hundert Bänden zerftreut Tiegen, durch die ungeheure 


307 * 


Mafle von Parliamentsaften, die immer im Detail fliden, 
und ein Amendment unter dem andern begraben, endlich 
durh die Darftellungsweife der englifchen Gchriftfteller, 
welche hauptfählich die Praris im Auge haben, Kenntniß 
mit allem Allgemeinern vorausfegen, ihre Darftellung fchon 
auf der erften Seite mit einzelnen Fällen eröffnen, und 
felten fih zu irgend einer logifhen Ordnung oder zur 
Hervorhebung von Prinzipien bequemen. Gin folches 
Material ift dem Fremden meift erft nach langer Uebung zu- 
sänglih. ES zu ordnen, die höchſten Prinzipien zu er: 
fennen, und dieſe zu einem Jus civile zufammenzuftellen, 
würde vollends die Arbeit eines ganzen Lebens fein. Der 
englifche Geift fcheint nicht dazu angelegt, diefe Aufgabe je 
erfüllen zu Eönnen. Es fehlen ihm jene großen Pro- 
portionen, in denen das Einzelne feine gehörige aber unter- 
geordnete Stellung findet. Er bleibt am Staube Heben, und 
läßt das Ganze unter dem Reichthbum des Details ver: 
fhwinden. Unter allen Rechtsgelehrten, die ich hörte, jeien 
fie Anwälte oder Richter, fchien mir bloß der fpäter unbheil- 
barem Siehthum zu Genua erlegene Sir William Follef?) 
eine Haffifchere Geiftesanlage zu befiten. Darin bat fi 
an England die Verbannung des röm. Rechts furchtbar ge: 
rät. Den fremden Stoff brauchten fie nicht aufzunehmen, 
wenn es gleich in jenen Zeiten fchwer fein mochte, ſich dem 
doppelten Köder innerer und äußerer Vollendung zu ent- 
ziehen, und ich beneide Englands Rechtsaelehrte um den 
Vorzug, daB fie die Geſchichte ihres Volks und ihres 
Rechts ftatt, wie wir, jene eines fremden Volls und eines 
fremden Rechts zum Gegenftand ihrer Studien und ihrer 
Vorliebe erheben können. Aber an der Betrachtung des 
röm. Rechts hätten fie lernen Eönnen, was dem eigenen fehlt, 
und in welcher Weife dieß Fehlende zu ergänzen ift, lernen, 
wie man den Stoff ordnet und fichtet, wie man zu einem 
Jus civile gelangt, wie man fchleppende Fictionen durch) 
eine directe formula petitoria erfegen, ein einfaches Hy⸗ 


308 


pothefar Recht berftellen, Jus und aequitas zu einer einheit- 
fihen Rechtspflege verbinden, und ftatt der vielen species 
of tenure den höhern Begriff des Eigenthbums felbft auf- 
faffen, und das Dinglihe in feinem Gegenfage zu dem 
Obligatorifhen durchführen kann. Alles Wohlthaten, deren 
nun das Englifhe Rechtswejen verluftig geht, die ihm auch 
weder Wiſſenſchaft noch Praris bringen werden, weil jene 
in böherm Sinne gar nicht befteht, und aus dieſer das 
bildende fchöpferifche Leben Längft gewichen if. Sch weis- 
fage daher dem Engl. Rechte diejenige Zukunft, die 
aller Staatszuftände wartet, denen zeitgemäße Fortbildung 
unmöglich gemacht wird: Sie werden zulegt Gegenftand ge- 
waltfamer Uenderung, erft das Augenmerk, dann das Opfer 
einer fortichreitenden Demokratie. Dann aber wird das eng- 
liſche Recht eben jo fpurlos untergehn, wie das von Car- 
thago. Denn es trägt Fein Element der Bildung in fich, 
wie das roemifche, das Fünftigen Zeiten Sehnfucht nach feinem 
Beſitze einflößen, und fpätern Gefchlechtern zum Ausgangs: 
punkte eines neuen FortfchrittS werden fünnte. Das ift in 
allen Stüden allein und ausfchließlich der Vorzug des klaſ— 
fiihen Alterthums. Die ganze germanifche Welt hat Nichts 
geliefert, das fpäter einmal andere Welten belehren, auf: 
richten, begeiftern köͤnnte. — Schriftliche Arbeiten über Eng: 
liſches Recht habe ich Feine zu Stande gebracht. Sch wundere 
mich jest, daß es mir Damals gelang, überhaupt nur fo viel 
in mich aufzunehmen, als zur Ueberficht der Hauptmaterien 
erforderlich ift, und diejenigen litterarifchen Hilfsmittel zu- 
-  fammenzubringen, die der Engländer etwa als das unent- 
behrlichite einer Lawyer’s library anfehen würde, und die 
mich befähigte, je nach Bedürfni über irgend einen Rechts: 
theil biftorifche und Dogmatifche Auskunft zu erlangen. Ob- 
wohl ich allerdings Hier ganz befonders die Wahrheit des 
Platonifchen Worts erfahren habe, auch die beft’ gefchriebenen 
Werke feien immer nur wie ſtumme Bilder, an die man 
taufend Fragen zu richten habe ohne je eine Antwort zu er- 


309 


halten. Von Pielem befige ich auch wieder Ercerpte, die 
mir jedoch feit jener Zeit völlig fremd geworden find. — 
Die Gefhichte des Engl. Rechts, oder beftimmter das von 
König Stephan ausgegangene Verbot feines Studiums 
führte mich ganz natürlich auf Magiſter Vacarius!?), der als 
einzig befannte Perfon in mitten von fo vielem unbekanntem 
wohl einer etwelchen größeren Aufmerkſamkeit werth Tchien. 
Ueber dem Suchen nach feiner Summa pauperum fam id) 
mitten in die Schäße des Brittiſchen Muſeums aus dem 
Gebiete der Roemiſchrechtlichen Litteratur des Mittelalters 
hinein. Schon feit Berlin hatte ich mich mit Ew. Erc. Ge: 
Ihichte d. roem. R. im MA) befannt gemacht. Theil 3 
und 4 führte ich damals bei mir, und bediente mich ihrer 
nun als Richtſchnur in mitten des reichen Materials, das fich 
mir darbot. Soll ich es bereuen, daß ich von manchen Werten 
vollftändige Abichrift nahm? Betrachte ich jeßt die drei dicken 
Bände Anglica, die ich damals ſchwarz auf wei aus dem 
Britiſchen Mufeum mit nach Haufe nahm, jo will mir mein 
Eifer für einen doch nicht eben ſehr gehaltreichen Gegenftand 
beinahe zu übertrieben erfcheinen. Publicirt habe ich davon 
Nichts, zufammengeftellt aber einige Notizen, die ich nun 
nad 13 Sahren zum erften Male wieder bervornehme, um 
fie Ew. Erc. zur Einficht vorzulegen!?). — Ein ähnliches 
Schidjal hatten Ercerpte anderer Art aus meinen damaligen 
britiihen Tagen. Aeußerſt merfwürdige Briefe britifcher 
Gejandter aus dem Anfange des XVI. Jahrh. über Die 
Stalienifchen Schweizerfriege, die Schlachten von Novara, an 
der Bicocca, von Marignano, Schreiben der Herzöge Sforza 
und an diefelben, des berühmten Rardinals Schinner, andere, 
welche Stanz I., feine Unternehmungen in Stalien, feine Ge- 
fangenſchaft betreffen, kurz eine große Mannigfaltigkeit merk⸗ 
würdiger Dokumente aus jener fo merfwürdigen Zeit, in 
welcher fchweizerifche Sreifcharen ihrem Vaterlande in der 
Lombardei eine große gemeine Herrfchaft zu erobern Luft 
und Kraft genug zeigten, fiel damals zufälliger Weife in 


310 


meine Hände. Sch nahm ein genaues Verzeichniß und Ab— 
fchrift der merfwürdigften Stüde!?.) Auch diefe lag lange 
nutzlos in meinem Pulte. Jetzt dient fie dem fchweizerifchen Ge: 
ſchichtsſchreiber Vuilluiemin!*) in Laufanne zu Studien über 
über jene Zeit. Unter allen diefen Beſchäftigungen Fam jachte, 
fachte, wie das Alter, jo Damals das Ende des Winters 
heran. Ich wünfchte mich weg aus dem Nebel, dem Gewühl 
und Getriebe der Hauptftadt. Ein ruhiger und ftiller Mufen- 
fiß, das war mir nöthig, um das Erlebte und Erlernte über- 
bliden und in Gedanken verarbeiten zu fünnen. Orford ent- 
fprach meinen Erwartungen nit. Diefe eisfalte VBornehm- 
beit, der hohle Glanz, die Regungslofigfeit, die über allem 
lag, über Land und Menſchen, insbefondere über den Geiftern, 
fie trieb mich nach wenigen Tagen wieder fort. Ich 309 nach 
Cambridge und fand dort, was ich fuchte, wiflenjchaftliche 
Beihäftigung, angenehmen Umgang und vor Allem Ruhe 
und Stile. Mit großem Behagen feste ich nun in der 
öffentlichen Bibliothef und in mehreren Collegiatbibliothefen 
meine Entdedungszüge nach mittelalterlihen Prozeflualiften 
fort. Die guten Cambridger vermochten gar nicht einzu- 
eben, was man an dergleichen heut zu Tage noch finden könne. 
Vielleicht war es auch aus Mitleid, daß fie mir in den Er: 
holungsſtunden alle erdenklichen Genüfle zu bereiten fuchten. 
Sch Fam an ihre gemeinfchaftlihen Mahle, und wurde in 
den Stand gefett, ſchon nad) dem Reichthum der Tafel den 
Rang der einzelnen Collegien zu errathben. Nachdem ich 
aus diefen Vorübungen mit einem leidlichen Anſtrich von 
Cambridgerthum hervorgegangen war, fah ich mich fogar zu 
dem engern Zirkel der höhern Würdeträger beigezogen, 
welchem der Vice-Chancellor in full dress präfivirte. Von 
jest an war es Ehrenſache, mich zu allen Zeierlichkeiten zu 
laden. Jeden Abend und jeden Morgen erfchien ich zum 
Gottesdienfte in der Christ-Church Kapelle, war bei den 
Promotionen gegenwärtig, ohne über deren Drolliges Ritual zu 
lachen, erlebte die Creation eines master of music, zwifchen- 


311 


ein eine Parliaments Wahl mit all ihrem Lärm, und endlich 
die Promotion eines Doctor in civil law, natürlich in 
partibus; aber der Titel verleiht das Recht, Hermelin zu 
tragen, und in diefem Aufzug bei allen Feierlichkeiten tiber 
die Zurba aller übrigen Graduirten gleich einem Edelmann 
über den Sahnhagel hervorzuragen, und ift zudem noch die 
PBorbedingung einer Aufnahme unter die Richter der Ec- 
clesiastical courts; hier, meinen die guten Engländer, habe 
das roem. Eaiferlihe ‚ Recht’ in aller Reinheit fih erhalten. 
Sch bin der Meinung, daß es zwar fchlimm ift, die Sache zu 
verlieren, aber doch immer noch befler Name und Form bei- 
zubebalten, als auch diefe der Vernichtung preiszugeben. Ich 
glaube auch, Daß ich in dDiefem Punkte nicht nur roemifch und 
fchweizerifch, fondern auch ganz engliſch denke. Was Vielen 
als Kinderspiel und verwerfliher Pomp erfcheinen mag, 
machte damals auf mich einen ganz andern Eindrud. “Geier: 
lichkeiten und Formen find nur dann hohl und lächerlich, wenn 
willführlich erfunden und angeordnet; ftammen fie aus alter 
Zeit, jo verfehlen fie nie, die Ehrfurcht vor der Vergangenheit 
zu befeftigen und dem Gemüth die VBefreundung mit der- 
felben werth zu machen. tr. v. Raumer’s wegwerfendes Ur- 
tbeil über die Englifchen Univerfitäten fchien mir eines 
gründlichen und befonnenen Hiftorikers unwürdig'®.) Sch be- 
griff und theilte den Unwillen, den alle Rreife des gelehrten 
Cambridge über den Vorwitz an den Tag legten, über jo alte 
Snftitute nach den oberflählichen Eindrüden eines Nach: 
mittags ohne Weiteres den Stab zu breden. Wäre ich 
nicht Basler, ich hätte wohl Fellow des Magdalen College 
werden mögen, deflen Genoſſen mir den Eintritt in ihre Kor⸗ 
poration anerboten. Es wäre nun wiederum fehr unhiſtoriſch 
und nicht weniger oberflählich, ald v. Raumer's oben- 
gerügtes Urtheil, wollte ich England’s Univerfitäten deutjcher 
Nachahmung empfehlen. Sie gehören als Theil mit zu dem 
großen Gebäude Englifcher Einrichtungen und Englifchen 
Lebens, und find auf andere gefellichaftliche Zuftände nicht 


312 


berechnet. Wenn ich fie nun alfo auch mit großem Lobe 
auszuftatten geſonnen bin, jo gefchieht dieß nicht mit irgend 
einem praftiihen Hintergedankfen, noch in befonderer Bezug— 
nahme auf Deutfchland. „Englands AUnftalten bezwecken 
Erziehung der höhern Stände des Landes, fie wollen 
weder Gelehrte bilden, noch Beamte heranziehen. Erziehung 
aber ift vieljeitiger als Gelehrfamlkeit, zumal Erziehung zum 
Englifhen Staatsbürger, zur Ausübung der Rechte und 
Pflichten, welche die Verfaffung und die Sitten des Landes 
zumal den auf jenen Hochfchulen vertretenen Ständen ein- 
räumt. Dieſer höhere Zweck würde durch Fakultätsftudien 
nicht erreicht, am allerwenigften durch eine Verweiſung auf 
fich felbft, und durch volle Unabhängigkeit fowohl in Betreff 
der Studien als namentlich außerhalb der Studienzeit. Da: 
ber in England der Anſchluß jedes Zünglings an einen be- 
ftimmten Lehrer, in deſſen Rollegiumsaebäude er dann feine 
Aufnahme nahhjucht, daher der ftete gefellfchaftliche Zufammen: 
bang unter ihnen, der fich felbft auf die Ferienzeit und die 
üblichen Continentaltouren erftredt. Sch fand damals meinem 
deuffchen Studentenleben noch fo nabe, daß mir der Gegen- 
fat desjelben zu dem Englifchen fo recht lebendig vor die Seele 
trat. Wie fteht ein 20jaehriger Süngling in Berlin oder Paris, 
wenn ihn das elterlihe Haus vertrauensvoll zum Studium 
entlafien hat? Die Trage ift gewiß der aründlichften Er- 
wägung werth. Für Vafel habe ich ſchon viel darüber nach— 
gedacht; denn, um eine Sache ganz praktiſch aufzufaflen, muß 
man gleich mitten in gegebene Verhältniſſe bineintreten. 
Auch babe ich die Hoffnung nicht aufgegeben, daB da noch 
einmal Aehnliches zu Stande kommen wird. Die Form ift 
am Ende gleichgiltig, wenn nur das Ziel, allgemeine Er- 
ziehung auf der Grundlage humaner Wiffenfchaften an der 
Stelle ausſchließlich erzielter Fachbildung, erreicht wird. 
Ohnedie dürfte, wenn die materielle Richtung, welche die 
Welt nimmt, zur Herrfchaft gelangt, die Wiffenfchaft wieder 
ein Priefterthbum werden, das, faatlicher Unterſtützung ent- 


313 


behrend, zu Privatmitteln und Privatthätigfeit jeder Urt 
feine Zuflucht nehmen muß. Dann erft wird es möglich fein, 
jenes deal zu verwirklichen und dem litterarifchen Prole— 
tariat mit allen übeln Folgen, die daran hängen, erfolgreich 
an die Wurzel zu gehn. — Mit Cambridge giengen meine 
längern Aufenthalte in England zu Ende. Sn den Manu: 
factur-Diftrikten verweilte ich nur fo lange, als die damals 
nod im Poſtwagen zurüdgeleate Reife es von felbft mit fi 
brachte. Etwas länger in Edinborongh, deſſen Aufenthalt 
mir dureh den Verkehr mit verfchiedenen Männern von Aus— 
zeichnung, unter andern mit Sir William Hamilton!®), Tieb 
geworden ift. Uber der gute Stern verließ mich ganz, feitdem 
ih von Glasgow aus die merkwürdigen, und für die Euro- 
päiſche Civilifation nicht bedeutungslofen KRlofterruinen der 
Snfel Jona befucht hatte. Von einem heftigen Nervenfieber 
überfallen, über zwei Monate zu Liverpool in einer unwirth- 
lihen Schenke auf dem Kranfenlager feftgebalten, den Tod 
vor Augen, aber dem Leben erhalten durch die liebevolle 
Pflege eines unvergehlichen alten Arztes, der jeßt felbft Längft 
naxdowv Ev vaooıs 17), — fo befchloß ich eine zweijährige, ſonſt 
fo glüdliche Abmwefenheit. Aber felten ermißt man am Anfang 
das Ende, fo fagt ein fchon zu Herodots Zeit altes Sprich: 
wort. Ein in Liverpool niedergelaflener Basler Handels: 
mann, der mir im Übrigen treulich beigeftanden, meinte, es 
wäre eine äußerft Eoftfpielige Sache gewefen, fih in Liverpool 
beerdigen laffen zu müflen. Es follte der fchönfte Glückwunſch 
jein, den er mir zu meiner Geneſung darzubringen vermochte. 
Jeder mißt die Dinge nach feinem Maßftabe. Am Ende ift 
auch das Geld wirklich oft mehr werth, als deſſen Befſitzer. 

Als ich wieder im Kreiſe der Meinen zurüd war, traf 
mir das Zrdornv Elayes!E) alsbald fehr ernft vor die Seele. 
Beim Umtaufh großer Verhältniſſe mit fo Heinen, wie fie 
mich jetzt umgaben, war jener philofophifche Troſt mir wirk⸗ 
ich fehr nöthig. Doch fand ich des Guten und Ehrwürdigen 
gar bald auch nicht Wenig. Das ift der Segen einer gründ- 


314 


lich und wahrhaft hiftorifchen Grundanfhauung der Dinge, 
daß der, welchem fie zu Theil geworden ift, in Allem, auch 
dem Kleinften, die gleiche Weihe erblidt, wie in dem Größten. 
Wahr fagt auch Frau von Staäl: « Les anndes passees " 
& l’etranger sont comme des branches sans racine. > 
Seftgewurzelt ftehbt man nur im heimathlichen Boden. Die 
großen Erfahrungen des Lebens Fünnen nur da gemacht 
werden, denn die Gefchide der Familien und Staaten voll: 
enden fich nicht in Einem Leben, fondern nur in einer ganzen 
Reihe aufeinanderfolgender Geſchlechter. Soll ih nun Ew. 
Erc. mitten in das Leben und Getriebe einer Heinen regfamen 
Schweizer Republik hineinftelen? Ich trage Bedenken, und 
Doch würde es Ihnen vielleicht ergehen wie mir damals, aus 
der Beobachtung und Iufammenftellung des Einzelnen würde 
ſich zulegt ein Gemälde gewinnen lafjen, das an Reichthum 
merkwürdigen und barofen Details manchem größeren wenig 
nachftände. Am meiften Belehrung enthalten immer die Zu- 
ftände, deren Entwidlung zum größten Theil fich felbft über: 
Laflen blieb. Zudem Tiegt in unfern Republifen alles jo offen 
und EHar vor Augen. Man fieht hier das Spiel aller Kräfte, 
aller Leidenfchaften, man fieht es nicht nur, man überfieht es 
auch. Die Zeit webt ihr Gewebe fo offen vor unfern Augen, 
daß Jeder das Schifflein fliegen, und Zettel und Einfchlag 
zu einem Gewebe fich verbinden fehen Tann. Darum find 
diefe Heinen Verhältniſſe fo reich an Belehrung, jo bildend 
für den Hiftoriker, der erft an der Stednadel die Kraft des 
Eifens entdeden muß, ebe er daran denkt, fie an großen 
Maflen in Anwendung bringen zu wollen. — Sn öffentlichen 
Gefchäften mitzuwirken, in welcher Stellung es immer fei, 
dem Tann fih bier Niemand entziehen wer ftudiert hat, am 
Wenigften wer fih ven Rechten ergeben, und es zum J. U.D. 
hinter feinem Namen gebracht, und wie der Kaufmann fi) 
auszudrüden pflegt, Nichts zu thun hat. Studium bloß um 
des Studiums willen, das begreift ein Volk nicht, deſſen Cha: 
rakter vorzugsweife durch die Richtung auf bürgerliche Er- 


315 


werbstätigfeit ausgezeichnet if. Die Meinung jenes grie- 
chiſchen Mathematikers, jede Wiffenfchaft verliere an Werth 
und Reinheit, fobald fie in die Praris berabfteige und auf 
nützliche Anwendung ausgehe, ja fie verdiene ihren Namen 
nicht mehr, fobald fie das Reich der reinen dee, ihre wahre 
Heimath, aufgebe, diefe würde bier dem Wahnfinn jener 
Sndifchen Philoſophen gleichgeachtet werden, welche ihr Leben 
auf der Höhe einer Säule zubringen, regungslos und ohne 
den Wunfch, ihren Fuß je wieder auf die Erde zu feßen. 
Meine Pläne waren indef mit diefer Hffentlihen Meinung 
meines Vaterlands in entfchiedenem Widerfprud. Nach all 
den AUbfchweifungen in Frankreich und England drängte es 
mi, in meinem geiftigen Heimathland, der Philologie und 
Aurisprudenz, mich ruhig niederzulaflen. Sch unternahm da- 
mals die Arbeit über das Voconifche Gefeß!?), und die andere 
über das Altrömifhe Schuldrecht?°), die als Zugendverfuche 
auch beide dem Drud übergeben worden find. Vielleicht hätte 
die Verbindung der VBoconifchen Hauptbeftimmung mit dem 
Legatum partitionis mehr Beachtung verdient. Die als 
Manuser. gedrudte Antrittsporlefung „Das Naturrecht und 
das geichichtlihe Recht“?), womit ich meine Vorleſung 
über roem. Rechtsgefchichte eröffnete, ftieß die philofophifchen 
Naturen durch die Anerkennung jeder gefchichtlichen Erfchei- 
nung, die Staatskünftler durch die Hervorhebung eines 
höhern, von menſchlicher Willführ unabhängigen Urfprungs 
der Rechtsſyſteme. Während der Eine mir vorwarf: Wollen 
Sie denn gar Nichts Höheres, abfolut Wahres gelten laſſen?, 
meinte der Andere: Sollte denn das Recht wirklich fo tief 
fiten, und ihm gegenüber die Thätigkeit des Geſetzgebers 
wirklich eine fo befcheidene Rolle jpielen? Ich Eonnte mich 
alfo rühmen, zwei ganze Klaſſen von Menfchen, auf.die ich 
es eben abgefehn hatte, in Unruhe und Alarm verfegt zu 
haben. Dennoch verzweifelte man nicht an mir. Es fei viel- 
leicht eine Probe zu wagen. Eine revolutionaire Natur fei 
ich einmal entjchieden nicht, vielleicht eher umgekehrt allaufehr 


316 





Savignyaner. Kurz, bei der nächiten Bacanz einer Kriminal 
Richterftelle wurde ich vom großen Rathe zum ordentlichen 
Mitglied des Basler Rriminalgerichts, und von diefem felbft 
einige Zeit fpäter zum Statthalter, d. h. zum PVice-Präfi- 
denten befördert. Der Arbeit und Situngen gab es nun 
genug, aber auch der Belehrung, und diejes auf einem Felde, 
das mehr als andere Theile der Rechtswiflenfchaft auch dem 
tiefern Seelenleben des Menfchen angehört, und in die Ge- 
beimnifle feiner rätbjelhaften dunfeln Gründe bineinführt. 
Das mündliche Stimmgeben von zwölf den verjchiedenen 
Ständen und Lebensaltern angehörenden Männern brachte 
mich von Anfang an mit verjchiedenen Denk- und An— 
ſchauungsweiſen in belehrende Berührung, und ich hatte gar 
oft Gelegenheit, die juriftiihe Seite der Dinge, die mir zu— 
nächſt zu betonen fchien, durch andere nicht weniger berech- 
figte, zu ergänzen. | 

Sn wie wenige Worte gebt Doch jet zufammen, was 
damals Monate und Zahre erfüllte! Wie thatkräftig fühlt 
fih der beranreifende Mann, wenn er zuerft feine Renntniffe 
im praftifchen Leben erprobt und Gelegenheit findet, fich, mit 
Menſchen und Dingen zu meflen! Uber meine Hoffnung 
auf ungetheilte willenfchaftliche Ihätigfeit war wieder da— 
hin. Doch fand ih auch dafür nicht unbeträchtliche Seit. 
SH fieng damals an, meinem Plane, alle Klaſſiker, jurifti- 
ſchen und nichtjuriftifchen Inhalts wenigftens Einmal durch- 
zulefen, Ausführung zu geben, und ftudierte Daneben auch die 
Hauptwerfe der heutigen Litteratur, insbefondere vom Be— 
fiö, von der Litis Contestation, von der Culpa. Z3wei 
Jahre waren feit meiner Rüdkehr verflofien. Da beftimmten 
mich Erfhöpfung fowohl als unmwiderftehliche Sehnfucht zu 
einer Reife nah Stalien. Den Boden meiner geiftigen Hei- 
math wollte ich auch einmal mit eigenen Augen ſehen, und mich 
überzeugen, ob dort wirklich «in altisono caeli clupeo>22) 
die Sonne fo viel fehöner jcheine, als bei und. O daß ih 
es Doch nicht wahr gefunden hätte! Sch wäre jet von einer 


317 


großen Sehnfucht weniger gemartert. Seder beftimmte Einzel- 
zweck bätte mir für mein Unternehmen zu gering gefchienen. 
Mit Bildern aller Art wollte ich mein Inneres bereichern, 
zwar auch den Augenblid genießen, Doch aber das DBefte für 
künftige Seiten bei Seite legen. Gerade davon kann man 
Andern nur wenig mittheilen. Wie wenige von unfern Grund: 
anſchauungen laſſen fi) ausfprechen. Der Eün. Hannoverfche 
Minifterrefident beim Päbftlihen Stuhle, Legations-Rath 
AU. KReftner, Lottens vierter ganz fürzlich erft verftorbener 
Sohn, der damals eben bei gemeinfamen Verwandten in 
Bafel einen Sommer verbrachte, gab manche Anleitung und 
verſprach auch für Rom felbft thätige Hilfe??). Mit Empfeh- 
lungen an den Senator Sclopis?*) zu Turin, an Bartolommeo 
Belli, einen gelehrten Advokaten zu Rom, fo wie zu Neapel an 
Mancini25), der einer felbft errichteten Rechtsfchule mit Erfolg 
vorftand, hatte mich die Gefälligkeit des Herrn Prof. Mitter- 
maier?®) ausgerüftet. Meine Vorbereitungen litterarifcher Art 
befchränften fih auf das Studium zweier Werke, Blume's 
Iter Italicum??) und Winkelmanns Gefhichte der Runft mit 
Fernow's Anmerkungen. Das eritere gab einige gelehrte 
Notizen, half mir auch fpäter in den Vibliothefen von Mai- 
land, Turin und Rom, wo die Collation einiger Reden 
Cicero's, befonders auch der Philippicae orr. mich einige 
Zeit beichäftigte. Aber dem Umgang mit Winkelmanns 
Merken danke ich einen Genuß weit höherer Natur, und eine 
der Ichönften Blüthen, Die mir das Leben überhaupt geboten. 
Sn den Regionen, welche er mir eröffnet, habe ich feither oft 
und lange verweilt, am meiften, wenn alles Andere reizlos 
zu werden drohte. Die Betrachtung der alten Kunſt ge: 
winnt dem klaſſiſchen Alterthum unfer Herz, das Studium 
der Zurisprudenz unfern Verſtand. Erſt beides verbunden 
bringt einen harmonischen Genuß und befriedigt beide 
Hälften der geiftigen Menfchen-Watur. Philologie ohne 
Umgang mit den Kunſtwerken bleibt ein lebloſes Skelett. 
Das Id quod decet, das was Archias bei Cicero als das 


318 


Höchfte erklärt in omni arte?®), zugleich aber gerade für das- 
jenige, was man nicht lehren und nicht erlernen fünne, das 
nimmt man aus dem Umgang mit der alten Runft gleichfam 
als jeinen Antheil nah Haufe. In allem Maß und in 
allem Fülle, die höchfte menjchlihe Harmonie, das ift des 
Räthiels Löfung, die aus ihren Erzeuaniflen ſpricht. Sie 
verwirklicht im Bilde jene weroorns??), die dem Ariftoteles 
deßhalb als das wahre Weſen der Tugend erfchien, weil fie die 
Maßloſigkeit, welche des Menſchen Seele eigenthümlich ift, 
ausichließt. Allerdings darf man jene Frucht nicht gerade 
von dem gelehrten Studium oder von der Kenntniß und dem 
Zufammentragen eines ungeheuren Apparats erwarten. An 
KR. D. Müller?) ift zu erfehen, wie man großer Meifter 
diefes Stoffes und doch nicht fonderlich fähig fein Tann, 
dem Kunſtwerke als folchem fich ‚hinzugeben. Sn der Ver: 
bindung beider Vollkommenheiten, in der Verbreitung der 
antifen edeln, nicht der modernen tanzmeifterartigen Grazie 
über das ganze Werk, darin liegt der Zauber von Wintel- 
mann’s Kunſtgeſchichte. Man fieht es ihr an, fie ift unter 
der wärmeren Sonne Stalieng gefchrieben, wo man alles 
tiefer fühlt, Schmerz und Wonne und den wahren Gehalt 
der Dinge, fie ſtammt nicht aus einer unferer verrauchten 
Studierftuben, die der ranzige Geruch des Talglichts oder 
der Dellampe mit Qualm erfüllt. Unter den Lebenden, 
deren Werfe mir zur Kenntniß gekommen, kann etwa bloß 
der Herzog von Lupnes®!) fich ähnlicher hoher Anlage und 
einer gewiflen Rongenialität mit dem Stoffe rühmen, den er 
behandelt. Nicht der Mann bat feine Wiſſenſchaft, fie hat 
vielmehr ihn auserforen. Ws ih die Mufeen Staliens 
durchiwanderte, trat mir aus der ungebeuren Fülle ihrer 
Reichthümer mehr und mehr Ein Gegenftand bervor, in 
welchem fih das Altertum von einer feiner fchönften Seiten 
darftellt, das Gräberweſen. Wenn ich die tiefe Innigkeit 
des Gefühls, verbunden mit der wärmften Humanität, 
welche diefen Theil des alten Lebens auszeichnet, betrachte, 


319 


fo Shäme ich mich der Armuth und Dürre unferer heutigen 
Welt. Sn den eilf Jahren, welche feit dem erften Eintreten 
in dieſen Gegenftand verfloflen find, haben fi meine 
Golleftaneen aus Scriftftelern und Dentmälern zu einem, 
mich beinahe erfchredenden Umfang vermehrt, big jegt aber 
feine andere Anwendung gefunden, als die nöthig war, um 
in drei Vorträgen einer biefigen gelehrten Geſellſchaft theils 
die Wichtigkeit des Gegenftandes für alle Zweige der 
Altertbumswiflenichaft, theils meine Grundgedanken dar- 
zulegen, theils endlich durch Hinweifung auf Einzelnes die 
eigentbümliche Poefie der alten Gedanken fühlbar zu machen. 
Inerfchöpflich beinahe ift es, was fi Alles an die Gräber 
anfnüpfl. Man glaubt einen ganz fpeziellen Gegenftand der 
Runft-Archeologie unter den Händen zu haben, und findet 
fih zulegt in mitten einer wahren Univerfaldoctrin. Dur 
ein enges Pförtchen ift man eingetreten, und nun blidt man 
erftaunt empor in die hohen Räume des ſchönen Pallaftes, 
entzüdt ob ihrer Geräumigfeit, ihrer befriedigenden Verhält— 
nifje, ihrer herrlichen Ornamentif.?2) 

Sp wie aus den Gräbern alle jene Schäße ftammen, 
welche unjere Mufeen erfüllen, fo verdankt auch die menſch— 
lihe Civilifation den Gräbern mehr als man vermuthet. 
Nomadiſchen Zuftänden find fie das erfte und einzig Zefte, 
wie denn auch Agathyrſus, der Scythe, bei Herodot dem 
Darius erklärt, zum Steben werde er feine Nomaden erft 
dann bringen, wenn er ihre Gräber angreife. Für die 
Zodten bat man eher gebaut als für die Lebenden, und 
wenn für die Spanne Zeit, die diefen gegeben ift, vergäng- 
liches Holzwerk genügt, jo verlangt die Ewigkeit jener Be: 
haufung den feften Stein der Erde. Diefen Gegenfat heben 
die Memphiten Aegyptens bei Diodor ausdrüdlih hervor. 
Sn allen hohen Dingen dachten die älteften Menfchen richtig 
und groß, wie man e3 von denen zu erwarten berechtigt ift, 
die ihrem ewigen Urfprung noch fo nahe ftehen. Kinder 
waren fie bloß in den Künften des täglichen Lebens, und 


320 


hätten es hierin wohl bleiben können. An den Stein, der 
die Grabftätte bezeichnet, knüpft fich der ältefte Kult, an das 
Grabgebäude der ältefte Tempelbau, an den Grabihmud 
der Urſprung der KRunft und der Drnamentif. An dem 
Grabftein entftand der Veariff des Sanctum, des Unbeweg- 
lichen, Unverrüdbaren. Wie er bier gebildet, fo gilt er 
nun auch für Grenzpfäle und Mauern, die daher mit den 
Grabfteinen zufammen den Kreis der res sanctae aus— 
machen. Sn ihnen fieht der alte Menſch ein Bild jener 
Urkraft, die in der Erde wohnt, und deren Symbol daher 
auch auf allen dreien angebracht worden ift. Die Erde [endet 
Grabfteine, Grenzpfähle und Mauern gleihjfam aus ihrem 
Schoße hervor, wo fie, wie Plato jagt, zuvor fchlummerten. 
Der Phalus ift ihre Marke, und es konnte daher in der 
älteften Seit die Meinung entftehn, ein entdedter, aber 
liegengelaffener Schaß bringe dem Enthaltſamen Segen ins 
Chebett. An die Gräber knüpft fih der Altarkult, ja das 
Grab ift felbft ein Altar, bei den älteften Völkern fo gut 
als in den chriſtlichen Katakomben. Ueber der Stätte des 
Leichnams wird dem Geber des Lebens geopfert. Sn den 
Gräbern hat ſich das Symbol gebildet, jedenfalls auch am 
längiten erhalten. Was am Grabe gedacht, empfunden, fill 
gebetet wird, das Tann fein Wort ausfprechen, fondern nur 
das in ewig gleihem Ernfte ruhende Symbol ahnungsreich 
andeuten. Durch und durch war das Alterthum ſymboliſch, 
am längſten und tiefften in feiner Runft. Daß die Römer 
aus ihrem Rechtsleben die Symbolif entfernt, zeigt wie 
jung fie find der taufendjährigen Kultur des Oftens, und 
felbft der Italiens gegenüber, rechtfertigt aber noch lange 
nicht, fie als Rationaliften zu bezeichnen, wie Mommfen 
das in feiner Religion und feinem Altertum fo tief und 
feftgegründete Volk mit frevelhaftem Ausdrucke benennt. 
Soll ih auch die Epigraphif und Epigrammatik und fo un: 
endlich Viel anderes noch aufzählen, womit die Gräber 
zulammenhängen, um das Interefle zu erklären, das fie ein- 


321 a 


flößen? Sch will lieber noch des Genufles gedenken, den 
der Beſuch alter Gräberftädte mir gebracht hat. Es giebt 
zwei Wege zu jeder Erfenntniß, den weitern, langfameren, 
mübfameren verftändiger Rombination, und den fürzern, der 
mit der Kraft und Schnelligkeit der Elektrizität durchfchritten 
wird, den Weg der Phantafie, welche von dem Anblid und 
der unmittelbaren Berührung der alten Refte angeregt, ohne 
Mittelglieder das Wahre wie mit Einem Schlage erfaßt. 
Un Leben und Farbe ift das auf dem zweiten Wege Er: 
worbene den PVerftandesproduften mächtig überlegen. Es 
hält auch länger nad) und bietet mehr Genuß, gewiß im 
Alter noch, wenn man mit Cato fagen fann tamen talia 
cogitantem hic me lectulus delectat??). Die Gräberftädte 
Süd-Etruriens liegen der großen Heerftraße, welche von 
Slorenz nah Rom läuft, fo nahe, und find doch fo wenig 
beſucht. Gaftel d'Aſſo, Vorchia, Bieda, Toscanella, Cor- 
neto erregen nicht die traurigen Gefühle wie neuere Stätten 
menſchlicher Vergänglichkeit. Gleich wie an die Ruinen 
Roms knüpft ſich auch an jene nur der Gedanke des end- 
fihen nothwendigen Aufhörens aller menfchlihen Dinge. 
Kein jchmerzliches Gefühl mifcht fich in die Betrachtung des 
natürlichen Ganges der Entwidlung, und dieſe Ruinen 
erinnern eher an die Macht als an die Schwäche der menfch- 
lihen Dinge. Ich liebe die Völker und Zeiten, die nicht 
für den Tag arbeiten, jondern in all ihrem Schaffen die 
Ewigfeit vor Augen haben. Sie verdienen, daß ihre Gräber 
noch da ftehen wie am Tage ihrer Errichtung. Die Dinge, 
von welchen man glaubt, daß fie einmal aufhören, koͤnnen nie 
Befriedigung geben. Die Zerſtörung, welche das üppige 
Wuchern der Vegetation an den Grabfacaden bervor- 
gebracht hat, ftört nicht im Mindeften. Man zürnt der 
Wurzel nicht, welche gleich einem künſtlich eingefchlagenen 
Keile die Dede geiprengt oder ein Stüd des Portals los— 
getrennt und in die Tiefe hinabgeftürzt hat. Die Stille der 
Natur ift die würdigfte Umgebung einer ewigen Wohnung. 


322 


Wenn den Menfchen Alles verlaflen hat, fo umfchlingt noch 
die Erde liebevoll mit ihren Gewächſen das fleinerne Haus. 
Sm Sinne des Alterthums ift das nicht etwa nur ein Bild, 
fondern eine Wahrheit, und dafür gibt es ung Cicero. Alle 
jene Nefropolen liegen zur Seite eines Gewällers. Das 
Gemurmel der Woge ſcheint dem Todten fein ewiges Lob 
zu raufchen, wie fi ein Epigramm der Anthologie aus- 
fpriht, und nah Aeſchyſus im Prometheus beweinen der 
heiligen Ströme riefelnde Quellen ihre Trübfal. Auch das 
find nicht bloß Bilder, fondern Wahrheiten, wie fie aus 
dem innerften Gehalt der alten Naturreligionen fich ergeben. 
Für uns freilih ift das nur noch Poefie, deren reichite 
Quelle in der Aufdedung der innern Beziehung zwiſchen 
den Erfcheinungen der leblofen Natur und unfern Empfin- 
dungen liegen dürfte. Ergreifender werden alle dieſe Ein- 
drüde noch durch die gänzliche Dede und Zerlaffenheit der 
alten Grabftätten. Wer fie betritt, glaubt fie zu entdeden. 
Uber diefe Stille erfcheint als eine Huldigung der Lebenden 
gegen die Todten. Zwiſchen fie und uns tritt nichts in die 
Mitte. Die Sonne durhmwärmt und erhellt fo wunderbar 
diefe Rubeftätten der Todten, und übergießt die Site des 
Schredens mit dem Sauber des wonnereichen Lebens. 
Steilih möchte man nun willen, Wem jedes diefer Ge- 
bäude gegolten, ob Trauer oder Prunffucht es errichtet, ob 
die Thräne, welche es weihte, naß war oder nit. Dem 
Edeln wird fi) wohl damals wie heute viel fremder und 
bäßlicher Stoff angehängt haben. Aber Gedanken diefer Art 
freten vor der Macht des Gefamteindruds zurüd. Wie viel 
Schönes muß eine Zeit in fih getragen haben, die noch in 
ihren Gräbern folche Sehnſucht nach ſich zu erweden vermag! 
Sch zweifle, daß Refte unferer Kirchhöfe künftigen Seiten 
gleiche Theilnahme erweden. Und noch habe ich der bild- 
lichen Grabvorftelungen auf Vaſen und Sarkophagen Feine 
Erwähnung gethan. Wie groß ift die Zülle der fchönften 
ethiſchen Ideen, welche die Alten ihrem reihen Mythenkreiſe 


323 a 


entlehnten! Derfelbe Schaß, welcher ihre älteften Erinne- 
rungen über die Gefchichte von Land und Volk in fich ſchließt, 
dient zugleich als Darftelung der höchften fittlichen Wahr⸗ 
heiten und als Ausdrud des Troftes und der Hoffnung für 
Sterbende. So erfcheint die verwundete Denthefilea ihrem 
Befieger Ahil im Augenblide ihres Todes doppelt ſchön, erſt 
an der Sterbenden entdedt er die ganze Fülle von Liebreiz. 
Es ift Plato, der uns diefe Bedeutung des Vildes enthüllt. 
Sch verlaffe einen Gegenftand, der mir immer neue Reize 
entwidelt, und der in feinem Zuſammenhang und feiner Ge- 
famtheit noch nie Gegenftand der Betrachtung geweſen ift. 
Sm Genuß folcher Gegenftände, im Verkehr mit Livius und 
Tacitus, im Umgang mit den Reften des Alterthums, in ge- 
feligem Verkehr mit den Gelehrten des kön. Preußifchen 
Archeolog. Inftituts und italienischen Gelehrten, im vollen 
Gefühl der Herrlichkeit des Landes und feines Klimas führte 
ih damals ein reicheres Leben als irgend ein König der 
Erde. Ya, es hängt an den Mauern Roms Etwas, das das 
Tieffte im Menſchen aufregt. Wenn man eine Metall: 
Iheibe fchlägt, jo tönt das Erz fort, bis die Auflegung des 
Fingers den Schwingungen ein Ende madt. So berührt 
auh Rom den mit dem Alterthum verfehrenden Geift. Ja 
ein Schlag folgt dem andern, bis alle Saiten des Menfchen 
fih rühren und regen, und er zulest inne wird, was Alles 
bisher in ihm ſchlief. Sch habe aus jenem Aufenthalt in 
Rom einen größeren Reichthbum des Geiftes, für mein fol- 
gendes Leben einen tiefern Ernſt der Seele, für meine Studien 
einen lebendigern, pofitivern Hintergrund mit nach Haufe ge: 
bradt. Das Rad des Lebens hat fih dort ein tieferes Ge- 
leife geholt. Unter die liebften Bilder meines Innern ge- 
hört immer noch die Campagna. Oft zieh ich den Vorhang 
von ihr hinweg, und folge mit Entzliden den Tanggezogenen 
Schattenlinien, welche die Abendfonne auf den weiten grünen 
Plan diefes für die Weltgefchichte unvergleichlich wichtigen 
Stüds Erde hinzeichnet. Es ift in feinem Elend und feiner 


324 


bettelbaften Nadtheit Doch unendlich reicher als das beft- 
bebaute Rönigreich der Erde. So viele Kronen zieren Italiens 
Stirne, noch mehrere als ihrer der Pabſt trägt. Hier bat, 
um mit Plato zu reden, der Fuß der Unfterblichen mehr als 
nur eine Spur zurüdgelafien. Aber die menfchliche Forſchung 
bat, ftatt ihnen nachzugehen, mehr als eine abfichtlich ver- 
wilht. In Dunft und Nebel hatten fie alles aufgelöft, die 
Hpperboreer, die in ihrer Vermeflenheit es für möglich hielten, 
die großen Seiten der alten Welt zu den Kleinen Propor- 
tionen ihres eigenen Hauptes auf die Dauer zu erniedrigen. 
Stalieng goldne Zeit, deren Glanz jelbft die Blüthe des 
XVI. Zahrhunderts nicht tiberftrahlte, Roms große Epoche 
unter den fieben Rönigen, Alba’s Reich, Pythagoras’ echt 
italifhe Weisheit, und fo vieles Andere, es war dem 
Heinen Gefchlechte zu groß, man ſchnitt es in Stüde, wie jene 
gewaltigen Mauerfteine der alten Zeit, deren man fonft nicht 
hätte Herr werden fünnen. Es blieb Nichts als Gefchichte 
ohne Perjonen, Ereigniffe ohne menfchliche Träger, Gefeß- 
sebungen ohne Gefetgeber, Städtegründungen ohne Gründer. 
Mit diefen negativen Anfchauungen ausgeftattet, betrat ih 
den Boden Italiens. Als Republifaner kam ich nah) Rom, 
der von fieben Rönigen Nichts willen wollte, als Ungläubiger, 
der feiner Tradition ein Recht einräumte, als Abentheurer, 
der gerne fein Schiff der hohen See anvertraute, ftatt furcht- 
fam dem Slfer entlang zu fteuern und das feite Land nie aus 
den Augen zu verlieren. Das Alles ift in Stalien geblieben. 
Sch hätte es gerne einem der alten Landesgätter zum Ab— 
Ihiedsopfer dargebracht. Aber fie verhüllten alle ihr Antlitz 
noch böfe über die Entweihung der alten Seit. In meinem 
Kopfe gewann allmälig Alles eine fo völlig verfchiedene Ge— 
Kalt.  Stalien flieg herab von dem Sfolirfchemel, auf dem 
e3 die Gelehrten fo lange feitgehalten hatten. Seine Bildung 
trat in das Verhältniß der Abſtammung zu dem Often, es 
wollte mir fcheinen, als könne überhaupt eine Einzelkultur 
unmöglich richtig aufgefaßt werden. Immer fefter begründet, 


325 


immer unzweifelbafter erfchien mir die Tradition. Immer 
weiter hinauf ſchien mir die Gefchichte zu reichen, immer 
größere Proportionen anzunehmen. War mir Roms Gründer 
als ein wahrer Stalifcher Adam dargeftellt worden, fo erblidte 
ich jest in ihm eine fehr moderne Geftalt, in Rom den Schluß: 
fein und Untergang einer Periode taufendjähriger Kultur. 
Kurz, ich wollte nicht länger ftatt der Göttin ihr Iuftiges 
Trugbild umarmen. Schon aus jener Zeit ftammt der fefte 
Entihluß, Staliens alter Gefhichte die fefte Grundlage 
wieder zu geben, die man ihr unter den Füßen weggezogen, 
und in allen Dingen den Stoff als meinen Lehrmeifter anzu: 
erfennen mit derjenigen Befcheidenheit des Geiftes, von der 
es mit Recht heißt, fie hauptfählich bringe Gelehrſamkeit?). 
In Folge diefer geiftigen Revolution war es mir unmöglich, 
nad meiner Rückkehr das alte Rollegium über Rom. Rechts: 
gefchichte wieder anzufünden. Meine alten hiftorifchen An: 
ſchauungen waren zu ſehr erfchüttert, die neuen noch nicht ge: 
börig ausgebildet. Sch wählte Gajus. Interpretation einer 
alten Quelle war meiner damaligen Geiftesverfaflung am 
entfprechendften. So faßte ich auch damals den Plan, das 
ganze corp. iur. civ. zu lejen, Fragment nah Fragment zu 
überlegen und zu annotiren. Dieß ift mehrere Jahre hin- 
durch das tägliche Brot geblieben, von dem ich lebte. Alle 
andern Gedanken und Pläne traten davor einftweilen in den 
Hintergrund. Sie find feither, jo lange im Geifte mit mir herum⸗ 
getragen, der legten Reife nähergekommen. Aus der Zeit jenes 
ftilen Studiums Tann ich wenig bervortretendes melden. 
Bon allen Büchern hatte mid) das XXte35) am meiften 
mit Beſchlag gelegt. Auf Alles das Pfandreht Betreffende 
gab ich auch bei den übrigen Abjchnitten am meiſten Obadht, 
und kehrte zulest mit Vorliebe zu jenem Buche zurüd. Hier 
ſchien es mir vorzüglich des Preifes werth, in die antike 
Auffaffung einzudringen; denn die meiften Schwierigkeiten 
der Lehre wurzelten entjchieden in den gangbaren begriffs- 
artigen Dogmen, welche die Doctrin über den Gegenftand 


326 


aufgeftellt hatte. Man jagt fo oft, die römifchen Yuriften 
-rechneten mit Begriffen, ja in diefer Kunſt rejumiere fi 
hauptfächlich ihre Vortrefflichkeit. Sch glaubte an dem Pfand- 
recht zu erkennen, daß fie in der Regel mit ganz andern Fac⸗ 
toren rechnen als mit Begriffen und Begriffs-Confequenzen. 
Das Bud, das jener Zeit feine Entftehung verdankt, fand 
beinahe mehr Anerkennung, als ich erwartet hatte. KReller?®) 
vergalt mit feiner Recenfion diejenige, in welcher ich früber 
den erften Band feiner Semeſtria befprochen hatte. Uber 
der größere Theil meiner Arbeit, die einläßliche Behandlung 
der missiones in possessionem, bat in den mehreren Zahren, 
die feit ihrem Erfcheinen verftrichen find, wenig VBerüdfichti- 
gung gefunden, ich denke weil der genannte Gegenftand nicht 
zu den beneidenswerthen Stüden des heutigen roem. Rechts 
gehört. Von dem zweiten Bande find bloß die zwei eriten 
Abſchnitte ausgearbeitet. Sch wollte erft durch Eeinere Ar- 
beiten mich noch zu etwas mehr Geſchick erheben. Cine 
Sammlung von zehn derfelben habe ich als ausgewählte 
Lehren des roem. Civilrechts zu Bonn bei Marcus erfcheinen 
laffen?”). Studien über die falcidifche und trebellianifhe 
Quart behielt ich in meinem Pult. Ueber Recuperatio und 
Municipium [as ich in der biftorifchen Gefellfchaft. Ebenfo 
über die Gefchichte der Freilaſſungen. Die Steuerverfafiung 
des roem. Raiferreichs vor Conftantin hatte ich zur Vorlefung 
in der Philologen-Berfammlung zu YBafel ausgearbeitet??). 
Als der beftimmte Tag erſchienen war, hinderte mich Kopf— 
fchmerz am Erjcheinen. 

Was mid in diefen Befchäftigungen theoretifcher Natur 
am meiften unterbrah, waren praftifche Arbeiten, zu denen 
mich neue Öffentliche Ehren in größerer Abwechſelung als 
früher verpflichteten. Vom Kriminalrihter zum Mitglied 
der zweiten und lebten Inſtanz befördert, ſah ich mich jetzt 
zum erften Male mit der Civiljurisdiction in größerem Ver— 
ehr, und zum Großrath erwählt, Fam ich auch hie und da 
zur Theilnahme an gefeßgeberifchen Arbeiten. Die erftere 


327 


Stelle befleide ich nun ins 10te Zahr. Die zweite Dagegen 
habe ich, mit der Richtung der fchweizerifchen Politik in der 
Neuzeit nicht einverftanden, und Doch überzeugt, daß fieg: 
reihen Meinungen gegenüber die Rolle ewiger Oppofition 
mehr erbittere als nüße, bald nach der Wallifer Verfaffungs- 
angelegenheit niedergeleat??). Der wenige Jahre fpäter aus- 
gebrochene Sonderbundsfturm, diefe That einer von dem Fan: 
tonalen auf das allgemein eidgendffifche Gebiet hinüber: 
fchreitenden und felbft ſchon zu europäifcher Wirkſamkeit fih 
vorbereitenden Umſturzpartei, bewahrbeitete meine Voraus: 
fiht des nabenden Untergangs der alten Schweiz. Ich hatte 
der entfcheidenden Landsgemeinde am Rothen Thurme bei- 
gewohnt, und in der Basler Zeitung eine Befchreibung der: 
felben veröffentliht. Cine berbe Enttäufchung wurde mir 
nicht erfpart. Dach den angehörten Reden hatte ich die 
Widerftandsentfchlofienheit höher angefchlagen. Zur Täu— 
ſchung gefellte ih Scham. Von einem folhen Falle erhebt 
man fih nicht wieder, man wird höchſtens durch die An- 
firengung eines Dritten wieder auf die noch zitternden Beine 
geftellt. Die alte Schweiz war mir fein deal, auch will 
ich der neuen ihren gewaltfamen Urfprung nicht zu hoch an- 
rechnen, diefer Hebt Reichen und Zufländen an, welche fich den- 
noch jehr legitim benehmen, — aber ich erblidte und erblide 
heute noch in der Confoederation der 22 Kantone die einzige 
Form, welche mit Wahrheit und nicht bloß zum Scheine be- 
fteben kann, in der die Kraft und das Marf des Landes 
rubt, und mit welcher die guten und biedern Eigenfchaften 
meines Volkes aufs Innigſte zufammenhängen. Seit dem 
Siege von Luzern bat fih die Lehre von der Volksſouve— 
rainität und der Allgewalt der Demokratie zur praftifchen 
Grundlage unferer öffentlichen Zuftände ausgebildet. Ich 
zweifle nicht, daß fie zu allen, auch zu ihren äußerften Con- 
fequenzen fortichreiten wird, wenn es die Geftaltung Der 
Europäifchen Zuftände erlaubt, und nicht große Unglüdsfälle 
das Volk wieder zu den wahren Grundlagen eines gefunden 


328 


Staatslebens zurüdführen. Aber vollendete Demokratie ift 
der Untergang alles Guten. Republifen haben von ihr am 
meiften zu fürchten. Sch zittre vor ihrer Ausbildung, nicht 
um Hab’ und Guts willen, fondern weil fie uns in die Bar: 
barei zurüdwirft. Die Lehre von der Volksſouverainität 
Keht meinen tiefften gefchichtlihen und religidfen Sleber- 
zeugungen entgegen. Nicht Daß ich das Volk verachtete oder 
gar vor der Berührung mit ihm aus Ekel zurüdbebete, — 
al’ das Elend, dem es unterliegt, würde ihm eher mein Herz 
gewinnen. Nein, weil ich eine höhere Weltordnung an- 
erkenne, der allein Die Souverainität und Majeftät zukommen 
fann. Aus diefer höhern Weltordnung ftammt die obrig- 
“Teitliche Gewalt. Gie ift das Amt Gottes, fo lautet die 
roemijch-heidnifche ſowohl als die hriftliche Lehre. Auch das 
Richteramt ift von Gott, und der es übt, übt ein Recht höhern 
Uriprungs. Das Amt habe ich von Gott, nur die Berufung 
dazu flammt mir vom Volle. In dem erften Punkte ftimmen 
alle Zerfaflungen überein, in dem zweiten, der Verufung, 
mag unter ihnen die größte Verfchiedenheit berrfchen, das 
ift das weniger Wefentlihde. Darin nun findet die heutige. 
Demofratie ihre Verdammung, daß fie den göttlichen Cha- 
rafter der Obrigkeit vernichtet, und die göttliche Staats: 
ordnung in allen Stüden verweltliht. Schon oft habe ich 
iiber das wahre Wefen der Demokratie nachgedacht. Nun, 
laſſen ſich nicht alle ihre Erjcheinungen darauf zurüdführen, 
daß fie die Auflöfung jener Bande, welche des Menſchen 
Seele an ein Höheres knüpfen, darftellen, und jene Scheu ge- 
brochen ift, welche allein vermag, die wilden Leidenfchaften, 
die auf dem Grund der Geele lauern, darniederzuhalten. 
Denn das ift der Fluch der Demokratie, daß fie ihre Ver- 
wüftungen in alle Gebiete des Lebens hineinträgt, Kirche, 
Haus und Familie gerade am fehwerften ergreift, und für 
jede, auch die Fleinfte Frage den wahren Standpunkt verrüdt. 
Weil ich die Freiheit liebe, fo hafle ich Die Demokratie. Ya, 
die auf Selbitregierung rubende Freiheit eines tapfern, from: 


329 


men, gottesfürdhtigen, arbeitfamen Volkes, das feine Vor: 
fahren höher ftellt als fich, mit der Vergangenheit nie bricht, 
und feiner Nachlommen mehr gedentt als feines augenblid: 
lichen Genufles, — ja, der Genuß einer folchen Freiheit fcheint 
mir reicher Erfaß für manche Entbehrung. Größerer Wir: 
kungskreis, größerer Glanz der Lebensftellung für den Ein: 
zelnen, für die Gefamtheit größere Macht unter den Völkern, 
ein fchwerer wiegendes Wort in der Waofchale der Politik, 
das Alles mit feinen Vortheilen und feinem Nutzen entbehren 
wir. Was es uns vergeflen lehrte, war jene auf Selbſt— 
tegierung rubende, befcheidene altväterifch einherfchreitende 
Sreibeit, der fchönfte Schmud diefer herrlichen Gaue, das 
ftile Glüd der Heimath. — — Es gibt einen Zeitpunkt, wo 
das Öffentliche Leben der Staaten und Völker dem Fatalis- 
mus verfällt. Da fteben wir. Jeder fühlt es, daß man es 
jest muß geben laflen wie's Gott gefällt. Im Einzelnen 
kann noch vieles Gute gerettet, viel Neues Tüchtige gefchaffen 
werden. Die Beten fuchen den Wirkungsfreis der Munr 
cipal-Snterefien. Von hier aus hoffen fie fpäter einen Theil 
‚des verlorenen Gebiets wieder erobern zu können. Mir 
weiſen Studien und Vergangenheit vorzugsweife die richter- 
liche Thätigfeit zur Provinz an. Nach dem Gebot eines 
wahrhaft hiftorifchen Sinnes habe ich es über mich vermocht, 
in diefer Stellung weniger der übrigens verzeihlichen Eitel- 
feit des Gelehrten als größern Gefichtspunften des öffentlichen 
Wohls und befcheidener Unterordnung unter biftorifch ge: 
gebene Zuftände dienftbar zu fein. Die Zurisprudenz der 
Logik und der mathematifhen Deduftion auf dem Grunde 
römifch-rechtlicher Säße ift unferm Volke fremd, und feiner 
ganzen Geiftesanlage zuwider. Jene, die das Funftreiche, 
feine Gewebe einer ftreng wiflenfchaftlichen Disciplin dem 
funft- und anfpruchslofen Verfahren einer in Erwägungen 
der verfchiedenften Art feine Entfcheidungen fuchenden Ge: 
rechtigfeitspflege fubftituirten, die haben einer wiflenfchaft- 
lichen Vorliebe, vielleicht noch mehr dem DBedürfniß per- 


330 


fönlicher Geltung, ein Stüd der alten Volksweife zum Opfer 
gebracht und den Sinn des Volkes für wahre Gerechtigkeit 
geſchwächt. Geſetzbücher, fo abftrafter Faſſung, daß fie den 
Meiften unverftändlich bleiben, und Urtheile mit endlofen Er- 
wägungen weniger materieller als zumeift formeller Natur, 
gehören mit zu den Segnungen diefer neuen Errungenfchaft. 
" Sie haben das fchweizerifche Rechtswefen um feinen alten 
Reiz gebracht, um jene fo werthvolle Harmonie mit dem 
Ganzen der Vollsanfhauung, und die Weisthumartige Un— 
mittelbarfeit feiner oft Salomonifchen Entfcheidungen. Statt 
einfacher der Erkenntniß zu Hilfe kommender Richtfteige haben 
wir jet Gefeßbücher, deren Wortlaut entjcheidet. Go 
gründlich ift num fchon der Volksfinn verdorben, daß die An- 
fiht, ein Rechtsſatz ſei nur wahr, weil er fo im Geſetze ftebt, 
eine Schandthat werde nur darum mit Strafe belegt, weil das 
Geſetz fie ausdrüdlih als unzuläffig erkläre, felbft aus dem 
- Munde von Richtern vernommen werden Tann. Wenige 
Anfchauungsweifen dürften in ihren Confequenzen fo gründ⸗ 
lich verderblich fein als die gerügte, wenige auch der So— 
phiftit und unverftändiger Wortglauberei einen weiteren 
Spielraum einräumen. Als die mit Gewaltthätigfeiten jeder 
Art verbundenen Freiſcharenzüge zu gerichtlicher Beurtheilung 
gelangten, fonnte man jene Verwirrung der Meinungen aufs 
Detrübendfte erfennen. Wo ift das Geſetz, das Solches ver- 
bietet? Wir in Baſel find diefem verderblichen Umſchwunge 

der Meinungen, der in der Trennung von Verwaltung und 
Juſtiz einen befondern Anhalt gewann, zwar nicht entgangen. 
Doch ift in den meiften Zweigen der Zurisdiction ein gut 
Stüd des Alten gerettet worden. Damit hängt der eigen- 
ihümliche Reiz zufammen, welcher die biefige richterliche 
Praxis umgiebt. Er befteht in der äußerft freien Stellung, 
welche der hiefige Richter einnimmt. Die hiefige Stadt- 
gerichtsordnung von 1719 enthält in der marfigen Sprache 
jener Zeit gerade fo Viel, als zur Belehrung über die Grund- 
fäße jeder Lehre durchaus erforderlich if. Die Handhabung 


331 


im Einzelnen wird dem Richter gänzlich überlaffen. Er ift 
mehr als Gejetesmafchine, er ift Richter im vollen Sinn des 
Worts, berufen in feiner Intelligenz, feiner Lebenserfahrung 
und in feiner Moral die Gründe feiner Enticheidungen zu 
ſuchen. Selbſt die Verweifung auf die gemeinen befchriebenen 
Faiferliden Rechte ift immer nur als ein Fingerzeig des Ge: 
feßes, wo Belehrung zu finden fei, nie als Anerkennung der 
wörtlihen Geſetzeskraft des roem. Rechts aufgefaßt und aus: 
gelegt worden. Mit Citaten ift alfo nichts geleiftet, Stellen 
und Schriftfteller beweifen Nichts. Soll eine Meinung durch- 
gefochten werden, fo muß es immer mit innern Gründen ge- 
fchehn. SKeinerlei rechtlicher Gemeinbefit Tann dabei zum 
Ausgangspunkte genommen werden. Man ift genöthigt, die 
anerfannteften Rechtsregeln nad) ihrer innern Berechtigung 
zu fragen, um fie durch Demonftration der Anerkennung auf: 
zudringen. Männern gegenüber, welche mit römifchen An— 
Ihauungen nicht auferzogen worden find, hat dieß oft mehr 
Schwierigkeit ald man vermuthet. Uber die Handhabung 
des Rechts wird dadurch doch eine geiftigere.e Nie nimmt 
der Wortlaut einer Stelle, nie das adrös &pa*P) der Pytha— 
soräer die Mühe felbftftändigen Denkens dem Richter ab. 
Kein Raifonnement kann durch Berufung auf eine Stelle be- 
gründet oder niedergefchlagen werden. So fallen auch alle 
jene Reductionen heutiger Rechtsgeſchäfte auf die römischen 
Snftitute, dDiefe Betrachtung des Lebens in einem fremden 
Spiegel, diefe den wahren Standpunkt meift fo verrüdenden 
gezwungenen Analogien, völlig hinweg. Der Richter ift ge: 
nötbigt, den Gehalt der Dinge aus fich felbft zu meflen, und 
fo das gleiche Talent zu üben, was man ung an den alten 
AZuriften als eine ihrer hoben Trefflichkeiten fo fehr rühmt. 
Es fallen alle jene Banden, mit welchen die Praris in den 
meiften deutſchen Ländern belaftet, und an jedem geiftigen 
Aufſchwung gehindert if. Das e vinculis judicare?!) if 
unmdolih. Man ſchwimmt ohne KRorkbruft, und freut fich der 
freien Bewegung, mag fie auch oft mit Gefahr für den Richter 


332 


ſowohl als für die Partheien verbunden fein. Die Teft- 
ftellung des Sinnes ftreitiger Stellen, die in deutſchen Ur— 
theilen jo oft unendliden Raum wegnimmt, und fie zu wahren 
Abhandlungen umgeftaltet, fällt damit von felbft weg. Diefe 
bier angedeutete Eigenthlimlichkeit der biefigen Praris bat 
mich ganz befonders auf den wahren geiftigen Gehalt des 
roem. Rechts hingewiefen, und, weit entfernt, meine Achtung 
vor demfelben zu ſchwächen, im Gegentheil mich immer mehr 
von der Inentbehrlichkeit dieſes Studiums für alle Zeiten 
und alle Zuftände überzeugt. Aber freilich wird die Be— 
trachtungs⸗ und Lehrweiſe fich auch auf einen höhern geifti- 
gern Standpunkt erheben müflen. Das ift eine Anforderung, 
welche der Stand der Zeit und die Lage der Geiſter dringend 
an die Vertreter des Romanismus ftelt. Noch zeigt unfere 
Litteratur fo wenig Anlage, einen Schritt vorwärts zu thun. 
Uber das Bedürfniß dazu fpricht, wenn gleich immer noch 
unllar, aus einer beträchtlichen Zahl neuerer Werke, und 
wird auch wohl zu neuen Bildungen führen. Hat das roe- 
mifche Recht einmal als Geſetzbuch für Deutfchland zu gelten 
aufgehört, dann erft wird es die hohe willenfchaftliche Be— 
deutung erlangen, die ihm gebührt. 

Die Periode, deren Arbeit und Lehren ich eben be- 
fprochen babe, reicht bis zum Jahre 1848. Da entichloß ich 
mich zu einem zweiten römifchen Aufenthalte Wie erft 
Studien die Sehnfucht nach Italien, dann Stalien das Ver: 
langen nach neuem gründlichem Verkehr mit den Klaſſikern 
erwedt hatte: fo begann nun damals diefelbe Wechſelwirkung 
von Neuem, nur mit ungleich reihern Mitteln als das erfte 
Mal. Es ift au in der That mit Rom und Italien wie 
mit den Klaffifern. Sie paflen für jedes Lebensalter, und 
Ihließen fich jeder Entwidlungsftufe unfres Geiftes auf das 
Wunderbarfte an. Man Lieft denfelben Schriftfteller, man 
durchwandert das gleiche Land, aber neue Seiten unfers Ichs 
werden berührt, neue Gedanken fleigen auf. Sch hätte gerne 
dem auf verfchiedenen Gebieten Erworbenen fo manche ma- 


333 


terielle Ergänzung und meinem Geifte eine neue Anregung 
gegeben: aber die Ruhe, die dazu vor Allem erforderlich ift, 
wurde durch die wilden Leidenfchaften, die Rom zu ihrem 
Schauplage auserforen, auf die Dauer geftört??). Roffi fiel 
am zweiten Tage nach meiner Ankunft. Die Erftürmung des 
Quirinals, des Pabftes Flucht, die CEonftituante, die Er- 
Härung der Republik folgten fih Schlag auf Schlag. Alles 
war aufgelöft, gelehrte Freunde unzugänglich, gelehrte Be— 
ftrebungen als zu friedlich verladt. Rom gefiel fh in dem 
ungewohnten und einftweilen noch fo gefahrlofen Waffen: 
fpiele.. Kein Tag vergieng ohne Feier, feine Nacht ohne 
Beleuchtung. Der Taumel ergriff felbft das Alter und den 
hoben Adel. Mit umgefchlagenem Hemdkragen, fliegender 
Halsbinde, fpigem breitfrämpigen Filzhut erfchien der 80- 
jährige Fürft Corfini unter den Bekreuzten. Uber Canino*?) 
durchzog in ſchwarzem Frack die Straßen, mit übergeworfenem 
Geitengewehr, von einer Leibgarde des vermwegenften Ge— 
findels umgeben, in Gedanken ſchon das Haupt einer italifchen 
Republil. Die Worte Freiheit und Vaterland mußten au 
damals ihre alte Rolle wieder fpielen. Aber dem eiteln 
Römer fpiegelte man überdieß die Wiedererftehung feiner 
alten Macht vor. 

L’antico scettro 

Alza, o Regina, 

Giä s’avvicina 

Il tuo trionfor 

E noi tuoi figli 

Fin che vivremo 

Ti salveremo 

Dai traditor! . 

So fang man damals durch alle Strafen. Wäre nicht 
des Gräßlichen zu Viel vorgefallen, man hätte fich mitten in 
die ausgelafiene aber harmloje Luft eines Karnevals verſetzt 
glauben Eönnen. Doch nach dem Einzug der Garibaldi’jchen 
Bande und nach) der Ankunft der verjchiedenen patriotiſchen 


334 


Legionen Italiens wurde Alles unheimliher. Im Klofter 
San Silveſtro war eine derfelben untergebracht, Lärm und 
Unordnung aller Art an die Stelle des andächtigen Requiem 
aeternam getreten. Sch wohnte dem Haupteingang gerade 
gegenüber. Das finftere Antli entfchlofiener Banditen feßte 
das ganze Quartier in Angſt und Ochreden. Unter fie ge: 
mischt manch’ glatte bartlofe Wange verführter, jett ſchwer 
büßender Mutterföhnchen. Auch Amazonen fehlten nicht, die 
fih und Andern in dem unternehmenden Aufzuge zu gefallen 
Schienen. In den Händen diefes Gefindels ſah nun der 
Römer fich felbft, feine Familie, Habe und Haus. Er war 
bedenflih und wagte Doc Fein Zeichen des Unmuths. Er- 
ſchien Garibaldi, feuerroth gekleidet auf fchwarzem Rappen, 
Hinterher der Neger auf weißem Roß, fo flogen ſchon in der 
Ferne alle Hüte von den Köpfen. Man trieb Unfug jeder Art. 
Bald wurden die fchweren vergoldeten Kutſchen des höhern 
Klerus unter allerhand Mummenſchanz auf offenem Pla 
den Flammen libergeben, bald unter Hohngelächter des Volks 
und Abfingung Firhlicher Litaneien das Bildniß irgend eines 
Rardinals in den Tiber geworfen. Meine Sammlung merf- 
würdiger Erlebniffe aus dem Kreife der Volkserhebungen 
wurde damals um das grellite Farbenftüd vermehrt. In der 
Schweiz hatte ich die Basler Wirren, fpäter die Putfche der 
Freiſchaaren, in Paris einen mehrtägigen Straßentumult, 
in Berlin Rravalle mit zerbrochenen Lanternen, in Ödttingen 
den Verfaffungs-Enthufiasmus der 7 Profefloren und ihrer 
Anhänger unter der Studentenfchaft geſehen. Jetzt Fannte 
ih auch die GStreiter für Stalienifche Zreibeit und Unab- 
hängigkeit. Der Himmel hatte mich überdieß aufbehalten, 
Zeuge ihrer erften Heldenthaten gegen die anrüdenden Fran⸗ 
zoſen, bald darauf in Tivoli als verdächtiger Spio Francese 
- Gegenftand einer höchſt bedenklichen Volksaufmerkſamkeit, 
endlich auf der Heimreife Zeuge der gänzlichen Auflöfung 
aller Ordnung durch ganz Italien zu werden. Gebt ift, 
was mich damals umgab, aus Tebendiger That Gegenftand 


335 


ruhiger objeftiver Erinnerung geworden, und wenn ich in 
der Allg. Augsb. Zeitung meine Darftellung „Der roemifchen 
Staatsumwälzung vom Tode Gregor’s XVI bis zur 
Wiederberftelung Pius’ IX” durchlefe, fo ſtellt fich mir ihr 
Inhalt wie das Erlebnif eines Dritten entgegen. Zu wiflen- 
fchaftlihen WUrbeiten waren die damaligen Verhältniſſe 
nicht angethan geweſen. Doch war mir von der Ser: 
ftreuung und Aufregung immer noch genug Zeit geblieben, 
die Agrimenforen, Livius, Macchiavellis Werke und manches 
Archeologifhe zu leſen und zu ercerpiren, auch über die 
älteften Ereignifle der römifchen Gefchichte 12 Betrachtungen 
politiihen Inhalts im Gefhmad der Machiavelli’fchen 
Discorsi zu fchreiben. Kein Tag war ohne allen Umgang 
mit den Alten geblieben. Geit jener Zeit haben fih nun 
Sturm und Wogen wieder gelegt. Sühne iſt eingetreten. 
Sante Eonftantini hat auf dem Schaffot gebüßt, der Oberft 
Grandoni fih im Kerker felbft gerichtet. Ereigniſſe anderer 
Art haben den Finger auf das tönende Erz gelegt. Für 
mich ift Stalien längft wieder das Land alter Zeit und 
ruhiger Studien geworden. Es war mir fogar nach jenen 
Erlebniffen doppelt tiefes Bedürfniß, auf Zeiten und Dingen 
auszuruhen, welche die Stille von Zahrtaufenden umgiebt, 
auf Gebieten, wo die Fluth der Leidenfchaften längſt ab- 
gelaufen if. Der Menfch ift, troß des Namens den er 
trägt, Doch eigentlich ein fehr anonymes Wefen, und es 
bleibt der Name derfelbe, fo oft fich auch feines Inhabers 
inneres Wefen verändern mag. Ich hatte eine Zeit gehabt, 
wo die mittelalterlihen Prozefjualiften mich beglüdten, und 
ein zufällig aufgefundener lange verfchollener Name mich 
mit Wonne erfüllte. Später hätte ich über einer fchönen 
Pandectenftelle alles andere vergefien und durch eine ge- 
Iungene Interpretation mich für lange Arbeit hinlänglich 
belohnt erachtet. Nah und nach waren alle diefe Reize 
verfhwunden. Was ich las, was ich ftudierte, es fchien mir, 
bei Lichte befehen, ein fo wenig wiegendes Befisthum, fo 


336 


geringe Nahrung für die Seele, für die Vervolllommnung 
unfers unfterblichen Theiles im Ganzen fo gleichgiltig. Ich 
Hand in einer Zeit des Uebergangs, wie fie jedem ftrebenden 
Wefen aufbehalten find. Was fie herbeigeführt, wer Tann 
tief genug in die Gründe der menschlichen Seele hinein: 
hauen? Der Uebergang war peinlich, jetzt fegne ich ihn. 
Es muß die Zeit fommen, in welcher der Gelehrte feine 
Studien über ihr Verhältniß zu den höchſten Dingen ernft: 
lich zur Rede ftellt, und fie hiezu in eine richtige Stellung 
bringt. Dann wird auch der Wunfh erwahen, ja ein 
dringendes Bedürfniß fih geltend machen, dem ewigen Ge- 
balt der Dinge doch wenigftens um ein Kleines näher zu 
treten. Die Schale allein genügt nicht mehr. Martervoll 
ift der Gedanke, fich fo lange ſchon mit bloßen werthlofen 
Sormen herumzufchlagen. Da tritt rettend der Glaube da- 
zwifchen, daß man auch in diefen Dingen „den unfterblichen 
Sußftapfen” entdeden Tann. Sch weiß nur zu fehr, wie 
große Gefahr ich Damals lief. Ich hätte auf metaphyſiſche 
Abwege gerathen, und die rechte Leuchte für immer aus 
dem Auge verlieren koͤnnen. Dann hätte das lange Kreiſen zu 
Huſchke'ſchen“) Mißgeburten führen müßen. Gottlob, daß 
zu dergleichen meine Seele zu gefund if. Sie hat jich einen 
andern Ausweg gebahnt.e Die religiöfe Grundlage des 
ganzen alten Denkens und Lebens, das ift feit jener Zeit 
mein leitender Gedanke und mein großes Augenmerk ge- 
worden. Sc glaube darin einen Ochlüflel gefunden zu 
haben, der gar Vieles öffnet. Ja ich fchmeichle mir, mit 
Hilfe diefes Inftruments der Kenntniß der alten Dinge 
ein etwas tieferes Geleife bölen zu fünnen. Zu Seiten will 
es mir fogar erfcheinen, als werde fi) mir am Ende diefer 
Bahn Etwas von dem göttlichen, ewigen Gehalt der menſch— 
lichen Gedanken enthüllen. Sch habe Ihnen im Laufe diefes 
Schreibens fhon fo manchen geheimen Gedanken aus: 
gekramt, warum follte ich die Hoffnungen der Zukunft ge- 
heim halten? In meiner Darftellung der Grundlage des 


337 = 


toemifchen Staatsrechts!?) habe ich den erften Verſuch ge- 
wagt, den Einfluß der Religion auf die Geftaltung des alten 
Lebens, dießmal des ftaatlihen Lebens, nachzumweifen. De: 
lobnend war mir zu fehen, wie ein Stüd nad) dem andern, 
eine Einrichtung nach der andern fih des Charakters der 
Willkührlichkeit entkleide, wie ſich Alles an einen göttlichen 
Kern anfchließe, wie es nur das irdiſche Bild einer über- 
irdifhen Weltordnung enthalte. Diefe Seite des Alter: 
thums ift mehr als irgend eine andere unferm heutigen Geifte 
unzugänglih. Wie vermag der aufgelöfte zerfahrene Sinn 
des heutigen Geſchlechts ein in feinen Gedanken fo feftes, 
concentrirtes, in feiner Religion fo tief bearündetes Volk 
wie das römische war, richtig zu erfaflen. Wenn es wahr 
ift, was WAriftoteles jagt, daß Gleiches nur von Gleichen be: 
griffen werde, fo kann auch das Göttliche nur ein göttlicher 
Sinn erfaflen, niemals der rationaliftifhe Dünkel, der fich 
über die Dinge ftelt. Ein deutjcher Gelehrter ließ mir 
fagen, ob ih denn wirflih an die Offenbarung durch 
Augurien glaube? Ein anderer bemerkte, meine Auffaflung 
rieche nah Weihrauch. In einem gedrudten Buche las ich 
die Bemerkung, eine pfäffifche Theokratie (wie die meine) 
pafle fchleht zu der Lebenstüchtigkeit des roem. Volke. 
Alles Bemerkungen, die zeigen, wie weit unfere Tage von 
der richtigen Auffaflungsweife entfernt find, ja wie unmdg: 
lich es überhaupt ift, einen mit den heutigen Staatsideen 
erfüllten Geift dem Altertbum nahe zu bringen. Die Mafle 
von Renntniffen macht nicht alles aus, ja nicht einmal die 
Hauptfahe. Es gehört zu meinen tiefften Sleberzeugungen, 
daß ohne gänzliche Umgeftaltung all unferer Zuftände, ohne 
Rückkehr zu der alten einfachen Geelenfrifhe und Gefund- 
beit, nicht einmal eine Ahnung von der Größe jener alten 
Zeit und Denkweife möglich fein wird, da das Menfchen- 
geichlecht noch nicht, wie heut zu Tage, aus der Harmonie 
mit der Schöpfung und dem außerweltlihen Schöpfer ge- 
wichen war. Und diefelbe Idee, aus der das Staatsrecht 


338 


der Alten gefloffen ift, beherrſcht auch alle andern Geiten 
ihres Denkens und Schaffens. Ich fehe mehr und mehr, 
daß Ein Gefeg Alles regiert, und daß der urfprüngliche 
Menſch gleihfam mit der Regelmäßigkeit des thierifchen 
Snftinktes fein irdifches Leben angelegt und geregelt bat. 
Diefe Eigenthlimlichkeit der älteften Denkweiſe, namentlich 
in Sachen des Rechts und Staats, gehörig zu ergründen, 
das ift mein Dichten und Trachten. Es ift eine wahre 
Naturforſchung, was ich jeßt treibe. Der Stoff allein ift 
‚mein Lehrmeifter. Er muß erft gefammelt, dann beobachtet 
und zerlegt werden. Nur fo kann man boffen, ein in der 
Sache, nicht in unferm fubjeltiven Geifte liegendes Geſetz 
ang Tageslicht zu ziehen. Nur fo Wenigen ift der Stoff 
oberfter Gefetgeber gewefen! Man findet taufend Mei— 
nungen, Drebhungen, Wendungen, alle fubjeftiver Art. 
Ganze Bibliotheken find nur damit angefüllt, und tragen 
deßhalb fo gut wie Nichts zu der endlichen Löfung, oder 
wenigftens der Förderung der Aufgabe bei. Anter diefen 
Umftänden ift mir das Studium der alten Litteratur eine 
Doppelt wichtige und doppelt liebe Veichäftigung geworden. 
Die Rubrik meiner Auszüge bat fih mit der Arbeit felbft 
vermehrt, und ihr materieller Inhalt ift nun fo fehr an- 
gewachlen, daß ich, um am Ende nicht von ihm überwältigt 
zu werden, nun alles Ernftes daran denken muß, den Meißel 
an den Stein zu legen, und in der Arbeit fo weit fort- 
zufchreiten, daß das jeßt noch. in meinem Innern ruhende 
Bild allmälig, wenn auch noch roh Doch erkennbar aus dem 
Steine hervortrete. Zch möchte eine Gefchichte Staliens bis 
zum Intergange feiner Stämme entwerfen, und in diefer 
den Geift alter Völker und Zeiten nach allen Seiten hin ent- 
wideln. Natürlich wird das Jus sacrum und überhaupt 
Alles, was mit der Religion zufammenhängt, darin vorzugs- 
weife bedacht werden. Aber auch die Stüde, welche ich zu 
‚unferer Röm. Gefhichte geliefert, werden darin, um- 
gearbeitet und vermehrt, wieder Aufnahme finden. Sch hoffe 


339 — 


in eminentem Sinne pofitiv zu fein, ja werde es auch gar 
nicht verfcehmähen, in der geringen Stellung eines Sammlers 
zu erfcheinen, der hie und da zum Verſtändniß des Stoffes, 
zur Entwidlung der darin liegenden antiken Idee Etwas 
beiträgt, wenn auch das Meifte ungelöft und unerklärt, gleich 
alten Basreliefs, wird liegen bleiben. Sch babe im Laufe 
gerade diefer Studien fo viele Bücher auf meinem Wege 
gefunden, die Alles geiftreich beleuchten, aber auch für Fein 
Titelchen des alten Stoffes das Perftändniß finden und 
andern eröffnen, dat ich vor Zedem, der dieß auch nur für 
den geringften Punkt zu leiften vermag, mit wahrer Hoch- 
achtung den Hut vom Kopfe nehme. Schnell mit meiner 
Aufgabe fertig zu werden, ift nicht möglich, auch gar nicht 
mein Beftreben. Sch möchte vielen Jahren Antheil an dem 
Genuß diefer VBeihäftigung gönnen, und recht lange die 
Befriedigung haben, mehr für mich als für das Publitum 
zu ftudieren. In foweit es mir aber wie jedem Gelehrten 
natürlich auch um einen Namen zu thun ift, fo möchte ich mir 
lieber Ruhm als Ruf erwerben. In derfelben Abficht richte 
ich mein Augenmerk auch noch auf einen andern Gegenftand, 
die Auguftifhe Zeit, und auch über Ddiefen find meine 
Sammlungen an Stoff und Gedanken  fchon zu einer 
etwelchen Bedeutung gediehen. Es ift hier die Zeit der 
Reife, dort die der Jugend Italiens, welche mir zur Be— 
trachtung vorliegt. Und fo will ih auch aus jener die 
VBeihäftigung meiner den Jugendgefühlen noch näber 
ftehenden mittleren Jahre machen, und diefe dagegen zur 
Nahrung und Ergötzung des fpätern Alters aufbehalten, 
deflen reichere und allfeitige Lebenserfahrung zu einer 
ftaatsmännifchen Auffaſſung jener Zeit der Reife und Um— 
geftaltung in befjonderem Maße erforderlich iſt. Diefe beiden 
Gegenftände bilden nun den doppelten Stamm, an welchem 
ich wachſe und emporranfe, deflen Spitze ich auch gar zu 
gerne erreichen möchte. Daß fie mir die Bedürfniſſe der 
Seele, bis zu einem gewiflen Grade wenigftens, befriedigen, 


340 


und einem fonft viel bearbeiteten Innern Ruhe und Zriede 
geben, beweißt mir, daß ich einem Stoffe anheimgefallen bin, 
der der Widmung eines Lebens wohl werth if. In dem 
Alter, in welchem ich ftehe, wird es ſchon nöthig, den Gegen: 
fand feiner Wahl nicht mehr aus den Augen zu verlieren, 
und eine größere Beſchränkung der Geiftesthätigfeit eintreten 
zu laflen, als man wohl fonft geneigt wäre. Für mich wird 
diefe Nothwendigkeit um fo zwingender, da meine gerichtlichen 
Arbeiten und die damit verbundenen Rechtsftudien einen 
ſehr beträchtlichen Theil der Zeit in Anfpruch nehmen. Obne- 
dieß gehört das praftifche Civilrecht jo fehr zu meinem befleren 
Sein, daß ich die Vertaufhung jener alten Zeit mit diefer 
Beſchäftigung ſtets zu den erquidendften Erhohlungen zähle. 
Noch außerdem giebt es der Interbrehungen und Ab— 
Ihweifungen nicht wenige. Die biefigen gelehrten Gefell- 
Ihaften, deren Mitglied ich bin, verlangen Vorträge, deren 
Ausarbeitung oft längere Zeit in Anfpruh nimmt. Ich 
denke zu diefem Imwede Andrea Alciatit®) zu bearbeiten, über 
welchen ich, noch neben den hiefigen Briefen an Amerbach, 
aus Andrefius, A. Augustini Epistolae, Parmae 1804, und 
Andern manches zufammengebracht habe, obwohl mir gerade 
bier mehrere wichtige Werke fehlen. Eine Seitfchrift für 
Litterärgefhichte der Philologie und Zurisprudenz fehlt 
ganz. Hätten wir eine folche, wie manches würde zur Öffent- 
lihen Kenntniß gebracht, wie manches erhalten. — Eine 
Unterbrehung anderer Art bleibt mir noch zu erwähnen, be- 
vor ich dieſe Mittheilungen fchließe. Reifen bald geringern, 
bald größern Umfangs halten mich zuweilen Monate lang 
von Haufe fern. Das brittiihe Mufeum babe ich feither 
zweimal wieder geſehen, theils um mir anderwärts unzu- 
sängliche Litteratur, theils um die Lyeifchen und Aſſyriſchen 
Erwerbungen?”) zu genießen. Don größerer Bedeutung aber 
ift eine im Frühjahr 1851 unternommene Griechifche Reife, 
die alle Theile des jebigen Königreichs in fich fchloß, und 
mit großem Glüd durchgeführt worden ift. Sie verdanfte 


341 


ihre Unternehmung dem Plane, wie durch fortgefegte Lec- 
türe den ganzen Umfang der älteren Litteratur, fo durch auf- 
einanderfolgende Reifeausflüge allmälig die Hauptfchaupläße 
der alten Welt in den Kreis meiner perfönlichen Kenntniß 
zu zieben, und durch diefe Art des unmittelbaren Verkehrs 
mit Elementen des alten Lebens meinen Sinn und meine 
Empfänglichkeit für das Haffifche Alterthum zu ſtärken. Wie 
fönnte ich würdig den Eindrud befchreiben, welchen jener 
Boden auf mid gemaht bat? Es bewirkte, was unter 
Männern eine nah langer Bekanntſchaft endlich berbei- 
geführte perſonliche Zuſammenkunft zu bewirken pflegt, 
größeres Intereſſe an einander und größere Wärme im per: 
ſönlichen und litterarifhen Verkehr. Sch babe jett auch 
für die griechiſchen Schriftiteller einen reellen, belebten, farben: 
reihen Hintergrund gewonnen. Was immer fie erzählen, 
zu Allem babe ich eine reich ausgeftattete Szene. Ich bin 
fürs ganze Leben reicher geworden, ohne Doch eine einzige 
unbefannte Infchrift mit nach Haufe gebracht zu haben. Als 
ich die Wahl hatte, durch Kleinafien und über Ronftantinopel 
meine Rüdreife zu nehmen, 309 ich Stalien vor. Dieſer 
Gelbftentfagung, die bei mir zu Haufe Niemand begreifen 
fonnte, babe ich eine fehr wefentlihe Ergänzung meiner 
Kenntni jenes Landes zu danken. Großagriehenland und 
Samnium fah ich damals zuerft, den Fucinus und mande 
Theile Etrurieng wiederum. Meine Reifejournale babe ich 
zum Theile zu Haufe ausgearbeitet, über Griechenland fo- 
gar jehr umfangreiche, aber wenig wiflenfchaftliche Reife: 
fcenen entworfen, die Eigenthum einer befreundeten Familie 
geworden find*). Geit jener Zeit bin ich mit Griechenland 
ſowohl durch brieflichen Verkehr als durch manche Beſchäfti— 
gung mit diefem Lande, in fteter Verbindung geblieben, und 
auch aus Intereſſe an feinem Schidfal zu einer Verteidigung 
der griechifhen Sache in der Prefie gefchritten. Der Artikel 
erſchien im Laufe diefes Sommers in der Allgem. Augsb. 
Zeitung unter dem Titel „Die orientalifche Frage aus dem 


342 


Standpunkt einer chriftlichen Politik”, jedoch mannigfach ab- 
gekürzt. 

Sch ftehe am Ende meiner Bekenntniſſe. Gewiß habe 
ih zu Viel von mir, zu Wenig von den Sachen gefprochen. 
Sch erwarte diefen Vorwurf und finde ihn begrlndet. Einen 
andern mache ich mir felbft, den zu großer Ausführlichkeit und 
ermüdender Länge. Diefe jedoch bitte ich Ew. Ercellenz als 
Beweis vertrauensvoller Hingabe zu entfhuldigen, zu welcher 
mich Dero liebevoller Empfang im Hofe Ragaz ermutigt hat. 


Gefchrieben vom 24. his zum 27. Sept. 1854. 


Anmerfungen. 


1) Chriſtian Friedrich Mühlenbrud, geb. 1785, F 18483, be- 
rühmter Lehrer des römiihen Rechtes, Hauptjählih in Halle und 
Göttingen tätig. Seine in Iateinifher Sprache gefchriebene, 1823 
bis 1825 in Halle herausgegebene dreibändige «Doctrina Pandec- 
tarum>, von der 1835 auch eine deutſche Bearbeitung erſchien, war 
zu ihrer Zeit das angejehenite Compendium des römiſchen Rechtes. 

2) De Romanorum judiciis civilibus de legis actionibus de 
formulis et de condictione dissertatio historico-dogmatica. Die 
den beiden Basler Profefforen Agathon Wunderih und ob. 
Schnell gewidmete Diſſertation erſchien 1840 im Verlage der Diete- 
rihihen Buhhandlung in Göttingen, 346 Seiten ftarf. 

3) Jean-Marie Pardeflus, geb. 1772, T 1853, bedeutender Hi- 
ftorifer und Juriſt und royaliftiicher Politiker. Infolge der Juli- 
revolution freiwillig von feinen Aemtern als Profeſſor des Handels- 
rechtes in Paris und als Mitglied des Kaflationshofes zurüdgetreten, 
lebte er feit 1830 nur noch der Wiſſenſchaft. 

4) Graf Pellegrino Roſſi, geb. 1787, F 1848, der befannte 
Staatsmann, Jurift und Nationalölonom, der, Italiener von Ge⸗ 
burt, von 1816 bis 1833 in Genf eine hervorragende Rolle fpielte, 
dann in Frankreich als Profeſſor des öffentlihen Rechtes und der 
politiihen Defonomie in Paris, als Pair von Frankreich, Mitglied 
des Staatsrates und Gejandter bei der Kurie eine glänzende Kar- 
tiere madte, bis er im November 1848 als Minijterpräjident 
Pius’ IX. ermordet wurde. Das tragiide Ende Roſſis fiel in die 
= des zweiten römiſchen Aufenthaltes von Bachofen (f. oben 

. 334). 

5) Claude-Emmanuel-Sojeph-Pierre Marquis de Paſtoret, 

geb. 1756, F 1839. Wie Pardefjus ein hochangeſehener Jurift, Hi- 


343 


ftorifer und royaliftifcher Politiker. Einer der treueften Anhänger und 
Ratgeber Qudwigs XVI., mußte er während der Revolutionszeit zwei- 
mal Frankreich verlaffen und hielt ſich abwechjelnd in der Schweiz und 
in Italien auf. Senator unter Napoleon I., unter der Reftauration 
Bair, Staatsminifter, 1829 franzöfiiher Kanzler. Legte wie Par⸗ 
deſſus nad der Julirenolution alle feine Aemter nieder. Sein 
wiſſenſchaftliches Hauptwerk, die Histoire de la l&gislation, erſchien 
von 1817 bis 1839 in 11 Bänden; es behandelte die Geihichte der 
Gejeßgebung in den Staaten des Altertums. Da Paftoret am 28. 
September 1839 ftarb, kann Bachofen ihn nur no flühtig kennen 
gelernt haben. 

6) Der berühmte Göttinger Juriſt Guſtav von Hugo, einer 
der Begründer der Hiftoriihen Rechtsſchule, geb. 1764 zu Lörrad), 
T 1844 in Göttingen. | 

7) William Bladitone, geb. 1723, + 1780, engliſcher Zurift. 
Der erite Band feiner Commentaries on the lawg of England ift 
1765 erihienen. Das Werk iſt feither immer wieder neu aufgelegt 
worden und gilt noch heute als grundlegend für das engliſche Ber: 
faſſungsrecht. 

8) „Begleitſchreiben zum Pfandrecht“: gemeint iſt der erfte (und 
einzige) Band eines umfallenden Werkes von Bachofen über „Das 
römiſche Pfandredt“. (Bafel, Schweighauferfhe Buchhandlung. 
1847. 691 ©.) Bachofen Hatte feinerzeit Savigny ein Exemplar 
des Wertes überreicht. 

9) Sir William Webb Kollett, geb. 1798, 7 1845 an der 
Schwindſucht, hervorragender engliiher Anwalt und Barlaments- 
tedner. 

10) Magiſter Bacarius, engliiher Jurift, der um die Mitte 
des 12. Jahrhunderts in Orford das römiſche Recht lehrte. Sein in 
neun Bücher gegliedertes Hauptwerf «Liber ex universo enucleato 
jure exceptus et pauperibus praesertim destinatus> ſcheint populär 
«Summa pauperum de legibus> genannt worden zu fein. König 
Stephan von England verjuhte das römiſche Recht zu unterdrüden 
und verbot dem Bacarius, in Orfordb zu lehren. 

11) Savigny's hiſtoriſches Hauptwerk, die jehsbändige „Ge- 
ſchichte des römiſchen Rechts im Mittelalter“ (Heidelberg 1815 
bis 1831). Dem Magilter Bacarius ift hier ein bejonderes Kapitel 
gewidmet (in der zweiten Auflage des Werkes im 4. Bde. ©. 411 ff.). 


12) Bahofen Hat Savigny gleichzeitig mit den autobiogra- 
phiſchen Aufzeichnungen, die hier veröffentlicht find, denjenigen Teil 
feiner im Britiſchen Muſeum gemadten Auszüge geihidt, der fi 
auf die Geihichte des römiſchen Rechtes im Mittelalter bezog. Sa- 
vigny dankt für beides in einem Brief vom 19. Januar 1855: 
„.... Ich komme nun auf das Heft über die Juriſten des Mittel- 
alters. Auch dafür danke ih Ihnen ſehr Herzlich, ich habe mir 
Ihon Vieles daraus egcerpiert. Am meilten haben mich angezogen 


344 


die Abſchnitte Über Vacarius und über Bagarottus, deſſen Spa- 
niſches Vaterland daraus als ganz neue Entdedung hervorgeht.“ 

13) Vergleiche Hiezu „Beiträge zur Schweizergeihichte aus eng- 
liſchen Manuftripten. Mitgeteilt von 3. 3. Bachofen, J. U. D. 
und Karl Stehlin, J. U. D.“ im Archiv für Schweiz. Geichidhte, 
Bd. 12, 1858. Hier find die Auszüge aus den Handidhriften-Samm: 
lungen des Brit. Mufeums, die Bahofen im Jahre 1840 gemadt 
Bat, mit denjenigen von Dr. Karl Stehlin aus dem Jahre 1854 ver- 
öffentlich. 

14) Der waadtländiihe Hiſtoriker Louis Vulliemin hat in der 
von ihm mit Monnard zufammen ins Franzöſiſche überjegten und 
fortgejegten Ausgabe der Schweizergeihichte von Joh. v. Müller 
die Gejhichte des 16., 17. und des Anfangs des 18. Jahrhunderts 
behandelt: 

15) Die Urteile, auf die Bachofen anfpielt, finden fih in dem 
au heute noch nicht vergeflenen Buche „England im Fahre 1835“ 
von Yriedr. von Raumer (Leipzig 1836), jpeziell im 57. und 64. 
Brief (Bd. II ©. 273 ff. und vor allem ©. 455 ff.). 

16) Sir William Hamilton, offenbar der bekannte ſchottiſche 
an 1788—1856, der feit 1821 an der Univerfität Edinburgh 
ehrte. 

17) Maxaowv &v yaooıs : auf den Infeln der Seligen. 

18) Irapınv Elayes iſt die vordere Hälfte eines ſprichwörtlichen 
Satzes: Zndpınv Maxec, xelvnv xdousı. „Sparta ijt dir (als Heimat) 
zugefallen: das follft du ſchmücken.“ Bezeugt zuerft Euripides, 
Fragment 722 (Naud), aus dem „Telepho3“, dann Cicero ad. 
tranquillitate Att. 4, 6, 2 (vergl. 1, 20, 3), dann BPlutard de 
animi 13, p. 472 E und derſelbe de exilio 8, p. 602 B. Befonders be- 
zeichnend iſt die zweite Plutarch-Stelle (de exilio): „Man fol 
feiner eignen roAıs treu bleiben, auch wenn fie no jo vom Unglüd 
heimgeſucht iſt: Zrdornv ıc.“ (Gütige Mitteilung des Herrn Dr. Felix 
Stähelin.) 

19) Die Ler Voconia und die mit ihr zufammenhängenden 
Rechtsinſtitute. Cine redtshiftoriihde Abhandlung von Profeſſor 
Dr. 3. 3. Bachofen. ur Verlag der Schweighaujer'iden Bud: 
handlung. 1843. 122 © 

20) Das Nerum, die Neri und die Ler Petillia. Eine rechts⸗ 
biftoriide Abhandlung von Dr. J. I. re Profeſſor. Bajel, 
Verlag von %. ©. Neulich. 1843. 160 © 

21) Das Naturredht und das geſchichtliche Recht in ihren Gegen⸗ 
fügen. Antrittsrede von I. J. Bachofen. (Als Manuſkript für 
einige Freunde gedrudt.) Bajel, Buhdruderei von 3. ©. Neu: 
kirch. 1841. 28 ©. 

22) In altisono caeli clupeo, „am hodtönenden Rund des 
Himmels“, ftammt aus Ennius Tragödie „Sphigenia“, Frag: 
ment 1, Bers 177. der Ausgabe von bbed, Scaenicae Roma- 


345 


norum poesis fragmenta, vol I (zweite Auflage, Leipzig 1871), 
Geite 38. (Mitteilung von Herrn Dr. Fel. Stähelin.) 

23) Auguft Kejtner, „der römiſche Keſtner“, der vortrefflicdhe 
Kunftlenner und Ardäologe, 1777—1853, der dur feine Schweiter 
Charlotte in engeren Beziehungen mit Bajel ftand. Bergl. dar- 
über den ſchönen „Briefwechſel zwiſchen Auguſt Keftner und feiner 
Schweiter Charlotte. Herausgegeben von Hermann Keſtner-Köch— 
lin“. (Straßburg 1904.) 

24) Genator Sclopis: der bekannte italieniihe Hiſtoriker, 
Juriſt und Staatsmann Yederigo Graf Sclopis di Galerano. 

25) Mancini: der fpäter als Politiker und Staatsmann be- 
rühmt gewordene Pasquale Stanislao Mancini war damals als 
Profeſſor der Rechtswiſſenſchaft in Neapel tätig. 

26) Der Heidelberger Kriminaliſt Mittermaier (1787—1867) 
unterhielt lebhafte perjönlihe Beziehungen mit einer großen Zahl 
von ttalieniihen Gelehrten und war ein genauer Kenner Staliens. 
Geine 1844 erjhienenen „Stalienifhen Zuftände“, die Hehn „ein Bud 
voll trefflider Charafteriftif“ nennt, find aud) heute noch leſens— 
wert. 

27) Des deutihen Zuriften Yriedr. Bluhme <Iter Italicum>, 
in 4 Bänden von 1824—1836 erſchienen, enthält die Ergebniffe einer 
von 1821—1823 nah Italien unternommenen Reife, die dem Gtu- 
dium der Geſchichte und des Beſtandes der italienifhen Bibliotheken 
gegolten hatte. Bachofens Reijezwed war neben dem Studium der 
alten Kunſt die wiſſenſchaftliche Arbeit in den Bibliotheken Staliens. 

28) Id quod decet in omni arte: Das, was in jeder Art von 
Kunſt ih ſchickt (wohl anfteht). 

29) Meroorns: die Mäßigung, Mäpßigfeit. 

30) Bachofens Urteil bezieht fi offenbar auf Otfried Müllers 
1830 erſchienenes „Handbuch der Archäologie der Kunjt“. 

31) Der Herzog Honore Albert de Luynes (1802—1867) unter- 
fügte nit nur mit feinen reihen Mitteln die archäologiſchen Ar: 
beiten anderer, jondern war auch jelber mit Erfolg als Archäologe 
tätig, u. a. in Süditalien, in Aegypten, auf Cypern, in Petra, im 
Hauran u. |. wm. Als einer der Gründer und Gönner des 1828 in 
Rom eröffneten ardäologiihen Inſtituts, dem auch Bachofen bei- 
trat, dürfte er dieſem bejonders ſympathiſch geworden fein. 

32) Dem antifen Gräberwejen und den damit verfnüpften re- 
ligiöjen und ſittlichen Vorftellungen gehört ein großer Teil von Bad: 
ofens Studien und Arbeiten während der letzten Jahrzehnte feines 
Lebens. Der Gegenstand, der ihm auf feiner erjten italieniſchen 
Reife zum erſten Male entgegengetreten war, ließ ihn nicht mehr 
los und begleitete ihn bis an fein Ende. Wenige Tahre nad) der 
Niederſchrift feiner autobiographiihen Aufzeichnungen erſchien fein 
„Berfuh über die Gräberjymbolif der Alten“, (Bajel, Bahnmaiers 
Buhhandlung. 1859. 433 ©.), und die letzte Arbeit des Greijes, Die 


346 


erſt nad feinem Tode herausgegeben wurde, galt der Erklärung 
römiſcher Grablampen und anderer Grabdenftmäler. (Römiſche Grab- 
lampen u. |. w. von Dr. 3. 3. Bachofen. Herausgegeben von jeiner 
Witwe und feinem Sohne. Mit einer Einleitung von U. Giraud- 
Teulon, Prof. hon. an der Univerfität Genf. Leipzig 1912, 123 ©.) 

33) «Tamen me lectulus meus oblectaret ea ipsa cogitantem>, 
wie der von Bachofen offenbar aus dem Gedädtnis zitierte Sat 
lautet, jteht bei Cicero, Cato maior de senectute 11, 38. Der Sinn 
it: Noch bin ich volllommen leiltungsfähig an Körper und Geift, 
fomme häufig in den Senat und bringe da Ideen vor, die ich lang 
und viel durchgedacht Habe. Und wenn ih dazu nicht mehr die Kraft 
hätte, jo würde mih doh immer noh’mein Ruhebett 
(Lefejofa) erfreuen, indem ih eben die Dinge 
durchdächte, die ih nicht mehr redend vorbringen könnte. (Gü- 
tige Mitteilung des Herrn Dr. Felix Stähelin.) 

34) Den Entihluß, eine Geſchichte der Römer zu ſchreiben, hat 
Bahofen dann in Berbindung mit dem Basler Philologen Prof. 
Kranz Dorotheus Gerlach auszuführen begonnen. Das Werf (Die 
Geihichte der Römer von Fr. Dor. Gerlad) und 3. 3. Bachofen. Erſter 
Band. Erfte Abteilung: Aelteſte Geihichte bis zur Gründung der 
Stadt. Zweite Abteilung: Die Zeiten der Könige. Bafel. Bahn: 
maiers Buchhandlung, 1851. 297 und 372 ©.) ift über die Zeit 
der Könige nit Hinausgediehen. Geine jtreng fonjervative Gtel- 
lung zur römiſchen Ueberlieferung vermodte ſich Mommſens Rö— 
milder Geihichte gegenüber, die wenige Jahre darauf erſchien, nit 
zu behaupten. 

35) Gemeint ift das 20. Buch der Pandekten, das vom Pfand- 
recht handelt. 

36) Der berühmte Züricher, jpäter Berliner Romaniſt Ludwig 
Keller, deſſen lateiniſch geichriebene jehs Bücher Semestria (Se- 
mestrium ad C. Tullium Ciceronem libri sex, Züri 1841—51) 
Bachofen beiproden Hatte. 

37) Ausgewählte Lehren des römiſchen Civilrechts. Von J. J. 
Bachofen, Mitglied des Appellationsgerichts der Stadt Baſel. (Bonn 
bei Adolph Marcus. 1848. 420 S.) 

38) Eine Abhandlung von Bachofen über „Die Grundlagen der 
Steuerverfaſſung des römiſchen Reiches“ erſchien im Jahre 1862 im 
Schweizeriihen Mufeum. 

. 39) Die Wallifer Verfaſſungsangelegenheit. Gemeint find die 
Kämpfe zwiſchen den radikalen Unter- und den klerikal-konſervativen 
Dberwallifern im Jahre 1844, die mit dem Sieg der Lebteren und 
infolge davon im Jahre 1845 mit dem Anſchluß der Wallijer an 
den Sonderbund endigten. 

40) adrös Epa „Er felbft hat es gejagt.“ Die Berufung auf 
ihren Meifter, mit der die Anhänger des Pythagoras fi nad) der 
Tradition zu redtfertigen pflegten. 


347 


41) E vinculis judicare: unfrei (gebunden) urteilen. 

42) Bachofen wurde während feines zweiten römiſchen Auf: 
entbaltes Zeuge der revolutionären Ereigniffe, die fih vom No- 
vember 1848 bis zum Sommer 1849 abipielten. 

43) Charles Lucien Brinz Bonaparte, Fürft von Canino (1808 
bis 1857), ein Sohn von Lucien Bonaparte, |pielte während der 
Revolution von 1848/49 in Rom als einer der Führer der republi- 
fanifhen Partei eine leitende Rolle. 

44) Der berühmte Breslauer Romanift Phil. Ed. Huſchke (1801 
bis 1886) war ein Anhänger der Philoſophie Schellings. Nicht nur 
in feinen philoſophiſchen, ſondern aud in feinen juriltilden Ar- 
beiten finden fi nit felten myſtiſche und phantaſtiſche Elemente. 
Darauf ſpielt Bachofen offenbar an. 

45) Bachofen und Gerlachs Geſchichte der Römer ſchließt mit 
einer von Bachofen verfaßten Darftellung der Grundlagen des rö- 
milden Staatsredtes. (Bd. I, 2. Abt. ©. 211—372.) 

46) Andreas Alciati, berühmter Humanift und Juriſt, geb. 
1492, 7 1550. 

7) Von Bahofens eindringender Beihäftigung mit den Ly— 
fiern legt u. a. Zeugnis ab feine im Jahre 1862 erſchienene Schrift 
„Das Lykiſche Volk und feine Bedeutung für die Entwidlung des 
Altertums“. (freiburg i. B., Herder’ihe Verlagshandlung. 87 ©.) 

48) Bachofens griehiihe Tagebücher find no erhalten; fie 
würden es wohl verdienen, mindeftens auszugsweije veröffentlicht 
gu werden. 


348 


Das lünfflerifche Leben in Baſel 
vom J. November 1915 bis zum 3J. Oktober 1916, 


Ein Rüdblid 
auf Theater, Mufit und bildende Runft. 


Don Albert Beßler, E. Th. Markees und Robert Brüninger. 


A. Theater. 


Auch im zweiten Rriegswinter hat das Basler Theater 
erfreulicherweife durchgehalten werden konnen. GZreilich 
fonnten Opern nur mit Gäften zuftande fommen. Es wurden 
im ganzen 213 Vorftellungen gegeben, worunter 9 franzöfifche 
und 5 Wophltätigfeitsparbietungen. Opern und Operetten 
fanden, unter den erwähnten fchwierigen Verhältniſſen, 
immerhin ihrer 19 auf dem Spielplan, fogar Erftaufführungen. 
An großen Opern wurden eine von Bizet, eine von Gounod, 
drei von Verdi, zwei von Wagner, eine von Loring, eine 
von dD’Albert, eine von Leoncavallo, eine von Mascagni, zwei 
von Puccini gegeben. 

Sm Schau: und Luftfpiel fanden nicht weniger als 11 
Erftaufführungen ſtatt. Wir erwähnen davon: Anzengruber 
„Das vierte Gebot”, Ibſen „Baumeiſter Solneß“ und 
„Wenn wir Toten erwachen”; außerdem wurden Stüde von 
Goethe, Schiller, Leffing, Grillparzer, Shakeſpeare und Tol- 
ftoi aufgeführt. Unſere Bühne verfügte Über einen aus- 
gezeichneten Charakter-Schaufpieler, dank deſſen die klaſ—⸗ 
fiſchen Dramen mit innerem und äußerem Erfolge konnten 
dargeftellt werden. Von den franzöfifchen Vorſtellungen ver- 
dient die Vorführung von Corneilles „Horace” durch Schau 
fpieler der Comédie Francaise befondere Erwähnung. Ein 
Gaftfpiel von 5 Nummern bradte die Wiener Erl-Bühne 
por uns. 


349 


Für das Jahr 1916/17 ift wieder ein Vollbetrieb in 
Oper und Schaufpiel eingerichtet worden. Die Oper fcheint 
vorzüglich zu fein; im Schaufpiel haben wir als Haupt: 
ereignis ein Gaftfpiel von Alexander Moifft erleben dürfen, - 
der gegenwärtig in der Schweiz interniert ift. Der berühmte 
Gaft gab zweimal „Hamlet“, einmal den „Lebenden Leich: 
nam” von Tolſtoi. 

Im Theaterverein, der zu grünen beginnt, wurden ſechs 
Vortragsabende abgehalten, zu denen fich die Herren Dr. ©. 
Hinrihfen, Dr. E. Jenny, Dr. ©. Steiner, Dr. 9. Trog, 
Prof. Dr. F. Rintelen und Direktor 2. Meliß in dankens— 
werter Weife haben bereit finden laſſen. 


B. Literarifhe Abende. 


Das „Quodlibet” hat, wie feit einigen Jahren, feine 
Mitglieder, fowie ein weiteres Publitum zu Literarifchen 
Abenden geladen, die immer recht gut befucht waren. Es 
traten mit Vorträgen eigener Werke bezw. mit Gefängen auf: 
Hanns Zn der Band, Johannes Zegerlehner, Robert de Traz, 
Meinrad Lienert. 


C. Konzerte. 


Trotz der Kriegszeit war das KRonzertleben ein ſehr 
teges, und es waren namentlich die Soliftenfonzerte, die eine 
Zunahme felbft gegenüber normalen Zeiten aufzumweifen 
hatten. Die letztere Tatſache ift nur ſchwer verftändlich, da 
diefe Konzerte meiftens fchlecht befucht find und denen, die 
fie geben, zum mindeften feinen materiellen Gewinn ein- 
fragen. 

Die Allgemeine Muſikgeſellſchaft, die 
im vorhergegangenen Winter unter dem Drud der Verhält- 
niffe nur fehs Symphoniefonzerte gegeben hatte, erhöhte 
deren Zahl auf acht. Sie hatte indeflen immer noch mit 
den gleichen Schwierigkeiten zu kämpfen, da eine Anzahl der 


350 


fländigen Mitglieder des Orchefters fortwährend im Heeres: 
dienft abwefend waren. Immerhin boten ihre Aufführungen 
unter Dr. Hermann Suters Leitung wieder viel 
Schönes und Intereflantes, Altes und Neues in buntem 
Wechfel, wie es der Betrieb diefer Konzerte erfordert, wenn 
er jedem Geſchmack Rechnung tragen und auf der Höhe der 
Zeit ftehen will. Der Beſuch der Symphonieabende darf 
als ein guter bezeichnet werden; das ift wohl auf den Imftand 
zurüdzuführen, daß fie nunmehr, ftatt wie früher am Sonn- 
tag, am Samstag abgehalten werden, und zu einer Zeit, die 
es jedem ermöglicht, fie anzuhören. — Unter den Soliſten 
verzeichnen wir Adolf Buſch, Eugen dD’Albert, 
Bufoni Vianna da Motta, Frau Durigo. — 
Rammermufitabende fanden ihrer ſechs ftatt. 

Der Gefangverein bradte am 5. Dezember zwei 
Berlioz'ſche Werke heraus: l’enfance du 
Christ und das Te Deum; fodann am 27. Februar 
Haydns „Sahreszeiten”. Ende Mai führte er in 
einem Künftlerfonzert die C-moll:-Meffe von Mo: 
zart auf und machte in einem darauffolgenden Onliften- 
konzert die biefige Mufitwelt mit einer ganzen Anzahl Elei- 
nerer, felten zu Gehör gebrachter KRompofitionen des Mei: 
ters befannt. Ä 

Der Bahhor fang am 20. Dezember die Cdur- 
Meffevon Beethoven, fowie eine Kantate von Bach 
Meine Seelerhebtden Herrn). Weitere Ran- 
taten desfelben Meifters gelangten am 6. Mai zur Wieder: 
gabe („Herr, gehe niht ins Gericht", „Mein 
Herzefhwimmt im Blut”, „Haltim Gedächt— 
nis"). 

Der Volkschor trat am 3. Oktober mit einem Volls- 
liederfongert auf. Am 4. Zuni ließ er fih mit Haydng 
„Shöpfung” hören. 

Die BaslerLiedertafel hatte für ihr erftes Ron- 
zert am 29. Januar Cherubinig „Requiem“ auf das 


351 


Programm gefeßt. Am 14. und 15. Mai veranftaltete der 
Verein eine Aufführung, in der lauter Schubert'ſche 
KRompofitionen zum Vortrag gelangten. 

Der Basler Männerchor hielt fein Orhhefter: 
fonzertam 28. November, fein Frühjahrs-Lieder— 
fonzert am 8. April ab. 

Außer den genannten Ronzerten fanden, wie oben an: 
gedeutet wurde, eine große Anzahl von Ooliftenabenden ftatt. 
Die hervorragenden Erfcheinungen unter diefen waren eine 
Serie von vier Brahms-Abenden, an denen Frau 
Elly Ney mit den Herren von Hoogftraten um 
Reit Kammermuſikwerke des Meifters fpielten, und vier 
KRlavierabende, an denen Har Bufoni Haffifhe und 
moderne Rompofitionen vortrug. 

Ebenfo find zu erwähnen die regelmäßigen Orgel: 
fonzerte von Adolf Hamm (im Münfter). 


D. Malerei und Plaſtik. 


Sn der Runftballe haben diesmal elf Ausftelungen ftatt- 
gefunden. | 

Sm November waren auf Einladung des Runft: 
vereins Werke jüngerer welfchichweizerifcher Maler zu feben. 
Die Richtung diefer Künftler ift modern, fo daß fih viele 
Beſucher nicht mit den Werken befreunden konnten. Nach— 
dem aber der Ronfervator zwei belehrende Vorträge über die 
Kunft der P. Ih. Robert, E. Breßler, W. Müller, ©. de 
Traz, 2. Moilliet, M. Barraud u. |. w. gehalten hatte, begann 
die Ausftellung dem Verftändnis der Runftfreunde Harer zu 
werden, und fie wurde viel befucht. Immerhin fanden ihr 
eine Anzahl Mitglieder des Runftvereins fo feindlich gegen: 
über, daß fie eine Austrittsbewegung einleiteten; richtig find 
ihr auch einige Perfonen gefolgt. Ein Gegenzirfular der 
Ausftellungsleitung brachte dann die betreffende Motion zum 
Stehen. Ein größtes Werk der Ausftellung, ein meiftum- 


352 


ftrittenes, „Im Zirkus“ von Louis R. Moilliet, ift von der 
öffentlichen Runftfammlung erworben worden. 

Darauf folgte die traditionelle Weihbnahtsaus- 
ftellung. Es hatten darin 98 Basler Künftler und Künft- 
lerinnen 442 Werke ausgeftellt: 409 Bilder, 30 plaftifche 
Sachen und 3 funftgewerbliche Nummern. 

Die JZanuar-Ausftellung brachte erftens 112 Bilder 
und Sfizzen, namentlich Landſchaften von dem plößlich ver- 
ftorbenen DBafellandfchäftler Jakob Wagner. Ein gutes 
Porträt des Künftlers von der Hand feiner Gattin, der 
Bildnismalerin Clara Wagner-Grofch, war der Ausftellung 
beigegeben. — Die übrigen Räume und Wände waren an- 
gefüllt mit Bildern und Holzichnitten von Elifabeth Alten- 
burger (Romanshorn), tüchtigen Porträts und fein auf- 
gefaßten provencaliichen Landfchaften von Walther Bär in 
Baſel, durch frifhe Näturftudien aus England, Baſel und 
der übrigen Schweiz, auch Durch plaftiiche Altzeichnungen von 
Frank ©. €. Budgen, duch WUquarelle in ungebrochenen 
Sarben von Auguſto Giacometti (Stampa), durch gute 
Kinderporträts von Erifa von Kager (Chur) und Martha 
Wittwer-Gelpfe in Baſel, durch) Aquarelle von E. Heman 
(Bafel), durch Landfchaften und Genrebilder von Fr. Gilfi 
(St. Gallen). Im untern Saale waren 25 Bilder und Zeich- 
nungen, meift in Farbe und Form originelle Werke, von dem 
Parifer Georges D’Efpagnat zu fehen: Wilder von feinfter 
Reizſamkeit, die aber kaum von denjenigen verftanden worden 
find, welche die Novemberausftellung der Unfittlichkeit und 
die welfchen Maler der Unfähigkeit bezichtigt hatten. — Hugo 
Siegwart, ein Luzerner Bildhauer von Ruf und gediegenem 
Können, hatte 16 Werke ausgeftellt, meiftens Bronzen: Men- 
fhen und Tiere. 

Der Februar bradte ung Künftler von der „Neuen 
Münchner Sezeffion”. Ihr Haupt war der im Kriege ge- 
fallene Albert Weißgerber. Er hat eine neue Farbigfeit und 
in diefer eine hohe, rein malerifche Plaftif gefucht. Seine 


353 | 23 


Bilder: ein liegender Frauenakt, ein machtvoller „David“, 
eine „Rubende in der Sonne”, ein „Sebaftian in Ylau” 
fonnten nur zum Zeil als gelungen betrachtet werden; aber 
fie offenbarten ein mächtiges Wollen. — Karl Cafpar und 
Robert Benin fannte man von früher ber. Sie haben fi 
nicht weſentlich entwickelt. Von jenem find uns eine „Zu: 
dith“, von diefem ein „Prediger” und eine „Rompofition 
mit Pferd” eindrüdlich geblieben, von Guftav Zagerfpacher 
ein „Ruhendes Mädchen”, von Franz Nölken ein Bildnis 
Mar Regers, von Edwin Scharff ein „Abend“, von Rudolf 
Sied eine Landfhaft „Mairegen”, von Mar Unold eine 
„Dame in Blau”, von Walther Teutfch eine „Schäferfzene”, 
von dem Basler A. H. Pellegrini ein „Morgen” und zwei 
Bildniffe, von Oscar Mol ein feintoniges Stilleben. Feder: 
zeichnungen von dem berühmten Alfred Rubin haben ung den 
Eindrud gemacht, als ob der Slluftrator des Unheimlichen 
und Unterbewußten an einer gewiflen Grenze feines Könnens 
angelangt fei. 

Die Mär z-Ausftellung brachte lediglich Schweizer 
Kunſt. Rudolf Dürwang GBaſel) hatte ideenreiche, gut 
gezeichnete Radierungen zu zeigen, Eſther Socin (Bafel) 
erquifite malerifche Stilleben, Paul Bodmer dekorative Ent- 
würfe für die Zürcher Univerfität. Von Otto Meifter (3ü- 
ri) ragten Stilleben und Landichaften hervor. Don Leo 
Sted (ern) ift uns eine Gruppe „Adam und Eva” weniger 
durch ihre Farbigfeit als durch den ftrengen Ausdrud in Er- 
innerung geblieben, Paul Zehnder (Bern) durch einen Akt 
und intereflante Zeichnungen, Viktor Surbed (Bern) durch 
eine „Schlafende” und durch Zeichnungen Tandfchaftlichen 
Charakters. — Im erften Stod war eine Sammlung von 
Werken des Gegantini nachftrebenden Teffiners Edoardo 
Berta zu ſehen, meiftens Landfchaften, aber auch Porträts 
und Genrebilder von zarter Stimmung. 

Die Hauptausftellung des Jahres war diejenige des 
April. Da hatte der Runftverein, bezw. deſſen rühriger, in 


354 


früherer Zeit felbft Fünftlerifch tätig gewejener Ronfervator, 
eine bedeutende Zahl neuerer Kunſtwerke aus Basler Privat- 
fammlungen zufammengebradht. Es war eine reine Freude, 
die Runfthalle zu betreten, und das Wort wurde laut, diefe 
Galerie könnte man geradezu ing neue Mufeum binüber- 
nehmen; die fchweizerifche Runft vom Ende des 19. und des 
beginnenden 20. Zahrhunderts wäre darin mit Ehren ver- 
treten. Hodler waren nicht weniger als 26 vereinigt, und 
zwar konnte man geradezu die Entwidlung des Meifters ftu- 
dieren. Cuno Amiet, Giovanni Giacometti, Mar Zuri, 
Alerander Blanchet, Hermann Huber und Albert Trachjel 
waren jeder mit mehreren Bildern vertreten. Der Hauptteil 
der Ausftellung war „Basler Schule": P. 3. Barth, Numa 
Donze, Karl Did, 3. 3. Lüfcher, Hermann Meyer, Eftber 
Mengold, Carl Burdhardt, Frau Sophie Burdhardt, Paul 
Zurdhardt, Heinrih Müller, Eduard Niethbammer u. a. 
waren mit ihren beften Werfen zugegen: ein erfreuliches 
Zeichen, daß eine jüngere Generation von Runftliebhabern 
da ift, welche, unbekümmert um die Protefte älterer Leute, 
für gediegene moderne Beftrebungen ein offenes Auge 
und — offene Hand hat. Von andern Baslern waren Wil- 
beim Balmer, Walther Bär, Theodor Barth, Emil eur: 
mann, Louis Difchler, Arnold Fiechter, Rudolf Löw, Alb- 
recht Mayer, €. Th. Meyer, Paul Altherr, U. H. Pellegrini, 
Karl Pflüger, Otto Roos, Ernft Schieß, Emil Schill, Paul 
Schweizer, Auguft Suter, Fritz Völlmy, Ernft Bolens mit 
charakteriſtiſchen Werken da. Hiezu kamen aus der übrigen 
Schweiz Hans Berger (Genf), Erneft Bieler (Gavidze), Ed. 
Boß (Bern), W. Gimmi (Züri), Louis R. Moilliet (Gun: 
ten), Heinrih Oreli (Zürich), H. Sturzenegger (Schaff: 
haufen), Georges de Traz (Genf), Ed. Vallet (Genf), Otto 
Bautier (Genf), Albert Welti (F), Ernft Würtenberger 
(Zürih), Otto Wyler (Uarau): auch von diefen lauter be- 
mertenswerte Bilder. Von Ausländern waren ebenfalls 
gute Sachen zu fehen: von Karl Caspar, Paul Gauguin, 


355 2° 


Henri Matiffe, Pablo Picaſſo. Kleinplaftifen von Dalou 
Sremiet, Rodin und Hildebrand. Don Carl Burchkhardt 
fonnte man eines feiner beften Skulpturwerfe, einen frühen 
„Knabenkopf“, wiederum bewundern. 

Sm Mai fand eine Ausftellung franzöfifher Maler 
und Zeichner ftatt. Inter ihnen ragten drei Delbilder, zwei 
Aquarelle und vier Zeichnungen von P. Gauguin, vier Del: 
bilder von V. van Gogh, Landihaften von Lucien Mainf- 
fieur, Akt: und Blumenftüde von Felix Vallotton hervor. Im 
erſten Stod waren reizvolle Landichaften von dem malerifch 
unendlich feinnervigen Heinrich Orelli ausgeftellt. Dazu ge- 
fellte fih der Basler Auguft Wanner mit gemalten und ge- 
zeichneten Aklt- und Porträtftudien, fowie mit Landichaften. 

Die Zuni-Ausftellung brachte von dem fehr felb- 
ftändigen Wilhelm Gimmi (Zürich) farbig und linear be- 
deutende GStilleben, Landfchaften, Ute. Andere Zürcher, 
Willy Fries und Adolf Holzmann, hatten ebenfalls gute 
Bilder zu zeigen. Don DBaslern gab Theodor Barth im 
Porträt eines alten Herrn eine Meifterleiftung, Marie Lob 
ein tüchtiges Doppelporträt, Paul Burckhardt fonnige Bilder 
aus dem Teſſin, Ernft Buchner gute GStilleben, Joſeph 
Schönenberger eindrudsvolle Aquarelle, Maria Schultheß 
feine Radierungen, Bertha Züricher (Bern) intereflante 
Dlumen:Holziehnitte.. Hans Joͤrin GBaſel) hatte vier pla- 
ſtiſche Arbeiten ausgeftellt.e. Daneben waren farbige Blätter 
uus dem Mar Klinger-Studienwerf, fowie KRlingers groß- 
artige Radierung „Meereszug” ausgeftellt. — 

Sogar eine Zuli-Ausftelung gab’3 diesmal. Aus der 
Bibliothek des Kunftvereins waren Reproduftionen alter 
und neuer Runftwerfe in verfchiedenen Folgen von Blättern 
vereinigt. Die Sammlung fand nicht den Zuſpruch, den fie 
verdient hätte. - 

Sm September rüdte der „Turnus“ des ſchweize⸗ 
riſchen Runftvereins ein. Er war fehr gut beichidt,; nur 
waren die Haupfbilder ſchon einmal in Baſel ausgeftellt ge- 


356 


wefen. Bon den ganz berühmten Schweizern ragten Hodler 
dur ein Gelbftbildnis, Amiet durch ein Iniendes Mädchen 
hervor. Die Welfchen zeigten ihr feines Farbenempfinden 
in Bildern von Rend Francillon, Alerandre Mairet, Abra- 
bam SHermanjat, Emile Breßler, P. Th. Robert, Alfred 
Dlaile. Moys Hugonnet, Fernand Blondin, C. E. Ele- 
ment, Maurice Barraud, Albert Sauter. — Auf Licht 
und Farbe gehen die Berner aus: Ernft Geiger, Viktor 
Surbed, Arnold Brügger, Emil Cardinaur, Plinio Colombi, 
Werner Engel, Rarl Hänni. Zu ihnen gehören künſtleriſch 
die Aarauer Otto Wyler und Mar Yurgmeier. Don denen 
allen unterfcheiden ſich durchaus die Basler; fie ziehen 
eine tonigere, farbig Teidenfchaftlihere Malerei vor, allen 
voran Paul 3. Barth („Liegendes Mädchen”), dann Paul 
Burdhardt („Indiſche Flußlandſchaft“), 3. 3. Liifher („Kind 
mit Puppe”), Ernft Bolens („Landſchaft“), Hermann 
Meyer („KRreuzigung”), Eugen Ammann („Abend”), Auguft 
Wanner („Adam und Eva”), Paul Altherr („Vor dem 
Stall”), Albreht Mayer („Steinwerfer”). Selma Sieben: 
mann, Charlotte Weiß, Maria Stüdelberg, Walther Bär, 
Charles Bernoulli, Wild. Bronner, Ernft Buchner, Rudolf 
Dürrwang, Rudolf Löw, Fritz Mod, A. H. Pellegrini, 
Karl Reber, Maria Schulthef, Ida Schulz, Gertrud 
Schwabe, Hans Schwabe, Arthur Riedel hatten ebenfalls 
Treffliches geliefert. Don älteren Baslern waren E. Th. 
Meyer („Im Porland"), Wilhelm DBalmer („Herren: 
bildnis”) und Emil Beurmann („Cherubin”) gut vertreten. 
— Die Zürcher arbeiten weniger einheitlich, es ragten da 
hervor Alfred Marrer durch feinen „Heimatfucher”, Jo— 
bannes Weber, Marie Stiefel, Adolf Thomann, Ernft 
Würtenberger, Rarl Itſchner, Wild. Hartung, Willy Gries, 
Ehriftian Conradin, Albert Welti jun., Georg Rüegg, Adolf 
Holzmann, Otto Meifter, Albert Kohler, Paul Bodmer, 
Werner Weber, Carl Montag, Jean Affeltranger. — Lu: 
zern hat feinen Tiermaler Franz Elmiger; ihm ftrebt Georges 


357 


Trorler nad, auch Ernft Hodel, K. F. Schobinger und Ma- 
rianne Damon find bemerfenswerte KRünftler. — Zeffin war 
duch Edoardo Berta und Augufto Sartori vertreten. Ein 
Appenzeller ift Paul Tanner („Meine Schweſter“), ein 
St. Galler Theo Glinz; Hanny Bay malt in Chur („Mäd- 
chenbildnis“). W. 2. Lehmann batte aus München eine 
fimmungsvolle Flußlandſchaft zum Turnus gegeben. 

Die Hauptleiftung in der Skulptur hatte Auguft Heer 
(Bafel) aufzuweifen (Bronzebüfte des Generals Wille), auch 
Arnold Hünerwadels „Sitende”" war ein gutes Bildhauer— 
werf, ebenfo Rud. Wenings „Chüngelibueb”, Eduard Zim- 
mermanns „Bachantenzug”, Hugo Sigwarts „Mädchen mit 
Dal”, Ida Shärs „Bildnisbüfte”, Jakob Probfts „Sän- 
ger”, Walther Mettlers „Rindertanz”, Hermann Hubachers 
„Stalienerin”, Georges Auberts „Gipsftudie”, Leo Bergers 
„Dberft de Loys“. Ernft Kißlings „Ropfftudie”. Hans Frei 
hatte vier famoſe Plafetten zu zeigen, Arnold Stodmann vier 
in Eifen getriebene Medaillen, Karl Hänny einen Rahmen 
mit Plafetten. 

Sm Oftober ftellte übungsgemäß die Basler Künftler- 
gefellichaft aus: Es waren 222 Werke zu ſehen, darunter 57 
von Theophil Preiswerk, zu deflen 70. Geburtstage 
30 Delbilder und 27 Aquarelle aus den verfchiedenften Zeiten 
feines Schaffens zufammengebracht worden waren. Der von 
vielen nahezu vergeflene Rünftler ift durch dDiefe Veranftaltung 
wieder manchem ſympathiſch näher geführt worden. Die 
übrigen Maler, die in diefer Ausftelung auftreten: W. Yal- 
mer, Charles Bernoulli, E. Beurmann, 2. Diſchler, R. 
Dürrwang, Arnold Fiehter, P. Rammüller, W. de Gou— 
mois, Paula Häberlin, ©. Herzig, Sr. Krauß, R. Löw, 
Dtto Mähly, Burkhard Mangold, Albr. Mayer, F. Mod, 
Chr. Oehler, K. Pflüger, Otto Plattner, €. Schill, Hans 
Süffert, Frig Völmy, Ab. Wagen, Aug. Wanner (aus 
St. Gallen) find nebft den Plaftitern Hans Frei und Auguft 
Heer im Vorhergehenden meift ſchon genannt worden. 


358 


Im Runftfalon bei Wepf, Schwabe & Co. haben auch 
wieder elf Ausftellungen fattgefunden, zum Zeil fehr interef- 
fante. Es waren da Rolleftionen von Eduard Boß aus 
Bern, von dem Bildhauer Otto Roos aus Baſel, von Ernft 
Schieß aus Paris, von dem Graphifer Edouard Vallet aus 
Sapieze, von dem tüchtigen Sluftrator Walo v. May, Ge- 
mälde von Dem Genfer Figurenmaler Alexandre Blanchet, 
Aquarelle von E. Geiger (Twann), Radierungen von Alb. 
Welti, Gemälde und Handzeichnungen von Cuno Amiet, 
Photographien nah) Cözanne, Gauguin, van Gogh, Renoir 
u. A., Zeichnungen, Radierungen, Holzfchnitte von Fritz 
Baumann (Bafel), Zeichnungen und Lithographien von 
Rud. Urech (Bafel) zu feben. 

Eine Peranftaltung eigener Art waren die zum Zeil 
prächtigen Leiftungen, welche im Oktober das öfterreichifche 
f. k. Rriegs-Prefle-Quartier im Kafino zu zeigen batte. 


E. Architektur. 


Die ſchon im Lestjährigen Bericht an diefer Stelle ge: 
machte Bemerkung über die Lahmlegung der Bautätigkeit 
durch den Krieg gilt auch heute noch und teilweife in er- 
höhtem Maße. Immerhin find einige wenige ISnduftrien in 
der glüdlichen Lage, größere Bauaufträge erteilen zu können 
zur Schaffung von geeigneten Räumen für ihre zum Teil 
ganz bedeutend gefteigerte Fabrikation, doch handelt es fich 
biebei meift nur um induftrielle Anlagen, die für ung nicht 
in Betracht fallen. 

Sn dem für die hiefige Bädereifirma Singer errichteten 
Geſchäftshaus am Marktplatz ift der Betrieb in den Ver— 
faufsräumen mit Beginn der diesjährigen Mefle eröffnet 
worden. Dei diefem Anlaß find in einem großen Erdgefchoß- 
raum, der vorläufig für den Gefchäftsbetrieb noch nicht ein- 
gerichtet ift, Verkaufsftände für Lebkuchen, fowie Waffeln: 
und Rofenküchlibädereien u. deral. während der Mefle- 


359 


zeit in originellfter Weife eingebaut worden, und an der 
Ruppeldede hat Paul Hofch das ganze Leben und Treiben 
auf einer Basler Meſſe in feiner befannten hHumorvollen Art 
zur Darftellung gebracht. Ueber die äußere Architektur des 
Baues finden wir im lestjährigen Jahrbuch fchon einiges 
notiert. Beſonders markant wirft am Aeußern der um das 
ganze Gebäude im erften Stod berumgeführte, auf kräftigen 
Steinfonfolen weit austragende Balkon mit feinem fchmied- 
eifernen Geländer. Die von den Architekten Edenftein 
und Berker angewandten, an Haffiziftifche Vorbilder des 
legten Zahrhunderts anklingenden Architekturformen und die 
ſchmückenden Skulpturen verleihen dem Bau ein aus: 
gefprochen neuzeitliches Gepräge, wodurch diefer in ftarfen 
Kontraſt zu der feingliedrigen Architektur des Stadthaufes 
tritt. Ueber die innere Geftaltung des Baues gibt ung die 
in Form und Farbe gut wirkende Ausftattung des Bäckerei— 
ladens ein reizvolles ZVeifpiel. Der große Tee- und Er: 
frifhungsraum im erften Stod ift zurzeit noch nicht fertig 
ausgebaut, doc darf man, foviel fich big jetzt erkennen läßt, 
auf eine anfprechende und phantafievolle Ausbildung dieſes 
Snnenraumes geipannt fein. Die dekorative Bemalung im 
Teeraum ift von Maler Georges Kaufmann aus: 
geführt. 

Schon lettes Zahr Eonnte an diefer Stelle auf einige 
wohlgelungene Renovationen und Umbauten bingemwiefen 
werden. Wir wollen auch heute nicht unterlaffen, auf die 
Reugeftaltung der Faſſade des Haufes Marktplag Nr. 29 
„zum Bafelftab” duch Architek Sandreuter aufmerf- 
fam zu machen, und es wäre erfreulich, wenn auch die Befitzer 
der anſtoßenden Gebäulichkeiten fih zu einer Umgeſtaltung 
der Faſſaden entjchließen Eönnten, Damit die unangenehm ber: 
vortretende YBadfteinarchiteftur aus dem Gtraßenbild ver: 
ſchwinden würde. 

Einen eingreifenden Umbau hat der „Eptingerhof”, Ede 
Rittergaffe und Bäumleingaſſe duch die Architeften Suter 


360 


und Burckhardt erfahren, indem dort für ein GSeiden- 
bandgefchäft neue fchöne Yureauräume mit feiner künftlerifcher 
Ausftattung gefchaffen worden find. Zei diefem Umbau ift 
eine in Stein gehauene, reich profilierte, jpätgotifhe Tür- 
umrahmung im alten Mauerwerk freigelegt worden, die nun: 
mehr nach Verſetzung an andere Stelle wieder in befter Weiſe 
zur Geltung kommt. 

Durch die vorerwähnten Architekten hat auch das Haus 

„zum Luft” an der Bäumleingafle eine Renovation erfahren 
und zur Erweiterung der Arbeitsräume des auch in diefem 
Haufe eingerichteten Seidenbandgefchäftes wurde am Luft: 
gäßli an Stelle alter niedergelegter Gebäulichkeiten ein An— 
bau errichtet. Auch bei diefem Umbau find die Hauftein- 
einfafiungen von zwei gotifchen Spigbogenäffnungen an der 
Saflade gegen das Luftoäßli zutage getreten; über Der 
größeren Deffnung, dem ehemaligen Einfahrtstor zum Hof, 
findet fih die ganz befonders fchöne und fcharf gehauene 
Jahreszahl MCECCCLXXXVIL. 
Im aäußeren St. Albanquartier ift durch die Basler 
Baugefellfhaft das berrfhaftlihe Wohnhaus am 
Lindenweg Nr. 11 erbaut worden. Inmitten auggedehnter 
Gärten mit hochftämmigen Bäumen, wo im Herbft die filber: 
grauen Birkenftämme zierlich durchs goldiggelbe Laub fchim- 
mern, abfeits von Stadtlärm und Verkehr, macht das große 
Haus mit dem hohen Ziegeldach über der ruhigen Architektur, 
die uns ebenfo wie die fatte graublaue Bemalung der Faſ—⸗ 
faden an typifche Basler Bauten aus der fpäten Barodzeit 
erinnert, einen vornehmen und doch wohnlichen Eindrud. 

Ede Hardftraße-Hirzbodenweg hat Architekt Pfrun- 
der ein mehrftödiges Miethaus mit Verkaufsräumen im 
Erdgefhoß errichtet, die Gliederung der Fafladen mit den 
grau verputzten Mauerflächen ift einfach, ohne befonderen 
architektonifchen Anſpruch. 

An der St. Jakobskirche find die durch die Vereinigung 
für Heimatihuß in Vorfchlag gebrachten Safladenmalereien 


361 


immer noch nicht zur Ausführung gelommen; vorerft ift nun 
eine Verbeflerung der arhitektonifchen Geftaltung der ganzen 
DVorderfront und des Dachreiters geplant, wodurch der Ge: 
famtafpeft des Heinen Gotteshaufes wefentli gewinnen 
dürfte. 

Der größte Neubau, der in der diesjährigen Chronik er: 
wähnt werden muß, ift die für die Basler Straßenbahnen 
errichtete, ausgedehnte Wagenhalle famt Wohngebäude für 
Beamte auf dem Dreifpis, nah Plänen der Basler 
Baugejellfhbaft md des flädtiihen Hochbau— 
bureaus. Längs der Münchenfteinerftraße erftredt fich der 
sroße Hallenbau mit den breiten mächtigen Giebeln an den 
langen Geitenfronten, während das zweigeſchoſſige Wohn: 
haus mit dem Fräftig ausgebildeten Walmdach weftlich der 
Wagenhalle als jelbftändiger Bau von der Straße weit zu: 
rückgeſchoben liegt, um die Einfahrt den Tramwagen frei: 
zulaflen, womit eine wirkungsvolle und zwedentiprechende 
Gruppierung der verfchiedenartigen Gebäulichkeiten erreicht 
wurde. Bemerkenswert ift die weitgefpannte hölzerne Dad): 
fonftruftion und die gewölbte Holzdede über der Wagenhalle, 
deren Dach mit roftbraun gefärbtem Eternit gededt ift. 

Werfen wir noch einen Blick auf die vier neuen zu: 
Sammengebauten Einfamilienhäufer Nr. 18, 20, 22 und 24 
an der Lindenhofftraße und wenden uns dann nad) dem 
Weftplateau der Stadt, wo ebenfalls nur einige wenige Neu: 
bauten entftanden find. 

Eine große Miethausgruppe am Bundesplatz, zwijchen 
Dirfig: und Rütimeyerftraße ift hier zu erwähnen. Diefer 
Dau zeigt im Ganzen eine günftige einheitliche Geftaltung in 
ſtreng fymetrifcher Anordnung und die einfache Silhouette 
des behäbigen Manfarddahhes und die wenigen großen 
Formen entiprechen der Lage des Gebäudes an dem offenen 
Platz in befter Weife. 

‚ Außerdem find im Bachlettenquartier an der Rütimeyer⸗ 
ftraße zwei größere Einfamilienhäufer im Rohbau fertig er- 


362 


ftellt, das eine Nr. 18 nah Plänen von Architekt H. Flü— 
gel, das andere Nr. 49 duch das Baugeſchäft Gebr. 
Stamm; ferner erwähnen wir noch die von dieſer letzteren 
Firma gebauten Reihenhäufer Rütimeyerftraße Nr. 68, 70 
und 72. 

Der Umbau des Schütenhaufes durch die Architekten 
Widmer Erlaber und Calini ift munmehr voll: 
endet und es haben damit die Feuerſchützen ein überaus reiz- 
volles und gemütliches neues Geſellſchaftshaus erhalten. In 
geſchickter Weife find neue Zeile dem alten Gebäude angefügt 
und diefes felbft den weitgehenden Bedürfniffen des Wirt: 
fchaftsbetriebes entfprechend umgeftaltet worden. Eine neue 
Sandfteintreppe führt vom ftadtwärts gelegenen Hauptein: 
sang nach den Gefellfchaftsräumen im erften Stod, wo der 
alte große Saal eine frifche, gelungene Bemalung im Cha: 
rafter feiner Zeit erhalten hat. Sehr lebhaft in der Farbe 
und faft üppig in der formalen Durchbildung ift der neue 
Gartenfaal im Anbau gehalten. Eine bunt bemalte, ge- 
wölbte Holzdede überfpannt den Raum, deſſen ganze Lang: 
wand gegen den mur um wenige Stufen tiefer liegenden 
Garten in einzelne Pfeiler und weite Deffnungen aufgelöft 
if, um einen umgehemmten Blick ins Freie zu gewinnen. 

Sm äußeren Spalen- und St. Zohannquartier können 
nur eine Miethausaruppe an der Sängergafle, ferner an der 
Bündnerftraße die beiden Einfamilienhäushen Nr. 36 und 
38 in der Rolonie von Rleinwohnungen der Basler Bau: 
geſellſchaft nambaft gemacht werden. 

Auch im Kleinbaſel finden fih außer einigen größeren 
induftriellen YBauten nur wenige neue Wohnhäufer, von 
denen jedoch Feine hier befonders hervorzubeben find. Eine 
bedeutende Vergrößerung ihres Gefchäftshaufes an der 
Klybeditraße hat die Gefellfchaft für chemifche Induſtrie nad) 
Plänen von Architekt Fritz Stehlin vornehmen laflen; 
ftadtfeits des vor einigen Jahren erbauten Yureaugebäudes 
ift ein entfprechender neuer Traft mit einem um Stodwerfs- 


363 


höhe über die Geitenflügel emporgeführten Mittelbau an: 
gefügt worden. 

Ueber zwei große Bauprojekte, deren Verwirklichung 
hoffentlich nicht allaulange auf ſich warten läßt, wurden letztes 
Jahr öffentliche Wettbewerbe ausgejchrieben. Es handelte 
ih um Erlangung von Entwürfen für den Neubau eines 
KRollegiengebäudes der Univerfität an Stelle des alten Zeug: 
baufes am Petersplag und für eine neue Filialfirhe der 
Detersgemeinde an der Meter: und Mülhauferftraße. Eine 
einläßlihe Beſprechung der eingelieferten Arbeiten bat 
feinerzeit in den Tagesblättern ftattgefunden, währenddem 
fämtlihe Pläne in den Turnhallen an der Rittergafle und 
im Iſaak Sfelin-Schulhbaus in den Monaten März bezw. 
Sanuar Öffentlich ausgeftellt waren. Es fol darum nicht 
nochmals darauf zurüdgeflommen werden, Doch feien zum 
Schluß die Architekten, deren Arbeiten prämiert wurden, bier 
genannt: 

Bon den Entwürfen für das Kollegiengebäude ift an 
erfter Stelle die Arbeit der Architekte Widmer Er- 
laher und Calini in DBafel ausgezeichnet worden; 
weitere Preife wurden zuerkannt den Architekten Biſchoff und 
Weideli, Gebr. Pfifter und Gebr. Bräm, alle in Zürich, 
ferner an Bracher Widmer und Darelhofer in Bern. 

Am Wettbewerbe für die Kirche in der Petersgemeinde 
fonnten fi) nur Basler Architekten beteiligen, von denen die 
Architekten Suter und Burckhardt einen im erften 
Rang prämierten Entwurf einlieferten,; es folgten mit 
weiteren durch Preife ausgezeichneten Projekten die Ardi- 
teten Ludwig Senn, Albert Rieder und Albert Gyßler. 

Unter den bei beiden Wettbewerben ausgeftellten Ar- 
beiten fanden fich Fünftlerifch fehr fchöne Entwürfe. 


Basler Chronik. 


Dom J. November 1915 bis 31. Oktober 1916. 
Don Srig Baur. 


Der Bericht über Baſel im zweiten Kriegsjahr wird 
bedeutend fürzer ausfallen als der in der lestjährigen Chronif. 
 S3war ging alles, was fi) auf den Krieg bezieht, unverändert 

weiter wie 1914/15. Die fchweizerifchen Truppen, die den 
Grenzbewachungsdienft verfahen, Töften einander ab; die 
Basler, ſowohl Auszug als Landwehr, wurden aufgeboten 
und entlaflen; jenjeitsS der Grenze rollte der Ranonendonner 
und Hang bis in unfre Stadt herein, zogen die Flieger ihre 
Kreife und warfen über unjre Nachbarftädte- Yomben ab, 
fpielten nachts die Scheinwerfer und Frachten die Abwehr- 
geſchütze; die Zahl der Deferteure fowie der von der Feldarbeit 
jenfeit8 des Rheins entwichenen Kriegsaefangenen mehrte 
fih. Aber die Bevölkerung Baſels gewöhnte fih an das 
Treiben. Man ift erftaunlich, faft befhämend Faltblütig ge- 
worden gegen das Leiden des Nächften. Mit einem fata- 
Kiftifchen Gleichmut vernimmt die Menge felbft das Trommel: 
feuer und lieft in der Zeitung, daß ein Bombenwurf in Loͤr⸗ 
rach oder in Kandern fo und fo viele Menfchenleben ge- 
fordert bat. 

Dagegen geben die wirtfhaftlihen und poli- 
tifhen Folgen, die der Krieg auch für unfere Stadt 
wie für das gefamte Vaterland nach fich zieht, viel zu reden 
und zu denken. Seitdem durch den Eintritt Staliens in den 
Krieg im Frühjahr 1915 die Schweiz vollftändig von krieg⸗ 
führenden Staaten eingefchloflen ift, wurde die Zufuhr der 
notwendigen Lebensmittel ſtark erfhwert. Nicht nur be- 


365 


anfpruchen die umgebenden Staaten ihre Eifenbahnlinien 
und ihr Rollmaterial in erfter Linie für ihre eigenen Truppen: 
transporte und für die Beförderung ihres Rriegsbedarfs und 
beeinträchtigen dadurch unfere Zufuhr. Sur Zurüdhaltung 
in der Verforgung der Schweiz mit Lebensmitteln veranlaft 
fie alle ebenfo fehr die Vefürchtung, auf dem Umweg über 
neutralen Boden dem Kriegsgegner Proviant zuzuführen und 
ihm die Eriftenz zu erleichtern. Die Vemühungen, dies zu 
verhindern, führten zu Den mannigfaltigften Einfchräntungen 
im regelmäßigen Verkehr, diefe wiederum zu einer Verteue- 
rung der gangbarften Lebensmittel, die in einer Stadt, wo 
jedes Pfund Mehl, jede Kartoffel bezahlt und meift bar be- 
zahlt werden muß, bedeutend härter empfunden wird als auf 
dem Lande, das viele Lebensbedürfniffe felbft hervorbringt. 

Unfere Behörden, der Bundesrat an der Spitze, fuchten 
mit redlihem Bemühen diefen Schwierigkeiten abzuhelfen. 
Es wurde mit Rontingentierung der im Lande liegenden Vor- 
räte und mit Feſtſetzung von Höchftpreifen u. dgl. der un- 
nötigen Verfehwendung, wie auch dem unfinnigen Aufhäufen 
von Lebensbedürfniffen und dem Wucher nah Möglichkeit 
vorgebeugt. Mit wechfelndem Erfolg wurde durch Unter: 
Handlungen mit den Regierungen unferer Nachbarftaaten eine 
tegelmäßige Verforgung des Landes mit dem Nötigften an- 
geftrebt. Ein ſehr mittelmäßiger Ertrag der Landwirtfchaft 
trug weiter zu einer Verfchärfung der Lage bei, und man 
fann wirklich mit einem gewiflen Recht von einer Teue- 
rung reden. Die Führer der Sozialdemofratie Tiefen fi 
auch die aus al diefen Verhältnifien emporwachlende Mip- 
fimmung nicht entgehen. Sie veranftalteten gelegentlich 
Bolfsverfammlungen und Umzüge als Demonftration gegen 
die Teuerung. Inwieweit dazu ein Anlaß vorlag, kann hier 
nicht unterfucht werden. Zweifellos lag der Hauptgrund zu 
den ſchlimmen Zeitläuften in Mißftänden, die man von der 
Schweiz aus nicht zu heben vermag. Don diefem Standpunkt 
aus jcheinen auch diefe Demonftrationen durchaus müßig. 


— 


Jedenfalls tat die Regierung von Bafelftadt 
was in ihrer Macht fand, um der Notlage der minder: 
bemittelten Bevölkerungsſchicht abzuhelfen, und fie verdient 
feinerlei Tadel. Die gleich bei Beginn des Kriegs nieder- 
geſetzte ftaatliche Hilfstommiffion führte an einheimifchen Not: 
leidenden und an Ausländern, die bei uns wohnen, un- 
ermüdlich ihr Liebeswerk fort. In den erften 17 Monaten des 
Kriegs, Auguft 1914 bis Ende Dezember 1915 gab fie 
983,500 Zr. aus, von denen die weit größere Hälfte, 378,500 
Franken, durch freiwillige Liebestätigkeit aufgebracht wurde. 
Die ftaatliche Lebensmittelfürforge fchaffte für die Bevölke— 
rung Iuder, Reis, Rartoffeln, Rüben, Eier, Rochfett, Teig- 
waren, Mehl, Petrol und Obft herbei fo viel ihr möglich 
war und zu erfcehwinglichen Preifen. Die Verforgung mit 
Milch, Butter und Käſe ift durch eine Vereinbarung zwifchen 
dem Schweiz. Vollswirtjchaftsdepartement, den Tandwirt- 
Ihaftlichen Organifationen und den KRonfumverbänden für 
die ganze Schweiz geordnet und fichergeftellt. 

Was die wirtfhaftlihe Lage im all 
gemeinen betrifft, fo liegt für die in Baſel arbeitende 
Großinduftrie fein Grund zur Klage vor. Diele Fabriken 
der verjchiedenften Zweige jollen mit Aufträgen überhäuft 
fein und fehr gut verdienen. Da aber die fertige Ware aller 
Art zum größten Teil direlt ins Ausland gebt, jo bat bei 
diefer für die Großinduftrie wie für den Wrbeiterftand im 
eigentlichen Sinn erfreulichen Gefchäftslage der Mittelftand 
des Handwerks und des Swifchenhandels das Nachfehen. 
Daraus ergibt ſich eine gedrüdte Stimmung in diefen Kreiſen. 
Die Internehmungsluft ſchlummert. So ftodt 3. 3. das 
Baugewerbe und alle mit ihm zufammenhängenden Hand- 
werke. Der viele und lang andauernde, regelmäßigen Zer- 
dienft unterbrechende Militärdienft bei Meiftern und Ar— 
beitern trägt weiter Dazu bei, die allgemeine Sorge zu ver: 
breiten. 

Zu al diefer materiellen Unbehaglichkeit fügen fich p o- 


367 


Litifhe Kümmerniffe Es wäre unangebradt, hier 
des weitern den Gegenſatz zu erörtern, der bald nach Aus: 
bruch des Kriegs aus der verfchiedenen Auffaflung der Neu- 
tralität in der deutfchen und in der welfchen Schweiz ſich er- 
gab. Es ift nicht die Aufgabe der Chronik, in diefem Streit 
Stellung zu nehmen oder zu unterfuchen, wo das Recht und 
wo das Unrecht liegt. Sie hat lediglich zu verzeichnen, daß 
der Gegenfaß in einzelnen „Affären”, die noch in aller Er- 
innerung ſtehen, fich zu bedenflicher Schärfe zufpiste und je- 
weilen in den Tagungen der Yundesverfammlung nicht ohne 
Leidenfchaft befprohen wurde. Wenn man au in Baſel 
im Allgemeinen diefen Fragen gegenüber einen fühlen Ropf 
behielt und überzeugt war, daß der Zwieſpalt von verhältnis: 
mäßig wenigen Wortführern gefchaffen und offen gehalten 
wird, und daß fich in der Stunde der Gefahr alle Schweizer 
zufammenfinden werden, jo trugen doch diefe Ereigniffe im 
weitern Vaterland dazu bei, die forgenvollen Gemüter weiter 
zu bejchweren und eine getrofte Stimmung nicht aufflommen 
zu laflen. Mit Befriedigung darf man indeflen feftftellen, 
daß gegen Ende des DBerichtjahres hüben und drüben der 
redlihe Wille zur Verftändigung und zum Verſtändnis fich 
mehr und mehr ausbreitet und ftärkt. 

Man würde fi aber von dem Baſel während des 
zweiten KRriegsjahres ein gänzlich falſches Bild machen mit 
der Vorftelung, dat die Stadt unter dem Drud der Nöte 
und Sorgen verfhiedener Art fich tatenlofem Sammer hin— 
gebe. Sehen wir recht, jo bewirkte die Bedrängnis im 
Gegenteil ein Doppelt rühriges Leben. So ift es in Handel 
und Gewerbe. Auch im Kunftbetrieb bemerkt man nichts 
von Abflauen, wie aus den damit fich befchäftigenden Ab— 
fchnitten des Jahrbuch mag erjehen werden. An diefem Ort 
haben wir uns vor allem mit der Liebestätigfeit 
Baſels zu befaflen, und es Tann uns mit Genugtuung er- 
füllen, daß diefe fi) den von Monat zu Monat gefteigerten 
Anforderungen gewachſen zeigt. 


368 


Die Bereinigung „Zwiſchen Licht”, die von Baſel 
ausging, findet immer neue Mittel, den im Feld ftehenden 
Schweizer Soldaten Greude zu mahen. Neben den Obft- 
und Gemüfefpenden und den Feftgefchenken fowie der Zür- 
forge für folche, die der Familie entbehren, trachtet fie auch, 
perfönlihe Verbindungen zwiſchen Wehrmännern und der 
Schweizer Bürgerfhaft anzubahnen. Das Weihnachts— 
feft begingen die damals in und um Baſel ftehbenden Grenz- 
wachttruppen, es waren Aargauer, gemeinfam mit ihren Of: 
figieren in großen Lofalen der Stadt, und auch Baſel ftellte 
ſich zu den Anläffen mit feinen Gaben ein. Unheimlich tünte 
mitten in die Fefttage hinein der Schlachtenlärm vom Hart— 
mannsweiler Ropf. Der Mufitfaal, der eine diefer Weih— 
nachtsfeiern gefehen hatte, öffnete fih am 29. Februar für 
die Genfer Soldaten, unfre damaligen Gäfte, und der Ge: 
fangverein bot ihnen eine Aufführung von Haydn’s 
Jahreszeiten. 

Neben al dem gingen die Unternehmungen für die 
Rriegsgefangenen, für die ISnterniertenu. dgl. 
ber. Neu gefellten fih zu ihnen Gründungen nationaler 
Art, wie des Bundes für deutſche Rriegerfürjorge, und künſt 
lerifhe Wohltätigkeitsveranftaltungen für die notleidenden 
Angehörigen der deutſchen, der franzöfifchen, der italienijchen, 
der öfterreichifcehen Kolonie unferer Stadt. Alle warfen fchöne 
Beträge ab. Einen ganz befondern Erfolg erzielte die Auf- 
führung der Studenten im Gtadttheater zugunften Des 
Hilfswertes für friegsgefangene Studie: 
rende, die dreimal gegeben werden mußte. 

Noch manches wäre in diefem Zufammenhange zu er- 
wähnen: Wohlfahrtseinrichtungen, wie die Aufftellung einer 
Soldatenftube am Grenzübergang beim Otterbach; eine 
DPuppenausftellung im Stadtlafino zum Beſten notleidender 
fchweizerifcher Wehrmänner; eine Ausftellung von Arbeiten 
internierter Kriegsgefangener; eine ſolche öſterreichiſcher 
Kriegskunft, Sammlungen für die verfolgten Armenier, für 


369 m 


die notleidenden Serben . . . niemand wendete ſich umfonft 
an die Wohltätigkeit und die Freigebigkeit der Basler. 
Manches Werk mag in unferer Aufzählung Üübergangen fein, 
manches trat überhaupt nicht an die Deffentlichkeit. Uns al 
deflen zu rühmen haben wir nicht Urfache. Es wurde hier 
nur erwähnt, weil es mit zum Bild Baſels im Krieg ge- 
bört. Allgemein faßte man bei uns diefe Betätigung als 
felbftverftändliche Pfliht auf. Ihre Erfüllung gibt keinen 
Anfpruh auf Lob. Ihre Unterlaflfung würde fcharfen und 
berechtigten Tadel hervorrufen. 

Es war vorhin die Rede davon, daß man die Wechſel— 
fälle Des Krieges im allgemeinen anfing mit Gleich: 
mut aufzunehmen. Dies hindert nicht, daß jedesmal, wenn 
von jenfeitS der Grenze das KRampfoetöfe ftärfer berüber- 
ſchallte, auch das Snterefle der Deffentlichkeit fich wieder auf- 
merkſamer dem Krieasfchauplag zuwandte.. In der Regel 
fiel ein folches bei uns vernehmbares Aufflammen der Rampf: 
tätigkeit zufammen mit arößern Aktionen auf den Haupt: 
friegsfchauplägen, mit dem Angriff der Deutfchen gegen 
Verdun oder mit der großen DOffenfive der Entente an der 
Somme. Sn foldhen Zeiten brauchte nur noch jemand — 
wirklich oder vermeintlid — einen Flieger oder gar einen 
Zeppelin haben über dem Sundgau fehweben fehen, brauchte 
man nur von einem ungewöhnlich ſtarken Verkehr auf der 
Hüninger Eifenbahnbrüde oder vom Beſuche des deutichen 
KRronprinzen an der Grenze zu hören, fo war der fchönfte 
Nährboden für die ausfchweifendften Gerüchte bereitet. Das 
war noch das wenigfte, daß man von der Grenze aus mit 
bloßem Auge wollte beobachtet haben, wie ganze Flieger: 
geſchwader fih Schlachten Tieferten, daß man die Feſſel— 
ballons über dem Sundgau nach Dugenden zählte, daß man 
von der Terraſſe der St. Margaretenfirche oder bei den 
nächtlichen Maffenwallfahrten nah Schönenbuh auch Klein- 
gewehrfeuer ganz deutlich wollte wahrgenommen haben. Die 
Strategen von der Zunft wußten 3. 3. in einer folchen Zeit 


370 


befonderer Aufregung, im Dezember 1915, zu berichten, daß 
Madenfen mit 300 000 Mann im badifchen Oberland ftebe 
und dab zwifchen Beſançon und Belfort ein großes fran- 
zöftfehes Heer fich fammle. Die wenigften diefer Gerüchte 
wurden nachträglich von der amtlichen Verichterftattung be- 
ſtätigt. Offiziell wurden gemeldet die fchwere Beſchießung 
von Velfort durch die Deutfchen im Februar und die fran- 
zöſiſchen Fliegerangriffe auf Randern (17./18. Zuli) und auf 
SLörrach (10./11. Oftober). 

Sn ähnlicher Weife boten Anlaf zur Entftehung von 
Gerüchten die unaufhörlich wechfelnden Vorſchriften über 
die Handhabung der Grenzklontrolle Jede Per: 
Ihärfung wurde in Zufammenhang gebracht mit größern 
Truppenverfchiebungen jenfeitsS der Grenze. Wer Dielen 
Dingen ferne fteht, vermag allerdings die häufigen Aende— 
rungen in Handhabung der Grenzpolizei fich nicht zu er- 
Hären, und man begreift bei der nun einmal bherrfchenden 
Aufregung den Klatſch, der fih daraus immer neue Nah— 
rung holt. Webrigens haben im Lauf des Verichtsjahres 
der ehemalige Reichskanzler Fürft Bülow und der Kardinal 
Mercier wiederholt bei Baſel die Grenze überſchritten. 

Diele Häufer ftehen in unferer Stadt, die im Gegenſatz 
zu bloßen Gerühten die graufame Wirklichkeit 
des Krieges zu fühlen befommen. Wohl in fait allen 
Heeren der Friegführenden Staaten kämpfen auch) Bewohner 
Bafels, zum Zeil folche, die von Geburt an unter ung Tebten 
und gänzlich zu den Unfrigen geworden find. Diele von 
ihnen find gefallen, und auch unfer Gemeinwefen hat durch 
ihren Tod Verlufte erlitten. Es mag an das Miffionshaus 
erinnert werden, das die meiften feiner deutfchen Zöglinge 
mußte in den Krieg ziehen laflen und fchon von manchem die 
Todesbotſchaft erhielt. 

Noch fei erwähnt, daß von Anfang Oktober bis Mitte 
Dezember unſer Grenzabfhnitt von Luzernern be- 
wacht wurde; an fie ſchloſſen fih Aargauer, die Ende Fe— 


371 24° 


bruar durch Truppen der welfchen Schweiz, erft Genfer, dann 
Waadtländer, abgelöft wurden; an ihre Stelle traten Ende 
Auguft unfere Bafelftädter und für diefe traten vor einigen 
Wochen die Mannfchaft von Vafelland an. 

Das bafelftädtifche Auszug-Infanterie- Regiment 
22 (Sataillon 54, 97 und 99) ftand vom 6. Oftober 1915 
bis zum 14. März 1916 mit wechfelnden Beftänden im Dienft. 
Dann rüdte es am 21. Auguft 1916 wieder ein und hofft 
vor Ablauf des Jahres noch entlaffen zu werden. Das Land- 
wehr-Infanterie-Bataillon 144 (Bafelftadt) war vom 22. Mai 
bis zum 29. Zuli 1916 aufgeboten. 


* * 
% 


November 1915. 


2. Vom Appellationsgericht wird der Banlier 
Hans Bauder in Milderung des ftrafgerichtlichen Urteils 
vom 12. Zuni d. 3. wegen Betrugs zu ſechs Jahren Zucht: 
haus unter Einrehnung von acht Monaten Unterſuchungs 
baft und zu zebnjähriger Einftellung im Aktivbürgerrecht 
verurteilt. Bauder hatte durch fchwindelhafte Angaben eine 
sroße Menge hauptjächlich Eeinere Leute zur Beteiligung 
an angeblich gewinnbringenden amerifanifhen Finanzunter: 
nehmungen veranlaßt und fie dadurch um ihre Erfparniffe 
gebracht. 

6. Durh Sturz vom Dach der im Bau begriffenen 
Srauenarbeitsfchule verliert Spenglermeifter Ab. Riggen: 
bad, ein allgemein befannter Handwerker und KRunft- 
gewerbler, 38 Jahre alt, das Leben. 

6. Die Nationale Frauenfpende für Die 
Kriegsausgaben der Eidgenoflenfchaft wurde in Baſel in 
der Woche vom 1. bis zum 6. November durch Hausfollefte 
erhoben und warf 43 002 Gr. ab. 

7. Am beutign Reformationsfonntag ergab 
das für den Kirchenbau in Grenchen in den Gottesdienften 


372 


der evangelifch-reformierten Kirche erhobene Opfer 4962 Gr. 
(1914: 4338). 

8 Die franzöſiſche Rolonie veranftaltet ihre 
alljährliche übliche Erinnerungsfeier am Grabe der Inter: 
nierten von 1870/71 auf dem Rannenfeldfriedhof. 

9, Dr. Hermann Henrici hält feine Habilitations- 
vorlefung als Privatdozent an der juriftifchen Fakultät über 
Schenkungen an die Kirche. 

10. Die Synode der evangelifh-refor- 
mierten Kirche genehmigt das Budget für 1916 mit 
340,430 Sr. Einnahmen und 433,810 Sr. Ausgaben (Defizit 
93380 Zr.), bewilligt die Kredite für den Ankauf eines 
Areals auf dem Gebiet des alten badifhen Bahnhof für 
ein Gemeindehaus der St. Matthäusgemeinde, und an der 
Gundeldingerftraße am Fuß des Thierſteinerrains für einen 
Kirchenbau und beftätigt als Abgeordneten zum theologifchen 
KRonkordat Prof. Böhringer, als feinen Stellvertreter Dr. 
Ed. Kern. 

11. Sn einer Vormittagsfisung genehmigt der Große 
Rat die Staatsrechnung für 1914 (21,4 Mil. Ausgaben, 
20,2 Mill. Einnahmen, 12 Mil. Defizit anftatt der budge- 
tierten_3,4 Mil), befchließt eine weitere Beteiligung des 
Staates mit 60,000 Sr. an der Sodafabrit Zurzach, fo daß 
Baſelſtadt jest für 188,000 Gr. Aktien davon befißt, und 
lehnt mit Stichentfcheid des Präfidenten eine fozialdemo- 
tratifhe Motion betr. Aufhebung der Lohnabzüge der im 
Militärdienft ftehenden Staatsangeftellten: ab. 


12. Die diesjährige Rektoratsfeier befchränfte 
fich auf den alademifchen Aktus in der Aula: Der abtretende 
Rektor Prof. H. Rupe ſprach über die Entwidelung der 
organifchen Chemie im Testen Jahrhundert. Eine Preis: 
frage der juriftifhen und eine der medizinifchen Fakultät 
wurden gelöft, die lettere in hervorragender Weife durch 
einen Medizinftudenten aus Tokio. — Poriges Zahr war 


373 


die Rektoratsfeier gänzlich unterblieben, weil der damalige 
Rektor Prof. Eger im Felde ftand. 

13. Der Regierungsrat beftätigt die vom Erziehungstat 
getroffene Wahl von Dr. Herm. Kienzle aus Baſel, 
d. 3. in Darmftadt, zum Adjunkten des Direktors der Alle. 
Gewerbefchule. 


13./14. Zum dritten Pfarrer der neuen Kirchgemeinde 
St. Elifabethben-Gundeldingen wird bei 1188 abgegebenen 
giltigen Stimmen und einem abfoluten Mehr — 595 ge: 
wählt der Randidat der Zreifinnigen Pfr. A. Wald 
burger in Ragaz; der von den Pofitiven unterftügte un⸗ 
abhängige Pfr. O. Moppert in Frauenfeld machte 289, der 
von den Sozialdemokraten vorgefchlagene Pfr. A. Knellwolf 
in Erlach 242 Stimmen. 

15. DBafel begeht die Morgartenfeier durd 
paflende Vorträge in den Schulen am Vormittag. Die 
Neue Helvetifche Gefellfchaft ließ in den Straßen zugunften 
der Sammlung für Uri durch Pfadfinder Rarten und Ge: 
denkhlätter verkaufen. 

16. Der Weitere Vürgerrat erledigt eine An- 
zahl Begehren um Aufnahme ins Bürgerrecht und genehmigt 
und verdankt Rechnung und Bericht des Engern Bürger: 
rats für 1914. 

17. Zum Subftituten des 4. Sekretärs der QVormund- 
fchaftsbehörde wird vom Regierungsrat gewählt Dr. iur. 
Carl Miville von Bafel. 

19. Dr. Paul Hüffy hält feine Antrittsporlefung als 
Privatdozent an der medizinifchen Fakultät über Strahlen- 
therapie in der Gynäkologie. 

23. Der Kirchenvorftand der Münftergemeinde befchließt 
in Wiedererwägung eines frühern Entfcheides, das Müniter 
duch fehs niedrig hängende Kronleuchter elek: 
trifch zu beleuchten. — Die gemeinfame Sahresverfammlung 
der Dofitiven Gemeindevereine im großen 


374 


PVereinshausfaal hört einen Vortrag von Pfr. G. Benz 
über das Verhältnis des Chriften zum Staat. 

24. Im Alter von 70 Sahren ftirbt nach Furzer Krank: 
beit Ferdinand Boller, feit Jahrzehnten Leiter des Basler 
Haufes der Firma Hug & Cie. 

| 26. Alexander Mangolod-Grillo, langjähriger Po- 
lizeihauptmann von Baſel, ftirbt im Alter von 69 Zahren. 

27.28. Zu den Erneuerungswabhlen fürden 
MWeitern Dürgerrat wurden 5 Liften eingereicht. 
Es beteiligten fi 5892 von 15,329 Wahlberechtigten — 
384% (1912: 52,6%), darunter eine Anzahl in aftivem 
Militärdienft ftehend. Weil die Stimmen der Soldaten, die 
mit der Zeldpoft eingeliefert wurden, mußten abgewartet 
werden, verzögerte fich die Ermittlung des Wahlergebnifies 
Dis zum 1. Dezember. Es wurden gewählt 12 (1912: 12) 
Liberale, 8 (7) Sozialdemokraten, 7 (7) Mitglieder der 
Fortſchrittlichen Yürgerpartei, 7 (8) Sreifinnige und 6 (6) 
Angehörige der Eatholifchen Volkspartei. 

28. Bei den Gottesdienften der evangelifch-reformierten 
Kirche wurde das Opfer für die Miffion erhoben. Es 
fielen im ganzen 5066 $r., davon für die Basler Miffion 
4357, für die Allgem. Proteft. Miffion 537, für die Mission 
Romande 171 Fr. — Der Shweiz. Alpenflub hält 
in Baſel feine Delegiertenverfammlung ab. WUußer den 
Sahresaefchäften werden die Weiterentwidlung des alpinen 
Rettungswefens, die Frage der Heranbildung eines Nach- 
wuchſes durch Zugendorganifationen und eine Reihe von 
Subventionsgefuhen behandelt. Die Beratungen wurden 
unterbrochen durch ein Bankett zu Safran. 

30. Zum Rektor der Univerfität für 1916 wird von der 
Regenz gewählt Prof. D. Paul Wernle, als Schreiber 
der Regenz beftätigt Prof. 3. Wendland. 

Witterung Im Monat November 1915 betrug 
das mittl. Temp. - Minimum 0,2, das mittl. Temp.-Marimum 
5,6, das Mittel der Temperatur 2,80 C, das Mittel des 


875 


Luftdruds 736,1, die Summe der Niederfchlagmenge 84 
mm, die Summe der Sonnenfcheindauer 60 Stunden. Der 
Monat wies entiprechend den wechlelnden Luftdrudverhält- 
niffen eine unftäte Witterung auf. Eine Sroftperiode gegen 
Ende des Monats, wo (am 28.) das Thermometer auf 
— 10,89 fant, eine Temperatur, die feit 1849 nicht mehr 
im November beobachtet wurde, bewirkte, daB die mittlere 
Zemperatur 1,7° unter der normalen blieben. 


Dezember 1915. 


2. Der Benoffenfhaftsrat des A. ©. 2. 
nimmt die Mitteilung entgegen, daß die Genoffenfchaft ſich 
laut Beſchluß der Verwaltung mit 150,000 Sr. am Einfuhr: 
truft beteiligt, und daß die Delegiertenverfammlung die dazu 
nötige Statutenänderung angenommen bat, befchließt über 
die Beſoldung der im Militärdienft abwejenden Angeftellten 
und bewilligt 278,000 Sr. für Ueberbauung des ehemaligen 
Areals des Zollpoftens an Elfäßer: und Hüningerftraße. 

8. Die Freiwillige Shulfynode nimmt nad 
einem Referat von Dr. H. Meyer Shefen an betr. Neu- 
geftaltung der Lehrerkonferenzen, Verftaatlichung der Schul: 
ſynode und Vertretung der Lehrerfchaft in den Schulbehörden. 
Der Nachmittag war den Zahresgefchäften gewidmet. 

9. Der Große Rat bewilligt Nachtragskredite für 
Rotftandarbeiten auf den Zeitpunkt der Entlaſſung der 
4. Divifion aus dem Dienft der Grenzbefegung und eröffnet 
die Diskuffion Über den Verkauf eines Stüdes Land vom 
Areal der ehemaligen Klybeckinſel an die Gutehoffnungs- 
hütte zum Bau einer Brikettfabrik. 

Die Frequenz der Univerfität im Winter 
1915/16 weift auf 132 afademifche Lehrer, 980 immatriku- 
lierte Studierende (darunter 52 Damen) und 206 (143) 
nicht immatrikulierte Hörer. Don den Studenten find 170, 
meitt wegen Militärdienftes, dispenfiert. Auf die Fakul⸗ 


376 


täten verteilen fie fih wie folgt: Theologie 71, Zurisprudenz 
84, Medizin 327, Philofophie I 252, Philofophie II 246. 
Schweizer find 728 (45), Ausländer 252 (7), darunter 140 
Rufen. — Von den 402 (34) immatrikulierten Vafelftädtern 
ftudieren 18 Theologie, 55 Surisprudenz, 61 (7) Medizin, 
142 (22) Philofophie I und 126 (5) Philofophie II. 

10. Nicht ohne Humor nimmt die Stadt die in der 
Preſſe verbreitete Nachricht entgegen, daß die Witwe U. 
3Zimmerli-Schweizer, die feinerzeit auch von den Be— 
hörden als Hundertjährige war gefeiert worden (ſ. Basler 
Jahrbuch 1915, Basler Chronif zum 24. Dezember 1913), 
ih in Berechnung ihres Alters um 22 Jahre geirrt hat, 
indem fie am 24. Dezember 1835 zur Welt gefommen ift. 

14. Der neugewähltee Weitere Bürgerrat be: 
ftätigt in feiner Fonftituierenden Sitzung den ausjcheidenden 
Engern Bürgerrat mit Dr. Fritz Viſcher als Präfidenten 
auf eine neue Amtsdauer von drei Jahren und beftellt die 
Prüfungstommiffion für 1915. 

22. Der Entwurf der Regierung zu dem Budget 
für 1916 fieht vor an Einnahmen 18,164,240 Fr., an Aus: 
gaben 22,214,292 Sr., fomit ein Defizit von 4,050,051 Gr. 

23. Der Große Rat wählt zum Unterfuchungsrichter 
Dr. Karl Ludwig und bejchließt den Verkauf eines Ab- 
fchnittes vom Areal des alten badifhen Bahnhofs an die 
reformierte Rirche zum Vau eines Gemeindehaufes für 
St. Matthäus; einen Anzug betr. Milchverteilung an fchul- 
pflichtige Rinder: überweift er der Regierung und befchließt 
nad) langer Debatte Eintreten auf den Verkauf eines Stüdes 
Land an der Kiybedinfel an die Gutehoffnungshütte ohne 
Beratung durch eine Großratstommiffion. 

Sm Alter von 501, Fahren flirbt Architekt Emil Fa ef cd: 
Geering, ein Baumeifter, der im In- wie im Ausland großes 
Anſehen genoß, und dem feine Vaterftadt u. a. die neue 
Mittlere Rheinbrüde, das Haus Spillmann und den Bau 


377 


der Schweiz. Kreditbant an der obern Freien Straße ver- 
dankt. 


24. Die Regierung befördert fünf SInfanterieleutnants 
zu Oberleutnants und ernennt neunzehn neue Leutnants. 

31. Witterung. Die meteorologifhen Hauptwerte 
des Monats Dezember 1915 find: Mittel der Temperatur 
6,6, mittl. Temp. -Minimum 3,8, mittl. Temp.-Marimum 
95° C, Mittel des Luftoruds 734,7, Summe der Nieder: 
Ihlagmenge 69 mm, Summe der GSonnenfcheindauer 46 
Stunden. Der Monat war mit feinem Sleberfhuß von 
5,70 über das langjährige Mittel der Temperatur der 
wärmſte einer feit 1895 nur viermal unterbrochenen Reihe 
zu warmer Dezember. Er war regnerifch, trübe und un- 
freundlich, jedenfalls Fein Wintermonat. 


Sanuar 1916. 


1. Der Zivilſtandverkehr des Jahres 1915 
verzeichnet 640 in Baſel gejeglich vollzogene Trauungen 
(1914: 913), inbegriffen 79 hieſige Trauungen auswärts 
wohnender Paare. Lebendgeburten wurden angezeigt 2446 
(3124), inbegriffen 385 Paffantengeburten, Totgeburten 84 
(107), darunter 13 Pafjantengeburten; von den Lebend- 
geborenen find 1217 Knaben und 1229 Mädchen; davon 
waren 614 Rantonsbürger, 724 Schweizer andrer Rantone, 
763 Kinder von Ausländern (unter Weglafiung der Paſ— 
fantengeburten aus der Berechnung). Es fanden 1693 
(1609) Todesfälle ftatt, unter Einrechnung von 17 bier ver- 
ftorbenen Schweizer Soldaten und 209 Paflanten-Todes- 
fällen, von den Perftorbenen waren 786 männlichen und 
907 weiblichen Gefchlehts, nach Abzug der Paffanten:Todes- 
fälle 668 und 816; davon waren 589 KRantonsbürger, 478 
Schweizer anderer Rantone, 533 Ausländer. Durch Ueber: 
Ihuß der Zahl der Geburten über die der Todesfälle ver: 
mehrte fich die hiefige Wohnbevölkerung um 25 Kantons- 


378 


bürger (+32 Knaben, — 7 Mädchen), 246 Gchweizer 
anderer Rantone und 230 Ausländer, total 501 Perfonen. 

5. Die Regierung befchließt, auch 1916 die übliche $ a ft- 
nacht nicht zu geftatten, Dagegen das Trommeln nicht ver- 
Heideter Gruppen zuzulaflen. 

8. Ein Geſuch der Gefellichaft für Sonntaasfeier, es 
fei den hiefigen Zeitungsdrudereien für die öffentlichen 
Rubhetage die Herausgabe und das Pertragen von 
Ertrablättern womöglich gänzlich zu verbieten, wird 
von der Regierung dahin beantwortet, daß zurzeit ein gänz- 
liches Verbot nicht als tunlich erfcheine, Daß aber die Zei: 
tungsdrudereien an den Öffentlichen Rubetagen inskünftig 
nur noch ein Ertrablatt herausgeben und vertragen laſſen 
dürfen. 

Sn diefen Tagen erfolgen eine ganze Reihe von Offi— 
ziersernennungen und Befdrderungen, von 
denen viele auch Bafelftädter betreffen: Der Yundesrat er⸗ 
nennt eine Menge von Leutnants in den Opezialwaffen; 
die Regierung von Bafelftadt nimmt verfchiedene Beförde- 
rungen vor; die von Luzern befördert Inf.-Hauptmann Peter 
Schmid (1/97), von und in Baſel, zum Major der In- 
fanterie, nachdem er in der lebten Zeit das Kommando des 
Dat. 44 geführt hatte. 

11. Der Bundesrat wählt zum Präfidenten der eid- 
genöſſiſchen Maturitätstommiffion Dr. Emanuel Prob 
in Bafel. ° | 

12. Sm Alter von 55 Jahren ftirbt Sekundarlehrer Alfr. 
Widmer-Bürke, deſſen Name vor allem in ftenographifchen 
Kreifen einen fehr guten Klang batte. 

14. Nach Erledigung einer Snterpellation bewilligt der 
Große Rat einen Rredit von 110,000 Sr. zur Erftellung 
einer Deftillieranlage und fiehbt von der Referendumsklaufel 
ab, damit die Arbeiten fogleich beginnen können. Hierauf 
wird mit 61 gegen 14 Stimmen bei vielen Enthaltungen die 
Borlage betr. Verkauf von Land an die Gutehoffnungshütte 


379 


an die Regierung zurüdgewiefen (f. zum 9. und 23. De: 
zember 1915) und endlich der Gefeßesentwurf betr. das 
Zureauperfonal öffentlicher Verwaltungen in erfter Lefung 
durchberaten. 

18. Nah Erledigung einer Interpellation validiert der 
Weitere Bürgerrat die Wahlen vom 27./28. No: 
vember 1915, befchließt den Ankauf eines Stüdes Land für 
die Chr. Merianfhe Stiftung und behandelt eine Reihe 
Begehren um Aufnahme ins Bürgerrecht. 

20. Bei wenig einladender Witterung findet der. U m- 
zug der Drei Ehrenzeichen Rleinbafels fatt, 
und zwar ohne das fonft üblihe Böllerſchießen. 

23. In der St. Elifabethenkirche wird der im November 
gewählte dritte Pfarrer der Gemeinde St. Elifabethen- 
Gundeldingen, Pfr. Aug Waldburger, bisher in 
Ragaz, in fein Amt eingeführt. 

25. Der Genoflenfhaftsrat des Alle Ronfum- 
vereins befchließt finanzielle Beteiligung feines Unter- 
nehmens an der Milcheinfaufgenoffenfchaft fchweizerifcher 
- Ronfumvereine. 

27. Der Große Rat genehmigt die ihm von der 
Regierung beantragte Ausführung der Pläne des Architekten 
Hans DBernoulli für ein Runftmufeum im Schligenmattparf 
für eine Summe von 2,422,500 Zr., indem ausdrüdlich der 
ausführenden Behörde für die Wahl des endgiltigen Yau- 
plaßes und für bauliche Aenderungen Spielraum gewährt 
wird. Das revidierte Straßengefeb von 1902 wird an eine 
Kommiſſion gewiefen und in die Beratung der Vorlage der 
Rommiffion betr. die Aenderung der Situngszeit des Großen 
Rates eingetreten. 

31. Witterung Im Monat Sanmar 1916 betrug 
das Mittel der Temperatur + 5,1, das mittl. Temp.- 
- Minimum 25, das mittl. Temp.-Marimum 79° C, das 
Mittel des Luftdruds 745,5 die Summe der Niederfchlag- 
menge 23 mm, die Summe der Sonnenfcheindauer 64 


380 


Stunden. Seit 1834 hat Bafel feinen fo warmen Januar 
erlebt. Der Witterungscharafter war trübe, aber am Durch: 
fhnitt gemeflen war der Monat viel zu froden — ein 
Januar ohne Schnee und faft ohne Eis! Die Vegetation 
war beängftigend weit entwidelt. Ä 


Sebruar 1916. 


5. Im Alter von 731%, Jahren ftirbt der ehemalige 
Univerfitäts-Bibliothefar Dr. Rarl Meyer, f. 3. Lehrer 
der deutichen Sprache am Obergymnaſium, Privatdozent 
und a. 0. Profeflor der Germaniftif an der Univerfität, Ver: 
fafler von „Der Aberglaube im Mittelalter", Mitarbeiter 
des Basler Jahrbuchs. 

9. Die fozialdemofratiihe Partei veranftaltet eine 
Manifeftationsverfammlung im Greifenbräu 
Horburg und läßt eine Refolution befchließen gegen die 
„Militärhierarhhie”, die „Die Rechte und die Menfchen: 
würde der Schweizer Wehrmänner mit Füßen tritt, ander: 
feit8 aber die fchwerften PVerfehlungen hoher Offiziere zu 
vertufchen fucht”. Bei einer ähnlichen Verfammlung am 10. 
im Gundoldinger Rafino macht ſich Widerſpruch geltend, 
bleibt aber bei der Abftimmung in Minderheit. 

10. Der Große Rat lehnt das Eintreten auf den 
KRommiffionsbericht betr. Aenderung feiner Sisungszeit ab 
und beginnt die Beratung des Prüfungsberichts für 1914. 

11. Privatdozent Dr. Walter Bally hält feine Ha- 
bilitationsvorlefung über Riefen und Zwerge im Pflanzen- 
reich. 

‚13. In den Gottesdienften der evangelifch-reformierten 
Kirche wird das Opfer zu Gunften der Staatlidhen 
Hilfsfommiffion erhoben und wirft 5013 Sr. ab. 

Bei der Zahresfeier der Evang. Stadtmiffion 
im Vereinshaus fpriht Pfr. Hahn aus Genf. 

15. Im Alter von wenig über 60 Zahren ftirbt an einem 
Lungenſchlag Dr. Pierre Chappuis-Garafin, früher 


381 


Mitglied des Internat. Inftituts für Maß und Gewicht in 
Sövres, feit 1902 in Baſel niedergelaffen, hervorragendes 
Mitglied der baslerifhen und der fchweizerifhen Natur: 
forfhenden Gefellihaften, Präfident der DBernoullianum- 
fommiffion, in vielen wohltätigen und gemeinnützigen Rom- 
miffionen, u. a. auch für die notleidenden Opfer des gegen- 
wärtigen Krieges tätig. 

16. Nach längerem Leiden ftirbt Emanuel Sand- 
reuter-KRündig, Kaufmann, bochverdient um Baſels 
mufifalifches Leben und als Sänger mit glänzender Tenor: 
flimme in der ganzen Schweiz wohlbelannt. 65 Zahre alt. 

17. Der Große Rat hört eine SInterpellation betr. 
Bürgeraufnahmen und deren Beantwortung und fährt fort in 
der Beratung des Verwaltungsberichts für 1914. 

18. Sn der Safranzunft veranftaltet die liberale, in der 
Rebleutenzunft die freifinnig-demofratifche Partei eine große 
Verſammlung zur Beſprechung der eidgendffifhen 
Tagesfragen, der Angriffe der Sozialiſten und der 
Welſchſchweizer gegen Yundesrat und Armeeleitung. Dort 
referierte Reg.-Rat Dr. R. Miefcher, hier Ständerat Dr. 
Paul Scherer. Beide Verfammlungen waren fo ftark be- 
ſucht, daß Hunderte umkehren mußten. In beiden wurden 
Tagesordnungen angenommen, die den politifchen und den 
militärifchen FZührern das Zutrauen der Basler Bevölkerung 
aussprechen. 

Dr. R. Th. Fäſch, ein fehr beliebter und vielbefchäf: 
tigter Zahnarzt, ftirbt plöglich in den beften Jahren. 

21. In Davos ftirbt 32 Zahre alt nach) ſchwerem Leiden 
Dr. Albert Grübel, Lehrer der Mathematik an der Obern 
Realichule. 

24. Der Große Rat erledigt den Verwaltungs: 
bericht für 1914 und überweift der Regierung die Poftulate 
betr. Gebaltzahlung der ftändigen Lehrkräfte der Gewerbe: 
und der Frauenarbeitsfchule nach Jahresſummen ftatt nach 
Wochenſtunden, betr. gefeßliche Regelung des Privatdeteltiv- 


382 


wefens, betr. Vermehrung der Kleingärten auf Staatsareal 
und betr. Schuß der Bäume auf Öffentlihem Boden. Er 
nimmt die Verfaffungsänderung betr. Reduktion der Zahl 
der Großratsmitglieder von 130 auf 100 an, die, weil aus 
einer Snitiative hervorgegangen, noch unter die obligatorische 
Volksabſtimmung fällt, und fett endlich die Beratung des 
Gemeindegefetes fort. | 

25. Dr. Eduard Hi 8 von Baſel hält feine Habilitations- 
vorlefung als Privatdozent an der juriftifchen Fakultät über 
die Öliederung des Redts. 

26. Die venia legendi für englifhe Philologie wird 
erteilt an Dr. phil. Karl Zoft von Baſel. 

27. Zm Alter von 78 Zahren ftirbt der frühere Stadt: 
milfionar oh. Bauder- Ritter. 

28. Nach Eurzer fehwerer Krankheit ftirbt 56jährig der 
ehemalige Staatsanwalt Dr. Arnold Müller. 

29. Witterung. Im Gebruar 1916 betrug das 
Mittel der Temperatur 3, 5, das mittl. Temp.- Minimum 
0,9, das mittl. Temp.-Marimum 6,5° C, das Mittel des 
Luftöruds 7349, die Summe der Niederfchlagmenge 
67 mm, die Summe der Sonnenfcheindauer 67 Stunden. 
Gemeſſen am langjährigen Durchfchnitt fiel diefer Februar 
bedeutend zu warm und zu trübe aus, hatte eine viel zu 
ſtarke Niederfchlagmenge und erwies fih als außerordentlich 
wetterwendifch. 


März 1916. 


1. Die Fortfchrittlihe Bürgerpartei veranftaltet in der 
Safranzunft eine gut bejuchte Berfammlung, in der Dr. Aus. 
Brenner über die eidgendffifhen Tagesfragen 
referiert und eine Vertrauensrefolution für Yundesrat und 
Armee angenommen wird. 

8. Der Regierungsrat wählt zum aufßerordentlichen 
Profeſſor der Pharmazeutif an der Univerſität Dr. Heinr. 


383 


3örner, d. 3. Euftos am pflanzenphufiologifchen Inftitut 
in München. 

Sm Alter von 65 Zahren ftirbt Petr Mörikofer- 
Widmer, hervorragend als Sänger und eine der Hauptſtützen 
von Gefangverein und Liedertafel. 

9. Der Große Rat bewilligt der Regierung den 
Kredit für den Bau eines Polizeipoftens an der Bruderholz- 
ftraße, nimmt den Großratsbefchluß betr. Beurteilung der 
Zuwiderhandlungen gegen KRriessmaßnahmen des Bundes 
unter Ausschluß des Referendums an und beendigt die erfte 
Lefung der Revifion des Gemeindegefebes. Hierauf werden 
die Vorlagen betr. Eröffnung der Mitgliederflaffen der 
öffentlichen Krankenkaſſen und betr. Uenderung des Schul: 
geſetzes und der Gefege betr. Srauenarbeitsfchule und betr. 
Kleinfinderanftalten unter Verzicht auf eine zweite Lefung 
genehmigt, endlich die Anzüge betr. Bau eines Lagerhaufes 
beim Rheinhafen und betr. Zaren der Autodrofchlen für das 
rehte Wiefenufer (Rlein-Hüningen) überwieſen. 

10. Dr. Sohannes Strour hält feine Antrittsvor: 
lefung als außerordentlicher Profefior der alten Philologie 
über die Selbſtändigkeit der römifchen Literatur. 

11. Das mit Beurteilung der Wettbewerbentwürfe 
für ein neues Rollegiengebäude der Univer- 
fität auf dem Werthofareal betraute Preis: 
gericht hat folgende Preife zuerkannt: 1. Preis, 4000 Fr., 
Widmer, Erladher & Calini, Bafel; 2. Preis, 3500 $r., 
Biſchoff & Weidele, Zürih; 3. Preis, 2000 Fr., Gebr. 
Pfifter, Zürich; 4. Preis, 1500 Fr. Gebr. Bräm, Züri; 
5. Preis, 1000 $r., Bracher, Widmer & Darelhofer, Bern. 
Dem Entwurf mit dem Motto „Zeughaus der Wiſſenſchaft“ 
wurde eine ehrende Erwähnung zuerkannt. 

14. Die Faftna ch t befchränkt fich auf einen gewaltigen 
unktoftümierten Zapfenftreih vom Alten Warted durch die 
ganze Stadt nad) dem Varietetheater in der Steinenvorftadt, 
wo ein Trommelfonzert vor ausverkauften Haufe zu einem 


384 


wohltätigen Zweck ſich anfhloß. Am Vormittag war nad 
faft jechsmonatigem Dienft das Inf.-Regt. 22 (Bajelftadt) 
in reduziertem Beſtand wieder eingerüdt und hatte zu der 
PVeranftaltung noh einige Mitwirkende geſtellt. Zum 
Sapfenftreih war bei der fchönen milden Witterung halb 
Baſel auf den Beinen. 

15. Der Regierungsrat wählt zum Hausvater her An: 
ſtalt Slofterfiechten Sr. Leu MNyffeler, d. 3. Lehrer in 
Huttwil. 

20. Dr. Bruno Blod, a. 0. Profefior an der medi- 
zinischen Fakultät, folgt einem Ruf als ordentlicher Profeflor 
für Haut: und Geſchlechtskrankheiten nah Zürich. 

23. Der Große Rat behandelt das Budget für 1916. 
Es fieht in der von ihm angenommenen Geftalt vor 
22,171,008 Fr. 50 Ausgaben und 18,336,240 Zr. 95 Ein- 
nahmen, fomit ein Defizit von 3,834,767 Sr. 55 und ver: 
langt au für 1917 Steuerzufchläge von 20%. 

25. Die Resierung wählt zum Mitglied der Univer— 
fitätsturatel an Stelle des zurücdtretenden Dr. Rud. Deri- 
Sarafın Dr. 3. Karcher. 

28. Die Generalverfammlung der Aktionäre des 
Shweiz. Bankvereins ift ftärker befucht und nimmt 
einen bewegtern Verlauf als gewöhnlich, weil dabei die 
über 2 Millionen betragenden Veruntreuungen des gewejenen 
Haupfkaffiers Bloch (f. zum 22. Zuli 1915) zur Sprache 
fommen. Die Verfammlung endigt damit, daß dem Ver— 
waltungsrat Decharge erteilt wird. 

Dem Dr. phil. M. Nußberger von Winterthur 
wird die venia docendi an der —— für deutſche 
Literatur erteilt. 

29. Der ſoeben erſcheinende Jahresbericht der Ver: 
waltungsfommiffion des Allg. Ronfumvereins ver 
zeichnet für 1915 einen Umſatz von 26,082,079 Fr., d. h. 
417,328 Fr. oder 1,57% weniger als 1914. Es wird eine 
Rüdvergütung von 8% an die Mitglieder beantragt. 


385 * 


Sm Alter von 65 Jahren erliegt den Folgen einer 
Dperation E. Chriften, Comeftibleshändler, dem es ge- 
Iungen ift, Bafel für ganz Binneneuropa zum Zentralplatz 
des Geefifchhandels zu machen. 

Witterung Im Monat März 1916 betrug das 
Mittel der Temperatur 6,1, das mittl. Temp. Minimum 2,7, 
das mittl. Temp. -Marimum 10,2% C, das Mittel des Luft: 
druds 7293, die Summe der Niederfchlagmenge 38 mm, 
die Summe der Sonnenſcheindauer 102 Stunden. Der 
Monat fiel veraglihen mit dem langjährigen Durchfchnitt 
viel zu trüb aus, dagegen blieb die Niederichlagmenge um 
ein Viertel niedriger als normal. 


April 1916. 


1. Die neue Straßenbahnlinie Feldbergftraße-Zeug: 
Haus (Hardtfitraße- Linie) wird dem Verkehr über- 
geben. Gie ftand feit Anfang des Jahres betriebfertig. 
Die Eröffnung mußte aber unterbleiben, weil der Kupfer: 
draht für die Oberleitung nicht über die Grenze fam. An 
der Fortfegung der Linie bis zur Kantonsgrenze am Birs— 
fteg bei St. Jakob wird eifrig gearbeitet. Die Weiterführung 
nah Muttenz ift, wie man hofft, nur eine Stage Furzer 
Zeit. 

4. Der Genoffenfhaftsratdes A. C. 2. ge: 
nehmigt die Sahresrechnung für 1915, fest eine Kommiſſion 
nieder zur Vorbereitung einer Statutenrevifion, die die Ver- 
ſchiebung der ordentlihen Neuwahlen (wegen des Krieges) 
ermöglichen fol und erledigt einige Heinere Gefchäfte. 

5. Im nahen Riehen ftirbt 82 Jahre alt Pfr. Chriftoph 
Lo tz-Socin, früher langjähriger Geelforger von Läufel- 
fingen. 

7. Sm Alter von 68 Zahren ftirbt Dr. Hermann G ott- 
ſched, Lehrer an der Evangelifchen Predigerfchule. 

9. Sn der Aula des Mufeums finden die Tauf- 
männifhen Lehrlingsprüfungen flatt. 


386 


11. Der Weitere Bürgerrat genehmigt die 
Budgets der bürgerlihen Verwaltungen für 1916 und be- 
willigt die Kredite für den Ankauf der fog. Andlauijchen 
Klinik von Prof. R. Hägler durch den Vürgerfpital und für 
den Aufbau eines Stodwerfes zu Wohnräumen für das 
Derfonal auf dem Referveflügel des Spitals. Zum Schluß 
werden 126 Begehren um Aufnahme ins Bürgerrecht er- 
ledigt. 

12. Die venia docendi an der medizinischen Fakultät 
wird verlieben an Dr. 9. Hößli aus Splügen. 

13. Großer Rat. Don den SInterpellationen, mit 
denen die Situng eingeleitet wurde, befaßten fich zwei mit 
dem Fall Lallemand. Sie bieten Anlaß, -diefen kurz 
zu erwähnen. Ein deutfcher Refraktär, der junge Elfäfler 
Lallemand, hatte in den erften Tagen des Jahres auf Schleich- 
wegen Basler Boden zu gewinnen gewußt und war duch 
das Polizeidepartement als Läftiger Ausländer an Die 
Grenze geftellt worden. Hier fieht er nun feiner Aburteilung 
entgegen. Während der Polizei: die Berechtigung zu der 
Maßregel nicht kann abgeftritten werden, erhob fich vielenorts 
laute Klage wegen Mißachtung der moraliſchen Aſylpflicht 
der Schweiz. 

Bei der Neubeftellung des Bureaus wurde zum Präfi- 
denten des Großen Rates gewählt Dr. V. E. Scherer, zum 
Statthalter Dr. P. Speiſer, zum Regierungspräfidenten 
Dr. R. Miefcher, zum Pizepräfidenten U. Stödlin. Das 
Doftulat der Rechnungsfommiffion betr. den Neubau eines 
Berwaltungsgebäudes auf dem Areal des Großen Collmar 
wurde der Regierung überwiejen. 

16. Im Alter von 74 Zahren ftirbt in Baſel im Rube- 
fand Pfr. Sulius Thellung, früher am Münfter in 
Bern. — Im großen Hörfaal des Bernoullianums findet 
die Schlußfeier der gewerbliden Lehrlings— 
prüfungen fatt. 

26. Der Genoflenichaftsrat des Allg Ronfum- 


387 Bu 


vereins befchließt mit Rüdficht auf den Krieg eine Sta— 
tutenänderung, laut welcher die 1916 zu treffenden Wahlen 
auf 1919 verfhoben werden. Die weitern VBerhandlungs- 
gegenftände betreffen interne Gefchäfte. 

27. Der Große Rat bewilligt auf Rechnung des 
Eleftrizitätswerts einen Kredit von 70,000 Zr. für Ankauf 
der Liegenfhaft Rebgafle 7 und verwendet den ganzen 
übrigen Teil der Sitzung auf Beſprechung der Poftulate zum 
Budget 1916, ohne jedoch damit zu Ende zu kommen. 

Die Generalverfammlung der Allgem. Kranken— 
pflege genehmigt Zahresbericht und Zahresrehnung für 
1915. — In einer Perfammlung im Cafe Spitz ſprach 
Ing. Rud. Gelpke über die Bedeutungder Klein 
basler Hafen: und Rraftanlage, indem er für 
baldige Einrichtung eines Handelshafens bei Kleinhüningen 
unter Berüdfihtigung der Bedürfniffe des Fünftigen Kraft- 
werkes an der Landesarenze eintrat. 

28. An der Generalverfammlung der Mitglieder des 
Allg. Ronfumpvereins wird nah Antrag der Lei- 
tung eine Rüdvergütung von 8% auf den Ronfum von 1915 
beſchloſſen. 

30. An einer raſch verlaufenden Krankheit ſtirbt im 
Alter von 60 Jahren Prof. Otto von Herff, feit Anfang 
diefes Jahrhunderts Vertreter der Gynäkologie an der Uni— 
verfität und Direktor des Srauenjpitals. 

Die Hauptwerte der Witterung im Monat April 
1916 waren: Mittel der Zeemperatur 9,6, mittl. Temp. 
Minimum 5,3, mittl. Zemp.-Marimum 14,3 C, Mittel 
des Luftoruds 735,0, Summe der Niederfchlagmenge 59 mm, 
Summe der Sonnenfcheindauer 175 Stunden. Die Zahlen 
hielten fich ziemlih nahe an die Durchfchnittswerte; nicht 
daß der Monat oleihmäßig verlaufen wäre, jondern zwei 
Schönwetterperioden am Anfang und am Ende des Monats 
hielten der allzu Falten und unfreundlichen Zeit vom 11.—24. 
die Wage. 


388 


Mai 1916. 


1. Die Feier des 1. Mai zerfiel in einen Alt am 
Bormittag im Greifenbräu Horburg und einen Feſtzug mit 
nachfolgendem Feſt in den Langen Erlen bei mäßiger Be— 
teiligung. Seftredner war Red. Nobs vom Zürcher „Volks⸗ 
recht". | 

2. Prof. Dr. Rudolf Unger hält feine Antrittspor- 
lefung über „Nathan und Fauft”. 

4. Zum Präfidenten der Allg. Lefegefellfichaft wird ge- 
wählt an Stelle des zurüdtretenden Prof. E. Hoffmann- 
Krayer Prof. Rud. Shommen. | 

6. Die Feuerſchützengeſellſchaft begeht zur 
Geier ihres A450jährigen Beftehens in Anweſenheit von 
bürgerlichen und militärifchen Behörden und befreundeten 
Gefelichaften die Einweihung des mit ftaatlicher Subvention 
umgebauten und erweiterten Schüßenhaufes. 

6. 7. Der Verein [hweizerifher Eifen- 
babn-Angeftellter hält zur Abwicklung der regel: 
mäßigen Vereinsgefchäfte feine Delegierten-Verfammlung in 
Baſel ab. 

8. In einer Verfammlung zu Safran hielt Ing. R. 
Gelpfe einen Vortrag über neue wirtfhaftlide 
DOrganifationsformen Nah ftarf benüster Dis- 
fuffion wurde eine Kommiffion beftellt, die über Belebung 

des wirtichaftlihen Lebens von Baſel beraten joll. 

10. Die Synode der evangeliſch-refor— 
mierten Kirche genehmigt und verdankt Zahresbericht 
und Rechnung des Kirchenrats für 1915, nimmt einen Be— 
richt über die finanzielle Lage der Kirche entgegen, nimmt 
ein Reglement über Verwaltung der Gemeindefisci an und 
befchließt über Verwendung des Rirchenopfers in der Zeit 
vom 1. April 1916 bis zum 31. März 1919. 

Das Hebelmähliin Haufen wird wie 1915 in 
Abweſenheit der Hebelfreunde von Baſel gefeiert. Doc 


389 


ift dafür geforgt, daß die Schüler und die Alten ihre ge: 
wohnte Hebelfreude nicht entbehren müſſen. 

11. Nach der Erledigung einer Interpellation behandelt 
der Große Rat die Poftulate zum Gejchäftsbericht und 
den Rüdftändebericht des Regierungsrats und bewilligt die 
nötigen Kredite für Legung eines zweiten GStraßenbahn- 
geleifes und Neupfläfterung in der Spalen: und für Neu: 
pfläfterung in der WUefchenvorftadt. 

13. Im Alter von 90 Zahren ftirbt Ri. Stödlin: 
Weißenberger, früher Mitglied des Großen Rats und der 
Synode, bis wenige Fahre vor feinem Tod noch an leitender 
Stelle in der Armenfürforge tätig, feinerzeit ein eifriger 
Sörderer: des Turnweſens. 

17. Die Regierung entbindet auf fein Anfuchen bin 
Prof. Friedr. Heman von feinem Lehrauftrag für Pä- 
Dagogif und von der Leitung der 1. Abteilung des päda— 
gogiſchen Seminars an der Univerfität. 

19. Zur Erinnerung an die Haager Friedenstonferenzen 
wird in der Martinskirche eine fehr ſtark befuhte Ver: 
fammlung abgehalten. Nach einem Vortrag von Nat. 
Rot. 3. Scherrer-Füllemann aus St. Gallen nimmt fie 
eine Refolution an, die den Bundesrat zum Einjchreiten 
bei den kriegführenden Mächten für den Frieden auffordert. 
Am 20. folgt darauf ein von den Sozialdemokraten organi- 
fierte Droteft- und Demonflrationsumzug 
mit Berfammlung und Anſprachen für den Frieden und gegen 
den Krieg. | 

20. 21. Ber fhweizerifhe Betriebs: 
arbeiterverband und die AUrbeiter-Union 
Thweizerifher TIransportanftalten halten 
ihre Delegiertenverfammlungen in Baſel ab. 

21. Sm Alter von 35 Zahren ftirbt Dr. D. Groß, in 
Bafel geboren und aufgewachlen, erfolgreicher Schaufpieler 
am König Albert-Theater in Dresden. 


390 


24. Die Staatsrehnung für 1915 weift auf an 
Ausgaben 22 251,564 Fr., an Einnahmen 20,241,299 Fr., 
fomit ein Defizit von 2,010,264 Zr. gegen 3,233,993 Fr., 
wie budaetiert. 

25. Der Große Rat nimmt einen Bericht der Re— 
sierung Über den für 1917 und 1918 geplanten Bau einer 
neuen chirurgifchen Klinik entgegen, erledigt eine Reihe von 
Petitionen, überweift einen Anzug über Einführung einer 
MWaren-Muftermeffe und berät in erfter Lefung die Abände— 
rung des Gefeßes betr. das Haufierwefen. 

28. Im Margarethenparf wird ein ftarf befuchter 
Shwingertag abgehalten. — Im Gewerbemufeum 
wird eine Basler Gewerbefhau eröffnet, die mit 
mwechfelnden Ausftellungen bis Weihnachten dauern fol. 

30. Der frühere Miffionar und Buchdruckereibeſitzer 
Ludw. Phil. Reinhbardt-Goeß, der feinerzeit auch Durch 
ſchriftſtelleriſche Tätigkeit von fih reden machte, ſtirbt plößlich 
im 80. Altersjahr. 

31. Witterung Im Monat Mai 1916 betrug das 
Mittel der Temperatur 14,5, das mittl. Temp.-Minimum 
10,1, das mittl. TZemp.-Marimum 19,70 C, das Mittel des 
Luftdruds 736,8, die Summe der Niederfchlagmenge 67 mm, 
die Summe der Sonnenfcheindauer 201 Stunden. Der 
Monat brachte meift fchöne,_ warme, durch wenige Regen- 
perioden und Gewitter unterbrochene Witterung ohne Fröfte. 


Juni 1916. 


2. Der 1912 verftorbene Bartlin Tanner batte ver- 
fhiedene lestwillige Verfügungen binterlaflen, die namhafte 
Summen zugunften wohltätiger und gemeinnüßiger Inter: 
nehmungen beftimmten, einander aber in wichtigen Punkten 
widerſprachen. Es entflanden daraus weitläufige und lang: 
wierige Rectftreitigfeiten, die jetzt durch einen Vergleich 
erledigt wurden: Serienverforgung u. Konſ. erhalten 70% 


391 


ihrer Legatenfumme, Zoologifcher Garten und Katholifches 
Spital geben mit einer Abfindung aus. 

3. Prof. de Quervain lehnte, wie die Verband- 
lungen des DRegierungsrats mitteilen, einen an ihn er: 
sangenen Ruf an die Univerfität Genf ab. 

Sm Alter von 59 Zahren ftirbt nah längerm Leiden 
Chriſt. Müller-Fiſcher, feit 1881 Volksſchullehrer in 
Bafel, daneben in Firchlichen, gemeinnüßigen und fozialen 
Werken vielfah mit Hingebung tätig. 

3./4. Zn der Volks abſtimmung wird die Ver: 
faflungsänderung betr. Reduktion der Mitgliederzahl des 
Großen Rates von 130 auf 100 bei fchwacher Beteiligung 
(7740 von 25,221 Stimmberechtigten) mit 3833 gegen 3831 
Stimmen verworfen (die erftien Nachrichten hatten auf An— 
nahme mit einer Mehrheit von 25 Stimmen gelautet), und 
die Abftimmung betr. Uenderung der Wahlfreiseinteilung 
(Ermöglihung eines einzigen Wahlkreiſes) mit 5714 gegen 
1835 Stimmen angenommen. 

4. Durch den günftigen Ausgang des Entfcheidungs- 
matches gegen F. E. Bern (4:3) gewinnen DId Boys 
Bafel die zentralfhweizerifhbe Meiſter— 
ſchaft. 

8. Der Große Rat bewilligt einen Nachtragkredit 
für bauliche Aenderungen im Margaretenaut und beichließt 
Eintreten auf die dritte Leſung des Geſetzes betr. unlautern 
Wettbewerb; das Geſetz wird hierauf angenommen, ebenſo 
in zweiter Leſung das Geſetz betr. das Bureauperſonal der 
öffentlichen Verwaltungen. 

9. Die Gemeinnügige Gefellfhaft be: 
ihließt eine WUenderung von Verfaſſung und Gefchäftsord- 
nung mit zeitgemäßen Neuerungen; u. a. erhält die Gefell- 
Ihaft das feite Gewand einer juriftifchen Perſon. 

10. Die philofophifcehe Fakultät der Univerſität erteilt 
dem Dr. phil. Theodor Gerold aus Straßburg i. E. die 
venia docendi für Muſikwiſſenſchaft. 


392 


Sn der St. Leonhardskirche wird eine Gedächtnisfeier 
abgehalten für das vor 25 Zahren erfolgte Eifenbahn: 
unglüd bei Münchenſtein. Es halten Anfprachen 
Pf. E. Miefher und Pfr. W. Yurdhardt, früher in 
Münchenftein. Das Opfer fällt zugunften der Anftalt 
Hofmatt. 

15. Der Große Rat beichließt nach Erledigung einer 
Snterpellation ein Begnadigungsgefuh, genehmigt den Be: 
richt der Rantonalbanf für 1915, ebenfo die revidierte Leber- 
eintunft zwifchen dem Grziehungsdepartement und dem 
Pflegamt betr. die Kliniken und die Pathologifche Anftalt 
im Bürgerfpital, weift den regierungsrätlicden Entwurf 
betr. Uenderung der Beſtimmungen über die gewerblichen 
Schiedsgerihhte an eine Rommiffion, überweift Anzüge betr. 
Ausdehnung der ftaatlihen Unterſtützung von Unbemittelten 
und betr. eine Schulzahnklinif und beginnt die Beratung des 
Rinematographengefeßes. | 

16. Dr. Felix Speifer hält feine Habilitations- 
vorlefung über das Thema: Ethnologifhe Betrachtungen 
über den Krieg. 

Die Univerfität zählte im laufenden Sommerfemefter 
991 immatrifulierte Studenten, 65 Theologen, 83 Juriſten, 
334 Mediziner, 257 Angehörige der philofophifchen Fa- 
kultät I und 244 der philofophifchen Fakultät II; 54 Sm: 
matrifulierte gehören dem weiblichen Gefchleht an. Dazu 
fommen 123 nicht immatrifulierte Zuhörer, worunter 67 
Damen. 743 (48) Studierende ftammen aus der Schweiz, 
248 (6) aus dem Ausland. DBafelftädter find 412 (38), und 
zwar Theologen 14, Zuriften 58, Mediziner 64 (8), Philo- 
fopben I 144 (24) und II 132 (6); 246 Studierende find, 
meift wegen Militärdienftes, vom Beſuch der Vorlefungen 
beurlaubt. 

Der frühere Hauptlaffier des Schweiz. Bankvereins in 
Bafel, Zulius Bloch, wird vom Gtrafgericht nach mehr: 
tägigen Verhandlungen wegen Unterfchlagung, Privat- 


393 


urfundenfälfehung und Teichtfinnigen Bankerotts zu 41% 
Jahren Zuchthaus verurteilt. 

Der Genoffenfhaftsrat. des Allgem. 
Ronjumvereins validiert die Abftimmung über eine 
Statutenrevifion, die die Neuwahlen für den Genofjen- 
ſchaftsrat vorläufig verfchiebt, beftellt fein Bureau und den 
Auffichtsrat neu, bewilligt einen Kredit für Einrichtung 
einer Mofterei und erhöht mit Mehrheit fämtlichen aushilfs- 
weife oder proviforifch angeftellten Arbeitern ihren Taglohn 
auf 6 Fr. 

17. Die Regierung befördert den außerordentl. Pro- 
feſſor Dr. €. Hede zum ordentl. Profeffor der Mathematik. 

20. Der Weitere Bürgerrat verlängert das Ab— 
fommen mit der evangelifch-reformierten Kirche betr. Ver⸗ 
wendung des Kirchenopfers auf weitere drei Jahre, ge- 
nehmigt eine neue Verteilung des Anteils der Bürger— 
gemeinde an der Chr. Merian’fchen Stiftung, fowie den 
Verkauf der ehemaligen Hardthügelgriengrube bei Birs— 
felden und erledigt eine Reihe von Begehren um Aufnahme 
ins Bürgerrecht. 

23. Die theologische Fakultät der Univerſität ernennt 
Miffionsinfpektor Lic. Joh. Frohnmeyer zur Erinne- 
rung an die vor 100 Zahren erfolgte Eröffnung der Basler 
Miffionsfchule zum Doctor theologiae hon. c. 

24. Zn der Aula des Mufeums findet die General: 
verfammlung des Schweiz. Bundes für Natur- 
ſchutz ftatt. 

26.—28. Die Wohepderreligidfen Jahres— 
feſte (Miffionsfeft) geht wie voriges Jahr mit Rüdficht 
auf die kriegeriſchen Ereigniſſe in beſchränktem Maßftabe 
vor fi. 

26. Der zweite Staatsanwalt, Dr. Stanz Freuler, 
firbt 34 Jahre alt. 

29. Großer Rat. Der Beriht des Regierungsrats 
über die Ermittlung des angefochtenen Ergebnifles der Ab— 


394 


fimmung vom 3./4. Zuni wird nach einer faft den ganzen 
Bormittag in Anspruch nehmenden Debatte genehmigt; am 
Nachmittag wird nach Beantwortung einer am Vormittag 
geftellten Snterpellation betr. ven Bau des Mufeums das 
Kinematographengeſetz zu Ende geführt und ein dazu ge- 
börendes Poftulat angenommen. 

30. Zum neuen Vorfteher der Gemeinnüßigen Gefell- 
fchaft wird erwählt Major Hans Lihtenhbahn- Im 
Oberfteg. 

Sm benachbarten Arlesheim ftirbt nach längerem Leiden 
im Alter von 68 Jahren Oberft Rud. Alioth-v. Speyr, 
einer der Begründer der eleftrifchen Induftrie der Schweiz, 
Oberft des Genie, in vielen gemeinnügigen und Fünftlerifchen 
Unternehmungen tätig. 

Witterung Im Monat Juni 1916 betrug das 
Mittel der Temperatur 14,2, das mittl. Temp. Minimum 
10,7, das mittl. Temp.-Marimum 18,8° C, das Mittel des 
Luftöruds 736,8, die Summe der Niederfchlagmenge 136 mm, 
die Summe der Sonnenfheindauer 145 Stunden. Der 
Monat ift charakterifiert durch fortwährenden Regen, und 
zwar weniger einzelne ftarfe Güffe, als immer wiederfehrendes 
Regenwetter. Darum, verglichen mit dem Durchſchnitt, zu 
niedrige Temperatur, zu große Niederfchlagmenge, Vor: 
herrſchen trüber Witterung und ein troftlofer Stand der 
Begetation, die unter dem Mangel an Sonnenlicht und 
Wärme gleich fchwer leidet wie unter dem Slebermaß an 
Rap. 


Sult 1916, 


1. Die Regierung wählt an Stelle des zurüdtretenden 
Direktors de Praetere zum Direktor der Allgem. Gewerbe- 
fchule und des Gewerbemufeums Dr. Hermann Rienzle. 

5. Lie. theol. Ernft Stäbelin erhält die venia 
legendi an der theologifhen Fakultät für Kirchen: und 
Dogmengeſchichte. 


395 


6. Der Große Rat bewilligt einen Kredit von 
500 000 Sr. für Anlage von Refervoirs der Waflerverforgung 
in Rieben, befchließt Maßnahmen zur Teeichverlegung und 
Ergänzung des Kanalifationsaefebes, gewährt Xlnter- 
flügungen für das Stadttheater und für die Allgem. Mufit- 
gefellichaft, befchließt den Umbau des Stachelſchützenhauſes 
für die bygienifche Anftalt (Bakteriologie) und nimmt nad 
Erledigung der zweiten Lefung das neue Gemeindegejeh 
mit großem Mehr an. 

7. Prof. Dr. Erich Hede hält feine Antrittsporlefung 
über Beziehungen zwiſchen Mathematit und Phyſik. 


11. Dr. Mar RNußbaumer hält feine Habilitations- 
vorlefung Über die Staatsidee bei Schillet. 


16. Zei einer Regatta auf dem Zugerfee erringt der 
Basler Ruderflub die fohweizeriihe Meifterfchaft 
für Voles-de-mer mit Steuermann. 


30. Im benachbarten Niehen ftirbt 84jährig Jak. 
Mory-Stump, früher Präfivent der Gemeinde Riehen, 
Mitglied des Großen Rats und verfchiedener ftaatlicher und 
Gemeindefommilfionen. 


Auf dem Landhof wideln fih unter außerordentlicher 
Gunft der Witterung, veranftaltet vom Fußballklub Baſel 
und vom Leichtathletil-Sportklub fehr gelungene ſchwei— 
zerifhe olympifhe Spiele ab. 

3. Witterung. Im Monat Zuli 1916 betrug das 
Mittel der Temperatur 175, das mittl. Temp. Minimum 
13,4, das mittl. Temp.-Marimum 22,3% C, das Mittel des 
Luftdruds 7382, die Summe der DNiederfchlagmenge 


137 mm, die Summe der Sonnenfcheindauer 206 Stunden. 


Der Monat fiel wie fein Vorgänger, gemeflen am lang- 
jährigen Durchſchnitt, viel zu naß und zu kalt aus und über— 
ließ dem Auguft ein großes Manko an Sonnenfhein und 
Wärme zu deden. 


396 


Auguft 1916. 


1. Die Bundesfeier madt ih in buntem Flaggen- 
fhmud der innern Stadt und in dem üblichen abendlichen 
Seftgeläute geltend. Nach Feierabend verfammeln fich die 
Vereine und vaterländifchen Organifationen zu gemein: 
famer Begehung des Tages mit Reden, Mufil, Gefang und 
turnerifchen Vorführungen. 

Eine Autobus-QBerbindung zum regelmäßigen 
Dienft zwifchen den im Bundesbahnhof und in Leopoldshöhe 
ankommenden und abgebenden Schnellzügen macht ihre 
erften Fahrten vom Sentralbahnplag zum Otterbach. 

2. Das Finanzdepartement teilt der Regierung mit, daß 
der Ertrag der eidgendffifhen Kriegsfteuer für 
DBafelftadt ih auf rund 16 Millionen belaufen wird, 
wovon 20% — 3,200,000 Sr. dem Kanton zufallen. — Die 
Regierung befchließt, im Monat April 1917 in Baſel eine 
ſchweizeriſche Muftermeffe abzuhalten. 

4. Zm Alter von 55 Jahren flirbt nach) ſchwerem Leiden 
Dr. 8. Hägler-Paflavant, a. o. Profeflor an der Uni- 
verfität und Leiter einer ſtark befuchten Privatklinik, ein 
weithin befannter Chirurg und Bakteriolog und gefchidter 
Operateur. — M. Nehrakher-Gilbert, Hausvater der 
Anftalt zur Hoffnung für ſchwachſinnige Kinder vor deren 
Perftaatlihung, ftirbt im Alter von 72 Jahren. 

7. Durch Abfturz in den Bergen von Melchjee-Frutt 
findet den Tod Senſal Gottl. Probft-Schilling, ein all- 
gemein bekannter und beliebter Mann, KRaflier des Hilfs- 
vereins für Bruſtkranke. 

13. Auf der Breite findet ein Turntag des bafel- 
ftädtifchen Zurnverbandes, im benachbarten Binningen ein 
nordweftffhweizerifhesNRing und Shwing- 
fett ftatt; auf der Strecke Birsfelden-Stein und zurüd 
mefjen fih die Vereine des Basler Radfahrerbundes im 
Gruppenwettfahren. Das Zufammentreffen diefer 


397 


Anläffe auf einen Sonntag liegt darin begründet, daß die 
auf den 21. Auguft bevorftehende Mobilifation der 11. Aus- 
zug-Infanterie-Brigade eine große Zahl der Teilnehmer für 
längere Zeit unter den Waffen halten wird. 

14. Im Alter von 61 Zahren flirbt Ronr. Born: 
hauſer, fehr gefchäßter Lehrer der Rnaben-Primarfchule. 

19. Der Trambetrieb auf der Linie Zeughaus: 
St. Jakob wird aufgenommen (f. zum 1. April). 

20. Die Rreispoftdireftion Baſel teilt mit, daß bis auf 
weiteres der Beftelldienft an Sonntagen auf: 
gegeben werden muß. — Zum Pfarrer an der Matthäus: 
gemeinde für den aus Gefundbeitsrüdfichten zurüdtretenden 
D. Marbah wird ohne Gegenkandidaten einftimmig ge- 
wählt Pfr. Fridolin Heer, zurzeit an der reformierten Ge— 
meinde in Luzern. 

Auf der Breite widelt fih programmgemäß der zweite 
Teil und Schluß des Turntages des bafelftädtifchen 
Turnverbandes ab. 

23. Die Regierung wählt zum 2. Gefretär des Vor— 
mundfchaftswefens Louis Bent von Bafel. 

26. Das St. Zafobsfeft fpielt fi bei günſtiger 
Witterung und unter zahlreicher Beteiligung ab. Feftredner 
war der derzeitige Präfivdent des Großen Rates, Dr. ®. €. 
Scherer. Für das Militär und für die Radetten waren be- 
fondere Heine Feiern veranftaltet worden. 

30. Die Regierung wählt zum ordentl. Profeflor für 
Gynäkologie und Geburtshilfe und zum Direktor des Frauen- 
jpital$ Dr. Alfred Labhard. — In Ronftanz ftirbt S1- 
jährig Oberftlt. W. Miville aus Baſel, früher fchweize- 
riſcher KRavallerie-Inftruftor. 

31. Witterung Im Monat Auguft 1916 betrug 
das Mittel der Temperatur 17,7, das mittl. TZemp.- Minimum 


13,5, das mittl. Temp.-Marimum 23,09 C, das Mittel des 


Luftdrucks 737,6, die Summe der'Niederfchlagmenge 107 mm, 
die Summe der Sonnenjcheindauer 244 Stunden. Wenn 


398 


— ——— — — 


auh der Monat noch bedeutend wärmer und beller hätte 
ausfallen dürfen, ohne daß die Natur darunter gelitten haben 
würde, fo ift Doch anzuerkennen, daß er feit mehr als 11% 
Jahren der erſte Monat ift, deſſen Bewölfung erheblich unter 
dem 52jährigen Mittel Liegt (48% der Himmelfläche anftatt 
52%). | 


September 1916. 


1. Die Regenz der Univerfität ernennt zum Lektor für 
Kriegsaefhichte an der philofophifchen Fakultät den Oberft 
i. ©. Rarl Egli. 

2. Die an der Binnenſchiffahrt in der 
Schweiz intereffierten Behörden und Verbände bejprechen 
unter dem Vorſitz von Ständerat Dr. Wettftein (Zürich) 
die Gründung eines neuen Vertrags betr. die Rheinichiffahrt 
mit Mannheimer und holländifchen Firmen. Die Verfamm- 
fung beſchloß, die neuen Vorfchläge zur Prüfung der Zen: 
tralfommiffion der fchweizerifhen Schiffahrtsverbände zu 
unterbreiten. 

Sm Hotel Univers findet eine von der Gefellichaft 
Pro Gallia organiferte Mufterfhau franzöſiſcher 
Modeartitel und Neuheiten für die Gefchäfts: 
welt ftatt. 

3. Die ſozialdemokratiſche Partei hatte den 
heutigen Tag mit den Parteigenofjen der übrigen Schweizer 
Städte zu Demonftrationen der fozialdemokratifchen Jugend 
gegen das Militär benützen wollen. Der Bundesrat verbot 
aber alle Umzüge und Verfammlungen im Freien. Um jede 
Zuwiderhandlung im Keim zu erftiden, hatte das Armee: 
fommando eine Yrigade bei Baſel zufammengezogen. So 
erlebte die Stadt flatt des „roten” Sonntags einen militä- 
riihen Sonntag. Die Angehörigen der Brigade wurden für 
dieſen Sonntag mit einem freien Tag am 5. September ent- 
fhädigt und belebten zahlreich in ungezwungenen Verbänden 
an diefem Tag die Gaſſen Baſels. 


399 


5. Im Alter von 82 Zahren ftirbt 9. 6. Schwarz 
Gutzwiller, ehemals Präfident des bafellandfchaftlichen Ap— 
pellationsgerichts, Direktor der bafellandfchaftlihen Hypo- 
thefenbanf und Leiter der Filiale diejes Inftituts in Baſel. 

12. Der Weitere BDürgerrat erledigt eine An- 
zahl Begehren um Aufnahme ins Bürgerrecht. 

13. Eine von der fozialdemofratifchen Partei und vom 
Arbeiterbund veranftaltete Berfammlung zum Pro 
teft gegen die Lebensmittelteuerung auf dem 
Marktplag nahm einen ruhigen Verlauf und ſchloß mit der 
Annahme einiger an die Regierung zu richtender Forderungen 
zur Erleichterung der Notlage. 

15. Im Ulter von 81 Jahren ftirbt Hptm. 3. Stauf 
fer, früher fantonaler Snftruftor und Rafernenverwalter, viel- 
verdient um KRadettenwefen und militärifchen Vorunterricht. 

16. Die Regierung befördert zum Major der Feuer: 
wehr den bisherigen Hauptmann R. Flügel und ernennt 
ihn zum Kommandanten der Feuerwehr. 

20. Die Regierung wird wegen des Verbots betr. den 
Verkehr mit poftregalpflihtigen Sendun— 
gen über Die Grenze beim eidgen. Poft- und Eifen- 
bahndepartement vorftellig. 

21. Jahresfeſt der Diakoniffenanftalt in 
Riehen. 

23./24. Die Sektion Baſel des Schweiz. Rennvereing 
veranftaltet einen Concours hippique mit Gelände: 
ritt und Springfonfurrenz famt Rennen auf 
den St. Zafobsmatten, der bei außergewöhnlicher Gunft der, 
Witterung und ehr ftarker Teilnahme der Reiterfchaft und 
des Publikums einen ungetrübten Verlauf nimmt. Dei der 
ganzen Peranfaltung war das militärifche Element ſtark 
vertreten. | 

Sn Rieben hält der dortige Tandwirtfchaftliche Verein 
eine ſtark beihidte interfantonale landmwirt- 
ſchaftliche Ausftellung ab. 


400 


24. In feinem 70. Altersjahr ftirbt 3. Thalmann, 
gebürtig aus dem Kanton Thurgau, feit Jahrzehnten in Baſel 
als Primarlehrer erzieheriſch tätig. 

27. Die Allg. Mufifgejellichaft wählt zu ihrem Präſi— 
denten Dr. Paul Speiſer-Thurneyſen. 

28. Nah Erledigung einiger Fleinerer während feiner 
Serien aufgelaufener Gefchäfte wählt ver Große Rat zum 
zweiten Staatsanwalt Dr. Walter Meyer, bisher Unter: 
fuhungsrichter, zum Unterfuchungsrichter Dr. Paul Röhrl. 
Hierauf wird die Kriegsteuerungszulage für einen Teil des 
Perſonals der öffentlichen Verwaltung an Hand genommen 
und die vom Rate an den Anſätzen vorgenommenen Er- 
böhungen an den Regierungsrat gewiefen mit dem Auftrag, 
bis zur nächſten Sigung über deren finanzielle Tragweite 
zu berichten. | 


30. Witterung. Im September 1916 betrug der 
Durchſchnitt der Temperatur 12,9, das mittl. TZemp.-Minimum 
94, das mittl. Temp.-Marimum 17,20 C, das Mittel des 
Luftdruds 737,5, die Summe der Niederfchlagmenge 76 mm, 
die Summe der Sonnenfcheindauer 131 Stunden. Die Wit- 
terung des Monats war fchlecht, da namentlich die Sonnen: 
fcheindauer viel zu gering war Gojähriges Mittel 179 
Stunden) und infolgedeflen ein erhebliches Manko an Wärme 
fi einftellte. 


Oktober 1916. 


1. Sn Arlesheim flirbt nach langer Krankheit im Alter 
von 71 Zahren Oberft Wilh. Alioth-Viſcher, Direktor der 
Snöduftriegefelihaft für Schappe, früher Präfident Der 
Handelsfammer, langjähriges Mitglied des Großen Rates, 
Doktor der Philofophie hon. c. u. f. f.; und in Preles im 
. dortigen Basler Ferienheim nach) fchwerem Leiden Lehrer 
3. Müller-Landolf, Präfident der Peftalozzigefellichaft 
und Mitglied der Verforgungstommiffion, 64 Jahre alt. 


401 26 


4. Antiftes D. U. v. Salis vollendet das 25. Zahr 
feiner Tätigkeit als Hauptpfarrer am Münfter und Präſi— 
dent des Kirchenrats der evangelifch-reformierten Kirche (ehe: 
mals Antiftes). Obfehon er fi eine öffentliche Feier ver: 
beten bat, ftellen fih Doch feine Gemeinde, das Kapitel, die 
gefamte Basler Kirche und die Regierung des Kantons mit 
ihren Glüdwünfchen ein. 

12. Sm Großen Rat wird nah Erledigung zweier 
Snterpellationen die Vorlage betr. Rriegsteuerungszulage an 
einen Teil des Perfonals der öffentlichen Verwaltungen, die 
dem Staat gegen das Budget eine Mehrausaabe von 305 000 
Franken bringt, angenommen, ein Kredit für Anſchaffung 
eines GElektromobils für die Bad: und Wafchanftalt (18 250 
Franken) bewilligt, die Staatsrechnung 1915 genehmigt und 
die Perfonal-VBermehrung bei der Finanzkontrolle befchloflen. 
Endlich werden ein Anzug betr. Einführung der amerifa- 
nifchen Arbeitszeit überwiesen, ein anderer betr. Revifion des 
Rantonalbanfgefeges abgelehnt. 
| 15. Der neu gewählte Geiftlihe zu St. Matthäus, Pfr. 
Sridol. Heer, wird im Morgengottesdienft in fein Amt 
eingeführt. 

16. Sn hohem Alter flirbt Prof. Ed. Hagenbach— 
Burckhardt, 1872—1912 Profeflor der KRinderheiltunde an 
der Univerfität, Oberleiter des Rinderfpitals, in feinem Spe- 
zialfach auch Über die Grenzen der Schweiz hinaus als Auto- 
rität hoch angefehn, in fanitarifhen und in Schulbehörden, 
fowie auch feinerzeit im Großen Rat für das Wohl feiner 
Vaterſtadt vielfach tätig. 

18. Sn der Lufasfapelle findet eine befcheidene 
Seier zur Erinnerung an die vor 25 Zahren erfolgte Ein- 
weihung des Gotteshaufes ftatt. 

24.ffg. In diefen Tagen findet ein Verkauf von Ar— 
beiten Eranker und refonvaleszenter Schweizer Wehr: 
männer Statt, die in Leyfin und in Solothurn verpflegt 
werden, und, damit zeitlich zum Teil zufammenfallend, ein 


402 


großer Bazar zugunften des Jugendwerks der 
Guttempler im Mufilfaal des Stadtkafinos. 

25. Der Regierungsrat genehmigt das Rücktrittgeſuch 
des langjährigen Gefretärs des Polizeidepartements ©. 
Haller. | | 

27. Die Meſſe wird eröffnet und bietet auf Bar— 
füßer-, Roblen- und Petersplaß, fowie auf dem Areal des 
alten Badifhen Bahnhofs die gewöhnlichen Schaubuden 
und KRaufgelegenheiten. 

29. Die fantonalen und ftädtifhen Che 
mifer der Schweiz halten ihre Verfammlung in Baſel 
mit vielen wiflenfchaftlichen Vorträgen und mit Belfichtigung 
des neuen ftädtifchen Laboratoriums. — Pfr. 8. Herzog 
zu St. Deter begeht die Feier feiner 25jährigen Amtstätigkeit. 

Sn einer Wohnung an der Voltaftraße ereignet fich in- 
folge unvorfihtigen Gebrauhs von Petrol eine Erplo- 
fion, die einer Hausmutter und zwei Kindern das Leben 
koſtet. 

30. Zum Präſidenten der Hiſtoriſchen Geſellſchaft wird 
auf drei Jahre gewählt Dr. Auguſt Huber. 

31. Der Weitere Bürgerrat behandelt nad) Er— 
ledigung zweier Interpellationen eine Anzahl Begehren um 
Aufnahme ins Bürgerrecht. — Dr. Theodor Gerold hält 
ſeine Habilitationsvorleſung über „Das Mittelalter in der 
franzöfifchen Oper des 18. Jahrhunderts“. 

Witterung Die Hauptwerte der Witterung im 
Monat Oktober 1916 waren: Mittel der Temperatur 10,2, 
mittl. Temp. -Minimum 7 1, mittl. Temp. -Marimum 14,19 C, 
Mittel des Luftvruds 739,7, Summe der Niederfchlagmenge 
73 mm, Summe der Sonnenfcheindauer 122 Stunden. Die 
Witterung des Monats war zu trüb und fonnenarm bei nor: 
malen Niederichlagverhältniffen. Verglichen mit dem lang- 
jährigen Mittel fiel der Monat etwas zu warm aus. Der 
22. Dftober brachte den erften Froft des Winters, den ein- 
zigen im Monat. 


403 








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Los Angeles 
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