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Full text of "Bau- und Kunstdenkma˜ler des Regierungsbezirks Wiesbaden;"

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DIE  BAU:  &  KUNST: 
DENKMAELER  DBS 
S^RH  EINGAUES  221 


HEINRICH  KELLER- FRANKFURT  A-M 


DIE 

BAU-  und  KUNSTDENKMÄLER 

DES 

RHEINGAUES. 


DIE 

BAU-  und  KUNSTDENKMÄLER 

DES 

REGIERUNGSBEZIRKS  WIESBADEN 

HERAUSGEGEBEN 

VON  DEM 

BEZIRKSVERBAND  DES  REGIERUNGSBEZIRKS  WIESBADEN 

I.  BAND: 

DER  RHEINGAU 


FRANKFURT  A.  M. 
KOMMISSIONSVERLAG  VON  HEINRICH  KELLER. 
1902. 


JOLiUS  SCHENK  JR. 

ARCHITEKT 


DIE 

BAU-  und  KUNSTDENKMÄLER 

DES 

RHEINGAUES 

IM  AUFTRAGE 

DES  BEZIRKSVERBANDES  DES  REGIERUNGSBEZIRKS  WIESBADEN 
BEARBEITET  VON 

FERDINAND  LUTHMER 


FRANKFURT  A.  M. 
KOMMISSIONSVERLAG  VON  HEINRICH  KELLER. 
1902. 


Druck  und  Papier  von  Ph.  von  Zabern,  Mainz. 
Photographische  Aufnahmen  von  C. Bielek,  Eltville;  Pet.  Weber,  Mainz; 
C.Böttcher,  Frankfurt  a.  M.;  Heiderich,  Rüdesheim  und  dem  Verfasser. 
Lichtdruck  von  Martin  Rommel  &  Co.,  Stuttgart. 
Cliches  von  Meisenbach,  Riffarth  &  Co.  in  Berlin 

und  Weinwurm  &  Haffner  in  Stuttgart. 
Farbendruck  von  Maubach  &  Co.,  Frankfurt  a.  M. 


Fig.  31.    Rüdesheim  Brömserhof. 

Gewölbe  -  Malereien. 
Siehe  Seite  41 . 


Digitized  by  the  Internet  Archive 
in  2014 


https://archive.org/details/bauundkunstdenkm01luth 


VORWORT. 


as  im  Auftrage  des  Bezirks- Verbandes  des  Regierungsbezirks  Wiesbaden 
bearbeitete  Verzeichniss  der  Bau-  und  Kunstdenkmäler  des  Rheingau- 
kreises bildet  den  ersten  Band  eines  sich  über  das  ganze  Gebiet 
des  genannten  Regierungsbezirks  erstreckenden  Inventarienwerkes.  In 
Zwischenräumen  von  etwa  zwei  Jahren  soll  diesem  Bande  die  Bearbeitung  der  übrigen 
Kreise  etwa  in  nachstehender  Gruppirung  folgen : 

Band  II.    Kreis  Usingen;  Obertaunuskreis;  Kreis  Höchst;  Landkreis  Frankfurt. 
Band  III.  Kreis  Limburg ;  Unterlahnkreis ;  Oberlahnkreis. 
Band  IV.  Kreis  Biedenkopf;  Dillkreis;  Oberwesterwaldkreis;  Kreis  Westerburg. 
Band  V.    Unterwesterwaldkreis;  Kreis  St.  Goarhausen ;  Stadt-  und  Landkreis 

Wiesbaden ;  Untertaunuskreis. 
Das  vorliegende  Buch  ordnet  sich  dem  Kreise  der  deutschen  Inventarisations- 
Werke  ein,  welche  innerhalb  der  letzten  zwanzig  Jahre  bereits  den  grössten  Theil 
der  Bau-  und  Kunstdenkmäler  Deutschlands  umfasst  haben.  Im  Besonderen  sind  die 
Inventare  der  Nachbargebiete,  der  preussischen  Rheinprovinz  und  des  Grossherzog- 
thums Hessen  in  der  Behandlung  des  Stoffes  und  der  äusseren  Ausstattung  vorbildlich 
gewesen.  Das  ausgezeichnete  Werk  von  Dr.  W.  Lötz  und  Fr.  Schneider  „Die  Bau- 
denkmäler des  Regierungsbezirks  Wiesbaden,"  Berlin  1880,  Ernst  und  Korn,  bildete 
selbstverständlich  die  Grundlage  dieses  neuen  Unternehmens  und  den  zuverlässigen 
Führer  bei  der  Durchforschung  seines  Gebietes. 

Den  erweiterten  Anforderungen,  welche  neuerdings  an  die  Inventarisation  gestellt 
werden,  suchte  das  Buch  dadurch  gerecht  zu  werden,  dass  die  zeitliche  Grenze  bis 
zum  Ende  des  18.  Jahrhunderts  heraufgerückt,  den  Denkmälern  der  dekorativen  Kunst 
eine  eingehendere  Aufmerksamkeit  geschenkt  und  für  die  Beschreibung  eine  zu- 
sammenhängende Darstellung  gewählt  wurde.  Grade  in  letzter  Beziehung  war  be- 
stimmend der  Wunsch  der  Herausgeber,  das  Interesse  für  die  Ueberreste  heimischer 
Kunst  in  die  weitesten  Kreise  zu  tragen,  indem  man  ihre  Beschreibung  in  die  Form 
einer  auch  dem  Nicht-Fachmann  willkommenen  Lektüre  kleidete ,  deren  Belastung 
mit  archivalischer  Forschung  weder  als  Bedürfniss,  noch  mit  dem  vorgeschriebenen 
Umfang  des  Buches  vereinbar  erschien.  Der  Verfasser  ist  sich  wohl  bewusst,  dass 
nach  dieser  Richtung  seine  Arbeit  nicht  alle  Anforderungen  methodischer  Geschichts- 
forschung erfüllt  —  wie  er  auch  darauf  gefasst  ist,  dass  manche  Spezialforscher  in 
diesem  Inventar  nicht  die  eingehende  Berücksichtigung  ihrer  Sondergebiete  finden 
werden,  die  sie  vielleicht  erwarten.  Dagegen  wünscht  und  hofft  er,  dass  das  Buch 
in  einem  möglichst  weiten  Leserkreise  die  Freude  an  der  Heimath  und  ihren  Denk- 
mälern befestigen  hilft. 


VI 


LITTER  ATURN  ACHWEIS. 

Bär,  P.  Hermann.  Diplomatische  Geschichte  der  Abtei  Eberbach  im  Rheingau, 
herausgeg.  von  Dr.  K.  Rossel,  Wiesbaden  1855  ff.,  2  Bde. 

Bär,  Hermami.  Diplomatische  Nachrichten  von  der  natürlichen  Beschaffenheit  und 
Kultur  des  Rheingaues  in  mittleren  Zeiten.  Mainz  1790,  8°,  Beiträge  zur  Mainzer 
Geschichte  der  mittleren  Zeiten,  Stück  II. 

Bodmann,  Frans  Jos.  Rheingauische  Alterthümer  oder  Landes-  und  Regiments  ver- 
fassung des  westlichen  oder  Niederrheingaues  im  mittleren  Zeitalter.  Mainz  1819. 4°. 

von  Cohausen.  Die  Bergfriede,  besonders  rheinischer  Burgen  (in  „Jahrbücher  des 
Vereins  von  Alterthumsfreunden  im  Rheinlande,"  Bd.  28,  Bonn  1860,  S.  1—53.  8°. 

von  Essenwein,  A.  Die  Kriegsbaukunst.  Handbuch  der  Architektur,  II.  4.  Bd.  1.  Heft. 
Darmstadt  1889. 

Geier  und  Görs.    Denkmale  romanischer  Baukunst  am  Rhein.   Frankfurt  a.  M.  1846  ff. 
Gottschalk,  Fr.    Die  Ritterburgen  und  Bergschlösser  Deutschlands.    9  Bde.  Halle 
1815-35.  8°. 

Gudenus.    Codex  diplomaticus,  T.  I — V.    Goettingae  1743 — 1768.  4°. 

Heideloff,  Carl.    Ornamentik  des  Mittelalters.    300  Kupfertafeln  und  erklärender 

Text.    Nürnberg  o.  J. 
Helwich.    Syntagma  monumentorum.  fol.  Manuscr.  der  Erzbisch.  Seminar-Bibliothek 

zu  Mainz. 

Hochstädter}  J.  Mittelalterliche  Bauwerke  im  südwestlichen  Deutschland  und  am 
Rhein.    St.  Michaelkapelle  zu  Kiederich,  mit  9  Tafeln.    Carlsruhe  1865,  fol. 

Kallenbach,  Georg  Gottfried  und  Jac.  Schmitt.  Die  christliche  Kirchenbaukunst  des 
Abendlandes  von  ihren  Anfängen  bis  zur  vollendeten  Durchbildung  des  Spitz- 
bogenstyls.    Halle  1852-1853.  4°. 

Keuscher.    Geschichte  des  Schlosses  Ehrenfels  und  des  Mäusethurms,  Rüdesheim  1852. 

Krieg  von  Hochfelden,  G.  H.  Grossh.  bad.  Generalmajor  a.  D.  Geschichte  der 
Militär-Architektur  in  Deutschland  mit  Berücksichtigung  der  Nachbarländer, 
von  der  Römerherrschaft  bis  zu  den  Kreuzzügen,  nach  Denkmälern  und  Ur- 
kunden.   Stuttgart  1859.  8°. 

Lots,  Prof.  Dr.  W.  Die  Baudenkmäler  im  Regierungsbezirk  Wiesbaden,  im  Auftrage 
des  königl.  Ministeriums  für  geistliche,  Unterrichts-  und  Medizinal-Angelegen  - 
heiten  bearbeitet;  herausgegeben  von  Friedrich  Schneider,  Berlin  1880. 

Meissner,  Daniel.  Libellus  novus  politicus  emblematicus  civitatum,  pars  II.  Nürnberg  1638. 

Meria>i.    Topographia  archiepiscopatus  Moguntiaci  1644. 

Piper,  Otto.  Burgenkunde.  Forschungen  über  gesammtes  Bauwesen  und  Geschichte 
der  Burgen  innerhalb  des  deutschen  Sprachgebietes,  München  1895.  8°. 

Rossel,  K.    Urkundenbuch  der  Abtei  Eberbach  im  Rheingau.    Wiesbaden  1862  ff. 

Rossel,  Dr.  Karl  und  Görs,  R.  Denkmäler  aus  Nassau.  Herausgegeben  von  dem 
Verein  für  Nassauische  Alterthumskunde  und  Geschichtsforschung.  I.  Heft. 
Wiesbaden  1852.  4°. 


VII 


Rossel,  Dr.  Karl.  Denkmäler  aus  Nassau.  II.  und  III.  Heft.  Die  Abtei  Eberbach 
im  Rheingau.  Im  Auftrag  des  Vereins  für  Nassauische  Alterthumskunde  und 
Geschichtsforschung.    1.  u.  2.  Lfg.    Wiesbaden  1857,  1862.  4°. 

Roth,  F.  W.    Fontes  rerum  Nass.  Wiesbaden  1880-84,  8°. 

Roth,  F.  W.  Archivar  a.  D.  Geschichte  der  Stadt  Geisenheim  im  Rheingau,  nach 
archivalischen  Quellen  bearbeitet.  Herausgeg.  von  B.  Feldmann,  Pfarrer  und 
Schulinspector  zu  Geisenheim.    Geisenheim  1892. 

Sachs  und  Rossel.  Album  von  Nassau,  Sammlung  der  schönsten  Ansichten  des 
Herzogthums  nach  Original-Aufnahmen  von  Michael  Sachs.  Mit  erläut.  Text 
herausgeg.  von  Karl  Rossel.    Abth.  I.    Wiesbaden  1864.    Quer  4°. 

Sauer,  Dr.  W.  Kgl.  Archivar  zu  Wiesbaden.  Codex  diplomaticus  nassoicus.  Nass. 
Urkundenbuch,  I.  Bd.,  Abth.  1-3.    Wiesbaden  1885-87. 

Schliephake.    Geschichte  von  Nassau,  Wiesbaden  1866—1889,  Bd.  1—7.  8°. 

Schmelseis,  Ph.  Pfarrer  zu  Eibingen.  Rüdesheim  im  Rheingau  von  seinen  Anfängen 
bis  zur  Gegenwart,  vorgeführt  von  Ph.  Schmelzeis,  Rüdesheim  1881.  8°. 

Statz,  V.  und  G.  Ungewitter.  Gothisches  Musterbuch.  Mit  einer  Einleitung  von 
A.  R eiche nsperg er,  Leipzig  1856  fol. 

Stoff,  Leopold  M.  E.  Die  Abtei  Eberbach  im  Rheingau.  Ein  kurzgefasster  Führer 
für  die  Besucher  derselben.    Wiesbaden  1879. 

von  Stromberg,  Chrn.  Denkwürdiger  und  nützlicher  rheinischer  Antiquarius.  Von 
einem  Nachforscher  in  historischen  Dingen.  Abth.  II.  Das  Rheinufer  von 
Coblenz  bis  zur  Mündung  der  Nahe,  historisch  u.  topograph.  dargestellt  durch 
Chrn.  v.  Stromberg.    Bd.  1-20.    Coblenz  1843-1871. 

Vogel,  C.  D.  Decan  in  Kirberg.  Beschreibung  des  Herzogthums  Nassau.  Wies- 
baden 1843. 

Würdtwein,  Steph.  Alex.  Dioecesis  Moguntina  in  Archidiaconatus  distincta  et  com- 
mentationibus  diplomaticis  illustrata.    T.  I — III,  Mannheimii  1769  —  1777.  4°. 

Zaun,  J.  Geistl.  Rath  und  Pfarrer  zu  Kiederich.  Beiträge  zur  Geschichte  des  Land- 
kapitels Rheingau  und  seiner  vierundzwanzig  Pfarreien.    Wiesbaden  1879. 

Zaun,  J.    Geschichte  des  Ortes  und  der  Pfarrei  Kiederich.    Wiesbaden  1879.  8°. 


vm 


ZUSATZE  UND  BERICHTIGUNGEN. 


Ueber  die  Frankfurter  Glockengiesser,  deren  Namen  sich  auf  Rhein- 
gauer  Glocken  finden,  ist  folgendes  zu  ermitteln  gewesen. 

1.  Joannes  de  Francfort,  1377,  goss  zwei  Glocken  zu  Erbach  (S.  175).  Von  diesem 
Giesser  berichtet  Pfarrer  Falk  in  den  „Mittheil,  des  Ver.  f.  Gesch.  u.  Alterthumskde." 
Frft.  V,  S.  608,  dass  ein  Meister  Johann  (Henne),  Glockengiesser,  1362  und  1375  in  einem 
Hause  beim  Lumpenborn  in  Frankfurt  lebte ;  wahrscheinlich  derselbe  „Johann,  Glocken- 
giesser zu  Frankfurt"  goss  1374  die  grosse  Glocke  in  der  Burgkirche  zu  Friedberg. 

2.  Martin  Moller  von  Frankfurt,  1477,  Glocke  zu  Hattenheim  (S.  180).  Martin 
Moller  aus  Salza,  dem  Frankfurt  die  Bartholomäus-  und  Karolusglocke  im  Dom  verdankte, 
arbeitete  1463  in  der  Giesshütte  hinter  dem  Martha-Spital  (später  Konstablerwache). 
(Grotefend  im  Korrespondenzbl.  d.  Westd.  Zeitschr.  f.  Gesch.  u.  Kunst  VI,  Nr.  10,  S.  239.) 

3.  Heinrich  Müller  von  Frankfurt,  1484,  Glocke  zu  Geisenheim.  Wahrschein- 
lich ist  dies  der  ausgezeichnete  Büchsenmeister  Heinrich  Molner,  den  Frankfurt  1453  den 
Erfurtern  abspenstig  machte  und  im  vorgenannten  Giesshaus  installirte.  Derselbe  focht 
im  Türkenkriege  und  richtete  interessante  Berichte  hierüber  an  den  Senat  (ebda). 

4.  Hans  zu  Frankfurt,  1513,  Glocke  zu  Hattenheim  (S.  180)  und  zwei  zu  Kidrich 
(S.  194, 195).  Am  lb.  Januar  1511  wurde  ein  Hans  von  Winterbergk  (Städtchen  im  Sauerland) 
durch  Dienstbrief  (im  Frft.  Archiv)  als  Büchsenmeister  für  die  Stadt  verpflichtet.  Da  im 
Dienstbrief  der  Familienname  fehlt,  so  ist  nicht  festzustellen,  ob  dieser  Giesser  mit 
Hans  Lehne,  der  1538  für  Hattenheim  eine  weitere  Glocke  goss,  dieselbe  Person  ist. 

5.  Stephan  von  Frankfurt,  1517,  Glocke  zu  Hallgarten  (S.  183).  Ist  wohl  der 
Frankfurter  Büchsenmeister  Steffan  von  Bingen,  der  in  seinem  a.  5.  Mai  1515  dat. 
Dienstbrief  (Frft.  Archiv)  ausdrücklich  „Glockengiesser"  genannt  wird.  Wir  finden  den- 
selben 1520  wieder  als  Giesser  einer  Glocke  in  Langen  (Hess.  Inventar.  Kr.  Offenbach). 


daselbst  (S.  68)  ist  sechseckig.  Das  S.  70  nach  Lötz  aufgeführte  Hospital  ist  Ende 
der  neunziger  Jahre  abgebrochen.  ^ 

Lorch,  Pfarrkirche.  Unter  dem  Dache  des  nördlichen  Seitenschiffes  bemerkt 
man  in  der  Obermauer  des  ersten  Joches  des  Südchors  (von  Osten)  eine  senkrechte 
Mauerfuge,  bei  welcher  der  Verband  auf  die  ganze  Höhe  der  Obermauer  unterbrochen 
ist.  Die  Stelle  entspricht  etwa  der  westlichen  Leibung  des  gegenüberliegenden 
Fensters.  Im  nächsten  Joch  nach  Westen  findet  sich  in  derselben  Oberwand,  in  der  Höhe 
des  Schildbogens  eine  niedrige ,  im  Halbkreis  geschlossene  Oeffnung,  jetzt  vermauert. 

S.  162,  10.  Z.  von  unten  muss  heissen  Fig.  155. 


Eltville.  Die  südwestliche  Ecke  des  Palas  in 
der  erzbischöflichen  Burg  (S.  66  f.,  Fig.  52)  ist  nach 
nebenstehender  Skizze  richtigzustellen.  In  der  ersten 
Zeile  derselben  Seite  muss  das  Wort  „zinnen- 
bekrönter" wegfallen. 


Der  Treppenthurm  des  Stockheimer  Hofes 


Graf  zu  Ingelheim 


Graf  zu  Eitz 


Graf  au  Schönborn 


Graf  Boos  v.  Waldeck 


EINLEITUNG. 


IE  geographische  Grenze  des  Rheingaukreises  im  Süden  und  bei  der 
am  Niederwald  sich  vollziehenden  nördlichen  Abbiegung  des  Rheines  im 
Westen  bis  Lorchhausen  ist  der  Rheinstrom.  Im  Osten  zieht  sich  die  Grenze 


VjSRSSjW  etwa  2  Kilometer  östlich  vom  Lauf  der  Waldaffe  mit  diesem  Bach  parallel, 
den  sie  kurz  unterhalb  Schlangenbad  trifft.  Von  diesem  Orte  steigt  sie  auf  den  Kamm 
des  Gebirges  empor,  zieht  sich  1,5  Kilometer  südlich  von  Bärstadt  und  dicht  unter 
Hausen  v.  d.  Höhe  nach  Südwesten,  macht  um  den  Mapper  Hof  eine  starke  Schleife 
nach  Süden  und  wendet  sich  dann,  mehrere  Querthäler  durchschneidend,  nordwestlich 
ins  Thal  der  Gladbach,  von  dessen  Ausmündung  ins  Wisperthal  sie  dem  letzteren 
etwa  2,5  Kilometer  folgt.  Bei  der  Neumühle  steigt  sie  nach  Espenschied  empor  und 
erreicht  in  westlicher  Richtung  mit  einem  Bogen  über  Norden,  der  die  Dörfer  Woll- 
merschied und  Ransel  umfasst,  das  Niederthal,  in  welchem  sie  herabsteigt  um  bei 
Lorchhausen  wieder  auf  das  Rheinufer  zu  treffen. 

Die  politischen  Grenzen  sind :  im  Osten  der  Landkreis  Wiesbaden,  im  Norden 
der  Untertaunuskreis,  nordwestlich  der  Kreis  St.  Goarshausen.  Die  durch  den  Rhein 
vom  Rheingau  getrennten  Nachbargebiete  im  Westen  sind  die  Kreise  St.  Goar  und 
Kreuznach,  im  Süden  die  der  grossherzoglich  hessischen  Provinz  Rheinhessen  ange- 
hörigen  Kreise  Bingen  und  Mainz. 

Dieses,  annähernd  ein  rechtwinkeliges  Dreieck  mit  dem  Knie  des  Rheins  als 
Winkel  bildende  Gebiet  wird  in  seinem  nördlichen  Theile  von  dem  Rheingauer  Ge- 
birge eingenommen,  dem  in  der  „kalten  Herberg"  oberhalb  Hallgarten  mit  620  Meter 
seine  höchste  Erhebung  erreichenden  südwestlichsten  Theil  des  Taunusgebirges.  Sein 
Rücken  zieht  sich  annähernd  parallel  dem  Strome  hin,  zu  dem  es  an  dem  nördlich 
gerichteten  Lauf  desselben  zwischen  Rüdesheim  und  Lorch  steil  abfällt,  meist  nur  ein 
schmales  Kulturland  längs  des  Flusses  belassend,  welches  zwischen  Rüdesheim  und 
Assmannshausen  sich  so  verengt,  dass  es  kaum  der  Strasse  Platz  gewährt.  Am  west- 
lichen Stromlauf  dagegen  zwischen  Niederwalluf  und  Rüdesheim  tritt  es  weiter  vom 
Rhein  zurück,  zeigt  von  seinem  Kamme  zunächst  ebenfalls  steile  Abfälle,  geht  dann 
aber  in  ein  vorgeschobenes  Hügelland  über,  welches  sich  hinreichend  weit  vom  Strome 


2  EINLEITUNG. 

in  die  Ebene  verläuft,  um  hier  längs  desselben  einen  breiten  Streifen  fruchtbaren 
Kulturlandes  zu  belassen. 

Der  Grundstock  des  Gebirges  besteht  aus  Taunusquarzit,  dem  sich  nördlich 
der  Wisperschiefer,  in  den  südlichen  Vorbergen  der  Taunus-  oder  Sericitschiefer  an- 
schliesst.  Die  hügeligen  Ausläufer  in  der  Ebene  bestehen  aus  tertiären  Thonen,  Cyrene- 
mergel  und  Geröllschichten ;  die  Ebene  aus  Anschwemmungen  des  Rheins  und  zahlreicher 
kleiner,  vom  Gebirge  herabkommender  Bäche,  die  Lehm,  Sand  und  Geröll  führen. 

Für  diese  Bäche  bildet  die  Höhe  des  Gebirges  die  Wasserscheide,  indem  sie 
dieselben  nach  Süden  dem  Rhein,  nach  Norden  der  Wisper  zuweist.  Während  die 
südlichen  Bäche  ihren  kurzen  Lauf  meist  ziemlich  gradlinig  verfolgen,  müssen  sich 
die  Nebenbäche  der  Wisper,  Gladbach,  Ernstbach  mit  der  Braubach,  Ellmach,  Hütten- 
thaler und  Presberger  Bach  ihren  Weg  durch  das  Schiefergebirg,  ebenso  wie  die 
Wisper  selbt,  in  vielfachen  Windungen  bahnen. 

Die  natürliche  Beschaffenheit  dieses  Gebietes  bestimmte  von  frühesten  Zeiten 
an  die  Art  der  Besiedelung  und  Bebauung.  Es  theilt  sich  in  ein  fruchtbares,  vom 
grössten  deutschen  Strom  bespültes  Ufergelände  und  ein  schwer  zugängliches,  von 
früh  an  wie  noch  heute  mit  Hochwald  bestandenes  Bergland;  zwischen  beiden  eine 
Zone  Hügelland  in  weichen,  welligen  Erhebungen,  dessen  der  Morgen-  und  Mittag- 
sonne offenen,  gegen  Norden  durch  das  Gebirge  geschützten  Lehnen  schon  in  sehr 
früher  Zeit  als  dem  Weinbau  besonders  günstig  erkannt  wurden.  So  stellt  sich  uns 
der  Rheingau  von  früh  an  bis  heute  als  ein  Acker-  und  Weinbau  treibendes  Land 
dar ;  der  Reichthum  seiner  Bodenerzeugnisse  begünstigte  eine  verhältnissmässig  dichte 
Ansiedelung,  die  sich  fast  ausschliesslich  —  mit  Ausnahme  weniger  Ortschaften  in 
den  Vorbergen  —  am  Ufer  des  Stromes  vollzog,  meist  da,  wo  einer  der  zahlreichen 
Bäche  in  denselben  einmündet.  Es  könnte  Wunder  nehmen,  dass  sich  keine  dieser 
zahlreichen  Ansiedelungen  im  Lauf  der  Zeit  zu  einer  grossen  Stadt  mit  städtischen 
Gewerben  und  weitreichendem  Grosshandel  entwickelte,  doch  fehlte  bei  der  Abge- 
schlossenheit des  Rheingaues  durch  das  äusserst  schwach  bevölkerte  Gebirge  hierfür 
die  Hauptbedingung,  ein  kaufkräftiges  Hinterland.  Der  einzige  Ort  welcher  im  Mittel- 
alter bereits  Stadtrechte  besass,  Eltville,  verdankte  dieselben  dem  Entschluss  des 
Landesherrn,  der  hier  vorübergehend  seine  Residenz  aufschlug. 

Der  Rheingau  ist  eines  von  den  wenigen  Gebieten,  deren  heutiger  Umkreis  fast 
genau  die  Gestalt  bewahrt  hat,  zu  der  es  sich  in  einer,  den  dunkeln  Uranfängen  der  Ge- 
schichte angehörigenZeit  zusammenschloss.  Kein  Wunder,  dass  das  Gefühl  der  Zusammen- 
gehörigkeit, durch  die  Erinnerung  an  eine  fast  zwölfhundertjährige  gemeinsame  Ge- 
schichte gefestigt,  sich  bis  heute  in  ungewöhnlicher  Lebhaftigkeit  erhalten  hat.  Der  Name 
Rheingau  (Rincgowe,  pagus  Rhinensis  u.  Aehnl.)  begegnet  uns  seit  dem  achtenjahrhundert. 
Allerdings  umfasste  er  zu  Anfang  ein  ungleich  grösseres  Gebiet;  er  reichte  auf  dem 
rechten  Rheinufer  vom  Lobdengau  bis  zum  Einrich,  d.  h.  von  Weinheim  an  der  Berg- 
strasse bis  unterhalb  Lorch.  Der  Main  gliederte  ihn  in  den  oberen  und  niederen  Gau, 
deren  jeder  einem  besonderen  Grafen  unterstand.  Der  niedere  Rheingau  theilte  sich  in  den 
Königssundragau,  der  vom  Main  bis  zur  Waldaffe  reichte  und  den  eigentlichen  Rheingau. 


» 


EINLEITUNG.  '  3 


Hilchin  v.  Lorch  Brömscr  v.  Rüdesheim  von  der  Spar  von  Stockheim 


Es  scheint,  dass  der  Königssundragau  in  ältester  Zeit  der  bevorzugte  und  kul- 
tivirtere  Theil  dieses  Gebietes  war.  Wenigstens  finden  wir  in  ihm  die  Königsburg  in 
Biebrich,  eine  Pfalz  in  Wiesbaden  und  mehrere  königliche  Villen.  Erst  als  Anfangs 
des  10.  Jahrhunderts  dieser  Gau  zerstückt  und  zwischen  den  Grafen  von  Nassau  und 
den  Dynasten  von  Eppstein  aufgetheilt  wurde,  gewann  der  Rheingau  erhöhte  Be- 
deutung, die  sich  befestigte,  seitdem  derselbe  961  und  983  durch  die  Schenkungen 
Königs  Otto  I.  und  Otto  II.  an  die  Mainzer  Erzbischöfe  Wilhelm  und  Willigis  Eigen- 
thum des  Erzbisthums  Mainz  wurde.  Mit  Ausnahme  eines  kleinen  Waldgebiets  im 
Nordosten,  der  sog.  Ueberhöhe,  welche  als  Lehen  der  Erzbischöfe  an  die  Grafen  von 
Katzenellenbogen  und  von  diesen  1479  an  Hessen  kam,  blieb  der  Rheingau  in  seinem 
jetzigen  Umfang  im  Besitz  des  Mainzer  Stuhles  bis  zu  dessen  Sekularisation  i.  J.  1803. 

Im  Gegensatz  zu  andern  Theilen  dieses  Besitzes  behauptete  der  Rheingau  auf 
das  ausgesprochenste  sein  eigenes  politisches  Gepräge,  bildete  gleichsam  einen  Staat 
im  Staate  oder  bietet,  nach  Riehl's  allerdings  vielfach  angefochtener  Auffassung,  den 
Anblick  eines  über  ein  grosses  Gebiet  verstreuten,  aber  in  sich  geschlossenen  und 
sogar  äusserlich  umfriedeten  Stadtbildes. 

Abgesehen  von  dieser  wehrhaften  Umfriedung  gegen  äussere  Feinde,  von  deren 
Hauptanlage,  dem  „Gebück"  noch  eingehender  zu  reden  sein  wird,  erfreuten  sich  die 
Rheingauer  einer  eigenen  Verfassung,  deren  grosse  Selbständigkeit  das  stolze  Wort 
„Rheingauer  Luft  macht  frei"  berechtigt  erscheinen  Hess.  Diese  Verfassung,  1324  im 
„Landweisthum"  niedergeschrieben  und  durch  eine  1643  verfasste  Zusammenstellung 
des  Landesherkommens,  die  amtliche  Geltung  hatte,  bestätigt,  wurde  erst  1755  durch 
das  Mainzische  Landrecht  beseitigt.  Sie  gewährte  den  Bewohnern  des  Rheingaus 
persönliche  Freiheit :  sie  waren  weder  leibeigen,  noch  hörig,  auch  Niemandem  zu 
Leibzins  oder  Frondienst  verpflichtet,  und  hatten  volle  Freiheit  des  Ein-  und  Aus- 
zuges. Sie  hatten  das  Recht  eigener  Gesetzgebung,  welches  auf  den  nach  Bedarf 
zusammenberufenen  Gaudingen  oder  Landthaidingen  geübt  wurde,  die  auf  der  bei 
Winkel  im  Rhein  gelegenen  Lutzelau,  später  in  Eltville  abgehalten  wurden  und  auf 
denen  jeder,  ob  Bauer  oder  Adliger,  der  „einen  rauchenden  Herd  und  eine  stätige 
Wohnung"  besass,  gleiches  Recht  hatte.  Diesen  Versammlungen  stand  auch  die 
höhere  Gerichtsbarkeit  zu,  während  die  niedere,  sowie  die  Land-  und  Dorfpolizei  von 
den  aus  selbstgewählten  Schultheissen  und  Schöffen  bestehenden  Dorfgerichten 
geübt  wurde. 


4 


EINLEITUNG. 


Auf  der  Lutzelau  pflegte  auch  stets  der  neugewählte  Erzbischof  und  Kurfürst  von 
Mainz  mit  grossem  Gepränge  zu  erscheinen,  um  sich  dem  Rheingau  als  sein  neuer  Ober- 
herr vorzustellen,  und  erst  nachdem  er  in  feierlicher  Handlung  die  Rechte  und  Frei- 
heiten des  „Weisthums"  beschworen  hatte,  empfing  er  den  Treuschwur  der  Rheingauer. 

Wald,  Weide  und  Wasser  waren  ursprünglich  im  Rheingau  Gemeingut,  Jedem 
zu  gleicher  Benutzung  gestattet;  erst  später  zweigten  sich  davon  Einzelbesitze  der 
Ortschaften  ab.  Ueber  die  Wahrung  dieses  Rechtes  wachte  das  Markrecht  oder  Hain- 
gericht  (Haingeraide,  Hängeroth),  dessen  Sitz  in  Eltville  war. 

a  Die  Rheingauer  waren,  wie 


Nordseite  durch  einen  lebenden  Zaun  von  riesenhaften  Abmessungen  gesichert,  des 
Landes  Bannzäune  genannt.*)  In  dem  hauptsächlich  mit  Buchen  und  Eichen  be- 
standenen Hochwald  wurden  in  einem  ca.  50  Schritt  breiten  Streifen  alle  Bäume  in 
verschiedener  Höhe  abgeworfen,  und  die  unten  ausschlagenden  Triebe  zu  einem  Zaun 
verflochten,  der  allmählich  für  Fussgänger  und  Reiter  undurchdringlich  wurde.  Um 
die  wenigen  durch  diesen  Zaun  führenden  Wege  zu  sichern,  wurden  bei  ihrem  Austritt 
befestigte  Thore  errichtet.  Ob  dieselben  schon  in  sehr  früher  Zeit  bestanden,  muss 
dahingestellt  bleiben.  Die  Hauptanlage  scheint  in  der  zweiten  Hälfte  des  15.  Jahrhunderts 
entstanden  zu  sein,  wobei  die  Feuervertheidigung  zu  Grunde  gelegt  wurde. 

Ein  ganzes  System  solcher  Vertheidigungsbauten  fand  sich  im  Thal  der  Waldaffa, 
wo  das  Gebück  seinen  Anfang  nahm.  Es  bestand  auf  der  Strecke  von  Niederwalluf 
bis  zum  Engpass  der  Klinge  (oberhalb  Neudorf  bei  der  jetzigen  Klingenmühle)  aus 
16  niedrigen,  massiv  erbauten  Thürmen,  nach  der  Angriffsseite  rund,  innen  grade 
abgeschnitten,  in  zwei  Stockwerken  kasemattirt  mit  Scharten  für  Geschütz.  Von  ihrer 

*)  von  Cohausen.  Das  Rheingauer  Gebück;  mit  einer  Uebersichtskarte,  in  Nass.  Annalen, 
113,  48  —  178  und  Tafel  12.    Bodmann,  817  fr. 


Stuhles  war  ihr  besonderes  Vor- 
recht. Vor  allem  aber  suchten 
sie  ihr  eigenes  Land  gegen 
fremde  Einfälle  zu  sichern.  Wäh- 
rend im  Süden  und  Westen  der 
Strom  den  natürlichen  Schutz 
gewährte,  wurde  die  Ost-  und 


es  freien  Männern  ziemt,  ein 
wehrhaftes  und  tapferes  Ge- 
schlecht. Wenn  sie  dem  Erz- 
bischof Heeresfolge  leisteten,  so 
kämpften  sie  unter  eigenen 
Hauptleuten  als  die  vordersten 
der  Schlachtordnung;  die  Be- 
wachung des  erzbischöflichen 
Palastes   bei  Erledigung  des 


Figur  1.    Die  Klinge,  nach  Reijfenstein  1S49. 


EINLEITUNG. 


5 


Greiffenklau  v.  Vollrats  von  Ippelbrunn  von  Hausen  Langwert/i  v.  Simmern 


Form  führten  sie  im  Volk  den  Namen  der  „Backöfen."  Besonders  bezeichnet  wurden 
unter  ihnen  das  1470  erbaute  Bollwerk  am  damals  so  genannten  Molkenborn  bei 
Neudorf,  die  „Leuchte"  oder  das  Winkeler  und  das  obere  Oestricher  Bollwerk  oder 
der  „Stock,"  vom  Erzbischof  Berthold  (1484—1504)  erbaut. 

Das  befestigte  Thor  an  der  Klinge,  wo  ein  vortretender  Schieferfels  das  Thal 
sperrte,  lehnte  sich  an  diesen  mit  einem  mit  Wehrgang  versehenen  Thorbogen, 
während  nach  der  Bachseite  ein  viereckiger  Thurm  den  Abschluss  herstellte.  Eine 
Skizze,  welche  Reiffenstein  1849  offenbar  nach  einer  älteren  Abbildung  von  dem  1822 
schon  abgebrochenen  Thor  gezeichnet  hat,  giebt 
uns  noch  ein  deutliches  Bild  der  Anlage. 

Hinter  der  Klinge  verliess  die  Befestigung 
das  Thal  der  Waldaffa  und  stieg  den  ziemlich 
steilen  Hang  der  linken  Thalseite  empor,  wo  in 
dem  jetzt  bestehenden  Jungwald  jede  Spur  ver- 
wischt ist.  Den  ersten  Gebückbäumen  begegnet 
man  auf  der  Höhe  des  Dreibornskopfes.  Sie  sind 
unter  dem  übrigen  Waldbestand  unschwer  zu 
erkennen  und  machen  den  Eindruck  riesiger 
Weidenstumpfe.  Der  uralte,  5—6  Jahrhunderte 
zählende  Stamm  steigt  etwa  6  m  nackt  in  die 
Höhe  ;  starke  Wulste  an  seinem  untern  Theil  ver- 
rathen  die  Stellen,  wo  die  zu  einem  Dickicht  ver- 
flochtenen Zweige  gesessen  haben  ;  aus  der  Krone 
haben  sich  seit  der  Zerstörung  des  Gebücks  1771 
neue  Zweige  nach  oben  entwickelt,  welche  jetzt 
die  Stärke  ansehnlicher  Stämme  haben. 

Auf  der  Höhe  angelangt,  wendete  sich  das 
Gebück  westlich,  umzog  die  süd  -  westlich  von 
Bärstadt  gelegene  kreisrunde  Schanze,  welche 
wahrscheinlich  ehemals  einen  Wartthurm  trug,  im 
Bogen  und  wendete  sich  südwestlich  nach  dem 
Dorf  Hausen  vor  der  Höhe.  Hier  hatten,  südöstlich 
vor  dem  Dorf  die  Kidricher  im  Anfang  des  15.  Jahr- 


Figur  2.  Gebückbaum  bei  Hansen  v.  d.  H. 


EINLEITUNG. 


hunderts  das  HauserBollwerk  errichtet,  einen  starken  burglichen  Bau  mit  hohem 
Thurm ,  durch  einen  halbmondförmigen  Erdwall  geschützt,  der  jetzt  gänzlich  ver- 
schwunden ist;  nur  ein  besonders  schöner  Gebückbaum  am  Eingang  des  Waldes  er- 
innert hier  an  die  Landbefestigung.  In  südöstlicher  Richtung  dicht  nördlich  neben  dem 
uralten  Rennweg  oder  der  „hohen  Strasse"  fortschreitend,  wo  an  der  Kreuzung  desselben 
mit  der  von  Eltville  nach  Obergladbach  führenden  Strasse  wieder  eine  schöne  Gruppe 
von  Bäumen  erhalten  ist,  erreichte  dann  das  Gebück  die  Mapper  Schanze,  einen 
befestigten  Thorbau,  welcher  die  von  Oestrich  das  Gebirge  überschneidende  Strasse 
schützte.  Von  diesem  steht  noch  eine  ansehnliche  Ruine,  ein  viereckiger  Thorthurm, 
durch  dessen  spitzbogige  Thor  -  Oeffnung  die  Strasse  führt,  östlich  angelehnt  an  ein 
Rondel  von  3,50  m  innerem  Durchmesser,  mit  Kuppelgewölbe  und  vier  inneren  Nischen 
für  ebenso  viel  Maulscharten.    Zu  beiden  Seiten  schliessen  sich  kurze,  ebenfalls  mit 

Scharten  versehene  etwas  gebogene  Mauer- 
stücke an.  Vor  dem  Thore  liegt  an  der 
Westseite  ein  halbmondförmiges  Erdwerk 
mit  1,5  m  hoher  Brustwehr  und  Graben. 
Nach  der  über  einer  Scharte  des  Rondels 
eingemeisselten  Zahl  wurde  das  Bauwerk 
1494  errichtet. 

Bis  nördlich  von  dem  Dorf  Stephans- 
hausen behält  das  Gebück  die  südwestliche 
Richtung  bei,  und  nimmt  dann,  der  von 
Winkel  ins  Wisperthal  führenden  Strasse 
folgend,  nordwestliche  Richtung  an.  Auf 
dieser  Strecke   lag   das   starke  Bollwerk 
Weissenthurm,  seit  1816  ebenfalls  ver- 
schwunden,  dessen  Namen   noch   in  dem 
Forsthause  erhalten  ist.   Von  hier  zog  sich 
das  Gebück  auf  der  Höhe  westlich  vom 
Elmachbach    und   dem   Wehrgraben  zum 
Thal  der  Wisper  hinab ,  das   es  bei  der 
Figur  3.   Die  Mapper  Schanze  Aussenseite.    Kammerberger  Mühle  überschritt,  um  jen- 
seits zwischen  Rheinberg  und  der  Aacher  Schanze  wieder  zur  Höhe  emporzusteigen. 
Von   hier   in   westlicher   Richtung  überschritt  es  das  Sauerthal    südlich   von  der 
Sauerburg  und  lief  im  Niederthal  bei  Lorchhausen  gegen  das  Rheinthal  aus. 

Diese  starke  Landwehr  wurde  in  hohen  Ehren  gehalten  und  durch  strenge 
Gesetze  geschützt.  Als  sich  1619  die  ersten  Wolken  des  grossen  Religionskrieges 
zusammenzogen,  verordnete  ein  zu  Oestrich  abgehaltener  Landtag,  dass  an  den  Boll- 
werken und  Schlägen  alles  Schadhafte  ausgebessert,  kein  Pfad  ausserhalb  der  all- 
gemeinen Pforten  zugelassen  und  das  Gehen  oder  Kriechen  durch  das  Gebück,  ja 
selbst  das  Abschneiden  einer  Spiessgerte  mit  10  Goldgulden  bestraft  werden  sollte. 
Dennoch  vermochte  dies  Landesbollwerk  den  Angriffen  des  dreissigjährigen  Krieges 


EINLEITUNG. 


7 


v.  Walderdorf  von  Breidbach  von  Hunoltstein  Ritter  v.  Grünstein 


nicht  zu  widerstehen;  wiederholt  fanden  feindliche  Kriegsvölker  durch  Verrath  Eingang 
in  dasselbe,  sodass  es  1771  nicht  mehr  in  wehrhaftem  Zustande  befunden  und  dem 
Abbruch  und  der  Ausrodung  überliefert  wurde.  Die  „Backöfen"  mussten  zu  Ende 
des  18.  Jahrhunderts  das  Material  zum  Bau  der  Strasse  durch  das  Waldaffethal  hergeben. 

Wie  überall,  so  gliederte  sich  auch  im  Rheingau  die  Einwohnerschaft  in 
Nährstand,  Wehrstand  und  Lehrstand.  Der  erstere,  der  freie  Bauer-  und  Bürgerstand, 
sass  in  den  Ortschaften,  die,  wie  bereits  gesagt,  längs  des  Rheinufers  dicht  zusammen- 
gedrängt, manchmal  wie  bei  Oestrich  -  Mittelheim -Winkel  wie  eine  langgestreckte 
Ortschaft  nebeneinanderlagen.  Es  war  eine  vorwiegend  landbauende  Bevölkerung 
deren  Haupterzeugniss  der  Wein  bildete.  Wann  der  Weinbau  zuerst  im  Rheingau 
eingeführt  worden,  ist  geschichtlich  nicht  festzustellen.  Unter  den  ersten  Karolingern 
besitzt  er  schon  Bedeutung,  832  wird  er  in  Lorch,  864  in  Rüdesheim  zuerst  urkundlich 
erwähnt.  Bezeichnend  für  seine  wirtschaftliche  Bedeutung  ist,  dass  die  allermeisten 
rheingauischen  Urkunden  sich  mit  Kauf  und  Tausch  von  Weinbergen,  Abgabepflicht 
von  Wein  u.  dgl.  beschäftigen.  Man  darf  annehmen,  dass  die  erste  Stelle  unter  den 
deutschen  Weinen,  welche  dem  Rheingauer  Gewächs  heute  eingeräumt  wird,  ihm 
schon  im  frühen  Mittelalter  eigen  war.  Die  Anrodung  der  heute  noch  berühmtesten 
Weinberge,  des  Bodenthals  bei  Lorch,  der  Assmannshäuser  und  Rüdesheimer  Lagen, 
des  Johannisbergs  und  der  Hügel  bei  Geisenheim,  des  Markobrunns  bei  Erbach,  des 
Steinbergs,  des  Gräfenbergs  u.  A.  fällt  in  das  9.  bis  12.  Jahrhundert.  Schon  im  13.  war 
man  bei  Hallgarten,  Kidrich,  Kloster  Eberbach,  Rauenthal  der  Höhe  des  Gebirges 
mit  Weinbergen  so  nahe  gerückt,  wie  das  Klima  zuliess.  Mit  der  hohen  Schätzung  des 
Rheingauer  Weines  ging  ein  lebhafter  Export  Hand  in  Hand.  Den  Weinhandel 
mit  allen  sich  ihm  angliedernden  Betrieben  hat  man  neben  dem  Weinbau  von  frühester 
Zeit  an  als  die  Hauptquelle  der  Wohlhabenheit  des  Landes  anzusehen.  Bacharach, 
Köln  und  Frankfurt  waren  die  Stapelplätze  des  Rheingauer  Weines ;  von  Köln  aus 
sorgte  die  Hansa  für  seine  weitere  Verbreitung  in  den  nordischen  Ländern.  Bei  der 
Wichtigkeit  dieses  Erwerbszweiges  ist  es  nur  natürlich,  wenn  wir  denselben  schon 
früh  gemeinsamen  Wirthschaftsregeln  unterworfen  finden,  in  deren  Aufstellung  und 
gesetzmässiger  Beobachtung  sich  wieder  das  Gemeingefühl  dieses  abgeschlossenen 
Landstrichs  lebhaft  ausspricht  Ohne  hierauf  näher  einzugehen,  sei  nur  auf  die  Keller- 
visitationen, die  Maassregeln  gegen  Weinfälschung  und  die  rationellen  Vorkehrungen 
zur  Erzielung  entsprechender  Durchschnittspreise,  die  sog.  Gabelungen  hingewiesen. 


8 


EINLEITUNG. 


Neben  dieser  Hauptbeschäftigung  nehmen  die  anderen  bürgerlichen  Gewerbe 
in  den  Ortschaften  keinen  bedeutenden  Raum  ein;  auffallend  ist  nur  die  Menge  der 
Mühlen  in  einem  kaum  über  den  eigenen  Bedarf  Brotfrucht  bauenden  Lande.  Von 
den  Handwerken  werden  Goldschmiede  in  Hattenheim  erwähnt;  Zeug-  und  Waffen- 
schmiede, Gerbereien,  Tuchmanufaktur  und  Walkmühlen  kommen  in  den  einzelnen 
Ortschaften  vor,  Töpferei  in  Aulhausen.  Der  grosse  schiffbare  Strom  ernährte  zahl- 
reiche Schiffer,  besonders  in  Rüdesheim,  wo  sie  Lootsendienste  für  die  Fahrt  durch 
das  Binger  Loch  zu  leisten  hatten.  Die  Schwierigkeiten  dieser  Durchfahrt  entwickelte 
in  Lorch  und  Rüdesheim  ein  einträgliches  Fuhrwesen,  welches  den  Transport  von 
Wein  und  Gütern  über  das  Gebirge  besorgte,  wenn  der  Strom  unpassirbar  war. 

Ueberraschend  gross  ist  die  Zahl  der  Adelsgeschlechter,  welche  man  vom 
frühen  Mittelalter  an  im  Rheingau  ansässig  findet.  Dem  Range  nach  die  Höchst- 
stehenden waren  die  Rheingrafen,  die  Nachfolger  der  alten  Gaugrafen,  die  im  Namen 
des  Kaisers  den  Blutbann,  für  den  geistlichen  Landesherrn  die  bürgerliche  Gerichts- 
barkeit übten.  Doch  endete  ihre  Macht  sowie  ihre  Zugehörigkeit  zum  Rheingau  schon 
1279  mit  der  Sponheimer  Fehde,  in  der  sie  sich  auf  die  Seite  der  Feinde  des  Erz- 
bischofs  geschlagen  hatten-  An  ihre  Stelle  trat  als  oberster  Statthalter  des  Erzbischofs 
der  Vicedom  (Vitzthum),  eine  Würde,  die  vom  Landesherrn  frei  übertragen  wurde,  und 
in  deren  Besitz  wir  z.  B.  das  Geschlecht  der  Rüdesheimer  Brömser  wiederholt  linden. 

Der  übrige  Adel  entwickelte  sich  aus  den  ritterbürtigen  Dienstmannen  des 
Erzbischofs,  die  zum  Theil  auf  dessen  rheingauischen  Burgen,  Scharfenstein,  Ehren- 
fels und  Eltville  sassen  und  aus  den  in  den  einzelnen  Orten  reich  begüterten  alten 
Geschlechtern,  wie  den  Vollrats  in  Hattenheim,  den  Langwerth  und  Eitz  in  Eltville, 
den  Hilchen  in  Lorch.  Zu  ihnen  kam  eine  grosse  Zahl  auswärtiger  Adelsgeschlechter, 
die  in  dem  Rheingau  Weingüter  erwarben.  Bei  der  persönlichen  Freiständigkeit 
der  Rheingauer  Bevölkerung  nahmen  diese  Adeligen  die  Stellung  von  „Gleichen 
unter  Gleichen"  ein  und  wählten  ihre  Wohnsitze  mit  Vorliebe  innerhalb  der  rhein- 
gauischen Ortschaften.  In  diesen  sehen  wir  daher  noch  heute  eine  grosse  Anzahl 
von  kaum  befestigten  Burghäusern,  während  die  im  übrigen  Nassau  so  zahlreichen 
Bergfesten  selbständiger  Dynastengeschlechter  im  Rheingau  fehlen. 

In  geistlicher  Beziehung  war  das  Land  schon  vor  der  ottonischen  Schenkung 
dem  Mainzer  Erzbischof  unterstellt.  Er  übte  die  geistliche  Oberaufsicht  und  Gerichts- 
barkeit. Seine  Organe  hierfür,  die  Archidiakone,  waren  früher  die  Pröbste  der  Mainzer 
Stifter,  insbesondere  des  St.  Mauritiusstiftes,  während  das  Peters-,  Victor-  und  Dom- 
stift die  Seelsorge  im  Rheingau  übernahm.  Fast  in  allen  Gemeinden  des  Rheingaues 
finden  wir  bis  zum  12.  Jahrhundert  die  Geistlichen  dieser  Stifter  im  Besitze  des  Pfarr- 
amts und  im  Bezug  der  Zehnten.  Von  dieser  Zeit  an  werden  Vicarii,  Stellvertreter 
mit  dem  Namen  Plebani,  Pfarrer,  ernannt,  deren  Stellung,  da  der  Zehnte  auch  ferner- 
hin den  Mainzer  Stiftern  verblieb,  häufig  zu  Klagen  Anlass  gab.  Eine  neue  Ordnung 
fand  das  Pfarrwesen,  als  sich  die  von  der  ältesten  Pfarrei  (wahrscheinlich  Oestrich) 
ausgegangenen  Kirchen ,  die  sich  allmählich  aus  Kapellen  entwickelt  hatten ,  zu 
dem  Landkapitel  Rheingau  zusammenschlössen.    An  der  Spitze  stand  der  Geist- 


EINLEITUNG. 


9 


Faust  v.  Stromberg  Specht  v.  Bubenheim  von  Sickingcn  Hol//  von  Sponheim 


liehe  der  Mutterkirche  als  Erzpriester  (Archipresbyter)  oder  Diakon,  der  sein  Amt 
aber  auch  nur  als  Stellvertreter  des  Probstes  des  St.  Morizstiftes  in  Mainz  verwaltete. 
Wann  dieser  Verband  geschlossen  wurde,  ist  nicht  nachzuweisen ;  1397  findet  sich 
zuerst  ein  „Hermannus  plebanus  in  Eltville  et  archipresbyter  sedis  Oestrich"  erwähnt. 

Ausser  der  Pfarrgeistlichkeit  besass  aber  der  Rheingau  eine  grosse  Zahl  von 
Ordensgeistlichen,  die  sich  in  zahlreichen  Klöstern  —  selten  innerhalb  der  Ortschaften, 
meist  in  den  Vorbergen  —  angesiedelt  hatten.  Vom  Anfang  des  elften  Jahrhunderts  bis 
zum  Ausgang  des  Mittelalters  gab  es  im  Rheingau  siebenMönchs-  und  fünf  Frauenklöster, 
von  denen  einige  allerdings  früh  verschwanden,  andere  aber  bis  zu  ihrer  Sekularisation 
im  Anfang  des  19.  Jahrhunderts  bestanden  haben.  Unzählige  Urkunden  berichten  von 
Schenkungen  und  Vermächtnissen,  die  von  den  frommgesinnten  Bewohnern  des  Rhein- 
gaues diesen  geistlichen  Konventen  zugewendet  wurden.  Bemerkenswerth  ist  dabei,  dass 
die  zuerst  auftretenden  Benediktiner  und  Augustiner  hier  nicht  wie  anderwärts  als  erste 
Träger  der  Kultur  in  einer  noch  unangebauten  Gegend  erscheinen.  Dazu  hatte  die  uralte 
Pflege  des  fruchtbaren  Bodens  keine  Gelegenheit  mehr  gelassen.  Von  tief  eingreifendem 
Einfluss  auf  die  wirthschaltlichen  Verhältnisse  des  Landes  wurden  erst  die  Cisterzienser 
von  Eberbach,  die,  durch  ihre  beispiellose  Thätigkeit,  besonders  durch  rationelle  Kultur 
von  Acker  und  Weinland  und  weitsichtigem  Betrieb  des  Weinhandels,  mehrere  Jahr- 
hunderte lang  den  geistigen  und  wirthschaftlichen  Mittelpunkt  des  Rheingaues  bildeten. 

Die  äussere  Geschichte  des  Rheingaues  ist  auf  das  Engste  mit  der  des  Erz - 
bisthums  Mainz  verknüpft.  Dass  diese  Zugehörigkeit  dem  Lande  in  vielen  Fällen  zum 
Unsegen  gereichte,  ist  bei  der  hervorragenden  politischen  Rolle,  die  der  Mainzer  Stuhl 
in  der  deutschen  Kaisergeschichte  spielte  und  bei  den  zahlreichen  sich  hieraus  er- 
gebenden kriegerischen  Verwickelungen  nur  natürlich.  Es  müsste  den  kurzen  Ab- 
rissen der  einzelnen  Ortsgeschichten  vorgegriffen  werden,  wenn  die  Berichte  über 
verwüstende  Feindeseinbrüche  in  der  Sponheimer-Fehde,  in  dem  1242  ausgefochtenen 
Kampf  Königs  Konrad  gegen  den  auf  päpstlicher  Seite  stehenden  Erzbischof,  in  dem 
Krieg  Albrechts  I.  gegen  Erzbischof  Gerhard  II.  von  Eppstein  1301,  17  Jahre  später 
in  der  Fehde  des  Mainzer  Stuhls  mit  Ludwig  dem  Bayern  oder  wenn  die  Kriegs- 
gräuel  des  dreissigjährigen,  des  pfälzischen  Erbfolgekrieges  und  des  Koalitionskrieges 
gegen  das  republikanische  Frankreich  hier  im  Einzelnen  aufgeführt  werden  sollten. 

Als  wichtigste  Daten  in  der  inneren  Geschichte  des  Rheingaues  sind  zu  be- 
trachten :  diejenigen  der  Ottonischen  Schenkungen  961  und  983,  durch  welche  derselbe 


10 


EINLEITUNG. 


aus  einem  unmittelbaren  Kronland  des  deutschen  Königs  Eigenthum  des  Mainzer 
Erzbisthums  wird.  Ferner  das  Jahr  1525,  in  welchem  die  Bürger  und  Bauern  des 
Rheingaues,  von  der  durch  Südwestdeutschland  gehenden  tiefen  sozialen  Gährung  an- 
gesteckt, sich  gegen  ihren  Landesherren  in  einer  plan-  und  führerlosen  Bewegung 
auflehnten,  die  sie  zwei  Jahre  später  durch  die  ihnen  aufgezwungene  „Albertinische 
Reformation"  mit  dem  Verluste  eines  grossen  Theiles  ihrer  Selbständigkeit  büssen 
mussten.  Endlich  der  Reichsdeputations -Hauptschluss  von  1803,  der  dem  Mainzer 
Besitzrecht  ein  Ende  machte  und  den  Rheingau  dem  Fürstenthum  Nassau-Usingen 
als  Entschädigung  für  Gebietsverluste  auf  dem  linken  Rheinufer  zusprach.  Mit  der 
Gründung  des  Herzogthums  Nassau  1806  ging  der  Rheingau  in  diesem  auf,  um  60 
Jahre  später  mit  ihm  von  Preussen  in  Besitz  genommen  zu  werden.  Die  alten  Amts- 
kellereien, späteren  Nassauischen  Aemter,  Rüdesheim  und  Eltville,  wurden  1867  mit 
den  Aemtern  St.  Goarshausen  und  Braubach  zu  einem  Kreise  vereinigt,  erhielten 
jedoch  1885  durch  die  jetzige  Einordnung  zum  Rheingaukreise  ihre  seit  mehr  als 
einem  Jahrtausend  im  Volksbewusstsein  festgewurzelte  Zusammengehörigkeit  zurück. 

Die  Kunst  des  Rheingaues  ist  uns  in  zahlreichen  Bauwerken,  in  Werken  der 
Skulptur  und  Malerei  erhalten,  deren  Aufzählung  und  Beschreibung  den  Inhalt  dieses 
Buches  bildet.  Ihre  grosse  Zahl  und  ihr  Vorkommen  in  den  kleinsten  Orten  spiegelt 
die  auf  allgemeinen  Wohlstand  begründete  hohe  Kultur  des  Landes  wieder.  Aber 
ebenso  wie  man  im  Rheingau  einen  kulturellen  Mittelpunkt,  eine  führende  Grossstadt 
vermisst,  so  sucht  man  in  der  Kunstentwickelung  vergeblich  nach  einer  einheitlichen 
Richtung,  welche  den  Gedanken  an  eine  rheingauische  Kunstschule  berechtigt  erscheinen 
Hesse.  Die  enge  Zugehörigkeit  zu  Mainz  weist  auf  den  Einfluss  dortiger  Kunstrichtungen 
hin.  Ebenso  nahe  liegt  aber  auch  die  Annahme,  dass  die  mainaufwärts  gelegenen 
grossen  Städte,  Frankfurt  und  Würzburg,  auf  die  Kunstübung  im  Rheingau  eine 
nachhaltige  Einwirkung  besessen  haben,  zumal  seit  der  zweiten  Hälfte  des  15.  Jahr- 
hunderts, als  in  Mainz  ein  blutiger  Bürgerkrieg  seinen  kulturfeindlichen  Einfluss  übte. 

An  den  Bauwerken  des  Rheingaues,  zumal  an  den  Profanbauten  und  auch 
an  Kultusbauten  der  Frühzeit,  macht  sich  der  Mangel  eines  geeigneten  Baumaterials 
fühlbar  Einen  Quaderbau.  wie  er  anderwärts  die  Vorbedingung  für  die  stilistische 
Entwickelung  der  Architektur  zu  bilden  pflegt,  hat  es  im  Rheingau  nie  gegeben.  Das 
Material,  Schieferbruchstein  und  Geschiebe,  wies  auf  ein  rohes,  mit  dicken  Mörtelfugen 
hergestelltes  Mauerwerk  hin,  dem  man  an  frühesten  Werken  (Niederburg  in  Rüdesheim, 
Johanniskirche  in  Niederwalluf)  durch  ährenförmigen  Verband  grössere  Festigkeit  zu 
geben  suchte.  Der  Verputz,  den  es  erforderte,  erstreckte  sich  häufig  selbst  auf  die 
Fensterumrahmungen  und  auf  Blenden,  Bogengesimse  und  Zinnen  von  Wehrbauten. 
Erst  beim  Bau  des  Eberbacher  Klosters,  der  überhaupt  den  merkbarsten  Fortschritt  in 
der  Rheingauer  Baukunst  darstellt,  beginnt  man  ein  von  auswärts  eingeführtes  Haustein- 
Material  anfangs  in  bescheidenem,  dann  in  immer  grösserem  Umfang  zu  verwenden. 

So  alt  die  Kultur  des  Rheinlandes  ist,  so  ist  doch  die  Zahl  der  aus  romanischer 
Zeit  erhaltenen  Bauten  beschränkt.  Eine  Erscheinung,  die  mit  kräftigem  wirthschaft- 
lichen  Aufblühen  fast  immer  verbunden  ist,  begegnet  uns  auch  hier,  zumal  bei  den 


EINLEITUNG. 


11 


von  Nickenich  von  Schar/enstein  von  Bellersheim  von  Dehrn 


Kirchenbauten :  Die  alten  Anlagen  fallen  späteren  Erweiterungen  zum  Opfer.  Sie 
verschwinden  im  Neubau,  wie  in  Lorch  und  Eltville  oder  bleiben  wie  in  Rüdesheim, 
Hattenheim,  Winkel,  Oestrich,  im  Unterbau  der  Thürme  erhalten.  Dafür  besitzt  das 
Gebiet  zwei  völlig  erhaltene  romanische  Kreuz -Basiliken,  die  bescheidene  Nonnen- 
kirche von  Mittelheim  und  die  prachtvolle  Abteikirche  in  Eberbach.  Marienhausen 
giebt  das  Beispiel  einfachster  einschiffiger  Anlage  aus  dieser  Zeit.  Auch  an  Profan- 
bauten hat  die  romanische  Kunst  einige  Werke  von  allerdings  bescheidenstem  archi- 
tektonischem Schmuck  hinterlassen,  von  denen  das  „graue  Haus"  in  Winkel  das  seltene 
Bild  eines  frühromanischen  Wohnhauses ,  die  Niederburg  in  Rüdesheim  ein  höchst 
lehrreiches  Beispiel  einer  Thalburg  aus  dieser  Zeit  bietet. 

In  gothischer  Zeit  steht  der  Profanbau  unter  dem  Einfluss  reicherer  landes- 
herrlicher Aufträge:  ist  der  Umbau  der  Burg  Ehrenfels  auch  noch  ein  etwas  hastig 
ausgeführter  Bedürfnissbau ,  so  zeigt  sich  an  der  Burg  Eltville  schon  ein  gewisser 
fürstlicher  Luxus ,  dessen  Einfluss  auf  den  schönen  Adlerthurm  zu  Rüdesheim  nicht 
zu  verkennen  ist.  Alle  anderen  Burgbauten  dieser  Zeit  aber,  die  des  Wisperthals 
sowohl,  wie  Scharfenstein,  scheinen,  soweit  die  Reste  erkennen  lassen,  über  schmuck- 
lose Wehrbauten  in  rohem  Bruchsteinbau  nicht  hinausgekommen  zu  sein. 

Die  kirchliche  Baukunst  dagegen  treibt  zur  Zeit  der  Gothik  stolze  Blüten: 
die  Martinskirche  zu  Lorch  zeigt  den  Stil  in  reifer  Entfaltung  und  einen  Zug  von 
Grossräumigkeit,  der  uns  auch  in  Geisenheim  wieder  begegnet.  Im  Allgemeinen  ist  der 
Innen-Eindruck  der  Kirchen  dieser  Zeit  mehr  ein  malerischer,  als  architektonisch  ein- 
heitlicher, hervorgegangen  aus  vielfachen,  im  Einzelnen  schwer  zu  verfolgenden  Um- 
und  Ausbauten,  die  in  Lorch,  Rüdesheim  und  Eltville  zu  zweischiffigen  Anlagen  ge- 
führt haben.  Die  architektonischen  Einzelheiten,  die  kunstvolleren  Arbeiten  des  Stein- 
metzen gehen  meist  nicht  über  ein  bescheidenes  Maass  hinaus,  das  sich  nur  in  reichen 
Netzgewölben  zu  einem  mässigen  Luxus  steigert.  Nur  in  Kidrich  erhebt  sich  die 
Meisselarbeit  zu  einer  künstlerischen  Höhe,  die  auch  anderwärts  am  Rhein  kaum  über- 
troffen wird.  Neben  dem  Chor  dieser  Kirche  ist  es  noch  das  Tabernakel  in  Lorch 
und  das  Hochgrab  Gerlachs  von  Nassau  in  Eberbach  aus  dem  Ende  des  14.,  sowie 
das  Tabernakel  in  Kidrich  und  die  St.  Michaelskapelle  daselbst  aus  dem  15.  Jahrhundert, 
die  künstlerisch  hochstehende  Leistungen  gothischer  Steinmetzarbeit  darstellen.  An 
Holzarbeiten  dieser  Zeit  sind  ausser  dem  in  erster  Linie  stehenden  Hochaltar  von 
Lorch,  dessen  Meister  leider  ebensowenig  bekannt  ist,  wie  derjenige  der  schönen,  einer 


12  EINLEITUNG. 

früheren  Periode  angehörigen  Chorstühle,  zwei  Werke  erhalten,  zu  deren  Anfertigung 
auswärtige  Künstler  berufen  wurden:  das  leider  nur  noch  in  Resten  vorhandene 
Gestühl  in  Rüdesheim  des  Hessen  Heinrich  Gyse  von  Ulrichstein  und  die  Kirchenstühle 
in  Kidrich  von  dem  Baiern  Erhard  Falkener.  Die  charakteristische  Flachornamentik 
des  letzteren  begegnet  uns  noch  in  dem  Rest  eines  Gestühls  in  Lorch  und  in  den 
Kanzelfüllungen  von  Mittelheim. 

Dass  die  Periode  der  Renaissance  im  Rheingau  keine  bedeutenden  Werke 
hinterlassen  hat,  darf  nach  dem  Rückschlag  auf  den  Bauernaufstand  von  1525  und 
nach  den  Opfern,  welche  der  dreissigjährige  Krieg  dem  Lande  auferlegte,  nicht  Wunder 
nehmen.  Das  wenige,  was  in  dieser  Zeit  geschaffen  wurde,  das  Hilchenhaus  in  Lorch, 
der  Brömserhof  in  Rüdesheim,  Einzelheiten  in  Geisenheim  und  Eltville,  gehen  kaum 
über  eine  derbe,  handwerkmässige  Anwendung  der  neuen  Stilformen  hinaus.  Bemerkens- 
werth hebt  sich  daraus  das  Langwerth'sche  Haus  in  Eltville  hervor,  das  allerdings 
einer  politisch  ruhigeren  Zeit,  dem  Ende  des  17.  Jahrhunderts  angehört  und  seine  Ver- 
wandtschaft mit  dem  Mainzer  Kurfürstenschloss  nicht  verleugnet.  Eine  weit  höhere 
Kunstentfaltung  bringt  diese  Zeit  in  der  Skulptur  in  einer  Reihe  künstlerisch  hoch- 
stehender Epitaphien.  Die  Kirchen  von  Büdesheim,  Lorch,  Geisenheim  und  Eltville 
bieten  hier  eine  reiche  Ausbeute,  denen  sich  als  hervorragendstes  Werk  im  Rheingau 
der  Crucifixus  von  1491  vor  der  Lorcher  Kirche  anschliesst.  So  wenig  dieses  Werk 
sich  seinem  Werthe  nach  in  seine  Umgebung  einordnen  lässt,  so  schwer  ist  es,  für 
die  Reste  des  prachtvollen  Kreuztragungsaltars  in  gebranntem  und  bemaltem  Thon, 
der  früher  dieser  Kirche  angehörte,  einen  Zusammenhang  mit  der  übrigen  Rheingauer 
Kunst  zu  finden.  Für  die  Malerei,  bei  welcher  die  als  Altarschmuck  mehrfach,  zum 
Theil  im  19.  Jahrhundert  von  ausserhalb  in  den  Rheingau  gebrachten  Tafelbilder  ausser 
Betracht  bleiben  können,  liefert  nur  Rüdesheim  durch  erhaltene  Monumental-Malereien 
einigen  Anhalt,  da  die  Ausmalung  der  Eltviller  Kirche  sich  nicht  mehr  in  einem  ein  Ur- 
theil  gewährenden  Zustand  befindet.  Die  um  1400  zu  setzenden  Passionsbilder  über 
den  Gewölben  der  Rüdesheimer  Pfarrkirche  können  in  einzelnen  Gestalten  als  so  reife 
Leistungen  gelten,  dass  man  wohl  an  einen  der  um  diese  Zeit  in  Mainz  thätigen 
Maler  denken  darf.  Auch  die  ornamentalen  und  figürlichen  Malereien  im  Brömserhof, 
der  Frührenaissance  angehörig,  tragen  den  Charakter  sicherer  Meisterschaft,  sodass 
der  Mangel  jeden  Anhaltes  über  ihren  Urheber  doppelt  zu  bedauern  ist. 

An  Werken  der  dekorativen  Künste  haben  leider  Glasgemälde  so  wenig  wie 
Gold  und  Silberarbeiten  die  Ungunst  kriegerischer  Zeiten  und  die  Vernachlässigung 
des  vorigen  Jahrhunderts  überdauert.  Zwei  ausgezeichnete  gothische  Silberarbeiten, 
die  Monstranzen  von  Eltville  und  Lorch,  welche  ein  glücklicher  Zufall  erhalten  hat, 
entbehren,  wie  immer  in  der  Frühzeit,  der  Stempelung,  welche  uns  auf  ihren  Ursprung 
leiten  könnte.  Heilige  Gefässe  des  17.  und  18.  Jahrhunderts,  welche  noch  in  manchen 
Sakristeien  zu  finden  sind,  gehen  nicht  über  den  Charakter  prunkvoller,  aber  hand- 
werklicher Leistungen  aus  Augsburger  und  Mainzer  Werkstätten  hinaus,  auf  welche 
ihre  Beschauzeichen  hinweisen. 


RÜDESHEIM 

EIBINGEN.  EHRENFELS.  MÄUSETHURM. 

IE  KREISSTADT  RÜDESHEIM  ist  die  grösste  unter  den  vier  Städten 
des  Rheingaukreises ;  sie  zählt  in  964  Haushaltungen  4619  Einwohner.  Auf 
die  "Wichtigkeit  ihrer  Lage  oberhalb  des  Binger  Lochs ,  welche  der  von 
Lorch  am  unteren  Ausgang  der  Stromenge  entspricht,  weist  schon  Bodmann 
hin.  Zwischen  beiden  Orten  bestand  schon  zu  ältesten  Zeiten  der  wichtige  Ueberland- 
weg,  welcher,  den  Kammerforst  durchschneidend,  den  Felsriegel  umging,  der  den 
Strom  und  sein  rechtes  Ufer  hier  unpassirbar  machte.  Zahlreiche  Gräber  an  dieser 
Strasse  (Cohausen  in  Nass.  Annalen  XII  241)  beweisen  durch  ihren  Inhalt,  dass  die- 
selben schon  vor  den  Zeiten  der  Römer  eine  wichtige  und  vielbegangene  Strasse  war. 
Dass  auch  die  Römer  die  Wichtigkeit  des  Ortes  nicht  unterschätzt  und  daselbst  An- 
siedelungen gehabt  haben,  bezeugen  die  in  Rüdesheim  gemachten  Funde  an  römischen 
Gräbern,  Ziegeln  und  Töpfergeschirren  (ebenda  IV.  1.  175). 

Nachdem  im  vierten  Jahrhundert  die  Römerherrschaft  in  diesen  Gegenden  durch 
die  von  Osten  und  Norden  vordringenden  deutschen  Stämme  gebrochen  war,  besiedelten 
Alemannen  und  später  Franken  das  Land.  Dieselben  haben  auch  in  Rüdesheim  in 
Gräberfunden,  die  in  den  Hinterhäuser  Weinbergen  gemacht  wurden,  Spuren  ihrer  Sess- 
haftigkeit  an  diesem  sonnigen  und  fruchtbaren  Orte  hinterlassen.  Der  Inhalt  dieser  Gräber 
an  Waffen  und  an  eisernen,  mit  Silber  kunstreich  tauschirten  Schmuckstücken  weisen 
auf  wehrhafte,  wohlhäbige  Besitzer,  ihre  feinen,  für  Blume  und  Nagelprobe  sinnreich  ge- 
formten Gläser  auf  Weinbauer  hin  (Cohausen,  Centraiblatt  der  Bauverw.  VI.  31.  32). 


14 


RÜDESHEIM.  GESCHICHTE. 


Neben  Lorch  und  Eltville  besass  auch  Rüdesheim  einen  Ober-  oder  Salhof  der 
Fränkischen  Könige ,  welcher  die  Gefälle  aus  den  königlichen  Villen  entgegennahm, 
um  sie  an  den  Fiskalhof  nach  Ingelheim  abzuliefern;  Bodmann  neigt  „nach  allem,  was  uns 
Urkunden  und  der  Zusammenhang  der  Geschichte  bewähren,"  zu  der  Ansicht,  dass  die 
Niederburg  dieser  kaiserliche  Oberhof  war,  sodass  man  diese  (oder  was  zur  Zeit  der 
fränkischen  Könige  an  ihrer  Stelle  stand)  als  den  Kern  anzusehen  haben  würde,  um  den 
sich  der  Ort  aufgebaut  hätte  und  dem  er  Schutz  und  Ansehn  unter  den  übrigen  Orten 
des  Rheingaues  verdankte.  Aus  dieser,  im  übrigen  durch  geschichtliche  Ueberlieferungen 
wenig  aufgehellten  Zeit  stammt  jedenfalls  die  erste  urkundliche  Erwähnung  Rüdes- 
heims, die  dasselbe  zugleich  als  Weinbau  treibenden  Ort  zeigt.  Es  ist  eine  im  Kloster 
Bleidenstadt  am  19.  November  864  ausgefertigte  Schenkungsurkunde  (Sauer  65)  über 
einen  „in  pago  Rinagowe  in  villa  Ruodinesheim"  gelegenen  Weinberg  von  zwei 
Zulasten  oder  8  Ohm  Erträgniss,  welche  Walabreht  dem  genannten  Kloster  überweist. 

Durch  die  Schenkung  Otto's  II.  an  Willigis  von  Mainz  ging  im  Jahre  983  auch 
Rüdesheim  mit  dem  ganzen  westlichen  Rheingau  aus  unmittelbarem  kaiserlichen  Besitz 
in  den  des  Mainzer  Stuhles  über,  womit  der  frühere  königliche  Oberhof  nunmehr  der 
erzbischöflichen  Kammer  in  Bingen  unterstellt  wurde.  Dass  die  Mainzer  Erzbischöfe 
die  vorzüglichen  Weinlagen  zu  Rüdesheim  zu  schätzen  wussten,  geht  aus  einer  Urkunde 
vom  Jahre  1031  (Sauer  114)  hervor,  in  welcher  Erzbischof  Bardo  den  Einwohnern  von 
Ruodensheim  einen  steinigen  und  wüsten  Distrikt  zur  Anlage  von  Weinbergen  über- 
lässt,  eine  Cession,  die  1074  durch  Erzbischof  Siegfrid  I.  bestätigt  wird.  (ebda.  131). 
Die  hierbei  den  Empfängern  auferlegten  Abgaben  von  Wein  lassen  erkennen,  dass  es 
sich  um  eine  bedeutende  Kulturanlage  handelt,  wenn  auch  Schmelzeis  wohl  zu 
hoch  greift,  indem  er  dieselbe  auf  ca.  900  Morgen  oder  annähernd  den  ganzen  Be- 
stand der  heutigen  Rüdesheimer  Weinkulturen  berechnet. 

Sehr  bezeichnend  für  die  hohe  Bedeutung,  welche  das  ganze  Mittelalter  hindurch 
der  Weinbau  hier  als  hauptsächlichste  und  beinahe  einzige  Quelle  des  Wohlstandes 
besass,  ist  der  Umstand,  dass  alle  Urkunden,  in  denen  wir  Ruodensheim,  Rudensheim 
oder  (erst  1284)  Rudesheim  erwähnt  finden,  vom  Verpachten,  Tauschen  oder  Schenken 
von  Weinbergen  handeln.  Interessant  ist  es  dabei,  in  einer  solchen  Urkunde  von 
1108  (ebda.  159)  einige  alte  Gemarkungsnamen  zu  finden:  Ludwig  und  seine  Frau 
Bezecha  schenken  dem  Kloster  St.  Jacob  bei  Mainz  fünf  Parzellen,  ,,his  in  locis  sitas: 
unam  in  loco  zu  semidun,  partes  IIas  sn  bnhelun,  item  unam  zu  crucen  et  in 
loco  su  breidenwingardun  unum  fere  jugerum" . 

Für  die  Thatsache,  dass  die  Mainzer  Erzbischöfe  im  zwölften  Jahrhundert  vor 
Erbauung  ihrer  Feste  Ehrenfels  in  Rüdesheim  residirt  haben,  führt  Cohausen  eine 
von  Erzbischof  Albert  L  1124  in  Rüdenesheim  ausgestellte  Urkunde  an. 

Aber  die  Zugehörigkeit  zu  Mainz  hatte  für  Rüdesheim  auch  mancherlei  Un- 
bilden im  Gefolge,  welche  der  Ort  im  Laufe  der  Jahrhunderte  über  sich  ergehen 
lassen  musste.  Die  hohe  politische  Stellung,  welche  der  Mainzer  Erzbischof  als  Erster 
unter  den  Kurfürsten  einnahm,  verwickelte  den  Mainzer  Stuhl  wiederholt  in  die 
politischen  Kämpfe  des   13.  — 16.  Jahrhunderts;  und  der  Rheingau,  dessen  schwach 


RÜDESHEIM.  GESCHICHTE. 


15 


vertheidigten,  reiche  Beute  versprechenden  Orte  die  feindlichen  Heere  reizten,  war 
häufig  der  Schauplatz,  auf  welchem  diese  Fehden  ausgetragen  wurden.  So,  als  im 
Kampf  zwischen  Kaiser  Friedrich  und  Papst  Alexander  III.  der  Erzbischof  von  Mainz, 
Konrad  von  Wittelsbach,  sich  weigerte,  den  vom  Kaiser  aufgestellten  Gegenpapst 
anzuerkennen  und  vom  Kaiser  bedroht,  zu  Alexander  flüchtete.  Im  Sommer  1165  fiel 
auf  Befehl  des  Kaisers  der  Landgraf  Ludwig  von  Thüringen  in  das  Mainzer  Gebiet 
ein  (Bodmann  I  S.  886)  und  verwüstete  dasselbe  von  Grund  aus  „sie  fielen  feindlich 
ins  Rheingau  ein  und  vernichteten  Rüdesheim  und  Geisenheim  mit  den  Landorten 
ringsum  unter  wüthendem  Niedermetzeln  von  Vielen,  die  Widerstand  geleistet  hatten, 
vollständig ,  (fwidihis  evertttnt),  ohne  Rücksicht  auf  Geschlecht  oder  Alter  oder 
Würde  zu  nehmen." 

Nach  den  Thüringern  waren  es  die  Brabanter,  welche  1211  der  Stadt  verderb- 
lich wurden.  Erzbischof  Siegfried  II.  hatte  den  über  Otto  IV.  verhängten  Kirchen- 
bann verkündet ;  sofort  stiftete  dieser  seine  Anhänger  Heinrich  von  der  Pfalz  und 
Heinrich  von  Brabant  an,  in  den  Rheingau  mit  Heeresmacht  einzufallen.  Wieder 
waren  es  die  wohlhabenden  Orte  desselben,  Rüdesheim,  Winkel,  Oestrich  und  Lorch, 
welche  in  Zerstörung  und  wüsten  Kriegsnöthen  die  Kosten  dieser  Fehde  zu  tragen  hatten. 

Auch  die  Kämpfe  der  Hohenstaufen  mit  den  Päpsten,  denen  die  Mainzer  Erz- 
bischöfe  Gefolgschaft  leisteten,  schlugen  dem  Rheingau  schwere  Wunden.  Anfangs 
der  vierziger  Jahre  des  13.  Jahrhunderts  kamen  die  Wormser,  die  auf  Seiten  König 
Konrads  II.  gegen  den  Erzbischof  Siegfrid  III.  standen,  zweihundert  Mann  stark,  auf 
kriegerisch  ausgerüsteten  Schiffen  in  den  Rheingau  und  verwüsteten  viele  Orte  durch 
Feuer.  Wenige  Jahre  später,  1243,  wiederholte  sich  dieser  Schiffsangriff  der  Wormser 
auf  Rüdesheim.  Der  Ort  wurde  drei  Wochen  lang  von  dem  jungen  König  Konrad  IV. 
besetzt,  dessen  Leute  durch  Brandschatzung  und  Wegschleppen  von  Vieh  und  Habe 
vielen  Schaden  verursachten. 

Nicht  minder  wie  diese,  um  die  deutsche  Kaiserkrone  ausgefochtenen  Kämpfe, 
zogen  auch  die  Privatfehden  der  Erzbischöfe  die  Rüdesheimer  in  Mitleidenschaft.  Als 
in  der  berüchtigten  Sponheimer  Fehde  1279  die  Dynasten  des  Rheingaus,  neben 
den  Rheingrafen  auch  die  Edeln  von  Rüdesheim,  im  Vertrauen  auf  ihre  festen  Burgen, 
die  Ober-  und  Niederburg,  gegen  ihren  Lehnsherrn,  Erzbischof  Wernher,  Partei  er- 
griffen, erlitten  sie,  nachdem  sie  dem  Kurmainzischen  Gebiet  durch  Raubzüge  vielfach 
Abbruch  gethan  hatten,  in  der  blutigen  Schlacht  von  Sprendlingen  bei  Kreuznach  mit 
ihrem  Verbündeten,  dem  Grafen  von  Sponheim,  eine  gründliche  Niederlage,  deren 
Folgen  sich  in  dem  Anfang  der  achtziger  Jahre  in  schwerer  Weise  für  sie  fühlbar 
machten.  Durch  die  harte ,  ihnen  auferlegte  Kriegsentschädigung  in  Verfall  ge- 
bracht, musste  das  Rüdesheimer  Adelsgeschlecht  auf  die  Stellung  der  Dynasten  ver- 
zichten und  sich  dem  niederen  Landadel  einreihen. 

Dass  auch  der  Bauernaufstand  von  1525  an  Rüdesheim  nicht  ohne  Schädigung 
vorbeigegangen  ist,  darf  man  um  so  mehr  annehmen,  als  die  Bürger  dieser  Stadt  den 
bei  Winkel  dem  Landesherrn  übergebenen  Forderungen  der  aufständischen  Bauern 
einen  besonderen,  die  Aufhebung  des  Weinzolles  Ehrenfels  betreffenden  Artikel  bei- 


16 


RÜDESHEIM.  PFARRKIRCHE. 


gefügt  hatten.  Noch  wichtiger  aber  ist  für  uns  die  staatskluge  und  versöhnende 
Rolle,  welche  ein  Rüdesheimer  Adeliger,  Heinrich  Brömser,  als  Vizedom  des  Rhein- 
gaues in  diesem  Streite  spielte.  Seiner  Vermittelung  ist  es  besonders  zu  danken, 
dass  nur  wenige  der  Rädelsführer  dieses  missglückten  Aufstandes  am  Leben  gestraft 
und  anderen  von  Erzbischof  Albrecht  von  Brandenburg  die  Erlaubniss  ertheilt  wurde, 
aus  der  über  sie  verhängten  Verbannung  bald  wieder  heimzukehren. 

Auf  die  tiefen  und  dauernden  Schädigungen,  welche  Rüdesheim  im  dreissig- 
jährigen,  im  pfälzischen  und  im  spanischen  Erbfolgekrieg  zu  erdulden  hatte,  kann  hier 
nur  kurz  hingewiesen  werden,  da  die  Ueberfälle,  Kontributionen,  Plünderungen  etc. 
welche  diese  Kriege  den  von  ihnen  heimgesuchten  Orten  brachten,  in  den  Städten 
und  Dörfern  des  Rheingaus  überall  die  gleichen  waren. 

DIE  BAUWERKE  VON  RÜDESHEIM. 

DIE  PFARRKIRCHE  ST.  JACOB. 

Die  heutige  Pfarrkirche  St.  Jacobus  d.  ä.  kann,  wenn  man  die  frühe  Besiedelung 
Rüdesheims  und  seine  Bedeutung  im  frühen  Mittelalter  in  Betracht  zieht,  nicht  die 
ursprüngliche  Kirche  des  Ortes  sein,  von  der  sie  jedoch  in  der  im  Erdgeschoss  des 
Thurmes  eingebauten  frühromanischen  Kapelle  einen  Rest  enthält.  Sichere  Nach- 
richten von  Rüdesheimer  Pfarrern  aus  dieser  früheren  Zeit  sind  in  einer  Urkunde  von 
1197  (Sauer.  304)  mit  der  Erwähnung  eines  parvochiamis  Egilwardus  in  Rudensheim 
als  Zeugen  und  einer  weiteren  zwischen  1254  und  1262  ausgestellten,  die  einen  plebanus 
Giselbertus  de  Rudensheim  als  Zeugen  nennt,  überliefert  (ebd.  727).  Der  Bau  der 
jetzigen  Kirche  knüpft  sich  in  Uebereinstimmung  mit  den  spätgothischen  Bauformen 
an  die  Ueberlieferung  von  einer  Wallfahrt  des  Ritters  Johann  Brömser  von  Rüdesheim, 
der  als  Vizedom  des  Rheingaus  1391  zuerst  in  der  Geschichte  auftritt  und  1416  starb 
(Zaun.  271),  desselben,  der  auch  die  Wallfahrts-Kirchen  zu  Nothgottes  und  die  zu  Born- 
hofen gebaut  hat.  Schmelzeis  (S.  96  ff.)  weist  auf  die  Bestätigung  hin,  welche  diese 
Ueberlieferung  von  der  Gefangenschaft  Brömsers  bei  den  spanischen  Mohamedanern 
zu  erfahren  scheint  durch  den  auf  der  Thurmspitze  unter  dem  Kreuz  als  Wetterfahne 
angebrachten  Stern  und  Halbmond,  sowie  die  Weihung  der  Kirche  auf  den  Namen  des 
spanischen  Nationalheiligen  St.  Jacob,  die  im  Rheingau  nicht  mehr  vorkommt.  Der 
älteste  Theil  der  Kirche  ist,  wie  erwähnt,  das  Erdgeschoss  des  in  das  nördliche  Seiten- 
schiff eingebauten  Thurmes.  Es  bildet  eine  Kapelle  von  4,65  m  ins  Geviert,  deren 
Ostwand  durch  eine  Dreibogenstellung  mit  einer  Mensa  im  Mittelbogen  als  Altar- 
raum ausgebildet  ist.  Die  Bogen  werden  von  romanischen  Säulen  getragen,  weiche 
Würfelkapitäle  mit  hohem  Kämpferstein  und  attische  Basen  mit  knollenartig  ange- 
deuteten Eckblättern  haben.    Ueber  dem  Altartisch  ist  ein  vermauertes,  im  Halbkreis 


RÜDESHEIM.  PFARRKIRCHE. 


17 


geschlossenes  Fenster  bemerkbar.  Die  drei  anderen  Seiten  des  Raumes  sind  rundbogig 
ausgenischt;  in  der  Nordwand  giebt  ein  Fensterschlitz  spärliches  Licht,  in  der  Nordwest- 
ecke ist  ein  vorspringender 
runder  Treppenthurm  vorge- 
baut. Ueberdeckt  ist  der  Raum 
mit  einem  stumpf-spitzbogigen 
Kreuzgewöl  be,  dessen  schlicht- 
gekehlte Rippen  auf  viel  spä- 
tere Einwölbung,  etwa  zur  Zeit 
der  Erbauung  der  Kirche  hin- 
deuten. Im  Aeusseren  ist  der 
Thurm  durch  Eck-  und  Mittel- 
Lisenen  mit  zwei  Rundbogen- 
friesen gegliedert,  denen  Fra- 
tzenköpfe als  Konsolen  dienen. 

Die  im  Vergleich  mit  an- 
deren rheinisch  -  romanischen 
Resten  auffallende  Derbheit 
dieser  Anlage  scheint  zu  der 
Annahme  zu  berechtigen,  dass 
dieselbe  nicht  dem  zwölften, 
sondern  einem  Bau  des  elften 
Jahrhunderts  entstammt.  Die 
übrige  Kirche,  deren  Bauzeit 
man  also,  wenn  sie  eine  Grün- 
dung Johann  Brömsers  und 
seiner  Gattin  Erlindis  von  der 
Spor  war,  in  das  letzte  Jahr- 
zehnt des  vierzehnten  Jahr- 
hunderts zu  setzen  haben  wird, 
ist  eine  zweischiffige  Hallen- 
kirche mit  schmalem  nörd- 
lichem Seitenschiff.  Der  Chor, 
aus  fünf  Seiten  des  Achtecks 

j      •  r~  .     ,     ,        Fig.  5.  Rüdesheim.  Pfarrkirche.  Romanische  Kapelle  im  Thurm. 

und   einem  Gewolbejoch  be- 

stehend,  ist  durch  einen  sich  stark  verengenden  Triumphbogen  gegen  das  in  der  Breite 
des  Chors  angelegte  vierjochige  Hauptschiff  abgeschlossen.  Im  letzten  Joch  nach  Westen, 
welches  grössere  Tiefe  als  die  übrigen  hat,  ist  eine  von  zwei  Kreuzgewölben  auf  einem 
Mittelpfeiler  getragene  Empore  eingebaut,  zu  welcher  eine  in  der  Südwestecke  recht- 
eckig vorspringende  Wendeltreppe  führt ;  eine  weitere  Treppe,  die  in  der  Dicke  der  west- 
lichen Giebelmauer  ausgespart  ist ,  leitet  zu  dem  Raum  über  den  Gewölben  und  zu 
den  zwei  sechseckigen  Thürmchen,  die  neben  dem  Westgiebel  des  Hauptschiffes,  mit 

2 


18 


RÜDESHEIM.  PFARRKIRCHE. 


einem  Rundbogenfries  verziert,  auf  einfachen  in  den  Winkeln  der  Strebepfeiler  liegenden 
Konsolen  vorgekragt  sind  und  massive  Helme  tragen.  Die  ursprüngliche  im  West- 
giebel befindliche  Hauptthüre,  welche  ein  mit  Skulpturen  verziertes  Tympanum 

trug,  ist  bei  einem  Umbau  1766  zugemauert, 
bei  welchem  auch  der  auf  dem  Merianschen 
Stich  von  1646  erkennbare  viereckige  Thurm- 
helm durch  das  jetzige  zopfige  Thurmdach 
ersetzt  wurde,  und  an  ihrer  Stelle  ein  ovales 
Fenster  angebracht.  Die  Thür  wurde,  von 
einer  Barockarchitektur  umrahmt,  in  die  Süd- 
mauer verlegt. 

Das  Hauptschiff  hatte  ursprünglich  eine 
gerade  Balkendecke,  wofür  der  auf  dem  Kirchen- 
boden über  den  jetzigen  Gewölben  noch  wohl 
erkennbare  Freskenschmuck  den  Beweis  liefert. 
Der  Rüdesheimer  Pfarrer  Wüstenfeld  über- 
liefert die  Thatsache,  dass  im  Jahre  171b  noch 
im  Gewölbe  die  Jahreszahl  1489  zu  lesen  war. 
Den  völlig  schlichten,  nur  mit  einer  Hohlkehle 
gegliederten  Gewölbprofilen  gegenüber  hindert 
nichts  an  der  Annahme,  dass  diese  Jahreszahl 
die  Ausführung  der  Gewölbe  bezeichne.  Ja,  sie 
giebt  der  weiteren  Vermuthung  Raum,  dass 
die  Kirche  bis  zu  dieser  Zeit  etwa  hundert  Jahre 
lang  als  einschiffige  Kirche  gestanden  habe 
und  dass  gleichzeitig  mit  der  Einwölbung  des 
Schiffs  eine  inzwischen  nothwendig  gewordene 
Vergrösserung  der  Kirche  durch  Hinzufügung 
des  nördlichen  Seitenschiffs  bewerkstelligt  sei. 
Diese  Annahme  böte  auch  eine  Erklärung  für  die  eigenthümliche  Gestalt  der  zwei  die 
beiden  Schiffe  trennenden  Pfeiler.  Dieselben  sind  länglich  viereckig  mit  auffallend  starker 
Breitenausdehnung,  die  sich  dadurch  erklären  würde,  dass  sie  als  Reste  der  durch- 
brochenen Nordwand  stehen  geblieben  wären,  mit  starken  Vorlagen  gegen  das  Haupt- 
schiff, die  Ecken  abgeschrägt.  Unbestreitbar  ist,  dass  man  bei  einer  ursprünglich 
zweischiffigen  Anlage  der  Kirche  eine  andere  als  diese  Stützenform  gefunden  haben 
würde,  welche  den  Vergleich  mit  den  wahrscheinlich  unter  ähnlichen  Bedingungen 
entstandenen  Pfeilern  der  Lorcher  Pfarrkirche  nahelegt.  Auch  die  Strebepfeiler  der 
Südwand,  die  bei  einer  flachgedeckten  Kirche  unnöthig  waren,  würden  diesem  Umbau 
ihre  Entstehung  verdankt  haben. 

Die  Fenster  sind  im  Chor  dreitheilig,  das  Maasswerk  des  Bogens  mit  Drei-  und 
Vierpässen,  diejenigen  der  Schiffe  zweitheilig  mit  nasenbesetzten  Spitzbogen,  die 
einen  Vierpassring  tragen. 


Fig.  6.  Büdesheim. 
Grundriss  der  Pfarrkirche  s.  heil.  Jacob  d.  ä 


Fig.  9.   Rüdesheim.  Pfarrkirche. 
Grabmal  des  Heinrich  Brömser  und  der  Apollonia  von  Ingelheim. 


RÜDESHEIM.  PFARRKIRCHE. 


19 


Die  Sakristei  liegt  in  der  Ecke  zwischen  Thurm  und  nördlicher  Chorwand  ein- 
gebaut und  besteht  aus  zwei  durch  einen  Bogen  verbundenen  Räumen,  die  mit  rippen- 
losen Kreuzgewölben  überdeckt  sind.  Die  Fenster  zu  zweit  in  Blenden  eingefasst, 
haben  einfache  Spitzbogen  mit  Nasen.  Eine  kleine  Freitreppe  führt  aussen  vor  dem 
Westjoch  des  Nordschiffes  von  der  hier  stark  ansteigenden  Strasse  unmittelbar  auf 
die  Empore.    Die  Strebepfeiler  haben  schlichte  Pultdächer. 

Von  den  in  der  Kirche  erhaltenen  Skulpturwerken  ist  zuerst  dasTympanon  des 
früheren  Westportals,  jetzt  über  dem  ovalen  Fenster  der  Westfront  eingemauert,  zu 
nennen.    Die  Darstellung  ist  in  zwei  Zonen  eingetheilt,  unten  die  Anbetung  der 


Fig.  7.  Rüdesheim.  Pf  arrkirche."  Tympanum  des  alten  Westportals. 


Könige  vor  der  bekrönten  Gottesmutter  mit  dem  Kinde,  hinter  welcher  Joseph  als 
Greis,  auf  einen  Krückstock  gestützt,  dargestellt  ist.  Die  durch  einen  horizontalen 
Fries  von  neun  dichtgestellten,  schön  gezeichneten  Rosen  abgetheilte  Spitze  des  Bogens 
zeigt  das  von  zwei  Engeln  gehaltene  Veronikatuch,  darüber  das  Haupt  der  Heiligen, 
mit  einem  das  Kinn  bekleidenden  und  zu  beiden  Seiten  herabfallenden  Schleier  ver- 
hüllt. Die  Darstellung,  wenn  auch  etwas  handwerklich  befangen,  hat  in  dem  reichen 
aber  strengen  Faltenwurf  der  Gewänder  ausgesprochen  archaisches  Gepräge. 

An  der  nördlichen  Chorwand  über  der  zur  Sakristei  führenden  Thüre  ist  ein 
reicher  gothischer  Tabernakel-Aufbau  in  Stein  angebracht,  der  fast  bis  in  die  Spitze 
des  Gewölbes  reicht.  Er  ist  mit  Figuren  geschmückt,  die  in  Thon  gebrannt  sind  und 


20 


RÜDESHEIM.  PFARRKIRCHE. 


ebenso  wie  das  Steinwerk  bemalt  und  vergoldet  waren.  Der  untere  Theil  dieses 
Aufbaues,  mit  dem  Wappen  der  Stifter,  der  Spor  und  Brömser  geschmückt,  enthält 

unter  einem  Baldachin  Christus  als  Weltenrichter, 
der  seine  Wundmale  zeigt.  Je  zwei  zu  jeder  Seite 
angebrachte  Haken  scheinen  schwebende  Engel  ge- 
tragen zu  haben.  Hierüber  folgt,  unter  einem 
reicheren  Baldachin,  der  von  zwei  seitlichen  Säulchen 
getragen  wird,  die  Kreuzigungsgruppe.  Auch  hier 
weisen  leere  Haken  zu  beiden  Seiten  auf  verloren 
gegangene  Figuren.  Zwischen  zwei  Fialen,  welche 
die  Seitenbaldachine  bekrönen,  steht  unter  einer, 
mit  diesen  durch  Strebebogen  verbundenen  Nische 
ein  Heiliger.  Die  das  Ganze  bekrönende ,  mit 
Krabben  besetzte  Thurmspitze  trägt  abermals  eine 
kleine  Heiligenfigur. 

Von  Grabsteinen  sind  folgende  zu  nennen: 

1.  An  der  Aussenseite:  Conrad  Brumser  de 
Rudesheim  f  1383.  Die  Gestalt  in  ritterlicher  Rüstung 
mit  den  Wappen  der  Brömser  und  Bellersheim. 

2.  ebenda.  Ein  Herr  de  Breckenehe,  ebenfalls  in 
Rittertracht  t  1-150.   Im  Wappen  drei  Spitzhämmer. 

3.  ebenda.  Wendel  Meurer  von  Oberheimbach 
t  1578;  schöne  Renaissanceskulptur,  welche  den 
Mann,  vor  dem,  Kreuz  und  Kelch  haltenden  Heiland, 
knieend  darstellt. 

4.  Im  Chor,  links  vom  Hochaltar,  Renaissance- 
Epitaph  des  Ritters  Heinrich  Brömser  von  Rüdes- 
heim f  1543  und  seiner  Gemalin  Appolonia  von 
Ingelheim  f  1519.  Die  meisterhaft  mit  ungewöhn- 
licher Lebenswahrheit  ausgeführten,  fast  vollrunden 
Figuren  knieen  einander  gegenüber  vor  dem  Ge- 
kreuzigten, neben  welchem  zwei  Kinderengel  mit 
Kelchen  schweben  Der  Ritter  trägt  die  Prunkrüstung 
des  16.  Jahrhunderts.  Das  Bildwerk  ist  von  einer 
Renaissancearchitektur  eingeschlossen,  deren  korin- 
thische Pilaster  ebenso  wie  der  Fries  und  die  Schrift- 
platte über  dem  Sockel  mit  sechzehn  Ahnenwappen 
belegt  sind.  In  dem  bekrönenden  Rundgiebel  ist 
zwischen  zwei  geflügelten  Engelköpfchen  der  seg- 
nende Gott  Vater  dargestellt,  von  dem  der  heilige 
Geist  als  Taube  herabschwebt. 


Fig.  8.  Rüdeslicim. 
Baldachinbau  über  der  Sakristeithür. 


Fig.  10.    Rüdesheim.  Pfarrkirche. 
Grabmal  des  Heinrich  Engelhard  Browser  f  1567. 


RÜDESHEIM.  PFARRKIRCHE. 


21 


Die  Inschriftstafel  trägt  folgende  Worte: 

anno  Domini  1513  uf  fritag  den  6-  dag  ]ulb  ift  geftorben  der  edel  und  ebrnneft  fiein< 

rid)  örömbfer  uon  Rüdeßbeim/  dem  öott  genadt- 
flnno  Domint  1519  uf  fondag  den  6-  dag  flugufti  ftarb  die  edel  und  erendugentbafftige 
frau  Appolonia  uon  Ingelbeim/  obgemeltes  fteinrid)  ßrömbfers  ebelidje  gemabel  der 

öott  genadt-  flmen- 

5.  Im  Chor,  nördliche  Wand  ist  über  den  Chorstühlen  das  Epitaph  des  Heinrich 
Engelhard  Brömser  f  1567,  eingemauert,  ein  reicher  Renaissance- Aufbau  von  unge- 
wöhnlicher Schönheit.  Auf  einem  Sarkophag,  der  von  zwei  Frauenköpfen  und  einem 
Konsol  mit  Inschrifttafel  getragen  wird,  liegt  der  Ritter  in  voller  Rüstung  ausgestreckt, 
den  Kopf  von  einem  Schädel  unterstützt,  von  zwei  Engelknaben  mit  umgekehrter 
Fackel  bewacht.  Bewundernswürdig  ist  die  leichte,  frei  bewegte  Haltung  der  ruhenden 
Figur,  besonders  der  Beine  und  der  den  Dolch  der  Rüstung  leicht  umfassenden  rechten 
Hand.  Die  ziemlich  grosse  obere  Schrifttafel  ist  von  vierzehn  Ahnenwappen  um- 
rahmt ;  über  ihrem  Abschlussgesims  erhebt  sich  ein  Aufbau,  dem  zwischen  den  alle- 
gorischen Gestalten  des  Glaubens  und  der  Hoffnung  zwei  Alabasterreliefs,  die  Grab- 
legung und  die  Auferstehung  Christi  eingefügt  sind.  Den  oberen  Abschluss  bildet 
eine  reiche  Kartusche  mit  dem  Brömser'schen  Wappen;  über  ihm,  als  Symbol  der 
Liebe,  ein  Pelikan. 

Die  Inschrift  der  Tafel  lautet: 

D.  O.  M. 

ZHerf,  o  mein  roolmetnenter  £f/rift, 
IDie  im  f/ern  felig  entfcblaffen  ift, 
2lls  in  ber  beften  ^eit  geroeft, 
Seines  Hilters  ....  ber  (Ebel  unb  Deft 
^einrieb  €ngelt/art  mit  nahmen, 
Brömbfer  von  Hübesf/eim  (eins  ftammen, 
Des  unb  aller  Cr/riftglaubigen 
IDolIe  bu,  o  <5ott,  ein  pfleger  fein, 
IDie  ban  3U  bir,  r/er  3efu  ^rifr 
Sein  Hoffnung  aüf/ie  geftanben  ift. 

Obiit  Rudesbeimiae  flnno  Domini  1567  Octob-  19-  üesperi  infra  8  et  9  boras-, 
Jobannes  Ritbardus  örumfer  a  Rudesbeim  naturali  affectu  parenti  fuo  djarifflmo  piae 

memoriae  erga  posuit 
anno  Domini  1597- 

Auf  der  unteren  Platte  steht  der  Spruch: 

ITteitt  r/er  unb  t/etlanb  Cbriftus  ift 
Vom  tobt  erftanben,  bas  ift  geroif. 
3m  tobt  bin  ich  gelegen  nieber, 
Durch  (Et/riftum  roerb  ich  leben  teieber. 


22 


RÜDESHEIM.  PFARRKIRCHE. 


Ein  hervorragendes  Skulpturwerk  der  Spätrenaissance  ist  der  Aufsatz  des 
Marienaltars,  auf  der  südlichen  stark  vortretenden  Ansatzwand  des  Triumphbogens 
stehend.  Er  verdankt  der  Verbindung  der  Familie  Brömser  mit  der  edlen  Familie 
von  Cronberg  seine  Entstehung.  Am  8.  Februar  1587  verheirathete  sich  Hans  Richard 
Brömser  mit  Anna  Margareta,  der  einzigen  Tochter  Johann  Eberhards  I.  von  Cron- 
berg und  der  Anna  von  Riedesel ;  zum  Andenken  an  diese  Verbindung  stiftete  er  den 
Aufsatz  des  Marienaltars.  Anna  Margarete  starb  1600  und  wurde  ebenso  wie  ihr 
Mann  im  Kloster  Nothgottes  beigesetzt. 

Das  Altarblatt  in  Hochrelief  aus  feinkörnigem  Sandstein  gearbeitet,  stellt  die 
Flucht  nach  Aegypten  in  äusserst  lebensvoller  Auffassung  dar.  Die  Muttergottes, 
die  Mittelfigur  bildend,  wird  von  dem  Christuskinde  nach  einem  von  Palmen  über- 
ragten Hause  im  Hintergrund  geleitet ;  ihr  folgt,  von 
einem  Engel  geführt,  Josef.  Engelkinder  umgeben  theils 
spielend,  theils  führend,  die  anmuthige  Gruppe,  während 
am  Himmel  sich  ein  übermüthiges  Geleite  von  Engel- 
Putten  dem  Zuge  anschliesst.  Die  Säulen,  welche  den 
in  Spätrenaissanceformen  gehaltenen  Aufbau  flankiren, 
sind  ebenso  wie  das  Gebälk  mit  zahlreichen  (leider  theil- 
weise  zerstörten)  Geschlechterwappen  belegt ;  vier  Heilige, 
Rochus,  Urban,  Sebastian  und  Agnes  umgeben  den 
architektonischen  Aufbau,  auf  dessen  Höhe  in  reicher  Kar- 
tusche, zwischen  den  Gestalten  von  Glaube  und  Liebe, 
die  Allianzwappen  der  Brömser  und  Cronberg  ange- 
bracht sind. 

Das  Chorgestühl  hat  leider  die  verschiedenen  Kriegs- 
stürme, denen  der  Ort  und  die  Kirche  ausgesetzt  waren, 
nicht  ungeschädigt  überdauert,  was  um  so  mehr  zu  be- 
dauern ist,  als  die  an  der  Nordseite  noch  am  besten 
erhaltene  Seitenwange  eine  gute  und  frische  Schnitz- 
arbeit im  Sinne  der  Späthgothik  aufweist.  Dieselbe  ist 
am  unteren  Theil  geschlossen  und  mit  einer  Maasswerk- 
blende mit  gewundenem  Laubwerk  in  den  Zwickeln  be- 
lebt; eine  Säule,  die  nach  oben  in  einer  Fiale  endet,  be- 
kleidet die  Ecke.  Der  obere  Theil  ist  mit  Fischblasen- 
Maasswerk  durchbrochen  und  mit  dem,  vom  Stechhelm 
bekrönten  Wappen  der  Brömser  belegt.  Der  obere  Ab- 
schluss  fehlt  auch  hier.  Die  gegenüberliegende  Wange 
der  Südseite  ist  ganz  geschlossen;  ausserdem  ist  noch  je 
eine  Reihe  Sitze  auf  jeder  Seite  erhalten,  welche  die 

übliche  Form  mit  säulengetragenen,  geschweiften  Zwischen- 
Fig.  12.    Uedesheim.  ... 
Pfarrkirche.   Chorstuhlwange.     lehnen  und  einfach  ornamentirten  Miserikordien  zeigen. 


Fig.  11.   Rüdesheim.    Pfarrkirche.  Marienaltar. 


RÜDESHEIM.  PFARRKIRCHE. 


^3 


Eine  Inschrift,  welche  uns  den  Namen  der  Verfertiger  und  einen  Sinnspruch  über- 
liefert, lautet: 

Hach  Cbrifti  geburt  taufeub  nierhuubert  iar  unb  barnaeg  in  bcm  5a>anc3igften  iar  (1420) 
hat  mciftcr  fjeinrid?  (Syfc  von  Ulridjftem  bic^  roerf  gemacbt  uff  fant  jacobstag. 
an  truroe,  byacht  an  Keuoe,  gebet  au  ymidfdt,  bas  fyn  bry  oerlom  arbeit, 

(Lieb  ohne  Treue,  Beicht  ohne  Reue,  Gebet  ohne  Innigkeit,  das  sind  drei  verlorne  Arbeit). 

Von  hohem  kunstgeschichtlichem  Interesse  und  jedenfalls  einer  besseren  Pflege 
werth,  als  ihnen  gegenwärtig  zu  Theil  wird,  sind  die  Fresken  aus  der  Leidens- 
geschichte, mit  welchen  Johann  Brömser  die  nördliche  Oberwand  des  flachge- 
deckten  Kirchenschiffs  schmücken  Hess,  und  die  bei  Einziehung  der  Gewölbe  so  weit 
geschont  wurden  (bis  auf  das  Zerkratzen  der  Gesichter  einiger  Häscher)  dass  sie  auf 
dem  Kirchenboden,  wenn  auch  mühsam,  in  Dunkelheit,  Schutt  und  Staub,  noch  jetzt 
betrachtet  werden  können.  Sie  beginnen  mit  dem  Gebet  im  Oelberg;  die  Verhöhnung 
Christi,  das  Verhör  vor  Pontius  Pilatus,  die  Darstellung  vor  dem  Hohenpriester,  die 
Kreuzigung  und  die  Kreuzabnahme  folgen.  Die  Darstellungen  folgen  sich  friesartig 
ohne  Unterbrechung,  nur  durch  den  abwechselnd  gelbweiss  und  dunkelroth  behandelten 
Hintergrund  als  besondere  Darstellungen  charakterisirt.  Ein  über  die  ganze  Bilder- 
folge fortlaufender  Rundbogenfries  mit  perspektivischen,  rothgemalten  Untersichten 
der  Bogen  und  grauen,  mit  einer  viereckigen  Rosette  verzierten  Untersicht  der  vier- 
eckigen Kragsteine  verbindet  das  Ganze.  Der  Beschauer  wird  sich  dem  eigenthüm- 
lichen  Renaissance -Eindruck,  den  dieser  Fries  mit  seinem  zwischen  den  Bogen  er- 
scheinenden perspektivischen  Plafond-Muster  macht,  schwer  entziehen  können. 

Die  Darstellungen  sind,  wenn  auch  schlicht,  so  doch  von  starkem  Ausdruck. 
Namentlich  die  Gestalt  des  Christus  vor  Pilatus  und  der  Gegensatz  des  ersteren  zu 
dem  selbstbewusst,  mit  übergeschlagenem  Bein  in  köstlichem  Gewände  sitzenden  Land- 
pfleger entbehrt  nicht  der  dramatischen  Kraft.  Das  reichgefaltete,  aus  Brokatstoff 
mit  blauem  Futter  hergestellte  Costüm  desselben,  der  gezattelte  Ringkragen,  die 
Rüstung  der  Häscher  (Stechhelm  mit  Ringkragen,  langer  Lendner  mit  Hängeärmeln), 
der  Eisenhut  eines  zurückstehenden  Landsknechts  —  sie  alle  deuten  mit  Sicherheit 
darauf,  dass  diese  Bilder  in  dem  ersten  Jahrzehnt  des  15.  Jahrhunderts,  also  unmittel- 
bar nach  der  Erbauung  der  Kirche  entstanden  sein  müssen. 

Von  den  alten  Glocken  der  Kirche  ist  keine  mehr  erhalten,  höchstens  scheint 
die  (jetzt  zersprungene)  Mittagsglocke  nach  ihrer  Inschrift  früheren  Jahrhunderten  an- 
zugehören, welche  lautet  (Zann  272): 

Sancte-  Jacob-  fal-  aud)  fflidde-  fin-  Dus-  rDalde-  0ot-  unde-  fin-  müder  fin- 

Auf  dem  oberen  Drittel  befinden  sich  zwei  Crucifixe. 

Die  grösste  Glocke  hat  ein  Bildniss  der  Himmelfahrt  Mariae  mit  der  Unterschrift : 
5-  maria  0-  P-  It-  und  am  oberen  Rande   die    Inschrift:  COOperatlte  DoITtlnO  PetTO 

letb  renata  CO]  benefaCtorl  gratlas  refono  Jofepljus  2ed)bauer  uon  Illaiti}  goß  mid) 

in  Ruedesöeim 

ist  also  nach  obigem  Chronogramm  1810  gegossen. 


24 


RÜDESHEIM.  PROFANBAUTEN. 


Die  Chorglocke  ist  mit  einem  Kreuz  geziert  und  trägt  die  Umschrift : 

Durdis  •  feuer  •  bin  •  id)  •  gefloffen  •  Philipp  RinKer  uon  Uun  bat  nüd)  gegofien 

flnno  178V 

Die  vierte  kleine  Glocke  hat  keine  Inschrift. 

Im  Kirchenschatz  finden  sich  folgende  heil.  Gefässe  und  Paramente: 

1.  Kleiner  Frühmesserkelch.  Silber  vergoldet  in  glatten  noch  gothisirenden 
Formen;  der  Fuss  sechspassig.  Der  Nodus  mit  getriebenen  Knollen  verziert.  Inschrift: 

Heinrich,  örömfer  ocm  Rüdesimm-  Iltaria  ITlagdaleria  ßrömferin  oon  Rüdesheiuv 

geb-  uon  Dedesdorf  1628* 

2.  Grosse  Monstranz.  Silber  mit  Ziervergoldung,  0,81)  hoch,  0,35  breit.  Sonnen- 
form, grob  dekorative  Arbeit  auf  gegossenen  Engelfiguren,  mit  bunten  Glassteinen 
besetzt.  Auf  dem  Fuss  Aehren  und  Trauben  in  getriebener  Arbeit.  Augsburger 
Beschauzeichen  (1767 — 69),  Meisterzeichen  A.  G.W.  in  einem  Herz. 

3.  Kelch.  Silber  vergoldet,  0,28  hoch,  0,09  Weite,  schwere,  getriebene  Rococo- 
Arbeit.  Am  schwer  ausladenden  Fuss  und  dem  die  Kuppa  aufnehmenden  Becher  reiches 
getriebenes  Ornament  mit  6  zwischengefügten  Reliefmedaillons  aus  der  Leidensgeschichte. 

4.  Aquamanile.  Bronze,  0,25  hoch,  0,28  lang.  Neueres  Geschenk  der  Gräfin 
Ingelheim,  zeigt  die,  auch  in  Nachbildungen  weit  verbreitete  romanische  Form  eines 
Löwen,  über  dessen  Rücken  sich  ein  Drache  reckt,  der  die  Handhabe  bildet. 

5.  Zwei  Levitenmäntel.  Auf  weissem  Seidengrund  liegt  in  starkem  Relief 
schwere  Goldstickerei  in  Barockranken,  durch  stellenweise  Unterlage  von  rothem 
Sammet  effektvoll  gehoben. 

6.  Levitenmantel,  ähnlich  dem  vorigen,  nur  im  Ornament  etwas  früher,  mit 
reich  in  Gold  gestickter  Kappe. 

7.  Vier  Messgewänder  in  Silberbrokat  mit  dem  eingestickten  Eberbacher  Wappen 
nebst  demjenigen  des  Abtes  Adolph  II.  Werner  (1750—1795). 

PROFANBAUTEN. 

Rüdesheim  besitzt  in  seinen  drei  Burgen,  der  Ober-  oder  Boosenburg,  der 
Nieder-  oder  Brömserburg  und  der  Vorderburg  auf  dem  Markte  die  ältesten 
Burganlagen  des  Rheingaues,  die  auch  als  innerhalb  des  Stadtbereichs,  also  im  Thal 
belegen,  für  die  Geschichte  der  deutschen  Wehrbauten  vom  höchsten  Interesse  sind. 
Um  so  mehr  ist  es  zu  bedauern,  dass  sie  uns,  wie  die  Vorderburg,  in  gänzlich  zer- 
störtem, oder  in  einem  durch  Umbauten  so  veränderten  Zustande  erhalten  sind,  dass 
sich  ihre  ursprüngliche  Anlage  nur  schwer  erkennen  lässt.  Ihrer  Beschreibung  müssen 
wir  eine  kurze  Erwähnung  der  in  Rüdesheim  ansässigen  Adelsgeschlechter  voran- 
gehen lassen.  Bodmann  (I  341)  sagt:  „Das  bei  weitem  ausgebreitetste,  reichste  und 
ansehnlichste  Geschlecht  unseres  gesammten  Rheingauer  Landadels  im  Mittelalter 


RÜDESHEIM.  ADELSGESCHLECHTER. 


25 


war  unstreitig  jenes  der  berühmten  Herren  von  Rüdesheim.  Es  tritt  in  den  ältesten 
Urkunden,  die  eines  Rheingauer  Adels  erwähnen,  fast  am  frühesten  auf." 

Das  älteste  Adelsgeschlecht  nannte  sich  kurzweg  von  Rüdesheim.  Es  führte 
einen  getheilten  Schild,  der  obere  Theil  von  Gold,  nicht  selten  mit  einem  blauen, 
vierlätzigen  Turnierkragen  belegt,  der  untere  Theil  in  blauem  Feld  goldene  Lilien. 
Es  erlosch  mit  Melchior  von  R.  1548. 

Ein  anderer  Zweig  war :  Die  Füchse  von  Rüdesheim,  die  seit  Ausgang 
des  12.  Jahrhunderts  erscheinen  und  vermuthlich  1474  ausstarben.  Sie  führen  einen 
goldnen  Schild  mit  schwarzem  Flügel.  Dasselbe  Wappen  führten,  worauf  von  Cohausen 
aufmerksam  macht,  die  alten  Rheingrafen,  mit  denen  sie  also  eines  Stammes  gewesen 
sein  könnten.  „Diesen  Stamm  finden  wir  im  Jahre  1276  im  Besitz  der  Oberburg  und 
im  ganerbschaftlichen  Mitbesitz  der  Niederburg.  Es  liegt  daher  die  Vermuthung 
nahe,  dass  die  Rüdesheimischen,  ehe  sie  die  (bischöfliche')  Niederburg  gewannen,  eine 
Burg  —  die  Oberburg  —  besassen,  welche  dem  ältesten  Stamme  verblieb,  während 
jene,  in  den  gemeinschaftlichen  Besitz  übergehend,  von  einem  jüngeren  Aste  bewohnt 
wurde.  Ueber  die  Oberburg  aber  scheint  es,  konnten  die  Füchse  frei  bestimmen, 
denn  sie  trugen  dieselbe  —  unbekannt  in  welchem  Jahre  —  dem  alten  Grafen  von 
Zweibrücken  zu  Lehen  auf.  Mit  dem  Erlöschen  der  Füchse  i  J.  1474  empfing  sie 
Johann  Boos  von  Waldeck  vom  Grafen  Simon  Wecker  von  Zweibrücken  als  Lehen 
(wovon  sie  bis  heute  den  Namen  der  Boosenburg  führt).  Erst  im  Jahre  1830  verkaufte 
sie  Graf  Boos  von  Waldeck  zu  Sayn  an  den  Grafen  von  Schönborn -Wiesenthaid." 
(Cohausen  a.  a.  O.  S-  304).  Von  diesem  erwarb  sie  1868  Herr  Joh.  Bapt.  Sturm,  der 
sie  einem  vollständigen  Umbau  unterzog,  sodass  aus  dem  eleganten  Landsitz  heute 
nur  noch  der  charakteristisch  gestaltete  Bergfried  als  letzter  Zeuge  des  einstigen  Zu- 
standes  emporragt. 

Als  andere  Nebenzweige  des  alten  Rüdesheimer  Adelsgeschlechtes  lernen  wir 
noch  die  Kinder  von  Rüdesheim  kennen,  die  seit  Ausgang  des  12.  Jahrhunderts 
erscheinen  und  mit  Diether  Kind  v.  R.  1368  aussterben-  Ferner  die  Rüdesheimer 
vom  Markte,  welche  die  Besitzer  der  Vorderburg  gewesen  zu  sein  scheinen,  und 
die  Rüdesheim  vom  Hause.  Alle  diese  führen  das  Lilienwappen.  Als  aus  einem 
Ast  der  Füchse  hervorgegangen  erscheinen  die  Win t  er  von  Rüdesheim,  die  vom 
14.  bis  16.  Jahrhundert  auftreten,  und  da  sie  meist  in  Geisenheim  wohnten,  auch  „die 
von  Geisenheim"  genannt  werden.  Sie  führen  im  schwarzen,  mit  goldenen  Klee- 
blättern besäten  Feld  den  silbernen  Flügel  der  Füchse. 

Der  bedeutendste  und  am  längsten  blühendste  Ast  waren  die  Brömser  von 
Rüdesheim  (die  Nachricht  von  ihrer  Herkunft  aus  Presberg  scheint  auf  einer  will- 
kürlichen Deutung  ihres  Namens  zu  beruhen).  Sie  erscheinen  zuerst  urkundlich  (Bodm.) 
1276.  In  einer  Urkunde  von  1286  (Sauer  1051)  begegnen  uns  zwei  Ritter  Johannes 
und  Robert  dicti  Brumzere.  Ihr  Wappen  ist  getheilt,  oben  silber,  unten  im  schwarzen 
Feld  6  oder  8  silberne  Lilien,  die  meist  3,  2,  1,  ausnahmsweise  auch  4,  3,  1  gestellt 
sind.  Wenn  sie  auch  mit  den  übrigen  Ganerben  gemeinschaftlich  die  Stammburg, 
die  Niederburg,  bewohnten,  so  schwangen  sie  sich  doch,  mehrfach  mit  dem  Amt  des 


26 


RÜDESHEIM.    DIE  NIEDERBURG. 


Vizedoms  bekleidet  und  als  Stifter  von  Kirchen,  (s.  oben)  zum  Hauptstamm  des  Rüdes- 
heimer  Adelsgeschlechtes  auf,  sodass  die  Niederburg  noch  heute  ihren  Namen  trägt. 

Bei  der  Beschreibung  der  Niederburg  folgen  wir  der  eingehenden  Arbeit  des 
Herrn  von  Cohausen  im  Centraiblatt  der  Bauverwaltung  1886.*)  Abweichende  An- 
sichten Essenwein's  werden  gegebenen  Ortes  zu  erwähnen  sein. 

Die  Niederburg  war  eine 
Wasserburg,  wie  die  meisten 
Thalburgen ,  vielleicht  nicht 
ganz  in  dem  Sinne,  wie  Essen- 
wein annimmt,  dass  sie  ganz 
in  dem  damals  breiteren 
Rheinstrom  stand.  Sie  liegt 
als  Viereck  von  33  m  Länge 
und  21  m  Breite  mit  fast 
genau  orientirten  Seiten  in 
Gärten,  die  jetzt  an  drei  Seiten 
einen  2,25 — 3  m  tiefen  Graben 
bilden.  Auf  der  Ostseite  führt 
heute  eine  Strasse  vorbei,  von 
welcher  aus  eine  Treppe  den 
Zugang  zu  dem  2,20  m  höher 
gelegenen  Burghof  vermittelt. 
Die  Gärten  werden  noch  jetzt 
vom  Hochwasser  des  Rheins 
überflutet.  Als  sie  noch  tiefer  lagen,  muss  es  so  häufig  geschehen  sein,  dass  die  Burg, 
als  von  Wassergraben  umgeben,  bezeichnet  wird. 

Nehmen  wir  an,  dass  die  Burg  noch  zur  Zeit  vor  der  Ottonischen  Schenkung 
als  königlicher  Saalhof  angelegt  worden  ist,  so  haben  wir  sie  uns  in  ihrer  ursprüng- 
lichen Anlage  als  einen  von  ca.  7  m  hohen  gezinnten  Mauern  umgebenen  Burghof 
zu  denken,  der  in  der  Nordwest-  und  vielleicht  auch  in  der  Südostecke  von  je  einem, 
dicht  an  die  Wehrmauer  angebauten  Thurm  geschützt  war.  Der  nordwestliche  Thurm 
ist  noch  heute  auf  20  m  Höhe  (vom  Hofinnern)  bei  6  m  im  Geviert  messendem  Grundriss 
erhalten.  Er  ist  soweit  von  der  Mauer  zurückgesetzt,  dass  der  Wehrgang  nebst 
Zinnenkranz  noch  aussen  um  ihn  herumlief;  der  andere  ist  verschwunden,  und  die 
zwischen  den  Gebäuden  der  Süd-  und  Ostfront  klaffende  Lücke  giebt  uns  sein  Maas 
von  7,80  auf  11  m.  Wenn  eine  sehr  malerisch  behandelte  Aquarellzeichnung  von 
Kraus  (1803)  im  Städel'schen  Institut  zu  Frankfurt  (s.  Fig.  15)  genau  ist,  so  Hesse  sich 
aus  einem  hier  an  der  Südostecke  aus  der  Front  vortretenden  Mauerstück  mit  einem 


Fig.  14.  Rüdesheim. 


Niederburg.  Grundriss  des  Erdgeschosses 
nach  v.  Cohausen. 


*)  v.  Cohausen,  Die  Wehrbauten  zu  Rüdesheim  a.  Rh.,  insbes.  die  Niederburg.  Centralbl. 
der  Bauverw.,  Jahrg.  VI,  No.  31,  32,  S.  303  ff.  u.  310  ff. 

Handbuch  der  Architektur.  4.  Band,  1.  Heft.  Die  Kriegsbaukunst  v.  Dr.  A.  v.  Essenwein, 
Darmstadt  1889.    S.  48  ff.,  168  ff. 


RÜDESHEIM.    DIE  NIEDERBURG. 


27 


Fig.  15.    Niederburg  nach  Kraus  1803. 


Thorweg  schliessen,  dass  der  jetzt  fehlende  südöstliche  Bautheil  vor  der  Südfront 
vortrat  und  vielleicht  einen  quadratischen  Grundriss  von  lim  Seitenlänge  hatte.  Die 
Zerstörung  dieses  Theiles  ist  mit  Cohausen  wohl  in  das  Jahr  1640  zu  setzen.  In 
diesem  Jahr  beschloss  der  französische  Oberbefehlshaber,  Herzog  von  Longueville, 
der  sein  Hauptquartier  auf  Schloss  Stahleck  bei  Bacharach  hatte,  die  in  seine  Hand 
gekommene  Burg  wehrlos  zu  machen  und  zwang  die  Bürger  von  Lorch,  zu  ihrer 
Demolirung  zu  frohnden.  Dass  er  sich  nicht  auf  die  Oeffnung  der  Burg  durch  Zer- 
störung dieses  Bautheiles  zu  beschränken  gedachte,  beweist  ein  Minengang,  der  in 
den  Bergfried,  im  Erdgeschoss  des  Verliesses,  mit  vieler  Mühe  eingebrochen  worden 
ist.  Ueber  die  Beschaffenheit  des  Bautheils,  der  in  der  Lücke  auf  der  Südostecke 
stand,  wird  man  immer  auf  Vermuthungen  angewiesen  bleiben.  Wir  sind  der  Ansicht 
Cohausen's  gefolgt,  weil  ein  starker  Wehrkörper  an  dieser,  dem  oberen  Rheinlauf 
zugekehrten  Seite  unzweifelhaft  nöthig  war,  und  weil  die  alte  Merianische  Abbildung 
(s.  Fig.  16)  diesen  Bautheil  über  den  Zinnenkranz  der  andern  Gebäude  emporgeführt 
zeigt.  Cohausen  glaubt  ihn,  nach  den  noch  bemerkbaren  Ueberständen  der  Südmauer, 
da  wo  die  oberen  Geschosse  an  ihn  anschlössen,  sich  so  wie  den  Thurm  der  Ober- 
burg, mit  verjüngten  oberen  Stockwerken  vorstellen  zu  müssen.  Essenweins  Annahme, 
der  an  diese  Stelle  eine  monumentale,  gewölbte  Burgküche  verlegen  will,  scheint  der 
Begründung  zu  entbehren ;  eher  hat  die  Vermuthung  Kriegs  von  Hochfelden,  (Gesch. 
d.  Milit.-Arch.  in  Deutschi.  S.  317)  dass  dieser  Bau  ein  Thorgebäude  mit  darüber 
liegender  Kapelle  war,  eine  gewisse  Wahrscheinlichkeit  für  sich. 


28 


RÜDESHEIM.    DIE  NIEDERBURG. 


Den  Beweis  für  das  Vorhandensein  der  ursprünglichen  7  m  hohen  Hofmauer 
findet  Cohausen  in  einer  an  der  Südwestecke  im  späteren  Mauerwerk  noch  erkennbaren 
Mauerzinne,  sowie  in  Spuren  der  gezinnten  Hofmauer  auf  der  West-  und  einem  Theil 
der  Südseite.  „Man  sieht  hier  nämlich,  dass  ihr  Wehrgang  auf  Bogen  geruht  hat, 
deren  Pfeiler,  zur  Hälfte  zerstört,  die  Natur  des  inneren  Mauerwerks  bloslegen,  ein 
Füllwerk  von  wagerechten  und  schräg  gestellten  Steinen  in  grobkiesigem  Mörtel,  das 
den  Namen  eines  opus  spicatum ,  da  es  sich  nicht  in  der  Bekleidung  zeigt ,  nicht 
verdient." 

Den  Ausbau  dieser  schlichten  Wehranlage,  (deren  Entstehung  Krieg  von  Hoch- 
felden  in  das  10.,  Cohausen  in  das  11.  Jahrhundert  setzt,)  zu  einer  Wohnburg,  wie 
wir  sie  noch  heute  sehn,  wird  man  wohl  entgegen  Cohausen's  Ansicht  mit  Essenwein 
an  das  Ende  des  12.  Jahrhunderts  setzen.  Als  beweiskräftig  hierfür  sieht  Essenwein 
die  Profilierung  der  Fenster  des  Neubaues  an,  welche  in  ihrer  ganzen  Erscheinung 
mehr  die  Zierlichkeit  vom  Ausgang  des  12.  Jahrhunderts  als  den  Charakter  des  früh- 
romanischen Stils  zeigen. 

Bei  diesem  Umbau  wurden,  unter  Benutzung  der  Hofmauern,  rings  um  den 
viereckigen  Hof  massive  Wohngebäude  von  7,50  m  Tiefe  in  drei  Stockwerken  auf- 
geführt, die  in  den  beiden  untersten  Stockwerken  mit  Tonnen-  im  obersten  mit  Kreuz- 
gewölbe überdeckt  waren  und  sich  sowohl  nach  Aussen  wie  nach  dem  Hof  mit  zahl- 
reichen, meist  in  einer  Blende  gekuppelten,  rundbogig  überdeckten  Fenstern  öffneten ; 
im  Erdgeschoss  fehlen  selbstverständlich  die  Aussenfenster  aus  Sicherheitsgründen. 
Ein  Zinnenkranz,  an  der  Aussenseite  auf  Rundbogen  von  ca.  0.35  rad.  vorgekragt, 
die  auf  schlichten  kubischen  Kragsteinen  ruhten,  umgab  (nach  Merian)  ringsum  die 
Plattform  dieser  Wohngebäude  nach  der  Aussen-  wie  nach  der  Hofseite,  sowie  auch 
diejenige  der  Thürme.  Von  den  Kragsteinen  sind  auf  der  Nord-  und  Südfront  noch 
einige  erhalten,  der  Bogenfries  ist  gänzlich  verschwunden,  doch  zeigt  eine  Zeichnung 
von  Lindenschmit  von  1812  noch  einzelne  Friesbogen.  Aus  dem  Zinnenkranz  tritt 
bei  Merian  auf  der  Nordwestecke  vor  dem  Thurm  ein  Wichhäuschen  vor. 


dass  der  Hof  zwischen  den  hoch  emporragenden  Mauermassen  jetzt  einen  schacht- 
artigen Eindruck  macht.  Wann  dieser  Bergfried  errichtet  wurde,  ob  er  gleichzeitig 
mit  dem  Wohnhausumbau  oder  früher  war,  ist  kaum  festzustellen.  Gegen  das  erstere 
spricht  der  Umstand,  dass  dieser  Thurm  ohne  Verband  stumpf  gegen  die  Wohn- 
hausmauern stösst.  Der  Bergfried  bildet  im  Grundriss  ein  Quadrat  von  10,50  m 
Seitenlänge;  seine  Mauerstärke  misst  unten  4 — 4,50  m,  oben  3—3,50  m,  seine  Höhe 
jetzt  noch  19  m,  mit  welcher  er  um  ein  Stockwerk  über  die  Dachplattform  hervorragt. 


Fig.  16.    Rüdesheini  nach  Merian. 


Der  durch  die  Wohnbau- 
ten schon  wesentlich  ver- 
engte Hofraum  ist  durch 
einen  in  der  inneren  Nord- 
ostecke des  Hofes  errich- 
teten Bergfried  auf  das  min- 
deste Maass  beschränkt,  so- 


RÜDESHEIM.    DIE  NIEDERBURG. 


29 


Von  dieser  aus  ging  über  eine  offene,  16  m  über  dem  Hof  frei  schwebende 
Brücke  der  einzige  Zugang  zum  Bergfried,  der  von  der  Kellersohle  bis  hier  herauf 
wo  er  mit  einem  von  einer  Oeffnung  durchbrochenen  Tonnengewölbe  überdeckt  ist 
einen  einzigen  schachtartigen  Hohlraum  umschliesst.  Nirgends  deuten  Kragsteine  oder 
Balkenlöcher  in  demselben  auf  frühere  hölzerne  Zwischengeschosse.  Eine  einzige 
überwölbte  Thüröffnung  unterbricht,  etwa  auf  der  Mitte  zwischen  dem  zweiten  und 
dritten  Geschoss  des  anstossenden  Wohnflügels  die  Innenmauer ;  zu  dieser  Thür  führt 
von  der  oberen  Plattform  eine  in  der  Mauerdicke  liegende  Wendeltreppe  hinab,  die, 


Fig.  17.   Rüdesheim.    Niederburg.   Schnitt  von  West  nach  Ost.  ( nach  v.  Cohausen.)  ' 


nach  oben  fortgesetzt,  auch  die  jetzt  verschwundenen  höheren  Geschosse  des  Bergfrieds 
zugänglich  machte. 

Wenn  auch  wiederholt  als  Wohnburg  bezeichnet,  so  setzte  die  Burg  in  dieser 
Gestalt,  in  welcher  sie,  wenn  auch  trümmerhaft,  auf  uns  gekommen  ist,  dem  Angreifer 
doch  einen  starken  Widerstand  entgegen.  Die  sehr  dicken,  (unten  2,25,  oben  ca.  1,80  m) 
und  aus  Grauwacken  und  Quarzitgestein  meist  in  Kopfsteinen  von  25  auf  30  cm  Grösse 
in  grobem,  kiesreichem  Mörtel  gefügten  Mauern,  die  festen  Gewölbe,  die  im  Scheitel 
noch  ca.  1  m  stark  sind,  reihen  die  Burg  unter  die  solidesten  Wehranlagen  des  Rheins 
ein,  und  machen  eine  Zerstörung  durch  Minirarbeit  oder  Wurfmaschinen,  selbst  von 
der  überhöhenden  Umgebung,  zu  einem  ziemlich  aussichtslosen  Unternehmen. 

Aber  auch  in  der  Anlage  der  Zugänge  der  Treppen  lernen  wir  die  Umsicht 
des  Erbauers  kennen.    Ob  der  fehlende  Bautheil  dei-  Südostecke  ein  befestigtes  Thor 


30 


RÜDESHEIM.    DIE  NIEDERBURG. 


besass  und  wie  dasselbe  gestaltet  war,  ist  nicht  mehr  zu  entscheiden.  Der  einzige 
gegenwärtige  Zugang  auf  der  Westfront  ist  leicht  zu  vertheidigen.  Der  kleine  Vor- 
raum D  (Fig.  14),  der  über  die  2,20  m  hohe  Treppe  erstürmt  werden  musste,  reichte  schacht- 
artig ohne  Zwischengeschoss  bis  zur  Höhe  der  obersten  Wehrplatte,  von  der  aus  er  mit 
Wurfgeschossen  erreicht  werden  konnte,  während  der  Feind  das  ziemlich  enge  Burg- 
thor zu  forciren  versuchte.  Dies  Thor,  1,64  weit  und  2,75  hoch,  im  Halbkreis  auf 
vortretenden  unten  abgeschrägten  Kämpfersteinen  überwölbt,  ging  nach  aussen  auf 
und  war  durch  einen  Drehriegel  von  innen  zu  schliessen.  Von  der  Pforte  an  zog 
sich  an  der  nördlichen  Hofmauer  ein  Vordach ,  auf  welches  die  hier  aus  der  Mauer 
vorspringenden  Steinplatten  deuten. 

Vom  Hof  zum  ersten  Geschoss  führten  drei,  ungefähr  in  der  Mitte  der  drei 
Hoffronten  liegende  Treppen,  die  ohne  Thüren  vom  Hof  aus  frei  zugänglich  waren. 


'^^^^W^^^WW^Wß    erst  im  1  Obergeschoss, 


tretende  Treppe  vermittelt,  sodass  der  Zugang  der  Besatzung  zu  dem  wichtigsten 
Theil  der  Burg,  der  Wehrplatte  mit  dem  Zinnenkranz  und  dem  Bergfried  nur  durch 
diesen,  leicht  unter  Kontrole  zu  haltenden  Raum  möglich  war.  Haben  wir  uns  so  die 
Vertheidigungsanlagen  vorgeführt,  so  bleibt  noch  kurz  über  die  Vertheilung  der 
Räume  zu  sprechen.  Im  Erdgeschoss ,  das  nur  auf  der  Nordostecke  zum  Theil 
unterkellert  ist ,  befinden  sich  Wirthschaftsräume ,  unter  ihnen  die  alte  Küche  mit 
ihrem  durch  die  Mauerdicke  geschleiften  und  auf  zwei  Tragsteinen  gegen  den  Hof 
vortretenden  Kamin,  sowie  Vorrathsräume  und  Stallungen.  Ein  gut  ausgemauerter 
Brunnen  liegt  in  der  Mitte  des  Hofes. 

Im  ersten  Obergeschoss  wird  der  Ost-  und  Nordflügel  durch  einen  grossen  Saal 
in  Hakenform  eingenommen,  der  von  der  Ost-  wie  Nordseite  durch  je  vier  rundbogig 


Ihre  Verteidigung  begann 


wo  sie  auf  kleine,  durch 
Fensterschlitze  erhellte  Vor- 
plätze münden ,  die  rechts 
und  links  enge  Thüren  zu 
den  anstossendenGemächern 
haben.  Diese  Thüren  waren 
durch  Sperrbalken ,  die  aus 
der  Mauer  vorgeschoben 
wurden,  verschliessbar.  Vom 
ersten  zum  zweiten  Oberge- 
schoss führten  ähnliche,  aber 
meist  versetzte,  in  der  Mauer- 
dicke liegende  Treppen ;  die 
Verbindung  mit  der  obersten 
Wehrplatte  aber  wurde  nur 
durch  eine,  in  einem  Wohn- 
raum  an  der  Südfront  an- 


— / 


Fig.  IS.    Riidesheim.    Niederburg.  Grundriss  des  ersten  Stocks. 


RÜDESHEIM.    DIE  NIEDERBURG. 


31 


überwölbte  Fenster,  von  denen  5  gekuppelt  sind,  sein  Licht  erhält.  In  jeder  der  beiden 
Schenkel  ist  an  der  Innenmauer  ein  grosser  Steinkamin  angebracht,  dessen  durch  einen 
graden  Steinbalken  getragener  Sturz  sich  auf  zwei  romanische  Säulchen  mit  roh 
korinthisirenden  Kapitalen  und  Eckblättern  auf  der  Basis  stützt. 

Durch  die  Treppe  des  Nordflügels  wird  dieser  Hakensaal  von  einem  kleineren 
Gemache  der  Nordseite  getrennt,  welches  ebenfalls  einen  (stark  zerstörten)  Kamin 
besitzt  und  jetzt  zu  den  auf  der  West-  und  Südseite  eingerichteten  Wohngemächern 
gehört,  mit  denen  es  durch  einen  engen,  durch  den  nordwestlichen  Eckthurm  führenden 
Korridor  verbunden  ist. 

Im  zweiten  Obergeschoss  ist  die  ursprüngliche  Raumeintheilung  durch  die  von 
dem  jetzigen  Besitzer  vorgenommenen  Umbauten  ziemlich  verwischt.  Bemerkenswerth 
ist  in  diesem  Stockwerk  die  Ueberwülbung  mit  Kreuzgewölben,  bei  denen  nicht  nur 
die  glatten  vortretenden  Gurte,  sondern  auch  die  Gräte  im  Halbkreis  angelegt  sind, 
so  dass  die  Scheitel  der  Gewölbe  etwa  1  m  höher  liegen  als  diejenigen  der  Gurte. 
Diese  Ausführung,  die  Erfahrung  im  Gewölbebau  voraussetzt,  kann  nicht  befremden, 
wenn  man  sich  vergegenwärtigt,  dass  der  Erzbischof  von  Mainz  als  Bauherr  über 
Werkleute  verfügen  konnte,  die  im  Kirchenbau  geschult  waren. 

Aus  der  Geschichte  der  Niederburg  ist  noch  nachzutragen,  dass  dieselbe 
etwa  300  Jahre  vom  Anfang  des  10.  bis  zum  Anfang  des  13.  Jahrhunderts  im  Besitz 
der  Erzbischöfe  von  Mainz  war,  die,  nachdem  sie  dieselbe,  wahrscheinlich  gegen  Ende 
des  12.  Jahrhunderts,  zur  Wohnburg  umgebaut  hatten,  mehrfach  hier  residierten. 
Nachdem  sie  durch  die  Errichtung  der  Burg  Ehrenfels  entbehrlich  geworden  war, 
ging  sie  etwa  im  ersten  Jahrzehnt  des  13.  Jahrhunderts  als  freies  Allod  in  den  Besitz 
des  Rittergeschlechtes  derer  von  Rüdesheim  über,  welche  wahrscheinlich  schon  vorher 
als  Obermeier  in  derselben  gesessen  hatten.  Nach  dem  unglücklichen  Ausgang  der 
Sponheimer  Fehde  mussten  die  Rüdesheimer,  die  auf  Seite  der  Gegner  des  Erzbischofs 
gestanden  hatten,  1282  die  Burg  dem  Erzstift  zum  Lehen  auftragen,  von  ihrer  Burg- 
hut in  andern  erzstiftischen  Schlössern  zurücktreten  und  als  Gnade  hierfür  als  Burg- 
mannen ihre  eigene  Burg  als  Lehn  verdienen.  Nach  dem  Aussterben  der  Brömser 
von  Rüdesheim  1678  belehnte  der  Kurfürst  Karl  Heinrich  von  Metternich  mit  dem 
freigewordenen  Lehen  der  Burg  und  der  umliegenden  Gärten  den  Freiherrn  Emme- 
rich von  Metternich ;  wahrscheinlich  war  sie  schon  damals  so  in  Verfall,  dass  sie  nicht 
mehr  bewohnbar  war  und  nur  die  Gärten  benutzt  wurden.  Als  1811  die  Metternich 
in  Gant  kamen,  fiel  die  Burg,  die  damals  den  Namen  „Brömser  Hundestall"  führte, 
an  den  Rechtsnachfolger  von  Mainz,  den  Herzog  von  Nassau,  zurück.  Dieser  belehnte 
mit  ihr  den  Grafen  von  Ingelheim,  der  sie  durch  Ablösung  zu  seinem  freien  Eigen- 
thum machte,  und  alsbald  in  einen  wenigstens  theilweise  bewohnbaren  Zustand  ver- 
setzte. In  dieser  Zeit,  im  Jahre  1814,  besuchte  Göthe  auf  seiner  Reise  zum  Rochusfest 
die  Niederburg,  der  sie  beschreibt  und  dabei  die  in  jener  Zeit  vielfach  verbreitete 
irrige  Meinung  theilt,  in  einem  römischen  Kastell  zu  stehen. 

Die  zweite  Burg  der  Rüdesheimer,  die  Oberburg,  oder  wie  sie  nach  ihren 
vorletzten  Besitzern  genannt  wird,  die  Boosenburg,  ist  durch  den  modernen  Umbau, 


32 


RÜDESHEIM.    DIE  OBERBURG. 


welche  die  jetzigen  Besitzer,  die  Familie  Sturm,  hat  vornehmen  lassen,  so  verändert, 
dass  nur  noch  ihr  Bergfried  von  der  alten  Anlage  erhalten  ist.  Doch  giebt  noch  ein 
im  Museum  zu  Wiesbaden  erhaltenes,  von  Archivar  Hoffmann  vor  dem  Umbau  ange- 
fertigtes Modell  hinreichend  genaue  Auskunft  über  ihre  Bauart.  Sie  bildete  ein  von 
einer  mit  gezinntem  Wehrgang  versehenen  Mauer  umschlossenes  Viereck  von  30  auf 
33  Meter,  um  welches  sich  ein  Graben  von  durchschnittlich  9  Meter  Breite  zog. 
Dieser  ist  jetzt  überwölbt  und  dient  als  Weinkeller.  Von  der  Ostseite  führte  über 
diesen  Graben  eine  Holzbrücke  zu  der  Eingangsthür;  eine  in  einer  Mauervorlage  der 
Südseite  verborgene  Treppe  leitete  unmittelbar  aus  dem  Hof  in  die  Tiefe  des  Grabens. 


Annähernd  die  Mitte 
(mit  einer  kleinen  Ver- 
schiebung gegen  Wes- 
1  ten),  dieses  Hofes  nimmt 
I  der  Bergfried  ein,  der 
einige  ungewöhnliche 
bauliche  Anordnungen 
zeigt.  Einmal  ist  der- 
selbe durch  äussere  Ab- 
sätze in  drei  Stockwer- 
ken nach  oben  verjüngt, 
eine  ziemlich  seltene 
und  nur  älteren  aus  dem 
10.  oder  9.  Jahrhundert 
stammenden  Thürmen 
eigene  Art,  die  Mauer- 
stärke nach  oben  zu 
vermindern ,  während 
die  spätere  Zeit  diese 
Absätze  nach  Innen  ver- 
legt. Dann  besitzt  der 
Fig.  19.  Rüdesheim.  Oberburg.   Grundriss  (n.  v.  Cohausen).        Bergfried  der  Oberburg 

an  der  Angriffsseite,  nämlich  auf  der  West-,  Nord-  und  Südfront,  eine  Ummantelung  von 
3  bis  372  Meter  Stärke,  welche  aus  einer  1  Meter  starken  Mauer  besteht,  die  durch 
starke  rundbogige  Tonnen  in  drei  Stockwerken  gegen  die  Thurmmauer  eingewölbt  ist. 
Diese  Verdoppelung,  deren  Hohlräume  zu  schmal  sind,  um  als  Aufenthaltsort  für  die  Be- 
satzung oder  als  Vorrathsräume  zu  dienen,  und  deren  Aussenmauern  auch  keine  Schiess- 
oder Gusslöcher  gehabt  haben,  scheint  thatsächlich  nur  dem  Zweck  gedient  zu  haben, 
den  unteren  Theil  des  Thurmes  zu  verstärken.  An  der  vierten  (Ost-)  Seite  befindet 
sich  ein  tiefer  liegender  kleiner  Hof,  der  nach  dem  Burghof  im  Süden  eine  kleine  Pforte 
hatte.  Der  Zugang  zum  Bergfried  lag  auf  der  Wehrplatte  des  ummantelnden  Anbaus  auf 
14  Meter  Höhe  und  besteht  in  einer  engen,  mit  unprofilirten  Hausteinen  bekleideten 
Pforte,  deren  halbkreisförmiger  Bogen  nur  durch  zwei  Gewölbsteine  gebildet  wird. 


RÜDESHEIM,  OBERBURG,  ADLERTHURM. 


33 


Der  Burghof  scheint  in  späterer  Zeit,  wahrscheinlich  nach  der  Boosischen 
Besitzergreifung  1474,  mit  "Wohngebäuden  überbaut  worden  zu  sein.  Auf  Merians 
(offenbar  nicht  ganz  genauer)  Ansicht  bemerkt  man  an  der  Westseite  einen  Baukörper 


mit  hohem  Dach  und  zwei 
Treppengiebeln,  daneben  an 
der  Südseite  ein  hohes  Dach 
mit  zwei  spitzen  Erkerauf- 
sätzen. Auch  die  Ansicht  von 
G.  M.  Kraus  (1803)  s.  Fig.  4 
zeigt  hier  ein  grösstentheils 
in  Ruinen  liegendes  mehr- 
stöckiges Gebäude  mit  gra- 
den,  durch  Steingewände  ge- 
theilten  Fenstern ,  aus  wel- 
chem auf  der  Südseite  aut 
Konsolen  die  Reste  eines 
Steinerkers  in  Renaissance- 
formen vorspringen. 


Von  der  alten  S  t  a  d  t  b  e  - 
festigung,mit  welcher  Rüdes- 
heim sich  wie  alle  Rheingauer 
Orte  im  Mittelalter  geschützt 
hatte,  ist  ausser  einem  jetzt  in 
die  anstossenden  Gehöfte  ver- 
bauten Theil  der  Stadtmauer 
an  der  Nordseite  und  dem  Adler- 
thurm am  rheinaufwärts  gelege- 
nen Anfang  des  Ortes  nichts 
mehr  erhalten.  Nach  der  noch 
im  Orte  lebendigen  Ueberliefe- 
rung  (Schmelzeis  S.  81,  Anm.  3) 
ist  die  Stadtmauer  von  vier 
Thoren  durchbrochen  gewesen, 


Fig.  20.    Rüdesheim.    Oberburg.    Durchschnitt  (nach  v.  Cohausen). 

dem  Geisenheimer-,  Eibinger-,  Küh-  und  Feldthor.  Das  zuerst  genannte  scheint  am 
längsten  bestanden  zu  haben  und  nebst  dem  über  ihm  befindlichen  Wehrbau  erst 
Ende  der  vierziger  Jahre  vollständig  entfernt  worden  zu  sein. 

Ein  kunstgeschichtliches  Interesse  beansprucht  der  noch  gut  erhaltene,  jetzt  den 
Geschwistern  Scholl  gehörige  Adlerthurm*)  als  Eckbefestigung  zwischen  der  von 

*)  v.  Cohausen  in  „Zeitschrift  f.  Bauwesen  v.  Erbkam,  Bd.  XXXVI,  Berlin  Ernst  &  Korn, 
S.  26,  Abb.  Atlas,  Bl.  9. 

3 


34 


RÜDESHEIM.  ADLERTHURM. 


der  Höhe  herabsteigenden  östlichen  und  der  südlichen  Rheinseite  des  Mauerzugs,  früher 
unmittelbar  am  Rhein  gelegen,  wie  wir  es  bei  den  meisten  rheinischen  Städten  finden, 
und  den  Rheinstaden  an  dieser  Stelle  flussaufwärts  vollständig  abschliessend. 


Fig.  21.   Rüdesheim.  Adlerthurm  (n.  v.  Cohausen)  Durchschnitt  und  Grundrisse. 

Der  Thurm  ist  wie  die  meisten  Eckthürme  bei  Stadtbefestigungen  rund  und, 
nach  seinen  spätgothischen  Bauformen  zu  schliessen,  im  15.  Jahrhundert  erbaut. 
Er  ist  20,4  m  hoch,  innen  im  Lichten  5  m  weit  mit  1  m  starken  Mauern.  Seine  vier 
Stockwerke  erheben  sich  bis  zur  Wehrplatte  auf  17  m  Höhe.  Das  unterste,  als 
Verliess  dienend  und  nur  durch  ein  Loch  im  Gewölbescheitel  zugänglich,  ist  mit  einem 


RÜDESHEIM.  ADLERTHURM. 


35 


Kuppelgewölbe  geschlossen ;  die  zwei  nächsten  Geschosse  haben  Balkenlagen,  das 
oberste  wieder  ein  Kuppelgewölbe  mit  flach  vorgelegten  glatten  Rippen. 


Das  Untergeschoss  ist  im  An- 
schluss  an  die  alte  Stadtmauer  mit 
einem  Zwinger  umgeben,  der  früher 
sich  unmittelbar  vom  Rhein  6—7  m 
hoch  erhob.  Er  ist  zweigeschossig, 
das  untere  Geschoss  hat  12  Stich- 
bogenblenden mit  kreisrunden  Fal- 
konetscharten ;  darüber  einen 
breiten  Wehrgang  mit 
Zinnen,  die  auf  einerHohl- 

kehle  schwach  vorge- 
kragt sind.  Diese  haben 
steil  abgeschrägte  ausZie- 
geln gemauerte  Sohlen 
und  Dächer  und  sind  mit 
den  dem  15.  Jahrhundert 

eigenthümlichen  vor- 
springenden Leisten  ein- 
gerahmt. Eine  um  die 
andere  sind  mit  Schlüssel- 
lochscharten durchbro- 
chen. Vier  ebensolcher 
Scharten  befinden  sich  im 

zweiten  Obergeschoss , 
während  das  erste  und 
dritte     derselben  vier- 
eckige Fenster  mit  stei- 
nernen abgefasten 

Rahmen  haben. 
In  der  Höhe  des 

dritten  Oberge- 
schosses sind  aus- 
sen 8einfacheKrag- 
steine    mit  Flach- 
bogen überwölbt 
vorgelegt,  als  ob 
man  beabsichtigt 
hätte ,  den 
Thurm  von 
hieranacht- 


Fig.  22.   Rüdesheim.    Wartthurm  (n.  Cohausen) 


eckig  weiterzuführen ;  doch  sind 
dieselben  jetzt  nur  mit  sehr  steil 
gezogenen  Wasserschlägen  be- 
deckt, welche  in  den  oberen  Thurm- 
Cylinder  einschneiden. 

Die  obere  Wehrplatte,  die  auf 
Merians  Ansicht  von  1645  sich  noch 
mit  einem  schlanken  Thurmhelm 
bedeckt   zeigt ,  ist  mit 
einem    von    vier  nach 
innen  offenen  Wichhäu- 
sern besetzten  Zinnen- 
kranz umgeben,  die 
schmale  Strebepfeiler 
auf  den  Ecken,  spitz- 
bogige,  mit  Nasen  ver- 
sehene Fensteröffnungen 
und  einen  auf  Hohlkehle 
vorgekragten  Zinnen- 
kranz besitzen.  Die  ganze 
Thurmkrönung  ruht  auf 
einem  Rundbogenfries 
mit  Nasen,  auf  Konsol- 
steinen ,  die  unter  den 
Vorderkanten  der  Wich- 
häuser verdreifacht  sind. 
Ausser  diesem  in  rothen 
Sandstein  ausge- 
führten Bogen- 
fries    und  den 
Fenstern  der 
Wichhäuschen 
ist    das  ganze 

Bauwerk  in 
Bruchsteinen  mit 
Verputz  herge- 
stellt. —  Von  der 
dritten 
Burg 
derer  von 
3* 


36 


RÜDESHEIM.    VORDER  BURG. 


Rüdesheim,  der  Vorderburg,  ist  mitten  in  der  Stadt  in  der  Nähe  des  Marktes 

nur   ein   Thurmrest   erhalten   geblieben.     Diese  Burg   gehörte   ursprünglich  dem 

von  den  „Füchsen  von  Rüdesheim" 

abgezweigten  Geschlecht  derer  „vom 

Markte";  auch  sie  kam    später  an 

die  Brömser.  Zur  Zeit  Bodmann's  1819 

gehörte   sie    einem  Herrn  Jett  aus 

Mainz ,    der   das   daneben  stehende 

grosse  Haus  erbaute.  Jetzt  ist  beides 

im  Besitz  des  Herrn  Schön. 

Der  Thurm ,    welcher  gleiches 

Mauerwerk  wie  die  Niederburg,  auf 

das  12.  Jahrhundert  weisend ,  zeigt, 

misst  9,40m  im  Quadrat  und  ist  ca.  15  m 

hoch.    „Er  ist  mit  drei  Gewölben  in 

vier  .Stockwerke  gelheilt,  in  deren 

zweitem  der  Eingang  sich  befindet, 
i 

Ein  kurzes  Stück  Mauer  mit  dem  auf 
Bogen  ruhenden  Wehrgang  lässt  er- 
kennen, dass  der  Thurm,  wenigstens 
auf  der  Südseite,  mauerumzogen  war 
so  wie  die  ihn  im  Kreis  umziehende 
Grabengasse  uns  den  äussern  Bering  der  Mauer  vergegenwärtigt."  (v.  Cohausen 
Centralbl.  d.  B.  a.  a.  O.  S.  305 ) 

Auf  den  letzten  Nebenzweig  der  Brömser  „vom  Hause"  (de  domo)  weist  ein 
gothisches  Wohnhaus  am  Markte,  das  mit 
seinen  Hintergebäuden  an  die  Vorderburg  an- 
stösst  und  heute  noch  den  Namen  „grosses 
Haus"  führt  (Schmelzeis  93). 

Bodmann  (S.  348/49)  nennt  dasselbe  den 
Saalhof.  „Ursprünglich  war  es  die  Gerichts- 
stätte des  dortigen  Oberhofs  (judicium  villicale 
oder  curiale  majus)  und  als  diese  späterhin  in 
ein  förmliches  Amt  und  Kellerei  überging  unter 
der  beibehaltenen  uralten  Bezeichnung  solcher 
Versammlungen:  Saal,  Saalhof,  Saalgericht 
etc.  etc.  der  Amtskellereisitz  daselbst  etc.  etc." 

Nach  Cohausen  wurde  dasselbe  um  1494 
von  den  Brömsern  erbaut,  als  einer  dieses  Ge- 
schlechts Vicedom  des  Rheingaues  war.  Die  Fig.24.  Rüdesheim.  EcktMrmchen am  Markt. 
Formen  des  jetzigen  Gebäudes  entsprechen  dieser  Angabe,  wenn  auch  die  ursprünglich 
gothischen  Fenster  in  dem  18.  Jahrhundert,  dem  Zeitgeschmack  entsprechend,  ver- 


Fig.  23. 

Rüdesheim.  Adlerthurm.  Einzelheiten  der  Wichhäuser. 


RÜDESHEIM.  BRÖMSERHOF. 


37 


ändert  wurden.  Von  dem  ursprünglichen  Bau  besitzt 
das  zweistöckige  Haus  heute  noch  die  hohen  Spitzgiebel 
und  an  der  Marktseite  zwei  Erkerthürmchen  auf  den 
Ecken,  aus  dem  Achteck  erbaut,  hinten  offen,  auf  Rund- 
bogen vorgekragt.  Kleine  Strebepfeiler  und  Randleisten 
theilen  die  Flächen  in  zwei  Quadrate  von  welchen  die 
oberen  mit  Schlüssellochscharten  durchbrochen  sind;  oben 
ein  Zinnenkranz.  Die  an  den  Giebeln  aufsteigenden 
Schornsteine  tragen  ebenfalls  Zinnen  und  haben  etwa  2  m 
unter  diesen  Pechnasen  ähnliche  Mündungen.  (Lötz.) 

Ausser  den  drei  festen  Burgen  besassen  die  Bröm- 
ser  in  Rüdesheim  noch  einen  offenen  Wohnsitz  in  der 
Obergasse,  den  Brömserhof,  einen  ausgedehnten 
Gebäudekomplex,  der  jetzt  theils  im  Besitz  der  Stadt 
als  Schulhaus,  theils  in  dem  der  Familie  Mang  als  Wohn- 
und  Oekonomiehaus  dient.  Er  stösst  mit  der  Rückseite 
unmittelbar  an  die  berühmte  Weinlage  Hinterhaus. 
Der  östliche  Theil  dieser  Anlage  ist  das  Mang'sche  Haus,  ein  stattlicher  Re- 
naissancebau.   Er  hat  nach  Westen  eine  massive  Giebelmauer,  die  in  einem  steilen, 


38 


RÜDESHEIM.  BRÖMSERHOF. 


Rüdesheim. 


Fig.  26. 

Thür  auf sats  am  Ostflügel  des  Brömserhofs. 


mit  seitlichen  Sandsteinvoluten  ab- 
geschlossenen Giebel  endigt;  die 
Fenster,  unten  einfach,  im  Giebel 
gekuppelt,  haben  steinerne  Ge- 
wände mit  profilirten  Fasen,  deren 
Stäbe  sich  an  den  Ecken  über- 
schneiden. Die  Thür,  welche  im 
Erdgeschoss  neben  dem  durch 
schräg  aufsteigende  Fenster  er- 
hellten Treppenthurm  liegt,  hat 
noch  von  ihrer  ursprünglichenForm 
einen  zierlichen  Aufsatz  bewahrt. 

Rückwärts  lehnt  sich  an  diesen 
Giebel  ein  interessantes  Holz- 
haus an,  auf  massivem  Unterbau 
ruhend,  welcher  in  seinen  rund- 
bogigen  Thür-  und  rechteckigen 
Fenstergewänden  reich  profilirte 
Fasen  zeigt.  Die  Fassade  ist  in 
drei  Axen  getheilt,  von  der  nur 
die  mittlere  mit  der  Eingangsthür 
über  einer  Freitreppe  und  dem  da- 
neben befindlichen  Kellereingang 


Fig.  27.   Riidcslicim.    Holzbau  am  Ostflügel  des  Brömserhofs. 


RÜDESHEIM.  BRÖMSERHOF. 


39 


in  der  Flucht  liegt.  Rechts  und  links  sprangen  Nischen  zurück,  jetzt  zum  Theil 
vermauert ;  ihre  Kanten  sind  besetzt  mit  starken  Holzpfosten  auf  Steinsockeln ;  die 
Pfosten  sind  verjüngt  gefast  und  mit  kräftigen  Kopfbändern  versehen,  welche  den 
Unterzugbalken  des  hölzernen  Obergeschosses  tragen.  Dieses  zeichnet  sich  durch 
hübsche  Verriegelung  und  besonders  durch  reich  ausgeschnittene  Füllbretter  unter 
den  Fenstern  aus.  Ein  Flügel  mit  steilem  Giebel  schliesst  rechtwinkelig  zu  diesem 
Bau  das  Grundstück  nach  Osten  ab,  während  südlich  eine  Mauer  mit  rundbogigem 
Thor  es  von  der  Strasse  trennt.  Die  Erbauungszeit  dieses  Flügels  ist  durch  die  über 
der  Hausthür  eingemeisselte  Zahl  1609  angegeben. 


Fig.  28.    Rüdesheim.   Brötnserhof.    Grundriss  des  ivestl.  Theiles. 


Der  vordere  (jetzt  städtische)  Theil  des  Brömserhofes  besteht  aus  einem  massiven, 
um  einen  kleinen  Lichthof  gruppirten  nördlichen  Theil,  der  unser  Interesse  besonders  in 
Anspruch  nimmt,  während  ein  ebenfalls  massiver,  an  der  Strasse  liegender  Südbau,  wohl 
aus  der  gleichen  Zeit  wie  das  den  Hof  abschliessende  mit  der  Jahreszahl  1652  be- 
zeichnete Thor  kein  architektonisches  Interesse  bietet.  Beide  Flügel  werden  durch 
einen  Fachwerkbau  verbunden,  der  in  einem  an  der  Südwestecke  des  zuerst  ge- 
nannten Bautheils  angelehnten,  im  oberen  Theil  aus  Fachwerk  konstruirten  Thurm 
endigt;  derselbe  trägt  vier  auf  graden  Streben  ruhende  sechseckige  Eckthürmchen 
mit  spitzen  Helmen. 

Der  Hauptbau  ist  1609  begonnen  worden,  vielleicht  von  dem  mit  Margaretha 
von  Cronberg  vermählten,  bereits  oben  erwähnten  Hans  Richard  Brömser.  Ihr 
Allianz -Wappen  finden  wir  auf  dem  Giebelaufsatz  des  schönen,  von  zwei  Pilastern 
flankirten  Brunnen,  welcher  rechts  im  Hofe  steht.    (S.  Fig.  25). 


40 


RÜDESHEIM.  BRÖMSERHOF. 


An  seiner  nordwestlichen  Ecke  enthält  der  genannte  Bau  einen  augenscheinlich 
älteren  Kern  a  b  c  d  (Fig.  28) ,  der  den  kunstgeschichtlich  interessantesten  Theil  des 

Hofes  darstellt.  Es  sind  neben  einem  mit  einem 
Tonnengewölbe  überdeckten  Langraum  an  der 
Giebelseite  zwei  überwölbte  Räume,  deren  gemalte 
Dekoration,  inschriftlich  aus  dem  Jahre  1558,  noch 
ziemlich  vollständig  erhalten  und  neuerdings  durch 
den  Frankfurter  Maler  Herrn  Ballin  in  diskreter 
und  gewissenhafter  Weise  restaurirt  ist. 

Der  rechts  gelegene  Raum,  dem  nach  Süden 
ein  Treppenthürmchen  mit  zierlicher  steinerner 
Wendeltreppe  vorgelegt  ist  und  dessen  Seiten- 
wände aus  der  Nordwand  strebepfeilerartig  nach 

Aussen  vorspringen, 
scheint  ein  Fest-  oder 
Familiensaal  des  Bröm- 
ser'schen  Geschlechtes 
gewesen  zu  sein.  Er  ist 
7  auf  5,59  Meter  gross 
und  mit  einem  Sternge 
wölbe  überdeckt,  dessen 

Rippen  doppelgekehlt 
sind.  Diese  und  das 
Fenster  in  der  Nordseite 
sind  noch  fast  gothisch, 
das  letztere  ist  dreitheilig. 
Die  steinernen  Fenster- 
stöcke sind  mit  reichen, 
in  stehenden  Konsolen  ab- 
laufenden Profilen  abge- 
fast.  Der  etwas  höher  geführte 
Mitteltheil  hat  als  Abschluss 
einen  Vorhangbogen ,  an  den 
die  Abschlüsse  der  Seitentheile 
im  Viertelkreis  anfallen.  In  der 
Ostwand  führt  eine  in  einer 
Nische  liegende  kleine  Thür  zu 
einem  Nebenraum;  neben  der- 
selben befindet  sich  ein  mit 
steinernen  Gewänden  umrahm- 
ter Wandschrank,  dem  ein  gleicher  in  der  gegenüberliegenden  Wand  entspricht. 
Die  vierzehn  Gewölbekappen  dieses  Raumes  sind  aufs  reichste  ausgemalt;  zunächst 


Fig.  29.    Rüdesheim.  Brömserhof. 


RÜDESHEIM.  BRÖMSERHOF. 


41 


enthalten  sie  32  Wappen,  die  so  vertheilt  sind,  dass  auf  den  an  die  vier  Wände 
anstossenden  Kappen  je  vier  Wappen  nebeneinander,  in  den  acht  anderen  Feldern 
zunächst  dem  Gewölbscheitel  in  runden  Schildern  je  zwei  Wappen  angebracht  sind. 
Die  mittleren  Wappen  in  dem  grossen  Feld  zunächst  dem  Fenster  erklären  sich 
durch  die  Inschrift  eines  Schriftbandes : 

Dis  feinüt  mein  atftt  Hndjen  (sie.)  von  uatter-  heinrict)  Brömßer  uon  Rüüesbeim- 
Diß  fein  mein  ad)t  andren  uon  uater  rüalburg  greifencloin  uo  Dolraitljs  1 558* 


Fig.  30.   Rüdesheim.    Brömserhof.  Wappensaal. 


Wir  lernen  hieraus  als  Erbauer  dieser  Räume  die  Eltern  Heinrich  Engelhardt| 
Brömsers  kennen,  dessen  schönes  liegendes  Bildnis  wir  auf  dem  Epitaph  No.  5  der 
Kirche  gefunden  haben. 

Die  übrigen  Wappen,  rheingauischen  und  nassauischen  Geschlechtern  angehörig, 
sind  auf  Schriftbändern,  die  nach  der  genealogischen  Folge  nummerirt  sind,  benannt ; 
zwei  derselben  sind  ausgelöscht.  Das  Ornament,  welches  den  übrigen  Raum  der  Felder 
überzieht,  ist  auf  hellem  Grund  in  lichten,  natürlichen  Farben  gemalt  und  besteht  aus 
Pflanzenstengeln  mit  Blättern  und  Blüten  in  äusserst  ansprechender,  freier  Stilisirung. 
Der  Sturz  der  Fensterleibung  ist  mit  einem  reichen,  in  Goldtönen  gemalten  Kartuschen- 


12 


RÜDESHEIM.  BRÖMSERHOF. 


schild  ausgefüllt,  aus  dessen  Mitte  sich  eine  an  dem  Löwenfell  kenntliche  Herkulesgestalt 
erhebt,  welche  die  oben  bezeichneten  Wappen  von  Heinrich  Brömser  und  Walburg  von 
Greifenklau  trägt.  Im  Innern  der  Kartusche  sind  berittene  Jäger  auf  der  Bärenjagd 
dargestellt.  Die  Rippen  sind  blassroth  gemalt  mit  hell  steinfarbenen  Kämpferansätzen 
und  abwechselnd  rothen  und  blauen  Schlusssteinansätzen.  Auf  den  Wänden  ist  nur 
auf  der  Ostseite  eine  Spur  von  Malerei  zu  erkennen;  die  übrigen  Wände  dürften  mit 
Wandteppichen  behangen  gewesen  sein. 

Der  vor  diesem  Zimmer  liegende  Raum,  9  m  lang  bei  3,60  m  Breite,  hat  als 
Ueberdeckung  zwei  rippenlose  Kreuzgewölbe  und  wird  durch  ein  zweitheiliges  Fenster 
in  der  Nordwand  erhellt.  Die  Wände  haben  in  Bankhöhe  einen  schmalen  Absatz  in 
der  Ausladung  der  die  Gewölbe  tragenden  glatten  Wandpfeiler.  Auch  hier  ist  ein 
reicher  malerischer  Schmuck  über  Wände  und  Gewölbe  vertheilt.  Ueber  der  Bank 
ist  in  graublauem  Ton  ein  Rucklaken  gemalt,  dessen  weisses  Futter  an  den  Auf  hänge- 
falten hervortritt ;  darüber  eine  niedrige  Balustrade,  auf  der  allerhand  Geflügel,  Hahn, 
Storch,  Papagei,  Pfau  etc.  sich  niedergelassen  hat.  Der  darüber  aufsteigende 
Schildbogen  enthält  auf  der  linken  Wand  neben  dem  Fenster  die  Darstellung 
der  Kreuzigung,  die  jedoch  nur  das  halbe  Feld  einnimmt,  da  die  andere  Hälfte  einer 
Thür  mit  hübscher  Umrahmung  Raum  gewährt.  In  dem  anschliessenden  Schildbogen 
halten  zwei  prächtig  gemalte  palmentragende  Engel  in  langen  Gewändern  einen  Kranz, 
in  welchem  wieder  das  Greifenklauische  Wappen  erscheint.  In  dem  der  Kreuzigung 
gegenüberliegenden  Feld  ist  die  Auferstehung  dargestellt ;  das  folgende  Feld  rechts 
wird  durch  eine  Thür  zu  dem  vorher  beschriebenen  Raum  durchbrochen,  deren  Flügel 
mit  einem  schönen  grotesken  Ornament  farbig  auf  schwarzem  Grund  bemalt  ist.  Auch 
die  Leibung  der  Thür  trägt  im  Sturz  ein  Ornament,  an  beiden  Seiten  einen  Männer  - 
und  Frauenkopf,  die  aus  einem  Butzenscheibenfenster  schauen. 

Vor  den  Wandpfeilern,  die  wie  alles  Mauerwerk,  roth  mit  Quaderung  bemalt 
sind,  finden  sich  in  Goldton  Hermengestalten,  alte  bärtige  Männer,  dargestellt,  welche 
einen  in  grauer  Steinfarbe  gehaltenen  Kämpferstein  tragen.  Auf  diesem  steht  im 
Gewölbezwickel  auf  dem  weissen  Grunde,  den  auch  hier  die  Gewölbfelder  durchweg 
zeigen,  in  Goldton  gemalt  ein  Satyr  mit  einem  Fruchtkorb  auf  dem  Kopf.  Die 
Gräte  sind  mit  grünen  Festons  bekleidet,  die  aus  Vasen  hervorwachsen,  und  von  denen, 
das  Gewölbefeld  überrankend,  wieder  die  gleichen  stilisirten  Pflanzen  hervorgehen  wie 
in  dem  Nebenraum.  Gleiches  Ornament  wächst  von  den  beiden  Gewölbescheiteln 
herab,  die  durch  goldfarbige  Schilder  bezeichnet  werden,  in  deren  rothem  Grunde  ge- 
krönte Köpfe  dargestellt  sind.  Ein  von  einem  Kranz  umschlossener  ähnlicher  Schild  mit 
einem  segnenden  Christus  auf  blauem  Grund  nimmt  die  Mitte  des  Gewölbes  ein.  Nach  den 
religiösen  Darstellungen,  die  in  der  Dekoration  dieses  Raumes  Verwendung  gefunden 
haben,  würde  man  geneigt  sein,  demselben  einen  kirchlichen  Zweck  zuzusprechen,  etwa 
als  Hauskapelle,  wenn  nicht  das  vollständige  Fehlen  eines  Altarraumes  gegen  diese 
Annahme  spräche. 

Die  Erbauungszeit  der  übrigen  Theile  dieses  Gebäudes  wird  von  Lötz  auf  1609 
angegeben ;  auffallend  für  diese  späte  Zeit  und  eher  auf  die  Zeit  der  eben  beschriebenen 


RÜDESHEIM.  KLUNKHARDSHOF. 


43 


Räume  hinweisend  sind  die  noch  fast  gothischen  Fasen  der  Fenstergewände  an  der 
Hauptfront.  Jedenfalls  ist  auch  dieser  Theil  des  Gebäudes  später  umgebaut  oder  er- 
gänzt worden ;  den  Schluss  hat  der  letzte  Brömser  mit  dem  über  der  Eingangsthür 
der  Hauptfassade  vortretenden,  mit  Glockendach  bedeckten  Erker  und  dem  Portal 
nach  der  Strasse  gemacht.  Dieser  Erker,  der  ein  auf  Köpfen  ruhendes  Gewölbchen 
besitzt,  trägt  in  der  vorderen  Brüstung  die  Wappen  und  Initialen  von  Heinrich  Brömser 
von  Rüdesheim  und  seiner  Gemahlin  Maria  Magdalena  von  Heddesdorf.  (Vgl.  S.  24). 

Nachdem  mit  diesem  1668  das  alte  Geschlecht  der  Brömser  im  Mannesstamm 
erloschen  war,  vererbten  (Bodmann  S.  166)  sich  die  Güter  auf  drei  Schwestern  des  letzten 
Heinrich ;  der  Brömserhof  fiel  an  Anna  Sidonie,  die  wieder  mit  einem  Cronberg,  Hermann, 
vermählt  war.  Von  ihnen  erbte  es  ihr  Enkel  Adolf  Johann  Karl  von  Bettendorf,  der  1706 
starb ;  später  kam  es  nacheinander  an  die  Familien  Erthal,  Frankenstein  und  Coudenhoven. 

Zum  Schluss  ist  noch,  als 
interessante  Baugruppe  in  Rü- 
desheim, der  Klunkhards- 
hof-  zu  erwähnen,  der  mitten 
im  Orte  an  einer  engen  Gasse 
liegt,  von  welcher  ein  niedriger, 
durch  sein  Erdgeschoss  führen- 
der Gang  die  Verbindung  zum 
Marktplatz  bildet.  Die  Familie, 
deren  Namen  dieser  jetzt  an  ein- 
zelne Bürgerfamilien  vermie- 
thete  und  ziemlich  verwahrloste 
Bau  noch  heute  führt,  scheint 
eine  sehr  angesehene  gewesen 
zu  sein  (Schmelzeis  163  und 
Anm.  4) ;  wenigstens  hat  sie  in 
Leonhard  Klunckard  dem  Klo- 
ster Eberbach  einenAbt  gegeben, 
der  1618  zu  dieser  Würde  er- 
hoben, die  Brüder  vor  dem  Ein- 
fall der  Schweden  nach  Köln 
flüchtete,  wo  er  1632  starb.  Im 
Jahre  1653  starb  (nach  den 
Kirchenbüchern)  zu  Rüdesheim 


Fig.  32.  Büdesheim.  Klunkhardshof. 


ein  „spectabilis  Dom.  Joannes  Klunck,"  der  als  des  damaligen  Kurfürsten  Joh.  Phil, 
von  Schoenborn  „Aulae  Tympanique  Praefectus"  aufgeführt  wird.  Auch  Andreas 
Caspar  Klinckhardt,  der  1694  —  1703  Probst  des  Klosters  Eibingen  war,  scheint  in 
diese  Familie  zu  gehören. 

Der  Klunkhardshof  ist  auf  einem  massiven  Untergeschoss  einstöckig  in  Holzbau 
aufgeführt  und  trägt  auf  der  Ostseite  drei  Dacherker,  von  welchen  die  beiden  äusseren 


44 


EIBINGEN. 


auf  schmalen  Ueberhängen  vor  der  Front,  der  mittlere  in  einem  stumpfen  "Winkel 
vorspringend  aufgeführt  ist,  der  durch  ein  einfach  gebogenes,  auf  einem  profilirten 
Pilaster  aufsetzendes  Kopfband  gestützt  wird.  Alle  drei  Erker  sind  mit  steilen  Schiefer- 
hauben gedeckt.  Die  ganze  Erscheinung  des  malerischen  Baues  spricht  dafür,  dass 
unter  dem  jetzigen  Verputz  ein  hübsches  Holzwerk,  etwa  in  der  Art  des  Mang'schen 
Hauses,  verborgen  ist,  dessen  Aufdeckung  sehr  zu  wünschen  wäre.  Das  Innere  ent- 
hält nichts  bemerkenswerthes  ausser  einer  wohlerhaltenen  hölzernen  W endeltreppe,  deren 
offene,  kunstreiche  Spindel  mit  Durchbrechungen  und -geschnitzten  Quadern  verziert  ist. 


Obgleich  Rüdesheim,  in  seinem  südlichen  Theil  durch  eine  Feuersbrunst  seiner 
alten  Häuser  beraubt,  jetzt  eine  durchaus  moderne  Rheinfront  hat,  so  wird  der  Besucher 
in  den  inneren  Gassen  doch  noch  durch  manche,  wenn  auch  nicht  architektonisch 
merkwürdige,  so  doch  malerische  Baugruppen  erfreut.  An  dem  im  oberen  Ort  gele- 
genen Wirthshaus  zur  Traube  hat  sich  ein  kunstvoll  geschmiedeter  Ausleger  aus 
dem  17.  Jahrhundert  erhalten. 

EIBINGEN. 

Pfarrdorf,  2  km  nordöstlich  von  Rüdesheim  auf  der  Höhe  gelegen.  Das  Dorf, 
welches  neuerdings  durch  das  Anwachsen  der  Stadt  Rüdesheim  zu  einem  Vorort  der- 
selben zu  werden  verspricht,  war  wohl  schon  in  ältester  Zeit  eine  Gründung  von  Rüdes- 
heim. Es  wird  bereits  942  erwähnt  (Sauer  87  Hibingun),  gewann  aber  wohl  erst  durch 
die  Gründung  des  Klosters  im  Jahre  1148  grössere  Bedeutung.  Durch  Urkunde  (Sauer 
226)  des  Erzbischofs  Heinrichs  I.  von  Mainz  wird  bekundet,  dass  Frau  Marcka  von  Rüdes- 


EIBINGEN.  KLOSTER. 


4.". 


heim  daselbst  ein  Kloster  für  Brüder  und  Schwestern  des  Augustinerordens  gestiftet  hat, 
welches  dem  Martinstift  zu  Mainz  unterstellt  wurde.  Die  Neubegründung  des  Klosters 
durch  die  heilige  Hildegard  1165  hat  dasselbe  alsdann  dem  Benediktinerorden  wohl  als 
ausschliessliches  Frauenkloster  zugeführt,  als  welches  es  bis  1814  unter  wechselnden 
Schicksalen  bestand.  Es  scheint  vorwiegend  als  Zufluchtsort  für  die  Töchter  des 
Rüdesheimer  Adels  gedient  zu  haben.  Seine  Beziehungen  zu  dem  von  Hildegard 
gegründeten  Kloster  auf  dem  Ruppertsberg  bei  Bingen  waren  dauernd  sehr  enge, 
sodass,  als  dieses  Kloster  1632  von  den  Schweden  eingeäschert  wurde,  die  Insassen 
sich  im  Eibinger  Kloster  wieder  sammelten,  und  die  Oberin  des  letzteren  von  da  ab 
den  Titel  Aebtissin  von  Ruppertsberg  und  Eibingen  führte.  Vom  Ruppertsberge  waren 
auch  die  Reliquien  der  heill.  Hildegard  und  Rupert  und  zwei  herrliche  Handschriften 
von  Hildegards  Werken  in  das  Eibinger  Kloster  gerettet  worden.  Letztere  sind  nach 
dessen  Aufhebung  der  Wiesbadener  Landesbibliothek  überwiesen  worden,  wahrend 
sich  die  Reliquien  noch  in  der  früheren  Klosterkirche,  jetzigen  Pfarrkirche  von  Eibingen 
in  einem  1<S57  neu  erbauten  Altar  befinden. 

Die  Geschichte  des  Dorfes  Eibingen  ist  aufs  engste  mit  der  von  Rüdesheim  ver- 
knüpft gewesen:  so  im  Bauernaufstand  von  1525,  in  den  wechselnden  Beunruhigungen 
während  des  dreissigjährigen  Krieges  und  in  der  Pestnoth  von  1666  und  67,  welche 
auch  die  Einwohner  von  Eibingen  dezimirte,  sodass  in  dem  kleinen  Orte  täglich  vier 
bis  sechs  Todesfälle  vorkamen.  Eine  eigene  Pfarrkirche  oder  Kapelle  scheint  der 
Ort  schon  vor  der  Klostergründung 
besessen  zu  haben;  1226  wurde  der 
Klosterprobst  zugleich  der  Seelsorger 
von  Eibingen,  von  131b  finden  sich 
wieder  selbständige  Pfarrer  an  der, 
dem  heil.  Johannes  d.  T.  geweihten, 
am  oberen  Ende  des  Ortes  belegenen 
Pfarrkirche.  Dieselbe  wurde,  als  im 
Jahre  1831  das  Kloster  nebst  der 
Klosterkirche  von  der  Gemeinde  an- 
gekauft wurde,  als  überflüssig  ab- 
gerissen. Zaun  bespricht  sie  (p.  299)  als 
„klein,  mit  einem  Holzgewölbe,  das 
unmittelbar  auf  Seitenmauern  ruhte, 
und  einem  80  Fuss  hohen  Thurm  auf 
der  Nordseite".  Der  einzige  Rest  aus 
dieser  Kirche  ist  der  in  die  jetzige 
Pfarrkirche  übertragene  Taufstein. 

Von  den  alten  Klostergebäuden 
und  der  dem  heil.  Giselbert  geweihten  Fig.  34.  Elbingen.  Tau/stein  aus  der  alten  Pfarrkirche. 
Kirche,  welche  1508  einer  gründlichen  Renovation  unterworfen  wurde,  ist  nichts 
mehr  vorhanden.    Die  jetzige  Anlage  entstammt  einem   lo83  vollendeten  Neubau 


4h 


EIBINGEN.  PFARRKIRCHE. 


der  Kirche  und  des  Klosters.  Letzteres  lehnte  sich  als  geschlossenes  Viereck  an  die 
Südfront  der  Kirche.  Als  1814  die  letzten  Nonnen  das  1802  säkularisirte  Kloster  ver- 
lassen hatten ,  wurde  der  südliche  und  westliche  Flügel  abgerissen,  und  das  Inventar 
der  Kirche  von  der  Domäne  für  die  Rochuskapelle  bei  Bingen  angekauft,  wo  es  bei 
dem  Brand  derselben  unterging.  Die  stehen  gebliebenen  Gebäudetheile  dienten 
während  der  Kriegsjahre  zeitweilig  als  Zeughaus.  Im  Jahre  1831  von  der  Gemeinde 
angekauft,  dient  der  südliche  Theil  des  Klostergebäudes  jetzt  als  Pfarrhaus,  der  nörd- 
liche als  Schule,  die  Kirche  als  Pfarrkirche  des  Ortes. 


Fig.  35.    Elbingen.    Hiiiisergruppc  ans  dem  ältesten  Tlieil  des  Dorfes. 


Dieselbe  ist  ein  schlichter  einschiffiger  Bau  von  43,50  m  Länge  und  10,40  m 
Breite,  mit  grader  Holzdecke  und  rundbogig  geschlossenen  Fenstern.  Der  Westtheil 
ist  mit  einer  11  m  tiefen  Empore  überbaut;  der  Chor  enthält  einen  modernen  Hoch- 
altar und  zwei  ebensolche  Nebenaltäre.  Die  Kanzel  ist  an  die  Südmauer  angelehnt. 
Die  Formen  des  Baues  und  der  Ausstattung  bewegen  sich  im  nüchternen  Stil  vom 
Ende  des  17.  Jahrhunderts  und  bieten  keinerlei  künstlerisches  Interesse. 

Das  einzige  nach  dieser  Richtung  bemerkenswerthe  Stück  der  Kirchenausstattung 
ist  der  aus  der  abgerissenen  früheren  Pfarrkirche  hierher  übertragene  Taufstein. 
Derselbe  zeigt  gothische  Formen  des  15.  Jahrhunderts,  und  ist  aus  dem  Sechseck  ent- 
wickelt. Auf  drei  Kanten  des  schlicht  ablaufenden  Fusses  ruhen  drei  auf  den  Hinter- 
pranken sitzende  Löwen  in  Freiskulptur.  Die  Seiten  des  mit  einem  Hohlkehlengesims 
bekrönten  oberen  Theils  sind  mit  sechs,  auf  den  Kanten  zusammenlaufenden,  auf  den 
Mitten  der  Seiten  auf  freihängenden  Konsolen  ruhenden  geschweiften  Wimpergen 
mit  Krabben,  Kreuzblumen  und  Nasen  verziert.    Zwischen  je  2  Wimpergen  ist  in 


EIBINGEN. 


47 


Flachrelief  dargestellt:  Maria  mit  dem  Kinde,  die  heil,  drei  Könige,  St.  Johannes  der  Täufer 
und  St.  Martin  mit  dem  Bettler.    Der  Taufstein  ist  nach  Lötz  1875  restaurirt  worden. 

Der  Ort  selbst  enthält  in  seinem  oberen 
östlichen  Theile,  in  der  Umgebung  der 
früheren  Pfarrkirche  noch  einige  Gehöfte, 
deren  malerische ,  mit  steilen  Schiefer- 
dächern gekrönte  Gruppen  auf  ein  höheres 
Alter  (16.— 17.  Jahrhdt.J  schliessen  lassen. 
Grösseres  Interesse  beansprucht  nur  das 
frühere  Rathaus  in  der  Obergasse  (jetzt 
Wohnhaus  und  nach  Süden  leider  ganz  ein- 
gebaut) welches  mit  seinen  Treppengiebeln, 
Zinnenkranz  und  vier  Eckthürmchen  statt- 
lich emporragt.  Letztere  achteckig  über 
Eck  vortretend,  an  die  Zinnen  durch  ein  umlaufendes  gothisches  Hohlkehlengesims 
angeschlossen,  ruhen  auf  schlichten,  durch  gemauerte  und  verputzte  Stichbogen  ver- 
bundenen Konsolen,  sind  durch  schmale  Strebepfeiler,  welche  das  umlaufende  Kaff- 
gesims  durchschneiden,  auf  den  Ecken  verstärkt,  haben  kleine  Fensterchen  mit  gekehlten 
Ecken,  darüber  kleine  Zinnen  und  sind  oben  offen. 

Die  Fenster  sind  mit  Ausnahme  der  vermauerten  in  den  Giebeln, 
welche  gekehlte  Steinumrahmung  tragen,  modern. 

Ueber  der  ebenfalls  modernen  Hausthür  ein  spätgothisches  Wappen- 
schild mit  nebenstehendem  Hauzeichen  und  der  Jahreszahl  1506.  *  ^ 


Fig.  36.    Eibingen.    Giebel  am  allen  Rathhaus. 


Fig.  37.    Presberg.  Stiitse  (ler_Orge/emf>orc  in  der  Kirche. 


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Fig.  37a.  Ehrenfels  nach  Merian  um  1640. 


BURGRUINE  EHRENFELS. 

ZOLLHAUS  UND  MÄUSETHURM. 

Die  Ruine  der  Burg  Ehrenfels  erhebt  sich,  ein  bekanntes  Merkzeichen  der  das 
Binger  Loch  einschliessenden  Berglandschaft,  auf  halber  Höhe  der  zum  Niederwald 
aufsteigenden  Felsen,  etwa  2l/2  km  westlich  von  Rüdesheim.  Bei  dem  im  Rhein  ge- 
legenen Felsen,  der  „Mühlstein"  genannt,  steigt  der  „Eselspfad"  vom  Rheinufer  durch 
Weinberge  zu  der  Ruine  empor,  welche,  jetzt  dem  preussischen  Fiskus  gehörig,  von 
diesem  erhalten  wird. 

Die  Erbauungszeit  der  Burg  ist  nicht  genau  zu  ermitteln.    Sie  liegt  in  den 
ersten  Jahrzehnten   des   13.  Jahrhunderts   und   scheint   mit   den  kriegerischen  Ver- 
Literatur : 

Abbldg.  Merian,  Top.  arch.  Mog.  p.  18. 

Dan.  Meissner's  Libell.  nov.  polit.  Emblematicus  civitatum,  IV  1638,  Bl.  10. 
v.  Cohausen,  Bergfriede.  S.  4,  20.    Grundr.  Abb.  Tafel  3,  Fig.  22. 
Weidenbach,  Rheing.  Bl,  Jahrg.  1857. 

Reuscher,  Gesch.  des  Schlosses  Ehrenfels  und  des  Mäusethurms,  Rüdesheim  1852. 
Gottschalk,  Ritterburgen,  Bd.  6,  pag.  1 3  ff. 

J.  Ph.  Schmelzeis,  Rüdesheim  i.  Rhg.,  p.  68,  58,  104,  178  fr.,  196,  201. 
v.  Stromberg,  Rh.  Antiquarius  2,  10,  395 — 438. 

A.  v.  Essenwein,  die  Kriegsbaukunst  (Handb.  d.  Architektur  II,  4.  Bd.,  1.  Heft)  p.  134, 
Abb.  Fig.  77,  S.  177,  178. 

Piper,  Burgenkunde,  p.  21,  290,  Fig.  187,  p.  360,  Fig.  270,  p.  522. 


EHRENFELS,  GESCHICHTE. 


41» 


Wickelungen  zusammen  zu  hängen,  welche  durch  den  von  1200  bis  1208  währenden 
Kampf  um  die  deutsche  Kaiserkrone  zwischen  dem  Hohenstaufen  Philipp  und  dem 
Weifen  Otto ,  drittem  Sohne  Heinrichs  des  Löwen  und  Neffen  des  englischen 
Königs  Richard  Löwenherz  veranlasst  wurden.  Mainz  wurde  in  diese  Kämpfe  durch 
das  daselbst  bestehende  Schisma  zwischen  Luitpold  von  Worms  und  Siegfrid  von 
Eppstein  hineingezogen ,  welches  erst  1208  nach  der  Ermordung  Philipps  zu 
Gunsten  Siegfrids  entschieden  wurde.  Neue  Wirren  entstanden,  als  der  Weife, 
nunmehr  als  Otto  IV.  im  alleinigen  Besitz  der  Kaiserkrone  seine  Politik  gegen 
die  Kirche  änderte  und  mit  dem  Bann  belegt  wurde,  den  Siegfrid  als  Legat  des 
Papstes  für  Deutschland  auf  dem  Fürstentag  zu  Nürnberg  1211  zu  vollziehen  hatte. 
Dafür  überfielen  Otto's  Anhänger,  besonders  sein  Bruder,  Pfalzgraf  Heinrich  und 
der  Herzog  von  Brabant  das  Mainzer  Erzstift  und  trugen  Krieg  und  Verheerung 
in  die  Rheingauischen  Orte. 

Solchen  immer  aufs  Neue  drohenden  Gefahren  gegenüber  mochte  es  dem  Erz- 
bischof  Siegfrid  dringend  nöthig  erscheinen,  am  nördlichen  Eingang  des  Rheingaus 
einen  festen  Waffenplatz  zu  besitzen.  Für  die  Erbauung  der  Burg  Ehrenfels  um  diese 
Zeit  spricht  eine  undatirte ,  aber  zwischen  1220  und  1240  ausgestellte  Urkunde  (Sauer 
374)  Siegfrids,  welche  die  Herausgabe  der  Burg  an  den  Erzbischof  durch  die  mit 
Dietrich  v.  Heinzenberg  wiedervermählte  Wittwe  ihres  Erbauers  Philipp  von  Bolanden 
betriff  t.    Es  heisst  darin  : 

.  .  .  Castrum  in  Erenvails,  quod  Castrum  Philippus  de  Bonlandia  construxerat 
nomine  ipsius  archiepiscopi  et  cum  rebus  suis  et  cum  auxilio  hominum  suorum, 
tempore  quo  idem  Philippus  fuit  officialis  dicti  archiepiscopi  .  .  .  etc. 

(Die  Burg  in  Ehren  fels,  welche  Burg  Philipp  von  Bolanden  erbaut  hatte,  im  Namen  des 
nämlichen  Erzbischofs  und  mit  seinem  eigenen  Gelde  und  mit  Hülfe  seiner  eigenen  Leute,  zur  Zeit 
da  derselbige  Philipp  Dienstmann  des  genannten  Erzbischofs  war.) 

Dass  auf  der  Burg  Ehrenfels  bald  nach  ihrer  Erbauung  ein  Rheinzoll  errichtet 
wurde,  beweist  die  urkundliche  Erwähnung  (Sauer  480)  eines  Zollschreibers  Johannes 
(scriptor  thelonei  in  Erinfels)  im  Jahre  1239,  dem  1256  die  Erwähnung  (ebend.  654)  eines 
weiteren  (Fridericus)  folgt.  Dass  dieser  Zoll  nicht  etwa  nach  Bodmann's  Ansicht  ein 
während  der  oben  erwähnten  Kaiserwirren  eingesetzter  Raubzoll,  sondern  ein  vom 
Reiche  anerkannter  war,  leitet  Weidenbach  aus  dem  Umstände  ab,  dass  in  dem  so- 
genannten „Zollkrieg"  um  1300,  in  welchem  die  ungerechten  und  später  bewilligten 
Zölle  aulgehoben  wurden,  der  von  Ehrenfels  nirgends  erwähnt  wird.  Vielmehr  findet 
man  unter  den  Bedingungen,  die  der  Erzbischof  von  Mainz  1308  für  die  Wahl  des 
nach  König  Albrecht's  Ermordung  aufgestellten  Thronkandidaten  Heinrichs  von  Lützel- 
burg fordert,  die  pfandweise  Ueberlassung  des  Ehrenfelser  Zolls  an  den  Erzbischof 
Peter.  Von  da  ab  bleibt  der  Zoll  ungestört  beim  Mainzer  Stuhle,  obschon  die  Kaiser 
ihn  stets  als  zum  Reiche  gehörig  betrachteten.  Zur  besseren  Zollüberwachung  des 
Stromes  mögen  um  diese  Zeit  auch  die  unterhalb  der  Burg  näher  am  Rheinufer  gelegenen 
befestigten  Zollhäuser  angelegt  worden  sein,  deren  Ruinen  uns  noch  die  Abbildungen 
bei  Merian  und  Meissner  aufbewahrt  haben. 

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50 


EHRENFELS,  GESCHICHTE. 


Im  Laufe  des  14.  Jahrhunderts  bildete  die  Burg  Ehrenfels  mit  der  gegenüber- 
liegenden Klopp  die  starken  Bollwerke  des  unteren  Erzstiftes ;  jetzt  ist  es  das  Dom- 
kapitel und  der  Erzbischof,  welche  sich  um  den  Besitz  des  wichtigen  Punktes  streiten. 
Aus  der  Regierungszeit  Erzbischofs  Heinrich  III.  theilt  Schunk  (Beitr.  z.  Mainzer  Gesch. 


Fig.  38.   Ruine  Ehrenfels  im  jetzigen  Zustande. 


2,  39)  einen  merkwürdigen  Befehl  desselben  mit.  Derselbe  ergeht  an  „Ludwig  unseren 
Zöllner  zu  Ehrenfels,  den  Ignis  sagittarius,  nämlich  den  Furschützen,  welcher  bei  Dir 
auf  Ehrenfels  sich  aufhält,  mit  all  seinen  Geräthschaften  (praeparamentis)  zu  uns  nach 
Aschaffenburg  zu  schicken  und  demselben  zu  sagen,  dass  wenn  er  einen  in  seiner  Kunst 
Gleichen  wüsste,  er  denselben  mitbringe  etc.,u  ein  beachtenswerther  Beweis  für  die  frühe 
Anwendung  der  Feuerwaffen  bei  der  Vertheidigung  fester  Plätze. 

Im  Jahre  1353  wurde  die  Burg  nebst  dem  Zoll  und  anderen  Ortschaften  in  der 
Nähe  dem  Kuno  von  Falkenstein  verpfändet  für  die  Forderung  von  40  000  Gulden,  die 
demselben  als  Abfindung  zustanden  für  seine  achtjährige  Führung  der  Mainzer  An- 
gelegenheiten als  Stiftsverweser  für  den  abgesetzten  Mainzer  Erzbischof  Heinrich  von 
Virneburg.     Schon  drei  Jahre  zuvor  hatte  die  Burg  Kuno  von  Falkenstein  als  Zuflucht 


EHRENFELS,  GESCHICHTE. 


51 


gedient,  als  derselbe  auf  der  Burg  Klopp,  seinem  damaligen  Wohnsitz,  von  den  auf- 
rührerischen Binger  Bürgern  nächtlicher  Weile  überfallen  war  und  sich  nur  mit  genauer 
Noth  durch  den  Sprung  aus  einem  Fenster  retten  konnte.  Von  Ehrenfels  aus  entsetzte 
dann  Kuno  die  von  den  Bürgern  belagerte  Klopp  und  ward  Herr  über  die  Aufständischen. 

Im  Jahre  1379  finden  wir  das  Domkapitel  im  Besitze  der  Burg  Ehrenfels  (nebst 
den  Burgen  Klopp,  Lahneck,  Starkenburg  und  Wildenburg)  Es  scheint,  dass  Erz- 
bischol  Adolf  als  Wahlbedingung  dem  Kapitel  zugesichert  hatte,  es  im  Besitze  der 
Burg  zu  belassen. 


Fig.  39.   Elirenfels  nach  Meissner,  1638. 


Von  1356  an,  nachdem  die  Burg  zum  Erzbischöflichen  Hoflager  eingerichtet 
worden,  dient  sie  dem  Kurfürsten  wiederholt  zu  längerem  Aufenthalt,  wie  die  von  dort 
datierten  Urkunden  Johann's  IL,  Konrad's  III.,  Dietrich's  von  Erbach,  Diether's  von 
Isenburg  und  Adolf  II.  von  Nassau  beweisen.  Konrad's  II.  Wahl  wurde  nach  dem 
Tode  Johann's  II.  im  Jahre  1419  durch  das  auf  der  Burg  versammelte  Domkapitel  voll- 
zogen. Auch  wurde  in  das  feste  Ehrenfels  zuweilen  der  Domschatz  von  Mainz  in 
Kriegszeiten  geflüchtet,  wovon  wir  im  Jahre  1374  ein  Beispiel  finden. 

Während  des  15.  und  16.  Jahrhunderts  schweigen  die  Chroniken  über  die  Geschicke 
der  Burg  vollständig ;  erst  der  dreissigjährige  Krieg  bringt  ihm  die  wechselnden  Schick- 

4* 


52 


EHRENFELS. 


sale,  denen  das  ganze  erzstiftliche  Gebiet  unterworfen  war.  Von  1631—1635  war  sie 
mit  dem  ganzen  Rheingau  im  Besitze  der  Schweden,  nach  kurzer  Besetzung  durch 
Bernhard  von  Weimar  im  Jahre  1631,  der  bald  wieder  nach  Nürnberg  abziehen  musste. 
Als  am  25.  Dezember  1635  Mainz  vor  den  Kaiserlichen  kapitulirte,  fiel  auch  die  Burg 
in  deren  Hände.  Aber  schon  im  April  des  folgenden  Jahres  muss  sie  eine  Belagerung 
der  Schweden  aushalten  und  bald  muss  die  aus  sechs  Offizieren,  acht  Unteroffizieren 
und  100  Gemeinen  bestehende  Besatzung  aus  Mangel  an  Lebensmitteln  sich  ergeben. 
Ein  gleich  darauf  folgender  Versuch  der  Kaiserlichen,  die  Feste  wieder  zu  nehmen, 
wurde  mit  drei  Zwölfpfündern  abgeschlagen.  Bis  zum  Jahre  1650  wechselte  die  Burg 
den  verschiedenen  Wechselfällen  des  Krieges  folgend,  noch  mehrmals  ihren  Herrn,  um  in 
dem  genannten  Jahre  in  den  Händen  der  Spanier  und  Kaiserlichen  zu  bleiben. 

Grösseren  Schaden  an  ihrem  Baubestand  scheint  die  Burg  in  diesen  wechselnden 
Kriegsschicksalen  nicht  genommen  zu  haben.  Wenigstens  zeigt  uns  sowohl  die  Me- 
rian'sche  Abbildung  von  1646  (s.  Fig.  37a),  wie  auch  das  Bild  bei  Meissner  von  1638 
die  Burg  mit  ihren  Aussenwerken,  die  Bedachung  der  Thürme  und  Wohngebäude  in 
unversehrtem  Zustand.  Dagegen  sind  auf  beiden  Blättern  die  als  „Zollhaus"  bezeich- 
neten, niedriger  nach  dem  Rheinufer  belegenen  Befestigungen  als  Ruine  dargestellt. 
Erst  1689  erreichte  die  Burg  Ehrenfels  das  gleiche  Schicksal,  als  im  Orleanischen 
Verwüstungskriege  wahrscheinlich  der  zu  Mainz  kommandirende  Marquis  de  la  Gou- 
piliere  neben  Bingen  und  der  Klopp  auch  diese  stolze  Bergfeste  der  Zerstörung  preisgab. 

Die  Burg  Ehrenfels  bietet  ein  lehrreiches  Beispiel  der  im  Allgemeinen  seltenen, 
in  Nassau  jedoch  mehrfach  vertretenen  Wehranlagen,  deren  Hauptschutz  gegen  die 
Angriffsseite  durch  eine  kolossale  Schildmauer  gebildet  wird,  hier  durch  zwei,  zur 
Bedeutung  von  Bergfrieden  ausgebildete  Rundthürme  flankirt.  Das  steil  vom  Nieder- 
wald abfallende  Gelände  ist  vor  der  Schildmauer  abgegraben,  sodass  sich  hier  ein 
Halsgraben  bildet ;  mit  dem  gewonnenen  Erdreich  sind  hinter  der  Mauer  nach  der 
Thalseite  zu  Terrassen  aufgeschüttet.  Der  vom  Rhein  heraufsteigende  Weg  mündet 
in  dem  Halsgraben  ;  früher  war  er  in  der  Entfernung  von  etwa  25  m  vor  der  Burg 
durch  einen  von  zwei  Thürmen  geschützten  Thorbau  vertheidigt,  der  auf  der  Dan. 
Meissner'schen  Ansicht  deutlich  zu  erkennen  ist. 

Die  Vertheidigungsmittel  des  ursprünglichen  Baues  aus  dem  Anfang  des  13. 
Jahrhunderts  bestanden  also  nach  der  Rheinseite  zu  aus  den  durch  steile  Stützmauern 
mit  Zinnenkränzen  unzugänglich  gemachten  Felsterrassen  und  der  gegen  die  Bergseite 
gerichteten  Schildmauer  mit  ihren  Thürmen  und  dem  Halsgraben.  Rückseitig  schloss 
sich  an  die  Schildmauer  ein  mit  hoher  Mauer,  deren  Wehrgang  mit  Zinnen  besetzt 
war,  umfriedeter  Hofraum  von  trapezförmigem  Grundriss,  in  welchem  an  die  nach 
der  Rheinseite  schauende  Mauer  der  Palasbau  angelehnt  war. 

Eine  Erweiterung  hat  die  Anlage,  nach  den  Bauformen  der  erhaltenen  Reste 
zu  schliessen,  um  die  Mitte  des  14.  Jahrhunderts  mit  der  Einrichtung  der  Burg  zum 
kurfürstlichen  Hoflager  erfahren.  Damals  dürften  die  Flankirungsthürme  der  Schild- 
mauer ihre  theilweise  noch  erkennbaren,  theils  aus  Meissner's  Stichen  ersichtlichen 
Aufsätze  erhalten  haben;  an  der  Ostseite  wurde  ein  dreistöckiger  mit  zwei  Giebeln 


EHRENFELS. 


53 


versehener  Bau  der  Ringmauer  aussen  vorgelegt ;  auch  die  oben  erwähnten  Thor- 
thürme  am  unteren  Weg  dürften  um  diese  Zeit  entstanden  sein.  Was  man  auf  den 
alten  Abbildungen  an  Aussenwerken  erkennt,  namentlich  eine  rheinabwärts  gelegene 
runde  Bastion  deutet  auf  die  Zeit  der  Feuerwaffen.  Die  Schildmauer  steigt  als 
massive,  4,60  m  starke  Mauermasse  ca.  20  m  aus  dem  Halsgraben  auf;  unter  dem 
nach  zwei  Seiten  mit  Zinnen  besetzten  Wehrgang  ist  im  Innern  ein  zweiter,  gewölbter 


Gang  ausgespart  mit  zwei  langen  nach  aussen  gerichteten  Scharten ,  die  sich  an 
ihrem  Fuss  in  ein  Dreieck  erweitern. 

Von  den  beiden  Flankirungsthürmen  ist  der  östliche,  auf  einem  eckigen  Fuss 
aufsetzend,  in  seiner  ganzen  Höhe  rund  und  trägt  einen  achteckigen  Wehrgang,  früher 
mit  Zinnen  besetzt.  Jede  Seite  desselben  ruht  auf  zwei  Halbkreisbogen,  die  ebenso 
wie  der  sie  füllende  unprofilirte  Kleeblattbogen  gemauert  und  geputzt  sind  und  von 
einfachen,  unten  abgerundeten  Kragsteinen  getragen  werden.  Der  westliche  Thurm  ist 
von  ca.  8  m  über  dem  Graben  an  achteckig,  am  oberen  Theil,  der  jetzt  abgebrochen  ist 


EHRENFELSER  ZOLL. 


sieht  man  auf  der  Nordwestecke 
auf  abgestuften,  unten  abge- 
rundeten Steinkonsolen  die 
Reste  einer  Pechnase  vorge- 
kragt. Der  Thurm  hatte  früher 
ein  Zeltdach  mit  oberem  Grat ; 
auf  den  Ecken  sassen  vier  höl- 
zerne Wichhäuser. 

Die  Zerstörung  der  Burg- 
gebäude ist  eine  so  vollständige, 
dass  der  jetzige  Zustand  über 
ihre  architektonische  Beschaf- 
fenheit wenig  Auskunft  giebt. 
Man  bemerkt,  dass  die  vierecki- 
gen Fenster  steinerne,  abge- 
faste  Fensterstöcke  mit  Mittel- 
pfosten hatten ;  am  östlichen 
Flügel  befindet  sich  ein  kleiner 
Spitzbogen,  am  daranstossen- 
den  Aussenbau  ein  Rundbogen- 
fenster, an  dessen  Leibung  Lötz 
noch  Spuren  von  Bemalung 
wahrnahm. 

Von  dem  „Ehren  f  eis  er 
Zoll,"  den  wir  nach  dem  Dan. 
Meissner'schen  Stich  von  1638 
wiedergeben,  ist  nichts  mehr 
erhalten ;  in  der  ersten  Hälfte 
des  vorigen  Jahrhunderts  sollen 
noch  einige  Trümmer  vorhan- 
den gewesen  sein,  welche  wahr- 
scheinlich durch  den  Bahnbau 
beseitigt  worden  sind.  Soweit 
die  ohne  besondere  Genauigkeit 
dargestellten  Ruinen  des  rhein- 
abwärts  gelegenen  Wehrbaues 
erkennen  lassen ,  war  dieser 
selbst  eine  bedeutende  Anlage 
mit  runden  und  viereckigen 
Thürmen ,  sowie  mit  zinnen- 
besetzten Bastionen.  Tiefer,  un- 
mittelbar am  Rheinufer,  scheint 


MÄUSETHURM. 


55 


ein  grosses  massives  Lagerhaus  mit  anstossenden  Fachwerkgebäuden  gestanden  zu 
haben.  Eine  äusserst  malerische  Baugruppe  hat  jedenfalls  die  rheinaufwärts  bemerk- 
bare Anlage  gebildet,  die  vielleicht  in  den  Zeiten  des  späteren  Mittelalters  als  Woh- 
nung des  Zollschreibers  errichtet  wurde.  Wir  bemerken  ein  Pförtnerhaus  mit  Holz- 
giebeln und  einen  reich  gruppirten  Hauptbau,  der  in  der  Hauptsache  massiv  und 
mit  hohem,  von  Erkern  durchschnittenem  Dach  überdeckt,  mit  einem  vorgebauten 
Holzgiebel  in  Renaissanceformen  nach  dem  Rhein  sah  und  sich  oberhalb  an  einen 
massiven,  mit  einer  „welschen  Haube"  gedeckten  Rundthurm  anlehnte. 


Fig.  42.   Mäusethurm  mit  Ruppertsberg  nach  Meissner  1638. 


Mit  der  Ehrenfelser  Burg-  und  Zollanlage  hat  jedenfalls  der  Mäusethurm*) 
in  Verbindung  gestanden,  wenn  auch  heute  kaum  mit  voller  Sicherheit  zu  ermitteln 
ist,  welches  der  ursprüngliche  Zweck  seiner  Erbauung  war.  Die  an  den  Thurm  ge- 
knüpfte Sage  von  dem  von  Mäusen  verfolgten  Erzbischof  Hatto  hat  dem  Bauwerk 
eine  Beachtung  verschafft,  die  sich  in  einer  ziemlich  umfassenden  Literatur  ausspricht, 
zu  der  Bedeutung  desselben  als  Baurest  aber  in  keinem  Verhältniss  steht.  Seine  Lage 
auf  einer  Klippe  mitten  im  Rhein  genau  an  der  Stelle,  wo  der  Fluss  sich  fast  recht- 


*)  Literatur : 

Rhein.  Jahrbücher  2of.,  S.  129 — 131,   33  f.,  S.  260 — 265. 

Erbkam,  Zeitschrift  f.  Bauw.  1857,  Spalte  503  Tafel  64  (Rekonstruktion). 

Dr.  Com.  Will,  der  Mäusethurm  b.  Bingen  in  Pick's  Monatsschrift  I,  205 — 216. 


56 


MÄUSETHURM. 


winkelig  nach  Norden  biegt,  machte  ihn  besonders  geeignet  als  einen  von  sehr  weit 
erkennbaren  und  einen  ebenso  weiten  Ausblick  gewährenden  Wart-  und  Signalthurm. 
Als  solcher  ist  er  bekanntlich  heute,  nach  einer  im  Jahre  1855  vollzogenen  sehr  frag- 
würdigen Wiederherstellung,  in  Benutzung.  Die  gleiche  Bestimmung  dürfte  er  auch 
zur  Zeit  seiner  Erbauung,  die  Bodmann  als  gleichzeitig  mit  Ehrenfels  annimmt,  gehabt 
haben:  sowohl  den  Verkehr  der  zu  Berg  und  zu  Thal  durch  das  damals  noch  höchst 
gefahrvolle  Binger  Loch  fahrenden  Schiffe  zu  regeln,  wie  auch  den  Insassen  der  Burg 
und  des  Zollhauses,  denen  der  Ausblick  rheinabwärts  verschlossen  war,  die  von  dort 
kommenden  Fahrzeuge  zu  signalisiren.  Dass  er  selbst  als  Zollgebäude  gedient  habe, 
wie  man  durch  Ableitung  seines  Namens  von  „Mautthurm"  beweisen  wollte,  ist  wegen 
der  hierzu  gänzlich  ungeeigneten  Lage  mitten  im  gefährlichsten  Fahrwasser  unwahr- 
scheinlich. Eher  ist  die  Erklärung  des  Namens  durch  „Muserie"  gleich  Geschütz,  oder, 
wie  Will  glaubt,  durch  das  Wort  ,,musen"  gleich  suchen  oder  spähen,  annehmbar. 

Das  Bauwerk  selbst,  das  uns  in  seinem  ursprünglichen  Zustand  auf  einem  Stich 
von  Dan.  Meissner  von  Kloster  Rupertsberg  und  auf  dem  Merianschen  Blatt  von 
Ehrenfels  (in  ungenauer  Abbildung)  überliefert  ist,  entbehrt  des  höheren  architek- 
tonischen Interesses.  Es  war  ein  in  Bruchsteinen,  ohne  jede  Kunstform  aufgeführter 
Bedürfnissbau,  viereckig  in  vier  Geschossen  aufsteigend  mit  1,9  und  2,8  starken  Mauern 
und  mit  einem  spitzen  Dach  bedeckt.  Die  Ecken  waren  mit  ausgekragten  Eck- 
thürmchen  besetzt ;  an  der  Nordost-Ecke  sprang  ein  sechsseitiger  Treppenthurm  vor, 
der  Ostseite  war  ein  dreieckiger  Eisbrecher  vorgelegt.  Die  Fenster  waren  viereckig 
mit  anscheinend  ungegliederten  Gewänden. 


57 


STADT  ELTVILLE. 

IE  STADT  ELTVILLE,  12  Kilom.  ostnordöstlich  von  Rüdesheim  am 
Rhein  gelegen,  von  3646  Einwohnern  in  801  Haushaltungen  bewohnt  (1901), 
scheint  zwar  schon  zu  Karolingischer  Zeit  als  „Weiler"  besiedelt  gewesen 
zu  sein ;  ihr  Heranwachsen  zu  grösserer  Bedeutung  ist  jedoch  gegenüber 
Rüdesheim,  Lorch,  Winkel  etc.  in  eine  verhältnissmässig  jüngere  Zeit  zu  setzen.  Der 
Name  kommt  in  Urkunden  seit  dem  11.  Jahrhundert  meist  in  der  lateinischen  Form 
Altavilla  vor ;  doch  findet  sich  schon  1669  die  Form  Eltville,  die  im  12.  und  13.  Jahr- 
hundert dann  fast  die  herrschende  bleibt.  Eine  Urkunde  aus  der  Mitte  des  13.  Jahr- 
hunderts hat  die  noch  heute  volksthümlich  häufig  gebrauchte  Variante  Eltfeldt. 

Vermuthungen  über  römischen  Ursprung,  die  uns  bei  so  vielen  Orten  des  Rhein- 
gaues entgegentreten  und  hier  besonders  sich  an  die  lateinische  Form  des  Namens 
knüpften,  haben  keinerlei  historische  Unterlage.  Nach  dem  Uebergang  des  Rhein- 
gaues unter  kurmainzische  Herrschaft  behielt  Eltville  einen  Erzbischöflichen  Saal- 
und  Dinghof,  weshalb  es  auch  in  dieser  Zeit  unter  den  rheingauischen  Orten  eine  be- 
vorzugte Stellung  einnahm  und  dauernd  Sitz  eines  Landgerichtes  und  des  rhein- 
gauischen Erzpriesters  blieb,  wie^auch  während  des  ganzen  Mittelalters  das  General- 
Haingericht  über  den  allgemeinen  Landeswald  des  Rheingaues  hier  tagte. 

Aber  erst  die  im  ersten  Drittel  des  14.  Jahrhunderts  entbrennenden  Streitigkeiten 
zwischen  der  Stadt  Mainz  und  dem  dortigen  Klerus  verhalfen  Eltville  zum  Rang  einer 
Stadt  und  zu  der  Blüte,  die  es  seit  jener  Zeit  bewahrt  hat.  Jene  Streitigkeiten  bewogen 
bekanntlich  die  Mainzer  Bürgerschaft,  in  Bischof  Balduin  von  Trier  ein  thatkräftiges 
und  angesehenes  Oberhaupt  für  ihren  erzbischöflichen  Stuhl  aufzustellen,  gegen  welchen 
dann  der  zu  Avignon  residirende  Papst  Johann  XXII.  Heinrich  von  Virneburg  zum 
Erzbischof  ernannte.  Diese  Ernennung,  gegen  die  sich  Kapitel  und  Bürgerschaft  auf- 
lehnten, führte  zum  Bürgerkrieg  :  die  dem  Papst  folgsamen  Geistlichen  wurden  aus  der 
Stadt  vertrieben,  das  Kloster  St.  Alban,  das  Victorstift  und  das  erzbischöfliche  Schloss 
eingeäschert,  aus  dem  zerstörten  Kloster  auf  dem  Jakobsberge  machten  die  Bürger 
eine  Schutzburg  für  die  Stadt   Auch  Balduin  zögerte  nicht,  sich  mit  bewaffneter  Hand 


58 


ELTVILLE,  GESCHICHTE. 


in  den  Besitz  der  ihm  übertragenen  Würde  zu  setzen.  Er  fällt  verwüstend  in  das 
Mainzer  Gebiet,  schafft  sich  sichere  Stützpunkte ,  indem  er  Gaualgesheim  und  die 
Kirche  von  Flörsheim  befestigt  —  letztere  um  Mainz  vom  Main  abzuschneiden.  Vor 
allem  aber  beginnt  er  in  Eltville,  hart  am  Rheinufer,  einen  Burgbau,  dem  er  die  Be- 
festigung der  Stadt  anschliesst.  Dies  verstiess  gegen  ein  von  Kaiser  Friedrich  II.  der 
Stadt  Mainz  verliehenes  Privileg,  wonach  auf  vier  Meilen  von  dieser  Stadt  entfernt 
weder  eine  Stadt  noch  ein  „burglich  buw"  entstehen  durfte.  Deshalb  ertheilte  Kaiser 
Ludwig  der  Bayer  1332  Balduin  ausdrücklich  die  Erlaubniss,  Eltville  mit  Mauern, 
Gräben  und  andern  Befestigungen  zu  umgeben  und  begabte  es  mit  Stadtrechten, 
Freiheiten  und  Immunitäten  „gleich  der  Stadt  Frankfurt,"  welch  letzterer  Zusatz  sich 
jedoch  nur  auf  die  Abhaltung  von  Märkte  n  und  Messen  zu  beziehen  scheint. 

In  dem  genannten  Jahre  hatte  Balduin  sich  mit  den  Mainzern  ausgesöhnt  und 
führte  vier  Jahre  lang  das  Amt  eines  Verwesers  des  Erzbisthums,  bis  er  1336  auf 
dasselbe  verzichtete,  und  nun  endlich  Heinrich  v.  Virneburg  in  die  lang  umstrittene 
Würde  gelangte. 

Dieser  führte  in  Eltville  die  angefangenen  Bauten  Balduins  zu  Ende  ;  die  Schäden, 
die  ein  1339  ausgebrochener  Brand  dem  Neubau  zufügte,  wurden  von  Heinrich  und 
seinem  Nachfolger  Gerlach  hergestellt.  Letzterer  hatte  hier  auch  eine  Münzstätte 
unter  Meister  Johann  von  Westemale  eingerichtet,  den  er  durch  einen  von  Aschaften- 
burg  1354  datirten  Erlass  mit  der  Ausprägung  gewisser  Münzsorten  beauftragt. 
(Sauer  2705).  Mehrfach  war  dann  die  neue  erzbischöfliche  Burg  der  Schauplatz  der 
in  dieser  Zeit  kaum  unterbrochenen  Kämpfe  um  den  deutschen  Kaiserthron.  So  in 
dem  unglücklichen  Ausgang  des  Gegenkaisers  Günther  v.  Schwarzburg,  den  Heinrich 
von  Virneburg,  auf  der  Partei  der  Feinde  des  Papstes  stehend,  nach  Ludwigs  des 
Bayern  Tode,  gegen  dessen  Gegner  Karl  aufgestellt  hatte.  Günther,  dem  das  Waffen- 
glück nicht  hold  war,  rettete  sich  auf  die  Eltviller  Burg  seines  Beschützers ,  wo  der 
Vergleich  mit  Karl,  eine  Abfindung  von  20000  Mark  Silber,  stattfand  und  wo  auch, 
einem  Gerücht  zufolge,  Günther  das  Gift  beigebracht  worden  sein  soll,  an  dem  er 
kurze  Zeit  darauf  in  Frankfurt  starb. 

Als  1409  Erzbischof  Johann  II  der  Wahl  Ruprecht's  von  der  Pfalz  entgegen- 
arbeitete und  einen  Gegenkönig  aufstellen  wollte  —  ein  Vorhaben,  welches  durch 
Ruprechts  Tod  durchkreuzt  wurde  —  hielt  er  es  für  geboten,  um  gegen  etwaige 
kriegerische  Unternehmungen  des  Königs  gerüstet  zu  sein,  die  Burg  Eltville  auf's 
neue  mit  Befestigungen  zu  verstärken. 

Jedenfalls  diente  die  letztere  seit  Gerlachs  Zeit  den  Mainzer  Erzbischöfen  ständig 
als  Residenz,  da  die  Misshelligkeiten  mit  der  Mainzer  Bürgerschaft,  die  erst  1462 
völlig  erloschen ,  den  Aufenthalt  am  Sitz  des  Erzbisthums  verleideten.  In  Eltville 
starben :  1373  Johann  aus  dem  Hause  Luxemburg-Ligny ,  1434  Konrad  aus  dem  Ge- 
schlecht der  Wildgrafen,  und  1475  Adolf  von  Nassau,  der  das  Schloss  besonders  be- 
vorzugte und  im  Jahre  14b5  ein  Inventar  desselben  aufnehmen  liess,  welches  uns  einen 
interessanten  Einblick  in  den  bescheidenen  Hausrath  der  Wohnung  eines  hohen  Reichs- 
fürsten gewährt.  (Schliephake  V,  354.)   Erst  als  Adolfs  Nachfolger  Diether  von  Isen- 


ELTVILLE,  BUCHDRUCKEREI. 


59 


bürg  (1475—1482)  in  Mainz  die  Martinsburg  erbaute,  wurde  die  ständige  Residenz 
wieder  nach  Mainz  verlegt,  was  doch  den  Erzbischof  Berthold  von  Henneberg  (1484 
bis  1504)  nicht  hinderte,  die  Burg  Eltville  im  Inneren  nach  dem  neuen  Zeitgeschmack 
erneuern  zu  lassen.  Als  daher  durch  Markgraf  Albrecht  von  Brandenburg  1552  die 
Martinsburg  zerstört  wurde,  musste  Eltville  vorübergehend  wieder  als  Residenz  dienen. 
Erst  als  das  Mainzer  Schloss  wieder  hergestellt  und  in  dem  Schlosse  zu  Aschaffen- 
burg eine  neue  prächtige  Sommerresidenz  der  Erzbischöfe  geschaffen  war,  verfiel  die 
Burg  zu  Eltville,  in  welcher  dem  Landschreiber  des  Rheingaues  Wohnung  angewiesen 
wurde,  allmählig  in  Vernachlässigung.  Noch  einmal  sah  sie  eine  Hofhaltung  in  ihren 
Mauern,  als  Kurfürst  August  von  Sachsen  1584  die  Kur  in  dem  damals  schon  weit- 
berühmten Schwalbach  brauchen  wollte,  wegen  der  kriegerischen  Zeitläufte  aber  die 
befestigte  Burg  gern  gegen  den  Aufenthalt  in  dem  offenen  Badeort  vertauschte. 

Ueber  die  endliche  Zerstörung  der  Burg  im  dreissigjährigen  Krieg  fehlen  die 
näheren  Nachrichten ;  einzig  die  Darstellung  bei  Merian  1645,  welche  Burg  und  Thurm 
dachlos  zeigt  und  die  Textnotiz :  „Hat  ein  Schloss,  so  jetzo  abgebrannt"  weisen  darauf  hin. 

Ein  Ueberblick  über  die  Geschichte  von  Eltville  darf  den  Antheil  nicht  unerwähnt 
lassen,  den  diese  Stadt  an  der  ersten  Entwickelung  der  Buchdruckerkunst  genommen  hat.*) 

Bei  der  Ungewissheit,  welche  über  Gutenbergs  letzte  Lebensjahre  herrscht,  kann 
über  dessen  persönliche  Beziehungen  zu  Eltville  nur  vermuthungsweise  berichtet  werden. 
Jedenfalls  knüpften  sich  dieselben  an  die  ihm  verwandten  Familien  Bechtermüntz  und 
Sorgenloch.  Die  Brüder  Heinrich  und  Nicolaus  Bechtermüntz,  Mainzer  Patrizier,  be- 
wohnten in  Eltville  ein  Landgut.  Der  ältere,  Heinrich,  hatte  mit  seiner  Frau,  Grete 
von  Schwalbach,  zwei  Kinder,  Johann  und  Else,  von  denen  der  erstere  1471  Bürger- 
meister von  Eltville  wurde  und  die  Tochter  sich  1464  mit  einem  Verwandten  Gutenbergs, 
Jakob  von  Sorgenloch,  genannt  Gensfleisch,  verheirathete.  In  dem  darauf  folgenden 
Jahre,  1465,  am  18.  Januar  erfuhr  Gutenberg  von  dem  aus  dem  Kampfe  mit  Diether 
von  Isenburg  siegreich  hervorgegangenen  Mainzer  Kurfürsten  Adolf  II.  von  Nassau 
eine  Gunstbezeugung,  die  er  wohl  der  Anerkennung  seiner  Erfindung  verdankte :  Er 
wurde  durch  eine  von  Eltville  datirte  Urkunde  in  den  Hofdienst  des  Kurfürsten  auf- 
genommen und  mit  dem  jährlichen  Geschenk  eines  Hofkleides,  zwanzig  Malter  Korn 
und  zwei  Fuder  Wein  bedacht. 

Ob  er  nun  als  Dienstmann  des  Kurfürsten  diesem  zeitweilig  nach  seiner  ständigen 
Residenz  Eltville  gefolgt  ist  und  bei  dieser  Gelegenheit  die  Brüder  Bechtermüntz  in 
seiner  Kunst  unterrichtet  hat  oder  ob  diese,  wie  so  manche  anderen,  seine  Typen  käuflich 
erwarben,  muss  dahingestellt  bleiben. 

Unwahrscheinlich  bleibt  es  jedenfalls,  dass  er  seine  Druckerei  nach  Eltville  verlegt 
habe,  da  die  ganze  Einrichtung  derselben  um  diese  Zeit  schon  das  Eigenthum  des 

*)  C.  D.  Vogel  in  Nass.  Ann.  I,  Heft  2.  49  ff. 

K.  G.  Bockenheimer,  Festschrift  zur  Gutenbergfeier  in  Mainz  1900. 

AI  fr.  Börckel,  Gutenberg,  sein  Leben,  sein  Werk,  sein  Ruhm.    Giessen  1897. 


60 


ELTVILLE.  PFARRKIRCHE. 


Mainzer  Stadtsyndikus  Dr.  Humery  war,  der  Gutenberg  nach  seinem  Prozess  mit 
Johann  Fust  das  Geld  zu  einer  neuen  Druckerei  gegeben  hatte.  Unbestritten  ist  die 
Thatsache,  dass  das  erste  Druckwerk  der  Bechtermüntz  (4.  Nov.  1467)  das  Vocabularium 
,,ex  quo"  (einziges  Exemplar  in  der  Bibl.  nat.  zu  Paris)  mit  den  Typen  des  Gutenberg- 
schen  Catholicon  gedruckt  worden  ist.  Heinrich  Bechtermüntz  war  in  demselben  Jahre, 
vor  Erscheinen  dieses  Druckes  gestorben  und  die  Druckerei  wurde  durch  seinen  Bruder 
Nicolas  und  den  ebenfalls  einer  alten  Mainzer  Patrizierfamilie  entstammenden  Wiegand 
Spies  von  Ortenberg  fortgeführt.  Sie  endete  mit  dem  Tode  des  Hans  Bechtermüntz, 
Heinrichs  Sohn,  1483.  Seine  Erben  sollen  (nach  Bodmann)  die  Druckgeräthe  an  die 
Kapitelherrn  zu  Marienthal  verkauft  haben. 

DIE  PFARRKIRCHE  ST.  PETER  UND  PAUL. 

Dem  muthmasslichen  Alter  des  Ortes  entsprechend  muss  schon  früh  eine  Kirche 
hier  gestanden  haben,  deren  einzige  Erwähnung  in  einem  Inschriftstein  erhalten  ist, 
welcher  sich  im  Seitenschiff  eingemauert  findet  und  schon  von  Domvikar  Helwich  1614 
abgeschrieben  wurde.  Derselbe  enthält  eine  Dedikationsurkunde  für  den  St.  Catharinen- 
altar  und  wurde  „Gratia  et  diligentia  Willigisi  Archiepiscopi"  (also  vor  1011)  gesetzt. 
Die  auf  den  Rahmen  der  Inschrift  in  arabischen  Ziffern  eingemeisselte  Zahl  1095,  welche 
Anlass  zu  einer  späteren  Datirung  des  Urkundensteins  gab,  ist  von  Fr.  Schneider 
(Lötz  497  ff.)  als  nachträglicher  Zusatz  nachgewiesen  worden. 

Die  jetzige  Pfarrkirche  entstammt,  ebenso  wie  die  Neuanlage  der  Burg  und 
Vergrösserung  der  Stadt,  der  Zeit  des  Erzbischofs  Gerlach,  Grafen  von  Nassau,  wie 
eine  ebenfalls  von  Helwich  überlieferte  Inschrift  bezeugt,  welche  das  Gründungsjahr 
1353  angiebt  und  gleichzeitig  die  Mittheilung  enthält,  dass  der  Thurm  unter  dem 
Wild-  und  Rheingrafen,  Conrad  III.  (1419 — 1434),  erbaut  ist.  Dieser  Bauperiode,  welche 
auch  durch  das  im  Scheitel  des  Westportals  angebrachte  Wappen  bekundet  wird, 
gehört,  nach  dem  gleichartigen  Sockelprofil  zu  schliessen,  auch  das  (südliche)  Seiten- 
schiff an.  Aus  dem  im  Schlussstein  des  östlichen  Joches  am  Gewölbe  des  Haupt- 
schiffs angebrachten  Doppelwappen  des  Mainzer  Rades  und  Nassauer  Löwen  schliesst 
Lötz,  dass  dieser  Theil  unter  Erzbischof  Johannes  IL,  Grafen  von  Nassau,  erbaut 
sei,  sodass  die  Erbauung  der  Kirche  die  Zeit  zwischen  1353  und  1434  eingenommen 
haben  dürfte. 

Nach  Zaun  (36  ff.)  wäre  der  Thurm  der  ersten,  aus  dem  11.  Jahrhundert  stam- 
menden Kirche  bei  dem  Neubau  verwandt  worden  und  in  den  Umfassungsmauern  des 
westlich  vor  der  Sakristei  belegenen  Treppenhauses  erhalten. 

Die  Kirche  ist  eine  zweischiffige,  vierjochige  Hallenkirche,  deren  dreijochiges 
südliches  Seitenschiff  später  dem  Hauptbau  angeschlossen  ist,  mit  einschiffigem  Chor, 
welcher  aus  zwei  Jochen  und  fünf  Seiten  des  Achtecks  gebildet  ist.  Die  Choraxe 
zeigt  gegen  diejenige  des  Schiffs  eine  leichte  Ablenkung  nach  Süden,  welche  auf 
die  Länge  des  Chors  ca.  30  cm  beträgt.   Der  Westfront  ist  ein  kräftiger  Thurm  vor- 


Fig.  45.    Eltville.   Pfarrkirche.  Inneres. 


ELTVILLE.  PPARRKIRCHE. 


61 


gelegt.  In  der  Ecke  zwi- 
schen Seitenschiff  und 
Chor  ist  die  Sakristei 
eingebaut. 

Die  spitzbogigenKreuz- 
gewölbe  haben  theils  ein- 
fache, theils  doppeltge- 
kehlte Rippen  und  Gurte, 
die  im  Chor  und  Schiff 
auf  Konsolen  aufsetzen, 
welche  im  Schiff  flott  ge- 
arbeitetes Laubwerk  zei- 
gen. Im  Seitenschiff  ver- 
laufen die  Gewölbegliede- 
rungen glatt  ohne  Kon- 
solsteine in  die  Pfeiler. 
Die  Sakristei  ist  mit  einem 

fünfrippigen  Kreuzge- 
wölbe überdeckt.  Dem 
westlichen  Joche  der 
Schiffe  ist  eine  Empore 
auf  einfachem  Netzge- 
wölbe eingebaut,  sie  ruht 
auf  dünnen  Achteckpfei- 
lern, von  welchen  einer 
im  Hauptschiff  freisteht, 
die  andern  sich  als  Dienste 
dem  ersten  Trennungs- 
pfeiler von  Haupt-  und 

Seitenschiff  anlehnen. 
Die  Fenster  wechseln  im 
Chor  und  Schiff  mit  zwei 
Mustern  eines  einfachen, 
zweitheiligen  Massvver- 
kes  ab,  welches  schlicht 
hohlprohlirt  ist.  Das 
Masswerk  der  dreitheil- 
igen  Fenster  des  Seiten- 
schiffes hat  Rundstab- 
profil. 

Die  Strebepfeiler  sind 
mit  schlichtenPultdächern 


Fig.  43.   Eltville.    Grundriss  der  Pfarrkirche. 


62 


ELTVILLE.  PFARRKIRCHE. 


abgedeckt.  Die  nörd- 
liche Thüre  hat  ein  mit 
einer  handwerklichen 
Relief-Skulptur  verzier- 
tes Tympanum,  Christus 

am  Kreuz  zwischen 
Maria  und  Johannes  dar- 
stellend ;  auch  die  den 
Thürsturz  seitlich  tra- 
genden Konsolen  haben 
figürlichenSchmuck.Vor 
der  Südthür  ist  durch 
ein  zwischen  die  Strebe- 
pfeiler eingespanntes 

Tonnengewölbe  ein 
Schutzdach  gebildet. 

Der  Thurm  behält 
durch  vier  Geschosse 
seinen  quadratischen 
Grundriss  bei,  verstärkt 


durch  diagonal  gestellte 
Strebepfeiler,  welche  im 
zweiten  Geschoss  mit  offenen 
Figuren-Tabernakeln,  oben 

mit   Fialenbündeln  ge- 
schmückt sind  und  in  hohl- 
geschweifte Pultdächer  en- 
digen.   An  Stelle  des  nord- 
östlichen Strebepfeilers  tritt 

ein  Treppenthurm,  der 
schlicht  achteckig  bis  zur 
Plattform  führt.  Das  Erdge- 
schoss,  von  vier  Thüren 
durchbrochen ,  bildet  eine 
Vorhalle  und  hat  ein  Stern- 
gewölbe mit  gekehlten  Rip- 
pen. Das  reichprofilirteWest- 
portal  mit  einem  nach  innen 
geschweiften  Wimperg  und 
einer  durchbrochenen,  von 


Fig.  44.    Eltville.  Pfarrkirche. 


ELTVILLE.  PFARRKIRCHE. 


63 


Konsolen  getragenen  Gallerie  versehen,  ist  neuerdings  hergestellt.  Das  zweite  Ge- 
schoss,  ebenfalls  mit  Sterngewölbe  überdeckt  und  sehr  hoch,  hat  nach  der  Kirche 
eine  vermauerte,  spitzbogige  Oeffnung  und  nach  Westen  ein  grosses  Fenster  mit  drei- 
theiligem  Fischblasen-Masswerk.  Das  Gesims,  welches  dies  Stockwerk  aussen  markirt, 
ist  unter  dem  Westfenster  nach  unten  verkröpft.  Das  dritte  Geschoss  hat  auf  der 
West-  und  Südseite  Masswerkblenden,  vor  denen  sich  an  der  Westseite  eine  durch- 
brochene Gallerie  vorbeizieht.  Das  vierte  Geschoss  tritt  vor  den  untern  um  die 
Breite  eines  schmalen  Umgangs  ohne  Brüstung  zurück,  der  die  Strebepfeiler  in  grade 
überdeckten  Öffnungen  durchbricht.  In  diesem  Geschoss  befinden  sich  vier  Schall-Löcher. 

Der  spitze  Helm,  welchen  der  Thurm  früher,  nach  der  Ansicht  bei  Merian,  ge- 
tragen hat,  fiel  1783  einem  Blitzschlag  zum  Opfer.  Das  jetzt  vorhandene,  ein  niedriges 
Achteck  bildende  steinerne  Obergeschoss  nebst  der  hübsch  profilirten  geschweiften 
Dachhaube  entstammen  ebenso  wie  die  durchbrochene,  gothisches  Masswerk  nach- 
ahmende Brüstung  der  Herstellung  in  dieser  Zeit.  Ein  wahrscheinlich  gleichzeitiger 
Dachreiter  mit  geschweiftem  Dach  sitzt  auf  der  First  des  Chordachs. 

An  Kunstwerken  besitzt  die  Kirche  zunächst  einen  sehr  schönen  Taufstein, 
ein  Werk  der  spätesten  Gothik  mit  einer  von  der  Renaissance  stark  beeinflussten  Orna- 
mentik, inschriftlich  von  1517.  Eine  quadratische,  mit  den  Evangelistenzeichen  belegte 
Plinthe  trägt  den  zu  einem  Achteck  ausladenden  Fuss  und  das  Becken,  dessen  konkave 
Seiten  mit  spätem,  Einflüsse  der  Renaissance  verrathenden  Masswerk  geziert  sind. 
Auf  demselben  sind  als  Schmuck  Christus  als  Weltherrscher,  sechs  Apostelpaare  und 
Nicolaus  und  Paulus  angebracht. 

Ein  ebenfalls  der  spätesten  Gothik  angehöriges  Bildwerk  ist  der  an  der  Nordseite 
aussen  neben  dem  Thurm  errichtete  Oelberg  von  1520,  eine  im  figürlichen  derb-hand- 
werkliche, aber  wirkungsvolle  Arbeit  mit  zierlichem  Masswerk  in  dem  flachbogigen 
Baldachin. 

In  der  Südwand  des  Chors  ist  ein  schönes  bemaltes  W a  n  d  t  a  b  e r nak el, 
ähnlich  dem  in  Marienhausen,  erhalten.  Die  Umrahmung  zeigt  gothische  Formen  vom 
Ende  des  14.  Jahrhunderts,  trägt  eine  Zinnenbekrönung  und  darunter  einen  von  Fialen 
flankirtcn,  mit  Blendmasswerk  gefüllten  Giebel  mit  Krabben  und  Kreuzblume.  Einige 
Grabsteine  von  Kunstwerth  sind  im  Chor  erhalten :  Das  älteste  auf  der  Südseite 
von  Pfarrer  Leonhard  Meng  es,  f  1476,  zeigt  unter  einem  dreitheiligen  gothischen 
Baldachin  mit  nach  innen  geschweiften  Wimpergen  die  Kreuzigungsgruppe  mit  der 
kleinen  Figur  des  Stifters  in  guter,  handwerklicher  Ausführung.  Neben  demselben 
stellt  das  Epitaph  der  Frau  Agnes  von  Koppenstein  „des  edlen  Friedrich  von 
Stockhaim  vittums  im  Rinkaw  Hausfrow"  f  1553  eine  tüchtige  Arbeit  der  Renaissance- 
zeit  dar.  In  zartem  Flachrelief  steht  die  Bestattete  betend  unter  einer  seitlich  mit 
Wappen  belegten  Rundbogennische,  neben  sich  ihr  Töchterchen,  wie  sie  selbst  in 
stattlicher  Patrizierkleidung,  und  ein  nacktes  Söhnchen.  Ein  ebenfalls  künstlerischen 
Werth  aufweisender  Grabstein  auf  der  Nordseite  des  Chors  ist  derjenige  des  Licentiats 


04 


ELTVILLE.  PFARRKIRCHE. 


und  Pfarrers  Adam  Helsius  (Heisinger) 
1539.  In  einer  feinen  Renaissance-Archi- 
tektur kniet  der  Stifter  unter  dem  in  Hoch- 
relief ausgearbeiteten  Bild  der  heiligen  Drei- 
einigkeit. Ueber  der  Sakristeithür  ist  ein 
Wandepitaph  in  späten,  reich  mitSchnallen- 
und  Rollwerk  verzierten  Renaissanceformen 
aufgestellt,  welches  das  Kniestück  des  in 
voller  Ritterrüstung  dargestellten  Philip- 
pus Frey  vonDehrn,  f  1568,  umrahmt. 
'  EinanderesstattlichesWandepitaphderSpät- 
renaissance  ist  das  der  1599  verstorbenen 
Elisa  beta  von  Schönberg,  Gemahlin 
Johann  Georgs  von  Bicken,  Vicedom.  Eine 
gute  spätgothische  Grabplatte  mit  früher 
Kostumhgur  und  leider  unleserlicher  In- 
schrift ist  unter  der  Kanzel  eingemauert. 
Wenig  bedeutend  sind  die  Chorstühle,  von 
ganz  handwerksmässiger  gothischer  Arbeit 

ohne  hohe  Seitenwangen.    Die  später  er- 
Fig.  49.    Burg  Eltville.    Der  Thurm.  ..  -57-1  ,  „  „ 

ganzten    V  orderwande    tragen   r  üllungen 

mit  unbezeichnendem  Barockornament.  Interesssant  wegen  der  oben  erwähnten  Be- 
ziehungen zu  Gutenberg  ist  der  Grabstein  des  Jacob  vom  Sorgenloch,  gen.  Genss- 
fleisch f  147S,  welcher  1823  an  der  Nordseite  des  Chors  aufgegraben  wurde  und 
jetzt  in  der  Schmidtburgkapelle  auf  dem  Friedhof  bei  der  Kirche  aufgestellt  ist. 
(Beschr.  v.  Dr.  Schaab,  Nass.  Annalen,  1,  21 — 26.) 

Ein  schöner,  in  Holz  geschnitzter  Crucifixus  unter  dem  Chorbogen  und  eine 
Marienstatue  mit  dem  Kinde  an  dem  Südpfeiler,  beide  aus  der  spätesten  Zeit  der 
Gothik  und  gut  in  der  Bemalung  hergestellt,  sind  zu  erwähnen. 

Die  Kirche  besass  eine  reiche  Ausmalung,  welche  in  den  sechziger  Jahren  auf- 
gedeckt und  theilweise  von  A.  Martin  in  Kidrich  hergestellt  wurde,  jetzt  aber  leider  schon 
wieder  der  Feuchtigkeit  zum  Opfer  zu  fallen  droht.  Erhalten  sind  noch :  an  der  Südwand 
ein  heil.  Christoforus ;  auf  dem  Chorbogen  die  Gestalten  von  Petrus  und  Paulus,  darüber 
ein  Kranz  von  9  Wappen,  jedes  Wappen  von  einem  zierlichen  Engelfigürchen  getragen. 
Die  Malereien  der  Nordwand  und  an  der  Emporbühne,  deren  Inhalt  Fr.  Schneider 
(Lötz  500)  eingehend  aufführt,  sind  leider  bei  der  Restauration  wieder  überstrichen  worden, 
nachdem  sie  von  A.  Martin  aufgenommen  waren.  Im  Schatz  der  Kirche  befindet  sich 
eine  Monstranz,  Silber  vergoldet,  90  cm  hoch,  welche  in  ihrem  klaren  Aufbau  zu 
den  besten  Silberarbeiten  des  15.  Jahrhunderts  zu  rechnen  ist.  Die  Glocken  sind  mit 
Ausnahme  der  1783  gegossenen  dritten  aus  dem  19.  Jahrhundert  (Inschriften  bei  Zaun). 

Von  der  erzbischöflichen  Burg  Eltville  steht  in  wohlerhaltenem  Zustand 
noch  der  bewohnbare  Bergfried,  jetzt  dem  Fiskus  gehörig  und  zu  der  in  der  Burg- 


Fig.  48.   Eltville.   Pfarrkirche.   Silbervergoldete  Monstrans. 


BURG  ELTVILLE. 


65 


ruine  eingebauten  Oberförsterei  gezogen.  Er  nimmt  die  südöstliche  Ecke  des  innern 
Burgberings  ein,  hat  quadratischen  Grundriss  (10,65  m  auf  10,20  m)  und  bei  25  m 
Höhe  vier  Stockwerke  über  dem  Verliess.  Die  Ecken  sind  vom  dritten  Stockwerk 
an  mit  sechseckigen  Vorsprüngen  besetzt,  welche  in  der  Höhe  der  Wehrplatte  stärker 
vorgekragte  Thürmchen  tragen,  die  sich  noch  ein  Stockwerk  über  das  Dachgesims  er- 
heben. An  der  dem  Burghof  zugekehrten  Nordwestecke  ist  der  Vorsprung  durch 
den  in  gleicher  Dicke  den  Thurm  in  seiner  ganzen  Höhe  begleitenden  Treppenthurm 
ersetzt.    Zwischen  den  Eckthürmen  ist  der  Wehrgang  mit  Gusslöchern  auf  Stichbogen 


i 

■ 

II  0  ■» 

Im 

Fig.  51.   Burg  Eltville.   Kamin  im  Wohnthurm. 

vorgekragt;  diese  ruhen  auf  mit  Nasen  besetzten  Kragsteinen  und  sind  mit  offenen 
Kleebogen  ausgefüllt.  Das  gleiche  Motiv  wiederholt  sich  als  untere  Stütze  der  sechs- 
eckigen V orsprünge.  Die  Fenster  haben  rechteckige  steinerne  Fensterstöcke,  die  nur 
in  den  oberen  Stockwerken  gekehlt  sind ;  die  kleinen  Fenster  der  Eckthürmchen  sind 
im  Spitzbogen  mit  Nasen  geschlossen.  Alle  Architekturtheile  sind  von  rothem  Main- 
sandstein, die  Flächen  verputzt. 

Im  Innern  interessirt  vor  allem  im  zweiten  Stockwerk  ein  den  ganzen  Innen- 
raum einnehmendes  (jetzt  getheiltes)  Gemach,  welches  zwei  zierliche  Wandschränke 

5 


66 


BURG  ELTVILLE. 


mit  zinnenbekrönter  profilirter  Umrahmung  und  einen  monumentalen  Kamin  besitzt, 
dessen  quadratische  Oeffnung  bis  zum  Sturz  2,18  m  Höhe  aufweist.  Die  auf  dem 
Sturz  angebrachten  vier  Wappen  deuten  auf  Erzbischof  Gerlach  und  die  zweite  Hälfte 
des  14.  Jahrhunderts  hin.  Aus  der  Entstehungszeit  des  Thurmes  1332 — 40  dürfte  der 
innere  Ausbau  des  vierten  Stockwerks  sein,  welches  in  zwei  ungleich  grosse,  spitz- 
bogige  Kreuzgewölbe  getheilt  ist,  deren  einfach  gekehlten  Rippen  und  doppelt  ge- 
kehlten Gurte  auf  profilirten  Konsolen  aufsetzen.  Im  dritten  Stockwerk  erinnern 
die  Thüren  mit  bescheidenen  Renaissance-Rahmen  an  die  Neueinrichtung,  welche  die 
Burg  unter  Erzbischof  Berthold  von  Henneberg  (1484 — 1504)  erfahren  hat. 

Die  übrige,  mit  meh- 
reren neueren  Gebäude- 
flügeln bebaute  Ruine 
vergegenwärtigt  ziemlich 
deutlich  die  Anlage  der 
alten  Wasserburg. 

Die  nördliche  und 
westliche  Front  ist  mit 
einem  17 — 20  m  breiten, 
jetzt  beiderseitig  ausge- 
mauerten Graben  umge- 
ben. Es  ist  möglich,  dass 
derselbe  ursprünglich, 
ehe  sein  Fussboden  bis 
zur  jetzigen  Höhe  aufge- 
höht war,  vom  Rhein  aus 
oberhalb  der  Burg  mit 
Wasser  gefüllt  werden 
konnte.  Von  Norden  her 
führte  über  den  Graben 
eine  Zugbrücke  zu  dem 
spitzbogigenBurgthor  mit 
hohlprofilirtem  Gewände ; 
von  den  Vertheidigungs- 
anlagen  des  Thors  ist 
nichts  erhalten. 

Die  gegenüber  lie- 
gende südliche  Seite  des 
Burghofs     schloss  ein 

grösseres ,  sich  westlich  an  den  Thurm  anlehnendes  Gebäude  ab ,  vermutlich  der 
Palas,  vom  Thurm  aus  durch  eine  in  der  Höhe  des  dritten  Stockwerks  noch  erhaltene 
Thüre  zugänglich.  Die  Südmauer  dieses  Gebäudes  ragt  noch  als  mächtiges  Ruinen- 
stück mit  starken  Strebepfeilern  aus  dem  tiefer  am  Rheinufer  liegenden  Südzwinger 


BURG  ELTVILLE. 


67 


empor.  Zwischen  den  Strebepfeilern  sind  starke  Stichbögen  aus  zwei  selbständigen  Back- 
stein-Rollschichten geschlagen,  die  sich  westlich  gegen  einen  viereckigen  vorgekragten 
Eckthurm  stützen.  Unter  diesen  Bogen,  in  der  Höhe  des  oberen  Burghofs,  war  die 
Mauer  durch  Fenster 
mit  steinernen  Kreuz- 
stöcken durchbrochen. 

Rechtwinkelig  an 
diese  Mauer  schloss 
sich  oben  offenbar  eine 
Westmauer  an ,  vor 
welcher  ein  schmaler 
Zwinger  entlang  lief, 
dessen  nach  dem  Gra- 
ben gerichtete  Mauer 
noch  die  Reste  eines 
Wehrgangs  auf  Stich- 
bogen zeigt,  die  von 
gerundeten  und  ge- 
fasten  Konsolsteinen 
getragen  werden.  Der 
untere  Zwinger  hat 
zinnenbesetzteMauern 

mit  Eckthürmchen,  die  ebenfalls  Zinnen  haben  und  von  denen  das  westliche  auf  Krag- 
steinen mit  Spitzbogen  vorgekragt  ist.    (S.  Fig.  50.) 

Die  1332  gleichzeitig  mit  der  Burg  begonnene  Stadtbefestigung  scheint 
eine  ziemlich  regelmässige  Anlage  gewesen  zu  sein,  wenn  man  einen  westlich  von  der 
Burg  an  der  Rheinfront  stehenden  runden  Mauerthurm,  einen  ebensolchen  an  der 
nordwestlichen  Grenze  der  Stadt  in  eine  Häuserflucht  eingemauerten  und  einen  ganz 
modernisirten,  an  der  Hauptstrasse  ziemlich  genau  nördlich  von  der  Burg  stehenden 
viereckigen  Thurm  als  ihre  Ecken  annehmen  kann.  An  der  Rheinfront  zwischen  der 
Burg  und  dem  zuerst  genannten  Rundthurm  erhebt  sich  über  dem  Martinsthor  ein 
fünfter,  viereckiger  Thurm,  seit  1751  von  der  gräflichen  Familie  Eitz  angekauft  und 
in  ihren  Edelsitz  eingebaut.  Die  anderen  früher  vorhandenen  Thorbefestigungen,  das 
Silz-  und  Kapellenthor  sowie  der  Holzthurm  sind  verschwunden. 

Nordwestlich  von  der  Burg,  östlich  von  der  Pfarrkirche,  erstreckt  sich  das  schöne 
Besitzthum  des  Freiherrn  Langwerth  von  Simmern  nördlich  bis  an  die  Haupt- 
strasse. Es  enthält  zwei  Profanbauten,  welche  unser  Interesse  in  Anspruch  nehmen. 
Die  nachfolgenden  Notizen  beruhen  auf  den  mit  dankenswerther  Bereitwilligkeit 
dieser  Arbeit  zur  Verfügung  gestellten  Forschungen  des  Herrn  Architekten  P.  Eichholz 
in  Wiesbaden,  welcher  das  von  ihm  gesammelte  Material  über  die  Denkmäler  von 
Eltville  hoffentlich  in  umfassenderer  Weise  veröffentlichen  wird,  als  es  hier  der 
Raum  gestattet. 

6* 


Fig.  53.   Eltville,  Burg-Ruine.   Südmauer  des  Palas. 


68 


ELTVILLE.    STOCKHEIMER  HOF. 


Im  südlichen  Theil  des  prächtig  angelegten  Langwerth'schen  Parkes  steht  ein 
der  späten  Gothik  angehöriges  Gebäude ,  ursprünglich  der  „S t o c k h e i m e r  Hof." 
Es  ähnelt  in  seiner  Anlage  und  Architektur  auffallend  dem  ebenfalls  von  der  Familie 
Stockheim  erbauten  „Schönborner  Hof"  in  Geisenheim.  Es  ist  ein  schlichtes,  läng- 
liches Viereck  mit  steilem  Dach  und  entsprechenden  Giebeln ;  vor  die  Mitte  der  nörd- 
lichen Langseite  tritt  ein  achteckiger  Treppenthurm  mit  spitzem  Zeltdach,  vor  den 
westlichen  Giebel  ist  ein  Kellerhals  vorgelegt,  welcher  im  ersten  Stockwerk  mit  einem 
hübschen  Fachwerkerker  überbaut  ist.  Die  Kellerthüre  sowie  die  Hausthüre  der 
Nordseite  sind  spitzbogig  geschlossen,  letztere  mit  gothisch  gekehltem  Gewände.  Ein 


Fig.  54.    Eltville.   Stockheimer  Hof  (nach  Reiffenstein). 


kleines  Fenster  der  Nordseite  hat  ebenfalls  noch  gothisches  Gewände  mit  gebrochenem, 
gradem  Sturz;  die  übrigen  Fenster  haben  grade  Stöcke  mit  gekehlten  Fasen.  Das 
Innere  des  Gebäudes  ist  modernisirt.  Interessant  ist  im  Saal  des  Erdgeschosses  die 
Wandbekleidung  mit  alten,  in  Blaumalerei  unter  Glasur  verzierten  Wandplättchen. 
Ein  Steinkamin  mit  Holzaufsatz  in  diesem  Raum  mag  in  seiner  ursprünglichen  Form 
ins  17.  Jahrhundert  hinaufreichen.  Zu  diesem  Hof  gehörte  noch  eine  nördlich  vom 
Wohnhaus  stehende  Scheuer,  jetzt  bis  auf  den  Keller  abgerissen,  dessen  Eingang  in 
der  Gartenlage  noch  erhalten  ist. 


ELTVILLE.    HAUS  LANG  WERTH  V.  SIMMERN. 


69 


Grösseres  Interesse  als  der  Rest  des  Stockheimer  Hofes  beansprucht  das  Lang- 
werth'sche  W  o  h  n  h  au  s,  welches  mit  seiner  Nordfront  an  der  Hauptstrasse  steht  und 
wenn  es  auch  nur  ein  stark  verändertes  Bild  seiner  früheren  Erscheinung  giebt,  doch 
durch  seine  feine  und  gross  gezeichnete  Renaissance-Architektur  die  Aufmerksamkeit 
auf  sich  zieht.  i 

Nach  Ermittelungen 
im  Landes-Archiv  zu 
Wiesbaden  hat  im 
Jahre  1668  der  Erz- 
bischof  Philipp  von 
Schönborn  dem  schwe- 
dischen Gesandten  am 
kurfürstlichen  Hofe , 
Habeus  von  Lichten- 
stern*)  einen  „Bau- 
platz mit  Scheuer 
zwischen  dem  Stock- 
heimer Hof  und  der 
gemeinen  Gasse"  ver- 
kauft. Nach  einer  spä- 
teren Urkunde  (von 
1754)  ist  „sogleich  nach 
diesemKauf  auf  diesem 
Grundstück  ein  Haus 
gebaut."  Wenn  wir 
somit  etwa  das  Jahr 
1670  als  Erbauungszeit 
des  jetzigen  Lang- 
werth'schen  Hauses 
anzusehen  haben ,  so 
kann  vielleicht  die 
Strenge  seiner  Archi- 
tekturformen in  dieser 

späten  Zeit  über- 
raschen ,    in  welcher 
anderwärts  schon  das 
beginnende  Barock 


Fig.  56.    Eltville.  Fenster  vom  Hans  Langwerth  v.  S. 
(nach  P.  Eichhola). 

sich  geltend  machte.  Doch  muss  man  sich  dabei  gegenwärtig  halten,  dass  in  dieser 
Zeit  ein  geradezu  klassisches  Denkmal  deutscher  Renaissance ,  das  kurfürstliche 
Schloss  in  Mainz,  seiner  Vollendung  entgegen  ging. 

*)  Dieser  Habeus  von  Lichtenstern  war  ein  Freund  des  Philosophen  Leibnitz  und  für  dessen 
Berufung  an  den  Hannoverschen  Hof  der  Sophie  Charlotte  thätig. 


70 


ELTVILLE.  PROFANBAUTEN. 


Von  der  ursprünglichen  Erscheinung  des  Lichtenstern'schen  Wohnhauses  kann 
man  in  dem  jetzigen  mit  Sicherheit  nicht  viel  mehr  nachweisen,  als  die  Mittelfenster 
und  das  Portal  des  Erdgeschosses  und  die  Ecklisenen  desselben. 

Die  Fenster,  dreitheilig  und  von  der  stattlichen  Lichthöhe  von  2,10  m,  werden 
durch  vier  in  gleichen  Abständen  stehende  jonische  Pilaster  von  sehr  schlanken  Ver- 
hältnissen getheilt,  welche  sich  an  gequaderte  Pfeilerchen  lehnen  und  am  untern 
Theil  mit  schlicht  eingesetztem  Beschläg-Ornament  geziert  sind.  Das  gleiche  Orna- 
ment findet  sich  auf  dem  über  dem  zweitheiligen  Architrav  sich  hinziehenden  schmalen 
Fries  und  in  dem  Tympanum  des  flachen  Giebels;  die  Hängeplatte  wird  von  zarten 
Konsolen,  die  Sohlbank  von  einem  Eierstab  getragen.  Diese  Fenster  wiederholen 
sich  in  dem  weit  niedrigeren  Obergeschoss ;  um  hier  untergebracht  zu  werden,  mussten 
sie  mit  ihrer  Sohlbank  unmittelbar  aut  das  umlaufende  Gurtgesims  aufgesetzt  und  bis 
zur  inneren  Fensterbankhöhe  vermauert  werden.  Man  erkennt  auf  den  ersten  Blick, 
dass  diese  Anlage  des  Obergeschosses  von  einem  späteren,  roh  und  eilig  ausgeführten 
Umbau  stammt,  bei  welchem  die  inneren  Pilaster  auseinandergeschoben  wurden,  um 
ein  breiteres  Mittelfenster  zu  gewinnen,  und  auch  sonst  der  ursprünglichen  schlichten 
und  vornehmen  Architektur  mancherlei  Gewalt  angethan  wurde.  Jedenfalls  hat  die 
von  Herrn  Eichholz  vertretene  Ansicht  grosse  Wahrscheinlichkeit  für  sich,  dass  das 
Haus  ursprünglich  zwei  gleichwerthige  Stockwerke  gehabt  habe  und  durch  zwei- 
maligen Umbau  (einmal  im  18.  Jahrhundert  etwa  bei  dem  1770  erfolgten  Uebergang 
an  die  Langwerth'sche  Familie  und  einmal  in  den  dreissiger  Jahren  des  19.  Jahr- 
hunderts) auf  seine  jetzige  Gestalt  gebracht  sei.  Die  am  Portal  angebrachten  Jahres- 
zahlen und  Wappen  sind  für  die  Datirung  ohne  Belang. 

Von  sonstigen  Profangebäuden  ist  in  Eltville  das  Hospital  zu  erwähnen,  das 
an  der  südlichen  Ecke  der  Stadt  gelegen,  früher  Eltville  und  Nieder-Ingelheim  ge- 
meinsam war.  Es  ist  ein  schlichter  gothischer  Bau  von  drei  Stockwerken  mit  abge- 
kämmten Giebelmauern  an  der  Ost-  und  Westseite,  erstere 
durch  beschieferte  Abwalmung  des  Daches  ersetzt.  In  der 
Mitte  des  Erdgeschosses  gegen  Osten  ist  eine  spitzbogige 
Thür  mit  gekehltem  Profil,  über  dem  Scheitel  das  Stadt- 
wappen, längs  getheilt  mit  dem  Mainzer  Doppelrad  und 
zwei  aufrecht  stehenden  Schlüsseln,  darüber  die  Jahreszahl 
1477.  In  den  Fenstern  daneben  Kreuzstöcke  mit  Hohl- 
kehlen,  im  zweiten  Stock  Doppelfenster  mit  Mittelpfosten, 
im  dritten  einfache  Fenster  mit  Kehlprofil.  Das  schlichte 
Fig.  57.  Eltville.  Gebälk  der  Stockwerke  ist  alt ;  im  Vorplatz  befindet  sich 
ein  vergoldetes  Holzrelief,  die  Krönung  Mariä,  aus  der 
Rococcozeit  (Fr.  Schneider  b.  Lötz  501  v.  1880). 
Das  Frühmessereigebäude  hinter  der  Kirche  bewahrt  seinen  gothischen 
Charakter  noch  durch  die  spitzen  Giebel,  ein  vermauertes  Fenster  und  einen  origi- 
nellen Schornsteinkopf  mit  vier  Spitzgiebeln.  Es  soll  Gutenberg  zur  Wohnung  ge- 
dient haben. 


Frülimesserei 
(nach  Reiffenstein  . 


ELTVILLE.    ELTZ'SCHES  PALAIS. 


71 


Ueber  den  Gräflich  Eltz'schen  Edelsitz,  der  westlich  der  Pfarrkirche  sich 
am  Rhein  entlang  zieht,  giebt  Fr.  Schneider  (bei  Lötz  501—502)  nach  Mittheilungen  des 
Grafen  Karl  zu  Eitz  geschichtliche  Notizen,  denen  wir  folgendes  entnehmen:  „Der 
älteste  Theil  des  Haupthauses  »zur  Krone«  oder  »zur  untersten  Laube«  genannt,  ward 
1577  vom  Vicedom  von  Bicken  erworben.  Bereits  1620  cedirt  die  Hattstein'sche  Familie 
an  Johann  Heinrich  von  Eitz  Schuldforderungen,  welche  auf  dem  Gute  standen,  und 
1629  verkaufte  ihm  Johann  Philipp  von  Hattstein  seine  „freindlich  Behausung" 
nebst  allem  Zubehör  um  18  797  Gulden.  Im  Jahre  1745 — 1750  erbaute  Domprobst  Hugo 
Franz  von  Eitz  den  östlichen,  der  Kirche  zunächst  gelegenen  Bau  und  Anselm  Casimir 
erwirbt  1751  den  Martinsthurm ,  der  in  seiner  Thorfahrt  erhalten  bleibt ,  in  seinem 
oberen  Theil  jedoch  mit  dem  Hauptgebäude  zusammengezogen  wird.  Derselbe  ver- 
anlasst auch  die  jetzt  fast  verschwundene  Bemalung  der  Giebelfronten  nach  der  Rhein- 
seite. Nach  der  Strasse  gefällige  Einfahrt  mit  Giebelkrönung  und  dem  Eltzschen 
Wappen.  1752  wurde  der  Kellereibau  aufgeführt  und  1800  das  ehemals  Victorstift- 
liche  Haus  neben  dem  östlichen  Flügel  erworben!' 

Künstlerisch  wichtiger  als  die  Innenausstattung,  die  bei  niedrigen  Etagenhöhen 
einige  schöne  Stuckdecken  aufweist,  ist  im  Eltz'schen  Sitze  der  Reichtum  an  Möbeln 
und  Sammlungsstücken,  die  als  alter  Familienbesitz  vielfach  auf  den  Erzbischof  Karl 
Philipp  von  Eitz  zurückgehen  und  dadurch  besonderen  Werth  haben.  Ohne  auf  Einzel- 
heiten eingehen  zu  können,  mag  der  Bericht  nur  die  Elfenbeinschnitzereien  und  die  kost- 
bare Sammlung  Höchster  Porzellane  erwähnen.  Von  den  Möbeln  sind  besonders  ein  Spiel- 
tisch, ein  Schreibtisch  und  eine  Stockuhr  zu  erwähnen  als  Arbeiten  des  berühmten 
Neuwieder  Meisters  Röntgen.  Von  besonderer  Pracht  ist  ein  in  Nussbaumholz  ge- 
schnitzter und  vergoldeter  grosser  Schreibschrank  mit  zwei  Sesseln,  eine  Louis-quinze- 
Uhr  in  Messing  und  Ebenholz  markettirt  auf  ebensolcher  Konsole ;  ein  Schreibschrank 
mit  parkettartigem  Furnier,  ein  Damenschreibtisch  mit  Intarsien  und  ein  grösserer 
Sekretär,  dessen  Intarsien  Musikinstrumente  darstellen,  u.  v.  A. 


Fig.  58.   Altes  Rathaus  in  Geisenheim,  1852  abgebrochen. 


STADT  GEISENHEIM. 

JOHANNISBERG.   NOTHGOTTES.  MARIENTHAL. 

IE  STADT  GEISENHEIM*),  3,2  km  östlich  von  Rüdesheim  gelegen, 
gehört  zu  den  ältesten  Ansiedelungen  des  Rheingaus ;  eine  Schenkungs- 
urkunde des  Grabfeldischen  Grafen  Alwalah  (Sauer  2),  wahrscheinlich 
einem  Zweige  des  weifischen  Geschlechtes  angehörig,  erwähnt  sie  bereits 
im  Jahre  779.  Die  früheste  Nachricht  von  dem  in  Geisenheim  betriebenen  Weinbau 
hat  eine  Urkunde  des  Erzbischofs  Ottgarius  von  Mainz  von  838  (Sauer  58)  überliefert, 
in  welcher  derselbe  seine  von  seinem  Dienstmann  Hildibert  erworbenen  Gebäude, 
Aecker,  Weinberge  und  Hörigen  in  Geisenheim  dem  Kloster  Bleidenstatt  schenkt. 

*)  Literatur:  F.  W.  E.  Roth,  Geschichte  der  Stadt  Geisenheim  i.  Rheingau,  herausgeg. 
v.  Pfarrer  B.  Feldmann,  Selbstverlag  1892.  —  Rh.  Antiquarius  11.10.637  fr.  —  Schmelzeis, 
Gesch.  v.  Rüdesheim,  76.  —  Sauer,  Cod.  dipl.  —  Schliephake.  —  Zaun  242fr. 


GEISENHEIM. 


73 


Auch  das  Mainzer  Domstift  erscheint  früh  als  Besitzer  von  Gütern  in  Geisen- 
heim, zuerst  durch  eine  Schenkung  des  Erzbischofs  Adalbert  I.  zwischen  1111  und  1137, 
welche  die  Zehntgerechtigkeit  des  Domstifts  zu  Geisenheim  und  damit  die  spätere 
kirchliche  Stellung  der  Pfarrei  Geisenheim  zu  jenem  begründete.  Befestigt  wurde 
dieselbe  im  Jahre  1146  (Sauer  219),  als  Erzbischof  Heinrich  I.  dem  Stift  das  Patronats- 
recht  über  die  Geisenheimer  Pfarrei  verlieh  und  diese  damit  dem  Domkapitel  ein- 
verleibte. Das  Domstift  erhielt  damit  für  immer  das  gesammte  Einkommen  der 
Geisenheimer  Kirche,  das  Kapitel  hatte  einen  Priester  zur  Bedienung  derselben  zu 
wählen,  der  vom  Stiftsdekan  die  Investitur,  vom  Archidiakon  die  Seelsorge  empfangen 
und  dafür  ein  zu  seinem  Unterhalt  genügendes  Einkommen  erhalten  sollte  (Gud.  I  179). 

Der  Ort,  ursprünglich  nur  als  Dorf  angelegt,  scheint  sich  langsam  entwickelt 
zu  haben.  Erst  1354  (Sauer  2747)  erhält  er  von  Erzbischof  Gerlach  das  sogen,  kleine 
Stadtrecht.  Er  durfte  sich  hiernach  unter  Aufsicht  des  Vicedoms  des  Rheingaus  und 
des  Schultheissen  zu  Eltville  mit  Mauern,  Thürmen  und  Gräben  befestigen.  Durch 
diese  Vergünstigung  mit  Eltville  auf  eine  Stufe  gestellt,  scheint  sich  der  Ort  in  den 
folgenden  Jahrhunderten  stetig  entwickelt  zu  haben,  wenn  er  auch  kaum  die  Bedeutung 
der  andern  heutigen  Städte  im  Rheingau  gewann.  Im  Jahre  1566  zählte  er  266  Häuser ; 
ausser  dem  Weinbau,  welcher  wohl  die  Haupterwerbsquelle  bildete ,  betrieben  die 
Bürger  Gerberei  und  Tuchweberei,  wie  aus  einem  1420  wegen  eines  Wasserrechts 
zwischen  diesen  Gewerben  ausgebrochenen  Streit  hervorgeht. 

Wie  die  anderen  bedeutenderen  Orte  des  Rheingaus,  besass  auch  Geisenheim 
eigene  Adelsgeschlechter.  Anfangs  des  12.  Jahrhunderts  erscheint  ein  Embricho 
de  Geisenheim.  Die  Winter  von  Geisenheim  waren  eine  Abzweigung  des  gleichnamigen 
Rüdesheimer  Geschlechts.  Ausserdem  treten  die  von  Ried  und  von  Schoenberg  auf. 
Die  Geschichte  der  Stadt,  wie  sie  Roth  mit  grosser  Sorgfalt  nach  archivalischen 
Quellen  aufzeichnet,  unterscheidet  sich  nicht  wesentlich  von  derjenigen  anderer  Rhein- 
gauer  Orte.  Wo  sie  sich  mit  der  allgemeinen  Zeitgeschichte  berührt,  ist  es  meist 
nur,  um  kriegerische  Heimsuchungen  aufzuzeichnen.  Der  Rheinzoll  bei  Geisenheim 
war  ebenfalls  ein  mehrfach  wiederkehrendes  Streit-  und  Pfandobjekt.  Im  12.  Jahr- 
hundert hatte  die  Stadt  in  dem  Kampf  zwischen  Kaiser  Friedrich  und  Papst  Alexander  III. 
als  Eigenthum  des  Mainzer  Stuhls,  der  auf  päpstlicher  Seite  stand ,  durch  die  unter 
Landgraf  Ludwig  in  den  Rheingau  einbrechenden  Thüringer  zu  leiden.  Im  vierzehnten 
war  es  die  Fehde  zwischen  König  Albrecht  I.  und  dem  Erzbischof  Gerhard  von 
Eppenstein,  die  1301  Geisenheim  in  Asche  legte.  Auch  das  16.  Jahrhundert  erscheint 
uns  in  der  Ueberlieferung  als  eine  Zeit  der  Noth  und  Bedrückung  für  die  Stadt, 
Durchmärsche  deutscher  Söldner,  welche  in  Frankreich  zur  Ausrottung  der  Huge- 
notten Dienste  nahmen  und  daher  von  den  Erzbischöfen  als  Freunde  behandelt  werden 
mussten,  brachten  endlose  Kontributionen  mit  ihrem  Gefolge  von  Schulden ;  dazu  Pest 
und  die  schwere,  dem  ganzen  Reich  auferlegte  Türkensteuer  zur  Abwehr  der  Un- 
gläubigen von  der  bedrohten  Ostgrenze.  Nicht  minder  entrollt  der  dreissigjährige 
Krieg  in  der  Geschichte  der  Stadt  das  bekannte  Bild  von  feindlicher  Besetzung  durch 
Schweden  und  Hessen,  von  Kontributionen  und  Kriegssteuern.  1663  wird  in  Geisenheim 


74 


GEISENHEIM.  PFARRKIRCHE. 


dem  Schwedenkönig  als  Landesherrn  gehuldigt;  trotzdem  hausen  im  folgenden  Jahre 
dessen  Verbündete,  die  Hessen  als  Feinde  in  der  Stadt,  berauben  die  Kirche  und  ver- 
anlassen einen  Kirchenbrand,  dem  die  beiden  Thürme  mit  den  Glocken  zum  Opfer 
fallen.  So  furchtbar  hat  die  Kriegsnoth  auf  der  Stadt  gelegen,  dass  im  Friedensjahr 
1648  nur  noch  53  Bürger  gezählt  werden ,  während  dreissig  Jahre  früher  die  Stadt 
239  Häuser  hatte.  Ein  geringer  Trost  für  die  Stadt  war  es,  dass  in  ihren  Mauern, 
im  gräflich  Schönborn'schen  Hofe,  dem  Lieblingsaufenthalt  des  1647  neu  erwählten 
Kurfürsten  Johann  Philipp  von  Schönborn ,  das  Friedensinstrument  verfasst  wurde, 
dessen  Unterzeichnung  zu  Münster  im  folgenden  Jahre  dem  dreissigjährigen  Kriegs- 
elend ein  Ende  machte. 

Die  Pest,  welche  im  Jahre  1666  den  Rheingau  heimsuchte,  raffte  in  Geisenheim, 
das  sich  hiernach  ziemlich  rasch  wieder  bevölkert  haben  muss,  937  Einwohner  hin. 

Auch  der  bayerisch-französische  Frbfolgekrieg,  sowie  die  Einfälle  der  Revolu- 
tionsheere zu  Ende  des  18.  Jahrhunderts  zogen  mit  dem  gesammten  Rheingau  auch 
die  Stadt  Geisenheim  vielfach  in  Mitleidenschaft. 

DIE  PFARRKIRCHE. 

Der  stattliche  Bau  der  Pfarrkirche  von  Geisenheim  entstammt  dem  Ende 
des  15.  Jahrhunderts.  Die  Zeit,  in  welcher  das  Schiff,  der  älteste  Theil  des  jetzigen 
Baues,  ausgeführt  wurde,  ist  nicht  urkundlich  überliefert.  Da  Helwich  jedoch  in  seinem 
Epitaphienverzeichniss  von  1614  zwei  solcher  von  1494  anführt,  so  muss  das  Schiff  um 
diese  Zeit  schon  in  Gebrauch  gewesen  sein.  Sicherer  ist  der  Bau  des  Chores  zu  datiren. 
Im  Jahre  1513  einigte  sich  nach  längeren  Petitionen  seitens  der  Gemeinde  das  Mainzer 
Domkapitel  mit  derselben  dahin,  dass  ersteres  den  Chor  nebst  Sakristei,  letztere  das 
Schiff  erbaue  und  unterhalte.  Kurfürst  Uriel  von  Mainz  bestätigte  durch  sein  Siegel 
diese  wichtige  Vereinbarung.  Im  Jahre  1518  wird  dann  an  den  Meister  Niclass  Steyn- 
metzen  der  Bau  eines  Lettners  „zwischen  dem  Fronbogen"  verdungen,  sodass  man  die 
Vollendung  des  Chorbaus  wohl  um  diese  Zeit  zu  setzen  hat.  In  dem  reichen  Netz- 
gewölbe des  letzteren  wurden  zur  Erinnerung  an  die  Bauherren  auf  den  Kreuzungs- 
punkten der  Rippen  die  Wappen  und  Namen  des  Domkapitels  angebracht.  Nach  Hel- 
wich waren  dies  folgende:  Adolfus  Raw  de  Holtzhausen,  decanus.  Wilhelmus  Comes 
de  Honstein,  Custos.  Laurentius,  Truchsess  de  Bommersfeldt,  Scholasticus.  Fridericus, 
Comes  Palat.  Rheni,  princeps  Simmeranus,  Cantor.  Joannes  de  Hattstein,  Senior. 
Adolffus  a  Stockheim.  Ulricus  a  Schechingen.  Thomas  Comes  a  Rheineck.  Henricus 
Reus  de  Plawen.  Joannes  a  Guttenberg.  Gilbertus  a  Buchseck.  Cuno  Schenk  a 
Schweinsberg.  Henricus  a  Praunheim.  Fridericus  Kuchenmeister  a  Gamberg.  Joannes 
Quaed.  Otto  a  Langen.  Baltasarus  Graslach  a  Diepurg.  Joannes  Specht  a  Buben- 
heim. Theodoricus  Zobel  a  Giebelstatt.  Joannes  a  Vilbel.  Martinus  Truchsess  a 
Bommersfelt.   Joannes  a  Grumbach.    Gottfridus  de  Hattstein. 

Eine  durchgreifende  Renovirung  im  Charakter  der  Zeit,  der  leider  eine  grosse 
Zahl  von  alten  Ausstattungsstücken  (der  alte  Katharinen-  und  Peter  Paul-Altar,  die 


Fig.  61,  Geisenheim. 


Inneres  der  Pfarrkirche. 


GEISENHEIM.  PFARRKIRCHE. 


reichgeschnitzten  Chorstühle  alter  Adelsgeschlechter,  geschnitzte  und  gemalte  Stations- 
bilder, Verzierungen  der  Orgel  etc.)  zum  Opfer  fielen,  erfuhr  die  Kirche  in  den  Jahren 
1745—52.  Um  diese  Zeit  ist  das 
jetzt  noch  vorhandene  Chorge- 
stühl entstanden,  welches  in 
einem  virtuos  gehandhabten 
Rococco  mit  zwei  ebensolchen, 
an  der  Oberwand  des  Chors 
einander  gegenüberstehenden 
Epitaphien  aus  schwarzem  Mar- 
mor (datirt  1755)  zusammen 
gebaut  ist. 

An  Stelle  der  baufällig  gewor- 
denen alten  Westthürme  wur- 
den diese  nebst  den  zwei  west- 
lichen Jochen  des  Schiffs  durch 
Baurath  Hofmann  in  Wies- 
baden 1833  neu  erbaut.  In  den 
folgenden  Jahren  bis  1841  wurde 
auch  das  Innere  von  demselben 
Architekten  hergestellt,  statt  der 
früheren  Holzdecke  die  Gewölbe 
des  Schiffs  eingezogen  und  die 
Emporbühnen  mit  ihrer  zier- 
lichen Masswerk  -  Gallerie  er- 
baut. 

Die  Kirche  stellt  sich  als 
eine  sehr  regelmässige,  drei- 
schiffige  Hallenkirche  von  fünf 
Jochen  dar;  der  Chor,  zwei- 
jochig  und  in  der  Breite  des 
Mittelschiffs,  schliesst  in  fünf 
Seiten  des  Achtecks.  In  die 
Seitenschiffe  sind  hoch  empor- 
geführte, auf  profilirten  Rund- 
bogen  ruhende  Emporen  mit 

Sterngewölben  eingebaut , 
welche  in  den  beiden  östlichen 
Jochen  des  Südschiffs  mit  Mass- 
werk verziert  sind.  Alle  Gurt- 
bogen und  die  Gräte  der  Seiten- 
schiff-Gewölbe schneiden  in  die 


Fig.    59.    Geisenheim.  Pfarrkirche. 


76 


GEISENHEIM.    PFARRKIRCHE.  EPITAPHIEN. 


einfach  achteckigen  Pfeiler  ein;  die  Gräte  der  Mittelschiffsgewölbe  setzen  auf  verzierten 
Konsolen  auf.    Die  Pfeiler  haben  ziemlich  reiches,  spätestgothisches  Sockelprofil  mit 

auf  den  Ecken  sich  überschneidenden  Rund- 
stäben. Auch  die  in  das  westliche  Schiffs- 
joch eingebaute  Orgelbühne  ruht  auf  einem 
Netzgewölbe.  Von  besonderem  Reichthum 
ist  dasjenige  des  Chors.  Die  Fenster,  drei- 
theilig,  mit  Masswerk  in  spätgothischer 
Zeichnung,  sind  in  der  Höhe  der  Emporen 
durch  ein  im  Aeusseren  mit  Blendmass- 
werk verziertes  Mauerstück  unterbrochen, 
im  Chor  tritt  an  dessen  Stelle  ein  schma- 
leres Steinband.  In  dem  Mitteljoch  des 
nördlichen  Seitenschiffs  liegt  ein  Seitenein- 
gang mit  einer  von  reichem  Netzgewölbe 
überspannten  Vorhalle.  Die  Strebepfeiler 
haben  konkave  Giebelpultdächer. 

Von  den  zahlreichen  Epitaphien  der 
Kirche,  welche  Helwich  1614  fand,  sind  nur 
zwei  im  Chor  erhalten,  beide  bemerkenswerth 
als  Kunstwerke.  Das  ältere  befindet  sich  auf 
der  Nordseite  des  Chors.  Es  trägt  die  Inschrift : 
ANNO  DOM.  MDXXVEI  (1528)  DEN  XXVIII  DAG  JULII  IST  VER- 
SCHIEDEN DER  EDEL  UND  ERNFEST  FRIEDRICH  VO.  STOCK- 
HEIM DER  ELTER  SEINES  ALTERS  IM  66.  JAR  DE.  GOT  GEN  ADE. 
ANNO  CHRISTI  MDXXIX  (1529)  DEN  X.  DAG  JUNII  STARB  DIE 
EDEL  UND  DUGENTSAME   FRAW  IRMEL  VON  CARBEN  IM 
XXXXVJAR  IRES  ALTERS  UND  IM  XXVIII.  JAR  IRES  ELICHEN 
STANTS  SEIN  ELICHER  GEMAHEL  DIESER  UND  ALLER  CHRIST- 
GLAUBIGEN  SELEN  GOT  GENEDIG  UND  BARMHERTZIG  SIE. 
Ausgezeichnet  ist  die  standfeste  Haltung  des  in  voller  Rüstung,  den  Helm  neben 
dem  rechten  Fuss  stehenden  Ritters,  der  mit  der  Rechten  einen  Speer  hält,  während 
die  Linke  das  Schwert  umfasst.  In  sprechendem,  hohes  künstlerisches  Vermögen  be- 
kundenden Gegensatz  dazu  steht  die  fast  hingebend  demütige  Bewegung  in  der  Gestalt 
der  Matrone.    Ein  feiner  Renaissance-Rahmen  mit  zartem  Ornament,  auf  den  vier 
Ecken  mit  Wappen  belegt  und  von  rundem  Muschelgiebel  bekrönt,  umschliesst  das  ganze. 

Ebenbürtig  an  künstlerischem  Werth  steht  diesem  Bildwerk  der  deutschen 
Renaissance  das  auf  der  Südwand  angebrachte  Epitaph  gegenüber,  ein  Meisterwerk 
der  Barockkunst  aus  schwarzem  und  weissem  Marmor.    Seine  Inschrift  lautet : 

ftic  quiescit  Philippus  erunnus  de  Srtjoenbom/  Johannis  Pbilippi  flrdnepiscopi 
et  Clectoris  moguntini  frater-  Dir  fuit  in  Religione  ortpodof a  pius/  in  Confiliis 
prudens/  et  manu  ftrenuus-  In  cujus  memoriam  Conjunf  et  Liberi  fuperstites 


Fig.  60. 

Geisenheim.   Pfarrkirche.  Chor-Durchschnitt. 


GEISENHEIM.    PFARRKIRCHE,  KUNSTWERKE. 


77 


tjoc  monumentum  moefti  posuerunt/  muit  annos  lxiii  mortuus  eft  guarto  no- 
uembris  Ann  mdclxviii  (1668). 

In  einer  ernsten  und  schön  abgewogenen  Spätrenaissance-Umrahmung  ist  in 
Hochrelief  der  Verstorbene  in  Kriegsrüstung  vor  Christus  knieend  dargestellt,  dem 
sich  Maria  fürbittend  naht.  Hinter  dem  Ritter,  ihn  mit  der  Linken  leise  berührend, 
erscheint  das  Bild  der  Gattin  in  Wittwentracht ;  eine  nackte  Putte  im  Vordergrund, 
hinter  der  eine  Kanone  auf  den  kriegerischen  Stand  des  Verewigten  deutet,  hält  das 
Schlachtschwert  desselben.  In  den  gehaltenen,  ausdrucksvollen  Bewegungen  und  den 
fein  individualisirten  Köpfen  lebt  eine  Meisterschaft,  die  dies  Bildwerk  den  besten 
Epitaphien  des  Mainzer  Doms  gleichstellt. 

Einen  weiteren  Kunstschatz  enthält  die  Geisenheimer  Pfarrkirche  in  einem  im 
südlichen  Seitenschiff  hängenden  Tafelgemälde,  welches  den  Namenszug  des 
Bernhard  vonOrley  mit  der  Jahreszahl  1561  trägt.  Es  ist  1,58  m  hoch  und  1,15  m 
breit.  In  triptychonartiger  Weise  angeordnet  wird  es  durch  einen  gezahnten  Flach- 
bogen ,  dessen  Zwickel  mit  spätgothischem ,  in  Goldgrund  gravirtem  Ornament  ge- 
schmückt sind,  zusammengehalten.  Durch  die  zwei,  die  Dreitheilung  bewirkenden 
Pfeiler  sieht  man  in  das  Innere  einer  spätgothischen  Kirchenhalle  mit  rundbogigen  "Wöl- 
bungen. Im  Mittelbild,  dessen  oberen  Theil  das  von  Engeln  getragene  Veronika-Tuch 
einnimmt,  erhebt  sich  ein  von  musizirenden  Engeln  umgebener  Thron.  Auf  diesem 
sitzt  unter  dem  Symbol  des  heil.  Geistes  Maria,  eine  Nelke  in  der  rechten  Hand  und 
das  aufgeschlagene  Evangelienbuch  auf  den  Knieen  und  wendet  sich  zur  Linken,  wo 
eine,  soeben  von  einem  Faltstuhl  aufgestandene  Heilige,  (St.  Anna?)  ihr  das  Jesuskind 
entgegenhält.  Das  linke  Feld  zeigt  die  heilige  Helena  mit  dem  Kreuz  Christi  und 
zwei  Nägeln  und  die  heil.  Justina ;  im  rechten  Flügel  ist  die  Anbetung  der  Könige 
dargestellt,  über  welchen  an  der  von  einer  rundbogigen  Renaissance- Architektur  ge- 
theilten  Wand  ein  Engelchor  als  Wandgemälde  erscheint.  Das  Bild  ist  von  sehr 
guter  Erhaltung  und  ausserordentlicher  Schönheit  und  Leuchtkraft  der  Farben. 

Ein  aussergewöhnlich  schön  profilirter  W  e i h  w  as s  er k  ess el  in  Rothguss  mit 
fein  ornamentirtem  Henkel,  welcher  in  der  Kirche  hängt  und  auf  der  oberen 
Rundung  des  Bauches  die  Inschrift  trägt :  ITlarCUS  ÖOrtUiail  UtlÜ  Idannaljan  U0tl  ITlOCrS 
fein  hausfrau^  weist  nebst  zwei  schönen  ebenfalls  in  Rothguss  ausgeführten  Leuchtern 
in  Kandelaberform  auf  dreieckigem  Fuss  vielleicht  auf  eine  gleiche  Stiftung  mit  dem 
Gemälde  des  niederländischen  Meisters  hin. 

An  sonstigen  Kunstwerken  der  Kirche  ist  noch  ein  spätgothischer,  in  Holz  ge- 
schnitzter und  bemalter  Seitenaltar  im  südlichen  Seitenschiff  zu  erwähnen, welcher  unter 
einem  reich  durchbrochenen  dreitheiligen  Spitzbogenbaldachin  die  Anbetung  der  Könige 
zeigt.  Die  Krönung  bildet  eine  reiche  Gruppe  von  drei  off  enen  Baldachinen  mit  heiligen 
Figuren  ;  die  Verschlussflügel  sind  mit  Heiligenbildern  auf  Goldgrund  bemalt.  Der 
Altar  stammt  aus  Süddeutschland  und  ist  bei  der  Restauration  vonl840  aufgestellt  worden. 

Neben  diesem  Altar  steht  eine  schöne  Lichterbank  aus  Schmiedeeisen,  der 
deutschen  Frührenaissance  angehörig.  Zwischen  die  zwei,  aus  gewundenen  Stäben  be- 
stehenden Ständer  spannt  sich  ein  Gitter  in  reicher  durchlochter  Rundeisen-Arbeit ; 


TS 


GEISENHEIM.    PFARRKIRCHE,  KUNSTWERKE. 


das  Mittelfeld  enthielt  eine  auf  Blech  gemalte  Maria  in  der  Strahlenglorie,  links  und 
rechts  die  heiligen  Monogramme.  Ueber  dem  Gitter,  auf  dem  oberen  Schenkel  des 
Rahmens  erheben  sich  sieben  Lichthalter  mit  breiten  Tellern,  denen  in  der  Höhe  des 
Rahmens  beiderseitig  je  8  kleinere  Lichtarme  entsprechen. 


Von  den  Glocken  der  Kirche  berichtet  Zaun  (S.  243/44),  dass  die  grösste  die 
Jahreszahl  1401,  die  zweite  die  Inschrift  trägt: 

Sanctus  Johannes-  lucas-  marciis-  Iltatbeus 
martinus  beiß  id) 
2u  der  ehren  Gottes  läute  id) 
Die  lebendigen  berufe  id) 
Die  Codten  beclage  id) 
ITJolff  heinridj  uon  ßreitbad) 
Oicedomb  in  Kindjauj  mi- 

Die  dritte  Glocke  hat  die  Umschrift : 

tainrid)  müller  uon  franhfurt 
der  goß  mich  anno  domini  mcccclxxxiiii  (1484)  }■  ft.  S- 
mara  benedicta  beiße  idj- 

Gering  ist  der  Besitz  der  Geisenheimer  Kirche  an  heiligen  Gefässen;  das  Meiste 
scheint  den  wiederholten  Plünderungen  zum  Opfer  gefallen  zu  sein.  Aus  dem  18.  Jahr- 
hundert ist  zu  erwähnen :  ein  silbervergoldetes  Ostensorium  in  Sonnenform  (mit  Kreuz- 
partikel und  Autentik)  40  cm  hoch,  22  cm  breit.  Der  glockenförmige  viertheilige  Fuss 
mit  getriebenem  Rococco-Ornament ;  um  die  Reliquie  ein  Kranz  von  grünemaillirten 
Blättchen  mit  Almandinen  und  kleinen  Diamanten,  laut  Inschrift  Stiftung  der  Gräfin 


Fig.  63a.  Geisenheim. 


Pfarrkirche. 


Gemälde  des  Bernhard  von  Orley. 


GEISENHEIM.    FRÜHERES  RATHAUS. 


7Q 


Clara  Elisabetha  von  Ostein  geb.  Gräfin  von  Eltz-Kempenig,  Anno  1752.  Der  Familie 
von  Ostein  verdankt  die  Kirche  auch  die  übrigen  Altargefässe,  u.  A.  eine  Platte  mit 
Messkännchen  und  ein  Räuchergefäss  in  Weisssilber,  welche  in  ihren  schlichten  Louis- 
seize-Formen  dem  Ende  des  18.  Jahrhunderts  angehören. 

Unter  den  übrigens  werthlosen  Paramenten  ist  ein  auf  ein  schwarzes  Messgewand 
aufgesticktes  Kreuz  mit  Passionsscenen,  gute  Arbeit  des  14.  Jahrhunderts,  zu  erwähnen. 

Das  alte  Rathaus  von  Geisenheim,  welches  1852  abgebrochen  wurde  (s.  Fig.  58), 
muss  ein  stattlicher  und  malerischer  Holzbau  auf  massivem  Erdgeschoss  gewesen  sein, 
das  Riegelwerk  in  der  bekannten  Weise  mit  Nasen  verziert.  Interessant  war  in  dem- 
selben ein  in  einer  Aquarellkopie  (im  Besitz  des  Wiesbadener  Alterthumsvereins) 
erhaltenes  Frescobild,  welches  eine  Meineidige  vor  Gericht  darstellte.  Erkennbar  sind 
7  Köpfe  und  Halbfiguren,  alle  mit  Schriftbändern,  die  vom  Munde  ausgehn.  Von 
rechts  beginnend,  erkennt  man  zunächst  eine  Frau  in  gelbgrünem  Gewand  auf  ein 
rothes  Buch  schwörend, 
das  ihr  ein  Beamter  in 

weissem  Gewand  mit 
schwarzem  Kragen  und 
schwarzer  Schapel  vor- 
hält. Hinter  ihm  der 
Richter  mit  Stab,  rothem 
Gewand  und  Hut  auf 
einem  Sessel  unter  ge- 
schweiftem Baldachin 
sitzend.  In  der  Luft  er- 
scheint der  bärtige  Kopf 
des  Moses  mit  den  Ge- 
setztafeln ,  auf  welche 
er  mit  der  rechten  Hand 
weist.  Die  Frau  wird  von 
einem  aus  Flammen  be- 
stehenden Teufel  an  Kopt 
und  Armen  gefasst.  Aus 
ihrem  Munde  springt  ein 
kleines  Teufelchen,  wäh- 
rend sie  laut  dem  Spruch- 
band die  Worte  spricht: 

Ja  id)  unl  daruor  finera  daß  id)  nun  moege  erlern 

Teufel :  Darnach,  daß  du  unredjt  Jjaft  gefiuorn  des  l)ilf  

Beamter :  de  tru  uit  bred)  daß  es  got  nit  an  dir  red)- 
Richter:  uon  •  •  •  el  •  •  •  ife  •  fo  •  fp  •  fo  •  unrdeftu  der  anfprad)  frp- 
Moses :  •  •  •  tcp  did)  •  daß  •  du  •  falt  •  nit  •  fals  •  bp  •  got  •  ftuern- 


Fig.  65.    Gciseiilicim.   Sc/wnborner  Ho/. 


80 


GEISENHEIM.    SCHÖNBORNER  HOF. 


Auf  der  linken  Seite  ist  eine  Frau  in  rothem  Unterkleid,  grünem  Mantel  und  weissem 
Kopf-  und  Kinntuch  mit  vorgestreckten  Händen  der  anderen  Gruppe  zugewendet : 

nem  •  •  •  e  •  min  •  nodt)  •  dra  •  •  dass  •  •  •  muß  •  geben  •  •  • 

Aehnlicher  Frauenkopf  mit  der  Legende : 

laß  •  fru  •  gemern  •  id)  •  roü  •  m  •  •  •  dem  ten  •  oerbern- 

Daneben  ist  in  Kontur  ein  unter  einem  Schwert  geneigter  Frauenkopf  mit  der  Schrift: 

•  •  •  idt)  ni  •  •  •  fi  •  •  ret  ♦  •  •  on  •  geretbt  •  •  •  fo  •  rieht- 

Unter  den  noch  bestehenden  Profanbauten 


Fig.  66.    Geisenheim.   Schönborner  Hof.  Fig.  67. 

Täfelung  im  Erdgeschoss.  Geisenheim.   Schönborner  Hof.  Thür. 

dings  wesentlich  kleineren)  Stockheimer  Hof  in  Eltville.  Dies,  sowie  das  mehrfach 
an  ihm  vorkommende  Stockheim'sche  Wappen  lassen  den  Schluss  zu,  dass  das  statt- 
liche spätgothische  Gebäude  von  dieser  Familie  erbaut  und  von  ihr  in  Schönborn- 
schen  Besitz  übergegangen  sei,  in  dem  es  sich  noch  1861  befand.   Jetzt  gehört  es  der 


GEISENHEIM.    SCHÖNBORNER  HOF. 


81 


Familie  Höhl  und  ist  durch  den  Frankfurter  Architekten  H.  Th.  Schmidt  in  stiltreuer 
Weise  hergestellt  worden. 

Dem  massiven,  dreistöckigen  Hause  ist 
in  der  Mitte  der  Südseite  ein  achteckiger, 
innen  runder  Treppenthurm,  am  Ostende 
ein  dreigeschossiger  Erker  mit  zwei  Ober- 
geschossen in  Holzbau  vorgelegt ;  die  vier 
Ecken  sind  mit  massiven,  auf  rundbogig 
überdeckten  Konsolen  vorgekragten  Eck- 
thürmchen  besetzt,  die  rund  beginnend  in 
der  Balkenhöhe  ins  Achteck  übergehen. 
Die  Fenster,  meist  gekuppelt,  haben 
steinerne,  hohlgefaste  Gewände.  Von 
malerischer  Wirkung  sind  die  schwach 
gebrochenen  Ecken  der  steilen  östlichen 
und  westlichen  Dachwalme.  Das  Innere 
birgt  einen  ausserordentlichen  Reichthum 
an  schönen  Holzarbeiten  in  Täfelungen 
und  Thüren,  zum  Theil  mit  prächtigen 
Schnitzereien  verziert;  dieselben  tragen 
die  Jahreszahl  1683. 

Ein  ebenfalls  Schönborn'scher  Besitz 
ist  der  im  Nordosten  des  Ortes  stehende 
„B  i  e  r  h  o  f,"  ein  zwar  schmuckloses,  aber 
den  Stil  des  16.  Jahrhunderts  deutlich 
verrathendes  massives  Gebäude,  dessen  io 
steinerne  -  Fensterstöcke  Kehlfasen  mit 
schmucklosem  Ablauf  haben.  Auch  die 
mit  schlichten  architektonischen  Um- 
rahmungen aus  der  Zeit  versehenen 
inneren  Thüren  sind  erhalten. 

Unweit  vom  Bierhof  bemerkt  man  in 
dem  östlichen  und  westlichen  Giebel  eines 
Privathauses  jetzt  vermauerte  kleine,rund- 
bogig  geschlossene  Doppelfenster, 
welche  durch  niedrige,  schlichtest-roma- 

nische  Säulchen  mit  Würfelkapitäl,  dop-  

peltem  Halsgurt  und  Wulstbasis  getheilt 
werden,  mit  übergelegten  Konsolsteinen, 
sehr  ähnlich  denen  an  dem  Vierungsthurm  zu  Mittelheim  und  wohl  ebenfalls  aus  dem 
Beginn  des  12.  Jahrhunderts  stammend.  Andere  romanische  Reste  sind  an  dem  ganz 
erneuerten  Hause  nicht  erhalten.  Bemerkenswerth  ist  ein  neben  demselben  stehendes 

6 


Fig.  68. 


Geisenheim.  Schönborner  Hof. 
Thür  im  Erdgeschoss. 


82 


GEISENHEIM. 


Fachwerkhaus,  welches  neben  sehr  schöner  ausgeschnittener  Verriegelung  und 
Kopf  bändern  auf  dem  Dachstirnbrett  eine  schablonirte  Bemalung  gothischen  Charakters 
und  die  Jahreszahl  1588  nebst  Haumarke  trägt. 

Von  den  Ansitzen  der  übrigen 
in  Geisenheim  begüterten  Adelsge- 
schlechtern ist  das  von  Zwierlein- 
sche  Haus  ein  schlichter  Massivbau, 
zweistöckig  mit  Ecklisenen,  ohne 
künstlerische  Bedeutung.  Auch  das 
gräflich  Ingelheim'sche  Haus,  in 
einem  prächtigen  Garten  gelegen,  ist 
ein  schlichter  Spätrenaissancebau  in 
zwei  massiven  Stockwerken  mit  zier- 
lich gequaderten  Ecken,  die  Fenster- 
stöcke mit  profilirten,  in  eine  Schrä- 
gung ablaufenden  Fasen.  Architek- 
tonisch hervorgehoben  ist  die  aller- 
dings stark  restaurirte,  auf  toska- 
Fig.69.  Geisenheim.  Roman.  Fenster.  nischen  Säulen  mit  Korbbogen  ruhende 

gewölbte  Vorhalle  des  Mitteleingangs,  über  der 
sich  ein  mit  Eckpilastern,  einem  mit  der  Jahres- 
zahl 1681  bezeichneten  schönen  Wappen  und 
Sonnenuhr  versehener  Aufbau  erhebt ,  der  von 
einem  stark  verschnörkelten  Spätrenaissance- 
Giebel  überragt  wird. 


Fig.  70.  Geisenheim. 
Portalbau  am  Ingelheimer  Hof. 


Fig.  71.    Geisenheim.   Altes  Fachwerkhaus. 


Fig.  72.  Johannisberg  nach  Meissner  1638. 


JOHANNISBERG. 


er  stolze  Bergkopf,  der  sich  5  km  östlich  von  Rüdesheim  nach  dem  Dorfe 
Winkel  zu  gegen  den  Rhein  vorschiebt  und  den  ganzen  Gau  beherrscht,  wie 
er  selbst  auch  von  fast  allen  Orten  des  unteren  Rheingaus  gesehen  werden 
i  kann,  scheint  durch  seine  Lage  wie  für  ein  Kloster  des  stolzen  Benediktiner- 


ordens bestimmt.  Von  alters  her  im  Besitz  des  Mainzer  Stuhles  (woher  sein  ursprüng- 
licher Name  Bischofsberg  abzuleiten  ist),  wurde  er  1090  oder  1091  vom  Erzbischof  Ruthard 
(1088—1109)  dem  St.  Albanskloster  zu  Mainz  übergeben  (Sauer  136),  um  auf  demselben 
ein  Benediktinerkloster  zu  errichten.  Ruthard  selbst  konnte  in  der  noch  nicht  vollendeten 
Kirche  einen  Altar  zu  Ehren  des  heil.  Nikolaus  weihen.  Dem  Hauptaltar  des  heil. 
Johannes  schenkten  später  der  Rheingraf  Richolf  und  seine  Gemahlin  Dankmut  sowie 
deren  Sohn  Ludwig  einen  grossen  Theil  ihrer  Besitzungen.  Mit  dem  Eintritt  dieses 
Sohnes  Ludwig  und  seiner  Schwester  Werntrud  in  das  Kloster  erlosch  der  Stamm 
der  Rheingrafen.  Durch  diese  und  andere  Schenkungen  erstarkte  das  bis  dahin  als 
Probstei  von  St.  Alban  verwaltete  Kloster,  dem  Kaiser  Heinrich  V.  1109  seine  Im- 
munität bestätigt  hatte  (Sauer  162)  derart,  dass  Erzbischof  Adalbert  I.  von  Mainz 
1130  dasselbe  zu  einer  selbständigen  Abtei  erhob,  wofür  er  das  Albansstift  durch 
Schenkungen  in  Lorch  und  anderwärts  entschädigte.  Hierdurch  wurden  auch  die  in- 
zwischen um  das  Kloster  zahlreich  angesiedelten  Kolonen,  welche  den  Stamm  des 
Dorfes  Johannisberg  bildeten,  dem  Vogteirecht  des  Abtes  unterstellt. 

In  der  Folge  wurden  die  weiblichen  Insassen  des  Klosters,  welches,  wie  die 
meisten  rheingauischen  Klöster  des  12.  Jahrhunderts ,  ursprünglich  für  Mönche  und 
Nonnen  bestimmt  war,  von  den  Brüdern  getrennt  und  in  der  am  Fuss  des  Berges 
gegründeten  St.  Georgen-Klause  angesiedelt. 

Das  ganze  13.  Jahrhundert  hindurch  hatte  sich  Kloster  Johannisberg  grosser 
Blüte  zu  erfreuen :  wir  erfahren  von  zahlreichen  Schenkungen  und  Ankäufen,  durch 
welche  sich  sein  Grundbesitz  ansehnlich  vergrössert;  im  Jahr  1140  nimmt  König 
Conrad  III.  dasselbe  in  seinen  besonderen  Schutz ;  1218  bestätigt  Erzbischof  Siegfrid  II. 

6* 


84 


JOHANNISBERG.  GESCHICHTE. 


das  ihm  von  Rheingraf  Wolfram  geschenkte  Patronatsrecht  über  die  Kirche  in 
Winkel,  und  noch  bis  an's  Ende  des  13.  Jahrhunderts  tritt  das  Kloster  in  verschiedenen 
Urkunden  als  Käufer  benachbarter  Ländereien  auf.  Im  14.  Jahrhundert  jedoch  blieb 
das  Schicksal,  welches  viele  Stiftungen  des  Benediktiner-Ordens  im  späteren  Mittel- 
alter traf,  auch  dem  Kloster  Johannisberg  nicht  erspart.  Während  das  unter  der 
strengeren  Zucht  des  heil.  Bernhard  lebende  Eberbach  grade  um  diese  Zeit  auf  die 
Höhe  seiner  Entwickelung  gelangte,  war  in  Johannisberg  mangelhafte  Disciplin  und 
Verweichlichung  und  damit  Unordnung  und  wirthschaftlicher  Verfall  eingezogen.  In 
einer  Urkunde  des  Erzbischofs  Peter  von  1313  (Sauer  1517)  wird  das  Kloster  bereits 
„niedergedrückt  von  grossen  und  verschiedenen  Schuldenlasten"  genannt.  Auch  ein 
Reliquienfund,  der  1358  in  der  Sakristei  der  Klosterkirche  gemacht  und  von  dem 
Kloster  zur  Auffrischung  seines  Anselms  benutzt  wurde,  brachte  nur  vorübergehende 
Hülfe  und  1383  macht  es  die  finanzielle  Bedrängniss  nöthig,  dass  Erzbischof  Adolf  I. 
die  Verwaltung  des  Klosters  selbst  in  die  Hand  nimmt  und  seinem  Vicedom  Ulrich 
von  Cronberg  überträgt.  Eine  weitere  Massregel  war  die  1452  eingeführte  Bursfelder 
Reformation  durch  Erzbischof  Diether,  der  dabei  das  Kloster  der  Visitatur  und  Cor- 
rektion  des  Jakobsklosters  in  Mainz  unterstellte. 

Den  Todesstoss  gab  dem  Johannisberger  Kloster  der  Bauernaufstand  von  1525. 
Als  dann  noch  im  Jahre  1552  bei  dem  Einfall  des  Markgrafen  Albrecht  von  Branden- 
burg in  den  Rheingau  die  Abtei  eingeäschert  wurde,  verliefen  sich  die  Mönche;  mit 
der  Absetzung  des  letzten  Abtes  1563  hörte  der  Johannisberg  als  Kloster  auf  zu 
existiren.  Die  Güter  blieben  unter  fortwährenden  finanziellen  Nöthen  noch  bis  in  den 
dreissigjährigen  Krieg  unter  der  Verwaltung  des  Mainzer  Stuhles,  der  sie  schliesslich 
1641  an  den  Reichspfennigmeister  Hubert  von  Bleyberg  für  30  000  Gulden  verpfändete. 
Doch  auch  die  Nachkommen  des  neuen  Besitzers  fanden  bei  der  Bewirtschaftung 
ihre  Rechnung  nicht,  und  1716  ging  das  Erzbisthum  Mainz  gern  auf  das  Angebot  des 
Klosters  Fulda  ein,  gegen  Erstattung  des  Pfandschillings  den  Johannisberg  zu  über- 
nehmen. Dieses  Hess  zunächst  die  Klosterkirche  nach  den  Plänen  Johannes  Dientzen- 
höfers  umbauen.  Unter  Fürstabt  Adalbert  von  Walderdorff  wurde  dreissig  Jahre 
später  an  Stelle  des  zerstörten  Klosters  das  jetzige  Schloss  erbaut,  welches  bis  1802 
im  Besitz  von  Fulda  blieb.  Von  diesem  Jahre  bis  1805  kam  es  an  Nassau-Oranien, 
dann  in  den  Besitz  von  Frankreich,  welches  das  Schloss  dem  General  Kellermann 
(Herzog  von  Valmy)  überwies.  Beim  Friedensschluss  1813  wurde  es  vorübergehend 
an  Nassau  zurückgegeben,  schon  1815  jedoch  von  Oesterreich  in  Besitz  genommen, 
welches  dasselbe  im  folgenden  Jahre  dem  Fürsten  Metternich  schenkte.  Im  Besitz 
dieser  Familie  befindet  sich  Kirche  und  Schloss  noch  heute.  Erslere  dient  der  Ge- 
meinde von  Dorf  Johannisberg  als  Pfarrkirche. 

Das  Nonnenkloster  Klaus  Johannisberg  theilte  das  Schicksal  der  Abtei.  Als 
auch  hier  im  15.  Jahrhundert  die  Klosterzucht,  sowie  die  Oekonomie  verfallen  waren, 
ordnete  Erzbischof  Theodorich  eine  Untersuchung  an,  welche  1452  zur  Aufhebung 
des  Klosters  führte.  Die  letzten  Schwestern,  welche  sich  diesem  Beschluss  nicht 
fügen  wollten,  mussten  mit  dem  Kirchenbann  belegt  werden.    Der  Hof,  der  zunächst 


JOHANNISBERG.    KIRCHE,  KLAUSE. 


85 


unter  erzbischöflicher  Verwaltung  stand,  später  in  Gräfl.  Schönborn'schen  Besitz  über- 
ging, in  welchem  er  sich  noch  jetzt  befindet,  diente  nach  Verlassen  der  Lützelaue 
einigemal  zur  Abhaltung  der  Rheingauischen  Gauversammlungen. 

Die  Kirche  zu  Johannisberg  verräth  in  ihrer  jetzigen  Gestalt  wenig  mehr  von 
der  Erscheinung,  welche  sie  zu  Anfang  des  12.  Jahrhunderts  zeigte ;  nur  die  halbrunde 
Hauptapside  hat  die  alte  Form  bewahrt.  Wir  haben  uns  die  Kirche  als  flachgedeckte 
Pfeiler-Basilika  von  sieben  Axen  in  der  Länge,  mit  Querschiff  und  drei  sich  unmittelbar 
an  letzteres  anschliessenden  halbrunden  Apsiden  vorzustellen.  Die  Maasse  waren  (nach 
R.  Görz)  44  m  Länge  von  der  Chornische  bis  an  die  Westmauer  einer  westlich  vor- 
liegenden Vorhalle,  27,3  m  Breite  des  Querschiffs,  17,6  m  Breite  des  Langhauses  zwischen 
den  Aussenwänden,  7,8  m  Breite  im  Mittelschiff,  3,9  m  der  Seitenschiffe.  Die  Pfeiler 
haben  eine  Axenweite  von  3,61  m.  Bei  dem  Umbau  von  Dientzenhöfer  kurz  nach  1716 
wurde  nicht  nur  die  ganze  Innenarchitektur  im  Stil  seiner  Zeit  umgemodelt,  die  Wände 
mit  einer  grossen  Hohlkehle  zur  Decke  übergeleitet,  sondern  auch  der  nördliche  Arm 
zu  einer  Sakristei  umgebaut.  Auch  der  Charakter  dieses  Umbaus  ist  durch  eine  Her- 
stellung im  19.  Jahrhundert  vollständig  verwischt ;  nur  die  prächtige  Marmorkanzel, 
sowie  der  Hochaltar  aus  gleichem  Material,  der  in  eine  die  Chornische  abschliessende 
offene  Säulenhalle  eingebaut  ist,  bewahren  noch  die  Erinnerung  an  den  Bamberger 
Architekten.  Auch  eine  lebensvolle  Statue  des  heil.  Johann  von  Nepomuk  gehört 
wohl  dieser  Zeit  an.    Das  Chorgestühl  inschriftlich  von  1737  ist  ärmlich. 

Auch  das  Schloss  hat  von  dem  Bau  des  Fuldaer  Fürstbischofs  von  der  Mitte 
des  18.  Jahrhunderts  nur  zwei  stattliche  Pavillons  mit  Mansardedach  bewahrt,  welche 
den  Eingang  zu  dem  Schlosshof  flankiren,  der  von  den  zwei  nach  Norden  vorspringenden 
Flügeln  des  hufeisenförmig  angelegten  Schlossbaus  gebildet  wird.  Letzterer  ist  im 
nüchternsten  Stil  aus  dem  Beginn  des  19.  Jahrhunderts  umgebaut  und  in  der  zweiten  Hälfte 
des  Jahrhunderts  durch  einen  französischen  Dekorateur  im  Innern  ausgestattet  worden. 

Auch  von  der  J  o  hannisbergerKlause  scheint  nichts  auf  unsere  Tage  gekommen 
zu  sein.  Der  jetzt  so  genannte  Hof  am  Fusse  des  Johannisberges  ist  ein  lang  gestrecktes  Ge- 
bäude mit  östlich  angebauter  Kapelle,  welche  in  Thür-  und  Fenster- 
gestellen unverkennbar  den  Charakter  des  15.  Jahrhunderts  tragen. 
Es  ist  daher  die  Annahme  naheliegend,  dass  man  es  hierin  nicht 
mit  dem  um  die  Mitte  des  zwölften  Jahrhunderts  gebauten  kleinen 
Kloster,  welches  nach  der  Trennung  der  männlichen  und  weib- 
lichen Konventualen  auf  dem  Johannisberg  die  Nonnen  aufnahm, 
sondern  mit  einem  Oekonomiehof  zu  thun  hat,  den  nach  Aus- 
treibung der  Nonnen  1452  das  Erzstift  zur  besseren  Bewirtschaf- 
tung des  Klostergutes  gebaut  haben  mag.  Erwähnt  mag  noch 
werden,  dass  nach  mündlicher  Mittheilung  man  beim  Ackern 
auf  den  Feldern  südlich  von  der  jetzigen  Klause  nicht  selten 
auf  Baufundamente  stösst.  Die  übrigens  ganz  schmucklose,  ge- 
wölbte Kapelle  hat  auf  ihrem  Dachreiter  eine  hübsche  schmiede- 

Fig.  73.  Klaus  Johannis- 
eiserne  Wetterfahne  mit  dem  heil.  Georg.  berg  Wetterfahne 


86 


Fig.  74.    Kloster  Nothgottes.   Hofansicht  nach  Reiffenstein  183S. 


KLOSTER  NOTHGOTTES. 

[enn  man  den  Lauf  des  Geisenheimer  Baches  von  diesem  Orte  an  drei  einhalb 
Kilometer  thalaufwärts  verfolgt,  so  öffnet  sich  dem  Beschauer  ein  schmales 
Wiesenthal,  von  Waldbergen  eingeschlossen,  in  dem  die  Ruinen  des 
Klosters  Nothgottes  eingebettet  liegen.  Früher  ein  vielbesuchter  Wall- 
fahrtsort, welchem  sich  zahlreiche  Prozessionen  besonders  am  Oster-  und  Pfingst- 
montag und  am  Himmelfahrtstage  aus  Rüdesheim  und  der  Umgegend ,  aber  auch  von 
fernerher,  von  der  Mosel  und  dem  Niederrhein  zuwandten,  fristet  die  Kirche,  theilweise 
in  Ruinen,  als  Kornscheuer  ein  würdeloses  Dasein,  während  die  Klostergebäude ,  der 
Familie  von  Zwierlein  gehörend,  als  Oekonomiegut  dienen. 

Die  im  Dunkel  der  Sage  verschwimmende  Gründungsgeschichte  des  Klosters 
knüpft  sich  an  die  Familie  der  Brömser  von  Rüdesheim.  Einer  derselben,  Johannes,  so 
erzählt  die  Sage,  der  auf  einem  Kreuzzuge  begriffen  in  die  Kämpfe  der  spanischen  Könige 
gegen  die  Mauren  verwickelt  wurde,  gerieth  in  die  Gefangenschaft  der  letzteren,  aus 
der  er  auf  wunderbare  Weise  befreit  wurde.  In  seine  Heimath  zurückgekehrt,  erfüllte  er 
das  Gelübde,  dem  er  seine  Befreiung  verdankte,  nur  zur  Hälfte  durch  den  Bau  der  Kirche 
zu  Rüdesheim  (S.  Seite  16) ;  an  der  Erfüllung  des  weiteren  Versprechens  wurde 
er  durch  einen  wunderbaren  Vorgang  gemahnt.  Ein  Stier,  den  sein  Knecht  im  „Hau- 
wald" weidete,  grub  mit  den  Hörnern  am  Fuss  einer  Eiche  ein  handgrosses  Bildwerk 
des  am  Oelberg  betenden  Christus  aus,  welches  der  Knecht  den  Kindern  seines  Herrn 


KLOSTER  NOTHGOTTES. 


87 


zum  Spielen  übergab.  Am  folgenden  Tage  wiederholte  sich  der  gleiche  Vorgang, 
wobei  sich  gleichzeitig  eine  mahnende  Stimme  vernehmen  liess,  die  mehrmals  die  Worte 
„Noth  Gottes"  rief.  Hierdurch  an  sein  Gelübde  gemahnt,  erbaute  der  Ritter  an  der 
Stelle  der  Auffindung  des  Bildes  eine  Kapelle  zur  Noth  Gottes  (Domini  agonizantis). 
Geschichtlich  feststehend  erscheint  dem  gegenüber  die  Ueberlieferung,  dass  die  Kirche 
zu  Nothgottes  1390  vom  Mainzer  Weihbischof  Hermann  von  Scopia  geweiht  worden  ist. 
Ob  es  sich  hierbei  um  eine  Neugründung  handelte,  oder  ob  an  derselben  Stelle  schon 
eine  frühere  Kapelle  gestanden  hat,  ist  unerweisbar.  Im  Jahre  1621  wurde  bei  dieser 
Kirche  durch  den  damaligen  Vizedom  des  Rheingaus,  Johann  Richard  Brömser,  ein 
Kapuzinerkloster  gegründet.  In  einer  Schenkungsurkunde ,  welche  abschriftlich  sich 
im  Rüdesheimer  Pfarrarchiv  befindet  und  die  von  dem  Brömserschen  Landhaus  zu 
Plixholz  (jetzt  eine  Ruine,  die  eine  viertel  Stunde  nordöstlich  oberhalb  des  Klosters 
liegt)  datirt  ist,  überweist  er  den  genannten  Ordensgeistlichen  die  Kirche  und  beginnt 
im  darauffolgenden  Jahre  den  Bau  der  Konventsgebäude  und  „des  Chors  "  Dass 
letztere  Angabe  irrthümlich  ist  und  sich  wohl  auf  den  Ausbau  der  Kirche  durch  zwei 
Kreuzflügel  bezieht,  werden  wir  weiter  unten  sehen.  Die  Einsegnung  des  Grundsteins 
vollzog  der  Abt  Leonhard  Klunkard  von  Eberbach ;  die  Vollendung  des  Klosterbaus 
geschah  unter  dem  Sohn  Johann  Richard's,  Heinrich  Brömser,  dessen  Wappen  mit 
der  Aufschrift  H.  B.  V.  D.  (Henricus  Brömser,  Vicedomus)  die  Thüre  des  vorderen 
Klosterflügels  bekrönt.  Die  ebendaselbst  angebrachte  Zahl  1604  lässt  sich  ebensowenig 
wie  die  am  Westgiebel  der  Kirche  eingemeisselte  Zahl  1620  mit  den  obigen  Daten 
vereinigen  und  ist  vielleicht  als  ein  später  auf  ungenauer  geschichtlicher  Ueberlieferung 
beruhender  Zusatz  aufzufassen. 

Unter  dem  Patronat  der  Familie  Brömser,  welche  auch  die  Orgel  stiftete  und 
für  den  geistlichen  Gesang  an  den  Wallfahrtstagen  durch  Dotirung  des  Rüdesheimer 
Organisten  sorgte,  gedieh  das  kleine  Kloster  und  leistete  namentlich  im  Pestjahr  1666 
vielfache  wirksame  Hülfe. 

Im  Jahre  1813  traf,  wie  die  übrigen  rheinischen  Klöster,  so  auch  das  Kapuziner- 
kloster Nothgottes  das  Loos  der  Aufhebung ;  die  Exsekration  wurde,  nachdem  dasselbe 
durch  den  Freiherrn  von  Zwierlein  angekauft  worden  war ,  durch  den  Rüdesheimer 
Pfarrer  Benzing  vollzogen.  Das  Gnadenbild,  dessen  wunderbare  Auffindung  Anlass 
zur  Gründung  der  Kirche  gegeben  hatte,  kam  in  die  Pfarrkirche  zu  Rüdesheim,  wo 
es  noch  heute  auf  dem  Martinus-Altar  (im  nördl.  Seitenschiff)  aufgestellt  ist. 

Die  Kirche  ist  ein  ziemlich  schmuckloser  Bau  aus  Schieferbruchsteinen ,  drei- 
schiffig  mit  niedrigen  Seitenschiffen.  Das  Mittelschiff  misst  bei  20,60  m  Länge  bis  in 
das  aus  fünf  Achteckseiten  gebildete  Chorhaupt,  5,65  m  Breite,  die  Seitenschiffe  2,40  m. 
Die  Gewölbe  werden  durch  vier  Pfeiler  von  quadratischem  Querschnitt  ohne  Gesimse 
getragen.  Im  Mittelschiff  sind  sie  eingestürzt,  diejenigen  der  Seitenschiffe  zeigen  ein- 
fach gekehlte  Rippen  und  verzierte  Schlusssteine  und  setzen  auf  Kragsteinen  auf,  die 
mit  krausem  Laubwerk  geschmückt  sind.  Nur  der  Chor  hat  Strebepfeiler.  Ein  Fenster 
im  Schildbogen  der  Westfront,  sowie  die  im  Chor  und  in  den  anstossenden  Gewölb- 
feldern erhaltenen  Fenster  haben  gothisches  Masswerk  von  einfacher  Zeichnung :  auf 


88 


KLOSTER  NOTHGOTTES. 


Ü^bcr  fl  ift  eine 
€m|iorbüfjne- 


Fig.  75.   Nothgottes.    Gruiidriss  der  Klosterkirche. 

Bei  der  Gründung  des  Klosters  1621  wurde  die 
Kirche  durch  zwei  Kreuzflügel  erweitert,  welche  an 
die  mit  einem  Rundbogen  mit  geputztem  Profil  durch- 
brochene Aussenmauer  des  Mitteljochs  der  Seiten- 
schiffe angebaut  wurden.  Diese  Flügel  sind  mit 
rippenlosen  Kreuzgewölben  überdeckt  und  haben 
rundbogig  geschlossene  Oberfenster ;  sie  endigen 
in  drei  Achteckseiten  und  haben  9  m  Länge  bei 
5,45  m  Breite.  Das  an  Stelle  des  ursprünglichen 
Westportals  ausgebrochene  rundbogige  Scheunen- 
thor trägt  im  Schlussstein  die  Zahlen  1620—1813. 
Da  beide  gleiche  Zahlenform  zeigen,  so  dürfte  die 
Annahme  berechtigt  sein,  dass  sie  beide,  ebenso  wie 
die  oben  erwähnte  Zahl  1604  am  südlichen  Kloster- 
flügel von  der  Zwierleinschen  Besitzergreifung 
stammen.  Ein  ziemlich  rohes  Sandsteinrelief  im 
Spitzbogen ,  Christus  betend  am  Oelberg  mit  der 
aus  den  Wolken  segnend  herabweisenden  Hand 
Gottes ,  welches  in  der  Westmauer  des  südlichen 
Kreuzflügels  aussen  eingemauert  ist,  scheint  das 
Tympanon  der  ursprünglichen  Westthüre  zu  sein. 

Das  noch  vollständig,  wenn  auch  in  äusserster  Ver- 
wahrlosung erhaltene  Klostergebäude  ist  ein  beinahe 
dürftiger  Nutzbau,  theilweise  in  Holzbau  mit  Lehm- 


zwei nasenbesetzten  Spitz- 
bogen liegen  Ringe  mit  Drei- 
und  Vierpässen.  Im  west- 
lichen Joch  des  südlichen 
Seitenschiffs  ist  eine  spitz- 
bogig  überwölbte  Empore 
erhalten,  deren  Brüstungsge- 
länder in  Fischblasenmass- 
werk gestaltet  ist.  Im  gegen- 
überliegenden Feld  ist  die 

Empore  abgebrochen. 
Sämmtliche  F"ormen  des  be- 
schriebenen Baues ,  ein- 
schliesslich des  Chors,  weisen 
auf  die  Entstehungszeit  der 
Kirche  1390. 


Fig.  76.    Nothgottes.    Offene  Halle. 


KLOSTER  MARIENTHAL. 


89 


wänden  ausgeführt.  Interessant  sind  die  minimalen  Abmessungen  des  an  den  Kirchenchor 
anstossenden  Wohnflügels :  der  Mittelgang  zwischen  den  Zellen  misst  1,53  m  Breite, 
die  Zellen  haben  2,20  m  im  Geviert.  Entbehrt  der  Bau  auch  jeder  Kunstform,  so  ge- 
währt er  mit  der  zufälligen  Verschneidung  der  Dächer  doch,  zumal  im  jetzigen  Zu- 
stand des  Verfalls,  ein  sehr  malerisches  Bild,  von  welchem  eine  im  Jahr  1838  auf- 
genommene Skizze  von  Reiffenstein  eine  Vorstellung  gibt.  Man  sieht  auf  derselben 
auch  den  noch  erhaltenen,  aus  dem  Sechseck  konstruirten  schieferbekleideten  Dach- 
reiter über  der  Kreuzung  und  das  viereckige  Glockenthürmchen  über  dem  Kloster- 
gebäude. An  die  Zeit  der  grossen  Wallfahrten  nach  Nothgottes  erinnert  eine  offene 
Halle  von  4,50  m  im  Geviert,  die  noch  vor  der  Westfront  der  Kirche,  jenseits  des 
hier  angebrachten  Einfahrtsthors  steht.  Sie  ist  mit  Schiefer  gedeckt,  die  Pfosten  und 
das  Gebälk  aus  Eichenholz  reich  gekehlt  und  mit  einfacher  Schnitzerei  verziert.  Die 
Kapitale  der  hermenartig  gestalteten  Pfosten  tragen  die  Jahreszahl  1704. 

KLOSTER  MARIENTHAL. 

In  dem  tief  eingeschnittenen  Waldthal  des  Klingelbachs,  3,5  km  nördlich  von 
Geisenheim,  liegt  das  Kloster  Marienthal,  jetzt  wieder  ein  vielbesuchter  Wallfahrtsort, 
nachdem  die  völlig  zerstörte  Kirche  1857  und  1858  wieder  hergestellt  und  um  eine 
Kapelle  an  der  Südseite  bereichert  worden. 

Die  Kirche  führt  ihre  Entstehung  auf  einen  wunderthätigen  Bildstock  im  Thal 
des  Klingelbachs  zurück,  den  Junker  Hans  Schaffrait  von  Oppelsheim  als  Herr  des 
Ortes  1313  mit  einer  Kapelle  umgeben  liess,  die  dreizehn  Jahre  später  zu  einer  Kirche 
ausgebaut  wurde.  Diese  wurde  1330  von  dem  Mainzer  Stiftsverweser  Balduin  geweiht; 
sie  hatte  vier  Priester  und  einen  Probst  und  erfreute  sich  bald  verschiedener  Dotationen, 
sowie  eines  1361  von  Konrad  von  Geisenheim  erwirkten  päpstlichen  Ablasses. 

Im  Jahre  1463  haben  dann  mit  Konsens  des  Erzstiftes  die  Junker  Ulrich,  Diether 
und  Reynfridt  von  Rüdesheim  als  Lehnsherren  von  ,Mergendale'  die  vier  Priester  ab- 
geschafft und  das  Patronatsrecht  mit  dem  Glockenamt,  sammt  allen  Renten,  Gülten 
und  Einkommen  den  Fraterherrn,  sive  Canonicis  de  communi  vita,  die  aus  der  Gesell- 
schaft der  Brüder  zum  Weidenbach  in  Cöln  dahin  berufen  waren,  übergeben. 

Diese  Frater-  oder  Gogelherren,  eine  halbgeistliche  Brüderschaft,  die  von  Gerhart 
Groot  in  Utrecht  gestiftet  war,  hatte  sich  im  späten  Mittelalter  über  den  Niederrhein 
und  Westfalen  stark  verbreitet  und  1439  vom  Papst  Eugen  IV.  ihre  Bestätigung  als 
Kongregation  erhalten.  In  Mitteldeutschland  besassen  sie  ausser  in  Marienthal  Häuser 
in  Butzbach,  Königstein  und  Herrenberg.  Ihre  Hauptbeschäftigung  bestand  in  der  Pflege 
der  Buchkunst.  Als  Buchschreiber  und  Buchbinder  haben  sie  zu  Ausgang  des  Mittel- 
alters eine  reiche  Thätigkeit  entwickelt.  Als  nach  1462  von  Mainz  aus  die  neue  Kunst 
des  Buchdrucks  mit  beweglichen  Typen  sich  verbreitete,  waren  die  Gogelherren  von 
Marienthal  unter  den  ersten,  sich  durch  Anlage  einer  Druckerei  die  neue  Erfindung 
zu  Nutze  zu  machen.    Leider  folgte  auf  eine  kurze  Zeit  gelehrter  Blüte,  deren  sich 


1 


90 


KLOSTER  MARIENTHAL. 


die  Kongregation  zu  erfreuen  hatte,  bald  der  Verfall,  besonders  seitdem  sie  sich  1525 
den  Forderungen  der  rebellischen  Bauern  hatten  unterwerfen  müssen.  Im  Jahre  1540 
trat  an  ihre  Stelle  in  Marienthal  eine  Mission  der  regulirten  Augustiner  Chorherren 
von  Pfaffenschwabenheim,  die  aber  schon  1585  von  Erzbischof  Wolfgang  wegen  schlech- 
ter Führung  beseitigt  wurden.  Von  1612  bis  zu  ihrer  Aufhebung  in  Mainz  1773  hatten 
dann  die  Jesuiten  das  Kloster  in  Besitz ;  im  folgenden  Jahr  wurde  es  an  den  Grafen 
von  Ostein  in  Geisenheim  verkauft,  der  die  Kirche  durch  Abdecken  des  Daches  dem 
Verfall  preisgab.    Das  alte  Fraterhaus  war  schon  1624  abgebrannt. 

Die  Kirche  ist  einschiffig,  vierjochig  mit  achteckigem  Chor  und  Westempore. 
Von  dem  alten  BauJst  das  einzige  als  bemerkenswerth  erhaltene  das  Westportal,  in 
dessen  Tympanum  unter  einem  mit  Krabbenblättern  besetzten  Wimperg  sich  ein  Marien- 
relief befindet,  welches  durch  seine  horizontale  Zweitheilung  und  einen  Fries  von  dicht - 
stehenden  Rosen  an  die  Skulptur  an  dem  alten  Portal  der  Kirche  von  Rüdesheim 
erinnert.  Unten  ist  in  symmetrischer  Anordnung  die  Verkündigung  dargestellt,  mit 
einer  Heiligenfigur  rechts  und  links;  die  Spitze  des  Bogens  wird  von  der  Krönung 
Maria  durch  Christus  zwischen  zwei  knieenden  Engeln  mit  Kerzen  eingenommen. 
Das  reich  profilirte  Gewände  des  Spitzbogens  wird  von  zwei  leeren  Figurennischen 
unterbrochen. 

An  der  Nordseite  der  Kirche  ist  aussen  ein  Krucifixus  mit  Maria  und  Johannes 
in  überlebensgrossen,  derb  und  kraftvoll  gemeisselten  Figuren  aufgestellt,  welches 
früher  der  jetzt  verschwundenen  Nikolauskapelle  in  Geisenheim  angehörte.  Im  Innern 
der  gothische  Grabstein  eines  Ritters,  kunstlos. 


STADT  LORCH. 

RUINE  NOLLING.  LORCHHAUSEN. 


IE  STADT  LORCH  Hegt  in  der  nördlichsten  Ecke  des  Rheingaus,  der 
wenige  Kilometer  unterhalb  derselben  sein  Ende  findet,  da  wo  der  Rhein 
die  Wisper  aufnimmt,  grösstentheils  auf  dem  linken  Ufer  dieses  Baches. 
Sie  breitet  sich  in  einer  langen  Strasse  auf  dem  schmalen  Vorland  aus, 


welches  die  zurücktretenden  Höhen  am  Rhein-  und  Wisperufer  freilassen  und  ersteigt 
noch  in  einzelnen  Strassenzügen  die  im  Winkel  der  beiden  Flussläufe  sich  aufbauenden 
Hügelterrassen.  Die  höchste  derselben  krönt,  stattlich  den  Ort  beherrschend,  die 
Pfarrkirche  St.  Martin.  Auf  dem  rechten  Wisperufer,  das  mit  der  Stadt  durch  eine 
steinerne  Bogenbrücke  verbunden  ist,  hat  noch  ein  kleinerer  Stadttheil,  das  „Kirch- 
spiel," Platz  gefunden,  in  den  engen  Raum  zusammengedrängt,  den  die  vom  415  m 
hohen  Teufelskadrich  steil  abfallenden  Felsen  am  Ufer  des  Rheins  und  der  Wisper  • 
freilassen.  Er  wird  überragt  von  der  auf  halber  Höhe  des  genannten  Berges  kühn 
an  die  Felsen  angeklebten  Burgruine  Nolling. 

Durch  den  Engpass  des  Binger  Lochs  mit  seinen  bis  in  die  Mitte  des  neun- 
zehnten Jahrhunderts  dem  Schiffsverkehr  gefährlichen  Stromschnellen  und  durch  die 
von  der  Höhe  des  Niederwaldes  und  des  Kammerforstes  steil  in  den  Strom  fallenden 
Abhänge  war  Lorch  von  jeher  vom  eigentlichen  Rheingau  abgeschnitten.  Diese 
isolirte  Lage  erklärt  manche  Erscheinung  in  der  Entwickelung  seiner  Geschichte  und 
Ortsverfassung.  So  lange  Schifffahrt  auf  dem  Rhein  betrieben  wurde,  also  wohl  von 
Römerzeiten  an,  mussten  hier  die  schweren,  vom  Niederrhein  kommenden  Schiffe  ihre 
Ladung  in  kleinere  Fahrzeuge  umladen,  denen  die  Durchfahrt  durch  das  Binger  Loch 
möglich  war.  Andrerseits  öffnete  sich  hier  im  Wisperthal  der  bedeutendste  Zugang 
ins  Innere  des  Landes  :  für  die  römischen  Heere  die  nördliche  Strasse  vom  Rhein  zu 
den  Limeskastellen  und  für  die  Händler,  welche  den  Fluss  bei  Hochwasser  unpassirbar 
fanden,  eine  Handelsstrasse,  die  vom  vorderen  Theil  des  Wisperthals  durch  dessen 
Seitenthäler  auf  die  Höhe  des  Gebirges  und  unter  Umgehung  des  vorgeschobenen 
Bergriegels  bei  Rüdesheim  und  Geisenheim  in  den  Rheingau  hinabführte. 


92 


LORCH.  GESCHICHTE. 


Aber  auch  in  politischer  Beziehung  machte  seine  geographische  Lage  Lorch 
zu  einem  vorgeschobenen  Bollwerk  des  Rheingaues  gegen  nordwärts  her  drohende 
Feinde.  Wenn  es  auch  in  frühen  Urkunden  nur  als  Dorf  (villula)  bezeichnet  wird, 
so  war  doch  sowohl  der  Ort  befestigt  und  von  einem  früh  erwähnten  Kastell  überragt 
wie  auch  der  Eingang  des  Wisperthaies  durch  Wehrbauten,  zu  denen  man  die  Burg 
Nolling  wird  rechnen  müssen,  gesichert  war.  Ja  man  kann  das  tief  eingeschnittene 
bis  zur  Kemeler  Hochebene  sich  hinaufziehende  Thal  mit  seinen  steil  abfallenden 
Bergwänden  selbst  als  einen  natürlichen  Vertheidigungsgraben  des  Rheingaus  gegen 
das  Einrich  betrachten,  dem  durch  die  an  besonders  bedrohten  Punkten  errichteten 
Burgbauten  Kammerburg,  Rheinberg,  Lauxburg  und  Gerolstein  noch  besonderer 
Schutz  gegeben  war.  Das  Gebück,  vom  Weissenthurm  herabsteigend,  traf  diese 
Vertheidigungslinie  etwa  in  der  Mitte  ihrer  Längenausdehnung  bei  der  Kammerburg. 
Es  kann  bei  diesen  auf  kriegerische  Abwehr  hindeutenden  natürlichen  Verhältnissen 
nicht  Wunder  nehmen,  wenn  sich  unter  den  Bewohnern  von  Lorch  im  Mittelalter  eine 
ungewöhnlich  grosse  Vertretung  des  Wehrstandes  findet,  und  wenn  die  Bevölkerung 
des  Ortes,  sogar  in  ihrem  weiblichen  Theil,  als  kriegerisch  und  tapfer  geschildert  wird. 

Ob  der  wichtige  Punkt  an  der  Mündung  der  Wisper  schon  zur  Römerzeit 
dauernd  besiedelt  gewesen  ist,  lässt  sich  geschichtlich  nicht  feststellen.  Man  wird  sich 
in  dieser  Frage  mit  der  aus  der  geographischen  Lage  gewonnenen  Wahrscheinlichkeit 
und  mit  den  Spuren  ihrer  Anwesenheit  begnügen  müssen,  welche  die  im  Jahre  1867 
beim  früheren  Gasthof  zum  Schwan  aulgedeckten  Römergräber*)  hinterlassen  haben. 
Die  erste  sichere  Erwähnung  des  Ortes  findet  sich  in  einer  aus  Frankfurt  datirten 
Urkunde  Ludwigs  des  Frommen  vom  17.  Juli  832  (Sauer  55),  in  welcher  dieser  Kaiser 
aus  dem  Reichsfiskus  „im  Rheingau  und  in  dem  Lorecho  genannten  Dorfe  zwölf  Tag- 
werke Ackerland  und  einen  Weinberg  von  zwei  Zulasten  Erträgniss  abzweigt  und 
dem  Kloster  Hasenried  zum  Geschenk  gibt."  Abgesehen  von  dem  Beweis  für  das 
hohe  Alter  der  Ansiedelung  ist  diese  Schenkung  uns  auch  noch  als  Belag  dafür  in- 
teressant, dass  der  Lorcher  Weinbau  der  älteste  im  Rheingau  war,  da  als  der  nächst 
älteste  Weinbau  treibende  Ort  Geisenheim  erst  838  erwähnt  wird.  Für  die  Bedeutung 
des  Ortes  in  dieser  frühen  Zeit  ist  aber  die  Nachricht  von  grösserer  Wichtigkeit,  dass 
die  Karolinger  daselbst  einen  Saal  oder  Oberhof  wie  zu  Frankfurt  besassen,  in  welchem 
die  Fiskalgefälle  eines  grösseren  Bezirks  in  Empfang  genommen  wurden.  Es  liegt 
nicht  ausserhalb  der  geschichtlichen  Möglichkeit,  dass  in  dem  ältesten  Baurest 
von  Lorch  noch  eine  Spur  dieses  Saalhofs  erhalten  ist ,  dessen  Lage  wir  dann  auf 
einer  Felsterrasse  unterhalb  der  Pfarrkirche  zu  suchen  hätten. 

Seit  durch  die  mehrerwähnte  Schenkung  Otto's  II.  an  Erzbischof  Hatto  im 
Jahre  983  der  ganze  Rheingau  in  den  Besitz  des  Erzstiftes  Mainz  kam,  ist  auch  die 
politische  wie  die  kirchliche  Geschichte  von  Lorch  eng  mit  der  des  Erzbisthums  ver- 
knüpft. Es  muss  beim  Fehlen  urkundlicher  Nachrichten  aus  dieser  frühen  Zeit  dahin 
gestellt  bleiben,  ob  damals  schon  das  eigentümliche  Verhältniss  der  Pfarrei  Lorch 


*)  S.  Mitth.  d.  Nass.  Alt.-V.  1867,  5  u   6,  p.  16. 


LORCH.  GESCHICHTE. 


93 


zu  Mainz  begründet  wurde ,  das  vom  späteren  Mittelalter  an  bis  in  das  19.  Jahr- 
hundert bestand.  Der  Mainzer  Domprobst  war  nämlich  der  eigentliche  Pfarrer  von 
Lorch  (Zaun  313)  und  besetzte  die  ihm  unterstellte  Pfründe  meist  mit  einem  Kanonikus 
oder  Vikarius  seines  Stiftes. 

Mehrfache  Brände  und  Verwüstungen,  durch  welche  der  dreissigjährige  Krieg 
die  Stadt  heimsuchte,  und  die  Pest  von  1666,  welche  dieselbe  entvölkerte,  haben  nicht 
nur  die  meisten  Dokumente  über  die  Geschichte  des  Ortes  während  der  früheren 
Jahrhunderte  des  Mittelalters  vernichtet,  sondern  auch  die  Namen  und  Wohnungen 
so  vollständig  verwischt,  dass  wir,  um  uns  ein  Bild  des  Ortes  während  dieser  Zeit  zu 
machen,  auf  die  Angaben  angewiesen  sind,  die  ein  Einwohner  des  Ortes,  der  Rentier 
Keuchen,  mit  grosser  Sorgfalt  aus  den  noch  vorhandenen  Akten  und  Beedbüchern 
ausgezogen  hat. 

Von  einem  „Castellum  in  Villa  Lorecha"  spricht  eine  zwischen  1107  und  1114 
zu  datirende  Urkunde  (Sauer  156),  über  dessen  Lage  nur  Vermuthungen  ausgesprochen 
werden  können.  Nach  der  Lage  des  Ortes  hätte  dasselbe  seinen  natürlichen  Standort 
auf  dem  hinter  der  Kirche  sich  ausbreitenden  Plateau  haben  müssen,  von  wo  aus  das- 
selbe das  Wisper-  und  Rheinthal  gleicherweise  beherrschen  konnte.  Ein  an  dieser 
Stelle  in  einem  steil  aufsteigenden  Weinbergsweg  noch  erkennbarer  Bogenrest  „das 
Burgthor"  genannt,  scheint  die  obige  Annahme  zu  unterstützen.  Von  der  sonstigen 
Befestigung  des  Ortes  zeugt  das  Vorhandensein  von  fünf  Thoren  im  16.  Jahrhundert. 
Erwähnt  wird  sie  im  Jahre  1620;  damals  war  dieselbe  schon  so  zerfallen,  dass  die 
Einwohner  in  einer  Bittschrift  an  den  Mainzer  Kurfürsten  sie  nicht  mehr  erhalten  zu 
können  erklärten. 

Nach  dem  Beedbuche  von  1518  war  Lorch  in  vier  Stadtviertel  getheilt :  1 .  Das 
Obersdorfer  Viertel,  welches ,  bereits  1309  als  Villa  superior  erwähnt ,  vom  oberen 
Anfang  des  Ortes  bis  zum  Frohnhof  reichte,  (an  der  Stelle,  wo  jetzt  der  Gasthof  zum 
Adler  steht).  2.  Das  Frohnhofsviertel,  der  eigentliche  Kern  des  Ortes,  vom  Frohnhof 
bis  zum  Markt  reichend,  umlasste  das  Hospital  (der  Wisperbrücke  gegenüber),  die 
Kirche  und  den  Oberweg.  3  Das  Gassenviertel,  den  Rest  bis  zur  Wisper  und  die 
auf  dem  linken  Wisperufer  hinaufziehenden  Gassen.  4.  Das  Niederbrücker  Viertel, 
den  Theil,  der  jenseits  des  Baches  rheinabwärts  und  das  rechte  Wisperufer  hinauf 
sich  erstreckte. 

Von  den  Heimsuchungen,  welche  Lorch  im  Lauf  des  16.  bis  18.  Jahrhunderts 
erfuhr,  sind  folgende  zu  erwähnen :  Feuersbrünste,  die  1554  und  1612  viele  Häuser  in 
Asche  legten,  pestartige  Epidemien,  denen  1622  und  lb24  viele  hundert  Einwohner 
erlagen ;  endlich  die  von  1666,  die  den  Ort  434,  oder  die  Hälfte  seiner  Einwohner 
kostete.  In  den  Kriegen,  in  welche  das  Mainzer  Erzstift  verwickelt  war,  hatte  Lorch 
durch  Brandschatzung,  Zerstörung  und  Kontributionen  viel  zu  leiden.  So  wurden 
1629  dreissig  Häuser  in  Asche  gelegt,  zwanzig  standen  leer,  sodass  sich  die  Bürger- 
schaft heftig  gegen  die  Kontribution  von  5000  Gulden  wehrte,  welche  der  Erzbischof 
ihr  auferlegt  hatte.  1632  musste  der  Ort  ein  Jahr  lang  jeden  Monat  213  Reichsthaler 
an  die  Schweden  erlegen.    1633  hatte  Lorch  mit  Lorchhausen  und  Presberg  178  Fuder 


^4 


LORCH.  ADEL. 


und  4  Ohm  Wein  herzugeben  und .  eine  Anzahl  Bürger  nach  Mainz  zum  Schanzen 
zu  stellen.  Der  Schaden,  den  der  Ort  in  18  Monaten  von  Beginn  des  Jahres  1632  bis 
Mitte  des  folgenden  Jahres  erlitt,  wird  auf  37872  Gulden  berechnet.  Auch  in  den 
nächsten  Jahren  folgten  Zerstörung  und  Plünderungen  aufeinander,  sodass  von  Ostern 
bis  August  1635  die  gesammte  Bevölkerung  sich  in  den  Schluchten  des  Wisperthaies 
verborgen  hielt. 

Der  Zug  des  Herzogs  von  Longueville  mit  der  französisch-weimarischen  Armee 
gegen  Hessen,  der  zu  Schluss  des  Jahres  1639  über  eine  zwischen  Lorch  und  Lorch- 
hausen geschlagene  Schiffbrücke  das  Wisperthal  hinaufging,  brachte  dem  Ort  wieder 
fast  gänzliche  Zerstörung.  Auf  des  Generals  Befehl  mussten  im  folgenden  Jahr 
die  Lorcher  die  auf  dem  Schloss  Stahleck  zurückgelassene  französische  Besatzung 
verproviantiren  und  in  demselben  Jahre  den  Franzosen  zur  Demolirung  der  Rüdes- 
heimer  Burgen  frohnden  (S.  Seite  27).  Nicht  minder  wie  der  dreissigjährige,  hinterliess 
der  Pfälzische  Krieg  1688—1690  in  der  vielgeprüften  Stadt  seine  Spuren:  bald  mussten 
die  französischen  Besatzungen  der  benachbarten  Burgen  verpflegt,  bald  den  end- 
losen Truppenzügen,  die  über  eine  zwischen  Lorch  und  Heimbach  geschlagene  Schiff- 
brücke ins  Einrich  zogen,  Proviant  gestellt  werden.  Ebenso  machte  sich  der  spanische 
Erbfolgekrieg  für  Lorch  fühlbar,  und  die  Feldzüge  gegen  das  revolutionäre  Frankreich 
kosteten  den  Ort  42000  Gulden. 

Haben  so  die  Aufzeichnungen  der  politischen  Geschichte  nur  Krieg  und  Zer- 
störungen überliefert,  so  empfängt  man  von  der  friedlichen  Entwickelung  des  Ortes 
in  die  uns  Keuchen's  Forschungen  einen  Blick  thun  lassen,  ein  freundlicheres  Bild. 

Lorch  hatte  um  die  Mitte  des  16.  Jahrhunderts  eine  Bevölkerung  von  etwa  1600 
bis  1800  Seelen.  Unter  diesen  hatte  die  Zahl  der  Adeligen  einen  ungewöhnlich  grossen 
Antheil.  Schon  die  unten  aufzuführenden  nur  zum  kleinsten  Theil  noch  bestehenden 
Adelshäuser  lassen  dies  erkennen.  In  den  Urkunden  erscheint  eine  ausserordentlich 
grosse  Zahl  von  Familien,  die  sich  entweder  kurzweg  ,von  Lorch'  nennen,  oder  diese 
Bezeichnung  ihrem  Familiennamen  beifügen.  Zu  nennen  sind  die  Gerlach  von  Lorch, 
die  Schetzel,  Hilchen  von  Lorch,  die  von  Lorch  genannt  Leyen,  Hartwich,  zur  Born- 
gasse, Ried,  Waldecke ;  neben  diesen  eingesessenen  Geschlechtern  eine  Anzahl  fremder 
Adeliger,  die  in  Lorch  wohnten.*)  Dass  diese  Standesgenossen  gegenüber  der  Bürger- 
schaft sich  früh  zusammengeschlossen  und  einen  wesentlichen  Einfluss  auf  die  Stadt- 
verwaltung gewonnen  haben,  geht  aus  vielen  Anzeichen  hervor ;  ihren  Ausdruck  fand 
diese  Interessengemeinschaft  in  der  in  der  ersten  Hälfte  des  16.  Jahrhunderts  zuerst 
auftretenden  Schuljunker  schalt.  Ueber  ihre  Entstehung  fehlen  genaue  Nach- 
weise; doch  legt  die  Geschichte  des  Ortes  die  Vermuthung  nahe,  dass  man  dieselbe 
zwischen  1527  und  1548  zu  setzen  hat. 

Lorch  war  durch  den  Krieg  des  Erzstiftes  so  herabgekommen,  dass  der  Kar- 
dinal-Erzbischof  Albrecht  von  Mainz  sich  veranlasst  sah,  den  Ort  durch  Urkunde 


*)  Näheres  bei  Keuchen  „Lorch  und  seine  Adelsgeschlechter"  Rheingauische  Blätter  i.  Jahrg. 

No.  36  ft'.  Rüdesheim  1856. 


LORCH.  SCHULJUNKERSCHAFT. 


95 


vom  12.  April  1519  vermittelst  eines  kaiserlichen  Staats-Moratoriums  zu  retten,  wo- 
durch die  Lorcher  auf  fünf  Jahre  von  ihren  Schulden  befreit  und  nicht  verklagbar  sein 
sollten.  Dagegen  wurde  die  ganze  Finanzverwaltung  der  Stadt  unter  die  Aufsicht 
des  Vizedoms  des  Rheingaues  gestellt,  sodass  man  in  dem  Schultheissenverzeichniss 
von  1518 — 1560  nur  diese  Beamten  als  Oberschultheissen  aufgeführt  findet.  War 
hierdurch  schon  die  Selbständigkeit  des  Ortes  stark  erschüttert,  so  brachte  das  für 
den  Rheingau  so  verhängnissvolle  Jahr  1525  mit  seinen  sozialen  Unruhen  und  der 
darauffolgenden  „Albertinischen  Reformation"  von  1527  die  vollständige  Einziehung 
aller  bürgerlichen  Privilegien ,  während  diejenigen  des  Adels  neu  bestätigt  wurden. 
In  diesen  Vorgängen  darf  man  wohl  Ursachen  sehen,  die  das  Entstehen  der  „Schul- 
junkerschaft" als  kräftigen  Zusammenschluss  des  Lorcher  Adels  auf  Kosten  der 
Bürgerschaft  in  diese  Zeit  setzen  lassen,  zumal  man  eine  weitere  schnelle  Entwickelung 
in  dieser  Richtung  auch  in  der  nächsten  Folgezeit  erkennen  kann.  Bald  nach  1525 
erfolgt  der  Uebertritt  des  Rheingauer  Adels  zu  der  in  mittelbarer  Folge  der  Bauern- 
kriege gestifteten  reichsritterschaftlichen  Verbindung.  Auch  die  Türkenkriege  des  16. 
Jahrhunderts,  in  welchen  der  Kaiser  sich  vornehmlich  auf  den  Reichsadel  stützen 
musste,  führten  zu  immer  neuen  Erweiterungen  der  Privilegien  des  letzteren,  sodass 
es  nicht  Wunder  nehmen  darf,  wenn  sich  in  dieser  Zeit  schliesslich  der  alte  dem 
Kurfürsten  unterstehende  Landadel  des  Rheingaues  in  einen  selbständigen  Reichs- 
adel verwandelt. 

Die  Schul  junkerschaft,  in  welcher  dieser  Adel,  soweit  Lorch  in  Betracht 
kommt,  eine  Organisation  mit  besonderen  Rechten  geschaffen  hat,  ist  zwar  in  dieser 
und  in  ihren  Satzungen  bekannt;  schwieriger  ist  der  Name  zu  erklären,  zumal  Bod- 
manns  Vorgang  zu  einem  Zusammenwerfen  desselben  mit  einer  „Junkerschule"  die 
in  Lorch  bestanden  zu  haben  scheint,  geführt  hat. 

Die  einzige  von  dieser  letzteren  sprechende  geschichtliche  Notiz  ist  ein  Raths- 
protokoll von  1731,  worin  der  Abbruch  des  „vorhin  gewesenen  sogenannten  adligen 
Schulhauses  zwischen  dem  Pfarrgarten  und  der  Wolfgangstrasse"  beschlossen  wird. 
Die  Umschrift  des  Grabsteins  eines  Joh.  Friedr.  von  Wolfskehl  (gest.  15.  April  1609) 
in  der  Kirche  von  Bacharach  „wurde  zu  Lorch  in  wahrhaft  christlicher  Religion 
und  Anrufung  Gottes  erzogen"  kann  in  ihrer  Allgemeinheit  nicht  zur  Stütze  für  die 
Existenz  einer  für  adelige  Alumnen  bestimmten  Schulanstalt  in  Lorch  herangezogen 
werden.  Es  muss  daher  unentschieden  bleiben,  ob  die  im  16.  Jahrhundert  entstandene 
Schuljunkerschaft  aus  der  nur  aus  obiger  Notiz  bekannten,  adeligen  Schule  hervor- 
gegangen ist,  deren  Blüte  Bodmann  selbst  nur  in's  13.,  14.  und  15.  Jahrhundert 
setzen  will. 

Diese  adelige  Gemeinschaft  nun  bestand  aus  nur  sechs  Junkern  mit  ihrem 
Präses,  dem  jeweiligen  Domprobst  von  Mainz,  der  ja,  wie  oben  gesagt,  Oberpfarrer 
und  Zehntherr  in  Lorch  war  und  die  Würde  eines  Ober-Schuljunkers  bekleidete. 
Die  Mitglieder  mussten  reichsunmittelbar  und  in  Lorch  begütert  sein.  Zwei  Mit- 
glieder derselben  Familie  durften  nicht  gleichzeitig  der  Gemeinschaft  angehören. 
Diese  hielt  ihre  Sitzungen  auf  dem  Rathause,  bestimmungsgemäss  wenigstens  alle 


96 


LORCH.  ALLGEMEINES. 


drei  Jahre,  doch  liegen  auch  Pausen  von  10  bis  17  Jahren  zwischen  einzelnen 
Versammlungen.  Der  letzteren  wohnten  von  Lorcher  Bürgern  der  Schultheiss, 
Pfarrer  und  vier  Mitglieder  des  Raths  und  Gerichtes  bei.  Die  Geschäfte  dieser  Ver- 
sammlungen umfassten  die  Aufsicht  über  den  baulichen  Zustand  der  Kirche,  des 
Pfarrhofes  und  Hospitals,  Prüfung  der  Rechnungen  derselben,  die  Revision  des  Hain- 
gerichtes, von  welchem  noch  die  Rede  sein  wird ;  Inspektion  der  Maasse  und  Gewichte, 
sowie  Prüfung  von  Fleisch  und  Brot,  Ernennung  des  Pfarrvikars  und  endlich  die 
Wahrnehmung  der  Sonder- Vorrechte  der  Schuljunkerschaft.  Die  letzteren  bestanden 
darin,  dass  dieselbe  jeden  neuen  Schultheiss  zu  präsentiren,  Schulmeister,  Glöckner 
und  Kirchendiener  zu  ernennen  hatte,  die  ausschliessliche  Benutzung  der  Lorcher 
Jagd  und  Fischerei  und  vom  Waldertrag  ein  doppeltes  Loos  zu  beanspruchen  und  freie 
Fahrt  im  Marktschiff  nach  Bingen  hatte.  Die  Schuljunkerschaft  bestand,  nachdem  schon 
früher  auf  manche  der  genannten  Privilegien  verzichtet  worden  war,  zu  Recht  bis  1804. 

Ueber  die  Bevölkerung  Lorchs,  deren  Verfassung  und  Gewerbe  ist  nach 
Keuchen's  Ermittelungen  noch  folgendes  nachzutragen :  im  Jahre  1569  zählte  man  in 
Lorch  und  Lorchhausen  zusammen  310  Beedpflichtige.  Diese,  als  Familien  zu  fünf 
Personen  gerechnet  geben  eine  Einwohnerzahl  von  circa  1600  Personen.  Nach  der 
starken  Einbusse  welche  die  oben  erwähnten  Kriegsjahre  brachten,  finden  wir  1687  in 
Lorch  nur  172,  in  Lorchhausen  nur  45  Familien,  zusammen  also  1085  Seelen.  Eine 
kleine  Zunahme  zeigt  das  Jahr  1718  mit  im  Ganzen  768  Bürgern,  ungerechnet  dieFrauen 
und  Kinder.   In  der  Gegenwart  zählt  Lorch  2150  Einwohner  in  490  Haushaltungen. 

Die  Lorcher  Gemarkung  umfasste  1669  etwa  1000  Morgen  Aecker  und  Wiesen, 
und  617  Morgen  Weinberg.  1730  nur  407  Morgen  Aecker  und  Wiesen,  während  die 
Zahl  der  Weinberge  auf  659  Morgen  gestiegen  war.  Ueber  das  Alter  des  Wein- 
baues in  Lorch  wurde  bereits  bei  der  ersten  urkundlichen  Erwähnung  des  Ortes  ge- 
sprochen ;  hier  sei  nur  noch  erwähnt,  dass  vor  dem  15.  Jahrhundert  in  Lorch  viel  Rothwein 
gebaut  wurde,  der  von  da  ab  den  jetzt  bevorzugten  weissen  Reben  zu  weichen  scheint. 

Auch  die  Schiffahrt  scheint  unter  den  Gewerben  Lorch's  schon  früh  eine  nicht 
unbedeutende  Rolle  gespielt  zu  haben.  Urkundlich  finden  wir  schon  1104  Schiffahrts- 
betrieb zu  Lorch,  welches  als  Ladestadt  für  die  zu  Berg  ziehenden  Güter  zwei  Krahnen 
am  Rhein  besass.  1398  wurden  dieselben  aufs  Neue  an  zwei  Bürger  verliehen.  Die 
Thätigkeit  am  Rheinstaden  bezog  sich,  wie  bereits  oben  erwähnt  auf  die  Umladung 
von  Gütern,  die  in  kleineren  Fahrzeugen  durch  das  Binger  Loch  befördert  werden 
sollten,  wo  im  Mittelalter  die  Durchfahrt  ausschliesslich  auf  der  linken  Rheinseite 
möglich  war  —  oder  auf  die  Ueberladung  auf  Wagen,  welche  die  Waaren  über  das 
Gebirge  nach  Rüdesheim  und  Geisenheim  brachten,  —  sei  es,  dass  man  wegen  der 
Strom-  und  Eisverhältnisse  die  Durchfahrt  zu  Wasser  nicht  wagte,  oder  dass  man 
die  Zölle  umgehen  wollte,  die  zu  Sooneck,  Vautzberg  und  Ehrenfels  erhoben  wurden. 
Hiernach  kann  auch  der  Frachtfuhrwerksbetrieb  in  Lorch  nicht  unerheblich  gewesen  sein. 

Auch  der  Holzhandel  ist  unter  den  Gewerbebetrieben  Lorch's  zu  nennen, 
welches  1773  gegen  380  Morgen  Wald  besass  und  eine  nicht  unerhebliche  Flösserei 
von  Scheitholz  auf  der  Wisper  betrieb.    Hierbei  mag  auch  das  Haingericht  in 


Fig.  76  a.    Loy cli.   Pfarrkirche.    Blick  in  den  Chor  mit  Sakramentshäuschen. 


DIE  BAUWERKE  VON  LORCH. 


'17 


Lorch  Erwähnung  finden.  Diese  uralte  rheingauische  Einrichtung  bestand  auch  hier. 
Jede  Gemeinde  des  Rheingaus  besass  Gemeindewald,  der  zur  Feldmark  des  Ortes  ge- 
hörte, während  der  allgemeine  Landeswald  dem  General-Haingericht  zu  Eltville  unter- 
stand. Nach  der  politischen  Landesabtheilung  in  Aemter,  die  sich  zwischen  1398  und 
1415  vollzog,  wurden  für  die  einzelnen  Orte  Partikular-Haingerichte  (Haingeraide, 
Hengerath)  eingesetzt.  Die  Befugnisse  des  in  Lorch  bestehenden  erstreckte  sich  ausser 
über  Feld,  Wald,  Wasser,  Weide  und  Wege  auch  über  Maass  und  Gewicht,  Brot- 
und  Fleischbeschau.  Es  bestand  ursprünglich  aus  einer  gleichen  Zahl  von  Adeligen 
und  Bürgern,  kam  aber  nach  der  Albertinischen  Reformation  (1527)  und  der  Ein- 
ziehung der  bürgerlichen  Privilegien  ausschliesslich  in  die  Hände  des  Adels. 

Einen  beträchtlichen  Antheil  an  der  Blüte  Lorchs  im  früheren  Mittelalter  scheint 
endlich  die  Wollenweberei  gehabt  zu  haben,  deren  lebhafter  Betrieb  urkundlich 
feststeht.  In  den  Jahren  1391,  1498,  1569  werden  „Pannitonsores,  Textores,  Weber- 
stuben, Weberbruderschaft"  mehrfach  erwähnt.  Die  Erzeugnisse  dieses  Gewerbes 
gingen  sowohl  rheinabwärts,  wie  aufwärts  zur  Messe  nach  Frankfurt,  auf  welchem  Wege 
es  allerdings  durch  den  Zoll  bei  Ehrenfels  belastet  wurde.  Vielleicht  waren  diese 
Tuchweber  Einwanderer  vom  Niederrhein,  die  sich  später  der  Reformation  zu- 
gänglich erwiesen.  Wenigstens  scheint  (nach  Keuchen)  diese  Industrie  sehr  zum 
Nachtheil  des  Ortes  in  der  Zeit  erloschen  zu  sein ,  als  Kurfürst  Albrecht  I.  1525  die 
lutherische  Lehre  im  Rheingau  gewaltsam  unterdrückte  und  die  Tuchmacher  zur 
Auswanderung  in  die  Grafschaft  Katzenelnbogen  veranlasste ,  welche  unter  Philipp 
dem  Grossmüthigen  dem  protestantischen  Bekenntniss  angehörte. 

DIE  BAUWERKE  VON  LORCH. 

PFARRKIRCHE  ST.  MARTIN. 

Die  dem  heiligen  Martin  geweihte  Pfarrkirche  nimmt  die  höchste  Stelle  des 
(ursprünglichen)  Ortes  ein  und  thront  auf  ihrer  Felsterrasse  als  eines  der  imposantesten 
kirchlichen  Bauwerke  des  Rheingaus.  Ebenso  stattlich  tritt  ihre  Erscheinung  dem 
auf  dem  Rhein  vorüberfahrenden  entgegen,  wie  sie  für  den  Beschauer,  welcher  die  Höhe 
bei  dem  neuen  Friedhof  ersteigt,  das  Bild  eines  bedeutenden,  den  Mittelpunkt  des 
malerisch  gruppirten  Ortes  bildenden  Monumentes  bietet.  Von  den  Friedhöfen,  welche 
sie  in  früherer  Zeit  nördlich  und  südlich  einschlössen,  ist  jetzt  der  südliche  als  freie 
Terrasse  mit  kirchlichen  Anlagen  erhalten. 

Ein  Blick  auf  den  Gr undriss  der  Kirche  zeigt,  dass  dieselbe  nicht  nach  einheit- 
lichem Plane  und  unter  normalen  Verhältnissen  erbaut  worden  ist.  Schon  die  unge- 
wöhnliche Abweichung  der  Hauptaxe  von  der  Ostlinie  nach  Süden,  die  im  Chor  12  Grad, 
bei  der  Nordwand  14,5,  im  Thurm  19,5  und  bei  der  Südwand  der  Vorhalle  sogar  22  Grad 
beträgt,  muss  auffallen  und  zusammen  mit  dem  hierin  ausgesprochenen  mehrfachen 
Wechsel  der  Axenrichtung  die  Ueberzeugung  nahe  legen,  dass  die  Kirche  zu  ver- 

7 


98 


LORCH.  PFARRKIRCHE. 


schiedenen  Zeiten  entstanden  ist  —  eine  Ansicht,  die  durch  die  Bauformen  lediglich 
bestätigt  wird. 

Dass  wir  es  in  diesem,  nach  Ausweis  seines  Stils  vom  Ende  des  13.  bis  zum 
Anfang  des  16.  Jahrhunderts  errichteten  Bauwerk  nicht  mit  der  ersten  Kirche  von 


Lorch  zu  thun  haben ,  erhellt  ohne 
weiteres  aus  der  oben  angeführten 
Thatsache,  dass  Lorch  schon  im  9. Jahr- 
hundert einen  kaiserlichen  Saalhof  und 
zu  Anfang  des  12.  Jahrhunderts  eine 
Burg  nebst  Befestigungen  besass,  also 


jedenfalls  eine  namhafte  Ein- 
wohnerzahl aufwies,  für  deren 
kirchliche  Bedürfnisse  gesorgt 
werden  musste.  Leider  ist  von 
der  ursprünglichen,  wohl  der 
romanischen  Periode  angehö- 


Fig.  77a.    Lorch.    Pfarrkirche.    Ansicht  von  Nord-Osten. 

rigen  Kirche  jede  Spur  verschwunden,  wenn  man  nicht  einen  der  Stilform  nach 
ziemlich  frühen  Crucifixus  auf  der  "Westempore  als  letzten  Rest  dieses  ursprüng- 
lichen Bauwerks  auffassen  will.  (Ein  von  Lötz  erwähntes,  reich  und  eigenthümlich 
gegliedertes  Bruchstück  von  Stein  mit  Blattschmuck  aus  spätestromanischer  Zeit 
ist  von  dieser  Stelle  leider  verschwunden.)  Ein  Blick  auf  den  überaus  massiven,  in  die 
Südwestecke  ganz  unorganisch  einschneidenden  Thurm-Unterbau,  dessen  südliche  Ab- 
weichung die  Veranlassung  zu  dem  auffallenden  Knick  in  der  Axe  des  Südschiffs  ge- 
geben haben  mag,  legt  die  Vermuthung  nahe,  in  diesem  den  ältesten  Theil  der  Kirche 
zu  sehen,  wofür  leider  nur  bei  dem  Fehlen  jeder  Kunstform  der  Beweis  mangelt. 


LORCH.  PFARRKIRCHE. 


90 


Die  jetzige  Kirche  ist  eine 
zweischiffige  Anlage ,  deren 
beide  Schiffe  selbständig  ent- 
wickelte Chorschlüsse  zeigen : 
im  Südschiff  ist  derselbe  aus  fünf 
Seiten  des  Achtecks,  im  Nord- 
schiff aus  vier  Seiten  des  Sechs- 
ecks gebildet.  Ausser  diesen 
Chorhäuptern  zählt  jedes  Schiff 
sechs  Gewölbfelder.  Die  Breite 
des  Chors  misst  8,25,  des  Süd- 
schiffs 8,92,  des  Nordschiffs  im 
Mittel  6,15  Meter.  Die  Länge 
des  letzteren  bis  zu  den  Schräg- 
seiten des  Chors  beträgt  36,40 
Meter,  die  Kämpferhöhe  ist  im 
Südschiff  12,  im  Nordschiff  5,90 
Meter.  An  den  Westgiebel 
schliesst  sich  eine  innere  und 
eine  äussere  Vorhalle  mit  dar- 
über angeordneter  Empore  an, 
zu  welcher  eine  Wendeltreppe 
in  einem  an  der  Nordwestecke 
vorgelegten  aus  dem  Fünfeck 
konstruirten  Treppenthurm  em- 
porführt. 

Der  älteste  Theil  der  Kirche 
ist  unzweifelhaft  der  Südchor, 
aus  dem  Chorhaupt  und  zwei 
Gewölbefeldern  bestehend,  ein 
prächtiges  Werk  der  soeben  zur 
Reife  entwickelten  rheinischen 
Gothik,  der  sich  in  Mauer- 
stärken, Profilen  und  Fenster- 
ausbildung wesentlich  von  den 
übrigen,  augenscheinlich  spar- 
samer und  flüchtiger  gebauten 
Theilen  der  Kirche  abhebt. 
Man  wird  denselben  ins  letzte 
Jahrzehnt  des  13.  Jahrhunderts 


{ftfni'rhiprhr  f>t  HBfU'tin 


,1- 

Fig.  77b.   Lorch.   Grundriss  der  Pfarrkirche  St.  Martin.*) 


*)  Berichtigung:  das  Kreuzgewölbe  im  Thurm  ist  ohne  Rippen  und  Schlussstein. 

7* 


100 


LORCH.  PFARRKIRCHE. 


setzen  dürfen.  Das  älteste  durch  Vermächtnisse  bezeichnete  Datum  unter  den 
spärlichen  Daten  der  Kirchengeschichte,  1304,  für  denselben  in  Anspruch  zu 
nehmen,  hindert  der  Umstand,  dass  bei  dieser  Gelegenheit  schon  eine  Marien-  und 


Fig.  78.    Lorch.   Pfarrkirche  St.  Martin.  Querschnitt. 


Georgskapelle  erwähnt  wird,  also  ein  Theil  der  Kirche  bereits  bestanden  haben  muss. 
Man  wird  also  kaum  fehlgehn,  wenn  man  annimmt,  dass  1304  das  Datum  für  den 
Weiterbau  des  südlichen  Seitenschiffs  ist,  wobei  durch  Beiziehen,  namentlich  des  ersten 
östlichen  Gewölbefeldes,  ein  Einlenken  an  die  Flucht  des  bereits  vorhandenen  Thurm- 


LORCH.  PFARRKIRCHE. 


101 


Unterbaues  erstrebt  wurde.  So  dürfte  der  Bau  als  einschiffige  Kirche  mit  beiderseits 
nach  aussen  vortretenden  Strebepfeilern  fast  ein  Jahrhundert  lang  in  Benutzung 
gewesen  sein,  bis  Ende  des  14.  Jahrhunderts  eine  Erweiterung  durch  Hinzufügung  eines 
zweiten  (Nord-)  Schiffes  nöthig  wurde.  Zu  diesem  Erweiterungsbau  schenkte  laut  Urkunde 
1398  Johann  Katzekind,  Priester  in  Lorch,  Haus  und  Hof  der  Kirche,  um  es  bei  dem  Bau 
zu  benutzen,  mit  der  Bestimmung,  „dass  nur  ordentliche  Bauleute  darin  wohnen  sollen.'1 

Die  Bauformen  dieses  Nordschiffes,  besonders  das  Masswerk  seiner  Chorfenster, 
die  Gewölberippen  und  Schlusssteinverzierungen  weisen  auf  den  Anfang  des  fünf- 
zehnten Jahrhunderts  hin.  Um  den  neuen  Theil,  der  erheblich  niedriger  als  der  ur- 
sprüngliche angelegt  wurde,  mit  letzterem  zu  verbinden,  wurden  die  nördlichen  Strebe- 
pfeiler (welche  sich  in  Sockelprofilen  und  Hausteinkonstruktion  heute  noch  als 
Theile  eines  Aussenbaus  verrathen),  in  der  Höhe  der  neuen  Seitenschiffgewölbe 
durch  breite,  spitzbogige  Gurte  verbunden,  in  den  vier  Schiffsjochen  das  Mauerwerk 
ausgebrochen  und  die  Kanten  abgeschrägt,  sodass  Pfeiler  von  ungewöhnlichem  Quer- 
schnitt entstanden ;  die  nördlichen  Strebepfeiler  des  Neubaues  wurden  dementsprechend 
ebenfalls  ins  Innere  gezogen  und  mit  breiten  Gurten  überdeckt,  sodass  hier  eine  Reihe 
von  Seitenkapellen  entstand.  So  wurde  der  Bau  wahrscheinlich  in  ziemlich  lang- 
samem Fortschreiten  bis  zur  Westfront  geführt.  Wenigstens  ist  die  äussere  Vorhalle, 
die  nach  den  Bauformen  mit  der  inneren  gleichzeitig  sein  dürfte,  erst  zwischen  den 
Jahren  1459  und  1482  vollendet  worden ,  wie  das  in  derselben  als  Schlussstein  an- 
gebrachteWappen  des  Erzbischofs  Diether  von  Isenburg  beweist,  der  neben  mehreren 
ebenfalls  daselbst  durch  ihre  Wappen  vertretenen  Lorcher  Adeligen,  besonders  der 
Hilchen,  als  der  Erbauer  dieser  Vorhalle  gelten  muss.  Die  Bauzeit  des  Thurmes, 
der  schlicht  und  ohne  Streben  oder  sonstige  Gliederung,  aber  in  auffallend  starkem 
Mauerwerk  aufsteigt,  ist  bei  dem  völligen  Fehlen  aller  Kunstformen  (auch  das  Kreuz- 
gewölbe über  dem  Erdgeschoss  desselben  hat  keine  Rippen)  sehr  schwer  festzustellen 
Von  seinen  späteren  Schicksalen  ist  nur  bekannt,  dass  im  Jahre  1554  das  Thurmdach, 
wie  auch  das  Kirchendach  abbrannte.  Ob  der  Thurm  bei  der  Herstellung  eine  Er- 
höhung erfuhr,  muss  dahingestellt  bleiben.  Die  in  dem  vierten  Stockwerk  angebrachte 
Zahl  1576  muss  sich  auf  die  Herstellung  nach  diesem  Brande  beziehen ,  womit  auch 
das  späte  und  charakterlose  Blendmasswerk  in  der  halbkreisförmigen  Ueberdeckung 
der  Schalllöcher  übereinstimmt. 

Die  Kirche  wurde  bei  den  verschiedenen  durch  die  Kriegsnöthe  über  die  Stadt 
verhängten  Zerstörungen  in  Mitleidenschaft  gezogen.  1698  war  sie  fast  völlig  Ruine, 
die  Fenster  grösstentheils  zerschlagen.  1719  begannen  Reparaturen;  diesem  Jahre 
entstammt  das  jetzige,  durch  kunstlose  Uebereckung  ins  Achteck  übergeführte  Thurm- 
dach und  das  schmiedeeiserne,  von  einem  Hahn  überragte  Kreuz.  Die  plumpe  eiserne 
Verankerung,  welche  noch  jetzt  den  Chor  verunziert,  wurde  1780  eingezogen.  Eine 
schlimme  Vergewaltigung  erlitt  die  Kirche  durch  eine  „Restauration"  des  Pfarrers 
Geiger  1819  (Keuchen).  „Er  entfernte  mehrere  das  Innere  verunstaltende  und  über- 
flüssige Altäre,  ebenso  das  Chorgestühl  und  das  den  Chor  abschliessende  eiserne 
Gitter;  Hess  ausser  sechs  gut  erhaltenen  alle  andere,  meist  eingesunkene  Grabsteine 


102 


LORCH.  PFARRKIRCHE. 


herausnehmen,  um  die  Kirche  zu  ebnen  und  mit  Platten  zu  belegen,  und  würde  selbst  den 
Hochaltar  entfernt  und  das  steinerne  Christusbild  vom  Kirchhof  dahin  gesetzt  haben, 
wenn  nicht  einzelne  Glieder  der  Gemeinde  dagegen  opponirt  hätten.  Er  handelte 
aber  rücksichtslos,  indem  er  auch,  um  die  nicht  unbedeutenden  Reparaturen  zu  be- 
streiten, für  weniges  Geld  die  kostbaren  gebrannten  Figuren  des  Kreuzaltars  (das 
Leiden  Christi  vorstellend)  an  Archivar  Habel,  und  den  noch  von  Zeit  und  Um- 
ständen verschont  gebliebenen  Theil  der  gebrannten  farbigen  Fenster  des  Chors  und 
der  Südseite,  in  dem  fast  sämmtliche  Wappen  des  Lorcher  Adels  befindlich  gewesen 
sein  sollen,  an  Herrn  von  Zwierlein  verkaufte." 

Einer  gründlichen  und  sachgemässen  Restauration  wurde  der  Chor  durch 
den  Fiskus,  welcher  dem  Domprobst  in  der  Baupflicht  gefolgt  war,  von  1871 — 74  mit 
einem  Kostenaufwand  von  72,000  Mark  unterzogen ;  gemalte  Fenster  wurden  von  dem- 
selben 1888  und  1891  im  Chor  angebracht ;  ihre  Unterhaltung  liegt  dem  Lokalkirchen- 
fonds ob.  Der  Herstellung  des  Chors  folgte  auf  Kosten  der  Kirchengemeinde  die- 
jenige der  Schiffe,  welche  der  Architekt  Max  Meckel  leitete. 

Der  Chor,  ein  Bau  von  edlen  Verhältnissen,  ist  in  den  Ecken  durch  Dienste 
gegliedert,  die  mit  einem  zweifachen  Sockel  auf  eine  umlaufende  niedrige  Steinbank 
aufsetzen  und  in  den  Ecken  zu  je  drei ,  an  den  Jochen  zu  je  fünf  Rundstäben  ge- 
bündelt sind.  Die  Kapitale  sind  mit  reichem  Blattwerk  der  Hochgothik  geschmückt ; 
die  zweite  Kapitälgruppe  der  Südwand,  von  Westen  aus  gerechnet,  ist  auffallender- 
weise mit  frühgothischen  Knospen  von  ziemlich  roher  Arbeit  besetzt.  Die  auf 
den  Kapitalen  aufsitzenden  Gewölbrippen  haben  je  drei  Birnstäbe,  die  Schildbogen 
einen  Birnstab  zwischen  Hohlkehlen.  Die  Schlusssteine  sind  sämmtlich  verziert :  der 
im  Chor  befindliche  mit  einer  Rosette  aus  sechs  um  ein  mittleres  gruppirten  Wein- 
blättern; der  zweite  (nach  Westen)  mit  einer  Rose,  um  welche  sich  vier  Gruppen  von 
je  drei  Eichblättern  mit  zwei  Eicheln  legen.  Der  Dritte,  der  zum  Herablassen  der 
Pfingsttaube  als  grösserer  ,  offener  Ring  gestaltet  ist,  zeigt  einen  Kranz  von  zwölf 
Blättern  des  Hahnenfusses.  Die  nächsten  Gewölbfelder  des  Schiffs  haben,  in  gleicher 
Richtung  fortschreitend,  als  Schlusssteinschmuck:  einen  bartlosen  Kopf,  aus  dessen 
Mund  neun  Eichenblätter  hervorwachsen;  eine  grosse  fünfblätterige  Rose  und  einen 
Kopf,  von  fünf  Huflattigblättern  umgeben. 

Die  Chorfenster,  welche  ausser  dem  dreitheiligen  Ostfenster  zweitheilig  sind 
liegen  in  aussen  reichgegliederten,  innen  abgeschrägten  Gewänden  und  zeigen  ein 
strenges  Rundstabmasswerk  (s.  Fig.  82)  mit  achteckigen  Sockeln  und  Blattkapitälen. 
Inneres  und  äusseres  Kaffgesims,  sowie  das  Hauptgesims  sind  aus  stumpfen  Birnstäben 
und  Hohlkehle  gebildet.  Die  verhältnissmässig  schwachen  Strebepfeiler  des  Chors 
sind  durch  einen  Wasserschlag  und  ein  umlaufendes  Gesims  gegliedert  und  mit 
(modernen)  Fialen  gekrönt. 

Das  Gewölbe  der  vier  Felder  des  Südschiffs  hat  Rippen  mit  einfachem  Hohl- 
profil, die  an  der  Südwand  auf  halbrunde  Kragsteine  mit  aus  dem  Sechseck  gezeich- 


LORCH.  PFARRKIRCHE. 


103 


neten  Deckplatten,  an  der  Nordwand  auf  halbsechseckige  Konsolen  aufsetzen.  Die 
zwei  Fenster  des  Südschiffs,  die  in  der  Zeichnung  des  Masswerkes  sich  an  die  Chor- 
fenster anschliessen,  liegen  in  schrägen  Gewänden,  deren  Bogen  im  Aeussern  ein 
Hohlprofil  haben  und  zeigen  flachprofilirte  Pfosten.  Die  Strebepfeiler  sind  mit  Giebel- 
dächern abgedeckt.   Die  ganze  Ausführung  dieses  Theiles  verräth  gegenüber  der  des 


Fig.  82.   Lorch.   Pfarrkirche.   Fenstermasswerk  im  Chor. 


Das  nördliche  Seitenschiff  öffnet  sich  nur  in  seinen  vier  westlichen 
Jochen  voll  gegen  das  Südschiff;  im  Chor  ist  durch  eine  halbhohe  spitzbogig  über- 
deckte Oeffnung  eine  Verbindung  hergestellt ;  das  nächste  Joch  ganz  geschlossen 
und  in  dem  dritten  ein  niedriger  Durchweg  in  der  Dicke  der  Ausmauerung  ausgespart. 
Die  Schlichtheit  der  Ausführung,  die  sich  auch  hier  in  dem  einfachen  Hohlprofil  der 
Gewölbrippen  und  der  schlicht  in  drei  Spitzbogen  entwickelten  Fenstermasswerke  aus- 
spricht, erfährt  nur  eine  Bereicherung  in  den  zwei  mit  reicherem  Masswerk  ver- 
sehenen Chorfenstern,  in  den  verschiedenen,  zierlich  gebildeten  Gewölbekonsolen,  von 
welchen  die  Abbildung  83  eine  Vorstellung  giebt,  sowie  in  der  Verzierung  der  Schluss- 
steine. Diese  zeigt  vom  Chorgewölbe  beginnend:  1.  Ein  Agnus  dei.  2.  und  3.  Männer- 
köpfe, deren  Mund  Lattich-  und  Rebenblätter  entwachsen.  4.  Einen  knieenden  Pilger, 
der  eine  Geissei  in  der  Hand  hält.  5.  Eine  fünfblättrige  Doppelrose.  6.  Einen  Christus- 
kopf.  7.  Einen  kleinen  Kopf  mit  Blattwerk. 


104 


LORCH.  PFARRKIRCHE. 


Im  dritten  Joch  (von  Westen  an)  ist  eine  spitzbogige  Thür  mit  hohlprofilirtem 
Gewände  und  Nasen  im  Spitzbogen  angeordnet ;  eine  zweite  (moderne)  Seitenthür  führt 
aus  dem  vierten  Joche  des  Südschiffs  ins  Freie.  Der  Thurm,  dessen  Erdgeschoss 
nur  durch  eine  Thür  im  Innern  des 


Fig.  83.    Lorch.    Pfarrkirche.  Fig.  84.    Lorch.  Pfarrkirche. 

Gewölbekonsole  im  nördl.  Seitenschiff.  Schlussstein  im  nördlichen  Seitenschiff. 


das  westlichste  Joch  des  Südschiffs  ein,  sodass  dessen  Gewölberippen  sich  unschön  an 
seiner  Mauerfläche  todtlaufen.  Von  seiner  Nordostecke  bis  zur  nördlichen  Kirchenmauer 
und  in  der  Tiefe  des  Thurmvorsprungs  ist  auf  zwei  durch  einen  Pfeiler  mit  Segment- 
bogen gestützten  Kreuzgewölben  eine  Empore  in  die  Kirche  eingebaut;  vor  dem 
Pfeiler  ist  etwas  über  Kämpferhöhe  eine  Säule  emporgeführt,  welche  eine  moderne 

Heiligen-Figur  trägt.  Die  Westwand  der 
Kirche,  welche  die  Rückwand  dieses 
Raumes  bildet,  ist  nach  einer  dreijochigen 
inneren  Vorhalle  hin  durchbrochen, 
deren  nördlichstes  Joch  als  Taufkapelle 
durch  ein  (modernes)  Gitter  abgeschlossen 
ist  und  von  einem  kleinen,  neben  dem 
Treppenthurm  angebrachten  spitzbogi- 
gen  Fenster  beleuchtet  wird.  Die  Kreuz- 
gewölbe dieser  Vorhalle,  die  nach  der 
Kirche  zu  auf  dünnen,  abgeschrägten 
Pfeilern  ruhen,  haben  verzierte  Schluss- 
steine, welche  in  spätgothischen  Drei-, 
Vier-  und  Fünfpässen  Wappen  von 
Lorcher  Adelsgeschlechtern  tragen. 

Vor  dieser  innern  Vorhalle  zieht  sich, 
zum  Theil  auf  den  Thurm  übergreifend, 


Fig.  85.    Lorch.    Pfarrkirche.    Säulensockel  am 
Westportal  der  äusseren  Vorhalle. 


Fig.  88.   Lorch.    Pfarrkirche    Grabstein  des  Feldmarschalls  Joh.  Hilchen. 


LORCH.  PFARRKIRCHE. 


105 


eine  äussere  Vorhalle,  deren  auffallend  verzogener  Grundriss  sich  vielleicht  durch 
den  Zwang  des  hier  zur  Marktstrasse  ca.  3  Meter  steil  abfallenden  Terrains  erklärt.  Sie 
ist  mit  vier  ungleich  grossen,  länglichen  Kreuzgewölben  mit  niedrigem  Kämpferansatz 
überdeckt ;  die  aus  den  Wandpfeilern  schlicht  hervorwachsenden  Rippen  haben  doppeltes 
Kehlprofil  und  reichverzierte  Schlusssteine,  die  ausser  einem  schöngezeichneten  Christus- 
kopf die  Wappen  Diethers  von  Isenburg,  der  Hilchen  und  der  Breidenbach  enthalten. 
Die  südliche  und  nördliche  Stirnwand  der  /, 


Vorhalle  öffnen  sich  in  breiten  profilirten 
Spitzbogen ;  in  der  Westwand  ist  nur  eine 
spitzbogige  Oeffnung  nach  der  hohen  zum 
Markt  führenden  Treppe,  welche  durch  ein 
Kreuzgewölbe  überdeckt  ist.  Dieses  auf  eine 
reichgegliederte  Säulengruppe  aufsetzend, 
ist  zwischen  die  zwei  die  Treppe  einschlies- 
senden  starken  Strebepfeiler  eingespannt. 
Dieselben  erheben  sich ,  mit  Pultdächern 
abgedeckt  bis  zu  den  spitzbogigen  Mass- 
werkfenstern, welche  in  dem  über  der  West- 
wand der  Vorhalle  aufsteigenden  Giebel  die 
obere  Empore  erhellen.  Von  der  äusseren 
in  die  innere  Vorhalle  führt  ein  kleines 
We  s  t  p  o  r  t  a  1 ,  dessen  Gewände  zwischen 
Hohlkehlen  mit  zwei  Rundstäben  versehen 
sind.  Diese  mit  Sockeln  und  Laubkapitälen 
versehen,  durchkreuzen  sich  in  der  Höhe 
des  Spitzbogens.    Rechts  neben  der  Thüre 


ist  unter  dem  Gewölbansatz    eine  ausge- 

klinkte  Pfeilerecke  durch  einen  Engel  mit  Fig.  86.  Lorch.  Pfarrkirche. 

„  Gewölbansats  in  der  äusseren  Vorhalle. 

einem  hchnftbande  abgetragen. 

Die  West  empöre  erstreckt  sich  im  Innern  ausser  über  den  zweijochigen  Ein- 
bau noch  über  die  Tiefe  der  innern  und  äussern  Vorhalle ;  ihr  quadratischer,  nur  durch 
das  Einspringen  der  Thurmecke  verkürzter  Raum  sollte  mit  vier  nicht  zur  Ausführung 
gekommenen  Kreuzgewölben  überdeckt  werden,  für  welche  auf  der  Zwischenwand 
zwischen  innerer  und  äusserer  Vorhalle  ein  achteckiger  Pfeiler  errichtet  wurde.  Vier 
an  den  Abschrägungen  desselben  vorspringende  Männerköpfe  tragen  die  Ansätze  ge- 
kehlter Rippen.  Nach  der  Kirche  ist  die  Empore  durch  eine  Steinbrüstung  mit  Fisch- 
blasenmasswerk begrenzt.  Die  bei  Keuchen  vorkommende  Notiz,  dass  zu  dieser 
Brüstung  eine  nach  dem  Brande  von  1554  abgenommene  Thurmgallerie  benutzt  worden 
sei,  hat  bei  der  Zierlichkeit  und  Wohlerhaltung  derselben  wenig  Wahrscheinlichkeit. 
Von  der  Empore  führt  eine  spätgothische  Thür  mit  gebrochenem  Sturz  und  Hohl- 
kehlengewände in  einen  vom  südlichsten  Theil  der  Empore  abgetheilten  Raum,  der 
spitzbogig  überwölbt  ist.  Diese  Thüre  trägt  auf  ihren  Holzflügeln  noch  das  alte  Beschläg 


106 


LORCH.    PFARRKIRCHE.  EINZELHEITEN. 


und  eine  äusserst  zierlich  mit  einem  spätgothischen  Laubstab  und  einem  wappen- 
haltenden Engel  geschmückte  Schlagleiste.  Auch  die  zur  Empore  führende  Thür  aus 
dem  Treppenthurm  besitzt  noch  ihr  altes  Eisenwerk. 


Fig.  87.    Lorch.    Pfarrkirche.    Thür  auf  der  Empore. 

EINZELHEITEN  DER  KIRCHE. 


Auf  der  Nordseite  des  Chors,  an  der  Ecke  der  nach  dem  Nordschiff  durch- 
gebrochenen Oeffnung  erhebt  sich  ein  sehr  zierliches  Tabernakel,  dessen  Formen 
auf  das  Ende  des  14.  Jahrhunderts  hinweisen.  Es  ruht  mit  einem  mit  nasenbesetzten 
Rundbogen  zwischen  Hängepfosten  gezierten  Konsol  auf  einer  zierlichen  Tragsäule 
mit  Laubkapitäl ;  der  aus  dem  Achteck  entwickelte  Kasten,  zwischen  dessen  Säul- 
chen Eisengitter  eingespannt  sind,  wird  von  Wimpergen  mit  Kreuzblumen  zwischen 


LORCH.    PFARRKIRCHE.  EINZELHEITEN. 


107 


Fialen  überragt.  Die  Spitze  entwickelt  sich  in  zwei  Stockwerken  mit  der  üblichen 
Uebereckung.  Das  Bauwerk  wurde  1858  restaurirt.  Neben  ihm  ist  eine  vergitterte, 
mit  einem  geschweiften  Giebel  und  Kreuzblume  gekrönte  spitzbogige  Wandnische 
angebracht. 

Unmittelbar  neben  dieser  öffnet  sich  die  spitz- 
bogige,  mit  profilirten  Gewänden  und  schönem 
gothischem  Eisenbeschlag  geschmückte  Thür  zu 
der  kleinen  Sakristei,  die  zwischen  die  Strebe- 
pfeiler des  Chors  eingebaut ,  das  verschobene 
Viereck  ihres  Grundrisses  mit  zwei  dreieckigen 
Kreuzgewölben  überdeckt  zeigt  und  durch  zwei 
kleine  ungetheilte  Spitzbogenfenster  erhellt  wird. 

Der  in  der  innern  Vorhalle  aufgestellte  Tauf- 
stein ist  ein  hervorragendes  Werk  spätgothi- 
scher  Steinskulptur.  Er  ist  inschriftlich  1464  ge- 
arbeitet und  1864  vortrefflich  restaurirt  worden. 
Aus  dem  Achteck  entwickelt,  misst  er  1,28  Meter 
Durchmesser  und  ebensoviel  Höhe.  Auf  der  vier- 
eckigen Sockelplatte  sitzen  übereck  vier  Thiere, 
abwechselnd  Löwen  und  Hunde ,  dazwischen  ein 
Todtenkopf  mit  einer  Schlange  und  eine  Eidechse. 
Das  achteckige  Becken  erhebt  sich  auf  einem 
stumpfen  graden  Stengel,  der  mit  16  mit  Sockeln 
versehenen  Rundstäben  besetzt  ist.  Diese  folgen 
knickend  zu  je  zwei  mit  mehrfacher  Ueberschneidung  ihrer  Begleitprofile  der  Linie 
des  untern  Anlaufs  und  tragen  an  dessen  schrägen  Seiten  zwischen  sich  die  sitzenden 
Gestalten  von  vier  Kirchenvätern  und  die  vier  Evangelisten-Symbole.  Der  grade 
Theil  des  Beckens  ist  auf  den  acht  Seiten  mit  je  zwei  auf  Blendmasswerk  aufliegenden 
geschweiften  Wimpergen  besetzt,  deren  Kreuzblumen  mit  ihren  Spitzen  die  reichen 
Profile  des  oberen  kräftigen  Abschlussgesimses  durchdringen. 

Trotz  der  vielfachen  Unbilden  und  Restaurationen  ist  die  Kirche  nicht  arm  an 
geschichtlich  und  künstlerisch  werthvollen  Grabsteinen. 

1.  Johannes  Marschalk,  miles  de  Waldek  f  1364  (im  Chor  des  Nordschiffes). 

2.  Johann  von  Eschbach  und  seine  Hausfrau  Anna  von  Eschbach,  geb.  von 
Nassau  f  1469. 

3.  Johann  von  Breitbach,  Herr  zu  Olbrug  Ritter  f  1511  und  seine  Hausfrau 
Loret,  Tochter  Johanes  von  Schoneck  f  1500. 

4.  Philips  Hilchin  von  Lorche  t  1517  und  seine  Frau  Elizabeth  von  Bicken  f  148... 

5.  Johann  Hilchin  von  Lorch  f  1512  und  seine  Hausfrau  Eisgin  von  Wallerdorf 
t  1512. 

6.  Johann  Hielchen  von  Lorch ,  Ritter ,  oberster  Feldmarschall  gegen  Türken 
und  Franzosen  1542—44,  f  1548. 


Fig.  89.  Lorch.  Pfarrkirche.  Altes 
Besch/äg  der  Thür  im  Treppenthurm. 


108 


LORCH.    PFARRKIRCHE.    KUNSTWERKE  IN  STEIN. 


Waren  die  bis  5.  genannten  Grabsteine  interessant  durch  die  sorgfältig  aus- 
geführten Rüstungen  der  Männer  und  die  Kostüme  der  Frauen  (sodass  der  unter  fünf 
aufgeführte  Stein  von  Hefner-Alteneck  in  seinem  Werk  „Trachten  des  christlichen 
Mittelalters  2.  T.  104  abgebildet  wurde)  und  künstlerisch  werthvoll  durch  die  sprechende 
Charakteristik  der  Persönlichkeiten  und  die  treffliche  Ornamentik  der  Wappen,  so 

tritt  uns  unter  6.  ein  statt- 
liches Renaissance-Monu- 
ment mit  einer  hochkünst- 
lerisch behandelten  Bild- 
nissfigur entgegen.  In 
betender  Stellung  steht 
der  Ritter,  begleitet  von 
seinem  Hunde,  in  der 
Prachtrüstung  des  Feld- 
hauptmanns, umgeben 
von  den  Wappen  seines 
Geschlechtes  und  über- 
ragt von  einer  mit  einer 
Renaissance  -  Bekrönung 

abgeschlossenen  In- 
schriftstafel.   Das  Denk- 
mal ist  1880  durch  Hausen 
renovirt  worden. 

Endlich  ist  noch  der 
an  der  Südwand  des  Chors 
eingelassene  Denkstein 
des  Probstes  Marquard 
von  Stein,  ebenfalls  ein 
treffliches  Werk  der  Re- 
naissancekunst zu  erwäh- 
nen. Ein  leider  der  Kir- 

Fig.[90.    Lorch.    Pfarrkirche.    Tun) stein  von  1464.  che  durch  die  Geigersche 

„Restauration"  verloren 

gegangenes  Bilderwerk  von  hohem  Kunstwerth  kann  hier  wenigstens  in  der  Abbildung 
vorgeführt  werden.  Es  ist  der  „Kreuzaltar,"  welchen  Keuchen  erwähnt.  Die 
frühere  Stellung  desselben  in  der  Kirche  ist  etwas  unklar,  da  nach  Zaun  ein  Kreuz- 
altar 1391  und  1482  erwähnt  wird,  seitdem  aber  „spurlos  verschwunden"  sei,  auch  in 
dem  1614  geschriebenen  Helwich'schen  Kircheninventar  in  der  Lorcher  Pfarrkirche 
kein  Kreuzaltar  aufgeführt  wird.  Vielleicht  gehörte  das  treffliche  Kunstwerk,  dessen 
Reste  gegenwärtig  mit  den  übrigen  Relicten  der  Habel'schen  Sammlung  im  Besitz 
des  Herrn  Kreisrichters  a.  D.  Conrady  auf  Burg  Miltenberg  a.  M.  sich  befinden,  als 
Predella  einem  andern  Altar  an.   Jedenfalls  gibt  ein  Stich  in  „Beiträge  zur  deutschen 


LORCH.    PFARRKIRCHE.    KUNSTWERKE  IN  STEIN. 


109 


Kunst-  und  Geschichtskunde  durch 
Kunstdenkmäler  von  Franz  Hubert 
Müller"  (4°  Leipzig  und  Darmstadt, 
Leske  1837),  dem  die  Abbildung 
Nr.  93  nachgebildet  ist,  die  Gesammt- 
erscheinung  des  Werkes  in  einer 
flachgestreckten ,  oben  architekto- 
nisch abgegrenzten  spätgothischen 
Nische.  Von  den  daselbst  abgebil- 
deten Figuren  sind  ausser  dem  kreuz- 
tragenden Christus  nur  die  drei 
klagenden  Frauen  mit  Johannes  als 
zusammenhängende  Gruppe,  ferner 
zwei  Paare  Kriegsknechte  vorhanden. 
Die  Figuren  sind  ca.  0,55  Meter  hoch, 
in  Thon  gebrannt  und  mit  vollstän- 
diger, wenn  auch  theilweise  zerstörter 
Bemalung  versehen.  Die  Bewegung 
der  Gestalten  ist  durchweg  edel  und 
von  dramatischer  Lebendigkeit  — 
besonders   schön    der  Gesichtsaus- 


Fig.  93.   Lorch.   Pfarrkirche.   Früherer  Kreuztragnngsaltar  nach  einem  Stich  von  1837. 


110  LORCH.    PFARRKIRCHE.    KUNSTWERKE  IN  STEIN  UND  HOLZ. 


* 


druck  des  unter  der  Last  des  Kreuzes  niedergebeugten  Christus,  den  ein  gepanzerter 
Krieger  am  rechten  Arme  zu  ergreifen  im  Begriff  steht.  Auch  die  ohnmächtig  zusammen- 
sinkende Mutter,  die  von  Magdalena  und  Johannes  zart  unterstützt  wird  und  die 
nächste  Gruppe  der  Knechte,  deren  erster  die  klagenden  Frauen  bedroht,  während 
der  nächste  ihn  zu  beschwichtigen  scheint,  sind  besonders  ausdrucksvoll.  Der  Stil- 
form und  den  Kostümen  nach  würden  diese  Bildwerke  an  das  Ende  des  15.  Jahr- 
hunderts zu  setzen  sein ;  es  muss  dahin  gestellt  bleiben,  ob  dieselben  von  auswärts 
eingeführt  oder  Erzeugnisse  einheimischer  Kunst  sind.  Vielleicht  bieten  sie,  den 
letzteren  Fall  angenommen,  Veranlassung  zur  Feststellung  einer  hochentwickelten 
Terrakotta-Plastik  am  Mittelrhein,  auf  welche  vielleicht  auch  die  Reste  der  Figuren 
über  der  Sakristeithüre  der  Kirche  von  Rüdesheim  hinweisen. 

Ein  hochbedeutendes  Bildwerk  von  Stein  besitzt  Lorch  noch  in  dem  lebens- 

grossen  Crucifixus,  welcher 
auf  dem  Friedhof  südlich  vor 
der  Kirche  steht.  Derselbe  ist 
mit  der  Jahreszahl  1491 
und  dem  nebenstehenden 
Steinmetzzeichen  ver- 
sehen. Die  frühe  Datirung  muss 
um  so  mehr  überraschen,  als  der 
Körper  des  Gekreuzigten  in  dem 
Adel  seiner  Bewegung  und  der 
mit  vollem  Verständniss  der 
Natur  nachgebildeten  Model- 
lirung  des  Nackten  durchaus 
das  Gepräge  edler  Renais- 
sancekunst trägt  und  vielleicht 
zu  den  vollendetsten  Werken 
der  deutschen  Skulptur  dieser 
Zeit  gehört. 

Unter  den  Kunstwerken  in 
Holz,  welche  die  Lorcher 
Pfarrkirche  birgt,  steht  wieder, 
wenn  auch  nicht  dem  Kunst- 
werth so  doch  dem  Alter  nach 
der  Crucifixus  obenan,  der 
sich  an  den  achteckigen  Stein- 
pfeiler auf  der  Empore  ange- 
lehnt findet.  Die  archaische  Be- 
wegung und  Behandlung  des 
Körpers  weist  auf  das  13. Jahr- 


Fi%.95.  Lorch.  Pfarrkirche.  Südliche  Chorstuhlwangen. 


Fig.  96.    Lorch.  Pfarrkirche.  Hochaltar  von  1483. 


LORCH.    PFARRKIRCHE.    KUNSTWERKE  IN  HOLZ. 


111 


hundert  als  Entstehungszeit  hin ;  immerhin  ist  auch  hier  die  nach  dem  Nackten  studirte 
Muskulatur  vollendeter  als  sonstige  Werke  des  frühgothischen  Stils  aufweisen.  Das  reich- 
gefaltete Lendentuch  hat  einen  mit 
Kittmasse  aufgetragenen ,  wahr- 
scheinlich vergoldeten  Saum,  in 
welchem  noch  die  Lager  der  einge- 
drückten ,  jetzt  ausgebrochenen 
Glas-Edelsteine  zu  bemerken  sind. 
Leider  ist  das  werthvolle  Bildwerk 
durch  vielfachen  barbarischen  An- 
strich mit  Oelfarbe  entstellt  und  ver- 
diente eine  sachkundige  Reinigung. 
Der  Zeit  nach  zunächst  stehen  die- 
sem Crucifixus  die  Chorstühle, 
welche  die  Nord-  und  Südwand  des 
Chores  einnehmen.  Sie  sind  neuer- 
dings gut  restaurirt  und  stellen  in 
ihrer  jetzigen  Erscheinung  eins  der 
besten  Beispiele  frühgothischer 
Schnitzwerke  dar,  dessen  Einzel- 
heiten durchaus  den  kräftigen 
Schnitt  und  die  ungekünstelte 
Frische  der  Periode  um  1300  auf- 
weisen. Die  vier  Stuhlwangen,  in 
ihren  unteren  Theilen  mit  Blend- 
architekturen belegt,  oben  aus  Fig.  97.  Lorch.  Pfarrkirche.  Nördliche  Chorstuhlwangen. 
Doppelvoluten  gebildet,  sind  mit  trefflichem  Blattwerk,  und  ebenso  wie  die  Köpfe  der 
Zwischenwangen  und  die  Miserikordien  mit  fantastischen  Thier-  und  Menschengebilden 
belebt,  welche  deutlich  von  der  übermütigen  Gestaltungslust  des  alten  Bildschnitzers  reden. 

An  der  das  Südschiff  westlich  begrenzenden  Thurmmauer  sind  die  Reste  eines 
spätgothischen  Gestühls,  augenscheinlich  aus  Trümmern  .zusammengebaut,  aufgestellt 
welche  die  charakteristischen  Formen  des  dem  Anfang  des  15.  Jahrhunderts  angehörigen 
Flachschnitt-Ornamentes  zeigen.  Besonders  die  Bekrönung  der  Rückwand,  die  unter 
einem  Zinnenkranz  ein  gewundenes  Rankenornament  trägt,  ist  sehr  schön  und  zeigt  grosse 
Verwandtschaft  mit  den  Kidricher  Kirchenstühlen  des  Erhard  Falkener  aus  Abensberg 
(s.  Fig.  77).  Auch  das  eingeritzte  Bandornament  mit  Sprüchen,  mit  welchem  die  Tafeln 
der  Rückwand  und  die  Wangen  verziert  sind,  erinnert  an  das  Kidricher  Stuhlwerk. 

An  der  Chorwand  rechts  vom  Altar  ist  eine  gemalte  Holzskulptur,  die 
schlafenden  Wächter  am  Oelberg,  angebracht,  die  dem  Anfang  des  15.  Jahrhunderts  an- 
gehören dürfte  und  aus  der  früher  auf  dem  Friedhof  vorhandenen  Nothgottes-Kapelle 
stammen  soll.  Die  viel  spätere  kleine  Christusfigur,  welche  der  Gruppe  hinzugefügt 
ist,  erweist  sich  deutlich  als  nicht  dazu  gehörig. 


112 


LORCH.    PFARRKIRCHE.    HAUPTALTAR.  GLOCKEN. 


.  Das  am  meisten  Bewunderung  erregende  Schnitzwerk  der  Kirche  ist  der  Auf- 
satz des  Hauptaltars,  laut  Inschrift  von  1483,  ein  imposantes,  überreiches  Werk 
der  süddeutschen  Schnitzerkunst,  die  sich  in  aufstrebendem  Tabernakelbau  mit  ge- 
schweiften Giebeln  und  gebogenen  Fialen,  durchbrochenem  Ornament  an  Wimpergen, 
Baldachinen  und  Strebebogen  nicht  genug  thun  konnte.  Der  Altar,  der  stark  zerstört 
und  besonders  durch  die  Geigerschen  Eingriffe  mitgenommen  war,  ist  durch  den  Nass. 
Alt.  Verein  von  den  Bildhauern  Leissring  und  Wenck  in  Wiesbaden  1852—58  sehr 
gut  restaurirt  und  von  Maler  Wecker  aus  Coblenz  neu  gefasst  worden. 

Der  Aufbau  wird  über  dem  Altartisch  von  einer  seitwärts  lebhaft  profilirten 
Predella  getragen,  die  in  Nischen  zwei  Halbfiguren  (Bildnisse  der  Stifter?)  enthält.  Das 
Altarblatt  ist  in  eine  fünftheilige,  zweistöckige  Nischenarchitektur  aufgelöst,  welche 
oben  staffeiförmig  endigt  und  unter  reichen  Baldachinen  10  stehende  Figuren  enthält : 
in  der  mittleren  Hauptnische  Maria  mit  dem  Jesuskinde,  darüber  den  Kirchenpatron 
Martinus  zu  Pferde,  den  Mantel  theilend.  Die  Heiligen  der  Seitennischen  sind  unten 
die  hl.  Elisabeth,  Barbara,  Margaretha  und  Katharina,  oben  Simon,  Antonius,  Johannes 
der  Täufer  und  Wendelin.  Die  mit  schönem  Laubwerk  belegten  Flügel  sind  innen 
und  aussen  mit  je  zwei  Bildern  bemalt,  die  leider  durch  eine  Uebermalung  im  17.  Jahr- 
hundert vollständig  zerstört  sind.  Gegenstände  der  acht  Darstellungen  sind  innen: 
Christi  Auferstehung,  Himmelfahrt,  Ausgiessung  des  heil.  Geistes  und  die  Aufnahme 
Mariae;  aussen  vier  Geheimnisse  aus  dem  schmerzhaften  Rosenkranz. 

Ueber  dem  Altarblatt  erheben  sich  als  prachtvolle  Bekrönung  drei  Thürme, 
unter  sich  und  mit  zwei  seitwärts  aufsteigenden  Fialen  durch  geschweifte,  reichorna- 
mentirte  Strebebogen  verbunden.  Der  untere  Theil  dieser  Thürme  wird  von  Figuren- 
nischen eingenommen,  in  denen  unter  Baldachinen  Christus  mit  Maria  und  Johannes 
stehen,  während  seitwärts  noch  zwei  Brustbilder  von  Propheten  angebracht  sind. 

So  unübertrefflich  das  lebendige,  abwechselungsreiche  Ornament  des  Altars  ge- 
schnitzt ist,  so  tragen  die  Figuren  doch  einen  etwas  handwerklichen  Charakter  und  stehen 
bei  weitem  nicht  auf  der  künstlerischen  Höhe  der  oben  erwähnten  Kreuztragungsgruppe. 

Die  ganze  Höhe  des  Altaraufsatzes  beträgt  15,20  Meter.  Die  Breite  mit  ge- 
öffneten Flügeln  8,30  Meter. 

Die  Kirche  besitzt  in  ihren  fünf  Glocken  ein  vorzügliches  Geläute,  welches 
als  das  schönste  im  Rheingau  gepriesen  wird.  Da  die  älteren  Glocken  bei  dem  Brand 
vom  16.  Oktober  1554  geschmolzen  waren,  so  sind  die  gegenwärtigen  alle  jüngeren  Datums. 

Die  grösste  Glocke  von  1,64  Meter  Durchmesser  und  60  Centner  Gewicht  hat 
als  Schmuck  am  oberen  Theil  einen  Kranz  von  kleinen  Heiligenfiguren,  welche  unter 
Wimpergen  mit  Renaissancestützen  stehen.    Ihre  Inschrift  lautet: 

S-  martinus  beiß  id) 
in  gottes  erjr  lernen  id) 
den  lebendigen  rufen  id) 
die  doden  beclagen  id) 
heinrid)  uon  Crier  goß  mid) 
anno  domini  1559- 


Fig.  96'.    Lorch.   Pfarrkirche.    Frühgoth.  Crucißxus  in  Hols  auf  der  Empore. 


LORCH.  PFARRKIRCHE. 


113 


Die  zweite  Glocke  von  1,33  Meter  Durchmesser  hat  eine  Darstellung  der 
Kreuzigung  und  gothische  Verzierungen  und  die  Inschrift: 

Gloria  in  efcelsis  deo 
et  in  terra  paf  Jorninibus 
bone  ooluntatis  öregorius 
treuirensis  me  faiv 
anno  domini  1565. 

Die  dritte  1,22  Meter  im  Durchmesser  haltend  trägt  die  Worte: 

populum  et  cito/ 
ad  diuina  uoro 
quietem  defatigatis  clango 
anno  dorn-  mi- 

Die  vierte  misst  1,10  Meter  und  sagt: 

martin  Roth  in  mapnt?  1776  goß  mid> 

Die  fünfte  hat  0,65  Meter  Durchmesser  und  die  Worte: 

flue  Ittaria  gratia  plena  dominus  tecum  Petrus  Spedt  me  fecit-  IHoguntiae  1659- 

An  heiligen  Geräthen  besitzt  die  Pfarrkirche  zu  Lorch  zwei  Kelche  aus 
vergoldetem  Silber,  welche  in  ihren  einfachen,  aus  dem  Sechseck  entwickelten  Formen 
auf  das  15.  Jahrhundert  hinweisen.  Der  Eine  derselben  trägt  auf  den  Stirnflächen 
der  den  Nodus  durchdringende  Prismen  die  Buchstaben  j  £  5  U  S  i  und  auf  dem  Fuss 
eingravirt  eine  segnende  Hand.  Auf  dem  Andern  liest  man  auf  dem  Fuss  die  in  Minus- 
keln auf  einem  Schriftband  gravirte  Inschrift:  peter  de  CUüa  et  featperina  Cjllf  d0- 
Ein  Prachtstück  besitzt  die  Kirche  in  ihrer  Monstranz,  deren  Erhaltung  während 
der  vielfachen  Unbilden,  denen  die  Stadt  ausgesetzt  war,  umsomehr  erfreuen  muss,  als 
uns  darin  ein  stattliches  Meisterwerk  gothischer  Silberschmiedekunst  überliefert  ist. 

Die  Monstranz,  0,74  Meter  hoch,  ganz  in  vergoldetem  Silber  ausgeführt,  erhebt 
sich  in  Tabernakelform  auf  einem  sechstheiligen,  geschweiften  Fuss,  der  unter  dem 
reich  verzierten  Nodus  eine  kleine  mit  Zinnen  bekrönte  Blendarkaden- Architektur 
zeigt.  Der  Mitteltheil  hat  in  der  untersten  seiner  drei  Höhentheilungen  eine  offene, 
von  vier  Strebepfeilern  getragene  und  von  Wimpergen  bekrönte  Nische.  Ueber  dieser 
folgt  als  Glascylinder  das  Behältniss  für  das  Allerheiligste,  dessen  Lunula  in  neuerer 
Zeit  auf  das  kostbarste  mit  einem  Aufwand  von  Edelsteinen  erneuert  worden  ist. 
Ueber  dem  kräftigen,  diesen  Theil  abschliessenden,  mit  Rosetten  besetzten  Hohlkehlen- 
Gesims  erhebt  sich  ein  ebenfalls  mit  Rosetten  besetztes  Kuppeldach,  und  auf  diesem 
ein  Baldachin,  unter  welchem  Maria  mit  dem  Kinde  steht ;  die  Spitze  des  mit  Krabben 
besetzten  durchbrochenen  Daches  nimmt  ein  Crucifix  ein.  Zwei  kräftige  Strebepfeiler, 
reich  entwickelt,  mit  Figurennischen  besetzt  und  in  Fialen  endend,  begleiten  rechts  und  links 
den  Mitteltheil  und  stützen  sich  auf  zwei  prächtige,  vom  Fusstheil  abzweigende  Rosetten. 

Ausser  seiner  Pfarrkirche  besass  Lorch  im  Mittelalter  noch  eine  Anzahl  von 
kleineren  Gotteshäusern,  die  heute  mit  einziger  Ausnahme  der  Kreuzkapelle  im 
Wisperthal  verschwunden  sind  (Zaun  331  ff.). 

8 


114 


LORCH.    FRÜHERE  KAPELLEN.  PROFANGEBÄUDE. 


1.  Die  Michaels-  oder  Todtenkapelle,  ein  Holzbau  auf  dem  südlich  vor  der 
Kirche  liegenden  Gottesacker  hinter  dem  jetzt  noch  daselbst  stehenden  Crucifix,  er- 
wähnt 1451,  1482  und  1485,  im  Jahre  1811  wegen  Baufälligkeit  abgerissen.  Unter  ihr 
befand  sich  ein  Beinhaus,  (Kerner)  mit  einem  Marienaltar. 

2.  Die  Muttergotteskapelle,  ein  kleiner  Massivbau,  östlich  an  die  Michaels- 
kapelle anstossend  und  mit  dieser  im  Innern  verbunden.  Aus  ihr  soll  die  oben  er- 
wähnte Holzskulptur  an  der  südlichen  Chorwand  der  Kirche  stammen.  Die  Kapelle 
wird  1687  erwähnt  und  wurde  gleichzeitig  mit  der  Michaelskapelle  zerstört. 

3.  Die  Marienkapelle  am  Obersdorfer  Thor,  wird  bereits  1305  erwähnt:  sie 
ging  1613  durch  Brand  zu  Grunde. 

4.  Die  Markuskapelle,  ein  ziemlich  grosses  Bauwerk  von  40  Fuss  Länge 
und  23  Fuss  Breite  mit  gewölbtem  Chor,  stand  im  Oberflecken  unweit  der  vorigen 
und  wird  bereits  1364  in  einer  Stiftung  erwähnt.  Als  sie  baufällig  geworden,  Hess  sie 
der  Glaser  und  Rathsherr  Nie.  Brenn  auf  seine  Kosten  wieder  herstellen,  dotirte  sie 
mit  Weinbergen  und  Geld  und  erweiterte  sie  1622  noch  ansehnlich.  Noch  1819  wurde 
während  der  baulichen  Herstellung  der  Pfarrkirche  in  der  Markuskapelle  der  Gottes- 
dienst gehalten.  1822  wurde  sie  auf  den  Abbruch  verkauft.  Eine  an  einem  Hause 
der  Hauptstrasse  eingemauerte  Steintafel  mit  dem  Bildniss  des  Evangelisten  und  einer 
bezüglichen  Inschrift  bewahrt  noch  ihr  Gedächtniss. 

5.  Die  Heiliggeistkapelle  im  Hospital  lag  dicht  an  der  Wisperbrücke  bei 
dem,  dem  „Strunk"  gegenüber  belegenen  Hospital.  Im  Jahre  1388  erwähnt,  war  sie 
noch  1733  im  Gebrauch  und  diente  1784  als  Kelterhaus. 

6.  Die  Eberbacher  Kapelle  in  dem  Eberbacher  Klosterhof,  der  1284  er- 
wähnt wird.  Die  Kapelle  baute  Abt  Heinrich  II.  vor  1370  und  weihte  sie  dem  heil. 
Eberhard.    Sie  wurde  noch  1784  benutzt,  ist  aber  dann  mit  dem  Hofe  verschwunden. 

7.  Die  Heiligkreuzkapelle,  etwa  zwei  Kilometer  im  Wisperthal  aufwärts 
ausserhalb  des  Ortes  gelegen.  Sie  wurde  1677  aus  freiwilligen  Beiträgen  als  Wall- 
fahrtskirche erbaut,  1738  erweitert,  1826  restaurirt ;  sie  steht  heute  noch  und  dient  am 
Feste  Kreuz-Erfindung  als  Ziel  einer  aus  dem  Gau  stark  besuchten  Prozession. 

PROFANGEBÄUDE. 

Unter  den  in  Lorch  erhaltenen  Profanbauwerken  ist  das  älteste  eine  Mauer  mit 
vermauertem  rundbogigem  Portal,  welche  auf  einer  Terrasse  südlich  unter  der  Kirche 
stehend,  mit  einiger  Wahrscheinlichkeit  als  der  einzige  Rest  des  in  der  Karolinger- 
zeit in  Lorch  erwähnten  kaiserlichen  Saalhofs  angesehen  werden  darf.  Leider  ist  der 
interessante  Thorbau  gegenwärtig  durch  ein  davor  in  jüngster  Zeit  errichtetes  Haus 
der  Untersuchung  entzogen,  und  auch  rückwärts  durch  einen  hoffentlich  zu  entfernenden 
Backofen  gänzlich  zugebaut.  Wir  sind  hier  also  ganz  auf  Cohausen's  erschöpfende 
mit  einer  Abbildung  begleitete  Arbeit  in  den  Nass.  Annalen  (12,  Jahrgang  1873, 
S.  309  ff.,  Tafel  9)  angewiesen. 


Fig.  99.   Lorch.   Pfarrkirche,   Silbcrvergoldetc  Monstran 


LORCH.    ALTES  PORTAL. 


115 


Das  Thor  war  1,60  Meter  weit ;  seine  nur  aus  Bruchsteinen  gemauerte  Schwelle 
lag  0,60  Meter  über  dem  Boden.  In  der  Höhe  von  2,15  liegt  ein  0,38  starker  Sturz 
von  Sandstein,  der  wie  alle  Steine  d-es  Thores  völlig  ungegliedert  und  an  drei  Stellen 
gebrochen  ist.  Ueber  demselben  erhebt  sich  ein  Entlastungsbogen  im  Halbkreis  in 
der  Breite  der  Lichtweite  der 


Thür.  Derselbe  besteht  aus 
zwei  konzentrischen  Kränzen 
von  keilförmig  behauenen  Tuff- 
steinen, abwechselnd  mit  je  zwei 
Ziegeln  und  mit  Ziegel- Flach- 
schichten abgedeckt.  Die  Ziegel 
messen  0,43  Länge  bei  0,29 
Breite  und  0,065  Dicke  und  sind, 
auch  wo  sie  als  Wölbsteine  be- 
nutzt sind,  nicht  konisch  gear- 
beitet. Die  Mauer,  in  welcher 
das  Portal  ca.  drei  Meter  vom 
östlichen  Ende  entfernt  sitzt, 
ist  13,50  Meter  lang  und  im 
Durchschnitt  6  Meter  hoch ; 
ihre  Dicke  beträgt  2,40,  über 
der  Thür  nur  0,80.  Das  Material 
ist  Grauwacke  in  wagrechten, 
in  gleicher  Höhe  geführten 
Schichten,  meist  als  Kopfsteine 
mit  wenigen  Streckern  ver- 
mauert, mit  breiten,  bis  6  cm 
starken  Fugen,  in  denen  sich 
ein  grober  Kiesmörtel  findet. 

Diese  Werkweise,  besonders 
die  Ausführung  des  Bogens  mit 
keilförmigen  Tuff-  und  platten  Ziegelsteinen,  die  mit  derjenigen  grosse  Aehnlichkeit  hat, 
welche  man  an  den  aus  dem  8.  Jahrhundert  stammenden  Arkaden  bei  St.  Caecilia  in  Köln 
und  den  Bögen  über  den  Fenstern  der  Nordseite  des  westlichen  Vorbaus  von  St. 
Pantaleon  daselbst  findet,  veranlasst  Cohausen,  diesen  Bau  ins  frühe  Mittelalter,  jeden- 
falls beträchtlich  vor  dem  11.  Jahrhundert  zu  setzen.  Er  weist  aus  Wahrscheinlichkeits- 
gründen die  Annahme  nicht  von  der  Hand,  dass  er  zu  dem  Saalhof  der  fränkischen 
Könige  gehört  habe.  „Ob  aber  dieser  von  den  fränkischen  Königen  neu  erbaut  oder  ob 
er  aus  den  Ueberresten  einer  römischen  Villa  erbaut  sei,  steht  dahin."  Er  kommt  zu  dem 
Schluss  „dass  dies  Portal  unbedingt  älter  als  Ende  des  11.  Jahrhunderts  ist  und 
nur  aus  Gründen  der  Wahrscheinlichkeit  nicht  der  römischen,  sondern  der  christ- 
lichen Zeit  angehört." 


Fig.  100.   Lorch.    Vermauertes  Portal,   (n.  v.  Cohausen). 


116 


LORCH.  BEFESTIGUNGEN. 


Die  Befestigung  von  Lorch,  die  in  ihrer  Gesammtheit  den  dreissigjährigen 
Krieg  wahrscheinlich  nicht  überdauert  hat,  muss  nach  der  Zahl  der  Thore  und  nach  der 
Lage  einzelner  noch  erkennbarer  Reste  nicht  unbedeutend  gewesen  sein ,  wenn  sie 
an  die  Burg  anschliessend,  von  der  wir  allerdings  nicht  einmal  die  Lage  zuverlässig 
kennen,  auf  der  einen  Seite  die  Rheinseite  bis  zur  Grenze  des  Obersdorfes,  auf  der 
andern  den  weit  ins  Wisperthal  hinaufreichenden  Ort  mit  seinem  Anhang  auf  der 
rechten  Seite  des  Baches  umfasst  hat.  Es  werden  uns  sieben  Thore  unter  folgenden 
Bezeichnungen  genannt : 

1.  Am  oberen  Ende  des  Ortes  die  Obersdorfer  Pforte.  2.  Auf  der  Höhe 
des  Berges  das  Kellerspförtchen  am  Ende  der  Karthäuserstrasse.  3.  Das 
Plätzerthor  hinter  der  Kirche  am  „Römerberg,"  von  wo  die  Leygasse  den  Berg 
hinaufführt.  4.  Die  Kuhpforte,  die  den  Eingang  vom  Wisperthal  schützte,  war 
die  stärkste  von  allen,  durch  einen  hohen  Thurm  mit  Fallgitter  vertheidigt.  Neben 
ihr  setzte  die  Befestigungsmauer,  von  welcher  noch  Grundmauern  in  einem  Stall  in 
der  Langgasse  erhalten  sein  sollen,  mit  einem  Bogen  auf  das  rechte  Ufer  der  Wisper 
über  und  lief  gegen  den  Berg,  wo  5.  das  Scheuerthor  mit  dem  Hexenthurm 
folgte.  Von  diesem  Thurm  ist  noch  ein  zweistöckiger  Rest  mit  anstossender  mit 
Rundbogenblenden  versehener  Stadtmauer  erhalten.  Im  Obergeschoss  des  Thurms 
ist  noch  die  rundbogig  überdeckte  Oeffnung  bemerkbar,  welche  den  Austritt  auf  den 
Wehrgang  bildete.  Unweit  davon  bachabwärts  erkennt  man  bei  dem,  zum  Nolling 
emporsteigenden  Weg  an  der  Bergseite  den  Rest  eines  Thorbogens  mit  anschliessendem 
Mauerstück.  Der  Thorpfeiler  ist  1,15  stark,  aus  auffallend  grossen  Sandsteinquadern 
sorgfältig  erbaut  und  liegt  etwa  in  der  Flucht  der  östlichen  Palasmauer  des  Nolling, 
wenn  man  dieselbe  den  Bergabhang  herunter  fortgesetzt  denkt.  Unzweifelhaft  haben 
wir  hierin  den  Rest  des  (6.)  Weiseiber  gerthors  zusehen.  Endlich  7.  das  Nied  er- 
flurer  Thor,  welches  den  Ort  rheinabwärts  abschloss. 

Die  vom  dreissigjährigen  Krieg  verschonten  Reste  dieser  Befestigungen  wurden 
1816  vollends  abgebrochen.  Erhalten  blieb  bis  heute  ausser  dem  Hexenthurm  nur  die 
Befestigung  an  der  Wisper mün dun  g.  Diese,  jetzt  durch  Anschwemmungen 
des  Bachs  und  den  auf  einer  Brücke  vor  ihr  vorübergeführten  Eisenbahndamm  ent- 
stellt, muss  früher  ein  malerisches  Bild  gezeigt  haben.  Von  der  zweijochigen,  1556  er- 
bauten Wisperbrücke  ziehen  sich  auf  beiden  Ufern  starke  Ufermauern  bis  zu  diesen 
Thürmen;  die  des  linken  Ufers  jetzt  auf  Brüstungshöhe  abgeschlossen  und  in  ihrer 
Mitte  durch  eine  in  einer  spitzbogigen  Thür  endigende  malerische  Wassertreppe 
unterbrochen,  schliesst  unmittelbar  an  einen  niedrigen  Mauerrest  an,  der  an  den 
dicken  Eckthurm,  den  „Strunk"  glatt  anschneidet.  Dieser  Thurm,  1567  „als  Ge- 
fängnissthurm" erbaut,  darf  als  richtiger,  die  Wispermündung  deckender  Festungs- 
thurm angesehen  werden,  wenn  auch  sein  nur  durch  ein  Loch  im  Gewölbe  zugäng- 
liches Erdgeschoss  als  Verliess  gedient  haben  mag.  Das  Obergeschoss  ist  durch 
einen  auf  der  Landseite  vortretenden  polygonalen  Treppenthurm  zugänglich;  es  ist 
mit  einem  Kuppelgewölbe  überdeckt,  welches  ebenso  wie  die  über  der  obern  Plattform 
hervorragenden  Zinnen  restaurirt  ist.    In  den  dicken  Wänden,  die  aus  Schieferbruch- 


LORCH.    BEFESTIGUNGEN.  HÖFE. 


117 


Fig.  101.    Lorch.    Befestigung  an  der  Wispermündung. 


stein  mit  regelmässig  wiederkehrenden  Sandsteinschichten  gemauert  sind,  befinden  sich 
innen  vier  tiefe,  mit  Stichbogen  überdeckte  Blenden,  welche  abwechselnd  viereckige 
Fenster  und  Schlüsselscharten  enthalten. 

Die  Ufermauer  des  rechten  Ufers  zeigt  an  dem  oberen  an  die  Brücke  an- 
schliessenden Theil  noch  den  alten  Wehrgang ;  grösstentheils  ist  sie  mit  einem  höl- 
zernen Wohngebäude  überbaut,  welches  sich  westlich  an  den  mit  einer  spitzen  Schiefer- 
haube bedeckten  Thurm  anlehnt.  Dieser,  ganz  aus  Schieferbruchstein  1,53  Meter 
stark  erbaut,  zeigt  noch  den  auf  gemauertem  Rundbogenfries  vorgekragten,  mit  schlitz - 
artigen  Schiessscharten  versehenen  Wehrgang;  ein  kurzes  Stück  der  alten  Be- 
festigungsmauer schliesst  sich  rheinabwärts  an. 

Von  den  zahlreichen  Höfen  der  in  Lorch  einheimischen  oder  angesessenen  Ge- 
schlechter ist  leider  nur  wenig  mehr  erhalten.  Ausser  den  weiterhin  zu  beschreibenden 
noch  heute  bestehenden  zählt  Keuchen  folgende  auf : 

In  der  Langgasse  der  Schönbornische  Hof,  der  nach  einer  Notiz  von  1617 
früher  denen  von  Hunoltstein ,  dann  denen  von  Wolfskehl  gehörte.  Nach  einem  im 
letzten  Jahrhundert  stattgehabten  Brande  steht  von  demselben  jetzt  noch  eine  Mauer 
mit  Treppengiebel. 

An  der  Stelle  des  jetzigen  Gasthofes  zum  Adler  stand  früher  der  kurfürst- 
liche Saalhof  und  ein  viereckiger  grosser  Thurm,  der  Sicking'sche  auch  Breit- 


118 


LORCH.  PROFANBAUTEN. 


bach's che  Thurm  genannt.  Die  Familien  von  Stein  und  von  Staffel,  die  mehr- 
fach mit  einander  verschwägert  waren,  besassen  Häuser,  deren  Lage  nicht  mehr 
genau  zu  bestimmen  ist;  das  Staffel'sche  Haus  war  an  der  Wisper  gelegen. 

Der  Jakobsberger  Hof  wurde  1678  durch  Herrn  von  Stockheim  vom  Kloster 
Jakobsberg  gekauft  und  lag  der  Judengasse  gegenüber  in  der  Rittergasse. 

Der  älteste  der  noch  erhaltenen  Höfe  scheint  das  im  Kirchspiel,  auf  dem  rechten 
Wisperufer  unmittelbar  unter  dem  Nolling  gelegene  sog.  Epheuhaus  zu  sein;  doch 
ist  dasselbe  durch  Umbau  so  entstellt,  dass  nur  noch  einige  einfache  gothische  zwei- 
theilige Spitzbogenfenster  an  der  Rückseite  seine  frühe  Entstehung  erkennen  lassen. 
Es  ist  der  Breitbach'sche  Hof  und  gehörte  früher  dem  Joh.  Sanek  von  Waldeck, 
dessen  einzige  Tochter  Moes  den  Gerlach  von  Breitbach  heirathete. 

Unmittelbar  an  dies  anstossend  lag  ein  Phil.  Hilchen'sches  Besitzthum,  von  dem 
noch  die  jetzt  bestehende  massive  Scheuer  zu  stammen  scheint,  die  in  ihren  Treppen- 


Mit  welchem  Aufwand  an  Kunstfertigkeit  der  Holzbau  auch  in  Lorch  gepflegt 
worden  ist,  verräth  eine  noch  glücklich  erhaltene  hölzerne  Hausthür  in  der  Lang- 
gasse No.  172  mit  der  Jahreszahl  1609.  Der  karniesartig  geschweifte  Thürsturz,  mit 
aufrechtstehenden  Blättern  geziert,  wird  von  zwei  auf  Voluten  ruhenden  zierlichen 
Kandelabersäulchen  getragen  ;  verzierte  Knaggen  geben  der  Thüröffnung  rundbogigen 
Abschluss.  Eckige  Stützen,  deren  Ornamentik  verloren  gegangen  zu  sein  scheint, 
tragen  ein  Obergesims,  unter  dem  zwei  quadratische  Oberlichtfenster  sich  öffnen. 
Zu  den  Besitzungen  der  in  Lorch  am  meisten  begüterten  Familie  Hilchen  gehörte 


Fig.  102.  Lorch.    Holzhaus  im  Kirchspiel. 


giebeln  und  einfach  gekehlten  stei- 
nernen Fensterstöcken  und  Thür- 
gewänden auf  das  15.  Jahrhundert 
deutet  und  auch  im  Innern  mit 
schweren  Holzständern  und  Unter- 
zügen ohne  weitere  Kunstformen 
den  alten  Zustand  zeigt.  Ob  auch 
das  gegenüber  liegende  Holz- 
hau s  zu  diesem  Anwesen  gehörte, 
muss  dahin  gestellt  bleiben;  jeden- 
falls interessirt  es  als  einer  von 
den  wenigen  Resten  von  früherem 
Holzbau  in  Lorch.  Ein  zweites, 
das  oben  erwähnte  an  die  Wisper- 
befestigung angelehnte  Holzhaus, 
dessen  besondere  Schönheit  ge- 
rühmt wird  ist  erst  in  den  letzten 
Jahren  trotz  mehrseitiger  zu  seiner 
Erhaltung  angewandter  Bemühun- 
gen von  dem  jetzigen  Besitzer 
durch  Tünche  entstellt  worden. 


LOCRH.  PROFANBAUTEN. 


119 


u.  A.  der  jetzt  noch,  wenn  auch  in  vernach- 
lässigtem Zustand  erhaltene ,  sogenannte 
Zehntenhof;  jetzt  der  Familie  von  Kiel- 
mannsegge gehörig  und  kleinen  Hand- 
werkerfamilien als  Wohnung  dienend.  Das 
Haus  war  (nach  Keuchen)  von  Philipp  Hilchen 
von  Lorch,  der  1581  starb,  bewohnt,  da  sich 
das  Wappen  desselben  und  seiner  Gemahlin 
Ursula  von  Walborn  im  Erdgeschoss  aussen 
eingemauert  findet.  Nach  dem  Tode  seines 
Sohnes  Johann  Adam  Hilchen  kam  es 
durch  Erbschaft  1606  an  Johann  Werner 
Roist  von  Wert,  1728  an  die  der  letzteren 
Familie  angehörige  Maria  Catharina  von 
Calcum,  dann  an  die  von  Brembt.  Von 
dieser  kaufte  es  1807  die  Domäne  und  be- 
nutzte es  als  Zehntenhof,  welcher  Name 
ihm  noch  geblieben  ist.  Nach  Ablösung 
der  Zehnten  verkaufte  sie  es  an  Freifrau 
von  Giesk,  geb.  von  Stein,  deren  ;Schwager, 


Fig.  103. 


zeigt  in   seinen  stattlichen, 


Graf  von  Kielmannsegge  es  dann  in  den  Besitz  dieser  Familie  brachte. 

Das  thurmartige,  mit  einem  vierseitig  abgewalmten  Dache  bedeckte  Haus 
mit  gekehlten  steinernen  Kreuzstöcken  ausgesetzten 
Fenstern,  die  in  ihren  tiefen  Nischen 
steinerne  Sitzbänke  haben ,  und 
seinem  auf  Kragsteinen  gemauerten 
Rundbogenfries  unter  dem  Haupt- 
gesims den  Charakter  eines  spät 
gothischen  Adelshauses.  Auf  der 
Nordseite  führt  eine  malerische 
Aussentreppe  in  das  erste  Stock- 
werk, dem  auf  der  Westseite  ein 
hölzerner  Treppenbau  mit  hüb- 
schem Ueberdach  vorgelegt  ist. 
Die  nach  dem  Berg  gerichtete 
Rückseite  ist  in  Fachwerk  aus- 
geführt mit  langen  schlicht  ge- 
schweiften Bügen  unter  den  Ueber- 
hängen  und  schlichter,  aber  wir- 
kungsvoller Verriegelung  der 
unteren  Gefache.  Von  den  mas- 
sig. 104.  siven  Seitenwänden,  die  den  stark 


j&rrjRiclnuinnprggr'fVlK  ^rbntm(|of> 


120 


LORCH.  PROFANBAUTEN. 


ausladenden  Ueberhängen 
durch  Auskragungen  folgen, 
trägt  die  südliche  Stirnwand 
ein  stark  zerstörtes  Fresko- 
bild spätgothischenCharakters, 
das  als  heil.  Christophorus  mit 
dem  Jesusknaben  gedeutet  wird. 
Während  vom  letzteren  nur 
noch  der  Kopf  und  die  segnende 
Hand  zu  unterscheiden  ist,  sind 
bei  der  grossen,  augenschein- 
lich im  Wasser  schreitenden 
Figur  Farben  und  Konture  deut- 
lich zu  erkennen.  Sie  ist  mit 
engen  Hosen  bekleidet,  die  eben- 
so wie  der  weite,  von  den 
Armen  zurückgeschlageneMan- 
tel  grau  sind.  Den  Oberkörper 
bedeckt  ein  blaugrüner  Rock, 
den  Kopf  eine  anliegende  Ka- 


Fig.  105.    Lorch.    Der  Kielmannsegge'  sehe  Zehntenhof.  Rückseite. 

puze,  die  ebenso  wie  der  Schuh  am  linken  Fuss  und  der 
Stab  gelb  gemalt  sind.  Das  Erdreich  ist  graugrün,  der  durch 
dunkle  Konture  abgegrenzte  Fleck,  in  welchem  die  Gestalt 
steht,  wohl  als  Wasser,  weiss  charakterisirt.  Spuren  einer 
rothen  Umrahmung  begrenzen  das  ganze,  etwa  2,50  m  hohe 
Bild.  Eine  gut  gemeisselte  Renaissance  -  Konsole  mit  bär- 
tigem Kopf,  die  als  Fundstück  im  Hofe  des  Zehntenhofs 
eingemauert  war,  ist  in  jüngster  Zeit  verschwunden. 

Das  stattlichste  unter  den 
Lorcher  Adelshäusern  ist  das 
sogenannte  Hilchenhaus, 
das  mit  seiner  monumen- 
talen Giebelfassade  auf- 
ragend, der  Rheinfront  des 
Ortes  sein  Gepräge  giebt. 

Das   Haus   ist  laut  In- 
schrift 1546-48  von  dem  Feld- 

Fig.  107.   Lorch.  Steinkonsole. 


Fig.  106.  Lorch.    Freskobild  am 
marschall    Johann    Hilchen  Kielmannsegge' schenZehntenhof. 


Fig.  108.    Lorch.    Hilchenhaus.  Fassade. 


LORCH.  HILCHENHAUS. 


121 


Fig.~109.    Lorch.    Hilchenhaus.  Gritndriss. 


J&rofil  c-ö 

Fig.  110.   Lorch.   Netsgewölbe  im  Erker 
des  Hilchenhauses. 

von  Lorch,  dessen  schöner  Grabstein 
die  Pfarrkirche  schmückt,  erbaut  wor- 
den. Durch  dessen  Tochter  Maria 
kam  es  an  Adam  Vogt  von  Hunoltstein,  der  1573  die  Giebel  vollendete.  1716  ging 
es  an  die  Familie  Eckbrecht  von  Dürckheim  über,  kam  fünf  Jahre  später  durch  Kauf 
an  Karl  Heinrich  von  Sohlern  und  aus  dessen  Familie  1831  an  die  von  Hausen. 
Gegenwärtig  befindet  es  sich  in  gräflich  Walderdorf'schem  Besitz  und  ist  als  Wohn- 
haus vermiethet.  Ein  interessantes  Fachwerkhaus,  welches  sich  nördlich  anschloss, 
ist  bei  einem  unter  Hausen'schem  Besitz  ausgeführtem  Umbau  welchem  der  Treppen- 
thurm seine  jetzige  Gestalt  verdankt,  abgebrochen  worden. 

Das  sehr  massiv  gebaute  Haus  enthält  in  dem  wenig  unter  der  Strasse  liegenden 
Untergeschoss  schöne,  auf  Pfeilern  gewölbte  Räume,  die  als  Pferdeställe  gedient 
haben  sollen.  In  dem  Erd- 
und  Obergeschossen  wird 
das  Haus  durch  einen  Quer- 
korridor getheilt,  der  ebenso 
wie  die  Küche  mit  Tonnen- 
gewölben überdeckt  ist;  ein 
im  Erdgeschoss  nach  dem 
Garten  liegender  mit  zwei 
Kreuzgewölben  bedeckter 
Raum  (jetzt  durch  eine  Wand 

getheilt)   war   vielleicht   die  Fig.  III.   Lorch.    Thürsturs  im  Hilchenhaus. 

Hauskapelle.  Dem  Saal  ist  in  zwei  Geschossen  ein  quadratischer  Erker  vorgelegt, 
der  sehr  reiche,  in  Birnstäben  gegliederte  Netzgewölbe  enthält.  Neben  demselben  bildet 
die  durch  eine  Säule  von  dem  Ausgang  nach  dem  Balkon  abgetheilte  Fensternische  ein 


122 


LORCH. 


Fig.  112.   Lorch.   Fenster  gruppe  im  Hilchenhaus. 


charakteristisches  Architekturbild.  Der 
Sturz  über  der  zu  diesem  Saal  führen- 
den Thüre  zeigt  eine  spätgothische 
Ausbildung  mit  dem  Wappenbild  der 
Hilchen,  der  Lilie. 

Im  Aeussern  steigt  die  Fassade 
in  sieben  Axen  auf,  die  am  staffei- 
förmigen Giebel  durch  schmale,  in 
Füllungen  gesetzte Lisenen  mit  herum- 
gekröpften Gesimsbändern  gegliedert 
und  mit  halbkreisförmigen  Muschel- 
giebeln abgeschlossen  sind,  neben 
denen  Steinkugeln  die  Endigung  der 
Lisenen  und  freistehende  Voluten  die 
Ueberleitung  der  Staffeln  bilden.  Die 
steinernen  Kreuzstöcke  der  Fenster 
haben  karniesartig  profilirte  Abfasun- 
gen.  Der  kräftig  vortretende  Erker 
ruht  auf  zwei  gedrungenen  toska- 
nischen  Säulen  mit  schweren  Krag- 
steinen; um  den  Erker  und  über  den  anschliessenden  nördlichen  Theil  der  Fas- 
sade zieht  sich  ein  Balkon ,  dessen  geschlossene  Brüstung  in  ihren  Füllungen 
eine  Reihe  fast  gänzlich  verwitterter  Wappen 
trägt.  Ein  Portal,  welches  den  unter  dem 
Hause  durchgeführten  Strassen-Durchgang 
öffnet,  ist  mit  ziemlich  kunstlosen  Kandelaber- 
säulchen  flankirt ;  der  in  flachem  Giebel  ge- 
brochene Sturz  enthält  eine  Steinskulptur, 
einen  älteren  Mann  in  einer  Schaube  dar- 
stellend, der  einem  stutzerhaft  gekleideten, 
bartlosen  jungen  Manne  einen  Becher  dar- 
reicht. Zwischen  beiden  theilt  eine  Säule 
die  Darstellung,  auf  welcher  ein  jugend- 
licher Herkules  mit  der  Schlange  steht. 
Der  Erker  ist  mit  einer  geschweiften, 
geschieferten  Haube  bedeckt  und  trägt  unter 
den  Fenstern  des  Obergeschosses  einen 
Halbkreis  mit  Muschelmotiv.  Eine  in  der 
Seitenfront  liegende,  jetzt  mit  Brettern 
verschalte  Terrassenthür  soll  eine  einen 
Affen  darstellende  Skulptur  enthalten. 

Fig.  113.   Lorch.  Strassenbild. 


LORCH. 


123 


DIE  BURG  NOLLING. 


Der  kleine  Wehrbau,  welcher  auf  halber  Höhe  des  „Teufelskadrich,"  auf  dem 
rechten  Wisperufer  steil  über  den  Häusern  des  „Kirchspiels"  auf  unzugänglichen 
Schieferschroffen  als  Ruine  erhalten  ist,  darf,  wie  bereits  oben  gesagt  wurde, 
mit  soviel  Wahrscheinlichkeit  als  ein  Aussenwerk  der  Lorcher  Stadtbefestigung 
betrachtet  werden,  dass  seine  Erwähnung  im  Anschluss  an  Lorch  begründet  erscheint. 
So  klein  und  unbedeutend  die  Burg  ist,  so  erscheint  sie  doch  für  die  Geschichte  des  Burgen- 
baues hervorragend  wichtig,  weil  sie  das  einzig  vorhandene  Beispiel  eines  ursprünglich 
in  Holzbau  aufgeführten,  später  mit  einem  Steinmantel  umkleideten  Wehrbaues  ist. 

Eine  Erwähnung  der  Burg  findet  sich  (nach  Bodmann,  S.  170)  bereits  im  Jahre 
1110;  da  im  übrigen  die  Geschichte  über  sie  vollständig  schweigt,  auch  keine  Spur 
einer  Kunstform  an  dem  schlichten  Schieferbau  zu  entdecken  ist,  so  ist  man  auf  das 
angewiesen,  was  der  Bau  selber  von  seiner  Entstehung  verräth. 

Nolling  (auch  Nollig  oder  Nollicht 
geschrieben)  besteht  aus  einem  Burg- 
haus von  zwei  Stockwerken,  von  dem 
noch  die  ca.  9,5  Meter  hohen  Um- 
fassungsmauern stehen;  es  misst  im 
Lichten  7  zu  7  Meter;  die  Mauern 
sind  1 ,33  stark.  Es  liegt  auf  einem  durch 
einen  doppelten  Halsgraben  unmittel- 
bar vor  seiner  Nordwestfront  vom  her- 
absteigenden Gebirg  abgetrennten 
Eelsklotz,  der  an  der  südwestlichen, 
nach  dem  Rhein  abfallenden  Seite  bei 
B  auf  ca.  zehn  Meter  Höhe  dicht  von 
der  Mauer  an  senkrecht  abgearbeitet 
ist;  nach  den  übrigen  Seiten  verläuft 
er  sich  heute  so  in  den  umgebenden 
Weinbergen,  dass  eine  Nachforschung 
nach  etwa  vorhandenen  Ringmauern 
unmöglich  ist. 


üöur&ruiue  jHollinfl 
fori  Xorctj  • 


Fig.,  114. 

Die  Burg  besass  bei  ihrer  Kleinheit  und  ihrer  unmittelbar  an  den  Halsgraben 
vorgeschobenen  Lage  keinen  Bergfried;  dafür  ist  hier,  auf  der  Angriffseite  die  Um- 
fassungsmauer auf  2  Meter  zu  einer  Schildmauer  verstärkt  und  von  zwei  3,80  Meter 
starken  Rundthürmen  fiankirt,  die  durch  einen  in  der  Mauerdicke  ausgesparten  Gang 
mit  einander  verbunden  sind.  Die  Aehnlichkeit  dieser  Anlage  mit  der  Schildmauer 
der  Burg  Ehrenfels  springt  in  die  Augen.  Die  Schildmauer  hat  keinerlei  Durch- 
brechung oder  Scharten,  sodass  ihre  Vertheidigung  nur  von  einem  nicht  mehr  vor- 
handenen oberen  Wehrgang  aus  geschah.  Der  nördliche  der  beiden  Thürme  zeigt  auf 
der  äussern  Seite  (bei  A)  etwa  auf  die  Hälfte  seiner  Höhe  eine  Verzahnung  von  grossen 


124 


LORCH.    RUINE  NOLLING. 


Schieferbruchsteinen,  die  darauf  hindeutet,  dass  sich  hier  eine  Ringmauer  mit  vielleicht 
weiteren  Befestigungen  angeschlossen  hat.  Ob  man  sich  diese  als  den  Berg  hinabsteigend 
und  etwa  im  Zusammenhang  mit  dem  oben  erwähnten  Thorrest  zu  denken  hat  muss  bei 
dem  völligen  Versagen  aller  Spuren  in  dem  Weinbergsgelände  dahin  gestellt  bleiben. 

Weitaus  das  Interessanteste  an  der  Burg  Nolling  sind  die  Spuren  eines  ehemaligen 
Holzbaues,  dessen  vollständiges  Pfosten-,  Riegel-  und  Strebenwerk  sich  in  den  inneren 
Flächen  der  Palasmauern  abzeichnet.    Das  Holz  ist  bis  auf  die  letzte  Spur  verschwunden, 

auch  keine  Reste  von  Brandkohle  bemerkbar. 
Erkennbar  sind  die  hölzernen  Konstruktions- 
theile  als  Kanäle,  die  an  der  Bergseite  mit 
durchschnittlich  30  cm  Breite  und  15 — 20  cm 
Tiefe  offen  liegen.  An  den  drei  anderen 
Seiten  liegen  dieselben,  30  cm  ins  Geviert 
messend,  ca.  35  cm  tief  im  Mauerwerk  und 
sind  meist  nur  da  erkennbar,  wo  Balken- 
köpfe oder  Riegel  eingebunden  waren.  An 
der  Rückseite  der  Schildmauer  ist  auch  noch 
der  Abdruck  einer  Blocktreppe,  ja  an  einer 
Stelle  derjenige  einer  auf  die  Pfosten  aufge- 
nagelten Brettverschalung  im  Mörtel  des 
Mauerwerks  erhalten.  An  dem  obersten  Ende 
der  Pfostenabdrücke  dieser  Wand  sieht  man 
die  Spuren  von  Streben,  welche  sich  schräg 
aufwärts  in  die  Dicke  der  Schildmauer  hinein- 
verlaufen. Selbstverständlich  hat  diese  un- 
gewöhnliche und  auffallende  Konstruktion  ver- 
schiedene Erklärungsversuche  hervorgerufen. 
Von  Cohausen  (Die  Bergfriede  etc.  S.  43  u. 
Tafel  15,  Fig.  85,  86)  ist  geneigt,  dieselbe 
für  eine  Hilfskonstruktion  einer  „im  feind- 
lichen Feuer"  schnell  errichteten  Burg  zu 
Spuren  von  Verzimmerung  an  der  Nordwand.  Gggen   diege  Annahme   scheint  die 

Solidität  der  Holzkonstruktionen  und  die  Stärke  der  Hölzer  zu  sprechen.  Selbst  wenn 
man  annehmen  will,  dass  die  einzig  in  Betracht  kommende  Waldung,  der  Kammer- 
forst in  früheren  Zeiten  hinreichend  starke  Bäume  besessen  hätte,  um  daraus  diese 
30:30  cm  starken  Hölzer  zu  beschlagen,  so  hätte  die  Herrichtung  derselben  und  der 
Transport  auf  die  durch  Fahrwege  unerreichbare  Felsspitze  wochenlange  Arbeit  be- 
durft, konnte  also  nicht  wohl  als  plötzlicher  Nothbau  gegen  einen  heranrückenden 
Feind  ausgeführt  werden.  Piper  (Burgenkunde  S.  167  ff.)  der  sich  ebenfalls  gegen 
die  Cohausen'sche  Erklärung  wendet,  scheint  die  Burg  nicht  selbst  besucht  zu  haben, 
da  er  die  Holzkonstruktion  als  eine  Verstärkung  des  Mauerwerks  „begründet  durch 
die  Kleinheit  und  Unregelmässigkeit  der  Bausteine"  ansieht.   Die  Schildmauer,  auf 


Fig.  115.    Burgruine  Nolling. 


LORCHHAUSEN. 


125 


deren  Stärke  es  doch  wesentlich  ankam,  ist  nun  grade  aus  besonders  grossen  Schiefer- 
bänken von  ca.  1  Meter  Länge  und  25  cm  Dicke  aufgemauert.  Die  drei  andern 
Mauern  des  Palas  zeigen  allerdings  kleinere  Steine ,  jedoch  nicht  kleiner,  als  die 
meisten  mittelrheinischen  Burgen,  bei  deren  keiner  man  die  hier  angewendete  Holz- 
konstruktion findet. 

Vielleicht  bietet  sich  als  einfachste  Erklärung  die  Annahme,  die  auch  bei  einer 
Entstehung  der  ßurg  im  Anfang  des  12.  Jahrhunderts  nichts  Auffälliges  hätte,  dass 
der  kleine  Wehrbau  zuerst  als  Holzhaus  erbaut  worden  ist.  Die  oben  erwähnten, 
von  der  Spitze  der  nach  der  Angriffsseite  gekehrten  Wand  nach  aussen  schräg  empor- 
geführten Streben  hätten  dann  vielleicht  einen  an  dieser  Stelle  nothwendigen  hölzernen 
Wehrgang  getragen.  Bei  einer  später  als  nöthig  befundenen  Verstärkung  der  Burg 
hat  man  dann  die  steinerne  Ummantelung  nebst  Schildmauer  und  Eckthürmen  aus- 
geführt, wobei  man  natürlich  die  alte  Ausmauerung  der  Fachwerkwände  heraus- 
schlagen und  diese  im  Verband  mit  der  Ummantelung  neu  ausmauern  musste. 

LORCHHAUSEN. 

Das  Dorf  Lorchhausen  liegt  zwei  Kilometer  nördlich  von  Lorch  als  nördlichster 
Ort  des  Rheingaus  da,  wo  in  das  Rheinthal  das  Niederthal  einmündet,  das  nach  dem 
Weisthum  von  1454  die  Grenze  zwischen  Rheingau  und  Einrich  bildete.  In  frühen 
Urkunden  (Sauer  484)  kommt  es  unter  dem  Namen  Husen  vor;  schon  1264  (ibid.  753) 
finden  wir  als  Zeugen  einen  Henricus  plebanus  de  Husen.  Auch  später,  1390  wird 
ein  Pleban  und  Frühmesser,  1401  ein  Kapellan,  1482  wieder  ein  Pleban  nebst  Früh- 
messer in  Lorcherhausen,  wie  es  auch  genannt  wird,  erwähnt.  Doch  gehörten  (nach 
Zaun)  diese  Geistlichen  nach  Lorch,  wo  sie  residirten  und  noch  weitere  Benefizien 
hatten.  Denn  erst  1551  besserten  sich  die  Einkünfte  der  Kirche  in  Lorchhausen  durch 
Legat  eines  Wohnhauses  und  etlicher  Weingärten  soweit,  dass  daselbst  eine  eigene 
Pfarrei  gegründet  werden  konnte. 

Ueber  die  Schicksale  des  kleinen  Ortes  fehlen  alle  Nachrichten.  Man  darf  an- 
nehmen, dass  es  ein  Ableger  von  Lorch  gewesen  ist  und  dass  Adelige ,  welche  in 
Lorch  keinen  Platz  zur  Ansiedelung  fanden,  sich  diesem  nahe  gelegenen  Dorf  zu- 
wandten. Wiederholt  werden  Adelige,  die  sich  ,von  Lorchhausen'  nennen,  in  Urkunden 
erwähnt;  so  1361  (Sauer  3028)  bekundet  Billunk  von  Lorchhausen  mit  dem  Grafen 
Wilhelm  von  Katzenelnbogen  gesühnt  zu  sein.  Am  12.  Mai  1373  verpfändet  der 
Henne  Humbrecht  von  Lorchhausen,  Scheffe  daselbst,  dem  Heinrich  Wesche  von 
Lorchhausen,  Edelknecht,  einen  daselbst  gelegenen  Weinberg  und  ersucht  den  Edel- 
knecht Stauche  von  Lorchhausen  diese  Urkunde  zu  besiegeln. 

Der  Erwerb  des  Ortes  hat  sich,  wie  man  aus  seiner  Lage  schliessen  darf,  auf 
den  Weinbau  beschränkt.  Solange  das  gegenüberliegende  Bacharach  der  Haupt- 
stapelplatz des  Rheinischen  Weinhandels  war ,  darf  der  Lorchhausener  Weinbau  als 
blühend  betrachtet  werden.    Dass  der  Ort  im  Mittelalter  eine  gewisse  Bedeutung 


126 


LORCHHAUSEN.    DIE  BURGEN  DES  WISPERTHALES. 


gehabt  hat,  geht  aus  den  Resten  von  Befestigungen  hervor,  die  sich  noch  heute  auf 
der  Höhe  der  Kirche  finden  und  einer  Burg  Saareck  oder  Saureck  angehört  haben 
sollen.  Von  einer  etwaigen  Befestigung  des  Ortes  nach  der  Rheinseite  hat  der  Bahn- 
bau alle  Spuren  bis  auf  einige  wohl  hierher  zu  rechnende  Thore  verwischt.  Von 
der  ursprünglichen  Kirche  berichtet  Zaun  (351  ff.),  dass  sie  sehr  alt,  dem  heil.  Boni- 
fazius  geweiht  und  dass  ihr  Thurm  mit  vier  Nebenthürmchen  geziert  gewesen  sei.  Im 
Jahre  1872  ging  sie  durch  Brand  gänzlich  zu  Grunde  und  wurde  in  den  folgenden 
Jahren  durch  einen  stattlichen  Neubau  ersetzt,  welcher  in  gothischen  Formen  in  Bruch- 
stein mit  Sandstein- Architekturtheilen  errichtet,  im  Grundriss  Kreuzform  und  Basiliken- 
Anlage  mit  drei  Schiffsjochen  und  Westthurm  zeigt. 

Die  Ruinen  der  alten  Kirche,  jetzt  als  Scheune  benutzt  und  unter  Dach 
gehalten,  stehen  auf  dem  rechten  Bachufer.  Ihr  gegenwärtiger  Bestand  lässt  von  einem 
lrühenBau  nichts  mehr  erkennen ;  vielmehr  weisen  die  sehr  spärlichen  Architekturformen 
auf  das  17.  Jahrhundert. 

DIE  BURGEN  DES  WISPERTHALES. 

GEROLSTEIN,  LAUKENMÜHLE,  KAMMERBERG,  RHEINBERG. 


^AS  WISPERTHAL  enthält  auf  seinem  langgestreckten  Lauf  eine  Anzahl 
von  Wehrbauten,  die  leider  erst  so  spät  in  der  Geschichte  auftreten,  dass 
man  daraut  verzichten  muss,  für  ihre  ursprüngliche  Anlage  nach  einem 
gemeinschaftlichen  Plane  zu  suchen.  Wohl  drängt  sich  der  Gedanke  an 
einen  solchen  auf,  wenn  man  das  tief  eingeschnittene  Thal  als  natürlichen  Grenzgraben 
des  Rheingaus  gegen  Nordwesten  betrachtet.  Auf  der  andern  Seite  ist  das  Wisperthal 
aber,  wie  bereits  oben  erwähnt  wurde,  die  natürlichste  und  wichtigste  Verkehrsstrasse, 
welche  aus  dem  durch  das  Bollwerk  des  Rheingauergebirges  vom  Fluss  abgeschnittenen 
Hinterland  zum  Rhein  führt.  Wenn  daher  die  höher  gelegenen  Burgen,  Gerolstein 
und  Rheinberg  in  den  gesetzlosen  Zeiten  des  spätem  Mittelalters  den  auf  ihnen  hau- 
senden Dynastengeschlechtern  als  sichere  Rückzugspunkte  für  die  durch  jene  Ver- 
kehrsstrasse begünstigten  Fehden  und  Raubzüge  dienen  konnten,  so  sind  die  kleineren 
Burgen  Haneck,  Laukenmühle  und  Kammerberg  doch  vielleicht  nicht  mit  Unrecht  wegen 
ihrer  Lage  unmittelbar  an  der  das  Thal  durchziehenden  Strasse  als  Anlagen  zum  Schutz 
oder  zur  gelegentlichen  Sperrung  der  letzteren  aufzufassen,  zumal  ihre  Kleinheit  kaum 
gestattet,  sie  sich  als  Wohnsitz  zahlreicher  Burgmänner  vorzustellen.  Allen  gemein- 
schaftlich ist  der  Charakter  ziemlich  roher  Nutzbauten ;  bei  keiner  derselben  findet  sich 
eine  weitergehende  architektonische  Ausbildung.  Ihr  Baumaterial  ist  der  im  Thal 
brechende  Schiefer  ohne  Anwendung  von  Hausteinen. 


WISPERTHAL.  GEROLSTEIN. 


127 


Gerolstein,  auf  dem  linken  Ufer  des  Baches  am  meisten  thalaufwärts  ge- 
legen, nimmt  einen  vom  Gebirge  gegen  das  Thal  vortretenden,  nach  den  Seiten  steil 
abfallenden  Schieferfelsen  ein,  dem  sich  die  Burg  in  ihrer  Anlage  anschliesst.  Der 
jetzige  Zustand  des  Bauwerks  ist  derart,  dass  sie  nicht  ohne  Gefahr  zu  ersteigen, 
und  dass  ihr  westlicher  Theil,  den  Lötz  noch  besucht  zu  haben  scheint  fast  unzu- 
gänglich ist. 

Von  der  Geschichte  der  Burg  und  des  auf  ihr  wohnenden  Rittergeschlechtes 
das  den  Namen  von  Gerardestein,  Gerhartstein,  Gerartstyn  und  Gerolstein  führt, 
ist  wenig  bekannt.  Seit  der  Mitte  des  13.  Jahrhunderts  (nach  Vogel  seit  1170)  er- 
scheinen Mitglieder  der  Familie  wiederholt  als  Zeu- 
gen. 1268  schlichtet  ein  Kuno  von  Gerolstein 
(Sauer  792)  einen  Streit  mit  dem  Kloster  Schönau 
durch  einen  Vergleich  ;  1292  wird  (Sauer  1138)  Henzo 
von  Gerhardesteins  Gefolgmann  des  Grafen  Adolf 
von  Berg  dem  Grafen  Eberhard  von  Katzenelnbogen 
tauschweise  als  Lehnsmann  überwiesen.  Seit  dieser 
Zeit  scheint  die  Burg  Katzenelnbogen'sches  Lehen 
gewesen  zu  sein,  bis  die  Familie  1573  mit  Heinrich 
von  Gerolstein  ausstarb.  Das  Lehen  fiel  an  Land- 
graf Philipp  II.  als  Inhaber  der  niederen  Grafschaft 
Katzenelnbogen  zurück,  der  die  von  Nordeck  mit 
einem  Theil  belehnte.  Das  einzige  aus  der  Ge- 
schichte der  Burg  überlieferte  Ereigniss  ist  die  Be- 
lagerung derselben  durch  Erzbischof  Balduin  von 
Trier  1553,  die  aber  wegen  Wassermangel  der  Be- 
lagerer aufgehoben  werden  musste.  Schon  1301  wird 
eine  Burgkapelle  erwähnt ;  1363  dotirten  Philipp  Ger- 
hard und  Cuno  von  Gerolstein  den  Marienaltar  in  der 
Dorfkapelle;  1405  gab  Philipp  von  Gerolstein  der  Burgkapelle  von  Haneck  verschiedene 
Güter  zu  Kesselbach,  Ockenheim  und  Hahn  bei  Bleidenstadt. 

Durch  einen  in  den  Schiefergrat,  auf  welchem  die  Burg  liegt  eingeschnittenen 
Halsgraben  von  ca.  20  Meter  oberer  Weite  von  dem  überhöhenden  Bergrücken  ge- 
trennt gehört  die  Anlage  zu  denen,  welche  dem  Angreifer  zunächst  den  Bergfried 
entgegenstellen.  Dieser  erhebt  sich  ca.  30  Meter  vom  Halsgraben  entfernt  auf  steil 
ansteigendem  Terrain,  und  richtet  der  Angriffseite  3  Seiten  eines  Siebenecks  entgegen ; 
an  der  Westseite,  welche  dem  verschwundenen  Thor  zugekehrt  war,  sind  Vorkragungen 
für  Pechnasen  zu  bemerken.  Das  runde  Innere  ist  jetzt  durch  eine  niedrige,  in  die 
Südostseite  gebrochene  Lücke  zugänglich.  Die  an  den  Bergfried  anschliessende  östliche 
Umfassungsmauer  der  Burg  ist  in  stumpfem  Winkel  nach  aussen  geknickt.  Die  Ecke 
nimmt  ein  achteckiger  Treppenthurm  ein,  der  ebenso  wie  die  neben  ihm  bemerkbaren 
Auskragungen  für  einen  Abtritt  darauf  zu  deuten  scheint,  dass  sich  hier  im  Innern 
der  Palas  angelehnt  hat.    Am  nördlichen  Ende  dieser  Umfassungsmauer  wo  dieselbe 


»IIP, 

Fig.  116.    Gerolstein.  Gritmliiss. 


128 


GEROLSTEIN.    HANECK.  LAUKENMÜHLE. 


nach  Westen  umbiegt  befinden  sich  die  Reste  eines  ausgekragten  achteckigen  Wich- 
häuschens. Von  dieser  Ecke  aus  führen  Reste  einer  Zwingermauer  auf  dem  steilen 
Berggrat  abwärts ;  sie  führen  zu  einem  tief  unter  der  Burg  gelegenen  äusseren  Thor, 
flankirt  von  einem  sechseckigen  Thürmchen. 

Im  Innern  des  Burghofs  sah  Lötz  noch  „westlich  von  der  Wendeltreppe  ein 
Mauerstück  mit  spitzbogigem  Thore,  neben  welchem  östlich  und  in  weiterer  Entfer- 
nung an  einer  westlichen  Ecke  runde  Wandpfeiler,  nach  Süden  vorspringend  und  nördlich 
Stichbogenblenden,  unter  deren  einer  eine  rundbogige  Thür;  über  dem  Thore  ein 
Kamin,  die  übrigen  Thüren  der  Burg  mit  Stichbogen." 

Auf  einer  viel  niedrigeren,  nordwestlich  von  dem  Burgfelsen  sich  abzweigenden  Fels- 
stufe liegt  die  Ruine  der  kleinen  Burg  H  a  n  e  c  k ,  (im  Volksmunde  die  „Junkernburg"  ge- 
nannt), aus  einem  runden  Thurm  mit  anschliessenden  Mauerresten  bestehend.  Sie 
wurde  von  Mitgliedern  der  Gerolsteiner  Dynastenfamilie  bewohnt  und  findet  zuerst 
1405  bei  der  oben  erwähnten  Begabung  ihrer  Kapelle  durch  Philipp  von  Gerhardstein 
Erwähnung.  1461  war  sie  Mainzer  Lehen.  Wilhelm  Hedderich  von  Gerolstein,  der 
1569  ohne  Nachkommen  starb,  war  der  letzte  seines  Geschlechts,  welcher  die  Burg 
bewohnte.  Seine  Wittwe  wurde  1574  vom  Erzbischof  von  Mainz  mit  600  fl.  abgefunden 
und  von  da  an  das  Schloss  Haneck  nebst  Zubehörungen  bis  nach  1621  vom  Kur- 
mainzischen Landschreiber  im  Rheingau  verwaltet.  Später  waren  die  Erbamtmänner 
Brenner  von  Lahnstein  in  Reichenberg  von  Hessen  mit  der  Burg  belehnt.  Die  Zeit 
der  Zerstörung  ist  hier  ebensowenig  bekannt  wie  bei  Gerolstein.*) 

Etwa  eine  Stunde  unterhalb  Gerolstein  liegt  die  kleine  Burg  Lauken- 
mühle. Sie  nimmt  die  nur  wenige  Meter  über  den  Thalgrund  sich  erhebende 
Felsennase  ein,  welche  hier  die  Wisper  zwingt,  einen  scharfen  Bogen  über  Nordwesten 
zu  beschreiben. 

Ueber  Gründung  und  Zerstörung  dieses  Burghauses  ist  nichts  bekannt.  Sie 
war  Mainzer  Lehen  und  durch  Erzbischof  Konrad  III.  zuerst  einem  Wildgrafen  von 
Daun,  dann  1424  dem  Vicedom  Kuno  von  Scharffenstein  und  dem  Adam  von  Allendorf 
auf  Lebenszeit  eingeräumt.  Später  gelangte  die  Burg  an  die  von  Breitbach  und  von 
Greiffenklau,  die  sie  1508  dem  Wilhelm  von  Hemdling  überliessen.  Als  sie  1527  an 
Mainz  zurückfiel,  war  sie  schon  verfallen. 

Die  Burg,  ein  schlichter  Schieferbau  ohne  jede  Kunstform  bestand  aus  einem  vier- 
eckigen Wohnthurm,  der  durch  einen  doppelten,  scharf  in  das  Schiefergebirg  einge- 
schnittenen Halsgraben  gegen  die  Bergseite  geschützt,  die  nach  dieser  Seite  gerichtete 
Frontmauer  mit  abgerundeten  Ecken  auf  zwei  Meter  Dicke  verstärkt  zeigt.  An  den 
runden  Ecken  sind  niedrige  Mauerklötze  vorgelegt,  welche  vielleicht  die  Auflager  der 
Zugbrücke  bildeten. 

Es  sind  noch  drei  Stockwerke  mit  hölzerner  Zwischendecke  zu  erkennen,  welche 
im  Innern  3,90  auf  4,10  Meter  messen.  Im  unteren  liegt  neben  der  südöstlichen  Ecke 
die  rundbogige  Eingangsthür,  in  deren  mit  Holzbalken  überdeckter  Leibung  die 


*)  Götze,  Handschrift!.  Mittheilungen  zur  Gesch.  der  Burg  Haneck  bei  Lötz  212. 


LAUKENMÜHLE.  KAMMERBERG. 


129 


Löcher  für  den  Riegelbalken  erhalten  sind.  Neben  der  Thür  in  der  Ostseite  ist  ein 
schräg  gegen  die  Angriffsseite  gerichtetes  Schiessloch.  Im  ersten  Obergeschoss  ist 
in  der  Ostwand  eine  runde  Kamin-Nische  erkennbar ;  in  der  Südostseite  eine  grosse 
rechteckige  Fensterblende  mit  hölzernem  Sturz  und  ein  kleiner  Wandschrank.  Im 
folgenden  Geschoss  hat  die  Südwand  noch  Reste  von  Fensterpfeilern  mit  schwächeren 
Brüstungen ,  die  vielleicht  auch  Reste  von  Zinnen  sein  können ;  eine  Untersuchung 
ist  bei  der  Baufälligkeit  nicht  möglich.  Die  Nordostecke  des  Baues  mit  den  Hälften 
der  anstossenden  Mauern  ist  eingefallen. 

Auf  dem  Rücken  des  Bergsattels,  der  zwischen  dem  (westlichen)  Hemsbach  und 
dem  (östlichen)  Werkerbach  sich  zum  Wisperthal  hinabsenkt  und  der  auf  seiner 
mittleren  Stufe  die  Stammburg  der  Rheingrafen  trägt,  liegen  auf  einem  tieferen 
Plateau,  wenig  über  die  Thalsohle  erhoben,  die  Reste  der  Burg  Kammerberg. 
Wenn  Vogel  dieser  Burg  als  mitten  im  Erzstiftischen  Kammerforst  erbaut,  nur  die 
Bedeutung  eines  Jagdschlosses  beimessen  will,  so  spricht  dagegen  einmal  ihre  wehr- 
hafte Anlage,  dann  aber  auch  der  bezeichnende  Umstand,  dass  grade  hier  die  vom 
Weissenstein  herabsteigende  Gau-Befestigung,  das  Gebück,  den  Wisperbach  überschritt, 
um  westlich  von  Rheinberg  nach  Ransel  emporzusteigen.  Eine  Beziehung  dieser  Burg- 
anlage zu  der  wichtigen  Landesbefestigung  ist  daher  wohl  mit  Sicherheit  anzunehmen. 

Leider  sind  die  geschichtlichen  Ausweise  über  Burg  Kammerberg  ebenso  dürftig, 
wie  diejenigen,  welche  uns  die  spärlichen,  heute  noch  erhaltenen  Reste  geben.  Man 
weiss,  dass  sie  Besitz  des  Mainzer  Erzstiftes  war  und  dass  sie  von  Erzbischof  Gerhard 
zeitweilig  bewohnt  wurde,  der  1298  und  1303  von  hier  Urkunden  datirt.  Ebenso,  dass 
sie  keinem  Rittergeschlecht  den  Namen  gab,  sondern  mit  Burgmännern  besetzt  war.  Ein 
solcher  war  der  Edelknecht  Rudolf  Deikner  1340.  Im  selben  Jahre  nimmt  ein  Spon- 
heimischer Vasall,  der  Weinberge  in  Lorch  besass,  von  ihr  den  Namen  Peter  von  Camer- 
berg an.  Im  16.  Jahrhundert  wurde  sie  mehrfach  verpfändet,  so  an  die  Herrn  von  Rüdes- 
heim, die  von  Blankenheim,  endlich  an  Kurpfalz.  Anfangs  des  19.  Jahrhunderts  wurde  die 
Ruine,  ebenso  wie  Rheinberg  an  Freiherrn  von  Zwierlein  in  Geisenheim  verkauft,  von  wel- 
chem in  den  letzten  Jahren  beide  Burgen  in  den  Besitz  der  Familie  Haniel  übergegangen  sind. 

Der  noch  erkennbare  obere  Burgbering  von  ca.  elf  Meter  Breite  und  zwanzig 
Meter  Längenausdehnung  von  Nord  nach  Süd  lässt  an  der  Nordfront  noch  die  auf  ca. 
vier  Meter  Höhe  stehende,  1,60  starke  Schildmauer  erkennen,  welche  sich  in  stumpfem 
Winkel  gegen  die  Bergseite  ausbiegt  und  westlich  in  einem  starken  viereckigem  Pfeiler 
endigt.  Mauer-Reste  eines  tieferen  Zwingers  umziehen  den  Bering  an  der  West-  und 
Südseite.  Architektonische  Einzelheiten  sucht  man  in  den  Trümmern  der  aus  Schiefer 
errichteten  Mauern  vergeblich. 

Ergiebiger  als  die  bisher  betrachteten  Burgruinen  ist  das,  was  Rheinberg  dem 
Forscher  bietet,  wie  auch  seine  Geschichte  enger  mit  der  des  Rheingaues  verknüpft 
ist.  Als  Sitz  der  Rheingrafen,  die  ihr  den  Namen  gaben,  gehört  sie  wohl  zu  den 
frühesten  Burgen  des  Rheingaus.  Nach  Vogel  wird  sie  schon  1170  als  Mainzer  Lehen 

9 


130 


BURG  RHEINBERG.  GESCHICHTE. 


genannt,  und  war  eine  der  vier  Burgen,  die  das  Erzstift  zur  Verteidigung  der  Landes- 
grenzen baute  (Rheinberg,  Scharfenstein,  Eltville  und  Ehrenfels).  Erzbischof  Conrad 
führt  in  einer  zwischen  1187  und  1190datirten  Urkunde  unter  anderen  Beeinträchtigungen 
des  Erzstiftes  auch  die  Entfremdung  von  Burgen,  sicuti  Reinberc,  quod  domno  vegi  cot- 
latumfuit,  an  (Sauer  287).  Um  1200  hatten  die  Rheingrafen  ansehnliche  Burglehne  an  die 
Ritter  von  Katzenelnbogen,  Blidenstadt,  Waldeck,  Bodo  von  Edichenstein,  Specht  von  Dietz 
und  an  Eberbach  ausgesetzt  (Vogel).  In  den  Urkunden  des  dreizehnten  Jahrhunderts  be- 
gegnet man  den  Herren  von  Rheinberg  häufig  als  Truchsessen  des  Erzstiftes.  Durch  Heirath 
einer  rheingräflichen  Tochter  kam  Ylob  die  Hälfte  des  Lehens  an  die  Ritter  von  Heppenheft. 


C 


Fig.  117.    Ruine  Rheinberg  von  Südost. 


Als  Nachwirkung  der  Sponheimer  Fehde  hatte  die  Burg  Rheinberg  1279  eine 
schwere  Belagerung  durch  Erzbischof  Werner  zu  bestehen.  Diese  Fehde,  in  welcher 
der  höhere  Adel  des  Erzbisthums  und  der  Nachbargebiete  gegen  den  von  den  Städten 
unterstützten  Erzbischof  stand,  hatte  durch  die  Schlacht  bei  Sprendlingen,  in  welcher 
Siegfrid  von  Rheinberg  mit  den  Leiningen  und  Katzenelnbogen  gefangen  worden  war, 
für  das  Erzstift  glücklich  geendet.  Jetzt  zog  Werner,  um  den  abtrünnigen  Lehnsmann 
zu  strafen,  zur  Belagerung  vor  dessen  Burg.  Von  dieser  Belagerung  wird  die  Er- 
richtung eines  Gegenforts,  der  „Aachener  Schanze,"*)  durch  Aachener  Tuchweber  er- 
wähnt, was  den  Gedanken  nahelegt,  dass  mit  diesen  auch  die  Tuchweber  von  Lorch 
vor  der  Burg  des  Rheingrafen  gelegen  haben  könnten.  Die  Burg  wurde  erobert, 
vermutlich  nach  starker  Gegenwehr,  da  bei  der  Belagerung  der  ursprüngliche  Bergfried 
zerstört  zu  sein  scheint.  Die  Rheingrafen  wurden  gezwungen,  ihre  Burg  zu  verlassen ; 
sie  wanderten  in  den  Nahegau  aus  und  bauten  die  Burg  Rheingrafenstein  am  Ausfluss 
der  Alsenz  in  die  Nahe,  die  sie  fortan  als  offenes  Haus  des  Erzbischofs  halten  mussten. 
Werners  Nachfolger,  Erzbischof  Gerhard  scheint  die  durch  die  Belagerung  ent- 
standenen Schäden  von  Rheinberg  bald  wieder  beseitigt  zu  haben.    Der  jetzt  noch  er- 

*)  S.  über  diese  Nass.  Annalen  XIII,  S.  149. 


BURG  RHEINBERG. 


131 


haltene  Bergfried  dürfte  dieser  Wiederher- 
stellung angehören.  Doch  sollte  das  Erzstift 
nicht  lange  im  Besitz  der  Burg  bleiben,  die 
nach  Ausbruch  des  sogenannten  Zollkriegs 
zwischen  den  mit  den  Pfalzgrafen  verbünde- 
ten rheinischen  Kurfürsten  und  dem  König 
Albrecht ,  auf  dessen  Seite  die  Rheinischen 
Städte  traten,  im  Jahre  1301  von  Albrecht  ge- 
nommen und  bis  1304  gegen  die  Belagerung 
der  Erzbischöflichen  gehalten  wurde. 

Im  weiteren  Verlauf  des  14.  Jahrhunderts 
wurde  Rheinberg  zur  Ganerbenburg,  an  der 
neben  den  Granssen  von  Rheinberg  noch  die 
von  Wunneburg  und  die  von  Scharffenstein  mit 
Katzenelnbogen  und  Schmiedeburg  je  zu  ein 
Drittel  Antheil  hatten.  Das  Lehensverhältniss 
zu  Mainz  scheint  um  diese  Zeit  erloschen  zu 
sein,  denn  1399  trugen  die  Ganerben  sie  dem 
Pfalzgrafen  Ruprecht  zu  Lehen  auf.  Dieser 
nahm  1401  die  Ritter  Ulrich  von  Schmiedeberg, 
Johann  von  Schauenburg  und  Hans  von  Cronen- 
berg zu  Ganerben  auf.  Einen  neuen  Burg- 
frieden errichtete  Kurfürst  Friedrich  I.  mit  den 
damaligen  Inhabern,  den  Granssen  von  Rhein- 
berg, den  Hilchen  von  Lorch,  den  Herrn  von 


Fig.  118. 

Burg  Rheinberg.  Bergfried-Durchschnitt. 
Hohenweisel  und  Lindau.  Noch  1471  wurde  die  Burgkapelle  mit  dem  Altar  des  heiligen 
Kreuzes  mit  einem  Geistlichen  versehen.  Dies  ist  die  letzte  Nachricht  von  dem  Rheinberg, 
der  mit  Gütern  und  Gefällen  in  neueren  Zeiten  ein  Lehen  der  Grafen  von  Sickingen 
und  im  19.  Jahrhundert  an  die  Herren  von  Zwierlein  verkauft  wurde  Die  1226 
zuerst  erscheinende  alte  Familie  der  Herren  von  Rheinberg,  die  Mainzer  Truch- 
sesse  waren,  starb  1615  aus. 

Die  langgestreckte  Burganlage  ist  gegen  die  stark  überhöhende  Angriffseite 
durch  einen  breiten  Halsgraben  geschützt,  in  welchem  noch  der  gemauerte  Mittelpfeiler 
der  Brücke  erhalten  ist.  Vor  demselben  trug  ein  künstlich  abgeebnetes  Felsstück,  noch- 
mals durch  einen  Halsgraben  gegen  die  Bergseite  geschützt,  ein  jetzt  ganz  ver- 
schwundenes Vorwerk.  Den  Kern  der  Burg  bildet  der  Bergfried,  welcher  auf 
einem  ausgesparten  Felsklotz  den  höchsten  Theil  einnimmt.  Er  ist  ziemlich  genau 
nach  den  Himmelsgegenden  gerichtet,  sodass  er  der  Angriffseite  seine  nordwestliche 
Ecke  zuwendet.  Er  hat  schwach  trapezförmigen  Grundriss  bei  innerem  Masse  von 
3,07  auf  2,50  Meter.  Die  Mauerstärke  beträgt  2,20  Meter.  Ueber  dem  Verliess  hatte 
er  drei  durch  Balkenlagen  getrennte  Stockwerke,  welche  durch  Leitern  miteinander 


132 


DIE  BURGEN  DES  WISPERTHALES. 


Örfibfn 


iL 


verbunden  waren.  Kamine  sind  noch  im  ersten  und  zweiten  Geschoss  an  der 
Nordseite  zu  erkennen  ;  im  zweiten  ist  der  auf  hölzernen  Unterzügen  gemauerte  Mantel 
erhalten.  Hier  haben  die  Ost-  und  Westseiten  (die  Südseite  ist  zerstört)  tiefe  Spitz- 
bogenblenden mit  Steinsitzen,  zwischen 
denen  sich  schlitzartige  Fenster  in  sich 
stark  erweiternden  Leibungen  mit  Holz- 
überdeckung öffnen.  Aehnliche  etwas 
grössere  Fenster  im  dritten  Stock  haben 
Holzstürze.  Ueber  dem  dritten  Geschoss 
war  ein  Wehrgang  mit  je  drei  Scharten 
auf  jeder  Seite,  die  nur  zum  Theil  noch 
erhalten  sind. 

An  den  Bergfried  (s.  Grundriss  A) 
schliesst  sich  auf  der  Höhe  des  Felskegels 
der  innere  Burghof.  Vor  die  Ostmauer 
desselben,  die  mit  der  Nordmauer  eine 
abgerundete  Ecke  bildet,  ist,  jedenfalls 
zur  pfälzischen  Zeit,  ein  Geschütz-Rondel 
(B)  vorgelegt,  in  etwas  überhöhtem  Halb- 
kreis vortretend,  welches  über  dem  ein- 
gefallenen Tonnengewölbe  des  Unterge- 
schosses drei  Geschützlöcher  zeigt. 

An  die  Südwestecke  des  Bergfrieds 
schliesst  sich,  die  Westseite  desselben 
fortsetzend  eine  mit  zwei  Rundbogen- 
blenden versehene  Mauer,  welche  den 
tiefer  gelegenen  südlichen  äussern  Burg- 
hof abschliesst.  Die  südöstliche  Abschluss- 
mauer desselben  hat  einen  erkerartigen 
Ausbau. 

Ebenso  schliesst  sich  nördlich  an  die 
innere  Burg,  etwa  5  Meter  tiefer  als  diese, 
ein  grosser  nördlicher  Burghof  an,  durch 
eine  lange  und  hohe  Futtermauer  nach 
dem  westlichen  Bergabhang,  der  steil 
Fig.  U9.  Ruine  Rheinberg.  Grundriss.  ins  Hemsbachthal  abfällt,  begrenzt.  Er 

enthält  dicht  unter  dem  Felskegel  des  oberen  Burghofs  den  noch  erhaltenen  Brunnen. 
In  der  nordwestlichen  Abschlussmauer  dieses  Hofes  war  das  rundbogige  Haupt- 
thor, an  dem  noch  die  Schlitze  für  den  Riegelbalken  erhalten  sind.  Vor  diesem  Thor 
bis  dicht  an  den  steil  eingeschnittenen  Halsgraben  vortretend  liegt  eine  kleine  Vor- 
burg, in  deren  nordwestlicher  Ecke  ein  Wachthaus  zu  erkennen  ist. 

3^ 


133 


ASSMANNSHAUSEN. 

AS  DORF  ASSMANNSHAUSEN  liegt  vier  Kilometer  nordwestlich  von 
Rüdesheim  an  dem  durch  den  jähen  Abfall  des  Niederwaldes  hier  besonders 
eingeengten -Rheinufer  auf  der  kleinen  Erweiterung,  welche  die  Mündung 
des  steilen  und  engen,  von  dem  Aulhauser  Bach  durchströmten  Höllenthals 
in  das  Rheinthal  bildet.  Auf  diesem  knappen  Raum  eng  zusammengedrängt  sind  die 
Häuser  des  Ortes  theils  an  der  Lorcher  Strasse,  theils  in  das  Höllenthal  hinauf  um 
die  Pfarrkirche  gruppirt,  welche  auf  dem  linken  Ufer  des  Aulhauser  Baches .  nächst 
der  Lorcher  Strasse  auf  etwas  erhöhtem  Bauplatz  errichtet  ist. 

Die  erste  urkundliche  Er- 
wähnung des  Ortes  (Sauer 
157)  von  1108  hat  die  Na- 
mensform Hasemanneshusen 
und  bezieht  sich  auf  Neu- 
anlage von  Weinbergen,  was 
für  eine  bereits  frühere  Wein- 
kultur des  Ortes  spricht.  In 
der  That  wäre  die  Anlage 
eines  Dorfes  an  diesem  von 
dem  Verkehr  mit  dem  übri- 
gen Rheingau  fast  ganz  ab- 
geschnittenen Orte  schwer 
zu  erklären,  wenn  nicht  schon 
früh  die  bevorzugte  Eignung 
der  nächstgelegenen  Höhen,  j 
besonders  der  Berglehne  auf 
dem  rechten  Ufer  des  Aul- 
hauser Baches  erkannt  und 
ausgenutzt  wäre.  Seine  Be- 
zeichnung als  „villula"  in 
einerUrkunde  vonl  173  deutet 

noch  auf  geringe  Einwohner-     Fig.  120.   Assmannshausen.   Strassenbild  (nach  Reiffenstein). 


134 


ASSMANNSHAUSEN.  PFARRKIRCHE. 


zahl,  sodass  es  nicht  Wunder  nehmen  kann,  wenn  es  einer  eigenen  Gerichtsbarkeit 
entbehrte  und  noch  in  einer  Verfügung  des  Mainzer  geistlichen  Gerichts  von  1325 
unter  der  Jurisdiktion  des  Rüdesheimer  Gerichtes  stehend  erscheint ;  doch  besass  es 
bereits  1361  ein  eigenes  Schöffengericht.  Die  Bedeutung  des  Ortes  wuchs  durch  die 
Erwerbung  von  Weingütern,  welche  viele  auswärtige  Adelsgeschlechter,  Stifte  und 
Klöster  innerhalb  seiner  Gemarkung  vollzogen.  So  finden  wir  Ende  des  15.  Jahr- 
hunderts die  Grafen  von  Sponheim  und  von  Nassau  -  Saarbrücken  und  im  16.  die 
von  Molsberg  hier  begütert ;  im  Jahre  1676  verkauften  die  Mosbach  von  Lindenfels 
ihre  hier  belegenen  Lehengüter  an  die  Familie  von  Schönborn,  in  deren  Besitz  sie 
noch  in  neuerer  Zeit  waren. 

Ausser  dem  Weinbau,  der  in  früherer  Zeit  vorwiegend  weissen  Wein,  erst  seit 
dem  Jahre  1740  nach  einem  grossen  Frostschaden  den  dem  Burgunder  ähnlichen 
Rothwein  kultivirte,  bildete  auch  der  Bergbau  eine  wenn  auch  nicht  bedeutende 
Einnahmequelle  des  Ortes.  Das  Bergwerk,  welches  auf  Silber  abgebaut  wurde,  verlieh 
Erzbischof  Dietrich  von  Erbach  1437  an  Kraft  von  Diefenbach  und  Wenzel  Swenken- 
stein  und  ihre  Erben.  Erzbischof  Diether  von  Isenburg  erliess  1478  für  die  Gruben 
Trachenstein  und  Grabenwege  eine  weitläufige  „Zihung,  Friheit  und  Ordinanz",  welche 
viele  metallurgische  Kenntniss  bekundet. 

Die  im  Rheinbett  entspringenden  warmen  Brom-Lithionquellen,  welche  heute 
in  der  am  unteren  Ende  des  Ortes  gelegenen  Kuranstalt 
ihre  Verwendung  finden,  scheinen  schon  im  Mittelalter 
bekannt,  später  aber,  wohl  wegen  der  Schwierigkeit 
ihrer  Fassung  wieder  verloren  gegangen  zu  sein.  Im 
Jahre  1489  überträgt  Erzbischof  Berthold  von  Henneberg 
dem  Hansen  Sigeller  von  Aschaffenburg  das  Recht,  die 
Quellen  wieder  aufzusuchen  und  auszubeuten.  Da  dieser 
aber  nicht  kapitalkräftig  genug  gewesen  zu  sein  scheint, 
so  überliess  der  Erzbischof  das  ihm  gehörige  Halbtheil 
an  den  Quellen  dem  Mainzer  Domdechanten  Bernhard 
von  Breidenbach,  der  aber  in  der  Auffindung  derselben 
ebensowenig  glücklich  war,  wie  die  späteren  Versuche 
die  1660  und  1690  angestellt  wurden.  Erst  1705  wurden 
die  Quellen  dauernd  gefasst  und  eine  Zeitlang  zum 
Badebetrieb  benutzt,  geriethen  aber  wieder  in  Ver- 
gessenheit, bis,  nach  der  nochmaligen  Fassung  durch 
Baron  Klein  in  Assmannshausen  im  Jahre  1839,  die 
Quellen  endlich  1872  zu  der  jetzt  bestehenden  Badeanlage 
verwerthet  wurden. 

Die  Pfarrkirche  sub  tit.  Exaltationis  S.  Crucis 
Fig  j2i  geweiht,  steht  auf  dem  linken  Ufer  des  Aulhauser  Baches, 

AaWSSrL  imUmbatr   da,  wo  der  denselben  begleitende  Weg  mit  der  Lorcher 


ASSMANNSHAUSEN.  PFARRKIRCHE. 


135 


Strasse  zusammentrifft.  Wenn  wir  auch  aus  einer  Bulle  Papst  Innocenz  VI.  von  1361, 
welche  den  um  die  Ausschmückung  der  Kirche  Verdienten  einen  40tägigen  Ablass 
gewährt,  auf  das  Vorhandensein  einer  Kirche  zu  dieser  Zeit  schliessen  müssen,  so 
weisen  doch  die  spätgothischen  Bauformen  der  jetzigen  Kirche  dieselben  ganz  in  das 
15.  Jahrhundert.  Die  Kirche  zehntete  dem  Mainzer 
Domkapitel,  vom  16.  Jahrhundert  an  dem  Victorstift  in 
Mainz,  dessen  Probst  Oberpfarrer  in  Assmannshausen 
war.  Einen  grösseren  Bauschaden,  der  1734  die  Kirche 
infolge  eines  Blitzstrahls  traf,  Hess  das  Victorstift  aus- 
bessern. Eine  weitere  Ausbesserung  erfolgte  1869,  und 
in  den  letzten  Jahren  des  vorigen  Jahrhunderts  eine  Ver- 
längerung um  ein  Gewölbejoch  nach  Westen  mit  dem 
Bau  einer  Sakristei,  welche  sich  südlich  an  den  Thurm 
anlehnt,  durch  Baumeister  Pauli  in  Rüdesheim. 

Die  alte  Kirche,  einschiffig,  besass  drei  oblonge 
Kreuzgewölbe  im  Schiff,  von  5,65  m  lichter  Weite  mit 
halb  innen,  halb  aussen  liegenden  Strebepfeilern.  Der 
Chor,  dessen  vorderer  Theil  von  dem  Erdgeschoss  des 
nahezu  quadratischen  Thurms  gebildet  wird,  ist  gegen 
die  Schiff  breite  auf 
4,80  m  eingezogen 
und  schliesst  in  fünf 
Seiten    des  Acht- 
ecks. Das  Sternge- 
wölbe im  vorderen 
Theil  setzt  auf  kur- 
zen  Diensten  auf, 
welche  auf  Köpfen 
ruhen ;  die  übrigen 

Gewölberippen 
wachsen  glatt  aus 
den  Strebepfeilern 
heraus. 

Die  rundbogig 
geschlossenen  Fen- 
ster, welche  ohne 

Rücksicht   auf  die  Fig-  122.   Assmannshausen.   Pfarrkirche.   Südseite  vor  dem  Umbau. 

Gewölbeaxen  eingesetzt  sind,  liegen  in  abgeschrägten  Nischen  und  haben  zweitheiliges 
Masswerk.  Die  im  Westen  angelegte  Orgelempore  wurde  von  drei  Kreuzgewölben  auf 
dünnen  achteckigen  Pfeilern  ohne  Kapitale  getragen.  Jetzt  ist  die  Tiefe  der  Orgelbühne 
auf  drei  Joche  in  der  Länge  erweitert.  An  Stelle  des  engen,  in  der  Nordwestecke  an- 
gebrachten Treppenthürmchens  ist  ein  neues  dicht  daneben  angelegt. 


136 


ASSMANNSHAUSEN 


Der  Thurm  steigt  viereckig 
ohne  Gliederung,  nur  durch  zwei 
Horizontalgesimse  unterbrochen, 
in  vier  Geschossen  auf.  Das  zweite 
über  dem  Chorgewölbe  liegende, 
mit  rippenlosem  Kreuzgewölbe 
überdeckt,  diente  als  Schatzkam- 
mer; das  vierte  als  Glockenstube. 
Es  ist  auf  allen  vier  Seiten  von  gros- 
sen rundbogigen  Schallöffnungen 
durchbrochen;  die  südliche  ist  der 
Höhe  nach  durch  einen  eingesetz- 
ten Rundbogen  getheilt.  Der  acht- 
eckige mit  Schiefer  gedeckte  Helm 
erhebt  sich  hinter  einer  Gallerie  von 
Rundbogenblenden ;  auf  den  Ecken 
sitzen  einfachste  steinerne  Wasser- 
speier in  Rinnenform. 

Der  Thurm  enthält  vier 
Glocken ,  von  denen  die  kleinste 
die  Namen  der  Evangelisten  in 
gothischen  Majuskeln  des  14.  Jahr- 
hunderts trägt.  Diegrösste  mit  der 
Fig.  123.  Assiiiamis/iansen.  Strassenbild  (nach  Reiffenstein).    Inschrift . 

Datum  anno  domini  mcccclfff  iii  (1483;  feria  sefta  post  tlpem  beati  mitpapelis  arctjangeli 

ista  campana  facta  et  uocor  marta- 


Die  zweite : 


Die  dritte: 


Cpriftian  Klapper oad)  ju  mens  goß  midt)  1578- 


1711  goß  mid)  Cpriftopb  Rotrj  in  main?- 

Von  Kunstwerken  besitzt  die  Kirche  nur  ein  werthvolles  Altarbild  auf  dem 
modernen  Hauptaltar,  den  Tod  der  Maria  darstellend.  Dasselbe  ist  süddeutschen 
(Nürnberger?)  Ursprungs  (nach  Zaun  dem  Matth.  Grünwald  zugeschrieben)  und  zeichnet 
sich  durch  helle,  lebhafte  Färbung  und  durch  energische  Charakterisirung  des  jüdischen 
Typus  in  den  Köpfen  aus.  Das  Bild  kam  gegen  Mitte  des  19.  Jahrhunderts  als  Ge- 
schenk des  Gutsbesitzers  A.  Brandscheid  an  die  Kirche,  dem  es  aus  der  Hinterlassen- 
schaft des  in  Assmannshausen  ansässigen  Baron  Karl  v.  Klein  zugefallen  war. 

In  der  Sakristei  eine  (neu  polychromirte)  in  Holz  geschnitzte  Maria,  auf  deren 
Schooss  das  nackte  Christuskind  steht.  Das  knitterige  Gewand  lässt  süddeutsche 
Herkunft  vom  15.  Jahrhundert  vermuthen. 

An  heiligen  Gefässen  besitzt  die  Kirche  eine  Monstranz  mit  Kreuzpartikel, 
Sonnenform,  im  Charakter  des  18.  Jahrhunderts,  Silber  theilweise  vergoldet,  sowie 


AULHAUSEN.  MARIENHAUSEN. 


137 


zwei  Messkännchen  auf  Teller ,  handwerkliche 
Rococcoarbeit  aus  einer  Mainzer  Werkstatt  von  1751 . 

Assmannshausen  hat,  wie  die  meisten  kleinen 
Uferorte,  den  malerischen  Eindruck  den  es  den 
Resten  alter  Profanbauten  verdankte,  seit  dem 
Bau  der  Eisenbahn  und  der  Steigerung  des  Ver- 
kehrs grösstentheils  eingebüsst.  Immerhin  sind 
noch  einige  alte  Wohnhäuser  erhalten,  welche  wir 
nach  Skizzen  von  Reiffenstein  (s.  Fig.  120, 123  u.  124) 
wiedergeben.  Das  letztere  ist  ein  noch  bestehendes 
Steinhaus,  mit  hohem  gothischen  Giebel  auf  der 
Westseite,  den  Resten  von  vier  Eckthürmchen 


Fig.  124.  Assmannshausen. 
Steinernes  Haus  (nach  Reiffenstein  1862) 


und  einer  (nicht  mehr  erhaltenen)  Schornsteinauskragung  aus  Backstein. 

AULHAUSEN,  MARIENHAUSEN.*) 

Am  oberen  Ende  der  tiefen  Schlucht,  in  welcher  der  Aulhauser  Bach  herab- 
fällt, um  bei  Assmannshausen  sich  in  den  Rhein  zu  ergiessen,  liegt  das  kleine  Dorf 

Aulhausen,  das  bereits  als  „Husen"  in  Urkunden 
zwischen  1108  und  1128  vorkommt.  Seinen  jetzigen 
Namen  (Ullnhusen)  trägt  es  von  den  Ullnern  oder 
Töpfern ,  die  angelockt  von  den  daselbst  ent- 
deckten Thonlagern  und  dem  Holzreichthum  der 
umgebenden  Waldungen,  sich  dort  offenbar  in 
sehr  früher  Zeit  niederliessen.  Die  Erzbischöfe 
verliehen  ihnen  Holzungsrecht  im  Kammerforst; 
die  Abgaben  hierfür  wurden  später  zu  Lehen  aus- 
gethan,  wie  ein  Lehensbrief  für  Heinrich  Brömser 
von  Rüdesheim  vom  Jahre  1623  beweist  „Ullner, 
die  zu  Ullenhausen  wohnen ,  als  vor  Zeiten  ge- 
wohnt haben,  sollen  ihm  von  jedem  Rad  eine 
Mark  geben  und  auch  Krüg  und  Tüppen  genug 
alle  Hochzeit  geben  ins  Haus,  und  dieselben  Uliner 
sollen  auch  Recht  haben,  liegend  windfällig  Holz 
und  Heimbuchen  Holz  zu  fällen  in  dem  vor- 
geschriebenen Forst."  Noch  1740  wird  ihnen  vom 
Kloster  Marienhausen  gestattet  auf  dessen  Boden, 
,wie  seit  undenklichen  Zeiten"  Thon  zu  gewinnen. 
Fig.  125.  Aulhausen.  Holzerker.  Jetzt  ist  diese  Industrie  vollständig  erloschen. 
Das  kleine  Dorf,  welches  heute  672  Einwohner  in  72  Haushaltungen  zählt,  gehört 


*)  Rh.  Antiqu.  II.  io.  S.  346  fr.    Zaun  Landk.  Rhg.  291  ff. 


138 


KLOSTER  MARIENHAUSEN. 


kirchlich  und  kommunal  zu 
Rüdesheim  und  besitzt  eine 
Kirche,  der  heil.  Petronella 
geweiht ,  die  (nach  Zaun) 
zuerst  1401  erwähnt  wird. 
Sie  ist  spätgothisch,  ein- 
schiffig mit  achteckigem 
Chorschluss.  Im  Westgiebel 
befindet  sich  über  dem  spitz- 
bogigen  Thor  ein  gothisches, 
zweitheiliges  Fenster.  Die 
als  hölzernesTonnengewölbe 
ausgeführte  Decke,  sowie 
der  Dachreiter  zeigen  die 
Dekorationsformen  des  18 
Jahrhunderts. 

Der  Ort  birgt  nichts 
bemerkenswerthes  ausser 
einem  an  der  Dorfstrasse 
der  Kirche  gegenüberliegen- 
den alten  Holzhaus  mit 
Fig.  126.   Marienhausen.   Consolen  der  Kirchen- Apsis.  frei  über  dem  massiven  Erd- 

geschoss  vorgekragten  Erker,  das  mit  seinen  durch  gedrehte  Säulchen  gezierten  Eck- 
pfosten und  der  hübschen  Verriegelung  im  Giebel  ein  malerisches  Bild  bietet. 

Wichtiger  als  das  Dorf  ist  für  die  rheingauische  Denkmalforschung  das  wenig 
aufwärts  gelegene  Kloster  Marienhausen,*)  welchem  es  seine  Entstehung  ver- 
dankt. Dasselbe  ist  im  12.  Jahrhundert,  wahrscheinlich  von  Lorcher  Adeligen 
als  Unterkunft  für  deren  Töchter  ge- 
stiftet worden.  Es  folgte  von  Anfang 
an  der  Cistercienser  Ordensregel. 
Schon  bald  nach  1181  wurde  eine  vom 
heil.  Eberhard  zu  Kumd  (Comeda)  in 
der  Pfalz  gestiftete  Klause  mit  Cister- 
cienserinnen  aus  Marienhausen  be 
setzt.  Im  Jahre  1189  enthebt  Erz- 
bischof  Konrad  I.  von  Mainz  das  Klo- 
ster der  Vogtei  des  Giselbert  von 
Rüdesheim,  dem  als  Entschädigung 
die  von  seinem  Vater  dem  Kloster 

geschenkten  Weinberge   ZU  Oestrich  ***  127'    Marienhausen.  Klosterhofskizze 

&  fe  nach  Reiffenstein  (1838). 


*)  Bodmann  234.    Tollner  hist.  Palat.  addit.  38.    Lötz  15  fr. 


AULHAUSEN.  MARIENHAUSEN. 


139 


zurückgegeben  werden 
(Sauer  288)  und  unter- 
stellt es  unter  Befreiung 
von  der  gewöhnlichen 
Steuer  unmittelbar  dem 
erzbischöflichen  Stuhl. 
Dieser  Vergünstigung 
scheint  das  Kloster  eine 
Zeit  gedeihlicher  Ent- 
wickelung  gedankt  zu 
haben,  sodass  es  sich  1219 
eine  Kirche  erbauen 
konnte  ,  die  von  Erz- 
bischof  Siegfrid  einge«  Fig.  129. 
weiht  wird.  Aber  schon 
1261  war  ein  Vermögens- 
verfall eingetreten  (Sauer 
709),  von  dem  ein  Schrei- 
ben des  Klosters  an  den 
Er  zbischof  Werner  Zeug- 
niss  gibt.  Dasselbe,  schrei- 
ben die  Nonnen,  sei  von 
Feinden  so  zugerichtet,  ,,itt  in  nobis  juxta  elogium 
Sanctorum  a  planta  pedis  nsqae  ad  verticem 
vix  ulla  sit  sauüas." 

Von  seinen  späteren  Schicksalen  erfahren 
wir  wenig  —  die  Verschreibung  des  Klosters 
gegen  die  rebellischen  Bauern  vom  24.  Mai  1525 
trägt  die  Unterschrift  der  Aebtissin  Elisabet  von 
Holzfeld  —  doch  scheint  es  unter  der  Paternität 
des  Klosters  Eberbach,  unter  der  es  bis  zu  seiner 
Auflösung  gestanden  hat,  wirthschäftlich  gediehen 
zu  sein.  Denn  ein  durchgreifender  Umbau  der 
Klostergebäude,  welcher  im  Jahre  1752  stattfand, 
hat  uns  dieselben  in  einem  sehr  soliden,  stellen- 
weise sogar  luxuriösen  Zustand  überliefert. 

Nach  der  Aufhebung  des  Klosters  imjahre  1803 
wurde  die  Kirche  profanirt  und  nebst  den  als 
Oekonomiegut  benutzten  Klostergebäuden  von  den 
Herren  v.  Zwierlein  angekauft.  Lötz  und  Schneider 
haben  es  in  diesem  halbzerstörten  Zustande  noch 
beschrieben.  Eine  Skizze,  welche  Reiffenstein  1838 


Marieiihattscn.    Roman.  Sittlichen. 


Fig.  128.  Marienhausen. 
Klosterkirche.  Grundriss 


Fig.  130.    Mari  entlausen.  Klosterkirche. 
Wandtabernakel. 


140 


KLOSTER  MARIENHAUSEN. 


von  dem  Kloster  anfertigte,  zeigt  noch  den  in  Holzfachwerk  mit  geschweiften  Renais- 
sancegiebeln an  die  Südmauer  angelehnten  Flügelbau  über  dem  mit  spitzbogigen 
Fenstern  versehenen  Kreuzgang.  Frst  Ende  der  achtziger  Jahre  ging  es  in  das  Eigen- 
thum der  Diöcese  Limburg  über,  welche  die  Diöcesan-Rettungsanstalt.  die  bis  1865  in 
Montabaur,  von  da  ab  in  Marienstatt  bestanden  hatte,  hierher  verlegte,  und  die  Kirche 


Fig.  131.    Marienhausen.  Wandschrank. 


durch  den  Architekten  Meckel  einer  gründlichen  und  wohlgelungenen  Restauration 
unterziehen  Hess,  wobei  der  Maler  Pothast  die  Ausmalung  besorgte. 

Die  Kirche,  ein  ziemlich  schmuckloser  einschiffiger  Bau,  zeigt  in  ihren  rund- 
bogigen  Fenstern  und  dem  von  Konsolen  getragenen  Rundbogenfriese  ihres  Haupt- 
gesimses die  spätromanischen  Formen  ihrer  Entstehungszeit  1219.  Die  Decke  ist  mit 
fünf  sichtbaren  Balkendurchzügen  aus  Holz  im  Segmentbogen  konstruirt,  der  sich  in 


MARIENHAUSEN. 


141 


dem  aus  dem  Sechseck  geschlossenen  Chor  gewölbartig  zusammenschneidet.  Im 
Westen  ist  eine  ebenso  tiefe  wie  breite  Empore  eingebaut,  deren  zwei  westliche  Holz- 
pfeiler die  Formen  des  Umbaus  von  1752  zeigen.  Im  westlichen  Giebel  der  Kirche 
befinden  sich  drei  Fenster  von  denen  das  mittlere  zweitheiliges  gothisches  Masswerk, 
die  beiden  kleineren  Rundbogenfenster  später  eingesetzte  gothische  Nasen  enthalten. 

An  der  Rückseite  der  zwei  modernen  Seitenaltäre  sind  zwei  kurze,  wahrscheinlich 
einer  früheren  Chorschranke  angehörige  Steinsäulchen  eingebaut,  die  hübsche  roma- 
nische Knaufkapitäle  und  attische  Basen  mit  Eckblättern  haben.    (S.  Fig.  129.) 


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Fig.  132.   Marienhausen.   Sprechgitter  im  Empfangssaal. 

Ein  (nach  Lötz)  früher  im  zerstörten  nördlichen  Kreuzgangflügel  befindliches 
Wandtabernakel  ist  jetzt  in  der  nördlichen  Schrägwand  des  Chors  angebracht. 
Dasselbe  hat  unten  und  oben  unter  dem  abschliessenden  Zinnenkranz  eine  mit  gothi- 
schem  Laubwerk  und  Rosen  ausgefüllte  Hohlkehle,  wird  von  zwei  in  Fialen  endi- 
genden Strebepfeilern  flankirt  und  trägt  als  Bekrönung  des  mit  einem  Eisengitter  ab- 
geschlossenen Schreines  einen  gleichseitigen  Giebel  auf  einer  mit  Nasen  besetzten 
spitzbogigen  Blendarchitektur.  Im  innern  Feld  dieses  mit  ausdrucksvollen  Krabben- 
und  Kreuzblumen  besetzten  Giebels  ist  die  heilige  Veronica  dargestellt,  das  Schweiss- 


142 


MARIEN  HAUSEN. 


tuch  haltend ,  neben  welchem  zwei  Engel  knieen ;  das  Ganze  in  der  Gothik  des 
14.  Jahrhunderts. 

An  der  Südwand  des  Kirchenschiffs  befindet  sich  ein  Wandschrank,  durch  vier 
hölzerne  Thürflügel  mit  reichem,  gut  restaurirtem  Eisenbeschlag  verschlossen.  Die 
von  Lötz  angeführte  Holzstatue  St.  Margaretha  ist  seit  der  Restauration  verschwunden. 
Die  Diakonfigur  mit  Pulttafel  (lectorile)  liegt  mit  abgeschlagenem  Kopf  neben  den 
daselbst  erwähnten  Holzfiguren  auf  dem  früheren  Kirchhof. 

Der  Westflügel  des  Klosters  trägt  noch  die  Formen  des  Umbaues  von  1752. 
Neben  einem  in  ansprechenden,  wenn  auch  einfachen  Barockformen  geschnitzten  Treppen- 
geländer, ist  im  ersten  Stockwerk  namentlich  der  Saal  erhalten,  der  zum  Empfang 
profanen  Besuches  diente  und  zu  diesem  Zwecke  ein  sehr  reich  in  Eichenholz  ge- 
schnitztes Sprechgitter  enthält,  welches  fast  die  Hälfte  einer  Wand  einnimmt.  Neben 
demselben  befindet  sich  eine  reich  dekorirte  Ofennische ;  das  in  derselben  neben  der 
obigen  Jahreszahl  angebrachte  Wappen  enthält  eine  Säule  und  die  Unterschrift  „Mit 
Lieb  und  Beständigkeit."  Die  Stuckarbeiten  der  Decke,  in  Rococcostil ,  wohl  von 
Mainzer  Stuckateuren  angetragen ,  sind  reich  und  abwechselnd ;  die  von  Lötz  er- 
wähnten Ledertapeten  leider  verschwunden.  Auch  die  Windfahne  auf  dem  Dach  dieses 
Flügels  ist  als  gute  Schmiedearbeit  des  18.  Jahrhunderts  bemerkenswerth. 


Fig.  133.   Marienhausen.  Stuckatur  au 
der  Decke  des  Empfangssaales. 


143 


Fig.  134.   Eberbach.    Ansicht  nach  Merian. 


CISTERCIENSER- ABTEI  EBERBACH. 

ON  HATTENHEIM  3,50  Kilometer  nördlich,  von  Rüdesheim  11,5  Kilo- 
meter in  nordöstlicher  Richtung  entfernt  liegt  in  einem  anmuthigen,  nur 
nach  Süden  geöffneten  Thal  das  ehemalige  Cistercienserkloster  Eberbach. 
Das  Thal,  von  dem  Kisselbach  durchflössen,  der  von  der  „kalten  Herberg," 
der  höchsten  Erhebung  des  Rheingauer  Gebirges  herabkommt,  ist  nach  Westen  und 
Norden  durch  steil  aufsteigende  Berge  geschützt,  während  nach  Osten  zu  die  Berg- 
lehne sanfter  ansteigt;  es  zieht  sich  in  gut  kultivirtem  Wiesen-  und  Ackergelände 
zur  Rheinebene  hinab,  auf  der  Westseite  von  dem  Hügelrücken  begleitet,  auf  welchem 
der  König  der  Rheingauer  Weine,  der  Steinberger  Kabinetswein  wächst.  Weltab- 
geschieden inmitten  eines  der  menschlichen  Kulturarbeit  den  höchsten  Ertrag  ver- 
sprechenden Geländes,  zeigt  die  Lage  des  Klosters  im  höchsten  Maasse  die  Eigen- 
schaften, die  der  heilige  Robert,  der  Begründer  des  Ordens  von  Citeaux  von  den  An- 
siedelungen seiner  Brüder  verlangte. 

Die  Gründung  dieser  Klosteranlage,  die  in  kultureller  und  lange  auch  in 
geistiger  Beziehung  als  der  eigentliche  Mittelpunkt  des  Rheingaus  gelten  durfte,  geht, 
verglichen  mit  den  uralten  Ortschaften  am  Rheinufer,  nicht  in  sehr  fernliegende  Zeiten 
hinauf.  Die  erste  Besiedelung  des  Thaies  geschah  um  1116,  als  Erzbischof  Adalbert 
von  Mainz  hier  regulirte  Chorherrn  des  Augustiner-Ordens  ansiedelte,  die  aber,  da  ihre 
Klosterzucht  zu  wünschen  übrig  Hess,  bald  nach  Gottesthal  (um  welches  sich  später 
der  Ort  Mittelheim  anbaute)  versetzt  wurden.  Nachdem  Adalbert  den  Ort,  den  er 
vorübergehend  den  Benediktinern  von  Johannisberg  zur  Gründung  eines  Priorats 
überlassen,  von  diesen  1131  für  50  Pfund  Silber  zurückgekauft,  wandte  er  sich  an  den 


144 


CISTERCIENSER- ABTEI  EBERBACH. 


heil.  Bernhard,  der,  als  Abt  von  Clairvaux  der  bedeutendste  unter  den  Nachfolgern 
des  heil.  Robert,  dem  entarteten  Mönchthum  ein  neues,  von  hohem  sittlichen  Ernst 
erfülltes  Leben  eingeflösst  hatte.  Bernhard,  dessen  persönliche  Anwesenheit  in  Eber- 
bach von  dem  Geschichtsschreiber  des  Ordens,  P.  Hermann  Bär  glaubwürdig  gemacht 
wird,  sandte  eine  Anzahl  Mönche  unter  dem  Abte  Ruthard,  der  1131  von  dem  ver- 
lassenen Chorherrnstift  Besitz  ergriff  und  somit  Eberbach  als  erstes  Cistercienser- 
kloster  auf  deutschem  Boden  gründete. 

Die  hohe  Frömmigkeit  der  neuen  geistlichen  Ansiedler,  welche  ihnen  bald  die 
Achtung  des  rheingauischen  Landes  gewann  und  die  frische  Thatkraft,  mit  welcher 
sie  die  Kultivirung  des  Landes  in  Angriff  nahmen,  führte  ein  schnelles  Aufblühen  des 
Klosters  herbei.  Schon  nach  sechs  Jahren  erbauten  sie  ihren  ersten  Aussenhof  Leheim, 
dem  bald  als  zweiter  der  Hof  Nenthres  unterhalb  Bingen  auf  dem  linken  Rheinufer 
folgte;  von  letzterem  aus  wurden  dann  besonders  die  späteren  Gütererwerbungen 
zwischen  Rhein  und  Nahe  betrieben.  Für  das  rasche  Aufblühen  des  Ordens  spricht 
auch  die  Thatsache ,  dass  derselbe  noch  im  Laufe  des  12.  Jahrhunderts  rasch  auf- 
einander vier  grosse  Tochterklöster  gründen  konnte,  nämlich  1142  Schönau  im  Oden- 
wald, 1144  Otterberg  in  der  Pfalz,  1147  Gottesthal  bei  Lüttich*)  und  1174  Arnsburg 
in  der  Wetterau. 

Von  dem  praktischen  Sinn  der  Klosterbrüder  zeugt  es ,  dass  sie  den  Weinbau 
und  Weinhandel  von  Anbeginn  an  die  Spitze  ihrer  wirtschaftlichen  Thätigkeit  ge- 
stellt zu  haben  scheinen.  Schon  1162  wird  für  den  durch  die  Hansa  aufgenommenen 
Vertrieb  der  Rheingauer  Weine  nach  den  nordischen  Ländern  in  Cöln  eine  Kellerei 
und  ein  Haus  erworben.  Um  diese  Zeit  scheint  auch  der  Steinberg  angerodet  worden 
zu  sein,  da  der  am  Fuss  dieses  Berges  gelegene  Neuhof  1173  als  Nova  grangia 
erwähnt  wird. 

Die  Beziehungen  zu  dem  Cölner  Zwischenhandel  blieben  so  lebhaft,  dass  noch 
1291  diese  Stadt  dem  Kloster  das  St.  Servatienthor  schenkte,  um  über  demselben  ein 
Absteigequartier  für  die  Mönche  zu  bauen. 

Im  Kloster  selbst  hatten  sich  die  Mönche  mehrere  Jahrzehnte  lang  wohl  mit 
einem  interimistischen  Wohnsitz  begnügen  müssen.  Dreissig  bis  vierzig  Jahre  nach 
der  Gründung  führte  die  Zunahme  der  Insassen  und  die  schnell  wachsende  Bedeutung 
des  Klosters  zu  der  Angriffnahme  der  Bau-Anlagen,  welche  noch  heute  die  Haupt- 
gebäude des  Klosters  und  vor  allem  die  grosse  Klosterkirche  umfassen.  Doch  konnte 
erst  der  vierte  Abt  die  Vollendung  der  Gebäude  und  die  Einweihung  der  Kirche  voll- 
ziehen. Auf  Ruthard  der  1157  starb,**)  folgte  Arnold  I.  Unter  diesen  Abt  fällt  der 
Streit  Kaiser  Friedrichs  I.  mit  der  Kirche,  in  welchem  das  Kloster  auf  Seite  des  Papstes 
und  Erzbischofs  stand,  was  die  vorübergehende  Flucht  des  Abtes  mit  einem  Theil  des 
Convents  zur  Folge  hatte.  Der  Prior  Mefrid,  welcher  unterdess  im  Kloster  ein  Inter- 
regnum führte,  erfreute  sich  des  Schutzes  der  heil.  Hildegard,  der  Aebtissin  von  Ruperts- 
berg.   Arnold,  der  nach  beigelegtem  Streit  1168  in  das  Kloster  zurückkehrte,  starb 


*)  Rosselt  (Denkm.  a.  N.)  nennt  Gnadenthal.    **)  S.  Leop.  Stoff  in  Nass.  Anm.  15,  S.  266  ff. 


EBERBACH.  GESCHICHTE. 


145 


Fig.  135  .  Eberbach  nach  Meissner  J638. 


wenige  Jahre  darauf  und  hatte  Eberhard  zum  Nachfolger,  unter  dessen  bis  1177 
währender  Regierung  unter  anderm  der  Mapperhof  in  dem  auf  dem  Kamme  des 
Gebirges  gelegenen  Walde  Appo  gebaut  und  das  Tochterkloster  Arnsberg  gegründet 
wurde.  Erst  unter  Arnold  II.  (1177—1190)  war  der  Kirchen-  und  Kloster-Neubau  so- 
weit gefördert,  dass  1178  der  Abt  in  den  kleinen  Kapellen  des  Querschiffs  zwei  Altäre 
weihen  konnte;  acht  Jahre  später,  am  23.  Mai  1186,  erfolgte  endlich  die  Einweihung 
der  Kirche  durch  Erzbischof  Konrad  I.  Die  Anwesenheit  der  Bischöfe  von  Worms, 
Strassburg  und  Münster  bei  diesem  kirchlichen  Akt  spricht  deutlich  für  die  Bedeutung, 
welche  das  Eberbacher  Kloster  gewonnen  hatte. 

Aber  wenn  die  Gütererwerbungen  des  Klosters  im  Rheingau,  der  Königs- 
sundra,  dem  Einrich  und  Niederlahngau  (seit  1190  auch  in  der  Trierer  Diözese  auf 
dem  Westerwald)  stetig  zunahmen,  so  deutet  doch  der  Aufruhr  der  Konversen  unter 
Abt  Albero  von  Stein  (seit  1219)  auf  den  Beginn  innerer  Unordnungen  selbst  in 
diesem  streng  organisirten  Gemeinwesen.  Auch  die  Finanzlage  des  Ordens  hat  sich 
um  die  Mitte  des  13.  Jahrhunderts  so  verschlechtert,  dass  trotz  vorübergehender 
Besserung  unter  Abt  Richolf  (f  1285)  wir  das  Kloster  um  den  Beginn  des  14.  Jahr- 
hunderts in  den  Händen  jüdischer  Geldverleiher  finden,  gegen  deren  Ansprüche  König 
Albrecht  eine  besondere  Verfügung  erlässt,  die  eine  vorübergehende  Hülfe  herbei- 
führt. Erst  unter  (dem  zwanzigsten)  Abt  Wilhelm  1310  bessert  sich  die  Vermögens- 
lage dauernd  und  es  folgt  nun  eine  geschichtlich  wenig  hervortretende  Zeit  unter 
unbedeutenden  Aebten,  in  welcher  die  Klosterbrüder  der  Verwaltung  ihres  aus- 
gedehnten Besitzes  und  der  Pflege  der  Wissenschaften  oblagen.  Aber  die  innere 
Kraft  des  grossen  Gemeinwesens  war  doch  schon  soweit  untergraben ,  dass  es  den 
sozialen  Unruhen  des  Bauernkriegs  nicht  mehr  zu  widerstehen  vermochte.  Mit  den 
Bauernhorden,  welche  1525  in  seinem  Gebiet  auf  dem  „Wachholder"  mehrere  Wochen 
hindurch  ihr  Hauptquartier  aufschlugen,  suchte  es  sich  auf  klägliche  Weise  abzu- 
finden. Diese  Wirren  brachten  u.  A.  dem  Klosterhospital ,  welches  seit  300  Jahren 
segensreich  gewirkt  hatte,  den  Untergang.    Und  wenn  auch  nach  Niederwerfung  der 

10 


146 


EBERBACH.  GESAMMTANLAGE. 


Empörung  durch  die  „Reformation"  des  Erzbischofs  Albert  von  Brandenburg  die  ihm 
von  den  Bauern  streitig  gemachten  Privilegien  grösstenteils  wieder  bestätigt  wurden, 
so  ist  doch  von  nun  an  die  Kraft  des  Klosters  gebrochen,  „seine  Zeit",  sagt  Vogel, 
„war  vorüber;  bedeutungslos  in  seiner  Existenz  und  seinem  Wirken  dauerte  es  noch 
bis  in  die  neuesten  Zeiten  fort,  wo  es  aufgehoben  wurde." 

Von  äusseren  Ereignissen,  die  zum  Theil  auf  den  Zustand  der  Bauten  Bezug 
haben,  sind  aus  dieser  Zeit  des  Niedergangs  noch  folgende  nachzutragen.  Die  Leiden, 
die  der  dreissigjährige  Krieg  dem  Rheingau  brachte,  hatte  es  besonders  im  Jahre  1631 
zu  empfinden,  als  unter  dem  45.  Abt  Leonhard  I.  Klunkhard  aus  Rüdesheim  die  mit 
den  Schweden  verbündeten  hessischen  Truppen  es  einer  grausamen  Plünderung 
unterzogen ,  bei  der  fast  die  ganze  reiche  Klosterbibliothek  vernichtet  wurde ;  die 
Kirche  wurde  zum  Pferdestall  entweiht  und  der  Abt  mit  dem  Konvent  zur  Flucht 
nach  Cöln  genöthigt.  Im  folgenden  Jahre  nahm  Axel  Oxenstierna  vorübergehend 
Besitz  von  dem  Kloster,  dessen  immer  noch  reiche  Liegenschaften  zu  einem  Theil 
der  deutschen  Dotation  für  den  schwedischen  Kanzler  ausersehen  waren. 

Nachdem  es  sich  von  den  Drangsalen  des  dreissigjährigen  Krieges  nothdürftig 
erholt  hatte,  fiel  es  in  den  letzten  Jahren  des  17.  Jahrhunderts  den  Unbilden  der  Ele- 
mente zum  Opfer.  Ein  furchtbarer  Wirbelsturm  machte  1679  fast  alle  Gebäude  dachlos ; 
bald  darauf  wurde  es  von  einer  plötzlichen  Ueberschwemmung  des  Kisselbachs  heim- 
gesucht, welche  die  Fundamente  und  Fussböden  unterspülte.  So  entschloss  sich  der 
Abt  Michael  Schmock  von  Kidrich  (seit  1702)  zu  einer  umfassenden  Herstellung,  zu 
welcher  der  Erzbischof  Lothar  Franz  von  Schönborn  thatkräftige  Hülfe  lieh.  Die 
Conventualen  wurden  in  die  benachbarten  Klöster  ausquartirt  und  namentlich  bei  der 
Kirche  durch  Erhöhung  des  Fussbodens,  Erneuerung  der  Altäre  und  Aufstellung 
einer  neuen  Orgel  eingreifende  Aenderungen  durchgeführt.  Noch  einmal,  1746  unter 
Abt  Hermann  (von  Mengerskirchen)  wurden  Erneuerungsarbeiten  an  den  Dächern 
und  Thürmen  ausgeführt.  Mit  Schluss  des  Jahrhunderts  endlich  ward  das  Kloster  in 
den  Revolutionskriegen  von  französischen  Truppen  besetzt  und  entweiht  und  durch 
den  Reichsdeputationsschluss  vom  25.  Februar  1803  säkularisirt.  Es  wurde  mit  dem 
ganzen  rechtsrheinischen  Besitz  des  Mainzer  Erzbisthums  als  Entschädigung  an  den 
Fürsten  Carl  Wilhelm  von  Nassau-Usingen  abgetreten. 

Gegenwärtig  —  hoffentlich  nicht  mehr  auf  lange  —  finden  die  herrlichen  Abtei- 
gebäude eine  unwürdige  Verwendung  als  Strafanstalt;  ein  kleiner  Theil  dient  der 
Domanialkellerei  zu  ökonomischen  Zwecken. 

BAUBESCHREIBUNG. 
Es  ist  zu  bedauern,  dass  der  Geschichtsschreiber  des  Klosters,  Pater  Hermann 
Bär,  der  letzte  Bursierer  der  Abtei,  in  seiner  ausserordentlich  eingehenden  Arbeit  dem 
Bau  des  Klosters  sogut  wie  gar  kein  Interesse  gewidmet  hat,  sodass  sich  derselben 
ausser  der  Angabe  über  die  Weihung  der  ersten  zwei  Altäre  und  derjenigen  der  Kirche 
keine  auf  die  Baugeschichte  bezüglichen  Angaben  entnehmen  lassen.    Es  ist  also  hier, 


Fig.  137. 

Cisterzienser-  Kloster  Eberbach 

Gesammtplan. 


Im  Kapitelhause  ist  der  Schnitt  durch  das  Obergeschoß, 
überall  sonst  durch  das  Erdgeschoß  gelegt.    Die  nicht  an- 
gelegten Theile  sind  zerstört. 


EBERBACH.  GESAMMTANLAGE. 


147 


wie  so  oft,  die  Erscheinung  der  Bauten  selbst,  auf  die  man  sich  bei  der  Datirung  der- 
selben angewiesen  sieht.  Bei  den  durchgreifenden  Umgestaltungen,  welche  das  Kloster 
in  der  Zeit  der  Gothik,  ferner  um  1500  und  im  18.  Jahrhundert  erfahren  hat,  ebenso 
wie  bei  den  durch  die  jetzige  Bestimmung  herbeigeführten  gewaltsamen  Zertheilungen 
und  Trennungen  der  Räume,  welche  die  Uebersicht  ausserordentlich  erschweren,  kann 
eine  Bestimmung  der  einzelnen  Gebäudetheile  und  ihrer  Entstehungszeit  nur  tastend 
und  mit  Vorbehalt  geschehn.*) 

Wenn  man  aus  dem  durch  viele  Um-  und  Anbauten  komplizirt  gewordenen 
Grundriss  des  Klosters  den  mittelalterlichen  Kern  herauszuschälen  versucht ,  so  tritt 
die  reine  und  in  ihren  Grundgedanken  einfache  Anlage  des  Cistercienserklosters,  wie 
sie  sich  aus  den  Satzungen  des  Ordens  ergiebt,  klar  zu  Tage.  Auf  den  ersten  Blick 
fällt  die  Aehnlichkeit  mit  andern  Ordensbauten,  wie  Maulbronn,  Babenhausen,  Bronn- 
bach, vor  allem  aber  mit  französischen  Cistercienseranlagen  ins  Auge.  Mit  der  von 
Vaux-de-Sernay  (Diöcese  v.  Paris,  s.  Viollet-le-Duc.  Dict.  rais.  d.  l'arch.  I.  273  ff.)  ist 
Eberbach  fast  identisch. 

Innerhalb  einer  Ringmauer  von  1100  m  Länge,  welche  das  ganze  Klostergebiet 
in  unregelmässiger  Ellipsenform  umgiebt  und  von  dem  hindurchfliessenden  Eber-  oder 
Kisselbach  in  zwei  ungleiche  Theile  getheilt  wird,  liegt  die  Abtei  in  zwei  ziemlich  genau 
nach  den  Himmelsgegenden  gerichteten  Baugruppen.  Die  grössere,  westliche,  enthält 
die  eigentliche  Clausur  und  das  Haus  der  Laienbrüder  (Conversen) ;  die  östliche,  klei- 
nere, ist  nach  Schäfer's  Untersuchungen  jetzt  wohl  endgültig  als  selbständiger  Hospital- 
bau zu  betrachten. 

Im  eigentlichen  Klosterbau  ist  die  sehr  gross  angelegte  Kirche  der  dominirende 
und  für  das  Uebrige  bestimmende  Bau  gewesen ;  das  Kloster  schliesst  sich  ihr  nördlich 
an.  Es  ist  um  einen  fast  quadratischen  Kreuzgang  so  gruppirt,  dass  ein  an  den  Osttheil 
der  Kirche  (Querschiff)  unmittelbar  anschliessender  ca.  80  m  langer ,  16  m  breiter 
Baukörper  die  zum  Tages-  und  Nachtaufenthalt  der  Conventualen  bestimmten  Räume, 
ein  rechtwinkelig  daran  stossender  Flügel  von  47  m  Länge  und  verschiedener  Tiefe 
Refektorium ,  Küche  und  verschiedene  andere  Wirthschaftsräume  und  ein  von  der 
eigentlichen  Clausur  durch  eine  16  m  breite  „Klostergasse"  getrennter  Westbau  von 
87  m  Länge  und  ca.  16  m  Tiefe,  also  in  ziemlich  genau  dem  Conventualenhaus  entspre- 
chenden Maassen,  die  Wohnung  der  Laienbrüder  enthält.  Dadurch,  dass  dieser  Bau- 
theil  mit  seinem  Südgiebel  an  den  Westgiebel  der  Kirche  stösst,  ist  hier  ein  vollkom- 
mener Abschluss  des  innern  Klosters  erzielt.  Die  Kirche,  deren  Schiff  an  einer  nicht 
mehr  nachzuweisenden  Stelle  einen  Lettner  als  Grenze  zwischen  dem  für  Laien  und 
dem  für  Brüder  bestimmten  Theil  enthielt,  war  im  westlichen  Theil  sowohl  von  Aussen  (für 

* )  Kurz  vor  Drucklegung  dieses  Buches  ist  das  "Werk  von  Oberbaurath  Carl  Schäfer:  Die 
Abtei  Eberbach  im  Mittelalter  (Berlin,  Wasmuth  1901)  erschienen.  Diese  in  jedem  Sinne 
vorbildliche  Monographie  hat  der  Verfasser  noch  benutzen  können ;  er  hatte  dabei  die  Freude,  die 
meisten  seiner  eigenen  Annahmen  bestätigt  zu  sehen  ;  bei  andern  hat  er  sich  den  Ergebnissen  der  mit 
vollster  fachmännischer  Sicherheit  durchgeführten  Untersuchungen  gerne  untergeordnet,  und  kann  für 
das  genaue  Studium  von  Eberbach  nur  auf  dies  grundlegende  Werk  hinweisen. 

10* 


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die  Umwohner),  wie 
von  der  Kloster- 
gasse aus  (für  die 
Laienbrüder)  zu- 
gänglich. Die  Or- 
densbrüder benutz- 
ten mehrere  in  der 

Nordwand  der 
Kirche  liegende 
Thüren ,  von  wel- 
chen noch  eine  in 
Gebrauch  ist.  Den 
Haupteingang  des 
eigentlichen  Klo- 
sters hat  man  (mit 
Schäfer)  in  einem 
das  Laienbruder- 
haus ungefähr  in 
der  Mitte  durch- 
setzenden Korridor 
zu  suchen.  Von 
diesem  führte  für 
letztere  der  Zu- 
gang zu  ihrem  Ge- 
lass  durch  die  Klo- 
stergasse ,  für  die 

Conventualen 
ebendort  die  ein- 
zige Thüre  in  den 
Kreuzgang  und  da- 
mit   in    die  allen 

Laien  versagte 
Clausur.  Vor  dem 
einzigen  weiteren 
Ausgang  der  letz- 
teren, der  in  der 
Ostwand  des  Bru- 
derhauses lag,  ist 
ein  umfriedeter 
Garten  anzuneh- 
men. 


EBERBACH.  KIRCHE. 


149 


DIE  KIRCHE. 

Die  Kirche  ist  eine  durchweg  gewölbte  Basilika  von  gebundenem Grundriss,  d.h.  das 
Mittelschiff  hat  die  doppelte  Breite  der  Seitenschiffe,  so  dass  auf  jedes  quadratische  Joch 
des  ersteren  zwei  ebensolche  Seitenschiffjoche  entfallen.  Bei  elf  Jochen  der  letzteren 
sehen  wir  also  die  ungewöhnliche  Erscheinung ,  dass  das  Mittelschiff  mit  fünf  ganzen 
und  einem  halben  Kreuzgewölbe  überdeckt  ist.  Das  Querschiff  hat  drei  Joche,  von 
denen  die  seitlichen  etwas  länger  als  das  dem  Mittelschiff  entsprechende  quadratische 
Mitteljoch  angelegt  sind.  Der  Chor,  östlich  mit  einer  graden  Wand  abgeschlossen, 
ist  aus  dem  Quadrat  etwas  in  die  Länge  und  gegen  die  Mittelschiffbreite  etwas  ein- 
gezogen. Vor  die  Ostwand  jedes  der  Seitenjoche  des  Querschiffs  sind  drei  kleine 
und  niedrige  Kapellen  vorgelegt,  ebenfalls  nach  Osten  grade  geschlossen.  Dieser 
Grundriss  entspricht  fast  genau  (bis  auf  die  Zahl  der  letztgenannten  Kapellen)  dem- 
jenigen von  Fontenay  und  ist  dem  von  Maulbronn  sehr  nahe  verwandt. 

Die  Architektur  der  Kirche  ist  von  äusserster  Strenge  und  Einfachheit,  was  in 
Verbindung  mit  ihrer  Grossräumigkeit  und  den  schönen  Verhältnissen  einen  be- 
wältigenden Eindruck  ergeben  haben  muss,  ehe  das  Bauwerk  seiner  jetzigen  Theilung 
durch  eine  die  Länge  in  zwei  Hälften  schneidende  Mauer  und  sonstiger  Profanirung 
anheimgefallen  ist.  Die  Schlichtheit  des  Details  mag  ebensowohl  auf  die  Ordenssitte 
wie  auf  den  Mangel  an  gutem  Baumaterial  zurückzuführen  sein.  Dass  ein  Quaderbau, 
dessen  Material  weither  bezogen  werden  musste,  hier  alsbald  als  entbehrlicher  Luxus 
erkannt  worden  ist,  beweist  das  Aufgeben  eines  Lisenenschmucks  am  Osttheil  der 
Kirche,  der  an  verschiedenen  Stellen  angefangen,  aber  nach  sieben  bis  zwölf  Schichten 
wieder  verlassen  wurde.  Dennoch  begegnen  wir  im  ganzen  Klosterbau  vielen 
Architekturtheilen  aus  Haustein ,  dessen  Material  in  den  frühesten  Zeiten  ein  fein- 
körniger Kalkstein,  später  Mainsandstein  von  verschiedener  Herkunft  und  Färbung 
war.  Daneben  finden  die  im  Bruch  zugehauenen  kleinen  Mauerquadern  aus  Brohler 
Tuffstein  (sog.  Moellons,  ein  am  ganzen  Rhein  sehr  verbreitetes  Baumaterial)  vielfach 
Verwendung.  Das  Mauerwerk  selbst  ist  fast  durchweg  aus  Quarzitschiefer  des 
Taunus,  untermischt  mit  Wacken  (zerschlagenen  Findlingen) ;  auch  Backstein  kommt 
frühzeitig  vor.   Dieses  Bruchsteinmauerwerk  ist  durchweg  im  Aeusseren  verputzt. 

Sämmtliche  Pfeiler  der  Kirche  haben  rechteckigen  Querschnitt,  dem  zur  Stütze 
der  Seitenschiffgurte  flache  rechteckige  Pfeiler  vorgelegt  sind,  mit  ebensolchen  Vor- 
lagen an  den  Seitenschiffwänden  korrespondirend.  Die  Gurte  des  Mittelschiffs  werden 
von  flachen  Vorlagen  aufgenommen,  welche  erst  am  Kämpfergesims  der  Seitenschiff- 
bogen mit  Konsolen  beginnen,  die  einen  Theil  des  Gesimses  verkröpft  und  darunter 
zwei  durch  einen  Karnies  getrennte  Platten ,  zu  unterst  eine  umgedrehte  halbe  vierseitige 
Pyramide  zeigen.  Dies  einfache  Kragsteinmotiv  kehrt  an  mehreren  Stellen  des  Kloster- 
baues wieder  (s.  Fig.  141).  Die  Basen  der  Pfeiler  bestehen  aus  Platte,  einem  umgekehrt 
echinusartigen  Wulst  und  kleiner  Ansatzplatte.  Im  Chor  und  der  Vierung  sind  in 
die  Ecken  kleine  dienstartige  Dreiviertelsäulen  als  Träger  der  Gewölbe-Diagonalen 
eingefügt,  die  unverzierte  Würfelkapitäle  und  attische  Basen  mit  Eckblättern  haben. 


150 


EBERBACH.  KIRCHE. 


EBERBACH.  KIRCHE. 


151 


Unter  den  Gewölben  sind  Schildbogen  durchgeführt,  die  im  Mittelschiff  durch  kleine, 
seitlich  an  die  Vorlage  der  Oberwand  vorgekragte  Konsolen  aufgenommen  werden; 
die  Gurtbogen  haben  rechteckigen  unprofilirten  Querschnitt. 

Die  Fenster,  klein,  rundbogig  geschlossen  und  mit  einfach  abgeschrägten,  ver- 
putzten Gewänden  versehen,  sind  im  Schiff  so  vertheilt,  dass  auf  jedes  Seitenschiff- 
joch eins  kommt,  während  im  Schildbogen  des  Mittelschiffgewölbes  zwei  nebeneinander 
liegen.  Die  Ostwand  des  Querschiffs  ist  mit  je  einem  in  der  Oberwand  und  je  einem 
in  den  Kapellen  durchbrochen;  der  Südgiebel  mit  3,  zu  2  und  1  übereinander  ange- 
ordneten Fenstern.  Von  den  Fenstern  der  östlichen  Chorwand  sind  noch  die  drei 
unteren  (das  mittelste  vermauert)  erhalten ;  darüber  wurde  bei  dem  Umbau  des  14.  Jahr- 


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Fig.  139.    Kloster  Eberbach.    Schnitt  durch  das  Querschiff. 

hunderts  ein  grosses  Spitzbogenfenster  gebrochen,  das  jetzt  seines  Masswerks  beraubt 
und  bis  zum  Kämpfer  ebenfalls  vermauert  ist.  Im  Westgiebel  der  Kirche  ist  über 
zwei  nebeneinanderstehenden  Halbkreisfenstern  ein  Rundfenster  angebracht,  dessen 
Gewänd  eine  reichere  Folge  von  Profilen,  aus  Absätzen,  Schmiegen  und  Rundstäben 
bestehend  aufweist.  Dasselbe  ist  im  Aeussern  durch  halbkreisförmig  geschlossene  Blend- 
nischen mit  den  untern  Fenstern  zusammengezogen.  In  diesem  Giebel  liegt  in  der  Mauer- 
stärke eine  57  cm  breite  Treppe,  welche  den  einzigen  Zugang  aus  der  Kirche  nach 
dem  Dachboden  darstellt.  Von  besonderen  zur  ursprünglichen  Kirche  gehörigen 
Räumen  sind  noch  zu  nennen:  über  den  Kapellen  des  Querschiffs  kleine  Räume,  von 
Tonnengewölben  überdeckt  und  nach  Osten  mit  Rundbogenfenstern  versehen,  welche 
diesen  Theil  der  Ostfront  zweigeschossig  erscheinen  lassen.  Der  nördliche  Raum,  vom 
Conventsbau  zugänglich,  wird  als  Schreibstube,  der  südliche  als  Paramentenkammer 


152 


EBERBACH.  KIRCHE. 


bezeichnet.  Zu  ihm  fehlt  jetzt  jede  Verbindung ;  hier  muss  wohl  eine  an  der  südlichen 
Giebelwand  innen  emporgeführte  schmale  Treppe,  die  jetzt  verschwunden  ist,  ange- 
nommen werden. 

Der  zweite  Raum  ist  eine  kleine  Vorhalle,  Paradies,  welche  dem  im  zweiten 
Seitenschiffjoch  (von  Westen)  befindlichen  Laienportal  vorgelegt  ist.  Der  kleine,  ganz 
schmucklose  mit  einem  Kreuzgewölbe  überdeckte  Raum  war  ursprünglich  nach  Süden 
und  Osten  in  einem  Bogen  geöffnet,  und  muss  wegen  seiner  unschönen  Verbindung 
mit  dem  Kirchenportal  als  späterer  Zusatz  betrachtet  werden.  Als  Bauzeit  der  Kirche 
hat  man  die  Jahre  von  ca.  1170  bis  zu  ihrer  urkundlich  feststehenden  Einweihung 
1186  anzunehmen. 


*  *  S  4  S*. 

I        I        1        I  I 


Fig.  140.   Eberbach.   Kirche.    Westliche  Giebelfenster. 

Einen  eingreifenden  Um-  bezw.  Erweiterungsbau  erfuhr  die  Kirche  im  Anfang 
des  14.  Jahrhunderts  durch  die  Anfügung  von  neun  Kapellen  am  südlichen  Seitenschiff. 
Es  war  in  der  Ordensregel  vorgesehen,  dass  diejenigen  unter  den  Brüdern,  welche  die 
Priesterweihen  empfangen  hatten,  einen  Altar  zum  täglichen  Messelesen  zugewiesen  er- 
hielten. Durch  die  Anlage  dieser  Kapellen,  von  denen  jede  einen  Altar  erhielt,  be- 
zifferte sich  die  Zahl  der  gleichzeitig  verfügbaren  Altäre  auf  fünfzehn.  Die  erste  dieser 
neuen  Kapellen  wurde  vor  dem  dritten  Joch  (von  Westen)  des  südlichen  Seitenschiffes 
im  Jahre  1313  nach  der  Stiftung  des  Sifrid  von  Dotzheim  erbaut;  ihr  folgten,  wie  die 
Bauformen  beweisen,  in  den  nächsten  Jahrzehnten  die  übrigen.    Zur  Anlage  dieser 


EBERBACH.  KIRCHE. 


153 


Fig.  141.   Eberbach.   Gewölbe-Konsolen,   a  u.  b  aus  der  Kirche,  c  aus  der  Küche,  d  aus  dem  Conversenhaus. 

Kapellen  wurde  bis  zur  Gewölbhöhe  die  Südwand  des  Seitenschiffs  durchbrochen. 
Auch  die  Kapellen  unter  einander  wurden  durch  offene  Spitzbogen  verbunden, 
so  dass  jetzt,  nachdem  die  nach  Osten  gerichteten  und  die  Trennung  der  einzelnen 
Kapellen  bildenden  Altäre  verschwunden  sind,  die  Anlage  den  Eindruck  eines 
durchlaufenden  Seitenschiffs  hervorruft.  Der  südliche  Pfeiler  jeder  Kapelle  erhielt 
zwei  noch  vorhandene  Mauernischen,  die  Credenz  und  Piscina. 

Die  Strebepfeiler  der  Kapellen  sind  ins  Innere  gezogen,  die  Gewölbe  aus  Back- 
stein mit  sandsteinernen  gekehlten  Rippen  auf  Schalung  gemauert,  die  im  Verputz 
der  Kappen  noch  zu  erkennen  ist. 

Nach  Süden  öffnete  sich  jede  Kapelle  mit  einem  spitzbogigen  Masswerkfenster ; 
die  Zeichnung  der  Masswerke  zeigt,  von  Westen  nach  Osten  fortschreitend,  eine  dem 
Fortgang  des  Baues  entsprechende  Aenderung,  an  der  die  Profile  theilnehmen.  Jede  dieser 
Südkapellen  war  ursprünglich  aussen  mit  einem  selbständigen  gothisch-spitzen  Giebel- 
dach bedeckt,  von  denen  die  Ansätze  an  der  Kirchenmauer  noch  durch  Schäfer  fest- 
gestellt werden  konnten. \  [Bei  dem  Erneuerungsbau  nach  dem  Orkan  von  1679  wurden 


Fig.  142.   Eberbach.    Masswerk  in  den  Kapellen  der  Abteikirche. 


154 


EBERBACH.  KREUZGANG. 


nebst  der  Erneuerung  des  Hauptdaches  auch  die  Kapellendächer  in  der  jetzt  noch 
bestehenden  Anordnung  —  je  zwei  Kapellen  unter  einem  Dache,  abgeändert. 

Derselben  Bauperiode  wie  die  Kapellen  gehört  die  oben  erwähnte  Aenderung 
des  östlichen  Chorfensters  an,  mit  welchem  gleichzeitig  auch  in  der  Nord-  und  Süd- 
wand des  Chors  grosse,  spitzbogige  Masswerkfenster  angelegt  wurden.  Das  noch 
erhaltene  südliche  zeigt  die  gleiche  Behandlung  wie  die  Kapellenfenster.  Auch  das 
spitzbogige  Portal  der  südlichen  Querschiffwand  dürfte  im  U.Jahrhundert  entstanden  sein. 

Von  den  in  späterer  Zeit  in  der  Kirche  in  grösserer  Zahl  aufgestellten  Altären 
hat  sich  die  Piscina  eines  in  der  Laienabtheilung  befindlichen  in  einer  zierlich  spät- 
gothisch  umrahmten  Nische  in  der  Nordwand  erhalten,  deren  Sohlbank  die  Inschrift 
Sta  elp?abet&  latg  (lantgravia)  trägt. 

DER  KREUZGANG. 

Von  dem  zwischen  den  Aussenmauern  von  Nord  nach  Süd  36  m,  von  Ost  nach 
West  31  m  messenden  Kreuzgang  ist  gegenwärtig  der  West-  und  Nordflügel  voll- 
ständig, von  dem  Ostflügel  ein  Rest  von  drei  Jochen  erhalten.  Von  dem  Uebrigen 
fehlt  die  Aussenmauer,  so  dass  sich  der  Zustand  des  Süd-  und  Ostflügels  nur  aus  den 
Ansatzbogen  und  den  Consolen  mit  Gewölbeanfängen  ergänzen  lässt.  Aber  auch  das 
noch  Erhaltene,  durchweg  der  gothischen  Bauperiode  entstammend,  kann  nicht  der 
ursprüngliche,  bei  der  Anlage  des  Klosters  als  unentbehrlicher  Bautheil  errichtete 
Kreuzgang  sein,  vielmehr  ist  man  durch  einen  im  Nordflügel  vorhandenen  romanischen 
Rest  darauf  hingewiesen,  einen  mit  der  ersten  Klosteranlage  gleichzeitigen,  romanischen 
Kreuzgang  anzunehmen,  für  dessen  Rekonstruktion  allerdings  jeder  Anhalt  fehlt.  Nur 
dass  derselbe  ungewölbt  war,  scheint  nach  Schäfer  aus  dem  Fehlen  jeder  Spur  früherer 
Gewölbansätze  hervorzugehn. 

Der  oben  erwähnte  Rest  ist  ein  romanisches  Portal  mit  vorliegendem,  von  einer 
Stichkappe  nach  dem  Portal  hin  durchsetzten  Tonnengewölbe,  welches  sich  in  dem 
Nordflügel  befindet  und  den  Zugang  zu  dem  (im  18.  Jahrhundert  modernisirten)  Refek- 
torium bildet.  Nachgrabungen  haben  zu  der  Ueberzeugung  geführt,  dass  entsprechend 
den  Einrichtungen  zahlreicher  anderer  Cistercienserklöster  (u.  A.  des  ältesten  Tochter- 
klosters von  Eberbach,  Schönau  im  Odenwald)  vor  diesem  überwölbten  Raum  ein 
L  a  v  a  b  o  mit  grosser  Brunnenschale  gestanden  hat,  welches  zur  Reinigung  vor  dem 
Eintritt  in  den  Speisesaal  diente.  Die  Schale  hat  sich  als  Spülstein  in  der  Klosterküche 
erhalten ;  sie  ist  kreisrund,  2,30  m  im  Durchmesser  bei  42  cm  Dicke  und  geht  aussen 
mit  schwach  ausgehöhlten  Flächen  ins  Sechzehneck  über,  dem  16  Durchbohrungen  für 
metallne  Wassertüllen  entsprechen.  Es  sei  auf  die  Rekonstruktion  Schäfers  hingewiesen, 
in  welche  derselbe  noch  eine  kleinere,  jetzt  im  Museum  in  Wiesbaden  aufbewahrte 
Steinschale  aus  Eberbach,  dort  fälschlich  als  Taufschale  bezeichnet,  einbezogen  hat.  Ein 
breiter  Mauerrest,  welcher  die  Architektur  des  nördlichen  Kreuzgangsflügels  an  dieser 
Stelle  auffallend  unterbricht,  war  die  mit  einem  grossen  Halbkreisbogen  durchbrochene 
Nordwand  des  in  den  Kreuzgarten  kapellenartig  hineinragenden  Lavabo- Vorbaues. 


EBERBACH.  KREUZGANG. 


155 


Fig.  143.    Eberbach.    Westlicher  Kreuegangflügel  nach  Schäfer. 

Dass  der  jetzige  Kreuzgang  nicht  in  einem  Zuge  erbaut  worden  ist,  lehrt  ein  Blick 
auf  die  stilistisch  stark  von  einander  abweichenden  baulichen  Einzelheiten.  Doch  ist  die 
Reihenfolge  schwer  festzustellen.  Bemerkenswerth  ist,  dass  die  Gewölbekonsolen  in  den 
drei  noch  erhaltenen  Jochen  des  Ostflügels  an  der  Wand  des  Conventbaues  die  ältesten, 
der  Frühgothik  des  13.  Jahrhunderts  angehörige  Ornamentformen  zeigen  (s.  Fig.  151). 
Wenn  man  Schäfer  auf  Grund  von  dessen  genauen  Untersuchungen  der  Aussenmauern 
folgt,  so  wird  man  den  Westflügel  für  den  zuerst  gebauten  ansprechen.  Dieser  hat 
(ohne  die  Ecktraveen)  zehn  freie  Gewölbjoche,  die  nach  der  Klostergasse  nur  durch 
eine  starke,  noch  der  ersten  romanischen  Anlage  angehörige  Mauer  abgeschlossen 
sind.  Die  in  dieser  befindliche  Thür,  der  einzige  Ausgang  aus  der  Clausur,  ist  romanisch 
angelegt  und  in  späterer  Zeit  gothisch  umgearbeitet.    Nach  dem  Kreuzgarten  ist  der 


Fig.  144.    Eberbach.    Konsolen  im  östl.  Theil  des  nördl.  Kreuzgangflügels. 


156 


EBERBACH.  KREUZGANG. 


Fig.  145.    Eberbach.    Gewölbekonsole  im  östl.  Krensgaiigflügel. 


Westflügel  durch  eine  Wand 
abgeschlossen,die  mit  Strebe- 
pfeilern mit  steilen  Wasser- 
schlägen besetzt  und  von 
Oeffnungen  mit  einem  sehr 
ungewöhnlichen  Masswerk 
in  zwei  regelmässig  wech- 
selnden Mustern  durch- 
brochen ist.  Dieses  in  der 
nördlichen  Hälfte  der  Joche 
noch  erhaltene  Masswerk  ist 
in  Abb.  143  dargestellt.  Die 
Pfosten  haben  regelmässig 
achteckigen  Querschnitt, 
Basen  und  Kapitale.  Die 
Kreuzgewölbe  im  Innern  setzen  mit  ihren  schlicht  gekehlten  Gurten  und  Rippen  auf 
schmucklosen,  aus  dem  halben  Achteck  konstruirten  Konsolen  auf;  ihre  Schluss- 
steine haben  Rundschilde  mit  spätgothischem  Laubwerk  und  Köpfen  belegt. 

Der  gleichen  Zeit  und  Formgebung  wie  der  Westflügel,  Ausgang  des  13.  Jahr- 
hunderts, gehören  die  anschliessenden  vier  Joche  des  Nordflügels  bis  zur  Refektorium- 
thüre  an,  nur  zeigen  die  Rippen  hier  Birnprofile.  Oestlich  von  dieser  sehen  wir  zwei 
Joche  in  abweichender,  ausgesprochen  späterer  Stilfassung.  Hier  sind  die  Oeffnungen 
viertheilig,  mit  reichem  und  spätem  Masswerk  ausgesetzt,  mit  Nuthen  zur  Verglasung 
und  abgeschrägten  Sohlbänken  (beim  Typus  des  Westflügels  sind  diese  Nuthen  unter 
Zerstörung  des  Kapitals  später  eingehauen,  die  Sohlbänke  grade).  Die  Konsolen  sind 
hier  mit  Köpfen  verziert,  aus  denen  spätgothisches  Laubwerk  hervorwächst  (Fig.  144). 

Wohl  aus  derselben  Zeit  wie  diese  letzteren,  aber  von  anderer  Hand  sind  die 
sieben  Konsolen  der  Ostwand,  bei  deren  verschiedener  Höhenlage  die  vorhandenen  iOeff- 
nungen  des  Konventbaues 
bestimmend  gewesen  sind. 
Diese  Konsolen  dürfen 
neben  einigen  Grabstei- 
nen in  der  Kirche  als  die 
feinsten  Werke  der  Stein- 
metzkunst in  Eberbach 
gelten.  Neben  einer  voll- 
endeten Ornamentik  zei- 
gen sie  eine  Neigung  zum 
launigen  Fabuliren :  es 
sei  auf  den  zierlichen  En- 
gel, den  lesenden  Mönch 

und  die  im  fünften  Konsol         Fig.  146.   Eberbach.   Gewölbekonsole  im  östl.  Krenagangfliigel. 


EBERBACH.    KREUZGANG.  157 


von  Westen  dargesellte  sehr  intime 
heilige  Famiii enscene  hingewiesen. 
Derber,  aber  auch  höchst  charakteri- 
stisch sind  die  Konsolen  des  zerstörten 
Südflügels.  Unter  die  Gesimsplatten 
ducken  sich  Halbfiguren,  mit  Kronen 
und  Diademen  geschmückt,  die  Schrift- 
bänder (Thorarollen  ?)  in  den  Händen 
tragen  und  vielleicht  die  Könige ' 
und  Propheten  des  alten  Testa- 
mentes   versinnbildlichen.       Dieser  J 


Eig.  148.  Eberbach. 


Treppenthurm  im  Kreusgarten. 


Fig.  147.  Eberbach. 
Gewölbekonsole  im  südlichen  Kreuagangflügel. 

Flügel  ist  der  einzige,  in  welchem 
die  Schildbögen  spitzbogig  sind ;  sonst 
herrscht  im  ganzen  Kreuzgang  der 
Rundbogen  vor.  Erwähnenswerth  ist 
noch  eine  Mauernische  in  dem  süd- 
östlichen Eckfelde  des  Kreuzgangs,  in 
welcher  Schäfer  wohl  mit  Recht  das 
nach  der  Ordensregel  innerhalb  der 
Clausur  stets  vorhandene  offene  Grab 
erblickt. 

Die  jetzige  Erscheinung  des  Kreuz- 
gangs hat,  abgesehen  von  der  theil- 
weisen  Zerstörung,  durch  spätere  Zu- 
bauten ein  verändertes  Ansehen  er- 
halten. So  ist  auf  den  ganzen  Nord- 
flügel ein  Obergeschoss  zu  Wohn- 
zwecken aufgesetzt.  Das  gleiche  ist 
im  Jubiläumsjahr  1500  mit  dem  West- 
flügel geschehen,  der  später  wegen 
der  Benutzung  dieser  Wohnung  durch 
Oxenstierna,  den  schwedischen  Gene- 
ralissimus nach  dem  Tode  Gustav 
Adolfs ,  den  Namen  „Schwedenbau" 
erhielt.  Um  diesem  Wohntrakt  die 
nöthige  Tiefe  zu  geben,  wurden  die 
iüÄ"*  nach  dem  Kreuzgarten  vorliegenden 
Strebepfeiler  oben  durch  rohe  Seg- 
mentbögen verbunden  und  vor  die 
Westmauer    des  Kreuzgangsflügels 


158 


EBERBACH.  CONVENTUALENHAUS. 


in  die  Klostergasse  eine  Reihe  schwerer  Holzpfeiler  gestellt,  welche  die  Westwand 
des  Schwedenbaus  tragen.  Aus  dieser  Umänderung  stammt  inschriftlich  auch  der 
Wendeltreppen -Vorbau ,  der  den  Westflügel  etwa  in  der  Mitte  unterbricht.  Dieser 
besitzt  nach  dem  Kreuzgarten  im  massiven  Erdgeschoss  eine  spitzbogige  Thür,  oben  einen 
sehr  malerisch  wirkenden  Holzbau- Aufsatz  und  an  dem  hübschen  achtgiebeligen  Spitz- 
thürmchen  in  Blei  getriebene  Thierköpfe  als  Wasserspeier,  unter  denen  man  neben 
Ziegen  und  Ochsen  mehrfach  das  Wappenthier  des  Klosters,  den  Eber,  bemerkt. 

DAS  CONVENTUALENHAUS. 

Zwischen  diesem  und  dem  Nordflügel  des  Kirchenquerschiffs  liegt  eine  kleine 
Axe,  welche  dreigeschossig,  im  Erdgeschoss  die  Sakristei,  im  ersten  Stock  die  Biblio- 
thek und  das  Archiv,  im  Obergeschoss  einen  als  Krankensaal  anzusprechenden  Raum 
enthält,  alle  mit  Tonnengewölben  überdeckt.  Das  Mittelgeschoss,  von  dem  aus  der 
über  den  Nordkapellen  belegene,  als  Schreibzimmer  erklärte  Raum  zugänglich  war, 
weist  noch  den  Rest  eines  Fussbodenbelags  aus  roth,  schwarz  und  gelb  glasirten 
Fliesen  auf.  Die  wenig  planmässige  Anordnung  dieses,  in  neun  verschiedenen  Mosaik- 
mustern wechselnden  Fussbodens  (s.  Schäfer,  Text.  p.  85)  legt  die  Vermuthung  nahe, 
dass  derselbe  später  aus  kleinen,  in  verschiedenen  Räumen  vorgefundenen  Resten  hier 
zusammengebracht  wurde.  Der  dreigeschossige  Zwischenbau  hatte  kleine  Fenster- 
öffnungen und  entbehrte  jede  weitere  architektonische  Ausbildung ;  ein  kleines  Chörchen, 
welches  die  Sakristei  besass,  ist  verschwunden,  aber  von  Schäfer  nach  vorhandenen 
Andeutungen  rekonstruirt  worden.  Durch  den  Sakristei-  und  Bibliothekbau  führt 
eine  einläufige  Treppe  aus  dem  Querschiff  der  Kirche  in  das  im  ersten  Stock  des 
Conventbaus  gelegene  Dormitorium,  welche  die  Mönche  beim  nächtlichen  Gottes- 
dienst benutzten. 

Es  mag  hier  die  Frage  aufgeworfen  werden,  ob  man  in  dem  als  Bibliothek  und 
Archiv  bezeichneten  Raum  über  der  Sakristei  nicht  die  ursprüngliche  Abtswohnung 
zu  suchen  hat.  Da  für  diesen  unentbehrlichen  Raum  sich  in  der  ganzen  ursprünglichen 
Klosteranlage  kein  annehmbarer  Ort  findet,  dieser  aber  durch  seine  Lage  in  nächster 
Nähe  der  Kirche  und  des  Conventualenhauses  seiner  Bestimmung  besser  entsprochen 
haben  würde,  als  der  von  Schäfer  angenommene ,  ausserhalb  der  Clausur  am  nörd- 
lichsten Ende  des  Laienbrüderhauses,  so  ist  diese  Frage  vielleicht  diskutirbar. 

Der  an  diese  Zwischenaxe  anschliessende  grosse  Bau,  der  Wohnbau  der 
Brüder,  der  auf  den  ersten  Blick  einen  ziemlich  einheitlichen  Eindruck  macht,  giebt 
bei  eingehender  Betrachtung  eine  Menge  Räthsel  auf,  deren  Lösung  durch  die  heutige 
Benutzung  des  grössten  Theils  der  Erdgeschossräume  zu  Domanial-Weinkellern  wesent- 
lich erschwert  wird.  Die  auf  Grund  genauester  Untersuchung  und  mit  scharfsinniger 
Kombination  durchgeführte  Erklärung  dieser  Raumgruppen,  sowie  die  Bestimmung 
ihrer  Zeitfolge  ist  wohl  der  glänzendste  Abschnitt  in  Schäfers  Monographie,  auf  den 
hier  ganz  besonders  hingewiesen  werden  muss.  Wir  können  den  Resultaten  dieser 
Untersuchung  hier  nur  kurz  folgen. 


Fig.  149.   Eberbach.  Kapitelsaal. 


EBERBACH.  CONVENTUALENHAUS. 


159 


Im  Erdgeschoss  folgt,  von  Süden  nach  Norden  fortschreitend,  zuerst  der  Kapitel- 
saal, dann  ein  Durchgang  vom  Kreuzgang  zum  Klostergarten,  dann  ein  grosser  Saal 
zum  Tagesaufenthalt  der  Brüder,  die  „Fraternei." 

Der  prächtige  spätgothische  Kapitelsaal,  welcher  jetzt  das  Hauptinteresse 
der  die  Abtei  Besuchenden  in  Anspruch  nimmt  und  1876  gut  restaurirt  worden  ist, 
enthält  noch  die  Spuren  des  viel  bescheideneren,  bei  der  Anlage  des  Klosters  erbauten 
Kapitelsaals.  Es  sind  dies  vier  Fenster,  die,  ziemlich  tief  liegend,  die  geringere  Höhe 
des  ursprünglichen  Saales  beweisen.  Zwei 
davon,  in  der  Ostfront,  sind  einfach  rund- 
bogig  geschlossen ;  zwei  in  der  Westfront 
bilden  Doppel-Arkaden ,  die  in  der  Mitte 
auf  je  zwei  hinter  einander  stehenden  Säul- 
chen ruhen.  Diese  sowie  ihre  etwas  bar- 
barischen Gliederungen  muthen  in  der  roma- 
nischen Architektur  von  Eberbach  fremd  an. 

Dieser  alte  Saal  wurde  gegen  Mitte 
des  14.  Jahrhunderts  aufs  prächtigste  um- 
gebaut. Die  alten  Umfassungsmauern,  welche 
14  Meter  ins  Geviert  massen,  wurden  benutzt 
und  über  sie  ein  reiches  Sterngewölbe  aus 
dem  Achteck  konstruirt ,  welches  auf  einem 
Mittelpfeiler  ruht.  Dieser  Pfeiler,  von  acht- 
eckigem Querschnitt ,  hat  auf  den  Seiten 
spitzbogig  mit  Nasen  endigende  Blenden 
und  ein  mit  schon  etwas  kraus  gezeichnetem 
Blattwerk  verziertes  Kelchkapitäl.  Die 
birnenförmigen  Gurte  zeigen  die  Eigen- 
thümlichkeit,  dass  sie  bis  dicht  an  den  Rand 
der  Kämpferplatte  vortreten,  so  dass  ihre 
vordere  Platte  mit  der  entsprechenden  Platte 
der  letzteren  bündig  liegt.  An  den  Wänden 
werden  die  Gurte  und  Rippen  durch  schöne 
Konsolen  aufgenommen,  die  aus  dem  Acht- 
eck gezeichnet  unter  einer  grossen  Kehle 
mit  Hängemasswerk  geschmückt  sind.  Die 
Schlusssteine  tragen  gothische  Laubwerk 
Rosetten. 

Zur  Beleuchtung  des  höher  gewordenen  Saales  wurden  in  die  Schildbögen  über 
den  romanischen  Fenstern  an  der  Ostseite  drei  spitzbogige  Fenster  mit  zweitheiligem 
Masswerk  eingesetzt. 

Der  hinter  dem  Durchgang  anschliessende  Saal,  die  Fraternei,  ca.  55  Meter 
lang  13,50  Meter  breit  und  zweischiffig ,  ist  mit  16  Kreuzgewölben  überdeckt,  die  auf 


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Fig.  150.  Eberbach.  Mittelpfeiler  des  Kapitclsaats. 


160 


EBERBACH.  CONVENTUALENHAUS. 


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Fig.  151.    Eberbach.   Kapitale  aus  dem  Schlafsaal  der  Brüder. 

sieben  in  der  Mittellinie  stehenden  Säulen  ruhen.  Diese  Säulen  von  schwerer,  wuch- 
tiger Zeichnung  sind  rund ,  haben  eine  Basis  aus  zwei  Wülsten  auf  runder  Plinte, 
hohe,  schlichte  Kelchkapitäle,  von  denen  einige  einen  um  den  Kelch  gelegten  Kranz 
von  streng  stilisirten,  fast  nachmusterartig  aufgelegten  Blättern  tragen.  Die  Gewölbe 
mit  einfach  gekehlten  Profilen  sind  wegen  der  beschränkten  Höhe  nicht  überall  im 


Fig.  152.   Eberbach.   Schlafsaal  der  Mönche. 


EBERBACH.  CONVENTUALENBAU. 


161 


vollen  Rundbogen  ausgeführt.  Schäfer  setzt  die  Ausführung  dieses  Baues  in  zwei 
Perioden,  die  zwischen  1245  und  1260  liegen. 

Auch  über  die  Umgestaltungen  dieses  Bautheils  von  1180  bis  1245  stellt  Schäfer 
auf  Grund  eingehenden  Studiums ,  besonders  der  Fensterwände ,  bestimmte  Ver- 
muthungen auf,  die  man  in  seinem  Werke  nachlesen  möge. 

Das  Obergeschoss  dieses  ganzen  Flügels  nimmt  der  Schlafsaal  der  Mönche 
(Dormitorium,  Dorment)  ein,  von  74  m  Länge  und  13,50  m  Breite  Lichtweite,  heute 
noch  der  grösste  und  imponirendste  Raum  im  Klostergebäude,  wenn  er  auch  durch 
Einbauten,  welche  die  verweichlichten  Mönche  im  18.  Jahrhumdert  zur  Abtheilung 
geschlossener  Schlafsäle  in  demselben  ausführten,  in  seiner  Prachtwirkung  beeinträchtigt 
ist.  Er  ist  zweischiffig ;  die  22  Felder  der  weitgespannten  Kreuzgewölbe  ruhen  auf 
zehn  in  der  Mittellinie  stehenden  Rundpfeilern  auf,  nur  der  südlichste  hat  achteckigen 
Querschnitt.  Die  überraschende  Schönheit  des  Raumeindrucks  beruht  nicht  zum 
Wenigsten  auf  dem  starken  Gegensatz  der  Höhe  (6,80)  zu  den  etwa  mannshohen 
Säulen.  Die  Höhe  dieser  Säulen  weicht  unter  einander  in  einer  dem  Auge  sofort 
auffallenden  Weise  ab ;  im  Allgemeinen  steigt  sie  von  der  Nordwand  an  (von  1,64  m) 
nach  Süden  (auf  zwei  Meter),  aber  in  unregelmässigen  Intervallen.  Dass  der  Gedanke 
an  eine  etwa  aus  perspektivischen  Gründen  absichtlich  eingeführte  Höhenverminderung 
von  Süden  nach  Norden  durchaus  von  der  Hand  zu  weisen  ist,  spricht  auch  Schäfer 
in  der  überzeugenden  Form  aus,  dass  den  Alten  jeder  Gedanke  an  solche  „Mätzchen" 
fern  gelegen  hätte.  Thatsächlich  liegen  die  Kämpfer  in  der  Wagrechten  und  nur  der 
infolge  der  unregelmässigen  Ausführung  der  Gewölbe  des  Erdgeschosses  nach  Norden 
hin  ansteigende  Boden  hat  eine  Minderung  der  Säulenhöhe  zur  Folge  gehabt. 

Die  Architektur  des  Saales  zeigt  eine  edle  Frühgothik:  die  Basen  der  Säulen 
haben  über  vierseitiger  Plinte  einen  über  dieselbe  vortretenden  gekanteten  Wulst; 
dicht  darüber  mit  enger  Einschneidung  einen  kleineren  Rundstab.  Die  Kapitale  haben 
viereckige  Deckplatten,  darunter  runde,  mit  dem  oberen  Randprofil  übertretende  Kelche. 
Diese  sind  mit  prächtig  gemeisseltem,  der  heimischen  Flora  entnommenen  Blattwerk, 
an  zwei  Beispielen  noch  in  Knospenform  belegt ;  Fig.  151  giebt  eine  Vorstellung  von 
diesen  zum  schönsten  Ornament  der  deutschen  Frühgothik  gehörenden  Bautheilen. 
Die  Wandkonsolen,  auf  welche  die  in  einfacher  Kehlung  profilirten  Gurte  und  die 
birnenförmig  gestalteten  Rippen  aufsetzen,  sind  kelchförmig  und  aus  dem  Achteck  ge- 
zeichnet, einige  mit  bescheidenem  Blätterschmuck. 

Die  Fenster  des  Schlafsaals  wurden  im  18.  Jahrhundert  verändert ,  indem  man 
zwei  Reihen  übereinander  anlegte.  Aus  den  im  äusseren  Mauerwerk  noch  sichtbaren 
Spuren  lässt  sich  schliessen,  dass  die  ursprünglichen  Fenster,  der  jetzigen  unteren 
Reihe  entsprechend,  zu  zwei  und  drei  nebeneinander  in  jedem  Gewölbefeld  angeordnet 
waren,  mit  einfach  gefasten  Gewänden.  Die  Nordwand  hatte  rechteckige  Fenster; 
im  Dachgiebel  daselbst  befindet  sich  noch  ein  Doppelfenster  mit  Kleeblattbogen,  welches 
für  den  Schluss  der  Saalfenster  einen  Anhalt  geben  mag.  Der  ganze  Dormitorium- 
Bau  ist  mit  starken  Strebepfeilern  besetzt,  die  steile  Pultdächer  und  in  Kämpferhöhe 
des  Erdgeschosses  wie  in  Fensterbankhöhe  des  Oberstocks  ein  Kaffgesims  haben. 

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162 


EBERBACH.  REFEKTURBAU. 


Die  vier  südlichsten  Felder  des  Schlafsaals  zeigen  eine  von  der  vorher  be- 
schriebenen etwas  abweichende  Formbehandlung ,  die  für  das  achte  und  neunte  Feld 
(von  Norden  gerechnet)  eine  um  wenige  Jahrzehnte  jüngere  Entstehung  annehmen 
lässt.  Das  zehnte  und  elfte  Feld  hingegen  zeigt  sich  im  Stil  mit  dem  darunter- 
liegenden Kapitelsaal  aufs  genaueste  übereinstimmend, 
sodass  die  Annahme  naheliegt,  diss  erst  nach  Voll- 
endung des  letzteren  um  1330  diese  beiden  Joche 
erbaut  und  damit  der  prächtige  Schlafsaal,  dessen  Bau- 
zeit im  Uebrigen  in  die  Jahre  von  1270  bis  1290  zu  setzen 
ist,  vollendet  wurde.  Eine  wahrscheinlich  mit  der  Er- 
bauung des  Saales  gleichzeitige  Treppe  mündet  im 
siebenten  Gewölbefeld  (von  Norden)  offen  in  den  Saal 
ein.  Sie  tritt  im  Ostflügel  des  Kreuzgangs,  im  dritten 
Feld  (von  Norden)  an,  wo  eine  frühgothische  Thür  mit 
reichem,  erhaltenem  Beschlag  auf  den  alten  Thürflügeln 
sie  abschliesst ;  zwischen  Wangenmauern ,  im  untern 
Lauf  von  einem  Kreuzgewölbe  überdeckt,  steigt  sie  auf 
und  wendet  sich  ungefähr  auf  halber  Höhe  nach  links. 


3^ 

DER  REFEKTURBAU. 
Von  dem  Bruderhaus  durch  einen  kleinen ,  mit 
der  Fraternei  durch  eine  jetzt  vermauerte  Thür  ver- 
bundenen Hof  getrennt,  der  jetzt  ins  Innere  der 
hier  eingerichteten  Wohnräume  gezogen  ist,  schliesst 
sich  an  den  Nordflügel  des  Kreuzgangs  der  Bau, 
welcher  der  Klostersitte  entsprechend  die  R  e  - 
fektur,  den  Speisesaal  der  Brüder  und  im  unmittel- 
baren Anschluss  daran  Küche  und  Backstube  enthielt. 
Das  Refektorium  hat  wie  oben  erwähnt  von  seiner  alten 
Anlage  noch  die  romanische,  vom  Kreuzgang  aus  über 
Fig.  153.  Eberbach.  Beschlag  der  mehrere  Stufen  emporführende  Thüre  bewahrt,  die  in 
Thun  am  Aufgang  zum  Schlafsaal.  j-^  dargestellt  ist.  Das  Refektorium  selbst,  über 
dessen  ursprüngliche  Einrichtung  man  nur  Vermuthungen  aufstellen  kann,  zeigt  heute  die 
Gestalt,  welche  es  durch  einen  1720  erfolgten  Umbau  erhalten  hat.  Es  ist  ein  prächtiger 
Barocksaal  in  dem  nur  eine  in  der  Ostwand  erhaltene  Rundnische  aus  Stein  vielleicht 
den  letzten  Rest  der  alten  Form  (Platz  des  Lektors?)  darstellt.  Die  romanische 
Thür  ist  im  Innern  mit  einer  barocken  Steinumrahmung  umgeben.  Die  Wände  sind 
in  der  ganzen  Höhe  mit  Eichenholz  einfach  getäfelt,  die  Thüren  mit  Nussbaum-Maser- 
holz  furnirt  und  schönen  messingenen  Beschlägen  verziert.  Von  sehr  guter  Arbeit 
ist  die  Stuckdecke,  die  in  zwei  Felder  getheilt  sich  in  einer  grossen,  reichornamen- 
tirten  Voute  mit  den  Wänden  verbindet.    Ein  grosser  Schrank  in  deutscher  Spät- 


EBERBACH.    REFEKTURBAU.  KÜCHE. 


163 


renaissance,  (etwa  Mitte  17.  Jahrhunderts)  welcher  im  Refektorium  steht,  zeigt  gute 
Verhältnisse  und  hübsche  Schnitzerei,  ist  aber  leider  in  unverständigster  Weise  mit 
Farben  überstrichen. 

Die  Küche,  ein  Raum  von  11  Meter  Länge  und  8,50'Meter  Breite  im  Lichten, 
tritt  mit  ihrer  Längenaxe  vor  die  Flucht  des  Refekturbaues  nach  Norden  vor.  Sie 
zeigt  noch  die  alte  Anlage  in  sechs,  auf  zwei  Pfeilern  ruhenden  Kreuzgewölben,  wenn 
auch  auf  den  ersten 
Blick  die  ausge- 
sprochene Barock- 
form   der  Pfeiler 

über  die  Ent- 
stehungszeit dieses 
Raumes  täuschen 
kann.  Die  Prüfung 
der  romanischen 
Kreuzgewölbe  mit 
ihren  flach  vortre- 
tenden kantigen 
Gurten  und  na- 
mentlich derWand- 
konsolen  (s.  Fig. 
141)  welche  denen 
der  Kirche  ausser- 
ordentlich ähnlich 
sind  ,  überzeugt 
bald,  dass  wir  hier 
die  ursprüngliche 
Küche  vor  uns 
haben,  deren  frei- 
stehende Säulen 
sich  wahrscheinlich 
im  Laufe  der  Zeit 
für  die  Last  der 
Gewölbe  und  des 
hier  vorhandenen 

,",1  ,  Fig.  155.    Eberbacli.    Romanische  Thür  sunt  Refektorium. 

Obergeschosses  zu  *  J 

schwach  erwiesen  und  vielleicht  bei  dem  Umbau  der  Refektur,  unter  sorgfältiger  Er- 
haltung der  Gewölbe,  ausgebrochen  und  durch  die  jetzigen  Pfeiler  ersetzt  worden  sind. 
Ein  schmaler  Raum,  der  zwischen  der  Küche  und  der  Kreuzgangswand  übrig  bleibt, 
enthielt  nach  den  von  Schäfer  aufgefundenen  Spuren  in  seiner  östlichen  Hälfte  den 
Herd  mit  grossem  auf  einem  Balken  ruhenden  Rauchfang,  im  westlichen  Theil  eine 
Treppe  zum  Obergeschoss. 

u* 


164 


EBERBACH.  LAIENBRÜDERHAUS. 


Der  folgende  mit  zwei  ursprünglichen  Kreuzgewölben  überdeckte  Raum,  neben 
dem  sich  wieder  der  entsprechende  schmale  Raum  mit  Kamin  hinzieht,  wird  als  die 
Klosterbäckerei  gedeutet,  an  die  sich  ein  ungewölbter  Raum  anschliesst  zum  Austheilen 
der  Speisen  an  die  Laienbrüder  und  an  Bedürftige,  die  sich  in  einer  vor  diesem  liegenden 
Halle  einfanden.  Diesen  jetzt  ganz  modernisirten  und  mit  flacher  Decke  versehenen 
Bautheil  erklärt  Schäfer  als  Portikus,  der  gewölbt  und  nach  Norden  und  Süden  in  je 
zwei  Rundbogen  geöffnet  war,  während  in  der  geschlossenen  Westwand  eine  vom  Haupt- 
eingang des  Klosters  im  Konversenhaus  über  einen  kleinen  offenen  Hof  zugängliche 
Thür  und  in  der  Ostwand  Thür  und  Schalter  zum  Verkehr  mit  der  Küche  vorhanden  war. 

Der  ganze  Refekturflügel  ist  jetzt  mit  einem  wahrscheinlich  gleichzeitig  mit  dem 
„Schwedenbau"  errichteten  Obergeschoss  versehen,  von  dem  nur  der  über  der  Küche 
gelegene  und  demselben  an  Grösse  gleiche  Raum  aus  der  ersten  romanischen  Anlage 
(um  1200)  stammt.  Schäfer  sieht  in  diesem  mit  6  Kreuzgewölben  auf  zwei  spät- 
romanischen Rundsäulen  überdeckten,  schönen  Gemach,  dem  einzigen  Wohnraum 
im  Kloster,  der  den  aus  der  Küche  aufsteigenden  Kamin  zur  Verfügung  hatte, 
die  Wärmestube  des  Klosters.  Solche  waren  in  allen  Cistercienserklöstern  ein 
von  der  Ordensvorschrift  anerkanntes  Bedürfniss ,  da  keiner  der  übrigen  Räume 
heizbar  war,  und  sie  mochten  wohl  in  dem  Winter  des  Taunusgebirges  besonders 
unentbehrlich  sein.  Hier  würde  also  bei  der  genannten  Benutzung  des  Raumes  ein 
grosser  Kamin  zu  ergänzen  sein.  ^ 

DAS  LAIENBRÜDERHAUS. 

Der  mächtige  Westflügel  des  Klosters,  der  jenseits  der  Klostergasse  gelegen, 
den  Konversen  zum  Wohnraum  diente,  führt  jetzt  den  Namen  Abt  bau  oder  Prälatur. 
Diesen  verdankt  er  einem  durchgreifenden  Umbau  aus  der  Zeit  nach  1709,  bei  der  er 
durch  einen  am  Südgiebel  nach  Westen  vorgelegten  Flügel  erweitert,  mit  einem 
zweiten  Obergeschoss  versehen  und  in  der  Innentheilung  und  den  Fenstern  gänz- 
lich verändert  wurde  um  die  Wohnung  des  Abtes  aufzunehmen.  Sieht  man  von 
diesen  in  dem  schlichten  Barockstil  der  späteren  Eberbacher  Bauten  gehaltenen  Um- 
änderungen ab,  ebenso  wie  von  dem  durch  Auf  höhung  des  äusseren  Bodens  hervorgeru- 
fenen kellerartigen  Eindruck  des  Erdgeschosses,  so  entwickelt  sich  vor  unsern  Augen  ein 
überraschend  grossräumiger  Hallenbau  aus  der  letzten  Zeit  des  romanischen  Stils, 
der  in  den  Höhen-  und  Axen-Massen  selbst  diejenigen  des  ursprünglichen  Conven- 
tualenhauses  übertrifft,  eine  merkwürdige  und  kaum  erklärbare  Erscheinung. 

Das  Erdgeschoss,  jetzt  ganz  als  Keller  dienend,  enthielt  in  den  sieben  südlichen 
Doppeljochen  das  Refektorium,  in  den  fünf  nördlichen  einen  grossen  Vorrathskeller. 
Zwischen  beiden  durchsetzte  den  Bau  der  langgestreckte  Flur,  welcher  den  einzigen 
Eingang  zum  Kloster  bildete. 

Die  Räume  sind  durchweg  zweischiffig  eingewölbt;  die  Kreuzgewölbe,  mit  Gurten 
in  gestelztem  Rund-  und  geputzten  Gräten  im  Korbbogen,  sind  mit  besonderer  Sorg- 
falt ausgeführt;  die  Kämpfer  mit  werkmässig  zugerichteten  Steinen,  darauf  die  Gräte 
bis  zu  einer  gewissen  Höhe  mit  Moellons  gemauert ;  weiterhin  das  Gewölbe  in  Bruch- 


EBERBACH.  LAIENBRÜDERHAUS. 


165 


steinen  auf  Schalung  gemauert  und  verputzt.  Die  ganz  aus  Schnittstellen  ausge- 
führten, flachvortretenden  Gurte  setzen  an  den  Wänden  auf  Konsolen  auf,  die  ähnlich 
denen  der  Kirche  profilirt  sind.  In  der  Mitte  werden  sie  von  einer  Reihe  von  Rund- 
säulen getragen,  die  einfache ,  schwach  ausladende  Knospenkapitäle  und  auffallend 
zierliche  attische  Basen  aufweisen.  Einige  dieser  Säulen  in  den  nördlichen  Traveen 
des  Refektoriums  sind  später  ummantelt  und  stecken  in  gemauerten  Kreuzpfeilern. 
Obgleich  die  enorm  starken  Umfassungsmauern  den  Schub  der  Gewölbe  hätten  tragen 
können,  so  sind  denselben  dennoch  Strebepfeiler  vorgelegt  mit  Kaffgesimsen  in  Haustein 


j       a       1  I.  '.  i„  * 


Fig.  156.   Eberbach.    Thor  anr  Refektur  des  Konversenhauses. 

und  steilen,  gemauerten  und  geputzten  Pultdächern.  Die  Fenster,  schmal  mit  tiefen 
abgeschrägten  Leibungen,  liegen  je  zu  zwei  in  jedem  Joch  der  Ost-  und  Westmauer; 
in  dem  nördlichsten  Felde  der  Westwand  ist  über  die  beiden  Fenster  ein  kleines 
Rundfenster  beigefügt.  Den  Zugang  zur  Refektur  von  der  Klostergasse  bildet  ein 
sehr  schönes  romanisches  Portal,  dessen  abgestufte  Leibungen  eingelegte  Rund- 
stäbchen mit  eigenthümlich  archaischen  Kapitälchen  zeigen.  Der  in  flachem  Giebel 
gezeichnete  Sturz  trägt  ein  Kreuz  von  ungewöhnlicher  Form ;  das  Portal  besitzt  noch 
die  alte  Holzthür  mit  gleichzeitigem  Beschlag. 

Der  Keller  unterscheidet  sich  vom  Refektorium  nur  durch  die  schlichtere  Behand- 
lung seiner  Stützen.  Es  sind  viereckige  Pfeiler,  auf  den  Kanten  bis  auf  halbe  Höhe  mit 


166  EBERBACH.  LAIENBRÜDERHAUS. 


Fig.  157.    Eberbach.    Kapitäle  im  Schlafsaal  der  Laienbriider. 


eingelegten  Rundstäben,  die  Kämpfergesimse  einfach  glatte  Schrägen  ;  die  Fenster  sind 
hier  schmale  Schlitze,  je  eins  in  jedem  Gewölbfeld,  grade  oder  mit  Flachbogen  überdeckt. 

Das  Obergeschoss,  jetzt  durch  Zwischenwände  mehrfach  getheilt  und  als 
Werkstatt  für  die  im  Gefangenenhaus  betriebenen  Industrien  der  genauen  Unter- 
suchung besonders  unzugänglich,  muss  in  seiner  ursprünglichen  Anlage  als  Raum- 
wirkung das  Dorment  der  Brüder  noch  übertroffen  haben.  Der  Schlafsaal  der 
Laienbrüder  mass  85  Meter  in  der  Länge,  die  Gewölbescheitel  liegen  auf  5,50 
Meter  Höhe.  Die  Anlage  und  Einwölbung  ist  die  gleiche  wie  im  Erdgeschoss.  Die 
Säulen  sind  dünner  als  dort.  Auch  sie  haben  attische  Basen  und  romanische  Kapitale 
von  so  frühem  Charakter,  dass  eine  Erklärung  dieses  stilistischen  Rückschritts  im 
Verlauf  des  Baues  schwer  zu  erklären  ist.  Die  aus  dem  Würfelkapitäl  entwickelte, 
mit  schüchternen  Eckvoluten  eine  letzte  Erinnerung  an  das  römisch-korinthische 
Kapital  darstellende  Form,  in  der  Technik  fast  kindlich  unbeholfen,  erinnert  an  gewisse 
in  Frankreich  vorkommende  Frühformen.  Vielleicht  hat  man  diese  Kapitälformen 
ebenso  wie  das  romanische  Portal  im  Erdgeschoss  auf  Rechnung  einer  gewissen 
archaisirenden  Neigung  zu  setzen,  die  Schäfer  in  verschiedenen  Erscheinungen  des 
Eberbacher  Baues  erkennen  will. 

Die  Fenster  des  Obergeschosses  sind  nach  den  durchgreifenden  Veränderungen 
des  18.  Jahrhunderts  in  ihrer  Form  und  Anordnung  nicht  mehr  nachweisbar. 

Der  erste  Umbau,  den  das  Laienhaus  im  17.  Jahrhundert  erfuhr,  brachte  eine 
Verlängerung  nach  Norden  zur  Unterbringung  von  Oekonomie-Räumen  und  eine 
Veränderung  der  ersten  Treppenanlage,  welche  Schäfer  am  Nordgiebel  des  ursprüng- 
lichen Baues  annimmt.  Ungefähr  in  der  Mitte  der  Länge  vor  dem  Eingangsfiur  wurde 
vor  die  Ostfront  ein  Treppenthurm  mit  breiter,  bequemer  Wendeltreppe  gesetzt.  Der 
oben  achteckige  Thurm,  mit  hübscher  welscher  Haube  abgedeckt,  hat  dem  Portikus 
des  Nordflügels  gegenüber  ein  gut  gezeichnetes  Renaissanceportal  mit  Wappen.  Von 
den  Umbauten  des  18.  Jahrhunderts  war  oben  kurz  die  Rede. 


EBERBACH.  HOSPITALBAU. 


167 


DER  HOSPITALBAU. 

Der  im  Osten  des  Klosters  auf  dem  linken  Bachufer  isolirt  gelegene  Bau  hat 
seit  lange  her  bei  verschiedenen  Forschern  die  abweichendsten  Erklärungen  gefunden. 
Ursprünglich  als  „alte  Kirche"  bezeichnet,  eine  Annahme,  die  durch  nichts  gestützt 
wird,  wurde  er  weiterhin  als  „Sommer -Refektorium"  angesprochen,  das  durch 
Umbau  eines  ursprünglich  zweigeschossigen  Gebäudes  entstanden  sein  sollte ,  in 
welchem  man  eine  allererste  Ansiedelung  der  Mönche  sehen  wollte.  Ueber  das 
Nähere  dieser  Hypothesen  und  ihre  "Widerlegung  ist  bei  Schäfer,  Abschnitt  C.  das 
Nähere  nachzulesen. 

Was  dem  unbefangenen  Beobachter  bei  genauer  Untersuchung  nicht  entgehen 
kann,  ist  der  Eindruck  eines  durchaus  einheitlich  projektirten  und  ausgeführten  Baues, 
für  welchen  die  klare  Disposition  der  Gewölbe  und  die  axengemässe  Eintheilung  der 
Fenster  spricht.  Jeder  Umbau  würde  hierin,  sowie  in  der  konstruktiven  Ausführung 
Spuren  hinterlassen  haben,  von  denen  der  Bau  keine  aufweist.  Allerdings 
erkennt  man  in  der  Westfront  unter  theilweise  abgefallenem  Bewurf  eine  Reihe  ver- 
mauerter unterer,  kleinerer  Fenster,  in  der  Axe  der  obern  angeordnet,  aber  auch 
soweit  sich  dies  beim  jetzigen  Zustand  erkennen  lässt  in  Gruppen  vorkommend.  Diese 
untere  Fensterreihe,  welche  die  Hauptstütze  für  die  Annahme  einer  ursprünglich 
zweigeschossigen  Anlage  dieses  Gebäudes  abgeben  musste,  erklärt  sich  aber  zwanglos 
aus  einem  Vergleich  mit  gleichzeitigen  französischen  Hospitalanlagen ,  in  denen  dem 
Krankensaal  diese  untere,  durch  Läden  verschlossene  Fensterreihe  zur  Lüftung 
gegeben  wurde,  während  die  oberen,  wie  in  Eberbach,  mit  fester  Verglasung  in  den 
Falzen  des  Gewändes  versehen  waren.  So  stellt  uns  dieser  ausserordentlich  schöne, 
38  Meter  lange  und  16  Meter  breite  dreischiffige  Raum  einen  Hospitalsaal  aus  der 
edelsten  Uebergangszeit,  den  ersten  Jahrzehnten  des  13.  Jahrhunderts  dar.  Nicht  mit 
Unrecht  weist  Schäfer  auf  die  Stilverwandschaft  mit  dem  Limburger  Dom  hin,  die 
sich  besonders  in  der  gleichzeitigen  Anwendung  von  rein  romanischen,  reich  verzierten 
Würfelkapitälen  und  Knospenkapitälen  ausspricht  (s.  Fig.  159).  Bei  einem  finden  wir 
sogar  beide  Motive  vertreten,  als  ob  während  der  Arbeit  durch  einen  Einfluss  von 
Aussen  her  eine  Aenderung  des  Geschmacks  eingetreten  wäre. 

Die  Säulen  stehen  zu  je  sieben  in  zwei  Reihen.  Das  Mittelschiff  ist  etwas  breiter 
als  die  Seitenschiffe.  Die  Säulen  sind  schlank,  nach  oben  verjüngt  und  von  wesentlich 
anderem  Charakter  als  diejenigen  in  den  Dormitorien.  Die  Kapitale  haben  starke 
Kämpferplatten,  die  Basen  die  attische  Form  mit  Eckblättern. 

Die  Gewölbe,  rippenlos  mit  kantigen  Gurten,  denen  sich  im  Mittelschiff  ein 
kleiner  Schildbogen  vorlegt,  sind  durchweg  spitzbogig,  die  Kappen  ansteigend  ohne 
Busen.  An  den  Wänden  entsprechen  den  Säulen  Kragsteine  mit  Platte,  Wulst  und 
langgezogener  Kehle,  die  von  einer  ornamentirten  Konsolform  getragen  wird. 

Die  Fenster,  in  Kämpferhöhe  des  Gewölbes  beginnend,  sind  im  Rundbogen 
geschlossen  und  haben  die  in  Eberbach  üblichen  geputzten  schrägen  Leibungen; 
der  Zahl  der  Gewölbefelder  entsprechend  hat  die  Westfront  acht  Fenster;  die 
Ostfront  wegen   der  früher  hier  anstossenden  Hospitalbauten   eins   weniger,  der 


EBERBACH.  HOSPITALBAU. 


169 


Nordgiebel  drei;  im  Südgiebel  ist  in  jedem  Seitenschiff  ein  grösseres,  tiefer  herab- 
reichendes Fenster  angebracht.  Im  Mittelschiff  wird  dieser  Giebel  von  einer 
spitzbogigen  Oeffnung  durchbrochen,  die  den  Raum  nach  einem  vorgelegten 
quadratischen  Chörlein  öffnet.  Dieses  muss  in  gothischer  Zeit  (Ende  des  14.  Jahr- 
hunderts) um-  bezw.  ausgebaut  worden  sein ,  denn  sein  Kreuzgewölbe  hat  gothisch 
profilirte  Rippen,  und  zwei  Fenster  in  der  Süd-  und  Ostwand  zeigen  spätgothisches 
Masswerk.  Für  die  Benutzung  des  Chörleins  als  Altarraum  spricht  die  noch 
erhaltene  Credenznische. 

Welche  Gebäude  ausser  diesem  Saal ,  der  jetzt  der  Kgl.  Domäne  als  Kelter- 
haus dient ,  noch  dem  Hospital  angehört  haben ,  muss  bei  der  Unmöglichkeit  von 
Nachgrabungen  auf  das  Gebiet  der  Vermuthungen  beschränkt  bleiben.  Eine  Abbildung 
des  Klosters  auf  einem  Stich  von  Dilich  (Fig.  135)  giebt  hierfür  einen  schwachen  Anhalt, 
indem  er  eine  Gebäudegruppe  östlich  an  den  grossen  Saal  anschliessend  zeigt,  deren 
südlicher  Theil  von  der  Kapelle  des  heil.  Thomas  eingenommen  wurde.  Diese,  von 
Bär  ebenfalls  erwähnt,  wurde  um  1780  abgebrochen. 

An  den  Nordgiebel  des  Hospitalsaals  angebaut  hat  sich  noch  ein  zweistöckiges 
Gebäude  erhalten,  dem  späteren  Mittelalter  angehörig,  in  dessen  Erdgeschoss  Schäfer 
das  Refektorium  der  Hospitalbewohner  verlegt,  während  er  im  Obergeschoss  den 
Schlafsaal  der  Pfründner  (altersschwache,  aber  nicht  kranke  Mönche)  sieht.  Beide 
Räume  haben  Balkendecken ;  die  des  Erdgeschosses  ist  nebst  ihren  Holzpfeilern  noch 
die  ursprüngliche.  Die  Fenster,  im  Erdgeschoss  gepaart,  haben  steinerne,  gekehlte 
Fensterstöcke,  im  Obergeschoss  Kreuzstöcke.  Die  Verbindung  beider  Stockwerke 
wird  durch  eine  in  einem  vorgelegten  Thurme  angebrachte  Wendeltreppe  vermittelt. 

Der  Mauerbering  des  Klosters  wurde  im  Süden,  wo  der  Weg  aus  der  Ebene 
heraufsteigt,  von  einem  Th  o  r  mit  übergebautem  Th  o  r  h  a  u  s  durchbrochen ,  welches,  aller- 
dings in  veränderter  Form,  noch  heute  benutzt  wird.  Das  wohl  der  Zeit  der  ersten 
Klosterbauten  (um  1200)  angehörige  Thor  besteht  aus  einer  grösseren,  rundbogigen 
Oeffnung  für  Fuhrwerk  und  einer  kleineren,  ebenso  geschlossenen,  für  Fussgänger, 
jede  in  einer  viereckigen  Blende  liegend  und  aus  Kalksteinquadern  aufgeführt.  Im 
Jahre  1774  wurde  neben  diesem  Thor ,  parallel  mit  dem  alten  Weg ,  eine  neue 
allmälig  bis  zum  Obergeschoss  des  Thorhauses  aufsteigende  Strasse  gebaut ,  welche 
in  der  Flucht  des  letzteren  von  einem  vom  Abt  Werner  errichteten  grossen  Sand- 
steinportal aufgenommen  wurde.  Dieses,  aus  einem  grossen  ovalgeschlossenen  Mittel- 
bogen und  zwei  in  Segmentbogen  geschlossenen  Seitenpforten  (mit  den  originalen 
Holzthüren)  bestehend ,  ist  wohl  die  erfreulichste  Leistung  der  Bauthätigkeit  der 
Barockzeit  in  Eberbach.  Das  Thorhaus  wurde  bei  dieser  Gelegenheit  erweitert  und 
zur  Fremdenherberge  eingerichtet.  Vor  einem  Fenster  desselben  befindet  sich^  ein 
hübscher  geschmiedeter  Fensterkorb. 

Unter  den  spärlichen  Skulpturresten  von  Grabsteinen,  die  sich  in  der  Kirche  er- 
halten haben,  nimmt  die  erste  Stelle  das  prachtvolle  Hochgrab  des  Mainzer  Erz- 
bischofs  Gerlach  Grafen  von  Nassau,  f  1371,  ein,  das  uns  jetzt  freilich  nicht  mehr  an 
seiner  ursprünglichen  Stelle  und  in  einer  bei  der  Versetzung  veränderten  Gestalt  ent- 


170 


EBERBACH.  GRABSTEINE. 


gegentritt,  immer  aber  zu  den  besten  Grabdenkmälern  der  Gothik  gerechnet 
werden  darf.    Heute  steht   es  an  der  Nordwand  des  Chors  und  enthält  ausser 

dem  Grabstein  mit  der  Portraitfigur  des  oben 
Genannten  noch  denjenigen  des  Erzbischofs 
Adolf  II.  Grafen  von  Nassau,  f  1475,  beide 
aufrecht  gegen  die  Kirchenwand  gelehnt  und  die 
beiden  Bogennischen  des  zweiaxigen  Ueberbaues 
ausfüllend. 

Ursprünglich  (nach  Bär)  unter  der  Vierung 
aufgestellt  (nach  Anderen  im  nördlichen  Kreuz- 
flügel) war  dasselbe  eine  90  cm  hohe  Tumba  mit 
dem  liegenden  Bilde  Gerlach's,  die  Ecken  mit 
Löwen,  die  Seiten  mit  Reliefs  geschmückt,  von 
denen  noch  die  Darstellung  der  Auferstehung 
und  die  Erscheinung  Christi  als  Gärtner  bei  Maria 
Magdalena  erhalten  sind.  Ueber  dieser  Tumba 
erhob  sich  ein  mit  zwei  Kreuzgewölben  überdeckter 
Baldachin,  von  sechs  Bündelpfeilern  getragen,  die 
zwischen  sich  die  mit  offenem  Masswerk  ausge- 
füllten Spitzbogen,  von  Wimpergen  überragt, 
tragen  und  in  Baldachine  mit  hoher  Fialenendi- 
gung  auslaufen.  Unter  den  Baldachinen  steht  in  der 
Mitte  die  gekrönte  Mutter  Gottes  mit  dem  Kinde, 
auf  den  Ecken  je  zwei  Apostelfiguren.  Die  Wimperg- 
flächen sind  mit  den  Reliefgestalten  des  Königs 
Salomo  und  eines  Propheten  ausgefüllt.  Eig.  161 
giebt  die  ursprüngliche  Erscheinung  nach  Schäfer's 
Rekonstruktion.*) 

Von  den  übrigen  im  Chor  aufgestellten 
Grabsteinen  beansprucht  wohl  die  grösste  Be- 
achtung als  Kunstwerk  derjenige  eines  betenden 
Mannes,  der  in  Relief  unter  einem  mit  Laub- 
werk ausgefüllten  spätestgothischen  Kleebogen 
steht;  die  Ecken  des  Steines  sind  mit  dünnen 
Säulchen  ausgefüllt,  welche  (leere)  Figuren- 
Nischen  unter  Baldachinen  tragen.    Mit  Recht 

Fig.  160.  Eberbach.  Fenster  mit  Verbleiung  wjrd  Lötz  durch  den  wunderbar  geistigen  Aus- 
(im  Museum  au  Wiesbaden).  ,       ,      ,        _  .  .      r  „ 

druck   des   Portraitkopies    an    Dürer  erinnert. 

Die  Inschrift  ist  leider  zerstört ;   doch  deutet  das  linke  Wappen  auf  die  Familie 

Eselweck. 


*)  Mit  freundlicher   Bewilligung   der  Verlagshandlung  E.  Wasmuth  dem  citirten  Werk  von 
Schäfer  entnommen. 


EBERBACH.  GRABSTEINE. 


171 


Ein  schöner  gothi- 
scher  Grabstein  ist 
auch  der  diesem 
gegenüber  an  der  Süd- 
wand des  Chors  auf- 
gestellte des  Eberhard 
von  Stein,  (eberbard 
de  lapide/  quondam 
Ccdc  mogunt-  cantor 

magtlif-)  1 1330.  Dieser 
steht  auf  zwei  Thier- 
gestalten unter  einem 
von  Strebepfeilern  ge- 
tragenen schwach  ge- 
schweiften Spitzbogen. 

Der  beginnenden 
Renaissance  gehört 
der  schöne  Grabstein 
des  Adam  von  Allen- 
dorf f  1518.  Oben  sitzt 
auf  einem  Halbmond 
Mutter  Anna,  auf  dem 
rechtenArm  das  Jesus- 
kind, dem  die  auf  dem 
linken  Kniee  Anna's 
ruhende  Maria  eine 
Traube  reicht ;  dar- 
unter kniet  der  Ritter 
mit  seiner  Frau. 

Eine  Anzahl  von 
Grabsteinen  der  Gra- 
fen von  Katzeneln- 
bogen, die  ihr  Erbbe- 
gräbniss  im  südlichen 
Kreuzarm  hatten  und 
von  denen  noch  einige 

in  der  Kirche  vorhan-  ftg~  161.    Hochgrab  des  Ersbischofs  Gerlach  von  Mains. 

den  sind,  ist  in  die  Burg  im  Schlossgarten  zu  Biebrich  verbracht  worden. 

Ein  aus  der  Eberbacher  Kirche  stammender  Rest  einer  sehr  kunstvollen  Blei 
verglasung  befindet  sich  im  Museum  zu  Wiesbaden. 


172 


ERBACH. 

as  am  Rheinufer,  13,2  km  ostnordöstlich  von  Rüdesheim  gelegene  Pfarrdorf 
Erbach  bestand  bereits  vor  954  und  führt  in  den  Urkunden  des  11.  und 
12.  Jahrhunderts  nach  dem  es  durchfliessenden  Bach  die  Namensform 
Eberbach,  Everbach  und  Erberbach.  Es  pfarrte  nach  Eltville  bis  um  die 
Mitte  des  13.  Jahrhunderts  (Zaun  135).  Im  Jahre  1173  scheint  es  jedenfalls  noch  eine 
kleine  unselbständige  Gemeinde  gewesen  zu  sein ;  es  schenkte  in  diesem  Jahre  dem 
Kloster  Eberbach  ein  Stück  Wald  zu  einer  Weganlage  und  erhielt  zum  Gedächtniss 
dessen  einen  „theilweise  vergoldeten  Kelch"  zum  Geschenk.  Das  Hochstift  Hildesheim 
hatte  hier  einen  Hof,  den  es  1236  an  Bleidenstadt  verkaufte. 

Ein  eigenes  Adelsgeschlecht  von  Eberbach  erscheint  in  Urkunden  von  1189  bis 
1275  (Vogel  hist.  Top.  44).  Später  tritt  hier  das  Geschlecht  von  Allendorf  auf,  welches 
1356  einen  Burgsitz  erbaute  und  1568  ausstarb. 

Die  Pfarrkirche  zu  St.  Marcus,  welche  am  unteren  Ende  des  Ortes  liegt,  nimmt 
wahrscheinlich  die  Stelle  einer  bereits  996  vorhandenen  Kapelle  ein,  welche,  wie  Zaun 
aus  den  um  diese  Zeit  in  grösserer  Zahl  ertheilten  Ablässen  schliesst,  1304  durch 
eine  kleine  Kirche  ersetzt  war.  Doch  stammen  die  ältesten  spätgothischen  Theile  der 
jetzigen  Kirche  nicht  von  diesem  Bau,  sondern  von  einem  Neubau,  der  in  der  Mitte  des 
15.  Jahrhunderts  begonnen  wurde  und  den  man  sich  als  eine  dreischiffige  Hallenkirche 
zu  denken  hat,  welche  die  drei  westlichen  Joche  der  jetzigen  Kirche  mit  Westthurm 
und  kleinem  Chor  umfasste.  Dieser  Bau  erfuhr  1721  bis  1723  eine  umfassende 
Erweiterung,  bei  der  man  den  Chor  entfernte,  die  Kirche  um  zwei  Schiffe  nach 
Osten  verlängerte  und  die  Gewölbe  des  Mittelschiffs  um  sechs  Meter  erhöhte,  so  dass 
die  Kirche  Basilikenform  erhielt.  Der  Umbau  fand  1727  und  1728  mit  der  Erbauung 
des  neuen  Chors  seinen  Abschluss. 

Der  Thurm,  der  in  der  Breite  des  Mittelschiffs  ohne  Strebepfeiler  vor  der  West- 
front sich  zur  Höhe  von  ca  55  Meter  erhebt,  setzt  sich  in  drei  durch  Wasserschläge 
getrennten  Geschossen  ab.  Das  Erdgeschoss,  welches  die  Vorhalle  der  Kirche  bildet, 
trägt  im  mittleren  Schlussstein  den  Marcuslöwen,  in  einem  seitlichen  Schlussstein  ein 
Wappen  mit  der  Jahreszahl  1477.  Die  Gewölbrippen  werden  von  kleinen,  mit  Un- 
geheuern verzierten  Konsolen  getragen.  Das  Westportal  zeigt  eine  reiche  Profilirung 
mit  im  Scheitel  gekreuzten  Stäben.  In  der  nordöstlichen  Ecke  mündet  die  Wendel- 
treppe in  einem  mit  flachem  Eselsrücken  geschlossenen  Thürchen.  Das  zweite  Thurm- 
geschoss  hinter  der  Orgel  hat  ein  einfaches  Kreuzgewölbe  mit  gekehlten  Rippen.  Das 


ERBACH.  KIRCHE. 


173 


oberste  Geschoss  ist  von  vier  grossen  Fenstern  mit  spätgothischem,  theilweise  zerstörtem 
Masswerk  durchbrochen.  Gleichen  Stilcharakter  trägt  die  den  Thurm  oben  ab- 
schliessende durchbrochene  Masswerkbrüstung,  an  deren  Ecken  Wasserspeier 
vorgekragt  sind,  darüber  kleine  Fialen.  Eine  schlanke  Spitze  mit  vier  Eck- 
thürmchen,  welche  früher  den 
Thurm  bekrönte,  wurde  1829 
durch  die  jetzige  höchst  un- 
würdige Haube  ersetzt,  deren 
Entfernung  sehr  zu  wünschen 
wäre. 

Das  dreischifhge,  fünfjochige 
Langhaus  hat  in  den  Seiten- 
schiffen Netzgewölbe,  von  denen 
sich  die  südlichen  durch  beson- 
deren Reichthum  auszeichnen. 
Die  Rippen  derselben,  in  den 
älteren,  westlichen  Jochen  auf 
meisterhaft  gearbeiteten  spät- 
gothischen  Laubkonsolen  auf- 
setzend (s.  Fig.  165),  sind  einfach, 
die  des  Nordschiffes  doppelt 
gekehlt.  Die  Gewölbe  der  zwei 
neueren,  östlichen  Joche  (mit 
der  Jahreszahl  1723)  sind  den 
alten  mit  Geschick  nachgebildet 
undunterscheiden  sich  nur  durch 
schlichtere  Konsolformen.  Die 
achteckigen  Pfeiler  des  Mittel- 
schiffs nehmen  ohne  Kapitale  die 
Trennungsgurte  der  Schiffe  auf, 
die  auf  den  beiderseitigen  Schrä- 
gungen durch  Hohlkehlen  be- 
lebt sind.  Das  zweite  Gewölbe- 
feld von  Osten  im  nördlichen 
Seitenschiff  trägt  ein  Wappen, 
goldener  Löwe  im  rothen  Feld 
mit  derUmschriftlUCasPftUippuS 
fllberld)  L-  ö-  de  Diet? ;  das  gegen- 
überliegende acht  Wappen,  die 
sich    um    den,   den  mittleren 

Schlussstein  schmückenden 
Marcuslöwen  gruppiren.     Das  Fig.  163.   Erbach.   Grundriss  der  Pfarrkirche. 


174 


ERBACH.  KIRCHE. 


Fig.  164.   Erbach.  Strebepfeiler 
und  Gewö/bausiitse  im  nördl.  Seitenschiff. 


mittelste  Feld  dieser  Seite  trägt  die  Jahreszahl 
1506,  welche  also  wohl  das  Abschlussjahr  des 
ersten  Baues  bezeichnet.  Die  schlichten  Kreuz- 
gewölbe des  Mittelschiffs  ruhen  auf  viereckigen, 
der  Oberwand  auf  Konsolen  vorgelegten  Pi- 
lastern  mit  toskanischen  Kapitalen.  Auch 
der  Chor  verräth  in  den  Einzelformen  seine 
späte  Entstehungszeit.  Die  Seitenschifffenster, 
im  nördlichen  zwei-,  im  südlichen  dreitheilig, 
j  haben  spätgothisches,  einfach  gekehltes  Mass- 
;rf=  werk  und  liegen  in  glatten  Schrägen.  Die 
Strebepfeiler  des  Südschiffs,  nach  Aussen  vor- 
gelegt, haben  Giebelpultdächer.  Diejenigen 
|  des  nördlichen  sind  ins  Innere  gezogen  und  hier 
in  sehr  hübscher  Weise  dadurch  leichter  ge- 
macht, dass  ihr  unterer  Theil  1,50  Meter  hoch, 
als  freistehender  achteckiger  Pfeiler  gestaltet 
ist,  über  dem  ein  profilirter  Binderstein  mit 


Laubkonsolen  die  Gewölberippen  aufnimmt.  Die 
oberen  Fenster  des  Mittelschiffs  sind  wie  die  des 
Chors  ohne  Masswerk  im  Halbkreis  geschlossen. 

An  Steinskulpturen  enthält  die  Kirche  ein  kleines, 
auf  einem  Pfeiler  im  Südschiff  eingemeisseltes  Epi- 
taph-Relief aus  spätgothischer  Zeit,  das  Brustbild 
eines  Geistlichen  darstellend,  welcher  einen  Kelch 
mit  der  Hostie  vor  sich  hält. 

Ein  schöner  Grabstein  in  Renaissanceformen 
in  der  Nordwand  des  nördlichen  Seitenschiffs  zeigt  die 
geharnischte  Figur  eines  Ritters  von  Allendorf  in 
betender  Stellung,  über  dem  von  zwei  Engeln  ein 
die  Figur  umgebendes  Spruchband  gehalten  wird. 
Auf  dem  Rand  sind  16  Geschlechtswappen  angebracht. 

An  der  östlichen  Abschlusswand  desselben  Seiten- 
schiffs ist  das  ebenfalls  knieende  Bild  des  „Nicolaus 
von  Aldendorf"  (t  1546)  mit  seiner  Frau  neben  dem 
Crucifix  erhalten.  Beider  Wappen  füllt  den  Rund- 
bogen der  Einrahmung,  zwei  weitere  Wappen  werden 
von  Engeln  gehalten.  Eine  gute  Arbeit  der  Spätzeit 
ist  auch  der  Grabstein,  welcher  die  Maria  Barbara 
Horadamin,  geborene  von  Schumann,  t  1725,  und  den 
Amtsrichter  und  Prätor  Johann  Georg  Horadam,t  1733, 
in  Relief  knieend  mit  dem  Rosenkranz  darstellt. 


Fig.  165.  Erbach. 
Skulptur  an  einein  Südpfeiler. 


1 


Wfi. 


ERBACH.  KIRCHE. 


175 


Der  Hauptaltar,  die  Kanzel  und  die  Orgel  sind  gute  handwerkliche  Holzarbeiten 
aus  der  Zeit  der  Kirchenerweiterung  (1728);  die  Seitenaltäre  und  das  Tabernakel 
des  Hochaltars  zeigen  schon  klassicistische  Formen  und  eine  edle  Profilirung.  Drei 
Kirchenstühle,  welche  im  Westtheil  des  Schiffes  stehen,  scheinen  ebenfalls  aus  dem 
Anfang  des  18.  Jahrhunderts  zu  stammen  und  sind  mit  derb  geschnittenem  Laubwerk 
dieser  Zeit  verziert. 

Von  den  Glocken  entstammen  zwei  noch  der  Zeit  vor  der  ersten  gothischen 
Bauperiode  (von  1377).    Ihre  Inschriften  lauten: 

flnno  mccclf f üii  festo  5-  flegpdij  fundata  P-  0-  2-  (pio  omnium  zelo) 
Anna  mater  ttlariae  per  manus  Joannis  de  francfort- 
flnno  mccclffüii  festo  S-flegpdU  fundata  Lucas  marcus  matpaeus  Joannes 
per  manus  Joannis  de  francfort- 

Die  beiden  anderen  Glocken  sind  1768  und  1845  gegossen. 

An  heiligen  Gefässen  und  Paramenten  enthält  der  Kirchenschatz  Folgendes : 

Speisekelch,  32  cm  hoch,  Silber,  theilweise  vergoldet,  von  1640.^  Auf  dem 
im  Sechspass  gezeichneten  Fuss  erhebt  sich  der  Kelch,  glatt,  aber  von  edler  Silhuette. 
Bemerkenswerth  ist  auf  dem  glatten,  gewölbten  Deckel  ein  fast  gothisirender  Aufsatz, 
der  zwischen  acht  von  gedrehten  Säulchen  getragenen  Fialen  durchbrochene  Seiten- 
flächen und  oben  eine  kleine  Kuppel  zeigt. 

Monstranz,  in  Sonnenform;  der  ovale,  glockenartige  Fuss  mit  schönem, 
getriebenem  Barockornament  geschmückt,  dem  die  vier  Evangelistenzeichen  in  ovalen 
Medaillons  eingefügt  sind.    Inschrift : 

ANTONIUS  ABBAS  ARNSBURG. 
DONA  VIT  ECCLESIAE  ARNSBURGENSI  1729. 

Aus  dem  Schatz  desselben  Wetterauer  Klosters  stammt  ein  silbervergoldeter 
Kelch,  29  cm  hoch.  Der  gegen  die  kleine  Kuppe  auffallend  breite  Fuss  trägt 
schönes,  getriebenes  Barockornament.    Inschrift : 

F.  CASPARUS  WIESEN  PROFESSUS  ARNSBURGENSIS  ET  CONFESSARIUS 
IN  ENGELT  AHAL  DONA  VIT  B.  MARIAE  V.  IN  ARNSBURG  ANNO  1728. 

Messkännchen  mit  Teller,  mit  gutem  Ornament  des  spätesten  Louis-seize- 
Stils.    Aus  derselben  Zeit  eine  ewige  Lampe  und  ein  W  e  i  h  r  a  u  c  h  f  a  s  s  in  Silber. 

Zwei  gestickte  Messgewänder,  zum  Theil  mit  figürlichen  Darstellungen, 
datirt  1727  und  1792,  ebenfalls  aus  Arnsburg  stammend. 

Zwei  vollständige  „Kapellen"  (Priester-  und  Levitengewänder  pp.)  aus  kost- 
barem gewirkten  Seidenbrokat;  sie  gehören  ebenfalls  dem  18.  Jahrhundert  an  und 
sollen  aus  dem  St.  Burkard-Kloster  in  Würzburg  stammen. 

Auf  dem  Friedhof  nordwestlich  von  der  Kirche  ist  eine  steinerne  Kreuzigungs- 
gruppe zu  erwähnen.  An  der  guten,  handwerklichen  Arbeit,  welche  dem  Ende  des 
15. Jahrhunderts  zu  entstammen  scheint,  ist  besonders  die  stark  durchbrochene  Aus- 
führung der  Haare  und  des  flatternden  Lendentuchs  hervorzuheben. 

3^ 


176 


ERBACH.    SCHLOSS  REINHARDSHAUSEN. 


SCHLOSS  REINHARDSHAUSEN. 

Das  am  westlichen  Ausgang  des  Dorfes  Erbach  gelegene  Schloss  Reinhards- 
hausen wurde  (nach  v.  Stromberg  II.  11  306  ff.)  im  Jahre  1754  von  Graf  Clemens 
August  von  Westfalen  erbaut.  Vielleicht  nimmt  es  den  Platz  des  früheren  Allen- 
dorfschen  Burgsitzes  ein ;  ein  gewölbter  Raum  in  der  Verwalterwohnung  scheint  auf 
die  Benutzung  alter  Baureste  zu  deuten.  Das  jetzige  Schloss  beansprucht  als  Bau- 
werk kein  besonderes  Interesse;  um  so  mehr  durch  die  Sammlung  von  Kunst- 
werken, welche  die  spätere  Besitzerin,  Marianne  von  Nassau-Oranien,  Prinzessin 
der  Niederlande  (1810—1883)  seit  1830  vermählt  mit  Prinz  Albrecht  von  Preussen, 
nachdem  sie  dieselbe  während  ihres  langjährigen  Aufenthaltes  in  Italien  erworben, 
hier  in  mehreren  schön  ausgestatteten,  als  Museum  neugebauten  Sälen  aufgestellt  hat. 
Dieselben  befinden  sich  jetzt  im  Besitz  ihres  Sohnes,  Sr.  Königl.  Hoheit  des  Prinzen 
Albrecht  von  Preussen,  Statthalters  von  Braunschweig. 

Wenn  ein  beträchtlicher  Theil  der  Bilder  und  Skulpturen  auch  von  italienischen, 
französischen  und  deutschen,  zur  Zeit  der  Sammlerin  lebenden  Künstlern  herrührt 
und  somit  noch  nicht  das  Alter  erreicht  hat,  in  dem  die  Kunstgeschichte  ihnen  eine 
objektive  Würdigung  angedeihen  lässt,  so  zeugen  doch  alle  Erwerbungen  von  dem 
in  hohem  Grade  künstlerisch  geschulten  Geschmack  der  Besitzerin.  Unter  den  Werken 
älterer  Kunst  finden  sich  unzweifelhaft  Stücke  von  seltenem  Werthe,  der  wohl  den 
Wunsch  nach  einer  allgemeineren  Würdigung  und  namentlich  nach  einer  kritischen 
Ueberarbeitung  des  Katalogs  gerechtfertigt  erscheinen  lässt.  An  dieser  Stelle  ist 
Beschränkung  auf  die  Nennung  einiger  weniger  Hauptwerke  geboten. 

Aus  der  Sammlung  antiker  Skulpturen  seien  als  besonders  bemerkenswerth 
hervorgehoben:  Torso  eines  Hermaphroditen;  Bacchuskopf;  Statuette  eines  Kindes  mit 
Taube  ;  alter  weiblicher  Kopf;  Büste  eines  alten  Mannes  mit  kurzem  Bart;  Herkules 
köpf  (auf  einer  besonders  kostbaren  Säule  aus  grünlichem  numidischen  Alabaster 
stehend). 

Das  Hauptstück  der  Gemäldesammlung  ist  eine  Raffael  zugeschriebene  heilige 
Familie.  Das  kleine  Bild  zeigt  bei  einer  bewundernswerth  goldig  leuchtenden  Farbe 
eine  miniaturartige  Feinheit  der  Ausführung.  Die  Mutter  beugt  sich  über  das  auf 
einem  Lamm  rittlings  sitzende  Jesuskind ;  hinter  ihr  steht  Joseph  auf  einen  Stab  ge- 
lehnt. Dies  Bild  scheint  diejenige  alte  Kopie  des  im  Museum  zu  Madrid  befindlichen 
Raffael'schen  Originales  zu  sein,  welche  Passavant  (Raphael  d'Urbin  II.  S.  55)  mit  den 
Worten  erwähnt:  Copies  anciennes.  b)  Chez  Ic  comte  Castelbarco  ä  Milan,  cette 
copie,  d'un  fini  pröcieux  a  tte"  achette  d'une  famille  r omaine  en  1840  pour  12.000 
scudi.  Von  der  Prinzessin  wurde  das  Bild  1841  oder  1842  in  Rom  gekauft  und  führt 
den  Namen  Madonna  von  Castelbarco. 

Ebenfalls  ein  Bild  von  hohem  Werthe  ist  eine  Lionardo  da  Vinci  zuge- 
schriebene Madonna;  das  auf  ihrem  Schosse  stehende  Kind  greift  mit  abgewendetem 
Kopf  nach  ihrem  Busentuch ;  rechts  oben  in  dem  ganz  dunkeln  Hintergrunde  ist  eine 
Lilie  angedeutet. 


ERBACH.    SCHLOSS  REINHARDSHAUSEN. 


177 


Als  Cesare  daSesto  ist  ein  schönes  Altarbild  bezeichnet,  welches  die  Madonna 
zwischen  dem  heiligen  Sebastian  und  Antonius  darstellt.  Unter  den  übrigen  älteren 
Bildern  sind  von  Italienern  noch  zwei  schöne  Canaletto  und  ein  Leichnahm  Christi 
von  LudovicoCigoli  zu  nennen.  Von  Bartol.  Gonzalez  ist  ein  Kirchen-Inneres 
von  Werth  vorhanden.  Auch  die  Niederländer  sind  gut  vertreten ;  eine  Vögelgruppe 
von  Hondekoetor,  ein  Klausner  von  P.  de  Hooghe  sind  besonders  zu  nennen. 
Sehr  beachtenswerth  ist  eine  Anzahl  Nassau'scher  Familienporträts,  unter  denen  nament- 
lich ein  Frauenbildniss  (als  Diana)  von  Nie.  Maes  sich  hervorhebt. 

In  einem  oberen  Stockwerk  ist  eine  kleine,  aus  dem  Nachlasse  des  Prinzen 
Albrecht  von  Preussen  stammende  Sammlung  ostasiatischer  Gegenstände  auf- 
gestellt, deren  genauere  Durchmusterung  durch  einen  Fachkenner  wahrscheinlich 
manches  interessante  Stück  namentlich  keramischer  Arbeiten  ergeben  würde. 


12 


178 


HATTENHEIM.  HALLGARTEN. 

AS  DORF  HATTENHEIM,  10,7  km  östlich  von  Rüdesheim  an  dem 
nördlichen  Arme  des  hier  durch  die  grosse  Mariannenau  getheilten  Rheins 
gelegen,  aber  durch  starke  Verlandung  von  dem  Strome  getrennt,  führt 
sein  Bestehen  bis  ins  10.  Jahrhundert  zurück.  Im  Jahre  954  wird  es  als 
eine  nach  Eltville  pfarrende  Vüliüa  erwähnt.  Die  Form  des  Namens  schwankt  in  den 
Urkunden  vom  11. — 13.  Jahrhundert  zwischen  Haderheim,  Hatherheim,  Hattinheim  und 
der  heutigen  Schreibweise.  Allmählich  scheint  es,  wohl  durch  den  in  seiner  Gemar- 
kung mit  besonderem  Erfolg  betriebenen  Weinbau  (schon  1104  wird  der  „vinearum 
in  Marcoburmn  in  marca  Haderheim"  Erwähnung  gethan)  zu  grösserer  Bedeutung 
herangewachsen  zu  sein,  da  es  1225  schon  seinen  eigenen  Schöffenstuhl  hatte.  Auch 
die  kirchliche  Abhängigkeit  von  Eltville  hörte  mit  dem  Anfang  des  13.  Jahrhunderts 
auf,  da  1232  bereits  ein  Pleban  Antonius  daselbst  genannt  wird.  Eine  Kapelle  mit 
Begräbnissrecht  besass  es  schon  zur  Zeit  des  Erzbischofs  Willigis  im  Jahre  995 
(Zaun  150).  Ein  Rittergeschlecht  von  Hattenheim  hatte  hier  1118  eine  kleine  Burg  und  ist 
1411  ausgestorben.  Wir  erfahren  von  ihm  u.  A.,  dass  ein  Brüderpaar  Wolpero  und 
Rudeger  von  Hattenheim  1118  dem  Kloster  Dissibodenberg  an  der  Nahe  seine  Güter 
zu  Windesheim  geschenkt  hat,  sowie  dass  es  im  14.  Jahrhundert  mit  dem  Geschlechte 
von  Scharfenstein  verschwägert  war.  Letzteres  besass  ebenfalls  in  Hattenheim  Güter 
(Vogel  44),  die  1381  an  Diether,  Kämmerer  von  Worms,  kamen. 

Nach  dem  Aussterben  der  Edlen  von  Hattenheim  gelangte  deren  Burg  an  ein 
Geschlecht  (von  Stramberg,  II.  11,  298  ff.),  das  in  der  Wetterau  heimisch,  ursprünglich 
von  Langerle  geheissen  haben  soll  und  sich  später  von  Langwerth  nannte.  Diesem 
Namen  wurde,  seitdem  Nicolaus  von  Langwerth  1464  als  des  Pfalzgrafen  Ludwig 
Kanzler  zu  Simmern  auf  dem  Hundsrück  erscheint,  der  Beinamen  von  Simmern  hinzu- 
gefügt. Im  späteren  Mittelalter  war  auch  die  Familie  von  Greiffenklau  hier  begütert, 
von  deren  Hof  neben  den  Ruinen  der  Langwerth'schen  Burg  noch  Reste  erhalten  sind. 

Von  der  ursprünglichen  Kirche,  welche  sich  im  Anfang  des  13.  Jahrhunderts 
aus  der  um  995  gebauten  Kapelle  entwickelte  und  1239  laut  Urkunde  (Bodmann  II,  835 
und  Sauer  472)  eingewölbt  wurde,  ist  in  dem  Thurm  der  jetzigen  Kirche  der  letzte 
Rest  erhalten.  Sein  Erdgeschoss,  von  einem  rippenlosen  Kreuzgewölbe  mit  theils 
rund-,  theils  spitzbogigen  Schildbogen  überdeckt,  scheint  den  Chor  der  früheren  Kirche 
gebildet  zu  haben.    Ein  oberes  Gewölbe  ist  herausgebrochen.    Die  Schallöffnungen 


HATTENHEIM.  KIRCHE. 


179 


zeigen  die  einfachsten  Formen  des  Uebergangsstils  ohne  Gliederungen :  von  einer 
Spitzbogenblende  eingefasst,  ruhen  zwei  Spitzbogenfenster  auf  einem  Mittelpfeiler  von 
quadratischem  Querschnitt.  Der  Thurm  endigt  in  vier  Giebelflächen,  zwischen  denen 
sich  der  stumpfe,  achteckige  Helm  erhebt. 

Die  im  Osten  des  Thurmes  anschliessende  Sakristei  gehört  nach  den  einfach 
hohlgekehlten  Rippen  des  Kreuzgewölbes ,  dessen  Schlussstein  einen  Christuskopf  in 
Relief  trägt,  ebenfalls  noch  der  gothischen  Periode  an,  wahrscheinlich  derselben  Zeit, 
aus  welcher  ein  in  der  Nordwand  der 
Sakristei  eingelassener  Denkstein  stammt, 
der  eine  Hand  mit  Kelch  und  in  gothi- 
schen Minuskeln  die  Inschrift  COttradUS 
tJOffbeini  1100  zeigt.  (In  dem  ältesten 
Hattenheimer  Anniversarienbuch  wird 
1465  ein  sei.  Pfarrer  Conrad  von  Hof- 
heim erwähnt,  der  ein  Legat  gestiftet 
hat.    Zaun  162.) 

Die  viereckigen  Fenster  der  Sakristei 
sind  modern. 

Die  jetzige  dem  heil.  Vincenz  ge- 
weihte Kirche  ist  1739  begonnen  und  1740 
geweiht.  Sie  ist  ein  längliches  Recht- 
eck mit  einer  durch  Abrundung  der 
Seitenwände  gebildeten  östlichen  Ein- 
ziehung, welche  den  halbkreisförmig  ge- 
schlossenen Chor  bildet.  Die  Kirche  hat 
eine  flache  Decke,  die  mit  derb-dekora- 
tiven Gemälden  von  J.  Voleanus  ge- 
schmückt ist.  Im  Westen  hat  sie  einen 
äusseren  Durchgang,  über  welchem  sich 
im  Innern  die  Orgelbühne  erhebt. 

Hinter  dem  jetzigen,  dem  18.  Jahrhun- 
dert angehörigen  Altar  scheint  die  AI  t  ar- 
me nsa  der  alten  Kirche  erhalten  zu  sein;  in  ihrer  Rückwand  befindet  sich  eine  Oeffnung, 
welche  durch  eine  Holzthür  mit  schönem  gothischen  Eisenbeschlag  verschlossen  ist. 

Von  einigem  Kunstwerth  sind  die  mit  der  Erbauung  der  Kirche  gleichzeitigen 
Kirchenstühle  aus  Eichenholz,  welche  geschnitzte  Wangen  in  flottem  Barockstil 
zeigen.  Von  der  gleichen  Hand  sind  die  beiden  Wangen  des  im  übrigen  schmucklosen 
Chorgestühls.  Auch  die  in  Wandnischen  eingebauten  Beichtstühle  zeigen  in  ihren 
Fronten  ähnliche  Formen. 

Später  als  diese  Arbeiten,  etwa  vom  Ende  des  18. Jahrhunderts,  ist  der  Hoch- 
altar und  die  Kanzel  zu  datiren.  Erstere  ist  ein  imposantes  Stück  Schreinerarbeit 
mit  guten,  figürlichen  Skulpturen ;  die  Kanzel  zeigt  feine  Formen  des  Louis-seize-Stils. 

12* 


180 


HATTENHEIM.  KIRCHE. 


Die  Seitenaltäre  sind  älter  aber 
künstlerisch  unbedeutend;  der  nördliche 
interessirt  durch  ein  auf  der  Höhe  seines 
Giebels  stehendes ,  übrigens  werthloses 
Bildniss  der  heil.  Kümmerniss ,  in  der 
bekannten  Darstellung  mit  langem 
Frauengewand  und  Bart. 

An  Epitaphien  enthält  die  Kirche 
einen  Grabstein  eines  Langwerth  von 
Simmern  aus  rothem  Sandstein  von  1700, 
ein  ziemlich  charakterloses  Werk,  welches 
nur  dadurch  interessirt,  dass  es  noch  die 
in  der  Renaissance  übliche  Aufreihung 
der  Geschlechterwappen  zeigt.  Künst- 
lerisch werthvoller  in  flottem  Rococco  ist 
ein  kleines,  in  hellem  Sandstein  ge- 
meisseltes  Grabschild  desselben  Ge- 
schlechts von  1730  und  das  aus  schwarzem 
und  weissem  Stein  ebenfalls  in  Rococco- 
formen  gearbeitete  Grabmal  des  Pfarrers 
Val.  Schumann  f  1760,  unter  dessen 
Amtsführung  der  Kirchenbau  ausgeführt 
Fig.  167.  Hattenheim.  Kirchenstuhlwange.       wurde.    Dem  klassizistischen  Stil  gehört 


ein  Kenotaph  von  1810  und  ein  in  schwarzem  und  weissem 
Marmor  ausgeführtes  Epitaph  des  Val.  Heimes  f  1806  an. 
Im  Thurme  befinden  sich  fünf  Glocken,  die  grösste 

mit  der  Inschrift  osana  •  Reißen  •  id)  •  mei  fter  •  martin  •  moller  • 
oon-fra&fort  •  gos  •  mid)  •  anno  •  moccccolffuiio  (1477). 

Die  zweite :  ITIaria  6lo*  ))t\s  id)  in  gottes  eer  laut  id)  • 
meifter  Jans  ?u  franrttfort  gos  mid)  anno  jar  (1513). 

(Die  gleiche  Inschrift  wie  auf  der  vierten  Glocke  in  Kidrich.) 
Die  dritte  und  vierte  sind  von  1834 ,  die  fünfte  aus  der 
jetzt  bis  auf  das  untere  als  Beinhaus  benutzte  Gewölbe 
abgebrochenen  Margarethenkapelle  stammend,  hat  die  In- 
schrift: lefus  ITIaria  1538  Hans  leime  gos  mid)- 

Nicht  unbeträchtlich  ist  der  in  der  Sakristei  mangel- 
haft aufbewahrte  Kirchenschatz;  er  enthält: 

Silbervergoldete  Monstranz  in  Sonnenform,  0,75  m 
hoch,  derbe  dekorative  Arbeit,  mit  den  eingravirten 
Inschriften : 

VAL.  SCHUMANN  PRAETOR  IN  HATTEN- 


HEIM ME  FIERI  CURAVIT  A°  1632.  Fig.  168.  Hattenh.  Chorstuhlwange. 


HATTENHEIM.    BURG  LANGWERTH  v.  S. 


181 


JOES  VALENTINUS  PASTOR  ET  JOES  SCHUMANN  PRAETOR  IN 
HATTENHEIM  ME  NO  VITER  EXSTRUXERUNT  1743. 


Kelch,  silbervergoldet,  Barockform  von  ca.  1650  mit  sehr  schön  getriebenem 
zierlichen  Ornament,  besonders  an  der  durchbrochenen  Schale  der  Kuppa.  Auf  dem 
Fuss  sechs  Rundbilder  mit  Darstellungen  aus  dem  Leben  der  Maria  in  Emailmalerei 
auf  weissem  Grunde.    Mainzer  Beschauzeichen. 

Drei  Kelche  in  Silber  vergoldet,  Rococco-Form. 

Zwei  glatte,  silbervergoldete  Kelche  in  Barockform,  einer  mit  der  Jahreszahl 
1690;  Ciborium  in  Louis-seize-Form,  silbervergoldet. 

Kleines  Kreuz-Reliquiar  in  Silber  mit  Ziervergoldung. 

Zwei  Messkännchen  auf  Platte,  in  Silber  getrieben,  Rococco. 

Zwei  Messgewänder  mit  reicher  Goldstickerei  und  der  Jahreszahl  1750,  nach 
dem  eingestickten  Wappen  aus  Kloster  Eberbach  stammend. 


Die  Burg  der  Edlen  von  Hattenheim,  jetzt  den  Langwerth  vonSimmern  ge- 
hörig, ist  als  kleine  Ruine  mitten  im  Orte  gelegen  in  ihrem  Bering  noch  zu  erkennen. 
Als  einzig  erhaltener  Theil  ragt  aus  derselben  ein  hoher  Wohnthurm  empor,  jetzt 
als  Scheune  dienend.   Er  misst  im  Innern  10,80  auf  7  Meter  und  hat  ein  Meter  starke 


Mauern.  Die  vier  Stockwerke  waren 
durch  Holzbalkenlagen  getrennt,  deren 
Pfetten  auf  erhaltenen  Steinkonsolen 
ruhten.  Im  Erdgeschoss  sind  an  der 
Nordwand  noch  die  Reste  eines 
grossen  Kamins  sichtbar,  der  im 
Innern  2,20  Meter  Breite  und  schlicht 
gekehlte  Wangensteine  hat.  Im  ersten 
Stock  bemerkt  man  in  der  Südwand 
einen  Wandschrank  mit  Steingewän- 
den ;  im  zweiten  Stock  in  der  Nord- 
westecke eineThüre  mit  Steingewände, 
die  in  ein  kleines,  in  der  Mauerdicke 


liegendes  Gelass  führte.  Sämmtliche 
Geschosse  haben  (jetzt  meist  ver- 
mauerte) rechteckige  Doppelfenster 
mit  einfach  abgefasten  Steingewänden 
und  gemauerten  Sitzbänken  in  den 
Fensternischen.  Im  Aeusseren  erhebt 
sich  über  der  Nordfront  ein  Treppen- 
giebel fast  bis  zur  Firsthöhe  des  Zelt- 
dachs, von  einem  hohen  Schornstein 
überragt. 


Hattenheim.   Burg  Langwerth  von  Simmern. 


Fig.  169. 


182 


HATTENHEIM.  HALLGARTEN. 


Von  dem  die  Nord- 
westecke des  engeren,  ein 
längliches  Rechteck  bil- 
denden Burghofs  einneh- 
mendenWohnthurm  führt 
eine  mit  (zerstörtem) 
Wehrgang  versehene 
Mauer  zu  einem  in  der 
Südwestecke  gelegenen 

quadratischen,  unter- 
kellerten Befestigungs- 
thurm, von  dem  noch  ein 
Stockwerk  steht.  Oestlich 
schloss  sich  an  diesen 
hinter  einer  kleinen  Pforte 

i    ein  Wohnbau  an,  von  dem 

Fig.  170.   Hattenheim.    Burg  Langwerth  von  Simmern.  noch  ejn  gpitzer  GiebeJ 

emporragt.  An  die  Breitseite  dieses  Hauses  lehnte  sich  ein  zweiter  Wohnbau,  von 
dem  nur  die  mit  Steinkonsolen  die  Balkenlage  andeutende  Ostmauer  steht,  welche 
gleichzeitig  die  Grenze  nach  dem  anstossenden  Greiffenklau'schen  Hofe  bildet.  Der 
Keller  unter  diesem  Hause  ist  noch  in  Benutzung. 

Von  dem  Greiffenklau'schen  Hofe  ist 
noch  das  spitzbogige  Thor  in  der  Abschluss-Mauer 
nach  der  Dorfstrasse  erhalten,  neben  dem  sich 
an  der  Ecke  des  (modernisirten)  Wohngebäudes  ein 
malerischer  Eckthurm  von  achteckigem  Grundriss 
erhebt.  Der  auf  spitzbogigen  Blenden  aufgesetzte 
Oberstock  ist  auf  den  Kanten  mit  geputzten  Back- 
steinlisenen  besetzt  und  mit  einer  geschweiften  Dach- 
haube bedeckt.  Von  den  gekuppelten  rundbogigen 
Fenstern  sind  noch  Spuren  erhalten. 

HALLGARTEN. 

Die  erste  urkundliche  Erwähnung  des  2,5  Kilo- 
meter westnordwestlich  von  Hattenheim  auf  einer 
Vorhöhe  des  Gebirges  gelegenen  Pfarrdorfes  Hall- 
garten geschieht  (Sauer  164)  im  Jahre  1155,  wo  das- 
selbe als  Allod  des  Johannistiftes  zu  Mainz  (allodium 
nomine  Hargardun)  an  Ruthart  von  Winkel  ver- 
tauscht wird.    Das  Cistercienserkloster  Eberbach  hat 

Fig.  171.  Hattenheim. 

schon  1163,  also  kurz  nach  seiner  Gründung  daselbst  Eckthurmchen  im  Greijfenkiauer  Hof. 


HALLGARTEN. 


183 


Besitzungen,  die  es  in  der  Folge  ansehnlich  vermehrte.  Eine  Gemeindeverfassung 
des  Ortes  ist  erst  1224  nachzuweisen,  in  welchem  Jahre  in  einer  Streitsache  zwischen 
der  Abtei  Johannisberg  und  der  Gemeinde  Winkel  u.  A.  ein  Schultheiss  von  Hall- 
garten als  Schiedsmann  auftritt  (Sauer  401).  Es  gehörte  zum  Zehntbezirk  des  Victor- 
stiftes zu  Mainz  und  zur  Pfarrei  Oestrich.  Erst  zwischen  1333—38  erhielt  es  einen 
eigenen  Pfarrer  (Vogel  Beschr.  585). 

Um  diese  Zeit  muss,  nach  einem  für  die  Erhaltung  und  Ausschmückung  der 
Kirche  ertheilten  Ablass  von  1345  auch  die  jetzige  Kirche  erbaut  worden  sein. 

Dieselbe  ist  ein  unbedeutender  Bruchsteinbau,  einschiffig  mit  viereckigem, 
schmucklosem  Thurm  an  der  Nordseite  des  Chors.  Letzterer  und  der  spitzbogige 
ungegliederte  Chorbogen  sind  die  einzigen  erhaltenen  Reste  der  ursprünglichen 
Anlage.  Das  Schiff  wurde  1744  erbaut.  Der  Chor  ist  mit  einem  Kreuzgewölbe  über- 
wölbt, dessen  einfach  hohlgegliederte  Rippen  in  die  Wände  verlaufen ;  aussen  hat  der 
Chor  rohe  Strebepfeiler.    Der  Thurmhelm  ist  achteckig  mit  vier  kleinen  Eckthürmchen. 

Von  den  vier  Glocken  sind  die  drei  grössten  alt,  die  erste  hat  die  Inschrift : 

Peter  oon  menje  der  goß  midi 
Hlaria  beißen  id) 

Den  Bürgern  oon  hallgarten  bin  id)- 

Die  zweite,  die  Wächterglocke  hat  folgende  Umschrift : 

ITlaria  glo*  beiß  id) 
In  der  ehr  gottes  leut  id) 
nieifter  Stephan  uon  franfefurt  goß  mid)  flnno  1517- 

Die  dritte  oder  Schröterglocke : 

meifter  loljann  uon  IUenK  der  goß  mid)  (Zaun  201). 

Von  dem  ziemlich  reichen  Inventar  der  Kirche,  welches  Zaun  aus  1772  anführt, 
ist  nur  noch  erhalten :  „ein  sehr  kostbares  Messgewand  von  rothem  Damast  mit 
gesticktem  Balken,  ist  ein  Legat  des  Geistl.  Rathes  Barth  zu  Frankfurt.  Der  Balken 
ist  1638  gefertigt  und  der  neue  rothe  Stoff  1757  zugefügt  worden."    (Zaun  205.) 


184 


KIDRICH 

UND  RUINE  SCHARFENSTEIN. 

uf  dem  letzten  Ausläufer  der  vom  Heidekopf  herabsteigenden  Abdachung, 
einem  Hügel,  der  im  Osten  von  dem  unweit  Hausen  vor  der  Höhe  ent- 
springenden Bache  bespült  wird,  liegt,  drei  Kilometer  nordwestlich  von  Elt- 
ville und  13,5  Kilometer  nordöstlich  gegen  Nord  von  Rüdesheim  das  Dorf 
Kidri  ch.  Mit  Recht  ist  es  unter  den  Ortschaften  des  Rheingaues  als  diejenige  berühmt, 
die  sich  am  treuesten  den  malerisch-alterthümlichen  Charakter  bewahrt  hat.  Wer  jenseits 
des  Kidricher  Bachs,  auf  halber  Höhe  des  zur  Ruine  Scharfenstein  emporführenden  Weges 
zurückschaut,  mag,  wenn  er  die  zierliche  Silhuette  der  Pfarrkirche  und  St.  Michaels- 
Kapelle  aus  den  spitzen  Dächern ,  den  reizvollen  Fachwerkgiebeln  und  Erkern 
emporsteigen  sieht,  ein  Bild  aus  Merian  vor  sich  zu  sehen  glauben.  Kidrich  verdankt 
diesen  Vorzug  theils  seiner  abgelegenen  Lage,  welche  die  Kriegsstürme,  die  den 
vorderen  Rheingauischen  Orten  vielfache  Zerstörungen  brachten,  von  ihm  fernhielt,  — 
theils  aber  auch  der  Einwirkung  eines  kunstsinnigen  Mannes,  des  Baronet  Sir  John 
Sutton,  der,  von  dem  Reiz  des  abgeschiedenen  Oertchens  gefesselt,  von  der  Mitte  der 
fünfziger  Jahre  an  fast  zwanzig  Jahre  während  längerer  Fristen  in  demselben  gelebt  und 
durch  reiche,  mit  feinem  Kunstverständniss  verwendete  Geldopfer  für  die  Erhaltung 
und  Wiederherstellung  des  künstlerischen  Charakters  seines  Wohnsitzes  gewirkt  hat. 
Besonders  die  Pfarrkirche  St.  Valentin  verdankt  ihm  die  von  1857  bis  1874  durch 
den  Frankfurter  Dombaumeister  Denzinger  geleitete,  ausserordentlich  glückliche 
Wiederherstellung. 

Gehört  Kidrich  auch  zu  den  ältesten  Orten  des  Rheingaues,  so  ist  von  seiner 
Geschichte  doch  wenig  zu  berichten.  In  einer  Urkunde,  die  zwischen  937  und  954  zu 
datiren  ist,  wird  es  zuerst  genannt.  Sein  Name  kommt  in  verschiedenen  Formen  vor: 
Chitricho  (1128),  Cheterecho  (1143),  Ketecho  (1183),  Ketherke  (1218),  Ketrike  (1231),  in 
der  Form  Kidrich  zum  ersten  Male  1292.  Diese  zahlreichen  urkundlichen  Erwäh- 
nungen, die  wir  bei  Sauer  finden,  werfen  aber  kein  Licht  auf  die  Geschichte  des  Ortes; 
fast  alle  handeln  von  Kauf,  Tausch  und  Vererbung  von  Aeckern  und  Weinbergen 
und  beweisen  u.  A.  das  hohe  Ansehen,  dessen  sich  Kidrichs  noch  heute  so  berühmte 
Weinlage,  der  Gräfenberg,  schon  in  dieser  frühen  Zeit  zu  erfreuen  hatte. 

Die  erste  Erwähnung  einer  Kirche  und  eines  Klosters  in  Kidrich  geschieht  1275, 
in  einem  von  dem  Abt  und  dem  Convent  des  Klosters  Eberbach  bekundeten  Ver- 


KIDRICH.  GESCHICHTE. 


185 


mächtniss  einer  honesta  matrona  Adilhildis  de  Kederche-  Zweck  desselben  war  die 
Beschaffung  von  Kerzen  auf  den  Altären  der  Krypta  des  Infirmitoriums  des  Klosters 
und  der  Kirche  zu  Kidrich. 

Wenn  dies  auch  nicht  derselbe  Kirchenbau  war,  den  wir  heute  in  Kidrich  sehen, 
so  kann  man  doch  annehmen,  dass  auch  diese  frühere  Anlage  den  heil.  Bischof  Valentin 
zum  Patron  hatte ,  und  dass  die  Fürsorge  für  Gelähmte  und  Epileptische ,  welche 
diesem  Heiligen  zugeschrieben  wird,  schon  frühe  Hülfsbedürftige  in  grosser  Zahl 
seinen  hier  verwahrten  Reliquien  zugeführt  hat.  Nachweislich  bestand  schon  am  Ende 
des  14.  Jahrhunderts  hier  „die  elendige  Brüderschaft"  (Confraternitas  B.  Mar.  V.  Exulum) 
(Zaun  133)  zur  Verpflegung  der  armen  und  kranken  Pilger  und  zur  Bestattung  der 
am  Orte  verstorbenen.  Diese  Pilgerfahrten,  die  heute  noch  bestehen  und  am  ersten 
Sonntag  nach  der  Oktave  von  Mariae 
Himmelfahrt  gehalten  werden,  müssen  im 
15.  Jahrhundert  eine  besondere  Bedeutung 
gehabt  haben.  Im  Jahre  1417  hat  der  Glöckner 
Friedr.  Sinder  sein  Haus  nebst  den  dazu 
gehörigen  Gütern  der  Kirche  zu  einem 
Hospital  für  die  Pilger  hergegeben.  Es 
stand  an  der  Hauptstrasse,  der  Südseite  der 
Kirche  gerade  gegenüber,  an  der  Stelle, 
welche  jetzt  von  dem  Rathhause  eingenom- 
men wird.  In  neuester  Zeit  hat  die  Pflege 
der  Epileptisch-Kranken  in  dem  grossartig 
angelegten  St.  Valentins-Stift  bekanntlich 
eine  umfassende  und  segensreich  wirkende 
Stätte  gefunden. 

Neben  mehreren  Adelsgeschlechtern, 
die  wir  bei  der  Aufzählung  ihrer  Höfe  zu 
nennen  haben  werden,  war  in  Kidrich  auch 
das  Kloster  Eberbach  begütert ,  meist  in 
Folge  von  frommen  Schenkungen.  Ueberhaupt  waren  die  Beziehungen  des  Ortes 
zu  dem  nahe  benachbarten  Cistercienserkloster  ziemlich  lebhafte.  In  dem  Liber  ani- 
morum  Eberbachs  kommen  von  1197  bis  1753  sechzehn  aus  Kidrich  gebürtige  Sacer- 
dotes  et  monachi  vor,  darunter  zwei  Aebte,  nämlich  Philipp  Sommer,  1571  bis  1600, 
und  Mich.  Schnock  1702  bis  1727.  Nicht  immer  aber  waren  diese  Beziehungen  freund- 
licher Natur.  Im  Jahre  1367  weigerte  sich  das  Kloster,  von  seinen  in  Kidrich  be- 
legenen Gütern  die  Beede  zu  entrichten ,  so  dass  zur  Schlichtung  dieses  Streites 
Erzbischof  Gerlach  von  Mainz  sämmtliche  Schultheissen  und  Schöffen  des  Rheingaues 
zusammen  berufen  musste. 

Dass  der  Ort  ein  eigenes  Adelsgeschlecht  besass,  welches  sich  „von  Kidrich" 
nannte,  geht  aus  vielfacher  urkundlicher  Erwähnung  desselben  hervor,  die  aus  dem 
frühesten  Mittelalter  bis  ins  14.  Jahrhundert  reicht.    Doch  wird  man  nicht  irre  gehen, 


Fig.  173.    Kidrich.   Ecke  um  Zehntenhof. 


186 


KIDRICH.  GESCHICHTE. 


wenn  man  dieselben  als  eines  Stammes  und  als  Vorfahren  des  im  Rheingau  weit 
verbreiteten  Geschlechtes  der  Herren  von  Scharfenstein  ansieht.  Aus  den  Herren 
von  Kidrich,  welche  der  Mainzer  Erzbischof  als  Burgmänner  auf  seine  Burg  Scharfen- 
stein setzte,  wurde  allmälig  eine  nach  dieser  Burg  benannte  Familie,  die  sich  an  ver- 
schiedenen Orten  des  Rheingaues  ansiedelt  und  Nebenäste  bildet  mit  verschiedenen 
Wappen.*)  So  führten  die  Grünen  von  Scharfenstein  im  silbernen  Schilde  einen 
grünen  breiten,  mit  zwei  schmäleren  eingefassten  Querbalken;  sie  starben  1517  mit 
Johann  von  Scharfenstein  aus.  Die  Schwarzen  führten  das  gleiche  Wappen  mit 
schwarzen  Balken,  die  mit  den  Steinen  und  die  Cr  atze  von  Scharfenstein  führten 
in  silbernem,  mit  vierzehn  schwarzen  Steinen  belegten  Felde  rothe  Querbalken.  Der 

letztere  Ast,  der  später  in  den 
Grafenstand  erhoben  wurde, 
erlosch  mit  Hugo  Cratz 
von  Scharfenstein  1712. 

Die  Burg  scheint  Ende 
des  12.  Jahrhunderts  erbaut 
zu  sein;  1191  wird  sie  zuerst 
genannt;  1195  finden  wir 
einen  Walter  von  Scharfen- 
stein als  Domherrn  zu  Mainz. 
Im  13.  Jahrhundert  war  sie 
als  eine  der  vier  erzstifti- 
schen  Burgen  (mit  Ehrenfels, 
Rheinberg  und  Eltville) 
häufig  die  Residenz  der  Erz- 
bischöfe,  wie  die  von  dort 
datirten  Urkunden  Sieg- 
frids  II.  (1215),  Gerhards  I. 
(1253)  und  Gerhards  II.  (1289) 
beweisen. 

Im  Jahre  1251  am  15.  November  verweilte  der  deutsche  König  Wilhelm  auf  der 
Burg.  Eine  Belagerung  durch  die  im  Dienst  König  Albrecht's  ausgezogenen  Mainzer 
musste  sie  im  Jahre  1301  aushalten.  Obgleich  die  Angreifer  nach  drei  Tagen  un- 
verrichteter  Sache  abziehen  mussten,  wurde  die  Burg  von  Gerhard  II.  dem  König 
überliefert,  in  dessen  Besitz  sie  sich  noch  1304  befand.  Von  ihren  späteren  Schick- 
salen ist  nichts  bekannt,  ebensowenig  die  Zeit  und  der  Grund  ihrer  Zerstörung ;  im 
16.  Jahrhundert  muss  sie  noch  in  wehrhaftem  Zustand  gewesen  sein. 

Hier  mag  die  Erwähnung  des  Kar  thäuserklost  e  rs  im  Petersthal  ange- 
schlossen werden,  von  dem  zwar  jeder  Rest  verschwunden  ist,  das  uns  aber  wegen  seiner 
Beziehungen  zu  Scharfenstein  interessirt.**)   Erzbischof  Peter  von  Mainz,  der  in  seiner 

*)  Bodmannn  I,  145,  150  ff.    Sachs  und  Rossel,  Album  von  Nassau. 
**)  Bodmann  220. 


Fig.  174.   Kidrich.    Giebel  an  der  Mühle. 


.  175.  Kiäricli.   Pfarrkirche.  St.  Johannisaltar, 


BAUWERKE  KIDRICHS. 


187 


Jugend  die  Karthause  bei  Grenoble  besucht  hatte,  wendete  sich  im  Jahre  1308  dorthin, 
in  der  Absicht,  ein  Kloster  dieses  Ordens  auf  seinem  Gebiet  zu  gründen.  Er  hatte 
dazu  einen  Ort  im  Petersthal  bestimmt,  der  als  castellum  Nuwenhus  retro  Castrum 
Scharphynstein  (Urkunde  Mainz  1309)  bezeichnet  wird ;  ein  im  übrigen  unbekanntes 
Burghaus  der  Mainzer  Erzbischöfe,  welches  nach  einer  daselbst  erlassenen  Urkunde 
schon  hundert  Jahre  früher  bestanden  haben  muss  (Bodmann).  Von  der  Grande  Char- 
treuse wurden  dann  Mönche  nach  Mainz  entsendet,  unter  ihnen  ein  Johannes  Polonus, 
für  welche  wahrscheinlich  um  1312  im  Petersthal  hinter  Scharfenstein  ein  Kloster  erbaut 
wurde.  Doch  war  die  Stiftung  an  diesem  Orte  nicht  von  langer  Dauer.  Reibereien 
mit  dem  rheingauischen  Adel,  besonders  mit  den  nächsten  auf  Scharfenstein  hausenden 
Nachbarn,  welche  die  Ruhe  des  Klosters  durch  geräuschvolle  Jagdzüge  stören  sollten, 
vielleicht  auch  die  Armuth  des  unfruchtbaren,  engen  ThaJes  führten  zu  Unzufriedenheit 
der  Klosterbrüder,  die  nach  dem  Tode  ihres  Stifters  1320  bei  dessen  Nachfolger  Mathias 
Beschwerde  führten.  Dieser  ordnete  1322  die  Verlegung  des  Klosters  auf  den  Michels- 
berg bei  Mainz,  auf  ein  von  Katharina  Spiegel  geschenktes  Gelände  an. 

BAUWERKE  KIDRICHS. 

DIE  PFARRKIRCHE  ST.  VALENTIN. 

Die  Pfarrkirche  St.  Valentin  zeigt  zwei  Bauperioden.  Von  der  ersten,  welche 
etwa  in  den  Anfang  des  14.  Jahrhunderts  zu  setzen  ist,*)  stammen  noch  die  unteren 
Seitenschiffe  und  die  achteckigen  Mittelschiffpfeiler.  Vielleicht  waren  die  etwa  1  Meter 
über  dem  Bogenansatz  an  den  Mittelschiffwänden  noch  vorhandenen  Konsolen,  auf 
denen  starke,  bei  der  Restauration  ohne  Verputz  gelassene  eingebundene  Quadern 
aufsetzen,  die  Ansätze  des  ursprünglichen  Mittelschiffgewölbes. 

Im  letzten  Viertel  des  15.  Jahrhunderts  wurde  die  Kirche  einer  umfassenden 
Erweiterung  und  Verschönerung  unterzogen.  Im  Jahre  1481  (nach  der  im  Chor- 
gewölbe befindlichen  Jahreszahl)  wurde  der  jetzige  prächtige  Chorbau  zu  Ende  geführt. 
Hieran  schloss  sich  der  Umbau  des  Schiffs.  Das  Mittelschiff  wurde  auf  die  Höhe  der 
Chorwölbung  gebracht  und  mit  Sterngewölben  geschlossen ;  zu  diesem  Zweck  wurden 
die  Seitenschiffe  mit  Emporen  überbaut,  indem  man  auf  die  Mittelschiffwände,  vielleicht 
in  der  Höhe  des  früheren  Dachansatzes,  eine  zweite  Arkade  auf  kurzen  achteckigen 
Pfeilern  errichtete,  und  die  erhöhten  Aussenmauern  mit  einer  zweiten,  oberen  Fenster- 
reihe versah.  So  stellt  sich  uns  die  Kirche  als  eine  dreischiffige  Hallenkirche  von 
vier  Jochen  in  der  Länge  dar ;  das  westliche  Mittelschiff  wird  von  dem  Thurm  ein- 
genommen, dessen  Erdgeschoss  sich  nach  dem  Mittelschiff  mit  einem  Rundbogen,  nach 
den  Seitenschiffen  mit  Spitzbogen,  alle  unprofilirt  öffnet.  Die  Breite  der  Seitenschiffe 
beträgt  4,08  Meter  (nördlich)  und  4,27  Meter  (südlich),  die  des  Mittelschiffs  7,38  Meter, 

*)  Diese  Datirung  gründet  Zaun  auf  die  Jahreszahl  13 13,  welche  sich  auf  einer  Pfeife  der 
alten  Orgel  eingeätzt  fand,  sowie  auf  den,  jetzt  im  Chor  aufgestellten  Grabstein  des  Gerhard  von 
Scharfenstein  f  1352. 


188 


KIDRICH.  PFARRKIRCHE. 


die  ganze  Länge  des 
Schiffs  bis  zur  west- 
lichen Thurmwand 
23,82  Meter. 

Der  Chor  ragt  mit 
10,47  Meter  Breite  über 
das  Mittelschiff  hinaus ; 
er  ist  zweijochig  und 
im  Achteck  geschlos- 
sen. In  die  Ecken 
zwischen  Chor  und 
Seitenschiffen  legen 
sich  zwei  Sakristeien; 
die  nördliche  kleiner, 
die  südliche  grösser 
und  aussen  mit  einem 
geschweiften  Giebel 
geschlossen ,  dessen 
Kanten  mit  einem 
durchbrochenen  Stein- 
kamm besetzt  sind, 
während  die  Ecken 
unten  mit  zierlichen 
Baldachinen,  oben  mit 
Fialen  geschmückt 
sind.  Der  ganze  Chor- 
bau zeichnet  sich  durch 
eine  ausserordentlich 
reiche  und  meister- 
hafte Behandlung  der 
spätgothischen  Bau- 
formen aus,  so  dass 
er  in  dieser  Hinsicht 
wohl  als  das  edelste 
Werk  des  Rheingaus 
bezeichnet  werden 
darf.  Besonders  reich 
sind  seine  Strebepfei- 

Fig.  176.    Kidrich.   Kirchcngrundriss.  ler   mit  Baldachinen, 

Fialenbündeln  und  Laubkrabben  auf  den  geschweiften  Pultdächern  ausgebildet.  Auch 
das  Masswerk  der  Fenster,  die  in  reich  profilirten  Nischen  liegen,  zeigt  die  gleiche 
Ausbildung.    Die  im  Chorschluss  dreitheiligen,  in   den  graden  Seiten  viertheiligen 


KIDRICH.  PFARRKIRCHE. 


189 


Masswerke  sind  in  halber  Höhe  von  einer  steinernen  Bank  mit  steilem^Wasserschlag 
durchsetzt,  unter  der  mit  Nasen  besetzte  sog.  Eselsrücken-Bogen  angebracht  sind. 

Im  Innern  ist  der  Chor 
mit  einem  reichen  Stern- 
gewölbe geschlossen,  dessen 
mittlerer  Schlussstein  mit 
einem  Christuskopf  verziert 
ist,  während  auf  den  Kreu- 
zungen der  Rippen  acht 
Wappen  angebracht  sind. 
Eins  trägt  ausser  der  oben 
m^mm   erwähnten  Jahres- 

I  zahl  1481  das  Stein- 
f  ▼  metzzeichen ,  das 
sich  auch  an  den  Schiffs- 
gewölben und  auf  der  Kanzel 
wiederfindet.  Die  Rippen 
wachsen  ohne  Kapital  aus 
dreifachen  und  in  der  Mitte 
der  graden  Seite  aus  fünf- 
fachenDienstbündeln  hervor ; 
erstere  setzen  auf  Sockeln 
mit  gedrehten  Seiten  auf. 
Die  Fenster  in  dem  graden 
Joche  des  Chores  sind  wegen 
der  sich  aussen  vorlegenden 
Sakristeien  vermauert  und 
erscheinen  nur  im  Innern  als 
Blendmasswerk.  Der  Ueber- 
stand  des  Chors  über  die 
Mittelschiff  breite  ist  an  der 
Hochwand  der  Südseite  zu 
einem  von  der  dortigen  Em- 
pore aus  zugänglichen  Bal- 
kon mit  Durchblick  nach  dem 
Chor  benutzt,  der  auf  zwei 
Kragsteinen  nach  hierhin 
vorgebaut  ist.  Der  Triumph- 
bogen hat  die  Breite  des 
Mittelschiffs  und  daher  nur 
nach  der  Chorseite  eine  starke  Abschrägung,  die  unten  in  einen  übereckten  Sockel  endigt. 
Vom  Kämpfer  an  entwickelt  er  sich  beiderseitig  in  reicher  Profilirung.    Die  Axe  des 


Fig.  177.   Kidrich.    Kirche.  Längenschnitt. 


Fig.  178.   Kidrich.    Chorpartie  der  Pfarrkirche  S.  Valentin. 


KIDRICH.  PFARRKIRCHE. 


191 


Chors  zeigt  eine  nördliche  Abweichung  von  der  Kirchenaxe,  welche  auf  die  Länge 
des  Chors  etwa  30  cm  beträgt. 

Die  beiden  Sakristeien  sind  ebenfalls  mit  Sterngewölben  überdeckt,  deren  reich- 
profilirten  Rippen  in  der  südlichen  in  einen  Schlussstein  mit  schönem  in  Hochrelief  aus- 
geführtem Wappen  zusammenlaufen ;  in  den  Ecken  werden  sie  von  gebündelten 
Diensten  aufgenommen. 

Im  Schiff  wachsen  die  mit  Doppelkehle  profilirten  Arkadenbogen  ohne  Kapitale 
aus  den  achteckigen  Pfeilern  hervor;  das  gleiche  gilt  von  den  Gurten  und  Gräten 
der  Kreuzgewölbe  des  oberen  Seitenschiffs  und  der  Sterngewölbe  des  Mittelschiffs, 
während  die  unteren  Seitenschiffgewölbe  auf  Konsolen  aufsetzen,  die  im  südlichen  mit 
Laubwerk,  im  nördlichen  mit  figürlichen  Darstellungen  geschmückt  sind  ;  unter  diesen 
ist  besonders  der  dem  Engel  zulauschende  Evangelist  Matthäus  bemerkenswerth,  dem 
eine  Sibylle  das  Buch  hält.  Die  Schlusssteine  der  Seitenschiffe  zeigen  (von  Westen 
beginnend)  nördlich  das  Evangelistenzeichen  von  Lukas  und  Markus,  einen  Phönix 
und  ein  Wappen;  südlich  die  Zeichen  von  Matthäus  und  Johannes,  dann  zwei  Wappen- 
gruppen. Im  Schlusstein  des  Thurm- 
gewölbes ist  ein  Christuskopf  angebracht. 
Die  Sterngewölbe  des  Mittelschiffs, 
weniger  reich  als  die  im  Chor,  tragen 
ebenfalls  auf  den  Kreuzungspunkten  und 
in  den  Schlusssteinen  Wappen ;  das  letzte 
zunächst  dem  Thurm  mit  der  Jahres- 
zahl 1490  und  dem  mehrfach  erwähnten 
Steinmetzzeichen  deutet  auf  die  Beendi- 
gung dieser  Arbeit,  die  somit  neun  Jahre 
in  Anspruch  genommen  hat;  an  der  Aus- 
stattung der  Kirche  ist  dann  noch  einige 
Jahre  weitergebaut  worden,  wie  das 
Datum  1493  auf  der  Kanzel  beweist. 

Die  oberen  Seitenschiffe  haben  durchbrochene  Steinbrüstungen  von  spätgothischem 
Masswerk.  Die  alte  Bemalung  der  Gewölbekappen,  die  in  charakteristischen  Pflanzen- 
formen sich  von  den  Kreuzungspunkten  der  Rippen  abzweigt,  ist  in  vortrefflicher  Weise 
durch  Maler  Martin  restaurirt. 

Der  Thurm  steigt  in  quadratischem  Grundriss,  ohne  Strebepfeiler,  durch  alle 
Geschosse  auf  und  wird  beiderseitig  durch  sechseckige  in  den  Winkeln  der  Seiten- 
schiffe liegende  Treppenthürmchen  begleitet,  von  denen  das  nördliche  erst  vom  Kirchen- 
dach-Ansatz an  vorgekragt  ist.  Der  Thurm  ist  mit  Ecklisenen  belegt,  die  über  dem 
zweiten  und  vierten  Geschoss  durch  Bogenfriese  verbunden  sind.  Diese  bestehen  aus 
schöngearbeiteten,  auf  schlanken  Konsolen  aufsitzenden  Spitzbogen  mit  Nasen,  deren 
Spitzen  in  Lilien  endigen.  Ueber  dem  obersten  Fries  erhebt  sich  noch  ein  mit  vier 
Schall-Löchern  durchbrochenes  Geschoss,  welches  ebenso  wie  der  achteckige,  mit  vier 
viereckigen  Eckthürmchen  übergeleitete  und  mit  Schiefer  gedeckte  Helm  im  Jahre  1873 


Fig.  179.   Kidrich.  Pfarrkirche. 
Gewölbekonsolen  im  nördl.  Seitenschiff. 


192 


KIDRICH.  PFARRKIRCHE. 


4- 


Fig.  181.   Kidrich.   Pfarrkirche.    Westl.  Thurmfenster. 


durch"  Denzinger  an  Stelle  des 
dem  Jahre  1712  entstammenden 
Zwiebeldachs  neu  hinzugefügt 
worden  ist.  Im  Erdgeschoss  des 
Thurmes  öffnet  sich  das  Westportal, 
dessen  reichgegliederte  Nische  von 
zwei  schlanken  Säulen  flankirt  wird. 
Dieselben  tragen  eine  mehrge- 
schossige Fialenentwickelung , 
zwischen  welche  sich  der  ge- 
schweifte,mitKrabben  geschmückte 
Wimperg  setzt.  Das  Tympanum, 
durch  einen  Mittelpfeiler  gestützt, 
auf  dessen  Säule  die  Gestalt  des 
Kirchenpatrons  steht,  enthält  eine 
bemalte  Reliefskulptur,  deren  Fi- 
guren lebhafte  Bewegung  und 
reichen,  weichfliessenden  Falten- 
wurf zeigen;  oben  der  segnende 
Gottvater  zwischen  zwei  schwe- 
benden Engeln  mit  Musikinstru- 
menten, darunter  links  Mariä Verkündigung,  rechts  die  Krönung  Mariä.  Die  einrahmenden 
Hohlkehlen  sind  mit  dichtgestelltem  Blattwerk  besetzt.  Unmittelbar  über  dem  Portal 
befindet  sich  ein  Fenster  mit  reichem,  viertheiligem  Masswerk  in  spätestgothischen  Formen. 

Das  vierte  Thurmgeschoss  hat  auf  den  drei  freistehenden  Seiten  je  zwei  schlanke 
Schalllöcher  mit  Masswerk. 

Die  Fenster  des  Schiffs,  in  zwei  Reihen  übereinander  stehend,  haben  an  der 
Südseite  dreitheiliges,  an  der  Nordseite  zweitheiliges  Masswerk. 

Das  niedrige  Südportal  zeigt  in  seinem  Tym- 
panum ebenfalls  eine  Skulptur  von  ziemlich  roher 
Arbeit,  die  wohl  noch  von  dem  älteren  Bau  des 
Schiffes  herrührt  und  den  gekreuzigten  Christus 
mit  Maria  und  Johannes  darstellt.  Die  Strebe- 
pfeiler des  Schiffs  sind  einfach  und  schliessen  mit 
Pultdächern  ab,  in  welche  Giebel  einschneiden. 

Auf   dem    Chordach    erhebt    sich   ein  ge- 
schieferter  moderner  Dachreiter. 

Von  den  einzelnen  Dekorationsstücken  der 
Kirche  ist  als  ein  hervorragendes  Werk  das 
Sakramentshäuschen  zu  erwähnen,  welches 
die  im  Chor  herrschenden  spätgothischen  Formen 


Fig.  182.  Kidrich.  Pfarrkirche. 
Fenstermasswerk  der  Südfronte. 


Fig.  180.  Kuirich. 


Westportal  der  Pfarrkirche. 


KIDRICH.    PFARRKIRCHE.  EINZELHEITEN. 


193 


in  reichster  Entfaltung  zeigt.  Es  steigt  über  dem  jetzt  leeren  Sakramentsbehältniss 
in  drei  Geschossen  bis  zu  den  Gewölbanfängen  auf,  in  üppigster  Weise  mit  geschweiften 
und  vorgebogenen  Wimpergen  und  Fialenwerk  entwickelt.  Es  hatte  vielfache  Be- 
schädigungen zu  erleiden  ge- 
habt und  ist  im  Jahre  1869 
genau  nach  den  vorhandenen 
Bruchstücken  von  dem  Bild- 
hauer Broichmann  in  Limburg 
restaurirt  worden. 

In  ähnlicher  Weise  ist  auch 
der  Lettner,  der  um  1700 
entfernt  wurde,  nach  den  noch 
vorhandenen  alten  Theilen  neu 
hergestellt  worden.  Er  ist  drei- 
jochig  auf  glatten,  achteckigen 
Pfeilern  ohne  Kapitale  mit  Netz- 
gewölben überwölbt ,  deren 
Rippenkreuzungen  mit  Wappen 
belegt  sind.  Die  obere  Platt- 
form, durch  eine  südlich  ange- 
baute Wendeltreppe  in  steiner- 
nem Gehäuse  zugänglich,  wird 
beiderseits  durch  eine  in  Fisch- 
blasenmasswerk durchbrochene 
Brüstung  abgeschlossen.  Die 
vier  an  der  Westfront  auf  Kon- 
solen stehenden  Figuren  sind 
von  dem  Bildhauer  Eischeid  in 
Cöln  neu  hergestellt. 

Ein  in  seiner  schlichten  Ele- 
ganz vorbildliches  Werk  ist  die 
gleichzeitig  mit  dem  Umbau  der 
Kirche  und  laut  Inschrift  und 
Meisterzeichen  von  demselben 
Meister  1493  errichtete  Stein- 
kanzel.  Der   grade,    sechs  - 
eckigeKanzelkörper  ist  in  durch- 
brochenem Masswerk  gehalten  ;  FiS-  183.  Kidrich.  Kanzel  der  Pfarrkirche. 
seine  Ecken  tragen  Konsolen  für  vier  leider  fehlende  Eckfiguren,  deren  Ergänzung 
dringend  zu  wünschen  wäre.    Er  ruht  auf  einem  sechseckigen  Fuss,  dessen  Kanten  von 
nach  oben  kelchartig  auseinandergehenden  Rundstäben  mit  gewundenen  Sockeln 
begleitet  werden.  An  der  Vorderseite  ist  das  Wappen  der  Knebel  von  Katzenelnbogen 

13 


194 


KIDRICH.  KIRCHE. 


angebracht.  Die  Stirnseiten  der  stei- 
nernen Kanzeltreppenstufen  tragen 
Rundbogen  mit  Nasen. 

In  der  südlichen  Sakristei  sind  zwei 
Wandschränke  mit  schöner  Stein- 
umrahmung bemerkenswerth :  das 
Gewänd  ist  mit  Rundstäben,  die  sich 
an  den  Ecken  überschneiden  und  ge- 
wundenen Sockel  haben,  besetzt,  den 
graden  Sturz,  der  einen  Zinnenkranz 
trägt,  zieren  zwei  Wappen.  Ein 
dritter  Wandschrank  mit  glattem, 
spitzbogig  geschlossenem  Gewänd  ist 
bemerkenswerth  durch  sein  pracht- 
volles Schmiedeeisenbeschläg.  Eine 
ebendort  in  einer  Wandblende  ange- 
brachte Piscina  ist  im  Halbkreis- 
bogen mit  gothischen  Nasen  ge- 
schlossen, die  in  schöngearbeitete 
Lilien  auslaufen. 

Ein  im  Chor  links  vom  Hochaltar 
eingemauertes  Epitaph  des  Ritters 
Diether  von  Hoenstein  f  1571  und 
seiner  Frau  Katarina  Rodin  f  1560, 
beide  neben  dem  Crucifix  knieend, 
ist  eine  handwerkliche  Steinmetzarbeit 
der  Renaissance. 

Fig.  184.    Kidric  Ii.  .  .  t 

Pfarrkirche.    Wandschrank  in  der  Sakristei.  Ausser  diesen  hat  in  der  Kirche 

eine  grosse  Zahl  rheinischer  und  nassauischer  Adliger  ihre  Ruhestätte  gefunden,  deren 
Grabsteine  jedoch  kein  weiteres  kunstgeschichtliches  Interesse  gewähren.  Die  Auf- 
zählung derselben  findet  man  bei  Zaun  Seite  125,  126. 

Die  Kirche  besitzt  acht  Glocken,  von  welchen  die  fünf  grösseren  im  Thurm, 
die  anderen  im  Dachreiter  hängen.  Die  grösste,  von  1513,  mit  1,75  Meter  Oeffnung 
und  1,70  Meter  Höhe,  trägt  das  Bild  der  heiligen  Maria  mit  dem  Kinde  und  des  hei- 
ligen Valentin,  darüber  die  Inschriften:  (Lötz  254) 

magne  öalentine/  prineeps/ 
pater/  atgue,  patronc,  pec  Osanna/ 
tue  resonat  laudi;  piefugue  •  Osanna  peis  Up- 
meifter  Hans  jvi  fran&furt  gos  mid)-  flnno  XD*  K]\}  ]ar- 
0  peilige  maria/  allerfufte  mutter  öottes/  biet  6ot  oor  uns  armen  funder  und  funderin  in 

der  ftunde  unferes  dotes- 


KIDRICH.    KIRCHE.    GLOCKEN  UND  ALTÄRE. 


195 


Die  zweite,  1,60  Meter  breit,  1,50  Meter  hoch,  trägt  die  Reliefbilder  von  Dionys 
und  Maria  und  erhielt  beim  Umguss  1868  die  Inschrift: 

0  maria  rein/ 

laß  Kidrid)  dir  empfohlen  fein/ 
erbarme  diät)  der  Sunder  dein/ 
die  ju  dir  o  mutter  fdjrein- 
meifter  hoogbups  oon  Brügge  goß  mid)  fein 

mDCccixom- 

0  Dionijsi/  benigne  curator  infirmonum/  cura  morbos  animarum  tibi  fideliter  scnnentium- 

Die  dritte,  die  „Gemeindeglocke"  von  1389,  hat  das  Bild  des  heiligen  Petrus  auf 
einer  Wolke,  ist  1,40  Meter  breit,  1,42  Meter  hoch  und  trägt  die  Aufschrift: 

lucas  •  marcus  •  Ittatteus  •  Joannes- 
Hnno  domini  mcCQXXXlX- 
feria  •  D  •  post  •  midjaelis- 

Auf  dem  Rande:  Bot  ITlaria- 

Die  vierte  (Messglocke),  im  gleichen  Jahr  und  von  demselben  Frankfurter  Meister 
wie  die  grösste  Glocke  gegossen,  ist  1,28  Meter  breit  und  1,19  Meter  hoch  und  zeigt 
die  Inschrift: 

maria  6lo*  Jjeis  id) 
in  Gottes  eer  laut  id) 
meifter  bans  }u  franfort  gos  mid) 
anno  Xt)s  K\\}  jar- 

Die  fünfte,  das  Todtenglöckchen,  72  cm  hoch  und  breit,  ist  die  älteste  und  bezeichnet : 

t  ref  •  Kaspar  •  öaldifer  •  milgiar- 

ALTÄRE. 

1.  Der  Hochaltar,  dem  heiligen  Valentin  geweiht,  wurde  von  dem  1619  ver- 
storbenen Caspar  von  Eitz  gestiftet;  ein  sehr  stattliches  Werk  der  deutschen  Hoch- 
renaissance, in  bemaltem  und  vergoldetem  Sandstein  und  mit  guten  Reliefs  in  Ala- 
baster geschmückt.    Das  metallene  Tabernakel  modern  (von  1876). 

2.  Der  Katharinenaltar,  im  südlichen  Seitenschiff,  ist  gleichzeitig  mit  dem 
Hauptaltar  eine  Stiftung  der  Juliane  von  Schwalbach  geb.  Eitz  f  1620,  und  ebenfalls 
ein  sehr  beachtenswerth.es  Renaissancewerk,  das  in  einem  Aufbau  von  korinthischen 
Säulen  den  Crucifixus  mit  Maria,  Magdalena  und  Johannes  zeigt,  über  denselben  die 
Auferstehung  und  mehrere  Heilige.  Rechts  und  links  sind  die  Gestalten  der  Stifter 
mit  zahlreichen  Ahnenwappen  angebracht. 

3.  Der  Johannisaltar  im  nördlichen  Seitenschiff ;  reiches,  spätestgothisches 
Altarwerk  von  grosser  Schönheit ;  dem  Stil  nach  gleichzeitig  mit  dem  Umbau  der 
Kirche.  In  der  Mitte  ist  unter  einem  aus  fünf  verschlungenen  Wimpergen  gebildeten 
Baldachin  Maria  und  Anna  mit  dem  Christuskinde  dargestellt,  zur  Rechten  und 
Linken  unter  ähnlichen  Baldachinen  Johannes  Evangelist  und  der  Täufer.  Unter 


196 


KIDRICH.    ALTÄRE  UND  EISENARBEITEN. 


dem  dreitheiligen  Tabernakel,  welches  sich  über  dem  Altarblatt  stufenförmig  aufbaut, 
in  der  Mitte  die  heilige  Katharina,  Rochus  und  ein  anderer  Heiliger.  Die  beiden 
Flügelbilder,  welche  die  Geburt  Christi  und  die  Krönung  Maria  darstellen,  sind  von 
August  Martin  neu  gemalt. 

4.  Der  Margarethenaltar  auf  der  nördlichen  Empore.  Er  ist  1426  zuerst 
gestiftet  und  dotirt,  1684  zum  zweiten  Male  geweiht  worden  (Zaun).  In  seiner  gegen- 
wärtigen, guten  Wiederherstellung  stellt  er  einen  sehr  zierlichen,  spätgothischen 
Flügelaltar  dar,  der  unter  geschweiften  Baldachinen  in  der  Mitte  die  heil.  Margarethe, 
links  den  heil.  Antonius  Eremita,  rechts  den  heil.  Nicolas  enthält.  Oben  steht  der 
heilige  Christoforus  zwischen  zwei  heiligen  Frauen;  die  Flügel  sind  noch  unbemalt. 

5.  Ein  neu  erworbener  Flügelaltar  auf  der  südlichen  Empore,  schöne  Arbeit 
des  frühen  15.  Jahrhunderts,  dessen  reicher  Figurenschmuck  die  Freuden  und  Schmerzen 
Marias  darstellt. 

6.  Der  Marie naltar  unter  dem  Lettner,  neuerdings  (1874)  an  der  ursprüng- 
lichen Stelle ,  anstatt  eines  1720  beim  Abbruch  des  Lettners  hergestellten  Altars 
errichtet.  Das  Marienbild,  welches  ihn  ziert,  war  auf  dem  Kirchenspeicher  gefunden 
worden  und  stammt  vielleicht  von  dem  vor  1396  errichteten  ursprünglichen  Marienaltar. 

7.  Johannes  vom  Nepomuk- Altar  auf  dem  Lettner,  neu,  noch  ungeweiht  mit 
einem  Gemälde  Aug.  Martin's,  welches  Scenen  aus  dem  Leben  des  Heiligen  darstellt. 

Im  Thurm  über  dem  westlichen  Eingang,  an  der  Stelle,  welche  jetzt  durch  die 
Orgel  eingenommen  wird,  stand  früher,  wie  in  vielen  Kirchen  an  dieser  Stelle,  ein 
Altar  des  heil.  Erzengel  Michael.  Er  war  1427  errichtet  und  wurde  schon  1440  in 
die  neu  erbaute  Michaelskapelle  übertragen.    (Zaun  121.) 

EISEN-  UND  HOLZARBEITEN. 
Wie  der  Erweiterungsbau  der  Kirche  am  Ende  des  15.  Jahrhunderts  eine  Anzahl 
tüchtiger  Handwerker  und  Künstler  in  Kidrich  vereinigte,  so  hat  auch  ein  Schmied 
von  hervorragendem  Können  uns  sehr  beachtenswerthe  Werke  aus  dieser  Zeit  hinter- 
lassen. Des  ungewöhnlich  reichen  Zierbeschlags  auf  dem  Wandschrank  der 
Sakristei  ist  schon  oben  Erwähnung  geschehen.  Mit  einem  meisterhaft  im  Raum 
vertheilten,  lustigen  Rankenwerk,  das  in  zahllose  Blätter  endigt ,  überzieht  derselbe 
die  feststehenden  Bretter  und  die  Thür  des  Schrankverschlusses.  Kaum  minder  reich 
und  augenscheinlich  von  derselben  Hand  ist  der  Beschlag  auf  der  südlichen 
Sakristeithür;  der  einfachere,  in  seinen  Formen  von  den  vorigen  abweichende 
Beschlag  der  südlichen  Kirchenthür  deutet  auf  frühere  Herkunft  und  stammt  vielleicht 
noch  aus  der  Zeit  vor  dem  Umbau.  Vor  Allem  ist  der  prachtvolle  schmiedeeiserne 
Standleuchter  zu  erwähnen,  der  auf  zwei  sechseckigen  mit  durchbrochenen 
Kämmen  und  kleinen  Zinnen  besetzten  Rahmen  die  Kerzenteller  trägt;  Stützen  im 
Viertelkreis  gebogen  und  mit  Nasen  besetzt,  tragen  dieselben  gegen  den  Stamm  ab, 
der  aus  kräftigem  Vierkanteisen  gewunden,  unten  auf  vier  ebensolchen  ,  im  Viertel- 
kreis gebogenen  und  mit  Nasen  verzierten  Füssen  steht,  oben  aber  in  eine  kecke,  aus 


KIDRICH.  EISENARBEITEN. 


197 


Fig.  187.   Kidrich.    Pfarrkirche.    Thür  zur  siidl.  Sakristei. 


Blättern  gebildete  Doppelblume  endigt.  (Statz  u.  Ungewitter,  goth.  Musterbuch,  Taf.  193.) 
Auch  ein  anderer,  einfacherer  Leuchter,  auf  drei  Füssen  ruhend,  mit  gothischem  Wasser- 
schlag zeigt  dieselbe  Meisterhand. 


198 


KIDRICH.    EISEN  ARBEITEN. 


Fig.  188.  Kidrich.  Pfarrkirche. 
Geschmiedeter  Leuchter. 


Einen  besonderen  und  seltenen  Schmuck 
besitzt  die  Kirche  an  dem  noch  vollständig 
erhaltenen  Gestühl  aus  Eichenholz,  dessen 
Seitenlehnen  und  Vorderwände  aufs  reichste 
mit  ausgegründetem  Ornament  verziert  sind. 
Während  letztere  mit  phantastischem 
Blumen-  und  Rankemverk,  in  welchem  der 
Wein  häufig  wiederkehrt, 
ganz  überzogen  sind  oder 
auch  ein  mit  Sinnsprüchen 
beschriebenesBandornament 
aufweisen,  haben  die  Lehnen 
im  Innern  ihrer  Fläche  ein 
vertieftes ,  mit  zierlichstem 
Masswerk  in  Relief  deko- 
rirtes  Feld,  welches  von  den 
ausgegründeten  Ranken  als 
Rahmen  umzogen  wird. 
Unter  den  Sinnsprüchen 
lesen  wir  u.  A.  folgenden: 


Die  geredtfiglseit  lit  in  großer  not 
die  tTJarbeit  ift  geftblagen  dot 
der  glauben  hat  den  ftrit  nerloren 
die  falfdjeit  die  ift  hothgeborn 
das  dut  got  deme  bern  2orn 
o  menferj  las  ab  das  du  nit 
werden  ewiglich  uerlorn 
lobt  geretbtigfeeit  — 

Der  Meister  hat  uns  seinen  Namen  in  folgender 
Inschrift  überliefert : 

Diß  werfe  bat  gemacht  Crbart  falUener  uon  flbensperg 
uß  beiern/  wohnhaft  ?u  gau  Odernbeim  da  man  lalt  nad) 
der  geburt  crifti  unfer  lieben  bern  dufet  fünfhundert  und 
Kbcn  jar  (1510). 

Von  demselben  oberfränkischen  Meister  besitzen 
wir  ein  ähnliches  Werk  von  1496  zu  Bechtolsheim  in 
Rheinhessen.  Die  Kidricher  Stühle  sind  1869  von  dem 
schon  erwähnten  Bildhauer  Broichmann  in  Limburg 
vortrefflich  restaurirt,  der  inach  ihrem  Muster  auch  die 
Emporen  1872  mit  neuem  Stuhlwerk  versehen  hat.  Man 
zählt  von  den  alten  Stühlen  22  Stück  grössere ,  drei 
Meter  lang,  und  34  kleinere,  welche  mit  den  schönen  Wangenstücken  geschmückt 


Fig.  189.  Kidrich.  Pfarrkirche. 
Stit/iiwange. 


KIDRICH.    EISEN  ARBEITEN. 


199 


sind.  Von  anderer  Hand  und  mehr  dem 
rheinischgothischen  Typus  entsprechend  sind 
die  Chorstühle,  die  ganz  schlichte  Vorder- 
wände und  an  den  Knäufen  und  Miserikordien 
einfaches  gothisches  Blattwerk  zeigen,  dafür 
aber  an  den  Seitenwangen  sich  zu  grösserem 


Fig.  190.   Kidrich.  Pfarrkirche. 
}Stitlilwange. 


Fig.  191.    Kidrich.  Pfarrkirche. 
Chorgestühl. 


Reichthum  erheben.  Diese  sind  mit  auf  Grund  geschnittenem  spätgothischen  Masswerk 
verziert  und  auf  der  Stirnseite  mit  eckigen  Säulchen  besetzt,  deren  vorderes  auf  seinem 
emporragenden  blattlosen  Kapital  je  die  Gestalt  eines  heil.  Bischofs  trägt.  Die 
niedrigen  Vorderwangen  tragen  einfach  geschnitzte  Thiergestalten.  Interessant  ist  ein 
auf  der  Rückseite  des  Lettners  im  Chor  stehender  Dreisitz  durch  die  noch  völlig 
der  gothischen  Chorstuhlform  entsprechende  Anordnung,  während  die  Ornament- 
tormen  sowohl   in  den   kleinen   Kandelabersäulchen ,   wie  den  als  Knäufe  vorge- 


200 


KIDRICH.    EISENARBEITEN.  BILDWERKE. 


streckten  Köpfen  und  dem  Flachornament  der  Wangen  die  Hand  eines  tüchtigen 
Schnitzers  der  Frührenaissance  verrathen. 

Die  Orgel,  im  ersten  Thurmgeschoss  stehend,  ist  1857  und  1858  von  A.  Hoog- 
huys  in  Brügge  gründlich  reparirt  und  vervollständigt  worden.  Der  ursprüngliche 
Bau  stammt  aus  der  Zeit  zwischen  1492  und  1510.  Das  Gehäuse  baut  sich  auf  kräf- 
tigen, mit  gothischem  Laubwerk  bemalten 
Seitenkonsolen  als  ein  Bau  aus  drei  zinnen- 
bekrönten Thürmen  auf,  von  denen  die  seit- 
lichen viereckig  sind,  der  mittlere  achteckig  ; 
geschweifte  Wimperge  mit  Krabben  und 
Kreuzblumen  füllen  den  Raum  zwischen 
den  Thürmen  aus.  Die  zum  Verschluss  des 
Gehäuses  dienenden  Flügel  sind  mit  Dar- 
stellungen der  Geburt  und  der  Anbetung 
modern,  aber  in  strengem  Stilanschluss 
von  Martin  bemalt. 

BILDWERKE. 
Von  den  Bildwerken,  mit  denen  die 
Kirche  noch  immer  reich  ausgestattet  ist, 
von  denen  ein  Theil  jedoch  nicht  aus  dem 
alten  Besitz  derselben,  sondern  von  der 
Restauration  der  siebziger  Jahre  stammt, 
ist  zunächst  der  im  Chorbogen  aufgehängte 
Crucifixus  zu  erwähnen,  ein  spätgothisches 
Werk  von  starkem,  naturalistischem  Aus- 
druck, der  sich  u.  A.  in  dem  vom  Winde 
geblähten  Lendentuch  ausspricht.  Maria  und  Johannes,  an  den  Pfeilern  des  Chor- 
bogens auf  Konsolen  stehend,  sind  ebenfalls  von  lebhafter  Bewegung  und  schönem 
Ausdruck  der  Köpfe ;  zwei  kerzentragende  Engel ,  welche  neben  dem  Crucifix 
schweben,  sind  neuerdings  in  Nürnberg  erworben  und  zeigen  unverkennbar  Riemen- 
schneider'sche  Schule. 

Am  ersten  nördlichen  Schiffpfeiler  nächst  dem  Lettner  ist  die  bemalte  Holz- 
skulptur der  heiligen  Anna  mit  dem  Christuskinde  und  Mariaals  Kind  aufgestellt, 
ein  Bildwerk  von  hoher  Schönheit,  das  ebenfalls  auf  fränkische  Herkunft  weist.  An 
dem  gegenüberstehenden  Pfeiler  steht  eine  stark  vergoldete  Maria  mit  dem  Kinde, 
eine  etwas  plumpe  Holzfigur,  wahrscheinlich  süddeutscher  Herkunft.  Zu  erwähnen 
ist  ferner  eine  in  der  nördlichen  Seitenschiffwand  aufgestellte ,  in  Holz  geschnitzte 
und  bemalte  Pieta,  ein  ziemlich  kunstloses,  spätgothisches  Werk,  sowie  im  südlichen 
Seitenschiff  ein  heiliger  Valentin,  sitzend  in  segnender  Stellung ,  gute  poly- 
chromirte  Holzschnitzerei  des  14.  Jahrhunderts.  Ebendort  eine  auf  einer  gemalten 
Landschaft  mit  Architekturen  sitzende  Flachrelieffigur  des  heil.  Jac  ob  von  Compostella. 


Fig.  192.  Kidricli.  Pfarrkirche.  Dreisits  im  Chor. 


Fig.  193.   Kidrich.   St.  Michaelskapelle. 


KIDRICH.    BILDWERKE.    KAPELLE  ST.  MICHAEL.  201 


An  Bildern,  die  wahrscheinlich  ursprünglich  Altarflügel  gewesen  sind,  sieht 
man  im  nördlichen  Seitenschiff  ein  Doppelbild,  den  heiligen  Sebastian  und  den 
Engel  des  Gerichts  mit  der  Waage  darstellend,  sowie  im  südlichen  Seitenschiff  den 
leidenden  Heiland  mit  Ruthe  und  Geissei,  von  einem  Engel  unterstützt,  mit  Schrift- 
band, und  die  schmerzhafte  Mutter 
mitjohannes,  süddeutsche  Arbeiten 
des  16.  Jahrhunderts.  An  der  Rück- 
seite des  Marienaltars  im  Chor  ist 
ein  Triptychon  angebracht,  welches 
auf  Goldgrund  den  thronenden 
Christus  mit  Maria  und  Johannes 
dem  Täufer  als  Knaben  darstellt. 

An  Fresken,  die  bei  derRestau- 
ration  der  Kirche  stark  übermalt 
sind,  sieht  man  auf  der  Nordwand 
des  Chors  den  heil.  Bischof  Nicasius 
und  St.  Valentin  und  im  südlichen 
Seitenschiff  den  heiligen  Josef. 

Die  überall  gut  restaurirten 
ornamentalen  Gewölbemalereien 
wurden  bereits  erwähnt.  Die  Sa- 
kristei ist  mit  gut  wirkenden,  auf  den 
Altardienst  bezüglichen  Spruch- 
versen in  gothischen  Minuskeln 
ringsum  bemalt.  Von  den  Glas- 
malereien, welche  früher  dieFenster 
schmückten,  ist  das  Meiste  in  den 
dreissiger  Jahren  verkauft  worden 
und  in  Zwierlein'schen  Besitz  sowie 
in  dieBrömserburg  und  nachSchloss 
Rheinstein  verbracht  worden(Zaun). 
An  Ort  und  Stelle  sieht  man  noch 
die  Glasbilder  des  Fensters  im  nörd- 
lichen Seitenschiff,  aus  dem  14.  Jahr- 
hundert stammend :  Zwei  unter 
Wimpergen  stehende  Heilige,  auf 
grünem  mit  weissen  Mustern  ver- 
ziertem Teppichgrund;  oben  Vier-  Fig.  194.  Kidrich.  St.  Michaelskapelle.  Oberer  Grundriss. 
pässe  mit  Blätterschmuck.  Aehnlich,  aber  minderwerthig  ist  dasFenster  über  derNordthüre. 
Im  mittleren  Chorfenster  sind  Reste  aus  dem  16.  Jahrhundert,  Christus  mit  Maria  und  Jo- 
hannes darstellend,  ebenso  in  der  Sakristei  aus  derselben  Zeit  fünf  Heilige  auf  Teppichgrund. 


* 


202 


KIDRICH.    KAPELLE  ST.  MICHAEL. 


DIE  TODTENKAPELLE  ST.  MICHAEL. 

Dieser  zierliche,  der  Pfarrkirche  südlich  gegenüberliegende  Bau  gilt  mit  Recht 
als  eine  Perle  der  deutschen  Spätgothik  und  hat  das  Glück  gehabt,  zuerst  von  Hoff- 
mann 1845  bis  1847,  dann  von  Görz  1851  bis  1858  in  pietätvoller  Weise  wieder  her- 
gestellt zu  werden,  wobei  dem  Bildhauer  Wenk  aus  Wiesbaden  besonderes  Verdienst 
gebührt;  auch  für  diese  Restauration  haben  die  reichen  Mittel  des  Baronet  Sutton 
zur  Verfügung  gestanden. 

Die  Kapelle  ist  (nach  Zaun)  um  1440  erbaut  worden  und  wurde  1444  bereits  benutzt. 
Das  Erdgeschoss  bildet  ein  einfaches,  offenes  Gruftgewölbe,  durch  breite  vier- 
eckige Pfeiler  in  zwei  Schiffe  getheilt,  die  mit  Tonnengewölben  überdeckt  sind,  in  welche 

verbindende  Stichbogenkappen  einschneiden. 
Hierüber  erhebt  sich  die  Kapelle  als  ein- 
schiffiger, dreijochiger  Raum  mit  Netz- 
gewölben überdeckt,  deren  Rippen  aus  ge- 
bündelten Wanddiensten  auf  doppelten 
Sockeln,  aber  ohne  Kapitale  hervorwachsen. 
Der  kleine  achteckige  Chor  liegt  in  einem 
ausgekragten  Erker  von  reicher  Aussen- 
architektur.  Die  stützende  Konsole  des- 
selben, mit  einem  achteckigen  Pfeiler  auf 
den  Sockel  des  Untergeschosses  aufsetzend, 
entwickelt  sich  in  reicher  Folge  von  Pro- 
l  len,  die  eins  um  das  andre  mit  schön- 
gezeichnetem gothischem  Blattwerk  besetzt 
sind.  Zarte  Strebepfeiler  begleiten  die  Ecken 
und  entwickeln  sich,  vom  Kaffgesims  an 
übereckt,  wo  kleine  Thiergestalten  die  Ecken 
ausfüllen,  oben  zu  Fialen,  zwischen  denen 
zierliche,  die  Fenster  bekrönende  Wim- 
perge in  geschweifter  Form  sich  einordnen. 
Kidrich.  Masswerk  aus  der  st.  Michaelkapelle.  Das  aus  Stein  konstruirte  Zeltdach  ist  mit 
einer  Kreuzblume  gekrönt.  Am  Anfall  der  Wimperge  sind  kleine  Wasserspeier  in 
Thiergestalt  vorgestreckt ;  die  Flächen  unter  den  Fenstern  sind  durch  rundbogiges 
Blendmasswerk  belebt.  Im  Innern  ruht  das  Sterngewölbe  auf  glatten  Eckdiensten ; 
der  Chorbogen  ist  nach  der  Kirche  zu  als  geschweifter  Wimperg  mit  offenen,  hän- 
genden Kleeblattbögen  zwischen  fialengekrönten  Eckpfeilern  gestaltet. 

Die  sechs  Fenster  des  Schiffs  zeigen  dreitheiliges  Masswerk  in  zierlichem,  in 
zwei  Varianten  abwechselndem  Fischblasen-Muster.  Die  Strebepfeiler,  mit  Pultdächern 
abgedeckt,  sind  über  dem  Kaffgesims  mit  Figurenbaldachinen  geschmückt,  die  in  Fialen 
endigen.  Zwischen  die  beiden  Strebepfeiler  der  Nordfront  ist  eine  offene  Kanzel  ein- 
gebaut, deren  durchbrochene  Masswerk-Brüstung  auf  einem  Segmentbogen  ruht;  die 


Fig.  196.  Kidrich.  St.  Michaelskapelle.  Chörlein. 


KIDRICH.    KAPELLE  ST.  MICHAEL. 


203 


Ueberdeckung  bildet  ein  Halbkreisbogen  mit  geschweiftem  Wimperg.  Der  schlanke, 
der  Mitte  des  Westgiebels  vorgelegte  Treppenthurm  ist  achteckig  mit  viereckigem 
Erdgeschoss;  die  Ueberleitung  bilden  offene  Figurennischen  mit  Baldachinen.  Be- 
sonders schön  ist  die  offene  Steinlaterne,  welche  den  Schluss  des  Thürmchens  bildet; 
sie  baut  sich  aus  acht  Strebepfeilern  mit  Fialenbekrönung  und  zwischengesetzten  Giebeln 
auf,  unter  denen  sich  spitzbogige,  mit  Nasen  besetzte  Schall-Löcher  öffnen;  die  mit 
Krabben  besetzten  Steinrippen  des  Helms  sind  durch  Masswerk  verbunden.  Auch 
die  innere  Wendeltreppe  zeigt  die  gleiche  sorgfältige  Durchführung:  ihre  hohle  Spindel 
ist  aus  drei  gewundenen  Säulchen  gebildet,  die  durch  Rundbogen  verbunden  sind. 

Das  Innere  der  Kapelle  ist  einfach, 
aber  sehr  glücklich  ausgemalt ;  einen  werth- 
vollen Schmuck  empfängt  es  durch  einen 
Kronleuchter  aus  Schmiedeeisen  von  un- 
gewöhnlich schöner  Arbeit.  Ueber  dem 
Korb,  aus  dem  sich  die  sieben  reichverzierten 
Arme  entwickeln,  steht,  von  sieben  Engels- 
köpfen getragen ,  in  der  Mondsichel  die 
Jungfrau  Maria  mit  dem  nackten  Jesus- 
kinde, ein  in  seiner  reichen  Gewandung  und 
dem  Ausdruck  der  Köpfe  meisterhaftes 
lebensgrosses  Holzschnitzwerk,  dessen  ur- 
sprüngliche Bemalung  ebenfalls  in  ent- 
sprechender Weise  wieder  hergestellt  ist. 

Die  in  der  Gruftkirche  noch  vorhan- 
denen Grabsteine,  derjenige  des  Pfarrers 
Petrus  Vallawe  f  1465  und  seiner  Mutter 
Anna  t  1464  (eingravierte  Umrisszeichnung 
mit  Reliefköpfen)  und  des  Altaristen  der  ' '  / 

Kapelle  Hartmann  Kirchenmeyster  f  1467  - 

mit  dem  Brustbild  desselben  sind  hand-  ^  m ,  KiArich .  Treppenspindel  im  Thürmchen 
werkliche  Arbeiten  von  schlechter  Erhaltung.  von  St.  Michael. 

Zwischen  der  St.  Michaelkapelle  und  der  Pfarrkirche  steht  auf  dem  alten,  noch 
mit  einigen  werthlosen  Denksteinen  besetzten  Gottesacker  eine  schöne  Kreuzigungs- 
gruppe. Der  edel  und  ruhig  gezeichnete  Crucifixus  weist  ebenso  wie  die  beiden 
Schächer,  von  welchen  besonders  der  rechte  vortrefflich  in  der  Gewandung  behandelt 
ist,  auf  die  Meisterschaft,  welche  selbst  handwerklichen  Arbeiten  des  16. Jahrhunderts 
eigen  zu  sein  pflegt. 

Von  den  Profangebäuden  in  Kidrich  ist  zunächst  zu  erwähnen: 
Das  Rathaus,  ein  solider  Renaissancebau,  aus  Bruchsteinen  und  Verputz  mit 
steinernen  Gewänden  und  Gesimsen.    Gegenüber  der  Südfront  der  Kirche  nimmt  es 


204 


KIDRICH.  PROFANGEBÄUDE. 


Fif>.  199.    Kidrich.  Rathhans. 

geschosses  ist  eine  ornamental 


in  stattlicher  Breite  den  Platz 
ein,  auf  welchem  früher  das 
oben  erwähnte  Pilgerhospital 
gestanden  hat.  Da  dieser  Platz 
1585  in  den  Besitz  der  Gemeinde 
überging ,  so  ist  mit  diesem 
Jahre  auch  wohl  der  Baubeginn 
des  Rathauses  gegeben. 

Der  Bau  hat  ein  Erd-  und 
ein  Obergeschoss ,  rundbogig 
geschlossene  Thor-  und  Thür- 
öffnungen, im  Obergeschoss  ge- 
kuppelte rechteckige  Fenster 
mit  abgefasten  Gewänden.  Den 
Hauptschmuck  bilden  zwei  Er- 
ker, auf  je  drei  Steinkonsolen 
vorgekragt,  mit  Satteldächern 
hinter  geschweiften  Giebeln  in 
das  grosse  Hauptdach  einschnei- 
dend. Aussen  in  Höhe  der 
Fensterbrüstung  des  Ober- 
mit  Doppelwappen  eingelassen. 


eingerahmte  Tafel 
Aus  dem  Westgiebel  steigt  ein  Kamin  mit  originellem  Aufsatz  empor. 

Der  Eberbacher  Hof  beruht  auf  einer  Schenkung,  welche  Dydo  und  Elisa- 
beth von  Scharfenstein  im  Jahre  1312  dem  Kloster  machten ;  bei  dieser  Gelegenheit 
wurde  zuerst  auf  dem  Hofgut  eine  Kapelle  gebaut.  Das  noch  bestehende  Hofgebäude, 
jetzt  in  Privatbesitz,  scheint  unter  dem  Abt  Michael  Schnock  (1702—1727)  gebaut 
worden  zu  sein;  an  einem  Seitenbau  findet  man  noch  das 
Wappen  des  Abtes  Adolfus  Dreymüller  1735.  Die  Kapelle 
dient  jetzt  als  Kornboden.  Der  Raum  ist  in  der  Länge  getheilt 
und  durch  eine  eingezogene  Zwischendecke  entstellt.  Doch 
ist  noch  die  Stuckdecke  erhalten,  die  auf  einer  Voute  drei 
Wappenkartuschen,  von  Laub  umgeben,  aufweist. 

Mehrere  Adelshöfe  lagen  unmittelbar  unter  dem  Felsen, 
welcher  die  Ruine  des  Scharfenstein  trägt.  Zu  oberst  am 
Bach  lag  der  Graf  Cr  atzische  Hof,  an  dessen  Stelle  jetzt  ein 
zu  Anfang  des  19.  Jahrhunderts  erbautes  Holzhaus  mit  Man- 
sarde und  einer  seitlichen  Laube  steht,  die  in  halbem  Verfall 
und  in  dem  verwilderten  Garten  ein  malerisches  Bild  gewährt. 

Der  daneben  liegende  Hornecker  Hof  mit  Mühle  ist  als 
massives  Bauwerk  noch  erhalten,  aber  aussen  und  innen  voll- 
ständig erneuert  und  ohne  Interesse. 


Fig.  198.  Kidrich.   St.  Michaelskapelle.  Inneres. 


KIDRICH.  PROFANGEBÄUDE. 


205 


Dagegen  bietet  der  daneben  Hegende  gräflich  Bassenheimische  Hoff  auch  heute 
noch  das  Bild  eines  stattlichen  Adelshofes.    Es  ist  ein  grosses,  solides  Steinhaus  mit 
steinernen  Fensterstöcken,  hohem  Dach  und  drei  Giebeln  nach  der  Thalseite.   Auf  der 
andern  Seite  schliesst  sich  der  grosse  Wirthschaftshof  an,  nach  Süden  durch  ein  wehr- 
haftes Thor  abgeschlossen.   Ein  hölzerner  Wehrgang  zieht  sich  über  der  Thoröffnung 
hinter  der  massiven,  mit  Schiessscharten  versehenen  Aussenmauer  hin.    Sehr  statt- 
lich ist  das  Vestibül 
im  Erdgeschoss  mit  of- 
fener Holztreppe,  deren 
Geländer  aus  schön  ge- 
drehtenDocken  gebildet 
ist.     Die  Eingänge  zu 
den    Zimmern  haben 
reiche  Holzportale  im 
Stile  des  Unteutsch.  Ein 
Saal  im  Obergeschoss 
zeigt  noch  die  Rahmen 
der  «alten  Vertäfelung 
mit  eingebautenThüren, 
in  welchen  die  Flächen 
mit  Stoff  oder  Leder- 
tapeten   bespannt  ge- 
wesen sein  mögen.  Die 
Zimmer  sind  von  dem 
jetzigen    Besitzer  mit 
zahlreichen  alterthüm- 
lichen  Möbelstücken 
ausgestattet.   Der  Hof 
wurde  1661  vom  Dom- 
probst Adolf  Hund  von 
Saulheim  erbaut,  dessen 
Steinwappen   noch  an 
der  Südfront  zu  sehen 
ist,  und  kam  1694  an 
die    Bassenheim.  An- 
fang   des    19.  Jahrhun-      Fi&-  20L    Kidrich.    Bassenheimer  (Saulheimer)  Hof.  Treppenhaus. 
derts  ging  er  von  diesen  in   den  Besitz  der   Familie  Liebler  in  Mainz  über,  in 
welcher  er  bis  heute  sich  fortgeerbt  hat. 

Von  dem  Langenhof,  nach  einer  aus  Norddeutschland  stammenden  Familie 
Langeln  genannt,  die  ihn  um  1480  erbaute,  ist  ein  in  einer  oberen  Strasse  gelegenes 
stattliches  Haus  mit  massivem  Erdgeschoss  und  in  reichem  Fachwerkbau  ausge- 
führten Obergeschoss  erhalten,  neuerdings  restaurirt. 


206 


KIDRICH.  PROFANGEBÄUDE. 


Der  Köther  Hof,  ein  niedriges, 
einstöckiges  Gebäude  in  der  Unter- 
gasse und  der  Metternich'sche 
Hof,  der  jetzt  ein  Nebengebäude  des 
Valentinus  -  Stiftes  bildet,  bieten 
kein  weiteres  Interesse. 

Der  Sc  hwa  Ibach  er  Hof  gehört 
jetzt  der  Familie  von  Ritter ;  Johann 
Anselm  von  Ritter  erbaute  1750 
das  noch  heute  bestehende  Herr- 
schaftshaus, einen  anspruchsvollen 
Bau  im  klassicistischen  Stil  mit 
durch  zwei  Stockwerke  gehenden 
korinthischen  Pilastern  und  einem 
Mittelgiebel.  Im  Innern  befindet 
sich  eine  1773  geweihte  Hauska- 
pelle, welche,  wenn  auch  unbenutzt, 


Fig.  202.   Kidrich.    Chor  schule. 

doch  noch  zum  Gottesdienst  einge- 
richtet sein  soll. 

Zahlreich  sind  in  Kidrich  noch 
die  alten  Fachwerkhäuser,  welche, 
theilweise  durch  Lord  Suttons  Für- 
sorge erhalten  und  hergerichtet,  dem 
Ort  sein  malerisches  Gepräge  geben. 
Wir  geben  einige  derselben  in  Ab- 
bildungen. 

Von  der  Befestigungsmauer , 
welche  den  Ort  im  Mittelalter  um- 
zogen hat,  ist  neben  dem  Anschlags- 
pfeiler des  nordwestlichen  Schwal- 
bacher  Thors  noch  ein  geringer  Rest 
erhalten. 

Ueber  die  Burg  Schar  f  enstein, 
deren  Geschichte  oben  kurz  gestreift 
wurde,  ist  noch  zu  erwähnen,  dass  die 
Ruinen  derselben  heute  sich  auf  dem 
Kidrich  gegenüberliegenden  Berg 
erheben,  der  zu  dem  Kidricher  Bach 
in  steilen  Schieferklippen  abfällt.  Er- 


jTrrpptnanUigf  im  Jhurm  iJn*  0\uine  <5>thftrff nff rin 

Fig.  203.   (nach  v.  Cohausen). 


KIDRICH.    PRO  FANGEBÄUDE. 


207 


halten  ist  noch  der  Bergfried  und  Reste  des  Beringes;  der  doppelte  Halsgraben, 
jeder  von  ca.  16  Meter  Breite  ist  deutlich  erkennbar.  Der  Mauerring  bildet  nach 
dieser  Seite  einen  stumpf  vorspringenden  Winkel,  in  welchem  sich  dicht  hinter  der 
Mauer  der  kreisrunde  Bergfried  erhebt.  Derselbe  ist  noch  in  einer  Höhe  von 
30  Meter  wohl  erhalten;  er  ist  aus  Schieferbruchstein  mit  Sandsteingewänden  der 
Oeffnungen  erbaut.  Das  erste  Geschoss,  an  dem  eine  auf  Konsolen  vortretende  Stein- 
platte den  jetzt  durch  eine  Leiter  von  aussen  zugänglichen  Eingang  bildet,  liegt  ca. 
7  Meter  über  dem  Erdboden.  Dies  erste  Stockwerk,  unter  welchem  sich  das  enge 
schachtartige  Verliess  befindet,  hat  im  Innern  viereckigen  Grundriss,  der  an  einer  Seite 
durch  eine  halbkreisförmige  Nische  erweitert  wird  und  ist  mit  einem  rundbogigen 
Tonnengewölbe  bedeckt.  Die  beiden  folgenden  Geschosse,  innen  rund  mit  drei  Meter 
Durchmesser,  waren  durch  eine  Balkendecke  getrennt,  deren  Steinaunagen  noch  er- 
halten sind  und  schliessen  oben  mit  einem  Kuppelgewölbe.  Interessant  ist  die  Anlage 
der  in  der  Mauerdicke  ausgesparten  Treppen,  die  sich  von  Stockwerk  zu  Stockwerk 
versetzen  (S.  Grundriss  Fig.  203).  Auch  bei  diesem  Bergfried  findet  man  als 
Maueranker  über  Kreuz  gelegt  vier  starke  Balken,  (hier  über  dem  Verliessgewölbe) 
deren  acht  vortretende  Köpfe  beim  Bau  zugleich  als  Auflager  der  Rüstung  gedient 
haben  mögen  und  nach  dem  Erhärten  des  Mauerwerks  bündig  abgesägt  wurden. 


208 


Fig.  204.   Nendorf.  Alte  Befestigung  (n.  Reijfenstcin  1838). 


NIEDERWALLUF.  NEUDORF. 

AS  DORF  NIEDERWALLUF,  an  dem  Bach  Waldaffe,  der  östlichen  Grenze 
des  Rheingaues,  18,2  Kilometer  ostnordöstlich  von  Rüdesheim  am  Rheinufer 
gelegen,  hatte  bei  seiner  ersten  Besiedelung,  welche  in  das  8.  Jahrhundert 
zurückgeht,  seinen  Sitz  auf  dem  linken  Ufer  des  Baches  und  gehörte 
infolge  dessen  zur  Königessundra.  Seine  erste  Erwähnung  geschieht  770  (Sauer  4), 
in  welchem  Jahre  dem  Kloster  Lorsch  von  einem  Seibrecht  Güter  „in  villa  Waltaffe" 
geschenkt  werden.  In  den  tradit.  Fuldenses  von  799  (Sauer  37)  werden  Grundstücke 
erwähnt,  welche  Fulda  hier  erwirbt.  Noch  in  Urkunden  über  Schenkungen  von  822 
und  958  (Sauer  53,  92)  wird  Waldaffe  ausdrücklich  als  zur  Kunigessundra  gehörig 
erwähnt.  Es  unterstand  schon  früh  dem  „Lindauer  Gericht"  (Hirt ,  Topogr.  des 
Herzogthums  Nassau  183b,  S. 34),  über  welches  Vogel  Folgendes  mittheilt:  „Durch 
königliche  Schenkung  war  die  Fronhube  in  Waldaffe  (Walluf)  an  die  Abtei  Cornelius- 
münster bei  Aachen  gekommen,  wodurch  sich  auch  hier  eine  geistliche  Immunität 
oder  Vogtei  bildete,  die  von  der  Gaugerichtsbarkeit  eximirt  war.  Ihre  Grenzen  liefen 
vom  Rhein  aus,  dem  Bache  Waldaffe  nach,  bis  an  den  Rechtenbach,  dann  mit  diesem 
bis  an  die  Schiersteiner  Mark  und  an  dieser  hinab  bis  an  den  Rhein.  Die  Abtei 
hatte  sie  um  1200  an  den  Rheingrafen  Wolfram  verpfändet  (Sauer  732)  und  verkaufte 
sie  1263  an  die  adelige  Familie  von  Wisebaden.  Nach  dieser  erscheinen  schon  1310 
die  von  Lindau  in  ihrem  Besitze,  wovon  sie  nun  auch  den  Namen  trug.  Durch  Kauf 
kam  sie  von  diesen  1768  an  die  Grafen  von  der  Leyen.  Sie  ging  von  Nassau  zu 
Lehen ;  allein  im  17.  Jahrhundert  masste  sich  auch  Mainz  die  Lehensherrlichkeit  an. 

Das  Gericht,  aus  einem  Vogt  und  sieben  Schöffen  bestehend,  wurde  zu  Nieder- 
walluf gehegt  und  hielt  viermal  ungebeten  Ding.    Doch  im  17.  Jahrhundert  war  es 


NIEDERWALLUF.  JOHANNISKIRCHE. 


209 


gänzlich  aufgelöst,  und  die  benachbarten  Aemter  hatten  seine  Jurisdiktion  an  sich 
gezogen.    Den  Zehnten  im  Lindauer  Gericht  zog  das  Petersstift  in  Mainz." 

An  die  frühere  Lage  des  Ortes  auf  dem  linken  Bachufer  erinnert  die  Ruine 
der  St.  Johanniskirche.  Eine  solche  scheint  schon  im  10.  Jahrhundert  vorhanden  ge- 
wesen zu  sein,  denn  955  hatte  Walluf,  obgleich  Filiale  von  Eltville,  sein  eigenes  Tauf- 
und Begräbnissrecht  mit  hier  residirendem  Priester  (Zaun). 

Die  jetzt  noch  erhaltenen  Ueberreste  der  St.  Johanniskirche,  in  neuester  Zeit 
zu  einem  Eiskeller  verwendet,  zeigen  kaum  eine  Spur  von  dieser  ursprünglichen  Anlage  ; 
ein  ganz  schmuckloser  Bedürfnissbau  aus  spätestgothischer  Zeit  trug,  wie  Reiffenstein 
auf  einer  Skizze  von  1873  angiebt,  die  Ruine  über  der  Thür  die  Jahreszahl  1508. 
Dieselbe  umfasst  noch  das  augenscheinlich  früher  flach  gedeckte  Kirchenschiff  von 
10,10  Meter  Breite  und  12,75  Meter  Länge  im  Aeusseren.  Man  erkennt  noch  in  der 
Ostwand  den  4,15  Meter  breiten  spitzbogigen  Triumphbogen,  in  der  Westwand  die 
ebenso  geschlossene  Eingangsthür  und  auf  den  Langseiten  je  zwei,  in  gedrücktem  Spitz- 
bogen überwölbte  Fenster,  in  welchen  Zaun  noch  Reste  von  Masswerk  gesehen 
hat.  Heute  sind  alle  Oeffnungen  vermauert.  Der  Sockel  ist  durch  einen  glatten 
Wasserschlag  abgesetzt,  das  Mauerwerk  aus  Bruchstein  und  Rheingeschiebe  sehr 
unregelmässig  errichtet ;  nur  die  Ecken  sind  aus  Quadern  von  rothem  Sandstein  auf- 
gemauert, die  an  der  Südostecke  in  Verzahnung  stehen.  Auffallend  und  vielleicht  auf 
Reste  der  ursprünglichen  Kirche  aus  dem  10.  Jahrhundert  weisend,  sind  zwei  auf  der 
nördlichen  Längswand  bemerkbare,  jetzt  auf  Erdbodenhöhe  ansetzende  Rundbogen  im 
Mauerwerk,  zwischen  denen  sich  einige  Schichten  in  ährenförmigem  Mauerwerk  befinden. 

Auf  ein  vor  dem  Westgiebel  früher  vorhandenes  hölzernes  Vordach  deuten 
vier  daselbst  eingemauerte  Hakensteine  zur  Aufnahme  der  Pfetten  ;  auf  der  Südwestecke 
ist  ein  kleiner  Inschriftstein  mit  unleserlicher  Inschrift  in  deutscher  Sprache  eingemauert. 

Einige  Schritte  von  der  Südostecke  der  Kirchenruine  erheben  sich  aus  dem 
Felde  die  Fundamentreste  eines  quadratischen  Bauwerks  aus  Gussmauerwerk ,  etwa 
1,50  Meter  über  dem  Boden.  Die  Zeit,  wann  die  Johanniskirche  verlassen  worden  ist, 
steht  nicht  fest.  Man  weiss,  dass  sie  1773  noch  in  Dach  und  Fach  gehalten  wurde, 
doch  war  1671  schon  das  Chorgewölbe  zerstört. 

Die  jetzige,  ebenfalls  Johannes  d.  Täufer  geweihte  Pfarrkirche  beansprucht  kein 
weitergehendes  künstlerisches  Interesse.  Das  schlichte ,  flachgedeckte  Bauwerk  hat 
länglich-rechteckigen  Grundriss ;  der  durch  einen  Korbbogen  vom  gleichbreiten  Schiff 
getrennte  Chor  schliesst  in  drei  Seiten  eines  gedrückten  Achtecks.  Von  den  drei 
spitzbogig  gewölbten  Chorfenstern  hat  das  mittlere  einfach  gothisches  Masswerk. 
Die  sechs  Fenster  des  Schiffs  sind  rundbogig  geschlossen;  ein  kleines,  neben  dem 
nördlichen  Seitenaltar  befindliches  Spitzbogenfenster  ist  mit  Nasen  besetzt.  Nördlich 
ist  an  das  Schiff  ein  querschiffartiger,  viereckiger  Ausbau  mit  Empore  angefügt,  von 
dem  eine  mit  gothischer  Hohlkehle  und  gebrochenem  Spitzbogen ,  sowie  mit  einem 
guten  Eisengriff  versehene  Thür  ins  Freie  führt.  Auf  der  Nordwestseite  ist  aussen 
eine  Freitreppe  zu  der  tiefen  Orgelempore  vorgelegt,  die  mit  ihren  Steinkonsolen 
und  einer  wappengeschmückten  Renaissancesäule  eine  gefällige  Baugruppe  bildet. 

14 


210 


NIEDERWALLUF.  NEUDORF. 


Von  den  drei  in  Barockarchitektur  gehaltenen  Altären  zeichnet  sich  der  Hoch- 
altar durch  edlere  Linienführung  aus,  während  die  Seitenaltäre  etwas  mit  Schnitz- 
werk im  „style  auriculaire"  überladen  sind.  Das  Orgelgehäuse,  welches  ebenfalls  die 
geschweiften  Formen  vom  ausgehenden  17.  Jahrhundert  zeigt,  ist  klein  aber  gut  pro- 
portionirt.  Ein  Taufstein,  einfache  Halbkugel  mit  Lippenprofil  auf  runder  Säule,  deren 
Basis  im  Boden  steckt,  trägt  ein  stark  gestörtes  Wappen  mit  dem  Mainzer  Rad  und 
die  Jahreszahl  1603.  Ein  älteres  Stück  ist  die  Kanzel,  datirt  1576,  entweder  aus  der 
alten  St.  Johanniskirche  hierher  übertragen,  oder,  wofür  die  Masswerke  und  Spitz- 
bogen im  Chorfenster  ebenfalls  sprechen  würden, 
von  einer  früheren,  dem  16.  Jahrhundert  angehörigen 
Bauperiode  dieser  Kirche  stammend.  Die  Kanzel 
springt  aus  der  Südwand  der  Kirche  vor,  und 
enthält  zwei  Füllungen  von  hübscher  Renaissance- 
Flachschnitzerei. 

An  einem  hinter  der  Kirche  gelegenen  Hause 
bemerkt  man  an  der  Ecke  eines  Fachwerkbaues 
eine  gut  bewegte  Rococcofigur  des  Heil.  Florian ; 
die  in  flottem  Kartuschenwerk  gearbeitete  Konsole 
trägt  die  Jahreszahl  1766. 


NEUDORF. 

Das  Dorf  Neudorf  liegt  drei  Kilometer  nördlich 
von  Eltville  in  dem  von  dem  Walluf-Bach  durch- 
flossenen  Thal.  Heute  ein  kleines,  wohlhabendes 
Dorf,  verdankte  es  im  Mittelalter  seine  grössere 
Bedeutung  seiner  durch  das  Gebück  besonders  ge- 
schützten Lage,  welches  sich  bis  kurz  hinter  Neu- 
dorf im  Thale  des  Baches  entlang  zog  und  nahe 
hinter  dem  Ort  bei  der  „Klinge"  genannten  Befesti- 
gung den  westlichen  Bergabhang  emporstieg  (s.  S.  4). 

In  Neudorf,  welches  ursprünglich  den  Namen 
Martinsthal  führte ,  scheinen  sich  zu  ver- 
schiedenen Zeiten  die  Bewohner  mehrerer  im  Thal  gelegener  ausgegangener  Ort- 
schaften vereinigt  und  ihm  mit  einer  grösseren  Einwohnerzahl  den  Namen  Neudorf 
gegeben  zu  haben,  der  übrigens  schon  1380  als  „Nuwendorf  by  Glimendal"  vor- 
kommt. Letzteres  war  eine  etwas  thalaufwärts  gelegene  Burg,  welche  einem  weit- 
verzweigten Geschlecht  den  Namen  gegeben  hat.  Zu  einer  nicht  mehr  genau  zu 
bestimmenden  Zeit  haben  auch  die  von  Glimmenthai  ihre  Burg  verlassen  (die  voll- 
ständig verschwunden  ist)  und  sich  in  Neudorf  angesiedelt.  1429  unterzeichnet  ein 
Syfrid  von  Glimmendail  genannt  Barfuss  mit  andern  Bewohnern  von  Neudorf  eine 
mit  dem  Petersstift  zu  Mainz  geschlossene  Vereinbarung  (Zaun  98). 


Fig.  205.  Niederwalluf.  Pfarrkirche. 
Holzfüllung  in  der  Kanzel. 


NEUDORF.    PFARRKIRCHE.  211 

Auch  das  unterhalb  Neudorf  gelegene  Dörfchen  Rode  (zum  Rodechin)  hat  bei 
seinem  wohl  durch  die  Unsicherheit  der  Lage  ausserhalb  des  Gebücks  veranlassten 
Ausgang  um  1350  die  Einwohnerzahl  von  Neudorf  vermehrt.  Rode  kommt  bereits 
824,  dann  1017  und  1018  vor,  hatte  eine  eigene  Kirche  und  eigenen  Pfarrer  (Bodmann 
I.  11,  13).  Um  1158  entstand  zu  Rode  ein  Nonnenkloster  infolge  einer  Schenkung  des 
Ritters  Embricho  von  Steinheim,  der  sein  Erbe  auf  dem  Rödchen  an  das  Kloster 
Selbold  schenkte.  Schon  1248  war  das  Kloster  im  Besitz  der  Ritter  des  heiligen 
Grabes,  welche  beim  Bauernaufstand  von  1525  von  dort  vertrieben  wurden.  Die  Kirche 


bestand  als  Wallfahrtskirche  bis  1804, 
wo  sie  abgerissen  wurde  (Zaun  10,  5). 
Auch  der  Ort  Rode  ist  spurlos  ver- 
schwunden. 

Das  durch  die  verschiedenen  Zuzüge 
erstarkte  Martinsthal  oder  Neudorf  er- 
hielt 1363  vom  Erzbischof  Gerlach  die 
Erlaubniss,  sich  mit  Mauern  und  Thür- 
men  zu  versehen.  Von  diesen  heute 
nicht  mehr  erkennbaren  Befestigungen 
muss  in  der  ersten  Hälfte  des  19.  Jahr- 
hunderts noch  ein  Rest  bestanden  haben, 
wie  aus  einer  1838  von  Reiffenstein  ge- 
zeichneten Skizze  hervorgeht  (Fig.  204). 
Diese  zeigt  eine  mit  Stichbogenblenden 
und  einem  offenen  Wehrgang  versehene 
Mauer,  an  welche  sich  ein  im  Erd- 
geschoss  massives,  mit  einem  hölzernen 
Obergeschoss  überbautes  Wohnhaus  an- 
lehnt. Der  aus  Quadern  gebaute  Eck- 
pfeiler und  der  spitzbogige  Thorweg 
deuten  auf  ein  höheres  Alter. 

Nachdem  der  Ort  früher  nach  Elt- 
ville gepfarrt  hatte,  machte  im  Anfang 


des   15.  Jahrhunderts    das    Anwachsen  FiS-  206.  Nendorf.  Holserker  (nach  Reiffenstein). 
desselben  den  Bau  einer  eigenen  Kirche  und  die  Anstellung  eines  Pfarrers  möglich. 
Nur  die  Taufen  mussten  noch  in  der  Mutterkirche  vollzogen  werden,  bis  1511  Erz- 
bischof Uriel  auch  die  Errichtung  eines  Taufsteines  erlaubte  (Vogel  35). 

Die  den  heil.  Sebastian  und  Laurentius  geweihte  Kirche,  welche  1429  beendet 
wurde,  ist  ein  künstlerisch  wenig  interessirender,  einschiffiger  Bruchsteinbau  ohne 
Strebepfeiler  mit  gleichbreitem,  im  Achteck  geschlossenen  Chor ;  im  Schiff  und  Chor 
ein  durchlaufendes  Sterngewölbe  mit  einfach  gekehlten  Rippen,  in  welche  der  (wahr- 
scheinlich später  eingesetzte)  spitzbogige ,  unprofilirte  Triumphbogen  unorganisch 
einschneidet.  Die  Gewölbrippen  verlaufen  in  runde  Wanddienste  ohne  Kapitale.  Der 

14* 


212 


NEUDORF.  GLOCKEN. 


Schlussstein  des  Chorgewölbes  trägt  ein  Wappen ,  in  rothem  Schild  zwei  gekreuzte 
Pfeile  zeigend ;  um  den  mittelsten  Schlussstein  des  Schiffs  findet  sich  die  Jahreszahl 
M°CCCC°  und  XII  angeschrieben,  was  auf  eine  ziemlich  lange  Bauzeit  deuten  würde. 
Die  Fenster  sind  spitzbogig  geschlossen  mit  zweitheiligem,  spätgothischem  Masswerk. 

An  der  Nordseite  des  Schiffs  ist  eine  kleine  Sakristei  mit  rippenlosem  Kreuz- 
gewölbe angebaut.  Der  Südwestecke  ist  ein  malerisch  wirkendes  Treppenthürmchen 
mit  geschweifter  Dachhaube  vorgelegt,  welches  zu  der  an  der  Westseite  angeordneten 
tiefen  Orgelempore  führt. 

Die  drei  Altäre  zeigen  grosse  Aehnlichkeit  mit  denen  in  Niederwalluf  und 
dürften  von  derselben  Hand  zu  Anfang  des  18.  Jahrhunderts  geschnitzt  sein. 

Von  den  drei  Glocken  hat  die  grösste  die  Inschrift : 

üon  St-  Sebastian  bin  id)  genannt/ 

2u  neudorf  im  Rbeingau  mobl  bekannt- 

2u  Gottes  Cbr  laut  id)/ 

Hemmend)  und  öregorp  goßen  mid) 

anno  1561- 

Die  zweite:  1727  goß  mid)  Georg  Cbriftopb  Rotb  uon  main)-  (Lötz  335.) 

Von  alten  Fachwerkhäusern  ist  das  Meiste  durch  Verputz  unkenntlich  gemacht 
worden.  Erhalten  hat  sich  ein  hübscher  Erker,  auf  Sattelhölzern  über  Eck  vorgebaut 
und  mit  geschweiftem  Dach  an  dem  jetzigen  Gasthaus  in  der  Mitte  des  Ortes  (s.  Fig.  206). 


213 


RAUENTHAL. 

\as  durch  seinen  Wein  berühmte,  16,2  Kilometer  nordöstlich  von  Rüdes- 
heim auf  einer  zum  Schlangenbader  Bach  steil  abfallenden  Höhe  gelegene 
Kirchdorf  Rauenthal  gehört  zu  den  jüngeren  Ansiedelungen  des  Rhein- 
gaues. Erst  im  13.  Jahrhundert  überwies  das  Erzstift  Mainz  den  ihm 
gehörigen ,  bis  dahin  noch  wüsten  Berg  einer  Anzahl  von  Kolonen  zur  Anrodung, 
welche  sich  allmälig  auf  dem  östlichen  Ab- 
hang des  Berges  ansiedelten.  Der  Erfolg 
der  Urbarmachung  muss  bald  ein  günstiger 
gewesen  sein,  denn  der  Erzbischof  behielt 
sich  einen  Weinzins  (von  der  Ruthe  einen 
Schoppen  Lauterwein)  aus,  eine  Abgabe, 
die  unter  dem  Namen  „Bergrecht"  bis  1824 
bestand.  Als  in  der  Folge  der  Weinbau 
auf  dem  Rauenthaler  Berge  sich  immer 
einträglicher  erwies,  suchte  auch  das  St. 
Petersstift  und  umwohnende  Adelsgeschlech- 
ter sich  theils  den  Zehnten  der  nicht  dem 
Bergrecht  unterstehenden  Weinberge  anzu- 
eignen, theils  eigene  Weinberge  zu  erwerben, 
indem  sie  in  dem  Dorfe  Wohnung  nahmen. 

Aus  dieser  Zunahme  des  Ortes ,  der 
ursprünglich  nach  Eltville  eingepfarrt  war, 
erwuchs  schon  1339  das  Bedürfniss  einer 
eigenen  Kapelle.  Diese,  dem  heil.  Antonius 
geweiht,  wurde  in  dem  genannten  Jahre  von 
Erzbischof  Heinrich  bestätigt,  wobei  der 
Ausdruck  „de  novo"  darauf  schliessen  lässt, 
dass  bereits  vorher  im  Orte  ein  kleines 
Gotteshaus  bestanden  habe.  Zaun  will, 
vielleicht  nicht  mit  Unrecht,  Reste  des- 
selben in  der  nördlich  neben  der  jetzigen 
Kirche  gelegenen  kleinen  Michaelskapelle 

vermuthen,    deren    unteres    Geschoss    als      Fig. 207.  Rauenthal.  Grundriss  der  Pfarrkirche. 


214 


RAUENTHAL.  PFARRKIRCHE. 


Beinhaus  diente.  Wann  die  ursprüngliche  St.  An- 
toniuskapelle zur  jetzigen  Pfarrkirche  ausgebaut 
wurde,  ist  nur  annähernd  aus  der  Thatsache  zu 
schliessen,  dass  im  Jahre  1459  auf  Ansuchen  des 
Pfarrers  mehrere  Kardinäle  Ablass  gaben  für 
solche,  die  etwas  für  die  Kirche  beisteuerten. 
Die  am  Südportal  der  Kirche  angebrachte  Jahres- 
zahl 1464,  sowie  die  Zahl  1492,  die  sich  neben 
dem  Namenszug  des  Pfarrers  Wilhelm  von  Bär- 
stadt auf  einem  Schlussstein  des  Gewölbes  findet, 
lassen  den  Schluss  zu,  dass  innerhalb  dieser 
siebenundzwanzig  Jahre  die  jetzige  Kirche  erbaut 
wurde.  Im  Jahre  1558  wurde  der  Ort  durch  eine 
Feuersbrunst  zum  grossen  Theil  zerstört,  bei  der 

auch  die  Kirche  zu 


Fig.  208. 


Rauenthal.  Pfarrkirche. 
Gewölbeansatz. 


Fig.  209.    Ratlenthal.    Pfarrkirche  von  Osten. 


Schaden  kam ,  so  dass  das  St.  Victorstift  in  dem  ge- 
nannten Jahr  mit  kleinen  Beträgen  für  deren  Wieder- 
herstellung eintreten  musste. 

Die  Kirche  ist  ein  spätgothischer  Bau  von  schlichter 
Ausführung ,  nur  in  den  reicheren  Wölbungen  den 
Einfluss  des  benachbarten  Kidrich  andeutend.  Der 
zweijochige  Chor,  schmaler  als  das  Schiff,  schliesst  im 
halben  Achteck,  mit  nach  aussen  gelegten  Strebepfeilern, 
die  mit  konkaven  Pultdächern  abgedeckt  sind.  Das 

Sterngewölbe,  dessen  Rippen 
mit  einfacher  Kehle  profilirt 
sind,  ruht  auf  Konsolen  mit 
Köpfen.  Südlich  ist  dem  Chor 
eine  ziemlich  geräumige  Sa- 
kristei von  länglich  recht- 
eckigem Grundriss  vorge- 
legt ,  mit  einem  Stern- 
gewölbe überdeckt.  Ein 
spitzbogiger  ungegliederter 
Triumphbogen  öffnet  den 
Chor  nach  dem  Schiff.  Dieses 
ist  einschiffig,  mit  nach  innen 
gezogenen  Strebepfeilern; 
die  abgerundeten  Ecken  der 
letzteren  sind  oben  durch 
Auskragungen  zu  den  eckig 
ansetzenden  Blendbogen 


RAUENTHAL.  PFARRKIRCHE. 


215 


übergeleitet.  Das  dreijochige  ziemlich  reiche  Netzgewölbe  hat  doppelt  gekehlte  Rippen  und 
setzt  auf  runde,  mit  Wappenschildern  gezierte  Konsolen  auf.  Der  westliche  Schlussstein 
trägt  wie  erwähnt,  die  Jahreszahl  1492  und  die 

Umschrift  roillielmus  lüilbelmi  de  berstat 

pkbanilS.     Nach   Norden  hin    findet  sich 
wm^m     in    demselben    Netzgewölbe  das 
l        Meisterzeichen,  ein  Beweis ,  dass 
S  ▼    der  Steinmetz ,  welcher  um  die 
genannte  Zeit  an  der  Kidricher  Pfarrkirche 
arbeitete,  auch  die  Netzgewölbe  in  Rauen- 
thal  ausgeführt  hat.    Die  Fenster  sind  im  Fig.210.Rauenthal.  Pfarrkirche.  Weihwasserstein. 

Schiff  ebenso  wie  im  Chor  zweitheilig  mit 
geringem  Fischblasen-Masswerk ;  eine  ein- 
fache profilirte  Thür  in  der  Südmauer  mit 
der  Jahreszahl  1464  führt  durch  die  mit 
einem  Kreuzgewölbe  überdeckte  Vor- 
halle ins  Freie.  Der  Nordwestecke  des 
Schiffs  ist  ein  Treppenthürmchen  ange- 
schlossen, in  welchem  eine  Treppe  aus 
Schieferplatten    bis    ins    zweite  Thurm- 


Fig.  211.    Kaltenthal.    Pfarrkirche.  Standlenchtcr 
von  Schmiedeeisen. 


Fig.  212.  Rauenthal.  Pfarrkirche. 
Thürbcschlag  in  der  Thurmvorhalle. 


geschoss  führt.  Der  Thurm,  viereckig,  ohne  Strebepfeiler  ist  der  westlichen  Schiffs- 
mauer vorgelegt.  Das  gewölbte  Erdgeschoss  dient  als  westliche  Vorhalle,  ein  darüber 


216 


RAUENTHAL.    KUNSTWERKE.  FACHWERKHAUS. 


befindliches  gewölbtes  Stockwerk,  durch  eine  schwer  mit  Eisen  beschlagene  Thür 
mit  dem  Kirchenschiff  verbunden,  diente  vielleicht  als  Schatzkammer.  Das  dritte 
Geschoss  hat  zweitheilige  Schal löffnungen ,  deren  auf  die  Hochgothik  deutendes 
Masswerk  aus  Vierpasskreisen  über  Nasen-besetzten  Spitzbogen  besteht.  Der  Thurm 
verräth  eine  sorgfältigere  Ausführung  als  der  übrige  Bau:  der  reich  profilirte  Sockel, 

die  Eckquadern,  das  zweimalige  Kaffgesims 
sowie  die  Schalllöcher  sind  in  rothem  Sand- 
stein ausgeführt,  während  am  Schiff  und 
Chor  das  Bruchsteinmauerwerk  vorherrscht. 
Der  Thurmhelm  ist  mit  vier  Eckthürmchen 
und  einem  Dachreiter  besetzt. 

An  alten  Inventarstücken  enthält  die 
RauenthalerKirche  wenig :  ein  spätgothischer 
Weihwasserstein  ist  kelchförmig,  mit 
Masswerk  besetzt.  Ein  gutes  Stück  mittel- 
Fig.213.  Rauenthai.  Pfarrkirche.  Wapdleuchter.  alterlicher  Schmiedearbeit  ist  ein  Stand- 
leuchter auf  drei  Füssen,  der  an  den  in  der  Kidricher  Kirche  erhaltenen  erinnert.  Ein 
tüchtiges,  wahrscheinlich  der  gleichen  Werkstatt  entstammendes  Schmiedestück  ist 
ferner  der  Beschlag  der  inneren  Westthür  in  der  Vorhalle.  Dass  auch  in  der  Renaissance- 
zeit noch  tüchtige  Schmiede  hier  arbeiteten,  beweist 
ein  kleiner  Armleuchter  an  der  südlichen  Emporen- 
säule. Die  hufeisenförmig  weit  ins  Schiff  vorgebaute 
Orgelempore  wird  von  vier  Säulen  getragen.  Sie 
sowohl,  wie  die  Orgel,  die  Kanzel  und  der  dem 
heil.  Antonius  geweihte  Hauptaltar  nebst  den  der 
Mutter  Gottes  und  der -heil.  Anna  geweihten  Neben- 
altären sind  gute  handwerkliche  Arbeiten  des  Barock- 
stils ,  für  welche  wohl  das  Jahr  der  Neuerrichtung 
des  Hauptaltars  1691  massgebend  sein  mag. 

Nördlich  neben  dem  Chor  der  Kirche  steht  ein 
jetzt  ganz  vernachlässigtes  Gebäude ,  welches  in 
seinem  Obergeschoss  früher  das  Schulzimmer  ent- 
hielt und  vordem  eine  Michaelskapelle  gewesen  sein 
soll.  Das  Erdgeschoss,  mit  rippenlosem  Stichkappen- 
gewölbe auf  einem  viereckigen  Mittelpfeiler  ohne 
Kapital  überdeckt,  diente  als  Karner  oder  Beinhaus.  Fig.  214.  Rauenthai.  Holsgiebd. 
Die  spitzen  Giebel  (der  westliche  massiv)  sowie  ein  kleines  vermauertes  Fenster  mit 
Nasen  deuten  auf  die  Spätgothik  als  Erbauungszeit. 

Von  bemerkenswerthen  Fachwerkbauten,  an  welchen  es,  wie  in  den  übrigen 
Rheingaudörfern,  auch  in  Rauenthai  nicht  gefehlt  haben  dürfte,  ist  nur  noch  ein  kleiner 
Giebel  mit  Krüppelwalm  am  nordöstlichen  Ende  des  Dorfes  erhalten. 

3^ 


217 


VBA 


Fig.  215.   Schloss  Vollrats  1862  (nach  Reiffenstein). 

WINKEL,  MITTELHEIM,  OESTRICH. 

(SCHLOSS  VOLLRATS.) 

?IE  DREI  KIRCHDÖRFER  WINKEL,  MITTELHEIM  und  OESTRICH 
bilden  heute  eine  fast  zusammenhängende  Ansiedelung ,  die  sich  drei 
Kilometer  lang  am  Rheinufer  hinzieht  von  der  Mündung  des  Klingel- 
bachs an,  der,  von  Stephanshausen  herabkommend,  6,5  Kilometer  östlich 
von  Rüdesheim  sich  in  den  Rhein  ergiesst,  bis  zu  dem  am  „Grauen  Stein"  entspringenden 
Pfingstbach,  der  bei  Oestrich  mündet.  Da  die  drei  Ortschaften  schon  im  frühen 
Mittelalter  politisch  zusammengehörten,  so  ist  es  wohl  nicht  unberechtigt,  sie  auch 
hier  gemeinschaftlich  zu  behandeln. 

Winkel,  der  älteste  der  drei  Orte,  gab  bis  ins  13.  Jahrhundert  auch  den  beiden 
andern  seinen  Namen.  Dass  dieser  Name  in  den  Jahrbüchern  des  Pithäus  um  850 
Winzella  lautet,  hat  zu  der  Vermuthung  geführt,  dass  der  Ort  bereits  zur  Römerzeit 
als  Weinlager  (vini-cella)  gedient  habe.  Doch  ist  dagegenzuhalten,  dass  die  heute 
gebräuchliche  Form  bereits  in  einer  Urkunde  von  901  (Sauer  81)  und  von  da  an 
häufiger  vorkommt  und  nur  in  einer  Urkunde  von  1109  („ecclesiam  in  villa  nostra 
Clingelmunda  infra  Winsellam")  der  Name  in  der  die  obige  Deutung  zulassenden 
Form  wiedererscheint.  Wenn  hiernach  die  römische  Abstammung  des  Ortes  fraglich 
erscheint,  so  ist  doch  ein  Beweis  für  sein  hohes  Alter  in  der  Nachricht  enthalten, 
dass  der  Erzbischof  von  Mainz  Rhaban  Maurus  (seit  874)  hier  seinen  Wohnsitz  gehabt 


218 


WINKEL.  GESCHICHTE. 


fannales  fuldenses  b.  Pertz  Monum.  I.  1.  366)  und  bei  einer  Hungersnoth  im  Jahre  850 
hier  an  den  Bewohnern  des  Rheingaues  grosse  Mildthätigkeit  geübt  habe;  wie  er 
denn  auch  am  4.  Februar  856  in  seiner  „Villa  zu  Winkel"  gestorben  sein  soll. 

Vom  9.  bis  ins  13.  Jahrhundert  finden  wir  besonders  das  Kloster  Bleidenstadt 
hier  mit  Höfen  und  Weingärten  begütert;  noch  1213  (Sauer  332)  erwirbt  es  durch 
Tausch  den  in  Winkel  gelegenen  Hof  des  Klosters  St.  Alban  zu  Mainz.  Um  diese 
Zeit  scheinen  die  drei  Orte  noch  den  gemeinschaftlichen  Namen  Winkel  geführt  zu 
haben,  da  das  Kloster  Gottesthal,  welches  in  Mittelheim  gegründet  war,  als  „in  Winkel" 
bezeichnet  wird.  Erst  1254  scheint  eine  Trennung  der  kirchlichen  Gemeinden  statt- 
gefunden zu  haben,  da  in  diesem  Jahr  zuerst  eine  Kirche  in  Oestrich  erwähnt  wird, 
die  dem  Victorstift  zu  Mainz  unterstand.  (Dem  Namen  Oestrich  begegnet  man 
bereits  im  11.  Jahrhundert.)  Ein  gemeinsames  Centgericht  der  drei  Orte  war  (nach 
Vogel)  noch  1368  vorhanden. 

In  Winkel*)  hatte  ein  Zweig  des  ältesten  Rheingrafengeschlechts  seinen  Sitz. 
Ein  Graf  Richolf,  der  nach  1109  lebte  und  in  zweiter  Ehe  mit  Dankmud,  der  Tochter 
des  Dudo  von  Lorch  vermählt  war,  stiftete  die  St.  Georgsklause  unter  dem  Johannis- 
berg und  erbaute  in  Klingelmünde  die  St.  Bartolomäuskirche,  nach  welcher  der  Ort 
den  Namen  St.  Bartolomä  annahm.  Die  Kirche  nebst  einem  zum  Leprosenhaus  be- 
stimmten Gebäude  sowie  die  Rheininsel  Lützelaue  übergab  er  1109  dem  Kloster 
Johannisberg  (damals  noch  Bischofsberg) ,  in  welchem  er  und  seine  Gemahlin,  nach- 
dem sie  dem  weltlichen  Stande  entsagt  hatten,  auch  starben.  Sein  Sohn  Ludwig  folgte 
seinen  Eltern  in  den  geistlichen  Stand,  so  dass  mit  ihm  der  Winkeler  Zweig  der  Rhein- 
grafen erlosch.  Seine  Güter  fielen  an  seinen  Oheim  Wulferich  von  Lorch,  der  sich 
darauf  „von  Winkel"  benannte;  er  starb  1118.  Seinem  Sohne  gleichen  Namens  werden 
wir  bei  der  Stiftung  der  Kanonie  Gottesthal  wieder  begegnen. 

Gleichzeitig  mit  diesen  Abkömmlingen  des  Rheingrafen  lebte  in  dem  Orte  ein 
zweites  Rittergeschlecht,  welches  sich  ebenfalls  von  Winkel  nannte.  Der  erste  Ritter, 
der  uns  aus  diesem  Stamme  bekannt  wird,  ist  Heinrich  I.,  vermählt  mit  der  Tochter 
Volkmars  von  Heppenheft.  Die  Enkel  dieses  Paares,  Embricho  und  Heinrich  II., 
führten  den  Namen  „von  Winkel,  genannt  Greiffenklau,"  welchem  Namen  ein  Urenkel 
Friedrich  zu  Mitte  des  14.  Jahrhunderts  den  Zusatz  zum  Volrades  beifügte,  nach  dem 
unweit  Winkel  gelegenen  Schlosse,  welches  die  Greiffenklau  um  diese  Zeit  erbaut  zu 
haben  scheinen.  Wie  es  scheint,  war  dies  eine  Erbschaft  von  den  alten  Volraden, 
einer  adeligen  Familie,  die  ebenfalls  in  Winkel  ihren  Sitz  hatte.  Da  sich  das  „graue 
Haus"  zu  Winkel  seit  dieser  Zeit  ebenfalls  im  Besitz  der  Greiffenklau  zu  Vollrads 
befindet,  so  ist  die  Vermuthung  nicht  ausgeschlossen,  dass  man  in  diesem  den  ur- 
sprünglichen Ansitz  der  Vollraden  zu  sehen  hat. 

Das  ausgegangene  Dorf  Klingelmünde  oder  Bartolomä,  welches  in  der  oben 
erwähnten  Urkunde  genannt  wird  und ,  als  zu  Winkel  gehörig ,  am  Ausfluss  des 
Klingelbachs  lag,  hat  insofern  für  die  Geschichte  des  Rheingaues  Bedeutung,  als  in 


*)  Kirchenrath  Dahl,  Frankf.  Didaskalia  1827. 


MITTELHEIM  GESCHICHTE. 


219 


seinem  Bering  die  Rheingauischen  allgemeinen  Landesversammlungen  abgehalten 
wurden,  nachdem  die  Lützelau  oder  Grafenau,  welche  ursprünglich  deren  Stätte  ge- 
wesen, vom  Strom  weggespült  war.  Erst,  als  Eltville  im  16.  Jahrhundert  als  erz- 
bischöfliche Residenz  Bedeutung  gewonnen  hatte,  wurden  die  Landesversammlungen 
nach  dieser  Stadt  verlegt. 

Die  oben  erwähnte,  von  Rheingraf  Richolf  um  1109  erbaute  Kirche  von  Klingel- 
münde gerieth  nach  der  Aufhebung  des  Klosters  Johannisberg  (1563)  in  Verfall  und 
wurde  1626  dem  Jesuitenkollegium  von  Mainz  überwiesen,  welches  sie  soweit  herstellen 
liess,  dass  sie  während  des  Neubaues  der  Pfarrkirche  von  Winkel  den  dortigen  Be- 
wohnern als  Gotteshaus  diente  (Zaun  S.  227).  Mit  der  Auflösung  des  Jesuitenordens 
1774  wurde  die  Kirche  abgebrochen. 

Dass  in  Winkel  selbst  schon  sehr  früh  eine  Kirche  oder  Kapelle  bestanden 
haben  muss,  ist  schon  durch  die  Ueberlieferung  bedingt,  dass  der  Erzbischof  Rhabanus 
hier  residirt  habe.  Dieselbe  war  der  heiligen  Walpurgis  geweiht  und  stand  unter  dem 
Patronat  der  Rheingrafen,  später  der  Greiffenklau.  Sie  ist  bis  auf  die  letzte  Spur 
verschwunden,  als  infolge  ihrer  Baufälligkeit  und  unzureichenden  Grösse  sich  die  Ge- 
meinde 1674  entschloss,  eine  neue  Kirche  zu  bauen,  deren  Chor  1678  vollendet  wurde. 

Das  Dorf  M  i  1 1  e  1  h  e  i  m  hat  jedenfalls  schon  früh  als  kleine,  zu  Winkel  gehörige 
Ansiedelung  bestanden.  Die  Form  des  Namens  Mittilaha  (Mittelbach)  1191  deutet 
auf  den  Wasserlauf  hin,  der  hier  zwischen  den  grösseren  Bächen  Klingel-  und  Pfingst- 
bach  dem  Rheine  zufliesst.  Im  13.  Jahrhundert  kommt  der  Name  als  Medilnheim  vor. 
Eine  selbständige  Bedeutung  gewann  der  Ort  jedoch  erst  durch  die  Gründung  der 
Augustiner-Kanonie. 

Der  Mainzer  Ministeriale  Wulferich  II.  von  Winkel  hatte  auf  seinem  Eigenthum 
(der  „Rendewineshuba"  Sauer  238)  ein  Kloster,  welches  den  Namen  Gottesthal  er- 
hielt, mit  einer  dem  heiligen  Egidius  geweihten  Kirche  erbaut  und  stellte  1138  dasselbe 
den  von  Erzbischof  Adalbert  I.  im  Jahre  1131  wegen  schlechter  Klosterdisciplin  aus 
Eberbach  ausgewiesenen  Augustiner-Chorherren  und  Schwestern  zur  Verfügung. 
Als  erster  Probst  trat  in  das  neue  Kloster  Erenfried,  Stiftsherr  zu  Unserer  lieben 
Frauen  zu  Mainz. 

Die  manchem  Wechsel  unterworfene  früheste  Geschichte  dieser  Stiftung  ist 
nicht  ganz  klar;  unter  Anderem  steht  urkundlich  nicht  fest,  ob  (wie  Bodmann  annimmt) 
dieselbe  ein  Doppelkloster  war.  Hierfür  scheint  zu  sprechen,  dass  in  einer  Urkunde 
von  1151  (Gud.  C.  D.  I.  208,  Sauer  229)  Erzbischof  Heinrich  I.  von  Mainz  die  Schenkung 
einer  bei  Eltville  belegenen  Rheinaue  bestätigt,  „die  sein  Vorgänger  Markolf  aus 
Mitleid  mit  der  Armuth  der  Brüder  und  Schwestern,  welche  unter  der  Regel  des  sei. 
Augustinus  in  gemeinsamem  Leben  in  Winkel  wohnten,"  denselben  gemacht  hatte, 
sowie  die  Schenkung  einer  Mühle  mit  anliegendem  Weinberg  seitens  seines  Ministerialen 
Meingot,  „veranlasst  durch  die  Bitten  des  Abtes  Folbert  und  der  Brüder  und 
Schwestern  des  genannten  Klosters." 

Schon  1213  erscheint  Gottesthal  nur  von  Nonnen  bewohnt,  wie  aus  den  Urkunden 
(Sauer  335,  336)  hervorgeht,  welche  über  die  Schlichtung  eines  Besitzstreites  zwischen 


220 


OESTRICH.  GESCHICHTE. 


dem  genannten  Kloster  und  Eberbach  aufgenommen  wurden,  wobei  der  Probst  Arnold 
die  Gottesthaler  Nonnen  vertritt. 

Aber  auch  dies  Nonnenkloster  bestand  nicht  lange  an  der  ursprünglichen  Stelle. 
Schon  vor  1250  vertauschte  es  dieselbe  mit  einer  neuen  Niederlassung  ausserhalb  des 
Ortes  (Zaun  191)  „in  einem  lieblichen  Wiesenthal,"  welche  nunmehr  den  Namen  Gottes- 
thal erhielt.  Ein  neues  Kloster  und  eine  stattliche  Kirche,  zu  deren  Bau  der  Rhein- 
graf Siegfrid  freigebig  beisteuerte,  wurde  1250  fertig.  Mit  der  Uebersiedelung 
beschlossen  die  Nonnen,  die  strengere  Ordensregel  des  heil.  Bernhard  anzunehmen, 
und  ihr  Kloster,  wie  es  im  13.  Jahrhundert  zahlreiche  Klöster  des  Rheingaues  thaten, 
der  Aufsicht  von  Eberbach  zu  unterstellen.  Eine  kleine  Anzahl  der  Schwestern, 
welche  dieser  Neuerung  nicht  folgen  und  bei  der  alten  Augustiner-Regel  bleiben 
wollten,  wurden  auf  Anordnung  des  Erzbischofs  Gerhard  1251  in  das  alte  Kloster  zu 
Mittelheim  zurückversetzt,  welches,  da  den  schismatischen  Nonnen  die  Aufnahme  von 
Novizen  untersagt  wurde,  bald  ausstarb.  Die  uralte  Kirche  des  heil.  Egidius  und  das 
Kloster  gingen  dann  als  Pfarrkirche  und  Pfarrhaus  in  den  Besitz  der  Gemeinde 
Mittelheim  über;  das  Patronat  derselben  blieb  bei  Gottesthal. 

Im  Jahre  1386  wurden  die  Marken  von  Mittelheim  und  Oestrich  geschieden 
(Bodmann  I.  88,  89),  doch  gehörte  Mittelheim  noch  1396  und  auch  nach  der  neuen 
Ordnung  der  Rheingauer  Verfassung  durch  Erzbischof  Albrecht  1527  nach  Oestrich 
in  das  Gericht.    Der  Ort  zählte  damals  62  Herdstätten. 

Ausser  der  Pfarrkirche  besass  Mittelheim  drei  Kapellen :  zur  heil.  Jungfrau, 
zum  heil.  Laurentius  und  eine  nahe  am  Rhein  gelegene  Kapelle  zum  heil.  Nicolaus. 

Das  Kloster  Gottesthal  versank  im  14.  Jahrhundert  in  Dürftigkeit  (Vogel  S.  47). 
1631  mussten  seine  Insassen  vor  den  Schweden  über  den  Rhein  flüchten,  wobei  seine 
Urkunden  verloren  gingen.  Im  Jahre  1801  wurde  es  aufgehoben,  die  Gebäude  wurden 
verkauft  und  1812  bis  auf  den  Grund  abgebrochen. 

Das  Pfarrdorf  Oestrich  erscheint  unter  der  Namensform  Hostercho  bereits 
in  einer  Urkunde  von  1201  (Sauer  111),  nach  welcher  das  Mainzer  St.  Albansstift 
daselbst  einen  Hof  erwarb.  Der  Annahme,  dass  in  dem  Namen  eine  Hindeutung  auf 
den  östlichsten  Theil  von  Winkel,  welches  ursprünglich  die  drei  fast  zusammen- 
hängenden Dörfer  umfasste ,  enthalten  sein  könnte ,  scheint  die  alte  Namensform  zu 
widersprechen,  die  (1123  um  1171  Hosteriche,  um  1200  Hosterich)  erst  im  13.  Jahr- 
hundert durch  die  heutige  Form  verdrängt  wird.  Im  Jahre  1123  schenkte  der  Mainzer 
Kämmerer  Meingoz  beim  Antritt  eines  Kreuzzugs  sein  Eigenthum  in  Hostriche  und 
Richerteshusen  dem  Kloster  Altenmünster  in  Mainz,  was  dieses  1388  an  Eberbach 
verkaufte.  Auch  das  Kloster  Bleidenstadt  war  hier,  wie  in  Winkel,  begütert  und 
vertauschte  1171  einen  Hof  daselbst  dem  Victorstift  gegen  einen  in  Lorch  belegenen. 

Die  Trennung  der  Gemarkung  Oestrich-Mittelheim  von  derjenigen  von  Winkel 
vollzog  sich  gegen  Ende  des  12.  Jahrhunderts.  Sie  umfasste  ein  grosses  Gebiet,  nämlich 
ausser  Mittelheim  noch  Reichartshausen,  Hallgarten,  Johannisberg,  Stephanshausen  und 
Gladbach.  Ob  das  hohe  Ansehen,  das  Oestrich  im  Mittelalter  als  die  älteste  christliche 
Gemeinde  im  Rheingau  besass  („Sedes  Christianitatis  et  Archipresbyterii  Capituli 


REICH  ARDSHAUSEN.    WINKEL.  PFARRKIRCHE. 


Ruralis  Rhigaviae"),  sich  auf  diesen  Ort  im  engesten  Sinne  oder  auf  die  ganze  An- 
siedelung Oestrich-Winkel  bezog,  ist  bei  der  Unklarheit  der  Namengebung  schwer  zu 
entscheiden.  Die  Pfarrei  mit  ihrem  ausgedehnten  Zehntrecht  kam  wahrscheinlich 
schon  um  das  Jahr  1000  in  den  Besitz  des  777  bereits  erwähnten  und  durch  Kaiser 
Otto  III.  zu  seiner  späteren  Bedeutung  erhobenen  St.  Victorstiftes  in  Mainz,  dessen  Probst 
über  die  Zehnten  und  die  Besetzung  der  Pfarrei  zu  Oestrich  zu  verfügen  hatte. 
Dieser  trat  sie  1254  an  das  Kapitel  von  St.  Victor  ab,  dessen  Vicar  nun  Pfarrer  in 
Oestrich  wurde. 

Oestrich  hatte  kein  eigenes  Adelsgeschlecht,  doch  baute  1391  der  Ritter  Freile 
zum  Jungen  eine  kleine  Burg  als  Stammhaus  nebst  einer  Kapelle.  Das  Geschlecht 
zum  Jungen  (de  Juveni),  das  in  Frankfurt  und  Mainz  ansässig  war,  stammte  aus  Ungarn, 
zog  mit  Friedrich  Barbarossa  nach  Italien  und  wurde  1173  in  Heinrich  zum  Jungen  in 
Verona  wegen  seiner  treuen  Dienste  im  Zuge  des  Kaisers  wider  die  Mailänder  geadelt. 
Das  Burghaus  dieses  Geschlechtes  kam  später  in  den  Besitz  des  Mainzer  Domkapitels 
und  zuletzt  in  die  Hände  des  Herrn  Wittekind  zu  Frankfurt. 

Reichardshausen  wird  1123  als  Dorf  genannt,  das  zur  Gemeinde  Oestrich 
gehörte ;  unter  dem  Abte  Rudhard  von  Eberbach  geht  es  in  den  Besitz  dieses  Klosters 
über,  indem  dasselbe  einen  ihm  gehörigen  Hof  in  Winkel  gegen  eine  Hube  eintauschte, 
welche  Dudo,  Edelmann  und  Ministerial  zu  Mainz  in  Reichardshausen  besass.  Theils 
durch  die  Nachbarschaft  von  Hattenheim  und  Oestrich  in  der  Entwickelung  gehemmt, 
theils  auch  vielleicht  auf  Betreiben  des  Klosters,  ging  der  Ort  als  solcher  ein  und 
verwandelte  sich  in  einen  Hof  des  letzteren,  der  diesem  wegen  seiner  bequemen  Lage 
am  Rhein  als  Niederlage  für  die  auf  dem  Strom  aus-  und  zugeführten  Landeserzeugnisse 
willkommen  sein  musste. 

Der  Hof  erhielt  im  13.  Jahrhundert  mehrfachen  Zuwachs  durch  Ankauf  und 
Schenkung  nahegelegener  Rheininseln;  1234  durch  die  von  Schultheiss  Siebold  von 
Winkel  eingetauschten  Ländereien ,  welche  bei  dieser  Gelegenheit  die  Gebrüder 
Embricho  von  Lahneck  und  Konrad  Greiffenklau  von  WTinkel  von  der  Lehnsherrschaft 
freigaben.  So  blieb  der  Hof  bei  dem  Kloster  bis  zu  dessen  Säkularisation  als  eines 
seiner  werthvollsten  Güter.  Herzog  Friedrich  August  von  Nassau,  dem  er  nach  der 
Säkularisation  mit  dem  übrigen  Eberbacher  Besitz  zugefallen  war,  schenkte  ihn  der 
Herzogin  Luise,  nach  deren  Tode  er  1816  in  den  Besitz  des  Schönborn'schen  Hauses 
überging.  Heute  ist  das  Gut  Eigenthum  der  Weinhandiung  von  Wilhelmj,  welche 
in  dem  von  den  drei  Flügeln  des  Gebäudes  umgebenen  Hof  eine  weiträumige,  bis 
zum  ersten  Stock  reichende  Kelleranlage  mit  oberer  Plattform  und  Treppenanlage 
an  der  Ostseite  erbaut  hat.  Im  Innern  sind  noch  die  dekorativen  Einrichtungen 
und  das  Mobiliar  aus  dem  Besitz  der  Herzogin  Luise  in  schlichtem  Empirestil  theil- 
weise  erhalten. 

Die  Pfarrkirche  zu  Winkel,  Ende  des  17.  Jahrhunderts  erbaut  (Chor  1678 
vollendet),  bietet  keinerlei  künstlerisches  Interesse.  Wie  mehrfach  im  Rheingau 
(Oestrich,  Hattenheim,  Rüdesheim)  ist  bei  dem  Neubau  der  romanische  Thurm  benutzt 
worden,  der  nördlich  am  Ostende  neben  dem  Schiff  steht,  in  dieses  halb  einschneidend. 


WINKEL.    DAS  GRAUE  HAUS. 


223 


Sie  besitzt  eine  alte  Glocke  mit  der  Inschrift  Rvt  Htatia  gratia  plcna  Dominus  tCCUttl 
anno  domini  mCCCCIKKK]}}]  (1484);  die  übrigen  sind  neueren  Datums.  Ausserdem 
erwähnt  Zaun  ein  Ostensorium  mit  Kreuzpartikel,  aus  dem  Kaiserlichen  Schatze  zu 
Wien  stammend  (Zaun  217). 

Wesentliche  kunstgeschichtliche  Bedeutung  hat  das  Graue  Haus,*)  als  einziger 
erhaltener  Wohnhausbau  des  Rheingaus  aus  frühromanischer  Zeit,  welches  die  Tradition 
zur  Wohnung  des  Erzbischofs  Rhabanus  Maurus  stempelt.  Das  Haus  steht  allein  in 
Weingärten  am  südlichen  Ende  des  Ortes,  einige  hundert  Schritte  vom  Rhein,  ist 
jetzt  Gräfl.  Matuschka'scher  Besitz  (als  Greiffenklau'scher  Erbe)  und  wird  von  Winzern 
bewohnt.  Sein  Grundriss  ist  ein  oblonges  Rechteck,  im  Erdgeschoss  zwei  durch  eine 
Längswand  getheilte,  unverputzte,  kellerartige  Räume  mit  Balkendecke  enthaltend,  die 
durch  Mauerschlitze  Licht  erhalten.  Die  Eingangsthür  ist  rundbogig,  der  Bogen  mit 
wechselnden  Steinschichten  und  pronlirtem  Kämpferstein.  Westlich  schliesst  sich  ein 
schmaler  Küchenbau  an,  welcher  niedriger  als  der  Hauptbau,  mit  seinem  Pultdach 
gegen  den  Westgiebel  anfällt  und  noch  seinen  hohen  Schornstein  besitzt. 

Bemerkenswerth  ist  der  mit  einem  flachgiebelartigen  Ornament  versehene 
Steinsturz  der  in  diesen  Anbau  führenden  Thüre. 

Das  Obergeschoss  enthielt  einen  Saal,  von  welchem  in  der  Südostecke  ein 
kleineres  Gemach  durch  eine  noch  stehende  Wand  abgetrennt  war.  Dies  Gemach 
hatte  zwei  Fenster  nach  Süd  und  Ost.  Das  kleinere  Südfenster  besitzt  noch  sein 
aus  einem  einzigen  gelblichen  Sandstein  gearbeitetes  Fenstergestell.  Es  ist  ein  rund- 
bogiges  Doppelfenster ,  durch  ein  kleines,  den  oberen  Sturz  tragendes  Halbsäulchen 
mit  Würfelkapitäl  getheilt. 

Die  Südwand  des  grossen  Saals  enthielt  eine  Fenstergruppe,  die  später  zu  vier  recht- 
eckigen Oeffnungen  mit  hölzernem  Fensterstock  verbaut  wurde  und  sich  aus  zwei  jetzt 
vermauerten  Bogenfenstern  mit  aus  Ziegeln  und  Sandstein  wechselnden  Bogensteinen 
und  Kämpfergesims  erkennen  lässt.  Das  in  der  östlichen  Giebelfront  belegene  Doppel- 
fenster desselben  Saales ,  welches  zwar  mit  einem  graden  Sturz  geschlossen,  aber 
durch  die  in  diesen  eingearbeiteten  Bogenblenden  doch  als  Bogenfenster  markirt  ist, 
zeigt  in  dem  Mittelpfeiler  und  Sturz  kerbschnittartige  Verzierungen.  An  der  Trennungs- 
mauer des  kleineren  Gemachs  ist  nach  Norden  zu  eine  Mauernische  erhalten,  die  Görz 
als  einen,  von  einem  Baldachin  überdeckten  Sitz  ergänzen  will,  worauf  die  seitlich 
vortretenden  Kragsteine  deuten,  auf  denen  man  sich  vielleicht  kleine  Säulchen  auf- 
setzend denken  kann.  Eine  Thüre  mit  flacheingearbeitetem  Kreuz  im  Sturz  führt  in 
eine  über  dem  Küchenanbau  liegende,  mit  einem  Tonnengewölbe  überdeckte  Haus- 
kapelle. An  den  Ecken  der  Südmauer  unter  dem  Dachanfall  sind  zwei  ziemlich  roh 
gearbeitete  Bärenköpfe  zu  erkennen.  Abgesehen  von  den  archaischen  Formen  der 
Thürsturz-Ornamente  würden  die  sonstigen  spärlichen  Architekturformen  des  Gebäudes 
auf  seine  Erbauung  im  11.  oder  Anfang  des  12.  Jahrhunderts  hineinweisen. 


*)  Denkmäler  aus  Nassau.  I.  Heft.    Wiesbaden  1852.  Aufn.  u.  Beschr.  von  R.  Görz.  — 
Vogel,  Beschreibung  595  f.   —   Stromberg,  Rh.  Antiqu.  2.  11.  157. 


224 


SCHLOSS  VOLLRATS. 


Fig.  217.   Schloss  Vollrats.  Greiffenklau'sches  Wappen. 


Das  Schloss  Voll- 
rats*), drei  Kilometer 
nördlich  von  Winkel  in 
einer  Gebirgsfalte  male- 
risch gelegen,  war  schon 
im  13.  Jahrhundert  im 
Besitz  des  oben  erwähnten 
Mainzer  Ministerialen- 
geschlechtes derer  von 
Winkel,  von  denen  die 
späteren  Besitzer  der 
Burg ,  die  Greiffenklau, 
abstammen.  1218  wird 
ein  Volradus  de  Winkelet 
nüles  erwähnt,  1268  ein 
Conradus  dictus  Volrades 
armiger,  1298  Henricus 
miles  dictus  Volraids. 
1332  tritt  der  Ritter  Fried- 
rich Greiffenklauwe  zu- 
erst mit  dem  ständigen 
Beinamen  zum  Vollrades 


auf,  der  von  da  ab  an  Stelle  des  Stammnamens  von  Winkel  getreten  zu  sein  scheint. 

Von  der  alten  Burganlage  ist  heute  nur  noch  der  als  Wasserburg  zu  bezeich- 
nende viereckige  Wohnthurm  erhalten,  der  in  einem  ummauerten,  viereckigen  Wasser- 
graben sich  erhebt.  Auf  der  Südostecke  lehnt  sich  an  ihn  ein  achteckiger  Treppen- 
thurm. Er  wurde  laut  Inschrift  1471  erbaut.  Aus  dieser  Zeit  ist  die  spätgothische 
Eingangsthür  mit  gedrücktem  Rundbogenschluss  unter  niedrigem  Eselrücken  und 
durchkreuztem  Rundstabprofil  erhalten,  ebenso  wie  das  schöne  Greiffenklau'sche 
Wappen  und  eine  mit  rippenlosen 
Kreuzgewölben  und  Bänken  in  den 
Fensterleibungen  versehene  Halle 
im  Erdgeschoss.  Bei  einem  Umbau 
in  den  Jahren  1571  bis  1589  erhielt 
der  Thurm  an  der  Südseite  einen  auf 
schweren  Profilen  mit  Eierstab  und 
Zahnschnitt  ausgekragten  Steinerker, 
sowie  das  geschweifte  Dach.  Die  Fen- 
ster haben  einfache  Fasen  und  Kehlen. 
Ein  kleiner  Vorhof,  von  einer  mit 
Schiessscharten  versehenen  Mauer  umgeben,  deckt  die  Zugbrücke,  welche  über  den 

*)  Rh.  Antiqu.  II.  II.  211  ff. 


Fig.  218.   Schloss  Vollrats.  Halle  im  Erdgeschoss 
(nach  Reiffenstein  1862). 


MITTELHEIM.  PFARRKIRCHE. 


225 


Fig.  219.   Mittelheim.  Pfarrkirche.  Nordfront. 


Graben  führt.  —  Die  übrigen  Gebäude  des  Schlosses  gehören  der  Spätzeit  an ;  es  sind 
Wohn-  und  Wirtschaftsgebäude,  an  drei  Stellen  mit  spitz  aufsteigenden  Voluten- 
giebeln ausgezeichnet.  Ueber  der  Eingangsthür  des  westlich  gelegenen  Wohn- 
gebäudes, welches  zwischen  1688  und  1704  von  Erwin  von  Greiffenklau  und  Lioba 
von  Sickingen  erbaut  wurde,  steht  das  Allianzwappen  beider  Geschlechter.  An  einem 
Wirthschaftsbau  (nördlich)  die  Wappen  des  Johann  Philipp  Greiffenklau  von  Voll- 
rats, Erzbischofs  von  Würzburg  1699,  sowie  des  oben  erwähnten  Erwin  und  seiner 
zweiten  Frau,  einer  geborenen  von  Kottwitz.  Gegenwärtig  ist  das  Schloss  durch  Erb- 
folge im  Besitz  des  schlesischen  Grafengeschlechtes  Matuschka. 

Die  Pfarrkirche  St.  Egidius  in  Mittelheim  ist  ausser  der  grossen,  aber 
im  18.  Jahrhundert  stark  umgebauten  Cistercienserkirche  in  Eberbach  die  einzige 
Kirche  des  Rheingaues,  welche  uns  das  echte  Bild  einer  Klosterkirche  aus  dem  An- 
fang des  12.  Jahrhunderts  erhalten  hat.  Diese  stilreine  Erscheinung  einer  romanischen 
flachgedeckten  Pfeilerbasilika  mit  Kreuzanlage  giebt  ihr  einen  kunstgeschichtlichen 
Werth,  der  über  die  schlichte,  fast  dürftige  Ausführung  des  Bauwerks  hinausgeht. 
Sie  ist  ganz  aus  Bruchsteinen  erbaut;  Haustein  hat  nur  am  Westportal,  den  Zwerg- 
säulchen  der  Fenster  am  Vierungsthurm  und  den  Kapitalen  der  Vierungspfeiler  Ver- 
wendung gefunden;  selbst  ein  Hauptgesims  fehlt. 

Die  Schiffe  sind  durch  sechs  rundbogige  Arkaden  auf  gemauerten,  im  Grundriss 
oblongen  Pfeilern  ohne  Kapitale  oder  Kämpfergesims  getrennt;  das  Mittelschiff  misst 
6,13  Meter,  die  Seitenschiffe  2,58  und  2,47  Meter  Breite;  die  Gesammtlänge  des  Schiffs 

15 


226 


MITTELHEIM.  PFARRKIRCHE. 


beträgt  22  Meter.  Das  Querschiff,  5,95  Meter  breit  bei  21,90  Meter  Länge  ist,  ebenso 
wie  die  Langschiffe,  flach  gedeckt.  Ueber  der  Vierung,  die  von  Kreuzpfeilern  be- 
grenzt wird ,  erhebt 
sich  ein  quadratischer, 
niedriger  Vierungs- 
thurm mit  schlichtem 
Zeltdach.  Jede  Thurm- 
seite hat  zwei  Rund- 
bogenblenden ,  die 
durch  zwei  rundbogig 
überdeckte,  von  einer 
stumpfen  Säule  mit 
Würfelkapitäl  ge- 
theilte  Fenster  aus- 
gefüllt werden.  Die 
Kämpfergesimse  der 
Vierungspfeiler  sind 
ganz  schlicht  nur  aus 
einer  Platte  mit  un- 
terer Schrägung  ge- 
bildet, an  den  west- 
lichen Pfeilern  mit 
primitiven  Ornamen- 
ten geschmückt.  Von 
den  Vierungsbogen 
sind  die  in  der  Längs- 
axe  der  Kirche  stehen- 
den höher  als  die 
beiden  andern. 

Die  Kreuzflügel 
hatten  kleine  und  nie- 
drigere Apsiden,  von 
denen  nur  die  nördliche 
erhalten  ist,  jetzt  in 
einen  Oelberg  verwan- 
delt, in  welchem  die 


Fig.  220.   Mittelheim.   Pfarrkirche.  Grundriss. 


Figuren  Christi  und  der  drei  Jünger,  ziemlich  rohe  Handwerksarbeit  der  Spätgothik,  noch 
vorhanden  sind.  In  der  östlichen  Aussenmauer  des  südlichen  Querarms  ist,  sehr  nahe 
an  die  südliche  Giebelmauer  gerückt,  noch  ein  Halbkreisbogen  zu  erkennen,  dessen  aus 
Wulst  und  Kehle  gebildetes  Kämpfergesims  auf  dem  Niveau  des  Kirchenfussbodens 
aufsetzt.  Letzterer  ist  augenscheinlich,  vielleicht  infolge  von  Ueberschwemmungen, 
stark  erhöht;  noch  mehr  macht  sich  diese  Erhöhung  an  dem  die  Kirche  umgebenden  Terrain 


MITTELHEIM.  PFARRKIRCHE. 


227 


Fig.  221.   Mittelheim.   Pfarrkirche.    Westfront.   Längenschnitt  durch  Chor  und  Vierung. 

bemerkbar,  welches  den  innern  Fuss- 
boden am  Chor  fast  um  1  Meter 
Höhe  überragt.. 

Der  Chor,  in  der  Breite  auf  5,22 
Meter  eingezogen ,  ist  mit  einem 
Kreuzgewölbe  überdeckt  und  hat  eine 
halbkreisförmige  Apsis.  Im  Aeusseren 
hat  Chor  und  Apsis  einen  beschei- 
denen Schmuck  durch  einen  gemauer- 
ten und  verputzten  Rundbogenfries 
erhalten. 

Das  Westportal,  in  rund- 
bogiger  Blende  von  rothem  und 
weissem  Sandstein  mit  gradem  Sturz 
geschlossen  und  von  zwei  Säulen  mit 
unausgearbeiteten  Knäufen  flankirt, 
interessirt  durch  die  mit  ihrem  vollen 
Eisenbeschlag  erhaltene  Thür- 
flügel. Dieser  zeigt  die  charakteristi- 
schen Vertheilungen  und  Endigungs- 
formen  des  späteren  romanischen  Stils. 

Der  Schmucklosigkeit  der  Kirche 

Fig.  222.   Mittelheim.  Pfarrkirche. 
entsprechend,  ist  auch  ihreAusstattung  Versierte  Kämpfer gesimse  an  der  Vierung. 

15» 


228  MITTELHEIM.  PFARRKIRCHE. 


Fig.  223.   Mittelheim.   Pfarrkirche.  Westportal. 


sehr  bescheiden.  Im  Chor  befindet  sich  ein  schlichtes  Wandtabernakel ,  spätgothisch 
mit  Zinnenbekrönung  und  zwei  Wappen.  Reicher  ist  der  spätgothische  Taufstein  gestaltet, 
dessen  kelchförmiger  Obertheil  ebenso  wie  der  Fuss  mit  Masswerk  geschmückt  ist. 

Die  ebenfalls  spätgothische,  sechseckige  Holzkanzel,  von  einer  achteckigen 
Bündelsäule  getragen,  hat  auf  ihren  vier  freistehenden  Seiten  flachgeschnitztes  Band- 


MITTELHEIM.  PFARRKIRCHE. 


229 


Fig.  224.   Mittelheim.   Pfarrkirche.  Taufstein. 


Fig.  225.  Mittelheim. 
Pfarrkirche. 
Kansclfüllung. 


werk,  dem  an  den  Kidricher  Kirchenstühlen  durchaus  ähnlich, 
auf  welchem  folgende  Sprüche  zu  lesen  sind: 

flnno  domint  dufend  fünfhundert  und  elf  iar. 
5t.  Cgidius  unfer  roerder  patron 
urir  flrm  funder  ruffcn  did)  flu 
das  du  unsz  alzit  bi  roolt  ftan. 
Bedenk  das  Cnt. 
It)il  du  feiig  wem  fo  du  did)  üou  dtnen  funden  kern, 
ßab  6ot  lieb  uor  allen  dingen 
fo  mag  dir  fanct  egidius  den  bimel  bringen. 

Im  nördlichen  Seitenschiff,  nahe  dem  Querschiff,  ist  ein  Grabstein  eingemauert, 

welcher  eine  schöne  Kostumfigur,  die  frau  margaretba  uon  fran&enftein  uridtroe  geborn 

OOU  Oberftein,  t  157t  in  einer  Nische  darstellt,  deren  Pilaster  sich  mit  schönem 
Renaissance-Flachornament  geschmückt  zeigt,  während  die  Ecken  mit  vier  Wappen 
belegt  sind. 

Die  Kirche  besitzt  ein  Messgewand  von  besonderer  Schönheit.  Auf  rothem 
Sammt  sind  in  schwerster  Silberstickerei  schöne,  fast  den  ganzen  Grund  bedeckende 
Barockornamente  aufgelegt,  deren  Zeichnung  ihre  Entstehung  in  den  Anfang  des 
18.  Jahrhunderts  setzen  läst.  Das  Messgewand  wurde  Anfang  des  19.  Jahrhunderts  von 


230 


OESTRICH.  PFARRKIRCHE. 


Domvikar  Val-  Heimes  aus  Hattenheim  der  Kirche  geschenkt.  Von  dem  Nonnen- 
kloster ist  nichts  mehr  erhalten,  selbst  seine  Lage,  ob  südlich  von  der  Kirche  oder 
nördlich  auf  dem  ziemlich  grossen  freien  Raum  vor  derselben,  nicht  festzustellen.  Für 
erstere  Annahme  spricht  ein  Baurest  aus  dem  späteren  Mittelalter,  der  sich  mit  einem 


steilen  Halbgiebel,  in  welchem 
ein  spitzbogiges  Masswerk- 
fenster, an  die  Südseite  des 
Chors  anlehnt  und  in  seinem 
Untergeschoss  jetzt  als  Sakri- 
stei dient. 

Die  Pfarrkirche  St. 
Martin  zu  Oestrich  stammt 


in  ihrem  jetzigen  Bestände,  nach 
einer  über  dem  Portal  in  der 
Südwand  eingehauenen  In- 
schrift, aus  dem  Jahre  1508  und 
zeigt  spätgothische  Architektur. 
Nur  der  Thurm  verräth  sich  in 
seinen  romanischen  Formen  als 
der  Rest  einer  älteren  Kirche. 
Die  Kirche  wurde  1535  von  den 
Schweden  eingeäschert  und  ist 
in  den  Jahren  1893  und  1894  durch 
den  Mainzer  Architekten  L. 
B  e  c  k  e  r  in  angemessener  Weise 
wiederhergestellt  worden. 


Fig.  226.   Oestrich.   Nordfront  der  Pfarrkirche  (restanrirt). 

Die  Kirche  ist  eine  dreischiffige  Hallenkirche  von  vier  Jochen,  denen  sich  west- 
lich in  der  Breite  des  Mittelschiffs  eine  Vorhalle  in  der  halben  Tiefe  der  Schiffsjoche 
vorlegt,  von  zwei  achteckigen  Treppenthürmchen  flankirt,  von  welchen  der  südliche 
erhalten  war.  Die  schlanken  Schiffspfeiler  sind  achteckig,  ohne  Kapitale,  die  Scheide- 
bogen beiderseitig  mit  einfachen  Hohlkehlen  wie  auch  die  Gewölberippen.  Das  be- 
sonders im  Chor  reich  ausgebildete  Sterngewölbe  ist  nach^den  bei  dem  Brande  er- 


OESTRICH.  PFARRKIRCHE. 


231 


halten  gebliebenen  Ansätzen  wieder  hergestellt.  Der  Chor  mit  zwei  Jochen  und  im 
halben  Sechseck  geschlossen,  ist  breiter  und  höher  als  die  Kirche.  Die  Fenster  haben 
zweitheiliges,  im  Chor  dreitheiliges,  hohlgegliedertes  reiches  Masswerk  in  Fischblasen- 
form, demjenigen  von  Kidrich  ähnlich.  Die  Strebepfeiler  tragen  geschweifte  Giebel- 
Pultdächer;  am  Südschiff,  wo  die  Seitenschiffmauer  in  zweieinhalben  Spitzgiebeln 
hochgeführt  ist,  werden  die  als 
einfache  Rinnen  gestalteten 
Wasserspeier ,  welche  das 
Wasser  zwischen  den  ins  Haupt- 
dach einschneidenden  Pult- 
dächern abführen,  von  kleinen 
achteckigen  Pfeilern  gestützt, 
die  auf  den  Giebeln  der  Strebe- 
pfeiler aufsetzen.  Zwei  Seiten- 
thüren ,  welche  nördlich  und 
südlich  in  die  Westjoche  der 
Seitenschiffe  führen,  sind  durch 
Kreuzgewölbe ,  die  zwischen 
den  Strebepfeilern  eingespannt 
und  jetzt  zu  Vorhallen  ausge- 
baut sind,  geschützt.  Das  spitz- 
bogige  Westportal  hat  reiches 
Gewändeprofil  mit  gekreuzten 
Stäben  und  eine  von  einem 
schmaleren  Giebel  bekrönte 
rechtwinkelige  Umrahmung  mit 
Blendmasswerk. 

Der  Thurm,  dem  12.  Jahr- 
hundert angehörig,  schneidet  in 
die  beiden  östlichen  Joche  des 
südlichen  Seitenschiffs  ein.  Er 
ist  viergeschossig,  hat  Eck-  und 
Mittel-Lisenen  und  Rundbogen- 
friese. Die  im  Halbkreis  ge- 
schlossenen Schall-Löcher  sind 
durch  kleine  Säulchen  mit  ein- 
fachen Würfelkapitälen  getheilt  und  liegen  in  Rundbogenblenden.  Vor  die  Nord- 
seite des  Thurmes  ist  im  Innern  der  Kirche  neuerdings  eine  massive  Orgelempore 
vorgebaut.  Die  alte  Sakristei  an  der  Südseite  hat  an  ihrer  spitzbogigen  Thür  ihr 
hübsches  altes  Beschläge  erhalten ;  ihr  Kreuzgewölbe  hat  im  Schlussstein  eine  grosse, 
schön  gemeisselte  Rose.  Im  Sakristeifenster  sind  zwei  runde  Scheiben,  dem  16.  Jahr- 
hundert angehörig,  eingesetzt,  von  welchen  die  eine  das  Stadtwappen,  die  andre 


m=\  |. 


4=*=4= 


Fig.  227.    Oestrich.    Pfarrkirche.  Grumiriss. 


232 


OESTRICH. 


den    Kirchenpatron    St.  Mar- 
tinus  zeigt. 

An  Skulpturwerken  ist  im 
nördlichen  Seitenschiff  ein  hei- 
liges Grab  zu  erwähnen,  welches 
in  handwerksmässiger  spät- 
gothischer  Ausführung  den 
Leichnam  Christi,  die  drei 
Frauen  und  die  schlafenden 
Wächter  enthält.  Der  Hochaltar 
ist  neu  mit  Verwendung  von 
sechs  alten  Figuren  aus  der 
Münzenberger'schen  Samm- 
lung. Der  nördliche  Seitenaltar, 
derselben  Herkunft,  ist  alt  und 
enthält  drei  recht  gute  Heiligen- 
figuren und  eine  interessante 
Predella.  Der  Besitz  der  Kirche 
an  heiligen  Gefässen  ist  nicht 
bedeutend.  Zu  erwähnen  ist 
eine  Monstranz,  Silber  mit 

theilweiser    Vergoldung ,  0,78 
Fig.  228.   Oestrich.  &  .  FiS-  229-  Oestrich. 

Pfarrkirche.   Sakristeithür.      Meter  hoch ,   0,36  Meter  breit   Schornstein  auf  dem  Rathaus. 

in  Sonnenform.  Der  Fuss,  viertheilig,  ist  mit  Barockornament  schön  getrieben  und 
trägt  auf  der  Vorder-  und  Rückseite  die  Leidenswerkzeuge.  Die  Kapsel  ist  mit  einem 
getriebenen  Kranz  von  Aehren  und  Weinranken  umgeben.  Augsburger  Arbeit  des 
18.  Jahrhunderts.  Meisterzeichen  J.  G.  L.  im  Dreipass  angeordnet.  Ferner  ein  kleines 
Reliquiar  in  Sonnenform,  silbervergoldet,  mit  Glassteinen  besetzt,  aus  derselben  Zeit. 

Der  Ort  Oestrich  besitzt  noch  eine  Anzahl  bürgerlicher  Bauten  aus  dem 
16.  und  17.  Jahrhundert,  die,  wenn  auch  fast  durchweg  durch  Verputz  etc.  entstellt, 
mit  hohen  Giebeln,  mit  Thürmchen  und  glatt  vorgekragten  Erkern  mit  geschweiften 
Hauben  den  malerischen  Charakter  der  rheinischen  Holzbauten  nicht  verleugnen. 
Ziemlich  wohl  erhalten  ist  noch  ein  Hof  am  unteren  Ende  des  Ortes  (Eingang  der 
Krahnenstrasse)  der,  im  Erdgeschoss  massiv  mit  viereckigen  Doppelfenstern  und  rund- 
bogiger  Hofthür  mit  hübschem  Karniesprofil,  im  Obergeschoss,  welches  auch  die  Thor- 
einfahrt überbaut ,  interessantes  Riegelwerk  mit  einem  erhaltenen  Rundbogenfenster 
aufweist.  Ueber  der  Hausthür  ein  Wappen,  im  gespaltenen  Feld  rechts  eine  Haus- 
marke, links  eine  Winzerfigur,  die  sich  als  Helmzier  wiederholt.  Jahreszahl  lo84. 


13^ 


NAMENS-,  ORTS-  UND  SACHVERZEICHNISS. 


(Die  Zahlen  bezeichnen 

Aachener  Schanze  6,  130. 

Adalbert,  Erzbischof  83.  143. 

Adelsgeschlechter  8. 

Adelssitze  37-42.  67  ff.  80. 
117-122. 181. 182.  217. 

Adolf  I.v.Nassau,Erzb.58. 84. 

Albero  v.  Stein,  Abt  v.  Eber- 
bach 145. 

Albertinische  Reformation 
10.  95. 

Albrecht,  Prinz  v.  Preussen 
176. 

Allendorf  von,  Eam.  172  f. 
Altäre  22.  77.  108.  111.  179. 

195.  196.  210. 
Appo,Wald  (Mapperhof)  145. 
ArnoldI.,Abtv.Eberbachl44. 
Arnold  II.,  Abt  v.  Eberbach 

145. 

Arnsberg  (Wetterau)Kloster 
144. 

AssHiamishaitsen  133—137. 

-  Alte  Wohnhäuser  133. 
136.  137. 

—  Bergbau  134. 

—  Glocken  136. 

—  Mineralquelle  134. 

—  Pfarrkirche  737-136. 

—  Pfarrkirche,Altarbildl36. 

—  Pfarrk.,  heil.  Gefässe  136. 

-  Weinbau  133.  134- 
August  v.  Sachsen,  Kurfürst 

59. 

Augustiner-Chorherren, 
Eberbach  143. 

Augustiner-Kanonie  Mittel- 
heim 219. 

Aulhauser  Bach  133. 


die  Seiten,  die  cursiv  gedrucl 

[  Aulhausen,  Dorf  137. 
—  Holzhaus,  altes,  138. 
I  -  Kirche  137. 
!  —  Töpferei  137. 

Backöfen  (Forts)  4.  7. 
Bär,  Pat.  Hermann  144.  146. 
Balduin  v.  Trier,  Erzbischof 

57.  127. 
Ballin,  Maler  39. 
Barock-  und  Rococco-Bau- 

und  Kunstwerke  45.  71. 

75.  76.  82.  85.  114.  126. 

141.  142.  179.  180.  205. 

206.  221. 
Bartolomä  (Klingelmünde) 

218. 

Bauernaufstand  (1525)  15. 
Baumaterialien  10. 
Bechtermünz  Farn  59. 
L.  Becker,  Archit.  230. 
v.  Bellersheim  (Wappen)  11. 
Beleuchtungskörper  78.198. 

203.  215.  216. 
Benediktiner  83. 
Bergfriede  28.  32.  64.  127. 

131.  206.  224. 
Bergrecht  (Rauenthal)  213. 
heil.  Bernhard  in  Eberbach 

144. 

Bernhard   von   Orley,  Ge- 
mälde 77. 
I  Berthold  (von  Henneberg) 
Erzb.  59.  66.  134. 

Bettendorf,  Ad.  Joh.  Karl 
von  42. 

Biebrich,  Burg  im  Schloss- 
garten 171. 


solche  mit  Abbildungen.) 

Bleidenstadt,  Kloster  218. 
Bleyberg,  Hubert  v.  84. 
Bolanden,  Phil,  von  49. 
Boos  von  Waldeck,  Graf  25, 

Wappen  1. 
Braubach,  die  2. 
von  Breidbach  (Wappen)  7. 
Breitbach,  Wolf  Heinr.  v., 

Vicedom  78. 
Brömser    von  Rüdesheim 

(Wappen)  3. 
Brömserburg  24 — 31. 
Brömser,  Heinr.,  Vicedom  86. 
Brömser,  Rieh.  (1621)  87. 
Broichmann,  Bildh.  198. 
Bubenheim  ,    Specht  von 

(Wappen)  9. 
Burgen  und  Schanzen  5.  6. 

26-32.  48—56.  65-67. 

123-V25.  126.  127-132. 

181.  206.  207. 

Camerberg,  Peter  v.  129. 
Canaletto(Reinhardshs.)  177. 
Castelbarco,  Madonna  v.  176. 
„Cesare  de  Sesto",  Altarbild 
177. 

Chor-  und  Kirchenstühle  22. 
64.  75.  110.  111.  180.198. 
199.  200. 

Cigoli,  Ludovico  (Reinhards- 
hausen) 177. 

Conrad  Erzbischof  130. 

Conrad  III.,  Rheingraf  60. 

Conrady'sche  Sammlung, 
Miltenberg  108. 

Conversen,  Aufruhr  der, 
Eberbach  145. 


234 


NAMENS-,  ORTS-  UND  SACHVERZEICHNIS. 


Corneliusmünster,  Abtei  208. 
Coudenhoven,  von  42. 
Cratz  von  Scharfenstein,  die 
186. 

Crucifixe  64.  90.  110.  175. 

Daun,  Wildgraf  von,  128. 
Dehrn,  von,  (Wappen)  11. 

Grabstein  64. 
Dekorative  Künste,  Werke 

der,  allgem.  12. 
Denzinger,Dombaumstr.  184. 
Diakon  (Erzpriester)  8. 
Dientzenhöfer,  Tohs.  84. 
Diether  von  Isenburg,  Erz- 

bischof  59.  84. 
Dietrich  von  Erbach,  Erz- 

bischof  134. 
Dietz,  Lucas  Phil.  Alberich  v. 

173. 

Domkapitel,  Mainz,  Wappen 
74. 

Dudo  v.  Lorch,  Mainz,  Mini- 
steriale 218.  221. 
Dreibornskopf  5. 

Eberbach,  Cisterz.  Abtei 
143-171. 

—  Abtbau  (Prälatur)  164. 

—  „alte  Kirche"  167. 

—  Ans.  n.  Meissner  (1638) 
145. 

—  Ansicht  n.  Merian  143. 

—  Barock-Portal  169. 

—  Brunnenschale  154. 

—  Conventualenh./J^— 162. 

—  Dorment  der  Konversen 
166,  frührom.  Kapitale 
daselbst  166. 

—  Fraternei  159. 

—  Fussbodenfliese  158. 

—  Gesammtanlage  147  f. 

—  Geschichte  144  f. 

—  Gewölbekonsol.  149. 153. 

—  Grabstein  Adam  v.  Allen- 
dorf 171. 

—  Grab  Adolfs  II.  v.  Nassau 
170. 

—  Grabstein  von  Eselweck 
170. 


Eberbach.  Grabstein  d.  Graf, 
v.  Katzenelnbogen  171. 

—  Grabstein  des  Eberhard 
v.  Stein  171. 

—  Hochgrab    Gerlachs  v. 
Nassau  169.  171. 

—  Hospitalbau  167  ff. 

—  Hospitalsaal  Kapitäle/ö^. 

—  Kapitelsaal  159. 

—  Kirche  149  ff. 

—  Kirche  ,  Durchschnitte 
150.  151. 

—  Kirche ,  Fenstergruppe, 
Westgiebel  151.  152. 

—  Kirche,  Grundriss  148. 

—  Kirche,  Masswerk  in  d. 
Südkapellen  153. 

—  Kirche,  goth.  Südkapellen 
152.  153. 

—  Klosterbäckerei  164. 

—  Klostergasse  147. 

—  Klosterküche  163. 

—  Kreuzgang  154—153. 

—  Kreuzg.,  Obergeschosse 
157. 

—  Kreuzg.,  Treppenthurm 
157.  158. 

—  Kreuzg.,  Westflügel  155. 

—  Laienbrüderhaus  164  ff. 

—  Lavabo  (zerst.)  154. 

—  Rom.Portal  a.Konversen- 
haus  165. 

—  Rom.  Portal  zur  Refektur 
162.  163. 

—  Refektur,Barocksaal  162. 

—  Renaiss.  -  Treppenthurm 
166,  Portal  das.  166. 

—  Schlafsaal    der  Mönche 
161  f. 

—  Schlafsaal  der  Mönche, 
Kapitale  160,  161. 

—  Schlafsaal  d.  M.,  wech- 
selnde Säulenhöhe  161. 

—  Schrank,  Renaiss.-,  in  d. 
Refektur  162. 

—  Stuckdecke,  barocke,  in 
der  Refektur  162. 

—  Treppe   zum  Schlafsaal 
d.  M.  162. 

—  Weinbau  u.  -Handel  144. 


Eberbach.  Wärmestube  164. 
Eberhard,  heil.  138. 
Eberhard,  Abt  v.  Eberb.  145. 
Eckthürmchen  28.  35.  36. 

46.  64.  79.  182. 
Ehrenfels ,    Burg  -  Ruhte 

48-55. 

—  Erweiterung  i.  14.  Jdt.  52. 

—  Verschw.  Fachwerkbaut. 
54. 

—  Geschichte  49—52. 

—  Lagerhaus  55. 

—  Schildmauer  53. 

—  Zollhaus  52.  54. 
Elbingen  44  —47. 

—  Augustiner-Kloster  44. 45. 

—  alte  Gehöfte  46.  47. 

—  zerstörte  Pfarrkirche  45. 

—  jetzige  Pfarrkirche  45. 

—  Rathaus  47. 

—  Taufstein  46. 
Eichholz,  P.,  Archit.  67. 
Einrich  2.  92.  94. 
Einwohnerschaft  d.  Rhg.  7. 
Eisenarbeiten  43.  78.  198. 

203.  215.  216. 
Eisenbeschläge    106.  107. 

141.  162.  165. 179. 197. 

215.  228.  232. 
Elmachbach  26. 
Eltfeldt  57. 
Eltville  57—71. 

—  Buchdruckerei  58. 

—  Burg-Palas  66.  67. 

—  Eltz'scher  Palast  71. 

—  Eltz'sche  Sammlung  71. 

—  Frühmessereigeb.  70. 

—  Hospital  70. 

—  Kamin  in  der  Burg65. 66. 

—  Martinsthor  67.  71. 

—  Stadtbefestigung  67. 

—  Stockheimer  Hof  68. 

—  Pfarrkirche  60— 64. 

—  Pfarrk.,  Ausmalung  64. 

—  Pfarrk  ,  Chorstühle  64. 

—  Pfarrk.,  Grabsteine  65.64. 

—  Pfarrk.,  Inschriftstein  60. 

—  Pfarrk.,  Monstranz  64. 

—  Pfarrk.,  Oelberg  63. 

—  Pfarrk.,  Taufstein  63. 


NAMENS-,  ORTS-  UND  SACHVERZEICHNIS. 


235 


Eltville.  Pfarrk.,  Thurm  62. 

—  Pfarrkirche,  Wandtaber- 
nakel 63. 

—  Pfarrk.  Westportal  62. 

—  Wohnhaus  Langwerth  v. 
Simmern  69. 

-  Stadtrechte  58. 
Eitz,  Graf  zu  (Wappen)  1. 
Eitz,  Graf  Karl  zu  71. 
Eltz'sche  Sammlung  71. 
Eitz,  Karl  Philipp,  Erzb.  71. 
Emporen  17.  47.  61.  75.  105. 

135.  141.  187.  189. 
Erbach,  Dorf  172  ff. 

—  Epitaphien  174. 

—  Gewölbeansatz  174. 

—  Glocken  175. 

—  Heil.  Gefässe  und  Para- 
mente  175. 

—  Pfarrkirche  172  ff. 
Erenfried,  I.  Probst  v.  Gottes- 
thal 219. 

Ernstbach  2. 

Eschbach,  Joh.  von,  Grab- 
stein 107. 

Fachwerkbauten  38.  40.  43. 
46.  54.  72.  82.  88. 118. 
122. 124. 133.  136. 138. 
157.  185. 186.  206.  211. 
216. 

Falkener,  Erhart  v.  Aben- 
heim 198. 

Falkenstein,Kuno  v.  ,Mainzer 
Bisthumsverweser  50. 

Fenstermasswerk,  gothisch 
18.  61.  76.  88.  102.  103. 
135.  141.  153.  154.  155. 
188.  192.  205.  215. 

Fenster,  romanisch  82. 152. 
222. 

Fenstersitze  119.  132.  181. 
Feuerschütz  50. 
Fraterherrn  89. 
Fresken  Rüdesheim  23.  42. 
Friedrich  August,  Herzog 
von  Nassau  221. 

Gabelungen  7. 
Gaudinge  3. 


Gebirge,  Rheingauer  1. 

Gebück  4  ff.  129. 

Geiger,  Pfarrer  von  Lorch 

(1819)  101. 
Geisenheim,  Stadt  72—  82. 

—  Adelsgeschlechter  73. 

—  altes  Rathaus  72.  79. 

—  Bierhof  81. 

—  rom.  Fenster  81. 

—  Geschichte  73  f. 

—  Glocken  78. 

—  Holzbau  18.  82. 

—  Ingelheim'scher  Hof  82. 

—  Pfarrkirche  74-19. 

—  Chorgestühl  75. 

—  Pfarrkirche,  Epitaphien 
76.  77. 

—  Pfarrk.,  Eiserne  Lichter- 
bank 78. 

—  Pfarrk.,  Seitenaltar  77. 

—  Pfarrkirche,  bronz. Weih- 
kessel 77. 

—  Schoenborner   Hof  79. 
80.  81. 

—  Stadtrechte  73. 
Geistl.  Oberaufsicht  8. 

St.  Georgsklaus  (Johannis- 
berg) 218. 
Gemälde  77. 136. 176. 177.  201. 
Geschichte  (äuss.  d.  Rhg.)  9. 
Gerhard,  Erzbisch.  129.  130. 
Gerlach,  Erzbischof  58. 
Gerolstein,  Burgruine  127. 

—  Familie  von  127. 
Gewerbe,  bürgerliche  7. 
Gladbach  2. 
Glasfenster  170.  201. 
Glimmenthai,  Siegfrid  v.210. 
Glocken  u.  Glockengiesser 

23.  24.  64.  112.  136.  175. 

180.  183.  194.  195.  212. 
Gogelherren  89. 
Görz,  Arch.  202. 
Gonzalez ,    Bartol. ,  (Rein- 
hardshausen) 177. 
Goth.  Bauwerke,  kirchliche 

18.  45.  60-64.  74-76. 

87.  97-113.  134-136. 

137.  152  ff.  159  ff.  167  ff. 

773-175.  179.  183.  187 


bis  193.  201-203.  211. 

213.  214.  230  f. 
Goth.  Bauwerke,  profane,  34 

bis  36.  36.  46.  70. 127  ff. 

137.  217. 
Gottesthal,  Kloster,  143.  218. 

219. 

Goupiliere,  Marqu.  de  la,  52. 

Grabsteine  Rüdesh.  20.  21. 
Eltv.  63.64.  Geish.  76.77. 
Lorch  107-109.  Eberb. 
170.171.  Erb.  174.  Hatth. 
180.  Kidr.  194. 203.  Mittel- 
heim 229. 

Gräfenberg,  der,  184. 

Granssen  v.  Rheinberg,  die 
131. 

Graues  Haus  (Winkel)  218. 
223. 

Greiffenklau,  Fam.,  128.  218. 
224.  Wappen  5. 

Greiffenklauer  Hof,  Hatten- 
heim 182. 

Gregorius  trevirensis, 

Glockengiess.(Lorch)  113. 

Grenzen  d.  Rheingaus  1. 

Günther  von  Schwarzburg, 
König,  58. 

Gutenberg  59. 

Gyse,  Heinr.,  v.  Ulrichstein 
23. 

Habel'sche  Sammlung  108. 
Haingericht  4. 
Hallgarten,  Dorf,  182.  183. 

—  Glocken,  183. 
-  Kirche,  183. 

Hanek,  Burgruine,  128. 
Hans  v.  Franckfurt,  Glocken- 
giesser, 180.  194.  195. 
Hasenried,  Kloster,  92. 
Hattenheim,  Dorf,  178  ff. 

—  Epitaphien  in  der  Kirche 
180. 

—  Glocken  180. 

—  Heil.  Gef.  u.  Paramente 
180.  181. 

—  Kirche  178  ff. 

—  Kirchen-  und  Chorstühle 
179.  180. 


236 


NAMENS-,  ORTS-  UND  SACH VERZEICHNIS. 


Hattenh.  Rittergeschi.  v.  178. 

—  Sakristei  179. 

—  Thür,  Eisenbeschl.  179. 
Hattstein,  Joh.  Phil,  von  71. 
Hausen,  von  121,  Wappen  5. 
Hausen,  Bollwerk  5. 
Heimes,  Val.,  Epitaph  180. 
Heinrich  V.,  d.  Kaiser  83. 
Heinrich  I.,  Erzb.  219. 
Heinrich  v.  Trier,  Glocken- 

giesser,  Lorch  112. 
Helsius,  Adam  (Grabstein)  64. 
Hemmerich   und  Gregory, 

Glockeng.  212. 
Hemsbach  129. 
Heppenheft,  Ritter  von  130. 
Hermannus,  archipresbyt.  9. 
Hermann,  Abt  v.  Eberb.  146. 
Hilchen  v.  Lorch  131. 
Hilchenhaus    (Lorch)  121. 

122. 

Hilchen,  Joh.,  Feldmarschall, 

120.  Gräbst.  107. 
Hilchin,  Joh.,  von  Lorche, 

Grabstein  107. 
Hilchin  v.  Lorch  (Wapp.)  3. 
Hilchin,  Phil.,  von  Lorche, 

Gräbst.  107. 
Hildegard,  heil.  44.  45.  144. 
Hoehl,  Farn.  81. 
Hoenstein,  Liether  v.,  Epit. 

194. 

Höllenthal  b.  Assmhsn.  133. 
Hoffmann,  ßaurath  75.  202. 
Hoffheim,  Conradus,  Pfarr. 

zu  Hattenh.  179 
Hohenwiesel,  Herrn  von  131. 
Holzarbeiten  (allgem.)  11. 
Holzfeld,  Elisab.  v.,  Aebtiss. 

v.  Marienhausen  138. 
Hondekoeter  (Reinhardsh.) 

177. 

de  Hooghe ,  P.  de  (Rein- 
hardsh.) 177. 

Hooghuys  (Brügge)Glocken- 
giesser  (1868)  195. 

Horadam,  Joh.  Georg,  Amts- 
richter, Epitaph  174. 

Dr.  Humery,  Mainz.  Stadt- 
syndikus 60. 


Hunoltstein,  Adam,  Vogt  v. 

121.  (Wappen)  7. 
Hüttenthaler  Bach  2. 

Ingelheim,  Graf  v.  31.  82. 

Wappen  1. 
Joannes  de  francft.,  Glocken- 

giesser  175. 
Johannes  II.,  Graf  v.  Nassau, 

Erzb.  60. 
Johann    (Luxembg.  -  Ligny) 

Erzb.  58. 
Johann  v.  Mainz,  Glocken- 

giesser  183. 
Joliannisbcrg,  Dorf  83. 

—  Kirche  85. 

—  Klause  St.  Georg  83. 
84.  85. 

—  Schlossbau  84. 

von  Ippelbrunn  (Wappen)  5. 
zum   Jungen,    Freile  von, 

Ritter  221. 
Junkernburg,  die  128. 
Junkerschule  95. 

Kalte  Herberg  1.  143. 
Kamine  31.  65.  68.  131. 
Kanunerberg,  Ruine  129. 
Kammerberger  Mühle  6. 
Kammerforst,  Weg  über  d. 
91. 

Kanzeln  85.  179.  193.  202. 
210.  229. 

Kapellen ,  Rüdesheim  17. 

Katzekind,  Joh.,  Pfarrer  von 
Lorch  (1398)  101. 

Katzenelnbogen,  Graf  Eber- 
hard von  127. 

Katzenelnbogen,  Knebel  v., 
Wappen  193. 

Kelche  und  Ciborien  24.  79. 
113.  175.  181. 

Kellermann,  General  84. 

Keuchen,  Gesphichtsschr.  v. 
Lorch  93  ff. 

Kidrich,  Adelige  von  185. 

Kid  rieh,  Dorf  184  -207. 

—  Bassenheimer  (Saulheim.) 
Hof  205. 

-  Chorschule  206. 


Kidrich.  Eberbacher  Hof  204. 

—  Graf  Cratzische  Hof  204. 

—  Holzhaus.  185. 186.  206. 

—  Pfarrkirche  St.  Valentin 
187-201. 

—  Kirche,  Altäre  195  f. 

—  Kirche,  Bildwerke  200. 

—  Pfarrkirche,  Chor  188. 

—  Kirche,  Chor-  u.  Kirchen- 
gestühl 198.  199. 

—  Kirche,  Eisenarbeit.  196  f. 

—  Kirche,  Gemälde  201. 

—  Kirche,  Gewölbkons.  191. 

—  Kirche,  Glasgemälde  201. 
— -  Kirche,  Glocken  194. 

—  Kirche,  Kanzel  193. 

—  Kirche,  Lettner  193. 

—  Kirche,  Orgel  200. 

-  Kirche,  Sakramentsh.  192. 

—  Pfarrk.  Sakrist.  191.  194. 

—  Kirche,  Standleucht.  198. 

—  Kirche,  Thurm  191. 

-  Kirche,  Westportal  192. 

—  Langenhof  205. 

—  Michaelkapelle  201-203. 

—  Michaelkapelle  Aussen- 
kanzel  202. 

-  Michk.  Chor  202. 

—  Michkap.  Fenstermass- 
werk 202. 

—  Michkap.  Kronleucht.  203. 

—  Michk.  Treppenth.  203. 

—  Pilgerfahrten  185. 

—  Rathaus  203.  204. 

—  Ritterscher  (Schwalbach.) 
Hof  206. 

-  St.  Valentinusstift  185. 
Kielmannsegge,  Graf  v.  119. 
Kirchenmeyster  H  ,  Altarist, 

Epit.  203. 
Kirchl.  Baukunst  (allgem.)ll. 
Kirchthürme  17.  62.  75.  104. 

136.  173.  191.  215  f.  231. 
Kisselbach  (Eberbach),  d.  143. 
Klapperbach,Christ. v.Mainz, 

Glockengiesser  136. 
Klinge  (Engpass)  4. 
Klingelbach  89.  217. 
Klingelmünde  (St.  Bartolo- 

mäus-Kirche)  218. 


NAMENS-,  ORTS-  UND  SACHVERZEICHNISS. 


237 


Klöster  9.  45.  56-89.  89-90. 
138-142.143-171.219.220. 

Klunkard,  Leonh.,  Abt  von 
Eberbach  43.  87. 

Königssundragau  2.  208. 

Konrad  L,  Erzb.  58.  138.  145. 

Konrad  IV.,  König  15. 

Koppenstein,  Agnes  v.  (Grab- 
stein) 63. 

Kümmerniss,  heil.,  Statuette 
der  180. 

Kunst  d.  Rheing.  (allg.)  10. 

Landkapitel,  Rheingau  8. 

Landweisthum  3. 

Landthaidinge  3. 

Langwerth  von  Simmern 
(Wappen)  5. 

Langwerth  von  Simmern  67  f. 
178.  Burghaus  dess.  181  f. 

Laukenmühle,  Burgruine 
128.  129. 

Leonhard  L,  Klunkhard,  Abt 
von  Eberbach  146. 

Lettner  147.  193. 

Leuchte  (Fort)  4. 

Leyen,  Grafen  von  der  208. 

Lichtenstern,  Habeus  von  69. 

Lindauer  Gericht  208. 

„Lionardo  da  Vinci",  Ma- 
donna, Reinhsn.  176. 

Lobdengau  2. 

Longueville,  Herzg.  v.  27.  94. 
Lorch,  Stadt  91. 

—  Adelsfamilien  94. 

—  Adelshöfe  117-122. 

—  Befestigung  116. 

—  Bevölker.  u.  Gewerbe  96. 

—  Breitbach'scher  Hof  118. 

—  Burgthor  93. 

—  Crucifixus  vor  der  Kirche, 
steinerner  110. 

—  Epheuhaus  118. 

—  Freskobild  am  Zehnten- 
hof 120. 

—  Gemarkung  96. 

—  Haingericht  96  97. 

—  Heiligkreuzkapelle  114. 

—  Hexenthurm  116. 

—  Hilchenhaus  120-122. 


irch.  Hilchenhaus-Skulp- 
turen  am  Portal  122. 
Phil.  Hilchen'scher  Besitz 
im  Kirchspiel  118. 
Holzhaus  im  Kirchspiel 
118. 

Holzportal,  Langg.  119. 
Jakobsberger  Hof  118. 
Junkerschule  95. 
verschw.  Kapellen  114. 
Kriegsleiden  93. 
Monstranz  113. 
Pfarrei,  v.  Mainz  abhg.  93. 
Pfarrkirche  97-113. 
Pfarrk.  Axenabweichung 
97. 

Pfarrk.,  Chorfenster  102. 
Pfarrk.,  Chorstühle  110. 
Pfarrk.,  Crucifixus,  hölz., 
frühgoth.  110. 
Pfarrk.,  Empore  104.  105. 
Pfarrk.,  Geschichte  99  bis 
102. 

Pfarrk.,  Gestühl,spätgoth. 
111. 

Pfarrk.,  Grabsteine  107. 
Pfarrk.,  Glocken  112. 
Pfarrk.,  Hauptaltar  112. 
Pfarrk.,  heil. Geräthe  113. 
Pfarrk.,  Holzsculptur, 
Oelberg  111. 
Pfarrk.,  Kreuztragungs- 
altar  108.  109. 
Pfarrk., Nordschiff  10 1.103. 
Pfarrk.,  Sakristei  107. 
Pfarrk.,  Südchor  99.  102. 
Pfarrk.,  Tabernakel  106. 
Pfarrk.,Taufsteinl077tfS. 
Pfarrk.,  Thurm  101.  104. 
Pfarrk.,  Thüre  a.  d.  Em- 
pore 105. 

Pfarrk.,  Vorhalle,  innere 
104. 

Pfarrk.,  Vorhalle,  äussere 
105. 

Pfarrk.,  Westportal  105. 
frührom.  Portal  114.  115. 
Römergräber  92. 
Saalhof  92. 

Schönborn'scher  Hof  117. 


.  Schuljunkersch.94. 95. 

—  frühere  Stadtthore  116. 

—  Stadtviertel  93. 

—  Strunk,  der  116.  117. 

—  Wisperbrücke-  und  Be- 
festigung 116. 

—  Wollenweberei  97. 

—  Zehntenhof,  Kielmanns- 
egge'scher  119.  120. 

Lorchhausen  125.  126. 

—  Edelknechte  von  125. 

—  Kirchenruine  126. 
Lothar  Franz  v.  Schönborn, 

Erzb.  146. 
Lützelaue  (Rheininsel)  4. 218. 

Mäusethurm  55. 
Malerei,  Werke  d.  (allg.)  12. 
Mapper  Schanze  6- 
Mapperhof,  angelegt  145. 
Marianne  v.  Oran.,  Prinzessin 

v.  Preussen  176. 
Marienhausen ,  Kloster 

138-142. 

—  Barock-Saal  141.  142. 

—  Kirche  139.  140. 

—  Sprechgitter  142. 

—  Wandschrankbeschl.  ./<//. 

—  Wandtabernakel  140. 
Marienthal,  Kloster  89.  90. 

—  Kreuzigungsgruppe  90. 

—  Westportal  90. 
Markrecht  4. 

Martin,  A.,  Maler,  64.  191. 

Martinsthal  210. 

Matuschka,  Grafen  225. 

Meckel,  Archit.  Max.  102, 139. 

Menges,  Leonh.,  Pfarrer  v. 
Eltville  63. 

Metternich,  Karl  von,  Kur- 
fürst von  Mainz  31. 

Metternich,  Fürst  85. 

Mittelheim,  Dorf  217-229. 
-  Egidiuskirche  220.  225 
bis  227. 

—  Kirche,  Tabernakel  227. 

—  Kirche,  Taufstein  229. 

—  Kirche,  Kanzel  229. 

—  Kirche,  Westportal  227. 
228. 


238 


NAMENS-,  ORTS-  UND  SACHVERZEICHNIS. 


Moller,  Mart,  v.  Frankfurt, 

Glockeng.  180. 
Monstranzen  12.  24.  64.  78. 

113.  136.  175.  180.  232. 
Mühlstein,  Fels  48. 
Müller,  Heinrich,  v.  Frankf., 

Glockengiesser  78. 

Nass.  Familienporträts  (Rein- 
hardshausen 117. 

Nassau  -  Usingen ,  Fürsten- 
thum 10. 

Neudorf  (Martinsthal)  208. 
210. 

—  alte  Befestigung..^.  210. 

—  Glocken  212. 

-  Holzhaus  211. 

—  Kirche,  211.  212. 
Neuhof  (nova  grangia)  144. 
von  Nickenich  (Wappen)  11. 
Niclass,  Steinmetz  74. 
Niederthal  1.  91. 
Niederwald,  Weg  üb.  d.  91. 
Niederwalluf,  Dorf  208. 

—  Johanniskirche,  Ruine  209. 

—  Pfarrkirche  209. 

—  Altäre  und  Kanzel  210. 
Nolling  92.  116.  123-V25. 

—  Holzbau-Abdrücke  124. 
Nordeck,  Fam.  von  127. 
Nothgottes,  Kloster  22.  86 

bis  89. 

—  Wallfahrtskirche  86-88. 

—  Halle  im  Hof  89. 

—  Klostergründung  87. 

—  Sandsteinrelief  88. 
Nuwenhus,  castellum  187. 

Oestrich,  Dorf  217-232. 

—  bürgerl.  Bauten  232. 

—  Pfarrkirche  St.  Martin 
230.  231. 

—  Pfarrk.,  heil.  Gefässe  232. 

—  Pfrk.,  Sakristeithür  232. 

—  Pfarrk.,  Thurm  231. 

—  Schornsteinkopf  a.  Rat- 
haus 232. 

Orgelgehäuse  175.  200.  216. 
Ostein,  Graf  von  90. 
Ottgarius,  Erzb.  72. 


Otterberg  (Pfalz),  Klost.  144. 
Oxenstierna,  Axel  146.  157. 

Paramente  24.79. 175. 183. 229. 

Pauli,  Baumeister,  Rüdes- 
heim 135. 

Peter,  Erzb.  v.  Mainz  84.  186. 

Peterv.Mainz,Glockeng.  183. 

Petersthal,  Karthäuser- 
kloster 186. 

Pfaffenschwabenheim, 
August.  Chorh.  90. 

Pfarrwesen(Ordnung  dess.)  8. 

Pfingstbach  217. 

Philipp  II.,  Landgr.  v.  Hessen 
97.  127. 

Plastische  Bildwerke  19.  20. 
22.  62.  76.  90.  107.  109. 
171.  176.  200.  203.  210.  226. 

Plixholz  Hof  87. 

Portale  19.  62.  81.  90.  105. 
115.  119.  163.  165.  192. 
227. 

Portalskulpturen  19.  62.  88. 

90.  192. 
Pressberger  Bach  2. 
Pressberg  ,  Kirchenempore 

47. 

Profanbauten,  goth.  allg.  11. 

„Raffael",  Madonna  v.  Castel- 

barco,  Reinhsn.  176. 
Rauenthal,  Dorf,  213—216. 

—  Fachwerkgiebel  216. 

—  Kirche  214. 

—  Kirche,  Altäre  216. 

—  Kirche,  eis.  Standleuchter 
u.Wandleuchter2i5.2i6. 

—  Kirche,  Gewölbansätze, 
214. 

—  Kirche,  Weihwasserstein 
215. 

—  früh.Michaelskap.  213.216. 
Reichardshausen,   Hof  und 

Dorf  221. 
Reichsritterschaft  (Lorch)  95. 
Reichsdeputations-Haupt- 

schluss  10. 
Reinhardshauseti,  Schloss 

und  Sammlung  176.  177. 


Renaissance,    Werke  der 

(allgem.)  12. 
Renaissance  -  Bauwerke  37 

bis  42.  43.  68.  69.  80. 81. 

85.  119.  120-122.  157. 

167.  169.  204. 
Rennweg  6. 

Rettungsanstalt,  Marien- 
hausen 139. 

Rhaban  Maurus,  Erzbischof 
217.  223. 

Rheiuberg ,  Ruine  6,  129 
bis  132. 

Rheinberg,  Bergfried  130, 
131,  132. 

Rheinberg,  Grundriss  132. 

Rheingrafen,  die  8.  129.  218. 

Rheingrafenstein,  Burg  130. 

Rheinzoll,  Ehrenfels.  49,  54. 

Richolf,Abt  v.  Eberbach  145. 

Richolf,  Rheingraf  83,  218. 

von  Ried  73. 

Rinker,    Phil,    von  Leun, 

Glockeng.  24. 
Ritter  v.  Grünstein  (Wapp.)  7. 
Rode,  Dorf  (zum  Rodechin) 

Nonnenkloster  211. 
Röntgen,  Möbel  von  71. 
Romanische  Bauten  (allgem.) 

10.  11. 

Roman.  Bauwerke ,  kirchl. 

17.  60.  85.  139.  143-171. 

209.  220.  225-230. 
Roman.  Bauwerke,  profane 

26-32.  36. 115.  222.  223. 
Roth ,  Christ,   von  Mainz 

Glockeng.  136. 
Roth,  F.  W.  E.,  Gesch.  v. 

Geisenheim  72. 
Roth,  Martin,  Glockeng.  v. 

Mainz  113. 
Rüdesheim  13—44. 

—  Adelsgeschlechter  24.  25. 

—  Adlerthurm  34  ff. 

—  „Bosenburg"  31  ff. 

—  „Brömserburg"  26—31. 

—  Brömser  von  R.  25. 

—  Brömser,  Vizedom  16. 

—  Brömser ,  Joh.  Richard 
21.  22. 


NAMENS-,  ORTS-  UND  SACHVERZEICHNIS 


239 


Rüdshm.  ßrömserhof  37  ff. 

—  Brömserhf.,  Holzhaus  38. 

—  ßrömserhof,  Malereien 
39.  40. 

—  Cronberg,  Anna  Margar. 
von  22. 

—  Egilwardus  parroch.  16. 

—  Erlindis  von  d.  Spor  17. 

—  Füchse  von  R.  25. 

—  Gemarkungsnamen  14. 

—  Goth.  Haus  a.  Markt  36. 

—  Gräberfunde,  römische  u. 
fränkische  13. 

—  Hause,  Rüdesheim.  v.  25. 

—  Kinder  von  R.  25. 

—  Kapelle,  roman.,  in  der 
Pfarrk.  16.  17. 

—  Kämpfe,  polit.  14—16. 

—  Klunkhardshof  43. 

—  Markt,  Rüdesheimer  v.  25. 

—  Niederburg  26—31.  13. 
26-30. 

—  Niederburg,  Bergfried  28. 

—  Niederburg,  Gesch.  21. 

—  Niederburg,  Wahrhaftig- 
keit 29. 

—  Oberburg  31.  32.  33. 

—  Pfarrkirche  St.  Jacob  16 
bis  24. 

—  Pfarrk.,Grabsteine  20.21. 

—  Pfarrk.,  Chorgestühl  22. 

—  Pfarrk.,  Einwölbung  und 
Vergrösserung  18. 

—  Pfarrk.,  Fresken  23. 

—  Pfarrk.,  Glocken  23. 

—  Pfarrk.,  Marienaltar  22. 

—  Pfarrk.,  Paramente  u.  Ge- 
fässe  24. 

—  Pfarrk.,  Sakristei  19. 

—  Pfrk.,  Tabernakelbau  19. 

—  Pfarrk.,  Tympanum,  früh- 
goth.  19. 

—  Profanbauten  24— 43. 

—  Residenz,  Erzbischöfl.  14. 

—  Salhof  14.  36. 

—  Stadtbefestigung  33. 

—  Vorderburg  36. 

—  Winter  von  R.  25. 

—  Wirthshausschild  in 
Schmiedeeisen  43. 


Ruppertsberg  44.  55. 
Ruthard,  Abt.  Eberbach  144. 
Ruthard,  Erzbischof  83. 

Saareck,  verschw.  Burg  von 

Lorchhausen  126. 
Sammlungen  71.  176.  177. 
Sanek  von  Waldeck  118. 
Sauerthal  6. 

Scopia,  Herrn,  v.,  Weihbisch., 

Mainz  87. 
Schäfer,  Carl,  Oberbaurath 

147. 

Schanze  b.  Bärstadt  5. 
Scharfenstein,  Fam.  v.,  131. 

178.  186.  Wappen  11. 
Scharfenstein,  Ruine  206. 

207. 

Scharfenstein,  Kuno  v.,  Vice- 
dom  128. 

Schenkungen  Otto's  I.  u.  II.  3. 

Schlösser  176.  217.  221.  224. 

Schmiedeberg,  Ulrich  v.  131. 

Schmidt,  Hch.Theod.,  Archi- 
tekt 81. 

Schnock,  Mich.,  Abt  von 
Eberbach  185. 

Schönau  (Odenwald)  Kloster 
144. 

von  Schoenberg  64.  73. 
Schoenborn,  Grafen  zu  69. 

74.  76.  Wappen  1. 
Schuljunkerschaft  94. 
Schumann,  Val.,  Pfarrer  zu 

Hattenh.  180. 
Sickingen,  Grafen  von  131. 

Wappen  9. 
Siegfrid  I,  Erzbischof  14.  15. 

49.  138. 
Siegfrid  v.  Rheinberg  130. 
Siegfrid,  Rheingraf  i.  Winkel 

220. 

Sigeller,  Hans,  v.  Aschaffen- 
burg 134. 

Sinder,  Friedr.,  Glöckner  zu 
Kidrich  185. 

Skulpturen,  antike,  in  Rein- 
hardshausen 176. 

Skulpturwerke  im  Rheing. 
(allgem.)  12. 


Sommer,  Phil.,  Abt  v.  Eber- 
bach 185. 
Sorgenloch,  Fam.  59. 
Spar,  von  der  (Wappen)  3. 
Spanheim,  Wolffv.  (Wapp.)9. 
Speck,  Petrus,  Glockeng., 

Mainz  113. 
Sponheimer  Fehde  15.  130. 
Sprendlingen,  Schlacht  b.  15. 
Stadtbefestigungen  33.  67. 

116.  206.  208. 
Stein,  Probst  Marquard  v., 

Denkstein  108. 
Steinberg,  der  144. 
Steinheim,  Embricho  von211. 
Steinmetzarbeit,  (allgem.)  11. 
Stephanshausen  (Dorf)  6. 
Stephan  v.  Frankf.,  Glocken- 

giesser  183. 
Stock  (Fort)  4. 
Stockheim,  Friedrich  v.  76. 

Wappen  3. 
Stromberg ,    Faust  von 

(Wappen)  9. 
Sturm,  Joh.  Bapt.  25.  32. 
Sutton,  Baronet  Sir  John  184. 

Tabernakel  (freistehend)  19. 

20.  106.  192  f. 
Taufsteine  und  Weihbecken 

45.  63.  107.  215.  229. 

Ueberhöhe  3. 

Uriel,  Erzbisch,  v.  Mainz  74. 

Vallawe,  Petr.  Pfarrer  von 
Kidr.  Epit.  203. 

Verband,  ährenförm.  10.  209. 

Verfassung  d.  Rhg.  3. 

Vicedom  (Vitzthum)  8. 

Virneburg,  Heinr.  v. ,  Erz- 
bischof 57. 

Voleanus,J.,Deckengemälde 
von,  179. 

Schloss  Vollrads,  217.  224. 
225. 

Wachholder,  auf  dem  145. 
Waldaffa-Thal  4.  208.  210. 


240 


NAMENS-,  ORTS-  UND  SACHVERZEICHNISS. 


Waldek,  Joh.,  Marschall  v., 

Grabstein  107. 
Walderdorff,  Graf  von  121. 

Wappen  7. 
Walderdorff,Adalbv.,  Fürst- 
abt v.  Fulda  84. 
Wandmalereien  23.  40-42. 

64.  79.  120. 
Wandtabernakel  63. 107. 140. 

154.  227. 
Wappen  1.  3.  5.  7.  9.  11.  21. 

22.  40.  63.  65.  100. 106. 

109.  210.  218. 
Wasserburg  26.  66.  224. 
Wehrgraben  6. 
Weinbau  u.  Weinhandel  7. 


Weissenthurm  6. 

Werkerbach  129. 

Werner,  Abt  v.  Eberb.  169. 

Werner,  Erzbischof  130. 

Westfalen,Grf.Cl.Aug.v.l76. 

Westemale,  Joh.  von  Münz- 
meister 58. 

Wilhelm,  Abt  v.  Eberb.  145. 

Wilhelmus,    Wilhelmi  von 
Bärstadt,  Pfarrer  215. 

Wilhelmj,  Weinhandlg.  221. 

Willigis,  Erzbischof  178. 

Winkel,  Dorf  217-223. 
-  Kirche  221. 

—  von,  Rittergeschlecht  218. 
Winter  von  Geisenheim  73. 


Wisperthal,  2.  92,  Burgen 

dess.  126-132. 
Wohnthürme  40.  65  ff.  123  ff. 

128.  181.  224. 
Wolfgang,  Erzbisch.  90. 
Wolfram,  Rheingraf  84. 
Wulferich  von  Lorch  218. 
Wunneburg,  Herrn  von  131. 

Zechbauer,  Jos.,  Glocken- 

giesser  23. 
Zollkrieg  131. 

Zweibrücken,    Graf  Simon 

Wecker  von  25 
Zwierlein,  v.  82.  86.  87.  129. 

131.  139. 


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