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Full text of "Beihefte zur Zeitschrift für angewandte Psychologie 14-17.1917-18"

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BEIHEFTE 


Zeitidhriit für angewandte Pivdologie 
| 


Herausgegeben von 


WIbLIAM STERN und OTTO bIPMANN. 


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Piydiiide 
- Geidhledtsunteridiede. 


Ergebnilie der difierentiellen Pivdıologie 





ftatiftiih bearbeitet 
von 


Otto bipmann. 


Zwei Teile 
I. Teil. 





| 

| 

| heipzig 1917. 

| Verlag von Johann Ambrofius Barth. | 
Dorrienstr. 16. | 


ee 





Verlag von Johann Ambrosius Barth in | Leipzig. 


Zeitschrift fur angewandte Psychologie 


Herausgegeben von 
William Stern und Otto Lipmann. 


6 Hefte bilden einen Band von etwa 36 Bogen mit mehreren Tafeln. Preis des Bandes 20 M. 
Der 12. Band ist im Erscheinen begriffen. 


Die Antgabe der Zeitschrift ist die Bearbeitung psychologischer Probleme unter be- 
sonderer Berücksichtigung ihrer Verwertbarkeit für anderweitige praktische und wissen- 
schaftliche Fragestellungen und die Ausgestaltung der besonderen experimentellen, psycho- 
grap phischen, statistischen und Sammel-Methoden für diese Zwecke. Hauptgebiete der 
Zeitschrift sind die pädagogische, forensische, pathologische, literarische, ethnologische und 
vergleichende Psychologie. 

Die Zeitschrift enthält Abhandlungen, Mitteilungen, Sammel- und Einzelberichte und 
verfolgt ständig die internationale Bewegung auf dem Gebiete der angewandten Psycho- 
logie. Sie ist Organ des Instituts für angewandte Psychologie in Kleinglienicke, des 
psychologischen Laboratoriums in Hamburg und mehrerer Universitäts-Seminare. 


Seit 1911 erscheinen: 


BEIHEFTE 


zur 


Zeitschrift für angewandte Psychologie 


Herausgegeben von 
William Stern und Otto Lipmann. 
Die Beihefte sind einzeln käuflich. 


Heft 1. Orro Liruann. Die Spuren interessebetonter Erlebnisse und ihre eke: 

‘Theorie, Methoden und Ergebnisse der „Tatbestandsdiagnostik“. IV, 96 
Heft 2. J. Coun u. F. Direvrensacner (Freiburg). Untersuchungen über Geschlechts-, 
Alters- und Begabungs-Unterschiede bei Schülern. VI, 213 Seiten. M. 6.40 


Heft 3. W. Berz. Über Korrelation. VI, 88 S. M. 3.— 
Heft 4. PauL Marcis. E. T. A. Hoffmann. Eine Individualanalyse mit 2 Faksimiles, 
2 Stammtafeln und 2 graphologischen Urteilen. VIII, 220 S M. 7.— 


Heft 5. Vorschläge zur psychologischen Untersuchung primitiver Menschen ge- 
sammelt und herausgegeben vom Institut fiir angewandte Psychologie und psycho- 
logische Sammelforschung (Institut der Gesellschaft fiir experimentelle Psychologie). 
1. Teil. IV, 124 Seiten mit 1 Tafel im Text. M. 4.— 

Heft 6. RICHARD Tati way. Etbno-psychologische Studien an Südseevölkern auf 
dem Bismarck-Archipel u. den Salomo-Inseln. IV, 163 S. mit 21 Taf. M. 9.— 

Heft 7. Fritz Gıese. Das freie literarische Schaffen bei Kindern und Jugendlichen. 
2 Teile. XVI, 220 u. IV, 242 Seiten mit 4 Abbildungen. 1914. M. 14. 

Heft 8. Herea Ene. Abstrakte Begriffe im Sprechen und Denken des Kindes. V], 
112 Seiten. 1914. M. 3.60 

Heft 9. Hermann Damm. Korrelative Beziehungen zwischen elementaren Vergleichs- 
leistungen. Ein ut zur psychologischen Korrelationsforschung. IV, 84 Seiten 
mit 4 Abbildungen, 31 Tabellen und 4 Tafeln. 1914. M. 2.60 

Heft 10. Gzors BrAnDELL. Das Interesse der Schulkinder an den Unterrichtsfächern. 
IV, 168 Seiten mit 37 Figuren. 1915. M 

Heft 11. Curt Pıorkowskı. Beiträge zur psychologischen Methodologie der wirt- 
schaftlichen Berufseignung. IX, 84 S. 1915. M. 3.— 

Heft 12. Jugendliches Seelenleben und Krieg. Materialien und Berichte. Unter Mit- 
wirkung der Breslauer Ortsgruppe des Bundes für Schulreform und von O. Bobertag, 


K. W. Dix, C. Kik, A. Mann herausgegeben von WırLıam Stern. 181 Seiten 
mit 15 Abbildungen. 1915. M. 5.— 
Heft 13. Tu. Vatentiner. Die Phantasie im freien Anfsatze der Kinder und Jugend- 
lichen. VI, 168 S. mit 1 Kurventafel. 1916. M. 5.60 


Heft 14. Orro LIPMANN. Psychische Geschlechtsunterschiede. Ergebnisse der differen- 
tiellen Psychologie. Zwei Teile. IV, 108 und 172 Seiten mit 9 Kurven im 
Text. 1917. M. 12.— 


BEIHEFTE 


zur 


Zeitichrift für angewandte Piyhologie. 


Herausgegeben von 


WILLIAM STERN und OTTO bIPMANR. 


V. Folge (Beiheft 14—17). 


Inhalt: 


Heft 14a und b. 
Orro Lipmann, Psychische Geschlechtsunterschiede. Ergebnisse der differen- 
tiellen Psychologie statistisch bearbeitet. 2 Teile. 
Heft 15. 
Franziska Baumgarten, Die Liige bei Kindern und Jugendlichen. Eine Um- 
frage in den Polnischen Schulen von Lodz. 
Heft 16. 
Kart Büren, Das Tastlesen in der Blinden-Punktschrift. Nebst kleinen 
Beiträgen zur Blindenpsychologie von P. GRAsEMAnN, L. CoHn, W. STENBERG. 
Heft 17. 
CHaarLorts BünLer, Das Märchen und die Phantasie des Kindes. 





Leipzig, 1918. 


Verlag von Johann Ambrosius Barth. 
Dörrienstraße 16. 





EDUC. 
PSYCH. 
LIBRARY 


BEIHEFTE 


zur 


Zeitimrift fir angewandte Piyhologie 


Herausgegeben von 
WILLIAM STERN und OTTO LIPMANN. 


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Pivdide 
Geidledtsunteridiede. 


Ergebnifie der difierentiellen Piydologie 


Hatiftiih bearbeitet 
von 


Otto bipmann. 


Zwei Telle. 





beipzig 1917. 
Verlag von Johann Ambrofius Barth. 
Dorrienstr. 16. 


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Erster Teil. 


Beiheft zur Zeitschrift fiir angewandte Psychologie. 14. Erster Teil. 


` TAN m ZS 


re) J aJ 3 


1 


$S le Vorwort os a CGS ae aS Reh 
Kapitel I. Die Methode der Untersuchung. 
§ 2. Problemstellung . . . 2 2 2 2 00 rn ne 
$ 3. Die Bestimmung des Umfanges der ‚Normal‘-Zone der 
Leistungsskala. ..  2.. 2.2 E dÉ EE o Ä 
$ 4. Die Bestimmung des Verhältnisses der Geschlechter in den 
drei Zonen der Leistungsskala . . . . 2 2 2 22220. 
Anhang: Rechenbeispiel . -. . . » so s 2 2 22 220. . 
$ 5. Die Beurteilung der Zuverlässigkeit der herangezogenen Er- 
eeng éi Aë A e ee RR ER En 
Kapitel II. Die Einzelergebnisse. 
$ 6.. Vorbemerkung = s = 6 m.» 2 = 2.8 2. 8 NL 
$ 7. Die aus unveröffentlichten Materialien herrührenden Er- 
gebnisse (s. Teil II A S. 6). . 2. 2. 2 2 2 2 2 2 2 00. 
$ 8. Die der Literatur entnommenen Ergebnisse. ....... 
Kapitel III. Systematische Übersicht über die Einzel- 
ergebnisse. 
§ 9.: Vorbemerkung x... 0... we re a SS l 
$ 10. Empfindungen. 
1. Raumsinn der Haut ........2.2.2.2.2.22.220448-.4 
2. Druck- und Schmerzsinn ..........2.2.2264.-. 
3. Gewichtsinn unter normalen und täuschenden Bedin- 
Pungen zn a A wre Ae rr e e ee E E 
4. Geschmacksinn. a ve e AN E E NN DN e er CS 
0, 2GEHOFRIDN 8 ed ir eee a ac a E E E ae e 
6. Gesichtsinn. 
a} Heligkeit a a a a-r anai eT EE e e e Aa 
D) Farben io ao & tw Wee e A A eer, der e e G 
c) Optischer Raumsinn. Augenmafs unter normalen und 
täuschenden Bedingungen . . . 2.2 2.2.2.2... 
ls LENSI a aaa E e D ee tw 


17 


20 
24 


25 


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31 


32 


33 
33 


34 


35 


36 
36 


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Eu. 


§ 12, 


§ 13. 


un un un un UN ton tor 
DO bei bei bei bei bei teed 


§ 21. 


§ 22. 


oF eae 


Inhalt. 


Bewegung. 
1. Schnelligkeit einfacher Bewegungen und Verrichtungen. 
„Psychisches Tempo“ . . .. 2... 2 2 2 2 een. 
2. Reaktionszeit. 
a) Einfache Reaktion . . . . . 2: 2: 2 2 2 e a e 
b) Unterscheidungsreaktion. . e a a ‘e’ 
c) Wahlreaktion . . . . 2: 2 2 m EEE rn. 
d) Wortreaktion . . . 2 2 2 2 2 e e o es osseo 
3. Präzision der Bewegungen und Bewegungs-Koordination 
4. Gefiihlsbetonung der Bewegung. ........... 
Vorstellungen. 
1. Das Lernen und das Reproduzieren von Erlerntem . . . 
2. Erinnerung und Aussage . . 2. 2: 2 2 2200. 
3. Assoziation. 
a) Freie Assoziation. „Einfälle“ . . . . 2 2 2 2202. 
b) Gebundene Assoziation . . . . 2 2 22 22 e ne 
4. Phantäsie: 9. 222 Sur. wie Bl Bee 
9: Kenntnisse: 2... u... Ge ee OE ae Ar a a ae ae 
Rechnen und Mathematik. 
1, Begabung s w si t maa eae p ee BOR 8 
2. Unterrichts- und Examens-Leistungen ........ 
3. Leistungen im Experiment ............. 
4: Interesse... e oe ke a me ck e a a KE a 
Naturwissenschaften. . . » 2: 2 2 2 Er Er nn nn. 
Technik un a Be SO ae, ee ER er a 


Fremdsprachen (Geisteswissenschaften) .......... 
Muttersprache. 
-Leistungen se a ei a ENEE 
2. Eigentümlichkeiten der Schrift- und Sprechsprache. . . 
3. Interess6 ; : = a... wu we ee E e e 


Allgemeine geistige Entwicklung (Intelligenz, Schulleistungen 
im allgemeinen). . 2 2 2 2 2 2 2 2 0 Er er nn. 
Eigenschaften des Gefühls- und Willenslebens. . . . .. . 
1. Neigung zu intellektueller Bet&étigung. ........ 
2. Neigung zu politischer Betätigung .......... 
3. Neigung zu philantrophischer Betétigung ....... 
4. Beligiosität 3-2... ee we ee ews FE ër 
5. Neigung zu praktischer Betétigung .......... 
6. Erwerbssimn e NNN ENEE we we 8 e 
7. Streben nach Macht ........2.2.2.2.2.2.22... 
8. Streben nach Ehre . . .. 2.2.22 2 2 22020. 
9. Eitelkeit `, . . . 222 22020. ee Br a N 
10. Neigung zu Geselligkeit . . . . . 2 2 2 220220. 
EE Sexualleben .- sa sua a a ee BR os ae eS 
12. Moralität im allgemeinen . . . 2.22 2 2 22000. 


13... Betragen AN. Ae is. ee Se ee ee a 65 
14: IOUS e e He ee a a BR ee a a e 66 
15. Ordnungsliebe. - . a a a a a 66 
16. Piinktlichkeit. ................220428. 66 
17. Wahrheiteliebe ..........2.2.222.228228-48 67 
184 Treuen wë e ét ër Wee ër dee ët E e e 67 
19: Geduld. 2 eu. 35. 20 0 a e Ee e e e 67 
SO MING: Bos, 4%. 5 Su WE an war te 67 
21. Bescheidenheit . . . 2 2 2 2 Em En nn. 68 
22. Emotionalität . . . 2: 2 aoa a 68 
23. Allgemeine Gefühlsrichtung ........2.2.2.2.. 68 
24. Impulivität . . 2 Co a e 69 
$ 23. Aufmerksamkeit. 
l. Beobachtung. .: 2... ra nn. au e ee éi 69 
2. UXPEHMENE: u it d e e AE A Eee We Ee t 70 
3. Intravariation (Regelmälsigkeit der Reaktion). . . . . . 70 
§ 24. Suggestibilitét . . . . .. l.ou 71 
§ 25. Zusammenfassung . . . . osoo oo e e e a 71 
§ 26. Anhang: Vergleich des Geschlechtsverhältnisses bei ver- 
schiedenen Eigenschaften ............2.2.2.. 74 


Kapitel IV. Vergleich des Geschlechtsverhältnisses in 
verschiedenen Altersstufen. 


$ 27. Vorbemerkung . . 2.2 2 2 m nn nen 81 
§ 28. Richtungsänderungen des Geschlechtsunterschiedes .... 81 
§ 29. Die Grölse des Geschlechtsunterschiedes in seiner Abhängig- 


keit vom Alter ae see wk See BO eee a 82 
§ 30. Die Besserleistung eines Geschlechtes in seiner Abhängigkeit 

vom- Alter s-r -© aw gmd ee er e 84 
§ 31. Anhang: Das Verhalten des Geschlechtsunterschiedes im Ver- 

laufe eines Schuljahres .......2.2.2.2.2.2.020.. 85 


Kapitel V. Allgemeine Statistik der Ergebnisse. 


6 32. Übersicht. x. 3. 0 0... 2. we n.c aa ae bee 88 
§ 33. Die Gröfsenordnung und Zuverlässigkeit der Ergebnisse . . 89 
§ 34. Das Verhältnis der Geschlechter in der „Normalzone‘ (mitt- 


leren Leistungshaélfte). — Die Intervariation ....... 94 
696. (Schlala: 6 6 an Gc Sey Soe we YE Gok Se eee ad 104 
§ 36. Inhaltsübersicht ........2.2.2.2.22022202.282428- 107 


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Vorwort. 


§ 1, 


Die Fragen, ob das Seelenleben des männlichen und des weib- 
lichen Menschen typische Verschiedenheit aufweist, in welcher 
Richtung solche Unterschiede vorliegen, ob die Unterschiede groß 
genug sind, um praktische Unterscheidungen z. B. hinsichtlich 
der Erziehung zu rechtfertigen, sind in neuerer Zeit wohl besonders 
durch die berühmten oder berüchtigten Schriften Mösıus’ und 
dann WEININGERS in Flufs gekommen. In Deutschland hat dann 
die Tatsache, daß die Universitäten und höheren Schulen den 
Mädchen eröffnet wurden, die Mädchenschulreform und die sich 
daran anschliefsende Diskussion über Koedukation in weiten 
Kreisen Interesse für die Frage der Geschlechtsunterschiede er- 
weckt. Wenn man als geschulter Psychologe diese Diskussion 
verfolgt, so erschrickt man über die Leichtfertigkeit, mit der da 
oft mit blofsen Schlagworten operiert wird, und man muls sich 
fragen, wieweit es denn wissenschaftlich berechtigt ist, vom 
, schwachsinn“, von der ,,Emotionalitaét‘‘, der ,,Rezeptivitat usw. 
des Weibes zu sprechen. Freilich ist anzuerkennen, dals viele, 
aber nicht einmal alle, der Autoren, die ein solches ‚grundlegendes“ 
Unterscheidungsmerkmal zwischen den beiden Geschlechtern ent- 
deckt zu haben glauben, imstande sind, dies Resultat durch irgend- 
welche Ergebnisse der experimentellen Psychologie zu stützen; 
man ist also gezwungen, ihren Spuren zu folgen und die von ihnen 
herangezogenen psychologischen Ergebnisse auf ihre Stichhaltig- 
keit zu prüfen. Dabei wird sich ergeben, daß bei sehr vielen Re- 
sultaten diese Stichhaltigkeit eine recht fragwürdige ist, weil die 
herangezogenen Resultate im Sinne der differentiellen Psychologie 
nur Scheinresultate sind, die auf der zufälligen Auswahl der mit- 
einander verglichenen Versuchspersonen beruhen können. 


6 § 1. Vorwort. 
6 


Einmal nämlich werden sich, wenn man die Materialsammlung 
umfassend genug anlegt, eine Anzahl von Resultaten finden, aus 
denen sich die gegenteilige Behauptung herleiten ließe. Zum 
anderen aber werden auch sehr viele derjenigen Ergebnisse, bei 
denen solche gegenteiligen Befunde nicht vorliegen, wenn man sie 
kritisch betrachtet, nicht als einwandfrei gelten dürfen; sehr 
häufig sind die sich ergebenden Unterschiede und die Zahl der 
miteinander verglichenen Personen so klein, daß dem Resultat 
eine wissenschaftliche oder gar eine praktische Bedeutung nicht 
beigelegt werden kann. 

Eine derartige Sammlung und Sichtung des in aulserordent- 
licher Fülle vorliegenden Materials erscheint darum als eine durch- 
aus dringende Angelegenheit, weil die Diskussion über praktische 
Konsequenzen etwaiger Geschlechtsunterschiede wohl so bald 
nicht einschlafen wird, und weil andererseits beim gegenwärtigen 
Stande der Sache jeder Vertreter beider an der Diskussion be- 
teiligter Parteien mühelos seine vorgefalste Meinung über den 
Unterschied der Geschlechter durch irgendwelche ‚Ergebnisse‘ 
der experimentellen Psychologie zu belegen imstande ist. 

Die hier von mir vorgelegte Materialsammlung umfalst freilich, 
trotz ihrer Umfänglichkeit — es sind fast 5000 Einzelresultate 
von mir gesammelt und verarbeitet worden — noch lange nicht 
das ganze Material. Ich habe nur dasjenige berücksichtigt, was 

l. sich wirklich auf psychische Geschlechtsunterschiede 
bezieht. Ich habe also rein oder vorwiegend anatomische und 
physiologische Untersuchungen außer Betracht gelassen ; 

2. was sich auf psychische Geschlechtsunterschiede nor- 
maler Individuen bezieht. Ich habe also alle Untersuchungen 
an Geisteskranken, Geistesschwachen und Mindersinnigen aus- 
geschlossen, und ebenso z. B. auch Verbrecher-Statistiken unbe- 
rücksichtigt gelassen. Ein Grund hierfür war der, daß, wenn sich 
z. B. bei Untersuchungen an Schwachsinnigen ein Geschlechts- 
unterschied ergibt, die Frage offen bleibt, ob nicht der Grad des 
Schwachsinns bei den beiden Geschlechtern durchschnittlich ein 
verschiedener war, d. h. ob die Auswahl der Versuchspersonen 
nicht schon das Resultat vorher bestimmte; 

3. was sich der von mir verwendeten, statistischen Methode 
zugänglich erwies, und 

4. was gewissen Anforderungen an Zuverlässigkeit zu ent- 
sprechen schien. Diese Anforderungen beziehen sich | 


§ 1. Vorwort. 7 


a) auf die Versuchsanordnung als solche: absolut gleiche 
Untersuchungsbedingungen fiir die miteinander zu vergleichenden 
Versuchspersonengruppen, insbesondere auch gleiches Alter der- 
selben ; 

"bi auf die Zahl der in jeder der miteinander zu vergleichenden 
Versuchspersonengruppen enthaltenden Personen. 

Es sind aus dem einen oder dem anderen Grunde eine nicht 
geringe Zahl von Arbeiten oder auch von einzelnen Resultaten 
sonst verwendeter Arbeiten stillschweigend unberücksichtigt ge- 
blieben ; es hätte mich zu weit geführt, wenn ich in jedem einzelnen 
Falle angegeben hätte, warum ich eine bestimmte Angabe unbe- 
rücksichtigt lasse; auch die nicht verwendeten Arbeiten finden 
sich im Literaturverzeichnis angeführt. Meine Arbeit hat nicht, 
wie z. B. das Buch von Haverock Erris die Tendenz, ein mög- 
lichst vollständiges Sammelreferat zu sein. 

Ich habe ferner darauf verzichtet, mich mit der Fülle der 
in der Literatur sich findenden teils wissenschaftlichen, teils 
laienhaften, teils begründeten, teils nur scheinbar begründeten 
und teils ganz unbegründeten Meinungen über das Wesen der 
Geschlechtsunterschiede auseinander zu setzen oder auch nur 
sie zu referieren. Auch für solche Zusammenstellung liegt nach 
den zusammenfassenden Arbeiten von HEYMANS, GIESE, STERN, 
WREScCHNER m. E. kein Bedürfnis vor. Eine Kritik dieser Mei- 
nungen liegt, wie ich hoffe, implizite in unseren Resultaten 
vor, insofern, als die Einzelresultate, auf die jene Autoren 
ihre Ansicht stützen, durch meine Untersuchung bestätigt oder . 
widerlegt werden. Es wird sich, im ganzen genommen, durch 
meine Untersuchung herausstellen, dafs der Stand unseres Pro- 
blems heute noch ein derartiger ist, dals es verfrüht erscheinen 
muls, die psychischen Geschlechtsunterschiede auf eine Formel 
zu bringen. 

Was mir wesentlich erscheint, ist dies: wir werden zugeben 
müssen, daß auf sehr vielen Gebieten des Seelenlebens sich Ge- 
schlechtsunterschiede zeigen, d. h. dafs viele psychische Eigen- 
schaften, sich bei dem einen oder anderen Geschlechte, sei es über- 
haupt, sei es in ihrer stärkeren Ausprägung häufiger finden. Was 
uns gegenwärtig interessiert, ist nicht die Frage des Vorhanden- 
seins, sondern vielmehr die Frage der Grölse der Geschlechts- 
unterschiede. Sind sie so beträchtlich (bzw. welche von ihnen sind 
so beträchtlich), dafs sie z. B. eine gemeinsame Erziehung der 


8 


§ 1. Vorwort. 


beiden Geschlechter als untunlich erscheinen lassen, oder sind 
vielleicht gerade diejenigen Eigenschaften, bei denen sich die be- 
merkenswertesten Geschlechtsunterschiede finden, für die Frage 


der 


Koedukation und Koinstruktion irrelevant ? 


Dem von mir verwendeten Material liegen zum Teil publizierte 


Resultate, zum anderen Teil unveröffentlichte, nur im Manuskript 
existierende Daten zugrunde. Die letzteren verdanke ich: 


den 


der Atlanta University, Atlanta, G. A., U. S. A., 

dem Bristol Education Comittee, Bristol, 

Herrn Prof. Dr. Cyrit Burt, London, 

Herrn Wituiam T. Crank, Head Master of the Merrywood 
Secondary School, Bristol, 

Herrn Rektor A. Francken, Bielefeld, 

Herrn Prof. Dr. G. Hrymans, Groningen, 

Herrn Dr. JaEDERHOLM, Stockholm, 

der Indiana University, College of Liberal Arts, Bloemington, 
Indiana, U. S. A. 

Herrn Henry C. Kınc, President of the Oberlin College, 
Ohio U. S. A., 

Herrn Direktor Luserke, Freie Schulgemeinde Wickersdorf 
in Thüringen, 

Herrn Dr. J. van DER TorREN, Hilversum, 

Für die Überlassung gedruckter Materialien bin ich den folgen- 

Herren und Behörden zu Danke verpflichtet: 

Herrn Dr. G. I. Burness, Stratford E, Principal of the Muni- 
cipal Central Secondary School, 

Herrn Prof. Dr. Cyrit Burt, London, 

Herrn Colonel R. 8. Curtis, Walmer, Kent, 

dem Department of the Interior, Bureau of Education, 
Washington, U. S. A., 

Herrn Prof. Davin Spencer Hitt, New Orleans, U. S. A., 

der Leland Stanford Junior University, California, U. S. A., 

Herrn Wituam H. MaxweE 1, City Superintendent of Schools, 
The City of New York, U. S. A., 

Herrn Prof. I. B. Miner, University of Minnesota, Mineapolis, 
U. S. A., 


8 1. Vorwort. 9 


der University of Missouri, U. S. A., 
dem Board of Public Education, Office of Superintendent of 
Schools, Philadelphia, U. S. A., 

Herrn Universitaéts-Sekretér Riznnarpt, Tübingen, 

dem Board of Education of the City of St. Louis. Office of 

the Superintendent of Instruction. 

Literaturverzeichnisse und sonstige literarische Nachweise, 
die sich allerdings meist auf die Frage der Koedukation direkt 
bezogen, stellten mir freundlichst zur Verfügung : 

Herr Colonel R. S. Curtis, Walmer, Kent, 

Edinburgh School Board, Edinburgh, 

Herr Pıur GEHEEB, Direktor der Odenwaldschule, Ober- 

hambach bei Heppenheim, 

Herr Pavut H. Hanus, Harvard University, Cambridge, Mass. 

Herr Direktor Hensınc, Oppenheim a. Rh., 

Herr Norman Hupcson, St. George’s School, Harpenden, 

Instituts Solvay, Institut de Sociologie, Socialwissenschaftliche 

Zentralstelle, Briissel, 
Herr L. A. Karsacs, Acting Commissioner of Education, 
Department of Interior, Washington, D. C., U. S. A., 

Herr Universitäts-Sekretär RırnsArpr, Tübingen, 

Herr Geh. Reg.-R. Dr. v. SırıLwürk, Karlsruhe, 

Herr Prof. Dr. Scauyten, Antwerpen, 

Herr Oberlehrer Dr. Ziertmann, Steglitz. 

Die Beziehungen zu den genannten Personen und Behörden 
verdanke ich großenteils der Internationalen Union zur Förderung 
der Wissenschaft (Sekretariat Berlin), z. T. auch — durch deren 
Vermittlung — den Herren Colonel Curts und Dr. ZIERTMANN, 
sowie dem Amerika-Institut zu Berlin (Dr. DrecHsrer). 

Ohne die gütige Unterstützung aller dieser Herren, Behörden 
und Institutionen wäre mir die Abfassung dieser Arbeit nicht oder 
wenigstens in diesem Umfange nicht möglich gewesen; ich hätte 
ohne sie auf die Verwertung gerade der wertvollsten Materialien 
verzichten müssen. Es ist also nicht nur meine Pflicht, sondern 
es entspricht auch meinem Wunsche, ihnen auch an dieser Stelle 
meinen verbindlichsten Dank abzustatten. 

Für Auskünfte in rechnerischen und mathematischen Fragen 
danke ich Herrn Dr. W. Berz in Mainz, Herrn Dr. G. JAEDERHOLM 
in Lund und Herrn Dr. E. FreunpLuich an der Sternwarte in 
Neubabelsberg. 


10 SL Vorwort. 


Die Materialsammlung wurde im Juli 1914 abgeschlossen ; ich 
habe nach meiner Rückkehr aus dem Feldzuge eine weitere Ver- 
mehrung des Materials nicht mehr in Angriff nehmen wollen, 
sondern die bereits begonnene Niederschrift der Ergebnisse fort- 
gesetzt. Das Literaturverzeichnis enthält jedoch auch solche Ar- 
beiten, die nach dem genannten Termin erschienen sind. 


E 


11 


Kapitel I. 
Die Methode der Untersuchung. 
§ 2. 
Problemstellung. 


Das psychologische Problem der Koedukation ist ein doppeltes: 

1. Wie wirkt die gemeinsame Erziehung (und der gemeinsame 
Unterricht) auf jedes der beiden Geschlechter ? 

2. Wieweit sind Koinstruktion und Koedukation durch die 
gleiche Veranlagung der beiden Geschlechter gerechtfertigt, bzw. 
wieweit verbieten sie sich durch grundlegende Wesensunterschiede ? 

Die erste dieser beiden Fragen zu behandeln, ist nicht Sache 
des Psychologen, sondern — wenigstens zunächst — nur die des 
Praktikers. Bevor der Psychologe hierzu Stellung nehmen kann, 
muß der Praktiker Beobachtungen sammeln über die Wirkung 
der Koedukation auf den Ehrgeiz, auf die Sexualität im weitesten 
Sinne des Wortes, auf die Verstärkung oder Abschwächung etwa 
vorhandener Geschlechtsunterschiede usw. Die heute hierüber 
vorliegenden Erfahrungen widersprechen sich noch so, dafs der 
Psychologe nichts weiter tun kann, als zu weiteren Beobachtungen 
anregen und etwa noch neue Fragen und Beobachtungsmethoden 
formulieren. Von einer eigenen Stellungnahme hält er sich besser 
noch zurück. Daher soll auch die vorliegende Arbeit diese Problem- 
gruppe unberücksichtigt lassen. 

Anders liegt die Sache bezüglich der zweiten der oben formu- 
lierten Fragen, die durchaus dem Gebiete der differentiellen 
Psychologie angehören. Wir haben uns hier sogar, wenn wir diese 
Frage wissenschaftlich behandeln wollen, möglichst von den ge- 
legentlichen Beobachtungen der Praktiker zu emanzipieren, da 
ihre Ergebnisse fast immer auf einem zu kleinen Material beruhen 


12 Kapitel 1. Die Methode der Untersuchung. 


und überhaupt meist methodisch unzulänglich sind. Freilich 
teilen sie diesen Mangel mit einer nicht geringen Zahl auch der 
wissenschaftlichen Untersuchungen. 

: Demgegenüber wollen wir uns zunächst einmal klar machen, 
welche Anforderungen ein Resultat über Geschlechtsunterschiede 
erfüllen mufs, um als praktisch (für die Frage der Koedukation) 
oder auch nur als theoretisch-wissenschaftlich relevant gelten zu 
können. Ausscheiden müssen zunächst selbstverständlich alle 
` Resultate, die auf der Beobachtung oder der Untersuchung nur 
weniger Personen beider Geschlechter beruhen, bzw. diejenigen, 
bei denen die Personenzahl im Verhältnis zu dem sich ergebenden 
Unterschied zu klein ist; wir werden später einen genaueren Mals- 
stab dafür finden, welche Personenzahl jedesmal im Hinblick auf 
das gefundene Resultat als genügend grols betrachtet werden 
kann. — Ferner müssen wir diejenigen Resultate ausscheiden, 
die in einem Vergleich zweier sogenannter Mittelwerte bestehen. 
Es hat m.E. weder eine wissenschaftliche noch viel weniger eine 
praktische Bedeutung, wenn z. B. die durchschnittliche Gedächtnis- 
leistung der beiden Geschlechter in Vergleich gestellt wird, sei es, 
dafs die Leistung zweier fingierter ‚duschschnittlicher Personen“ 
(die arithmetischen Mittel), sei es auch, dafs die Leistungen der 
beiden mittleren Personen (die Zentralwerte) miteinander ver- 
glichen werden. In beiden Fällen bleibt es ganz dahingestellt, 
wie die übrigen Personen der beiden miteinander zu vergleichenden 
Gruppen sich zueinander verhalten. (Nur wenn die Streuung der 
einzelnen Werte, ihre Abweichung vom repräsentierenden Werte, 
die ‚‚mittlere Variation‘‘ sehr klein ist, oder mit anderen Worten, 
wenn sehr viele Einzelpersonen die betreffende Eigenschaft 
etwa in der durchschnittlichen Stärke aufweisen, kann man in 
der Tat die Durchschnitts- oder die mittleren Personen als 
repräsentierend für die beiden Gruppen ansehen.) Zweifellos 
ist aber, selbst wenn die Streuung klein ist, die Frage, wie 
die übrigen Personen der beiden Gruppen sich zueinander 


verhalten, ob z. B. der beste Knabe besseres leistet als das beste 


Mädchen, das schlechteste Mädchen noch schlechteres als der 
schlechteste Knabe usw., nicht nur theoretisch interessant, sondern 
auch von praktischer Bedeutung. Dieideale Veranschaulichung eines 
Geschlechtsunterschiedes wäre also eine Tabelle oder graphische 
Darstellung, die für jede der untersuchten Personen ihren Leistungs- 
grad aufzeigt, derart, dafs die Leistung jeder Person der einen 


A. 


er ee 


8 2. Problemstellung. 13 


Gruppe mit der Leistung der ihr im Range gleichen der anderen 
Gruppe verglichen werden kann!). 

Wenn es sich um die Darstellung eines einzelnen Geschleohts- 
unterschiedes handelt, erscheint die eben kurz skizzierte Methode 
ın der Tat als einwandfrei, und schon deshalb als die beste, weil 
jeder spätere Benutzer der betr. Arbeit aus einer solchen Tabelle 
oder Kurve alle die zahlenmälsigen Angaben entnehmen kann, 
deren er für seine spezielle Fragestellung gerade bedarf. Für 
unsere Zwecke ist diese Darstellungsform jedoch aus mehreren 
Gründen nicht die geeignete. Ein mehr äulfserlicher Grund dafür, 
dafs wir auf sie verzichten, ist der, dafs in der Literatur nur aulser- 
ordentlich wenig Resultate vorliegen, die alle diejenigen Angaben 
enthalten, deren wir für die eben erwähnte Darstellungsform be- 
dürfen, dafs wir unsere Ausführungen also bei ihrer Verwendung 
auf ein relativ geringes Material beschränken mülsten. Zweitens 
ist sie nicht recht geeignet für einen Vergleich der Geschlechts- 
unterschiede auf verschiedenen Leistungsgebieten. Wenn wir 
z. B. hinsichtlich des Gedächtnisumfanges einen durchgehenden 
Unterschied von zwei Elementen, hinsichtlich des Aufmerksam- 
keitsumfanges einen Unterschied von einem Element finden 
würden, so könnten wir doch nicht sagen, dafs der Geschlechts- 
unterschied bezüglich des Gedächtnisumfanges grölser ist, als 
der des Aufmerksamkeitsumfanges. Dies tritt noch deutlicher 
in die Erscheinung, wenn die Mafszahlen nicht einmal scheinbar, 
wie im obigen Beispiel, dieselbe Benennung haben, sondern wenn 
es einmal, z. B. bei Ästhesiometerschwellen, Millimeter, im anderen 
Falle, z. B. bei der Unterschiedsempfindlichkeit für Tonhöhen, 
Schwingungszahlen sind. Meistens werden auch die Unterschiede 
keine durchgängigen sein, sondern es werden sich z. B. bei den 
Individuen mit geringer Intelligenz geringe Intelligenzunterschiede, 
bei denen mit hoher Intelligenz gröfsere Unterschiede zwischen 
den Geschlechtern ergeben; oder der Geschlechtsunterschied wird 
sich gar von einem zum anderen Ende der Rangskala hin um- 
kehren. Drittens haben wir es nicht nur, wie in all den vorher- 


1) Eine derartige Methode habe ich in meiner Arbeit „Eine Methode 
zum Vergleich zweier Kollektivgegenstände‘“‘ Z Ps. 48, 1908 vorgeschlagen, 
Ich benutzte gern diese Gelegenheit, zu bemerken, dafs lange vor mir schon 
GALTON eine sehr ähnliche Methode, die graphische Darstellungsform der 
„Ogive“ verwendet hat; dies war mir bei Abfassung der oben zitierten 
Arbeit noch unbekannt. Vgl. STERN, Differentielle Psychologie, S. 246/7. 


14 Kapitel I. Die Methode der Untersuchung. 


gehenden Beispielen, mit abstufbaren Eigenschaften zu tun, 
sondern sehr vielfach auch mit sogenannten Alternativeigen- 
schaften!), die nicht in verschiedenem Grade vorkommen, sondern 
bei denen nur das Vorhandensein oder Fehlen konstatiert wird, 
wie. z. B. bei allen Kenntnisprüfungen. Da wir bei diesen Eigen- 
schaften notgedrungen auf die Herstellung zweier miteinander 
zu vergleichender Rangreihen (die hier immer nur zwei Rang- 
stufen umfassen würden) verzichten müssen, so ist es im Interesse 
der Einheitlichkeit unserer Untersuchung geboten, auch bei den 
abstufbaren Eigenschaften darauf zu verzichten und eine Dar- 
stellungsform zu wählen, die beiden Arten von Resultaten ge- 
recht wird. 

Für Resultate nun bezüglich der Alternativ-Eigenschaften 
ist die nächstliegende Form diejenige von Prozent-Angaben; es 
wird mitgeteilt, wieviel Prozent der untersuchten Personen beider 
Geschlechter die betreffende Eigenschaft besitzen und wieviel 
Prozent sie nicht besitzen. Da wir alle Resultate miteinander 
vergleichbar machen, also möglichst auf dieselbe Form bringen 
wollen, so müssen wir nun also auch die Resultate bezüglich ab- 
stufbarer Eigenschaft in Prozent-Angaben verwandeln. Damit 
kommen dann auch die an der vorher empfohlenen Darstellungs- 
weise hervorgehobenen Übelstände in Fortfall. Schon Gatton ist, 
um heterogene Resultate miteinander vergleichbar zu machen, 
diesen Weg gegangen, indem er zunächst für die eine der beiden 
Gruppen (a) den Zentralwert bestimmte und dann fragte, wieviel 
Prozent der Angehörigen der anderen Gruppe (b) eine bessere 
Leistung als die durch jenen Zentralwert repräsentierte aufwiese ; 
diese Prozentzahl ist immer zu vergleichen mit der Zahl 50°% der 
Angehörigen der Gruppe a, die besseres leisten als den Zentral- 
wert dieser Gruppe. Wir sehen so, wie Resultate über abstufbare 


Leistungen auf eine Form gebracht werden, die denen über Alter-- 


nativ-Eigenschaften ähnlich ist; nur dals die Alternative hier 
nicht Vorhandensein oder Fehlen, sondern Stärker-Vorhandensein 
oder Schwächer-Vorhandensein lautet. 








1) Die Unterscheidung von abstufbaren oder Klassifikationseigen- 
schaften einerseits und Alternativ-Eigenschaften andererseits ist natürlich 
nicht neu. G. UDNY YULE z. B. unterscheidet ‚„Variables‘‘ und ‚„Attributes“ 
(An Introduction to the Theory of Statistics. London, Charles Griffin and 
Company, 2. Aufl. 1912, S. 7). Doch erscheint die von mir gebrauchte 
Terminologie mir besser. 


e së 


4 -- 


$ 2. Problemstellung. 15 


Diese ‚Percentile‘‘-Methode hat jedoch einen Nachteil, den- 
selben, den wir schon oben als einen Mangel der blofsen Ver- 
gleichung der Zentralwerte hinstellten, — dals nämlich das Re- 
sultat nur je einen Wert in Betracht zieht und die Verteilung, 
die Streuung der Einzelwerte unberücksichtigt lälst (auch wenn 
die mittlere Variation besonders mitgeteilt wird). Ebenso wie wir 
dort eine Ergänzung des Vergleichs der Zentralwerte durch einen 
Vergleich auch sämtlicher anderer Malszahlen der Rangskala vor- 
schlagen, so dürfen wir uns hier nicht auf den Vergleich der Prozent- 
zahlen beschränken, denen der Zentralwert zugrunde liegt, sondern 
müssen ebensolche Prozentzahlen auch auf alle anderen Mals- 
zahlen basieren. Etwas Ähnliches wird bereits durch die soge- 
nannte Streuungs- oder Verteilungskurve oder -Tafel erreicht, 
die angibt, mit welcher Häufigkeit sich die einzelnen Malszahlen 
in den beiden Personen-Gruppen finden. Nur fragen wir nicht 
nach der Häufigkeit einer Malszahl, sondern nach der Häufigkeit 
einer Gruppe von Malszahlen, nämlich aller derer, die gröler 
(bzw. kleiner) sind als eine bestimmte Mafszahl. In graphischer 
Darstellung ergibt sich so ein Kurvenpaar, in dessen Abszissen 
zu zb x%> l..%n > Indie einzelnen Mafszahlen I,, I,... In 
der Reihe nach auftreten, denen als Ordinaten die ent- 
sprechenden Prozentzahlen zugeordnet sind (y,% der Vpp. 
leisten Besseres als I}, y,% leisten Besseres als I, usw.). Indem 
jedem I zwei Prozentzahlen (eine auf die männlichen und eine auf 
die weiblichen Vpp. bezügliche) zugeordnet werden, erhalten wir 
eine Reihe von Differenzen von Prozentzahlen. — Die Relevanz 
dieser Differenzen hängt jedoch nicht nur von ihrer absoluten 
Grölfse, sondern auch von der Grölsenordnung des Minuendus und 
Subtrahendus ab; die Differenz 60%, — 40%, wird für den Ge- 
schlechtsunterschied nicht mehr besagen als die Differenz 6%, — 4%. 
Es empfiehlt sich also, die in Betracht kommenden Differenzen 
alle vergleichbar zu machen, indem man sie so umformt, dals die 
Summen von Subtrahendus und Minuendus stets gleich, z. B. 
gleich 100 sind ; das bedeutet gleichzeitig eine Änderung der Frage- 
stellung. Anstatt zu fragen: wieviel Prozent der Knaben und 
Mädchen zeigen eine Leistung, die besser ist als I, fragt man: 
Unter den Personen, deren Leistung besser ist als I, sind wieviel 
Prozent männlich und wievjel Prozent weiblich ® Auch dies lälst 
sich natürlich wieder für alle verschiedenen I durchführen. 

Praktisch dürfte es allerdings nur schwer durchführbar sein, 


16 Kapitel I. Die Methode der Untersuchung. 


diese Vergleichung hinsichtlich aller die einzelnen Resultate 
zusammensetzenden Teilresultate durchzuführen. Man wird unter 
den zugrunde zu legenden I eine Auswahl treffen müssen. Nur 
den Zentralwert zu verwenden, erschien uns unzureichend, alle 
I zu verwenden, undurchführbar; wohl aber erscheint es aus- 
reichend und durchführbar, für zwei solche I das Verhalten 
der beiden Geschlechter zu vergleichen, vorausgesetzt, dals diese 
I zweckmälsig gewählt werden. Es liegt nahe, das Verhältnis 
der beiden Geschlechter innerhalb derjenigen Teile der Leistungs- 
skala miteinander zu vergleichen, die als eut", als „normal“ und 
als „schlecht“ bezeichnet zu werden pflegen!). Wenn wir uns also 
die Leistungsskala durch zwei Werte Io und Iu in drei Teile 
gegliedert denken, derart, dafs die normalen Leistungsgrade durch 
Io und Iu begrenzt werden, so fragen wir uns: Wieviel Prozent 
der Personen, die eine bessere Leistung haben als Io, bzw. deren 
Leistung zwischen Io und Iu liegt, bzw. die eine schlechtere 
Leistung haben als Iu, sind männlich und wieviel Prozent sind 
weiblich? Anders formuliert: Mit welcher Wahrscheinlichkeit 
kann man aus der Tatsache, dafs eine Person bestimmten Alters 
u. dgl. sich in einer bestimmten Beziehung übernormal bzw. 
normal bzw. unternormal verhält, auf das Geschlecht dieser Person 
einen Schlufs ziehen ? — Wir verzichten mit dieser Fragestellung 
allerdings ganz bewulst auf gewisse Nebenergebnisse unserer 
Untersuchung und fassen eben nur die Frage der Geschlechtsunter- 
schiede scharf ins Auge. Wenn es sich z. B. innerhalb eines be- 
stimmten Leistungsgebietes, z. B. des Gedächtnisses, um die 
Frage des Altersfortschrittes handelt, so geht aus unseren Zahlen 
nur hervor, ob der Geschlechtsunterschied mit wachsendem Alter 
grölser oder kleiner wird ; es bleibt aber offen, ob z.B.das Grölser- 
werden zugunsten der Knaben auf einer Beschleunigung des Ent- 
wicklungstempos der Knaben oder auf einer Verlangsamung des 
Entwicklungstempos der Mädchen beruht; das sind auch streng- 
genommen nicht mehr Fragen der differentiellen Psychologie der 
Geschlechter, sondern der differentiellen Psychologie der Alters- 
stufen. 


1) Ähnlich wie bei der „Quartile“‘-Methode. Vgl. z. B. G. UDNY YULE, 
An Introduction to the Theory of Statistics. London, Charles Griffin and 
Company, 2. Aufl. 1912, S. 147. 


8 3. Umfang der Normalzone. 17 


§ 3. 


Die Bestimmung des Umfanges der ‚„Normal“-Zone der 
Leistungsskala. 


Wir haben es bei der Untersuchung der Geschlechtsunter- 
schiede mit zwei Gruppen von Eigenschaften zu tun: 

1. solchen, die nur vorhandensein oder fehlen können; wir 
wollen sie als ‚„Alternativ-Eigenschaften‘‘ bezeichnen ; 

2. solchen, die in verschiedener Stärke vorhandensein können, 
die wir „abstufbare Eigenschaften‘ nennen wollen. 

Freilich sind diejenigen Eigenschaften, die im Sprachgebrauch 
als „Eigenschaften‘‘ bezeichnet werden, sämtlich abstufbare; z.B. 
die Intelligenz, die Stärke des Wollens, die Gefühlserregbarkeit 
usw. Wir wollen aber im folgenden als Eigenschaften auch dies 
bezeichnen, was in strengerer Terminologie gewöhnlich ‚„Ver- 
haltungsweisen‘‘ genannt wird. Diese werden in unserer Unter- 
suchung darum eine große Rolle spielen, weil zu ihnen auch Lei- 
stungen, insbesondere auch die experimentellen Verhaltungsweisen 
gehören. Hier nun handelt es sich sehr oft nur darum, ob eine 
bestimmte ‚Test‘‘-Aufgabe von der Versuchsperson gelöst wird 
oder nicht, z. B. ob die Versuchsperson die vier Grundfarben 
kennt, ob sie eine komplizierte mathematische Aufgabe zu lösen 
vermag oder dergleichen. 

Aulserdem müssen wir der Art der in der Literatur vor- 
liegenden Ergebnisse Rechnung tragen. So gehören zwar natürlich 
z. B. die Schulleistungen eigentlich zu den abstufbaren Eigen- 
schaften ; wenn wir aber die Schulleistungen der Geschlechter nach 
einer Versetzungsstatistik beurteilen wollen, so ist ja das Versetzt- 
werden eine Alternativ-Leistung. Wir wollen untersuchen, welchen 
relativen zahlenmälsigen Anteil die beiden Geschlechter an den- 
jenigen Teilen der Eigenschafts- oder Leistungsskala!) haben, die 
wir als gut, hoch, stark, übernormal — als normal, mittelmälsig — 
als schlecht, tief, schwach, unternormal zu bezeichnen haben. Hier- 
zu ist es nötig, zunächst diese etwas vagen Ausdrücke schärfer 
zu präzisieren und zahlenmälsig zu definieren. 








1) Da wir es in gleicher Weise mit Eigenschaften, wie mit Verhaltungs- 
weisen und Leistungen zu tun haben, so werden in diesem Kapitel, das sich 
auf die allgemeine Methode bezieht, diese Termini nicht scharf auseinander- 
gehalten. 


Beiheft zur Zeitschrift für angewandte Psychologie. 14. Erster Teil. 2 


18 Kapitel I. Die Methode der Untersuchung. 


Wir gehen von dem Bilde einer Schulklasse aus; eine Leistungs- 
statistik wird ergeben!), dafs ungefähr ein Viertel der Schüler 
als „gute“, eine Hälfte als „genügende‘ und ein letztes Viertel 
als ‚„ungenügende“ zu gelten haben. Ebenso können wir nun auch 
die Menschen nach der Stärke einer Eigenschaft in eine Reihe: 
ordnen und wiederum dasjenige Viertel abtrennen, bei denen die 
betreffende Eigenschaft ‚stark‘, und dasjenige Viertel, bei denen 
sie „schwach‘‘ vertreten ist; was übrig bleibt, ist diejenige Hälfte 
der Menschen, bei denen sich die Eigenschaft in solchen Stärke- 
graden findet, die als ‚mittlere‘ oder ‚normale‘ Grade zu be- 
zeichnen sind. Diese Mittelzone wird also begrenzt durch zwei 
Stärkegrade, die wir als Io und Iu bezeichnen wollen, jenseits 
derer wir von starken bzw. von schwachen Stärkegraden sprechen. 

Io ist derjenige Stärkegrad, der von genau einem Viertel der 
Vpp. übertroffen wird, Iu derjenige Stärkegrad, hinter dem die: 
Leistung bei genau einem Viertel der Vpp. zurückbleibt. 

Natürlich sollen die von uns zu bestimmenden Io und Iu 
nicht für die Gesamtheit aller Menschen und für alle möglichen 
Versuchsumstände gelten, sondern sie sind vielmehr für jede unter- 
suchte, nach Alter, Bildung, Rasse usw. definierte Personen- 
Kategorie und für jede spezielle Versuchsanordnung, Zeitlage 
u. dgl. gesondert zu bestimmen. Wir fassen also die beiden nach 
Geschlecht verschiedenen, aber im übrigen gleichen und unter 
gleichen Umständen untersuchten Gruppen einer Kategorie zu 
einer „Klasse‘‘ zusammen und definieren als Io die Leistung der 
Person %-Nr. 26,?), als Iu die Leistung der Person %-Nr. 75. 
Wenn also die Anzahl der männlichen Vpp. der betreffenden 
Kategorie nm, die der weiblichen nf beträgt, und demnach die 
Personenzahl der ‚Klasse‘ nz = nm E nf ist, so ist Io die Leistung 


26 
der Person %-Nr. 26 = Nr. — 


1 a , Iu die Leistung der Person 


75° nz 


%-Nr. 75 = Nr. "oe Allerdings gilt dies nur dann, wenn die 


Leistung der Person %-Nr. 25 von derjenigen der Person %-Nr. 26 
und ebenso die der Person %-Nr. 76 von derjenigen der Person %- 


1) Vgl. BoBERTAG, ZAngPs. 6, 508. 

2) Nach der von STERN (Differentielle Psychologie, S. 235/6) vor- 
geschlagenen Symbolik: %,-Nr. 26 ist diejenige Person, die, wenn die Anzahl 
der Personen 100 betrüge, in der nach der Stärke der Leistung ERBEN 
Reihe der Personen die Ordnungszahl 26 erhalten würde. 


§ 3. Umfang der Normaizone. 19 


Nr.75 verschieden ist, d.h. wenn die Leistungsskala eine genügend 
grofse Anzahl von Graden umfalst. Ist dies nicht der Fall, und 
fallen gerade an den kritischen Punkten die Leistungen mehrerer 
Personen auf denselben Stärkegrad, so würde, wenn wir Io als die 
Leistung der Person %-Nr. 26 definieren, weniger als ein Viertel 
der Personen eine bessere Leistung aufweisen ; Entsprechendes gilt 
von Iu. In diesem Falle mülsten also Io und Iu durch Inter- 
polation bestimmt werden; wir können allerdings für den Fortgang 
unserer Rechnung auf die zahlenmälsige Bestimmung von Io und 
Ju selbst verzichten und uns damit begnügen, die Prozentzahlen 
der Personen, die Besseres bzw. Schlechteres leisten, durch Inter- 
polation zu bestimmen. Besonders gilt dies, wenn die Leistungs- 
skala überhaupt nur zwei Grade umfalst, wie dies bei den soge- 
nannten Alternativ-Eigenschaften der Fall ist. Dafs wir diese 
überhaupt mit den abstufbaren Eigenschaften unter einen Hut 
bringen, bedarf noch einer besonderen Begründung: 

In Form von Alternativ-Resultaten werden die Ergebnisse 
bezüglich solcher Eigenschaften oder Leistungen mitgeteilt, bei 
denen es sich nur um Vorhandensein oder Fehlen handelt, wie 
bei Kenntnisprüfungen, Versetzungsstatistiken u. dgl. So sehr 
nun solche Resultate als grundsätzlich von denen bezüglich ab- 
stufbarer Eigenschaften (z. B. die zum Lernen eines Stoffes er- 
forderliche Anzahl von Lesungen) verschieden erscheinen, so gibt 
es doch zweifellos Übergänge zwischen ihnen: es kann z. B. neben 
der Zahl der Versetzten und derjenigen der Nicht-Versetzten 
auch die Zahl derjenigen mitgeteilt werden, die ‚mit Vorbehalt‘ 
versetzt werden ; die Kenntnis eines Stoffes kann nicht nur deutlich 
vorhanden sein oder deutlich fehlen, sondern mehr oder weniger 
auch zweifelhaft sein, u. dgl. Wir können also auch diejenigen 
Eigenschaften, die uns als Alternativ-Eigenschaften entgegentreten, 
als abstufbare Eigenschaften interpretieren, von denen uns aller- 
dings nur zwei Stärkegrade gegeben sind. Wir dürfen annehmen, 
dafs dieser letztere Umstand häufig nur auf praktischen Schwierig- 
keiten oder Unvollkommenheiten der Messung beruht (ich er- 
innere an den oben erwähnten Fall der Versetzungsstatistik), und 
dafs wir berechtigt sind, theoretisch weitere Zwischenstufen zu 
fingieren, die nur in dem tatsächlich vorliegenden Resultat zu 
den beiden gröberen Stufen zusammengezogen sind. Wir dürfen 
auch psychologisch annehmen, dafs nur wenigen Menschen irgend- 
eine menschliche Eigenschaft völlig fehlt, und dals es sich meist 

9s 


20 Kapitel I. Die Methode der Untersuchung. 


nur darum handelt, ob er mehr oder weniger starke Spuren dieser 
Eigenschaft besitzt, oder, dafs die Aktualisierung solcher Spuren 
leichter oder schwerer zu vollziehen ist. 

Wir suchen also auch hier den Anteil der beiden Geschlechter 
an der Zahl derjenigen Personen zu finden, die sich in dem Viertel 
der stärksten, in der Hälfte der mittleren und in dem Viertel der 
schwächsten Stärkegrade der betr. Eigenschaft befinden. Auch 
hier wäre eine Interpolation auf die Werte Io und Iu aus den 
gegebenen Malszahlen möglich; auch hier können wir allerdings 
darauf verzichten und direkt auf die entsprechenden Prozentzahlen 
interpolieren. 


§ 4, 


Die Bestimmung des Verhältnisses der Geschlechter in 
den drei Zonen der Leistungsskala. 


Die Anzahl der männlichen Vpp. der zu untersuchenden 
Klasse sei nm, die der weiblichen nf, die beider Gruppen zusammen 
nz = nm +. nf. Das oberste Viertel der Leistungsgrade wird von 
der mittleren Hälfte durch Io, das unterste Viertel durch Iu ab- 
gegrenzt. 

Es seien ferner die Anzahlen der männlichen und der weib- 
lichen Personen, 
die sich im obersten Viertel befinden, pom und pof 


nz 
(pom + pof = 4» 
die sich in der mittleren Hälfte befinden, pcm und pef 
nz 
(pem T pef = 2) 
die sich im untersten Viertel befinden, pum und puf 
nz 
(pum + puf = 7). 


Diese Zahlen pom .. . puf können jedoch aus der Verteilungs- 
tafel!) die das gesamte zahlenmälsige Resultat der betr. Unter- 
suchung widergibt, nur dann durch einfaches Abzählen erhalten 


1) Die Verteilungstafel ist so anzulegen, dafs die Resultate beider 
(Geschlechter-) Gruppen der Vpp. in einer Tafel zusammengefaist werden, 
innerhalb dieser aber unterschieden werden können. 


8 4. Verhältnis der Geschlechter. 91 


werden, wenn die Leistungsskala eine genügende Anzahl von 
Graden umfafst, d. h. wenn die Leistungen der Personen %-Nr. 25 
und %-Nr. 26 bzw. die der Personen %-Nr. 75 und %-Nr. 76 von- 
einander verschieden sind. Ist dies nicht der Fall, so müssen pom 
und pof bzw. pum und puf durch Interpolation bestimmt werden. 
Wir bilden also durch Abzählen diejenige Summe p,om + pof, 
die eben kleiner, und ferner die Summe pom + p,of, die eben 


nz 
grölser ist als T Die einzelnen Summanden dieser Summen sind 


uns gleichfalls durch Abzählen zahlenmälsig bekannt. Wenn wir 
nun eine lineare!) Verteilung zugrunde legen, so ergibt sich pom = 


nz 
(paom — p,om) (poz — 7) 


Daf — — ~~. I dieser Formel können 
P302 — Pı02 


— zur Erleichterung der Rechnung — ev. die Indices 1 und 2 
miteinander vertauscht werden. Ferner erhalten wir, indem wir 
u für o bzw. f für m einsetzen, die entsprechenden Formeln für 
pof, pum und puf. Die den Werten pum, puf, pom, pof entsprechen- 
den Prozentzahlen sind: 





pum . 100 puf . 100 

Pum = — P'uf = —— 
nm nf 

m . 100 of . 100 

Peon o porase 
nm nf 


Es kommt nun für unsere Untersuchung auf den Betrag der 
Differenzen P'um — P’uf und P’om — P’of an. Eine solche Diffe- 
renz hat jedoch immer nur einen relativen Wert; sie besagt bei 
gleichem absolutem Betrage um so mehr, je kleiner die Summe von 
Minuendus und Subtrahendus ist. Nun werden zwar die Summen 
P’um -+ P’uf und P’om + P’of immer ungefähr 50 betragen; 
sie werden diesen Betrag genau aber nur dann erreichen, wenn die 
Anzahlen der männlichen und der weiblichen Vpp. gleich sind 
(nm = nf). Es empfiehlt sich also, um die Differenzen miteinander 
vergleichbar zu machen, die Summanden so umzuformen, dafs ihr 
Verhältnis (P’um : P’uf und P’om : P’of) unverändert bleibt, ihre 


1) Strenggenommen mülste natürlich in dubio eine der GAuss’schen 
-` Kurve entsprechende Verteilung zugrunde gelegt werden; doch scheint 
bei Zugrundelegung einer linearen Verteilung der Fehler nur unbeträchtlich 
zu sein, weshalb wir diese, rechnerisch weit einfachere Methode gewählt 
haben. | 


22 Kapitel I. Die Methode der Untersuchung. 


Summen aber die gleichen (= 100) werden; d. h. wir stellen die 
Frage: Wieviel männliche und wieviel weibliche Vpp. würden sich 
im stärksten und wieviel im schwächsten Stärkeviertel -befinden, 
wenn die Anzahl sämtlicher Vpp. 400 betrüge, und die Anzahlen 
der m und der f Vpp. die gleiche (= 200) wäre? Die Antwort 
auf diese Frage geben die Werte: 


P’um . 100 P’uf . 100 
Bun P’um + P’uf ul P’um -+ P'uf 

P’om . 100 P’of . 100 
Pom = Pom Tol Pot = biom + Pol 


Die entsprechenden Werte fiir die mittlere Halfte der Starke- 
skala, die nach unserer Voraussetzung 200 Personen umfalst, 
ergeben sich dann als 

Pem = 200 — (Pom + Pum) und Pcf = 200 — (Pof + Puf) 

Diese Werte besagen also: 

Wenn wir 200 männliche + 200 weibliche Personen danach 
ordnen, mit welcher Stärke sie eine bestimmte Eigenschaft be- 
sitzen, so befinden sich unter denjenigen 100 Personen, welche 
die schwachen Grade der Eigenschaft aufweisen, Pum männliche 
und Puf weibliche, unter den 200 Personen mit mittleren Stärke- 
graden Pcm männliche und Pcf weibliche, unter den 100 Personen 
mit hohen Stärkegraden Pom männliche und Pof weibliche. 

Oder: 

Wenn eine Person eines gewissen Alters usw. eine bestimmte 
Eigenschaft in einem hohen Grade besitzt, so ist mit der Wahr- 
scheinlichkeit Pom : Pof darauf zu schliefsen, dals sie männlich 
ist; bei einer mittleren Stärke der Eigenschaft ist die entsprechende 


Pem Pef, 
Wahrscheinlichkeit "e "a 
einem geringen Grade besitzt, Pum : Puf. 





und, wenn sie die Eigenschaft in 


Gewisse Abweichungen von der oben geschilderten Berechnungs- 
methode ergeben sich dann, wenn in den zugrunde liegenden Einzelresultaten 
d. h. in der uns literarisch zur Verfügung stehenden Verteilungstafel nicht 
die absoluten Zahlen der Vpp., die eine bestimmte Leistung aufweisen, 
sondern die entsprechenden Prozentzahlen mitgeteilt sind. Wir können 
dann aus der Verteilungstafel entweder die Prozentzahlen P’om usw. direkt 
entnehmen (nämlich dann, wenn P’om + P’of = 50) oder wir müssen, 
ähnlich wie oben, aus den Prozentzahlen P,’om und P,’om auf P’om inter- ` 
polieren. Streng genommen wäre es allerdings im Interesse absoluter Ein- 
heitlichkeit aller Berechnungen erforderlich, entweder alle als Prozentzahlen 
gegebenen Einzelresultate auf absolute Zahlen oder umgekehrt alle als 


§ 4. Verhältnis der Geschlechter. 23 


absolute Zahlen gegebenen noch vor der Interpolation auf Prozent- 
zahlen umzurechnen; denn zu genau demselben Resultat führen 
die beiden möglichen Wege nur dann, wenn die Anzahlen der männlichen 
und der weiblichen Vpp. gleich sind. Wesentlich verschieden fallen die 
Berechnungen allerdings nur dann aus, wenn auch die Anzahlen der Vpp. 
wesentlich verschieden sind; ich habe daher auf die absolute Einheitlichkeit 
der Methode verzichtet und im Interesse einer sehr bedeutenden Verein- 
fachung meiner Berechnungen je nach der Art, in der mir die Einzelresultate 
gegeben waren, bald diese, bald jene Methode verwendet. . 


Als Prozentzahlen sind uns gewöhnlich auch die Resultate 
der Untersuchung von Alternativ-Eigenschaften gegeben ; nur dafs 
die Stärkeskala hier nur zwei Stufen umfalst; wir können sie er- 
gänzen durch zwei weitere fingierte Stufen, die so zu wählen sind, 
dals keine Vpp. den betr. Stärkegrad erreicht bzw. dals alle 
Vpp. ihn übertreffen. Zu den beiden Paaren der uns gegebenen 
Prozentzahlen [ P’;om und P’,of; P’,um (= 100 — P’,om) und P’,uf 
(= 100 — P’,of)] kommen also noch die beiden weiteren P’,om 
‘(= 100) und P’,of (= 100) sowie P’;um (= 0) und P’,uf (= 0). 
Wir können nun wiederum, wie vorher auf P’om usw. inter- 
polieren. 

Die Berechtigung einer solchen (linearen) Interpolation ist 
allerdings auch hier fraglich ; sie geht von der Annahme aus, dals, 
wenn sich z. B. unter den 25 besten Vpp. 12 männliche und 13 
weibliche befinden, sich dann unter den 100 besten 48 männliche 
und 52 weibliche befinden werden. Diese Annahme ist natürlich 
nicht ohne weiteres berechtigt, da sie einen gleichen Verlauf der 
Verteilungskurve bei den m und f zur Voraussetzung hat; diese 
Voraussetzung aber ist sicherlich, wie wir später sehen werden, 
in den meisten Fällen unzutreffend. Dennoch halten wir unter 
den gegebenen Umständen, bei denen wir Näheres über die Form 
der Verteilungskurve noch nicht wissen, die obige Art der Inter- 
polation für relativ berechtigt, da die ihr zugrunde liegende An- 
nahme und Berechnungsweise von allen sonst in Betracht kommen- 
den Möglichkeiten die weitaus einfachsten sind, und die etwaigen 
Fehler jedenfalls im Sinne des Zieles unserer Untersuchung nicht 
sehr beträchtlich sein können. 

Wir brauchen aber diese Interpolationsrechnung nicht aus- 
zuführen, sondern kommen zu demselben Resultate, wenn wir 
Pom usw. direkt aus den folgenden Formeln berechnen: 


24 Kapitel I. Die Methode der Untersuchung. 











P,’om . 100 P’,of . 100 
EO Pieri Por Pot = prom + P'of’ 

P,'um . 100 P’,uf . 100 
Pum = P’,um + P, uf’ Puf = P’,gum + P‘,uf i 


Pem = 200 — (Pom + Pum) Pcf= 200 — (Pof + Puf). 

Diese ganze Methode läuft also darauf hinaus, dals wir die 
eine uns gegebene Differenz zweier Prozentzahlen (P’,om — P',of) 
in zwei (bzw. drei) solche Differenzen zerlegen und diese Differenzen 
dann zur absoluten Grölse von Minuendus und Subtrahendus in 
Beziehung setzen. — Eine solche Zerlegung dürften wir auch dann 
vornehmen, wenn unsere Auffassung der Alternativ-Eigenschaften 
als einer besonderen Klasse der abstufbaren Eigenschaften un- 
zulässig wäre. 


Rechenbeispiel. 


Schulalter der 12jährigen Schüler und Schülerinnen der ‚Regular 
Classes‘ sämtlicher Public Schools in Philadelphia am 15. Dezember 
1909, berechnet aus ,,Annual Report of the Superintendent of 
Public Schools of the City of Philadelphia, for the year ending 
Dezember 31, 1910“, Tables 53—55, S. 138—143. 
Von den 12jährigen Schülern Schülerinnen Summe 
befanden sich in der 


1. Klasse d. Elem.-Sch. 63 69 132 
2. sg a 5 307 258 565 
3. 5 > = 1022 831 1853 
de 3 1852 1670 3522 
5. Se s5 4 2185 2471 4656 
6. 5 pe e 1906 2037 3943 
7. gé Sé d 1036 1143 2179 
8. 4, 5 s, 159 133 292 
ly. = », High ,, 9 9 18 


Summe nm = 8539 nf = 8621 nz = 17160 
nz 
“4 = 4290, %-Nr. 26 = 4462, %-Nr. 75 = 12870. 


In einer höheren Klasse als der 
6. befinden sich 2489 Kinder = 1204 Schüler + 1285 Schülerinnen 
5. befinden sich 6432 Kinder = 3110 Schüler + 3322 Schülerinnen 
Io liegt also zwischen der 5. und 6. Klasse. 


In einer niedrigeren Klasse als der 


§ 5. Zuverlässigkeit der herangezogenen Resultate. 25 


4. befinden sich 2550 Kinder = 1392 Schüler + 1158 Schülerinnen 
5. befinden sich 6072 Kinder = 3244 Schiller + 2828 Schülerinnen 
Iu liegt also zwischen der 4. und 5. Klasse 


p,om = 1204 pom = 3110 ' p,um = 1392 pum = 3244 
p,of = 1285 p,of = 3322 pıuf = 1158 p uf = 2828 
p,0z = 2489 poz = 6432 pıuz = 2550 p,uz = 6072 
Daraus ergibt sich 

pom = 2047 pum = 2307 

pof = 2216 puf = 1983 

P’om= 24 P’um= 27 

Pof = 26 P' uf = 23 

Pom = 48 Pcm = 98 Pum = 54 

Pof = 52 Pcf = 102 Puf = 46 

Do =-— 4 Du = — 8 (vgl. § 9) 

Qo = 8 Qu = 32 (vgl. § 5) 


Vm = 0,20 Vf = 0,20 (vgl. § 28). 


8 5. 


Die Beurteilung der Zuverlässigkeit der herange- 
gezogenen Resultate. 


Das in der psychologischen und pädagogischen Literatur oder 
sonstwie (z. B. als Zensuren) vorliegende Material über psychische 
Geschlechtsunterschiede ist aulserordentlich umfangreich; ich 
glaube, die Zahl der der Forschung unmittelbar zugänglichen 
Einzelresultate nicht zu überschätzen, wenn ich sie auf etwa 
10000 veranschlage. Was die psychologische Literatur betrifft, 
so wären ja nicht nur diejenigen Arbeiten heranzuziehen, die aus- 
drücklich mit der Absicht, Geschlechtsunterschiede zu konstatieren, 
unternommen wurden, sondern auch alle diejenigen, bei denen 
zum Zwecke einer allgemein psychologischen Feststellung neben 
männlichen auch weibliche Versuchspersonen verwendet wurden. 

Abgesehen davon, dals diese Fülle des Materials schon an sich 
eine gewisse Beschränkung auferlegt, so ist auch der Wert der 
vorliegenden Resultate für unsere Fragestellung ein sehr ver- 
schiedener. 

Als Gesichtspunkt für die Auswahl des von uns heranzu- 
ziehenden Materials entscheiden wir uns also für den der Zuver- 
lässigkeit. 


26 Kapitel I. Die Methode der Untersuchung. 


Für die Beurteilung der Zuverlässigkeit eines Resultates über 
Geschlechtsunterschiede stehen uns folgende Kriterien zur Ver- 
fügung: 

1. Die Bedingungen, unter denen das Resultat gewonnen 
wurde, müssen für die Personen beider Geschlechter durchaus die 
gleichen gewesen sein, und auch die Personen selbst, an denen die 
Resultate gewonnen wurden, müssen in bezug auf Alter, Bildungs- 
grad, Bildungsart, Übungsgrad u. dgl. einander gleichen und dürfen 
sich nur durch ihr Geschlecht, d. h. primäre und sekundäre Ge- 
schlechtsmerkmale unterscheiden. 

Die Frage der Gleichheit der Versuchsbedingungen wird sich 
im allgemeinen leicht entscheiden lassen. Nur ein Punkt ist dabei 
fraglich: liegt es in der Forderung der Gleichheit der Versuchs- 
bedingungen, dafs der Versuchsleiter für beide Geschlechter die- 
selbe Person ist, oder ist diese Gleichheit dann in höherem Grade 
gewährleistet, wenn der Versuchsleiter stets von demselben oder 
stets von dem anderen Geschlecht ist wie die Versuchspersonen ? 
Die Frage wird z. B. dann relevant, wenn wir uns entscheiden 
sollen, ob wir zum Vergleich der Schulleistungen der beiden Ge- 
schlechter die Leistungen in Mädchenschulen mit den Leistungen 
in Knabenschulen miteinander vergleichen sollen, oder ob wir 
Wert auf die gleichbleibende Person des ‚‚Versuchsleiters‘‘ legen, 
d. h. nur die aus Koinstruktion stammenden Schulleistungen in 
Vergleich setzen sollen. Wir haben uns für das letztere ent- 
schieden!), werden aber damit rechnen müssen, dafs möglicher- 
weise bei Koinstruktion dasjenige Geschlecht dem auch die Lehr- 
person angehört, eo ipso im Vorteil oder eo ipso im Nachteil sei. 

2. Nachdem wir die Herkunft der Resultate geprüft haben, 
müssen wir die Resultate selbst daraufhin untersuchen, ob sie für 
unsere Zwecke verwertbar sind. Eine Bedingung dafür ist natürlich 
zunächst die, dals die vorliegenden Zahlenangaben die für unsere 
Berechnungsweise erforderlichen Grundlagen enthalten. Bei ab- 


1) Wir haben also nur solche Schulzensuren und Examensleistungen 
männlicher und weiblicher Personen in Vergleich gestellt, bei denen die 
zensierende Lehrperson dieselbe war. Eine Ausnahme bilden die Leistungen 
der über 10 Jahre alten Stockholmer Schulkinder (7), da in Stockholm 
nur bis zu diesem Alter Koinstruktion herrscht. Aber da es sich hier um 
dieselben Kinder handelt, deren Schulleistungen durch ihre ganze Schul- 
laufbahn hindurch verfolgt wurden, so haben wir auch die Leistungen der 
über 10 Jahre alten gerade des Vergleichs wegen mit aufgenommen. 


§ 5. Zuverlässigkeit der herangezogenen Resultate. 27 


stufbaren Eigenschaften dürfen also nicht nur die arithmetischen 
Mittel oder Zentralwerte gegeben sein, sondern wir mussen aus 
einer Verteilungstafel entnehmen können, wie viele Personen jedes 
Geschlechts auf jeden Stärkegrad der Eigenschaft entfallen; bei 
nicht abstufbaren Eigenschaften dürfen die mitgeteilten Prozent- 
zahlen keine ‚gemischten‘ semi), d bh die Zahl der zugrunde 
liegenden Versuche (n) darf nicht nur als Produkt aus der Zahl der 
Vpp. und der Zahl der mit jeder Vp. angestellten Versuche mit- 
geteilt sein. ® . 

Wir haben dann zu untersuchen, ob die Zahl der Personen 
jedes Geschlechts ausreichend war, um jeden Zufall auszuschliefsen, 
d. h. um die Möglichkeit als unwahrscheinlich hinzustellen, dafs 
von dem einen Geschlecht zufällig z. B. besonders Intelligente, 
vom anderen besonders Unintelligente als Versuchspersonen aus- 
gewählt wurden, die nicht als typische Vertreter ihres Geschlechts 
betrachtet werden können. Dals ein Resultat in diesem Sinne auf 
Zufall beruhe, wird um so weniger wahrscheinlich sein, je grölser 
entweder der gefundene Unterschied oder die Zahl der Personen 
beider Gruppen ist. Je grölser der Unterschied, desto kleiner 
kann die Zahl der Personen sein, wenn die Wahrscheinlichkeit, 
dafs das Resultat nicht auf Zufall beruhe, denselben Wert behalten 
soll. Diese Gesetzmälsigkeit kommt in der von Berz*) angegebenen 
Formel für den wahrscheinlichen Fehler der Differenz. zweier 
Prozentzahlen zum Ausdruck. Das Resultat kann mit ziemlicher 
Wahrscheinlichkeit dann als zuverlässig betrachtet werden, wenn 
die Differenz der Prozentzahlen wenigstens doppelt?) so grols ist 
wie der Betrag des wahrscheinlichen Fehlers: 


41/P’um (100 — P’um) P’uf (100 — P’uf) 
| P'um — P'uf So a ren 
3 nm nf 


1) Vgl. LIPMANN, Welche Mindestzahl von Versuchen ist zur Sicherung 
eines zahlenmälsigen Resultates erforderlich ? Z Ang Ps. 7, 409—414, 1913. 
2) BETZ, Der wahrscheinliche Fehler von prozentuellen Häufigkeiten, 
Z Ang Ps. 5, S. 365, 1911. 

3) Bei astronomischen und physikalischen Beobachtungsreihen be- 
trachtet man ein Ergebnis erst dann als verbürgt, wenn es seinem Betrage 
nach etwa 4mal so grof» ist wie der w. F. — Übrigens verwendet man dort 
fast ausschliefslich den mittleren Fehler als Maís der erreichten Genauig- 
keit. — Bei Anwendung eines ebensoscharfen Kriteriums hätte ich nur 
solohe Differenzen verwenden dürfen, bei denen Q > 7;d.h. ich hätte mehr 
als die Hälfte der verwerteten Einzelergebnisse aulser Betracht lassen müssen. 


28 Kapitel I. Die Methode der Untersuchung. 


ke (P’um — P’uf)® S 16 
` P'um (100 — Pum)  Puf (100 — Puf)~ 9 
a ee nn, 
nm nf 
Bezeichnen wir die linke Seite der letzten Ungleichung mit 
Qu, so ist also das Bestehen einer Differenz P’um — P’uf dann als 
relativ sicher gestellt zu betrachten, wenn Qu > 2. 


Ebenso können wir, indem wir den Wert 
(P’om — Doft 


od 





Pom. (100— Pom) Prof ,(100- Pop ~ Q? 
nm + nf 


setzen, das Bestehen der Differenzen P’om — P’of dann als relativ 
sichergestellt betrachten, wenn Qo = 2')*). 

Diese Methode ist nur dann unbrauchbar, 

a) wenn P’um = P’uf bzw. P’om = P’of, weil dann der 
Betrag von Qu bzw. Qo immer gleich 0 wird, d. h. eine unendlich 
grolse Zahl von Versuchspersonen erforderlich wäre, um dem 
Quotienten einen endlichen Wert zu verleihen. Wir helfen uns 
in diesem Falle, indem wir den Quotienten so berechnen, als ob 
P’um = P’uf + 1 bzw. P’om = P’of + 1 ware. 

b) Wenn von den Werten P’um und P’uf bzw. P’om und P’of 
der eine gleich 100, der andere gleich 0 ist, weil dann immer Qu = 
co bzw.Qo = oo, auch wenn nm und nf nur gleich 1 sind. Ebenso 
waren rein rechnerisch betrachtet allzu kleine Anzahlen von Vpp. er- 
forderlich, wenn die Differenzen P'um — P’uf bzw. P'om — P’of 
gleich 99,98... sind. Die Berzsche Formel führt nur dann zu 
praktisch brauchbaren Werten, wenn die Differenzen der Prozent- 


1) Wenn Q = 2 479 11 16 22 25 28 36 44 49 64 81 
u a = 2,13445 6 6 77,5 8 9 10 10,5 12 13,5 usf. 
3) Die Grölse des wahrscheinlichen Fehlers hängt, abgesehen von der 
Personenzahl, nicht nur von der Grofse der Differenz, der beiden Prozent- 
zahlen, sondern auch davon ab, ob diese mehr oder weniger nahe an 50 
liegen. Nun ist die Summe der nach der Klassifikationsmethode gewonnenen 
Prozentzahlen (P’om + P’of bzw. P’um + P’uf) stets annähernd gleich 50; 
diese Prozentzahlen selbst liegen also meist in der Nähe von 25; dagegen 
können die nach der Alternativmethode berechneten Prozentzahlen- 
Summen P’om + P’of und P’um + P’uf jeden Zahlenwert zwischen 0 und 
100 annehmen, und daher sind auch die einzelnen Summanden in ihrer 
Gröfse völlig frei. Aus diesem Grunde sind die zu abstufbaren und zu 
Alternativresultaten zugehörigen Q miteinander nicht völlig vergleichbar, 





so ist 


BA Zuverlässigkeit der herangezogenen Resultate. 29 


zahlen höchstens etwa gleich 15 sind. In allen Fällen, in denen 
sie grölser sind, wird man als Mindestzahl von Vpp. wenigstens 
10 m und 10 f fordern müssen, auch wenn sich þei geringeren An- 
zahlen noch Werte von Qu > 2 bzw. Qo > 2 ergeben. 

Wir scheiden also zunächst alle Fälle aus, in denen die Zahl 
der m und der f nicht wenigstens je 10 ist. Bei den übrig bleibenden 
Resultaten stellen wir den wahrscheinlichen Fehler und den 
Quotienten @ fest und scheiden ferner diejenigen Fälle aus, in 
denen Q < 2. 

Sind die Resultate in einer nach irgendwelchen Gesichts- 
punkten fraktionierten Form gegeben, werden also z. B. die ge- 
bildeten m und f getrennt von den ungebildeten, die jüngeren 
getrennt von den älteren behandelt, oder war eine Veränderung 
der Versuchsanordnung für die Fraktionierung malsgebend, so 
behalten wir sie in möglichst hohem Grade bei. Wir berechnen 
also auch den wahrscheinlichen Fehler für jedes Teilresultat be- 
sonders. Nur dann, wenn die Teilresultate — jedes für sich be- 
trachtet — zu kleine Q ergeben, in sich aber, was die Richtung 
des Unterschiedes zwischen den m und den f betrifft, überein- 
stimmen, ziehen wir sie zu einem Gesamtresultat zusammen und 
berechnen für dieses den wahrscheinlichen Fehler. 

Die Zusammenziehung der Teilresultate (a, b ...) zu einem Gesamt- 
resultat kann auf zwei Wegen erfolgen: 

1. Wir bilden pum puma + pumb +... 


puf = pufa + pufb +... 
pom = poma + pomb +... 
pof = pofa + pofb +... 


berechnen aus pum bzw. puf bzw. pom bzw. pof 
und den Werten nm = nma + nmb +... 
und nf =nfa +nfb +... 

die Werte P’um, P’uf, P’om und P’of, 
berechnen nach der angegebenen Methode die wahrscheinlichen Fehler der 
Differenzen P’um — P’uf und P’om — P’of und bilden die Werte Qo und Qu. 

2. Von dieser Methode kann man dann abweichen, wenn die zwei oder 
mehr Teilreihen (a, b, ...), deren Resultate jedes für sich nicht ausreichen, 
um gleiche Zentralwerte (Icz) gruppiert sind. Man kann dann von der Be- 
stimmung der den Teilreihen entsprechenden Werte puma ... pofb ab- 
sehen, die Einzelwerte beider Reihen zu einer Reihe kombinieren und 
gleich fiir diese kombinierte Reihe die Werte pom ... pof bestimmen und 
mit ihnen wie oben verfahren. 


30 


Kapitel II. 
Die Einzelergebnisse. 
§ 6. 
Vorbemerkung. 


Ich habe indiesem Kapitel die sämtlichen , meinen weiteren Aus- 
führungen zugrunde liegenden zahlenmälsigen Resultate zusammen- 
gestellt, und zwar inder Form, dals für jede Einzeluntersuchung und 
für jede Gruppe von Vpp. angegeben wird, wie viele männliche Vpp. 
sich im obersten Leistungsviertel (Pom), in der mittleren Leistungs- 
hälfte (Pem) und im untersten Leistungsviertel (Pum) befinden 
würden, wenn die Gesamtanzahlen der männlichen und der weib- 
lichen Vpp. gleich (= 200) wären, wenn sich also im obersten 
Leistungsviertel im ganzen 100, in der mittleren Hälfte im ganzen 
200 und im untersten Leistungsviertel im ganzen 100 Vpp. be- 
fänden. Die entsprechenden Anzahlen für die weiblichen Vpp. 
(Pof, Pef, und Puf) sind also aus den angegebenen Zahlen ohne 
weiteres durch Subtraktion von 100, bzw. 200 zu ermitteln. Einer 
Überlegenheit der männlichen Vpp. über die weiblichen hinsichtlich 
einer bestimmten Eigenschaft entspricht also die Tatsache, dafs 
ein Pom > 50 oder ein Pum < 50. 

Die mitgeteilten Zahlen können auch so verstanden werden: 
Sie bezeichnen die Wahrscheinlichkeit, mit der aus einer guten, 
bzw. schlechten Leistung bei der betreffenden Untersuchung auf 
das männliche Geschlecht der Vpp. geschlossen werden kann. Ins- 
besondere ergibt sich bei der Untersuchung der Alternativ-Eigen- 
schaften, dafs oft nur das Vorhandensein, nicht aber das Fehlen 
der betreffenden Eigenschaft als charakteristisch für das eine oder 
das andere Geschlecht betrachtet werden kann, nämlich wenn die 
Eigenschaft überhaupt selten ist (dann ist im extremsten Falle 
Pom = 100, Pem = 50, Pum = 50 oder Pom = 0, Pem = 150, 
Pum = 50); auch umgekehrt ist, bei Eigenschaften, die tiberhaupt 
nur sehr selten fehlen, natürlich nur das Fehlen, nicht aber das 
Vorhandensein für ein Geschlecht charakteristisch (im extremsten 
Falle ist dann Pom = 50, Pem = 150, Pum = 0 oder Pom = 50, 
Pem = 50, Pum = 100). 

Der Grad der Zuverlassigkeit des betreffenden Resultates 


§ 6. Vorbemerkung. | 31 


wird durch die Symbole Qo und Qu bezeichnet. Sie zeigen an, 
wieviel mal die Differenz der zugrunde liegenden Prozentzahlen 
grölser ist als ihr wahrscheinlicher Fehler. Resultate, bei denen 
Q < 2, sind nicht mit angeführt. Häufig war bei einem Resultat 
nur Qo oder Qu grölser als 2; dann wird nur Pom bzw. nur Pum 
mitgeteilt, und die fehlenden Angaben sind durch — ersetzt. 

Die aus einer und derselben Untersuchung herrührenden 
Einzelergebnisse sind im allgemeinen — d. h. so weit sachliche 
Gründe (inhaltliche Zusammenhänge) nicht eine andere Reihen- 
folge bedingten — so angeordnet, dafs diejenigen Fragen, bei 
denen sich durchschnittlich die gröfste Überlegenheit der männ- 
lichen Versuchspersonen ergab, an die Spitze, und diejenigen, bei 
denen die weiblichen Versuchspersonen sich am stärksten über- 
legen zeigten, ans Ende gestellt sind. 

Diejenigen Ergebnisse, zu denen als Malsstab der Inter- 
variation Vm und Vf berechnet werden konnte (vgl. Teil II B 
S. 53 und § 34) sind durch x bezeichnet; diejenigen Ergebnisse, 
bei denen als Mafsstab der Intervariation einer kombinierten 
Gruppe auch Vz berechnet werden konnte, sind durch x x be- 
zeichnet. 

Ich teile die Resultate in zwei Abteilungen, indem ich zu- 
nächst die aus nicht veröffentlichten Materialien herrührenden, 
und im nächsten Paragraphen die der Literatur entnommenen 
zusammenstelle, alphabetisch nach den Namen der Untersucher 
geordnet. 


3.7. 


Die aus unveröffentlichten Materialien herrührenden 
Ergebnisse siehe Teil II A,.S. 6ff. 


§ 8. 
Die der Literatur entnommenen Ergebnisse. 


Wegen des grofsen Umfanges der hierhergehörigen Tabellen 
mulste von einer Drucklegung abgesehen werden. Die Tabellen 
liegen im Archiv des Instituts für angewandte Psychologie, Berlin, 
und stehen von dort aus Interessenten zur Einsichtsnahme zur 
Verfügung. | 


32 


Kapitel III. 
Systematische Übersicht über die Einzelergebnisse. 
§ 9. 
Vorbemerkung. 


Der Hauptzweck dieses Kapitels ist der, die bisher nur nach 
Autoren geordneten Einzelresultate einigermalsen in ein System 
zu bringen. Es soll also eine Übersicht darüber ermöglicht werden, 
ob und inwieweit die Autoren, welche dieselben oder verwandte 
Probleme bearbeitet haben, hinsichtlich der Geschlechtsunter- 
schiede zu demselben Resultat gekommen sind, oder ob Wider- 
sprüche vorliegen, wie solche sich etwa lösen lassen usw. Es werden 
also in diesem Kapitel nicht sämtliche Resultate des Kapitels II 
noch einmal angeführt werden; andererseits werden manche Er- 
gebnisse auch zwei oder mehreren Schlagworten unterzuordnen sein. 

Ich gebe die zahlenmälsigen Resultate hier in verkürzter 
Form in groben Durchschnittszahlen wieder, nur um eine ganz 
ungefähre Übersicht über die Grölse etwaiger Geschlechtsunter- 
schiede zu ermöglichen; für eingehendere Untersuchungen muß 
auf das Studium der Tabellen des Kapitels II verwiesen werden. 
Was die Form, in der ich diese Durchschnittsresultate hier mit- 
teile, betrifft, so habe ich die Werte Do = Pom — Pof und Du 
= Puf — Pum gewählt. Die Werte Do und Du zeigen also an, um 
wieviel Personen die männlichen Vpp. unter den 100 Personen des 
obersten Viertels stärker bzw. unter den 100 Personen des untersten 
Viertels schwächer vertreten sind als die weiblichen Vpp. Positives 
Vorzeichen deutet also stets auf Überlegenheit der männlichen, 
negatives Vorzeichen auf Überlegenheit der weiblichen Personen. — 
Wenn sich z. B. bei einer Ästhesiometer-Schwellen-Bestimmung 
Do = — 92, Du = — 32 ergibt, so bedeutet dies, dafs sich unter 
den Personen mit relativ niedrigen Schwellen (oberstes Leistungs- 
viertel) 4% männliche und 96% weibliche (4 — 96 = — 92) be- 
fanden; und unter den Personen mit relativ hohen Schwellen 
(unterstes Leistungsviertel) 66%, männliche und 34% weibliche 
(34 — 66 = — 32). 

Die den Paragraphenüberschriften hinzugefügten Nummern 
verweisen auf diejenigen im Literaturverzeichnis angeführten 
Arbeiten bzw. auf diejenigen in Kapitel II angeführten Ergebnisse, 
die im betr. Abschnitt herangezogen werden. 


§ 10. Empfindungen. 33 


Tabellarische Übersichten über die hier besprochenen Er- 
gebnisse finden sich im Teil II C, S. 56ff. 


§ 10. 
Empfindungen. 
1. Raumsinn der Haut. 


(20, 35, 88/89, 97, 105.) 


Die Ergebnisse der von Burrt-MoorE, GALTON, SCHUYTEN, 
STERN und Taomrson an Personen verschiedenen Alters und an 
verschiedenen Stellen der Körperoberfläche (rechter Unterarm, 
rechtes und linkes Jochbein, rechter Zeigefinger) angestellten 
Versuche stimmen i. A. darin überein, dafs die f!) zwei die Haut 
gleichzeitig berührende Zirkelspitzen noch bei kleinerer Spitzen- 
distanz als zwei zu erkennen vermögen als diem. Ein Unterschied 
findet sich nur bei den intelligenteren Vpp. ScauyTEns, d.h. denen, 
die sich bei gleichem Alter (10 Jahre) bereits in einer höheren 
Schulklasse befinden als ihre Altersgenossen. Hier ist die Haut- 
empfindlichkeit der Knaben deutlich feiner als die der Mädchen; 
bei den weniger intelligenten 10jährigen scheint die Überlegenheit 
der Mädchen bei fortgesetzten Versuchen unter dem Einflusse 
der Übung abzunehmen. 


2. Druck- und Schmerzsinn. 
(8, 96, 105.) 


Nach Tuoursons Untersuchungen gibt es unter den wenig 
gegen Druck und Schmerz empfindlichen Studenten mehr m als f 
(Du = — 38). 

Ebenso deutet das Ergebnis von Hreymans, dafs unter den 
übertrieben gegen Kälte empfindlichen Kindern sich mehr Mädchen 
als Knaben befinden, auf eine grölsere Hautsensibilität der f (Do = 
— 28, Du = — 2). 

Andererseits könnte man aus dem Ergebnis Srarsucks, dals 
nämlich nur bei Männern einer ‚inneren Wandlung“ manchmal 


1) Wenn ein Resultat nur für gewisse Altersstufen gilt, so sprechen 
wir vom Gegensatz der Knaben und Mädchen bzw. der Männer und Frauen. 
Gilt es allgemeiner, so verwenden wir die Symbole m = männliche Personen, 
f = weibliche Personen. 


Beiheft zur Zeitschrift für angewandte Psychologie. 14. Erster Teil. 3 


34 Kapitel IIl. Systematische Übersicht über die Einzelergebnisse. 


Sensibilitätsstörungen vorausgehen, schlielsen, dals die Sen- 
sibilität im Seelenleben des Mannes eine grölsere Rolle spielt als 
in dem der Frau (Do = + 100, Du = + 16). 


3. Gewichtsinn unter normalen und unter täuschenden 
Bedingungen. 


(10, 91, 105, 118.) 


Die Unterschiedsempfindlichkeit für zu hebende Gewichte 
ist von THompson unter normalen, von SEASHORE und WoLFE 
unter täuschenden Bedingungen an Studenten untersucht worden; 
in den letzteren Fällen unterschieden die miteinander zu ver- 
gleichenden Gewichte sich auch durch ihr Material und ihre Raum- 
grölse. Es ergab sich, unabhängig von solchen Bedingungen, fast 
durchgängig eine Überlegenheit der Männer. Ebenso fanden 
Broca-Preiss, die von Kindern fünf Gewichte in eine Reihe ordnen 
liefsen, eine Überlegenheit der Knaben, die aber mit wachsendem 
Alter abzunehmen scheint. 


4. Geschmacksinn. 
(48, 76, 105.) 


Nach den Ergebnissen Tnomrsons an Studenten werden Chinin- 
(bittre) und Schwefelsäure- (saure) Lösungen von reinem Wasser 
von Frauen bereits bei schwächeren Lösungsgraden unterschieden 
als von Männern; unter den Personen mit mangelhaftem Unter- 
scheidungsvermögen befinden sich nur relativ wenig Frauen. 

Auch die Konzentration einer Schwefelsäurelösung, die zur 
Erkennung des saueren Geschmackes eben ausreicht, braucht für 
Frauen nur eine weniger gesättigte zu sein als für Männer. 

Dafs Geschmackseindrücke auf Frauen lebhafter wirken als 
auf Männer, geht vielleicht auch aus der Feststellung Potwins 
hervor, wonach die am weitesten zurückreichende Erinnerung nur 
bei Frauen sich manchmal auf einen Geschmackseindruck bezieht 
(Do = — 100, Du = — 4). 

Andererseits legen Männer mehr Wert auf gutes Essen und 
Trinken, wie auch aus der Enquete von HEeyMans-WieErsMa hervor- 
geht (Do = + 20, Du = + 15). 


§ 10. Empfindungen. 35 


5. Gehorsinn. 
(1, 7, 8, 20, 48, 61, 65, 82, 90, 91, 96, 98, 105, 112.) 


Unter den Studenten, deren Hörgrenze weit herabreicht, fand 
Taosrson mehr Männer als Frauen. 

Die Unterschiedsempfindlichkeit für Tonhöhen fanden Burr- 
Moore und SEASHoRE übereinstimmend bei f besser als beim. Unter 
den von ScuwasE-BarrtHotomir untersuchten Schulrekruten ver- 
mochten jedoch mehr Knaben als Mädchen einen vorgesungenen 
Ton richtig nachzusingen (Do = + 8, Du = + 10). 

In gewissem Zusammenhange mit der besseren Unterschieds- 
empfindlichkeit steht vielleicht auch die übereinstimmend von 
. Heymans und Heymans-Wiersma konstatierte weitere Verbreitung 
der musikalischen Begabung unter den Frauen, der Amusie bei 
den Mannern. 

Das gleiche Bild zeigen im allgemeinen die Schulleistungen 
in Bielefeld, Bristol, Stockholm und Washington. 

Ebenso ist die Beschäftigung mit Musik bei mehr Frauen als 
Männern die Lieblingsbeschäftigung, wie sich übereinstimmend 
bei Heymans und Txompson zeigt. 

Gesang als Lieblingsfach in der Schule zeigt keine überein- 
stimmenden Ergebnisse (H. Stern, Wiederkehr). Hier ist wohl 
auch weniger Freude an der Musik malsgebend, als z. B. der Um- 
stand, dals „Gesang‘‘ zu den Fächern gehört, für die keine häus- 
lichen Arbeiten u. dgl. zu leisten sind. 

Auch dafs nach Monroe und ScHEirter mehr Knaben als 
Mädchen das Spielen mit Trommeln und Blasinstrumenten usw. 
als Lieblingsspiel bezeichnen, deutet wohl nicht auf eine grölsere 
Vorliebe der Knaben für „Musik“! 

Dafs das Hören im Seelenleben der Frau öfter eine Rolle 
spielt als in dem des Mannes, geht endlich vielleicht auch aus 
StArBucks Feststellungen hervor, wonach nur bei Frauen einer 
„inneren Wandlung‘ manchmal Hörstörungen vorausgingen (Do = 
— 100, Du = — 4). 


3* 


35 Kapitel III. Systematische Übersicht über die Einzelergebnisse. 


6. Gesichtssinn. 
a) Helligkeit. 
(95, 105.) 


Spearman fand unter den 10-—13jährigen Kindern mit 
schlechter Unterschiedsempfindlichkeit für Grau-Nuancen mehr 
Knaben. 

Dagegen zeigen die Ergebnisse Tuomrsons an Studenten eine 
bessere Unterschiedsempfindlichkeit der Männer. 


b) Farben. 
(11, 30, 44, 51, 76, 84, 96, 105, 110, 111.) 


Bei Schwellenuntersuchungen fanden sowohl Jones wie 
Tompson eine Überlegenheit des männlichen Geschlechts: ersterer 
untersuchte den Grad der Sättigung, die eine Mischung von Blau 
mit Grau haben muls, damit das Blau erkannt wird, und fand, 
dals sich unter den Kindern mit niedriger Erkennungsschwelle ' 
mehr Knaben befanden. Tnaomrson fand, dals unter den Studenten, 
welche die Farben nur bei geringer Entfernung zu erkennen 
vermochten, mehr weibliche waren. 

Für Unterschiede der Farben untereinander dagegen scheinen 
f empfindlicher zu sein. Dies geht sowohl aus Untersuchungen 
von ENGELSPERGER-ZIEGLER hervor, der 6jährige Kärtchen gleicher 
Farbe einander paarweise zuordnen liefs, wie auch aus der Unter- 
suchung Henmons, der Studenten Rot-Gelb-Nuancen in eine Reihe 
von Rot iiber Orange zu Gelb ordnen liefs, wie endlich aus der 
Untersuchung Tuomrsons, die Studenten allgemein nach der Güte 
ihres Farbensinns klassifizierte. Auch sonst ist es ja bekannt, 
dals Farbenblindheit bei weiblichen Personen nur äulserst selten 
vorkommt. 

Ebenso sind nach den Ergebnissen von BoBERTAG, ENGELS- 
PERGER-ZIEGLER und WARBURG an Schulkindern die Kenntnis der 
Farbworte und ihrer richtigen Anwendung unter den Mädchen 
weiter verbreitet als unter den Knaben. Nach Warsurcs Resul- 
taten ist es besonders die Nicht-Kenntnis der zu einer Farbe 
gehörigen Bezeichnung, die mit wachsendem Alter immer mehr 
nur bei Knaben zu finden ist. 

Nach We tts Untersuchungen an Studenten wirkt Gelb auf 
mehr Männer als Frauen anregend und auf mehr Frauen als Männer 


§ 10. Empfindungen. 37 


beruhigend; dagegen wirken Karmoisinrot und besonders Blau- 
grün auf mehr Frauen als Männer anregend. 

Was die Beliebtheit der Farben betrifft, so sind die Ergebnisse 
in sich relativ wenig übereinstimmend. Mit einiger Sicherheit 
läfst sich nach ScHUYTEN nur dies sagen, dafs Grün und besonders 
Weils von Mädchen, Rot von Knaben bevorzugt wird. EnGELSs- 
PERGER-ZIEGLER fanden Beliebtheit von Lila-Purpur häufiger bei 
Mädchen, Beliebtheit des Orange häufiger bei Knaben, — dagegen 
Unbeliebtheit des Orange häufiger bei Mädchen, Unbeliebtheit 
des Schwarz häufiger bei Knaben. 

Dals endlich ganz allgemein Gesichtseindrücke häufiger auf 
weibliche Personen als auf männliche einen besonders starken 
Eindruck machen, läfst sich vielleicht aus einer Feststellung 
Porwıns entnehmen, wonach das in der Erinnerung am weitesten 
zurückliegende Erlebnis öfter bei Frauen als bei Männern ein 
Gesichtseindruck ist (Do = — 52, Du = — 10). 


c) Optischer Raumsinn. Augenmafs unter normalen 
und täuschenden Bedingungen. 


(20, 22, 37, 67.) 


Bei den hier vorliegenden Versuchen (von GiERING und Burr- 
Moore) an Schulkindern erwiesen sich die Knaben den Mädchen 
überlegen ; nur bei den Untersuchungen GiErınGs über die Tiefen- 
dimension waren unter den älteren (l4jährigen) Vpp. fast 
immer mehr Mädchen als Knaben, welche die relative Entfernung 
zweier Stäbe vom Auge häufiger richtig und seltener falsch be- 
urteilten. 

Dagegen erzielten, wie gesagt, die Knaben bessere Resultate 
bei der Zwei- und der Dreiteilung einer Strecke, sowie bei der 
Reproduktion einer 10 cm langen Linie (Burt-Moore), beim Si- 
multan- und Sukzessivvergleich horizontaler und vertikaler Punkt- 
und Strichdistanzen, beim Vergleich der Höhe und der Breite 
eines Rechtecks, beim Vergleich zweier Kreise, von denen der eine 
die äulsere Begrenzung eines Ringes, der andere die innere Be- 
grenzung eines anderen Ringes darstellt (Gierıns). Die Knaben 
widerstanden also sowohl der Quadrat- wie der Ringtäuschung 
im höheren Grade als die Mädchen; die Überlegenheit der Knaben 
über die Mädchen bei der Quadrattäuschung ist gröfser bei den 
14 jährigen als bei den 6jährigen. 


38 Kapitel 111. Systematische Übersicht über die Einzelergebnisse. 


Auch richtige Schätzungen finden sich nach CLArAREDES 
Untersuchungen bei Männern häufiger als bei Frauen, und zwar 
macht es dafür anscheinend wenig aus, wie grols das zu schätzende 
Objekt ist, und ob es bei unmittelbarer Wahrnehmung oder aus 
der Erinnerung geschätzt wird. Bei Fehlschätzungen neigen mehr 
Männer als Frauen zu Überschätzungen. Umgekehrt fand Myers 
bei Versuchen, auf die ich später ($ 12,2) noch zu sprechen komme, 
dafs bei der Reproduktion von Geldmünzen u. dgl. Überschätzungen 
sich öfter bei Frauen, Unterschätzungen öfter bei Männern finden. 


7. Zeitsinn. 
(67, 91, 114.) 


Nach den Versuchen von SEASHORE und YERKES-ÜRBAN sind 
die Männer den Frauen sowohl in der Reproduktion wie in der 
Schätzung kurzer Intervalle überlegen, und zwar anscheinend 
um so mehr, je kürzer das zu schätzende oder zu reproduzierende 
Intervall ist. Damit stimmt überein, dals bei der Schätzung von 
Intervallen, die sich über Jahre erstrecken, nach Versuchen von 
Myers, eine deutliche Überlegenheit des einen Geschlechts über- 
haupt kaum mehr zu konstatieren ist. Von neun Fragen, die sich 
auf die zeitliche Lokalisation zurückliegender Ereignisse bezogen, 
wurden sechs von Männern, drei von Frauen besser und sicherer 
beantwortet. 

Die Männer neigen im allgemeinen mehr zur Überschätzung, 
die Frauen mehr zur Unterschätzung der Intervalle; oder — anders 
ausgedrückt — die Männer reagieren zu langsam, die Frauen zu 
rasch. Mit der Grölse der Intervalle scheint die Überschätzungs- 
tendenz der Männer zuzunehmen. 

Die Schätzung der Männer ist derjenigen der Frauen am meisten 
überlegen, wenn das Intervall durch eine eigens darauf gerichtete 
Aufmerksamkeit, am wenigsten, wenn es durch Diktatschreiben 
ausgefüllt wird. Ebenso zeichnen sich die Männer im ersten Falle 
am meisten, im letzten Falle am wenigsten durch Überschätzung 
des Intervalles aus; auch die Unterschätzungstendenz der Frauen 
ist im letzten Falle am geringsten. 


§ 11. Bewegung. 39 


§ 11. 
Bewegung. 


1. Schnelligkeit einfacher Bewegungen und Verrich- 
tungen (psychisches Tempo). 


(8, 20, 21, 26, 88, 48, 91, 104, 105, 114.) 


Die Untersuchungen von Burt-Moore, Giese und Txompson 
stimmen darin überein, dafs sich unter den Personen, die ein 
rasches Klopftempo wählen, mehr m, unter den Personen mit lang- 
samem Klopftempo mehr f befinden. SEAsHorE allerdings kommt 
zu dem entgegengesetzten Resultat; doch nimmt die Minorität 
der Frauen in dem Viertel mit langsamem Klopftempo bei 
länger fortgesetztem Versuche ab, was auf stärkere Ermüdbarkeit 
der Frauen deutet. Auch bei THompsons Versuchen zeigen sich 
unter den weniger ausdauernden Personen mehr Frauen (Du = 
+ 38). | 
Die Knaben befinden sich ferner zahlreicher unter den schnellen 
Gehern (nach SzcymMansx1) und weniger zahlreich unter denen, die 
die Schule langsam verlassen (nach Heymans). Nach YERKES- 
Ursan können Männer auch schneller Buchstaben zählen. 

Dagegen sind nach Burt-Moore die Mädchen in der Schnellig- 
keit des Zählens und des Lesens, nach Courtis auch in der Schnellig- 
keit des Abschreibens, nach Carree in der Schnelligkeit des Aus- 
teilens von Karten überlegen. Auch nach Heymans-WIeERsMa be- 
finden sich unter den „gesetzten und ruhigen‘ Personen etwas 
mehr Manner (Do = + 4). 


2. Reaktionszeit. 
a) Einfache Reaktion. 
(20, 105.) 


Die Ergebnisse bez. einfacher Reaktionszeiten stimmen nicht 
überein : Tuo{mrson liefs ihre Vpp. (Studenten) auf einfache optische 
oder akustische Reize reagieren und fand dabei unter den langsamen 
Reagenten eine Minorität der Männer (Du = + 46). 

Dabei findet sich ‚‚motorische Reaktionsweise‘“ (d.h. Richtung 
der Aufmerksamkeit auf die auszuführende Bewegung) häufiger 
bei Männern, ‚sensorische Reaktionsweise‘‘ (Richtung der Auf- 
merksamkeit auf den erwarteten Reiz) häufiger bei Frauen. 


40 Kapitel III. Systematische Übersicht über die Einzelergebnisse. 


Burt-Moore fanden bei ihren 13jährigen Vpp., dafs das Tempo, 
bei dem noch richtiges Zielen auf vorüberziehende kleine Kreise 
möglich ist, für Knaben langsamer sein muls (Do = — 42, Du = 
— 22). 


b) Unterscheidungsreaktion. 
(45, 91.) 


Ebensowenig finden sich bei den Untersuchungen über Unter- 
scheidungs-Reaktionszeiten übereinstimmende Resultate. SEASHORE 
liefs Studenten nur dann reagieren, wenn nicht eine, sondern zwei 
Crookessche Röhren aufleuchteten. Er fand unter den schnellen 
Reagenten eine Majorität der Männer (Do = + 38). HENROTIN 
dagegen konstatierte gerade unter den älteren (9%,- bis15 jährigen) 
seiner Vpp. ein langsameres Reagieren der Knaben (Do = — 43, 
Du = — 57) und nur bei den jüngeren (6- bis 9jährigen), dafs die 
Knaben den Mädchen hinsichtlich der Schnelligkeit der Reaktion 
überlegen sind (Do = + 32, Du = + 54). Allerdings verhält es 
sich umgekehrt mit der Richtigkeit der Reaktion. Der Versuch 
bestand hier darin, dals die Vpp. innerhalb eines gedruckten Textes 
gewisse Buchstaben anzustreichen hatten (,‚Bournon-Test‘“). 


c) Wahlreaktion. 


(18, 20, 21, 105.) 

Bei Versuchen, bei denen Vp. auf verschiedene Reize in ver- 
schiedener Weise zu reagieren hatte, zeigte sich eine fast durch- 
gängige Überlegenheit der Mädchen hinsichtlich der Kürze der 
Reaktionszeit: Die Versuche bestanden sämtlich darin, dafs 
Karten entweder nach ihrer Farbe oder nach der Zahl der auf ihnen 
enthaltenen Figuren oder nach den darauf gedruckten Buchstaben 
in 4, 5 oder 26 Haufen zu sortieren waren. 

Eine Majorität der Männer unter denjenigen Personen, die 
schnell mit einer solchen Aufgabe fertig wurden, fand sich nur 
bei Brown. Hier blieb die Majorität der Männer auch während 
der an 13 Tagen mit je 8 Versuchen fortgesetzten Übung konstant. 


d) Wortreaktion. 


(8, 10, 20, 105.) 
In der Schnelligkeit der ‚Einfälle‘ scheinen die Knaben den 
Mädchen überlegen zu sein. Übereinstimmend fanden Burr-Moore 


§ 11. Bewegung. 41 


bei 13jährigen, dals die Zahl der in 71%’ auf 100 Reizworte nieder- 
geschriebenen Reaktionsworte bei Knaben gröfser war (Do = + 26, 
Du = + 54), und Brocn-Preiss, dafs mehr 8jährige Knaben als 
Mädchen imstande waren, innerhalb 1’ 60 Worte zu nennen 
(Do = + 18). 

Andererseits wurden bei THompson auf die Reizworte ,,Matri- 
culation“ und ‚Faculty‘“ innerhalb 1%’ von den Frauen mehr 
Einzelvorstellungen enthaltende Worte niedergeschrieben als von 


Männern (Do = — 54, Du = — 46). 
Auch nach Heyuans sich die 14- bis 17jährigen Mädchen im 
Antworten rascher als die Knaben (Do = — 20, Du = — 16). 


3. Präzision der Bewegungen und Bewegungs- 
koordination. 


(1, 2, 7, 8, 20, 86, 46, 48, 52, 61, 72, 104, 105, 115.) 


Bei den Versuchen über die Genauigkeit der Ausführung einer 
an sich ungewohnten Bewegung erwiesen sich i. a. die m überlegen. 
Nur YoArun-CALree fanden eine beträchtliche Überlegenheit, d.h. 
grölsere Schnelligkeit im Vollenden der Aufgabe bei den Frauen, 
was auch bei über 6 Versuchen fortgesetzter Übung erhalten blieb. 
Die Versuche bestanden darin, dafs Vp. die Ecken eines Zwölfecks 
miteinander zu verbinden hatte; doch lag das Papier, auf dem 
sich die Zeichnung befand, so, dafs es der Vp. nur indirekt ver- 
mittels eines Spiegels sichtbar war; die zur Lösung der Aufgabe 
erforderlichen Bewegungen waren also den gewohnten entgegen- 
gesetzt. 

Bei einem ganz ähnlichen Versuch von Burt-Moore, sowie 
auch bei folgenden anderen Versuchen dagegen fand sich eine 
Überlegenheit der Männer: bei Sczymanskı handelte es sich um 
das Innehalten der Vertikalen beim Geradeausgehen mit ge- 
schlossenen Augen, bei HERDERSCHEE um das Nachahmen einer 
vorgemachten Bewegung, bei Tuompson darum, zwischen den 
beiden Schenkeln eines Winkels möglichst weit in der Richtung 
auf den Scheitelpunkt zu eine Linie zu ziehen, ohne einen der 
beiden Schenkel zu berühren. Die Überlegenheit der Männer war 
hier am grölsten, wenn die Bewegung mit der linken Hand und 
in der Richtung auf die Vp. hin zu erfolgen hatte. — Norris fand, 
dafs gewisse Fertigkeiten sich bei Knaben häufiger finden als bei 
Mädchen. 


42 Kapitel III. Systematische Übersicht über die Einzelergebnisse. 


Die Präzision der Bewegung und das Beherrschen von un- 
gewohnten oder erst neu erlernten Bewegungskoordinationen 
spielt ferner eine Rolle bei gewissen Schulunterrichtsfächern, 
nämlich beim Schreiben, beim Turnen und beim Handarbeits- bzw. 
Handfertigkeitsunterricht. Die Schulleistungen im Turnen haben 
wir aulser Betracht gelassen, da selbst in den Schulen, in denen 
sonst Koinstruktion herrscht, der Unterricht im Turnen für Knaben 
und Mädchen getrennt erteilt zu werden pflegt. 

Im Schreiben und in Handarbeit bzw. Handfertigkeit sind 
die Leistungen der Mädchen fast durchgängig bessere als die der 
Knaben. Nach Geseur scheint dieser Geschlechtsunterschied mit 
dem Alter zuzunehmen. Auch die allgemeine Geschicklichkeit 
findet sich nach Heymans-Wıersma bei Mädchen häufiger. 


4. Gefühlsbetonung der Bewegung. 
(8, 48, 62, 65, 72, 80, 82, 93, 98, 105, 112.) 


In der tabellarischen Übersicht ist aus unserem Material 
alles das zusammengestellt, was einen Schlufs darauf zulassen 
könnte, ob die Bewegung als solche mehr für das eine oder für das 
andere Geschlecht lust- oder unlustbetont ist. Eine dahingehende 
Gesetzmälsigkeit kann ich nicht entdecken. Ebensowenig ist es 
mir möglich, aus dem Material einen Gesichtspunkt zu entnehmen, 
welche Arten von Bewegungen etwa mehr für das eine, welche 
mehr für das andere Geschlecht lustvoll sind. Allem Anscheine 
nach sind für die Wahl des künftigen Berufes, für die Wahl eines 
Lieblingsfaches, Lieblingsspieles, für die Beteiligung an einem 
Verein usw. doch Motive malsgebend, die nicht die Bewegung als 
solche betreffen, selbst wenn als Motiv der Berufswahl oder des 
Spielgefährten ausdrücklich gewisse Bewegungsformen genannt 
werden. 


§ 12. 
Vorstellungen. 
1. Das Lernen und das Reproduzieren von Erlerntem. 
(8, 20, 43, 48, 67, 68, 88/89, 90, 105.) 


Nach den auf Fremdbeobachtungen beruhenden Ergebnissen 
von Heymans-WıErsMA sind unter den Personen mit gutem Ge- 
dächtnis und mit treuem Behalten von Gelesenem die Männer, 


§ 12. Vorstellungen. 43 


unter denen mit schlechtem Gedächtnis die Frauen stärker ver- 
treten. 

Die Ergebnisse von Hry=mans über die Genauigkeit des Be- 
haltens und über die Nachwirkung von früher Gelerntem sind nicht 
eindeutig. Jedenfalls stehen im Widerspruch mit dem obigen 
Resultat sowohl das Enqueteergebnis von Heymans über die 
Leichtigkeit des Auswendiglernens wie auch die Resultate ver- 
schiedener Experimente von Burr-MooreE, Myers und TxHompson. 
Nur die nicht ganz klaren und auch in ihrem Ergebnis nicht ganz 
eindeutigen Versuche von ScHUYTEN weisen wiederum z. T. auf 
eine gewisse Überlegenheit der Knaben. — In der Rechtschreibung, 
d. i. Gedächtnis für Orthographie (vgl. $ 20, 1), finden sich 
bessere Leistungen überall häufiger bei den Mädchen. 

Nach Txompson befinden sich unter den auditiv Lernenden, 
sowohl bei optischer wie bei akustischer Darbietung des Stoffes, 
die Männer in der Majorität (Do = + 50). 

Bezüglich der Resultate über das Gedächtnis für einfache 
Sinneseindrücke vgl. $ 10. 


2. Erinnerung und Aussage. 
(10, 12, 14, 22, 25, 54, 59, 67, 76, 88, 87, 108, 109.) 


Die Ergebnisse, über die hier berichtet wird, haben das Ge- 
meinsame, dals sie das Gedächtnis für solche Dinge betreffen, 
die ein- oder mehrmals erlebt wurden, aber immer ohne dafs mit 
dem Erlebnis auch ein auf seine Einprägung gerichteter Willens- 
akt verbunden war. 

-Ein Teil der Feststellungen betrifft also Wahrnehmungen des 
täglichen Lebens. Hier zeigt sich häufig, aber durchaus nicht durch- 
gingig, eine Uberlegenheit der Manner, so bei CrararipeE, der 
Studenten nach Einzelheiten des Universitätsgebäudes fragte und 
auf drei Fragen mehr richtige Antworten von Männern, auf eine 
Frage mehr richtige Antworten von Frauen erhielt. Botox erhielt 
auf die Frage, wohin die Spitzen der Apfelkerne zeigen, sicherere 
Antworten von Frauen Die Ergebnisse Myers’, der das Ziffer- 
blatt der Uhr reproduzieren liefs, sind nicht eindeutig. Myers 
liefs ferner einen Dollarschein, eine Briefmarke und Geldmiinzen 
reproduzieren, bzw. diejenigen Kreise bezeichnen, die gewissen 
Münzen an Grölse gleichen. Bei diesen letzteren Versuchen stellte 
sich die Überlegenheit der m erst im Alter von 16 Jahren ein, 


44 Kapitel III. Systematische Übersicht über die Einzelergebnisse. 


während vorher die Mädchen genauer arbeiteten. Ähnlich ver- 
hielt es sich bei den Zeichnungen eines Männchens, die ScHUYTEN 
hinsichtlich gewisser Einzelheiten untersuchte: Das Vorhandensein 
gewisser wichtiger Details wie Mund, Ohren, Schuhe, Nase, Augen, 
und bessere Darstellungsformen von Händen und Armen sind in 
den niederen Altersstufen (von 314 bis 5, 6, 7, 8 Jahren) charakte- 
ristisch für die Mädchenzeichnungen, verlieren aber allmählich 
diese Eigenschaft als Charakteristika, bis sie dann sogar für die 
Knabenzeichnungen charakteristisch werden ; in den oberen Alters- 
stufen (bis 121, Jahren) ist dann umgekehrt das Fehlen solcher 
Details bezeichnend dafür, dafs es sich um eine Mädchenzeichnung 
handelt. Gewisse Details, wie die richtige Zahl der Finger und 
Arme, aber auch Nabel und Geschlechtsteile, finden sich in allen 
Altersstufen häufiger bei Mädchen. Demgegenüber sind — ebenso 
in allen Altersstufen — das Vorhandensein von Zigarre oder Pfeife, 
Bart, Brille, der Bekleidung von Hals und Beinen, korrektere 
Darstellungsformen von Beinen, Kopf, Hals, Fingern, Rumpf und 
Füfsen Charakteristika der Knabenzeichnungen. 

Ebenso kommen 14 Einzelheiten eines Trambahnwagens 
(KERSCHENSTEINER) in Knabenzeichnungen häufiger vor; aber der 
Altersfortschritt scheint hier eher ein umgekehrter zu sein und 
mit wachsendem Alter abzunehmen, d. h. sich zugunsten der 
Mädchen zu verschieben. 

Übrigens sind diese Resultate von KERScHENSTEINER und 
SCHUYTEN und ebenso das noch zu erwähnende von WAGxer nicht 
ohne weiteres der besseren und detailreicheren Erinnerung der 
Knaben zugute zu schreiben; sie beruhen wohl wenigstens z. T. 
auf der besseren zeichnerischen Ausdrucksfähigkeit der Knaben, 
auf die wir noch später zu sprechen kommen. 

Im Gegensatz zu der früher ($ 10, 6c) erwähnten Über- 
schätzungstendenz der Männer zeigt sich hier bei den Versuchen 
Myers’, dafs bei den Männern die Unter-, bei den Frauen die Über- 
schätzungen überwiegen. 

Die sprachliche oder zeichnerische Wiedergabe einer un- 
mittelbar oder 1 bis 3 Tage vorher vorgelesenen Geschichte gelingt 
anscheinend den Knaben besser als den Mädchen, aber den Frauen 
besser als den Männern. ScHramM fand — genau wie Borsr bei 
dem Bericht über ein 3 bis 9 Tage vorher gesehenes Bild — 1 Tag 
nach der Erzählung der Geschichte sowohl den Berichtsumfang 
wie die Berichtstreue (Verhältnis der richtigen zu sämtlichen 


8 12. Vorstellungen. 45 


Angaben) bei den Studentinnen gröfser. Dagegen fanden Bıoch#- 
Preiss, dafs 8jahrige Knaben eine Geschichte besser zu repro- 
duzieren vermoehten als gleichaltrige Mädchen. Vos fand,. dafs 
von den Fragen bez. des Inhaltes einer 3 Tage vorher vorgelesenen 
Geschiehte 20 besser von Knaben und nur 4 besser von Mädchen 
beantwortet wurden. Wacner liels die vorher vorgelesenen ersten 
50 Zeilen des Gedichtes ‚‚Schlaraffenland‘‘ von Hans Sacus zeichne- 
risch illustrieren; ein deutlicher Geschlechtsunterschied lälst sich 
hier nicht nachweisen, da die Ergebnisse der gleichen, in Walden- 
burg und in Breslau angestellten Versuche sich häufig widersprechen: 
im allgemeinen findet sich eine Überlegenheit der Knaben häufiger 
in Breslau, eine Überlegenheit der Mädchen öfter in Waldenburg. 

Übereinstimmend fand sich nur bei vier Einzelheiten wenigstens 
in gewissen Altersstufen eine Überlegenheit der Knaben, bei drei 
Einzelheiten ebenso eine Überlegenheit der Mädchen; ein Detail 
wird in den niederen Altersstufen häufiger von den Knaben und 
erst später häufiger von den Mädchen dargestellt; bei einer weiteren 
Einzelheit ist es umgekehrt und bei einer letzten endlich folgt 
einer Überlegenheit der Knaben zunächst eine der Mädchen und 
dann wiederum eine der Knaben. 

Ähnlich wie das Experiment Vos’ ist das von Myers aufzu- 
fassen, der zwar auch die Aufmerksamkeit seiner Vpp. auf den 
Gesamtgegenstand der späteren Aussage richtete, aber dann nach 
Einzelheiten fragte, deren spätere Reproduktion von der Vp. 
während der Wahrnehmung nicht vorhergesehen werden konnte. 
Das, worauf die Aufmerksamkeit ausdrücklich gerichtet wurde, 
die Zahl der auf einer Tafel enthaltenen 0, wurde von mehr 
Mädchen richtig reproduziert; ebenso wurden auch Fragen nach 
anderen ‚nebensächlichen‘‘ Einzelheiten von mehr Mädchen richtig 
beantwortet; nur dafs der Versuchsleiter während des Versuches 
in der linken Hand eine Uhr gehalten hatte, wulsten mehr Knaben 
als Mädchen. 

Die Frage Bottons: ,,was fiir Wetter war heute vor 8 Tagen“ 
wurde von Frauen besser und sicherer beantwortet als von Mannern. 

Endlich ist auch noch das Problem untersucht: worden, welche 
Arten von Erinnerungen das Gedächtnis der Männer und Frauen 
bevorzugt. Nach CoLesrove findet sich bei Frauen die Erinnerung 
sowohl an angenehme wie an unangenehme Erlebnisse häufiger 
als bei Männern, woraus man also schliefsen kann, dafs gefühls- 
betonte Erlebnisse überhaupt in der Erinnerung der Frauen 


46 Kapitel III. Systematische Übersicht über die Einzelergebnisse. 


besser haften als in derjenigen der Männer. Nach Porwın be- 
zieht sich aber die am weitesten zurückreichende Erinnerung 
sehr viel häufiger bei Frauen als bei Männern auf gleichgültige 
Einzelheiten. 

Leresz fand, dafs mehr Frauen als Männer dazu neigen, ein 
gezeigtes Bild ‚im ganzen‘ aufzufassen, sich nur mit den wichtigen 
Einzelheiten zu beschäftigen und einer Tendenz zu widerstehen, 
die Gedanken zu systematisieren und zu koordinieren (Do = — 38, 
Du = — 18). 


3. Assoziation. 
a) Freie Assoziation. „Einfälle“. 
(20, 82, 48.) 


Die Frage, welche Vorstellungen im Vordergrunde des Be- 
wulstseins stehen, so dals sie am leichtesten zur Reproduktion 
gebracht werden können, pflegt durch das sogenannte Asso- 
ziationsexperiment untersucht zu werden. Uns liegt von solchen 
Experimenten nur das von Burr-MoorE vor. Danach ist bei 
13jährigen Knaben das Wort ‚Enemy‘, bei Mädchen das Wort 
„Girl“ fester mit ‚Friend‘ assoziiert bzw. in höherer Bereitschaft. 
„Girl“ wird auch durch das Wort ‚Kiss‘ häufiger bei Mädchen 
als bei Knaben zur Reproduktion gebracht. ‚Lie‘ wird von 
Knaben öfters in der Bedeutung ‚Lüge‘ aufgefalst und mit 
„Truth“ beantwortet, während mehr Mädchen es in der Bedeutung 
„Liegen‘‘ auffassen und es mit ‚down‘ beantworten. 

Nach Fürst neigen nur ungebildete Frauen manchmal dazu, 
oberflächlich zu reagieren, während nur Männer manchmal die 
Tendenz haben, das zugerufene Reizwort zu definieren. 

Aus der Enquete von Hrymans-WıErsmA geht hervor, dals 
Männer häufiger die Tendenz haben, über sachliche Dinge zu 
sprechen, während für die Frauen soweit dies aus dem Inhalte 
ihrer Gespräche hervorgeht — mehr Persönliches und besonders 
die eigene Person im Vordergrunde des Bewulstseins steht. Im 
Zusammenhange damit mag es stehen, dafs die Frauen auch in 
Verwandtschaftsbeziehungen usw. mehr bewandert sind als die 
Männer. Bei letzteren dagegen scheinen sexuelle Vorstellungen 
eine grolse Rolle zu spielen, was aus ihrer Vorliebe für derartige 
Witze hervorgehen kann. 

Bezüglich der Reaktionszeiten vgl. $ 11, 2d. 


8 12. Vorstellungen. 47 


b) Gebundene Assoziation. 
(18, 20.) 


Die hierhergehörigen Untersuchungen unterscheiden sich von 
den vorigen dadurch, dafs hier auf das Reizwort oder die Reiz- 
worte nicht in beliebiger Weise geantwortet werden darf, sondern 
dafs die Reaktion durch eine bestimmte ‚Aufgabe‘ eingeengt ist. 
Die Einengung kann so stark sein, dals das Experiment überhaupt 
nicht mehr als Assoziationsexperiment betrachtet werden kann, 
sondern schon eine eigentliche Kenntnisprüfung ist. Wenn es sich 
nur oder wenigstens hauptsächlich um die Schnelligkeit der 
Reaktion handelt, wenn also das Vorhandensein der betreffenden 
Kenntnis bei der betr. Vpp.-Kategorie als selbstverständlich vor- 
ausgesetzt wird, werden wir das Experiment als Assoziations- 
experiment, im anderen Falle als Kenntnisprüfung aufzufassen 
haben. 

Die Aufgaben bei den hier vorliegenden Experimenten waren 
die folgenden: Bonser und Burr-Moore lielsen zu einer Reihe 
von Worten das Gegenteil nennen; Burt-Moor: lielsen ein Wort- 
paar, von dem ein Wort (c) gegeben ist, so ergänzen, dals das zu 
ergänzende Wort (d) zu c in demselben Verhältnis steht wie die 
beiden gleichfalls gegebenen Worte b:a (z. B. Paris: Frankreich 
= London: . ?..) (sog. Analogietest); Bonser liefs das fehlende 
Wort in einem Satze ergänzen oder von zwei zur Ergänzung ge- 
gebenen Worten das falsche durchstreichen; die höchste Form 
dieser Art gebundener Assoziationen endlich ist der EssincHaussche 
Kombinationstest, den Burr-MoorE verwendeten. 

Nach unseren Ergebnissen leisten die Mädchen Besseres im 
Gegenteil- und Analogietest, die Knaben im Substitutions- und 
Kombinationstest. 


4. Phantasie. 
(8, 39, 48, 57, 62, 72, 98, 106.) 


Phantasie findet sich häufiger bei f als beim. Dies zeigt sich 
sowohl in den Schulaufsätzen (Heymans), wie auch darin, dafs 
die Fähigkeit und die Neigung, Geschichten zu erfinden (LEaRoy- 
Tayıor) und selbst erfundene Geschichten zu erzählen (HryYmans) 
bei Frauen häufiger vorkommt. Ebenso finden sich unter den 
Literaturprodukten von Kindern und Jugendlichen mehr von 


48 Kapitel III. Systematische Übersicht über die Einzelergebnisse. 


Mädchen als von Knaben herrührende Märchen (GiEse), und als 
Lieblingslektüre werden Märchen gleichfalls durchgängig von 
Mädchen häufiger genannt als von Knaben (vgl. $ 12, 5). 

VAN DER Torren deutet sein Resultat, dafs beim Benennen 
unvollständiger Bilder die Mädchen sehr viel mehr als die Knaben 
mit ihren Antworten wechseln, gleichfalls in dem Sinne, dafs die 
Knaben weniger Phantasie besälsen. 


5. Kenntnisse. 
(42, 48, 46, 72, 73, 77a, 90, 105.) 


Wir behandeln in diesem Abschnitt nur solche Kenntnisse, 
die nicht erlernt, sondern durch die Erfahrungen des täglichen 
Lebens oder sonst auf mehr zufällige Weise erworben sind. Den 
eigentlichen Schulkenntnissen widmen wir besondere Paragraphen. 
Die Kenntnisse, um die es sich hier handelt, sind also grolsenteils 
solche, die schon vor Eintritt in die Schule erworben werden; 
daher gehören hierher insbesondere die mehrfach (von Hatt, 
HARTMANN, HERDERSCHEE, RicHTER, SCHWABE-BARTHOLOMAI) an 
Schulrekruten vorgenommenen ‚Bestandsaufnahmen‘ oder ‚Ana- 
lysen des kindlichen Gedankenkreises“. Ähnliche Untersuchungen 
haben Norris und O’FaArreıı bei höheren Altersstufen und Tnuomr- 
son bei Erwachsenen vorgenommen. 


Eine inhaltliche Gruppierung der Fragen ergibt etwa folgendes: 

Von Knaben wurden i. a. häufiger richtig beantwortet 

a) Fragen bez. der Kenntnis der Münzen (HERDERSCHEE: 
Do = + 30, Du = + 38). 

b) Fragen wie z. B. die folgende: „Was kostet ein Pfund 
Butter ?“‘ (O’Farrett: Do = + 12, Du = + 62). 

c) Fragen wie z. B. ‚Wo findet man Goldruthe ?“ (Norris: 
Do = + 6, Du = + 24). 

d) Fragen wie z. B. ‚Was veranlafst das Wasser, aus der 
Wasserleitung oder Pumpe herauszuflielsen ?“ (O’FarkeLr: Do = 
+ 28, Du = + 15). 

e) Fragen wie z. B. die nach der Kenntnis des Zeughauses in 
Berlin (ScowasE-BartHotomii: Do = + 12, Du = + 4). 

f) Fragen wie z. B. die nach der Kenntnis des Pflügens 
(SchwaBE-BaRrtHoLomär: Do = + 30, Du = + 10). 

g) Fragen wie z. B. „Wo findet man Spechte ?“ (Norris: 
Do = + 10, Du = + 48). 


Ce 


$ 13. Rechnen und Mathematik. 49 


h) Fragen wie z. B. „Woher kommt Gummi ?‘“ (O’FARRELL: 
Do = + 28, Du = + 18). 

i) Fragen wie z.B. „Warum tele wir den 4. Juli °“ (O’Far- 
RELL: Do = + 8, Du = + 12). 

Dagegen zeigten die Mädchen i. a. häufiger richtige Kennt- 
nisse bei 

a) Fragen wie z. B. nach dem Märchen vom Aschenbrödel 


(ScHhwaBE-BArTHoLoMÄI: Do = — 24, Du = — 12). 
b) Fragen wie z. B. „Zählen von 1— 10“ (Rıcnter: Do = — 22, 
Du = — 26). 


c) Fragen wie z. B. ‚Wo ist das Handgelenk ?“ (Harz: Do = 
— 8, Du = — 24). 


d) Fragen wie z. B. nach einem Lied (Hartmann: Do = — 24, 
Du = — 6). 

e) Fragen wie z. B. nach dem Namen des Vaters (ScHWABE- 
Barrtsotomit: Do = — 6, Du = — 32). 


Tuomrson fand, dafs schlechte Antworten auf physikalische 
Fragen seltener bei Männern (Du = + 38), schlechte Antworten 
auf biologische Fragen seltener bei Frauen (Du = — 38) vor- 
kommen. 


§ 13. 
Rechnen und Mathematik. 


l. Begabung. 
(8, 23, 48, 52, 105.) 


Die Urteile von Ärzten über ihre Bekannten (Heymans- 
Wiersma) und von Lehrern über ihre Schüler (Heymans, Ivanorr, 
Coun) stimmen darin überein, dafs mathematische Veranlagung, 
Gewandtheit im Auflösen mathematischer Probleme, eine bessere 
Veranlagung für Mathematik als für Sprachen usw. sich bei m 
häufiger findet als bei f. 

Nach Heymans-WiersMa findet sich diese Überlegenheit der 
Männer in der älteren Generation noch stärker ausgeprägt als in 
der jüngeren. 

Im Widerspruch mit dem allgemeinen Ergebnis bez. der 
besseren Veranlagung der Männer für Mathematik steht das Er- 
gebnis THompsons; hier waren es mehr Manner als Frauen, die von 
sich selbst aussagten, dafs die Mathematik ihnen schwer fällt. 

Beiheft zur Zeitschrift für angewandte Psychologie. 14. Erster Teil. 4 


50 Kapitel III. Systematische Übersicht über die Einzelergebnisse. 


2. Unterrichts- und Examensleistungen. 
(1, 2, 8, 4, 5, 7, 8, 19, 61.) 


In Mathematik sind nach den vorliegenden Ergebnissen die 
Leistungen der m übereinstimmend besser als die der f. Und zwar 
wächst auch hier, wenn man die Examensleistung der Junior- mit 
derjenigen der Senior-Klasse in Cambridge vergleicht, die Über- 
legenheit der Männer mit dem Alter (nach Burnsss). 

In Geometrie stellt sich die Überlegenheit der Knaben — 
nach den Zensuren der Merrywood Secondary School — überhaupt 
erst mit 15 Jahren ein, während ihr — im Alter von 111; Jahren — 
eine Überlegenheit der Mädchen vorangeht. 

Ebenso verhält es sich — nach den Zensuren der Merrywood- 
School und aus Bielefeld — in Rechnen und Arithmetik, indem 
dort nur in den unteren Klassen die Mädchen Besseres leisten; 
sonst — bei Mac Donan und den Volksschulen in Liverpool und 
Stockholm — sind die Knaben überlegen. 

Dagegen stimmen die Ergebnisse Mac Donatps und der 
St. Margarets-School in der Überlegenheit der Mädchen in Algebra 
überein. Hier ist auch — nach den Zensuren der Holt-School — 
der Altersfortschritt ein umgekehrter: auf eine Überlegenheit der 
Knaben im Alter von 13 bis 15 Jahren folgt im Alter von 16 Jahren 
die auch anderweitig festgestellte Überlegenheit der Mädchen. 


3. Leistungen im Experiment. 
(13, 26, 55, 102, 107.) 


Die Ergebnisse der Experimentaluntersuchungen über die 
Rechenfertigkeit sind nicht ganz eindeutig. 

Eine Überlegenheit der Knaben kann, sowohl was die Richtig- 
keit, wie die Schnelligkeit der Lösung und endlich auch, was das 
richtige und schnelle Verständnis betrifft, jedenfalls hinsichtlich 
eingekleideter Aufgaben konstatiert werden; doch sind hierbei ja 
psychische Funktionen beteiligt, die nicht nur als eigentlich 
„technerische‘‘ zu bezeichnen sind. 

Die Ergebnisse der reinen Rechenexperimente deuten mehr 
auf eine Überlegenheit der Mädchen. Sie stellt sich — nach den 
Ergebnissen Voıcrs — teils erst im Alter von 12 Jahren ein, teils 
wächst sie jedenfalls mit dem Alter von 11 bis 14 Jahren. Die 
Ergebnisse der eigenartigen Versuche Voicts zeigen auch, dafs die 
Überlegenheit der Mädchen im Rechnen nicht nur als eine Er- 


§ 13. Rechnen und Mathematik. 51 


scheinungsform einer allgemein besseren Schultüchtigkeit aufzu- 
fassen ist. — Nach den Ergebnissen Courris’ ist übrigens der Alters- 
fortschritt ein umgekehrter; hier tritt im Alter von 18 Jahren 
eine Überlegenheit der m ein, was mit den im vorigen Abschnitt 
besprochenen Ergebnissen auch besser übereinstimmt. 


4. Interesse. 
(8, 19, 71, 99, 112.) 

Ebenso wie bei THompson nach den Selbstbeurteilungsangaben 
der Studenten bei den f die Begabung für Mathematik häufiger-- 
zu sein scheint, so gehört auch nach den Selbstbeurteilungsangaben 
der Schulkinder bei W. Srern und Norpıunn das Rechnen bei 
den Mädchen häufiger zu den beliebten bzw. seltener zu den un- 
beliebten Schulfächern. 

In höheren Altersstufen aber und nach dem Lehrerurteil bzw. 
nach den gewählten Studien- und Examensfächern zu schlielsen, 
ist bei den m die Vorliebe und das Interesse für Mathematik weiter 
verbreitet als bei den f. Der Vergleich der Meldungen zur Auf- 
nahmeprüfung in die Junior- und Senior-Class in Cambridge (nach 
Burness) und die Ergebnisse von Hry=ans stimmen darin überein, 
dals dieser Geschlechtsunterschied mit wachsendem Alter zu- 
nimmt. Ferner zeigt der Vergleich der Juli- und Dezember- 
Prüfungen in Cambridge nach Burness, dals durchgängig im Winter 
die Zahl der in Mathematik geprüften m die der f weit stärker über- 
trifft als im Sommer; ich weise auf dieses sehr auffällige Resultat 
nur hin, ohne dafs ich bei der mir fehlenden Kenntnis der näheren 
Verhältnisse eine Erklärung versuchen könnte. 


§ 14. 
Naturwissenschaften. 


(1, 2, 3, 5, 7, 8, 17, 19, 28, 39, 47, 48, 53, 55, 61, 63, 69, 77a, 78, 
80, 94, 98, 99, 105, 112.) 

Die Bearbeitung dieses Paragraphen bereitet besondere 
Schwierigkeiten, weil die Form der vorliegenden Ergebnisse eine 
so mannigfaltige ist, dals es fast unmöglich ist, sie einheitlichen 
Gesichtspunkten unterzuordnen. Ein Autor trennt beispielsweise 
„Chemie“ und „Physik“, ein anderer spricht allgemeiner von 
„Naturlehre‘‘ oder ‚Naturwissenschaften‘, ein Dritter falst gar 
„Mathematik“ und ‚Naturwissenschaften‘‘ zusammen. Bei der- 

E 


52 Kapitel 1II. Systematische Übersicht über die Einzelergebnisse. 


artigen Zusammenfassungen nun ist es durchaus möglich, ja wahr- 
scheinlich, dals etwa vorhandene Geschlechtsunterschiede ver- 
wischt werden und im Gesamtresultat nicht mehr deutlich zur 
Erscheinung kommen. 

Ein weiterer, die Verarbeitung und Übersicht erschwerender 
Umstand ist der, dals die Terminologie der Unterrichtsgegenstände 
eine sehr wechselnde ist; es ist mir gegenwärtig nicht möglich, 
festzustellen; was — besonders in ausländischen Schulen und 
Universitäten — unter ‚Science‘, ‚General Elements of Science‘, 
„Naturwissenschaft“, ,,Naturlehre“, ‚Naturkunde‘, ,,Natur- 
geschichte‘, „Nature Study‘ verstanden und welche speziellen 
Unterrichtsgegenstände dem betr.Oberbegriff untergeordnet werden. 

Ferner sind die Resultate, soweit sie das Universitätsstudium 
betreffen, insofern nur mit grolser Vorsicht zu verwenden, als ja 
bei der Vorbereitung für einen künftigen Beruf nicht nur das 
Interesse, sondern besonders der Umstand berücksichtigt wird, 
. ob der betreffende Beruf in dem betreffenden Lande Frauen offen 
steht oder nicht. Umgekehrt: wenn andere Berufe den Frauen 
verschlossen sind, so drängen sich eben deshalb viele Frauen, die 
studieren wollen, zum Studium der Medizin und Naturwissenschaft, 
ohne dafs dies auf ein besonderes Interesse für diese Gebiete zu 
deuten braucht. Aus diesem Grunde habe ich die deutschen 
Universitäts-Statistiken (17, 78) aufser Betracht gelassen; aber 
auch für die Vereinigten Staaten (69, 80, 94), England (19) und 
Holland (47), bei denen mir eine genauere Kenntnis der Verhältnisse 
fehlt, ist dieser Umstand wohl mitzuberücksichtigen. 

Endlich gilt hier, wie für alle weiteren Paragraphen, in denen 
wir hauptsächlich Unterrichtsergebnisse heranzuziehen haben: 
Die Unterrichtsleistung — die Zensur, das Prüfungsresultat — ist 
nicht ein reiner Ausdruck für den Grad der vorhandenen Begabung, 
sondern auch in sehr hohem Grade von Fleifs und ähnlichen 
Faktoren abhangig. Wir konnen nicht feststellen, in welchem 
Verhältnis, Fleils, Begabung und Interesse an dem Zustandekom- 
men eines Ergebnisses mitwirken. 

Diese Umstände bringen es nun mit sich, dals eindeutige Re- 
sultate hier kaum festgestellt werden können. Im ganzen scheint 
es, dals gute Begabung, gute Leistungen und Interesse für die 
anorganischen Naturwissenschaften (Physik und Chemie) bei 
den männlichen Personen häufiger vorkommen, während für 
die biologischen Fächer der Geschlechtsunterschied kleiner ist 


er 





§ 16. Zeichnen. 53 


oder gar in den umgekehrten umschlägt. Für Botanik finden wir 
jedenfalls übereinstimmend sowohl bessere Leistungen wie auch 
ein höheres Interesse bei weiblichen Personen. 


§ 15. 


Technik. 
(20, 31, 41, 53, 54, 82, 105.) 

Unter ‚Technik‘ fassen wir diejenigen Betätigungen zu- 
sammen, welche die Lösung einer Aufgabe mit Hilfe manueller 
Verrichtungen zum Gegenstande haben, ohne dafs jedoch die 
Handgeschicklichkeit eine ausschlaggebende Rolle dabei spielt. 
Vielmehr erfordert die Lösung dieser Aufgaben ein gewisses Mals 
von optischem Vorstellungsvermögen, auch von Phantasie, die 
Fähigkeit des systematischen Ausprobierens und andere dergl. 
Eigenschaften, die in ihrer höheren Ausbildung eben den guten 
Techniker ausmachen. Deshalb stellen wir die Fertigkeit im Lösen 
solcher Aufgaben mit dem Interesse an Erfindungen der Technik 
und für technische Einzelheiten zusammen. 

In allen diesen Beziehungen nun zeigen sich die m überlegen: 
sowohl in der Schnelligkeit der Lösungen von Aufgaben der oben 
erwähnten Art (Gopparn, Burr-MoorE, Taompson), wie auch in 
dem Interesse an solchen Betätigungen (ScHEIFLER), an technischen 
Erfindungen (Katzarorr) und technischen Einzelheiten (KErscHEn- 
STEINER), wie endlich auch darin, dals sie selbst einem Erfinder 
oder Entdecker gleichen möchten (FRIEDRICH). 


§ 16. 


Zeichnen. 

(1, 2, 3, 4, 7, 8, 19, 24, 31, 48, 52, 53, 54, 60, 61, 66, 82, 87, 98, 99, 112.) 

Wie im vorigen Paragraphen ‚Technik‘ und vielleicht auch 
in einem gewissen Zusammenhange damit können wir auch beim 
Zeichnen durchaus eine Überlegenheit der m feststellen, sowohl 
was ihre Begabung wie auch was ihre Leistungen im Unterricht 
und im Experiment, wie endlich auch, was ihr Interesse betrifft, 

Diese Überlegenheit der m ist überall da, wo überhaupt; ein 
deutlicher Altersfortschritt hinsichtlich des Geschlechtsunter- 
schiedes konstatierbar ist, bei den älteren Personen weit deutlicher 
ausgeprägt, als bei den jüngeren; und in den wenigen Fällen 
(Bielefeld und Stockholm), in denen unter den guten Leistungen 


54 Kapitel 1II. Systematische Übersicht über die Einzelergebnisse. 


der jüngeren Kinder die der Mädchen überwiegen, schlägt dies 
bei den älteren wiederum in Besserleistungen der Knaben um. . 

Bessere Leistungen der Mädchen fand nur Mac DonarLp und 
Lossen, der die verhältnismälsige Grölse verschiedener Körper- 
teile der zeichnerischen Menschendarstellungen mit den Normal- 
verhältnissen verglich. | 

Dafs in Liverpool unter den Kindern, deren Leistungen im 
„Malen“ schlecht zensiert sind, die Knaben in der Überzahl sind, 
verdient vielleicht deshalb besondere Beachtung, weil auch in dem 
Experiment KerscHEnsteiners allem Anscheine nach ornamentale 
Aufgaben von Mädchen besser gelöst werden. So finden sich bei 
der Ausschmückung eines Tellers am Tellerrand rhythmische 
Reihungen und im inneren Tellerkreis zusammenhängende Bor- 
düren häufiger bei den Mädchen, während z. B. die planlose Ver- 
streuung vieler Motive, sowohl am Rand wie im Tellerkreis sich 
häufiger bei den Knaben findet; auch bei der Verzierung eines 
Buchdeckels finden sich charakteristischerweise Eckverzierungen 
durchgängighäufiger beiden Mädchen. Dies kann damitzusammen- 
hängen, dafs die Mädchen durch ihre vielfache Beschäftigung mit 
‚Handarbeiten‘ es viel mehr mit Ornamenten zu tun haben als 
Knaben. 

Bezüglich des Detailreichtums der Zeichnungen, der auch fast 
durchgängig bei den Knaben grölser ist, und zwar gleichfalls um 
so mehr je älter sie sind, vgl. $ 12, 2 und $ 14. 

Natürlich bevorzugen die Knaben, wenn ihnen das Zeichen- 
objekt freigestellt wird, auch andere Gegenstände als die Mädchen 
(vgl. $$ 14 und 15 und Karzarorr). 


§ 17, 


Erdkunde. 
(1, 2, 8, 4, 7, 19, 28, 52, 55, 62, 65, 98, 112.) 


Die Unterrichtsleistungen in Geographie gewähren kein ein- 
deutiges Bild über einen etwa vorhandenen Geschlechtsunterschied. 
Wenn bald unter den Kindern mit besseren Leistungen die Knaben, 
bald die Mädchen in der Überzahl sind, und wenn der Vorsprung 
des einen oder des anderen Geschlechts sich bald nur in den unteren, 
bald nur in den oberen Schulklassen findet, so müssen wir das wohl 
dem Umstande zuschreiben, dafs das Wissensgebiet ‚Erdkunde‘ 
psychologisch nichts Einheitliches ist, und dafs die Stellungnahme 


§ 18. Geschichte. 55 


zu ihr sich je nach dem gerade behandelten Gebiete differen- 
ziert. 

Unter den Teilgebieten der Erdkunde haben wir nun nicht 
nur die einzelnen Länder zu verstehen, sondern auch der Kultur- 
geographie, der historischen, der Handelsgeographie, bringen die 
Knaben und Mädchen, wie aus den Ergebnissen von MonroE und 
Dück hervorgeht, ein sehr verschiedenes Interesse entgegen, das 
dann wohl auch auf die Leistungen abfärben wird; mit solchen 
Motiven steht es wohl auch im Zusammenhang, dafs unter den 
jungen Leuten in Innsbruck (Dück) die m sich mehr für England 
und Frankreich, die f sich mehr für Skandinavien, Italien, Spanien, 
den Orient und Rulsland interessieren, ebenso dafs unter den 
amerikanischen Schulkindern (Monror) mehr Knaben nach dem 
Yellowstonepark und mehr Mädchen .nach Paris reisen wollen. 

Ohne genauer zu wissen, welches Teilgebiet der Erdkunde in 
der betr. Schule und Klasse gerade behandelt wurde, können wir 
also aus den Unterrichtsergebnissen für die uns interessierende 
Frage des Geschlechtsunterschiedes nichts Wesentliches entnehmen. 

Immerhin scheint jedenfalls die Reiselust (H. STERN, MAYER), 
vielleicht auch das Interesse für Geographie überhaupt, bei den 
Knaben weiter verbreitet zu sein als bei den Mädchen. Auch bei 
den Leistungen stehen 6 Fälle von Überlegenheit der Knaben 
4 Fällen von Überlegenheit der Mädchen gegenüber. 


§ 18. 


Geschichte. 


(1, 2, 3, 4, 5, 7, 8, 15, 19, 27, 31, 40, 49, 50, 61, 62, 63, 69, 72, 77, 
98, 99, 105, 112.) 


Ebenso ist der in den Schulen als ,,Geschichte‘‘ behandelte 
Stoff zweifellos sehr heterogener Art. So erklärt es sich, dals 
auch hier eine Überlegenheit des einen oder des andern Ge- 
schlechtes nicht deutlich in die Erscheinung tritt. Auch wenn 
wir, wie z.B.in Liverpool, einen scheinbar vom Altersunterschied 
abhängigen Geschlechtsunterschied konstatieren, bin ich geneigt, 
dies auf die verschiedenen in den unteren und den oberen Klassen 
behandelten Themen zurückzuführen. 

Zur näheren Erläuterung des oben Gesagten sei auf die Diffe- 
renzierung des Interesses verwiesen: Dück findet bei männlichen 
Handelshochschülern häufiger ein Interesse für Wirtschafts- 


56 Kapitel ILI. Systematische Übersicht über die Einzelergebnisse. 


geschichte, bei weiblichen häufiger ein Interesse für Kunst- 
geschichte. Wenn wir auch die verschiedenen Feststellungen 
darüber, aus welchem Personenkreise das Kind diejenige Person 
entnimmt, die sie am meisten bewundert, der sie am liebsten gleichen 
möchte usw., als Malsstab dafür betrachten wollen, für welchen 
Personenkreis das Kind das grölste Interesse hat, so finden wir 
zwar im allgemeinen, dafs geschichtliche Personen von Knaben 
bevorzugt werden; aber abgesehen davon, dafs auch dies, z. B. 
bei Goppar sich erst in höheren Altersstufen einstellt (was viel- 
leicht auch mit dem gerade in der Schule behandelten Stoffgebiet 
zusammenhängt), finden wir hier auch weitere Differenzierungen : 
die Knaben interessieren sich mehr für Personen der eigenen, die 
Mädchen mehr für Personen der fremden Geschichte (z. B. H111), 
die Knaben mehr für Kriegs-, die Mädchen mehr für Kultur- 
geschichte (z. B. BranDELL), die Knaben mehr für männliche, 
die Mädchen mehr für weibliche historische Personen (H. STERN). 

Im ganzen mufs man aus den Feststellungen von WIEDERKEHR; 
H. Stern und W. Stern über die Beliebtheit der Unterrichtsfacher 
und aus denen von Norris und Mayer über Lieblingslektüre 
schliefsen, dafs ein Interesse fiir Geschichte bei den Knaben 
häufiger vorhanden ist als bei Mädchen. Auch in den freien lite- 
rarischen Erzeugnissen der Knaben werden geschichtliche Stoffe 
öfter behandelt als in denen der Mädchen (GiEsE). 


§ 19. 


Fremdsprachen (Geisteswissenschaften). 
(2, 3, 5, 8, 17, 19, 23, 39, 48, 52, 55, 63, 69, 78, 80, 94, 105.) 


Die Zusammenfassung der Ergebnisse über Interesse und Be- 
gabung für Fremdsprachen leidet wiederum an der Schwierigkeit, 
dals sie häufig nur mit Ergebnissen bez. anderer Geisteswissen- 
schaften zusammen mitgeteilt werden. Wenn sich trotzdem mit 
ziemlich grolser Übereinstimmung in diesem Paragraphen ergibt, 
dals das Interesse der Mädchen ein grölseres und die Leistungen 
der Mädchen bessere sind, so müssen wir dies wohl dahin inter- 
pretieren, dals sowohl bei der Immatrikulation für geisteswissen-. 
schaftliche Fächer, wie auch bei den geisteswissenschaftlichen 
Prüfungen die fremdsprachlichen Fächer die Hauptrolle spielen ; 
denn für das gleichfalls unter Geisteswissenschaften rubrizierte 
Fach ‚Geschichte‘ fanden wir ja eher eine stärkere Beteiligung 


§ 20. Muttersprache. | 57 


der Männer, und die geringen Zahlen, die für Philosophie i. e. S. 
in Betracht kommen, können das Resultat wohl auch nur wenig 
in diesem oder jenem Sinne beeinflussen. 

Die einzigen Ausnahmen von der Überlegenheit der Mädchen 
hinsichtlich fremdsprachlicher Leistungen finden sich in den 
Examensleistungen in Latein in den New Yorker High-Schools 
(69). Auch die Ergebnisse der Holt-Secondary-School in Bristol 
in Latein sind wenigstens nicht eindeutig. Ob auch im englischen 
Lehrerexamen (19) das Latein eine ausschlaggebende Rolle spielt, 
ist mir unbekannt; desgl., ob vielleicht gleichfalls aus diesem Grunde 
das Interesse am High-School-Classical-Course in St. Louis (80) 
bei den männlichen Personen grölser ist als bei den weiblichen; 
überall jedenfalls, wo wir es ausgesprochen nur mit einer 
lebenden Fremdsprache (Französisch) zu tun haben, finden die 
besseren Leistungen sich häufiger bei den Mädchen, die schlechteren 
häufiger bei den Knaben. 


§ 20. 
Muttersprache. 


1. Leistungen. 
(1, 2, 3, 5, 7, 8, 13, 19, 24, 48, 57, 61, 63, 69, 100, 105.) 


Die Unterrichts- und Examensleistungen in deutschen Schulen 
in Deutsch, in englischen und amerikanischen Schulen in Englisch 
sind ganz allgemein — bis auf eine wohl zu vernachlässigende 
Ausnahme — besser bei den f. Dies erstreckt sich auch, soweit 
die vorliegenden Ergebnisse eine Untersuchung hierüber gestatten, 
auf die unter dem Namen ‚‚Deutsch‘‘ bzw. ‚Englisch‘ zusammen- 
gefalsten Teildisziplinen: auch in Rechtschreibung, Sprachlehre 
und Aufsatz finden sich i. a. mehr bessere Leistungen bei den 
‘ Mädchen, mehr schlechtere bei den Knaben. Im ‚Aufsatz‘ ist 
hier allerdings eine Ausnahme zu erwähnen: in der Volksschule 
zu Stockholm tritt mit wachsendem Alter eine Überlegenheit der 
Knaben ein, welche die vorher vorhandene Überlegenheit der 
Mädchen ablöst!). Aus den Ergebnissen W. Sterns über die 





!) Dem ist übrigens keine grolse Bedeutung beizumessen, da in den 
oberen Klassen der Stockholmer Volksschulen keine Koinstruktion mehr 
vorliegt. Diese Resultate gehören also eigentlich gar nicht mehr in unsere 
Zusammenstellung und sind nur des Vergleichs wegen beigefügt. Dasselbe 
gilt auch von den Unterrichtsleistungen in anderen Fächern. 


58 Kapitel III. Systematische Übersicht über die Einzelergebnisse. 


Wiedergabe einer bildlich dargestellten Geschichte ist ein ein- 
deutiges Ergebnis über einen Geschlechtsunterschied nicht abzu- 
leiten. — Nach Heymans-Wiersma findet sich ein Talent für 
Schriftstellerei häufiger bei Männern. Da nichts Näheres über 
den Inhalt der Schriftstellerei (vielleicht handelt es sich im wesent- 
lichen um wissenschaftliche, politische u. dgl. Themata) gesagt 
ist, so braucht in diesem Resultat nicht notwendig ein Widerspruch 
zu dem weiteren Ergebnis von Hevymans-WiersMma und dem von 
Learoy-TayLor zu liegen, wonach das Erfinden von Geschichten 
belletristischen Inhaltes bei Frauen häufiger zu finden ist. 

Im mündlichen Ausdruck scheinen eher die Männer überlegen 
zu sein. 


2. Eigentümlichkeiten der Schrift- und Sprechsprache. 


(8, 24, 39, 48, 74.) 


Die sprachlichen Leistungen der m und f gestatten aber nicht 
nur eine Klassifizierung unter dem Gesichtspunkte von Besser 
und Schlechter — wobei, wie wir gesehen haben, die Besser- 
leistungen sich häufiger bei Mädchen, Schlechterleistungen 
häufiger bei Knaben finden —, sondern auch die Form des Aus- 
druckes, die nicht ohne weiteres irgendwie zensiert werden kann, 
ist gleichfalls bei m und f in manchen Richtungen verschieden. 

PFEIFFER fand einen ,,beobachtenden Arbeitstyp“ haufiger bei 
Knaben (Do = + 40, Du = + 24), einen „subjektiven Arbeitstyp“ 
häufiger bei Mädchen (Do = — 68, Du = — 16), Conn- DIEFFEN- 
BACHER einen „erzählenden Typus“ gleichfalls häufiger bei Mädchen 
(Do = — 22, Du = — 28). 

CoHn-DIEFFENBACHER fanden ferner eine temporale Disposition 
häufiger bei Mädchen (Do = — 20, Du = — 28), eine juxtappo- 
nierende häufiger bei Knaben (Do = +58, Du = + 28), und 
Heymans findet häufiger die Aufsätze der Knaben als die der 
Mädchen ausgezeichnet durch logische Einteilung (Do = + 44, 
Du = + 3). 

Andererseits finden sich nach Heymans Phantasie (Do = — 32, 
Du = — 3), und korrekter Satzbau (Do = — 35, Du = — 4), 
häufiger bei Mädchen, während nach Conun-DiErFENBACHER sich ein 
Mangel an Gefühlen häufiger bei Knaben (-+ 38) offenbart. 

Eine ganze Reihe von Geschlechtsunterschieden ergeben sich 
aus der Untersuchung GiEses über freie, literarische Produkte: 
bei poetischen Erzeugnissen rühren solche mit freiem Versmals, mit 


8 20. Muttersprache. 59 


ungewöhnlicher Zeilenzahl der Strophen und mit komplizierterem 
oder ganz freiem Strophenaufbau meist von Knaben her, während 
Daktylus und Hexameter, Drei- und Vierzeiler und die Reim- 
formen abab und abba sich häufiger bei Mädchen finden. — Auch 
in der Wahl der Stoffe sind die literarischen Produkte der Knaben 
und Mädchen sehr verschieden; doch gehört das wohl eher in das 
Gebiet der Interessen. Was die literarische Form der Produkte 
betrifft, so rühren ‚Aufsätze‘ meist von Knaben, dagegen Briefe, 
Skizzen, Erzählungen öfters von Mädchen her. 

Die von Hermans und Heymans-Wiersma gefundenen Unter- 
schiede der Sprechsprache von Männern und Frauen gehören 
wenigstens z. T. eigentlich mehr in das Gebiet der Charakterlehre. 
Danach ist Gesprächigkeit öfter eine Eigenschaft der Frauen 
(Hermans: Do = — 16, Du = — 31; Heymans- Wiersma: Do = 
— 4, Du = — 11). Wiirdevolles und gemessenes, sachliches, kurz 
abbeilsendes Reden und Sprechen findet sich öfters bei Männern; 
ebenso auch die Ironie, womit ein Ergebnis GıEses übereinstimmt; 
dagegen sind eine gemütliche Redeweise, gedehnter und schleppen- 
der Sprechton, eine gleichmälsig dahinfliefsende Sprechweise und 
einfaches Drauflosschwätzen eher Charakteristika der Frauen. 


3. Interesse. 
(8, 9, 15, 69, 77, 92, 98, 99, 105, 112.) 


Nicht so deutlich wie bei den Leistungen in der Muttersprache 
ist beim Interesse für dieselbe ein Geschlechteunterschied festzu- 
stellen. Während die Sprache als Ganzes genommen eher die 
Mädchen mehr zu interessieren scheint, finden wir bei den Teil- 
disziplinen Rechtschreibung, Sprachlehre, Aufsatz fast überall — 
mit einer Ausnahme — die grölsere Vorliebe bei den Knaben. 
Dale ep neben dieser logischen Einteilung des Gebietes der 
Muttersprache auch andere Gesichtspunkte sind, nach denen die 
Interessen der Geschlechter sich differenzieren, geht zunächst 
einmal aus einer Untersuchung von Seemann hervor, der die 
Kinder ‚‚die drei schönsten Gedichte des Lesebuches‘‘ bezeichnen 
liefs. Aufserdem wären hier natürlich die Untersuchungen über 
die Lieblingslektüre zu nennen; doch ist es hier sicher nur mehr 
der Stoff und nicht ein unter das Stichwort ‚Muttersprache‘ ge- 
höriger Gesichtspunkt, der die Wahl bestimmt. 

Anders verhält es sich mit einer Untersuchung Battarps, der, 


60 Kapitel III. Systematische Übersicht über die Einzelergebnisse. 


— eben um dieser Schwierigkeit zu entgehen — denselben Stoff 
in mehreren verschiedenen Formen den Kindern zur Begutachtung 
vorlegte. Er fand, dafs die Knaben öfter den ‚antiken‘ und den 
„blumigen‘“, die Mädchen öfter einen ‚schlichten‘ Prosastil be- 
vorzugen. 


§ 21. 


Allgemeine geistige Entwicklung (Intelligenz, Schul- 
leistungen im allgemeinen). 


(4, 6,7, 8, 10, 13, 17, 36, 41, 42, 46, 47, 48, 58, 61, 63, 64, 70, 75, 95, 
100, 106, 108.) 


Die allgemeine Schulleistungsfähigkeit, soweit sie sich in dem 
Bestehen von Prüfungen, dem Versetztwerden in eine höhere 
Klasse oder in Gesamtzensuren ausspricht, findet sich in ihren 
besseren Graden häufiger bei den Mädchen; doch zeigt sich die 
Überlegenheit der Mädchen noch stärker darin, dafs die schlechteren 
Grade (das Sitzenbleiben, das Durchfallen bei Prüfungen usw.) 
häufiger bei den Knaben vorkommen. Allerdings finden sich 
einige Ausnahmen, und zwar in Philadelphia und in Liverpool in 
den Altersstufen 14 bis 15 bzw. 11 bis 13. 

Wir könnten geneigt sein, diese fast durchweg besseren Unter- 
richteleistungen der Mädchen aut eine besser entwickelte Intelligenz 
zurückzuführen, und wir könnten in dieser Meinung bestärkt 
werden durch den ganz allgemein zugunsten der Mädchen sprechen- 
den Ausfall von Intelligenzschätzungen, die an verschiedenen 
Stellen von Lehreın vorgenommen wurden. (Auch hier zeigt der 
Unterschied sich übrigens besonders in dem Überwiegen der Knaben 
unter den schlecht zensierten.) Aber die Resultate von Einzel- 
untersuchungen über logische Funktionen, die mit mehr oder 
weniger Recht als Untersuchungen von Teilerscheinungen der 
Intelligenz aufzufassen sind, zeigen uns fast durchgängig eine 
Überlegenheit der Knaben. Ebenso führt die Beurteilung einzelner 
Eigenschaften (Hrymans-WıERsMA) meist dazu, dals solche Eigen- 
schaften, die als Funktionen der Intelligenz aufzufassen sind, sich 
häufiger bei Männern finden. (Freilich fand Heymans bei Lehrer- 
urteilen über Schulkinder z. T. auch widersprechende Ergebnisse.) 

Wir dürfen also wohl die besseren Schulleistungen der Mädchen 
nicht so sehr auf eine besser entwickelte Intelligenz zurückführen ; 
wir müssen vielmehr die Urteile der Lehrer über die bessere In- 


§ 22. Eigenschaften des Gefühls- und Willenslebens. 61 


telligenz der Madchen als durch deren bessere Schulleistungen 
beeinflufst ansehen. Die besseren Schulleistungen aber werden 
wir wohl mehr durch den grofseren Fleifs der Madchen zu erklaren 
haben (vgl. $ 22, 14). 


§ 22. 
Eigenschaften des Gefühls- und Willenslebens. 


Wir behandeln in diesem Paragraphen 

1. diejenigen Charaktereigenschaften, die 
al Ärzte (Hrvmans-WıersmA), 

b) andere Beobachter (Gatton), 
c) Lehrer (Hermans, Iwanorr, Bielefeld, Stockholm, Mac 
Donatp, Bristol Merr Sec. Se.) 
an ihren Beobachtungsobjekten feststellen konnten. 

2. diejenigen Eigenschaften, welche die Beobachtungsobjekte 
an sich selbst konstatierten, indem sie sie als Motive 
&) ihrer Berufswahl (Mayer, Monroe), 

b) ihrer Lieblingslektüre (Mayer, Norrıs, H. STERN), 
c) ihres Lieblingsspieles (ScHEIFLER), 
d) der Wahl eines Spielgefährten oder Freundes (Monroe, 
MayER), 
e) des Sparens (Monroe) u. dgl. (ScHirer, Monroe) 
bezeichneten. 

3. diejenigen Eigenschaften, welche die Vp. gern besitzen oder 
nicht besitzen möchten, indem sie sie namhaft machen 
a) als beste bzw. schlechteste menschliche Eigenschaft 

überhaupt (H. STERN), 

b) als diejenige Eigenschaft, die ihre ‚‚Idealperson‘‘ besitzt, 
d. h. die Person, die ihnen am besten gefällt oder der 
sie am liebsten gleichen möchten (BRANDELL, FRIEDRICH, 
GoDDARD, MAyErR, RıcHtEr, H. STERN), 

c) als diejenige Eigenschaft, die sie selbst in der Zukunft 
gern betätigen möchten (H. STERN). 

4. Gewisse Gefühls- und Willensrichtungen sind ferner in- 
direkt zu erschliefsen 
&) aus der Art des gewählten oder zu wählenden Berufes 

(Taompson), 

b) aus der Art der Lieblingsbeschäftigung (Hrvmans, 

NoRrRIS, SCHEIFLER, THOMPSON), 


62 Kapitel Ill. Systematische Übersicht über die Einzelergebnisse. 


c) aus der Art der Lieblingslektüre (Mayer), 
d) aus der Art der literarischen Produktion (GrEsE, Coun- 
+ DIeFENBACHER), 

e) aus der Art des Klubs, dem Vp. angehört (SHELDON), 

f) aus der Beliebtheit gewisser Unterrichtsfächer (H. 
STERN, W. STERN), 

g) aus den Leistungen in gewissen Unterrichtsfächern (Biele- 
feld, Liverpool El.-Sch., Stockholm). 


1. Neigung zu intellektueller Betätigung. 
(1, 4, 7, 8, 15, 48, 62, 65, 72, 77, 82, 98, 98, 99, 105.) 


Durchgängig findet sich eine ausgesprochene Neigung zu 
intellektueller Betätigung, d. h. Freude am Lernen und Studieren, 
aber auch an künstlerischer Betätigung häufiger bei den Mädchen 
und Frauen. Nur als diejenigen Eigenschaften, deren Besitz eine 
bestimmte Person der Geschichte usw. in den Augen der Kinder 
zu einer besonders bewunderswerten macht, werden gewisse in- 
tellektuelle und künstlerische Eigenschaften öfter von Knaben als 
von Mädchen namhaft gemacht. Auch unter den Liebhabern von 
Verstandesspielen finden sich mehr Männer als Frauen. 

Man könnte annehmen, dafs die i. a. häufigere Neigung der 
Mädchen zu intellektueller Betätigung sich auch darin aussprechen 
miifste, dafs die Mädchen lieber lesen als die Knaben, und dafs 
sie im Lesen Besseres leisten. Dies trifft — wenigstens in dieser 
allgemeinen Formulierung — nicht zu. Offenbar kommt es dabei 
sehr auf den Lesestoff an; in der Tat bevorzugen die Knaben und 
Mädchen, wie aus den Untersuchungen von Mayer, Norris und 
H. Stern hervorgeht, sehr verschiedene Lesestoffe; das Marchen 
z. B. ist — sowohl hinsichtlich der Rezeption wie der Produktion — 
durchaus von den Mädchen bevorzugt (vgl. $ 12, 4). 


2. Neigung zu politischer Betätigung. 
(15, 31, 48, 62, 98.) 

Ein Interesse für Politik findet sich im allgemeinen häufiger 
bei den Knaben und Männern. Z. T. mag dies damit zusammen- 
hängen, dafs die politischen Rechte der Männer und damit die 
Gelegenheit eine wirksame politische Tatigkeit zu entfalten, 
allenthalben gröfser sind als die der Frauen. 


§ 22. Eigenschaften des Gefühle- und Willenslebens. 63 


3. Neigung zu philanthropischer Betätigung. 
(8, 15, 31, 40, 48, 62, 65, 77, 81, 98, 98.) 


Dafs das gröfseıe Interesse der Männer an politischen Dingen 
jedenfalls nicht oder nicht nur ein Ausflufs ihrer stärker ent- 
wickelten sozialen Gesinnung ist, beweist die durchgehend fest- 
stellbare stärkere Beteiligung der Mädchen an philanthropischen 
Betätigungen und das häufigere Vorhandensein der diesen Be- 
tätigungen entsprechenden Gesinnungen und Eigenschaften: Mit- 
leid, Nächstenliebe, Hilfsbereitschaft u. dgl. Andererseits finden 
die entgegengesetzten Eigenschaften Egoismus, Grausamkeit u. dgl. 
sich häufiger bei den Knaben und Männern. 

Vielleicht lälst sich das stärkere Interesse der Männer an 
Politik und das stärkere Interesse der Frauen an Philanthropie 
auch auf die folgende Formel bringen: Die Frauen sind mehr 
bestrebt, dem einzelnen Individuum zu helfen, das Streben der 
Männer gilt mehr der Heilung von Schäden, unter denen die — 
als unpersönlich gedachte — Gesamtheit leidet. 

Es wird ja auch sonst vielfach behauptet, dafs das Interesse 
der Frauen mehr auf das einzelne, Konkrete, das der Männer mehr 
auf das Allgemeine, Abstrakte, gerichtet sei. 


4. Religiosität. 
(1, 7, 31, 39, 48, 62, 65, 81, 98, 105.) 

Religiöse Gesinnung, Festigkeit der religiösen Überzeugung 
Streben nach Verwirklichung des religiösen Ideals, Interesse an 
religiösen Dingen usw. finden sich fast durchgängig häufiger bei f. 

Demgegenüber steht eine vielleicht bei den Knaben häufiger 
zu findende Tendenz ihre eigenen Handlungen usw. durch religiöse 
Motive zu begründen. 


5. Neigung zu praktischer Betätigung. 
(98, 105.) 
Neigung zu praktischer Betätigung findet sich häufiger bei m; 


allerdings sind es auch mehr Mädchen, die gewisse Unterrichts- 
fächer deshalb nicht mögen, weil sie ‚nutzlos‘ seien. 


64 Kapitel Ill. Systematische Übersicht über die Einzelergebnisse. 


6. Erwerbssinn. 
(40, 48, 62, 65, 77, 82.) 

Ein Erwerbssinn, d. h. eine auf Geldverdienst und materiellen 
Besitz gerichtete Neigung, ist i. a. bei m mehr als bei f vorhanden. 
Allerdings scheinen — nach einem Resultat von HEYMANs-WIERSMA 
— die Männer das Geld auch leichter wieder auszugeben, während 
die Mädchen mehr zu Sparsamkeit und Geiz neigen. 


7. Streben nach Macht. 
(40, 48, 62, 77.) 

Bedeutend mehr Knaben als Mädchen bezeichnen als die- 
jenige Eigenschaft, um derentwillen eine Person ihnen als vorbild- 
lich gilt, die Macht, — und ebenso als das Motiv, weswegen sie 
einen bestimmten Beruf ergreifen wollen, dies, dafs dieser Beruf 
ihnen Gelegenheit zum Befehlen gibt. 

Damit steht im Widerspruch, dafs bei HEymans-WiERsMA mehr 
Frauen als Manner als herrschsiichtig bezeichnet werden. 


8. Streben nach Ehre. 
(8, 48, 62.) 
Auch Ehrgeiz findet sich i. a. bei m häufiger als bei f; nur nach 
Heymans sind unter den ehrgeizigen 15—18jahrigen mehr f als m. 


9. Eitelkeit. 
(8, 48, 62, 65, 77, 98.) 

Mit grofser Übereinstimmung ist aus verschiedenen Indizien 
zu schlielsen, dafs Eigenschaften der äufseren Erscheinung und 
überhaupt körperliche Vorzüge im Interesse der Mädchen häufiger 
eine Rolle spielen, als in dem der Knaben. Nur unter den 18- bis 
19jährigen ,,stutzerhaften‘‘ Beobachtungsobjekten von Heymans, 
und unter denjenigen l4jährigen, deren Idealpersonen durch 
Eigenschaften der äufseren Erscheinung ausgezeichnet sind 
(RıcHTEr), gibt es mehr m. 


10. Neigung zu Geselligkeit. 
(8, 72, 82, 93, 105.) 
Unter den Kindern und Jugendlichen (bis zu 19 Jahren), 
welche die Gesellschaft anderer lieben, nicht gern allein sind usw., 
sind nach verschiedenen Feststellungen die f in der Überzahl. 


$ 22. Eigenschaften des Gefühls- und Willenslebens. 65 


Unter den Studenten aber sind es nach THompson mehr Männer, 
die sich lieber in Gesellschaft als allein befinden, und mehr Frauen, 
die kein Vergnügen an geselligen Vereinigungen finden. 


11. Sexualleben. 
(31, 48, 98.) 


Die Sexualität spielt nach Hrymans-Wırrsma im Leben des 
Mannes öfters eine grolse Rolle als in dem der Frau. 

Man könnte hier auch anführen, dafs mehr Mädchen als 
Knaben die ‚„Keuschheit‘“ und ‚Unschuld‘ als diejenige Eigen- 
schaft bezeichnen, die eine Idealperson nachahmungswert macht 
(FriEpricH), und ebenso die als schlechteste menschliche Eigen- 
schaft den ‚Leichtsinn‘‘ und , schlechte Lebensweise“ nennen 
(H. STERN); aber es ist doch sehr zweifelhaft, ob diese Begriffe 
von den 121,- und l4jährigen schon in dem spezifisch auf das 
Sexuelle gerichteten Sinne aufgefalst werden, in dem wir sie zu 
verwenden pflegen. 


12. Moralität im allgemeinen. 
(15, 40, 62, 98.) 


Während, wie wir gesehen haben, die Aufmerksamkeit der 
Knaben sich vorwiegend auf materielle Dinge richtet und solche 
Eigenschaften wie Besitz, Ehre und Macht als begehrenswert er- 
scheinen lälst, ist das Interesse der Mädchen mehr auf intellektuelle 
und, wie wir hier festzustellen haben, auf moralische Eigenschaften 
gerichtet. Allerdings scheint — nach den Befunden von BRANDELL 
und Gopparp — die Majoritét der Mädchen in dieser Beziehung 
erst im Alter von 9—10 Jahren einzutreten ; während vorher gerade 
die Knaben auf Eigensehaften des Charakters Wert legen. 


13. Betragen. 
(1, 8, 7, 8, 34, 48, 52, 61, 62, 98.) 


Das, was man in der Schule unter gutem ,,Betragen“ (,,con- 
duct“) versteht — und ebenso die einzelnen Teileigenschaften 
dieser Eigenschaftsgruppe (Milde, Höflichkeit, Fügsamkeit, Freund- 
lichkeit) — finden sich allenthalben häufiger bei Mädchen als bei 
Knaben, die gegensätzlichen Eigenschaften — schlechtes Betragen, 
Heftigkeit, Herrschsucht, Flegelei, Frechheit usw. — ebenso durch- 
gängig häufiger bei Knaben. Die einzigen Ausnahmen sind : Wider- 


Beiheft zur Zeitschrift für angewandte Psychologie. 14. Erster Teil. 5 


66 Kapitel III. Systematische Übersicht über die Einzelergebnisse. 


spenstigkeit ist bei 16jährigen Mädchen häufiger als bei gleich- 
eltrigen Knaben (Hrymans), Herrschsucht bei Frauen häufiger 
als Männern (Hrymans-Wırssma), Höflichkeit wird von mehr 
14jährigen Knaben als Mädchen als beste Eigenschaft bezeichnet, 
(H. STERN). 


14. Fleils. 
(1, 7, 8, 81, 48, 52, 61, 65, 98.) 

Auch hinsichtlich des Fleifses sind die Madchen den Knaben 
fast durchgängig überlegen. Nur unter den l1ljahrigen Volks- 
schülern in Stockholm bekommen mehr Mädchen als Knaben 
eine schlechte Schulzensur in ‚‚Fleifs“!). Ferner sind es bei HEY- 
MAns mehr Knaben als Mädchen, die in einzelnen Fächern mehr 
arbeiten, als die Schule von ihnen verlangt; aber es sind nur eben 
„einzelne Fächer‘, und zwar wohl die eben interessierenden, und 
es ist wohl nicht eigentlich als ‚‚Fleifs‘“ zu bezeichnen, wenn die- 
Knaben ihre Interessen hier intensiver betätigen als die Mädchen. 

Gegenüber dem sonst überall festgestellten grölseren Fleils 
der Mädchen wirkt es fast wie eine Art Selbsterkenntnis der Knaben, 
wenn sie oft als beste Eigenschaft den Fleils, als schlechteste 
Eigenschaft Faulheit, Trägheit, Mülsiggang namhaft machen 
(H. STERN). 


15. Ordnungsliebe. 
(8, 48, 98.) 

Es sind überall mehr Mädchen als Knaben, die auf Reinlich- 
keit und Ordnung halten und als beste Eigenschaften Ordnungs-- 
liebe und Sauberkeit, als schlechteste Eigenschaften Unordnung und 
Unsauberkeit bezeichnen. Sofern diese Angaben sich auf Körper 
und Kleidung erstrecken, hängen sie wohl mit der oben erwähnten. 
grölseren Eitelkeit der Mädchen zusammen. 


16. Pünktlichkeit?) 
(8, 48.) 
Unter den pünktlichen Schulkindern fand Heymans mehr 
Mädchen, unter den pünktlichen Erwachsenen fanden HEYMANS- 
Wiersma mehr Männer. | 


1) Siehe Anm. auf 8. 26 und S. 67. 
23) HEYMANS und HEYMANS-WIERSMA scheinen „Pünktlichkeit“ in 
einem allgemeineren Sinne zu verstehen, als es i. a. üblich ist. Während. 


§ 22. Eigenschaften des Gefühls- und Willensleben. 67 


17. Wahrheitsliebe. 
(8, 48, 62, 65, 98, 105.) 

Auch die Wahrheitsliebe ist eine Eigenschaft, die sich im 
allgemeinen bei Mädchen häufiger findet. Doch ist auch dies nicht 
ausnahmslos: bei Tuompson bezeichnen sich mehr Studentinnen 
als Studenten selbst als unaufrichtig; bei Heymans bezeichnen die 
Lehrer von den 19jährigen mehr m als f als solche, die ein Ver- 
gehen ehrlich gestehen ; allerdings ist hier der Zusatz nicht zu über- 
sehen: ‚um anderen keine Ungelegenheiten zu machen.“ 


18. Treue, 
(31, 62, 98.) 

„Treue“ ist ein so vager Begriff, der so sehr zu phrasenhafter 
Verwendung verführt, dafs wir uns nicht wundern dürfen, wenn 
unter den Kindern, welche die Treue — und ebenso Dankbar- 
keit, Pietät u. dgl. — als beste oder erstrebenswerte Eigenschaft, 
als Motiv ihrer Berufswahl usw. bezeichnen, bald die Knaben, 
bald die Mädchen in der Überzahl sind. 


19. Geduld. 
(31, 48, 62.) 

Auch über Geduld läfst sich nur dies sagen, dafs bei Heymans- 
Wiersma die Ärzte mehr Frauen als Männer als ‚bei Krankheit 
geduldig‘“ bezeichnen. 

Die Ergebnisse über Geduld als erstrebenswerte Eigenschaft 
stimmen nicht überein. 


20. Mut. 
(8, 81, 48, 62, 98.) 

Mut findet sich überall öfter bei Knaben als bei Mädchen; nur 
bei Krankheiten scheinen sich — nach Hrymans-WiERsMmaA — mehr 
f als m mutig zu benehmen. 

Das freimütige oder schüchterne Benehmen bei öffentlichem 
Auftreten — beides findet sich bei 14- bis 17jährigen Mädchen 
häufiger als bei gleichaltrigen Knaben (Hrymans) — hat mit dem 
„Mut“ im eigentlichen Sinne des Wortes ja nur sehr indirekt zu tun. 


wir bei Pünktlichkeit im wesentlichen an das genaue Innehalten eines ver- 

abredeten oder festgesetzten Zeitpunktes denken, scheinen die beiden ge- 

nannten Verfasser darunter mehr ‚„Gewissenhaftigkeit‘‘ i. a. zu verstehen. 
E 


68 Kapitel III. Systematische Übersicht über die Einzelergebnisse. 


21. Bescheidenheit. 
(8, 31, 48, 98.) 


Unbescheidenheit, Selbstzufriedenheit, Prahlerei, Grofstuerei 
u. dgl. ist i. a. mehr eine Eigenschaft der Knaben als der Mädchen, 
und dementsprechend wird die Bescheidenheit auch von den 
Mädchen höher geschätzt als von den Knaben. 

Allerdings ist Hochmut nach Heymans bei Knaben häufiger 
als bei Mädchen. 


22. Emotionalität. 
(8, 25, 48, 62.) 


Emotionalität, Reizbarkeit, leichte Verstimmbarkeit u. dgl. 
sind bei weiblichen Personen häufiger zu finden als bei männlichen. 
Nur unter den 1l3jäbrigen sind mehr Knaben als Mädchen leicht 
in Begeisterung zu versetzen. 

Dals die Mädchen ihre Emotionalität nicht gerade für eine 
Tugend halten, kann vielleicht aus dem Resultate Mayers er- 
schlossen werden, wonach nur Mädchen als wesentlichste Eigen- 
schaft einer Freundin die bezeichnen, dafs sie nicht empfindlich 
und neidisch sein darf. 

Entsprechend der gröfseren Emotionalität der Mädchen finden 
sich höhere Grade von Konstanz der Stimmungen, der Sympathien, 
der Gewohnheiten und ebenso auch ‚Dickköpfigkeit‘‘ meist 
häufiger beim. Nur in der Trauer sind — nach HeYmans-WIERSMA 
— f ausdauernder. Im ganzen erscheint danach die ‚„Sekundär- 
funktion‘‘ bei den Männern grölser zu sein, während die Frauen 
mehr ,,primarfunktionierend“ sind, mit Ausnahme stark gefühls- 
betonter Eindrücke, die bei Frauen länger nachwirken. So fand 
auch CoLEGRoOVE, dafs die Frauen sich an gefühlsbetonte Eindrücke 
besser erinnern als Männer (vgl. $ 12, 2). 


23. Allgemeine Gefühlsrichtung. 
(8, 24, 39, 48, 62, 65.) 


Heiterkeit, Munterkeit u. dgl. kann als Charakteristikum des 
weiblichen, Schwermut, Düsterkeit als eine bei m sich öfter findende 
Eigenschaft bezeichnet werden. Dies äulsert sich unter anderem 
auch — wenn auch nicht ausnahmslos — in der Art der literarischen 
Produktion der Knaben und Mädchen. 

Bei der Lieblingslektüre findet sich, allerdings nicht nur bei 


§ 23. Aufmerksamkeit. 69 


der Bevorzugung der lustigen, sondern auch bei derjenigen der 
traurigen und rührenden Schriften eine Majorität der Mädchen, 
was wohl mit ihrer überhaupt grölseren Emotionalität zusammen- 
hängt. 

Entsprechend der heiteren Gemütsverfassung der Mädchen 
sind diese auch lachlustiger als m. 

Andererseits sind letztere mehr als f zu Witz und Satire 
geneigt. 


24. Impulsivitat. 
(8, 48.) 


Bedächtigkeit und Handeln nach Prinzipien ist häufiger bei m; 
dagegen sind impulsives und entschlossenes Handeln öfters bei 
Frauen zu finden. 


§ 23. 
Aufmerksamkeit. 


1. Beobachtung. 
(1, 8, 52, 85.) 


Die vorliegenden Schulzensuren und Lehrerbeobachtungen 
stimmen darin überein, dals Aufmerksamkeit in höherem Grade 
eine Eigenschaft der Mädchen, Zerstreutheit, leichte Ablenkbarkeit, 
plötzliches Nachlassen der Aufmerksamkeit dagegen mehr Cha- 
rakteristika der Knaben sind. | 

Auch Scuuyten, der während eines ganzen Schuljahres täglich 
während einiger Minuten methodische Beobachtungen über die 
Aufmerksamkeit der Schulkinder veranstaltete, fand an 110 Be- 
obachtungstagen mehr Aufmerksame unter den Mädchen, und nur 
an 18 Tagen mehr Aufmerksame unter den Knaben. Nimmt man 
dazu diejenigen 6 Beobachtungstage, an denen wenigstens eine 
Hälfte des Versuchsresultates — der Versuch wurde in 2 Klassen 
veranstaltet — zugunsten der Knaben spricht, so finden sich 
Besserleistungen der Knaben einmal besonders in der unteren der 
beiden Klassen, zweitens besonders im Frühjahr vom 5. März bis 
1. Mai und drittens dann, wenn dem Versuch eine 5 Minuten lange 
Erholungspause vorherging. Vielleicht hängen die beiden ersten 
der genannten Ergebnisse damit zusammen, dafs die Mädchen im 
Präpubertätsalter etwas mehr als die Knaben den klimatischen 
Einflüssen des Frühjahrs unterliegen; mit der Temperatur, die 


70 Kapitel III. Systematische Übersicht über die Einzelergebnisse. 


von SCHUYTEN mit aufgezeichnet wurde, ist jedoch ein Zusammen- 
hang nicht feststellbar. 


2. Experiment. 
(29, 45, 114.) 


Das experimentelle Verhalten der m und f zeigt nicht die eben 
konstatierte grölsere Aufmerksamkeit der letzteren. Bei Dück 
besserte sich die Arbeitsleistung — Lernen von Zahlenreihen — 
unter dem Einfluls von Störungen bei den Knaben mehr als bei 
den Mädchen, bzw. verschlechterte sich bei diesen mehr als bei 
jenen. — Beim Bourovon-Test, bei dem es sich darum handelte, 
möglichst rasch sämtliche in einem Test vorkommende a, e und 
u zu durchstreichen, fand Henrorın, dals unter den jüngeren. 
Vpp. (etwa bis zum 10. Lebensjahre) die Knaben schneller aber 
fehlerhafter arbeiteten, während dann die Fehlerhaftigkeit aber 
auch die Schnelligkeit bei den Mädchen grölser ist. Es ist schwer 
zu sagen, ob mehr die Richtigkeit oder mehr die Schnelligkeit des 
Arbeitens als Aufmerksamkeitsindex zu betrachten ist. 

Bei den Intervallschätzungen von YERKES-ÜRBAN zeigt sich 
der meist zugunsten der Männer konstatierte Geschlechtsunter- 
schied vom Verhalten der Aufmerksamkeit während des zu 
schätzenden Intervalles relativ unabhängig. 


3. Intervariation (Regelmälsigkeit der Reaktion). 
(16, 51, 91, 101, 105.) 


Wenn man bei länger fortgesetzten Experimentalunter- 
suchungen für jede Versuchsperson das arithmetische Mittel ihrer 
Leistungen und den Durchschnitt der Abweichung der Einzelbe- 
stimmungen von diesem Mittelwert feststellt, so erhält man in 
diesem Ausdruck (m. V. = mittlere Variation), einen Maflsstab 
dafür, ob die Versuchsperson mehr oder weniger regelmälsig 
reagiert. Ist m. V. klein, so kann man also schliefsen, dafs die 
Aufmerksamkeit der Versuchsperson sich über die ganze Versuchs- 
reihe hin relativ konstant verhalten hat, während eine grofse m. V. 
auf grolse Schwankungen der Aufmerksamkeit hinweist. 

Wir finden nun unter den uns vorliegenden Resultaten meist 
— aber nicht durchgängig — kleinere m. V. häufiger bei den m, 
grölsere häufiger bei den f. Wenn man die Resultate nur in bezug 
auf die untersuchten Altersstufen betrachtet, so kann man vielleicht 


§ 25. Zusammenfassung. 71 


sagen, dals Ausnahmen hiervon (also kleinere m. V., d. i. kon- 
stantere Aufmerksamkeit der f) sich im wesentlichen auf das 
Präpubertätsalter zu konzentrieren scheinen. 

Mit der meist geringeren Intravariation der m hängt vielleicht 
auch die bereits früher ($ 22, 22) erwähnte grölsere Konstanz ihrer 
Gewohnheiten, Stimmungen, Sympathien zusammen. 


§ 24. 
Suggestibilitat. 
(8, 29, 37, 56, 91, 113, 116.) 

Hinsichtlich der Suggestibilität ist ein eindeutiger Geschlechts- 
unterschied nicht feststellbar. 

Gewissen Suggestionen — Wahrnehmung eines objektiv nicht 
vorhandenen Tones oder Geruches — leisteten mehr Mädchen 
Widerstand (Kosoc), anderen Suggestionen dagegen erlagen mehr 
Mädchen als Knaben, so der einer Tastempfindung (Kosoc), dem 
„Bemerken“, dals eine Karte ‚magnetisiert‘ sei (Yunc), der Fäl- 
schung eines Erinnerungsbildes (Dück). 

Unter denjenigen Kindern, die eher geneigt sind, es anderen 
nachzuahmen, als sich selbst zum Führer zu machen, sind die 
Knaben in geringer Überzahl (Heymans). 

Für eine geringere Suggestibilität der m spricht vielleicht auch 
der Umstand, dafs sie sich gegenüber der Demoorschen Täuschung 
auf dem Gebiete des Gesichstsinnes (SEASHORE, WOLFE), sowie der 
Quadrat- und Ringtäuschung auf dem Gebiete des optischen 
Raumsinnes (GiErınG), als die widerstandsfähigeren erwiesen 
($ 10, 3 und 6c). | See 


$ 25. 
0... Zusammenfassung. 
Es ist nicht der Zweck dieses dritten Kapitels meines Buches 
— und überhaupt nicht der Zweck dieses Buches — eine voll- 


ständige Übersicht über die in bezug auf Geschlechtsunterschiede 
vorliegenden Resultate zu gewähren. Wir hätten uns dann nicht 
auf diejenigen Resultate beschränken dürfen, die sich der von uns 
gewählten statistischen Methode fügen. ` 

Die Absicht dieses 3. Kapitels ist vielmehr nur die, eine unge- 
fähre Übersicht über die von uns zusammengestellten und weiter 
zu verwendenden Ergebnisse zu ermöglichen, die gleichartigen 


72 Kapitel III. Systematische Übersicht über die Einzelergebnisse. 


zusammenzuordnen, Übereinstimmungen und Nichtübereinstim- 
mungen verschiedener Untersucher festzustellen. 

Auch die Zusammenfassung, die in diesem Paragraphen ge- 
geben wird, soll nur diesem Zwecke dienen und die hier sicherge- 
stellten Ergebnisse noch einmal vereinigen. Die Lückenhaftigkeit 
unseres Materials gestattet uns nicht — und es lag auch, wie 
gesagt, von vornherein nicht in unserer Absicht —, die Ergebnisse 
hinsichtlich einzelner psychischer Funktionen nun wiederum noch 
grölseren umfassenderen Gesichtspunkten unterzuordnen, oder 
ihren Zusammenhang untereinander zu untersuchen, wie HEYMANS, 
W. STERN und andere es getan haben. Man wird deshalb in dieser 
Zusammenstellung nach Schlagworten wie ‚„Spontaneität“, ‚„Re- 
zeptivität“, „Sekundärfunktion‘ u. dgl. vergeblich suchen. 

Mit hinreichender Übereinstimmung fanden sich Majoritäten 
der männlichen (m) bzw. der weiblichen (f) Personen bei den 
stärkeren Graden (bzw. Minoritäten bei den schwächeren Graden) 
folgender Leistungen und Eigenschaften: 


m ss f §§ 
Raumsinn der Haut . . 10,1 
Gewichtssinn ..... 10, 3 
Geschmackssinn . . . . 10,4 
Gehörssinn ...... 10, 5 
Farbensinn (U. E.) . . 10, 6b 
Optischer Raumsinn . . 10, 66 
Zeitsinn ....... 10,7 
Überschätzung von Zeit- Unterschätzung von Zeit- 
intervallen . .... 10,7 intervallen ..... 10,7 
Schnelligkeit der Wahl- 
reaktion ...... 11, 20 
Präzision und Koordi- 
nation von Bewegungen 11, 3 
Schreiben - : . : . . . 11, 3 
Handfertigkeit . . . . 11,3 
Detailreichtum von Zeich- 
nungen >... a.. 12, 2 
Phantasie. ...... 12,4 


Begabung fiir Mathe- 
matik. ....... 13,1 


§ 25. Zusammenfassung. 13 


m $$ 
Unterrichtsleistung in 
Mathematik . . . . .. 13, 2a 


Unterrichtsleistung in 
Rechnen und Arith- 


metik ....... 13, 2d 
Rechnen eingekleideter 
Aufgaben...... 13,8 


Interesse fiir Mathematik 13, 4 
Lösung technischer Auf- 
gaben. .. wid 15 
Interesse für Technik . 15 
Leistungen im Zeichnen 16 
Interesse für Zeichnen . 16 
Interesse für Geschichte 18 


Einzeltests zur Intelli- 


genzprüfung ... . 21 
Einzeleigenschaften der 
Intelligenz . . . . . 21 


Neigung zu politischer 


Betätigung ein (ks Wak: e ù 22, 2 
Neigung zu praktischer 
Betätigung - - - - - 22,5 


f 88 
Schnelligkeit des elemen- 
taren Rechnens . . . 13,3 
Leistung in lebenden 
Fremdsprachen . . . 19 
Interesse für lebende 
Fremdsprachen . . . 19 
Leistung in der Mutter- 
sprachhe.......- 20, 1 
Leistung in Rechtschrei- 
bung .......-.- 20, 1 


Allgemeine geistige Ent- 
wicklung (Lehrerurteil) 21 


Neigung zu intellektueller 22, 1 
Betätigung 


Neigung zu philanthro- 
pischer Betätigung 
Religiosität 


74 Kapitel III. Anhang. 
m §§ f §§ 

Erwerbssinn ..... 22,6 

Streben nach Macht . . 22,7 

Ehrgeiz ....... 22,8 

| Hitelkeit ....... 22,9 

Sexualität ...... 22,11 

Unart ........ 22,13 Artigkeit ....... 22,13 

Faulheit........ 22,14 Fleifs ........ 22,14 

Unordnung ...... 22,15 Ordnungsliebe . . . . . 22, 15 

Unwahrhaftigkeit . 22,16 Wahrheitsliebe 22, 16 

Mut & = 5.0 €. 8 % 22,20 Furchtsamkeit 22, 20 

Unbescheidenheit . 22,21 Bescheidenheit 22, 21 
Emotionalität . . - - - 22, 22 

Ernste Stimmung . 22,23 Heiterkeit ...... 22, 23 

Witz . . lg Ae A 22, 23 

Bedächtigkeit . - - - - 22,24 Impulsivität .... . 22, 24 

Ablenkbarkeit (Lehrer- Konstanz der Aufmerk- 

urteil) . ...: . . 28 samkeit (Lehrerurteil) 23, 1 
§ 26 Anhang. 


Vergleich des Geschlechtsverhältnisses bei verschie- 
schiedenen Eigenschaften. 


Nachdem wir in den vorigen Paragraphen diejenigen Ergebnisse 
über das Verhältnis der Geschlechter zusammengestellt haben, die 
sich auf ein und dieselbe psychische Funktion oder Eigenschaft 
beziehen, und gesehen haben, inwiefern bei gewissen Leistungen 
oder Eigenschaften eine Überlegenheit des einen Geschlechtes über 
das andere feststellbar war, wollen wir nun noch anhangsweise 
untersuchen, wie sich die einzelnen Leistungen einiger Haupt- 
gebiete bez. des Geschlechtsunterschiedes zueinander verhalten. 
Wenn wir z. B. vorher gefunden haben, dals ein Interesse sowohl 
für Mathematik wie für Zeichnen bei m häufiger ist als bei f, so 
interessiert es wohl, nun weiter zu fragen, ob die Überlegenheit der 
m über die f hinsichtlich des Interesses für Mathematik grölser 
oder kleiner ist als die Überlegenheit hinsichtlich des Interesses 
für Zeichnen ; oder, mit anderen Worten, ob diese oder jene Eigen- 
schaft in höherem Grade als ein Charakteristikum des betreffenden 
Geschlechts zu betrachten ist. 

Eine derartige Untersuchung wird uns auch noch durch 


§ 26. Vergleich des Geschlechtsverhältnisses bei verschiedenen Eigenschaften. 75 


folgende Erwägung nahegelegt: Es kann leicht sein, dals die Er- 
gebnisse mancher Untersuchungen durch konstante, aulserhalb des 
Zieles der Untersuchung gelegene Einflüsse in bestimmter Richtung 
gefälscht sind, die einen etwa vorhandenen Geschlechtsunterschied 
zum Verschwinden bringen oder gar ihn in den gegenteiligen um- 
schlagen lassen. Eine Überlegenheit der Mädchen in den Schul- 
leistungen könnte z. B. durch einen grölseren ‚‚Schulwillen‘“ (Fleifs, 
Aufmerksamkeit) hervorgebracht sein, und wir dürften daraus nicht 
auf eine grölsere Begabung der Mädchen für die betreffenden 
Unterrichtsfächer schlielsen. Umgekehrt kann bei gewissen Ex- 
perimenten eine grölsere Schüchternheit der Mädchen Besser- 
leistungen der Knaben zum Erfolge haben, also eine grölsere In- 
telligenz oder dergl. der Knaben vortäuschen. Eine derartige 
konstante ‚Fehlerquelle‘ kann z. B. auch in der Person des Expe- 
rimentators oder Lehrers liegen, sei es, dals er die männlichen und 
weiblichen Versuchspersonen oder Schüler nicht ganz gleich be- 
handelt!), sei es, dals — infolge seines eigenen Geschlechtes — 
eine ihm selbst unbewulste ,,sexuelle‘‘ Wirkung von ihm ausgeht, 
welche die Angehörigen des einen Geschlechtes zu höherem Eifer 
anspornt, die des anderen ,,langweilt*‘. Aus solchen und ähnlichen 
Gründen mögen sich auch zum Teil die einander widersprechenden 
Ergebnisse verschiedener Autoren erklären. 

Derartige konstante Fehlerquellen nun können wir freilich aus 
den uns vorliegenden Ergebnissen nicht eliminieren. Wenn die Schul- 
leistungen der Mädchen infolge ihres gröfseren Schulwillens bessere 
sind als die der Knaben, so wird eben bei allen Schulleistungen 
eine Differenz zu ihren Gunsten entstehen, die wir als Tatsache 
hinnehmen müssen ; ein etwa vorhandenes Do oder Du wird seinem 
absoluten Betrage nach verkleinert, ein negatives vergrölsert 
werden. Wir können zwar aus einem negativen D in Sprachen 
nicht ohne weiteres auf eine gröfsere Sprachbegabung der Mädchen 
schlielsen, wohl aber können wir daraus, dals ein D bei Sprachen 
kleiner ist als ein entsprechendes D bei Mathematik, entnehmen, 
dafs die Mädchen in Sprachen den Knaben in höherem Grade 


1) Aus den Unterrichtsleistungen der Stockholmer Schulkinder (7) 
scheint hervorzugehen, dafs durch den gemeinsamen Unterricht, der bis 
zum 10. Lebensjahre durch Lehrerinnen erteilt wird, die Knaben benach- 
teiligt werden. Jedenfalls treten mit dem Moment der Geschlechtertrennung 
— damit beginnt für die Knaben der Unterricht durch männliche Lehrer 
— deutliche Besserleistung der Knaben zutage. 


16 Kapitel IIl. Anhang. 


überlegen sind als in Mathematik, oder dafs die Knaben in Mathe- 
matik den Mädchen mehr überlegen sind als in Sprachen. 

In dieser Weise haben wir nun die D, die innerhalb einer 
Reihe von Versuchen u. dgl. an denselben Versuchspersonen (Schul- 
kindern usw.) gewonnen wurden, paarweise miteinander verglichen 
und jedesmal gefragt, ob die relative Überlegenheit der m oder 
der f bei dem Ergebnis A grölser ist als bei dem Ergebnis B. 

Wenn im folgenden gesagt wird, dals die.m den f in einer 
Leistung A relativ stärker überlegen sind als in einer Leistung B, 
so bedeutet dies, dals sich bei einer Klassifikation nach A sowohl 
im obersten Leistungsviertel mehr m, wie auch, dals sich im unter- 
sten Leistungsviertel weniger m finden als bei einer Klassifikation 
nach B, — oder dals für die m die höheren Stärkegrade der Eigen- 
schaft A charakteristischer sind als die der Eigenschaft B, und dafs 
umgekehrt für die f die niedrigeren Stärkegrade der Eigenschaft B 
charakteristischer sind als die der Eigenschaft A. 

Wir haben nämlich die Stärkeverhältnisse im obersten (Do) 
und im untersten (Du) Leistungsviertel getrennt behandelt und 
hier nur solche Ergebnisse berücksichtigt, die in sich genügend 
übereinstimmen, d. h. also z. B. nur solche, bei denen zugleich 
Do A > Do Bund Du A > Du B. Ferner wurden in die Tabellen 
(s. Teil II D S. 85ff.) nur solche Ergebnisse aufgenommen, die auch 
bei verschiedenen Personengruppen die gleichen waren. Nicht be- 
rücksichtigt blieben also von vornherein solche Resultate, die sich 
aus der Untersuchung nur einer Personengruppe ergaben. 

Aulfserdem beschränkten wir uns auf einige wichtigere Gebiete, 
wie „Schulleistungen‘“, ‚Interesserichtungen‘“ usw., während z. B. 
bei den umfassenderen Eigenschaftslisten von Heymans (8) und 
Heymans-WıERsMA (48) die paarweise Vergleichung nicht durch- 
geführt wurde. 


Wir begnügen uns hier damit, einige Ergebnisse dieser paar- 
weisen Vergleichung zu besprechen; im übrigen verweisen wir auf 
die in Teil IID S. 385ff. mitgeteilten Tabellen. 

Wir haben in $ 13, 1 gefunden, dals eine Begabung für Mathe- 
matik deutlich häufiger bei m als bei f feststellbar ist. Wir können 
der Liste der Begabungen hier nun noch einige hinzufügen und 
zunächst der Mathematik die Begabung für Anekdotenerzählen an- 
fügen und ihnen die Begabungen für Sprachen und Musik, in 
geringerem Grade auch für Schauspielkunst und für das Erzählen 


§ 26. Vergleich des Geschlechtsverhältnisses bei verschiedenen Eigenschaften. 77 


selbsterfundener Geschichten, bei denen die f relativ überlegen 
sind, gegenüberstellen. Die m sind im Zeichnen relativ überlegener 
als in den anderen verglichenen Begabungsgebieten mit Ausnahme 
des Anekdotenerzählens. Die relative Überlegenheit der m für 
Schriftstellerei bleibt zurück hinter der für Mathematik, Anekdoten- 
erzählen und Zeichnen, übertrifft aber die für Musik und Sprachen. 

Diese Reihenfolge der Gebiete nach der relativen Überlegen- 
heit der m — Mathematik, Zeichnen, Aufsatz, Sprachen, Musik — 
findet sich auch bei einem Vergleich der Schulunterrichts- und 
Examensfächer bestätigt. Zwischen die Fächer, in denen wir 
schon in den vorigen Paragraphen eine Überlegenheit der m fest- 
stellten — Mathematik ($ 13, 28), Zeichnen ($ 16), Rechnen ($ 13, 
2b) — und diejenigen, in denen die f überlegen sind — Singen 
(§ 10, 5), Rechtschreibung ($ 20, 1), Handfertigkeit ($ 11, 5), Auf- 
merksamkeit (§ 23, 1) und Fleifs (§ 22, 14), Betragen ($ 22, 21), 
Schreiben ($11, 3), Fremdsprachen ($19), Muttersprache (§ 20, 1) — 
schieben sich nun einige weitere ein, für die wir vorher zu ein- 
deutigen Resultaten nicht gelangt waren: Geographie und Ge- 
schichte zwischen Zeichnen und Rechnen, — Aufsatz, anorganische 
Naturwissenschaften (Science) und Lesen zwischen Rechnen und 
Sprachen, — Religion zwischen Fleils und Handarbeit, — Gram- 
matik und Biologie zwischen Rechtschreibung und Singen. 

Es wäre nun vielleicht zu erwarten, dafs wir für das Interesse 
an den Wissensgebieten eine ähnliche Reihenfolge finden. 
Wenn wir diese Erwartung bei einem oberflächlichen Vergleich 
der entsprechenden Tabellen zunächst nicht bestätigt finden, so 
darf uns dies nicht irritieren; denn auf Grund der literarisch vor- 
liegenden Daten mulsten wir hier teilweise Gebiete zusammen- 
fassen, die in der Reihenfolge der Fächer nach Leistungen weit 
entfernte Orte einnehmen. So werden unter ‚Geisteswissen- 
schaften‘‘ Fächer wie Geschichte und Literatur, unter ‚„Mathe- 
matik und Naturwissenschaften‘‘ Gebiete wie Mathematik und 
Biologie zusammengefalst, von denen jeweilig das eine durch relativ 
stärkste Überlegenheit der m, das andere durch relativ stärkste 
Überlegenheit der f ausgezeichnet ist. Wir sehen daher einmal 
von diesen mehrdeutigen Fächern ab — deren Bezeichnungen sich 
auch in den beiden zu vergleichenden Tabellen, sofern sie über- 
haupt in beiden vorkommen, nicht scharf decken — und beschränken 
uns darauf, diejenigen paarweisen Vergleiche zwischen den Fächern 
Zeichnen, Geographie, Geschichte, Lesen, Muttersprache, Schreiben 


78 Kapitel III. Anhang. 


Religion, Handfertigkeit, Sprachlehre, Gesang, die sich in der 
Tabelle des Interessengebietes finden, auch in der Tabelle der 
Leistungen aufzusuchen; wir finden dann in sämtlichen 4 Fällen, 
in denen in beiden Tabellen dieselben Fächerpaare verglichen 
sind, dasselbe Verhältnis; dazu kommen 7 Fälle, in denen das Ver- 
gleichspaar in der Leistungstabelle zwar fehlt, aber durch Inter- 
polation als wahrscheinlich dem der Interessentabelle gleich be- 
stimmt werden kann; nur in 2 Fällen (Zeichnen-Handfertigkeit 
und Religion-Gesang) führt eine derartige Interpolation zu dem 
entgegengesetzten Resultat. Zusammenfassend können wir also 
wohl sagen, dafs je besser die relative Leistung eines Geschlechtes 
in einem Unterrichtsfache ist, desto grölser auch die relative Über- 
legenheit seines Interesses für dieses Fach. Ob das höhere Interesse 
die bessere Leistung, oder ob die grölsere Begabung das höhere 
Interesse verursacht — das zu untersuchen ist hier nicht der Ort. 


Bei den Zeichnungen verdient besondere Beachtung, dafs die 
Überlegenheit der Knaben am stärksten bei der Darstellung eines 
Trambahnwagens ist. Wenn wir auch hier einen Zusammenhang 
zwischen Begabung und Interesse vermuten, so deutet dieses 
Resultat auf das in § 15 behandelte stärkere Interesse für Technik. 
Diese Vermutung wird bestärkt, wenn wir sehen, dafs auch inner- 
halb der Trambahnwagenzeichnungen die Überlegenheit der Knaben 
sich besonders stark bei gewissen technischen Details zeigt, die 
zwar für die Konstruktion und Funktion des Wagens wesentlich 
sind, aber schon aufserhalb des eigentlichen Wagens liegen: die 
Leitungsstange, die Leine zur Leitungsstange, de: Leitungsdraht. 
die Kuppelvorrichtung, die Geleise. Umgekehrt ist die relative 
Überlegenheit der Mädchen charakteristischerweise am stärksten 
bei der Darstellung der Fahrgäste; sie interessieren sich auch hier 
mehr für Persönliches als für Sachliches. Ferner zeigen sie hier 
ein relativ stärkeres Interesse für Zahl und Ordnung: In der Dar- 
stellung der Zahl der Räder und Fenster sind sie gleichfalls relativ 
überlegen. 

Auch bei den Einzelheiten einer Menschendarstellung finden 
wir die relative Überlegenheit der Mädchen am grölsten für die 
Zahl der Finger und der Arme. Überhaupt können wir sagen, 
dafs die Mädchen sich relativ am meisten bei solchen Einzelheiten 
auszeichnen, die für die Güte der Zeichnung unwesentlich sind; 


§ 26. Vergleich des Geschlechtsverhältnisses bei verschiedenen Eigenschaften. 79 


denn es ist natürlich durchaus kein Kriterium einer guten Zeich- 
nung, dafs beide Arme oder gar, dals alle zehn Finger deutlich 
sichtbar sind. Ebensowenig brauchen die Zähne, Nabel und Ge- 
schlechtsteile dargestellt zu sein. So sind also die Mädchen- 
zeichnungen in relativ viel höherem Grade als die Knabenzeich- 
nungen Darstellungen dessen, was das Kind vom Menschen weils, 
als dessen, was man vom Menschen sieht; sie gehören also, was 
unsere sonstigen Ergebnisse über die zeichnerische Begabung be- 
stätigt (vgl. $ 16) einem primitiveren Stadium als die Knaben- 
zeichnungen an. 

Bei den Einzelheiten der Schlaraffenlandzeichnungen ist viel- 
leicht dies anzumerken, dafs das Interesse der Mädchen für ‚Schlaf- 
rocktragen‘‘ — also ein Kleidungsmerkmal — merklich relativ 
höher ist, als für die anderen verglichenen Einzelheiten. — Gleiches 
gilt für den ,,Kuchenberg“. 


Unter den Lieblingsbeschäftigungen notieren wir — ab- 
gesehen von der Vorliebe der m für Basteln, Bauen und Sport —, 
dals die f Glücksspiele vor Verstandesspielen bevorzugen. Bei den 
Lieblingsspielen begnügen wir uns damit, auf das gegensätz- 
liche Verhalten einiger charakteristischer Spiele hinzuweisen. Der 
Knabe bevorzugt die wilderen Rasenballspiele, das Mädchen das 
sanftere gewöhnliche Ballspiel. Die meisten der übrigen Gegen- 
sätzlichkeiten lassen sich dem Satze unterordnen: ‚Des Mannes 
— auch schon des Knaben — Haus ist die Welt; die Welt der Frau 
— und des Mädchens — ist das Haus‘. Der Knabe spielt ‚‚öffent- 
liches Leben‘, das Mädchen bevorzugt ‚Vater-Mutter-Kind‘, und 
ahmt Elternberufe (z. B. Verkaufen) nach. Auch der extreme 
Gegensatz Soldatenspiel — Puppenspiel ordnet sich diesem Ge- 
sichtspunkt unter. 

Diese Gegensätzlichkeit der Interessensphären bekundet sich 
ferner auch in der Wahl derjenigen Person, der die Kinder am 
liebsten gleichen möchten: Die Knaben nennen häufig einen 
Herrscher, eine aus der Geschichte bekannte Persönlichkeit oder 
eine Person des öffentlichen Lebens; die Mädchen bevorzugen 
dagegen eine Person ihres Bekannten- und Verwandtenkreises, 
besonders die Mutter. Daneben zeigt sich allerdings auch eine 
Vorliebe für biblische Personen und für Personen der Dichtung und 
Sage, sowie endlich für Schriftsteller und Künstler. 


80 Kapitel III. Anhang. 


Dem entspricht selbstverständlich auch das Verhältnis der 
Eigenschaften, welche die Kinder am liebsten besitzen oder 
betätigen möchten: Die Knaben wollen Macht ausüben, wollen 
sich militärisch, politisch, sozial betätigen; die Mädchen dagegen 
ziehen es vor „gut‘‘ zu sein und ihre „Nächsten zu lieben‘, sie 
wollen bestimmte Eigenschaften religiöser Art, der äulseren Er- 
scheinung, der Intelligenz usw. besitzen. 


Bei einem Vergleich der Experimentalleistungen würde uns 
besonders die Frage interessieren, ob vielleicht der Grad der Über- 
legenheit eines Geschlechtes in irgendwelchem Zusammenhang 
mit dem Grade der Schwierigkeit der Aufgabe steht. Diese Ver- 
mutung wird uns nahegelegt besonders durch ein Ergebnis THomp- 
sons (105); bei ihren Versuchen über Bewegungssicherheit war die 
Überlegenheit der Männer, wenn die linke Hand zu arbeiten hatte, 
grölser, als bei dem rechtshändigen Versuch, und der linkshändige 
Versuch ist auch, nach den Ergebnissen zu urteilen, der schwerere. 
Ebenso waren bei SrAsHorE (91) die Schätzungen grölserer Zeit- 
strecken schwieriger (wenigstens für die Frauen; für die Männer 
waren alle Schätzungen etwa gleich schwierig); auch hier ist die 
relative Überlegenheit der Männer bei den schwierigeren Auf- 
gaben grölser. — Ein grölseres Material zur Untersuchung dieser 
Frage liegt uns in den Rechenexperimenten Voicts (107) vor, die 
aber kein einheitliches Ergebnis zeigen; von denjenigen Aufgaben, 
bei denen durchgängig die Überlegenheit der Mädchen grölser ist 
als bei der mit ihr verglichenen anderen eines Aufgabenpaares, ist 
in etwa gleich vielen Fällen die erste die schwierigere wie die 
zweite, soweit sich dies aus der Zahl der überhaupt gelieferten 
richtigen Lösungen ersehen lälst. Wir können also nur zur weiteren 
Untersuchung dieser Frage anregen. 


81 


Kapitel IV. 


Vergleich des Geschlechtsverhaltnisses in verschiedenen 
Altersstufen. 
(1, 2, 3, 4, 5, 7, 8, 9, 10, 13, 15, 16, 19, 24, 25, 26, 31, 37, 39, 40, 45, 
48, 49, 54, 60, 61, 63, 65, 66, 67, 70, 73, 75, 77, 81, 82, 84, 87, 92, 98, 
100, 101, 106, 107, 109, 110.) 


§ 27. 
Vorbemerkung. 


Die meisten der in Kapiel II angeführten Untersuchungen be- 
gnügen sich nicht mit der Feststellung eines Geschlechtsunter- 
schiedes in einer Altersstufe, sondern sehr häufig wird mit der- 
selben Fragestellung an Personen beider Geschlechter und ver- 
schiedener Altersstufen experimentiert. Wir sind dadurch in die 
Lage versetzt, untersuchen zu können: 

1. Ob der einmal gefundene Geschlechtsunterschied auch in 
einer höheren Altersstufe der Richtung nach der gleiche bleibt, 
oder wie häufig ein in einer niederen Altersstufe festgestellter 
Unterschied zugunsten der Knaben später in einen zugunsten 
der f umschlägt und umgekehrt. 

2. Ob der in einer niederen Altersstufe gefundene Geschlechts- 
unterschied — vorausgesetzt, dals er seine Richtung beibehält — 
sich mit wachsendem Alter gewöhnlich vergrölsert oder verringert. 

3. Ob bei denjenigen Eigenschaften, die Werturteile in sich 
enthalten, bei denen also von der ‚Überlegenheit‘ oder der 
„Besser“leistung des einen Geschlechtes im engeren Sinne die 
Rede sein kann, diese Überlegenheit sich mit wachsendem Alter 
vergrölsert oder verkleinert. 


§ 28. 


Richtungsaénderungen des Geschlechtsunterschiedes?). 


Unter den 4688 Paaren von Altersstufen, bei denen mit gleich- 
bleibender Fragestellung und Untersuchungsmethode ein Ge- 
schlechtsunterschied gefunden wurde, befinden sich 618 (13%) 
Alterspaare, bei denen die Richtung des Geschlechtsunterschiedes 


1) Vgl. Teil II E, 8. 97ff. 


Beiheft zur Zeitschrift für angewandte Psychologie. 14. Erster Teil. 6 


82 Kapitel IV. Vergleich der Geschlechtsverhdlinisse in verschied. Altersstufen. 


sich ändert, d.h. also: Wenn hinsichtlich einer bestimmten Funktion 
in der niederen zweier Altersstufen das eine Geschlecht eine Über- 
legenheit (die hier nicht notwendig eine Besserleistung zu sein 
braucht) zeigt, so ist in der weitaus überwiegenden Mehrzahl der 
Fälle (87 %) dasselbe Geschlecht auch in der höheren Altersstufe 
das überlegene. 

Die Richtungsänderungen verteilen sich über die Altersstufen 
von 3 bis 17 Jahren derart, dals, je weiter entfernt die beiden mit- 
einander verglichenen Altersstufen sind, desto häufiger auch 
Richtungsänderungen auftreten. Beträgt die Differenz der ver- 
glichenen Altersstufen 1 bis 2 Jahre, so finden wir nur 9% Rich- 
tungsänderungen, beträgt die Differenz 3 bis 4 Jahre, so ist die 
Zahl der Richtungsänderungen 14%, und diese letzteren wachsen. 
bis auf 21%, wenn die verglichenen Altersstufen um mehr als 
4 Jahre differieren. 

Die geringe Zahl der Richtungsänderungen überhaupt — und 
ihre Abhängigkeit von der Differenz der Altersstufen — darf als 
ein Beweis für die allgemeine Zuverlässigkeit der Einzelbestim. 
mungen betrachtet werden; die relative Seltenheit der Richtungs- 
änderungen gibt uns das Recht, von Geschlechtsunterschieden i. a., 
ohne Rücksicht auf die eben untersuchte Altersstufe, zu sprechen. 


§ 29. 


Die Gröfse des Geschlechtsunterschiedes in seiner 
Abhängigkeit vom Alter!). 


Unter den 4688 Paaren von Altersstufen finden wir ferner: 

2162 (46%) Fälle, in denen der Geschlechtsunterschied mit 
wachsendem Alter zunimmt; 

1563 (33%) Fälle, in denen der Geschlechtsunterschied ab- 
nimmt; 

345 (7%) Fälle, in denen der Geschlechtsunterschied gleich 
bleibt. 

Wenn wir die Gleichheitsfalle aufser Betracht lassen, so 
haben wir unter 3725 Änderungsfällen 58% Zunahmen und 42% 
Abnahmen des Geschlechtsunterschiedes mit wachsendem Alter. 
Die Differenz ist im Hinblick auf die grolse absolute Zahl der Ver- 





1) Vgl. Teil II E, S. att, 


829. Die Gröfse des Geschlechtsunterschiedes in seiner Abhängigkeit vom Alter. 83 


gleichsfälle grols genug, dafs wir allgemein von einer Tendenz der 
Geschlechtsunterschiede, mit wachsendem Alter zuzunehmen, 
sprechen dürfen. 

Auch wenn wir nun die einzelnen miteinander verglichenen 
Alterspaare näher betrachten, finden wir fast überall da, wo die 
Zahl der Vergleichsfälle hinreichend grols ist, ein Zunehmen des 
Geschlechtsunterschiedes von der niederen zur höheren Alters- 
stufe hin. Eine Ausnahme bildet nur die Altersstufe von 4 Jahren, 
bei der sich in der Mehrzahl grölsere Geschlechtsunterschiede zeigen 
als in den verglichenen Altersstufen von 8, 9 und 10 Jahren. Von 
da ab aber bis zum Alter von 19 Jahren finden wir nur Vergröfse- 
rungen des Geschlechtsunterschiedes. 

Vielleicht ist dies so zu interpretieren, dals ein von Natur vor- 
handener oder in der frühen Kindheit anerzogener Geschlechts- 
unterschied zunächst durch den nivellierenden Einflufs der Schule 
vermindert wird, dafs aber dann die Geschlechtsunterschiede, 
nachdem diese Hemmung überwunden ist, sich wieder lebhaft 
entwickeln. 

Es fragt sich nun, ob die immerhin doch beträchtliche Zahl 
der Abnahmen des Geschlechtsunterschiedes vielleicht anderen 
psychischen Funktionen zuzurechnen sei, d. h. ob die psychischen 
Eigenschaften sich in eine (gröfsere) Zahl solcher differenzieren, 
bei denen der Geschlechtsunterschied mit wachsendem Alter zu- 
nimmt, und in eine (kleinere) Zahl solcher, bei denen er mit wachsen- 
dem Alter abnimmt. Es liegt ja in der Tat nahe, dies anzunehmen; 
denn wenn die Knaben und die Mädchen sich z. B. in ihren Spiel- 
interessen (Soldaten — Puppe) sehr wesentlich unterscheiden, so 
wird dieser Geschlechtsunterschied im Alter von 20 Jahren wohl 
ziemlich verschwunden sein ; wenn andererseits Männer und Frauen 
in ihrem politischen oder wissenschaftlichen Interesse stark diffe- 
rieren, so liegt es in der Natur der Sache, dafs dieser Geschlechts- 
unterschied sich erst mit wachsendem Alter entwickeln kann. — 
Allerdings ist es mir nicht gelungen, unser Material nach psycho- 
logischen Gesichtspunkten so zu gruppieren, dafs die Zu- oder 
Abnahme des Geschlechtsunterschiedes sich als charakteristisch 
für grölsere Gruppen bestimmter psychischer Funktionen ergibt; 
aber es ist wohl möglich, dafs andere bei einer Untersuchung unseres 
Materials oder neu zu beschaffender Materialien mit derartigen 
Versuchen mehr Erfolg haben. — Übrigens wurde in Kapitel III 
bei der Besprechung der einzelnen Funktionen jedesmal auf die 

6* 


84 Kapitel IV. Vergleich der Geschlechtsverhältnisse in verschied. Altersstufen. 


Abhängigkeit der betreffenden Geschlechtsunterschiede vom Alter 
hingewiesen, soweit die vorliegenden Ergebnisse einen solchen 
Schlu/s gestatten. 


§ 30. 


Die Besserleistung eines Geschlechts in seiner Ab- 
hangigkeit vom Alter’). 


Während wir in den beiden vorigen Paragraphen alle Ergebnisse 
unseres Materials herangezogen haben, so weit sie an wenigstens 
zwei Altersstufen in gleicher Weise erzielt wurden, beschränken 
wir uns hier auf solche Resultate (Schul-, Testleistungen u. dgl.), 
bei denen im engeren Sinne von der Überlegenheit eines Ge- 
schlechtes die Rede sein kann. Für derartige ‚Wertungs‘-Ergeb- 
nisse liegt uns der Vergleich von 3180 Alterspaaren vor. Wir finden, 
dafs ; 

in 1708 (54%) der Falle die Leistung der m, 

in 1240 (39%) der Falle die Leistung der f eine relative Besse- 
rung (d.h. im Verhältnis zu der Leistung des anderen Geschlechts) 
aufweist; 

in 232 (7%) der Fälle bleibt das Geschlechtsverhältnis das 
gleiche. 

Wenn wir wiederum die Gleichheitsfälle vernachlässigen, 
so stehen unter den 2948 Änderungsfällen 58%, einer relativen 
Besserung der männlichen Personen 42% einer relativen Besserung 
der weiblichen Personen gegenüber. (In 58% der Fälle wird also 
entweder eine Überlegenheit der Mädchen mit wachsendem Alter 
kleiner oder eine Überlegenheit der Knaben mit wachsenden: Alter 
grölser; in den übrigen 42%, der Fälle verhält es sich umgekehrt.) 

Dieser Altersfortschritt ist jedoch durchaus kein so stetiger 
wie der des Geschlechtsunterschiedes, den wir im vorigen Para- 
graphen gefunden haben: Wir finden vielmehr, abgesehen von 
kleineren Schwankungen eine relative Besserung der Knaben- 
leistungen beschränkt auf die Altersstufen von 31, bis 12 Jahren, 
von 12 bis 19 Jahren jedoch eine relative Besserung der Mädchen- 
leistungen. Im Zusammenhang mit dem in einem späteren Para- 
graphen zu erörternden Resultat, dafs bei diesen Wertungsergeb- 
nissen die Knabenleistungen im allgemeinen bessere sind als die 


1) Vgl. Teil II, F S. 99ff. 


8 31. Das Verhalten d. Geschlechtsunterschiedes i. Verlaufe eines Schuljahres. 85 


Mädchenleistungen, — und in Übereinstimmung mit den Be- 
funden anderer Autoren können wir dieses Resultat vielleicht 
folgendermalsen interpretieren: Die Kurve der Knabenleistungen 
verläuft i. a. oberhalb der Mädchenleistungen, und zwar steigt sie 
zuerst steil an, um dann flacher zu werden; sie bildet also einen 
nach unten offenen Bogen. Der Verlauf der Mädchenkurve ist 
umgekehrt; sie verläuft unterhalb der Knabenkurve, erst flach, 
dann steil und bildet somit einen nach oben offenen Bogen. So 
liegen die Anfangs- und die Endpunkte der Kurve (bei 4 und 
19 Jahren) nahe beieinander; etwa bei der Abszisse 12 Jahre sind 
die Kurven — die Scheitelpunkte des nach unten und des nach 
oben offenen Bogens — am weitesten voneinander entfernt (vgl. 
die graphische Darstellung in Teil II F S. 101). 


Ist diese Darstellung des Entwicklungsganges der beiden 
Geschlechter annähernd richtig, so könnte sie besagen, dafs die 
Präpubertätszeit bei den Knaben eine Beschleunigung, bei den 
Mädchen eine Hemmung der Entwicklung mit sich bringt, während 
umgekehrt die Pubertät selber die Entwicklung der Knaben hemmt, 
die der Mädchen beschleunigt. (Dabei sind natürlich die Ausdrücke 
„Beschleunigung‘‘ und ‚Hemmung‘ immer nur relativ zu dem 
Entwicklungstempo des anderen Geschlechts zu verstehen, da wir 
ja einen absoluten Mafsstab für das Entwicklungstempo nicht 
besitzen.) 


$ 31. Anhang. 


Das Verhalten des Geschlechtsunterschiedes im Ver- 
laufe eines Schuljahres?). 
(2, 3, 4, 85.) 


Der in einer Schule oder Klasse einmal vorhandene Ge- 
schlechtsunterschied, der in manchen Fachern als Besserleistung 
der Madchen, in anderen als Besserleistung der Knaben zum Aus- 
druck kommt, darf natürlich nicht als eine feststehende Grölse 
betrachtet werden. Wir müssen vielmehr annehmen, dals er — 
auch abgesehen von den durch das wachsende Alter bedingten 
Schwankungen, die wir wohl, wenn wir nur ein Schuljahr in Be- 
tracht ziehen, vernachlässigen dürfen —, im Laufe des Schuljahres 
gewissen Schwankungen unterliegt. Es fragt sich nur, ob wir diese 


1) Vgl. Teil II G, S. 102ff. 


86 Kapitel IV. Vergleich der Geschlechtsverhältnisse in verschied. Altersstufen. 


Schwankungen in eine gesetzmälsige Beziehung bringen können, 
vielleicht zur Aufsentemperatur oder der Jahreszeit, oder ob sich 
vielleicht das eine oder das andere Geschlecht den in jeder neuen 
Klasse auftretenden Neuanforderungen des Pensums schneller 
adaptiert u. dgl. 

Derartige Untersuchungen können wir nur dann anstellen, 
wenn an demselben Schülermaterial über eine längere Zeitspanne 
hin gleichartige Erhebungen vorgenommen worden sind. Uns 
liegen von derartigen Ergebnissen hauptsächlich die ScHUYTENS 
und die l4tägigen Schulzensuren der Bristol Holt Secondary 
School vor. 

Wenn wir zunächst an dem letzteren Material untersuchen, 
ob sich im Laufe des Schuljahres von früheren zu späteren Zeugnis- 
terminen hin die Geschlechtsunterschiede in gesetzmälsiger Weise 
verschieben, ob also etwa vielleicht zu Beginn des Schuljahres 
der Vorsprung der Mädchen grölser (bzw. die Rückständigkeit der 
Knaben kleiner) ist als am Ende — was darauf schlie[sen liefse, 
dals die Knaben längere Zeit dazu brauchen, um sich an den neuen 
Lehrstoff zu adaptieren — oder ob es sich vielleicht umgekehrt 
verhält, so müssen wir gestehen, dals unser Material hierauf eine 
eindeutige Antwort nicht zulälst. Unter den 275 Paaren von 
Zensuren, die in derselben Klasse während eines Schuljahres in 
demselben Fache erteilt wurden, finden wir 

42 Fälle, in denen der Geschlechtsunterschied gleichblieb, 

118 Fälle, in denen er sich zugunsten der Knaben vergrölserte 
bzw. zuungunsten der Mädchen verkleinerte, und 

115 Fälle, in denen er sich zugunsten der Mädchen vergrölserte 
bzw. zuungunsten der Knaben verkleinerte. 

Es bleibt aber nicht bei diesem negativen Resultat, wenn man 
die einzelnen Zeugnistermine gesondert ins Auge falst: Wir finden 
gewisse Zeugnistermine, zu denen hin die Knabenleistungen sich 
meist relativ verbessern, von denen weg aber wiederum die Mädchen- 
leistungen relativ besser werden, und andere, bei denen umgekehrt 
in entsprechender Weise Maxima der Mädchenleistungen zu kon- 
statieren sind. Berücksichtigen wir nun ferner die Trimester- 
einteilung des englischen Schuljahres, so finden wir die Maxima 
der Knabenleistungen immer am Ende eines Trimesters, die Maxima 
der Mädchenleistungen in zweien der drei Trimester am Beginne 
desselben. Die Schwankungen sind zwar nicht sehr grols, aber doch 
beträchtlich genug, dals wir sie als gesetzmälsig betrachten dürfen. 


8 31. Anhang. 87 


Wir finden hierin ein weiteres Argument für unsere Vermutung, 
dals die allgemeine Besserleistung der Mädchen im Schulunterricht 
nicht so sehr eine Folge ihrer besseren Begabung wie ein Produkt 
ihres stetigeren Fleilses ist. Denn aller Wahrscheinlichkeit nach 
sind ja doch die jeweilig letzten Zensuren eines Trimesters durch 
besondere Wichtigkeit ausgezeichnet; infolgedessen wird, je mehr 
das Trimester sich seinem Ende nähert, desto mehr auch infolge 
ihres grolsen Ehrgeizes (vgl. $ 22, 8) der Fleils der Knaben ein- 
setzen; dies wiederum hat zur Folge, dafs der Vorsprung der 
Mädchen verringert wird. Dann kommen die Ferien, in denen die 
Knaben alle Schulsorgen vergessen, während die fleilsigen Mädchen 
sicher nicht ganz so sehr alle Schulangelegenheiten vernachlässigen ; 
wenn nun die Schule wieder beginnt, sind also die Knaben wieder 
zurückgeblieben. So können wir vielleicht den Verlauf der in 
‘Teil II GS. 104 berechneten und abgebildeten Kurve interpretieren. 

Vielleicht liegt in unserer Kurve auch ein Hinweis auf eine 
gewisse Abhängigkeit des Geschlechtsunterschiedes von der Jahres- 
zeit: im Frühjahrstrimester sind die Leistungen der Knaben, 
bezogen auf die der Mädchen, bessere als im Sommertrimester. 
Wir legen diesem Resultate nur deshalb eine besondere Bedeutung 
bei, weil sich auch aus den Aufmerksamkeitsuntersuchungen 
ScHUYTENs (vgl. $ 23) zu ergeben scheint, dals die Mädchen im 
Präpubertätsalter den klimatischen Einflüssen des Frühjahrs etwas 
stärker unterliegen als die Knaben. Auch in der Merrywood 
Secondary School ist in 9 von den 14 Vergleichsfällen im Frühjahr 
das Prüfungsergebnis für die Knaben weniger ungünstig als im 
Herbst, und nur in 2 Fällen ungünstiger, während es in 3 Fällen 
gleichbleibt. 

In den sämtlichen — allerdings nur 5 — Vergleichsfällen, die 
wir dem Material der Liverpool Elementary School entnehmen 
können, sind im Winter (Dezember) die Unterrichtsleistungen der 
Knaben bessere als im Sommer (Juni). 


88 


Kapitel V. 
Allgemeine Statistik der Ergebnisse’). 
§ 32. 
Ubersicht. 


Unser Material umfalst 8542 Geschlechtsvergleiche. Hiervon 
beziehen sich 4263 Ergebnisse auf das Verhältnis der Geschlechter 
im jeweilig als ‚oberstes‘ betrachteten Leistungsviertel, 4279 Er- 
gebnisse auf das Verhältnis im ‚untersten‘ Leistungsviertel. 

5804 Ergebnisse wurden als Alternativergebnisse gewonnen 
und 2738 wurden nach der Klassifikationsmethode berechnet. 

3787 Ergebnisse sind derart, dafs aus ihnen sich eine Über- 
legenheit — im engeren Sinne des Wortes — des einen oder anderen 
Geschlechtes ergibt; sie beziehen sich auf Test- oder Schulleistungen 
Intelligenzschätzungen u. dgl. (Hiervon sind 1624 Alternativ- und 
2163 Klassifikationsergebnisse.) Die übrigen 4755 Ergebnisse be- 
ziehen sich meist auf Charaktereigenschaften u. dgl., und sind 
jedenfalls derart, dafs weder das Vorhandensein oder Fehlen. (bei 
den 4180 AlternativResultaten) noch das eine oder das andere 
Ende der Intensitätsskala (bei den 575 Klassifikationsergebnissen), 
eindeutig als das ‚‚bessere‘‘ oder ‚‚schlechtere‘“ bezeichnet werden 
kann. 

Von den 3787 Ergebnissen einer Wertung sprechen zugunsten 
der m 2269 = 60%, zugunsten der f 1518 = 40%. Die ersteren 
setzen sich zusammen aus 1086 Alternativergebnissen, 606 Er- 
gebnissen, nach denen die m im obersten Leistungsviertel stärker 
vertreten sind als die f, und 577 Ergebnissen, in denen die m im 
untersten Leistungsviertel schwächer vertreten sind als die f. 

Die 1518 Ergebnisse, welche eine Überlegenheit der f zeigen, 
bestehen aus 538 Alternativergebnissen, 467 Fallen einer Majoritat. 
der f im obersten und 513 Fällen einer Minorität der f im untersten 
Leistungsviertel. 

Von den 1624 Alternativ-Wertungsergebnissen sprechen also 
1086 = 67% zugunsten der m, 538 = 33%, zugunsten der f. 

Von den 1073 Ergebnissen über die Geschlechtsverteilung im 
obersten Leistungsviertel sprechen 606 = 56% zugunsten der m, 
467 = 44%, zugunsten der f. 


1) Vgl. Teil II H, S. 105ff. 


§ 33. Die Gröfsenordnung und Zuverlässigkeit der Ergebnisse. 89 


Von den 1090 Ergebnissen über die Geschlechtsverteilung im 
untersten Leistungsviertel sprechen 577 = 53%, zugunsten der m, 
513 = 47%, zugunsten der f. 

Die Majorität der m im obersten Leistungsviertel ist also etwas 
häufiger (56%) als ihre Minorität im untersten Leistungsviertel 
(53%); daraus müssen wir schliefsen, dals sich diese Majorität und 
diese Minorität häufig nicht ausgleichen, und dafs zum Ausgleich 
der Majorität im obersten Leistungsviertel auch die Zahl der in 
der mittleren Leistungshälfte befindlichen m vermindert wird, 
dh mt anderen Worten, dals ‚Normal‘“leistungen bei den m 
etwas seltener sind als bei den f, oder dafs die Intervariabilität 
der m grofser ist als die der f. 

Dementsprechend zeigt eine Uberlegenheit der m sich haufiger 
im obersten Leistungsviertel, nämlich in 606 von 1183 Fällen 
(= 51%), eine Überlegenheit der f häufiger im untersten Leistungs- 
viertel, nämlich in 513 von 979 Fällen (= 52%). 


§ 33. 
Die Grölsenordnung und Zuverlässigkeit der Ergebnisse. 


Wir haben Q aus dem Verhältnis eines Ergebnisses und seines 
wahrscheinlichen Fehlers berechnet TO ist dieser Quotient ins 
Quadrat erhoben und mit %/, multipliziert). Das Ergebnis selbst 
ist die Differenz zweier Prozentzahlen, und zwar für Qo die Diffe- 
renz P’om — P’of, für Qu die Differenz P’um — P’uf. 

Der wahrscheinliche Fehler einer solchen Differenz ist: 

2 y (100—P'm) , P'£100— P'f 


wFm- t= }wFm? + wFr? = 3 





nm nf 
Somit ergibt sich: 
Qo =(P’ Profi: TU P’om) AT 
o =(P’om— P’of)?: nee rec 
P’um (100 — P’um) P’uf (100—P’uf) 
ers d __._ p/ Bu Ee ee” gn ee EE 
Qu = (P’um — P’uf)? : | Ee + nf | 
Die Gröfse eines Q ist von drei Variablen abhängig: 
1. Von der Grölse der Prozentzahlendifferenz, 
2. von der Grölse der den Prozentzahlen zugrunde liegenden 
Personenzahlen (n), 
3. von der Lage der Prozentzahlen im Zahlenraum zwischen 0 
und 100. 


90 Kapitel V. Allgemeine Slatistik der Ergebnisse. 


Wenn ein Q kleiner ist als ein anderes, so ist entweder 

1. die betr. Prozentzahlendifferenz kleiner, oder 

2. die Zahl der Versuchspersonen kleiner, oder 

_ 3. die Prozentzahlen liegen näher an 50 (denn der Divisor 

des Bruches Q wird um so kleiner, je mehr P’m oder P’f nach der 
einen oder anderen Richtung von 50 verschieden sind; 100.0 
WIN aus < 50.50 >...... > 10 . 90 > 0 . 100). 

Wir finden nun, dafs die Q unserer 8542 Ergebnisse sich in 
einer anscheinend sehr gesetzmälsigen Weise nach ihren Grölsen 
verteilen, und zwar sind regelmälsig kleine @ häufiger als grofse; 
doch wird die Differenz zwischen den Anzahlen zweier benach- 
barter Gröfsenklassen mit wachsenden Grölsenklassen kleiner, so 
dals die Streuungskurve erst — bei kleinen @ — steil, dann — bei 
grofseren Q — immer flacher abfällt, ganz ähnlich wie bei der 
Gaussschen Kurve (vgl. Teil II H, Figur 1, S. 208). Verteilen wir 
die Q auf zwei Hälften, z. B. in solche, die Resultaten zugunsten 
der m, und in solche, die Resultaten zugunsten der f zugehören, 
so nimmt die Streuungskurve fast völlig die Glockenform der 
Gaussschen Kurve an (vgl. Teil IIH, Figuren 2 und 3, S. 109/110). 

Es fragt sich nun, welche der drei oben erwähnten Variabeln, 
welche die Grölse eines Q bestimmen, als Ursache für dieses gesetz- 
mälsige Verhalten zu betrachten ist. Begreiflicherweise hätten 
wir wenig Interesse darari, wenn sich ergäbe, dals die oben unter 
2 und 3 angeführten Bedingungen sich entsprechend dem Gauss- 
schen Gesetze verteilen. Dagegen wäre es für uns von grolsem 
theoretischen Interesse, wenn wir zeigen könnten, dafs dies das 
Gesetz ist, welches der ersten der oben genannten Bedingungen, 
der Grölsenverteilung der Geschlechterdifferenzen zugrunde liegt. 

Was zunächst die dritte der erwähnten Variablen, die Lage 
der Prozentzahlen selbst im Zahlenraum zwischen 0 und 100 be- 
trifft, so scheint dieser Faktor für die Grölsenverteilung der Q 
wenig auszumachen. Während nämlich bei den nach der Alter- 
nativmethode berechneten Ergebnissen diese Lage in keiner Weise 
eingeschränkt war, lag es in der Methode unserer Klassifikations- 
berechnungen, dafs hier die beiden Prozentzahlen, für deren 
Differenz die Q berechnet wurden, immer im Mittel etwa gleich 25 
waren (ihre Summe etwa gleich 50). Da sich nun aber die zu 
Alternativergebnissen gehörigen Q fast ganz genau so verteilen 
wie die zu Klassifikationsergebnissen gehörigen, so scheint damit 
die relative Unwirksamkeit des auf die Lage der Prozentzahlen 


§ 33. Die Gröfsenordnung und Zuverlässigkeit der Ergebnisse. 91 


bezüglichen Faktors hinreichend wahrscheinlich gemacht. Bei den 
zu Klassifikationsergebnissen gehörigen Q sind die kleinen Werte, 
bei den zu Alternativergebnissen gehörigen die grolsen Werte 
von Q etwas häufiger, was also darauf hindeutet, dals die Ein- 
schränkung der Klassifikationsergebnisse auf Prozentzahlen, die 
ungefähr gleich 25 sind, im ganzen die Q etwas verkleinerte. Aber 
der Häufigkeitsunterschied zwischen den zu Alternativ- und 
Klassifikationsergebnissen gehörigen @ beträgt in den einzelnen 
Grölsenklassen nicht mehr als durchschnittlich 1,1%, (vgl. Teil IIH, 
Figur 1, S. 108). 

| Schwieriger ist die andere Frage zu entscheiden, ob und in 
welchem Grade die Grölse der den einzelnen Ergebnissen zugrunde 
liegenden Versuchspersonen-Anzahlen die Grölse der Q und ihre 
Streuungskurve bestimmt. Diese könnte ja auch als so zustande 
gekommen gedacht werden, dafs zwar in jeder einzelnen Versuchs- 
reihe mehr grofse Prozentzahlen-Differenzen, also auch grolse @ 
vorkommen als kleine, dafs aber die Zahl der Versuchsreihen mit 
kleinen Versuchspersonen-Anzahlen, also wiederum mit kleinen Q, 
diejenige der Versuchsreihen mit viel Versuchspersonen, also 
grofsen Q, noch mehr übersteigt. Wir können diesen Einwand 
dadurch widerlegen, dafs wir zeigen, dals auch beim Vergleich 
der Q innerhalb einer Versuchsreihe — bei gleichbleibenden 
Versuchspersonen-Anzahlen — die kleinen Q entsprechend häufiger 
vorkommen als die grofsen; das kann hier nur so erklärt werden, 
dafs tatsächlich kleine Prozentzahlen-Differenzen häufiger vor- 
kommen als grolse (vgl. Teil II H, Tabelle la, S. 108). 

Ein zweites Argument dafür, dals wir berechtigt sind, die Q 
als Malsstab für die Grölse der Prozentzahlen-Differenzen, also 
der gefundenen Geschlechtsunterschiede, aufzufassen, ist dies, dafs 
die daraus sich ergebenden Resultate über das Verhalten der 
Geschlechtsunterschiede im allgemeinen, sich sehr gut als eine 
Weiterführung der im vorigen Paragraphen gefundenen allgemeinen 
Ergebnisse auffassen lassen, wie wir gleich zeigen werden. 

Endlich sei noch dies erwähnt, dafs eine frühere Zusammen- 
stellung von Resultaten über Geschlechtsunterschiede!), der z. T. 
andere Einzelergebnisse zugrunde liegen, gleichfalls eine annähernd 
Gausssche Verteilung der Geschlechtsunterschieds-Gröfsen ergab, 

1) LIPMANN, Die statistische Untersuchung von psychischen Ge- 


schlechtsunterschieden, Arb Bund Sc Ref 8, S. 160. Hier war das Kriterium 
Q > 2 nicht streng durchgeführt. 


92 Kapitel V. Allgemeine Statistik der Ergebnisse. 


obwohl hier nicht die Q, sondern die Prozentzahlen-Differenzen 
selbst in die Rechnung eingestellt wurden. 

Bevor ich nunmehr auf die Ergebnisse einer Statistik der Q 
eingehe, mufs ich noch begründen, warum ich denn nicht doch 
lieber direkt die Prozentzahlen-Differenzen (Do und Du) ver- 
wendet habe. 

Wie erwähnt, habe ich in meine Materialsammlung nur die- 
jenigen Ergebnisse aufgenommen, bei denen Q > 2. Es sind 
also alle diejenigen Ergebnisse weggeblieben, bei denen die Prozent- 
zahl-Differenz oder die Versuchspersonen-Anzahl so klein ist, dafs 
der wahrscheinliche Fehler der Differenz mehr als halb so grols 
als die Differenz selbst ist. Es sind also — wenn wir von der Ver- 
suchspersonen-Anzahl absehen —, um so mehr Ergebnisse fort- 
gefallen, je kleiner sie sind; und selbst, wenn wir annehmen, dals 
tatsächlich mehr kleine Differenzen vorliegen als grolse, wären im 
Endergebnis vielleicht etwa gleich viele grolse wie kleine übrig- 
geblieben. Jedenfalls hätten wir eine statistische Untersuchung 
über die relative Häufigkeit kleiner und grolser Differenzen nicht 
anstellen können. Aus diesem Grunde habe ich mich entschlossen, 
der Statistik die Q zugrunde zu legen, wenn dies auch streng- 
genommen keine Statistik über die Grölse der gefundenen Ge- 
schlechtsunterschiede, sondern vielmehr eine Statistik ihrer Zu- 
verlässigkeit ist; aber aus den vorher entwickelten Gründen 
können wir, wie ich glaube, für die hier vorliegenden Fragen Grölse 
und Sicherheit gewissermalsen identifizieren. 


Diese Statistik der Q nun ergibt folgende Resultate: 

1. Wir haben im vorigen Paragraphen gesehen, dals die Mehr- 
zahl der eine Wertung in sich tragenden Ergebnisse zugunsten 
der m spricht, und dafs diese Mehrzahl am grölsten bei den Alter- 
nativresultaten ist. Wir finden hier, dafs jedes Q einer be- 
stimmten Grölse sich bei denjenigen Alternativ-Resultaten, die 
zugunsten der m sprechen, häufiger findet als bei denjenigen 
Resultaten, die zugunsten der f sprechen (vgl. Teil II H, Figur 2, 
S. 109). 

2. Bei den Wertungsklassifikations-Ergebnissen finden wir 
kleine Q häufiger bei den zugunsten der f sprechenden Resultaten, 
grolse Qhäufiger bei den zugunstender m sprechenden. Dies zeigt 
also, dafs die zugunsten der m sprechenden Ergebnisse nicht nur, 


8 33. Die Gröfsenordnung und Zuverlässigkeit der Ergebnisse. 93 


wie vorher gezeigt, zahlreicher, sondern auch im ganzen genommen 
sicherer sind (vgl. Teil II H, Figur 2, S. 109). 

3. Auch wenn wir die Wertungsklassifikations-Ergebnisse in 
solche des obersten und des untersten Leistungsviertsel trennen, 
finden wir letzteres bestätigt: Q > 5 finden sich häufiger bei den 
zugunsten der m sprechenden Ergebnissen, Q < 5 häufiger bei 
den zugunsten der f ausfallenden (vgl. Teil II H, Figur 3, S. 110). 

4. Wir haben vorher gefunden, dafs eine Überlegenheit der m 
sich häufiger im obersten Leistungsviertel, eine Überlegenheit der f 
sich häufiger im untersten Leistungsviertel findet. Dem entspricht 
hier die Tatsache, dafs bei den zugunsten der m sprechenden 
Ergebnissen erolse Q (zuverlässige Resultate) sich häufiger bei 
den Geschlechtsvergleichen im obersten als bei denen im untersten 
Leistungsviertel finden, während bei den zugunsten der f sprechen- 
den Resultaten fast jede Grölsenklasse der Q, am deutlichsten aber 
auch wiederum die grofsen, sich bei den Geschlechtsvergleichen 
im untersten Leistungsviertel häufiger zeigen als im obersten 
(vgl. Teil II H, Figur 3, S. 110). 

5. Als Hauptresultat jedoch verzeichnen wir dies, dals die 
Verteilung der Q, wenn man die Ergebnisse zugunsten der m 
und diejenigen zugunsten der f trennt, und wenn man von der 
durch die Überlegenheit der m bedingten relativ geringen Schief- 
heit der Kurve absieht, recht nahe der Gaussschen Verteilung zu 
gehorchen scheint. Für die Zuverlässigkeit oder Grölse der Er- 
gebnisse über Geschlechtsunterschiede gilt also das QuETELETsche 
Gesetz: Die Einzelresultate sind um einen Wert zentriert, sie sind 
um so seltener, je stärker sie von diesem Wert abweichen. Dieser 
zentrale Wert liegt in der Nähe der Differenz 0. In weitaus den 
meisten Beziehungen liegen also keine oder nur minimale Ge- 
schlechtsunterschiede vor, und nur einige wenige Eigenschaften 
können als sekundäre Geschlechtsmerkmale betrachtet werden. 
Wenn wir nicht gerade von den Ergebnissen kleinster oder kleiner 
Geschlechtsunterschiede die meisten von der Betrachtung hätten 
ausschliefsen müssen, so würde die monotypische Gliederung der 
psychischen Geschlechtsunterschiede um den Wert 0 noch sehr 
viel deutlicher in Erscheinung treten. 

Dieses Resultat verdient um so mehr betont zu werden, als 
es allem Anscheine nach für das Gebiet der somatischen Eigen- 
schaften nichtgilt. Freilich liegen hier statistische Untersuchungen 
in der Weise, wie ich sie für psychische Eigenschaften angestellt 


94 | Kapitel V. Allgemeine Statistik der Ergebnisse. 


habe, meines Wissens nicht vor; doch wäre zu erwarten, dafs sich 
hier bei einer entsprechenden Untersuchung eine zweigipfelige 
Kurve ergeben würde!). Die Tatsache, dafs die Kurve der Q-Häufig 
keiten annähernd mit der einer Gaussschen Fehlerkurve zusammen- 
fällt (vgl. Teil II H, Figur 1, S. 108), lälst sich auch folgender- 
mafsen erläutern : Wenn ich darauf ausgehe, psychische Geschlechts- 
unterschiede zu finden, so ist die Wahrscheinlichkeit dafür, dafs 
ich bei einer Untersuchung einen Geschlechtsunterschied mit dem 
Sicherheitsgrade Q = 4a erhalte, ebenso grols, wie die Wahr- 
scheinlichkeit, dafs ich bei einer Messungsreihe einen Fehler von 
der Grölse a0 begehe (wobei o den ‚‚mittleren Fehler‘‘ der Messungs- 
reihe bedeutet). 


8 34. 


Das Verhältnis der Geschlechter in der „Normalzone‘“ 
(mittleren Leistungshälfte). — Die Intervariation. 


Wir haben bereits in $ 32 einen Hinweis darauf gefunden, dals 
in der mittleren Leistungshälfte die Anzahl der m häufiger kleiner 
als grölser sein wird als die der f. Wir wollen diese Frage hier nun 
an der Hand unserer Ergebnisse genauer untersuchen. Zugrunde 
zu legen sind aus unserem Material die Werte Dem und Det Es 
ist stets 

Pem + Pef 200 
Pom + Pum + Pcm = 200 
Pof + Puf + Pef 200 

Wir untersuchen, in wie vielen Fällen Pem die Werte 50, 51, 
DZ sia 99, 100, 101 ...... 148, 149, 150 annimmt; fiir Pcf 
ergeben sich dann von selbst die Werte fiir die umgekehrte Zahlen- 
reihe. 

Fassen wir zunächst einmal allein die Klassifikationsergeb- 
nisse ins Auge, so ergibt sich sowohl theoretisch wie auch aus der 
Statistik, dafs eine Trennung in solche Ergebnisse, denen eine 
Wertung zugrunde liegt, und solche ohne Wertung hier nicht er- 
forderlich ist. Was die Statistik betrifft, so zeigen die Pem bei 
Klassifikations-Ergebnissen mit und ohne Wertung fast genau 
dieselbe Streuung, und auch theoretisch ist es klar, dafs der Ge- 


1) Z. T. wörtlich zitiert aus LIPMANN, Die statistische Untersuchung 
von psychischen Geschlechtsunterschieden, Arb Bund Sc Ref 8, S. 159/160. 


§ 34. Das Verhältnis der Geschlechter in der „Normalzone“. 95 


sichtspunkt der Wertung hier kaum eine Rolle spielen kann; es 
ist für die Frage, wie häufig mittlere Stärkegrade der betr. Lei- 
-= stung oder Eigenschaft vorkommen, offenbar gleichgültig, welches 
Ende der Leistungs- oder Eigenschaftsskala ich als das obere, und 
welches ich als das untere betrachte. 

Eine zahlenmälsige Bestimmung der Grölse von Pcm ist bei 
unserer Berechnungsweise nur dann möglich, wenn Pom und Pum 
berechnet werden konnten, denn wir haben ja Pem aus dem Ansatz 
Pcm = 200 — (Pom + Pum) bestimmt. Nun liegen uns aber eine 
grolse Zahl von Klassifikationsergebnissen vor (1073 unter 1905), 
bei denen nur Pom oder Pum bestimmt werden konnte, weil für 
den anderen der beiden Werte @ < 2 war. Diese 1073 Fälle müssen 
also aus der zahlenmälsigen Berechnung von Pem ausscheiden; 
aber wir können sie doch dazu benutzen, zu untersuchen, ob und 
in wie vielen dieser Fälle Pem > 100 oder Pem < 100 ist. Denn 
wenn bei einem bestimmten Versuchsergebnis z. B. nur Qo > 2, 
aber Qu < 2, so geht daraus hervor, dals in diesem Falle 

|Pom — 50| >|50 — Pum| 

Ist also bei einem Ergebnis zugunsten der m nur Qo > 2, so 
ist Pem > 100. Bei einem Ergebnis zugunsten der f ist Pem < 100, 
wenn nur Qo > 2, aber Pcm > 100, wenn nur Qu > 2. 

Die oben genannten 1073 Fälle umfassen 236 Klassifikations- 
ergebnisse ohne Wertung, 378 Ergebnisse zugunsten der m und 
459 Ergebnisse zugunsten der f. Unter den ersteren sind 125 
(= 53%), unter den m-Ergebnissen 202 (= 53%) und unter den 
f-Ergebnissen 251 (= 55%), in denen Pcm < 100. 

Die übrigen 832 Klassifikationsergebnisse gestatten es, die 
Grölse von Pcm genauer zahlenmälsig zu bestimmen. 

Es ergibt sich wiederum eine der Gaussschen ähnliche Streu- 
ungskurve. Ihr Zentrum liegt etwa bei dem Werte 100, vielleicht 
sogar etwas in der Richtung auf kleinere Werte hin verschoben, 
also etwa bei 98. Die Kurve ist ferner deutlich schief, insofern als 
allenthalben Werte von Pcm, die kleiner sind als 100, häufiger 
vorkommen, als die entsprechenden grölseren Werte (also z. B. 
Pem = 90 häufiger als Pem = 110 usw.). Am deutlichsten zeigt 
diese Schiefheit der Kurve sich bei denjenigen Klassifikations- 
ergebnissen, die zugunsten der f sprechen (vgl. Teil II H Tabelle 10, 
S. 112 und Figur 4, S. 114). 

Dieses Resultat besagt also, dafs in der Mehrzahl der Fälle 
die Intervariation der m und der f annähernd die gleiche ist. Ist 


96 Kapitel V. Allgemeine Statistik der Ergebnisse. 


sie aber verschieden — und dies ist besonders häufig bei den- 
jenigen Resultaten der Fall, die zugunsten der f sprechen —, so ist 
sie bei den m eher grölser als bei den f. Nehmen wir dieses Resultat 
mit demjenigen der vorigen Paragraphen zusammen, so besagt 
dies, dafs wir häufig die folgende, wenn auch nicht sehr beträcht- 
liche, so doch deutliche Abweichung von einer ‚normalen‘ Ver- 
teilung zu konstatieren haben: 

Eine Vermehrung der m im obersten Leistungsviertel, die 
kompensiert wird zum grölsten Teil durch eine Vermehrung der 
f im untersten Leistungsviertel, zum kleineren Teil durch eine 
Vermehrung der f in der mittleren Leistungshälfte — etwa wie 
im folgenden Schema: 

Po Pc Pu 
m 53 99 48 
f 47 101 52 

Ein zweiter, nicht ganz so häufiger Fall ist der einer Ver- 
minderung der f im untersten Leistungsviertel, kompensiert zum 
grölsten Teil durch eine Verminderung der m im obersten Leistungs- 
viertel, zum kleineren Teil durch eine Verminderung der m in der 
mittleren Leistungshälfte — etwa wie in folgendem Schema: 

Po Pc Pu 
m 48 99 53 
f 52 101 47 

Diese beiden Formen der Verteilung bilden zwar den weitaus 
überwiegenden Teil der Klassifikationsergebnisse ; aber die anderen 
möglichen Verteilungsformen sind doch auch so häufig, dals jene 
nicht geradezu als die normalen Verteilungsformen bezeichnet 
werden dürfen. 


Bevor wir uns weiter mit der Intervariation beschäftigen, müssen wir 
noch einen kurzen Blick auf die bisher unbeachtet gelassenen Pem bei 
Alternativ-Resultaten werfen. Die Pem dürfen hier nicht ohne weitere- 
als Mafsstab für die Intervariation betrachtet werden, weil bei den Alter- 
nativ-Resultaten der Begriff der mittleren Leistungshälfte überhaupt ein 
etwas fragwürdiger ist. Während nämlich die Klassifikations-Ergebnisse 
sich aus je zwei Zahlenpaaren zusammensetzen, deren Gröfsenverhältnisse 
unabhängig variabel sind, liegt den Alternativ-Ergebnissen nur ein solches 
Zahlenpaar zugrunde, aus denen die Verhältnisse Pom : Pof und Pum : Puf 
und ebenso auch das Verhältnis Pem : Pef sich rein rechnerisch ergeben. 
Auch die Frage, ob Pem gröfser oder kleiner als 100 ist, ist im wesentlichen 
nur eine Untersuchung des Gröfsenverhältnisses der allen Berechnungen 
zugrunde liegenden Original-Prozentzahlen (P’om und P’of) Wenn wir 
finden, dafs bei denjenigen Alternativ-Ergebnissen ohne Wertung, bei denen 


§ 34. Das Verhältnis der Geschlechter in der , Normalzone“. 97 


sich die betreffende Leistung oder Eigenschaft häufiger bei den m findet, 
in den weitaus meisten Fällen Pem < 100, und bei denjenigen, bei denen 
die Leistung oder Eigenschaft häufiger bei den f ist, meist Pem > 100, so 
bedeutet dies nur, dafs wir es hier meist mit solchen Leistungen oder Eigen- 
schaften zu tun haben, die überhaupt sehr selten sind. 

Denn wenn 


P’om = not so ist Pom = 100, Pum = 50, Pem = 50 
Pof = 0% Pf = 0, Puf = 50, Pef = 150 
und wenn P’om = 0%\ so ist Pom = 0, Pum = 50, Pem = 150 
Piof = 1%) Pof = 100, Puf = 50, Pcf = 50 


Dies wundert uns nicht, wenn wir bedenken, dafs es sich ja hier meist 
um das Nennen von Idealpersonen, Lieblingsbüchern, Lieblingsspielen, 
Interessegebieten usw. handelt. 

Wir sehen (vgl. Teil II H, Figur 5, S. 115), dafs Alternativ-Ergebnisse 
ohne Wertung sich im allgemeinen um so häufiger finden, je seltener die 
betr. Reaktionsweise tiberhaupt ist. Dies gilt besonders fiir die m-Ergebnisse: 
Die Kurve der m-Alternativ-Ergebnisse ohne Wertung hat ihr Maximum 
bei Reaktionen von geringem, die der f-Ergebnisse bei Reaktionen von 
mittlerem Häufigkeitsgrade; d. h. dafs Reaktionsweisen, die überhaupt 
selten sind, sich häufiger bei den m finden, und dafs bei Reaktionen, die 
überhaupt häufig sind, sich nur selten ein Geschlechtsunterschied ergibt. 
Dies scheint für eine grölsere Originalität der m zu sprechen, und dies 
Resultat würde ja mit der grölseren Intervariation der m nicht schlecht 
zusammenstimmen, wenn wir auch Originalität und Intervariation nicht 
ohne weiteres identifizieren dürfen. 

Anders verhält es sich mit denjenigen Alternativ-Ergebnissen, denen 
eine Wertung zugrunde liegt; denn hierher gehören Versetzungsstatistiken, 
Examensergebnisse usw., und somit stehen diese Alternativ-Ergebnisse 
überhaupt den Klassifikations-Ergebnissen näher. Auch das Verhalten 
der Pcm wird hier eher als Malsstab für die Intervariation betrachtet werden 
können. In der Tat ergibt eine Statistik der Pcm hier ein Resultat, das dem 
der Klassifikations-Ergebnisse ziemlich genau entspricht. Nur sind die 
Unterschiede der einzelnen Häufigkeiten, obwohl sie in derselben Richtung 
liegen wie dort, hier weniger beträchtlich. Im ganzen genommen finden 
wir aber das dort angeführte Ergebnis auch hier bestätigt. 


Das Resultat bezüglich der durchschnittlich grölseren Inter- 
variabilität der m erscheint zwar schon durch die Untersuchung 
der Pom genügend sichergestellt, ist aber doch noch nicht so deutlich, 
um nicht noch eine Nachprüfung auf einem anderen, direkteren, 
Wege zu rechtfertigen. 

Wir können die Intervariation einer Personengruppe hinsicht- 
lich einer bestimmten Eigenschaft auch als eine Malszahl definieren, 
die angibt, wie sehr oder wie wenig die Stärkegrade der Eigenschaft 
innerhalb der Personen dieser Gruppe verschieden sind. Man 

Beiheft zur Zeitschrift für angewandte Psychologie. 14. Erster Teil. 7 


98 Kapitel V. Allgemeine Statistik der Ergebnisse. 


könnte die Intervariation z. B. dadurch messen, dals man die 
Differenzen derjenigen beiden Mafszahlen bildet, welche den 
stärksten und den schwächsten in der Gruppe vorkommenden 
Stärkegrad der Eigenschaft bezeichnen, das wäre aber unzweck- 
mälsig, weil die Grölse solcher extremen Werte eine zufällige 
sein kann. 

Wir verwenden vielmehr die Differenz derjenigen Malszahlen 
Iox und Iux, welche gewisse ‚mittlere‘ Stärkegrade nach oben 
und nach unten gegen ,,starke“ und ‚schwache‘ Stärkegrade ab- 


nzen. 

Es handelt sich zunächst nur darum, diese Stärkegrade Iox und Iux 
zahlenmälsig zu bestimmen. Sie werden bei manchen Eigenschaften je 
nach dem Alter, dem Bildungsgrade, der Übung usw. der Versuchspersonen 
verschieden sein, müssen also nicht nur natürlich für jede Eigenschaft, 
sondern für je zwei miteinander zu vergleichende Personengruppen ge- 
sondert bestimmt werden. 

Wenn man sich die Häufigkeit, mit der die einzelnen Stärkegrade 
einer Eigenschaft bei einer Gruppe von Personen vorkommen, als Kurve 
dargestellt denkt, derart, dals die Abszissen die Stärkegrade, die entsprechen- 
den Ordinaten die Anzablen der Personen kennzeichnen, bei denen die be- 
treffenden Stärkegrade vorkommen, so kann man rechts und links von dem 
Punkte der Kurve, der dem mittelsten Stärkegrade entspricht, durch zwei 
Senkrechte einen solchen Teil der Kurvenfläche herausschneiden, dafs die 
Summe der zwischen den beiden Senkrechten und die Summe der aulser- 
halb der Senkrechten liegenden Ordinaten (Zahlen von Versuchspersonen) 
die gleiche wird. Der Betrag, um den die Abszissen dieser Senkrechten sich 
von der Abszisse des mittelsten Stärkegrades unterscheiden, nennt man den 
wahrscheinlichen Fehler der Bestimmung dieses mittelsten Stärkegrades. 

Es liegt nun nahe, als Iox und Iux diejenigen Maiszahlen zu wählen, 
bei denen die erwähnten beiden Senkrechten die Ordinaten-Achse treffen, 
damit teilen wir die Personen (ähnlich wie in $ 3 geschildert) in 3 Teile, 
eine mittlere Hälfte, ein oberes und ein unteres Viertel, nun aber nicht für 
eine Gruppe von Personen, die aus m und f kombiniert ist, sondern für die 
Gruppe der m und der f besonders. Wir verwenden also als Maisstab für 
die Intervariation der m die Differenz Iom — Ium und für die der f die 
Differenz Iof — Iuf. Da aber die Relevanz dieser Differenz nicht nur 
von ihrem eigenen Betrage, sondern auch davon abhängt, an welcher Stelle 
der Eigenschafts-Stärkeskala sie sich findet, so setzen wir sie noch in Be- 
ziehung zu dem mittelsten Stärkegrade der Eigenschaft innerhalb derselben 
Gruppe, d. h. wir bilden die Werte 

5 Iom — Ium a Iof — Iuf 
SE 2.Icm ar a 2. Let 

Wenn wir in einer Gruppe 100 Personen haben und sie nach der Stärke, 
in der sie eine bestimmte Eigenschaft besitzen, in eine Reihe ordnen, derart, 
dafs die Person, bei der die Eigenschaft am schwächsten ist, Nr. 1, die- 
jenige, bei der sie am stärksten ist Nr. 100 erhält, so ist Iux die Stärke der 








§ 34. Das Verhältnis der Geschlechter in der „Normalzone“. 99 


Eigenschaft, die sich bei der Person, Nr. 26 findet, Iox diejenige Stärke 
der Eigenschaft, wie sie Person Nr. 75 besitzt, und die Stärke Icx würde 
sich bei der Person Nr. 50%, finden. 

Ist die Zahl der Personen dieser Gruppe nicht 100, sondern n, so 
findet sich 








. 26. 
Iux bei der Person %-Nr. 26 = mn 
. 75. 
Jos bei der Person %-Nr. 75 2 Nr. 75. n : GE 
N e 501 e 
Icx bei der Person %-Nr. 50, = 2 a - 


Ich habe bei den mir vorliegenden Klassifikationsergebnissen, 
soweit es möglich war, in der angegebenen Weise die Vm und Vf 
berechnet. Voraussetzung hierfür war, 1. dafs in der zugrunde- 
liegenden Arbeit die erforderlichen Mafszahlen (und ihre Streuung) 
mitgeteilt sind, 2. dals die Leistungs- oder Stärkegrade in Mafs- 
zahlen oder doch in einer solchen Weise mitgeteilt sind, dafs sie 
leicht in Malszahlen verwandelt werden konnten (z. B. Zensuren), 
3. dafs das Ergebnis sowohl im oberen wie im unteren Viertel 
als genügend zuverlässig betrachtet werden konnte, d. h. dafs 
Qo >2 und Qu>2. 

Es blieben so 440 Klassifikationsergebnisse übrig!), für 
welche die Vm und Vf berechnet werden konnten. Wir finden in 
233 (53%) dieser 440 Fälle, dafs die Intervariation der m grölser 
ist als die der f, in 154 (35%) der Fälle, dafs die Intervariation 
der f grölser ist, und in 53 (12%), dafs die Intervariation der m und 
der f gleich ist. | 

Eine Streuungskurve der Differenzen Vm-—Vf gibt uns 
wiederum das uns schon bekannte Bild: die Streuungskurve hat 
ihren Gipfel bei der Differenz 0; die positiven Differenzen sind 
ferner stets häufiger als die absolut genommen gleichgrofsen 
negativen Differenzen, so dafs die Kurve wiederum schief erscheint 
(vgl. Teil II H, Figur 6, S. 117). | 

Ordnen wir die Vm und die Vf unabhängig voneinander nach 
ihrer Gröfse, so ist ein Vm von bestimmter Ordnungszahl stets 
grölser als das Vf derselben Ordnungszahl. Der Zentralwert der 
Vm ist 0,20, der Zentralwert der Vf 0,17. Der mittlere Bereich 
der Vm liegt zwischen 0,13 und 0,28, derjenige der Vf zwischen 


1) Diese Ergebnisse sind in den Tabellen des Kapitels II (Teil II A, 
S. 6ff.) durch x bezeichnet; die dazugehörigen Vm und Vf sind in Teil II B, 
S. 54/55 zusammengestellt. 
Vë 


100 Kapitel V. Allgemeine Statistik der Ergebnisse. 


0,11 und 0,25. Die Vm sind also durchschnittlich um 0,03 gröfser 
als die Vf. = 

Zusammenfassend finden wir also auch hier, dafs in der Mehr- 
zahl der Fälle die Intervariation der m um ein Geringes grölser ist 
als die der f. ` 


Wir können endlich als Beleg für die grölsere Intervariabilität 
der m aus unseren Versuchsmaterialien noch ein Ergebnis von 
YERKES-UrBaNn (114) heranziehen. Diese Autoren liefsen Zeiten 
von 18, 36, 72 und 108 Sekunden schätzen und fanden hierbei, 
einmal, dafs bestimmte Formen der Schätzungsangaben überhaupt 
bevorzugt wurden, ferner dals der Grad solcher Bevorzugungen 
sich als sehr stark vom Geschlecht der Vpp. abhängig erwies. 
Mit Marse pflegt man die Tatsache, dafs bei derartigen Experi- 
menten gewisse Formen der Angabe allgemein bevorzugt werden, 
als die „Gleichförmigkeit des psychischen Geschehens‘ zu be- 
zeichnen, und es ist unter anderen durch Bauca!) nachgewiesen 
worden, dafs bei Schätzungsangaben solche bevorzugt werden, 
die auf Oendigen, dann folgen nach ihrer Häufigkeit die Endziffern 
5, 8, 2, 3, 7, 6, 4, 9, 1. Wenn wir nun finden, dafs bei YERKEs-URBAN 
Schätzungsangaben, die ein Vielfaches von 60" oder von 30” sind, 
sehr viel häufiger bei Frauen, dals dagegen Schätzungsangaben 
mit der Endziffer 9 und dann weiter abnehmend mit den Endziffern 
4, 6, 1, 7, 8, 2, 3, 5 häufiger bei den Männern sind, so ist leicht er- 
sichtlich (die Korrelation der beiden Endziffernreihen ist 0,98), 
dafs die überhaupt bevorzugten Endziffern besonders stark von 
den Frauen bevorzugt werden, dals also die ‚„‚Gleichförmigkeit des 
psychischen Geschehens“ in besonders hohem Grade für die Frauen 
gilt. Das heifst mit anderen Worten wiederum, dals die Frauen 
gleichförmiger reagieren oder dals die Intervariation der Männer 
grölser ist. 

Nachdem sich nunmehr die im allgemeinen grölsere Inter- 
variabilität der m durch die verschiedensten Untersuchungs- 
methoden immer wieder ergeben hat und somit als ein feststehendes 
Resultat betrachtet werden kann, seien im Anschlufs daran noch 
einige Ausblicke gestattet. 


ı) M. Bauch, Psychologische Untersuchungen über Beobachtungs- 
fehler, FsPs. 1, S. 210, 1913. 


$ 34. Das Verhältnis der Geschlechter in dr „Normalsone" © 2.4Q) 


Zunächst sei daran erinnert, dals diese grölsere Intervaria- 
bilität der m auch aus den Erfahrungen des täglichen Lebens 
bekannt ist oder doch aus ihnen abgeleitet werden könnte. Wir 
finden sowohl übernormales, wie auch — und dies wird von den 
Antifeministen häufig übersehen oder verschwiegen — unter- 
normales Verhalten häufiger bei Männern. Ersteres ergibt sich 
evident aus der politischen Geschichte, wie aus der Geschichte 
der Wissenschaften und Künste; letzteres liefse sich unschwer aus 
Verbrechens- und Irrenstatistiken, wie aus einer Statistik von 
Degenerationsmerkmalen überhaupt (z. B. Farbenblindheit) nach- 
weisen. 

Immerhin wird wohl doch auch dies zugegeben werden müssen, 
dals die Majorität der m auf dem Gebiete der übernormalen 
Leistungen noch etwas grölser ist als ihre Majorität innerhalb der 
Unternormalitätszone, und dies wiederum scheint uns darauf 
hinzudeuten, dals die übernormalen Leistungen — soweit es sich 
eben um intellektuelle Leistungen handelt — tatsächlich oft 
auf eine grölsere Begabung der m hindeuten, während unter- 
normale Leistungen der m vielleicht häufig nicht so sehr durch 
Mängel der Begabung als durch mangelhafte Ausbildung von 
‘Willens- oder Charaktereigenschaften zu erklären sind. 

Zur Verdeutlichung dessen, was ich meine, vergegenwärtigen 
wir uns eine gemischte Schulklasse mit der eben geschilderten 
Verteilung der Knaben und Mädchen. Wir erinnern uns ferner 
daran, dafs mit grolser Übereinstimmung der Autoren die Mädchen 
als die fleilsigeren charakterisiert werden. Nun wird wohl zugegeben 
werden müssen, dals gröfserer Fleils im allgemeinen zu über- 
normalen Leistungen nicht führen wird; wohl aber kann er eine 
an sich unternormale Leistungsfähigkeit zu normalen Leistungen 
heraufschrauben. So erklärt es sich vielleicht, dals von den Mädchen 
eine grölsere Anzahl aus dem untersten Leistungsviertel in die 
mittlere Hälfte sozusagen hinüberwandert, dals aber das oberste 
Viertel von nur verhältnismälsig wenigen erreicht wird. Anders bei 
den Knaben: die schwachen Schüler bleiben in ihren Leistungen 
schwach, weil der kompensatorisch wirkende grölsere Fleils fehlt; 
andererseits bewirkt die grölsere Begabung auch ohne zu Hilfe 
kommenden Fleifs ein verhältnismälsig häufiges Auftreten guter 
Leistungen’). 

- 1) Z. T. wörtlich übernommen aus meiner „vorläufigen Mitteilung‘, 
Arb Bund Sc Ref 8, S. 164. 


2308: 223.2: Kopitel Ve" Allgemeine Statistik der Ergebnisse. 


Ich bin in diesem Paragraphen auf die Frage der Intervariation 
der Geschlechter mit grölserer Ausführlichkeit eingegangen, weil 
dieses Problem, abgesehen von seinem theoretischen Interesse auch 
von praktischer Bedeutung für die Frage der Koedukation zu sein 
scheint. Das psychologische Koedukationsproblem ist bisher allzu 
ausschliefslich so gestellt worden, ob das eine Geschlecht hinsicht- 
lich seiner Leistungen dem anderen überlegen sei; ich glaube gezeigt 
zu haben, dafs diese Fragestellung eine irrtümliche ist und eine 
einfache Beantwortung meist gar nicht gestattet. Es ist aber auch 
gar nicht von praktischer Wichtigkeit, ob das Niveau einer Klasse 
durch Aufnahme von Kindern anderen Geschlechts herauf- oder 
herabgedrückt wird ; eines wäre für die Schüler, die den Stamm der 
Klasse bilden, so schädlich wie das andere, und würde die Schwierig- 
keiten für den unterrichtenden Lehrer in gleicher Weise vermehren. 
Das Grundproblem der Schulorganisation scheint mir vielmehr dies 
zu sein, möglichst homogene Klassen zu bilden, d. h. solche Unter- 
richtseinheiten, deren Intervariation eine möglichst geringe ist; 
dies ist ja offenbar auch die Richtung, in der die schwebenden 
Schulorganisationsfragen zu ihrer Entscheidung drängen. Die 
Grundfrage des Koedukationsproblems ist demnach die : wird durch 
Gemeinsamkeit des Unterrichts die Intervariation der zu unter- 
richtenden Gruppen erhöht oder vermindert ? 

Wir konnten diese Frage nur an einem kleinen Teil unseres 
Materials untersuchen, da die Intervariation einer kombinierten 
Gruppe natürlich nur dann unabhängig von der Grölse jeder der 
beiden zusammengefalsten Gruppen ist, wenn diese gleich grols 
sind. Bei 42 der 440 Intervariationsresultate!) wurde aufser 
Vm und Vf auch Vz berechnet, und zwar aus der Formel 





|Ioz — Iuz| . 
Vz = 2 Ten in der 
Jos die Leistung der Person %-Nr. 26 
Iuz 9 „ an IT %-Nr. 75 
Icz an „ „ 99 %-Nr. 50% 


bedeuten; bei der Zählung werden hier m- und f-Personen nicht 
unterschieden. 
Wenn wir nun mit Vg denjenigen Wert von Vm oder Vf be- 


2) Diese Ergebnisse sind in den Tabellen des Kapitels II, Teil II A, 
S. 6ff. durch x x bezeichnet; die dazugehörigen Vz sind in Teil II B, 
S. 54/55 zusammengestellt. 


§ 34. Das Verhältnis der Geschlechter in der „Normalzone“. 103 


zeichnen, welcher der grölsere ist, und mit Vk den kleineren von 
beiden, so ist 


Vg > Vz < Vkin 3 i 
Vg > Vz = Vk in 7 Cae 
Vg > Vz > Vk in 10 D 


Vg = Vz > Vk in 121 25 
Vg < Vz > Vk in 12 e 

Die Intervariation der kombinierten Gruppen zeigt also eine 
deutliche Tendenz gröfser zu sein als die Intervariation jeder der 
beiden zusammengefalsten Gruppen, d. h. die ‚„Normalzonen“ der 
Leistungen der beiden Geschlechter pflegen sich zu ihrem grölseren 
Teile nicht zu decken, die Verteilungskurve der kombinierten 
Gruppe ist meist zweigipfelig (vgl. Teil HI H, Figur 7, S. 119), die 
beiden Geschlechter bilden in der Tat ein inhomogenes Material 
— die Koedukation wäre nicht gerechtfertigt. All dies kann natür- 
lich nur mit grölstem Vorbehalt ausgesprochen werden; aber es 
scheint mit wichtig, dals das Koeduktationsproblem einmal unter 
diesem Gesichtspunkte auf Grund eines ad hoo beschafften 
gröíseren Materials behandelt wird. 


104 8 35. Schluß. 


§ 35. 
Schlufs. 


Der Gegenstand unserer Untersuchung war eine rein theo- 
retische Frage der differentiellen Psychologie. Wenn öfters auf 
das Koedukationsproblem hingewiesen wurde, so geschah dies 
nicht, weil wir unmittelbar zur Lösung dieser Frage der praktischen 
Pädagogik einen Beitrag liefern wollten, sondern mehr zum Zwecke 
der Verdeutlichung unserer Fragestellung, — in Form einer Exem- 
plifikation. Aber hier, am Schlusse unserer Untersuchung, ist 
vielleicht doch der Ort, einmal ausdrücklich darauf einzugehen, 
in welcher Beziehung das psychologische Problem der Geschlechts- 
unterschiede und das pädagogische der Koinstruktion zueinander 
stehen. 

Dals diese Probleme sich nicht decken, liegt auf der Hand: 
Die Geschlechtsunterschiede würden uns theoretisch auch dann 
interessieren, wenn eine gemeinschaftliche Erziehung niemals in 
Frage gestanden hätte, — wenn sie immer indiskutabel oder immer 
' selbstverständlich gewesen wäre. Und umgekehrt: Auch wenn es 
der Psychologie nicht gelungen wäre, irgendwelche Geschlechts- 
unterschiede festzustellen, oder wenn es ihr gar geglückt wäre, 
nachzuweisen, dafs auf den fraglichen Gebieten die Geschlechter 
sich gleich verhalten, so wäre damit die gemeinschaftliche Er- 
ziehungdoch nur als möglich ‚nicht aber auch schon als wünschens- 
wert hingestellt. Wenn die Psychologie andererseits Geschlechts- 
unterschiede findet, so ist damit auch noch nicht die Koedukation 
ad absurdum geführt; man kann z. B. wünschen, dafs eben durch 
die gemeinschaftliche Erziehung die Geschlechter einander an- 
geähnelt werden usw. usw. 

Die drei Fragen, die der Koinstruktionspolitiker zu beant- 
worten hat, sind die folgenden: 

l. Ist es — nationalökonomisch, ethisch, politisch usw. — 
wünschenswert, dafs die Frauen (oder wenigstens einige Frauen) 
dieselbe Bildung (quantitativ und qualitativ) besitzen wie die 
Männer oder nicht ? 

2. Sind die Wirkungen, die ein inniges Zusammenleben der 
Geschlechter während der Jugend auf die Angehörigen der beiden 
Geschlechter ausübt, im ganzen genommen wünschenswert oder 
nicht ? 


8 35. Schluß. 105 


3. Sind die psychologischen Bedingungen für einen gemein- 
schaftlichen Unterricht der beiden Geschlechter vorhanden, ist die 
‚psychische Veranlagung der beiden Geschlechter hinreichend 
ähnlich, um einen gemeinschaftlichen Unterricht zu gestatten, oder 
ist diese Ähnlichkeit überhaupt, oder in einzelnen Funktionen oder 
während gewisser Altersstufen so gering, dafs der gemeinschaftliche 
Unterricht überhaupt oder in einzelnen Fächern oder während 
gewisser Altersstufen untunlich erscheint ? 
| Eine wissenschaftlich begründete Stellungnahme zum Ko- 
instruktionsproblem wird natürlich von der Beantwortung aller 
drei dieser Fragen abhängen. Psychologischer Natur (i. e. S.) aber 
sind nur die beiden letzten Fragen, und die vorliegende Arbeit 
‚beschäftigt sich nur mit der dritten von ihnen. 

Nehmen wir nun einmal an, die beiden ersten Fragen wären 
im Sinne der Anhänger der Koinstruktion beantwortet, würden 
dann die von uns beigebrachten Ergebnisse die Koinstruktion als 
möglich oder als untunlich erscheinen lassen ? 

Auch hier ist eine eindeutige Antwort so lange nicht möglich, 
als wir nicht wissen, welcher Grad von Ähnlichkeit zwischen zwei 
Menschen (oder zwei Gruppen von Menschen) erforderlich ist, um 
eine gemeinschaftliche Erziehung zu ermöglichen. Es ist ja klar: 
je ähnlicher sie sind, desto leichter, je unähnlicher sie sind, desto 
schwieriger ist ihre gemeinschaftliche Erziehung; aber wo ist die 
Grenze? In der praktischen Pädagogik scheint man bisher mit 
den Anforderungen, die man an die Homogeneität einer gemein- 
schaftlichen zu unterrichtenden Schülergruppe stellt, recht be- 
scheiden zu sein; denn trotz des Auswahlprinzipes des ‚Sitzen- 
bleibens‘ ist der Unterschied zwischen den begabten und den un- 
begabten Schülern einer Klasse doch zweifellos immer noch ein 
aufserordentlich grofser und sicherlich ein viel grölserer als zwischen 
den mittelbegabten männlichen und den mittelbegabten weiblichen 
Kindern eines Jahrganges. So gıolse Unterschiede wir also auch 
in einzelnen Fächern und einzelnen Altersstufen und in der Inter- 
variation überhaupt zwischen Knaben und Mädchen gefunden 
haben, — solange die Schulen nicht noch viel mehr als bisher nach 
dem Begabungsprinzip differenziert sind, solange ist auch 
psychologisch kein Grund einzusehen, sie nach dem Geschlechts- 
prinzip zu differenzieren. 

Es kann gar keinem Zweifel unterliegen, dals, wenn wir überall 
anstatt männliche und weibliche Personen Begabte und Unbegabte 


106 § 35. Schluß. 


oder Intelligente und Unintelligente verglichen hatten, wir zu viel 
krasseren Unterschieden gelangt waren. 

Ubrigens —, so umfassend diese Arbeit auch angelegt war, 
so sind ihr doch wahrscheinlich eine grolse Zahl von Gebieten, 
in denen sich Geschlechtsunterschiede finden, und vielleicht gerade 
mit die wichtigsten, entgangen. ,,Die Arbeit vergleicht durchweg 
Einzelerscheinungen bzw. Einzeleigenschaften miteinander, und 
zwar selbstverständlich nur solche, die quantitativ melsbar bzw. 
bisher gemessen sind. Demnach sind nicht in Betracht gezogen: 

1. Eigenschaften, die sich bisher oder überhaupt der quanti- 
tativen Bestimmung entziehen; und sie können oft gerade die 
wesentlichsten und zentralsten sein; denn man darf nicht ver- 
kennen, dafs eine Eigenschaft um so leichter quantifizierbar ist, 
je peripherer sie ist. | 

2. Strukturzusammenhänge von Eigenschaften; und wenn 
man nicht der Meinung ist, dafs der Mensch aus einer blofsen 
Addition seiner Eigenschaften besteht, so wird man gerade in 
jenen Strukturerscheinungen auch das Wesentliche der Unter- 
schiede zwischen Mensch und Mensch, zwischen Geschlecht und 
Geschlecht usw. vermuten. So könnte man sich z. B. denken, 
dafs Frauen und Männer in bezug auf gewisse Begabungen nicht 
allzusehr differieren und auch in bezug auf gewisse Interessen 
nicht sehr, und dafs trotzdem die Beziehung von Begabung und 
Interesse bei beiden Geschlechtern eine fundamental verschiedene 
ist. Solche Strukturfragen werden in der Arbeit nicht berührt. 

Aus beiden Gründen sind nun die hier konstatierten Ge- 
schlechtsunterschiede wahrscheinlich bei weitem geringer als die- 
jenigen, die wirklich vorhanden sind!).“ 


3) Zitiert aus einer brieflichen Mitteilung von Prof. W. STERN. 


CO? Ger 
DD = 


§ 3. 


T 


§ 5. 


§ 36. Inhaltsübersicht. 107 


§ 36. 
Inhaltsübersicht. 


. Übersicht über das verwendete Material. 
. Das Verhältnis der Geschlechter wird innerhalb derjenigen 


Teile der Leistungs- oder Eigenschafts-Skala verglichen, die 
als „gut“ oder „stark“ — als ‚normal‘ — als ‚schlecht‘‘ oder 
„schwach“ bezeichnet zu werden pflegen. 

Als „gut“ oder ‚stark‘ und ebenso als ‚schlecht‘“ oder 
„schwach‘‘ werden diejenigen Leistungs- oder Eigenschafts- 
grade betrachtet, die sich bei genau einem (dem obersten 
bzw. dem untersten) Viertel der Vpp. finden, als normal die- 
jenigen, die durch die mittlere Hälfte der Vpp. vertreten sind. 
Es werden diejenigen Werte Pum ... Pof bestimmt, welche 
folgendes besagen : Wenn wir 200 m + 200 f Personen danach 
ordnen, mit welcher Stärke sie eine bestimmte Eigenschaft 
besitzen, so befinden sich unter denjenigen 100 Personen, 
welche die schwachen Grade der Eigenschaft aufweisen, 
Pum männliche und Puf weibliche, unter den 100 Personen 
mit hohen Stärkegraden Pom männliche und Pof weibliche. 
Es werden nur solche Ergebnisse verwendet, welche die 
üblichen Anforderungen an Exaktheit der Feststellung 
erfüllen, und bei denen Q>2. Q ist der quadrierte und mit 
*/, multiplizierte Quotient aus demjenigen Verhältnis, dessen 
Dividendus durch die Differenz der beiden zugrunde liegenden 
Prozentzahlen und dessen Divisor durch den dieser Differenz 
zugehörigen wahrscheinlichen Fehler gebildet werden. 


ss 6—8. Übersicht über die Einzelergebnisse (Pom, Pem, Pum), 


geordnet nach Quellen. 


$$ 9—24. Übersicht über die Einzelergebnisse (Do = Pom — Pof, 


Du = Puf — Pum), systematisch geordnet. 


$ 25. Zusammenstellung derjenigen Eigenschaften, bei denen sich 


übereinstimmend eine Überlegenheit der m oder der f ergibt. 


$ 26. Je besser die relative Leistung eines Geschlechtes in einem 


Unterrichtsfach (je grölser die Begabung), desto grölser ist 
auch die relative Überlegenheit seines Interesses für dieses 
Fach. — Die Mädchenzeichnungen sind in relativ viel höherem 
Grade als die Knabenzeichnungen Darstellungen dessen, was 
das Kind weils, als dessen, was man vom Menschen sieht. — 


108 


§ 36. Inhaltsübersicht. 


Die Gegensätzlichkeit der Spielinteressen läfst sich mit dem 
Schlagworte bezeichnen: Der Knabe spielt relativ lieber 
„Welt“, das Mädchen ‚Haus‘. — Das Interesse der Knaben 
ist relativ stäker auf das Betätigen, das der Mädchen mehr 
auf den blofsen Besitz von gewissen Eigenschaften gerichtet. 


$$ 27—30. Beim Vergleich verschiedener Altersstufen zeigt sich 


§ 31. 


eine gewisse Tendenz der Geschlechtsunterschiede, mit 
wachsendem Alter zuzunehmen. Richtungsänderungen des 
Geschlechtsunterschiedes sind selten. — Zwischen den Alters- 
stufen von 34, und 12 Jahren zeigt sich eine gewisse 
Tendenz der relativen Besserung der Knabenleistungen, von 
12 bis 19 Jahren eine gewisse "Tendenz der relativen Besserung 
der Mädchenleistungen. Wahrscheinlich jedoch haben diese 
Ergebnisse keine allgemeine Bedeutung, sondern es müssen 
bei künftigen Untersuchungen diejenigen psychischen Funk- 
tionen unterschieden werden, bei denen mit wachsendem 
Alter die relative Überlegenheit der m, und diejenigen, bei 
denen die relative Überlegenheit der f wächst. 

Innerhalb 'eines Schuljahres finden sich die relativen Best- 
leistungen der Knaben am Ende, die relativen Bestleistungen 
der Mädchen meist am Anfange eines Trimesters (England). — 
Im Frühjahre sind die Leistungen der Mädchen, besonders 
der im Pubertätsalter befindlichen, relativ schlecht. 


§§ 32—34. Die Geschlechtsunterschiede sind ihrer Grdfse bzw. 


Sicherheit nach um einen Wert zentriert; sie sind um so 
seltener, je stärker „ie von diesem Wert abweichen. Dieser 
zentrale Wert liegt in der Nähe der Differenz 0. — Die zu- 
gunsten der m sprechenden Ergebnisse sind zahlreicher und 
sicherer als die zugunsten der f ausfallenden. — Die Über- 
legenheit der m zeigt sich häufiger darin, dals die m im 
obersten Leistungsviertel stärker vertreten sind; eine 
Überlegenheit der f öfters darin, dafs sie im untersten 
Leistungsviertel weniger zahlreich sind. Dementsprechend 
sind die m im allgemeinen auch in der mittleren Leistungs- 
hälfte in der Minorität. Die Intervariation der m ist grofser 
als die der f; besonders deutlich ist dies in den Fällen einer 
Überlegenheit der f. — Die Intervariation einer aus beiden Ge- 
schlechtern kombinierten Gruppe ist meist gröfser als die der 


. beiden einzelnen Gruppen. 
$ 35. Die Beziehung unserer Ergebnisse zum Koedukationsproblem. 


BEIHEFTE 


Zeitihriit für angewandte Pivdologie 


Herausgegeben von 
| WIDDIAM STERN und OTTO LIPMANN. 
| | 
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Piydiiidıe 


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Ergebnilie der difierentiellen Piyhologie 


von 


Otto hipmann. 


Zwei Teile. 


Il. Teil. 
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| heipzig 1917. 
Verlag von Johann Ambrofius Barth. 
Dorrienstr. 16. 


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Verlag von Johann Ambrosius Barth in Leipzig. 





Zeitschrift für angewandte Psychologie 


Herausgegeben von 
William Stern und Otto Lipmann. 


6 Hefte bilden einen Band von etwa 36 Bogen mit mehreren Tafeln. Preis des Bandes 20 M. 
Der 12. Band ist im Erscheinen begriffen. 


Die Au E der Zeitschrift ist die Bearbeitung psychologischer Probleme unter be- 
sonderer Berücksichtigung ihrer Verwertbarkeit für anderweitige praktische und wissen- 
schaftliche Fragestellungen und die Ausgestaltung der besonderen experimentellen, psycho- 

phischen, statistischen und Sammel-Methoden für diese Zwecke. Hauptgebiete der 
Zeitschrift sind die pädagogische, forensische, pathologische, literarische, ethnologische und 
vergleichende Psychologie. 

Die Zeitschrift enthält Abhandlungen, Mitteilungen, Sammel- und Einzelberichte und 
verfolgt ständig die internationale Bewegung auf dem Gebiete der angewandten Psycho- 
logie. Sie ist Organ des Instituts für angewandte Psychologie in Kleinglienicke, des 
psychologischen Laboratoriums in Hamburg und mehrerer Universitäts-Seminare. 


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William Stern und Otto Lipmann. 
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sammelt und herausgegeben vom Institut für angewandte EE und psycho- 
logische Sammelforschung (Institut der Gesellschaft fiir experimentelle Kee ege 
1. Teil. IV, 124 Seiten mit 1 Tafel im Text. .4.— 

Heft 6. RicuarpD deet Ethno-psychologische Studien an ee auf 
dem Bismarck-Archipel u. den Salomo-Inseln. IV, 163 S. mit 21 Taf. M.9.— 

Heft 7. Fritz Giese Das freie literarische Schaffen bei Kindern und REES 
2 Teile. XVI, 220 u. IV, 242 Seiten mit 4 Abbildungen. 1914. M. 14.— 

Heft 8. Herea Exe. Abstrakte Begriffe im Sprechen und Denken des Kindes. V), 
112 Seiten. 1914. M. 3.60 

Heft 9. Hermann Damm. Korrelative Beziehungen zwischen elementaren Vergleichs- 
leistungen. Ein Beitrag zur psychologischen Korrelationsforschung. IV, 84 Seiten 
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Heft 10. Grora Branperr. Das Interesse der Schulkinder an den Unterrichtsfachern. 
IV, 168 Seiten mit 37 Figuren. 1915. M. 5.60 

Heft 11. Curt Pıorkowskı. Beiträge zur psychologischen Methodologie der wirt- 
schaftlichen Berufseignung. IX, 84 S. 1915. M. 3.— 

Heft 12. Jugendliches Seelenleben und Krieg. Materialien und Berichte. Unter Mit- 
wirkung der Breslauer Ortsgruppe des Bundes fiir Schulreform und von O. Bobertag, 
K. W. Dix, C. Kik, A. Mann herausgegeben von WıLLıam Stern. 181 Seiten 
mit 15 Abbildungen. 1915. M. 5.— 

Heft 13. Tu. Vavextiner. Die Phautasie im freien Anfsatze der Kinder und Jugend- 
lichen. VI, 168 S. mit 1 Kurventafel. 1916. M. 5.60 

Heft 14. Orro LIPMANN. Psychische Geschlechtsunterschiede. Ergebnisse der differen- 
tiellen Psychologie. Zwei Teile. IV, 108 und 172 Seiten mit 9 Kurven im 
Text. 1917. M. 12.— 


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Zeitidriit fir angewandte Piydologie 


Herausgegeben von 
WILLIAM STERN und OTTO LIPMANN. 


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fatiftiih bearbeitet 
von 


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Mit 9 Kurven. 





beipzig 1917. 


Verlag von Johann Ambrofus Barth. 
Dörrienstr. 16. 


Zweiter Teil. 


Beiheft zur Zeitschrift für angewandte Psychologie. 14. Zweiter Teil. 


Inhalt. 
Teil I. 


A. Tabellen des Kapitels II. Die Einzelergebnisse. 
Vorbemerkung 


C. Tabellen zu Kapitel III. 


Die aus unveröffentlichten Materialien herrührenden Ergebnisse 
B. Zusammenstellung der Vm, Vfund Vz ....... 


die Einzelergebnisse 


Vorbemerkung 


Tabelle zu $ 10, 
» § 10, 


99 


§ 10, 
§ 10, 


§ 10, 6a. 
$ 10, 6b. 
$ 10, 6c. 


un wren ert un N nm wm 


CO? m MN U UN CO? 602 CO? GC 


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Systematische Übersicht über 


Raumsinn der Haut ....... 
Gewichtsinn unter normalen und 

täuschenden Bedingungen .... . 
Geschmacksinn .......... 
Gehorsinn .........4... 
Helligkeit. . .. 2.2 2 22200. 
Karben. : sos s e aso a a, we 08 
Optischer Raumsinn unter normalen 
und téuschenden Bedingungen. . . 
Zeiteinn wee NNN Ke e 
Schnelligkeit einfacher Bewegungen 
und Verrichtungen ........ 


. Wahlreaktion. . . . 2 2 2 2 2 o o 


Präzision der Bewegungen und Be- 
wegungskoordination. ....... 
Gefiihlsbetonung von Bewegungen . 
Das Lernen und das Reproduzieren 
von Erlerntem .......... 
Erinnerung und Aussage. ..... 


2, 3a. Freie Assoziation. Einfälle 


ae. 


SSOMAR AP & o 


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. Gebundene Assoziation ...... 


Phantasie . . . 2 2 2 2 2 220.0 
Kenntnisse . . . . 2 2 2 2 2 2 0. 
Begabung für Rechnen undMathematik 
Unterrichts- und Examens-Leistungen 
in Mathematik, Geometrie, Algebra, 
Rechnen . . . . 2. 2 2 2 220.0 
Leistungen im Rechenexperiment. . 
Interesse für Rechnen und Mathematik 
Naturwissenschaften . . . 2. 2.2... 
TSchnile: +4 Ar iu rs nr ar 


Fremdsprachen( Geinteswisenschaften) 
Leistungen in Muttersprache . . . . 
Interesse für Muttersprache 


H g 


Inhalt. 


Tabelle zu $ 21. Allgemeine geistige Entwicklung . . 


ge » § 22, 1. Neigung zu intellektueller Betätigung 
Ge » § 22, 2. Neigung zu politischer Betätigung . 
> „ $ 22, 3. Neigung zu philantropischerBetätigung 
Se „ 8 22,4. Religiosität.. . . . 2. 2 222200 
ge » § 22, 5. Neigung zu praktischer Betätigung . 
an » § 22, 6 Erwerbssinn .......4.2... 
e » § 22, 7. Streben nach Macht ....... 
= „ $ 22, 8. Streben nach Ehre . . ..... ; 
E „ 822,9 Eitelkit `, . 2. 22 2 22202200. 
= » § 22, 10. Neigung zu Geselligkeit . . . . . . 
35 » § 22, 11. Sexualleben. .......2.2.2.. 
ge „ $ 22, 12. Moralitét im allgememen..... . 
5 „ 8 22, 13. Betragen.......... 
e » § 22, 14. Fleifs.......... Lae d 
; » § 22, 15. Ordnungsliebe. .......2... 
9° ” § 22, 16. Pünktlichkeit . .......... 
ee » § 22, 17. Wahrbeitsliebe. .......2... 
= „ $§ 22, 18. Treue: e e A Aw nn ee 
ge » § 22,19. Geduld. ............. 
5 pe G22; 20 Mut a aaa a a e e ER 
2 „ § 22, 21. Bescheidenheit .......... 
es » § 22, 22. Emotionalitét. .......4.2.2. 
a » § 22, 23. Allgemeine Gefühlsrichtung. Er. 
Fe » § 22 24. Impulsivität. . ee oae a a 
= „ $ 23, 1. Aufmerksamkeit. Ergebnisse der Be- 
obachtung e NNN ISSN e 
S » § 23, 2. Aufmerksamkeit. Ergebnisse des Ex- 
periments . . 2. 22 2 202000 
= » § 23. 3. Intravariation. Begelmälsigkeit der 
Reaktion . .. ... 2. 2 2 2 20.0. 
i » § 24. Suggestibilitat. . . .....4.4.. 


. Tabellen zu $ 26. Vergleich des Geschlechtsverhält- 


nisses bei verschiedenen Eigenschaften ........ 
Tabellen zu §§ 28 und 29. Anderungen des Geschlechts- 
unterschiedes in ihrer Abhängigkeit vom Alter... . 


F. Tabelle und Figur zu $ 30. Die Besserleistung eines Ge- 
schlechts in seiner Abhängigkeit vom Alter ...... 
G. Tabelleund Figur zu $31. Das Verhalten des Geschlechts- 
unterschiedes im Verlaufe eines Schuljahres . . ... . 
H. Tabellen und Figuren zu Kapitel V. Allgemeine Statistik 
der Ergebnisse .. 2: 2 2 0 er er. . 
J« Bibliographic: ¢-.« «s,s a-% BS awe & Sw eR ee RS 
Anhang: Abkürzungen der Zeitschriften-Titel usw. . . ; 
K. Briefliche Mitteilungen über das Problem der Go- 
schlechtsunterschiede und der Koedukation ..... 


1* 


102 


105 
120 
162 


A. Tabellen des Kapitels II. 
Die Einzelergebnisse. 
Vorbemerkung. 


Ich stelle in diesem Kapitel die sämtlichen, meinen weiteren 
Ausführungen zugrunde liegenden zahlenmälsigen Resultate zu- 
sammen, und zwar in der Form, dafs für jede Einzelunter- 
suchung und für jede Gruppe von Vpp. angegeben wird, wie viele 
männliche Vpp. sich im obersten Leistungsviertel (Pom), in der 
mittleren Leistungshälfte (Pem) und im untersten Leistungsviertel 
(Pum) befinden würde, wenn die Gesamtanzahlen der männlichen 
und der weiblichen Vpp. gleich (= 200) wären, wenn sich also im 
obersten Leistungsviertel im ganzen 100, in der mittleren Hälfte 
im ganzen 200 und im untersten Leistungsviertel im ganzen 
100 Vpp. befänden. Die entsprechenden Anzahlen für die weiblichen 
Vpp. (Pof, Pcf und Puf) sind also aus den angegebenen Zahlen 
ohne weiteres durch Subtraktion von 100,.bzw. 200 zu ermitteln. 
Einer Überlegenheit der männlichen Vpp. über die weiblichen hin- 
sichtlich einer bestimmten Eigenschaft entspricht also die Tat- 
sache, dafs ein Pom > 50 oder ein Pum < 50. 

Die mitgeteilten Zahlen können auch so verstanden werden: 
Sie bezeichnen die Wahrscheinlichkeit, mit der aus einer guten, 
bzw. schlechten Leistung bei der betreffenden Untersuchung auf 
das männliche Geschlecht der Vpp. geschlossen werden kann. Ins- 
besondere ergibt sich bei der Untersuchung der Alternativ-Eigen- 
schaften, dafs oft nur das Vorhandensein, nicht aber das Fehlen 
der betreffenden Eigenschaft als charakteristisch für das eine oder 
das andere Geschlecht betrachtet werden kann, nämlich wenn die 
Eigenschaft überhaupt selten ist (dann ist im extremsten Falle 


A. Tabellen des Kapitels II. Die Einzelergebnisse. 5 


Pom = 100, Pem = 50, Pum = 50 oder Pom = 0, Pcm = 150, 
Pum = 50); auch umgekehrt ist, bei Eigenschaften, die überhaupt 
nur sehr selten fehlen, natürlich nur das Fehlen, nicht aber das 
Vorhandensein für ein Geschlecht charakteristisch (im extremsten 
Falle ist dann Pom = 50, Pem = 150, Pum = 0 oder Pom = 50, 
Pem = 50, Pum = 100). > 3 

Der Grad der Zuverlässigkeit des betreffenden Resultates 
wird durch die Symbole Qo und Qu bezeichnet. Sie zeigen an, 
wieviel mal die Differenz der zugrunde liegenden Pıozentzahlen 
grölser ist als ihr wahrscheinlicher Fehler. Resultate, bei denen 
Q < 2, sind nicht mit angeführt. Häufig war bei einem Resultat 
nur Qo oder Qu grölser als 2; dann wird nur Pom bzw. nur Pum 
mitgeteilt, und die fehlenden Angaben sind durch — ersetzt. 

Die aus einer und derselben Untersuchung herrührenden 
Einzelergebnisse sind im allgemeinen — d. h. so weit sachliche 
Gründe (inhaltliche Zusammenhänge) nicht eine andere Reihen- 
folge bedingten — so angeordnet, dafs diejenigen Fragen, bei 
denen sich durchschnittlich die gröfste Überlegenheit der männ- 
lichen Versuchspersonen ergab, an die Spitze, und diejenigen, bei 
denen die weiblichen Versuchspersonen sich am stärksten über- 
legen zeigten, ans Ende gestellt sind. 

Diejenigen Ergebnisse, zu denen als Mafsstab der Inter- 
variation Vm und Vf berechnet werden konnte (vgl. Teil II B, 
S. 58) sind durch x bezeichnet; diejenigen Ergebnisse, bei denen 
als Mafsstab der Intervariation einer kombinierten Gruppe auch 
Vz berechnet werden konnte, sind durch x x bezeichnet. 


Ich teile das Resultat in zwei Abteilungen, -die aus nicht 
veröffentlichten Materialien herrührenden und die der Literatur 
entnommenen. Aus Gründen der Raumersparnis mufs jedoch von 
einer Drucklegung der letzteren abgesehen werden; die hierher 
gehörigen Tabellen liegen im Archiv des Instituts für angewandte 
Psychologie und stehen von dort aus Interessenten zur Einsicht- 
nahme zur Verfügung. left 


Die aus unveröffentlichten Materialien herrühren- 
den Ergebnisse sind die folgenden: 


A. Tabellen des Kapitels 11. 


1. Bielefeld. Zensureneiner Volksschule. 


Alter etwa: 7 8 9 





Fleifs........ | ES 
3. Rechnen. ...... | — 
| 61 
Ke 4l 
4. Deutsch, mündlicher = 
Ausdruck ...... SC 
5. Zeichnen . . ... 
30 x 
6. Schreiben . . . ... 98 
72 
29 x 
7. Religion. ...... 98 
73 
20 x 32 x | — 
8. Lesen ....... 111 97 — 
69 71 72 
9. Geschichte. ..... 
10. Geographie. ..... | 
11. Naturkunde `... | 
12. Deutsch, schriftlicher = ` SS 
Ausdruck ...... SE a 
13. Biblische Geschichte 
20 x | 33 x | — 25 
14. Singen ... 101 | 90 | — — 
79 ! 77 | 68 — 


Ostern 1913. Klassifikation. 


Die Einzelergebnisse. 








70 
17 x 
111 
72 
30 x 
96 
14 
33 x 
85 
82 


22 


104 


70 


74 


23 


96 


77 


81 


.19 


33 


35 


27 


29 


34 


34 


19 


144 


100 


90 


100 


85 


88 


65 


33 


37 


67 


75 


x 


71 


81 


83 


5, 9, 6, 4 


7, 3, 5, 2 


6, 2, 5, 4, 9 


3, 3, 3, 3, 10 


11, 3, 6 


5, 7, 2, 8, 1! 


A. Tabellen des Kapitels Il. 





2. Bristol. Holt Secondary School. l4tägige Zen- 


Alter etwa: | 10 12 13 14 


Klasse: ooma ee ee U B ITA HI OC 
aa LI "Jel II 


Termin: 


14. X. 


28. X. 


l. Geometrie 


15. III. 


14. X. 
28. X. 
18. XI. 
9. XI. 
2. II. 
2. Algebra. 23. II. 
15. III. 


80 


Die Einzelergebnisse. 9 


suren des Schuljahres 1911 X bis 1912 VII, Klassifikation. 









13 14 15 16 
eene leegen 


II PB IMA | IVB | IV A Remove BRemove A 














KE 23 
a a ie 
= 
24 3 
85 | aS 
d, H = 
er 25 5 2 
13 x 
104 | 
23 2 3 
22 3 
2 
77 
= 2 
— ı73 x: 73 m 
— | 104 | = = 
70 23 = 21 2,2 3, 3, 2 
73 x: 83 x 
116 | 92 
11 25 | 2, 4 8, 2 
78 73 x 17 
e 23. u 2,2,4| 3 
87 x — 
89 = 
24 19 6 3, 3 
23 3 
83 22 
| Den = 
| as —| 4,2 
22 -= l4 x 
= | = 105 
— 0 81 | 2,5 20, 3 





10 A. Tabellen des Kapitels II. 


2. (Forts.) Bristol. Holt Secondary School. 14tägige Zen- 


Alter etwa: 10 12 13 14 
Klasse: | Prepa- | IIB D A LIT O 
Fach ratory 
Termin: 
25. V. 


2, Algebra (Forts.) 15. VI. 


6. VII. 
28. X. — 
81 
18. XI. a 
27 
100 x 
9. XII. 100 
0 
100 — 
2. II. — — 
— 27 
84 X |77 xX 
3. Zeichnen ... 23. I. 103 109 
13 14 
15. III. 
25. V. 
86 
15. VI. — 
6. VII. — 
27 
27 
14. X. = 


4. Geschichte . . ES | 


Die Einzelergebnisse. 


suren des Schuljahres 1911 X bis 1912 VII, Klassifikation. 


13 14 15 16 
paa a, | a 
IB IA | IVB | IVA |Remove B| Remove / 
Qo 
| 3 x = 
105 — 
12 78] 4 
i 
fei 
23 
22 — 17 
Bar 24 u 3, 3 
87 
a 18, 6 
11 
5, 3 
24 x 
76 
100 i 3 
23 
— 2 
14 
— 5, & 
| 2 
76 — 7 | 
= == gl 
— 73. 13 | 2 


11 


13 


12 





A. Tabellen des Kapitels II. 


2. (Forte.) Bristol. Holt Secondary School. . 14tägige Zen- 


Alter etwa: 10 12 13 14 
Klasse: | Prepa- | IIB II A IIIC 


Die Einselergebnisse. 13 


suren des Schuljahres 1911 X bis 1912 VII, Klassifikation. 











13 14 15 16 


pS NEEE 1 wemmer" emer, 


DIR | IIIA | IVB | IV A |Remove B|Remove A 





73 x 
106 
21 2 3 
713 x173 sie 
108, =) = 
19 u 28 2, 2 6, 2 
| 100 x 
82 
18 | 9 3 
78 2 
83 x 100 x 
92 | 75 
25 25 4, 10 2, 2 
= 25 
15 = 2 3, 3 
16 
SE | 2, 3, & 2, 3 
82 5, 3 
85 x 2 | 
93 — | 
22 23 5 3, 3 
25 3 
24 3 
u T E 2 | 
25 22 2,3 
25 | ce 
= 29 2 3 
2 | 
= | 
em | 2 
25 x | 
98 
| 77 2 2 


14 A. Tabellen des Kapitels II. 


2. (Forts.) Bristol. Holt Secondary School. l4tägige Zen- 





28. X. — 
| 


27 
18. XI. 
9. XI. 
6. Geographie . . 2. II. 
15 
23. I. — 
15. III. 
re er 
68 x —_- 
25. V. 104 = 
28 25 
— mme 
72 
15. VI. = 
—— — 
31 
28. X | vr 
S 
7. Practical 69 
Arithmetic .. 15. III. — 
— |235 x|— 
15. VI. — 100 — 
14 75 100 








Die Einzelergebnisse. 


suren des Schuljahres 1911 X bis 1912 VII, Klassifikation. 


13 14 15 16 
PP nl EE, 
iB | DIA B | A |Remove B| Remove / 
| 
86 x 
114 
0 
71 25 
73 
73 | 
81 x 29 
104 — 
15 | — 
| ee 
| 75 
16 x 
109 
75 
18 25 80 


Qo Qu 
4, 6 2, 16 
2 
2, 2 
2 
2 
6, 3, 3| 5 
2 


2 5, 3, 10 


16 A. Tabellen des Kapitels II. 


2. (Forts.) Bristol. Holt Secondary School. 14tägige Zen- 









10 12 13 
ITB ITA 


14 
DI 


Alter etwa: 


Klasse: | Prepa- 
ratory 














9. General Ele- 


ments of 18. XI, 
Science... . 
9. XL. | 
| 
20: EX 
25. V. 100 


80 


Die Einzelergebnisse. 


suren des Schuljahres 1911 X bis 1912 VII, Klassifikation. 





13 | 
g TN, 
HIB j| IHA | 

| 














SS 171 | 73 | 
Ss SS | 116x 
2] = 11 
173 28 0 
= | = zur 
78 73 
27 x!73 x | 
91 ; 103 | | 
82 24 | 
0 x 
100 
100 
Ss | Se | | 
GE 24 
0 ed 100 x 
117 | 88 | 
83 12 
— | 22 x | | 
— | 96 | 
83| 82, 
12 z. | | 
105 | | 
| ` 
83) | i 
| 22 | | 
| o 
= | | 
84 ! | 
= | | 
80 
Kë | | 
i = | | 
24 | 
17 = | | | 
ee, | | 
| o 
0 x | i 
100 
100 | 








Beiheft zur Zeitschrift für angewandte Psychologie. 


IVB | IVA Bu Remove 
| | 


15 x 
103 


82. 


22 x 
96 
82 






12, 13 


2, 14 


14. Zweiter Teil. 


2 


17 


3, 3 


4, 12, 3 


5, 10, 3,3 


5, 3, 9 


16 


2, 15 


18 A. Tabellen des Kapitels Il. 


2. (Fortse.) Bristol. Holt Secondary School. 14tägige Zen- 













Alter etwa: 10 12 13 | 14 


Prepa- | IIB 
ratory 






Klasse: 
Fach 


Termin: 
28. X. 


18. XI. 
10. Chemie . . . 


16. III. 


15. VI. 
| 25 


| | 
| | 
| | 
14. X. ee 
(a Im 
| | 
| 


18. XI. 


9. XII mee 
| 13 
| 24 Xx 
11. Nature Study 2. II. | SC 
u ! 
23. II. Sa 
83 |; 
| dn | 
| 
15. IHI pa 
| 81 
| ! 22 xx 
25. V | T 
80 17` x | == 
= ONS ES 99 — 
15. V 
>». VI B Se | ' Se 
20 Ä er 
6. VII. h Se = 


87 20 


Die Einzelergebnisse. 19 


suren des Schuljahres 1911 X bis 1912 VII, Klassifikation. 


IIB | IIIA | IVB | IVA |Remove BRemove 








e 2 
| o 5 
| m 
2 3 
12 
= 1 
og 2 
2,3 
. 
Ä 
2 2, 3 

3 7 
E 

III 
| | | | 2 

: | | | 
| | | | 2 | 3 

ki 

| | 3, 3 | 4, 2 

| | 

| | 


20 


A. Tabellen des Kapitels II. 


2. (Forts.) Bristol. Holt Secondary School. G4 tagize Zen- 


10 12 13 14 


Prepa- II B ITA III C 
ratory 


Fach 


Alter etwa: 


Klasse; 





12. Scripture... 


13. Französisch . . 


Termin: 


14. X. 


28. X. 


9. XL. 


23. II. 


15. VI. 


9. XL. 





15 x | 
100 | 
85) 
$7 
88 x 
85 
86 
13 
18 
28 
13 x 
103 | 
84 
Ss 15 
85 a 
28B x 
94 
78 
207 x 
98 
e 
28 
77 ' 68 
= 25 
a | 25 x| 20 xx 
Së | 100 100 
72 | 75 80 
| 
| 


21 


Die Einzelergebnisse. 


suren des Schuljahres 1911 X bis 1912 VII, Klassifikation. 





15 


104 


=H © 
eo e KN 
we een + 
N 
N S 
© 19 ei 
| 
oe ` & 
| = 
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| 
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3, 3, 4 


83 


80 


a 
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on = 
eS N 
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N B 
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a 
N 
N 
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N © | 
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| | 
| E 
gm 
N 
| 
| 
| 
| 
m © 
wei > en ne 
| a 
N 


24 


22 A. Tabellen des Kapitels II. 


2. (Forts.) Bristol. Holt Secondary School. 14tägige Zen- 








Alter etwa: 10 12 13 14 
Klasse: Prepa- II B ITA IN C 
Fach ratory 
Termin: 26 x | | | 
25. V. 93 
81 | | 
14. Schreiben... . = | | | 
15. VI. = | ! 
76 | 
| 25 x x 
15. III. | | 100 | 
| 75 
| 14 
16. Dictation... 25. V. | | — 
| | 25 | 
15. VI. | Sem j 
— | 
eer | 
16. Historische | | 
Geographie 18. XI. | 
14. X. | | 
17. Zoologie e e œ i | 
| 
15. VI. | 
25 Ä 
14. X. = 
28. X. | — | 
i 85 | 
, 15 
18. XI. | ieee 
| fe! 
27 
9. XII. ge 
= Ta 
2. II. — | — | 
| 100 =) 
25 xl! 25 | 
18. Englisch Vu 23. IL. a oe 
| | 100 — | 


23 


Die Einzelergebnisse. 


suren des Schuljahres 1911 X bis 1912 VII, Klassifikation. 
a, 


ee eee aaun 


La 
Remove 


15 
(Remove Bi 


| 





14 


"IT 





| 
| 
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3 


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1 








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| 
| 


A. Tabellen des Kapitels II. 


2. (Forts.) Bristol. Holt Secondary School. 


l4tägige Zen 





Fach 


Alter etwa: 10 


Prepa- 
ratory 


Klasse: II B 


— 





18. Englisch (Forts.) 


E 


20. Biologie 


Termin: 
15. III. 


“ 


25 


Die Einzelergebn isse. 


suren des Schuljahres 1911 X bis 1912 VII, Klassifikation. 








A. Tabellen des Kapitels II. 


26 











oe 0 0 | 88 
-— -— — A 
| GEN Es | WE + + + + ondeagoop 6 
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Die Einzelergebnisse. 


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A. Tabellen des Kapitels II. 


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29 


Die Einzelergebnisse. 


p ‘II 


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Ltt | — 
L ‘£ |98 

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001 


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30 A. Tabellen des Kapitels II. 


4. Liverpool. Elementary School. (Eine 
Ausfall der Prüfungen 1911 XII., 1912 VI. und 1912 XL, 











Alter etwa: 


Klasse: 
Fach 


Termin: 





H Lesen ..... 
| VI. 1912 


9. Malen ..... XII. 1911 


{ 
1. Gesamt-Leistung XI. 1912 | — 
Be 80. 15 
72 x 31 7 x | 74 
2. Zeichnen . . . . | XII. 1911 98 a 103 Ce 
Si — 20 — 
XII. 1911 | | 
| 
3. Arithmetik | | 
VI. 1912 | 
69 | | | 
4. Crayon Work . . | XII. 1911 — | | 
ze | 
| ! 
5. Geographie . . . [ XI. 1911 | 
| | | 27 
6. Geschichte. . . . | XII. 1911 | | Ä ! z= 
= og | | 28 
XII. 1911 = — | = 
77 — | — 
7. Writing. 2... Ä | 
VI. 1912 | | | 
30 70 xi | | = 
XII. 1911 = 60 | | | = 
= 70 | | | 85 
| 
| 
| 
| 


Anmerkungen: zu 1. Die „Gesamtleistung“ entsteht durch Zusammenziehung der 
zu 3. „Arithmetik‘“ schliefst Kopfrechnen ein. 
zu 7. „Writing“ umschliefst Komposition, Stil und Schönschrift. 


m ne ege 


Die Einzelergebnisse. 31 


grofse Schule in einem armen Stadtteil.) 
gewertet nach Punkten. Klassifikation. 











| Se 


10 11 12 13 | 
| — N Ni 
IVB | IVA VB | VA VI ' VII 
| | 
| 
| 











| 6 10 = 12 3,2,4,3,3,11,2,28 2,4,16,11,11 
—_ | 88 x | | 
— | | 102 | ~ | 
29 ni 10 | 11 | 2,4 
} — : 
— 184 x l 
— | = 91 | | | 
S 25 | 7 4,3 
ì | | 
| | | | ! 
e en a 2 | 
oo, | — | 89 "o 
74 | 26 25 25| 3, 7, 4 4444 
— 24 x'— | 73 Be | 
— | 10 | — | — | 
mm g | —| — 25 4, 5, 3 | 4,4, 4,7 
26 69 xi | 
So | | 100 | | D 
—- | 31 | 3, 4, 4, 2 42 
18 xx — | | | 
| 96 | — i i 
| 86 | 72: | 7 | 7,8 
Zr Ze os | 
71 | 90 _|- | 2, 2, 4 2, 11, 3, 11 
Weg = | Ir 3 
Su. ote | = 67 
80 70 | 75 | 4, 4, 4 
ds | | | | 
69 | 2 


Prüfungsresultate aller Fächer. 


32 A. Tabellen des Kapitels II. 


5. Liverpool. St. Margaret’s Higher Grade School. 
ME NE: gewertet nach Punkten. Klassifikation. 





i 
Alter etwa: bs | 


Fach Klasse: VII je 2 Qo Qua 





1. Geschichte . 


| 
2. Science | 
3. Arithmetik . 
4. Englische Autoren. 
| 2 
5. ‘Algebra 
6. Französische Gramımatik 
4 
7. Französische Autoren . 
ll 
8. Englische Literatur . 
ll 


6 Oberlin College, Ohio. 
Aufnahme in die ®£X.-Society 1895—1910. 


(In die #K.-Society werden diejenigen Studenten aufgenommen, die nach 
dem Urteil der Lehrer das oberste Leistungsviertel der Klasse bilden.) 











Alternativ. 
1895—1900 | 1902 | 1903—1904 1905 | 1907 ' 1910 | Qo = Qu 
a 
37 24 36 27 30 26 
I m n2 ` M 117 121 | 
52 55 52 | 3 53 53) 4, 6, 2, 3, 3.6 
z 





Die Einzelergebnisse. 


‘. Stockholm. Volksschule: Zensuren einer Gruppe im Jahre 1899 
geborener Schüler und Schülerinnen während 
1906 XII bis 1912 XII. (Koinstruktion-Unterricht nur durch Lehrerinnen 


— nur bis zum 10. Lebensjahre einschliefslich. 
Klassifikation (K). 





1 | om 


ihrer Schullaufbahn von 





Alternativ (A) und 


Alter: | 
| Qo | , Qu 
Fach Termin: | 1906 XII | 1907 VI. | 
1. Fleils | | 
2, Verstandesentwicklung | . 
| 48 | 
3. Betragen , A 52 | 
100} 4 4 
4. Geschichte | 
5. Rechnen | 
6. Naturkunde 
7. Geographie | 
8. Freihandzeichnen 
9. Religion | 
33 x | 37 x | 
10. Gesang . . K 96 | 100 | 
71 63 ! 2, 2 | 1,.2 
11. Schönschreiben Ix — | 
64 3 
12. Aufsatz | 
0 | 
13. Lesen , A 148 | 
52) 4 4 
20 x | 28 x 
14. Handarbeit .K 110 | 102 | 
70° 70} 16. 8 66 
Beiliett zur Zeitschrift für angewandte Psychologie. 14. Zweiter Teil. 


34 


7: (Forte.) Stockholm. Volksschule: Zensuren einer Gruppe im Jahre 
von 1906 XII. bis 1912 XII. (Koinstruktion — Unterricht nur durch 


A. Tabellen des Kapitels lI. 








| 10 





Alter: 8 81% 9 , Bis 
Fach | | 
Termin: | 1907 sn 1908 VI. 1908 XII. 1909 VI. | 1909 NII. 
l 
L Fleifs. ... . K =e 
l 62 
23 | 
2. Verstandesentwicklung A 125 `, 
52 | 
48 48 49 49 
3. Betragen A 52 52 1 I 31 | 
100 100 | 100 100 
4. Geschichte. . K | 
| 
| | 
5. Rechnen K | 
6. Naturkunde . K | 
i 
7. Geographie . K | ! 
| | | 
8. Freihandzeichnen K | | Ä | 
| | | 
i | | 
9. Religion | | Ä 
! | 
BG SEN Se ee ' 38 x x 
10. Gesang . K 98 | 94 | — | 99 98 
68 68 | 62 | 63 | 66 
38 — — | — x 
ll. Schönschreiben. K An | oa | Be 2. 
— | 64 | 67 64 65 
Ä | N 
12. Aufsatz . K | | 108 
| l 62 
i 28 
13. Lesen | 120 | 
A 52 | 
25 oT BR ae Be 
14. Handarbeit K 105 © 101 > mı | 
70 67 | 67 | 
| 
| 


15 


e 


Die Einzelergebnisse. 


1899 geborener Schüler und Schülerinnen während ihrer Schullaufbahn 


Lehrerinnen — nur bis zum 10. Lebensjahre einschlielslich.) 





121, 13 


12 


11% 


11 


Qu 


Qo 


1910 VLJ1910XI1.|1911 VI.1911 XII. 1912 VI.|1912 XII. 











19 “on a 
E ei d P 
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CO © | | | mal a 
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00 rm © > > <} = rA ot D E sA 
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S | & | 2 | | 
S oO . © 
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| x 8X 8 | = | 
ZC EC | | 
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N a | > N | =H | 
Va ri © © 
=| Pl rel 
op op D at | a | 
=H e M oa m 


























3* 


36 A. Tabellen des Kapitels 11. 


8. Heymans. Schulénquete. Beantwortung von Fragen nach Charaktereigen- 
dischen Schulen. (Die Ergebnisse 














Schulen: Realschulen und 
Die den Lehrern vorgelegten Fragen: Alter etwa: Di SIE SE 
Entschiedene Vorliebe für: | 
l. E E E E A AO re ay d A | 
| 
2. GByDImBBRuE pn E ré be ersat EE AE A {100 100 
50 | 50 
50 50 
3. Physik, Chemie... 4.% 3 27.00 n aetti E EES | 
51 | 
49 
4. Mathematische Wissenschaften . ...... A | ‚59 
| .92 
| 49 
5. Geschichte und Geographie ........ A | 60 
| | 91 
| 49 
6. Naturgeschictte ..... Se ae ee A | 62 
89 
| 49 
be Sprache und Literatur < s s-o att e a @ e A ‚30 33 
| 117 tr LL 
| 53 52 
8. Geneigt zu stillem Widerstand . . . . 2.2... A | 
| 
| 
9. Wohl einmal grausam Tieren gegenüber . . . . A [100 ‚100 
50 ı 50 | 
50 50 
10. Geneigt, seine Mitschiiler dem Lehrer gegeniiber her- 71 | | 100 
EE una Alaa ce, Seat OS. be oe ohh SS A 81 | 52 
48 | 48 
11. Mitglied eines Turnvereins .........-. A | 75 ' 100 
76 | 51 
49 | 49 
12. Geneigt zum Handeltreiben (mit Büchern, Brief- 83 86 | 88 
E, E E EE EE A 68 65 ' 64 
49 49 48 
ls. “Geneigt grolszutun 2... 0 w 2 a2 a ke, Së 80 | 78 
| (Str 28 
49 49 
14, In seinem Verhalten in der Schule geneigt, bis zur 60 
äulsersten Grenze zu gehen .......... A 91 


Die Einzelergebnisse. 37 


schaften der Schüler und Schülerinnen durch Lehrer und Lehrerinnen an 54 hollän- 





sind z. T. in Nr. 47 veröffentlicht.) Alternativ (A) und Klassifikation (K). 





























| Real- | Gym- 
Gymnasien schulen | nasien 
16 m 18 | 19 |13—19/13—191 Qu 
| o | 
| | | 
| ‘100 | 
| | KZG | 
| | 49 4 4 
100 100 100 i | 
50 | 650 50 | 
50 50 50 | 3,5 4,4,2 | 3, 5, 4, 4, 2 
73 | 69 | 90 |100 | | 
78 83 62 | 52, | 
49. 48 48) 48 8, 8, 7, 13, 16 | 8, 8, 7, 13, 16 
76 3 | 
84 84 79 | | 
49 49 u | 2, 5, 2, 5 | SS 
| 73 | | | | 
78 : | | 
49, | | 2, 3 | 2, 3 
| | 
| | | 
! ! . 
| | | 2 | 2 
41 34 126 | | | 
108 113 ' 119 | | | 
51 3 | 55, 107,273 10, 7, 2, 7, 3 
| | | 
| 100 100 | 
52 | 52 | 
48 48, | 16, 16 . 16, 16 
100 100 !100 ! 
50 | so 50 3, 4, 4, 2, 2 3,4, 4, 2, 2 
Së 100 100 ' 
65 52 | 61 | 
49 48 49 | 7, 32, 12, 18, 12 7, 32, 12, 18, 12 
10:86 on jo | | 
Sl | 65 ; 71 ; 52 | | 
49 49 49 48 3, 16, 9, 13, 4,18 3,16, 9.13, 4,18 
80 100 100 | | 
71 au a. | 
49 E | 49 8, 13, 18, 5, 15, 4! 8, 13, 18, 5, 15,4 
100 | | 
| | | 82 | | 
! 48 | 5, 12, 16 5,12, 16 
| i 
| 100 | 
| | 52 | | 
| 48 4, 16 4, 16 


38 A. Tabellen des Kapitels Il. 


8. (Forts.) HEYMANS. 


Schulenquéte. 


Beantwortung 





15. 


20. 


21 


22. 


23. 


24. 


25. 


26. 


27. 


28. 








Schulen: 
Alter etwa: 


Die den Lehrern vorgelegten Fragen 
Aus falscher Scham bei etwas Verkehrtem beharren A 


. Verwenden unehrlicher Mittel zu eigenem Nutzen 


(abschreiben u. dgl.). . 


. Geneigt, sich von den anderen abzusondern (etwa 


auf dem Spielplatz) 


. Ungezogen (in der Schule oder auf der Strafse andere 


belästigen) 


. Während des Unterrichts oft nach der Uhr sehen . A 


Eingebildet, (übertriebene Meinung vom eigenen 
Wissen) 
Sammler (Postmarken, Naturobjekte usw.) ... A 
Rädelsführer (bei Störungen der Schulordnung) . A 


Geneigt, vorsätzlich die Schulordnung zu stören . A 


Plötzliches Nachlassen der Aufmerksamkeit gegen 


Ende der Unterrichtsstunde .......... A 

Pei Prüfungen ruhig (o) oder nervös (u) .... K 

Nacheiner begangenen Dummheit: 
SRICHENIEIE. A. 8 8 EE e Ai e A 
EEN a ër Ae, aber be, Zë A A 
THUELOB IN u a eraf dan RE ër ve A 





Realschulen und 


13 | 14 


75 
76 
49 
69 
83 
48 


Vë 
o0 


42 


63 
88 
49 
62 
90 
48 


| 15 


Er 
| 84 
49 
| 65 
87 
48 
62 
89 
49 
73 
79 
48 
65 
86 
49 
60 
91 
49 
62 
90 
48 
67 
84 
49 
63 
88 
49 


73 
79 
43 


| 40 


| 


108 


mm a An -— 


Die Einzelergebnisse. 


39 


von Fragen nach Charaktereigenschaften von Schülern und Schülerinnen 


Gymnasien 
16 | 17 18 | 19 
| ee 
| 51 


| 75 100 








Real- | Gym- 


schulen | nasien 


13—19| 13—19 


| 


3, 16, 3, 2, 8, 18 


| 
| 
| 
{ 
| 
| 
4, 8, 5, 6,16 | 
20, 3, 13, 3 
6, 10, 8, 28, 4, ` 
4, 4, 4, 12 Ä 
3, 5, 9, 2, 16 
10, 6, 2 


2, 7, 8 


2, 12, 4, 4 
3, 2 


4, 2 


9, 7, 9, 30 


3, 33 
3, 16, 3, 2, 8, 18 
4, 8, 5, 6, 16 
20, 3, 13, 3 

6, 10, 8, 28, 4, 33 
4, 4, 4, 12 

3, 5, 9, 2, 16 


10, 6, 2 


4, 11, 8 


2, 12, 4, 4 


40 A. Tabellen des Kapitels II. 


8. (Forte) Hrymans. Schulen Si uéte. Beantwortung von 











Schulen: Realschulen und 
Die den Lehrern vorgelegten Fragen Alter etwa: "Bu. 
Verhalten bei einem Verweis von | 
seiten des Lehrers: 
29. räsonnieren A 
30. Mech u 2 4.28 we ei ah GS A 
| 
31. gleichgültig A | 64 60 64 
88 | 92 88 
48 48 45 
32. weinen A | 60 | 35 
92 113 
48 52 
33. schmollen A | 
34. Starrköpfig A | 71 | 
80 
49 
35. In der Unsicherheit eine eigene Meinung erproben; = 
fragen: Ist das nicht so? (o) Oder sich belehren | oo 
lassen; fragen: Wie ist das? (u) . K | 42 
36. Besser SE fur Mathematik (o) ‘oder fiir = :58 DS 
Sprachen (u) . gh, eee eal se Rte we acd. ES — : 100 . 104 
42 42 38 
37. Für einzelne Fächer über das Schulpensum hinaus 78 | 
arbeiten A 73 ` 
49 
38. Gleichmälsig von Stimmung (o) oder abwechselnd 62 58 
beiter und schwermütig (u) K — : 98 
= 44 
39. Witzig . A | 69 | 
82 ` | 
49, 
40. Widerspenstig (geneigt, absichtlich den Vorschriften | 
zuwider zu handeln). . . s. 222.22... A | 
| 
41. Einer der ersten (o) oder einer der letzten (u), die — | 
nach Beendigung der Schule da» Lokal verlassen . R — | 
42. Mehr empfindlich für einen derben Verweis (0) oder 60 | 54 


für Ironie (u) 


Die Einzelergebnisse. 41 


Fragen nach Charaktereigenschaften von Schülern und Schülerinnen. 























| Real- | Gym-| E oo 
Gymnasien schulen | nasien | 
16 | 17 | 18 | 19 |13—19|13—19| Qo | Qu 
to] |] 
1 vu o 
ee | 
158 70 ‘72 | | 
| 93 | 84 | a | 
A8 46 47 | 2,9, 4 12, 9, 4 
5 1 
| 87 | 
| 49 2 2 
57 66 | 63 | , 
94 | 87 | 90 | | | | 
49° 47 47 | 3,4, 10, 2, 6, 2! 3, 4, 10. 2, 6, 2 
38 20 21 | | ! | 
111 | 127 | 126 | | | | 
51! 53, 53 | | 2, 8, 3, 10,6 | 2, 8, 3, 10.6 
Bee d | | | | | | 
115 . | | | 
52 | 3 | | 6 6 
| | 
ei 
86 | | | | 
| 49) | | 3,2 1 2 
= | i Ä | ! 
a er | ! 
42° 36, | | 4, 4, 5 
60 58 | | 
106 | 106 | | | | 
34 36 | Ä 5, 5, 8, 3 2, 4, 11, 18, 8 
NOE, 
| | 59 | 
| 92 | | | 
| | 49 | 6, 6 6,6 
56 62 am | | | | 
104 100 + 100 | | | 
40, 38 4 | 6, 5, 2,7,2 | 2,7, 12,2 
60 | | | | 
91 | | | | 
49 | | 3,2 | 5, 2 
29 | | 100 
120 | | 52 
al | 48 3, 16 3, 16 
ya“ 
fo 
| 1 
In | | o 
56 | | | 
100 | | | | 
44 | | | 4,08 L2 


43. Bei Schwierigkeiten mit einem Problem geneigt 


4,2 A. Tabellen des Kapitels II. 


(8. Torg ) Hermans. Schulenquéte. Beantwortung von 










Realschulen und 
14 15 


Schulen: 








Die den Lehrern vorgelegten Fragen: 


4 
l 





o = a), sich darin zu verbeifsen, b) sich helfen zu 





| 
| 
lassen, c) die Sache aufzugeben = u..... . K | 
44. Zeichentalent . . . .. . ce ee a a A 
45. Eher schweigsam (o) oder übermälsig wortreich (u) K 53 
46. Mutig,ein Raufbold (o) oder furchtsaın von Natur (u) K | 58 B 
alll 
47. Bei der Zurechnung von Fehlern geneigt, es dabei 58 56 = 
bewenden zu lassen (o) oder abzufeilschen (u). . RK — | 104 — 
— 40 42 
48. Geneigt, sich in Verhandlungen zwischen dem Lehrer 
und anderen Schülern einzumischen. ...... A 
49. Freimütig (o) oder schüchtern (u), etwa beim Vor- 44 — 
lesen eigener Aufsätze. . . . . Sh ee, eee dr e ne | — 
: a 44 
50. Im Auftreten natiirlich (0) oder eine Rolle spielend(u) K | — l 
42 | 
51. Geneigt, entschieden (o) oder bedingungsweise (u) | | 
zu sprechen K | | 
. S emmmer, gem were | 
52. Richtig zwischen Haupt- und Nebensachen unter- 54 40 
scheiden (0) oder an unwesentlichen en — I 
hängen bleiben (u) ....... eat. KK — — 
53. Ehrlich etwas gestehen, um andere nicht in Un- A4 37 
gelegenheiten zu bringen .........-.. A 104 107 
52 56 
54. Führer (0) oder eher geneigt, es zu machen wie die ee 
anderen (u) .......- Gi 
ae : ; e 53 
55. Mitglied eines Vereins zur Pflege der Beredsamkeit A , 25 
| 124 
| 51 
56. In bezug auf Kleidung etwas stutzerhaft (o) oder — = — 
dafür gleichgültig (u) . bb — | — — 
66 62 64 


—— re a ana 


Die Einzelergebnisse. 


von Fragen nach Charaktereigenschaften von Schüler und Schülerinnen. 





Qo 





Gym- 
! 


schulen | nasien 


13—19 13—19| 





19 


| 


| 17 


18 


Gymnasien 
16 


'58 


t 


100 


44 


62 


89 


49 


58 
N 
40; 


7, 5, 2, 2 





<H 
H 
19 a 
a a 
N © = of 
ei ei ei en es 
~H 
N a 
wë =H 
E: A 
a o> 
ow re od Gë 
+ E ei E 
© e) 
rt ~H 
O 1s 
m o0 
seh © © 
ce Ep Raa eg ate ae a D 
a 
= e 
a 00 ~H o> 
~H en Te) =~ 
| © Te) nm 
© © CO 
H pel 
N == | ~H | 
a FM net, em: 
=H + ey 
$ $ ) 
= | 
pal 
= 





12, 12, 17, 7 


44 A. Tubellen des Kapitels Il. 


8. (Forts.) Hrymass. Schulenquéte. Beantwortung von 













Schulen: 
Alter etwa: 


Realschulen und 
15 





Die den Lehrern vorgelegten Fragen: 








57. Wirkt früher Gelerntes nach (in Bemerkungen oder | A0 
Fragen bei späterer Behandlung eines verwandten 104 
Gegenstandes (o) oder nicht (u) . . .. . wen... BR | 56 

58. Bei seinen Mitschülern in Ansehen stehend (o) oder 44 46 
von ihnen geneckt (U) . . 2.2... ..... K | — — 

59. Im Verkehr mit Kindern anderen Geschlechts o = — 44 
a) einfach und natiirlich, b) schiichtern, c) EE NEE 
dieselben zu necken =u....... K 44 — 

60. Merklich verstimmt, wenn der Lehrer ha zum 4l | 
Narren hält: 2%. 20 28 wma 2 ee aa we A ' 108 

| 51 
Blu. Bachlustie. x... 2 Su a G2 eo ee eee ee A ‘44 ‚42 
' 102 : 104 
54 54 

62. Höflich und freundlich (o) oder mürrisch und flegel- | — 

Halt (u) ers ine a ae ee IR ! — 
| | 56 

63. Teicht in Begeisterung (fiir historische oder lebende 64 35 129 

Personen, Natur, Kunst) ........... A 87 114 ; 119 
49 51 52 

64. Dauernd verstimmt (etwa nach einer vermeintlich | 
unverdienten Behandlung) ........... A } 

65. Geneigt, den Mitschiilern bei Schulaufgaben zu A4 138 
helfen (vorsagen usw.) . 2. 2» 2 2.2.2000... A | 104 : 108 

52 ot 

66. Eine Erklärung leicht (o) oder schwer (u) begreifen K = 42 

44 — 

67. Mit häuslichen Arbeiten bald (o) oder spät (u) fertig K — 

58 

68. Geschickt (o) oder ungeschickt (u) (z. B. beim |44 
Zeichnen, praktischen Ubungen) ........ K GC es 

69. Musikalisch 2.5 25.¢ 44204424 2244 A A0 

| 109 
| 51 

70. Bei Probearbeiten früh (0) oder spät (u) fertig... K itt 

71. Ehrgeiz, (Wert auf gute Noten legen, ungefragt ant- A7 
REESEN, Rei E e at, AE ue, Cee ee ee Bowe ve de A | 103 


Die Einzelergebnisse. 


von Fragen nach Charaktereigenschaften von Schülern und Schülerinnen. 








107 











Real- 


Gym- | 
schulen | nasien 


13—19 13—19 


4, 7, 


to 


Qo 


10, 3, 3 


8, 5 


e, E Aë 


Gi 


EE are ee i ee i en en re me mm EE EE mn nn - ote 


Co 


4, 


bo 


to 


Qu 


7, 10, 3, 3 


5, 8, 5 


to 


46 A. Tabellen des Kapitels Il. 





8. oer: ) Hrymans. Schulenquéte. Beantwortung von 









Realschulen und 
13 | 14 | 15 


Schulen: 
Die den Lehrern vorgelegten Fragen: Alter etwa: 















72. Auf Reinlichkeit und Ordnung haltend (o) oder un- 44 
ordentlich (uU) . 2. s. 1. 2 2 2 2 ee we we we ww ew K 100 
56 
73. Übermälsig empfindlich für Kälte (fürchten vor 
Zugluft u. dgl.) = #% 32.0.0 8 IR E e A 119 | 
51 
74. Hochmiitig (Wertlegen auf Klassenunterschiede usw.) 44 
(oi oder nicht (U) ...........2..-. K =. H — 
Lieblingsbeschaftigung aufserhalb 
der Schule: | 
75. SPORE oe eke Sd e ee E aa e e E 62 
88 91 
47, 47 
76. Spazierengehen . . . A 
| 
77 lee: d AN ` de Lt ée ed ee ee es ew oe ` EE 30 
109 : 118 
5l 52 
78. TICS OW, EENS, 40 
107 
53 
79. o = a) regelmäfsig eifrig bei der Arbeit, b) blofs SH 
zeitweise eifrig, e) faul = u... an ar ee ee AS — 
| 56 
80. Einen Witz sofort begreifen (o) oder nicht (u) . . K 42 
a 
, oo 
Sl. Stets wach (stets mit ganzer Scele bei der gegen- Ad 
wiirtigen Beschäftigung) (o) oder zerstreut (oft mit — | 98 
Gedanken abwesend) (U) ..... K 58 38 
82. Ängstlich und bedenklich (etwa vor den. enee 42 
(o) oder leichtmütig (u) . . s. aa >... K — — 
83. Impulsiv (0) oder bedachtsam (u) ....... ~K 42 
84. Herzlich (0) oder kühl (u). . . bh 42 


Die Einzelergebnisse. 








CS 
g 
D 
5 
H In 
.- 
~ 
D 
on 
E 
a 
© 
> o 
oO 
= CS 
os 
= 
= 
E 
— 
Mec eh a 
sll. 2 
TM a) 
a 
gio § e 
> ze e 

e 
514387 
Siss | 
Së. 
sales & 
© mM 
u EN Rz 
S | 
D 
Ep =) 
CS — 
ka 
S Ce 
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S 
= oO 
a = 
Q 
3 — 
e ~ | 
= el" 
SI © | 
| 
P Re) 
el Biz 
© 
> OH 


Lé 


e A A 


10, 10, 9,10,2 4,2 


| 
| 





` 10, 10, 9, 10, 2, 4,2 











106 








90 


40 


19 


9, 5, 5, 4 


54 


5 N 


19 


JS A. Tabellen des Kapitels JI 





Schulen: 
Die den Lehrern vorgelegten Fragen: Alter etwa: 


85. Demonstrativ (0) oder verschlossen (u) . . ... K 

86. o = a) wahrheitsliebend, b) sagen, was einem eben 
vor den Mund kommt, c) vorsätzlich lügen = u . K 

87. In Antworten schnell (0) oder langsam (u) ... K 


88. An Entwicklung dem Alter voraus (o) oder dahinter 
BUTUCR I) ag e eg e een JR 


ImAufsatz sich auszeichnend durch: 


89. Logische Einteilung . A 
90. Phäntasie 32.66 .¢ « 2 8 3.8 wen A 


91. Korrekten Satzbau . . . 2 2 2 2 2 2.2... Ä 


92. Gelerntes behalten genau und geordnet (o) oder 
ungenau und verwirrt (u) ........... K 


93. Auswendig Jernen (Sprachregeln, Gedichte) leicht 
(ol oder schwer (u) . ............. XK 


94. Leicht verletzt . . A 


95. Der Umgebung gegenüber mild (o) oder scharf und 
E ae E de woe ve e a OS 


96. Geneigt, auswendig zu lernen (o) oder darauf 
haltend, die Sachen zu begreifen (u) . bk 


97. Pünktlich (zeitig in der Schule, Einliefern der Ar- 
beiten zur vorgeschriebenen Zeit) (o) oder nicht (oft 
etwas vergessen, nachlässige Fehler machen (u) . 

98. Heiter und munter (o) oder schwermütig (u) . . K 


8. (Forts.) Hryıvans. Schulenquäte. Beantwortung von 


Realschulen und 


13 | 14 | 15 
42 
40 
` 100 
| 60 
58 
| 
80 | 
7I 
49 
33 
116 
| 51 
36 36 
113 113 
51 5l 
Be 40 
= 104 
60 56 
= | 40 
as nee 
| 
58! — 
42 25 
— 116 
| | 56 
44 
= 
ao '40 
u 100 
60 60 











Die Einzelergebnisse. 49 
von Fragen nach Charaktereigenschaften von Schüler und Schülerinnen. 
Real- | Gym» 
Gymnasien schulen | nasien 
16 | 17 | 18 | 19 | 13—19| 13—19 Qo Q 
42 
98 
60 5, 2 5 
44 42 
— — 7, 2,2 8 
44 36 
— 106 
— 58 2, 8 3 
56 64 5, 2, 2 
64 25 
88 122 
48 53 5, 7, 2 5, 7, 2 
35 
113 
| 5 4, 4 4, 4 
38 | 19 
111 125 
61 56 2, 3, 3, 5 2, 3, 3, 5 
68 op 
104 114 
38 66 | 7,3, 7 4, 3, 6, 3 
42 42 34 | | 
— 98 98 
— 60 68 7, 2, 2, 2 3, 3, 4 
31 | 
116 | 
53 | 12 12 
40 | 
— 4, 37, 3 3 
38 68 85 
102 98 
60 34 2, 6, 4 5, 2 
62 72 7 4, 8, 4, 7 
42 40 | 30 
— — ! 106 
— —| 64 5, 4, 4, 3 2 
Beiheft zur Zeitschrift für angewandte Psychologie. 14. Zweiter Teil. 4 


50 A. Tabellen des Kapitels II. 


8. (Forts.) Heymans. Schulenquäte. Beantwortung von 







Schulen: Realschulen und 


Die den Lehrern vorgelegten Fragen: Alter etwa: 







99. o = a) durchgängig aufmerksam, b) leicht abge- 
lenkt, c) geneigt, während der Unterrichtszeit zu 
spielen, d) oft mit anderen Dingen beschäftigt 
(schwatzen, zeichnen ins Heft oder auf den Tisch 


Besonders gewandt (0) oder beson- 
dere Schwierigkeiten (u) im: 


Ee on, 
100. Auflösen mathematischer Probleme .... K 54 
101. Übersetzen .  : 2: 2 m m rn rn K 
102. Thema: gea woo a a Se eS K 


103. Aufsatz ......... Vert Bate ea. TS 


Die Einzelergebnisse. | 51 


von Fragen nach Charaktereigenschaften von Sehülern und Schülerinnen. 








Real- | Gym- 
Gymnasien schulen| nasien 
16 17 18 | 19 13—19 | 13—19 Qo Qu 





56 68 
100 — 
44 — 2, 2, 3 2 
54 3 
= 44 = 
— 102 — 
64 54 62: 6 2, 3, 11 
26 
| 106 
68 4 4 


4* 


53 


B. 
Zusammenstellung der Vm, Vf und Vz. 


Zu den in Teil II A durch x bezeichneten Ergebnissen wurde 
als Malsstab für die Intervariation der m und f Vm und Vf be- 
rechnet (über die Methode der Berechnung vgl. Teil I $ 34 S. 98ff.). 

Bei den durch x x bezeichneten Ergebnissen wurde aulser- 
dem als Malsstab für die Intervariation einer aus gleich vielen m 
und f kombinierten Gruppe Vz berechnet (vgl. Teil I $ 34, S. 102). 

Diese 440 Vm und Vf und 42 Vz wurden tabellarisch zu- 
sammengestellt. Die hinzugefügten Nummern verweisen 1. auf 
die Nummer des Literaturverzeichnisses (Teil DI J, S. 120ff.) bzw. 
der Tabellen des Kapitels II (Teil II A, S. 6f.) und 2. auf die 
Nummer der Zeile innerhalb dieser Tabelle. 

Es sind hier nur diejenigen Ergebnisse abgedruckt, die auf die 
Materialien des $ 7 Bezug haben; die auf die Materialien des $ 8 
bezüglichen werden auf Wunsch gleichfalls vom Archiv des In- 
stituts für angewandte Psychologie zur Verfügung gestellt. 


54 
Nummer des Ergebnisses 
Vm 
vf 
Vz 


Nummer des Ergebnisses| 1, 14 2, 1 
gu) rn, mmm, 
0,00 GE 


Vm 
VE 
Vz 


Nummer des Ergebnisses 


Vm 
VE 
Vz 


Nummer des Ergebnisses 
Vm 


Vf 
Vz 


Nummer des Ergebnisses 


Vm 
vf 
Vz 


Nummer des Ergebnisses 


Vm 
Vf 
Vz 


Nummer des Ergebnisses| 4, 6 
0,17 


Vm 
Vf 
Vz 


Nummer des Ergebnisses 


Vm 
VE 
Vz 


B. Zusammenstellung der Vm, Vf und Vz. 


1, 2 


0,14 
0,17 


1, 6 


ee 


0,00; 0,13) 0,13| 0,13 
0,17| 0,13} 0,13) 0,17 


1, 7 


LOE NED, PETE, 
0,25; 0,13] 0,17 
0,33| 0,17] 0,13 
























2, 2 


0,30 | 0,29 
0,25| 0,44 


0,33 
0,20 


0,30| 0,08 
0,17, 0,25 


0,00 


0,25 


0,20 


SC 











2, 5 


(TI NATED, 
0,29 | 0,20 
0,25| 0,17 


— | — 


2, 6 


0,33 | 0,30 
0,25 | 0,25 


— | eee 


2, 7 


0,33 | 0,33 
0,17| 0,25 


0,17 
0,20 


0,11 
0,09 














2, 9 
0,43 | 0,50 
0,33) 0,25 
0,50; — 


2, il 
0,50| 0,25 
0,25) 0,20 
— | 0,25 


2, 12 


0,30 
0,08 


0,43 
0,25 


0,27 
0,17 
0,17 


0,25 
0,21 




















2, 18 


0,30; 0,10 
0,07; 0,14 


— | ==, 


2, 19 


0,20| 0,10 0,25 | 0,38 
0,171 0,10 | 0,14 


— | =e | «== i[| j|j == 


0,20 
0,13 


0,22 
0,17 
0,25 














3, 12 


ES EE, 
0,21| 0,17 
0,14| 0,21 


ee | === 


3, 13 3, 14 


zu un, ut un, 
0,257| 0,28 
0,261; 0,17 


3, 15 
p 
0,25' 0,13 
0,16, 0,07 
0,29; — 


3, 17 


Lien, mme 
0,20| 0,50 
0,10| 0,10 














4, 7 
0,17 
0,06 
0,14 


4,8 5,6 5,7 5,8 


zum un, u un, mmm eem, mmm 
0,83 | 0,13| 0,20| 0,14 


0,25| 0,07| 0,10| 0,09 


0,17 
0,13 


0,03 
0,06 


0,08 























7, 10 


0,00 
0,13 


7, 11 


un) nn, 
0,00 
0,13 


7, 12 


[m eme, 
0,00; 0,13 
0,13); 0,17 


0,00 
0,00 


0,00 
0,13 


— 


0,25 
0,13 


0,25 
0,13 
















































































































































































B. Zusammenstellung der Vm, Vf und Vz. 55 
1, 8 1, 10 1, 11 4, 12 1, 13 1, 14 
zul nun u Nem cm, mmm gg 
0,13 | 0,00 | 0,13 | 0,14 | 0,17 | 0,13 | 0,13] 0,13] 0,38| 0,25] 0,13 
| = 0,13 | 0,17 | 0,17 | 0,17 | 0,17) 0,13) 0,40; 0,13) 0,17 
2, 3 2, 4 
0,38 | 0,56 | 0,09 | 0,25 | 0,50 | 0,33 | 0,20, 0,25| 0,08| 0,07| 0,08 
0,27 | 1,50 | 0,67 | 0,60 | 0,17; 0,10 | 0,17! 0,50; 0,20) 0,00} 0,20 
SA e deen H een DEE 
2, 8 : 
0,50 | 0,00 | 0,50 | 0,17 | 0,09 | 0,21 | 0,08; 0,13] 0,13) 0,25 
0,17 | 0,16 | 0,50 | 0,25 | 0,25 | 0,25 | 0,07! 0,21) 0,20; 0,10 | 
2, 13 2, 14 2, 15 
EN, u un 
0,50 | 0,25 | 0,25 | 0,30 | 0,20 | 0,33 | 0,25| 0,20| 0,30| 0,17 
0,25 | 0,25 | 0,13 | 0,25 | 0,23 | 0,30 | 0,10| 0,09| 0,15| 0,14 
— — — | — — 0,38 | — | — | — | 0,85 
2, 20 2, 21 3, 1 3, 2 3, 10 
u un | ENEE I 
0,20 | 0,021] 0,04 | 0,07 0,05 0,03 | 0,20) 0,14| 0,26| 0,32 
0,10 | 0,015| 0,01 0,02 0,01 0,01 | 0,32; 0,29| 0,13| 0,21 
— | 0,021| 0,06 | — — — zl zl 
4, 1 4, 2 4, 3 4, 5 
“0,10 0,11 | 0,27 | 0,56| 0,56 | 0,29 | 0,15| 0,10! 0,25 |0,36| 0,30| 0,10 
0,24 | 0,15 | 0,30; œ ! 1,00 | 0,38 | 0,25) 0,40) 0,60 |0,27) 0,23] 0,13 
er, Neel Ae EC e SE eg 
7, 5 7, 6 7, 7 7, 8 7, 10 
— i A 
0,17 | 0,25 | 0,13 | 0,33 | 0,17 | 0,17 | 0,17| 0,13) 0,13] 0,13] 0,13 
0,13 | 0,13 | 0,00 | 0,13 | 0,13 | 0,13 = 0,00; 0,00; 0,00! 0,00 
Sete ote ee elo ie le 
7» 13 7 14 
0,17 | 0,17 | 0,00 | 0,00 ! 0,00 | 0,13 |! 0,13] 0,13! 
0,17 | 0,17 0,13 | 0,17 | 0,17 | 0,17 | 0,17 E 





56 


C. Tabellen zu Kapitel III. 
Systematische Übersicht über die Einzelergebnisse. 


Vorbemerkung. 


Die Tabellen, welche den Text des I. Teiles (Kapitel III, 
$$ 10—24) näher illustrieren sollen, enthalten die zahlenmälsigen 
Resultate des Kapitels II noch einmal, aber in verkürzter Form 
und in groben Durchschnittszahlen. Sie sollen nur eine ganz un- 
gefähre Übersicht über die Grölse etwaiger Geschlechtsunter- 
schiede ermöglichen; für eingehendere Untersuchungen muls auf 
Kapitel II verwiesen werden. 

Die Resultate werden hier in der Form Do = Pom — Pum 
und Du = Puf — Pum mitgeteilt. Die Werte Do und Du zeigen 
also an, um wieviel Personen die männlichen Vpp. unter den 100 
Personen des obersten Viertels stärker bzw. unter den 100 Personen 
des untersten Viertels schwächer vertreten sind als die weiblichen 
Vpp. Positives Vorzeichen deutet also stets auf Überlegenheit des 
männlichen, negatives Vorzeichen auf Überlegenheit des weiblichen 
Geschlechts. 

Wenn sich z. B. bei einer Ästhesiometerschwellen-Bestimmung 
Do = — 92, Du = — 32 ergibt, so bedeutet dies, dafs sich unter 
den Personen mit relativ niedrigen Schwellen (oberstes Leistungs- 
viertel) 4%, männliche und 96% weibliche (4 — 96 = — 92) be- 
fanden; und unter den Personen mit relativ hohen Schwellen 
(unterstes Leistungsviertel) 66% männliche und 34% weibliche 
(34 — 66 = — 32). 

Die den Verfassernamen hinzugefügten Nummern verweisen 
auf das Literaturverzeichnis (Teil II J, S. 120ff.) bzw. auf die in 
Kapitel II enthaltene Zusammenstellung der Einzelresultate. 











Systematische Übersicht über die Einzelergebnisse. 57 
Untersucher | Vpp Do | Du 
§ 10. Empfindungen. 
1, Raumsinn der Haut. 
Asthesiometer-Schwelle. 

| | 9jahrig | — 92! — 32 
Burt-Moore 20 | rechter Unterarm { a > = — 58| — 28 
i 10—14 , — 32 

A. STERN 97 | rechter Zeigefinger { Erwachsene: 98 
GALTON 35 | Nacken — 82)+ 0 

T 105 { Arm. Querrichtung Studenten |— 38 
„ Längsrichtung $ — 54| — 70 
10jähr.intell. |-+ 68| + 70 
ScHUYTEN 88/89 | Jochbein ¢ 3. Versuch „ unintell.| — 62) — 78 
5. Versuch = — 54 

3. Gewichtsinn unter normalen und unter täuschenden 
Bedingungen. 

: 8jährig |+ 100) + 38 
Biocu-PRg1838 10 | Ordnen von Gewichten { 10 , + 22| + 30 
THOMPSON 105 | Sukzessiv- Vergleich Studenten | + 38 
Vergl. v. Gew. versch. Materials S -+ 50 

SEASHORE 91 nn „  Gröfse ‘ + 86. 
= » Materials = + 64! + 76 
WOLFE us{ , . Grätse , + 30] 418 

4. Geschmacksinn. 
bitter Studenten | — 84 
NEES 105 Absolute Schwelle für d SE y | — 54 
Erkennungs-Schwelle f. „ See — 66 — 52 
5. Gehörsinn. 

THOMPSON 105 | untere Hörgrenze Studenten |-+-38 
SEASHORB 91 |UE £. Tonhöhen (NR. 435 Schw.) a — 52 
Burt-Moore 20 e (, 320 , ) Yjährig — 40) — 22 
HeyYnans- WIERSMA 48 | musikalisches Gehör — 16 
HEYMANS 8 | musikalische Begabung 15—18jährig | — 20| — 6 
Bielefeld Volksschule 1 Schulleistung in Gesang 7-14 , — 52| — 55 
BristoL, Merr Sec. S. 3 ‘4 „ Musik 1% , — 79 
Mac DONALD 61 = u > 6—17 , — 22 — 34 
Stockholm Volkssch. 7 = „ Gesang 7-10 „ — E — 32 
HEYMANS 8 Musik als Lieblingsbesch. | 13—18 „ —21 — 3 
Besuch v. Opern 5 Studenten — 54 
THOMPSON 105 , „Konzerten , , op 


58 C. Tabellen zu Kapitel III. 














Untersucher | Vpp Do | Du 
§ 10. 6. Gesichtsinn. 
a) Helligkeit. 
| 10—13 jahri — 10 
SPEARMAN 95 | UE für Grau-Nuancen i Stu ne | + 3 + g i 
b) Farben. 
Jones 51 | Sättigungsschwelle für Blau 4—l4jahrig |-+ 44 
Entfernungsschwelle für die 

THOMPSON 105 Erkennung Studenten +4 
Güte des Farbensinnes e — 38! — 70 
HENMON 44 | Herstellen e. Rot-Gelb-Reihe = | — 34 

Paarweises Zuordnen gleicher | 
` : Farben 6jährig | — 8 — 20 
EES Verstindnis der Farbennamen 6 , — 16 — 10 
Kenntnis der Farbennamen 6 „ —2) — 16 
BOBERTAG 11 | e be e 8 „ — 22: — 20 
f ” ” j (1—10 , — 18 — 18 
WARBURG 110 \ f j : 11-12 | S 14 ou 
Rot 4—15jahrig | + 22. + 6 
SCHUYTEN 84 | Beliebtheitdes {Grün S —40;— 4 
Weils Zu: — 6i — 3 

Wirkung: 


Anre- Beru- 
gend higend 


E | Studenten | -+ 12: —68 





WELLS 111 re ds Karmoisinrot u | + 36 
g Blaugrün e — 64: + 60 
c) Optischer Raumsinn (Augenmafs) unter normalen und 
täuschenden Bedingungen. 
Do Du 
| Reproduktion e. Linie v. 10 cm Qjahrig |+24 + 44 
Burt-Moore 20 | Zweiteilung einer Linie 13 „ +18 + 26 
Dreiteilung , a es ifs +16 + 22 
Vgl. von Punkt- u. Strichdist. 14 „ | + 50 
Widerstand g. d. Ringtäusch. 6 „ + 50 + 74 
Quadrat 6 + 22. -+ 60 
D n n n n 
GIERING 37 í 14 4 36! 4.70 


Vergleich der Entfernung 
zweier Stäbe vom Auge gi og — 14 





Systematische Übersicht über die Einzelergebnisse. 59 











Untersucher | Vpp Do | Du 
8 10. 6c (Fortsetzung). 
| Uber- |Unter- 
Wahrnehmungsschätzung | schätzung 
einer Strecke von 3,8 m Studenten + 52 
n n » 3,88 , n +52 +64 — 56 
Crarpırkoe 22)| Erinnerungssch. e. Str. v. 5,5 m e +- 66 | +- 20 
Wahrnehmungssch. e. Str. v. 
5,75 m +-100 | + 46 | 
Erinnerungssch. e. Str. v. 85 m p 4-42 |-+- 14] + 52; 


7. Zeitsinn. 


|, zu | zu 
| langs.'schnell 
2,8° sim. Studenten |-+-36 | + 88, — 38 


| VU a h 2” 46 
SEASHORE 91 ‘Linge des zu re- SE SR í +50 T 78 
RE 10“ - j i + 58 | + 50| — 58 
ntervalls 20“ i n -+- 58 | — 38 

pi n n 99 + 38 
u i +22 |+24|— 4j — 28 
Länge des zu 3g“ ! +16/+22| +14 — 36 

schätzenden 798 14 

— + 20| +16; — 28 
Ne Intervalle 108” . + 2/+16|-+ 22] — 28 
Unsan 114 . fdar.ger.Aufmksk. ` + 26 | + 28 | + 18; — 32 
Beschäftig. Zuhören a.Vorles. a -+ 18 | + 20) + 12) — 34 
=... ohne Instruktion s +10j+26 + 4 — 34 
N Diktatschreiben j I+ 4|+16 — 20 


$ 11. Bewegung. 
1. Schnelligkeit einfacher Bewegungen und Verrichtungen 
(„psychisches Tempo“). 


Zahl der in 
SzasHorg 91 |... ausgef. Klopfbew. | Beginn Studenten — 58 
| n. 45" e — 46 
GIESE 38 | Cy Š 3 Erwachsene + 88 
THompsonl06 | 20% E a Studenten +- 84 | + 54 
Burrt- 
Moore 20 | 15" e . Yjährig +16/ +24 
SZYMANSKI Schnelligkeit des 
104 Gehense. Str.v.10m | 13—16 jährig | + 56 
Hermans 8 »  Verlassens d. Schule 14 jährig +16 
YERKES- Zahl der in 30‘ gezählten 
Ussan 114 Buchstaben Studenten |+12/ +20 
Boir | Zählens 13 jihrig — 42 | — 24 
Schnelligkeit d. < laut. Lesens = — 58 | — 28 
Moore 50 leis. , , — 36| — 20 
: Zahl der in 1‘ abgeschriebenen 
EE EC oo ern 10—15jahrig |— 8|— 4 
c Schnelligkeit des Austeilens 
ALFEE 21 


von Karten -Studenten | i — 24 


60 C. Tabellen zu Kapitel III. 











Untersucher | Vpp Do | Du 
§ 11. 2. Reaktionszeit. 
c) Wahl-Reaktion. 
Schnelligkeit des Sortierens von Spielkarten. 
Brown 18 | 4 Haufen nach Farbe Erwachsene |-+ 64 
Trompsonl05 | „ a j S Studenten | — 54| — 38 
Burr- i 
Moors 20 | 5 = s = 13 jährig — 52) — 26 
x S „ Zahl der Figuren Studenten |— 68! — 68 
(sures et | 26 „ „ Buchstaben > — 38) — 68 
3. Präzision der Bewegungen und Bewegungs-Koordination. 
YOoAKUM- l 
CaLree 115 | Schnelligkeit des Spiegelzeichnens Studenten |— 76! — 48 
Bort- | 
Moore 20 5 = $ 9 jährig +24 +a 
SEYMANSKI Genauigkeit des Geradeausgehens mit 
104 geschlossenen Augen 13—16 jährig i+ 46 
HERDER- | 
scHze 46 | Nachahmen e. vorgemachten Bewegung 6 jährig + 6-+100 
Genauigkeit des Inne- rechte Hand Studenten’ | + 38 + 38 
haltens der Mitte linke Hand 5 + 46| + 46 
Tnourson106 zwischen zwei konver- | Richtung v. Vp weg ‘ -+ 38) + 38 
genten Schenkeln e 8. „ zu n +46 + 54 
Schwimmenkönnen 12—18jahrig | + 73} + 75 
Norris 7241 Baseballspielen „ = + 56! + 98 
Rudern e e + 41| + 58 
Ivaxorr 52 | Begabung für Schönschreiben Kinder +8 — 8 
GESELL 36 { Güte der Handschrift 6—14jährig | — 25; — 45 
SN, "o ý 14—18 , — " — 63 
Mac 
Donwan 61 | Schulleistung im Schreiben 6-17 , |—1%)—28 
Stockholm | 
Volkssch.? e > 5 7—10'% — 32| — 28 
Bielefeld „1 e h b 9—14 — 56; — 20 
Bristol Holt | 
Sec. Sch. 2 e S = 10 , — 48 — 57 
Ivanorr 52 | Begabung für Handfertigkeit Kinder —12 + 8 
Mac | 
Donatp 61 a e S — 20 — 21 
Stockholm | 
Volkssch.? | Schulleistung in Handarbeit 1—12 jährig |— 48. — 36 
MILES 63 e e Handfertigkeit 14 „ — 86 — 82 
Heymans 8 | Geschicklichkeit (im Zeichnen usw.) 15 — 12 
HEYMANS- | 
Wiersma 48 | Geschicklichkeit j — 13 — 26 


Systematische Übersicht über die Einzelergebnisse. 


61 





Untersucher | 


Mongog 
Sr. Lovis 


H. STERN 


WIEDERKEHR 


Vpp Do 


8 11. 4 Gefühlsbetonung von Bewegungen. 
8-16jährig | 18; A 


65 | Künftiger Beruf: Handwerker 


80 | Immatrik f. Manual Training Course 


98 
112 


HzyYmans- WIERSMA 


HEyYMANS 


SHELDON 
MAYER 


MoxNRog 


SCHEIPLER 


MONROE 
Norris 
ScHEIFLER 
THOMPSON 
SCHEIFLER 
Monnos 
Norris 
THOMPSON 


HEYMANS 


ScHEIFLER 
Norris 
MONROR 
ScHEIFLER 
MONROE 


SCHEIFLER 


s} 


93 


82 


e 


n 
62 | Motiv der 


Lieblingsfach: Schreiben 
e Turnen 
” n 
Sportliebhaberei 
Vorliebe für Gymnastik 
Mitglied eines Turnvereins 
„ Athletic Clubs 


er lebhaft und munter ist 


Rasenballspiele 
Basteln 

Wintersport 

Pferd, Wagen, Auto 
Treffspiele 
Wassersport 

Bauen 

mit Murmeln 

im Sommer: Spiele im Freien 
Turnspiele 

Spiele im Freien 
Fangen 

mit Fahrzeugen 

im Winter: Schlittschuhlaufen 
Sport im Freien 
Sport 

Spazierengehen 
Wandern 

im Sommer: Wandern 
Kroquet 

Diabolo 

Htpfspiel 

Ball 

Kreisspiele 
Handarbeitsspiele 


Berufswahl: Gelegenheit 
zum Fahren, Schiefsen, Fliegen 

Heru.-Wıersua 48 | Auch in Mufsestunden meist besch. 
65 | Motiv der Wahl eines Gespielen: weil 


10—12 


12—18 


18 „ 
14 „ 
13—14 , 
9—18 , 
13—18 , 
13—19 , 
8—16 , 
9—16 , 
1—16 , 


Lieblingsspiel bzw. Lieblingsbeschäftigung. 


8—14 juhrig 
9—14 


8 
9—13 
7—14 
9—12 
71—16 


333 333 «3 «3 «8 


8—13 
Studenten 
9—14 jahrig 
(1—16 „ 


12-18 , 


Studenten 


13—19 jährig 


T 

Eech 

o> 
3333 3 3 a 


Du 





+35 
+14 
—18 
— 8 
+ 36| -+ 23 
+100 + 0 
tet 2 


+10 
— 26 





+77) +19 


+100 
— 12] — 25 


—60|— 2 


4-100} + 12 
+100) + 3 
+100 + 8 
+100 + 2 
00 + 2 

0 

2 








62 C. Tabellen zu Kapitel III. 
Untersucher Vpp | Do | Du 
§ 12. Vorstellungen. 
l- Das Lernen und das Reproduzieren von Erlerntem. 
HEYMANS- ‘(| Güte des Gedächtnisses | + 10} 4- 12! 
Wiersma 48\| Genauigkeit des Behaltens v. Geles. + 15) + 16 
HEYMANS 8 | Leichtigkeit d. Auswendiglernens | 13—19 jährig | — 21| — 24 
Burt-Moore 20 | Repr. v. 1 mal gel. Wort und Silben ee — 58) — 
Myers 68 » E o vorgespr. Reihe v. W.| 17—20 — 47| — 64 
Zahl der richtig repr. | 
Repr. e. dikt.} Worte 8—25 — 40 — 33 
M 67 n 
ro Reihe v.Wort. |Reihenfolge der repr. | 
Worte a e — 33) — 50 
Tuomrson 105 | Zahl d. z. Erlern.erforderl. Wiederh.! Studenten |— 38 | 
11 jähr. unintell.| — 54 — 68 
Scuvuyten 88/89 Repr. von Zahlenreihen In „ intell. +56 + 8 
| 10 „ unintell.| -+ 20) + 40 
2. Erinnerung und Aussage. FET 
„Wieviel Fenster h. Vestibül d. Un.?“| Studenten | + 54| + 12 £ § 
CLAPARÈDE 22° |„Wie hoch sind d. Säulen d. Vestib.?“ a +66-+20 5 | 5 
„Wie weit v. Un. b. Rue de Candolle?“ e +42) +14 +52 
Zeichnen o. Ausschn. v. Dollarsch.usw. + 401 +6 —28j+19 
MEYERS 67; | Aussuchen von Kreisen, die den D'Zäite | — 40] —6 
| Geldmtinzen an Gréfse gleichen a ii + 80 + 6 (|—13)-+-34 
Erwachsene |+38| +4 
Wohin zeigen die Spitzen der Apfel- 
” 
E S kerne?“ Sicherheit: Studenten | — 68 
KERSCHEN- Zeichnung eines Trambahnwagens. 6—10jahrig |-+ 48) + 20 
STEINER 654 14 Einzelheiten 11—13 „ + 34| + 14 
e 14 Bericht über ein 3—9 Tage { Umfang | 12—49 , — 70 
vorher gesehenes Bild Treue e u; — 68 
S 83 Wiedergabe einer 1 Tag Umfang| Studenten |— 50 
vorher vorgel. Gesch. \ Treue 6 — 50 
Buiocu-Preissl10 |Wiedergabe e erzählten Geschichte 8jährig + 48] + 56 
Fragen nach dem Inhalt einer 3 Tage o 
ZS E? vorher vorgelesenen Geschichte SÉ y TA 
i Zahl der O. (10—15 , — 26 
Fragen nach einem | 
SE ëmge: mes Andere Buchst. „ e — 68| — 6 
MYERS 67 8° VOR Farbe d. Randes ; — 42| — 34 
her veranstalteten í | 
Experiment VE TER 
P Hand des V1 e S + 14) + 30 
Mc 12 „Was für Wetter war heut ee Studenten — 48| — 28 
vor 8 Tagen?“ Sicherh. d —100 | 
Potwin 76 |Erste Erinnerung: Gleichgült. Erleb. ï — 70| — 56 
an- | unan-| 
‘ è e ` genehm 
Conzcrove 25 „Erinnern Sie sich sich besser an 15—20jahrig | — 56 = ai 


angen. oder unangen. Erlebnisse?“ 














Systematische Übessicht über die Einzelergebnisse. 63 


Untersucher | Vpp Do Du 





§ 12. 3. Assoziation. 


a) Freie Assoziation. „Einfälle.“ 
Friend-Enemy| 13jährig | + 50] +12 


: Friend-Girl = — 100| — 8 
Bus Moos ` 20 | Häufigkeit der | Kiss-Girl ; — 568| —50 
0n: | Lie-Truth + 24| +16 
Lie-Down e — 26| — 8 
7 Definitions-Typus Erwachsene | +100| + 3 
Forst et Typus a — 100| — 3 
Vorliebe für obscöne Witze j + 26; +16 
Bewandertin Verwandschaftsverh. $ — 23| — 9 

Heymans- Wiersma 48 

Sachen | Personen 

Bevorzugtes Gesprichsthema g + 383; —36 


b. Gebundene Assoziation. 





o Du 
BoNnsER 18 |Gegenteiltest 10—14 jährig| — 29 | — 19 
e 18 ‘5 —26 | —18 
Poar Moos 20{ Analogietest 13 , |—18 | —14 
BonsBR 13 |Substitutionstest 1—16 „ +30 | +25 
Burt-Moore 20 |Kombinationstest 13 i +24 | +44 
4. Phantasie. 
HEyYMAnNs 8 |In Aufsätzen: Phantasie 15—17 jährig| — 32| — 3 
Hryuans-Wımesua 48 |Erzählen selbsterfundener Ge- 
schichten — 48) — 6 
Lxzarorp-TarLop 57 |Vorhandensein einer ,continued| Studenten 
story“ — 54| — 24 
Griese 39 |Literarische Prod. von Märchen | 9-17 jährig| —10| — 7 
MAYER 62 |Lieblingslektüre: Märchen 9—16 , — 42) —10 
Norris 72 5 5 12—18 , — 42| — 14 
Märchen 
H. STERN 98 2 Erzählungen Im a — 16) —24 
Sagen 


v. d. TORREN 106 |Verschiedenheit der Antworten 4-12 „ — 68}; —60 


C. Tabellen zu Kapitel III. 


64 


§ 12. 5. Kenntnisse. 


[M bedeutet die Zahl der Fragen, die häufiger von Knaben richtig beantwortet wurden. 























F ” ” ” n ” ” ” ” Mädchen n ” ” ] 
Unter- =) ER HERD ES _ SCHWABE- OT. EDN S 
Thema der sucher: Harn 42 43 = ix BE) RICHTER 77 Banruoro- 63 D| Norris 72 im 
A 
Frage Vpp: | 4—8jahr. 6jähr. 6 jähr. 6jähr. 6jähr. | 8—17jahr. | 12—18jahr. | 29270 
M FM FM FIM F IM F M F IM FIM F 
Münzen a 
„Was kostet...?“ b 
Pflanzen C 
Physik d 6 1 2 8 2 
Geogr. und Strafsen e 16 2 2 2 20 3 
Landwirtschaft f 4 5 1 
Tiere g 21a Ile 8 11 251. 91: 
„Woher kommt...?“ h 21 8 
Geschichte, Politik i 
Orientiertheit e 
Gelerntes Gedicht d 
Körperteile c 
Zahlen b 
Märchen a 


im ganzen | 2 


Systematische Übersicht über die Einzelergebnisse. 65 
































Untersucher | | Vpp | Do | Du 
$ 18. Rechnen und Mathematik. 
L Begabung. 
THOMPSON 105 | Mathematik fallt leicht | Studenten — 38 
ält 
HEYMANs-WIERSMA 48 | Talent fir Mathematik { j en. 14 > T S 
n 

g / Gewandheit im Auflés. math. Prob. |14—17 jahrig| + ae 4 i 

Heymans Besser veranlagt für Math. als für 5 +17 

Sprache 
IVANOFP 52 | Begabung fir Rechnen a +24| +12 
2. Unterrichts- und Examensleistungen. 
a. Mathematik. 
Mac DonaLD 61 |Schulleistungen 6—17 jährig | + 20| +20 
KLINKENBERG 55 | Schulaufnahme-Prifung 13 „ + 28} +- 20 
BuRNgEss 19 | Univ. Aufnahme-Prifung { 5 „ + 18) + 18 
19 , + 24| + 27 
New-York 70 | High-School Abschlufs-Prifung 16 „ + 12| + 24 
BURNESS 18 | Lebrerexamen 19 „ +59 + 5 
b. Geometrie. 

: | ; 11!/, jährig | — 60 
Bristol, Merr. Sec.Sch. 3 | Schulleistungen { 15 , +70] + 65 
Bristol, Holt.Sec.Sch. 2 S 13—14 „ + 55 

c. Algebra. 

Mac DoxaLD 61 | Schulleistungen 6—17 jährig — 20 

Liverpool, Marg. H. G. Sch. 5 ` 13—14 , — 54 
Bristol, Holt. Sec. Sch. 2 g { 13—16 „ |+60+ = 

16 „ — 64 — 

d. Rechnen und Arithmetik. 

Mac DonaLD 61 | Schulleistungen | 6—17 jährig| + 5+ 9 
Bielefeld, Volkesch. 1 ? | , — 37 

Ums-1 „ |+2 
Liverpool, El.-Sch. 4 $ ll , +724 34 
Bristol, Merr. Sec. Sch. 3 S 11'⁄4—12'/⁄ j. —õ9— 54 
15 jährig +100 

3. Leistungen im Experiment. 

| Addierens 11)/, jährig| — 12| — 12 
Schnelligk. d. Multiplizierens 14—14", , |— 13—16 
COURTIS 26 element. Rechnens| 10—15 le 8— 8 


D (10—17 , =E= 
Lösen komplizierter Aufgaben \ 18 , +30) +22 


Beiheft zur Zeitschrift für angewandte Psychologie. 14. Zweiter Teil. 5 


C. Tabellen zu Kapitel III. 























66 
Untersucher | Vpp Do | Du 
$ 13. 3. (Fortsetzung). 
| | Se | - 
Umrechnen a. d. hex. u. okt. Syst. d 12 aise u T 2 
VG 107 Sp mel ae 
Rechnen im hex. u. okt. System | ee ee 
EE \ 14 „ |—38 — 65 
BONSER 13 | Lösen eingekleideter Aufgaben 8—16 , + 36: + 31 
STONE 102 A = > 12 „ |+40 +39 
a y Richtigkeit 10—18 „ |+28 + 4 
Geer ve! Lösen eing. Aufg.\ gchnelligkeit |171,—18 „ |+44 +12 
| Verständnis eing. y Richtigkeit }14—141, „ |+ 19| +23 
Aufgaben \ Schnelligkeit | 10-15 „ |+ O+ 4 
4. Interesse. 
W. STERN 99 | Beliebtheit des Rechnens a. UntF.| 9—14jähr. | — 16' 
WIEDERKEHR 112 5 der Geometrie „ , | 9—13 , +16;+ 8 
NỌRDLUND 71 5 der Mathemat. „ o Kinder — 56 
8 Vorliebe für mathematische 15jihr. |+ 18; — 2 
NEES Wissenschaften d 16—18 , +38 + 3 
New York 70 | Immatrikulation für Mathematik 16 +11} + 8 
Sommer| 15—19 + 19) +58 
Wahl der Mathematik als | Winter Se yi + 38) + 66 
Burness 19%| Prüfungsgegenstand | JunKl. 15 „ + 22: + 33 
SenKl. 19 , + 31! + 5% 
Wahl d. höh. Mathm. als PrüfGeg. 19 „ + 62] + 24 
§ 14. Naturwissenschaften. 
(| Begabung für Physik und Chemie’ 13—19jahr. |+ 71|-++ 3 
KSE a e „ Naturgeschichte | 14 „ +24 + 2 
Bessere Leistung in math.-nat. 
GER 28 | Fächern ale in Fremdsprach Sch 
chern als in Fremdsprachen chüler + 44' + 40 
BURNESS 19 | Bestehen d. BSc.- o. DSc.-Examens| Studenten — 13) — 24 
Unterrichtsleistung in: 
Mac Dona.p 61 Naturwissenschaften 6—17 jähr. | — &) 
Bristol, Holt Sec. Sch. 2 General-Elements of Science| 13—14 ,„ — 5 — 23 
Liverpool, Marg. HSe. 5 Science 13'/,—14,, + 53 
Mires 63 Naturwissenschaften 16 , — 38: 
Rare 47 J| Bestehen d. Medizin. Fakultäts-Prüf.| Studenten +24 
i \ z „ naturk. Ex. (Staats-Prüf.) = — 9-5 
Burness 19 e „ Lehrer-Prüfung m. Ausz.| 19 , +67 — 4 

















Systematische Ubersicht tiber die Einzelergebnisse. 67 
Untersucher | Vpp Do | Du 
§ 14. (Fortsetzung.) 
THOMPSON 105 |Beantwortung von physik. Fragen| Studenten |-+38 
KLINKENBERG 55 |Unterrichtsleistung in Physik 16 jährig | + 20| -+ 24 
Bristol, Merr. Sec. Sch. 3 e e 5 llh , — 58) — 72 
Bristol, Merr. Sec.Sch. 3 i „ Chemie EL ` — 60 
Bristol, Holt. Sec. Sch. 2 d a e 14 „ — 65| — 26 
Bristol, Holt. Sec. Sch. 2 5 „ Biologie 13 „ — 73) — 54 
Bielefeld, Volkssch. 1 „ Naturkunde 14 „ — 32| — 62 
THOMPSON 105 Beantwortung von piles: Fragen| Studenten — 38 
Bristol, Holt.Sec.Sch. 2 E in Botanik 14 jihrig , — 73) — 66 
Bristol, Holt.Sec.Sch. 2 „ Zoologie 15—16 „ — 61 
BurneEss 19 Meldung 2 z. BSc- oder DSc-Examen| Studenten |-+34/+ 4 
St. Louis 80 |lmmatrik. zu einem Scientific Course 18 jährig | +66) + 5 
SMITH 94 |Teilnahme an „ 5 +19) +15 
H. STERN 98 Beliebtheit der Naturlehreals Unter- 13—14 „ |+16)+12 
richtsfach 
New York 69 |Immatrikulation für Physik 16 —38 + 2 
New York 69 » Chemie 16 +45 + 2 
W. STERN 99 Beliebtheit der Chemie als Unter-| 9—14 — 12| — 40 
richtsfach 
n | Beliebtheit der Naturgeschichte ee n |+ 8+8 
. STERN j EE = n (+ 8+ 8 
HW. Steak 98 als Unterrichtsfac 13-14 , — 8 
Bourngss 19 |Wahl der Botanik als Prüfungsfach 19 — 90| — 30 
KATZAROFF 57 |Bevorzugtes Zeichenobj.: Pflanzen Kinder — 56 + 6 
KATZAROFF 57 g j Tiere Kinder + 22)+ 4 
Heymans- WIERSMA 48 |„Tierfreund“ + 4 
§ 15. Technik. 
GODDARD 40 |Lösung einer geometrischen Kon- 
struktionsaufgabe 15—16 jährig |+- 26| + 18 
Schnelligkeit der Lösung einer Ge- 
duldspielaufgabe 13 „ |+ 18+28 
Burt-Moore 20 )|Schnelligkeit des Zusammensetzens! 
eines Bildes aus Blöcken j -+ 24; + 28 
eee der Lösung einer 
Schachbrettaufgabe Studenten |+ 18 
THOMPSON 105 | Schnelligkeit des Verständnisses für 
die Handhabung eines Apparates = + 44 
Schnelligkeit des Verständnisses 
| der Konstruktion eines Schlosses e + 34| +38 
SCHEIFLER 82 |Lieblingsspiel: f SE a: a i S 
KATZAROFF 53 Bevorzugtes Zeichen- nn en Be : > 
objekt: Schiffe S Leet? 
K BRSCHENSTEINER 54 Zeichnung eines Trambahnwagens. 
14 technische Einzelheiten 6—13 jihrig + 43) +18 
FRIEDRICH 31 |ldealperson: Erfinder od. Entdecker 11, „ LEID E A 


5* 











68 C. Tabellen zu Kapitel III. 
Untersucher | Vpp Do | Du 
8 16. Zeichnen. 
Hermans 8 | Zeichentalent 17jährig +24 + 2 
jüng. Gener.|+ 6 + 2 
HeymAans-WIERSMA 48 | Talent für Zeichnen { ältere , +24 4 


Bielefeld, Volkssch. 


Bristol, Holt Sec. Sch. 
Stockholm, Volkssch. 


Liverpool, El. Sch. 


Mac DonaLD 


BuRness 


KERSCHENSTBINER 


SCHUYTEN 
LOBSIEN 


KERSCHENSTEINER 


CoHn-DIEFFENBACHER 


KERSCHENSTEINER 


1 | Unterrichtsleistung in Zeichnen | en —100, — 40 











n +34 
2 e 5 j 12—14 , -+- 15) + 30 
7 ke » Freihand- 10", , — 24 
Zeichnen 
e : . SZeichnen | 7—12 „ +46 + 69 
4 | Unterrichtsleietung in re 10 , — 38 
6—17 jährig 
61 e „ Zeichnen Neger +16 
Weilse — 14 
19 | Examensleistung „ e 19 jährig | + 12! + 9 
Darstellungen des Menschen. 
jährig | +51] +- 17 
Mensch aus dem Gedächtnis ee , 162 163 
, n |+38 + 23 
Stehendes Kind nach der Natur {| 40° 10— 3 = 167 +6 
54 Stehendes Kind mit Schirm nach { 6— »n :4+41+5 
der Natur oa i | 4+ 56 +58 
g (|) 6—9 „ + 21|+ 31 
Sitzendes Kind nach der N atur \ 10—13 , +63 +52 
Bewegte Menschen aus dem Ge- | 6—13 „ +54 + 41 
dachtnis (Schneeballschl.) | 
87 | Mensch ASA , + 2)-+ 30 
60 | Menschendarstellung. Richtige | 
Proportionen 8—14 , — 53 — 77 


Darstellungen von Tieren. 
: 6—9 jährig | + 48 +- 29 
54 | Pferd aus dem Gedächtnis { 10-18, Se 60! +5 50 
Ente „ e e (1—10 , {+836 
24 | Schwein a. d. Ged. (Schlaraffenl.) |10—19 „ + 42| 





Darstellungen von Pflanzen. 


| Blume aus dem Gedächtnis 7—12 jährig Pa +13 
54 f 8—10 „ |+40 +27 
Pu. e 3 \ 11—13 «0 [4.59 4.65 








Systematische Übersicht über die Einzelergebnisse. 69 








Untersucher | | Vpp | Do | Du 
Darstellungen des Raumes. 

CoHn-DierrEnBACHER 24 'Schlaraffenland 10—19 jährig |+-100| 1 58 
KERSCHENTSEINER 54 |Schneeballschlacht 6—13 „ |+ 55] + 43 
Verschiedenes. 

Schla- ( Qualit. d. Gesamtzeichnung| 9—18 „ |+ 511 +48 

WAGNER 109 ratten- | Darstellg. d. Kuchenberges| 7—13 „ |+ 82|+47 
land S „ Hauses 9—18 , |+ 49) +50 

Darst. einer Geige nach der Natur 1 nn : pi a E 

KE 54 „ @inesStuhles „ , S 6—13 „ E ët 8 
EE "> Rn  ausd.Gedächtnis 6-18 „ |4 61/452 

| „ einer Kirche „ „ 5 6-12 „ |+ 43/448 

e » Trambahn,, , j 6—13 „ |+ 481 +57 

MÜLLER 66 | , n ` u. 5 12—14 „ |+ 48/-+ 44 
IVANOPF 52 !Verschiedene Darstellungen Kinder -+ 27| -+35 


| 
CoHx-DiEFFENBACHER 24 |Schlaraffenland. Gröfed. Zeichnung! 10—19 jährig + 24! +66 


Interesse. 
WIRDERKEHR 112 |Beliebth. d. Unterr.faches Zeichnen| 9—13 „ |+ 8+ 2 
W. STERN 99 u 5 » 5 9—14 , (+ 24/+ 8 
H. STERN 98 5 5 y Ge 13—14 , |+ 12! +32 
n n jr n j 14 „ |+ 20) + 20 
Heyuans 8 Vorliebe für Zeichnen 19 „ |+101+ 2 
SCHEIFFLER 82 |Lieblingsspiel: Zeichnen u. Tusch. 1 „ +100 + 2 
FRIEDRICH öl |Idealperson: Künstler 12, „ EI Et 4 
8 17. Erdkunde. 

Ivanorr b2 |Begabung Schulkinder |+ 8 
Bielefeld, Volkssch. 1 |Unterrichtsleistung 10—14 jährig |— 42) — 49 
: 10—18 rk 38+ 44 
Bristol, Holt Sec. Sch. 2 e | 14 „ | 5—50 
. 10 ,  |— 34| — 28 
Liperpool, El. Sch. 4 : 11—13 5 a 4.49 
Bristol, Merr. Sec. Sch. 3 e 15 „ +73 
KLINKENBERG 5b ý 15 „ — 20 
Borness 19 |Examensleistung im Lehrerexamen 19 ,, |+ 54/4 8 
WIEDERKEHR 112 |Beliebth. d. Unterr.fach. Erdkunde) 9—13 ., 7 D — 12 
13—14 , 28) + 44 
H. Stern 98 n n n o 14 a + 16 +20 
MAYER 62 |Motiv d. Berufswahl: Reisen mach.| 9—16 „ |+%-+ 0 
H. STERN 98 |Zukunftsplan: a e 14 „ [4100/4 2 
Interesse f. Sitten u. Gebr.| 8—16 „ |+12!+ 0 
Monroe sl Motiv a Historisches Interesse e — 6— 2 
geplant.! Interesse f. Kunstwerke » — 14 + 0 
Dück 28 | Reise : | „ f. Handelu. Verkehr| 16—22 ,, |+ 72|-4+ 16 
„ &anGeheimnisvollem 5 —100| — 12 


70 C. Tabellen zu Kapitel III. 





Du 





Untersucher | Vpp | Do 





§ 18. Geschichte. 





Mac DonALD 61 | Unterrichtsleistung (Neger) | 6—17 jährig | — 12! 
Liverpool, El.-Sch. 4 ! d ae = a 
Liverpool, St. Marg. 5 P 13, „ | 4 62 
Bielefeld, Volkssch. 1 a 14 „ — 46: 
MILES 63 | n | 16 „ |—26 +28 
New York 69 | Examensleistung. High-School, | 
Abschlufsprüfung 16 „ + 6; —10 
Burnxss 19 | Examensleistung. Lehrerprifung 19 „ |+31+ 2 
THOMPSON 105 | Geschichte fällt schwer Studenten |— 38 
WIEDERKEHR 112 | Beliebth.d.Unt.faches Geschichte | 9—13 „ + ö 
W. STERN 99 5 = 2 R 9-14 , |+20 +16 
H. STERN 98 5 e a e | e e i 4.12) e 
Heymans 8 | Vorliebe f. Geschichte u. Geogr. | 15—18 „ !+35 +2 
New York 69 | Immatrik. f. Gesch. High-School 6 „ j— 26 — 6 
Dück anf Interesse für Wirtschaftsgesch. |16—22 „ ‚+72 +% 
|. % „ Kunstgeschichte |16—22 , — 70 — 3% 
Norris 72 | Lieblingslekttire: Geschichtliches |12—18 „ ,+100:+ 6 
Mayer 62 S , 916, |+alre 


Die Person, die Vp am meisten bewundert, oder der Vp am liebsten 
gleichen möchte, ist: 





MAYER 62 | aus d. Weltgesch. od. histor. Sage | 9—16 jährig| +24 + 2 
Hoescu-Ernst 50 | aus der Geschichte 10—17 , |+34 +2 
RICHTER 77 | aus d. deutsch. od. fremd. Gesch. | 10—14 ,„ +66 + 9 
FRIEDRICH 31 | aus d. Geschichte, ein Feldherr | 111/,—12}/,j. Eh 
GODDARD 40 | aus d. deutsch. od. fremd. Gesch. | N + E S 2 
Hitt 49 aus der amerikanischen Gesch. | 7—15 „ + 39; 4+ 28 
aus der fremden Geschichte 111-18, [—41/-—-:: 

Í aus der Geschichte | 8-13, +o +29 

BRANDELL 15,; Herrscher oder Krieger 7—18 , + 49; + 16 
| histor. Person m. friedl. Beschift. 9—14 „ — 23. — 4 

(| Friedrich der Grofse | 14 „ |+40 +10 

H. STERN 98| Königin Luise | 14 , |—82 —10 

§ 19. Fremdsprachen (Geisteswissenschaften). 
Begabung. 


IVANOFF 52 |Begabung fiir Sprachen | Kinder 16 = 16 
Besser beanl. f. Sprachen als f. Math.‘ 13—17 jähr. | — 25 — 17 


HEYMANS \|Gewandtheit im Ubersetzen | 13—19 „ 


= 

















Systematische Übersicht über die Einzelergebnisse. 71 
Untersucher | Vpp Do | Du 
8 19 (Fortsetzung). 
Leistungen. 

Bcryess 19 |Examens-Leistung im BA-Examen| Studenten |— 4|— 6 

Coun 93 Bess. Leistungen in Fremdsprachen 
als in math.-nat. Fächern Schüler — 40| — 44 
MILES 63 |Unt.-Leistungeni. fremden Sprachen 16jähr. | — 26| — 38 
THOMPSON 105 |Beste Arbeiten in alten Sprachen | Studenten |— 46| — 20 
New York 69 |Examens-Leistung in Latein 16jähr. |+12|-H16 
Bristol, Holt Sec. Sch. 2 |Unterrichts-Leistung in Französisch 10—16 „, — 49) — 49 
Bristol, Merr Sec. Sch. 3 5 5 S = 11» —15 „ — 63| — 63 
Liverpool, St. Marg. 5 a a d e 13',,—14 ,, — 62) — 66 
KLINKENBERG 55 ji St a i 14 , — 20| — 36 

Examens-leistung „ ge 
BURNESS s in Univ.-Ex.,Cambridge 19: « — 4/— 8 
i » Lehrer ,, e +20 + 2 
New York b 69 »  „ Deutsch 16 , — 12| — 38 
Interesse. 

Bardini 78 (e fir Philosophie, 
Philologie oder Geschichte Studenten |— 38) — 26 
Breslau 4 | Ge e e 5 — 52| — 29 
BURNESS 19 Meldung zu einem BA-Ex., London 53 — 10; — 22 

SMITH 94 Teilnahme an einem(Classical Course 
der High-School 18jahr. |—15|—19 
St. Louis 80 Se S R e + 64:4 2 
THOMPSON 105 Spezialstudium: Alte Sprachen Studenten |—100| — 8 

Immatrikulation für Latein an der 
‘ High-School 16jähr. |—14 — 5 
BD Ork sj a. Französisch ,, = — 17 8 
| ” Deutsch 5 e + 12) + 4 


Mac DonaLD 61 
Bielefeld 1 
Bristol, Holt Sec. Sch. 2 
Bristol, Merr Sec. Sch. 3 
Liverpool, St. Marg. Sch. 5 


MILES 63 
New York 69 
BURNESS 19 
THOMPSON 105 


§ 20. Muttersprache. 
1. Leistungen. 


Unterrichtsleistung in Sprachen ! 6—17jahr. |—13'— 15 





Se „ Deutsch 8—14 , |—35 — 46 
Ge » Englisch 10—14 , — 55 — 71 
„ nm ” 11',—15 „ — 58 — 36 
” D ” 1314—14 „ —100, — 52 
” ” d 16 nm u | 
Examens-Leistung _,, 5 16, |— 6— 4 
bei der Lehrerprüfung 19 „ + 9+ 1 
Englisch als Studienfach fillt leicht’ Studenten | — 38) 


72 C. Tabellen zu Kapitel III. 





Untersucher | 


e § 20. 1. (Fortsetzung.) 
Mac DONALD 61 





Unterrichtsleist.in Rechtschreibg. | 6—17jährig |— 15| — 13 
Bristol, Holt Sec. Sch. 2 = . a 13 „ — 57| — 50 
MILES 63 s 5 = 144 , |—64|—3 
BoNsER 13 |Experim.leist. „ S 8—14 „ 1-29 —3 
MILEs 63 | Unterrichtsleistung in Grammatik | 
und Sprachlehre 14 ew |—56!— 46 
Stockholm 7 | Unterrichtsleistung im Aufsatz 10-10'% „ — 58 — 2% 
Coun-DIEFFENBACHER 24 | Experimentalleistung im Aufsatz 10-19 „ — 44 — 5% 
BoxserR 13 |Inhaltsangabe eines Gedichtes 2-14 „ — 34| — 9 
HEYMANS 8 | Gewandtheit im Aufsatz 19 , — 48} — 36 
Heymans- WIERSMA 48 |Talent fir Schriftstellerei +19 + 2 
LearoyD-TAYLOR 57 | Vorhandensein einer „continued 
story“ Studenten |— 54| — 24 
HeymĮmans-WIERSMA ` 48 | Erzählen von selbsterfundenen 
Geschichten — 48 — 6 
(| Erzähltalent +29 7 
HEYMANS-WIERSMA 48! | Fähigkeit, unvorbereitet öffent- 
\ liche Reden zu halten +70 +18 
HEYMANS 8 | Gewandtheit im Thema 13—19jährig | — 12 — 16 
3. Interesse. 
BRANDELL 15 |Idealperson: Schriftsteller oder | 
Künstler Kinder — 66; — 27 
HEYMANS 8 | Vorliebe für Sprache u. Literatur | 14—19jährig | — 34/— 6 
WIEDERKEHR 112 | Beliebtheitd.Unterrichtsf.Deutsch | 9-13 „ I+ 8 
H. STERN 98 S j e b 13—14 — 44| — 1? 
New York 69 | Immatrikulation für Englisch an 
der High School 16 e + 16) + 30 
THOMPSON 105 | Interessantestes Fach: Englisch Studenten |— 34 — 14 
H. STERN 98 | Beliebtheit des Unterrichtsfaches 
Rechtschreibung 13—14 jahrig | + 20 
WIEDERKEHR 112 | Beliebtheit des Unterrichtsfaches 
Sprachlehre 9-18 „ |— 8-2 
W. STERN 99 | Beliebtheit des Unterrichtsfaches 
Sprachlehre 9—14 , +16 
H. STERN 98 | Beliebtheit des Unterrichtsfaches[|13—14 „ |+20+? 
Sprachlehre 14 „ J+ +18 
H. STERN 98 | Beliebtheit des Unterrichtsfaches | 
Aufsatz 13—14 , + 28) 

















Systematische Übersicht über die Einzelergebnisse. 73 
Untersucher | Vpp | Do Du 
§ 21. Allgemeine geistige Entwicklung. 
New York 70 |Versetzung in eine höhere gegen 6—13 jährig | — 1/— 6 
MINER 64 |Immatrikulation für d. 2. Semester 18 , |— 6— 50 
Oberlin Coll 6 |Aufnahme in die BK-Society Studenten |—40— 6 
Leland Stanford Univ. 58 "Bestehen der Abschlufsprüfung 5 — e 66 
HEYMANS 47 > „ Fakultätsprüfungen be — 21 
7-13 jährig |— 6— 7 
Philadelphia 75 [Schulalter | 14—15 „ + SÉ 6 
17-20 „ |—42— 48 
Mac Donn 61 ‚Gesamt-Unterrichtsleistung 6—17 „ |—16—- 12 
. 8—10 , + 40/— 49 
Liverpool, El.-Sch. 4 e d | 11—13 „ [-+80-+ 54 
MILES = e 14—16 — 45\— 44 
GESELL 36 Intelligenz n. Schätzung d. Lehrer Kinder — 6— 10 
Mac DONALD 61 | Mental Ability“ n. Sch., , | 6—17jahrig —15|— 22 
Stockholm 7 |Verstandesentwicklung n. Sch. d. L. 9 , —54— 4 
WEE n. Sch. d. Lehrer} 10—13 „ —100 
SPEARMAN 95! Gesunder Menschenverstand nach 
\ Schätzung der Mitschüler —100 
HEYMANNS 8 ‘Allgemeine Entwicklungn.Sch.d.L 15—19 ° — 19 
GODDARD 41 |Intelligenzvorsprung bzw. Rück- 
| stand nach Experiment 4—15 „ !— 8—10 
Einzeltests zur Intelligenzprüfung. 
HALL 42 |Unterscheidung von rechts u. links 6 jährig | — 6|/— 22 
n n n n n n F 34 T 38 
Erkennen von Gegenständen bei 
HERDERSCHEE “| geschlossenen Augen + 6+100 
Erkennen von Zeichnungen — 211— 63 
v. D. TORREN „  unvollst. 5 4—12 , + 82'+ 75 
Bilden eines Satzes, in dem drei | 
gegebene Worte vorkommen 10 , 34+ 54 
Biocu- Preiss JS Beantwortung von Unter- = i 
schiedsfragen 8 „ +18-+ 38 
Finden einer gemeinsamen Be- | 
HERDERSCHEE d zeichnung (Oberbegriff) 6 „ +12-+ 44 
Verständnis d. Wortes „Dankbark.“ S + 6-+100 
Kritik Definiti { SE Me 
Boria 13 g ritik von Definitionen 13—14 |— 30 
„ Gründen 8—10 +42 
Richtige Beantwortung von on | 
BrocuH-PRreiss al „Was mu[s man tun, wenn. 8 „ +20 + 40 
Nacherzählen einer Geschichte. 8 , + 48'+ 56 
Vos 108 |Verständnis d. Pointe e. Geschichte 9—13 „ + 4-+ 22 
W. STERN 100 Erfassen d. Zusammenhangs einer 
bildl. darg. Geschichte 12 , + 44-100 














74. C. Tabellen zu Kapitel III. 
Untersucher | Vpp | Do | Du 
8 21. (Fortsetzung.) 
Einzel-Eigenschaften der Intelligenz. 

Mess 8 fiLeichtes Begreifen eines Witzes 15jährig | — 16 
i = einer Erklarung/18—19 __,, — 36 
Auffassungsfähigkeit + 11) + 28 
Selbständige Ansichten + 9 +16 

HEYMANS-WIERSMA 48| Praktisch, findig + 4 
Menschenkenntnis + 15} + 10 
Weitblickend + 13) + 18 

§ 22. Eigenschaften des Gefühls- und Willenslebens. 
1. Neigung zu intellektueller Betätigung. 

THOMPSON 105 |Erwihlter Beruf: ein intellektueller| Studenten |— 38 
MAYER 62 [Motiv d. Berufswahl: etwas lernen; 9—16jährig — 7, — 2 
Norris 72 |Lieblingsbeschäftigung: studieren | 12—18 „ —100, — 2 
Vergnügen an Vorlesungen Studenten | — 54 

‘THOMPSON el be » dem Bes. v. Theater, | 
Oper, Konzerten | — 54 

Monroe 65 |Motiv des Sparens: Bücher und 
Bilder kaufen 7—16jährig | — 40. — 2 
SHELDON 93 |Beteiligung an einem künstl.,literar., 

musik. Klub 12—14 ,, —57 — 3 

SCHEIFLER 82 |Motiv fir die Beliebtheit von | 
Glücksspielen: belehrend 7—14 - —100 + 0 

Eigenschaft des Lieblingsbuches:| | 
Maven 62 belehrend 9—16 ,, —20 + 0 

Eigenschaft des Freundes: Eigen- | 
schaften der Bildung z — 60 — 2 
BRANDELL 15 |Idealperson: Wissenschaftler (1—18 , —34 — 2 
Eigenschaften der Idealperson: (/10—13 _,, 29 + 4 
ae d intellektuelle und künstler. 14 , as — 4 

BRANDELL 15 [Eigenschaft der ldealperson: in- | 
tellektuelle und kiinstler. 10—14 , +25 +15 

H. STERN 98 Eigenschaften der Idealperson: Ver- 
falste eindrucksvolle Bücher 14 „ +50 + 2 

MAYER 62 Eigenschaften der Idealperson: | 
Können und Wissen | 9—16 „, +16 + 6 
Heymans-WIERSMA 48 |Vergnügen an Verstandesspielen + 37 + 21 
SCHEIFLER 82 |Lieblingsbeschäftigung: Lesen 10—13 , +91 + 1 
Norris 72 R H 12—18 „ |—73—8 
HEYMANS 8 we „ 15—19 , — 31 — 11 

W. STERN 99 Beliebtheit d. Unterrichtsf.: Lesen! 9—14 , +16: 
H. STERN 98 Se i » |13—14 ,, — 8 — 2 
Liverpool El. Sc. 4 |Unterrichtsleistung im Lesen 7—12 „ +15 — 52 
Bielefeld Volkssch. 1 e yi ji (1—14 , — 4) — AR 
Stockholm Volkssch. 7 7 D S 79, —72:— 4 


Systematische Übersicht über die Einzelergebnisse. 


Kate 


| Vep | Do 


Untersucher 


C 


$ 22. 2. Neigung zu politischer Betätigung. 


Stärke des politischen Interesses 


Heymans-Wiersma 48| „ der n Tätigkeit 
Patriotismus | 

MAYER 62 |Lieblingslektüre: Patriotisches | 9—16 jahr. 
FRIEDRICH 31 |Eigensch. d. Idealperson: Titigk. 

in nationalem Sinne V 2298 
BRANDELL 15 |Eigensch. d. Idealperson: soziales 

oder politisches Verdienst 10—14 
H. STERN 98 |Eigensch. d. Idealperson: Tätigk. 


im Dienste des Vaterlandes 14 


” 


3. Neigung zu philanthropischer Betätigung. 


Heymans-Wrersma 48 |Tätigkeit auf dem Gebiete der 


Philanthropie. 
MonroE 65 Motiv d. Berufswahl: philanthro- 
pische Gründe 8—16 jähr. 
MAYER 62 Motiv der Berufswahl: Nächsten- 
liebe 9—16 IT 
SHELDON 93 |Mitglied eines philanthrop. Clubs|13—15 _,, 
Monroe 65 |Motiv des Sparens: Geschenke 
kaufen 7—16 „ 
Heymans-Wiersma 48 mitleidig, hilfsbereit, egoistisch, 
grausam 
og grausam 13—19 , 
ne den Mitschülern b. Schularbeiten 
helfen 14—19 , 
H. STERN 98 |Beste Eigenschaft: Nächstenliebe, 
Feindesliebe 14 „ 
GODDARD 40 |Eigensch. d. Idealpers.: Güte 8-13 „ 
RICHTER 77 
Í 3 H ” ” 9—14 n 
BRANDELL 15 
| a ps „ andern helfeul 8—14 , 
MAYER 62 b ‘s ., N&chstenliebe| 9—16__,, 
STERN 98 Ge d » werktätige 
Menschenl. 14 ,, 
ScHAFER 


81 |Antwort auf die Frage: geed 14 
darf man nicht stehlen ?“ ” 
Aus Mitleid f 16 „ 











75 
Du 
+ 45 + 36 
+ 70; +4 
+ 14| + 6 
+10| + 0 
+ 100 + 22 
+ 58 + 7 
+ 44 +14 
stark | schwach 
— + 12 
ja nein 
— 20°), 4. 
ja nein 
— 100 
ja nein 
— 83| + 2 
ja nein 
— 8. + 
mitleidig| grausam 
— 6] + 20 
nein ja 
= + 100 
ja nein 
— 17; + 
a 42 nein 
ja nein 
= Bl 
ja nein 
= 46 2 
ja nein 
— 6| + 12 
ja nein 
— 90 + 
ja nein 
— 100 | + 
ja nein 
328 Le 
ja nein 
— 40| + 16 
ja nein 
+100 | — 16 


76 C. Tabellen zu Kapitel IIl. 





t 











Untersucher | Vpp | Do | Du 
§ 22. 4. Religiositat. 
Hryrmans-Wrernsma 48 |Religiosität — 19 | — 20 
THOMPSON 105 |Festigkeit d. relig. Uberzeugungen| Studenten — 38 
Bielefeld, Volkssch. 1 |Unterrichtsleistung in Religion 7—14 jihr.| — 39 | — 43 
Stockholm 7 > 5 á 10', , — 38 | — 6 
H. STERN 98 |Beste Eigenschaft: Frömmigkeit 14 „ — 52 | — 4 
MAYER 62 |Eigenschaft der Idealperson: 
Heiligkeit 9—16 „ — 20 | — 16 
Eigensch. d. Idealp. : glaubensfest 121, — 64 | — D 
F RIRDRICH a S S » œ. Reformator x —100 | — 4 
H. STERN 98 e n 9 Religiositét 14 — 52 | — 4 
Moxnog 65 , 4. Spielgefihrten: religiés| 7—16 —100 | — 2 
MAYER 62 »  » Freundes: Religiositat | 9—16 — 34 | 40 
Moxpog 65 |Angeberei ist nicht erlaubt: weil 
es Sünde ist 7-16 „ +26 | + 2 
SCHÄFER 81 |Stehlen ist nicht erlaubt: aus | 13 , +10 | +8 
religiösen Gründen 17 „ — 74 | — 18 
Motiv d. Berufswahl: Gott gefallen; 9—16 „ +60 |- 2 
Lieblingslektüre: Heiligenlegen- 
den und religiöse Zeitschrift ý — 59 | — 2 
MAYER 62 ? |Lieblingslektüre: Kommunions- 
geschichten e +50 | + 2 
Eigenschaft des Lieblingsbuches: 
ist heilig, handelt von Jesus 5 — 50 | — 6 
GIESE 39 Literarische Behandlung reli- | 9 , +50 | 4+ 2 
giöser Stoffe 10—15 „ — 93 | — 12 
Beliebth. d. Unterr.faches Religion| 13—14 , — 20 | — 60 
H. STERN d ý 2 5 5 l4 „ — 66 | — 4 
e a » Bibl. Gesch. 4 +100 | + 2 
5. Neigung zu praktischer Betätigung. 
'Der erwählte Berufi.e.praktischer| Studenten | -+ 38 
THOMPSON 05 | Studium ist nur ein not- 
wendiges Übel E + 38 
Vorsätze für das spätere Leben: 
D Sonny 98 allgemein praktische 14 jähr. + 30 + 12 
Grund für die Unbeliebtheit eines! 
Unterrichtsf.: Nutzlosigkeit | e —34 | —18 
6. Erwerbssinn. geld- | uneigen- 
suchtig nützig 
‘geldsiichtig, uneigennützig | — 
Heymans-Wıersua 48° geizig, sparsam, flott, verschwende-| geizig | verschw. 
| risch —12 ot 
Motiv der Berufswahl: ja natn 
MONROE 65 gutes Einkommen | 8—16 jähr. | +30 | — 16 
ja nein 
MATER 62 f Besitz, Verdienst | 9—16 „ +12 — 
| bequem leben 5 4°36 a 


Systematische Übersicht über die Einzelergebnisse. 77 
SE 

















Untersucher | Vpp | Du Do 
§ 22. 6. (Fortsetzung.) 
SCHEIFLER 82 Grund für die Beliebtheit von ja | nein 
Glücksspielen: Gewinn 7-14 jährigl — 34 +0 
ja nein 
MONROE 65 |Eigensch. d. Spielgefährten: reich| 7—16 ,, | +100 | + 
GODDARD 40 |Eigensch. der Idealperson: ja Hein 
materieller Besitz 8—14 , | +65 | — 6 
8—10 to | — 3 
RICHTER 77 3 e E 2 E e 
1-14 97 
7. Streben nach Macht. 
RICHTER 77 |Eigenschaft der Idealperson: die Do Du 
Macht haben, etwas zu tun 8—14jährig| +61 + 8 
GODDARD 40 s = S 7 9—14 „ | +10] + 4 
” ” nm „ 9—16 ” + 72 + 6 
Mayer 62° Motiv der Berufswahl: Befehlen- 
Können nm -+ 100 + 2 
Hrymans-WigrsMa 48 |Herrschsucht — 12 
8. Streben nach Ehre. 
Herımans-Wıensma 48 ehrgeizig +17 +17 
HEYMANS 8 a 15—18jährig| — 19 | — 8 
Eigenschaft der Idealperson: Ehre 
MAYER 62 Berühmtheit 9—16 „ + 32 + 7 
Mot.d. Berufswahl: Ehre, Ansehen e + 725 +2 
9. Eitelkeit. 
ja nein 
Heymans-Wrersma 48 leitel, gefallsüchtig | — 15 +10 
leich- 
| Së 
13—17jährig + 27 
HEYMANS 8 stutzerhaft, gleichgültig stutzerh. 
18—19 , + 28 
Motiv des Sparens: Kleidungs- i nain 
stücke kaufen 71—16 , — 10 
Moxgog 65 ( |Eigensch. d. Spielgefihrten: adrett 
gekleidet, schön, spez. körperl. j ein 
Eigensch. a — 67 
Ja nein 
RICHTER 77 |Eigenschaft der Idealperson: 9-1 „ — 32 , 
Eigensch. d. äufs. Erscheinung 14 „ Can an 
ja nein 
MAYER 62 | Schönheit, Kraft 9—16 , | —42 |, + 
ja nein 
H. STERN 98 | persönliche Vorzüge 14 „ | — 42 + 2 




















Stören der Schul- 


78 C. Tabellen zu Kapitel III. 
Untersucher | | Vpp | Do Du 
§ 22. 10. Neigung zu Geselligkeit. 
SCHEIFLER 82 |Grinde fiir die Beliebtheitt von| ja nein 
Glücksspielen: Geselligkeit | 7—14jähr. | — 10 | + 0 
e ja nein 
SHELDON 93 |Mitglied eines rein geselligenClubs; 9—16_ , — 66 + 4 
Norris 72 |Lieblingsbeschaftigung: Besuche ja nein 
machen 12—18 , — 10 |+ 2 
nein ja 
HEYMANS 8 geneigt, sich abzusondern 15—19 „ —4 + 62 
in Gesell- 
schaft 
lieber allein oder in Gesellschaft! Studenten | +38 
THOMPSON 1054 Vergniigen an geselligen Vereini- nein 
gungen > — 38 
11. Sexualleben. 
Auf sexuellem Gebiete ausschweif. +8 | 
HEYMANN-WIERSMA ja | nein 
Liebhaber obscöner Witze + 26 | — 16 
FRIRDRICH 81 |Eigenschaft der Idealperson: EE E 
keusch, unschuldig 121, jährig | +24 — 96 
Schlechteste Eigenschaft: Leicht- sain ja 
H. STERN 9 sinn, schlechte Lebensweise | 14 e — 50 
Vorsatz fir die Zukunft: meiden Wain ja 
schlechter Gesellschaft 14 a — 2 + 100 
12. Moralität im allgemeinen. Do Du 
Eigenschaft der Idealperson: 8jihr.| +50 | +14 
EE = moralische Eigenschaften | 9—12 — bi — 10 
GODDARD 40 Eigenschaft der ldealperson { 8 , + 20 + 6 
versch. Charaktereigensch. l| 10—14 „ —19 — 21 
H. STERN 98 |Eigenschaft der Idealperson: 
allgemein sittliche Eigensch. 14 „ — 40 — 14 
MAYER 62 |Eigenschaft des Freundes: 
Eigenschaften des Willens 9—16 , — 34 — 2 
13. Betragen. ATA. Kee 
GALTON 34 |mild, fügsam mürrisch, heftig, 
herrisch 22 
Haymans-WıErsma 48 herrschsüchtig — 12 
IVANOFF 52 heftig Kinder + 8 
‘mild scharf, hämisch 14—18jähr. | — 27 +12 
höfl.,freundl. mürrisch, flegelhaft 18:7, +12 
starrköpfig 13—18 „ — 2 + 36 
HEYMANS 8 ungezogen 13—19 , — 3 + 49 
| | + 


Vis 
Ne 


ordnung 13—19 , 


Systematische Übersicht über die Einzelergebnisse. 


Untersucher 
HEYMANS 8 
Mac DonaLp 61 


Stockholm Volkssch. 7 
‘Bristol Merr. Sec. 8. 3 
Bielefeld Volkssch. 1 
MAYER 62 


98 
98 


H. STERN 


H. STERN 


Heymans-Wiersma 48 
HEYMANS 8 
IvVANOFF 52 
Mac Donan 61 


Stockholm, Volkssch. 7 
Bielefeld, Volkssch. 1 


48 


HeyMans-WIERSMA 


HEYMANS 


FRIEDRICH 


H. STERN 98 


§ 22. 13. (Fortsetzung.) 


Rädelsführer bei 


Störungen 
bis an die äufserste 





15—19 


Grenze gehen |13—19 


widerspenstig 


| 


bei Verweis: frech, 
räsonnieren, 
gleichgültig 

geneigt zu stillem 
Widerstand 

Ungezogenheit 


Schulzensur im Betragen 


n n n 


n n n 
Eigenschaft des Freundes: Fried- 


fertigkeit 


Beste Eigenschaft: Höflichkeit 


Vorsatz für Zukunft: Gehorsam 
gegen Vorges. u. Lehrer der 


Schule 
14. Fleifs. 
eifrig, faul 


39 LE 
fleifsig 
faul 


Schulzensur in Fleifs 


LE 29 


meist beschiftigt oder geneigt, es 


sich bequem zu machen 


frisch angreifen oder aufschieben 


8 lin einzelnen Fächern über d. 


Schulpensum hinaus arbeiten 


Beste Eigenschaft: Fleils 
Schlechteste Eigenschaft: 


31 |Eigenschaft d. Idealperson: Fleifs 


Faul- 


heit, Trägheit, Müssiggang 


16 


19 


13—19 


18—19 
6—16 


vm | 


T'h—12'h j. 
11'h—15j. 
12 jähr. 


9~.16 
14 


14 


13—19 jähr. 


Kinder 


9—16 jähr. 


10 


„ u.Aufmerksk.| 9—14 


13—19 
11"), 
14 


» 


>? 


3? 


” 


79 
i i 
a. del. | Eur 
— 2 CSS 52 
— 3 |+ 60 
+2 |— 42 
— 4 |+100 
— 4 |4 27 
— 4 | +100 
— 8 |+4 97 
— 8 | +100 
—7 |+ 79 
+ 44 
ja nein 
—34 |+ 2 
43: |, 2 
—80 | + 8 
eifrig faul 
= Alla 19 
eifrig faul 
— + 19 
ja 
— 8 
nein ja 
— 1| #83 
schlecht 
24 
gut schlecht 
— 50| + 57 
beschäftg.| bequem ` 
— 1: 25 


angreifen|aufschieb. 
5| + 22 


nein 


ja 
+ 37 


— 2 
ja nein 
— 76 
ja nein 
+ 46) — 
nein ja 
+ 48| — 8 


80 


C. Tabellen zu Kapitel III. 





Untersucher 


Heymans- WIERSMA 
HEYMANS 


H. STERN 


Hrymans- WIERSMA 


Heymans 


Hey{mans-WIRRSMA 
HEYMANS 
THOMPSON 


HEYMANS 


Heymans- WIERSMA 


Monroe 


MAYER 


H. STERN 


H. STERN 
MAYER 
FRIEDRICH 


MAYER 


H. STERN 





§ 22. 15. Ordnungsliebe. 
48 jreinlich, ordentlich od. unordentl. 
8 jauf Reinlichkeit und Ordnung 
haltend oder unordentlich 13—17 jähr. 
| Beste Eigenschaft: Ordnungsliebe 
Sauberkeit 14 „ 
je Eigenschaft: Unord- 
nung, Unsauberkeit 5 
16. Pünktlichkeit. 
48 pünktlich 
8 j 13—19 , 
17. Wahrheitsliebe. 
48 glaubwürdig, lügnerisch 
8 |wahr o 15—18 jähr. 
105 |aufrichtig Studenten 
ehrlich gestehen | en jahr. 
8 nm 
Verwendung unehrlicher Mittel |14—19 ,, 
‚demonstrativ, verschlossen 15—17 , 
48 } intrigant, diplomatisch 
zuverlässig inGeldangelegenheiten 
65 iEigenschaft des Spielgefihrten: 
verschwiegen 7—16 „ 
62 Eigenschaft des Freundes: Wahr- 
heit, Ehrlichkeit 9—16 „ 
[Beste Eigensch.: Wahrheitsliebe 14 „ 


Schlechteste Eigensch.: Lüge, Un- 
treue, Prahlerei, Klatschsucht, 





Falschheit, Hinterlist, Heuchelei E 
18. Treue. 
(Beste Eigenschaft: Treue 14 jähr. 

98 < iVorsatz für die Zukunft: Treue 

gegen die Eltern e 
62 |Motiv der Berufswahl: Pietät 

gegen die Eltern 9—16 „ 
31 |Eigenschaft der Idealperson: 

Elternliebe 12), „ 


62 verdient Dankbarkeit! 9—16 
| ae 14 

98 | vont fir die Zukunft: Dank- 
barkeit gegen Schule u. Lehrer) j 





ordentlich'unordent?. 
9 | +22 


ordentlich unordentl. 
15 


ja 
— 22 


nein 


ja 
+ 12 
ja 

20 


wahr 
u. dgl. 


—16 
—19 
+ 40 


— 5 
— 16 


— 24 


— 24 
— 52 


— 34 


— 60 


— 62 
— 50 
+ 56 


+ 42 


nein 
+ 4 


ja 


i + 2 


nein 


nein 


+2 


unwahr 


| 


|| 
Ww te 


Systematische Übersicht über die Einzelergebnisse. 81 





| 
Untersucher Vpp | | 


ş 22. 19. Geduld. 











FRIEDRICH 31 ‘Kigensch. d. Idealperson: Geduld| 11'/, jährig +100 | SA 
Maygr ey _ | 9-16, | —100| + 2 
Hermaxs-Wirrsma 48 Bei Krankheit geduldig oder un- geduldig |ungeduld. 
i geduldig | — 14: + 22 
20. Mut. 
| mutig 
u. del. en Se, 
Heymans-WIERSMA mutig furchtsam, foig eld. [se 
HEYMANS E Ze a 13—19 jihr.| +12 | 
Heymans-Wiersaa 48 |bei Krankheit: mutig, angstlich — 21 | + 
ängstl., bedenkl., (z.B. vor Examen); 14—18 „ +20 | oa 
Iruhig, nervös (z. B. bei Prüfungen) s +23 | — 23 
Heyxanss Ifroimütig, schüchtern (z. B. beim; | 14—17 „ | —11 | —10 
Vorlesen) \ 19 „ +24 | 
Heyuans- WIERSMA 48 leichtmütig, zuversichtlich + 9 | 
MAYER 62 |Eigenschaft der Idealperson: | 
Tapferkeit, Heroismus, 9—16 + 36 — 5 
FRIEDRICH 31 ` Š Mut 111,12", j| + 93 — 11 
H. STERN o e „ Heldentum) 14jahrig | +62 ' — 8 
21. Bescheidenheit. 
| | beschei- Iunbeschei- 
| den u. dgl. den u. dgl. 
eingebildet i 14—19 jähr.| — 4 +45 
| geneigt, grofszutun | — 3 + 72 
HeyYMANs 8° natürlich, » eine Rolle a 13—17 S — 18 
| spielen | 19 , + 28 
| hochmütig 18-16 „ + 14 | —18 
Hrymans-WieRSMA = 48 selbstzufrieden, prahlerisch: — 12 | +16 
FRIEDRICH 31 |Eigensch. der Ipealperson: Demut 12'/,_ „ —100 HF 
Beste Eigensch.: Bescheidenheit 14 , — 82 
H. STERN 98, Schlechteste Eigenschaft: Hoch- , | 
| mut, Hoffart | S | — 66 | + 2 


22. Emotionalitit. 





Keng (sich etwas zu Herzen| | a | 
, nehmen, leicht begeistert, leicht aa Ne 
Heyrmans-Wigrsma 48 | ja Trinon) a, a 

reizbar, leicht verletzt — 4 

f n n 16 jihr.| — 38 | + 6 
HEYMANS 8 = verstimmt 14—16 „ — 20 + 3 
l in Begeisterung 3 „ + 28) — 2 
a | 14-17 , | — 37 | + 4 


MAYER 62 |Eigenschaft des Freundes: nicht 
| neidisch, nicht empfindlich 9—16 „ + 2 | 10 
Beiheft zur Zeitschrift für angewandte Psychologie. 14. Zweiter Teil. 6 





82 





Untersucher 





HEYMANS 


HEYMANS- WIERSMA 


Hrymans- WIERSMA 
HEYMANS 
CoHN-DiFFENBACHER 


MONROE 


MAYER 


HEYMANS 
Heymans- WIERSMA 
HEYMANS 
Hrymans-WIERSMA 
GIESE 


HEYMANS 


JIEYMANS-WIERSMA 


Bielefeld 


Ivanorr 


HEYMANS 


C. Tabellen zu Kapitel III. 











| Vpp | Do Du 
$ 22. 22. (Fortsetzung). 
8l Beharren b. etwas Verkehrtem |13—19 jähr.! + 61 + 2 
Konstanz der Stimmung 13—18 , +18 +18 
nm d ” — 8 — 10 
4 e „ Sympathien + 14 + 12 
g „ Trauer — 26 — 15 
Gewohnheitsmensch +12 +12 
23. Allgemeine Gefühlsrichtung. 
| | heiter trauri 
| u. dgl u. dgl. 
48 jheiter, munter, schwermüt., düster — 10 + i 
8 ” ” ” 15—19 „ — 23 + 28 
24 |Art der im Aufsatz ausgedrück- 
teh Gefühle: heiter 1383—19 , — 34 + 12 
65 |Eigenschaft des Spielgefährten: 
heiter, lustig, lebhaft munter 7—16 ,, — 38 + 2 
Eigenschaft des f lustig 9—16 , — 50 + 
62 Lieblingsbuches ee rihrend ” + 2 — 7d 
Do Du 
8 llachlustig 14—18 , — 15 — 8 
48 |Häufigkeit des Lachens — 12 — 12 
8 |witzig 13—16 ,, + 29 + 2 
48 ‘3 + 26 + 12 
39 |Literarische Produktion satirisch. 
| Stoffe 16—17 „ | +850 + 2 
24. Impulsivität. 
| | impulsiv |bedächtig 
| u. del. u. del. 
8 jimpulsiv, bedachtsam H 15—17 ,, —19 + 16 
j , Prinzipienmensch: — 13 + 16 
48) resolut | — 4 
(icine Meinung entschied. äufsern: + 8 
§ 23. Aufmerksamkeit. 
1. Ergebnisse der Beobachtung. 
aufmerk-| unauf- 
| saın merksam 
1 |Schulzensur in Aufmerksamkeit | 
und Fleifs 9—14 jahr.. — 50 + 57 
52 Zerstreutheit Kinder | + 44 
stets aufmerks., leicht abgelenkt, | 
mit and. Ding besch.| 18—19 jahr. — 20 + 32 
stets wach zerstreut | 5 | —13 | +17 
8) plötzl. Nachl. d. Auf- | 
| merksamkeit 13—18 ,, — 8 + 41 
‘ während d. Unterr. 
| oft n.d. Uhr Steel 13—19 , | — 3 + 47 








6* 





Systematische Übersicht über die Einzelergebnisse. 85 
Untersucher | Vpp | Do Du 
$ 23. 2, Ergebnisse des Experiments. 
Schnellig- f| 6-9jähr.| + 33 +45 
HENROTIN 45 |Durchstreichen ein- keit d 91,,—15'/,j.} —43 TI — 57 
zelner Buchstaben dks ta 6—7 jähr. + 40 
(,Bourdon-Test“) | Richtig- 81/,—10'/,j.| —32 | —40 
eit (/10,—15', | +47 | +43 
Dick 29 |Besserung der Arbeitsleistung 
unter dem Einfl. von Störungen 17—19jährigl| +50 ° +78 
3. Intravariation. | Art der Reaktion 
regel- | unregel- 
a maßig maBi 
BRANDENBERGER 16 beim Bezeichnen der sch wereren | 7— 8jüähr. | +24 | — 1 
von 2 Additionsaufgaben 9-11 , —32 | + 8 
i g g 1 „ +8 | — 8 
STOCKTON 101 |beim Abschreiben zweier Worte | um | — 44 | +100 
v. d. TORREN 106 | „ Benennen unvolist. Bilder | 4—12 ,„ | +30 | — 30 
JONES 51 |bei opt. Schwellenbestimmungen| 4—14 „ : +44 | 
„ Gewichtsvergleichungen Studenten | — 50 | + 59 
Sn g1 J|” der Reproduktion von Inter- | | 
z vallen | = +46 E 39 
„ Reaktionsversuchen S | + 18 | 
n n n | 77 46 
THOMPSON 105 » Versuchen über Sicherheit der | | 
Hand E | +38 | — 70 
§ 24. Widerstand gegen Suggestion. 
Widerstand gegen die Suggestion Do | Du 
eines Tones 9'/, jabr.| — 50 | — 30 
f Widerstand gegen die Suggestion 
Soroa 564] eines Geruches i — 24 | — 34 
Widerstand gegen die Suggestion | 
einer Berührung = | + 24 | + 24 
YUNG 116 |Widerstand gegen die Suggestion | | 
Ä einer unbest. Empfindung 20 » | +66 i + 26 
- Dick 29 |Widerstand gegen die Suggestion | | 
einer Erinnerung 17—19 „ | +50), + 42 
HEYMANS 8 |Führer (o) oder geneigt, es zu | | 
| machen wie die andern (u) 13—16 , er 


84 
D. Tabellen zu $ 26. 


Vergleich des Geschlechtsverhältnisses bei 
verschiedenen Eigenschaften. 


Wir untersuchen in, diesem Abschnitt, ob sich im obersten 
Leistungsviertel bei einer Klassifikation nach der Eigenschaft A 
mehr männliche Personen befinden als bei einer Klassifikation 
nach der Eigenschaft B. Ist dies der Fall, so bezeichnen wir das 
Verhältnis der Eigenschaften A zu B mit M; umgekehrt, wenn sich 
im obersten Leistungsviertel bei einer Klassifikation nach A weniger 
männliche, also mehr weibliche Personen befinden als bei einer 
Klassifikation nach B, so bezeichnen wir dieses Verhältnis mit F. 
Entsprechend werden wir das Symbol M dann zu wählen haben, 
wenn sich im untersten Leistungsviertel bei A weniger männliche 
Personen befinden äls bei B, — und das Symbol F, wenn sich im 
untersten Leistungsviertel bei A weniger weibliche Personen be- 
finden als bei B. 

Wenn wir z. B. die Leistungen der Klasse Ib der Liverpool 
Elementary School (4) in Zeichnen (A) und Lesen (B) miteinander 
vergleichen, so ist 
Do A = + 44, Do B = — 40; also ist A : B mit M zu bezeichnen. 

Vergleichen wir dagegen die Leistungen der Klasse Vb in 
Geschichte (A) und Zeichnen (B), so ist 
Du A = + 62, Du B = + 80; also ist A : B mit F zu bezeichnen. 

Wir haben jedoch im folgenden nicht die sämtlichen vielen 
tausend M und F registriert, die sich aus einer derartigen Durch- 
arbeitung unseres gesamten Materials ergeben hätten. Erstens 
haben wir uns auf einige Eigenschaftsgebiete beschränkt, wie 
Unterrichtsleistungen, Interessengebiete u. dgl. Ferner haben wir 
nur solche M und F in die Tabellen aufgenommen, die sich über- 


einstimmend bei mehreren Personengruppen ergaben. 

Hierfür haben wir folgende Regel aufgestellt: Die Prozentzahl der 
übereinstimmenden Fälle muis so grois sein, dafs ihre Differenz von 50°) | 
einen wahrscsheinlichen Fehler!) hat, der höchstens halb so grols ist wie 
die Differenz selbst. Für den Bereich, mit dem wir es zu tun haben, genügt 
zur Berechnung dieser Mindestanzahl von Fällen die Formel p = 0,56n + 3, 
in der p die gesuchte Mindestzahl von Fällen, n die Gesamtzahl der Ver- 
gleichsfälle (mit Ausnahme der Gleichheitsfälle) bedeutet. Wenn z. B. 
30 Vergleichsfälle vorliegen, so müssen mindestens 20 (66°) Fälle über- 
einstimmen, und die übrigen 10 Fälle können vernachlässigt werden. (Um 


!) Vgl, LIPMANN, Welche Mindestzahlen von Versuchen ist zur Siche- 
rung eines zahlenmälsigen Resultats erforderlich? Z ing Ps 7, 409— 414. 


Vergleich der Geschlechtsverhältnisse bei verschiedenen Eigenschaften. 85 


das Material nicht allzusehr zu verringern, haben wir auch solche Fälle 
berücksichtigt, bei denen n > 3, — natürlich (für n< 6) nur dann, wenn 
sämtliche Vergleichsfälle untereinander übereinstimmen.) 

Die Do und die Du wurden im allgemeinen getrennt behandelt; 
nur dann wurde (anstatt wie sonst Do A mit Do B und Du A mit 
Du B) Do A + Du A mit Do B + Du B verglichen, wenn es sich 
um verschiedene Antworten auf dieselbe Frage (z. B. Idealperson, 
Lieblingsbeschaftigung) handelte. 

Die Tabellen sind folgendermafsen konstruiert: jedes Feld 
gehört zu einer — links verzeichneten — Eigenschaft A und einer 
— oben verzeichneten — Eigenschaft B. Wenn die Vergleichung 
dieser beiden Eigenschaften in einer hinreichenden Anzahl von 
Fällen zu einem übereinstimmenden Resultat führt, so ist in das 
betreffende Feld je nach dem M oder F eingetragen. — Die Eigen- 
schaften sind folgendermalsen geordnet: je öfter sich bei ihr (A) 
eine stärkere Überlegenheit der m zeigt, als bei anderen Eigen- 
schaften (B), desto höher steht sie in der linken Kolonne und desto 
weiter links in der Übeıschriftzeile. 


1. Begabungen (Literatur: 8, 48). 



































ae aey Ant Eada ee weg Se 
erzähl. | | | 
Mathematik — | M | M | “IM M 
Anekdterz. | M M | M | M| M 
Zeichnen pe, M M M M 
Aufsatz? Ose F M M 
Phantasie ? F | | | 
Schauspielk.| F F F | 
Musik > Bee | 
Sprachen F | el. 4, OF | | 
! Aufsatz und Schriftstellerei. 
? Erzählen selbsterfundener Geschichten. 
Tabelle 2 und 3 S. 86—88. 
4. Güte der Zeichnung (Literatur: 54). 
-= selalela|¥/¥]¢ 
A B 883 Ss dl: 
Eis 2 | ZS AE zZ > E 
Trambahn aus dem Gedächtnis | M | MIMIM 
Stuhl aus dem Gedächtnis M 


Geige nach der Natur 
Raumdarstellung F Kai | 
Sitzendes Kind nach der Natur F | ch 

Stehendes Kind mit Schirm nach der Natur] F E d 

Blume aus dem Gedächtnis F Pla 


(ueqovadsp Wet 
‘n eyovidsi10ezj ny) 
ueyouidg 





uase’y 


RISCH 
‘yishq gq ‘PIUIIG 


ZYUSJUYV 
(yasıpoayog 
‘qyosy3ug'qosnməd) 
ƏqIvIdsII M JN 


usuy9oy 


ayyoryason) 


2. Schul- und Examensleistungen 


arydeıdoon 
usuw1loz 
yonipsny "[punu 
(yosyneq) 
aypwadsıoynw ` 


VIGO [VY 


D. Tabellen zu § 26. 


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PIIL 








86 

















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m LG m Eu 
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H Set ZS Sé E e Te e E ee ie E e RE e 
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ae 1. SS ig ae ee ee ee DEE BEE TE 
aS SS So oe BB ae RE Br ee ES ZS 
S oO d SS Oo OG S ev e SG e D d D E bh DG e o e 




















87 


Vergleich des Geschlechtsverhältnisses bei verschiedenen Eigenschaften. 


(Literatur: 1, 2, 3, 4, 5, 7, 19, 52, 61, 68, 69, 105). 


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a a a a fx, 
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as ass | s 


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D. Tabellen zu § 26. 


85 


t om ee 


3. Beliebtheit der Unterrichts- und Studienfächer (gewähltes Studienfach) 








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Ss | g S $ E se S ZS EE SE | Säz) È == Ss 
teste a e Ee (ERI Pig) 2] ei £2 | 2 Weel S 
A B 4 it: 6 , 2,288, 8 © E ae EEE EE 
2 21218 | se |; g FẸ i) ZIEL? 
a Fale elgg.” |g: OT Rajz & Ego: * 
E EE 
Erdkunde | M | ! IM 
Medizin | M : | | 
Zahnheilkunde | | | | | i M 
Geschichte | | | | F A M M! | M 
Science | | | M ` M | | | M 
Naturgeschichte | ! | F | | M | | M M 
Zeichnen MF Mi. F M MIM! | | M 
Schreiben | | || | | | ! M 
Handfertigkeit | F M | | | ! | 
Gesang F , | F , | M | : M 
Lesen F , F | | | | | | M 
Turnen F ` F EF ` | ' F, NM | | 
Rechnen und Mathem. | | | | F | 
Muttersprache | F | | Reg 
Sprachlehre | ` | ~ 
Geistes wissenschaft F F | | | | | | ee 
Religion F | F | F] F| F k | | | 








(Literatu 








r: 8, 17, 19, 69, 78, 80, 94, 98, 99, 112). 


Tabelle 4 s. S. 85. 





| 








89 


Vergleich des Geschlechtsterhältnisses bei verschiedenen Eigenschaften. 


W 


W 


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-1978U9 J 


W 
W 








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FUNUPALOAIISUIT IFY 
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-UdUUT Ul SUISVAA SEP DJUNTIBT, 
9819105 
o3uvIssdunytlor] 
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sunyyotas0ajeddny 
OSUNISSSUNIO'T anz Əy 





(Fe ANJBWIOPTT) SUOSBMUYBQCUBIT OUTO Zun][e}saıegq ıep uayreyjezuryg ‘Cc 


90 D. Tabellen zu § 26. 


6. Einzelheiten der Darstellung 





| 
| 
V 
Bekleidung des Halses 
V 
Bart 
Q 
Beine 
Q 
Rumpf 
yV 
Nase 
Q 
Ansatz der Arme 
V 
Augen 
y 
Brille Si 
Q 
Hals 
y 
Zigarre oder Pfeife 
E (RE SO 


ai re 
u mn = = 
_ 


Kopf Q 

Bekleidung des Halses V 
Bart V i 

Beine Q 

Rumpf Q 

Nase V 

Ansatz der Arme Q 
Augen V 

Brille V 

Hals Q F 
Zigarre oder Pfeife V | 
Schuhe V 

Gliederung der Beine V | 
Knöpfe an Rumpf V 
Haare V 


_ 
— 





Kur 
| | 

Kopfbedeckung V | 
Bekleidung der Beine V F | F | | 
Ohren V F F 
Füße Q F | Be, N F 
Finger Q FIF|F| | | | F 
Mund ohne Zähne V F | ae F 
Gliederung der Arme V EF) | | | | F 
Hand Q FF pete | F 
Arme Q a Fi | | F | F 
Geschlechtsteile V F Pie) ee oe F| F 
Nabel V leislsislslsls F|F 
Mund mit Zähnen V Pe et EIE IT PIE TI ETZ 
Zahl der Arme Q F/F/F/F\/FlF/F/Fi/ FI] FIFI | 
Zahl der Finger Q F | F | FIrF|r|r| | 





bry 
= 
= 
a 
= 


Anmerkung: Q heifst Qualität der Darstellung. 
V heifst Vorhandensein der betr. Einzelheiten. 


91 


Vergleich des Geschlechtsverhältnisses bei verschiedenen Eigenschaften. 


eines Menschen (Literatur 87). 


93u 19p (487 
D 


gully Joep ez 


d 





uəuygz yu puny 


311948799911989 

A 

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0 

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Eege 
sully 1əp ZunIəpə 9 
A 
euyqez suyo puny 

A 

Jodur 
D 

ogn A 
D 

udiyO 

Ke 
auto Joep Zunple[ yo 
A 
Sunyoopeqydoy 

A 

OLIVET 
A 

jJduny we eydouy 
A 
aurog Jep Zunseper[y 

A 

Sun 
A 





a sa ss ss asss gess a 





a a a aa aas as ss ss ss es SS a 
= 





ee a ees Së 





SAAS SSS 6S SAA AS SSS SS 


S SS e zs 
EE = ae Ar 
AA AAR a ā A 
A A a LM 














a EE 
S 














92 D. Tabellen zu § 26. 


7. Einzelheiten der Schlaraffenlandzeichnungen (Literatur: 109). 









































c bo 
Q E he D 
z K e D 5 D = 
at es mer he owe | oe he ee pa 
e "JF ee te ee ee eh ee 
S | 8 > co | 2] 4M] a: | oo | 
cg = MD = = O 
| : CIE 
5 
Brunnen a | | | M | | M | | 
Bauern Wë | M 
Wettlauf | = | | M 
Jungbrunnen | | | M | 
Schweine E | | M | M | M | M 
Käse | F MIN 
Fische F F F | M | | | 
Wurstzaun F asia | 
Kuchenberg F = F | 
Schlafröcke | F F| F | = 
8. Lieblingsbeschäftigung (Literatur: 8, 48, 72, 82, 105). 
— - —— — 
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A B e/2#) Sige 2|2 E ee |S 
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SCH E 5/8|218 
| zl EICH 
| 
Basteln, Bauen u M | M | | | | M M 
Sammeln | | | | | | M 
Sport! F | | lm MM 
Verstandes- und Brettspiele F | | | | | | MIM 
Lesen | F | | | 
Musik, Besuch von Konzert | | | | 
und Opern | F 
Geselligkeit, Besuchemachen ? F 
Handarbeitsspiele F | 
Studieren, Besuch von Vorl.? GIRA P 
Glicksspiele F EE | 





! Sport und Spiele im Freien, Wintersport, Schlittschuhlauf, Turnspiele, 
Beteiligung an einen Athleticklub. 

? Besuch geselliger Vereinigungen, Beteiligung an einem rein ge- 
selligen Klub. 

° Abstrakte und philosophische Grübeleien. 





9. Lieblingsspiel (Literatur 65, 82). 


Vergleich des Geschlechtsverhältnisses bei verschiedenen Eigenschaften. 93 














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| IIJSIM YIS hn ele EH Ko 
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| atatdauoae aS SS D D Dh Ph Da G 
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on St eos Ps sk S BAS S 
“ZOOM za bo ee D Bo se D D mM A 


D. Tabellen zu § 26. 


94 


10. Idealperson (Literatur: 15, 31, 40, 49, 50, 77). 









Herrscher, Kaiser, Kaiserin, Präsident 
aus der Geschichte 

aus der Geschichte fremder Länder 
aus der Geschichte des eigenen Landes 
öffentliche Person 

Verwandte, Vater und Mutter 

aus der Dichtung 

Schriftsteller oder Künstler 

Jesus 

Person des Umgangs, Bekannte 

aus der Bibel 

Person des anderen Geschlechts 


Herrscher 


aus der 
Geschichte 








eig. Landes 














Er S 55 2 2 
E E E Eg D 
DA, K 2.2 o 7 Fa 
M | M | M | M | 
NM M | 
| M | 
M | 
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| 
| 
| 
| 


Bekannte 





i 


des anderen! 
Geschlechts: 





95 


Vergleich des Geschlechtsverhdlinisses bei verschiedenen Eigenschaften. 


9799 


949 

sqaıTue}suoRN 

USJJBVYISUOTIQ, OBQIZI[OY 
SUNUIBYISIG Wo19syny "pP "y9Buadıy 
ZuNnpliq Joep usysyosuesiq 
‘qosuesiq Iosu ‘OnI 
BIHYABIBUI ‘PUM P ‘Gosuesiq 
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4SUSIPIOA somosTy[od ‘se[BIzog 
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‘TUBMBINIOgG IOP AIJOM '[UBAHBEPUNGHLT IOP ATJOM ‘uUOsied| sop] sop uozsByqosuesiy ‘jy 


96 D. Tabellen zu $ 26. 


Aulser der Frage der relativen Überlegenheit der männlichen oder der 
weiblichen Personen interessiert auch die Frage der Gröfse des Geschlechts- 
unterschiedes. Wenn wir z. B. gefunden haben, dafs die Begabung für 
Mathematik bei den Knaben relativ gröfser ist als die Begabung für Sprachen, 
so können wir weiter fragen, ob die Begabung der Knaben für Mathematik 
gröfser oder kleiner sei als die Begabung der Mädchen für Sprachen, — ob 
sich grölsere Geschlechtsunterschiede, abgesehen von ihrer Richtung, 
ergeben, wenn wir nach dieser oder jener Eigenschaft klassifizieren. Mit 
anderen Worten: neben dem Vergleich von DA mit DB (unter Berück- 
sichtigung der Vorzeichen) interessiert auch der Vergleich von |DA| und 
| DB; (ohne Berücksichtigung der Vorzeichen, den absoluten Beträgen nach). 
Wir haben den paarweisen Vergleich der Eigenschaften auch hierfür durch- 
geführt, sind aber dabei nur so selten zu übereinstimmenden Ergebnissen 
gelangt, dafs wir nicht näher darauf eingehen. 


97 


E. Tabelle zu §§ 28 und 29. 


Anderungen des Geschlechtsunterschiedes in ihrer 
Abhängigkeit vom Alter. 


Wir haben in sämtlichen Fällen des in Kapitel II niedergelegten 
Materials, in denen derselbe Versuch an Angehörigen verschiedener 
Altersgruppen angestellt war, die absoluten Beträge der Do + Du 
bei je zwei Altersstufen (a und A) miteinander verglichen. Wenn 
bei einer Altersstufe nur Do oder Du berechnet war, so haben wir 
auch nur das Do oder das Du der anderen Altersstufe zum Ver- 
gleich herangezogen. 

Wir haben hier nur volle Altersstufen miteinander verglichen; 
d.h. wir haben Altersstufen, die sich nur um 4%, Jahr unterscheiden, 
aulser Vergleich gelassen, im übrigen Halbjahresstufen der nächst- 
niedrigeren zugerechnet. Wir haben also z. B. 9- mit 9% jährigen 
gar nicht verglichen und die Vergleiche von 9- mit 10Y/, jährigen 
mit den Vergleichen der 9- und 1l0jährigen zusammengeworfen. 

Wir scheiden zunächst diejenigen 618 Vergleichsfälle aus, in 
denen Do a + Du a ein anderes Vorzeichen hat als Do A + Du A. 
Solche Fälle von Richtungsänderungen des Geschlechtsunter- 
schiedes finden sich, wenn wir die Altersstufen von 3 bis 17 Jahren 
mit den um je 1 bis 2 Jahre höheren Altersstufen vergleichen, unter 
2390 Vergleichsfällen 223mal (9%); wenn wir sie mit den um je 
3 bis 4 Jahre höheren Altersstufen vergleichen, unter 1419 Ver- 
gleichsfällen 202mal (14%), und wenn wir sie mit Altersstufen, 
die um 5 oder mehr Jahre höher sind, vergleichen, unter 839 Ver- 
gleichsfällen 179mal (21%). 

Die 3725 Fälle, bei denen überhaupt Zunahmen oder Abnahmen 
des Geschlechtsunterschiedes vorkommen, verteilen sich über 135 
Vergleichspaare derart, dafs die Zahl der auf ein Vergleichspaar 
entfallenden Fälle meist zu klein ist, als dafs die Zahl der Zunahmen 

Beiheft zur Zeitschrift für angewandte Psychologie. 14. Zweiter Teil. 7 


98 E. Tabelle zu §§ 28 und 29. 


deutlich genug die Zahl der Abnahmen übersteigt. Wir haben 
nur diejenigen 28 Vergleichspaare mit 888 Vergleichsfällen weiter 
berücksichtigt, bei denen der Überschufs der Zunahmen über die 
* Abnahmen (oder umgekehrt) der im Teil II D, S. 84 aufgestellten 
Regel entspricht. Dafs diese Auswahl, bei der wir nur zwischen 
4 und 8,4 und 9, 4 und 10 Jahren mehr Abnahmen als Zunahmen, 
in den übrigen 25Fällen aber mehr Zunahmen finden, die allgemeine 
Gesetzmälsigkeit nicht fälscht, geht daraus hervor, dals auch unter 
den übrigen 107 Vergleichspaaren in 86 Fällen die Zahl der Zu- 
nahmen und nur in 14 Fällen die Zahl der Abnahmen grofser ist. 
(in 7 Fällen ist die Zahl der Zu- und Abnahmen gleich). 


& A | Zunahme | Abnahme & A | Zunahme | Abnahme 
| | 
4 8 0 6 12 17 3 0 
4 9 0 6 13 19 14 1 
4 10 | 0 7 14 15 27 16 
6 11 32 19 14 17 17 4 
6 13 14 5 14 18 9 1 
7 10 52 34 14 19 9 1 
7 IE 49 31 15 19 26 1 
7 13 24 10 16 17 21 10 
8 13 1 38 17 16 18 13 3 
9 12 | 80 54 16 19 15 0 
10 13 66 36 16 20 3 0 
11 14 30 15 17 19 13 2 
11 15 16 7 18 19 14 13 
12 13 | 74 47 jg.!) alt. | 47 13 


1) Kinder und Eltern bei HEYMANS-WIERSMA (48). 


99 


F. Tabelle und Figur zu $ 30. 


Die Besserleistung eines Geschlechts in seiner Abhängig- 
keit vom Alter. 


Die Vergleichung je zweier Altersstufen ist für diejenigen 
Ergebnisse, die eine Wertung enthalten, auch in der Weise durch- 
geführt worden, dals wir untersucht haben, ob sich von der nie- 
drigeren Altersstufe (a) zur höheren (A) hin, die Leistung der 
männlichen Personen oder die der weiblichen relativ stärker ver- 
bessert. Während wir also im vorigen Paragraphen die absoluten 
Beträge der Ausdrücke | Do a + Du a | und | Do A + Du A | unter- 
suchten, ziehen wir hier die Vorzeichen mit in Betracht und 
sprechen von einer relativen Besserung der männlichen Leistungen 
(M), wenn (Do a + Du a) — (Do A + Du A) < 0, dagegen von 
einer relativen Besserung der weiblichen Leistungen (F), wenn 
(Do a + Du a) — (Do A + Du A) > 0. 

Wir brauchen uns also hier nicht auf diejenigen Fälle zu be- 
schränken, in denen keine Richtungsänderung des Geschlechts- 
unterschiedes vorliegt. 

Ferner haben wir hier auch die Halbjahresstufen besonders 
berücksichtigt. 

M (relative Besserung der männlichen Leistungen) liegt in 1708 
(54% bzw. 58%) Fallen vor, F in 1240 (39% bzw. 42%) und ein 
Gleichbleiben in 232 (7%) Fallen. 

Diese Prozentzahlen haben jedoch hier keine allgemeine Be- 
deutung, weil bei einer Betrachtung der 339 einzelnen Vergleichs- 
paare sich sowohl eine Zahl von Vergleichspaaren ergibt, bei denen 
die M-Fälle in der Überzahl sind (191), wie auch eine Zahl von 
Vergleichspaaren, bei denen die F-Fälle in der Überzahl sind (112). 

Dafs die Verteilung der M- und F-Fälle jedoch keine rein zu- 
fällige ist, zeigt eine nähere Betrachtung derjenigen 42 Paare ver- 

7% 


100 F. Tabelle und Figur zu $ 30. 


glichener Altersstufen mit 622 Vergleichsfällen, bei denen wiederum 
(nach der in Teil II D, S. 84) aufgestellten Regel der Überschufs 
der M- über die F-Fälle genügend grols ist, um nach der Wahr- 
scheinlichkeitsrechnung eine reale Bedeutung beanspruchen zu 
dürfen. Unter Zugrundelegung dieser 42 Vergleichspaare zeigt sich 
nun, dafs die M-Fälle sich auf die Altersstufen zwischen 31, und 
10 Jahren, die F-Fälle auf die Altersstufen zwischen 14 und 19 
Jahren konzentrieren. 


7 


3 | 0 6% 10% 10 0 

31, 4 0 7 81, 11 2 
3% 8% | E 0 7 10 38 16 
BO 8 0 az n 35 18 
31,10 5 0 ou 8% 12 2 
3% 10% 6 0 1%, 10% 10 1 
3% 1l 5 o 10 42 27 
3% 11% 5 0 9 10 43 28 
Se 12 | 4 0 9 16 9 22 
3, 12% 5 0 10 10% 11 3 
8 3 0 023 21 11 

5 8%, 3 0 10% u 2 10 
5 100% |} 38 0 10% 138% 0 3 
e ol 8 0 1 12% 12 3 
Be Bi a 0 121, 131, 0 4 
6 sy | 7 0 13 M 16 25 
6 10 29 14 131, 14 3 0 
6 10%, 8 0 4 19 0 3 
6 11 27 14 6 19 0 4 
6 111, 6 0 18 19 0 3 
6% 10 9 1 | Jg.*) alt. 13 1 


Die Kurve stellt sämtliche in der Tabelle enthaltenen Grölsen- 
verhältnisse graphisch dar. Sie ist natürlich nicht die einzige Mög- 
lichkeit einer graphischen Wiedergabe dieser Gröfsenverhältnisse ; 
insbesondere muls es nach der Tabelle ganz dahingestellt bleiben, 
ob und wo die Kurven, welche die Entwicklung der beiden Ge- 
schlechter darstellen sollen, sich schneiden ; ebensowenig Anhalts- 
punkte haben wir für den Neigungswinkel. Das einzige, was wir 


1) Kinder und Eltern bei HEYMANS-WIERSMA (48). 


Die Besserleistung eines Geschlechts in seiner Abhängigkeit vom Alter. 101 


a 







LI 


eben ies 
keet 
ptt ttt tt 
ITT 





~ 


AA Eee 
xt ttt tT e 
/L | | i | tT tt TT a 


Aller: 5 mo 12 13 jw 15 1 17 


aus der Tabelle annäherungsweise entnehmen können, ist das 
Gröfsenverhältnis der Abstände der beiden Kurven voneinander, 
und bei jeder Darstellungsweise mülste sich z. B. dies ergeben, 
dafs der Abstand (von der Mädchenkurve zur Knabenkurve hin 
als positiv betrachtet) im Alter von 12 Jahren am grölsten ist. 


102 


G. Tabelle und Figur zu § 31. 


Das Verhältnis des Geschlechtsunterschiedes im Ver- 
laufe eines Schuljahres. 


Wir vergleichen jedes einem bestimmten Termin (,,T‘) zu- 
geordnete Zeugnisergebnis der Bristol Holt Secondary School (2) 
mit allen anderen, früheren und späteren Terminen (,,t‘‘) zuge- 
hörigen Zeugnisergebnissen derselben Klasse und desselben 
Unterrichtsfaches. Wir bezeichnen alle diejenigen Fälle als „+“, 
in denen die Knabenleistung bezogen auf die Leistungen der 
Mädchen, zu dem Termin T besser ist als zu dem Vergleichstermin t, 
und wir bezeichnen sie als ,,— ‘‘, wenn sie zu dem Termin T schlechter 
ist als zu dem Termin t. Als „+“ werden also diejenigen Fälle 
gezählt, in denen von t zu T eine relative Besserung oder von 
T zu t eine relative Verschlechterung der Knaben-Leistung ein- 
tritt, als ,,—‘“‘ diejenigen Fälle, in denen von t zu T eine relative 
Besserung, von T zu teine relative Verschlechterung der Mädchen- 
Leistung eintritt, als ‚O0‘ diejenigen Fälle, in denen der Geschlechts- 
unterschied in T und t der gleiche ist. 

Die nachstehende Tabelle enthält die Anzahl der +, — und 
0-Fälle, und zwar in jedem einem bestimmten T und t zugeordneten 
Felde links oben die Zahl der +-Fälle, in der Mitte die Zahl der 
0-Fälle, rechts unten die Zahl —-Fälle. Zu jedem T gehört eine 
(vertikale) Kolonne, zu jedem t eine (horizontale) Zeile. 

Die vorletzte Zeile enthält für jedes T die Summe der +- 0-, 
und —-Fälle, die letzte Zeile die entsprechenden Prozentzahlen ; 
hierbei sind die 0-Fälle zur Hälfte den +-, zur Hälfte den —-Fällen 
zugerechnet. 


— go 


Das Verhältnis des Geschlechtsunterschiedes im Verlaufe eines Schuljahres. 103 





14.X.|28. X. |18. X1.9. XII. 2, 11,23. IL| 15. 11| 25. V. |15. ve VI. 





3 2 3 6 | 1 


14 
J 


26 
" 





| | 

2 2 2 2 3 
19 (21 

12 3 

20 31 | 14 
40 Lg 

29 52 An 421 on 54 5 


In der Kurve ist die Prozentzahl der zu jedem T gehörigen 
+-Fälle graphisch dargestellt. 


104 G. Tabelle und Figur zu § 31. 


Die Schulleistungen der Knaben im Verhältnis zu denen der 
Mädchen an verschiedenen Zeugnis-Terminen. 

(Je gröfser die Ordinate, desto gröfser die Überlegenheit der Knaben über 

die Mädchen bzw. desto geringer die Überlegenheit der Mädchen über die 


Knaben.) 
Winter frühjahrs Sommer 
-Trimester -Trimester -Trimester 


Mont X WD M I Z M PW 


105 


H. Tabellen und Figuren zu Kapitel V. 
Allgemeine Statistik der Ergebnisse. 


Wir teilen die Ergebnisse unserer Zusammenstellung 

a) in solche, die nach der Alternative(A)- und solche, die 
nach der Klassifikations(K)-Methode festgestellt worden sind, 

b) in solche, die eine Wertung (W), und solche, die nur eine 
nicht-wertende Konstatierung enthalten (oW), 

c) die Wertungsresultate ferner in solche, die zugunsten 
der m, und solche, die zugunsten der f sprechen. 

d) die Klassifikations-Wertungsresultate ferner in solche, die 
das oberste und solche, die das unterste Leistungsviertel betreffen. 

So entstehen 8 Gruppen von Resultaten. Innerhalb jeder 
Gruppe sind nach ihrer Zuverlässigkeit unterschieden diejenigen 
Resultate, bei denen @ = 2,3... Jedoch sind die Resultate bet 
den Q gleich 6 oder 7, 8-10, 11—20, 21—100, > 101 zu je einer 
Gruppe zusammengefalst; dadurch werden kleine Unregelmäfsig- 
keiten, die durch Zugrundelegung zu kleiner Anzahlen entstehen, 
ausgeglichen. — Tabelle 1 orientiert über die Resultate dieser 
Z&ählung?). 

1) Tabelle la gibt eine Statistik der Q für diejenigen Resultate, die 
HEYMANS-WIERSMA (48) an der jüngeren Generation ihrer Enquete-Per- 
sonen gewonnen haben, Dies ist von unseren Materialien dasjenige, welches 
die meisten Einzelbestimmungen über ein und dieselbe Personengruppe 
umfafst. Daher sind die Gröfsenverhältnisse der Q hier ausschliefslich 
durch die Prozentzahlen und nicht durch die Personenzahl bestimmt. 
Daher können wir hier auch diejenigen — in der Tabelle des Kapitels II 
nicht mit aufgenommenen Fälle — in denen Q < 2 mit in Vergleich stellen. 
Die beiden ersten Zeilen der Tabelle la enthalten die absoluten Anzahlen 
der Ergebnisse, bei denen Q = 0, 1, 2.. ., getrennt nach Klassifikations- 
und Alternativergebnissen; die beiden letzten Zeilen enthalten die ent- 
sprechenden Prozentzahlen, dividiert durch die Anzahl der (in der Über- 
schrift) zusammengefalsten Gröfsenklassen (analog der Figur ]). 


106 H. Tabellen und Figuren zu Kapitel V. 

















Ta- 
— SS 
Leistungs- zugunsten | 

Methode | Seet déo Q= 2 3 ne EELER 4 
l A — — 736 588 438 
2 A — m 160 132 80 
3 A _ f 86 86 48 
4 K — | — 133 77 53 
5 K o m 105 64 60 
6 K u m 86 95 45 
7 K o f 123 78 66 
8 K | u | f | 109 98 79 

Tabelle la (s. Anm. vor. Seite). 
Q = 

0—1 2—4 5—10 11—20 > 21 Summe 

134 

68 

202 

K 12,7 6,7 4,0 1,6 0,2 -- 

A 8,8 9,8 2,0 1,8 0,3 — 


In den folgenden Tabellen (2—9) sind die Gesamtanzahlen 
der in verschiedene Gruppen entfallenden Ergebnisse zusammen- 
gezogen oder zueinander in Vergleich gestellt. 


Tabelle 2. Tabelle 3. 
1—3 A 5804 1,4 ohne Wertung 4755 
4—8 K 2737 2,3.5—8 mit Wertung 3786 
Gesamt-Anzahl . . . . 8541 Gesamt-Anzahl . . . . 8541 
Tabelle 4. Tabelle 5. 
5 Oo 606 51% 7 o 466 48%, 
6 u 577 49% 8 u 513 52%, 
K-Ergebnisse zu- K-Ergebnisse zu- 
gunsten der m . 1183 gunsten der f . 979 
Tabelle 6. Tabelle 7. 
2, 5, 6 m 2269 60% 2 m 1086 67% 
3, 7,8 f 1517 40% 3 f 538 33%, 
Wertungs- A-Wertungs- 


Ergebnisse 3786 Ergebnisse 1624 


Allgemeine Statistik der Ergebnisse. 107 


belle 1. 





Tabelle 8. Tabelle 9. 
5 m 606 56% 6 m 577 53% 
7 f 466 44% 8 f 513 47% 
Ergebnisse im o- Ergebnisse im u- 
Leistungsviertel 1072 Leistungsviertel 1090 


Die Figuren 1—3 geben den Inhalt der Tabelle 1 in graphischer 
Darstellung wieder; die einzelnen Q-Werte sind als Abszissen und 
ihre Häufigkeit als zugehörige Ordinaten eingetragen. Überall da, 
wo in Tabelle 1 die auf zwei oder mehr Q-Werte entfallenden 
Ergebnisanzahlen zusammengefalst wurden, ist als Abszisse das 
arithmetische Mittel der zusammengefalsten Ergebnisanzahlen 
eingetragen. Aus Gründen der Platzersparnis sind in den Figuren 
die zu Q > 21 gehörigen Ergebnisanzahlen weggeblieben. 

Figur 1 enthält in getrennten Kurven die Prozentzahlen 
der Alternativ- und der Klassifikationsergebnisse, die auf die Q 
verschiedener Grölse entfallen. Es werden also einmal die Zeilen 
1—3, und zweitens die Zeilen 5—8 der Tabelle 1 zusammengefalst. 

(Figur 1 siehe Seite 108.) 


Für Figur 2 wurde berechnet, wieviel Prozent einmal der 
Alternativ- und zweitens der Klassifikations-Wertungsergebnisse 
zugunsten des einen oder des anderen Geschlechts sprechen und 
zugleich auf ein Q bestimmter Grölse entfallen. Als Divisor der 
Prozentzahlen-Berechnung dient also für die Alternativresultate 
die Summe der Zeilen 2 und 3 (1624), für die Klassifikations- 
tesultate die Summe der Zeilen 5—8 (2162); im Zähler der Brüche 
aber treten die Werte der Zeilen 2 und 3 einzeln auf, bzw. werden 


108 H. Tabellen und Figuren zu Kapitel V. 


Figur 1. 
Prozentuale Häufigkeit der Q verschiedener Gröfse bei sämtlichen (5804) 
Alternativ- und (2737) Klassifikations-Ergebnissen. 


m m m mem um em em =m. am + ees a ms as ae o em 


Zum Vergleich ist ein Stück der Kurve 


— x? 
29 0% 
y= E e SES eingezeichnet. 
4Qy2x 
% K 
. Es 
OLA 
18 
> 
7 


i rer 
; CONE 


et En 
P DRETT 
, Ket tT tt 
ZS 


GEN 
ITT 


— a 
Q2 3 + 5 6 F 8 1 1 13 1% 75 





16 


Allgemeine Statistik der Ergebnisse. 109 


nur die der Zeilen 5—6 und 7—8 zusammengefalst. Diejenigen Q, 
zu denen Resultate zugunsten der m gehören (Zeile 2, 5—6), 
werden als Abszissen nach rechte, diejenigen, zu denen Resultate 
zugunsten der f gehören (Zeile 3, 7—8) nach links von der Ordinaten- 
achse abgetragen. Jedem Q von bestimmter Grölse entspricht 
also eine rechts und eine links von der Achse liegende Ordinate. 
Bei der Kurve der Alternativergebnisse hat der auf der rechten 
(m-) Seite gelegene Kurvenpunkt stets eine grölsere Ordinate als 
der zu einer gleichen Abszisse gehörige auf der linken (f-) Seite 
gelegene; bei der Kurve der Klassifikationsergebnisse ist dies 
nur für diejenigen Kurvenpunkte der Fall, die zu Abszissen (Q) 
> 5 gehören, während bei Abszissen < 5 die auf der f-Seite ge- 
legenen Punkte gröfsere Ordinaten haben. 


Figur 2. 
Prozentuelle Häufigkeit der Q verschiedener Grölse bei sämtlichen 1624 


gebnisse zugunsten der m und zugunsten der f. 


PTT TTT TNT TTT 
EE EE 





a i 
eA tT | | | EL 


~ 


MIKAT Miz 
A A Yate 
AT 
LJ 

oe 
ett | ty 








ITLL oS 
e 

nd 

mund 


a ar am ne m: 
0:16 1% 12 00 8 6 4 ZO ZA 6 8 M 12 "jk 6H. 


110 H. Tabellen und Figuren zu Kapitel V. 


- Figur 3 enthält auf der rechts von Ordinatenachse gelegenen 
Hälfte die absoluten Anzahlen der zugunsten der m sprechenden 
Klassifikationsergebnisse (Zeile 5 und 6), auf der linken Seite 


‘die Anzahlen der zugunsten der f sprechenden (Zeile 7 und 8). 


O 


Auch hier sehen wir, dafs zu Q < 5 auf der f-Seite grölsere Er- 
gebnis-Anzahlen gehören als auf der m-Seite, dagegen zu Q > & 
auf der m-Seite grölsere Anzahlen als auf der f-Seite. — Ferner 
sind auf der m-Seite diejenigen Anzahlen, die sich auf Geschlechts- 
vergleiche im obersten Leistungsviertel beziehen, bei allen Q > 4 
fast ständig grölser als diejenigen, die sich auf das unterste Leistungs 
viertel beziehen, während auf der f-Seite schon von © = 3 ab die 
Anzahlen für das unterste Leistungsviertel fast ständig grölser sind 
als die für das oberste. 


Figur 3. 
Absolute Häufigkeit der Q verschiedener Grölse bei sämtlichen Klassifikations- 


viertel, getrennt in Ergebnisse zugunsten der m und zugunsten der f. 


I HE DR ER KR SO EEE HE 


ERR eee 
ptt de TINGS le 


zee iS 
SE 
(lU Net 
(CITT IS 
Lk alles 
EEL VELL 
ji 
[a or 
| | | LAR EBT 
Ee hes a a | 
TE Hei 
die eT [| [ | | 


ZA 
> 
mY 
N 


74 70 


© 
e 
"E 
N 
© 
N 
> 





Allgemeine Statistik der Ergebnisse. 111 


Wir teilen die Ergebnisse der Zusammenstellung der Pem 

a) in solche, die nach der Alternativ(A)- und solche, die nach 
der Klassifikations(K)- Methode festgestellt worden sind, 

b) in solche, die eine Wertung (W), und solche, die nur eine 
nichtwertende Konstatierung enthalten (oW), 

c) in solche, die zugunsten der m, und solche, die zugunsten 
der f sprechen (Wertungsergebnisse) oder die wenigstens zeigen, 
dafs die betr. Eigenschaft bei dem einen oder anderen Geschlecht 
häufiger ist (Alternativergebnisse ohne Wertung). 

So entstehen 7 Gruppen von Resultaten. Innerhalb jeder 
Gruppe sind diejenigen Resultate gezählt, bei denen Pem = 50, 
51, 52... 148, 149, 150. Jedoch sind die Resultate, bei denen 
Pem = 650 bis 68, 69 bis 84, 85 bis 92, 93 bis 96, 97 bis 98, 102 
bis 103, 104 bis 107, 108 bis 115, 116 bis 131, 132 bis 150 zu je 
einer Gruppe zusammengefalst. — Aulserdem sind bei den Klassi- 
fikationsergebnissen diejenigen Resultate besonders gezählt, bei 
denen nur Qo oder Qu grölser als 2 ist, und bei denen sich daraus 
ergibt, dafs Pem als grölser oder als kleiner als 100 anzunehmen 
ist. — Tabelle 10 orientiert über die Resultate dieser Zählung). 


(Tabelle 10 siehe Seite 112 und 713.) 


Aus den absoluten Zahlen der Tabelle 10 sind dann in Ta- 
belle 11 die entsprechenden Prozentzahlen berechnet; als Divisor 
dient dabei stets die Summe der in einer Zeile der Tabelle 10 
stehenden Zahlen ; nur bei den Klassifikationsergebnissen ist nicht 
diese Summe zugrunde gelegt, sondern nur die Summe derjenigen 
Anzahlen, bei denen Pcm wirklich der Gröfse nach bestimmt 
werden konnte, also die Gesamtsumme vermindert um die An- 


1) Wie aus einem Vergleich der Tabellen 1 und 10 ersichtlich, decken 
sich die Resultate der beiden zugrundeliegenden Zählungen nicht. Die 
grolsen Unterschiede zwischen den Summen rühren daher, dafs in Tabelle 1 
die Resultate des obersten und des untersten Leistungsviertels gesondert 
gezählt wurden, während hier im allgemeinen zwei solche Resultate als 
zusammengehörig und nur als eines gezählt wurden. Sieht man von dieser 
Verschiedenheit der Zählung ab, so bleiben noch einige kleinere Differenzen 
übrig, die z. T. daher rühren, dafs es bei manchen Resultaten zweifelhaft 
ist, ob ihnen eine Wertung oder keine Wertung zugrunde liegt. Es mag 
also hier und da vorgekommen sein, dafs dasselbe Resultat einmal als 
Wertungsergebnis, einmal als Ergebnis ohne Wertung gezählt wurde. Da 
diese Zählungsunterschiede aber im Verhältnis zur Gesamtzahl minimale 
sind, und die Resultate, auf die es ankommt, nicht verändern können, 
so lohnte es sich nicht, ihnen nachzugehen und sie zu eliminieren. 


IAAP oh = 





112 H. Tabellen und Figuren zu Kapitel V. 








ten Eet lt TT" | 
Methode | der | Wertung | _ 100 506818984 85—92 93 —96 EEN 
K — 125 | 1 5 | 20 | 25 | 24 
K m 202| 3 | 39 | 51 | 53 | 29 
K f W 251; O | 14 | 37 | 46 | 34°) 
A | m | W — | 62 | 8 | 53 | 52 | 28 
A f W — | 20 | 21 | 25 | 20 | 31 
A m oW — | 395 | 306 | 160 | 49 | 16 
A f oW — į 1 | 26 | 45 | 55 | 41 


zahlen der ersten und letzten Kolonne. — Die so entstehenden 
Prozentzahlen wurden ferner dividiert durch die Anzahl der in 
der Überschrift je einer Kolonne zusammengefalsten Gruppen. 
Die in der Tabelle stehende Prozentzahl 5,5 derjenigen Pcm, die 
bei den Klassifikationsergebnissen ohne Wertung auf die Grölsen 
99 bis 101 entfallen, besagt also z. B., dafs 16,5%, aller Pem in 
dieser Resultat-Gruppe die Grölse 99, 100 oder 101 hatten, oder 
dals auf die Werte 99, 100, 101 durchschnittlich je 5,5% der 
Pem entfielen. 











EE 
zugunsten vag (eras leo es 

Methode der Wertung | 50—68 |69—84 '85—92 |93—96 | 97—98 
1 K == oW 0,0 0,2 1,5 3,7 7,0 
2 K m Ww 0,0 0,6 1,6 3,3 3,6 
3 K f W 0,0 0,3 1,8 4,6 6,8 
4 A | m OO W 05 : 1 1,2 2,4 2,6 
5| A f vw 04 | o5 |13 | 2,0 | 6,3 
6 A m oW 1,9 1,7 18 ' 1,1 0,7 
7 A f | oW 0,0 0,2 | 06 . 1,4 2,0 





In Figur 4 sind die in den Zeilen 1 bis 3 der Tabelle 11 ent- 
haltenen Prozentzahlen noch einmal graphisch dargestellt. Als 
Abszissen sind die Durchschnittswerte der Überschriften, als 
Ordinaten die eben definierten durchschnittlichen Prozentzahlen 
eingetragen. Die Werte, die zu Abszissen gehören, die für je 
eine Kurve gleich weit von 100 entfernt sind, sind durch 
punktierte Linien verbunden; ihr schräger Verlauf zeigt, dafs die 
Kurven schief sind, und dafs die links von der Mittellinie gelegenen 
Ordinaten, die zu Abszissen < 100 gehören, stets grölser sind als 


Ta- 


Allgemeine Statistik der Ergebnisse. 113 














belle 10. 

Se gé ei Ales, > 100 ae 

20 | 4 21 23 19 l 0 lll 171 | + 236 
40 | 12 28 45 50 Pe | 2 176 803 | + 378 
35 | 6: 20 25 25 9 1 208 258 | + 459 
7 | 18 | 20 40 60 65 48 536 = 
3! 9; 15 22 32 24 14 e 245 = 
1% | 14, 24 38 34 A0 3 = 1111 Sg 
13/11: 30 72 154 265 279 = 1004 SE 


die zu Abszissen > 100 gehörigen Punkte der rechten Kurven- 
halfte. 
(Figur 4 siehe Seite 114.) 


Bei den Alternativergebnissen ohne Wertung (Zeile 6 und 7 
der Tabellen 10 und 11) gewährt die Grölse von Pcm einen Mals- 
stab für die Häufigkeit, in der die betreffende Reaktionsweise 
überhaupt vorkommt, und zwar ist, wenn es sich um m-Ergebnisse 
handelt (Zeile 6), die Reaktionsweise um so seltener, je kleiner 
Pem ist; wenn es sich um f-Ergebnisse handelt (Zeile 7), so ist 


belle 1l. 


99—101 kee Reg 132—150 








5,5 6,1 3,4 1,4 0,1 0,0 
5,0 3,5 2,8 1,6 0,7 0,0 
6,2 4,0 2,5 1.2 0,2 0,0 
2,1 1,9 1,9 1,4 0,8 0,5 
2,9 3,1 2,2 1,6 0,6 0,3 
1,4 1,1 0,9 0,4 0,2 0,0 
1,2 1,1 1,8 1,9 1,7 1,5 


die Reaktionsweise um so seltener, je kleiner Pcf, oder je grölser 
Pem ist (vgl. Teil I, S. 96). — Wenn wir sagen, dafs diejenigen 
Reaktionen, die ein m-Resultat ergeben, und bei denen Pem = 60, 
den Häufigkeitsgrad h = 10 besitzen, so werden wir denselben 
Häufigkeitsgrad h = 10 auch denjenigen Reaktionen zuschreiben 
müssen, die ein f-Resultat ergeben, und bei denen Pem = 140. 
Dagegen werden Reaktionen, die ein m-Resultat und Pem = 140, 
oder ein f-Resultat und Pem = 60 ergeben, den Häufigkeitsgrad 
h = 90 besitzen usw. — In Figur 5 sind die in den Zeilen 6 und 7 
Beiheft zur Zeitschrift für angewandte Psychologie. 14. Zweiter Tel. 8 


114 H. Tabellen und Figuren zu Kapitel V. 


Figur 4. 
Prozentuelle Häufigkeit der Pcm verschiedener Gröfse bei den 403 Klassi- 
fikations- Wertungs- Ergebnissen zugunsten der m, den 258 Klassifikations- 


e LA 


09 


OL 





2 
E 
Cl 
= 
zx 
= 
= 
CG 
Ki 
WW 
E 


- EITI > Y 703 
{ i pe / ke wë | 102-7 
{ ! w A} — E J 
2L 


» = 


af ET 
IG. 1 jars 


1/7 

Si 

eC 

116-757 

bert 

I IT: 

| 

pit ft FEE 
“a A 

~ 
Q 


der Tabelle 10 enthaltenen Anzahlen graphisch dargestellt. Als 
Abszissen sind die durchschnittlichen Häufigkeitsgrade, die sich 
aus den Kolonnenüberschriften ergeben, als Ordinaten die durch- 


‚Allgemeine Statistik der Ergebnisse. 115 


schnittlichen Anzahlen eingetragen, und zwar getrennt fiir die 
m- und fiir die f-Ergebnisse. — Die Kurve der m-Ergebnisse hat. 
ihr Maximum beim Häufigkeitsgrad h = 9, die der f-Ergebnisse 
beim Häufigkeitsgrad h = 52,5. 


Figur 5. 


grade. 








been em 





60. 
7 5865 


3 


h —— 


eg ‘ 
du 
te, Denge wg 


ng, 
+6 





48 52-5354 


47 





abs. Anzahl 
is 


116 H. Tabellen und Figuren zu Kapitel V. 


Die im Teil II B, 8. 54 und 55 zusammengestellten 440 Paare 
zusammengehöriger Vm und Vf lassen eine doppelte Behandlungs- 
weise zu: 

1. Wenn wir die Differenzen je zweier zusammengehöriger Vm 
und Vf nach ihrer Grölse ordnen, so ergeben sich die in Tabelle 
12 verzeichneten Häufigkeiten. Der Zentralwert der Differenzen 
Vm — Vf ist + 0,03, ihr mittlerer Bereich liegt zwischen + 0,11 
und —:0,07. 


Tabelle 12. 





— [| 


Häufigkeit | Diffe- | Häufigkeit | Häufigkeit | Diffe- | Häufigkeit 






Vm — Vf renz Vf — Vm Vm — Vf renz Vf — Vm 
27 | 0,00 | 26 1 0,24 0 
5 0,01 6 11 0,25 10 
3 0,02 2 1 0,26 0 
24 e 0,03 8 0 | 0,27 1 
24 0,04 16 0 0,28 1 
13 0,05 2 2 0,29 0 
5 0,06 2 0 0,30 l 
10 0,07 5u 2 0,31 0 
17 0,08 23 11 0,33 3 
7 | 0,09 5 2 0,35 1 
9 0,10 9 2 0,37 0 
so | ou 0 1 0,40 0 
10 | 0,12 6 0 0,44 1 
15 0,13 19 6 0,50 0 
3 0,14 1 2 0,58 l 
4 0,15 5 4 0,67 l 
1 0,16 2 1 0,75 | 2 
15 0,17 14 1 0,83 0 
2 0,18 0 1 0,87 0 
l 0,19 0 0 0, ei 1 
s 0,20 2 0 1 
1 0,22 1 233 23 |Summe| 14 mer] 154 
3 0,23 2 


Der Inhalt der Tabelle 12 ist in Figur 6 graphisch dargestellt, 
und zwar sind die Differenzen Vm — Vf als Abszissen, ihre Häufig- 
keiten als Ordinaten eingetragen. Im Interesse grölserer Anschau- 
lichkeit sind wiederum mehrere Differenzen zusammengefalst, 
und ihre Durchschnittswerte (als Abszissen) bzw. die Durchschnitts- 
werte ihrer Häufigkeiten (als Ordinaten) den Kurvenpunkten 
zugrunde gelegt worden. — Auf die bereits früher geschilderte 


Allgemeine Statistik der Ergebnisse. 117 


Art wurde wiederum veranschaulicht, dafs die zu positiven Diffe- 
renzen (als Abszissen) gehörigen Häufigkeiten (Ordinaten) stets 
grölser sind als die zu negativen gehörigen. 


Figur 6. 
Absolute Häufigkeit der Vm-V£ verschiedener Gröfse bei 440 Klassifikations- 
Ergebnissen. 





2. Wenn wir die Vm und die Vf — ohne Rücksicht auf Zu- 
sammengehörigkeit, jeden Wert für sich, nach ihrer Grölse ordnen, 
so erhalten wir die in Tabelle 13 verzeichneten Häufigkeiten. — 
Der Zentralwert der Vm ist 0,20, und der mittlere Bereich der Vm 
ist begrenzt durch 0,13 und 0,28; der Zentralwert der V£ ist 0,17 
und die mittelsten 50%, der Vf liegen zwischen 0,11 und 0,25. 
Auch hier ergibt sich also, dafs die Vm durchschnittlich um 0,03 
grölser sind als die Vf. 


118 Tabellen und Figuren zu Kapitel V. 





Tabelle 13. 
ae a Eee m Een a en se ge 
Häufigkeit | Häufigkeit | Häufigkeit Häufigkeit 
der | V der der V der 
Vm Vi Vm Vi 
um 

54 0,00 48 10 0,30 ! 5 
0 001 ` 3 1 0,31 | 2 

2 0,02 2 4 0,32 | 2 

3 0,03 4 23 0,33 | 33 

3 0,04 1 l 0,34 | 0 

2 0,05 1 l 0,35 | 2 

2 | 0,06 2 2 0.36 | 3 

3 | 0,07 8 5 0,38 | 5 

6 0,08 4 3 0,40 | 5 

3 ` 0,09 3 l 0,42 ` 1 
14 i 0,10 36 3 0,43 ` 1 
7 | 0,11 4 0 0,44 | 1 

0 | 0,12 2 1 | 045 | 0 

o 50 | 0,13 69 2 0,47 | l 
6 ' 0,14 6 30 0,50 | 12 

l | 0,15 5 1 0,51 | 0 

1 | 0,16 2 1 0,54 | 0 
54 ' 0,17 64 1 0,55 | 0 
6 i 0,18 3 3 0,56 | 0 

2 0,19 4 1 0,57 | 0 

c 23 0,20 16 0 0,60 1 
3 | 0,21 7 2 0,63 1 

3 0,22 3 2 0,67 2 

4 | 0,23 | 4 1 0,73 0 

2 | 0,24 1 0 0,75 4 
64 ' 0,25 | 40 0 0,79 1 
2 Ä 0,26 | 3 1 0,83 0 

5 0,27 4 8 1,00 | l 
u3 ` 0,28 2 0 1,50 1 
5 | 0,29 4 0 o 1 


Bei 42 Resultaten, bei denen die Anzahlen der männlichen 
und weiblichen Versuchspersonen die gleichen waren (nm = nf), 
konnte aufser Vm und Vf auch Vz berechnet werden. Aus der 
Zusammenstellung in Teil II B, S. 5£ u. 55 ergibt sich, dals in der 
grolsen Mehrzahl (60%) dieser Fälle Vz grölser ist als Vm und Vf 
oder wenigstens gleich dem grölseren dieser beiden Werte. In 


Allgemeine Statistik der Ergebnisse. 119 


24%, der Fälle liegt Vz seiner Grölse nach zwischen Vm und Vf 
und nur in 16% ist es höchstens ebenso grofls wie der kleinere der 
beiden Werte. Wenn wir uns diese drei Haupttypen graphisch- 
schematisch darstellen (vgl. Figur 7), so zeigt sich, dafs die Ver- 
teilungskurve für eine aus beiden Geschlechtern kombinierte 
Gruppe in den weitaus häufigsten Fällen (Typus I und II, 84%) 
zweigipfelig ist ; sie ist nur in den sehr seltenen Fällen des Typus III 
eingipfelig, in denen die ‚Normalzonen‘‘ der Leistungen beider 
Geschlechter wenigstens teilweise zusammenfallen. 


Figur 7. 


Häufigkeit 








Thi VE us II 
TË "aam 
é ree bn UO N u == = Vz = 0,25 t 
DE DRlu KH E 
=: aM (Cut N L 
Jr GP S rye ee a 
SE 





mA | I 
= ~ 


Ve = 0,33 
Vk = 0,25 Typus III 


0 
Vz = 0,14 E 


Mebzehlen:7 2 = 9 1 11 


120 


J. Bibliographie. 


a) Die benutzten im Original nicht veröffentlichten Materialien 
sind die folgenden: 


1. 


bo 


Bielefeld. Volksschule. 

Zeugnislisten. 

Ostern 1913. 

Übermittelt durch Herrn Rektor A. FRANKEN. 


. Bristol Holt Secondary School. 


14 tägige Zeugnisse des Schuljahres 1911 X bis 1912 VII. 
Übermittelt durch Herrn Prof. C. Burr. 


. Bristol. Merrywood Secondary School. 


Ergebnisse der Prüfungen im Herbst 1912 und Früh- 
jahr 1913. 
Ubermittelt durch das Bristol Education Committee. 


. Liverpool. Elementary School. 


Ergebnisse der Prüfungen 1911 XII, 1912 V1 und 
1912 XI. 
Ubermittelt durch Herrn Prof. C. Burt. 


. Liverpool. St. Margarets Higher Grade School. 


Ergebnis der Weihnachtsprüfung 1912. 
Ubermittelt durch Herrn Prof. C. Burt. 


. Oberlin, Ohio. Oberlin College. 


Aufnahmen in die ®BK-Society 1895 bis 1910. 
Ubermittelt durch Prisident Henry C. Kina. 


. Stockholm. Volksschule. 


Halbjährliche Zeugnisse einer Gruppe 1899 geborener 
Schüler und Schülerinnen während ihrer Schullaufbahn 
von 1906 XII bis 1912 XII. 

Ubermittelt durch Herrn Dr. G. A. JAEDERHOLM, 


J. Bibliographie. 121 


8. Hrymans. Schulenquéte. 
Beantwortung von Fragen nach Charaktereigenschaften 
der Schulkinder durch Lehrer und Lehrerinnen an 54 
niederlindischen Schulen. Ergebnisse nach dem Alter 
getrennt. | 
Ubermittelt durch Herrn Prof. Hermans. 


b) Arbeiten tiber psychische Geschlechtsunter- 
schiede. 


In die nachstehende Bibliographie sind nur solche Arbeiten 
aufgenommen worden, die psychische Geschlechtsunter- 
schiede betreffen. Es sind also unberücksichtigt geblieben 
einmal Arbeiten rein physiologischer oder anatomischer Art, und 
zweitens solche, die nur zur Charakterisierung eines Geschlechtes 
beitragen, ohne die Charakterisierungsmerkmale durch Vergleich 
mit dem anderen Geschlecht zu finden. (Sehr viele, aber eben 
nicht alle Arbeiten über die Psychologie der Frau, sind im 
Grunde genommen, Arbeiten über psychische Geschlechtsunter- 
schiede.) Andererseits sind auch solche Arbeiten in die Biblio- 
graphie aufgenommen worden, in denen z. B. bei gleichartigen 
Experimenten an Studenten und Studentinnen — gewissermalsen 
als Nebenergebnis der Untersuchung ein Vorhandensein oder 
Nichtvorhandensein psychischer Geschlechtsunterschiede sich 
herausstellte. 

Diejenigen Arbeiten, die originale Beiträge zahlenmülfsiger 
Art — als Ergebnis von Experimenten oder Statistiken enthalten, 
sind in Korpus-Druck angeführt. Für solche Arbeiten dürfte die 
Bibliographie eine annähernde Vollständigkeit erreichen. 

Dazwischen sind in Petit-Druck solche Arbeiten genannt, die 
entweder gar kein zahlenmälsiges Material bringen, oder nur 
über anderweitige Ergebnisse experimenteller oder statistischer 
Art berichten. Für diese Arbeiten ist die Bibliographie selbst- 
verständlich sehr weit von einer Vollständigkeit entfernt. 

Da ich nicht alle in der Bibliographie aufgeführten Arbeiten 
im Original eingesehen habe, so sind vielleicht die Titel einiger 
Arbeiten, die nach Obigem in Korpus anzuführen waren, in 
Petit gedruckt und umgekehrt. Ebenso gehören vielleicht manche 
der hier genannten Arbeiten eigentlich in die Abteilung c, und 
möglicherweise wären auch manche Arbeiten der Abteilung c 
richtiger hier anzuführen gewesen. 


122 J. Bibliographie. 


Diejenigen Arbeiten, deren Ergebnisse in unserer Unter- 
suchung benutzt wurden, sind mit einer Nummer versehen, die 
sich auch sonst bei Zitierung der betreffenden Ergebnisse wieder- 
findet. 


ANATHON AALL, Zur Psychologie der Wiedererzählung. Eine ex- 
perimentelle Untersuchung. a) Psyke 10 (3); b) ZAngPs. 7 
(2), 185. 1913. 

Aars, Der ästhetische Farbensinn bei Kindern. ZPaPs. 1 (4), 
173—179. 1899. 


ACHER, Spontaneous constructions and primitive activities of 
childrens analogous to those of primitive man. AmJPs. 21, 
114—150. 1910. 


Henry Foster Apams, A note on the effect of rhythm on 

memory. PsR. 22 (4), 289—298. 1915. VII. 

E. ALBERT, Die Frauen und das Studium der Medizin. Wien, 
4A. Hölder. 1895, 


EmiLiE ALTENLOH, Zur Soziologie des Kino. (Die Kino-Unter- 
nehmung und die sozialen Schichten ihrer Besucher.) Jena, 
Eugen Diederichs. 1914. 

ALSBERG, Die geistige Leistungsfähigkeit des Weibes im Lichte der neueren 
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WitHeLM AMENT, Die Seele des Kindes. Stuttgart, Frankh. 1. Aufl. 1899, 
2. Aufl. 1908. 

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James ROwLAnD AnGELL, Some reflections upon the reaction from coedu- 
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RıicHARD BAERWALD, Experimentelle Untersuchungen über Urteils- 
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Rıcuarnd BaErwALD, Zur Psychologie der Vorstellungstypen. Mit 
besonderer Berücksichtigung der motorischen und musikali- 
schen Anlage. Auf Grund einer Umfrage der psycho- 


m En, Stun 


ee RD, ps RR oy 


J. Bibliographie. 123 


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GERTRUD BÄUMER, Die Soziologie des Frauenstudiums. Entwick- 
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Frauenberufe. (Nach dem Material der Abteilung „Frauen- 
studium“ in der Ausstellung „Die Frau in Haus und 
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GeErTRUD BÄuner, Die Frau und das geistige Leben. Leipzig, Amelang. 1911. 

GERTRUD BÄunER, Die aus der Eigenart der Geschlechter und den sozialen 


Verhältnissen sich ergebenden Forderungen für die Mädchenerziehung. 
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c) Arbeiten über Koedukation. 


Bei der Materialsammlung für die vorliegende Arbeit sind mir auch 
eine grofse Anzahl Schriften und Titel von Schriften vorgekommen, die 
nicht eigentlich zum Thema der psychischen Geschlechtsunterschiede ge- 
hören, sondern sich nur mehr oder weniger theoretisch mit der praktischen 
Frage der Koedukation und Koinstruktion befassen. Obwohl in meiner 
Untersuchung diese Frage nur gelegentlich gestreift wird, und ich selbst 
also von dieser Art Arbeiten keinen Gebrauch gemacht habe, scheint es mir 
nützlich, ihre Titel hier der Allgemeinheit zur Verfügung zu stellen. — 
Eine Vollständigkeit dieser Bibliographie ist weder erreicht, noch auch 
nur angestrebt. | 


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Internationaler Kongreß für Schulhygiene. 2, S. 140 ff. 1904. 

Vgl. ferner die Bibliographien in den United States Reports, bei Burness 
und Meylan. 


Abkürzungen. 


Für diejenigen Zeitschriften-Titel usw., die in den vorstehenden Biblio- 
graphien mehrmals vorkommen, wurden Abkürzungen verwendet; ihre Be- 
deutung ist die folgende: 

AgDLehZ. = Allgemeine Deutsche Lehrerzeitung. Her.: Lınpr. Leipzig, 
J. Klinkhardt. 

4AgZ. = Beilage zur (Münchener) Allgemeinen Zeitung. 

AmJPs. = American Journal of Psychology. Her.: Hart. Worcester, 
Florence Chandler. 

AnPs. = Année psychologique. Her.: Pıtron. Paris, Masson & Cie. 


ArFrauEu. = Archiv für Frauenkunde und Eugenik. Her.: Hırsch. Würz- 
burg, Curt Kabitzsch. 
ArGsPs. = Archiv für die gesamte Psychologie. Her.: MEUMAnN, WIRTH. 


Leipzig, W. Engelmann. 


J. Bibliographie. 163 


ArPs(e\. = Archives of Psychology. Her.: WoopwortH. New York, The 
Science Press. 

ArPs(f). = Archives de Psychologie. Her.: FLoußnoyY, Cuaparétps. Genf, 
Kündjg. 

ArPtCr. = Archivio di psichiatria, neuropatia, antropologia criminale e 
medicina legale. Her.: Anpenıno. Turin, Bocca. 

ArbBundScRef. = Arbeiten des Bundes für Schulreform. Leipzig-Berlin, 
B. G. Teubner. 

AssAmUn. = Association of American Universities. Journal of proceedings 
and addresses of the sixth annual conference. 

BPsAu. = Beitrige zur Psychologie der Aussage. Her.: Srern. Leipzig, 
J. A. Barth. 

BhZAngPs. = Beihefte zur Zeitschrift fir angewandte Psychologie und 
psychologische Sammelforschung. Her.: Stern, Liruann. Leipzig, 
J. A. Barth. 

BibPhContemp. = Bibliothéque de Philosophie Contemporaine. Paris, Felix 
Alcan. 

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K. Briefliche Mitteilungen tiber das Problem der 
Geschlechtsunterschiede und der Koedukation. 


Fr. MARGARETE TRUAN-BORSCHE, Morges, früher Lehrerin in Bedales, 
Petersfield Hants. 

„Ich habe fast nur mit Kindern im Alter von 7—13 Jahren zu 
tun gehabt, und zwar nicht nur im Unterricht, auch im täglichen Um- 
gang. Meiner Ansicht nach steigert sich die Verschiedenheit mit dem 
Alter. Bei den Kleinen von 7—8 Jahren war kein Unterschied vor- 
handen, was die Begabung und die Fähigkeit des einen oder des 
anderen Geschlechts betrifft, die Interessen waren aber schon aus- 
einandergehend. Die Mädchen haben mehr Interesse für Geschichte, 
Aufsatz, fremde Sprachen und solche Fächer, die die Phantasie an- 
regen, während die Knaben sich für Rechnen, Geometrie, Geographie, 
Naturwissenschaften und vor allen Dingen für Maschinen jeder Art 
interessierten. Durch das auseinandergehende Interesse steigerte sich 
auch die Verschiedenheit der Leistungen in den einzelnen Fächern mit 
den Jahren, so dafs die Mädchen in Sprachen, Literatur, Geschichte, 
Besseres leisteten, während im allgemeinen die Knaben in der Mathe- 
matik, Physik, Chemie usw. besser waren. Aufserhalb der Stunden 
waren die Mädchen geneigt, sich abzusondern und Klicken (sets) zu 
bilden, ihre Freundschaften waren mehr ausschliefslicher und heftiger 
Natur, sie ,,liebten“ oder „hafsten‘“ und sprachen sich über ihre Ge- 
fühle mehr aus; ich glaube, sie waren sich derselben mehr bewufst.“ 

Prof. CYRIL BURT, London (früher Liverpool): 

“The ,social workers‘ commonly belives that in the poorest districts 
the women are more intelligent than the men. When questioned on 
this point, the teacher commonly says that the girls are better readers 
and better talkers, but that he has noticed no other difference.” 

Colonel CurRTIs, Walmer : 

“I doubt that capacity of boys varies more than that of girls to 
master particular subjects of instruction. The variation is that of 
the individual not of the sex.“ 

Prof. G. C. FERRARI, Imola: 

„En dehors des Asili ou Giardini d’Infanzia, oü vont les enfants 
touts petits, et sans faire mention des écoles moyennes (Ginnasi e Licei) 
ou des cours universitaires, où l'instruction est impartie aux jeunes 


K. Briefliche Mitteilungen. 167 


hommes et aux jeunes filles ensemble -il n’y a pas en Italie aucun lieu 
ou lon pratique la coéducation des deux sexes. L’unique exception 
est faite par notre Colonie libre pour enfants anormaux. Nous avons 
été trés contents car nous avons vu disparaitre rapidement l’onanisme 
chez tous nos enfants excepté un.” 


Central Education Committee of the Society of Friends, London: 
“The system of co-education has been gradually introduced into 
our Boarding Schools, about 12 in number, during the last 30 or 35 
years. Most of these Boarding Schools are comparatively small, and 
certainly reason» of economy and the better grading of classes have 
had something to do with the introduction of the system. At the same 
time, our experience has led us more and more to believe in the prin- 
ciples of co-education as applicable in the case of such children as we 
have to deal with in our Schools. These are really picked children, 
coming for the most part from refined homes, where the moral stan- 
dard is high. I do not think it follows from our experience that the 
methods of co-education will work in all cases, particularly in the case 
of large day schools in the urban centres.” 


Prof. A. FOREL, Yvorne: 
„Ich bin unbedingt für die Koedukation, wie sie z. B. in Zürich 
in allen Volksschulen, in Winterthur und in den derartigen Privat- 
gymnasien vorkommt.‘ 


Paut H. Hanus, Harvard University: 

“In the United States coeducation is will-nigh universal in all 
public schools. In some of the larger cities of the eastern portion of 
the country, in some of the public schoools, the sexes are sometimes 
segregated in the upper grades of the elementary schools, and in the 
high schools. The public high schools are for pupils from fourteen or 
fifteen to about eighteen or twenty years of age. Coeducation is 
also well-nigh universal in the state universities of the country; and 
in most of the endowed colleges and universities, except those of the 
eastern United States, where most of the colleges and universities 
are for men and for women separately ... So far as my own experience 
and observation go, and without having made any thoroughgoing 
investigation into the subject, I heartily favor coeducation thoughout 
the entire school career of both boys and girls from the kindergarten 
through the university. This does not mean that separate classes 
should not be formed within coeducational schools, colleges, and univer- 
sities for the appropriate instruction of each sex, but it does mean that 
I favor the association of the sexes during the entire period of their 
systematic education, because it provides the opportunity for the 
development of common interests of a serious sort as well as merely 
social interests in the narrower sense. I have every reason to believe 
that the normal relation of the sexes and their respect for each other 
is promoted by coeducation; and that this is not the case to the same 
degree under separate education of the sexes.” 


168 


K. Briefliche Mitteilungen. 


Direktor HENSING, Oppenheim a. Rhein: 


„Wir nehmen nur Mädchen mit guten Zeugnissen und nur solche, 
die im allgemeinen ein Jahr älter sind als die Knaben der betr. Klasse. 
Trotzdem ist die alte Beobachtung bestätigt, dafs die Mädchen im 
deutschen und fremdsprachlichen Ausdruck gute Leistungen bieten, in 
Grammatik und Mathematik aber geringere.‘ 


Indiana University, College of Liberal Arts, Bloomington: 


“The difference in the scholarship of men and women is more 
noticeable in the Sophomore and Freshman classes. Also, it is more 
marked in the Fall term than in any other term. Some of the reasons 
for this difference are the following: A larger proportion of men than 
of women are earning part or all of their living while in College; so- 
called “student activities’ command a larger share of the time of the 
men than of the women; the women are more conscientious 
in their work; a larger percentage of the men have little interest in 
real intellectual training and culture. Many of them go to College 
because they are sent or because they think it is the proper thing.” 


. JAEDERHOLM, Lund: 


„In der Koeduktionsfrage sind zwei Gesichtspunkte genau aus- 
einanderzhualten: Die rein theoretische Frage nach den psychischen 
Geschlechtsunterschieden und die rein praktisch-organisatorische 
Frage nach den Vorteilen und Nachteilen sowie der Möglichkeit, über- 
haupt eine Koedukation zustande zu bringen, in welch letzterem Falle 
eine Fülle von Tatsachen, populäre Vorstellungsweisen und ökonomi- 


sche Angelegenheiten mitzureden haben, die evtl. wichtiger sind als 


alle psychischen Geschlechtsunterschiede. — In bezug auf die psy- 
chischen Geschlechtsunterschiede weils ich durch persönliche Unter- 
haltungen mit Iknen während der Vorbereitung Ihrer Arbeit. dafs 
Sie sehr viel mehr davon wissen, als ich es für möglich gehalten 
habe darüber festzustellen. Vielleicht haben Sie auch ein wenig Inter- 
esse für die Resultate meiner Beobachtungen ? Bei meinen Intelligenz- 
messungen in den Stockholmer Volksschulen, die mehr als 1000 Kinder 
beiderlei Geschlechts umfafst haben, habe ich gefunden, dafs im Vor- 
pubertätsalter recht wenig Unterschiede hinsichtlich der Erkenntnisse 
ausfindig zu machen sind, nach dem Eintritt des Pubertätsalter aber 
grölsere Differenzen eintreten, so dafs ein Material, das aus sowohl 
Knaben wie Mädchen besteht, selten als homogen bezeichnet werden 
kann, — entweder so, dafs die Mittelwerte zu stark differieren, oder 
so, dafs die Variabilitiitswerte zu sehr verschieden sind, als dais sie 
eine Zusammenfassung erlauben könnten. Aber die betreffenden 
Knaben und Mädchen in den Volksschulen werden während der ersten 
vier Schuljahre zusammen unterrichtet; dann bekommen die Mädchen 
eine Lehrerin und die Knaben einen Lehrer; auf der untersten Stufe 
wird Unterricht nur von Lehrerinnen gegeben. Es ist also möglich, dais 
die Unterschiede hier vom Unterricht bedingt sind; und dies wird nicht 
weniger wahrscheinlich dadurch, dafs die Lehrerinnen im Durchschnitt 
einer höheren Bildungs- und sozialen Stufe angehören als die Lehrer, 
und im Durchschnitt die Mädchen auch beim Abschlufs ihrer Volks- 


K. Briefliche Mitteilungen. 169 


schularbeit den Jungen weit voran sind. Komplizierend wirkt hierbei 
aber auch, dafs in manchen kleinbiirgerlichen Familien das Geld nur 
für die höhere Bildung der Jungen ausreicht, welche deshalb sehr oft 
nach dem vierten Schuljahr den Eintritt in die Realschulen (gleich Vor- 
schulen der Gymnasien) suchen, wodurch, da Eintrittsprüfungen in die 
Realschulen obligatorisch sind, eine Auswahl der Besten durchgeführt 
wird; daher verlassen die besser begabten der Jungen in recht grolser 
Anzahl die Volksschule, während die Mädchen bis zum Ende der Volks 
schulzeit in der Volksschule bleiben. Erst danach erreichen evtl. nach 
sehr anstrengendem Privatunterricht die Leistungsfähigeren von ihnen 
den Eintritt in die Mädchen- oder Koedukationsgymnasien. Die 
Inhomogeneität in Bezug auf Erkenntnisresultate kann in solchen 
Fällen natürlich ebenso wohl durch den ungleichen Unterricht wie durch 
eigentliche Geschlechtsunterschiede hervorgerufen werden. Trotzdem 
ist es natürlich unbedingt erforderlich, dafs die Differenzen der Mittel- 
werte und der Variabilität zwischen Knaben und Mädchen sowohl 
bei Koedukation wie in gewöhnlichen Schulen festgestellt werden; 
diese Differenzen oder evtl. Ähnlichkeiten sind ja das Tatsächliche, wie 
man auch nachher dieselben zu erklären haben mag. Urteile, die nicht 
auf experimentell-statistischem Wege gewonnen werden, sind natürlich 
in hohem Mafse nur Ausdrücke für persönliche Einstellungen und für 
eine nach diesen Einstellungen unabsichtlich vorgenommene Auswahl 
der Beobachtungen. Wir stehen also in dieser Hinsicht noch ganz am 
Anfang von Untersuchungen, die wir unbedingt nötig haben. Es gilt 
dabei sowohl die Variabilität wie die evtl. existierenden signifikativen 
Differenzen zwischen den arithmetischen Mitteln festzustellen, und 
aulserdem muls man, auf praktische Erfahrungen gestützt, eineimmerhin 
arbiträre Grenze festsetzen, welche die Maximalunterschiede, die in einer 
Klasse zulässig sind, feststellen. (Gerade so wie BINET eine Verspätung 
in der Intelligenzentwicklung um zwei Jahre innerhalb gewisser Lebens- 
alter etwas arbiträr als genügend grofs bestimmt, um die Überführung 
in eine Hilfsklasse geeignet erscheinen zu lassen.) Zu beobachten ist 
aber jedenfalls, dafs, schon wenn eine Differenz gerade signifikativ 
ist, der gemeinsame Unterricht auf die sich später Entwickelnden 
ungerecht und entmutigend wirkt, und es ist schwer zu verstehen, wie 
mit Vorteil gemeinsamer Unterricht unter solchen Verhältnissen durch- 
geführt werden könnte; denn entweder ist dieser den Bedürfnissen der 
Leistungsfähigeren angepafst und geht dann zum Teil für die anderen 
verloren und die Aufgaben werden für dieselben zu schwer; oder der 
Unterricht pafst den Schwächeren, und dann lernen die Leistungsfähi- 
geren nichts dabei; oder schliefslich, wie er auch sonst eingerichtet sein 
mag, pafst er keinem recht. In solchen Fällen ist weiter darauf acht 
zu geben, dafs die Prüfungen der Leistungsfähigkeit sowohl mit kurz- 
dauernden wie mit langdauernden Aufgaben auszuführen sind; die 
Korrelation zwischen beiden ist ja recht grofs; aber speziell bei Mädchen 
im Pubertätsalter kommt es wohl vor, dafs sie zu einer hurzen Anstren- 
gung wohl im Stande sinde sind, aber bei einer langdauernden deutlich 
versagen. — Ich wiederhole auch, was eben gesagt wurde: Psychische 


170 


K. Briefliche Mitteilungen. 


Geschlechtsunterschiede können auch von dem früheren Unterricht 
(von einem Lehrer oder einer Lehrerin) abhängig sein. Eine sehr grofse 
Vorsicht bei der Deutung der statistischen Werte ist also in hohem 
Grade nötig.‘ 


Fr. Dr. Kempr, Frauenseminar für soziale Berufsarbeit, Frankfurt a. M.: 


„Da ich nämlich selbst fast ausschliefslich mit berufstätigen Frauen 
und zugleich auch mit vielen berufstätigen Männern zu arbeiten habe 
und auch innerhalb dieses Kreises gesellschaftlich und in Vereinen ver- 
kehre, stehe ich persönlich unter dem Eindruck einer aufserordent- 
lich grofsen Verschiedenheit der mit dem Strom des Lebens verbundenen 
Frauen gegenüber den ‚„Nur-Hausfrauen‘. Dem persönlichen Emp- 
finden nach sind mir die reinen „Nur-Hausfrauen‘“ durchschnittlich 
viel unverständlicher als Männer des mit meiner Arbeit verbundenen 
Interessengebietes. Das ist natürlich nur ein ganz persönliches Emp- 
finden ohne Beweiskraft, das höchstens den Weg dafür weist, wie stark 
die Einwirkungen der Lebensumstände sind.“ 


ELLEN KEY, Strand, Alvastra: 


„Seit einem halben Jahrhundert sind alle Volksschulen auf dem 
Lande (in Schweden) Koedukationsschulen ; seit 30 Jahren arbeiten mit 
ausschliefslich gutem Erfolg private Koedukationsschulen; seit etwa 
5 Jahren hat der Staat in vielen kleineren Städten für die höhere 
Erziehung bis 15—16 Jahre, Koedukationsschulen errichtet. Nur einige 
konservative Dogmatiker (in bezug auf diese Frage) bedauern es; sonst 
sind Eitern wie Lehrer und Kinder vergnügt mit dem Resultat. Meiner 
Meinung nach ist der einzige Fehler, dafs die Mädchen in das falsche 
Schulsystem der Knaben eingezogen worden sind.“ 


Department of Home Affairs. Commonwealth Bureau of Census 


and Statistics, Melbourne: 

“Except in the more important metropolitan and country schools, 
the sexes are not separated in the State Schools of Australia. Women 
students are also admitted to the University and are free to take up 
any of the courses prescribed. At the larger so-called private schools 
there are separate institutions for girls and boys but this rule ist not 
universal. — As regards the moral results of Co-education I may say 
there has been a considerable amount of discussion here. Opposite 
conclousions have been reached by the disputante but as the arguments 
in every case were probably based on a limited personal knowledge, 
they were statistically of little value. So far as the statistics of crime bear 
on the question in Australia it may be said that contemporaneously 
with Co-education there has been a considerable decrease in crime of 
all kinds during the last forty or fifty years. If again one considers 
the proportion of illegitimate to total births it will be found that while 
the figure has risen somewhat during the last thirty or forty years there 
is a tencency towards a decline during recent years, the percentage 
in 1912 being only 5 : 53 as compared with nearly 6 in 1901. In any 
case co-education could play only an unimportant part in this question 
since it is affected by so many other factors such as growth of the 
factory system, lack of parental control, increase in number and 


K. Briefliche Mitteilungen. 171 


variety of open air evening entertainments etc. Personally I think 
that viewing the matter broadly, there is no evidence that coeduca- 
tion has the slightest influence one way or the other on morals. — 
As to intellectual results I do not think co-education has much effect. 
If anything girls are more handworking and studious than boys, and 
it has been found that this fact has perhaps had the effect in Univer- 
sities of stirring up the stronger sex to greater efforts to avoid being 
beaten by the girls. The mosts succesful school as the recent University 
Examinations (Junior and Senior) in Melbourne was a school where 
the sexes are tought together. Generally speaking girls are somewhat 
slower at mathematics than boys, but this rule is subject to frequent 
exceptions. — At the Universities no difference is made in the quality 
of lectures and the women students are apparently quite equal to 
the men except in the later stages when original work is called for.” 
Direktor LIETZ, Landerziehungsheim Schlofs Bieberstein: 

„Meiner Meinung nach kann durch Zensuren, Zahlen u. dgl. 
unmöglich in das Wesen der Zusammenerziehung ein Einblick er- 
langt werden. Der Erfolg hängt ja zu sehr von der Eigentümlichkeit 
der Kinder, ihrer Herkunft und Vorbildung ab. Überhaupt liefse es 
sich erst nach längeren Versuchen feststellen, und dann auch kaum 
zahlenmäfsig, zumal wir ja in der Erziehung Verschiedenes von den 
Geschlechtern verlangen müssen, vor allem bei der körperlichen Arbeit. 
Bei sorgfältiger Auswahl der Kinder hat Zusammenerziehung manches 
für sich.‘ 

Board of Education of the City of St. Louis: 

“Co-education in the public schools is so nearly universal throughout 
our country and, in general, the results of educating boys and girls 
together have been so favourable in our estimation that we have not 
made any extensive studies of our school work from this point of 
view. While we recognize the desirability of learning the nature of 
sex differences as affecting educational practice, the broad facts of our 
experience have made us feel that other features of our work should 
engross our attention. 

M. LUSERKE, Freie Schulgemeinde Wickersdorf: 
»,Wickersdorf hat seit 1906 (als erstes deutsches Schulinternat) 
Koedukstion in vollem Umfange und grundsätzlich (nicht nur ge- 
legentlich) für die ganze Schulzeit durchgeführt. Bei dauernder gröfster 
Sorgfalt in der Auswahl des Schülermaterials wurden bisher nur 
gute Erfahrungen gemacht. — Koedukation ist eine Selbstverständ- 
lichkeit. Alle „Gegengründe‘‘ sind äulserer Art, beziehen sich auf 
Wirkungen unserer Zivilisation, die in einem Internat, das das 
ganze Leben der Zöglinge beherrscht, durch ein gesundes, natürliches 
Leben ausgeschaltet werden können. Wichtig ist, dafs die Verschieden- 
heit der Geschlechter beachtet, ja betont werde und alle Eigenarten 
im Schulleben zur Geltung kommen. Dies ist in der Praxis das Problem 
der Koedukation. — Man darf Koedukation an der Tagesschule (siehe 
Amerika!) und am Internat (siehe Skandinavien!) sowie die der ver- 
schiedenen Länder und Rassen nicht als eine Sache betrachten, 


172 


K. Briefliche Mitteilungen. 


— — Nach dem Eindruck, den ich aus der jahrelangen Arbeit hier 
habe, dürften die Fächer: Deutscher Aufsatz, Algebra, Geometrie und 
Französisch am geeignetsten sein, etwaige Unterschiede festzustellen. 
Nach allen meinen Beobachtungen sind die Unterschiede in der Unter- 
tertia sehr gering, und einen wirklich tiefgreifenden Unterschied habe 
ich nur in Mathematik und dementsprechend in Physik konstatieren 
können: die Mädchen sind den Knaben fast durchweg in arithmetischen 
und algebraischen Fertigkeiten überlegen, sie arbeiten gewandter 
und sicherer. Dagegen fand ich stets einen auffallenden Mangel in 
Geometrie und zwar dahin, dafs die Mädchen ein bedeutend geringeres 
räumliches Vorstellungsvermögen besitzen als die Knaben. Dieser 
Unterschied zeigte sich bei sonst vorzüglich begabten Mädohen in 
Prima, z. B. in der mathematischen Geographie in ganz auffallender 
Weise. Die Geometrie stellt in der modernen Art, wie sie jetzt getrieben 
wird, vor allem Anforderungen an die schaffende Phantasie, und 
wenn ich nach dem Umfange meiner Erfahrungen nicht behaupten 
will, dafs den Mädchen dieselbe fehle, so scheint es mir doch sicher, 
dafs ihnen die Freude an derartigem „Ausdenken“ fehlt. Sie wählen, 
wenn es darauf ankommt, lieber irgendeinen bequemeren und häufig 
oberflächlicheren Weg, eine Erscheinung, die auch in der Physik stets 
zu bemerken war. — Die zweite Beobachtung, die ich so häufig gemacht 
habe, dafs ich sie als Regel bezeichnen möchte, ist, dals in den oberen 
Klassen, d. h. etwa vom 16. Lebensjahre an die Mädchen nicht imstande 
sind, gleichmäfsig intensiv zu arbeiten. Es treten Depressionen der 
Arbeitskraft auf, die natürlich mit der körperlichen Entwicklung zu- 
sammenhängen und die die Leistungen der Mädchen schwankend 
machen, und zwar nicht nur im kurzen Rhythmus der körperlichen 
Zustände, sondern aulserdem noch in grölserem Maisstabe.‘ 


Oberlin College, Oberlin, Ohio: 


“In general, a distinctly larger percentage of women than of men 
find a place in the upper eighth of the class. Members of the Faculty 
mean that the women are intellectually abler, but that in general 
they have fewer outside interests, and are usually rather more faithful 
in the performance of assigned tasks. Class marks evidently do not 
tell the whole story, but they at least make it plain, that the women 
are more than able tho hold their own in the specifically assigned work 
of college courses.” 


Staatsrat Dr. E. voN SALLWURK, Karlsruhe: 


„Ich stehe immer noch auf dem Standpunkte, dafs die Zulassung 
von Mädchen zu den Knabenschulen ein Notbehelf ist, mit dem man 
dem gegenwärtigen (!) Bildungseifer des weiblichen Geschlechts 
entgegenkommen mufste, dafs aber diesem Notbehelf mit der Zeit 
positive Einrichtungen folgen müssen, die m. E. nicht auf der Linie 
der Koedukation liegen können.“ 


G. Pätz’sche Buchdr. Lippert & Co. G. m. b. H., Naumburg a.d.S. 








guer `, 
_ Zeitirift für angewandte Pivdologie 
WIbLIAM nn bIPMANN. 


SO: 22 29229202222 |), SS: 2 9222222020 


Die hüge 
Dei Rindern und Jugendlidıen 


Eine Umirage in den polniihen Schulen 
von hodz 


von 


Dr.phil.Franziszka Baumgarten 





beipzig 1917. | 
Verlag von Johann Ambrofius Barth. 


Dörrienstr. 16. 


Verlag von Johann Ambrosius Barth in Leipzig. 





Zeitschrift für angewandte Psychologie 


Herausgegeben von ` 


William Stern und Otto Lipmann. 


6 Hefte bilden einen Band von etwa 36 Bogen mit mehreren Tafeln. Preis des Bandes 20 M. 


Der 12. Band ist im Erscheinen begriffen. 
Die Aufgabe der Zeitschrift ist die Bearbeitung psychologischer Probleme unter be- 


: sonderer Berücksichtigung ihrer Verwertharkeit für anderweitige praktische und wissen- 


schaftliche Fragestellungen und die Ansgestaltung der besonderen experimentellen, psycho- 
graphischen, statistischen und Sammel- Methoden für diese Zwecke. Hauptgebiete der 
Zeitschrift sind die pädagogische, forensische, pathologische, literarische, ethnologische und 
vergleichende Psychologie. 

Die Zeitschrift enthilt Abhandlungen, Mitteilungen, Sammel- und Einzelberichte und 
verfolgt ständig die internationale Bewegung auf dem Gebiete der angewandten Psycho- 
logie. Sie ist Organ des Instituts für angewandte Psychologie in Kleinglienicke, des 
psychologischen Laboratoriums in Hamburg und mehrerer Universitiits-Seminare. 


BEIHEFTE 


zur 


Zeitschrift für angewandte Psychologie 


Herausgegeben von 
William Stern und Otto Lipmann. 
= Die Beihefte sind cinzeln käuflich. 
Heft 1. Orro Liwmaxs. Die Spuren interessebetonter Erlebnisse und ihre Zune 
Theorie, Methoden und Ergebnisse der „Tatbestandsdiagnostik“. IV, 9y6S. M.3.— 


Heft 2. J. Coun u. F. Drerrennacuer (Freiburg). Untersuchungen über Geschlechts-, 
Alters- und Begabungs-Unterschiede bei Schülern. VI. 213 Seiten. M. 6 40 


Seit, 1911 erscheinen: 


Heft 3. W. Berz. Über Korrelation. VI, $8 S. M. 5.— 
Heft 4. Paun Marcis. E. T. A. Hoffmann. Eine Individualanalyse mit 2 Faksimiles, 
2 Stammtafeln und 2 graphologischen Urteilen. VIII, 220 8. Mk 


Heft 5. Vorschläge zur psychologischen Untersuchung primitiver Menschen gre- 
sammelt. und herausgegeben vom Institut für angewandte Psychologie und psychc- 

Be Samnmelforschung (Institut der Gesellschaft für experimentelle Psychologie. 

. Teil. IV, 124 Seiten mit 1 Tafel im Text. M. d.— 

Heft 6. oe aere Ethno-psychologische Studien an Sildseevölkern auf 
dem Bismarck-Archipel u. den Salomo-Inseln. IV, 163 S. mit 21 Taf. M.9.— 

Heft 7. Fritz Giese. Das freie literarische Schaffen bei Kindern und Jugendlichen. 
2 Teile. XVI, 220 u. IV, 242 Seiten mit 4 Abbildungen. 1914. M. 14.— 

Heft 8. Herca Exe. Abstrakte Begriffe im Sprechen und Denken des Kindes. V1. 
112 Seiten. 1914. M. 360 

Heft 9. Hermann Danu. Korrelative Beziehungen zwischen elementaren Vergleichs- 


leistungen. Ein Beitrag zur psychologischen Korrelationsforschung. IV, 84 Seiten 
mit 4 Abbildungen, 31 Tabellen und $ Tafeln. 1914. M. 2.60 


Heft 10. GronG Branvern. Das Interesse der Schulkinder an den Unterrichtsfächern. 


IV, 168 Seiten mit 37 Figuren. 1915. M. 5.60 


| Heft 11. Curr Piorkowski. Beiträge zur psychologischen Methodologie der wirt- 


Si IR ee Se is 


schaftlichen Berufseignung. IX, 84 S. 1915. M. 3.— 


Heft 12. Jugendliches Seelenleben und Krieg. Materialien und Berichte. Unter Mit- 
wirkung der Breslauer Ortsgruppe des Bundes fiir Schulreform und von O. Bobertag. 
K. W. Dix, C. Kik, A. Mann herausgegeben von Win Stern. 181 Seiten 


~ mit 15 Abbildungen. 1915, M. 5.— 
Heft 13. Ta. VArentiner. Die Phantasie im freien Anfsatze der Kinder und Jugend- 
lichen. VI, 168 S. mit 1 Kurventafel. 1916. M. 5.60 


- Heft 14. Orro Lırmaxnx. Psychische @eschlechtsunterschiede. Ergebnisse der differen- 


tiellen Psychologie. Zwei Teile. IV, 108 und 172 Seiten mit 9 Kurven im 
Text. 1917. M. 12. — 
Heft 15. Franzıska Bav{xoarres. Dic Liige bei Kindern und Jugendlichen, Eine Um- 
frage in den polnischen Schulen von Lodz. IV, 111 Seiten. 1917. M. 4.20 


BEIHEFTE 
Zeitihriit für angewandte Piymhologie 


Herausgegeben von 


WILLIAM STERN und OTTO LIPMANN. 


>< oS oS oO OS om CS.” vr om o> om oS Oo >> 


Die hiige 
bei Kindern und Jugendlidten 


Eine Umfrage in den polnlihen Schulen 
von hodz 


Dr. phil. Franziszka Baumgarten 





beipzig 1917. 
Verlag von Johann Ambrofius Barth. 
Orrienstr. 16 


Dorrienst: S 


Übersetzungsrecht vorbehalten. 
Copyright by Johann Ambrosius Barth, Leipzig. 1917. 


IDO Pw dH 


Inhaltsverzeichnis. 


. Einleitung ... Era 
. Methodologische Vorbeinerküngen ; 
. Die Häufigkeit der Lüge zu Hause andi in der Shule 


Die Motive der Lüge zu Hause 
Die Motive der Schullügen . 


. Die Lüge in den Beziehungen der Kinder zueinander ad 
. Das Verhältnis der Kinder zu ihren er. 


A. Das Bedauern . 
B. Die Scham 


. Das Schuldgeständnis 

. Allgemeine Folgerungen 

. Pädagogische Nutzanwendungen 
. Literatur . E er 
. Abkürzungen . 


Fantettanyg. 1 


Einleitung. 


Schon bei einer oberflächlichen Beobachtung der Kinder muß 
man eine Verlogenheit und zwar nicht selten im hohen Grade 
feststellen. Es ist deshalb seit Jahrhunderten bei den Denkern 
die Frage aufgetaucht, ob das Kind von Natur aus verlogen ist, 
oder ob es dies erst im Laufe seines Lebens wird. Die Antwort, 
die man auf diese Frage bei den Philosophen und Pädagogen 
findet, ist eine dreifache : 

1. Die einen behaupten, Lüge sei eine angeborene Eigenschaft 
der Kinder. Im Mittelalter war diese Meinung allgemein, weil sie 
aus der damals herrschenden christlichen Idee der Unvollkommen- 
heit der menschlichen Natur entsprang. Der heilige Augustinus 
sagt, „unschuldig ist nur die Schwäche der zarten Glieder des 
Kindes, aber nicht sein Herz,“ und er schreibt schon dem Säug- 
ling solche Fehler wie Lüge, Neid und Zorn zuł. Der berühmte 
Mystiker Ruysgrock, der derselben Meinung ist, gebrauchte öfters 
den Vergleich: ‚verlogen wie ein Kind“. Man unterschied sich 
nur in der Prognose dieses Fehlers: einige, wie der heilige Augusti- 
nus, behaupteten: ‚mit der Zeit verschwindet er, denn die Gnade 
Gottes führt den Menschen auf dem Wege des Lichtes zu der 
Wahrheit‘, die anderen, besonders in späteren Zeiten, wie z. B. 
MonTAIGNE, glaubten, ‚der Eigensinn und die Lüge wachsen in 
den Kindern mit ihrem Körper“. In neueren Zeiten hat die An- 
sicht des Angeborenseins der Lüge ebenfalls ihre Anl.änger. Aulser 
den Theologen wie Rorue, für den jeder Mensch von Geburt an 
ein Sünder ist?, sind auch berühmte Philosophen und Pädagogen 
derselben Meinung. SCHOPENHAUER sagt: es gibt auf der Welt 
nur ein lügenhaftes Wesen, es ist der Mensch’. Bounin sagt: 


1 Bekenntnisse, übers. v. BORNEMANN, Gotha 1888, S. 10—13. 
2 Theologische Ethik. Wittenberg 1867, 3. Bd. 
3 Parerga und Paralipomena, II. Bd., S. 615. 


Beiheft zur Zeitschrift für angewandte Psychologie. 15. 1 


2 Einleitung. 


„alle Kinder sind Lügner‘, BERNARD Dëse: bemerkt, indem er auf 
das frühe Entstehen des Zornes beim Kinde hinweist, dafs wir im 
allgemeinen schon in der Wiege die Zeichen einer angeborenen 
Zuneigung zum Maskieren und zur List beobachten können. 
Descuaneı, DuranLoup, LA BRuv&ire, La Fontaine sehen ebenfalls 
die Kinder als geborene Lügner an. Lomsroso hat von der Moral 
des Kindes keinen hohen Begriff, wenn er den berükmten Satz 
aufstellt: „Ein Verbrecher ist ein Mensch, welcher in seinen mora- 
lischen Gefühlen und Taten auf der Stufe des Kindes geblieben ist“. 
Mancher Naturwissenschaftler behauptet, dafs beim Menschen 
eine Urtendenz zum Sich-Verstellen vorhanden ist, welche phylo- 
genetisch aus der Zeit stammt, wo durch Entstehung der Sprache 
der Inhalt des Gedankens von dem Ausdruck gehemmt wurde 
(Lowinsky). 

2. Freilich nicht immer wird die Wahrhaftigkeit des Kindes so 
verleumdet. Zahlreiche Poeten und Denker priesen in schönen 
Worten die Unschuld der Kinderseele. ‚Die Unschuld des 
Kirdes ist wie der unbefleckte weilse Schnee auf dem Gipfel der 
Jungfrau‘ meint Asourt. Rousseau, der den Satz aufgestellt hat, 
„alles ist gut, was aus den Härden des Schöpfers kommt, alles 
entartet unter den Händen des Menschen‘ meint in Konsequenz 
davon, das Kind ware seiner Natur nach wahrhaftig und nur die 
Erziehung mache aus ihm einen Liigner. Dieses in Frankreich 
so genannte ,,RoussEau’sche Dogma“ ist in England als das Dogma 
von Lord Parmerston bekannt. In Deutschland vertritt FRÖBEL 
die Meinung, ‚aller Erscheinung der Fenlerhaftigkeit in dem 
Menschen liegt eigentlich und ursprünglich eine zerdrückte oder 
verrückte gute Eigenschaft zugrunde‘“!. GasrieL Compayre be- 
hauptet, daß das Kind die Offenherzigkeit selbst ist. Es spricht 
alles aus, was es auf dem Herzen hat, es spricht noch mehr, als es 
manchen Eltern lieb wäre. Die Indiskretion der Kinder, die ihnen 
den Beinamen ‚Enfants terribles‘ eingetragen hat, ist weltbe- 
kannt; zu diesen gehören alle Kinder, die einen mehr, die anderen 
weniger?. Aus der vergleichenden Tierpsychologie folgert PORTER 
ST. Jonn, dafs bei den lebendigen Wesen eine natürliche Tendenz 
zur Wahrheit besteht. 

3. Der dritte Standpunkt ist ein Mittelweg zwischen diesen 


1 Menschenerzichung. Knabenfehler (ausg. v. SEIDEL, S. 76). 
2 S. 379 des im Literaturverzeichnis angeführten Buches. 


Einleitung. 3 


beiden Extremen. Man kann zu dieser Gruppe die älteren Päda- 
gogen wie ComEnıus und DiEsTErRwEG zählen, für welche die Seele 
des Kindes ein unbeschriebenes Blatt war, das ganz allmählich und 
abhängig von den Umständen entweder mit positivem oder mit nega- 
tivem Inhalt beschri..ben wird. Im 18. Jahrhundert hat mandie Rolle 
der Umstande so tiberschatzt, dafs HEtvetius glaubte behaupten 
zu durten, die ganze Verschiedenhcit der Menschen komme einzig 
und allein von der Verschiedenheit der Umgebung und Erziehung; 
Talent und Tugend liefsen sich lehren. Diesen Einflufs der äulseren 
Umstände auf die, wie er glaubte, bei allen gleiche menschliche 
Natur zu untersuchen, stellte sich sogar Joxn Stuart MIL. 
als Aufgabe in seiner ‚Ethologie‘‘ oder der Lehre vom Charakter 
(1845). Die neueren Ergebnisse der Untersuchungen über Ver- 
erbung der geistigen Eigenschaften sowie auch die Feststellung 
der psychischen Typen haben die Theorie des unbeschriebenen 
Blattes umgestürzt. Die Geschichte des Lebens des Kindes ist 
nach verschiedenen naturwissenschaftlichen Anschauungen teil- 
weise schon voraus geschrieben, aber nicht in den geheimnisvollen 
Schicksalsbüchern des Kindes, sondern in den Annalen seiner 
Ahnen. DasKind bringt als Erbe der Eltern sowohl die Anlage der 
guten als die der schlechten Eigenschaften mit sich auf die Welt. 
Jede Anlage kann sich aber weiter entwickeln und zwar gemäls 
den Verhältnissen, in denen ein Kind aufwächst und erzogen wird. 
Durch sie kann sie aber auch gehemmt, ja sogar gänzlich aufge- 
hoben werden. Das Kind ist also sowohl das Produkt seiner an- 
geborenen Anlagen der Vererbung als auch das der Erziehung. 
So behaupten James SurLy, FoERSTER, PEREZ, MEUMANN und 
überhaupt alle Pädagogen der modernen experimentellen Richtung. 

Alle diese Ausführungen sind wichtig in Anbetracht der Kon- 
sequenzen, die sich für die Praxis daraus ergeben. Nach der Theorie 
von den ‚angeborenen guten Eigenschaften‘ sollte man das Kind 
sich selbst überlassen und nur acht geben, daß seine angeborenen 
guten Eigenschaften nicht verkümmern. So dachten in ihren 
Lehren Rousseau und FröseL. „Erziehung, Unterricht und 
Lehre sollen ursprünglich und in ihren ersten Grundsätzen 
leidend, nachgehend — nur behütend, schützend — nicht vor- 
schreibend, bestimmend, eingreifend sein“ sagt FRÖBEL in seiner 
Menschenerziehung (S. 9—10). 

Wer glaubt, daß das Kind von Geburt an schlecht ist, der 


wird, sofern er die ‚Natur‘ als das Stärkere hält, jeden Kampf 
1% 


4 Finleitung. 


mit ihr als unfruchtbar und jede Pädagogik für überflüssig halten, 
sofern er jedoch die Erziehung, wie das im ganzen 18. Jahrhundert 
der Fall war, als das Stärkere betrachtet, dann wird er sich be- 
mühen, die ‚‚böse‘‘ Natur von Grund aus auszurotten. Das lehrte 
z. B. Pestatoza ... ,,der Mensch neige von Natur zur Entartung 
und Verwilderung .. . der Sohn der Freiheit und der König des 
Raubes ist der Gesellschaft nicht nur nichts nütze, sondern ist ihr 
im höchsten Grade gefährlich und unerträglich. Deshalb mufs 
sie... aus ihm etwas ganz anderes machen als er von Natur ist 
und als er, wenn er sich selbst überlassen, wild aufwächst, werden 
könnte“!. Die dritte Ansicht endlich führt: zu der pädagogischen 
Forderung, die Erziehung solle bestimmte Anlagen hemmen und 
schwächen, andere dagegen entwickeln und stärken. 

Dies ist das eigentliche Postulat der modernen experimentellen 
Pädagogik. Bei der Entwicklung und Hemmung der Eigenschaften 
des Kindes richtet sie sich natürlich nach den Forderungen der 
Ethik. Da unsere moderne Ethik die Lüge verwirft und die Wahr- 
"haftigkeit rühmt, so ist das Ziel unserer Pädagogik, aus jedem 
Kinde ein offenes und wahrhaftiges Wesen zu entwickeln. Um 
aber entsprechend auf das Kind einzuwirken und die Lügenhaftig- 
keit zu bekämpfen, bedient sie sich des wissenschaftlichen Mittels 
der genauen Untersuchung des Ursprungs und der Entwicklung 
dieses Fehlers beim Kinde. Alle einschlägigen psychologisch- 
pädagogischen Arbeiten über die Lüge in den letzten Jahrzehnten 
sind in diesem Sinne abgefaßt. Diese Arbeiten haben letzten 
Endes ein ganz neues Licht auf die Lüge der Kinder geworfen, und 
vollständig die Forderungen der alten Pädagogen bezüglich der 
Wahrhaftigkeit der Kinder geändert. 

In erster Linie bewiesen die aaa Beobachtungen 
von Kindern seit deın Tage ihrer Geburt, dafs manche Zeichen 
der Psyche des Kindes unrichtig gedeutet wurden, dafs man sie 
nicht in Vergleich mit den Anforderungen eines Erwachsenen 
setzen soll. Denn uni sich ein richtiges Urteil über die Kindeslüge 
zu machen, genügt nicht der Wortlaut der Aussage, sondern es 
bedarf auch des sich Hineinfühlens in die gesamte Situation mit 
allen den sie begleitenden Erscheinungen (wie z. B. die Mimik). 
Wenn also z. B. das 21,jährige Kind auf die Frage der Mutter: 
wer hat das zerbrochen ? unrichtig mit „Papa“ antwortet, so darf 


1 Bd. IV. I. Auflage. s. W. SEYFARTH, S. 534. 


ge 


Einleitung. : 9 


man diese Antwort absolut nicht als eine Liige betrachten. Denn 
in solchem Falle antwortet das durch den schroffen Ton der Mutter 
erschreckte Kind mit dem Wunsche, zum Vater zu fliehen. Der 
kleine Wortschatz, den das Kind besitzt, erlaubt ihm nicht, seinen 
Gedanken klarer auszudrücken. Ebenso als Ausdruck für etwas 
Unangenehmes und nur als Wunsch, eine angenehme Situation 
herbeizuführen, mufs man den Schrei des Säuglings deuten, der 
weder hungrig ist noch belästigt wird. Die Mutter, die gewöhnt ist, 
den Kindesschrei als Ausdruck ganz bestimmter Bedürfnisse zu 
deuten, hält den Säugling für ‚lügenhaft‘“, während das Kind 
nur die einzige ihm bekannte Weise, die Mutter zu rufen, benutzt. 
Von der Richtigkeit dieser Interpretation zeugen ganz unab- 
hängig voneinander zu derselben Überzeugung gekommene Be- 
obachter wie CLara und WILLIAM STERN, K. L.ScHÄrEr, PREYER u. a. 

Crara und WırLıaM Stern behaupten, dafs ‚bis zum Ende 
des zweiten Lebensjahres wohl die meisten sog. Lügen der Kinder 
nur auf falschen Deutungen beruhen, die umso mehr vermieden 
werden mülsten, als sie zu pädagogischen Konsequenzen von ver- 
hängnisvoller Wirkung für des Kindes spätere Wahrhaftigkeits- 
liebe führen könnten‘“!. Über das Vorhandensein der Lüge bei 
Kindern von vier Jahren entspann sich übrigens im Jahre 1905 
in der Zeitschrift für pädagogische Psychologie eine interessante 
Polemik, auf die hier nur hingewiesen werden kann?. 

In den folgenden Lebensjahren des Kindes (4 Jahre und 
höher) finden wir Scheinlügen, die entweder durch eine Suggestiv- 
frage (wie z. B. war es so ?) provoziert werden können oder die 
durch eine affektive Antwortreaktion entlockt werden und schliels- 
lich die spontane Pseudolüge. Ein klassisches Beispiel einer 
solchen hervorgerufenen Scheinlüge geben Scuriss an. Ihr Söhn- 
chen Bubi ‚liebte es, die Schlüssel von der Tür zu nehmen. Als 
er einmal nach einem fehlenden Türschlüssel gefragt wurde, dachte 
er erst angestrengt nach, dann sagte er: Frag den Sohni (Spiel- 
kamerad). Sohni wufste aber auch nichts von dem Schlüssel, 
aber als wir uns von neuem an den Jungen wandten, sann er 
wieder nach und sagte mit Bestimmtheit: ‚Die Spinne hat den 
Slissel aufgefrefst!‘‘ Das ist ja nicht wahr, Bubi. ‚‚Nu, ein Hundl 
ist gekommen und hat den Slissel abgebissen‘‘. Das ist auch nicht 


1 S. 111—112. 
* g. SCHAFER und MARCINOWSKI. 


6 g Einleitung. 


wahr, Bubi. ‚Nu, aber die Tante Marta hat den Slissel weg- 
nehmt und ist in die Treppe gelauft‘“. Es stellte sich nachträglich 
heraus, dafs das Kind wirklich unschuldig war, die lügenhaften 
Antworten gab es auf Grund der Fragesuggestion!. 

In solchen Scheinlügen spielt natürlich das sich erst ent- 
wickelnde Sprachvermögen eine grolse Rolle. Der von den Päda- 
gogen oft zitierte Satz von Jeax Paur besteht zu Recht: ‚In den 
ersten 5 Jahren sagen unsere Kinder kein wahres Wort und kein 
lügendes, sondern sie reden nur ... Sie spielen gerne mit der 
ihnen neuen Kunst der Rede; so sprechen sie oft Unsinn, nur um 
ihrer eigenen Sprechkunst zuzuhören‘“. Dieser Meinung sind auch 
STERN, COMPAYRE (das kleine Kind spielt mit der Sprache so wie 
mit Holzstiickchen?), VoGr, Karr GrRoos?, Guyau4 und viele 
andere. 

Die Scheinlüge ist teilweise durch die Sprechlust der Kinder 
bedingt, hauptsächlich ist sie aber ein Produkt der kindlichen 
Phantasie. Das Kind ist sehr früh fähig zur schöpferischen 
Kombination, d. h. zu den verschiedenartigsten Zusammenstel- 
lungen, die nichts gemeinschaftliches mit der Realität haben, 
und zu Illusionen, welche die kleine Welt seiner Wünsche reali- 
sieren. Das spiegelt sich in seinen Spielen, die für das Kind ein 
Land der möglichen Unmöglichkeiten sind. Das Kind reitet auf 
einem Stock wie auf einem Pferd, in Stühlen sieht es Menschen 
und Tiere, mit welchen es grolse Kämpfe zu bestehen hat, es fühlt 
sich als König, Indianer, Soldat, Bär, es dichtet sich die ver- 
schiedenartigsten Abenteuer und Geschichten zusammen, die es 
so detailliert erzählt, als hätte es alles selbst erlebt. Die Realität 
spricht ihm wenig zu, ein Spielzeug, das eine treue Kopie irgend 
cincs Gegenstandes ist, mag es nicht, es macht es so lange ,,kaput", 
bis die zerschlagenen Teile ihm erlauben, darin Dinge der eigenen 
Phantasie zu sehen 5. 

Die Fähigkeit des Kindes, die äulsere Welt umzugestalten, 
das Leben in einer anderen, nicht realen, sondern aus sich selbst 
erschaffenen Welt zu leben, ist dasselbe schöpferische Vermögen, 


1 S. 156. 
2 5. 309. 
3 Spiele der Menschen, S. 178. 
£8. 201. 
5 DuPRAT, HALL (8. 126—130), Groos (Spicle der Menschen, S. 163 
bis 180), GUYAU u. a. 


Einleitung. 7 


das die Dichter kennzeichnet. Toısroı erzählt, was für reiche 
Phantasie er bei den Bauernkindern entdeckt hat, die er eine von 
ihm selbst erdichtete Fabel zu Ende erzählen liefs. Er kam dabei 
zu der Überzeugung, dafs in jedem Kinde ein Dichter lebt. Das- 
selbe behaupten SteckerL!, Kari Groos?, P£rez?, Pıora Lom- 
BROSO, Guyau. Andererseits ist diese schöpferische Fähigkeit, 
diese Phantasietätigkeit der gewöhnlichen Lüge ähnlich — jede 
Lüge ist doch eine neue Schöpfung, eine Dichtung. Guyvau sagt 
also mit Recht: ‚In den meisten Fällen ist die Lüge die erste 
Probe ihrer Einbildungskraft, die erste Erfindung, keimhaftes 
Kunstschaffen. Die Lüge ist die erste kindliche Dichtung . . "73 
Duprat bemerkt in seiner Monographie über die Lüge, dafs die 
Mehrheit der Kinder eine so lebhafte Phantasie besitzt, dafs ‚,‚ils 
se jouent dans les mensonges inoffensives‘®. Nicht immer aber 
sind jedoch die kindlichen Lügen derartig unschuldige Phantasien. 
(Goethe erzählt im zweiten Buche von ‚Wahrheit und Dichtung“ 
über die von ihm ausgedachten Erzählungen und fügt hinzu: 
‚Wenn ich nicht nach und nach meinem Naturell gemäls diese 
Luftgestalten und Windbeuteleien zu kunstmälsigen Darstellungen 
hätte verarbeiten lernen, so wären solche aufschneiderische An- 
fänge gewils nicht ohne schlimme Folgen für mich geblieben °.“ 

In demselben Sinne äulsert sich Grillparzer in seinen Tage- 
büchern. Auch Gottfried Keller erzählt in scinem autobiographi- 
schen Roman ‚Der grüne Heinrich‘ von einer Verleumdung, die er 
sich ausgedacht hatte, und die schlimme Folgen für den Betreffen- 
den hatte. Die in der kriminalistischen Literatur so häufig er- 
wähnten Verleumdungen von Mädchen über ihre angebliche Ver- 
gewaltigung usw. gehören in die gleiche Kategorie. 

Alle diese Lügen, die durch Phantasietätigkeit hervorgerufen 
sind, wurden in einer Gruppe zusammengefalst, die Phantasie- 
lügen genannt ist. Für diese Lüge ist das Kind ebenfalls nicht 
verantwortlich, denn sie tritt spontan in dieser Periode der Kind- 
heit auf, wo die noch schwach entwickelte Fähigkeit zur Aufmerk- 


1 Dichtung und Neurose, S. 1. 

2 Spiele der Menschen, S. 174. 

9 L’art et la poesie chez l'enfant, Kap. IN. 

t S. 201. 

5 S. 60. 

6 Goethe: Wahrheit und Dichtung. Ausg. v. HEINEMANN, II. Buch, 
S. 64, s. auch das Kapitel: Der neue Paris, Kinderinärchen. 


8 Einleitung. 


samkeit und das ebenso schwach entwickelte kritische Urteils- 
vermögen keine logischen Zusammenhänge erlaubt und der Phan- 
tasie darum nicht entgegenwirkt. Dafs diese Phantasielügen zur 
eigentlichen bewufsten Lüge keine Beziehung haben, beweist 
Goethe, der trotz seiner völlig erdichteten Erzählungen von sich 
sagen durfte, immer ,,war ich der Lüge und der Verstellung ab- 
geneigt“1. Guyau behauptet, „so erfindungsreich das Kind von 
Natur aus ist, das sich nie darum kiimmert, ob das von ihm Er= 
zählte sich in Wirklichkeit zugetragen haben kann, so fern liegen 
ihm Heucheln und Verstellung“?. In demselben Sinne drücken 
sich SuLLY?, Vocrt u. a. aus. Mit der Entwicklung des Urteils 
und der Aufmerksamkeit vermindert sich die Phantasietätigkeit 
und mit ihr auch die Lüge. Der Erwachsene spielt mit seiner 
Phantasie, in der Kindheit spielt die Phantasie mit dem Kinde. 

Verschiedene Pädagogen, welche den Zusammenhang der 
Phantasie mit der Lügenhaftigkeit der Kinder erkannt haben, 
hielten es für dringend nötig, die Phantasie möglichst zu hemmen. 
Ein Unterdrücken der Phantasie bedeutet aber oft nur ein brutales 
Zerreilsen der goldenen Illusionen des Kindes und übt keinen 
guten Einflufs auf die psychische und moralische Entwicklung 
aus. ForrstEr behauptet, „Kinder ohne reiches inneres Leben 
sind häufig vor der Lüge geschützt, eben weil die Wirklichkeit 
übermälsig von ihrem ganzen Scelenleben Besitz nimmt und 
keine Gegenwirkung seitens der Gebilde der Phantasie findet: 
solche Kinder sind aber andererseits wegen dieses gering ent- 
wickelten Eigenlebens wieder schr der Gefahr ausgesetzt, von 
fremder Seite suggeriert zu werden. Man unterdrücke darum nie- 
mals die phantasievolle Selbsttätigkeit des Kindes, nur interes- 
siere man es lebendig für die gewissenhafte Kontrolle seiner Aus- 
sagen‘‘*). 'Tuzonor ZIEHEN bewies, wie der Mangel an Phantasie 
das Einfühlen des Kindes in eine fremde Lage unmöglich macht 
und wie dadurch die Entwicklung der sympathischen, d. h. der 
sozialen Gefühle gehemmt wird. Bei der Hemmung der Phan- 
tasie besteht die Gefahr, ‚das Kind mit dem Bade auszuschütten.' 
Es ist also zweckmälsiger, der Entwicklung der Phantasie freie 
Bahn zu lassen, ja sogar dort, wo sie nicht vorhanden ist, sie zu 


1 l e., S. 79. 

2S... 202: 

3 S. 254. 

4 Jugendlehre, S. 680, Fufsnote. 





Einleitung. 9 


bereichern und die von ihr stammenden Lügen als malum neces- 
sarium der Kindheit anzusehen. Die bisher so harte Bestrafung 
der Kinderlügen, deren Phantasiequelle man nicht gekannt hat, 
und die Prophezeiung einer schlechten Zukunft einem lügen- 
haften Kinde entbehrt also nach den modernen pädagogischen 
Untersuchungen jeder Begründung und ist zu verpönen. 

Einen weiteren Beitrag zum Verständnis der Lügen brachten 
die Untersuchungen der Experimentalpsychologie über die Aus- 
sage. Die von Bıxer inaugurierten Experimente über suggestive 
Fragen und von W. STERN über die Aussage, fortgesetzt von 
zahlreichen modernen Psychologen und Pädagogen, führten zu 
demselben Ergebnis: die fehlerlose Aussage ist nicht die Regel, 
sondern die Ausnahme. So fand STERN, dafs sie 76%, 1, WRESCHNER, 
dals sie 74%? aller gemachten Angaben betragen. Marie Borst 
kam zu dem Ergebnis: nicht eine einzige Gesamtaussage ist fehler- 
los. Diese falschen Aussagen, (also im gewissen Sinne Lügen) 
sind jedoch nicht absichtlich, sondern sie sind Fehler, die wie die 
Untersuchungen bewiesen, aus folgenden Ursachen stammen: 
a) aus der mangelhaften Entwicklung der Sinne und des Ver- 
mögens der Aufmerksamkeit, b) aus der schwachen Merkfähigkeit 
des Gesehenen und Gehörten und aus Illusionen des Gedächt- 
nisses, c) aus der Unfähigkeit, die Eindrücke zu reproduzieren. 
Die sich so oft widersprechenden Aussagen der Personen, die alle 
Zeugen eines und desselben Falles waren, und die doch im besten 
Glauben berichten, erhalten auf Grund der Aussageexperimente 
ihre Erklärung: die Menschen verstehen nicht zu schauen und 
sich Rechenschaft von dem Geschehenen zu geben. Dabei stellt 
das ungeschulte Gedächtnis die vergangenen Dinge in ganz an- 
derem, meist günstigeren Lichte dar. Bei dem Kinde, wie Experi- 
mente bewiesen haben, sind die falschen Aussagen noch häufiger, 
sie steigen um so höher, je kleiner das Kind ist. Es trägt dazu 
natürlich besonders die oben erwähnte rege Phantasie des Kindes 
bei, der Mangel an Kritizismus und die Suggestibilität, die þe- 
kanntlich um so grölser ist, je kleiner die eigene psychische Kraft. 
Die durch Suggestivfragen bewirkten Aussagefälschungen sanken 
von 50% bei 7jährigen auf 20% bei 15jährigen Kindern (STERN). 
Viele fehlerhafte Aussagen verursacht auch der emotionale 

1 BPsAu 1 (3). 


2 ArGsPs 1, 148ff. 
3 BPsAu 2 (3), 63. 


10 Einleitung. 


Faktor. Das, was das Kind wünscht, daß es geschehe, das wandelt 
sich in seinem Bewulstsein in die Wirklichkeit um (quae volumus, 
ea credimus libenter), das, was es sich nicht wünscht, das erscheint 
ihm als nicht existierend. Nur das, was gefühlsmälsig betont ist, 
` das interessiert das Kind, der Rest wird übersehen. Das kleine 
Kind, bei dem sich wie bekannt, das Gefühlsleben früher ent- 
wickelt, als der Intellekt, spricht in seinen Lügen nur seine Wünsche 
aus (POPPELREUTER). 

Auf solche Weise wird wieder festgestellt, dafs ein grofser 
Teil der Kinderlügen nicht vom Willen des Kindes abhängig ist, 
und dafs man deshalb das Kind fiir sie nicht verantwortlich machen 
kann. Jene Psychologen, welche die Unabsichtlichkeit solcher 
Lügen eingesehen haben, fordern, dals die Kinder wenigstens 
bis zu ihrem siebenten Lebensjahre nicht als Zeugen vor Gericht 
Aussagen ablegen sollen. Nachdem durch Marie Borst und Rosa 
OPPENHEIM experimentell festgestellt wurde, dafs durch Übung 
Fortschritte in der Treue der Aussage erzielt worden sind, so dafs 
ein Erinnerungsunterricht möglich sei, stellten sie die Forderung, 
die auch von W. STERN unterstützt wurde, dals der Mensch er- 
zogen werden muls zur Lebhaftigkeit, Treue und Zuverlässigkeit 
der Beobachtung und der Erinnerung!. Durch solche Erziehung 
wird natürlich eine ganze Menge von Kinderlügen ausgeschaltet 
sein. — 

Aulser der experimentellen Psychologie hat auch die moderne 
Psychiatrie wertvolle Beiträge zum Verständnis der Kindeslügen 
geliefert. Sie stellte die Lüge fest als Symptom der Geisteskrank- 
heit und als eine Krankheit sui generis (Pseudologia phantastica). 
Die pathologische Lüge kann verursacht werden durch Störungen 
der Gesichtswahrnehmung und der Aufmerksamkeit (Halluzi- 
nation und Illusion), durch Störungen des Gedächtnisses, welche 
zur sog. Konfabulation führen, oder durch Schwäche der geistigen 
Fähigkeiten des Denkens und Urteils (wie bei Imbecillen). Bei 
intakter Intelligenz kann die Lüge verursacht werden durch 
Störungen der Affekte, wie bei Hysterie, Epilepsie, Angstneurose, 
Manie und ähnlichem. Ohne andere Krankheitsmerkmale kann 
man jedoch die Lüge nicht als pathologisch ansehen, die Krank- 
heit mufs daher auch aus anderen Momenten festgestellt werden. 
Aus diesem Grunde halten viele Psychiater die Lüge nicht für 


1 BPsAu 1 (1). S. 60. 


Einleitung. 11 


ein besonderes Krankheitsbild, sondern immer nur für ein Symptom. 
DeıBrück, Verfasser der bekannten Monographie über ‚„Pseudo- 
logia phantastica‘“, glaubt jedoch, dafs ein bestimmter krank- 
hafter Zustand sich in erster Linie oder sogar ausschlielslich in 
Lügenhaftigkeit ausdrücken kann und führt dafür zahlreiche 
Beispiele an. Ob wir aber die Lüge als Symptom oder als selb- 
ständiges Krankheitsbild ansehen, eines steht fest, dafs wir eine 
spezielle Art der Lüge aussondern müssen, die sich in vielem von 
der normalen Lüge unterscheidet: Die normale Lüge ist nämlich 
grölstenteils passiv, durch eine äulsere Ursache hervorgerufen, 
die pathologische Lüge dagegen ist aktiv und aggressiv; die nor- 
male ist durch die Umstände erzwungen, um eine traurige Wirk- 
lichkeit zu verbessern, die pathologische tritt ohne einen solchen 
äulseren Zwang auf. Die normale Lüge bezieht sich auf einen 
bestimmten speziellen Fall, die pathologische ist frei, unabhängig, 
sie beginnt schon bei kleinen unwichtigen Fällen und ist zwecklos. 
Dabei ist das ganze Benehmen der Lügner in beiden Fällen anders: 
der normale Lügner hat Angst vor der Entdeckung seiner Lüge, 
der pathologische glaubt daran, was er sagt, so dafs DELBRÜCK 
bei Lügnern eine Verdoppelung des Bewulstseins (also auch der 
Persönlichkeit) annimmt, die charakteristisch sei nach seiner 
Meinung für die Pseudologia phantastica!. Aber aulser diesem 
prinzipiellen Unterschied existiert andererseits eine grofse Ahn- 
lichkeit der pathologischen Lügner mit Menschen, deren grolse 
Phantasie, Vorstellungskraft und Affektivität die Dinge in einer 
Form darstellt, die ihren Wünschen entsprechend ist. Sprich- 
wörtlich dafür sind die Jägergeschichten (Jägerlatein) geworden; 
in der Literatur sind als Typen bekannt: Falstaff (Shakespeare), 
Baron von Münchhausen, Tartarin de Tarascon (Daudet) und 
Zagtoba (Sienkiewicz). Die Lügen dieser Figuren grenzen einer- 
seits an die pathologischen, andererseits an die auf die Höhe des 
Selbstbelügens gebrachten Selbsttäuschungen, denen wir schon in 
den Spielen der Kinder begegnet sind. Daudet sagte mit Recht 
von seinem Helden: ,,L’>homme de Midi ne ment pas, il se trompe. 
Il ne dit pas toujours la verite, mais il croit la dire. Son mensonge 
à lui ce m'est pas du mensonge, c'est une espèce de mirage.“ 
Wir haben also eine Verwandtschaft zwischen Pseudologia phan- 


l Vgl. die interessanten Notizen von O. DANGER und CHR. UFER. 


12 Einleilung. 


tastica, einer chronischen Lüge des normalen Menschen und der 
Lügen der phantasiereichen Kinder. 

Alle diese Feststellungen sind von grölster Bedeutung. Die 
vielen Fälle von Lügen und Verleumdungen der heranwachsenden 
Jugend, die vor Gericht ihr trauriges Ende erleben, dürften auf 
Grund der psychiatrischen Forschungen hinfort nicht mehr als 
„Bösartigkeit‘‘ der Jugendlichen angesehen werden, sondern nur 
als Folgeerscheinungen der Pubertät, die durch grölsere Sug- 
gestibilität, grölsere Empfindlichkeit auf Eindrücke, grölsere 
Phantasietätigkeit (die einen neuen Inhalt erhält), sich charak- 
terisiert und die auf diese Weise die physiologischen Grund- 
lagen der Verlogenheit der Jugendlichen schafft. Statt harter 
Strafe für solche Lügen fordert die moderne Psychiatrie deshalb 
entweder die Anstalt für Geisteskranke (wenn die Lüge ein Sym- 
ptom der Hysterie, Epilepsie usw. ist), oder eine entsprechende 
Erziehungsanstalt. 

Alle diese oben erwähnten Arten von Lügen zeigen, wie vor- 
sichtig man die Kinderlügen beurteilen muls. Solange das Kind 
nicht im vollen Besitz seiner geistigen Kräfte ist, solange es noch 
in der natürlichen Unvellkommenheit seiner Sinnesempfindung 
und geistigen Fähigkeiten ist — solange wird es lügen aus Un- 
möglichkeit, sich richtig auszudrücken, aus der Lust, mit der sich 
entwickelnden Sprache zu spielen, aus Suggestibilität, Gedächtnis- 
schwäche, unausgebildeter Aufmerksamkeit, überreicher Phan- 
tasietätigkeit und aus gewissen Eigentümlichkeiten der Pubeıtäts- 
zeit. Für alle diese Lügen kann das Kind keine Strafe treffen, 
man muls nur die Entwicklung seiner Fähigkeiten richtig leiten. 

Aber alle diese Arten der Lüge erschöpfen immer noch nicht 
die Lüge, durch die das Kind mit bewulster Absicht seine 
Eltern, Erzieher oder Freunde täuschen möchte. Diese Art Lügen 
mit Vorbedacht, wovon Beispiele bei kleinen Kindern Scurıxs!) 
und Cr. und Wir. STERN?) gaben, kann zwar durch Mangel an 
ethischen Gefühlen erklärt werden, wie es allgemein behauptet 
wird, aber es kann nicht die einzige Erklärung dafür sein, denn 
das fortwährende Schildern der Häfslichkeit der Lüge und der 
Schönheit der Wahrheit durch die Eltern und Erzieher und deren 
andere Bemühungen um die sittliche Entwicklung der Kinder 





1S. 49 und 89. 
2 8. 119 und 121. 


Einleitung. 13 


mülsten dann bessere Resultate ergeben. Da aber die beabsichtigte 
und bewulste Lüge der Kinder eine groflse Wichtigkeit für Eltern 
und Lehrer hat, so bemühen sich in allen Ländern nicht nur 
einzelne Denker und Pädagogen, sie zu erforschen, sondern auch 
ganze pädagogisch-psychologische Gesellschaften. So bestrebte 
sich in Frankreich die ,,Société libre pour létude psychologique 
de l’enfant‘, in Deutschland der ‚Verein für Kinderpsychologie“ 
in Berlin Klarheit über diesen Gegenstand zu beschaffen, und ihre 
Forschungen bezogen sich nicht nur auf die Beobachtung einzelner 
Fälle, sondern auch auf das Bearbeiten eines umfangreichen 
Erhebungsmaterials. 

Die Resultate, die auf diese Weise erhalten wurden, sind aber 
nicht imponierend. Auch das ist nicht verwunderlich. Denn wenn 
wir das Erhebungsmaterial durchsehen, so überzeugen wir uns 
leicht, dafs es eine sehr schwache Seite aufweist. Die Antworten, 
die auf diese Weise erlangt wurden, sind nicht Aussagen des Kindes 
selbst, sondern Beobachtungen der Eltern und Lehrer. Dies hat 
seinen grolsen Mangel: Die Mutter oder der Lehrer geben stets 
solche Lügen an, welche sie für interessant ansehen vom Stand- 
punkte ihrer Ansichten, ihres Vorurteils, oder ihres Ehrgeizes usw. 
Es sind also dadurch wahrscheinlich viele wichtige Beispiele un- 
beachtet geblieben. Dabei mufs man noch in Betracht ziehen, 
dals viele Eltern zwar sehr gute Beobachter sind, dals sie aber 
andererseits nicht genügend vorbereitet sind, richtige Schlüsse aus 
ihren Beobachtungen zu ziehen, d.h. sie verstehen es gut, ein Kind 
auf einer Lüge zu ertappen, aber sie vermögen es nicht immer, 
den richtigen Grund der Lüge zu erkennen. Alles, was wir bisher 
über die Motive der Lügen des gesunden Kindes wissen, ist eine 
Interpretation der Tatsachen von Lehrern und Erziehern, eine 
Interpretation, die nicht immer plausibel erscheint. Durrart z.B. 
gibt an, dals aus 136 Fällen von Lügen 14 durch „intellektuelle 
Tendenz‘, 6 durch ‚Ilogismus‘“ und 4 durch ‚ästhetische Ten- 
denzen‘“ verursacht waren. Da die betreffenden Fälle nicht an- 
gegeben wurden, so müssen wir dem Verf. aufs Wort glauben, 
aber wo haben wir ein Kriterium solcher Mitteilung, und ist diese 
Interpretation nicht wieder nach dem Beispiel des erwachsenen 
Menschen vollzogen? Man muß also endlich das Kind selbst zu 
Wort kommen lassen. | 

Aufserdem ist in allen von Eltern und Erziehern bisher an- 
gegebenen Fallen von Liigen eines der wichtigsten Momente, dic 


14 Einleitung. 


zur Erklärung der beabsichtigten Lüge des Kindes dienen, nicht 
vorhanden: die Beziehung des Kindes zur Lüge. Nachdem 
ich die Ergebnisse aller Erhebungen nachgeprüft habe, fand ich 
niemals eine Erwähnung davon, ob das Kind eine Lüge bedauert 
habe, ob es eine Reue gefühlt habe, ob in ihm die Lust erwachte, 
nicht mehr zu lügen oder im Gegenteil weiter zu lügen, ob es zu 
seinen Lügen durch die Umstände gezwungen war oder ob es aus 
freiem Willen gelogen hat. Aus den bisherigen besten Arbeiten 
über die Lüge der Kinder, wie z. B. bei Hat (auf 300), bei Duprat 
(200), wissen wir absolut nichts über die Verschiedenheit der 
Motive des Lügens bei kleineren und mehr erwachsenen Kindern, 
bei Mädchen und Knaben, bei Kindern armer und bei Kindern 
reicher Eltern. Unter diesen Umständen erschien mir die Kinder- 
lüge noch ein weites Forschungsfeld und meine Absicht war, zwei 
Probleme, die alle oben genannten Fragen umfassen, zu erläutern : 
welches sind die Motive der beabsichtigten Kinderlüge und in was 
für einem Verlältnis steht das Kind zu der betreffenden Lüge ? 

Im Jahre 1912 wurde in der polnischen Gesellschaft für Kinder- 
forechung in Lodz eine Sektion zur Erforschung des Charakters 
des Kindes gegründet. Als nächste Aufgabe sollte sich die Sektion 
mit der Frage der Kinderlüge bescl.äftigen. Der Plan eines gemein- 
samen Arbeitens ist aber nach einigen Wochen gescheitert und 
als Vorsitzende dieser Sektion übernahm ich diese Arbeit auf 
eigene Faust. Die folgende Arbeit iet also eine selbständige sowohl 
hinsichtlich des Fragebogens als auch des von mir gesammelten 
Materials. Die Erhebung führte ich durch: in einer Schule für 
Fröbelerzieherinnen (einer Klasse), in sechs- und siebenklassigen 
polnischen Knaben- und Mädchenschulen (in jeder von diesen sieben 
Schulen in 3 Klassen, 1, 3, 6.) und in zwei Anfangsschulen für 
arme Mädchen, von denen die eine vom Wohltätigkeitsverein 
„Niedola Dziecieca‘ und die andere von Frau Marnie Hertz unter- 
halten werden. Um ein möglichst vielseitiges Material zu sammeln, 
wällte ich sowohl ein’ge Schulen, die durch ihr hohes Niveau des 
Unterrichts in der Stadt bekannt waren, als auch solche, die in 
dieser Hinsicht einen ebenso schlechten Ruf hatten!. 

Die Antwort auf meine Erhebung gaben 553 Kinder und 
Jugendliche von 9 bis 18 Jahren (284 Knaben und 269 Mädchen), 


L Aus diesem Grunde vermeide ich die Benennung der Leiter der 
einzelnen Schulen. 


Einleitung. 15 


darunter 9 Antworten von Hörerinnen einer Fröbel-Erziehe- 
rinnenanstalt im Alter von 16—20 Jahren!. Die Vorbildung dieser 
Hörerinnen übertraf nicht diejenige der höheren Klassen der 
Mädchenschulen. — 

An dieser Stelle ist es für mich eine angenehme Pflicht, im 
besonderen herzlichst zu danken: Fräulein AnrEta Szyc, der Vor- 
sitzenden der polnischen Gesellschaft für Kinderforschung in 
Warschau, deren Empfehlung mir den Zutritt zu verschiedenen 
Schulen gewährte (da die betreffenden Direktoren mit der Durch- 
fübrung nicht einverstanden waren), Frl. Dr. MicnaLına STEFA- 
nowsKa, Herrn Dir. Wacraw Kıoss und Herrn Dir. CzERASZKIEWICZ, 
welche durch ihr Beispiel das Milstrauen ihrer Kollegen zerstreut 
haben. 

Bevor ich jedoch zu den Ergebnissen meiner Untersuchung 
übergehe, mulfs ich näher auf die Erhebung als Methode der päda- 
gogischen Untersuchung eingehen. 


1) 32 Kinder, deren Antworten ich nicht verwertet habe, sind hier 
nicht mitgezählt. 


16 Methodologische Vorbemerkungen. 


Methodologische Vorbemerkungen. 


Die Frage der Erhebung als Methode der psychologischen 
Forschung wurde in den Zeitschriften schon mehrmals, und zwar 
durch Ta. Rısor!), Hitricourt?), GaAULT?), BAERwALD4), GROET- 
HUYSENÖ), STERN®), MEUMANN”?) erörtert. Die Haupteigenschaft 
einer Erhebung ist, dafs sie eine möglichst groflse Zahl von Ant- 
worten auf eine bestimmte Frage zu erhalten erlaubt. Aber es 
kommt dabei aufserdem in Frage, ob diese Antworten als wissen- 
schaftliches Material verwendet werden können. Die Antwort wird 
nämlich in den meisten Fällen nicht unmittelbar dem Fragenden 
entlockt: zwischen dem Versuchsleiter und der Versuchsperson 
gibt es keine unmittelbare Beziehung, zwischen beide drängt sich 
ein Vermittler in Form eines Papiers, welches nicht unbeträchtlich 
die erbetenen Antworten beeinflufst. Mit der Minute, in der wir 
einer Person den Fragebogen überreichen, verlieren wir jede 
Möglichkeit der Kontrolle über ihn, das Papier erhält sein eigenes 
Leben und kann einen nicht erwünschten Eindruck ausüben: seine 
Ausdrücke werden schlecht verstanden und es gibt dann niemanden, 
der den Fehler korrigieren könnte. Es kommt dabei außerdem in 
Betracht, dals die Fragen nicht der Individualität des einzelnen 
Angefragten angepalst sind; sie können also eine Suggestion aus- 


1 TH. Rrpot. Sur la valeur des questionnaires au psychologie. JPsPu 
1, 1. 1904. 

2 HERICOURT, Projet de questionnaire psychophysique. RPh 29. 
445. 1890. 

3 GAULT, A history of the questionnaire method in psychology. 
PdSe 14, 366. 1907. 

4 BAERWALD, Die Methode der vereinigten Selbstwahrnehmune. 
ZPs 46, 174. 1907. 

5 B. GROETHUYSEN. Das Mitgefühl. ZPxs 34, 161. 1904. 

6 STERN, Differentielle Psychologie. Leipzig, 1911. S. 127—138. 

7 MEUMANN, Vorles. z. Einf. i. d. exp. Padag. Bd. I. IT, III. 2. Aufl. 
und ArfısPs 17. Literaturbericht 1910. 


Methodoloyische Vorbemerkungen. 17 


üben und damit den Befragten auf falsche Gedanken bringen. 
Man kann auch niemals wissen, auf welche Weise die Antworten 
gegeben wurden: ob sie ernst oder leicht genommen wurden, ob 
sie aufrichtig waren oder durch Ehrgeiz diktiert wurden, ob sie 
von einem guten oder einem schlechten Beobachter stammen. 
GRroETHUYsSEN bemerkt, dafs jede Frage sogar eine spezielle Lust 
zu paradoxen Antworten erweckt, damit man seine Originalität 
leuchten lassen könne. Diese Schwierigkeiten werden noch grölser, 
wenn man die Erhebung bei Kindern vornimmt. Abgesehen 
davon, dafs alle diese Fehlerquellen bei Kindern noch stärker 
hervortreten, kommt bei ihnen noch der ungünstige Umstand 
hinzu, dafs bei den Kindern sehr selten der Verfasser des Frage- 
bogens die Erhebungen ausführt, sondern dafs dies gröfstenteils 
durch den Lehrer geschieht. Und das ergibt eine neue Fehlerquelle. 
Denn jede Antwort ist abhängig davon, ob der Lehrer beliebt oder 
unbeliebt ist, sie ist abhängig von der Weise, wie der Lehrer sich 
zu den Kindern wendet, von seiner Kunst, Weisungen zu erteilen 
usw. Aus jedem dieser Umstände fallen die Antworten der Kinder 
verschieden aus, deshalb hat auch WiırLıam STERN früher ganz 
energisch bestritten, dafs man auf Grund einer solchen Erhebung 
wissenschaftliche Ergebnisse erhalten könne; auch heute nimmt 
er dies nur mit grolsem Vorbehalt an!. GRroETHUYSEN verwirft 
absolut diese Methode?. Dagegen macht Max Meyer der deutschen 
Psychologie den Vorwurf, dals sie zu ihrem grofsen Schaden diese 
Methode verwirft?; und der bekannte Psychologe Ernst MEUMANN 
behauptet ebenfalls, dafs das Milstrauen der deutschen Psycho- 
logie dieser Methode gegenüber weichen müsse. — „Es ist keine 
Frage“ — sagt er — „dafs wir vorläufig für die Erforschung zahl- 
reicher Seelenzustände des Kindes überhaupt keine andere Methode 
besitzen, die uns mit ihnen bekannt machen könnte. Eine gute 
Bearbeitung der Methode der Umfrage ist daher eine Lebensfrage 
der Kinderpsychologie®.“ Bestrebungen, diese Methode zu ver- 
vollkommnen, wurden infolgedessen mehrmals gemacht, so dals 
man heute von einer speziellen Umfragetechnik sprechen kann. 
Sie beruht erstens auf einer geeigneten Fragestellung, d. h. eine 
Frage darf weder zu unbestimmt, also nichtssagend sein, noch zu 


1 Differentielle Psychologie, S. 132f. 

2 A. a. O., S. 232. 

3 ZAngPs 1, 472. 

4 ArGsPs 17, Literaturbericht, S. 218—219. 1910. 


Beiheft zur Zeitschrift für angewandte Psychologie. 18. 2 


18 Methodologische Vorbemerkungen. 


sehr bestimmt, d. h. zu viel suggerierend. Am zweckmäflsigster 
sind solche Fragen, welche die weiteste und freie Aussprache des. 
Kindes ermöglichen (z. B. die Frage: was möchtest du werden ?). 
Dann muls auch der Umfang der Fragen streng an die gegebene: 
Gruppe von Personen angepalst sein, damit er nicht das geistige- 
Niveau des Gefragten übersteigt und so bei einer zu grolsen Zahl der 
Fragen eine gewisse Automatisierung der Antworten hervorruft. 
Eine zu grolse Zahl von Fragen wird auch infolge der eintretenden 
Müdigkeit den Selbstkritizismus einschränken. Dringend erforderlich 
ist auch die Homogenität der Forscher, d. h. die Forderung, dafs. 
eine Umfrage nur solche Personen durchführen sollen, die sich auf 
demselben geistigen Niveau befinden — im allgemeinen ist daher 
eine Sammelforschung nicht wünschenswert. 

In Anbetracht all dieser Schwierigkeiten und um die oben 
angegebenen Fehlerquellen zu vermeiden, habe ich in der folgenden 
Umfrage die weitesten Vorsichtsmalsregeln eingeführt. Vor allenı 
verzichtete ich grundsätzlich darauf, Fragebogen an Eltern oder 
Erzieher zu versenden, wie es bisher bei Pädagogen und Psycho- 
logen üblich war, sondern ich unternahm es, die Fragen den Kindern 
mündlich zu stellen, und von ihnen eigenhändige Antworten ent- 
gegenzunehmen. Da ich mir als Aufgabe stellte, die Fragen zu 
erläutern: welche Motive sind es, die das Lügen bei den Kindern 
verursachen und wie verhalten sich die Kinder zu ihren Lügen, so 
verfalste ich für 8—10jährige Kinder einige Fragen, deren Beant- 
wortung mir das obige Problem klären sollte. Probeweise, un 
mich zu überzeugen, ob die Kinder auch der Aufgabe gewachsen 
seien, legte ich diese Frage den Schülerinnen der I. Klasse einer 
Anfangsschule vor; die Antworten bewiesen jedoch, dafs die 
Fragen schlecht gestellt waren. Eine meiner Fragen lautete: 
Warum hast du gelogen? Darauf gab die Mehrheit der Kinder 
keine Antwort, aber indem sie ein Beispiel ihrer Lüge nieder- 
schrieben, ergab sich stets von selbst das Motiv ihrer Lüge. Die 
obige Frage erwies sich als überflüssig, es genügte also, ein Beispiel 
der Lüge von dem Kinde zu erfordern. Weil ich mehrmals die 
Erwähnung las: ‚das war meine erste Lüge“, so zog ich weiter 
den Schluls, dafs die erste Lüge sich sehr oft tief in das Gedächtnis 
des Kindes eingräbt, und fügte meinem Fragebogen die Frage 
hinzu: ‚„Denkst du noch an deine erste Lüge?“ Eine andere 
spontane Antwort der Kinder: ‚ich habe mich meiner Lüge ge- 
schämt, aber ich habe sie nicht bedauert‘, veranlafste mich zu 


Methodologische Vorbemerkungen 19 


einer Auseinanderhaltung der Scham und des Bedauerns infolge 
einer begangenen Unwahrheit. Auf diese Weise setzte ich mehrmals 
die Frageliste neu zusammen und änderte sie immer auf Grund 
solcher Vorversuche mit Kindern, bis ich endlich bei einigen Fragen 
blieb, auf die alle Kinder der ersten Klasse (nach polnischer Ein- 
teilung, also der deutschen Septima) ausführliche Antworten ge- 
geben haben. Dieser Umstand war für mich ein Kriterium der 
Berechtigung der Fragen und ich habe sie dann unverändert so- 
wohl den 8jährigen Kindern wie auch der 18jährigen Jugend 
gestellt. Die Fragen lauteten in ihrer letzten Redaktion: 

1. Hast du irgend einmal zu Hause gelogen ? 

2. Hast du irgend einmal in der Schule gelogen ? 

3. Gib Beispiele deines Lügens! 

4. Hast du dich deiner Lüge geschänit ? 

5. Hast du deine Lügen bedauert ? 

6. Erinnerst du dich deiner ersten Lüge ? 

Den Jugendlichen bemerkte ich nur bei den ersten zwei 
Fragen, dals es mir um das Verhältnis zwischen der Häufigkeit der 
Lüge im Hause und in der Schule geht, sie sollten also angeben, 
wo sie öfter lügen. Die Frage: Erinnerst du dich deiner ersten 
Lüge ? gab ich als letzte, da ich mich überzeugte, dals die Kinder 
besser sich dessen erinnern, was unlängst passierte; diese Frage 
erforderte also mehr Anstrengung und als schwerere gab ich sie 
am Ende. Die Zahl der Fragen ist absichtlich erheblich kleiner 
als in irgendeiner bisher veranstalteten Umfrage, die an Eltern 
und Lehrer verschickt worden sind (man vergleiche nur MALAPERTS 
Erhebung über den Zorn), da Kinder Einzelheiten nicht ausein- 
anderzuhalten vermögen wie Erwachsene. Aus eigenem Antrieb 
schreibt das Kind sehr ausführlich, so dals es Sache dex Bearbeiters 
ist, aus der spontanen Erzählung der Kinder gewisse Einzelheiten 
hervorzuheben. 

Die Abfassung der Fragen ist jedoch, wie ich mich überzeugte. 
eine Kleinigkeit im Vergleich mit der Kunst, das Material zu 
sammeln. Um vom Kinde die grölste Zahl der Fälle herauszuholen, 
muls man verstehen, zu Kindern zu sprechen, ihr Vertrauen zu 
gewinnen, in ihnen die Lust zu erwerken, auf das gestellte Thema 
ihre Gedanken zu lenken. Nur dann, wenn der Psychologe es 
vermag, das Vertrauen, und seies noch so gering, zu sich zu wecken, 
pur dann kann er aufrichtige Antworten in solch drastischen Fragen 


wie ein Bekenntnis der Lüge erwarten. Um also dieses Ziel zu 
dé 


21) Methodologische Vorbemerkungen. 


erlangen, stellte ich mich aulserhalb des Lehrerpers>nals, zu dem 
die Kinder fast immer eine gewisse Abneigung fühlen. Ich trat 
mit dem Direktor oder der Vorsteherin der Schule unerwartet in 
eine Klasse hinein und nachdem mich der Direktor den Kindern 
vorgestellt hatte, teilte er ihnen mit, dafs die folgende Stunde eine 
Plauderei mit mir ausfüllen wird. Er liefs die Kinder weilse Blätter 
aus den Heften ausreifsen und auf ihnen das Alter (die Zahl der 
Jahre) aufschreiben. Darauf verliels der Direktor die Klasse und 
liefs mich mit den Kindern allein. 

Dieses „tête-à-tête“ mit den Kindern machte ihnen, wie ich 
bemerkte, immer sehr viel Freude. Ungeniert in Abwesenheit 
der Schulobrigkeit, fragten sie laut lachend: was wird es sein? 
Ich hielt dann an sie eine kleine Ansprache, erklärte ihnen, dafs 
ich von ihnen schriftlich aufrichtige Antworten auf einige Fragen 
wünsche (ohne noch zu sagen, um was es sich eigentlich handelt) 
und gab ihnen die Versicherung, dafs niemand aufser mir, also 
weder der Direktor noch einer der Lehrer diese Antworten lesen 
wird. Dann machte ich sie darauf aufmerksam, dafs sie ihren 
Familiennamen nicht zu unterschreiben brauchen. Und da ich sie 
alle doch nicht kenne, ebensowenig ihre Schreibweise, so werde 
ich ja niemals wissen, wer das Betreffende geschrieben hat. Das 
Geheimnis der Antworten wurde auf diese Weise gesichert. Dann 
erst sagte ich, über welches Thema sie schreiben sollten. Daraufhin 
erfolgte stets eine ungewöhnliche Betretenheit. Die Schülerinnen 
der 3. Klasse einer Schule legten sogar die Feder nieder und er- 
klärten cinstimmig, daß sie nicht schreiben werden. Nur der 
Hinweis, dafs auf meine Fragen sowohl die Schülerinnen der oberen 
wie auch die der unteren Klassen fast in allen polnischen Schulen 
der Stadt geantwortet hätten, vermochte sie zu beruhigen und sie 
zum Schreiben zu bewegen. (Merkwürdigerweise zeigten sich in 
allen Schulen die Schülerinnen der 3. Klasse am meisten rebellisch.) 
Natürlich hat man sich in allen Klassen immer wieder von neuem 
vergewissert, ob nun nicht doch der Direktor oder irgend sonst 
einer von den Lehrern die Blätter lesen wird. Einer der Schüler 
der 3. Klasse hat sogar gefragt, ob der Geistliche, der den Religions- 
unterricht erteilt, das Geschriebene ebenfalls nicht sehen wird. 
Wenn die Schüler und Schülerinnen auf ihren Blättern neben ihrem 
Alter unaufgefordert auch ihren Namen gesetzt hatten, so haben 
die diesen, nachdem sie wulsten, um was es sich in ihren Nieder- 
schriften handeln wird, sofort ausgestrichen und unleserlich ge- 


Methodologische Vorbemerkungen. 1 


macht. Um die Indiskretion der Nachbarn zu verhüten, haben die 
Kinder beim Schreiben sorgfältig ihre Blätter mit Löschpapier 
zugedeckt und als ich selbst mir irgendeine Notiz auf ein Stück 
Papier machte, erhoben sich sofort einige Stimmen, ob ich auch 
die Schüler nicht ‚einschreibe‘‘, um sie den Lehrern später zu 
zeigen. Als die Kinder mir später die beantworteten Fragebogen 
abgeben sollten, mulste ich mich auf ihren allgemeinen Wunsch 
gegen die Wand wenden, um nicht zu sehen, in welcher Reihen- 
folge sie die Blätter auf das Katheder legten, damit ich auf diese 
Weise nicht erfahre, von wem ein Blatt herrührt. Man hat also 
geglaubt, dafs ich mir irgendeines vom Sehen merken könne. 
Aufserdem hat man mich während der ganzen Zeit des Schreibens 
immer wieder gefragt: wozu und warum ist das? Ich erklärte, 
dafs ich es zu einem wissenschaftlichen Zwecke brauche, aber 
natürlich haben mich nur die älteren Kinder verstanden, worauf 
es mir ankommt. Eine gröfsere Lust zum Schreiben als jedes 
Erklären hat die Bemerkung hervorgerufen, dafs ich die Lüge 
nicht für eine grolse Sünde halte, dafs jedermann lügt und dafs 
ich selbst im Leben nicht blofs einmal gelogen habe. Das letztere 
hat die Kinder stets in grolse Begeisterung versetzt, man lachte 
laut und mancher Widerspenstige griff jetzt zur Feder. Eine ` 
besondere Beruhigung der Kinder erzielte ich auch mit der Be- 
merkung, dafs derjenige, welcher absolut nicht schreiben. will, 
es auch lassen könne, da ich nicht wünsche, dafs die Kinder lügen, 
indem sie über das Lügen schreiben; es wäre mir aber sehr lieb, 
wenn man mir ausführlich schreiben würde. Auf diese Bemerkung 
stand in einer Klasse ein etwa l0jähriger Knabe auf und sagte 
sehr resolut, dafs nur schlechte Knaben viel zu schreiben hätten, 
weil doch die guten Jungen nicht lügen. Das forderte natürlich 
wieder von mir die Erklärung, dafs gerade die schlechten Jungen 
wenig schreiben, weil sie ihre Taten zu verheimlichen wünschten, 
während im Gegenteil ein guter Junge aufrichtig sein wird, und 
seine kleinen Vergehen, von denen auch der beste nicht frei ist, 
gerne beichten wird. Aus solchen Bemerkungen, mit denen man 
mich überschüttete, ist zu ersehen, dafs in den erhaltenen Ant- 
worten der Kinder vieles doch nicht enthalten ist. Und man 
kann wohl nicht in Abrede stellen, dafs immer ebensoviel ver- 
heimlicht, wie zugestanden wurde. Auch glaube ich, dafs, welches 
Bild von der Kinderliige wir auf Grund dieser Fragen auch er- 
halten mögen, es bestimmt immer eine viel zu harmlose Dar- 


29 Methodologische Vorbemerkungen. 


stellung des wirklichen Tatbestandes ergibt. Nach einigen Mi- 
nuten (manchmal aber auch erst nach mehr als einer Viertel- 
stunde) fing man an zu schreiben. Ich bemerkte, dafs, je länger 
man eine Klasse überzeugen mulste, um sie zum Schreiben zu 
bewegen, ich um so unbefriedigendere Antworten bekam: d.h. 
ich erhielt dann meistens nur kurze Antworten, zwischen denen 
sich aber hier und da das Geständnis einer häfslichen raffinierten 
Lüge vorfand. Ohne Zweifel wirkte hier der Widerstand zum Ge- 
stehen der Wahrheit. Kleine Mädchen machten sich ans Schreiben 
mit grölserem Ernst als kleine Jungen. Als ich in einer ersten 
Knabenklasse, um die Knaben zum Schreiben anzuregen, sagte, 
dafs die Mädchen sehr aufrichtig und ausführlich geschrieben 
haben, sagte einer der Jungen: ‚na eben, weil sie dümmer sind“. 
Wenn man die Schreibenden beobachtete, konnte man in allen 
Klassen ohne Ausnahme leicht feststellen, dafs einige Schüler 
oder Schülerinnen sofort nach dem Erhalten der Fragen zu schrei- 
ben anfingen und die ganze Zeit fleilsig und mit einem konzen- 
trierten Gesichtsausdruck geschrieben haben; von diesen stammten 
natürlich die vierseitigen vollgeschriebenen Blätter. Die Mehrheit 
der Kinder fing aber erst nach einiger Zeit, und wahrscheinlich unter 
dem Einflufs des Beispieles der Nachbarn, an zu schreiben. Damit 
erklärt es sich, dals in den unteren Klassen die Kinder auf die 
Fragen: Hast du in der Schule gelogen ? Hast du zu Hause ge- 
logen ? zuerst nur: nein, nein antworteten und dann dies ent- 
weder ausstrichen oder auch nach den negativen Antworten 
trotzdem noch ruhig Beispiele ihrer Lügen gaben. 

Im Hinblick auf all dieses entsteht die Frage, ob die Ant- 
worten der Kinder aufrichtig sind. Was das anbetrifft, so hatte 
ich längere Zeit sehr grolse Zweifel. Ein vielleicht Sjähriges Mäd- 
chen sagte mir bei dem 3. Punkte der Erhebung (Gib Beispiele 
deiner Lüge): „Wenn man dem Muttchen davon nicht gesagt hat, 
soll man da Ihnen sagen ? Nein.“ Dem ähnlich schrieb auch 
ein Junge: „nur der Pfarrer darf meine Fehler wissen, Sie werden 
es nicht wissen, nur der Pfarrer.“ Ich hörte auch zufällig im Kor- 
ridor, als eine Schülerin der 1. Klasse (etwa 10jährig) zu ihrer 
Freundin sagte: ‚ich konnte doch nicht schreiben, dafs ich ge- 
logen habe. Ich bin doch die erste (die beste) Schülerin.“ Eine 
Schülerin, der 7. Klasse (17jährig) schrieb: ‚ich habe gar nicht 
die Absicht, die dumme Neugierde einer dummen Philosophin 
zu stillen.“ Eine andere Schülerin der 7. Klasse schrieb: ‚Indem 


Methodologische Vorbemerkungen. 23 


ich diese Fragen beantworte, werde ich die Unwahrheit schreiben, 
und das deshalb, weil ich nicht will, dafs jemand von meinen 
Lügen etwas wissen soll. Ich weifs zwar, dafs nie jemand wissen 
wird, wer diese Zeilen geschrieben hat, aber es ist ganz überflüssig, 
dafs ich die Wahrheit schreibe, denn immer ist man am schlech- 
testen daran, wenn man seine Gedanken verrät und zu viel spricht.“ 
Wer weils also, wieviel Schülerinnen dasselbe dachten ? Ich 
hatte auch einen solchen Fall: in einer Schule schrieben in einer 
Klasse 8 Schülerinnen von 24: ‚ich habe nicht gelogen.‘ Nach 
‚einigen Tagen kam ich wieder in die Klasse und sagte, dafs die, 
welche nicht gelogen haben, aufstehen sollen. Ich führte sie dann 
alle in ein grolses Zimmer und rief sie einzeln wieder in ein anderes 
Zimmer hinein, wo ich jede dann allein gefragt habe, ob sie wirk- 
lich niemalr gelogen hätte. Weil ich jede Befragte sofort auf den 
Hof schickte, so konnte keine ihre Freundinnen benachrichtigen, 
was sie erwartet. Auf diese Weise erwies es sich, dafs von diesen 
8 nicht lügenden Mädchen 3 die schlimmsten Lügnerinnen waren. 
Eine von ihnen — eine 1l2jährige — gab zu, dals sie ein ganzes 
‚Jahr ihre Eltern betrogen hat, indem sie diesen vorgetäuscht hat 
aus Klasse b in die Vorbereitungsklasse!) versetzt worden zu sein. 
Auf Grund dessen erhielt sie Geld fiir neue Biicher; auf ihren 
Heften schricb sie die unrichtige Klasse auf. Das zweite und 
dritte Mädchen haben ebenfalls systematisch ihre Eltern belogen. 
Die vierte gab an, sie hätte sich nicht genau ihrer Lügen erinnert, 
also glaubte sie, man müsse schreiben nein. Von den übrigen 
Mädchen war nicht viel herauszubekommen, aber sie machten 
darum nichts weniger als den Eindruck aufrichtiger Geschöpfe. 
Aus alledem ergibt sich die Notwendigkeit einer kritischen Unter- 
suchung aller Antworten auf die gestellten Fragen und ein Nach- 
prüfen jeder Einzelheit, ob keine Widersprüche in den Aussagen 
vorhanden sind. Dort also, wo ich eine spöttische Bemerkung 
{z. B. warum fragen Sie nicht, wann ich zum erstenmal geliebt 
habe, davon hätte ich mehr geschrieben), eine falsche Alters- 
angabe (eine Schülerin der dritten Klasse gibt z. B. an: bin ein- 
undzwanzig Jahre alt), eine Unterschrift in der Art: ‚Mein Name 
ist Geheimnis“, „Ihr ergebener X. Y. Z.“ „Fräulein Unbekannt“ 
oder ‚ich heilse Piff Paff, wohne in der Strafse, die man nicht 

L Zwei Klassen in privaten polnischen Schulen unter der ersten 


lasse. Das Durchschnittsalter der Kinder ist 8—9 Jahre, da es aber eine 
Wohltätigkeitsschule für arme Kinder war, betrug ihr Alter 10—11 Jahre. 


24 Methodologische Vorbemerkungen. 


finden kann“ (im Polnischen reimt sich diese Aussage) oder auf 
dem Blatt befand sich meine Karikatur, was fünf ma] vorkam, 
— solche und ähnliche Antworten zog ich grölstenteils aus dem 
Material zurück). 

Im Verhältnis zu 585 ausgefragten Kindern waren solche 
Antworten jedoch nicht allzu zahlreich — sie überstiegen die Zahl 
30 nicht. Viel häufiger waren die Beweise, dafs sowohl die Kinder 
als auch die Jugendlichen die gestellte Aufgabe überaus ernst 
nahmen. Selbst in den Anfängerschulen suchten sich die Kinder 
klar bewulst zu machen, was man von ihnen verlangte. Das be- 
weisen ihre vielen an mich gerichteten Fragen: ,,heifst das, dafs 
ich gelogen habe, wenn ich meinem Bruder sagte, dals ich ihm 
Bilder schenken werde und ich sie ihm doch nicht gab, weil ich 
es vergessen habe ?‘‘ — ‚Ist jemand in den ‚‚April schicken“ auch 
eine Lüge ?‘‘ — ‚Ich log, dafs Frl. Eva (die Lehrerin) schon ge- 
kommen ist, damit sich alle freuen, ist das eine Sünde ?““ — „Ich 
drohte meinem Brüderchen, dafs wenn es weiter schreien wird, ich 
einen Schutzmann rufen werde, ich rief den Schutzmann jedoch 
nicht, als es trotzdem nicht aufhörte. Ist das eine Lüge?“ — „Ich 
versprach meiner Freundin, dafs ich zu ihr kommen werde, aber 
ich kam nicht. Ist das eine Lüge?“ — ‚Meine Freundin sagte 
mir ein Geheimnis, das ich niemandem verraten sollte. Als man 
mich fragte, ob ich davon was weils, sagte ich ‚‚nein“ -— ist das eine 
Lüge?“ 

Aulser diesen an mich gerichteten Fragen beweisen auch 
noch einige andere Merkmale, dafs sie aufrichtig schrieben. Das 
ist das Nennen der Namen der Lehrerinnen und der Verwandten, 
gegenüber denen sie gelogen haben. Viele der älteren haben ihre 
Aufrichtigkeit mit einer solch detaillierten Schilderung ihrer Fami- 
lienverhältnisse dokumentiert, dafs man nicht einen Augenblick an 
ihrer Wahrhaftigkeit zweifeln kann. Dabei waren sehr oft die 
Antworten mit Erklärungen versehen: ‚Ich mufs betonen, dafs 
ich zum erstenmal über diesen Fall aufrichtig schreibe, und zwar 
deshalb, weil ich meinen Namen nicht anzugeben brauche.“ Ein 
16jähriger Schüler schreibt: „Über das Lügen zu schreiben ist 
sehr drastisch. Sich zu einer Lüge bekennen ? Aber in dem Be- 


1 Ein 16jähriger unterschrieb seine Aussage „Ein guter Pole‘. Dies 
war aber voll und ernst zu nehmen. Der Junge schrieb unter anderen ieh 
bekenne es Ihnen, weil ich hoffe, dafs Sie eine gute Polin sind und tuiser 
Vaterland lieben“. 


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Methodoloyische Vorbemerkungen. 25 


kenntnis selbst muls eine Lüge sein. Warum ? Weil sich doch 
jeder in einem besseren Lichte vorstellen möchte und hier bittet 
man ihn, dafs er sich schwarz malt. Aber ich schreibe das für 
einen wissenschaftlichen Zweck und deshalb werde ich so auf- 
richtig wie möglich schreiben.“ Eine 15jährige Schülerin sagt: 
„Ich würde ohne Ende schreiben, ich fühle, dafs ich in Ihnen eine 
Frau gefunden habe, die mich von meinen Fehlern abbringen 
könnte und aus mir eine hundertfach bessere, eine wirkliche Frau, 
ein Vorbild für andere machen könnte.‘ Wieder eine andere, 
ebenfalls 15jährige, schreibt: ‚Ich bedauere sehr, dafs ich nicht 
alle meine Gedanken zu Papier bringen kann. Im Anfang wollte 
ich Sie anlügen, aber allmählich fing ich an, die Wahrheit zu 
schreiben.“ In einer Knabenschule haben die Jungens die Um- 
frage als Beichte verstanden und in ihren Antworten findet man 
viele Vergehen, die gar keine Lügen sind. So z. B.: „ich gebrauchte 
unanstäöndige Worte‘ usw. Das ist aber eine gewisse Garantie, 
dafs die Bekenntnisse aufrichtig gewesen waren. Das Gefühl 
einer Beichte empfanden übrigens sehr oft die Schreibenden, 
nachdem sie ihren Sündenbericht zu Ende hatten. Zwei Mädchen, 
13- und 14jährig, drückten sich so aus, dafs sie sich während des 
Schreibens immer gröfserer Lügen erinnerten und nachdem sie 
sie niedergeschrieben haben, ‚wurde mir so wohl“. Die andere 
sagte, „es wurde mir so leicht ums Herz“. Eine Schülerin 
der 7. Klasse (16 Jahre) bekennt: ‚nachdem ich den kleinen Be- 
richt geschrieben habe, blieb in der Seele so eine Genugtuung, 
und das deshalb, weil man nicht gelogen hat“. 

Alle diese Aussagen bezeugen deutlich, wie ehrlich die Kinder 
ihre Aufgabe zu erfüllen suchten. Diese und ähnliche Antworten 
beweisen auflserdem, wie ernst die Kinder ihre Aufgabe aufge- 
faßt haben. 

Es kommt hier aber noch eine Frage in Betracht: wie weit 
wirkt in einer aussagegebenden Klasse die Suggestion der 
Masse. O. Kosoc erwähnt in seinem Artikel „Wahrheit und Un- 
wahrheit bei Schulkindern‘ (Die deutsche Schule 1907, 2), dals 
anfangs das Resultat der von ihm in den Schulen veranstalteten 
Umfrage in bezug auf den Genuls von Tabak und Alkohol ein 
negatives war, d. h. die Schüler haben keine Aussagen gemacht, 
aber dann haben solche Mittel wie Ermutigung, das Versprechen, 
dafs ihre Aufrichtigkeit keine schlechten Folgen nach sich ziehen 
werde usw. bewirkt, dafs die Schüler mit einem förmlichen Stolz 


26 Methodologische Vorbemerkungen. 


ihre Vergehen angegeben haben. Von 40 Schülern haben angeblich 
20 Zigaretten geraucht, alle haben Alkohol getrunken in Form 
von Bier, 32 tranken Schnaps, 5 gaben an, dals sie Schnaps sogar 
schon vor dem Frühstück getrunken haben. Kosoc behauptet 
aber, dies Resultat stehe nicht im Einklang mit seinen subjektiven 
Überzeugungen, da er die Hausverhältnisse seiner Schüler kenne 
und auf Grund dessen behaupten könne, dafs diese Ergebnisse 
der Umfrage Wirkungen der Suggestion seien (S. 73 u. 74). 

Kosoc kann zum Teil mit seiner eigenen Waffe geschlagen 
werden. Die Forschungen mittels einer Umfrage sind doch eigent- 
lich nur dazu da, um die „subjektiven Überzeugungen‘ des Er- 
ziehers zu eliminieren und deshalb mu [sdas Resultat derobjektiven 
Forschung stets in einem Gegensatz zur subjektiven Überzeugung 
stehen. Die Resultate sind dabei keinesfalls die Ergebnisse der Sug- 
gestion. Kosoc schreibt auf 8.75, dafs wenn das Kind auf die Frage: 
hast duesgetan ?mitder Lügenein antwortet,soistdas nein keines- 
fallseine Verneinung der 'Tatsache, sondernganzeinfach der Wunsch, 
eine unangenehme Sache von sich fernzuhalten. Meines Erachtens 
geschieht das nicht nur bei mündlichen, sondern auch bei schrift- 
lichen Fragen (wie in einer Erhebung). Um daher diese Absicht 
zu erreichen, das Unangenehme von sich fernzuhalten, muls man 
das Kind zum Schreiben anregen, denn ohne diese Anregung 
würde es nichts schreiben. Aber diese Anregung in Form einer 
Ermutigung, eines Versprechens, es dafür nicht zu strafen usw., 
darf man nicht als eine Suggestion ansehen, wenn wir nur. nicht 
dem Kinde einfach sagen: schreibe in dieser oder jener Art, 
sondern ihm auch die Freiheit des Nichtschreibens überlassen, 
so dals das Kind, wenn es will, auch nicht zu antworten braucht 
(so wie ich es tat). Unter solchen Umständen kann nicht von 
einer Suggestion, sondern nur von einer Ermutigung die Rede 
sein. Die Vermeidung der Suggestion von seiten des Lehrers ist 
also nur eine Frage seiner Geschicklichkeit in der Aussprache mit 
den Schülern. 

In dieser Hinsicht hatte ich einen charakteristischen Fall, der 
meine obigen Ausführungen durchaus bestätigt. Als ich in der 
Mädchenschule einer Frau Dr. S.die Umfrage veranstaltete, kam 
eine Mutter zu der Vorsteherin der Schule mit der Klage, man 
hätte ihrem Töchterchen zu schreiben befohlen, dafs sie gelogen 
hätte und nun hätte sich das Kind eine Lüge ausgedacht, um 
den Forderungen der fremden Dame nachzukommen, es wäre aber 


Methodologische Vorbemerkungen. 27 


grausam, ein Kind, das niemals lüge, auf solche Weise zu demorali- 
sieren und zur Lüge zu zwingen. 

Ich beruhigte die empörte Mutter, so gut ich konnte, wollte 
aber dieser Sache auf den Grund gehen. Neugierig, was so ein 
12jähriges Mädchen — das nach der Aussage der Mutter nie ge- 
logen hat — für eine Lüge sich ausdenkt, bat ich die Schulvor- 
steherin mir irgendein Heft des betreffenden Mädchens zu geben, 
damit ich auf Grund ihrer Handschrift ihr Blatt aussuchen könne. 
(Natürlich wurde weder der Mutter noch dem Kinde etwas davon 
berichtet.) Da ich die Blätter jeder Klasse gesondert hielt, gelang 
es mir in wenigen Minuten, die Antwort des Mädchens herauszu- 
suchen. Ich gebe sie hier in extenso wieder: 


„Bin 12 Jahre alt. 

Nein, ich log nicht in der Schule. 

Ich log zweimal zu Hause. Muttchen hat mir nie erlaubt, mit dem 
Dienstmädchen zu sprechen, damit ich nicht häfsliche Worte von ihr lerne. 
Eines Tages, ich war damals vier Jahre alt, ging ich in die Küche, da mich 
Muttchen ein Glas holen liefs. Das Mädchen sprach mich an und ich unter- 
hielt mich mit ihr trotz des Verbotes der Mutter. Nach einigen Minuten 
kehrte ich in das Zimmer zurück und Muttchen fragte: Hast du mit dem 
Mädchen gesprochen, weil du solange in der Küche warst ? Sag die Wahr- 
heit, du wirst nicht bestraft. Ich werde nur dem Mädchen sagen, dafs sie 
dich nicht nochmals aufhält. Nein, Muttchen, ich habe mich mit ihr nicht 
unterhalten, sagte ich ernst. 

Aber weil ich keinen Grund sehe, mich dessen zu schämen, bekenne 
ich, dafs ich es nur aus Mitleid für das Mädchen tat. Ich bitte also um ein 
aufrichtiges Urteil: war meine Lüge sehr sündenhaft ? 

Einst spielte ich mit meiner Cousine „Gefängnis“, das war ein Spiel, 
welches uns von den Eltern verboten war, weil es mit Schlägen verbunden 
ist. Eines Tages ging die Grofsmutter in ein anderes Zimmer und niemand 
war mehr aufser ihr zu Hause. Wir fingen an zu spielen und in diesem 
Moment geht die Tür auf. Wir sprangen in eine Ecke und fingen an, schnell 
die Schnürchen und Stöckchen, mit denen wir spielten, zu verstecken. 
Die Grofsmutter konımt herein und fragt: „Was habt ihr getan ?“ — Und 
ich antwortete: „Wir haben geschaukelt.“ „Und was macht ihr dort in der 
Ecke %“ ‚Nichts, ich wollte nur mal schauen, ob der Ofen heifs ist.“ Dann 
wollte ich alles der Grofsmutter bekennen, aber die Cousine sagte: Sage 
es nicht, denn die Grolsmutter wird auf mich böse sein. Und diese Schuld 
habe ich verschwiegen, nur Ihnen sage ich sie. 

Ich habe mich meiner Lüge geschämt, aber ich habe sie nicht gestan- 
den. Ich habe meine Lüge bedauert. 

Zum erstenmal log ich, als ich 4 Jahre alt war, das habe ich eben 
beschrieben.‘ — 


Es ist schwer, dieses Bekenntnis als erlogen anzunehmen. 


28 Methodologische Vorbemerkungen. 


Die Beschreibung ist zu genau. Wahrscheinlich hatte die Mutter 
den Ehrgeiz, dafs ihr Kind nie gelogen habe und die Entriistung 
der Mutter über diese ,,Schulaufgabe“ zwang das Kind zu einer 
Liige: in der Aufgabe etwas vorgelogen zu haben. 

Ich zweifle nicht daran, dafs manche Antwort auch insofern 
unaufrichtig war, als sie durch den Wunsch, schneidig zu erscheinen, 
hervorgerufen war. Dieses oder jenes Kind hat bei seinen Über- 
tretungen manches hinzuphantasiert, aber ein solches Protzen 
mit dem Mut des Gestehens kam in dieser Umfrage sicher nicht in 
grolsem Malse vor, und einige Fälle, in welchen ich es feststellen 
konnte, habe ich aus dem zu bearbeitenden Material ausgeschaltet. 
Ihr Einfluls auf das Gesamtergebnis war gering. Aus den hier 
reichlich angegebenen Beispielen der Kinderlüge kann niemand 
eine spezielle Neigung zur Bravour herausfinden. 

Ich mufs aber eine andere charakteristische Beobachtung her- 
vorheben. Dritte Personen, wie Mütter, Tanten, Cousinen oder Be- 
kannte von Schülern oder Schülerinnen gaben mir an, dafs die 
Schüler über das spotteten, was sie geschrieben haben und sie 
behaupteten, es sei alles Bluff, was sie angegeben haben. Ich 
glaube aber auf Grund aufmerksamen Durcharbeitens des Ma- 
terials und deshalb, weil mich viele Schüler in jeder Klasse immer 
wieder fragten, ob sie in einem Briefe an mich noch weiteres über 
die Lüge mir berichten dürfen, da sie mir noch viel zu sagen haben, 
— auf Grund von alledem glaube ich, dafs die Selbstverspottung 
ihrer Angaben vor dritten Personen nur dem Wunsch zum Klein- 
machen, zum Herabsetzen dessen entsprach, was man in einem 
Moment der Aufrichtigkeit, unter dem Einfluls der Minute getan 
hat. Wir müssen uns doch vorstellen, dafs unter der Wirkung der 
Ermutigung und der sich mengenden Erinnerungen das Kind 
ohne besondere Überlegung handelt. Später erst, nachdem es seine 
Aufzeichnungen abgegeben hat, und die Stimmung verflogen ist, 
kommt es ihm zum Bewulstsein, dafs es zuviel gesagt habe. Dann 
erst entsteht der Wunsch, das Gesagte herabzusetzen. Und weil 
es unmöglich ist, dies vor dem Veranstalter der Umfrage zu tun, 
so erzählt man davon den Angehörigen. Auf diese Weise glaube 
ich, entsteht die Fabel von der Erlogenheit der gemachten Aussage. 

Die Suggestion der Aussagen geht viel weniger von dem Ver- 
anstalter der Umfrage aus als gegenseitig von den Schreibenden 
selbst. Ich überzeugte mich, dafs mehr als meine Überredungen 
der Umstand wirkte, dafs der Nachbar zu schreiben anfing. Viele 


Methodologische Vorbemerkungen. 29 


Schüler griffen zur Feder nur dem Beispiele der Mitschüler folgend. 
Um also die gegenseitigen Mitteilungen der Kinder unmöglich zu 
machen, erlaubte ich keinerlei Gespräche in der Klasse. Ich be- 
mühte mich auch, die Umfrage in einer Schule in allen Klassen 
an einem Tage zu veranstalten, damit die Schüler der einen Klasse 
sich nicht mit den Schülern der anderen verständigen konnten. 
Dank der Liebenswürdigkeit der Direktoren der Schulen war es 
mir möglich, in jeder Schule eine Stunde nach der anderen die 
Umfrage zu veranstalten, und ich konnte aufserdem veranlassen, 
dafs die Kinder einer Klasse, die schon geschrieben hatten, während 
der Pause in einen besonderen Saal geführt wurden, damit sie 
mit den Schülern, die noch nichts geschrieben hatten, nicht in 
Berührung kämen. Ich konnte aber folgende Fälle nicht vermeiden: 
in einer Knabenschule begriifst mich ein kleiner Knirps von der 
ersten Klasse (8—9 Jahre) mit den Worten: ,,ah, mein Cousin 
hat mir schon von Ihnen erzählt, in seiner Schule waren Sie auch 
schon“. Ich glaube, dafs der Knabe nicht allzuviel von seinen 
Streichen erzählt hat. Ich zweifle auch nicht, dafs ein 12jähriger 
Knabe, der, nachdem er das Thema der Unifrage erfahren hat, 
mit Begeisterung schrie: ‚Oh! dann gehen Sie in die Schule von 
Frau W., dort ist meine Schwester, die kann lügen !“, da[s dieser 
Knabe bestimmt seiner Schwester von der sie erwartenden Exe- 
kution erzählt hat und dafs das edle Schwesterchen sich gehütet 
hat, allzu drastische Fälle anzugeben. Aber solche Fälle kann 
man nicht ausschalten, wenn man die Umfrage in mehreren Schulen 
einer nicht allzu grofsen Stadt veranstaltet und schlielslich sind 
auch diese Fälle nicht so zahlreich, dafs sie zu den auf die Tausend 
angegebener Lügenbeispiele in Betracht kämen. 

Übrigens macht man sich über den Wert der Umfrage am 
besten ein Urteil auf Grund der von mir angeführten Beispiele. 
Die Antworten der Kinder gab ich in extenso, den Stil und die 
Orthographie der Kinder habe ich beibehalten!. Die in Paren- 
thesen nach jeder Antwort angegebene Zahl betrifft das Alter des 
Kindes, die Geschlechtsangabe ist mit m und f bezeichnet. Das 
gesamte Material werde ich dem ersten pädagogischen Museum. 
das in Polen entsteht, überweisen. 





1 In der deutschen Übersetzung fällt das Letztere leider fast ganz aus 
(Anm. d. Übers.). 


30 Die Häufigkeit der Lüge im Hause und in der Schule. 


Die Häufigkeit der Lüge im Hause und in der Schule. 


Auf die Frage: Hast du mal zu Hause gelogen ? Hast du in 
der Schule gelogen ? gaben die Kinder nicht nur kurze Bestäti- 
gungen oder Verneinungen, sondern brachten ganz charakte- 
ristische Bemerkungen, welche bewiesen, wie sehr dieser Fehler 
bei ihnen eingewurzelt ist. „Ich lüge, wie dazu gemietet‘ schreibt 
die eine (16 Jahre). ,,O ja, ich liige sehr, sehr viel‘ bekennt die 
zweite (15 Jahre). ,,Ob ich gelogen habe ? — Kleinigkeit‘“ bezeichnet 
frech die dritte (16 Jahre). ‚Warum soll ich nicht lügen ?‘ fragt 
wieder ein anderer, — „im Leben muls man sogar in wenig wich- 
tigen Dingen lügen“ (18 Jahre). ‚Ich bin ein Mensch“ sagt ein 
Fünfter — ‚‚nichts Menschliches, also auch die Lüge nicht, ist mir 
fremd“. Von 553 Kindern haben nur 18 geantwortet, dals sie 
nicht lügen und 5 gaben an, dals sie sich ihrer Lügen nicht er- 
innern. Von diesen 18 haben 9 sofort nach den Verneinungen 
Beispiele ihrer Lügen gegeben, 4 haben sich nachträglich zu ihren 
Lügen in dem obenerwähnten Gespräch bekannt ; von denen, dieihre 
Lügen vergessen haben, fügte ein Kind hinzu, dals es einmal aus 
Scherz gelogen habe, es erinnere sich aber nicht mehr, was. Also 
auf 553 Kinder haben 5 nicht gelogen und 4 erinnern sich nicht 
mehr ihrer einzelnen Lügen. Wenn wir aber in Betracht ziehen, 
dafs alle diese fünf Mädchen 10—11 jährige Schülerinnen einer An- 
fangsschule für arme Kinder waren, die vielleicht Angst hatten. 
eine aufrichtige Antwort zu geben, oder die aus Mangel an 
Sprachkenntnis (es waren jüdische Mädchen, die das Polnische 
nicht gut beherrschten) sich nicht völlig Rechenschaft geben 
konnten, was man von ihnen verlangt hat, so können wir den 
Schlufs ziehen, dals alle befragten Kinder gelogen 
haben. 

Hiergegen werden natürlich manche der Mütter protestieren, 
deren Kinder befragt wurden. Der im vorigen Kapitel angegebene 


Die Häufigkeit der Lüge im Hause und in der Schule. 31 


Fall ist jedoch ein drastisches Beispiel dafür, wie wenig begründet 
Mütterbehauptungen sind. Die Proteste der Mütter sind die 
Folgen von unrichtiger Beurteilung der Tatsachen: wenn ein Kind 
gelogen hat, so heilst das noch nicht, dals es lügenhaft ist. Es 
lassen sich hier die Worte EıLen Keys anwenden: ‚man kann 
manchmal eine Lüge sagen und doch eine aufrichtige und ehr- 
liche Seele haben, und man kann nie im Leben eine Lüge gesagt 
haben und bis zum Grunde ein unehrlicher Mensch sein.‘ Es 
entsteht jetzt die Frage, wo lügt das Kind mehr: zu Hause oder 
in der Schule ? Aus den Antworten der Kinder auf die 2 ersten 
Fragen der Erhebung folgt, dafs es Kinder gibt, die nur zu Hause 
lügen und solche, die nur in der Schule lügen; wieder andere be- 
kennen, dals sie hier und dort in gleichem Malse lügen, dabei findet 
man auch solche, die behaupten, ‚in der Schule lüge ich mehr“ 
oder ‚zu Hause lüge ich mehr“. Wenn wir zu positiven Zahlen 
übergehen, so finden wir, dafs nur 18 (13 Mädchen und 5 Knaben) 
angeben, sie hätten nie zu Hause gelogen, viel öfter ist aber der 
Fall, dafs man in der Schule nicht gelogen hat, nämlich in 72 
Fällen ! (47 Knaben und 22 Mädchen). Zur Rehabilitation des 
Hauses muls man hinzufügen, dafs die nicht in der Schule lügenden 
Kinder hauptsächlich Schüler und Schülerinnen der ersten (un- 
teren) Klasse sind. Nur 8 Mädchen aus der 3. Klasse gaben an, 
dafs sie in der Schule nicht logen, aber von den Knaben ist schon 
kein einziger wahrhaftig in der Schule. Es erweist sich also, 
dafs die Kinder am Anfang in der Schule sehr wenig 
lügen, und sich nur allmählich auch hier ans Lügen 
gewöhnen. Eine ganz charakteristische Antwort gab ein Junge 
von 11 Jahren (erste Klasse): ,,Ich lige in der Schule, aber 
nicht in dieser Schule, da ich hier erst ein neuer Schüler bin.“ 
Und ein anderer schreibt: ‚nachdem ich in die Schule zu gehen 
anfing und mehr Verstand angenommen habe, fing ich an zu 
lügen” (15 Jahre). — 

Eine grofse Anzahl von Kindern, 90, geben an, dafs sie ebenso 
oft zu Hause wie in der Schule lügen. 179 (darunter 136 Knaben 
und 43 Mädchen) geben an, dals sie öfters zu Hause lügen, 106 
Kinder, (darunter 55 Mädchen und 5l Knaben) behaupten, sie 
lügen häufiger in der Schule. Es ist bezeichnend, dafs ganze 
Klassen und sogar ganze Schulen eine Tendenz zu der einen oder der 
anderen Häufigkeit der Lügen aufweisen. In der IV. Klasse einer 
Mädchenschule (S.) habert von 22 Schülerinnen 15 öfter zu Hause 


32 Ine Haufigkett der Lniye im Hause und in der Schale. 


gelogen. Dasselbe ist in der dritten Klasse einer Knabenschule 
der Fall (H.). Hier haben von 35 Schülern 22 öfter zu Hause ge- 
logen. In einer anderen Knabenschule (R.) haben 


in der I. Klasse von34 Schülern 31 häufiger zu Hause gelogen 
» » HI 0.383 6, 
33 an IV. d 29 38 an 23 29 


2? 23 


33 


Die Erklärung dieses Verhältnisses gaben die Kinder selbst 
unaufgefordert : ‚Ich lüge häufiger zu Hause, weil sich zu Hause 
viel mehr Gründe dazu bieten als in der Schule“ sagt eine 
15jahrige und identisch schreibt eine 14jährige: ‚ich lüge häu- 
figer zu Hause, weil ich hier ein grölseres Feld dazu habe“. Mathe- 
matisch erklärt es ein 16jähriger Schüler der A Klasse: ‚Weil 
ich in der Schule nur 6 Stunden und zu Hause 18 Stunden bin, 
so ist es also ein einfacher Schlufs, dafs ich zu Hause 3mal so oft 
lüge“. ‚Zu Hause habe ich ein grölseres Feld zur Lüge.“ Hier 
muls man sich auf Schritt und Tritt aus den verschiedensten For- 
derungen der Eltern herausdrehen“ klagt ein anderer (15 Jahre). 
Außer dieser ‚häufigeren Gelegenheit‘ zur Lüge erklären die 
Kinder ihre grölsere Lügenhaftigkeit zu Hause auch durch die 
„Straflosigkeit zu Hause“. ‚Zu Hause kann ich mehr lügen, weil 
meine Eltern gut sind und mich niemals schlagen‘ sagt ein 15- 
jähriger. „Zu Hause ist es leichter zu lügen, weil mich niemand 
denunziert “‘ — sagt ein anderer — ‚in der Schule habe ich Angst, 
dafs mich mein Mitschüler anzeigt, und ich möchte mich nicht 
vor den anderen schämen müssen‘ (14 Jahre). 

Es ist ganz merkwürdig, dafs wieder andere Kinder genau 
auf dieselbe Weise ihre besondere Lügenhaftigkeit in der Schule 
erklären. ‚Natürlich lüge ich in der Schule mehr, weil ich dort 
mehr Gelegenheit zum Lügen habe‘ (15 Jahre m.). ,,In der 
Schule lüge ich häufiger, weil ich mit vielen Kollegen zusammen- 
komme, daher auch die grölsere Gelegenheit zum Lügey habe“ 
(verm. 15—16 Jahre ml „In der Schule lüge ich häufiger, weil 
ich zu Hause mein eigenes Zimmer habe und den ganzen Tag be- 
schäftigt bin‘ (15 Jahre m.). ‚Ohne Zweifel lüge ich mehr in 
der Schule, weil ich weils, dafs ich zu Hause fürs Lügen schwerer 
bestraft werde, als in der Schule“ (16 Jahre m.). 

Wir sehen an diesen Beispielen, wie identisch die Kinder ihre 
Lügen begründen. Es müssen also zu Hause und in der Schule 
dieselben Motive vorhanden sein, die diese Lügen hervorrufen. 


Die Hüufigkeit der Lüge im Hause und in der Schule. 33 


Jedoch erst eine weitere Begründung und ein Eingehen auf die ein- 
zelnen Motive der Lügen ermöglichen uns ein näheres Betrachten 
der Beispiele der Kinderlügen. Es wurden sehr viele Beispiele 
angegeben: 365 Beispiele der Lügen in der Schule, 520 Beispiele 
der Lügen zu Hause, 193 sog. erste Lügen, also insgesamt 1078 
Fälle. Aus den Lügen zu Hause wurden 110 der Schule wegen 
begangen, auf die sog. ersten Lügen kommen auch 30 auf solche 
durch die Schule verursachte Lügen. Insgesamt betreffen also 
die Schullügen (365 + 110 + 30) 505 und die Hauslügen (520 
— 110 + (193 — 30) 573 Fälle. 


Beiheft zur Zeitschrift für angewandte Psychologie. 15. 3 


34 Die Motive der Lüge zu Hause. 


Die Motive der Liige zu Hause. 
Die erste Lüge. 


Die Beispiele der Lügen, die die Kinder auf die Frage ange- 
geben haben: ‚erinnerst du dich deiner ersten Lüge ?““ ermöglichen. 
es, in die Motive der in der frühesten Kindheit begangenen Lügen 
einzudringen. Wie ich schon oben betonte, haben von 553 Kindern 
193 ihre ersten Lügen angegeben, dabei haben nur 90 gleich-. 
zeitig auch ihr Alter angegeben !, der Rest der Kinder erwähnt 
nur kurz, dafs er sich der Fälle nicht: mehr erinnert. oder die Kinder 
geben nur das Alter an, in welchem sie zu lügen anfingen. Diese 
verhältnismälsig kleine Zahl der ‚ersten Lügen‘ sowie auch der 
Umstand, dals die jüngeren Kinder viel seltener als die älteren 
ihre Lügen angaben, bestätigen die Behauptungen von Binet und 
anderen Psychologen, dafs die Erinnerungen der Kindheit ver- 
hältnismäfsig karg sind, und je kleiner das Kind ist, desto weniger 
ist es imstande, sich von seinen früheren Erlebnissen Rechenschaft 
zu geben. Weil viele Kinder angeben ‚von dieser Zeit fing ich 
an zu lügen‘, mufs man annehmen, dafs es in vielen Fällen ein 
bedeutsames Moment in ihrem Leben war. Man muls hier freilich 
auch noch in Erwägung ziehen, dafs wahrscheinlich nicht jeder 
von den angegebenen Fällen wirklich die erste Lüge war, sondern 
dafs er als erster im Gedächtnis blieb. Das am frühesten an-- 
gegebene Alter, wo man zum erstenmal gelogen hat, ist 3 Jahre 
(in 2 Fällen), 6mal sind 4 Jahre erwähnt, am spätesten log man 
im 13. Lebensjahre (3 Fälle), die meisten Fälle (die Hälfte aller 
angegebenen) fällt auf das 6. Jahr. 

Wie aus den Antworten der Kinder hervorgeht, ist das häu- 


1 Deshalb war es mir unmöglich, bei allen in diesem Kapitel ange- 
führten Beispielen der ersten Lüge das Alter des zum erstenmal lügenden 
Kindes anzugeben. Das am Ende jeder Aussage angegebene Alter bezieht 
sich auf das des schreibenden Kindes. 


Die Motive der Liige zu Hause. 35 


figste Motiv der Lüge die Näscherei. Solcher Fälle haben die 
Kinder im Alter von 3—8 Jahren — 84 angegeben. Interessant 
sind die einzelnen Aussagen: 


„Ich sagte der Bonne, dafs der Vater Rosinen möchte und inzwischen 
habe ich sie allein aufgegessen.‘“‘ (8 Jahre f.) „Ich ging in den Garten, als 
viel grüne Stachelbeeren und dann sagte ich, dafs ich nichts gegessen habe““ 
(13 Jahre f.). ‚Die Mutter, als sie aus dem Hause ging, liefs das Brot auf 
dem Tisch, ich afs es auf und als die Mutter kam, schlüpfte ich so schnell 
als möglich auf den Hof‘ (15 Jahre m.). „Als uns die Mutter Kuchen gab, 
sagte ich, ich hätte noch nicht bekommen, obwohl ich schon bekommen 
habe“ (9 Jahre m.). ,„Muttchen brachte einen kleinen Sack Äpfel. Apfel 
hatte ich sehr gerne. Ich kämpfte einen inneren Kampf, ob ich einen Apfel 
nehmen soll oder nicht. Die Näscherei siegte. Mit grolser Geschicklichkeit 
afs ich ein kleines Äpfelchen, aber es wurde mir sehr unbehaglich. Als die 
Mutter in das Zimmer eintrat, bemerkte sie sofort, dafs ich unruhig und 
traurig war. Sie fragte nach dem Grund. Ich sagte, dafs mir nichts fehlte. 
Dann auf die Apfel schauend sagte sie: Du hast einen Apfel genommen, 
bekenne es! — Nein — sagte ich — ohne nachzudenken. Ich bedauerte es 
sehr, denn seit dieser Zeit fing ich an zu lügen‘“ (14 Jahre m.). 


Aus der angegebenen grolsen Zahl solcher Fälle kann man 
sich leicht überzeugen, dafs das heimliche Essen von Bonbons, 
Naschwerk usw. bei den Kindern an der Tagesordnung ist und dafs 
sje, umihre Naschsucht zu befriedigen, niemanden schonen. Charak- 
teristisch hiefür ist z. B. die folgende Erzählung eines Knaben: 


„Ich war 5 Jahre alt, Papa war damals sehr krank. Mama schickte 
nach Bonbons aus gegen Husten für Papa. Papa legte sie in den Nacht- 
tisch und dann habe ich sie alle aufgegessen. Pape fragte, wo sind die 
Bonbons und ich habe nichts eingestanden.“ 


Nicht immer sind die Lügen so unkompliziert, denn nicht 
selten führen sie auch kleine Betrügereien und Diebstähle nach 
sich, die, wie die Umfrage beweist, viel öfter passieren, als man 
gewöhnlich glaubt, die aber nicht als solche angesehen werden. 
Hierfür die folgenden Beispiele: 


„Als ich noch keine 5 Jahre alt war, bekam ich von der Mutter Nüsse. 
Die Schwester bat mich, dafs ich mit ihr teile. Ich hatte aber zum Teilen 
keine Lust, und als die Schwester aus dem Zimmer ging, habe ich die Nüsse 
eingesteckt. Als sie zurückkam, sagte ich, dafs ich schon alle aufgegessen 
habe. An diesen Fall erinnert man mich öfter zu Hause. Damals hat man 
es als einen Beweis von Schlauheit meinerseits angesehen“ (13 Jahre m.). 
„Ich nahm 5 Kopeken und kaufte mir Hörnchen und Kürbisse und als 
mich die Mutter fragte, sagte ich, ich hätte kein Geld gesehen und wisse 
nicht, wo es war, Ich war damals 4 Jahre alt‘‘ (11 Jahre m.). „Ich nahm 
eine Kopeke, kaufte mir Bonbons und sagte, dafs ich sie von der Ver- 

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36 Ine Motive der Liige zu Hause. 


käuferin bekouuen hätte“ (13 Jahre f.). ‚Ich kaufte in der Konditorei 
Weihnachtslämmchen zu einer Kopeke für Geld, welches ich den Eltern 
aus der Tasche oder aus dem Beutel genommen hatte, später habe ich auf 
das eifrigste protestiert und behauptet, ich hätte die Lämmchen gar nicht 
gerne, erst später, als es der Konditor den Eltern erzählte und die Etern 
zum Stock griffen, habe ich einiges zugegeben‘‘ (13 Jahre m.). ,,Ich log, 
dafs ich Geld zu einem Hefte brauche, und kaufte mir Sülsigkeiten; als 
die Mutter sagte: zeige das Heft, log ich, dafs die Lehrerin es mitgenommen 
hat“ (15 Jahre f.). „Als ich 7 Jahre alt war, lernte ich in einer Vorschule. 
Eines Tages, als alle meine Freundinnen aus der Klasse gegangen waren, 
sah ich auf einer Bank eine Kopeke liegen. Erfreut darüber nahm ich sie 
und kaufte mir Bonbons. Den andern Tag hat die Freundin, die die Kopeke 
liegen gelassen hat, mich gefragt, ob ich sie nicht gesehen habe. Ich sagte: 
nein“ (17 Jahre f.). 


Sehr oft wurde von den Kindern erwähnt, dafs sie Geld ent- 
wendet haben, ohne anzugeben zu welchem Zweck, aber nach 
den hier in Frage kommenden Altersstufen (6—8 Jahre) ist es 
leicht zu erraten, dals es fast immer zum Kauf von Sülsigkeiten 
verwendet wurde. Die folgenden Lügen wurden zwar direkt durch 
die kleinen Diebstähle veranlalst, aber es ist anzunehmen, dafs 
das eigentliche Motiv letzten Endes doch die Naschsucht war. 

„Ich nahm heimlich eine Kopeke, als ich klein war, und habe es nicht 
' gugegeben“’ (15 Jahre m.). ,,Als kleiner Knabe nahm ich der Mutter 3 
Groschen (3 Pfennige) und sagte, dafs ich sie gefunden habe.“ ‚Meine 
erste Lüge war, als ich den Eltern 12 Kopeken nahm und log, dafs ich sie 
von einem Freunde bekommen habe“ (15 Jahre m.). „Ich nahm Geld, 
95 Kopeken, aber nicht auf einmal, und sagte, dafs wahrscheinlich der 


Onkel das Geld genommen hat, da er ohne Arbeit damals war. Ich war 
damals 8 Jahre alt‘‘ (12 Jahre m.)!). 


Das weitere Motiv der bewulsten ‚‚ersten‘‘ Lüge bei Kindern 
ist die Angst, d. h. die Furcht vor Strafe. Sie kann her- 
vorgerufen werden: 

a) durch Nichterfüllung der verschiedenartigsten 
kleinen Befehle der Eltern und Erzieher. Z. B.: 


„Als ich 6 Jahre alt war, log ich, dafs ich mich gewaschen habe, 
ohne es getan zu haben“ (11 Jahre m.). „Ich putzte meine Zähne nicht 
und sagte, dafs ich sie geputzt habe‘ (10 Jahre f.). „Ich ging spät schlafen 
und log der Mutter vor, dafs ich früh schlafen gegangen sei‘‘ (13 Jahre f.). 
„Ich log, als ich klein war, dafs ich die Arznei genommen habe, und ich 
habe sie doch nicht genommen“ (16 Jahre m.). „Ich afs neue Kartoffeln, 
nach denen trinkt man kein Wasser, und die Mutter hat mir deshalb nicht 

1) Alle diese Fälle über Gelddiebstahl stammen aus einer Schule, die 
von Kindern wenig bemittelter Eltern besucht wird. 


Die Motive der Lüge zu Hause. 37 


erlaubt zu trinken. Ich habe aber dennoch getrunken und als mich die 
Mutter fragte, was ich in der Küche machte, sagte ich, dafs ich mir die 
Hände gewaschen habe“ (13 Jahre f.). 


| fters wurden auch Lügen erwähnt, die aus dem Grunde 
begangen wurden, weil man die Kinder zum Essen zwang: 


„Als ich 6 Jahre alt war, wollte ich nicht essen. Als man mich mal 
allein im Zimmer liefs und mir das Frühstück gab, habe ich die Semmel 
zum Fenster hinausgeworfen“ (11 Jahre f.). „Ich war 6 Jahre alt, liebte 
kein Phosphatin! und gofs es aus‘ (12 Jahre m.). 


Ebenso häufig wurden die Befehle übertreten, mit den Dienst- 
boten oder den Straflsenjungen zu verkehren: 


„Als ich 5 Jahre alt war, bekam ich ein neues Kleidchen und 
nachdem ich es angezogen hatte, wollte ich es. dem Dienstmädchen 
zeigen. Die Mutter hatte es mir aber nicht erlaubt, also sagte ich, dafs 
ich der Bonne noch was sagen mufs und ging in die Küche‘ (14 Jahr f.). 
„Ich war 5 oder 6 Jahre alt, spielte damals mit Stralsenjungen, dem 
Vater sagte ich, dafs es nicht wahr ist. Der Vater erfuhr es von einem 
Nachbar und ich erhielt Schelte‘“ (14 Jahre mi „Als mich die Mutter 
nicht auf den Hof gehen liefs, weil sich dort ein paar Strafsenjungen 
befanden, mit welchen sie mir nicht erlaubte zu spielen; und als sie 
sagte, dafs sie mich gehen lassen wird, wenn ich nicht mit ihnen spielen 
werde, so habe ich es ihr versprochen, obwohl ich wufste, dais ich so- 
fort mit ihnen spielen werde, und als ich auf dem Hofe war, habe ich 
es selbstverständlich getan‘ (14 Jahre m.). 


b) Ein zweiter Grund zur Angst vor der Strafe sind die kleinen 
Vergehen, die sich das Kind zuschulden kommen liels: 


„Ich zerschlug einen Teller, als ich klein war, und sagte, dafs ich es 
nicht gemacht habe‘ (14 Jahre f.). „Ich habe eine Puppe zerschlagen und 
sagte, dals sie allein herunterfiel und zerbrach‘“‘ (15 J. f.). „Als ich klein 
war, kletterte ich auf einen Zaun, weil wir ein Spielspielten, welches, erinnere 
ich mich nicht mehr. — An einem Nagel habe ich mir den Anzug zerrissen. 
Zu Hause fragte man mich, wo ich meinen Anzug zerrissen hätte, ich sagte, 
dafs ich ihn nicht zerrifs, sondern er zerrifs von selbst“ (14 Jahre mm.) 
„Das erstemal log ich in meiner Kindheit, als ich eine Vase init Blumen 
zerbrach, und dann sagte ich, die Katze hat sie umgestofsen, und auf diese 
Weise bin ich den Vorwürfen entgangen“ (14 Jahre f.). „Ich habe mal 
mein kleines Brüderchen so heftig geschlagen, dafs es so laut geweint 
hat, dafs die Mutter sehr erschrocken vom letzten Zimmer herbeilief. 
Auf die Frage, wer den Bruder geschlagen hat, zeigte ich auf den 
älteren Bruder, der zeigte wieder auf mich und wir wurden beide be- 
straft‘‘ (13 Jahre m.). „Ich habe, als ich klein war, im Garten ein Spatzen- 
nest zerstört und log meinem Vater vor, dafs es mein Freund getan hat’ 


1 Ein Kräftigungsmittel. 


38 Die Motive der Liige zu Hause. 
(13 Jahre ın.). „Eines Tages bekam ich Lust, ein Feuerwerk los zu lassen, 
das Fröschchen heifst und zwei Kopeken kostet. Ich ging auf das Klosett, 
zündete das Fröschchen an, es explodierte und gab viel Rauch. Als Mutter 
vorüberging, hat sie den Rauch bemerkt und fragte mich, was so riecht. 
Da habe ich Angst bekommen, dafs ich Wichse kriegen könnte und Magte, 
dafs ich ein Stückchen Papier verbrannt habe und das hat so viel Rauch 
gemacht‘‘ (12 Jahre m.). 


Bei den älteren Kindern (von acht Jahren ab) werden die 
Motive der Lüge schon komplizierter und mannigfaltiger. Nasch- 
sucht findet man seltener erwähnt, dagegen mehren sich lügnerische 
Rechtfertigungen von Diebstählen kleiner Beträge, und auch deren 
Formen werden immer komplizierter. Wir sahen, dafs die kleinen 
Kinder heimlich eine Kopeke nahmen und sich damit verteidigten, 
sie hätten das Geld geschenkt bekommen oder gefunden. Die 
älteren Kinder stehlen schon systematisch, indem sie bei einem 
Einkauf von irgendwelchen Kleinigkeiten einen höheren Preis 
angeben und den Überschuß für sich behalten ur auch, indem 
sie Ausgaben vortäuschen. Z. B.: 


„Ich liefs mir von den Eltern 5 Kopeken für ein Heft geben und 
kaufte eines für 3 Kopeken‘ (10 Jahre m.). „Ich log zu Hause, dafs ich 
ein Heft gekauft habe, und kaufte mir statt dessen Soldaten, und ich habe 
zu Hause davon schon 52 Stück“ (11 Jahre m.). „Ich nahm zu Hause 
ein paar Kopeken, um Brot zu kaufen. Die Verkäuferin hat mir 5 Kopeken 
herausgegeben. Für diese 5 Kopeken kaufte ich Schokolade. Als ich nach 
Hause kam, sagte ich, dafs ich diese 5 Kopeken einem Bettler gegeben 
habe‘ (11 Jahre m.). „Einmal schickte mich die Mutter nach Arznei in 
die Apotheke und gab mir 50 Kopeken, (die Mutter glaubte, dafs es so 
viel kostet). Als ich die Arznei bekam, erhielt ich 15 Kopeken zurück. 
welche ich für mich behielt; der Mutter sagte ich, sie kostet 50 Kopeken“ 
(13 Jahre m.). 


Häufig sind auch Diebstähle von fremden Sachen, wie Bücher, 
Federmesser usw. angegeben; der treibende Grund dazu ist das 
Verlangen, eine angenehme oder nötige Sache zu besitzen. Cha- 
rakteristisch hierfür ist die Erzählung eines l1jährigen Knaben: 


„Eines Tages spielten wir Ball; ich, meine Brüder und zwei meiner 
Vettern. Schliefslich waren wir 9 an der Zahl. Der Ball gehörte einem 
meiner Vettern. Der Ball gefiel mir sehr, es war ein Fufsball. Plötzlich 
ist der Ball in einen anderen Hof geflogen. Ich kam als erster auf den Hot. 
wo er lag und hob ihn auf. Aber weil er mir gefiel, bin ich damit durch 
ein anderes Tor heimlich hinausgegangen. Alle haben den Ball gesucht. 
auch ich. Als ich jedoch meinen Vetter in grofser Verzweiflung sah, habe 
ich meine Schuld eingestanden und später habe ich mich sehr geschämt 
(11 Jahre ın.). 


Die Motive der Lüge zu Hause. 39 


Das Motiv der Verheimlichung aus Angst vor den 
Eltern ändert sich auch bei den älteren Kindern. Vor allem 
ist der Umfang der verheimlichten Sachen jetzt grölser. Das 
bewirkt einerseits die Schule mit ihrem System, das die Kinder 
zum Lügen sogar zu Hause zwingt (davon weiter unten mehr), 
andererseits das sich immer mehr entwickelnde geistige Leben 
des Kindes. Die älteren Kinder erwähnen schon nichts mehr 
von Verheimlichung kleiner Vergehen, wie Zerbrechen eines Glases 
usw., und das nicht deswegen, weil solche Sachen nicht passieren, 
sondern weil zie es fiir nicht wichtig halten. Das Kind fängt an, 
eine besondere Sphäre von Interessen und Wünschen zu haben, 
und deren Nichtbefriedigung von Seiten der Umgebung ruft Lügen 
hervor. 

Ein solches Interesse für das Kind stellt vor allem das 
Lesen dar. Die Kinder lügen also dementsprechend: 


„Muttchen hat mir nicht erlaubt, viel Bücher zu lesen, ich las je- 
doch täglich zwei oder drei hintereinander‘ (13 Jahre f.). — „Mein älterer 
Bruder brachte den ,,Storch‘‘! und schlofs ihn in einen kleinen Koffer ein. 
Ich suchte mir einen Schlüssel dazu und las den ‚Storch‘ (14 Jahre m). — 
„Ich schlielse mich in ein besonderes Zimmer ein und lese Bücher, die mir 
zneine Eltern nicht zu lesen erlauben‘ (17 Jahre f.). 


Das gleiche läfst sich auch von den den Kindern verweigerten 
Vergnügungen sagen. Das Leben der Kinder ist grölstenteils 
sehr monoton, es vergeht in der Langeweile der Schule oder im 
Auscrbeiten der Aufgaben für dieselbe langweilige Schule. Die 
Streiche der Kinder sind oft nur die Reaktion auf diese Lebens- 
.weise und den Mangel an Abwechslung; viele von den Kinder- 
streichen rufen zahlreiche unschuldige Lügen hervor, die auch 
ganz offenherzig in der Umfrage zugestanden werden: 


„Ich habe Mutters Schlüssel versteckt und tat so, als wüfste ich 
nicht, wo sie sind und habe ruhig mit allen anderen gesucht‘ (11 Jahre m.). 
„Einst fragte mich meine Mutter, ob eine bestimmte Trambahn in der 
Richtung gehe, wo wir hin mülsten; ich sagte ja, obgleich ich wulste, dals 
‘es falsch war. Wir sind eingestiegen und natürlich fuhren wir ganz wo 
anders hin“ (12 Jahre m.). — „Am 1. April gab ich deın Lehrer, Herrn L., 
ein Stückchen Zucker statt Kreide und eine zerbrochene Stahlfeder‘ (12 
Jahre m.). — „Ich belüge alle am 1. April. Zum Dienstmädchen sagte ich, 


Ge ee S n. 


1 Ein bekanntes polnisches Witzblatt, das erotische Zeichnungen 
und Witze enthält, und das man deshalb sorgfältig vor der Jugend 
verbirgt. 


40 | Die Motive der Lüge zu Hause. 


dals ihr Bräutigam ihr einen goldenen Ring geschickt habe, sie ging zur 
Mutter, um ihn zu holen und er war natürlich nicht da‘‘ (14 Jahre f.). 


Verbotene Spiele sind, wie zu erwarten ist, ebenfalls ein 
sehr häufiger Grund zum Lügen. Besonders häufig gilt dies vom 
Fufsballspiel. Das interessanteste und fiir unsere Zeit am meisten 
charakteristische ist die grolse Rolle, die das Kino in den Kindeı - 
unterhaltungen spielt. Der heimliche Besuch des Kincs als Ur-. 
sache der Lüge wurde nicht weniger als 60mal erwähnt: 


„Ich log der Tante vor, dafs ich mit dem Cousin in den Garten gehe- 
und ich ging ins Kino‘ (11 Jahre m.). — „Ich und mein Bruder sagten 
zu unserem Vaterchen, dals wir spazieren gehen wollen, aber wir gingen 
ins „Theater Luna‘ und kamen nagı Hause und sagten, dafs wir nirgends 
waren‘ (11 Jahre m.). — „An einem schönen Wintertag kam zu mir meine 
Freundin und wir haben verabredet, dafs wir zu einer ziemlich ernsten 
Vorstellung ins Kino gehen werden. Ich sagte der Mutter, dafs ich spa- 
zieren gehe‘‘ (12 Jahre f.). — „Einst wollte ich mit meiner Schwester ins 
Kino gehen, ohne dafs jemand es wisse, also sagten wir, dafs wir ein Buch. 
kaufen gehen‘ (15 Jahre f.). 


Es ist natürlich, dals wegen solcher Vergnügungen ständig 
auch sonst noch die verschiedensten Schwindeleien verübt werden. 

„Ich log sehr oft meinem Bruder vor, dafs ich Geld für verschiedene- 
nötige Sachen brauche. Es war aber gar nicht so, weil ich für dieses Geld 
ins Kino ging“ (13 Jahre m.). — „Zu Hause erhielt ich 15 Kopeken für ein 
Heft, statt dessen ging ich ins Kino und sagte nichts davon zu Hause‘* 
(13 Jahre m.). — „Ich log, dafs ein Kollege ein Billett ins Kino hatte und ich 
statt ihm ging‘ (11 Jahre m.). — „Am häufigsten lüge ich zu Hause, wenn 
ich einige Kopeken fürs Kino brauche“ (15 Jahre f.). 


Eine ähnliche häufige Rolle wie das Kino spielt der Wunsch, 
sich auf der Strafse herumzutreiben. Wie aus der Umfrage 
hervorgeht, lügen sogar schon 6jährige Kinder, um auf die Stralse- 
zu kommen: 

„Ich war 6 Jahre alt und einmal versprach mir Muttchen, dafs, wenn 
ich schnell mit dem Mittag fertig bin, ich mit ihr spazieren fahren dürfe. 
Ich hatte aber noch ein ganzes Kotelett. auf das ich aber gar keinen Appe- 
tit hatte. Ich warf es deshalb hinter den Ofen. Als Muttchen kam und 
sah, dafs ich schon alles aufgegessen hatte, hat sie sich sehr gewundert. 
dafs ich so schnell gegessen habe und natürlich fuhren wir spazieren“ (f.). 

Das Lügen wegen verbotener Ausflüge in den Wald oder aufser- 
halb der Stadt finden wir nur bei kleineren Knaben, sehr selten 
dagegen bei älteren Jungen. Vom 13. Lebensjahre ist bei Knaben 
wie bei Mädchen immer nur die Rede von gegenseitigen heim- 
lichen Zusammenkünften, sei es auf der Strafse oder 





pe PLT PE ED EES IE BE EIER u i ET nn (or D ee) Su 


L 


Die Motire der Lüge zu Hause. 41 


bei sonstigen Gelegenheiten. Selbst die strengsten Verbote 
werden hierbei durch Lügen umgangen. Folgendes schreiben 
z. B. die Mädchen: 


„Wenn ich mit Muttchen spazieren gehe und treffe einen Bekannten, 
der mich grüfst, dann fängt Muttchen zu schimpfen an, dafs ich noch zu 
jung sei, um mit jungen Herren zu verkehren. Ich sage dann sofort, dafs 
ich ihn nicht kenne und, nicht wisse, wie er dazu komme, mich zu grülsen. 
Dann sagt Muttchen, dafs ich ein zweites Mal einen Unbekannten nicht 
wieder grüfsen soll. Aber ich habe gelogen, weil ich ihn doch gut gekannt 
habe‘‘ (15 Jahre). — „Die Mütter sagen immer: Gott behüte, dafs ich dich 
einmal mit Jungens sehe!“ Aber das ist doch so einfach, wenn man einen 
kennt, lernt man immer mehr kennen. Wenn ich ausgehe, um Einkäufe 
zu machen oder wenn ich spazieren gehe und cs begegnet mir ein Bekannter, 
kann ich denn dann sagen: Ichdarf mit Ihnen nicht spazieren gehen ? Ob gern 
oder ungern, ich gehe mit ihm. Aber meine Eltern wissen nichts davon. 
Auf diese Weise sinke ich immer mehr in die Lügen“ (15 Jahre). — „Zu 
Hause ist die häufigste Ursache zur Lüge die, dafs, wenn ich z. B. ausgehen 
will, um mich mit einem Jungen zu treffen, so schütze ich vor, dafs ich zu 
einer Freundin gehe, und die Zeit, die ich auf das gemeinsame Lernen mit 
ihr verwenden soll, opfere ich dann dem Spazierengehen (natürlich nicht 
dem einsamen). Das tu ich, weil ich weils, dafs, wenn ich zu Hause den 
wahren Zweck meines Ausgehens sagen würde, ich grofse Unannehmlich- 
keiten von seiten meiner Eltern hätte‘ (17 Jahre). — „Ich muls lügen 
und bedauere es gar nicht, weil ich den Umgang mit jungen Leuten nicht 
entbehren kann und die Eltern erlauben mir das nicht‘! (16 Jahre). 


Dasselbe schreiben die Schüler: 


„Ich log der Mutter vor, dafs ich zu einem Kollegen gehe, und ich 
ging zu einem Fräulein‘ (14 Jahre). — ..Wenn ich fort ging, log ich der 
Mutter vor, dafs ich zur Stunde gehe. Ein anderes Mal sagte ich auch, 
dafs ich eines Buches wegen fort gehe. Die Wahrheit gesagt, ging ich wegen 
Fräulein X. weg, weil ich grofse Lust hatte, sie zu sehen. Ich blieb länger 
fort und ging mit Fräulein X. spazieren‘ (15 J.). — „Ich ging vom Hause 
mit Büchern fort, als müfste ich in die Schule gehen, aber ich ging zu einem 
Rendez-vous mit einem Fräulein in cine abgelegene Strafse, wo uns weder 
jemand schen noch hören konnte. Manchmal ging ich auch deswegen aus 
der Schule fort‘ (15 Jahre). — „Wenn ich spät von einem Rendez-vous 
heimkomme, fragen mich die Eltern, wo ich war, ich sage natürlich: bet 
einem Kollegen und die Lüge ist fertig‘ (18 Jahre). — „Ich ging häufig spa- 
zieren und log zu Hause, dafs ich irgendwo aus einem sehr wichtigen Grunde 
sein mufs. Sehr oft ging ich mit einem Fräulein spazieren und konnte 
deshälb auch meine Schulaufgaben nicht machen. Wenn mich der Lehrer 
gesehen hatte, entschuldigte ich mich in der Schule, dafs es meine Schwester 
oder meine Cousine war“ (14 Jahre). — .,Oft wollte ich nicht lernen und ging 
lieber mit einem Fräulein spazieren. Wenn mich der Lehrer dann fragt, 
warum ich die Aufgaben nicht mache, aber mit Mädchen herumspaziere, 
so sage ich, ich wäre krank und gehe mit meiner Schwester‘ (14 Jahre). 


42 Die Motive der Liige zu Hause. 


Es ist natürlich, dafs das Zusammensein von Madchen und 
Knaben das Entstehen zärtlicher Gefühle begünstigt. Dieses 
Gefühl jedoch zu verraten, davon hält die meisten eine gewisse 
Scham zurück. Dieses Schamgefühl kann ebenfalls als ein 
spezielles Motiv der Lüge bezeichnet werden. So schreiben 
die Mädchen: 

„Einmal fragte man mich, ob ich wünsche, dafs eine gewisse Person 
kommen möchte, ich sagte nein", aber sagen wollte ich eigentlich „ja“ 
(12 Jahre f.). — „Ich liebe jemand sehr und als mich Muttchen frug, 
warum ich so sonderbar gewesen sei, als er kam, da sagte ich, dafs 
Muttchen sich irre, mir fehle nichts, weil ich mich schämte, dafs sie mioh 
auslachen wird“ (13 Jahre f.). — „In meinem Geiste entstehen Gedanken, 
die zu verraten, dafs ich Angst habe und mich schäme — dann lüge ich“ 
(16—17 Jahre m.). 


Aus den vorstehenden Beispielen ist es klar, dafs das 
Verhältnis der Kinder zu den Eltern keinesfalls auf Aufrichtigkeit 
und Vertrauen beruht. Das Kind fühlt, dafs sein Tun auf 
Mifsfallen stofsen wird, darum verheimlicht es dieses und bemüht 
sich, es in einem anderen Lichte zu zeigen. Solches Tun ist nicht 
immer zu rügen, es ist manchmal ganz unschuldig, und verheim- 
licht werden bestimmte Dinge nur deshalb, weil das Kind dem 
elterlichen Verständnis nicht traut, wie z. B. folgende Beispiele 
beweisen: 

„Eines Tages habe ich Geld verloren und als ich nach Hause kam, 
sagte ich, dafs ich es bei der Freundin gelassen habe. Den folgenden Tag 
habe ich von jemanden geborgt und gab es Muttchen“ (13 Jahre £.). — „Ich 
log, dafs ich einen schönen Bleistift geschenkt bekommen habe, aber ich 
hatte ihn mir von meinein Gelde gekauft; ich log, damit die Eltern nicht 
böse sein sollten‘ (13 Jahre f.). 


Nicht selten werden aus dem gleichen Grunde, des Mangels 
an Verständnis bei den Eltern, Dinge verheimlicht, die 
edle, altruistische Züge aufweisen: 


„Eines Tages bat mich meine Cousine, dafs ich ihr mein Portemonnaie 
schenke. Ich gab es ihr, aber als mich mein Vater fragte, warum ich mir 
ein anderes Portemonnaie wünsche, sagte ich, dafs ich das meinige verloren 
habe, damit der Vater mir nicht zürnt“ (14 Jahre f.). — „Eines Tages kaın in 
unsere Wohnung ein armer Knabe, welcher mich um ein Almosen bat; 
dabei schaute er auf die Milch und die Semmeln, welche auf dem Tische 
standen. Ich erriet sofort, dafs der Junge hungrig ist und gab ihm Milch 
und eine Semmel, damit er esse. Als die Mutter kam, fragte sie mich, wer 
hat die Milch ausgetrunken, also sagte ich: die Milch hat die Katze ge- 
trunken und die Katze hat auch die Semmeln gefressen‘ (13 Jahre m.). 
„Eines Tages schickte mich die Mutter fort, Besorgungen zu machen. Im 





Die Motive der Lüge zwu Hause. 43 


Vorübergehen sah ich einen Armen, der ein kleines Mädchen an sich drückte. 
Ich hatte ein grofses Mitleid mit ihm und gab ihm 10 Kopeken. Als ich 
nach Hause kam, fehlte mir natürlich das Geld, Muttchen frug mich, was 
ich damit gemacht habe und ich antwortete: verloren“ (12 Jahr f.). 


Derartige Verheimlichungen vor den Eltern treten, wie man 
aus den Antworten ersehen kann, in einem früheren Alter nur 
sporadisch auf, vom 14. Lebensjahre an jedoch kann man schon 
eine systematische Verheimlichung alles dessen beobachten, was 
das innerliche ,,[ch‘‘ der Mädchen oder Knaben betrifft. Die 
Jugend fangt in diesem Alter an, ibre eigenen, individuellen Er- 
lebnisse zu haben, die sie aber sorgfältig versteckt, die Eltern 
werden jetzt in keiner Weise mehr zum persönlichen Leben zu- 
gelassen. Auf deren Fragen, und wenn sie auch die unschuldigsten 
Dinge betreffen, antwortet man fast stets mit Lügen, um nar die 
Einmischung der Eltern in die eigenen Angelegenheiten zu ver- 
hindern. Charakteristisch sind diese Beispiele: 


„Als ich bei einem Freunde war, den die Eltern nicht kennen, da 
sagte ich, dafs ich bei einem anderen Kameraden war, welchen die Eltern 
kennen, damit ich dem Ausfragen von seiten meiner Eltern entgehe‘“ (13 
Jahre m.). — „Zu Hause log ich oft aus diesem Grunde, weil ich den Eltern 
nicht sagen wollte, wohin ich gebe und wann ich kommen werde“ (17 Jahre 
m.) „Zu Hause lüge ich dann, wenn ich die persönlichsten Angelegen- 
heiten verheimlichen möchte“ (17 Jahre m.). — „Ich habe jetzt gerne, dafs 
mich niemand kontrolliert und dafs ich möglichst unabhängig wäre. Das 
hätte mir, glaube ich, das grölste Vergnügen gemacht. Es handelt sich 
nämlich für mich nicht darum, mit jungen Leuten spazieren zu gehen und 
abends spät nach Hause zu kommen, woran anderen Mädchen liegt, son- 
dern darum, dafs ich im individualistischen Sinne ich selbst sein will; das 
hätte die sog. „Unlüge‘““ bedingt oder ganz einfach die Wahrheit, und ich 
möchte in Wahrheit leben und durch Wahrheit das Leben kennen lernen“ 
416 Jahre f.). 


Eine der unmittelbaren Ursachen dieses Verhältnisses der 
Kinder zu den Eltern ist nach den Aussagen deı Kinder der Unter- 
schied in den Anschauungen, welcher zwischen ihnen herrscht : 


„Zur Lüge gegenüber den Eltern zwingt uns hauptsächlich die Ver- 
schiedenheit der elterlichen Anschauungen mit den unsrigen. Die Eltern 
haben, wie alle älteren Leute, ganz andere Ansichten über das Leben als 
wir. Aus diesem Grunde sind wir, um Zwistigkeiten zu Hause zu vermeiden. 
genötigt, zu lügen“ (17 Jahre m.). — „Ich lebe zwar schon im 20. Jahrhundert, 
aber meine Eltern sind noch aus dem 19. und verstehen nicht die moderne Er- 
ziehung, die Emanzipation der Gedanken usw. Wir müssen also lügen. um 
die heimlich erworbenen Kenntnisse vom sexuellen Leben usw. zu verheim- 
lichen. Je naiver wir in dieser Beziehung sind, desto grölsere Freude haben 


dd Die Motive der Lüge zu Hause. 


die Eltern. Ich mufs fast alles verheimlichen, denn ich darf keinen sozia- 
listischen Gedanken äufsern oder mich zur Assimilation mit dem Volke. 
unter welchem ich lebe, bekennen (17 Jahre f.). 


Von den mit den Eltern in Widerspruch stehenden Ansichten 
ist besonders oft der Glaube erwähnt (in 15 Fällen). Schon bei 
12jährigen Knaben begegnen wir Lügen wegen der für sie unan- 
genehmen Pflicht, in die Kirche zu gehen: 


„Eines Tages, Sonntags, ging ich aus und sagte zu meinen Eltern, 
dafs ich in die Kirche gehe, aber dann ging ich auf den Hof spielen“ (12 
Jahre m.). „Ich ging nicht in die Kirche, sondern ging lieber mit anderen 
Knaben auf die Straise, um Tauben zu füttern“ (14 Jahre m.). — ‚Mit der 
älteren Schwester sollte ich in die Kirche gehen, aber ich ging nicht, son- 
dern wir gingen zur Tante und sagten, dafs wir schon aus der Kirche zurück- 
kommen“ (14 Jahre f.). — „Es war am Sonntag um 101; Uhr, die Eltern 
befahlen mir, zum Gottesdienst zu gehen. Also ging ich in ein Zimmer, 
wohin die Eltern sehr selten kommen, und dort versteckte ich mich. Als 
die Kirchenzeit vorüber war, ging ich auf den Hof, als wäre ich eben zu- 
riickgekominen. Und die Eltern, die nichts ahnten, dachten, ich wire in 
der Kirche gewesen‘ (14 Jahre f.). 


Bei den Jugendlichen kommt der Glaube schon als Idee zur 
Geltung, gegenüber der man eine bestimmte Stellung einnimmt: 


„Lüge kann ich das nennen: ich lerne Religion, aber glaube ich denn 
daran ? Nein — ich bin in diesem Falle ganz unschuldig. Es ist also kein 
Wunder, dafs ich auch bei der Beichte lüge‘ (15 Jahre f.). — „Nachdem ich 
RENAN, NORWID! und andere Schriftsteller gelesen habe, deren Werke 
auf dem Index sind, hörte ich auf, an Jesus zu glauben, und den Priester 
und die Mutter habe ich belogen, indem ich vortäuschte, ich wäre relisiös'“ 
(14 Jahre m.). — „Ich glaube nicht an den Wert und die Bedeutung der reli- 
giösen Gebräuche, und wenn man mir zu Hause den Unglauben vorhält, so 
schweige ich, trotzdem ich liberale Ansichten habe. Das ist, denke ich, 
eine Lüge, denn sehr oft ist auch Schweigen eine Lüge“ (15 Jahre ın.). 


Dieses traurige Bild des Verhältnisses der Kinder zu den 
Eltern wird durch die Antworten von 10 Kindern gemildert, welche 
aus Liebe zu den Eltern gelogen haben: 


„Meine Mutter war krank und wulste, dafs ich vorgestern über Hals- 
weh klagte. Als sie mich fragte, ob mir der Hals noch weh tut, sagte ich, 
um ihr Keine Sorgen zu machen, dafs mir nichts weh tut, trotzdem ich 
Schmerzen hatte‘‘ (12 Jahre f.). — „Als Muttchen krank war und Papa ver- 
reiste, um sich operieren zu lassen, sagte ich, als sie mich fragte, dafs er 
geschäftlich verreist ist‘“ (13 Jahre ın.). — „Einmal erkrankte meine Mutter 
schwer. Den anderen Tag erhielt ich eine Zwei? in der Mathematik. Als ich 

t Bekannter polnischer Dichter des 19. Jahrh. 

2 In den polnischen und russischen Schulen ist eine Eins die schleeh- 

teste Note, jede folgende ist die bessere, (2, 3, 4) 5 ist vorzüglich. 





Die Motive der Liige zu Hause. 45 


ihr mein Heft! zur Unterschrift gab, sah ich, dafs sie die Note bemerkte. 
Aus Furcht, dafs es ihrer Gesundheit schaden könnte, sagte ich, dafs ich 
die Zwei dafür bekommen hätte, weil der Mathematiklehrer gesehen 
habe, wie ich mein Heft einem Kollegen gab, der die Aufgabe von mir ab- 
schreiben wollte“ (12 Jahre m.). — ‚Das erstemal log ich, als ich 5 Jahre 
alt war. Ich kam nach Lodz mit meiner Familie und es ging uns damals 
sehr schlecht. Neben uns wohnte eine Frau, die einen Laden hatte. Ich 
ging zu ihr, um etwas zu kaufen, und sah, dafs auf dem Tische ein Rubel 
lag. Das war für mich ein grofses Glück. Ich nahm den Rubel, ohne dafs 
die Frau es sah, lief zu der Mutter und sagte, dafs ich einen Rubel gefunden 
habe. Die Mutter sagte, dafs Gottes Vorsehung über ihr wache. Seit dieser 
Zeit gehe ich stets auf die andere Seite, wenn ich an diesem Laden vorüber 
mufs und schäme mich sehr, aber niemand zu Hause weils davon“ (f.). 


In dem Verhältnis zu den Eltern läfst sich noch eine weitere 
interessante Gruppe von Lügen feststellen, nämlich solche, die 
aus Ehrgeiz verursacht sind: 


„Als ich noch klein war, sagte ich immer, dafs ich keine Angst habe, 
in ein dunkles Zimmer zu gehen, und wenn man mich dann nach irgend- 
was schickte, habe ich gesungen oder Gott weils was getan, um meine Furcht 
zu überwinden“ (13 Jahre f.). — „Wenn ich zu Hause etwas Schlechtes tue, 
habe ich Angst vor den Unannehmlichkeiten, die für mich daraus folgen 
— oder dafs man mich wegen einer begangenen Sache auslacht; ich bemühe 
mich deshalb, eine schlecht gemachte Sache anders zu erklären als sie in 
Wirklichkeit war‘‘ (15 Jahre f.). — ‚Ich liebe es nicht, zu sagen, wieviel eine 
von mir gekaufte Sache gekostet hat, da ich fürchte, dafs ich zuviel bezahlt, 
habe. Ich sage lieber weniger und zahle das, was es mehr gekostet hat, aus 
meiner eigenen Tasche‘ (16 Jahre m.). — „Ich wurde in einen Laden geschickt, 
wo wir auf Rechnung kauften, um die Schulden zu bezahlen; ich hatte 
bereits ausgerechnet, wieviel es ausmacht. Im Laden zeigte es sich, dafs 
ich mich verrechnet hatte, aber ich wollte wegen des Fehlers nicht aus- 
geschimpft werden (der Vater hätte gesagt, ich könne nicht rechnen) 
und so sagte ich, ich hätte richtig gerechnet, den fehlenden Betrag hab ich 
ein anderes mal bezahlt‘‘(15 Jahrem.). — „Ich log einmal, als mich Muttchen 
frug, warum ich immer so kleinlaut sei. Obwohl ich nicht die Schlechteste 
bin, wollte ich in ihren Augen besser erscheinen und fing nun an, mich 
selbst zu loben, indem ich erzählte, dafs dieser oder jener sagte, dafs ich 
Talent habe, oder dafs ich am besten von allen lerne usw. Meine Lügen 
habe ich niemals bedauert und werde sie auch nicht bedauern, weil die 
Eltern in solchen Fällen immer zu mir sagten, sie wären auf eine solche 
Tochter stolz‘‘ (13 Jahre f.). 


1 Ein Heft, in dem jeden Tag alle erhaltenen Noten des Schülers 
eingetragen werden, Jede Woche wird das Heft von der Mutter oder dem 
“ Vater unterschrieben. Die Unterschrift soll der Beweis sein, dafs die Eltern 
von den Noten der Kinder Kenntnis genommen haben. 


46 Die Motive der Schullügen. 


Die Motive der Schullügen. 


Die Motive der Lügen zu Hause ändern sich, wie wir gesehen 
haben, mit dem Alter des Kindes, indem sie mannigfaltiger und 
komplizierter werden. Dagegen herrscht in den Motiven der 
Schullügen eine gewisse Starrheit und Unveränderlichkeit ; sowohl 
in den unteren als auch in den oberen Klassen kann man nur zwei 
Motive der Lüge feststellen: 

Das erste ist die Furcht vor der schlechten Note. 
Aulfser den allgemein angegebenen lakonischen Gründen: ich lüge 
in der Schule, um einer schlechten Note zu entgehen, hat man, 
wie ich schon früher erwähnte, 505 Beispiele von Lügen in der 
Schule gegeben und diese Beispiele fallen durch ihre Stereotypie- 
auf. Sowohl die jüngsten wie die ältesten Schüler schreiben: ich 
log, dals mir der Kopf, Zahn, Finger weh tut, dals ich das Heft 
vergessen habe, dafs ich das Buch verloren habe, dafs ich selb- 
ständig den Aufsatz geschrieben habe, dafs ich allein die Aufgabe- 
gelöst habe, ich brachte falsche Zeugnisse von Vater, Mutter, 
Bruder, Schwester, Onkel, Tante, ich unterschrieb selbst (statt 
der Eltern) mein Zeugnisheft usw. Solcher identisch klingender 
Beispiele gab man 230! Dem Vergessen der Hefte begegnet man 
in der Rubrik der Schulausreden so systematisch, dals man ein- 
fach dem Lehrer empfehlen muls, niemals an diese Ausrede zu 
glauben. Einer der Schüler erklärt kurz und bündig diese Häufiz- 
keit, indem er schrieb: ‚‚ich log, dafs ich das Heft vergessen habe, 
weil die Strafe für das Nichtlösen der Aufgabe grölser ist als die 
für das Vergessen der Hefte‘‘ (16 Jahre m.). Diese Angst vor der 
schlechten Zensur hat zur Folge, dafs der Aufenthalt des Kindes 
in der Schule eine einzige Kette von Lügen wird. Eine Schülerin 
beschreibt ihren Schultag folgendermalsen: ‚Eines Tages habe ich 
keine einzige Aufgabe gemacht. Es kommt die erste Stunde — 
ich mache die Ausrede, dafs mir das Buch verloren ging und ich 


Die Motive der Schulliigen. 41 


nicht lernen konnte. Es kommt die zweite Stunde, ich rede mich 
aus, dafs ich die Notizen, die der Lehrer uns diktiert hat, ver- 
loren habe und deshalb nicht lernen konnte; es kommt die dritte 
Stunde, ich spiele die Kranke, also kann ich nicht antworten, 
in der vierten Stunde sage ich, dafs ich das Heft vergessen habe, 
die fünfte Stunde waren Handarbeiten, auf diese Weise gelang 
mir alles vortrefflich“ (14 Jahre f.). 

Das Motiv der Angst vor der schlechten Note zeigt jedoch 
einige subtile Unterschiede: es gibt Schüler und Schülerinnen, und 
diese bilden die Mehrheit, welche die schlechte Note deshalb nicht 
erhalten wollen, weil für sie eine Strafe zu Hause zu erwarten ist. 
Einer der Schüler sagt sehr treffend: ‚Wenn man eine schlechte 
Note nach Hause bringt, so ist sie ein fertiges Material zum Lügen“ 
(15 Jahre m.). Den anderen Schülern ist an der guten Note als 
solcher gelegen. In diesem Falle handelt es sich schon nicht um die 
Angst vor der Strafe, sondern um Befriedigung des Ehrgeizes, 
um den Ehrgeiz, der gute Schüler weiter zu bleiben, „sich nicht 
vor den Kollegen zu blamieren‘, wie einer der Schüler schreibt, 
(17 Jahre m.). Es ist sebr interessant, dafs man aus Angst vor 
Strafe für die schlechte Note eine Krankheit simuliert (wie wir 
es oben gesehen haben), dafs man aber dann, wenn man aus Ehr- 
geiz die schlechte Note fürchtet, sogar eine vorhandene Krank- 
heit ableugnet. So schreibt ein 13jähriges Mädchen: ‚Der 
Hals tat mir eines Tages sehr weh, da ich aber meine Note ver- 
bessern wollte, weil wir in kurzer Zeit Zeugnisse erhalten sollten, 
wollte ich unbedingt in die Schule gehen. Als man mich also ge- 
fragt hat, warum ich so blals sei, sagte ich, dafs mir nur etwas 
der Kopf weh tut. Aber später bin ich ernstlich erkrankt, aber 
das Zeugpis war gut.“ 


Dieselbe Rolle wie die Note spielt in der Motivierung der 
Schullüge die Persönlichkeit des Lehrers oder der Leh- 
rerin. Die Antworten der Umfrage sind in dieser Hinsicht ein 
schwerer Vorwurf tür die Lehrer: 


„Ich habe die Lehrerin angelogen, weil sie sehr streng ist‘* (12 Jahre 
f.). — ‚In der Schule belüge ich eine von den Lehrerinnen, die ich sehr hasse, 
weil sie sehr ungerecht ist‘‘ (14 Jahre f.). — „Eine Lehrerin verfolgt mich. 
Da ich also manchmal sehr schlecht von ihr behandelt werde, so habe ich 
jede Lust zum Lernen verloren. Da ich aus diesem Grunde viel Aufgaben 
nicht machte, so war es mir schwer, das nachzuholen, was die Mitschülerinnen 
inzwischen gelernt haben, und so fing ich an, auf alle möglichen Weisen mir 
Ausreden zu verschaffen, bis ich endlich ohne Wissen der Eltern die Stun- 


48 Die Motive der Schullügen. 


den geschwänzt habe‘ (15 Jahre f.). — „Man lügt wegen der Aufgaben. weil 
die Lehrerinnen dazu zwingen. Wenn sie nicht glauben wollen, so fälscht 
man die Zeugnisse (dafs man krank war) und wenn sie noch nicht glauben 
wollen, so gibt man das Wort, dafs man die Aufgaben allein geschrieben 
hat‘‘ (14 Jahre f.).— „In der Schule ist es schwer, ohne Lügen auszukommen 
— wenn man sich rechtfertigen mufs, so genügen die wirklichen Gründe 
den Herren Professoren nicht, aber man muls ‚‚kolorieren‘‘, um gröfseren Ein- 
druck zu erwirken‘ (16 Jahre m.). — „Gröfstenteils sind die Lehrer schlechte 
Pädagogen und mitunter sind sie gar keine. Wenn ich die Aufgabe aus 
irgendeinem unbedeutenden Grunde, der aber doch Berücksichtigung ver- 
dient, nicht mache, so werde ich ausgeschimpft. Natürlich will ich einer 
solchen Eventualität vorbeugen, deshalb lüge ich“ (17 Jahre m.). — „Ich 
lüge nur aus Angst vor der Lehrerin. Denn es gibt nicht nur solche, welche 
gut zu uns sind und unsere Bedürfnisse verstehen, sondern auch solche, 
welche nicht in unser Leben eindringen und vor diesen mufs ich lügen‘ 
(14 Jahre f.). — ..Ich lüge auch nur deshalb, damit der Lehrer mir nicht mit 
einem höhnischen Lächeln antwortet, denn um die Note geht es mir gar 
nicht" (17 Jahre f.). — „Ich lüge in der Schule nur deshalb, damit ich nicht 
eingeschrieben werde oder damit ich nicht von Herrn W. als Esel ausge- 
schimpft werden soll‘ (14 Jahre ın.). 


Wir sehen in dieser Zusammenstellung ‘aus einigen Aussagen, 
wie sich die Vorwürfe gegen die Lehrer türmen. Die Jugend klagt 
über Strenge, Ungerechtigkeit, feindliche Beziehungen und Mangel 
an Verständnis. Schmerzlich sind die geschilderten Überzeu- 
gungen, dafs der Lehrer in die zwar kleinen aber doch Berück- 
sichtigung verdienenden Gründe zum Nichtmachen der Arbeiten 
nicht eindringen will, dafs er die Gründe des Schülers nicht schätzt 
und ihn einen Esel und anderes mehr schimpft. Bis zu welchem 
Grade sich zuweilen die Bitterkeit gegen die Lehrer ansammelt, 
erweist der Umstand, dals die Kinder sich sogar nicht scheuen, 
den Namen des betreffenden Lehrers zu nennen und als Beweis 
für die Wahrhaftigkeit dieser Aussagen der Kinder kann die Tat- 
sache dienen, dafs man in zwei Schulen, einer Knabea- und einer 
Mädchenschule, über denselben Lehrer geklagt hat, der denn auch 
tatsächlich an beiden Schulen lehrte. Ich glaube nicht, dafs der 
betreffende Lehrer von dieser Antipathie Kenntnis hat, denn in 
der Umfrage wurde mehrmals hervorgehoben, dafs man die Anti- 
pathie gegenüber diesem Lehrer verheimlicht, um noch schlim- 
mere Folgen zu vermeiden. So schreiben die Jugendlichen: 

„Den Widerwillen gegen die Schule verbergen wir durch Lügen. 


das heifst durch eine geheuchelte Aufmerksamkeit, damit uns der Lehrer 
oder die Lehrerin gute Noten geben" (17 Jahre f.) Menn der Lehrer 


Die Motive der Schullügen. 49 


einen dummen Witz erzählt, so lache ich und tue so als ob es mich 
interessiert‘ (17 Jahre m.). 

Man hört sehr oft, wie die Lehrer ihre Strenge den Kindern 
gegenüber damit rechtfertigen, dafs die Kinder faul sind und kein 
Pflichtgefühl haben, dafs sie keine Aufgaben machen usw. Die 
Umfrage wirft auch ein Licht auf diese Seite der Sache. Als Ur- 
sache ihrer Lügen geben eine ganze Anzahl Kinder an, dafs 
es für sie unmöglich sei, die Schulaufgaben zu be- 
wältigen. Zehn Kinder der niederen Klassen (hauptsächlich 
Mädchen) bekennen sich zu Lügen, die sie aus dem Grunde ge- 


sagt haben, weil ihnen das Zeichnen geographischer Dar- 
stellungen schwer fällt: Ä 


„Ich konnte die Karte Amerikas nicht zeichnen, ich habe sie des- 
halb durchgepaust, aber ich sagte, dals ich sie selbst gezeichnet habe“ 
(13 Jahre f.). — „Eines Tages sollten wir eine Karte zeichnen, ich bat meinen 


Cousin. dafs er sie mir zeichnet, er ging darauf ein und ich erhielt eine 
Fünf‘) (11 Jahre f.). 


Wieder andere Kinder klagen über die allgemeine Über- 
bürdung durch Aufgaben: 


„Ich lüge zu Hause wegen der Überbürdung mit Aufgaben, weil ich 
einige davon nicht machen kann“ (17 Jahre f.). — „Sehr oft bin ich nicht 
imstande, die Menge der Aufgaben zu machen, trotzdem ich nicht zu den 
Unfähigen gezählt werde und es auch nicht bin. Da ich für dieses Defizit, 
das von dem Lehrer als Faulheit betrachtet wird, nicht gestraft sein will, 
so lüge ich und denke mir immer irgendeine Krankheit aus. Solche Lügen 
bedauere ich nicht, denn der Mensch ist nur ein Mensch und macht 
so viel wie er kann“ (16 Jahre m.). — „Wenn ich allen diesen Schulforde- 
rungen nachkommen wollte, so könnte ich wirklich weder Zeit zum Lesen 
eines Buches, noch zum Verkehr mit den Kollegen, noch zum Besuch eines 
Vortrages oder des Theaters, oder einen Ausflug zu machen finden. Um 
das zu erreichen, mufs ich sehr oft lügen‘ (17 Jahre m.). 


Manchmal ist es freilich auch nur der Mangel an Lust zum 
Lernen, der die Schullügen provoziert. Die Knaben empfinden 
besonders schwer die Pflichten, die ihnen die Schule auferlegt, 
weil sie ihnen den natürlichen Hang zur Lustigkeit und zum Spiel 
unmöglich machen. Und der Knabe verteidigt sich mit der Lüge. 


Ein Schüler der ersten Klasse schreibt: 


„In der Schule hatte ich gar keine Lust zum Lernen, also sagte ich, 
dafs mir übel sei. Darauf schickte mich die Vorsteherin nach Hause. Zu 
Hause sagte ich, dafs mir schlecht wurde und dafs ich mich erbrochen 


1 Siehe Anmerkung S. 44, 2. Fulsnote. 


Beiheft zur Zeitschrift für angewandte Psychologie. 15. 4 


50 Die Motive der schullügen. 


hätte, in der Schule habe ich aber gar nicht erbrochen. Auf solche Weise 
log ich“ (10 Jahre m.). — „Wenn ich aus der Schule nach Hause komme, 
habe ich gar keine Lust zum Arbeiten. Es ist mir schon schrecklich, nur 
daran zu denken; dann werfe ich die Bücher in die Schublade und mache 
was anderes. Ich fälsche meine Zeugnisse und spiele die Kranke“ (14 
Jahre f.). 


Das Lügen in der Schule ist im allgemeinen um so schwer- 
wiegender, als es unerbittlich zu neuen Lügen zu Hause führen 
muls. Die Überbürdung mit den Aufgaben und die Unlust oder 
die Unmöglichkeit sie zu machen, verursacht die lügenhaften Aus- 
reden in der Schule und gleichzeitig auch solche Lügen zu Hause. 
Die Eltern, welche wollen, dals das Kind gut lernt, überwachen 
und kontrollieren die Ausführung der Schulaufgaben, sei es mit 
der ewigen Frage: hast du die Aufgaben zu morgen schon ge- 
macht? Und darauf bekommen sie fast immer lügenhafte Ant- 
worten: ‚Ja, ich habe sie gemacht.“ „Wir haben heute sehr 
wenig auf.“ ‚Die Aufgaben sind sehr leicht.‘“ ‚Morgen kommt 
der Lehrer nicht.‘ usw. Die schlechten Noten, die nach Hause 
gebracht werden, provozieren natürlich ebenfalls lügenhafte Er- 
klärungen, die so zahlreich und dabei so stereotyp sind, dafs man 
sie in einige Gruppen teilen muls: 

1. Lügenhafte Antworten, dafs man überhaupt nichts ge- 
antwortet hat. 

2. Dals man nicht weils, welche Note der Lehrer gegeben hat. 

3. Nach dem eigenhändigen Unterschreiben des Notenheftes, 
damit die Eltern die schlechte Note nicht bemerken, lügt man zu. 
Hause, dafs man das Notenheft nicht erhalten hat. 

4. Man fälscht die Note, um die Eltern zu täuschen, man 
radiert eie mit Gummi aus oder macht an der betreffenden Stelle 
einen Tintenfleck. Zu Hause lügt man, dals man überhaupt keine 
Note erhalten hat. 

5. Wenn die Eltern schon von der schlechten Note erfahren, 
dann bleibt als letzte Hoffnung noch die Lüge, dafs der Lehrer 
ungerecht war, oder dafs er diese Note aus Irrtum gestellt hat. 

Die Schullüge ist also gewöhnlich eine Lüge ‚nach zwei 
Fronten“. Aus Angst vor der schlechten Note lügt man gleich- 
zeitig in der Schule und zu Hause. Hier nur zwei krasse Bei- 
spiele: 


„Da ich die Aufgaben fürchtete, ging ich hinter die Schule und schrich»- 


Die Motive der Schullügen. 51 


in das Journal, dafs ich nicht in der Schule war!. Zu Hause sagte ich, ich 
sei wegen Zahnschmerzen früher entlassen worden‘ (12 Jahre m.). — „Im 
Französischen habe ich in dem Zeugnis eine Zwei, ebenso in Algebra. Näch- 
sten Sonnabend wird ein französischer Aufsatz und eine Aufgabe aus Algebra 
sein. Schon seit einigen Tagen denke ich darüber nach, wie ich den Lehrer 
und die Eltern beschwindeln soll. Ich mufs nämlich den beiden Aufgaben 
ausweichen, Ha, ich habe es schon! Ich mufs meine Schuhe, die etwas 
zerrissen sind, vollständig zerreilsen. Das ist für zu Hause. In der Schule 
werde ich lügen, dafs ich krank war. Also werde ich doppelt lügen“ (16 
Jahre m.). 


1 In den Schulen in Russ.-Polen führt man ein Journal, worin jeden 
Tag die fehlenden Kinder notiert werden. 


4* 


52 Die Liige in den Beziehungen der Kinder zueinander. 


Die Lüge in den Beziehungen der Kinder zueinander. 


Aus den Antworten der Kinder läfst sich aulser der Lüge zu 
Hause und in der Schule noch eine dritte Art Lügen hervorheben, 
die ganz andere Merkmale als die zwei bis jetzt bekannt gemachten 
Arten aufweist. Es ist dies das gegenseitige Belügen der Kinder 
untereinander. Die Angst vor Strafe, als Motiv, verschwindet; 
die Gleichheit des Alters, der geistigen Entwicklungsstufe, die 
Gleichartigkeit der Interessen schaltet hier die Furcht aus. Im 
Verkehr unter sich sind die Kinder frei. In den Lügen, die sie 
trotzdem gegeneinander verüben, zeigt sich deshalb in ganzer 
Fülle die dem Kinde eigene Psyche. 

Die Lügen im gegenseitigen Verkehr der Kinder zeigen eine 
grolse Mannigfaltigkeit. Man kann sie jedoch in einige Haupt- 
gruppen einteilen. Als die wichtigsten sind jene hervorzuheben, 
die entweder aus den Gefühlen des Wohlwollens oder denen des 
Übelwollens gegenüber den Mitschülern hervorgerufen sind, die 
man also kollegiale und unkollegiale Lügen nennen kann. Ich 
beginne mit den letzteren. 


IA. Die unkollegialen Lügen. 


Die unkollegialen Lügen bilden eine ganze Skala, angefangen 
von kleinen harmlosen Betrügereien zum Zwecke beabsichtigter 
gemeinsamer Spiele bis zu schweren Vergehen mit schlechten 
Absichten. Wir können diese Skala aufwärts anfangen mit den 
an sich verwerflichen Methoden, einen Freund oder Kollegen zu 
sich zu rufen: 

„Eines Tages telephonierte ich zu meinem Cousin, dals der Onkel 
aus Berlin gekommen sei. Er glaubte es und kam sofort gelaufen. Als er 
erfuhr, dafs ich ihn angelogen hatte, wollte er wieder nach Hause gehen, 


aber ich sagte ihm, dafs ich extra so telephonierte, damit er zu uns kame. 
um mit mir zu spielen, also blieb er bei uns“ (10 Jahre m.). — ‚‚Ich sagte 


Die Liige in den Beziehungen der Kinder zueinander. 53 


meiner Freundin, dafs ich ein Buch habe. Aber ich hatte keines und wollte 
nur, dafs sie zu mir käme‘ (13 Jahre f.). 


In enger Beziehung zu solchen Lügen stehen Lügen- Scherze, 
um sich auf Kosten der anderen zu amüsieren: 


„In der Schule sagte ich, dafs der Visitator gekommen sei, infolge- 
dessen liefen alle Schüler hinauf und von dort hörte man später ein helles 
Lachen‘ (10 Jahre m.). — „Der Bruder sagte mir ein Geheimnis, ich sagte 
es meiner Bonne und lachte ihn aus, dafs er mir sogar einen Pfennig gab, 
damit ich es nicht weiter sage und ich nahm den Pfennig und sagte, dafs 
ich nichts sagen werde‘ (14 Jahre f.). 


Viel häufiger schlummert in diesen Lügen jedoch eine böse 
Absicht des Kindes, das sich auf Kosten fremden Leidens oder 
Schmerzes freut: 


„Ich log, damit ich jemanden kränken könne‘ (12 Jahre m.). — ne 
Bosheit nahm ich meiner Freundin die Feder und sagte auf ihre Frage, 
dals ich sie nicht habe, aber später habe ich sie zurückgelegt‘‘ (13 Jahre f.). 
„Ich sagte einem Kameraden, der tags zuvor nicht in der Schule war, dais 
er eine schlechte Note erhalten hat, worüber er sich sehr grämte‘‘ (13 Jahre 
m.). — „Wenn mich ein Kamerad um etwas fragt und ich weils, dafs ihn die 
Unwahrheit nervös macht, so lüge ich absichtlich“ (11 Jahre m.). — „Eines 
Tages sagte ich zu einem kleinen Mädchen, dals sie die Finger in das Mäul- 
chen eines gefangenen Hechtes stecken soll, sie wollte nicht und sagte, 
dafs er sie beiflsen werde; ich sagte, dals er sie nicht beilsen wird, weil er 
keine Zähne habe, aber ich wulste sehr gut, dafs er Zähne hat. Sie steckte 
die Finger hinein und der Hecht hat sie so heftig in den Finger gebissen, 
dafs das Blut herausspritzte. Durch meine Lüge hatte das Kind grolse 
Schmerzen‘ (13 Jahre f.). — „Ich lige um meinen Bruder zu kränken, der 
um mich sehr besorgt ist, indem ich ihm sage, dafs ich viel Männer kenne“ 
(14 Jahre f.). 


Eine sehr grofse Gruppe von Kinderlügen unter sich bilden 
solche Lügen oder Betrügereien, deren Zweck im eigenen 
Nutzen besteht, oder um dem anderen keine Hilfe 
leisten zu müssen: | 


„ich habe einem Mitschüler eine falsche Briefmarke verkauft, die 
wenn sie echt wäre, sehr wertvoll gewesen wäre‘ (13 Jahre m.). — „Inder 
Schule bat mich eine Freundin, dafs ich ihr eine Stahlfeder borge, ich 
hatte zwar eine, aber ich sagte, dals ich keine hätte“ (13 Jahre f.). — „Ich 
verweigerte einer Freundin meine Hilfe bei der Schulaufgabe, indem ich 
sagte, dafs ich sie selbst noch nicht gemacht habe, obwohl dies nicht wahr 
war“ (12 Jahre f.). — ‚‚Einst belog ich eine Mitschülerin, indem ich ihr eine 
für sie sehr nötige Sache nicht geben wollte und sagte, dafs ich das Ge- 
wünschte nicht habe. Dadurch hat sie eine schlechte Note erhalten‘ (12 
Jahre f.). 


54 Die Lüge in den Beziehungen der Kinder zueinander. 


Dieser Mangel an kollegialen Gefühlen wird von den Kindern 
durch verschiedene Gründe erklärt. Ein kleiner Teil (3 Fälle) 
ist vom Selbsterhaltungstrieb diktiert. So wird die Absage einer 
Anleihe durch Nichtzurückgeben der geliehenen Beträge gerecht- 
fertigt: . e 

„Ich verweigere Darlehen, indem ich liige, dafs ich kein Geld be- 
sitze, jenen Mitschülern gegenüber, die bekannt dafür sind, dafs sie das 
Geld nicht zurückgeben“ (15 Jahre m.). 

Sehr viel Lügen a der Rachsucht oder der Anti- 
pathie. Z. B.: 

„Ich belog meine Cousine. Sie fragte mich, ob ich das Buch „Russkoje 
Slowo‘! habe, ich sagte, dafs ich es nicht habe, und zwar deshalb, weil sie 
- zu mir nicht gut ist‘‘ (10 Jahre £.). — „Ich log, wenn es sich darum handelte, 
eine verhalste Mitschülerin schlecht zu machen“ (12 Jahre f.). — „Ich lüge 
oft nur deshalb, um einer unbeliebten Person eine Unannehmlichkeit zu 
bereiten‘ (15 Jahre f.). 

Nicht wenige Lügen entspringen dem Neid und der Eifersucht, 
was sehr charakteristisch für die Kinderpsyche ist: 

„Als ich in der 3. Klasse war, log ich mir immer selbst etwas vor, 
und das war so: Ich wetteiferte mit einer Schulfreundin in den Noten und 
oft redete ich mir selbst ein, dafs ich ihr nur deshalb Unannehmlichkeiten 
mache, weil sie dumm und schlecht sei, während sie in Wirklichkeit das 
svmpathischste Mädchen unter der Sonne war und seitdem ich eine andere 
Schule besuche, lebe ich mit ihr am besten und habe sie sehr lieb‘‘ (16 
Jahre f.). — „Ich belog eine Freundin aus dem Grunde, damit sie mit einem 
bestimmten Bekannten nicht verkehrt‘ (14 Jahre f.). 

Zu den häufi gsten unter den unkollegialen Lügen gehören die 
Abwälzungen einer Schuld, auf andere und falsche 
Anklagen: 

„In der Schule wollte ich nicht gestehen, dafs ich das Glas zerschlagen 
habe und wälzte die Schuld auf einen Kameraden“ (15 Jahre m.). — „In 
der Schule gab ich während der Stunde viel an. Der Professor hat es be- 
merkt und wollte mir eine schlechte Note geben, darum sagte ich, dafs 
nicht ich den Lärm gemacht habe, sondern ein anderer‘ (14 Jahre m.). 
„Ich log, indem ich meine Freundin einer Sache anklagte, die gar nicht ge- 
wesen ist‘‘ (12 Jahre f.). — „Ich klagte meine Schulfreundin vor anderen 
Schülern an‘ (13 Jahre f.). 

In den Antworten der Umfrage ist ein Beispiel enthalten. 
wo einfach die Wut des Kindes als Motiv angegeben ist. Ohne 
Zweifel war diese Wut durch irgendwelche Erlebnisse hervor- 
gerufen, die aber, leider, nicht erwähnt wurden: 





ı „Russisches Wort‘ — bekanntes Schulbuch. 


Die Lüge in den Beziehungen der Kinder zueinander. 55 


„Aus Wut habe ich kleine Lügen begangen, welche ich später ge- 
stand‘ (11 Jahre f.). 


IB. Die kollegialen Lügen. 


Neben den unkollegialen Lügen finden wir in der Umfrage 
quantitativ zwar weniger zahlreiche, aber qualitativ um so mehr 
tröstende Beweise der kollegialen Lüge, hervorgerufen durch die 
Solidarität der Kinder untereinander. Wir finden diese Solidarität 
schon bei Geschwistern. In der Umfrage finden wir sehr charakte- 
ristische Geständnisse in dieser Richtung: 


„Ich lüge oft zugunsten meines Bruders, der jünger ist‘‘ (16 Jahre f.). 
„Ich log zu Hause, um nicht zu verraten, dafs mein Bruder mit einem 
Fräulein korrespondiert — als mich Muttchen gefragt, sagte ich, dafs ich 
nichts wisse“ (13,Jahre £.). — ‚Mein Bruder erteiltseinem Freunde Unterricht. 
Die Mutter ist neugierig, wohin der Bruder jeden Tag geht. Ich weils es 
natürlich, als aber die Mutter mich fragte, wohin geht der Bruder, ant- 
wortete ich, das er zur Schule geht, um den dort stattfindenden Proben 
beizuwohnen, denn in einigen Wochen soll dort ein Theaterstück aufge- 
führt werden‘ (15 Jahre m.). — ‚Ich lüge, um die Ehre meiner Nächsten zu 
verteidigen. Einst geschah es, dafs einer meiner Freunde mich fragte, 
ob mein Bruder sich schon besser benimmt, denn wegen seines schlechten 
Benehmens ist er ihm böse geworden. Obwohl mein Bruder sich noch nicht 
‘gebessert hat, habe ich gesagt, dafs er sich sehr zu seinen Gunsten geändert 
hat“ (15 Jahre f.). 


Häufiger als diese Lügen aus Bruderliebe sind Lügen, die im 
Namen der kollegialen Solidarität begangen werden, also um 
einem Freunde einen Dienst zu erweisen. Auf diese Solidarität 
wird gerechnet und sie wird sogar nicht selten mifsbraucht: 


„Eines Tages habe ich das Heft mit der schriftlichen Arbeit nicht 
mit zur Schule gebracht. Trotzdem sagte ich zu dem Schüler, der die 
Hefte nachgesehen hat!, dafs ich es habe. Er glaubte mir, weil wir Freunde 
waren‘ (12 Jahre m.). — „Wenn mein guter Freund eine schlechte Note 
wegen Unaufmerksamkeit erhält und er bittet mich, dafs ich zum Direktor 
‚oder zum Lehrer gehe und die Sache in einem für ihn günstigen Lichte 
«darstelle, da bemühe ich mich als guter Freund, durch eine Lüge den Lehrer 
zu täuschen und zu beweisen, dafs mein Freund als Opfer eines Irrtums eine 
ungerechte Note erhalten habe‘‘ (16 Jahre m.). 


Manchmal erhalten die Lügen zugunsten der Mitschüler 
Merkmale edler Taten und erweisen sich als richtige Verdienste 
der Kinder: 


1 In den Schulen Polens werden jede Woche in der Klasse zwei Schüler 
dazu bestimmt, dem Lehrer zu helfen die Hefte einzusammeln, zu tragen usw. 


56 Die Lüge in den Beziehungen der Kinder zueinander. 


„Als eines Tages unser Klassenlehrer krank war, machten sich einige 
meiner Freunde einen Scherz: sie nahmen einen Nagel und schlugen ihn mit 
einem Hammer in die Tafel ein, der Schuldiener sagte es einem der Klassen - 
lehrer aus den höheren Klassen. Man machte eine grofse Geschichte da- 
von. Man sonderte die Schüler in solche, die den Schaden gemacht haben 
oder von ihm gehört haben und in solche, die nichts gewufst haben. Ich 
sagte, dafs ich von allem keine Alm, Dabe, obwohl ich dabei stand, als 
es die Kameraden gemacht habeo“ (13 Johre m.) —- „Man erlaubte mir 
nicht, mit einer bestimmten Freandin zo verkehren, ja nicht einmal sie 
zu sehen. Diese Freundin batte es in der Schule gerade in dem Fache 
schwer, das mir am leichtesten fiel, als sie nun in der Schule geprüft werden 
sollte, ging ich zu ihr, lehrte sie die Aufgabo und kam ziemlich spät nach 
Hause. Eine mir sehr nahestehende Person erriet es sofort, wo ich war, 
aber als sie mich fragte, ob ich dort war, sagte ich nein. Ich Jog, weil ich 
der Freundin helfen wollte, da sie mir wirklich sehr gut war und ist“ (14 
Jahre f.). ‚Eines Tages hat eine meiner Freundinnen Lärm in der Klasse 
gemacht. Als die Lehrerin frug, wer es war, um sie einzuschreiben, habe 
ich gelogen und gesagt, dafs ich es war, weil ich wulste, dafs die Freundin 
mit der schlechten Note zu Hause viel Unannehmlichkeiten haben wird‘ 
(14 Jahre m.). In diesem Beispiel ist eine charakteristische Einzelheit. 
Vor der Beschreibung des Falles hat die Schreibende das folgende Frag- 
ment durchgestrichen: „Als ich ein kleines Mädchen war, log ich eine ganz 
komische Sache. Ich las, dafs ein Junge sagte, er habe die Scheibe in der 
Schule zerschlagen und es war gar nicht so, denn sein Kamerad hat sie 
zerschlagen, wofür man ihn sehr gelobt hat.“ 


Dies Beispiel ist wahrscheinlich tief in dem Gedächtnis des 
Mädchens haften geblieben und rief die Lust in ihr wach, cs 
nachzuahmen. Dies Beispiel zeigt, wie Kinder durch Suggestion 
altruistisch werden. 


Il. Lügen aus Ehrgeiz. 


Die gegenseitigen Beziehungen der Kinder zeitigen noch 
eine zweite Art der Lüge: nämlich Lügen aus Ehrgeiz. In erster 
Linie sind das Lügen, in denen das Kind die verletzte Eigenliebe 
verteidigen und sich vor seinen Kollegen rehabilitieren will, z. B.: 


„Ich log, dafs ich zu Hause niemals weine und auch keine Schläge 
bekäme‘ (11 Jahrem.). — „Weil ich die Aufgabe nicht konnte, hatte ich vor 
der Stunde Angst zu antworten und wollte es auch nicht, nach der Stunde 
tat ich so, als hätte ich es gut gekonnt und hätte auch antworten wollen” 
(13 Jahre f.). — ‚Als ich 6 Jahre alt war, nahm mich die Mutter an der einen 
Hand, das Dienstmädchen an der anderen und wollten mich in die Schule 
führen, die sich gegenüber unserer Wohnung befand, aber ich rifs mich 
weinend los. Endlich gelang es dem Dienstmädehen, mich festzuhalten 
und mich in die Klasse hineinzuführen. Die Schülerinnen umringten mich, 
ich sah helle und dunkle Mädcheuköpfe, die mich mit Kinderneugier be- 


Die Lüge in den Beziehungen der Kinder zueinander. 5T. 


trachteten. Einige von ihnen lachten, aber eine mit gelben Haaren und mit 
einem bösen Gesichtsausdruck kam zu mir heran und sagte: Ist das wahr, 
dafs deine Mutter dich geschlagen hat, weil du nicht in die Schule gehen: 
wolltest ? Ich wurde rot bis über die Ohren und sagte äufserlich gleichgültig: 
Das war nicht ich, sondern mein kleines Schwesterchen. Ich hatte aber 
gar kein Schwesterchen“ (12 Jahre f.). „Ich log, wenn ich mich mit anderen 
Schülerinnen unterhalten habe und wenn sie erzählten, wo jede von ihnen 
schon war, dann sagte ich manchmal, dafs ich dort auch schon gewesen 
sei, obwohl ich noch nicht dort war‘ (13 Jahre f.).—,,In der Schule liige 
ich, wenn es sich um meine persönlichsten Dinge handelt. Ich bemühe 
mich nämlich, mich meinen Freundinnen anzupassen. Z. B. um nicht die 
Heilige zu spielen, erzähle ich ihnen oft von meinen verschiedenen Flirten 
mit jungen Leuten, die ich in Wahrheit niemals in meinem Leben gesehen 
habe“ (16 Jahref.). — „Ich muls unbedingt lügen, wenn ich zufällig meiner 
Freundin oder irgend jemand anderem von einem unangenehmen Ereignis 
zu Hause erzähle. Ich tue das deshalb, um in den Augen der betreffenden 
Person kein Mitleid zu finden‘ (17 Jahre f.). 


III. Prahlereien. 


Die dritte Gruppe, die der zweiten sehr nahe steht, schliefst 
jene Lügen in sich, die durch keine besondere Notwendig- 
keit hervorgerufen sind, sondern nur durch den Ehrgeiz, einen 
Kameraden zu übertreffen oder ihm zu imponieren, sich inter- 
essant zu machen und die Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. 
Diese Lügen — Überhebungen, Prahlereien — sind die zahl- 
reichsten unter den aus Ehrgeiz verübten Lügen: 


„Ich sagte einer Freundin, dafs wir einen Wagen haben und dafs uns. 
die Mutter zwei Bonnen und mehrere Lehrerinnen hält“ (12 Jahre f.). 
„Ich log in der Schule, dafs ich 22 polnische Bleisoldaten besitze“ (11 
Jahre m.). „Ich log, dafs ich geritten sei‘‘ (15 Jahre ml ,.Ich log in der 
Schule, indem ich einen Schüler anlog, meine Briefmarke sei eine mexi- 
kanische und es war nur eine englische“ (11 Jahre m.). „Ich log über meine 
Kraft, über verschiedene Heldentaten und über meinen Verstand, was 
alles in Wirklichkeit gar nicht existiert‘‘ (10 Jahre m.). ‚Ich sagte, dafs. 
ich singen lernen werde, dafs ich bei einen Vergnügungsabende war, und 
als ich in der B-Klasse war, sagte ich, dafs ich schon in der ersten war, 
doch ich sagte das nicht zu Hause, sondern zu Bekannten“‘ (13 Jahre f.). 
„Ich prahlte vor den Kameraden, dafs ich ein schönes Mädchen kenne 
und dafs ich mit ihr spazieren gegangen sei‘‘ (16 Jahre m.). „Um mir ein 
Renommee zu machen und um bewundert zu werden, log ich ein Lob vor“ 
(14 Jahre m.). ‚Ich erzähle Sachen, die gar nicht existieren, um die Freun- 
dinnen zu interessieren‘ (16 Jahre f.). ‚Ich erinnere mich, dafs ich Dinge 
als von mir erlebt erzählt habe, obgleich ich sie rein erfunden hatte. Ich tat 
dies in Gegenwart von Kameraden, denen ich imponieren wollte. Ich habe 
zwar meinen Kameraden imponiert, aber nicht zu meinen Gunsten, denn 
später haben sie mich zwei Jahre lang mit meinem „Aufschneiden‘‘ geuzt: 


58 Die Lüge in den Beziehungen der Kinder zueinander. 


"und haben mir dafür Gott weils was für Namen gegeben für Dinge, die ich 
doch erfunden hatte; so habe ich Unschuldiger für meine Lügen sehr ge- 
litten“ (16 Jahre m.). 


IV. Lügen aus Lust am Phantasieren. 


Die letzte Gruppe, die sich aus den Lügen in den gegenseitigen 
Beziehungen der Kinder hervorheben lälst, sind die Lügen aus 
reiner Lust am Phantasieren. Die Prahlereien haben immer 
den Zweck zu. imponieren, die Lügen- Phantasien haben gar 
keinen Zweck, es sind die Verschönerungen der Wirklichkeit, 
welche, obwohl mit vollem Bewulstsein, ganz absichtslos von 
den Kindern gemacht werden, und zwar ganz einfach deshalb, 
weil ihnen die Wirklichkeit nicht genügt: 


„Iınmer lüge ich was beim Erzählen‘ (15 Jahre ın.). „Wenn ich was er- 
zählte, so habe ich immer eine Portion Unwahrheiten hinzugefügt, und wenn 
ich jemand angeklagt habe, so ist es immer nicht so, wie es in Wirklichkeit 
war‘ (13 Jahr m.). ‚Wenn ich den Freundinnen eine Geschichte erzähle, 
so lüge ich manchmal, um sie mehr zu interessieren, manchmal lüge ich 
aber auch aus guter Laune zu meinem Vergnügen, indem ich mir sage: 
Der Kluge ligt, der Dumme glaubt‘ (15 Jahre m.). — „Ich lüge immer dann, 
wenn ich eine Geschichte erzähle, ich schmücke sie mit verschiedenen 
überflüssigen Kommentaren aus, indem ich meiner Phantasie freien Lauf 
lasse. Was diese Lügen betrifft, so weifs ich, dafs sie den Freundinnen ge- 
fallen, welche sich für andere Fragen nicht interessieren. Vielleicht ist 
dies deshalb, weil ihnen das Alltagsleben nur Langweiliges bietet. Ich bin 
auch sehr zufrieden, wenn mir meine Lügen gelingen, weil ich mich bei 
einer Erzählung derart begeistere, dafs ich selbst an meine Schilderungen 
glaube‘‘ (16 Jahre f.). — ‚Ich habe ein grofses Talent zum Phantasieren, 
ich denke oft an Sachen, die ich nie gesehen habe und ich stelle sie mir 
so genau vor, als würde ich sie sehen. Ich entzücke mich selbst manohmal 
an meinen einzelnen Lügen. Die Lehrer sagen, dafs ich das Talent des 
„Schwimmens‘“ in den Aufsätzen habe. Was kann ich aber dafür, wenn 
ich soviel unglaubliche Einfälle habe, die ich für eigene und wirkliche halte. 
ich gebe exzentrische Beispiele und ergötze mich selbst am meisten an 
ihnen. Wir lügen, weil wir Frauen sind und Frauen haben immer eine 
reiche Phantasie‘‘ (16 Jahre f.). 


Solche Phantasielügen werden natürlich nur um ihrer selbst 
wegen gemacht. Mit der Zeit werden sie lediglich getrieben, um 
«die Wirkung, die sie hervorrufen, beobachten zu können: 


„Das Lügen macht mir geradezu Vergnügen“ (15 Jahre f.). „Ich 
liige oft, um zu lügen oder um jemand lustig zu machen“ (16 Jahre f.). 
„Ich lüge. um die Wirkung auf den Gesichtern der Hörer zu sehen“ 
(14 Jahre f.). 


Das Verhältnis der Kinder zu ihren Lügen. 59 


Das Verhältnis der Kinder zu ihren Lügen. 
(Bedauern und Scham.) 


A. Das Bedauern. 


Es entsteht jetzt die Frage: welches ist das Verhältnis der 
Kinder zu ihren Lügen? Lügen die Kinder leichthin oder kommt 
es ihnen schwer an? Fühlen sie nach dem Lügen eine Reue oder 
lügen sie kalten Blutes? Ist das Geständnis einer Lüge für sie ein 
Bedürfnis, kam es freiwillig oder nach langen Überredungen von 
seiten der erwachsenen Personen, oder kam es überhaupt nicht ? 
Bedauert das Kind seine Lügen ? 

Es ist: schwer, die Antworten auf diese Fragen zu erhalten. 
Wenn wir sie in dieser Ordnung wie oben stellen, so wird das 
Kind darauf ‚ja‘ oder ‚nein‘ sagen und im Resultat werden wir 
arithmetische Summen der Bejahungen und Verneinungen haben. 
Sie werden uns keinen Blick in die Psyche des Kindes tun lassen, 
worauf uns doch am meisten ankommt. Dabei kann diese Rechen- 
schaftsfrage ein unangenehmes Gefühl bei den Kindern auslösen 
wegen des sich leicht aufdrängenden Gedankens, dafs hier eine 
„Prüfung“ (ein Examen) vorliegt, und das kann eine gewisse 
Zurückhaltung der Kinder hervorrufen, aus Furcht, ihre ,,Intimi- 
täten‘ zu verraten. Aus diesen und ähnlichen Ursachen habe ich 
aus der Umfrage alle obigen Fragen ausgeschaltet, und nur die 
zwei, die mir die Kinder selbst in der Probeumfrage aufgedrängt 
haben, zurückbehalten: hast du dich deiner Lügen geschämt ? 
Und: hast du sie bedauert * Die Antworten darauf waren so aus- 
giebig, dals es mir möglich war, über die mich oben interessieren- 
den Fragen Klarheit zu gewinnen. 

Wenn man die Antworten liest, fällt die grolse Zahl der Aus- 
sagen auf, die von dem grolsen Leid zeugen, das die Kinder nach 
dem Lügen empfanden, und von den sie quälenden Gewissens- 
bissen : 


60) Das Verhältnis der Kinder zu ihren Lügen. 


„Nach einer Lüge fühle ich ein gewisses Unbehagen und ein gewisses 
Bedauern“ (16 Jahre f., 15 Jahre f., 16 Jahre m., 14 Jahre m., 15 Jahre m.). — 
„Wenn ich nach einer Lüge auf den Vater oder auf die Mutter schaute, ver- 
ursachte mir das immer ein peinliches Gefühl“ (15 Jahre m.). — „Diese 
Lüge hat mir viel Unruhe verursacht, wenn ich sprach, konnte ich den 
Eltern nicht in die Augen schauen, so geschämt habe ich mich“ (15 
Jahre m.). — ‚Wenn ich gelogen habe, ist mir so peinlich zumute, ich 
glaube, dafs alle wissen, dafs ich gelogen habe, so unangenehm ist mir, 
dafs mir das ganze Gesicht brennt (14 Jahre f.). — „Nachdem ich ge- 
logen habe, hatte ich ein Gefühl, als hätte ich einen grolsen Stein auf dem 
Herzen“ (14 Jahre f.) — ‚Nach jeder Lüge erlaubt mir das Gewissen 
nicht zu schlafen‘‘ (14 Jahre m.). — „Nach dieser Lüge hat mich das Ge- 
wissen gequält‘‘ (13 Jahre f.). — „Nach dieser Lüge hat mich das Ge- 
wissen gefoltert‘‘ (13 Jahre m.). — „In Fällen von Lügen, besonders der 
Bonne gegenüber, hatte ich schreckliche Gewissensbisse und in der Nacht 
einen Traum: jemand hat mir meine Lügen vorgeworfen‘ (12 Jahre f.). 

Natürlich sind diese Gewissensbisse nach dem Lügen keine 
Regel. In der Umfrage finden wir auch zahlreiche Antworten, die 
von einem absoluten Fehlen von Gewissensbissen über begangene 
Lügen zeugen: 

„Ich war lustig, als ich gelogen habe‘‘ 14) Jahre m.). — „Ich war 
lustig und sehr glücklich, dafs ich betrogen habe“ (15 Jahre m.). — „Ich war 
ınit meiner Lüge zufrieden“ (17 Jahre m.). — ‚Ich war stolz auf meine 
Lüge“ (17 Jahre m.). — „Den Lehrer zu betrügen, bereitet mir eine 
srofse Genugtuung‘“ (15 Jahre m.). — „Nach einer Lüge freue ich mich, 
dlafs cs mir gelungen ist und ich brüste mich damit vor den anderen. Ja 
sogar die anderen loben mich, dafs ich den Lehrer so geschickt betrogen 
habe“ (16 Jahre m.). 


Es drängt sich jetzt: die Frage auf, ob es irgendwelche all- 
gemeinen Ursachen gibt, die dazu führen, dals die einen Kinder 
sich über ihre Lügen freuen, die anderen dagegen diese bedauern, 
und dafs ein und dasselbe Kind sich über eine seiner Lügen freut 
und über die andere sich schänt ? Was für ein Gesetz waltet in 
der Tatsache, dafs 159 Kinder antworteten, sie hätten sich ihrer 
Lügen geschämt und diese bedauert, dagegen 187 dieses ver- 
neinten und 113 behaupteten, dafs sie es je nach den Umständen 
bedauern oder auch nicht. (Dabei unterscheiden manche streng 
Bedauern und Scham.) 

Gewöhnlich glaubt man, dafs sich das Kind seiner Lüge des- 
halb schämt und sie bedauert, weil es weils, dafs das Lügen eine 
schlechte Sache, eine Sünde sei. Aus der Umfrage komnit jedoch 
die ungewöhnliche Seltenheit dieses Motivs klar zur Geltung, 
denn es wird im ganzen nur 4mal erwähnt: 


Das Verhältnis der Kinder zu ihren Lügen. 61 


„Ich schämte mich und bedauerte, dafs ich gelogen habe und ich 
will mich bessern, weil ich weils, dafs die Lüge eine Sünde ist. sogar eine 
viel schwerere, als alle anderen Sünden‘ (12 Jahre m.). Die Lüge ‚kann 
als eine unmoralische Sache keine Befriedigung gewähren‘ (15 Jahre m.). 
„Manchmal habe ich gar keine Lust zu lügen, weil ich weils, dals es un- 
moralisch ist‘‘ (15 Jahre f.). ‚Ich bedauerte meine Lüge, weil Lügen nicht 
schön ist und ich deshalb auch nicht mehr lügen werde‘ (15 Jahre f.). 

Nur ein einziges Kind hat sich auf die Autorität der Eltern 
gestützt: 

„Ich bedauerte meine Lüge, weil ich wulste, dafs man das nicht tun 
darf, was die Eltern nicht erlauben‘‘ (14 Jahre m.). 


Dieser geringe Einflufs des Gedankens an das Sündige auf 
das Lügen des Kindes kommt wahrscheinlich davon, dafs der 
Begriff der Sünde für das Kind eine Abstraktion ist. Das elter- 
liche Verbot übt deshalb auch keinen Einflufs aus, im besten Falle 
im frühesten Alter, denn wie ein Mädchen sagt: ‚ich bedauerte 
die Lüge, als ich 6 Jahre alt war, da meine Mutter sich darüber 
ärgerte; jetzt würde ich eine Lüge aus diesem Grunde nicht be- 
dauern (13 Jahre f.)“! Als die einzige Realität erscheint, wie die 
Umfrage beweist, das Leben mit seinen Forderungen und die 
Lüge erscheint in ihm als eine eiserne Notwendigkeit. Deshalb 
auch bedauert man nicht, sie begangen’ zu haben: Ä 

„Ich bedauerte das Lügen nicht, weil ich lügen mulfste‘‘ (15 Jahre ın.). 
— „Ich bedauerte deshalb nicht, weil ich mir keinen anderen Rat wufste‘“ 
(13 Jahre m.). — „Ich bedauerte meine Lügen niemals, weil ich schon lange 
bemerkt habe, dafs mein Leben ohne Lügen in solchen Schulumständen 
nicht möglich wäre‘ (16 Jahre m.). — „Ich erinnere mich nicht solcher dum- 
men Sachen wie das Bedauern. Das Leben ist doch Kampf um die Exi- 
stenz‘‘ (16 Jahrem.). — „Ich bedauere nicht, weil ich die Lüge als natürliches 
Mittel der Existenz in der Schule betrachte‘ (17 Jahrem.). — „Ich bedauere 
deshalb nicht, weil ich dazu gezwungen war. Ich wäre mit mir nur dann 


unzufrieden, wenn ich unter solchen Umständen gelogen hätte, wo ich die 
Lüge hätte vermeiden können“ (16 Jahre m.). 


In enger Beziehung zu dieser Ansicht stehen solche Ant- 
worten, aus denen hervorgeht, dafs die Kinder ihre Lügen 
nicht bedauern, wenn dieselben ihnen einen Vorteil 
gebracht haben: 

„Ich habe meine Lüge nicht bedauert, weil die Zeit dadurch ange- 
nehm und fröhlich verging‘‘ (14 Jahre m.). — „Manchmal ist mir, als hätte 


ich meine Lügen bedauert, aber was sollman tun? Hätte ich nicht ge- 
logen, ı so hätte ich eine 2 und später eine 3! in der Zensur erhalten und 


a Siche Anmerkung 8. 44 2. Fulsnote. 


62 Das Verhdltnis.der Kinder zu ihren Liigen. 


dann wäre zu Hause ein Geschrei gewesen, dafs ich schlecht lerne. Alles 
das veranlalst mich, immer wieder zu lügen“ (15 Jahre f.). — ,,Ich habe 
meine Lüge nicht bedauert, denn wenn ich gesagt hätte, dafs ich den 
Aufsatz nicht geschrieben habe, so hätte ich eine 1 bekommen‘ (14 Jahrem.). 


Ganz konsequent mit diesem Utilitarismus sind die Aus- 
sagen der Kinder, die von einem Bedauern der Lüge nur dann 
zeugen, wenn sie keinen Vorteil gebracht hat oder wenn durch 
ihr Vermeiden grölserer Vorteil erzielt wurde: 


„Wenn ich gelogen habe und die Lüge brachte mir keinen Nutzen, so 
bedauerte ich sie‘ (16 Jahre f.). — ‚Ich bedauerte die Lüge nur in einigen 
Fällen, wo mir die Lüge nicht zugute kam“ (12 Jahre f.). — „Ich bedauerte 
später die Lüge, weil ich ein zweites Mal nicht lügen konnte‘‘ (12 Jahre m.). 
— „Ich bedauerte ziemlich oft, wenn die Folgen der Lüge nicht allzu günstig 
fiir mich waren“ (16 Jahre m.). — „Wenn der Lehrer mir glaubt, dafs ich 
krank war, so bedauere ich die Lüge nicht, wenn er mir eine schlechte Note 
gibt, so bedauere ich eine Lüge deshalb, weil, wenn ich die Wahrheit ge- 
sagt hätte, ich vielleicht keine schlechte Note erhalten haben würde“ (13 
Jahre m.). — „Ich bedauerte mein Lügen nur dann, wenn ich entdeckte, 
dafs ich von der Wahrheit mehr profitiert hätte‘ (14 Jahre m.). — „Ich be- 
dauerte die Lüge nur dann, wenn sie entdeckt wurde und mir eine Strafe 
drohte, aber ich bedauerte nicht so sehr, dafs ich gelogen habe, als dafs es 
entdeckt wurde“ (16 Jahre m.). — „Ich bedauerte nicht, sondern war böse, 
dafs es mir nicht gelang, und ich habe den Lehrer verflucht, der mich beim 
Lügen ertappt hat“ (16 Jahre m.). 


Dieser Utilitarismus der Kinder ist kein blitzschneller Ent- 
schlufs unter dem Einflufs der Notlage, er ist eine Folge des Prüfens 
und der Erwägung der Kinder. Wir finden bei den Kindern eine 
klare Überlegung, für praktische Zwecke zu lügen: 

„Es passierte mir selten, dafs ich die Lüge bedauert habe. Und zwar 
deshalb, weil ich mir stets vorker so sage: wenn ich schon lügen sollte, so 
muls ich es mir vorher gut überlegen, ob es gut sein wird oder schlecht“ 
(15 Jahre m.). — „Wenn ich gelogen habe, empfinde ich gar keine Reue, 
denn bevor ich die Lüge begangen habe, hatte ich das Bewulstsein aller 
ihrer Folgen‘ (15 Jahre f.).— „Wenn die Lüge nicht entdeckt wurde, so 
schäme ich mich ihrer nicht und bedauere sie nicht, weil ich mit Bewulst- 
sein und Überlegung lüge‘“ (16 Jahre f.). 


Diese ‚‚realpolitische‘‘ Ansicht der Kinder über die Dinge kommt 
auch in den philosophischen Bemerkungen der Kinder zur Geltung: 

„Niemals bedauerte ich die Lüge; wenn ich etwas begehe, so be- 
dauere ich es nicht, weil dadurch nichts geändert wird“ (15 Jahre m.). — 
„Ich bedauerte nie, wenn ich gelogen habe; denn was habe ich davon, 
wenn ich es nachträglich bedauere ?“ (14 Jahref.). 


Aus einer Reihe kurzer kräftiger Antworten klingt auch deut- 


Dus Verhältnis der Kinder zu ihren Lügen. 63 


lich der feste Vorsatz heraus, immer wieder von neuem zu lügen, 
wenn es nötig sein wird: 


„Ich bedauerte einmal, aber fünfzehnmal bedauerte ich es nicht (13 
Jahre f.). — „Ich bedauerte ganz und gar nicht“ (14 Jahre m.). — „Ich be- 
dauerte nicht für einen Groschen“ (12 Jahre f.). 


Dieses ziemlich traurige Bild, das die eben angeführten An- 
sichten der Kinder enthüllen, ist zum Glück nicht vollständig. 
Das Bedauern der Lüge ist noch von anderern wenig utilitären 
Umständen abhängig. In erster Linie kommt die tröstliche Tat- 
sache zur Geltung, dals die Kinder jene Lügen bedauern, 
die sie gegenüber ihnen sympathischen oder geliebten 
Menschen begangen haben, während sie jene nicht 
bedauern, die sie gegenüber ihnen unsympathischen 
Menschen begangen haben. 


„Was ich meinen Eltern vorgelogen habe, bedauere ich aufrichtig‘“ 
(16 Jahre f.). — „Ich bedauerte die Lüge gegenüber den Personen, die ich 
gerne habe“ (16 Jahre f.). — „Der Lügen, die ich vor den mir teueren und 
geliebten Personen begehe, schäme ich mich und ich bedauere sie. Ich kann 
manchmal lügen und den mir teueren Personen weh tun, was ich später 
bedauere, aber ich reagiere absolut nicht, wenn ich gegenüber ungeliebten 
Personen gelogen habe“ (15 Jahre f.). — „Die Lehrerin hat mir geglaubt, 
aber seit dieser Zeit hatte ich Angst, vor ihr zu lügen und das Gewissen 
hat mich sehr gequält, dafs sie so gut sei und ich habe sie so eklig belogen‘“ 
(14 Jahref.). — „Ichschämemichnicht, aberich liebeesnicht, vorden Lehrern 
zu lügen, die Vertrauen zu den Schülern haben‘ (16 Jahre m.). — „Wenn ich 
lügen will, so denke ich den ganzen Tag darüber nach, bis ich was ausdenke 
und glaube, gut gehandelt zu haben. Wenn ich zu Hause lüge, so schäme 
ich mich etwas, aber mache mir später nichts daraus, aber wenn ich der 
Mutter was Schlechtes tue und sage, dafs ich es nicht gemacht habe, so be- 
dauere ich es, und später, wenn die Mutter sich beruhigt hat, sage ich dio 
Wahrheit‘ (14 Jahre m.). 


Mit diesem Faktor der Liebe zu bestimmten Personen erklärt 
sich die Tatsache, dafs die Kinder so oft das Bedauern über die 
Lüge zu Hause und des Nichtbedauerns ihrer Lügen 
in der Schule erwähnen: 


„Ich hatte gar kein Bedauern gefühlt, wenn ich das Diktat von der 
Freundin abschrieb, aber als ich zu Hause gelogen habe von den Birnen 
und Noten, da habe ich es sehr bedauert‘“ (15 Jahre f.). — „Wenn ich in der 
Schule log, habe ich mich nicht geschämt und hatte keine Gewissensbisse 
(so z. B. wenn ich die aufgegebene Lektion abgeschrieben habe), aber zu 
Hause. Die Lügen zu Hause habe ich mir oft vorgeworfen und auch das, 
dafs ich meine Schuld nicht zugestanden habe, so z. B. in dem Falle, als 
ich 3 Kop. ohne zu fragen genommen habe“ (13 Jahre f.). — „Der Lügen, 


64 Das Verhältnis der Kinder zu ihren Lügen. 


die ich in der Schule begangen habe, habe ich mich nicht geschämt, da ich 
wulste, dafs alle meine Freundinnen ohne Ausnahme es ebenso machen. 
Aber über die Lüge zu Hause fühle ich oft Gewissensbisse und auch die 
Lust, sie einzugestehen‘“ (17 Jahre f.). — „Ich bedauere die Lügen, die ich 
zu Hause begangen habe und schäme mich vor mir selbst und mache mir 
Vorwürfe, wie kann ich nur die Eltern betrügen, aber dann beruhige ich 
mich, indem ich mir sage, dals sie mich selbst dazu bringen“‘ (17 Jahre f.). 


Die zweite tröstliche Erscheinung ist der Umstand, dafs 
die Kinder jene Lügen nicht bedauern, die sie für andere Per- 
sonen begangen haben: 


„Ich habe die Lügen, die ich im Namen der Kollegialität begangen 
habe, nicht bedauert“ (15 Jahre f.). — „Ich bedauere diese Lüge nicht, weil 
ich meinem Bruder versprach, den Eltern nichts davon zu sagen‘ (13 Jahre 
m.). — „Ich bedauere die Lüge nicht immer. Das war nur damals der Fall, 
wenn die Lüge irgend jemand Nutzen gebracht hat“ (16 Jahre m.). — ,.Wenn 
ich zum Wohl der anderen lüge, so bedauere ich es nicht, sondern glaube, 
dafs das edel meinerseits ist, und so denkt, wie mir scheint, ein jeder“ 
(13 Jahre m.). — „Allerdings habe ich manchmal eine Lüge bedayert, aber 
wenn ich mit meiner Lüge jemanden etwas Gutes getan habe, dann nie- 
mals‘ (16 Jahre m.). — „In einigen Fällen habe ich gar nicht bedauert, weil 
die Lügen einigen Personen zugute kamen. So habe ich z. B. eine Ver- 
leumdung über eine gewisse Person gehört, und wenn ich diese wiederholen 
würde, so wäre es für die betreffende Person sehr unangenehm“ (15 Jahre 
m.). — „Ich habe die Lüge nicht bedauert, als icb insgeheim einem Armen 
10 Kopeken gegeben habe, da ich gelesen habe, dafs es gut sei, die Armen 
zu unterstützen‘ (13 Jahre f.). — „Ich bedauerte die Lüge nicht, denn wenn 
ich der Mutter gesagt hätte, dafs ich mich unwohl fühle, so würde ich ihr 
Sorge bereitet haben“ (14 Jahre m.). — „In diesem Falle (dafs er vor der 
Mutter einen bösen Streich verheimlichte), habe ich gar keine Gewissens- 
bisse gehabt, denn die Gesundheit meiner Mutter ist mir teurer als die 
Unruhe wegen einer Lüge“ (12 Jahre m.). 


In engster Beziehung mit diesen Antworten stehen die Aus- 
sagen, dafs man nur dann die Lügen bedauert, wenn da- 
durch jemand gelitten hat: 


„Es passiert sehr selten, dafs ich eine der Lügen bedauere, es passiert 
nur dann, wenn nicht ich, sondern ein anderer einen Schäden davon hat“ 
(16 Jahre m.). — „Manchmal bedauerte ich die Lügen, aber nur dann. wenn 
ein anderer für meine Schuld gebüfst hat‘ (15 Jahre f.). — ‚Diese Lüge, wo 
der Fisch das Mädchen gebissen hat, habe ich sehr bedauert, denn es tat 
mir leid, dafs das Kind soviel durch meinen Leichtsinn leiden mufste* 
(13 Jahre f.). — „Ich bedauerte, dafs ich gelogen habe, dafs die Katze fur 
ihren Streich keine Schläge bekommen hat, denn die Katze hat dadurch 
zweimal Schläge bekommen“ (12 Jahre f.). — „Als ich am andern Tag nach 
der Lüge in die Schule kam, konnte ich niemand in die Augen schauen, 
ich bedauerte sehr, dafs ich gelogen habe, denn andere meiner Freunde 


Das Verhältnis der Kinder zu ihren Lügen. 65 


wnufsten nachsitzen und ich, der sich am meisten geschlagen hat, konnte 
mach Hause gehen‘ (12 Jahre m.). 


In sehr wenigen Fällen, nur in dreien, wurde angegeben, dafs 
man die Lüge aus solchen Gründen bedauert hat, die ich ver- 
nünftige nennen würde, indem das Kind, seine Tat erwägend, 
zu der Überzeugung kommt, dafs es würdiger gewesen wäre, 
nicht oelopen zu haben: 

„Manchmal bedauerte ich, weil ich zu der Überzeugung kam, dafs man 
in diesem Falle offen und aufrichtig handeln solle“ (16 Jahre m.). — „Ich 
bedauere meine Tat und meine Schwäche, dafs ich die Schwierigkeiten nicht 
‚bekämpfen und siegreich aus ihnen herauskommen konnte“ (14 Jahre f.). — 
„Wenn ich gelogen habe, so bedauere ich es, weil man mir den Kopf doch 
nicht heruntergerissen hätte, auch wenn ich die Wahrheit gesagt hätte 
(15 Jahre f.). | 


B. Die Scham. 


Von der Scham wurde zwar quantitativ ebensoviel wie über 
das Bedauern berichtet; das heifst, alle jene Kinder, die etwas 
über ihr Bedauern erzählt haben, gaben auch etwas über ihr Scham- 
empfinden an, aber qualitativ sind diese Aussagen bedeutend ge- 
ringer. Die Kinder schrieben meistenteils: ja, ich habe mich ge- 
schämt, oder: nein, ich habe mich nicht geschämt ; und nur selten 
fügten sie kleine Erklärungen oder Aussagen dazu. Immerhin 
war das Material genügend, um daraus einige Schlüsse zu ziehen. 
Vor allem finden wir dieselbe Tatsache wie bei dem Bedauern: 
‘es gibt Kinder, die angeben, dafs sie absolut keine Scham emp- 
fanden, und solche, die sie empfunden haben: 


' „Nein, ich schäme mich gar nicht, ich lüge mit der grölsten Kalt- 
blütigkeit‘‘ (15 Jahre m.). — ‚Ich schämte mich gar nicht, sondern ich hatte 
Angst, dafs die Lüge entdeckt wird“ (14 Jahre m., 15 Jahre w ).— „Ich habe 
mehr Angst vor der Lüge, als dafs ich mich ihrer schäme“ (15 Jahre w.). 


Aber wir finden auch, obwohl viel seltener, Antworten in der 
folgenden Art: 
„Ich schämte mich sehr und wollte niemandem sagen, was ich getan 


habe“ (13 Jahre m.).— „Ich bedauerte die Lügen sogar sehr und wollte nie- 
mandem sagen, was ich gemacht habe“ (14 Jahre f.). 


Die Gründe der Scham werden durch verschiedene Momente 
erklärt: 

Die Kinder schämen sich der Lüge ihrer selbst 
wegen, weil sie eine Erniedrigung des Menschen her- 


Beiheft zur Zeitschrift für angewandte Psvchologie. 15. d 


66 Das Verhältnis der Kinder zu ihren Lügen. 


vorruft. Von 553 gaben jedoch nur 4 an, dals sie sich der Lüge 
ihrer selbst wegen geschämt haben: 


„Ich habe mich meiner Lüge vor mir selbst geschämt, wenn ich 
irgendeine Verleumdung über einen gänzlich Unschuldigen gesagt habe. Dann 
erscheine ich mir niederträchtig‘‘ (14 Jahre m.). — „Ich habe mich meiner 
Lüge geschämt, weil ich sah, dafs sie der Furcht, die Wahrheit zu sagen, 
entstammt‘‘ (15 Jahre f.). — „Nach einer solchen Lüge, wie z. B. die Lüge 
aus Scherz, habe ich mich nicht nur geschämt, sondern ich war böse auf 
mich selbst, dafs der Mensch lügen mufs‘“ (15 Jahre m.). — „Ich habe mich 
meiner Lüge geschämt (ich verheimlichte, dafs ich der Freundin half), 
aber nicht der Ursache meiner Lüge, denn ich kann mich vor mir selbst 
verteidigen und rechtfertigen‘‘ (14 Jahre f.). 


Wesentlich häufiger ist ein anderes Motiv der Scham: 
nämlich der ehrgeizige Wunsch, bei den Kameraden eine vor- 
handene gute Meinung von sich zu erhalten: 


„Wenn die Lüge meinem Ansehen schadet, so schäme ich mich’ 
(14 Jahre f.). — „Ich habe mich sehr geschämt und bedauerte dann, wenn je- 
mand davon erfahren hat‘ (11Jahre m.).— „Vor den Leuten schäme ich mich 
meiner Lüge, weil es mir scheint, dafs ich mich in ihren Augen erniedrige‘* 
(15 Jahre f.). — „Der Lüge schäme ich mich dann, wenn es aufgedeckt und 
ich vor den Leuten erniedrigt werden könnte‘ (15 Jahre f.).— „In den Fällen. 
die die Schule betreffen, habe ich mich der Lüge geschämt, weil ich wulste, 
dafs die Kolleginnen wissen, dafs es nicht wahr ist‘‘ (14 Jahref.).— „Als ich 
klein war, habe ich mich gar nicht geschämt, auch wenn die Lüge entdeckt 
wurde und man mich ausgelacht hat. Aber heute, wenn ich lügen soll, 
so überlege ich erst gut, dafs die Lüge ja nicht aufgedeckt wird, damit ich 
mich nachher nicht zu schämen brauche‘ (15 Jahre m.). — „Wenn man die 
Lüge entdeckt, so bemühe ich mich, die Sache so zu drehen, als hätte ich 
nicht gelogen. Aber die Entdeckung der Lüge bereitet mir grofsen Ver- 
drufs‘“ (15 Jahre £.). 


Wir sehen also, dals die Kinder sich nicht der Lüge selbst 
schämen, sondern nur, wenn sie zutage kam. Der Grund 
dafür ist ein rein utilitaristischer: die Gewinnung irgendeines 
Vorteils: 


„Ich schämte mich, wenn meine Lüge ans Licht kam, aber wenn es 
mir gelungen ist, war ich zufrieden‘ (13 Jahre f.). — „Ich schämte mich. 
als die Lüge entdeckt wurde, ich habe sie aber nicht bedauert, weil ich 
mich köstlich amüsiert habe‘ (17 Jahre f.). — „Niemals habe ich mich ge- 
schämt, weil es niemals entdeckt wurde, wenn es aber entdeckt wurde, so 
log ich weiter‘ (16 Jahre m.).— „Ich habe mich meiner Tat nicht geschämt. 
weil sie ein Rettungsbrett war‘ (15 Jahre f.). — „Ich habe mich meiner 
Lüge nicht geschämt, denn ich würde mich dadurch verraten und bestraft 
werden‘ (12 Jahre m.). 


Das Verhältnis der Kinder zu ihren Lügen. 67 


Ein weiteres Motiv der Scham ist die Persönlichkeit 
des Erziehers oder des Lehrers. Wie wir oben sahen, 
fällt es den Kindern schwer, gegenüber geliebten oder ihnen sym- 
pathischen Personen zu lügen. Nach Lügen vor solchen Personen 
tritt immer die Scham auf: 

„Ich habe mich geschämt, wenn ich vor den Eltern oder angesehenen 
Personen gelogen habe und diese Lüge, obwohl nichtig, entdeckt wurde‘‘ 
(15 Jahre f.).— „Ich schäme mich mehr, vor Kameraden, als vor dem Lehrer 
zu lügen‘ (16 Jahre m.). — „Ich schäme mich der Lügen vor Personen, die 
mich lieben und mir ihr Vertrauen schenken. Es ist mir gar nicht peinlich, 
vor den Leuten zu lügen, die mir nicht trauen‘ (17 Jahre f.), 


Als letztes Motiv der Scham ist die — zwar geringe — Rolle 
der Wichtigkeit einer Lüge zu nennen. Ist die Sache wichtig, 
wegen deren man gelogen hat, so schämt man sich der Lüge, ist 
sie unbedeutend, so schämt man sich der Lüge nicht. 

„Wenn die Lüge entdeckt wird und ich weils, dafs es eine Lüge von 
grolsem Gewicht ist, so schäme ich mich auch sehr meiner Lüge‘‘ ( 15 Jahre 
f.). — „Wenn ich aus Scherz lüge, so schäme ich mich nicht, wenn ich aus 
anderen Motiven lüge, so schäme ich mich fast immer‘“‘ (10 Jahre f.).— „Dieser 
kleinen Lügen, die ich in der Schule begehe, schäme ich mich nicht“ (15 
Jahre f.). 


68 Das Schuldgeständnis. 


Das Schuldgeständnis. 


Die seitherigen Antworten beweisen schon zurgenüge, dals die 
Kinder nur aus Furcht vor Strafe so ungern ihre Lügen gestehen. 
Die Eltern und Erzieher, die ein Geständnis von ihren Kindern ` 
erhalten wollen, müssen es gröfstenteils erpressen. Auf die Fragen: 
wer hat das getan, zerbrochen, befleckt, kaput gemacht, ver- 
loren ? bekommt man selten eine aufrichtige Antwort. Die Drohung 
einer schwer zu empfindenden Strafe: ich werde dich nicht zum 
Spazieren mitnehmen, wenn du’s mir nicht sagst, du bekommst 
keine Schokolade usw., viel seltener milde Versprechungen: ‚ich 
werde dir nichts tun, wenn du’s sagst,‘ sind die Mittel, mit welchen 
man von den Kindern die Wahrheit herauszubringen sucht. 
Meistenteils nützen sie aber gar nichts. Die Kinder wissen ganz 
genau, dafs sie für ihre Vergehen be_traft werden oder wenigstens 
bittere Vorwürfe zu hören bekommen. Darum ziehen sie vor, die 
Wahrheit nicht zu sagen. Dafs es sich dabei lediglich um Angst vor 
der Strafe handelt, beweisen folgende Angaben der Kinder, 
denen man in kleinen Variationen immerzu wieder begegnet: 

„Ich gestand meine Schuld, als ich wulste, dafs man mir nichts 
machen wird“ (15 Jahre f.). — „Ich gestand meine Schuld nach einigen 


Tagen, als die Mutter sich schon beruhigt hatte, und als ich wulste, dafs 
ich nicht mehr bestraft werden würde (14 Jahre m.). 


Ebenso nutzlos erweist es sich, Erhebendes über den Mut der 
Wahrheitsliebe zu sagen. Die Kinder erweisen sich als viel zu 
gute Praktiker, und wenn sie irgend eine Tatsache schon nicht 
mehr leugnen können, so wälzen sie wenigstens die Schuld von 
sich auf jemand anderen ab. Dieser „jemand andere‘ kann der 
Bruder, die Schwester, ein Mitschüler, ein Dienstmädchen oder 
auch ein Tier sein: 


„Ich habe eine Vase zerschlagen und sagte, dafs es die Katze gemacht 
hat“ (12 Jahre f.). — „Ich habe die Milch ausgegossen und sagte, die Katze 
hätte es getan‘‘(16 Jahre m.). — „Ich fiel ins Wasser und log, dafs mich mein 


Das Schuldgeständnis. 69 


Freund begossen hat‘ (13 Jahrem.).— ,,Am Karfreitag afs ich ein Stiickchen 
Schinken und dazu rohen. Ich gestand jedoch die Schuld nicht ein und 
wälzte sie auf meinen Bruder ab‘ (15 Jahre f.).— „Eines Tages gingen die 
Eltern fort und ich blieb allein mit meinem Bruder, als ich Himbeersaft 
fand, habe ich ihn ausgetrunken und später schob ich es auf meinen armen 
unschuldigen Bruder‘ (14 Jahre m.). 


Das Leugnen der Tat und das Abwälzen der Schuld, wird aber 
auch aufser der Angst vor Strafe von anderen, freilich etwas 
nebensächlicheren Motiven veranlalst. So z. B. auch durch Ehr- 
geiz: 

„Ich wollte schon gestehen, aber ich schämte mich vor meinen Freun- 
dinnen“ (13 Jahre f.).— „Oft wollte ich schon gestehen, weil ich mich vor 
mir selbst schämte, aber als ich mich von den Mitschülern umringt sah, 


die der Sache zuhörten, habe ich den Tapferen vorgetäuscht und erging 
mich in immer gröfseren Lügen‘ (14 Jahre m.). 


Die Beziehung zu den Personen, denen man die Lüge 
gestehen soll, spielt auch beim Geständnis mit. Die Antipathie 
gegen die betreffende Person bewirkt, dafs das Kind sich in seiner 
Hartnäckigkeit versteift und die Lüge nicht gesteht: 

„Wenn ich diese Person, die die Lüge entdeckt hat, nicht gerne habe, 


so gestehe ich niemals, denn es macht mir eine Freude, wenn sie sich ärgert‘“ 
(15 Jahre f.). 


Angst vor Strafe, Ehrgeiz, Unbeliebtheit des Erziehers oder 
des Lehrers sind Motive des Nichtgestehens der schon entdeckten 
Lüge. Zum Geständnis wird das Kind aus den entgegengesetzten 
Gründen getrieben: aus Mangel an Furcht, wenn der Ehr- 
geiz nicht im Spiel ist, wenn die betreffende Person 
sich die Liebe des Kindes erworben hat. Diese Gründe 
sind jedoch so stark, dafs sie vermutlich sofort wirken, so dafs 
das Kind die Schuld auf der Stelle gesteht. Die Lügen werden 
dann von dem Kinde nicht verurteilt und es legt ihnen keine Wich- 
tigkeit bei. In der Umfrage werden sie nur ganz flüchtig zitiert: 
„Ich habe gelogen, aber ich habe es meiner lieben Mutter sofort 
gesagt.“ „Ich habe gelogen, aber ich habe gleich meine Schuld 
eingestanden‘ usw. 

Ist einige Zeit nach der begangenen Schuld vergangen, so 
spielen schon andere Motive zum Geständnis mit. In erster Linie 
ist es das Mitleid. Es tritt in solchen Fällen hervor, wenn durch 
die Abwälzung der Schuld der fälschlich Beschuldigte eine Strafe 
oder sonstige Unannehmlichkeiten zu erleiden hat: 


70 Das Schuldgestandnis. 


„Ich wälzte die Schuld auf meinen jüngeren Bruder, welchen die 
Mutter tiichtig ausschimpfte. Am zweiten Tag hat mir der Bruder leid 
getan und ich habe alles der Mutter gestanden‘ (12 Jahre f.). — „Als ich 
meinen Cousin nach dem Verlust des Balles, den ich heimlich genommen 
habe, in Verzweiflung sah, gestand ich die Schuld‘ (11 Jahre m.). — ‚Ich 
war 6 Jahre alt und spielte mit meinem Schwesterchen auf dem Hofe, un- 
weit stand meine ältere Schwester. Ich spielte mit meiner Schwester so 
unvorsichtig, dafs sie so unglücklich hingefallen ist, dafs sie sich den Fuls 
verstaucht hat. Ich hatte Angst, ausgeschimpft zu werden und wälzte 
die Schuld auf meine ältere Schwester. Sie verteidigte sich anfangs. aber 
weil sie sehr gut war und mich liebte, so sals sie ruhig, sprach nichts und 
wurde streng bestraft. Als ich sie aber weinen sah, habe ich die ganze 
Schuld gestanden. wofür sie mich herzlich küfste‘‘ (14 Jahre f.). 


In seltenen Fällen (10 F.) werden das Bewulstsein der 
Schuld und die Scham die Triebfeder des Geständnisses : 


„Ich habe mich meiner Lüge geschämt und konnte solange kein 
Abendbrot essen, bis ich die Mutter in ein anderes Zimmer zog und alles 
gestanden hatte“ (12 Jahre £.\. 


| Ferner ist ein interessanter Fall zu notieren, der beweist, wie 
kompliziert die Motive des Handelns der Kinder mitunter sind. 
Es ist nach ihm zu vermuten, dals das Kind willig eine Lüge ein- 
gestehen würde, wenn es nicht den Zwang, das Fordern des Ge- 
ständnisses von seiten der Umgebung fühlen würde. Nachdem 
wir die Unabhängigkeitswünsche der Jugend gelesen haben, ist es 
zu begreifen, dafs ein Jüngling oder Mädchen gerade aus freien 
Stücken das Geständnis ablegen möchten. So schreibt ein 16j ähriges 
Mädchen: 

„Fast immer habe ich mich meiner Lüge geschämt und sie gerne ge- 
standen, bevor sie entdeckt wird; wenn sie aber entdeckt wurde, so machte 
ich keine reuige Miene, sondern leugnete energisch, also log ich zum zweiten- 


mal. Ich habe keine Angst vor irgendwelcher Strafe für eine Lüge und ich 
gestehe sie nicht aus Furcht, sondern nur freiwillig.‘“! 


In engster Beziehung zu den Geständnissen steht der Vor- 
satz der Kinder, nicht mehr zu lügen. In der ganzen Umfrage habe 


1 Aus den Aussagen der Kinder ist eine interessante psychologisché 
Tatsache erweisbar. Es ist eine überaus geläufige Meinung, dafs Schuld- 
geständnis identisch mit Reue ist. Die Richter pflegen sogar einen ge- 
ständigen Verbrecher milder zu bestrafen, da sie darin Reue über die 
Tat sehen. Die Aussagen der Kinder beweisen, dafs man die Schuld ge- 
stehen möchte und man es gegenüber einem unsympathischen Lehrer doch 
nicht tut, oder man hat keine Absicht es zu tun und sie doch einer sym- 
pathischen Person gegenüber gesteht. Avis au juge! Wie viel Starrsinnig- 
keit der Verbrecher könnte aus rein persönlichen Motiven erklärt werden ! 


Das Schuldgestündnis. 11 


ich keine einzige Antwort gefunden, wo das Kind von einem deshalb 
solchen Vorsatz spricht, weil es fiir die Liige bestraft wurde. Die 
Eltern und Erzieher pflegen zwar immer, wenn sie sich mit dem 
Kinde versöhnen, zu sagen: Nicht wahr, du wirst das nicht mehr 
tun? was das Kind natürlich prompt bejaht. Aber nie wurde ein 
solcher Fall angegeben, aus dem hervorgeht, dafs dieses Ver- 
sprechen zu fernerer Wahrhaftigkeit des Kindes geführt hätte. 
Dagegen wurden Gewissensbisse, Scham, Reue usw. zu Beweg- 
gründen eines Vorsatzes, hinfort nicht mehr zu lügen: 


„Ich habe mich geschämt und bedauert und habe mir vorgenommen, 
das in der Zukunft nie mehr zu machen‘ (14 Jahre m.). — „Ich habe meine 
Lüge bedauert und habe mir vorgenommen, nie mehr im Leben zu lügen“ 
(15 Jahre ff). — ,,Jedesmal habe ich mich sehr geschimt und bedauert, ge- 
Jogen zu haben. Ich habe mir versprochen, nie mehr zu liigen, aber niemals, 
niemals konnte ich meinen Vorsatz halten“‘ (13 Jahre f.). — „Ich bedauerte, 
dafs ich gelogen habe, ich nahm mir fest vor, nicht mehr zu liigen, aber 
kaum sehe ich mich um, so fange ich schon wieder an zu lügen‘‘ (16 Jahre m.). 


In einzelnen Fällen kommen die Kinder auf Grund ihrer 
Überlegung zu dem Vorsatz, nicht mehr zu lügen oder wenigstens 
nicht in die Lage zu kommen, lügen zu müssen: 


„Wenn ich zu einer Minute des Nachdenkens über mich komme, bin 
ich auf mich sehr böse, ich nehme mir vor, niemals mehr zu lügen und 
sofort der Vorsteherin oder Lehrerin zu sagen, dafs ich mich verspätet 
oder die Aufgabe nicht gemacht habe, weil ich ein Faulenzer bin, aber leider 
vergesse ich später meinen Vorsatz und ich beginne wieder dasselbe, d.h. 
zu lügen, aber ich habe gemerkt, dafs dieses seit einiger Zeit seltener wird, 
obwohl es ein sehr kleiner Unterschied ist“ (16 Jahre f.). — „Als ich dem 
Muttchen von der 1 im Diktat! nichts gesagt habe, habe ich es gar nicht 
bedauert, denn nach einiger Überlegung kam ich zu der Überzeugung, dafs 
das Muttchen einen sehr grofsen Schmerz haben könnte. Aber im Geiste ver- 
sprach ich mir, dafs ich mich bemühen werde, ein anderes Mal gut zu schrei- 
ben*‘ (15 Jahre in.). 


Interessant ist, dafs alle guten Vorsätze zu nichts führen. 
Schon in den obigen ‘Beispielen sehen wir die Vergeblichkeit der 
kindlichen Mühe, Versprechen zu halten. Weitere Beispiele be- 
stätigen das: 

„Ich habe mir einigeinal vorgenommen, nicht zu lügen, aber ohne 
die Lüge könnte ich nicht auskommen“ (14 Jahre m.). — „Der Lüge schäme 
ich mich immer und gebe mir Mühe, so wenig als möglich zu lügen, aber 
ich habe eine solch schwache Natur, dafs ich nicht widerstehen kann, immer 
wieder von neuem zu lügen. Wenn ich einen guten Rat wülste, würde ich 


1) Siehe Anmerkung 2 auf S. 44. 


12 Das Schuldgestindnis. 


ınich bemühen, nicht zu lügen“ (13 Jahre f.). — „Manchmal, wenn ich Ge- 
wissensbisse habe, sagte ich mir, dafs ich niemals mehr lügen werde, aber 
dann vergals ich es und sündigte wie vorher“ (13 Jahre f.). — „Ich habe mir 
vorgenommen, in meinem weiteren Leben solche Auswege zu meiden, aber 
ich weils nicht, wann ich es werde tun können“ (15 Jahre m.). 


Diese guten Vorsätze sind vergeblich nicht nur infolge des 
schwachen Willens des Kindes, sondern auch durch die immer 
kehrende Angst vor der Strafe. So schreibt ein Mädchen: 

„Oft bedauerte ich die Lüge und habe mir Mühe gegeben, nicht mehr 


zu lügen, aber es war mir eine Unmöglichkeit, denn ich wollte lieber lügen,. 
als bestraft werden“ (14 Jahre f.). 


Allgemeine Folgerungen. 13 


Allgemeine Folgerungen. 


Wir haben bis jetzt bei der Betrachtung der einzelnen Fälle 
schon verschiedene Motive der Lügen kennen gelernt. Eine Fest- 
stellung solcher erkennbaren Motive des Lügens bedeutet aber noch 
keineswegs die Kenntnis der eigentlichen psychischen Quelle dieses 
Fehlers. Dasselbe Kind kann an einem Tage aus Angst vor einer 
ungenügenden Note in der Schule, aus Hals auf einen Mitschüler, 
um ihn anzuschwärzen, oder auch aus Scherz, um seinen Freund 
zu sich zu locken, lügen. 

Mufls man demnach also nicht nach einer allgemeinen Quelle 
der Lügenhaftigkeit des Kindes suchen, einer Quelle, die uns erst 
erklärlich macht, warum das eine Kind bei jeder Gelegenheit aus 
diesem oder jenem Motiv lügt, während das andere unter denselben 
Umständen gar nicht lügt? Um diese Frage zu beantworten 
werden wir versuchen, das gesamte Material der Umfrage nach 
den einzelnen Zusammenhängen zu ordnen. 

I. Ale einer von den Faktoren der Lüge erweist sich das Alter 
des Kindes. Diesen Zusammenhang haben wir in der Umfrage 
festgestellt, in dem Erscheinen immer neuer Motive der Lüge, je 
älter das Kind wird. Ein kleines Kind lügt, weil es genascht hat, 
oder aus Angst vor der Strafe wegen Ungehorsams. Die älteren 
Kinder lügen zwar noch aus denselben Motiven, aber in weit man- 
nigfacherer Weise, denn mit dem Alter wird ihr geistiger Horizont 
sowohl hinsichtlich des Denkens als auch des Tuns weiter. Das 
Schulleben vermehrt schon die Sphäre ihrer Interessen und, ihres 
Tuns, die Lust nach Vergnügungen, das Verlangen nach einem 
gesellschaftlichen und gleichzeitig nach einem selbständigen Leben. 
Das sich entwickelnde Sexualleben bildet ebenfalls immer neue 
Motive zu lügen. Je mehr und je vielseitiger sich also das Kind 
mit der Zeit entwickelt, desto mehr ‚Gründe‘ zum Lügen ent- 
stehen. 


74 Allgemeine Folyerungen. 


Die Abhängigkeit vom Alter zeigt sich auch in der Häufig- 
keit der Lügen. Kinder bis zu 12 Jahren schrieben «stets: ich log 
damals und damals, sie haben also die Fälle individualisiert, das 
beweist, dals die Lügen bei ihnen (mit wenigen Ausnahmen) keine 
Alltäglichkeit sind. Über 12 Jahre treffen wir schon eine andere 
Art der Erzählung, man schreibt: ‚ich lüge“. Dieses beweist 
schon die Stetigkeit der Fälle. Statt einen besonderen Fall zu be- 
schreiben, wie es die kleinen Kinder tun, geben die Schüler und 
Schülerinnen der höheren Klassen eine ganze Theorie ihres Lügens 
und selten illustrieren sie diese mit einem Beispiel. Wenn also das 
Kind seine Lüge alsNotwendigkeit der Minute ansieht, so sieht sie 
die reifere Jugend als eine stete Notwendigkeit an. Die Aussagen 
der Kinder beweisen schlagend die sich allmählich bei ihnen 
ent wickelnde Liigenhaftigkeit : 
| „So wie ich als kleines Kind lügen lernte, so entwickelt sich jetzt immer 
mehr die Lüge“ (15 Jahre f.). — „Nachdem mir die erste Lüge gelungen war. 
log ich immer wieder von neuem und lüge bis zum heutigen Tage; denn 
ohne das Lügen könnte ich nicht auskomimnen“ (15 Jahre f.). — „Im allge: 
meinen kann ich sagen, dafs, je älter ich werde, ich um so häufiger lüge. 
Ich könnte sagen, dafs das Leben mich dazu zwingt‘ (12 Jahre m.). — „Als 
ich jünger war, habe ich nie gelogen. oder ich bin wenigstens fest über- 
zeugt, dafs ich nie gelogen habe, und dafs die Lüge nicht zum Leben nötig 
sei. Später log ich immer öfter und zwar besonders in der Schule, wo man, 


wie ich mich überzeugt habe. ohne Lügen gar nicht auskommen kann“ 
{16 Jahre m.). 


Das Alter erweist sich also nicht als selbständiger Faktor, in- 
dem es nur auf die Häufigkeit und die Art der Lüge einwirkt, da 
für dieselben nur die Notwendigkeit der Lüge ausschlaggebend 
ist, die freilich mit dem Alter wächst. Eine Tatsache spricht nur 
dagegen. Aus der Umfrage ist es nämlich leicht zu ersehen, dafs 
ja nur die heranwachsenden Knaben und Mädchen von dem Vor- 
satz des Nichtmehrlügenwollens sprechen. Nur zwischen dem 
13. und 15. Lebensjahre kommen sie spontan zur Geltung. Diese 
Tatsache bekommt aber ihre richtige Erklärung in der Beleuchtung 
der Forschungen der amerikanischen Psychologen: STARBUCK, 
James, LEUBA usw. Sie erwähnen plötzliche religiöse und mora- 
lische Bekehrungen, welche in der Pubertätazeit vorkommen und 
stellen diese Bekehrungen in Abhängigkeit von dieser Pubertäts- 
periode. Einige Aussagen der Kinder in der Umfrage erlauben es. 
den Schlufs zu ziehen, dafs auch bei unserer Jugend solche mora- 
lischen Bekehrungen, obwohl in viel schwächerem Grade, vor- 


Allgemeine Folgerungen. 75 


kommen. Einige Mädchen und Knaben erwähnen nur allein die 
Tatsache der moralischen Veränderung, ohne sie jedoch zu kom- 
mentieren : 


„Jetzt werden meine Lügen immer weniger und ich fühle, dafs ich 
mir den schlimmen Fehler ganz abgewöhnen werde“ (15 Jahre m.). — „Ich 
kann jetzt nicht mehr lügen, denn ich werde sofort rot und sage auf der 
Stelle die Wahrheit. Als ich jedoch noch kleiner war, habe ich gelogen und 
das sogar sehr oft (zu Hause), jetzt kann ich mir das nicht verzeihen‘ (14 
Jahre f.).— „Es gibt manchmal Wochen, in denen ich mich bemühe, nicht zu 
lügen, aber irgendeine drastische Frage gibt Anlals zum Lügen und ich 
lüge wieder, als möchte man mich dazu engagieren. Wie ich bemerkte, 
werden bei mir die Fälle allmählich seltener, aber die Wichtigkeit der Lüge 
grölser‘‘ (17 Jahre m.). 


Es ist dies ohne Zweifel eine Folge der in einem gewissen Alter 
auftretenden Wahrheitsliebe, die aber doch nur wenige Kinder 
betrifft und kein ‚Wahrheitsfanatismus‘‘ wie ihn Stern!, Scv- 
PIN?, PREYER?, CompayReE* u. a. charakterisieren. Aber auch 
das Gegenteil, ein Ausbruch der schlechten Gefühle, kann gerade 
in den Pubertätsjahren stattfinden. Wir haben einen Beleg in 
einer Aussage, die ich hier in extenso wiedergebe: 


„Seit langer Zeit, d. bh schon seit 5 Jahren denke ich über alle diese 
Fragen nach. Was die Lüge in der Schule betrifft, so war und blieb sie 
sehr naiv. Also ich lüge, wenn ich die Aufgabe nicht gemacht habe und 
spiegle verschiedene niemals existierende Gründe vor: Kopfweh, Zahnweh, 
Krankheit der Mutter. Nach solch einer Lüge mache ich mir nie Vorwürfe. 
Ganz anders ist es aber zu Hause. Ich erinnere mich, als ich 10—12 Jahre 
alt war, da stahl ich zu Hause, wo und wann ich nur konnte, Geld: der 
Mutter aus dem Portemonnaie, dem Dienstmädchen, der Köchin das, was 
sie für Wirtschaftsausgaben vorbereitet hatte usw. Ein Fall läfst mich 
heute noch erröten, sowie ich mich seiner nur erinnere. Das Dienstmädchen 
hatte ihren Geldbeutel immer unter dem Kissen aufbewahrt, was mir be- 
kannt war. Eines Tages schlich ich leise in ihr Zimmer und nahm ihr einen 
halben Rubel heraus. Ich lief auf die Strafse und kaufte mir Mandeln, 
Chalwa5-Bonbons usw. Ich afs davon sehr wenig und warf das übrige weg. 
Zu Hause war inzwischen Geschrei und Lärm entstanden. Das Dienst- 
mädchen verdächtigte die Köchin des Diebstahls. Ich blieb allem gegen- 
über ganz gleichgültig wie eine raffinierte Diebin; aber, indem ich das 
schreibe, zittere ich bei der blofsen Erinnerung. Und dabei bin ich ein 





21 S. 121—124. 

2 8. 146. 

3 PREYER, Die Seele des Kindes, 8. 237. 
4 S. 387/388. 

5 Eine spezifisch russische Süfsigkeit. 


76 ` Allgemeine Folgerungen. 


Kind vermögender Eltern (sogar das einzige Kind) und es fehlt mir an 
nichts. Was mit mir damals war, weils ich nicht. ... — Jetzt kann ich gar 
nicht lügen, denn ich werde bald rot, konfus und sofort sage ich dann die 
Wahrheit. Als ich jünger war, log ich viel (zu Hause) und jetzt noch kann 
ich es mir nicht verzeihen‘‘ (16 Jahre f.). 

Wir sehen an diesem Beispiel, dafs ein Kind auch eine Periode 
durchleben kann, wo es skrupellos unehrliche Taten vollbringt und 
dafs diese Periode mit dem Vollzug der körperlichen Entwicklung 
wieder vergeht. Das Kind kann also in dieser Periode eine Um- 
wandlung durchleben, die plötzlich kommt und nicht lange dauert, 
aber es genügt, dals sie da war und eine Spur in der Seele hinter- 
lassen hat. Sehr gut schildert diesen Wendepunkt ein 16jähriger 
Schüler, der ihn auch mit dem richtigen Namen benennt: 

„Vor einigen Jahren, ich dürfte damals 12—13 Jahre alt gewesen 
sein, ging in mir eine seelische Umwandlung vor, die mich zum Verzicht 
auf das Lügen brachte. Wenn ich damals log, so bedauerte ich es. Einige 
Monate danach fing ich wieder an zu lügen‘ (17 Jahre m.). 

Solche positiven und negativen Umkehrungen, welche bei. 
manchen Individuen in einer gewissen Periode auftauchen, lassen 
sich leicht durch grölsere Suggestibilität der Jugend zu dieser Zeit 
erklären, was auch die Untersuchungen von Stern und Rosa 
OprENHEIM beweisen. Wie aber diese seelischen Umwandlungen in 
ihrem endlichen Resultat doch von der Umgebung abhängig sind. 
beweist die Antwort eines Mädchens: 


„Jetzt bemühe ich mich, es so einzurichten, dafs ich so wenig wie 
möglich zu lügen brauche, und ich überzeuge mich, dafs es mir sehr leicht 
ankommt, denn ich mufs gestehen, dafs die Eltern, trotzdem sie nicht 
immer meine Ansichten teilen, mich nicht allzusehr beschränken" (Le 
Jahre f.). 

II. Der Geschlechtsunterschied wirkt nicht ausschlag- 
gebend auf die Lüge der Kinder. Wenigstens führen die Zahlen der 
Umfrage zu keinem Resultat. Wie schon oben erwähnt wurde, 
haben 18 Kinder niemals zu Hause gelogen : nämlich 15 Mädchen 
und 5 Knaben; es haben 72 Kinder niemals in der Schule gelogen: 
nämlich 47 Mädchen und 22 Knaben, ‚‚also“ die Mädchen lügen 
weniger. Dieses Resultat steht im Widerspruch zu der allge- 
meinen Ansicht, dafs dice Frauen häufiger lügen. Voer, der sich 
jüngst mit der Lüge bei jugendlichen Verbrechern beschäftigt 
hat, sagt ebenfalls, dafs die Zahl der lügenden Mädchen um vieles 
die Zahl der lügenden Knaben übertrifft!. Auch bei BERNHARD 


1 X. 436. 


Allgemeine Folgerungen. 17 


Pérez finden wir den Satz: ‚enfin, on convient généralement que 
les petites filles sont moina droites, plus compliquées, plus diplo- 
mates que les garçons; dans leurs récits elles brodent, elles ampli- 
fient avec un art consommé. Dans leurs mensonges elles ne se 
coupent jamais .. . Elles mentent comme on dit pour le plaisir, 
une sorte de plaisir d’artiste‘‘4. Das von mir erzielte Resultat 
konnte aber durch mehrere Faktoren beeinflufst werden: ein Teil 
der Antworten, die ich nicht verwenden konnte, stammt von 
Madchen, es ist also nicht vorauszusehen, wie deren Verfasserinnen 
das zahlenmafzige Resultat beeinflussen würden. Dann ist es 
auch nicht bekannt, wer aufrichtiger geschrieben hat: die Knaben 
oder die Madchen. Ein Fehlen der Liigen kann doch auch ein Mangel 
an Aufrichtigkeit sein. Endlich mufs man in Betracht ziehen, dafs 
grofse Unterschiede in den Lügen selbst bestehen — ein Knabe, 
welcher vielleicht nur einmal gelogen hat, wird zu der Gruppe der 
lügenden zugerechnet sein, ebenso wie ein Mädchen, das syste- 
matisch lügt. Dabei ist der Unterschied zwischen ihnen grofs, denn 
e3 kommt nicht darauf an, ob ein Kind einmal in einem Aus- 
nahmefall gelogen hat, sondern auf die systematische Anwendung 
dieser Waffe. In dieser Beziehung ist die Zahl der von den ein- 
zelnen Mädchen angegebenen Fälle viel grölser, als die der Knaben. 
Ob das aber eine Folge der gröfseren Verlogenheit der betreffen- 
den Mädchen oder ihrer grölseren Aufrichtigkeit ist, konnte ich 
nicht feststellen. 

Die Art der Lüge ist aber etwas verschieden bei beiden Ge- 
schlechtern. Die Madchen liigen öfters aus Naschhaftigkeit, die 
Knaben zum Zwecke der Verheimlichung von Diebstählen kleiner 
Beträge, die ihnen zum Ankauf von Kleinigkeiten (Feuerwerk, Capi- 
schonen asw.) dienen; die Knaben begehen mehr Lügen zur Ver- 
deckung ihrer Streiche, ihrer heimlichen Ausfliigeinden Wald. Auch 
erwähnen sie öfter als die Mädchen die Versäumnis des Kirch- 
gangs als Ursache ihrer Lügen. Ein spezieller Grund zur Lüge ist 
bei den Knaben das Rauchen. Weil sich bei den Knaben viel 
früher als bei den Mädchen eine gewisse Selbständigkeit zeigt, 
tritt also auch die Lüge viel früher bei ihnen auf: während wir die 
Lüge wegen des heimlichen Besuchs des Kinos erst bei 13jährigen 
Mädchen finden, haben wir solche Fälle schon bei 11jährigen 

1 L’enfant de 3 & 7 ans, Paris 1907, S. 282. Auch nach der Er- 


hebung von WILLIAM VAN BRABANT waren 28,45°/, liignerische Knaben 
und 29,03°/, lügnerische Mädchen (S. 44—45). 


78 Allgemeine Folgerungen. 


Knaben. Das Eingestehen einer Lüge finden wir wieder öfter bei 
Mädchen (es ist aber nicht klar zu ersehen, ob aus Furcht oder aus 
Ehrgeiz), auch den Vorsatz, nicht zu lügen, fassen häufiger die 
Mädchen. Alle diese Unterschiede sind jedoch, wie wir sehen, keipe 
prinzipiellen, sie stammen von den Unterschieden in der Erziehung 
der Knaben und der Mädchen. Den Satz Vocre, dals die Lüge 
der Knaben, sogar auch dann, wenn sie in einer phantastischen 
Form sich äufsert, immer den Charakter der Abwehrlüge trage, 
bei den Mädchen aber ausschliefslich phantastisch seit, kann ich 
auf Grund meiner Umfrage nicht bestätigen. Denn sowohl Knaben 
wie Mädchen logen aus der Notwendigkeit, um das eigene Ich, 
seine Wünsche, zu verteidigen. Für richtig halte ich den Satz 
G. Drommarnps, welcher sagt: ,,L’hypocrisie n’est pas l’apanage 
d’un sexe; elle est l’apanage des faibles en lutte contre les plus 
forts. Un homme sans indépendance est plus hypocrite qu’aucune 
femme, une femme indépendante peut être aussi franche gu un 
homme‘ ?. 

III. Inwieweit hängt die Lüge von der Intelligenz ab? 
Bei den gutmütigen Erziehern und den verblendeten Müttern ist 
der Satz allgemein, dals ein intelligentes Kind d. h. ein aufge- 
wecktes und gut lernendes ‚artiges‘‘ Kind weniger lügt, als ein 
Kind, welchem Lernen nur Mühe kostet und welches ungehorsam 
und starrsinnig ist. Diese Ansicht wird bekräftigt durch die kli- 
nisch festgestellte Tatsache, dafs die schwachbegabten Kinder 
gleichzeitig auch moralisch minderwertig sind, d. h. sie lügen, 
stehlen usw. Ohne diese ‚Erfahrung‘ der Mütter und diejenige 
der Klinik zu widerlegen, kann man es doch als fraglich bezeichnen, 
ob der umgekehrte Satz richtig sei, d. h. dafs die lügenden Kinder 
auch geistig unentwickelt und schwachsinnig sind ? Diese letzte 
Abhängigkeit kennte ich nicht nur in keinem Fall feststellen, 
sondern ich muls im Gegenteil gegen sie Stellung nehmen. In 
allen den hier angegebenen Fällen von Lügenhaftigkeit war es 
ohne Ausnahme leicht festzustellen, dafs jene Kinder, welche 
wenig geschrieben haben (also wie man schlielsen muls, auch 
wenig gelogen haben), die in dürftigen Worten ihre Lüge schildern, 
so als möchten ‚ie den ihnen gegebenen Auftrag möglichst rasch 
los werden, —diese Kinder machten besonders viel orthographische 





1 S. 435. 
2 Essais sur la sincérité, S. 182. 


Allgemeine Folgerungen. 79 


Fehler, auch war ihr Bogen zumeist schmutzig und voll Tinten- 
flecken, vieles war durchgestrichen, sehr oft machten sie auch 
unanständige Bemerkungen. Jene Lügen dagegen, die detaillierter, 
beschrieben wurden, und die an und für sich als listiger erschienen, 
waren schon bei 12jährigen Kindern einwandfrei stilisiert, die 
Orthographie und die Interpunktion waren gut, manchmal sprühte 
sogar aus jedem Satz ein Witz. Es liegt hier also die Folgerung 
nahe, dafs je intelligenter und schlauer ein Kind ist, je besser es 
sich in der Umgebung orientiert, um so geschickter wird es auch 
lügen. In der pädagogischen Literatur fand ich nur bei PÉREZ 
eine Bestätigung diezes Gedankens. In seinem Buche ,,L’enfant 
de 347 ans“ sagt er: ,,Les mensonges mêmes de l’enfant denotent 
un certain progrès logique, soit qu’il les ourdisse avec plus de 
finesse et d’aplomb, soit qu’il les répousse loin de sa pensée comme 
un moyen inutile et dangereux.. .“ (S. 86)1. Ob aber das intelli- 
gente Kind auch häufiger lügt? Auch auf diese Frage kann man 
bejahend antworten, denn das sich besser orientierende Kind wird 
früher als ein minderwertiges die Lüge als eine Lebensnotwendig- 
keit erkennen; es wird die Lüge anwenden, wo es ihm irgendwie 
nötig erscheinen wird. Diese Notwendigkeit tritt aber im Leben 
sehr oft ein. Diese Folgerung bestätigt auch die charakteristische 
Tatsache, dafs die Schulen, die in Lodz durch ihr hohes Niveau 
bekannt sind, also jene, die die meisten begabten Schüler besalsen, 
mir auch ein Material geliefert haben, das nicht nur umfangreicher, 
sordern auch besser zur Bearbeitung brauchbar war, als das 
Material, das aus schlecht geführten Schulen stammte, wo die 
Schüler weniger entwickelt waren. Schon beim ersten Durch- 
sehen der Blätter konnte ich bereits nach kurzer Zeit ohne Irr- 
tum erraten, aus was für einer Schule die betreffende Antwort 
stammt. Wenn gewisse Mütter mit grolser Bestimmtheit behaup- 


1 PEREZ sagt von einem 6jährigen Kinde: „quand il a un grand in- 
terét & mentir, il le fait avec plus d’art. Non qu’il puisse longtemps dissi- 
muler, il n’est pas assez maitre de la mimique, des émotions pour cela; 
mais ci l’on n’insiste pas, si son röle de comédien n’est pas long à soutenir, 
il s’en fait bellement accroire. I] a acquis une certaine adresse à exprimer 
ce qu’il sent ou à le cacher, et même à feindre une émotion peu ou point 
ressentie. Il commande mieux dans ce double but à ses bras, à ses jambes, 
à son cou, à ses lèvres et comme la rougeur et la paleur, l'éclat et la dis- 
crétion de l’œil ne sont pas toujours chez lui, les indices d’un certain état 
mental, il modère et arrange mieux pour nous tromper tous les organes 
révélateurs des sentiments‘“‘ (ibid. S. 86—87). 


80 Allgemeine Folgerungen. 


ten, dafs ihr intelligentes Kind weniger lige als andere Kinder, 
so stammt diese Anschauung nicht zum wenigsten daher, dafs 
diese Kinder die Spuren ihrer Lüge schlauer zu verwischen ver- 
stehen. 

IV. Die obigen Abhängigkeiten der Lügen der Kinder sind 
physiologischer, angeborener Natur. Welches ist aber die Ab- 
hängigkeit der Lüge von den Umständen, in denen ein Kind lebt, 
von seiner Umgebung ? Es ist unmöglich, eine solche Abl ängig- 
keit in ihrer Einheitlichkeit festzustellen; der Begriff der Um- 
gebung enthält in sich viele einzelne Begriffe, wie die materiellen 
Verhältnisse der Eltern, das geistige und ethische Niveau, die 
Einfachheit der Familienverhältnisse usw. Jeden einzelnen von 
diesen Einflüssen mufs man also besonders nachprüfen. 

Die Umgebung, in welcher jedes Kind zuerst sein Leben 
verbringt, sind die Eltern und Erzieher. Die Liebe, die die Eltern 
zu ihren Kindern fühlen, ist aber keine Garantie, dafs ihre Be- 
ziehung zu den Kindern ehrlich und aufrichtig sei. Im Gegenteil. 
Wenn wir erwägen, dals die häufigsten Fälle von Lügen begangen 
worden sind wegen Nichtbefolgens der Befehle der Eltern und 
Lehrer und aus dem Wunsch der Verheimlichung kleiner Vergehen 
aus Angst vor der Strafe, so kommt einem leicht der Gedanke von 
einem fehlerhaften Verhältnisse der Kinder zu den 
Eltern. Dieses Verhältnis ist, wie ersichtlich, nicht gegründet auf 
gegenscitigem Vertrauen, einer Achtung der Individualität des 
Kindes und deren Duldung von seiten der Eltern, sondern auf 
einer Forderung strikten Gehorsams des Kindes. Die Eltern treten 
den Kindern in der Rolle des Starken zum Schwachen entgegen, 
in der Rolle des Herrn zum Knecht;; in dem Kinde sehen sie nicht 
ein lebendiges Wesen, nicht eine Persönlichkeit, mit der man 
rechnen mufs und der man eine gewisse Unabhängigkeit des 
Handelns gestatten muls, sondern eine Sache, die sie ganz nach 
ihrem Belieben in diese oder jene Richtung drängen wollen. In 
den Lügen der Kinder schen wir daher eine Reaktion gegen eine 
solche Hemmung ihres Willens, wir sehen eine Verteidigung ihres 
Ichs, eine Verteidigung ihres individuellen Fühlens und Urteilens. 
„Zu Hause zwingen mich die Umstände häufiger zur Lüge; denn 
wenn ich immer aufrichtig sein wollte, so hätte ich ebenso oft per- 
sönliche Unannehnlichkeiten,‘“ schreibt ein 15jähriges Mädchen. 
Dem Kinde liegt nicht soviel daran, ein Vergehen im eigent- 
lichen Sinne des Wortes zu verheimlichen, als vielmehr um Ver- 


Allgemeine Folgerungen. 81 


heimlichung dessen, was mit dem heiligen Willen der EI- 
tern nicht in Einklang steht, was den Eltern milsfallen und 
ein Verbot veranlassen könnte. Ein 16jähriger Junge charakteri- 
siert das kräftig mit einem Satze: 


„Es gibt Sachen, welche man vor den Eltern nur deswegen verheim- 
lichen mufs, um sie nicht zu kränken, die aber gar nicht so schrecklich 
sind, wie sich die Eltern das vorstellen“. 


Das Kind lügt also, dafs es andere Freunde habe, als die 
Eltern sich es wünschen, dafs es die Zeit mit dem Lernen ver- 
bringt, während es auf der Stralse spielt oder die Kinos besucht, 
dafs es die ihm übergebenen kleinen Summen auf irgendwelche 
würdige Weise — würdig nach den Begriffen der Eltern — be- 
nutzt, während es sie für die Befriedigung eigener Wünsche aus- 
gibt, dals es alle kleinen Befehle ausführt, wie es sich einem gut 
dressierten Tierchen ziemt, während es heimlich macht, was ihm 
gefällt. In jeder solcher Lüge sehen wir also den Durch- 
bruch eigener Wünsche, eigenen Wollens, eigener Sym- 
pathien im Gegensatz zu dem ihm aufgedrängten 
elterlichen Willen. 

Am frühesten tritt das Milsverständnis zwischen Eltern und 
Kindern in den Fragen des Lernens in Erscheinung. Für die 
Eltern ist der Gipfel der Träume, ihr Kind als ‚ersten Schüler“ 
zu sehen. In Lodz spielt natürlich der Umstand mit, dafs bei der 
geringen Zahl der Gymnasien, deren Absolvierung Rechte beim 
Militärdienst und den Eintritt in die Universität gewährt, nur eine 
gewisse Zahl der Kinder auf Grund einer Reifeprüfung aus den 
Vorschulen aufgenommen werden kann. Diese Ambitionen stehen 
aber häufig nicht im Einklang mit der wirklichen Begabung des 
Kindes. Da es jedoch die Forderungen der Eltern kennt, ihnen 
aber nicht gewachsen ist, so lügt es. Ein 12jähriges Mädchen 
schreibt in der Umfrage: 


„Als ich zum erstenmal eine Eins! für das D ktat erhalten habe, 
sagte ich nichts davon der Mutter, da ich ihre Vorwürfe und ihren Zorn 
gefürchtet habe“. 


Nicht minder bezeichnend ist ein anderes Geständnis: 


„ich erhielt in der Schule in einem Fache eine 4, als ich nach Hause 
kam, sagte ich, ich hiitte eine 5 erhalten“. 


Obwohl wir sogar bei dem Mädchen einen stark ent- 
wickelten : Ehrgeiz annehmen, so müssen wir doch zugeben, 


1) Siehe S. 44, Anmerkung 2. 


Beiheft zur Zeitschrift für angewandte Psychologie. 15. 6 


82 ‚Allgemeine Folgerungen. 


dafs das Kind keine Genugtuung bei seiner Lüge hätte, wenn die 
Eltern nicht eine spezielle Freude an der besseren Note hätten. 
Man kann nun vermuten, dafs es eine bei uns im Lande übliche 
Belohnung erwartete: für jede Fünf — 5 Kopeken. Ein solches 
Aufdringen eines Notenideals hatte schon mehr als einmal traurige 
Folgen ; man weils doch zu gut, dafs es nicht selten zu Selbstmorden 
der Kinder geführt hat; in meiner Umfrage erweist es sich als 
Motiv einer ununterbrochenen Kette der Lügen der Kinder, als 
eine unerschöpfliche Quelle verschiedenartigster und schwerster 
Betrügereien. Die Note ist der Giftpilz des Haus- und Schullebens 
des Kindes, wie wir es im Kapitel ‚Die Schullügen“ gesehen 
haben. | 

Nicht minder fatal erweist sich das zweite Ideal der Eltern 
— die Mora] des Kindes. Unter diesem Wort verstehen die Eltern 
und Lehrer gewöhnlich den Mangel eines Interesses für Fragen 
des sexuellen Lebens. Je weniger Fragen das Kind in dieser Hin- 
sicht stellt, je geringere Lust es für das Lesen verbotener Bücher 
oder zum Spielen mit Freunden des anderen Geschlechts zeigt, 
desto ‚moralischer‘ ist es nach Ansicht der Eltern. Diese ‚Moral‘ 
wird natürlich durch verschiedene Verbote im Zaum gehalten. 
Das Kind weils sich aber auch gegenüber diesem ‚Ideal‘ vortreff- 
lich zu helfen. Wenn es nur im Widerspruch steht zu seiner Natur, 
dann bemüht es sich durch Lügen seine Wünsche zu verteidigen. 
Wir sahen in der Umfrage, wie das Romanelesen, die Spaziergänge, 
die Rendez-vous unserer Jugend ungeniert von statten gehen. Die 
schärfsten Strafen sind nicht imstande, die Schüler dazu zu 
bringen, der „Stimme des Herzens‘ zu entsagen, im Gegenteil, 
je mehr man sie hemmt, mit desto gröfserer Hartnäckigkeit und. 
Schlauheit beharren sie auf ihrem Willen. Die Lüge ist die einzige 
Waffe, mit der sie kämpfen können, und diese handhaben sie 
meisterhaft. In dieser Hinsicht kann ich einen ganz interessanten 
Fall angeben. In einer Mädchenschule, die in der Stadt den Ruf 
hatte, dafs in ihr ,,Verdorbenheit der Sitten‘ herrscht — sie 
veranstaltete nämlich einigemal im Jahre ‚Teegesellschaften‘ für 
die Schülerinnen und deren Brüder und Bekannte —, habe ich 
über diesen Punkt auf ganz interessante Mitteilungen von denSchüle- 
rinnen gehofft. Zu meinem grolsen Erstaunen hat jedoch keine 
einzige von den Schülerinnen der höheren Klassen eine Lüge be- 
treffa3 heimlicher Spaziergänge, Rendez-vous usw. erwähnt. Ich 
hatte also den Verdacht, dafs die Schülerinnen mir gegenüber 


Allgemeine Folgerungen. 53 


nicht aufrichtig seien. In derselben Zeit veranstaltete ich die 
Umfrage in einer anderen siebenklassigen Mädchenschule, deren, 
Vorsteherin mich ziemlich unhöflich empfangen hat. Sie erklärte 
mir, dafs man ihren Schülerinnen gar keine Fragen über daş 
Lügen zu stellen brauche. Da die Lügen bei ihr immer sehr streng, 
bestraft werden, so seien sie gänzlich ausgerottet; dabei führe sie 
ihre Schule nicht so unmoralisch wie Frau X., welche den Mädchen, 
erlaube, Teegesellschaften zusammen mit den Knaben abzuhalten. 

Nur dem Umstande, dafs ich der ehrwürdigen Vorsteherin schmei- 
chelte, das bei ihr gesammelte Material werde mir als Beweis 
dienen, wie die „moralische Führung der Schule auf eine vorbildliche 
Wahrhaftigkeit einwirkt‘‘, hatte ich es zu danken, dafs sie mir er- 
laubte, den Schülerinnen die ‚überflüssigen‘ Fragen zu stellen. 

Diese Unterhaltung fand in dem Empfangszimmer statt, keine von, 
den Schülerinnen hat sie gehört. Zum Glück, denn fast das gesamte 
Material der Umfrage, das sich auf heimliche Rendez-vous und die 
widerlichsten Lügen bezieht, stammt eben aus dieser Schule! Buch- 
stäblich hat keine einzige Schülerin der 7. Klasse hier von etwas 
anderem gesprochen, als von Lügen wegen ihres schlechten Be- 
tragens. Ich habedaraufhin die zuerst erwähnte Schule in Gedanken 
rehabilitiert. Es war freilich nicht schwer, die Folgerung zu ziehen: 
dort wo den Schülerinnen gestattet ist, mit ihren gleichaltrigen 
Kameraden zusammen zu sein, und dies als ganz natürliche Sache 
angesehen wird, da werden keine Lügen über dieses Thema an- 
gegeben, wo man es aber als etwas ‚‚Unmoralisches‘‘ ansieht, 
dort wird es doch getan und als Folge hiervon gelogen. Die Be- 
ziehungen der jungen Leute zueinander sind überall die gleichen, 
aber die Bekanntschaften werden bei den einen auf dem Wege der 
Offenheit und Wahrheit, bei den anderen auf dem der Heucheleci 
und Lüge gepflegt. Man kann hier dasselbe wie bei allen Er- 
scheinungen des Lebens des Kindes feststellen: je kleiner die Frei- 
heit, je grölser die Hemmung, desto häufiger die Lüge. 
| ‘Der Gehorsam des Kindes wird von den Eltern zu er- 

awingen gesucht mit dem Universalmittel — der Strafe. Je mehr 
ihnen daran liegt, .dafs die Kinder nicht aus dem Rahmen des 
Gehorsams heraustreten, desto fühlbarer ist die Strafe. Ein bereit- 
williges und aufrichtiges Bekennen zur Schuld wirkt selten auf 
die Milderung des Urteils: den Erziehern liegt doch an dem Grund- 
satz: jedes Verletzen der Verbote muls von den Kindern schmerz- 
lich gefühlt werden. ‚Dieses System bringt auch würdige Früchte. 

6* 


84 Allgemeine Folgerungen. 


Da das Kind weils, dafs es sogar für das Übertreten kleiner Ver- 
bote eine Strafe zu erwarten hat, und zwar ganz gleichgültig, ob 
es aufrichtig gesteht oder nicht, so riskiert eben das Kind die 
Verheimlichung. (Es ist merkwürdig, dals kein einziges Kind an- 
gegeben hat, dafs es deshalb seine Lüge gestanden hat, weil man 
ihm versprach, die Strafe zu erlassen.) In den meisten Fällen ist. 
die Berechnung nicht falsch, die Wolke des elterlichen Zornes 
entlädt sich nicht über ihm. Die Lüge erweist sich also wieder 
als eine praktische Waffe, und gegenüber diesem Lebensargument 
verflüchtigen sich alle guten Wünsche, die Wahrheit offen zu sagen. 

Aus fast allen bisher hier angegebenen Antworten des Kindes 
wird es klar, bis zu welchem Grade die Strafe der spirtus movens 
der Lüge ist. Und zur Ehre des Kindes mufs man zugeben, dafs 
die drohende Strafe nicht immer konkret und körperlich sein mufs, 
um fühlbar zu sein. Wir haben z. B. das folgende Geständnis 
eines 12-jährigen Schülers, der nach einer Eins in der Geographie 
aus Angst vor dem Vater sein Notenheft verheimlichte. Er er- 
klärt dies folgenderweise: 

„Obwohl der Vater niemals auf mich böse wird, mir sogar nichts 


sagt, aber dann zum Beispiel, wenn er bestimmen soll, wer von uns eine 
Belohnung oder was anderes bekommen soll, wendet er sich von mir ab.“ 


Für einen feinfühligen Knaben ist so ein ,,Wegwenden“ 
schon eine Strafe. Ebenso empfinden die Kinder jene zweite 
häfsliche Angewohnheit der Eltern als Strafe: in jeder Aussage des 
Kindes schon deshalb eine Lüge zu wittern, weil das betreffende 
Kind früher einmal gelogen hat. Die Spencersche Theorie der 
„natürlichen Strafe‘, dafs das Kind die Konsequenzen seiner 
Fehler dulden soll: d. h. wenn es gelogen hat, so darf man 
ihm hinfort nichts glauben, erweist sich in der Praxis als höchst 
demoralisierend. Ein solches Miflstrauen erweckt in den Kindern 
eine gewisse Apathie und Gleichgültigkeit für seine Taten. Eine 
Schülerin der höheren Klassen schreibt: 


„Die Eltern haben entdeckt, dafs ich einmal gelogen habe. und seit 
dieser Zeit glauben sıe mir nichts mehr, also mufs ich immer lügen, denn 
wenn ich auch die Wahrheit gesagt hätte, würde man mir doch nichts 
glauben“ (16 Jahre". 


Es ist also völlige Indifferenz grolsgezogen worden, was die 
fatalsten Folgen in der Praxis hat!. 


1 Zu vgl. FELIX ADLER, The Punishment of Children. Burns Weston. 


Allgemeine Folgerungen. 85 


Dieses Resultat der Erhebung über den Einflufs der Strafe 
auf die Lüge bestätigt mit seinem Beweismaterial die Resultate 
der Beobachtungen vieler Pädagogen. In dem berühmten ‚‚Krebs- 
büchlein‘ von Ca. G. SaLrzuann, das in 6. Auflage im Jahre 1829 
herauskam, und in dem der Verfasser zu beweisen bemüht ist, 
„wenn eure Kinder Untugenden und Fehler an sich haben, so 
sucht den Grund davon nicht in ihnen, sondern in Euch‘, finden 
wir in dem Kapitel: „Mittel Kinder das Lügen zu lehren“ den 
ironischen Rat: ‚Strafe deine Kinder, wenn sie die Wahrheit 
sagen‘‘l. Guyau sagt ebenfalls: „Verstellung, diese wahre Lüge, 
die sittliche Lüge kann im Kinde nur durch Furcht entstehen, 
sie, steht in geradem Verhältnis zu der an falscher Stelle ange- 
brachten Strenge der Eltern, mit einem Wort: zur schlechten Er- 
ziehung‘‘?, Im Einklang mit dieser Einsicht erwähnt BERNHARD 
PEREz von einem 6jährigen Kind, welches, nachdem es sich über- 
zeugt hat, dafs es mit der Wahrheit weiter kommen könne, diese 
angewendet habe?. FerpınanD Kensızs fügt den charakteristischen 
Satz bei: „von guten Kennern der englischen Erziehung wird be- 
hauptet, dafs die englische Jugend bei weitem die deutsche an 
Wahrhaftigkeit übertrifft, aus dem einfachen Grunde, weil der 
Zwang in der Erziehung und die Strafandrohung weniger oft an- 
gewendet wird‘. 

Das, was von den Eltern hier gesagt wurde, bezieht sich in 
noch weit höherem Malse auf die Lehrer. Die Strafe des Lehrers 
ist fühlbarer und hat schlimmere Folgen als die der Eltern. Nach- 
dem die Eltern ihr Kind bestraft haben, kehren sie doch zu ihrer 
gewöhnlichen Fürsorge zurück, die es dem Kinde leicht ermög- 
licht, das zugefügte Weh zu vergessen. Die Strafe des Lehrers 
ist jedoch noch nach einigen Monaten fühlbar, weil sie in den 
meisten Fällen in schlechten Noten besteht und darum in der Zensur 
nochmals fühlbar ist. Aufserdem leidet auch der Ehrgeiz des 
Kindes beim Bestraftwerden durch die Gegenwart der Mitschüler 
viel mehr als durch die Gegenwart von Geschwistern. Auf den 
Lehrer also sammelt sich der Hafs des Kindesherzens. In der 
Umfrage sehen wir, dals einige Kinder die Lüge zu Hause bedauert 
haben, kein einziges aber gibt an, dals es die Lüge in der Schule 





1 S. 86—98. 

2 5. 202. 

3 L’enfant de 3 & 4 ans, S. 86—87. 

* Kinderliigen und Kinderaussagen. ZPdPs 7 (3), 179, 1905. 


‘86 Allgemeine Folgerungen. 


bedauert. Einige Beispiele der Sympathie für die Lehrer bezogen 
sich auf Privatlehrerinnen. 

Aber abgesehen davon, dafs dieStrafe des Lehrers fühlbarer ist, 
ist sie zumeist auch ungerechter. Dem Lehrer ist es viel schwerer, 
gegenüber 30 Kindern seiner Klasse gerecht zu sein, als der Mutter 
‘des einzelnen Kindes. Der Lehrer bevorzugt unwillkürlich die- 
jenigen Kinder, die ihm sympathisch sind. Diese durchaus mensch- 
liche Erscheinung gibt aber ständig zur Ungerechtigkeit Anlals 
und damit den Kindern zugleich einen neuen Anlafs zum Hassen 
des Lehrers. In der Umfrage begegnen wir nicht selten Klagen 
„der Lehrer liebt nicht mich, sondern den oder jenen anderen 
Schüler‘, ‚er verfolgt mich‘ usw. Den Fehler, den der Lehrer 
begeht, gleichen die Kinder auf ihre Weise aus, d. h. mit Hilfe 
der Lüge. Sehr interessant ist eine Aussage eines 12jährigen 
Knaben: 

„Ich log in der Klasse, als ich sah, dafs der Lehrer X. ungerecht 
urteilte. Es hat mich z. B. ein anderer Schüler geschlagen. Ich blieb 
natürlich nichts schuldig, in diesem Augenblick kommt der Herr X. und 


bestraft nur mich, obwohl er mich erst über alles ausgefragt hat (und ich 
log nicht); er hat jedoch nur mich bestraft.“ 


Natürlich wird der Junge das nächste Mal zu irgendeiner 
Verleumdung seine Zuflucht nehmen, damit der andere nicht 
wieder begünstigt werden soll. Ein gewisses Gerechtigkeits- 
gefühl in Verbindung mit dem Ehrgeiz rufen ein feindliches 
Gefühl gegenüber dem Lehrer hervor, und bei der ersten Ge- 
legenheit offenbart es sich in dem Belügen des Lehrers. 
| Dic Angst vor der Strafe und ein angespornter Ehrgeiz wirken 
zusammen bei einer so häufigen Lüge in der Schule wie das Nicht- 
gestehen eines begangenen Streiches. Jedes einzelne dieser Gefühle 
oder beide zusammen führen zu dem Nichteingestehen einer 
Schuld bei dem Sünder, andererseits führt der Hafs gegen den 
Lehrer zu einer Solidarität der Schüler unter sich und damit 
zum Nichtanzeigen des schuldigen Kollegen. Nicht so sehr die 
Kollegialität als vielmehr der Hals gegen den Lehrer 
ist der Kitt, der die Kinder zu einer gemeinsamen Aktion gegen 
den Lehrer vereinigt. Das Erzwingen des Verrates des Misse- 
täters führt fast niemals zum Ziel. Der Lehrer, statt sich mit 
Vertrauen an die Kinder zu wenden, schliefst seine Ermahnungen 
gewöhnlich mit den Worten: ‚aber warte nur, wenn du mich be- 
lügst‘“, was natürlich die Kinder am wenigsten zur Wahrheit 


Allyemeine Folgerungen. 87 


bewegt. Dieser Mangel an Vertrauen, welchen der Lehrer zur 
Schau trägt, diese Manie des Lehrers in jedem Schüler und in 
jeder seiner Taten den Schuldigen und eine schlimme Absicht 
gegen sich zu wittern, entwickelt ein feindliches Verhältnis zwischen 
dem Lehrer und Schüler und gibt Anlafs zu immer neuen Be- 
trügereien und Lügen. Und doch könnte es mit ein bilschen Takt 
von seiten des Lehrers anders sein. Von dem grolfsen englischen 
Pädagogen ArnoLp erwähnt Foerster, dafs er eine verlogene 
Schule dadurch völlig regeneriert habe, indem er jedem aufs Wort 
glaubte. Bald hiels es: Arnoro zu belügen, ist gemein!. 

Dieses fortwährende Lügen, dessen sich das Kind sowohl in der 
Schule als auch zu Hause bedienen mufs, wird ihm jedoch zur 
Last. Es fühlt das Bedürfnis, aufrichtig und wahrhaftig zu sein, 
und dennoch sieht es die Notwendigkeit, so zu handeln. So sagt 
ein 13jähriges Mädchen: „ich mache mir Vorwürfe, dafs ich die 
Eltern betrügen kann, aber ich erkläre es mir wieder und beruhige 
mich damit, dafs sie mich selbst dazu zwingen‘‘. Ein anderes 15- 
jahriges Madchen sagt: „ach, wie gerne möchteich einmal vor irgend 
jemand aufrichtig sein und nicht lügen, sondern die Wahrheit 
sagen und mich aussprechen dürfen ... Aber ich kann nicht, denn 
- ich fand noch keine Person, die mich verstehen und die mir raten 
konnte“ ... 

Man wird von der Wahrheit nicht weit entfernt sein, wenn 
man behauptet, dafs dieses auf Belügen bestehende Verhältnis 
der Kinder zu seinen Eltern und Erziehern das herzliche Gefühl 
zu töten imstande ist. Der Hals auf die Lehrer ist so allgemein, 
dafs, während viele Kinder von dem Bedauern schreiben, das ihnen 
die den Eltern gegenüber begangenen Lügen verursachen, es kein 
einziges Kind gibt, das die den Lehrern gegenüber begangenen 
Lügen bereut oder sich deren schämt. 

Die sog. Kindesliebe hat übrigens auch zuweilen ihre Schatten- 
seiten. In meiner Umfrage stolsen wir auf eine ganz merk- 
würdige Aussage, die zwar einzeln dasteht;; ich glaube aber, dals 
sie viel verbreiteter ist, als es in der Umfrage in Erscheinung tritt. 
Ein 14jähriges Mädchen schreibt am Schlufs, nachdem sie ihre 
verschiedenen Lügen gebeichtet hat: 


„Ich sage meinen Eltern, dafs ich sie sehr lieb habe, und ich habe sie 
gar nicht lieb.“ 


1 ehule und Charakter, S. 184. 


88 Allgemeine Folgerungen. 


Es ist vielleicht zum erstenmal in dieser Erhebung auf Grund 
der Aussagen der Kinder selbst so klar zum Vorschein gekommen, 
welch grolse Rolle die Persönlichkeit des Erziehers spielt. Wir 
sahen sie als Hauptfaktor in den Schullügen (einen sympathischen 
Lehrer belügt man nicht gern) und in dem Bedauern und der Scham 
der Kinder gegenüber geliebten Personen gelogen zu haben. Aus 
der grolsen Liebe zur Mutter haben einzelne Kinder sog. edle 
Lügen begangen, nur um ihr Unannehmlichkeiten zu ersparen. 
Andererseits ist ja Angst vor der Strafe nichts anderes als Furcht 
vor dem Zorne einer gewissen Person. Wenn die Kinder eine 
Strafe fürchten, so fürchten sie eigentlich den Str:fenden, d. h. 
sie haben zu seiner Milde kein Vertrauen. 

b) Die Umgebung übt ferner einen grolsen Einflufls durch die 
materiellen Verhältnisse aus. Meine Umfrage bestätigt 
STERNS Behauptung, dafs die Kinder armer Eltern häufiger lügen. 
In allen Schulen, welche von Kindern unbemittelter Eltern be- 
sucht werden, sprechen alle Kinder von Lügen, die sie zu Hause 
gesagt haben. Das ist leicht begreiflich. Die wenig bemittelten 
Eltern beschäftigen sich aus Mangel an Zeit viel weniger mit 
ihren Kindern als die reichen, es fehlt also gegenüber der Ver- 
führung durch schlechte Mitschüler der immer hemmende Einflufs, 
den die steten Beziehungen der Eltern zu den Kindern mit sich 
bringen. Sehr stark fördern auch die unerfreulichen häuslichen 
Verhältnisse der armen Leute das Lügen. Die dumpfe Atmo- 
sphäre, die zu Hause herrscht, drückt auf die Kinder, sie 
schleichen sich fort zu einem Gespielen auf den Hof und recht- 
fertigen ihre Abwesenheit mit Ausreden. Ein Beweis hiefür ist, 
dafs die Kinder unbemittelter Eltern, die sich mehr selbst über- 
lassen sind, eher unter den suggestiven Einflufs schon ver- 
dorbener Mitschüler und Spielkameraden geraten. 

Aber nicht nur die Häufigkeit, sondern auch die Art der 
Lügen der reichen und der armen Kinder sind verschieden. Die 
Kinder vermögender Eltern lügen öfters zu Hause, dafs sie krank 
seien. Auf diese Weise erhalten sie Zeugnisse, dafs sie die Aufgaben 
nicht machen konnten, oder dafs sie zu Hause bleiben mufsten. 
Die Kinder armer Eltern rechtfertigen sich mit einer Krankheit nur 
in der Schule. Sie wissen ganz genau, dals ein leichtes Unwohl- 
sein von den schwer arbeitenden Eltern nicht ernst genommen 
wird, und dafs diese Ausrede deshalb keine richtige Wirkung aus- 
übt. Nur die reicheren Kinder lügen, dafs sie schon gegessen und 


Allgemeine Folgerungen. 89 


getrunken hätten, um sich von der übergrolsen Fürsorge zu be- 
freien ; in den Schulen für unbemittelte Kinder wurde kein einziger 
solcher Fall erwähnt. Die Kinder reicher Eltern lügen wegen 
ihres Verkehrs mit den ‚„Stralsenjungen‘ und der Gespräche mit 
den Dienstboten, denn nur Eltern gewisser Klassen achten auf 
sog. gute Gesellschaft für ihre Kinder. Bei den ärmeren Kindern 
finden wir dagegen häufiger Lügen über Diebstähle von Sachen 
und Geld, was sich ja auch mit dem Mangel an diesen Gegenstän- 
den nur zu leicht erklärt. Auch die Lügen wegen Nichtbesuchs 
der Kirche sind bei den armen Kindern häufiger, was sich aus 
zwei Gründen ergibt. Erstens: das Kind reicher Eltern wird 
nicht allein in die Kirche geschickt, sondern stets in irgendeiner 
Begleitung, dadurch ist das ‚Drücken‘ vom Kirchgang unmög- 
lich. Zweitens: Die ärmere Klasse legt ınehr Gewicht auf die 
religiöse Praxis und darum zwingt sie ihre Kinder zum Kirchen- 
besuch. Die armen Kinder lügen auch häufiger wegen heimlicher 
Ausflüge, die sie unternommen haben, was sich wieder aus dem 
Mangel an Zerstreuung, um die sich die Armen für ihre Kinder 
gar nicht kümmern, erklärt, andererseits auch aus den Besitz 
gröfserer Freiheit, die ihnen die Ausführung solcher Pläne, wenn 
sie auch riskant sind, immer wieder ermöglicht. Das Sich-Grols- 
machen in Gesprächen findet man auch häufiger bei den ärmeren 
Kindern, was sich aus dem Wunsch erklärt, den reicheren Kollegen 
gleich zu sein. Der Charakter dieser „Grolsmacherei‘‘ unter- 
scheidet sich sehr von den Prahlereien der reichen Kinder; dic 
letzteren prahlen mehr mit dem Besitz von bestimmten, dem 
einzelnen fehlenden geistigen Eigenschaften, der Klugheit, des 
Mutes usw.; ferner mit aufsergewöhnlichen Heldentaten, die sie 
vortäuschen, begangen zu haben. Die ärmeren Kinder prahlen 
mit dem Besitz von Gegenständen mehr realer Natur. Es ist 
auch interessant, dafs die Kinder ärmerer Leute öfter ihre Angst 
vor der Entdeckung der Lüge erwähnt haben. Das erklärt sich 
widerum leicht aus dem Umstand, dals die Strafen der reichen Leute 
viel milder sind, als die der armen Leute, diese greifen viel häufiger 
zu Schlägen. Es ist bezeichnend, dals von den sog. ‚„edlen‘‘ Lügen 
immer nur in den von Kindern reicherer Leute besuchten Schulen 
gesprochen wurde. Zweifellos kommt dies daher, dafs man in 
den materiell besser gestellten Kreisen mehr auf das Ethische 
Wert legt, und dals man den Kindern hier mehr von solchen Taten 
spricht. Nur ein einziger Fall eines Diebstahles, den ein Mäd- 


90 Allgemeine Folyerunyen. 


chen begangen hatte, um Brot fiir ihre arme Familie zu kaufen, 
ist vermerkt. Diese Familie war aber früher vermögend. Die Be- 
ziehung des Reichtums zur Ethik kann auf Grund der in der 
Erhebung angegebenen Fälle 10 nicht deutlich erörtert werden. 
Aus den verschiedenen gelegentlich gegebenen Antworten kann 
man jedoch gewisse Schlüsse auf den allgemeinen Einflufs des 
ethischen Niveaus der Umgebung ziehen. 

c) Das Gesamtbild von den Lügen, die wir in der Umfrage 
erhalten haben, beweist einem Ethiker das niedrige moralische 
Niveau des Kindes. Es ist aber die Frage, ob das Kind einem 
ethischen Einflusse überhaupt zugänglich ist. Aus den Antworten 
der Kinder ist ersichtlich: wenn die Eltern gewisse ethische Be- 
griffe ihren Kindern einflölsen und sich bemühen, ihnen einen 
Abscheu vor der Lüge einzuimpfen, und, was noch mehr bedeutet, 
wenn sie ihren Kindern selbst mit Wahrheitsliebe vorangehen, 
— diese Eltern werden sich über Unaufrichtigkeit ihrer Kinder 
nicht zu beklagen haben. Das Kind spürt unbewulst die Atmo- 
sphäre seines Hauses und handelt in seinem Geiste: 

„Ich liige nicht, weil ich unter dem Einflufs meiner Mutter bin”, 


schreibt ein 13jähriges Mädchen. 

Leider ist diese Antwort nur vereinzelt. Der Einflufs der 
Eltern muls sehr grols sein, um der weiteren Umgebung — ich 
denke hier an die Kreise der Mitschüler und Spielkameraden —) 
in der das Kind auch lebt, und der es sehr leicht unterliegt, das 
Gegengewicht zu halten. Aus sehr zahlreichen Antworten der 
Kinder ersieht man, dafs der Einflufs der Mitschüler alles andere 
übertrifft: 


„Schr oft habe ich auf Anraten meiner Kameraden gelogen“ (14 Jahre 
111.). — „Meine erste Lüge, deren ich mich erinnern kann, war diese: ich nahm 
von den Eltern Geld für Hefte und ging ins Kino. Ich hatte einen Freund, 
der mich dazu angestiftet hat“ (16 Jahre m.). — „In meinem 15. Lebensjahre 
geriet ich in eine Gesellschaft, welche mich demoralisierte. Als die Eltern 
davon erfuhren, verboten sie mir unter Androhung einer schweren Strafe 
dort hinzugehen. Aber die Worte der Eltern prallten an mir ab wie von 
einem Felsen und hatten gar keine Wirkung (es war schon zu spät); in- 
folgedessen sank ich immer tiefer, bis ich endlich dazu kam, dafs ich ein 
Raucher wurde und sogar ...“ (17 Jahrem.).— „Der Lügen, die ich zu Hause 
gesagt habe, schämte ich mich nicht, weil sch wufste, dafs es alle meine 
Freundinnen ohne Ausnahme ebenso machen“ (17 Jahre f.). 


Die grofse Zahl solcher Aussagen bestätigt die Worte ArnoLps: 
I am afraid, that the fact is indeed indisputable: Public schools 


Allgemeine Folgerungen. 91 


are the very seats and nurseries of vice!. Dieser Einflufs der 
Umgebung, dem das Kind in hohem Grade unterliegt, hat zur 
:Folge, dals die Kinder eine doppelte Moral besitzen — für jede 
Umgebung eine andere. Sehr interessant ist in dieser Beziehung 
die Aussage einiger Kinder: 

„Ich bin ehrenhaft und habe zu Hause nie gelogen. In der Schule 
belog ich jeden Lehrer zehnmal und noch mehr“ (12 Jahre m.). — „Ich be- 
dauere jede Lüge zu Hause, aber mit meinen Lügen in der Schule brüste 
ich mich vor den Kollegen“ (16 Jahre m.).— „Ich lüge mehr in der Schule als 
zu Hause und zwar deshalb, weil die Schule so eine Art Welt im kleinen 
ist und es gibt doch auf der ganzen Welt keinen Menschen, der gicht ge- 
logen hätte. Zu Hause dagegen ist man ein kleiner geschlossener Kreis, in 
dem man schon aus Liebe nicht lügt‘‘ (14 Jahre m.). 


Interessant ist auch der Einflufs, den der Anschlufs an be- 
stimmte Vereinigungen imstande ist, zu erzeugen. In dieser Be- 
ziehung ist eine Antwort charakteristisch: 

„Ich lüge nicht mehr, weil ich Pfadfinder bin‘ (16 Jahre m.). 

Dieser Einflufs der Umgebung in all seiner Mannigfaltigkeit 
auf das Lügen der Kinder mufs auch zu dem Gedanken führen, 
dafs aufsergewöhnliche lokale Umstände der jeweiligen Um- 
gebung sich ebenfalls in den Lügen der Kinder abspiegeln müssen. 
Diese Schlufsfolgerung ist in der Tat ganz richtig. 

d) Wie bekannt, existierte im Königreich Polen leider kein 
Schulzwang. Die Eltern, die ihre Kinder in die Schule schicken 
wollten, mufsten es auf eigenen Antrieb tun. Natürlich kann 
unter solchen Umständen auch der ehrlichste Wille der Eltern, 
ihre Kinder ausbilden zu lassen, an der eisernen Notwendigkeit 
der Mittellosigkeit zerschellen. Manchmal freilich denken auch 
die Eltern, dafs ihre Kinder Bildung genug besitzen, wenn sie 
nur lesen und schreiben können, und nach 2 oder 3Jahren nehmen 
sie das Kind aus Sparsamkeitsgründen wieder aus der Schule. 
Der Widerstand der von Lerneifer erfüllten Kinder führt da zu 
besonders schmerzlichen Lügen: 


„Um weiter in die Schule gehen zu können, log ich zu Hause, dafs 
ich Stunden geben werde, und dafs ich bestimmt verdienen werde, indessen 
habe ich sie bisher noch nicht“ (Schülerin der IV. Klasse, 14 Jahre). — „Ich 
log den Eltern vor, dafs wir Deutsch lernen werden, damit sie mir erlauben, 
weiter in die Schule zu gehen‘ (Schülerin der II. Klasse, 13 Jahre). 


Solche Aussagen machten nur die Mädchen; es stammt das 
zweifellos daher, dafs man allgemein glaubt, dem Jungen sei die 





` 1 Zitiert bei FOERSTER, Schule und Charakter, S. 24. 


9) Allgemeine Folgerungen. 


Wissenschaft nötiger als dem Mädchen, für welches das Lernen 
ein Luxus sei — ihr Endziel ist doch schliefslich das Heiraten. 
Die eben genannten Lügen können natürlich in einem Lande, wo 
ein Schulzwang existiert, nicht vorkommen. 

Die besonderen lokalen Schulverhältnisse in Lodz rufen auch 
spezielle Lügen hervor. In Lodz gab es bis vor dem Kriege einige 
deutsche Schulen und ein deutsches Gymnasium mit sog. Kron- 
rechten. In diese Schulen schickten auch die Polen ihre Kinder, 
teils wegen dieser Rechte, teils auch weil andere Krongymnasien 
überfüllt waren. Und dadurch kommt es zu einer aufsergewohn- 
lichen Liige: 

„Ich ging in die deutsche Schule, aber man hat dort so über die Polen 
veschimpft, dafs ich es nicht aushalten konnte — ich blieb deshalb aus 


der Schule weg und sagte zu Hause, dafs man mich herausgeworfen bat, 
und ich ging nicht mehr in diese Schule‘* (15 Jahre m.). 


Die abscheulichen Verhältnisse, die seit dem Judenboykott 
in Polen herrschten, haben sich auch auf die Verhältnisse in der 
Schule ausgedehnt. Aus einer grolsen Fülle solcher Aussagen, die 
uns von einem unbegrenzten Zwiespalt zwischen den einzelnen auf 
derselben Bank sitzenden Schülern Kunde geben, führe ich hier 
nur zwei an: 

„Ich lüge in meinem Verkehr mit bestimmten Mitschülerinnen; 
denn dem Scheine nach komme ich ihnen freundlich entgegen, in Wirk- 
lichkeit kann ich sie nicht leiden, denn ich weifs, dafs sie niedrige Vor- 
urteile haben und sich feindselig zu den Mitschiilerinnen anderen Glaubens 
verhalten‘ (14 Jahre f.). — ‚In der Schule war ich wegen meines Glaubens- 
unterschiedes gezwungen zu lügen, über welchen Punkt mich die Mit- 
schülerinnen niemals zu verstehen iınstande waren. Bei jedem Schritt 
traf ich auf Feindseligkeit wegen meiner Religion. Um mir meine Mit- 
schülerinnen zu gewinnen, habe ich oft gelogen, wodurch ich die gewollte 
Wirkung erreichte. Aber ich habe doch bedauert, dafs es keine Verstän- 
dügung und keine Einigkeit zwischen Mädchen verschiedenen Glaubens gibt. 
und dafs man sie nur mit Lüge gewinnen kann’ (14 Jahre f.). 


In den polnischen Schulen im Königreich Polen war es die 
Regel, dafs manche Fächer, wie z. B. Naturwissenschaft und 
Psychologie, hinter dem Rücken der russischen Regierungsauf- 
sichtsräte des Schulbezirkes gelehrt wurden. Den Kindern war 
cs deshalb von den Lehrern verboten, aufserhalb der Schule, mit 
Ausnahme gegenüber den Eltern, davon zu sprechen, um eine 
Anzeige und ein eventuelles Schliefsen der Schule zu vermeiden. 
Eine solche Lage mufs natürlich einen sehr schlechten Einflufs 


/ 


Allgemeine Folgerungen. 93 


auf die Kinder ausüben; denn das gibt ihnen doch eine Berech- 
tigung zum Lügen. Eine der Schülerinnen hatte wahrscheinlich 
Angst, diese Bemerkung von sich selbst aus zu sagen und schreibt 
deshalb: 


„Mein Brüderlein fragt immer: warum sollen wir nicht lügen, wenn 
uns die Schule selbst zum Lügen veranlafst, denn wir dürfen nicht sagen, 
dafs wir Zoologie lernen“. 


Man kann wohl mit Recht annehmen, dafs diese Überlegung 
mehr als eine Kinderlüge sanktioniert hat. 

Von all diesen Abhängigkeiten der Lüge von gewissen Fak- 
toren, seien sie physiologisch-psychischer Natur (Alter, Geschlecht, 
Intelligenz). seien sie ökonomisch-sozialer Natur (ökonomische Ver- 
hältnisse, die Umgebung) übt auf die bewufste Lüge, wie wir 
gesehen haben, die Umgebung in ihren mannigfaltigen Formen 
den grölsten Einfluls aus. Während wir von dem Einfluls des 
Geschlechtes auf die Lüge nicht viel Positives zu sagen vermögen, 
sind wir imstande, genau den Einflufs der verschiedenartigen 
Veränderungen der Umgebung auf das Zunehmen oder Ver-chwin- 
den der Lüge zu verfolgen. Sympathische oder unsympathische 
Erzieher, gutgesinnte oder schlecht 3esinnte Mitschüler, schlechtere 
oder bessere materielle Verhältnisse, gröfsere oder kleinere per- 
sönliche Freiheit rufen sofort eine Änderung in dem Verhältnis 
des Kindes zu seiner Umgebung und damit in seiner Wahrhaftig- 
keit hervor. 

Dieses Resultat steht in Einklang mit der anderweitig ge- 
wonnenen Statistik. So gibt Compayre an, dale von 9906 Kindern, 
die sich im Jahre 1905 in Strafanstalten befanden, 4543 Waisen 
waren, 154 waıen in den Krippen erzogen, 1518 waren uneheliche 
Kinder, 1615 stammten von Eltern, die für Verbrechen bestraft 
wurden. Also 80% von den in den Strafanstalten befindlichen 
Kindern hatten einen schlechten Umgebungseinflufs?). 

Ebenso gibt Henry Rotter an, dals die Kinder, die für 
irgendein Vergehen bestraft wurden, sich wie folgt zusammen- 
setzten: 


Waisen ` A5 % 
Uneheliche Kinder 11,25% 
Bestrafte Eltern 13,25% 


Geschiedene Eltern 16,25% ?. 


1 S. 299. 
2 Zitiert bei WILLIAM VAN BRABANT, S. 73. 


94 Allgemeine Folgerungen. 


Man ist also gezwungen, sich der Worte Rousseaus über die Kind- 
heit zu erinnern: ce n’est pas la nature qui la corrompt. c'est 
l’exemple!. 

Es drängt sich nun die Frage auf, ob diese, alle aus verschie- 
denen Motiven begangenen Kinderlügen nicht doch ein allgemeines 
sie charakterisierendes Merkmal besitzen, so dafs man von einem 
qualitativen Unterschied zwischen den Lügen der Kinder und 
denjenigen der Erwachsenen sprechen kann. Manche Autoren 
versuchten solch einen Unterschied zu finden. So ist die Mei- 
nung W. Aments ziemlich verbreitet, dafs den Kinderlügen sitt- 
liche Überlegung fehle, da das sittliche Bewulstsein sehr spät 
entsteht und sich erst mit der Geschlechtsreife vollendet. .,Erst 
aus der Wirkung der Lüge auf seine Umgebung kommt ihm 
(dem Kinde) ihr Wesen und ihre Verwerflichkeit zum Bewulst- 
sein "78 Diese Ansicht kann in Anbetracht der Antworten, die die 
Kinder in dieser Umfrage gegeben haben, nicht aufrecht erhalten 
werden, denn gerade aus der praktischen Wirkung, die die Lüge 
hat, wird sie bewulst von den Kindern angewendet. Erinnern 
wir uns doch an die Antworten über das „Bedauern der Lüge“. 
Ebenso ist eine zweite, sehr verbreitete Überzeugung, dafs die 
Kinderlüge im Gegensatz zur Lüge der Erwachsenen den Cha- 
rakter der Heuchelei entbehrt, nicht stichhaltig. So sagt z. B. 


1 Als positives Gegenstück kann hier die folgende Schilderung von 
Frau L. SCHALK-HoPFEN dienen: „In England und Amerika ist die Kinder- 
wahrheit ausgebildet wie der Sport. Wer sich nicht zu seinen Taten be- 
kennt, gilt als untauglich auf jedem Gebiet, ein Schwächling, ein Ver- 
ächtlicher, und kommt für keine andere Leistung mehr in Betracht. Er ist 
kriegsuntauglich, ist ausrangiert. Kinder kennen auf solchem Gebiet keine 
Kompensationen, so sehr sie dieselbe auf jedem anderen gelten lassen. 

Lüge geht an englischen Schulen ein, wie bei uns Wahrheit. Der ganze 
Betrieb von Abschreiben, Vorsagen, Ausreden und geschicktem Umgehen 
der bestehenden Vorschriften entfällt. Man bemüht sich nicht dagegen, 
man kennt ihn nicht, nicht unter Knaben, nicht unter Mädchen. Man 
lebt dort in einer reineren Luft, einer menschlicheren, wirklicheren Ge- 
rechtigkeit und mifst mit Erfahrung und nicht mit Dogmen. Man läist 
auch Kinder gelten, die anständig und verläfslich sind, ohne in den Wissen- 
schaften hervorzuragen und macht nicht ihre Lernfähigkeiten zum aus- 
schliefslichen Herrn über Leben und Tod. Man gönnt ihnen ein eigenes 
reiches Leben und einen eigenen Wert. Warum sollten diese Kinder trügen ? 
So phantasielos, gedankenlos, so gewohnheitsmälsig lügen wie der Durch- 
schnitt unserer Schulkinder %* (Österr. Rundschau 1913 S. 39). 

2 W. AMENT, Die Seele des Kindes, S. 8. 


Allgemeine Folgerungen. Un 


ScHALK-HorrEN: ‚„‚gewils, es gibt unangenehme Kinder, die Löcher 
in das Tischbein schnitzeln und dann sagen, der Hund oder die 
kleine Schwester habe es getan... Kinder, die um den Stand 
ihrer Schulerfolge gefragt, von phantastischen Erfolgen und 
musterhaften Leistungen berichten, denen in der Wirklichkeit 
leider nichts entspricht ... Aber es gibt bestimmt keine Kinder, 
die von demselben Menschen, den sie soeben in das gehörnte 
Tierreich versetzten, in tiefster Ergebenheit hochachtungsvollst 
sich empfehlen.‘‘! Ebendasselbe sagt auch Louis RatisBonne: 
„Das Kind ist besser als der Mann, es kann schon lügen, aber es 
vermag sich noch nicht zu verstellen“ ?. Leider mufs auch diese 
gute Meinung von den Kindern zerstört werden. Die Kinder — 
man vergleiche ihre eigenen Äufserungen in den vorigen Kapiteln 
— heucheln in ihren Lügen ebenso wie die Erwachsenen. Er- 
innern wir uns nur an die Aussage der 12jährigen: ‚ich sage den 
Eltern, dals ich sie sehr lieb habe und ich habe sie gar nicht lieb“, 
oder an diejenigen der vielen Schüler, die dem Lehrer ihre Sym- 
pathie oder ihr Interesse für seine Witze vortäuschen, um sich die 
Note nicht zu verderben. Die bewulste Lüge der Kinder erweisi 
sich somit nicht qualitativ verschieden von der Lüge der 
Erwachsenen, sie gehört zu demselben Kapitel der Notlüge. 
Da aber die Verhältnisse, in denen das Kind lebt, einfacher sind 
und ihre Angelegenheiten kleine Dinge sind, so ist die kindliche 
Notlüge naiver und komischer. Man darf sich aber darüber nicht 
täuschen, dals sie denselben Zweck verfolgt — etwas Unangenehmes 
abzuwehren —, und dals sie aus derselben Quelle herrührt — aus 
dem Selbsterhaltungstrieb?. 


! ScHALK-HOPFEN, S. 49. 

2 Zit. bei COMPAYRE, S. 390. 

? Es ist mir leider unmöglich die statistischen Tafeln beizufügen, 
da sie sämtlich durch die Kriegsereignisse in Lodz verloren gingen; das 
gleiche gilt von den Notizen, auf Grund deren diese Tafeln aufgestellt. 
worden sind. 


96 Pädagogische Nutzanwendungen. 


Pädagogische Nutzanwendungen. 


Wie wir in der Einleitung dieser Arbeit schon anführten, haben 
die Pädagogen aus der Beobachtung der Häufigkeit der Lüge 
bei den Kindern die Frage aufgestellt, ob das Kind von Natur 
aus lügenhatt sei, oder ob es erst im Laufe seines Lebens diese 
Fähigkeit erwirbt, um daraus die richtigen pädagogischen Mats, 
regeln zu treffen. Die Lüge wurde dabei von vornherein selbst- 
verständlich als ein Laster behandelt, das mit allen pädagogischen 
Mitteln auszurotten sei. 

Diese immer kritiklos von den Pädagogen angenommene 
Lasterhaftigkeit der Lüge mülste doch einmal näher betrachtet 
werden, bevor man bestimmte pädagogische Folgerungen und 
Weisungen aus der vorstehend in ihren Resultaten geschilderten 
Erhebung ziehen will. 

Wenn wir die Völkersitten und die Geschichte der Ethik be- 
trachten, so finden wir keinesfalls eine allgemeine Verwerfung 
der Lüge, sondern im Gegenteil eine grofse Verschiedenheit zu 
allen Zeiten in ihrer Anwendung und Beurteilung bei den ver- 
schiedenen Völkern. Im Altertum sehen wir einerseits eine Ver- 
breitung der Lüge: wir finden im Alten Testament zahllose 
Beispiele von Liigen (die Schlange hat Eva belogen, Kain belog 
Gott, Jakob belog den blinden Isaak, der König David rettete 
sich öfter durch Lügen usw.). Die Griechen haben es mit der 
Wahrheit auch nicht streng genommen. In der Ilias und der 
Odyssee werden die listigen Taten der Götter und Helden be- 
sungen (Zeus, Pallas Athene, Odyszeus) und in dem Dialog Platons 
„Hippias“ beweist Sokrates, dafs der mit Vorbedacht lügende 
Mensch ,,besser“ sei, als ein Mensch, der unbewulst ligt; denn, 
wie er sagt, verschafft jede Fertigkeit, also auch die des Lügens, 
ein Übergewicht über eine Unfertigkeit, also über eine unbe- 
dachte Lüge. Andererseits sind im Altertum auch wahrheits- 


Pädagogische Nutzunwendungen. 97 


liebende Völker, so 2. B. die Perser, die wie bekannt die Kinder 
drei Dinge lehrten: Reiten, Schiefsen und die Wahrheit sagen. 
Ebenso zeichneten sich die ersten Römer, die alten Skandinavier 
und die Germanen durch ihre Wahrheitsliebe aus. Dieselben 
Unterschiede finden wir bei den jetzt lebenden wilden Völkern: 
es gibt Stämme, die die Lüge aufs sorgfältigste meiden, so z. B. 
in Indien die Gonds und die Mäls, die Veddas auf Ceylon, die 
Dapahen auf Borneo, die Batahen auf Sumatra usw. und wiederum 
solche, bei denen der Lügner, der es zu grolser Vollkommenheit 
gebracht hat, als ein Mann mit besonderen Gaben angesehen wird, 
das gilt bei den afrikanischen Völkern von Kaffern, Hereros und 
Batschapins, sowie bei den Bewohnern der Fidschiinsel usw. !. 


Diese verschiedene Stellung zur Lüge bei den einzelnen Völ- 
kern hat man durch ein allgemeines Prinzip zu erklären versucht: 
man suchte den jeweiligen Grad der Kultur dafür verantwortlich 
zu machen. Die am meisten verbreitete Behauptung ist: Je 
niedriger die Kultur, desto verbreiteter die Lüge — je höher die 
Kultur, desto üppiger blüht die Wahrheit. 


Eine solche Erklärung kann schwerlich zu Recht bestehen. 
Der wahrheitsliebende Perser stand auf keiner höheren Kultur- 
stufe als der listige lügenhafte Grieche. Zwischen der Kultur der 
verschiedenen wilden Stämme, von denen die einen der Lüge 
und die anderen der Wahrheit huldigen, besteht kein gradueller 
Unterschied. Und gerade bei den zeitgenössischen europäischen 
Kulturvölkern, die an der Spitze der Zivilisation schreiten, ist 
die Lüge am verbreitetsten. Man muls die Werke von M. Norpau 
(Konventionelle Lügen), Paurmann (Les mensonges des carac- 
tères, Le mensonge du monde, Le mensonge de Fart), I. G. Pa- 
LANTES (Le mensonge de groupe), G. Dromarp (Les men- 
songes de la vie), Vernon Lers (Vital Lies) u. Nierzscne (Bd. 
XI, XII, siehe sein „Wille zur Täuschung“) und ScHoPENHAUER 
lesen, um zu der Überzeugung zu kommen, dals das Urelement 
des modernen Lebens die Lüge sei. Wenn man also ein Verhält- 


I! WESTERMARCK, Ursprung und Entwicklung des moralischen Be- 
griffs. Deutsche Übers. von KATScHER, Bd. IL: Die Achtung vor Wahr- 
heit und Treue S. 602—605. LETOURNEAU, L’évolution de la morale, 
S. 231—232 und S. 405. Interessant ist die Charakteristik eines indischen 
Stammes: „Un vrai Gond peut commettre un crime, mais il ne dit jamais 
un mensonge‘. 


Beiheft zur Zeitschrift für anzewandte Psychologie. 13. d 


98 Pädagogische Nutzanwendungen. 


nis der Lüge zur Kultur formulieren will, so wäre schon der Satz. 
richtiger: Je höher die Kultur, desto häufiger wird gelogen. 

Eine zweite Erklärung Setzt die Lüge in Beziehung zur In- 
telligenz. Ein intelligentes Volk lügt, — ein schwerfälliges nicht. 
Die wilden Stämme, die sich durch ihre Wahrheitsliebe auszeichnen, 
sind zu dumm und zu unwissend, um jemand überlisten zu können. 
Aber auch diese Behauptung besteht nicht zu Recht. Die For- 
schungsreisenden berichten einstimmig, dafs viele wilden Stämme, 
die keine Lüge kannten, eine grolse Fertigkeit im Betrügen er- 
werben, sobald sie in Berührung mit den europäischen Händlern 
kommen. Das gilt nach SommerviLLE von den Eingeborenen in 
Neu-Georgien, nach Rırper für die Eingeborenen von Ambon 
und Uluax, für dieIndianer Mexikos, für viele afrikanischen Völker, 
für die Kamtschadalen und Tungusen in Rulsland!. Die Wahr- 
haftigkeit der Wilden ist also weniger Folge eines Mangels an 
Intelligenz als der Gelegenheit zu lügen. — 

Man muls also als Quelle der Lüge andere bestimmende 
Ursachen in Betracht ziehen als die ‚Kultur‘ und ‚Intelligenz‘ 
eines Volkes. Und es ist denn auch viel richtiger, wenn man in 
erster Linie als eigentliche Quelle der Lüge die soziale Diffe- 
renzierung ansieht. 

Wo zwei Gesellschaftsklassen sich gegenüberstehen, welche 
verschiedene meist widerstreitende Interessen haben, da entsteht 
die Lüge als Mittel, sich zu behaupten und die eigenen Interessen 
zu wahren. Somit können wir uns leicht erklären, dafs überall 
dort, wo Unterdrückte sind, wo es Starke und Schwache gibt. 
auch die Lüge verbreitet ist. Schon Evuriripes bemerkte. 
dafs die Sklaven lügenhaft sind. .. In der modernen Zeit be- 
richtet Livincstone, dala unter den freien Völkern Ostafrikas das 
Lügen viel weniger verbreitet ist, als unter den geknechteten. 
Bei den Chinesen, die grolse Neigung zur Lüge an den Tag legen, 
ist sie die Folge ihrer jahrhundertelangen Unterdrückung und der 
damit zusammenhängenden demütigen Furcht vor den Bean:ten. 
Fast jedes politisch unselbständige Volk hat den Ruhm grolser 
Lügenhaftigkeit. Die Völker, die grolse politische Freiheiten haben, 
gelten dagegen als wahrheitsliebend (Engländer, Skandinavier). — 

Es ist also begreiflich, dafs die Moral, die nur eine gewisse 
Regelung der gegenseitigen Beziehungen der Menschen unter- 


1 WESTERMARCK, 1. c. 2, S. 106--109. 


Pädagogische Nutzanwendungen. 99 


einander zu ihrem allgemeinen Wohl ist, die Lüge verschieden 
bewerten wird und zwar je nach ihrer Abhängigkeit von den so- 
zıalen Verhältnissen. Jede Herrenmoral wird sie rügen, jede 
Sklavenmoral wird sie rechtfertigen. Bei einem sefshaften Stamme, 
einem friedlich lebenden Volke wird sie verurteilt, weil sie gegen- 
seitiges Vertrauen und Glauben unmöglich macht — bei den 
kämpfenden Völkern wird sie als Mittel im Kampfe geduldet. 
Charakteristisch ist hier das Beispiel der Spartaner, die sonst; 
durch ihre strengen Sitten bekannt waren. Das geschickte Stehlen 
und Betrügen wurde nicht bestraft, da die Geschicklichkeit eine 
Eigenschaft eines guten Soldaten ist, ein guter Soldat aber wieder- 
um eine Garantie vor der feindlichen Übermacht ist. Ganz folge- 
richtig mit alledem war die bei einigen Völkern vorhandene dop- 
pelte Moral gegenüber der Dualität der Interessen. So sehen wir 
z. B. bei den alten Juden eine strenge Bestrafung der Unehrlich- 
keit, sofern sie gegenüber den eigenen Glaubensgenossen begangen 
wurde, und eine Toleranz derselben Hardlungsweise gegenüber 
einem Heiden oder Christen. Dasselbe gilt noch heute bei vielen 
Völkern und Stämmen!., 

Wir sehen also, dafs die bewulste Lüge als Mittel zum Zweck 
der Selbstbehauptung entsteht und als solche auch von der Moral 
der einzelnen Völker nicht getadelt wurde. Aber unabhängig von 
jeder herrschenden Moral entwickelte sich schon im Altertum von 
den Philosophen und Denkern begründet eine sittliche Bewertung 
der Lüge vom rein ethischen Standpunkte aus. Diese Bewertung, 
die mit der Zeit einen grofsen Einflufs auf die normative Ethik 
gewann, war zweifach. Die einen Denker sprachen der Liige jede 
Existenzberechtigung ab. ,,Wenn eine einzige Liige die Mensch- 
heit erlösen könnte, so wäre es besser, wenn die ganze Menschheit 
zugrunde ginge‘ — erklärt der hl. Augustinus. ‚Die Lüge ist 
so niederträchtig, dafs, wenn durch sie sogar am besten Gott ge- 
priesen worden wäre, sie den Zauber seiner Göttlichkeit schänden 
würde, während im Gegenteil die Wahrheit so vornehm ist, dals 
` die kleinsten Dinge, die sie lobt, edel werden“ — erklärt LEONARDO 
pa Vıncı. Diese Verdammung der Lüge geschieht hauptsächlich 
wegen des Schadens, den sie dem anderen Individuum bringt, 
das drückt sich schon in der rechtlichen Definition der Lüge aus: 


1 HAHN: Albanesische Studien, 1853. S. 179. WAUTERS: Létat 
indépendant du Congo, 1899, S. 297. MAKAREWICZ: Eintührung in die 
Philosophie des Strafrechts, S. 273. | 


"* 


100 Pddagogische Nutzanwendungen. 


„mendacium est falsiloquium in praejudicium alterius“. Kant 
verurteilt die Lüge nicht nur deshalb, weil sie ein anderes Indi- 
viduum schädigen kann, sondern weil sie der ganzen Menschheit 
schadet, ,,indem sie die Rechtsquelle unbrauchbar macht‘“‘1. In 
den letzten zehn Jahren hoben besonders die Psychologen die 
Schädlichkeit des Lügens hervor, die diese für den Lügenden 
selbst hat. Forrster beweist, dals die Lüge eine gewisse Willens- 
schwäche und ein solches Schwinden der menschlichen Würde 
hervorruft, dals sie das betreffende Individuum ohne Widerstand 
jeder anderen Schwäche und Schande ausliefert*. Dabei spaltet 
sie die Persönlichkeit, und deshalb wehrt sich der Selbsterhaltungs- 
trieb des Charakters gegen eine gesagte Unwahrheit?. STANLEY 
Hatt weist auf die ,niedere Gesinnung‘ hin, welche durch die 
Lüge entsteht. Sie sei nur ein Mäntelchen, um die schlechten 
Taten zu verdecken. Für das aktive Leben sei die Wahrheit die 
beste Vorbereitung. Lowınsky behauptet, dafs die Harmonie 
aller seelischen Kräfte, die ihren Ausdruck in der Persönlichkeit 
findet, durch die Lüge zerstört wird und zwar in um so höherem 
Grade, je stärker diese Harmonie entwickelt ist. Die ethische 
Wertung der Wahrhaftigkeit ist proportional der Persönlich- 
keit... Auf diese Weise erklärt Lowinsxy, dafs sich die nor- 
dischen Völker, bei welchen die persönliche Kultur stark ent- 
wickelt ist, sich durch solche Wahrheitsliebe auszeichnen. 


Andere Denker nehmen die Wahrheitsliebe nicht so rigoros. 
Sie weisen darauf hin, dafs die Lüge auch aus edlen Motiven 
entspringen kann (z. B. Verheimlichung eines Unglücks vor einem 
kranken Menschen), dafs sie ein Laster sei, welches nicht nur 
schadet, sondern auch Nutzen entweder dem Lügenden oder dem 
Belogenen bringen kann. Wenn die Lüge verurteilt wird, weil 
sie den Lügenden demoralisiert und den Belogenen schädigt, so 
kann man sie andererseits nicht als etwas Böses betrachten, wenn 
wir jemandem damit einen Nutzen bringen. Der eine ethische 
Grundsatz hält den anderen im Schach. 

Das Anerkennen der Schädlichkeit der Lüge, sei es für den 
Belogenen sei es für den Lügenden selbst, zieht natürlich die For- 


ı 8. 471. 

2 Schule und Charakter. 
3 Jugendlehre, S. 312. 
4 8. 496. 


Pädagogische Nutzanwendungen. 101 


derung strenger Wahrhaftigkeit nach sich. Bei manchen Denkern, 
wie z. B. bei Kanr ist sie absolut und geht sogar so weit, dafs sie 
die Lüge verbietet, auch wenn dadurch das Leben des Freundes 
gerettet werden könnte!. Bei denjenigen Denkern, die den Nutzen 
der Loge ane kennen, (et die Lüge in jedem ‚Notfall‘ entschuld- 
bar und die fromme Loge" darf ohne Skrupel angewendet 
werden. Merkwürdigerweise hat aber diese theoretische Zwei- 
teilung niemals zu der Frage geführt, ob man den Kindern ge- 
legentlich die Lüge erlauben kann. Das Prinzip der Pädagogik 
ist von jeher das der Wahrheit, und diese wird von den Kindern 
in rigorosester Weise gefordert. 

Jedes denkbare Mittel wird zu diesem Zweck angewendet. 
Die Lesebücher der Kinder sind überfüllt von Märchen und Er- 
zählungen, die alle die Hälslichkeit der Lüge beweisen und die 
Schönheit der Wahrheit preisen. Stets wird die Lüge von den 
Menschen und vom lieben Gott schwer bestraft. Die Katecheten 
drohen sogar mit den Höllenstrafen und mit ewiger Verdammnis 
(sehr interessant sind diese Drohungen in der ‚Pädagogischen 
Psychologie“ von L. Hasrıcnh). Dadurch wird die Angst vor der 
Strafe für die Lüge als sittlicher Hebel angewendet. Die modernen 
Pädagogen nehmen in Anbetracht der Nutzlosigkeit dieser Mals- 
nahmen andere Gefühle zu Hilfe. W. Jauzs, der prinzipiell gegen 
eine auf Negation aufgebaute Erziehung ist, rät, die Kinder zur 
Wahrheit zu gewöhnen nicht durch den Nachweis von der Häls- 
lichkeit der Lüge, sondern durch das Enthusiasmieren für die 
Wahrheit. Fr. W. FoErsTER, der berühmte Münchener Pädagoge, 
empfiehlt, durch die Erziehung mehr Mut in die Kinder zu pflan- 
zen, weil dieser dem Kinde später erlaubt, mutig einer unange- 
nehmen Tatsache gegenüber zu stehen und sich zur Schuld zu be- 
kennen ?. Gazın betrachtet den Mut als nicht genügend für dieses 
Ziel, man mülste einen Heroismus inden Kindern erziehen. STANLEY 
Hau empfiehlt, an den Ehrgeiz zu appellieren, an die eigene Würde 
und die Selbstbeherrschung. Wieder andere fordern statt dieser 
„Gymnastik des Wollens‘ bei Kindern das gute Beispiel durch den 
Lehrer, als den am meisten wirksamen Faktor. (Der Einfluls 
geht von Trieb zu Trieb, vom Willen zum Willen, nicht vom In- 
tellekt zum Willen.) Guyvau schlägt sogar die Ausrottung der 
Lüge vermittels Suggestion und Hypnose vor. 


1 S. 216. 
2 Schule und Charakter, S. 25--42. 


102 Pädagogische Nutzanwendungen. 


Die zeitgenössischen Pädagogen beschränken sich nicht auf 
diese von einzelnen Personen gemachten Vorschläge und Be- 
strebungen, sondern sie wollen die Propaganda für ihre An ‚ichten 
im grofsen Malse betrieben sehen. In verschiedenen Ländern 
wurden „Ethische Ligen‘ gebildet, die in ihrem Programm die 
Charakterbildung, folglich auch die Entwicklung der Wahrhaftig- 
keit bei den Kindern haben. Solche Gesellschaften sind : in England 
die ,, Moral Educational League“, in Frankreich die „Ligue française 
de l'instruction morale“ und die ,,Ligue de Bonté“, in Deutschland 
die „Deutsche Gesellschaft für ethische Kultur“, in Amerika exi- 
stiert eine Ethische Gesellschaft, die von ADLER gegriindet wurde. 
Damit Schule und Haus nicht verschiedene Ziele verfolgen, wurden 
in den letzten Jahren zahlreiche Vereinigungen der Schule und der 
Familie gebildet, wie z. B. die ,, Association des parents d’éléves des 
lycées“ (lycée Carnot, lycée de Reims), ,,Société libre pour l’ötude 
psychologique de l’enfant‘, ‚Ligue des medecins et des familles“, 
, Associations scolaires des péres de famille‘ in Frankreich, ,,Pa- 
rent’s National Educational Union“ in England, ,,Ligue belge de 
VYéducation familiale‘‘ in Belgien, ‚Home and School Ligue“, 
„Mothers Union“, ‚Bostons Home and School Association‘ in 
Amerika, ‚Elternabende‘ in Deutschland und Österreich, schliefs- 
lich in Polen, nämlich in Warschau der während der Revolution 
auch in Lodz existierende Verein ‚Kolo rodzicöw, i wycho- 
wawcow“, 

Alle diese Bestrebungen der Pädagogen haben jedoch nur 
sehr wenig positive Resultate gezeitigt. Die Kinderlüge floriert 
heute trotz der Mittel der modernen Pädagogen ebenso üppig wie 
früher, wo es keine pädagogischen Kunstgriffe gab. Ein klein 
wenig mag ja daran die theoretische Uneinigkeit der betreffenden 
Kreise in der Frage der Verwerflichkeit der Lüge die Schuld tragen. 
Es gibt Lehrer, die das Kind für jede Lüge streng bestrafen, es 
gibt aber auch andere, die gegenüber einer Lüge ein Auge zu- 
drücken, sodafs das Prinzip der Wahrheit seine Autorität ver- 
liert und ein und dasselbe Kind schliefslich den einen Lehrer be- 
lügt, den anderen dagegen nicht. In meiner Erhebung fanden 
sich 4 Bemerkungen dieser Art: ‚Ich belüge die Lehrer, aber 
nicht alle, denn nicht jeden kann ich belügen.‘“ — Aus diesem 
Grunde hat auch W. Forrster (Prof. d. Astronomie in Berlin) 
auf dem 5. Kongrefs fiir sittliche Erziehung in London 1908 
cine Verständigung der Pädagogen in den sittlichen Grundsätzen 


Pädagogische Nulzanwendunyen. 103 


gefordert. Zu einer solchen Verständigung kam es jedoch nicht, 
weder auf dem Londoner Kongrels noch vier Jahre später auf 
dem Kongrels im Haag. Man darf sich aber auch nicht täuschen: 
auch eine etwaige Einigkeit der Lehrer untereinander über diese 
Frage würde auf das Handeln der Kinder keinen Einflufs ausüben. 
Diese Uneinigkeit ist doch nicht die Quelle der Kinderlüge. 

Wie diese Erhebung bewiesen hat, sind es hauptsächlich die 
praktischen Erwägungen, die das Kind zum Lügen bewegen. 
Das Kind rechnet gut, und wenn es ohne eine Lüge eine schlechte 
Note und mit Hilfe einer Lüge eine gute Note bekommen kann. 
wenn es ohne zu lügen bestraft und durch eine Lüge unbestraft 
bleiben wird, so wird es gerne die Lüge mit in Kauf nehmen. 
Nicht leiden zu müssen, das ist das Ziel des Kindes. Die Erzieher 
und Eltern mögen dagegen wettern soviel sie wollen — die ge- 
priesene Schönheit der Wahrheit wird das Kind nicht dazu be- 
wegen, darum die bösen Folgen irgendeiner Tat zu erleiden. Das 
Kind benimmt sich in dieser Beziehung wie ein Erwachsener und 
sein Erhaltungstrieb drängt es instinktiv zu der richtigsten d.h. 
zu der ihm nützlichsten Handlungsweise. 

In eineı Diskussion in der polnischen Gesellschaft für Kinder- 
forschung, wo ich die Ergebnisse dieser Erhebung vorlas, wurde 
mir eingeworfen, dafs dieser praktische Sinn der Kinder nur eine 
lokale Eigenschaft der Lodzer Kinder sei, weil diese ja fortwährend 
nur von Geschäften, Betrug usw. hören. Das trifft aber nicht zu: 
der praktische Sinn ist eine Eigenschaft der Kinder aller Orte. 
Als Beleg dafür kann die schon oben erwähnte kleine Arbeit von 
MEssMER dienen, in welcher.er einige Beispiele von seiner Erhebung 
in einem Lehrerseminar über die Notlüge angibt. Die Sentenzen 
seiner Schüler zeigen eine frappante Übereinstimmung mit den 
Antworten der Lodzer Kinder. In dem ersten angegebenen Bei- 
spiel sagt der Schüler: ‚In diesem Fall ist die Notlüge besser als 
die Wahrheit.“ — In dem dritten Beispiel heifst es: ‚Sie (die 
Luge) hat mich auch niemals geargert, sondern gefreut, weil der 
Nachbar nichts aufbringen konnte‘, in dem sechsten: ‚es war 
mir dabei, als mülste ich den Bruder retten durch die Lüge und 
ich schätzte sie in diesem Falle höher als die Wahrheit‘‘t. Ich 
glaube, dafs auch in jeder anderen Schule. wo man eine solche 
Erhebung rationell durchführte, die Antworten ebenso lauten 
würden. 


28. 140—142. 


104 Pädagogische Nutzanwendungen. 


Wen das durch diese Erhebung gewonnene Bild der Kinder- 
lügen erschreckt, der soll sich bei dem Gedanken beruhigen, dafs 
es nur eine Miniatur der Welt der Erwachsenen ist. Die Gesell- 
schaftsordnung, in der wir leben, und die bei der Allgemeinheit 
schliefslich so wenig Proteste hervorruft, bringt konsequent diese 
Resultate mit sich. Wir haben in dem Vorwort gesehen, für wie- 
viel Arten der Lüge ein Kind aus physiologischen Gründen nicht 
verantwortlich sei, aber wir sehen jetzt, dafs es auch nicht ver- 
antwortlich sein kann für eine bewulste Lüge, da die Notwendig- 
keit es dazu drängt. Diese Notwendigkeit ist in den fatalen Fa- 
milienverhältnissen, in denen kleine Kinder immer noch als „Ob- 
jekte“ und in einem noch schlimmeren Schulsystem, in dem die 
Kinder nur eine „Nummer“ sind, begründet. Infolgedessen be- 
findet sich das Kind ununterbrochen unter einer „Gewalt“, die 
ihm gegenüber das Recht der Strafe besitzt. Solange also innerhalb 
dieser beiden Institutionen keine radikalen Veränderungen ein- 
treten werden, so lange werden wir das pädagogische Ideal — 
der absoluten Wahrhaftigkeit nicht erlangen können. Die be- 
wulsten Lügen der Kinder sind, wie die der Erwachsenen. 
meist sozialer Natur und sie können nicht durch rein pädago- 
gische, sondern nur durch soziale Mittel ausgerottet werden. 

Unter diesem Gesichtspunkt muls man übrigens auch sagen, 
dafs eigentlich alle diejenigen Pädagogen, die aus den Kindern 
absolut wahrhaftige Wesen zu erziehen streben, diese der Gefahr 
ähnlicher tragischer Zusammenstölse aussetzen, wie sie [IBSENS 
Helden durchgelebt haben. Der französische Psychologe Ducas 
sagt darüber: „La sincerite absolue en education n’est ni désirable 
ni possible. .. Quant à séduire les âmes enfantines en prêchant un 
idéal généreux et sublime c’est un peu criminel et dangereux.“ 
— Und wirklich, ein Kind, das nach den ausgezeichneten Wei- 
sungen von STERN (bis zum 8. Jahr!) und nach den Erziehungs- 
Dänen von Fr. W. Foerster in gré{ster Wahrhaftigkeit erzogen 
wird, und das später im Leben auf Schritt und Tritt auf Lüge und 
Betrug stölst, ein solches Kind hat alle Aussicht, dies mit einer 
moralischen Katastrophe bezahlen zu müssen. Es wäre wirklich 
interessant zu erfahren, wie ein Kind, das nach dem pädagogischen 
Wahrheitsideal erzogen wurde, und das ‚noch niemals gelogen 


t Siehe das vortreffliche Buch: Erinnerung, Aussage und Lüge in 
der ersten Kindheit. 


Piidayoyische Nutzanwendungen. 105 


hat‘, auf die gegenwärtig in den Zeitungen sich ständig wieder- 
holenden Notizen über die Lügen, deren sich die Völker jetzt 
täglich gegenseitig beschuldigen, reagiert. Werden solche und 
ähnliche ‚Lebenserfahrungen“ nicht schon in einer einzigen 
Stunde das vernichten, woran die Pädagogen Jahre gearbeitet 
haben ? 

Venn man also die Wahrheit als unbedingtes Prinzip der 
Pauagogik aufstellen will, so müssen die Formen des sozialen 
Lebens eben auch solche sein, dafs man nicht täglich und stünd- 
lich der Gefahr ausgesetzt sein darf, die Lüge anwenden zu müssen, 
um sich vor Schaden zu bewahren. Die Erziehung zum Herois- 
mus, um sich der Lüge auf Schritt und Tritt entziehen zu können, 
wie es z. B. Gazın fordert, ist unmöglich. Heroisch kann eine 
einzelne Tat sein, da sie die höchste Kräfteanspannung fordert. 
Einen solchen Zustand sozusagen in Permanenz zu erreichen ist 
jedoch schon aus rein physiologischen Gründen nicht möglich. 
Statt also solche gewaltsamen Forderungen an den menschlichen 
Organismus zu stellen, wäre es doch vernünftiger, die Gelegen- 
heiten zum Lügen hinwegzuräumen. Man wird die Lüge am 
gründlichsten ausrotten, indem man sie überflüssig macht. Die 
Pädagogen müssen sich also, wenn sie zweckmälsig handeln wollen, 
mit ihren Forderungen nicht an die Kinder, sondern an die Sozio- 
logen wenden. Wenn nun aber demgegenüber das Bedenken be- 
steht, dafs der Bau unseres sozialen Lebens ein solch festes Ge- 
bilde sei, dafs an ihm nicht zu rütteln sei, wäre es dann nicht 
vielleicht vernünftiger, wenn man am Prinzip der Wahrhaftigkeit 
etwas änderte? 

Beide Wege stehen zu ermitteln. Sie seien den Theore- 
tikern und den pädagogischen Kongressen zum Nachdenken über- 
lassen. Das Resultat der vorliegenden Arbeit ist, dafs es nur 
diese zwei Wege zur Vermeidung der Kinderlüge gibt, Tertium 
non datur. 


106 Literatur. 


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1 Aus technischen Gründen war es mir nicht möglich, die gesamten 
französischen und englischen Arbeiten auf diesem Gebiete anzugeben. 


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BKi Beiträge zur Kinderforschung und Heilerziehung. Her.: Trürkk. 
Langensalza, Hermann Beyer & Söhne. 

BPsAu Beiträge zur Psychologie der Aussage. Her.: Stern. Leipzig. 
J. A. Barth. 

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l’enfant. Paris, F. Alcan. 

DBlErzUnterr Deutsche Blätter für erziehenden Unterricht. Her.: Mann. 
Langensalza, Hermann Beyer & Söhne. 

DSc Die deutsche Schule. Her.: Rissmann. Leipzig, J. Klinkhardt. 

JPsPa Journal de Psychologie Normale et Pathologique. Her.: JANET, 
Dumas. Paris, F. Alcan. 

NeuJbKlaAlt Neue Jahrbücher für das klassische Altertum. 

OeRd Oesterreichische Rundschau. Her.: v. BERGER, GLASSY, CHLUMECKY, 
v. OPPENHEIMER. Wien-Leipzig, Carl Fromme. 

PdMa Pädagogisches Magazin. Abhandlungen vom Gebiete der Pädagogik 
und ihrer Hilfswissenschaften. Her.: Mann. Langensalza, Hermann 
Beyer & Söhne. 

Ji Dead Pädagogisch-psychologische Studien. Her.: SEYFERT. Leipzig. 
E. Wunderlich. 


Abkürzungen. 112 


Pd&e Pedagogical Seminary. Her.: Hart. Worcester, Florence Chandler. 

PdWa Pädagogische Warte. Her.: Berrz, Rupe. Osterwieck a. Harz, Zickfeld. 

RPhF Revue philosophique de la France et de l’Etranger. Her.: Rısor. 
Paris, F. Alcan. 

SemMd La Semaine médicale. 

SmAbPdPs Sammlung von Abhandlungen aus dem Gebiete der pädagogi- 
schen Psychologie und Physiologie. Her.: ZIEGLER, ZIEHEN. Berlin, 
Reuther & Reichard. 

WiBeilJber PhGesWien Wissenschaftliche Beilage zum Jahresbericht der 
Philosophischen Gesellschaft an der Universität Wien. Leipzig, 
J. A. Barth, 

ZAngPs Zeitschrift für angewandte Psychologie. Her.: STERN, LIPMANN. 
Leipzig, J. A. Barth. 

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Otto Nemnich. 

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ZJySchw Zeitschrift für die Erforschung und Behandlung des jugendlichen 
Schwachsinns auf wissenschaftlicher Grundlage. Her.: Voer. Jena, 
Gustav Fischer. 

ZKi Zeitschrift für Kinderforschung mit besonderer Berücksichtigung der 
pädagogischen Pathologie. Her.: Triiper. Langensalza, Hermann Beyer 
& Söhne. 

ZPdPs Zeitschrift für pädagogische Psychologie und experimentelle Pida- 
gogik. Her.: SCHEIBNER, STERN. Leipzig, Quelle & Meyer. 

ZPs Zeitschrift für Psychologie. Her.: Scuumann. Leipzig, J. A. Barth. 

ZbPsa Zentralblatt für Psychoanalyse und Psychotherapie. Medizinische 
Monatsschrift für Seelenkunde. Her.: Stecker. Wiesbaden, J. F. 
Bergmann. 


qs. Patz sche Buchdr. Lippert & Co. G.m.b. H., Nauinburg a. d.s. 


BEIHEFTE 


Zeitihriit für angewandte Pivdologie 


| Herausgegeben von | 
| WILLIAM STERN und OTTO DIPMANN. 


| 
| ooo ooo sooo oso |, + SS 292090 
| 









Das Taitleien der Blinden- 
punktidrift 


Karl Bürklen. 


Nebit kleinen Beiträgen zur Blindenpivdıologie 
von P. Grasemann, h. Cohn, W. Steinberg... . .:-- 


| dë 
at "es 
| Mit 16 Abbildungen im Text und 6 Tafet. ~~ = > 





beipzig 1917. 
Verlag von Johann Ambrotius Barth. 
Dörrienstr. 16. 





Verlag von Johann Ambrosius Barth in Leipzig. 


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Zeitschrift für angewandte Psychologie 


Herausgegeben von 
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6 Hefte bilden einen Band von etwa 36 Bogen mit mehreren Tafeln. Preis des Bandes 20 M. 
Der 12. Band ist im Erscheinen begriffen. 


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sonderer Berücksichtigung ihrer Verwertbarkeit für anderweitige praktische und wissen- 
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Zeitschrift für angewandte Psychologie 


Herausgegeben von 
William Stern und Otto Lipmann. 
Die Beihefte sind einzeln käuflich. 


Heft 1. Otro Lirmaxn. Die ae interessebetonter Erlebnisse und ihre EE 
Theorie, Methoden und Ergebnisse der „Tatbestandsdiagnostik“. IV, 96 S 


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Alters- und Begabungs-Unterschiede bei Schülern. VI, 213 Seiten. M. 6.40 


Heft 3. W. Berz. Über Korrelation. VI, 88 S. M. 3.— 


Heft 4. Pıur Marcıs. E. T. A. Hoffmann. Eine Individualanalyse mit 2 Faksimiles, 
2 Stammtafeln und 2 graphologischen Urteilen. VIII, 220 S. M. 7.— 

Heft 5. Vorschlige zur psychologischen Untersuchung primitiver Menschen ge- 
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logische Sammelforschung (Institut der Gesellschaft fiir experimentelle Psychologie). 
1. Teil. IV, 124 Seiten mit 1 Tafel im Text. M. 4.— 


Heft 6. Ricwarp eer Ethno-psychologische Studien an Südseerölkern auf 
dem Bismarck-Archipel u. den Salomo-Inseln. IV, 163 S. mit 21 Taf. M.9.— 


Heft 7. Fritz Gıese. Das freie literarische Schaffen bei Kindern und Jugendlichen. 
2 Teile. XVI, 220 u. IV, 242 Seiten mit 4 Abbildungen. 1914. M. 14.— 


Heft 8. Herea Exe. Abstrakte Begriffe im Sprechen und Denken des Kindes. VI, 
112 Seiten. 1914. M. 3.60 

Heft 9. Hermann Daum. Korrelative Beziehungen zwischen elementaren Vergleichs- 
leistungen. Ein Beitrag zur psychologischen Korrelationsforschung. IV, &4 Seiten 
mit 4 Abbildungen, 31 Tabellen und 4 Tafeln. 1914. M. 2 


Heft 10. Grorc BranpELu. Das Interesse der Schulkinder an den Unterrichtsfächern. 
IV, 168 Seiten mit 37 Figuren. 1915. M. 5.60 


Heft 11. Curr Pıorkowskı. Beiträge zur psychologischen Methodologie der wirt- 
schaftlichen Berufseignung. IX, 84 S. 1915. M. 3.— 


Heft 12. Jugendliches Seelenleben und Krieg. Materialien und Berichte. Unter Mit- 
wirkung der Breslauer Ortsgruppe des Bundes für Schulreform und von O. Bobertag, 

W. Dix, C. Kik, A. Mann herausgegeben von WiLLıam STERN. 181 Seiten 

mit 15 Abbildungen. 1915. M. 5— 


Heft 13. Ta. Vatentixer. Die Phantasie im freien Aufsatze der Kinder und Jugend- 
lichen. VI, 168 S. mit 1 Kurventafel. 1916. M. 5.60 
Heft 14. Orro Lırmann. Psychische Geschlechtsunterschiede. Ergebnisse der differen- 
tiellen Psychologie. Zwei Teile. IV, 108 und 172 Seiten mit 9 Kurven im 


Seit 1911 erscheinen: 


Text. 1917. M. 12.— 
Heft 15. Franziska BAUMGARTEN. Die Lüge bei Kindern und Jugendlichen. Eine Um- 
frage in den polnischen Schulen von Lodz. IV, 111 Seiten. 1917. M. 4.20 


Heft 16. Kızı, Bürkıen. Das Tastlesen der Blindenpunktschrift. Nebst kleinen Bei- 
trägen zur Blindenpsychologie von P. Grasemann, L. Cobn, W. Steinberg. 93 Seiten 
mit 16 Abbildungen im Text und 6 Tafeln. 1917. M. 5.60 


BEIHEFTE 
Zeitidrift fir angewandte Piyhologie 


Herausgegeben von 
WILLIAM STERN und OTTO LIPMAN. 


9922922222200. 1. ©2222 OO 


Das Taitleien der Blinden- 
punkticriit 


Karl Bürklen. 


Mebit kleinen Beiträgen zur Blindenpipdıologie: 
von P. Grasemann, h. Eohın, W. Steinberg. _ 





beipzig 1917. 
Verlag von Johann Ambroßus Barth. 
örrienstr. 16. 


II 


Vorbemerkung. 


Eine Reihe von Beiträgen zur Blindenpsychologie, die der 
Zeitschrift für angewandte Psychologie zur Verfügung gestellt 
wurden, werden in der Form eines Beiheftes herausgegeben, um 
sie auch den Blindenanstalten, Blindenpädagogen und Augen- 
ärzten gesondert zugänglich zu machen. 

Den Hauptteil des Heftes bildet eine systematische experi- 
mentell-psychologische Untersuchung des Blindenanstaltsdirektors 
BüRKLEN (Purkersdorf bei Wien) über die psychologischen Vor- 
gänge und die Ökonomie des Tastlesens der Punktschrift.. 

Von den kleineren Beiträgen steht die Arbeit des Hamburger 
Blindenlehrers (jetzigen Frankfurter Anstaltsdirektors) GRASEMANN 
der Hauptabhandlung inhaltlich nahe und ist geeignet, diese 
nach einer bestimmten Seite hin zu ergänzen. 

Einen anderen Charakter haben die beiden aus Vorträgen 
hervorgegangenen Aufsätze der Herren Dr. Comun und W. StEm- 
BERG. Die Verfasser sind akademisch gebildete Blinde, die auf 
Grund ihrer Selbstbeobachtung sowie vielseitiger Erfahrungen an 
Schicksalsgenossen einen Gesamtüberblick über die Eigenart 
der Blindenpsyche zu geben versuchen. Hierbei gewinnt die 
Nebeneinanderstellung der beiden Schilderungen dadurch an 
Interesse, dafs die Verfasser augenscheinlich verschiedene Ideale 
vertreten: während der eine die Kluft, die zwischen dem Blinden 
und dem Sehenden besteht, möglichst zu verringern strebt, be- 
tont der andere mit vollem Bewulfstsein die vorhandenen Ver- 
schiedenheiten und fordert die Entwicklung einer besonderen, 
dem Erleben des Blinden angemessene, Persönlichkeitsform. 


IV Inhalt. 


Mir scheint, dafs dieser Gegensatz selbst psychologischer 
Natur ist; vermutlich gehören die beiden Verfasser verschiedenen 
Typen an, die beide in der Blindenwelt zahlreiche Vertreter haben. 
Eine solche Typenscheidung könnte gerade in unseren Zeiten be- 
sondere Bedeutung gewinnen, da es sich darum handelt, die zahl- 
reichen Kriegsblinden in ihrem Seelenleben richtig zu verstehen 
und entsprechend zu behandeln. 

Angehängt ist den Mitteilungen ein kurzer Bericht über eine 
jüngst erschienene Broschüre zur Blindenpsychologie. 


W. Stern. 


Inhalt des Beihefts. 


e Seite 


I. K. Bünkıen. Das Tastlesen der Blindenpunktschrift 
nach besonderen Versuchen zu dessen Erforschung 1 


II. Kleine Beiträge zur Blindenpsychologie. 


P. Grasemann. Das Tastlesen . . . . 57 

L. Commn. Beiträge zur Blindenpsychölogis ‘auf Grund von | Selbat- 
beobachtungen. . . . der ee e EE 

W. Stemsere. Der Blinde als Persönlichkeit . e ae Ai, Bh. ey ie OS 


Bericht über: F. von Gegnarpt. Aus dem Seelenleben des Blinden 94 


I. 
Das Tastlesen der Blinden-Punktschrift 


nach besonderen Versuchen zu dessen Erforschung. 


Von 


kant, BÜRKLEN, 
Direktor der n.-ö. Landes-Blindenanstalt in Purkersdorf bei Wien. 


(Mit 6 Tafeln und 16 Abbildungen im Text.) 


Einbegleitung. 


Das Problem des Tastlesens in seiner Gesamtheit zu erfassen, 
ist bei dem Mangel an Vorarbeiten und dem lediglich auf Er- 
fahrung und Beobachtung beruhenden, spärlichen und zer- 
streuten Materiale ein schwieriger Versuch. Ich betrachte des- 
halb auch vorliegende Arbeit durchaus nicht als vollkommen und 
abgeschlossen, sondern nur als grundlegend für weitere For- 
schungen. 

So sehr ich mich auch selbst bemühte, die gestellte Aufgabe 
nach Kräften zu bewältigen, so bin ich doch gezwungen, mit Dank 
der wertvollen Mithilfe zu gedenken, die mir durch die Herren 
Professor Dr. W. Stern in Hamburg, Professor Dr. W. KAMMEL 
in Wien und Blindenlehrer P. Grasemann in Hamburg zuteil 
wurde. Meinen Fachkollegen sei damit gezeigt, welch grofsem 
Interesse jede Arbeit auf dem Gebiete der Blindenpsychologie 
in Forscherkreisen begegnet, sicher ein Ansporn zu allgemeiner 
Betätigung. 
| Der Verfasser. 


Beiheft zur Zeitschrift für angewandte Psycholozie. 1. 1 


Karl Bürklen. 


Inhaltsverzeichnis. 

Seite 
Geschichtliches über die Punktschrift . 2 
Die Punktschrift . : 4 
Eignung der Punktschrift für das Tastlesen:., 7 
Das Leseorgan š been g 9 
Der Vorgang beim Tastlesen : 13 
Schnelligkeit des Tastlesens . 18. 

Untersuchungen über die Lesbarkeit, fErkennbarkeit) der Punkt- 
schriftzeichen D e ta hs Sel E í 20: 
Charakteristik der Punktschriftzeichen : i 26. 

Versuch zur EES der Tastbewegungen mittels des test, 
schreibers“ : d ; yr Sie et ën 28 
Die Versuche und ihre Ergebnisse 30: 

1. Versuch. Die Tastbewegungen eines Deeg ‘Gein 
Lesen einzelner Zeichen . . . . - SU 

2. Versuch. Die Tastbewegungen eines Lesétingerd KH 
Lesen von Worten und Sätzen 2 35 

3. Versuch. Beantwortung folgender Fragen: 

Welche Finger besitzen die Fähigkeit, zu lesen? 37 
Welcher Finger liest am besten?. 38. 

Welcher von den Zeigefingern (bzw. Mittelöngern) liest 
am schwersten ? e 2 EN 99 

Welche Finger werden gewöhnlich zum Deseni ge- 
braucht? . 39 
4. Versuch. Lesen einzelner: Zeichen it zwei ringen: 40 

5. Versuch. Lesen von Worten in einem Satze durch zwei 
Lesefinger (beide Zeigefinger) . . . By ck 42 
6. Versuch. Aufzeichnung der Druckstärke beim Tastiesen 42 

7. Versuch. Veränderungen der Tastfähigkeit während des 
Tastlesens . 46. 
8. Versuch. Leaeproven inbezug auf Hë Leseflüchtigkeit 54 
Vorschläge zur Erhöhung der Leseflüchtigkeit. 56 

Das Tastlesen und die neueren Forschungen über die Tastempfin- 
dungen und das Augenlesen. ; 58 
Zusammenfassung der Versuchsersebniase 3 63 
65 


Literatur 


Geschichtliches über die Blindenschrift. 


Die Erkenntnis, dals die Finger des Blinden Augen seien, 
führte schon frühzeitig zu dem Versuche, die Schrift der Sehenden 


für die Blinden tastbar herzustellen. 


Aus Holz geschnittene und 


aus Draht geformte Buchstaben sind bereits aus alter Zeit be- 
kannt. Aber erst die Buchdruckerkunst liefs die Herstellung 


Das Tastlesen der Blinden-Punktschrift. 3 


eines tastbaren Schriftdruckes möglich erscheinen. Tatsächlich 
wurden diesbezüglich bereits im 16. Jahrhundert flüchtige Ver- 
suche unternommen, doch erschien das erste Buch in Reliefdruck 
für: Blinde erst im Jahre 1786. Es war die von dem Begründer 
des Pariser Blindeninstituts V. Haüy verfafste „Abhandlung über 
die Erziehung blinder Kinder“. Das Buch war von besonders 
geschnittenen Lettern auf feuchtem Papier in einem schwachen 
Relief gedruckt worden. Haüy wählte anfangs für seine Relief- 
Blindendrucke die am Ende des 18. Jahrhunderts allgemein ge- 
bräuchlichen Kursivschriftformen in Grofs- und Kleinbuch- 
staben und hielt dadurch an einer einheitlichen Lese- und Schreib- 
schrift fest (Tafel I, Nr. 1). In den ersten Jahrzehnten des 
19. Jahrhunderts wurden die Kursivschriftformen jedoch bereits 
durch die einfacheren und leichter tastbaren Antiquaformen 
ersetzt. Die von dem Nachfolger Haitys, P. Durav, herrührenden 
Grofsbuchstaben dieser Schrift (Tafel I, Nr. 2) enthielten noch 
manche Nebensächlichkeiten, doch wurden die Formen bei wech- 
selnder Gröfse immer mehr vereinfacht (Tafel I, Nr. 3—5). Bei 
der technischen Herstellung des Antiquadruckes unterschied man 
den Linien- (Nr. 2 und 5), Stachel- (Nr. 3) und Perldruck 
(Nr. 4). Diese Druckarten gehen nebeneinander und erlöschen 
mit der Aufgabe der Antiquaformen in der zweiten Hälfte des 
vorigen Jahrhunderts. 

Den Blindenpädagogen genügten auch die Antiquaformen 
in bezug auf leichte Erfassung nicht, und es wurden daher mannig- 
fache Versuche zu einer weiteren Vereinfachung angestellt. Die 
Gatische Runenschrift (Tafel I, Nr. 6) bedeutete bereits eine 
starke Abänderung der Antiqua, denn einzelne Formen liefsen 
die ursprünglichen Zeichen nur mehr schwer erkennen. Noch 
weiter von ihren Vorbildern entfernte sich die Moonsche Blin- 
denschrift (Tafel I, Nr. 7), so dafs die Zeichen für Sehende 
unlesbar wurden und damit bereits eine spezifische Blindenschrift 
geschaffen war, die aber immer noch, wenn auch an möglichst 
einfachen und charakteristischen Linienformen festhielt. 

Die Lösung des Problems einer vollendeten Blindenschrift 
gelang jedoch nicht auf diesem Wege. Sie ergab sich vielmehr 
aus der Tatsache, dafs für das Tastgefühl der Punkt das ein- 
fachste Gebilde sei und daher eine Blindenschrift aus Punkten 
zusammengesetzt sein müsse. Die Erfahrung lehrte, dafs gegen- 


über dem Linienrelief das Punktrelief leichter zu tasten ist. Das 
1* 


4 Karl Bürklen. 


zeigte schon der Stachel- und Perldruck. Aufserdem war durch 
eine Punktschrift die verloren gegangene Einheitlichkeit von Lese- 
und Schreibschrift wieder herzustellen. 

Gedanke und Ausführung der Idee, aus Punkten eine Blinden- 
schrift zusammenzustellen, rühren von dem Franzosen L. BARBIER 
her, der sich mit der Telegraphie beschäftigte. Er stellte nicht 
nur ein System für eine solche Schrift auf, sondern schuf auch 
eine Schreibtafel, mittels der sich seine Punktschrift leicht her- 
stellen liefs. Wohl erwies sich sein System, das im Pariser In- 
stitut im Jahre 1821 Eingang fand, aus mehreren Gründen als zu 
umständlich, fand jedoch durch den Zögling L. BRAILLE eine 
geniale Vereinfachung. Als Brauznuesche Punktschrift (Tafel I, 
Nr. 8) hat sie dann ihren Siegeslauf durch die Blindenwelt an- 
getreten. Wohl gab es noch einen harten Kampf zwischen ihr 
und den Linienschriften, aber die Jahre 1850 bis 1870 entschieden 
endgültig den Streit mit der allgemeinen Annahme der Punkt- 
schrift (16, 1917, S. 691). 


Die Punktschrift. 


Die Brartiesche Punktschrift beruht auf einer Gruppie- 
rung von Punkten auf einem Sechspunktfelde, das zwei senkrechte 
Reihen zu je drei Punkten untereinander oder drei wagrechte 
Reihen zu je zwei Punkten nebeneinander enthält. Dieses ge 
Sechspunktsystem bietet nicht nur die Möglichkeit einer aus- @@ 
reichenden Zahl von Kombinationen, sondern gestattet noch 
eine simultane Erfassung der Zeichen und palst sich in seiner 
Rechteckform der Tastfläche des lesenden Fingers gut an. Die 
Bezeichnung der Punkte durch Ziffern geschieht derart, dals die 
Punkte der links stehenden senkrechten Reihe mit 1, 2, 3, die 
der rechts stehenden mit 4, 5 und 6 belegt werden, so ı@@« 
dals in den wagrechten Reihen die Punkte 1 und 4, 2 
und 5 sowie 3 und 6 nebeneinander stehen. | 

BRAILLE wählte von den möglichen Kombinationen der oberen 
vier Punkte unter Ausscheidung jener Gruppierungen, welche 
Anlals zu Verwechslungen geben können, die einfachsten für die 
ersten zehn Buchstaben des Alphabetes A bis J aus und nannte 
sie Grundzeichen, weil mit ihrer Hilfe alle anderen Zeichen 
leicht zu bilden sind. Es sind dies folgende: 


En 


Das Tastlesen der Blinden-Punktsehrift. 


@ ; ® z TI BO © f TI oo ® z R ® z ® 
À 2 © 2 7 5 j ® S ® ® e © ®® © . (X) 
e e e e . r e e e e ® e e e e s + 


A B © D E F G H I J 


Durch Hinzufügen des linken unteren Punktes (Punkt 3) zu 
den Grundzeichen erhielt er eine zweite Reihe für die Buch- 
staben K bis T. 


e. ©. ee og 
.. @.- . e 
©. ọ. © 

K L M 


Die weiteren Buchstaben des Alphabetes (W fehlt unter den 
französischen Zeichen) ergaben sich durch Hinzufügung der beiden 
unteren Punkte 3 und 6 zu den Grundzeichen: 


ee ee ee ee ee 
U Vv A Y Z 


und weitere Zeichen für akzentuierte Vokale, Umlaute usw. durch 

Verbindung des rechten unteren Punktes 6 mit den Grundzeichen. 
Schlielslich verwendete BRILLE die Grundzeichen durch 

Tieferstellung um eine Punktreihe als Satzzeichen: 


©. @: ee ee e. ee 0680 © d -@ 
- @- d -© ©- 080 LR 8@: E 
9 5 ° e ? ! () a * > 
°@ 


und durch Voransetzen eines eigenen Zifferzeichens oe nochmals 
die Grundzeichen als Bezeichnungen ftir die Ziffern. Wo dieses 
Zifferzeichen einem Grundzeichen vorgestellt ist, bedeutet dasselbe 
nicht mehr einen Buchstaben, sondern eine Ziffer und zwar: 


d ©: E ee ee ©. oo 00 e: ->È -© 
© © d CH e ee 90: EK 
1 2 3 4 5 6 T 8 9 


Trotzdem sich bei der praktischen Verwendung der BRAILLE- 
schen Punktschrift manche Mängel zeigten, wurden der Einheit- 


6 Karl Biirklen. 


lichkeit wegen die französischen Zeichen auch für das deutsche 
Alphabet beibehalten und nur besondere Zeichen für die Buch- 
staben w, st usw. hinzugefügt. 


Deutsches Alphabet. 


©. ©. 00 eg e oe og e -@ 
0: -@ -© ©. 00 oe e: O00 
A B © D E F G H I J 
©. ©- 00 OO ©- oe og ©. oe oa 
.. ©. .. .© -© ©- 00 OO ©- og 
e ©. ©. oe o o o o 0: ©: 
K L M N O P Q R $S T 
©. ©- oe oo ©- -@ -© 
e œ ®- e e -@ -@ ©. o o 
gë ée oe OO eg ee 00 
U vV X Y 42 SZ ST 
©. ©. 00 ege ©. oe -© .© -@ © 
. AA .. -@ -@ ®® e oo e o 


.® -© © e e ee -® -® © e. ee oe. 
AU EU EI CH SCH Ë () W ÄU IE Ä 


ee: ©. ee ee ® a - oe. eo 998 O0. :®© -© a 
©.. @: EC 98 -© ® 00 00 0. ee -© 
ee - ae Ce Ze ee VB u. x be og dé 
1 2 3 4 5 6 T 8 9 QO — Ziffer- 
zeichen 

® ©. 680 @20 ® - 80 99 9- -@ -© 

. -@ -© Ọ- 00 00 80: O00 


Gedankenstrich u. Apostroph. 
Abteilungszeichen 


Hierzu kommt noch ein Vernichtungszeichen eg durch 
welches ein fehlerhaft geschriebener Buchstabe ungültigerklärt wird. 
Die grofsen Vorzüge der BrarLLEschen Punktschrift gegen- 
über jeder anderen Blindenschrift liegen in der leichten Erlern- 
barkeit, in der guten Tastbarkeit und der einfachen schriftlichen 
Darstellung. Zur Erlernung gentigt die Kenntnis der Grund- 


Das Tastlesen der Blinden-Punktschrift. 7 


zeichen, aus denen sich die meisten anderen Zeichen ableiten 
lassen und die Einprägung der aufserhalb der Reihen stehenden 
Buchstaben. 

Das vorstehende Alphabet ist jenes der sogenannten Voll- 
schrift, bei der jedem Laut ein Zeichen entspricht, während 
es sonst noch in der Punktschrift eine Art Stenographie, die 
Kurzschrift, gibt, ebenso wie die Punktschriftzeichen auch 
noch anderweitig zur Darstellung der Musiknoten dienen. 
Wir ziehen nur die Zeichen der Vollschrift in den Kreis unserer 
Erörterungen. 


Eignung der Punktschrift für das Tastlesen. 


„Der Tastsinn ist im Gegensatz zum Gesichtssinn, dem Sinn 
der kontinuierlichen Linien und Flächen, auf die Unterscheidung 
diskreter punktförmiger Eindrücke angelegt“, sagt WUNDT und 
er nennt die Geschichte der Blindenschrift eine „lange Geschichte 
der Überwindung: von Vorurteilen, die sämtlich in einer falschen 
Analogie zwischen Gesichts- und Tastsinn ihre Quelle hatten“. 
Tatsächlich ging, wie wir gesehen haben, die Entwicklung der 
Blindenschrift von den Linienschriften der Sehenden zur Auf- 
lösung der Buchstabenbilder in Punkte (Stacheltypen) bis zur 
Aufstellung von Punktschriftzeichen, deren Punktzahl sechs nicht 
überschreitet (BrAıtLe). Eine Weiterbildung hat seither weder 
in der Praxis stattgefunden, noch wurde sie wissenschaftlich be- 
gründet oder angeregt. 


Die Anordnung der sechs Punkte in einem hochstehenden 
Rechtecke durch L. BraıLLe kann als ingeniös bezeichnet werden. 
Wunpr führt bei der Betrachtung der Punktschrift aus, dafs „der 
Erfassung durch die Aufmerksamkeit mit Rücksicht auf die Zahl 
der simultan zu apperzipierenden Eindrücke ziemlich enge Grenzen 
gesetzt sind, da im allgemeinen sechs die Maximalzahl einzelner 
gesonderter Eindrücke ist, die wir mit irgendeinem der räum- 
lichen Sinnesorgane, sei es Auge oder Haut, gleichzeitig aut- 
fassen können“. Er findet es „bewundernswert, wie genau BRAILLE 
auf Grund seiner lediglich durch die praktische Erfahrung ge- 
leiteten Versuche die Verhältnisse getroffen hat, die das psycho- 
logische Experiment als die geforderten kennen lehrt“ (14, II. B. 
S. 491 und 495.. 


8 Karl Bürklen. 


Auch Ta. HELLER (3) fand bei Versuchen, dafs bei der Ver, 
wendung von sechs punktförmigen Reizen die Anordnung in drei 
genau untereinander befindlichen Reihen zu je zwei Punkten die 
beste war. Über die durchaus vorteilhafte Stellung des Punkt- 
rechteckes kann um so weniger ein Zweifel herrschen, als ver- 
suchte Abänderungen (Amerikanische Braille mit liegendem Recht- 


eee 
ecke @@@) nicht durchdrangen. 

Die Punkte zeigen bei rund 1 mm Höhe Halbkagsirehei oder 
etwas konisch zugespitzte Form. Für die leichtere Lesbarkeit 
kommt die konische Form der Punkte insofern in Betracht, als 
sich derlei Punkte nicht so leicht verdrücken als halbkugelförmige 
(Abb. 1). 





Abb. 1. Relief der Punkte (vergréfsert). 


Die Gröfse der Punktschriftzeichen wurde aus der Praxis ge- 
wonnen. Grolse Punkte sind allerdings leichter tastbar, doch 
zerfällt ein grofses Buchstabenbild in seine Einzelheiten und 
kann als Ganzes schwer erfalst werden. Zu kleine und zu nahe- 
stehende Punkte erschweren ebenfalls die Aulfassung oder machen 
sie überhaupt unmöglich. Als allgemein verwendet können fol- 
gende Malse festgestellt werden: Die einzelnen Punkte haben 
17, mm im Durchmesser. Die Spitzen der Punkte stehen 3 mm 
voneinander ab, so dafs sich Zeichen bis zu 7mm Hohe und 
4,5 mm Breite ergeben. Der Zwischenraum zwischen nebenein- 
ander stehenden Zeichen ist etwas grölser als der Abstand der 
Punkte voneinander. 

Wespr sagt über die Gröfse der Zeichen und die Entfernung der 
Punkte voneinander: „Die Punkte stehen in solchen Distanzen, dals diese 
an der Fingerbeere des Zeigefingers deutlich die Raunıschwelle überschreiten, 
während doch die Punkte cines einzelnen Zeichens sämtlich auf derselben 
Platz tinden“ (14, S. 495). Javar findet dagegen, dafs die gebräuchlichen Punkt- 
zeichen liinger sind als der emptindlichste Teil seines Zeigefingers (3, S. 77). 

Das Verlangen, beim Punktdruck Raum zu sparen, hat schon 
mehrmals (so auch gegenwärtig) zur Einführung kleinerer Zeichen 
gedrängt (bis zu 6 mm Höhe), ohne dafs deren Anwendung all- 
gemein geworden wäre. 


Das Tastiesen der Blinden-Punktschrift. 9 


Hierüber bemerkt Kuxz: „Für simultane Auffassung waren bei kleinem 
französischen Druck) die Brücken (Schwellen) unter 2!, mm zu kurz; es 
waren zeitraubende Tastbewegungen — sukzessive Erfassung der Punkte 
erforderlich, die ein geläufiges Lesen unmöglich machen. Für gleich- 
zeitige Auffassung mehrerer stumpfer Punkte sind also für die Blinden 
Schwellenlängen von 3!mn erforderlich“ (7, S. 188). 

Die mit Rücksicht auf die Tastbarkeit notwendige Grölse 
der Punktschriftzeichen bringt es mit sich, dafs die Punktschrift 
gegenüber der Schwarzschrilt einen unverbältnismäfsig grolsen 
Raum einnimmt, und zwar ist dieser bei der Vollschrift in bezug 
auf den Flächenraum ein zehnmal grölserer. Bei Anwendung 
der Kurzschrift geht dieses Raumbediirfnis auf das siebenfache 
zurück. Jedes Punktschriftzeichen benötigt mit den dazugehörigen 
Zwischenräumen rund 1 gem Fläche. Hierzu kommen als weitere 
ungünstige Faktoren die Erhabenheit der Punktschrift und die 
für den Punktdruck notwendige Stärke des Papiers. Bei gün- 
stigen Verhältnissen (Kurzschrift und Zwischenpunktdruck) über- 
treffen daher die Punktschriftbücher die Schwarzdruckbücher 
gleichen Inhalts um das Dreifsigfache an Rauminhalt, bei un- 
günstigen Verhältnissen (Vollschrift und Zwischenzeilendruck) um 
das Fünfzigfache und darüber (16, 1917, S. 508). | 

Obwohl über die tauglichste Gröfse der Punktschriftzeichen 
noch keine endgültige Entscheidung getroffen ist, kann die be- 
sondere Eignung der Punktschrilt in bezug auf die Anordnung 
der Punkte im Sechspunktfelde als feststehend betrachtet werden. 
Die Erfahrung hat auch gezeigt, dals das Lesenlernen der Punkt- 
schrift bereits im ersten Schuljalire für blinde Kinder möglich ist. 


Das Leseorgan. 


Organe für das Tastlesen sind die Hände !, bzw. deren 
Finger mit ıhren Tastnerven, von denen namentlich die Finger- 
spitzen besondere, das Tasten vermittelnde Endorgane besitzen. 
Für das Abtasten der Punktschriftzeichen kommt jene Hautstelle 
der Fingerbeere in Verwendung, weiche von der Mitte der so- 
genannten Tastrosette bis zur Wölbung unter dem Fingernagel 
reicht. 

Die Fläche, die bei leichtem Aufdrücken der Fingerspitze 


! Der Seltsamkeit halber sei erwähnt, dafs von Blinden auch «das Lesen 
mit den Fufszehen versucht wurde. 


10 Karl Biirklen. 


auf das Papier bedeckt wird, ist bei den Fingern derselben Hand 
verschieden grofs. Bei den Zeige- und Mittelfingern, die beim 
Lesen die Hauptrolle spielen, ist die Tastfläche des stärkeren 
Mittelfingers an und für sich gréfser als die des Zeigefingers, 
verringert sich aber durch die notwendig stärkere Krümmung 
und die sich daraus ergebende Steilerstellung ungefähr auf die- 
selbe Gröfse. Weiter ist die Tastfläche der Lesefinger, wie dies 
die beigegebenen Abbildungen der Abdrücke von Zeige- und 
Mittelfingern ersehen lassen, nach der Stärke der Finger infolge 
individueller Entwicklung nach Alter und Geschlecht verschieden 
(Abb. 2 bis 4). 


Abdrücke der Tastflächen an den Fingerspitzen. 
(Zeige- und Mittelfinger beider Hände in natürlicher Gröfse.) 





Abb. 4. Knabe, 16 Jahre. Abb. 5. Mädchen, 19 Jahre. 


Die Form der Tastfläche ist ein Oval von kreisähnlicher 
bis zu länglicher Ausdehnung. Steilstellung der Finger verkürzt 


Das Tastlesen der Blinden-Punktschrift. 11 


das Oval. Man hat angenommen, dafs diese Fläche stets die 
Punktschriftzeichen in normaler Gröfse (bis 7mm Höhe und 
4,5 mm Breite) zu bedecken vermögen. Die Tastflächen bei 11 
bis 19 jährigen Lesern zeigen jedoch eine Höhe von 6 bis 18 mm 
und eine Breite von 6 bis 12mm, können also unter Umständen 
unter der Buchstabenhöhe stehen. Es ist mithin, namentlich 
den jüngeren Lesern nicht immer möglich, die Zeichen mit leicht 
aufgedrückten Fingerspitzen voll zu bedecken, so dals in solchen 
Fällen ein Flacherstellen der Lesefinger oder stärkeres Aufdrücken 
notwendig erscheint. 

Der Winkel, in dem der Lesefinger gegen das Papier gestellt 
wird, ist ein geringer. Bei den Zeigefingern beträgt er 20 bis 
30 Grad. Die Mittelfinger müssen, wenn ihre Spitzen mit jenen 
der Zeigefinger auf gleicher Höhe bleiben sollen, etwas steiler 
gestellt werden, wodurch der Winkel ein etwas grölserer wird. 
Die Hände selbst werden beim Tastlesen nebeneinander so über 
den Text gehalten, dafs die Lesefinger unter dem angegebenen 
Winkel die Zeichen berühren, während die anderen Finger leicht 
gekrümmt, in geringer Entfernung über dem Blatt bleiben. 

Die Stellung, welche die lesenden Hände einnehmen, zeigen 
die Abb. 6 und 7. 

(Abb. 6 und 7 siehe S. 12.) | 

Inwieweit der Bau von Hand und Fingern dem Tast- 
lesen förderlich ist, liifst sich nur allgemein dahin entscheiden, 
dafs den beweglicheren dieser Organe wohl der Vorzug zu geben 
‘ist. Entscheidend für das Tastlesen ist die innere Anlage des 
Tastorgans, vor allem die Tastempfindlichkeit der Fingerspitzen, 
wogegen die äulsere Form (bis auf Milsbildungen) von geringerer 
Bedeutung erscheint. Nach dem Bau besondere Lesehände er- 
kennen zu wollen, geht zu weit und kann nur zu einer ober- 
fächlichen und unsicheren Auswahl führen. 

Über die Arm- und Körperhaltung beim Tastlesen, 
denen bisher wenig Beachtung geschenkt wurde, sei nur an- 
geführt, dals sich die Oberseite des Buches in einer solchen Höhe 
befinden soll, die eine freie und ungezwungene Bewegung sowoh: 
‘der Hände als auch der Unterarme ermöglicht. Diese Bewegungs- 
freiheit ist nur dann vorhanden, wenn sich die Oberseite des 
‚Buches nicht über Ellbogenhöhe der am Körper anliegenden 
Oberarme befindet (16, 1916, S. 579. 


12 Karl Bürklen. 


fi Stellung der Hände. 


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4 





Abb. 7. Die rechte Hand lesend am Ende der Zeile, während die linke 
den Anfang der neuen Zeile sucht. 


Das Tastlesen der Blinden-Punktschrift. 13 


Der Vorgang beim Tastlesen. 


1 


Ein einzelnes Punktschriftzeichen kann durch Aufdriicken 
eines Lesefingers als Ganzes simultan erfafst werden. In’ der 
Praxis spielt eine derartige Auffassung nur insoweit eine Rolle, 
als der von links nach rechts sich weiter bewegende Finger die 
einzelnen Buchstaben im Übergleiten berührt. Aber selbst beim 
Erkennen eines einzelnen Zeichens genügt meistens ein Auf- 
drücken der Fi ingerspitze nicht, sondern es werden Tastbewe- 
gungen vorgenommen, die für die Erkennung notwendig er- 
scheinen. 


JavaL sagt darüber: „Wenn ein Blinder auch die grölste Übung im 
Lesen der Blindenschrift besitzt, so wird er sie doch nicht immer entziffern 
können, wenn er seinen Finger nur auf die Punkte drückt. Vielmehr mufs 
er, um sie und ihre Anordnung deutlich zu erkennen, mit dem Finger dar- 
über hin- und herfahren, wobei die Bewegung weder zu schnell noch zu 
langsam sein darf. Die meisten Blinden wissen gar nicht, dafs sie, um 
schnell zu lesen, ihren Finger mit nur mäfsigem Drucke, um das Gefühl 
nicht abzustumpfen, über die Punkte hinzuführen haben“ (5, S. 8). 

Noch deutlicher beobachtet Hocnkısen die Tastbewegungen des lesenden 
Fingers. „Der Finger beschreibt über den Buchstaben Kreise nach allen 
Richtungen, welche im Handgelenk und Metacarpophalangealgelenk aus- 
geführt werden. Aufserdem werden in den Interphalangealgelenken Beuge- 
und Streckbewegungen gemacht. Der Buchstabe wird mit ein und dem- 
selben Punkte der Fingerspitze berührt. Bei Behinderung dieser Bewe- 
gungen findet die Erkennung einzelner Buchstaben in sehr langsamer Weise 
statt, ja es werden überhaupt nur die einfachen Buchstaben erkannt“ 
(4, S. 33). 


Die bei Blinden besonders hervortretenden Tastbewegungen 
beobachtete bereits ÜZERMAK bei seinen Zirkelversuchen. _ 

HocHEISEN sind die CzEerMAkschen Tastzuckungen bei der 
Prüfung von sieben Blinden nur in einem Falle aufgefallen. 


„Dieselben bestanden darin, dafs der Junge seine Finger in die be- 
rührenden Spitzen hineindrückte und um die Spitzen als Mittelpunkte plan- 
lose Exkursionen machte, welche sich in verschiedenen Hautspannungen 
äulserten. Über den Zweck dieser Tastzuckungen kann ich mir nicht klar 
werden; dieselben sind unwillkürlich und lassen sich nicht unterdrücken.“ 


Wonprt findet für die Tastzuckungen folgende Erklärung: 


Sie sind offenbar keine ursprünglichen Reflexe, sondern sie scheinen 
aus willkürlichen Bewegungen hervorzugehen, die namentlich der mit 
feineren Arbeiten beschäftigte Blinde ausführt, und die allmählich mecha- 
nisch eingeübt werden, so dafs sie nun reflexartig eintreten, wo immer 
durch die Einwirkung äufserer Tastobjekte Anlals dazu gegeben ist“ (14, 
S. 491). 


14 Karl Bürklen. 


ÜZERMAK zieht auch einen Vergleich mit dem Augenlesen: 


„Dem Blinden mag es mit den Tastzuckungen ähnlich gehen, wie dem 
Sehenden mit der Einstellung der Sehachse. So wie nämlich Sehende, wenn 
sie einen Gegenstand vermittels des Gesichtes scharf wahrnehmen wollen, 
unwillkürlich die Sehachse auf das zu fixierende Objekt richten, um das 
Bild desselben auf den gelben Fleck fallen zu machen, ebenso und aus ähn- 
lichen Gründen versetzen wahrscheinlich Blinde ihre Tastorgane in Be- 
wegungen und Zuckungen.“ 


Aus den beobachteten Tastbewegungen liefs sich erkennen, 
dafs das Tasten kein einfacher, sondern ein kombinierter Vorgang 
sei, bei dem neben den äulseren auch innere Tastempfindungen 
mitspielten. 


„Das in Frage kommende Objekt kommt in Berührung mit der Haut 
und setzt gewissermalsen einen Abdruck auf dieselbe. Dabei kann der 
Gegenstand entweder gleichzeitig mit allen seinen Punkten unsere Haut 
berühren oder es kommen nacheinander verschiedene Stellen des Objektes 
mit neuen Bezirken unserer Haut in Berührung. Der zweite Weg ist der, 
dafs wir der Reihe nach neue Punkte des Objektes mit ein und derselben 
Stelle der Cutis, meist der Fingerkuppe betasten; aus der Gröfse und 
Richtung der von uns vollführten Bewegungen schliefsen wir auf die Gröfe 
und Gestalt des Gegenstandes.“ „Wir benützen also (beim Tasten) Raum- 
sinn, Drucksinn und die Fähigkeiten, welche unter dem Begriff Muskelsinn 
zusammengefalst werden. Es ist dies ein Übergang zu dem zweiten oben 
erwähnten Wege. Diese benutzen die Blinden bei allen Obliegenheiten, nie 
jedoch oder nur gezwungen den ersten.“ „Obgleich der Raumsinn von 
Natur genügend fein angelegt ist, um allein den Anforderungen des Lesens 
zu genügen, benützen die Blinden die extensive Unterschiedsempfindlichkeit 
der Haut nicht in vollem Mafse dazu. Sie ziehen besonders die Gelenks- 
sensibilität, die Grundlage der Bewegungsempfindung, in den Dienst des 
Lesens“ (4, S. 31 und 34). 


Von Tx. HELLER sind die Bezeichnungen ,synthetisches und 
analysierendes“ Tasten in die Blindenliteratur übernommen worden. 
Er sagt im „Blindenfreund“ (Jahrgang 1905, S. 4): 


„Der gröfste Teil meiner Studien zur Blindenpsychologie ist von dem 
Nachweis erfüllt, dafs das synthetische Tasten (mittels des Raumsinnes der 
Haut) nicht genügt, um dem Blinden adäquate Vorstellungen zu verschaffen, 
sondern dals hierzu das Tasten mit bewegten Tastorganen (analysierendes 
Tasten) unentbehrlich sei. Nach meinen Untersuchungen kann das unvoll- 
kommene synthetische Tasten nichts anderes vermitteln als ein schema- 
tisches Gesamtbild kleiner Objekte, das erst durch analysierende Tast- 
bewegungen verdeutlicht werden mufs.“ 


Die schon beim Lesen einzelner Zeichen auftretenden Tast- 


bewegungen, für die im vorstehenden die bisher aufgestellten 
Erklärungen wiedergegeben sind, erweitern sich beim Tastlesen 


Das Tastlesen der Blinden- Punktschrift. 15 


aneinander gereihter Punktschriftzeichen, während andererseits 
bei vorgeschrittener Übung auch ein Ausfall von Tastbewegungen 
festzustellen ist. 


Der Lesevorgang gestaltet sich nach der Beobachtung 
in folgender Weise. Eine Zeile wird gelesen, indem der 
Finger (angenommen, dafs nur ein Finger dabei gebraucht wird) 
mit einigen ÖOrientierungsbewegungen den Anfang sucht und 
nachdem er ihn gefunden hat, über die Buchstaben weitergleitet. 
Stockungen durch Tastbewegungen, die von der Leserichtung 
abweichen, erfolgen nur bei schwerer zu erkennenden Zeichen. 
Mitunter muls der Finger auch zum Anfang eines nicht erkannten 
Wortes, das der Leser als Gesamtbild zu erfassen sucht, zurück- 
gleiten. 


„Das Lesen von ausgeschriebenen Worten vollzieht sich derartig, dafs 
immer eine grolse Zahl von Zeichen tbersprungen wird; mıan errät sie 
nämlich entweder aus dem ganzen Zusammenhang, aus den ersten Buch- 
staben eines Wortes oder aus seiner Länge“ (5, S. 139). 


Am genauesten wurde der Leseakt von Dr. Tu. HELLER be- 
obachtet und in folgender Weise beschrieben: 


„Beim ersten Leseunterrichte kommt hauptsächlich die rechte 
Hand in Betracht. Diese führt die eigentlichen Lesebewegungen aus, wäh- 
rend die linke Hand die Aufgabe übernimmt, die Zeilen zu fixieren und 
der Rechten den Anfangspunkt ihrer Bewegung anzuweisen. Die Bewe- 
gungen, welche den Zweck haben, die Hand in der Leserichtung zu ver- 
schieben, erstrecken sich zunächst auf den ganzen Arm. Sobald aber die 
schnellere Auffassung der Schriftzeichen notwendig wird, beschränken sich 
diese Bewegungen blofs auf den Unterarm, der sich um den festliegenden 
Ellbogen bewegt und einen Kreisbogen beschreibt, dessen Radius gleich 
ist der Verbindungslinie des Ellbogenstützpunktes mit Anfang und Ende 
der Zeile, die in diesem Falle als Sehne eines Kreisbogens vom Radius des 
Unterarmes aufzufassen ist. Die horizontale Projektion dieser Kreisbewe- 
gung erfolgt durch wechselnde Stellung des Lesefingers, der seine Streckung, 
wenn auch kaum merklich in der Mitte der Zeile verringert, um dieselbe 
am Ende der Zeile wieder anzunehmen. Die Unterstützung des Unterarmes 
beim Lesen hat offenbar den Zweck, den Lesefinger vollständig zu entlasten 
und ihm die Möglichkeit zu geben, einen bestimmt regulierbaren Druck 
auf die Unterlage auszuüben. An der Unterstützung beteiligen sich auch 
die beim Lesen nicht in Betracht kommenden Finger, die gleichsam das 
Vehikel darstellen, auf welchem sich die Hand fortbewegt. Hat der Blinde 
die Zeichen zur Genüge kennen gelernt, so nimmt nun auch die linke Hand 
am Lesen teil. Diese liest aber weder so rasch noch so kontinuierlich wie 
die rechte; man kann hierbei häufig beobachten, dafs der Arm ruckweise 
seine Lage verändert. Infolge der gröfseren Schwierigkeiten, die natur- 
gemäls der Bewegung der linken Hand entgegenstehen, eignet sich diese 


16 Karl Bürklen. 


vorzugsweise zur Vornahme eines langsam analysierenden Tastens, währen } 
die rechte Hand, welche rasch über die Zeilen hingleitet, dem Blinder 
wenn auch nur flüchtige Gesamtbilder der einzelnen Zeichen verschafft“ 
(3, S. 87). 

„Bei jenen Blinden, welche am raschesten zu lesen im- 
stande sind, bemerkt man nichts von den zuckenden Tastbewegungen. 
Rechte und linke Hand fahren ruhig mit breit aufgelegten Fingern über 
die Zeilen hinweg, und die beiden Hände unterscheiden sich in bezug avf 
ihre Auffassung nur durch die Schnelligkeit der Lesebewegung. Übrigens 
ist edie Beteiligung der be’:in Hände bei verschiedenen Individuen eine 
sehr ungleiche. Nicht sr häufig tritt der Fall ein, dafs sich die beiden 
Hände in der Mitte der Zeile gleichsam ablösen, indem die linke Hand bis 
dahin vereint mit der rechten vorwärts bewegt wird, worauf dann die linke 
Hand zum Anfang der nächsten Zeile übergeht, während die rechte Hand 
allein den Rest der Zeile zu lesen ibernimmt“ (3, S. 92). 

„Bei den in der Auffassung der Brailleschrift hinlänglich geübten 
Blinden unterbleibt in der Regel das analysierende Tasten. Nur dann, wenn 
ein Zwang zum Buchstabieren geschaffen wird, wie z.B. beim Vorkommen 
den Blinden nicht geläufiger Fremdwörter oder bei abgegriffenen Buch: 
staben, die sich über das Niveau des Papiers nicht genügend merklich er- 
heben, treten wieder die analysierenden Tastbewegungen in ihre Rechte“ 
(3, S. 92). 

Die Frage, welche Finger der Hand das eigentliche Tast- 
lesen besorgen, ist bisher nicht klar beantwortet worden. Nach 
den bisherigen Annahmen wird hierzu selten ein Finger allein, 
sondern meistens werden die Zeigefinger, unter Umständen auch 
die Mittelfinger benützt. Welche Rolle den Lesefingern — zum 
Teil ganz widersprechend — zugeteilt wird, erhellt aus nach- 
stehenden Beschreibungen: 


„Gelesen wird bei leicht aufgelegten Unterarmen gewöhnlich mit den 
beiden Zeigefingern, von denen meist der rechte bei leichtem Hinweg- 
gleiten — also nicht starkem Aufdrücken — über den Reliefbuchstaben 
den „Rekognoszierungsdienst“, der linke den „Kontrolldienst“, bzw. die Er- 
gänzung oder Korrektur zu besorgen hat. Dies ist aber durchaus nicht 
Regel. Es sei auch darauf verwiesen, dafs sich in der Lesemanier des 
Fingers die Qualität der Lesefertigkeit äufsert. Während nämlich der ge- 
wandte Lesefinger in einem Zuge über die Wortbilder hinweggleitet, schreitet 
der mangelhaft tastende mühsam von einem Buchstaben zum anderen, wobei 
er entweder eine leicht rotierende oder zickzackförmige Bewegung zeigt. 
Schon aus diesem Grunde soll nicht pedantisch darauf gesehen werden, dais 
das blinde Kind nur mit den Zeigefingern lesen darf; viel zweckmäfsiger 
scheint es, nach und nach womöglich alle Finger (vielleicht ausschliefslich 
des Dauınes) zu Lesefingern heranzubilden“ (E. GigErL, 9, S. 462). 

„Beim Lesen der Blindenschrift ist blofs der Zeigefinger beteiligt. 
Wenn auch durch die eigentümliche Fingerstellung bei manchen Blinden 
der Schein entsteht, als ob sich auch die anderen Finger bei der Auffassung 


Das Tastlesen der Blinden-Punktschrift. 17 


der Schriftzeichen beteiligen, so läfst sich in diesen Fällen durch Aus- 
schaltung des Lesefingers, wodurch der Zwang geschaffen wird, mit einem 
anderen, z. B. dem Mittelfinger, zu lesen, mit Sicherheit rmchweisen, dafs 
dieselben nur als Stützorgane fungieren“ (Tr. HELLER, 3, S. 86). 

„Der Blinde benützt zum Lesen in der Regel die beiden Zeige- 
finger. Der rasch bewegte rechte Finger übernimmt die Synthese, während 
der langsamer fortschreitende linke analysierend vorgeht. Bei geübten 
Lesern fliefsen Synthese und Analyse zusammen; nur bei undeutlich aus- 
geprägten Buchstabenformen tritt eine Auflösung des Tastaktes ein“ (F. ZECH, 
15, S. 122). 

„Wenn ein Blinder lesen soll, so legt er beide Hände auf das Papier, 
fixiert sich die Zeilen, und gleitet nun mit beiden Händen über die Buch- 
staben hinweg. Hierbei gehen in beiden Händen lebhaft gröfsere oder 
kleinere Bewegungen vor sich. Die Finger verteilen sich auf das Lesen 
so, dafs eigentlich nur ein einziger das Lesen übernimmt. Liest ein 
Blinder z. B. mit dem Zeigefinger der linken Hand, so geht er diesem 
Finger mit der rechten Hand voraus und zwar übernimmt auch hier ein 
Finger die Hauptrolle. Durch dieses Vorgehen grenzen sich die Blinden 
die einzelnen Worte ab, verschaffen sich einen flüchtigen Gesamtüberblick 
über das Wort und erleichtern dem eigentlichen Lesefinger seine Aufgabe. 
Die übrigen Finger dienen dazu, die Zeilen zu fixieren. — Als Lesefinger 
benützen die Blinden meist den Zeigefinger, aber es zeigen sich auch hier 
individuelle Verschiedenheiten. Der Lesefinger gleitet nicht als Ganzes 
über die Buchstaben, sondern in allen Gelenken desselben, sowie im Hand- 
gelenk werden Exkursionen ausgeführt“ (Hockeisen, 4, S. 32). 

„In der gröfsten Zahl der Fälle wird mit den beiden Zeige- 
fingern gelesen. Diese weisen in der Regel auch das meistgeübte Tast- 
gefühl auf; ihnen zunächst stehen die Mittelfinger, die ihnen in der Ge- 
schicklichkeit gleichkommen können, dann die Goldfinger; die kleinen 
Finger kommen für das Lesen ebenso selten in Betracht, wie die Daumen, 
die meist ganz ausgeschaltet sind. Die nicht lesenden Finger werden in 
der Regel leicht gehoben gehalten, so dafs sie die Buchstaben gar nicht 
berühren. Fast durchwegs lesen die Blinden mit zwei Fingern, von denen 
der eine tatsächlich (!) liest, während der andere als Kontrollfinger voran- 
geht (!) oder folgt. Werden beide Zeigefinger verwendet, so liest bei dem 
einen Blinden der linke Zeigefinger, während der rechte kontrolliert (!i, bei 
dem anderen ist es umgekehrt. Bei der Verwendung der anderen Finger 
ist es ebenso. Der Kontrollfinger hat neben dem Bestätigen dessen, was 
der lesende Finger greift, meist auch die Aufgabe, den Übergang zur näch- 
sten Zeile zu finden (auch wenn es der rechte Zeigefinger ist?), zum min- 
desten zu erleichtern. Das Zeilensuchen geschieht auf verschiedene Weise. 
Häufig gehen beide Finger auf der gelesenen Zeile zurück und tasten zur 
nächsten, häufig sucht der orientierende Finger die nächste Zeile und dann 
ihren Beginn, häufig stellt er bereits das fest, während der lesende Finger 
noch über die letzten Worte gleitet. Blinde, die nur mit einem Zeigefinger 
lesen, lassen den unbeschäftigten am Anfang der Zeile ruhen und rücken 
ihn zur nächsten, sobald der lesende Finger von ihm fortrückt“ (ON. Met, 
8, S. 89 und 90). 


Beiheft zur Zeitschrift für angewandte Psychologie. Ib. 2 


18 g Karl Bürklen. ‘ 


Javar meint, dafs der linke Zeigefinger trotz seiner grölseren Empfind- 
lichkeit zum Lesen weniger zu gebrauchen ist, ale der rechte (5, 8. 7). 

„Indem die Blinden beim Lesen mit den Fingern der einen Hand 
die bekanntlich aus Punkten bestehenden Buchstaben der Blindenschrift 
berühren und darauf mit der anderen Hand, von einem Punkte zum 
anderen fühlend, das Bewegungsbild zu diesen einfachen Tastempfindungen 
hinzu assoziieren, gelangen sie zu einer räumlichen Auffassung der Buch- 
stabenbilder, die sie zum Lesen befähigt“ (R. Scaurzs, 12, S. 70). 


Zeigen schon die oben angeführten Beschreibungen des Tast- 
lesevorganges wenig Übereinstimmung, so ist die letzte von 
R. ScauLze ein Beispiel dafür, wie flüchtig sie von der Praxis 
Fernestehenden übernommen und weiter gegeben werden. 


Schnelligkeit des Tastlesens. 


Es ist von vornherein klar, dals die Raschheit, mit welcher 
die Finger des Blinden die Punktschrift zu lesen vermögen, weit 
hinter jener der Augen beim Lesen der Druckschrift für Sehende 
zuriickbleiben mufs. 


Javar sagt darüber: „Das Leesen der BrarLLeschen Zeichen geht des- 
halb so langsam vonstatten, weil der Finger zurzeit immer nur einen Buch- 
staben fühlen kann, während das Auge im Durchschnitt auf einen Blick 
zehn Buchstaben überschaut. Das Lesen mit den Fingern erfolgt daher 
aus physiologischen Gründen um mindestens zehnmal langsamer als das 
Lesen mit den Augen“ (5, S. 64). An anderer Stelle des JavaLschen Buches 
findet sich die Angabe „Fünfmal“ (5, S. 72). 

Die aufser Frage stehende verhältnismäfsige Langsamkeit 
des Tastlesens liegt also in der beschränkten Fähigkeit des Lese- 
organs. Ein indirektes Fühlen, das sich mit dem indirekten 
Sehen, welches das Augenlesen so sehr befördert, vergleichen 
liefse, gibt es beim Tastlesen nicht. 

V. Haüy, der zum erstenmal ausgiebige Beobachtungen beim Tastlesen 
machte, sagt über die Leseflüchtigkeit bei seinen Schülern: „Unsere Zög- 
linge lesen allerdings langsam. Aufser dem Umstande, dafs sie bei der 
Neuheit unseres Institutes nur wenig Übung im Lesen gehabt haben, sind 
sie auch deshalb im Nachteile, weil sie beim Lesen nur einen Buchstaben 
auf einmal sehen (wenn wir uns dieses Ausdruckes bedienen dürfen), wie 
es bei unseren Lesern der Fall sein würde, wenn er die Buchstaben des 
vorliegenden Werkes durch eine Öffnung läse“ (Essai sur l’education des 
aveugles, 1786). 

Nicht nur die unmittelbare Berührung eines jeden Zeichens 
in seiner ganzen Ausdehnung, sondern auch das Übergleiten von 


Das Tastlesen der Blinden-Punktschrift. 19 


Zeile zu Zeile wirken verzögernd. Der letztere Umstand führt 
bei ungeübten Lesern zu störenden Pausen, die ein gleichmäfsiges 
fliefsendes Lesen unmöglich machen. 

Die Lesefertigkeit ist höchst individuell. Sie wird be- 
fördert durch besondere Tastempfindlichkeit der Lesefinger, die 
geistigen Fähigkeiten des Lesers und seine Aufmerksarnkeit, sowie 
durch praktische Grölse der Zeichen, Deutlichkeit des Reliefs, 
selbst durch das zum Druck verwendete Papier. Eine Ver- 
minderung der Leseflüchtigkeit zeigt sich bei Ermüdung (Ab- 
stumpfung der Tastempfindung, Nachlassen der Aufmerksamkeit), 
bei zu scharfem oder verdrücktem Relief, sowie beim Schwitzen 
oder Erkalten der Lesefinger. 

Unter diesen das Tastlesen beeinflussenden Umständen ist 
eine Feststellung der Leseflüchtigkeit schwierig. Lälst man die 
oben angeführte Annahme Javars als Grenze nach unten gelten, 
so findet sich in einer Aufserung Kunz’ (7, S. 193), dafs die 
besten Leser der Punktschrift beinahe so schnell wie die Voll- 
sinnigen lesen, eine ungefähre Abgrenzung nach oben. 

Als Höchstleistung im Tastlesen führt Javar (d, S. 71) die des Biblio- 
thekars Deménivus an. Dieser las in Gegenwart Javats nahezu 200 Worte 
in der Minute laut vor. „Diese Schnelligkeit — fügt Javar bei — erreicht 
er aber nur, wenn er mit beiden Zeigefingern liest. Wenn nämlich sein 
rechter Zeigefinger mit einer Zeile zu Ende ist, hat der linke schon un- 
gefähr die Mitte der folgenden Zeile erreicht, so dafs der linke Finger dem 
rechten im Lesen fast immer voraus ist, während diesem das gesprochene 
Wort wohl immer erst nachhinkt. | 

Eine Prüfung der Leseflüchtigkeit, allerdings nur mit einigen 
Blinden nahm Ta. HELLER vor (3, S. 95). Die Ergebnisse waren 
bei einer Lesezeit von 2 Minuten: 

In 1 Minute: 
Prosaischer Text (Krummacher): 


„Der blühende Weinstock“ 158 Worte 79 Worte. 
Poetischer Text (Rückert): 

„Am 19. Oktober 1816“ 146 , 13: y 
Sinnvolle zweisilbige Worte 92 Ap „ 
Sinnlose zweisilbige Worte 68, 34 , 


Eine Durchschnittsgeschwindigkeit ist damit nicht gegeben, 
da HELLER die geübtesten Zöglinge zum Lesen heranzog. Die 
Frage, mit welcher Schnelligkeit das Tastlesen durchschnittlich 
vor sich geht ist also noch eine offene. 


A 


eg 


20 Karl Bürklen. 


Nur Javar macht (5, S. 69, 71) hierüber noch einige flüchtige Angaben: 
„Ich bringe es“, sagt er vom Tastlesen, „(in französischer Sprache) auf 
20 Wörter in der Minute, viele Blindgeborene auf 60, eine kleine Anzahl auf 
100, ganz Vereinzelte auf 120,“ während man annehmen kann, dafs der 
Sehende, ohne etwas zu übersehen, 500 Worte in der Minute liest.“ In der 
deutschen Sprache, fügt Javar hinzu, geht das Tastlesen wegen der zu- 
sammengesetzten Worte noch langsamer vonstatten. 


Untersuchungen über die Lesbarkeit (Erkennbarkeit) der 
Punktschriftzeichen. 


Wie aus vorstehenden Kapiteln zu ersehen ist, bedarf es 
sowohl über das Wesen der Punktschrift wie über den Vorgang 
beim Tastlesen noch mancherlei Aufklärungen, welche den 
Blindenpädagogen, die daran das nächstliegende Interesse haben, 
von grölstem Wert erscheinen. Der Verf. dieser Schrift sah sich 
deshalb zu mehrfachen Untersuchungen veranlafst, durch 
die hauptsächlich auf experimentellem Wege richtig Erkanntes 
bestätigt, Irrtümer berichtigt und neue Einblicke gewonnen 
werden können. Von den vielen Fragen, die sich der Blinden- 
pädagoge über die Punktschrift stellt, ist im Hinblick auf den 
Leseunterricht bei Blinden jene nach dem Grade der Erkennbar- 
keit der einzelnen Punktschriftzeichen eine der wichtigsten. Die 
hierüber vom Verf. angestellten Untersuchungen, welche im 
Blindenfreund (1), veröffentlicht wurden, führten zu vollkommen 
neuen Ergebnissen. Wir geben diese Veröffentlichung in den 
Hauptpunkten wieder. 

Die Annahme, dafs die aus wenigen Punkten zusammen. 
gesetzten Punktschriftzeichen leichter zu lesen sind als jene aus 
mehreren, ist eine alte und man schlug auf Grund dieser An- 
nahme seinerzeit (bei der Einführung der Punktschrift in aufser- 
französischen Ländern) eine angeblich praktischere Anordnung 
der Zeichen im Alphabete vor, indem man den häufigst ge- 
brauchten Lauten die Zeichen mit nur wenigen Punkten zuteilen 
wollte. Schliefslich verblieb es wenigstens für das Deutsche bei 
einer unveränderten Übernahme des Braillealphabetes. 


Wie sehr aber noch die mathematische Konsequenz gleichlaufend mit 
der Lesbarkeit der Punktschriftzeichen erscheint, geht aus einigen Sätzen 
Javars hervor (5, S. 184), in denen als die einfachsten, also lesbarsten 
Zeichen jene bezeichnet werden, welche aus möglichst wenigen Punkten 
bestehen. Er wird beim Lesen, sagt er, durch allzu grofse Anhäufung von 


Das Tastlesen der Blinden- Punktschrift. 21 


Punkten leicht verwirrt. In einem Eigennamen z. B. unterscheidet er nicht 
mehr sicher zwischen mehreren Buchstaben, deren jeder mehr als vier 
Punkte enthält. 

Eine flüchtige Überprüfung der Braillezeichen durch das 
Tastgefühl ergibt jedoch schon die Tatsache, dafs die Punktzahl 
durchaus nicht jene ausschlaggebeude Rolle spielt, welche man 
ihr bisher zugewiesen hat, denn es ist unverkennbar, dafs eine 
Punktgruppe dem Tastgefühle gröfsere Anhaltspunkte bietet als 
ein oder zwei Punkte. Allerdings handelt es sich beim Lesen 
um das Erfassen der Punktzahl und der Lage der Punkte zu- 
einander, aber es gibt Buchstaben mit mehreren Punkten, die 
eine so charakteristisehe Form zeigen, dafs sie in erster Linie 
durch dieses Kennzeichen erfafst werden. Ein Beispiel dafür ist 


. @ ee Ge 
(lie Gegenüberstellung von und®@®@. Bei der Ähnlichkeit der 
Form hat letzterer Buchstabe die gröfsere Ausdehnung vor 
ersterem voraus und es ist ohne weiteres erklärlich, dals das 


ee... 
Zeichen @@ gleich gut, unter Umständen sogar besser erkannt 


werden kann als der Buchstabe = Die Ausdehnung und 
charakteristischeForm der Punktzeichen kann also 
gegenüber der Punktzahl durchaus nicht von unter- 
geordneter Bedeutung sein, wie dies sehon seinerzeit von 
MOLDENHAWER und HELLER abgedeutet wurde. 


Punktzahl und Formcharakter kommen übrigens beim Lesen, 
bzw. Lesenlernen, in verschiedener Weise in Betracht. Beim 
Lesenlernen nach der heute üblichen Methode als Punktezählen 
und Erfassung der gegenseitigen Stellung der Punkte ist es 
natürlich, die Zeichen mit wenigen Punkten an die Spitze zu 
stellen. Die Rücksicht auf die Erlernung der Punktschrift, wohl 
mehr aber noch die Rücksicht auf das Schreiben derselben, wobei 
(lie Punktzahl in erster Linie ausschlaggebend ist, scheint BRAILLE 
jene allerdings nicht streng durchgeführte mathematische Kon- 
sequenz aufgedrängt zu haben, die wir an seinem Systeme be- 
merken. Beim Lesen der Punktschrift nach ihrer Er- 
lernung kommt jedoch nicht mehr die Punktzahl, 
sondern die einheitliche Form des Zeichens als 
charakteristisches Tastbild zur Auffassung und diese 
Tatsache hat bis jetzt fast gar keine Beachtung gefunden, wenn 
von der Lesbarkeit der Punktschrift die Rede war. 


22 Karl Bürklen. 


Es mufste daher von Interesse sein, einmal den Versuch 
zu machen, die einzelnen Punktschriftzeichen auf 
ihre Lesbarkeit näher zu betrachten und in prakti- 
scher Weise zu erproben. Eine tatsächliche Fest- 
stellung durch Leseversuche liels hoffen, die Eigen- 
schaften kennen zu lernen, welche für die Tastleichtigkeit mals- 
gebend sind. Ich habe mich, da die Angaben von Blinden, 
welche ich über ihre Beobachtungen beim Lesen der Punkt- 
schrift befragte, ungenau und widersprechend waren, dieser Auf- 
gabe nach Kräften unterzogen. 

Als allgemeinen Grundsatz hielt ich bei den Ver- 
suchen fest, dafs diejenigen Zeichen, welche unter 
einer festgesetzten Zahl von Leseversuchen am 
öftesten erkannt wurden, auch als die am leichte- 
sten tastbaren, also die lesbarsten, gelten können. 
Dieser Annahme dürfte auch nicht widersprochen werden können. 

Ich hebe weiter hervor, dals ich mich vorläufig auf die 
Prüfung der einzelnen Zeichen beschränkte, da eine Zu- 
sammenstellung der Zeichen im Worte andere Tastverhältnisse 
ergibt, die besonders untersucht werden müssen. Für die Ver- 
suche konnten infolgedessen nur jene Zeichen desBraille- 
alphabetes in Betracht gezogen werden, welche für 
sich allein erkannt werden können. Es sind dies alle 
im deutschen Alphabete vorkommenden Zeichen unter Ausschluls 
der Satzzeichen, des Apostroph- und Abteilungszeichens, jedoch 
unter Einschlufs des Zifferzeichens. Die Ziffern selbst entsprechen 
den Grundzeichen, blieben daher unberiicksichtigt. 

Zu den Versuchen wurden 30 Zöglinge der n. d. Landes- 
Blindenanstalt herangezogen und zwar Zöglinge aller Altersstufen 
und von unterschiedlicher Fertigkeit im Tastlesen. Sämtliche 
vermochten die Punktschrift fertig zu lesen und zu schreiben. 
Es waren fast lauter Totalblinde und nur wenige verfügten über 
einen äulserst geringen Sehrest, dessen Gebrauch sich von selbst 
ausschlofs. 

Als Aufgabe wurde gestellt, die vorgelegten Punktzeichen 
unter bestimmten Bedingungen zu erkennen. Die Zahl der 
Lesungen belief sich mit den ungebuchten Vorübungen auf 
12000, eine Zahl, die nach meiner Meinung bereits Schlüsse ge- 
stattete, wenn auch natürlich eine doppelte oder dreifache Zahl 
grölsere Sicherheit geboten hätte. 


Das Tastlesen der Blinden-Punktschrift. 93 


Es wurden 10 Versuche angestellt, sowohl in bezug auf den 
Tastvorgang als auch in anderer Weise voneinander verschieden. 
Bei jedem Versuche hatten die ausgewählten 30 Zöglinge die 
vorgelegten 38 Zeichen zu lesen und die Namen der getasteten 
Buchstaben anzugeben. Nichterkanntes wurde mit o bezeichnet. 

Was die Grölse der zu lesenden Buchstaben anbe- 
langte, so wurden für den Versuch I Lesetäfelchen aus Holz ge- 
wählt, wie sie beim Lesenlernen in der Elementarklasse zur Ver- 
wendung kommen. Diese Täfelchen sind aus Holz und tragen 
die Zeichen aus Nagelköpfen gebildet. Die einzelnen Punkte 
sind 6 mm voneinander entfernt, so dafs sich eine Buchstaben- 
breite von 6 mm und eine Höhe von 6 bzw. 12 mm ergibt. Die 
Punkte selbst haben einen Durchmesser von 2 mm. Für die 
Versuche II bis X wurden die Zeichen in der üblichen Gröfse 
benützt und zwar genau in der Grölse der Punktfelder der Prager- 
tafel. Jedes Zeichen stand einzeln auf einem Papierblättchen 
von 8cm :5 cm Aulsmals. Die starke Abnützung, welcher die 
in Papier geprägten Zeichen unterlagen, führten mich für die 
Versuche VII bis X zur Verwendung von in Blech gestanzten 
Buchstaben, bei denen die Gefahr des Verdrückens der Punkte 
nicht mehr bestand. 

Als Lesefinger wurde der Zeigefinger der rechten Hand 
bestimmt. (Die einzige Ausnahme machte ein Zögling, welchem 
der rechte Zeigefinger fehlte, so dals er dafür den linken benützen 
mulste.) Der Finger des Lesenden wurde stets von meiner Hand 
geführt, damit die Tastfläche in entsprechender und immer 
gleicher Weise mit dem Buchstaben in Berührung kam. 

Die Richtung der Tastbewegung wählte ich ver- 
schieden und zwar bei je drei Versuchen als blofses Aufdriicken, 
als Gleiten von links nach rechts, als Abwärtsgleiten, bei einem 
Versuche als Aufwärtsgleiten. Die kreisende (reibende) Bewegung, 
die beim Erkennen einzelner Zeichen stets eintritt, war nämlich 
in ihrer Kompliziertheit für einen Tastversuch während einer 
kurzen Zeitdauer untauglich. Ich zerlegte daher diese Bewegung 
in einzelne Abschnitte und bestimmte mit Ausnahme des Auf- 
wärtsstreifens, welcher Bewegung beim Tastlesen wohl geringere 
Bedeutung zukommt als den anderen, für die angeführten Teil- 
bewegungen gleichmälsig drei Versuche. 

Die Dauer des Druckversuches betrug eine Sekunde. Das 
Gleiten über das Zeichen geschah in langsamer gleichförmiger 


24 Karl Bürklen. 


Bewegung, bei der — wie schon gesagt — der Finger des Lesen- 
den geleitet wurde. Um die Vpn. mit der Absicht und den 
wechselnden Umständen vertraut zu machen, wurden vier bis 
fünf Proben vorausgeschickt, deren Resultate natürlich nicht 
gebucht wurden. 

Schliefslich mulsten beim Tastlesen, um überhaupt zu einem 
brauchbaren Ergebnisse zu gelangen, erschwerende Umstände ` 
hervorgerufen werden, denn mit dem blofsen Finger wäre der 
grölste Teil der Zeichen leicht erkannt worden, so dafs sich nur 
für einige Buchstaben Unterschiede in der Lesbarkeit ergeben 
hätten. Es zeigten sich hierfür zwei Wege. Das Relief der 
Punkte konnte verwischt und dadurch schwerer tastbar gemacht 
oder die Tastempfindlichkeit desLesefingers konnte 
herabgesetzt werden, um die Auffassung zu erschweren. 
Ich wählte letzteres Mittel und zwar durch Aufstecken von 
Gummikappen auf den Lesefinger, wie solche Ärzte und 
Badende benützen. Es sei gleich hier bemerkt, dafs das Auf- 
stecken einer Kappe wenig Effekt hervorbrachte und meistens 
zwei oder drei Kappen genommen werden mulsten, um die Tast- 
empfindlichkeit stärker herabzusetzen. 

Aus den Untersuchungen, die durch O. WAxEcEX überprüft 
wurden (13), ergab sich bei mehr als 25000 Lesungen, 600 
Lesungen für jedes Zeichen, unter entsprechender Berücksichti- 
gung der häufigen Verwechslungen von symmetrischen Zeichen, 
folgende Reihung nach der Lesbarkeit (bei der Nach- 
prüfung wurde auch das Sechspunktzeichen einbezogen): 


©. 00 = Š A LW . - @@ Š Š ® 
.. o .. ©. .. OÒ ọ. -© ọọ `- 
425, 411, 402, 389, 387, 382, 381, 371, 347, 335, 
©. . 0 OO OG Oe oe, ©. @- ea. a 
e. ©. ©. ®- -@ ®. 9 -- -@ :® @-: 
ss a. @: Sg Be -@ :- 90: Oe 
334, 824, 323, 311, 310, 302, 301, 299, 299, 298, 
ee © ® - d © © © © © 00 
ee © ©: @-: © 00o 00O 0 d 
ee © -© . © 00 © . @ ® © 
296, 289, 289, 288, 285, 284, 276, 265, 263, 262, 
©. © © © d © © ee 00 
A . © ®® © © OO . © 
©. ®@ © ©. 00 ee UI 
262, 257 256, 254, 230, 228 214, 214, 2083. 


Das Tastlesen der Blinden-Punktschrift. 25 


Unter sonst gleichen Bedingungen zeigt das Lesen mit blofsem 
Finger bessere Resultate als das Lesen mit durch Gummikappen 
abgestumpfter Tastempfindlichkeit. Die Simultanerfassung durch 
blofses Aufdrücken des Fingers steht hinter dem Erkennen durch 
Tastbewegungen zurück. Beim Aufdrücken werden grölsere, 
über die Grölse der Tastfläche an der Fingerspitze nicht hinaus- 
gehende Zeichen leichter erkannt als kleinere. Die festeren 
Zeichen auf Blech sind deutlicher fühlbar als auf Papier. 

Als die wichtigste Tastbewegung erscheint — die 
Verwendung der Gummikappen mit in Betracht gezogen — das 
Gleiten von links nach rechts. Beim Herabgleiten 
waren die Zeichen weniger gut erkennbar als beim 
Gleiten von links nach rechts. Noch geringer war 
im Verhältnisse das Resultat beim Aufwärtsgleiten. 
Die steigenden Schwierigkeiten in der Auffassung hängen wohl 
mit dem veränderten Bilde, das sich in den Richtungslinien der 
verschiedenen Tastbewegungen ergibt, zusammen. Aulserdem 
sind das Abwärtsgleiten, mehr noch aber das Aufwärtsgleiten 
dem Gleiten von rechts nach links gegenüber ungewohnte Be- 
wegungen. 

Die Beobachtungen über unwillkürliche Tast- 
zuckungen und Tastbewegungen zeigten: Beim Auf- 
drücken des Fingers traten deutlich die Bemühungen zutage, 
Tastbewegungen zu versuchen und zwar entweder nach rechts 
oder nach abwärts. Beim Gleiten von links nach rechts wurde 
ein Druck oder ein Herabstreifen versucht, beim Abwärts- und 
Aufwärtsgleiten meistens nur ein Stillhalten zum Druck. Schliefs- 
lich wurden, sobald jede Beschränkung der Bewegung fortfiel, 
eine kreisrunde (reibende) Bewegung in der Richtung ® über 
dem Zeichen ausgeführt. 

Als wichtigstes, sofort in die Augen springendes Ergebnis 
ist den Untersuchungen die Widerlegung der Ansicht zu 
entnehmen, dafs die aus wenigen Punkten bestehen- 
den Zeichen die lesbarsten sind. Die Lesbarkeit 
geht also nur in verschwindendem Umfange mit der 
Anzahl der Punkte parallel. Wesentlich für die Les- 
barkeit erscheint vielmehr die Form der Zeichen. 

Voranstehend finden wir die Zeichen von ein- 
fachster geometrischer Form. Deren Uberlegenheit 
in bezug auf Tastbarkeit steht also aufser Frage. 


t 


26 Karl Bürklen. 


Dagegen siud die meisten der weiterhin stehenden 
Zeichen sicher als die schwerer tastbaren anzu- 
sprechen. 

Die Form der Punktschriftzeichen ist also fiir das Tastlesen 
von so grofser Wichtigkeit, dafs eine Charakteristik derselben 
notwendig erscheint. 


Charakteristik der Punktschriftzeichen. 


Zur Charakteristik der Bkaızteschen Punktschrift im 
allgemeinen ist zu sagen, dafs dieselbe gegenüber den Schriften 
fiir Sehende — man ziehe zum Vergleiche die Grofsantiqua heran, 
welche sich heute noch neben der Punktschrift als Blindenschrift 
behauptet — weit zurücksteht. Die wenigen Formelemente, aus 
welchen sie sich zusammensetzt, die geringe Zahl von Kombi- 
nationen, die sich auf dem Sechspunktfelde ergeben, lassen eine 
die Unterscheidbarkeit fördernde Charakterisierung nur in be- 
schränktem Umfange zu. Während wir in der Grolsantiqua, 
unserer einfachsten Linienschrift, nur wenige ähnliche Zeichen 


und keine Spiegelbilder finden, haben wir im Pralea phabete 
© © 808 O00 = 


aufser den Zeichen ©, 5. ee, Se und + nur solche Zeichen, 
welche bei gleicher Form sich nur durch die veränderte Lage 
voneinander unterscheiden, darunter 26 symmetrische Gegenbilder. 
Die charakterischen Formen unter den letztgenannten sind mit 
folgenden erschöpft: 


© 00 © © ee © a ee a ee © LL 
© © © © ee © 00 O00 oa 
? I ? ®, © 9 ® 9 © ? © I © 9 © 9 ® ? 9 @ a 


Diese 18 Formen von ausgesprochener Charakteristik nach Zahl 
der Punkte, Ausdehnung und Lage machen unter den 51 Zeichen 
des Alphabetes nur ein Drittel aus und die Brarzzesche Punkt- 
schrift mufs daher geradezu charakterarm genannt 
werden. Sie steht im Formenreichtum gegenüber der KLEix- 
schen Stachelschrift weit zurück und gibt bei der grolsen An- 
zahl ähnlicher Zeichen Gelegenheit zu Verlesungen, die nach 
TH. HELLER (3, S. 95) bei der Punktschrift auch tatsächlich häu- 
figer eintreten als bei der Stachelschrift. 

Der Formcharakter der Punktschriftzeichen ist ein aus- 
schliefslich geometrischer, wie dies sonst bei keiner anderen Schrift 


Das Tastlesen der Blinden-Punktschrift. 27 


der Fall ist. Eine übersichtliche Zusammenstellung, wobei die 
Lageveränderungen in Klammer erscheinen, zeigt dies deutlich. 
© 


Punktform: 


® ( © © ) 
Zusammensetzungen von Punktformen: © '® , © 


© SH ° Bis e 
Linienform: © | , © 


3 ? 


Zusammensetzungen von ©® (°° © ) 


Punkt- und Linienformen: ®@ ©, 00 
ee 
Zusammensetzungen von Linienformen: @@ 
Winkelformen: 
ee LD © eo oe oe. © © © © 
© 0O oe. a © © © © o) 
rechtw. : ; ; ,@ , ©, 00, 00, 0,0 
© © ® © 
: © | © © el 
schiefw.: @ ©, 0,0 


i ee e 
Zusammengesetzte Winkelformen: @@, 00 ‘oo, © 


eg eg eg ee Ge zl 


ee © © Te 


Flichenformen: , 00, 0, © 
Zusammensetzungen von SE (es 
Flächen- und Linienformen: © oo 


Von Bedeutung für die Form der Punktschriftzeichen ist auch die 
bereits von JavaL bemerkte Tatsache, dats die Zeichen in ihrer oberen 
Hälfte vielcharakteristischer erscheinen alsin der unteren. 
Eine nähere Untersuchung hierüber liefert folgende Ergebnisse: 


Punkt 1 kommt vor in 36 SN Pinkte d-4 in Gt Zeon 


n 4 r n nm 31 n 
2 31 1 
n Eo n 108000935, , 
n D r r r 31 r j 
3 . 29 | 
n r ’ fo = r e 3,6 „ 51 
n 6 pn np 22 r | i 


D 
Die obersten nnd mittleren vier Punkte (1, 4, 2, 5) erscheinen mithin 
gegenüber den untersten (3, 6) im Verhältnis von 129: 51. 


Von Punktzahl, Entfernung der Punkte, Lage, Ausdehnung 
und geometrischer Form wird jedes Buchstabenbild bedingt. 


28 Karl Biirklen. 


Alle diese Eigenschaften können zum Teil günstig, zum Teil un- 
günstig auf die Lesbarkeit der Zeichen einwirken. In der Mannig- 
faltigkeit ihres Zusammenwirkens lassen sich diese Einwirkungen 
jedoch vorläufig nicht sicher erkennen und in ihrer Bedeutung 
für das Tastlesen abschätzen, denn die von mir angestellten Ver- 
suche haben mehr nach der negativen Seite hin das Ergebnis 
geliefert, dafs die Punktzahl nicht wie bisher angenommen wurde, 
das entscheidende Moment für die Tastbarkeit bildet. Die von 
mir im Blindenfreund (1913, S. 64—67) versuchte Analysierung 
der Punktschriftzeichen nach Form, Ausdehnung und Lage dürfte 
wohl klar sein, aber der Einflufs dieser getrennten Momente auf 
die Lesbarkeit ist nicht sichergestellt. Weitere Versuche in dieser 
Richtung werden wohl auch darüber Klarkeit bringen und eine 
einwandfreie Reihung der Punktschriftzeichen nach ihrer Les- 
barkeit ermöglichen. 


Versuch zur Aufzeichnung der Tastbewegungen. 


Der Versuch, die Tastbewegungen der Lesfinger aufzuzeichnen, 
ist, obwohl dieselben vielfach beobachtet und beschrieben wurden, 
bisher nicht gemacht worden. Als ich den Gedanken hierzu 
falste, schien er mir nur schwer und umständlich ausführbar, 
denn es mulste erst eine Vorrichtung hierfür geschaffen werden 
und schlielslich fragte es sich, ob dieselbe brauchbar, d.h. genau 
genug arbeite. Am tauglichsten erschien mir hierfür eine auf- 
zusetzende Verlängerung des Lesefingers, die in einer Spitze 
endend, die Bewegungen zu Papier brachte. Nach mehreren 
Proben entschied ich mich für eine solche Verlängerung, die ich 
„Tastschreiber“ nannte (Abb. 8). 


Der Tastschreiber ist eine längliche, den Lesefinger zu zwei Dritt- 
teilen der Länge umfassende Klammer, die, aufgesetzt, das erste Fingerglied 
an der Unterseite freilüäfst, während der Fingernagel an das vordere, etwas 
umgebogene Ende anstifst. An dieser Stelle kann auch eine halbkreis- 
formige Drahtschlinge angebracht werden, in welche der vorstehende Teil 
des Nagels eingeschoben wird. An jener Stelle der Klammer, die über dem 
- Fingernagel sich befindet, ist eine 3 bis 4 cm vorstehende federnde Schlinge 
angebracht, an deren Ende sich ein Zirkeleinsatz fiir Bleistift betindet. Die 
yleistiftspitze vermag dadurch wohl nach oben und unten, nicht aber nach 
inks und rechts zu federn. 


Das Tastlesen der Blinden-Punktschrift. 29 





Abb. 9. Verwendung des Tastschreibers. 


Wird der Tastschreiber richtig auf den Lesefinger gesetzt, so 
zeichnet die Bleistiftspitze die Bewegungen desselben auf einem 
untergelegten Papierstreifen mit. 


Um möglichste Gleichmäfsigkeit zu erzielen, stellte ich noch eine 
Tafel her, auf welcher sich zwischen zwei schmalen Schienen ein Lese- 


30 Karl Biirklen. 


streifen einschieben, knapp oberhalb aber ein Papierstreifen auflegen läfst. 
Die zu lesenden Punktschriftzeichen sind in einen dünnen Blechstreifen 
gestanzt, während der Papierstreifen, auf welchem sich die Tastbewegungen 
des Fingers beim Lesen abzeichnen, neben mehreren Angaben über das 
Lesen die gleichen Punktschriftzeichen wie der Blechstreifen in Schwarz- 
druck zeigt. Die Aufzeichnung der Tastbewegungen erfolgt jedoch nicht 
auf diesen Zeichen, sondern der Deutlichkeit wegen unter denselben. Für 
die Papierlesestreifen wählte ich ein stärkeres Papier, das vor dem Gebrauch 
angefeuchtet wird, damit die Aufzeichnungen des Tintenstiftes, der in dem 
Tastschreiber steckt, deutlich genug werden. (Das für ähnliche Zwecke 
meistens verwendete berufste Papier hätte wohl feinere Linien geliefert, 
die Versuche wären dadurch aber nur noch umständlicher und zeitraubender 
geworden.) 

Mit den so geschaffenen Hilfsmitteln lieferten schon die 
ersten Versuche brauchbare Ergebnisse. Allerdings sollen auch 
gewisse Ungenauigkeiten, die in der Einfachheit der Vorrichtung 
ihren Grund haben, nicht übersehen werden. So erfolgt die Auf- 
zeichnung der Bewegungen nicht so abgerundet und ausgeglichen 
wie diese selbst, sondern etwas zitterig. Die Aufzeichnung ge- 
schieht mitunter in zu starken Linien, so dafs dann deren Verlauf 
nicht genau verfolgt werden kann. Auch stehen die Linien nicht 
stets unter den dazu gehörigen Zeichen, da der Finger beim 
Lesen in grölseren oder kleineren Winkeln von der senkrechten 
Lage abweicht. Beugungen des Lesefingers können nicht vor- 
genommen werden, doch ist dadurch die ganze Hand zu den sonst 
nur vom Finger unternommenen Tastbewegungen gezwungen. 
Trotz dieser Mängel wird nach der Benützung des Tastschreibers 
an seiner Brauchbarkeit nicht gezweifelt werden können. Viel- 
leicht lassen auch noch anzubringende Verbesserungen die an- 
geführten Nachteile verschwinden. 


Die Versuche und ihre Ergebnisse. 


I. Versuch. Die Tastbewegungen eines Lesefingers 
beim Lesen einzelner Zeichen. 


Es war vor allem darum zu tun, die Tastbewegungen eines 
Lesefingers festzustellen. Zu diesem Leseversuch wählte ich 
sämtliche Zeichen der Vollschrift mit dem Sechspunktzeichen. 
Ziffern und Satzzeichen liels ich als Wiederholungen der Grund- 
zeichen weg, da sie nur in enger Nebeneinanderstellung zu er- 
kennen sind. Die Entfernung der einzelnen Zeichen voneinander 


Das Tastlesen der Blinden-Punktschrift. 31 


nahm ich so, dafs der Finger zwischen ihnen auf eine leere 
Stelle gerät, also in 1!/, cm Weite. Um die übliche Textbreite 
einzuhalten, mulsten die gewählten 39 Zeichen auf vier Lese- 
streifen verteilt werden. Eine alphabetische Reihenfolge der 
Zeichen verbot sich von selbst. Ich griff daher zu der bei den 
Untersuchungen über die Lesbarkeit gefundene Reihenfolge, denn 
es erschien mir von Wert, deren Richtigkeit auch bei dem neuen 
Versuche prüfen zu können. Aufser den Punktschriftzeichen 
enthielten die Papierstreifen folgende Angaben : Name (des Lesers), 
Klasse, Alter, liest Punktschrift seit .... Jahren, gilt als sehr 
guter, guter, mittelmälsiger, schwacher, sehr schwacher Leser, 
Finger: Zr, Zl, Mr, Ml. 

Für die Versuche wurden von den blinden Anstaltszöglingen 
50 solche ausgewählt, welche die Punktschrift bereits lesen ge- 
lernt hatten. Es waren unter ihnen die meisten ohne Sehver- 
mögen, doch auch einige mit Sehresten. Einzelne lasen sogar 
die Punktschrift mit den Augen besser als mit den Fingern. 
Die Leser standen im Alter von 9 bis 18 Jahren und waren 
Schüler der III., IV., V. und der beiden Fortbildungsklassen. 


Die Vpn. wurden einzeln vorgenommen, ihnen die leere 
Tafel und die Stellung der Hand gezeigt, dann erst der Tast- 
schreiber auf den Finger gesetzt, wobei ihnen auch der Zweck 
des Vorhabens erklärt wurde. Nachdem ein Blechstreifen — in 
der Reihenfolge derselben wurde natürlich abgewechselt — ein- 
geschoben und der Papierstreifen aufgelegt war, wurde der aus- 
gestreckte Lesefinger (die anderen Finger blieben eingebogen) an 
den Anfang der Zeile geführt, um von da an das Lesen zu be- 
ginnen. Beim ersten Versuche wurde der rechte Zeigefinger als 
Lesefinger benützt. Die einzelnen Zeichen waren zu erkennen 
und richtig anzugeben. 


Von den erlangten Aufzeichnungen der Tastbewegungen 
gebe ich vor allem einige Beispiele wieder, die ein leichteres 
und schwereres Erkennen derselben Reihe von Punktschriftzeichen 
(1. Lesestreifen) zeigen. Während der gute Leser sich auf die 
notwendigsten Tastbewegungen beschränkt, sehen wir bei den 
ungeübteren und schlechten Lesern die Tastbewegungen immer 
komplizierter werden (Tafel II, Nr. 1—3). | 


Auch die bereits früher festgestellte Leseschwierigkeit findet 
sich dadurch bestätigt, dals bei dem 1. Lesestreifen sich eine 


32 Karl Bürklen. 


einfachere Tastlinie ergibt als bei den folgenden, doch fallen die 
Unterschiede bei geübten Lesern weniger auf. 

Lassen schon die ersten Proben in der Verschiedenheit der 
Tastlinien eine gewisse Charakteristik erkennen, so zeigen 
die folgenden eine solche ganz deutlich (Tafel II, Nr. 4—10). 
Wir sehen da: Nr. 4. Eine fast ohne Unterbrechung verlaufende 
ruhige Tastlinie. Nr. 5. Eine ruhige Tastlinie mit schwachen 
Zuckungen. Nr. 6. Eine sägeförmige, der einfachsten Schreib- 
bewegung ähnliche Tastlinie. Nr. 7. Eine mianderartige Tast- 
linie. Nr. 8. Eine Tastlinie mit mehreren Zuckungen an der- 
selben Stelle. Nr. 9. Eine schlingenförmige Tastlinie. Nr. 10. 
Kine verworrene Tastlinie. 

Was nimmt auf diese eigentümliche Gestaltung 
der Tastlinien Einflufs? Hat das blitzartig sich orien- 
tierende Auge beim Lesen eines Textes gewisse Suchbewegungen 
zu machen, wie erst die schwer sich zurechtfindende Hand des 
Blinden. Gibt man dem blinden Leser ein bedrucktes Blatt in 
die Hand, so sucht er mit der aufgelegten Hand durch Über- 
fahren die Ausbreitung des Textes zu erkennen. In der linken 
oberen Ecke, wo er den Textanfang vermutet, werden mit den 
Zeigefingern (meistens mit dem rechten) zickzackförmige Orien- - 
tierungsbewegungen unternommen und auf diese Art der Beginn 
der ersten Zeile festgestellt. Am Ende der Zeile angelangt, wird 
mit den Fingerspitzen im Zwischenraum zur nächsten Zeile nach 
links gefahren und der Beginn dieser gefunden. Häufig besorgt 
dies bereits der linke Zeigefinger, während der rechte noch im 
Lesen der vorhergehenden Zeile begriffen ist. Diese weit aus- 
greifenden Suchbewegungen beim Auffinden des Textes ver- 
ringern sich um so mehr, je mehr der Leser mit der Textein- 
richtung, Randbreite, Zeilenlänge, Zwischenraum und Zahl der 
Zeilen, vertraut wird. Die Tastbewegungen der lesen- 
den Finger sind also in erster Linie Suchbewe- 
gungen. Sie erstrecken sich über das ganze Blatt, werden 
besonders am Anfange der ersten Zeile bemerkbar (auf den Lese- 
streifen sind sie selten zu sehen, da der Lesefinger angesetzt 
wurde) und erstrecken sich auch auf den Verlauf der Zeile, ob- 
wohl sie sich hier bedeutend verkleinern. 

Nach dem Gesetze der Kraftersparung, das, wie bei allen 
körperlichen Tätigkeiten, auch beim Tastleseu in Geltung steht. 
fallen ohne Zweifel alle überflüssigen Bewegungen weg oder 


Das Tastlesen der Blinden-Punktschrift. 33 


wenigstens besteht die Temdenz hierfür. Die ideale Tast- 
dinie sollte also, sobald der Zeilenanfang festgestellt ist, als eine 
Gerade von links nach rechts durch die Mitte der Buchstaben 
gehen oder besser gesagt, der Taststreifen der Fingerkuppe 
 mülste den Buchstabenstreifen der Zeile decken. So sicher vermag 
nun aber die Fingerspitze niemals die Richtung zu finden und 
einzuhalten, und der Lesefinger ist daher zu Abweichungen von 
einer geraden Linie nach ab- und aufwärts gezwungen. Diese 
Abweichungen von der idealen Leselinie erfolgen zur Korrektur 
‘der Leserichtung besonders an jenen Stellen, wo der Finger auf 
ein Zeichen trifft. Trifft er es voll, so genügt beim guten Leser 
ein Übergleiten, geschieht dies nicht, so müssen notgedrungen 
die zur vollen Berührung des Buchstabens notwendigen Bewe- 
gungen ausgeführt werden. Die Bewegungen können auch den 
Zweck haben, sich zu vergewissern, dals das Zeichen, z. B. ein 


oo 
E. 
kurzes ‚ von oben berührt, nicht noch einen weiteren Punkt 
oo 


-zeigt è | . Aus diesen Gründen kann eine ununterbrochen ge- 
rade verlaufende Leselinie auch von den besten Lesern nicht 
eingehalten werden. Es sind vielmehr zur Einhaltung 
der Leserichtung mehr oder weniger häufige Such- 
bewegungen notwendig, deren Gestaltung einer Wellenlinie 
nahekommt. 

Mitunter erscheinen auch bei sehr guten Lesern andauernd 
stärkere Suchbewegungen, die aber sofért als Folge nervöser 
Erregungen erkannt werden können. Bei nervenempfindlichen 
Lesern bringt das Auftreffen des Fingers auf ein Zeichen un- 
willkürliche Zuckungen hervor. Macht ihnen das Einhalten der 
Leserichtung schon Schwierigkeiten, so scheint die nervöse Er- 
regung eine Reihe von Bewegungen auszulösen, die der ruhige 
Leser vermeidet. Diese Bewegungen erfolgen weniger ab- und 
aufwärts, sondern bestehen, wie die Aufzeichnungen zeigen, in 
einem unruhigen Gleiten in verschiedenen Richtungen, haupt- 
sächlich vor und zurück. 

Die Tastbewegungen sind jedoch auch zum Er- 
kennen der Zeichen (Buchstaben und Wörter) not- 
wendig. Ein Punkt (auch ein ganzes Zeichen) kann beim 
Aufdrücken des Fingers erkannt werden. Er wird jedoch 

Beiheft zur Zeitschrift für angewandte Psychologie. 16. 3 


34 Karl Biirklen. 


umso friiher und um so sicherer erkannt, je mehr Stellen der 
Haut mit ihm in Berührung kommen und derartige Berührungen. 
erfolgen eben während der Tastbewegungen. Zur raschen und 
sicheren Erfassung des Buchstaben- bzw. Wortbildes erfolgen 
daher neben den Suchbewegungen, wenn nötig, noch weitere Be- 
wegungen, hauptsächlich nach ab- und aufwärts. Dieselben ge- 
schehen niemals in den Zwischenräumen, sondern über einem 
Zeichen und zwar nach Notwendigkeit nicht einmal, sondern 
auch mehrmals. Die Richtigkeit obiger Behauptung geht auch: 
daraus hervor, .dafs sich die angeführten Tastbewegungen bei 
guten Lesern sehr stark verringern, aber auch bei diesen, wenn 
sie auf schwer leserlichen (verdrückten) Text stofsen, sofort wieder- 
auftauchen. Übrigens wurden sie auch bei den Versuchen be- 
obachtet, bei denen die Fingerspitze voll auf das Zeichen auf- 
gesetzt wurde, so dals sie keinesfalls als Suchbewegungen be- 
trachtet werden können. 

Welche Rolle die Tastbewegungen bei der angenommenen 
Synthese und Analyse der Buchstaben und Wortbilder spielen, 
bleibe vorerst dahingestellt. Wie die psychologische Erfassung, 
das Erkennen stattfindet, ist eine noch höchst unklare, die später 
berührt werden soll. 

Durch die Verschmelzung der Suchbewegungen. 
(abgesehen von jenen am Anfang der Zeile) mit den Er- 
kennungsbewegungen lälst sich für die Tastbewegungen. 
beim Lesen einzelner um mehr als Fingerbreite auseinander- 

stehender Zeichen folgendes Schema bilden (Abb. 10). 


m m 


Ideale Tastlinie. 


ee 


Tastlinie mit leichten Unterbrechungen. 
Tastlinie mit stärkeren Unterbrechungen. 
| Tastlinien mit mehrmaligen Unterbrechungen. 


oa oO oo Naa 


Abb. 10. 


Das Tastlesen der Blinden-Punktschrift. 35 


Die Form der Unterbrechungen ist meist sägeförmig, zeigt 
mitunter aber auch Mäander- und Schlingenform. 


I]. Versuch. Die Tastbewegungen eines Lesefingers 
beim Lesen von Worten und Sitzen. 


Unter sonst gleichen Bedingungen wie beim ersten Versuche 
wurden diesmal zwei Zweilen mit Worten bzw. Sätzen gelesen. 
Es sollte dies die Beobachtung ermöglichen, welche Tastbewe- 
gungen beim Lesen von zusammenhängenden Worten ausgeführt 
werden und wie der Übergang von einer Lesezeile zur anderen 
geschieht. 

Der Lesestreifen V enthielt Worte (also zusammenhängende 
Zeichen in der gewöhnlichen Entfernung, 2 mm, mit den üblichen 
Zwischenräumen, 8 mm, zwischen je zwei Worten) und zwar die 
Namen: | 

„Otto August Hermann Konrad Ida 

Georg Wilhelmine Vitus Kastor.“ 

Aufser bekannten Eigennamen wurden auch zwei fremde, den 
Lesern ungewohnte, gewählt. Der Zweck dieser Auswahl war, 
zu sehen, ob letztere ebenso leicht gelesen würden als die be- 
kannten. | 

Der Lesestreifen VI zeigte zwei Sätze: 

„Morgenstund hat Göld im Mund. 

Xerxes war ein Perserkönig.“ 

In das erste, allen Lesern geläufige Sprichwort wurde im Worte 
„Gold“ ein Fehler, statt des o das symmetrische Zeichen fiir 6, 
absichtlich eingefügt, um die Aufmerksamkeit beim Lesen zu er- 
proben. Der zweite Satz hatte einen den Lesern fernliegenden 
Inhalt mit den fremden Worten „Xerxes“ und „Perser“. Das 
Wort „Perserkönig“ hatte mit 11 Zeichen auch die gröfste Aus- 
dehnung. 

Zu Beginn der Leseproben wurde den J.esern gesagt, dals 
sie diesmal zwei Zeilen mit Worten, also nicht einzelne Zeichen 
wie früher, zu lesen hätten. Gelesen wurde wieder mit dem 
Zeigefinger. | 

Als allgemeine Bemerkungen bei den Leseproben sind an- 
zuführen, dafs das Lesen von Worten mit nur einem Finger den 
meisten Lesern ziemlich schwer fiel, also nur langsam und mit 
grolser Aufmerksamkeit vonstatten ging, und dals viele der Leser 

D 3* 


e 


36 Karl Bürklen. 


aufgefordert werden mulsten, beim Zurückfahren den Lesefinger 
auf dem Lesestreifen zurückzuführen, da sie ihn in der Luit 
zurücknehmen wollten. 

Betrachtet man vorerst den Verlauf der Tastlinien 
über die zwei Lesezeilen ohne Rücksicht auf den Text an 
solchen Beispielen, bei denen relativ gleichmälsig gut gelesen 
wurde, so findet man bei den guten Lesern eine wenig unter- 
brochene Linie, bei den schwächeren eine Vermehrung der Tast- 
bewegungen, die sich bei den schwachen Lesern bis zur Ver- 
worrenheit der Linien steigert. (Tafel III, Nr. 11—16.) Die von 
der Leserichtung abweichenden Tastbewegungen sind infolge der 
engen Stellung der Zeichen mehr aneinandergedrängt, als bei 
dem ersten Versuche mit entfernter stehenden Zeichen. Mitunter 
sind es nur leichte Abweichungen, mitunter zeigen sich wellen- 
förmige Bewegungen der Tastlinie, häufig ist diese sägeförmig. 
Grölsere Bewegungen werden nur am Anfang eines schwer zu 
erkennenden Wortes ausgeführt (Tafel III, Nr. 14 und 16), während 
die kleineren Bewegungen die Feststellung der einzelnen Zeichen 
bezwecken oder Suchbewegungen sind. Die leeren Räume zwi- 
schen nebeneinander stehenden Worten werden deutlich erkannt 
und glatt überfahren. 

Am Anfange der Zeilen treten deutliche Suchbewegungen 
auf. Der Übergang von einer Zeile zur anderen erfolgt 
im Zwischenraum der Zeilen oder auf der gelesenen Zeile, selten 
auf der neuen Zeile. Die Rückkehrlinie ist in ihrem glatten 
Verlauf von den Leselinien gut zu unterscheiden. 

Die Erkennbarkeit der Worte zeigte, abgesehen von 
den Leseschwierigkeiten der einzelnen Zeichen, grofse Verschieden- 
heiten. In der Mehrzahl wurden die Wortbilder erfalst und nur 
bei schwer lesbaren Worten kommt es, wie die daselbst sich 
häufenden Tastbewegungen zeigen, zum Zerlegen des Wortbildes, 
zum Buchstabieren. 

Bei dem Lesestreifen V wurde nach dem Lesen der ersten 
Worte, bei denen die Leser sehr vorsichtig zu Werke gingen, 
bald erkannt, dafs es sich um Taufnamen handle, was die Er- 
fassung der folgenden Namen sichtlich erleichterte. In der ersten 
Zeile bereiteten die Worte „Otto“ und „Ida“ trotz der wenigen 
Zeichen verhältnismäfsige Schwierigkeiten. Ich führe dieselben 
auf die durch die Breite der Zeichen bedingte Zusammendrängung 
bei „Otto“ und auf die Kürze der Zeichen bei „Ida“ zurück. 


Das Tastlesen der Blinden-Punktschrift. 37 


Das Wort „Wilhelmine“ wurde oft, bevor es ganz überfahren 
war, als „Wilhelm“ gelesen, sobald der Finger aber das Ende 
des Wortes traf, als , Wilhelmine“ richtiggestellt. Die relativ 
grölste Unsicherheit trat in der zweiten Zeile bei den Namen 
, Vitus“ und ,Kastor“ auf. Das erstere wurde oft sofort richtig 
gelesen, zur Sicherheit aber nochmals überfahren, bei letzterem 
wurde die Silbe „Ka“ leicht, dagegen die Silbe „stor“ schwer 
gelesen. 

Lesestreifen VI. Auch hier tritt dieselbe Erscheinung wie 
bei Lesestreifen V auf, dals den Lesern fernliegende oder un- 
bekannte Worte, trotzdem sie aus leicht zu erkennenden Zeichen 
zusammengesetzt sind, die relativ grölsten Schwierigkeiten bieten. 
Die Bedeutung des sinngemälsen Lesens tritt hier noch stärker 
hervor. Im Sprichwort „Morgenstund hat Gold im Mund“ wurden 
nach Feststellung der ersten Worte die weiteren nur flüchtig über- 
fahren. Dabei wurde der im Worte „Göld“ absichtlieh gemachte 
Fehler unter 50 Lesern von 36 übersehen und nur von 14 be- 
merkt. Die Feststellung des Fehlers erforderte stets vermehrte 
Tastbewegungen. Häufig wurden auch die Worte „Morgenstund“ 
als „Morgenstunde“ und „Mund“ als „Munde“ gelesen. Die 
Hauptschwierigkeiten des Satzes „Xerxes war ein Perserkönig“ 
lagen in den Worten „Xerxes“ und „Perserkönig“, wobei die 
Länge des letzten Wortes sichtlich erschwerend wirkte (Tafel III, 
Nr. 15 und 16). 

Das Tastlesen von Worten und Sätzen weist nach 
diesen Untersuchungen bis auf dieLangsamkeit des 
Vorganges gro[lse Ähnlichkeiten mit dem Augen- 
lesen auf. Dasselbe erfolgt in zusammenfassender 
Weise durch die Auffassung von Wortbildern. Je 
grölser die Aufmerksamkeit des Lesers und sein 
Wortschatz, desto bedeutungsvoller ist die Rolle 
der Assimilation. Unbekannte Worte erschweren 
den Lesevorgang um ein Bedeutendes und machen 
eine Zerlegung des Wortbildes notwendig. Der Über- 
gang von einer Zeile zur anderen führt zu einer, 
das flie[sende Lesen störenden Pause. 


III. Versuch. 


Dieser Versuch galt der Beantwortung folgender Fragen: 
1. Welche Finger besitzen die Fähigkeit, zu lesen? 


38 Karl Bürklen. 


2. Welcher Finger liest am besten’? 
3. Welcher von den Zeige- bzw. Mittelfingern liest am schwersten? 
4. Welche Finger werden gewöhnlich beim Lesen gebraucht? 

1. Frage. Welche Finger besitzen die Fähigkeit, zu lesen? 
Die Angaben der 50 Leser waren folgende: In 47 Fällen wurden 
in erster Linie die Zeige- und Mittelfinger als befähigt bezeichnet; 
hierzu in 14 Fällen die beiden Ringfinger, in 14 Fällen Ring- 
finger und kleine Finger. 22 Leser erklärten, mit Ringfinger und 
kleinem Finger nicht lesen zu können. Zwei Leser gaben an, 
nur mit den beiden Zeigefingern lesen zu können, einer nur mit 
dem Zeige- und Mittelfinger rechts. 

Vor allem sind Zeige- und Mittelfinger Lesefinger, jedoch 
schon mit deutlicher Abstufung der Fähigkeit. Bei den Ring- 
fingern sinkt die Lesefähigkeit bereits unter die Brauchbarkeit. 
Noch geringer ist sie bei den kleinen Fingern. Die Möglichkeit, 
auch diese Finger zum Tastlesen heranziehen zu können und 
ihre geringe Lesefähigkeit zu steigern, steht wohl aulser Frage, 
doch besteht hierfür keine Notwendigkeit. Ich liefs deshalb auch 
Ringfinger und kleine Finger für die folgenden Fragen aufser 
Betracht. 

2. Frage. Welcher Finger liest am besten? Es wurden be- 
zeichnet: | 

Zeigefinger rechts in 34 Fällen, 
4 links , 14 in. 
Mittelfinger rechts „ 2 ae 
Die letzten Fälle betreffen zwei Leser, welche erst mit 15 bzw. 
16 Jahren und ohne gründliche Anleitung das Tastlesen erlernt 
hatten. Als beste Lesefinger sind ohne Frage die beiden Zeige- 
finger zu betrachten. 

Nach vorstehenden Angaben hatte es den Anschein, als würde 
der rechte Zeigefinger gegenüber dem linken der bessere Lese- 
finger sein und ich neigte nach meinen Beobachtungen beim 
Lesen auch dieser Ansicht zu. Die Bekanntgabe jedoch, dals 
Blindenlehrer P. GrasEMANN in Hamburg, mit welchem ich wih- 
rend meiner Arbeit in Verbindung trat und welchem ich wert- 
volle Anregungen zu danken habe, durch Leseversuche zu dem 
Ergebnisse gelangt sei, die linke Hand sei der rechten in der 
Lesetüchtigkeit überlegen, veranlafste mich, die Angaben unserer 
Versuchspersonen mittels GRASEMAnxNs Methode nachzuprütfen. 
Ich liefs wie er drei Seiten eines erzühlenden Lesestoffes (Voll- 


Das Tastlesen der Blinden-Punktschrift. 39 


schrift oder Kurzschrift) lesen und zwar die erste Seite mit beiden 
Händen, die zweite Seite mit der linken, die dritte Seite mit der 
rechten Hand allein. Die Lesezeiten wurden ohne Rücksicht auf 
‘Stockungen und Wiederholungen aufgezeichnet. Wie bei GRASE- 
MANN liefsen sich die vorgenommenen 66 Leser in solche scheiden, 
die mit beiden Händen gleich gut lesen, solche, die mit der linken 
und solche, die mit der rechten Hand besser lesen. Nach GRASE- 
MANN rechnete ich zur 1. Gruppe diejenigen, bei denen das links- 
händige und rechtshändige Lesen ungefähr dieselben Zeiten auf- 
wies (bei denen der Unterschied nicht mehr als 20°, betrug), 
zur 2. Gruppe diejenigen, welche links, zur 3. Gruppe diejenigen, 
welche rechts rascher lesen konnten. 


Von den 66 Lesern lasen 
beidhändig gleich gut 15 Leser = 23°,,, 
linkshändig besser 30 , = 45%, 
rechtshindig besser 21 , == 32%). 


Die Richtigkeit der Grasemannschen Versuchsergebnisse war 
damit bestitigt und es galt nun den Grund der abweichenden 
früheren Angaben der Versuchspersonen zu finden. Der Ver- 
gleich der angelegten Tabellen zeigte, dafs nur einige Leser sich 
in den Angaben links und rechts geirrt hatten. Dagegen hatte 
eine grölsere Zahl rechts angegeben, trotzdem sie rechts und 
links gleich gut lesen, so dafs in der ersten Angabe die Gruppe 
der Beid- und Rechtshänder in einer Gruppe vereinigt erscheinen, 
während sie durch die Leseversuche getrennt wurden. 


3. Frage. Welcher von den Zeige- bzw. Mittelfingern liest 
am schwersten? Es wurden angegeben: 
Mittelfinger links in 33 Fällen, 
o rechts „ 12 E 
Zeigefinger links , 4 on 
S rechts „ 1 Fall. 


4. Frage. Welche Finger werden gewöhnlich beim Lesen 
gebraucht? Es wurde nach den Angaben gelesen: 


Mit zwei Fingern in 41 Fällen und zwar 
mit Zr und Zl in 37 Fällen, 
» “ZL , Ml, 2 k, 
, or , Mr, 1 Fall, 
e. NEE a EK eg, D ou 


40 Karl Biürklen. 


Mit einem Finger in 6 Fällen und zwar 
mit Zr in 5 Fällen, 
» Mr, 1 Fall. 
Mit drei Fingern in 3 Fällen und zwar 
mit Zr Zl und Mr in 2 Fallen, 
» “r Zl, Ml, 1 Fall. 

Als Kontrollfrage wurde schliefslich folgende gestellt: Welcher 
Finger ist beim Lesen am tätigsten? Die Angaben deckten sich 
mit jenen der Frage 2. 

Die Ergebnisse aus Vorstehendem lassen sich also zusammen- 
fassen: Die Möglichkeit zum Tastlesen ist bei allen 
Fingern gegeben. Wenn hauptsächlich die Zeige- 
finger, ausnahmsweise auch Mittelfinger, zum Le- 
sen gebraucht werden, so liegt dies in ihrer bevor- 
zugten Stellung, grölseren Beweglichkeit und der 
erlangten Übung. 

Als beste Lesefinger sind die Zeigefinger anzu- 
sehen. InderRegellesen auch nur die beiden Zeige- 
finger. Mitunter wird nur mit einem Zeigefinger gelesen. In 
Ausnahmefällen kommen aulser einem Zeigefinger auch ein 
Mittelinger gemeinsam mit ersterem zur Verwendung, noch 
seltener lesen drei Finger gemeinsam, wobei zu den Zeigefingern 
noch ein Mittelfinger tritt. 


Vergleicht man die Lesetüchtigkeit der beiden 
Hände miteinander, so findet man, dafs bei ',, der 
blinden Leser rechte und linke Hand gleich gut 
lesen, bei ï, sich jedoch ein Unterschied in der Art 
bemerkbar macht, dafs die linke Hand der rechter 
Hand in der Lesefertigkeit einigermafsen über- 
legen ist. 


IV. Versuch. 
Lesen einzelner Zeichen mit zwei Fingern. 


Lesefinger waren bis auf einen einzigen Fall, wo die beiden 
Mittelfinger verwendet wurden, stets beide Zeigefinger. Um die 
Tastbewegungen der beiden Lesefinger voneinander zu unter- 
scheiden, wurden in die Tastschreiber verschiedenfarbige Stifte 
eingesetzt und zwar für den rechten Finger grün, für den 
linken rot. Gelesen wurde am Lesestreifen III. 


Das Tastlesen der Blinden-Punktschrift. 4l 


Als allgemeine Beobachtung bei diesem Versuche konnte 
festgestellt werden, dafs die Tätigkeit der beiden Lese- 
finger in bezug auf Zahl und Form der Tastbewe- 
gungen eine verschiedene ist. Bei guten Lesern gleiten 
wohl die beiden Lesefinger gleichmäfsig auf der Zeile hin (Tafel IV, 
Nr. 17), so dals sich ein Unterschied in der Betätigung kaum 
entdecken lälst, doch in der überwiegenden Zahl der Fälle ist 
die Verschiedenartigkeit der Betätigung der Finger in den Tast- 
linien deutlich zu erkennen. So ist aus den Beispielen (Tafel IV, 
Nr. 19—25) das Hervortreten der Bewegungen des einen Lese- 
fingers zu ersehen und zwar ist es sowohl der rechte, häufiger 
jedoch der linke Lesefinger, der umfangreichere Tastbewegungen 
ausführt. Neben diesen gehäuften Bewegungen des 
einen Fingers geht der zweite mit mehr oder minder 
gleichlaufenden Bewegungen dahin. Diese Parallel- 
bewegungen erfolgen wohl unwillkürlich, denn sie erscheinen 
selbst dort, wo der zweite Finger gar nicht mehr auf der Zeile 
läuft (Tafel IV, Nr. 21 und 23). Mitunter wird der eine oder an- 
dere Lesefinger gänzlich ausgeschaltet (Tafel IV, Nr..22). Schliels- 
lich gibt es auch Fälle, wo beide Finger nahezu gleichmälsig 
tätig erscheinen oder in ihrer Arbeit abwechseln (Tafel IV, Nr. 24 
und 25). 

Die überwiegende Tätigkeit des einen Fingers beim Tastlesen 
könnte die Annahme rechtfertigen, dafs überhaupt nur ein Finger 
liest und die Tätigkeit des zweiten Fingers nur der Ergänzung 
oder Kontrolle dient. Jedoch läfst sich vorläufig noch nicht ab- 
sehen, in welchen Beziehungen die Tastbewegungen zu den ein- 
zelnen Vorgängen des Leseaktes stehen. Für diese Frage wären 
besonders zwei Fälle, wie sie aus dem vorstehenden Versuche 
deutlich hervortreten, in Betracht zu ziehen. 

1. Fall. Ruhigere Leselinie des rechten Fingers, lebhaftere 
Tastbewegungen des linken Fingers. 


NN I ee 


Tr 11-0771. 


Abb. 11. 


Hierbei könnte dem rechten Finger eine flüchtige übersicht- 
liche Erfassung, dem linken eine deutliche Aufnahme durch Er- 


42 Karl Bürklen. 


gänzung oder Zergliederung, also die Sicherstellung zugeschrieben 
werden. 

2. Fall. Lebhafte Tastbewegungen des rechten Fingers, 
ruhigere Leselinie des linken Fingers. 


penne LS 
Abb. 12. 
Hier könnte bereits eine vollständige Erfassung durch den 
rechten Finger angenommen werden, während dem linken wohl 
nur eine notwendig erscheinende Überprüfung obliegt. 


Als weiterer Fall wäre anzunehmen, dafs die geschilderten 
Tätigkeiten der beiden Finger untereinander abwechseln. 


V. Versuch. Lesen von Worten in einem Satze 
durch zwei Lesefinger (beide Zeigefinger). 


Als Lesetext wurde folgender, auf zwei Zeilen stehender 
Satz gewählt: 

„Es war einmal ein Mann, Egbert 
geheilsen, aus dem Lande Bayern.“ 

Bei einer Reihe von Lesern traten wieder mehr oder weniger 
ruhige gleichlaufende Tastlinien auf, die ein besonderes Hervor- 
treten des einen oder anderen Fingers nicht erkennen lassen 
(Tafel V, Nr. 26—30). 

Das Aufsuchen der neuen Zeile wird meistens durch den 
linken Lesefinger besorgt (Tafel V, Nr. 26 und 27). 

Bei anderen Lesern ist eine grölsere rechts- oder linksseitige 
Tätigkeit der Lesefinger zu ersehen (Tafel V, Nr. 23—30). 

Leseschwierigkeiten waren vor allem bei den Worten „Egbert“ 
und „Bayern“ zu bemerken. 


VI. Versuch. Aufzeichnung der Druckstärke 
beim Tastlesen. 


Das Hinweggleiten der. Lesefinger über die Punktschrifi- 
zeichen ist zur Berührung der Zeichen von einem gewissen Druck 
begleitet. In der Literatur findet sich keinerlei Hinweis auf die 
Stärke und Veränderlichkeit dieses Druckes. Wohl ist schon aus 


Das Tastlesen der Blinden- Punktschrift. 43 


der Beobachtung zu erkennen, dafs das Tastlesen bei guten 
Lesern mit einem verhältnismälsig geringen und möglichst gleich- 
bleibenden Fingerdruck vor sich geht. Wo sich Leseschwierig- 
keiten ergeben, wie beim Anfänger oder bei undeutlichem Punkt- 
relief, kann auch eine mit vermehrten Tastbewegungen ver- 
bundene Druckverstärkung vermutet werden. Namentlich das 
Herabgleiten des Lesefingers über die schwerer zu erkennenden 
Punktschriftzeichen bekräftigt diese Annahme. 

Zur Aufzeichnung der Druckstärke beim Tastlesen empfahl 
mir Herr Prof. Dr. W. Kammer, Leiter des „Pädagogisch-psycho- 
logischen Laboratoriums an der n.-ö. Landes-Lehrerakademie in 
Wien“ die Schreibwage und unterstützte mich bei den Aufnahmen 
in entgegenkommendster Weise. Dr. W. Kammer beschreibt die 
Versuchsanordnung folgendermalsen: „Was die experimentelle 
Analyse der Druckempfindlichkeit beim Tastlesen betrifft, so ge- 
schah dieselbe durch die Druck- und Zeitmessung. Um die sehr 
charakteristischen Druckverhältnisse experimentell nachzuweisen, 
bedienten wir uns des pneumatischen Apparates, den E. MEUMANN 
(10, III. B. S. 538) beschreibt und den die Lichtbildaufnahme 
(Abb. 13) wiedergibt. Die blinden Zöglinge wurden angewiesen, 





| 


Abb. 13. Versuchsanordnung bei der Aufzeichnung der Druckstärke 
beim Tastlesen. 


| 44 Karl Bürklen. 


bestimmte Schriftzeichen (Buchstaben, Worte und kurze Sätze) 
von dünnen Metallplatten abzulesen, die auf einer beweglichen 
Holzplatte befestigt waren. Diese Holzplatte stützte sich durch 
einfache Holzhebel auf zwei pneumatische Kapseln,! von denen 
der Druck durch einen Gummischlauch auf einen Marrvschen 
Tambour übertragen wurde, dessen Registrierhebel die beim Ab- 
lesen der Schriftzeichen hervorgebrachten Druckschwankungen 
im Volumen der eingeschlossenen Luft auf einer mälsig schnell 
rotierenden Kymographiontrommel aufzeichnete. Was die Be- 
stimmung der zum Lesen notwendigen Zeit betrifft, so wurde 
dieselbe gleichzeitig auf der Kymographiontrommel aufgezeichnet, 
indem mit Hilfe eines Markiermagneten der Augenblick markiert 
wurde, in welchem der Leser das folgende Zeichen mit dem 
Zeigefinger der rechten Hand berührte. Aufserdem wurde die 
Zeit mittels eines Chronographen nach JaQquEtT in Ftinftelsekunden 
markiert, so dafs es möglich war, die Lesezeit bis auf 0,2 Se- 
kunden zu bestimmen.“ 

Die Versuche wurden mit 15 Zöglingen der n.-ö. Landes- 
Blindenanstalt in Purkersdorf, welche die Lesefertigkeit der Punkt- 
schrift in verschiedenem Grade zeigten, ausgeführt. Gelesen 
wurde nur mit dem rechten Zeigefinger, ohne die Hand aufzu- 
stützen, um ein klares Bild der Druckstärke zu erhalten. Gelesen 
wurde auf den Lesestreifen I, III und V. Aus den Abbildungen 
auf Tafel VI ist die Bedeutung der auf den Streifen sichtbaren 
Linien zu ersehen. Die oberste volle Linie ist die Druck- 
kurve, welche vom Registrierhebel des Marreyschen Tambours 
gezeichnet wurde, die wagrechte punktierte Linie die Normal- 
oder Nullinie. Wie bereits angeführt wurde, geschah die 
Markierung des Zeitpunktes, bei welchem der Lesefinger einen 
einzelnen Buchstaben oder bei Worten das erste Zeichen be- 
rührte, durch einen besonderen Taster, dessen Marken auf der 
dritten Linie zu finden sind. Auf diese Weise konnte nachträg- 
lich der Lesetext, wie er auf den Streifen zu sehen ist, einge- 
tragen werden. Die unterste Linie zeigt die Zeitmarkierung 
in 0,2 Sekunden und gestattet die genaue Bestimmung der Lese- 
zeiten für die Zeichen bzw. Worte. 

In den Lesekurven (Tafel VI, Nr. 1—3) haben wir bei 


! Um genauere Messungen vorzunehmen, wurden zwei Kapseln ver- 
wendet. MEUMANN benützte nur eine, 


Das Tastlesen der Blinden-Punktschrift. 45 


gleichem Lesetext und zwar einzelnen Zeichen drei vonein- 
ander gänzlich verschiedene Drucklinien vor uns. Die geringe 
Erhebung der ersten Drucklinie über die Nullinie sagt uns, dafs 
der beim Lesen ausgeübte Druck nur ein geringer war; der 
gleichmälsige Verlauf lälst erkennen, dals der Lesefinger mit 
gleichbleibendem Druck über die Zeilen hinglitt. Es handelt sich 
hier um einen guten und ruhigen Leser. Ähnliche Aufnahmen 
finden sich von mehreren anderen guten Lesern vor. Die zweite 
Drucklinie zeigt bereits einen ungleichmäfsigen Verlauf. Sie 
steigt beim Berühren des ersten Zeichens ziemlich stark an unıl 
auch bei den folgenden Zeichen löst fast jede Berührung einen 
stärkeren Druck aus, obwohl die Linie nicht mehr zur früheren 
Höhe ansteigt. Diese Linie rührt von einem mittelmäfsigen Leser 
einer unteren Klasse her. Noch schwankender ist die dritte 
Drucklinie. Besonders in der ersten Hälfte wird ein starker 
Druck ausgeübt, der bei jedem Zeichen schroff ansteigt, währen: 
in der zweiten Hälfte sich die Druckschwankungen bedeuten! 
abschwichen. An dem Verlauf der Drucklinie über dem fünften 
Zeichen lassen sich gut die mit der Erkennungsschwierigkeit ver- 
bundenen Tastbewegungen als Druckschwankungen erkennen. 
Der Leser, ebenfalls ein Schüler der unteren Klassen, besitzt 
mittelmäfsige Lesefertigkeit, ist jedoch ein nervöser Knabe, so 
dafs ein Teil der Druckschwankungen wohl auf seine Erregung 
zurückzuführen ist. Von schwachen Lesern sind Aufnahmen vor- 
handen, welche das gleiche Bild wie die dritte Drucklinie zeigen. 

Die Lesezeiten für ein Zeichen sind beim ersten l.eser 
nahezu gleich (1—2 Sek.), während sich bei den anderen grölsere 
Unterschiede bemerkbar machen (2—5 Sek). Noch weiter dehnt 
sich die Lesezeit bei schwachen Lesern aus. Wurde der gleiche 
Lesetext von demselben Leser wiederholt, so verkürzte sich woll 
die Lesezeit, der Verlauf der Drucklinie veränderte sich jedoch 
nur wenig. 

Die drei wiedergegebenen Drucklinien kann 
man als typisch für gute, mittelmälsige und schwache 
Leser ansehen. 

Beim Lesen von Worten wiederholen sich dieselben Er- 
scheinungen wie beim Lesen einzelner Zeichen (Tafel VI, Nr. 4—6). 
Wir finden wieder bei guten Lesern einen geringen und gleich- 
mälsigen Druck, bei mittelmäfsigen Lesern stärkeren Druck und 
Ansteigen der Drucklinie bei jedem neuen Worte, endlich kräftige 


46 Karl Bürklen. 


und vermehrte Druckschwankungen bei schwachen Lesern. Auch 
die Lesezeiten, welche sich bei Worten im allgemeinen verkürzen, 
verteilen sich ähnlich wie bei den einzelnen Zeichen. Die Druck- 
schwankungen beim Zeilenübergang prägen sich deutlich aus. 
Die Drucklinien vier und fünf rühren von den Lesern eins und 
zwei her, während mit der Drucklinie sechs die eines guten aber 
nervösen Lesers wiedergegeben ist, was sich aus dem Verlaufe 
in der ersten und zweiten Zeile ersehen läfst. 

Mit der Orientierung zu Beginn des Lesens ist ein stärkerer 
Druck verbunden, der den Suchbewegungen zuzuschreiben ist. 

Betrachtet man die dreilsig erlangten brauchbaren Aufnahmen 
der Druckstärke, so läfst sich jeder Leser aus dem charakte- 
ristischen Verlauf der Drucklinie erkennen, so indivi- 
duell sind diese Linien gestaltet. In dieser Hinsicht besteht eine 
Ahnlichkeit mit dem Schriftcharakter sehender Personen. Sicher 
ist für diese Charakteristik nicht allein die Lesefertigkeit, sondern 
es sind auch gewisse individuelle Eigenschaften mafsgebend. Am 
deutlichsten tritt in den Drucklinien nervöse Erregbarkeit hervor. 

Zusammengefafst stellen sich die Versuchsergebnisse folgender- 
mafsen dar: 

Am Anfange einer Zeile ist durch die Drucklinie 
ein stärkeres Aufdrücken des Lesefingers festzu- 
stellen. Diese Druckschwankungen hängen mit den 
Suchbewegungen des Lesefingers zusammen. 

Gute Leser zeigen meistens eine in gleicher Höhe 
verlaufende glatte Drucklinie, während unsichere 
Leser den Druck mehr oder weniger verstärken. 
Leseschwierigkeiten führen in Verbindung mit ver- 
mehrten Tastbewegungen zur Druckverstärkung und 
damit zu einer schwankenden Drucklinie. 

Die Drucklinien zeigen bei jedem Leser einen 
ganz individuellen Charakter, der nicht nur aus der 
Lesefertigkeit, sondern auch aus anderen indivi- 
duellen Besonderheiten sich ergibt. 


VII. Versuch. Veränderungen der Tastfähigkeit 
während des Tastlesens. 


Lingeres Tastlesen mufs naturgemäfs nicht nur mit geistiger 
Ermüdung, sondern auch mit einer Herabsetzung der Tast- 


Das Tastlesen der Blinden-Punktschrift. 47 


empfindlichkeit an den Fingerspitzen verbunden sein. Die An- 
nahme der Blindenpidagogen ging bisher dahin, dafs durch die 
Inanspruchnahme der Lesefinger die Herabsetzung der Tastemp- 
findlichkeit an den Fingerspitzen ziemlich rasch vor sich geht, 
während dagegen die Augen beim Lesen der Schwarzschrift eine 
bedeutend grölsere Ausdauer entwickeln. Abgesehen von den 
bereits angeführten Umständen, die das Tastlesen erschweren 
oder gänzlich unmöglich machen, erklären blinde Leser, nach 
längerer Lesezeit (4—5 Stunden) keinen deutlichen Eindruck 
der Zeichen mehr zu erhalten. 

JavaL bemerkt diesbezüglich (5, 8. 7): „Wenn ich viel gelesen habe, 
fühlen sich die Punkte mit dem geben Zeigefinger wie Wolle an, mit dem 
linken dagegen spitz. Allerdings wurden auch in bezug auf die Ermüdung 
beim Tastlesen ziemlich weit auseinandergehende individuelle Unterschiede 
beobachtet.“ 

Soweit war auch ich über diese Sache orientiert, als ich an 
nachstehend beschriebenen Versuch ging. Zur Prüfung der Ab- 
stumpfung der Tastempfindlichkeit beim Lesen gebrauchte ich 
das Asthesiometer und wählte unter den verschiedenen Formen 
das Doppelgewichts-Ästhesiometer von Dr. W. KAMMEL aus, konnte 
es jedoch in seiner Einteilung von 5 zu 5 mm für die Finger- 
spitzen nicht gebrauchen. Vorversuche führten vielmehr dazu, 
für die Prüfung an den Fingerspitzen als zweckmälsigste Inter- 
valle 2, 3, 4 und 5 mm zu nehmen. Diese geringen Abstände 
machten eine Abänderung in der Form der Nadelköpfe not- 
wendig, die nicht rund sondern flach gestaltet wurden. Weiter 
erschien eine Erhöhung der Nadelgewichte bis 1,5 g notwendig, 
um mit den abgestumpften Nadeln einen entsprechend starken 
Eindruck auf der ziemlich dicken Haut an den Spitzen der 
Zeigefinger hervorzubringen. 

Die Untersuchungen über die Veränderungen der Tastempfind- 
lichkeit wurden an den beiden Zeigefingern vorgenommen, um 
erkennen zu lassen, ob die Herabsetzung der Tastempfindlichkeit 
an beiden Lesefingern in gleichem oder verschiedenem Grade vor 
sich geht. Die Nadeln wurden im ersten Drittel jener Linie auf- 
gesetzt, die von der Rosette des ersten Fingergliedes zur Spitze 
gezogen wurde und zwar senkrecht auf die Medianlinie (Abb. 14). 

(Abb. 14 siehe S. 48.) 


Nach der Methode Dr. KAmmEıs wurden in jeder der Ent- 
fernungen von 2, 3, 4 und 5 mın Serien von Berührungen vor- 


48 


Karl Biirklen. 


genommen, von denen jede Serie 3 Kontakte und 1 Vexier- 


versuch umfalste. 


Die Tabellen wurden (siehe S. 50) dement- 


sprechend eingerichtet. 





Abb. 14. 


Die Lesezeit umfalste 6 Stunden mit 
einer halbstündigen Unterbrechung nach der 
dritten Stunde und zwar die Stunden von 
9 bis 12 Uhr vormittags ('/, Stunde Pause) 
und 1/1 bis !/,4 Uhr nachmittags. Gelesen 
wurde in Unterhaltungsschriften, die in üb- 
licher Punktgröfse gedruckt waren (Voll, 
oder Kurzschrift nach Wahl). 

Mit diesen Untersuchungen wurde die 
Ermüdungsmessung am Unterarm genau 
nach den Angaben Dr. KAmmeus verbunden, 
um einen Vergleich mit beiden gewinnen 


zu können (Abb. 15). 





Abb. 15. Versuchsanordnung bei der Prüfung der Tastempfindlichkeit. 


Als Versuchspersonen wurden 20 Zöglinge der hiesigen An- 
stalt ausgewählt und zwar 10 in der Berufsbildung stehende 
(5 männlich, 5 weiblich) im Alter von 16 bis 19 Jahren und 
10 Schüler (5 männlich, 5 weiblich) im Alter von 10 bis 15 Jahren. 


Das Tastlesen der Blinden-Punktschrift. 49 


Sämtliche vermochten die Punktschrift, allerdings mit verschie- 
dener Fertigkeit, zu lesen. Die Zusammenstellung nach Geschlecht, 
Alter und Beschäftigung wurde mit Absicht getroffen. Die Prü- 
fungen wurden in Gruppen von 2 bzw. 3 Lesern vorgenommen. 
Eine gröfsere Anzahl hätte in bezug auf eine gewissenhafte Prü- 
-fung zu grolse Anforderungen an den Experimentator gestellt. 

Die ersten Messungen mit drei Leserinnen (Bauer, Cumpelik 
und Wiesinger) ergaben das überraschende Resultat, dafs weder 
die allgemeine Ermüdung noclı die Herabsetzung der Tastempfind- 
lichkeit an den Fingerspitzen besonders deutlich war, trotzdem 
die ursprünglich auf 4 Stunden angesetzte Lesezeit auf 6 Stunden 
ausgedehnt wurde. Auffallend war bei einer Leserin (Wiesinger) 
die Ergebnislosigkeit der Ermüdungsmessung (stets 12:0) und 
die Angabe einer anderen (Cumpelik), dafs sie in der 6. Lese- 
stunde zeitweilig mit dem Lesen aussetzen mulste, da sie nicht 
mehr gut fühle, ohne dafs durch die Messungen eine Herab- 
minderung der Tastempfindlichkeit festzustellen war. Da ich für 
diese ersten Versuche an den Fingerspitzen spitze Reiznadeln 
(Gewicht 0,5 g) verwendete, erklärte ich mir diese Tatsache so, 
dafs vielleicht durch das Lesen wohl eine Herabsetzung der Druck- 
empfindlichkeit, zugleich aber eine Steigerung der Schmerzempfin- 
dung stattfinde, und nahm daher für die folgenden Messungen 
an den Fingerspitzen stumpfe, dafür aber schwerere Nadeln (1,5 g). 

Bevor ich das Gesamtergebnis der Messungen anführe, gebe 
ich eine Tabelle für einen einzelnen Leser wieder und zwar eine 
- solche mit grölseren Schwankungen in den Messungsresultaten. 

(Siehe die Tabellen auf S. 50 und 51.) 

Aus ihr ersehen wir für die in der Berufsbildung stehenden 
Leser aus der steigenden Zahl der Fehlurteile nur eine sehr 
geringe Abnahme der Tastempfindlichkeit. Beachtens- 
wert ist, dafs die Höchstzahl der Fehlurteile nicht am Ende der 
Reihe, sondern in der ersten Hälfte steht. Nimmt man die Ge- 
samtsumme der Fehlurteile: 49, 53, 66, 71, 59, 66, 66, so ergibt 
sich eine bis Schlufs der dritten Lesestunde ansteigende Kurve, 
die dann in der zweiten Hälfte nach einer starken Senkung 
wieder ansteigt, jedoch die frühere Höhe nicht mehr erreicht 
(Abb. 16). 

(Abb. 16 siehe S. 52.) 

Es ist wohl aufser Frage, dafs sie bei .Fortsetzung des 

Lesens weiterhin steigen würde. Der zweigipflige Verlauf der 
Beiheft zur Zeitschrift für angewandte Psychologie. 16. 4 


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Die gesamten Messungsergebnisse finden sich unter Angabe der Fehlurteile in nachstehender Tabelle vor 


Anzahl der Fehlurteile (1 Spitze) bei je 12 Berübrungen 


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Das Tastlesen der Blinden- Punktschrift. 


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4* 


bei 60 Berührungen 


52 Karl Bürklen. 


Kurve stimmt auch mit den Angaben der Leser überein, datz 
sie in den ersten Lesestunden mehr Tastschwierigkeiten ergeben 
‚als späterhin. | 





Abb. 16. Kurve zur Abnahme der Tastempfindlichkeit. 


Ist schon die Feststellung der Tatsache einer nur geringen 
und äulserst langsam fortschreitenden Abnahme der Tast- 
empfindlichkeit bei den ersten 10 Lesern während einer sechs- 
stündigen, also sehr langen Lesezeit eine überraschende, so wird 
jeder Fachmann mit Verwunderung den zweiten Teil der Tabelle 
betrachten, aus dem zu ersehen ist, dafs bei den 10 jüngeren 
Lesern (Schülern) eine Herabsetzung der Tastempfind- 
lichkeit überhaupt nicht festzustellen war. Schon 
unter den älteren Lesern finden sich drei (Strenn, Lhotan, Besser), 
bei denen die Fehlurteile über drei nicht hinausgehen, die Ver- 
minderung der Tastfähigkeit also kaum zu bemerken ist. Noch 
deutlicher wird diese Tatsache durch die Zahlen bei sämtlichen 
Schülern, von denen sich neun unter zehn in ihren Fehlurteilen 
überhaupt gleichbleiben. Ein Irrtum in obiger Folgerung ist 
daher wohl ausgeschlossen. 

Die Ergebnisse der vorgenommenen Messungen lassen sich 
in folgenden Sätzen zusammenfassen: Die Abnahme der Tast- 
empfindung beim Tastlesen ist auch nach stunden- 
langem Lesen nur eine sehr geringe. Bei älteren 
Lesern, die nicht in ständiger Übung sind, ist eine 
solche Abnahme festzustellen und zwar vollzieht 
sie sich in einer Kurve mit zwei Höhepunkten. Bei 
jüngeren Lesern, die das Lesen täglich üben, ist bis 
zu einer Zeit von 6 Lesestunden keine Tastabstump- 
fung zu bemerken. Es sei hierzu nochmals bemerkt, dals 
die Messungen an Blinden vorgenommen wurden, die bereits 
fertig zu lesen vermochten und eine jahrelange Ubung hinter 
sich haben. Ein anderes Bild mag sich vielleicht bei jenen 


Das Tastlesen der Blinden-Punktschrift. 53 


Blinden ergeben, die erst in der Erlernung des Tastlesens be- 
griffen sind. | 

. Auch was die allgemeine Ermüdung durch das Tast- 
jesen betrifft, ergibt sich aus den Tabellenzahlen kein Anhalts- 
punkt für die frühere Annahme einer raschen Zunahme der Er- 
müdung. Mit Rücksicht auf die beschränkte Zahl der Messungen 
und den leichten anregenden Lesestoff möchte ich keine zu weit 
gehenden Schlüsse ziehen, neige aber der Ansicht zu, dafs das 
Lesen für die Blinden nicht zu den geistig anstren- 
gendsten Beschäftigungen gehört. 

Höchst interessant ist auch die Verteilung der Fehlurteile 

(1 Spitze) auf die Entfernungen in mm. Sie stellt sich folgender- 
mafsen dar: 


Zahl der Be- 
Entfernung: 2mm 3mm 4mm 5mm "brongen 
i in jeder 

Leser in der Entfernung: 

Berufsbildung : 305 59 48 14 420 
Leser in der 

Schulbildung: 351 — —_—  — 420 
. Summe: 656 59 48 14 840 


Die absolut und relativ gröfste Zahl der Fehlurteile (656) 
fällt also in die Entfernung von 2 mm, bei den Schülern sogar 
sämtliche Fehlurteile.. In der Entfernung von 3 mm sind die 
Fehlurteile (59) bereits stark herabgesetzt, bei den Schülern gar 
nicht mehr vorhanden. Ähnlich verhält es sich in der Ent- 
fernung von 4 mm, während bei 5 mm die Anzahl der Fehl- 
urteile schon eine sehr kleine ist (14 bei den Lesern in der Be- 
rufsbildung). Mit gröfster Deutlichkeit ist aus diesen Zahlen zu 
entnehmen, dafs die Simultanrdumschwellen an den Spitzen der 
Zeigefinger zwischen 2 und 3 mm liegen. Bei 2 mm erfolgte 
eine überwiegende Anzahl von Fehlurteilen. Nur ein einziger 
Leser (Hammerschmid) fühlte auch in dieser Entfernung durch- 
wegs richtig. Eine Entfernung von 2mm zwischen den 
einzelnen Punkten der Punktschriftzeichen er- 
scheint also zu gering, während andererseits eine 
Entfernung von 3 mm als durchaus hinreichend an- 
genommen werden kann, auch für ungeübtere Leser. 
Mit Rücksicht darauf, dafs erwiesenermalsen die 
Sukzessivraumschwelle eine geringere als die Si- 


54 Karl Bürklen. 


multanraumschwelle ist und die Erkennbarkeit der 
Punktschriftzeichen durch die beim Tastlesen vor- 
genommenen Tastbewegungen erleichtert wird, 
wäre innerhalb von 2 bis 3 mm eine Normaldistanz 
für den Punktabstand zu finden. 


VII. Versuch. 
Leseproben inbezug auf die Leseflüchtigkeit. 


Dieser Versuch war zur Feststellung der Leseflüch- 
tigkeit bestimmt. Dabei wurde von 50 Lesern (von solchen 
im 3. Schuljahre stehenden angefangen bis zu jenen in den Fort- 
bildungsklassen) folgender leichter Schultext und zwar je 1 Minute 
lang gelesen: 

„Es gibt Leute, die das Essen für das wichtigste Geschäft auf Erden 
halten. Das ist es sicherlich nicht. Aber immerhin ist es ein wichtiges 
Geschäft. Durch das, was wir essen, wird in erster Linie unser Gesunil- 
heitszustand bestimmt. Es ist auch nicht gleichgültig, wie wir essen. Dazu 
kommt noch, dafs man nach der Art und Weise, wie jemand ifst, auf seine 
Bildung und seinen Anstand schliefsen kann. Es ist nicht fein, beim Essen 
den Löffel zu kurz oder gar in der Faust zu halten, den Suppenrest aus 
dem Teller zu trinken oder das Brot auf dem Tischtuche zu zerschneiden. 
Wenn du mit dem Essen fertig bist, lege das E/[szeug nicht neben, sondern 
auf den Teller. Es schaut sonst aus, als ob du noch eine Fortsetzung er- 
wartest. Nicht fein ist es endlich, gar zu langsam zu essen. Unanständiz 
ist es, beim Essen mıit den Lippen zu schmatzen. Wenn man ifst, soll der 
andere nichts davon hören.“ 


Der Druck des Textes war Zwischenpunktdruck der Voll- 
schrift in gewöhnlicher Gröfse aus der Druckerei des k. k. Blinden- 
Erziehungs-Institutes in Wien. 

Vor dem Lesen wurde den Lesern gesagt, sie hätten auf die 
bei ihnen übliche Art auf ein gegebenes Zeichen möglichst rasch 
zu lesen, nachdem ihre Lesefinger am Anfang der ersten Zeile 
angesetzt waren, und auf ein neuerliches Zeichen das Lesen zu 
beenden. 

Es wurden sowohl die gelesenen Worte als auch die Anzahl 
der Zeichen gezählt. Die Satzzeichen wurden zum betreffenden 
Worte genommen und auch als Zeichen diesem hinzugeziihlt. 


Das Tastlesen der Blinden- Punktschrift. 55 


Die Ergebnisse waren in ansteigender Reihung folgende: 
Leser: 1 2 3. 4 5 6 78910 1 12 


Worte: 19 29 31 33 36 37 40 41 42 44 
Zeichen: 79 117 127 134 160 168 174 178 189 195 


Leser: 13 14 15 16 17181920 21 22 23 24 25 26 27 


Worte: 45 46 47 54 58 61 69 
Zeichen: 201 205 210 232 250 263 284 


Leser: 28 29 30 31 32 33 34 35 36 36 37 38 39 


Worte: 66 68 71 72 74 "op op 82 83 85 
Zeichen: 289 293 304 309 318 320 324 342 349 361 


Leser: 40 41 4243 44 45 46 47 48 49 50 


Worte: 90 92 96 98 102 na 116 117 146 
Zeichen: 383 390 406 418 429 485 490 494 621 


Insgesamt wurden gelesen 3290 Worte mit 14131 Zeichen. 


Die Leistungen der Leser gehen von 19 Worten = 79 Zeichen 
bis zu 146 Worten = 621 Zeichen, sind also sehr verschieden. 
Im Durchschnitte ergaben sich für 1 Minute Lese- 
zeit rund 66 Worte = 283 Zeichen. 

Die Höchstleistung ist, trotzdem sie vereinzelt dasteht, sicher- 
lich eine beachtenswerte. Die Leistung des besten Lesers bei 
Ta. HELLER mit 79 Worten wurden von 14 Lesern übertroffen. 
Berücksichtigt man den leichten Text und viele wiederkehrende 
kurze Worte in demselben, so bleibt trotzdem eine gewisse Über- 
legenheit gegenüber den Feststellungen HELLERS bestehen. 

Nimmt man an, dals ein mittelguter sehender Leser in 
1 Minute 250 Worte leise und 150 Worte laut zu lesen vermag, 
so stellt sich die Leseflüchtigkeit der blinden und 
sehenden Leser im Durchschnitte derart, dafs der 
Blinde drei bis viermal langsamer liest als der 
Sehende. 

Das Lesen mit beiden Händen geht am raschesten vor sich, 
während die Verwendung nur einer Hand das Lesen bedeutend 
verlangsamt. Ich folgte auch hier den Anregungen des Kollegen 
P. Grasemany in Hamburg, indem ich je eine Textseite zuerst 
mit beiden Händen, dann mit der linken Hand allein und schlie[:- 


56 Karl Bürklen. 


lich mit der rechten Hand allein lesen liefs. Als durchschnitt. 

liche Lesezeiten ergaben sich bei einer Zahl von 52 Lesern für 
beidhändiges Lesen 2 Min. 4 Sek., 
linkshändiges „ I a AO 3:5 
rechtshändiges „ 4 , 138 „, 

Die Lesefertigkeit zeigt sich mithin in folgendem Verhältnisse: 


Beidhändiges : Linkshändiges : Rechtshändiges 
Lesen Lesen Lesen 
1 : 1,82 ; 2,04 
Es ist dies ein etwas ungünstigeres Verhältnis, als es GRAsE- 
MANN feststellte (1: 1,64: 1,71). 


Das Lesen mit beiden Händen geht also am 
raschesten vor sich. Wird nur eine Hand zum Lesen 
verwendet, so verdoppelt sich ungefähr die Lese- 
zeit. Bereits früher wurde gesagt, dafs im Durchschnitte die 
linke Hand allein etwas rascher zu lesen vermag, als die rechte 
Hand allein. 


Vorschläge zur Erhöhung der Leseflüchtigkeit. 


Der aus der Gröfse der Punktschrift sich ergebende weite 
Tastweg hat das Bestreben gezeitigt, sowohl zur Raumersparnis 
als zum Zeitgewinn beim Tastlesen die Gröfse der Zeichen 
soweit als möglich zu verringern. Mehrfache Versuche 
dieser Art hatten vorerst keinen Erfolg. Doch ist man neuer- 
dings daran, die Punktschrift bis auf eine Höhe von 6 mm und 
eine dementsprechende Breite zu verkleinern. Von manchen 
Blinden wird diese verkleinerte Punktschrift als ganz gut lesbar 
bezeichnet, andere erklären sie für schwerer lesbar als die in 
bisher üblicher Grölse gehaltenen. Bei einer zu weit gehenden 
Verkleinerung wäre der Zeitgewinn, welcher sich aus dem kür- 
zeren Tastwege ergäbe, durch die geringere Lesbarkeit wieder 
aufgehoben. Übrigens käme es auch hier auf Versuche an, die 
Grenze und den Wert einer Schriftverkleinerung für die Lese- 
flüchtigkeit festzustellen. Dals eine Verringerung der bisher üb- 
lichen Grölse der Punktschrift möglich ist, wurde bereits an an- 
derer Stelle angedeutet. 

Die beim Ubergleiten der Lesefinger von einer Zeile zur an- 
deren eintretende störende Pause führte zu dem Vorschlage, zur 


Das Tastlesen der Blinden- Punktschrift. 57 


Abkürzung des Tastweges den Text in den ungeraden 
Zeilen von links nach rechts, in den geraden Zeilen 
von rechts nach links zu lesen. Der Finger gleitet dann 
am Ende der ungeraden Zeile sofort zum darunter stehenden 
Anfange der geraden Zeile, auf welcher Buchstaben und Worte 
in umgekehrter Reihenfolge stehen. Das Wort „Vaterhaus“ kann 
also in folgenden zwei Schreibweisen vorkommen. 


Ungerade Zeile: 


ge e eg oe e e o 
: & ®® © 00 00 ® 
Leserichtung —> @@ © ® © © 
Gerade Zeile: 
ee O ® Ọ © © © 
e 00 00 ©0090 © i 
® © ® © ee <— Leserichtung. 


Dafs dadurch nicht nur eine blofse Umkehrung des Wort- 
bildes entsteht, sondern eine viel weitergehende Anderung auf- 
tritt, ist aus vorstehendem Beispiele zu erkennen. Was auch hier 
an Zeit beim Zeilensuchen erspart würde, ginge sofort wieder 
durch die von der angedeuteten Veränderung des Schriftbildes 
bedingten Leseschwierigkeit verloren. Der Vorschlag dürfte also 
keine Aussicht auf praktische Verwertung haben, trotzdem er für 
die Moonsche Blindenschrift (eine Relief-Linienschrift) bereits 
angewendet wurde. 

Eine tatsächliche Ersparnis und Erhöhung der Leseflüchtig- 
keit liegt in der Verwendung der Kurzschrift. Sie besteht 
in einer Anzahl von Silben- und Wortkürzungen, bedeutet also 
gegenüber der Vollschrift eine Verminderung der Zeichen. Bei 
entsprechender Übung geht das Lesen der Kurzschrift ohne 
Frage rascher vonstatten, als das Lesen der Vollschrift, obwohl 
auch hier der Einwand erhoben wird, dafs bei ungenügender 
Kenntnis der Kurzschrift die Langsamkeit der Entzifferung den 
Zeitgewinn wettmache oder sogar tibertreffe. Die Wortbilder 
werden in der Kurzschrift abwechslungsreicher, also auch charak- 
teristischer gestaltet, wodurch die Tastbarkeit sicher befördert wird. 

Die Kurzschrift stellt bereits einen Übergang des alphabe- 
tischen Systems der Vollschrift zu einem phonographischen 
Systeme dar. Java, der sich eingehend mit den Mitteln zur 
Beschleunigung des Tastlesens beschäftigte und die gebräuch- 
lichen Kurzschriften für unpraktisch hält, verlangt (5, S. 138), dafs 


58 Karl Biirklen. 


man bei der Auswahl stenographischer Zeichen auf die Bediirf- 
nisse der Phonographie die gröfste Rücksicht nehmen solle. Er 
geht in einem diesbezüglichen Vorschlage unter Beibehaltung des 
Sechspunktfeldes auf das alte Barsrersche System zurück und 
will, von der Phonographie allmählich zur raschen Stenographie 
überleiten. Ohne Zweifel könnte eine derartige Schreibweise, 
wenn sie durchzusetzen wäre, eine weitere Erhöhung der Lese- 
flüchtigkeit herbeiführen. Nach Einbürgerung der bestehenden 
Kurzschriften ist jedoch auf die Annahme eines neuen Systems 
kaum zu hoffen. 

Gegen das Braillesystem der Punktschrift wird schliefslich 
auch der berechtigte Vorwurf erhoben, dafs die gebräuchlichsten 
Buchstaben nicht mit den lesbarsten Zeichen bedacht sind, Häufig- 
keit und Lesbarkeit also nicht Hand in Hand miteinander gehen. 
Durch Beachtung des Häufigkeitsprinzips lielse sich 
allerdings die Lesbarkeit erhöhen und es wurden auch bereits 
diesbezügliche Versuche unternommen (New Yorker System o al 
Dieselben waren aber so oberflächlich, dafs sie keine Erfolge auf- 
weisen konnten. Einer grundlegenden Änderung des Braille- 
systems steht auch das Vorhandensein einer grofsen Punktdruck. 
literatur entgegen, die mit der Annahme eines neuen Systems 
wertlos würde. Bevor übrigens neuerlich an eine Systemänderung 
gedacht werden kann, bedarf der Vorgang des Tastlesens vorerst 
einer gründlichen Aufklärung, um die bisher fehlenden Grund- 
lagen für eine Verbesserung zu schaffen. 


Das Tastlesen und die neueren Forschungen über die Tast- 
empfindungen und das Augenlesen. 


Der Lesevorgaug ist kein einfacher, sondern ein äulserst ver- 
wickelter Prozefs. MEUMANN nennt (10, S. 464) das Lesen (mit 
den Augen) eine psychische Welt im kleinen, denn es betätigt 
sich dabei: die Wahrnehmung der Zeichen; die Vorstel- 
lungstätigkeit, mit der wir die Bedeutung der Zeichen er- 
fassen; das Gedächtnis, indem wir das Vorausgehende fest- 
halten, während wir das Folgende lesen; der Verstand, indem 
wir den Zusammenhang des Gelesenen erfassen; der Wille, 
den das Lesen ist eine spontane Tätigkeit; das Gefühl, indem 
der Leseinhalt uns mehr oder weniger interessiert. Dazu kommen 


Das Tustlesen der Blinden-Punktschrift. 59 


die motorischen Prozesse des stillen oder lauten Sprechens. 
Es ist klar, dafs sich der Vorgang beim Tastlesen noch umständ- . 
licher gestaltet, namentlich was die taktile Auffassung durch die 
Finger betrifft, während die intellektuelle Verarbeitung der dabei 
erlangten Empfindungen wohl die gleiche wie beim Augenlesen ist. 


Lassen sich die Ergebnisse neuerer Forschungen über das 
Lesen mittels der Augen durchaus nicht so ohne weiteres auf das 
Tastlesen anwenden, so verdienen sie doch durch die vielfachen 
Beziehungen zwischen optischem und taktilem Lesen gröfste Be- 
achtung. Auch Versuchsmethoden, die beim Augenlesen zur Ver- 
wendung kommen, lielsen sich zur Erforschung des Tastlesens 
heranziehen. Es ist z. B. aulser Frage, dafs sich zur Aufzeich- 
nung der Tastbewegungen Apparate herstellen liefsen, die viel 
genauer und sicherer arbeiten könnten, als mein einfacher „Tast- 
schreiber“. Namentlich sei auf jene Apparate verwiesen, welche 
zur mechanischen Registrierung und photographischen Aufzeich- 
nung der Augenbewegungen beim Lesen bereits erprobt wurden. 
Ihre Anwendung würde sicherlich eine Reihe neuer Ergebnisse 
liefern und Versuche ermöglichen, für die der Tastschreiber nicht 

ausreicht. 


Unsere Kenntnisse über die psychophysiologische Erfassung 
beim Tastlesen sind — wie wir gesehen haben — nur sehr spär- 
liche und ungenaue. Der Einzige, der sich näher damit befalste, 
Tu. HELLER, unterscheidet zu seiner Erklärung zwei Tastarten, 
das synthetische und analytische Tasten. Für das Tastlesen der 
Punktschrift nimmt er als unzweifelhaft an (3, S. 93), dafs dabei 
weder die Tastanalyse noch die Tastsyntlıese eine selbständige 
Stellung in Anspruch nehmen können, sondern dals beide erst 
in ihrer Wechselwirkung zum Zustandekommen einer betriedi- 
senden extensiven Vorstellung beitragen. 

„Die Entwicklung des Tastlesens ist offenbar einerseits beeinflufst 
durch das Verlangen, eine adäquate Vorstellung von den zur Auffassung 
zgelangenden Schriftzeichen zu erhalten, andererseits aber durch das Gesetz 
der Kraftersparnis. Dem letzteren entsprechend begnügen sich die Blinden 
nach längerer Übung damit, nur den einen der Faktoren, die notwendiz 
erscheinen, zur Entwicklung einer präzisen Raumvorstellung, durch un- 
mittelbare Sensation zu empfangen, während der andere durch Reproduktion 
ergänzt wird. — Beim Lesen der Blindenschrift ist die Reproduktionsfähig- 
keit der beiden Faktoren eine wechselseitige. Hier vermag der Sukzessiv- 
den Simultaneindruck, aber auch der Simultan- den Sukzessiveindruck 
hervorzurufen. Bei der Wahl der beiden Tastarten leitet den Blinden das 


60 Karl Biirklen. 


Gesetz der Kraftersparung: er entscheidet sich demgemiifs fiir das synthe- 
tische Tasten zur unmittelbaren Gewinnung der Eindrücke. 

Diese Erklärung HELLERs erscheint insofern unvollkommen, 
als die Untersuchungen von Frey tiber die Sinnestitigkeit der 
menschlichen Haut und die von ihm festgestellte Verschmel- 
zung der Hautempfindungen neue Gesichtspunkte in bezug 
auf das Tastlesen eröffnen. Heer versteht unter dieser Ver. 
schmelzung einen psychophysischen Prozefs, dem die in das Nerven- 
system einströmenden Erregungen unterworfen sind, das Inein- 
anderflielsen gleichzeitiger Erregungen gleicher oder ungleicher 
Art zu einem neuen mehr oder weniger einheitlichen Eindruck 
(2, S. 217). Besonders deutlich lälst sich dieser Prozels verfolgen 
bei der Untersuchung der Raumschwellen der Haut, die eine der 
Grundlagen unserer Raumvorstellungen bilden (2, S. 220). Die 
besondere Form, in der die Verschmelzungserscheinungen im 
Gebiete des Drucksinns auftreten, besteht darin, dals zwei oder 
mehrere, gleichzeitig gesetzte Erregungen ihre räumliche Selbst- 
ständigkeit einbülsen und zu einem Gesamteindruck von einheit- 
licher Lokalisation zusammenfliefsen (2, S. 223). Werden zwei 
Punkte der Haut, in nicht zu geringem Abstand voneinander, 
gleichzeitig gereizt, so gewinnen die beiden zugehörigen Empfin- 
Jungen eine besondere Beschaffenheit oder Qualität. Während 
sie für sich gegeben deutlich erscheinen, d. h. gut abgegrenzt 
von dem übrigen Bewulstseinsinhalt, werden sie bei gleichzeitiger 
Erregung undeutlich, verwaschen oder stumpf. Sie sind dann 
auch schwer voneinander zu sondern und erscheinen wie durch 
eine Brücke miteinander verbunden. FRrEY bezeichnet diesen 
Vorgang als die gegenseitige Abstumpfung benachbarter Er- 
regungen. Sie stellt die erste Stufe der Verschmelzung dar. 
Nähern sich nun die beiden Reizorte der Haut, so wird die 
Sonderung der Erregungen immer schwieriger und sie ver- 
schmelzen schlielslich zu einem neuen, völlig einheitlichen Ein- 
druck. Dies ist die zweite Stufe der Verschmelzung. Sie findet 
um so leichter statt, je ungleicher die Stärke der beiden Er- 
regungen ist. Die Raumschwelle von WEBER oder die Simultan- 
schwelle, wie sie FREY nennt, ist dann erreicht. Hierbei bülst 
bei gleicher Erregungsstärke jeder der beiden Eindrücke, bei un- 
gleicher hauptsächlich der schwächere, seinen Ortswert ein und 
es entsteht ein neuer, für beide gemeinschaftlicher. Die Ver- 
einfachung tritt nur bei gleichzeitiger Reizung auf; bei ungleich- 


Das Tastlesen der Blinden-Punktschrift. 61 


zeitiger behauptet jede der beiden Erregungen ihren scheinbaren 
-Ort. Reizt man die beiden Hautstellen zuerst nacheinander und 
dann gleichzeitig, so hat man den Eindruck, als ob die Reize 
sich aufeinander zu bewegten (2, S. 224). 

Die Tatsache, dafs zwei Punkte in geringem Abstande schwer 
voneinander zu sondern sind und wie durch eine Brücke mitein- 
ander verbunden erscheinen, bestätigt die Annahme, dafs 
beim Tastlesen die Punkte eines Zeichens nicht 
mehr einzeln gefühlt werden, sondern ein Gesamt- 
bild des Zeichens aufgenommen wird und dafs da- 
her die Form des Zeichens für die Auffassung ent- 
scheidend ist. Eine Verbindung der Punkte durch Striche, 
wie sie Kunz und Javau fiir die Punktschrift zur Erhöhung der 
Tastbarkeit vorschlugen, erscheint dadurch überflüssig. 

Das Zusammenfliefsen von zwei innerhalb der Raumschwelle 
stehenden Punkten erfolgt nach Frey nur bei gleichzeitiger 
Reizung, während bei ungleichzeitiger Reizung jede der beiden 
Erregungen ihren scheinbaren Ort behauptet.. Dies scheint die 
Notwendigkeit der Tastbewegungen beim Tastlesen 
wohl genügend zu erklären. Die Bewegungen erfolgen 
eben, um eine ungleichzeitige Reizung herbeizuführen und die 
Auffassung in schwierigen Fällen zu ermöglichen, bzw. das Tast- 
lesen überhaupt zu erleichtern. Es könnte auch dafür sprechen, 
dafs man, nachdem beim Tastlesen niemals eine gleichzeitige 
Berührung der Punkte erfolgt, in der Entfernung der Punkte 
voneinander selbst unter die Raumschwelle heruntergehen könnte, 
wodurch einer Verkleinerung der Punktschrift das Wort geredet 
wäre. Die Tastbewegungen erfolgen also wohl mehr zu dem 
vorangeführten Zweck als zur Erzielung innerer Bewegungs- 
empfindungen, wie dies hauptsächlich von HELLER und Hoch- 
EISEN angenommen wird. 

Auch die Untersuchungen RANSCHBURGS wiesen nach, dals 
bei der Umsetzung der Reize der Aulsenwelt im Bewulstsein 
nicht blofs, wie angenommen, die Intensität, die Zahl, der Ge 
fühlston usw., der um die Bewulstheit konkurrierenden Reize, 
sondern die Qualität derselben, die gegenseitigen Relationen, 
ibre Gleichheit, Ähnlichkeit und Verschiedenheit 
untereinander von eminenter Bedeutung sind (11, 8.161). Auch 
auf die reproduzierten Vorstellungen, als sekundäre 
Reizwirkungen, liefs sich das genannte Verhalten als gültig nach- 


62 Karl Bürklen. 


weisen. Gleichartige Vorstellungen suchen zu ver- 
schmelzen, stören sich aber jedenfalls in ihrer un- 
abhängigen Entwicklung, in ihrer Merkbarkeit und 
Reproduzibilität. Heterogene Vorstellungen stören 
sich höchstens insofern, als jede für sich ein ge- 
wisses Mals an Aufmerksamkeit beansprucht, nie 
aber inihrer Selbständigkeit, in ihrem qualitativen 
Charakter (11, S. 163 und 164). Das Gleiche sucht sich 
zu vereinigen, das Verschiedenestrebt auseinander, 
hebt sich vom Gleichen und untereinander dem 
Grade seiner Verschiedenheit entsprechend ab (11, 
S. 165). 

Diesespsychologische Grundgesetz ist abermals 
eine Bestätigung dafür, dafs die homogenen Reiz- 
wirkungen der Punkte sich beim Tastlesen zu einem 
Ganzen vereinigen und diecharakteristischen Form- 
sebilde der Buchstaben und Wörter in Geltung 
setzen. Weiter scheint dieses Gesetz geeignet, die 
Verschiedenheitin derErfassungähnlicherZeichen 
ee 0680 O- | 
E - ©. .- 6@ 
@-, -:, @©@, -- usw.’ zu erklären So steht in der 

ee ee 

Lesbarkeitsreihe (S. 24) das Zeichen ©- an 4., das Zeichen 

®@ - E 

.. ®® 
aber erst an 10. Stelle. Ebenso @@ an 6, -- an 16. Stelle, 
Gë ee 
-@ an8., .- : aber an 15. Stelle. Die leichtere Erfassung der 

ee 0O. 080 
Zeichen @®-, @@, -@ liegt danach in der heterogenen, die 
ee ©. ee 
©. eo © 

schwerere der Zeichen --, * =, «+ m der homogenen La- 
gerung der Punkte gegeneinander. Offene Zeichen (mit weiterer 
Lagerung der Punkte) besitzen also. gegenüber ähnlichen ge- 
schlossenen (mit enger Lagerung der Punkte) eine bessere Les- 


barkeit. Nur jene geschlossenen Zeichen haben einen Vortritt, 
ee ©- 

SCH . | (ee o. ) 

welche ganz einfache geometrische Formen zeigen \+-, ©... 


Das Tastlesen der Blinden- Punktschrift. 63 


Zusammenfassung der Versuchsergebnisse. 


In Richtigstellung bzw. Ergänzung der bisherigen Annahmen, 
lassen sich auf Grund der angestellten Untersuchungen über die 
Punktschrift und das Tastlesen folgende zusammenfassende Fest- 
stellungen machen: 


Die Punktschrift. Diebesondere Eignung der Punkt- 
schrift für das Tastlesen ist feststehend. Die An- 
ordnung der Punkte im aufrechten Sechspunktfelde 

es) 
(ss erscheint als die zweckmälsigste. Die Lesbar- 
keit der Punktschriftzeichen geht nicht parallel mit 
der Zahl der Punkte, aus denen jene bestehen, son- 
dern fürdieErkennbarkeit ist diecharakteristische 
Form der Zeichen malsgebend. 


Gröfse der Punktschrift. Die gebräuchliche Grölse 
der Zeichen (bis zu 7 mm Höhe und 45 mm Breite) ist 
wohl als Grenze nach oben, nicht aber nach unten 
zu bezeichnen. Der tauglichste Abstand der Punkte 
voneinander liegt zwischen 2 und 3mm, wäre aber 
noch durcheingehende Versuche festzustellen. Eine 
Verkleinerung der Punktschrift unter die ange- 
gebenen Malse erscheint möglich. 


Raumerfordernis der Punktschrift. Diese ist gegen- 
über der Schwarzschrift eine sehr bedeutende. Bei 
günstigen Verhältnissen übertreffen die Punkt- 
schriftbücher dieSchwarzdruckbücher gleichen In- 
haltes um das Dreifsigfache an Rauminhalt, bei un- 
günstigen um das Fünfzigfache und darüber An 
diesen Tatsachen wird sich auch in der Zukunft nur 
wenig ändern lassen. 


Das Leseorgan. Die Gröfse der Tast£fläche an den 
Fingerspitzen ist verschieden und übersteigt nicht 
immer die Höhe der Punktschriftzeichen. Für das 
Tastlesen kommen infolge ihrer bevorzugten Stel- 
lung besonders die Zeige- und Mittelfinger der bei- 
den Hände in Betracht, obwohl die Möglichkeit zum 
Tastlesen bei allen Fingern gegeben ist. Der Hand., 


64 arl Bürklen. 


Arm- und Körperhaltung kommt beim Tastlesen 
eine besondere Bedeutung zu, weshalb dieser Hal- 
tung ein besonderes Augenmerk zuzuwenden ist. 


Der Vorgang beim Tastlesen. Die mechanische Tätig- 
keit besteht in verschiedenartigen Tastbewegungen 
der Finger und Hände. Als Lesefinger sind vor allem 
die Zeigefinger beider Hände anzusehen. Die Ver- 
wendung der Mittelfinger ist beim Lesen mit beiden 
Händen vereinzelt. Zwischen den genannten Tast- 
organen findet eine Arbeitsteilung statt, die sich 
nach Umständen verschieden gestaltet. Über die 
innere Auffassung beim Tastlesen konnte bisher 
keine Klarheit gewonnen werden. 


Tastbewegungen. Die Tastbewegungen der lesenden 
Finger sind teils Suchbewegungen, teils für die Er- 
kennbarkeit notwendigeBewegungen. Ihre Häufig- 
keit geht parallel mit der Erkennbarkeit. Ihr Ver- 
lauf nähert sich bei guten ruhigen Lesern einer fort- 
laufenden Geraden, nimmt bei wenigerguten Lesern 
säge- oder schlingenförmigen Charakter an und 
steigert sich bei schlechten Lesern bis zur Ver- 
worrenheit. Lesen zwei Finger gleichzeitig, so er- 
folgen mehr oder minder gleichlaufende Bewegungen, 
doch tritt stets die grölsere Beweglichkeit jenes 
Fingers, welcher die Hauptarbeit verrichtet, deut- 
lich hervor, denn neben gehäuften Bewegungen des 
einen Fingersgeht der zweite mit mehr oder minder 
gleichlaufenden Bewegungen dahin. 


Die Druckstärke beim Tastlesen. Mit den Tastbewe- 
gungen ist ein entsprechender Fingerdruck ver- 
bunden. Dieser ist bei guten Lesern ein geringer 
und gleichmälsiger. Leseschwierigkeiten führen ın 
Verbindung mit vermehrten Tastbewegungen zu er- 
höhtem Druck. Bei schwachen Lesern ist der Finger- 
druck ein stärkerer und schwankender. Am Anfang 
einer Zeile erhöht sich der Druck durch die Such- 
bewegungen. 


Veränderungen der Tastfähigkeit beim Tastlesen. Die 
Abnahme der Tastempfindlichkeit beim Tastlesen 


Das Tastlesen der Blinden- Punktschrift. 65 


ist auch nach stundenlangem Lesen nur eine sehr 
geringe. Ebenso die allgemeine Ermüdung, so dafs 
das Lesen für die Blinden als nicht besonders an- 
strengend bezeichnet werden kann. 


Leseflüchtigkeit der Punktschrifte. Im Durchschnitt 
lesen Blinde drei- bis viermal langsamer als Sehende. 
Das Lesen von Worten und Sätzen erfolgt in zu: 
sammenfassender Weise durch Erfassung von Wort- 
bildern. Bei Leseschwierigkeiten kommt es zu einer 
Zerlegung des Wortbildes. Mit beiden Händen wird 
am schnellsten gelesen. Liest nur eine Hand, so 
verdoppelt sich ungefähr die Lesezeit. Die linke 
Hand liest allein etwas besser als die rechte Hand. 


Literatur. 


1. K. BürkLen. Untersuchungen über die Lesbarkeit der Braıteeschen 
Punktschriftzeichen. Blindenfreund (Düren, Hamel) 38, 2/3. 1913. 

2. M. v. Frey. Neuere Untersuchungen über die Sinnesleistungen der 
menschlichen Haut. Fortschritte der Psychologie (her.: MarBe; Leipzig, 
R. G. Teubner). 2 (4). 1914. 

A Tu. HELLER. Studien zur Blindenpsychologie. Leipzig, W. Engelmann) 
1904. 

4. P. Hocazısen. Der Muskelsinn Blinder. Berlin, G. Schade, 

5. E. Javar. Der Blinde und seine Welt. Hamburg-Leipzig, Leopold Vofs 
1904. 

6. W. Kammet, Eine neue Methode zur Bestimmung der Ermüdbarkeit 
mit Demonstration eines neuen Gewichtsdoppelästhesiometers. Jahr- 
buch des Vereins für christliche Erziehungswissenschaft (München, J. Kösel) 
7. 1914.) | 

7. M. Kunz. Abhandlungen in: ’ Geschichte der Blindenanstalt zw Ilzach- 
Mühlhausen i. Ẹ. (Leipzig, W. Engelmann) 1911. 

H A Mert Der Blindenunterricht. Wien, A. Pichlers Witwe u. Sohn. 1910. 

H A Mert Abhandlung in Enzyklopädisches Handbuch des Blindenwesens 
(Wien, A. Pichlers Witwe u. Sohn) 1900.) 

10. E. Mecmann. Vorlesungen zur Einführung in die experimentelle Päda- 
gogik. Leipzig, W. Engelmann. 1914. 

11. P. Ranscheure. Über die Wechselwirkung gleichzeitiger Reize im Nerven- 
system und in der Seele. Zeitschrift für Psychologie (her.: SCHUMANN; 
Leipzig, Johann Ambrosius Barth) 66. 1913. 

Beiheft zur Zeitschrift für angewandte Psychologie. 16. ð 


66 


18. 


14. 


15. 


16. 


Karl Biirklen. 


R. Scuusze. Aus der Werkstatt der experimentellen Psychologie und 
Pädagogik. Leipzig, R. Voigtländer. 3. Aufl. 1913. 

O. Wangcex. Untersuchungen über die Lesbarkeit der Braiıtieschen 
Punktschriftzeichen. Blindenfreund 34 (7). 1915. 

W. Wuxpt. Grundzüge der physiologischen Psychologie. Leipzig, 
W. Engelmann. 6. Aufl. 1910. 

F. Zeca Erziehung und Unterricht der Blinden. Danzig, A. W Kafe- 
mann. 1913. 

Das Raumerfordernis der Punktschrift. Zeitschrift für das österreichische 
Blindenwesen. (Wien) 3 und 4. 1916/1917. 


67 


I. 
Kleine Beiträge zur Blindenpsychologie. 


— 


Eine Untersuchung über das Lesen der Blinden. 


Von 


P. GrRasEMANN-Hamburg. 


Das Lesegeschäft der Blinden ist entschieden eins der interessantesten 
Probleme, und es ist daher ganz natürlich, dafs viele Blindenpädagogen 
gerade ihm ihre Aufmerksamkeit zugewandt haben. Aber die bisher vor- 
liegenden Arbeiten über diese Frage stützen sich — von einigen Ausnahmen 
abgesehen — fast ausschliefslich auf blofse Beobachtungen oder auf Aus- 
sagen der Versuchspersonen. Sie können daher auch keinen Anspruch 
auf unbedingte Gültigkeit machen. Erst in neuerer Zeit hat man versucht, 
diese Frage ‚durch experimentelle Methoden zu untersuchen. Auch ich 
habe mich bemüht, auf experimentellem Wege etwas zur Klärung des 
Lesevorganges bei Blinden beizutragen, und zwar interessierte mich vor 
allem die Frage, in welchem Mafse die beiden Hände der Blinden am Lesen 
der Punktschrift beteiligt sind. 

Die verschiedenen Ansichten darüber brauche ich hier nicht aus- 
führlich anzuführen; ich kann vielmehr auf die Arbeit von Direktor BÜRKLEN 
in diesem Heft verweisen. Von altersher wurde der rechte Zeigefinger 
als der eigentliche Lesefinger der Blinden angesehen, während der linke 
Zeigefinger nur die Aufgabe haben sollte, die folgende Zeile rechtzeitig 
aufzusuchen, um eine Unterbrechung des Lesens beim Übergang auf die 
nächste Zeile zu vermeiden. Später wurde dem linken Zeigefinger schon 
eine wichtigere Rolle zugeschrieben. Der rechte Zeigefinger sollte den 
sogenannten „Rekognoszierungsdienst“, der linke den „Kontrolldienst“, d. bh. 
die Ergänzung oder die Korrektur der rechts aufgefalsten Wortbilder tiber- 
nehmen. Diese Tatsache wurde dann von Tu. Herrer dahin ausgedrückt, 
dafs die rechte Hand nur flüchtige Gesamtbilder synthetisch auffalst, während 
die linke Hand mehr dem langsamen, analysierenden Tasten dient. 

Ich wählte nun zur genaueren Untersuchung aus einem gedruckten 
Lesebuch ein Stück aus, das eine Körper- und Lebensbeschreibung des 
Wolfes enthielt, und aus diesem wieder drei Druckseiten, die dem Leser 
ungefähr gleich grofse Schwierigkeiten boten. Es mufste vor allem darauf 
gesehen werden, dafs keine geographischen Namen oder technischen Aus- 
drücke vorkamen, da sie naturgemäfs gröfsere Leseschwierigkeiten bieten 

5x 


68 P. Grasemann. 


Die erste Seite wurde mit beiden Händen zugleich, die zweite mit der linken, 
die dritte mit der rechten Hand allein gelesen. Es wurden jedesmal zu- 
nächst die Lesezeit gemessen, ferner die Zahl der vorgekommenen Lese- 
fehler und schliefslich die Zahl der verbesserten und noch einmal gelesenen 
Wörter festgestellt, da sie einen Mafsstab für die Sicherheit oder Unsicher- 
heit des Lesens abgeben. 

Diese Versuchsreihe ist nachstehend skizziert worden. 


(Siehe die Tabelle auf S. 69.) 


An Hand dieser Tabelle lassen sich verschiedene interessante Fragen 
beantworten. 


I. Welche Leseart ist die vorteilhafteste, die mit beiden Händen, die 
mit der linken oder die mit der rechten allein? 

In der untersten wagerechten Reihe finden wir den Gesamtdurchschniitt 
der Lesezeiten. Beim Lesen mit beiden Händen wurden danach 153 Se- 
kunden gebraucht, beim Lesen mit der linken Hand verlängert sich die 
Lesezeit um 87 Sekunden = 57%,, beim Lesen mit der rechten Hand un 
108 Sekunden = VU, 

Daraus ergibt sich, dafs das beidhändige Lesen dem einhändigen bei 
weitem überlegen ist. Allerdings mufs man dabei in Betracht ziehen, dafs 
die Anforderung, nur mit einer Hand zu lesen, für die Versuchspersonen 
etwas Ungewohntes und Unnatürliches bedeutet. Man würde durch be- 
sondere Übung die Zeiten des einhändigen Lesens sicher bedeutend ver- 
kürzen können. Doch wird davon weiter unten noch die Rede sein. 


II. Welche Hand ist am meisten am Lesevorgang beteiligt? 


Es wurde schon von früheren Beobachtern festgestellt, dafs manche 
Leser beide Hände gleichmäfsig gebrauchen, andere sich mehr auf die linke 
und wieder andere sich mehr auf die rechte Hand verlassen. Der rechten 
wurde wie gesagt das Übergewicht zugeschrieben. Um nun die Beteiligung 
der Hände aus der Tabelle feststellen zu können, ging ich von der Voraus- 
setzung aus, dafs diejenigen Leser, welche beim einhändigen Lesen an- 
nähernd gleiche Lesezeiten aufwiesen, auch beim beidhändigen Lesen beide 
Hände ziemlich gleichmäfsig gebrauchen werden. Ich nahm daher eine 
gleichmäfsige Beteiligung der beiden Zeigefinger als vorliegend an, wenn der 
Unterschied der Lesezeit der einen und der anderen Hand weniger ale 20°;, 
ausmachte. Solche Leser werde ich in folgendem als Beidhänder bezeichnen. 
Überwiegt die Lesezeit der rechten Hand, so nenne ich sie Linkshänder, 
überwiegt die der linken Hand, so nenne ich sie Rechtshänder. 

Nach dieser Berechnung fand ich, dafs die ersten 7 Versuchspersonen 
der Tabelle Beidhänder, die nächsten 15 Linkshänder, die letzten 9 Rechts- 
händer waren. Wir hätten dann 22!/,%, Beidhänder, 48°, Linkshänder 
und 29'/,°/, Rechtshinder. 

Das wirft also ein völlig neues Licht auf die Beteiligung der Hände 
beim Lesen der Blinden. Fast die Hälfte aller Versuchspersonen verlälst 
sich mehr auf die linke als auf die rechte Hand, also liegt durchaus keine 
Berechtigung in der bisherigen Annahme, dafs der rechte Zeigefinger der 
eigentliche Lesefinger sei. Diese Tatsache stimmt auch durchaus mit der 
obenerwähnten psychologischen Erklärung Ta. HELLERS überein; denn wenn 





Eine Untersuchung tiber das Lesen der Blinden. 


















































69 





























| „| | Lesen mit Lesen mit der | Lesen mit der 
È. | Z Name ` beiden Händen sin | linken = rechten Hand 
ale | | | 
kb Im | E 1: 

| d l | S | | S g a 
S £ | = | Lese- | bŠ 58 Lese- | 3 fo |S & | Lese- Bab 
D i e | 
SS Pere he pomen | zeit a- SE zeit 33 S2, zeit ER SE 
E | g ! l >? D; 

_ cel ce eh ee 
“xj | °° °°» a ot ie a Tea a re: 
z. | Alfred R. | 158 Sek. 2, 5; 266 Sk. a 18 | 288 sex. | 7 | 8 
=| 2|| Gertrud B. ‚19 „272,00, 1 8/41, 3|5 
> 3] Willi N. |188 n 4 2 [26 , 8 , 2,280, | 6 | 2 
= ' 4 | Auguste M 242 „ | 3 i10 |400 , 4 |14 | 422 , 4 | 22 
@ \ 5 | Max R. [7 5 1: 8 \188 5 | 6 ı 17, 5 1 
= | 6 | Frieda L. 112 , | 2 ~,— 417% , | 2 | 4 1152 , | 2 | 4 
© | a Johanna W. | 6 , = ei; 825 NS ı 2 | 6, |1 1 
BL o Det an ee ne | | | | 

= =< SS SSS eae EEE eee, Ee 
Durchschnitt 135 , 2 | 8 | 211 Sek. 3,8 Verl. 6,4 Wied 
En Eee a en en ee m en ee een 

| d | | 4 | i 

| 8 | Heinrich M. | 145 , | — | 2 | 180 Sek.: 2 , 2 , 268Sek | 2 7 

| 9 | Emil M. ı147 „ 2 |11 [236 „ 6 18 |860 „ | 6 |66 

10 | Karl Sch. | 100 „ 1 | 15 | 105 „ §' 1 | 12 | unmög lic} ch 
= |11 | Alwin D. ug "le 1/18 „ : 5 | 3 | 290 2 
5 | 12 ' Dora K. 1183 „ | 4 | 2 1200 5 , 2 2 |260 1514 
2, | 13 Ella Pm. >05 | 68130 7 8 |10 '; unmégilich 
= ‚14 | Frieda Sch. | 226 „ 14 |14 ‚310 „ | 16 | 14 | i 
2 Walter H. 147, | 5 | 2 1146 , D 2 126 , | 4 | 16 
e 16 | Hermann K. | 150 , 1 | 5 !170 „ | 4 6 ; unmöglich 
11 Erna H. [153 , | £ | 4 | 166, | 6 10 | 366, | 6 | 20 
S | Sidney Qu. ı 145 „ 2 4 , 1796 „ | 6 6 ‘ unmöglich 
È 4 19 | Anni H. '195 „ 3 | 4 |198 7 AE Ke 
= ' 20 Heinrich S. (88 , | 8 |11 1164 , 12 ' 8 E 

21 | Lina N. 28 , | 4/8 112, /— = 2 ee 

| 22 | Emmy B. ai, 22 S É 

Es ee i —-—- SÉ —_—_- er H = a _ — e e eg 

| ; | 
Durchschnitt 154 „ Ä 4 | sa 188 „ | 5,31 6,5. | | 

POE EAEE EA E E | a p | er a aan 
si | br | N | | | 
® | 23 , Heinrich W. | 225 , 9 5 ;}390 , | 10 . 12 300 Sek. | 3 — 
= | 24! Ella Ps. Bt , | 3 | 3 278 „ 2 |10 |16, | 2 l1 
=. |25 | Anna B. 9 , ' 1! 1 fist, |—'— | 9, | 2 — 
= | 26) Lilli M. 7, |e] 1 J14, ee — 
2 127 | Erna Sch. rare, - ala, ac — 
ee | 28 | Adolar K. vii a — 4 | liest nur re chtshand ig 
$ |29 | Minna G. 1245 „ 2 | 1 | 494 41,8 |330 „  — 6 
— 130 | Frieda Seh. 128 „ | 2 | 3 |386 „ 216, |— | 6 
æ 3l | Therese S. i16 , 4 d) erte | H4 „| 4 |10 
e e Ee E EE E 

Durchschnitt ‘168, 27| 3 l 215 , 2 42 
fi j , 
m = = ae = Ee: yo wnat P Fee "ne T = De =i Ce e E 

Gesamt-Durchschnitt '! 153 | 31° 4,4 | 240 47:65 261 | 32, 7,8 

n | n ne |i | 


70 P. Grasemann. 


der rechte Zeigefinger nur die ungefähre Orientierung über die Wortlänge 
und das Wortbild übernimmt, der linke aber die eigentliche Analyse 
verrichtet, so ist damit dem linken Finger die Hauptaufgabe beim Lesen 
zugeschrieben. Für die überwiegende Tätigkeit des linken Fingers gibt es 
auch einen rein technischen Grund. Wenn der Blinde aus einem Buche 
‚abschreibt, — was vor allen Dingen von Kindern sehr häufig verlangt wird — 
so gebraucht er die rechte Hand zum Halten des Schreibstiftes, während 
die linke Hand allein den abzuschreibenden Text liest, woraus sich eine 
grölsere Übung des linken Zeigefingers erklärt. 


Wir können also wohl behaupten, dafs der rechte Zeige- 
fingerdurchaus nicht als dereigentliche Lesefinger bezeich- 
net werden kann, vielmehr mit gréfserem Recht der linke. 


III. Welche Leser sind im Vorteil? 


Wir hatten oben Beidhänder, Linkshänder und Rechtshänder unter- 
schieden. Die Bezeichnung Links- und Rechtshänder war aber nicht etwa 
so gemeint, als ob diese Personen nur mit einer Hand lesen. Im allgemeinen 
lesen nämlich alle Blinden mit beiden Händen zugleich; von den 31 Ver- 
suchspersonen liest nur eine (Vp. 28) immer, mit der rechten Hand allein. 
Wenn wir nun untersuchen wollen, welche von den Lesern im Vorteil sind, 
so müssen wir die Lesezeiten der Beidhänder, Linkshänder und Rechts- 
händer beim natürlichen Lesen mit beiden Händen vergleichen. Wir finden 
dann folgende Durchschnittslesezeiten: 

Beidhänder: 135 Sekunden, 

Linkshänder: 154 = ‚ Verlängerung: 14% 

Rechtshänder: 163 = ; z 21%. 
Auch die Unsicherheit im Lesen ist bei den Rechts- und Linkshändern 
gréfser, was sich in einer Steigerung der Fehler und Wiederholungen 
deutlich zeigt. Date die Unsicherheit bei den Rechtshändern weniger grols 
ist, hat seinen Grund wahrscheinlich darin, dafs bei ihnen der eigentliche 
Lesefinger die Buchstaben zuerst, also auch sofort genauer erfalst, während 
die Linkshänder die Wörter zunächst nur ungefähr überfühlen und sich 
auf die Korrektur der linken Hand verlassen. 

Dafs die Beidhändler im Vorteil sein müssen, erklärt sich aus der 
Tatsache, dafs sie vor allem den Übergang von einer Zeile zur andern 
leichter überwinden. Sie lesen nämlich den ersten Teil einer Zeile mit 
beiden Händen gemeinsam, im letzten Drittel aber, bei manchen Lesern 
sogar schon in der letzten Hälfte der Zeile, liest die rechte Hand allein 
weiter, während die linke Hand schon die nächste Zeile aufsucht und den 
Inhalt derselben vorweg erfafst. 


JavaL hat bei einem geübten Leser dieselbe Beobachtung gemacht und 
drückt das mit folgenden Worten aus: „Wenn nämlich sein rechter Zeige- 
finger mit einer Zeile zu Ende ist, hat der linke schon ungefähr die Mitte 
der folgenden Zeile erreicht, so dafs der linke Finger dem rechten im 
Lesen fast immer voraus ist, während diesem das gesprochene Wort wohl 
immer erst nachhinkt.“ 1! 


3 Javar, Der Blinde und seine Welt. 1904. Seite 71. 





Eine Untersuchung tiber das Lesen der Blinden. 71 


IV. Welchen Wert hat die zweite hinzutretende Hand für 
den Blinden? 

Wenn auch die Linkshänder sich vorzugsweise auf die linke, die 
Rechtshänder sich auf die rechte Hand verlassen, so ist die andere hinzu- 
tretende Hand doch nicht ohne Wert für das Lesegeschäft. Diesen zahlen- 
mälsig festzustellen, ist ebenfalls mit Hilfe unserer Tabelle möglich, indem 
wir die Lesezeiten der einzelnen Lesergruppen beim einhändigen mit denen 
beim beidhändigen Lesen vergleichen. Das Ergebnis ist folgendes: 


Beidhändige Leser Lesezeit mit einer Hand: 211 Sek. 
e mit beiden Händen: 135 Sek. 
Verkircune der Lesezeik: 76 Sek. = 36 °% 


Linksh. Dener Lesezeit mit der linken Hand: 188 Sek. 
e mit beiden Hinden: 154 Sek. 
Verkürzung der Lesezeit: 34 Sek. = 18 °% 


Rechtsh. Lenor: Lesezeit mit der rechten Hand: 215 Sek. 
a mit beiden Händen: 163 Sek. 
Verkürsdrung der Lesezeit: 52 Sek.= 24°), 


Dafs die durch das Hinzutreten des zweiten Fingers entstehende Ver- 
kürzung der Lesezeit bei den Beidhändern am grdfsten sein mufs, ist 
ganz erklärlich weil bei ihnen beide Hände gleichmäfsig am Lesen beteiligt 
sind, weshalb das Fehlen eines Fingers beim einhändigen Lesen für sie 
naturgemäfs einen grölseren Nachteil bedeutet, der durch das Hinzutreten 
des anderen Fingers wieder ausgeglichen wird. 

Bei den Rechtshändern liegt die Bedeutung des zweiten Fingers wahr- 
scheinlich in dem schnelleren Auffinden der nächsten Zeile, bei den Links- 
händern aber in dem leichteren Innehalten der Zeile und dem ungefähren 
Erkennen des Wortbildes. 

Noch auffälliger ist die Bedeutung des zweiten Fingers für die Sicher- 
heit des Lesens, da wir im Durchschnitt ein Herabgehen der Lesefehler 
um 25°, ein Sinken der Wiederholungen um 35 °% beobachten können. 

Zur Nachprüfung der in obiger Tabelle skizzierten Versuche unternahnı 
ich noch eine zweite Versuchsreihe. Sie wich von der ersten zunächst 
darin ab, dals ich nicht einen gedruckten, sondern einen selbst geschriebenen 
Text wählte. Dadurch hatte ich den grofsen Vorteil, dafs ich jede Lese- 
schwierigkeit vermeiden und jeden Leseabschnitt genau auf 100 Wörter 
einrichten konnte. Ferner erstreckte sich diese Untersuchung auch auf 
die Kurzschrift der Blinden. Es ist das eine Art Stenographie, die sich 
vor allem aus Silben- und Wortkürzungen zusammensetzt. Das Ergebnis 
dieses Versuchs war ungefähr das gleiche, es fanden sich unter 37 Ver- 
suchspersonen: 

18 Linkshänder, also 49 %, 
12 Rechtshänder, also 32 jo 
7 Beidhänder, also 19 % 


Am schnellsten lasen wieder die Beidhänder, dann folgen die Links- 
händer und zuletzt kamen erst die Rechtshänder. 

Übrigens hat Direktor BürkLex-Wien, der diese Versuche nachgeprüft 
hat, ein ähnliches Ergebnis gefunden. Unter seinen 58 Versuchspersonen 


12 P. Grasemann. 


waren 23°), Beidhänder, 45°, Linkshänder und 32°, Rechtshänder. Die 
kleinen Abweichungen in der Verteilung erklären sich leicht aus dem 
gänzlich anderen Schülermaterial sowie aus den Einflüssen des Unterrichte. 

Es liegt nun nahe, aus den gefundenen Ergebnissen einige Folge- 
rungen zu ziehen. 

1. Dals der eigentliche Lesefinger der linke Zeigefinger ist, mufs im 
Leseuntericht der Blinden beachtet werden. Der Lehrer sollte also besonders 
im Anfang des Unterichts den linken Zeigefinger auf das Schriftbild setzen. 
Er mufs aber, wenn dieser versagt, dem rechten Zeigefinger die Rolle des 
Lesefingers übertragen. Es sollte auch beachtet werden, ob etwa Narben 
oder andere eigentümliche Bildungen der Haut einen Finger zum Lesen 
ungeeignet machen. In diesem Falle mufs er den Schüler veranlassen, 
einen anderen, etwa den Mittelfinger, als Lesefinger zu verwenden. Es 
ist also für den Blindenlehrer eine genaue Kenntnis der Anlage seiner 
Schüler auch in diesem besonderen Sinne nötig. 

2. Da die beidhändigen Leser den einhändigen bei weitem überlegen 
waren, so kann man wohl mit Recht zwei Lesestufen unterscheiden, die 
des einhändigen und die des beidhändigen. Zu dieser Unterscheidung 
glanbe ich mich um so mehr berechtigt, als die beidhändigen Versuchs- 
personen in meinen Versuchsreihen immer diejenigen waren, welche die 
grölste Leseübung hatten. Es mufs also das Bestreben des Blindenlehrers 
dahin gehen, den blinden Leser zur Stufe des beidhändigen Lesens hinauf- 
zuführen. Dazu genügt es nicht, die Schüler immer wieder zum Gebrauch 
beider Hände anzuhalten; denn dadurch hat der Lehrer immer noch nicht 
die Kontrolle über die gleichmäfsige Beteiligung beider Hände. Vielmehr 
mufs man sie durch Leseübungen mit nur einem Finger sowohl zum Ge, 
brauch des linken als auch des rechten Fingers systematisch erziehen. 
Diese Übung wird dann dem beidhändigen Lesen wieder zugute kommen 
und sich in einer Steigerung der Lesefertigkeit äufsern. 

3. Es erhellt, dafs das Lesen der Blinden einen viel komplizierteren 
psychischen Vorgang darstellt als das der Sehenden. Während diese mit 
einem Blick eine ganze Reihe von Wörtern zu überblicken vermögen, er- 
kennt der Blinde in einem Augenblick nur dasjenige Wort, das sich gerade 
unter seinem Finger befindet. Er mu/s sich darum dadurch helfen, dafs 
er möglichst viele Wörter schon liest, ehe er sie ausspricht, so dals also 
gleichzeitig eine ganze Reihe von Wörtern in seinem Bewulfstsein stehen 
müssen. Diese grofse Anforderung macht es erklärlich, dals zum fliefsenden 
Lesen der Blinden ein ziemlich hoher Intelligenzgrad gehört, dafs ferner 
nur durch beständige Übung die höchste Lesestufe erreicht und inne- 
gehalten werden kann, und dafs endlich der Blinde bei geringerer Übung 
leicht wieder auf eine niedrigere Lesestufe zurücksinkt. 

Schliefslich möchte ich hier dem Wunsche Ausdruck verleihen, dafs 
die oben skizzierten Versuche vielerorts nachgeprüft werden möchten, 
damit immer mehr Klarheit über den so interessanten Lesevorgang bei 
Blinden geschaffen wird. 


73 


Beiträge zur Blindenpsychologie.' 


Auf Grund von Selbstbeobachtungen 
von 


Ltvpwıe Conux- Breslau. 


Wenn die vorliegende Arbeit unter den Schutze einer captatio bene- 
volentine stehen möchte, so hat das seinen guten Grund darin, weil ich 
viel von mir selbst sprechen mufs, doch das ist bei der Eigenart des zu 
behandelnden Stoffes unvermeidlich, weil es sich zum grolsen Teil um 
Selbstbeobachtungen und energische Versuche an und mit mir selbst handelt. 

Im Alter von 6 Jahren erblindete ich so weit, dafs ein Besuch der 
Normalschule ohne Erfolg gewesen wäre, und ich erfuhr daher eine spezi- 
fische Blindenausbildung in einem Unterrichtsinstitute. Meine Sehschärfe 
verringerte sich immer mehr, bis in meinem sechzehnten Lebensjahre 
völlige Erblindung eintrat. Ich erwähne das, um bei späteren Mitteilungen 
darauf zurückgreifen zu können; denn es ist eine wichtige Vorfrage bei 
der Behandlung von Fragen der Blindenpsychologie, ob Erblindung seit der 
Geburt oder spätere Erblindung vorliegt. Für mich gipfelt die ganze 
Blindenpsychologie darin, in welchem Umfange und bis zu welchem Grade 
es dem Blinden möglich wird, sich für das fehlende Auge Ersatz zu schaffen 
und so sein Innenleben zu bilden und ein seelisches Gleichgewicht herzu- 
stellen, das, wie man ja gerade jetzt an den Kriegserblindeten sehen kann, 
durch die Blindheit stark erschüttert wird. 





!) Die obige Mitteilung ist im wesentlichen die Wiedergabe eines 
Vortrages, den Dr. C. in der philos.-psychol. Sektion der „Schles. Ges. f. 
vaterländ. Kultur“ gehalten hat. Dr. C. ist nicht Psychologe von Fach, 
sondern Sozialwissenschaftler und Literarhistoriker; daher entspricht seine 
Ausdrucksweise nicht immer unseren fachlichen Gewohnheiten. Indessen 
gewinnt der Beitrag durch die Fähigkeit der Verfassers, Selbstbeobachtungen 
zu schildern, auch fachpsychologisches Interesse ; denn die Blindenpsychologie, 
die bisher fast ausschliefslich von Sehenden bearbeitet worden ist, bedarf 
dringend eines umfassenden Selbstbeobachtungsmäaterials, womöglich von 
Personen, die wissenschaftlich-kritische Schulung besitzen. W. St. 


714° Ludwig Cohn. 


Zunächst ist es der Tastsinn, der durch eine besondere Schulung und 
Übung sich die Fähigkeit erwirbt, optische Eindrücke in Tasteindrücke 
umzuwandeln und das Geschaute dem Gehirn als plastisches Bild zu ver- 
mitteln. Es ist diese Fähigkeit genau so gut Sache der Übung, wie der 
sehend Gewordene erst regelrecht lernen mufs, das Auge zu nutzen und 
das, was er bisher nur als Tastbild kannte, als optisches Bild zu erkennen. 
Somit ist also die Annahme von dem a priori besseren Tastsinn der Blinden 
irrig, soweit es sich um eine dem Blinden allein eigene Sonderheit handeln 
soll. Ich kenne Sehende, die mit Erfolg den Versuch gemacht haben, die 
tastbare Blindenschrift mit den Fingern zu lesen. Diese von Lovis BRAILLE 
1829 erfundene und nach ihm benannte Blindenschrift beruht auf dem 
Prinzip, dafs der tastende Finger in einem Raume von nicht ganz einem 


oe 
Quadratzentimeter aus einem Punktekomplex von dieser Form og Bilder 
ee 
aufnimmt, die sich aus ein bis 5 Punkten zusammensetzen. 
b C d f g h 1 J 
© ® oo 0 ee ee e © e 
® ® o ® oo oo © oo 
k l m n o p q r 8 t 
© ee ee © © © ee © a e 
© o e ® ee ee e ee 
® e ® @ © © © o e 
u v x y Z ü Ö W 
© ® o o ee ® o 
® ® ® @@ ® o o 
o o © © © © .o o © e © 
au eu Gi el: sch 
® © oo © © o 
e è e 
e e e e e 
au a 
e e 
o 
o 8 


Es ist erwiesen, dafs zum Erkennen von Bildern innerhalb dieses 
Sechspunktekomplexes nur eine einzige Tastbewegung erforderlich, das Lesen 
also in der denkbar kürzesten Zeit möglich ist. Eine früher übliche Schrift, 
die erhabene Darstellung der grofsen lateinischen Buchstaben, ungefähr in 
demselben Raume von einem Quadratzentimeter, erfordert dagegen eine 
ganze Reihe von Tastbewerungen und liest sich daher nur sehr langsam. 


Beiträge zur Blindenpsychologie. 75 


Der Anschauungsunterricht, der durch den Handfertigkeits- und 
Modellierunterricht eine notwendige Ergänzung erfährt, führt das blinde 
Kind dann weiter in die Welt der Objekte ein. Es ist wunderbar, wie 
weit dadurch das Vorstellungsvermögen in richtiger Weise gebildet wird. Bei 
Gelegenheit von Ausstellungen, die im Anschlufs an Blindenlehrerkongresse 
stattfinden, habe ich so naturgetreue Nachbildungen gefunden, dafs man 
ihren Hersteller für sehend halten könnte. 

Sind schon die normalen Leistungen sehr grofse, so zeigen sie bei 
einer Übung zum Zwecke hauptberuflicher Ausnutzung einen tätsächlich 
künstlerhaften Charakter. Das gilt z. B. von Husertr Morxoeı, einem blinden 
Modelleur in Litau in Mähren, dessen lebenswahre Büsten, Jagdstücke, 
Seestücke u. v. a. m. preisgekrönt sind und den Vergleich mit den Arbeiten 
sehender Künstler aushalten.! 

Auch die Feinheit, ich meine die Intensität des Fühlens kann bis 
zu einem ganz hervorragenden Grade geübt werden. So vermag ich mit 
Stoff-oder Wildlederhandschuhen auf den Händen gut, durch Glacehandschuhe 
sehr gut zu lesen. Als Schüler habe ich mir den Spafs gemacht, das Lesen 
mit den Zehen zu üben und habe es auch da nach kurzer Übung so weit 
gebracht, das ich mit den grofsen Zehen die Zeilen innehalten und einzelne 
Worte entziffern konnte. Dieser damals scherzhafte Versuch kann heute 
durchaus zu einer praktischen Verwendbarkeit ausgebaut werden, wenn 
es sich z. B. um einen Kriegserblindeten handelt, dem auch noch die 
Finger fehlen. Ich bin überzeugt, dafs auch er bei anhaltender Schulung 
den Fülsen grofse Tastleistungen anerziehen kann. 

Es sind nun aber nicht nur die Extremitäten, an deren Ausläufen sich 
der Tastsinn am stärksten ausprägt, es ist vielmehr die ganze Oberfläche 
der Haut, die zu Tastleistungen ausgebildet werden kann. Dafs Zunge und 
Lippen in ganz hervorragendem Malse zum Tasten geeignet sind, braucht 
kaum erwähnt zu werden. Allerfeinste Wahrnehmungen vermag ich auch 
nur mit der Zunge festzustellen, und von einer blinden Dame ist mir 
bekannt, dafs sie feinetes Garn in ein sehr enges Nadelöhr in der Weise 
einfädelt, dafs sie beides an die Zunge hält, die Nadel dreht, bis sie den 
Faden am Öhr spürt, dann saugt sie ihn mit dem Atem an. Meine 
Frage, ob sie das auch mit dem Finger fühlen würde, verneinte sie. In 
welcher Weise der Tastsinn anderweitig am Körper zum Ausdruck kommt, 
und welche Bedeutung er dort hat, bespreche ich in anderem Zusammen- 
hange. 

Zusammenfassend will ich hier nur noch sagen, dafs sich der Blinde 
mit Hilfe das Tastsinnes alles nahebringen und sich von all dem eine 
richtige Vorstellung machen kann, was räumlich darstellbar ist, sei es auch 
in bedeutender Verkleinerung. So sind mir Blinde bekannt, die nach 
Prägungen auf Geldstücken lebensgetreue Büsten modellieren, und aus 
Reliefdarstellungen Dinge nachbilden, an die sie überhaupt nicht heran 


) Vgl auch die Mitteilung von W. STERN über „Künstlerische Plastik 
eines Blinden“. (Mit Abbildung.) ZAngPs 6 7879. 1912- 


76 Ludwig Cohn. 


kommen, so z. B. die Wartburg mit Skulpturen und arehitektonischen 
Sonderheiten. Durch solche Nachbildungen zeigt der Blinde eben, dafs er 
das Objekt richtig erfafst hat. 

Als zweites Ersatzmoment kommt das Gehör in Betracht. Auch von 
seiner Schulung und Übung hängt für den Blinden viel ab. Hier gilt 
genau dieselbe Regel, wie vom Tastsinn. „Nur die Übung macht den 
Meister.“ Man mufs hören lernen, mu[s dazu herangebildet werden, kein 
Geräusch unaufgefangen vorübergehen zu lassen und nach Möglichkeit 
eine Erklärung dafür zu finden. Es ist ganz ähnlich wie mit den Sehen. 
Viele übersehen Dinge, an denen ein anderer nicht achtlos vorübergeht. 
So nimmt der, dessen Gehör geschult und gewöhnt ist, auf alles zu achten, 
Geräusche wahr, die ein anderer überhaupt nicht zu hören vermeint. Wie 
oft habe ich durch mein feines Gehör schon bei Sehenden frappante Wir- 
kungen hervorgerufen. Ich erkenne im Strafsengeräusch den Taxameter 
an einem Knaxen bei jeder Radumdrehung, ein Geräusch, dafs die meisten 
Sehenden noch nie gehört haben, obgleich es laut und deutlich ist. Ich erkenne 
Wagen an ihrem eigenartigen Rollen, wenn es ihnen typisch ist, wie z. B. 
den Paketpostwagen, den Möbelwagen, den Leiterwagen u. a. Ja ich ver- 
mag zu unterscheiden ob Flüssigkeiten kalt oder heifs sind; beim Eingiefsen 
derselben sind nämlich starke Unterschiede des Plätschergeräusches zu 
bemerken. Hierher gehört auch die Leistung des Gehörs beim Erkennen 
einzelner Menschen am Schritt. So ist es mir einmal zu meinem eigenen 
Erstaunen begegnet, dafs ich einen Schritt sofort wieder erkannt habe, 
den ich drei Jahre nicht mehr gehört hatte. Die jetzt sehr beliebten Gummi- 
absätze sind erklärlicherweise für unsere Ohren die gröfsten Feinde. Sie 
heben die Differenzierung des Schrittes vollständig auf, wie überhaupt jeder 
Schalldämpfer das Erkennen durch das Gehör stark erschwert, z. B. Schnee, 
auch schon stark beregneter Fufsboden. Der Schall des eigenen Schrittes 
nämlich ist von ungemein grolser Bedeutung, Räume, die vom Blinden 
oft betreten werden, sind ihm ganz unbewufst durch diesen Schall kenntlich, 
und jede Veränderung, die den Schall modifiziert, macht sich bemerkbar, 
So behauptete ich einmal, in einem Zimmer, in das ich täglich kam, müsse 
irgend etwas oder irgend jemand sein, und ich ging von dieser Meinung 
trotz nachdrücklichster gegenteiliger Belehrung nicht ab. Endlich stellte 
sich heraus, dafs der Störenfried für mein Ohr ein Korb Plättwäsche 
vewesen war, dessen späteres Fehlen im Zimmer ich auch wieder wahr- 
nahm, obgleich er vorher, als ich ihn auch schon bemerkte, unter dem 
Tische gestanden hatte. 

Diese und ähnliche Erscheinungen berühren sich nahe mit Wahr- 
nehmungen, die ohne das Ohr lediglich durch den Tastsinn gemacht werden 
und hinsichtlich derer eine lebhafte und vielfach literarisch behandelte Kontro- 
verse entstanden ist. Herrirr, Hitscumany, Kuntz, Trescnen und andere 
haben schon viel darüber geschrieben, und ich will mich hier nicht mit 
dieser Literatur auseinandersetzen, die inLaienkreisen durch das Schlagwort 
„ein sechster Sinn* bekannt geworden ist. Dieser vermeintliche sechste 
Sinn bringt nämlich dem Blinden Emptindungen, die weit über die normale 


aire 


deg, al 


Beitrage zur Blindenpsychologie. 17 


Leistungsfähigkeit seines Tast- oder Gehörsinnes hinausgehen. WILLIAM STERN 
hat zu dieser Frage wertvolles Material durch seinen Besuch bei der taub- 
blinden Helen Keller geliefert,! wodurch für mich einwandfrei festgestellt 
ist, dafs der Anteil des Tastsinnes am Ersatz des Auges grölser ist, als der 
Anteil des Gehörs. Dieselbe Wahrnehmung habe ich im Zusammensein 
mit dem taubblinden Hofrat Hugo Ritter von Chlumecky in Brünn gemacht. 
Meine Wahrnehmungen decken sich mit den Sterxschen bei Helen Keller. 
Hier nur ein Beispiel. Hofrat von Chlumecky und ich treten in ein Lokal 
ein, das ihm als sehr gut bezeichnet worden war. Als wir durch den Speise- 
saal gehen, fragt er seine Frau, mit der er sich durch die Fingersprache 
verständigt: Ist das Lokal nicht sehr leer? Es war tatsächlich der Fall. 
Eine Gehörleistung ist hierbei ganz ausgeschlossen. Es kann sich also 
lediglich um Tastleistungen handeln. Ebenso nimmt Helen Keller einen 
Baum wahr, an dem sie vorüber geht. Bei einem Spaziergang, den ich mit 
einem ebenfalls blinden Freunde im Berliner Tiergarten unternahm, blieben 
wir vor einem Hindernis stehen, das in einer Höhe von etwa einem halben 
Meter von der Erde die Strafse sperrte, ohne dafs wir angestofsen wären. 
Da es keine Schall reflektierende Wand, sondern nur eine dicke Stange 
war, kann auch hier kein Gehörsempfinden in Betracht kommen. 

Es ist eine müfsige Frage, wo dieses feine Tastempfinden seinen Sitz 
hat, ob wie häufig gesagt wird, in der Stirn, oder im Nacken. Meines 
Erachtens kann eine besondere Körperstelle überhaupt nicht in Betracht 
kommen, denn, wie Experimente zur Genüge ergeben haben, Aufsert es 
sich einmal da, einmal dort, somit ruht die Fähigkeit der feinsten Tast- 
empfindung in der gesamten Haut. Erklärt ist dieser feine Druck, der sich. 
dann als teils bestimmbare, teils unbestimmbare Tastempfindung ausdrückt, 
dadurch, dafs durch ein Hindernis, eine Wand, einen Baum usw. Luft 
abgesperrt wird, und dafs an dieser Stelle ein Teil des Körpers von einem 
modifizierten Druck getroffen wird und dadarch das Vorhandensein dieses 
Hindernisses wahrnimmt. Als ich einmal von meinem Abteil in einem 
Eisenbahnzuge allein in den Speisewagen ging und mich ziemlich in der 
Mitte des Wagens richtig auf einen leeren Stuhl setzte, wollte ein Mit- 
reisender nicht glauben, dafs ich nichts sehe. Das ganze Kunststück dabei 
war, dafs ich langsam an der Tischreihe entlang ging und genau spürte, 
ob neben mir jemand safs oder nicht. Dieses feine Tastempfinden dient 
dem Blinden ganz wesentlich zur Orientierung. Wenn er allein geht, schickt 
er es gewissermafsen immer auf Vorposten?, um rechtzeitig gewarnt zu 
werden, wenn ein Feind in der Nähe ist. Solche Feinde umgeht er dann 
geschickt, selbst wenn sie die geringe Stärke eines Zaunes oder Laternen- 
pfahles haben. Dafs in solchen und ähnlichen Fällen neben diesen Druck- 
wirkungen auch Schallwirkungen mitsprechen können, ist selbstverständlich, 


ı W. Stern: Helen Keller, Persönliche Eindrücke. ZAngPs 3, insbes. 
S. 328/9. 

® DECKER, „Auf Vorposten im Lebenskampf.“ Stuttgart, Franckh'sche 
Buchhandlung. 


78 Ludwig Cohn. 


aber nach meinen Beobachtungen an mir und anderen, nur dann, wenn 
durch starke Geräusche das Gehör sehr angespannt ist, während die bewufste 
Druckempfindlichkeit nicht so lebhaft arbeite. Es kommt nämlich beim 
Blinden, genau wie beim Sehenden auch sehr auf das bewulste Empfinden 
an. Habe ich meinen Geist intensiv beschäftigt, so kommt es durchaus 
vor, dafs der an und für sich auf Vorposten wachende Tastsinn ruht, oder 
zu wenig scharf arbeitet, und die Folge ist, dafs ich an ein Hindernis 
anlaufe, was bei Wachsamkeit des Sinnes niemals geschieht. Dals in Fällen 
aber, in denen das Gehör gänzlich ausschaltet, der Tastsinn ständig auf der 
Wacht ist, und selbst den geringsten Druck aufnimmt, dafür sind Taubblinde 
das beste Beispiel. Sie reagieren immer und lebhaft. Ihr Tastempfinden 
wird durch nichts abgelenkt. Daher diese überragenden Leistungen, die uns 
z.B. von Helen Keller und anderen Taubblinden bekannt sind. Helen Keller 
fühlt Musik. WırLıam Stern berichtet uns, wie er Klavier gespielt, hat sie 
ihren Arm auf den Flügel gelegt, und durch das Vibrieren annähernd die 
Taktart erkannt. So erkannte sie den Rhythmus eines Marsches, den Cho- 
pinschen Trauermarsch erklärte sie als Wiegenlied, und einen Strau[swalzer 
erkannte sie als Walzer.’ Dadurch angeregt, habe ich nach dieser Richtung 
auch Eigenversuche angestellt und habe, als ich in einem Kammermusik- 
abend meine Hand auf den Holzsitz eines neben mir stehenden Stuhles 
legte ein kräftiges Vibrieren des Sitzes gefühlt, das ganz verschiedenartig 
war, je nach der Art der Musik. So konnte ich nach einiger Übung ganz 
genau härtere Druckwellen bei hohen Geigen und Klaviertönen wahrnehmen, 
während ganz andere, ich möchte sagen, weichere, längere Wellen von 
Cellotönen zu spüren waren. Den Takt heraus zu fühlen aber habe ich 
mich vergebens bemüht. Klar geworden aber ist mir dabei, dafs auch 
hier Schulung alles leisten kann. Kommt dann noch die Notwendigkeit 
hinzu, den Tastsinn bis zum Äufsersten anspannen zu müssen, so sind 
Leistungen wie die von Helen Keller nichts allzu Überraschendes mehr. 

Auch der Geruch leistet dem Blinden ab und zu unterstützende Dienste 
für die Orientierung. So haben mein blinder Freund und ich bei dem oben 
erwähnten Spaziergänge eine Brücke nur dadurch gefunden, dafs wir dem 
Wassergeruch nachgingen, bis wir ans Geländer des Ufers kamen. Ich 
kann mir sehr wohl Fälle denken, in denen der Geruch als Orientierungs- 
sinn von grolser Bedeutung ist. Auch bei ihm kann durch Übung ein 
Plus gegenüber normalen Leistungen erzielt werden. Dieses Plus an 
Leistungsfähigkeit aller Ersatzsinne zusammengenommen ergibt endlich 
das, was ich oben mit „sechster Sinn“ bezeichnete. Es sind zum Teil 
wirklich geradezu exorbitante Leistungen, die für den Laien die Grenze 
des Wunderbaren überschreiten. Diesen Stempel tragen sie in noch höherem 
Mafse, wenn der Blinde seine kleinen Kniffe und Hilfsmittel anwendet, 
die er sich als Unterstützung für ein sicheres Auftreten ausdenkt. Wenn 
ich z. B. im D-Zuge aus meinem Abteil gehe, knöpfe ich um zurück zu 
finden beim gogenüberliegenden Fenster den Riemen in ein bestimmtes 


!a.a. 0, NS. 325. 


Beitriige zur Blindenpsychologie. 79 


Loch. Es ist mir bis jetzt noch nie vorgekommen, dafs ich auf dem Riick- 
wege dieses Merkmal nicht mehr gefunden hätte. In voller-Fahrt werden 
ja im allgemeinen die Fenster nicht geöffnet. 


Als weiteres Beispiel möchte ich anführen, dafs sich der Blinde bei 
einer Strafsenbahn- oder Wagenfahrt, die er öfter zurücklegt, auch nach 
gewissen Merkmalen orientiert. So achtet er auf die Art der Pflasterung, 
auf Kreuzungspunkte, auf die verschiedenen Geräusche in engen oder 
breiteren Strafsen, auf die Durchfahrt unter Eisenbahnbögen, kurz, da gibt 
es so vielerlei kleine Hilfsmittel, an die der Sehende gar nicht denken 
kann, dafs der Blinde tatsächlich imtande ist, genau anzugeben, wo er 
sich befindet. Wie eigenartig der Beweis dieser Fähigkeit auf Sehende 
wirkt, das erfährt wohl jeder Blinde dann und wann. Als ich z. B. einmal 
einem Kutscher zurief: „Sie fahren ja falsch, links herum !* war das Einzige, 
was der verblüffte Mann sagen konnte: „Ich denke, Sie sind blind!“ Das 
der Blinde in ihm bekannten Orten Sehenden Wege angibt, das hat so 
mancher schon bewiesen. Ich kenne viele, die, wie auch ich, das Berliner 
Strafsenbild vollständig im Kopfe haben, und in meinem Breslau kenne 
ich wohl jeden Winkel. In fremden Orten fährt der Blinde nicht gern, 
denn er kann sie nur beim Gehen kennen lernen, So ist mir in London 
der gröfste Teil der Stadt trotz des riesigen (rewoges so gut vertraut, wie 
manche kleine Stadt, weil ich dort immer zu Fufs gegangen und gut orien- 
tiert worden bin. 


Ich reise sehr gern, meine Frau, meine ständige Begleiterin, versteht 
es vorzüglich mir alles zu erklären, und ich habe von allem ein so voll- 
ständiges Bild, dafs ich in Vorträgen und Schilderungen lebhafte und 
zutreffende Bilder entwickeln kann, wobei ich übrigens immer die Illusion 
habe, alles vor mir zu sehen. Es spricht da sicherlich die eingangs er- 
wähnte Tatsache viel mit, dafs ich bis zum 6. Lebensjahr gesehen habe. 
Hier möchte ich auch auf die Farbenvorstellung des Blinden eingehen. 
Es kommt, wie bei der Vorstellung nicht greifbarer Objekte, natürlich auf 
den Zeitpunkt der Erblindung an. Wie soll sich der blind Geborene z.B. 
die Sonne vorstellen? Nach und nach wird ihm allerdings ein geschickter 
Lehrer auch von solchen Objekten richtige Vorstellungen beibringen. 
Natürlich gibt es auch hier eine Grenze. Alles ist nicht falslich darzustellen. 
So die Farbe. Ob beim später Erblindeten mit der Dauer der Blindheit 
ein Verblassen und endlich ein Vergessen der Farbenvorstellung eintritt, 
darüber gibt es keine sicheren Nachrichten. Mein schon mehrfach an- 
geführter blinder Freund und ich glauben auf Grund von Experimenten 
sagen zu können, trotz unseres mehr als dreifsigjahrigen Blindseins noch 
eine richtige und kräftige Farbenvorstellung zu haben. Vielleicht trägt 
das viel dazu bei, dafs ich grofse Freude am Besuche von Museen habe, 
deren Bilder mir allerdings niemand so gut erklären kann, wie meine Frau. 
Gerade für die Schattierungen habe ich ein besonderes Verständnis, und 
auch bei Bildern habe ich das Empfinden, sie vor mir zu sehen. Ich glaube 
sogar die richtige Vorstellung von Hintergrund und Perspektive zu haben. 


80 Ludwig Cohn. 


Hierbei unterstützt mich zweifellos die Reliefdarstellung der Perspektive- 
zeichnung, die ich vor vielen Jahren einmal gefühlt habe. 

Blind Geborene aber könnet von Farben keine Vorstellung haben. 
Für sie sind Farben nur Worte, und, wenn sie richtig angewandt sind, 
wie wir das bei Helen Keller finden, so hilft dabei das Gedächtnis und 
gibt Erzähltes richtig wieder, wie ja das Gedächtnis überhaupt dem Blinden 
eine unschätzbare Stütze ist. So könnte er sich oft Geräusche überhaupt 
nicht erklären, wenn er nicht ihre Analogien im Gedächtnis hätte und 
Schlufsfolgerungen ziehen könnte. 

Von unwesentlichen Einschränkungen abgesehen, hat der Blinde die 
Möglichkeit und auch die Fähigkeit, das fehlende Auge bis zu einem Grade 
zu ersetzen, dafs er sagen kann, ihm fehle nichts, als die absolute un- 
beschränkte Bewegungsfreiheit. Sein gut gebildetes Vorstellungsvermögen 
vermittelt ihm das ihn umgebende Leben in richtigen Bildern und sein 
lebhaft arbeitender Geist, der sich absolut nicht ins Dunkel gebannt fühlt, 
führt ihn mitten in die Welt der Sehenden. Es gibt nur wenige Blinde, die 
ihre Blindheit beklagen und sich sehend wünschen. Sonderbar ist aber 
doch die Erscheinung, dafs die meisten im Traume sehen. Ich habe 
hierüber einmal eine Erhebung angestellt. Das Material, das mir auf meine 
Umfrage zuging, ist zu lückenhaft, als dafs es eine Grundlage für eine 
Spezialstudie sein könnte. Durchgängig aber war fast auf allen Bogen 
die Antwort: Im Traume sehe ich. Wie das Sehen des blind Geborenen 
beschaffen sein mag, darüber konnte ich leider nichts erfahren. Wohl 
aber kann ich von mir selbst sagen, dafs ich im Traume nie geführt wurde, 
dafs ich mit den Augen lese, vorherrschend Zeitung, und dafs ich mich 
immer ganz schrecklich wundere, wenn man mich führen will. Auch 
Bergbesteigungen und komplizierte Fahrten unternehme ich allein, oder 
doch als Sehender in Gesellschaft anderer. Ob diese immerhin auffallende 
Erscheinung eine Bestätignng der Theorie ist, der Traum sei eine Fort- 
setzung des in wachem Zustande unbewulst Gewünschten,! oder ob bei 
später Erblindeten Erinnerungsbilder mitsprechen, die z. B. WILLIAM STERN 
für sehr wichtig und bis in das früheste Lebensalter zurückreichend ansieht, 
weils ich nicht zu besprechen. Stützen möchte ich die Theorie vom Er- 
innerungsbild aber doch damit, dafs in meiner sehenden frühen Kindheit 
die Zeitung für uns eine gro[lse Bedeutung hatte, und dafs ich etwa von 
meinem dritten bis sechsten Lebensjahre in Begleitung oder später allein 
täglich zur Post gegangen bin und als von meinem Vater als besonders 
wichtig bezeichnet die Zeitung geholt habe. Vielleicht hängt damit mein 
häufiges Zeitungslesen im Traume zusammen. Interessant ist ferner, dafs 
ich im Traume Bilder genau so sehe, wie sie mir beschrieben worden sind, 
dasselbe gilt von landschaftlichen Rundblicken, bei denen fast immer ein 
wunderschöner Sonnenuntergang ist. Ein solcher war das letzte, was ich 
kurz vor meiner völligen Erblindung gesehen habe. Er taucht immer vor 
mir auf, wenn ich an eine Berglandschaft denke. 


I Die Theorie FREUDS. 


Beiträge zur Blindenpsychologie. 8] 


Endlich noch ein Wort tiber den Schénheitssinn Blinder, Er ist stark 
ausgeprägt, vielleicht als weitere Folge ihres hohen ethischen und ästhe- 
tischen Empfindens, das für mich aus dem Gehör und den Tastsinn resultiert. 
Schönes und häfsliches kann mit dem Auge kaum lebhafter wahrgenommen 
werden, als mit Gehör und Tastsinn. Musik ist dem Blinden ein hoher 
ästhetischer Genufs. Dasselbe’ gilt von schöngestalteten Dingen, von weichen, 
glatten Oberflächen. Sodann spielt auch das Ebenmals eine grofse Rolle. 
‚Ich habe schon oft Gelegenheit gehabt, feststellen zu können, dafs der 
Blinde besonderen Gefallen an symmetrischen Darstellungen findet, und 
dafs er beim Gestalten selbst auch durchaus symmetrisch verfährt. 


So kann sich z. B. der Buchschmuck, besonders bei der Ausgestaltung 
von Titelblättern in seinen Grundformen immer nur in den bei der Be- 
sprechung des Blindenschriftsalphabetes mitgeteilten 6 Punktenanordnung 
bewegen, und es ist staunenswert, mit welchem bis ins einzelne gehenden 
Schönheitssinn dabei verfahren wird, und wie als Grundprinzip immer 
die Symmetrie in Erscheinung tritt. Sein Schönheitssinn läfst aber den 
Blinden auch dann und wann im Stich. Das gilt besonders von der Be- 
hauptung, der Blinde könne sich eine Vorstellnng von der menschlichen 
Physiognomie machen. Es unterliegt nämlich keinem Zweifel, dafs das 
Organ gewisse Anhaltspunkte für das Aussehen eines Menschen bietet. 
Vorzugsweise handelt es sich um Schlüsse auf die Mundbildung, den Gesichts- 
ausdruck und die Kérpergestalt. Doch hier mufs eine gute, umfassende 
Übung vorhanden sein, und auch dann ist von einer absoluten Sicherheit 
nicht die Rede. Dals gewisse Tonfälle und Spracheigentümlichkeiten wie 
Klangfärbungen auf ganz bestimmte Gesichtszüge schliefsen lassen, steht 
aufser aller Frage, und es gibt viele Blinde, die hier überraschend sicher 
hören. | 

Das hier Gesagte macht keinen Anspruch auf Vollständigkeit, wohl 
aber auf strengste Sachlichkeit. Ich beobachte mich und andere Blinde ` 
unausgesetzt, um unsere Leistungsfähigkeit hinsichtlich unserer Sinnesarbeit, 
aber auch unsere Grenzen kennen zu lernen. Dafs diese Grenzen keine 
engen sind, steht für jeden Fachmann fest. Ferner weils der Blinden- 
psychologe, dafs diese mannigfachen und weit ausgreifenden Fähigkeiten 
das fehlende Auge zu ersetzen, geeignet sind, den Blinden zu einer har- 
monischen Natur zu machen. Weniger als jeder andere Nicht-Vollsinnige 
hat der Blinde das Gefühl, seinen Mitmenschen nachzustehen, es sei denn, 
dafs ihn ein wirtschaftliches Manko drückt. Als Individuum aber fühlt 
sich der Blinde gröfser als z. B. der Taube oder gar der Taubstumme. Ich 
habe jüngst ein taubblindes Mädchen unterrichtet. Als sie lesen und 
schreiben konnte und nun imstande war, äufsere Eindrücke durch Ver- 
mittlung der Schriftin sich aufzunehmen, sagte sie zu mir: Dafs ich nicht 
sehe, ist lange nicht so schlimm, als dafs ich nicht höre. 

Der Blinde nimmt doch vollständig an seiner Umgebung teil. Er ist 
sogar imstande, bis zu einem sehr hohen Grade im Theater die Bewegungen 
der Schauspieler herauszuhören; kurz, gut ausgebildet und gut geleitet, 

Beiheft zur Zeitschrift für angewandte Psychologie. 16. 6 


82 Ludwig Cohn. 


daran gewöhnt, die ihm verliehenen Fähigkeiten und Sonderheiten zu nutzen, 
vermag der Blinde sich zu einer psychologischen Elitespezies zu entwickeln. 
Die Grundlage hierzu wird in den Instituten gelegt, in denen er seine 
Sinne ausnutzen lernt. Dann aber mus es weiterer eigener Schulung 
und Selbsterziehung vorbehalten bleiben, sich auf dem beschrittenen Wege- 
vorwärts zu bringen. 

Man sagt oft, der Blinde ist heiter, und das sei doch sonderbar. 

Sonderbar wäre es, wenner nicht heiter wire. Ihm ist ja so viel geblieben,. 
er ist durch die Nachhaltigkeit der an ihn herankommenden Eindrücke- 
innerlich so lebhaft und vermag sich und andere durch die Harmonie- 
seines Gemütes so viel zu sein, dafs es eine Undankbarkeit gegen das Ge- 
schick wäre, wollte er ob seiner Blindheit grollen... Ist auch sein körperliches 
Auge erloschen, ist auch die äufsere Buntfarbigkeit der Erdenpracht für- 
ihn kein Schauobjekt, spiegelt ihm auch Licht und Farbe keine Freude 
wider, er führt dennoch ein lebenswertes Leben, er hat dennoch in sich 
Quellen des Glückes und Ströme des Lichtes, denn seine Seele ist reich, 
ja, kann überreich sein, und das macht den Blinden zu einer harmonischen,. 
abgeklärten, zufriedenen Natur, die in sich Frieden findet und ihn noch 
anderen spendet. So wandelt der Blinde, wenn seine zahlreichen Geistes- 
. schätze gehoben und geläutert worden sind, in äufserlicher Dunkelheit doch 
in innerer leuchtender Helle. 


83 


Der Blinde als Persönlichkeit. 


Von 


WILHELM STEINBERG. ! 


Der Ausfall des wichtigsten Sinnes bestimmt die Gestaltung des Seelen- 
lebens so entscheidend und zugleich so eigenartig, dafs man sich von jeher 
mit der Blindheit und den durch sie bedingten Lebensformen beschäftigt 
hat. Entsprechend ihren geistigen Einstellungen steigerte das Altertum in 
mystischen Erwägungen richtig beobachtete psychische Gesetzmäfsigkeiten, 
wie die durch verminderte Reizzahl erhöhte Konzentrationsfähigkeit, ins 
Ungeheure und schuf so einen Ansatzpunkt für Mythenbildung, während das 
Mittelalter vorzüglich erbauliche Betrachtungen an die Blindheit knüpfte. 
Erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurde sie zum Gegenstande’ 
wissenschaftlicher Fragestellungen, und die methodische Beschränkung der 
damals allein gepflegten Sinnespsychologie brachte es mit sich, dafs man 
nur die seelischen Funktionen der Blinden untersuchte, die dem Experi- 
mente zugänglich sind. Man richtete also sein Augenmerk ausschliefslich 
auf die Leistungen der Sinne und beschränkte sich hierbei des weiteren 
auf ihre rein quantitativen Verhältnisse. Solche Untersuchungen waren um 
so willkommener, als sie ohne Einfühlung in die besonderen Seelenzustände 
möglich schienen, deren die Forscher meist entbehrten; denn man glaubte 
Sinnesleistungen, ohne sie grundsätzlich zu modifizieren, aus der psychischen 
Einheit herauslösen und in ihrer Isolierung voll verstehen zu können. War 
diese Ansicht irrig, und wurde man daher selbst den Sinnesleistungen der 
Blinden nicht gerecht, so vermag uns auch abgesehen hiervon diese Auf- 
fassung der Blindenpsychologie einfach darum nicht zu befriedigen, weil 
ihre Fragestellung gar nicht bis zu dem eigentlichen Hauptprobleme vordringt. 
Die Persönlichkeit des Blinden bleibt ja bei all diesen Untersuchungen 
unberührt; und doch kann uns nur ihre Analyse auch die scheinbar aus- 
schliefslich peripheren Funktionen verstehen lehren, so gewifs diese nämlich 
nur mehr oder weniger abgehobene Glieder innerhalb der psychischen 
Einheit darstellen. Die Frage, inwieweit das Fehlen des Auges der Ge- 


1 Der Verfasser ist ein Studierender der Philosophie und Psychologie, 
der von Geburt an nahezu blind ist. Er hat sich die Blindenpsychologie 
als spezielles Arbeitsgebiet gewählt. Obige Darstellung ist aus einem Vor- 
trag hervorgegangen, den Herr Sreinzere im Philosophischen Seminar zu 


Hamburg gehalten hat. W. Sr. 
6* 


84 Wilhelm Steinberg. 


staltung der Persönlichkeit eigenartige Wege weist, hat die moderne Psycho- 
logie nie getan. Wir müssen die Schriften der ältesten Blindenpädagogik 
aufschlagen, um ausführliche Angaben über das Innenleben der Nicht- 
sehenden zu finden. Sie bringen eigene Beobachtungen zum Ausdruck, die 
sich meist einfach aneinander reihen, höchstens nach dem herkömmlichen 
Schema der Vermögenspsychologie geordnet. Wir haben hier ein reiches 
Material für wissenschaftliche Arbeit vor uns, das in seiner Bedeutung 
noch lange nicht genügend gewürdigt ist, eine wertvolle Sammlung zart 
abgelauschter Einzelzüge, in keinem Falle aber auch nur den Versuch einer 
systematischen Darstellung, deren Geschlossenheit der alle ihre besonderen 
Äufserungen einheitlich umfassenden Persönlichkeit entspräche. 

Will man dieser Aufgabe gerecht werden, dann darf man sich nicht 
vorzugsweise auf die Beobachtungen Sehender stützen, die stets Gefahr 
laufen, wahrnehmbare Zeichen falsch zu deuten, sondern mufs Blinde in 
viel weiterem Umfange zu Worte kommen lassen, als das bisher geschah. 
Dabei mufs man die seelischen Differenzen zwischen Blindgeborenen, Spät- 
erblindeten und Blinden mit Sehresten berücksichtigen, welch letzteren 
im allgemeinen leider nur gelegentlich Beachtung geschenkt wird, obwohl 
‚gerade sie als Übergangsform von. zwiefachem Interesse sind. Auch die 
Entwicklung der Persönlichkeit ist in den Bereich der Untersuchungen zu 
ziehen, so gewils sie nichts ursprünglich Gegebenes, sondern ein Gewordenes 
ist, das im Grunde stets ein Werdendes bleibt. Man darf sich freilich 
nicht auf die unmittelbaren Äufserungen weniger Blinder beschränken; 
denn eine einzelne Aussage kann uns nie darüber belehren, ob das Erlebnis 
in seiner Eigenart durch das Fehlen des Auges, oder, ganz unabhängig 
hiervon, durch irgendeine rein individuelle Besonderheit bedingt wurde, 
wie sie mit der Einzigartigkeit der Persönlichkeit gesetzt ist. Das schlecht- 
hin Einmalige ist aber hier wie stets kein mögliches Objekt einer Wissen- 
schaft. Wie daher die differentielle Psychologie nur die Aufgabe haben 
kann, die Beziehungen zwischen den Besonderheiten einmal ein und des- 
selben Individuums und alsdann einer Reihe von Individuen klar zu stellen, 
die gegeben ist durch allen Gliedern gemeinsame eigenartige, doch ein- 
deutig bestimmbare Bedingungen, so will die Blindenpsychologie nur die 
aus dem Fehlen des Auges folgenden, darum typischen spezifischen 
Formen des Seelenlebens erforschen, deren einzigartige Verflechtungen 
mit den mannigfachsten psychischen Faktoren die Blinden zu Persönlich- 
keiten machen. 

Nach alledem kann es nicht die Aufgabe dieser kleinen Abhandlung 
sein, das Innenleben der Blinden in all seinen Abstufungen und dem 
ganzen Reichtum seiner Formen darzustellen. Dafür ist schon das Material, 
das ich in den letzten zwei Jahren sammeln konnte, noch viel zu beschränkt. 
Weil ich aber zunächst andere blindenpsychologische Arbeiten zum Ab- 
schlufs bringen will, sich der Stoff bei der Zartheit des Gegenstandes über- 
dies nur langsam vermehren lafst, wird noch geraume Zeit vergehen, ehe 
ich all diese Fragen werde erschöpfend behandeln können. Ich will in 
den folgenden Zeilen darum nur die entscheidenden Gesichtspunkte fest- 
stellen, um Richtlinien für weitere Arbeit zu haben und womöglich auch 
andere Blinde und ihnen nahestehende Forscher zu bestimmen, sich ein- 


Der Blinde als Persönlichkeit. 85 


gehender mit den Persönlichkeitserlebnissen des Nichtsehenden zu be- 
echiaftigen. 

Das blinde Kind erhält in den ersten Lebenswochen von seiner Um- 
welt nur Kunde durch das Ohr. Während das Auge die Dinge selbst 
kennen lehrt. vermittelt das Ohr ursprünglich nur Eindrücke, denen keinerlei 
gegenständliche Bedeutung zukommt. Denn ihre überaus grofse Mannig- 
faltigkeit kann wohl dem entwickelten Bewufstsein Aufschlufs über die 
Beschaffenheit des tönenden Dinges geben, nicht aber dem Säugling, da 
die Möglichkeit der eindeutigen Beziehung der Empfindung auf den Reiz 
ılessen Kenntnis als Raumform und als Schallquelle bereits voraussetzt. 
Geräusche und Klänge regen daher primär nur das Gefühlsleben des 
Blinden an, das, begünstigt durch die geringere Vielfältigkeit äulserer Reize, 
seine beherrschende Stellung im Seelenleben auch später meist zu wahren 
weils. Weil seine Entwicklung besonders in den ersten Jahren nur un- 
genügend durch Wahrnehmungen geleitet wird, liegt in der unabweisbaren 
Aufdringlichkeit akustischer Eindrücke eine Gefahr für die harmonische 
Bildung der Persönlichkeit. Ihr kann man nur durch planvolle Bereicherung 
des Vorstellungslebens begegnen, die dadurch angebahnt wird, dafs man 
dem Kinde zahlreiche Gegenstände in die Hand gibt, die durch ihre 
charakteristische Form und stoffliche Beschaffenheit seine Aufmerksamkeit 
auf sich lenken. Solcher zielbewufster Anregungen bedarf es um so mehr, 
als es in seiner Nachahmungsmöglichkeit sehr beschränkt ist. Ganz über- 
wiegend sind Tätigkeiten nur dem Auge wahrnehmbar, und die Bewegungen 
in unmittelbarer Nähe werden oft durch die tastende Hand gestört. Man 
braucht nur zu bedenken, wie viele Kenntnisse das sehende Kind durch 
sein absichtslos umherschweifendes Auge ungewollt erwirbt, wie viele 
Fertigkeiten es sich in spielender Nachahmung zu eigen macht, um das 
hohe Mafs planvoller Anregung zu begreifen, dessen das blinde bedarf, 
wenn seine Entwicklung mit der des vollsinnigen einigermafsen Schritt 
halten soll. Seine Erziehung stellt nach alledem seine Eltern vor besonders 
schwere Aufgaben, denen sie meist nicht gerecht werden. Auch wenn es 
ihnen nicht an Zeit gebricht. sich so eingehend mit ihrem unglücklicheu 
Kinde zu beschäftigen, wie es sein eigenartiger Zustand verlangt, fehlt 
ihnen gewöhnlich das Verständnis dafür, dafs man nur durch Betätigung 
seelisch wächst; und aus Sorge, ihr Liebling könne Schaden nehmen, lassen 
sie ihn nicht die einfachsten Verrichtungen ausführen. Mangelt es ihnen 
an Zeit zu so weitgehender Betreuung und bleibt der Blinde sich meist 
selbst überlassen, dann versinkt er oft in Teilnahmslosigkeit. Aber auch 
wenn er die Hemmung überwindet, die die geringere Mannigfaltigkeit 
äulserer Eindrücke seiner Entwicklung setzt, fehlt seiner Kindheit vielfach 
der Frohsinn, der unsere Erinnerung so gern in ihr verweilen lälst. Er 
kann Ja nur im Spiel mit Kameraden zu vollem Durchbruch kommen, 
von dem der Blinde oft ganz ausgeschlossen ist, bei dem er jedenfalls 
stets Gefahr läuft, verletzt zu werden. Sein Gebrechen macht es ihm 
eben unmöglich, es seinen sehenden Altersgenossen in allem gleich zu tun, 
und gibt seine Ungeschicklichkeit wehrlos ihrer Spottlust preis. Ge- 
wifs entspringen solche Hänseleien nicht böser Absicht, sondern haben 
in demselben Unverständnis ihren Grund, das Kinder Tiere quälen läfst, 


86 Wilhelm Steinberg. 


deren Schmerzäulserungen sie nicht verstehen; doch das Ergebnis ist das 
gleiche: der Blinde wird verschlossen und zieht sich ganz von seinen 
Kameraden zurück. 

Um so entscheidender ist sein Eintritt in die Blindenanstalt. Sie 
vermittelt ihm ja nicht nur Kenntnisse. auf Wegen, die seinem besonderen 
Zustande angemessen sind, sie erschlie{st ihm vor allem eine Welt, in der er 
sich als vollwertiger Mensch fühlen darf. Diese Gleichheit der Lebens- 
bedingungen bringt die Fähigkeiten zur Entfaltung, deren Entwicklung die 
erdrückende Überlegenheit der Vollsinnigen hemmte. Das ist die unersätz- 
liche Bedeutung der Blindenanstalt, dafs sie innerhalb ihrer Mauern das 
blinde Kind zum normalen Kinde macht, dafs es hier zu lernen vermag, 
ohne an Schranken zu gelangen, die für seine Kameraden nicht vorhanden 
sind, dafs es sich hier rückhaltslos dem frohen Spiel mit seinen Gefährten 
hingeben kann und in heiteren Kinderjahren die Kräfte sammelt, deren 
es später so sehr bedarf. 

Schon an der Schwelle der Kindheit tritt das Leben dem Blinden mit 
doppeltem Ernste entgegen. In dieser Zeit entdeckt der Mensch, dessen 
Blick bisher vorwiegend nach aufsen gerichtet war, eine Welt in sich, die 
ihm in ihrer Einzigartigkeit unerschöpflich reich erscheint. Schlummernde 
Kräfte beginnen sich zu regen und drängen nach Betätigung; unübersehbare 
Möglichkeiten zu wirken und zu geniefsen tun sich auf, und wenn uns auch 
das Leben gar bald viel bescheidener werden läfst, so macht doch die Ge- 
wilsheit, dafs uns die ganze Welt offen steht, das eigentliche Glück dieser 
Jahre aus. Auch der Blinde entdeckt mit bebender Ehrfurcht sein Selbst- 
auch er fühlt tausend Kräfte in sich wach werden; ihrer Auswirkung aber 
setzt sein Gebrechen unüberschreitbare Schranken. Die Erkenntnis macht 
die Entwicklungsjahre oft zur schwersten Zeit in seinem Leben, dafs seine 
Blindheit als äufseres Hemmnis mannigfache innerlich angelegte Möglich- 
keiten vernichtet. Seinem bitter ernsten Bildungsstreben kann er wegen 
rein technischer Schwierigkeiten nicht Genüge tun; zahllosen Dingen, die 
anderen zu Gegenständen reinsten Genusses werden, steht er fremd gegen- 
über; Berufe, denen er seine Neigung schenkt, sind ihm verschlossen. Er 
fragt sich bitter, was er denn eigentlich im Leben soll, und die Erschütterung 
seines Zweckbewulstseins bedroht zugleich sein ganzes Weltbild. Er fühlt 
sich ohne seine Schuld in unausgleichbarem Grade benachteiligt und wird 
an der Güte eines allmächtigen Leiters der Geschicke irre. Sein Welt- 
schmerz ist berechtigter und darum gefährlicher als dergleichen Stimmungen, 
die in diesen Jahren auch bei Sehenden üblich sind. Er sucht oft in 
Gedichten die Befreiung, die uns aus dem Fernerriicken des Schweren 
erwächst. Sie sind freilich meist ohne künstlerischen Wert, doch als 
unmittelbare Äufserungen sonst wenig zugänglicher Zustände von hoher 
psychologischer Bedeutung. 

Dem Blinden. der also unter seinem Gebrechen leidet, mufs das 
Auge als das Köstlichste, ja als das einzig wahre Gut erscheinen, das 
Leben der Sehenden als das Paradies auf Erden. An ihm teilzunehmen, 
soweit es sein Mangel irgend, ermöglicht, gerade ihm zum Trotz doch »» 
zu leben, als wenn er gar nicht vorhanden wäre. das wird sein leiden- 
schaftliches Bemühen. Er will ein Sehender unter Sehenden sein, wii 


Der Blinde als Persönlichkeit. 87 


gern die gleichen Pflichten auf sich nehmen wie sie, dafür aber auch 
die gleichen Ansprüche stellen dürfen. Der einzige Unterschied, dafs 
er nicht sieht, hat ganz zurückzutreten, da ihm der Blinde selbst keine 
Bedeutung einräumt. Dieses unkritische Streben nach unbedingter An- 
gleichung entspringt aus dem Bewulstsein seiner Sonderstellung und ist 
im Grunde eine Flucht vor sich selbst. Es ist ein verzweifelter Versuch, 
‘die Auseinandersetzung mit der Welt des Lichtes, die sein Anderssein 
aotwendig macht, dadurch zu umgehen, dafs er dieses aufhebt. Form und 
Leidenschaftlichkeit seines Bemtihens sind verschieden je nach den Lebens- 
verhältnissen und der Zeit der Erblindung. Der Blindgeborene ahnt seine 
Besonderheit als Kind nur dann, wenn sie ihn andere schmerzlich fühlen 
lassen. Sobald er aber anfängt, über sich nachzudenken, . wird er sich der 
ganzen Schwere seines Gebrechens bewulst. Er ist in seinen Ent- 
wicklungsjahren meist noch nicht stark genug, um den Kampf, den ihm 
seine Ausnahmestellung aufzwingt, derart sieghaft zu bestehen, dafs er 
sein Leben seinen andersartigen Bedürfnissen und Glücksmöglichkeiten 
entsprechend gestaltet. So setzt er seine ganze Kraft daran, sich trotz 
alledem den Zugang zu der Welt des Lichtes zu erringen, die ihm seine 
Phantasie zum Paradiese ausschmückte. Für den spät Erblindeten ist sie 
die Heimat, aus der ihn ein hartes Geschick verstiels; kein Wunder, wenn 
er auch ferner an ihrem Treiben teilzunehmen sucht, so weit es irgend 
möglich ist, und seiner neuen Daseinsform nicht Rechnung tragen will. 
Der hochgradig Schwachsichtige ist in Wahrheit ein Bürger zweier Welten. 
Ihm gewährt das Auge noch mannigfache Anregung und Bereicherung, 
sodafs er sich nur um so leichter der süfsen Täuschung hingeben kann, 
als ob er sich restlos in das Leben der Sehenden einzugliedern vermöchte. 

In der Zeit des unkritischen Strebens nach Angleichung um jeden 
Preis legt der Blinde allem Äufseren und Äufserlichen unangemessene Be- 
deutung bei und läfst den Wert der Dinge von dem Grade abhängig sein, 
in dem er sie sich in gleicher Weise zu eigen machen kann wie jeder Sehende. 
Vor allem mufs die Wurzel alles Übels, die Blindheit, möglichst verborgen 
werden. Dies glaubt man am besten dadurch zu erreichen, dafs man ihre 
Folgen tunlichst einschränkt. Der peinigende Eindruck, den sie auf das 
Auge macht, soll ausgeglichen werden durch überladene Kleidung, ein 
Streben, das sich nicht selten, zumal bei Mädchen, bis zur Eitelkeit steigert. 
Die Abhängigkeit wird um jeden Preis vermindert; selbst Gefahr nimmt 
man gern in Kauf, wenn man sich dadurch diesem heifsersehnten Ziele 
nähert. So legt der Blinde grofsen Wert auf; Fertigkeiten und mifst Hand- 
lungen hohe Bedeutung bei, die für den Sehenden ganz selbstverständlich 
sind und jeden inneren Wert entbehren. Dieses leidenschaftliche Bemühen 
kann so weit führen, dafs er seinen besten, seinen eigensten Besitz, seine 
Persönlichkeit preisgibt, nur um sich äufserlich anzugleichen, da er oft den 
normalen Zustand mit dem alltäglichen verwechselt. Er will in seiner Arbeit 
vor den Sehenden nichts voraus haben, doch ihnen darum auch in nichts 
nachstehen, keinem Genusse entsagen. Er geht in Gemäldegalerien und 
glaubt ein Bild durch Beschreibung in gleicher Weise, ja noch verinner- 
lichter zu genielsen als sein Begleiter, deshalb auch nicht mit seinem Urteil 
in falscher Bescheidenheit zurückhalten zu müssen. Er unternimmt neuer- 


88 Wilhelm Steinberg. 


dings gefahrvolle Wanderungen ins Hochgebirge und ist überzeugt, die Fern- 
sicht, die sich seinem Führer nach für beide unsäglichen Mühen erschliefst, 
in dessen Schilderung nicht weniger unmittelbar und darum durchaus 
gleichartig zu erleben. Die Freuden, die auch dem Blinden zugänglich 
sind, will er sich auf demselben Wege wie der Sehende erschliefsen. Ihm 
genügt nicht ein geselliger Verkehr mit wenigen Nahestehenden, bei dem 
Persönlichkeitswerte entscheidend sind, sodafs auch er etwas zu geben 
vermag; er sehnt sich nach glänzenden Gesellschaften, bei denen die Form 
alles ist. Vor plastischen Kunstwerken läfst es der Blindgeborene nicht 
bei der Freude an Formen sein Bewenden haben, soweit sie seinem tastenden 
Finger überhaupt zugänglich sind, sondern versucht, weil dies die Sehenden 
tun, die Züge zu deuten, ohne dafs er ihren Wechsel als Ausdruck seelischer 
Vorgänge je hätte erleben können. Die Gaben, die auch ihm die Natur 
mühelos gewährt, sind ihm zu gering, da der vollsinnige Mensch schwerlich 
auf Berge stiege, wenn ihm das Tal genug der Freuden böte. 

Dieses unkritische Streben nach unbedingter Angleichung läfst den 
Blinden seines Lebens nicht froh werden, ermöglicht bestenfalls ein 
Scheinglück. Denn es ist nur möglich, wenn er seine seelische Eigenart 
verkennt. Durch dieses Nichtverstehen hält er selbst ihre wertvolle Aus- 
gestaltung hintan, ohne die Hemmungen vermindern zu können, die nun 
einmal mit ihr gesetzt sind. Sie machen sich gerade in Äufserlichkeiten 
geltend. Kleine Milsgriffe und Ungeschicklichkeiten begegnen dem Blinden 
fast täglich. Seine Abhängigkeit beschränkt sich ja nicht darauf, dafs er 
auf unbekannten Wegen nicht allein gehen kann, sondern ist viel ent- 
scheidender in seiner geringen Nachahmungsmöglichkeit begründet. Sie 
zwingt ihn, sein ganzes Leben hindurch nach Dingen und Verhaltungsweisen 
zu fragen, die der vollsinnige Mensch anderen absieht. Jede mögliche 
Situation läfst sich nicht voraussagen und selbst der Eintritt einer er- 
warteten Tage beim Fehlen des Auges nicht immer sogleich erkennen. 
Daher ist der Blinde im Verkehr mit Sehenden ohne ihre freundliche An- 
weisung oft ratlos. Das Nichtbeherrschen der Situation kann aber nur den 
wirklich bedrücken, der vergifst, dafs Geselligkeiten, bei denen Formen aus- 
schlaggebend sind, wohl manches Leben äufserlich bereichern, in keinem Falle 
aber innere Werte treffen. Zudem ist es für die Vollsinnigen nicht immer 
leicht, dem Blinden gegenüber den rechten Ton zu finden, und wenn er 
obendrein allzu empfindlich ist, wird er sich selbst die Freude am Verkehr 
mit manchem wertvollen Menschen trüben. Wie soll er erst die Leute ge- 
lassen abfertigen, die ihn mit aufdringlichem Bemitleiden verletzen, oder 
sich in seiner Gegenwart in einer Weise gehen lassen, als wäre er auch 
taub. Wie soll er für die ein Lächeln finden, die bei ihm selbstverständlichen 
Verrichtungen des Lobes voll sind, doch für die Frucht ernster Arbeit kein 
Wort des Verständnisses haben. Wenn ihm solche peinlichen Auftritte zu 
Katastrophen werden, dann reibt er sich in einem vergeblichen Kampfe 
gegen Äufserlichkeiten auf und behält keine Kraft, um die unabwendbaren 
Schwierigkeiten zu überwinden und dort zu entsagen, wo er unüberschreit- 
bare Grenzen erkennen muls. Die Natur bietet ihm mühelos so viele Freuden, 
dafs er es seinem geduldigen Begleiter wirklich ersparen kann, ihn auf ge- 
jährliche Gratwanderungen mitzunehmen. Was er zudem durch die Be- 


Der Blinde als Persönlichkeit. 89 


schreibung einer Landschaft oder eines Gemäldes geniefst, sind: nie sie 
selbst, sondern Stimmungen, die der verständnisvolle Schilderer in ihm zu 
wecken weils. Beim Späterblindeten kommen reproduzierte visuelle Vor- 
stellungen hinzu, die wohl eine gewisse Ähnlichkeit mit dem Bilde haben 
mögen, niemals aber seine Individualität zum Ausdruck bringen, die doch 
der Träger seines künstlerischen Wertes und normalerweise der eigentliche 
Gegenstand des Genielsens ist. Der Blinde findet also Freude nicht am 
Gemälde, sondern allein an Innenzuständen, die nicht eimal unmittelbar 
durch das künstlerische Objekt ausgelöst wurden. Er mag Gaierien be. 
suchen, wenn es ihm Vergnügen macht, soll sich aber klar darüber sein, 
dafs es mindestens in bezug auf das geschilderte Kunstwerk zu eigentlich 
ästhetischer Einstellung bei ihm gar nicht kommt. Denn hier wie in allen 
Fällen, in denen die Differenz zwischen Absicht und Erfolg so wenig zu- 
tage tritt, dafs er sich ihrer und seiner Grenzüberschreitung oft gar nicht 
bewulst wird, geht er nur scheinbar in der Welt der Sehenden auf. In 
Wahrheit verwandeln sich ihre Güter unter seiner Betrachtung, und was 
sie ihm an innerer Bereicherung bei dieser unangemessenen Art der Zu- 
wendung etwa gewähren, das hätte er auch bei liebevoller Versenkung in 
sein eigenes Reich gewinnen können. Die Möglichkeit, sich in weitem 
Umfange über den Erfolg ihres Strebens zu täuschen, läfst viele Blinde 
zu der Überzeugung kommen, dafs sie im Grunde nichts entbehren und 
restlos glücklich sind. Weil dieses Glück auf Illusionen ruht, ist es ein 
Scheinglück, das das harte Leben jeden Augenblick zerstören kann. Indem 
sie sich so über ihre Grenzen hinwegtäuschen, können sie ihre Sehnsucht 
wohl verdrängen, nicht aber überwinden. Das unkritische Streben nach un- 
bedingter Angleichung hat ein zwiefaches Ergebnis: Entweder ist sein Mifs- 
erfolg so unverkennbar, dafs er den Blinden sein Giebrechen doppelt schwer 
fühlen läfst und ihm die Freude am Leben nimmt, oder er ist weniger 
handgreiflich und ermöglicht ihm so Illusionen und ein Scheinglück. Wir 
wollen gewifs nicht wegen jeder Grenzüberschreitung mit ihm rechten. 
So gänzlich andersartig ist sein Leben zum Glück nicht, dafs keine Pfade 
hinüber und herüber führten. Aber er mufs sich dessen bewulst bleiben, 
dafs es sich stets nur um Freiheiten handeln kann, die sich der innerlich 
gefestigte Mensch einmal erlauben darf. Wenn er vergifst, dafs er in jener 
Welt nur Gast ist, dafs seine besten Kräfte in einem anderen Boden wurzeln, 
dann verleugnet er seine Eigenart; und was er auch im Leben der Sehenden 
an Gütern erraffen mag, sein unaufhebbares Anderssein macht es für ihn 
zu Scheinwerten. 

Der Blinde ist nun einmal ein besonderer Typus. — Das Auge ist 
das wichtigste Organ für die Erfassung der äufseren Welt und, da Wahr- 
nehmungen auch in die komplexesten psychischen Bildungen als Elemente 
eingehen, zugleich von ausschlaggebender Bedeutung für das gesamte Seelen- 
leben. Sein Einflufs erstreckt sich bis auf rein intellektuelle Leistungen; 
denn jeder Gedanke mufs ausdrückbar sein, so dafs wir zugleich mit ihm 
die Möglichkeit seiner sprachlichen Formulierung setzen. Das sinnliche 
Substrat der Sprache aber, dafs mindestens bis zu einer gewissen Stufe 
der geistigen Entwicklung Träger des Verständnisses ist, besteht ganz 
überwiegend aus optischen Vorstellungen. Zahllose Vorgänge der ver- 


90 Wilhelm Steinberg. 


schiedensten Art sind nur durch das Auge wahrnehmbar und können darum 
den Willen des Blinden nicht anregen und bestimmen. Raumformen und 
Farbenkomplexe, die ihre Besonderheit zu Trägern ästhetischer Werte 
macht, können nur durch das Sehorgan unser Gefühlsleben bereichern; 
und selbst die Beziehungen von Mensch zu Mensch sind in gewissem Grade 
von ihm abhängig: Nur wer das schmerzliche Zucken um den Mund des 
still Trauernden sieht, kann trösten, nur das Auge berichtet uns von dem 
freundlichen Lächeln, das uns willkommen heifst. Die Blindheit hat nach 
alledem einen Ausfall so mannigfacher und wertvoller Anregungen für das 
gesamte Seelenleben zur Folge, dafs man sich fragt, ob sie dem Unglück- 
lichen überhaupt die Möglichkeit läfst, sich zu einer Persönlichkeit heran- 
zubilden. Solange man glaubt, sie durch die Mängel, die sie bedingt, 
erschöpfend charakterisieren zu können, wird man ihr aber nicht gerecht. 
Denn dank der Plastizität des Seelenlebens begründen Ausfallserscheinungen 
nicht nur Mängel, sondern auch Abwandlungen des Verbliebenen. Diese 
Umbildungen machen die positiven Faktoren in der seelischen Besonderheit 
des Blinden aus. Vor allem gilt es, um eine Entwicklung überhaupt zu 
ermöglichen, Ersatz zu schaffen für die zahllosen fehlenden Anregungen 
und die von aufsen kommenden Bereicherungen. Dazu bedarf es einer 
andersartigen Einstellung gegenüber der Sinnestätigkeit. Es wird als selbst- 
‚verständlich erwähnt und doch in seiner Bedeutung meist nicht genügend 
gewürdigt, dals sich der Blinde mit grofser Intensität den Empfindungsdaten 
zuwendet, die ihm seine verbliebenen Sinne vermitteln. Sie bilden die 
Grundlagen seines Seelenlebens, und nur weil der Sehende ihrer meist 
wenig bedarf und sie darum auch nicht voll ausnutzt, kann er sich schwer 
einen Begriff von ihrem Reichtume machen. Er ist durchaus grofs genug, 
um das sinnliche Substrat abgeben zu können, das für die Gestaltung eines 
mannigfach gegliederten Innenlebens unentbehrlich ist. Seine intensive 
Einstellung auf taktile und akustische Empfindungsdaten lehrt den Blinden, 
sie in ihrer gegenständlichen Bedeutung besser zu erfassen, und ermöglicht 
Um darum Leistungen, die der Sehende wohl nicht grundsätzlich, doch 
meist tatsächlich nicht vollbringen kann. Ihre rein psychische Bedingheit 
verbietet uns, sie als Geschenk der reuigen Natur aufzufassen, sondern 
läfst sie uns als Ergebnis seelischer Arbeit erkennen und macht zugleich 
verständlich, wie sich die Späterblindeten in ihre neue Welt einleben 
können. Der Blinde. dies folgt unabweisbar aus unseren Erwägungen, ist 
ein besonderer Typus: Einmal, weil ihm die für das Seelenleben des nor- 
malen Menschen grundlegenden Wahrnehmungen fehlen, alsdann, weil die 
durch die verbliebenen Sinne vermittelten gänzlich andersartigen Eindrücke 
für seine elementaren Innenzustände und somit für die Gestaltung seiner 
Persönlichkeit die gleiche Bedeutung gewinnen, die sonst den optischen 
Vorstellungen zukommt. 

Gerade die positiven Faktoren seiner Besonderheit ermöglichen dem 
Blinden innerhalb seiner Grenzen ein gesegnetes und glückliches Leben. 
Er kann arbeiten und darf sich darum sagen, dafs sein Dasein für ihn und 
auch für andere nicht wertlos ist. Wenn es ihn bedrückt, dafs er sich 
häufig nicht in einem Berufe betätigen kann, der seinen Fähigkeiten voll 
entspricht, so soll er bedenken, dafs viele Sehenden in der gleichen Lage 


Der Blinde als Persönlichkeit. 91 


sind. Grdfser sind die Schwierigkeiten, die er im Kampfe ums Dasein zu 
überwinden hat; sie suchen die Blinden neuerdings durch sozialen Zusammen- 
schlufs mit Erfolg zu mindern. Es ist überdies nicht zu verkennen, dafs 
gerade die Hemmungen, die ihnen auf allen Gebieten der Betätigung hindernd 
entgegenstehen, das Beste in ihnen zur Entfaltung bringen. Sie erklären, 
weshalb wir unter den Nichtsehenden so vielfach Extreme finden: Ein 
schwacher Wille sinkt vor einer schweren Aufgabe völlig in sich zusammen. 
ein starker wächst mit ihrer Überwindung. Die mangelhafte Kenntnis, 
die der Blinde durch seine Sinne von entfernteren Objekten erhält, zwingt 
ihn, sich über die Eindrücke und ihre gegenständliche Bedeutung in viel 
weiterem Umfange Rechenschaft zu geben, als dies der Sehende nötig hat; 
er nimmt ja die Dinge selbst mit all ihren Eigenschaften wahr, von denen 
jenem nur sein Ohr und allenfalls der Geruchssinn dürftige Kunde gibt. 
Die Notwendigkeit, sich vieles geistig zu erarbeiten, was dem Vollsinnigen 
mühelos zufällt, macht den Lichtlosen oft zu einem bewufsten Menschen, 
der seinen Verstand auch dort zu Rate zieht, wo sich andere allein ihrem 
Gefühle hingeben. Dafs hierdurch sein Gemüt wohl weniger zutage 
tritt, doch nicht verarmt, das beweist die Innigkeit, mit der er in Freund- 
schaft und Familie lebt. Freundschaft mit Sehenden ist ihm vielfach von 
Nutzen und darum ursprünglich sehr ersehnt; doch seine Daseinsbedingungen 
sind so andersartig, dafs dieser Wunsch nur ausnahmweise erfüllt wird, 
und er nach mancherlei Enttäuschungen Verständnis und Teilnahme vor- 
wiegend bei seinen Schicksalsgefährten sucht. Wenn er eine Frau findet, 
die in opferfreudiger Liebe sein Leben mit ihm teilt, dann erschlieflst sich 
ihm in der Familie ein Quell stärkender Kraft und reinsten Glückes; denn 
hier setzt sein sebrechen dem Drange, anderen etwas zu geben, im Grunde 
keine Schranken. Musik und Poesie sind ihm treue Freunde, die ihn in 
schweren Stunden über sein eigenes Leid emporheben. Sein inniges Leben 
mit der Natur kann sich bis zur religiösen Weihe steigern, und so mancher 
Blinde findet seinen Gott in ihr. Religiösen Betrachtungen, Allgemein- 
fragen der Weltanschauung folgt er oft mit leidenschaftlicher Hingebung. 
Hier fällt ja zugleich mit der Ausschaltung der Sinne jede trennende 
Schranke, und wenn er sich eine unerschütterliche Lebensanschauung er- 
arbeiten kann, dann verleiht sie ihm An schweren Stunden die Kraft, sein 
Schicksal mit Würde zu tragen. 

Das Leben der Blinden ist trotz aller Einschränkungen reich, es kann 
reich werden. Darin sind sie ihm gegenüber in der gleichen Lage wie die 
Sehenden: Es ist im Grunde doch stets das, was sie aus ihm zu machen 
wissen. Diese Aktivität prägt sich bei ihnen in der besonderen Form aus, 
dafs sie sich ihrer Grenzen bewufst werden. Der Nichtsehende mache 
sich klar, dafs er unter besonderen Bedingungen steht, darum sein Leben. 
soll es ihnen gerecht werden, auch anders gestalten muls. Denn nur wenn 
sich die Persönlichkeit ihren unaufhebbar gegebenen Entwicklungs- 
bedingungen gemäüfs heranbildet, kann sie zu einem echten Werte werden; 
das unkritische Streben nach völliger Angleichung führt bestenfalls au 
einem Scheinwerte und einem Scheinglücke, die keiner ernstlichen Prüfung 
standbalten. Er soll die Sehnsucht nach der Welt der Sehenden nicht 
dadurch verdrängen, dafs er sich einredet, er habe im Grunde nichts zu 


99 Wilhelm Steinberg. 


entbehren; er mufs sie überwinden. Dies vermag er in der Gewilsheit, 
dafs sein Gebrechen nicht nur einen Mangel bedeutet, sondern zugleich 
gestaltende Kräfte erschliefst, die es ihm ermöglichen, sich zu einer Persön- 
lichkeit von stark ausgeprägter Eigenart, doch auch von unbestreitbarem 
Eigenwerte heranzubilden. Diese Gewifsheit ist in keinem Falle etwas 
ursprünglich Gegebenes; sie mufs darum errungen werden in innerer 
Umkehr. Sie gestaltet sich verschieden je nach den Lebensbedingungen. 
Dem Blindgeborenen wird sie meist am leichtesten, da er von vornherein 
in seine Welt hineingewachsen ist. Der Späterblindete lebt weiter in 
visuellen Vorstellungen und benutzt die Wahrnehmungen der verbliebenen 
Sinne zunächst nur, um sie zu reproduzieren. Erst allmählich lernt er 
einsehen, dafs er aus ihnen allein keine Bereicherung mehr schöpfen kann, 
dafs deshalb die bisher hintangesetzten Eindrücke für ihn entscheidend 
sind. Nur wenn er der gestaltenden Kräfte, die in der Blindheit schlummern, 
gewifs wird, kann er sich mit der Unmöglichkeit aussöhnen, sein früheres 
leben fortzusetzen. Dem Blinden mit einem Sehreste liegt die Ver- 
lockung besonders nahe, sich als Sehender zu fühlen und auf den Anteil, 
‚en er noch an ihrem Leben nehmen kann, allzu grofsen Wert zu legen. 
Auch ihm bleiben bittere Enttäuschungen so lange nicht erspart, ale er 
nicht weifs oder nicht wissen will, dafs ihm die Welt des Lichtes wohl 
manche Bereicherung bietet, doch dafs er seinen Eigenwert stets nur dem 
verdankt, was er unabhängig von seinem geringen Sehvermögen Sein nennen 
darf. Günstige äulsere Lebensbedingungen machen die Blindheit durch- 
aus nicht notwendig weniger schwer. Der einfache Mann, der sich seinen 
Unterhalt durch seiner Hände Arbeit mühselig erwerben muls, hat hiermit 
zugleich ein unabweisbares Ziel und meist auch eine bestimmte Forni seiner 
Betätigung. Für jeden bescheidenen Genufs, den ihm seine Mufsestunden 
gewähren, ist er doppelt dankbar, weil er ihn doppelt schwer verdienen 
mufste. Der Blinde, dem reichere Mittel, vor allem eine umfassendere 
Bildung zu Gebote stehen, setzt die Befriedigung seiner physischen Be- 
dürfnisse als selbstverständlich voraus, und seine Forderungen an das Leben 
beginnen erst dort, wo sich jener bereits bescheidet. Hinzu kommt, dafs 
mit dem gréfseren Umfang seiner Betätigung auch die Schwierigkeiten 
wachsen und dafs es gerade ihm oft unmöglich ist, einen Wirkungskreis 
zu finden, den er nach seinen Gaben und Kenntnissen verdiente Die 
weiblichen Blinden kommt es oft besonders hart an, sich in ihr Schicksal 
zu finden. Denn da ihnen die Berufe der Gattin nnd Mutter so gut wie 
gänzlich verschlossen sind, mufs ihre Vernunft ihrem Herzen gebieten, 
vine erwachende Neigung niederzuhalten und Ansprüchen an das Leben zu 
entsagen, die alle anderen ungestraft erheben dürfen. Überdies können 
ihnen die verbleibenden Tätigkeiten oft keinen inneren Anteil abgewinnen, 
während der blinde Mann viel häufiger volle Befriedigung in seinem Wir- 
kungskreise findet. 

Gerade unter den tüchtigen Blinden erfreut sich das Wort grofser 
3eliebtheit: Wir sind nicht blind, wir können nur nicht sehen. Entsprinst 
cs dem Wunsche, das peinigende Gefühl zu vermeiden, das das Wort 
„blind“ fast stets auslöst, wenn es von Sehenden selbst bildlich gebraucht 
wird, so ist natürlich nichts dagegen einzuwenden. Doch es will meist 


Der Blinde als Persönlichkeit. 93 


mehr; es will zum Ausdruck bringen, dafs die Blinden wohl mit einem 
kleinen, einem verschwindend kleinen Mangel behaftet sind, im übrigen 
aber den Sehenden in allem gleichen, dieselben Pflichten haben und darum 
auch dieselben Forderungen an das Leben stellen dürfen. Dem gegenüber 
kann nicht genug betont werden, dafs der Blinde ebensowenig ein Sehender 
ist, der nicht sieht, wie der Sehende ein Blinder ist, der sieht. Der Ausfall 
des wichtigsten Sinnes schafft nun einmal so besondere Bedingungen, dafs 
sich das gesamte Seelenleben eigenartig gestalten mufs. Sein Anderssein 
macht es dem Blinden unmöglich, sich zu einer wertvollen Persönlichkeit 
heranzubilden, solange er ihm nicht in seiner Stellung zum Leben Rechnung 
trägt. Entschliefst er sich aber zu innerer Umkehr, die ihn lehrt, sein 
Dasein nach seinen besonderen Bedürfnissen und Glücksmöglichkeiten 
einzurichten, dann findet er für die mannigfachen kleinen Mifsgeschicke, 
die ihm unvermeidlich begegnen, ein Lächeln, das ihn über sie erhebt, dann 
gewinnt er die Seelenstärke, ernste Schwierigkeiten zu überwinden und 
dort zu entsagen, wo er seine Grenzen erkennen mufs; dann kann sein 
Leben für ihn und andere ein Segen werden. Er soll sich nicht vor der 
Welt der Sehenden verschliefsen, sondern dankbar empfangen, was sie ihm 
zu bieten hat, und so manche Bereicherung vermag er aus ihr zu schöpfen. 
Er lebt mitten unter normalen Menschen und mufs sich in vielem nach 
ihnen richten. Nicht nur äufseres Benehmen kann und soll er von ihnen 
lernen, auch wahre Güter haben sie ihm zu geben. Sein Dasein. ist viel zu 
innig mit dem ihren verflochten, als dafs er jede Grenzüberschreitung ver- 
meiden könnte. Ohne Schaden mag er sich auch gelegentlich tröstlichen 
Illusionen hingeben; frei von Schwächen — und Illusionen sind Schwächen 
— ist ja keiner. Dann aber werden sie zu einer Gefahr für die Echtheit 
seiner Persönlichkeit, wenn er den Wert seines Lebens von ihnen abhängig 
macht. Denn in die Mauer, die ihn von den Sehenden trennt, legt wohl 
Liebe und Treue manche Bresche, ginzlich fallen aber kann sie nie. Es 
hilft ihm nichts, sich über diese Tatsache hinwegzutäuschen; er mufs sich 
seiner Besonderheit und ihres Eigenwertes bewulst werden und so die 
Schranken, die ihm ein unerbittliches Schicksal setzte, in freier Tat der 
Persönlichkeit als Grenzen achten lernen. 


94 
Literaturbericht. 


F. von GermaRDT. Aus dem Seelenleben des Blinden. Psychologische Studie 
auf Grund persönlicher Beobachtungen. Frankfurt a. Main, Emil Münster. 
1916. 36S. M. 1.— 

Das kleine Heft, hervorgegangen aus jahrelanger aufmerksamer Be- 
obachtung an Blinden, ıst dazu bestimmt, weiten Kreisen den Blinden als 
Mensch näher zu rücken und des Absonderlichen zu entkleiden. Wenn 
der Verfasser auch nicht als Fachpsychologe an sein Thema heranging, so 
bewirkte doch seine allgemeine wissenschaftliche Schulung, dafs er in 
klarer und das Wesentliche herausarbeitender Form die Sinneswahr- 
nehmungen, die Denktätigkeit, die Gemütsbewegung, das ästhetische Ver- 
halten, die durch den Sinnesmangel bedingten Charaktereigentümlichkeiten, 
die geistige Leistungsfähigkeit des Blinden — und zwar des erwachsenen 
Blinden — darzustellen vermag. 

Ein grofser Teil der Beobachtungen G.'s deckt sich mit den Selbst- 
beobachtungen, über die in diesem Hefte berichtet wird. So legt auch G. 
den Nachdruck darauf, dafs der Ersatz des Gesichts durch andere Sinne 
nicht in einer Verfeinerung der peripheren Sinnesleistung, sondern in 
einer anderen Einstellung der Aufmerksamkeit, in einer feineren Ver- 
wertung der Sinneseindrücke seinen Grund habe. Dale hierbei aufser 
Gehör, Getast und Geruch auch der Temperatursinn eine bedeutende 
Erkenntnisrolle für den Blinden spielt, ist eine interessante Ergänzung 
früher bekannter Tatsachen. Die Anräherung an eine Mauer, das Vorbei- 
gehen an einer offenen Tür und vieles andere wird nach G. durch die 
Änderung der Wärmestrahlung erkannt und zu Orientierungszwecken 
benutzt. 

Psychologisch wichtig ist ferner der Hinweis, dafs das Denken des 
Blinden vorwiegend synthetisch sein mufs, weil ihm die ein Ganzes 
auf einmal bietende optische Anschauung fehlt. Er mufs sich aus isolierten 
Einzeldaten des Gehörs- und Tastsinnes erst die Gesamtvorstellung, z. B. 
eines Möbelstücks, eines Menschen aufbauen, — wodurch sein ganzes 
Denken eine andersartige, mehr deutungsmälsige Struktur erhält. So 
dienen zur Stütze der Porsonenvorstellung und Menschenkenntnis Stimm- 
klang und Händedruck, zwei Symptome, die für den Blinden einen für 
uns kaum nachfühlbaren Wert erhalten. 

Als weitere psychologisch interessante Einzelheit sei erwähnt, dafs 
das ästhetische Verhalten des Blinden stark von dem Erkenntniswert des 
Eindrucks bestimmt wird. „Im allgemeinen ist als Grundsatz festzuhalten, 
dafs der Blinde alles das bevorzugt, was für ihn am mühelosesten wahr- 
nehmbar ist und dadurch sein fehlendes Augenlicht am wenigsten fühlbar 
werden lälst.* So erscheint ihm eine besonders markante deutliche Sprache 
leicht als „schön“, weil er ihren Träger leicht wiedererkennt; und Blinde 
mit Sehresten lieben grelle und bunte Farben, weil sie diese noch am 
besten sehen und deshalb auch die Träger solcher Kleider leicht identi- 
fizieren können. W. STERN. 


G. Pütz’sche Buchdr. Lippert & Co. G. m. b. H., Naumburg a. d. S. 


Zeitschrift fiir angewandte Psychologie, Beiheft 16 (zu Karl Biirklen). 


ABC HEF GHIFKLM" 
abcdefghijklm: 


ABCDEFGHIJKLM 3 


2. Älterer Liniendruck in Antiqu 


3. Stachelschriftin Antiqua von 


ABCDEFGHIJKLM| 


4. Perldruck in Antiqua, Stuttgart. 


ABCDEFGHIJKLM| 
abedefghijyki m 


5. Spdterer Antiquadruck. Wien. . 


qe <¥erfev?KRTIkl MI 


6 Runenschrift von J. Gall. Stark- 


ALESFFTVOIlJS set", 


7. Blindenschrift von W. Moon. § 


go o og og Q eo QO Q o Q O 0O oa 
o o % o ce oa Q w 2 o 


8. Punktschrift von L. Braille. Sp. 


Verlag von Jobino - 


LQRSFOVW LYZ 


7473 kuv w £t y2 
chrift von W. Hady. Seit. 1786. 


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*. Lesueur t 1806. P. Dufe 1840. 





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1840. 


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1840. 


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änderte Antiqua. Seit 1833. 


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hsche Blindenschrift in Liniendruck. Seit 1847. 


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lne Blindenschrift in Punktdruck. Seit 1821. 
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us Barth in Leipzig. 


Tastlinien bei sich 


steigernder Lese- 
schwierigkeit 


Ruhige Tastlinie 


Tastlinie mit ge- 
fingen Zuckungen 


Sägeförmige Tast- 
linie 


Mäanderförmige 
Tastlinie 


Tastlinie 
mit vermehrten 
Zuckungen 


Schlingenförmige 
Tastlinie 


Verworrene Tast- 
linie 


Nr. 2 


Nr. 3 


Nr. 4 


Nr. 5 


Nr. 6 


Nr. 7 


Nr. 8 


Nr. 9 


Nr. 10 


Zeitschrift für angewandte Psychologie, Beiheft 16. Bia 


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Kunstanstalt H. F. Jütte, Leipzig. 


Nr. 11 


Nr. 12 


Nr. 13 


Nr. 14 


Nr, 15 


Nr. 16 


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Zeitschrift für angewandte Psychologie, Beiheft 16. Bürklen. 





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Zeitschrift für angewandte Psychologie, Beiheft 16. Bürklen. 


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Zeitschrift für angewandte Psychologie, Beiheft 16. Barklen. , 





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Nr. 29 


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Zeitschrift für angewandte Psychologie, Beiheft 16 (zu Karl Bürkle: 


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BEIHEFTE 
Zeitihriit für angewandte Piydiologie | 


Herausgegeben von 


WIbLIAM STERN und OTTO LIPMANN. 


und die Phantaiie des Rindes. 


Von 


Charlotte Bühler. 


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Das Marden 
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beipzig 1918. 
Verlag von Johann Ambroüus Barth. 
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Verlag von | Johann Ambrosius Barth in | Leipzig. 


Zeitschrift fur angewandte Psychologie 


Herausgegeben von 
William Stern und Otto Lipmann. 
6 Hefte bilden einen Band. Preis des Bandes 20 M. Der 14. Band ist im Erscheinen begriffen. 


Die Au feo der Zeitschrift ist die Bearbeitung psychologischer Probleme unter be- 
sonderer Berücksichtigung ihrer Verwertbarkeit für anderweitige praktische und wissen- 
schaftliche Fragestellungen und die Ausgestaltung der besonderen experimentellen, psycho- 
grap phischen, statistischen und Sammel-Methoden für diese Zwecke. Hauptgebiete der 
Zeitschrift sind die pädagogische, forensische, pathologische, literarische, ethnologische und 
vergleichende Psychologie. 

Die Zeitschrift enthält Abhandlungen, Mitteilungen, Sammel- und Einzelberichte und 
verfolgt ständig die internationale Bewegung auf dem Gebiete der an eens Psycho- 
logie. Sie ist ae des Instituts fiir angewandte Psychologie in Kleinglienicke, des 
psychologischen Laboratoriums in Hamburg und mehrerer Universitäts-Seminare. 


Seit 1911 erscheinen: BEIH E FTE 
Zeitschrift für angewandte Psychologie 


Herausgegeben von 
William Stern und Otto Lipmann. 
Die Beihefte sind einzeln käuflich. 


Heft 1. Orro Lipmann. Die Spuren interessebetonter Erlebnisse und ihre symptome. 
Theorie, Methoden und Ergebnisse der „Tatbestandsdiagnostik“. IV, 968 

Heft 2. J. Cons u. F. DierrensacHer (Freiburg). Untersuchungen über nn a o 
Alters- und, Begabungs-Unterschiede bei Schiilern. VI, 213 Seiten. 6.46 

Heft 3. W. Berz. Uber Korrelation. VI, 88 S. 

Heft 4. Pav Marans. E. T. A. Hoffmann. Eine Individualanalyse mit 2 Faksimile, 
2 Stammtafeln und 2 graphologischen Urteilen. VIII, 220 S. M. 

Heft 5. Vorschläge zur psychologischen Untersuchung primitiver Menschen i 
sammelt und herausgegeben vom Institut fiir SR Psychologie und psycho- 
logische Sammelforschung (Institut der Gesellschaft fiir experimentelle Psychologie). 
1. Teil. IV, 124 Seiten mit 1 Tafel im Text. M. 4.— 

Heft 6. Rıcnarp Tuurnwarn. Ethno-psychologische Studien an Südseevölkern auf 
dem Bismarck-Archipel u. den Salomo-Inseln. IV, 163 S. mit 21 Taf. M.9.— 

Heft 7. Fritz Giese. Das freie literarische Schaffen bei Kindern und Jugendlichen. 
2 Teile. XVI, 220 u. IV, 242 Seiten mit 4 Abbildungen. 1914. M. 14. 

Heft 8. Herea Ene. Abstrakte Begriffe im Sprechen und Denken des en VI, 
112 Seiten. 1914. M. 3.60 

Heft 9. Hermann Damm. Korrelative Beziehungen zwischen elementaren Vergleichs- 
leistungen. Ein Beitrag zur psychologischen Korrelationsforschung. IV, 84 Seiten 
mit 4 Abbildungen, 31 Tabellen und 4 Tafeln. 1914. M. 

Heft 10. Grons Branpeır. Das Interesse der Schulkinder an den Unterrichtsfächern. 
IV, 168 Seiten mit 37 Figuren. 1915. M. 5.60 

Heft 11. Curr Pıiorkowskı. Beiträge zur ae eee Methodologie der wirt- 
schaftlichen Berufseignung. IX, 84 S. M. 3.— 

Heft 12. Jugendliches Seelenleben und Krieg. Ee und Berichte. Unter Mit- 
wirkung der Breslauer Ortsgruppe des Bundes für Schnlreform und von O. Bobertag, 
K. W. Dix, C. Kik, A. Mann herausgegeben von WırLıam Stern. 181 Seiten 
mit 15 Abbildungen. 1915. M. 5.— 

Heft 13. Ta. VaLentiner. Die Phantasie im freien Aufsatze der Kinder und Jugend- 
lichen. VI, 168 S. mit 1 Kurventafel. 1916. M. 5.60 

Heft 14. Orro Lirmann. Psychische Geschlechtsunterschiede. Ergebnisse der differen- 
tiellen Psychologie. Zwei Teile. IV, 108 und 172 Seiten mit 9 Kurven im 
Text. 1917. M. 12.— 

Heft 15. Franzıska BAaumGARTEn. Die Lüge bei Kindern und Jugendlichen. Eine = 
frage in den polnischen Schulen von Lodz. IV, 111 Seiten. 1917. M. 4.20 

Heft 16. Kant Bonten Das Tastlesen der Blindenpunktschrift. Nebst kleinen Bei- 
trägen zur Blindenpsychologie von P. Grasemann, L. Cohn, W. Steinberg. 93 Seiten 
mit 16 Abbildungen im Text und 6 Tafeln. 1917 

*Heft 17. on BüuLer. Das Märchen und die Phantasie des Kindes. IV, j s. 

18 .— 


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Zu den Preisen kommen die jetzt eingeführten n Teuerungsaufschläge hinzu. Bei 
dem mit * versehenen Buche ist der Verlegerzuschlag schon einbegriffen. 














BEIHEFTE 
Zeitidrift für angewandte Piydıologie 


Herausgegeben von 


WILLIAM STERN und OTTO LIPMANN. 


POP POS SOOO SOOO OL OO OOOO OOOO OOo 


Das Marden 
und die Phantañe des Kindes. 


Von 


Charlotte Bühler, 





heipzig 1918. 
Verlag von Johann Ambrofius Barth. 


© 


III 


Vorbemerkung. 


Den dulseren Anlafs zu dieser Untersuchung bot die von 
meinem Mann in seinem Kolleg über Kinderpsychologie aus- 
gehende Anregung, das Märchen systematisch daraufhin zu analy- 
sieren, ob es uns Einsicht in die kindliche Phantasie verschaffe. 
Einzelne Beobachtungen sind von ihm selbst schon gemacht 
worden, im Verlaufe dieser Arbeit wird auf sie hingewiesen. 
Einen Auszug aus dieser Arbeit wird man im 5. Kapitel seines 
Werkes über „die geistige Entwicklung des Kindes“ ! wiederfinden. 

Die vorliegende Schrift dient in erster Linie der kinderpsy- 
chologischen Forschung, lälst sich aber auch als Beitrag zu einer 
Psychologie der Literatur betrachten. Ich hoffe, dafs sie durch 
das Thema und die Art der Behandlung auch weiteren, vor allem 
pädagogisch und literarhistorisch interessierten Kreisen Anregung 
bieten möge. 

Für den liebenswürdigen Nachweis literarhistorischen Materials 
bin ich Herrn Professor von DER LEYEn zu besonderem Dank 
verpflichtet. Zugleich möchte ich auch an dieser Stelle meinem 
Mann für das herzliche Interesse danken, mit dem er die Ent- 
stehung meiner Arbeit dauernd begleitet hat. 


München 1917. 
Charlotte Bühler. 


ı Kırı. BühHLse, Die geistige Entwicklung des Kindes. Jena 1918. 


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Inhaltstibersicht. 


: Seite 
Vorbemerkung. . . s NN Ae Be ee A aCe Be ew owe a‘ H 
Einleitung: s a-a og? Ss cas Ge ce Re a a a ee a ee ee Ar ar A 
1. Kapitel: Die Personen des Marchens. ......... 18 


2. Kapitel: Das Milieu im Märchen . . . 2 2. 2 2 2 2 2 2202.97 
3. Kapitel: Die Handlung im Märchen ..........2.2. =. 48 
4. Kapitel: Die Darstellung der Handlung . `, . ». . 2 2 2 2 2.2.58 
5. Kapitel: Denkende und anschauende Phantasie. . ....... W 

HEGER A 1 we See ee ee ei ee ee Bi 


Einleitung. 


Wenn wir an die Erforschung der höheren Seelenvorgänge 
des Kindes gehen, sind wir auf objektive Methoden beschränkt, 
da wir die Methode der Selbstbeobachtung hier nicht anwenden 
können. Gegner derselben werden das nicht bedauern. Doch 
verkennt wohl niemand die Schwierigkeiten, die sich für höhere 
seelische Funktionen zwingenden Schlufsfolgerungen gerade aus 
objektivem Material entgegenstellen. Schon die Aufspürung ge- 
eigneten Materials ist eine schwierige Aufgabe. 

Hinsichtlich der Phantasie des Kindes sind wir mit solchem 
Material recht gut daran, und es mufs Wunder nehmen, dafs man 
nicht schon früher auf den Gedanken gekommen ist, das 
Märchen systematisch für das Studium der kindlichen Phantasie 
auszuwerten. Verschiedene Überlegungen lassen uns das Märchen 
als ein dafür besonders günstiges Material erscheinen. Das 
Märchen ist heutzutage fast ausschliefslich Literatur des Kindes 
und fast seine einzige Literatur in einem bestimmten Alter seines 
Lebens. Zudem trägt gerade das Märchen ein so spezifisches 
Gepräge nach Form und Inhalt, dafs es nicht schwer fallen kann, 
bei exakter Analyse ganz spezifische Züge zu isolieren, die das 
Märchen von aller übrigen Literatur unterscheiden und die gerade 
etwas dem kindlichen Geist gemäfses enthalten, was er in der 
ihm unzugänglichen Literatur nicht findet. Nun mu/ls man sich ' 
freilich vor der Übertreibung hüten, alles Märchenhafte schon 
als solches auch für kindlich zu erachten, denn das Märchen ist 
von Haus aus nicht so sehr Literatur des Kindes wie vielmehr 
des Volkes. Die Ausdeutung und Analyse mufs daher den Zu- 
sammenhang mit der bisherigen kinderpsychologischen Forschung 
zu wahren und im Anschluls an sie vorzugehen suchen. Von 

Beiheft zur Zeitschrift für angewandte Psychologie. 17. 1 


2 Charlotte Bühler. 


diesen Gesichtspunkten aus verfährt die folgende systematische 
Untersuchung. 


Schon mehrfach ist in der Literatur bemerkt worden, dals 
ein besonders enger Zusammenhang zwischen dem Märchen und 
der kindlichen Phantasie besteht, ohne dafs indes mehr als bei- 
läufige Folgerungen daraus gezogen wurden. Bereits 1866 hebt 
JuLius KLAIBER in einem pädagogisch orientierten Vortrag über 
„das Märchen und die kindliche Phantasie“ hervor, „wie das 
Märchen und die Kinderseele sich verstehen“, z. B. in den Wundern 
und abenteuerlichen Unmöglichkeiten, die dem Kinde nicht an- 
stölsig sind. Doch hat er naturgemäls an einer exakteren Beweis- 
führung kein Interesse. Vereinzelte Bemerkungen über die Be- 
ziehungen des Märchens zum Kinde finden wir sodann bei dem 
Literarhistoriker ADoLF Taimme. Unter den Psychologen haben 
nur wenige versucht, das Märchen zu einer Charakterisierung 
der kindlichen Phantasie heranzuziehen. Man findet einige nicht 
gerade überaus beweiskräftige und auch nicht näher bewiesene 
Behauptungen bei Compayreé und Souty. Ausführlicher be- 
handelt Wunpt den Zusammenhang von Märchen und kindlicher 
Phantasie. Als charakteristisch für die Kindererzählungen sowohl 
wie für die dem Kinde erzählten Märchen hebt Wunpr dfreierlei 
hervor: 1. Die Steigerung. „Entfernung und Zahl, Gröfse und 
Kleinheit der Dinge werden so weit übertrieben, als die zu Ge- 
bote stehenden Vorstellungen oder Ausdrücke es zulassen, und 
nicht selten wird das Gesagte noch weiter gesteigert. Die Steige- 
rung bezeichnet eben den Gefühlsakzent, der auf den manchmal 
an sich ganz gleichgültigen Objekten ruht.“*! 2. Die „Vorliebe 
für Gestalten, die entweder Grauen oder Entzücken 
erwecken. Riesen und Zwerge, Hexen und wilde Tiere oder 
wundervolle Prinzessinnen, gütige Feen und glänzende Ritter, das 
sind die typischen Gebilde der Märchenerzählung, in denen sich 
nach den beiden Seiten von Lust und Leid das gesteigerte Ge- 
fühlsleben des Kindes selbst spiegelt.“ 3. Die „Neigung zum 
Unerwarteten, Überraschenden und Wunderbaren“.? 
Eine ins einzelne gehende Untersuchung der Folgerungen, die 
sich aus diesen Feststellungen ergeben können, unternimmt WUNDT 


1 (44) 8. 73. 
2 (44) 8. 73. 


Das Märchen und die Phantasie des Kindes. 3 


nicht. Er sieht in ihnen nur eine Bestätigung seiner im vorn- 
hinein aufgestellten Behauptung von dem intensiveren Gefühls- 
leben des Kindes, durch welches es „den Objekten einen ihrer 
wirklichen Beschaffenheit nicht entsprechenden, von irgendwelchen 
Eigenschaften derselben ausgehenden Gefühlswert beilegt*.? Mit 
den von Wunprt hervorgehobenen Momenten werden auch wir uns 
im folgenden und zwar weit eingehender zu beschäftigen haben. 

Die ersten Anregungen zu einer systematischen Behandlung 
der Frage nach dem Zusammenhang von Märchen und kindlicher 
Phantasie gab mein Mann. Die Beobachtungen, die schon 
von ihm gemacht wurden, sind hier verwertet und im 
vermerkt worden. In dieser Arbeit soll rein von psychologischem 
Gesichtspunkt aus der Versuch einer Märchenanalyse unternommen 
werden mit der besonderen Fragestellung: was lehrt uns das 

Märchen über die kindliche Phantasie? *? ee 

Damit tritt diese Schrift zunächst in den Dienst der Kinder- 
psychologie. Doch sucht sie zugleich darüber hinaus den Zu- 
sammenhang mit der allgemeinen Psychologie und mit deren 
noch im Entstehen begriffenen Methoden zur Erforschung der 
höheren seelischen Funktionen. Einerseits ziehen wir ihre Er- 
gebnisse hier heran, andererseits versuchen wir von dieser Spezial- 
untersuchung aus einen neuen Gesichtspunkt zur psychologischen 
Untersuchung der Phantasie überhaupt aufzustellen. 

Sollte nämlich der Versuch gelingen, durch Analyse der 
Märchen Einblick in die Phantasie des Kindes zu gewinnen, so 
liegt es nahe, dasselbe einmal in ähnlicher Weise an der Literatur 
des Erwachsenen für dessen Phantasievorgänge durchzuführen. 
Aus der einfacheren Analyse des Märchens nehmen wir dann 


vielleicht Ausgangspunkt und Gesichtspunkte mit hinüber. Auch 
über die Entwicklung der kindlichen Phantasie in den Pubertäts- 





1 (44) S. 72. 

2 Die Fruchtbarkeit einer solchen Fragestellung lehrt schon ein Auf- 
satz von FARIEDBICH VON DER LEYEN (20). VoN DER LEYEN unterzieht hier die so- 
genannte chundliteratur einer ähnlichen Prüfung und Analyse, von der 
Frage ausgehend, warum die Schundliteratur so begehrt und niemals aus- 
zurotten sei. Ihre Beliebtheit führt ihn auch zu dem Schlufs, dafs sie in 
irgendetwas den Bedürfnissen der Volksphantasie sehr gut entsprechen 
müsse. Eine knappe eindringende Analyse führt uns die hier in Betracht 
kommenden Momente vor, welche sich übrigens zu einem kleinen Teil 
recht gut mit denen decken, die wir aus der Analyse der Märchen zur Ein- 
sicht in die kindliche Phantasie gewinnen. 

19 


4 Charlotte Bühler. 


jahren werden wir mit demselben Verfahren Aufschlufs erhalten, 
und der Vergleich der verschiedenen Perioden vermittels des 
Vergleichs der wechselnden Lektüre verspricht neue fruchtbare 
Gesichtspunkte für die Betrachtung jedes einzelnen Stadiums. 
Mit dem Ausblick auf diesen weiteren Problemkreis beginnen wir 
unsere Untersuchung der kindlichen Phantasieleistungen, soweit 
solche durch das Märchen angeregt werden. Dabei gehen wir 
von der Erwägung aus, dafs in einem gewissen Alter bei uns in 
Deutschland so allgemein die Grimmschen Märchen vorherrschen, 
dals wir sie als standard work betrachten können und zunächst 
nur sie unserer Untersuchung zugrunde legen wollen. 

Doch können wir hier nicht ganz unabhängig von aller Praxis 
vorgehen. Die Erfahrung lehrt, dafs sich nicht jedes Grimm- 
sche Märchen gleicher Beliebtheit und Bekanntheit erfreut; auch 
dürfen wir vermuten, dafs im Verlauf der Jahre bald dieses, bald 
jenes Märchen besonders fesselt. Denn während der langen Zeit, 
in der das Märchen die fast ausschliefsliche Literatur des Kindes 
bildet, entwickelt sich das Kind und verändert seinen Geschmack 
mit der Entwicklung seines Intellektes. Gibt es unter den Grimm- : 
schen Märchen solche, die durchweg auf der einen oder auf der : 
anderen Stufe der Entwicklung bevorzugt werden? Darüber kann. 
uns nur die Praxis belehren und an sie müssen wir uns zunächst 
mit unseren Fragen wenden. Wir bedürfen also vorerst einer 
statistischen Feststellung über die Streuung, d. h. die Ver- 
teilung der einzelnen Märchen auf verschiedene Altersstufen. 
Dabei kann es uns nun nicht darauf ankommen zu wissen, welche 
Märchen etwa einem vierjährigen Kind überhaupt schon einmal 
erzählt oder vorgelesen wurden. Der Erzähler kann sich ja über 
die Schwierigkeit seiner Geschichte oder über die Fähigkeiten 
seines kindlichen Zuhörers im unklaren befunden und einen Stoff 
vorgetragen haben, der an dem Kind fremd und unverstanden 
vorüberglitt. Uns kommt es aber gerade darauf an zu wissen, 
welcher Stoff der Leistungsfähigkeit der kindlichen Phantasie am 
besten entspricht; wir bedürfen einer Garantie dafür, dals das 
Märchen wirklich verstanden und auch gern gehört wurde. Da 
nun im allgemeinen die beliebteste auch eine der gut verstandenen 
Geschichten sein wird, leiteten wir unsere Erhebungen mit der 
Hauptfrage ein: welches Märchen liebt Ihr Kind am meisten? 
Eine grölsere Serie solcher Fragebogen wurde an die Eltern 
uns bekannter Kinder versandt. Ferner wurde in einigen 


Das Märchen und die Phantasie des Kindes. 5 


Klassen von Volks- und Mittelschulen dieselbe Umfrage veran- 
staltet. 

Bei dieser Umfrage kam es uns nicht allein darauf an, die 
Streuung der Marchen auf verschiedene Altersstufen festzustellen, 
sondern auch Anfang, Ende und Übergänge des „Märchenalters“ 
zu ermitteln. Dankenswerte spontane Angaben aus praktischer 
Erfahrung verschafften uns Einblick in mancherlei interessante 
Nebenumstände, welche wir bei unserer Analyse verwerten 
werden. 

Nicht alle Ergebnisse, welche uns Statistik und Analyse 
liefern, sind einwandfrei gesichert. In manchen Punkten müssen 
wir uns vorerst mit Hypothesen begnügen. Da bietet sich aber 
die Möglichkeit, durch das Experiment nachzuhelfen. Aus 
unserer Untersuchung gewinnen wir nämlich Gesichtspunkte zur 
Beobachtung des lauschenden Kindes, dem gerade ein Märchen 
erzählt wird und das man zu Fragen und zu einer Unterhaltung 
über das Gehörte zwanglos anregen kann. Eine solche Beob- 
achtung wird sich zwar nicht mit der strengen Systematik des 
wissenschaftlichen Experimentes durchführen lassen, hat aber mit 
diesem im Unterschied zu blofser Gelegenheitsbeobachtung die 
Systematik der Gesichtspunkte gemein, von denen aus sie das 
im Gespräch gewonnene, zunächst wörtlich zu fixierende Material 
bearbeiten kann. Eine solche ergänzende Untersuchung im An- 
schlufs an die Gesichtspunkte und Hypothesen dieser Arbeit ist 
bereits in Aussicht genommen. 


Was lehrt uns die Statistik, von der wir ausgehen? Zu- 
nächst gibt sie uns Aufschlufs über Anfang und Ende des 
Märchenalters und Verteilung der Märchen in dieser Zeit, zu- 
gleich aber auch eine Auswahl der beliebtesten Grimmschen 
Märchen. Werden wir auf sie unsere Analyse beschränken und 
zugleich den Anhaltspunkt für die Entwicklung benutzen, den 
uns die Statistik liefert? Wir werden sehen, dafs beides nicht ` 
nötig ist. Betrachten wir zunächst die Resultate der Statistik 
selbst. 

Unsere Statistik, die in dem bisherigen kleinen Umkreis nur 
als eine gelegentliche Umfrage ohne den endgültigen Wert einer 
Statistik grolsen Stils gelten kann, lehrt uns, dafs die eigentliche 
Zeit der Grimmschen Märchen bei Kindern der höheren Stände 
etwa vom vierten bis zum achten Lebensjahr dauert. Bei 


6 Charlotte Bühler. 


den geistig weniger regsamen und weniger sorgfältig erzogenen 
Kindern unterster Volksklassen setzt das Märchenalter gewöhn- 
lich erst mit der Schulzeit ein und erstreckt sich mindestens bis 
das zwölfte, dreizehnte Lebensjahr. Am Ende der Periode 
ört zwar das Grimmsche Märchen noch nicht völlig auf, doch 
wird es bereits ergänzt und abgelöst von anderem Lesestoff; zu- 
nächst von dem in Deutschland sehr beliebten Andersenschen 
Kunstmärchen, sodann von Erzählungen spezielleren Inhalts. 
Eine deutliche Spezialisierung des Interesses setzt ein. Helden- 
sagen, die Märchen aus tausend und eine Nacht, Robinson Crusoe, 
Lederstrumpf, Till Eulenspiegel, Reinicke Fuchs, Münchhausen, 
Tier-, Reise- und Räubergeschichten treten in den nächsten Jahren 
bis in die Pubertät hinein in den Vordergrund. Einen einheit- 
lichen Namen für diese Periode zu finden, ist schwierig. Ver- 
schiedene Züge treten mit gleicher Deutlichkeit hervor. Eine 
leidenschaftliche Begeisterung für den heldenhaften Charakter 
ist unverkennbar. Aber im Gegensatz zu dem Märchenhelden, 
der einfältig, ja sogar dumm und weltfremd sein darf, soll jetzt 
der Held Gewandtheit und eine gewisse W eltklugheit besitzen. 
Dadurch gewinnt das Ganze einen realistischeren Anstrich. 
Man will genau wissen, wie der Held es fertig brachte, durch 
eigene Tüchtigkeit, — nicht mehr mit Hilfe von Wunder und 
Zauber, wie im Märchen — aller Schwierigkeiten in gefahrvoller 
und verwickelter Lage Herr zu werden. Ein eifriges, fast wissen- 
schaftliches Interesse für die Hilfsmittel, die menschlicher Scharf- 
sinn, menschliche Unerschrockenheit und Gewandtheit ausfindig 
machen, regt sich, getragen von einer heroischen und kraftbe- 
wulsten Stimmung, mit der das Leben erwartet wird. Auch der 
Hang zum Abenteuerlichen, der im Märchen nur als eine 
vage Sehnsucht in die Welt hinaus zum Ausdruck kommt, nimmt 
jetzt viel konkretere Formen an. Der Held zieht in ferne Länder, 
die mit Namen genannt und genau beschrieben werden. Oder 
der Held gehört einem fremden und merkwürdigen Volksstamm 
an, für dessen Lebensweise und Gewohnheiten man sich in- 
teressiert. Als eine der bezeichnendsten Geschichten dieser 
Perioden können wir die von Robinson Crusoe! ansehen, wir 
wollen daher dieses Stadium mit einem kurzen Schlagwort die 
Robinsonzeit nennen. 


! Auch Surry (41) S. 22. 


Das Märchen und die Phantasie des Kindes. 7 


Ihr voran geht das Märchenalter. Ist nun das Märchen 
die erste und früheste Literatur des Kindes? Durchaus nicht. 
Das Märchenalter wird vorbereitet und eingeleitet durch eine 
andere Periode. Es ist jene erste Zeit, in der dem Kinde Lieder 
vorgesungen und von der Mutter selbst erfundene oder aus den 
Märchen zurechtgestutzte Geschichten erzählt werden, die sich 
vom Märchen vor allem durch ihre persönliche Beziehungnahme 
zum Leben des Kindes unterscheiden. Am frühesten scheint die | 
Vorliebe für Reime und Rhythmen zu sein,! dann folgen die Er- | 
zählungen. SS 

Es ist von besonderem Interesse, aus beiläufigen Angaben 
den Übergang von dieser Vorperiode zur ersten literarischen 
Periode, dem Märchenalter, zu beobachten. Er scheint sich fast 
unbemerkt zu vollziehen. Eine Mutter schreibt: „Den Anlafs zur 
Erzählung des ersten Märchens Rotkäppchen, gab ein Bildermosaik, 
das der Knabe im Alter von drei Jahren erhielt...“ Als erste 
Märchen werden meistens Rotkäppchen oder Der Wolf und die 
7 Geifslen genannt, die zunächst nur erzählt, nicht vorgelesen 
und mit reichlichen persönlichen Anspielungen versehen werden. 
„Ein kleines Mädchen, so alt wie du...“ Eine kleine Moral wird 
bisweilen angehängt, wie sie gewöhnlich den Kern der ausge- 
dachten Geschichten bildet. Diese haben einen typischen und 
anmutigen Ausdruck im Struwelpeter gefunden, den ein Arzt für 
seine kleinen Patienten gedichtet hat. Um ein bezeichnendes 
kurzes Schlagwort zu gebrauchen, wollen wir diese literarische 
Vorperiode die Struwelpeterzeit nennen. Ereignisse des 
täglichen Lebens stehen hier im Vordergrund, Essen und Trinken, 
Spiel und Schlafengehen, Momente, die dem Kind noch interessant 
und bedeutsam sind. Eine Mutter erzählt, dafs sie das Kriegs- 
menü für die Woche in Verse zu bringen und ihrem dreijährigen 
Töchterchen unter nicht endenwollendem Entzücken vorzusingen 


pflegte.? 


ı Vgl. A. Draorr, (8), S. 95. 

® Dieselbe Mutter berichtet: „Margot hört nur zu, wenn ich ihr etwas 
erzähle, was ich selbst ausdenke und mit ihrer kleinen Person in Verbindung 
bringe. So kann ich zum Beispiel die Geschichte vom kleinen Mädchen 
mit den erfrorenen Händen bis zur Bewufstlosigkeit erzählen. (Sie hat im 
Winter immer Eispfoten und läfst sie sich nie wärmen, erst seitdem ich 
ihr die dazu passende Geschichte erzählte, in der auch ein kleines Mädchen 
ungezogen ist, die Hände erfrieren läfst und nun nicht zugreifen kann, wie 


8 Charlotte Bühler. 


Der Übergang von dieser Periode in die Märchenzeit ist 
immerhin ein recht bemerkenswerter. Zum erstenmal tritt die 
Fiktion dritter unbekannter Personen als literarische Gewohnheit 
in den Gesichtskreis des Kindes, Personen, für die es sich in- 
teressieren soll, obwohl es sie doch gar nicht kennt, mit ihnen 
nichts zu tun hat und andere Dinge erlebt wie sie. Die momentane 
Loslösung des Interesses vom eigenen Ich muls doch ein bedeut- 
samer Schritt sein und scheint auch als solcher empfunden zu 
werden, da die Mutter nicht nur die persönlichen Beziehungen 
zum Leben ihres Kindes noch lange beim Erzählen festzuhalten 
sucht, sondern auch durch Beteiligung der Kinder das Interesse 
lebendig zu halten bemüht ist. So sprechen oder singen die 
Kinder mit, wenn kleine Verse dem Märchen eingefügt sind, ja 
sie führen Szenen aus dem Märchen auf, das schlafende Dornrös- 
chen oder Rotkäppchen, welches mit dem Körbchen voll Leckereien 
zur Grofsmutter wandert. Im Kindergarten werden die Tellerchen 
der sieben Zwerge und der Spiegel von Schneewittchens böser 
Stiefmutter beim Erzählen ausgeschnitten. Durch verschiedene 
Zeugnisse ist uns belegt, dafs zunächst gerade an dieser persön- 
lichen Beteiligung die Freude haftet und nur in ihr der Grund 
für die Bevorzugung eines Märchens zu suchen ist.! Erst ganz 


ihr der Vater eine Tüte Schokolade schenkt, die dann die grofse Schwester 
aufifst, lafst sie es zu.)“ 


ı Einzelne Belege für die hier vertretene Auffassung sind folgend 
Angaben: : 
Zu Schneewittchen: 1. 2 Knaben, 1 Madchen, 6—9 Jahre: Am meisten inter-' 

essierte, was die Zwerge essen, wehe, wenn der Erzähler eine 
andere Speisenfolge wählte! Sie wollten immer ihre Lieblings- 
speisen auf den Tellern der Zwerge haben. 

2. Die Kinder sprachen mit: Spieglein, Spieglein an der Wand... 
Anscheinend hat gerade dieses Mitspielen die Teilnahme ge- 
steigert. 

Zu Rotkäppchen: 1. Das Körbchen R's. wurde mit Gerichten gefüllt, die die 
Kinder besonders gern alsen. 

2. Wichtig waren die Speisen im Körbchen R’s. Das dreijährige 
Mädchen verbesserte stets, wenn einmal für Pudding Gemüse 
und für Erdbeeren Kirschen unterschoben wurden. 

3. Bei R. interessierten hauptsächlich die Sachen, die die Mutter 
einpackt. Der Kuchen kann nie grofs genug sein. 

4. Das Mädchen hatte selbst ein rotes Käppchen, das ihr eo gut 
stand, darum mochte sie das Märchen am liebsten. 


Das Märchen und die Phantasie des Kindes. 9 


allmählich wird die Einstellung hier objektiver, wächst das In- 
teresse am Stoff. Doch stets wird die mehr persönliche Vortrags- 
weise des Erzählens dem Vorlesen vorgezogen und hat gröfsten 
Einflufs auf die Wirksamkeit des Stoffes. Fast durchweg sind 
die klassisch gewordenen Märchen von Rotkäppchen, dem Wolf und 
. den sieben Geißlein, Dornröschen, Hänsel und Gretel und Schnee- 
wittchen die frühesten. Frau Holle, Aschenputiel, Brüderchen und 
Schwesterchen gesellen sich dann dazu. Zu den Märchen der letzten 
Zeit gehören die Gänsemagd, der Froschkönig, der Meisterdieb, König 
Drosselbart, Jorinde und Joringel, der König vom goldenen Berg u. a. 
Im einzelnen der Streuung nachzugehen, ist aus verschiedenen 
Gründen nicht von solchem Interesse, wie man zunächst an- 
nehmen möchte Einmal ist die Auswahl, in der das Kind die 
Märchen kennen lernt, sowie die Reihenfolge, nicht von ihm 
selbst gewählt. Nur ein Teil und zwar eine Auswahl der ge- 
schlosseneren, literarisch wertvolleren unter den recht ungleich- 
wertigen Märchen liegt in den Märchenbüchern vor. Sodann 
wird sich bei der Analyse zeigen, dafs die für die Konstitution 
des Märchens wesentlichen Züge fast allen in gleichem Malfse an- 
haften, so dafs die Anforderungen an das Verständnis nicht sehr 
ungleich und die Grundwirkungen nicht sehr verschieden sind. 
Einige der allerersten und der letzten Märchen mögen hiervon 
auszunehmen sein. Ein Märchen wie das vom Rotkäppchen er- 
innert noch stark an die Geschichten, welche die Mutter erfand, 
sowohl durch das moralische Schwänzchen wie durch die Ein- 
fachheit der Handlung. Verwandlungen, Verzauberungen, Riesen 
und Zwerge kommen in dem allerersten Märchen noch nicht vor. | 
Das erste Märchen schlielst sicb noch enger an das Leben ai | 


Zu Dornröschen: 1. Gröfstes Interesse bei der Stelle, wo D. sich in den 
Finger sticht und ein Pflästerchen aufgeklebt wird. (Drei. 
jähriges Mädchen.) 

2. Grofse Wichtigkeit hatte das Einschlafen und Aufwachen der 
verschiedenen Personen und Tiere in ihren Stellungen. (Vier- 
jähriges Mädchen.) 

3. Am beliebtesten, weil sie es immer aufgeführt haben. 


4. Sie hat sich vorgestellt, dafs es ihr auch so gehen könnte, 
darum mochte sie es am liebsten. ` 
Zu Der Wolf und die 7 Geifslein: Fünfjähr. Mädchen bevorzugt dieses Märchen, 
„weil es so ulkig ist, dafs die alte Ziege Kaffee kocht“, wie es 
das zu dem Märchen gehörige Bild des Märchenbuches zeigte. 


10 Charlotte Buhler. 


und ist weniger sensationell in seinen Erfindungen als die späteren 
Geschichten. Was manche von diesen zu den spätesten und zu- 
letzt eingeführten macht, ist weniger ihre abweichende Struktur 
als vielmehr inhaltliche Schwierigkeiten. -Eine grolse Episoden- 
häufung wie im König vom goldenen Berg oder die für das kleine 
Kind unverständliche Geschichte der hochmütigen Frau des 
Königs Drosselbart, der beiden Geliebten Jorinde und Joringel, des 
raffinierten Meisterdiebes verweisen diese, wie leicht verständlich, 
in eine spätere Zeit. } Das Märchen ist ja nicht, wie man immer 
Auge’ behalten mufs, fiir das Kind geschrieben, sondern es ist 
Volkeliteratur 1 und enthält genug des Unverständlichen für das 
Kind. Höchstens ein Märchen wie das von Hänsel und Gretel, 
Rotkäppchen oder Dornröschen? können wir uns so, wie es jetzt 
vorliegt, für Kinder entstanden oder doch bearbeitet denken. 
Den Einflüssen, die die Verwendung des Volksmärchens als Kinder- 
märchen auf dessen Umgestaltung vielleicht ausgeübt hat, ist man 
von literarhistorischer Seite leider bisher noch nicht nachgegangen. 
Hier fände sich wohl manches auch psychologisch Interessante. 
Wir können das Märchen daher nur so betrachten, wie es 
uns vorliegt und Aufnahme in die Märchenbücher der Kinder 
findet. Inhalt und Form dieses Märchens sind charakteristisch. 
Sowohl in der Wahl der Personen wie in der des Milieu und der 
Örtlichkeiten, schliefslich in Verlauf und Art der Handlung und 
ihrer Darstellung treten spezifische Züge hervor, die nur dem 
Märchen eigen sind. Daher gliedert sich unsere Untersuchung 
in eine Betrachtung über: 
1. Die Personen des Mirchens. 
2. Das Milieu im Märchen. 
3. Die Handlung des Märchens. 
4. Die Darstellung der Handlung. 
Ein 5. Kapitel wird zusammenfassen, was über Leistungen und 
Anteil der denkenden und der anschauenden Phantasie aus unseren 
Untersuchungen hervorgeht. 


ı Vgl. Wısser (43), Einleitung 8. XXI. 

? Man vergleiche die deutsche Fassung vom Dornröschen mit den aus- 
ländischen Parallelen, etwa mit „la belle au bois dormant" urspr. „Fleur 
d’Epine‘ von 1696, durch Pexraurt 1697 in den Contes de ma mere l'oye 
bekannt geworden, oder mit ,,Sole, luna e-Talia* im Pentamerone des 
Giambattista Basile von 1637. Zweifellos ist die deutsche Fassung fir 
Kinder bearbeitet. 


Das Märchen und die Phantasie des Kindes. 11 


Was gibt dem Märchen eine so besondere Stellung in aller 
Literatur, was macht das Märchen zur Literatur des Kindes? Nicht 
allein seine Volkstümlichkeit. Diese haftet auch der Sage, dem 
Volkslied und mancher Anekdote an, ohne dafs diese darum Ein- 
gang in die Kinderstube fänden. Rıcmarp Benz sagt in seinem 
Buche‘, die „Märchendichtung der Romantiker“, um Goethes 
Verhältnis zum Märchen zu charakterisieren: „Dafs er (Goethe) 
vom Volksmärchen und seinen „Ungeheuern“ eine Ahnung hat, 
ist wohl anzunehmen, desgleichen aber auch, dafs er ihre Art, 
das Geringste und Alltäglichste im Leben mit dem Höchsten 
wundergläubig in Verbindung zu setzen, nicht mag. Das Leben 
ist dem grolsen Bildner eine Domäne für sich; aus Scheu, die 
Realität, die er nur plastisch gestalten kann, mit Wundern zu 
vermischen, und dadurch ein Zerrbild ohne Glaubwürdigkeit 
hervorzubringen, schafft er aus Ergänzungsbedürfnis seiner gleich- 
sam frei gewordenen Einbildungskraft (in seinen Märchen) ein 
eigenes Reich, das über Leben und Gegenständlichkeit in der 
Luft schwebt. Das ist ihm das Märchenreich. Im Volksmärchen 
herrschen durchgängig die gewöhnlichen Bedingungen und Ver- 
hältnisse eines schlichten bürgerlichen oder bäurischen Menschen- 
daseins; erst durch den Eintritt des Wunders werden sie durch- 
brochen, offenbart sich eine höhere Welt.“ 


In der Tat, diese naive Verkettung des Alltäglichen, ja 
Profanen, mit dem Aufserordentlichen und Wunderbaren ist eine 
nur dem Volksmärchen anhaftende Eigentümlichkeit, die eine 
einzigartige Einfalt bekundet. Eine solche Anschauungsweise 
mois der kindlichen Auffassung vom Leben sehr nahe kommen. 
Profanes und Heiliges nimmt es ohne Unterscheidung unbefangen 
und mit Unschuld hin, Wirklichkeit und Wunder sind ihm noch 
nicht durch eine unüberbrückbare Kluft getrennt.! Dem Kinde 
mag die Märchenwelt in eben dem Malse natürlich sein als sie dem 
Erwachsenen unwirklich ist. 


Dem Ineinanderwirken von Wunder und Wirklichkeit ver- 
dankt die Märchenwelt ihre Entstehung und Existenz, wir be- 


ı Über die ersten Bemühungen, Wirklichkeit und Märchenwelt, die 
bisher stets vermengt wurden, voneinander zu unterscheiden, berichten 
Sourins im 6. Lebensjahr ihres Sohnes (32) S. 184. Aber einen Monat später 
vermerken sie wieder noch „ein ständiges Hin- und Herpendeln des Knaben 
zwischen Dichtung und Wirklichkeit“. Sein Glaube an ein „Riesenland“ 
ist noch unerschüttert. 8. 188. 


12 Charlotte Bühler. 


gegnen ihm auf Schritt und Tritt. Nicht erst die Handlung 
bringt uns das Wunder, schon die Personenwelt und das Milieu 
setzen Wunderbares neben das Wirkliche. Dem Aufbau dieser 
Welt und ihren Beziehungen zum Kinde im einzelnen nachzu- 
gehen, ist nun die Aufgabe der folgenden Ausführungen. 


1. Kapitel. 
Die Personen des Märchens.! 


‚Schon die Personenwelt des Märchens ist charakteristisch und 
eng begrenzt, schon sie gibt dem Märchen sein besonderes Ge- 
präge. 

Die Hauptrolle spielen — wenigstens in den Grimmschen 
Kinder- und Hausmärchen, von denen wir hier immer ausgehen 
— die Kinder selbst.” Und zwar sind es stets, sobald über- 
haupt die Verhältnisse des Kindes beschrieben werden, Kinder 
aus sehr armem oder aber aug königlichem Hause. Zum Teil er- 
klärt sich das wohl daraus, dafs manche Märchen aus einer Zeit 


stammen, in der das Bürgertum noch keine hervorragende Rolle 


spielte. Wichtiger aber dafür, dafs man jene Verhältnisse so 
treu bewahrt hat, ist wohl der Umstand, dafs gerade sie der 


Phantasie und dem Gefühl einen besonderen Reiz boten.? Das 


+ Zu diesem und dem folgenden Kapitel vgl. A. v. Löwıs or Mmmax (23). 
» A. v. Löwıs op Menar (23) betont im Gegensatz zu dieser auch von 
Tumme (42) vertretenen Auffassung, dafs nicht die Kinder, sondern Jüng- 
iinge und Jungfrauen weitaus am häufigsten die Hauptpersonen seien. 
Diese Behauptung gilt nicht speziell für die Grimmschen, sondern für die 
Gesamtheit deutscher Märchen überhaupt. Auch wenn wir ihre formale 
Richtigkeit zugeben, werden wir von psychologischem Gesichtspunkt aus 
unsere Behauptung daneben aufrecht erhalten können. Denn bei näherem 
usehen sind alle jene heiratsfähigen Jünglinge und Jungfrauen doch nur 
inder; sie sind als Kinder charakterisiert und müssen auf das Kind durch- 
Aus wie seinesgleichen wirken. Es ist nicht zu bezweifeln, dafs das Kind 
diese Gestalten als Kinder auffafst, und in unserem Zusammenhang 
kommt es allein darauf an. Auch Tumme hat an jener Stelle wohl ähn- 
liches im Auge gehabt. Ein Beispiel statt vieler für die Berechtigung 
unserer Auffassung: man denke nur an die Prinzessin im Froschkönig (1), 
welche einen Tag vor ihrer Hochzeit noch auf dem Schlofshof Ball spielt 
und weint, als ihr goldener Ball in den Teich fallt! 
3 Löwis or Menar (23 S. 21) erklärt die schroffe „Zweiteilung 
zwischen der eigenen und der erwünschten Umwelt“ aus dem von Are, 


Das Marchen und die Phantasie des Kindes. 13 


Kind hat Vergniigen am Anblick von Glanz und Pracht, und 
das Kind ist mitleidig. Beide sehr charakteristische Züge finden 
in jenen Verhältnissen am besten Befriedigung. 

Neben den Kindern sind von grolser Bedeutung die Tiere 
und unter Umständen auch leblose Gegenstände wie die 
Kohle, der Strohhalm, die Stopfnadel. .Sie sind belebt und charak- 
terisiert wie die Menschen, wobei auch der besonderen Natur 
jedes Tieres Rechnung getragen wird. Der Inhalt der Tier- 
märchen ist aber wesentlich verschieden von dem der Erzählungen 
aus dem Menschenleben. 

Schlielslich sind von besonderer Wichtigkeit im Märchen 
eine Reihe von Fabelwesen, Hexen, Zwerge, Riesen. Auch 
diese gebärden sich wie Menschen und sind überall mit im Spiele. 
Doch haben sie stets besonders hervorstechende Eigenschaften, 
welche sie wirksam charakterisieren und ihr Auftreten mit Spannung 
begleiten lassen. Wenn sie kommen, so ist etwas Aufsergewohn- 
liches zu erwarten, auch dies ein Umstand, der ihnen für die 
Kinder besonderen Reiz verleiht, besondere Affekte an sie knüpft. 

Neben diesen handelnden Personen treten im Märchen nur 
noch bestimmte Typen. zur Staffage auf. Vater und Mutter 
und Grofsmutter, Schwestern und Brüder, die Paten, der König 
und die Königin, Prinzen und Prinzessinnen, der Graf — diese 
kehren immer wieder. Wenn der Müller, der Bäcker, der Krämer, 
der Schneider, der Fischer genannt werden, so geschieht das ohne 
jede Charakteristik. Eine lebhafter gezeichnete Lieblingsgestalt 
ist nur der Bauer. Auch am Soldaten nehmen einige Märchen 
ein gewisses Interesse. Hier haben bestimmte historische Ver- 
hältnisse ihren Niederschlag gefunden. Der Soldat ist stets der 
tapfere und brave, welcher seinem Kriegsherrn treue Dienste 
leistete, aber nach Beendigung der Fehden seiner Wege gehen 


OLrix aufgestellten Stilgesetz des Gegensatzes, das sich hier geltend mache. 
Doch warum wird dieses hier wirksam? Den psychologischen Grund haben 
wir entschieden darin zu suchen, dafs eben jene extremen Verhältnisse 
dem Gefühl und der Phantasie besonders anregend sind. Ein zweiter 
Grund ist die leichtere Verständlichkeit des zum Extrem Stilisierten, noch 
dazu, wo es in gegensätzlichem Verhältnis auftritt. Näheres über die 
Polarisation auf S. 14ff. — Den Hauptgrund für die Freude an der Schilde- 
rung von Glanz und Pracht vermute ich jedoch in dem Umstand, dafs sich 
dem Kinde die staunende Bewunderung, mit welcher die Erwachsenen jene 
Herrlichkeiten zu rähmen pflegen, mitteilt, selbst ohne dals es genaue ` 
Vorstellungen davon hat. 


14 Charlotte Bühler. 


mufste, nachdem er gar noch Invalide geworden. Ohne Beruf, 
Geld und Gut zieht er abenteuernd umher, leichtsinnig, aber auch 
furchtlos und daher schliefslich oft mit Glück belohnt. Eine 
leise Bitterkeit klingt mitunter in der etwas reichlich gespendeten 
Sympathie an. Auch diese Gestalt ist nur Typus und kommt 
nicht so häufig vor, dafs wir weiter auf sie eingehen mülsten. 

Welche Rolle spielen alle jene Personen, wie werden sie uns 
näher beschrieben ? Das wichtigste Gesetz für die Charakteristik 
der Personen im Märchen ist das Gesetz der Polarisation. 
Darin ist ein Mehrfaches beschlossen, einmal dafs die Charaktere 
einfach und typisiert, sodann dafs sie meist als Extreme 
aufgefalst sind, schliefslich dals sie in Beziehung aufeinander 
und zwar in gegensätzlicher Beziehung gedacht sind. 

Die Polarisation ergibt die einfachste Charakteristik, die 

denkbar ist. Wenn ich nämlich eine Person durch ihren schroffen 
Gegensatz zu einer anderen Person kennzeichne, so habe ich 
damit auf die wirksamste und verständlichste Weise die Eigen- 
schaft hervorgehoben, auf die es mir ankommt. Mit dieser Art 
der Charakteristik wende ich mich an die geringstmögliche Fähig- 
keit der Abstraktion. Und wir müssen annehmen, da dieses 
Verfahren das Kind durchaus befriedigt, dafs es seinen Fähigkeiten 
aufs genaueste angepalst ist. Nicht nur aus diesem Zusammen- 
hang ist uns bekannt, dafs die Abstraktionsfähigkeit des Kindes 
eine sehr geringe ist. Hier entnehmen wir, dals das Kind nur 
bei der schärfsten Betonung durch den Gegensatz zu genügender 
Beachtung einer Eigenschaft gezwungen wird,' während es nicht 
fähig ist, dieselbe aus einer komplizierten Charakteristik heraus- 
zuabstrahieren. 
_. Damit aber verbietet sich die Einführung eines komplexen 
Charakters von selbst. Die Personen müssen alle aufserordentlich 
einfach sein, am besten, sie haben nur jene eine Eigenschaft, 
auf die es ankommt.? Und zu weiterer markanter Hervorhebung, 
auch durch die Polarisation schon bedingt, gehört, dafs jene 
Eigenschaft im Extrem auftritt. Die eine Schwester, die Gold- 
marie, ist ganz besonders fleilsig, die Pechmarie besonders faul; 
Aschenputtel ist rührend gut und brav, seine Schwestern sind 
abschreckend boshaft. Die Schönheit wie die Häfslichkeit sind 
stets aulserordentlich. 


1 Vgl. die Antithese in der Sprache des Kindes. Srean (35), S. 189. 
* Lowis or Menar, a. a. O. 8. 38 ff. 


Das Märchen und die Phantasie des Kindes. 15 


In der Tatsache dieser polaren und das Extreme bevor- 
zugenden Charakteristik ist zugleich mitbeschlossen, dafs alle im 
Märchen auftretenden Gestalten keine individuellen Personen, 
sondern Typen sind.!? Es ist das fleilsige, faule, gute, böse 
Kind, die böse Stiefmutter, die böse Hexe, die schöne Prinzessin 
usw.® Auch das ist den Fähigkeiten des Kindes angemessen. 
Die lebenswahre Schilderung einer Individualität erfordert einen 
komplizierten Aufbau verschieden kombinierter Eigenschaften, 
die verschieden ausgeprägt sind und nicht einfach nur genannt 
werden dürfen, sondern in den Handlungen hervortreten müssen. 
Derartige koınplizierte und fein verschlungene Kombinationen 
erfreuen den Erwachsenen und bilden den wertvollsten Bestand- 
teil in dessen Literatur. Dem Kinde dagegen sind sie unzu- 


ginglich. Es ermangelt sowohl der nötigen Kombinationg- wie 


auch der Abstraktionsfähigkeit, um aus den Handlungen 
mannigfache Eigenschaften zu entnehmen. Ferner besitzt 
es noch gar nicht die Kenntnis dieser Eigenschaften. Und 
schliefslich könnte es, wie wir später noch sehen werden, 
niemals dem dadurch komplizierteren Verlauf einer Hand- 
lung folgen, vielmehr vermag es nur der allereinfachsten, in 
der Konsequenz einer Eigenschaft liegenden Entwicklung nach- 
zugehen. 

Das Repertoire der Eigenschaften kommt kaum über die 
genannten hinaus. Unschuld und Bosheit spielen die gröfste 
Rolle, aber auch Fleifs und Faulheit, Schönheit und Häfslichkeit, 
Neid, Neugier und Hochmut, Mut und Treue, Dummheit und 
Schlauheit, sowie Stärke und Schwäche, Kleinheit und Gröfse 


werden oft von Bedeutung. Hiermit sind wohl die Eigenschaften | 


erschöpft, die das Kind kennt und versteht. 


In der Verteilung der Sympathien ist das Märchen nicht 
übertrieben moralisch. Zwar ist es stets die Unschuld, die 


1 Léwis oy Mewak (23) S. 88 ff. 


* Auch Srenzmaer stellt fest, dafs die Steigerung eine Typisierung im 
Gefolge hat. (89) 8. 76. 


$ Wie sehr in der Auffassung des Kindes das Individuelle gegenüber 
dem Typischen zurücktritt, geht aus einer Notis von Scuprms über ihren 
bald fünfjährigen Sohn hervor; er verwechselte beständig die böse Knusper- 
hexe und die böse Stiefmutter Hänsels und Gretels, (32) 8. 117 und 8. 43. 
Offenbar bedeuteten ihm beide nur eine böse Frau, welche die armen 
Kinder quälte. 


~— 8 ee on 


16 Charlotte Bühler. 


der Bosheit und Tücke gegenüber zum Sieg gelangt. Das verlangt 
der Optimismus des Kindes, der vielleicht ein Ausdruck seiner 
Schwäche ist, jedenfalls aber noch in anderen Erscheinungen 
zum Durchbruch kommt, die wir kennen lernen werden. Doch 
vermissen wir auf dieser Stufe noch einen empfindlichen Ge- 


rechtigkeitssinn und das feine Empfinden für die Adäquat- 


heit von Charakter und Schicksal. Der zweiten Braut des Helden 
wird stets schlecht mitgespielt, auch wo sie offenbar ganz un- 
schuldig ist und gar nichts von ihrer Vorgängerin weils. (Z. B. Die 
Jungfrau Maleen (198). Harmloser und sehr naiv: Der Trommler 
(193). „Die andere Braut behielt die schönen Kleider zur Ent- 
schidigung und gab sich zufrieden.“) Dummheit und leere 
Schönheit gelangen oft ohne sonderliches Verdienst zu grölstem 
Glück. Auch die Faulheit wird nicht immer bestraft wie in der 
Frau Holle (24), man denke nur an die drei Spinnerinnen (14), wo 
das Märchen ihr Recht gibt. Die List gilt durchaus nicht immer 
als verboten, nur mufs sie nicht gerade im Dienst der Bosheit 
arbeiten, so denke man an den Meisterdieb (192), an das Märchen 
von Serviette, Tornister, Kanonenhütlein und Horn (37), Fitchers Vogel 
(46), Rumpelstilzchen (55).? 

Es ist im ganzen eine sehr gesunde und einfache Volksmoral, 
die hier dem Kinde nahegebracht wird, mit starken Instinkten, 
starken Sympathien und Antipathien. Viel überlegt wird da nicht. 
Warum wird z.B. die unfreundliche Prinzessin im Froschkönig (1) 
mit dem Froschprinzen belohnt, den sie nicht durch Verdienst 
sondern durch Zufall bei höchst unfreundlicher Behandlung ent- 
zaubert? Aus dem Rahmen gesunden, sehr durchschnittlichen 
Fühlens fallen nur einige Handlungen besonderer Grausamkeit 
heraus, die sich aus alter Überlieferung herleiten müssen und 
unserem Verständnis sich schon entziehen, so im Machandelboom 
(47), im Mädchen ohne Hände (31), so die Aussetzung Hänsels und 
Gretels (15) oder die Drohung des Königs in den zwölf Brüdern (9), 


! Die Nummern beziehen sich auf die vollständige Ausgabe der 
Grimmschen Märchen (K. H. M. 1843). Reclam. 

2? Vgl. Löwıs or Menar (23) S. 41: „Doch macht das Märchen keinen 
Anspruch darauf, dafs alle seine Helden sich so hervorragend durch Tugend- 
haftigkeit auszeichnen.“ S. 43: „Mit der Wahrheit braucht der Held es 
nicht allzu genau zu nehmen, wenn er sich in Situationen befindet, wo ein 
Geständnis des wahren Sachverhalts ihm Schaden brächte.“ 


Das Märchen und die Phantasie des Kindes. 17 


alle zwölf Söhne umzubringen, wenn sein dreizehntes Kind ein 
Mädchen sei.' 

Wir sehen, die Charakteristik i im Märchen ist höchst ein-- 
fach, die Moral der Personen wie all ihr Fühlen und Denken,” 
durchschnittlich — hier liegt also sicher kein Akzent für das 
Interesse des Kindes. Das ist in der Literatur des Erwachsenen 
doch wesentlich anders. Differenzierte Charakteristik, differen- 
zierte Wertung und moralische Problemstellung rücken hier doch 
weit mehr in den Mittelpunkt. Diesen haben wir in der Litera- 
tur des Kindes entschieden an anderer Stelle zu suchen. Was. ` 
an den Personen interessiert, was die Phantasie des X 
Kindes anregt, ist sicher nicht ihr Charakter, — das’ 
lälst sich einwandfrei feststellen. 

Wir wenden uns jetzt der zweiten Gruppe handelnder Per- 
sonen zu, nämlich den Tieren und leblosenGegenständen, 
die meist im Zusammenhang mit Tieren in die Handlung ein- 
geführt werden. (Z. B. Das Lumpengesindel (10.) 

Die Charakteristik der Tiere ist doch eine recht wesentlich 
andere wie die der Menschen.” Wir müssen hier drei Gruppen 
unterscheiden: die eigentlichen Tiermärchen, die Tiere im 
Verkehr mitMenschen und die Tiere als verwandelte 
Menschen. Auf das Tier als Tier sind die bekanntesten und 
einfachsten Eigenschaften gar nicht anwendbar. Unschuld, 
Schönheit, Häfslichkeit, Faulheit und Fleifs besagen hier nichts. 
Mit diesen einfachsten Mitteln kann das Tiermärchen nicht ar- 
beiten. So verzichtet es häufig ganz auf Charakteristik und er- 
zählt mit blofser Namennennung eine drollige Geschichte wie im 
Lumpengesindel (10). Wo doch charakterisiert wird, wiederholen 
sich die Eigenschaften List und Schlauheit gegenüber der Dumm- 
heit anderer Tiere, für deren Wehrlosigkeit nicht dieselben Sym- 
pathien bestehen wie für die unschuldiger Menschenkinder. Er- 
barmungslos wird im Märchen von Katze und Maus in Gesell. ` 
schaft (2) der armen Maus sehr schlecht mitgespielt. — Anders 
steht es mit dem Welf und den sieben Geißlein (5), die so wie Rot- 


ı Eine Folge solcher das Extreme bevorzugenden Charakteristik ist 
einerseits eine starke Wirkung auf den Affekt und die Ursache ungehemmter 
Entfaltung des Affektes, andererseits dagegen die Erklärung für das Fehlen 
alles Schwebenden, Unausgesprochenen, Stimmungsmälsigen. 

° W. Grimm (14), „Das Wesen der Märchen“ 8.354f: „Die Tiermärchen 
öffnen eine andere Welt.“ | 

Beibeft zur Zeitschrift für angewandte Psychologie. 17. 2 


18 Charlotte Bühler. 


käppchen (26) aufgefalst sind. Sehr im Vordergrund steht überall 
die Frefsgier, die auch stets die Ursache der boshaften und 
listigen Streiche bildet. 

Im Verkehr mit Menschen wird an den Tieren auch Hilfs- 
bereitschaft und Treue gerühmt, so an den Vögeln im Hänsel 
und Gretel (15), am gestiefelten Kater (33, 1. Ausgabe), an den Vögeln 
im Aschenputtel (21), an den Tieren in der weißen Schlange (17). 
Die Tiere in diesen Wundermärchen sind überhaupt ein eigenes 
Kapitel. Der eigentliche Tiercharakter tritt bei ihnen ganz 
zurück. Sie sind häufig den Menschen durch irgendein Wissen 
überlegen und üben ihnen gegenüber bisweilen eine Art richter- 
liche Funktion aus. Sie strafen und belohnen, helfen und hin- 
dern, je nach Verdienst, so im Waldhaus (169), in der weißen 
Schlange (17). Die Vögel! besonders wissen oft um Geheimnisse 
der Menschen und verraten sie im rechten Augenblick, so der 
Vogel an der Wand in den drei Vügelkens (96), die drei Raben 
im getreuen Johannes (6). 

‘ Die eigentlichen 'Tiermärchen jedoch charakterisieren mehr 
durch solche Eigenschaften, welche der Natur des Tieres ent- 
sprechen oder ihm im Dienst des Menschen erwachsen sind. Sie 
zeigen den tölpigen Bär (102), den gefräfsigen Wolf (73), den 
schlauen Fuchs (38, 46, 73, 74), das alte, ausgediente Pferd (132), 
den schlecht behandelten, hungrigen Hund (1758), den hilfsbereiten 
Sperling (58), die listige Katze (2, 75), die überlistete Maus (2ı, 
die schnattrigen Gänse (86). Ebenso die Sachmärchen, die wir 
mit jenen zusammenstellten. Sie erzählen von Strohhalm, Kohle 
und Bohne (78, 80), was diese erleben müssen, eigentlich nur, 
weil sie Strohhalm, Kohle und Bohne sind; so auch von der 
Bratwurst (23), so von Näh- und Stecknadel (20). 


Ganz im Unterschied zu den übrigen Märchen ist hier die 
Geschichte oft nur eine Beschreibung der Tiere bei ihrem Tun 
und Treiben oder eine scherzhafte kleine Episode. Daran zeigt 
sich, was wir auch sonst schon aus Beobachtungen des Kindes 
wissen, dals es Interesse an den Tieren selbst nimmt. Die Tier- 
geschichten enthalten keine spannenden und unerwarteten Aben- 
teuer mit wunderbaren Begebenheiten, sie sind in dem Sinne gar 
keine Märchen. Jedenfalls sind sie keine Wundermärchen, und 
ihre realistische Handlung interessiert hauptsächlich um der han- 


! Die Vögel fast WırueLm Grimu als Geister auf. (14), 8. 340. 


Das Märchen und die Phantasie des Kindes. 19 


delnden Personen willen, der Tiere selbst. Ihr alltägliches Tun 
und Treiben bietet der Phantasie des Kindes schon Anregung 
genug, es bedarf da keiner Erfindungen mehr, um die Situation 
reizvoll zu gestalten. ! 

Ganz anders ist es, sobald die Tiere nur verwandelte, ver- 
zauberte Menschen sind, was im Märchen ja häufig der Fall ist. 
Sie bilden ein weiteres Kapitel für sich. Sie werden dann ähn- 
lich behandelt und charakterisiert wie die Menschen selbst. 
Selten spielt ihre Tiernatur dabei eine Rolle wie etwa im Frosch- 
könig (1). Meist geben sie sich ganz menschlich und sind dem, der 
sie erlösen soll, durch ihr Gebahren dazu behilflich, so das Reh 
in Schwesterchen und Brüderchen (11), der Bär in Schneeweißchen 
und Rosenrot (161). Sie sind in diesem Zusammenhang nicht von 
Interesse. 

Schliefslich haben wir noch die letzte Gruppe handelnder 
Personen zu betrachten, die Fabelwesen. Ihre Geschichte in 
der Literatur der Menschen ist sehr alt. Riesen und Zwerge, 
Drachen und Ungeheuer leben schon lange in der Phantasie der 
Menschen. Es ist hier nicht unsere Aufgabe nachzuweisen, wie 
diese Gestalten in die Literatur eingedrungen sind, ob etwa aus 
alten Mythen, oder aber aus Erlebnissen der Menschen, beson- 
ders ‘[raumerlebnissen, sich ihre Abkunft herleitet. Wir haben 
uns hier nur zu fragen, welche dieser Gestalten sich in unserm 
Märchen vorfinden, wir können Vermutungen darüber anstellen, 
warum wir gerade diesen und nicht jenen begegnen und weiter, 
welche Bedeutung ihnen im Zusammenhang mit den übrigen 
Personen des Märchens für die kindliche Phantasie zukommen 
mag. Unsere Aufgabe ist also einzig und allein eine phänomeno- 
logische und psychologische, nicht eine philologische und histo- 
rische. 

Von psychologischem Gesichtspunkt lassen sich zwei 
Gruppen solcher Fabelwesen unterscheiden. Es sind die, deren 
Aussehen und Gebahren sich in Analogie zu menschlichem 
Verhalten betrachten lälst, und die, deren Gestalt und Lebens- 
weise auf merkwürdigen Erfindungen, Neukombinationen 
beruht. Eine strenge Trennung ist hier natürlich nicht durch- 
zuführen, Analogiebildungen und kombinatorische Elemente finden 


L Diese Behauptung wird bestätigt durch die wiederholte Angabe auf 
unseren Fragebogen, dafs neben dem Märchen sich Tiergeschichten grofser 
Beliebtheit erfreuen. 

2* 


20 Charlotte Bühler. 


sich schliefslich überall. Aber doch kann man wohl sagen, dals 
ein Riese und ein Zwerg einen bedeutend anderen, uns weniger 
fremdartigen Charakter haben als etwa die Sphinx oder der 
Pegasus. Worin liegt hier der Untersehied? Zweifellos sind 
jene im Grunde nichts anderes wie eine Art menschlicher Wesen, 
die nur durch einige Proportionsverschiebungen ihr be- 
sonderes Äufsere wie ihren Charakter gewonnen haben. Hier 
liegen keine Neubildungen, sondern Umbildungen vor. Die Fee 
ist von menschlichem Aussehen, nur mit besonderen Machtmitteln 
versehen und oft sehr schön, die Hexe ist so häfslich wie kein 
Mensch je war und hat auch grölsere Machtmittel als ein Mensch; 
Riesen und Zwerge sind auch nur Menschengestalten von be- 
sonderer Grifse und Kleinheit, mit besonderer Kraft, List oder 
Macht. , 

Ganz anders jene merkwiirdig kombinierten Wesen, die halb 
Mensch, halb Tier, halb Pferd, halb Vogel uns etwas Unheim- 
liches, Fremdes, ja Abschreckendes sind. Merkwiirdig kombiniert 
wie ihr Aufseres ist auch ihr Charakter und ihre Gepflogenheiten. 
So sind die Meerfrauen mit dem Fischschwanz, die hierher ge- 
hören, seelenlos; die Satyrn machen Bockssprünge, haben Hörner, 
Schwanz und Bocksfüfse. Ja, auch die Engel und Teufel kann 
man in gewisser Hinsicht hier einordnen. Nur sind sie von 
anderer Seite her, durch ihren Zusammenhang mit der lebenden 
Religion, populärer und gleichsam menschlicher. 


Es ist nun von Interesse, festzustellen, dafs im Grimmschen 
Kindermärchen nur Fabelwesen der ersten Art auftreten. Es gibt 
Riesen, Zwerge, Hexen, Feen. Aber Satyrn und Meerweibchen ! 
oder andere dieser merkwürdigen Wesen gibt es in diesen Märchen 
nicht. Engel und Teufel machen, wie eben schon erwähnt, eine 
Ausnahme. Doch ist es auffällig, dafs auch diese nicht sehr 
häufig auftreten, nicht annähernd so häufig wie die vorher ge- 
nannten Fabelwesen. Nur im Mädchen ohne Hände (31) ist der 
Engel wirklich von Bedeutung für die Handlung. Das tote Kind 
im gestohlenen Heller (154) dagegen und im Totenhemdchen (109) 
erscheinen ihren Angehörigen nicht als Engel wie so oft das tote 
Kind der Legende, sondern in ihrer menschlichen Gestalt. Auch 


ı Es gibt ein Märchen von der Wassernixe (79) und von der Nire im 
Teich (181). Diese Nixen sind aber überhaupt nicht beschrieben, jedenfalls 
wird eines Fischschwanzes mit keiner Silbe erwähnt. 


Das Märchen und die Phanlasie des Kindes. 21 


der Teufel ist meist angetan wie ein Mensch, im Märchen vom 
Bärenhäuter (101) kommt er mit einem grünen Rock, ein ander- 
mal wird nur erwähnt, er habe goldenes Haar (Der Teufel mit 
den drei goldenen Haaren (29) oder eine rote Feder (Der Grabhügel 
(195). Einmal erscheint er als kleines Männchen (Des Teufels 
Bruder (100) und fast nie wird er mit tierischen Merkmalen aus- 
gestattet, ein- oder zweimal mit dem Pferdefuls. 

Nicht bei Grimm, aber bei Andersen, dem nächst Grimm 
populärsten Märchenbuch in Deutschland, wird „die kleine See- 
Jungfrau“ als schönes Kind mit einem Fischschwanz beschrieben, 
bekommen die Blumen der kleinen Ida des Nachts menschliche 
_Gesichter. Aber Andersen ist, — und eben das ist uns dabei 
von Interesse — nicht das Märchenbuch der jüngsten Kinder, 
Andersen führt aus dem eigentlichen Märchenalter schon hinaus. 
Es dürfte kein Zufall sein, wenn das Grimmsche Märchen die 
Beschreibung solcher kombinierter Gestalten vermeidet.! Die Be- 
deutung dieser Tatsache werden wir noch zu würdigen haben. 

An dieser Stelle beschäftigt uns noch die Frage, welche Rolle 
die Fabelwesen im Märchen spielen. Schon oben merkten wir 
flüchtig an, dafs sich an ihr Auftreten stets Aufsergewöhnliches 
knüpft. Sie erscheinen plötzlich, meist in einem kritischen Augen- 
blick der Handlung, um hilfreich oder verderbenbringend, immer 
entscheidend, einzugreifen. Sie haben aufsergewöhnliche Gaben, 
grolsen Reichtum, grolse Kraft, besondere Schlauheit oder ge- 
heime Hilfsquellen und Machtmittel. Sie sind gütiger oder aber 
boshafter, als Menschen zu sein pflegen, und nie ist es einem in 
ihrer Gesellschaft ganz geheuer. Schon ihr Äufseres wirkt bei 
der Plötzlichkeit ihres Auftretens erschreckend. Sie sind so 
winzig oder so riesenhaft oder so häfslich oder so alt, wie man 
sich einen Menschen nicht vorstellen kann. Kurz, ihre Person 
wie ihre Handlungen sind von grölstem Interesse. 

Am häufigsten begegnen uns in dem Grimmschen Märchen 
die Zwerge. Ihr Charakter ist am wenigsten gleichförmig. Sie 


I Das Fehlen der kombinierten Gestalten aus affektiven Gründen zu 
erklären, wie man vielleicht geneigt wäre, also etwa, weil sie dem Kinde 
furchterregend und unheimlich sein könnten, geht nicht an, weil das 
Märchen sonst in dieser Hinsicht nicht allzu ängstlich ist. So wird im 
Märchen von einem, der auszog, das Fürchten zu lernen (4), mit Totenköpfen 
Kegel gespielt — gewifs eine unheimliche und gruselige Vorstellung. Der 
Grund wäre daher nicht stichhaltig. 


22 Charlotte Bühler. 


sind gütig und hilfsbereit (Schneewitichen (53), die Wichtelmanner (39), 
dann aber wieder höchst boshaft und launisch (Schneeweißchen 
und Rosenrot (161), Rumpelstilechen (55), der starke Hans 166). Sie 
treten bisweilen in Scharen auf wie im Schneewittchen und den 
Wichtelmännern, doch meist ebenso vereinzelt wie die übrigen Fabel- 
wesen. Als „ein kleines Männchen“ steht plötzlich und unverhofft 
in zahllosen Märchen der Zwerg vor dem Helden, wenn er sich 
in irgendeiner Verlegenheit befindet oder Abenteuer sucht. 

Neben den Zwergen treten auch die Hexen sehr häufig 
auf. Klassisch geworden ist die Hexe im Hänsel und Gretel (15); 
eine Hexe verzaubert Jorinde in Jorinde und Joringel (69), bannt 
im Trommler (193) schöne Königstöchter auf den Glasberg, hat 
die Tiere im Waldhaus (169) verzaubert und ist überhaupt überall 
im Spiel, wo ein böser Bann oder Zauber auf einem Menschen 
- Jastet. Im Märchen von der Hirtin am Brunnen (179) entpuppt 
sich die Hexe als weise Frau. 

Bedeutend seltener als Hexen und Zwerge sind Feen und 
Riesen. Unser klassisches Feenmärchen ist Dornröschen (50). Auch 
die Fee in Rapunzel (12) ist bekannt. Die Riesenmärchen sind 
bisweilen humoristisch gefärbt. (Der junge Riese (90). Der starke 
Hans (166). Der Riese und der Schneider (183).) Sie nähern sich 
schon dem Schwank. | 

Von Gestalt wie die Zwerge, aber als Menschen gedacht sind’ 
der Schneider Daumerling (45) und Daumesdick (37). Sie sind nur 
besonders kleine Menschen, die durch Schlauheit den Mangel an 
Kräften sich zu ersetzen wissen, an deren Streichen das Volk 
seinen Spals hat. Auch der junge Riese wird als Daumenlang 
geboren. 

Gemeinsam mit den übrigen Personen des Märchens ist allen 
Fabelwesen eine grolse Einfachheit des Charakters. Auch sie 
sind entweder gut oder böse, sind hilfreich, mildtätig und selbst- 
los oder grausam und habgierig. Ein Wesenszug füllt sie hin- 
reichend aus. Nur bewahren sie eine geringere Konstanz in den 
Richtlinien ihres Verhaltens. Nicht immer sind dieselben Zwerge 
gutmütig und freundlich, sie üben bisweilen eine Art richterliche 
Gewalt aus und vergelten den Menschen ihr Tun je nach Ver- 
dienst. In dieser Hinsicht bestehen einige Parallelen zu dem 
Verhalten mancher Tiere gegenüber den Menschen. Auch diese 
erweisen sich hilfreich gegen die, von denen sie Gutes empfangen 
haben. Besonders die Wichtelmännchen stehen in dem Ruf, die 


Das Märchen und die Phantasie des Kindes. 23 


Fleifsigen zu unterstützen, einem Haus mit guten Menschen Segen 
zu bringen, lieblose Behandlung dagegen hart zu vergelten. Auch 
die Frau Holle gehört hierher, welche die fleifsige Marie belohnt, 
die faule bestraft; ebenso übt die Hexe in der Hirtin am Brunnen 
(179) eine richterliche Funktion aus. Belohnen und Bestrafen 
spielen ja überhaupt, wie wir noch sehen werden, im Märchen 
eine grolse Rolle, und häufig vertreten die Fabelwesen die aus- 
gleichende Gerechtigkeit, wie das Volk, der einfache Mensch sie 
sich denkt. Zusammenfassend können wir sagen, dafs die Fabel- 
wesen durch Aussehen, Charakter und Verhalten wohl geeignet 
sind, Interesse an ihrer Person zu erwecken. 


Bisher haben wir eine im wesentlichen von dem Ziel unserer 
Untersuchung unbeeinflufste und unabhängige Analyse des 
Märchens im Hinblick auf seine Personenwelt vorgenommen. 
Erst jetzt fragen wir uns zurückblickend: was können wir aus 
alledem schliefsen, wenn wir den Stoffkreis und die Leistungs- 
fähigkeit der kindlichen Phantasie erforschen wollen? Soviel er- 
gab sich uns schon aus einem gelegentlichen Hinweis (S. 15): 
das Material und seine Gestaltung ist eine wesentlich andere in 
der Literatur des Kindes wie in der des Erwachsenen. Somit 
wird es sich wohl auch an spezifische Fähigkeiten des einen und 
des anderen wenden. 

Zunächst die Personenwelt selbst. Kinder, Tiere und Fabel- 
wesen treten in der klassischen Literatur des Erwachsenen, in 
seiner Lyrik, seinem Drama, seiner Prosaerzählung nicht hervor. 
Für ihn hat eine äufserliche Besonderheit der Personenwelt gar 
kein Interesse mehr. Seine reifsten Werke befassen sich einzig 
und allein mit seelischen Problemen, mit seelischer Entwicklung 
und seelischen Konflikten. In der Kinderliteratur dagegen existiert 
ein seelisches Problem noch nicht. Der Charakter hat Bedeutung 
nicht um seiner selbst, sondern um der Handlungen willen, die 
von ihm ausgehen.! Diese interessieren, und neben ihnen hat 
‘ Interesse nur ein merkwürdiges Äulsere der Person. Die sicht- 
bare Aulsenseite des Lebens steht im Vordergrund. 

Doch nicht allein das Nebeneinander sonderlicher Gestalten 
und spannender Handlungen erfreut, ein formales Moment 
kommt noch hinzu. Aus dem Spiel des Kindes ist uns seine 
Freude an Nachahmungen und Scheindeutungen gut 


1 vgl. Löwıs or Mewar (23), 8. 39. 


m. 


24 Charlotie Biihler. 


bekannt. Im Spiele werden die primitivsten Dinge vom Kinde 
belebt und beseelt gedacht, ein Holzklotz wird zum Haus, fährt 
als Stralsenbahnwagen umher oder spricht und bewegt sich als 
Mensch. In alledem liegt ein spielendes Umdeuten der Wirk- 
lichkeit vor, die dem Kinde doch stets bewulst bleibt', zu der 
es mit Leichtigkeit schmerzlos im nächsten Augenblick zurück- 
kehrt. Es überträgt in buntem Durcheinander mannigfaltige 
Handlungen, Namen, Eigenschaften auf völlig inadäquate Dinge. 
Eine andere Form solcher Übertragungen sind seine Nach- 
ahmungen, verschiedenste Manipulationen, in denen es mit Vor- 
liebe des Erwachsenen, aber auch der Tiere Sprache und Gebaren 
zur Schau trägt. Auch dabei eine Inkongruenz von Handelndem 
und Handlung, die offenbar Spielfreude bereitet. 

Ganz ähnlich steht es mit Personen und Handlungen im 
Märchen. Die seltsamsten Übertragungen finden auch hier statt. 
Tiere mit Eigenschaften und Fähigkeiten wie die Menschen treten 
auf. Ihre Beseelung hat natürlich zunächst ihren tieferen Grund 
in der Unerfahrenheit des Kindes, das die Tierwelt wie die un- 
beseelte Natur als seinesgleichen betrachtet und behandelt. Aber 
selbst wenn das Kind schon lange aus Erfahrung weils, dafs der 
Hund und das Pferd, die Kohle und die Stecknadel niemals so 
handeln und sprechen werden wie die Menschen, auch dann noch 
nimmt es seine Spielfreude an solchen Übertragungen mit herüber 
in seine Marchenwelt. 

Man hat die Ubertragung bisher nur als Nachahmung und 
Scheindeutung im Spiele beobachtet und sie einzig als Zeichen 
der lllusionsfähigkeit gewürdigt. Bei Groos? macht diese „lllu- 
sionsfähigkeit* zusammen mit der „Kombinationsfähigkeit“ in 
der Hauptsache das aus, was wir unter dem Namen Phantasie 
zusammenzufassen pflegen. Bei der Ausdeutung der Übertragung 
als Illusion wird nun aber, wie mir scheint zu Unrecht, aller 
Nachdruck einseitig auf die jedesmalige Auffassung ge- 
legt, gleichviel ob man Illusion als „unrichtige Apperzeption“, 
als falsche Beurteilung oder noch anders definiert. Man hat auf 
die verschiedenste Weise zu erklären und zu beschreiben ver- 
sucht, wie die „bewulste Selbsttäuschung“, das Verharren bei 
der unrichtigen Auffassung dem Kinde Spielfreude bereiten mag. 

1 Vgl. ,Scheintitigkeit* bei Kar. Groos (15), und „Scheindeutung“ 


bei Kart Biurer (6), S. 208. 
* (16), S. 157 f. 


= wtb I 


Das Märchen und die Phantasie des Kindes. 25 


Doch wenn wir Nachahmung und Scheindeutung im Zusammen- 
hang mit den vielfachen Formen der Übertragung betrachten, 
die wir im Märchen immer wieder antreffen, so werden wir den 
Grund für alle diese Erscheinungen tiefer in der gesamten 


. Denkweise des Kindes suchen. Das ganze Denken des Kindes 


bewegt sich, wie wir noch an verschiedenen Stellen ausführlich 
beweisen wollen, in Analogiebildungen. Wir sind diesen 
schon bei der psychologischen Betrachtung der Fabelwesen be- 
gegnet und werden sie noch in verschiedenster Form wieder- 
finden. Wir betrachten die mannigfachen Formen der Über 
tragung in Spiel und Märchen von anderem Gesichtspunkt aus, 
nicht von der Auffassungsweise vereinzelter Fälle her, sondern 
von stetiger Denkweise des Kindes. Die Neigung des Kindes, 
in Analogien zu denken, überall analogistische Neubildungen 
vorzunehmen, machen wir auch für die vielfachen Übertragungen 
verantwortlich, mögen diese nun in denkendem Phantasieren oder 
in praktischer Betätigung sich letzten Ausdruck verschaffen. Auf 
ihre Bedeutung in den sprachlichen Neubildungen des Kindes 
hat man ja schon seit langem häufig hingewiesen, ihre Bedeu- 
tung für das volkstümliche Denken, also für jedes primitive 
Denken, betont ausdrücklich WILLIAM STERN in seiner Schrift 
über die Analogie im volkstümlichen Denken. Gegenüber den 
einzelnen Inhalten, die man bisher ins Auge falste, hebt also 
unsere Betrachtungsweise ein funktionales Moment hervor, 
die Freude des Kindes an analogistischer Betätigung. 


Wir stellen ferner fest, dafs ebenso sehr wie die analogi- 
stische Betätigung hervortritt, die kombinatorische zurücksteht. 
Ein erster Beleg für diese Behauptung war das Vorhandensein 
von Fabelwesen, deren Aussehen und Gebaren aus Analogien 
zu begreifen war, während solche von kombinierter Gestalt völlig 
fehlten. Wir werden eine Reihe vielleicht noch überzeugenderer 
Beweise für den Mangel an Kombinationslust und -fähigkeit auf 
dieser Stufe des Märchenalters erbringen. Wirklich zielbewulste 
Kombinationen versteht das Kind auf dieser Stufe noch ebenso 
unvollkommen, wie es sie selber versucht. Auch Groos! nimmt 
Abstand davon, die von ihm als Kombinationen zitierten und 
bezeichneten „Erzählungen“ von Kindern mit zielbewulster Pro- 
duktion in Zusammenhang zu bringen. Er unterscheidet „drei 


ı (16) 8. 161. 


op Charlotte Bühler. 


Hauptleistungen der kombinatorischen Phantasie des Kindes“?: 
erstens „die Vereinigung gröfserer Vorstellungskomplexe, die in 
der Realität nicht, oder doch nicht so verbunden waren, zweitens 
das Ablösen einzelner Eigenschaften von einem Komplex und 
ihre Übertragung auf ein anderes Ganzes, drittens das Vergröfsern 
und Verkleinern“. Das Vergröfsern und Verkleinern haben wir 
als Proportionsverschiebung zusammengefafst und unter 
die Analogiebildungen mit einbegriffen. GRoos gesteht selbst, dafs 
„man es freilich nur mit einem gewissen Zwang der Kombinations- 
fähigkeit unterordnen kann“. Als analogistische Umbildung da- 
gegen verstehen wir die Erscheinung ohne weiteres. Groos rechnet 
zum Vergrölsern und Verkleinern auch das Übertreiben, das wir 
an anderer Stelle erst betrachten und auch als Proportionsver- 
schiebung, also Analogiebildung, deuten werden (S. 69 ff.). 


An zweiter Stelle nennt Groos die Übertragung als kombi- 
natorische Leistung, und zwar erwähnt er ihrer nur in der einen 
Form der Übertragung von Eigenschaften, er nennt es „Ablösung 
und Übertragung einzelner Züge“. Auf die Übertragung einzelner 
Züge werden wir auch erst später (S. 72ff.) eingehen und im 
einzelnen nachweisen, dafs es durchaus keiner kombinatorischen 
Leistung bedarf, um sie vorzunehmen. Im übrigen haben wir 
schon hier die Übertragung noch in anderer Form kennen ge- 
lernt, in der Allbeseelung und der bis ins einzelne gehenden 
Übertragung von Handlungen und Eigenschaften der Menschen 
auf andere Lebewesen und leblose Gegenstände. Es dürfte ohne 
weiteres einleuchten, dafs wir in ihnen keine kombinatorischen 
Zusammenstellungen, sondern einfach eine analogistische Aus- 
gestaltung zu erblicken haben, bei der die Einfühlung mit be- 
teiligt sein wird. 


Schliefslich „die Vereinigung gioire Vorstellungskomplexe“ 
gelangt, wie Groos selbst zugestebt, nicht bis zu zielbewulster 
Produktion oder Kombination, sondern ist zunächst eine lose 
assoziierte Wortfolge, die das Kind herunterplappert, und nimmt 
erst allmählich eine wenigstens „richtunggebende Kraft“ auf. 
Möglich, dafs hier minimale Anfänge freier Kombination vor- 
liegen, eher oder doch häufiger noch werden wir es auch dabei 


mit allerhand durcheinandergehenden Reproduktionen zu tun 
haben. 





— 


1 (16) S. 159. 


Das Märchen und die Phantasie des Kindes. 27 


Indem wir auf unsere Betrachtung der Personen des Märchens 
zurückkommen, stellen wir weiterhin fest, dafs auch in ihrer 
Anordnung sich geringes kombinatorisches Talent offenbart. 
Kein einheitlicher Gedanke liegt der Zusammenstellung all der 
Personen zugrunde, die sich in einem Märchen begegnen. In 
den Hauptpersonen prallen stets das Gute und das Böse oder 
ein anderer Gegensatz aufeinander, irgendeine Veränderung oder 
Komplizierung dieser Konstellation ist nirgends vorgesehen. Ent- 
wicklung und Wandlung des Charakters kommen dafür auch 
nicht in Betracht, die Menschen: des Märchens haben alle eine 
merkwürdige Starrheit in ihrem Wesen. Interessanter sind schon 
die Konstellationen in den Tier- und Sachmärchen. Zwar können 
wir auch bier von einer zielbewulsten Anordnung oder Auswahl 
der handelnden Personen nicht sprechen. Immerhin finden sich 
hier mannigfaltigere, meist scherzhafte Zusammenstellungen. 
Hühnchen, Hähnchen, Steck- und Nähnadel treffen als Lumpen- 
gesindel zusammen. Das ist eine lustige und bescheidene, aber 
doch noch ganz unabsichtliche und keineswegs zweckbewulste 
Kombination, die wir als ersten Ansatz betrachten können. 


|e en 


2. Kapitel. 
Das Milieu im Märchen, 


Unter dem Milieu im weitesten Sinne des Wortes fassen wir 
‘ hier alle Betrachtungen über das soziale Milieu, die Umstände 
des Ortes, der Zeit, der Umgebung und aller besonderen Ver- 
hältnisse, in denen die Märchenperson sich befindet, zusammen. 

Wir wiesen gelegentlich schon darauf hin (S. 12), dals das 
‘ Märchenkind gewöhnlich in sehr prächtiger oder sehr armer Um- 
gebung aufwächst. Es ist entweder ein Königssohn, eine Königs- 
tochter oder aber das Kind armer Tagelöhner oder Bauern. In 
zahlreichen Fällen wird uns gar nichts über seine Herkunft be- 
richtet. Mitunter können wir dann noch aus näheren Umständen 
im Verlauf der Handlung etwas über seine Verhältnisse ent- 
nehmen. 

Dornröschen, Schneewittchen, Allerleirauh, das Mädchen im 
Froschkönig, die Braut des Königs Drosselbart, die Gänsemayd sind 


98 Charlotte Bühler. 


alle Prinzessinnen ; der Held im Eisenhans, die sechs Schwäne, die 
zwölf Brüder sind Prinzen. Aus ganz ärmlichen Verhältnissen 
stammen Hänsel und Gretel, ihr Vater ist Holzhacker, ebenso der 
des Marienkindes; Rumpelstilzchens Vater ist Müller, Daumerlings 
Vater Schneider, Daumesdick und der Meisterdieb stammen von 
armen Bauern, die Mutter von Schneeweißchen und Rosenrot ist eine 
arme Witwe, das Kind im Sterntaler und im gestohlenen Heller 
sind auch armer Leute Kind usw. In anderen Fällen heilst es 
nur: „ein reicher Mann“ hatte eine Tochter, z. B. Aschenputtel, 
die‘aber offenbar eines Edelmannes Kind ist, da ihre Schwestern 
zum Hofball gehen. Wohl einfacher, aber doch besserer Leute 
Kind sind Rotkäppchen, die Gold- und Pechmarie, Rapunzel, Ein- 
äuglein, Zweiäuglein, Dreiäuglein. Gar nichts können wir entnehmen 
über Brüderchen und Schwesterchen, in Fitchers Vogel, Jorinde und 
Joringel u. a. 

Was erfahren wir nun Näheres zu diese Verhältnissen im 
Märchen? Wir können eigentlich sagen: nichts Näheres. Es 
heifst nur: ein König, eine Königin, ein armer Mann, ein reicher 
Mann, eine böse Hexe, ein Zauberer, eine Stiefmutter usw. Oder: 
_»Briiderchen nahm sein Schwesterchen bei der Hand und sprach: seit 
die Mutter tot ist, haben wir keine gute Stunde mehr, die Stiefmutter 
schlägt uns alle Tage . . . komm, wir wollen miteinander in die Welt 
gehen“, so fängt ein Märchen an. „Ein Mann hatte sieben Söhne. . .“ 
(Die sieben Raben 25). In den seltensten Fällen ist es wirklich 
auf eine Beschreibung der Verhältnisse abgesehen +, und wo das 
der Fall ist, da geschieht es in einer äufserst wortkargen Weise 
und stets sich wiederholenden Wendungen. Die Namenlosigkeit 
ist als eine Eigentümlichkeit besonders des deutschen Märchens 
bekannt.? 

Über die Beschreibung des Milieus wie der Situationen im 
Märchen lälst sich folgender Satz aufstellen: eine ausdrück- 
liche Beschreibung findet nur dann statt, wenn ein 
plötzlicher Übergang in eine neue Umgebung ein- 
getreten ist; die zu Beginn gegebene Situation, das 
gegebene Milieu dagegen werden nicht beschrieben. 


1 Léwis or Menar (23), S. 27 sagt: „Die Zugehörigkeit zu allen 
bisher besprochenen Ständen ist grölstenteils nichts weiter als eine blofse 
Etikette des Helden, die für den Inhalt des Märchens, die Haupthandlung, 
fast immer bedeutungslos bleibt .. .* 

* Lowis or Menax (23), S. 15. 


Das Miirchen und die Phantasie des Kindes. 29 


Nur drei Ausnahmen von dieser Regel konnte ich feststellen, 
einen Fall, in dem das Milieu, zwei andere, in denen die Situa- 
tion zu Beginn kurz skizziert werden, nämlich: Die Sterntaler, 
Schneewittchen und Jorinde und Joringel. Wenn auch nur mit 
einem Satz wird hier auf die gegebenen Verhältnisse so ein- 
gegangen, dals man sie bildartig vor sich sehen kann. 


Eine eigentliche Beschreibung des Milieus dagegen findet 
sich nur bei dem Übergang in neue ungewohnte Verhältnisse, 
aber auch solche Fälle siwd sehr selten. Am hübschesten und 
ausführlichsten geschieht es in dem von Runge an die Brüder 
Grimm mitgeteilten schönen Märchen „von dem Fischer un syner Fru“ : 
„Do güng de Mann hen, un syne Fru seet nich meer iwn Pissputt, 
dar stünn awerst ene liittje Hitt, un syne Fru seet vor de Döhr up 
ene Bänk. Do nöhm syne Fru em by de Hand un säd to em: kumm 
man herin, süh, nu is dat doch veel beter. . .“ 


„Da güng de Mann hen un dachd he wull nach Haus gaan, as 
he awerst daar köhm, so stün door 'n grooten stenern Pallast, un syne 
Fru stünn ewen up de Trepp un wull henin gaan. . .“ (Grimm 19).! 


Die Schilderung wiederholt sich noch mehrmals in ähnlichen 
Wendungen, jedesmal wenn eine neue Rangerhöhung der ehr- 
geizigen Fischersfrau erfolgt ist, vom Edelmann zum Konig, 
Kaiser und Papst, bis sie schlielslich der liebe Gott sein will 
und zur Strafe für diesen Frevel wieder in ihrem elenden 
„Pissputt“ sitzt, als der Mann vom Meere heimkommt. 


Kein anderes Märchen enthält eine nur annähernd so aus- 
führliche Milieuschilderung. Vielmehr müssen wir sonst alles, 
was wir wissen möchten, aus ganz gelegentlichen Äufserungen 
erschliefsen. Zu diesen gehört zunächst die Benennung mit dem 
Königs- oder Grafentitel, der offenbar dem Erzähler selber sehr 
imponiert; sodann die Erwähnung des Schlosses, in dem alles 
golden vorgestellt wird. Nur ein oder das andere wird stets ge- 
nannt, aber was genannt ist, ist sicher golden: die Teller und 
Becher, die Stühle und Tische, der Thron und vor allem die 
Krone, welche der Märchenkönig immer mit sich trägt, selbst im 
Wald auf der Jagd. Bisweilen imponiert dann noch die Schar 
der Diener oder eine marmorne Treppe oder eine prächtige 
Kutsche und natürlich die kostbaren Kleider. Damit dürfte aber 


4 Wir zitieren wörtlich in der klassischen Fassung der Brüder Grimm, 
wiewohl der Dialekt nicht richtig wiedergegeben ist. 


30 Charlotte Bühler. 


alles erschöpft sein. Man merkt dem Erzähler durchweg un, 
dafs auch er wie der kindliche Hörer alle jene Verhältnisse nur 
vom Hörensagen kennt und in ehrfürchtigem Staunen davorsteht. 
Diese aufrichtige und wortlose Bewunderung ist offenbar sehr 
geeignet, sich dem kindlichen Hörer mitzuteilen und findet bei ihm 
unmittelbaren Widerhall. Man hat durchaus keine Veranlassung 
— wie oft geschieht — anzunehmen, dals die kindliche Phantasie 
nun Gelegenheit nimmt, an der Hand der kargen Einzelheiten, 
die ihr geboten werden, sich die Verhältnisse vorstellungsmäfsig 
näher auszumalen. Viel eher haben wir zu vermuten, dals es 
dem Durchschnittskinde sowohl an dem Bedürfnis wie an der 
Fähigkeit hierzu fehlt. Sorgfältige Beobachtungen scheinen diese 
Behauptung durchaus zu bestätigen. Wir wissen ja auch aus 
anderen Untersuchungen °, dafs die Vorstellungen des Kindes 
durchaus vag, ärmlich und unzuverlässig sind. Die wenigen 
Anhaltspunkte, die das Märchen dem Kinde in dieser Hinsicht 
bietet, reichen völlig aus, um es ganz zu beschäftigen. Es 
verharrt vielleicht lange genug bei jeder dieser Einzelheiten oder 
ist auch gar nicht imstande, mehr davon aufzufassen. Jedenfalls 
scheint die landläufige Meinung, das Kind spinne die angedeuteten 
Situationen aus eigener Initiative sich weiter aus, völlig ungerecht- 
fertigt und weder durch die bisherige Forschung noch Beobach- 
tung nahegelegt. 

Noch weniger als das Milieu am Königshof ist das in der 
Hütte des Tagelöhners beschrieben. Wir hören nur, die Leute 
seien arm. Hänsel und Gretel bekommen blols ein Stück trocken 
Brot auf den Weg, so arm sind ihre Eltern.. Ein einziges Bei- 
spiel fand ich hier, wo gleich anfangs die Ärmlichkeit des Milieus 
etwas ausführlicher geschildert wird. Das Märchen von den 
Sterntalern (153) beginnt: „es war einmal ein kleines Mädchen, dem 
war Vater und Mutter gestorben und es war so arm, dap es kein 
Kammerchen mehr hatte darin zu wohnen und kein Bettchen mehr darin 
zu schlafen und endlich gar nichts mehr als die Kleider auf dem Leib 
und ein Stückchen Brot in der Hand, das thm ein mitleidiyes Herz 
geschenkt hatte.“ — Die Eltern des Marienkindes (3) waren so arm, 


1 Eine erfahrene Kindergartnerin schreibt uns: „Für Details inter- 
essieren sich die Kinder im Märchen nicht. Sie haben meistens zu wenig 
Phantasie und begnügen sich mit dem Gegebenen.“ 

* Die Resultate finden sich mit Literaturangaben zusammengestellt bei 
Mevuuanxn, (24), 5. Vorlesung, S. 335 ff. 


Das Märchen und die Phantasie des Kindes. 31 


„daß sie nicht mehr das tägliche Brot hatten“. — Und das Märchen 
vom Mädchen ohne Hände (31) beginnt: „Ein Müller war nach und 
nach in Armut geraten und hatte nichts mehr als seine Mühle und 
einen großen Apfelbaum dahinter.“ 

Auch von diesen kurzen Angaben gilt offenbar dasselbe, was 
wir oben schon bemerkten. Und hier liegen noch weitere Ver- 
mutungen nahe. Wie in jenen Märchen der Hörer einen leb- 
haften Eindruck von der Pracht und Herrlichkeit des Milieus 
empfangen soll, so wird er hier zu Mitleid mit den Armen an- 
geregt. Es ist nicht zu bezweifeln, dafs die häufig erwähnte grofse 
- Armut Sympathien erwecken soll, denn wenn es dem Armen 
nachher gelingt, durch wunderbare Umstände zu Glück und nie- 
geahntem Reichtum zu gelangen, so herrscht darob stets be- 
sondere Freude. Da nun trotz dieser unverkennbaren Absicht 
wenig Mittel angewandt werden, um die Verhältnisse mitleid- ` 
erregend darzustellen, so können wir daraus schlielsen, dafs schon 
ein geringer Aufwand genügt, um lebhafte Gefühle beim Kinde 
auszulösen. Es ist jedem bekannt, dafs das Kind beim Märchen- 
erzählen grolse Anteilnahme an den Armen und Leidenden ver- 
rät, dafs es bittere Tränen über Hänsel und Gretel oder Brüder- 
chen und Schwesterchen vergiefst, weil es ihre Verlassenheit sehr 
lebhaft empfindet, ohne doch mehr als nur einen sehr flüchtigen 
Einblick in ihre Verhältnisse gewonnen zu haben. Häufig trägt 
dann allerdings eine sehr wirksame, wenn auch ebenso knapp 


geschilderte Situation, der einsame grofse Wald, das ihrige zu 
der Stimmung bei. 


Aber gerade in diesem Zusammenhang werden wir die Lö- 
sung für die Frage zu suchen haben, wie die Phantasie des Kindes 
sich an so wenigem genügen lassen kann, ohne noch, wie der Er- 
wachsene es wohl.aus reicherem Wissen heraus zu tun vermag, 
dies oder jenes Stück eigener Erfahrung der geschilderten Situa- 
tion ergänzend hinzuzufügen. Wir müssen es noch einmal be- 
tonen: das Kind hat weder Vorstellungen noch Wissen zu solch 
spontaner Ergänzung bereit. Doch kann es sich an dem Ge- 


! Vgl. W. Wunpr: „Die Quelle dieser gröfseren Regsamkeit (der Phan- 
tasie des Kindes) liegt nämlich nicht darin, dafs die Empfindungen und 
Vorstellungen des Kindes wesentlich andere wären, sondern lediglich in 
der gröfseren Intensität und leichteren Erregbarkeit seiner Gefühle“ 
(44) 8. 71 und unsere Einleitung 8. 8. 


32 Charlotte Bühler. 


botenen genügen lassen, da es mit ganz anderer Gefühlsintensi- 
tät die Einzelheit erlebt, die der Erwachsene ohne Gefühlsauf- 
wand hinnimmt. Vielleicht finden wir auch hier einen Erklä- 
rungsgrund für die bekannte Tatsache, dafs Einzelheiten der 
Darstellung so aufserordentlich in der Erinnerung des Kindes zu 
haften und stets wiederholt zu werden pflegen. Würde das Kind 
spontan die geschilderte Situation erweitern und ausbauen, so 
wäre das Haften an der einmal zufällig gegebenen Einzelheit 
nicht so leicht erklärlich. 

Verfolgen wir nun im einzelnen Märchen die Zusammen- 
stellung der geschilderten sozialen Verhältnisse. Hier gilt ausnahms- 
los der wichtige Satz, dafs jede soziale und kulturelle 
Distanz zwischen den Menschen glattweg aufge. 
hoben ist. In diesem Punkt vor allen andern berührt uns das 
Märchen unendlich naiv und wirklichkeitsfremd. Nichts hindert 
den ärmsten Bauernsohn, am nächsten Tag König oder Prinz zu 
werden und die schönste Prinzessin zu freien, die gerade nur 
auf ihn gewartet hat. Das erste beste kleine Mädchen, das der 
König auf einem Jagdritt verlassen und einsam im Walde findet, 
und dessen Schönheit ihn ebenso rührt wie seine Verlassenheit, 
wird von ihm zu seiner Gemahlin erhoben. Zwar verstölst er 
sie mit eben derselben Leichtigkeit wieder, wenn es bösen Zungen 
gelingt, sie bei ihm zu verdächtigen. Aber das Ende ist doch 
stets versöhnlich. 

Alle Distanz zwischen arm und reich, hoch und niedrig ist 
ohne jegliche Schwierigkeit aufgehoben. Hier träumt das Mär- 
chen seinen kindlichsten und rührendsten Traum, und mit ihm 
träumt ihn das Kind, dem diese Seite des Märchens sicher nicht 
sonderbar erscheint. Gerade diese Verhältnisse wird man zunächst 
jedenfalls historisch zu würdigen haben, sie werden ihren Ent- 
‘stehungsgrund in den Wünschen und geheimen Träumen des 
niederen Volkes finden, bei dem das Märchen zu Hause war. 
Aber wie den Wünschen des Volkes, so entspricht all das zweifel- 
los der inexplizierten Erwartung, mit der das Kind dem Leben 
als etwas Wunderbarem und Freudigem entgegenträumt. Das 
Kind ist gläubig und optimistisch; auch ist es zum Frohsinn 
veranlagt, wenn nicht Kummer es frühzeitig stört. Es glaubt 
an alle die glücklichen Zufälle, mit denen das Märchen arbeitet, 
ja es rechnet auf sie. Kein Zweifel, dafs es auch ihm einst so 
ergehen muls. Auch fehlt dem Kind noch das Wissen um die 


Das Märchen und die Phantasie des Kindes. 33 


mannigfaltigen Unterschiede der Bildun; , Geburt und Veran- 
lagung, welche die Menschen meist als unüberbrückbare Kluft 
voneinander trennen. Das Märchen entspricht hier wie in vielem 
gerade dem Erfahrungskreis und dem Wissen des Kindes, auf 
dessen Belehrung ihm nichts ankommt. So wie das Märchen 
dem Kinde die Welt gibt, so lebt sie auch natürlich in seiner 
Phantasie und seinem Gefühl. 


Ohne soziales Milieu und bestimmte Umgebung sind die 
Tiermärchen. Die Tiere führen meist irgendeinen einfachen 
. Haushalt,? dessen Verhältnisse — man kann sagen: — rein 
menschlich dargestellt werden, d.h. in ihren sachlichen, von be- 
stimmtem Milieu unabhängigen Beziehungen. Man denke an 
den Haushalt der Katze und Maus in Gesellschaft (2) oder an 
die Frau Füchsin mit ihrer Magd, der Jungfer Katze (38). Bis- 
weilen werden die Tiere im Zusammenhang mit Menschen und 
deren Umgebung genannt, in der sie sich gerade befinden, so 
Strohhalm, Bohne und Kohle (18) bei einer armen Frau, das 
Lumpengesindel (20) in der Wirtschaft usw. 


Das Milieu der Fabelwesen wird ganz entsprechend ihrer 
von uns des näheren geschilderten Wesensart in Analogie zu 
menschlichen Verhältnissen beschrieben. Die Hexe wohnt in 
einer ärmlichen Hütte, die Zwerge haben ihr Häuschen, die Fee 
im Rapunzel (12) hat Haus und Garten. Doch auf nähere Schil- 
derungen lälst das Märchen sich hier noch weniger ein als bei 
den Menschen. 


In engem Zusammenhang mit dem Milieu steht die jeweils 
geschilderte Umgebung, sofern wir Angaben über sie finden. 
Unter allen Orisangaben spielt im Gxrımmschen Märchen die 
grölste Rolle der Wald. Kein Schlofs, in dessen Nähe sich nicht 
ein Wald befände, in dem der König jagt, in den die verstolsenen 
Kinder flüchten, in dem sich die wunderbarsten und schauer- 
lichsten Dinge ereignen. Keine Hütte, die nicht im Walde stände. 
Fast kann man sagen, kein wunderbares Ereignis ohne Wald. 
Die Zwerge, die Riesen, die Hexen, die Räuber hausen im Wald, 
im Walde sind auch die Ungeheuer, welche das Land verheeren. 
Wie geheimnisvoll und wie eindrucksvoll muls die blolse Erwäh- 


! Von dem einfachen Haushalt der Tiere, ihrem Tun und Treiben 
spricht in diesem Zusammenhang auch WILHELM Grimm (14) S. 354. 


Beiheft zur Zeitschrift für angewandte Psychologie. 17. 


< 


34 Charlotte Bühler. 


nung des grolsen Waldes für das Kind sein! Er ist der Ort 
aller Wunder, und ohne dafs auch nur ein Wort auf seine nähere 
Beschreibung verwendet würde, knüpfen sich an seinen Namen 
ganz offensichtlich die intensivsten Gefühle des Kindes. Auch 
hier diese wortlose Art, auf das kindliche Gefühl einzuwirken. 
Alles, was von den Dingen des Waldes interessieren könnte, 
findet nur gelegentliche Erwähnung im Anschlufs an einzelne 
Ereignisse. Wie für das Milieu gilt ja auch für die Umgebung: 
sie wird nur bei plötzlichem Umschwung der Situation ausführ- 
licher beschrieben, sonst aber nur durch unauffällige Bemerkungen 
im Vorübergehen markiert. 

Das Märchenkind wandert stets lange durch den grolsen 
Wald, bis es müde und hungrig ist. Dann schläft es vielleicht 
in einem hohlen Baum wie Brüderchen und Schwesterchen (11). 
„Am andern Morgen, als sie aufwachten, stand die Sonne schon hoch 
am Himmel und schien heiß in den Baum hinein.“ Regen gibt es 
im Märchen nie, (wenn man vom Gold- und Pechregen der Frau 
Holle absieht). Als sie Durst haben, finden sie eine Quelle, „die 
so ylitzrig über die Steine sprang“. Im Walde, wo er noch tiefer 
ist, findet sich gewöhnlich ein kleines Haus, in dem das Märchen- 
kind sich einrichtet, um von Wurzeln und Beeren zu leben, bis 
es durch einen Prinzen oder König aus seiner Einsamkeit geholt 
wird. Oder aber es kommt zu einer Hexe oder zu Räubern, bei 
denen es bleiben mufs, bis es auch dort durch einen glücklichen 
Zufall befreit wird. 

Noch andere Ortsangaben finden sich in unsern Märchen, 
ohne aber eine ähnliche Rolle zu spielen wie der Wald. So wird 
gelegentlich der Brunnen und der Bach erwähnt. In den Brunnen 
stürzt sich die Goldmarie, um die Spule zu holen, die ihr beim 
Spinnen hineinfiel; aus dem Brunnen steigt der Froschkönig, 
welcher der Prinzessin ihre goldene Kugel heraufholt; im Brunnen 
ersäuft der Wolf, der die sieben Geilslein gefressen hatte; die 
Gänsehirtin am Brunnen wird dort von ihrem Befreier aufge- 
funden; die Wassernixe steigt aus dem Brunnen, eine andere 
Nixe lebt im Teich. Im Bach ertrinken Hühnchen und Hähnchen 
und ihre ganze Gefolgschaft; im Bach entkommt die Ente, nach- 
dem das übrige Lumpengesindel sie im Stich gelassen hatte; im 
Bach ertrinken Kohle und Strohhalm, worüber die Bohne, die 
noch am Ufer steht, so lacht, dafs sie platzt; auf einem fliefsenden 
Wasser gelangt der Kaufmannssohn zum goldenen Berg; die 


Das Märchen und die Phantasie des Kindes. 35 


königliche Gänsemagd muls sich allein das Wasser aus dem Bach 
schöpfen usw. In Hänsel und Gretel heifst es, dafs sie nach langem 
Wandern an ein „großes Wasser“ gelangten, über das kein Steg 
und keine Brücke führte. Ausdrücklich von einem See wird 
nirgends gesprochen. Doch das Meer wird erwähnt, einmal im 
Märchen vom Fischer und seiner Frau und einmal in den drei 
Schlangenblattern. 

- Als spezifisch märchenhaft ist eine dieser Örtlichkeiten wohl 
deshalb kaum anzusehen, weil sie mit der Gegend wechseln, in 
der das Märchen erzählt wird und die Lokalfarbe dieser Gegend 
annehmen. Nur der Wald dürfte in einer engeren Beziehung 
zu dem eigentlich Märchenhaften stehen. Doch auch ohne ihn 
gibt es Wundermärchen, wenn sie aus waldlosen Gegenden 
stammen. Das zeigt der Fischer und seine Frau. Es ist daher 
von geringem Interesse in diesem Zusammenhang, alle Örtlich- 
keiten, die uns noch gelegentlich im Märchen begegnen, aufzu- 
zählen. Auch erübrigt es sich, ausdrücklich zu belegen, dafs 
Hütte, Haus und Schlofs so gut wie die Natur die Szenerie bilden 
können, bisweilen, sehr selten, ein Dorf oder eine Stadt. (In der 
Gänsemagd wird ein altes Tor erwähnt.) Charakteristisch und 
interessant ist vielmehr allein die Art, wie uns jene Örtlichkeiten 
geschildert werden, wo mehr als ihr blofser Name genannt wird. 
Ehe wir uns einer Betrachtung darüber zuwenden, wollen wir 
aber noch kurz eines Umstandes gedenken, der doch wohl recht 
bezeichnend ist. 

Sehr häufig wird nämlich im Märchen ein einzelner Baum 
von Bedeutung, gewöhnlich auf einem Grabe gepflanzt oder ge- 
wachsen, mit besonderen Erinnerungen behaftet und mit wunder- 
baren Eigenschaften ausgerüstet. Alter Aberglaube und altüber- 
lieferte Vorstellungen von dem bleibenden Zusammenhang der 
Lebenden mit geliebten Verstorbenen, von deren geheimen Zauber- 
kräften, wohl auch von ihren Wandlungen und Wanderungen 
mögen hier hereinspielen.”! Ein solcher Baum wird häufig für 
das Gesehick eines armen Märchenkindes entscheidend, er schenkt 
ihm Hilfsmittel zur Erlösung aus irgendeiner qualvollen Lebens- 
lage. So der Haselbaum des Aschenputtel (21) auf seiner Mutter 
Grab, der ihm die schönen Kleider herabwirft, so der Machandel- 
boom (47), der eine ganze wunderbare Geschichte hat, so der 
Apfelbaum des Zweiäuglein (130). 


1 Vgl. W. Gamu (14): „Über das Wesen der Märchen“ 8. 340. 
3* 


36 "Charlotte Bühler. 


Ein näheres Wort der Beschreibung erhalten alle Örtlich- 
‚keiten wie überhaupt alle äufseren Umstände des Märchens nur, 
wie wir schon wissen, bei einem Umschwung der Handlung. Die 
Szenerie wird in diesem einzigen Fall zu einer kleinen 
Situation ausgebaut, über welche uns ein paar Angaben ge- 
macht werden. Mein Mann wies schon darauf hin, wie aulser- 
ordentlich arm an Kombinationsstücken eine solche Situations- 
schilderung zu sein pflegt. Mehr als vier Elemente fände man 
kaum zusammengestellt. Wir können diese Beobachtung nur be- 
stätigen und sehen darin zugleich einen neuen Beweis für die 
Richtigkeit unserer Behauptung, dafs die Kombination im 
Märchen eine aulserordentlich geringe Rolle spiele. Die kombi- 
natorischen Gaben müssen beim Kinde — das sieht man hier 
wieder, wülste iman es nicht schon sonst — sehr wenig ausge- 
bildet sein. 

Wenn eine umfangreichere Schilderung angestrebt wird, pflegt 
die Situation in Sukzession aufgelöst zu werden. Diese Suk- 
zession aber wird, wenn möglich, zur Handlung. So haben diese 
Beschreibungen eine einfache und stets sich wiederholende Struktur. 
Zunächst wird der Umschwung der Handlung angekündigt; dann 
setzt der Erzähler neu ein: als nun..., hier ist der Umschwung 
bereits vollzogen; lange Zeiträume werden in dieser Weise 
überflogen; nun folgt eine knappe Beschreibung und alles Nähere 
wird in die sogleich weiterlaufende Handlung mit hineingenommen. 
Ein gutes Beispiel stellt die schon beim Milieu erwähnte Schilde- 
rung aus dem Fischer und seiner Frau dar (s. S. 29). Diese ist 
ja zugleich auch Situationsschilderung. Andere Beispiele sind 
folgende: 

Frau Holle (24): „Es (das Mädchen) verlor die Besinnung, und 
als es erwachte und wieder zu sich kam, war es auf einer schönen 
Wiese, wo die Sonne schien und viel tausend Blumen standen. Auf 
dieser Wiese ging es fort und kam zu einem Backofen. . .* 

„Rotkäppchen (26) schlug die Augen auf, und alses sah, wie die 
Sonnenstrahlen durch dic Bäume hin- und hertunzten und alles voll 
schöner Blumen stand, dachte es... ., lief vom Wege ab...“ 

Marienkind (3): „Da versank das Mädchen in einen tiefen 
Schlaf, und als es erwachte, lag es unten auf der Erde, mitten 
in einer Wildnis. Es wollte rufen... Es sprang auf und wollte fort- 
laufen. . .* 


Das Märchen und die Phanlasie des Kindes. 37 


Solcher Beispiele wären unzählige beizubringen. Sie sind 
wichtig, nicht allein hier im Zusammenhang der Situations- 
schilderung, sondern auch der Technik beim Aufbau der Hand- 
lung. Dort werden wir ihnen noch einmal begegnen. 


Nur zwei Situationsschilderungen konnte ich finden, die nicht 
derart im Verlauf und Umschwung der Handlung standen, sondern 
gleich zu Beginn des Märchens einleitend auftraten, nämlich in 
Schneewittchen (53) und in Jorinde und Joringel (69). Aber bereits 
nach dem ersten Satz wird auch hier die Beschreibung in die 
Handlung hineingenommen, aufgelöst in ein Tun der Person bei 
der und der Umgebung. 

Bei der Beschreibung werden nur einfachste und nahe- 
liegende Umstände herangezogen. Es finden sich im Märchen 
weder genaue Orts- und Zeitangaben noch eine genauere 
Betrachtung der Dinge. In diesem Punkt mag nun einmal die 
spontane Ergänzung durch die kindliche Phantasie in Anspruch 
genommen werden. Das Kind mag sich das Märchen lokalisieren 
und mit den Dingen seiner Umgebung ausstatten. Die Ortlich- 
keiten, die es gut kennt, werden, dem Kinde unbewulst, im 
Mittelpunkt stehen. In den Wald, den es sah, die Umgebung, 
die ihm vertraut ist, wird es die Ereignisse des Märchens hinein- 
stellen. Vielleicht auch, dafs es sich selber gern handelnd und 
beteiligt vorstellt und auch in dieser Hinsicht spontan ergänzt 
(vgl. 8. 40). Doch müssen wir immer beachten, dafs es sich hier 
nicht um ein Hinzufügen einzelner neuer, nicht geschilderter 
Züge handelt, sondern jedenfalls nur um ein Einordnen des 
Gebotenen in ein individuell gefärbtes Raum- und Zeitschema. 
Denn auch auf allen diesen Dingen, Ort, Zeit, Milieu, — so können 
wir aus dem Gesagten schliefsen — liegt nicht der Ton im Ver- 
lauf des Märchens.' Wie die Charakteristik der Personen läuft 
die Schilderung ihrer Verhältnisse, ihrer Umgebung, der Ortlich- 
keiten und der Zeiten nur nebenher. Den eigentlichen Kern, um 
den sie sich lagern, bildet die Handlung. 8 

~ Im Zusammenhang der Betrachtung über die Situations- 
schilderung unserer Märchen haben wir auf die interessante, für 
uns höchst lehrreiche SeeAusche Arbeit „über das Vorstellen von 
Objekten und Situationen“ einzugehen. Seear definiert im An- 
schlufs an die Ergebnisse seiner experimentellen Untersuchung 


ı Vgl. Löwis or Menar (23). 


38 Charlotte Bühler. 


den Begriff der Phantasie „ganz allgemein als ein Denken, Fühlen 
und Wollen in vorgestellten Situationen mit Wirklichkeits- und 
Gegenwartscharakter“. Als eine erschöpfende Definition des Be- 
griffes Phantasie läfst sich das nun keinesfalls ansehen. Nur so- 
weit können wir dem zustimmen, dafs wir sagen: die Situation 
läfst sich als eine Art Grundlage für den Aufbau der Handlung 
betrachten. Doch wenn ich in Roman oder Drama die seelische 
Entwicklung sowie die seelischen Konflikte verfolge, die aus der 
Begegnung mehrerer Personen erwachsen, so bietet die Situation 
doch stets nur den Rahmen, die anschauliche Grundlage für die 
eigentlich schöpferische Leistung der denkenden Phantasie. Nicht 
nur, dals sie ein Denken, Fühlen, Wollen in Situationen be- 
stimmter Art ist, charakterisiert die Phantasieleistung, sondern 
auch dies Denken, Fühlen, Wollen ist beim Phantasieren 
besonderer Art. Nicht jedes Denken in der von SrGau im einzelnen 
bestimmten Situation ist schon ein Phantasieren. Damit soll nicht 
bestritten werden, dafs das anschauliche Element für alle Phantasie- 
leistung aufserordentlich charakteristisch und wesentlich ist. Einige 
wenigstens für die kindliche Märchenphantasie charakteristische 
Denkleistungen werden wir am Schlufs unserer Analyse heraus- 
zustellen versuchen. Hier sei im Anschlufs an SEesAL und im 
Zusammenhang unserer Besprechung des Milieu und der Situation 
im Märchen nur auf den anschaulichen Teil der Phantasie- 
leistung des Kindes eingegangen, über den eine zusammenfassende 
Darstellung auch erst im letzten Kapitel erfolgt. 

Der neue malsgebende Gesichtspunkt ist für Seear das Zu- 
standekommen der Situation, nicht ihre Struktur, ihr 
innerer Aufbau. Er legt allen Nachdruck darauf, jenes als 
Handlung zu analysieren und zu beweisen. So spielt im Zu- 
sammenhang seiner Darstellung die Frage keine Rolle, wie die 
Situation aufgebaut ist, wieviel Elemente aufgefalst zu werden 
pflegen usw. In dieser Hinsicht haben wir also keine Vergleiche 
zu den Leistungen des Kindes. Anders für die Frage der auf- 
bauenden Tätigkeit. Diese ist, wie SEGALs zahlreiche Experimente 
erwiesen haben, ein Wandern in der Vorstellung. Motorische 
Impulse und die Vorstellung des Sich-Vorwärtsbewegens, des 
Kopfdrehens, des Hinstrebens auf ein Ziel sind ganz unentbehr- 
lich für das Zustandekommen einer bestimmten Situation, eines 
in der Vorstellung aufgesuchten Ortes usw. Dabei kann der 
Vorstellende sich selber lebhaft beteiligt und in der Situation 


Das Marchen und die Phantasie des Kindes. 39 


stehend fiihlen, oder aber er sieht sich oder einen Dritten die 
Handlungen vollführen. — Besonderen Anlafs zu solchen , Wan- 
derungen“ boten SEGALs interessante Wanderversuche, bei denen 
er die Vp. in der Vorstellung von einem bestimmten Ausgangs- 
punkt zu einem zweiten und dritten Ort wandern liefs. Gerade 
diese Versuche haben — wie SesAL betont — besonders gut die 
Vorgänge beim Phantasieren nachgebildet. 


Dem Wanderbedürfnis der vorstellenden Phantasie kommt 
das Märchen in weitgehendstem Mafse entgegen. Alle Situation 
ist iher, wie wir sahen, in Sukzession aufgelöst. Das Kind wird 
vom Erzähler geführt, es geht mit ihm durch die Räume und 
Ortlichkeiten, in denen sich die Vorgänge abspielen. Das Märchen 
unterscheidet sich hier ganz bedeutend von der Literatur des 
Erwachsenen, etwa vom Roman. Betrachten wir die detaillierte 
Milieuschilderung eines modernen Romans, etwa der Budden- 
brooks von THomas Mann, so finden wir dort selten das Bestreben, 
eine Situation in einen Vorgang aufzulösen. Die Schilderung 
einer aus zahlreichen Elementen kombinierten, gleichsam bild- 
artigen Situation ist nichts Seltenes. Man vergleiche dazu auch 
z. B. die Novellen von Maupassant. Das Raffinement eines 
solchen Aufbaus wendet sich dabei an ganz andere Fähigkeiten 
und Interessen der Phantasietätigkeit, wie sie das in Vorgängen 
schildernde Märchen beansprucht. Die Sesarschen Wanderver- 
suche entsprechen offenbar ebenso wie unsere Märchen den nächst- 
liegenden und einfachsten Bedingungen des Phantasierens. Die 
Dinge werden betrachtet, indem man unter ihnen umherwandert. 
Dabei kommt es nicht so sehr darauf an, dafs man in kleinem 
Rahmen das Einzelne scharf erfalst, sondern vielmehr, dafs man 
vorwärts kommt und recht viel sieht. Auf diesem Stadium der 
Entwicklung macht es noch Freude, sich umherzutummeln und 
immer wieder Neues zu schauen und zu erleben.! Die qualitative 
Mannigfaltigkeit, welche erst die Feinheiten des einzelnen, des 
genau Betrachteten liefern, sowie eine besondere und persönliche 
Betrachtungsweise des Beschauers sind hier noch ohne jedes 
Interesse. Eben dies mag die eigentlich ästhetisch eingestellte 
Art des Phantasierens von der Lust am blofsen lebhaften Spiel 


ı Vgl. W. Srenn (38) S. 202: Das Kind hat „zunächst eine rein stoff- 
liche Freude an der Fülle und dem Wechsel anschaulicher Vorstellungen, 
die es — hörend oder selbst sprechend — an sich vorüberziehen läfst.“ 


l 


40 Charlotte Bühler. 


der Vorstellungen unterscheiden. Und wir begreifen sehr gut, 
dafs die Märchen hier so völlig mit Sesaus Wanderversuchen 
übereinstimmen, denn auch diese wurden nicht um ästhetischer 
Betrachtung, sondern um erhöhter Vorstellungstätigkeit willen 
angestellt. Dabei scheint das Märchen darauf auszugehen, den 
kindlichen Hörer recht häufig zum Beteiligten und zum Helden 
der Handlung werden zu lassen. Die von Seear als „persönliche 
Vorstellungsweise“ bezeichnete Haltung des Vorstellenden, näm- 
lich die Einfühlung und persönliche Teilnahme an den Vorgängen 
mag recht häufig vorkommen.! 

Ein wichtiger Umstand, den Secar betont, ist die Konti- 
nuität der Vorstellungsfolge in den Wanderversuchen, selbst 
bei Lückenhaftigkeit der Bilder. Auch diesem Bedürfnis nach 
Kontinuität des Verlaufs wird im Märchen bedeutend besser 
Rechnung getragen als in der Literatur des Erwachsenen. Der 
Roman bricht seine Bilderfolge beliebig ab und setzt an anderer 
Stelle neu ein. Das Märchen bringt in der Regel eine durch- 
gehende Sukzession. Wir bleiben immer auf dem Laufenden 
über das, was die ganze Zeit hindurch geschieht. Zeitläufte, die 
übersprungen werden, sind zwar nicht selten, doch werden sie 
als ereignislos betrachtet und ganz unauffällig ignoriert. Die 
Jahre, die das Märchenkind im Walde zubringt, gehen spurlos 
an ihm vorüber, man hat den Eindruck, die Handlung bewege 
sich ununterbrochen weiter fort. Wo aber die Einzelvorgänge 
eines Situationswechsels übersprungen werden sollen, weil sie 
interesselos sind, da macht das Märchen vom Zaubermantel und 
anderen Wundermitteln Gebrauch, um die Kontinuität der Hand- 
lung nicht zu unterbrechen. In den folgenden Kapiteln, die sich 
mit der Handlung beschäftigen, wird man noch davon hören. 
Denn, wie auch Brout, betont, das Wandern mm der Vorstellung 
ist bereits echte Handlung; da, wo die Situation in Sukzession 
aufgelöst ist, bildet sie daher bereits einen integrierenden Be- 
' standteil der eigentlichen Handlung. 

Nach den bisher von SEAL veröffentlichten Resultaten können 





I Vgl. die kindlichen Konfabulationen, von denen C. und W. STERN 
(36) S. 103ff berichten, in denen vorzugsweise das eigene Ich mit in die 
Erzählung verflochten wird. Vgl. dazu auch Goethes Knabenmärchen „Der 
. neue Paris“ im zweiten Buch von Dichtung und Wahrheit. — Ferner tritt 
bei der Bildbetrachtung die egozentrische Einstellung hervor, vgl. Stern 
(35) S. 90ff und (38) S. 137. 


Das Märchen und die Phantasie des Kindes. 41 


wir leider noch nichts über Umfang und Genauigkeit der 
Vorstellungen beim Wandern entnehmen, was wir zum Vergleich 
mit dem Märchen heranziehen könnten. Was sieht die Vp. beim 
Wandern in der Vorstellung? Sieht sie Einzelheiten, oder sieht 
sie in der Regel die Dinge nur so flüchtig, dafs sie sie eben 
benennen kann? Formuliert sie sich den Namen der Dinge, die 
sie sieht, der Einzelheiten, deren Auffassung beim Weitergehen 
ihr noch eben gelingt? Falst sie die Dinge in ihrer individuellen 
Besonderheit auf oder als Häuser, Menschen, Stralsen überhaupt ? 
SEGAL sagt uns nur, die Vorstellungen hätten durchaus Wahr- 
nehmungs- oder Wirklichkeitscharakter. Dann aber fragen wir weiter 
nach den Wahrnehmungen bei wirklichem Wandern und Schauen. 
Was wir bei wirklichem Wandern von den Dingen auffassen, im 
Vergleich zu der Auffassung bei ruhender Betrachtung, wie sich ` 
das dann verhält zu dem in der Wanderung der Vorstellung 
Aufgefalsten bliebe noch im einzelnen zu untersuchen. 

Wir wissen vom Kind, dafs es ungenau wahrnimmt und 
ungenaue Sachvorstellungen hat. Auch wissen wir, dals es mangel- 
haft abstrahiert und so die wesentlichen Einzelheiten des Gegen: 
standes oft nicht auffalst. Statt dessen greift es bisweilen be- 
langlose Einzelheiten zufällig heraus und wendet ihnen hartnäckig 
seine Aufmerksamkeit zu. | -g 
Diesen Fähigkeiten entspricht es, wenn, wie wir sahen, das 
Märchen sich aufgenaue Angaben niemalseinläfst. Andererseitsgreift 
es spalshafte Einzelheiten gern heraus. Wie die Personen pflegen 
auch die Dinge nur mit einer, höchstens zwei Eigenschaften 
näher bezeichnet zu werden. Offenbar fafst das Kind — es 
handelt sich hier immer um Anschauen und Vorstellen in der, wie 
wir sahen, unablässig fortschreitenden Handlung — nicht mehr als 
diese auf. Viele, ja die meisten Gegenstände werden gar nicht charak- 
- terisiert, es wird nur mit dem Namen auf sie hingewiesen. Nur 
. wenige werden zur Betonung durch irgendein Merkmal heran- 
gezogen. 

Dabei ist die Charakteristik höchst allgemein gehalten. Sehr 
selten begegnen wir einem wirklich bezeichnenden Wort, das 
etwas Wesentliches hervorhebt. Grofs und klein, schön und 
häfslich, gut und böse, jung und alt kehren überall wieder. Eine 
besondere Rolle spielt noch das golden, darauf werden wir 
später eingehen. Es dient durchweg der Bezeichnung von Glanz 
und Pracht, in der das Märchen ebensowenig modifiziert wie in 


49 Charlotte Bühler. 


seinen übrigen Bezeichnungen. Ganz wenig Adjektive trifft man 
an, die im einzelnen Märchen individuellere Verwendung finden. 
Wie irrelevant diese Charakterisierung ist, geht auch daraus her- 
vor, dals sie in den Fassungen wechselt, wie sich aus einem 
Vergleich der verschiedenen Auflagen der Gremm’ schen Märchen 
ergibt. 

Die Art der Charakteristik ist für das Märchen sehr be- 
zeichnend. Sie gibt ihm etwas Leichtes, Harmloses. Die Dinge 
gleiten spielend, kaum genannt, an uns vorüber. Weder die 
Natur der Dinge, noch die der Personen wird zum Problem, zur 
Sache genauer Betrachtung. So einfach wie das praktische Leben 
selbst geht das Märchen mit ihnen um. Kein sorgfältiges Ab- 
wägen, kein Nachdenken, keinerlei ästhetisch zielbewulste Formung. 
Die Dinge, die Personen als solche — alles hat nur Interesse im 
Flufs des Geschehens. 


3. Kapitel. 
Die Handlung im Märchen. 


Als Handlung pflegen wir ein zielbewulstes Tun zu bezeichnen, 
das seinen natürlichen Abschluls im Erreichen oder Verfehlen 
des Zieles findet. Eine derartige Handlung mit bestimmtem Ab- 
schluls enthält das Volksmärchen nicht. Sein Charakter ist viel- 
mehr biographisch,! d.h. es erzählt in blofsem Nacheinander 
die Geschichte und die Taten eines Helden. Eine oder mehrere 
Episoden oder aber ei ganzer Entwicklungsgang wird berichtet. 
Dabei haben die einzelnen Episoden selten einen anderen Zu- 
sammenhang wie den der zeitlichen Aufeinanderfolge, und den 
Abschlufs bildet ein hervorragendes Ereignis, in den meisten 
Fällen eine glückliche Eheschliefsung. Das Überwiegen der Braut- 
werbungsgeschichten unter den Märchen weist uns recht deutlich 
darauf hin, dafs die meisten ursprünglich nicht für Kinder ent- 
standen sind. Um so interessanter ist es, dals die Märchen jetzt 
in so hervorragendem Malse, wenn auch in Auswahl, die Literatur 
des Kindes bilden. 





ı Vgl. Löwıs or Menar (23), 8. 30, 58. 


Das Märchen und die Phantasie des Kindes. 43 


Nach welchem Gesichtspunkt sammelt das Märchen seine 
Episoden? Zweifellos steht nicht das biographische Interesse als 
solches im Vordergrund. Nicht auf den Lebenslauf seines Helden 
kommt es dem Märchen an. Er soll nur recht viel und recht 
Bemerkenswertes erleben und am Schlufs mit Ruhm und Glück, 
gekrönt werden. Daher steht, in unserem Märchen wenigstens, 
auch die Brautwerbung nicht so sehr an der Spitze und im 
Mittelpunkt, vielmehr bildet die glückliche Hochzeit nur den 
glänzenden Absehluls, weil sie in Verbindung mit einer hohen 
Stellung das grölste Glück ist, welches das Märchen seinen Lieb- 
lingen zu bescheren weils. 


Den eigentlichen Mittelpunkt des Interesses, den Kern aller 
Einzelheiten, die für das Milieu, die Verhältnisse und Situationen, 
die Person des Helden und der anderen Personen erfunden sind, 
bildet eine Reihe merkwürdiger und spannender Ereignisse, Taten, 
Abenteuer. Auf sie allein kommt es wirklich an. Alles andere 
dient nur als Rahmen, dient ihrer Verknüpfung und hat für sich, 
wie wir sahen, kein Gewicht. Selbst der Held, dem alle Liebe 
und Anteilnahme gilt, gewinnt sie nicht so sehr wegen seines 
Charakters — dieser ist viel zu wenig und viel zu monoton ge- 
zeichnet — sondern wegen seiner Taten, seiner leidvollen, gefähr- 
lichen oder aufsergewöhnlichen Erlebnisse. Wenn wir von einer 
Handlung im Märchen sprechen, so können wir allein diese Folge 
von Taten und Geschehnissen unter den einen Namen zusammen- 
fassen. Damit ist zugleich gesagt, dafs ein innerer Abschlufs 
nicht erwartet werden darf, vielmehr dafs die Taten beliebig ge- 
häuft aneinandergereiht oder abgebrochen werden können. 


Wenn wir die Handlung des Märchens so fassen, haben wir 
darunter auch die des mehr schwankartigen und des Tiermärchens 
mit einbegriffen, welche eines eigentlichen Helden meist ent- 
behren. Zugleich haben wir damit eine hier ausreichende Ab- 
grenzung von Tiermärchen und Tierfabel gegeben. Ohne morali- 
sierende Tendenz hat das Tiermärchen wie jedes andere Märchen 
an einer bunten Folge oft spalshafter Ereignisse seine Freude. 


Dieser absolut kunstlose Aufbau der Märchenhandlung ent. 
spricht nun wieder ganz ausgezeichnet den Fähigkeiten des Kindes ! 


ı Auch die Erzählungen des Kindes selbst sind aneinandergereihte 
Episoden, vgl. W. Stern (38), S. 201 ff und schon zuvor über die „Bedingungen 
der Verkettung“ der kindlichen Phantasie 8. 196 ff. 


44 | Charlotte Biihler. 


und scheint seinen Bedürfnissen aufs beste angepafst. In der 
Literatur des Erwachsenen finden wir selten ähnliches. Wenn wir 
schon von dem durch einen Grundgedanken zusammengehaltenen 
Drama absehen, so finden wir selbst in dem biographischen Roman 
eine innerlichere Verkettung der Ereignisse, die, je kunstvoller der 
Roman angelegt ist, um so ausschliefslicher durch die seelische 
Entwicklung und die Anlagen der handelnden Personen bedingt 
sind: Die Situation kombiniert sich allemal aus den verschiedenen 
Tendenzen verschieden handelnder Personen. Wieder gibt hier 
die sorgfältige Kombination den Ausschlag, das einzelne Ereignis 
interessiert nicht mehr um seiner selbst willen, nicht als Ereignis, 
sondern im Zusammenhang der mannigfaltigen Entwicklungs- 
möglichkeiten. Etwas derartiges gibt es im Märchen nicht. Ohne 
Rückhalt gibt sich der Hörer hier an das Einzelne hin, und 
“ weder Gewesenes noch Kommendes kümmert ihn im Moment, 
da ihn eine aufsergewöhnliche Tat beschäftigt. Keine andere 
Verknüpfung wird verlangt wie die im Nacheinander der Zeit- 
folge. Eine kombinatorische Leistung ist nicht erforderlich. 

Was für Taten und Ereignisse bringt das Märchen? Es ist 
bekannt, dafs die ungeheure Fülle der uns bekannten Märchen 
bei näherem Zusehen auf eine grolse, aber doch  überseh- 
bare Menge von Motiven zusammenschrumpft, die sich in 
zahllosen Varianten ein und desselben Stoffes, aber auch ver- ` 
schiedener Märchen immer wiederfinden. Ja, manches Märchen 
scheint nichts als ein Konglomerat mehrerer Motive, die aus anderen 
einheitlicher gebauten Märchen zusammengetragen sind. Diese 
Motive zu sammeln und ihre Zusammensetzungen zu studieren, 
bildet einen wesentlichen Teil der heutigen literarhistorischen 
Märchenforschung. In den Motiven konzentriert sich nämlich 
der Gehalt des Märchens und seiner Handlung. Denn wenn wir 
ein und dasselbe Märchen von Volk zu Volk, ja sogar von einem 
Stamm zum anderen verfolgen, so finden wir, dafs das einzig 
Beharrende in den Varianten eine Anzahl von Grundmotiven ist, 
während Ort und Landschaft, Milieu und Personen beliebig 
wechseln. Die einzelnen Motive wahren einen festen Kern. Sie 
erst enthalten letzte Grundbestandteile, letzte Invarianten, 
die sich nicht mehr wandeln. 7 

Schon 1864 hat J. G. von Haun bei Gelegenheit einer Samm- 
lung griechischer und albanesischer Märchen eine Zusammen- 
stellung von „Formeln“ unternommen. Diese Formeln sind nach 


Das Mürchen und die Phantasie des Kindes. 45 


von Haun Grundbestandteile, auf deren verschiedener Gruppierung 

die Mannigfaltigkeit der Märchen beruht. Die einzelnen Formeln 
` sind hierbei oft sehr komplexe und einem speziellen Fall ent- 
nommene Motivgruppen, die zum Schlufs in ein Gesamtschema 
eingefügt sind. Ihre Auswahl ist noch unvollständig und will- 
kürlich in verschiedener Hinsicht. Seit diesem geistreichen Ver- 
such ist viel unternommen worden, um erst einmal die wirklich 
einfachen Grundmotive herauszustellen und vollständig zu 
sammeln,! wobei eine systematische Gesamtanordnung bisher wohl 
noch nicht möglich war. Für zahlreiche Motivgruppen aber 
wurden solche Anordnungen bereits durchgeführt. Die voll- 
ständigste Sammlung, die aber nicht den Gesichtspunkt syste- 
matischer Anordnung im Auge hat, ist zurzeit die von BOLTE 
und PoLıvka, als neue Ausgabe der Anmerkungen zu den GRIMM- 
schen Märchen erschienen.? 


Mag nun für die auf Vollständigkeit des Materials hin- 
strebende und in weitem Umkreis sammelnde Forschung ein 
Übersichtsschema noch nicht durchführbar sein, so wird sich 
doch im engen Rahmen unserer Betrachtung, unseres kleinen 
Untersuchungsgebietes und von dem begrenzten Gesichtspunkt 
aus, den wir augenblicklich im Auge haben, die Anlage eines 
solchen Schemas als möglich und nützlich erweisen. Unser Ent- 
wurf will daher nur im Zusammenhang unserer psychologischen 
Untersuchung brauchbar sein und dient dem Zwecke, bessere 
Übersicht und Gesichtspunkte für unsere Folgerungen zu gewinnen. 
Für unsere Zwecke unterscheiden wir zwei Hauptreihen von 
Motiven, eine Motivreihe, welche die Handlungen der Märchen- 
menschen umfalst, eine zweite, zu der alle Tatsachen und Um- 
stände gehören, die den Märchenmenschen mitgegeben sind oder 


! Die Literatur vgl. bei FRIEDRICH VoN DER Leyen (22). 


3 Anttıi-Aarne (1) hat aufserdem eine Sammlung von „Märchentypen“ 
vorgenommen. Diese Märchentypen sind nicht Motive, sondern „den ein- 
zelnen Märchentypen sind, soweit möglich, vollständige Erzählungen zu- 
grunde gelegt worden.“ (S. V.) Die Sammlung hat in erster Linie den 
praktischen Zweck einer systematischen Anordnung des Materials. „Es wäre 
natürlich auch denkbar gewesen, ein systematisches Verzeichnis der ein- 
zelnen Episoden und Motive auszuarbeiten, doch hätte dies eine solche 
Zerstückelung aller vollständigen Märchenerzählungen zur Folge gehabt, 
dafs der Forscher weit geringeren Nutzen aus dem Verzeichnisse gezogen 
hätte.“ (8. V.) 


46 Charlotte Bühler. 


begegnen, wir nennen sie kurz Ereignisse. Jede Reihe um- 
falst mehrere Gruppen. 

Zu den Handlungen gehören in der Hauptsache: I. Wunder- 
taten aller Art (Verwandlungen, Bezauberungen, übernatürliche 
Leistungen), sodann 2. Heldentaten, zu denen wir auch die 
Kraftproben und die Lösung schwieriger Aufgaben rechnen wollen, 
sodann 3. Brautwerbungen und dazugehörige abenteuer- 
liche Unternehmungen, sodann 4. Intelligenzleistungen, 
seien es Proben besonderen Scharfsinns oder aber Torenstreiche 
des Dummlings, schliefslich, von anderem Gesichtspunkt her, 
5.normbedingte und Affekthandlungen; hierher gehört 
nicht nur das Verhalten gegenüber bestimmten Ge- und Ver- 
boten, der Gehorsam, die Übertretungen und Verstöfse, sondern 
auch Vernachlässigung einer Warnung, die Befolgung besonderer 
“Ratschläge, die Verwünschungen, sowie auch die eigentlich sitt- 
lichen Vergehen und die dem Leiden und der Schmach trotzende 
Geduld und Pflichterfüllung. 

Zu den Ereignissen im weitesten Sinne, wie vorher definiert, 
rechnen wir zunächst 1. wirkliche Abenteuer und Begegnungen, 
sodann 2. alle jene besonderen Zufälle des Märchens, als da 
sind Prophezeiungen, Geschenke, Funde, wunderbare Hilfen und 
Glückszufälle, ferner 3. die von übergeordneter Instanz ausgehen- 
den Wirkungen, Lohn und Strafe, schliefslich 4. bestimmte 
Schicksalsgegebenheiten, z. B. die im Märchen häufig 
als Ausgangspunkt einer wunderbaren Geschichte wiederkehrende 
Kinderlosigkeit. 

Ein solches Schema, wie wir es eben entworfen haben, bleibt 
bei der Fülle der Motive nur ein Notbehelf und ein unvollstän- 
diges Gerüst. Immerhin bietet es uns einige Anhaltspunkte zur 
Zusammenfassung der Motive und zu ihrer Beurteilung, speziell 
für unsern Zweck. Die Einteilung in Handlungen und Ereig- 
nisse ist dabei durchaus nicht zwingend oder erschöpfend, dürfte 
aber für uns die zweckmälsigste sein, denn wir betrachten die 
Motive im Zusammenhang der Handlung. An sich könnte man 
ebenso gut andere Einteilungsprinzipien zugrunde legen; z. B. 
fällt sofort ins Auge, welchen grolsen Raum unter den Motiven 
die das Familienleben betreffenden einnehmen. Von Haun geht 
bei seiner Einteilung von ihnen aus. Doch zeigt sich, dafs dann 
entsprechende Gesichtspunkte für die grofse Menge der übrigen 
Motive fehlen. Diese erschöpfen sich durchaus nicht in Beziehungen 


Das Marchen und die Phantasie des Kindes. 47 


der handelnden Personen. Auch hier bleiben Liicken. Ver- 
suchen wir also, wieweit wir mit unserm Schema kommen. 

Den gröfsten Raum nehmen im Märchen die Wunder- 
taten ein und unter ihnen vor allem die Verwandlungen. Kein 
Märchen verläuft ja ganz ohne wunderbares Ereignis, einen 
merkwürdigen Glückszufall, eine merkwürdige Begegnung usw. 
Alles, was man wünscht, ist möglich; alle Märchen spielen in 
der Zeit, „da das Wünschen noch geholfen hat“. In diesem 
Sinne kann man unsere gesamten Märchen als Wundermärchen 
bezeichnen, soweit sie nicht anders schwankartig sind und eine 
Wendung ins Komische nehmen. Das schwankliafte Märchen 
hat seine Pointe in der Komik und entschlägt sich des Wunders. 
Doch das ernst zu nehmende Märchen legt allen Nachdruck auf 
das wunderbare Ereignis. Dieses, in dem vorhin angedeuteten 
Sinn des Wortes, ist der Wendepunkt der Handlung, ist ihre 
Entscheidung. 

Nach allem läfst sich gut begreifen, warum gerade das 
Wunder im Märchen so hervortritt. Für den Wundergläubigen, 
das Kind wie das Volk, birgt es eine Quelle heimlich genährter 
Wünsche und Hoffnungen, grolser Erwartungen auf die Verwirk- 
lichung eines aulsergewöhnlichen Ereignisses, das ihnen zu un- 
geahnter Herrlichkeit verhelfen könnte. Irgend etwas soll ge- 
schehen, etwas Besonderes, nicht Alltägliches, etwas Aufregendes 
und Spannendes, das den Rahmen des Alltags sprengt, das einem 
Traume gleicht und die nach Stoff suchende, umherschweifende 
Phantasie wie das unbeschäftigte Denkvermögen anzuregen und 
zu fesseln geeignet ist. Hier haben wir wohl den Kern erfalst. 
Wir begegnen beim Volk wie beim Kinde einer unkonzentrierten, 
unbeschäftigten und ungeschulten geistigen Anlage, einem Keim 
geistigen Lebens, der Entfaltung in irgendeiner ihm unbekannten 
Richtung sucht. Es fehlt ihm die Zielstrebigkeit des gebildeten 
Geistes, und irgendeine unklare Expansion verdichtet sich ihm 
zu Hoffnungen, Wünschen, Erwartungen eines Geschehens, das 
die Befriedigung des unverstandenen Bedürfnisses bringen soll. 
Erst der bei sich selbst ruhende, denkende und konzentrierte 
Geist weils, dafs er vom äulseren Geschehen nicht viel für sich 
zu erwarten hat. Der ungebildete Geist ist nach aufsen gerichtet. 
Es ist sehr verständlich, dafs für ihn nur die Sensation zur 
Anregung zu werden vermag. Um auch dem Einfachen, Alltäg- 
lichen geistige Anregung entnehmen zu können, fehlen ihm Ge- 


48 | Charlotte Bühler. 


 sichtspunkte und Kenntnisse. Er braucht das Wunder, um ge- 
hoben und mit der Ahnung höheren Lebens erfüllt zu werden. 
Erst von. dieser Einsicht aus können wir die Bedeutung des 
Wunders für das Kind ganz ermessen. 


An dieser Stelle gelangen wir zum erstenmal zu einer po- 
sitiven Bestimmung dessen, was das Märchen dem Kinde 
bietet, und dessen, was die kindliche Phantasie bedarf und vom 
Märchen erwartet. Die Wunderhandlung, das aulsergewöhnliche 
Zufallsereignis sind, qualitativ bestimmt, die Anregungen, die den 
Geist des Kindes beschäftigen und erheben können. Von hier 
aus gelangen wir zum Verständnis anderer Besonderheiten des 
Märcheninhalts, wie sie uns etwa in den Proportionsverschie- 
bungen, in der Tatsache der Fabelwesen, in der polaren Charak- 
teristik schon entgegentraten. 


Psychologisch analysiert läfst uns die Wunderhandlung des 
Märchens und die Tatsache ihrer bevorzugten Stellung noch 
‚einiges mehr entnehmen. Die unablässige Wiederkehr von Wun- 
dern im Märchen lälst uns vermuten, dafs der rasche, vom Wunsch 
dirigierte Vorstellungswechsel an sich für das Kind eine 
Quelle der Lust ist. Damit ist ein Doppeltes festgestellt: einmal 
die Lust des Kindes am Vorstellungswechsel überhaupt, am Spiel 
mit den Vorstellungen, sodann die Lust am hemmungslosen Vor- 
stellungsablauf in einer Richtung, die vom Wunsch bezeichnet 
ist. So sicher das Wunder im Mittelpunkt der echten Märchen- 
handlung steht, gelangen wir mit ihm an die wichtigsten Be- 
ziehungspunkte des Märchens zu der Phantasie des Kindes: in 
einem von Wünschen dirigierten, durch den Affekt des Aulser- 
gewöhnlichen bestimmten und durch keine Verstandeskritik ge- 
hemmten Vorstellungsspiel sucht die kindliche Phantasie ihre 
regste Entfaltung. Sie mag hier in etwas der Traumphantasie 
nahekommen, die wiederum umgekehrt vielleicht die Vorbilder 
für die Wundergeschichten geliefert hat. ? 


! Die Träume, die hier in Betracht kämen, brauchten nicht, wie 
LaıstneR (19) sie allein als Märchenvorbilder kennt, nur Angstträume, oder 
wie Feeup (10) annimmt, nur Wunschträume zu sein, sondern könnten, wie 
schon Von DER Leen (20, S. 36) treffend gegen diese Einseitigkeit bemerkt, 
auch „Träume der reinen Phantasie“ sein. von per Leyen selbst sieht 
speziell für die Wundermärchen das Vorbild in Paroxysmen und Wahn- 
sinnserscheinungen, 


Das Märchen und die Phantasie des Kindes. 49 


Den Hauptanteil an den Wundern und Zufällen haben die 
eigentlichen Wundertaten im engeren Sinn des Wortes. Den 
gröfsten Prozentsatz hilden hier in mannigfaltigen Motiven die 
Verwandlungen und Verzauberungen. Seltener sind 
wunderbare Belebungen, Auferweckungen und das Um- 
herwandeln von Toten, sowie ferner die Lösung aus 
einem Bann, die Begabung mit wunderbaren Fähig- 
keiten. Dieser Gruppe der Handlungen entsprechen bei den 
Ereignissen die wunderbaren Zufälle, wunderbare Ge- 
schenke, Funde, wunderbare Hilfen, Prophezeiungen. 

Die reichsten Variationen und Motive finden wir bei den 
Verwandlungen und Bezauberungen. Folgende Einzelgruppen 
können wir unterscheiden. 


I. Gruppe: 


1. Ein Mensch wird aus Bosheit in ein Tier oder einen leb- 
losen Gegenstand verwandelt 


a) durch einen Zauberer, eine Hexe oder ein anderes 
Fabelwesen. Bisweilen hat die Verzauberung vor Be- 
ginn der Geschichte stattgefunden. 

Nr. 1, 43, 69, 85, 123, 161, 169, 193. 


b) Kinder durch ihre gehässige Stiefmutter. 
Nr. 11, 49, 141. 


c) Eine vom Glück begünstigte Frau oder deren Kind 
von ihren neidischen Verwandten (Stiefmutter und 
Schwestern), oft nach ihrer ersten Niederkunft. 

a) Nr. 13. 8) Nr. 135. 


2. Ein Mensch wird infolge einer Verwiinschung (der Eltern) 
oder durch ein ungliickliches Geschick zum Tier. 


a) Nr. 25, 93. b) Nr. 9. 


3. Ein Mensch wird zur Strafe für eine verbotene oder 
schlechte Tat verwandelt. 
Nr. 6, 76, 122. 


4. Ein Mensch wird durch elterlichen Wunsch in Tiergestalt 
geboren. 
Nr. 108, 144. 


‚Beiheft zur Zeitschrift für angewandte Psychologie. 17. 4 


50 d Charlotte Bühler. 


. I. Gruppe: 


_ Menschen verwandeln sich selbst, um sich vor Verfolgern zu 
schützen. 
a) Verfolgte Kinder. Nr. 51. 
b) Verfolgte Geliebte. Nr. 56, 113. 
c) Zauberer und Lehrling. Nr. 68. 


III. Gruppe: 
Eine verzauberte Person wird erlöst und vom Tier zum 
Menschen zurückverwandelt. 
a) Nr. 122, 93, 169. 
b) Häufig in der Brautnacht. Nr. 1, 88, 108, .144. 


IV. Gruppe: 
Zauber durch Hindernisse-Werfen bei Verfolgung. Nr. 181. 


V. Gruppe: 
1. Tote wandeln umher. Nr. 11, 109, 154. 
2. Tote werden auferweckt und wiederbelebt. Nr. 4, 6, 16. 


Neben diesen wunderbaren Handlungen kommen eine An- 
zahl wunderbarer Zufälle und Ereignisse vor; auch bei ihrer 
Aufzählung können wir systematische Vollständigkeit nicht an- 


streben. | 
I. Gruppe: 


a) Geschenke. Nr. 13, 135, 21, 127, 19, 60, 63, 130. 
b) Funde. Nr. 19, 85, 57, 64, 122. 


II. Gruppe: 


Wunderbare Begabung 
a) von Menschen (mit der Tiersprache). Nr. 17, 33. 
(mit der Heilkunst). Nr. 42, 44. 


b) Von Gegenständen. Nr.36, 54, 103, 130, 93, 193, 99, 116. 


IHI. Gruppe: 
Wunderbare Hilfen 


1. durch dankbare Tiere. Nr. 15, 17, 21, 57, 60, 62, 107, 191. 


Das Märchen und die Phantasie des Kindes. 51 


2: Durch Eingreifen von Fabelwesen oder plötzlich erscheinen- 
den Menschen. 
a) Nr. 13, 29, 31, 39, 55. 
b) Nr. 14, 130, 136. 
3. Durch wunderbare Werkzeuge. 
Nr. 13, 16, 17, 36, 54, 88, 127, 188, 193, 93, 92. 


IV. Gruppe: 
Prophezeiungen. | 


1. Unbedingte. Nr. 6, 50, 44. 
2. Bedingte. Nr. 69, 97. 


Nächst den Wundermärchen sind die häufigsten die, welche 
von Taten und Abenteuern des Helden oder der Heldin berichten. 
Es handelt sich dabei nicht nur um eigentliche Heldentaten, 
sondern häufiger noch um die Erledigung besonders schwieriger 
oder ganz unmöglicher Aufgaben, die gewöhnlich nicht ohne 
wunderbare Hilfen zu leisten sind, bisweilen auch um Kraft- 
proben oder Scharfsinnsproben. Solche Geschichten sind 
fast durchgehend mit Brautwerbungsmotiven verknüpft, ohne 
dafs diese stets im Vordergrunde ständen. Die Freude an den 
Abenteuern, am umständlichen Bericht von der Durchführung 
der Taten, der Überwindung aller Hindernisse und Schwierig- 
keiten mit wunderbaren Hilfen ist meistens viel aktueller als die 
eigentliche Heiratsgeschichte. Die Heirat ist oft nur der Lohn 
und Abschlufs einer Reihe von Abenteuern; selten zieht der Held 
schon mit der Absicht aus, eine Braut zu gewinnen; vielmehr 
bewirbt er sich aus Abenteuerlust um die königliche Jungfrau, 
weil ihn die Taten reizen, als deren Lohn sie versprochen ist. 
Besonders liebt es das Märchen, einem armen Schlucker auf diese 
Weise zu hohen Ehren, ja zur Königskrone zu verhelfen. Ein 
armes Schneiderlein, ein als Dummling zu Haus mifsachteter 
Bauernsohn, ein entlassener Soldat sind die Lieblingsgestalten des 
Volkes in solchen Geschichten. In folgenden Märchen wird die 
Braut durch Taten des Helden gewonnen: 

Nr. 4, 16, 17, 18, 22, 28, 29, 57, 62, 63, 64, 92, 94, 97, 107, 
111, 113, 121, 133, 144, 156, 166, 193. 

Aber nicht nur in diesen eigentlichen Tatenmärchen caidas 
Handeln so stark hervor. Fast alle tibrigen Motive des Marchens 
sind in gleichem Mafse voll drängender lebhafter Handlung. 


Überall geschieht etwas, niemals wird ein Zustand geschildert. 
4* 


52 Charlotte Biihler. 


Kein Motiv, dafs uns eine ruhige unbewegte Gegebenheit zeichnete. 
Einige der interessantesten Motive gehören zu den Brautwerbungen. 
1. Die Entführung (Nr. 6, 46) oder Befreiung der Braut aus 
einem Turm (Nr. 12, 193) oder Erlösung von einem Bann (Nr. 50). 

2. Die Demütigung der Hochmütigen. Nr. 52, (111), 144. 

3. Die Schuhprobe auf die Echtheit der Braut. Nr. 21. 

4. Die Erlösung des Tierbräutigams. Nr. 1, 85, 88, 108, 123 
(Baum), 144, 161. Tierbraut: 69, 63, 106, 93. 

5. Die vergessene Braut (Nr. 56, 67, 186, 193, 198), welche 
ihren Geliebten wiederzugewinnen trachtet. 

6. Sie erlangt von der falschen Braut um drei Prachtgewänder 
die Erlaubnis, drei Nächte bei dem Geliebten zu schlafen. Nr. 88, 
113, 127, 193. 

7. Der Bräutigam erkennt die rechte Braut wieder, an der 
Stimme (Nr. 88, 193), am Gesang (Nr. 56), am Flötenspiel (Nr. 181), 
an einem Ring (Nr. 67, 101). 

8. Die Heldin gewinnt den Bräutigam auf einem Fest durch 
ihre Schönheit; sie erscheint dreimal in Prachtgewändern wie 
Sonne, Mond und Sterne, die sie entweder von diesen selbst oder 
von einem Wunderbaum erhält, häufig in drei Nüssen. No. 21, 
65, 186, (113, 127). 

9. Die Braut wird gefunden, meist als Stumme im Wald 
(Nr. 3, 9, 49) oder als unglückliches Kind. Nr. 11, 13, 31, 130. 

10. Unterschiebung einer falschen Braut. Nr. 11, 13, 89, 
135, (198). 

11. Das Motiv Nr. 9 führt meistens nach sich, dafs durch 
die gehässige Stief- oder Schwiegermutter die gefundene Braut 
oder Gattin verleumdet und verstofsen wird. Nr. 9, 49. Man 
klagt sie an, ihr Kind umgebracht zu haben. Nr. 3, 31, 49, 76, 96. 

Ein höchst interessantes Kapitel bilden die Motivgruppen, 
welche zur Motivation der Handlung beitragen. Sie gewähren 
uns einen Einblick in die Moral und Reife der Märchenleute. 
Schon oben konnten wir feststellen, dafs die Helden deg Mar. 
chens, obwohl meist schon junge Leute, sich doch betragen 
wie die Kinder und so naiv und unreif in ihrem Denken, Fühlen 
und Wollen sind, dafs man sie unwillkürlich als Kinder betrachtet. 
Nur wenige Personen des Märchens wirken als reife und männliche 
Gestalten, wie König Drosselbart, allenfalls noch der Meisterdieb 
und der Fischer. Sie allein bandeln zielbewulst, überlegt und 
besonnen. Alle übrigen Personen handeln überwiegend affekt- und 


Das Marchen und die Phantasie des Kindes. 53 


instinktmafsig oder unter dem Einflufs einer Autorität. Intellek- 
tuell motiviertes, bewufstes und autonomes Handeln finden wir 
kaum. Die Initiative zu den ausschlaggebenden Handlungen 
verleiht in der Regel ein Affekt. Neid und Bosheit der Stief- 
oder Schwiegermutter, der häfslichen Schwestern, der älteren 
Brüder führen zu Mifshandlung und Verbrechen, Zorn der Eltern 
zu Verwünschungen, Habsucht und Sucht, einen augenblicklich 
dringenden Wunsch befriedigt zu sehen, zu unverantwortlichen 
Gelübden und unüberlegten Versprechungen, die dann oft nicht 
gehalten werden, Rachsucht der Fabelwesen zu Vergeltungsmals- 
regeln an ihren Beleidigern und Peinigern, andererseits Dankbar- 
keit zu Bevorzugung des Freundlichen, Belohnung des Hilfreichen. 
Abenteuerlust und Neugier sind starke Triebkräfte. Eine asketische 
Geduld im Leiden wird vom Weibe verlangt und belohnt. Über- 
haupt folgen Lohn und Strafe den Taten auf dem Fulse und auch 
diese Auffassung von der Gerechtigkeit des Daseins berührt uns 
kindlich.* Die Tat liegt stets klar nach der guten oder bösen 
Seite hin; wo die Beurteilung nicht mehr so einfach ist, wird 
der Märchenmensch unsicher, sehr deutlich im Meisterdieb. Dabei 
ist die Bewertung der Handlung so durchaus unlogisch und 
unzuverlässig, wie sie das stets beim Volke zu sein pflegt. Zwar 
soll nur das Gute siegreich sein, und doch freut man sich, dem 
anderen einen Schabernack spielen, ibn tibervorteilen zu können. 
Zwar soll nur das Böse bestraft werden, und doch geht es oft 
einem harmlosen Nebenspieler übel, weil er im Augenblick stört; 
etwa der zweiten Braut, welche regelmäfsig nach dem Wieder- 
finden der ersten getötet wird, auch wo sie offenbar unschuldig 
ist (vgl. S. 16).? 

! Scurins berichten von ihrem dreijährigen Jungen gelegentlich einer 
Erzählung des Märchens von Hänsel und Gretel (31) S. 43: „Etwas, was’ 
gar nicht in seinen Kopf hinein wollte, war, dafs den Kindern Böses ge- 
schah, obwohl sie artig gewesen waren. Wiederholt fragte Bubi: ‚War'n 
die Kindern ungeBogen?' Als wir verneinten, meinte er ratlos: ‚Nu, weil 
die alte Frau doch so böse is... .“ Die Strafe als natürliche Konsequenz 
einer bösen Tat ist dem Kinde früh verständlich, vgl. Stern (38) S. 348. 

: Es scheint, dafs sich an das Belohnen und Bestrafen starke Affekte 
des Kindes knüpfen. Oder ist es nur die Sensationslust an den in solchen 
Momenten stets recht sensationellen Handlungen? Das geht aus den bis- 
herigen Beobachtungen noch nicht einwandfrei hervor. Ich habe folgende 
Angaben: „Dreijähriges Mädchen: Lebhafte Befriedigung über die Über- 


listung der Bösewichter, z. B. der Hexe in Hänsel und Gretel.“ Und dreimal 
die Angabe: Freude, wenn die Hexe verbrannt wurde. 


54 Charlotte Bühler. 


Die Art des Lohnes und der Strafe ist nicht minder naiv 
und äulfserlich. Den inneren Lohn des guten Gewissens findet 
das Märchen nirgends ausreichend. Es verlangt überall eine 
äulsere Manifestation der Beurteilung. Der Gute wird reich, wird 
‚König, bekommt eine schöne Braut; die Schlechten werden grau- 
sam zu Tode gemartert, „sie verdient, daß man sie nackt auszieht 
und in ein Faß mit Nägeln legt und daß man vor das Faß ein Pferd 
spannt und das Pferd in alle Welt schickt“, oder die Strafe des Feuer- 
todes wird vollzogen, oder „er ward in einen Sack. genäht und 
lebendig ersäuft“. Interessanterweise ist im Märchen die Nieder- 
tracht und Bosheit viel häufiger Eigenschaft der Frau als des 
Mannes. Die böse Stiefmutter findet an Schlechtigkeit unter 
Männern nicht ihresgleichen, die böse Hexe ist häufiger als der 
böse Zauberer oder der böse Zwerg, nur die neidischen Schwestern 
haben Partner an den neidischen Brüdern. Andererseits ist auch 
die Tugend des Weibes eine höhere als die des Mannes. Die 
Standhaftigkeit und Geduld der edlen Frau im Unglück, etwa 
der Gänsemagd, des Aschenputtel, des Zweiäuglein, der wahren 
Braut usw. läfst alles weit hinter sich, was uns von Mut und 
Ausdauer des Mannes berichtet wird. Das treubrüchige Weib 
begegnet uns nur in den drei Schlangenblättern, dagegen kommt es 
oft vor, dafs der Mann seine Frau oder Braut verlälst und vergilst. 

Die zweite Gruppe der hierhergehörigen Motive ist die der 
die Handlung beeinflussenden Autoritäten. Gebote, Verbote, 
Warnungen und Prophezeiungen von Fabelwesen oder auch 
Tieren leiten und begleiten fortwährend das Tun der Märchen- 
menschen. Sie bestimmen aufserdem in einer merkwürdigen 
Weise, wie wir noch sehen werden, den technischen Aufbau der 
Handlung, indem sie die Entwicklung implizite vorwegnehmen. 
Das Gebot und Verbot ist für den Aufbau stets mehr als solches. 
Der Fall, den es als möglich hinstellt, wird stets zur Wirklich- 
keit. In der Warnung wird der spätere Ablauf vorweggenommen, 
es scheint immer, als sei die Warnung nur dazu da, um mils- 
achtet zu werden, aus Gründen des Leichtsinns und des Affektes, 
und regelmälsig tritt dann die prophezeite, mit der Übertretung 
verknüpfte schlimme Folge als Hemmnis und Verwicklung des 
Ablaufes ein. Die Handlung ist nichts wie die explizierte Prophe- 
zeiung. Dieses für die Technik der Darstellung aufserordentlich 
wesentliche und bezeichnende Verfahren ist überaus häufig an- 
gewandt. 


Das Märchen und die Phantasie des Kindes. 55 


An dieser Stelle interessiert uns nur, dafs das Handeln der 
Märchenmenschen gleichsam eingespannt ist in Ge- und Verbot, 
wie das Tun des kleinen Kindes sorglich von Rat und Warnung 
der Erzieher umgeben und begleitet wird. Es ist weitaus die 
grölsere Zahl der Märchen, die in dieser Weise inexpliziert vor- 
wegnimmt, was später umständlich expliziert werden soll. Die 
Formen dieser Vorwegnahme, zu denen wir einige SE bei- 
bringen, sind folgende: 

1. Prophezeiung. Nr. 50, 6, 17, 25, 44, 49, 69. 

2. Versprechen und Gelübde. Nr. 1, 16, 31, 55, 14, 88, 108, 92. 

3. Warnung und Verbot. Nr. 3, 5, 6, 11, 12, 26, 35, 46, 53, 
69, 92. 

4. Aufgabe und Gebot. Nr. 9, 21, 24. 

Am auffallendsten und fast lächerlich ist die dauernde Mifs- 
achtung der Warnung im goldenen Vogel (57). Man sieht hier 
deutlich, dafs die Absicht vorliegt, die Handlung in die Länge 
zu ziehen und möglichst viele Abenteuer einzuflechten. Das 
ganze Märchen konstituiert sich aus dieser Folge von Abenteuern. 
Auch mit dem Befolgen und Übertreten der Ge- und Ver- 
bote sind Lohn und Strafe stets eng verknüpft. Die Fabelwesen 
wachen eifersüchtig darüber, dafs ihren Anordnungen gehorcht 
wird, und sind oft sehr rachsüchtig, wo man ihnen nicht folgt. 

Schon mehrfach konnten wir im Märchen ein Zurücktreten 
des Intellektuellen wahrnehmen, so zuletzt in der Motivation. 
Bisweilen aber macht es gewissermalsen Intelligenzproben, 
in den Scharfsinns- und Dummlingsgeschichten. Was für Leistungen 
verlangt es da? Die Scharfsinnsproben gehören zur Kategorie 
der Aufgabenmotive. Eine stolze Königstochter gibt nur dem 
Manne ihre Hand, der ihre Fragen beantwortet oder der ihr so 
schwere Rätsel stellen kann, dafs ihr Scharfsinn versagt. So im 
„Rätsel“ (22). Die Aufgaben, welche hier vorgelegt werden, sind 
nun aber durchaus keine Scharfsinnsproben, sondern sind einer 
so speziellen Situation entnommen, dafs kein Scharfsinn je auf 
sie verfallen könnte. Ähnlich steht es überall, wo besondere 
Intelligenzleistungen verlangt werden, etwa ın den „drei Sprachen“ 
(33), im „Meisterdieb“ (192), „Rumpelstilechen“ (55), im „Teufel mit 
den drei goldenen Haaren“ (29), im „Rätselmärchen“ (160). Zur Lösung 
bedarf es stets ganz bestimmter Hilfen, die mit dem Scharfsinn 
der Person nichts zu tun haben, sondern ihr durch Glückszufall 
geboten werden. Eigentlichen Scharfsinn finden wir am ehesten 


56 Charlotte Bühler. 


noch in der „klugen Bauerntochter“ (94), welche einen tdrichten 
Rechtsspruch ihres königlichen Gatten auf witzige Weise blofs- 
‚stellt und welche dann, als sie zur Strafe dafür das Schlofs ver- 
lassen soll und nur ihren liebsten Besitz mitnehmen darf, ihren 
Gatten in einem Leinentuch in ihre Hütte entführt — das be- 
kannte Motiv der Weiber zu Weinsberg. So wenig an eigent- 
lichem Scharfsinn, so viel an bäuerlicher Gerissenheit führt uns 
das Märchen vor, so im Bürle (61), am Schlusse des guten Handels 
(7), in den drei Spinnerinnen (14), im klugen Gretel (77), im Bauer 
und Teufel (189) u. a. 

Noch gröfseres Vergnügen aber als die ins Komische ge- 
wendeten Erfolge der Verschlagenheit bereitet offensichtlich die 
extremste Borniertheit, die auf einer intellektuelleren Stufe als zu 
dumm und zu grob keinen Lacherfolg mehr erzielen kann. Solche 
Beispiele sind die kluge Else (34), der Frieder und das Kather- 
lieschen (59), die klugen Leute (104), Hans im Glück (83), der kluge 
Knecht (162), der kluge Hans (32). Hier ist die Dummheit wirk- 
lich unerträglich auf die Spitze getrieben. Der Dummling ist 
eine Lieblingsgestalt des Märchens. Er ist meist der jüngste, von 
Vater und Brüdern verachtete und für dumm angesehene Sohn, 
dem später das Glückslos zufällt, weil er durch Herzensgüte 
und Unschuld — Tumbheit — sich die Gunst hilfreicher Tiere 
oder Fabelwesen erwirbt. Hier tritt eine ganz offene Mifsachtung 
der Verstandesklugheit zutage. Dieser zum Trotz kommt der 
Dumme zu Ehren, weil man die Vorzüge seines Gemütes für 
wesentlicher hält. 

Die analysierten Motivreihen bilden den Kern der Handlung 
in unseren Märchen. Ausgenommen davon sind allein die Tier- 
märchen. In diesen finden wir nicht immer dieselben formel- 
haften Motivgruppen wieder. Die Handlung ist hier viel einfacher 
und wechselt von Fall zu Fall, sie ist meistens nur eine scherz- 
hafte Episode aus dem täglichen Leben des betreffenden Tieres, 
die anthropomorphistisch dargestellt ist. 

Es würde zu durchaus künstlichen Konstruktionen führen, 
wollten wir versuchen, jedem einzelnen Motiv Bedeutung für die 
kindliche Phantasie zuzusprechen und nachzuweisen. Sind doch 
die meisten jener seltsamen, bisweilen närrischen Motive Produkte 
des Zufalls, historische Überbleibsel, an deren Stelle mit gleichem 
Recht andere Überlieferungen stehen könnten. Aber doch mufs 
dieser bunten Fülle zufälliger Einzelheiten, die das Märchen 


Das Märchen und die Phantaste des Kindcs. 57 


konstituieren, irgendein gemeinsamer und durchgehender Zug 
anhaften, der ihnen als Glieder in der Kette des ganzen Märchens 
"ihren Reiz und ihre Wirksamkeit verleiht. Mancherlei läfst sich 
hier vermuten. Die wichtigsten Gesichtspunkte, die sich im Zu- 
sammenhange mit dem, was wir oben über das Wunder sagten, 
betrachten lassen, mögen folgende sein. 

1. Die Phantastik und Seltsamkeit der Einfälle bei grölster 
Natürlichkeit und Selbstverständlichkeit des Auftretens sowie 
gröfster Einfachheit der Darstellung mögen dem Kinde gut ent- 
sprechen. Man weils, dafs das Kind mit sichtlichem Vergnügen 
oft Sätze plappert, die es gar nicht versteht, Gedichte pomphaft - 
rezitiert ohne ihren Inhalt aufzufassen und an der Fremdartig- 
keit des Unverstandenen Freude bekundet. Vieles Unverstandene 
wird auch im Märchen als vage Ahnung hingenommen werden. 
— Andererseits mag vieles, was dem Erwachsenen seltsam und 
phantastisch erscheint, dem Kind ganz natürlich vorkommen. 
An den plötzlichen Entschlüssen, den unbegründeten Handlungen 
der Märchenpersonen nimmt es keinen Anstols, weil es von einer 
Motivierung der Handlung noch nichts weils, weil es selber 
instinkt- und affektmäfsig ohne Überlegung handelt. Vieles tut 
es grund- und zwecklos im Spiel, wie auch die Märchenmenschen 
spielend das und jenes vornehmen, ihren Launen nachgebend 
und der Tragweite der Folgen nicht achtend. Das Wollen und 
Handeln des Kindes hat manche Ähnlichkeit mit dem der Märchen- 
menschen. Aber auch seiner Art zu denken ist diese Auffassung 
und Darstellung vom Leben und Handeln ganz adäquat. 

2. Ein zweiter Gesichtspunkt, der mit dem eben berührten 
zusammenhängt, ist das Zurücktreten des Intellektes. Gefühl, 
Affekt und Instinkt sind die entscheidenden Triebkräfte. Der In- 
tellekt wird nur im Dienste der Komik nutzbar gemacht für das 
Motiv der Überlistung und der Torenstreiche. Die Klugheit wird 
nicht entfernt so gepriesen wie etwa die Schönheit, und selbst 
wo so etwas wie Scharfsinn verlangt und hervorgehoben wird, 
liegt eigentlich eine vollständige Verkennung der Verstandes- 
leistung vor. Das erklärt sich historisch aus der Heimat des 
Märchens in den ungebildeten Kreisen des Volkes, ist nun aber 
wiederum ein Umstand, der das Märchen für jedes Kind geeignet 
macht, selbst wenn es unbegabt oder das geistige Leben in ihm 
noch wenig rege ist. Ganz andere Ansprüche stellt gerade in 
dieser Hinsicht das Anpersensche Märchen. 


58 Charlotte Bühler. 


3. Ein dritter Gesichtspunkt endlich ist die ungemeine Akti- 
vität, die allen Motiven gemeinsam ist. Keines weist auf Zu- 
standsschilderung hin, eine solche kennt das Märchen nicht: Alle 
Motive bringen Handlungen, Vorgänge. Man würde vergeblich 
einwenden, dals diese Tatsache mehr auf Rechnung der Dar- 
stellung zu setzen sei. Es ist nicht nur die besondere Erzähl- 
technik, welche alles im Flufs des Geschehens bringt. Auch der 
Inhalt ist Geschehen, unaufhörliches Handeln, gegeben als eine 
Bilderfolge, die einen dauernden Vorstellungswechsel anregt. 


4. Kapitel. 
Die Darstellung der Handlung. 


Ist es nicht merkwürdig? Immer von neuem wiederholt 
man, das Hauptinteresse des Kindes hafte am Fortschritt der 
Handlung in der Erzählung, und doch kennt die ganze Kinder- 
literatur kein Drama! — Nein; nach alledem, was wir nun schon 
wissen, ist das durchaus begreiflich. Das Drama ist für das Kind 
zu schwierig, weil es die denkbar gröfsten Anforderungen an die 
Kombinationsgabe stellt. Das Drama gibt eine Szenerie und 
einen Dialog. Die Szenerie will ergänzt und vervollständigt sein, 
denn sie ist nur eine Andeutung und ein Ausschnitt aus der 
Umgebung. Und ebenso bietet der Dialog nur Andeutungen über 
alle näheren Verhältnisse und das Geschehen aulserhalb der 
Szene. Diese Andeutungen wollen aufgefalst, ergänzt und zu- 
sammengefalst sein. Zu keiner dieser Leistungen wäre das Kind 
imstande.! | 


1 Vgl. hierzu, was Pérez (27) über die Wirkung von dramatischen Vor- 
führungen auf Kinder berichtet. _Er falst seine Ausführungen mit folgenden 
Worten zusammen (p. 220): „Ainsi, les premières impressions de théâtre se 
rapportent à quelques sensations dominantes de la vue, à des couleurs et 
à des formes bien tranchées, à des images plus vagues et plus confuses de 
spectateurs et d'acteurs, à quelques gestes et à quelques attitudes inter- 
prétés d'une manière quelconque.“ Besonders interessiert uns für unsere 
späteren Betrachtungen ein Bericht, den P£rzz den Memoiren von Alexandre 
Dumas über die Erinnerung an einen Theaterbesuch im Alter von 3 Jahren 
entnimmt (Pérez p. 219): ,On jouait Paul et Virginie & l’Op6era-Comique. 


Das Märchen und die Phantasie des Kindes. 59 


Damit haben wir aber umgekehrt ungefähr bezeichnet, wie 
die Handlung für das Kind beschaffen sein muls. Sie mufs ex- 
pliziert und mit deutlichen Hinweisen versehen sein. Sie darf 
keine Anforderungen an die Kombinationsgabe stellen. Beide 
Punkte sind aufserordentlich wesentlich und in der eigenartigen 
Technik der Märchenhandlung bestimmend. Wir werden mehr- 
fach darauf zurückkommen. Die explizierende Darstellung ist 
naturgemifs rein episch; wie wir wissen, hat sie im Märchen 
biographischen Charakter. Und zwar kann die Handlung sich 
in einer oder mehreren Episoden um ihren Helden reihen, oder 
aber sie ist nach dem Ausdruck von Löwıs or MENAR! zweiaktig, 
d. h. sie zerfällt in zwei Teile, deren jeder von einem Helden 
beherrscht ist. Häufig ist dann der zweite Held der Gegen- 
spieler des ersten (Frau Holle 24), der genau dieselben Erleb- 
.nisse, nur stets mit umgekehrtem Erfolg wie der erste hat. 
Persca ? nennt sie Doppelmärchen. 


Diese Doppelmärchen machen in ihrer Anlage von der Tech- 
nik der Wiederholungen Gebrauch®, dem einfachsten und 
‘in der Volksliteratur aufserordentlich beliebten Stilmittel, dessen 
sich die klassische Literatur des Erwachsenen bedeutend seltener 
bedient. Nicht nur im Aufbau der Gesamthandlung, sondern 
auch der einzelnen Episoden und Geschehnisse findet es reich- 
liche Anwendung. Häufiger als die Wiederholung der ganzen 
Handlung durch den Gegenspieler wie in Frau Holle ist die 
- dreimalige Inangriffnahme eines Unternehmens* durch drei ver- 
‘schiedene Personen, drei Brüder, deren letzter und jüngster erst 
zum Ziele gelangt (Die drei Federn 63, die goldene Gans 64 u.a.). 
‘Ebenso häufig ist die dreimalige Wiederholung bei der Lösung 
‚von Aufgaben durch denselben Helden, die dreimalige Über- 
windung von Hindernissen usw. Gleichviel wie man diese Er- 
scheinung deuten mag, soviel steht fest, dafs sie sich grolser Be- 


Une des plus notables impressions qui restèrent dans l'esprit de cet enfant 
de trois ans, c’est que Mme de Saint-Aubin, qui tenait le rôle de Virginie, 
était énormément grosse, ...“ 


1 (28), 8. 2ff. 
3 (29), 8. 11 Anm. 


® Anttı AARNE spricht von „Duplettenformen“ und „Analogieformen“. 
(2), 8. 28f. 


Vgl Arer, Oe (26). 1909. 


60 Charlotte Bühler. 


liebtheit erfreut. Und zwar müssen wir den Nachdruck weniger 
auf die Tatsache der dreimaligen Wiederholung legen als 
vielmehr auf die Technik der Wiederholungen überhaupt. Auch 
in Scherzmärchen wird diese angewandt, wo mit denselben 
Fragen oder Aufforderungen bei verschiedenen Personen die 
Runde gemacht wird (Die schöne Katrinelje und Pif Dat Poltrie 
131). Ebenso bildet bei den Häufungsmärchen die Wiederholung, 
die jedesmalige Wiederaufnahme aller Tatsachen von Anfang an 
den Grundstock (Läuschen und Flöhchen 30). Diese Form der 
Häufungen findet sich noch öfter in Kinderreimen, sie scheint 
schon den kleinsten Kindern aufserordentliches Vergnügen zu 
bereiten. 

Es mögen verschiedene Gründe für die Freude an der Wie- 
derholung vorliegen. Einmal ist es die positive Gefühlsqualität, 
die der Bekanntheitseindruck verursachen kann. Sodann ist es 
der Reiz, selber mitmachen zu können, wenn schon Dagewesenes 
sich wiederholt. Schliefslich ist, wie AxeL OLkık hervorhebt, 
die Wiederholung ein primitives Mittel zur Hervorhebung des 
Wichtigen, demgegenüber sich die nicht volkstümliche Literatur 
eines anderen Mittels bedient: sie malt die einzelnen Teile aus. 
„Der Volksdichtung fehlt zumeist diese lebendige Fülle, und sie 
wäre mit der Schilderung sehr bald fertig: um das zu vermeiden, 
hat sie nur einen Ausweg, die Wiederholung.“ 

Das Stilmittel der Wiederholung hält in glücklicher Gegen- 
wirkung dem -dauernden Betätigungsdrang, dem Aufsuchen von 
immer Neuem die Wagschale. Einerseits soll immerfort etwas 
geschehen, soll Neues geschaut werden. Andererseits ist die 
Fähigkeit, solches aufzunehmen und zu verarbeiten, begrenzt. An 
Stelle der unbegrenzten Expansion tritt nun die Wiederholung 
mit kleinen Variationen, welche eben hinreichen, um das In- 
teresse aın Fortgang nicht erlahmen zu lassen und doch den 
lustvollen Bekanntheitseindruck noch nicht zu verwischen. Von 
ähnlichen Gedanken ausgehend leitet STERN eine ganze Reihe 
von Analogiebildungen aus dem „gleichzeitigen Streben nach 
Wiederholung und Abwechslung“ ab.! Der gröfste Prozentsatz 
aller Märchen macht in irgendeiner Weise von diesem Stilmittel 
Gebrauch, nur wenige verzichten darauf. Noch aus einem an- 
deren Grunde mag das der Fall sein, und das führt uns zu et- 
was Neuem. 
| Wiiuiam Stern (37) 8. 53 ff. 


Das Märchen und die Phantasie des Kindes. GI 


Die Wiederholung ist eine Stilisierung der Handlung 
und als solche eine Vereinfachung. Sie setzt voraus, dafs der 
Verlauf den Erwartungen entsprechen wird, dafs keine unerwar- 
teten Hemmnisse dem intendierten Ablauf einen Strich durch 
die Rechnung machen. Die parallelen Entwicklungsreihen der 
Wiederholungen sind stilisiertes Geschehen, keine realistische 
Abbildung des Lebens. Und das ist denn überhaupt das Wesen 
in der Handhabung der Darstellungstechnik: Stilisierung; An- 
ordnung des Geschehens nach dem Willen des Erzählers, nicht 
nach den Gesetzen des Lebens. Wo Hemmungen nicht er- 
wünscht sind, dürfen sie nicht hineinspielen; doch wo man eines 
bestimmten Zufalls bedarf, da ist der deus ex machina bereit; 
und wo sie vom Erzähler in irgendeiner Form vorgesehen sind, 
dürfen auch Hemmonisse den Verlauf komplizieren. 

Die Formen, in denen uns eine solche Komplizierung an- 
gekündigt wird, sind Prophezeihung, Gebot, Verbot und Warnung. 
Von der Vorhersage wird in zahllosen Unternehmungen Gebrauch 
gemacht. Schon ehe der Held sich an eine Aufgabe, an ein 
Abenteuer wagt, werden ihm mehr oder minder ausführlich die 
Gefahren und Schwierigkeiten genannt, die seiner warten. Auch 
das Gebot ist meist mit einer Vorhersage verknüpft. Wenn das 
und das geschieht, sollst du so handeln. Und die angedeutete 
Möglichkeit wird auf alle Fälle eintreten, in solchem Fall sagt 
das Märchen nichts zum Überflufs. Ebenso steht es mit Verbot 
und Warnuug. Sie scheinen nur da zu sein, um übertreten zu 
werden und den als möglich vorhergesehenen Fall sich verwirk- 
lichen zu lassen. | 

Schon bei dem einfachsten Mirchen der Jiingsten, dem Wolf 
und den sieben Geißlein, können wir all diese Regeln beobachten, 
die in zunehmender Komplizierung und Häufung auch für die 
andern Märchen gelten. Die vorhergesehene Verwicklung ist 
hier der listige Überfall des Wolfes. Die alte Geifs warnt ihre 
Jungen vor dem Wolf, er wird kommen und Einlafs begehren. 
Diese Warnung würde nicht erfolgen, wenn der Wolf nicht tat- 
sächlich nachher kommen sollte. Und zwar wird es dann auf 
Pfote und Stimme ankommen, denn die alte Geils macht aus- 
drücklich darauf aufmerksam, dafs die Jungen ihn daran er- 
kennen könnten und ihm den Eintritt daraufhin verwehren 
sollten; sonst würde er sie fressen. Wir können sicher sein, dafs 
die Pfote und Stimme nachher eine Rolle spielen werden, dafs 


62 Charlotte Bühler. 


der Wolf eine List anwenden und doch Einlafs erhalten wird 
— denn sonst würde die Warnung nicht erfolgen. Diese 
Vorwegnahme regelt für den Hörer den Gang der Entwicklung 
und gibt ihm eine Art Disposition an die Hand. Ganz offenbar 
ist eine derart zum voraus geregelte Handlung leichter aufzu- 
fassen, die Explikation nimmt alle angedeuteten Teile auf und 
macht so wiederum von der Technik der Wiederholung Ge- 
brauch. | | 

Andererseits darf nun aber nichts erfolgen, was störend den 
so disponierten Verlauf durchbräche. Alles mulfs tatsächlich sich 
so abspielen, wie vorgesehen. Vom Zufall aber wird erst da 
Gebrauch gemacht, wo man seiner bedarf. Man will einen glück- 
lichen Abschlufs. Also müssen die Geifslein durch einen glück- 
lichen Zufall lebend im Bauch des Wolfes erhalten bleiben, mufs 
die alte Geils rechtzeitig von dem Unglück erfahren, mufs der 
Wolf noch in der Nähe und in einer Verfassung sein, die es 
möglich macht, sich ihm unbemerkt zu nähern, ja ihm sogar 
unbemerkt den Bauch aufzuschneiden. Der Wolf darf nicht 
etwa aufwachen, fortlaufen, sich wehren, den Plan hindern. Auch 
mufs er seine wohlverdiente Strafe sogleich empfangen. Man 
betrachte daraufhin gleichviel welches Märchen, der Charakter 
der Handlung bleibt immer der gleiche. Dem Wunsch des 
Hörers wird ein eminenter Einflufs auf die Entwicklung der 
Handlung zugestanden — das ist eine einzig im Märchen zu 
beobachtende Eigenheit der Darstellungstechnik. 

Diese Tatsache weist uns aber sogleich auf eine Eigenheit 
des kindlichen Hörers, im Unterschied zu der Kunstauffassung 
des Erwachsenen. Zwar wird auch dieser sich nicht völlig von 
Sympathie und Antipathie gegen die im Drama oder Roman 
handelnden Personen freimachen können, wird nicht völlig seine 
Wünsche und bestimmten Erwartungen unterdrücken können — 
und doch steht er letzten Endes dem Werk mit der ruhigeren 
Objektivität gegenüber, die allein es dem Künstler erlaubt, die 
Entwicklung der Personen nach dem ihnen selbst innewohnenden 
Gesetz zu leiten. Ja, man hält es sogar für ein Merkmal der 
Unbildung oder Unreife, wenn dem Erwachsenen das Verständnis 
für die Notwendigkeit solcher Entwicklung fehlt, und die eigent- 
lich künstlerische Betrachtung setzt erst da ein, wo die subjektive 
aufhört. Ä 

‘Eben diese Unreife aber charakterisiert naturgemäfs die kind: 


Das Märchen und die Phantasie des Kindes. 63 


liche Auffassung. Kunst in unserem Sinne gibt es für das Kind 
nur ausnahmsweise. „Schön“ ist für das Kind die Geschichte, 
welche ihm Freude macht oder es rührt. Die Beurteilung geht. 
aus Affekt und Gefühl hervor, und aus ihnen heraus erfolgt auch 
die Stellungnahme des Kindes zu der Fülle der Geschehnisse. 
Sein Wunsch und seine Erwartung sind da vor allem richtung- 
gebend. 


Für die Richtlinien kindlichen Wünschens und Wollens wie 
seines Denkens sind daher die Ereignisse des Märchens und ihre 
Anordnung sehr bezeichnend. Viel Aufregendes soll geschehen, 
selbst fremdartigen Grausamkeiten hält die ungebrochene Nerven- 
kraft des Kindes stand. Auch Trauriges darf sich ereignen, da 
wird reichliches Mitleid gezollt. Aber am Schlufs mufs es harm- 
los befriedigend ausklingen. Ich habe nur ein GrımMsches 
Märchen mit tragischem Abschlufs finden können (Der singende 
Knochen (28). Optimismus und Gerechtigkeitssinn schreiben den 
Ausgang des Märchens vor. Die gerechte Verteilung von Lohn 
und Strafe ist Voraussetzung für ein befriedigendes Ende.! 

Aber wie erklären wir diesen auffallenden Widerspruch des 
kindlichen Kunstbedürfnisses, das einerseits nicht genug des Auf- 
regenden, Grausamen, Traurigen bekommen kann, andererseits. 
oft geradezu ängstlich darauf bedacht ist, am Schluls zu heiteren, 
versöhnlichen, alles beilegenden Bildern zu gelangen?? Man mag 
hier von der Schwäche und dem durch sie bedingten Optimismus 
des Kindes reden, doch werden wir noch zu tieferliegenden 
Gründen und tieferer Einsicht gelangen, wenn wir in dieser Hin- 
sicht einen Vergleich zu dem Kunstbedürfnis des Erwachsenen 
ziehen. Wir denken jetzt an dessen tragische Kunst, also etwa 


! Aber einschränkend hierzu vgl. S. 16. 

3 Eine Mutter berichtet uns, dafs ihr kleiner Sohn Märchen mit. 
traurigem Schlufs niemals hören wollte und sich schon vor Beginn der 
Geschichte eines glücklichen Endes zu vergewissern pflegte. — Hierher ge- 
hören auch zwei Notizen von E. und G. Scurin (32) S.147: „Er (Bubi, dem 
das Märchen von Rotkäppchen zum erstenmal erzählt wurde) seufzte in 
den Augenblicken grofser Gefahr tief auf, verweilte aber bei diesen sicht- 
lich am liebsten“ und S. 156: „Es wurde ihm recht drastisch erzählt, wie 
der Wolf das Rotkäppchen frafs, da schrie er in ängstlicher Abwehr: „Nein, 
nein, der Wolf soll nicht das Rotkäppchen aufessen, das Rotkäppchen sagt: 
mein, du undefsogen Wolf!“ Allerdings ist hier auch eine andere Inter- 
pretation denkbar, indem die Abwehr des Kindes sich möglicherweise gegen. 
die drastische Ausmalung, d. h. allgemein gegen das Gräfsliche wendet. 


64 Charlotte Bühler 


eine Tragödie. Schon oft sind Nachforschungen darüber an- 
gestellt worden, wie man sich den „Grund des Vergnügens an 
tragischen Gegenständen“, um mit Schiller zu reden, zu erklären 
habe. Ziehen wir gleich seine, später oft wiederholte Erklärung 
des Tragischen hier heran, ohne indes unsere Folgerungen not- 
wendig von ihr abhängig zu machen. Die Lust an dem tragischen 
Geschick eines Wesens, das unseres Mitleids würdig scheint, ist 
Lust als ein Bestandteil dieses Mitleids, welches Leid und Lust 
zugleich enthält, und bleibt noch Lust, wenn der Untergang des 
Helden doch zugleich ein Sieg einer höheren sittlichen Idee ist. 
Gibt es beim Kind etwa ein ähnliches Bedürfnis? Mir scheint, 
bereits im Kinde ist der Sinn für diese Kunstform angelegt. Zu- 
nächst die Lust an den tragischen Schicksalen einer Lieblings- 
person, das stimmt. Lebhaftes Mitleid wird gespendet. Aber 
der Schlufs? Warum darf der Held nicht erliegen und durch 
einen Tod den Sieg einer Idee besiegeln? Einfach genug, wir 
stehen hier wieder an einer Grenze intellektueller Leistungsfähig- 
keit des Kindes. Den Sieg einer Idee, während der Held doch 
stirbt, würde es nie erfassen. Nur an dem geretteten, siegreichen, 
mit Glück und Lob belohnten Helden wird ihm der Sieg des 
ideell Wertvollen fafslich, weil sichtbar und real vorhanden. Wir 
finden also hier in den dem kindlichen Verständnis angepafsten 
Verhältnissen die Elemente allgemeiner künstlerischer Gesetze 
wieder. 

Aus dem bisher Gesagten werden wir schliefsen, dafs eine 
Handlung mit vorher disponiertem Verlauf wünschenswert ist, um 
volles Verständnis zu erzielen, dafs das Kind nicht fähig ist, 
ohne vorherigen Hinweis eine Entwicklung vorwegnehmend zu 
überschauen, dafs es auch unvorhergesehene Komplizierungen 
nicht mit zu verarbeiten vermag. Die Explikation löst ın 
eine Unzahl von Einzelakten auf, was in der Disposition angelegt 
ist. Der Zweck dieser Auflösung ist nicht etwa Detailschilderung, 
sondern Bereicherung des Geschehens und lebhafte Ver- 
anschaulichung des Geschehens. Beide Gesichtspunkte sind 
aulserordentlich wesentlich. 

Genau betrachtet geschieht im Märchen ja nicht mehr als 
anderswo auch. Ein Wolf frifst sieben Geilslein, die ihn gegen 
Verbot der Mutter bei sich einlielsen; doch ereilt ihn die gerechte 
Strafe. Eine Prinzessin, welcher der frühe Tod durch einen 
Spindelstich prophezeit ist, wird infolge ihres Ungehorsams trotz 


Ws. 


"Mën, mu We, VA 


Das Märchen und die Phantasie des Kindes. 65 


aller Vorsichtsmalsregeln von ihrem Geschick ereilt; nach hundert- 
jährigem Schlaf wird sie erlöst. Eine Prinzessin läfst ihre Gold- 
kugel in den Teich fallen; ein Frosch holt sie ihr heraus, nach- 
dem sie ihm versprochen hat, ihn zu ihrem Genossen zu machen; 
gegen ihr Sträuben vom Vater gezwungen, ihr Versprechen zu 
halten, erlöst sie dadurch den zum Frosch verzauberten Prinzen, 
mit dem sie sich dann vermählt. Aber diese kurzen Handlungen 
sind in so zahlreiche kleine Einzelmomente zerlegt, dafs sie reich 
an Ereignissen scheinen. Wie wird diese Wirkung erzielt? 

Was wir hier in knapper Form darstellen konnten, weil wir 
nur die Grundgedanken heraushoben, mufs dort so weitläufig 
werden, weil der Gedanke in anschauliche Bilder aufgelöst wird. 
Es heifst nicht: um die Geifslein zu täuschen, wandte der Wolf 
folgende List an — sondern in einfachem Nacheinander wird 
umständlich berichtet, was der Wolf nun tat und nun tat und was 
der schliefsliche Erfolg war, so dafs wir die einzelnen Stadien der 
Handlung miterleben und den Wolf auf seinen Gängen in der 
Vorstellung kontinuierlich begleiten können. Ebenso wird uns in 
allen Einzelheiten berichtet, wie es dazu kommt, dafs die Prinzessin 
die verbotene Spindel doch berührt, dafs die Froschprinzessin ihr 
Versprechen brechen möchte und doch halten mufs usw. Von 
den Absichten, dem Vorhaben, dem Gedanken, der dem Tun 
vorangeht, erfahren wir nichts, dafür wird uns alles Tun selbst 
ausführlich vorgeführt. Daher einerseits der Reichtum des Ge- 
schehens, andererseits seine Anschaulichkeit. 

Durch die Disposition und die Einzelheiten der Darstellung 
wird also das Gedankliche umschrieben nahegelegt, der Gedanke 
selbst wird nicht entblöfst. Die Disposition legt es zu späterer 
Zusammenfassung zurecht. Der gedankliche Prozefs ist umgesetzt 
in die aus ihm resultierenden anschaulichen Vorgänge. Bo ge 
buet e dem Märchen, der Literatur der Jüngsten, mit Mitteln 
der Anschauung allein seine Handlung aufzubauen. 

Auch emotionale Erlebnisse werden gern durch ihre ob- 
jektiven Kennzeichen fixiert. Sie werden nicht beschrieben, nicht 
genannt, sondern in Handlungen, Ausdrucksbewegungen vorge- 
geführt. Es heifst nicht: das kleine Mädchen war traurig, sondern : 
es weinte. Überall verweist diese Darstellungstechnik den Hörer 
auf die Aufsenwelt, die er schaut. Diese ist der Schauplatz 
alles Geschehens. Eine Innenwelt wird nur erschliefsbar an- 
gedeutet, sie gewinnt noch keine selbständige oder gar ausschliefs- 

Beiheft zur Zeitschrift für angewandte Psychologie. 17. 5 


66 Charlotte Bühler. 


liche Bedeutung wie in der Literatur des Erwachsenen. — Das 
entspricht der Lebensweise des Kindes. Das Kind lebt draufsen 
in seiner Umgebung, es kennt noch keine reflektierende Selbst- 
schau, kein In-sich-sein. Es kennt auch nicht die Tragweite des 
seelischen Lebens, des Gedankens, des Willensentschlusses, des 
Motivs. Man fesselt es nur, indem man ihm den Effekt vorführt. 
An diesen knüpft es auch stets mit seinen Fragen und Über- 
legungen ‘an. Es fragt nach Dingen, die es sieht und die ge- 
schehen, nicht nach Erlebnissen der Innenwelt. 

Aus der Anschaulichkeit alles Geschehens im Märchen folgt 
seine Kontinuierlichkeit. Was sich dauernd vor unseren 
Augen abspielt, kann nicht plötzlich abgebrochen werden. Unsere 
Augen lassen es gleichsam nicht los, verfolgen es imıner weiter 
überall hin. Nur da wo nicht der Verlauf des Geschehens als 
solcher interessiert, kann ein plötzlicher Abbruch erfolgen. Der 
Roman bringt uns eine Situation, einen Vorgang, der für die 
Entwicklung der Personen, für ihre Lebensweise und ihren Lebens- 
kreis besonders charakteristisch ist. Solcher Vorgänge greift er 
beliebig viele, in kleinerem oder grölserem Zeitabstand mit geringerer 
oder grölserer Vollständigkeit heraus. Das Märchen aber will 
alles wissen, was der Held tut oder erlebt. Wo grölsere Zeit- 
abstände übersprungen werden sollen, da müssen sie entweder 
ignoriert werden, oder besondere technische Kniffe sind anzu- 
wenden. Wir wissen bereits, dals das Märchen sich solcher be- 
dient. Durch Zauber versetzt es die Personen schnell an einen 
neuen Ort, an dem die Handlung weitergehen soll, wie Mephisto 
den Faust im Zaubermantel in Auerbachs Weinkeller entführt. 
Die Personen schlafen ein und erwachen in neuer Umgebung 
oder doch in neuer Situation. So wird die Zeit des Stillstandes, 
des Nichtgeschehens, des unbemerklichen Werdens kurzerhand 
übersprungen. Da wo das Märchen einsetzt, ist immer gerade 
ein Stadium reichsten Geschehens. Auch hier weicht die Technik 
des Romanes ab. Sie entfaltet ihre grölste Kunst oft gerade in 
der Schilderung des bedeutungslosen, aber für das wirkliche 
Leben charakteristischen Alltags. Im Märchen gibt es keinen 
Alltag. Der Ungebildete entflieht ihm durch das Märchen und 
begibt sich in das Reich seiner Wünsche und Träume; das Kind 
aber kennt den Alltag noch nicht oder doch nur seine eine Seite, 
die Langeweile, welche mit Geschäftigkeit überwunden wird. Dem 
entspricht das Märchen, welches geschäftig Geschehen an Ge- 





Das Märchen und die Phantasie des Kindes. 67 


schehen reiht. und die Langeweile überspringt. Es erhält in 
dauernder Spannung, wozu nicht zum wenigsten die dispositionelle 
Vorwegnahme beiträgt. 

Das Märchen hat nirgends das Interesse, realistisch oder 
künstlerisch darzustellen. Es wählt seine Darstellungsmittel nicht 
bewulst. Frei von solchen Rücksichten will es einzig durch seinen 
spezifischen Inhalt den Hörer fesseln. Daraufhin wählt es Per- 
sonen und Dinge und benutzt es die Darstellungsmittel zu ihrer 
Charakteristik. Man kann nicht schlechthin sagen, dafs es alles 
Unnötige weglasse. Es ist nicht bewulst sparsam, es vereinfacht 
nicht etwa aus künstlerischem Prinzip, sondern es nimmt auf, 
was ihm gerade in den Weg läuft und interessant genug scheint. 
So ist der Schmuck der Darstellung dufserst karg bemessen, 
das sahen wir schon an dem Mangel an Beiwörtern." Nirgends 
wird mit Absicht und Aufmerksamkeit der Blick auf Dinge und 
Personen geheftet, was im Vorübergehen von Tat zu Tat gerade 
auffällt, wird uns gezeigt. So wird denn auch durchaus nicht 
immer gerade das Wesentliche und Charakteristische hervor- 
gehoben. An Bildern und Vergleichen fehlt es naturgemäls 
ganz.? Etwa zwölf wirkliche Vergleiche und zwei Metaphern 
konnte ich in den ganzen Grimmschen Märchen auffinden. Hier 
stofsen wir offenbar noch auf eine besondere Unfähigkeit des 
kindlichen wie auch des ungebildeten Hörers. Er sieht der- 
gleichen nicht oder sieht es doch nur in der realen Anschauung, 
nicht in der Vorstellung. 

Die einzige metaphorische Übertragung, der wir unausgesetzt 
begegnen, ist die des Wortes „golden“. Mit ihr hat es, abgesehen 
von ihrer rein formelhaften Anwendung auf alles, was prächtig 
und reich scheinen soll, noch eine besondere Bewandtnis. Golden 
sind Teller, Becher, Bestecke, Früchte, Tische, Stühle, Thron und 
Krone, Haare, Kleider, Federn, Blätter und Apfel, der Regen der 


ı Die Brüder Grimm haben bei ihrer Darstellung aus eigenem künst- 
lerischen Empfinden schon vieles eingefügt, was wir in echt volkstümlichen 
Darstellungen gar nicht finden. Man vergleiche die nach dem Bericht ein- 
facher Leute wörtlich wiedergegebenen plattdeutschen Märchen von 
WısskrR (43). 

? Inwieweit Bilder in den Märchenbüchern die knappe Schilderung 
ergänzen müssen, um etwa überhaupt erst dem Märchen eine eindringliche 
Wirkung auf das Gemüt des Kindes oder volles Verständnis bei ihm zu 
verschaffen, das zu beurteilen, ist allerdings der empirischen Forschung 
vorbehalten. 


Dë 


68 Charlotie Bühler. 


Frau Holle, die Kugel oder der Spielball der Prinzessin. Die 
metaphorische Verwendung des Wortes golden gehört zu der 
Reihe einfacher Übertragungen, von denen das Märchen 
statt Vergleich und Metapher Gebrauch macht und die wir jetzt 
näher betrachten wollen. Die einfache Übertragung ist wohl zu 
unterscheiden von der bei Bild oder Vergleich (vgl. S. 72ff). Sie 
ist die einfachste und früheste Umbildung gegenüber der Wirk- 
lichkeit, die erste Leistung der neubildenden Phantasie, eine 

noch frühere Erfindung als Verwandlung und Neukombination. 
Wir haben sie schon gelegentlich als Analogiebildung erwähnt 
und wollen jetzt ihre verschiedenen Formen zusammenstellen. 

Als Übertragung von Eigenschaften und Handlungen haben 
wir die Allbeseelung bereits kennengelernt. Man hat der 
Allbeseelung schon von jeher in der Literatur so eingehende Be- 
trachtungen gewidmet, und die Erscheinung ist so hinlänglich 
bekannt, dafs wir nicht ausführlich darauf einzugehen brauchen. 
Wir weisen nur darauf hin, dafs sowohl STERN ! wie auch SuLLY ° 
die Allbeseelung, welche die Grundlage aller Mythenbildung * ist, 
durch analogistisches Denken entstanden glauben. Wir haben 
also in der Allbeseelung unstrittig eine erste Form analogisti- 
scher Ubertragung. 

Auf der Allbeseelung, welche das Menschliche auf die Welt 
der Tiere und leblosen Dinge wie auf die gesamte Natur über- 
trägt, beruht letzten Endes die Erfindung der mythischen Ge- 
stalten, also auch unserer Fabelwesen. WILLIAM STERN weist dies 
ausführlich nach. Dabei mus man wohl unterscheiden: den 
Glauben an ihre Existenz und die Ausgestaltung, die ihr Aus- 
sehen durch die Vorstellungen erfährt, d. h. die Art, wie man 
sie sich denkt. Wenn auch die Erfindung mythischer Geschöpfe 
letzten Endes auf Analogieschlüssen beruht, so ist der Glaube an 
ihre Existenz, ihre Einführung und ihr Verlarren in der Phan- 
tasie der Menschen doch ein neuer gedanklicher Akt. Nur die 
Tatsache der Allbeseelung, die zugrunde liegt, und die Aus- 
gestaltung ihres Wesens, sowie die Ausstattung ihrer Erscheinung 
sind analogistische Übertragungen. 

Auf der zweiten Form analogistischer Übertragung, der 
Ausstattung ihrer Erscheinung beruht die analogistische Um- 


ı WILLIAM STERN (37). 
® Surcy (41) 8. 26. 
® Mythenbildung als Analogiebildung auch bei Wunpr (44) S. 76ff. 


Das Mürchen und die Phanlasie des Kindes. 69 


bildung der Proportionsverschiebung. Das Qualitative 
der Erscheinung unterscheidet sich nicht von ınenschlichem Wesen 
und Aussehen, das Quantitative aber ist über menschliches Mals 
hinaus gesteigert, umgebildet nach Analogie. Verschiedene be- 
kannte Qualitäten treten in so extremer Form auf, dals sie wie 
Neubildungen gegenüber der Wirklichkeit wirken. Zu diesen 
Proportionsverschiebungen gehört erstens die als Vergrölsern 
und Verkleinern bekannte Erscheinung, zweitens aber die als 
Übertreibung bezeichnete Steigerung und Häufung. 

Die Steigerung und Häufung, das beim Kinde so beliebte 
Übertreiben, ist auch ein beliebtes Stilmittel der Literatur des 
Kindes. Einerseits scheint dabei das Übertreiben als solches dem 
Kinde wie übrigens noch manchem Erwachsenen Vergnügen zu 
bereiten; andererseits ist es aber ein ernstgemeinter stilistischer 
Notbehelf für mangelnde Ausdrücke. Auch in der klassischen 
literatur des Erwachsenen begegnen wir dem „Steigerungs- 
phänomen“. Doch wird dort eine Steigerung nur zur Ver- 
schärfung einer Charakteristik, zur Hervorhebung eines Bildes 
in bewulst begrenztem Mafs und Umfang angewandt, während sie 
in aller Volksliteratur aus dem schon von F. von DER LEYEN ver- 
merkten „Hang zum Massenhaften“ ! hervorgeht und durch keine 
Regeln des Geschmacks in ihrer Ausdehnung gehemmt wird. 
In einem interessanten Aufsatz über „das Steigerungsphänomen 
beim künstlerischen Schaffen“ ? weist O. STERZINGER die Bedeutung 
der Steigerung als Vergrölserung, Vervielfachung und Verstärkung 
für das Zustandekommen des poetischen Vergleiches nach. Es 
dürfte kein Zufall sein, dafs das Material, an dem allein 
in grölserem Umfang das Steigerungsphänomen nachgewiesen 
werden kann, gerade der poetische Vergleich ist. Aufserhalb der 
Bildersprache, der uneigentlichen, indirekten Charakterisierung 
in der literarischen Darstellung wird sich kaum die Tendenz zur 
Steigerung, als quantitative Steigerung betrachtet, nachweisen 
lassen. Den Ausdruck auch auf qualitative Verschärfung, Kon- 
kretisierung, grölsere Prägnanz der Darstellung eines Objektes 
im Verhältnis zu dem Objekt selbst auszudehnen, halte ich nicht 
für ratsam. STERZINGER selbst erwähnt die sich daraus ergeben- 
den Schwierigkeiten der Beurteilung. Rurtas, der aus der Be- 


! Volkeliteratur und Volksbildung (21) S. 116. 
2 (39). Vgl. auch (40) S. 16 ff. 


70 Charlotte Bühler. 


obachtung des Phänomens beim Anhören von Tonwerken ein 
Gesetz von allgemeinerer Gültigkeit, das Gesetz der Progression, 
ableiten will, weils in der Literatur aulser Vergleich und Metapher 
in der Hauptsache noch die Sagen und mythologischen Vor- 
stellungen ! — also die Volksliteratur, zu der unser Märchen ge- 
hört, als Beweismaterial anzuführen. Die Quantifizierung, 
die in der klassischen Literatur sich in die Bildersprache des 
Vergleiches zurückgezogen hat, begegnet uns in der Volksliteratur 
als fast ausschlielsliches Stilmittel auf Schritt und Tritt. 

Was die psychologische Deutung der Quantifizierung an- 
langt, so haben wir die Erscheinung unter die Analogiebildungen 
eingereiht und uns damit der Auffassung von Rutas genähert, 
der das Zustandekommen der Progression als Substitution er- 
klärt. STERZINGER stellt demgegenüber den Prozefs einer Unter- 
schiebung (ein Ausdruck, der m. E. den Gegensatz nicht über- 
mälsig klar hervortreten läfst). Die Unterschiebung ist nach 
STERZINGERS Protokollbeispielen bald als eine steigernde Ausge- 
staltung °, bald als eine Verschmelzung ? von Vorstellungen an- 
zusehen. STERZINGER bemerkt im Verlauf seiner Argumentation, 
dafs Rurus seine Schlüsse eben nur aus fertigem Material ge 
zogen, den Schaffensakt selbst aber nicht beobachtet habe. Ge- 
rade aus diesem Unterschied ergeben sich, wie mir scheint, die 
beiden Gesichtspunkte für die Beurteilung der beiderseitigen Be- 
hauptung. Vom Standpunkt des Schaffenden aus mag in 
der Tat eine steigernde Ausgestaltung und Verschmelzung für 
die Erklärung der Quantifizierung in Betracht kommen, für den 
künstlerisch Genie/senden aber verläuft der Prozels beim 


1 Far die Progression als qualitativ steigernde Ausgestaltung genommen 
findet er natürlich auch in anderer Dichtung Belege. 

® Vgl. Protokoll 89: „Wie grofse Brummfliegen summt das Milsver- 
gnügen um mich herum.“ — „Ich bin sehr mifsmutig gestimmt, liege auf dem 
Sofa und blicke gegen die miflsfarben-grünliche Wand und den mifsfarbenen 


Vorhang. Eine Fliege summt herum; ...“ „Aus der Fliege wird Brumm- 
fliege, ihre Laute (Lautheit) und damit ihre Gröfse wird unwillkürlich ver- 
grölsert, .. .. das ganze ist ein ‚Aufgehen, Voluminös-Werden‘.“ 


® Vgl. Protokoll 41: „Das Auto sprang wie ein plumper Dickhäuter in 
grolsen Sätzen die Strafse herab.“ „Ich höre ein schweres Lastautomobil 
durch die Strafsen fahren. Steigerung: Vorstellung von einem Auto, das 
rascher fährt, dann von einem, wie es die Strecke von einem Strafsen- 
ende... bis zum anderen Ende in einem Ruck durchfährt, in diesem 
Augenblick habe ich schon die Unterschiebung des Sprunges eines rasenden 
Tieres usw.“ 


Das Miirchen und die Phantasie des Kindes. 71 


Verstehen des Bildes doch wesentlich anders. Für ihn ist ja nicht 
die zugrunde liegende Objektsvorstellung das Primäre, aus der 
sich dann die gesteigerte Vorstellung entwickelt, sondern er wird 
sogleich an diese herangeführt und setzt sie von vornherein, analog 
beobachteten Erscheinungen, mit der gewünschten Steigerung. Vom 
Standpunkt des einem Märchen lauschenden Kindes aus werden 
wir daher die Ansicht beibehalten, dafs die Quantifizierung eine 
analogistische Betätigung auslöst. 

‚Die Quantifizierung der Ausdrücke muls die Diffe- 
renzierung eines reicheren Sprachschatzes ersetzen. Auf den 
roheren und ungebildeteren Geist wirkt überall die Quantität, erst 
der verfeinerte Geist differenziert statt dessen die Qualität. Die 
Ausdrucksweise des Märchens ist diesen Verhältnissen wieder 
völlig adäquat. Die Quantifizierung wird hier zum Stilmittel und 
äulsert sich in verschiedenen Formen. 

Zunächst macht sich das Prinzip der Steigerung und Häu- 
fung bei den Aufgaben als Quantifizierung der Schwierig- 
keit geltend. Die Schwierigkeit und Unlösbarkeit der dem Hel- 
den gestellten Aufgabe beruht meistens nicht auf der Art der 
Aufgabe, sondern auf dem Mats, d bh ihrer unendlichen Fein- 
heit oder Mühseligkeit. Viel häufiger als der Kampf mit dem 
Drachen oder dem Wildschwein sind im Märchen Aufgaben fol- 
gender Art: ein Haufen Linsen oder Federn soll aus der Asche 
gelesen werden, ein ganzer Wald, ein Berghang voll Dornbüsche 
soll in kurzer Zeit abgehauen, ein Berg in kurzer Zeit abgetragen, 
ein Schlo[s in kürzester Frist errichtet sein, ein Teich mit einem 
Löffel schnell ausgeschöpft werden, und dgl. mehr. Nur durch 
eine Häufung der Arbeitsmenge entsteht die Lösungsunmöglichkeit. 

Ähnlich sind Steigerung und Häufung Stilmittel zur Be- 
zeichnung des Au[lserordentlichen einer Eigenschaft. Beide 
Male verdeckt das Stilmittel den natürlichen Mangel. Es ge- 
bricht der Märchendarstellung das eine Mal am Raffinement der 
Erfindung, das zweite Mal an der Feinheit der Ausdrucksmittel. 
Da es qualitativ unlösbare Aufgaben nicht raffiniert genug zu 
ersinnen weils, muls es sie quantitativ häufen. Da ihm Worte 
und Ausdrucksmittel zur prägnanten Charakterisierung des Aulser- 
ordentlichen abgehen, so mufs es in seinem Wortkreis quantitativ 
steigern. | 

Am hübschesten kommt das zum Ausdruck in dem Märchen 
vom Fischer und seiner Frau (19). Die Rangerhöhung vom König 


12 Charlotte Bühler. 


zum Kaiser weils das Märchen nur dadurch zu bezeichnen, dafs 
es den hohen Thron des Königs sich noch zu zwei Meilen er- 
höhen läfst. Statt aus Gold und Edelstein ist er nun auch aus 
einem grolsen Stück Gold. Und als die Fischerin sogar Papst: 
wird, bekommt sie eineu noch höheren Thron und statt einer 
Krone drei Kronen auf den Kopf. Die Herrlichkeit ihres Hof- 
staates wird dadurch markiert, dafs sie als König zu ihren beiden 
Seiten in langer Reihe Jungfern stehen hat, eine immer um einen 
Kopf kleiner als die andere; als Kaiser aber Trabanten in zwei 
Reihen, immer einer kleiner als der andere, vom allergröfsten 
Riesen, der war zwei Meilen lang, bis zum allerkleinsten Zwerg, 
„der wöör man so groot as min lütlje Finger“; und als Papst zwei 
Reihen Lichter, das grölste so dick und so grols wie der aller- 
grölste Turm „bet to dem allerkleensten Käkenlicht“. Das Märchen 
kann sich hier gar nicht genug tun in der Steigerung der ganz 
einfachen Dinge, zu den ungeheuren Dimensionen, die sie ihm 
zu etwas Besonderem gestalten. Ä 

Neben der Lust am Übertreiben und dem Mangel an Aus- 
drücken besteht beim Kinde wohl auch eine Unkenntnis der 
normalen Grölsenverhältnisse, welche es in dieser Ausdrucksweise 
unterstützt. Doch kann man die Vermutung aufstellen, dafs 
es gerade im Märchenalter Proportionen kennen 
lernt und übt, weil es solche auffallende Freude an ihren 
mannigfaltigen Verschiebungen bekundet. . 

Endlich lernen wir eine dritte Form der analogistischen 
Übertragung kennen, die Merkmalsübertragung. Es ist die 
Form, mit der auch Groos sich beschäftigt, wie wir schon oben 
sahen (S. 29), die Übertragung von Eigenschaften auf Gegen- 
stände, denen sie ursprünglich gar nicht zukommen. Wie ver- 
halten sich zunächst diese von uns in Betracht gezogenen Über- 
tragungen zu Metaphern und Vergleichen? Wenn wir mit 
WILLIAM Stern als das „integrierende Moment“ der Metapher an- 
sehen: die „Benennung eines Gegenstandes mit dem Namen eines 
- anderen, ohne dafs diese Benennung die Wesensgleichheit der 
beiden involvierte“,! wenn wir ferner mit StERN die Metapher 
unter die Erscheinungsformen der Analogietätigkeit einreihen, so 
haben wir zweifellos damit auch das Wesen unserer Merkmalsüber- 
tragung charakterisiert. Doch wenn wir weiterhin mit W. STÄHLIN 





ı Stern (37), S. 153. 


Das Märchen und die Phantasie des Kindes. 73 


als „eigentliche Metaphern“ nur diejenigen Fälle in Betracht 
ziehen, „bei denen eine Bewulstseinslage der doppelten Bedeu- 
tung vorhanden und ein metaphorisches Verstehen möglich ist“,! 
so fallen aus diesem Rahmen unsere Übertragungen heraus. 


Unter sie sollen nur solche Fälle mit einbegriffen sein, in 
denen bestimmte Handlungen oder Eigenschaften einem Gegen- 
stand zugeschrieben werden, dem sie sonst nicht zukommen, und 
zwar solche Handlungen und Eigenschaften, die ohne Schwierig- 
keit an jenem Gegenstand vorgestellt oder gedacht werden können. 
Es soll also ein Bewulstsein der doppelten Bedeutung, eine Zwei- 
heit der Sphären, nicht auftreten. Solche Fälle bezeichnen wir 
als einfache Merkmalsübertragungen, die von den Meta- 
phern zu unterscheiden sin? Diese überaus einfachen, den Ver- 
gleich und die Metapher höchstens vorbereitenden Fälle sind die 
einzigen, die sich wirklich häufig im Märchen nachweisen lassen, 
vor allem im Gebrauch des Wortes „golden“. An eigentlichen 
Metaphern und Vergleichen ist das Märchen, wie schon bemerkt, 
sehr arm, und in Übereinstimmung mit anderweitigen Erfahrungen 
müssen wir annebmen, dafs hier die Schwierigkeiten für das 
Verständnis zu grofs sind. Gerade jene Zweiheit der Sphären, 
die für das Verständnis der Metapher und des Vergleiches ent- 
-= scheidend sind, zugleich zu beherrschen, ist das Kind offenbar 
nicht fähig. Dagegen ein Blatt, das sonst grün oder rot oder 
braun ist, nun einmal golden vorzustellen, kann ihm nicht schwer 
fallen. | 


Man wende nicht ein, dafs das Kind selber doch so häufig 
in Metaphern und Vergleichen sich ausdrücke, die kinderpsycho- 
logische Literatur habe zahlreiche solche Beispiele zusammen- 
getragen. Gegen diesen Einwand bemerkt mein Mann,? dafs 
der Vergleich in der Wahrnehmung etwas anderes ist wie 
der in der Vorstellung. Denn, wie wir im Anschlufs an 
Stiuuın fortfahren, der literarische Vergleich erfordert die un- 
mittelbare Vergegenwärtigung zweier verschiedener Sphären in 
der Vorstellung. Dazu ist das Kind ganz gewils nicht fähig. 
Beim Wahrnehmungsvergleich ist die eine der Sphären als an- 
schauliche Situation gegeben, nur die zweite braucht in der Vor- 
stellung aus der Erinnerung ergänzt zu werden. Es ist interessant, 


1 (84) S. 328. 
2 a. a. O. 


74 Charlotte Bühler. 


wie bei einer der wenigen Metapbern des Märchens die blofse 
Analogiebildung auch noch überwiegt, ohne dafs ein eigentliches 
Ausdenken des Bildes erwartet wird. Im Dornröschen (50) schläft 
nämlich das Feuer auf dem Herde ein, als Dornröschen den 
Spindelstich empfängt. Aber dieses Feuer schliefst sich nur einer 
grolfsen Reihe anderer Schlafender, dem gesamten Hofstaat und 
Küchenpersonal an, denen analog es sich verhält. 


In Abweichung zu Groos stellen wir also nochmals fest, dafs 
es zum Verständnis der einfachen Übertragung keiner Kombi- 
nationsleistung bedarf, sondern dafs sie in ihren verschiedenen 
Formen als Analogiebildung hinreichend erklärt ist. 


Von einer Handlung des Märchens haben wir bisher nur im 
Sinne einer Folge von Taten und Abenteuern gesprochen und 
die Mittel zu ihrer Darstellung im einzelnen verfolgt. Wie wird 
nun das Ganze als Ganzes einigermafsen zusammengehalten? 
Einen gewissen Halt gibt der Sache die dispositionelle Vorbe- 
reitung, welche meist einzelnen Teilen, bisweilen aber auch dem 
Ganzen vorangestellt ist. Doch vor allem stiftet den Zusammen- 
hang natürlich die Person des Helden. Aber in welcher 
Weise? Nicht etwa, dafs seine Persönlichkeit die Grundlage für 
das Ganze abgäbe, sondern nur in der äufserlichen Form, dafs 
sie Träger all der Einzelheiten ist. Es gibt keine Gesamthand- 
lung, die aus dem Charakter des Helden hervorwüchse. Es sind 
einzelne Eigenschaften an ihm zu beobachten, und diese geben 
den Anstols zu einzelnen Taten, Verstöfsen und Leistungen; doch 
sind sie unwandelbar, sind von Anfang an da, entwickeln sich 
nicht, sind einfach als gegeben hinzunehmen, und die Gesamt- 
entwicklung der Handlung ist unabhängig von ihnen wie von 
jedem Motiv überhaupt. An eine Motivation der Handlung, der 
von dem einzelnen Tun des Helden unabhängigen Begebnisse 
denkt das Märchen überhaupt nicht. Niemals wird, wie im guten 
Roman, der Held in einen gröfseren Lebenszusammenhang hinein- 
gestellt, in dem alles Geschehen untereinander verkettet ist. Zu- 
sammenhangslos tritt er aus einem Milieu in ein anderes, be- 
gegnet ihm dies oder jenes durch Zufall. Das Märchen hat 
keinerlei Bedürfnis nach Motivation der Handlung. Dem Kind 
ist das nicht wunderbar oder anstöfsig. Was ihm begegnet, nimmt 
es auch als Zufall, als vereinzelte Begebenheiten hin, zwischen 
denen es kausale Zusammenhänge nicht vermutet, deren Zu- 


Das Märchen und die Phantasie des Kindes. TD 


sammenfassung es nicht versucht und auch nicht zustande brächte. 
Es lebt sorglos von einem Geschehen zum anderen. 

Was will es nun besagen, dafs die Sukzession des Geschehens 
wieder nicht kombinatorisch in Beziehung gesetzt und gefiigt ist, 
sondern in ihrem losen Nacheinander belassen, aber doch von 
einer Person als Träger zusammengehalten wird? Warum dann 
diese äufserliche Zentralisation? Sie ist nicht so ganz äulserlich, 
wie sie scheint, wie sie der denkenden Einsicht in die 
Struktur des Ganzen vorkommen mufs. Der zentrale Beziehungs- 
punkt des Märchens ist freilich kein gedankliches Zentrum und 
gibt keinen gedanklichen Zusammenhalt. Doch ist er ein ein- 
heitlicher Beziehungspunkt für das Gefühl. Alles subjektive 
Interesse, welches ja so wesentlich für die Aufnahme literarischen 
Stoffes durch das Kind ist, alles beteiligte Mitgefühl sammelt 
sich um dieses Zentrum, welches der Märchenheld darstellt. Wir 
beobachten in dieser Struktur wieder ein Zurücktreten des In- 
tellektuellen zugunsten des Affektes. 

Die ganze äulserst kunstlose Darstellungsweise des Märchens, 
welche wir auf den vorangehenden Seiten betrachtet haben, 
welche sich der primitivsten, jedem zugänglichen Stilmittel be- 
dient, ermöglicht und unterstützt seine mündliche Überlieferung. 
Ein erzählter Roman wäre nicht mehr, was er ist. Die Durch- 
dringung von Inhalt und Form ist hier eine so vollständige, die 
Abhängigkeit der inhaltlichen Wirkung von jeder subtilen Nuance 
des Ausdrucks eine so grolse, dafs der Roman erst durch seine 
schriftliche Fixierung entsteht und nur in ihr besteht. Ganz 
anders beim Märchen. Auf den einzelnen Terminus kommt es 
hier niemals an. Ja selbst die Personen, der Ort und das Milieu 
können von Fassung zu Fassung wechseln, und doch kann der 
Kern derselbe bleiben. Es besteht hier die denkbar gréfste Un- 
abhängigkeit von Stoff und Form. Der eigentliche Gehalt sind 
die um einen Helden gereihten Taten und Erlebnisse, welche in 
jeder einfachen Darstellung dieselben bleiben. Einen Selbstzweck 
der Darstellung von ästhetischem Gesichtspunkt gibt es in der Prosa 
der Kinderliteratur noch nicht. Anders steht es wohl mit Reimen 
und Rhythmen, welche als solche das Kind erfreuen. Zahlreiche 
Verschen sind auch dem Märchen eingefügt, und es lälst sich 
beobachten, dafs hier ein ästhetisch-formales Interesse des Kindes 
erwacht, indem es die Verschen genau zu behalten sucht und 
mitspricht. Wenn es auch gelegentlich den Prosatext in immer 


76 Charlotte Bühler. 


gleichen Wendungen erzählt haben will und den Erzähler ver- 
bessernd unterbricht, so haben wir das doch auf andere Gründe 
zurückgeführt (S. 60 ff.). 


5. Kapitel. 
Denkende und anschauende Phantasie. 


Wir sprachen schon oben die Ansicht aus, dafs auch das 
phantasierende Denken, nicht nur das phantasierende Schauen 
spezifischer Natur ist. Nicht jedes Denken spielt sich wie das 
der künstlerischen Phantasie in anschaulichen Situationen ab, 
und selbst ein solches Denken kann noch sehr verschiedener 
Art sein. Was charakterisiert die Denkweise des Kindes in seinen 
Phantasieleistungen, und wie grols sind an diesen Leistungen die 
Anteile des Denkens einerseits, andererseits die der Anschauung ? 
Zweifellos räumt das Volksmärchen dem Denken einen nur ge- 
ringen Raum ein, ja man kann es als die typische Anschauungs- 
literatur bezeichnen. Alles was man an Mitteln äufserer Wahr- 
nehmung hat, wird aufgeboten, der denkende Intellekt dagegen 
tritt überall zurück. Die Darstellung beruht nicht auf ihm und 
strengt ihn auch nicht an. 

Charakteristisch für eigentliches Nachdenken ist das Ziel- 
bewufste. Der Gesamthandlung des Volksmärchens fehlt jedes 
Zielbewulstsein. Wir fanden an ihr mehr ein Gefüge aneinander- 
gereihter Situationen, Taten, Ereignisse, denn eine geschlossene 
zielstrebige Handlung. Unbeschadet des Zusammenhanges lielse 
sich immer noch diese oder jene Episode einflechten. Dieselbe 
ungezwungene und unabsichtliche Art beherrscht, wie wir oben 
sahen, auch die Darstellungsweise. Da ist kein bewulstes Setzen 
der Worte, keine nachdenkliche Formung, welche eine bestimmte 
Wirkung erzielen will, sondern jeder Erzähler schaltet nach Belieben. 
Der Hörer aber darf in derselben unbedachtsamen Art auffassen. 
Er kann sich dem Einzelnen hingeben, das ihn interessiert, er 
braucht nicht von Anfang bis zu Ende auf ein Ziel hin alles Ge- 
schehen zusammenzufassen, er braucht in dem Abschluls keine 
innere Konsequenz der Gesamtentwicklung zu suchen. Weder 
zusammenfassendes noch zielstrebiges Denken werden 
ernstlich angestrengt. Besonders interessant war die Beobach- 


Das Marchen und die Phantasie des Kindes. 717 


tung, dafs auch, wo in Einzelakten zielstrebiges Denken tatsächlich 
vorlag, uns doch nicht dieses selbst, sondern sein Resultat be- 
richtet wird. Die resultierende Tat, nicht die zielstrebige Über- 
legung wird uns mitgeteilt. Zwar wird ein Rückschlufls von der 
Tat auf die Überlegung nahegelegt durch eine dispositionelle 
Vorbereitung, doch auch ohne den Rückschlufs zu vollziehen — 
den das Kind vielleicht allmählich lernen soll — kann die Ent- 
wicklung der Handlung mit Verständnis aufgefafst werden, wenn 
Disposition und die explizierende Tatenfolge im Bewulstsein des 
Aufnehmenden zusammenwirken. 

So erfahren wir nicht, dafs der Wolf, um die Geifslein zu 
täuschen, sich die Pfote mit Mehl bestreuen und den Fufs mit 
Teig bestreichen läfst. Es genügt, dafs er es tut und tatsächlich 
die Geifslein täuscht. Dafs er es darauf absehen mufs, wird nahe- 
gelegt durch die warnende Voraussicht der alten Geifs, doch ist 
dieser Rückschlufs nicht unbedingt erforderlich, um dem Verlauf 
zu folgen. — Wenn Aschenputtel, Allerleirauh und andere Mädchen 
in herrlichen Gewändern auf das Fest des Prinzen gehen, so 
wissen wir nie, ob sie es schon mit der heimlichen Absicht und 
Hoffnung tun, ihn sich zu gewinnen. Genug, es gelingt ihnen. 
Zu welchem Zwecke wunderbare Geräte und Hilfsmittel verliehen 
werden, erfahren wir nie zum voraus — genug, dals sie sich im 
entscheidenden Augenblick bewähren. Das Märchenkind scheint 
auch stets genau zu wissen, wie es sich ihrer bedienen muls, ein 
Beispiel unter vielen sind die Geschenke der Itsche im Eisenofen 
(127): drei grofse Nadeln, ein Pflugrad, drei Nüsse. Kein Mensch 
wülste mit diesen seltsamen Mitteln über den Glasberg zu kommen, 
aber die Prinzessin weils es. — Wenn König Drosselbart die 
hochmütige Prinzessin als Bettler freit und in hartem Elend 
leben und arbeiten läfst, so wird uns nicht gesagt, dafs er es in 
der Absicht tut, sie zu erziehen und zu demütigen — der Erfolg 
erst lehrt es. Ähnliche Beispiele könnten wir beliebig häufen. 
Das Gedankliche des zielbewufsten Handelns wird dem Kind in 
einer Art Umschreibung geboten, die es erst allmählich und durch 
Übung zu enthüllen lernt — ähnlich wie man Abstraktes durch 
Konkretes umschreibt. Hier liegt eine erste Anleitung zu rück- 
schliefsendem und damit abstrahierendem Denken vor. 

Vorausgesetzt wird ebensowenig wie zielstrebiges und 
zusammenfassendes Denken die Fertigkeit im Abstrahieren. Man 
mutet dem Kind, wie wir sahen, nicht zu, aus einem komplexen 


78 Charlotte Bühler. 


Charakter das Wesen des Menschen im einzelnen sich zu er- 
schlielsen, herauszuabstrahieren. Eine Eigenschaft der Personen 
wird mit hinreichender Deutlichkeit herausgehoben und zu 
schärferer Pointierung in polaren Gegensatz zu einer anderen 
gestellt (vgl. S. 14 ff... Von Vergleichen, welche zur Erkenntnis 
des tertium comparationis abstrabierendes Denken verlangen, 
nimmt das Märchen fast völlig Abstand (vgl. S. 67f., 72f.). 

Erst in den Analogiebildungen erhebt sich die denkende 
Phantasie des Kindes zu schöpferischen und aufserordentlichen 
Leistungen. Die grolse Wichtigkeit, welche die Analogiebildung 
und der darauf beruhende Analogieschlufs im volkstümlichen 
und naiven Denken hat, betonte, wie wir sahen, W. Sırkx. Er 
wies auf die hervorragende Beteiligung der Analogie bei aller 
Mythenbildung hin und erklärte auch mit ihrer Hilfe die Ent- 
stehung maucher Fabelwesen. Welche grofse Rolle noch sonst 
die Analogiebildung in der Handlung des Märchens spielt, haben 
wir an zahlreichen Stellen gesehen. Die verschiedenen Formen 
der Übertragung (Allbeseelung, Merkmalsübertragung), die Pro- 
portionsverschiebungen, die Steigerung und Häufung lernten wir 
als Analogiebildungen kennen, welche sowohl an der Gestaltung 
des spezifischen Inhalts, wie auch der darstellenden Formung 
Anteil haben. Die wesentlichen schöpferischen Leistungen der 
denkenden Märchenphantasie lassen sich insgesamt auf sie zurück- 
führen. 

Gelegentliche Ausblieke haben uns gezeigt, dafs ganz ver- 
schieden davon die denkende Phantasiegestaltung des Erwachsenen 
aussieht. Hier steht die Analogiebildung durchaus nicht im 
Vordergrund. Alle wesentlichen schöpferischen Fähigkeiten offen- 
baren sich hier in kombinatorischen Leistungen. Wir können in 
diesem Zusammenhang naturgemäls keinen ausführlichen Beweis 
für diese Behauptung erbringen; doch durch wiederholte Hin- 
weise ist sie uns sehr nahegelegt worden. Wir sahen, dafs der 
kombinatorische Aufbau des Milieu, der Situationen, des einzelnen 
differenzierten Charakters und der Konstellationen, die sich aus 
seinem Zusammentreffen mit anderen Charakteren ergeben, eine 
ungleich gröfsere, ja fast ausschliefsliche Bedeutung in der Literatur 
des Erwachsenen haben. 

Soweit das Märchen überhaupt gedanklich fundiert ist, wird 
es beherrscht von analogischem Denken. In jeder anderen Hin- 
sicht tritt der Intellekt zurück. Wir finden keine Intelligenzauf- 


Das Märchen und die Phantasie des Kindes. 19 


gaben, die ein wirkliches Nachdenken erforderten (vgl. S. 55f.), 
keine intellektuelle Motivierung des Handelns, sondern meistens 
die Motivierung durch den Affekt (vgl. S. 52f.). Auch die ana- 
logistische Umbilbung selbst gründet sich fest auf das anschau- 
liche Material, von dem alle Märchenhandlung erfüllt ist. Von 
der Anschauung geht die Handlung überall aus; was leistet uns 
nun die anschauende Phantasie im Märchen ? 

Auch hier wird auf gewisse Feinheiten, bestimmte Höchst- 
leistungen von vornherein verzichtet. Die kombinatorisch 
zusammengestellte Situation ist selten und arm, detail- 
lierte und nuancierte Betrachtungsweise fehlt. 

Dagegen treten besonders lebhaft einige Züge hervor, die in 
späterer Literatur nicht mehr in solchem Reichtum, mit solcher 
Verschwendung wiederkehren. Zunächst findet eine aufserge- 
wöhnliche Übung des Vorstellungsmechanismus statt. 
Plötzliche Veränderung des Bildes wird auf verschiedenste Weise 
geübt, als Verwandlung, Verkleidung, Versetzung an einen an- 
deren Ort und Umschlagen der ganzen Situation, als Zauber 
des Tischchen deck dich, als plötzliches Erscheinen einer Person. 
Diese szenischen Wechsel werden mit so lebhafter Spannung 
und Freude vom Kinde begleitet, dals wir mit Sicherheit be- 
haupten können, sie seien der Kern einer echten Märchenhand- 
lung. Für das Kind des Märchenalters liegt hier das stärkste 
Interesse, es übt offenbar mit Vergnügen an diesen plötzlichen 
Übergängen die Gewandtheit und Fertigkeit des Vorstellens. 

Wir beobachten ferner eine Übung im Proportionsver- 
schieben. Hier kommt es nicht auf Schnelligkeit eines Über- 
ganges an, sondern auf das Erfassen von Unterschieden und 
Ähnlichkeiten der Gröfsenverhältnisse verschiedenster Art. Wie 
viel gröfser muls Schneewittchen sein als die sieben Zwerge! 
Kann es in ihr Häuschen überhaupt hinein? Wie sehen Teller- 
chen und Messerchen und Bettchen dort wohl aus! — Dann das 
Bild des Däumlings, etwa wie er auf dem Hutrand umherspa- 
ziert und sich die Gegend beschaut. — Oder die Vorstellung des 
Schneiderleins, das mit dem Riesen einen Baum schleppen soll, 
sich stattdessen auf die Krone setzt und von dem überlisteten 
Riesen tragen läfst. Die krassen Unterschiede und abnormen 
Grölsenverhältnisse in diesen Bildern müssen für das Kind offen- 
bar aufserordentlich lustbetont sein. Auch scheint es ihm natür- 
lich zu sein, sich das Auisergewöhnliche von Eigenschaften und 


80 Charlotte Bühler. 


Gaben in rein quantitativen Steigerungen und Häufungen vor- 
zustellen, wie das Märchen sie uns vorführt (vgl. S. 71f.). 

Wie der schnelle Wechsel der Vorstellungen und das Spiel ` 
mit abnormen Gröfsenverhältnissen, so bereitet offenbar das 
Wandern in der Vorstellung Vergnügen. Das Märchen 
kennt keine Ruhe, keine Zustandsschilderung. Eine kunstvoll 
aufgebaute, ruhende Situation finde keinen Anklang. Lebhafte 
Bilderfolge, Bewegung während des Schauens ist überall Grund- 
gesetz. So wird alle Situation in Sukzession aufgelöst (vgl. S. 
36f.), und das Interesse für die Umgebung erwacht erst bei 
ihrem Wechsel, bei plötzlichen Orts- und Milieuveränderungen 
(vgl. 8. 28ff.). Bei diesen kindlichen, nicht künstlerischen und 
nicht intellektuellen Phantasieleistungen spielt in der Tat das von 
SEGAL so sehr betonte Wandern in der Vorstellung eine grofse Rolle. 

Ein begleitendes Moment, das die anschauliche Tätigkeit des 

Kindes überall charakterisiert, ist ein lebhafter Gefühlston, 
der auf das Schauen gelegt wird. Schon das Schauen an sich 
ist für das Kind eine Lust. So ist der Gefühlston, der sich auf 
das einzelne Bild heftet, schon an sich intensiv akzentuiert; 
aulserdem werden offenbar gefühlsbetonte Bilder den sachlichen 
und ruhigen vorgezogen. Milieu und Situation werden gern so 
gewählt, dafs sie zu Gefühlsbetonung Anlafs geben: grolse Pracht 
und Reichtum, bittere Not und Armut sind häufiger als mittel- 
mäfsige und ruhige Verhältnisse. Die gefühlsbetonte Situation, 
ein verlassenes Kind im Wald, ein gepeinigtes und zurückgesetztes 
Kind bei schwerer Arbeit, ein Jüngling im Heldenkampf oder 
bei der Lösung schwieriger Aufgaben, die ihres Kindes beraubte, 
verstofsene oder zum Tode verurteilte Mutter, der glänzende 
Hochzeitszug der fiirstlichen Brautleute — alles das wird ein- 
fachen alltäglichen Situationen bei weitem vorgezogen. Der Ge- 
fühlston, den das Kind auf das einzelne, nicht einmal näher 
geschilderte Bild verwendet, ist lebhaft und warm, denn das Kind 
ist offenbar noch völlig von dem Aufsergewöhnlichen solchen 
Bildes durchdrungen. 
. Wir können zusammenfassend sagen, dafs das Kind besonders 
lebhaft schauend durch die bunte Bilderfolge des Märchens 
wandert, begleitet von intensiven Affekten, die sich teils als 
Sympathie und Antipathie auf das Tun der Personen richten, 
teils als Spannung, Bewunderung, Freude auf das Geschehen, das 
unmittelbar anschaulich geboten wird. 


21. 
22, 


23. 


26. 


27. 


29. 


Das Märchen und die Phantasie des Kindes. 81 


_ Literatur. 


. Anrtr Aarng, Verzeichnis der Marchentypen. Folklore Fellows Communi- 


cations. Nr. 3, 1910. Nr. 10, 1912. 


. —, Leitfaden der vergleichenden Märchenforschung. F. F.C. Nr. 13, 1913. 
. Guusartrista Basınz, Il Pentamerone 1637. Aus dem Neapolitanischen 


übertragen von F. Lizsrecut. Breslau 1846. 


. Rıcaarn Banz, Märchendichtung der Romantiker. Gotha 1908. 
. BoLte - PoLıvga, Anmerkungen zu den Kinder- und Hausmärchen der 


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G. Pätz’sche Buchdr. Lippert & Co. G. m. H., Naumburg a. d. S. 


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FEB 2 1973 





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