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DUPLICATA DE LA BIBLIOTHEQUE Erin
DU CONSERVATCIRE BOTANIQUE DE GENEVE
VENDU EN 1922
Beiträge
zur
Biologie der Pflanzen.
Begründet von
Professor Dr. Ferd. Cohn,
herausgegeben von
Dr. Felix Rosen,
Professor an der Universität Breslau.
Neunter Band.
Mit sieben Tafeln.
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LMRART
NEW YORK
Breslau 1909.
J. U. Kern’s Verlag
(Max Müller).
DUPLICATA DE LA BIBLIOTHEQUH
DU CONSERVATC IRE BOTANIQUE DE GENEVE
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Inhalt des neunten Bandes.
Die Sporenverbreitung bei den Basidiomyceten und der biologische
Wert der Basidie. VonDr. Richard Falek. (Mit Tafel 1—6.)
Experimentelle Untersuchungen über Lichtschutzeinrichtungen an
grünen Blättern. Von Kurt Baumert.
Über den Einfluß des geotropischen und heliotropischen Reizes auf
den Turgordruck in den Geweben. Von Karl Kerstan
Neue Untersuchungen über den Kältetod der Kartoffel. Von Arthur
Apelt .
Einfluß der Beleuchtung auf die heliotropische Stimmung. Von
Ernst Pringsheim.
Untersuchungen über Stoßreizbarkeit. Von Julius Brunn
Unterkühlung und Kältetod der Pflanzen. Von Hans Voigtländer
Studien zur heliotropischen Stimmung und Präsentationszeit. (Zweite
Mitteilung) Von Ernst Pringsheim. (Mit Tafel 7.) .
Heft, Seite,
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II
II.
I.
II. 2
Ill:
Ill.
III.
163
215
Register zum neunten Bande.
Apelt, Arthur, Neue Untersuchungen über den Kältetod der Kartoffel
Baumert, Kurt, Experimentelle Untersuchungen über Lichtschutz-
einrichtungen an grünen Blättern
Brunn, Julius, Untersuchungen über Stoßreizbarkeit
Falek, Dr. Riehard, Die Sporenverbreitung bei den Basidiomyceten
und der biologische Wert der Basidie. (Mit Tafel 1—6)
Kerstan, Karl, Über den Einfluß des geotropischen und heliotro
pischen Reizes auf den Turgordruck in den Geweben .
Pringsheim, Ernst, Einfluß der Beleuchtung auf die heliotropische
Stimmung .
— Studien zur heliotropischen Stimmung und Präsentationszeit.
(Zweite Mitteilung.) (Mit Tafel 7).
Voigtländer, Hans, Unterkühlung und Kältetod der Pflanzen
Heft Seite.
1.
I
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II.
III.
215
307
Beiträge
Biologie der Pflanzen.
Begründet von
Prof. Dr. Ferd. Cohn,
herausgegeben von
Oscar Brefeld,
Professor an der Universität Breslau.
Neunter Band. Erstes Heft.
Mit sechs Tafeln.
Breslau 1904.
J. U. Kern’s Verlag
(Max Müller).
Inhalt des ersten Heftes.
Seite
Die Sporenverbreitung bei den Basidiomyceten und der biologische
Wert der Basidie. Von Dr. Richard Falck. (Mit Tafel I-VI.) 1—32
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AUG 7- 1923,
Die Sporenverbreitung bei den Basidiomyceten und
der biologische Wert der Basidie.
Von Dr. Richard Falck.
Mit Tafel I-VI.
D:. Pilze sind ebensowenig den grünen Pflanzen wie den Tieren zu-
zurechnen, sie bilden ein grosses Organismenreich für sich und beanspruchen
eine eigne Disziplin, wie dies von meinem Lehrer Brefeld in seinen Vor-
lesungen seit Jahren betont wird. Sie erreichen eine hohe und eigenartige
morphologische Differenzierung und existieren in unzähligen Gattungen und
Arten, ohne daß eine sexuelle Differenzierung an der Ausbildung dieses
Formenreichtums beteiligt ist!). In dem Verlust der Sexualität bei ihren
höher entwickelten Familien tritt die Eigenart der Pilze zu Tage gegenüber
den beiden anderen Reichen der Lebewesen, doch sind sie von den grünen
Pflanzen noch besonders unterschieden durch den Mangel des Assimilations-
apparates, der Bildungsstätte aller organischen Substanzen, während das
Fehlen differenzierter Bewegungs- und Sinnesorgane sie außerdem von den
Tieren unterscheidet. Die Organisation der Pilze ist deshalb eine verhältnis-
mäßig sehr einfache, und ihre Funktionen sind nur auf die Ausnutzung
bereits gebildeter organischer Substanzen gerichtet, von denen sie aus-
schließlich leben. Die Beziehungen, welehe zwischen der Organisation der
lebendigen Substanz und den Lebensbedingungen in der Außenwelt bestehen,
werden deshalb bei den Pilzen am einfachsten zu analysieren sein. Hierauf
wurde ich bereits durch meine ersten Untersuchungen über Sporodinia
grandis”) hingeleitet, die das Resultat ergaben, daß die Funktionen und
I) Brefeld hat durch seine umfangreichen Untersuchungen, besonders im Ill.
VII VII. IX. und X. Hefte seines Werkes „Untersuchungen aus dem Gesamt-
gebiete der Mycologie“, den Nachweis erbracht, daß die bei den einfachsten
Formen der ’Pilze noch vorhandene Sexualität allmählich erlischt und daß die
Ascomyceten und die Basidiomyceten als geschlechtslose Lebewesen zu betrachten
sind. Brefeld hat auch zuerst erkannt und betont, daß dies Moment die Ent-
wieklungsrichtung der Pilze gegenüber derjenigen der grünen Pflanzen besonders
charakterisiert. (Kernverschmelzungen im Askus und in der Basidie sind als sexuelle
Differenzierungen nicht wohl anzusehen.)
?) R. Falck, Die Bedingungen und die Bedentung der Zygotenbildung bei
Sporodinia grandis. Beiträge zur Biologie der Pflanzen, Pd. VIII.
Cohn, Beiträge zur Biologie der Pflanzen, Bd. IX, Heft I, l
2
Gestaltungen der beiderlei Fruktifikationsorgane als zweckmäßige Anpassungs-
zustände (Ökologismen ')) dieses Pilzes an seine besonderen Lebensverhältnisse
verständlich werden.
Für das Studium der Anpassungszustände und ihrer Entstehung
(Ökogenese!)) im Pflanzenreich sind die Pilze daher die geeignetsten Objekte,
und doch ist keine Gruppe der Lebewesen bisher biologisch so wenig ver-
standen worden wie die am höchsten differenzierten Pilze, die Basidiomyceten.
Welchen Sinn hat die Ausbildung dieser mächtigen Hutpilze mit ihren
reichen Nährstoffmengen, die für die Sporenbildung nur zum geringsten
Teile verwertet werden? Wozu dient die Ausbildung der unzähligen Sporen,
wenn sie über das Bereich des eignen Hutes nicht wesentlich hinausgelangen ?
Welchen Zweck hat die Bildung der Sporen überhaupt, wenn sie nicht
keimfähig sind, wie dies die bisherigen Forschungen bei den meisten Formen
ergeben haben?
Mit der letzten dieser Fragestellungen begannen meine Untersuchungen,
und ich war zunächst in dem Glauben befangen, daß Maden und andere
Tiere, welche den Nährstoffen der Hutpilze ihr Dasein verdanken, gleich-
zeitig die Verbreiter der Pilzsporen seien, nach Analogie der saftigen
Früchte bei den Pflanzen, die als Hilfsmittel für die Verbreitung der Samen
sebildet werden. Ich ließ deshalb die Sporen verschiedener — weiter unten
benannter — Basidiomyceten den Madenleib passieren und prüfte sie dann auf
ihre Keimfähigkeit. Die aus den Exkrementen der Maden wiedergewonnenen
Sporen sind natürlich stark mit Bakterien verunreinigt, und es bedarf sehr
sorgfältiger Versuche, um die Beobachtung der Sporen in Nährlösung für
längere Zeit zu ermöglichen. In keinem einzigen Falle konnte aber eine
Keimung beobachtet werden, ja selbst die keimfähigen Sporen von Collybien
und Brandpilzen, die in gleicher Art von Maden aufgezehrt und scheinbar
ganz unversehrt aus den Exkrementen wiedergewonnen wurden, hatten ihre
Keimfähigkeit fast vollständig eingebüßt. Anders verhält es sich mit den
dunkelgefärbten Sporen der mistbewohnenden Basidiomyceten und Ascomy-
ceten, die den Verdauungskanal der Säugetiere nicht bloß ohne Nachteil
passieren können, sondern zum Teil erst hierdurch ihre volle Keimfähigkeit
erhalten.
Auch die Frage, ob die Sporen der Basidiomyceten, deren Keimung
bisher nicht beobachtet werden konnte, vielleicht erst eine Ruheperiode
durchmachen müssen, bevor sie keimfähig werden, ist von mir experimentell
bei den folgenden Pilzen geprüft worden: Boletus edulis Bull., B. scaber
Bull., B. luteus L., Cantarellus cibarius Fr., Tricholoma equestre L.,
Russula emetica Schaeff., Lepiota procera Seop., Lycoperdon piriforme
Schaeff. und L. gemmatum Batsch, Seleroderma wulgare Fl. dan.,
Elaphomyces granulatus Fr. Die frisch aufgefangenen reinen Sporen
wurden für die Prüfung zwischen ausgeglühte poröse Tonplättchen gebracht,
!) Nach Carl Detto, Die Theorie der direkten Anpassung etc. Jena 1904.
die auf den Innenflächen kleine Vertiefungen trugen und an den Rändern
teils mit Gips, teils mit Heftpflasterstreifen gedichtet waren. So vor Tier-
angriffen geschützt, wurden sie dann teils dicht unter der Erde, teils unter
Moos an solehen Orten in der freien Natur aufbewahrt, an denen die be-
treffenden Pilze natürlich vorkommen. Nach einjähriger Aufbewahrung
wurden die reingebliebenen Sporen sowohl in Wasser wie auch in den
verschiedenen Nährlösungen kultiviert, doch blieben alle diese Versuche
resultatlos.
Dagegen ist es mir gelungen, die beiden ersten Fragen nach der
Bedeutung der Fruchtkörper- und Sporenbildung erfolgreich zu lösen und
zwar durch die Beobachtung, wie diese Pilze ihre Sporen verbreiten.
Unsere bisherigen Kenntnisse über die Sporenverbreitung
bei den Basidiomyceten.
Ganz allgemein bekannt sind die Sporenbilder der Basidiomyceten, die
man erhält, wenn man die abgeschnittenen Hüte mit der Unterseite auf ein
gefärbtes Papier legt. Die Summe der abgefallenen Sporen zeichnet dann
im Verlauf einiger Stunden das genaue Bild der hymeniumtragenden Unter-
seite des Hutes — der Hymenophore auf das Papier ab, sodaß man
aus den Sporenbildern genaue Aufschlüsse über den Verlauf der Lamellen,
der Poren ete. erhalten kann. In Pilz-Herbarien werden deshalb neben den
durch das Trocknen geschrumpften Hüten solche Sporenbilder zur Dar-
stellung gebracht).
Der erste, der meines Wissens die weitere Beobachtung gemacht hat,
daß die Sporen der Basidiomyceten sich auf der Unterlage über den Bereich
des Hutes hinaus verbreiten, „wenn sich ein Zwischenraum befindet zwischen
dem Rand des Hutes und dem Körper, dem er aufliegt,* ist Bouillard’?).
Dieser Mykologe hält die Basidien deshalb für elastische Fäden, welche die
Sporen mit einer Schleuderbewegung ausstreuen. Ähnliche Beobachtungen
haben nach ihm noch Hoffmann?) und de Seynes*) mitgeteilt.
Hoffmann gibt an, „daß die Sporen infolge ihrer ungeheuren Leichtigkeit
weit fortgetragen würden, doch stets nur schief abwärts, in ruhiger Luft
niemals aufwärts.“ Bei Polyporus destructor sah er in schwach bewegter
Luft weiße Wolken von Sporen wie rauchend aufsteigen und langsam
fortziehen. In vollständig abgeschlossener und ruhiger Luft gelangten da-
gegen keine Sporen auf eine Glasplatte, welche nur °/ı Zoll über dem Pilze
schwebte, während auf einer 2"s Zoll unterhalb des Pilzes befindlichen
Glastafel die Sporen fast iiber das sechsfache des Pilzumfanges gleichmäßig
!) Vergl. G. Herpell, Sammlung präparierter Hutpilze. St. Goar, Selbstverlag.
2) Bouillard, Champ. de Fr. I, p. 52.
*) Jahrbücher für wissenschaftliche Botanik, Bd. 2, 1860, p. 315.
1) De Seynes, Annales des sciences nat. V. Ser., 1864, p. 252.
1*
4
bis an den Rand bedeekten. Hoffmann glaubt, daß die Sporen etwa durch
Ausreekung und Verkrümmung der austrocknenden Sterigmen schwach
seitwärts geschleudert werden und dann niederfallen. Auch de Seynes
sibt an, beobachtet zu haben, daß die Sporen manchmal die Punkte über-
schreiten, wohin sie naturgemäß fallen müßten, nämlich unter die Lamellen.
Er hat schon versucht, das Phänomen der außerordentlichen Zartheit der
Sporen zuzuschreiben, die durch die geringsten Luftströmungen fortgeführt
werden könnten. Doch beschreibt er dann ausführlich eine Beobachtung,
daß ein Hut von 8 em Durchmesser seine Sporen über eine 17 cm breite
Grundfläche ausgebreitet hat in einem gut verschlossenen Schreibtisch, wo
Bewegungen der feuchten Atmosphäre damit nicht in Verbindung zu
bringen waren. Hierdurch glaubt auch de Seynes die Tatsache des
Schleuderns seitens der Basidien konstatiert zu haben.
De Bary') glaubt, indem er in seiner Morphologie und Physiologie der
Pilze über diese Beobachtungen von Bouillard und Hoffmann berichtet,
daß die Sterigmen der Basidiomyceten ähnliche hygroskopische Erscheinungen
und Drehungen zeigen wie die Conidienträger von Peronospora, welche
beim Austroeknen zur Zeit der Sporenreife zu bandförmiger Blättergestalt
collabieren und sich dabei um ihre eigene Längsachse drehen.
Die erste mikroskopische Beobachtung, wie das Sporenabwerfen bei den
Basidiomyceten tatsächlich erfolgt, ist meines Wissens von Brefeld ?) gemacht
worden, als er die Entwicklungsgeschichte des Coprinus stercorarius lückenlos
verfolgte. Bei diesem Pilz werden nach Brefeld die Sporen und die Sterigmen
sleichzeitig ausgebildet und auch gleichzeitig entleert, sodaß hier der Akt
des Sporenwerfens ein einmaliger ist. Brefeld sagt wörtlich: „Die Sporen
fallen von der Spitze der Sterigmen, die an ihrer Spitze aufplatzen, wie ein
dichter Regen in dunklen Wölkchen sichtbar zur Erde herab. Es genügt
eine Minute Zeit während dieses Aktes, um auf einem untergelegten Glase
den Abdruck des Hutes zu bekommen. Der ganze Akt dauert nur
2—3 Stunden, und diehte Sporenmassen bedecken den Boden rings um den
Stiel.“ In der Anmerkung 2 auf Seite 65 1. ec. sagt Brefeld über den
Mechanismus des Sporenwerfens dann folgendes: „Die Sporen werden durch
Aufplatzen der Sterigmen abgeschleudert. Es tritt nach dem Abwerfen der
Sporen, welches bei allen 4 Sporen einer Basidie stets gleichzeitig erfolgt,
aus den Sterigmen ein kleines Tröpfehen hervor, welches anzeigt, daß sie
offen sind. Die Basidien sind vor dem Abwerfen der Sporen elastisch ge-
spannt; ebendarum erfolgt ein plötzlicher Ruck, wenn die Sporen ab-
geworfen werden, die Sterigmen aufplatzen und die Basidien durch
Contraktion ihrer elastisch gespannten Membran nach Maßgabe ihrer
Spannung von ihrem Inhalt entleeren. Die abgeworfenen Sporen führen
!) de Bary, Morph. und Phys. der Pilze ete. Leipzig 1866.
?2) Brefeld, Botanische Untersuchungen über Schimmelpilze, III. Heft, Basidio-
myceten I, S. 65 und 66.
b)
stets von dem ejakulierten Inhalt der Basidie mit sich. Sobald man sie in
zweckmäßiger Weise auf einem reinen Deckglase auffängt und zugleich den
Prozeß der Sporenentleerung unter dem Mikroskop continuierlich verfolgt,
sieht man, wie sie mit dem Inhalte ankommen, wie dieser aber, weil er
nicht bedeutend ist, schnell verdunstet, also entweder gar nicht, oder nur
kurze Zeit gesehen werden kann.“ Bei den meisten anderen Hutpilzen er-
folgt die Sporenentleerung nach Brefeld aber in anderer Art, weil bei
diesen die Huthaut des gespannten Hutes intakt bleibt und die Lamellen
nicht aufgespalten werden wie bei Coprinus. Es kann daher die Entleerung
der Sporen nicht durch einfaches Abfallen von den gespalteten und horizontal
ausgebreiteten Hymenialflächen geschehen. Die Lamellen bleiben hier
geschlossen, und es bestehen nur enge Zwischenräume, in welche die
Sporen durch schwache Ejakulation geworfen werden, um dann zu Boden
zu fallen. (Brefeld, 1. e. S. 32, bei Amanita muscaria.)
Weitere Beobachtungen über die Sporenverbreitung bei einigen mist-
bewohnenden Basidiomyceten sind dann von Emil Christian Hansen
veröffentlicht worden'), Hansen gibt gleichfalls an, daß z. B. bei
Coprinus stercorarius die Sporen mit großer Kraft ausgeschleudert würden.
Hansen hat dann besonders den Agaricus semiglobatus beobachtet. Diese
Form soll nur einen kleinen Teil der Sporen am Tage mit geringer Kraft,
den Hauptteil aber des Nachts im Dunkeln mit großer Kraft ausschleudern.
Ein Fruchtkörper, dessen Stiel 60 mm hoch war, warf seine Sporen in
eine Entfernung von 100 mm von demselben aus. Sowohl des Tags wie
des Nachts wurden die Sporen in derselben Richtung, nämlich nach der von
dem Licht entfernten Seite, ausgeworfen. Die ausgeworfenen Sporen können
auf Papier, das unter dem Hut angebracht ist, aufgefangen werden. Das
Tagesbild ist ein ziemlich schwach gefärbtes fächerförmiges, des Nachts
dagegen eine schwarzbraune, lange, keilförmige Figur. In einem Versuche
wurde nun ein Stückchen der von dem Lichte entfernten Seite des Hutes
abgeschnitten. Es zeigte sich dann, daß der äußere Teil der von den
Sporen gebildeten Figur einen entsprechenden Ausschnitt bekam. Hansen
glaubt, hierdurch dargetan zu haben, daß die in der größten Entfernung
ausgeschleuderten Sporen aus dem von dem Licht entfernten Teil des Hutes
herrühren.
Dieselbe Beobachtung an mistbewohnenden Agaricineen, welche ich
schon im Jahre 1902 mitgeteilt habe ?), war der Ausgangspunkt zu diesen
Untersuchungen. Die Fruchtkörper von Agaricus coprophilus, Chalymotta
!) Nogle Undersögelser over Agarieinres Biologie (Einige Untersuchungen
über die Biologie der Agaricineen). (Vortrag in der biologischen Gesellschaft zu
Kopenhagen am 28. Oktober 1897. Hospitalstitende 1897, No. 46, p. 1109.) Referat
im Botanischen Zentralblatt, Bd. 74, S. 114.
®2)R. Falek, Die Kultur der Oidien und ihre Rückführung in die höhere
Fruchtform bei den Basidiomyceten in Beiträge zur Biologie der Pflanzen. Bd. VIII.
6
campanulata und Auellaria semiglobata verbreiten ihre Sporen, wie dies in
meiner Arbeit beschrieben ist, nicht bloß über die Fläche des Substrates,
sondern auch allseitig in den Raum hinein, sodaß sie in auffälliger Art die
Oberfläche der eigenen Hüte bedeckten, obgleich jeder von außen kommende
Luftzug in den unter Glasglocken befindlichen Kulturen vollständig ab-
geschlossen war.
Da ich wie Hansen und alle früheren Autoren zunächst daran glaubte,
daß die Sporen von den Basidien abgeschleudert werden könnten, suchte
ich vergeblich nach einer Erklärung, wie den Sporen von ihren Basidien
eine solche Richtung erteilt werden kann, daß sie auf den eignen Hut ge-
langen. Die Beobachtung des Sporenauswerfens sporenreifer, senkrecht ge-
stellter Lamellenteilchen von Chalymotta unter dem Mikroskop ließ zudem
nichts von einem derartigen Abschleudern der Sporen erkennen, sie fielen
vielmehr blitzschnell von den Sterigmen senkrecht herunter auf das Objekt-
olas. Über diesen Punkt kamen meine Untersuchungen zunächst nicht hinaus.
Die vorstehend zusammengefaßten bisherigen vereinzelten Beobachtungen
waren nicht im stande, bei den Botanikern die Überzeugung herbeizuführen,
daß die Hutpilze ihre Sporen tatsächlich selbsttätig über das Bereich des
eignen Hutes hinaus auf weitere Strecken verbreiten können. (Abgesehen von
den lamellenspaltenden Coprinusformen, bei denen die Sporen etwa wie
aus Asken rings um ihren Hut auf kurze Entfernungen hin abgeworfen
werden.) Bei allen übrigen Basidiomyceten ist eine Schleudertätigkeit der
Basidie etwa nach Art eines elastischen Bandes tatsächlich nie beobachtet
worden, und wenn dies auch gelungen wäre, hätte es unverständlich bleiben
müssen, wie die Sporen aus den engen Spalten zwischen den Lamellen
nach unten und dann seitlich weitergeschleudert werden können. Die auf-
fälligen Hutpilze bieten sich jedem Naturforscher, sei es auf Exkursionen
im Freien, sei es im eigenen Haushalte, zur Beobachtung dar, und er sieht
nie, daß die Sporen über den Hut hinaus sich ausbreiten. Wenn er
Sporen findet, dann liegen sie stets nur unter dem eignen Hut. So ist es
erklärlich, daß man die vereinzelten Mitteilungen nicht beachtet hat und
daß allgemein die Auffassung verbreitet ist, daß die Basidiomyceten ihre
Sporen nur unter den eignen Hut herunterfallen lassen. Mit Bezug hierauf
meinte Geheimrat Brefeld des öfteren, daß es keinen unpraktischer ge-
bauten Organismus gäbe als einen Hutpilz, der seine Sporen nur dort ver-
breitet, wo seine Mycelien schon vorhanden sind.
Die entscheidenden Fortschritte machten meine Untersuchungen erst, als
ich die Methoden fand, wie sich die Sporenverbreitung im Raume kenntlich
machen läßt und ich zufällig beobachtete, daß auch die abgeschnittenen
Hüte sämtlicher Basidiomyceten ihre Sporen in derselben Art verbreiten
wie die noch auf ihren Substraten befindlichen. Nun konnten Vertreter
aller Formentypen unter den Hutpilzen, die im Freien gefunden wurden, zu
den Untersuchungen herangezogen und ein umfassendes Bild von ihrer
Sporenverbreitung gewonnen werden.
7
Es zeigte sich bald, daß alle Hutpilze, die wir in der Natur antreffen,
ausnahmslos ihre Sporen in einem Umfange und in einer VoBkonmmen
verbreiten, wie dies bisher von niemandem geahnt wurde.
Bevor nun die Frage erörtert werden kann, welche Vorrichtungen und
Kräfte hierbei wirksam sind, müssen wir erst alle Phänomene der Sporen-
verbreitung, wie sie unter den verschiedenen Bedingungen in die Erscheinung
treten, kennen lernen. Deshalb sollen die Ergebnisse der zu diesem Zwecke
angestellten Untersuchungen zuerst beschrieben werden in der Reihenfolge,
daß sie uns hintereinander folgende Fragen beantworten:
1. Wie werden die Basidiensporen über die unter den Fruchtkörpern
befindlichen Flächen verbreitet ?
2. Wie erfolgt die Verbreitung in den umgebenden Raum ?
3. Welehen Einfluß haben Licht und Wärme auf die Sporenverbreitung ?
4. Hat die Beschaffenheit der Flächen einen Einfluß auf die Verbreitung ?
5. Wie erfolgt die Sporenverbreitung in zeitlicher Folge?
6. Ist die Sporenverbreitung abhängig von der räumlichen Lagerung der
Basidien ?
1. Die Verbreitung der Basidiensporen über die Flächen
der Unterlage.
Das Bild 1 auf Tafel VI zeigt meine erste diesbezügliche Beobachtung.
In der Zeit vom 23. bis 24. Dezember 1900 verbreiteten die beiden
Fruchtkörper von Chalymotta campanulata unter einer Glasglocke ihre
dunkelbraunen Sporen über die Fläche einer Milchglasplatte, welche sich
etwa 2 cm tief unter den Hüten als Deckel auf der Kulturschale befand. Man
sieht in der Nähe des Stieles die charakteristischen Sporenverbreitungslinien
und die von den eignen Sporen in dieker Schicht bestreuten Hüte. Das
zweite Bild derselben Tafel zeigt auf der unteren runden Papierscheibe die
Sporenverbreitung desselben Pilzes während seiner ganzen Vegetation, wie
sie bei Aufstellung des Kulturgefäßes am Fenster, also bei einseitiger
Beleuehtung unter einer entsprechend großen Glasglocke, stattfindet. Die
Papierscheiben besitzen in der Mitte kreuzförmige Einschnitte, mit deren
Hilfe sie über den Hut gestülpt werden können, sodaß sie am Grunde des
Stieles dem Kulturgefäße in wagerechter Lage aufgelegt werden konnten.
Die Sporen werden zum größten Teil in der Richtung des einfallenden
Lichtes ausgestreut. Wird das Kulturgefäß so aufgestellt, daß das Licht
von zwei Seiten her einwirkt, so lassen sich zwei verschiedene Ausbreitungs-
richtungen verfolgen. Es entsprechen dann der durch die Aufstellung be-
dingten stärkeren und längeren Belichtungsriehtung die stärkeren Aus-
breitungslinien. In anderen Fällen finden sich Linien, die den Schatten-
umrissen des Stieles zu entsprechen scheinen, dann auch solche, die durch
das schattengebende Fensterkreuz bedingt sein können. Diese und ähnliche
8
Erscheinungen führten Hansen wie mich (l. e.) zu der Auffassung, daß das
Licht auf die Basidien einen richtunggebenden Einfluß ausübe.
Wurden etwas größere Flächen in geeigneten geschlossenen Räumen für
die Verbreitung der Sporen dargeboten, dann zeigte sich, daß sie über
einen Umkreis von ca. 20 cm in makroskopisch sichtbaren Mengen nicht
wesentlich hinausgelangen, wobei ebenfalls bevorzugte, aber schwächere
Ausbreitungslinien auftreten.
Wurde nun ein einziger Fruchtkörper in noch größere Räume gestellt,
etwa in das Fach eines geräumigen Kulturschrankes, dann war der Verbleib
des größten Teiles der Sporen zumeist nicht mehr makroskopisch zu ver-
folgen. Um nun die Verbreitung der Sporen in größeren Räumen verfolgen
zu können, mußten größere Pilzformen verwendet werden, die eine ent-
sprechend reichere Sporenbildung besitzen. Es wurden deshalb zunächst die
Fruchtkörper von Hypholoma fasciculare Huds. angewendet, die fast zu jeder
Jahreszeit zu finden sind und ebenfalls dunkle Sporen besitzen. Es zeigte
sich, daß es sogar erforderlich ist, viele Hüte zusammenzustellen, um eine
genügende Sporenausstreuung auf größeren Flächen zu erhalten, wie ja
auch diese Pilze in der Natur zumeist zu vielen nebeneinander gebildet in
die Erscheinung treten. Da in trockener Zimmerluft die abgeschnittenen
Pilze schnell vertrocknen, ist es erforderlich, in den geschlossenen Kultur-
schrank einige Schalen mit Wasser zu setzen und, wenn dies noch nicht
ausreicht, die Pilze mit ihren Stielen in ein Gefäß mit Wasser einzustellen. Ein
Bündel von 5—6 Hypholomahüten vermag nun in einem allseitig geschlossenen
Raume eine Grundfläche von weit über einem Quadratmeter von einem
Punkte, sei es von der Mitte oder vom Rande aus, so vollständig zu be-
streuen, daß man an jeder Stelle des Papieres Striche mit einem Hölzchen
sichtbar machen kann. Auch hier finden sich selbst in vollständig dunklen
Räumen unregelmäßig verlaufende Ausbreitungslinien vor, die rings um die
Hüte herum am stärksten sind und sich nach den Rändern hin allmählich
verlieren. |
Für das Studium der Sporenverbreitung verwendete ich ganz besonders die
großen Hüte von Agaricus nebularis Batsch und violaceus Sowerby, die im
Herbst 1902 in der Umgebung von Breslau in großen Mengen zu finden waren.
Wie nun ein Fruchtkörper von A. nebularis in einem allseitig geschlossenen
flachen Schranke mit einer Grundfläche von einem Quadratmeter seine weißen
Sporen auf einer Unterlage von schwarzem Papier in charakteristischer
Weise ausstreut, zeigt die Figur 1 der ersten Tafel. Man hat den Eindruck,
daß der Hut seine Sporen ausstreut, etwa wie ein Sämann die Saaten aus-
wirft, und dieser Eindruck führt uns unwillkürlich zu der Auffassung, daß
der Pilz in seinen Basidien über eine Kraft verfügen müsse, welche diese
Erscheinung herbeiführt. Der dunkle Schrank stand in einem Zimmer, das
allseitig gleichen Temperaturen ausgesetzt war. In ähnlicher Art verbreiten
die Fruchtkörper aller anderen Agarieineen ihre Sporen unter den gleichen
Versuchsbedingungen in dem Schranke. Die Ausbreitung der Sporen um
9
den Hut herum in radialen Ausbreitungslinien legt den Gedanken nahe, dab
diese Linien der Ausdruck für den Verlauf der Lamellen seien, daß also
unabhängig von der Beeinflussung durch das Licht vielleicht bestimmte Be-
ziehungen bestehen zwischen dem Verlauf der Lamellen und den Ver-
breitungslinien der Sporen in den dunkel gehaltenen Räumen. Um hierüber
Aufschluß zu erhalten, wurden die Hüte von Agaricus wrolaceus in
vier Teile segmentiert, und jedes der dreieckigen Segmente an einem
zentralen Holzstäbehen befestigt in je ein flaches dunkles Fach eines
geräumigen Schrankens mit einer Grundfläche von je einem Quadratmeter auf-
gestellt. Die vier Segmente wurden nun in die vier gleich beschaffenen
und gleichgelegenen Fächer in vier verschiedenen Richtungen so aufgestellt,
daß sie, nebeneinandergestellt, die Form des ursprünglichen Hutes wieder
zusammensetzen würden. Dasselbe Bild 1 zeigt uns, daß die Sporen sich um
das Segment nach allen Seiten hin so ausbreiten, als ob ein vollständiger
Hut aufgestellt wäre. Sehr schön ist hier zu sehen, wie auch die schrägen
Flächen des Erlenmeyerschen Kölbehens von den Sporen bestreut sind. Die
Versuche beweisen die Unabhängigkeit dieser Verbreitungslinien von dem
Verlaufe der Lamellen.
Von allen Basidiomyceten verbreiten die Polyporeen ihre Sporen am gleich-
mäßigsten. Wurde ein Fruchtkörper von Polyporus squamosus Huds. unter
den gleichen Bedingungen und in demselben Schrank wie im Falle der
Figur 1 aufgestellt, so wurde die Fläche des untergelegten schwarzen
Papieres ganz gleichmäßig ohne besondere Ausbreitungslinien von den weißen
Sporen bedeckt. Dieser Pilz besitzt so reiche Sporenbildung, daß ein
mittelgroßes Exemplar schon nach 5 Stunden die ganze Fläche des
Papieres wie mit weißer Farbe gleichmäßig antüncht, sodaß Bilder, wie
sie die Figur 2 der ersten Tafel wiedergibt, erhalten werden, wenn
man vor der Bestreuung winkelförmig geschnittene Papierstreifen und
Papierbuchstaben auf das Papier legt und sie nach der Bestreuung wieder
entfernt, um die Kontrastfarbe des unbestreuten Papieres hervortreten
zu lassen.
Die beschriebenen Versuche ergeben folgende Resultate:
l. Die Sporen der Hutpilze werden in geschlossenen flachen Räumen,
welche gegen die Einwirkung äußerer Luftströmungen gesichert sind, mehr als
meterweit, soweit die Versuchsflächen reichten, nach allen Richtungen hin
auf die darunter befindliche Fläche verbreitet.
2. Je größer die Pilzfruchtkörper sind, oder je mehr Fruchtkörper zu-
sammen verwendet werden, um so größer ist die Fläche, die von ihnen be-
streut werden kann.
3. In einem dunklen, allseitig von gleichmäßigen Temperaturen um-
sebenen Raum verbreiten von allen Pilzen die Polyporeen ihre Sporen
am gleichmäßigsten über die Flächen der Unterlage. Bei den Agarieineen
finden sich radial verlaufende Ausbreitungslinien, die aber unabhängig sind
von dem Verlauf der Lamellen.
10
4. Am Lichte finden sıch bei allen Pilzen mehr oder weniger deutliche
Ausbreitungslinien, die mit der Richtung der einfallenden Lichtstrahlen
korrespondieren.
2. Die Verbreitung der Sporen in den umgebenden Raum.
Die Bilder, welche die Sporen auf der unter dem Fruchtkörper
befindlichen Fläche aufzeichnen, sind der projiziertte Ausdruck ihrer
räumlichen Verbreitung nach den vier Himmelsrichtungen hin in möglichst
flachen Räumen. Sie geben aber keine Auskunft, wie ihre allseitige Verbreitung
in den umgebenden Raum erfolgt. Um hier einen Einblick zu gewinnen, verfuhr
ich so, daß der für die Sporenverbreitung bestimmte Raum auch nach oben hin
vergrößert und an möglichst vielen Stellen mit wagerechten Flächen versehen
wurde, auf denen die Sporen sich verbreiten können. Es wurde dies in
der einfachsten Art dadurch erreicht, daß in längeren Papierstreifen fenster-
artige Rechtecke möglichst dicht nebeneinander mit dem Messer ein-
geschnitten wurden, die an einer schmalen Seite mit dem Papier in Ver-
bindung blieben, sodaß ihnen, wenn sie rückwärts eingebogen wurden, eine
wagerechte Lage dauernd erteilt werden konnte. Mehrere solcher Papier-
streifen wurden nun in gleichmäßiger räumlicher Verteilung den Innenflächen
der Gefäße, welche den Sporenverbreitungsraum begrenzten, so angeklebt,
daß die ausgeschnittenen Fenster allseitig wagerecht in den Raum hinein-
ragten. Das erste Resultat, welches ich auf diesem Wege gleichfalls an der
mistbewohnenden Chalymotta campanulata erhielt, zeigt die Figur 2 auf
Tafel VI. Es wurde ein Glaszylinder von 32 em Höhe und 20 em Dureh-
messer in der beschriebenen Weise mit Papierstreifen beklebt, sodaß die
untersten derselben sich schon in der Höhe der Hutoberfläche befanden.
Um sie gleichmäßig zu photographieren, wurden die Papierstreifen aus dem
Zylinder herausgelöst und mit den zurückgebogenen Fenstern auf einer
ebenen Fläche befestigt. Aus der Photographie ist nur einer von den vier
Papierstreifen in dem Bilde ganz wiedergegeben. Nicht bloß die Bodenfläche,
auch sämtliche Blättehen, welehe in den Raum hineinragten, sehen wir auf
der Oberfläche von den Sporen des Pilzes mehr oder weniger gleichmäßig
bestreut. Auf den kleinen Flächen der Blättehen können wir hier auch
schon bestimmte Ausbreitungslinien wahrnehmen, welche mit denen auf der
Unterlage zum Teil korrespondieren.
Es interessiert nun zunächst die Frage, wie weit die Sporen sich all-
seitig in den umgebenden Raum verbreiten können. Ich wandte deshalb die
größten Glaszylinder an, welche mir zur Verfügung standen, 65 em hoch
und 22 cm im Durchmesser. In ihrem Innenraum wurden drei große
Papierstreifen mit je 20 Fenstern befestigt und die Zylinder dann über je
einen in natürlicher Stellung mit seinem Stiel auf die Unterlage gestellten
Pilzfruchtkörper gestülpt. Wo der Zylinder der Unterlage aufgesetzt war,
wurde er ringsherum noch mit einem Wattestreifen umkleidet, um äußere
11
Luftströmungen sicher abzuhalten. Die Pilze, welche ich für diesen Versuch ver-
wendete, verhielten sich nun alle gleich: sie bestreuten jedes Blättchen, welches
in den Zylinderraum hineinragte, und zwar stets nur auf der Oberfläche. Die
Bestreuung war je nach den Umständen mehr oder weniger regelmäßig. Zur
Untersuchung kamen zwei Hypholomaformen, Hygrophorus pratensis Fries,
Armillaria mellea Quelet, Agaricus nebularis, Agaricus violaceus ete.
Dann wurden Versuche in noch größeren Dimensionen ausgeführt. Einen
sroßen, im Stadium des Sporenwerfens befindlichen Fruchtkörper von Polyporus
squamosus brachte ich an einem eisernen Stativ, 20 em vom Boden entfernt
in normaler Lage befestigt, in den größten dicht verschließbaren Schrank,
der mir im Institute zur Verfügung stand, und welcher einen Raum von
ca. 2 cbm umfaßt. An jeder der vier Wandseiten des Schrankes wurde, von der
Decke bis an den Boden reichend, eme ganze Längsreihe der beschriebenen
Fensterstreifen angebracht. Außerdem hingen von der Decke des Schrankes
— daselbst mit Heftzwecken befestigt — schmale einreihige Fensterstreifen
mit abwechselnd vorstehenden Fensterblättehen bis auf die Oberfläche des
Hutes herab. Nach zwei Tagen waren sämtliche Blättchen, die wagerecht
in den Raum hineinragten, gleichmäßig von dem weißen Sporenpulver des
Pilzes in ebenso dieker Schicht wie die Bodenfläche bestreut.
Eine weitere Versuchsanstellung galt der Frage, wie hoch wohl die
Sporen emporzusteigen vermögen und ob und wie die Bestreuung der
Blättchen mit der Entfernung abnimmt. Die Photographie No. 2 auf Tafel II
zeigt die Anordnung des Versuches in seinem unteren Teile. Auf eine
Gaslampenglocke, die in eine runde Glasschale gut hineinpaßt, wurde eine
gläserne Röhre, 12'/s em im Durchmesser und 70 cm lang, aufgesetzt und
an einem Stativ befestigt. In die gläserne Röhre wurden zweiseitig Fenster-
streifen aus schwarzem Papier eingeklebt, wie dies die Figur zeigt, und die
obere Öffnung derselben mit einer Glasplatte bedeckt. Nasses Filtrierpapier
diente zur Isolierung und Feuchthaltung des Raumes. Unter die Glocke,
von außen nicht sichtbar, wurde ein ‚Fruchtkörper von A. nebularis auf-
gestellt. Nach zwei Tagen waren alle Blättchen gleichmäßig beworfen.
Es wurde nun ein zweiter ebenso beschaffener Zylinder auf den ersten auf-
gesetzt, die Ansatzstelle mit Papier umklebt und für entsprechende Befestigung
des Röhrensystems gesorgt. Nach zwei Tagen waren die Blättehen auch
dieses Zylinders bis oben hin gleichmäßig beworfen. Nun wurde ein neuer
Fruchtkörper von A. nebularis am Grunde der Röhre unter der Lampen-
glocke aufgestellt und eine dritte und vierte Röhre der zweiten aufgesetzt, die
bis zur Decke des Zimmers hinaufreichten. Nach vier Tagen waren nun auch
die Blättehen dieser Zylinder in gleichmäßig dichter weißer Schieht von den
Sporen bedeckt. Bild 3 der Tafel II zeigt eine der Fensterscheiben aus der
obersten der vier Röhren auf einer ebenen Fläche befestigt mit den zurück-
gebogenen gleichmäßig beworfenen Blättchen.
Ein Versuch in noch größeren Dimensionen wurde dann in einem durch
zwei Etagen hindurchgehenden Aufzuge angestellt, ebenfalls mit einem großen
Fruchtkörper von Polyporus squamosus. Derselbe wurde wie im vorigen
Versuche am Boden des Aufzuges aufgestellt. An dem den offenen Aufzug
hebenden, mitten durch den Raum verlaufenden Strick wurden in Ent-
fernungen von je 25 cm runde Scheiben aus schwarzer Pappe, etwa von der
Größe der Hutoberfläche des Pilzes, wagerecht befestigt. Der dunkle Raum
wurde gegen die Einwirkung von äußeren Luftströmungen durch das Dichten
aller Fugen möglichst gesichert. Nach beendeter Sporenverbreitung waren
sämtliche Blättehen ebenso wie die Papierunterlage, auf der das Stativ stand,
in gleichmäßig dünner Schicht von den Sporen bedeckt. Die Bestreuung
war entsprechend der Verteilung in dem großen Raume eine so geringe, daß
man sie nur bei bestimmter Beleuchtnng als einen gleichmäßigen Hauch auf den
Blättchen wahrnehmen konnte. Daß es sich in der Tat um eine Bestreuung
durch die Sporen handelte, wurde durch mikroskopische Präparate erwiesen.
Noch größere zur Untersuchung geeignete Räume standen mir nicht
zur Verfügung. Sie müssen frei von eigenen Luftströmungen, allseitig ge-
schlossen und von gleichen Temperaturen umgeben sein. Es gehören
außerdem sehr viele Pilzfruchtkörper dazu, um einen großen Raum so mit
den Sporen anzufüllen, daß sie auf den dargebotenen Flächen sichtbar
werden. Doch unterliegt es nach den angestellten Versuchen keinem Zweifel
mehr, daß geschlossene Räume von beliebiger Größe von entsprechend großen
resp. vielen Fruchtkörpern so vollständig von Sporen erfüllt werden, daß
jede Fläche im Raum von den Sporen bedeckt wird.
Durch diese. Feststellungen ist der Beweis erbracht, daß die Hutpilze
ihre Sporen in ungeahnter Vollkommenheit wie keine anderen sporenbilden-
den Organismen zu verbreiten vermögen und daß sie hierfür über ganz be-
sondere Hilfsmittel verfügen müssen. Wenn diese Verbreitung bisher der
Beobachtung entgangen ist, so liegt es eben daran, daß die Sporen so voll-
kommen in den Raum verteilt werden, daß ihr Verbleib sich der makro-
skopischen Wahrnehmung entzieht.
Wir wollen nun für die weiteren Fragestellungen zu den Versuchen in
kleineren Räumen zurückkehren, in welchen uns die Sporen ein deutliches
Bild von ihrer Verbreitung aufzeichnen können. Es handelt sich zunächst
darum, die Ausbreitungsrichtung der Sporen im Raume noch deutlicher
als auf den kleinen Blättehen der Fensterscheiben zu veranschaulichen.
Es wurden deshalb weitere Versuche so angeordnet, daß in die großen
Glaszylinder (63 cm hoch, 22 cm Durchmesser) eine Etage von sechs
iibereinander befindlichen Pappscheiben hineingebracht wurde. Die Papp-
scheiben wurden in gleichen Abständen von 8 em auf zwei oder drei
dureh Bunsenbrenner gestielte Holzstäbe aufgespießt und in gleicher Höhe
auf ihnen befestigt. Bei einem Teil der Versuche füllten die Pappscheiben,
die mit je neun Ausschnitten von der Größe eines Quadratzentimeters ver-
sehen waren, den Durchmesser des Zylinders bis auf einen Zwischenraum von
l em vollständig aus. Die Ausschnitte waren in den verschiedenen Versuchs-
reihen so angebracht, daß sie entweder alle neun übereinanderlagen wie in der
18
Abbildung eines solehen Versuches in Figur 3 Tafel II, oder daß sie unregel-
mäßig miteinander abwechselten. Die Zylinder wurden dann mit jeeinem Frucht-
körper des Agaricus nebularis so beschickt, daß derselbe in der Mitte des Glas-
zylinders unter der untersten Pappscheibe freistehend aufgestellt wurde, wie
das die Abbildung zeigt. Nach zwei Tagen waren dann sämtliche Scheiben
gleich der Unterlage von den Pilzsporen beworfen; die unterste und die oberste
der Pappscheiben war meist stärker bestreut als die übrigen und die unter den
Lamellen befindliche Bodenfläche (Fig. 1 Tafel ID. Wenn die Versuche am
Fenster bei einseitiger Beleuchtung aufgestellt waren, dann fanden sich die
charakteristischen Linien in der Richtung des einfallenden Lichtes auf allen
Scheiben ebenso vor, wie wir sie früher schon auf der Unterlage kennen
gelernt haben; daneben finden sich auch einzelne Bogenlinien von unregel-
mäßigem Verlauf. Bei den Versuchen mit durchlöcherten Pappscheiben
kann man außerdem verfolgen, wie auch von den Löchern aus die Be-
streuung in derselben Richtung erfolgt, was darauf schließen läßt, daß die
Sporen sich auch durch die Löcher hindurch verbreitet haben. Die
Figur 1 auf Tafel II sagt mehr als viele Worte.
Anstatt des normal ausgebildeten Hutes wurden in weiteren Versuchen
unter die unterste Pappscheibe bei derselben Versuchsanordnung Frucht-
körper von Agaricus nebularis aufgestellt, aus denen zweiseitig so große
Segmente angeschnitten waren, daß der Hut eine X-förmige Gestalt erhielt.
Das eine Mal wurden die so behandelten Hüte mit der ausgesehnittenen
Fläche — also mit senkrecht zum einfallenden Licht gestellten Lamellen —
das andere Mal in der Richtung der beiden stehen gebliebenen Segmente —
also mit parallel verlaufenden Lamellen — nach dem Lichte hin aufgestellt.
In beiden Fällen waren aber die Linien der bevorzugten Sporenausbreitung
auf allen Pappscheiben des Raumes dieselben wie bei den früheren Versuchen,
nämlich lediglich die von der Richtung des einfallenden Lichtes beein-
flußten.
Auch die Versuche mit der etagenförmigen Abteilung des Raumes wurden
dann in vergrößertem Maßstabe ausgeführt:
In einem senkrecht gestellten Aquarium wurden in leiterförmiger An-
ordnung 7 cm von einander entfernt schwarze 6 em breite Papierstreifen
befestigt und unter den niedrigsten Streifen in der Mitte der Bodenfläche
zwei Fruchtkörper von Hygrophorus pratensis aufgestellt. Bereits nach
24 Stunden war sowohl die Bodenfläche als auch sämtliche Papierstreifen
von den weißen Sporen bestreut und zwar der unterste und der oberste
Streifen verhältnismäßig am stärksten. In demselben Aquarium wurde dann
die Anordnung der Papierstreifen in jeder erdenklichen Art variiert, immer
mit demselben Erfolg. So wurde z. B. in der Mitte der Bodenfläche des
in normaler Aufstellung befindlichen Aquariums ein größerer Fruchtkörper
von Agaricus nebularis aufgestellt und zu beiden Seiten desselben je eine
aus sieben schwarzen Pappscheiben angefertigte Etage angebracht, welche den
ganzen verfügbaren Raum ausfüllten. Nur da, wo sie in der Mitte an-
14
einander grenzten, waren halbkreisförmige Ausschnitte in jedes Etagenblatt
angebracht, sodaß der Pilz in einem röhrenförmigen mittleren Raume noch
bequem aufgestellt werden konnte. Auch bei dieser Anordnung wurden
sämtliche Blätter auf ihrer ganzen Fläche im Lichte sowohl als im Dunklen,
wenn auch sehr ungleichmäßig, von den Pilzsporen bestreut.
Weitere Versuche führte ich in kleinen viereckigen Glasschränken mit
einer Grundfläche von 30><55 em und einer Höhe von 55 em aus, die
allseitig Glaswände besitzen und deren eine senkrechte Wand schieberartig
seöffnet werden kann. An dem Holzrahmen im Innern der Kästen können
Papierflächen als Querwände mit Heftzwecken in beliebiger Art befestigt werden.
Es wurden für diese Versuche je vier Querwände aus schwarzem Papier
in Abständen von 12 cm in dem Kasten befestigt. Dieselben wurden so zu-
geschnitten, dal) sie sich dreiseitig den Wänden des Kästchens dieht anschlossen
und nur einseitig einen 6 cm breiten Schlitz für den Durchtritt der Sporen
frei ließen. Die Variation bestand zunächst darin, daß dieser Schlitz im
vier gleichzeitig benützten und in gleicher Richtung aufgestellen Kästchen
an den vier verschiedenen Seiten frei gelassen wurde. Es zeigte sich, daß
in jedem Falle der frei gelassene Raum für den Durchgang der Sporen
ausreichte, sodaß alle vier Blätter von dem Ausschnitt her, wenn auch ent-
sprechend schwächer als die Bodenfläche in Linien bestreut wurden, gleich-
gültig, an welcher Seite die Ausschnitte angebracht waren.
Wenn nun aber die Querscheiben so angebracht wurden, daß die Aus-
schnitte miteinander abwechselten, so war die unterste Pappscheibe wie
gewöhnlich, die zweitunterste nur verhältnismäßig wenig und die beiden
obersten entweder garnicht oder doch nur in wenigen kaum sichtbaren
einzelnen Linien bestreut.
Schließlich seien noch Versuche erwähnt, die mit einem großen (20 cm
langen und 10 em breiten) seitlich gestielten Fruchtkörper von Agaricus
ulmarius Bull. in dem auf Seite 11 Abs. 1 beschriebenen großen Kulturschrank
ausgeführt wurden. Der Fruchtkörper wurde mit dem glatt abgeschnittenen
Stiel in einen mit Wasser gefüllten Rundkolben so eingeführt, daß derselbe
die Öffnung des Kolbens wie ein Korkstopfen wasserdicht verschloß. Er
wurde dann in der natürlichen wagerechten Lage an einem Stativ, 30 em
vom Boden entfernt, so befestigt, daß das Wasser, so lange es im Rund-
kolben vorhanden war, die abgeschnittene Fläche des Stieles benetzen
mußte. Die Wände des Schrankes wurden wie früher mit Papierfenstern
beklebt und der Schrank in der Mitte durch eine Querwand aus schwarzem
Papier in zwei übereinander befindliche Räume von der Größe je eines
Kubikmeters geteilt. Diese Querwand erhielt kreuzförmige Ausschnitte mit
einem Lumen von 2 em für den Durchgang der Sporen. Nach drei Tagen
war die Querwand wie auch die oberhalb derselben befindlichen Fenster-
blättchen bis an die Decke hinauf gleichmäßig mit dem Sporenpulver
bestreut, freilich deutlich schwächer als die Bodenfläche und die unterhalb
der Querwand befindlichen Fensterblättehen. Es wurde nun eine zweite
15
Querwand 20 em oberhalb der ersteren angebracht mit quadratischen
Ausschnitten, welche durch die zwischen den Kreuzen des unteren Bogens
stehen gebliebenen quadratischen Papierfelder bei der Aufsicht verdeckt er-
schienen. Nach vier Tagen waren nun auch dieser obere Bogen und die
oberhalb desselben erneut befestigten Fensterblättchen gleichmäßig bestreut.
Diese gleichmäßige Verbreitung der Sporen über die in beliebiger An-
ordnung in einem so großen Raume befindlichen Flächen macht fast den
Eindruck, als ob das feine Sporenpulver ein Expansionsvermögen besäße,
etwa wie die Moleküle eines Gases, die jeden zur Verfügung stehenden
Raum gleichmäßig erfüllen. Eine solche Vorstellung führt zu der Frage-
stellung, ob die Sporen vielleicht elektrisch geladen, und so mit Abstossungs-
kräften versehen, sich gegenseitig verbreiten können. Mit Rücksicht hierauf
wurden auch Versuche angestellt, durch wie große Öffnungen die Sporen
bei ihrer Verbreitung noch hindurchgelangen können. In einem Glaszylinder
von 30 em Höhe und 20 em Durchmesser war in der Mitte ein Diafragma
eingeklebt mit einem mittleren runden Ausschnitt von 6 em Durchmesser. Zum
Versuch wurde ein Fruchtkörper von Naucoria amara verwendet, der gelbe
Sporen verstreut, die auf weißem Papier aufgefangen wurden. Dieselben ge-
langten durch das Diafragma auf die Oberfläche, auch waren oberhalb desselben
die an den Glaswänden befestigten Fensterblättehen gelb bestreut.
Wurde das Loch aber wesentlich verkleinert, so gelangten nur ver-
hältnismäßig wenige Sporen in dünnen Streifen durch dasselbe hindurch auf
die Oberfläche der Querwände, auch wenn die ganze Querwand siebförmig
mit solchen Löchern versehen war. Schließlich habe ich auch einen Versuch
so angeordnet, daß ich in einem normal aufgestellten Aquarium eine mittlere
Querwand einsetzte, welche den rechteckigen Raum in zwei quadratische
Räume (von ca. '/s cbm) teilt. Das Diafragma besitzt in der Mitte einen runden
Ausschnitt von 10 em im Durchmesser. In einem der durch die Teilung
entstandenen Räume wurde ein Fruchtkörper von A. nebularis in der Mitte auf-
gestellt und das Aquarium mit Glasscheiben bedeckt. Während nun der mit dem
Pilz bestellte Bodenraum des Aquariums mit den weißen Sporen in dieker
Schicht bedeekt war, fanden sich in dem angrenzenden Raum nur wenige kaum
bemerkbare Verbreitungslinien. Dieselbe Versuchsanordnung mit aufrecht ge-
stelltem Aquarium, sodaß der leere Raum oberhalb des mit dem Pilz bestandenen
zu liegen kam, ergab dagegen eine volle Bestreuung der Oberfläche dureh
das Diafragma hindurch wie in den früher beschriebenen Versuchen. Diese
Versuche beweisen sehon, daß die Verbreitung der Sporen in geschlossenen
Räumen ganz besonders in der Richtung nach oben erfolgt und daß von
einem Expansionsvermögen nach Analogie der Gase keine Rede sein kann.
Eine letzte Möglichkeit in der Richtung der Sporenverbreitung im Raume
ist diejenige von oben nach unten. Um auch dies zu prüfen, wurde ein
rund geschnittener Fruchtkörper von Polyporus squamosus, wie es die Figur 4
auf Tafel II zeigt, an einem Stabe zentral befestigt und unterhalb desselben
eine Etage aus runden Papierseheiben angebracht. Eine Pappscheibe befand
16
sich auch oberhalb des Pilzes an der Spitze des Stabes. Dieser Versuch,
in einem entsprechenden Glaszylinder ausgeführt, ergab nach mehreren
Tagen bei schwacher, einseitiger Beleuchtung das Bestreuungsbild 4 der
Tafel II. Sämtliche Blättchen sind ebenso wie die Unterlagen und die
schrägen Flächen des gläsernen Fußes von den Sporen bedeckt. Wir
sehen hier besonders deutlich, daß auch auf der direkt unter dem Pilze
befindlichen Pappscheibe die Bestreuung sich in ganz ähnlichen Linien voll-
zogen hat wie auf den übrigen Scheiben, daß also keine einzige Spore
wirklich senkrecht unter den Hut gefallen ist. Auch ist es hier auffällig,
daß die Linien unabhängig vom einfallenden Licht verlaufen. Wurden aber
kleinere Agarieinenfruchtkörper wie Tricholoma equestre in der Mitte höherer
Glaszylinder in derselben Art, nach oben und unten mit Papieretagen versehen,
aufgestellt, dann waren außer der direkt unter dem Hut befindlichen Scheibe
nur die oben befindlichen Blättchen in Licht-Linien von den Sporen bestreut.
Die Versuche dieses Abschnittes haben also folgende Resultate ergeben:
l. Die Hutpilze verbreiten ihre Sporen allseitig in den Raum hinein, und
zwar vermögen die größten Exemplare selbst Lufträume von der Größe
eines kleinen Zimmers (die möglichst frei von eignen Luftströmungen sind)
so vollständig und gleichmäßig mit ihren Sporen zu erfüllen, daß alle im
Raume vorhandenen Flächen gleichmäßig von ihnen bedeckt werden.
2. Insbesondere vermögen die Sporen in der Richtung von unten nach
oben sehr weit emporzusteigen, sodaß dies in geschlossenen Räumen die
bevorzugte Ausbreitungsrichtung der Pilzsporen ist.
3. Diese Verbreitung im Raume findet noch ungehindert statt, wenn auch
zahlreiche Flächen den Verbreitungsraum ausfüllen und nur geringe spalten-
förmige Öffnungen an beliebigen Stellen für den Durchtritt der Sporen frei-
bleiben. Dies ist aber blos der Fall, wenn sich die Flächen mehr oder
weniger senkrecht der von unten nach oben verlaufenden Ausbreitungs-
richtung entgegenstellen. Sind die Öffnungen für den Durchtritt der Sporen
sehr klein, dann können nur noch wenige Sporen hindurchgelangen.
4. Bei einseitiger Beleuchtung verbreiten sich die Sporen auf allen
Flächen des Raumes ebenso wie auf der Unterlage in entsprechenden
besonderen Linien, welche dagegen unabhängig sind vom Verlaufe der
Lamellen. Große Fruchtkörper (besonders von Polyporeen) verbreiten in
nicht zu großen Räumen ihre Sporen fast unabhängig vom Lichte gleichmäßig
über alle Flächen, manchmal aber auch in eigenen Ausbreitungslinien
(Fig. 4 Tafel ID.
3. Über die Einflüsse, die Licht und Wärme auf die
Sporenverbreitung ausüben.
Wir haben bereits die Sporenverbreitungslinien kennen gelernt, die bei
einseitiger Beleuchtung auf allen Flächen im Raume entstehen. Es war
hiernach zu erwarten, daß in dunklen Räumen die Ausbreitung der Sporen
17
eine gleichmäßigere sein würde. Um dies zu untersuchen, wurden Versuche
im photographischen Dunkelzimmer des Instituts ausgeführt. In den
geschlossenen flachen Schubladen eines Schrankes wurden Fruchtkörper von
Agaricus nebularis auf schwarzem Papier mit normalem Stiele aufgestellt.
Nach drei Tagen fanden sich auf dem Papier Verbreitungslinien von einer
Intensität, wie sie bisher im Licht noch niemals beobachtet wurden. —
Bild 3 der Tafel II — So oft ich den Versuch wiederholte und welche
Schubladen ich auch auswählte, immer fanden sich die von rechts nach
links verlaufenden auffälligen Sporenzeiehnungen. Ich will hier aber gleich
vorgreifend bemerken, daß rechts vom Schrank, unmittelbar angrenzend, die
Wand eines geheizten Zimmers sich befindet und daß das Zimmer nach der
anderen Seite an kalte Räume grenzt. Es ist nun deutlich zu sehen, wie
die zunächst allseitig sich ausbreitenden Sporen in der Richtung nach dem
kalten Raume umbiegen und in scharf begrenzten Linien dorthin verlaufen.
Weitere Versuche wurden nun auch in den großen Glaszylindern ähnlich
den in Figur 1 Tafel II abgebildeten Versuchen ausgeführt. Es wurden
runde Scheiben aus schwarzem Kartonpapier etagenförmig an einem mittleren
Stabe befestigt, darunter ein Fruchtkörper von Agaricus violaceus auf-
gestellt und beides von einem Glaszylinder überdeckt. Die Photographie 5 auf
Tafei II zeigt das Resultat dieses Versuches nach 4 Tagen an den aus-
einander genommenen und auf einer ebenen Fläche befestigten Kartonpapier-
scheiben. Das größte Blatt ist die Unterlage, auf welcher der Fruchtkörper
aufgestellt war, die übrigen folgen der Reihe nach, wie sie von unten nach
oben angeordnet waren. Das oberste Blättchen ist verhältnismäßig am
meisten bestreut; auf den übrigen Scheiben ist die Bestreuung in viel
schärfer begrenzten und unregelmäßigeren Linien erfolgt als in den Arbeits-
räumen des Instituts am Licht. Es sind also auch im dunklen Raume Ein-
wirkungen vorhanden resp. möglich, die noch erheblich wirksamer sind, als
die einseitig einfallenden Lichtstrahlen.
Es soll nun zunächst untersucht werden, ob es in der Tat die einseitige
Wirkung des Lichtes ist, welche die beschriebenen Erscheinungen hervorruft.
Zu diesem Zwecke wurden Versuche mit einem Fruchtkörper von Agariceus
violaceus bei einseitiger Liehtwirkung unter einem Glaszylinder ausgeführt, der
andauernd auf dem Klinostaten gedreht wurde (1 Dreh. in 2—4 Sek.), um die
einseitige Einwirkung der Lichtstrahlen auszugleichen. Die Sporenbilder des
Fruchtkörpers auf dem ruhenden Klinostaten gleichen den Bildern der Figur 1
auf Tafel II. Wurde nun die Papierunterlage erneut und der Klinostat in
Bewegung gesetzt, so hatten nach einer oder nach mehreren Stunden die
Bilder das Aussehen der Figuren 2 auf Tafel III, sie waren also ganz
gleichmäßig bestreut und frei von Ausbreitungslinien. Wurde nun eine
höhere Glocke verwendet und die Versuche in kleinerem Maßstabe so an-
geordnet wie in den Figuren 4 und 5 auf Tafel II, so zeigten nicht nur
die Unterlage, sondern auch alle übrigen Blättehen des Raumes eine ganz
gleichmäßige Bestreuung. Bei Ausschaltung des einseitig wirkenden Lichtes
Cohn, Beiträge zur Biologie der Pflanzen, Bd. IX, Heft I, >
2
ist also die Ausbreitung der Sporen im ganzen Raume eine sehr gleichmäßige
und von bevorzugten Ausbreitungsrichtungen freie.
Die gleichen Resultate bei Verwendung des Klinostaten erhielt ich nun
aber auch in demselben Dunkelzimmer, in welchem die Ausbreitung der
Sporen noch unregelmäßiger erfolgte als im Lichte. Nach der bereits be-
schriebenen Lage dieses Zimmers nahm ich an, daß es die einseitige Wirkung
der Wärme ist (Temperaturgefälle), welche in ähnlicher Art wie die Licht-
strahlen die Verbreitungsrichtung der Sporen im Raume beeinflußt hat. Wird
der Raum gedreht, dann wird auch ihre einseitige Wirkung aufgehoben, die
Ausbreitung ist dann wieder eine gleichmäßige.
Eine weitere Prüfung erstreckte sich auf die Frage, ob die verschiedenen
Liehtformen dieselbe Einwirkung besitzen, wie das zusammengesetzte weiße
Licht. In dem Lichtkasten mit einseitig monochromatischem Licht wurden
ungefähr gleich große Fruchtkörper des A. nebularis vier Tage lang der
einseitigen Bestrahlung durch rotes, gelbes, violettes und farbloses Licht
ausgesetzt. Es zeigte sich, daß im weißen, roten und gelben Licht die
Blättehen in gleicher Art mit Linien in der Richtung der einfallenden Licht-
strahlen bestreut wurden. In violettem Licht waren die Linien weniger
deutlich, doch sind die Resultate nicht eindeutig genug, um hieraus weitere
Schlüsse abzuleiten.
Die Versuche dieses Abschnittes ergeben, daß es das Licht und
die Wärme ist, welche auf den Flächen des Raumes die charakteristischen
im Sinne ihrer Einwirkungsriehtung verlaufenden Ausbreitungslinien der
Basidiensporen veranlassen.
#4. Über den Einfluß der Beschaffenheit der Flächen.
1. Der Einfluß der Lage der Flächen im Raume. Die bisherigen
Versuche haben uns gezeigt, daß nur die Oberflächen der Körper von den
Sporen der Basidiomyceten bestreut werden. Die Flächen können wagerecht
oder auch geneigt sein; wenn sie aber der senkrechten Stellung sehr nahe
kommen, dann ist ihre Bestreuung nur sehr gering, und in der senkrechten
Stellung werden sie, sofern sie keine Unebenheiten darbieten, überhaupt nicht
mehr bestreut. Die Flächen bilateral symmetrisch gebauter flacher Körper
werden also in fast jeder freischwebenden Lage im Raume etwa immer zur
Hälfte von den Sporen bestreut und zwar stets auf den nach oben gerichteten
Seiten. Nebenläufig sei hier schon angeführt, daß die große parallele Reihe
der Ascomyceten umgekehrt nur die Unterseite der Körper bewirft, sodaß
sich die beiden höchsten Pilzklassen hierin ergänzen.
I. Der Einfluß der physikalischen Beschaffenheit der ÖOber-
fläche. Für diese Versuche wurden drei Papiersorten verwendet: Dünnes
schwarzes Glanzpapier, dünnes schwarzes Papier mit rauher Oberfläche und
ein 3 mm dickes schwarzes Kartonpapier mit glatter aber matter Oberfläche.
Es wurden aus diesen Papiersorten Blättchen in quadratischer Form (7x7 em)
19
geschnitten, auf 40 cm lange Holzstäbe gespießt und etagenförmig 3 em
von einander entfernt angeordnet. Die drei Etagen mit den verschiedenen
Papiersorten wurden in gleichen Abständen unter eine entsprechend große
Glasglocke gestellt und in der Mitte zwischen ihnen ein Fruchtkörper von
Agaricus nebularıs aufgestellt. Das Resultat war, daß alle Blättchen
ziemlich gleichmäßig von den Sporen bestreut waren, daß also weder die
Beschaffenheit der Oberfläche noch die Dicke der Flächen einen merklichen
Einfluß ausgeübt hat.
Weitere Versuche, in derselben Art angestellt, galten der Prüfung des
Einflusses, den der Feuchtigkeitsgehalt der Papierblättchen ausübt, doch
konnte hier ebensowenig ein positives Resultat erzielt werden.
Da die Farbe der Sporen ein konstantes Merkmal für die Unterscheidung
der verschiedenen Hutpilze bildet, scheint es mir unzweifelhaft, daß sie
ebenfalls einen ganz bestimmten biologischen Wert besitzt. Es war mir
noch nieht möglich, die Agarieinieen mit den verschiedenen Sporenfarben
einer vergleichenden Untersuchung zu unterziehen, doch habe ich bereits
geprüft, ob die Farbe der Oberfläche einen Einfluß hat auf die Be-
streuung der Fläche durch die weißen Sporen des Agaricus nebularis
und violaceus. Die Versuche ordnete ich unter einer Glocke auf dem
Klinostaten folgendermaßen an. An vier Holzstäbchen wurden viereckige
Scheiben aus weißem, schwarzem, rotem und grünem Glanzpapier (auf
entsprechend großen Pappscheiben) in gleichen Abständen befestigt und
die vier Etagen in gleichen Zwischenräumen so aufgestellt, daß sie den
Raum einer ebenso hohen wie breiten Glasglocke bis auf die zur Verbreitung
nötigen Zwischenräume ausfüllten. In die Mitte zwischen die vier Etagen
von verschiedener Farbe wurde ein kleiner Fruchtkörper von A. nebularis
aufgestellt. Auch der Boden war entsprechend den vier verschiedenen
Farben der Etagen mit vier gleich großen Quadraten des gleichfarbigen
Papieres belegt. Der Klinostat, auf den die Glocke gestellt wurde, war
jedesmal drei Tage in Tätigkeit, doch war kein Einfluß der verwendeten
Farben auf die Bestreuung der Flächen zu konstatieren. Eine zweite
Versuchsanordnung war die folgende: Es wurde ein viereckiger Glas-
kasten, wie er auf Seite 14 Abs. 1 beschrieben ist, in dem Dunkel-
zimmer des Instituts so aufgestellt, daß die schwachgestellte leuchtende
Flamme eines Schwalbenschwanzgasbrenners ihre Licht- und Wärmestrahlen
einseitig in schräger Richtung in den Glaskasten schickte und sowohl
den Boden als auch eine in der Mitte aufgehängte Querwand gleich-
mäßig auf der ganzen Fläche bestrahlte.e Die Bodenfläiche wie die
Querwand waren parallel zum einfallenden Licht mit verschiedenfarbigen
gleichbreiten Papierstreifen belegt. (Rotes, gelbes, grünes, blaues, weißes,
graues, schwarzes und Staniolpapier.) Die Querwand reichte an der
dem Lichte zugewendeten Seite bis auf einen Abstand von 5 em an die
Glaswand heran, sodaß die Sporen sich bequem auf ihr verbreiten konnten.
Der Versuch blieb acht Tage lang (10.—18. November) bei gleichmäßiger
9#+
20
ununterbrochener Beleuchtung aufgestellt. Das Resultat war auch hier ein
negatives. Die Streifen waren in paralleler Richtung ziemlich gleichmäßig
von den Sporen bedeckt, sowohl auf der Unterlage wie auch auf der Quer-
wand. Ein Einfluß der Farbe konnte also bisher nicht konstatiert werden,
doch werde ich diese Versuche fortsetzen, sobald mir geeignetes Material
zur Verfügung steht.
Es bleibt somit für die Verbreitung der Pilzsporen eine reine Flächen-
wirkung bestehen, und zwar zeigen alle Versuche: je mehr bestreubare
Flächen sich im Raum, der für die Verbreitung der Sporen zur Verfügung
steht, darbieten, um so stärker werden sie verteilt, sodaß man den Satz
aufstellen kann, daß in einem abgeschlossenen Raum die Verbreitung und
Verteilung der Sporen der Basidiomyceten proportional ist der Größe der
sich für die Bestreuung in geeigneter Lage darbietenden Oberflächen.
Ich habe mir nun die weitere Frage vorgelegt, inwieweit diese Flächen-
wirkung bei ungleichmäßiger Verteilung im Raum imstande ist, die Ver-
breitung der Pilzsporen im Raum zu beeinflussen. Es wurde in einem
sroßen Glaszylinder einseitig eine Etage aus schwarzem Papier, die
etwa den dritten Teil des Raumes einnahm, und in der Mitte des
Raumes ein Fruchtkörper von A. nebularis aufgestellt. Beide Seiten des
Zylinders, die flächenleere und die etagentragende, befanden sich in gleicher
Richtung zum einfallenden Licht. Nach vier Tagen waren sämtliche Flächen
dick bestreut, doch hatten die Sporen sich in dem verfügbaren Raum ganz
ungleichmäßig ausgebreitet. Jede einzelne der Etagen war etwa ebenso
stark bestreut wie die Unterlage auf der ganzen leeren Seite des Zylinders;
es haben sich eirca zehnmal so viel Sporen in dem mit Flächen besetzten
Teile des Zylinders niedergelassen. Wir werden später die Ursache für
diese Erscheinung kennen lernen, und da sie für die Ausbreitung der Sporen
in der Natur von großer Bedeutung ist, soll hier noch einer weiteren Versuchs-
anordnung Erwähnung getan werden, die veranschaulicht, auf wie weite
Entfernungen hin diese Flächenwirkung noch zu konstatieren ist. In dem
sroßen 2 m hohen Kultursehrank, der auf Seite 11 Abs. 1 erwähnt ist,
wurden auf einem Stativ zwei Fruchtkörper von 4. nebularis 60 em hoch
mitten im Schranke aufgestellt. Oben von der Decke des Schrankes hing
freischwebend eine an vier Holzstäben befestigte, aus sechs quadratischen
schwarzen Kartonscheiben bestehende Etage herab. Die unterste Scheibe
mit einer Oberfläche von 30><50 em befand sich einen Meter hoch über
den Hüten. Nach sieben Tagen waren alle sechs Scheiben gleichmäßig
ungefähr ebenso stark von den Pilzsporen bedeckt, wie die den Boden
des Schrankes bedeckenden Papierbogen. Die Sporen verbreiteten sich in
dem großen Raume des Schrankes gleichsam nach den bestreubaren Flächen
hin und zwar so regelmäßig, daß eine ganz gleichmäßige Bestreuung
resultiert. Mit andern Worten: Auf weite Strecken hin vermögen die
Sporen der Agarieineen sich selbsttätig bestreubare Körperflächen auf-
zusuchen und sich gleichmäßig auf ihnen zu verteilen.
»21
Mit Rücksicht auf die eingangs geäußerte Möglichkeit, daß die Sporen
vielleicht elektrisch geladen sein könnten, ist auch die Frage geprüft worden,
ob die elektrische Leitfähigkeit der Oberfläche von Einfluß ist. Zur Aus-
führung des Versuches wurden quadratische Blättchen aus Staniol verwendet,
die einmal isoliert, das andere Mal mit dem Erdboden verbunden auf-
gestellt wurden. Die isolierten Blättchen befanden sich auf gleichgroßen
Pappscheiben, welche auf einer 40 em langen Siegellackstange zentral
etagenartig befestigt waren. Die verbundenen waren auf entsprechende
Drahtscheiben aufgelegt, welche in gleicher Art auf einem blanken Eisen-
stativ befestigt waren. Das Eisenstativ war durch einen Draht mit einem
Hahn der Wasserleitung verbunden. Zwischen beide Stative wurde ein
Fruchtkörper von Pleurotus salignus aufgestellt. Darüber kam die Glas-
glocke, welche mit dunklem Papier überzogen war. Nach fünf Tagen waren
die Blättehen gleichmäßig dicht bestreut, und es wird hieraus geschlossen, daß
die elektrische Leitfähigkeit der Oberfläche auf die Bestreuung durch die
Pilzsporen ebenfalls ohne Einfluß ist.
Die Resultate dieses Abschnittes sind die folgenden:
1. Nur die Oberfläche der Körper kann von den Basidiomycetensporen
bestreut werden und zwar in allen Neigungen bis in die Nähe der senk-
rechten Lage.
2. Je mehr solcher Flächen sich in einem geschlossenen Raum für die
Bestreuung darbieten, um so größer ist die Verteilung der Sporen und um
so geringer die Dichtigkeit der Bestreuung auf der Flächeneinheit.
3. Da sich die Sporen in dieser Art auch auf weiter entfernten Flächen
niederlassen, erreichen und bestreuen sie in der Natur auf weite Strecken
hin ihre Substrate.
4. Die Qualität und Quantität der flächenbildenden Substanz, ebenso die
physikalische Beschaffenheit der Oberfläche, haben keinen bemerkenswerten
Einfluß auf die Bestreuung.
5. Die Sporenverbreitung der Hutpilze in zeitlicher Folge.
Es soll nun weiter untersucht werden, ob die Verbreitung der Sporen,
wie wir sie vorher kennen gelernt haben, eine während der ganzen Lebens-
dauer des zur Sporenreife entwickelten Pilzes kontinuierlich und gleichmäßig
andauernde, oder eine mehr oder weniger periodisch verlaufende ist. Mir
standen für diese Untersuchungen in der vorgerückten Jahreszeit nur noch
Fruchtkörper von Agaricus nebularis und Agaricus violaceus zur Verfügung.
Ich habe wohl ausgebildete Fruchtkörper dieses Pilzes unter einer Glocke
(15 em im Durchmesser und 25 cm hoch) auf einer Unterlage von schwarzem
Papier bei sehr zerstreutem Licht aufgestellt und die Unterlage alle Stunden
am Tage und in der Nacht gewechselt, bis die Pilze zusammenfielen. Die
Zeit von einer Stunde genügte für die Bildung so reicher Sporenmengen,
daß auf der Unterlage eine deutliche Zeichnung sichtbar wurde. Die
mern
Photographie 1 auf Tafel III zeigt die schönen Sporenbilder, wie sie im
stündlicher Folge nach einander erhalten wurden. Die Versuche ergaben,
daß die Ausstreuung der Sporen eine kontinuierliche ist und sowohl am
Tage als auch in der Nacht während der ganzen Sporenreife ununterbrochen
stattfindet. Die Photographien (Verkl. 1: 10) zeigen auch, daß die Menge
der abgeworfenen Sporen in der Zeiteinheit eine ziemlich gleichmäßige ist,
daß also die Ausstreuuug sehr gleichmäßig und ununterbrochen erfolgt, und
daß die Sporen sich in kleinen Räumen schnell auf den Flächen absetzen
und sich nicht lange in der Schwebe erhalten'), Nach den Bildern zu
urteilen, ist es somit sehr wahrscheinlich, daß bei gleichmäßiger Temperatur die
Intensität des Sporenwerfens, sobald sie mit der völligen Ausbreitung des
Hutes ein Maximum erreicht hat, tagelang eine gleiche bleibt, bis sie mit
dem Zusammenfallen des Hutes ein ziemlich plötzliches Ende erreicht.
Immerhin ist es möglich, daß während dieser Dauer des Sporenwerfens
mehrere unbedeutende Perioden intensivster Tätigkeit bestehen und daß sich
die verschiedenen Pilze verschieden verhalten, doch läßt sieh dies schwer
feststellen, weil als genaueres Maß für die Intensität des Sporenwerfens
Sporenzählungen in Räumen mit ganz konstanter Temperatur erforderlich
sind. Einen zeitweisen Stillstand in der Sporenausstreuung gibt es bei den
Hutpilzen im Gegensatz zu den Ascomyeeten jedenfalls nicht.
6. Der Einfluß der räumlichen Lagerung der Basidien auf
die Ausbreitung der von ihnen gebildeten Sporen.
Bei den bisher beschriebenen Versuchen wurden die gestielten Frucht-
körper der verschiedenen Pilze immer so aufgestellt, wie wir sie in der
Natur finden und dadurch die natürliche Lage der Basidien unverändert
beibehalten. Es fragt sich nun, wie die Sporenverbreitung bei veränderter
Lage der Basidien erfolgt. Es ist hierbei zu unterscheiden zwischen der
Abstoßung der Sporen und ihrer weiteren Verbreitung im Raume. Die
Fragen, die wir beantworten müssen, sind somit folgende:
1. Können die Basidien ihre Sporen immer nur in einer ganz be-
stimmten Lage abstoßen und ist hierzu insbesondere ein bestimmter Schwer-
kraftsreiz erforderlich ?
2. Hat die räumliche Stellung der Basidien einen Einfluß auf die weitere
Verbreitung der Sporen?
Für diese Versuche eigneten sich am besten die größten Fruchtkörper
der Blätterpilze, weil hier die Basidien an den Lamellen in ebenen glatten
Flächen in gleicher Lage nebeneinander angeordnet sind, und weil man die
1) Wurde der Pilz aus der Glocke schnell entfernt und ÖObjektgläser auf die
Unterlage gelegt, dann waren nur vereinzelte Sporen, die sich im Verbreitungsraume
vielleicht noch in der Schwebe befunden haben, mikroskopisch auf ihnen nachweisbar.
23
Lamellen lostrennen kann und mit ihrer Hilfe einer großen Zahl gleich-
gestellter Basidien gleichzeitig jede mögliche Stellung im Raume erteilen
kann. Die ersten Versuche wurden mit den in natürlicher Anordnung be-
findlichen Lamellen, also mit unversehrten Agaricusfruchtkörpern selbst aus-
geführt.
Die Hutpilze, die auf der Erde oder auf der Oberfläche anderer fester
Körper wachsen, besitzen einen Stiel, dessen Länge bei allen Formen nur
geringe Differenzen aufweist. Die Lamellen und mit ihnen die Basidien er-
halten durch ihn immer eine bestimmte erhöhte Lage über die darunter be-
findlichen festen Flächen. (Energie der Lage.) Eine Veränderung der Lage
der Basidien ist deshalb in erster Reihe durch Verkürzungen des Stieles
möglich. Wenn man den Stiel vollständig entfernt und den betreffenden
Hutpilz direkt auf eine Unterlage von Papier legt, dann erhält man die be-
kannten Sporenbilder, die einen genauen Abdruck des Verlaufes der
Lamellen oder der Röhren abzeichnen. Wenn man einen Röhrenpilz mit
weiten Porenöffnungen für diese Bilder — Figur 3 der Tafel III — ver-
wendet, z. B. den Polyporus squamosus, dann kann man an dem Sporen-
abdruck jeder einzelnen Röhre mit der Lupe einen äußeren Wall von auf-
getürmten Sporen und einen inneren Hof aus einer dünnen Sporenschicht
wahrnehmen: Die Sporen müssen also senkrecht von den Sterigmen
heruntergefallen sein. Da nun aber bei einer bestimmten Entfernung von
der Unterlage keine einzige Spore mehr senkrecht herunterfällt, — Figur 4
Tafel I — so muß ein Einfluß bestehen, den die Entfernung der Lamellen
von der festen Unterlage ausübt. Für die Prüfung dieser Frage wurde ein
größerer Fruchtkörper von Agaricus nebularis in zehn gleiche Segmente ge-
stellt und dieselben auf der Unterseite grade geschnitten, sodaß die
Lamellen eine möglichst ebene Fläche bildeten. Mitten durch das Segment
wurde als Stiel eine größere Steeknadel hindurchgeführt, mit deren Hilfe
der neu gebildete kleine Pilz auf einer Unterlage befestigt werden konnte.
Auf der Stecknadel sind nun die Segmente verschiebbar, und man kann sie
vom Boden beliebig weit entfernen. Zu diesem Zwecke wurden Objekt-
gläser von 1 mm Dicke unter die Segmente gelegt, und nachdem die
Lamellen bis auf die Oberfläche der ‚Gläser vorsichtig herabgeschoben
waren, hervorgezogen. Auf diese Weise wurden die Segmente in Ent-
fernungen von genau 1, 2, 3, 4, 5, 6, 8 ete. mm von der Unterlage in
wagerechter Lage befestigt. Die Segmente wurden natürlich mit Glas
glocken bedeckt. Es zeigte sich nun, daß bis zu einer Entfernung von
> mm die Zeichnungen auf dem Papier noch etwa die gleichen sind wie
bei direkter Auflage der Lamellen. Auch diese Tatsache beweist, daß die
Sporen, nachdem sie von den Basidien abgestoßen sind, eine gewisse
Strecke lang senkrecht herunterfallen. Es ist dies auch eigentlich selbst
verständlich, weil es sonst undenkbar ist, wie die Sporen aus den engen,
langen Röhren oder aus den Spalten zwischen den Lamellen herausgelangen
sollten. Wiirden die Sporen von den Basidien etwa wie durch die Kraft
24
elastischer Bänder abgeschleudert, dann könnten sie doch nur an die gegen-
überliegende Hymeniumschicht geworfen werden. Die Basidien mit ihren
zarten Sporenträgern würden sich gegenseitig bombardieren. Ein Abwerfen
durch das gleichzeitige Ausplatzen der Basidien findet nur bei den Coprinus-
arten statt, bei denen sich die Lamellen aber aufspalten und die Basidien im
Momente des Aufplatzens frei nach außen stellen, dadurch den angeworfenen
Sporen den Weg nach außen frei machend, wie dies von Brefeld be-
schrieben wurde. Wenn man die Segmente des Agaricus nebularis nun
aber weiter von der Unterlage entfernt, so beginnt das Bild der Lamellen
sich allmählich zu verwischen. Dies zeigen die Bilder der Figur 4 auf
Tafel III. Das erste der sechs Bilder zeigt nur am Rande verwischte
Stellen, woselbst die Sporen der äußersten freigelegten Lamellenseite aus
größerer Entfernung herunterfallen. Bei 4 mm Entfernung ist die ganze
Zeichnung undeutlich, bei 5 mm (3. Bild) kann man das Bild der Lamellen nicht
mehr erkennen und die Sporen verbreiten sich seitlich über dasselbe hinaus.
Bei 6 und 7 mm ist die Ausbreitung eine entsprechend verstärkte, und bei
13 mm (6. Bild) sind die Sporen nicht bloß über die ganze Fläche, soweit die
Glocke reichte, sondern auch schon auf der Oberfläche des Segmentes,
welches oberhalb mit einer schwarzen Papierscheibe bedeckt war, zu sehen ').
Mit ähnlichem Erfolge wurden auch Versuche mit den ganzen Hüten des
Agaricus polygrammaus Bull. wiederholt, deren Stiel entsprechend verkürzt, resp.
durch eine Stecknadel ersetzt wurde. Schließlich wurden auch Versuche
mit Segmenten eines Polyporeen-Fruchtkörpers (P. squamosus) ausgeführt,
deren Resultat die Figur 5 der Tafel III so deutlich wiedergibt, daß ich
hierüber nichts weiter auszusagen brauche. Aus allen Versuchen geht hervor,
daß die Basidiensporen mindestens einen 1 cm hohen Luftraum unter ihren
Hüten vorfinden müssen, wenn alle Sporen aus ihrer senkrechten Fall-
richtung mehr oder weniger abgelenkt und weiter verbreitet werden sollen.
Für eine vollständige Verbreitung der Sporen, sodaß sie überhaupt nicht
mehr unter den eignen Hut fallen, wie dies z. B. die Bilder der Tafeln I,
II, III zeigen, ist ein Stiel von mehreren Zentimetern erforderlich, wie ihn
ja auch die meisten Pilze natürlich besitzen. Dies erklärt die Notwendig-
keit des Stieles bei allen auf horizontalen Flächen wachsenden Hutpilzen.
Es gibt einzelne Hutpilze, welche einen bedeutend längeren Stiel aus-
bilden können, der sich dann aber zum Teil wurzelartig in die Erde fort-
setzt. Die Figur 5 auf Tafel IV zeigt einen solchen Fruchtkörper von Mycena
galericulatus Scop., welcher, in einem morschen Baumstamme wachsend, einen
über 40 em langen unterirdischen Stiel gebildet hatte. Der oberirdische Stiel
\) Bei Besichtigung von Sporenbildern in dem Herbarium von Herpell erkennt
man sogleich, ob der Pilz dem Papier dicht auflag, oder ob er mehr oder weniger
davon entfernt war. So sieht man z. B. bei dem Sporenbilde von Gomphidius
glutinosus, daß die Lamellen an einem trichterförmigen Hut vom Stielansatze nach
oben verlaufen, weil sich mit der Entfernung von der Unterlage das Bild der
Lamellen immer mehr verwischt.
ENTE
besitzt nur die normale Länge von 7 cm, wie sie für die Sporenverbreitung
erforderlich ist. Bei diesem Pilze hat der Stiel eine doppelte Funktion, zu-
nächst muß er die Fruchtkörperanlage an die Oberfläche bringen und zu
diesem Zwecke ist sein Längenwachstum ein unbeschränktes, dann muß er
den ausgebildeten Hut über die Oberfläche emporheben und nun ist sein
Wachstum stets ein begrenztes. Die an horizontalen Flächen wachsenden
Hutpilze bedürfen keines Stieles, und wir finden ihn hier auch allgemein in
reduzierter Ausbildung.
Es handelt sich nun weiter darum, die Sporenverbreitung bei veränderter
Stellung der Lamellen im Raum zu studieren und zwar zunächst ohne ihre
Anordnung am Hute zu verändern. Zu diesem Zwecke wurden drei regel-
mäßig gebildete Hüte von Agaricus nebularıs in verschiedenen Richtungen
unter je eine Glasglocke gestellt, in welchen sich außerdem je eine Papier-
etage befand. Ein Hut wurde in natürlicher Stellung auf 8 em langem
Stiele, ein zweiter in umgekehrter Lage mit nach oben gerichteten Lamellen
und ein dritter Pilz, ebenfalls mit Hilfe eines Holzstabes 3" em vom
Boden entfernt, in vertikaler Richtung aufgestellt. Nur der normal gestellte
Hut verbreitete seine Sporen in den Raum. Beim vertikal gestellten waren
infolge der nicht ganz regelmäßigen Hutbildung am Boden nur einige kaum
sichtbare Verbreitungslinien vorhanden, während der umgekehrt gelagerte
keine einzige Spore verbreitet hatte.
In einer weiteren Versuchsreihe wurden vier Hüte in derselben Art mit
Hilfe von Holzstielen so aufgestellt, daß in vier zwischen der senkrechten
und wagerechten Lage des Hutes gelegenen, etwa gleichweit von einander
entfernten Ebenen die noch möglichen Aufstellungen des Hutes im Raume
erschöpft waren. Die Versuche zeigten, daß die in gleichen Zeiträumen
erfolgende Sporenverbreitung der gleich beschaffenen Hüte in dem Maße
zunimmt, wie die Hüte sich der wagerechten Stellung näherten. Die mikro-
skopische Untersuchung solcher Fruchtkörper, welche in umgekehrter Lage
keine oder in anderen Aufstellungen nur wenige Sporen verbreitet hatten,
ergab, daß sich am Grunde zwischen den Lamellen abgefallene Sporen in
großen Mengen angehäuft hatten, daß die Sporen also von den Basidien
abgefallen, aber an ihrer weiteren Verbreitung verhindert waren, offenbar
weil ihnen ein freier Fallraum nicht zur Verfügung stand. Wenn dies zu-
trifft, dann müßten die Sporen sich in der normalen Art verbreiten können,
wenn ihr Austritt auf der entgegengesetzten Seite, dort, wo die Lamellen
dem Hute angeheftet sind, ermöglicht wird. Dies läßt sich ausführen, wenn
man in noch festen, jüngeren Fruchtkörpern des Agaricus nebularis oder
violaceus die über den Lamellen befindlichen Parenchymschichten abträgt
und die Lamellen dann mit einem scharfen Messer vorsichtig aufschneidet,
doch so, daß sie mit dem Stiel und mit den Rändern in Zusammenhang
bleiben. Wurde ein so präparierter Hut mit der aufgeschnittenen Seite auf
eine Unterlage von schwarzem Papier gelegt, so war nach kurzer Zeit schon
das entsprechende Lamellenbild ebenso aufgezeichnet, wie bei normaler Auf-
26
lage des Hutes. Wurde er darauf in umgekehrter Lage auf einem 5 em
hohen Holzstiel zentral befestigt und auf der nach oben gekehrten normalen
Lamellenseite mit einer schwarzen Papierscheibe bedeckt, dann verbreitete
dieser Hut seine Sporen ebenso in den Raum wie in normaler Aufstellung.
Einen solchen Versuch zeigt die Abbildung S auf Tafel III, an der wir er-
kennen, wie besonders die tiber die Lamellen gebreitete Papierscheibe von
den Sporen bestreut wurde.
Für die weiteren Versuche wurden die Lamellen aus ihrem Verbande
vollständig getrennt. Hierzu eigneten sich besonders jüngere und feste
Exemplare des Agaricus violacens.
l. Zunächst wurden die Lamellen mit einer flachen Hymeniumseite direkt
auf schwarzes Papier gelegt oder durch untergelegte Bindfäden von ver-
schiedener Stärke ein wenig erhöht aufgelegt. Die senkrecht abfallenden
Sporen zeichneten dann in allen Fällen das Bild der flachen Lamelle auf die
Unterlage, eine Sporenverbreitung findet nicht statt.
2. Die flach gelegten Lamellen wurden auf ausgespannte Bindfäden ge-
legt, die weiter als 1 em von der Unterlage entfernt sind. Die Sporen der
Unterseite verbreiteten sich in den umgebenden Raum. Diese Versuchs-
anordnung zeigt die Abbildung 7 auf Tafel III, wo die Lamellen von
A. violaceus ihre Sporen in der beschriebenen Anordnung (2 em hoch)
sowohl auf die Unterlage als auch auf die 4 Blättehen einer darüber
befindlichen Etage verbreitet haben.
3. Schließlich wurden die Lamellen in der Längsrichtung freischwebend
aufgehängt, indem sie einseitig auf einem Faden aufgezogen und an diesem
zwischen zwei Stativen, die gleichzeitig eine Papieretage trugen, befestigt
wurden, wie dies Figur 6 auf Tafel III veranschaulicht. Wir sehen, daß
auch bei dieser Versuchsanordnung, die den abfallenden Sporen eimen freien
Fallraum darbietet, eine Verbreitung der Sporen in den Raum stattfindet.
Es blieb nun noch zu untersuchen, ob eine geotropische Reizwirkung
überhaupt für das Abwerfen der Basidiensporen eine Rolle spielt. Die Ver-
suche wurden mit Hilfe des Klinostaten ausgeführt.
1. An die horizontal gelegte Achse eines Klinostaten wurde ein Frucht-
körper von Agaricus nebularis parallel seiner Oberfläche befestigt. Die
Drehung des Hutes geschah in einem entsprechend großen Glaszylinder, der
horizontal gelegt, mit schwarzem Papier ausgekleidet und außerdem mit
einer Etage aus schwarzem Papier beschickt war. An der offenen Seite
wurde der Zylinder mit starkem Papier umbunden und die Achse des
Klinostaten durch ein mittleres Loch des Papieres hindurchgeführt. Ein so
gestellter Hut verbreitete während mehrtägiger Drehung seine Sporen un-
gehindert in den umgebenden Raum, natürlich in geringeren Mengen, da sie
während eines Teiles der Drehung beim senkrechten Abfallen in den Hut
gelangen.
2. An der Achse des Klinostaten wurde bei sonst gleicher Versuchs-
anordnung ein rundes Holzplättehen von der Größe eines Fruchtkörpers von
27
A. nebularis einmal kreiselartig in zentraler Durehbohrung, das andere Mal
spatelartig längs seiner Fläche befestigt. Die Fläche des Brettehens wurde
beiderseitig mit feuchtem Fließpapier belegt, auf welchem einzelne Lamellen
des A. nebularis flach aufgelegt und dicht nebeneinander mit Zwirn be-
festigt waren, auch der Zylinder wurde feucht gehalten, um das Eintrocknen
der Lamellen zu verhindern. Nach mehrtägiger Versuchsdauer waren die
Sporen in dem ganzen Raum ebenso verbreitet, wie in den entsprechenden
Kontrollversuchen ohne Drehung, sie waren sowohl auf den Boden des
Zylinders, wie auch auf die Etage gelangt, welche seitlich von dem Brettchen
aufgestellt war.
Aus den Resultaten der Versuche dieses Abschnittes können wir folgende
Sätze ableiten:
1. Die Abstoßung der Sporen von ihren Basidien erfolgt aktiv ') in jeder
Lage unabhängig von Lieht- und Schwerkraftsreizen, sobald dieselben reif
seworden sind.
2. Gleich nach dieser Abstoßung unterliegen sie der Einwirkung der
Schwerkraft, derzufolge sie eine kurze Strecke senkrecht herunterfallen und
so aus dem Röhren- resp. Lamellensystem herausgelangen. In diesem
Augenblick aufgefangen, bilden sie in ihrer Anhäufung die bekannten
Sporenbilder, und da diese von fast allen Hutpilzen bekannt geworden sind, ist
bewiesen, daß die Sätze für alle typischen Formen der Basidiomyceten zutreffen.
3. Erst in einem unter den Hymenophorensystemen befindlichen genügend
hohen Luftraum verlassen die fallenden Sporen ihre senkrechte Fallrichtung,
um sich seitlich in den umgebenden Raum zu verbreiten.
4. Die Sporenverbreitung erfolgt demnach in allen Fällen, in denen die
Lagerung der Basidien im Raum den senkrecht abfallenden Sporen den
Eintritt in einen freien Fallraum von bestimmter Höhe ermöglicht.
Wärmebildung als die Ursache der selbsttätigen Sporen-
verbreitung bei den Basidiomyceten.
Es bleibt uns somit die Frage zu lösen, welche Kräfte es sind, die die
in den Luftraum fallenden Sporen verbreiten können. Wir haben bereits
gesehen, daß den Sporen von den Basidien keine anderen Kräfte erteilt
werden als diejenigen, welche zur Loslösung von dem Sterigma er-
forderlich waren, oder die höchstens zu einer kurzen Vorwärtsbewegung
in der Richtung des Sterigmas ausreichen, und insofern dies der Fall ist,
!) Ein großer Fruchtkörper von A. nebularis unter einer Glocke mit Chloroform-
dämpfen aufgestellt, läßt keine Sporen mehr abfallen. Dies beweist, daß dieselben
nicht infolge ihrer Schwere einfach abfallen, sondern daß sie mit aktiver Kraft ab-
gestoßen werden.
28
kann es berechtigt sein, von einem Abwerfen resp. Abstoßen der Basidien-
sporen zu reden. Auch die mikroskopische Beobachtung, soweit sie möglich
ist, gestattet keine andere Wahrnehmung als die, daß die Sporen bei der
Reife von dem Sterigma plötzlich ruckartig abfallen. Wenn nun keine
weiteren Kräfte vorhanden wären, welche nach dem Abstoßen der Sporen
zur Wirkung gelangen, dann müßten sie in den zu den Versuchen benützten
Räumen, in welchen die äußeren Luftströmungen vollständig abgeschlossen
waren, ganz unabhängig von der Fallhöhe bis auf den Boden senkrecht
herunterfallen. Zur Erklärung der Sporenverbreitung müssen wir deshalb
die Einwirkung neuer Kräfte in Anspruch nehmen, welche erst in dem
Augenblick einwirken, in dem die Sporen aus dem Bereich der Hymenophore
in die darunter befindlichen Luftschichten gelangt sind. Die hier in Frage
kommenden Kräfte können entweder in den Sporen selbst oder von außen
her wirksam sein. In den Sporen selbst können als wirksame Kräfte ge-
dacht werden etwa das Auftreten von leichten Gasen, welehe das Empor-
tragen herbeiführen. Solche Gasausscheidungen sind aber noch niemals be-
obachtet worden, und sie würden die Erscheinungen der Sporenverbreitung
auch nieht erklären können. Auch die Annahme elektrischer Ladungen !)
in den Sporen ist bereits erörtert und verneint worden.
Es blieben somit zur Erklärung dieser Erscheinung nur noch äußere Kräfte
bestehen, welche in dem Augenblick einwirken, wenn die Sporen in den be-
sprochenen Fallraum hineingelangen. Wer den Versuchen im Verlaufe der
vorhergegangenen Besprechungen aufmerksam gefolgt ist, wird durch sein
eigenes Urteil dahin gelangt sein, daß alle Erscheinungen noch am besten
durch Luftströmungen zu erklären sind, und ich wüßte keine andere Kraft,
die noch herangezogen werden könnte. Wenn somit nur die Luftströmungen
für die Erklärung der Sporenverbreitung übrig bleiben, dann entstehen zwei
weitere Fragen:
1. Ob und wie starke Luftströmungen imstande sind, die Sporen mit-
zuführen ?
2. Wie solehe Luftströmungen im Innern der geschlossenen Zylinder ent-
stehen können ?
Für die Entscheidung der ersteren Frage stellte ich nun Versuche in
folgender Art an: Einen sporenwerfenden Hut von Agaricus nebularis
brachte ich unter eine Glasglocke, die durch einen seitlichen Tubus mit
einer Saugpumpe in Verbindung gebracht wurde. Es zeigte sich nun, daß
ein Luftstrom, der so gering ist, daß man ihn an einem engen Rohr mit
den Lippen kaum wahrzunehmen vermag, die von dem Hute gebildeten
Sporen mitzuführen vermag. Sie gingen durch enge Verbindungsröhren hin-
durch in ein zweites Gefäß, das an die erste Glocke angeschlossen wurde,
!) Ein unter den sporenwerfenden Hutpilz gestelltes empfindliches Elektroskop,
dessen Platte von den Sporen beworfen wurde, zeigte keine Bewegung der Gold-
blättchen an.
29
schlugen sich hier in gleichmäßiger Schicht auf dem Boden nieder und
wurden sogar noch in ein drittes und viertes Gefäß in kleineren Mengen
witgeführt, welche in gleicher Weise an das zweite angeschlossen wurden.
Die Seite des Zylinders, welche dem Luftstrom entgegengesetzt ist, blieb
vollständig frei von den Sporen und sie verteilten sich alle in die Richtung
des Luftstromes. Diese Feststellungen genügten zunächst dafür, daß ein
geringer Luftstrom imstande ist, die Sporen auf weite Strecken, selbst durch
enge Kanäle mitzuführen.
Wir kommen nun zu der anderen Frage, ob solche Luftströmungen in
unseren Versuchen vorhanden sind und wie sie entstehen können ?
Eine dauernde Luftbewegung kann hier am einfachsten dadurch ver-
ursacht werden, daß die Luft an den Stellen der Sporenverbreitung fort-
dauernd erwärmt wird und infolgedessen ein stetiges Emporsteigen der er-
wärmten und Nachströmen der kälteren Luft — also eine fortdauernde
Luftbewegung — erzeugt wird. Eine solche Erwärmung an den Stellen der
Sporenverbreitung kann aber nur von dem Fruchtkörper selbst herbeigeführt
werden, und so kommen wir zu der Frage, ob etwa die großen Frucht-
körper der Basidiomyceten selbst die Wärme bilden, welche zur Verbreitung
ihrer Sporen notwendig ist?
Nur in ganz vereinzelten Fällen sind erhebliche Temperaturerhöhungen
an ausgewachsenen Pflanzen konstatiert worden, z. B. in den Blütenständen
höherer Pflanzen (Araceen), bei denen die erzeugte Wärme offenbar zur
Anlockung der Insekten dient, also eine ganz bestimmte biologische Bedeutung
besitzt. Dutrochet'), dem wir eingehende Arbeiten über die Temperatur-
erhöhungen bei den Pflanzen verdanken, hat nun auch zuerst die Eigen-
wärme der Pilze festgestellt. D. hat die thermoelektrische Methode benutzt,
indem er die Lötstellen von Kupfer- und Eisendraht in Form von Nadeln
in den Scheitelpunkt des Stieles der Pilze einsenkte, die eine in den leben-
den, die andere in den getöteten Pilz. Bei dem Boletus «ereus erreichte
die Temperaturerhöhung des lebenden Pilzes (iber den getöteten Pilz) im
Laufe eines Tages 0,45°. Dutrochet sagt hierüber folgendes: „Die
vitale Wärme von beinahe einem halben Grade Celsius, die der Boletus
aereus mir gegeben hat, ist die höchste Eigenwärme, die ich auf vege-
tabilischem Gebiet angetroffen habe, mit Ausnahme der weit beträchtlicheren
Wärme, die der Kolben des Arıım während seiner Blüte bildet.“ Dutrochet
glaubt, daß diese Erwärmung bei dem Pilz in Perioden erfolgt, er hat dies
aber nicht feststellen können.
Im Jahre 1903 standen mir für meine diesbezüglichen Prüfungen in der
vorgerückten Jahreszeit nur noch wenige Fruchtkörper von Agaricus nebularis
zur Verfügung, an denen ich aber mit dem Thermometer eine höhere
Temperatur nicht nachweisen konnte. Brachte ich die Hüte jedoch mit ab-
geschnittenem Stiele in normaler Lage übereinandergelegt in einen ent-
1) Dutrochet 1840. Annales sc, nat. 1], 13, S. 84.
30
sprechend großen, mit einem durchbohrten Deckel versehenen Glaszylinder,
den ich allseitig zur Wärmeisolation mit dicken Watteschiehten umgab und
dann nochmals in ein entsprechend größeres Glasgefäß einsetzte, dann
zeigte das eingeführte Thermometer schon nach kurzer Zeit eine Temperatur-
erhöhung von 3° Celsius an, die lange Zeit konstant blieb. Genauere
Versuche habe ich erst in diesem Jahre ausführen können und zwar mit
den Fruchtkörpern von Polyporus squamosus. Die Röhrenschicht dieses
Pilzes läßt sich als zusammenhängende Lamelle mit einem scharfen Messer
lostrennen und ist so widerstandsfähig gebaut, daß die Gewebe durch
leichte Quetschungen ete., wie sie bei den Versuchen unvermeidlich sind,
nicht zerstört werden '), sodaß man damit operieren kann. Dieser Pilz trat
an einer Kastanie im botanischen Garten in mehreren großen Exemplaren
auf, als ich gerade einige freie Tage hintereinander für meine Untersuchung
verwenden konnte. Die Untersuchungen begannen, als die Fruchtkörper
ausgewachsen waren und ihre Sporenverbreitung begonnen hatten; nun
wurden täglich Teile desselben Fruchtkörpers, soviel für die Untersuchung
gerade erforderlich war, entnommen. Am 25. August wurden mit der ab-
getrennten und in Stücke zerschnittenen jungen Röhrenschicht die ersten
Versuche angesetzt. Sie wurden locker in einen kleinen Glaszylinder
(3"2 breit und 6'/» cm lang) gefüllt und letzterer mit einem Gummistopfen
verschlossen, durch welchen ein Thermometer in das Röhrchen hineinführte.
Die luftdieht geschlossene Röhre wurde von einer Watteschicht umgeben
und in einen Dewarschen Glaszylinder”) von 6 em lichter Weite und 15 cm
Tiefe eingesenkt. Die Öffnung des Zylinders wurde rings um das
Thermometer mit einem dichten Wattestopf verschlossen und das so be-
schiekte Dewarsche Gefäß, abermals von dicken Watteschichten umgeben, in
einen entsprechend größeren Glaszylinder eingesetzt. Auch von oben her
wurden die Zylinder mit dieken Watteschichten bedeckt. In ganz gleicher
Art wurde ein zweiter Versuch mit denselben Pilzstücken angesetzt, die aber
vorher in heißem Wasser abgetötet wurden. Die folgende gekürzte Zu-
sammenstellung zeigt den Ausgang des Versuches.
Außen-
Am 25. 3. 1904 Temp.
um 5 Uhr nachm. Temp. d. leb. Pilz. 22,7° C., d. toten Filz. 22,07 0, 92076
- Bi: = Re ee ee za
een: ae EB m ee na
ee RE ET SE nn? _
ee = 0 a Ne Äe
26.8. um 9 Uhrmorr. ee ie Mae = 17,202 lH
1) Zerstörte Zellen stellen nicht bloß ihre Funktion ein, sie werden bei den
Pilzen sogleich von Fäulnisbakterien befallen, die ihrerseits Wärmebildung ver-
ursachen und das Resultat unsicher machen. Aus demselben Grunde wurde nach
allen Versuchen geprüft, ob die Pilzsubstanz noch unverändert ist.
2) Herr Privatdozent Dr. Cl. Schaefer bat mich zuerst auf diese Gefäße auf-
merksam gemacht und mir auch in seiner liebenswürdigen Art die Benutzung eines
Thermoelements im physikalischen Institut ermöglicht.
31
Wir sehen hieraus, daß der lebende Pilz beim Beginn des Versuches
1° wärmer war, als der tote Pilz, daß er aber allmählich dieselbe
Temperatur annahm, wie dieser. Beim Öffnen des Glases zeigte sich, daß
die lebenden turgescenten Pilzstücke unter reichlicher Wasserausscheidung
abgestorben waren, offenbar infolge des völligen Luftabschlusses durch den
Gummistopfen.
Am folgenden Tage wurden die Versuche mit der Röhrenschicht des
entsprechend weiter entwickelten Fruchtkörpers wiederholt, doch wurde der
Glaszylinder mit dem Pilze nur durch einen festen Wattestopfen ver-
schlossen, der den Gasaustausch noch ermöglicht. Ein erster Versuch wurde
wieder mit der Röhrenschicht, ein zweiter mit der zwischen Oberfläche und
Röhrenschicht befindlichen Markschicht desselben Fruchtkörpers, ein dritter
mit der in Wasser abgetöteten und auf Zimmertemperatur abgekühlten
Röhrenschicht angestellt.
Am 26. 8. 1904 zeigte das Thermometer
um 5 Uhr nachm. in der in der
im leb. Mark- im toten Zimmerluft
leb. un 23,b° C-, schieht 21,1%.C, Bilz
6 24.300 zn 21 EL = S 20,6" = EN
7 - a ae
8 = - 26,30 = 520,8 20,1? Bi,
B) A 20867 - 19,32 - 18,8 °
10 = z 21,80, =,.1,20,3°, - - 19,302 18.57
I1.,= - 28, = NE - 19,22. 18°
12 - - 28,2° - a4 19,8% - I a LS
3 - nachts - 27.902 - 19,39 - a 18,30 158
27.8.
7 - früh - 20,30 N ar TG ES NL I TTS 1,0
g= - 26,4" - $ :219,42 - z 17.52: 18°
10 - : 26,20 - = B043 0 = 1030 18,5 °
ri: z 26075 - = 199% 2 17.9 - 49°
1 - mittags- 25,8 > 22.2 = - 18257- 19,5 °
£ \ist die Temp. >.0( (stündl. die Temp. höher als
Um 5 Uhr ’d. leb. Hymen. !" 2,5 BuneR der eb. um 0,5° der
6 - ZEN ‚35°) Marksch. tote Pilz.
= 7 = ‘ z = 0
/ 5,1 (1.250) e s 0577
a |
\
9 z z = 0 ‘
Tone (1,05%) - 40,80
10 - - 8,
ER 8,80 \
/ 8,8 { (0,45°) : 2 0,8"
12 9,2% [
2 7 z 7 9,6" (0,125°) ? 1,0"
32
Die Versuche zeigen, daß die Temperatur der lebenden Röhrenschicht
sleich am Anfange des Versuches um 2,5° CO, die des lebenden Parenchyms
um 0,5° höher ist als die des toten Pilzes und daß sie bei der aus-
gezeichneten Wärmeisolation fortdauernd zunimmt, bis sie beim Hymenium
einen Maximalwert von 9,6", bei der Markschicht von ca. 1° ©. erreicht
hat. Aus den Zahlen geht hervor, daß der Pilz fortdauernd Wärme
produziert, die in dem Versuche die Temperatur stetig erhöht, bis sie end-
lich konstant wird. In den ersten zwei Stunden beträgt die durchschnitt-
liche Wärmebildung 1,85° C., in den folgenden 1,25° C., darauf 1,05° C.
und schließlich 0,45° und 0,125°, erst nach zehn Stunden ist das
Maximum erreicht. Die weiteren Zahlen sind nicht mehr vergleichbar, weil
die Außentemperatur zu stark herunterging. Da der Wärmeverlust am
Anfange des Versuches am geringsten ist, so entspricht die 'Teemperatur-
erhöhung, die am Anfange des Versuches angezeigt wird, der wirklichen
Wärmeproduktion des Pilzes am besten.
Die Messung der Temperaturen bei guter Isolation gibt ebensowenig
einen genauen Aufschluß über die erhöhte Temperatur, die ein Körper
wirklich konstant besitzt, wie bei schlechter Isolation. Während im
letzteren Falle die Wärme sofort an die Umgebung abgegeben wird und
für die Messung evtl. ganz verloren geht, wird bei sehr guter Isolation
die gebildete Wärme zum Teil von der Pilzsubstanz selbst aufgenommen
und infolgedessen ihre eigene Temperatur andauernd erhöht. Gelänge
eine vollkommene Isolation, so würde eine gleichmäßig fortschreitende
Temperaturerhöhung eintreten müssen, die ein genaues Maß für die er-
zeugte Wärme abgäbe. Die besten Isolationen, die wir kennen, ver-
mögen aber eine Wärmeabgabe nach außen hin nicht zu verhindern, und
diese ist um so größer, je höher die Temperatur gegenüber der Umgebung
ansteigt. Es wird deshalb in solchen Versuchen eine fortdauernde Abnahme
der Temperatursteigerung eintreten, bis schließlich der Augenblick gekommen
ist, in dem die Wärmeabgabe der Wärmezunahme gleichkommt und das
Thermometer ein konstantes Temperaturmaximum anzeigt.
Die Pilzfruchtkörper bilden die Wärme eben nicht zur Erhöhung ihrer
eignen Temperatur, sondern zur Erwärmung der Luftschichten, die sich
unter dem Hute befinden. Die Wärmeabgabe an die umgebende Luft ist
aus diesem Grunde bei den Pilzen eine so vollkommene, daß es bei den
meisten Formen nicht möglich ist, mit dem Thermometer eine Eigenwärme
an der freien Luft nachzuweisen. Erst wenn wir die Wärmeabgabe nach
außen durch mehr oder weniger gute Isolation verhindern, wird sie für das
"Thermometer nachweisbar. Die Messungen an der freien Luft, sei es mit
Hilfe des Thermometers oder der elektrischen Methode, geben uns daher in
keinem Falle einen genauen Aufschluß über die wirkliche Wärmebildung
bei den Pilzen. Temperaturmessungen an der freien Luft haben überhaupt
nur dann Wert, wenn es sich um Organe handelt, die eine bestimmte
höhere Temperatur für ihre Lebensfunktionen besitzen müssen, und die des-
halb selbst Vorrichtungen besitzen, um die Temperatur je nach den Ver-
hältnissen der Außenwelt, sei es dureh Isolationsvorrichtungen, sei es durch
veränderte Wärmeproduktion (oder Zufuhr), entsprechend regulieren zu können;
hier messen wir eine Wärmeeinstellung, in unserem Falle aber handelt
es sich um die Frage: Welche Wärmemengen gibt der Pilz in be-
stimmter Zeit an seine Umgebung ab, resp. wie groß ist die Quantität
der in der Zeiteinheit für die Abgabe produzierten Wärme? Wir müssen
also quantitative Wärmebestimmungen ausführen. Die diesbezüglichen
Versuche wurden ebenfalls mit Hilfe der guten Isolation in einem
Dewarschen Gefäß in ähnlicher Versuchsanordnung wie vorher aus-
geführt. Zur Wärmemessung benützte ich eine gewogene Menge
destilliertten Wassers von bestimmter Temperatur. Zur Aufnahme des
Wassers diente ein Reagensglas von 50 cem Rauminhalt mit einem Gummi-
stopfen verschlossen, durch welchen ein in "/so Grade geteiltes Thermometer
bis etwa zur Mitte der Röhre eingeführt ist. Die Reagensröhre wurde mit
der wärmebildenden Röhrenschicht direkt umhüllt, und beide hatten einen
Umfang, daß sie in den Innenraum des Dewarschen Zylinders noch bequem
eingesenkt werden konnten. Am 27. Oktober 1904 wurden zu gleicher Zeit
drei Versuche angesetzt: Der eine mit 50 g der zusammenhängenden
Röhrenschicht, der zweite ebenfalls mit 50 g einer zusammenhängenden
Lamelle aus der direkt unter dem Hute befindlichen Markschicht, der dritte
mit einer 50 g schweren abgetöteten quergeschnittenen Lamelle des Pilzes.
Temperaturzunahme von ca. 50 g Wasser
u ee ee
durch 50 g lebende
durch 50 g lebende Röhrenschicht
Markschicht
a Rn | adisie, Penner | Stndtiche
Atescs. Celsius | Temperatur- an Temperatur-
E zunahme zunahme
ee |
6.0 L5r I U
6,12 19,1 17,98 51 al versuchs
6,17 19,3 / 2,76 19,0 |
6,27 19,6 | I) ee
6,45 202] 19,17 |
7,05 204 | Re
7,30 208 |0,95 193 | (0,32
8,02 31,3 oe
9,13 DI 10.0884 19,5 | 0,18
1125 0 23,7, 0,64 20,0
12,08 | 24,2 | u 20,2 | 0,17
1,10 24,8 ’ 30:31
at 2,0% 1 9064 20.8. - 1.2098
DR a0 #91 .08= 1.20.52 21,5 --ı 0
a. a ee 21,6 00019
: 1102 | DLR 0,08 21,7%. 1.2.0.06
| |
Cohn, Beiträge zur Biologie der Pflanzen, Bd, IX, Heft 1. 3
34
Das Reagensglas für den Pilzröhrenversuch enthielt 51,195 g_ destilliertes
Wasser, dasjenige für die Markschicht 49,39 g. Der offene Rand zwischen
Reagensglas und Dewar’schem Gefäß wurde durch eine dichte Watte-
schieht verschlossen. Wurde jetzt das Reagensglas herausgehoben, so
blieben die Pilzschiehten in Zylinderform in dem Dewarschen Gefäß zurück,
so daß das Reagensglas augenblicklich wieder in denselben eingesetzt
werden konnte. Es wurde nun kurz vor Beginn des Versuches das
Reagensglas an dem oberen Teile des Gummistopfens gefaßt, umgeschüttelt
und die Temperatur des 'Thermometers abgelesen, dann wurde es sofort in
die Pilzschichten eingesenkt; vor jeder späteren Ablesung wurde ebenfalls der
sanze Versuch mehrmals umgedreht. Während der ganzen Versuchsdauer
wurde die Außentemperatur in dem Versuchszimmer konstant gehalten, was
bei dieser Jahreszeit mit Hilfe der Beleuchtungskörper leicht gelang, sie
betrug dauernd 20° C.
Aus der Tabelle (S. 35) ist ersichtlich, daß die Temperatur des Wassers in
den ersten 10—20 Minuten die stärkste Zunahme zeigt, offenbar weil die schon
etwas höhere Temperatur der Pilzsubstanz außer der fortdauernden Wärme-
bildung mitwirkt. Von Stunde zu Stunde verringert sich die Temperatur-
zunahme, bis sie nach 13 Stunden annähernd konstant bleibt. Das Wasser hat
alsdann eine gegen den Beginn des Versuches um 10° C. erhöhte Temperatur.
Gegenüber dieser Wärmeerzeugung der Röhrenschicht ist diejenige der Mark-
schicht eine so geringe, daß wir die Hymenophore als die Stätte der Wärme-
bildung ansprechen müssen '). Der tote Pilz bewirkte keine Temperaturerhöhung.
Am folgenden Tage wurde der Versuch mit dem entsprechend weiter
entwickelten Hymenium desselben noch am Baume sitzenden Pilzes wieder-
holt, doch wurden nur 35 g der Röhrenschicht verwendet. Als tags
darauf die Temperatur des Wassers wieder nach Erreichung einer um 10°
höheren Temperatur konstant blieb, wurde auf das Hymenium nach Fort-
nahme des Watteringes ringsherum Chloroform getröpfelt, um die Lebens-
tätigkeit des Pilzes zu unterbrechen; darauf wurde das Gefäß sogleich
wieder mit dem Wattestopfen möglichst dicht verschlossen... Nun wurde
von Stunde zu Stunde die Temperatur abgelesen, bis das Thermometer auf
die Temperatur der Umgebung zurückgegangen war. Die Zahlen des Ver-
suches sind in der folgenden Tabelle (S. 35) verzeichnet.
Zur Prüfung des Isolationsvermögens einer solchen Versuchsanordnung
mit Hilfe des Dewarschen Zylinders wurden die in einem Reagensglas ent-
haltenen 50 eem Wasser von 27,4°, zu deren Abkühlung auf 21,5° in
!) Um Temperaturunterschiede in einem Fruchtkörper nachzuweisen, eignet
sich aın besten die thermoelektrische Methode, indem man die Nadeln an verschiedenen
Stellen des Fruchtkörpers einsticht. Man kann auf diesem Wege leicht konstatieren,
dal der Stiel besonders an der Basis kälter ist als die Markschicht und diese
kälter als die Hymenophore, auch kann man verfolgen, wie der Ausschlag des
Galvanometers größer wird, je mehr man sich von der äußersten Markschicht aus
den Hymenophoren nähert.
39
Temperaturzunahme von Temperaturabnahme von 50 g
ca. 50 g Wasser durch 55 g Wasser nach Abtötung
lebendes Hymenium desselben Hymeniums
Zeit der Temperatur en Zeit der Temperatur)
Ablesung | Celsius Te Ablesung | Celsius | ne
| |
12,6 Mittags 19,2 | 10Morg. | 30,3
12,18 ı 19,8 3 11 | .29 1,35
1 aba 12 22 1,8
3 924.5, 1,65 1 26,2 | 1,0
4 | 25,5 1 3 1725527 | 0,5
5 | 26,5 5 | 24 |
6 DE
8 28,3 0,65 7 22851
10 - Abas. | 29,2 0,45 8 22,7 | 0,4
10,35 ı 29,45 0,43 12Abas. | 21,5 0,3
2 El ee 0,18 9 20,1 0,15
8 | 30,5 | 0,03 10Morg. | 20,05 | 0,05
9 vorm. | 30,8 0 |
unserem Versuche ca. 12 Stunden erforderlich waren (siehe Tabelle), in der
Zimmerluft frei schwebend aufgehängt. Nach 25 Minuten war die Temperatur
des Wassers in der Röhre auf 23,8”, nach 60 Minuten auf 21,4° ge-
fallen. Der Wärmeverlust an der Luft war hier etwa zwölfmal so groß
wie in der Versuchsanordnung im Dewarschen Gefäß unter den angegebenen
Versuchsbedingungen. B
Wir sehen, daß hier 35 g des um einen Tag älteren Hymeniums etwa
dieselbe 'T'emperaturerhöhung angezeigt haben als die 50 g des vorher-
gehenden Tages. Wenn wir von der etwas stärkeren Temperaturzunahme
in den ersten zwölf Minuten absehen, hat der Pilz in der ersten Stunde,
in der die Wärmeabgabe nach außen noch am geringsten ist, die Temperatur
des Wassers um 2° erhöht, welche Zahl daher der wirklichen Wärmebildung
wohl am meisten entspricht. In der zweiten Stunde beträgt die Zunahme
nur noch 1,65°, in der vierten Stunde 1° usw., der Pilz hat in der Zeit
von 12 Uhr mittags bis 10 Uhr abends, also in zehn Stunden, die Temperatur
des Wassers um 10° erhöht. Wenn wir dagegen die Abnahme der ent-
sprechend hohen Temperaturen vergleichen, die in der Zeit von 10 Uhr
morgens bis 8 Uhr abends nach Abtötung des Pilzes erfolgt ist, dann
sehen wir, daß das Wasser 7,6” C. abgegeben hat. Wir können hieraus
schließen, daß bei unserer Versuchsanstellung das Hymenium während
dieser Versuchszeit ungefähr ebensoviel Wärme nach außen verloren hat,
wie es an das Wasser abgegeben hat!l. Daß die Zahlen nicht genau
!) Wenn der Apparat 10 Stunden gebraucht, bevor die durch eine konstante
Temperaturerhöhung bewirkte Wärmeabgabe so groß war, wie die empfangene
Wärmemenge, dann muß er dieselbe Zeit gebrauchen, um die empfangene Wärme
wieder abzugeben.
3*+
übereinstimmen, ist nicht zu verwundern, weil ja in dem lebenden Versuche
das direkt an das Dewarsche Gefäß angrenzende Hymenium mehr Wärme
nach außen abgab, als das im Reagensglas eingeschlossene Wasser beim
Abkühlungsversuch, und weil die Abtötung durch das Chloroform nicht
momentan und gleichmäßig erfolgt.
Wenn ich hiernach die ersten zehn Stunden des Versuches in der Zeit
von 12 Uhr mittags bis 10 Uhr abends der folgenden Berechnung zu-
srunde lege, in. welcher die Temperaturzunahme den verhältnismäßig
höchsten Wert von 10° C. erreichte, so geschieht dies, weil ich überzeugt
bin, daß in der freien Natur, wo der Zutritt des Sauerstoffs ungehindert
stattfinden kann und kein Teil des Hymeniums durch die künstlichen Ein-
griffe leidet, die Wärmebildung eine noch erheblich höhere sein wird. Da
der rückläufige Versuch anzeigt, daß in dieser Zeit etwa ebensoviel Wärme
nach außen abgegeben wurde, so resultiert in 10 Stunden eine doppelt so
große Wärmemenge, als sie das 'Thermometer anzeigt, d. i. eine Erwärmung
von 49,39 g Wasser um 20° C. Die 35 g Pilzsubstanz wurden aber auch
auf etwa dieselbe Temperatur erhöht wie das Wasser. Um diese Wärme-
menge annähernd bestimmen zu können, habe ich den Wassergehalt der
Röhrensubstanz desselben Pilzes bestimmt. Zu diesem Zwecke wurden
120 g derselben in kleine Stücke geschnitten, bei intensiver Sonnenbeleuchtung
und hinterher im Wassertrockenschrank (6 Stunden lang) getrocknet. Die
lufttrockne Substanz wog alsdann 15,2 g. In 35 g Röhrensubstanz sind
hiernach 30,5 g Wasser enthalten, die ebenfalls um 10° erhöht wurden,
wozu bei derselben Versuchsanordnung ebenfalls etwa die doppelte Wärme-
menge erforderlich war. Die erzeugte Wärme läßt sich hiernach annähernd
aus folgenden Ausdrücken berechnen:
35 g Röhrensubstanz erhöhen | 49,39 g Wasser um 20° C in 10 Stunden
die Temperatur von (230,507 Be -
35 > z 03, Iu Me 772027210 z
REN) \ 79,39 . 20
35 g Röhrensubstanz liefern in 1 Stunde 0 — 159418 Cal.
| 1 g Röhrensubstanz liefert in 1 Stunde 4,565 Cal.
] g lebende Röhrensubst. des Polyp. squamos. enthält 0,1266 g Trockensubst.
1 g Röhrentrockensubstanz des Polyp. squamos. liefert in 1 Stunde 36 Cal.
Ein weiterer Versuch wurde am 31. August 1904, also 5 Tage nach
Beginn der Sporenverbreitung des Polyporus mit dem letzten Teile des
Fruchtkörpers angestellt. Es wurden diesmal nur 15 g der Röhrenschicht
verwendet. Kurz vor Beginn des Versuches hatte das Wasser (49,39 g)
eine Temperatur von 20° C. Nach 15 Minuten war sie auf 21,3 ge-
stiegen, blieb während der nächsten Stunde konstant, stieg in den folgenden
vier Stunden auf 22,3, nach weiteren drei Stunden auf 23,3, um schließlich
nach zwei Stunden mit 23,9” das Maximum zu erreichen. Es entspricht
diese von 15 g Pilzsubstanz gelieferte Wärmemenge, die 49,39 g Wasser
in zehn Stunden um 3,9° C. erhöht, ganz gut dem im vorigen Versuche
37
bei Verwendung von 35 g Pilzsubstanz in ebenso langer Zeit erzielten
Resultat von 10° (berechnet 9,1 °).
Auch in dem Versuch vom 26. August auf Seite 31 hat die Temperatur
des Hymeniums nach 10 Stunden (um 3 Uhr Nachmittag) den höchsten
Wert von 10° C. Steigerung über die Temperatur der Umgebung erlangt.
Dieselbe Temperatursteigerung wurde auch erreicht, als ich den Versuch
am 29. August 1904 mit der entsprechend älteren Röhrenschicht in etwas
anderer Art wiederholte. Das Dewarsche Gefäß wurde direkt mit der in
Würfel geschnittenen Röhrenschicht angefüllt (105 8), mit einem dichten
Wattestopfen verschlossen und das ganze Gefäß wie früher in Watte ein-
gepackt. Das in die Röhrenschicht eingesenkte "Thermometer zeigte kurz
vor Beginn des Versuches um 1 Uhr 10 Minuten 20,2°, um 1 Uhr
15 Minuten 23,25°, um 3 Uhr 26,8” um 4 Uhr 27,6°, um 5 Uhr 28,4°,
um 6 Uhr 28,6°, um 8 Uhr 29,5°, um 10 Uhr 20 Minuten 30°, um 2 Uhr
nachts 30,2°, um 8 Uhr früh 30,3”. Auch hier sehen wir, daß nach zehn
Stunden eine maximale Teemperaturerhöhung von 10° eingetreten ist. Hier
wird die Substanz des Fruchtkörpers selbst andauernd erwärmt, bis die
Wärmezufuhr ebenso groß ist wie die Wärmeabgabe nach außen. Die
letztere ist auch in den Dewarschen Gefäßen bei größeren Tremperatur-
differenzen offenbar eine so erhebliche, daß bei gleichmäßiger Intensität
der Wärmezufuhr das Maximum in einer bestimmten Zeit erreicht wird,
wenn auch die Quantität der wärmespeichernden Substanz von einer
gewissen Grenze an erheblich variiert.
Da die Röhrenschicht desselben Pilzes während der fünftägigen Zeit des
Sporenwerfens in zeitlicher Folge stets annähernd die gleichen Temperatur-
erhöhungen ergab, ist weiter zu schließen, daß in der ganzen Zeit der Sporenver-
breitung Tag und Nacht eine andauernde Wärmebildung in ziemlich gleicher
Intensität erfolgt. Ein halber Fruchtkörper von Polyporus squamosus, der seit
24 Stunden seine Sporen verbreitete, an der Stelle, wo die Röhrenschicht beginnt,
senkrecht abgeschnitten, wog 525 g. Die sorgfältig abgetragene Röhrenschicht
hatte ein Gewicht von 120 g, das übrige Gewebe des Hutes betrug 395 g.
1 g dieser Röhrenschicht lieferte n 1 Stunde 4,565 Cal.
STE - = 19090 220° 69,736
Die Röhrenschicht des ganzen Hutes bildet somit, wenn man annimmt,
daß die wärmebildenden Substanzen von den übrigen Geweben zugeführt
werden, während der etwa fünftägigen Zeit der Sporenverbreitung 131472 Cal.')
Die Gewebe der Mark- und Röhrenschiehten des Fruchtkörpers von
Polyporus squamosus sind von zäher dauerhafter Beschaffenheit, deshalb
werden sie auch trotz ihrer Größe nicht gegessen, selbst nicht einmal von
Maden bewohnt. Die frischen Fruchtkörper enthielten in der Röhrenschicht
12,66, in der übrigen Hutsubstanz 12,93°/o lufttrockene Trockensubstanz.
!) Der im Freien durch Verdunstung eintretende Wärmeverlust ist hier nicht
berücksichtigt; wahrscheinlich wird er je nach der Trockenheit besonders compensiert;
dies erklärt es auch, daß die Pilze sich nur in feuchter Luft entwickeln.
Ein ganzer Hut enthielt 30,4 & Röhrentrockensubstanz und 102,2 g übrige
Hutsubstanz ').
Die Trockensubstanz der Röhren enthielt 55° in kaltem Wasser lösliche
Extraktivstoffe, diejenige der übrigen Hutsubstanz 34,7%.
In einem Hut sind somit 16,5 g -- 35,5 g, insgesamt etwa 52 g
wasserlösliche Substanz enthalten. In dieser sind enthalten ca. 26° Protein
und 14° Salze, sodaß 60° auf lösliche Kohlehydrate, wohl zumeist
Glyeogen (6 C,H,„0, + H,O), entfallen”). Wenn wir diese Substanzmenge
von 31,2 g Glycogen für die Wärmebildung einsetzen, mit einer Ver-
brennungswärme von 4190,6 Cal. per 1 g (nach Stohmann), dann ergäbe
das für den Pilz einen Energievorrat für 130747 Cal.
Hieraus geht hervor, daß dieser Pilz gewiß nicht mehr Nährstoffe enthält,
als er für die Sporen- und Wärmebildung verbraucht. Die Bildung und der
Verbrauch der Nährstoffe ist auch hier ein ebenso ökonomischer wie bei
allen übrigen Lebewesen.
Es bleibt nun noch die Frage bestehen, ob auch die bedeutend
stärkere Ausbildung nährstoffreicher Gewebe, wie wir sie zwischen der
Oberhaut und dem Hymenium bei den als „Schwämme“ bezeichneten
eßbaren Pilzfruchtkörpern antreffen, für die Wärmebildung in Anspruch
zu nehmen ist. Die Temperaturen, die ich bei diesen Pilzen gemessen
habe, waren nicht höher als beim Polyporus squamosus. Ich machte
aber die Beobachtung, daß ein Fruchtkörper von Boletus edulis, der voll
von Maden war und seine Sporen in einem geschlossenen Zylinder so
gleichmäßig verbreitete, daß die Papierscheiben der Etagen wie von einer
braunen Farbe mit dem Pinsel angetüncht erschienen, soviel Wärme bildete,
daß die Innenwände des Zylinders sich dieht mit Wassertropfen beschlugen.
Es lag daher der Gedanke nahe, daß die Entwieklung der Madenleiber, die
sich während der Sporenreife mit bekannter Schnelligkeit vollzieht, an dieser
großen Wärmebildung beteiligt ist, und es war geboten, den Einfluß der
Lebenstätigkeit dieser Tiere auf die Wärmebildung während der Sporenreife
zu prüfen. Hierfür wurden zunächst die zurzeit auf den Markt gebrachten
Fruchtkörper von Tricholoma graveolens Pers. verwendet; dieselben wurden
aufgeschnitten und die madenfreien von den madigen getrennt. Sie wurden
dann in je einen Glaszylinder gepackt, mit einem dichten Wattestopfen ver-
1) Nach einer Analyse, die mein Freund Dr. Carl Bloch ausgeführt hat, enthält
die lufttrockne Substanz dieses Fruchtkörpers: stickstofffreie
Wasser Rohfaser Protein Asche Extraktivstoffe
a) der Röhren: 5% 18,02°/, 29,12% 7,590 40,27 09/0
b) der übrigen Hutsubstanz: 4,3%), 25,26 %/0 398% . 4,51% 56,45 9/0
Die wäßrigen Extrakte der Hutsubstanz enthalten im Durchschnitt: ca. 14°/,
Asche u. ca. 26°/, Protein.
2) Clautrian (Etudes chimiques du glycogene chez les champignons et les levures)
A. Kochs Jahresber. Ref., Bd. VI., 1895, p- 51, fand 20°, Glycogen im Trocken-
gewicht der Steinpilze, 14°/, im Trockengewicht von Amanita.
39
schlossen, und allseitig mit dieken Watteschichten umhüllt in entsprechend
srößere Glaszylinder eingesetzt. Ein dritter Kontrollversuch wurde in der-
selben Art mit dem abgetöteten Pilz angestellt.
Um 9 Uhr morg. zeigten d. leb. Pilze 18,8", die madenhalt. 18,4", die tot. 18,3
Sen1le 27 - UT SR ERBE 209°, =.) 198
FE 31-2 millagas a le). 20,4%. > - 21,80, Runen 22
= 5 z nachm. z = z = 21,99; = = 24,2°, z > 19:28
2 7 z z z z z z 22,2%, z = 24,9°, z z 19,2"
Am besten sind die nährstoffreichen Boleten für diese Untersuchungen
geeignet, doch war es mir in diesem trocknen Jahre leider nicht mehr
möglich, geeignetes madiges Material zu beschaffen. Das nachfolgend
mitgeteilte Ergebnis mit einem nur wenige Maden enthaltenden Exemplar
zeigt jedoch schon eine beträchtliche Steigerung der Wärmeproduktion
gegenüber einem gleichbeschaffenen madenfreien Exemplar. Die Versuche
wurden mit je 35 g der in Stücke zerschnittenen Pilze in Dewarschen
Zylindern ausgeführt.
Das Thermometer zeigte
um 10 Uhr im madigen Pilz 18,6° C., im madenfreien 17° C.
Mae a Nr 19,6 -
13, 4 RE - 220
Tre ar EL Er - 330
Dueh Ze IRRE - 25,40 -
BEN. 33 Jo - 27,60 -
DES A 2 = a 28,6°-
Te DREH. - 29.0,
Die angegebenen Zahlen beweisen, daß hier auch auf indirektem Wege
die nährstoffreichen Gewebe, indem sie die Entwicklung der Madenieiber be-
günstigen, für die Wärmebildung benützt werden. Die Ausbildung nähr-
stoffreicher Gewebe, um die Mitwirkung von Tieren für die Verbreitung
der Fortpflanzungszellen in Anspruch zu nehmen, bietet hier also doch
(S. 2) eine Analogie zur Erzeugung der süßen Früchte bei den höheren
Pflanzen.
In meiner Arbeit über Sporodinia l. ec. habe ich bereits ausgesagt, daß
die Pilze leicht lösliche Kohlehydrate und Proteine in einem für die Ernährung
dieses Pilzbewohners besonders günstigen Verhältnis enthalten, und daß hier ins-
besondere auch eine für die Zygotenbildung ausreichende Konzentration vorhanden
sei. Dies will ich noch nachträglich durch die folgenden in Gemeinschaft mit
Dr. Bloch ausgeführten Analysen belegen. Zur Zeit der Ausführung der
Analysen wußte ich noch nicht, daß diese Pilze während der Sporenverbreitung
ihre Nährstoffe in hohem Grade für die Wärmebildung verbrauchen, und es ist
deshalb noch nicht darauf Bedacht genommen worden, nur jüngere Exemplare
für die Analysen zu verwenden. Außerdem konnte ich feststellen, daß alle Hutpilze,
auch die Morcheln, mit den Stielen ins Wasser gestellt, etwa das gleiche Gewicht an
Wasser aufsaugen können, undes bedarf daher noch umfassender Untersuchungen, um
festzustellen, ob der Wassergehalt der Pilze überhaupt ein annähernd konstanter ist.
40
- N’ 4 “ .. r
FER Wasserlösliches A Im Extrakt
gu Extrakt in der | Bee
E55 | Trockensubstanz Protein Asche | FEyxtraktiv-
5 0) N) 0 stoffe
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0), /o /o 0%,
in der |
Ran 14725 14,78 | 37,97
Boletus scaber substanz .
ausgewachsene 16 48 dk \
große Exemplare übrigen Ray) ne
Hut-u.Stiel- 6,94 1,89 | 35,75
m : substanz |
in der x E |
Röhren- 56,4 25,94 1447 | 59,59 | 0
Boletus edulis substanz
getrocknete Ir in der |
käufliche Schnitzel übrigen » c
, 26,56| 28,00 8,76 | 63,24 | 000
substanz F |
Carantellus eibarius |
272 38 93:89 24 f 000
frisch gesammelt 12,72 99,98 11,62 23,82 64,56
Tricholoma : | ER
equestre 15 44,3 24,62 216,95] 58,45 00000
frisch gesammelt |
Die Analysenzahlen beweisen, daß z. B. der Zellsaft des Boletus scaber eine
ca. achtprozentige und der von Tricholoma eine siebenprozentige Nährsalzlösung
enthält. Wenn man diese Pilze aber im Dampftopf sterilisiert, dann wird so viel
Wasser von den Zellen ausgeschieden, daß die auf Fließpapier abgetrockneten
Pilze nur noch etwa die Hälfte ihres Frischgewichtes behalten und auf ein ent-
sprechend kleines Volumen zusammenschrumpfen. Der so ausgetretene Zellsaft
enthielt z.B. bei Tricholoma nur 2°, vom Frischgewichte der Pilze an gelösten
Extraktivstoffen. Die durch Sterilisation oder durch Sporodinia abgetöteten Pilz-
gewebe stellen daher bei Boleten und nährstoffreichen Agaricineen ein an leicht
aufnehmbaren (Verhältnis von löslichen Proteinen zu Kohlehydraten) Nährstoffen
und an osmotisch wirksamen Salzen so reiches Nährsubstrat dar, wie es sich im
Pflanzenreiche wohl nieht zum zweiten Male darbietet.
In seiner Entgegnung (Botanische Zeitung 1902 No. 12/13) auf meine Arbeit
behauptet Prof. Klebs im Halle das direkte Gegenteil, daß die Hutpilze die
wasserreichsten, also nährstoffärmsten Substrate seien, die hierfür existieren.
Ungefähr in der gleichen Art entgegengesetzt sind auch die meisten Schlüsse,
zu denen Klebs — nach den Aussagen seiner ersten Arbeit — und ich durch die
Ergebnisse verschieden angeordneter Versuche gelangt sind, und es ist ganz
unfruchtbar, über die verschiedenen Auffassungen zu streiten. Es muß vielmehr,
da ja die Richtigkeit der Versuche selbst beiderseits nicht bezweifelt wird, dem-
jenigen, der danach strebt, ein Verständnis für diese Organismen zu gewinnen,
zunächst überlassen bleiben, selbst zu entscheiden, welche Ableitungen klar und
folgerichtig sind und ein Verständnis des Ganzen ermöglichen.
Da ich, wie dies meine Untersuchungen ergeben, eigne Gedanken und selbst-
ständige Ziele verfolge, lag und liegt für mich nicht der geringste Grund vor
auf die Ableitungen von Klebs weiter einzugehen, als dies für die sachliche
Durchführung meiner Aufgaben unbedingt erforderlich war, zumal ich jede kritische
Äußerung vermeiden wollte und vermeiden will.
Auch die persönlichen Bemerkungen und häßlichen Unterstellungen, die Prof.
Klebs ohne Grund verwendet, will ich nur dahin beantworten, daß ich nach
4
Kräften bemiht sein werde, meine eigenen Arbeiten von derartigen Kampf-
mitteln rein zu halten. Über das Thema der Zygotenbildung hoffe ich im An-
schluß an die neuen merkwürdigen Entdeckungen von Blakeslee (Proceed. o.t.
Acad. Amerie.Vol. XL No.4) demnächst noch weitere Mitteilungen machen zu können.
Ein Apparat in Pilzform zur Verbreitung feinster Pulver.
Nachdem so im analytischen Gange der Beobachtungen die Erscheinungen
der Sporenausbreitung bei den Basidiomyceten auf ihre Ursache zurück-
geführt waren, betrachtete ich es als meine weitere Aufgabe, auf
experimentellem Wege auch den synthetischen Beweis für die Richtigkeit
zu erbringen. Sind Teemperaturerhöhungen von einigen Graden wirklich im-
stande, Luftbewegungen zu erzeugen, die das Sporenpulver der Basi-
(diomyceten so zu verbreiten vermögen, wie es die Fruchtkörper dieser
Pilze tun?
Um dies darzutun, habe ich einen Apparat nach dem Vorbilde eines
Hutpilzes, also ein künstliehes Pilzmodell konstruiert, das selbsttätig ein
feines Pulver ausstreut und es wie ein lebender Hutpilz in den umgebenden
Raum verbreitet.
42
Es war zunächst notwendig, eine Vorrichtung zu finden, die ein be-
liebiges feines Pulver in seine Teilchen vereinzelt und sie räumlich getrennt
in kontinuierlicher Folge in eine darunter befindliche Luftschicht herab-
fallen läßt. Hierzu verwendete ich ein rundes Sieb aus feinster Seiden-
saze von dem Umfange eines kleinen Hutpilzes, a und b der vorstehenden
Figur 2. Um ein fortdauerndes Durchfallen eines auf dem Siebe befind-
lichen Pulvers herbeizuführen, war eine Vorrichtung erforderlich, die, ohne
erhebliche Wärmemengen zu erzeugen, eine kontinuierlich rüttelnde
Bewegung des Siebes hervorruft. Hierzu eignete sich am besten ein
sogenannter elektrischer Summer, der auf einer gegen die Wärmeabgabe
isolierenden Holzscheibe befestigt wurde (Figur 2 e). Über den Summer
paßt eine runde Pappschachtel, die ihn nach außen umgibt. Eine andauernd
gleichmäßige Erwärmung von 1—10° C. konnte nur auf elektrischem Wege
mit Hilfe eines Widerstandsdrahtes oder -Bandes herbeigeführt werden. Um
eine andauernde Temperaturerhöhung von 3° C. herbeizuführen, war bei
einer Dieke des Niekelindrahtes von nicht ganz 1 mm eine Stromstärke von
0,7 Ampere erforderlich. Mit Hilfe eines Vorschaltwiderstandes in Form
eines ausgespannten Nickelindrahtes ließ sich die Temperatur nach Belieben
innerhalb 1—10° regulieren. Um die Form der Blätterpilze möglichst zu
imitieren, wurden lamellenförmig nebeneinander angeordnete Pappscheiben
unmittelbar unter dem Siebe befestigt und die einzelnen Lamellen mit dem
Niekelindraht umwickelt (Fig. 2 b). Auch die Röhrenform der Polyporeen wurde
in primitiver Art imitiert, indem gewelltes Nickelinblech und dazwischen
selegte isolierende Pappscheiben so angeordnet wurden, wie das die Figur 2 a
veranschaulicht. Der Holzring, der einseitig die Lamellen resp. die Röhren,
auf der anderen Seite das kleine Sieb trägt, kann durch das runde Holz-
brett, auf welchem der elektrische Summer befestigt ist, deckelartig ver-
schlossen werden. Der ganze Apparat wurde weiß angestrichen und an
einem eisernen Dreifuß mittels dreier Spiralfedern aufgehängt, durch welche
die Schüttelbewegungen des Summers nicht auf die weitere Umgebung über-
tragen werden. Über den so aufgestellten Apparat wird ein Glaszylinder
gestellt, wie es die Figur 1 darstellt. Von oben her wird in den Zylinder
eine Etage aus schwarzen resp. weißen Papierscheiben an einem hohlen
verstellbaren Glasrohr bis auf die Oberfläche des Pilzmodelles hineingesenkt.
Durch das hohle Glasrohr kann gleichzeitig ein T’'hermometer in den
Zylinder eingehängt werden. Auch seitlich quer durch den Glaszylinder
kann ein kleines Thermometer in den Raum über den Lamellen in den
Apparat eingeführt werden. (In der Photographie ist die Öffnung durch
einen Wattestopfen verschlossen.) Jedes staubfeine Pulver, das nicht die
Eigenschaft hat, sich zu Klümpchen zu vereinigen, läßt sich für die Ver-
suche benutzen. Am besten hat sich das Sporenpulver von Fuligo septica
bewährt, weil die in dem Pulver enthaltenen Capillitiumfasern das Hindurch-
fallen des Pulvers in geeigneter Weise regulierten; auch das feine Sporen-
pulver von Lycoperdonformen ist brauchbar, doch lassen sich, wie gesagt,
? 45
wenn auch nicht mit dem gleichen Erfolge, alle feinen Pulver verwerten,
die verstäubbar sind. Um den Apparat in Tätigkeit zu setzen, wird zuerst
die Wärmeleitung geschlossen und dann erst die Schüttelvorrichtung
eingeschaltet. Nach einem Zeitraum von "s—1 Stunde wurden die
Versuche gewöhnlich unterbrochen, und es zeigte sich, daß in dieser Zeit die
Pulver, von denen vorher die Rede war, über die Etagenflächen in dünner
Schicht gleichmäßig verbreitet wurden (Fig. 1 im Text), ähnlich wie bei den
Pilzen. Doch wurde bei allen Versuchen nur ein kleiner Teil des Pulvers in
die Höhe getragen, während der bei weitem größte Teil nach unten auf den
Boden fiel. Dies ist aber nieht zu verwundern, weil es durch keine Vor-
richtung möglich war, die Sporen so vereinzelt und gleichmäßig herunter-
fallen zu lassen, wie das die Pilze mit ihren hierfür besonders organisierten
Basidien vollziehen können, auch wird der Pilz die Luftströmung immer zu
derselben Zeit und an derselben Stelle herbeiführen, wo gerade die Sporen
abgeworfen werden und sie in der richtigen Art (Röhren, Spalte!) zur Wirkung
bringen'). Trotzdem sind die Sporenmengen, die in einer bestimmten Zeit auf
diesem Wege verbreitet werden können, größer als diejenigen, welche ein Pilz
abwerfen kann, und daher können wir auch in kürzerer Zeit die Erscheinungen
imitieren, welche wir zuerst bei den Pilzen kennen gelernt haben. Selbst
die feinsten Anteile der spezifisch schwersten Pulver, wie Lythargyrum
(Bleiglätte) wurden in siehtbaren Mengen in die Höhe getragen und auf den
Etagenblättchen verteilt. Wurde der Apparat in einem gleichmäßig
temperierten Raume mit geringer Licht- und Wärme-Strahlung in Tätigkeit
gesetzt und die Erwärmung nicht eingeschaltet, dann fand auch keine Ver-
breitung der Sporen statt, und dies beweist, daß die Sporenverbreitung durch
Wärmebildung verursacht wird.
Hiermit ist die Kette der Versuche geschlossen, welche
dartun, daß die Hutpilze durch Wärmebildung unmerkliche
Luftströmungen erzeugen und durch diese selbsttätig ihre
Sporen in den umgebenden Raum verbreiten.
Das Wesen und die Bedeutung der durch geringe
Temperaturunterschiede hervorgerufenen Luitströmungen.
Nachdem nun bewiesen ist, daß es Luftströmungen sind, welche die Sporen
der Basidiomyceten in der beschriebenen Art verbreiten, sind die Ver-
breitungsbilder, welche wir bei den verschiedenen Versuchen gewonnen
haben, ihrerseits wieder geeignet, uns einen Einblick in das Wesen dieser
feinen Luftströmungen zu gewähren. Wir wissen bereits, daß "sie hervor-
gerufen werden durch ganz geringe Temperaturdifferenzen etwa von 0,1 bis
10°, und daß sie weder sichtbar, noch durch unser Gefühl wahrnehmbar
!) Es wird wohl gelingen, den Apparat noch erheblich zu vervollkommnen und
dies Prinzip auch für gewerbliche Zwecke zu verwerten.
44
+
sind, sodaß sie sieh unserer Beobachtung vollständig entziehen. Da kleine
Temperaturdifferenzen überall in der Atmosphäre vorkommen, am Tage durch
die Insolation, in der Nacht infolge der Ausstrahlung, so muß die Luft
andauernd von diesen Strömungen nach allen Richtungen hin durch-
setzt sein.
Wenn wir das erste unserer Bilder auf Tafel I betrachten, dann
können wir uns von dem wärmegebenden Pilz aus die Luftströmungen
ebenso verlaufend denken, wie das die Sporen auf der Unterseite gleichsam
in der Projektion aufzeichnen. Bei der geringen Wärmemenge findet der
Ausgleich der Temperaturen in dem Maße statt, als die Strömungen fort-
schreiten, und sobald die strömende Luft die Temperatur der Umgebung
angenommen hat, ist auch die Strömung beendet; so zeigt es das Sporenbild
an. In demselben Schrank hat ein großer Fruchtkörper von Polyporus
squamosus, der bei weitem größere Wärmemengen erzeugt, Luftströmungen
verursacht, die den ganzen Schrank fortdauernd gleichmäßig erfüllt haben
und so auch zu einer gleichmäßigen Bestreuung der Unterlage geführt
haben, wie das die Figur 2 der I. Tafel anzeigt. Es muß also von dem
Fruchtkörper ausgehend eine allseitige kontinuierliche Bewegung der Luft
erfolgt sein. Eine fortdauernd wirksame Wärmequelle von bestimmter
Intensität wird also erforderlich sein, um Luftströmungen zu erzeugen, die
einen Raum von bestimmter Größe auszufüllen vermögen. Da die wärmere
Luft leichter ist als die kältere, steigt sie naturgemäß in die Höhe, aus
diesem Grunde ist die Verbreitungsrichtung der Luftbewegung von unten
nach oben die am meisten bevorzugte. Diese Strömungsrichtung wird
natürlich noch begiinstigt durch zylinderförmige Gefäße, welche schornstein-
artig wirksam sind. So kommt es, daß bei dem Versuch, den die
Figur 2 auf Tafel II darstellt, die Sporen eines Fruchtkörpers von Agaricus
nebularis meterhoch in die Höhe steigen, während die Ausbreitung der
Sporen nach den Seiten hin nur einen halben Meter weit erfolgt ist (Fig. 1
auf Tafel D. |
Wenn nun in einem geschlossenen Raum sich flächenförmige Körper der
Luftströmung in den Weg stellen, dann fließt der feine Strom nicht etwa
wie ein Windstrom, wenn er den Flächenrand erreicht hat, in mehr oder
weniger abgelenkter Richtung (und geschwächter Intensität) weiter, sondern
umstreicht gleichmäßig alle Flächen der Körper, die sich in dem Raum
darbieten. Er übt deshalb keinen Druck aus, der eine Bewegung feiner
Blättehen zur Folge hätte, sondern fließt allseitig um die Körper herum.
Führt der Strom nun Pilzsporen mit sich, dann werden sich alle Sporen,
welche beim Herüberstreichen der Oberfläche nahe oder mit ihr direkt in
Berührung kommen, auf ihr niederschlagen und nicht weiter mit dem Luft-
strom mitgeführt werden. Indem der Luftstrom immer wieder über die
Flächen des Raumes herüberstreicht, wird er schließlich alle Sporen auf
ihnen absetzen. So erklärt es sich, daß die Sporen auf allen Flächen
gleichmäßig verbreitet und deshalb umsomehr in einem Raume verteilt
45
verteilt werden, je mehr Flächen sich in ihm darbieten '), und daß von dem
Orte der Sporenbildung weit entfernte Flächen ebenso wie die nahegelegenen
bestreut werden, wenn die Wärmequelle dazu ausreicht ?).
Es ist nun selbstverständlich, daß zu den Luftströmungen, die ein Pilz in
einem geschlossenen Raume selbsttätig erzeugt, andere hinzukommen können,
die durch äußere Kräfte verursacht werden. So wirken Licht- und Wärme-
strahlen sekundär ein?) und verursachen eine besondere ihrer Einwirkungs-
richtung entsprechende Veränderung der Luftströmungen, wie dies die
charakteristischen Verbreitungslinien der Sporenbilder auf den Tafeln
1 bis 4 zeigen. Ist die allseitige Strömung, die von dem Pilz ausgeht,
bedeutend stärker als die einseitig wirkende, so wird die Bestreuung eine
gleichmäßige bleiben, andererseits wird eine stärkere einseitige Strömung die
allseitige des Pilzes mehr oder weniger aufheben.
Die Wärmemengen, welche die Hutpilze erzeugen, werden natürlich nicht
dazu ausreichen und auch nicht dazu bestimmt sein, die Sporen ins Unendliche
zu vertreiben. Es wird vielmehr in den meisten Fällen ausreichen, sie von der
Unterseite des Hutes hervor soweit in den freien Raum emporzutragen, daß
ihre weitere Verbreitung, ganz abgesehen vom Wind, von den überall im
Freien bereits vorhandenen feinen Luftbewegungen besorgt werden kann.
Ich habe nun versucht, die feinen Luftströmungen, welche durch diese
geringen Temperaturdifferenzen herbeigeführt werden, am Lichtschirm eines
Projektionsapparates sichtbar zu machen*), wie dies bei den gröberen
Luftströmungen geschehen kann, die ein Bunsenbrenner, ja selbst die warme
Hand verursacht, wenn sie in den Lichtkegel hineingehalten werden. Die
Luftströmungen, die der Polyporus squamosus oder andere Hutpilze er-
I) Sind die Flächen sehr eng übereinander geordnet, dann kann die Luftströmung
(infolge der Reibung?) nicht weit über die Flächen hinwegstreichen, und die Be-
streuung ist dann natürlich auch eine entsprechend unvollkommene; auch kann der
Strom dureh enge Öffnungeu nur schwer hindurchgelangen.
2) Je mehr Oberfläche ein Luftstrom von bestimmtem Sporengehalt in der Zeit-
einheit bestreichen kann, und je größer seine Geschwindigkeit ist, um so mehr
Sporen wird er absetzen. Die Sporenmengen, die ein Strom von bestimmter Stärke
in der Zeiteinheit auf eine Fläche von bestimmter Größe absetzt, wird weiter wesentlich
abhängig sein von der Sporenmenge, die er in der Volumeneinheit suspendiert erhält.
Wie groß die Aufnahmefähigkeit eines Luftstromes von bestimmter Intensität für
Sporen von bestimmter Beschaffenheit ist, darüber kann nichts ausgesagt werden.
®) Die bestrahlten Flächen werden erwärmt und verursachen ein Temperaturgefälle
der angrenzenden Luftschichten, das nun erst die Bewegungen zur Folge hat.
*#) Im Lichtkegel eines Projektionsapparates kann man bei geeigneter Aufstellung
sehen, wie die Sporen kontinuierlich von der Unterseite des Hutes ausgestreut
werden, und wie sie wolkenartig nach allen Seiten aufsteigen. In einem geschlossenen
Zylinder, in dem ein größerer Pilz die Sporen verbreitet, kann man verfolgen, wie
an vielen Stellen die Sporen kontinuierlich auf- und niedersteigen, wie also die
Luftströmungen nicht einheitlich von oben nach unten erfolgen. Dasselbe Bild ge-
währt übrigens der Anblick der auf- und absteigenden Sonnenstäubchen, wie man
es gelegentlich im Zimmer beobachtet, wo die Verbreitung des Staubes offenbar
durch dieselben Luftströmungen nach denselben Gesetzen stattfindet.
46
zeugen, ließen sich auf dem Schirm des Projektionsapparates aber nicht
mehr sichtbar machen. Die sichtbaren Luftströmungen steigen immer mit
lockenartigen Nebenlinien senkrecht in die Höhe und sind imstande, Papier-
blättchen, die sich der Strömung entgegenstellen, in der Richtung des
Stromes zu bewegen. Die Luftströmungen, die die Pilzsporen verbreiten
können, verlaufen um die Körper herum und vermögen Bewegungen feiner
Blättchen nicht hervorzurufen. Die Luftströmungen in der Atmosphäre
lassen sich somit nach ihrer Intensität in drei Kategorien unterscheiden.
1. Der Wind — Zug; kann nieht dureh Erwärmung unmittelbar hervor-
gerufen werden, ist für unser Gefühl als Zug direkt wahrnehmbar, vermag
makroskopisch sichtbare Gegenstände mit sich zu führen. Die Strömung kann
sich nach allen Seiten richten, sie verläuft aber meist in wagerechter
Richtung, parallel der Erdoberfläche.
2. Luftströmungen, die durch Temperaturdifferenzen von über 20° unmittelbar
hervorgerufen werden, sind für das Gefühl durch die Temperaturdifferenz wahr-
nehmbar, vermögen feine Blättehen zu bewegen, lassen sich bei bestimmter Be-
leuchtung sichtbar machen und erfolgen in der Richtung von unten nach oben.
3. Luftströmungen, hervorgerufen durch die kleinsten Temperatur-
differenzen von etwa 10° C. abwärts, weder mit dem Gefühl wahrnehmbar,
noch durch Beleuchtung sichtbar zu machen, vermögen feine Blättchen nicht
zu bewegen, verlaufen allseitig um die Körper herum und sind in hervor-
ragender Weise befähigt, mikroskopisch kleine Körperteile mit sich zu
führen und auf der Oberfläche der Körper gleichmäßig abzusetzen.
Die Luftströmungen der letztgenannten Art sind meines Wissens bisher
noch nicht beobachtet worden, und doch glaube ich, daß sie in dem Haus-
halte der Natur, auch abgesehen von der Sporenverbreitung, eine größere
Bedeutung besitzen. Da sie überall und stets vorhanden sind, werden sie
wesentlich dazu beitragen, die gleichmäßige Mischung der Gase im Raum,
insbesondere die gleiche Zusammensetzung der Luft herbeizuführen. Die
Schnelligkeit, mit der sich z. B. ein riechendes Gas in dem Hörsaale des
Chemikers überall hin verbreitet, die man lediglich dem Expansionsvermögen
der Gase zuschreibt, dürfte wohl unter der Mitwirkung dieser Luft-
strömungen erfolgen, die der wärmebildende Körper eines einzigen Menschen
in den größten Räumen herbeizuführen vermag. Für uns Pflanzen-
physiologen haben diese Strömungen auch insofern Interesse, als sie uns
zeigen, wie die Luft fortwährend über die sich flächenförmig darbietenden
Blätter der grünen Gewächse herübergeführt wird und diese dadurch
kontinuierlich in Berührung mit neuen Schichten kommen, denen sie die in
so geringen Mengen vorhandene Kohlensäure entnehmen können. Schließ-
lieh sei noch erwähnt, daß auch Flüssigkeiten in Form kleinster Tröpfchen,
wie sie Wolken und Nebel bilden, durch diese Luftströmungen getragen
und transportiert werden können, wie wir dies beobachten können, wenn
des Morgens durch die ersten Sonnenstrahlen eine Erwärmung der Erd-
oberfläche eintritt und die Nebel infolgedessen wolkenartig emporsteigen,
Der biologische Wert der Basidie.
Das Endziel aller biologischen Wissenschaften ist darauf gerichtet, uns
das Leben im einzelnen wie im ganzen verständlich zu machen, um seinen
eigentlichen Wert zu erfassen. So hat die botanische Wissenschaft ihre
höchste Aufgabe darin zu erblieken, die pflanzlichen Lebewesen unserem
Verständnis möglichst nahe zu bringen. Von allen Eigenschaften der Lebe-
wesen sind unseren Beobachtungshilfsmitteln die morphologischen Charaktere
am leichtesten zugänglich; sie sind deshalb zuerst studiert und uns am
gründlichsten bekannt geworden. Die morphologische Betrachtung der Lebe-
wesen gewinnt aber erst einen höheren Wert, wenn sie vergleichend be-
trieben wird. Wir entdecken dann einerseits Übereinstimmungen, aus denen
wir die verwandtschaftlichen Beziehungen ableiten und andererseits Ab-
weichungen, die uns die Eigenart jedes Organismus erst richtig erkennen
lassen und seine genaue Charakteristik und Unterscheidung ermöglichen.
Erst im Rahmen des zusammengefaßten Ganzen gewinnt so ein bestimmtes
Organ seine richtige morphologische Bewertung.
Ein jedes Organ von bestimmter Gestalt vollzieht eine ganz bestimmte
Funktion, und wenn wir diese erst richtig erkannt haben, dann finden wir,
daß die charakteristische Form der natürlichste und zweckmäßigste ge-
staltliche Ausdruck ist für diese ganz besondere Funktion'), daß jedes
Organ für diese Funktion gleichsam erst geschaffen ist.
So stellt uns jedes morphologisch bedeutsame Organ vor die Frage nach
seiner besonderen Funktion, und so entspricht seiner morphologischen Be-
wertung eine physiologische. Die richtige Bewertung der einzelnen
Funktionen wird ebenfalls erst bei vergleichender Betrachtung möglich
werden, wenn wir die physiologischen Leistungen der einzelnen Organe
erst kennen. Diese vergleichende Physiologie der Organe würde, sofern sie noch
möglich ist, uns erst die ganze morphologische Differenzierung verständlich
machen und die bisherige trockene Systematik mit geistigem Inhalt beleben.
Organe mit bestimmten Funktionen sind aber nicht Selbstzwecke, die
sich aus sich selbst entwickelt haben als Erzeugnisse eines undurchsichtigen
Ideenplanes oder gar aus reinem Zufall. Form und Funktion zusammen
sind wiederum nur der Ausdruck der Anpassung einer (mit ererbten
Anlagen bereits ausgerüsteten, und zu weiteren Anpassungen befähigten)
lebendigen Substanz an einen bestimmten Komplex von Lebensbedingungen.
Form und Funktion so in Beziehungen zu bringen zu ihren speziellen
Lebensbedingungen, ist die Aufgabe der Biologie, die somit die Kenntnisse
der morphologischen und physiologischen Bewertungen voraussetzt und alle
unsere Kenntnisse eines Organes zum vollen Verständnis zusammenfaßt.
Auch die Biologie eines Organes kann erst aus dem Vergleiche richtig
bewertet werden, und so entspricht dem morphologischen und physiologischen
1) Wie jeder Teil einer Maschine, der einer bestimmten Funktion dient, die dieser
Funktion entsprechend zweckmäßigste u. deshalb zumeist charakteristische Gestalt erhält,
. 48
Wert, beide mit umfassend, der, biologische. In diesem Sinne soll der
biologische Wert der Basidie nachstehend begründet werden, soweit das
unsere bisherigen Kenntnisse gestatten.
Zur Lösung dieser Aufgabe müssen wir erst die verschiedenen Wertungen
der wichtigsten Fruktifikationsorgane bei den übrigen Pilzklassen kennen lernen,
und dies soll den obigen Voraussetzungen gemäß so geschehen, daß wir ihre
Ableitung, von den verschiedenen mögliehen Lebensbedingungen ausgehend,
in groben Zügen versuchen werden.
Die Fadenpilze sind als die Zerstörer der abgestorbenen organischen
Substanzen des Pflanzenreiches zu betrachten im Gegensatze zu den Bakterien,
welchen die Tierleichen zum Opfer fallen. Bei der Verwesung der kohle-
hydratreichen Pflanzenreste bleibt die neutrale oder saure Reaktion, welcher
die Fadenpilze angepaßt sind, bestehen, während bei den stickstoffreichen
tierischen Leichen stets mehr oder weniger Ammoniak entsteht, das eine
alkalische Reaktion herbeiführt, bei welcher die Bakterien am besten ge-
deihen. Die Pflanzenzellen sind mit Zellulosepanzern umgeben, und diese
stellen ein schwer zerstörbares zusammenhängendes Gerüst dar, das nur von
fadenförmigen Organismen durchwachsen und zersetzt werden kann, während
andererseits die tierischen Zellen sich leicht zersetzen und verflüssigen
lassen und einem zusammenhängenden Fadensystem weder Halt noch Stütze
gewähren. Die Organisation der Bakterien, ihr Wachstum und ihre Fort-
pflanzung ist ihrem Leben in flüssigen oder dem flüssigen Zustande nahe-
stehenden Medien auf das beste angepaßt, und wir sehen, wie auch die
Fadenpilze in Gestalt, Wachstum und Fortpflanzung bakterienähnlich werden,
sobald sie unter denselben Bedingungen leben.
A. Diese einfachsten Formen der Fortpflanzung ohne besondere Ver-
breitungsorgane charakterisieren die Oidien und Hefen, die in nährstoffreichen
Flüssigkeiten, in saftreichen Geweben ete. ihre günstigsten Lebensbedingungen
finden und durch ihre Größe, ihr schnelleres Wachstum und entsprechend
reichere Fruktifikation den Bakterien noch überlegen sind.
a. Die Oidien, verwandtschaftlich als Nebenfruchtformen von den höchsten
Pilzen abzuleiten, können infolge gleicher Lebensbedingungen in Wachstum
und Fortpflanzung den Bakterien so ähnlich werden, daß sie dieselbe Kolonien-
bildung zeigen, ohne jedoch, wie ich dies für das Oidium Collybiae tuberosae
im VII. Bande dieser Zeitschrift gezeigt habe, die Fähigkeit zu verlieren,
Funktion und Gestalt der Mycelien total zu verändern und sich für ihre Erhaltung
das differenzierteste Sporenverbreitungsorgan, die Hutpilzform, wieder aufzu-
bauen. Die Oidien können nur passiv durch Übertragung verbreitet werden.
b. Die Hefen sind den Oidien funktionell und gestaltlich sehr ähnlich,
leben unter ähnlichen Verhältnissen, erreichen aber speziell in zuckerreichen
Fruchtsäften den Höhepunkt ihrer Lebenskraft und sind hier allen anderen
Organismen überlegen. Sie sind physiologisch befähigt, den Zucker in
Alkohol und Kohlensäure zu zerlegen und die bei diesem Prozeß frei-
werdende Energie für ihre Lebenstätigkeit zu verwerten. Der Alkohol ist
49
gleichzeitig ein Kampfmittel gegen Bakterien, die Kohlensäure ein Be-
wegungsmittel'). Diese auffälligen Funktionen entsprechen den besonderen
Lebensverhältnissen, wie sie zuckerreiche Flüssigkeiten darbieten.
B. Die eigentliche Domäne der Fadenpilze sind aber, wie erwähnt, die
festen pflanzlichen Zellensubstrate. Man kann diese Pflanzenreste in zwei
Gruppen unterscheiden:
I. In Pflanzenteile, die reich an gelösten oder leicht löslichen Kohle-
hydraten (Zucker, Stärke, Inulin, Fett, Glyeogen ete.), dagegen arm an
schwer zersetzlichen Substanzen sind, und
II. die arm an leicht löslichen, aber reich an schwer zersetzlichen Bestand-
teilen ihres Zellenkörpers sind, wie Pentosane, Cellulose, besonders Lignin-,
'Pektin-, Subrin-Einlagerungen etc. (Festigungs- und Leitungsgewebe der
Pflanzen.)
Dementsprechend zerfällt das Reich der Fadenpilze in zwei große
Abteilungen:
I. In die sogenannten niederen Pilze oder Phyeomyceten.
Ihre Mycelien, hier noch im Konkurrenzkampf mit Bakterien und Tieren,
wachsen sehr schnell, entsprechend der leichten Assimilierbarkeit des Sub-
strates. Auch die Fortpflanzung muß schnell beendet sein, die Mycelien sind
deshalb einschlauchig, um die assimilierten Nährstoffe in ungehindertem Plasma-
strom den differenzierten Fruktifikationsorganen zuzuführen ?), die sie ebenfalls
auf schneilstem Wege für die Sporenbildung verwerten. Hier wird in einfachster
Art ganz allgemein durch Teilungsprozesse die Bildung kleinerer Ver-
breitungs-, durch Berührungs- und Verschmelzungsvorgänge die Entstehung
größerer Dauer-Sporen herbeigeführt.
Diese Substrate können sich nun a) im Wasser, b) auf dem Lande, der
Zerstörung darbieten.
Ia. Fallen Pflanzenteile (Früchte ete.) ins Wasser, dann werden die
Nährstoffe besonders bei lebenden Substraten®) nur sehr langsam aus den
Zellen herausdiffundieren ?). Für diese Lebensbedingungen sind die Oomyceten
angepaßt. Ihr Sporenverbreitungsorgan, das Zoosporangium, bildet nackte
Sporen aus, die durch chemotaktische Reizbarkeit die Fähigkeit haben, neue
Substrate auf weite Entfernungen im Wasser zu bemerken und die durch
Cilien dazu ausgerüstet sind, nach ihren Zielen direkt hinzuschwimmen.
) R. Falck, Darstellung und Anwendung konsistenter Spiritusseifen zur
rationellen Reinigung und Desinfektion der Haut, besonders von anklebenden Schimmel-
pilzsporen. Archiv für klin. Chirur., Bd. 73, Heft 2, S.$. Die von mir an dieser Stelle
vertretene Auffassung ist 1902, wie ich aus den neuerdings erschienenen außerordent-
lich klaren Vorlesungen über Pflanzenphysiologie von Jost ersehe, bereits von
Wortmann im „Weinbau und Weinhandel“ vertreten worden.
®2) R. Falck, Über Sporodinia grandis l. c., das Kapitel Der Plasmastrom und
seine Bedeutung.
®) Im Wasser leben Früchte, Zweige ete. sehr lange, die auf dem Lande durch
Eintrocknen schnell absterben. In der Zone der aus den Zellen herausdiffundierenden
Nährstoffe wird im Wasser die Lebenssphäre für Bakterien sein.
Cohn, Beiträge zur Biologie der Pflanzen, Bd. IX, Heft I. 4
50
Ihre Fortpflanzungsorgane sind durch diese Funktionen dem Wasserleben aufs
vollkommenste angepaßt und deshalb biologisch als Wassersporen zu bezeichnen.
Ib. Befinden sich solche nährstoffreiche Substrate auf dem Lande, dann
sind es die Zygomyceten, die in ihrer reichen Flora in kürzester Zeit zur
Erscheinung kommen. Auf langen beweglichen Stielen heben sie ihre
Sporenverbreitungsorgane, die Sporangien, in die Luft und befähigen sie dadurch
mit den Gegenständen der Umgebung in Berührung zu kommen. Die Sporen sind
hier gegen das Austrocknen mit festen Membranen umgeben und ringsherum mit
einem Klebestoff ausgerüstet, der bei jeder Berührung in Funktion tritt und die
Sporen anklebt. So werden sie direkt an Kräuter angeklebt oder durch Tiere
verschleppt. Die Kräuter werden gefressen, und so gelangen die Pilze
in die Exkremente der Pflanzenfresser und von dort wieder aufs Feld an die
Kräuter. Die typischen Klebsporen der Zygomyceten können. sich nur
durch direkte Berührung verbreiten, doch gibt es hier schon Übergänge nach
den Formen hin, die ihre Sporen für die Verbreitung durch den Wind!)
oder durch bestimmte Tiere organisieren und schließlich auch solehe, die
ihr Sporangium selbsttätig ausschleudern (Pilobolus). Daß auch die ab-
weichend gestalteten Fruktifikationsorgane einer bestimmten Mucorinenart den
sanz speziellen Lebensbedingungen dieses Pilzes auf das vollkommenste angepaßt
sind, das habe ich bereits für eine typische Form, für Sporodinia grandis (l. e.)
bis ins einzelne durchzuführen versucht, worauf ich hier besonders verweise.
II. Den meisten pflanzlichen Substraten, welche unter normalen Ver-
hältnissen abgestoßen werden und der Verwesung anheimfallen, sind die
leicht verwertbaren Nährstoffe so viel als möglich von der Mutterpflanze
entzogen worden, und sie bieten in ihrer Substanz ein schwer verdauliches
Zellengerüst dar, das die Konkurrenz anderer Lebewesen fast ausschließt.
Die Mycelien, die hier das Zerstörungswerk ausführen, wachsen langsamer,
sind langlebig, in Zellen gegliedert und können genügende Nährstoffmengen
für den Bau der Fruktifikationsorgane zumeist erst nach längerer Zeit nach
den Verbrauchsorten hinschaffen. Auch die Sporenverbreitungsorgane ent-
wickeln sich langsamer und erfahren eine höhere und regelmäßigere
Differenzierung.
Die schwer verdaulichen Substrate lassen sich wieder in zwei Gruppen
trennen, von denen die erste solche Pflanzenteile umfaßt, deren Zellen noch
erhebliche Reste von Protoplasma und Reservestoffen führen und deren
Membranen noch nicht sehr widerstandsfähig gebaut sind, wie Blätter,
einjährige Achsen, dünne Zweige, Exkremente ete. Diese Substrate bieten
selbst in sehr kleinen Mengen die günstigsten Lebensbedingungen für die
große Klasse der Ascomyceten dar, die ihre derberen Fruktifikationsorgane
auch an trocknen Stellen bilden können, da wo die zarten Sporangienträger
!) Durch Z’hamnidium und Chaetocladium genau so, wie Brefeld in seinem
Pilzsystem die höheren von den niederen Pilzen nach rein morphologischen Gesichts-
punkten ableitet.
ol
der Zygomyceten nicht mehr enstehen können. Die typischen Sporenver-
breitungsorgane der Ascomyceten sind aber auch nicht mehr darauf ange-
wiesen, mit den umgebenden Substraten in direkte Berührung zu kommen, sie
infizieren dieselben selbsttätig, indem sie ihre Sporen auswerfen. Dem inaktiven
Klebsporangium der Zygomyceten entspricht hier der für die Schleudertätig-
keit organisierte aktive Askus, der seine Sporen auch mit einem plasma-
tischen Klebstoff versieht und sie mit ihm zugleich durch osmotischen
Druck und elastisch gespannte Membranen ') auswirft, sodaß sie überall
kleben bleiben, wohin sie geworfen werden. Mehrere Zentimenter weit können
die Askussporen nach einem Ziel hin (Zielsporen) ausgeschleudert werden,
und es liegt hier die Fragestellung nahe, ob die in den freien Luftraum
geschleuderten Askussporen nicht auch durch die feinsten Luftströmungen
fortgeführt und verbreitet werden können. Deshalb habe ich Versuche mit
Askobolus-, Sordaria- und Helvella-Formen in ähnlicher Weise wie früher
angestellt, nur daß ich anstatt aus Papier kleine Etagen aus Glas ver
wendete, um den Verbleib der Sporen mikroskopisch verfolgen zu können.
Es zeigte sich hier aber ein ausgesprochener Gegensatz zu den Basi-
diomyceten: nur die Unterseite der Gläser wurde von den Sporen beklebt,
und zwar ausschließlich die dem Fruchtkörper zunächst gelegenen und nicht
weiter als 1 bis höchsten 4 em von ihm entfernten Gläser. Unter dem Mikro-
skop sieht man, daß die acht Sporen eines Schlauches gewöhnlich dicht bei-
sammen liegen, daß sie also im Zusammenhang geworfen werden. So große
Körper können aber durch die feinen Luftströmungen nicht mehr getragen
werden, und deshalb schon kommt diese Verbreitungsart für die Ascomyceten
im allgemeinen nicht in Betracht”). Bei Gyromitra esculenta Fr. ist es aber
schon auffällig, daß die Sporen auf den Gläsern zum großen Teil vereinzelt
liegen, und es ist wohl die größte Zahl der Formen, bei denen die Sporenent-
leerung nicht kontinuierlich erfolgt wie bei den Basidiomyceten, sondern infolge
eines Reizes sich plötzlich in sichtbaren Staubwolken vollzieht. Bei vielen
kleineren Formen der Basidiomyceten mögen es Tiere sein, welche die Ober-
fläche berühren und daraufhin mit den Sporen beworfen werden, die sie
verschleppen sollen. Bei Ascobolus lignatilis konnte ich oft beobachten, wie
die Sporen plötzlich entlassen werden, wenn das Kulturgefäß geöffnet wurde
und ein feiner Luftzug einwirkte. Wenn man den großen Fruchtkörper der
Gyromitra esculenta Fr. mit dem Stiel ins Wasser stellt, bis er sich voll-
sesogen hat und ihn dann in einem beliebigen zugfreien Raum auf
schwarzes Papier setzt, dann wirft er im Verlaufe mehrerer Tage seine Sporen
allseitig aus, sodaß sie ringsherum einen Sporenhof bilden, wie ihn die
Fig. 7 auf Taf. II wiedergibt. Es ist aber schon bekannt °), daß, wenn man
!) Nach A. de Barys Untersuchungen. Morphologie und Physiologie der Pilze.
Leipzig 1866.
2) Themoelektrisch ließ sich bei der Speiselorchel keine Eigenwärme feststellen.
2) Bouillard l.c. De Bary |. ce. S. 141.
4*
ee
einen solchen Fruehtkörper von Zeit zu Zeit anpustet, er auf einmal ganze
Sporenwolken entläßt, die von demselben Luftzuge weit fortgetragen werden ').
Bei den Discomyceten, besonders aber bei den Helvellineen wird die Ejakulation
offenbar vorzugsweise durch den Wind herbeigeführt, der die Sporen eben
gleich weiter verbreiten soll. Unter diesem Gesichtspunkte wird die ganze
Organisationsrichtung dieser Pilze, die ihr Hymenium erst auf einem Stiel
keulen- oder kopfförmig emporheben (Geoglossaceen), dann die hymeniale
Fläche verbreitern (Verpa), gleichzeitig immer mehr festigen (Gyromitra) und
schließlich in den echten Morcheln ihr Hymenium in festen gekammerten
Flächen dem Winde darbieten, erst verständlich. Ein genaueres Studium
wird uns den Sinn der verschiedenen Fruchtkörperbildung bei den Asco-
myceten ebenfalls weiter erschließen.
Der bei weitem größte Teil der Ascomyceten kann aber seine Sporen nur
auf kurze Strecken hin verbreiten, und diese sind es, die deshalb noch ein
zweites Sporenverbreitungsorgan, den Conidienträger, der die Kraft des Windes
zur Verbreitung seiner Sporen ausnützt, als sog. Nebenfruchtform ausbilden.
Der Conidienträger bildet seine Sporen direkt nach außen und ordnet
sie hier so an, daß sie möglichst große Angriffsflächen dem Winde
darbieten. Er erreicht dies auf zweierlei Art. Entweder ordnet er viele
Sporenschichten in losen Kettenverbänden dicht nebeneinander flächenförmig
an, sodaß sie vom Winde erfaßt und gleichzeitig verteilt werden können
(Aggregatsporen), oder er bildet reiche Verzweigungen mit vereinzelten
Sporen, die der Wind abschütteln, erfassen oder ebenfalls forttragen kann
(Sehüttelsporen) ?). In den allverbreiteten Schimmelpilzen, den Penieillien- und
Aspergillus-Arten einerseits, den Botrytis- ete. Arten andererseits, erreichen
diese Typen ihre vollkommenste Ausbildung.
IIb. Die widerstandsfähigsten und in den größten Mengen gebildeten
organischen Substanzen, die es auf der Erde gibt, sind die Holzmassen
der Bäume. Durch Einlagerungen von Lignin, Peetin ete. erlangt hier die
Cellulosemembran eine solche Festigkeit, daß die aus ihnen gebildeten Ge-
webe an Zug- und Druckfestigkeit die härtesten anorganischen Materialien
übertreffen. Auch diese Substanzen müssen im Haushalte der Natur für
die Verwirklichung neuen Lebens wieder zurückgebildet werden, und indem
die Pilze diese Aufgabe erfüllen, erreichen sie in den Basidiomyceten ihre
höchste Organisation. Den Bäumen in dem grünen Reiche vergleichbar, sind
dies die Riesen unter den Pilzen.
Den Auflösungs- und Verwertungsprozeß der Holzmassen können die
Basidiomyceten aber nur unter ganz bestimmten Bedingungen vollziehen,
nämlich bei genügender Zufuhr von Luft und Feuchtigkeit. An der Luft,
!) Nach den Untersuchungen de Barys (l. ce.) ist es die austrocknende Wirkung
des Windes, welche die Ejakulation veranlaßt.
?2) Schon bei den Mucorineen sind beide T'ypen vorgebildet, in Syncephalis einer-
seits und Chaetocladium andrerseits.
55
aber trocken aufbewahrt, können sie nicht zerstört werden, und hierauf
beruht ihre Verwendung für die technischen Zwecke. Im Wasser, aber ohne
genügenden Luftzutritt, werden sie ebenfalls nicht angegriffen, sondern
karbonisieren und bilden die Steinkohlen. Die richtigen Bedingungen für
die Zerstörung sind dagegen vorhanden, wenn die Holzmassen, wie dies in
der Natur ja stets geschieht, in unmittelbarer Berührung mit dem feuchten
Erdboden an der Luft ungestört liegen bleiben. Diese Verhältnisse bestehen
besonders im Walde, wo alljährlich die abgefallenen Zweige und Blätter
auf den Erdboden gelangen. Hier treffen wir deshalb die ganze Flora der
Basidiomyceten; da die Zersetzung der Holzsubstanz eine verhältnismäßig
schwierige ist, so geht sie auch entsprechend langsam vor sich. Während
die Zygomyceten sich in einigen Tagen bis zur Fruchtreife entwickeln, be-
darf es für die Fruchtkörperbildung der Basidiomyceten in der freien Natur
meist einer jahrelangen Entwicklungszeit. Die Mycelien der Basidiomyceten
sind also sehr langlebig, und sie bedürfen deshalb keines Dauerzustandes.
Andererseits ist es nach einer so langen vegetativen Entwicklungszeit not-
wendig, daß die endlich eintretende Fruktifikation eine möglichste Ver-
breitung der Sporen herbeiführt. In den Wäldern kann aber der Wind für
die Verbreitung nicht oder nur wenig in Anspruch genommen werden !), und
deshalb ist hier ein ganz besonders organisierter Conidienträger, „die
Basidie*, zu ihrer bevorzugten Ausbildung gelangt. Wodurch ist nun die
Basidie von dem Conidienträger unterschieden? Die Basidie bildet ihre
Sporen einzeln aus, und jede einzelne Spore besitzt ihren besonderen
Träger, das Sterigma, welches zunächst die Aufgabe hat, die einzelnen
Sporen räumlich so weit wie möglich voneinander zu trennen, damit
sie sich beim Abfall nicht berühren können. Basidien und Sterigmen, welche
die Sporen tragen, sind aber niemals, wie die Conidienträger, aufrecht, sondern
stets entweder senkrecht nach unten oder wagerecht gestellt,
sodaß die Sporen, wenn sie abgestoßen werden und, der Schwerkraft folgend,
herunterfallen, nicht auf den eigenen Träger und auf das eigene Substrat
gelangen, sondern in einen freien Luftraum fallen. Die Basidie hat
demnach die Funktion, die Sporen auszubilden, sie zu vereinzeln, sie über
einen freien Fallraum freischwebend in die Luft zu heben und sie
dann aktiv abzustoßen. Ist ein Körper von der Kleinheit einer einzigen
Basidienspore einmal freischwebend im Luftraum befindlich, so kann er durch
die geringste Luftströmung, wie wir gesehen haben, etwa wie das Plankton
im Wasser, getragen und auch an ganz windstillen Orten (Wäldern ete.)
verbreitet werden: hierfür befähigt die Spore der Basidiomyceten
ihre Basidie und darin liegt — aus dem Vergleiche abgeleitet — ihr
biologischer Wert.
!) An den Orten stärkerer Windströmungen wird die Ausbildung der
zarten pilzlichen Differenzierungen wegen der trocknenden Wirkung stets beein-
trächtigt sein,
94
Hiernach gewinnen wir folgende kurzgefaßte vergleichende Bewertung
der wichtigsten Sporenverbreitungsorgane bei den Pilzen.
FE a |
N ' Morphologisch Physiologisch Biologisch
h Sporen- | (nach Gestalt) | (nach Funktion) | (mach Zweck)
Der rue nun bewertet bewertet | bewertet
Zoosporangium bildet | Ciliensporen | Schwimmsporen | Wassersporen
Sporangium bildet | Plasmasporen | Klebsporen | Kontaktsporen
Askus bildet | Schlauchsporen | Schleudersporen | 3 | Zielsporen
1% 2. Aggregatsporen| 2, d
Conidienträger bildet | Trägersporen | \ 2 | Windsporen
| Xb. Schüttelsporen 7 =
Basidie bildet | Basidiensporen | Fallsporen | Schwebesporen
Über die Verbreitung der Sporidien bei den Rostpilzen.
Über die Verbreitung der verschiedenen Sporenformen der Uredineen hat
sich in dem soeben erschienenen Buch über die wirtswechselnden Rostpilze
H. Klebahn (Berlin 1904) in umfassender und klarer Weise geäußert.
Während sich die Verbreitung der Äeidiosporen und der Uredosporen
durch die Kraft des Windes erhlären läßt, kann nach Klebahn die Frage,
wie die Sporidien verbreitet werden, kaum ganz befriedigend beantwortet
werden. Klebahn sagt wörtlich: „Man kann zwar nicht zweifeln, daß
sie in erster Linie vom Winde, vielleicht auch durch Tiere umhergetragen
werden. Den Mechanismus ihrer Beförderung durch den Wind genau zu
verstehen, macht aber doch einige Schwierigkeiten. Die Blätter oder Halme,
welche keimende Teleutosporen tragen, befinden sich fast ausnahmslos am
Boden; die Sporidien müssen also vom Winde zunächst gehoben werden.
Nun scheinen die Conidienträger allerdings die Kraft zu haben, die Sporidien
eine, wenn auch nur sehr kurze Strecke fortzuschleudern, sodaß der Wind
sie nicht erst von ihrer Bildungsstätte abzulösen braucht. Aber trotzdem
sind damit die Schwierigkeiten nicht ganz beseitigt, denn eine zu schwache
Luftströmung wird nicht von genügender Wirkung, eine zu starke zu
sehr vertrocknend auf die Teleutosporen einwirken und die Keimung
hemmen.“
Die Schwierigkeiten bezüglich der Erklärung der Sporidienverbreitung
werden nun beseitigt, wenn sie nach Art der Basidiensporen durch die feinsten
Luftströmungen verbreitet werden können. Die Teleutosporen sind zumeist
gestielt, und wenn sie keimen, dann bilden sie noch dazu eine lange Basidie,
die Basidie wieder bildet fein zugespitzte Sterigmen, und diese erst tragen
räumlich getrennt je eine Spore. Wenn man die Keimungsbilder der ver-
schiedenen Teleutosporenbilder betrachtet, dann kann man nicht im Zweifel
sein, daß der Basidienträger auch hier die für ihn charakteristischen Funktionen
erfüllt. Der gleiche morphologische Bau ist nicht in erster Linie der Ausdruck
— 55 =
für verwandtschaftliche Beziehungen, sondern für die gleiche physiologische
Funktion. Eine eigene ausreichende Wärmebildung werden die einzelnen
keimenden Teleutosporen voraussichtlich nicht besitzen, also selbsttätig ihre
Sporen auch nicht verbreiten können, dagegen wird zur Zeit ihrer Keimung
infolge der Insolation der Erdoberfläche eine andauernde Luftströmung von dem
Erdboden her für ihre Verbreitung stets vorhanden sein, so daß die Sporidien
nicht bloß auf die höchsten Bäume, sondern auch unter Mitwirkung von
Windströmungen auf sehr weite Entfernungen hin vertrieben werden
können. So erklären sich die Beobachtungen Klebahns über die Ver-
breitung der Sporidien im Frühjahr, die er auf Seite 32 seines Werkes be-
schrieben hat.
Die Teleutosporen bleiben aber zumeist an den von ihnen befallenen Pflanzen-
teilen zu vielen Hunderten beisammen sitzen, und wenn sie gemeinsam keimen,
dann haben wir ein primitives Basidien-Hymenium vor uns. Die Sporidien werden
sich hier voraussichtlich nur dann ausgiebig verbreiten können, wenn das
Hymenium sich an der Unterseite etwas erhöht liegender Pflanzenteile oder in
mehr oder weniger senkrechter Lagerung befindet, z. B. an stehengebliebenen
Halmen. Leider fehlte mir geeignetes Material, um dies experimental fest-
stellen zu können, da die Teleutosporen erst nach der Überwinterung im
Freien keimfähig sind. Nur bei einer Uredinee mit fruchtkörperartig zu-
sammengestellten Teleutosporen, dem Gymnosporangium juniperinum Lk.,
habe ich prüfen und feststellen können, daß hier die Verbreitung der Sporen
genau so wie bei den übrigen Basidiomyceten erfolgt. Der Zweig von
Juniperus Sabina L., an dem sich die in der Sporidienbildung befindlichen
gallertartigen Teeleutosporenlager befanden, wurde unterhalb des Pilzlagers
abgeschnitten, in eine Flasche mit Wasser gestellt und oberhalb des
Gymnosporangiumlagers eine Etage aus weißen Papierscheiben in der be-
kannten Art (wie in Taf. VI Fig. 4) angebracht. Der Versuch wurde unter einem
Glaszylinder in einem geschlossenen Schrank angesetzt, und schon am nächsten
Tage waren sämtliche Blättchen innerhalb des Zylinders von den orangefarbenen
Sporen bedeckt, woraus zu schließen ist, daß dieser Pilz sogar imstande ist,
durch eigene Wärmebildung seine Sporidien zu verbreiten. Um die Temperatur
erhöhung wirklich festzustellen, fehlte mir das genügende Material, doch
hoffe ich, diese Versuche noch ergänzen und wie über die Prüfung der
übrigen Uredineen noch später berichten zu können.
Wenn wir nach unseren neuen Gesichtspunkten die Biologie der Uredineen
entsprechend vervollständigen, so gewinnen wir das folgende Bild: Die
Teleutosporen sind erst nach der Überwinterung im Frühjahr keimfähig,
wenn durch reichere Niederschläge die vorjährigen Pflanzenreste durch-
feuchtet werden und die stärkere Erwärmung der Erdoberfläche die Keimung
herbeiführt, wie das auch für andere Wintersporen, z. B. die Zygoten von
Sporodinia ete., zutrifft. Jetzt werden bei feuchter warmer Witterung die
Sporidien gebildet, von den Luftströmungen, die die erwärmte Erde erzeugt,
emporgetragen und auf die Oberseite der eben entwickelten Blätter ab-
56
gesetzt, deren junge Epidermis sie in feuchter Luft mit den Keimschläuchen
unmittelbar durehbohren können. Die Wirtspflanzen der Uredineen, welche
von den Sporidien befallen werden, sind zumeist hochgewachsene Kräuter
und Sträucher, oft auch hohe Bäume. An ihren befallenen Blättern bilden
sich alsbald die Äcidienlager, deren große Aggregatsporen durch die Ein-
wirkungen des Windes von den beweglichen Blättern aus auf das leichteste
über weite Strecken, besonders auf die niedriger wachsenden Kräuter ver-
breitet werden können. In der gleichen Art sind nach Klebahn die
Uredosporen durch den Wind übertragbar. Ganz rätselhaft sind noch die
Pyenosporen. Da die von ihnen besetzten Pflanzenteile häufig einen auf-
fallenden Honiggeruch verbreiten, ist es sehr wahrscheinlich, daß sie durch
Insekten verbreitet werden. Da bei den Uredineen die Basidie im Verein
mit den anderen Sporenformen bei ein und demselben Pilz vorkommt, so
tritt hier ihre Funktion und ihre Bedeutung für die Infektion der Wirts-
pflanze den anderen Sporenformen gegenüber besonders klar zutage.
Die Wertungen der Sporeniormen bei den Uredineen.
x | Morpho- | Physiologischer Wert Biologischer
Gebräuchlicher | 1 , a 5 S sr BE
ogischer für di | Wert für die
Name Wert A für den Befall | Verbreitung
zn Verbreitung | tung
Teleutosporen | Chlamydo- | Frühjahrs- ı Epidermis- Überwinterungs-
sporen | sporen ı sporenbildner | sporen
Sporidien Basidio- Fallsporen ' Epidermis- Schwebesporen
; sporen sporen |
Acidien- und |Chlamydo- |Aggregat- Spaltöffnungs- | Windsporen
Uredosporen sporen sporen | sporen
Pyenosporen Conidien | Riechsporen ı Narben- Insektensporen
| sporen (?) ?
Der Sinn der Fruchtkörperbildung bei den Basidiomyceten.
Schon bei den Uredineen entsteht bei der Keimung ein primitives
Hymenium, in dem die langen Protobasidien unregelmäßig und unverbunden
nebeneinander stehen, sodaß die Basidiensporen trotz ihrer seitlichen Aus-
bildung in einen freien Raum herunterfallen können. Bei den Gymno-
sporangien und Endophyleen treten die Teleutosporen schon zu fruchtkörper-
artiger Verbindung zusammen.
Der Fortschritt nach Richtung der Autobasidiomyceten ist dahin zu
verstehen, daß den nun an der Spitze gebildeten Sporen beim Abfallen
nicht mehr die eigenen Basidien im Wege stehen, und daß die letzteren
nicht nebeneinander, also in größerer Zahl gebildet werden können. Unter
den Autobasidiomyceten finden wir die einfachsten Formen in der Familie
der 'Tomentellen, bei welchen die Basidien dicht, aber noch unregel-
mäßig nebeneinanderstehen. So beschaffene Hymenien, die das Substrat
als unregelmäßige formlose Häute überziehen, bildet die häufige Gattung
57
Cortieium. Auch die Corticiumformen') verbreiten ihre Sporen bei richtiger
Lagerung des Fruchtkörpers in geschlossenen Räumen wie die übrigen
Basidiomyceten, doch ist die Bestreuung der Flächen eine verhältnismäßig
geringe.
Die Bildung von regulären Fruchtkörpern finden wir erst in der Familie
der Telephoreen, deren Basidien regelmäßig und dicht nebeneinander gestellt
als echte Hymenien die Oberfläche der eigentlichen Fruchtkörper überziehen,
die ihrerseits eine Mark- und Rindenschieht unterscheiden lassen. Eine sehr
verbreitete Formenreihe unter den Telephoreen sind die Arten der Gattung
Stereum, die auch schon selbständige, vom Substrate unabhängige Frucht-
körper ausbilden können. Sofern die Fruchtkörper dieser Pilze auf mehr
oder weniger wagerechten Flächen wachsen, legen sie sich dem Substrate
dieht an wie die Corticiumformen und bilden häutige oder krustenförmige
Überzüge; sie werden dann als resupinat bezeichnet. Sofern sie aber an
senkrechten Flächen entstehen, treten in ihrem oberen Teile die Frucht-
körper selbständig über die Fläche hinaus und wachsen horizontal
weiter. Sie zeigen dann dorsiventralen Bau, bilden eine mit einer
dieken Haut überzogene Oberfläche und tragen auf der Unterseite auf einer
ebenen und mehr oder weniger glatten Fläche das Hymenium. Hier werden
die einfachsten Fruchtkörper gebildet, die denkbar sind, um dem Basidien-
hymenium unabhängig vom Substrat eine selbständige für die Sporen-
verbreitung geeignete Lage zu erteilen. Es war aber geboten, an einer
Form der Gattung Stereum durch den Versuch klarzustellen, in welchen
Lagen hier die Sporenverbreitung erfolgt. Hierzu verwendete ich Stereum
hirsutum-Fruchtkörper mit ebenen Hymenium-Flächen. Es liegen dann die-
selben Verhältnisse vor wie bei den losgelösten Lamellen der Agaricineen,
und man kann die Prüfungen in der gleichen Art vornehmen, wie dies auf
Seite 26 beschrieben wurde. Die Fruchtkörper wurden in allen nur mög-
lichen Ebenen aufgestellt neben einer Etage aus schwarzem Papier unter
einem entsprechend großen Glaszylinder. Es ergab sich hier dasselbe
Resultat, wie bei den Lamellenversuchen, daß nämlich die Sporen nur dann
verbreitet werden, wenn das Hymenium sich auf der Unterseite in wage-
rechten bis senkrechten Ebenen befindet, also immer dann, wenn die in der
Richtung der Schwerkraft abfallenden Sporen in einen darunter befindlichen
freien Luftraum gelangen. Wenn man sich eine ebene Fläche, auf der sich
einseitig das Hymenium befindet, an einer Längskante-drehbar befestigt denkt,
sodaß demselben durch Drehung um die feste Achse jede mögliche Lage
erteilt werden kann, so zeigt es sich, daß genau in der Hälfte aller denk-
baren Lagen die Sporen verbreitet werden können und zwar entweder
in der rechten oder in der linken Hälfte des durch eine lotrechte Ebene
geteilten kreisförmigen Raumes. Die glatte Anordnung des Hymeniums
!) Geprüft wurde Corticium einerum Pers., das auf der Rinde verschiedener Laub-
hölzer vorkommt,
58
bietet somit den Vorteil, daß in der Hälfte aller nur möglichen Lagen im
Raume eine Sporenverbreitung erfolgen kann, falls unter dem Hymenium
ein genügend hoher freier Fallraum vorhanden ist. Sie hat aber den Nach-
teil, daß auf einer verhältnismäßig großen Fläche nur wenige Sporen gebildet
werden können, sodaß das Hymenium gezwungen ist, sich offen über weite
Flächen zu verbreiten, wie wir dies auch bei den Stereumformen in der
Natur stets beobachten. Auf kleineren Zweigen überziehen sie in resupinater
Form die Unterseite und steigen beiderseitig genau bis zur Hälfte des kreis-
förmigen Umfanges empor. An dieser äußersten Kante, an der ein Anfallen
der Sporen in einen freien Raum noch möglich ist, wird der Fruchtkörper
selbständig und wächst beiderseitig in genau wagerechterLage, sei es in unregel-
mäßigen Leisten oder in hutartigen Formen weiter. Das auf der Unterseite wage-
rechter Flächen befindliche Hymenium mit den direkt nach unten gekehrten
Basidien kann seine Sporen natürlich am besten herunterfallen lassen und ist
auch ohne Fruchtkörper zugleich gegen Regen etc. geschützt. An Baumstämmen
und größeren Holzteilen, die meist nur wagerechte, d. h. seitliche Flächen
besitzen, treten die Fruchtkörper gewöhnlich nur in ihrer selbständigen
Form auf, meist viele etagenförmig übereinander gestellt, aber stets so weit
voneinander entfernt, daß die Sporenverbreitung ungehindert stattfindet,
ähnlich wie in Fig. 5 auf Taf. IV. In dieser etagenförmigen Anordnung an seit-
lichen Flächen ist die größtmögliche Verbreiterung der Hymeniumfläche in einem
begrenzten Raum bei ungehinderter Sporenverbreitung am besten realisiert.
Die Entstehung der Fruchtkörper grade an den Seitenflächen, eventuell an der
freiliegenden Unterseite dürfte durch Einstellung auf eine bestimmte Licht-
intensität, die weitere Ausbildung der selbständigen Fruchtkörper in wage-
rechten Ebenen aber durch plagiotrope Einstellung auf den Schwerkraftsreiz
herbeigeführt werden. So kann es vorkommen, daß sich ein Fruchtkörper
unter dem Einflusse einer gewissen Liehtwirkung auch auf der. Oberseite
horizontaler Flächen ausbildet, wo der stiellose Fruchtkörper nicht befähigt
ist, die Sporen zu verbreiten. Hier liegen auch schon Beobachtungen von
Sachs!) vor, daß solehe Fruchtkörper, die, wie wir jetzt wissen, ihre
Sporen doch nicht verbreiten können, überhaupt kein Hymenium ausbilden.
Auch Goebel?) ist das merkwürdige Verhalten der Fruchtkörper von Stereum
aufgefallen, und er hat Beobachtungen über ihre abweichende Ausbildung in
den verschiedenen Lagen mitgeteilt.
1) Sachs, Über orthotrope und plagiotrope Pflanzenteile. Arbeit aus dem
botanischen Institut in Würzburg, 2. Bd., S. 252. Sachs fand Telephoreen auf
einer Holzwalze. Die auf der Oberseite liegenden Fruchtkörper hatten aber kein
Hymenium entwickelt, dasselbe trat nur auf der freien Unterseite der horizontal ab-
stehenden Hüte auf.
2) Gocbel beschreibt das Verlıalten von Stereum hirsutum, welches er auf einem
Erler#amm beobachtete, Flora 1902, S. 471: Es sei hier besonders auf das auf
Seite 475 gegebene Schema hingewiesen. Goebel nimmt an, daß die verschiedene
Intensität der Beleuchtung die verschiedenartigen Ausbildungen in den verschiedenen
Lagen herbeiführt.
Es gibt aber nur wenige Formen unter den Basidiomyceten, welche ein
elattes Hymenium besitzen. Jede Basidie bildet nur vier Sporen, und wenn
sie auch noch so eng nebeneinandergestellt sind, so können auf der ver-
hältnismäßig großen Fläche eines mit großem Materialaufwande gebauten
Fruchtkörpers doch nur wenig Sporen gebildet und verbreitet werden. Es ist
deshalb bei der Ausbildung der Fruchtkörper das Bestreben vorhanden,
die basidientragende Oberfläche weiter zu vergrößern und so die Zahl der
Sporen, welehe auf einer bestimmten Fläche, „verbreitbar“ gebildet werden
können, zu vermehren. Alle Möglichkeiten, die zu einer solchen Ver-
srößerung der Oberfläche führen, finden wir nun in der Ausbildung der
Hymenophore bei den verschiedenen Pilzformen in solcher Vollendung und
Regelmäßigkeit realisiert, daß die letzteren die wichtigsten Merkmale für die
Charakteristik und Unterscheidung der größeren Familien abgeben.
Die einfachste Art, die Oberfläche zu vergrößern, besteht in dem leisten-
förmigen Hervortreten der hymeniumtragenden Fläche, wie es wohl am schönsten
bei den Fruchtkörpern von Merulius laerymans zu sehen ist. Die Figur 3 der
Tafel 1V ist die Photographie eines kleinen Fruchtkörpers, dessen wulstartige
Vorsprünge zum Teil noch in der Entwicklung begriffen sind und uns zeigen,
wie hier in primitivster Art die Oberfläche des Hymeniums vergrößert wird.
Die meisten Basidien sind nun aber an den Innenflächen der leistenförmigen
Vorsprünge in wagerechter Lage angeordnet, und wir wissen ja schon, daß
bei dieser Stellung die auf langen feinen Sterigmen über die Fläche empor-
getragen Sporen ebensogut nach unten abfallen und sich verbreiten können,
wie die an senkrecht nach unten gestellten Basidien gebildeten Sporen. Bei
solcher Anordnung der Basidien kann aber der Fruchtkörper selbst seine wage-
rechte Stellung nach Richtung der senkrechten hin nicht mehr beliebig verändern,
da sonst die meisten abfallenden Sporen auf das gegenüberliegende Hymenium
fallen und ihre Verbreitung einbüßen würden. Wir können schon hier den
Satz ableiten, daß bei einer Vergrößerung der hymeniumtragenden Fläche
durch Ausbildung von Leisten ete. der Fruchtkörper sich normal nur noch in
einer Ebene — der wagerechten —, die senkrecht verläuft, zur Fallrichtung
der Sporen (mit nach unten gerichtetem Hymenium) entwickeln kann, um
die Sporen verbreiten zu können.
Die Pilze mit dergestalt differenzierten hymenialen Flächen sind also
gezwungen, ihre Fruchtkörper immer nur auf der freiliegenden Unterseite
flächenförmiger Körper auszubilden. Es ist nun interessant zu verfolgen,
wie z. B. die Fruchtkörper von Merulius ihre charakteristischeDifferenzierung
in der Tat nur in dieser Lage erhalten, wie sehon ihre Anlage deshalb an
solchen Stellen in der Natur vorzugsweise erfolgt, und wie die Gestaltung
der hymeniumtragenden Fläche bei Veränderung dieser räumlichen Lagerung
entsprechende Abänderungen erfährt, die immer darauf hinzielen, daß die
Sporenverbreitung ermöglicht wird. Der botanische Garten in Breslau ist
an seiner Südseite eine Strecke von vielen Metern weit von einem Holzzaun
begrenzt, der in der ganzen Ausdehnung vom Hausschwammmycel befallen
60
ist. Im Spätherbst feuchter Jahre treten im ganzen Verlaufe des Zaunes
die Fruchtkörper des Pilzes auf. Der Ort ihrer Bildung ist ausnahmslos
derselbe, da wo ein viereckiger Querbalken, der die Bretter zusammenhält,
eine nach unten gekehrte wagrechte ebene Fläche darbietet, und von hier
aus verbreiten sich Fruchtkörper noch eine Strecke weit nach unten auf die
senkrechten Brettflächen, wie dies die Photographie eines Abschnittes des
Zaunes im Bilde 1 auf Tafel IV veranschaulicht. Wenn wir hier nun einen
Fruchtkörper vorsichtig ablösen und ihn näher besehen, — siehe Tafel IV
Fig. 2 — dann finden wir nur diejenigen Teile des Fruchtkörpers mit weit
vorstehenden Leisten normal ausgebildet, die auf der wagerechten Unterseite
des Balkens angewachsen waren, dagegen tragen die senkrecht gebildeten
Häute ein flaches Hymenium, auf dem die Leisten nur noch in den Umrissen
zu erkennen sind'), sodaß auch hier die Sporen von den meisten Basidien
herunterfallen und verbreitet werden können. Damit die Fruchtkörper sich
nun immer an solchen Stellen bilden können, die eine normale Ausgestaltung
des Hymeniums zulassen, haben sich die fruktifizierenden Mycelien offenbar so
eingestellt, daß eine gewisse Lichtintensität, wie sie an Orten mit dauern-
dem Schatten, also an den Unterseiten freiliegender Körper, vorherrscht,
als auslösender Reiz für die Fruchtkörperbildung wirksam ist, wie bei
Stereum. In der freien Natur wird die für diese Fruchtkörperbildung maß-
sebende Einstellung den Pilz stets richtig orientieren; in den Bauten wird
sie des öfteren versagen, dort wird z. B. in dunklen Lagerräumen dauernder
Schatten auch an der Oberfläche des Holzwerks vorhanden sein und die
Bildung des Fruchtkörpers veranlassen ?). An einem solchen Orte fand ich
einen großen kreisrunden Fruchtkörper, der auf der Oberseite ein reguläres
Hymenium ausgebildet hatte, das die Sporen natürlich nicht verbreiten kann.
Anstatt der Falten bildeten sich hier aber kleine warzenartige oder krause
Erhöhungen aus, die das Hymenium tragen — Fig. 4 Tafel IV. — Ein solcher
Fruchtkörper ist nun kaum noch zu unterscheiden von Coniophora cerebella
Alb. et Schwein., einem ebenfalls holzzerstörenden resupinaten Basidio-
myceten, welcher die hymeniale Fläche regulär durch kleine Vorwölbungen
erweitert. Fig. 6 Tafel IV. Coniophora findet man aber auch in der freien
Natur schon oft auf der Oberfläche des höckrigen Erdbodens, und wenn
man von dem Pilz befallenes Holz dieht unter die Erdoberfläche legt, dann
kann man die Fruktifikation des Pilzes leicht auf der Oberfläche des Erd-
!) Schon hier sind die sekundären Ausgliederungen der Hymenophore auf den
Schwerkraftsreiz positiv eingestellt und bilden sich nur unter seiner Einwirkung
normal aus, während die primären glatten Hvmenienträger sich in beliebigen Lagen, _
also unabhängig von der Schwerkraft, entwickeln.
2) In Reinkulturen erfolgte normale Fruchtkörperbildung von Meruleus in weit-
halsigen, mit Nähr-Agar gefüllten Kölbehen, die am 4. August geimpft wurden,
bereits am 30. Oktober meist an den Stellen, wo das aufgeklebte Etikett den
Schatten im Innern herbeiführte. Hier bildeten sich die Falten auch in senkrechter
Lage und richteten sich dann auch nach unten; selbst auf der Oberseite fanden sich
oftmals normale Falten.
61
bodens künstlich herbeiführen. Hier vermag sich der Pilz allen Uneben-
heiten anzuschmiegen, und es entstehen senkrechte Flächen von soleher
Tiefe, daß nun die Sporenverbreitung auch von der Oberfläche
her erfolgen kann. Die Luftströmungen, die von der Erdoberfläche aus-
gehen, und zugleich die von den Fruchtkörpern selbst gebildeten, erfassen
die Sporen, bevor sie den Boden berührt haben. Wenn wir diese Ent-
wiceklungsricehtung hier noch gleich verfolgen, dann ist es unschwer, an
Coniophora die auf der Erde wachsenden Formen der Gattung Telephora
anzuschließen, von denen T. terrestris und laciniata sich in Lamellen,
T. palmata aber bereits auf einem Stiele so weit von der Oberfläche er-
heben, daß die vorzugsweise in den oberen Teilen gebildeten Basidiensporen
selbsttätig verbreitet werden. In den Clavarieen erreicht dann diese Ent-
wieklungsrichtung ihren Höhepunkt').
Die auf ebenen Flächen wachsenden Fruchtkörper von Coniophora
können, wie Versuche ergeben, ihre Sporen noch verbreiten, wenn das
Hymenium sich auf einer beliebig gerichteten Unterseite oder an den Seiten-
flächen entwickelt, etwa wie Stereum. Werden aber die warzenartigen
Hymenophoren größer, dichter und gleichmäßiger, stachelartig oder kamm-
förmig wie bei den Formen der Hydnaceen, dann können sie sich nur noch
an der Unterseite einer mehr oder weniger wagerecht gestellten Fläche aus-
bilden; und wenn von ganz regelmäßig gebildeten Stacheln oder Kämmen
alle Sporen frei herunterfallen sollen, dann müssen diese sekundären Aus-
sliederungen genau lotrecht angeordnet sein. Es kann hieraus der Satz
abgeleitet werden, daß alle als Stacheln, Kämme, Poren und Lamellen
differenzierten Hymenophore stets streng positiv orthotrop-geotropisch ein-
gestellt sein müssen.
Wenn die unregelmäßigen Hymenophore eines in normaler Lage ge-
wachsenen Fruchtkörpers von Merulius — Tafel IV Fig. 3 — seitlich etwas
regelmäßiger miteinander verwachsen, dann bilden sie gewundene Gänge
oder röhrenförmige Erhebungen, wie sie die große Familie der Polyporeen
charakterisieren. Die einfachsten Formen sind auch hier resupinat und
vermögen, soviel man bis jetzt wußte, keine selbständigen Fruchtkörper
zu bilden. Resupinate Arten gibt es in der Gattung Hydnum aus der
Familie der Stachelpilze, in der Gattung Polyporus unter den Röhrenpilzen,
und in meinen Basidiomycetenreinkulturen habe ich aus einer oidienartigen
Nebenfruchtform einen Pilz kultiviert, der direkt auf dem Substrat in Lamellen
fruktifiziert. Die bei uns häufigen resupinaten Polyporeen mit rein weißen
Poren gehören wohl meist zu Polyporus vaporarius Pers., der ebenso häufig
wie Merulius vorzugsweise auf bearbeiteten Hölzern auftritt, die ja in ihrer
künstlichen Lagerung am ehesten die notwendigen nach unten gerichteten
Flächen für ein resupinates Wachstum darbieten. Ich habe diesen Pilz
!) Geprüft wurden Clavaria flava Schaeff. und Sparassis ramosa Schaefl. und
festgestellt, daß sie ihre Sporen ebenso wie die Hutpilze verbreiten.
62
ebenso wie den Merulius lacrymans seit einigen Jahren auf kleinen -vier-
eckigen Klötzchen der verschiedenen Hölzer kultiviert. (Reinkulturen aus den
Basidiensporen.) Da in jeder Kultur nach bestimmter Zeit die Fruktifikation
eintritt, konnte die verschiedene Fruchtkörperbildung in den verschiedenen
Lagen studiert werden. Die normale Ausbildung der Röhren erfolgt, wie
abgeleitet, nur auf der Unterseite des hohl gelegten Substrates, Fig. 5 u. 6
Tafel V'). Die Fruchtkörperbildung an den senkrechten Seitenflächen der
Klötzehen zeigt die Figur 7, und wir sehen, wie die Röhren nicht mehr
senkrecht der Fläche des Fruchtkörpers aufsitzen, sondern, der Einwirkung
der Schwerkraft folgend, parallel zu ihr verlaufen. Hier ist es besonders
deutlich, wie die Hymenophore in ihrer Orientierung im Raum unab-
hängig vom Fruchtkörper sind und sich stets in die Richtung der Schwer-
kraft stellen, damit die Sporen aus ihnen herausfallen können. Die
seitlich verlaufenden Röhren sind außerdem lang gestreckt und nach
außen zumeist offen, sie bilden hier ein ziemlich ebenes Hymenium, das in
soleher Orientierung die Sporen ebenfalls verbreiten kann. Indem so lange
Röhren nebeneinander gebildet werden, entstehen primitive konsolenartige
Fruchtkörper, wie sie in ähnlicher Art häufig angetroffen werden. Aber
auch auf der Oberfläche kann wie bei Merulius unter den abnormen
Bedingungen in geschlossenen Kulturen ein Fruchtkörper zur Ausbildung ge-
langen; einen solchen zeigt die Photographie 8 aus einer vier Monate alten Holz-
kultur. Die Hymephore werden Daedalea ähnlich und wachsen hier, wenn sie
ungestört stehen bleiben, blätterartig weiter nach oben, sodaß die Bildungen wie
zwerghafte Sparassisfruchtkörper aussehen. In der feuchten Luft der Kultur-
gefäße wachsen die Hymenien nachträglich vegetativ aus und füllen die
Höhlungen von unten her aus, wodurch schließlich dieke Mycelpolster ent-
stehen.
Am interessantesten ist aber das Verhalten einer anderen Polyporeenart,
die, wie ich glaube, den Polyporus hirsutus Wulff., den Polyporus adustus
Fr. und Daedalea unicolor Bull.?), alle mit eigentümlich grauen Röhren,
in sich vereinigt und die, ähnlich wie Stereum, neben der resupinaten Form
noch selbständige über das Substrat hinauswachsende, dorsiventral gebaute
Fruchtkörper ausbildet. Die Vielgestaltigkeit, in der dieser Pilz auftreten
kann, läßt sich auch hier nur verständlich machen, wenn wir die Wertungen
der Basidie im Auge behalten.
l. Wenn man das von diesem Pilz befalllene Holz in beliebige Stücke
spaltet, dann kann nach einiger Zeit unter den geeigneten Bedingungen auf
jedem beliebigen Teilstück Fruchtkörperbildung erfolgen, doch nur die
!) Wenn man den Fruchtkörper mit dem Messer entfernt und das Substrat in
die ursprüngliche Lage zurückbringt, dann erscheinen die Röhren an derselben Stelle
in kurzem von neuem direkt auf dem Substrat aber in labyrinthartiger Anordnung
ähnlich wie bei Daedalea (Fig. 6 Tafel V).
2) Schroeter hat bereits darauf hingewiesen, daß Polyporus hirsutus und
Daedalea unicolor vielleicht zusammengehören.
En
63
resupinate Form. Die Röhren bilden sich auf einer ganz dünnen Mycelhaut,
oft auch unmittelbar auf dem pilzdurchwachsenen Holze. Sie bilden sich
aber nur auf der Unterseite, sehr selten an senkrechten Flächen mit
langgestreckten, zum Teil offenen Röhren wie in Figur 6. Solche in
künstlicher Kultur ebenso leicht wie im Freien zu beobachtende Frucht-
körper auf der Unterseite des gespaltenen Holzes zeigt die Fig. 2 der
Tafel V. Hier verlaufen sie ohne Umgrenzung auf der ganzen Fläche
mit sehr flachen grauen Röhren, die bei hohler Lage sogleich keimfähige
Sporen in großen Mengen in den Raum verbreiten. Fig. 3, im Freien
gewachsen, zeigt die Fruchtkörper in kleinster, aber begrenzter Form mit
einem strahligen Mycelhof und bedeutend längeren Röhren, Fig. 4 denselben
Bildungstypus auf einem schief nach unten gelagerten Brett, sodaß die Röhren
fast parallel zum Fruchtkörper und zum Teil langgestreckt verlaufen wie
in Figur 6.
2. An den senkrechten Flächen lebender Bäume, an Baumstümpfen oder
an größeren berindeten und einseitig in die Erde gestellten mit dem Pilze
infizierten Holzklötzchen entsteht die Konsolenform, wie wir sie bei vielen
stiellosen Polyporeenfruchtkörpern so häufig antreffen. Fig. 1 Tafel VI
zeigt diese Fruchtkörper in der Aufsicht an den Vertikalflächen eines Baum-
stumpfes.
3. Dieser Pilz vermag nun auch auf der Oberseite ebener Flächen, hier
auf dem Baumstumpfe — Fig. 1 derselben Tafel — Fruchtkörper zu bilden,
die ihre Sporen in den Raum verbreiten können. Wir sehen auf dem Bilde, wie
der Pilz dies ermöglicht. Er bildet zunächst formlose Mycelpolster, und aus
diesen differenzieren sich — vorn im Bilde sichtbar — kleine dorsiventral
gebaute muschelförmige Gebilde, die sich durch Wachstum am Rande ver-
srößern und bald ohr- bald trichterförmig auswachsen. An demselben
Bildungsorte, auf gleichem Substrat läßt derselbe Pilz seine
gleichzeitig gebildeten Fruchtkörper an senkrechten Flächen genau
horizontal, auf wagerechten schräg nach oben wachsen, sodaß in jedem
Falle die Basidien so gelagert sind, daß ihre Sporen verbreitet werden können.
In welcher Art auch der Pilz diese verschiedene Einstellung herbeiführt,
wir sehen hier besonders deutlich, daß Sinn und Ursache der verschiedenen
Fruchtkörperbildungen bei den Basidiomyceten sich nur aus den physiologischen
und biologischen Wertungen ergeben, welche den Organen zugrunde liegen.
Nicht der Stoff bedingt dieForm und nicht die Kraft die Funktion
der Lebewesen, vielmehr sind beide nur die Hilfsmittel, deren sich der
Organismus je nach Umständen bedient, um seine Wertungen zu
realisieren.
Wir sehen aber an diesem Beispiele zugleich auch, wie schwierig es für
einen solchen Pilz sein muß, unter den so wenig differenten Verhältnissen die
verschiedene Einstellung herbeizuführen, um sein röhrenförmiges Hymenium
stets richtig zu lagern. Derselbe Schwerkraftsreiz muß die Hymenophore in
der Richtung nach unten (positiv-othotrop), die übrige Fruchtkörpersubstanz
64
an den Seitenflächen horizontal (plagiotrop), an der Oberfläche schief
nach oben richten; vielleicht sind auch noch die Basidien plagiotrop ').
Da die meisten Pilze auf der Erde leben, woselbst sich nur Ober-
flächen darbieten, müssen sie danach streben, ihre Hymenophore vom Sub-
strat ganz unabhängig zu machen und es selbst soweit in die Höhe zu
heben, daß die Sporen die nötige Fallhöhe erhalten: dazu bilden sie ein
neues Organ, den Stiel. Dieser ist, wie Sachs (l. c.) bereits festgestellt
hat, negativ geotropisch eingestellt, wodurch er sich selbst stets aufrecht
und den rechtwinkelig aufgesetzten Hut horizontal stellt. Die so durch den
Stiel bedingte Unabhängigkeit des Pilzes von den zur Befestigung der Frucht-
körper geeigneten Flächen demonstriert das biologische Bild Fig. 1 Tafel IV.
In dem Holz des Zaunes lebt außer dem Merulius-Mycel dasjenige von
Naucoria amara Bull. Während der Merulusfruchtkörper nur an der
Unterseite des Querbalkens wachsend seine Sporen verbreiten kann, ist der
Hutpilz an jeder beliebigen Stelle dazu befähigt. Die Bildung erfolgt hier
an der Oberseite des Querbalkens, dort, wo ein aufgelegter Ziegelstein eine
feste Verankerung ermöglicht. Der gestielte Pilz verliert aber die Fähig-
keit, die vorteilhafte versteckte Lage der Unterseite des Querbalkens aus-
zunutzen. Dies kann uns zeigen, daß ein weniger differenzierter Pilz seinen
speziellen Lebensbedingungen vollkommener angepaßt ist (und auch später
entstanden sein kann) als ein beliebig höher organisierter und daß höher und
niedriger stehende Lebewesen sich in ihren Fähigkeiten vorteilhaft ergänzen.
Ein Stiel kann aber nur einen räumlich sehr begrenzten Frucht-
körper emporheben. Er wird zentral am sichersten getragen, und damit er
sich allseitig im Gleichgewicht befindet, wird die runde Gestalt die zweck-
mäßigste sein. Die Vergrößerung der hymenialen Fläche auf dem gegebenen
beschränkten Raum, doch so, daß jede Spore frei nach unten abfallen kann,
führt mit Notwendigkeit zu den Formgestaltungen, die wir in den gestielten
blättern, Röhren- und Stachelpilzen in der Natur in größter Vollkommenheit
ausgebildet sehen. Die Bildung der Oberhaut als Regen- und Wärmeschutz
ist ohne weiteres verständlich, ebenso ist die biologische Bedeutung der
Markschichten als Isolations- und Nährgewebe bereits besprochen worden.
Die Fruchtkörperbildung bei den Basidiomyceten liegt somit als ein sinn-
volles organisches Geschehen ?) in allen Einzelheiten klar vor unseren Augen.
!) Leider bildet der Pilz diese Fruchtkörper nur an natürlichen stabilen Standorten,
in der Kultur erhielt ich stets die resupinate Form. Grade dieser Pilz würde zu Ver-
suchen über die verschiedene Einwirkung des Schwerkraftsreizes besonders geeignet sein.
2) Ihre Form ist der zweckmäßigste Ausdruck für ihre Funktion, die
Funktion die sinnvolle Betätigung für ihre Lebensaufgabe. Was uns hier
sinnvoll und zweckmäßig erscheint, braucht aber nicht vorausgewollt und zielstrebig
entstanden sein. Da jedes Organ mit dem Gesamtorganismus in direkten Beziehungen
steht, die uns am besten aus den Correlationserscheinungen bekannt geworden sind,
so kann die weitere Ausgestaltung vielgebrauchter Organe im Sinne der in ihnen
schon vorhandenen physiologischen und biologischen Wertungen als die Folge von
rein kausal verlaufenden Reaktionen und Einstellungen gedacht werden.
a
65
Sie erfolgt fortschreitend in der einzigen Richtung, die Wertungen, die in
der Basidie geschaffen sind, immer vollkommener zur Betätigung zu bringen.
Diese müssen deshalb auch als die wahren Ursachen der neuen Differenzierungen
angesprochen werden.
Die sogenannten Hutpilze sind diejenigen Organe der Basidiomyceten,
die lediglich die Funktionen haben:
1. möglichst vielen Basidien selbständig die für die Bildung von Fallsporen
zweckmäßigste Anordnung und Lagerung im Raum zu erteilen und
2. Luftströmungen zu erzeugen, die eine selbsttätige Weiterverbreitung
der Fallsporen in den umgebenden Luftraum herbeiführen ').
Die ökogenetische Weiterentwicklung der Basidiomyceten-
Fruchtkörper und der Wertverlust der Basidie.
Die Untersuchungen in dem Kapitel über den biologischen Wert der
Basidie zeigen uns, daß die verschiedene typische Organisation der Frukti-
fikationsorgane bei den Pilzen nur durch die verschiedenen Lebensverhält-
nisse bedingt erscheint, unter denen die Sporenverbreitung erfolgen muß. Die
höchsten Pilze, die Basidiomyceten, welche den kompliziertesten Sporenver-
beitungsapparat bilden, gehen auf die einfachste Oidienbildung zurück, sofern
sie unter den entsprechend veränderten Lebensbedingungen existieren. Auch
diejenigen Abweichungen in der Gestaltung, die innerhalb der verschiedenen
Typen auffällig hervortreten, lassen sich wieder auf ganz besondere Lebens-
verhältnisse zurückführen, wie dies für Sporidinia grandis (l. e.) und für
Collybia tuberosa (l. e.) bereits geschehen ist.
Wenn wir nun eine im Laufe der Entwicklung entstandene und erblich
fixierte funktionelle und gestaltliche Einstellung auf ganz bestimmte Lebens-
bedingungen als Anpassung bezeichnen, dann erweist sich jede charakteristische
Funktion und Gestalt als ein zweckmäßiger und natürlicher Anpassungs-
ausdruck, und es repräsentiert dann gleichsam jede Pilzart in den Charak-
teren der Gattung ererbtes, in denen der Art selbsterworbenes
organisches Geschehen.
Gibt es aber bei den Pilzen keine anderen als Anpassungscharak-
tere, dann kann es auch keine andere Entwicklungsriehtung geben
als die durch Anpassungsvorgänge hervorgerufene. Wenn wir eine
lebendige Substanz voraussetzen, welche die Eigenschaft besitzt, mit den Kräften
der Aussenwelt (etwa wie eine brennende Substanz, aber ohne sich zu ver-
!) Ausser den in der Arbeit bereits genannten Formen ist die selbsttätige Sporen-
verbreitung noch bei folgenden Arten konstatiert worden: Hydnum imbricatum L.,
Polyporus versicolor L., Polyporus zonatus Fr., Polyporus hispidus Fr., Lenzites saepiaria
Wulf., Boletus scaber Bull., Boletus subtomentosus L., Boletus bovinus L., Lentinus
squamosus Schaefl., Cantharellus cibarius Fr., Marasmius alliatus Schaefl., Gomphidius
glutinosus Schaefl., Lactaria deliciosa L., Russula cmetica Schaeff., Derminus tener
Schaefl., Amanita umbrina Pers., Naucoria amara Bull, Tricholona equestre L.,
Armillaria mellea Fl. Dan., Collybia velutipes Curt., Lepiota mucida Schrad,
Cohn, Beiträge zur Biologie der Pflanzen, Bd, IX, Heft I. 5
zehren)') im Sinne ihrer stetigen Vermehrung in Reaktion zu treten ?) und
die durch die Reaktion allmählich gezeitigten Einstellungen zu fixieren und
zu vererben, dann fragt es sich, ob die Fortschritte in der Organisation der
Basidiomyceten lediglich durch solche Anpassungsvorgänge erklärt werden
können.
Im vorigen Kapitel haben wir bereits gesehen, wie neue zweckmäßige
Anpassungszustände entstehen, indem ein neues Organ, die Basidie, die
Ausbildung weiterer Organe zur Folge hat, bis die in ihr vorhandenen
Wertungen in den Formen der Hutpilze zum vollkommensten Ausdruck
gelangt sind, — doch ist hiermit der Abschluß in der Entwicklung der Basidio-
myceten noch nicht erreicht.
In allen systematischen Werken finden wir als letzte Abteilung unter
den Basydiomyceten eine große Anzahl von Formen, die ihre Hymenien
nieht mehr frei an der Luft ausbreiten und ihre Sporen nicht mehr in der
beschriebenen Art verbreiten, bei denen die Basidie also: ihre alten Wertungen
verloren hat. Dies sind die Familien I. der Phalloideen, der Hymenogastreen,
der Selerodermaceen und Tylostomeen und II. der Lycoperdaceen, die alle
auch als Gasteromyceten zusammengefaßt werden. Um auch diesen Wert-
verlust der Basidien zu verstehen und damit den natürlichen Abschluß
unserer Untersuchungen zu erreichen, ist es nun noch erforderlich, die Hut-
pilze auf ihrem letzten Entwicklungsgange im Sinne der obigen Frage-
stellung (des dritten. Absatzes) zu verfolgen.
Mit der Entwieklung der Hutpilzformen sind zwei neue ÖOrganbildungen
entstanden:
I. Die nährstoftführenden Gewebe, welche die Wärmebildung herbeiführen,
II. die differenzierten Hymenophore, auf denen die Basidien in größter
Anzahl auf engstem Raume zusammen angeordnet werden.
A. In diesen Neubildungen ist nun die Befähigung zu neuen
Einstellungen enthalten mit den bereits vorhandenen Kräften der
Umgebung, und sie werden so die Veranlassung zu weiteren Anpassungs-
vorgängen.
ad I. Die Aufspeicherung von Nährstoffen, welche der Verbrennung
dienen, hat zur Folge, daß sich Tiere einfinden, welche den nährstoff-
führenden Geweben nachstellen. Das lebendige Protoplasma der Pilze ist
von jetzt ab genötigt, mit den Tieren in Reaktion zu treten. Die Reaktion
1) Jeder Lebensvorgang ist mit einem Verbrennungsprozeß (Atmung) verbunden; doch
läuft gleichzeitig stets eine Reduktion (Assimilation) nebenher, die in allen Fällen mehr
Energie und Stoffe binden kann, als die Oxydation entläßt; daher tritt kein dauernder
Gleichgewiehtszustand ein, sondern eine Weiterentwicklung. (Perpetuum mobile.)
2) Die Überzeugung von der Fähigkeit des lebendigen Protoplasmas der Pflanzen,
mit den Kräften der Umgebung, den Schwerkrafts-, Licht- ete. Reizen zweckmäßig
zu reagieren, ist soweit durchgedrungen, daß soeben auf dem Naturforschertage in
Breslau von Haberland verkündet wurde, daß auch die Pflanzen „Sinnesorgane“
besäßen! Das Protoplasma beliebiger Zellen besitzt nämlich die Fähigkeit, Reize zu
pereipieren und im Sinne einer Einstellung zu reagieren.
67
erfolgt aber stets im Sinne ihrer Erhaltung und Weiterentwieklung, und so
kommen folgende Einstellungen zustande:
1. Der Angrift der Tiere ist der Erhaltung der Art schädlich. Hier bildet der
Pilz Giftstoffe, welche speziell gegen diese schädigenden Tiere gerichtet sind ').
2. Die Tiere werden der Verbreitung der Art nützlich. Dies kann in
zwiefacher Art geschehen.
2a. Insektenmaden. Indem diese sich in den nährstoffreichen Geweben
entwickeln, führen sie eine erhöhte Wärmebildung herbei und begünstigen
dadureh die weitere Verbreitung der Sporen. Die gegenseitige Einstellung
erfolgt deshalb dahin, daß diese Pilze, wie wir gesehen haben, ihre nähr-
stoffführenden Gewebe vermehren, während die Tiere sich für den Befall
der jungen Fruchtkörper besonders organisieren. Das Resultat dieser Ein-
stellungen ist wieder ein zweckmäßig erscheinender Anpassungszustand.
2b. Die Pilze werden zwar von Tieren ganz gefressen, aber die Sporen
passieren den Tierleib ungeschädigt und erfahren auf diesem Wege durch
die Tiere eine bessere Verbreitung als durch den Mechanismus der Hutpilze.
In diesem Falle ist die Ausbildung des Hymeniums in der charakteristischen
Art nicht mehr notwendig, und die Wertungen der Basidie kommen nicht
mehr zur Geltung. So beginnt die Entwicklung nach Richtung der Hymeno-
gastraceen und Sclerodermaceen. Die Fruchtkörper bleiben geschlossen, die
Sporen werden auf den beliebig gestellten Basidien meist zu mehreren aus-
gebildet, die nährstoffführenden Gewebe aber bleiben bestehen. Unter den
Secotiaceen sind in der Gattung Gyrofragmium noch Übergangsformen von
den Agarieineen, in der Gattung Polyploeium solehe von den Polyporeen
erhalten geblieben. Der Stiel wird zur Columella, die Lamellen zu Trama-
platten etc. Bei den Hysterangiaceen sind die Tramaplatten noch strahlig,
die Columella noch zum Teil vorhanden, während bei den Hymenogastraceen
beides nicht mehr zutrifft. Die Fruchtkörper treten bei diesen Formen
schließlich überhaupt nieht über die Erdoberfläche hervor, indem sie (durch
Ausbildung besonderer Riechstoffe ete.) sich nur noch von denjenigen Tieren
finden lassen, welche die Verbreitung am besten besorgen. Bestimmte Pilze,
die am besten durch Tiere verbreitet werden, und bestimmte Tiere, die sich
von den Pilzen gut ernähren können, stellen sich im Laufe der Entwicklung
immer mehr aufeinander ein, und so kommen weitgehende Anpassungs-
zustände zustande.
Während hier zumeist eine Anpassung an Säugetiere vorliegt, ist in der
Familie der Phalloideen unzweifelhaft eine solche an bestimmte Insekten
erfolgt, die durch auffällige Farbe und intensive Gerüche angelockt werden
und die Sporen verschleppen.
ad II. Die Ausbildung der auf einen bestimmten Raum zusammengehäuften
Sporenmengen bietet andrerseits für ihre Verbreitung durch den Wind ganz
1) Die Giftstoffe der Pilze sind nur den Säugetieren, nicht aber z. B. den Maden
gefährlich.
68
besondere Vorteile dar. Die Hutpilze sind, besonders wo sie aus dem Walde
heraustreten, den Strömungen des Windes ausgesetzt, und Formen, wie
Gyrofragmium, die sich bereits in dem Stadium des Überganges befanden,
mögen für die Einstellung auf diese Kraft die erforderliche Reaktions-
fähigkeit besessen haben. So entsteht die Familie der Lycoperdaceen, bei
denen die zusammengehäuften Basidiensporen in verstäubbarer Form dem
Winde dargeboten werden. Bis zu welcher Vollkommenheit auch nach
dieser Richtung hin die Organisation für die Verbreitung durch den Wind
vorgeschritten ist, das soll uns Lycoperdon pyriforme im Bilde 6 auf Tafel II
zeigen. Dieser Pilz kommt an offenen Waldstellen vor und bietet im Reife-
zustand dem Winde eine breite faserige Fläche dar, die einen schier un-
erschöpfliehen Sporenvorrat beherbergt. Die Verteilung der Sporen in dem
sogenannten Capilitium ist hier eine so vollkommene, daß der Wind monate-
lang herüberstreichen kann, ohne den Sporenreichtum zu erschöpfen. Wie
großartig der Wind die Sporenverbreitung besorgt, davon kann man sich
ein Bild machen, wenn man selbst andauernd herüberpustet und jedesmal
die Staubwolken feinst verteilter Sporen davonfliegen sieht.
Wir sehen, wie in der Familie der Gasteromyceten die Basidie ihre
Funktionen und Wertungen längst vollständig verloren hat und doch ihre
Gestalt soweit bewahrt, sodaß kein Systematiker über die verwandtschaftlichen
Beziehungen dieser Reihe im Zweifel war: Die Gestalt ist demnach das
konservative Element in der Entwicklung und bleibt in den Organismen
(wenn auch nur in der Ontogenese) soweit erhalten, daß die vergleichende
Morphologie uns die Entwicklungsgeschichte und die Stammbäume der
Lebewesen ableiten konnte. So erlangt die Gestalt noch historische
Bedeutung, nachdem sie ihre Wertungen längst verloren hat.
B. Mit der Bildung der nährstoffreichen Hutpilze (I und ID) ist aber
auch ein neuer Komplex von Lebensbedingungen entstanden für
die Ernährung der bereits vorhandenen Pilzformen.
Wie sich die Zygomyceten diesem neuen (?) Substrate im Walde anpassen,
ist in meiner Arbeit über Sporodinia grandis (l. e.) dargelegt worden. Am
interessantesten sind aber die Anpassungen, die dadurch zustande kommen,
daß Vertreter der eignen Familie sich für das Leben auf den Fruchtkörpern
ihrer nächsten Verwandten einstellen, wie das für Collybien und die Formen
. der Gattung Nyetalis zutrifft. Alle Neubildungen, die hier zustande
gekommen sind, lassen sich bei diesen Pilzen unschwer auf die neuen
Lebensbedingungen zurückführen '), mit denen sie in direkte Reaktion
getreten sind.
!) Welche gewaltigen Einflüsse die Veränderung der Lebensbedingung auf die
Fortschritte in der Organisation ausgeübt hat, beweist uns am besten die Paläontologie.
Die großen Umwälzungen auf der Erde veranlaßten alle vorhandenen Organismen
zu erneuten Anpassungsvorgängen und hatten deshalb eine neue Flora und Fauna
im Gefolge.
69
Wenn wir nun das Bild von der Entwicklung der Basidiomyceten, wie
es in unseren Vorstellungen entstanden ist, zu Ende führen, dann müssen
wir noch kurz darauf eingehen, wie die Entstehung der Basidie selbst zu
erklären ist. Da direkte Einwirkungen an dieser Stelle nicht in Betracht
kommen können, tritt hier die Selektion in ihrer großen Bedeutung für die
Entwicklung der zweckmäßigsten Organe in den Vordergrund. Wir müssen
uns vorstellen, daß die Sporen derjenigen Conidienträger sich im Walde
allein verbreitet haben, die zufällig eine basidienähnliche Gestalt besaßen
und ihre Sporen deshalb mit Hilfe der feinsten Luftströmungen verbreiten
konnten. In der von Brefeld entdeckten Nebenfruchtform des Polyporus
annosus Fr. ist eine solche Conidienform mit allen Übergängen zur Basidie
noch erhalten. Die Selektion geht jedenfalls von einem schon als Basidie
wirksamen Conidienträger aus, wie er bei jeder Conidienfruktifikation gelegent-
lich vorkommen wird. Sie setzt andererseits voraus, daß das Plasma der
allein verbreiteten Sporen ein gewisses Perzeptionsvermögen für diese
bestimmte Eigenart ihres Conidienträgers allmählich gewinnt und imstande
ist, die gewonnene Einstellung auf die Conidienträger zu übertragen, die das
aus ihr entstandene Mycelium bildet.
Die Selektion, wie sie möglicherweise zur Ausbildung der Basidie geführt
haben kann, ist somit ebenfalls ein Vorgang der Anpassung eines bestehenden
Sporenverbreitungsorgans an die Lebensverhältnisse im Walde resp. in wind-
stiller Luft, also auch die Basidie ein durch Anpassung entstandenes Organ.
So ist die ganze Entwicklung der Basidiomycetenreihe auf Anpassungs-
vorgänge') zurückzuführen, die ihrerseits nieht unerklärliche teleologische
Prinzipien, sondern kausal verlaufende Reaktionen und Einstellungen zur
Voraussetzung haben, genau so, wie wir uns die verschiedenen Erscheinungs-
formen der leblosen Materie als Reaktionsprodukte elementarster Stoffe
entwieklungsgeschichtlich entstanden denken.
Die Bedeutung der Sporenverbreitung bei den
Basidiomyceten im Haushalte der Natur und des Menschen.
Den Basidiomyceten fällt im Haushalte der Natur die wichtige Rolle zu,
die von den grünen Pflanzen aufgebauten Holz- und Bastfasermassen wieder
abzubauen, bevor sie humifizieren. Um dies vollbringen zu können, müssen
die abgestorbenen Substrate möglichst frühzeitig von ihren Keimen befallen
werden; deshalb verbreiten sie ihre Sporen im Herbste, um das Laub und die
Zweige zu bestreuen, womöglich bevor sie von den Bäumen abfallen. Diese ge-
langen dann schon mit den Keimen behaftet auf den Waldboden, und wenn
1) Es kann und soll nicht Aufgabe dieser Abhandlung sein, zu den verschiedenen
bekannten Theorien der Entstehung neuer Arten Stellung zu nehmen. Indem ich
möglichst unbeeinflußt die Entwicklung der Basidiomycetenreihe nach den Gesichts-
punkten abzuleiten versuchte, die sich im Gange der Untersuchungen von selbst
ergaben, glaube ich zu Auffassungen gelangt zu sein, die dem Neolamarckismus, wie
er besonders von Ritter von Wettstein vertreten wird, am nächsten kommen.
70
die herbstlichen Niederschläge sie durchfeuchten, dann können die Basidio-
myceten sogleich ihre Lebenstätigkeit beginnen.
Die Basidiomyceten sind aber nicht bloß harmlose Bewohner des Wald-
bodens, sie vermögen auch die Holzmassen der lebenden Bäume anzugreifen
und durch ihre Zerstörung das Ziel der Waldkulturen zu vernichten. Alle
Krankheiten der Waldbäume, die mit der Zerstörung ihres Holzkörpers ver-
bunden sind, beruhen auf der Lebenstätigkeit der Basidiomyceten, und da
ist es von nicht geringer Bedeutung, zu wissen, auf welchem Wege die
Infektion der Waldbäume erfolgt. Sie kann entweder an den Wurzeln, also
im Erdboden stattfinden oder an den oberirdischen in der Luft befindlichen
Achsen. Da aber im Boden Beschädigungen der Wurzeln, die den Eintritt
der Infektionskeime gestatten, wohl selten vorkommen und die Sporen auch
nicht in den Erdboden eindringen können, so wird die Infektion an den
oberirdischen Pflanzenteilen wohl in erster Reihe in Betracht zu ziehen sein.
Jeder Sturm, der die Zweige abbricht, schafft solche Infektionsstellen in un-
endlicher Zahl, und wenn wir nun sehen, wie die Sporen der Hutpilze in
die Luft emporsteigen und sie gleichmäßig erfüllen, so ist es eigentlich zu
verwundern, daß nicht alle Bäume von den Pilzen vorzeitig befallen und
zerstört werden. Daß dies in der Tat nicht geschieht, ist wohl darauf
zurückzuführen, daß das Protoplasma lebenskräftiger Zellen das Eindringen
der Keime verhindern kann und daß die Bäume sich oft in ganz besonderer
Art, z. B. durch die Ausscheidung der Harze, gegen ihren Eintritt zu schützen
wissen. Nichtsdestoweniger finden im Laufe der Jahre die Pilzsporen dennoch
Eingang, und so fallen in älteren Holzbeständen schließlich alle Bäume den
Pilzen zum Opfer. Die Beantwortung der Frage, wie die Infektion bei einer
Krankheit erfolgt, eröffnet uns auch hier schon den Weg zu ihrer Bekämpfung.
Die Infektionsstellen können wir bei den Bäumen nicht finden und. verbinden,
dagegen sind die auffälligen Fruchtkörper der besonders gefährlichen Pilze
nicht zu übersehen. Wenn diese kurz vor Beginn!) der Sporenverbreitung
umgestoßen werden, kann eine Sporenverbreitung nicht mehr erfolgen.
Eine ganz bedeutende wirtschaftliche Schädigung verursachen einige
Formen der Basidiomyceten, welche das bearbeitete Bauholz angreifen und
es in kurzer Zeit noch in den Häusern vollständig zerstören. Nach den
bisherigen Erfahrungen kommen hier vorzugsweise zwei verschiedene Pilze
in Betracht: der Hausschwamm Merulius lacrymans (Jaeq.) und Poly-
porus vaporarius Pers., der die sogenannte Troekenfäule hervorruft. Die
wichtige Frage, wie diese Pilze das Bauholz befallen, ist bisher noch zweifel-
haft geblieben. Von der einen Seite?) wird die Ansicht vertreten, daß das
Holz schon von den Mycelien befallen sei, wenn es für die Bauten ver-
) Wenn man die Fruchtkörper vor ihrer vollständigen Ausbildung entfernt,
dann entstehen sie immer wieder von neuem. Erst ein ausgebildeter Fruchtkörper,
dem alle Nährstoffe der Mycelien zugeführt sind, kann mit Erfolg beseitigt werden.
2) Hennings Hedwigia 1903 S. 178.
a 00
ae ee ee ee
wendet wird, nach der Meinung der anderen ') soll die Infektion in der
Zeit des Baues resp. in dem Hause selbst durch Übertragung der Sporen
erfolgen können. Da ich seit mehreren Jahren mit der Kultur der holz-
zerstörenden Pilze beschäftigt bin, haben mich auch diese Fragen lebhaft
interessiert, und ich habe deshalb mit den Fruchtkörpern der genannten
beiden Holzzerstörer besondere Versuche angestellt, um den sicheren Nachweis
zu erbringen, daß sie ebenfalls befähigt sind, ihre Sporen in der beschriebenen
Art in den Raum hinein zu verbreiten und so eine weitgehende Infektion
herbeizuführen. Aus später ersichtlichen Gründen habe ich die Versuche in der
Art ausgeführt, daß ich in geschlossenen Schränken Papieretagen nach Art auf-
sestapelter Bretter übereinander anordnete und unmittelbar unter die Etage jeeinen
normal gebildeten Fruchtkörper dieser beiden Pilze in normaler Lage aufstellte.
Die Versuchsräume waren '/«—2 Quadratmeter groß und enthielten Papier-
etagen aus 5—15 Papierstreifen, die beiderseits einen Raum von 20—30 em
für das Aufsteigen der Sporen freiließen. In allen Fällen wurden die Sporen
beider Pilze über sämtliche Etagenblätter verbreitet, genau so, wie wir das
in den ersten Kapiteln dieser Arbeit kennen gelernt haben. Hierdurch ist
zunächst der Beweis erbracht, daß diese beiden Holzzerstörer ihre Sporen
selbsttätig in den umgebenden Raum verbreiten, und daß sie insbesondere be-
fähigt sind, die in ihrer Nähe befindlichen Oberflächen bearbeiteter Hölzer
auf das gründlichste zu infizieren. Hiernach mußte ich mir sagen, daß die
Infektion des Bauholzes auf diesem Wege nur dort erfolgen kann, wo in
' seiner Nähe die Bedingungen für eine Fruchtkörperentwicklung gegeben
sind. Auf einem Neubau oder in neu erbauten Häusern, wo die Zerstörung
am häufigsten und gefährlichsten eintritt, kann dies niemals der Fall sein,
und wir müssen uns danach umsehen, wo das Bauholz auf seinem Wege
bis zum Verbrauche solche Bedingungen vorfindet. In erster Reihe kommen
die Holzlagerplätze in Betracht, zunächst diejenigen, wo die Bearbeitung
erfolgt, dann die städtischen Holzplätze der Zwischenhändler. Schon im
Spätherbst 1902 besuchte ich infolge dieser Überlegung einen der größten
Holzlagerplätze hier in Breslau und war nicht wenig erstaunt, als ich in einem
sroßen Teile des Holzlagers sämtliche Hölzer, die als Unterlage für die auf-
sestapelten Bretter dienten und der feuchten Erde direkt auflagen, mit mächtigen
Fruchtkörpern des Polyporus vaporarius in ihrer ganzen Ausdehnung be-
wachsen fand. Die letzteren waren meist seitlich zur Ausbildung gelangt,
nach dem Typus des Bildes 7 auf Tafel VI, — weil das als Unterlage
dienende Holz selten hohl lag. Wenn mir die Aufgabe gestellt würde, eine
Anordnung zu treffen, um sämtliche Bretter eines Holzlagers mit den Sporen
von Polyporus vaporarius zu bestreuen, dann wüßte ich keine bessere An-
ordnung zu treffen, als sie hier von selbst gegeben ist”). Aus diesem Grunde
1) C. von Tubeuf, in Hartig, Der echte Hausschwamm. Berlin 1902.
2) Ebenso wie den P. vaporarius habe ich die Fruchtträger von Lenzites sepiaria 1.
und von Coniophora cerebella (Pers.) auf den von mir seither besuchten Holzplätzen
meistenteils vorgefunden.
72
habe ich auch die Versuche über die Sporenverbreitung analog den auf-
sestapelten Brettern mit etagenförmig angeordneten Papierstreifen ausgeführt,
und wir haben ja konstatiert, wie sie von dem Sporen bestreut wurden.
Die Infektion kann aber weiter zurück schon im Walde stattfinden, wo die
Schnittflächen der gefällten Bäume oft lange Zeit frei daliegen. Hier soll der
Polyporus vaporarius auf alten Kiefern oder Fichtenstämmen vorkommen, ja ich
vermute, daß er hier ähnlich wie Daedalea unicolor (Tafel V) noch eine höher
differenzierte Gestalt besitzt, die als besondere Art beschrieben ist. Die
Fruchtkörper von Polyporus vaporarius sah ich im Kellern ete. niemals in
ihrer normalen Ausbildung mit sporenverstreuenden Basidien auftreten, dagegen
bilden sie sich in kurzer Zeit normal aus, wenn ich das befallene Holz an
geeignete Stellen ins Freie auf die Erde lege. Jedes kleinste Holzstückehen kann
sich auf der Unterseite mit einem Fruchtkörper bedecken, der sofort keimfähige
Sporen verbreitet und damit fortfährt, bis sein Zerfall eintritt. Die Frucht-
körper von Polyporus vaporarius werden im Freien wohl überall auf der
Unterseite alten Holzes verbreitet sein, wo sie sich der Beobachtung leicht
entziehen. Wenn ich hier noch hinzufüge, daß jede Spore von Polyporus
vaporarius schon nach wenigen Stunden (3—16) mit einem kräftigen Keim-
schlauch auswächst, daß die Auskeimung ebensogut erfolgt in destilliertem
Wasser wie in beliebigen neutralen, sauren oder schwach alkalischen Nähr-
lösungen, und daß die Mycelien, auf beliebiges Holz übertragen, dies sofort
angreifen, durchwachsen und auf kleinen Stücken schon nach 3—5 Monaten
wieder Fruchtkörper bilden, dann kann es nicht mehr zweifelhaft sein, wie
und wo bei diesem Pilze die Infektion des Bauholzes erfolgt ').
Auch die Fruchtkörper des Hausschwammes sind offenbar im Freien an
Zäunen ete. weiter verbreitet als man dies annimmt. Da sie sich an der
Unterseite der Substrate erst bei Beginn des Winters bilden und schnell
wieder vergehen, entziehen sie sich sehr leicht der Beobachtung. Auf
Holzplätzen fand ich den Erdboden unter den Bretterstapeln meterweit mit
den Fruchtkörpern des Haussehwammes dicht überzogen. Aber auch im
Walde kommt der Merulius schon vor, er ist hier an Baumstümpfen
als Saprophyt verschiedentlich beobachtet worden”). Es ist vielleicht nur
ein Zufall, daß ich im Oktober 1903 in dem alten Waldbestande des Forst-
bezirkes Neumühl bei Küstrin, den ich im der Absicht besuchte, dort holz-
zerstörende Pilze zu suchen, gleich auf meiner ersten Exkursion den echten
Merulius lacrymans als Zerstörer der Holzsubstanz eines lebenden Baumes
fand. Der kräftig gewachsene stattliche Baum war durch den Sturm etwa
in Mannshöhe umgebrochen, weil das ganze Kernholz und ein großer Teil
1) Die ausführlichen Untersuchungen über die Bedingungen der Sporenkeimung,
des Wachstums ete, bei diesem und den übrigen holzzerstörenden Pilzen werde
ich in einer späteren Arbeit, welche lediglich dieses Thema betrifft, mitteilen, sobald
ein gewisser Abschluß erreicht ist.
2) Hennings ]. c. und von Tubeufll. e.
73
des Splintholzes von der Wurzel her etwa bis zur Höhe von 3 Meter völlig
zerstört war. Dasselbe war von Quer- ünd Längsrissen allseitig zerspalten,
braun verfärbt und mit den Fingern zu Pulver verreiblich. In der Richtung
von unten nach oben war es von flachen und vielseitig verzweigten Mycel-
strängen durchzogen, genau so wie sie bei stark von Merulius zerstörtem
Bauholz, nachdem es braun und brüchig geworden ist, so auffällig in die
Erscheinung treten. Der Anblick überzeugte mich sofort, daß hier ein dem
Merulius mindestens sehr nahestehendes Mycel die Zerstörung herbeigeführt
haben müsse. Der Zufall war mir aber noch weiter günstig, daß ich gleich
an Ort und Stelle die zugehörigen Fruchtkörper fand. Durch die Kraft
des Falles waren größere und kleinere Stücke des Holzes aus dem Baum
herausgeschleudert und lagen seit einigen Monaten unberührt überall um
den Baum herum auf dem feuchten Waldboden. Als ich diese Stückehen
aufhob, fand ich sie fast ausnahmslos auf der Unterseite mit den Frucht”
körpern des Merulius lacrymans überzogen. Selbst Stückchen, die nicht
größer waren als 10 Kubikzentimeter, hatten entsprechend kleinere Frucht-
körper gebildet. Da hier ein Irrtum ausgeschlossen ist, beweist dieser Fund,
daß der echte Hausschwamm, wie das Hennings vermutet hat, auch als Parasit
die lebenden Bäume angreift und die völlige Zerstörung ihres Holzes herbeiführt.
Wir sehen daraus weiter, daß jedes kleinste Stückchen des befallenen Holzes
zur Fruchtkörperbildung und zur Sporenverbreitung schon im Walde befähigt
ist. Da der Hausschwamm rhizomorphenartige Stränge bildet, ist er aber auch
befähigt, im Boden weiter fortzuwachsen und die Bäume der Umgebung von
der Wurzel her zu infizieren, wie dies bei dem von mir beobachteten Baume
offenbar zutrifft. Für diese Studien sind aber dauernde Beobachtungen in
alten Forstbeständen erforderlich. Nach den Angaben von Hennings
fruktifiziert auch der Hausschwamm in Gebäuden nur verhältnismäßig selten Ich
selbst habe auch nur verhältnismäßig wenige Fruchtkörper aus Häusern erhalten
können, trotzdem der Pilz hier in Breslau sehr verbreitet sein soll. Um Frucht-
körper zu erhalten, verfahre ich so, wie es die Beobachtung im Küstriner
Walde mich gelehrt hat. Von dem Pilze zerstörtes Holz, wie es hier oft
aus den Häusern entfernt wird, lege’ich ins Freie, direkt auf den feuchten
Erdboden an einen schattigen Platz und sorge eventuell dureh Anspritzen mit
Wasser für genügende Feuchtigkeit. Es erscheinen dann oft schon nach
einigen Wochen auf der Unterseite des Holzes die Fruchtkörper. Auch die
übrigen Holzzerstörer fruktifizieren unter diesen Bedingungen am ehesten !).
Diese Beobachtungen beweisen, daß die Fruchtkörper von Merulius
schon im Walde und überall dort, wo altes Holz lagert, auch an Zäunen ete.
vorkommen und daß die Sporeninfektion des Bauholzes hier leieht erfolgen
kann.
Auch über die Bedingungen der Sporenkeimung des Hausschwamms habe
!) In geschlossenen Glaszylindern erzielt man nicht annähernd so günstige
Resultate.
74
ich seit zwei Jahren umfassende Untersuchungen angestellt, doch will ich
mich hier darauf beschränken, die Untersuchungen Möllers') zu bestätigen,
daß nämlich die Sporen der im Freien gebildeten Fruchtkörper ausnahms-
los in sauren Nährlösungen auf das leichteste auskeimen. Die aus den
Sporen gezogenen Mycelien wachsen nicht bloß auf künstlichen Nährsubstraten,
Brot ete., sondern auch auf sterilisierten feuchten Holzstücken, auf welchen
sie in kurzer Zeit dieselben Zerstörungen hervorrufen, wie sie in den Häusern
beobachtet werden. Die mitgeteilten Tatsachen erbringen den Beweis, daß
die Infektion der Bauhölzer, noch bevor sie auf den Bau kommen, auf das
leichteste erfolgen und daß die Zerstörung sogleich beginnen kann, wenn
die einzige Bedingung für die Weiterentwicklung: die genügende Feuchtig-
keit vorhanden ist. Nun besteht aber außer der Infektion durch die Sporen,
die bei weitem überwiegt, noch diejenige durch vegetative Mycelien. Die
Mycelien sind aber nicht bloß im Holz vorhanden, an den natürlichen Stand-
orten gehen sie stets in die Umgebung, Sand, Erde ete., über. Brachte ich
Holzstücke, die von dem besprochenen Pilz durchwachsen waren, in Sand,
Kies, Koks oder dergleichen, so wurden diese allseitig durchwachsen.
Wurde nun das infizierte Holzstück herausgehoben und ein pilzfreies Holz-
stück auf den unberührten Sand ete. aufgelegt, dann wurde das letztere
ebenfalls sehr bald imifiziert. Ebensogut infiziert natürlich myceldurch-
wachsenes Holz selbst und zwar um so kräftiger, je jünger die Mycelien
sind. Das ganz zerstörte Holz aus Küstrin, auf dem bereits Fruchtkörper
gebildet wurden, war nicht mehr infektionsfähig. Solange solches Holz in
geschlossenen feuchten Gefäßen noch Mycelien auswachsen läßt, ist es auch
noch infektionskräftig. Wenn hierdurch die Quellen der Infektion erschöpfend
klargelegt sind, dann sind damit auch schon die Mittel an die Hand gegeben,
wie den Infektionen am besten vorzubeugen ist. Im Walde, wo die gefällten
Bäume mit ihren offenen Wunden oft monatelang liegen bleiben, wird es un-
möglich sein, die Fruchtkörper zu beseitigen und so die Infektion zu verhindern;
die Luft wird hier stets mit den Keimen erfüllt sein. Dagegen wird es leicht
sein, die verhältnismäßig kleine Infektionsfläche mit einer keimtötenden Lösung,
etwa mit Kupfersulfatlösung, zu bestreichen, um die Infektion zu verhindern.
Die weitere Verarbeitung der Hölzer wird man dann möglichst nicht in der
Nähe der Wälder vornehmen, wo die Luft mit den Sporen erfüllt ist. Auf
dem Bearbeitungs- und Stapelplatze sind die Infektionsflächen zu groß, als
daß sie vor der Infektion durch die Pilzsporen geschützt werden können,
hier ist dagegen das Auftreten der Fruchtkörper leicht zu vermeiden. Altes
pilzbefallenes Holz, besonders als Unterlage, darf auf keinem Holzplatz ge-
duldet werden, und das läßt sich auch sehr leicht erreichen, besonders
wenn polizeiliche Vorschriften und geeignete Kontrolle hier einsetzen.
Wenn unter den Bedingungen, wie sie sich in Bauten vorfinden, Merulius
1) A, Möller, Über gelungene Kulturversuche des Hausschwammes aus seinen
Sporen. Hedwigia 1903.
lacrymans und Polyporus vaporarius auch allen anderen Pilzen an Ent-
wieklungsfähigkeit überlegen sind und deshalb hier als hauptsächliche Zer-
störer vorkommen, so ist damit nicht bewiesen, daß bei Abwesenheit dieser
Pilze das Bauholz von beliebigen anderen Basidiomyceten nicht ebenso
sründlich zerstört werden könne, und es sind auch schon eine Anzahl solcher
Beobachtungen bekannt geworden. Da wir bis heute nur die Fruchtkörper,
nicht aber die Mycelien dieser Pilze unterscheiden können, so ist es zur-
zeit unmöglich, einen Basidiomyceten an der Gestalt seiner Mycelien mit
Sicherheit mikroskopisch zu erkennen. Deshalb sind wir darauf angewiesen,
die Fruchtkörperbildung herbeizuführen, wenn wir bestimmen wollen, welche
Pilze an der Zerstörung eines beliebigen Holzes beteiligt sind. Die Be-
dingungen der Fruchtkörperbildung sind aber ebenfalls bei den meisten Basidio-
myceten noch ganz unbekannt, und da wir gesehen haben, daß z. B. bei
Polyporus vaporarius und Merulius das in einem kleinsten Holzstück ent-
haltene Mycel zur Fruktifikation ausreicht, so können wir aus dem Auftreten
dieser Pilze in der Kultur doch nichts darüber aussagen, ob nicht andere
Pilze in noch höherem Grade an der Zerstörung beteiligt waren'). Aus
diesem Grunde bin ich seit zwei Jahren damit beschäftigt, die Mycelien der
wichtigsten holzzerstörenden Basidiomyceten aus ihren Sporen rein zu
kultivieren, ihre morphologischen Charaktere vergleichend zu studieren und
sie in ihrer Entwicklung bis zur Fruchtkörperbildung zu verfolgen. Das
letztere ist mir außer den genannten Formen bereits gelungen bei Coniophora
cerebella, Armillaria mellea (Vohl), Lepiota mueida (Scehrad), Lentinus
squamosus (Schaeft.), Stereum hirsutum (Pers.); von Coprinus radians
Desm., Lenzites sepiaria, Cortieium giganteum Fr., Polyporus versicolor L.
u. a. ist eine Fruchtkörperbildung in den Reinkulturen bisher nicht aufgetreten.
Von scheinbar geringerer Bedeutung für den Haushalt des Menschen,
aber von besonderem biologischen Interesse sind nun noch die mistbewohnenden
Agarieineen, die stets in die Erscheinung treten, wenn Phäkalien von kräuter-
fressenden Tieren auf Wiesen, Heideflächen etc. längere Zeit unberührt feucht
liegen bleiben. Nachdem die Flora der Mucorineen die leicht löslichen Bestand-
teile der Exkremente für sich verbraucht hat, kommen die Ascomyceten an
die Reihe und meist zuletzt erst die Basidiomyceten, welche auch die un-
verdaulichen Rohfaserbestandteile restlos aufzehren. So ergänzen sich die
Mycelien der verschiedenen Pilzklassen in ihrer ernährungsphysiologischen
Aktion, die Phäkalien möglichst schnell und vollständig dem Kreislauf des
Stoffwechsels wieder zuzuführen. Es fragt sich nun, wie die Verbreitung
dieser Pilze erfolgt und wie sie die Phäkalien befallen. Schon im Jahre 1902
!) Das schließt natürlich nicht aus, daß bei sachkundiger Beurteilung die makro-
skopiseh charakteristische Holzzerstörung, die Merulius bei intensiver Entwieklung
erfahrungsgemäß herbeiführt, als vollgültiger Indizienbeweis dafür gelten kann, daß
dieser Pilz die Zerstörung verursacht habe. In Fällen, die nicht von vornherein
zweifelsfrei sind, wird sieh aber nieht aussagen lassen, welcher Pilz die Zerstörung
verursacht hat.
76
stellte ich Versuche an, welche hierüber Aufschluß geben sollten. Leguminosen-
Sandkulturen wurden in geeigneter Art mit Pferdemist beschickt, welcher
mit den Mycelien von Chalymotta und Anellaria durchwachsen war. Als
die Versuchspflanzen sich auf der Höhe ihrer Entwicklung befanden, be-
sannen auch die Pilze zu fruktifizieren, wie das die Figur 3 auf Tafel VI
bei einem Erbsenversuch darstellt. Brachte ich die ganze Kultur während
der Sporenverbreitung unter ein grösseres Glasgehäuse, dann waren bereits
nach 2 Tagen sämtliche Blätter der Erbsenpflanze von den Sporen so gleich-
mäßig bestreut, daß man auf jedem Blatt mit einem kleinen Hölzchen
Striche sichtbar machen konnte, die auch auf der Photographie mit einer
Lupe zu erkennen sind. Die Blätter werden nun von Tieren gefressen und
gelangen durch den Verdauungskanal der Tiere wieder in den Mist, wo sie
den Kreislauf ihres Daseins von neuem beginnen. Von den Coprinusformen
eignet sich besonders der große mistbewohnende Coprinus sterquilinus für
diese Versuche, der gewöhnlich schon fruktifiziert, wenn die Erbsen noch
klein sind. Diesen Pilz habe ich mehrere Jahre in den Mistbeetkästen be-
obachtet, wie er alle Blätter der dort kultivierten Pflanzen gleichmäßig mit
seinen Sporen bestreut hat. Die Figur 4 derselben Tafel zeigt uns, wie
diese Coprinusform, trotzdem sie ihre Sporen ausschleudert, auf die weitere
Verbreitung der Sporen durch die Luftströmungen doch nicht verziehtet und
alle Flächen des Raumes, wenn auch nicht in derselben Vollkommenheit,
sichtbar mit ihren Sporen bestreut. Das Flüssigkeitströpfehen, das jede
Spore aus der Basidie mit auf ihren Weg bekommt, dient vielleieht dazu, sie
auf der Fläche, die sie erreicht, zu befestigen, sodaß sie vom Winde nicht
so leicht wieder heruntergeweht werden kann. Auch die Sporen von
Chalymotta waren auf den Versuchspflanzen noch am Ende des Vegetations-
Jahres nachzuweisen, wie es überhaupt auffällt, daß die auf den. Flächen
verbreiteten Sporen zumeist so fest ankleben, daß sie durch Pusten nicht
mehr bewegt werden können.
Das biologische Bild No. 5, der Tafel VI, mit dem wir unsere
Betrachtungen beschließen wollen, zeigt uns die Pilzflora auf Kuh-
dünger, der längere Zeit an einem geschützten Ort feucht gelagert hatte. Alle
Typen der Mistbewohner, die ihre Sporen selbsttätig verbreiten, sind hier
gleichzeitig vertreten. Zunächst überall auf dem Bilde als Vertreter der
Mucorineen der Prlobolus erystallinus Wigg., dessen schwarze Sporangien-
köpfehen auf ihrem Schleuderapparat, dem hellen Schwellkragen, deutlich
hervortreten, dann aus der Reihe der Ascomyceten zwei Formen von
Ascobolus, von denen die größere!) infolge ihrer weißen Umrandung, in
1) Dieser Ascobolus ist die größte Form, die bisher bekannt geworden ist. Die
Apothecien sind bis 2 cm groß, haben eine grünlich-gelbe Scheibe und einen ein-
gerollten kleiig-weißen Rand. Die Schläuche sind 153—178 u lang, in jedem
Schlauch 8 Sporen; diese sind 21—26 # lang, von eiförmiger Gestalt. Die
Sporenmembran ist 2,6 u breit, von brauner Farbe und von glatter ungezeichneter
Oberfläche.
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allen ihren Entwieklungsstadien auf der Photographie deutlich zu erkennen
ist und endlich als Repräsentant der Basidiomyceten der Coprinus Schroeteri
Karsten, welcher ebenfalls im Begriffe steht, seine Hüte zur Sporenverbreitung
auf langen Stielen emporzuheben. Wenn wir nun in dem Raum über dem
Mist einen beliebigen Körper freischwebend aufhängen, dann wird er von
allen Seiten mit Pilzsporen beworfen. Der Pilobolus kehrt seine Köpfchen
dem seitlich einfallenden Lichte zu und bewirft die Seitenflächen. Die
Ascoboleen bewerfen die Unterseiten, an die sie ihre Sporen ebenfalls direkt
anwerfen und ankleben, die Coprinusformen endlich bestreuen die Ober-
seiten. Wie die Mycelien in den Funktionen des Abbaues der verschiedenen
Nahrungsstoffe, so ergänzen sich die Sporenverbreitungsorgane der Pilze in
den Funktionen des Befallens der verschiedenen Körperflächen ihrer Substrate.
Die Organisation als System von Lebenseinheiten.
Den Organen eines einzigen Organismus vergleichbar, ergänzen sich alle
Typen des Pilzreiches zu der großen einheitlichen Arbeitsleistung des Ab-
baues der organischen Substanzen des Pflanzenreiches, die wiederum nur eine
Teilfunktion ist im Zusammenwirken des gesamten Organismen-Reiches. Inner-
halb der Familien vollziehen die Gattungen, im Bereiche der Gattung
die Arten eine spezielle und immer mehr beschränkte Wirksamkeit. Die
so der Art zufallende Arbeit leisten die Individuen, die in einem engsten
Kreise von Lebensbedingungen die kleinste Einheit einer Lebensarbeit voll-
bringen. Im Individium endlich sind die einzelnen Organe wiederum wie
die Teile einer Maschine tätig, und jedes Organ vollzieht einen ganz be-
stimmten Teil der Lebenstätigkeit des Individiums. Dieser eng begrenzten
Aufgabe entspricht seine scharf umschriebene Funktion, und der präzise
stoffliche Ausdruck für diese Funktion ist die Gestalt. Gestalt und Funktion
einzelner Organe sind deshalb, unserem Bedürfnis nach gesetzmäßigem
Geschehen gemäß, am leichtesten zu analysieren.
Die Organe sind für den Organismus tätig, in ihm liegen ihre Lebens-
bedingungen, er repräsentiert ihre Lebenseinheit.
Die Individuen der Arten, Gattungen ete. sind aber in der Außenwelt
tätig in einem engeren oder umfassenderen allgemeinen Komplex von Lebens-
bedingungen, mit welchem sie Lebenseinheiten höherer Ordnung bilden. So
bildet auch jeder einzelne Organismus erst, mit seinen ganz speziellen Lebens-
bedingungen vereint, ein wirkliches Ganzes, das seine Lebenseinheit darstellt.
Indem die einzelnen Individuen sich unter ihren bestimmten Lebens-
bedingungen entwickeln, vollziehen sie bestimmte Lebensaufgaben für die
eigene und zugleich für jede höhere Lebenseinheit.
Diese Aufgaben aber enthalten die Gesetze, nach denen alle Organismen
sich entwickeln und zusammenwirken müssen zu einer höchsten Lebens-
einheit -— für ein allerhöchstes Ziel.
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79
Figurenerklärung.
Tafel I.
Sporenbilder auf der Unterlage.
Sporenverbreitung in charakteristischen Bogenlinien auf einer Unterlage
von schwarzem Papier in einem flachen geschlossenen Raum ohne Licht-
und Wärmestrahlung. Segment eines Fruchtkörpers von Agaricus nebularis.
Verkl. 4:1.
Gleichmäßige Sporenverbreitung unter denselben Bedingungen wie in Fig. 1
durch einen Fruchtkörper von Polyporus squamosus. Vor der Bestreuung
wurden winkelförmig zugeschnittene Papierstreifen und Papierbuchstaben
auf das schwarze Papier gelegt und nachher fortgenommen, um die gleich-
mäßige Bestreuung kenntlich zu machen. Verkl. 7:1.
Sekundäre Verbreitungslinien von Nordost nach Südwest in einem flachen
dunklen Raum. Die primär nach allen Richtungen hin gleichmäßig aus-
strahlenden Verbreitungslinien biegen in scharfen Kurven um und verlaufen
in der Richtung des Temperaturgefälles (nach Südwesten) von der warmen
nach der kalten Seite des Zimmers hin. Kleiner Fruchtkörper von Agaricus
violaceus. Verkl. 6:1.
Tafel II.
Sporenverbreitung im Raum (1—5).
Sporenverbreitung auf den Flächen in einem geschlossenen Raum (breiter
Glaszylinder). Sekundäre Verbreitungslinien in der Wirkungsrichtung der
Lichtstrahlen. Die Unterlage sowie die unterste und oberste Etagenscheibe
sind am stärksten bestreut. Der Fruchtkörper (Agarieus nebularis) ist
unter der untersten Etagenscheibe aufgestellt. Verkl. 5:1.
Sporenverbreitung in der Richtung von unten nach oben auf Fensterblättehen
in einem nach oben verlängerten Raum (aufeinander gestellte Glaszylinder).
Der Fruchtkörper (Agaricus nebularis) ist unter der Lampenglocke auf-
gestellt. u. Merkl.-14 71:
Ein Fensterstreifen aus dem obersten Zylinder vom Versuche der Fig. 2
mit zurückgebogenen Fenstern auf einer ebenen Fläche befestigt, zeigt die
Bestreuung der Fensterblättchen. Verkl. 7:1.
Sporenverbreitung in der Richtung von oben nach unten in einem großen
Glaszylinder wie in Fig. 1. Der Fruchtkörper von Polyporus squamosus
(entsprechend zugeschnitten) befindet sich unter der obersten Etagenscheibe
und ist wie diese zentral an demselben Stabe befestigt. Radiale Ver-
breitungslinien, unabhängig von sekundären Einflüssen. Verkl. 5:1.
Fig. 5.
Fig.
Fig.
Fig.
Fig.
Fig.
80
Sporenbilder auf runden Pappscheiben aus einem Versuch in der Anordnung
wie in Fig. 4, aber mit bodenständigem (unterhalb der Etage) Fruchtkörper,
in einem dunklen Zimmer mit Temperaturgefälle wie in Fig. 3, Tafel I.
Links das größte Blatt ist die Unterlage, die übrigen Blätter folgen von
links nach rechts, wie sie übereinander in der Etage angeordnet waren,
Sekundäre Verbreitungslinien zumeist in der Richtung des Temperatur-
gefälles. Verkl. 5:1.
Zwei Basidiomycetenfruchtkörper, die ihre Sporen durch den Wind ver-
breiten lassen. LZycoperdon piriforme bietet seine Basidiensporen als leicht
verstäubbares, in einem Fasergeflecht verteiltes Pulver in scheibenförmiger
Verbreiterung der Einwirkung des Windes dar. Verkl. 2:1.
Sporenverbreitungsbild eines Ascomyceten: Sporenhof eines Fruchtkörpers
von Gyromytra esculenta auf schwarzem Papier. Verkl. 2:1.
Tafel III.
Sporenbilder in zeitlicher Folge und Bedeutung des Stiels.
1.
Stündliche Sporenbilder eines Fruchtkörpers von Agaricus violaceus auf
schwarzem Papier. Bei seitlicher Beleuchtung photographiert. Verkl. 9: 1.
Sporenbilder desselben Pilzes in einem auf dem Klinostaten gedrehten
Raum. Links bei gleicher Versuchsaufstellung am Licht, rechts ein mehr-
stündiges Sporenbild im Dunkelzimmer mit Temperaturgefälle. Verkl. 9:1.
Sporenbilder einzelner Segmente eines Fruchtkörpers von Polyporus
squamosus, welche in verschiedenen (auf dem Bilde angegebenen) Ent-
fernungen von der Unterlage mit Hilfe einer Stecknadel gestielt waren. In
der Entfernung von 6 mm beginnt die Verbreitung, doch besitzen die
Röhren noch ihre eigenen Strömungen, bei 8 mm gehen sie ineinander
über; bei 10 mm fällt noch ein Teil der Sporen senkrecht herunter. Verkl. 7:3.
Sporenverbreitungsbilder einzelner Segmente eines Fruchtkörpers von
Agaricus nebularis in Entfernungen von 2, 4, 5, 6, 7 und 13 mm von der
Unterlage wie in Fig. 3 aufgestellt. Verkl. 5:1.
Fruchtkörper von Agarieus galerieulatus mit unterirdischem Stiel von un-
begrenztem und oberirdischem Stiel von begrenztem Wachstum. Verkl. 5:2.
Losgetrennte Lamellen von Agaricus violaceus, einseitig auf Bindfäden auf-
gezogen und unter einer Etage von schwarzem Papier in der Längsrichtung
freischwebend aufgehängt, haben ihre Sporen auf der Unterlage und auf
den Etagenblättern verbreitet. Verkl. 5:1.
Einzelne Lamellen desselben Pilzes auf ausgespannte Fäden, 3 cm von der
Unterlage entfernt, flach aufgelegt, verbreiten die Sporen ihrer Unterseiten
wie in Fig. 6. Unter den Lamellen ist ein Schälchen mit Wasser auf-
gestellt. Verkl. 5:1.
Ein umgekehrt mit dem Stiel nach oben aufgestellter junger Fruchtkörper
von Agaricus nebularis mit abgetragener Oberseite und aufgeschnittenen
Lamellen, (sodaß sie beiderseits offen sind und nur durch den kreisförmig
stehengebliebenen Rand zusammengehalten werden), verbreitet seine Sporen
ebenfalls in den umgebenden Raum. Das Bild zeigt nur die von unten her
erfolgte Bestreuung einer die Lamellen bedeckenden Papierscheibe. Verkl. 5:1.
8
Tafel IV.
OrientierungderresupinatenFruchtkörper des Hausschwammes (1—4).
Fig. 1.
Fig. 3.
Fig. 4.
Fig. 5.
Fig. 2.
Biologisches Bild der Fruchtkörperbildung des Hausschwammes an einem
von dem Pilze befallenen Bretterzaun. Die Bildung erfolgt nur an der
horizontalen Unterseite des untersten Querbalkens und geht noch eine
Strecke weit abwärts (etwa bis zur Schattengrenze) auf die vertikalen
Bretterflächen über. An der Oberseite des Querbalkens — an beliebigem
Orte — wachsen die gestielten Fruchtkörper von Naucoria amara, deren
Mycelien ebenfalls das Holz bewohnen. Verkl. 10:1.
Ein Fruchtkörper von Merulius lacrymans von dem Zaun der Fig. 1 los-
gelöst und in seiner natürlichen Lage und Größe mit etwas nach oben
gebogener Horizontalfläche photographiert, zeigt, wie die Hymenophore
nur an der wagrechten Unterseite des Querbalkens reich und normal aus-
gebildet sind, daß sie dagegen an den senkrechten Flächen nur als flache
Erhabenheiten zu erkennen sind, Wenig verkl.
Ein junger kleiner Fruchtkörper von Merulius lacrymans, an der Unterseite
eines infizierten Holzstückes im Freien kultiviert, zeigt die normale
Differenzierung der Hymenophore. Natürl. Gr.
Stück eines Fruchtkörpers des Hausschwammes, der auf der Oberseite
einer Holzdiele gewachsen ist, trägt warzenartige Hymenophore, ähnlich
wie Coniophora (Fig. 5). Ein kleiner Teil desselben Fruchtkörpers ist an
der Unterseite gewachsen und zeigt dort normale Hymenophore (unten
rechts in der Ecke der Photographie). Schwach verkl. (Mit der Lupe
anzusehen!)
Coniophora cerebella-Fruchtkörper auf höckerigem Erdboden im Freien
kultiviert. Natürl. Gr,
Orientierung stielloser Fruchtkörper von Polyporus versicolor an einem von
dem Pilze befallenen diekeren Holzaste. Verkl. 6:1.
Tafel V.
Fruchtkörper-Orientierung stielloser Polyporeen.
Biologisches Bild der Fruchtkörperbildung von Polyporus adustus (Polyporus
hirsutus, Daedalea unicolor) an dem alten Baumstumpfe einer Pappel. An
den vertikalen Seitenflächen wächst der Pilz horizontal in Konsolenform.
An der Oberfläche sind die Fruchtkörper trichterförmig schräg nach oben
gerichtet. Verkl. 6:1.
Resupinate, formlose unbegrenzte Fruchtkörper desselben Pilzes mit feinen,
sehr kurzen Röhren. Auf der Unterseite des gespaltenen Holzes in ge-
schlossenen Glaskästen kultiviert. Verkl. 3:2.
Kleinster, begrenzter, resupinater Fruchtkörper desselben Pilzes mit stärker
ausgebildeten, längeren Röhren und von einem fädigen weißen Mycelhof
umgeben; an der Unterseite eines infizierten Holzstückes im Freien kultiviert.
Verkl. 3:2. (Lupe!)
Fruchtkörper desselben Pilzes, nach dem Typus der Fig. 3 gebildet, die
Röhren aber seitlich zum Fruchtkörper (nach unten) gestellt; an einer
schräg nach unten gerichteten Fläche des infizierten Holzes gewachsen.
Verkl. 3:2. (Lupe!)
Fig.
Fig.
Fig.
Fig.
Fig.
Fig.
Fig.
82
Resupinate Fruchtkörper von Polyporus vaporarius, auf der Unterseite eines
infizierten Holzstückes in normaler Ausbildung gewachsen, im Freien
kultiviert. Verkl. 5:4.
Erneuerte labyrinthförmige Hymenophorenbildung, auf demselben Holzstück
in derselben Lage nach Entfernung des alten Fruchtkörpers direkt auf dem
myceldurchwachsenen Holz gebildet. Verkl. 5:4.
Fruchtkörper von Polyporus vaporarius, an den Seitenflächen mit vertikal
gestellten, langgezogenen, nach außen offenen Röhren. Reinkultur, von
einer Spore ausgehend, auf Kiefernholz in einem geschlossenen Glasgefäß.
Natürl. Gr.
Fruchtkörperbildung desselben Pilzes auf der Oberseite des infizierten
Holzes mit sparassisartig nach oben wachsenden Hymenophoren; Reinkultur
wie vorher. Vergr. 5:6.
Tafel VI.
Sporenverbreitung der Mistbewohner.
Zwei Fruchtkörper von Chalymotta campanulata haben ihre Sporen auf die
Oberfläche der eigenen Hüte und auf eine darunter befindliche Porzellan-
platte verbreitet. Verkl. 7:5.
Sporenverbreitung desselben Pilzes auf der Unterlage (in der Wirkungs-
richtung der Lichtstrahlen) und auf den Fensterblättchen in einem über
dem Hute befindlichen geschlossenen Raum.
Die Fruchtkörper desselben Pilzes, zugleich mit einigen Erbsenpflanzen in
Sandkulturen gezogen, haben ihre Sporen auf die Oberfläche sämtlicher Blätter
der meterhohen Erbsenpflanzen verbreitet. Unter einem großen Glaszylinder
ist die Bestreuung eine so ausgiebige, daß man auf den Blättern mit einem
Hölzchen Striche ziehen kann, die in der Photographie mit der Lupe auf
den nach oben gekehrten Blättern schwach sichtbar sind. Verkl. 5:1.
Zwei in der Sporenverbreitung begriffene und dabei zerfließende Hüte von
Coprinus sterquilinus, auf Pferdemist in einer Glasschale kultiviert, ver-
breiten ihre Sporen in den Raum eines Glaszylinders und bestreuen die ober-
halb und unterhalb des Hutes befindlichen Papierscheiben. Verkl. 5:1.
Biologisches Pilzvegetationsbild auf Kuhmist. Links auf dem Bilde aus
der Familie der Phycomyceten eine ganze Herde von Pilobolus erystallinus,
der die Seitenflächen der über der Pilzvegetationsfläche wachsenden
Pflanzenteile bewirft. Rechts aus der Klasse der Ascomyceten eine große
Ascobolusform (in allen ihren Entwicklungsstadien), die ihre Sporen an
die Unterseite der Blätter und anderer Pflanzenteile wirft und anklebt,
und endlich als Vertreter der Basidiomyceten die noch geschlossenen Hüte
des Coprinus Schroeteri, welche nach der Streckung des Stieles auch noch
die Oberflächen mit ihren Sporen bestreuen. Die so mit Pilzsporen
infizierten Pflanzenteile werden gefressen und die Keime gelangen in den
Dünger zurück. Verkl. ca. 5:3.
Breslau, Pflanzenphysiologisches Institut, im November 1904.
Druck von R. Nischkowsky in Breslau.
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erden Herr Geheimrat Oscar Brefeld, durch ein
ernstes Augenleiden gezwungen, im Juni dieses Jahres die
Redaktion der
Beiträge zur Biologie der Pflanzen
niedergelegt hatte, übernahm ich, als sein Nachfolger im Lehr-
amt, auf den Wunsch des Herrn Verlegers die Leitung. Es
wird mein stetes und ernstes Bestreben sein, die „Beiträge“
im Geiste ihres großen Begründers, Ferdinand Cohns, fort-
zuführen und durch rege Tätigkeit für die Zeitschrift, welche
vor 37 Jahren aus der Enge und dem treibenden Leben des
alten Breslauer phytophysiologischen Institutes hervorging,
zugleich dem Andenken des geistvollen Mannes zu dienen,
der vielen und auch mir ein gütiger Freund war.
Der Herr Verleger wird, wie bisher, darauf bedacht sein,
die Ausstattung den steigenden Anforderungen der Zeit an-
gepaßt zu halten. Ebenso wird es uns besonders angelegen
sein, die für unsre Zeitschrift angenommenen Arbeiten mit
tunlichster Beschleunigung zur Veröffentlichung zu bringen.
Breslau, Pflanzenphysiologisches Institut,
November 1907.
Felix Rosen.
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Beiträge
zur
biologie der Pflanzen.
Begrindet von
Professor Dr. Ferd. Cohn,
herausgegeben von
Dr. Felix Rosen,
Professor an der Universität Breslau.
Neunter Band. Zweites Heft.
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Breslau 1907.
J. U, Kern’s Verlag
(Max Müller).
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inhalt des zweiten Heftes.
Experimentelle Untersuchungen über Liehtschutzeinrichtungen an grünen
Blättern. Von Kurt Baumert
Über den Einfluß des geotropischen und heliotropischen Reizes auf den
Turgordruck in den Geweben. Von Karl Kerstan 48:
Neue Untersuchungen über den Rältetod der Kartoffel. Von Arthur
Apelt. a a he Serlere
Einfluß der Beleuchtung auf die heliotropische Stimmung. Von Ernst
. Pringsheim jun.
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Experimentelle Untersuchungen über Lichtschutz-
einrichtungen an grünen Blättern.
Von Kurt Baumert.
Sul.
Einleitung.
D:. von Mez!) als „extrem atmosphärisch* bezeichneten Bromeliaceen-
Formen haben in letzter Zeit mehrfach die Aufmerksamkeit auf sich gelenkt.
Besonders war es die Aufnahme tropfbar flüssigen Wassers aus der Atmo-
sphäre mit Hilfe der, alle grünen Teile dieser Pflanzen bedeekenden, eigen-
artigen Schuppen, die untersucht und erklärt wurde?).
Auch die phylogenetische Entwicklung dieser merkwürdigen Aufnahme-
triehome wurde studiert und mit ihrer Hilfe der Nachweis geführt, daß
die extrem atmosphärischen Bromeliaceen-Formen, die im tropischen Amerika
teils an nackten Felsen, teils in den Wipfeln vielfach während der Dürrezeit
entlaubter Bäume wachsen, nicht von Arten des tiefschattigen Urwaldes
ihren Ursprung nehmen, sondern von Formen der offenen Campos ab-
stammen).
Die extrem atmosphärischen Bromeliaceae sind Pflanzen, die des höchsten
„Lichtgenusses‘'*) bedürfen, wie ihr Standort beweist. Dabei haben sie
eine optische Eigenschaft, die allen Beobachtern aufgefallen ist: weiße Farbe.
1) Mez, Physiologische Bromeliaceen-Studien I. in Pringsh. Jahrb. f. wiss. Bot.
XL. (1904) p. 158.
2) A. F. W. Schimper, Bot. Mitt. a. d. Tropen II. (1888), p. 66 ff, auch
reproduziert in Schimper, Pflanzengeogr. auf physiol. Grundl. (1895) p. 349.
Mez, 1: e..p: 157-229.
Steinbrink, Flora XCIV. (1905) p. 465 und in Ber. d. deutsch. bot. Ges.
20 (1902).
3) Tietze, Die Entwicklung der wasseraufnehmenden Bromeliaceen-Trichome,
Inaug.-Diss. Halle 1906 p. 48.
#) Wiesner versteht unter Lichtgenuß „das Verhältnis des gesamten Tages-
lichtes zu jener Lichtmenge, welche eine bestimmte Pflanze, bzw. ein bestimmtes
Organ einer Pflanze, auf dem natürlichen Standorte empfängt“.
Beiträge zur Biologie der Pflanzen, Bd. IX, Heft II. 6
Am bekanntesten unter ihnen ist Tillandsia usneoides, die „Barba del
Palo“ der spanischen Südamerikaner, welche, wie ihr Name usneoides sagt,
durch Wachstum und Aussehen aufs Lebhafteste an Usnea barbata und
andere Flechten unserer Wälder erinnert. Ganz besonders ist es die weiße
Farbe, welche diese Pflanzengebilde im trockenen Zustande aufweisen, die
diese sonderbare physiognomische Übereinstimmung mit Flechten bedingt.
Die weiße Farbe wird bewirkt durch Zerstreuung des einfallenden Lichtes
an den Membranen der wasseraufnehmenden Trichome. Sie ist nur solange
vorhanden, als die Kapillarräume zwischen den Schuppenhaaren nicht mit
Wasser gefüllt sind; die weiße Farbe verschwindet dagegen, genau wie
dies bei unseren Flechten der Fall ist, sofort, wenn genügende Befeuchtung
eintritt. „Ein kleiner Wassertropfen auf ein solches Blatt gelegt, verhält
sich ganz ähnlich wie auf Fließpapier; er verschwindet in einigen Sekunden
und hinterläßt einen dunklen Fleck °).“
So ist diese Eigenschaft der extrem atmosphärischen Bromeliaceae direkt
bedingt durch das Vorhandensein großer Mengen von Schuppenhaaren, die
das atmosphärische Wasser aufzunehmen bestimmt sind; es handelt sich
also bei der Zerstreuung des Lichtes an den Membranen um eine nur
sekundäre Bedeutung besitzende Eigenschaft dieser Schuppenbedeckung.
Trotzdem muß eine derartig auffallende Einrichtung für das Leben
der bezeichneten Pflanzen eine gewisse und zwar nicht geringe Bedeutung
haben.
Die Beantwortung der Frage, wieviel des einfallenden Lichtes durch
diese Schuppen zerstreut wird und welche Bedeutung die Lichtzerstreuung an
dem oberflächlichen Schuppenbelag für das Leben der extrem atmosphärischen
Bromeliaceen besitzt, wurde mir von Herrn Prof. Mez als Aufgabe gestellt.
Ich bin Herrn Prof. Mez hierfür sowie auch für die liebenswürdige An-
leitung und Unterstützung, die er mir bei den Untersuchungen selbst zuteil
werden ließ, zu außerordentlichem Dank verpflichtet.
Denn durch diese Fragestellung bin ich darauf aufmerksam geworden,
daß eine ganze Anzahl ähnlicher Einrichtungen, die mit hoher Wahrschein-
lichkeit als Lichtschutzeinriehtungen gedeutet werden können, in anderen
Familien des Pflanzenreichs in der Litteratur angemerkt werden, ohne daß
bisher Genaueres über die Art und vor allem über die Ergiebigkeit ihrer
Wirksamkeit bekannt geworden wäre.
So hat sich die Behandlung meines Themas zu einer allgemeineren Aus.
führung über Lichtzerstreuung resp. Lichtreflexion an phanerogamen Laub-
blättern entwickelt.
Speziell habe ich es versucht, die in der (unten zusammengefaßten)
Litteratur ohne experimentelle Begründung als Lichtschutzanpassungen be-
schriebenen Reflex- und Zerstreuungserscheinungen an phanerogamen Laub-
blättern qualitativ und quantitativ durch Versuche klarzustellen.
5) Schimper, A. F. W., Die epiphytische Vegetation Amerikas. Jena 1888. p. 70.
85
Es sei jedoch besonders darauf hingewiesen, daß sich die nachfolgenden
Untersuchungen über Lichtschutz nicht speziell auf die mit dem Auge
wahrnehmbaren Lichtstrahlen beziehen, sondern ganz allgemein auf sämt-
liche von einer Lichtquelle ausgehenden Strahlen.
Historischer Teil.
82.
Theorie der Lichtschutzeinrichtungen.
Die Anschauung, die sich auf die Versuche von Wolkoff!), van
Tieghem?) und Reinke°) begründete, daß bei Zunahme der Beleuchtung
[bis zu einem gewissen Maximum ®)] die Kohlensäurezerlegung proportional
zur Intensität (Konzentration) des Lichtes steige, daß dementsprechend bei
stärkster Beleuchtung die stärkste Assimilation, also die intensivste Aus-
nützung des Lichtes stattfinde, wurde zuerst von Wiesner*) als auf
Spezialfälle zurückzuführen nachgewiesen. Wiesner?) hat gezeigt, daß
die Menge des ausnützbaren Lichtes und mit ihr der Lichtgenuß°) der
Laubblätter verschiedener Landpflanzen außerordentlich verschieden ist. Die
Zahl der Pflanzen, die nach ihrer Gestaltung die Fähigkeit besitzen, das
gesamte Tageslicht zu genießen, ist nach Wiesner verhältnismäßig sehr
gering. Durch die Vermehrung, die Gestalt und die Lage der Organe
vermindert die überwiegende Mehrzahl der Gewächse den möglichen Licht-
genuß; wichtiger als das direkte Sonnenlicht ist nämlich für das Pflanzen-
leben das geschwächte Sonnenlicht und besonders das diffuse Tageslicht ®).
Je größer die herrschende Lichtstärke ist, desto kleiner ist im der Regel
der Anteil, der vom Gesamtlicht der Pflanze zugeführt wird). Die Ab-
schwächung des intensiven Sonnenlichtes wird jedoch um so geringer, je
niedriger die Temperaturen sind, bei denen die Pflanze zu vegetieren ge-
zwungen ist®).
In ausführlichen Arbeiten haben auch Stahl’) und Berthold°) darauf
1) Wolkoff, Pringsh. Jalırb. f. wiss. Bot. 1866—67. Bd. 5 p. 12—30.
2) van Tieghem, Compt. rend. 1369, Bd. 69 p. 482.
3) Reinke, Untersuchungen über die Einwirkung des Lichtes auf die Sauerstoff-
ausscheidung der Pflanzen. Bot. Ztg. 1883, 41. Jahrg. No. 42—44 p. 716, 737.
4) Wiesner, J., Photometrische Untersuchungen auf pflanzenphysiol. Gebiete.
1-V. (1893-1905). Sitzber. d. Wiener Akad. Über das photochemische Klima.
Denkschr. d. Wiener Akad. Bd. 64 (1896) und Bd. 67 (1898), u. a. Arb.
5). e. SW Anm;A,
6) ef. Pfeffer, Pflanzenphysiol. II. (1904) p. 109 u. d. daselbst angef. Lit.
?) Stahl, Über sog. Kompaßpflanzen 1881. Sep. a. d. Jenaisch. Zeitschr. f.
Naturwiss. Bd. 15, N. F. Bd. 8 p. 381 ff.
8) Berthold, G., Über die Verteilung der Algen im Golf von Neapel nebst
einem Verzeichnis der bisher daselbst beobachteten Arten. Mitt. a. d. zool. Stat.
6*
hingewiesen, daß für viele Pflanzengruppen die intensivste Beleuchtung
keineswegs die vorteilhafteste ist, sondern unter Umständen direkt schädigend
wirken kann.
Es berührt das Thema meiner Arbeit nicht, ob die Nachteile, die durch
intensive Beleuchtung bei vielen Pflanzen hervorgerufen werden, durch
Schädigung der Chromatophoren oder der Protoplasten zustande kommen);
jedenfalls steht fest, daß viele Pflanzen keineswegs bei voller Sonnen-
bestrahlung die Höchstmenge der Lichtausnützung erreichen, sondern herab-
geminderten Lichtgenuß erstreben.
Schon durch die Versuche von Detlefsen!® und Pfeffer!!) wurde
nachgewiesen, daß nur eine ganz geringe Menge der zugestrahlten Sonnen-
strahlen für die Assimilation zur Verwendung kommt. Den in der Kohlen-
säurezersetzung nutzbar gemachten Teil berechnet Pfeffer bei Nerium
Oleander zu weniger als ein Prozent der gesamten Sonnenstrahlen und auch
nach Detlefsen beträgt er nur ca. 0,8°/012). Im besonderen fand Detlefsen
bei Urtica dioica 0,9, bei Asarum europaeum 1,1°o. Detlefsen kam
es bei seinen Versuchen vor allem darauf an, zu zeigen, „daß die Be-
wegungsenergie des von einem Blattstück durchgelassenen Sonnenlichtes,
gemessen an der Erwärmung eines kleinen 'Thermoelements, kleiner ist,
wenn das Blattstück sich in Luft befindet, die 10°/o Kohlensäure enthält, als
wenn es in kohlensäurefreier Luft ist, und daß ferner die gefundene Ver-
minderung der Bewegungsenergie des Lichtes bei der Assimilation mit der
oben berechneten Zahl genügend übereinstimmt“.
Andere Forscher !?) dagegen betonten, daß die Menge der Sonnenstrahlen,
die zur Assimilation verwendet wird, ziemlich bedeutend ist (bis 40°/o der
Gesamtmenge der Sonnenstrahlen), und auch Linsbauer!?) gibt in einer
neueren Arbeit über die Durchleuchtung von Laubblättern an, „daß ein
großer Teil des auffallenden Lichtes im Blatt zurückgehalten wird“, wovon
er nur die Verhältnisse ausschließt, die bei sehr schief auffallenden Sonnen-
strahlen und bei lackierten Blättern auftreten.
zu Neapel, 1882, Bd. Ill. p. 393-536, Beiträge zur Morphologie und Physiologie
der Meeresalgen. Pringsh. Jahrb. f. wiss. Bot. 1832 Bd. 13 p. 569—717.
rk Bretter, ec. Ia1S9DEp 344
10) Detlefsen, Die Lichtabsorption in assimilierenden Blättern. Arb. d. Bot.
Inst. in Würzburg 1888 Bd. III. p. 543.
nVPfefrermMlire. Tl. pr 3dl:
12) Detlefsen, |. ce. p. 542 und „Wissen der Gegenwart“, Leipzig-Prag 1887
Bd. 59 p. 133 ff.
1%) Engelmann, Bot. Ztg. 1884 p. 102, 1886 p. 68, 1888 p. 689.
Timirjasew, Über die Menge der nützlichen Arbeit, welche Chlorophyll
leistet; Arb. d. St. Petersb. Ges. d. Naturf. Bd. XII, H. 1 1882 p. 9—10.
(Russisch) Ref. 46 J. bot. J. 1885 Bd. XIIIa. p. 21.
14) Linsbauer, L., Untersuchungen über die Durchleuchtung von Laubblättern.
Bot. ©. Beihefte 10. 1901 p. 77.
87
Eine Klärung werden diese widersprechenden Angaben dadurch erhalten,
daß die Verallgemeinerung der an wenigen Objekten gewonnenen Resultate
eingeschränkt und die individuellen Verhältnisse mehr in den Vordergrund
gestellt werden.
Das verschiedene Verhalten verschiedenartiger Untersuchungsobjekte wird
offenbar durch Anpassungsverhältnisse bedingt, wobei besonders die sub-
mersen Wasserpflanzen sich, ihrem ganzen abweichenden Gasaustausch und
ihren speziellen Erwärmungsverhältnissen entsprechend, anders zu verhalten
schenen als Landpflanzen. Für diese gelten jedenfalls die Angaben
Reinkes!’) über Proportionalität von Beleuchtung und Assimilation nicht,
wie ganz besonders auch aus den neuest erschienenen Arbeiten von Brown
und Escombe!®) und Blackman und Matthaei!‘) hervorgeht, die durch
zahlreiche Versuche nachweisen, daß die Lichtintensität, welche zur Assi-
milation verwendet wird, eine zwar die Angaben von Detlefsen und
Pfeffer übersteigende, aber immerhin sehr geringe und ganz konstante
ist, so daß alle weiteren Strahlen, soweit sie im Blatte verbleiben, nicht
auf die Assimilation, sondern auf die Verdunstungsgröße allein Einfluß
besitzen.
Die von Brown und Escombe zu ihren Versuchen benutzten Blätter
stammten von krautigen Pflanzen, z. B. Helianthus annuus, Senecio grandi-
folius, Petasites albus und officinalis, Tropaeolum majus, Polygonum
Weyrichii und P. sachalinense ete. Die Versuche zeigten, daß das Blatt
in der Umwandlung der Strahlen sehr verschwenderisch ist, insofern nur
ein sehr kleiner Teil der einfallenden Sonnenstrahlen für die Hauptfunktion
des Blattes, die Photosynthese, verbraucht wird. Selbst in sehr gemäßigtem
Sonnenlicht sind die photosynthetischen Strahlen in größerer Menge ver-
treten als sie das Batt gebrauchen kann; daher konnte auch die Intensität
der Sonnenstrahlen auf "/ız der ursprünglichen reduziert werden, ehe eine
merkliche Verminderung der assimilatorischen Tätigkeit eintrat !°).
Dadurch werden nun die bei Landpflanzen, speziell bei Arten trockener
Standorte sich findenden extremen Lichtschutzeinrichtungen verständlich.
Durch zahlreiche Beobachtungen und Kulturversuche, besonders in neuerer
Zeit!”), ist nämlich gezeigt worden, daß viele Pflanzen infolge äußerer Ein-
ID lne28 2 Ann. 3;
1) Brown and Escombe, Researches on some of the physiological processes
of green leaves with special reference to the interchange of energy between the
leaf and its surroundings. P’ro>. of the Roy. Soc. of London, Series B. Vol. LXXVI,
1905 p. 86.
ı) Blackman and Miss Matthaei, Experimental researches in vegetable
assimilation and respiration. IV. A quantitative study of carbon dioxide assimi-
lation and leaf temperature in natural illumination. Proc. of the Roy. Soc. of London.
Series B. Vol. LXXVI. 1905 p. 458.
18) Brown and Escombe, |. c. p. 86.
1%) Hansgirg, Phyllobiologie 1903 p. 17—20, 24—26, 28.
88
wirkungen (z. B. Trockenheit, Wärme, Licht usw.) oft in kurzer Zeit ent-
sprechende Anpassungserscheinungen ausbilden, die bei hinreichend stark
einwirkenden äußeren Faktoren geradezu zu Schutzanpassungen werden.
In den Tropen, wo infolge des intensiven Sonnenlichtes, langanhaltender
Trockenheit und Regengüsse ete., diese Schutzeinrichtungen natürlich stärker
hervortreten, als in unserer gemässigten Zone, sind denn auch die zahl-
reichsten Beobachtungen dieser Art gemacht worden; allen diesen Be-
obachtungen werden jedoch noch phylogenetische Untersuchungen und
physiologische Experimente angereiht werden müssen, um noch so manches
Zweifelhafte und unerklärt Gebliebene in exakter Weise zu entscheiden und
zu begründen ?°).
Sa
Die bisher beschriebenen Lichtschutzeinrichtungen.
Von den im Pflanzenreich bekannt gewordenen Lichtschutzeinrichtungen
seien genannt:
1. Die Bewegungsfähigkeit der Chlorophylikörner.
2. Einstellung der Blätter in den Schatten anderer Organe:
a) ältere Laubblätter als Lichtschutz,
b) Nebenblätter als Lichtschutz,
e) Blattscheiden als Lichtschutz,
d) Zusammendrängung der Vegetationsorgane zu dichten Haufen,
Polstern und Rasen.
3. Periodische Bewegungen der Laubblätter.
4. Meridian- (Profil-) Stellung turgescenter Blätter.
5. Profilstellung nicht-turgescenter Blätter.
6. Einrollung, Faltung und Runzelung der Blätter.
7. Entwicklung einer glänzenden Oberfläche.
8. Dichte Haarbekleidung.
9. Ausbildung eutieularer Wachsschichten.
10. Krystallinische, salzkrustenbildende Überzüge und Kalkablagerungen.
11. Anatomische Struktur der Sonnenblätter.
12. Roter Farbstoff.
13. Panachierte Blätter.
14. Zellinhaltsbestandteile.
15. Einige andere angebliche Lichtschutzeinrichtungen: Sekretion leicht
flüichtiger ätherischer Öle, die Nervatur der Blätter und der die
Blattflächen bedeckende Staub.
20) Hansgirg, |. c. p. 20, 49, 476.
Ursprung, Die physikalischen Eigenschaften der Laubblätter, Bibliotheca
Botanica, Heft 60, Stuttgart 1903, p. 79, 112 u. a.
89
In der vorliegenden Abhandlung eine allgemeine Aufzählung und Kritik
der in Frage kommenden Litteratur zu unternehmen, kann nicht beabsichtigt
werden. Dagegen will ich die wichtigsten Ergebnisse der bisherigen Forschung,
nach den eben angeführten 15 Gesichtspunkten geordnet, zusammenstellen,
wobei ich nur auf die zuverlässigeren Publikationen zurückkomme, denn
bei einer großen Anzahl der die Lichtschutzeinrichtungen behandelnden
Publikationen fällt auf, daß die Fragestellung wenig exakt ist, die Resultate
nur selten auf experimentellem Wege bestätigt und die Größe der ein-
wirkenden Faktoren noch seltener gemessen wurde.
SA.
1. Bewegungsfähigkeit der Chlorophylikörner.
Daß durch intensives Licht die Chlorophylikörner zerstört werden können,
haben Wiesner!) u. a. eingehend dargetan. Die photischen Orientierungen
der Chloroplasten müssen daher als ein direktes Schutzmittel angesehen
werden, um die Chlorophylikörner vor dem Einfluß des zu intensiven
Lichtes zu bewahren?).. Die Chlorophylikörner wandern dabei aus der
Flächen- in die Profilstellung); es ist dieser Vorgang manchmal auch
schon daran zu erkennen, daß bei der Flächenstellung das betreffende
Organ lebhaft grün, bei der Profilstellung dagegen viel heller erscheint ®),
womit natürlich nicht die Erscheinung verwechselt werden darf, die durch
partielle Zerstörung des Chlorophylis bewirkt wird. Während die Chlorophyll-
körner im Schwammparenchym bei schwacher Beleuchtung Flächenstellung,
bei intensiver Beleuchtung Profilstellung annehmen, zeigen die Chlorophyll-
körner im Palisadenparenchym nur Profilstellung?). In diesem Fall ist die
Eigenschaft mancher unbeweglicher Chloroplasten, im Sonnenlicht sich ab-
zuflachen und der Zellwand eng anzuschmiegen, im diffusen Licht dagegen
sich abzurunden und halbkugelförmig in das Zelllumen hineinzuragen, vielfach
vorteilhaft). Das parallel zur Längsachse einfallende Licht trifft im
ersteren Fall die Chlorophylikörner unter einem spitzeren Winkel und wird
dadurch in seiner Wirkung geschwächt )).
1) Wiesner, J., Die natürlichen Einrichtungen zum Schutze des ChlorophyllIs
der lebenden Pflanze. Festschr. zur Feier d. 25jährig. Besteh. d. K. K. zool. bot.
Ges. in Wien. 1876 p. 34—40.
aabfetfer, N..erIEcp.: 779.
®) ibid. p. 780—783.
#) ibid. p. 787.
5) Stahl, E., Über den Einfluß der Lichtintensität auf Struktur und Anordnung
des Assimilationsparenchyms. De Barys Bot. Ztg. Leipzig 1830. 38. Jahrgang
No. 51 p. 870.
6) Stahl, E., Über den Einfluß von Richtung und Stärke der Beleuchtung auf
einige Bewegungserscheinungen im Pflanzenreiche. Bot, Ztg. 1330 No, 13—24 p. 365.
7) e& Bfefter, ],.c; I.,p. 784:
90
In den Tropen nehmen die Blätter mancher Gewächse, die geringerer
Lichtintensität angepaßt und im Schatten von lebhaft grüner Farbe sind,
im Sonnenschein eine gelbliche bis weiße Farbe an. Die in indischen
Städten häufig als Alleebaum gepflanzte Pisonia alba Spanoghe, die als ein
typisches Beispiel einer bezüglich des Chlorophylischutzes unvollkommen
eingerichteten Pflanze dienen kann®), zeigt an sonnigen Stellen ein durch
Schädigung des Chlorophylis bewirktes, auffallend helles Gelb bis Weiß
des Laubes®). Auch bei anderen Pflanzen der Tropen wird durch das Licht
häufig die Chlorophylibildung unterdrückt°).
Diese Erscheinung ist nicht mit dem längeren Hinausschieben der
Chlorophylibildung zu verwechseln, das als Schutzeinrichtung des Chlorophylis
in jugendlichen Blättern zu deuten ist (z. B. Connarus villosus)*). Von
unseren einheimischen Pflanzen zeigen viele Laubhölzer, z. B.Weiden, Pappeln,
Eichen usw. solehe durch starke Beleuchtung hervorgerufene Verblassung;
durch künstliche Abdämpfung des Lichtes ergrünen diese bleichsüchtigen
Sommertriebe wieder in normaler Weise !9).
Se9:
2. Einstellung in den Schatten anderer Organe.
a) Ältere Laubblätter als Lichtschutz.
Junge Vegetationsorgane entziehen sich häufig dadurch der Wirkung
eines zu intensiven Lichtes, daß sie sich in den Schlagschatten älterer
Organe derselben Art stellen. Während z. B. die im diffusen Licht
lebenden krautartigen Gewächse ihre jungen Blätter direkt dem Lichte dar-
bieten, bergen sich die jüngsten Blätter solcher Pflanzen, die in verhältnis-
mäßig starkem Licht sich entwickelt haben, im Schatten der älteren Blätter !).
Sehr schön ist dies z. B. bei Lysimachia Nummularia zu beobachten ?).
Von in den Tropen heimischen Pflanzen werden erwähnt: Uvaria pur-
purea, Gossypium und Begonia, wo die älteren Blätter ein schützendes
Dach über den jüngeren bilden®). Aber auch umgekehrt kommt bei
tropischen Gewächsen nicht selten der auf den ersten Blick ganz paradox
erscheinende Fall vor, daß die jüngeren Blätter durch Deckung den älteren
als Schutz bei der Chlorophylibildung dienen. Dies ist dann der Fall, wenn
8) Wiesner, J., Pflanzenphysiologische Mitt. aus Buitenzorg (I. II.) Sitzber.
d. k. Akad. d. Wiss. Math.-nat. Cl. Bd. CIII., Abt. I. Wien 1894 p. 34.
9) Wiesner, l. c. p. 8—36.
102) Wiesner, Die natürl. Einricht. zum Schutze ete. 1. ce. p. 48.
2) Wiesner,. ep.4l.
2) ibid.
®) Potter, M. C. Observations on the protection of buds in the tropies,
1892. The Journ. of the Linn. Soc. vol. XXVIII. No. 195 Oct. 31, 1891 p. 343
bis 352.
Bat
die Chlorophylibildung hinausgeschoben ist, die jüngsten Organe des Licht-
schutzes also weniger bedürfen als die etwas älteren, im Stadium der Er-
srünung begriffenen !).
b) Nebenblätter als Lichtschutz.
Auch die Nebenblätter sind imstande, unter Umständen einen ganz
wesentlichen Schutz gegen grelle Lichtwirkung zu bieten. Dies ist der
Fall z. B. bei Humulus Lupulus, dessen blattartig ausgebildeten, die jungen
Laubbkitter überragenden Nebenblätter während ihrer Funktion als Licht-
dämpfer meist eine mehr oder weniger starke Zerstörung des Chlorophylis
erleiden und dabei eine gelbliche oder rötliche Farbe annehmen. Werden
die Nebenblätter mit der Spitze nach abwärts gekehrt und am Stamme
festgebunden, so verkümmern die Laubblätter um so eher, je größer die
herrschende Lichtintensität ist?). Bei vielen Papilionaceen, so z. B. bei
Pisum sativum, bei Fragaria vesca ete. werden die nächst jüngeren Blätter
von den Nebenblättern der älteren, bereits entwickelten Blätter bedeckt; bei
Pisum sativum werden auf diese Weise sogar ganze, mit mehreren Blättern
bedeckte Sprosse in den Schatten gestellt®). Welche hervorragende Rolle
hier gerade der Lichtschutz spielt, zeigen in ähnlicher Weise wie beim
Hopfen angestellte Versuche, wobei „die jüngsten, im ersten Ergrünen be-
griffenen Blattorgane im Sonnenlichte verkümmern, selbst wenn die Versuchs-
pflanze in einem hell erleuchteten feuchten Raume aufgestellt wird, also die
schädigende Wirkung starker Verdunstung ausgeschlossen ist“ ?).
Bei denjenigen Pflanzen, die der Nebenblätter nicht weiter bedürfen,
verwelken sie und fallen ab oder verkümmern, und sie wirken nicht als
Liehtdämpfer bei Pflanzen, die andere Lichtschutzmittel besitzen (z. B. Papi-
lionaceen)°).
c) Blattscheiden als Lichtschutz.
An Monoecotylen, bes. Gräsern, sind die chorophyllarmen Blattscheiden
oft als lichtdämpfend anzusehen; erst unter dem Schutze dieser Scheiden
kommen die grünen Blätter zur Entwicklung (z. B. Phragmites communis etc.)
Werden an etiolierten Keimlingen die Scheiden entfernt und die Pflänzchen
im dampfgesättigten Raum in grelles Licht gebracht, so ergrünt das erste
Blatt nur schwach und erst hinter diesem entsteht ein normal ergrüntes Blatt.
d) Zusammendrängung der Vegetationsorgane zu dichten Haufen,
Polstern und Rasen.
Ein Schutz gegen zu starke Insolation wird manchmal durch das Auf-
treten polster- und rasenförmigen Wuchses erreicht, der bei Wüstenpflanzen
#) Wiesner, Pflanzenpbysiol. Mitt. 1. c. p. 33.
5) Wiesner, Die natürl. Einricht. 1. e p. 46—47.
6) Vgl. auch Goebel, Organographie I. (1898) p. 108—111.
?) Wiesner, Die natürl. Einricht. l. ce. p. 47, vgl. aber auch entgegengesetzte
Angaben bei Goebel, Organographie I. (1898) p. 180, 131.
8) Wiesner, |. c. ibid.
Hansgirg, Phyllobiologie 1903 p. 462.
92
(Zilla mayagroides, Astragalus Forskalii) häufig beobachtet”) und z. B. für
eine große Zahl chilenischer Gewächse der verschiedensten Familien (Cruci-
feren, Caryophylleen, Oxalidaceen, Saxifragaceen, Ericaceen ete.) charak-
teristisch ist!). In der arktischen Flora und im Hochgebirge tritt der
Polsterwuchs als Lichtschutz häufig an die Stelle anderer Schutzmittel
(z. B. allseitiger Behaarung) !!). Bei den an sonnigen Standorten vorkommenden
Moosen (z. B. Funaria hygrometrica Hedw.) schützen sich die oberen Blätter
dureh diehten knospenartigen Zusammenschluß, und bei Bryum argenteum L.
sind die oberen Blättehen ebenfalls dichter gedrängt als die unteren, in
Schattenlage stehenden. Eine wesentliche Bedeutung scheint diese Art von
Liehtschutz allerdings nicht zu haben, denn trotz der Zusammendrängung
wird meist so wenig Chlorophyll erhalten, daß sich die Blättehen sehr
schnell verfärben !?).
Bei busehförmig wachsenden Algen dagegen, wie Stypocaulon, Haliseris,
Rytiphlaea ete., wechselt die Dichtigkeit des Wuchses mit der veränderten
Intensität der Beleuchtung innerhalb ziemlich weiter Grenzen, indem bei
stärkerer Beleuchtung die im Innern verborgenen Teile begünstigt wachsen,
während an den frei gelegenen Spitzen das Wachstum oft vollständig ein-
gestellt werden kann !?).
Zu berücksichtigen ist jedoch bei den hier angegebenen Beobachtungen
an höheren Pflanzen und Moosen, daß es nicht das Licht allein, sondern
eine Summe der verschiedenartigsten Ursachen sein dürfte, welche den
Polsterwuchs hervorruft. So hat Grisebach!*) den Polsterwuchs der alpinen
und arktischen Gewächse zurückgeführt auf den Schneedruck, die Nötigung
vegetativer Vermehrung sowie auf die Bereitstellung möglichst großer assi-
milierender Flächen direkt nach der Schneeschmelze; Hansen!) macht auf
die schützende Einrichtung des Polsterwuchses gegen Winde aufmerksam,
und auch unter den Schutzmitteln gegen übermäßige Transpiration wird
diese Wuchsform erwähnt !%). Diese Deutungen haben mindestens die gleiche
Wahrscheinlichkeit für sich wie diejenige als Lichtschutzeinriehtung, besonders
9) Volkens, Die Flora der ägyptisch-arabischen Wüste. 1887 Berlin (Gebr.
Bornträger) p. 18, 42.
10) Reiche, K., Über polster- und deckenförmig wachsende Pflanzen. Verh. d.
Deutsch. wiss. Vereins zu Santiago. Berlin (Friedländer) 1893. II. Bd. Heft 5
und 6, p. 306 ff.
11) Hansgirg, |. e. p. 180.
12) Wiesner, Die natürl. Einricht. etc. ]. c. p. 41.
13) Berthold, Mitt. d. Zool. Stat. Neapel, 1. c. p. 418.
14) Grisebach, Die Vegetation der Erde. I. Leipzig 1872 p. 15 fl., 146.
15) Hansen, Vegetation der ostfriesischen Inseln p. 73. Flora und Vegetation
des Vogelberges von Spilger, mit Vorwort von Hansen. Giessen 1903 p. 99, 100.
1) Ramme, Die wichtigsten Schutzeinrichtungen der Vegetationsorgane der
Pflanzen. I. und II, Teil. 1895, 1896. Progr. des Fr. Realgym. Berlin, 106
p- 12, 13.
93
wenn man bedenkt, daß bei arktischen Gewächsen ein Ubermaß an Licht
deswegen nicht zu fürchten ist, weil, wie Wiesner!‘) gezeigt hat, bei niederer
Lufttemperatur eine hohe Beleuchtungsintensität sogar vorteilhaft ist.
S 6.
3. Periodische Bewegungen der Laubblätter.
Die unter der Wirkung verschiedener Lichtintensitäten von den Fieder-
blättchen von Robinia Pseudacacia ausgeführten periodischen Bewegungen
sind schon sehr lange bekannt), und besonders auffällig gerade an vielen
Papilionaceen, Mimosaceen und Caesalpiniaceen beobachtet worden?). Die
Fiederblättehen von Robinia Pseudacacia klappen nämlich im Dunkeln nach
unten zusammen (Schlafstellung), stehen im diffusen Tageslicht wagerecht
ausgebreitet, also in der „fixen Lichtlage“°), und richten sich am Tage
mit steigender Lichtintensität mehr und mehr auf, bis die einfallenden
Lichtstrahlen in einem mehr oder weniger spitzen Winkel gegen die Blatt-
oberseite gerichtet sind), wodurch ihre Intensität bedeutend verringert wird.
Hellgrüne Robinien-Blätter, die durch Drähte künstlich in horizontaler Lage
festgehalten wurden, zeigten nach vier Tagen ein deutliches Verblassen,
während die sich frei bewegenden Fiederblättchen ein Verblassen nicht
erkennen ließen®). Dieses Resultat wurde auch dann erzielt, wenn die
Sonnenstrahlen nicht gegen die Oberseite, sondern gegen die Unterseite
des Blattes und der Blättchen gelenkt waren ®).
Bei Oxalis wird durch eine starke diffuse Beleuchtung eine Senkung
der Blättchen bewirkt’).
Bei Gleditschia finden sich drei Formen von Blättern mit verschiedenem
Grade von Beweglichkeit; die doppeltgefiederten an den oberen Zweigen
sind am bewegungsfähigsten. Da das Zusammenfalten der Blättchen auch
1) Wiesner, J., Untersuchungen über den Lichtgenuß der Pflanzen im ark-
tischen Gebiete. (Photometr. Unters. auf pflanzenphysiol. Gebiet., 3. Abh.) Sitzber.
d. Wiener Akad. d. Wiss. Math.-nat. Cl. Abt. I. Bd. CIX. Wien 1900 p. 371 ff.
1) Pfeffer, Die periodischen Bewegungen der Blattorgane. Leipzig 1375 p. 62.
2) Pfeffer, Pflanzenphysiol, |. e. II. p. 483 Anm. 1, vergl. auch:
Johow, F., Über die Beziehungen einiger Eigenschaften der Laubblätter zu
den Standortsverhältnissen. Pringsh. Jahrb. f. wiss. Bot. 1884 p. 295.
Wiesner, J., Pflanzenphysiol. Mitt. aus B. l. c. p. 24. — An den Mimosen,
an Leucadendren und Bauhinien bemerkte schon Livingstone bei seinem Auf-
enthalte in Südafrika, daß sie an sehr heißen Tagen ihre Blätter zusammenfalteten.
Geogr. Mitt. 1858 p. 199.
3) Wiesner versteht unter „fixer Lichtlage“ diejenige Stellung der Blätter,
die sie mit ihrer Oberfläche in der Regel den diffusen Tageslichte gegenüber ein-
nehmen und die, für die Zwecke der Assimilation, die günstigste Beleuchtung darstellt.
Ss Pfeffer. ce IE, p.,695:
5) Wiesner, Die natürl. Einricht. ete. I. ce. p. 46.
8) Bfeffer, 1. ce. ıbid.
?) Pfeffer, Die periodischen Beweg. ete. |. c. p. 60.
94
bei sehr starker Beleuchtung im Sommer durch die direkten Sonnenstrahlen
erfolgt, so dient diese Schrägstellung ebenfalls als Schutz vor zu starker
Erwärmung).
Eine zu den einfallenden Lichtstrahlen absolut parallele Stellung der
Blattflächen ist praktisch freilich nieht möglich, da ja die Blätter keine
mathematisch parallelen Blattseiten ausbilden. Die Lichtstrahlen werden
daher den der Lichtquelle zugekehrten Rand des Blattes zuweilen ganz
besonders treffen, und so ist auch in der Tat, besonders an Phaseolus-Arten,
eine wahrscheinlich auf obigen Ursachen beruhende auffällige Zerstörung
des Chlorophylis am Rande der Blätter wahrgenommen worden).
Besonders erwähnt wird ferner die Eigenschaft erwachsener Blätter der
Gattungen Bauhinia, Schnellia, Casparea und Verwandten, sich bei inten-
siver Beleuchtung um den Mittelnerven nach oben zusammenzulegen, um bei
sinkender Lichtintensität sich wieder flach auszubreiten !®).
Mit der Beleuchtungsintensität hängt zusammen, daß die Laubblätter
verschiedener Papilionaceen in südlichen Ländern bedeutend ansehnlichere
Bewegungen ausführen als bei uns!!), ebenso wie viele Gramineen besonders
der warmen Länder durch xerotropische Bewegungen sich der Wirkung der
direkten Sonnenstrahlen entziehen 1?).
Natürlich ist nicht zu verkennen, daß durch die Stellung der bei stärkerer
Beleuchtung mit den Oberseiten (Astragalus-, Robinia-Arten) oder Unter-
seiten (Oxalis ete.) sich berührenden Blätter auch gleichzeitig indirekt oder
direkt ein Transpirationsschutz erreicht wird 1?).
Wenn aber ein solches Streben bestimmter Blätter, sich zur Einfalls-
richtung des Lichtes annähernd parallel zu stellen, erst bei intensiver Be-
leuchtung bemerkbar wird, so ist dies jedenfalls als eine zweckentsprechende
Schutzeinrichtung aufzufassen 1%).
87:
4. Meridian- (Profil-) Stellung turgescenter Blätter.
Besonders bekannt als Lichtschutzeinrichtung ist die Meridianstellung der
Laubblätter, die für manche Florengebiete, z. B. die Flora Australiens, so
8) Popow, L., Der physiol. Nutzen der Erscheinungen des Schlafes und des
Wachens der Blätter. Reden und Protok. d. VI. Versamml. russ. Naturf. und
Ärzte in St. Petersburg. 20.—30. Dez. 1879. St. Petersb. 1880 p. 31—37 (russisch).
Ref. J. bot. J. Bd. Sa 1830, Ref. 64 p. 278 - 280.
9) Wiesner, 1. ec. p., 44.
10).Johow, F., ]. ce. p. 296.
1) Hansgirg, Photodynamische Untersuchungen. Vorl. Mitt. Österr. Bot. Ztg.
XL. Jahrg., Wien 1890 p. 48S—53, p. 50.
12) Parlatore, E., Movimenti fogliari nelle Graminacee. S. A. aus Rendiconto
della R. Ac. Bologna 1894. Ref. J. bot. J. Bd. XXIIa. 1894 Ref. 110 p. 253.
183) Hansgirg, Phyllobiologie 1. ce. p. 192.
Stahl, Über die Bedeutung des Pflanzenschlafs. Vorl. Mitt. Ber. d. deutsch.
bot. Ges. Bd. XIII. 1895 p. 183.
14) Pfeffer, Pflanzenphysiologie II. ]. ce. p. 686.
95
charakteristisch und die Ursache der dortigen schattenlosen Wälder ist !).
Solche Profilstellung zeigen z. B. die Phyllodien der neuholländischen Acacien
und die Eucalyptus-Arten ?).
„Das tropische Laubblatt* — sagt Haberlandt®) — „hat weit mehr
(als das der gemäßigten Vegetationsgebiete) mit der direkten Insolation zu
rechnen und sich vor den nachteiligen Folgen derselben zu schützen. Es
nimmt gewöhnlich eine solche Stellung an, daß die Strahlen der höher
stehenden Sonne unter spitzem Winkel die Blätter treffen“.
Bei den sogenannten Kompaßpflanzen Lactuca virosa, Siphrum lacinia-
tum, Lactuca Scariolat) ete. wird die Meridianstellung nur durch die in-
tensive Mittagssonne bewirkt; daher sind die Blätter nur bei solchen Exem-
plaren nach Nord und Süd gerichtet, die auf sonnigen, trockenen Standorten
erwachsen sind, während an feuchten, schattigen Standorten vegetierende
Pflanzen diese Stellung nicht zeigen).
Die fixe Lichtlage der Kompaßpflanzen unterscheidet sich von derjenigen
aller übrigen Gewächse dadurch, daß sie nicht durch diffuses, sondern durch
direktes Sonnenlicht hervorgerufen wird ®).
Nach dem gleichen Prinzip schützen sich die jedoch nicht als Kompaß-
pflanzen zu bezeichnenden Bäume des tropischen Amerika mit schräg oder
vertikal gestellten Laubblättern oder steil nach oben strebendem Gezweig
(z. B. die Sapoteen). Steil nach oben gerichtete Blätter haben ferner Ra-
venala madagascariensis, zahlreiche Liliaceen und Amaryllideen ’). Bei den
die Mangrove-Formation bildenden Bäumen®), (z. B. Rhizophora Mangle,
Avicennia nitida, Conocarpus erecta) werden die Blätter durch Aufwärts-
krümmungen vertikal orientiert. Bei einigen Gramineen (Olyra latifolia),
Bambuseen und Aroideen (Philodendron-Arten etc.) ist die Spreite vertikal
abwärts gekrümmt. In der westindischen Flora kommt bei den mit einer
Mittelrippe versehenen Diecotylen-Blättern (z. B. bei Bryophyllum calyeinum,
Vangwieria edulis, Couroupita quinensis) die Profilstellung dadurch zustande,
daß die beiden Hälften der Lamina bei den Sonnenblättern eine umgekehrt
dachförmige, keilförmige Figur bilden, während die Schattenblätter flache
einheitliche Scheiben zeigen 7).
I) Vgl. Grisebach, Vegetation der Erde, II. Leipzig 1834 p. 195 ff.
®) Hansgirg, |. e. p. 142 ff. dauernde Profilstellung beim Eucalyptus- und
Iris-Typus.
3) Haberlandt, G., Eine botanische Tropenreise. Leipzig 1893 p. 110, 111.
4) Ascherson erwähnt in seiner „Flora von Brandenburg“, p. 378, daß nach
Koch auch Lactuca sativa auf magerem Boden senkrechte Blattstellung zeigt und
dann Lactuca Scariola sehr ähnlich sieht.
5) Stahl, Über sogenannte Kompaßpflanzen. Jenaische Ztschr. f. Naturwiss.
15. Bd. N. F. Bd.$. Jena 1881 p. 351 ff. — Zusammenstell. d. Lit. über Kompaßpfl.
bei Bay, Ch., Physiologische Fragmente ausMissouri. Botanical Garden, I.Kompaßpfl
Botanie Gazette 1894 Bd. 19 p. 251.
I, Bammie, 14 csE-p420. 7) Johow, |. c. p. 289— 293.
8) Warming, Oekologie 1902 p. 315.
96
Aber nicht nur bei ungeteilten Blattspreiten kommen solche Schräg-
stellungen vor, sondern auch bei gefiederten und handförmig geteilten Blättern.
Die Fiedern sind, wie die /\-förmig gebeugten Blattfiedern der Cocos-
Palme, entweder dauernd nach unten zurückgeschlagen (z. B. bei Averrhoa
Bilimbi (Oxalidaceae), Eperua falcata (Caesalpiniaceae), und bilden wie
Pachira aquatica bei den handtörmig geteilten Blättern einen spitzen Kegel
(Jatropha incisa, Sciadophyllum-Arten), oder sie sind wie die im Querschnitt
\/-förmigen Fiedern von Ohrysodium vulgare schräg aufgerichtet (z.B. Bactris-
Arten und Öycadeen) und bilden bei den gefingerten Blättern, wie z. B. Ce-
cropia peltata, einen mit der Spitze nach unten gerichteten Kegel (Tecoma
pentaphylla, Cleome pentaphylla)?).
Dauernd herabgekrümmte und so vor intensiver Beleuchtung geschützte
Spreiten besitzt z. B. Miconia officinalis!°). Häufig stehen auch junge
Blätter (z. B. Nerium Oleander) ziemlich aufrecht in der Richtung der sie
tragenden Stengel; erst später bieten sie ihre Fläche den einfallenden
Sonnenstrahlen dar. Ganz analog verhalten sich die rosettenförmig an-
geordneten Wurzelblätter, die jungen Blätter der Gräser und vieler anderer
Monoestylen !!). Der Schutz, den diese aufrechte Stellung gewährleistet, ist
auch der Grund, weshalb die jungen Blätter der Lieht- und Schattenpflanzen
in den Tropen im Ergrünungszustand nur geringe Unterschiede zeigen !?).
Von unseren einheimischen Pflanzen seien noch genannt: Humulus Lupulus,
Marrubium vulgare, Thesium-Arten, Aspidium Filix mas, Geranium san-
guineum u. a., die, wie Stahl auf den sonnigen Muschelkalkbergen Jenas
zu beobachten Gelegenheit hatte, ebenfalls Vertikal- (nicht Meridian-) Stellung
der Blätter zeigten. Eine Vertikalstellung der Blätter ist es auch, wenn bei
Picea exelsa die Nadeln an hellen Standorten gleichmäßig rings herum von
den Axen abstehen, im tiefen Schatten dagegen sich scheiteln. Beispiele
für Wasserpflanzen, -für die Stahl allerdings einen Schutz gegen zu starke
Beleuchtung nicht für wesentlich hält, sind: Alöisma Plantago, Sagıttaria
und die in die Luft ragenden Blätter von Nymphaea und Nelumbium ").
Von welchem Einfluß die Profilstellung ist, das haben experimentelle
Untersuchungen !*) an den abgeplatteten Zweigen von Opuntia gelehrt, die
ein Maximum der Erwärmung aufwiesen, wenn sie mit der Fläche, ein
Minimum, wenn sie mit der Kante der Sonne ausgesetzt waren.
9) Johow, |. ce. ibid.
10) Hansgirsg, 1. c. p. 270 Fig. 37.
11) Wiesner, Die natürl. Einricht. ete. l. c. p. 44.
12) Wiesner, Pflanzenphysiol. Mitt. ete. Il. c. p. 35.
13) Stahl, E., Über den Einfluß des sonnigen oder schattigen Standortes auf
die Ausbildung der Laubblätter. Jenaische Ztschr. f£ Naturw. 16. Bd. N. F.
Bd. IX. Jena 1832 p. 187—192.
14) Passerini, N., Sullo sviluppo di cealore in aleune piante e sulla temperatura
che assumono gli organi vegetali durante la insolazione, Nuovo giornale bot. it.,
nuova serie Memor. dell. Soc. bot. it. Firenze VIII. 1901 p. 64—74.
S 8.
5. Proiilstellung nicht turgescenter Blätter.
Eine der merkwürdigsten Lichtschutzeinrichtungen stellt die Erscheinung
dar, daß bei manchen Pflanzen feuchttropischer Gebiete die Blätter lange
einen Zustand geminderten Turgors behalten und dadurch befähigt sind,
vertikal herabzuhängen; das intensive Zenithlicht geht dadurch an diesen
Blättern vorbei oder tritt nur sehr geschwächt in sie ein. Ein weiterer
Schutz kommt häufig noch hinzu: daß nämlich die Chlorophylibildung weit
hinausgeschoben wird (z. B. Amherstia nobilis, Cynometra, Theobroma
Cacao u. a.)!). An sonnigen Standorten hängen die ungeheuren Blattspreiten
von Musa paradisiaca und sapientum zu beiden Seiten des Mittelnerven
schlaff nach unten; im Schatten dagegen sind sie straff ausgebreitet ?).
Einige Anthurium-Arten endlich, Platycerium u. a. verharren mit ihren
Blattspreiten zeitlebens in der Hängelage °).
Aber nicht nur Blätter, sondern ganze Zweige bleiben oft lange Zeit
turgorlos und hängen dann senkrecht herab‘); die jungen Triebe und
Blätter der Caesalpiniaceen, die nach Keeble sämtlich schattenliebend sind,
schützen sich so gegen direktes Sonnenlicht und gegen zu starke Trans-
piration®). Dagegen kommt Stahl®), im Gegensatz zu Keeble, zu dem
Schluß, daß die Hängelage junger Blätter lediglich eine Anpassung an
starke Regengüsse sei, die in den Tropen fast immer senkrecht niedergingen
und so die in gleicher Richtung hängenden jungen Blätter durch Zerreißung
wenig gefährden könnten )).
Von bei uns vorkommenden Pflanzen seien noch genannt: Aesculus
Hippocastanum, mit in der Jugend herabhängenden Blättchen und die an
die oben erwähnten Hängezweige erinnernden jungen, herabgekrimmten
Triebe von Corylus avellana und Tilia parvifolia >).
89.
6. Einrollung, Faltung und Runzelung der Blätter.
Unter dem Einfluß einer starken, grellen Beleuchtung rollen sich bei vielen
Pflanzen die Blattränder derart ein, daß sich die diehtbehaarte Unterseite
1) Wiesner, Pflanzenphysiol. Mitt. aus B. ete. ]. c. p. 25—30, vgl. auch Wiesner,
Beobachtungen über Einrichtungen zum Schutze d. ChlorophylIs tropischer Gewächse.
Sitzber. d. Wiener Akad. d. Wiss. Math. nat. Cl. Abt. I. Bd. CIII. 1894 p. 22—36.
2) Johow, 1. c. p. 293. — Es sei hier auch hingewiesen auf den Mangifera-
Typus der Hängeblätter: Hansgirg, l. e. p. 130, vgl. auch Stahl, E., Regenfall
und Blattgestalt. Ein Beitrag zur Pflanzenbiologie. Ann. du Jardin Bot. de Buitenzorg.
Vol. XI. 1393 p. 142— 144.
8) Stahl, |. e. p. 150-151. #) ibid. p. 144 fl.
5) Keeble, F. W., The hanging foliage of certain tropical trees. Ann. of
Rot. IX. 1895 p. 59—93.
6) Stahl, 1. e. p. 149. ?) ibid. p. 150.
8) Stahl, 1. c. p. 145.
98
nach oben wendet und die meist kahle oder schwach behaarte Oberseite
dadurch gut geschützt wird. Einige Leguminosen (z. B. Coclidium - Arten)
mit durch Aufrollung des Randes oberseits konkaven Blättern schützen so
durch eine Torsion um die Längsachse die Oberseite fast ganz vor direkter
Insolation; das gleiche gilt von vielen anderen Blättern des sogenannten
Rollblätter-Typus !). Natürlich dient dieses Verhalten der Blätter vor allem
auch zur Regulierung der Transpiration, wie denn überhaupt Licht- und
Transpirationsschutz meist schwer voneinander zu trennen sind ’?).
Die jungen, vertikal herabhängenden Blätter von Bauhinia Vahlüi scheinen
infolge eines am Blattrande befindlichen Haarwulstes wie zu einem Sacke
verwachsen zu sein; durch diese dichte Verbindung der Blatthälften kann
kein Licht auf die Oberseite des Blattes gelangen; die dem Licht aus-
gesetzten Unterseiten aber sind mit einem als Lichtdämpfer wirkenden
Haarüberzug versehen. Ein anderes Beispiel für ähnliches Verhalten ist
Amherstia, wo die Blatthälften infolge Adhäsion aneinander haften ?).
Von Pflanzen mit muldenförmig ausgebildeten Sonnenblättern seien
genannt die Euphorbiaceen Hura crepitans und Jatropha Curcas; liegt
dagegen die Insertionsstelle an einem mittleren Punkte der Lamina, ist also
strahlige Nervatur vorhanden, so stellen häufig die Sonnenblätter einen nach
oben erweiterten Trichter dar (z. B. die Begonien). Bei Blättern mit regel-
mäßig fiederförmiger Nervatur ist die von zwei Seitennerven eingeschlossene
Blattsubstanz bei Sonnenblättern nach oben konvex gewölbt, bei Schatten-
blättern straff ausgespannt (z. B. Psidium Guava, Hamelia patens, Ana
cardium occidentale)*).
Auch junge Blätter schützen ihr Chlorophyli vor starkem Lichteinfluß
durch verschiedenartige Faltung und Einrollung (z. B. Hieracium pilosella,
Maranta)?).
Von Wasserpflanzen erwähne ich nur Salvinia auriculata mit kahn-
förmigen Schwimmblättern als Schutz vor zu starker Beleuchtung °).
Liehtsehutz wird auch bisweilen dadurch erzielt, daß das Blatt in parallele
Falten gelegt wird, wie dies bei einigen breitblättrigen Gramineen recht
auffällig hervortritt: die Querschnittsfigur des Blattes von Panicum sulcatum
ist an sonnigen Standorten eine steil gebrochene Linie [/\/\/\/\, im tiefen
Schatten eine annähernde gerade [———-———]. Die Fächerpalmen entfalten
ihre Fächerblätter weit geringer im direkten Sonnenlicht als im Schatten ®).
1) Hansgirg, |. c. p. 162, 163.
2) Schimper, A. F. W., Über Schutzmittel des Laubes gegen Transpiration,
besonders in der Flora Javas. Sitzber. d. Königl. preuß. Akad. d. Wiss. Berlin
1890 p. 1062.
3) Wiesner, Pflanzenphysiol. Mitt. aus B. 1. c. p. 29.
#) Johow, |. c. p. 292— 294.
5) Wiesner, Die natürl. Einricht. ete. 1. e. p. 43.
6) Goebel, K., Organographie der Pflanzen. Jena (G. Fischer) 1898—1901
p. 541, vgl. daselbst auch Fig. 354.
99
Durch die Beugungen und Faltungen einzelner Areale der grünen Blatt-
spreiten wird also dasselbe wie durch die Profilstellung der ganzen Blatt-
flächen erreicht. Es sei darum zum Schluß der Salvia-Typus der Runzel-
blätter erwähnt:
Infolge der Runzelung der Blattfläche wird das direkte Sonnenlicht teils
zurückgeworfen, teils gebrochen. Salvia-Arten schattiger oder feuchter
Standorte besitzen fast glatte oder sehr schwach runzelige Schattenblätter ’).
Ganz außerordentlich gekräuselte, runzelige Blätter weisen Heliotropium
indicum und Stachytarpha cayennensis auf, zwei gemeine Unkräuter an
dürren und beständig besonnten Standorten auf Dominica °).
Andererseits wurde von Stahl’) darauf aufmerksam gemacht, daß eine
durch Unebenheiten bedingte matte Oberflächenbeschaffenheit für die Ab-
sorption der diffusen Strahlung sehr geeignet sein kann. Das über die
Blattaderung emporgehobene Assimilationsparenchym nützt auch die schief
zur Blattfläche einfallenden Strahlen aus. Bei Begonia imperialis z. B.
drängt sich das grüne Gewebe über die Ebene der Spreite empor und er-
möglicht so eine Ausnützung des seitlich einfallenden Lichtes, wie sie bei
ebenflächigen Spreiten ausgeschlossen ist.
8 10.
7. Entwickelung einer glänzenden Oberfläche.
„Das milde, durchscheinende Licht, welches unsere heimischen Bäume
und Sträucher häufig so reizvoll erscheinen läßt“, gibt uns keine rechte
Vorstellung von der außerordentlichen Bedeutung glänzender Blattoberflächen.
In den Tropen dagegen sind die das intensive Sonnenlicht reflektierenden
Blätter, die dadurch aussehen, als wären sie „aus grünlackiertem Blech“
hergestellt, sehr häufig. „Die zahllosen Glanzlichter, welche das (tropische)
Laubwerk widerstrahlt, blitzen auf dem dunklen Untergrunde um so heller
auf; dieser starke Konstrast hat nicht selten für das an die sanften Helligkeits-
abstufungen unserer heimischen Belaubung gewöhnte Auge etwas Beleidigendes ;
es erschwert dem Landschaftsmaler seine Aufgabe und bringt den Photo-
graphen in Verzweiflung !).“
Viele ausdauernde Blätter sind daher mit einer stark glänzenden Ober-
haut versehen, wie z. B. die sog. Lederblätter?), deren Chlorophyll dem
Lichte mehrere Vegetationsperioden hindurch ausgesetzt ist. Dem Mangel
Hanseirg, l e,p..120, 171,
8) Johow, |. c. p. 292— 29.
9) Stahl, Über bunte Laubblätter. Ein Beitrag zur Pflanzenbiol. II. 1896.
Extr. des Ann. du Jard. Bot. de Buitenzorg. Vol. XIII. 2., p. 137—216; p. 208.
1) Haberlandt, G., Eine botanische Tropenreise. Leipzig (Engelmann) 1393
p- 105.
2) Hansgirg, 1. e. p. 134.
Beiträge zur Biologie der Pflanzen, Bd. IX, Heft II, 7
einer als Lichtreflektor wirkenden Cutieularschicht ist es vielleicht auch zu-
zuschreiben, daß die jungen Nadeln vieler Koniferen an sonnigen Standorten
oft schwer ergrünen °).
Die Wirkung solcher glänzenden Culieularschichten kann noch verstärkt
werden durch die meist aus einem Gemenge von Schleim und Harz be-
stehenden, firnisartigen Überzüge auf der Blattoberseite. Volkens®), der
die Bedeutung der das Licht stark reflektierenden Lackierung’) allerdings
nur in einer Einschränkung der Transpiration sieht, führt zahlreiche Bei-
spiele von Xerophyten und Wüstenpflanzen aus den verschiedensten Familien
an. Die Laubblätter besonders vieler Kompositen sind durch eine die Licht-
und Wärmestrahlen reflektierende glänzende Firnisdecke vor intensiver In-
solation geschützt‘). Hingewiesen sei ferner auf den Escallonia-Typus der
lackierten Blätter’).
Interessant ist es, daß oft ein Schutzmittel das andere mehr oder weniger
entbehrlich macht; so konnte Arcangeli°) beobachten, daß Larrea divari-
cata Cav. in weit schwächerem Grade eine Kompaßpflanze ist als Larrea
cuneifolia Gav.; Larrea divaricata Cav. hatte nämlich lackierte Blätter.
Weitere interessante Einrichtungen, die sich auf den Lichtsehutz
chlorophyllführender Organe beziehen, beschreibt Hassak°), der die silber-
weiße, oft von hellem, metallischem Glanz begleitete Färbung vieler Blätter,
die nicht chlorotisch sind, sondern in ihrem Assimilationsgewebe überall
reichlich Chlorophyll enthalten, als Folge einer totalen Reflexion des Lichtes
an ausgedehnten flachen Lufträumen nachweist, welche sich zwischen der
farblosen Epidermis und den grünen Gewebeschichten parallel zur Ober-
fläche erstrecken.
Gleichfalls müssen erwähnt werden Untersuchungen von Lanza!), die
sich auf fleischige Xerophyten aus der Gruppe der Aloineen beziehen. Hier
werden weißlich glänzende, stark hervortretende Emergenzen (z. B. bei
Haworthia und Gasteria), sowie durchscheinende, leistenartige Blattränder
vieler Aloe-Arten als Lichtschutzeinrichtungen gedeutet. Ihre weiße Farbe
und ihr Glanz reflektieren die Sonnenstrahlen, während die Luft im Innern
3) Wiesner, Die natürl. Einricht. ete. 1. c. p. 42.
4 Volkens, G., Über Pflanzen mit lackierten Blättern. Ber. d. deutsch. bot.
Ges. 1890, Bd. VIII p. 120—140.
5) Linsbauer, |. c. p. 86.
6) Hansgirg, 1. c. p. 302, 303 ff.
”n. Hansegirg, 1. c. p. 174, 175.
8) Arcangeli, G., Sopra alcune piante della Republica Argentina. Bulletino
della Soc. bot. italiana. Firenze 1594 p. 39, 40.
9, Hassak, C., Untersuchungen über den anatomischen Bau bunter Laubblätter,
nebst einigen Bemerkungen, betreffend die physiol. Bedeutung der Buntfärb. der-
selben. Bot. ©. 1886, Bd. XXVIII. No. 42—52, p. 245, 340.
10) Lanza, D., La struttura delle foglie nelle Aloinee ed i suoi rapporti con la
sistematica. Malpighia, Genova IV. 1390, p. 145—167, Ref. Journ. de Bot. 1890,
p- LXXII—LXXV.
101
der Intercellularräume die Wärmewirkung schwächt. Durch Kulturversuche
hat Lanza nachgewiesen, daß diese Bildungen als Anpassungen an die
intensive Insolation angesehen werden müssen.
Sr lR:
8. Dichte Haarbekleidung.
Als erster hat Wiesner!) darauf hingewiesen, daß der auf der Ober-
seite junger Blätter von Tussilago Farfara auftretende Haarfilz als Licht-
dämpfer wirkt; wird der Haarüberzug entfernt, so erblassen die Blätter im
Sonnenlicht merklich, auch wenn durch einen Glassturz die Transpiration
eingeschränkt wird. Nach der vollen Entwicklung der Blätter wird später
die Haarbedeekung abgeworfen. Die wolligen und ähnlichen Deckhaar-
überzüge?) der Laubblätter übernehmen häufig die Rolle von Sonnenschirmen
und Liehtdämpfern, auch Transpirationsregulatoren und finden sich deshalb
am häufigsten in den der Trockenheit und Sonnenglut zeitweise stark aus-
gesetzten Gebieten °).
Natürlich ist die dichte Haarbekleidung auch ganz besonders gut dazu
geeignet, die in heißen Gebieten (z. B. im kontinentalen Australien) bisweilen
ganz bedeutenden Temperaturschwankungen (zwischen 4° und 43° C) zu
mäßigen). Besonders reich an Pflanzen mit dicht behaarten Blättern ist
die Flora des Mittelländischen Meeres; die grauweiße filzige Behaarung ist
hier so allgemein verbreitet, daß sie dem ganzen Vegetationsbilde einen
eigenartigen, fast monotonen Charakter verleiht?). Daß die Haarbedeckung
„sicher weitaus den größten Teil des auffallenden Lichtes“ reflektiert, darauf
weist auch Reinke°) bei der Besprechung über die natürliche Farbe grüner
Blätter hin.
Bei einer überaus großen Zahl von Pflanzen sind die sich entfaltenden
Laubblätter bloß in der Jugend behaart resp. durch einen Lichtschirm gegen
schädliche Insolation geschützt”). So wird auch der durch den knospen-
artigen Zusammenschluß dicht geschlossene Triehomschopf der jungen Farn-
wedel als eine Lichtschutzeinriehtung aufgefaßt°). Selbst Blätter, bei denen
1) Wiesner, Die natürl. Einricht. ete. |. c. p. 42.
2) Vgl. Hansgirg, |. ce. p. 179.
3) Meigen, Fr., Biologische Beobachtungen aus d. Flora Santiagos in Chile.
Trockenschutzeinrichtungen. Engl. bot. Jahrb. 18. Bd. 1894 p. 410.
*) Tschirch, Über einige Beziehungen des anatomischen Baues der Assimi-
lationsorgane zu Klima und Standort. Linnaea N. F. Bd. IX. Berlin 1880—82
p- 152, 153; vgl. auch Ursprung, 1. c. p. 112.
Sr’ Rammezl.re. L.“p.112.
6) Reinke, J., Die optischen Eigenschaften der grünen Gewebe und ihre Be-
ziehungen zur Assimilation des Kohlenstoffs. Ber. d. deutsch. bot. Ges. Bd. 1.
1883 p. 412.
NHansgirg, l ep. 178.
®) Goebeler, E,, Die Schutzvorrichtungen am Stammscheitel der Farne. Flora
oder allg. bot. Ztg. Regensburg 1836 No. 29—31. 69. Jahrg. p. 496.
7*
102
kein besonderes Bedürfnis nach Schutz gegen Verdunstung vorhanden ist?),
sind bisweilen durch dichte Behaarung vor intensiver Insolation gut geschützt,
(z. B. Salvinia oblongifolia und Salvinia Sprucei)!P). Auf die Bedeutung der
haarartigen Organe bei Meeresalgen als Schutzeinrichtung gegen hohe Licht-
intensität hat Berthold zuerst hingewiesen 11); die Ausbildung der Haare
ist hier vom Licht direkt abhängig!?). Im übrigen kommen auch den Haar-
bildungen mehrere biologische Funktionen zu, die sämtlich anzuführen hier
nicht der Ort ist!°).
S12.
9. Ausbildung cuticularer Wachsschichten.
Die epidermalen Wachsbedeckungen an Vegetationsorganen können aus
Körnchen (z. B. Gramineen, Liliaceen, Iridaceen), Stäbchen (z. B. Saccharum
officinarum, Musa, Strelitzia) oder aus Krusten (Thuja, Sempervivum) be-
stehen!) und wirken genau wie die Haarbedeckungen auch als Lichtdämpfer
oder Reflektoren?). In der ägyptisch-arabischen Wüste, von deren Klima
Volkens sagt: „Bei dem fast wolkenlosen Himmel umflutet uns beständig
eine Lichtfülle, welche das Auge blendet; alles scheint in einem Meer von
Lieht zu schwimmen“, fanden sich dementsprechend auch an den Vege-
tationsorganen „fast durchgehends fahle grau-weißliche, durch Wachs- oder
Haarbedeckung hervorgerufene Farbentöne °)*.
Häufig befindet sich bei bereiften, mit dünnen Wachsüberzügen versehenen
Blättern die Blattspreite auch noch in der vertikalen Stellung (z. B. Solanum
glaucum, Nicotiana glauca, Lycium-Arten, Grabowskia boerhaviaefolia u. a.)*).
Bemerkenswert ist auch, daß die horizontalen Blätter von Eucalyptus globulus
mit Wachs bedeckt, die älteren vertikal gestellten wachsfrei sind’).
Jedenfalls dürften auch dünne Wachsschichten (z. B. Cerinthe, Salix-
Arten ete.) und temporär auftretende papillöse Überzüge (z. B. Chenopodium)
lichtdämpfend wirken ®).
Wachsüberzüge in Verbindung mit anderen zum Teil bereits besprochenen
Schutzeinrichtungen sind außerordentlich zahlreich und häufig beobachtet
worden. Über die weitere mannigfaltige Bedeutung der Wachsüberzüge
vgl. Hansgirg (Hoya-Typus der Wachsblätter) ’).
9%) Hansgirg, l. c. p. 81. 10) Hansgirg, |. c. p. 74.
11) Berthold, G., Beiträge zur Morphol. ete. |. c. Pringsh. Jahrb. 1882 p. 675 ff.
12) Berthold, G., Mitt. d. zool. Stat. I. ce. p. 419, 420.
12) 'Hansgirg,. cp. 39. 179.
D) Ramme,.lre. 1.p. 11. 2) Reinke, |. c. p. 410.
3) Volkens,.l.e. p..15, 18; #4) Hansgirg, |. c. p. 317.
5) Briosi, G., Intorno all’ anatomia delle foglie dell’ Eucalyptus globulus Lab.
Atti dell’ Istit. botan. dell’ Univ. di Pavia, II. 2. Milano 1891 Ref. in Bot. C. XLIX.
1892 p. 317—320.
6) Wiesner, Die natürl. Einricht. ete. I. c. p. 43.
7) Hansgirg, l. c. p. 175 ft.
103
8 13.
10. Krystallinische, salzkrustenbildende Überzüge
und Kalkablagerungen.
Salzkrustenbildende Überzüge sind auf den Blättern von Pflanzen im
allgemeinen nicht häufig (Reaumuria hirtella, Statice aphylla, Oressa cretica,
Tamarix-Arten, Frankenia pulverulenta u. a.)!). Besonders auffällig sind
diese Überzüge bei Reaumuria hirtella, wo sie eine körnige, weißliche, aus
Chlornatrium, Magnesium- und Öaleium-Verbindungen bestehende Bedeekung
bilden ?2). Der Reaumuria hirtella nahe verwandt ist Tamarix articulata
Vahl., eine Pflanze, die nur in der Nähe der Flüsse vorkommt: „Das
Gebüsch (dieser Tamarix articulata Vahl.) glänzt in der Sonne wie der
weiße Sand“ ?).
Die Salzkruste verringert durch die weiße Farbe die Insolationswirkung;
sie bildet einen schlechten Wärmeleiter®). Nach Volkens°’) ist allerdings
die Schutzvorrichtung in Form der Salzdecke höchst unrationell, da das
Salz ungleich aufliegt und lockere Massen bildet. Die hauptsächlichste Be-
deutung dürfte natürlich in der durch die hygroskopischen Salze ziemlich
ansehnlichen Ansammlung atmosphärischen Wassers liegen, das, wie
Volkens®) bestätigt, von den Pflanzen tatsächlich verbraucht wird.
Eine bei Algen sehr verbreitete Lichtschutzeinrichtung ist die Ablagerung
von kohlensaurem Kalk auf der Oberfläche der Thallome oder auch innerhalb
der Membranen selbst’). Die Kalkmassen stehen in unmittelbarer Beziehung
zur Beleuchtungsintensität, d. h. die Menge des abgelagerten Kalkes wächst
mit der Stärke der Beleuchtung (z. B. Corallina mediterranea, (©. rubens,
Acetabularia, Padina); auch sind die im intensiven Lichte vegetierenden
Exemplare rein weiß gefärbt, während im Schatten die Corallina-Arten
wieder rot werden und Padina und Acetabularia nur äußerst wenig Kalk
ablagern °).
8 14.
11. Anatomische Struktur der Sonnenblätter.
Die Palisadenzellen stellen die für starkes Licht, die flachen Zellen des
Schwammparenchyms dagegen die für geringe Lichtintensitäten angemessene
!) Volkens, Die Flora der ägyptisch. ete. l. e. p. 30.
2). V olkens;,iie. p: 27, 28.
3) ibid. p. 320.
*#) Marloth, R., Zur Bedeutung der salzabscheidenden Drüsen der 'Tamaris-
eineen. Ber. d. deutsch. bot. Ges. Bd. V. 1837 p. 322.
5) Volkens, G., Zu Marloths Aufsatz „Über die Bedeutung der salzab-
scheidenden Drüsen der T’amariseineen“. Ber. d. deutsch. bot. Ges. Bd. V. 1837 p. 436-
6) Volkens, G., Die Flora der ägyptisch-arab. ete. ]. c. p. 29.
?) Berthold, Pringsh. Jahrb. 1. ec. p. 710.
8) ibid. Mitt. d. zool. Stat. Neapel |. ce. p. 418, 419.
104
Zellform dar!). Das typische Beispiel hierfür ist Fagus silvatica, die Buche,
deren Sonnenblätter dreimal dicker sein können als die Schattenblätter ?).
Die Schattenblätter sind jedenfalls in den meisten Fällen durchsichtiger als
die zugehörigen Sonnenblätter?), wodurch das Grundgewebe dem Lichte
besser zugänglich gemacht wird *); die diekeren Sonnenblätter aber besitzen
überdies noch die bereits erörterte, für intensives Licht vorteilhafte Ein-
richtung, daß durch ihre Palisadenzellen die Chlorophylikörner dauernd in
Profilstellung gebracht werden’). Bei vertikal stehenden Blättern tritt das
Palisadenparenchym auf beiden Seiten des Blattes auf, bei horizontal
stehenden nur oberseits®). Die Kompaßpflanze Lactuca Scariola bildet im
Dunkeln kein Palisadenparenchym’). — Unter den Tropenpflanzen fand
Johow°) Sonnen- und Schattenblätter in besonders typischer und prägnanter
Ausbildung; auch konnte er in einigen Fällen, z. B. bei den steil aufwärts
gerichteten Blättern von Bromelia karatas, die Entdeckung Picks bestätigen,
daß bei vertikal oder schräg gestellten Assimilationsorganen die Palisaden-
zellen mit der Längsachse in der Richtung des einfallenden Lichtes, also
schräg gegen die Oberfläche des Organs gestellt sind®). Stärkere Aus-
bildung des Palisadengewebes und Hypoderms zeigen auch die süd-
europäischen 'Tannenformen (z. B. Abies Pinsapo) als Anpassung an ihre
sonnigere trockenere Heimat”).
Auf den Unterschied der Sonnen- und Schattenblätter bei Farnen, denen
im allgemeinen nur typisches Schwammparenchym zukommt, hat zuerst
Petersohn!°) aufmerksam gemacht; Platycerium alcicorne, Aspidium sep-
tentrionale'!) und Chrysodium vulgare auf Trinidad zeigten an sonnigen
Standorten ein deutliches Palisadengewebe entwickelt 12).
1) Stahl, E., Über den Einfluß der Lichtintensität auf Struktur u. Anordn, etc.
l. c. Bot. Ztg. 1880 p. 871; vgl. auch:
Stahl, E., Über den Einfluß des sonnigen ete. 1. e. p. 171.
2) Stahl, E, Über den Einfluß des sonnigen oder schattigen etc. 1. c. Jenaische
Ztschr. 1882 p. 167, 168, Abbild. Taf. X Fig. 1 u. 2; vgl. auch: Über den Einfl.
der Lichtintensit. auf Struktur ete. I. e. Bot. Ztg. 1580 p. 372.
3) Linsbauer, |. c. p. 67 ff.
4) Areschoug, F. W.C,, Über die physiologischen Leistungen und die Ent-
wicklung des Grundgewebes des Blattes. Acta Universitatis Lundensis. Lunds
Univ. Arsskrift. Tom. XXXIlI. Lund 1897 p. 9.
8) Sep 0:
6) Grosglick, S., Über den Einfluß des Lichtes auf die Entwicklung des Assi-
milationsgewebes. Bot. Zentralbl. No. 51, 1884 XX. Bd. p. 377.
?) Stahl, Jenaische Ztschr. 1832 1. e. p. 170.
8) Johow, |. c. p. 298.
°) Stahl, 1. e. p. 191.
10%) Petersohn, Undersökning one de inhemska ormbunkarnes bladbyggnad.
Akad. Diss. Lund 1889 p. 15—18.
1) Areschoug, F. W. C., 1. c.'p. 10.
2) Johow, I. c. p. 298.
105
Der Dimorphismus der Eucalyptusblätter ist mehrfach untersucht worden '),
und auf die Sonnen- und Schattenformen der Flechten und Moose hat
besonders Stahl!!) hingewiesen. Von JImbricaria physodes z. B. sagt
Stahl: „Die gedrungen wachsenden Thalluslappen der Sonnenform sind
schinäler, ihre Oberfläche glatter und glänzender als bei den mehr aus-
gebreiteten, dem Substrat flach angeschmiegten Laeinien der Schattenform.
An sonnigen Standorten fand ich das Laub etwa doppelt so dick als bei
den Schattenexemplaren“; ebenso war das Laub von Lebermoosen, z. B.
Marchantia polymorpha, bei der Schattenform viel dünner als bei Pflanzen,
die mehr in der Sonne gewachsen waren 1).
Unter den Algen zeigen z. B. die Thallome der Chylocladien je nach
der Intensität der Beleuchtung einen verschiedenen Bau. An den frei
exponierten Trieben (z. B. Chylocladia kaliformis) sind die großen inneren
Zellen auf der Aussenseite fast vollständig von kleineren Tochterzellen
bedeckt, während bei den inneren Trieben diese Tochterzellen nur in
geringerer Zahl ausgebildet sind; der größte Teil der inneren Zellen ist
vielmehr direkt dem Lichte ausgesetzt!‘). Stärker beleuchtete Teile und
die Oberseite kriechender Achsen sind dicker und zeigen ihre pheripherischen
Zellen mehr in Profilstellung und gegen die Oberfläche verlängert; die
Unterseiten resp. schwächer beleuchtete Teile besitzen parallel der Ober-
fläche vergrößerte Zellen 17).
Wie andere zum Teil bereits besprochene Schutzeinrichtungen sind auch
die Palisadenzellen der Sonnenblätter nicht nur als eine Anpassung an die
Beleuchtung gedeutet worden, sondern auch als ein Mittel, die Transpiration
herabzusetzen !°), resp. als ein Ausgleich gegen die Folgen starker Trans-
piration, da die langgestreckte Gestalt der Palisadenzellen für rasche Wasser-
versorgung sehr geeignet ist!”). Ganz abgesehen von der Beleuchtung fand
Schimper?®) eine starke Entwicklung des Palisadenparenchyms bei er-
13) Magnus, P., Über Eucalyptus globulus. XXIX. Sitz. v. 17. XI. 1875.
Verh. des bot. Vereins der Prov. Brandenburg. 18. Jahrg. Berlin 1376, Sitzber.
p- 20 ff.
Leclere du Sablon, Sur la symetrie foliaire chez les Eucalyptus et quelques
autres plantes. Revue generale de Bot. 2. 1890 p. 337—340.
Briosi, G., Ricerche intorno all’ anatomia delle foglie dell’ Eucalyptus globulus
Lab. Milano 1891. Ref. Bot. C. XLIX. Bd. 1892. 13. Jahrg. p. 317—320 u. a.
4) Stahl, E., Jenaische Zeitschr. 16. Bd. 1882 1. ec. p. 186.
15) ibid. p. 172—173.
16) Berthold, Pringsh. Jahrb. 1. c. p. 690.
17) ibid. Mitt. d. zool. Stat. 1. ce. p. 418.
13) Areschoug, ]. c. p. 14—18; vgl. auch: Areschoug, Der Einfluß des
Klimas auf die innere Organisation der Pflanzen. Engl. bot. Jahrb. II. 1832 p. 520.
19) Schimper, A. F. W., Über Schutzmittel des Laubes gegen Transpiration
bes. in der Flora Javas. Sitzber. d. königl. preuß. Akad. d. Wiss. zu Berlin. Jahrg.
1890. XXXIX. XL. p. 1048.
20) Schimper, ]. c. p. 1060, 1061.
106
schwerter Wasserversorgung als Regel bei Blättern vieler, im Schatten
wachsender, immergrüner Gewächse (z. B. Vaccinium Vitis idaea)').
Zum Schluß sei noch erwähnt, daß Heinricher??) und Volkens°?), der
unter den Pflanzen der ägyptisch-arabischen Wüste „fast ausnahmslos“ den
isolateralen Blattbau fand, die Ansicht vertreten, daß die Palisadenzellen
resp. isolateraler Blattbau und Vertikalstellung ein Mittel sind, „die Energie
des Sonnenlichtes zum Zwecke der Assimilation in bestmöglichster Weise
auszunützen“, obgleich Volkens selbst an anderer Stelle wieder behauptet,
daß „die Lichtstärke in der Wüste enorm groß“ sei?®).
8 15.
12. Farbstofi.
Ich kann es hier nicht unternehmen, mich in eine Diskussion der außer-
ordentlich umfangreichen Litteratur über Vorkommen, Entstehung und die
Ansichten über die Bedeutung des roten Farbstoffes als Lichtschutz ein-
zulassen. Ich verweise deshalb auf die Besprechung, die Ursprung!) dem
roten Farbstoff widmet und auf die daselbst angeführte einschlägige Literatur.
Im großen und ganzen herrschen zwei extreme Ansichten über die Be-
deutung des roten Farbstoffes: einmal wird er (von Ewart, Hassak,
Keeble, Kerner, Pick u. a.) als ein Schutzmittel gegen die schädliche
Wirkung des Lichtes angesehen; nach den Untersuchungen anderer Forscher
(Stahl, Kny u. a.) dagegen gilt er als ein strahlenabsorbierendes Mittel,
das, gerade im Gegensatz zu der ersten Ansicht, eine stärkere Erwärmung
der den roten Farbstoff führenden Pflanzenorgane herbeiführen soll. Trotz
dieser diametral gegenüberstehenden Meinungen ist eine Vertändigung jedoch
möglich, wenn man nicht, wie bisher, die an bestimmten Untersuchungs-
objekten gewonnenen Resultate verallgemeinern, sondern auf die Spezialfälle
beschränken wollte. Dazu rät auch folgende Überlegung: „Ein rein rotes
Blatt läßt nur die roten Strahlen, ein rein grünes Blatt nur die grünen
Strahlen durch. Da die roten Strahlen mehr Wärme führen als die grünen,
so wird auch unter sonst gleichen Bedingungen das rote Blatt weniger stark
erwärmt als das grüne. In der Natur finden sich nun weder rein rote
noch rein grüne Blätter. Führt also ein rotes Blatt außer dem bei einem
grünen Blatt vorhandenen Chlorophyligehalt noch viel roten Farbstoff, so
steigt die Absorption der Strahlen um den Betrag, den das Erythrophyli
verschluckt, und das rote Blatt wird stärker erwärmt. Es kommt daher
bloß auf das Mengenverhältnis der beiden Farbstoffe an, so daß das rote
Blatt sowohl eine höhere als auch geringere Temperatur aufweisen kann“ ?).
?!) Stahl, E., Jenaische Ztschr. 1332 1. c. p. 169.
2) Heinricher, Über isolateralen Blattbau. Pringsh. Jahrb. Bd. XV.; vgl.
Volkens, Die Flora der ete. ]. c. p. 68.
2) Volkens, Die Flora des etc. ]. c. p. 68, 69. a ubidap er
1) Ursprung, |. c. p. 79—83, 104.
2) Ursprung, 1. c, p. 81, 82, 112.
107
8 16.
15. Panachierte Blätter.
Die an panachierten Blättern auftretende Hellfleckigkeit der von den Gärtnern
als „formae foliis variegatis“ bezeichneten Varietäten, die manchmal durch,
gewöhnlich zwischen Epidermis und oberste Parenchymlage eingeschobene,
Lufträume entsteht‘), ist bezüglich ihres Verhaltens zu den Lichtstrahlen
mehrfach untersucht worden. Nach Stahl?) reflektieren die als Isolatoren
wirkenden Luftschichten das Licht und erschweren sowohl das Eindringen
der Sonnenstrahlen ins Blattinnere als das Austreten der Wärme aus dem
Blatt; bei den Wüstenpflanzen sei besonders das erschwerte Eindringen der
Sonnenstrahlen in das Innere des Blattes von Wichtigkeit. Die Bezeichnung
der Luftschichten als Isolatoren kritisiert jedoch Ursprung®), da die Luft
zwar für Wärmeleitung, nicht aber für Wärmestrahlen ein Isolator sei; eine
Luftschicht verhindere die Erwärmung der darunter liegenden Teile nicht,
ja, die Erwärmung sei sogar stärker, als wenn anstelle der Luft Blattzellen
vorhanden wären. Die geringere Erwärmung der hellen Stellen sei wahr-
scheinlich auf ihre größere Diathermansie oder auf Totalreflektion zurück-
zuführen. Durch Versuche von Mayer‘), Linsbauer’), Ursprung®),
Brown und Escombe’) ist denn auch gezeigt worden, daß tatsächlich
die hellen Stellen jedesmal mehr Energie hindurchließen als die ent-
sprechenden grünen. Daß die Panachierung, soweit sie nicht krankhaft ist,
als Lichtschutz aufgefaßt werden kann, darf durch obige Versuche natürlich
nicht als widerlegt gelten, doch ist auch der positive Beweis in dieser Be-
ziehung noch zu führen.
8 17.
14. Zellinhaltsbestandteile.
Verschiedene Algen schützen sich durch besondere Vorrichtungen im Proto-
plasma der einzelnen Zellen gegen übermäßige Lichtwirkungen!. Den
interessantesten und von allen am vollkommensten ausgebildeten derartigen
Apparat besitzen viele Cystosiren und mehrere Algen der Gattung Chylocladia.
Diese Algen glänzen im lebenden Zustand in den brillantesten Farben:
prachtvoll blau, silberweiß, rötlichweiß, während Ohylocladia mediterranea
1) Hassak, Carl, Untersuchungen über den anatomischen Bau bunter Laub-
blätter, nebst einigen Bemerkungen, betreffend die physiologische Bedeutung der
Buntfärbung derselben. Bot. Zentralbl. Bd. XXVIII. 1886 p. 13.
2) Stahl, Über bunte Laubblätter, 1. ce. p. 189—199, 209.
®) Ursprung, |. e. p. 84, 112.
*) Mayer, The radiation and absorption of heat by leaves. American Journal.
3. Series 45, 1893 p. 67.
5) Linsbauer, I. c. p. 71—79.
6) Ursprung, L ep. 62, 67, 112.
?) Brown and Escombe, |. c. p. 96.
!) Berthold, Beiträge zur Morphol. ete. Pringsh. Jahrb. 1. c. p. 685 ff.
108
J. Ag. das Licht in allen Regenbogenfarben zurückwirft. Es sind besondere
Ablagerungen innerhalb der Zellen selber, oft von kompliziertem Bau, denen
die Fähigkeit zukommt, das Licht zurückzuwerfen und die in der Mehrzahl
der Fälle nur an denjenigen Teilen der T'hallome zur Ausbildung gelangen,
die intensiverer Beleuchtung ausgesetzt sind?). Im Schatten des Zimmers
verschwindet das Irisieren schon nach zwei bis drei Tagen. — Versuche
mit farbigen Glasplatten ergaben mit voller Sicherheit, daß nur Licht von
solcher Färbung zurückgeworfen wird, das auch in dem auffallenden Lichte
vorhanden war, daß also auf keinen Fall Fluorescenzerscheinungen vorliegen.
Vor allem sind es die stärker brechbaren blauen und grünen Strahlen,
denen der Eintritt in die Zelle verwehrt wird. In vielen Fällen, so meint
Berthold, könne auch die Möglichkeit vorhanden sein, nicht allein die
Intensität des Lichtes herabzusetzen, sondern auch die im wesentlichen
senkrecht zur Oberfläche eindringenden Strahlen innerhalb der Pflanze nach
verschiedenen Richtungen abzulenken und so eine möglichst allseitige Durch-
leuchtung der Pflanze hervorzubringen?). — Ein durch intensive Belenchtung
verursachtes Zusammenballen der Zellinhaltsstoffe wurde von de Bary°) bei
Acetabularia und vielen anderen Algen‘) beobachtet und soll auch bei
höheren Pflanzen vorkommen >).
Die von Penzig‘) beschriebenen Kalkoxalatkrystalle unter der Blatt-
epidermis der Citrus-Arten ete. dienen nur der Zerstreuung und Verteilung
des Lichtes in dem dichten Mesophyll, haben aber nichts mit Lichtschutz zu
tun. Die Bildung des Kalkoxalats ist allerdings in hohem Maße von der
Beleuchtung abhängig; so enthielten die Sonnenblätter von Aesculus, Acer,
Alnus, Sambucus, Stellaria, Ulmus zahlreichere und größere Kalkoxalat-
krystalle als die Schattenblätter ?).
S 18.
15. Einige andere angebliche Lichtschutzeinrichtungen.
Der Vollständigkeit wegen möchte ich an dieser Stelle noch auf einige
Einrichtungen im Pflanzenreich hinweisen, die auch als Lichtschutz gedeutet
worden sind, jedoch praktisch so wenig wirksam sein dürften, daß sie,
wenn in diesem Sinne funktionierend, jedenfalls nur sehr geringe Bedeutung
haben; ich meine die Sekretion leicht flüchtiger ätherischer Ole und die
Nervatur der Blätter.
2) Berthold, Über die Verteilung der Algen ete. Mitt. d. zool. Stat. |. c. p. 419.
3) de Bary, Bot. Ztg. 1377 p. 713.
#) Berthold, Beiträge ete. Pringsh. Jahrb. 1. e. p. 710.
5) Stahl, E., Über den Einfluß von Richtung ete. Bot. Ztg. 1880 1. ce. p. 342.
6) Penzig, O., Sull’ esistenza di apparecchi illuminatori nell’ intorno di aleune
piante. Atti di Soc. d. Naturalisti. Modena 1883, ser. III. vol. 1. Ref. J. bot. J. XI.
a Ref. 75 p. 158.
?) Schimper, A. F. W., Über Kalkoxalatbildung in den Laubblättern. Bot,
Ztg. Leipzig 1388. 46. Jahrg. No. 5—10 p. 84.
109
Eine gute Übersicht der Litteratur über Vorkommen und Bedeutung der
ätherischen Öle bei Pflanzen, über die Ansichten bezüglich der Schutz-
wirkungen dieser ätherischen Öle u. a. m. findet sich in der Arbeit Dettos!)
„Über die Bedeutung der ätherischen Öle bei Xerophyten“. Detto kommt
zu dem Resultat, daß die in den Außendrüsen der Pflanzenorgane in leicht
verdampfbarer Form sich findenden ätherischen Öle jedenfalls wertvolle und
wirksame Schutzmittel sind, aber nicht einen Schutz gegen zu starke Trans-
piration bilden, wie er durch Versuche nachzuweisen sucht, — sondern
lediglich eine Schutzwehr gegen Tiere darstellen, besonders gegen Schnecken
und Weichtiere xerophiler Formationen.
Die Nervatur der Blätter, die für den Transport der Kohlehydrate und
als mechanische Einriehtung von Bedeutung ist, soll nach Johow?) durch
ihre Anordnung „auch eine vorteilhaft wirkende Abschwächung der Licht-
strahlen“ bewirken. Nähere Angaben macht Johow über diese abschwächende
Wirkung nieht; da aber auch die in Frage kommenden vorspringenden
Rippen und Leisten sich immer nur auf der Blattunterseite befinden, so
dürfte ihre sekundäre Bedeutung als Lichtschutz am besten ganz ausgeschaltet
werden.
Eine Lichtschutzeinrichtung verdient hingegen noch hervorgehoben zu
werden, die unter Umständen recht wirksam und vielleicht den von mir
unter No. 8, 9, 10 (Haar-, Wachs- und krystallinische Salz-Überzüge) an-
geführten Lichtschutzeinrichtungen an die Seite gestellt werden kann: es
ist der Staub, der, wie Meigen°) in Chile beobachten konnte, „im Sommer
in ungeheuren Massen die Luft erfüllt und in der Ebene und auf den Hügeln
alles mit einer dicken grauen Schicht überzieht.*“ Die Bedeutung dieses
Staubes sieht Meigen darin, daß er einmal die Blattfläche abschließt, ihr
eine hellere Farbe verleiht und schließlich das ganze Blatt infolge der
Belastung oft steil nach abwärts drückt.
Experimenteller Teil.
S 19.
Ich habe versucht, im Vorhergehenden eine möglichst vollständige
Übersicht über die bisher bekannt gewordenen Einrichtungen zu geben, die
auf den Lichtschutz bezogen worden sind. Nur ganz wenige der An-
passungen dürften als reine Lichtschutzeinrichtungen gedeutet werden können:
vor allem gehört hierzu die Bewegungsfähigkeit der Chlorophylikörner !),
die Ausbildung reflektierender Zellinhaltsbestandteile bei den Florideen ?),
1) Detto, Carl, Über die Bedeutung der ätherischen Öle bei Xerophyten.
Flora oder allg. bot. Ztg. 92. Bd. Jahrg. 1903 p. 147—199.
2) Johow, |. c. p. 301, 302. 3) Meigen, |. c. p. 429.
).e.Sg ana cs. 17
110
sowie die ausgesprochene Meridianstellung der Blätter bei den Kompaß-
pflanzen?). Im übrigen handelt es sich überall um kombinierte Schutz-
einrichtungen ®), also um Einrichtungen, die, abgesehen vom Lichtschutz,
auch anderen Zwecken, besonders dem Verdunstungsschutz dienen 5).
Die ganze Frage des Lichtschutzes ist experimentell noch außerordentlich
wenig geklärt, besonders was die quantitativen Verhältnisse betrifft. Wenn
Ursprung‘) darauf hinweist, daß wir, was unsere Kenntnis über die
thermische Bedeutung der Haarüberzüge betrifft, kaum mehr wissen, als
was uns das Tragen von Kleidern, Hüten und die Verwendung der Sonnen-
schirme gelehrt hat, so ist dies vollständig richtig. Die Beobachtung der
Tatsache, daß dem Licht stark exponierte Pflanzen vielfach sich durch
wesentlich dichtere Haarbekleidung gegenüber Schattenexemplaren der
gleichen Arten unterscheiden, weist zwar auf Lichtschutzwirkung der Haar-
bekleidung hin, gibt aber doch keinerlei Vorstellung von der Größe der
Wirkung dieser Einrichtung.
Nur wenige experimentelle Untersuchungen über diese Verhältnisse liegen
vor, die von Linsbauer’) stammen: bei ihm finden wir die einzigen
Zahlenangaben, daß nämlich bei C'ydonia die jungen Blätter ca. 1,3°/o des
auffallenden Lichtes durch den Haarüberzug zerstreuten °); ferner sollen nach
demselben Verfasser durch den Reifüberzug an den Blättern von Primula
Auricula 0,9°/s der aufgestrahlten Lichtintensität zerstreut werden).
Linsbauers!®) Angaben über Populus alba, Verbascum und Tussilago,
es werde von den älteren Blättern mehr Licht durchgelassen als von den
jüngeren, sind nicht mehr exakt und mit seinen oben angegebenen Zahlen
vergleichbar, weil die Durchleuchtungsfähigkeit des ausgebildeten, mit reich-
lichem Zellsaft versehenen Blattgewebes offenbar an sich schon größer ist
als diejenige des in mehr embryonalen Zustande befindlichen jungen Blattes.
Es ist zwar bezüglich dieser Pflanzen der Schluß, daß in erster Linie die
Wirkung der bald verschwindenden Haarbekleidung in Frage kommt, nicht
unwahrscheinlich, allein keineswegs durch Linsbauer sichergestellt; hat er
doch auch gezeigt, daß die nichtbehaarten Nebenblätter von Liriodendron
tulipifera das gleiche Verhalten zeigen 1).
Andere experimentelle Untersuchungen, als deren Typus diejenigen von
Lanza!?) über die fleischigen Xerophyten aus der Gruppe der Aloineen zu
nennen sind, haben sich auf Kulturversuche beschränkt, durch welehe nach-
gewiesen wurde, daß die oben bereits geschilderten Ausbildungen an diesen
Pflanzen !?) tatsächlich als Anpassung an die intensive Insolation an den
Sei ar #) Vgl. Hansgirg, |. c. p. 39 fl.
°») Vgl. Hansgirg, 1. c. p. 178, 179 und Schimper, l. ec. $ 9.
6) Urspeung, 1. cop-21l2.
?) Linsbauer, |. c. p. 79—89.
8) Linsbauer, |. c. p. 81, 82, 89. 9) ibid. p. 82, 143.
10) ibid. p. 84. 11) jbid. p. 85.
21278310: 13) jbid.
natürlichen Standorten der Pflanzen angesehen werden müssen. Die
wichtige Frage nach der quantitativen Wirkung der Einrichtungen, welche
auf physikalisch experimentellem Wege zu lösen ist, wird dagegen garnicht
gestellt.
Im folgenden werden deshalb zum ersten Mal umfassendere quantitative
Untersuchungen über die Wirkung der an den Öberseiten phanerogamer
Blätter stattfindenden Reflexions- und Zerstreuungsverhältnisse unter Berück-
sichtigung der Lichtschutzeinrichtungen gegeben.
8 20.
Methode der Untersuchung.
Für meine Untersuchungen bediente ich mich der thermoelektrischen
Meßmethode mit Hilfe eines nadelförmigen Thermoelements und eines Gal-
vanometers nach Deprez d’Arsonval. Die Ablesung geschah objektiv
mittels des vom Galvanometerspiegel entworfenen Bildes eines Lichtspaltes.
Die auf der elastischen Nachwirkung!) beruhenden Fehlerquellen waren
derart gering, daß sie nicht berücksichtigt zu werden brauchten. Zur Be-
licehtung der Pflanze benützte ich, wie dies auch Müller (Thurgau)2) bei
seinen Versuchen über Heliotropismus getan hat, eine sehr konstant brennende
Petroleumlampe mit starkem Reflektor. Nach jedem Versuche wurde ein
dicker, nach der Lichtquelle zu mit Stanniol bedeckter Schirm zwischen diese
und das Thermoelement geschoben und eine Zeitlang gewartet, bis das
Lichtbild wieder zurückgegangen war; dann wurde durch plötzliches Hinweg-
ziehen des Schirmes das Objekt von neuem den Lichtstrahlen ausgesetzt.
Ich bestimmte experimentell die Differenzen der Ausschläge, die bei
den hier in Betracht kommenden Objekten auftreten, wenn die als Schutz-
bedeckung angesehene Bekleidung vorhanden war und wenn sie fehlte.
Meine Versuche waren dabei derart angeordnet, daß ich die zu unter-
suchenden Objekte in möglichst gleichmäßiger Weise und in engster Be-
rührung mit der Thermonadel den Strahlen der Lichtquelle aussetzte. Bei
den meisten Versuchen betrug der Einfallswinkel 45°; nur bei den rinnen-
förmig gestalteten Bromeliaceenblättern ließ ich die Strahlen parallel der
Symmetrieebene einfallen. Ich bin mir dabei wohl bewußt, daß unter
anderen Einfallswinkeln die im folgenden erörterten Verhältnisse sich ändern
können.
Für die zunächst untersuchten schuppenbedeckten Bromeliaceenblätter
konnten stets die gleichen Objekte verwendet werden. Dabei wurden die
Blattstücke fest an die Nadel gespießt und nun zunächst mit Schuppen,
nachher nach Entfernung des Schuppenkleides untersucht. Ein gleiches
!) Kohlrausch, Lehrbuch der praktischen Physik. Leipzig-Berlin 1901 p. 364.
®) Müller, H. (Thurgau), Über Heliotropismus. Flora oder allg. bot. Ztg.
Regensburg 1876. LIX. Jahrg. No. 5, 6 p. 91.
112
Verfahren wurde auch bei den derberen Blättern der von mir zur Unter-
suchung des Wachsbelages benützten Suceulenten angewendet.
Bei anderen Objekten, besonders denen, auf welche sich die Unter-
suchung der Wirkung spiegelnder Oberflächen bezog, wäre dies Verfahren
nicht angängig gewesen. Zwar bestehen keine wesentlich technischen
Schwierigkeiten, derbe Blätter, z. B. diejenigen vieler Fic«s-Arten, in gleicher
Weise wie die oben erwähnten Objekte an die Nadel zu spießen; allein
hier war es, wie sich im Verlauf der Untersuchung ergab, nicht möglich,
die Oberfläche durch Entfernung der wirksamen Bekleidung in Untersuchung
zu ziehen. Hier mußte spiegelnde Oberfläche mit matter Unterseite ver-
glichen werden, ein Vergleich, der bloß dann von Wert sein konnte, wenn
die einfallenden Strahlen unter allen Umständen gleiche Dieken zu durch-
laufen hatten.
Dies ist nicht der Fall, wenn die T'hermonadel ins Mesophyll eines der-
‚ artigen Blattes eingestochen wird. Zwar würde eine solche Versuchs-
anordnung, bei welcher durch leicht zu bewirkende Drehung des ganzen
Objektes sukzessive die beiden Seiten der Lichtquelle ausgesetzt werden
können, den Vorteil bieten, dasselbe Objekt zu den korrespondierenden
Untersuchungen heranziehen zu können, allein die Resultate eines derartigen
Vergleichs könnten möglicherweise doch nicht einwandfrei sein.
Zunächst ist es technisch außerordentlich schwer und niemals mit voller
Sicherheit zu erreichen, eine T'hermonadel genau gleichweit entfernt von
beiden Oberflächen ins Mesophyll eines derartigen Blattes zu versenken.
Die Empfindlichkeit der thermoelektrischen Messung ist so groß, daß selbst
ganz geringe Dicken- und Qualitätsdifferenzen der von den Strahlen durch-
setzten Gewebe bedeutende Unterschiede ergeben können. Besonders aber
ist durch vielfache Untersuchungen bekannt?), daß sich die Gewebe des
Mesophylis den einfallenden Strahlen gegenüber sehr verschieden verhalten.
Bei der zunächst von mir versuchten, dann aber bald verworfenen hier dar-
gelegten Versuchsanordnung sind ungleichartige Partien des Blattes, nämlich
einmal Palisadenparenchym, das andere Mal Schwammparenchym der Licht-
quelle zugewendet und alterieren die Resultate.
Zu zuverlässigen und in genügender Weise übereinstimmenden Resultaten
bin ich bei solchen Blättern erst gelangt, als ich aus korrespondierenden
Blattteilen geschnittene Untersuchungsobjekte verwandte, die in der Weise
zubereitet waren, daß je zwei Blattstücke fest aufeinander genäht wurden
und zwar das eine Mal die Oberseiten, das andere Mal die Unterseiten nach
außen. In diesem Fall wird unter allen Umständen die Durchlässigkeit des
gesamten Blattes für die einfallenden Strahlen untersucht und die Differenzen,
die sich, wenn die äußeren Umstände gleich sind, bei diesen Untersuchungen
ergaben, können nur auf den physikalischen Verhältnissen der größeren
oder geringeren Durchlässigkeit der Oberflächen beruhen.
s)) Vel- Pfeffer, 1. e10n2339.
113
Die hier angegebene Methode der Zubereitung der Objekte für die Unter-
suchung konnte überall leicht Verwendung finden, wo derbe und beiderseits
ebene Blätter vorlagen. Es wurde dann die Nadel zwischen je zwei Stiche
des ringsum geführten zusammenhaltenden Fadens eingebohrt und der
federnde Widerstand, den die Objekte dem Einschieben der Nadel boten,
war in jedem Fall ein genügender Beweis dafür, daß die Nadel wirklich
dem Blatt anlag.
In dieser Beziehung muß bei der Untersuchung die größte Vorsicht ob-
walten, denn es hat sich bei meinen Versuchen anfangs mehrfach ergeben,
daß bedeutende Abweichungen entstanden, die, wie die spätere Erkenntnis
lehrte, dadurch zu erklären waren, daß ein, wenn auch sehr geringer
Abstand zwischen der Thermonadel und dem zu untersuchenden Blattstücke
sich befand, in diesem Fall also nicht die Erwärmung des Blattes direkt
gemessen wurde.
Ich bin deshalb bald dazu übergegangen, die Blattstücke nicht mehr
zusammenzunähen, sondern sie auf eine größere Schicht von Modellierwachs
aufzukleben. Wurde nun die Nadel hinter die Blattstücke geschoben und
das Modellierwachs darauf fest angedrückt, so bestand die Sicherheit eines
völligen Kontaktes von Nadel und Blattfläche. Um zu verhindern, daß sich
die 'Thermonadel etwa in das Modellierwachs hineindrückte resp. geringe
Spuren von Wachs zwischen Nadel und Blatt gelangten, wurde genau hinter
der Thermonadel auf dem Modellierwachs ein ganz kleines Stück Pergament-
papier angebracht; dadurch haftete die Nadel nicht im geringsten an dem
Modellierwachs und konnte dabei doch in geeigneter Weise umschlossen und
an das Blatt angedrückt werden. Wenn trotzdem die Versuchsbedingungen
recht kompliziert sind, so kann man doch hoffen, vergleichbare Resultate zu
erhalten, und ich kann sagen, daß derartig zubereitete Objekte mir die
übereinstimmendsten und sichersten Resultate im Verlaufe meiner Unter-
suchungen gegeben haben.
Durch diese Anordnung der Versuche vermied ich eine Fehlerquelle, auf
die Ursprung‘) bereits hingewiesen hat, indem er darauf aufmerksam macht,
daß die Methode der thermoelektrischen Messung um so brauchbarere Re-
sultate liefere, je kleiner der Abstand zwischen Blatt und Thermoelement
sei. Bei Ursprung finden wir stets noch Distanzen von 9 und 90 mm,
während er selbst bloß diejenigen Werte für richtig hält, die für unendlich
kleine Distanzen erhalten werden. Es kann dementsprechend nicht ver-
wundern, daß Ursprung’) für das Blatt von Glaucium luteum Scop., das
er mit und ohne Wachsbedeckung untersuchte, keine Differenz finden konnte,
während ich bei direkter und inniger Berührung der Thermonadel mit dem
Blatte bei sehr ähnlichen Objekten stets mehr oder weniger große Differenzen
fand. Ich glaube, daß dies durch die verschiedene Versuchsanordnung seine
Erklärung findet.
“ Ursprung,l. e.p.. 65: 5) ibid. p. 62.
114
Obgleich die Konstanz meiner Lampe recht befriedigend war, wurden
doch die Versuche derart angeordnet, daß sie in regelmäßigem Wechsel sich
jeweils auf Oberseite und Unterseite, resp. bedecktes und unbedecktes
Blatt bezogen, und nur dann wurden die Ergebnisse der Beobachtungen
zu Schlußfolgerungen verwendet, wenn die Paare einer Untersuchungsreihe
Jeweils genügende Übereinstimmung aufwiesen.
Dabei kam es mir nicht darauf an, absolute Messungen der ein-
gestrahlten Wärme zu machen. Es ist dies ein Faktor, der auch im Leben
der Pflanze nicht nur nach den Jahreszeiten, sondern auch im Verlauf des-
selben Tages mit dem verschiedenen Stand der Sonne ganz außerordentlich
variiert und für welchen höchstens Maximum und Minimum resp. Durch-
schnittswerte gegeben werden können.
Die Messungen der Lichtintensität mittels der bisher angewendeten
photometrischen Methoden®) haben, wie Linsbauer selbst angibt, erst
nach langjähriger Praxis und Übung einen Anspruch darauf, daß durch die
Beobachtungen des Experimentators keine größeren Fehler zu verzeichnen
sind. Es wäre also jedenfalls von der größten Bedeutung, nach anderen
Methoden zu suchen, um so leichter eine immer größere Genauigkeit der
Resultate zu erzielen.
Bei meinen Versuchen wurde darauf geachtet, daß auf die in der Nähe
der Schnittränder gelegenen Teile des Blattes keine Strahlen fielen. Dies
war deswegen notwendig, weil es sich zeigte, daß an den frischen Schnitt-
rändern bei eintretender Erwärmung, infolge des einfallenden Lichtes,
stärkere Verdunstung eintrat, als für die Exaktheit der Resultate wünschens-
wert war. Hier mußte also eine Fehlerquelle vermieden werden, die durch
die Empfindlichkeit der Meßinstrumente verursacht wird; sie konnte dadurch
eingeschränkt werden, daß mit Hilfe von engen Blenden nur Partien des
Blattes dem Licht ausgesetzt wurden, die von den Schnittflächen genügend
weit entfernt waren.
Aber auch unter diesen Verhältnissen zeigt es sich, daß die Verdunstungs-
größe, die mit zunehmender Erwärmung rasch wuchs und die ihre Ursache
nicht nur in der an den Schnittflächen, sondern auch in der aus den Spalt-
öffnungen heraus stattfindenden Verdunstung findet, die Resultate zu be-
einflussen imstande ist. Diese Fehlerquelle meiner Versuche habe ich nicht
völlig vermeiden können. Sie war auch dadurch nicht auszuschalten, daß
ich die Untersuchungen im dampfgesättigten Raum vornahm. Schon Sachs’)
macht darauf aufmerksam, wie schwer es sei, einen konstant mit Wasser-
dampf gesättigten Raum zu erhalten; es sei für die Pflanze immer noch
6) Wiesner, J., Photometrische Untersuchungen auf pflanzenphysiolog. Gebiete.
I. Abhandl. Sitzber. d. K. Akad. d. Wiss. in Wien; Math.-nat. Cl. Bd. CII. Abt. I.
1893 p. 298 ff.
Linsbauer, l. c. p. 57—62 u. a.
?) Sachs, J., Vorlesungen über Pflanzenphysiologie. Leipzig 1832 p. 271.
115
Gelegenheit zu transpirieren, „da eine Dampfsättigung äußerst schwer zu
erzielen ist“. Da nämlich die Temperatur eines Blattstückes höher als die
seiner Umgebung wird, so verdunstet aus ihm beständig Wasser, auch in
mit Wasserdampf gesättigter Luft°).. Knop’) und andere haben zwar ge-
funden, daß an wassergetränktem Fließpapier, mit welchem die Kammer,
bis auf das der Beleuchtung dienende Fenster ausgekleidet war, die Ver-
dunstung sehr viel rascher vor sich geht, als dies bei Blättern der Fall
ist; der wechselnden Belichtung und Verdunkelung halber war es jedoch
erforderlich, daß begrenzte Strahlenbündel auch bei den Versuchen in der
feuchten Kammer verwendet wurden. Das Objekt erhielt daher stets eine
höhere Erwärmung als der übrige Raum in der feuchten Kammer, ein
Umstand, der höhere Verdunstung und somit eine Verminderung des Aus-
schlags am Galvanometer ergab.
Thermoelement
seilich und vonoben
N ‚gese JLert ERS
Zhermo- € Reflektor
” Zr
Elernent SE
Lampe
talvanormeter
Stromkreis
Figur 1.
Diese Fehlerquelle kann aber wesentlich eingeschränkt, ja fast ganz
ausgeschaltet werden, wenn man sich stets nur auf ganz kurze Beobachtungs-
zeiten beschränkt. Der durch die Verdunstung am Blatt entstehende Fehler
muß um so größer werden, je größer die Temperaturdifferenz zwischen
dem lichtgetroffenen Objekt und der nicht erwärmten Umgebung ist. Je
kürzer die Zeit der Belichtung und somit der Erwärmung des Objektes ist,
um so geringer wird dieser Fehler sein.
8) Detlefsen, Arb. des bot. Instit. Würzburg 1888 p. 549.
%) Vgl. Knop, Versuchsstat., 1864 Bd. 6 p. 250.
Baranetzky, Bot. Ztg. 1372 p. 62 Anm.
Beiträge zur Biologie der Pflanzen, Bd. IX, Heft II, g
116
Ich bin in dieser Beziehung in völliger Übereinstimmung mit Ursprung !9),
der gleichfalls gefunden hat, daß Versuche über die Durchstrahlung der
Blätter auf ganz kurze Zeit beschränkt bleiben müssen; die von ihm als
Regel angenommenen 18 Sekunden habe ich allerdings stets weit über-
schritten und konnte dies, weil meine Lampe weit weniger Strahlen aus-
sandte als die von Ursprung verwendete Wärmequelle.
Bei meinen Untersuchungen habe ich gefunden, daß bei 10 bis 15 Minuten
dauernder Beleuchtung die Differenz zwischen geschützter und ungeschützter
Seite der Blätter resp. mit Schutzdecken versehenen und derselben beraubten
Blätter zwar dauernd vorhanden ist, aber mit der Länge an Beobachtungs-
zeit allmählich immer kleiner wird. Dies Verhalten kann nur durch die
bezeichnete Fehlerquelle der Untersuchungsanordnung bedingt sein. Im
folgenden werde ich deshalb nur Beobachtungen bis zu fünf Minuten Dauer
hier wiedergeben, weil sie allein nach den Vorversuchen zutreffende Resultate
ergeben haben.
Das Benetzen der Blätter wurde mit einem feinen Haarpinsel ausgeführt,
wobei darauf zu achten war, daß die Blätter nicht übermäßig naß, sondern
nur mit einem gleichmäßig dünnen, aber kontinuierlichen Wasserhäutchen
überdeckt wurden. Diese Manipulation wurde nach jedem einzelnen Versuch
zur größeren Sicherheit wiederholt. — Daß das Fortnehmen des Haar-
überzuges sowie des Wachsbelages sich stets auf das ganze Blattstück und
nicht nur auf den über der 'Thermonadel liegenden Teil bezieht, sei be-
sonders erwähnt. Bei allen Versuchen wurde genau darauf geachtet, daß
die Thermonadel immer mit einem dünnen Firnisüberzug bedeckt war, was
besonders wichtig ist beim Einbohren der Nadel in die Blätter, da sonst
hierbei Ströme entstehen, die das Resultat beeinflussen können.
Die Grösse der Lichtzerstreuung an mit Trichomen
bedeckten Blattgebilden.
S 21.
Daß eine starke Lichtzerstreuung an sehr vielen mit Haargebilden über-
deckten Pflanzenteilen vorhanden ist, geht, wie bereits oben bemerkt, aus
der weißen Farbe derartiger Objekte hervor.
Die Triehombekleidung wird, und dies geschieht wohl mit Recht, in
erster Linie als Anpassung zur Verminderung der Verdunstungsgröße be-
trachtet. Die oben erwähnten Versuche Linsbauers über den durch
Triehombedeckung gewährten Lichtschutz erweitere ich im folgenden.
Einer experimentellen Untersuchung habe ich zwei sehr verschiedene
Pflanzengruppen mit dichter Haarbekleidung unterworfen und bin zu dem
Resultat gekommen, daß die Menge der an Haarbekleidungen zerstreuten
Strahlen recht bedeutend sein kann.
10) Ursprung, |. c. p. 6l.
117
1. Schuppenhaare der Bromeliaceen.
Zunächst führe ich meine Untersuchungen über extrem atmosphärische
Bromeliaceen der Gattung Tillandsia hier an.
Über topographische Anordnung des Schuppenkleides dieser Formen
sind nähere Angaben bei Schimper!) und Mez?) gemacht. Ich rekapituliere
aus denselben die folgenden wichtigsten Punkte: Jede Schuppe besteht aus
einem zentralen, relativ derben und im wesentlichen der direkten Wasser-
aufnahme dienenden Schild und einem flach ausgebreiteten oder schräg nach
oben gestellten, zarten, hyalinen, aus schmalen, radiär angeordneten Zellen
gebildeten Flügel.
Während das Schild mit seiner Unterseite mit der Blattepidermis fest
verwachsen ist und keinen Luftraum zwischen sich und der Blattepidermis
läßt, sind die Zwischenräume zwischen Flügel und Blattepidermis, sowie bei
der überall eintretenden partiellen gegenseitigen Deckung der Flügel zwischen
diesen selbst, im trockenen Zustande mit Luft erfüllt.
Was die genauere, für die optischen Erscheinungen in Frage kommende
Struktur dieser Flügelzellen betrifft, so kann ich nach meinen Untersuchungen
die Angaben Hedlunds’°) bestätigen, daß dieselben im trockenen Zustand
nach oben offene Schalen darstellen, das heißt, ihre Konkavflächen nach
außen richten.
Während Schimper der Meinung ist, daß diese Trichomflügel im
wesentlichen dem Verdunstungsschutz der Pflanzen dienen, hat Mez über-
zeugend dargetan, daß ihre vorzüglichste Funktion in der Hinleitung atmo-
sphärischen Wassers zu den Scheibenzellen der Trichome besteht, wobei er
selbstverständlich auch ihre nebensächliche Bedeutung als Schutzorgane
gegen allzu intensive Verdunstung betont.
Ich möchte diesen beiden Funktionen noch eine dritte zur Seite stellen,
nämlich die als Lichtschutzapparat, wobei ich mir darüber klar bin, daß
auch diese Eigenschaft der Triehome nur eine sekundäre ist und gegenüber
ihrer Bedeutung als kapillar wasserzuführende Organe zurücktritt.
Meine ersten Untersuchungen an derartigen Bromeliaceenblättern be-
zogen sich bei dem zunächst vorhandenen Mangel an lebendem Material
von anderen typischen Formen nicht auf die Oberseite, sondern auf die
Unterseite der Blätter von CUryptanthus acaulis Otto et Dietr. Diese Ver-
suche waren in Anbetracht der Tatsache, daß es sich hier bei der aus-
gebreiteten Lage der Rosettenblätter von Pflanzen um Verhältnisse handelt,
die nicht als Lichtschutzverhältnisse gedeutet werden können, wesentlich
informatorischer Natur. Die Größen der Zerstreuung der Strahlen, die ich
1) Schimper, A.F. W., Die epiphytische Vegetation Amerikas. Jena 1385 p. 69.
2) Mez, C., Physiolog. Bromeliaceen Studien I. Sep. aus Pringsh. Jahrb.
f. wiss. Bot. Bd. XL, Heft 2. 1904 p. 185 ff.
3) Hedlund in Botanisca Notiser 1901 p. 217—224, zit. nach Bot. Zentralbl.
LXXXIX (1902) p. 149.
g*
118
hier gefunden habe, geben nur einen Maßstab für die Wirksamkeit der Licht-
zerstreuung durch Schuppenbelege, die normaler Weise nicht dem direkten
Licht ausgesetzt sind und dementsprechend nicht als Lichtschutz dienen
dürften. Ein Interesse haben diese Versuche trotzdem deswegen, weil sie
zeigen, wie groß die Wirkung der gerade bei Uryptanthus acaulis Otto et
Dietr. *) studierten, der kapillaren Wasseraufsaugung dienenden Belege ohne
spezielle Anpassung an Lichtverhältnisse sind.
Die im Nachstehenden dargestellten Versuche wurden an Blättern aus-
geführt, in welche die 'Thermonadel eingestochen war. Sie ergaben eine
nicht unbeträchtliche, wenn auch, wie die folgenden Versuche zeigen werden,
in ihrer Höhe keineswegs auffällige Zerstreuung der Strahlen, denn die
Temperatur stieg bei Blättern mit Schuppenbelag auf 20,0, bei solehen ohne
Schuppenbelag auf 22,5 Skalenteile im Mittel. Setzt man die bei der
Versuchsanordnung Tabelle 1 No. 2 angegebenen Skalenteile (22,5) gleich 100,
so würden der Unterseite mit Schuppen (No. 1: 20,0 Skalent.) nur 88,9 Skalen-
teile entsprechen, d. h. 11,1°/o der Strahlen werden durch den Schuppen-
belag reflektiert resp. zerstreut.
Tabelle No. 1.
Name der Pflanze: Cryptanthus acaulis Otto et Dietr.
Zeit der Belichtung: 1 Min. — Versuchsanordnung: im dampfgesättigten Raum.
Versuch No. = h 2 | 2 2 = L
Unterseite mit Unterseite ohne Unterseite mit glänzende Oberseite
Versuchsreihe Schuppen; trocken Schuppen | Schuppen; benetzt zonne Schuppen
No. Skalenteile Skalenteile Skalenteile Skalenteile
1 20,5 22,5 23000 21,5
2 | 20,0 23,0 23,5 21,0
3 19,0 21,0 21,5 19,5
4 18,5 21,5 22,0 20,0
5 19,5 22,0 22,0 20,5
6 19,0 21,5 22,5 20,0
7 20,0 23,0 23,5 21,5
8 20,5 22,5 23,0 21,0
9 22,0 24,0 24,0 22,5
10 21,0 24,0 25,0 22,5
Gesamt-Mittel: 20,0 22,9 23,0 21,0
Diff. von: Ua 2, — Zi
in Prozent: 11,10 2,220 — 6,7%)
Ich werde unten nochmals auf Oryptanthus acaulis Otto et Dietr. zurück-
zukommen haben und an dieser Spezies zeigen, daß auf der Unterseite der
Blätter, durch die in eigenartiger, ganz charakteristischer Weise hohlspiegel-
artig gebauten Epidermiszellen, die Lichtreflexion eine beträchtliche Höhe
erreichen kann.
Die Unterseite des Blattes von Uryptanthus acaulis Otto et Dietr. zeigt
auch eine glänzende Epidermis, welche die Wirkung des Schuppenbelages
fietze, M,, 1.°c.0p.242.
13
noch verstärkt. Tritt aber Benetzung der Pflanze ein, so wird dadurch,
daß die Kapillarräume zwischen Schuppen und Blattepidermis mit Wasser
ausgefüllt werden, diese an der glänzenden Außenseite der Blattepidermis
stattfindende Lichtbrechung in derselben Weise aufgehoben, wie dies durch
Zwischenschaltung des Zedernholzöles zwischen Deckglas und Frontlinse
unserer Mikroskop-Immersionssysteme geschieht. Sind diese Kapillarräume
mit Wasser gefüllt, so zeigt das Galvanometer nach einer Minute einen
Anstieg bis zu 23,0 Teilstrichen im Mittel, überholt also den Anstieg, der
von der schuppenlosen Oberfläche erreicht wird, nochmals um 2,2°/o.
Es versteht sich, daß diese Versuche mit benetztem Schuppenbelag im
dampfgesättigten Raum ausgeführt wurden; daß daher die gefundenen
Differenzen eher zu gering als zu groß sind, geht aus meinen oben
gemachten Ausführungen hervor.
Noch ausschlaggebender waren die Resultate, die ich bei den Unter-
suchungen von Blättern erhielt, die von extrem atmosphärischen Tillandsia-
Arten stammten und sich durch ihre allseitige, spreuartige Schuppenbekleidung
auszeichneten.
Tabelle No. 2.
Name der Pflanze: Tillandsia Gardneri Lindl.
Versuchsanordnung: im dampfgesättigten Raum.
Versuchsreihe No. I: Blatt mit Schuppen; trocken.
Zeit der Belichtung: 1 Min. 9 Min. 3 Min, 4 Min. 5 Min.
Laufende No. | Skalenteile | Skalenteile | Skalenteile | Skalenteile | Skalenteile
ıl 45,5 104,0 160,5 211,5 259,5
2 45,0 104,5 160,0 211,0 260,0
3 47,5 106,5 162,5 213,5 262,0
4 47,0 106,0 162,0 215,0 261,5
5 46,0 105,0 161,0 212,0 260,5
6 46,5 105,5 161,5 212,5 261,0
7 44,5 103,5 159,5 210,5 259,0
8 44,5 103,5 159,5 210,5 259,0
9 46,9 106,0 | 161,5 212,5 | 261,0
10 47,0 105,5 162,0 213,0 261,5
Gesamt-Mittel: 46,0 | 105,0 161,0 212,0 | 260,5
Versuchsreihe No. II: Blatt ohne Schuppen.
1 55,9 120,5 180,0 | 234,5 | 284,0
2 56,0 120,0 179,5 234,0 284,5
B) 57,9 122,5 182,0 236,5 286,0
4 98,0 122,0 182,3) 018. 236.07 | 286,5
) 56,9 121,0 181,5 | 235,0 | 285,5
6 56,5 121,5 18155) ı1114.235,5 2850
7 99,9 119,5 180,0 | 233,5 283,5
8 99,0 EIIDAR| 179,5 233,9 283,5
9 57,0 121,5 181,5 | 235,9 285,5
10 97,9 122,0 182,0 236,0 286,0
Gesamt-Mittel: 56,5 125,0, 7:7 181,0 235,0 285,0
Zeit der Belichtung:
Laufende No.
-_
Oo ov19tpV»Nn-
Gesamt-Mittel:
Diff. von:
in Prozent:
Diff. von:
in Prozent:
Versuchsreihe No. III: Blatt mit Schuppen; benetzt.
Zeit der Belichtung:
Laufende No.
Sm
I
10
Gesamt-Mittel:
SoOoÄı19u PD
10
Gesamt-Mittel:
1 Min. 2 Min. 3 Min. 4 Min. 5 Min.
Skalenteile | Skalenteile | Skalenteile | Skalenteile | Skalenteile
56,5 123,5 183,0 237,9 285,0
55,9 122,5 182,5 236,5 286,0
58,0 125,0 186,0 240,0 287,5
59,0 126,0 185,5 239,0 288,5
97,0 124,0 184,5 238,9 287,0
97,5 124,5 184,0 238,0 286,5
55,5 123,0 182,5 236,5 285,0
56,0 122,5 183,0 237,0 285,5
97,0 124,0 184,0 239,0 286,9
58,0 125,0 185,0 238,0 287,9
97,0 124,0 184,0 238,0 286,9
No. I/U I/II 1/1 JyIı 1/uI
18,6% 13,2.2/0%).20°11,0210 9,80 8,60
No. I/II 1/1 I/II I/IIL I/II
19,3 °o 15,3% 12,5% 10,9 9,1%
Tabelle No. 3.
Name der Pflanze: Tillandsia aloifolia Hook.
Versuchsanordnung: im dampfgesättigten Raum.
Versuchsreihe No. I: Blatt mit Schuppen; trocken.
1 Min. 2 Min. 3 Min. 4 Min.
Skalenteile Skalenteile Skalenteile Skalenteile
32,0 79,0 113,0 148,5
32,0 74,5 113,0 148,0
30,5 74,0 111,5 148,0
31,0 73,9 112,0 147,9
29,9 73,0 110,5 146,0
30,0 73,0 111,0 146,0
31,0 73,9 111,5 147,5
30,9 74,0 112,0 147,0
29,0 72,0 110,0 145,5
29,5 72,5 110,5 146,0
30,5 73,9 111,5 147,0
Versuchsreihe No. II: Blatt mit Schuppen; benetzt.
38,9 82,5 126,0 167,0
38,0 83,0 125,5 166,5
36,9 81,9 125,5 165,0
37,0 81,0 125,0 164,5
39,0 80,5 123,5 164,0
36,0 80,0 124,5 165,9
37,0 81,5 125,0 164,5
36,5 81,0 125,5 165,0
35,0 79,0 123,5 163,5
35,9 80,0 123,0 164,0
36,5 81,0 124,5 165,0
121
Versuchsreihe No. III: Blatt ohne Schuppen.
Zeit der Belichtung: 1 Min. 3 Min. 3 Min. 4 Min.
Laufende No. Skalenteile Skalenteile Skalenteile Skalenteile
1 41,5 87,5 131,5 fERsRT7320
2 41,0 87,5 131,0 173,0
3 40,0 86,0 151,0 172,0
4 40,5 86,5 130,0 171,5
5 39,9 85,5 129,0 170,5
6 39,9 85,0 129,5 171,0
7 40,0 86,9 150,9 172,0
8 40,5 86,0 150,0 171,5
9 39,0 84,5 129,0 170,0
10 38,0 85,0 128,5 170,5
Gesamt-Mittel: 40,0 86,0 130,0 171,5
Diff. von: m /Iı I/II 1/LıI
in Prozent: 23,8°/ 14,5°/o 14,2 °/o 14,3 °/o
Diff, von: ıyu 1/u 1/I 1/I
in Prozent: 16,4 °/o 9306 10,4°/° 10,9°o
Meine Tabellen No. 2 und No. 3 beziehen sich auf Tillandsia Gardneri
Lindl., die von allen Autoren als Typobjekt für die Anpassungserscheinungen
der extrem atmosphärischen Tillandsien studiert worden ist und auf die an
besonders trockenen und hellen Standorten vorkommende Tillandsia aloifolia
Hook. Bei der ersteren beträgt, wie meine Tabelle ergibt, die Zerstreuungs-
größe der trockenen Schuppen im Vergleich mit dem schuppenlosen Blatt
18,6°/ der gesamten einfallenden Strahlen; bei Tillandsia aloifolia Hook.
(Tab. 3) steigt dieser Betrag sogar bis auf 23,8 °/o und ist der höchste,
den ich bei Bromeliaceenblättern überhaupt beobachtet habe.
Ähnliche Resultate ergaben die Untersuchungen der Blätter von Tillandsia
streptophylla Scheidw. und Tillandsia vestita Ch. et Schdl.; es kann keinem
Zweifel unterliegen, daß die Strahlenzerstreuung an der Schuppenbedeckung
der Blätter extrem atmosphärischer Bromeliaceen konstant einen sehr hohen
Wert besitzt.
Es könnte überraschen, daß die mit besonders stark abstehender Be-
schuppung versehene Tillandsia Gardneri Lindl. in ihrer Lichtzerstreuungs-
fähigkeit überragt wird von Tillandsia aloifolia Hook., deren Schuppen der
Blattfläche viel ebener anliegen, an Größe diejenigen von Tillandsia Gardneri
Lindl. nicht erreichen und daher sich nicht so vielfach decken als jene.
Aber Tillandsia aloifolia Hook. und eine geringe Anzahl nächstver-
wandter Arten zeichnet sich in anatomischer Beziehung, was den Schuppenbau
betrifft, vor allen übrigen Tillandsia-Arten aus. Es handelt sich hier?)
um die Eigenschaft der Tillandsia aloifolia Hook., daß die Membranen
ihrer Schuppenflügel dicht mit feinen, sehr deutlichen Körnchen bedeckt
sind, deren ganze Anordnung es erklärlich macht, daß sie die Lichtzer-
5) Vgl. die Figur in Pringsh. Jahrb. f. wiss. Bot. 40 (1904) Heft 2 p. 159 Fig. 1.
122
streuung an den Schuppenmembranen auf das wesentlichste unterstützen.
Ich möchte in dieser anatomischen Eigenschaft der untersuchten Tillandsia
aloifolia Hook. den Grund für die besonders hohe Lichtzerstreuungsfähigkeit
ihrer Schuppenmembranen sehen und zweifle nicht daran, daß die be-
schriebenen Körnchen nichts anderes sind als Lichtzerstreuungsapparate.
Die Erscheinung, welche bereits bei Uryptanthus acaulis Otto et Dietr.
hervortrat, — daß nämlich dann, wenn die Intercellularräume zwischen
Schuppenmembran und Epidermis mit Wasser erfüllt sind, die Lichtzer-
streuung aufgehoben wird, ja daß sogar in diesem Falle die Einwirkung
der Strahlen, obgleich sie die Schuppenmembranen und die zwischen ihnen
enthaltenen Wasserschichten durchsetzen müssen, bedeutender ist, als wenn
die gesamte Schuppenbekleidung entfernt wird, — tritt auch bei Tillandsia
Gardneri Lindl. auf. Bei dieser Spezies betrug die höhere Erwärmung bei
benetztem Schuppenbelag in der zweiten Minute drei Teilstriche im Mittel,
d. h. um 2,4°/ wurde die schuppenlose Oberfläche weniger erwärmt.
Bei Tillandsia aloifolia Hook. dagegen ist ein so großer Ausschlag,
der durch die Benetzung des Schuppenbelages erzielt wird, nicht zu be-
obachten. Wie die Tabelle ergibt, werden nach 2 Minuten bei trockenem
Schuppenbelag 75,5, bei fehlendem Schuppenbelag 86,0 Skalenteile erreicht.
Die Temperaturerhöhung bei benetztem Schuppenbelag (81,0 Skalenteile) hält
die Mitte zwischen den Werten der schuppenlosen und beschuppten Pflanze;
daß dieser Wert nicht (wie bei Tillandsia Gardneri Lindl.) die Höhe des
schuppenlosen Zustandes übertrifft, dürfte auf Rechnung der Lichtzerstreuung
zu setzen sein, die an den beschriebenen Körnchen stattfindet.
Tatsächlich erkennt auch das unbewaffnete Auge einen wesentlichen
Farbenunterschied zwischen den benetzten Blättern von Tillandsia Gardneri
Lindl. und Tillandsia aloifolia Hook. Jene sind, wie dies Schimper®)
mit Recht besonders hervorhebt, im benetzten Zustande hellgrün, diese da-
gegen, auch wenn vollständig mit Wasser getränkt, immer noch grüngrau.
Aus den bei den gesamten Bromeliaceen beschriebenen Verhältnissen
geht klar hervor, daß der Lichtschutz, der von der Schuppenbedeckung
gewährt wird, nur in Zeiten der Trockenheit wirklich große Bedeutung
besitzt, dagegen vollständig aufhört oder, wie z. B. bei Tillandsia aloifolia
Hook., wesentlich gemindert wird, sobald Regen fällt. In trockenen Zeiten
setzt die Pflanze durch das Vorhandensein des Schuppenbelages allein schon
ihre Verdunstung auf das wesentlichste herab. Wie bedeutend die Ver-
dunstungshemmung ist, wie langsam das Wasser aus den Intercellularen
des Schuppenbelages heraus verschwindet, wurde durch Mez’) rechnerisch
und experimentell festgestellt. Dazu kommt nun aber auch im trockenen
Zustand noch die Reduktion derjenigen Strahlenmenge, welche nicht der
Assimilation dient, sondern nur die Verdunstungsgröße heraufsetzt.
6) Schimper, |. c. p. 70; vgl. auch: Mez, ]. c. p. 182.
?) Mez in Pringsh. Jahrb. f. wiss. Bot. 40, 1904 1. e. p. 191, 197.
Ein gleiches ist bei den benetzten Pflanzen nicht der Fall. In den-
jenigen Zeiten, welche reichlich Bewässerung bringen, kommt es auf größere
oder geringere Verdunstung weniger an; demnach sehen wir, daß die in
ihrer Wirksamkeit vorher, im trockenen Zustand des Blattes, stark geminderte
Lichtfülle nun ungehindert ins Blattinnere gelangt. Allerdings dürfte die
Liehtmenge, die das im natürlichen Zustande benetzte Blatt trifft, des be-
wölkten Himmels wegen, dem ja doch der Regen entstammt, eine wesentlich
geringere sein, als die Strahlenmenge, die der unbewölkte Himmel der
trockenen Jahreszeit herabsendet.
Die hier beschriebenen Verhältnisse sind in dieser Ausbildung natürlich
nur bei solchen Pflanzen möglich, bei denen infolge fehlender Cutieulari-
sation der Trichommembranen eine völlige Benetzung derselben möglich und
zugleich infolge des Zusammenhangs der durch die Trichome gebildeten
Capillarsysteme eine sehr vollständige ist °).
S 22.
2. Gewöhnliche Haare anderer Pilanzengruppen.
Wo immer das Wasser nicht die Haarbekleidung durchtränkt, kann
auch während der feuchten Zeit die lichtzerstreuende Wirkung des 'Trichom-
belages nicht wesentlich herabgesetzt werden. Dies ist bei einem meiner
Versuchsobjekte der Fall, das sich durch besonders stark weißfilzige Blätter
auszeichnet, nämlich bei Centaurea candidissima Lam.
Diese Spezies zeichnet sich durch einen dichten Filz aus, der von außer-
ordentlich langen, schlaffen, nach dem Typus der zweiarmigen Triehome
gebauten Haaren gebildet wird. Die Schenkel dieser Haare stehen nicht
ab, sondern laufen der Blattfläche mehr oder weniger parallel; sie sind so
dicht miteinander verflochten, daß man von lockerem Gewebe im ursprüng-
lichen Sinne des Wortes sprechen kann. Dabei bieten sie mit ihren zahl-
reichen plötzlichen Biegungen und Kniekungen, sowie dadurch, daß sie
streckenweise ihr Lumen deutlich erkennen lassen, streckenweise aber auch
wieder zusammengefallen sind, eine übergroße Menge von Unregelmäßig-
keiten dar, welche lichtzerstreuend wirken.
Die Entfernung der Haare ist mit Hilfe eines feinen Skalpells soweit
möglich, daß die grüne Unterlage vollkommen unverletzt erscheint. Ich
habe bei Vergleich von Oberseite mit Haarbelag resp. nach experimenteller
Entfernung desselben meine Tabelle 4 erhalten, welche zeigt, daß bei dieser
Centaurea in der ersten Minute ca. 37°/o der Strahlen zerstreut resp.
reflektiert werden.
8); Mez, 1. c.,p. 174,191.
Name der Pfl
124
Tabelle No. 4.
anze: (entaurea candidissima Lam.
Blatt-Oberseite und Unterseite mit dichtem, weißem Filz,
Zeit der Belichtung:
No.
SON P$POD —
10
Gesamt - Mittel:
10
Gesamt-Mittel:
Prozent:
zo pm —
10
Gesamt-Mittel:
Versuchsanordnung: im dampfgesättigten Raum,
A. Versuchsreihe I: Blattoberseite mit Filz.
1 Min. 2% Min. 3 Min. 4 Min. 5 Min.
Skalenteile | Skalenteile | Skalenteile ‚ Skalenteile | Skalenteile
18,0 49,5 81,5 113,0 140,5
17,5 49,0 82,0 112,5 141,0
19,5 90,5 83,0 114,0 142,5
19,0 51,0 83,9 114,5 142,0
18,5 49,5 82,9 113,0 141,5
18,0 90,0 82,0 113,5 141,0
19,0 90,5 83,9 114,5 142,5
19,5 91,0 83,0 115,0 142,0
21,0 52,5 84,0 114,5 143,5
20,0 51,5 85,0 115,5 143,5
19,0 50,9 83,0 114,0 142,0
Versuchsreihe II: Blattoberseite ohne Filz.
29,0 67,5 103,0 134,5 163,0
28,5 67,5 102,5 135,0 163,0
30,0 69,0 104,0 136,5 164,0
30,9 69,5 105,0 136,0 164,5
29,5 69,0 103,5 135,0 163,9
29,0 68,0 102,5 135,5 165,0
30,5 69,0 104,5 137,0 164,0
30,0 69,5 104,0 136,5 164,0
32,0 71,0 105,5 137,5 166,0
51,0 70,0 105,5 136,5 165,0
30,0 69,0 104,0 136,0 164,0
36,7 | 26,80 20,20 16,2°/o 13,4 °/o
Versuchspflanze No. 2.
B. Versuchsreihe I: Blattoberseite mit Filz.
20,5 52,5 86,0 118,5 147,0
20,0 52,9 85,9 118,0 147,0
20,0 93,0 87,0 118,0 147,5
| 21,0 52,0 36,0 119,0 146,5
| 18,5 90,9 84,5 116,5 145,0
19,0 50,9 89,0 117,0 145,0
22,0 53,0 87,0 119,0 147,5
21,0 93,9 88,0 119,0 148,0
18,5 51,0 85,5 11750 145,5
19,5 51,0 84,5 117,5 145,5
20,0 92,0 86,0 118,0 146,5
125
Versuchsreihe II: Blattoberseite ohne Filz.
—
Zeit der Belichtung: 1 Min. 9 Min. 3 Min. 4 Min. 5 Min.
No. Skalenteile | Skalenteile | Skalenteile | Skalenteile | Skalenteile
1 32,0 73,0 110,5 141,5 | 169,0
2 1.29.3955 73,5 110,5 141,0 168,5
3 330 73,0 111,0 141,5 169,5
4 | 32,0 74,0 110,07 4714355 W, v169,0
5 30,5 72,0 108,5 140,0 167,0
6 31,0 71,5 108,5 140,5 167,0
7 34,0 74,5 111,0 | 143,0 169,5
8 33,0 74,5 111,5 142,5 170,0
9 30,5 71,5 109,0 | 140,5 167,5
10 773185 138 109,0 141,0 167,5
Gesamt-Mittel: | 32,0 | 73,0 oA Tl 68,5
Prozent: 37,5°/o 28,9% | 21,8% | 16,6° 13,10
Bemerkenswert erschien, daß bei dieser Spezies diejenigen Blätter,
welche im Kalthaus während des Winters, d. h. bei ungenügender Be-
leuchtung getrieben waren, sich durch wesentlich verminderte Behaarung
auszeichneten, derart, daß sie im extremen Fall deutlich grün waren. Versuche,
die ich mit solchen jungen Blättern angestellt habe, zeigten, daß tatsächlich
die Liehtzerstreuung an ihnen beinahe vollständig aufgehoben war, ja die von
mir gefundenen Größen, welche in Tabelle 5 dargestellt sind, ergeben gegen-
über den vorher verzeichneten derartig große Differenzen, daß dieselben nicht
allein auf die aufgehobene Lichtzerstreuung zurückgeführt werden können.
Die Erklärung für diese Zahlen ist, daß diese Blätter zugleich in ihrer
ganzen Textur sehr verschieden, nämlich das zweite sehr viel dünner war,
als das während des Sommers ausgebildete erste, das eine dieke, ledrige
Konsistenz besaß. Demnach beweisen meine Zahlen in Tabelle 5 nur, daß
tatsächlich eine sehr große Menge von Strahlen von diesen grünen, bei
ungenügender Beleuchtung erwachsenen Blättern aufgenommen wird.
Um wie viel größer diese Strahlenmenge ist als diejenige, welche in
normale Blätter eindringt, kann dagegen nicht ausgesagt werden, weil ein
unbekannter, aber, wie ich glaube, hoher Prozentsatz der Temperaturerhöhung
auf die dünne Textur der Blätter berechnet werden muß.
Die Tatsache, daß dichter Haarbelag als Lichtschutzeinriehtung dienen
kann, wurde, wie oben ausgeführt, besonders von Wiesner!) betont. Der-
selbe hat nachgewiesen, daß junge Blätter von Tussilago Farfara L. dann,
wenn man den oberen Haarbezug ohne Verletzung entfernt, im Sonnenlicht
merklich erblassen, also eine Schädigung des Chlorophylis durch das Licht
erfahren; auch nach Überdeckung mit einem Glassturz, der die Transpiration
einschränkte und alle anderen schädigenden Einflüsse ausschloß, so daß
nur noch die Lichtwirkung in Frage kam, war ein deutliches Erblassen
der Blättchen zu beobachten.
Dale $ ‚uk
126
Tabelle No. 5.
Oentaurea candidissima Lam. — im dampfgesättigten Raum.
Zeit der Belichtung: 1 Min. 2 Min. | 3 Min.
Oberseite eines bei 1 225 56,0 90,5
genügender Beleuchtunger- | 2 22,5 96,0 90,0
wachsenen jungen Blattes, | 3 22,0 55,0 90,0
beiderseits mit Filzhaaren 4 21,5 95,0 90,0
bedeckt. 5 21,0 54,5 89,0
6 21,5 55,0 89,5
7, 20,9 53,5 | 88,5
3 20,0 54,0 | 88,0
9 19,5 53,0 87,0
10 19,0 92,5 87,5
Gesamt -Mittel: 21,0 54,5 89,0
Oberseite eines bei 1 42,5 96,0 142,5
ungenügender Beleuchtung 2 43,5 95,9 142,5
erwachsenen jungen,beider- 3 41,5 95,0 141,0
seits grünen Blattes. 4 42,5 94,5 142,0
5 42,0 95,5 141,5
6 41,5 95,0 141,0
7 40,5 93,0 140,0
8 41,0 94,5 141,0
9 39,5 92,9 139,5
| 10 40,5 93,9 139,0
Gesamt-Mittel: 41,5 94,5 141,0
Ich habe Tussilago Farfara L., durch diese Wiesnersche Notiz an-
geregt, gleichfalls als Untersuchungsobjekt verwendet und gefunden, daß
die Differenz zwischen haarbedeckten und künstlich entblößten Blattflächen
recht bedeutend ist. Meine Tabelle 6 gibt darüber Auskunft.
Tabelle No. 6.
Name der Pflanze: Tussilago Farfara L.
Versuchsanordnung: im dampfges. Raum. — Zeit der Belichtung: !/; Min.
Junges, entfaltetes ganz Junges, noch nicht | ganz junges Blatt
Blatt entfaltetes Blatt desgl.
Oberseite mit Oberseite | Oberseite mit Oberseite Oberseite mit Oberseite
|Haarbedeckung ohne Haar Haar ohne Haar Haar ohne Haar
1 26,0 30,0 15,5 17,0 19,0 27,0
2 | 25,9 50,9 13,5 16,5 195 26,5
3 27,9 | 31,5 14,5 18,0 20,0 27,5
27,0 | 32,0 14,0 18,0 19,0 26,5
B) 28,0 33.0 13,9 17,0 21,5 29,5
67017 .028,9 782,9 12,5 16,0 22,0 29,0
72558 33,0 11,5 ade 222150 28,9
8:4. |, 602740 31,9 12,5 13:047,1420,3 28,0
I 26,9 123150 12,5 16,0 20,9 28,0
10 | 25,5 147300 12,0 16,0 | 22,0 29,5
ne 27,0 a 3 13,0 16,5 20,5 28,0
Prozent: 14,2°/o 21,2% | 26,8°/o
Es erscheint mir bemerkenswert, daß die anatomische Struktur des
Haarfilzes bei Tussilago Farfara L. ähnlich ist derjenigen, welche oben
für Centaurea candidissima Lam. beschrieben wurde; es sind auch hier
außerordentlich lange, schlaffe, sehr vielfach und unregelmäßig gewundene
Triehome, die einem kurzen, wenigzelligen Basalteil aufsitzen und deren
Gestalt man nicht mit Unrecht mit derjenigen einer Hetzpeitsche verglichen
hat?). Auch hier bilden diese Haare eine dicht verflochtene Schicht über
der Blattfläche. Ein gewisser biologischer Unterschied zwischen der be-
schriebenen Centaurea candidissima Lam. und Tussilago Farfara L. ist
insofern vorhanden, als bei ersterer die Haarbekleidung das ganze Leben
hindurch bestehen bleibt, während bei Tussilago Farfara L. nur die Blatt-
unterseite, des Verdunstungsschutzes halber, die Haarbekleidung behält; von
der Oberseite wird sie abgeworfen, nachdem die völlige Ausbildung der
Gewebe und des Chlorophylis eingetreten, der jugendliche Zustand des
Blattes also überwunden ist.
Es kann keinem Zweifel unterliegen und wird auch von Wiesner u.a.
betont, daß aus Filzhaaren gebildete Lichtschutzeinriehtungen gerade bei
Jugendlichen Blattzuständen besonders häufig sind, da die jungen Blätter
mit ihrem unentwickelten Chlorophyligewebe am meisten des Lichtschutzes
bedürfen. Ich meine damit nicht die Bedeckung noch im Knospenzustand
befindlicher Blätter, welche weniger dem Lichtschutz, als vielleicht mecha-
nischen Zwecken dient, sondern diejenigen Filzbekleidungen, welche während
Tabelle No. 7.
Name der Pflanze: Oydonia vulgaris = Pyrus Cydonia L.
Versuchsanordnung: im dampfges. Raum. — Zeit der Belichtung: 1/, Min.
IE 10
Junges Blatt, Unterseite und | Ganz junges, noch nicht ganz ent-
Oberseite mit Haarbedeckung | faltetes Blatt. Haarbedeck. wie I
Oberseite mit | Oberseite ohne | Oberseite mit | Oberseite ohne
Haar Haar Haar B Haar
1 28,5 32,9 18,0 20,5
2 29,5 33,9 20,5 23,0
3 31,0 34,9 19,0 21,5
4 30,0 34,5 20,0 22,9
5 31,9 39,9 18,0 20,5
6 23,5 32,9 20,0 22,5
7 31,5 35,0 1758. 20,5
8 29,0 33,9 1959 | 21,5
9 30,5 34,0 19,0 | 2155
10 | 30,0 34,5 18,5 21,0
Gesamt-Mittel: 30,0 34,0 19,0 21,5
Prozent: 11,8°/o 11,6 °/o
*) Arzneibuch für das Deutsche Reich. 4. Ed. (1900) p. 167.
128
der Entfaltung der jungen Blätter bestehen, dann aber nach Fertigstellung
der Organe abgeworfen werden’).
Zu diesen Schutzeinrichtungen gehört die einzige bisher in ihrer Wirkung
quantitativ untersuchte und oben zitierte Haarbekleidung der jungen Blätter
von Cydonia vulgaris L.; verwunderlich ist dabei allein die geringe Wirk-
samkeit der Haarbekleidung, die Linsbauer berechnet‘).
Ich habe deswegen auch hier nach der Methode der thermoelektrischen
Messung eine Nachprüfung der Wirksamkeit dieses Haarkleides vorgenommen
und bin zu den in Tabelle 7 dargestellten Resultaten gekommen.
Es ist hier der Ort, auf die von Linsbauer ausgeführten photometrischen
Versuche und besonders auf die von ihm angewendete Methode zurückzu-
kommen. Linsbauer hat von Cydonia vulgaris eine ganze Anzahl von
Versuchen gemacht in der Weise, daß er vom jungen bis zum ausgewachsenen
Zustand der Blätter die Wirkung der Haarbekleidung prüfte.
Indem er die Intensität des auffallenden Lichtes gleich Eins setzte, fand
er, daß ein ganz junges Blatt durch die normale Blatthälfte 0,014 und die
enthaarte 0,027 der Einheit durchließ. Die älteren Blätter ergaben mit
fortschreitender Enthaarung geringere Differenzen. Von der relativen Licht-
menge wurde, um bei dem jüngsten Stadium zu verbleiben, vom Blatt-
gewebe 0,973, von den Haaren allein 0,013 der Einheit aufgehalten.
Diese Zahlen sind, was die geringe Wirksamkeit der Haarbekleidung
betrifft, derart abweichend von meinen Ergebnissen, daß, abgesehen natürlich
von dem Unterschied, den Linsbauer durch senkrecht oder unter kleinem
Einfallswinkel wirkendes Sonnenlicht erhalten mußte), nur die Methode der
Untersuchung hierfür als Erklärung herangezogen werden kann.
Es sei darauf hingewiesen, daß Linsbauer‘) selbst betont, daß seine
Zahlenwerte wegen der abweichenden Methode absolut nicht mit denen von
N. J. C. Müller, Engelmann, Reinke, Vierordt verglichen werden
können, und ich bin deshalb auch nicht erstaunt, daß seine und meine
Zahlen solche ungeheuren Abweichungen zeigen.
Die Gestalt der Lichtschutzhaare von Cydonia vulgaris ist derjenigen
sehr ähnlich, welche eben für Tussilago Farfara und Centaurea candidissima
beschrieben wurde: ausßerordentlich langgestreckte und durcheinander gewirrte
Triehome mit dünner Wandung und weitem Lumen, an den vielen Krümmungen
schon unter dem Mikroskop lebhafte Lichtreflexe zeigend.
Es dürfte eine nieht uninteressante Aufgabe sein, durch Stichproben im
Pflanzenreich der Frage näher zu treten, ob die Gestalt der Lichtschutzhaare,
wie ich sie bei meinen Objekten mit den schlaffen und durcheinander ge-
wirrten Trichomen gefunden habe, vielleicht allgemeiner ist. Daß diese
Haargestaltung besonders geeignet für den angegebenen Zweck ist, kann
S)2l.ze.2Sall: Sc ys21d:
&)ALinsbauer, l. e.>p2512, 47 Anm. ke
6) Linsbauer, l. c. p. 55.
129
keinem Zweifel unterliegen; aber auch die Schuppenhaare der Bromeliaceen,
welche völlig anders gestaltet sind und sich nur durch die Abteilung der
Triehomscheiben in viele schmale Segmente den bezeichneten Haaren einiger-
maßen nähern, zeigen, daß mit Hilfe von verschiedenen morphologischen Ge-
staltungen die gleichen Resultate bezüglich des Lichtschutzes erreicht werden
können. — Übrigens wurde von Tietze’) nachgewiesen, daß auch bei vielen
Bromeliaceen dadurch gleichfalls dicht verfilzte Auflagen auf den Blättern ent-
stehen können, daß die Trichome an ihren Rändern in lange gewellte Fortsätze
auslaufen; diese Filzbekleidung ist nicht nur habituell, sondern auch funk-
tionell mit derjenigen der beschriebenen Compositen in eine Linie zu stellen.
8 23.
Die Wirkung der glänzenden Oberflächen.
Wie bereits oben ausgeführt, war es gleichfalls zuerst Wiesner!), der
glänzende Oberflächen als eine Einrichtung des Lichtschutzes der Pflanzen
ansah, ohne jedoch in quantitative Erwägungen über die Wirksamkeit
dieses Schutzmittels einzutreten. Ganz besonders weist er darauf hin, daß
Blätter, welche im jugendlichen Zustand durch andere Einrichtungen geschützt
sind, nach der Entfaltung eine stark lichtreflektierende Cuticula besitzen,
und durch sie vor Schädigungen bewahrt werden.
Die Tatsache, daß stark glänzende Blattoberflächen eine Lichtschutz-
funktion ausüben, geht schon aus den Beobachtungen, die wir in unserer
heimischen Flora machen können, mit großer Wahrscheinlichkeit hervor. Der
habituelle Eindruck, den die Blätter des im dichten Waldesschatten wachsenden
Unterholzes machen, ist wesentlich verschieden von demjenigen, welchen
auf großen Lichtgenuß gestimmte Blätter hervorrufen. Stahl?) hat sich
mit diesen Fragen genauer beschäftigt, hat aber bei seinen Untersuchungen
mehr die innere Struktur der Licht- und Schattenblätter als ihre Oberfläche
berücksichtigt. Daß diese nicht vernachlässigt werden darf, geht schon
daraus hervor, daß es gerade die Lichtreflexe sind, die auf dem Sonnenlaub
so häufig auftreten und, wie ich glaube, den wesentlichen physiognomischen
Unterschied zwischen Licht- und Schattengewächsen hervorbringen.
Um mich in dieser Beziehung auf möglichst gesichertem Boden zu be-
wegen, habe ich, der Erfahrung der praktischen Gärtnerkunst vertrauend,
mich in Vilmorins®) Blumengärtnerei über typische Schattengewächse in-
formiert und finde dort eine lange Liste von Gehölzen, die sich dadurch
auszeichnen und praktische Bedeutung besitzen, daß sie noch im tiefsten
Schatten zu gedeihen vermögen, also einen außerordentlich geringen Licht-
9; Tietze, I2 e. 2.28 (40).
!) Wiesner, Die natürl. Einricht. ete. 1. c. p. 42.
®2) Stahl, Bot. Ztg. 1880 1. e. p. 368—874.
®) Vilmorins Blumengärtnerei; ed. 3 (1896) p. 161.
130
genuß nötig haben. Mit Ausnahme von Ilex Aquifolium L., die aber auch,
wie bekannt, an sonnigen Standorten vorkommt und gerade dort sich am
schönsten baumartig entwickelt, zeichnen sich die Blätter aller dieser Pflanzen
durch vollkommen matte Oberflächen aus; außer bei lex Aquifolium L. ist
bei keiner derselben eine spiegelnde Epidermis vorhanden; im Gegenteil
haben einige der dort angeführten Spezies Andeutungen derjenigen sammet-
artigen Beschaffenheit, welche wir an Blumenblättern zu sehen gewöhnt
sind und welche auf Papillenbildung der Epidermis beruht, also gerade auf
dem Gegensatz zu einer spiegelnden Außenseite. Für derartige Blätter hat
zweifellos die Bemerkung Stahls!) über die Vermehrung der Belichtung
durch die Papillenbildung Berechtigung.
Eine gleiche Zusammenstellung extremer Lichtgewächse finde ich leider
am angeführten Orte nicht. Aber die Beobachtung, welche Haberlandt’)
als erster in den Tropen gemacht hat, daß in höchster Lichtesfülle auch
die größte Menge spiegelnder Blätter vorkommt, finde ich in prägnanter
Weise durch seine oben zitierten Worte bestätigt, — das Nähere hierüber
sei bei Hansgirg°) nachgelesen, der eine Anzahl von Typen stark glän-
zender Lichtblätter unterscheidet, unter denen der Palmentypus wohl der
hervorstechendste ist.
Ein nieht uninteressantes Beispiel für die Tatsache, daß Schattenblätter
im allgemeinen glanzlose, Lichtblätter dagegen stark glänzende Oberflächen
zu besitzen pflegen, bietet Hedera Helix L., deren Wachstum im all-
gemeinen im Schatten stattfindet, während die Blütenbildung durch inten-
sives Licht bedingt wird, so daß die Pflanze sich also aus einem Gewächs
Tabelle No. 8.
Name der Pflanze: Hedera Helix L.
Schattenblatt mit stumpfer Oberseite.
I. Blattoberseite.
Belichtung: | 4, Min, 1 Min. 2 Min. 3 Min. 4 Min.
1 14,5 37,0 86,5 126,5 160,0
2 14,5 37,5 86,0 126,5 161,0
3 15,0 38,0 87,5 127,5 161,0
4 15,5 38,5 87,0 127,0 161,5
5 14,5 37,0 86,5 126,0 160,5
6 14,0 375 86,0 126,5 160,0
7 13,5 36,5 85,5 123,5 159,5
8 13,0 36,0 85,5 125,0 159,0
9 12,5 36,0 84,5 125,0 159,0
10 13,0 36,0 85,0 124,5 158,5
a 14,0 37,0 86,0 126,0 160,0
4) Stahl, Über bunte Laubblätter, 1. e. p. 208. SELNCESTIO!
6) Hansgirg, 1. c. Typus 24, 26 etc.
II. Blattunterseite.
| are A Min 2Min) Aue 35Min. N | Mi
1 ONE 5 36.9 = 286,0, 125.5 160,0
Dirt 14,5 36,9 | 85,9 126,5 160,0
3 14,5 BEE al 80 127,0 160,5
4 15,0 Bye n L12,36250 01312645 161,0
5 135 36H 1285:5 126,0 160,0
6 DENN 36.020 : 1.365088 | 4 125:5 159,5
7 12,5 35,0 ss.07mr Slamuen 115865
Bet 175234078. 8114 535,5" FEN 784,5 12457721590
9 12,0 3450 Sl. 18415 124,5 158,0
10 19:5 35,0 BAen = 1,1940 158,5
re 1250 407.36.0 83. 2212545 159,5
tiefen Schattens im Laufe ihrer Entwicklung zu einem charakteristischen
Licehtgewächs weiterbildet. Als Grundlage für die Untersuchungen der
glänzenden Lichtblätter von Hedera Helixr L. mußten zunächst Unter-
suchungen über die Reflexionstätigkeit von Oberseite und Unterseite der
glanzlosen Schattenblätter vorangehen.
Die Zahlen in Tabelle No. 8 zeigen, daß bei Stellung des Blattes unter
einem Winkel von 45° zum auffallenden Lichte die Erwärmung der Blatt-
oberseite, mithin die Menge der von dieser absorbierten Strahlen eine
dauernd um ein geringes höhere ist als diejenige der Blattunterseite. Dieses
Resultat hat nichts überraschendes, denn die blassere Farbe der Blattunter-
seite, welche durch die luftgefüllten Intercellularen des Schwammparenchyms
verursacht wird, zeigt schon dem bloßen Auge, daß auf der Unterseite eine
etwas größere Lichtzerstreuung stattfindet als auf der Blattoberseite.
Tabelle No. 9.
Name der Pflanze: Hedera Helix L.
stark glänzendes Sonnenblatt.
I. Blattunterseite.
Beer. Win. 1 Min, 2 Min. 3 Min, 4 Min,
No. Skalenteile Skalenteile Skalenteile | Skalenteile | Skalenteile
1 oa a ER) 86,0 121,5 144,5
2 15,5 39,5 87,0 121,0 144,5
3 15,0 38,5 85,5 121,0 143,5
4 19, 015, 0423850 85,5 120,0 143,0
5 13,5 37,5 SAH 11950 142,0
6 14,0 37,0 34,0 119,5 - 1.149055
7 14,5 39,0 86,0 120,5 | 143,5
8 15,5 38,5 85,0 121,0 144,0
N) DIN 036 83,5 118,0 141,0
10 1959 2 0236:0 83,0, 118,5 141,5
Mitten: 14,5..2|..,38,0 3550 | 120,0 143,0
Beiträge zur Biologie der Pflanzen, Bd. IX, Heft II. 9
152
II. Blattoberseite.
| NE Me Vo Min: 3 Min! | 4 Min
No, | Skalenteile | Skalenteile | Skalenteile , Skalenteile Skalenteile
14,5 oe 75... „119,5,
Da Delay Bao) 1112,0 133,5
3 14,0 35,0 78.0... 11165, Haas
4 14,5 36,0 78,5 | 111,50 71938
5 12,5 34,0 PR a le SU 131,0
6 13;0 BA En Ta |N w110208 05) Dies
7 14,0 SDR 5578er | 20er
Sn ıely 214,0 36,0 79,0 111,5 132,5
9 12,0 33.04 | + 76,0 109,5 130,0
10 12,0 33,5 16,5...) .-.109;07 7°). 11308
Benz 18,3 35,0 78,0°.| 11,00 | 1328
Prozent: | 7,2 °o 749210 8,0% | 7,5. °o 7,7 °lo
Bei den Lichtblättern verkehrt sich nun, wie Tabelle No. 9 zeigt, dieses
Verhältnis vollkommen ins Gegenteil: Die schwächere Erwärmung, d. h. die
geringere Menge der einfallenden Strahlen, welche in den ersten vier Minuten
der Untersuchung eine zwischen 7,2°/o und 8,0°/o betragende Größe besitzt,
also ungefähr ein Zwölftel des aufgestrahlten Lichtes, kann allein auf
Reehnung der spiegelnden Oberseite gesetzt werden, während beim Schatten-
blatt eine derartige Schwächung des einfallenden Lichtes nicht stattfindet.
Bevor ich mit der Darstellung meiner auf die Größe der Lichtreflexion
an glänzenden Blättern bezüglichen Untersuchungen fortfahre, sei zunächst
ein Unterschied zwischen verschiedenen Arten spiegelnder Blätter betont.
Bei dem Lichtblatt von Hedera Helix L. wurden die m Tabelle No. 9
erhaltenen Werte dadurch erzielt, daß die Strahlen der Lichtquelle nicht senk-
recht, sondern unter einem Winkel von 45° auf die Blattfläche geschickt wurden.
Von allen Autoren, welche sich mit den Fragen von Lichtgenuß und
Liehtschutz grüner Pflanzenorgane beschäftigen, wird die Milderung des
Lichtes, die durch schrägen Einfall erzielt wird, ganz besonders hervor-
gehoben und ist ja ohne weiteres verständlich. Die Lichtmenge, welche
die Flächeneinheit eines ebenen Blattes empfängt, ist proportional dem cosinus
des Einfallswinkels der auffallenden Strahlen; sie nimmt also mit zunehmendem
Einfallswinkel ab. Dazu kommt noch, daß im allgemeinen mit zunehmendem
Einfallswinkel i die reflektierte Liehtmenge zunimmt, die eindringende Licht:
menge dagegen abnimmt. In der Natur wird bei sämtlichen Lichtblättern,
wie es scheint ohne Ausnahme, die Tendenz verfolgt, das intensivste Licht
des Mittags niemals rechtwinklig auf die assimilierenden Blattflächen auf-
fallen zu lassen, sondern stets dem Lichteinfall einen mehr oder weniger
sroßen Winkel darzubieten. Ohne mich hier auf die Anführung vieler
weiterer Zitate einzulassen, beschränke ich mich auf das Zeugnis von Ewart),
') Ewart, A. J., Efteets of Tropical Insolation; ‚Annals of Bot‘, vol. 11 p. 439.
der aus eigener Beobachtung feststellt, daß „no tropical plant places or
allows its leaves to be in such a position that the upper surfaces are at
richt angles to the sun’s ineident rays when at the zenith“.
Ganz besonders sind es überall die jugendlichen Blätter, welche durch
ihre Stellung zum einfallenden Licht auf das deutlichste das Bestreben der
Pflanze erkennen lassen, eine Reflexion der Lichtstrahlen durch schräge
Stellung der Blattflächen zum einfallenden intensivsten Lichte zu erzielen ®).
Weder bei dem Lichtblatt von Hedera Helix L. noch bei allen anderen
von mir untersuchten dieotylen glänzenden Laubblättern konnte irgend eine
größere Differenz gegenüber der matten Unterseite gefunden werden, wenn
die spiegelnde Blattfläche dem Lichteinfall senkrecht entgegengestellt wurde.
Völlig anders dagegen verhielten sich die wenigen Bromeliaceenblätter
mit spiegelnder Oberfläche, die ich untersuchen konnte. Vor allem ergab
mir die Untersuchung von Uryptanthus acanlis Otto et Dietr., bei welcher
besonders an den jungen Blättern eine sehr starke Lichtreflexion an der
oberen Epidermis stattfindet, die Erscheinung, daß eine Schwächung des
einfallenden Lichtes durch die Blattoberseite selbst dann eintrat, wenn die
Liehtstrahlen senkrecht auffielen, ja gerade unter diesen Umständen ihr
Maximum erreichten.
Habituell schon sind bedeutende Differenzen zwischen den Blättern der
von mir untersuchten spiegelnden Dicotylen und denjenigen der Bromeliaceen
vorhanden. Während bei allen untersuchten dieotylen Blättern ein Blattstiel
vorliegt, an dem die Spreite unter einem stumpfen Winkel ansetzt und
welcher geeignet ist, die Blätter in schräge Stellung zum einfallenden inten-
siven Licht zu bringen, ist bei den untersuchten Bromeliaceen keine der-
artige Einriehtung vorhanden. Die Blätter sind von der Basis bis zur Mitte
ungefähr gleich breit; sie sind sehr fest und stark und nehmen mit ihrer Ober-
seite eine fixe Lage zum Lichteinfall ein und zwar eine Lage, welche, — da die
Blätter dem Erdboden mehr oder weniger parallel verlaufen, bei Uryptanthus
acaulis Otto et Dietr. ihm sogar fest angedrückt sind, — gerade um Mittag beim
höchsten Stand der Sonne ein senkrechtes Einfallen der Lichtstrahlen bedingt.
Diese habituellen Verschiedenheiten entsprechen höchst merkwürdigen
anatomischen Differenzen in der Epidermis der Blätter.
Ohne alle Ausnahme habe ich bei den untersuchten spiegelnden dieotylen
Blättern gefunden, daß es die Außenwand der Epidermiszellen ist, welcher
im wesentlichen die Wirkung der Lichtreflexionen zugeschrieben werden muß.
Es ist die glatte Cuticula, ganz besonders aber auch neben ihr die deut-
liche, bei den untersuchten am stärksten glänzenden Blättern, besonders der
Fieus-Arten, auffällig starke Schichtung der äußeren Epidermiswände, welche
hier als erklärendes Moment in Frage kommt.
Es sei bemerkt, daß auch in der Physik tolale Reflexion der feinsten
Art gerade durch parallele Lamellen reflektierender Flächen hervorgebracht
8) Vgl. Hansgirg, |. ce. p. 439 ff.
154
wird und daß man sich z. B. vor der Einführung des Nicol-Prismas,
dessen Wirksamkeit auf der großen Menge reflektierender paralleler Flächen
beruht, künstlich zusammengesetzter Platten bediente, die aus feinsten Glas-
lamellen ‚bestanden, um Lichtpolarisation zu erzeugen ”).
Die Tatsache, daß auch im Innern von Pflanzen, an Stellen, welche
jeden Gedanken an Lichtschutzeinrichtungen ausschließen (z. B. Sklerenchym-
fasern in tiefer Rindenschicht, Reservezellulose in Samen ete.), geschichtete
Membranen vorkommen, ja unter Umständen eine besonders starke Ent-
wicklung der Schichten zeigen, kann nicht als Beweis angeführt werden
gegen die für die beschriebenen speziellen Fälle gegebene Deutung, denn
es ist klar, daß eine auf allgemeinen Ursachen beruhende Erscheinung unter
Umständen zur Erreichung spezieller Zwecke Verwertung finden kann.
So sind es also nach meinen Untersuchungen die oberflächlichen Mem-
branen der dicotylen Blätter, welche das Phänomen der Spiegelung hervor-
rufen, und nieht nur auf Dicotylen bezieht sich meine Ausführung, sondern
auch auf einige untersuchte monokotyle Blätter, besonders aus der Familie
der Araceen und Orchideen, welche durch den Blattstiel, oder wenn es sich
um sitzende Blätter handelt, durch die Art ihrer Insertion an sich schon
schräg zum einfallenden intensiven Licht gestellt sind.
Bei den genannten spiegelnden Bromeliaceen-Blättern dagegen sind es
„Hohlspiegel“-Einrichtungen der Epidermiszellen, welche diese Eigenschaft der
Liehtreflexion im wesentlichen bedingen. Dabei ist die Einriehtung nicht
nur auf Uryptanthus acaulis Otto et Dietr. und das gleichfalls untersuchte
Nidularium splendens beschränkt, sondern tritt bei den Gattungen Vriesea
und Tillandsia bei vielen Arten auf, welche den Epiphyten niederer Ordnung
zugezählt werden müssen !®); als Beispiele für besonders schön ausgebildete
Hohlspiegelzellen seien genannt: Tillandsia aloifolia Hook., Tillandsia
goyacensis Mez, Tillandsia myosura Griseb., Tillandsia Palmana Mez,
Tillandsia wiolacea Bak., Tillandsia robusta Griseb., Chevallieria sphaero-
cephala Gaudich., Vriesea sceptrum Mez nu. a. Der Querschnitt der Epi-
EN eg
Figur No. 3.
Figur No. 2. Tillandsia violacea Bak.
Tillandsia Goyacensis Merz. Hohlspiegelartige Epidermiszellen der
Blattoberseite.
dermis eines solchen Blattes (Fig. No. 2, 3) zeigt, daß sämtliche Epidermis-
zellen mehr oder weniger vollständig im Querschnitt Hohlspiegelgestalt
°) Vgl. Hager-Mez, Das Mikroskop und seine Anwendung. 9 ed. (1904) p. 41.
WEhietze, ]..c. p, As
ar
aufweisen, so daß hier ähnliche Verhältnisse der Lichtreflexion vorliegen,
wie dies bei den von Noll!!) beschriebenen Beispielen des Protonemas
von Schistostega osmundacea Schimp. der Fall ist, wo die hohlspiegel-
artigen Zellen das einfallende Lieht in smaragdgrünem Glanze reflektieren.
Nur hat die Einrichtung bei den glänzenden Bromeliaceenblättern einerseits,
bei Schistostega osmundacea Sehimp., dem Leuchtmoos, andererseits, durchaus
verschiedene Wirkung, denn die Hohlspiegelflächen der Epidermiszellen der
gesamten höheren Pflanzen werfen einen Teil des Lichtes heraus und be-
schützen das darunterliegende Chlorophyligewebe vor Lichtüberfluß, während
bei Schistostega osmundacea Schimp., das nur in engen Felshöhlen wächst,
das Licht auf die in den Brennpunkten der Hohlspiegel liegenden Chlorophyli-
körner konzentriert wird !?).
Aus meiner in Tabelle 1 $ 21 gegebenen vierten Spalte, die nun
hier zur Besprechung heranzuziehen ist, ergibt sich, dat die Wirkung der
schuppenlosen stark glänzenden Oberfläche beinahe ebenso groß ist, wie
diejenige des trockenen Schuppenbelages der Unterseite; die Temperatur
steigt nämlich bei der Unterseite mit trockenen Schuppen nur auf 20,0
Teilstriche, bei der glänzenden Oberseite ohne Schuppen auf 21,0 Teilstriche,
während die Blattunterseite ohne Schuppen die Größe von 22,5, die Blatt-
unterseite mit benetzten Schuppen diejenige von 23,0 Skalenteilen ergab.
Vergleicht man bloß die Daten miteinander, die sich auf den schuppen-
losen Zustand der Blattseite beziehen, so werden durch die Hohlspiegel-
systeme auf der Oberseite der Blätter 6,7°/o der einfallenden Strahlen her-
ausgeworfen, die die Unterseite, die eine ähnliche Hohlspiegelbildung nicht
so ausgesprochen darbietet, passieren.
Ganz besonders sei nochmals hervorgehoben, daß es sich bei diesen
Versuchen um senkrecht auffallendes Licht handelt, und daß die Prozentzahl
6,7 unter allen Umständen eine Minimalzahl ist, weil auch auf der Unterseite
eine, wenn auch geringere, Lichtzerstreuung selbstverständlich stattfindet.
Die Blätter der genannten Bromeliaceen sind rinnenförmig gebogen.
Demnach wird während der hellsten Zeit des Tages eigentlich nur die Mitte
des Blattes von den senkrechten Strahlen getroffen; alle diejenigen Partieen
dagegen, welche mehr seitlich stehen, werden auch mehr oder weniger
schief getroffen werden und sind dadurch schon von selbst im Lichtschutz.
Mit dieser Überlegung stimmt überein, daß die Zellen, die wie konkave
Hohlspiegel wirken, in der Mitte der Blattoberseite weitaus am besten aus-
gebildet sind und nach den Blatträndern zu ihre typische Gestalt allmählich
verlieren. Eine besondere Wirksamkeit dieser Hohlspiegeleinrichtung der
inneren Zellwände kann nur unter besonderen Umständen vorhanden sein.
Die Reflexion bezieht sich nur auf diejenigen Strahlen, welche auf die ge-
11) Noll, Über das Leuchten der Schistostega osmundacea Schimp. Arbeit.
d. Bot. Inst. in Würzburg 1888 Bd. 3 p- 477—-488.
12) ibid. Abbild. p. 480, 481; vgl. auch Pfeffer, I. |. c. p. 345.
krümmten Wände der Zellinnenfläche fallen, dagegen nicht auf die nach
außen flachen Trennungswände dieser Zellen. Diese werden von allen
senkrecht einfallenden Strahlen jedenfalls durchsetzt werden. Je größer
also die von den Trennungswänden der Epidermiszellen eingenommenen
Flächen sind, um so geringer muß die Wirksamkeit der Hohlspiegelsysteme
ausfallen. Bei den bezeichneten Bromeliaceen findet sich nun die Ein-
richtung, welche bei der größten Menge der Monokotylen vorhanden ist,
daß die Epidermiszellen in der Richtung der Längserstreekung der Blätter
außerordentlich langgestreckt sind. Es fällt deshalb eine bedeutende Größe
der Minderung der Reflexionswirkung, welche bei isodiametrischen Epidermis-
wänden durch die in der Querrichtung gestellten Wände verursacht werden,
bei den genannten Monokotylen von selbst weg.
Ich habe keinen genügenden Überblick über die Verbreitung dieser
Einriehtung im Pflanzenreich, doch möchte ich aus den hier dargelegten
Erwägungen folgern, daß wahrscheinlich bei den Monokotylen glänzende
Blätter, welche ihre Lichtreflexion hohlspiegelförmig gekrümmten Zellinnen-
flächen verdanken, noch weiter verbreitet sind. Ganz besonders dürften sie
in der Familie der Palmen gefunden werden.
Bei den Blättern mit spiegelnder resp. mehr oder weniger glänzender Ober-
fläche und geschichteter Außenhaut habe ich bei meinen Untersuchungen die
im folgenden (Tabelle No. 10 bis Tabelle No. 20) dargestellten Resultate
erhalten, wobei die Versuche sämtlich unter einem Lichteinfall von 45° auf
das Untersuchungsobjekt angestellt worden sind.
Tabelle No. 10.
Name der Pflanze: Oinnamomum Tamala T.
ältere, glänzende Blätter.
Blattoberseite Blattunterseite
Zeit der Belichtung U Min. | 1 Min. 1/g Min. 1 Min.
No. Skalenteile Skalenteile Skalenteile Skalenteile
1 29:5 | 53,0 24,5 | DaB
2 22,0 | 99,9 24,5 | 57,0
> | 24,5 | 99,0 | 26,0 | 59,9
4 | 24,0 55,0 26,5 | 59,0
d | 23,0 | 94,5 25,0 98,9
6 23,5 94,0 | 25,9 | 99,0
1. 21,5 52,0 | 23,0 | 96,5
fe) 22,0 52,9 23,9 | 96,5
I) 23,0 99,0 | 25,9 98,9
10 | 24,0 | 55,5 | 26,0 59,0
Gesamt-Mittel: | 23,0 | 94,0 | 25,0 | 98,0
Prozent: | 8,0 ° 6,9%) | = =
Tabelle No. 11. Tabelle No. 12.
Prunus Laurocerasus L. Encephalartos Hildebrandti A. Br.
glänzende Blätter. stark glänzende, lederartige Blätter.
I. Blattoberseite I. Blattoberseite
ee 2Min. | 3Min. 1/, Min. ı Min. 4 Min.
1 70,5 "104,07 7 || a) 34,5 177,0
2 00 11045, 0, 11.0 34,0 176,5
3 68,550 212102,52 5 2 elle 34,0 176,0
4 68,5 102,0 10,5 35,0 172,0,
5 69,0 103,0 | 9,0 32,9 174,0
6 68,9 102,5 | 9,5 33,0 175,0
7 7445 106,0. 2212 10/00 = 350 177,0
8 72,0 106,0 | 11,5 36,0 17.759
9 70,5 104,5 | 10,0 33,9 1128177:9,0
10 | 71,0 104,5 9,9 32,5 174,5
Gesamt-Mittel: | 70,0 104,0 10,5 34,0 176,0
II. Blattunterseite Il. Blattunterseite
1 | 78,0 115,0 12,0 37,9 18955
2 | 77,9 114,5 12,5 35,0 1218950
ER 79,0 1::3:0: ap. 18.05:0-4 °37.0 189,0
4 | 75,9 115,0 12,0 | 37,5 190,0
u 1350. 5 10,5 35,502, 021880
6 76,9 113,5 | 11,0 36,0 187,5
Ü 79,0 EEE, 13,0 38,0 190,0
8 78,5 110,07 79) 14,0 | 38,0 SEE)
9 | 77,0 114,5 11,0 | 39,9 158,0
10 | 77,9 115,5 21,0 | 36,9 | 188,0
Gesamt-Mittel: | 77,0 ı 114,5 12,0 | 37,0 | 189,0
Prozent: | 9,1%: | 9,2 °Io 12,5 °/o | 8,1 °/o | 6,9°/o
Tabelle No. 13.
Name der Pflanze: Fricus bengalensis L.
lederartiges, glänzendes Blatt.
l. Blattoberseite.
Benno [a6 16, Mio: 1 Min. 2 Min. | 3Min. 4 Min.
Wolsenos (seo ‚010, 1
10: ee als | oz
3 14:02 Zi 41,5, RUE IEOE 72133,5 159,0
4 | 15,0 49.0. WI LO39 1.0 134,0 160,0
5 13,5 49:07 12.107 29250 232,0 % |: 1393
6 13,0 40.5. 4119955 132,5 | 1585
129 414,5 AO a3 135,0 159,0
8 End, 41,5 307 Aw, 133,5:.010, sa
9." Hmpeks,0 42,5 |: 940 134,0 160,5
10 | 16.0. 4102. 149,5 101925. 4108 135,0 161,0
ns 14,0 41,0 93,0 | 133,0 159,0
138
Zeit der
ll. Blattunterseite.
Belichtung. > sy Min: 1 Min. 2Min. | 3Min. 4 Min.
1 14,5 43,5 98,0 0) 1330 167,0
2 15,0 43,0 97,5 139,5 167,5
3 16,0 45,9 99,5 141,0 169,5
4 16,5 46,0 99,0 142,0 170,5
5 14,5 44,0 98,0 140,5 168,0
6 15,9 44,5 98,0 | 140,0 168,5
7 16,0 45,0 ERKUT EN 169,0
8 17,0 45,9 99,5 141,5 169,5
9 17,0 46,0 100,5 142,0 170,0
10 15,0 47,0 100,5 143,0 171,0
ee 16,0 45,0 99,0 141,0 169,0
Prozent: 12,9 %o | 8,9 0, 6,1 Oo 5,7 %o 5,9 lo
Tabelle No. 14.
Mimusops Elengi L.
I. Blattoberseite. | 1. ne sa
De | a Min. > 1" Min. | Ya Min, 1 Min.
2
1 12,0 | 37,0 || 14,5 39,0
2 11,5 37,0 14,0 38,5
3 13,9 38,9 16,0 40,5
4 12,9 36,9 14,0 39,0
5 13,9 37,9 15,0 39,0
6 14,0 38,0 15,9 40,0
7 14,5 39,0 16,0 41,0
3 13,9 38,0 16,5 40,5
9 15,9 39,9 17,0 41,9
10 14,5 39,0 16,5 41,0
Sean 13:5 38,0 15,5 40,0
Prozent: 12,9 °/o 5,0% —— —
Tabelle No. 15.
Landolphia florida Benth.
I. Blattoberseite.
Be 1/, Min. | 3 Min. 3 Min. 4 Min.
ı Wlmsas,5 111,0 144,0 | 1735
2 | 28,0 111,5 145,0 172,0
32 E35 720,5 110,5 143,0 171,5
42 4 527,0 110,0 144,0 171,0
B) 28,0 110,5 143,0 170,5
6 26,9 10955 |. 142,5 171,9
72 110626.:00° 3 2181109,0. 51. 0742,0 170,5
8 25,9 99108,5. 0. (144,5 169,5
9 27,0 1.9110,0 142,0 170,5
10 | 26,0 109,9 143,0 170,5
ee 270 110,0 143,0 | 171,0
159
Il. Blattunterseite.
nal. | Me Min. | 2 Mi. | 3Min | 2Min
2 56: 33,07 60130,0 172,0 | 198,0
>) 34,0 | 130,0 141,07 - »-198,5
3 32. 0=12955 10:5 17 1197,0
4 33,0 | 130,5 B70.5.2:4 9:197,5
5 32,0 | 128,5 170.0. \2+198,0
6 315°. 2 129.0: 99) 78169,5 2% 7319655
De 0 ee 168; 195,5
Se 31.05, 4121028805 1 2109-7 et
Gere a Ha;0 139:0%° 4071695 231970
102 26,732,0 128:0 2 45169.0. 1 211960
en 32,0 A 3129,0. 4,.28 170,0: 01921940
Prozent: 15,6 °/o 14,7 °)o | 15,91%/0 | 13,0%
Tabelle No. 16.
Dex Aquifolium L.
mu rn
| l. Blattoberseite II. Blattunterseite
Beiichtung; | 1 Min. | 2Min. | 3Min. | 1 Min. | 2Min. | 3 Min.
|
A 31,5 63,5 88,5 3a | 70350, 1080
2 31,5 | 63,0 89:0 | .38:0.,°, 1780870 105,5
3 33,5 | 66,0 | 90,0 40,0 13.0. | 1005
472 0034:07 1.2.6655 91,07 | 395. | 80,0 109,0
DEE II De 64.0 |, 289.52 214 038:0 78,0 | 106,0
Bea" 32,0 62a 785 38,5 78,0 | 106,5
zes, 660 92,0 40,5 80,5. |" 108,0
8 34,0 | 66,0 91,0 41,5.: | 80,0 | 108,0
9 33,0 65:5 11..90,0 40,5 79,5 | 1070
10 33550 , 9.65,0° 5 |7.x90,5. 01 1.10.0,,°| 7795 107,5
re 33,010 265,0222. 290,072 239,5 73:00 10.10.7.0
Prozent:| 165%| 177%] 159%l — | — | —
Tabelle No. 17.
Aglaonema costatum N. E. Br.
grün und weiß gefleckte, glänzende Blätter. Die Thermonadel befand sich unter
einer grünen Stelle des Blattes.
IE Blattoberseite.
na EEE Nm: 1Min. | 2Min | 3Min. 4 Min.
Emil 570. 2005 122.0, 1osh
Zr 37.5. 21067905 ir. 130,5: 188,0
327 1,.8140°° 110073955 ga0r Lem 132:5 161,0
AERO 40,0 92,5 132,5 160,0
5 12,5 38,0 91,5 131,0 159,5
6 12,0 38,5 SEO 13:5 159,0
7 135 39502 215.:920 1.5 132,0 160,5
8 13,0 3 d ae 92h, , 132,50 aka
9 14,5 405 | 93,0 133,5 161,0
10 15,0 dos ges | 155-016
er ER 39,0 | 930 | 13230 | 1600
140
II. Blattunterseite,
at SE if 1 Min. 2Min | 3Min. 4 Min.
i7 nano rlıa0 98,5 | 141,5 169,0
9. EA SE 4,0 SEHDTD N 168,5
3 17,0 45,5 00:05 ee 14355 170,5
4 16,5 46,0 100,5. 19,4143.0 170,0
5 15,0 44,5 98,92 2er 14055 169,5
6 15,5 44,0 99,5 142,0 169,5
7 16,0 45,0 100,0 143,5 170,0
b) 16,5 45,5 101,0 144,0 170,5
9 17,0 46,0 101,5 144,0 17450
10 18,0 46,5 101,5 145,0 als
Gem 16,0 45,0 100,0 143,0 170,0
Prozent: 18,8. °%0 | 13,3 °/o 8,0% Aaan | 5,90
Tabelle No. 18.
Ficus subpanduriformis Mig.
I. Blattoberseite.
ee Min 2Min | 3Min. | 4Min.
1 45,5 107,5. =, 14550. | Ki700
2 450. ° 11721055 | ,.145,50 221690
3 47.0, | 5.103:0 147,0 171,0
4 47,0 108,5 146,5 170,5
a 107,5 145,5 169,5
Ba ae A585 107,0 145,0 169,0
eur, As 106,0 144,5 167,5
STRAE 44N0 105,5 144,5 168,0
N) 43,0 105,0 143,0 167,5
10 | 435 I En ER 167,5
a on 107,0...) 145,0 169,0
ll. Blattunterseite.
1 59,0 | Val Al ll
2 58.5 4195212150 160,0 | 185,5
3 Baar am 10210 71 162,0, 1550
4 60,072 =24:23,0=5 166.92 02665
5 58,52. 0121101 201160%5 185,0
6 58,0 | 121,5. 115°61.60;5 185,5
2 57:0. 11,5190,5 0 1 4.81590 184,0
8 56,5, (..2120,0215.0#158,5 183,5
9 56,0 119,0 158,0 183,5
10 57,0 .1.,9120,0 159,0 184,0
a 58,0,°..107121,0, 3972100,0 185,0
Prozent: | 22,4 °/o | 11,6% | 9,4%) 8,6°/o
141
Tabelle No. 19,
Anthurium nitidum Benth.
I. Blattoberseite.
Ba, Min. 1Min. | 2Min. 3 Min.
1 Bo alıa 2255 64,5 106,0
2 1.0: | ..,99:5 65,0 107,0
3 Do er 6A 22 0210585
N) LERNEN. 17 0 65,5 106,0
5: RN; 225 66,0 106,5
6 8,0 145723594 1 61, 0 ROT,
7 1,5 23,0 66,5 108,0
8 7,0 2352|. 66,0 107,0
Or ES. 24.0.7867. 109,0
U 108,0
ae Rn 66,0 107,0
ll. Blattunterseite.
I a2 330:0 73507 4.1.0110
2 10:0, eo ET ao
3 Be (Pa
4 8, Due 30,0 2a Di) eri12,0
5 9,551 4.ler30,5 DASS 10
6 10,5 31,0 73-08, |. 113%5
? 11,0 32,0 A021 103,0
8 10,0 31,0 135 11955
ge NONE TR | 7.3350 a
LO 106 NETT E75 SO
a 12 210,0 ld a0. 213,0
Prozent: 30,0 °o 25,8 o | 10,8 °0 | 5,3 °o
Tabelle No. 20.
Ficus elastica Roxb. Hort. Beng.
I. Blattoberseite. lI. Blattunterseite.
nee 1 Min. 3 Min. ı Min. ! 2 Min.
1 5,0 8,5 1m al 1150
Den a 35 ar 7.1155
SER a 10,0
4 3,5 7,0 TO"
5 SO A gi 6,5 11,0
6 BB tar 955 RE SR;
ee oe er 10:5
A N 5,5 10,0
9EFn| 4,0 | 8,0 | 6,0 10,0
10 N 5,0 9,5
Mittel: 4,5 3,0 6,0. Sta
Prozent: 25,4°/0 | 23,1°0 _ | —
142
Aus zwölf meiner Tabellen (No. 9 bis No. 20) geht hervor, daß tatsächlich
unter Umständen die Lichtreflexion an glänzenden Blättern außerordentlich
bedeutende Resultate haben kann. Sie schwankt nach den Untersuchungs-
ergebnissen zwischen 7° und 30° der gesamten Strahlenmenge und ist
Jedenfalls bedeutend genug, um einen großen Einfluß auf die Vegetation
zu erreichen und auch weiter noch die Aufmerksamkeit der Forscher auf
sich zu lenken. Es ist bemerkenswert, daß ein Gewächs unserer heimischen
Flora, nämlich Ilex Aquifolium L. mit zu denjenigen Objekten gehört,
welche den höchsten Ausschlag ergeben haben. Allerdings wird diese
Spezies durch Ficus elastica noch bei weitem überboten. Ich zweifle nicht
daran, daß bei ferneren Forschungen in den Tropen Objekte noch auf-
gefunden werden, bei welchen die Größe der Lichtreflexion an der Ober-
seite der Blätter noch viel bedeutender ist, als sie bei Ficus elastica ge-
funden wurde.
Ganz besonders sei darauf aufmerksam gemacht, daß meine Zahlen
keine absoluten Reflexionsgrößen ergeben, sondern nur Ver-
sleichszahlen zwischen den stark reflektierenden Oberseiten
und den weniger reflektierenden Unterseiten der Blätter sind).
Unter allen Umständen reflektiert resp. zerstreut auch die Blattunterseite
stets ein gewisses Quantum der empfangenen Strahlen, und die absoluten
Zahlen, die für die Unschädlichmachung des auffallenden Lichtes durch die
glänzende Oberseite gewonnen werden könnten, würden wesentlich höher
sein, als die im Vorstehenden gegebenen Verhältniszahlen.
S 24.
Die Reflexion des Lichtes durch Wasserüberzüge
an den Blättern.
Im Verlaufe meiner Untersuehungen bin ich auch auf die große licht-
reflektierende Wirksamkeit von feinen Wasserüberzügen auf den Blättern
aufmerksam geworden. Es lag nahe, für die Wirkung der spiegelnden
Blattoberfläche weitere natürliche Analoga zu suchen, und ich wurde bei
nassem Herbstwetter auf den spiegelnden Glanz der Blätter von Lonicera
tatarica L. aufmerksam. Diese Spezies ist eine derjenigen, welche ein
typisches glanzloses Schattenlaub besitzt. Im benetzten Zustand dagegen
bieten die Blätter von Lonicera tatarica L. wegen einer sie vollkommen
überziehenden Wasserschicht außerordentlich häufig den Anschein exquisiter
Lichtblätter.
ZB] est:
1) Frank, A. B., Krankheiten der Pflanzen. II. Aufl., 1895 Bd. I. p. 175.
v. Thümen, E., Über den Sonnenbrand der Rebenblätter. Die Weinlaube.
18. Jahrg. 1356 p. 409, 410.
Baer
Ich habe Lonicera tatarica L. bezüglich ihrer Reflexionsverhältnisse
nicht untersucht, weil mir die Blätter zu dünn waren und bei meiner da-
maligen noch nicht genügenden Erfahrung zu große technische Schwierig-
keiten boten. An ihrer Stelle habe ich eime ganze Anzahl dieker Schatten-
blätter untersucht und bestätigt gefunden, daß tatsächlich feine Wasserüberzüge
viel stärker lichtreflektierend wirken, als man annehmen möchte.
Über die Wirkung der Lichtstrahlen auf benetzte Blattoberflächen sind
überhaupt recht heterogene Ansichten laut geworden. Das Sonnenlicht sollte
durch einen Wassertropfen analog wie durch ein Breunglas konzentriert
werden und so eine lokale Tötung des Pflanzengewebes bewirken !. Dem-
gegenüber wurde dann durch Experimente nachgewiesen, daß durch Wasser-
tropfen auf der Blattfläche mit Hilfe starker Insolation und längerer Zeit
verhinderter Verdunstung sowie durch Wasser von einer Temperatur bis
über 60° C., womit die Pflanzen besprengt waren, keine Brennflecken auf
den Blättern hervorgerufen werden konnten. Auch zeigten sich die Flecke
hauptsächlich auf stark gebauten, dieken lederartigen Blättern, seltener auf
dinnen und behaarten Blättern. Jönsson neigt daher zu der Annahme,
daß wahrscheimlich Blasen in den Glasscheiben des Gewächshauses die Ur-
sache der sogenannten Brennflecken sind ?).
Durch anatomische Untersuchungen hat sich ferner ergeben, daß Blätter
nur dann unbenetzbar sind, wenn eine Wachsschicht resp. Luftschieht vor-
handen ist; die Wölbung der Außenwände der Epidermiszellen allein ist
dagegen nicht maßgebend’).
Das) die Blätter der den feuchtwarmen 'Tropengebieten angehörigen Ge-
wächse gewöhnlich durch vollständige Benetzbarkeit der Oberseiten aus-
gezeichnet sind, ist zuerst von Stahl!) gebührend hervorgehoben worden.
Unbenetzbarkeit ist nach Stahl bei den westjavanischen Gewächsen ein
seltener Ausnalımefall’), denn der Nutzen der Benetzbarkeit der Blattober-
seite sei vor allem die schnelle Ableitung und dadurch bedingte Entlastung
des Blattes vom Wasser, die Reinigung der Blattoberseite, die dadurch
einigermaßen eingeschränkte Epiphyllie und endlich die rasche Trocken-
lesung der Spreite zur Förderung der Transpiration®). Im Einklang mit
den Stahlschen Ansichten steht Wiesner’), der hervorhebt, daß Be-
netzbarkeit eine nie fehlende Eigenschaft des ombrophilen Blattes sei; das
ombrophobe Blatt verträgt eine solche Wasseraufnahme nicht, und wenn es
nicht den Schutz der Unbenetzbarkeit erworben hat, so geht es unter der
2) Bengt Jönsson, Om brännfläckar pa växtblad. Botaniska Notiser. För
är 1391. Lund 1891 p. 1—16, 49—62.
®) Knothe, Erich, Vergleichende Anatomie der unbenetzbaren Blätter. Inaug.
Diss. Heidelberg 1902 p. 27 ff., 46.
#) Stahl, E., Regenfall und Blattgestalt. Ein Beitrag zur Pflanzenbiologie.
Extrait des Annales du Jardin Bot. de Buitenzorg, Vol. XI. 1593 p. 100.
Scibid. pP. 117. 6) ibid. p. 120 ff.
?) Wiesner, Pflanzenphysiol. Mitt. aus Buit. III. 1. c. p. 185—187.
Einwirkung des Regens um so rascher zu Grunde. Eine große Zahl von
Pflanzen sind, besonders nach direkter Bestrahlung durch die Sonne, nur
unvollkommen benetzbar, werden es aber wieder, wenn Regen fällt, oder
wenn die Blätter unter Wasser getaucht werden. Bemerkenswert ist auch,
daß die im ausgebildeten Zustande völlig benetzbaren Blätter im Jugend-
zustande garnicht oder wenig benetzbar sind’).
Obgleich ich nur mit einer beschränkten Zahl von Blättern experimen-
tierte, habe ich den Eindruck, daß die leicht benetzbaren Blätter dem
Typus der Schattenblätter angehören, und daß die Eigenschaft großer Be-
netzbarkeit besonders unter den Schattenblättern weit verbreitet ist. Dies
stimmt auch gut zu der Tatsache, daß bei Lichtblättern im allgemeinen
eine sehr viel stärkere Ausbildung der Cuticula als bei den Schattenblättern
vorhanden ist, und mit der Beobachtung, daß mangelnde Cutieularisation
die Benetzung beträchtlich fördert, sehr starke Ausbildung der Cuticula,
besonders, wenn aus ihr Wachs ausgeschieden ist, die Benetzbarkeit mindert
oder vollständig aufhebt.
Ich komme nochmals auf die Tabelle No. 8, das Schattenblatt von
Hedera Helix L. betreffend, zurück. Dasselbe für die Versuche der Tabelle
No. 8 verwendete Blatt habe ich auch für die in Tabelle No. 21 dar-
gestellten Untersuchungen verwendet, welche in der Weise angestellt wurden,
daß mit einem feinen Pinsel Wasser aufgetragen und soviel wie möglich
gleichmäßig verteilt wurde, so daß ein dünner Wasserüberzug auf dem Blatt
haften blieb; dann wurde das Blattstück im dampfgesättigten Raum ebenso
wie bei den entsprechenden Versuchen vorher unter einer Neigung von
45° den einfallenden Lichtstrahlen ausgesetzt.
Tabelle No. 21.
Hedera Helix L. Schattenblatt.
a | 1/, Min. | 1 Min. 3 Min. 3 Min. | 4 Min.
1ons:| Me 37,0 86,5 13655 7° 11,27 216050
2 14,5 37,5 86,07 1. lHL26,D, = FM
304 2161550 38,0 5 12745... 00
ARu ln ala. 385 87,0 1270. „12 Slols
5 14,5 37,0 86,57 | 126.0 160,5
an ee 37,5 86,0. 2196,57, 710050
N EEK 85,5 125,520, 315955
BR 0 7360 8Dd, 12.125,02 1,1080
1065) 36,085, BB 29,0 oe
10 1. #12.000 29560 850.004 712455: 20 nis
Gesamt: | 14,0 37,0 86,0 | 126,0 | 160,0
145
II. Blattoberseite benetzt.
Beiichtane: | Ya Min. | 1 Min. 2Min | 3Min | 4Min.
1 BESBR N 9173055 Bee id 0.140
2 ae En al a) Vezasar en sten |... 148,0
3 TERUERF 4 43975 ZU ko Are 124. 146,5
4 1 n605.2, 5,1140, |) 1460
5 ae | N ausoe | a En ar ne 1n,5
6 12,0 31100 7 21021:51.655 114,5 146,0
7 20,5’ Mr) 3080 Was, 1173050
8 IeDer aa 1 27900 IRA | 0A
a |. DISOR FT. 21 .99,5 13,5 110° 1220
10 11E02.°..1.9 3165 1559... 1.102:18355 145,5
ee ee) 75.5, | | 1140 146,0
Prozent:| 77,9% | 16,2% | 12,2% | 9,5% | 8,8°0
I
Die Ergebnisse der Tabelle No. 21 sind auffallend verschieden von
denjenigen der Tabelle No. 8, die das gleiche Blatt betreffen und zeigen,
daß tatsächlich die Reflexion an dem das Blatt überziehenden Wasserhäutchen
Größen erreicht, die von vielen mit glänzender Oberfläche von der Natur
versehenen Liehtblättern nicht geliefert wurden. Um zu zeigen, daß diese
Eigenschaft der Lichtreflexion an vollkommen benetzten Blättern nicht auf
Hedera Helix L. beschränkt ist, sondern in den verschiedensten Pflanzen-
familien in vollkommen gleichmäßiger Weise auftritt, also eine weitgehende
Bedeutung besitzt, füge ich im folgenden meine Tabellen No. 22, 23, 24 ein.
Tabelle No. 22.
Laurus nobilis L.
l, Blattoberseite trocken.
Baliehinner |. Ys.Min, 1Min | 2Min | 3Min | 4Min
No. | Skalenteile | Skalenteile | Skalenteile | Skalenteile | Skalenteile
1 14,0 4,5 75,0 | 108,5 157,0
2 13,5 | 54,0 74,0 109,0 137,5
B) 11,9 | 31,0 75,0 106,5 154,5
4 11,5 31,5 12,9 | 106,5 154,0
5 13,9 | 33,0 74,0 | 108,5 | 136,0
6 | 15,0 | 33,9 | 74,5 | 109,0 136,5
7 14,0 | 34,0 75,0 108,5 136,5
8 14,5 | 34,0 76,0 109,5 137,5
3 12,0 | 32,5 72,9 107,0 135,0
10 jorsme| 2, 32:0 73,5 108,0 135,5
| 13,0 33,0 | 74,0 ' 108,0 136,0
146
1I. Blattunterseite.,
Rache !/; Min, | 1 Min. 2 Min. | 3 Min. 4 Min.
No. | Skalenteile | Skalenteile | Skalenteile | Skalenteile Skalenteile
1 14072 |. 2:33,0, meter. 7109,55 |
2 13,0 33,5 714,5 | 109,0 137,5
3 1165 31.5. | WB 106,0 135,5
4 12,0 32,0... u ers 106,5 135,5
5 3,5000: 9838 7A ve 108,0 136,5
6 13,5 33,0 15.02, |2..108;5 137,5
Eee 3. DE 7550 109,0 137,0
8 14500 4 45 er 109,0 138,0
a ee En a er 135,5
10 14,0209 0832,022.414.0.03,0 107,0 135,0
ra 13,0 33.0, | 0274,57, | W080 136,5
III. Blattoberseite benetzt.
1 18,37 E 0 023250: 3 .069,974417, 7100;030: (HERE 720
2 39-0.0 A4,1L 30:5 68.55 | 99,0. 1. 126,5
3 100.20 7.28,5. 2,.718.66,0 97,5 1 Laar
4 11,5 2 len 98:07 = 219415
5 13.07.22 230,020 :.60309 99,0 126,0
6 1250.28 EP ao | 99,5 127,0
7. 11359: 20). me31,08@8 | 57.0540: Reed 127,5
8 19, DIR 3 0557 La 769000‘ 127,0
') 11,0 20 0 98,5 125,0
10 10,5.001 2 .28,0:2 7 22166,5 98,0 1.2555
ER ee a de 126,0
rn 91 | 81% | 8,30 7,4°)o
Tabelle No. 23.
Rhododendron ponticum L., ältere Blätter.
I. Blattoberseite trocken,
Zeit der
Belichtung: 1/, Min. 1 Min. 2 Min. | 3 Min. 4 Min,
IE 32:0 Sa he 78 a0 1% RISK 1
2 12,0 32,5 78.072. 12.190 154,0
3 12,5 3300 ERZESO 1195. | 1535
4 13,0 34,0 80,07. 17..120.0 155,5
5 14,0 BA De |. 09,0 1905 155,0
6 13,5 34,00 2, 0790 119,0 154,5
7 14,5 35,0 30 D 2 50 156,0
8 14,5 34,0 80.072 | 21190.0 155,5
9 15,0 36,0 8102.,,.41920 156,5
10 14,5 35:0. | 2.8055 | 1210 1711560
an 13,5 34,0 79,5 120,0 155,0
1
I. Blattunterseite.
Zeit der
Belichtung: 1/, Min. 1 Min. 2 Min. 3 Min 4 Min.
1 12,0 33,0 78,0 19a: 11525
2 13,0 32,5 78,0 119,5 154,0
3 14,0 33,5 79,0 120,0 156,0
4 13,0 32,0 78,5 119,0 154,0
5 14,5 35,0 80,0 121,5 155,5
6 14,0 34,0 79,5 120,5 155,0
7 15,0 35,0 80,5 121,5 156,0
8 14,0 34,5 79,5 121,0 156,5
9 155) 36,0 81,5 122,0 157,0
10 15,0 34,5 80,5 12155 156,5
Set 14,0 34,0 79,5 120,5 155,5
III. Blattoberseite benetzt.
1 10,0 30,0 73,5 113,0 145,5
2 10,5 IE BE 00 113,5 146,5
3 12,0 31,5 1555 114,0 145,5
4 11,0 30,5 73,5 112,0 146,0
5 13,0 32,0 74,5 114,0 147,5
6 12,0 31,5 75:5 114,5 148,0
7 13,5 32,5 76,0 115,0 148,0
8 12,0 31,0 75,0 114,5 147,5
) 13,5 33,5 76,0 115,5 148,5
10 12,5 33,0 76,5 114,0 147,0
Gitter: 12,0 31,5 75,0 114,0 147,0
2 115l%o 7,4 °/o 5,7% | 5,0°/0 5,2°%
Tabelle No. 24.
Ruscus Hypoglossum L.
I. Morphologische Oberseite, trocken.
Bea 23Min: 1 Min. 2 Min, 3 Min, 4 Min.
Bo 350 33,0 124,0 159,0
2 13,0 35,5 82,0 123,5 158,5
3 14,0 36,0 82,5 123,5 159,5
4 12,5 35,0 81,5 122,0 158,0
5 12,0 34,0 81,0 192,5 157,0
6 11,5 33,0 80,5 121,0 157,5
7 13,0 34,5 82,0 122,5 158,5
8 12,0 34,5 81,0 122,0 1545
9 14,5 36,0 83,0 125,0 160,0
10 14,0 36,5 83,5 124,0 | 159,5
er 13,0 35,0 82,0 123,0 158,5
Beiträge zur Biologie der Pflanzen, Bd. IX, Heft II,
10
148
Zeit der
II. Morphologische Unterseite.
Belichtung: | /2 Min: 1 Min. 2Min. | 3Min, 4 Min.
a 0 36,0 25 | 01985 159,5
NER ANGE. 5) 35,0 82,0, ,. |. Sul2ass 159,0
ar ER) 36,0 83,0 | 124,0 159,0
A| 1 1265 34,0 Sleaen- IE Von9a3 1543
5 1145 33,5 30,0 121,0 156,5
6 12,0 34,0 81:0... |. 1230 158,0
7 13,0 35,0 82,0, 2.1.7123, 158,0
8 12,0 34,0 81,5 122,0 1575
9 15,0 36,5 34,0 1945 160,0
10 13.512010 7236,0 82,5 124,0 160,0
ern 13,0...) 35,0 32,0 123,0 158,5
III. Morphologische Oberseite, benetzt.
1 10.5. 2.1,7299:0 73,0 113,0 149,0
2 11,0 28,0 79:00 2..1ve) 211975 148,5
3 12:0 29,5 Ta SE 149,0
4 10,0 28,5 71,5 112,0 147,5
5 9,5 2765 71,0 111,5 146,5
6 8,5 27,0 70,0 111,0 146,0
7 10,5 28,5 7155 112,0 148,0
8 9,5 37,5 71,0 112,0 147,0
9 12,5 30,0 74,0 114,0 150,0
10 11,0 29,5 73,0 113,0 148,5
an |. 10,90 | 7,285 72,0 112,5 | 14858
| en 12,2) 8,50 6,6%
Die Tabellen No. 22, 23, 24 betreffen die mir gerade zur Hand ge-
wesenen Schattenformen der Blätter von Lawrus nobilis L., Rhododendron
ponticum L. und der Cladodien von Ruscns Hypoglossum L.
Ich habe in diesen Tabellen zunächst dargestellt, daß es sich bei den
Blättern dieser Pflanzen, wenigstens bei den Schattenblättern — denn sowohl
Laurus nobilis L. wie Rhododendron ponticum L. bilden an den dem Licht
stark ausgesetzten Stellen häufig auch oberseits glänzende Blätter aus —
zunächst um vollkommene Gleichheit der Reflexionsverhältnisse auf Blatt-
oberseite und Blattunterseite handelt; im benetzten Zustand dagegen, d. h.
in dem Augenblick, wo ein feiner Wasserbelag die Blattfläche überzieht,
nehmen die Blätter den Charakter extremer Lichtblätter an, reflektieren
also bedeutende Mengen der einfallenden Strahlen.
Es ist hier die Stelle, auf die Bedeutung der von Jungner°’) an den
Blättern der Pflanzen des regenreichen Kamerungebirges beobachteten
„Stachelspitzen“ oder „Träufelspitzen“!0) für das Leben derjenigen
°) Jungner, J. R., Anpassungen der Pflanzen an das Klima in den Gegenden
der regenreichen Kamerungebirge, Bot. Zentralbl. 1891, Bd. XLVII. No. 12 p. 353 ft.
2) Stahl, E., le. p. 100.4.
149
Pflanzen zurückzukommen, die mit diesem so außerordentlich auffälligen
und charakteristischen Merkmal versehen sind.
Stahl!!), dem wir die Untersuchung der biologischen Verhältnisse ver-
danken, die ihren morphologischen Ausdruck in der Träufelspitze der Blätter
gefunden haben, hat überzeugend dargetan, daß diese Einrichtung dazu
dient, die Blätter möglichst rasch von dem anhängenden Wasser zu be-
freien. So wurde z. B. ein unversehrtes Blatt von Coffea arabica in
15 Minuten vollständig entwässert, während es nach Entfernung der Träufel-
spitze zwei Stunden brauchte, um zu trocknen !?),. — Die hauptsächlichste
Bedeutung dieser Einrichtung wird von Stahl darin gesehen, daß durch
die Träufelspitze eine möglichst rasche und vollständige Entlastung des
Blattes eintrete, damit kein Zerreißen des Aufbaues der Pflanze erfolge !?).
Auch Wiesner!*) hat sich mit vorliegender Frage beschäftigt. In Über-
einstimmung mit Stahl weist er darauf hin, daß es vor allem die ombro-
phile Vegetation der Tropen sei, welche die Träufelspitzen im höchsten
Maße ausgebildet besitze, ja daß die Träufelspitze direkt einen typischen
Charakter des extrem ombrophilen Laubes darstelle!?. Auch mit der
Stahlschen Erklärung, daß es sich um möglichst rasche Entlastung der
Blätter vom Wasser durch die Träufelspitzen handele, ist Wiesner!) ein-
verstanden.
Ich zweifle nicht daran, dat diese Erklärung teilweise wenigstens zutrifft,
möchte aber doch darauf aufmerksam machen, daß nach der bekannten
Wirkung von Gebrauch oder Niehtgebrauch von Organen, um mich der
Darwinschen Ausdrucksweise zu bedienen oder nach der Fortentwicklung,
welche diese Darwinschen Sätze in der Entwieklungsmechanik erfahren
haben, einigermaßen seltsam ist, daß ein Schutz gegen übermäßige Belastung
nicht durch Ausbildung der mechanischen Gewebe von Blattstiel und Blatt,
sondern durch Entwicklung der Träufelspitzen geschaffen sein soll. Wir
kennen viele Anpassungen an mechanische Verhältnisse im Pflanzenreich;
sie betreffen aber sämtlich die Ausbildung mechanischer Gewebe. Die
Träufelspitzen sind .die einzige bisher bekannt gewordene Ausnahme von
dieser Regel.
Ich habe versucht, mich in der Litteratur darüber zu unterrichten, ob
die Träufelspitzen nicht vielleicht zugleich ein Ausdruck der Organisation
des tropischen Schattenblattes seien, habe aber gefunden, daß diese Frage
bisher noch nieht aufgeworfen worden ist. Einiges ist den Angaben Stahls 17)
zu entnehmen, der die Träufelspitze als ein charakteristisches Merkmal der
ZI Stahl,T. ce: pr IE. 12) ibid. p. 108. 18) ibid. p. 121.
DinWsesner,.luierp. 185,136 15) ibid. p. 156. 16) jbid.
Vgl. auch die Abbild. von Blättern mit Träufelspitzen bei Stahl, I. e. Taf. X
bis XII, Hansgirg, 1. c. p. 112. — Eine außerordentlich lange, 75 mm messende
Träufelspitze wies eine 100 mm lange Blattspitze von Ficus religiosa auf. (Stahl,
l. e. p. 103.)
1) Stahl, ]. c. p. 100, 129.
10*
150
regenreichen westjavanischen Flora bezeichnet, wo „nur während weniger
Morgenstunden spärlich Sonnenstrahlen auf den Grund des düsteren Urwaldes
mit dem vollständig durchnäßten Boden dringen“. In Gegenden mit sehr
trockenem Klima, auf hohen Berggipfeln und am Meeresstrand, also bei
Pflanzen mit xerophilem Charakter, wie überhaupt bei Blättern, die mit
Schutzmitteln gegen starke Verdunstung ausgerüstet sind, kommen Träufel-
spitzen selten vor. Auch in unserem gemäßigten Klima erreichen die Träufel-
spitzen gerade an sehr feuchten, halbschattigen Standorten ihre größte Aus-
bildung 1°).
Die mir durch Herrn Prof. Mez in liebenswürdiger Weise vermittelte
mündliche Auskunft des genauen Kenners der Flora des brasilianischen Ama-
zonasgebietes und seiner biologischen Anpassungen, des Herrn E. Ule,
lautet dahin, daß, soweit seine Erinnerung gehe, typische Träufelspitzen
sich entweder nur oder doch vorzüglich bei Gewächsen finden, welche im
Urwald hauptsächlich dem Unterholz angehören (Melastomaceen ete.), die
also wohl Schattenblätter aufweisen.
Da ich zur Beurteilung dieser Frage keine weiteren Unterlagen habe,
so möchte ich hier nur darauf hinweisen, daß nach meinen Untersuchungen
(die Träufelspitzen recht wohl den Zweck haben könnten, die Blätter vom
Wasser schnell zu befreien, nicht um sie zu entlasten, sondern um ihnen
eine möglichst intensive Assimilation zu ermöglichen, denn es ist keine
Frage, daß ein Wasserüberzug, der, wie meine Untersuchungen beweisen,
die Gesamtmenge der auf das Blatt fallenden Strahlen um etwa 10 bis
20 Prozent schwächen kann, gerade Gewächsen zum Schaden ‚gereichen
muß, die an sich schon an Orten mit geringer Beleuchtung wachsen.
Ich betone jedoch, daß diese Ausführungen über die Bedeutung der
Träufelspitzen für die Pflanzen durchaus hypothetischen Charakter besitzen
und durch Untersuchungen an Ort und Stelle auf ihre Stichhaltigkeit erst
noch geprüft werden müssen.
Lichtschutz durch nicht-trichomatöse Auflagen
auf der Epidermis.
8 35.
1. Wachsauilagen.
Auch auf den Lichtschutz, den besonders lichtzerstreuende Wachs-
bedeckungen gewähren, wurde in der Literatur bereits mehrfach hingewiesen,
ohne daß jedoch quantitative Untersuchungen, die Aufschluß geben könnten
über die Bedeutsamkeit dieses Schutzmittels, bisher vorhanden waren oder
zu einem Resultat geführt hätten !).
2)Stahl,.re pH 34
1) Vgl. Ursprung, |. c. 62.
151
Obgleich ich nur eine relativ geringe Anzahl derartiger Gewächse unter-
suchte, konnte ich doch feststellen, daß tatsächlich Wachsauflagen auf
Blättern unter Umständen zu ziemlich bedeutender Lichtzerstreuung führen
können. Ich zweifle demnach nicht daran, daß die Angaben der Autoren,
die bisher nur allgemein von lichtschützender Wirkung derartiger Auflagen
gesprochen haben, wohlbegründet sind.
Eines der merkwürdigsten Gewächse bezüglich seines Lichtgenusses ist
ohne Zweifel Eucalyptus Globulus, bei dem der Lichtsehutz, den die Profil-
stellung der Folgeform der Blätter der Pflanze gewährt, zu den bekanntesten
Schulbeispielen der Lichtschutzeinriehtungen gehört.
Im Gegensatz zu der Blattstellung der Folgeform zeigt bekanntlich die
Jugendform dieser Pflanze gegenständige Blätter, die nicht ihre Kanten,
sondern ihre Flächen dem Lichteinfall darbieten. Je jünger diese Blätter
sind, um so dicker sind sie mit einem bläulich-weißen Wachsreif überzogen,
der unter Umständen ganz jungen Blättern ein schneeweißes Aussehen geben
kann. Dieser Wachsreif ist mit Hilfe von Äther leicht zu entfernen; ich
habe deshalb die Blätter von Eucalyptus Globulus Labill. Voy. zur Unter-
suchung herangezogen.
Tabelle No. 25.
Eucalyptus Globulus Labill. Voy.
Zeit der
I. Blattoberseite mit Reif.
Belichtung: | 1 Min. 2 Min. 3 Min. 4 Min.
Be 9540, 1713920 197,5 259,5
2, 2585 131,5 198,0 259,5
Sa 5600.) yn13355 199,5 262,0
Aue 260,5 134,0 199,0 261,0
DE 6 134,5 200,5 263,0
62) 2761,0 133,5 200,5 262,0
Ze 600 133,0 199,5 261,5
84 660 134,0 200,0 262,0
97. 1,5955 132,5 198,0 259,5
Lüay n 59:0 131.5 197,5 260,0
le = 60.0 133,0 199,0 261,0
II. Blattoberseite ohne Reif.
1 63,0% 17° 7138,0 207,5 270,5
2 62,0 137,5 206,0 270,0
3 64,0 140,0 208,0 271,5
4 65,0 140,5 208,5 272,0
5 66,0 141,5 210,0 213,3
6 65,0 140,0 209,0 272,5
ji 63,5 139,5 208,0 272,0
8 64,5 140,5 208,5 Pr PR;
9 64,0 139,0 207,5 DUO
10. 27053; 0 138,5 207,0 269,5
a 620 139,5 208,0 271,5
Prozent: | 6,3 °/o 4,6% 4,3 °/o 3,9 lo
152
Tabelle No. 25 gibt meine Untersuchungsresultate wieder, die sich auf
bereits herangewachsene, aber doch noch ihrer ganzen Textur nach innerlich
nicht völlig ausgebildete Blätter beziehen.
Ein anderes Beispiel mit stärker bereiften Blättern ist Cotyledon pul-
verulenta Bak. Obgleich durch mehrfache Untersuchungen nachgewiesen
wurde, daß derartige Succulenten eine ganz besonders hohe und eine die
Norm weit übersteigende Temperaturerhöhung vertragen können ?), so ist
doch auch hier die Bereifung deutlich als Lichtschutzeinrichtung zu er-
kennen. Blackman und Matthaei?’) haben außerdem gezeigt, daß bei
gewöhnlichen Blättern hohe Temperaturen erreicht werden können, wie sie
vorläufig nur für Suceulenten bewiesen worden sind; jedenfalls geht bei den
dicken succulenten Blättern nicht so viel Wärme hindurch als dies bei
Tabelle No. 26.
Cotyledon pulverulenta Bak.
I. Blatt mit Reif.
1 Min. 3 Min. | 3 Min. | 4 Min. 5Min. |6Min. 7 Min.
1 10,0 30,0 | 470 | 63,5 79,5 95,0 |. 108,0
2 95. 30520465 )0,.63.0..0.29,0 ©9140 71065
3 9,0 29,0 | 47,0 | 63,0 | 78,0 | 93,0 | 106,0
4 9,0 29,5 27,5. 164,09 1879.0. |" 93,57 010655
5 10,5 31,5. | 48,0. 7 64,5 | 80.0|).05.0%.10 1080
6 11,0 32:07 |..49:0. | :65;078052,7.96/0. 221090
7 11,5 3155. °| 49,07.) 165,5 781.0. |, 95,5, | 1090
8 12,0 32,5 49;52:| 166,5. 281,5. | 96.5. | 21100
9 1150 7 | 331.0 48,5 | 64,5 | 80,0 | 95,0 | 108,0
10 11,5 32,5 49,0 65,5 81,5 96,5 | 109,0
en 10,5 31,0 48,0 64,5 80,0 95,0 | 108,0
II. Blatt ohne Reif.
1 10,5 33,5 53,0. 70,5 87.0. | 103,0 [71965
Dr 7810:0 33,0 | 51,5 | 690 86:0 11.101,52 17130
3-3 48.111200 | 3350 51,0 69,5 86,5. | 109,0 1168
4 .4910,0,°32,5°0 7 51,041 46950 © 786,070) 108,02
5 12,0 34,5 53,0 71,5 83,0 |, 10359) 0 11000
62 else is 34:0: 21/5255 71,0 87.5. |. 103,5. 0150
7 12,5 35,0 | 53,5 70,5 83:0 |. 104.02 1100
3 |
| 54,0,.|. 72,0 | 88,5 | 104,57 119,0
a 33:0 | 53,02 |, 71,51 287500 .103:07 1121163
10 12,0 34.00 |, 53,527 |,21,0%9 85.02 1.102.00 21.1205
Gere 11,5 34,0 2,5% | 2570,93 934524 1 103:°0 1 10 AU
6
H)
Prozent: | 8,7%) | 8,8% | 8,6% | 8,5% | 8,6% | 7,80 21 0s0lo
2) Pfeffer, ]. e. II. p. 295, 848. — Askenasy, Über die Temperatur, welche
Pflanzen im Sonnenlicht annehmen. Bot. Ztg. Leipzig 1875 p. 442, Ursprung,
ze /p- 4 u. a.
5) Blackman und Miß Matthaei,]. c. p. 411.
dünnen Blättern der Fall ist. Es ist daher begreiflich, daß gerade auch
bei sueeulenten Blättern Schutzeinrichtungen nötig sind, die von vornherein
einen gewissen Prozentsatz von Strahlen zurickwerfen, damit auch hier,
serade wie bei dünnen Blättern, nieht übermäßig viel Wärme das Blatt in
ungünstiger Weise beeinfluße.
Meine Tabelle No. 26 zeigt, daß über 3° der Strahlen durch diesen
Wachsreif zerstreut werden.
Auch bei Echeveria-Arten ist es leicht, den Reif, der auf den Bättern
liegt, durch Abwischen zu entfernen. Zugleich kommt hier aber noch eine
Komplikation für die Untersuchung der Verhältnisse hinzu, die darin besteht,
daß nach dem Abwischen des Reifes eine glänzende Epidermis sichtbar wird.
Es handelt sich hier also um eine Kombination der von mir im dritten und
finften Kapitel des experimentellen Teils behandelten Eigenschaften; eine
Würdigung der bei der Lichtzerstreuung vorhandenen beiden Komponenten
ist hier aber deswegen leicht möglich, weil die Haut der Blätter sich auf
große Strecken mit Leichtigkeit abziehen läßt, so daß nacheinander der auf
liegende Reif wie auch die glänzende Oberseite entfernt werden kann.
Tabelle No. 27.
Echeveria bracteosa. Lindl. u. Paxt. — C(otyledon Pachyphytum Bak.
Fen— — —
I. Blattoberseite mit Reif.
ea Nine 14:2. Min. Se: [3 Min: 9 1er Min 35Min:
1 Do eo le 79.0 1105 | 139,5
2 2165 50 279,5 ROSEN aan
3 20.000 E13 00 ERS. 0 E10, Wal‘
Me 097 20% 9. „sch 12548: 0S:0 00, 22. 1.10,000 09.144155
Da 2 1R0RE 111.49, 80.0 11.110902 1 21.1415,0
Be 5 30,5 Ro 2 142:0
7 Dar 3 LEE 50 79,0 as, Se We
8 22,0 50,0 79,5 112,0 143,0
9 22,5 51,0 80,5 112,0 142,5
10 23,0 51,5 81,0 112,0 143,5
ae 21,5 50,0 29,9 © 111,0 141,5
II. Blattoberseite ohne Reif.
1 25.0: 0 1 58:0 88,5 120,5 151,0
2 25,5 59,0 89,5 121,5 152,0
3 24,5 Ban, 18890 812050 151,0
4 25,5 58,0 30 | 12150 152,5
5 26,5 59,0 90,0 120,0 152,0
De. 2200 60.0.6 | 91,0 122,0 153,0
Ti 20 aim 259.0 90,5 121,0 152,5
Ba I BER. 59:5 2915 123,0 153,5
9 27,0. | 60,0 92,0 19205 153,0
10°, Sa 6050 92,5 123: 019 15205
Minen: 26,0 59,0 90,5 121,5 | 1525
FT me
Zeit der
Ill. Blattoberseite ohne Haut.
Bellchinnes 1 Min. 3 Min. 3 Min. 4 Min 5 Min.
1 28,5 62,5 98,5 132,0 166,5
2 29,0 64,0 99,5 132,5 167,0
3 27,0 63,0 98,0 132,0 165,5
4 28,0 64,0 98,5 133,5 166,5
5 28,5 63,5 99,0 133,0 167,0
6 30,0 65,0 100,5 134,5 167,5
7 29,0 64,5 99,5 134,0 167,5
8 30,0 65,5 100,0 134,0 168,5
9 29,5 65,5 100,5 134,5 168,5
10 30,5 66,5 101,0 135,0 169,5
SER 29,0 64,5 99,5 133,5 167,5
Dif, un I/II
ar on 25,90 22,50 20,1° 16,9 15,5°/0
v. Reif+ Haut:
Diff. von I1/III
rn ke 10,3°/o 8,5°) 9,0% 9,0% 9,0°o
v. Haut:
Tabelle No. 28.
Echeveria imbricata Deleuil.
I. Blattoberseite mit Reif.
| ıMn. | 2Min | 3Min. 4 Min. 5 Min.
1 21,5 56,5 95,0 133,0 172,0
> 21.5 57,0 95,5 134,0 173,0
3 92.5 97,9 96,0 134,5 173,5
231 2101,99:0 56,5 95,0 134,0 172,5
5 23,0 58,0 96,5 135,5 174,5
07 102375 58,5 97,0 136,0 174,5
7 24,5 59,5 98,0 136,5 176,0
8 24,0 59,0 97,5 135,5 174,0
9 23,5 58,5 97,0 135,0 174,5
10 24,0 59,0 97,0 136,0 175,5
Bitten: 23,0 58,0 96,5 135,0 174,0
‚ Blattoberseite ohne Reif.
1 24,0 61,5 102,0 143,0 183,0
2 24,5 62,5 103,0 143,5 184,0
3 23,5 63,0 103,5 144,0 184,5
4 24,0 63,0 103,0 143,0 183,5
5 25,0 63,5 104,0 144,0 185,0
6 26,0 64,5 104,5 145,0 186,0
7 26,5 64,0 105,0 146,5 186,5
8 26,0 65,0 105,0 145,5 186,0
9 25,0 63,5 104,5 145,0 185,0
10 26,5 65,5 105,5 145,5 186,5
a 25,0 63,5 104,0 144,5 185,0
155
Ill. Blattoberseite ohne Haut.
Beichtung: | 1Min. | 2Min | 3Min. | 4Min | 5Min.
1 28,0 70,5 114,5 158,0 | 200,0
2 29,0 12500 s le1kssm |. 158,5 201,5
3 30,0 115080 N.) 12313.08 | 3159,08 | | 204,5
4 28,5 70,0 114,5 1532081 | .200,5
5 30081 |) 7230 116,5 159,5 202,5
6 31,0 72.5 117,0 160,0 202,0
? sat 1270 1E2S 161,0 204,0
8 30.583: 1 27965 117,0 160,5 202,5
9 30.07° 1° 720 116,5 160,0 202,0
10 Sit 73:5 117,0 160,50 | | 20355
Gesamt: 30.0.5 | 72086 | | 1160 1595 | 202,0
Diff. v. I/II | | |
oe 23,53% | 194° | 16,8 °/o 15,4 °)o | 13,9 %
Reif + Haut: | | |
a | 167% |. 11,8% 10,3% 9,4% | 8,4°/
in a DI 2010 a 3,00
Haut: | | |
In Tabelle No. 27 habe ich die Untersuchungsresultate von Echeveria
bracteosa, in Tabelle 23 diejenigen von Echeveria imbricata dargestellt.
Es ergibt sich, daß bei dem ersteren Untersuchungsobjekt die Gesamtgröße
der Wirkungen beider Reflexionseinrichtungen 25,9°/, bei den letzteren
23,3°/ der einfallenden Strahlen beträgt. Davon kommt bei der in Tabelle
No. 27 dargestellten Spezies ungefähr die Hälfte der Wirkung auf die hier
besonders auffällige Reifbedeckung, während bei Echeveria imbricata (Ta-
belle No. 28) die Reifbedeckung nur mit ca. 7°/o, die spiegelnde Oberfläche
mit etwas über 16°/ am Resultat beteiligt sind.
Ein ähnliches Verhältnis der Kombination von Reifbedeckung mit
spiegelnder Oberfläche der Epidermis dürfte auch bei Cacalia repens L.
Tabelle No. 29.
Cacalia repens. L. —= Senecio succulentus.
J. Mit Reif.
Bela .lEMin; 2Min. | 3Min. | 4Min. 5 Min.
a a Ze 171,0
2 | 19,0 93,9 | 92,0 ee 1 1F5) 170,5
3 | 18,0 92,9 90,5 130,0 169,0
4 | 17,5 52,0 91,0 131,0 168,5
5) | 18,5 93,0 90,5 150,0 170,0
6 | 17,5 52,0 89,9 129,5 169,5
7 19,0 93,9 92,0 150,5 170,5
8 20,0 94,5 92,5 132,0 171,5
I | 21,0 95,9 3,0 133,0 172,5
10 | 20,0 54,5 91,5 132,0. ,:.\... 172,0
E | |
a 200 WE. 91,5... 13 I R7o,5
156
II. Ohne Reit,
ein u RM... |.) 3. Min.) | Wem 5 Min.
De EPs us | 9 |: a
us: 1995 50 | 9) 1a en
Se EDEN 58,5.) | 97.020 21. 2136,51 |, Fa7rG
4 20,0 57,5 ost. 713358 174,0
5 21,5 SE a ir a ee
6 20 2 156,5. W2|°1.97.0 1350° |.) ao
ee: 7693,0 58,5 99,0 ° | . 138,0 176,5
BD 1800 EDER A VER3TO 179.0
gesz 0 723:0-2 7,50 260.0 99,5 1390 | aa
RU U 98,5 138,0 176,5
Sa a 72 ra BE 1) 980. | 71320 17338
Prozent: | 13,6°/o 8,50 | 6,70 | 4,4°/o 2,8°/o
vorhanden sein, nur ist mir hier, weil sich die Epidermis nicht so gut ab-
ziehen läßt, die Verteilung der Wirkung auf die einzelnen Faktoren nicht
in gleicher Weise gelungen wie bei Echeveria.
Tabelle No. 29 stellt deswegen nur die Reflexionswirkung dar, die von
dem Reifbelag allein ausgeübt wird; dieselbe hält sich ungefähr auf der
Höhe, wie sie bei den Echeveria-Arten uns entgegentritt, und es ist nach
Analogie mit diesen anzunehmen, daß die spiegelnde Epidermis den Gesamt-
betrag der Strahlenreflexion noch wesentlich erhöht.
S26-
2. Rauhe Oberflächen.
In Tabelle No. 30 stelle ich noch die Untersuchungsergebnisse an der
Kapländischen Rochea falcata D. C. dar, bei welcher die lichtzerstreuende
Schicht der fleischigen Blätter nicht durch Reif, sondern durch „dicht an-
einander schließende, panzerartige Oberhautzellen“ gebildet wird. Hansgirg')
macht auf den Rochea-Typus besonders aufmerksam und hebt die eigen-
tümliche Einrichtung der Oberhautzellen vor allem als Schutz gegen über-
mäßige Verdunstung und gegen Tierfraß hervor. Ferner zeichnet sich unter
den bei dem Diekblätter-Typus vorkommenden Einrichtungen zum Schutz
gegen intensive Insolation usw. Rochea falcata noch besonders durch Profil-
stellung aus?). — Bei dieser Spezies ist es nun ebenso wie bei der Echeveria
leicht, die Blattepidermis auf große Strecken abzuziehen; wie meine Tabelle
ergibt, ist die lichtzerstreuende Wirkung der Epidermis und ihrer Auflagen
hier gleichfalls sehr bedeutend.
2 iHansgirg le p. 182
2) Hansgirg, |. c. p. 194, 195.
157
Tabelle No. 30.
Rochea falcata D. C.
I. Oberseite des Blattes mit Haut.
ne | 1 Min. 3 Min. 3 Min. | 4 Min. | 5 Min.
Do #30:5 6 Rue Eo |. 161,0 203,5
2 | 30,0 72,5 116,0 160,5 | 203,0
et -320- |. 745 EIS 62 205,5
4 2 Dahn | 1 a a ae a EEE U) 205,0
5 31,0 73:0) le 1020 160,0 204,0
6 31,5 7a. 765 160,0 204,5
7 Sa r| 2 226.0. 08.119:00 1° 163.0 207,0
N er 207,0
9 | 320° | 75.0. 1 WR 11850 2161,52 102050
10 Sa nn 1:19:0. 21128 163507. 17..20955
gene | 33.0, 11.0785 118,0. | 1615 205,0
II. Oberseite des Blattes ohne Haut.
1 3. SA 133,0 7950 223,0
2 36,0 820,5 210418255 178,0 221.5
3 37,0 86,0 133,0 180,0 222,5
4 38,0 86,5 | 134,0 180,5 223,5
5 39° ..10> :85.0,00|02133,5 178,5 223,0
6 SE 0 386.0, = |132.0) Ze E95 1220
7 39,5 Brrsau ln 135,5 181,5 224,5
8 40,0 83.092 14171136,0, 2)1.6.192.0 225.5
9 38,0 So 0. 1a, 0 21805 223,5
10 385 | 86,0 | 1340 | 180,5 | 224,0
nt 380 | 860 | 134,0 | 1800 | 223,5
Prozent: 15,80 | 13,4% | 11,90 10,3 °/o 8,3 /o
Sa
Andere Ergebnisse meiner Versuche.
Zum Schluß sei es mir gestattet, in kurzem noch auf einige andere
Verhältnisse hinzuweisen, die ich bei meinen Untersuchungen gefunden habe.
Zunächst habe ich der Tatsache zu gedenken, daß unter Umständen
bei Suceulenten auch Epidermisausbildungen vorhanden sind, die nicht eine
Schwächung, sondern eine Verstärkung der einfallenden Lichtintensität be-
wirken.
Ich habe lange Zeit mit Mesembrianthemum eristallinum L. mich ab-
gemüht, weil ich annahm, daß auch bei dieser Pflanze die bekannten linsen-
artigen, mit klarem Zellsaft erfüllten Blasen auf Blatt und Achse irgend
etwas mit Lichtschutz zu tun hätten. Die Methode meiner Untersuchung,
die hier selbstverständlich im dampfgesättisten Raum stattfand, war die
gleiche wie bei den vorhergehenden Versuchen. Ich entfernte die epider-
malen Linsen dadurch, daß ich sie mit einem Skalpell ritzte, zerquetschte
158
und durch vorsichtiges Rollen auf Fließpapier die Objekte so gut wie
möglich trocknete. Ich ging von der Voraussetzung aus, daß auch hier
ein Anstieg der T’emperatur nach Entfernung der bezeichneten Gebilde sich
bemerkbar machen werde.
Tabelle Nr. 31.
Mesembrianthemum eristallinum L.
Vesuchsreihe I: Mit Blasen. Ohne Blasen.
|
der ne | 1 Min. | 1] Min.
1 | 11,0 | 9,0
2 | 14:9 | 8,5
3 10,5 | 9,0
4 | 1145 | 9,5
s url 10,5
6 | 12,5 11,5
f 1, 11,0
8 13,0 | 10,0
3 125 | 10,5
10 12,9 | 10,5
Gesamt-Mittel: | 12,0 | 10,0
Prozent: | 16,7°/ | ve
Meine Tabelle No. 51 beweist, daß dies nicht der Fall ist, ja daß
direkt das Gegenteil eintrat. Die klaren, wie Krystalle glänzenden Blasen,
auf Blatt und Achse von Mesembrianthenum eristallinum L. wirken dem-
nach nicht als lichtzerstreuende, sondern als lichtsammelnde Apparate.
Die hauptsächlichste Bedeutung dieser blasenartigen Ausstülpungen von
Epidermiszellen liegt allerdings in der Regulierung der Absorption des
Wassers und ist somit eine Schutzeinrichtung gegen die Gefahr des Aus-
trocknens. Die Pflanzen entziehen nämlich, wie Volkens beobachten konnte,
in Ermangelung der für sie, besonders zur Zeit der Fruchtentwicklung, not-
wendigen Feuchtigkeit, den Blasen ihren flüssigen Inhalt, um schließlich bis
auf die heranreifenden saftigen Früchte ganz zu vertrocknen. Morphologisch
ähnliche Wasserblasen wie Mesembryanthemum cristallinum zeigen auch
Aizoon canadense, Aizoon hispanicum, Caylusea canescens, Reseda pruinosa,
Reseda arabica und verschiedene Atriplex-Arten !).
Ferner bin ich bei meinen Untersuchungen über die Lichtzerstreuung an
Bromeliaceen-Blättern auf zwei allerdings vereinzelt auftretende, aber doch
höchst charakteristische anatomische Merkmale aufmerksam geworden, die,
wie ich glaube, gleichfalls mit dem Lichtschutz zu tun haben’).
Bei Acanthostachys strobilacea Klotzsch und Tillandsia vernicosa Bak.
wurde unter Schuppenbelag und Epidermis der Blätter eine feste Hypoderm-
i\ Violkens, 1. e. p. 54, 545 vel Abbild. Tal. XI.
2) Hohlspiegelartige Zellen, vgl Fig. 2, 3. $ 23.
159
lage gefunden, die in sehr sonderbarer Weise ausgebildete Lumina zeigt.
Fig. 4 stellt diese Verhältnisse dar; die Querschnitte der Hypodermzellen
zeigen, daß die Lumina außer-
ordentlich schmal und langgezogen
sind, so daß zunächst die Ansicht
sehr wahrscheinlich ist, daß es
sich bei diesen gewölbeartig ge-
bauten Sklerenchymschichten um
eine mechanische Einrichtung oder
um Verdunstungsschutz handele.
Aber die Ausbildung der nach oben
und unten erweiterten Lumina, die
im trockenen Zustand mit braun-
gefärbtem Inhalt versehen sind, Figur No. 4.
könnte doch auch darauf hinweisen, Tillandsia vernicosa Bak.
daß diese Zellen als Beleuchtungsschutz dienen. Denn es geht aus meiner
Figur hervor, daß die Zelllumina mit ihrem braunen Inhalt als Blenden
wirken, und daß nur diejenigen Strahlen ungehindert zum Chlorophyligewebe
gelangen können, welche die schmalen Lücken zwischen den Zelllumina
passieren.
Bei Tillandsia Karwinskyana Sehult. tritt gleichfalls die Bildung eines
Hypoderms auf, von dem ich annehme, daß es ebenfalls mit Lichtschutz
zu tun habe. Ich fand nämlich (vgl. Fig. 5) diese Hypodermzellen aus-
Figur No. 5.
Tillandsia Karwinskyana Sehult.
gefüllt mit großen zerklüfteten Kieselbrocken, welche, wie die Beobachtungen
unter dem Mikroskop zeigten, sowohl ihrer unregelmäßigen Form wegen,
wie wegen der Spalten, die sie durchsetzten, eine beträchtliche lichtzer-
streuende Wirkung besaßen. Die großen Schuppen von Tillandsia Kar-
winskyana Schult. stehen überdies sehr dieht und auch die Epidermis ist
besonders nach innen sehr stark verdiekt. Andere Beispiele sind Tillandsta
irioides Griseb., das sich durch einen auf das ganze Blatt ausgedehnten
160
sehr starken Sklerenchymschutz auszeichnet, der aus den bis auf ein meist
nagelförmiges Lumen verdickten Epidermiszellen und einem starken, stein-
zellenartigen Hypoderm besteht, das mit lichtbrechenden Körnchen dicht voll-
gepfropft ist und als (vgl. Fig. 6) intensive Lichtzerstreuungsschicht dienen
dürfte. Tillandsia Duratii Vis., mit
der nach innen etwas verdickten,
ziemlich großzelligen Epidermis, ist
im Hypoderm mit vielen stark licht-
brechenden, teilweise sphaerokry-
stallischen Brocken sehr schön aus-
gezeichnet, und bei der Tillandsia
andicola Gill. weist die nach innen
verdickte Epidermis in jeder Zelle
ein Kıystalloid auf; auch einzelne
Hypodermzellen sind noch mit
Tillandsia ixioides Griseb. solehen versehen.
Figur No. 6.
Derartige Kieselkörper in Epidermiszellen oder Hypodermzellen assi-
milierender Organe sind bekanntlich gerade bei den Monokotylen nichts
seltenes®). Ob sie hier als Liehtzerstreuungsapparate wirken, und ob dies
vielleicht allgemein ihre Funktion ist, vermag ich nicht mit Sicherheit zu
sagen, doch spricht mein hier dargestellter Befund, wenigstens was T’llandsia
Karwinskyana Schult. betrifft, für diese Annahme.
$ 28.
Resultate.
1. Die Arbeit gibt eine Übersicht der in der Litteratur bekannt gewordenen
Lichtschutzeinrichtungen. Dabei zeigt es sich, daß den zahlreichen Be-
obachtungen umfassendere quantitative Untersuchungen nicht zuteil ge-
worden sind.
2. Die Methode der vorliegenden Untersuchungen wird beschrieben und
diskutiert. Bei den Versuchen beträgt der Einfallswinkel der auf die
Blätter fallenden Strahlen 45°, ausgenommen bei den Bromeliaceen-Blättern.
Die Messungen werden ausgeführt mit Hilfe eines Thermoelements und eines
Galvanometers. (Fig. 1. $& 20.)
3. Die Versuche ergeben, daß behaarte Blätter weniger stark erwärmt
werden als glatte Blätter; — z. B. wurde ein der dichten weißen Filz-
bekleidung auf der Blattoberseite beraubtes Blatt von Centaurea candidissima
Laur. um 37,5°/o stärker erwärmt.
4. Bei, besonders auf der Blattoberseite, glänzenden Blättern zeigt sich, daß
die Erwärmung des Blattes stärker ist, wenn die das Licht weniger intensiv
®) Kohl, Anatomisch -physiologische Untersuchung der Kalksalze und Kiesel-
säure in der Pflanze. Marburg 1839 p. 267 f.
161
reflektierende Blattunterseite der Liehtquelle zugewandt wird; — bei einem
Blatt von Anthurium nitidum Benth. z. B. betrug der Unterschied 30°/o.
5. Die mit einem Wasserüberzug versehenen, benetzten Blattoberflächen
weisen eine den glänzenden Blättern entsprechende Wirkung auf. — Im
benetzten Zustand wurde ein Phyllocladium von Ruscus Hypoglossum L.
z. B. um 19,2°/ weniger erwärmt als im trockenen Zustande. Die Be-
deutung der Träufelspitze als Ausdruck der Organisation eines Schatten-
blattes liegt daher vielleicht in dem Bestreben, das Wasser deshalb schnell
zu entfernen, um die an sich schon geringe Lichtintensität zwecks größerer
Assimilation möglichst auszunützen. Ganz andere Verhältnisse liegen bei
den wasseraufnehmenden Bromeliaceen-Schuppen vor; hier wird durch die
wassergetränkten Schuppen die Lichtbrechung aufgehoben, also die benetzte
Pflanze höher erwärmt.
6. Bereifte, also mit Wachsbedeckungen versehene Blätter werden (z. B.
Cacalia repens L. um 13,6°/o) weniger erwärmt, als die gleichen der Wachs-
bedeekung beraubten Blätter. Die Wirkung der Wachsbedeckung kann
jedoch durch eine darunter liegende glänzende Epidermis (z. B. Echeveria
bracteosa Lindl. u. Paxt.) wesentlich erhöht werden.
In gleicher Weise wirken die dicht aneinanderschließenden Oberhaut-
zellen von Rochea falcata D. C.
7. Die Außenwand der Epidermiszellen, die glatte Cutieula, daneben
die starke Schichtung der äußeren Epidermiswände, besonders bei den Ficus-
Arten, also jedenfalls die oberflächlichen Membranen der Blätter, rufen das
Phänomen der Spiegelung hervor.
Bei einer Anzahl von Bromeliaceen sind es dagegen Epidermiszellen,
die, wie Hohlspiegel wirkend, die Lichtreflexion im wesentlichen bedingen
dürften. (Fig. 2, 3. $ 23.)
Während linsenförmige epidermale Gebilde (z. B. von Mesembrianthemum
eristallinum L.) eine Konzentration des Lichtes verursachen können, läßt
die eigenartige Ausbildung der mit braunem Inhalt angefüllten, sehr schmalen
und langgezogenen Lumina der Hypodermzellen bei den Blättern von Acan-
thostachys strobilacea Klotzsch und Tillandsia vernicosa Bak. vermuten, daß
diese Lumina mit ihrem braunen Inhalt als Blenden wirken. (Fig. 4. $ 27.)
3. Wahrscheinlich werden auch die Krystallkörper in der Hypodermis
der Blätter verschiedener anderer Bromeliaceen (z. B. Tillandsia Karwins-
kyana Schult.) mit ihrer beträchtlichen lichtzerstreuenden Wirkung als Licht-
schutz in Erwägung gezogen werden müssen. (Fig. 5, 6. $ 27.)
Vorliegende Arbeit wurde unter Anleitung des Hermm Prof. Dr. Mez in
Halle a. S. ausgeführt; es sei mir gestattet, für die ständig mir zuteil ge-
wordene liebenswürdige Anregung und Unterstützung auch an dieser Stelle
herzlich zu danken.
Inhaltsübersicht.
A. Einleitung.
B. Historischer Teil.
I. Theorie der Lichtschutzeinrichtungen.
II. Die bisher beschriebenen Lichtschutzeinrichtungen.
ie
)
Bewegungsfähigkeit der Chlorophylikörner.
Einstellung in den Schatten anderer Organe.
a) Ältere Laubblätter als Lichtschutz.
b) Nebenblätter als Lichtschutz.
e) Blattscheiden als Lichtschutz.
d) Zusammendrängung der Vegetationsorgane zu dichten Haufen,
Polstern und Rasen.
. Periodische Bewegungen der Laubblätter.
. Meridian- (Profil-) Stellung turgescenter Blätter.
. Profilstellung nicht turgescenter Blätter.
. Einrollung, Faltung und Runzelung der Blätter.
. Entwicklung einer glänzenden Oberfläche.
. Dichte Haarbekleidung.
. Ausbildung eutieularer Wachsschichten.
. Krystallinische, salzkrustenbildende Überzüge und Kalkablagerungen
. Anatomische Struktur der Sonnenblätter.
. Farbstoff.
. Panachierte Blätter.
. Zellinhaltsbestandteile.
15.
Einige andere angebliche Lichtsehutzeinrichtungen.
GC. Experimenteller Teil.
I. Methode der Untersuchung.
II. Die Größe der Lichtzerstreuung an mit Trichomen bedeckten Blatt-
gebilden.
1.
2.
Schuppenhaare der Bromeliaceen.
Gewöhnliche Haare anderer Pflanzengruppen.
III. Die Wirkung der glänzenden Oberflächen.
IV. Die Reflexion des Lichtes durch Wasserüberzüge auf den Blättern.
V. Liehtschutz durch nicht-trichomatöse Auflagen auf der Epidermis.
1.
2.
Wachsauflagen.
Rauhe Oberflächen.
VI. Andere Ergebnisse.
D. Schluß (Resultate).
Über den Einfluss des geotropischen
und heliotropischen Reizes auf den Turgordruck
in den Geweben.
Von Karl Kerstan.
A. Historische und sachliche Einleitung.
De Einfluß des geotropischen und heliotropischen Reizes wird augen-
fällig, wenn Pflanzenorgane in ihrem tropistischen Gleiehgewichtszustande
gestört werden. Bekanntlich "führen dann die Pflanzen, solange sie dazu
fähig sind, Krümmungsbewegungen aus. In den bisherigen Studien dieser
Krümmungen wurde nicht nur deren äußerer Verlauf berücksichtigt, sondern
das Augenmerk der Forscher richtete sich auch auf die inneren Vorgänge.
Über den Krimmungsmechanismus wurden die verschiedensten Ansichten
geäußert!). Im Hinblick auf die Bewegungsmechanik müssen nach Pfeffer
(VI. p. 353/54) Nutations- und Variationsbewegungen unterschieden werden.
Nachdem seit Frank (I. p. 97) die Nutationsbewegung als Erfolg einer
modifizierten Wachstumstätigkeit erkannt worden war, spielten die ver-
schiedenen Anschauungen über den Wachstumsmechanismus auch in der Er-
klärung der Mechanik bei Krümmungsbewegungen eine Rolle. Sachs und
de Vries hatten die Bedeutung des Turgors für das Wachstum hervor-
gehoben. Für letzteren (II. p. 517) lag es nahe, bei Wachstumskrümmungen
mehrzelliger Organe die Differenz im Wachstum der konvexen und konkaven
Seite als Folge einer einseitigen Steigerung der Turgorausdehnung zu er-
klären. Die Veränderung des osmotischen Druckes in den antagonistischen
Seiten beruht nach ihm (I. p. 835) auf der verstärkten Produktion osmotisch
wirksamer Stoffe in der convex werdenden Seite des Pflanzenorgans. Er
folgerte dies daraus, daß eine eben begonnene geotropische oder helio-
tropische Krümmung dureh die plasmolysierende Wirkung einer 20°/oigen
Kochsalzlösung wieder rückgängig gemacht werden konnte. In bezug auf
1) Ausführliche Literaturangaben finden sich bei: Cisielski, Untersuchung
über die Abwärtskrümmung der Wurzel. Dissertation 1570, p. 1—8. Schober,
Anschauungen über den Geotropismus seit Knight. Hamburg 1399. Wissenschaft-
liche Beilage zum Bericht der Realschule Eilbeck. Wiesner, Die heliotropischen
Erscheinungen im Pflanzenreiche 1878, I. Teil, p. 4 ff.
Beiträge zur Biologie der Pflanzen, Bd. IX, Heft II. il
164
die heliotropischen Krümmungen mehrzelliger Organe haben auch andere
Forscher die Ansicht geäußert, daß sie durch Turgorwechsel veranlaßt
werden. So schließt Sachs (I. p. 806) die „Veränderung des Turgors *
als Krümmungsursache nicht aus, und nach Wiesner (I. p. 21) kommt
der positive Heliotropismus dadurch zustande, daß außer den Cohäsions-
verhältnissen der Zellmembranen auf den antagonistischen Seiten auch der
Turgor allseitig oder nur einseitig verändert wird. Allein nähere Unter-
suchungen über die vermutete T’urgoränderung waren von den erwähnten
Forschern nicht angestellt worden. Ihre Annahme wurde auch bald dureh
die Ergebnisse von G. Kraus (II. p. 87 f.) in Frage gestellt. Er fand
nämlich, daß während der geotropischen und heliotropischen Krümmung
eines Sprosses eine absolute Abnahme des Zuckers, sowie eine Zunahme
des Wassergehaltes in der erdwärts gerichteten Stengelhälfte eintritt, woraus
eher eine Verminderung als eine Steigerung des osmotischen Druckes auf
der Konvexseite gefolgert werden konnte. Dieses der de Vriesschen An-
nahme direkt widersprechende Resultat veranlaßte denn auch Wortmann
(I. p. 961), den 'Turgordruck in den Zellen der konvexen und konkaven
Seite mehrerer geotropisch gekrümmter Stengel nach der plasmolytischen
Methode zu untersuchen. Er erhielt immer das übereinstimmende Resultat,
daß tatsächlich keine Differenz in der Turgorkraft auf beiden Seiten vor-
handen ist. Dasselbe negative Ergebnis in bezug auf einseitige Erhöhung
der Turgorenergie fand Noll (I. p. 511) bei einer „ganzen Reihe von Beob-
achtungen “, ja bei sehr stark und rasch sich krümmenden Organen fand
er in den Zellen der Konvexseite eine sichtliche Abnahme des plasmolytischen
Wertes, übereinstimmend mit den von Kraus erhaltenen Befunden. Damit
kann — so schließt Noll — die Annahme einer Turgorsteigerung auf der
Konvexseite von de Vries nicht länger mehr in Betracht gezogen werden.
Allein so ausnahmslos zurückzuweisen, daß gesteigerte Turgorenergie bei
geotropischen Krümmungen beteiligt sei, wird eingeschränkt durch Beob-
achtungen Pfeffers (IV. p. 399): bei plasmolytischen Untersuchungen von
horizontal gelegten Grasknoten, deren Aufwärtskrümmung durch einen Gips-
verband gehemmt war, wurde in einem Falle, nämlich in den Knoten von
Hordeum vulgare, eine Steigerung des Turgors in den unterseitigen Parenchym-
zellen um 1—2°/o Kaliumnitrat gefunden. Ferner wollte Kohl (I. p. 60, 66)
an horizontal liegenden Stengeln, sowohl gekrümmten, als auch an unge-
krümmten, sowie an krümmungsunfähigen, eine absolute Erhöhung des Tur-
gordruckes in der Konkavseite als Folge des geotropischen Reizes beob-
achtet haben. In der ausführlichen Entgegnung Nolls (II. p. 36) wurde
aber mit Recht darauf hingewiesen, daß Kohls Bestimmungen der abso-
luten Turgorerhöhung auf der Konkavseite sehr mangelhaft sind. Auf die
Beobachtung Pfeffers geht Noll nicht ein, obwohl er seine Theorie gegen
dessen Kritik ausführlich verteidigt. — Wenn nun auch der einseitigen Er-
höhung der Turgorenergie bei Hordeum eine generelle Bedeutung für den
Krümmungsmechanismus nicht beigemessen werden darf — dies verbietet
165
schon der Umstand, daß Pfeffer bei den in derselben Weise am Auf-
krümmen verhinderten Knoten von Triticum vulgare, Triticum spelta und
Glyceria spectabilis eine Turgorsteigerung nicht beobachten konnte — so
wäre sie dennoch beachtenswert, wenn sie sich als eine durch den Schwer-
kraftsreiz veranlaßte Reaktion erwiese. Eine Untersuchung in dieser Richtung
liegt aber bis jetzt noch nicht vor. Ferner ist noch nicht festgestellt, ob ein-
seitige Steigerung der Turgorenergie bei gehemmter tropistischer Nutations-
krümmung überhaupt allgemeiner verbreitet ist; denn die vorliegenden
plasmolytischen Untersuchungen Wortmanns und Nolls erstrecken sich
nur auf realisierte Krümmungsbewegungen, und die Versuche Heglers
[Hinweis bei Pfeffer (III. p. 227)], die zu dem erwähnten Zwecke an-
gestellt wurden, liegen nicht im einzelnen vor. Könnte die Änderung des
Turgordruckes in manchen Fällen wirklich als das Mittel festgestellt werden,
wodurch die Wachstumstätigkeit horizontal gelegter Pflanzenorgane modi-
fiziert wird, so hätte sie für manche Nutationskrümmungen dieselbe Be-
deutung, wie für die Variationskrümmungen. Denn Pfeffer (II, p. 140)
bewies, daß letztere verursacht werden nur durch die Dehnung der Mem-
branen, welche durch die auf der erdwärts gewandten Hälfte vermehrten
Expansionskraft bewirkt wird. Hilburg (I. p. 30/31) konnte auch durch
plasmolytische Untersuchung des tropistisch gekrümmten Blattgelenkes von
Phaseolus vulgaris bestätigen, daß der osmotische Druek auf der konvex
werdenden Gelenkhälfte eine Steigerung erfahren hatte, die etwa 1°/» Kalium-
nitrat äquivalent ist. Die Frage, ob dieser Turgorvariation die Bedeutung
einer geotropischen oder heliotropischen Reaktion im Gelenkpolster der Bohne
beizumessen ist, ist bisher noch nicht experimentell beantwortet, ferner ist
auch noch nicht untersucht worden, ob die tropistischen Variationskrüm-
mungen anderer Pflanzen auch durch einen Tuurgorwechsel bewirkt werden.
Es ergibt sich also für mich die Aufgabe:
1. zu untersuchen, ob Turgorreaktionen als Folge des tropistischen
Reizes Ursachen der Krümmung sind, (diese Untersuchung schloß
an die bisherigen Beobachtungen und Behauptungen an),
2. zu untersuchen, wie weit verbreitet diese Erscheinungen sind.
Da in bezug auf den Bewegungsmechanismus von vornherein Nutations-
und Variationskrümmungen zu unterscheiden sind, so ordnen sich diese Teile
den beiden Hauptabschnitten ein: Turgorverhältnisse bei
a) Nutations- (Abschnitt C) und
b) Variationskrümmungen (Abschnitt D).
B. Methodisches.
In der vorliegenden Untersuchung ist der Turgordruck immer nach der
plasmolytischen Methode gemessen worden. Als Plasmolysator wurde Kali-
salpeterlösung verwendet, und zwar wurden die verschiedenen Konzentrationen
hergestellt durch volumetrische Verdünnung einer Normallösung, die 10,1 g
ls
166
KNO, auf 100 eem Lösung enthielt. Zur Bestimmung des plasmolytischen
Grenzwertes wurden meist um 0,5°/o verschiedene Lösungen für ausreichend
genau erachtet und eventuellen Unterschieden von 0,2° im Turgordruck
keine prinzipielle Bedeutung für die Krümmungsbewegung beigemessen, weil
einem osmotischen Werte von 0,5 ° Kaliumnitrat ein Energieaufwand
von 1—2 Atmosphären entspricht, und dieser mindestens zur Ausführung
der tropistischen Krümmung erforderlich ist. Nur in einigen Fällen wurde
eine Genauigkeit bis auf 0,2°/ KNO, angestrebt. Plasmolysiert wurden
mediane Längsschnitte in der Richtung der Krümmungsebene oder an deren
Stelle Querschnitte (bei kurzen Bewegungsgelenken). Um Verwechselungen
der antagonistischen Flanken bei der mikroskopischen Untersuchung vorzu-
beugen, habe ich die konvexe Seite eines Schnittes durch einen leichten
Einschnitt markiert.
Da ich im Laufe meiner Untersuchungen die Turgorhöhe nur nach der
sewöhnlichen plasmolytischen Methode bestimmte (und nur selten nach der
plasmolytischen Transportmethode, deren Ergebnisse stets durch die erstere
kontrolliert wurden), so mußte ich die Mängel jener Methode kennen, um
meine Ergebnisse kritisch beurteilen zu können. Auf Unzulänglichkeiten
dieser Methode ist wiederholt hingewiesen worden!). Für meine Unter-
suchung kommen vor allem folgende Punkte in Betracht. Zunächst ist die
elastische Kontraktion der Membranen bei der Beurteilung des gefundenen
Turgordruckes zu berücksichtigen. Sie konnte auch meine Ergebnisse be-
sonders bei den nicht durch Wachstum fixierten Variationskrümmungen in
Frage stellen, wenn etwa die Zellmembranen der allein verlängerten Flanke
bei der Plasmolyse eine ansehnliche Kontraktion erfahren, bevor sich der
Plasmakörper von der Membran abhebt; doch konnte eine solche nicht be-
obachtet werden.
Auch in den Objekten liegen manche Fehlerquellen. Es gibt Pflanzen-
zellen, in denen bei Plasmolyse eine Abhebung des Plasmakörpers auch im
lebenden Zustande und zwar aus verschiedenen Gründen nicht stattfindet.
So kann einerseits die Beschaffenheit der Membran den Eintritt der Lösung
erschweren oder überhaupt verhindern, oder es kann anderseits der Plasma-
körper so fest an die ihn umgebende Membran gepreßt sein, daß er sich
entweder garnicht oder nur unter Zerreißung abhebt. Derartige Verhältnisse
scheinen tatsächlich in vielen Grasknoten (vergl. p. 185) und im Wasser-
gewebe der Marantaceen (vergl. p. 206) vorzuliegen. Auf andere anato-
mische und physiologische Eigenschaften (Kleinheit der Zellen, Verdiekung
der Membranen, besondere Inhaltstoffe, individuelle Schwankungen der plas-
molytischen Grenzwerte), die die Bestimmung der isotonischen Lösung
manchmal erschweren, wird bei den einzelnen Versuchsobjekten hingewiesen
werden.
!) Vergl. de Vries (III. p. 544 fl.), Wortmann (II. p. 249), Hilburg
(I. p. 25), Pfeffer (III. p. 228 und IV. p. 295, 305f.).
167
Wie vorher erwähnt, bestimmten auch Wortmann, Noll und Kohl
den Turgordruck in gekrümmten Pflanzenorganen nach der plasmolytischen
Methode. Die genannten Forscher handhabten diese Methode so, daß sie
die Schnitte in eine noch nicht isotonische Lösung offen auf den Objekt-
träger brachten und dann, während sich die plasmolysierende Lösung all
mählich durch Verdunstung konzentrierte, mikroskopisch den Eintritt der
Plasmolyse in den antagonistischen Seiten erwarteten. Weil auf diese Weise
sowohl die sich ändernde Konzentration der Lösung als auch die Zeit der
beginnenden Plasmolyse als Maß des Turgordruckes benutzt wird, ist es
möglich, auch sehr kleine Turgorunterschiede zwischen den beiden Gegen-
seiten zu bestimmen. Trotzdem wandte ich diese Art der Messung nicht
an, sondern gab der von Pfeffer (V. p. 127) erwähnten und oben be-
schriebenen Manier den Vorzug; denn einmal brauchte ich, wie schon dar-
getan, auf geringere Differenzen kein Gewicht zu legen, und in den Fällen,
wo dies geschehen mußte, ist sie nicht zu empfehlen, weil sie infolge fort-
während stattfindender Verdunstung der Lösung den genauen prozentualen
Wert der Konzentration und damit die Größe der Differenz in den antago-
nistischen Seiten unbestimmt läßt. Ferner können die Resultate der Ver-
dunstungsmethode durch mancherlei Nebenumstände unsicher werden, z. B.
die Dieke des Schnittes oder die räumliche Beschränktheit des mikroskopischen
Gesichtsfeldes.. Durch letztere kann nämlich die Zahl der gleichzeitig Plas-
molyse zeigenden Zellen auf jeder Seite nur allgemein bestimmt werden.
Da aus zahlreichen früheren Untersuchungen [z. B. de Vries (IV. p. 561),
Pfeffer (IV. p. 304), Copeland (I. p. 39), E. Pringsheim (I. p. 112, 121)]
bekannt ist, daß auch äußere Einflüsse — besonders kommen Beleuchtung,
Temperatur und Wassermangel in Betracht — für die normalen Turgor-
verhältnisse sehr wesentlich sind, so mußten dieselben bei den Versuchen
sorgfältig berücksichtigt werden, um dadurch eine Fehlerquelle auszuschalten.
C. Turgorverhältnisse bei den tropistischen Nutations-
krümmungen.
I. Die Krümmung ist realisiert.
a) Keimstengel, Sprosse und Wurzeln.
Die tropistischen Nutationskrümmungen der Wurzeln und meisten Sprosse
kommen dadurch zustande, daß die konvex werdende Flanke in der Zone
der normalen Wachstumstätigkeit eine Wachstumsbeschleunigung erfährt.
Diese Veränderung könnte durch eine Turgorsteigerung bezw. Turgordifferenz
in den Geweben verursacht werden. Doch ist dies nicht unbedingt erforder-
lich; denn die normale Turgorkraft ist groß genug, um mit Hilfe gesteigerter
Dehnbarkeit der Zellmembranen (Noll I und II) oder sogleich beschleunigten
Membranwachstums (Pfeffer IV. p. 416) eine Aufkrümmung einzuleiten.
Im letzteren Falle hat sie allerdings nur formale Bedeutung. Würde aber
168
auch in diesen Fällen im Laufe der Krümmung eine Erhöhung des Turgors
eintreten (und in manchen Grasknoten scheint dies der Fall zu sein), so
wäre die größere Turgorenergie eine Begleiterscheinung, die das Wachstum
der Zelle beschleunigen könnte. Solche Erwägungen über eine mögliche
Beteiligung des Turgors an der tropistischen Krümmung weisen auf Gesichts-
punkte hin, die bei den Untersuchungen und Versuchsanordnungen wohl zu
berücksichtigen sind. So müssen, ehe überhaupt irgendwelcher Einfluß des
tropistischen Reizes auf den Turgordruck der sich krümmenden Pflanze
konstatiert werden kann, zuerst die normalen Turgorverhältnisse bestimmt
werden. Wenn ferner die Turgorsteigerung die Ursache der Krümmung ist,
so muß sie kurz vor Beginn der Krümmung, und da vielleicht besonders
deutlich, zu beobachten sein. Darum untersuchte ich Pflanzen nicht nur,
wenn die Krümmung sich vollzog, sondern auch kurz nach dem Horizontal-
legen oder nach begonnener Einwirkung einseitigen Lichtreizes, also dann,
wenn überhaupt noch keine Krümmung zu sehen war. Pflanzen aber, deren
Krümmung beendet war, wurden überhaupt nicht mehr als für die Unter-
suchung geeignet erachtet. Immer wurden gleichaltrige Objekte von möglichst
gleichem Äußeren und gleicher Länge ausgewählt. Um bei der normal
stehenden Pflanze die Zone zu bestimmen, in der die ansehnlichste Krim-
mung stattfindet, wenn jene horizontal gelegt würde, habe ich vorher ein
anderes Exemplar, das nicht plasmolysiert wurde, die Krümmung ausführen
lassen, um daran die Zone der ansehnlichsten Krümmung zu erkennen.
Umstehend sind die Ergebnisse der plasmolytischen Untersuchungen mehrerer
tropistisch gekrümmter Pflanzenorgane mitgeteilt. Die plasmolytischen Grenz-
werte sind in Salpeterprozenten angegeben. R bedeutet die Zellen des
Rinden-, M die des Markparenchyms. Die beigefügten o und u bezeichnen
die Ober- und Unterseite des gekrümmten Pflanzenteils.. Temp. 16—13°C.
Geotropische Krümmung von Keimwurzeln.
Die Turgorverhältnisse der in normaler Stellung befindlichen Wurzeln
von Vieia Faba und Zea Mays sind eingehend und genau von Pfeffer
(IV. p. 296 ff.; Turgorkurve für Viciawurzel p. 297, für Zea p. 299) be-
schrieben worden. Die bei der geotropischen Krümmung in der Mitte der
Krümmungszone herrschenden Turgorverhältnisse sind im folgenden bestimmt
worden. In feuchten Sägespänen gerade gewachsene Wurzeln von 30 bis
40 mm Länge wurden horizontal gelegt in der von Sachs (II. p. 405) als
vorteilhaft bezeichneten Weise.
Vieia Faba al | 02,9 u 3,0 |
(4—7 mm von der Spitze) | M / zu | 3,0 | = |
Zea Mays R 3,3—4,0 3,8 | eg:
(3—5 mm von der Spitze) | M | 4,8-5,0 4,8—5,0 A0 | 16 Std
169
Stengel von Keimpflanzen.
«) Negativ geotropische Krümmung:
Die Pflanzen befanden sich in Töpfen, und diese wurden umgelegt. Die in Klammer
befindliche Ziffer gibt die Gesamtlänge des Stengels an, die beigefügte Angabe:
„Entfernung von der Spitze“ gibt das obere Ende der Zone an, der die Schnitte
entnommen wurden.
an U
8 Gekrümmte 382 2
E) =; ©
Pflanze 2 Normale Pflanze 28% ZE
© SEE 570
& SE =
0 0) „4 €
lo lo
a ——_,
Hypokotyl v. Lupinus albus R 93
(40 mm lang) 3 do.
M|2 40°
R
[SS]
[21
o
-
fe
SIT
[9
ze
0
20 mm von der Spitze
Hypokotyl von Cucurbita Pepo
(90 mm lang) und 25 do. 45°| 1 Tg.
30 mm von der Spitze M |
Epikotylv. Phaseolus multiflorus R 3,0 030 u95
’ ’ -, 0 S
(95 mm lang) M| 30-3.22) 0303,23 u35—2,8 60° | 20 Std.
30 mm vom Scheitelpunk
Hypokotyl v. Ricinus communis' 2 3,5
(110 mm lang) E ' 2,8 . = 5 22 40%) 2 Te
45 mm von der Spitze M .
Epikotyl von Vicia Faba 036 u25 E ar
(90 mm lang) = Ia6—a8 3) 26-28 150°, 1 Tg.
35 mm von der Spitze
ß) Positiv heliotropische Krümmung:
Etiolierte Pflanzen wurden in einem Dunkelkasten mit wagerechtem Spalt in der
Vorderwand an einem Südfenster dem Tageslichte ausgesetzt.
2 Gekrümmte | & &. 2
E= : 54 Zn
Pflanze E Mama Pflanze | 2 E E z .
ou‘ Aks)
oO Ben
°/o °/o 5 m
Epikotyl v. Phaseolusmultiflorus | R 3,0 ik
(SO mm lang) DEM 39 h 2,8 10° RN
20 mm vom Scheitelpunkt }
Hypokotyl v. Helianthus annuus R 35 |
(60 mm lang) IM 9.9?) } do 15— 20° 3—5 Tg.
15 mm von der Spitze ”
Hypokotyl v. Ipomoea purpurea |
(40 mm lang) IRu.M| 2,5-3,0 do. 02 4 Std.
10 mm von der Spitze |
Versuche mit großen Exemplaren:
Coleus hybridus, 25—30 em hoch Y DER 2,5 | _ —
Impatiens Sultani, 40 em hoch 5 Y do. iv 2 u
Achyranthes Verschaffeltii, R 15-50 [050 u45 e u
30—35 em hoch M 6,0-6,5 065 u6,0 |
1) Vgl. Wortmann (I. p. 461), Pfeffer (IV. p. 378).
2, Vol. Pfeffer (IV. p, 378). 2) Vol. Pfeffer (IVap. 375)
170
Werden die Ergebnisse der plasmolytischen Untersuchungen überblickt,
so ergibt sich in bezug auf die Beteiligung des Turgors, daß bei den ge-
krümmten Organen eine Turgorsteigerung gegenüber der normalen Pflanze
nirgends gefunden wurde, weder auf der Konkav- noch auf der Konvexseite,
weder während der Krümmung noch auch dann, wenn nach '/—1 stündigem
Horizontallegen der Pflanze die Krümmung noch nicht begonnen hatte. Dieses
negative Resultat stimmt überein mit den Befunden Wortmanns (I. p. 961)
und Nolls (I. p. 511). Bei vielen Pflanzen sinkt sogar die Turgorenergie
etwas auf der Konvexseite in der Krümmungszone. Mehrfach (Lupinus,
Oucurbita, Helianthus, Ipomoea, Coleus, Impatiens, Wurzel von Zea) wurde
allerdings auch Konstanz des Turgors in dieser Flanke beobachtet. Noll
(dl. p. 511 und p. 525 Anmerkung) konstatiert dasselbe und zwar bei „sehr
stark und rasch gekrümmten Organen“. Auch nach meinen Beobachtungen
ist wahrscheinlich, daß der Winkel der Krümmung, deren Schnelligkeit und
die Größe der Krümmungszone von wesentlichem Einfluß auf die Turgor-
erniedrigung der Konvexseite sind. Denn die Keimstengel von Phaseolus,
Vicia und die Fabawurzel zeichnen sich in der Tat durch rascheren Ver-
lauf der Krümmung gegenüber den Lupinusstengeln und der Zeawurzel
aus. Freilich ist der Rückgang des Turgors auf der Konvexseite nicht immer
mit schnellerer Krümmung verbunden; denn im Hypokotyl von Ricinus, das
sich nieht so rasch wie etwa Phaseolus krümmt, wurde ein Rückgang eben-
falls gesehen, während ihn der sich ziemlich schnell krümmende Impaliens-
stengel nicht erkennen ließ. Überdies ist zu bedenken, daß die Turgor-
verhältnisse überhaupt individuellen Schwankungen unterworfen sind, sodaß
es nicht überraschen darf, wenn ein geringerer osmotischer Wert auf der .
Konvexseite nicht bei allen Individuen einer Gattung und Art zu sehen ist.
Mit zunehmender Größe des Krümmungswinkels wird auch die Differenz
des Turgors zwischen Ober- und Unterseite größer. Das geht aus einem
Versuche mit Keimstengeln von Phaseolus hervor. Als die Turgorverhältnisse
solcher Stengel nach 2 Stunden Horizontallage untersucht wurden, zeigten sie
eine Krümmung von ca. 10° und eine Turgorabnahme von 0,2 °/ Salpeter
(Mittelwert) im Rindenparenchym der Unterseite. Nach 3 Stunden, als der
Krümmungswinkel durchschnittlich 15° betrug, war der gleiche Rückgang
von 0,2 auch in den benachbarten Zellen des Markparenchyms der erd-
wärts gewandten Hälfte zu bemerken. Als die Stengel 7'/. Stunden lang
horizontal gelegen und sich ca. 20° gekrümmt hatten, betrug der Rückgang
sowohl’ im Rindenparenechym als auch in den angrenzenden Markparenchym-
zellen 0,5 °. Viel höher wurde der Unterschied im osmotischen Werte
der Gegenseiten nicht gefunden, nur einmal betrug er 0,70. Nachdem die
apikal gelegenen Stengelteile aus der Krümmungszone herausgetreten waren,
also sich wieder gestreckt hatteı, hatte der Turgor der Unterseite die alte
Höhe wieder erreicht, und demzufolge war die Turgordifferenz verschwunden.
Doch tritt dies erst nach einer gewissen Zeitdauer ein, die von der Größe
der Differenz abhängig zu sein scheint. Als nämlich die Unterseite in der
Kite,
Krimmungszone einen um 0,2 °o niedrigeren Turgorwert als die Oberseite
zeigte, waren in dem Stengelstücke oberhalb der Zone, welches die Krüm-
mung schon durchlaufen hatte, die Turgorwerte der beiden antagonistischen
Flanken gleich; während die Differenz in dem wieder gerade verlaufenden
Spitzenteile noch nieht immer aufgehoben war, als sie in der sich krimmen-
den Zone nach 7'/stündiger Horizontallage 0,5 °/o betrug. Die regulatorische
Tätigkeit der Pflanze braucht eben zur Herstellung des früheren Turgor-
wertes eine gewisse Zeit.
Die Tatsache, daß die Turgorabnahme auf der Unterseite sehr bald
ausgeglichen wird, läßt sich sehr gut mit den Ansichten Pfeffers (IV. p. 412
und VI. p. 668) und Nolls (I. p. 525 und II. p. 45) in Einklang bringen,
nach welchen die Differenz nur dadurch zustande kommt, daß bei dem
einseitig beschleunigten Wachstum die Produktion osmotischer Substanz
nicht gleichen Schritt hält mit der Volumzunahme und Wasseraufnahme der
Zellen.
In allen Fällen lehrt der Vergleich des Turgordruckes in der gekrümmten
mit dem in der normalen Pflanze, daß die Turgordifferenz zwischen Ober-
und Unterseite durch den Rückgang des plasmolytischen Wertes auf der
unteren (konvexen) Seite zustande kommt, nicht, wie Kohl (I. p. 60) lehrt,
durch Erhöhung auf der konkaven Seite. !)
Dieses negative Resultat braucht jedoch nicht allgemeine Gültigkeit zu
haben. Während bei den bisherigen Objekten die Krümmung einen flachen
Bogen darstellt, und infolgedessen die Verlängerung auf eine große Zahl
von Zellen sich verteilt, woraus wieder folgt, daß jede einzelne nur geringen
Anteil hat, ist sie bei andern Pflanzen ein scharfer Kniek, indem sich die
Wachstumsarbeit auf eine kurze Strecke verteilt, sodaß die einzelne Zelle
der Unterseite stark in Anspruch genommen wird. Hier tritt vielleicht eine
einseitige Turgorsteigerung ein. Solche kurze Krümmungszonen liegen bei
den Gelenkpflanzen vor.
!) Kohl folgert dies aus Untersuchungen, die er nur an gekrümmten Organen
vorgenommen hatte, ohne ihre Turgorverhältnisse mit denen der normalen Pflanze
zu vergleichen. Er fand nämlich z. B. bei einem gekrümmten Stengel von Pisum
sativum nach der Verdunstungsmethode (s. o. p. 167) zwischen Ober- und Unterseite
einen Unterschied von 0,5—1,0°/, Salpeterwert. Bei meinen Untersuchungen an
Pisum fand ich einen so wesentlichen Unterschied nicht. Deshalb prüfte ich die
Befunde Kohls mittels der von ihm angewandten Methode nach. Weiter wollte
ich auch an Stelle der sehr allgemeinen Zeitangaben K ohls „sehr bald“, „sofort“,
„nach einiger Zeit“ eine bestimmte Zeitdauer wissen. Nach diesen Untersuchungen
muß ich Kohls Ergebnisse als nicht einwandfrei bezeichnen. Denn nicht immer
trat die Plasmolyse an der Konvexseite eher ein als an der Konkavseite, sondern in
manchen Schnitten begann der Plasmakörper auf beiden Seiten sich abzuheben
und zwar nach 45 Sekunden. Aber selbst in den Fällen, wo eine zeitliche Differenz
beobachtet wurde, betrug diese höchstens 10 Sekunden. Unter solchen Umständen
kann wohl von einem wesentlichen Unterschiede im Turgordruck der antagonistischen
Seiten nicht gesprochen werden.
172
b) Stengelknoten.
Der äußere Verlauf der geotropischen Krümmung von Stengelknoten ist
von Barth (I) und Kohl (II) näher beschrieben worden. Bei den folgenden
Versuchen wurden Knoten sowohl horizontal als auch aufrecht in feuchten
Sand gesteckt, der sich in einem Zinkkasten befand. Die normal stehenden
Knoten wurden während der Krümmungsdauer der andern unter denselben
Bedingungen gehalten.
1. Knoten, die nur krümmungsfähig sind, solange sie wachsen.
S | Gekrümmte | 2. 2
Fo} 3 o S ei
Peienze Sun Normale Pe ; 23 s B
5 2 5 E s=
% RER ST BR
a) Knoten ohne Blattscheiden.
Crassula spathulata Ru.M| 3,0—-3,5 do. 30° 2YPEL
Galeopsis tetrahit Y a \ do. 20° 2 Te:
Mercurialis perennis 2 > R SE 188 | 400 rk:
Mimulus luteus | R 2,2 09.200 9,0 950 ıT
(ober- u. unterhalb der Knotenplatte)2) | M 255 De &
Asperula tinctoria Ru.M 55 | do. gl 3 De:
8) Knoten mit Blattscheide, diese ist bei der Krümmung passiv.
Wr ie)
Melandryum album ” 23,5—2,3 \ do. 250 210g:
Polygonum Bistorta N | = | 2 = 2 e 30° |. 12T
2. Knoten, die im fast ausgewachsenen Zustande noch
krümmungsfähig sind. Blattscheide ist beider Krümmung passiv.
Tradescantiastengel.
Der anatomische Bau und die geotropische Aufrichtung der Tradescantia-
stengel ist außer von Barth (I. p. 16, 18 ff.) auch von Miehe (I. p. 531)
beschrieben worden, ebenso wie dort [Miehe (I. p. 535 Skizze)] wurden
zu den folgenden Versuchen abgeschnittene Stengel von 3—4 Internodien-
längen verwendet.
— < 0 |
Trad. fluminensis Y 2, 2 a ne = oe 2 1
Trad. virginica L = \ do. 200 | 1 Tg,
Callisia repens n 2 e ons 17 | 950 2 Ale:
!) Vgl. Briquet (I. p. 17), der den normalen Turgorwert auf 10 atm. — ca.
30 KNO, feststellte. Der von mir gefundene höhere Wert kann dadurch erklärt
werden, daß ich eine eingebrachte, wenig welke Pflanze untersuchte.
2) Nach Barth (I. p. 7) werden hier die Bewegungsknoten von beiden Teilen
zweier benachbarter Internodien gebildet.
173
Die Ergebnisse der plasmolytischen Untersuchung der Stengelknoten
stimmen also überein mit denen bei Keimpflanzen; nirgends wurde ein
höherer Turgorwert auf der Unterseite gefunden. Hieraus braucht aber
noch nicht gefolgert zu werden, daß die Turgorenergie als Betriebskraft der
Krümmung außer Frage kommt. Denn es ist sehr wohl möglich, daß eine
Turgorsteigerung stattgefunden hat, daß diese aber bei der Krümmung,
bez. durch dieselbe aufgehoben ist. Ob dies der Fall ist oder nicht, kann
ermittelt werden, wenn die Krümmungsbewegung mechanisch gehemmt
wird. Dies kann sowohl durch Eingipsen als auch durch Zug in der Längs-
richtung des Objektes geschehen. Während im Gipsverband außer der
Krümmung auch das Wachstum verhindert wird, demgemäß eine etwaige
Turgorsteigerung auch durch Wachstumshemmung verursacht sein kann,
dauert das Längenwachstum bei Zug ziemlich ungestört fort. Der Anteil
des Turgors am Krümmungsmechanismus liegt dann klar zutage. Darum
werden im folgenden Ergebnisse plasmolytischer Untersuchungen über die
Turgorverhältnisse solcher Pflanzen mitgeteilt, deren tropistische Krümmung
mechanisch gehemmt worden ist.
U. Die Krümmung ist mechanisch gehemmt.
a) Einleitendes.
Zur Beurteilung dieser Ergebnisse war es nötig, frühere bei solcher Ver-
suchsanordnung gewonnene Resultate zu berücksichtigen. Außer einigen
früheren Arbeiten liegen Untersuchungen von Wortmann (D, Elfving (ID,
Hegler (I) und Ball (I) vor. Die anatomischen Veränderungen bei hori-
zontaler Zwangslage und geotropischer Induktion hat neuerdings Bücher (D
eingehend studiert. Schon Wortmann und Elfving stellten an horizontal
gehaltenen Objekten bezüglich der Wanddicke von Bast- und Collenchym-
zellen große Unterschiede zwischen Ober- und Unterseite fest, die erklärt
wurden von Hegler als Reizwirkung einseitiger Zugspannung, von Ball in
manchen Fällen als solche der Schwerkraft. Bücher, der die Ansichten
beider bestätigen kann, nennt die anatomischen Veränderungen ersterer Art
Kampto-, die letzteren Geotrophismus. Über die osmotischen Verhältnisse
bei den unter Zugspannung gehaltenen Pflanzen sowohl der aufrecht stehen-
den als auch der horizontal gelegten, sowie über die eingegipster Pflanzen
spricht sich nur Hegler aus [I. p. 407 ff., Hinweis bei Pfeffer (III. p. 227)].
Er bestätigt die Ergebnisse Pfeffers (IV. p. 296, 303, 378, 398), daß
eingegipste wachstumstätige Pflanzenorgane einen höheren Turgordruck zeigen
als die freiwachsenden. In den Streckungszonen der unter Zugspannung
aufrecht stehenden Pflanzen stellte er einen allseitig höheren plasmoly-
tischen Grenzwert fest, und er gibt an, daß er „bei Hemmung geotro-
pischer Wachstumskrümmungen (unter Fortdauer des Längenwachstums)“
in den Zellen der konvex werdenden Seite eine Turgorzunahme beobachtet
habe. In bezug auf den letzten Punkt befinde ich mich in Widerspruch
174
mit Hegler, denn meine plasmolytischen Untersuchungen ergaben, daß
bei vielen durch Zug horizontal gehaltenen Keimstengeln niemals eine
einseitige Turgorschwellung eintrat, sondern eine allseitige, analog der von
Hegler bei vertikaler Stellung beobachteten. Während ich also die oben
angeführten Beobachtungen sowohl über die anatomischen Veränderungen
als auch über die osmotischen Verhältnisse im allgemeinen bestätigen konnte,
gilt dies nicht in diesem einen Falle.
b) Ergebnis.
Über die Methode des Eingipsens vgl. Pfeffer (IV. p. 238 fl.). Die
Hemmung der Krümmung (durch Zug) erfolgte in der üblichen Weise.
Vgl. Wortmann (I. p. 819), Ball (I. p. 323), Bücher (I. p. 308 Ab-
bildung). Von den zu untersuchenden Pflanzen wurden in demselben Topf
gezogene Paare von gleicher Länge und Kräftigkeit ausgesucht. Während
die eine Pflanze die Krümmungsbewegung ungehindert ausführte, wurde die
andere durch Zuggewichte in der Reizlage festgehalten, sodaß nur das
Längenwachstum fortdauern konnte. Nachdem die eine Pflanze eine an-
sehnliche Krümmung ausgeführt hatte, wurde in beiden der Turgordruck
nach der plasmolytischen Methode bestimmt. Untersucht wurden die gleichen
Pflanzen und Pflanzenteile (Keimstengel von Lupinus, Cucurbita, Phaseolus,
Rieinus, Veeia, Helianthus, Ipomoea, Stengel von Coleus, Impatiens, Achy-
ranthes, Keimwurzeln von Vrcra und Zea, Stengelknoten von Crassula,
Galeopsis, Mercurialis, Mimulus, Melandryum, Polygonum und Trades-
cantia), deren osmotische Verhältnisse schon bei ausgeführter geo- oder
heliotropischer Krümmung festgestellt worden waren (vgl. plasmolytische
Grenzwerte im vorhergehenden Teil D. Die Stengel wurden außer durch
Eingipsen besonders durch Zugspannung in der Längsrichtung an der
Krümmung verhindert, während bei den untersuchten Wurzeln und Stengel-
knoten die Hemmung erfolgte einerseits durch Eingipsen in der Pfeffer-
schen (IV. p. 230, 296 ff.) Weise, anderseits wurden sie, um das Längen-
wachstum nicht zu hemmen, in enge Glasröhren eingeführt. Bei der Aus-
wahl der Wurzelstrecken, denen Längsschnitte zum Zwecke der Plasmolyse
entnommen wurden, war für die entgipsten Wurzeln zu berücksichtigen, daß
sich im Gipsverbande die Wachstums- und demgemäß auch die Krümmungs-
zone verkürzt (Pfeffer IV. p. 352) und ferner, daß da, wo Krümmung
realisiert wird, die Hauptkrümmung bereits nach einigen Stunden basalwärts
sewandert ist (Pfeffer VI. p. 654). Es wurden deshalb Schnitte aus ver-
schiedenen Regionen des S—10 mm langen Spitzenteiles der Wurzel unter-
sucht. Bei den Hemmungsversuchen, speziell mit Phaseolus- und Vicia-
Keimstengeln, bestätigte sich die Behauptung Balls (I. p. 323, 327), nach
der kräftig wachsende Pflanzen selbst bei ansehnlichstem Zuge nicht voll-
ständig an der Krümmung verhindert werden können. Durch diesen und
den ferneren Umstand, daß bei der Abnahme des spannenden Gewichtes
die Pflanze sofort eine Schnellbewegung (Pfeffer VI. p. 537, 667) im Sinne
175
der geotropischen Krümmung ausführt, wird der beobachtete geringe Rick-
gang des Turgors (um 0,2 Salpeterprozent) auf der konvex werdenden Seite
erklärlich, annähernd derselbe Effekt, der auch bei Realisierung der Krümmung
erzielt wird.
Von einer einseitigen Zunahme der osmotisch wirksamen
Substanzen kann aber beim Hemmen der durch den tropistischen
Reiz angestrebten Nutationskrümmungen keine Rede sein. Denn
von den wenigen beobachteten Ausnahmen — im eingegipsten Zustande
ließen manche Stengel von /mpatiens Sultani and Vieia Faba auf der Unter-
seite einen um 0,2—0,5 Salpeterprozent höheren Turgor erkennen — läßt
sich die Erhöhung bei Impatiens und Vieia ebensowohl durch Wachstums-
hemmung erklären, da bei Zugspannung die Turgorsteigerung nicht eintritt.
Bei Melandryum album aber, wo zwei Knoten eine Turgorschwellung unter-
seits zeigten, und zwar der eine in der Gipshülle um 0,3—0,5, der andere
in der Glasröhre um 0,2—0,3 °/o Salpeter, hat sie keine generelle Bedeutung;
denn ich konnte sie in drei weiteren Knoten nicht beobachten. Zudem
dürfte die gefundene Differenz auch nicht ausreichen, um die geotropische
Bewegung allein zustande zu bringen. Da die durch mechanische Eingriffe
veranlaßten allseitigen Turgorerhöhungen, die Pfeffer durch Eingipsen
wachsender Organe, Hegler durch Zug in der Längsrichtung manchmal
erzielte, bei horizontaler Lage genau so eintreten wie bei normaler Stellung,
also mit der gleichen Intensität auf beiden Seiten, so werden sie nieht durch
die Schwerkraft beeinflußt, sondern beruhen bloß auf Wachstumsstörung und
deren Folgen. Die allseitige Turgorschwellung betrug in der Gipshülle bez.
bei Zug oder in der Glasröhre z. B. bei den Keimstengeln von ZLupinus
albus 1,0 bez. 0,5 °/ Salpeter, und Vicia Faba 0,5 bez. 0°, bei den Keim-
wurzeln von Viceia 1,0 bez. 0 °/o, und Zea stets 0°. (Vgl. Pfeffer IV.
p- 299.)
III. Verschiedenes.
Eine mehr oder weniger weitgehende Hemmung der geotropischen
Krümmung kann speziell beim Gelenkknoten von Tradescantia fluminensis
nach Miehe (I. p. 535/36) dadurch bewirkt werden, daß über dem geotropisch
beeinflußten Gelenk das Internodium durchschnitten wird. Mehrere Stengel
von Trad. fluminensis wurden deshalb im zweiten Internodium durchsehnitten
und horizontal in Sand gesteckt. Nach drei Tagen hatten sich die Knoten
nur wenig gekrümmt, derjenige Knoten mit dem kleinsten Krümmungswinkel
(10°, wurde plasmolytisch untersucht, es zeigte sich kein Unterschied im
Turgor gegenüber normal.
Eine Änderung in der Mehrproduktion osmotischer Substanzen findet auch
in welkenden Pflanzen nicht statt, wenn sie durch Umlegen dem Einflusse
der Schwerkraft ausgesetzt werden. Das bestätigen Versuche, in denen
durch Wasserverlust der Turgordruck künstlich erhöht wird. Wie E. Prings-
heim (l.p. 125) fand, steigt in dem welkenden Sprosse von Callisia repens
176
der osmotische Druck durch selbstregulatorische Tätigkeit der Pflanze in
etwa fünf Wochen um 1,5 Salpeterprozent. Um nun zu untersuchen, ob
etwa eine Reizwirkung der Schwerkraft solche Produktion von osmotischen
Stoffen insofern beeinflußt, als nach Umlegen des Sprosses in der erdwärts
gerichteten Flanke eine regere Tätigkeit entwickelt wird, ließ ich Callisia-
Sprosse, die einen Normalturgor von 2,0—2,2°/o aufwiesen, welken, indem
ich sie teils aufrecht teils horizontal in den völlig trockenen Sandwall eines
Zinkkastens steckte. Einige der horizontal gesteckten konnten sich krümmen,
während andere daran verhindert waren, indem bei ihnen der (von der Spitze
aus) dritte Knoten entblättert und vorsichtig in eine Glasröhre eingeführt
worden war. An den aufrechten Sprossen wurde in der Zeit vom 17. Fe-
bruar bis 17. März das allmähliche Steigen des Turgors plasmolytisch ge-
messen. Hierauf wurden in der jeweilig isotonischen Lösung, deren Kon-
zentration sich aus den Messungen am normalen Stengel ergab, Stengel-
selenke von umgelegten Sprossen, die also teils geotropisch gekrümmt, teils
an der angestrebten Krümmung gehindert worden waren, plasmolysiert, und
der Turgordruck in den antagonistischen Seiten verglichen. Dabei konnte
nirgends eine Differenz festgestellt werden. Die allgemeine Turgorzunahme
verlief z. B. in einem Sproß so:
= |
Salpeterprozente _ Turgorzunahme in Salpeter-
Tag der beginnender
Plasmolyse im peezen)
Plasmolyse £ . : i
Rinden- Axiles Rinden- Axiles nach
parenchym | Parenchym | parenchym | Parenchym Tagen
|
17. Februar) 20 |9,0-22 | |
2a: z 232 2 —2,4 | 0,2 0,0 4
23: = 2,2 2,4 0,0 0,2 2
9. März 2,4 2,6 0,2 0,2 7
10. = 3.5 3:2 oa! 0,6 S
7. 9= 3,5 35 0,0 0,3 7
Insgesamt: 1,5 | 153 25
Auch solche aufrechte Stengelknoten, die einen um 1,5°/o höheren Turgor
aufwiesen und die teilweise nicht mehr krümmungsfähig waren, wurden
mehrere Tage lang horizontal gelegt; sie zeigten ebenfalls keine einseitige
Turgorschwellung. Denselben negativen Erfolg hatte die plasmolytische
Untersuchung solcher Pflanzen, besonders auch der älteren, nicht mehr
krümmungsfähigen Stengelteile derselben, bei denen nach Ball [l. p. 330
(Phaseolus), p. 331 (auch Ricinus und Veeia)) und Bücher geotrophistische
Veränderungen der Oberseite (s. ob. p. 173) eintreten. Das ist um so auffälliger,
als Kraus (I. p. 211/18 und II. p. 89/99) auch in solchen Stengelpartien
in bezug auf den Stoffwechsel die gleichen Veränderungen, allerdings oft
nicht so ansehnliche wie bei gekrümmten Organen, feststellen konnte. Er
fand also eine absolute Abnahme des Zuckers und eine absolute Zunahme
des Wassergehaltes auf der erdwärts gewandten Sproßhälfte. Phaseolus
177
multiflorus und Ricinus communis wurden von mir 7 Tage, Achyranthes
17 Tage lang umgelegt und hierauf der Turgordruck in dem ungekrümmten,
älteren Stengelteil gemessen: die Turgorverhältnisse waren dieselben wie
bei aufrechter Stellung der Pflanze. Ebenso hatte gewaltsame Einkrümmung
eines Phaseolus- und Viciastengels, die in der Weise bewirkt wurde, daß jene
mittels angehängter Gewichte über einen Glasstab 5 Tage lang scharf nach
unten gebogen wurden, eine Versuchsanordnung, bei der Kampto- und Geo-
trophismus kombiniert werden (vgl. Bücher (I. p. 291)), entweder überhaupt
keine verändernde Wirkung auf den Turgor oder, bei Vicia, eine allgemeine
Turgorsteigerung zur Folge. Solche Erfahrungen sowohl bei realisierten,
als auch bei gehemmten geotropischen Nutationskrümmungen erübrigten
natürlich, die Pflanzen am Klinostaten rotieren zu lassen, wie sich dies bei
den Gelenken und Grasknoten nötig machen wird, und berechtigten zu der
Vermutung, daß zwischen den Turgorverhältnissen einer aufrecht stehenden
und einer am Klinostat befindlichen Keimpflanze sowohl in den wachstums-
tätigen, als auch nicht mehr in die Länge wachsenden Partien kein Unter-
schied sei, was auch durch die plasmolytische Untersuchung von Lupinus
albus bestätigt wurde.
IV. Turgorverhältnisse in den Grasknoten.
a) Die normalen Turgorverhältnisse.
Bis jetzt wurden die Turgorverhältnisse der Grasknoten übergangen, da
sie besonderer Art zu sein scheinen, wie die Erfahrungen Pfeffers (IV.
p- 399) vermuten lassen. Die Grasknoten wurden deshalb zum Gegenstand
näherer Untersuchungen gemacht. Einen Überblick über die Ergebnisse der
bisherigen, vor allem anatomischen Studien gibt die Arbeit von Lehmann
(l. p. 9fl.). Die Turgorverhältnisse von Grasgelenken sind auf Grund
plasmolytischer Untersuchungen von Pfeffer (IV. p. 398) eingehend be-
schrieben worden. Die Richtigkeit dieser Angaben konnte ich allenthalben
bestätigen. Die von Pfeffer gefundenen und in ihren allgemeinen Zügen
von ihm skizzierten (IV. p. 399) normalen Turgorverhältnisse bei Triticum
vulgare zeigten sich auch mit nur geringen, unwesentlichen Verschiebungen
in den Knoten von Hordeum sativum und Secale cereale. Erwähnt sei
noch, daß die Stärkescheide, die das Gefäßbündel sichelförmig umgibt und
in vielen Knoten bis an die Innenepidermis der Blattscheide sich erstreckt,
etwas geringeren Turgordruck zeigt als die sie umgebenden Parenchym-
zellen. Deshalb wurden die Turgorverhältnisse nur nach solchen medianen
Längsschnitten beurteilt, die die Stärkescheide nicht getroffen hatten. Die
Bestimmung des mittleren plasmolytischen Grenzwertes der verschiedenen
Gelenke von ein und derselben oder den unter gleichen Kulturbedingungen
gewachsenen nachbarlichen Pflanzen wurde durch erhebliche Schwankungen
in dem höchsten Turgordruck erschwert (vgl. Pfeffer IV. p. 398). In
allen den zahlreichen Fällen, wo Knoten von Secale cereale plasmolysiert
wurden, (sie wurden während eines ganzen Sommers demselben Kulturbeete
entnommen), lassen die annähernden Mittelwerte mit zunehmendem Alter der
Knoten eine allmähliche Turgorsteigerung besonders im interfascieularen
Parenchym erkennen. Während beim eben ausgewachsenen, etwa '/s Monate
alten Gelenke die in der Mitte der Blattscheide liegenden Zellen des Paren-
chyms bei 8°/ eben beginnende Plasmolyse zeigten, geschah dies in etwa
vier Wochen älteren Objekten erst bei 10°, welcher Wert sich späterhin
(Juli) sogar auf 11 °/ steigerte. Ob diese Turgorzunahme verursacht wird
allein durch innere Vorgänge, die auf veränderter Lebenstätigkeit der Zelle
im Alter beruhen, ob sie also ein Symptom des Alters ist, oder ob die
Turgorhöhe beeinflußt wird durch den infolge der trockenen Jahreszeit ein-
tretenden Wassermangel und die sommerliche Temperaturzunahme, vermag
ich nicht zu entscheiden. Obwohl die analoge Erscheinung der Zunahme
des Turgors um 0,5 °/o auch in älteren Gelenken von Phaseoluspflanzen
beobachtet wurde, die im Gewächshause unter gleichmäßiger Wasserversor-
gung gezogen worden waren, so ist doch wahrscheinlicher, daß bei den
älteren Grasknoten die höhere osmotische Konzentration des Zellsaftes wesent-
lich durch äußere Einflüsse bedingt ist, weil sie sich im Freien befanden.
Verschiebung des Turgorwertes durch äußere Anstöße sucht Copeland
(I. p. 22, 25) aus deren Wirkung auf das Wachstum zu erklären, indem
Turgorsteigerung erst als Folge der durch äußere Anstöße veranlaßten
Wachstumshemmung eintritt. Wenn dies auch meist der Fall ist, so be-
stätigt doch die Zunahme des Turgors in den älteren, längst ausgewachsenen
Grasgelenken die Ansicht Pfeffers (IV. p. 303), daß auch bestimmte
Turgorveränderungen ebenso wenig wie Turgorschwankungen notwendig
an Wachstumstätigkeit gebunden sind, sondern vielfach durch äußere Reize
direkt bewirkt werden können. Auf diese Beobachtungen führte die Unter-
suchung der normalen Turgorverhältnisse von Grasknoten. Sie mußte zur
Beurteilung derjenigen bei gekrümmten bezw. an der Krümmung verhinderten
Grasknoten vorher ausgeführt werden. Die Plasmolyse der normalen und
gekrümmten Knoten ergab folgende Werte für das Blattscheidenparenchym
(vom Rande nach innen zunehmend):
| Normaleı rekrümmteı 83 Mersuehs:
Pflanze FeRnofen Knoten E = ER
gs 0%/o = |
Secale cereale | 6-10 06-10 u6—9 | 47° | 2%/a Te.
|
Hordeum sativum
a) Jüngere Knoten 6—8 06—8 u6-7,5 | 40° 1 Tg.
b) Altere Knoten 6—10 0o6—10 u6—9 | 54° | 2 Te.
Ergänzend sei bemerkt, daß in den unmittelbar unter der Außenepidermis der Konvex-
seite gelegenen Zellen die Turgorkraft gegenüber dem normalen Wert noch erheb-
licher (1,5°/,) zurückgegangen ist.
179
Bei den gekrümmten Grasknoten steigt also die Differenz zwischen
Ober- und Unterseite, hervorgerufen durch den Rückgang des Turgors auf
der letzteren, bis 1°/o Salpeterwert. Um einen so großen Unterschied aus-
zugleichen, muß die regulatorische Tätigkeit in der Pflanze ansehnlich ge-
steigert werden. Es scheint sogar, als ob bei den Grasknoten der gleiche
Turgordruck beiderseits überhaupt nicht völlig wiederhergestellt wird:
Knoten von Hordeum, die in vier Tagen bis 85° gekrümmt waren und in
dieser ausgekrümmten Lage noch acht Tage gelassen wurden, zeigten nach
dieser Zeit immer noch die Differenz von nahezu 1°/o. Vielleicht kann aus
den noch folgenden Erörterungen das Ausbleiben der ausgleichenden Turgor-
regulation speziell bei Hordeum erklärt werden.
b) Turgorverhältnisse bei in horizontaler Lage gehaltenen
Knoten von Hordeum und Secale.
1. Bei einseitiger Schwerkraftsreizung.
Bei der Aufkrümmung der Grasknoten wurde ein höherer Turgor auf
der Unterseite nicht beobachtet. Pfeffer fand nun beim eingegipsten und
horizontal gelegten Hordeum-Knoten auf der erdwärts gewandten Hälfte
eine Turgorsteigerung um 1—2 Salpeterprozent. Der Versuch wurde zunächst
wiederholt und bei Secale cereale erstmalig ausgeführt. Außerdem wurde
ein sich krümmender Knoten in veränderter Lage eingegipst und untersucht
(Versuch I und II).
Versuch I.
Nachdem die Grasknoten allseitig mit einem Gipsverbande versehen
worden waren, wurden sie im feuchten Sande horizontal gelegt. Ferner
wurden stets noch zwei andere Knoten ausgewählt, die dem eingegipsten
im Alter und Aussehen möglichst gleich waren. Der eine wurde aufrecht in
den Sand gesteckt (an ihm sollten die jeweiligen normalen plasmolytischen
Grenzwerte [vgl. ob. p. 178] bestimmt werden), der andere dagegen horizontal.
Nach drei bis fünf Tagen wurde der Krümmungswinkel (ca. 40°) des letzteren
gemessen, die beiden anderen Stengelgelenke plasmolytisch untersucht. Aus
den Grenzwerten ergibt sich, daß auch beim Stengelknoten von Secale eine
Turgorsteigerung wie bei Hordeum wunterseits eintritt. Die Zunahme der
osmotischen Energie der Unterseite beträgt ca. 2°/o Salpeterwert. Be-
merkenswert ist, daß oft die Steigerung des Turgordruckes von der erdwärts
gewandten Blattscheidenhälfte aus auch auf einige unter der Innenepidermis
gelegene Zellen der oberen Hälfte sich erstreckt. In älteren gehemmten
Knoten, die, wie erwähnt, normal einen etwas höheren Turgordruck auf-
weisen, ist die Differenz zwischen Ober- und Unterseite geringer, bis sie
zuletzt überhaupt nicht mehr beobachtet werden kann, trotzdem die Stengel-
gelenke noch krümmungsfähig sind. Obwohl ältere Stengel sich wesentlich
langsamer krümmen, so wurden nach zwei bis drei Tagen immerhin noch
Krümmungswinkel von 20—30° gemessen. Wenn in älteren Knoten kein
Unterschied im Turgordruck zwischen Ober- und Unterseite beobachtet
Beiträge zur Biologie der Pflanzen, Bd. IX, Heft II. 12
180
werden kann, so kann dies entweder die Folge allseitiger Turgorzunahme
oder des Ausbleibens der einseitigen Turgorreaktion sein. Dies zu ent-
scheiden, ist durch die normalerweise schon bestehenden individuellen Diffe-
renzen im plasmolytischen Grenzwert und der mit zunehmendem Alter
eintretenden allgemeinen Turgorerhöhung sehr erschwert. Nach meinen Er-
fahrungen, die aus zahlreichen vergleichenden Untersuchungen von normal
gestellten und horizontal eingegipsten Knoten gewonnen wurden, tritt bei
den älteren, aber noch krümmungsfähigen Stengelknoten von Hordeum und
Secale die unterseitige Turgorsteigerung nicht mehr ein, sondern die höhere
osmotische Altersenergie des Knotens scheint für das Zustandekommen einer
Krümmung auszureichen. Ebenso wie bei voller mechanischer Hemmung
der älteren, jedoch noch aktiven Knoten, ist auch in solchen Knoten die
Turgorschwellung nicht zu beobachten, in denen die Aktionsfähigkeit nicht
mehr vorhanden ist, so daß sie selbst nach achttägiger Horizontallage keine
Krümmung ausführen können. Sie ist also bei den Grasknoten nicht nur
auf bestimmte Gattungen beschränkt, sondern auch abhängig von der durch
das Alter modifizierten Aktionsfähigkeit des Knotens. Ein weiterer ein-
schränkender Gesichtspunkt für die Beurteilung der Turgorreaktion wird
sich noch fernerhin ergeben.
Versuch 1.
Ich ließ zwei Knoten von Hordeum eine Krümmung von 40° ausführen,
gipste dann den einen in der Weise ein, daß er auf seinem Scheitel (Knoten)
stand, und die Krümmungsebene die Horizontalebene senkrecht schnitt. Die-
selbe Stellung wurde dem andern auch gegeben, ohne ihn einzugipsen. Er
lag beiderseitig auf ausgekehlten Wachsblöcken, die den Seitenwänden eines
Gestells aufgeklebt worden waren und eine Lageänderung des Stengelstückes
verhinderten. Nach acht Tagen hatte sich der Krümmungswinkel durch
geringes Aufkrümmen der Halmenden nach der Vertikalen zu sehr wenig,
um ca. 8°, vergrößert. Das Resultat war folgendes: An dem letzten Knoten
besteht dieselbe Turgordifferenz von 1°/o fort, die bei der ersten Krümmung
durch Rückgang des Turgors auf der Konvexseite hervorgerufen worden
war. Konvex- und Konkavseite des anderen (eingegipsten) Knotens zeigten
dieselben osmotischen Werte. Da vor dem Eingipsen des gekrümmten
Knotens ebenfalls der Turgordruck auf der Konvexseite um ca. 1°/o Salpeter
geringer war, so ist demnach der Unterschied nach acht Tagen durch eine
Erhöhung des Turgordruckes auf der erdwärts gerichteten Flanke um 1°
wieder ausgeglichen worden. Nach 48stündigem Eingipsen ist dagegen die
unterseitige Turgorschwellung noch nicht beendet, denn bei einem Hordeum-
knoten, der solange in der angegebenen Weise eingegipst lag, wurde auf
der Konvexseite ein um 0,5°/o geringerer plasmolytischer Wert als auf der
Konkavseite ermittelt. Bei dem Ausgleich im Gipsverband handelt es sich
um eine Erhöhung der osmotischen Energie, die durch einen besonderen
Reizanstoß in den Zellen der Unterseite veranlaßt sein muß, und nicht um
die gewöhnliche regulatorische Tätigkeit der Pflanze. Dies geht daraus
181
hervor, daß der in gleicher Lage gehaltene, nicht eingegipste Knoten die
Differenz noch unverändert zeigt.
Beide Versuche lehren, daß auf der Unterseite eines eingegipsten Knotens
eine Turgorschwellung stattfindet. Die Ursache dieser Reaktion könnte die
durch die Gipshülle bewirkte volle Hemmung des Wachstums sein (vgl.
Pfeffer IV. p. 292 und Hegler I. p. 411), weil in der Gipshülle be-
sonders die konvex werdende Hälfte des Scheidengelenkes, die bekanntlich
die größte Aktivität im Wachstum entwickelt, gehemmt wird. Bis zu einem
gewissen Grade ist dies wohl sicher der Fall, allen die Erfahrungen
Pfeffers an Triticumgelenken (s. ob. p. 165), die doch im Bau, in den nor-
malen Turgorverhältnissen und in der geotropischen Reaktionsfähigkeit mit
denen von Hordeum und Secale durchaus übereinstimmen, lassen vermuten,
daß bei Hordeum und Secale neben der Wirkung der Wachstumshemmung
noch ein besonderer Einfluß auf den Turgor vorliegt. Darum gilt es zu-
nächst jene auszuschließen und zu sehen, ob eine Turgorschwellung auf der
Konvexseite dann noch eintritt, wenn der Knoten nur an der Aufkrümmung
verhindert wird.
Versuch I.
Zu diesem Zwecke wurde der Halm von zwei Seiten mit Gipsgüssen
versehen, so daß der Knoten allein zwischen ihnen ausgespart blieb. Nach
acht Tagen Horizontallage war eine ansehnliche Hervorwulstung auf der
unteren Seite eingetreten [vgl. Pfeffer (IV. p. 396)]. Bei den plasmo-
Iytischen Untersuchungen konnte keine Differenz zwischen Ober- und Unterseite
konstatiert werden. Die in Versuch I und II gefundene unterseitige Turgor-
zunahme von 1—2°/o tritt bei soleher Versuchsanordnung nicht ein. Die
Vermutung, daß beim eingegipsten Knoten die einseitige Turgorschwellung
allein durch die Wachstumshemmung bedingt ist, bestätigt sich also. Übrigens
spricht für dieses Ergebnis auch eine Beobachtung Pfeffers, nach der bei
Hordeum die 'Turgorschwellung um so ansehnlicher wird, je höher der
zu überwindende Widerstand, das ist eben der das Wachstum hemmende
Faktor, ist.
Die zuletzt ermittelten plasmolytischen Werte können nur dann richtig
beurteilt werden, wenn sie mit den früheren verglichen werden, und zwar
sowohl mit denen, die beim Eingipsen des Knotens in horizontaler Lage,
als auch mit denen, die bei realisierter Krümmung gefunden wurden.
1. Wachstum — Krümmung realisiert: unterseits — 1°/o des normalen
Wertes.
2. Wachstum — Krümmung gehemmt: unterseits — 1—2°/o des nor-
malen Wertes.
3. Krümmung gehemmt: unterseits kein Unterschied gegenüber normal.
Da bei den Grasknoten, wenn Wachstum und Krümmung erfolgen können,
auf der Unterseite immer ein Rückgang des Turgors von 1°/o eintritt, so
12*
hat die auf beiden Seiten gleiche und normale Höhe des Turgors, die bei
Krümmungshemmung. beobachtet wurde (Fall 3), für die Unterseite die Be-
deutung einer Turgorsteigerung.
Diese Turgorsteigerung muß irgend eine Ursache haben. Sie kann
zunächst immer noch auf Wachstumshemmung beruhen; denn ganz ist
jedenfalls das Wachstum nicht gestattet bei partieller, den Knoten frei-
lassender Eingipsung. Es läßt sich aber auch in der Erhöhung des Turgors
sehr wohl eine direktere geotropische Reizwirkung vermuten. Was die
erstere Ursache betrifft, das nicht ganz gestaitete Wachstum, so kann
einmal die partielle Gipshülle an sich und zum andern die inaktive Ober-
seite des Knotens wachstumshemmend wirken. Da nämlich diese Flanke
für ihre ansehnlich wachsende Gegenseite die Bedeutung einer Widerlage
hat, so hat deswegen die Unterseite eine Außenleistung zu übernehmen,
nämlich die Zugspannung der Oberseite, diese könnte sehr wohl mit einer
Turgorschwellung verbunden sein (vgl. Pfeffer, IV. p. 401). Aber bloß
durch die minimale Wachstumshemmung kann jene Erhöhung (cf. Fall 3)
nicht hervorgerufen sein; denn sie ist faktisch viel größer, wie im folgenden
dargelegt werden soll, so groß nämlich, daß jene minimale Wachstums-
hemmung als alleinige Ursache nicht in Frage kommt.
Um einen richtigen Begriff über die wahre Höhe derselben zu gewinnen,
muß die Erniedrigung des Turgors, die.bei der ausgeführten Krümmung auf
der konvexen Flanke eingetreten ist, in Beziehung zur Volumvergrößerung
der Zellen gesetzt werden.
Wenn der Turgorrückgang in einer auf der Konvexseite gelegenen Zelle
ihrer Volumzunahme nicht entspricht, sondern etwa geringer ist, so ist trotz
des niedrigeren normalen Turgorwertes eine Zunahme des Turgors wohl
eingetreten, aber sie ist faktisch nicht sichtbar geworden, da die Volum-
vergrößerung überwiegt. Das Verhältnis zwischen Rückgang des Turgor-
druckes und Volumzunahme wurde bei einem 54° gekrümmten Hordeum-
gelenk festgestellt. Die unmittelbar unter der äußeren Epidermis der Blatt-
scheide gelegenen Zellschichten der Ober- und Unterseite eines medianen
Längsschnittes wurden mit der gleichen Längeneinheit gemessen. Die unge-
fähre Bestimmung ergab, daß den 16 Längen der Oberseite 40 Längen der
Unterseite gegenüberstanden. Da sich die Konkavflanke bei der Krümmung
meist etwas verkürzt hat, so sei das Verhältnis von Konkav- und Konvex-
kante nicht 16:40 — 2:5, sondern 1:2 [vgl. auch die genaueren Messungen
Pfeffers (IV. p. 393), dann auch Barth (I. p. 31)]. Dieses Verhältnis
zwischen der Längsausdehnung von Ober- und Unterseite besteht ohne
weiteres auch für die Volumina der dort gelegenen Zellen, da in den Gras-
knoten das wiedererweckte Wachstum nicht durch Zellteilung erfolgt, sondern
durch Streckung der schon vorhandenen Konvexzellen, und zwar nur durch
J.ängsstreckung. Da im vorliegenden Falle die konvex gewordene Seite um
ihre normale Länge zugenommen hat, so muß sich das Volumen einer ein-
zelnen Zelle verdoppelt haben. Unterbliebe nun jede Mehrproduktion osmo-
a re
tisch wirkender Substanzen, die entweder durch Selbstregulation oder andere
Reize eingeleitet wird, so würde, die Wasseraufnahme vorausgesetzt, die
Konzentration des Zellsaftes um die Hälfte sinken. Die Zellen unter der
Epidermis zeigen vor der Krümmung etwa 7 °/o Salpeterwert, nach der
Krümmung müßten sie also 3,5 °/ aufweisen. Die Plasmolyse ergab aber
mindestens 6 °/, darum sind 2,5 ° durch Mehrproduktion osmotischer Stoffe
gebildet worden. Für diese Leistung kann die gewöhnliche Turgorregulation
der Zelle nicht in Betracht kommen, sondern sie ist auf einen besonderen
Reizanstoß zurückzuführen. Dieser könnte sehr wohl die Schwerkraft sein.
Die eben erörterte Turgorschwellung um etwa 2,5 °/o auf der Unterseite
ist, wie überhaupt, so auch beim Ergebnis des Aussparungsversuches (3. Fall)
zu berücksichtigen. Demgemäß beträgt die Gesamtsteigerung des Turgors
der Unterseite etwa 3/0, erreicht also eine Höhe, die nur als Kombinations-
erfolg aufgefaßt werden kann, resultierend möglicherweise aus dem Einfluß
der vielleicht vorhandenen, aber sicher minimalen Wachstumshemmung einer-
seits und des geotropischen Reizes auf den Turgor anderseits. Wenn
diese Schwellung tatsächlich durch den einseitigen Schwerkraftsreiz hervor-
gerufen ist, so muß dies die Turgorverteilung bei Klinostatendrehung verglichen
mit der in den vorhergehenden Versuchen beobachteten erkennen lassen; für
die Beurteilung der Turgorverhältnisse am Klinostat ist nur beachtenswert,
daß durch die Rotation bei den Grasknoten allseitiges Wachstum erweckt
wird, wie Elfving (Il) fand. Um dieses auszuschalten, wurden in einem
Versuche die Knoten auch im eingegipsten Zustande rotiert.
2. Die Grasknoten von Hordeum und Secale am Klinostaten.
Versuch IV.
Grashalme wurden in einen angefeuchteten Torfmullwürfel gesteckt,
nachdem er auf einer Korkplatte befestigt worden war. Gleichzeitig diente
diese Platte als Verschluß eines innen mit feuchtem Fließpapier ausgelegten
Glaszylinders, der über die Knoten gestülpt wurde. Damit heliotropische
Einflüsse ausgeschaltet würden, wurde der Zylinder mit schwarzem Karton-
papier umhüllt. Nach sechstägiger Rotation bei halbstündiger Umdrehungs-
zeit waren die meisten Knoten ea. 1—2 mm gewachsen.
Normaler | Knoten am Klinostäten
Pflanze Knoten | 0/, Salp. | %/, Salp. |
°/, Salp. |mm eeiracheh| eingegipst
Secale cere.e | 6-1 1 | s—12 | 8-13 | Turgor
Hordeum sativum 610.0 | 9—11 9-13 fi auf beiden
IE | 8-12 \ Seiten
12 | 8—12 gleich.
|
Diese Werte zeigen zunächst die gleiche Höhe des Turgors auf beiden
Seiten an, sodann die allseitige Zunahme desselben. Der osmotische Wert
184
des gleichsituierten Parenchyms in den eingegipsten Knoten übertrifft näm-
lich denjenigen in den normalen um 2—3°/o. Da nur eine geringe Wachs-
tumshemmung vorliegt (Zuwachs beträgt höchstens 2 mm), so ist ein solcher
Unterschied auffallend und läßt, außer der Wachstumshemmung noch eine
andere Ursache der Turgorschwellung vermuten, die durch die Klinostaten-
drehung erst wirksam wird. Diese Vermutung wird bestätigt durch die am
Klinostat wachsenden Knoten. Denn sie zeigen immerhin noch eine all-
seitige und ansehnliche Anschwellung des normalen Turgors.!)
Da die osmotischen Werte von Ober- und Unterseite im Stengelgelenk
von Hordeum und Secale am Klinostaten gleiche Höhe haben, während
beim Horizontallegen derselben eine einseitige Erhöhung stattfindet, so muß
am Klinostaten ein ausgleichender Einfluß sich geltend machen. Da dieser
am Klinostaten statthat, wo doch der einseitige Schwerkraftsreiz eliminiert
ist, der im anderen Falle einseitig wirken konnte, so scheint jener aus-
gleichende Einfluß geotropischen Ursprungs zu sein.
Freilich ist an obigem Ergebnis bemerkenswert, daß auf beiden Seiten
eine Erhöhung des Turgors eingetreten ist. Eine den Turgordruck er-
höhende Wirkung der Klinostatendrehung ist nicht ausgeschlossen, da sie
auch, wie weiter unten mitgeteilt wird, an anderen Objekten beobachtet
werden konnte, wo einfachere Verhältnisse vorliegen als bei den Grasknoten;
denn eindeutig sind die Klinostatenversuche bei den Grasknoten nicht, da
am Klinostaten Wachstum erweckt wird. Es muß demnach in der all-
gemeinen Erhöhung durchaus nicht eine unmittelbare Wirkung der Sehwer-
kraft vorliegen, sondern es könnten auch mit dem allseitigen Wachstum ver-
bundene korrelative Einflüsse eine Turgorschwellung verursachen. Doch der
Umstand, daß auch in dem am Klinostaten zufällig nicht gewachsenen
Knoten von Hordeum, wo also korrelativer Einfluß eines wieder aufge-
nommenen Wachsens nicht in Frage kommt, ebenfalls eine allseitige Turgor-
zunahme beobachtet wurde, berechtigt immerhin zu der Annahme, daß in
jener eine unmittelbare, infolge der Drehung allseitige Schwerkraftwirkung
vorliegt.
Was nun die Turgorzunahme in den am Klinostaten wachsenden Knoten
selbst betrifft, so hängt ihre Höhe von der Größe des wiedererweckten
Wachstums ab. In dem am meisten gewachsenen Knoten ist jene in allen
Zellen nicht mehr so ansehnlich, aber doch noch deutlich genug vorhanden.
So würden Skizzen, welche die im Längsschnitt herrschende Turgorverteilung
z. B. von 10°/o veranschaulichen, zeigen, wie bei einem Wachstum von
0 mm, 1 und 2 mm die Insel der höheren osmotischen Konzentrationen
!) Meine Beobachtung widerspricht deshalb der von Hegler (I. p. 410), nach
der keine Steigerung des Turgors durch Vergleich des plasmolytischen Turgorwertes
am Klinostat mit dem "normalen nachzuweisen war. Im übrigen muß den Aus-
führungen Heglers an dieser Stelle trotz der widersprechenden Beobachtung zuge-
stimmt werden.
185
(10—12°/) allseitig immer mehr nach der Mitte der Blattscheide zu an
Fläche verliert.
Die unterseitige Anschwellung des Turgors im Hordeumgelenk könnte
bei der geotropischen Nutationskrimmung eine doppelte Aufgabe haben.
Entweder liefert sie die Betriebskraft, oder sie stellt einen mitwirkenden,
den Verlauf der Krümmung beschleunigenden Faktor dar. Ersteres ist
nach Pfeffers Untersuchungen (IV. p. 405, 416) für die Grasknoten aus-
geschlossen. Außerdem müßte die geotropische Turgorreaktion, wenn sie
wirklich die auslösende Ursache wäre, stets vor dem ersten sichtbaren Er-
folg des Umlegens als wirkliche Steigerung des Normalturgors in der erd-
wärts gerichteten Flanke erscheinen. Sie tritt aber immer erst im Verlauf
der Krümmung ein. Beim eingegipsten Hordeumgelenk begann der osmo-
tische Wert der Unterseite erst nach 15 Stunden Horizontallage zu steigen,
während der freie Knoten in derselben Zeit bereits 20° gekrümmt war.
Die Plasmolyse von Knoten, die 6, 12, 13 und 14 Stunden im Gips
horizontal gelegen hatten, ließ auf beiden Seiten noch gleiche Turgorver-
teilung erkennen, obwohl die geotropische Krümmung am freien Knoten
schon nach 2"/s Stunden in die Erscheinung trat.
Wenn die geotropische Turgorreaktion auch nicht die Ursache ist, so
ist sie doeh nicht ohne Bedeutung. Gerade in jüngeren und mittelalten
Knoten, wo sie nur nachgewiesen werden konnte, beschleunigt sie die
Krümmungsbewegung, bei der übrigens ansehnliche statische Momente zu
bewältigen sind (vgl. Pfeffer IV. p. 410). In älteren Knoten, deren
Aktivität mit zunehmendem Alter überhaupt abnimmt, wird der osmotische
Druck nicht mehr erhöht.
c) Turgorverhältnisse in anderen eingegipsten Grasknoten.
Nach diesen Darlegungen erhebt sich die Frage, ob die durch Schwer-
kraft hervorgerufene einseitige Turgorerhöhung in den Gelenken von Hor-
deum und Secale auch bei andern Grasknoten eintritt. Schon Pfeffer
verneint sie bei Triticum vulgare, Tr. spelta und Tr. polonicum, sowie
bei Glyceria spectabilis. Sehr viele Grasknoten, so z. B. diejenigen von
Agropyrum, Bromus, Festuca, Poa, Melica, Holcus u. a. erwiesen sich für
die Plasmolyse insofern als ungeeignet, als die minimale Abhebung, wenn
sie überhaupt beobachtet werden kann, entweder nur in wenigen zerstreut
liegenden Zellen eintritt, meist nur in dem am oberen Ende des Knotens
gelegenen Übergangsgewebe, oder erst bei sehr hohen Konzentrationen (über
20 Salpeterprozent.. Da ferner in einigen Zellen bei Behandlung mit
Anilinblau ein Eindringen des Farbstoffes in den Zellsaft beobachtet werden
konnte, so war der lebende Zustand des Plasmas solcher Zellen in Frage
gestellt, und deshalb waren die Knoten für die Beurteilung des osmotischen
Druckes und etwaiger Veränderung desselben nach horizontaler Fixierung
wenig brauchbar. Nicht unerwähnt sei, daß in den Gelenken, wo die
Zellen des Parenchyms wenig zuverlässige Ergebnisse in bezug auf den
136
plasmolytischen Grenzwert lieferten, dennoch meist die Stärkescheide, die
nach den Untersuchungen von Nemee (I. p. 168) u. a. für die Perzeption
des geotropischen Reizes von Bedeutung ist, die Plasmolyse schon bei etwas
niederer Konzentration deutlich erkennen ließ (vgl. auch ob. p. 177). Meine
plasmolytischen Bestimmungen muß ich auf 8 Grasknoten beschränken, von
denen die eine Hälfte die einseitige Turgorzunahme in annähernd derselben
Höhe zeigt, wie der Hordeumknoten, der andere Teil aber eine Differenz
zwischen Ober- und Unterseite nicht aufwies. Es gehören in die erste
Gruppe: Corynephorus canescens, Trisetum distichophyllum, Phalaris arun-
dinacea, Hordeum distichum, in die zweite Gruppe: Alopecurus pratensis,
Brachypodium pinnatum, Arrhenaturum elatius und Avena brevis. Als
einwandfrei und unwiderleglich sind solche Befunde, obwohl sie aus mehreren
gleichaltrigen Objekten gewonnen wurden, jedoch nicht zu bezeichnen. Das
verbieten die Erfahrungen an Alopecurus und Trisetum. Während ein
Knoten der ersten Gattung (Gruppe ID eine kleine Differenz (auf der Unter-
seite waren weniger Zellen plasmolysiert als oben) erkennen ließ, blieben
bei einem der letzteren (Gruppe I) die normalen Turgorverhältnisse un ver-
ändert, als derselbe eingegipst horizontal gelegt wurde. Aus solchen indi-
viduellen oder Rasse-Eigentümlichkeiten, möglicherweise auch aus dem Alter
der untersuchten Knoten erklärt sich der Umstand, daß ich bei Triticum
vulgare nach 3, 3", 4, 5 und 9tägigem Eingipsen einen Turgorunter-
schied fand.
D. Turgorverhältnisse bei den tropistischen Variations-
krümmungen.
I. Das Gelenk von Phaseolus.
a) Einseitige Schwerkraftswirkung infolge Inversstellung.
1. Wiederholung der Versuche Hilburgs.
Versuch I.
Geotropische Krümmung eines Blattgelenkes von Phaseolus multiflorus.
Ehe die während der Krümmung eingetretene Veränderung in den
Turgorverhältnissen eines Gelenkes von Phaseolus festgestellt werden konnte,
mußte die Verteilung des 'Turgors eines in Tagstellung befindlichen Ge-
lenkes untersucht werden. Als besonders günstige Objekte erwiesen sich
die Gelenke der beiden ersten Laubblätter (Primärblätter) von Phaseolus,
d. h. die Gelenke zwischen Blattstiel und Lamina. Denn hierbei kann das
Ergebnis eines Versuches mit den vorher obwaltenden Verhältnissen an ein
und derselben Pflanze verglichen werden. Das ist möglich, weil die beiden
Blattgelenke eines Blattpaares annähernd den gleichen Turgor besitzen.
Die anatomischen Verhältnisse eines solchen Gelenkes sind eingehend von
Pfeffer beschrieben worden (II. p. 157, Abbildung p. 3). Übereinstimmend
mit Hilburg fand auch ich einen mittleren plasmolytischen Grenzwert von
187
4,0—4,5 Salpeterprozent für ein Gelenk. Doch bestehen stets schon im
normalen Gelenk!) Turgordifferenzen zwischen der oberen und unteren
Hälfte. Ich möchte dies gegenüber den Befunden Hilburgs betonen, der
nur zweimal in seinen zahlreichen Angaben einen Unterschied zwischen
Ober- und Unterseite konstatiert. Skizze A veranschaulicht die Verteilung
des Turgors im schematisierten Querschnitte eines Gelenkes. Nachdem das
eine Blatt zum Zwecke der Untersuchung von der normal stehenden Pflanze
abgenommen worden war, wurde der Stiel des anderen Blattes durch einen
an der Stengelstütze befestigten Draht unverrückbar fixiert, damit die geo-
tropische Krümmung des Blattstielgelenkes verhindert und die des Blatt-
gelenkes um so ansehnlicher würde, wenn hierauf die ganze Pflanze um-
gekehrt wird. [Abbildung bei Pfeffer (VI. p. 509) und Sachs (I. p. 105)].
Um dabei ein Herausfallen von Erde zu vermeiden, wurden die Töpfe mit
Gaze überspannt. Wie sich während dieser Zeit die Turgorverhältnisse
im Gelenk verschoben haben, zeigt Skizze B:
4.
N
N
ee
Ta
Schematisierter Querschnitt durch das Desgl., nachdem die Pflanze drei Tage
Blattgelenk von Phaseolus multiflorus lang umgekehrt worden war. Auf der
in normaler Stellung, um die Turgorver- morphologischen Unterseite (schraffiert
teilung zu zeigen. Der Pfeil gibt die im Gefäßbündel) ist eine Senkung, auf der
Richtung der Schwerkraft an. Die Zahlen Gegenseite eine Erhöhung des Turgors
geben den plasmolytischen Grenzwert an. erfolgt.
Der innere Kreis stellt den Querschnitt
des Gefäßbündels dar. In ihm ist immer
die morphologisch untere Gelenkhälfte
schraffiert.
In der oberen Gelenkhälfte ist die Turgorkraft nach dem Umkehren um
0,5—2°/o gestiegen, in der antagonistischen Seite dagegen von der Mitte
nach dem Rande zu gesunken, und zwar in den links und rechts von der
Vertikalen liegenden Randzellen bis zu 1°. Die mittleren osmotischen
1) Unter „normalem Gelenk“ ist immer das Gelenk in Tagstellung zu verstehen.
188
Werte!) betragen im einzelnen: Beim normalen Gelenk 4°/ in der oberen,
4,5°/ in der unteren Hälfte; nach Inversstellung 5,0°/ oben, 4,5°/o unten;
die Turgorsteigerung beträgt im Mittel 1°/o Salpeter, die Erniedrigung 0,5 o.
Die Zunahme der Turgorkraft um 1°/o Salpeter, die nach dem Umkehren
auf der Unterseite eintritt, ist nach Pfeffer (VI. p. 660) zur Realisierung
der Krümmung vollkommen ausreichend.
Versuch N.
Heliotropische Krümmung eines Blattgelenkes von Phaseolus multiflorus.
Der analoge Erfolg für die Turgorverhältnisse wird bekanntlich erzielt,
wenn ein einseitig verstärkter Lichtreiz das Gelenk trifft. In den von mir
angestellten Versuchen vollzog sich aber die heliotropische Reaktion viel
langsamer als die geotropische, möglicherweise auch deshalb, weil bei meiner
Versuchsanordnung der allseitige Lichtreiz nicht ausgeschaltet wurde. Nach-
dem nämlich das eine Blatt zur Plasmolyse abgenommen worden war, wurde
das Gelenk des gegenüberstehenden durch einen Spiegel von unten stärker
beleuchtet, über seine obere Seite wurde schwarzes Papier durch eine
Klammer gehalten.
Die Ergebnisse der plasmolytischen Untersuchung erweisen, daß die
Turgorenergie, wie bei den Variationsbewegungen überhaupt, so auch bei
den tropistischen Variationskrümmungen wesentlich beteiligt ist, ihre Ver-
änderung scheint sogar — die konstante Elastizität der Wandungen vor-
ausgesetzt — die Ursache der tropistischen Reaktionen zu sein. Diese Be-
deutung kann ihr nur dann zukommen, wenn jene in dem Maße eintritt,
wie die Krümmung beginnt und fortschreitet. Zahlreiche Untersuchungen
von Phaseolusgelenken bestätigen dies auch. Stets findet die Krümmungs-
bewegung erst dann statt, wenn der Turgorwechsel eingeleitet ist, niemals
wurden gekrümmte Gelenke gefunden, die die gekennzeichnete Turgorver-
schiebung nicht gezeigt hätten, und in den Fällen, wo letztere durch Tem-
peraturerniedrigung sistiert wurde, trat auch keine Krümmung ein. Be-
merkenswert ist, daß die Turgorreaktion selbst dann nicht unterbleibt, wenn
ältere Pflanzen umgekehrt werden, sie tritt noch ein, wenn die Blätter
schon Absterbungserscheinungen erkennen lassen. Demnach unterscheidet
sie sich wesentlich von der bei einigen Grasknoten beobachteten Turgor-
schwellung, die weder Ursache der Krümmung war, noch bei älteren Ob-
jekten sich einstellte.
Ein näheres Studium des zeitlichen Eintritts des Turgorwechsels war
nicht nur wegen der Frage nach seiner Bedeutung erwünscht, sondern
konnte möglicherweise von Belang sein für die andere Frage, in welcher
Weise die Turgorveränderung zustande kommt. Diese stellt sich dar als
1) Bei der Berechnung der mittleren Werte ist die Anzahl der Zellen berück-
sichtigt, die auf dem Querschnitte bei der betreffenden Konzentration die beginnende
Plasmolyse zeigten.
189
Senkung in der einen, Erhöhung des Turgors in der antagonistischen Ge-
lenkhälfte. In beiden Fällen können verschiedene Ursachen zugrunde
liegen (vgl. Pfeffer IH. p. 221). Sie lassen sich zusammenfassen, zu-
nächst in solche Vorgänge, die nur innerhalb der Zelle zwecks Veränderung
der darin gelösten Stoffe sich abspielen, und weiterhin in solche, die sich
auch auf die Umgebung der Zelle erstrecken, insofern, als es sich um
Ausgabe oder Aufnahme von löslichen Stoffen handelt, die eine Senkung bezw.
Erhöhung des Turgors veranlassen. Durch solche Wanderung der osmo-
tischen Substanzen ist auch ein gegenseitiger Turgorwechsel zwischen benach-
barten Geweben ermöglicht, da von den einen Zellen aufgenommen werden
kann, was die andern abgegeben haben. Unter solcher Voraussetzung geht
dann stets der Zunahme auf einer Seite eine Abnahme auf der andern
voraus. Eine gegenseitige Abhängigkeit könnte nun auch bei der Turgor-
variation zwischen der oberen und unteren Gelenkhälfte von Phaseolus be-
stehen. Darum wurde in den Versuchen das Augenmerk darauf gerichtet,
ob die beiden Reaktionen gleichzeitig nebeneinander herlaufen, oder ob sie
zeitlich aufeinander folgen.
2. Näheres über Eintritt, Verlauf und Bedingungen der Turgorreaktion.
Versuch I.
Eintritt des Turgorwechsels in den Gelenken von Phaseolus multiflorus.
Die folgenden Werte wurden übereinstimmend in drei Gelenken ge-
funden. !)
i EIGENEN.) Erhöhung
- morph. - ® -
Dauer der Umkehrung: en ee
in 0/, Salpeterwert: in 0/9 Salpeterwert:
!/s Stunde 0 0
1 - 0 0
iin beginnend 0
2 . 0,5 0
DilaE aN, über 0,5 beginnend
4 n 1,0 0,5
6 n 1,0 1,0—1,5
Die Abnahme der Turgorkraft tritt demnach auf der geotropischen Ober-
seite stets eher ein als die Zunahme in der antagonistischen Hälfte ?).
!) Die Gelenke wurden untersucht, nachdem sie Y/,, 1, 1!/; u. s. f. Stunde lang
umgekehrt worden waren. Je nach den individuellen Differenzen ist eher oder später
ein geotropischer Einfluß auf die Turgorkraft zu bemerken.
2) Übrigens sei bemerkt, daß das einseitige Fallen der Turgorspannung durch
die Kontrolle der Biegungsfestigkeit nicht nachzuweisen war, die Biegungsfestigkeit
des Gelenkes blieb vor und nach der Umkehrung ziemlich konstant (vgl. Pfeffer
II. p. 140).
190
Hiernach kann die Variation der osmotischen Energie zum Teil auf Exos-
mose osmotischer Substanzen oberseits und deren Aufnahme in die Zellen
der erdwärts gewandten Hälfte beruhen. Da jedoch die Erhöhung sehr
bald einen größeren Wert erreicht als die entgegengesetzte Reaktion, so
scheint in den Zellen der Konvexseite fernerhin eine Neu- und Umbildung
osmotisch wirkender Stoffe zu erfolgen. Der Annahme, daß die Konvex-
seite im ersten Stadium der Reaktion von der konkaven abhängig ist,
widerspricht der Umstand nicht, daß der Eintritt der beiden Erscheinungen
nicht kurz hintereinander erfolgt. Die dazwischen liegende Zeit ("/s Stunde)
ist wahrscheinlich nötig zur Wanderung der Stoffe. Auch Schwendener
(I. p. 204) schließt eine Wanderung osmotischer Stoffe in Gelenken nicht
aus. Diese dürfte über die Flanken des Gelenkes erfolgen. Bei geotro-
pischer Reaktion der Gelenke konnte aber niemals in den T'urgorverhält-
nissen der seitlichen Flanken eine Veränderung beobachtet werden, die
zwischen dem Eintritt der Senkung und dem Beginn der Zunahme lag. Die
durch den Schwerkraftsreiz ausgelöste Reaktion ist wahrscheinlich zu be-
schleunigt, sodaß es zu keiner Ansammlung der wandernden Stoffe in den
flankenseits gelegenen Zellen kommt. Wesentlich langsamer vollzieht sich
dagegen die heliotropische Krümmung, und in der Tat konnte ich hier eine
Stauung beobachten (Skizze Ü und D). Ob diese wirklich in dem sich
Querschnitt durch das
Primärblattgelenk von Phas. multiflorus,
Schematisierter Desgl. von derselben Pflanze, drei Tage
lang heliotropisch gereizt. Die Senkung
heliotropisch gereizt zwei Tage lang. Der
Pfeil gibt hier die Richtung der Krüm-
mung an. Aus den eingeklammerten
Zahlen, den normalen Turgorwerten, geht
auf der Unterseite (Gefäßbündel schraffiert)
ist eingetreten, an Flanken Stauung er-
folgt, die Steigerung des Turgors beginnt
in der konvex werdenden (oberen) Hälfte,
hervor, daß die Senkung auf der morph.
Unterseite (Gefäßbündel schraffiert) ein»
getreten, an den Flanken eine Stauung
erfolgt ist.
langsamer abwickelnden Verlaufe der Krümmungsvorgänge begründet war,
oder ob der Übergang der Stoffe bei der ob. p. 183 beschriebenen Versuchs-
anordnung sich deshalb langsamer vollzog, weil die Wanderung aus physi-
kalischen Gründen, nämlich durch die ihr entgegenwirkende Schwerkraft,
erschwert war, habe ich experimentell nicht weiter verfolgt.
Im weiteren Verlaufe der geotropischen Krümmung übersteigt die Ab-
nahme der Turgorenergie nicht den Wert von 1 °/o Salpeter, dagegen findet
weiterhin eine Turgorsteigerung statt, die im Mittel 1,5 % Kaliumnitrat
äquivalent ist. Nach 10—12stündiger Umkehrung ist die ansehnlichste
Turgorhöhe im Gelenk erreicht: um 1,5—2,0 °/o Salpeterwert ist die osmo-
tische Kraft in der Konvexseite gestiegen. Diese Turgordifferenz zwischen
normaler und gekrümmter Gelenkhälfte erhält sich weiterhin in dieser Höhe.
Wenigstens konnte sie auch dann noch beobachtet werden, wenn die Pflanze
12—15 Tage lang umgekehrt worden war. Anders bei der Turgorsenkung
in der antagonistischen Hälfte: nach 5 Tagen betrug die frühere Erniedrigung
von 1,0 ° nur noch 0,5 °/o. Wahrscheinlich wird in einem gekrümmten
Gelenke der anfängliche Rückgang der osmotischen Energie auf der Konkav-
seite bei andauernder Reizlage durch die Turgorregulation allmählich wieder
ausgeglichen. Im folgenden ist der Verlauf der geotropischen Reizwirkung
auf den Turgordruck graphisch dargestellt. Die Abseissen geben die Um-
kehrungsdauer, die Ordinaten die Salpeterwerte in Volumprozenten an.
1. Tag Folgende Tage
789 on 127g
Graphische Darstellung des Verlaufes der geotropischen Turgorvariation von _
Phaseolus multiflorus. — Turgorkurve in der morph. Oberseite.
ann = Turgorkurve in der morph. Unter- (konkav werdenden) Seite.
Um nun festzustellen, ob eine Verschiebung und Vermehrung der osmo-
tischen Kraft allein durch die Schwerkraft verursacht wird, wurde experi-
mentell bei Phaseolus die Beeinflussung der Turgorreaktion durch ver-
schiedene Außenbedingungen untersucht.
Versuch’IV:.
Einfluß niederer Temperatur auf die geotropische Krümmung eines Phaseolus-
gelenkes.
Während die Versuche im allgemeinen bei einer Temperatur von 24 bis
26° C. im Gewächshause ausgeführt worden waren, wurde bei diesem Ver-
suche Phaseolus vulgaris zunächst in aufrechter Stellung in den Eisschrank
gebracht, wo die Temperatur auf 5,4—6,5° C. (im Sommer) ermiedrigt
worden war. Nach 5—6 Stunden wurde jedesmal das eine Blatt abge-
nommen und die plasmolytischen Grenzwerte bestimmt. Hierauf wurden
die Pflanzen 6 bezw. 24 bezw. 66 Stunden lang invers gestellt. In keinem
192
Falle trat eine sichtbare geotropische Krümmung ein. Leider konnte die
Versuchsdauer nicht verlängert werden, da die Pflanze nach dieser Zeit zu-
grunde ging. Aus der plasmolytischen Untersuchung ergab sich, daß in-
folge der Temperaturerniedrigung die durch Inversstellung herbeigeführte
Turgorvariation im Gelenk größtenteils unterbleibt; denn niemals tritt in
der erdwärts gewandten Hälfte eine Zunahme der osmotischen Energie ein.
Dagegen scheinen diejenigen osmotischen Prozesse, durch welche die ober-
seitige Abnahme zustande kommt, bis zu einem gewissen Grade eingeleitet
zu werden. Besonders deutlich, wie etwa bei den heliotropischen Krüm-
mungen (s. ob. p. 190), ist die Erniedrigung jedoch hier nicht zu sehen. Darum
nur beiläufig erwähnt, daß in einem Schnitte bei 66stündiger Umkehrung
mehrere an der einen Flanke gelegene Zellen bei 4,0 °o keine Plasmolyse
zeigten, ohne daß entschieden werden soll, ob diese Erscheinung die Folge
einer Stauung der wandernden Stoffe ist. Das Ausbleiben der Turgorreaktion,
besonders der Erhöhung trotz des geotropischen Reizes ist im übrigen ver-
ständlich, da durch die niedere Temperatur der Stoffwechsel herabgesetzt ist.
Die Turgorverhältnisse der normal stehenden Pflanze bleiben im Eisschrank
unverändert, ein Verhalten, das auch der Turgor der Cynareenstaubfäden
und die Gelenke von Mimosa nach Pfeffer (V. p. 75, Anmerk. 2) zeigen.
Daß die Temperaturerniedrigung allein und nicht der Liehtmangel im dunklen
Eisschrank von hemmendem Einfluß auf die Reaktion ist, erhellt daraus,
daß eine Erhöhung des osmotischen Druckes eintritt, wenn die Pflanze bei
normaler Temperatur im Dunklen umgekehrt wird (vgl. ob. p. 194).
Versuch V.
Einfluß des Blattgewichtes auf die Turgorverteilung im geotropisch gekrümmten
Phaseolusgelenk.
Durch die im Gelenk ausgeführte Krümmungsbewegung wird das Blatt
gehoben. Die Bewegungsenergie hat demnach ein statisches Moment zu
überwinden. Dieses wurde für ein kräftiges Blatt!) von Phaseolus multi-
florus auf 101,5 g berechnet. Um zu untersuchen, ob diese mechanische
Inanspruchnahme wesentlich für die Größe der Erhöhung der Turgorkraft
ist, wurden Pflanzen ungefähr 1'/s Tage lang umgekehrt.
Bei der einen Pflanze wurde das einfache Blatt über dem Gelenk bis auf
einen kleinen Stumpf der Mittelrippe abgeschnitten, während bei zwei anderen
Pflanzen das Blattgewicht aufgehoben wurde, um einen etwaigen Einfluß
des Wundreizes auszuschließen. Aus den plasmolytischen Werten ergibt sich,
daß Pfeffers (VI. p. 506) Ansicht in bezug auf die photonastischen Be-
wegungen, nämlich daß „in der Regel die Bewegungsenergie so ansehnlich
ist, daß die aus dem Gewicht des Blattes entspringende, mechanische In-
anspruchnahme nieht oder doch nieht wesentlich in Betracht kommt“, auch
für die negativ geotropische Krümmung des Gelenkes zu Recht besteht.
1) Das Blatt wog 1,822 g, sein Schwerpunkt war 55 mm vom Gelenk entfernt.
193
Versuch VI.
Turgorverteilung bei Hemmung der negativ geotropischen Krümmung vom
Phaseolusgelenk.
Der Versuch wurde an den Gelenken der Blattstiele der einfachen
(Primär-) Blätter von Phaseolus multiflorus angestellt. Jene Gelenke zeigen
nach der Umkehrung die Turgorvariation ebenso wie die Blattgelenke.
Während der eine Blattstiel in drei Tagen sich ungehindert ca. 50° aufwärts
bog, wurde der gegenüberstehende durch einen unverrückbar fixierten Draht
verhindert, sich zu krümmen.
Die Plasmolyse ergab, daß die Außenleistung für die Zunahme der
osmotischen Energie im geotropisch gereizten Gelenk nicht in Frage kommt.
Damit unterscheidet sich diese Turgorreaktion wesentlich von derjenigen im
Hordeumknoten. Weil nämlich bei ihm die Turgorschwellung außer durch
den mit konstanter Intensität wirkenden geotropischen Reiz auch durch
Wachstumshemmung verursacht wird, so wächst sie mit der Größe des zu
überwindenden Widerstandes, eben des wachstumshemmenden Faktors; und
sie erreicht den größten Wert, wenn die Hemmung total und allseitig erfolgt.
Bei den tropistischen Variationskrümmungen wird Turgorsteigerung allein
durch den betreffenden Reiz ausgelöst, und ihre Intensität ist im allgemeinen
nur von der des Reizes abhängig. Sobald sich das Gelenk in der tropistischen
Reizlage befindet, wird, die zur Lebenstätigkeit nötigen, formalen Bedingungen
vorausgesetzt, die Turgorreaktion eingeleitet. Dann erst erfolgt die Krümmung,
und sie beruht zunächst nieht auf Wachstum, sondern allein auf einseitig
vermehrter Zellhautspannung. Wird sie deshalb durch einen unverrückbaren
mechanischen Widerstand gehemmt, so kommt Wachstumshemmung für die
Turgorerhöhung nicht in Frage. Die Hemmung der Krümmung ist aber von Ein-
fluß auf die Turgorverteilung insofern, als durch sie eine größere Anzahl Zellen
des Gelenkes länger in der günstigsten Reizlage gehalten wird, als sonst, wenn
bei Ausführung der Krümmung sie allmählich derselben entzogen werden;
denn die Wirkung z. B. der Gravitation ist von der Lage des Gelenkes
gegen die Vertikale abhängig und ändert sich darum mit der Einkrümmung
und zwar für verschiedene Querschnitte in ungleichem Maße. Und so
erklärt es sich, daß in den Querschnitten eines an der geotropischen
Krümmung verhinderten Gelenkes die höchste Turgorsehwellung auf eine
größere Anzahl von Zellen der erdwärts gewandten Hälfte sich erstreckte.
Weil der Turgorwechsel im Gelenk stets dann eintritt, wenn die Pflanze
umgekehrt, d. h. zur Richtung der Schwerkraft in eine andere Lage gebracht
wird, so wurde in den vorstehenden Beobachtungen schlechthin angenommen,
daß er durch die Reizwirkung der Gravitation verursacht sei. Da die Turgor-
steigerung in sämtlichen der in beträchtlicher Anzahl untersuchten Gelenke
sich nicht wesentlich entfernt von dem Mittelwerte 1,5°0 Kalisalpeter
(= 5,25 Atmosphären), so folgt, daß die Turgorzunahme — zwischen der
Größe des Reizanstoßes und der Größe der Reaktion ein direktes Verhältnis
vorausgesetzt — die Wirkung eines in seiner Intensität ziemlich konstant
194
bleibenden Reizes ist. Da nun in der Gravitation wirklich ein Reiz von
solcher Beschaffenheit vorliegt, und die Turgorkraft dann eine Erhöhung
erfährt, wenn die Pflanze invers gestellt wird, so wird die Schwerkraft als
Ursache im höchsten Grade wahrscheinlich. Weitere Belege dafür, daß die
Reizreaktion der osmotischen Energie tatsächlich eine geotropische ist, sollen
im folgenden beigebracht werden.
Zunächst sei erwähnt, daß der Wechsel der Turgorkraft nach einer
Lageveränderung des Gelenkes stets zwischen der zenith- und erdwärts ge-
wandten Hälfte eintritt, und zwar erfolgt die Zunahme des T'urgors immer
in dem erdwärts gewandten Teile. Auch in solchen Gelenken, die bei
ihrer negativ geotropischen Krümmung tordiert waren (vgl. Pfeffer II.
p. 150), wurde der höchste osmotische Wert immer an der geotropischen
Unterseite gemessen. Je näher nun der zu betrachtende Querschnitt an
der Blattlamina liegt, um so weiter entfernt von der morphologischen Unter-
seite war die Erhöhung eingetreten. Dies konnte beobachtet werden, weil
das Gelenk von Phaseolus ausgesprochen dorsiventral gebaut ist, so daß
auf dem Querschnitte die morphologische Ober- und Unterseite deutlich
hervortritt. Es sind demnach bei Phaseolus nicht bloß die dorsiventral
gelegenen Zellkomplexe befähigt, ihren Turgordruck zu variieren. Das folgt
auch aus der plasımolytischen Untersuchung eines solchen Gelenkes, das
nicht durch Umkehren, sondern durch Horizontallegen der Pflanze in seiner
tropistischen Gleichgewichtslage verändert wird. Denn die Erhöhung bezw.
Senkung des Turgors tritt dann in der bei normaler Stellung vorderen bezw.
hinteren Flanke ein, die bei Horizontallage die geotropische Unter- bezw.
Oberseite abgibt. Damit keine Torsion des Gelenkes eintrat, wurde die
Blattlamina in ihrer aufgerichteten Lage festgehalten, indem sie zwischen eine
senkrecht gestellte Korkplatte und einen darauf gesteckten Papierstreifen
eingeführt wurde. Dieser war so befestigt worden, daß die Lamina sich
ungehindert nach oben bewegen konnte. Nach 20 Stunden ist die Krümmung
ausgeführt.
Wenn der Turgorwechsel im Gelenk wirklich die Folge des geotropischen
Reizes ist, so muß er auch eintreten, wenn die Pflanze in der Dunkelheit
umgekehrt wird. Wie schon oben erwähnt, ist dies auch der Fall. Es
wurde folgender Versuch angestellt:
Versuch. VII.
Einfluß des Lichtes auf die geotropische Krümmung eines Phaseolusgelenkes.
Das Blattgelenk einer in deutlicher Nachtstellung befindlichen Pflanze
von Phaseolus vulgaris wurde abends 8 h plasmolysiert, hierauf die Pflanze
umgekehrt und ein Pappzylinder darüber gestülpt. Nach 11 Stunden, 7 h
morgens, wurde der Turgordruck des anderen gekrümmten Gelenkes plas-
molytisch gemessen.
Es ergibt sich, daß bei Verdunkelung in der erdwärts gewandten Hälfte
wohl eine Erhöhung von 1—1,5°/o Salpeter eingetreten ist, die sich auch
auf die angrenzenden Zellen der anderen Hälfte erstreckt, daß aber in
dieser selbst die Turgorkraft nicht abgenommen hat. Der erste Prozeß der
geotropischen Turgorreaktion, nämlich die Exosmose osmotischer Substanz,
scheint demnach auch von dem Einflusse des Lichtes abhängig zu sein. —
Obwohl die osmotische Energie des in Nachtstellung befindlichen Gelenkes
an sich um 1°/o Kalisalpeterwert höher ist, (vgl. u. p. 200), so fand immer
noch nach der Umkehrung in der erdwärts gerichteten Hälfte, also in der
Hälfte, die schon in der aufrecht stehenden Pflanze die größte osmotische
Expansionskraft zeigte, eine Steigerung des osmotischen Druckes statt.
Versuch VII.
Die umgekehrte Pflanze wieder aufrecht gestellt.
Schon Pfeffer (II. p. 138) weist darauf hin, daß die während 12 bis
16 Stunden Umkehrung ausgeführte geotropische Krümmung eines Bewegungs-
gelenkes rückgängig wird, wenn die Pflanze wieder aufrecht gestellt wird.
Dies geschieht, weil die Ursache der einseitig vermehrten Zellhautspannung,
nämlich die auf der erdwärts gewandten Hälfte eingetretene Erhöhung der
osmotischen Kraft aufgehoben ist. Das ergibt auch die plasmolytische
Untersuchung. Das Gelenk weist sehr bald wieder die normale Turgor-
verteilung auf, d. h. nunmehr herrscht in der morphologisch unteren Seite
ein etwas höherer Turgor als oben. Möglicherweise ist derselbe auch geo-
tropisch induziert. Freilich ist die Differenz zwischen Ober- und Unterseite
im normalen Gelenk niemals so groß, wie im umgekehrten. Es scheint die
geotropische Sensibilität des Protoplasmas infolge der konstanten einseitigen
Reizwirkung der Schwerkraft im Laufe der Entwicklung abgestumpft zu
sein. Die Rickregulation des Turgors ist selbst bei längerer Dauer der
Umkehrung in 24 Stunden, vielleicht aber auch in kürzerer Zeit, vollendet;
nur in einem Falle waren die normalen Turgorverhältnisse in einem 72
Stunden lang umgekehrt gewesenen Gelenk nach 12 Stunden aufrechter
Stellung noch nicht völlig wiederhergestellt. Weil die Turgorreaktion auf
allen Seiten des Bewegungsgelenkes von Phaseolus eintreten kann, so
folgt für letzteres, daß es in bezug auf diese Turgordruck-Variation physio-
logisch radiär ist, was in bezug auf die photonastische Reaktion schon
Pfeffer durch die Beobachtung umgekehrter Schlafbewegung bei Invers-
stellung und A. Fischer (I. p. 672) durch seine Klinostatenversuche fanden.
Wenn aber unter dem Einflusse der Schwerkraft der Turgorwechsel im
Gelenk vollzogen worden ist, dann ist eine labile Dorsiventralität für andere
Reaktionen induziert.
Während bisher die osmotischen Prozesse im Phaseolusgelenk unter
dem Einflusse einseitiger Wirkung der Schwerkraft betrachtet wurden,
sollen sie im folgenden aus bekannten Gründen (vgl. ob. p. 183) am Klino-
staten mit horizontaler Achse untersucht werden.
Beiträge zur Biologie der Pflanzen, Bd. IX, Heft II. 13
b) Diffuse Schwerkraftsreizung infolge Klinostatendrehung.
Versuch IX.
1. Plasmolytische Untersuchungen.
Um die geotropischen Wirkungen auf den Turgor möglichst unbeeinflußt
von photonastischen Reaktionen betrachten zu können, wählte ich zunächst
solche Pflanzen von Phaseoles multiflorus aus, die keine oder nur sehr
geringe Schlafbewegungen zeigten. Wenn bei denselben auch Veränderungen
im Turgordruck infolge des Beleuchtungswechsels nicht ausgeschlossen waren,
so konnten sie doch nicht so ansehnlich sein, daß die Sichtbarkeit der geo-
tropischen Vorgänge undeutlich geworden wäre. Beruht die Turgorverteilung
im Gelenke wirklich auf Geotropismus, so muß das normale Gelenk nach
der Klinostatendrehung bei Konstanz der Außenbedingungen die gleichen
Turgorverhältnisse wie vorher zeigen, oder, falls die Annahme richtig ist,
daß auch in aufrechter Stellung die Differenz zwischen Ober- und Unter-
seite eine Folge der einseitig wirkenden Schwerkraft ist, so muß dieser
Unterschied ausgeglichen werden. Im umgekehrten Gelenke aber muß am
Klinostaten die einseitige, mit einer Senkung in der antagonistischen Seite
verbundene Turgorschwellung rückgängig gemacht werden. Umdrehungzeit
des Klinostaten: 30 Minuten, Achse parallel zum Fenster. Temperatur: 18
bis,719/8,C,
E. Ip
V
N
DR
AUG
Phaseolus multiflorus innormaler Stellung: Turgorverteilung im anderen Blattgelenk
schematisierter Querschnitt durch das Pri- derselben Pflanze nach zweitägiger Klino-
mär-Blattgelenk, um die Turgorverteilung statendrehung, konzentrische Verteilung
zu zeigen. Morph. untere Gelenkhälfte ist und allgemeine Zunahme des Turgors
schraffiert (im Gefäßbündeldurchschnitt.. sichtbar. Morph. untere Gelenkhälfte ist
schraffiert (im Gefäßbündeldurchschnitt).
Aus den obenstehenden Skizzen geht hervor, daß die Differenz zwischen
Ober- und Unterseite durch die Eliminierung des einseitigen Schwerkrafts-
veizes tatsächlich ausgeglichen ist. Besonders bemerkenswert ist, daß eine
allgemeine Zunahme der osmotischen Energie um etwa 0,5 bis
1,0° Salpeter am Klinostaten stattfindet. Während die Querschnitte
des normalen Gelenkes in der Richtung der Vertikalen eine allmähliche Ab-
nahme des Turgors von unten nach oben erkennen lassen, ist nach der
197
Rotation die Anordnung in der Weise verschoben, daß der erhöhte osmotische
Wert von den das Gefäßbündel umgebenden Zellschiehten aus gegen die
Epidermis nach allen Seiten hin abnimmt. Eine derartige Wirkung hatte auch
eine kürzere Rotationsdauer von einem Tag. Den Versuchen mit Phaseolus
multiflorus folgten solche mit Phaseolus vulgaris, deren Blätter eine an-
sehnliche Amplitude der täglichen periodischen Bewegung aufwiesen. Auch
diese Gelenke zeigten am Klinostaten eine allgemeine Zunahme der Turgor-
kraft um 0,5 °. Die Areale ein und derselben Salpeterprozente eines Quer-
schnittes ordnen sich hier nicht konzentrisch um das Gefäßbündel an, sondern
kreuzweise. Der Turgordruck ist in den zu beiden Seiten der Vertikale ge-
legenen Zellen der oberen und unteren Hälfte am ansehnlichsten.
Eine Pflanze von Phaseolus multiflorus wurde zwei Tage lang invers
gestellt und hierauf am Klinostaten zwei Tage lang rotiert. Die durch die
Umkehrung eingetretene Veränderung in den osmotischen Verhältnissen, nämlich
der Turgorwechsel und die unterseitige Erhöhung werden durch die Klino-
statendrehung in der Weise ausgeglichen, daß auf der morphologischen Ober-
seite, die vor der Rotation die höheren osmotischen Werte zeigte, in den
meisten Zellen eine Turgorsenkung stattfindet, daß in der entgegengesetzten
Gelenkhälfte dagegen eine ansehnliche und allgemeine Turgorschwellung
erfolgt, sodaß nunmehr im Gelenk ein Mittelwert von 4,5—5,0°/o Salpeter
herrscht, was aber trotz des Rückganges der Turgorsteigerung gegenüber
dem normalen Gelenk (mit seinem 4°/o betragenden Mittel) eine allgemeine
Zunahme des Turgors von mindestens 0,5 °/o bedeutet. Hiernach scheint durch
die Klinostatendrehung neben der auf alle (Phas. multiflorus) oder wenigstens
auf die gegenüberliegenden (Phas. vulgaris) Seiten des Gelenkes sich er-
streekende Verteilung auch eine Neubildung von osmotischen Substanzen in
allen Zellen veranlaßt zu werden, die die Konzentration des Zellsaftes um
ein Äquivalent von 0,5 Salpeterprozent erhöht. Die in der fixen Lage geo-
tropisch induzierte Dorsiventralität des Gelenkes ist damit aufgehoben. Mög-
licherweise besteht in bezug auf die Verschiebung der Turgorverhältnisse bei
Rotation ein Unterschied zwischen den autonyktinastischen und geonyktina-
stischen Pflanzen [Fischer (I. p. 711) und Bemerkung Pfeffers (VI. p. 510),
wie die weiter unten mitzuteilenden Erfahrungen an Amicia vermuten lassen.
2. Kontrolle der Biegungsfestigkeit.
Da bei den Variationsgelenken durch die Kontrolle der Biegungsfestig-
keit die Expansionsänderungen in den antagonistischen Geweben einigermaßen
erkannt werden können, so mußten die bei der Klinostatendrehung beob-
achteten Veränderungen der osmotischen Energie und damit die der Zellhaut-
spannung sich auch zeigen, wenn die Biegungsfestigkeit der Ober- und Unter-
seite des Gelenkes untersucht wurde. Wenn die obigen plasmolytischen
Ergebnisse richtig sind, so muß die Biegungsfestigkeit der Pflanzen bei der
Rotation größer sein, als vorher bei aufrechter Stellung zu der gleichen Tages-
stunde, und demzufolge die Winkeldifferenz sich vermindern. Es wurde deshalb
13*
198
die Biegungsfestigkeit des Gelenkes vor, während und nach der Klinostaten-
drehung nach der Brückeschen (I. p. 452) Methode ermittelt. Die Zahlen
bedeuten die gemessene Winkeldifferenz. Die "Temperatur im Versuchs-
raume betrug durchschnittlich 23—26° C. Die Versuche wurden nur an
sonnenhellen Tagen angestellt. Umdrehungsgeschwindigkeit: 30 Minuten. Zur
richtigen Beurteilung der bei der Rotation eintretenden Zunahme der Expan-
sionskraft wurde gleichzeitig die Biegungsfestigkeit einer aufrecht stehenden
Pflanze ermittelt. Phaseolus multiflorus.
a) Pflanze drei Stunden lang rotiert:
| E aD
ES © De 2.
1 a8 = | 324358
Zeit |\22 | &53 | ee8| 92a
3.2 2 | =32|5°%
«2 = Ar Er
| Alt
sh 9 9
vormittags Yy |
5 |
10 h 6 14
vormittags |
ulye za 14
vormittags | Y
ah |
nachmittags z se
Zunahme der Biegungsfestigkeit: um 27,7 Io.
b) Pflanze einen Tag lang rotiert, jedesmal 1 h mittags untersucht:
Aufrechte
Versuchspflanze A: Kontrollpflanze Versuchspflanze B:
1. Tag: aufrechte Stellung. . 14 14 15
2. Tag: am Klinostaten . . . 10 14 2
3. Tag: wieder aufrechte Stellg. 16 15 10
Zunahme der Biegungsfestigkeit: 4. Tag aufrecht: 12
um 28,5%. Zunahme der Biegungs-
festigkeit: um 53 0].
Bemerkung: Übrigens macht schon A. Fischer (I. p. 695) zu einem
anderen Zwecke Angaben über die Biegungsfestigkeit von Phaseolus multi-
florus vor und während der Rotation. Nach ihm betrug die Differenz:
2 en || .
j 2535| Am Klinostaten:
Zeit = 3 | Differenz
Zur | BR ren
ER u 30
vormittags | Y
llh | 20
vormittags |
12—-1h | 22,5 22 22
mittags l
4,30 h 34 |
nachmittags |
8-9 h 13 139125 20.219195
abends
Zunahme der Biegungsfestigkeit: um 12—35°/o, bereits nach 21/, Std. ansehnlich
(um 41°/,), s. auch oben bei a).
!) Die in den Abendstunden gemessene Winkeldifferenz ist also nur am zweiten
Tage der Rotation etwas geringer. In den von mir angestellten Versuchen konnte
199
Phaseolus vulgaris.
a) Die Biegungsfestigkeit derselben Pflanze in aufrechter Stellung und dann
am Klinostaten im Laufe eines Tages:
Zeit: Aufrechte Stellung: Am Klinostaten:
2 h nachmittags: 11 7
sh z 8 7
6 h = 0) B)
7. - 7 4
a8 h = 6 4
10 h vormittags: 11 7
12 h mittags: 10 7
Zunahme der Biegungsfestigkeit: im Mittel um 34,4 °/o.
b) Pflanze einen Tag lang rotiert:
une re Ns
untersucht): (18 h morgens): (1 h mittags):
1. Tag: aufrecht: 11 & 18
2. = : am Klinostaten: 6 9 sehr klein !)
3. = : wieder aufrecht: b) 8 16
A: z = 10 10
Zunahme der Biegungsfestigkeit: um 45,4°/,.
Trifolium pratense.
Einen Tag lang rotiert, vom 2.—4. Tage erhebliche Temperaturschwankungen.
Versuchspflanze A Aufrechte Kontrollpflanze Versuchspflanze B
(11 h untersucht): (11 h untersucht): (1/5 h untersucht):
1. Tag: aufrechte Stellung: 15 16 20
2. =: am Klinostaten: d ill 13
3. = : wieder aufrecht: 15 19 18
A, 2: = 2 12 15
Zunahme der Biegungsfestigkeit: bei A um 72°/9; bei B um 35°/g.
Sowohl beim Phaseolus- als auch beim Trifolium-Gelenk nimmt also
die Biegungsfestigkeit am Klinostaten stets deutlich zu. Diese Zunahme zeigt
für Phaseolus einen Mittelwert von über 30 °/ der normalen Biegungsfestig-
keit. Sie ist demnach so ansehnlich, daß sie selbst bei Berücksichtigung
aller Ungenauigkeiten, die in der angewandten Methode der Messung liegen,
immerhin noch eine erhebliche ist. Es muß also die Expansionskraft all-
gemein gestiegen sein. Da dies auch auf plasmolytischem Wege nach-
gewiesen werden konnte (bei Phaseolus: Erhöhung der osmotischen Energie
bis zu 25°/o des bisherigen Wertes), so kann man annehmen, daß die Zu-
ich derartige Schwankungen in der Biegungsfestigkeit an verschiedenen Abenden
niemals beobachten, sondern sie war beim rotierten Gelenk stets größer als bei
der aufrechten in Nachtstellung befindlichen Pflanze.
1) Die Differenz konnte nicht in Graden ermittelt werden, da sich das Blatt am
Klinostaten so zurückgeschlagen hatte, daß bei horizontaler Lage die Spitze durch
den primären Stengel gehemmt wurde,
200
nahme der osmotischen Energie und, ihr entsprechend, die der Biegungs-
festigkeit im ursächlichen Zusammenhange stehen. Aus deren Coincidenz
folgt jedenfalls, daß der Turgor eines Bewegungsgelenkes am Klinostaten
erhöht wird.
c) Anderweitige Beobachtungen.
Versuch X.
Turgorverhältnisse des Bewegungsgelenkes von Phaseolus vulgaris bei Tag-
und Nachtstellung des Blattes.
Schon früher (ob. p. 195) wurde hervorgehoben, daß im Gelenke einer auf-
rechten, in Nachtstellung befindlichen Pflanze von Phaseolus vulgaris eine
allgemeine Vermehrung der osmotischen Energie um 1 °/o Kalisalpeter auf
plasmolytischem Wege nachgewiesen werden konnte. Dies widerspricht den
Erfahrungen Hilburgs (I. p. 23), der bei den photonastischen Variations-
krümmungen keine Turgorveränderung im aktiven Schwellgewebe der Gelenke
konstatierte. Zur Wiederholung seiner Versuche wurden solche Pflanzen von
Phaseolus vulgaris ausgewählt, deren Blätter durch eine ansehnliche, nicht
selten 100° betragende Bewegungsamplitude ausgezeichnet waren. Die
Turgorverteilung eines solchen Gelenkes bei Tag- und Nachtstellung ver-
anschaulichen die Skizzen G@ und H.
Schematisierter (Querschnitt durch das Desg]. durch das andere Blatt in normaler
Primär-Blattgelenk von Phas. vulgaris Nachtstellung. In der unteren Hälfte (im
in normaler Tag stellung, um die Turgor- Gefäßbündel schraffiert) ist teils eine
verteilung zu zeigen. Zunahme (0,5%, Salpeter), teils eine
Senkung (0,5%), in der oberen eine
Steigerung des Turgors eingetreten (um
0,5—1,5°/o)-
Wenn die Verteilung des Turgordruckes, die in einem Gelenke bei Tag-
stellung herrscht, mit der in einer schlafenden Pflanze verglichen wird, so
ergibt sich, daß die Turgorenergie am Abend im allgemeinen um 1° Sal-
peterwert höher ist. Nur der Turgor einiger Zellen der unteren Hälfte
nimmt an der Steigerung nicht teil, in wenigen von ihnen tritt sogar eine
Senkung um 0,5°o ein, so daß der geringste osmotische Druck, welcher
am Tage in den am oberen Rande gelegenen Zellen gefunden wurde, bei
201
verminderter Beleuchtung oder im Dunkeln in einigen Zellen der kompri-
mierten Hälfte herrscht. Inwieweit solche Befunde für die Beantwortung
der auf die Mechanik der photonastischen Variationskrümmungen bezüglichen
Fragen wesentlich sein können, sei dahingestellt.
Versuch XI.
Turgorverhältnisse im freien und abgeblendeten Gelenke von
Phaseolus vulgaris.
Die Untersuchungen der Turgorverhältnisse bei den tropistischen Krümmungs-
bewegungen der Gelenke haben gezeigt, daß der Turgor im Schwellparenchym
gegen induzierte Reizungen ziemlich reaktionsfähig ist. Für die Beurteilung
der Turgorverteilung in einem jeden in fixer Lage und im gewöhnlichen
Tageslichte (Oberlicht des Gewächshauses) befindlichen Gelenke konnte der
Umstand wesentlich sein, daß die eine Gelenkhälfte, nämlich die der Licht-
quelle zugekehrte, mehr beleuchtet wird, als die antagonistische, ständig
schwach beschattete Seite. Es ist deshalb ein gewisser heliotropischer Reiz
auf das Gelenk nicht ausgeschlossen. Um diesen auszuschalten, wurde die
Lichtseite abgeblendet durch einen schmalen Streifen leichten und für Licht
wenig durchlässigen Zeuges. Er wurde in seiner Länge auf den Blattstiel
aufgelegt und daran festgebunden. Sein oberes, freies Ende wurde über
das Blattgelenk gedeckt und mit einer quer durch die Blattlamina gesteckten
Glasnadel in dieser Lage festgehalten. Da nach Beobachtungen im Leip-
ziger Institut eine solche Abblendung tatsächlich von Einfluß für die Pflanze
ist, indem die Schlafstellung des Blattes eher eintritt, so konnte auch in
bezug auf die Turgorverteilung ein Unterschied zwischen dem umhüllten
und freien Gelenke vermutet werden. Nachdem das eine Gelenk einen
Abblendungsstreifen mehrere Tage lang getragen hatte, wurden beide plas-
molytisch untersucht. Danach hat die gewöhnliche Beleuchtung der je-
weiligen Oberseite auf die Gesamthöhe des Turgordruckes im Gelenk keinen
Einfluß, ebenso zeigen die am oberen Rande gelegenen Zellen der zenitwärts
gewandten Hälfte in beiden Gelenken keine Differenz in ihrer osmotischen
Energie.
Il. Andere Gelenkpolster.
Das Ergebnis der plasmolytischen Untersuchungen Hilburgs, daß
nämlich die tropistischen Variationskrümmungen des Bewegungsgelenkes von
Phaseolus vulgaris durch den Turgorwechsel bewirkt werden, konnte, wie
wir oben gesehen haben, bestätigt werden. Im Anschluß daran erhebt
sich die Frage, ob die Steigerung bezw. Senkung des Turgors auch bei
den tropistischen Krümmungsbewegungen anderer Variationsgelenke eintritt.
Hilburg hat diese Erscheinung nur für die zwischen Blattstiel und Lamina
befindlichen Gelenke des Primärblattes von Phaseolus vulgaris nachgewiesen.
In den folgenden Versuchen sollen deshalb die geotropischen Krümmungen
von einigen anderen zu Variationsbewegungen befähigten Gelenken in bezug
202
auf die Turgorverteilung untersucht werden; und dabei soll die von Pfeffer
(VI. p. 650) ausgesprochene Vermutung, daß „die Gelenke, welche Schlaf-
bewegungen vollbringen, auch geotropisch und heliotropisch zu reagieren
scheinen“, durch einige weitere Beobachtungen begründet werden. Zu diesem
Zwecke wurden die zu untersuchenden Pflanzen mit fixiertem Blattstiele
invers gestellt und die Gelenke plasmolysiert, nachdem sie eine sichtbare
geotropische Krümmung ausgeführt hatten, was in den meisten Fällen nach
1 bis 5 Tagen geschehen war. Daneben war an einem normal gestellten
Gelenk der plasmolytische Grenzwert ermittelt worden. Eine genaue Be-
stimmung des Turgordruckes in den Zellen des Schwellparenchyms ist in
den meisten Fällen ziemlich schwierig, da die Feststellung eben beginnender
Plasmolyse erschwert wird durch die Kleinheit der Zelle, durch Verdickungen
der Membran oder gewisse Inhaltsstoffe, wie z. B. bei Mimosa durch die
meist kugelförmigen Gerbstofftropfen. Deshalb kann ich über die Zunahme
des osmotischen Druckes und besonders über die Senkung in der antago-
nistischen Hälfte für manche Objekte nicht so sichere zahlenmäßige An-
gaben machen wie etwa für das Phaseolus- und Amiciagelenk. Das Vor-
handensein einer Differenz im Turgordruck wird trotzdem nicht in Frage
gestellt; denn diese zeigte sich in den verschiedenen Lösungen nicht bloß
dadurch an, daß für Ober- und Unterseite verschieden hohe Konzentrationen
isotonisch waren, sondern sie war auch deutlich zu erkennen, wenn die
Lösung den plasmolytischen Grenzwert um ein weniges überschritt, da dann
die Abhebung des Plasmakörpers in der zenitwärts gewandten Hälfte weiter
als in den antagonistischen vorgeschritten war. Eigene und fremde Kon-
trolle unterstützten außerdem die Sicherheit der Ergebnisse. Im übrigen
wurde von einer Gattung immer diejenige Art gewählt, welche die größten
Gelenke aufweist.
Papilionaceae.
Schon bei den obigen Umkehrversuchen wurde dargetan, daß außer in
dem Primärblattgelenk (zwischen Lamina und Blattstiel) von Phaseolus
vulgaris und maultiflorus auch in den Blattstielgelenken die geotropische
Krümmung durch Turgorvariation bewerkstelligt wird. In beiden Fällen
betrug die Erhöhung des Turgors 1,5°/o Salpeter, also etwa 40°/o des nor-
malen Turgorwertes. Ein solcher geotropischer Einfluß auf die osmotische
Energie kann aber nicht in den Parenchymzellen des zwischen den Gelenken
liegenden Blattstieles (plasmolytischer Grenzwert im Rinden- und Mark-
parenchym: 2,5—3,0°/o) nachgewiesen werden.
Außerdem wurden plasmolytisch untersucht, und zwar konnte in sämt-
lichen Gelenken der Turgorwechsel bei der geotropischen Krümmung nach-
gewiesen werden:
a) Phaseolus-Gruppe: 1) Blattgelenk eines dreigeteilten Fiederblattes von
Phaseolus multiflorus.
von Erythrina bogotensis.
= Robinia Pseudacacia.
\
2)
b) Astragalus- = 3)
\
ec) Trifolium-Gruppe: 4) Blattgelenk von Trifolium ochroleucum.
d) Genista- E 5) z von Laburnum alpinum.
e) Hedysarum- = 6) = u. Blattstielgelenk v. Amicia Zygomeris.
Während die übrigen Pflanzen sich in Töpfen befanden, wurde bei Ro-
binia, Trifolium und Laburnum der Versuch im Freien angestellt. Durch
Bandagen wurde ein seitlicher Sproß eines Robinia- und Laburnumstrauches,
durch Aufbinden mit Bast auf einem abwärts gebogenen Draht der obere
Teil des Trifolium-Blattstieles in umgekehrter Lage gehalten. Bemerkungen
über die Anatomie des Robinia- und Blattstiel- (Haupt-) Gelenkes von Amicia
befinden sich bei Möbius (I. p. 43, 48f.). Bei der Inversstellung von
Amicia findet neben der geotropischen Krümmung gleichzeitig im Gelenk
eine Drehung statt, die bei Phaseolus so rasch verlaufend und allgemein
wie hier nicht beobachtet wurde und wodurch die Amiciablätter schon nach
einigen Stunden in die Lage zurückgeführt werden, welche sie dem Lichte
gegenüber normalerweise einnehmen. Um diese Drehung zu verhindern,
wurde das ganze Blatt vorsichtig zwischen zwei Glasplatten so eingeführt,
daß die jeweilige Lage der Blattflächenebene nicht gestört wurde. Der
Zwischenraum war so groß, daß sich nur die geotropische Krümmung un-
gehindert vollziehen konnte, dagegen die Torsion gehemmt war. Dabei
war nicht zu umgehen, daß die wie normal gerichteten Schlafbewegungen
der Blätter (Fischer I. p. 709/10) verhindert wurden. Die Umkehrung
geschah mit möglichster Vorsicht und unter peinlicher Vermeidung jeglicher
Erschütterungen, da sonst die Blätter sofort eine Reizbewegung ausführen.
In jedem einzelnen Gelenke der vier Fiederblättchen herrschen bei normaler
Tagstellung die gleichen Turgorverhältnisse.
Da das ziemlich ansehnliche Amicia-Gelenk ein günstiges Versuchsobjekt
ist, wurden mehrere der an Phaseolus angestellten Beobachtungen an dieser
Pflanze wiederholt. Wenn das Blattstielpolster durch eimen Draht an der
Aufwärtskrümmung verhindert wurde, so konnte auch hier wie bei Phaseolus
(s. ob. p. 195) beobachtet werden, daß ebenfalls keine erneute Turgorschwellung
infolge der mechanischen Widerlage eintritt, sondern daß die höchste Turgor-
steigerung auf eine größere Anzahl von Zellen der erdwärts gewandten
Hälfte sich erstreckt. Ebenso konnte in diesem Gelenke die allgemeine
Zunahme des Turgors infolge der Klinostatendrehung (ob. p. 196) beobachtet
werden. Während aber bei Phaseolus die Klinostatendrehung eine mehr
ausgleichende Wirkung auf die Turgorverteilung im Gelenk ausübt, indem
auf dem Querschnitt entweder eine konzentrische Anordnung der Areale
gleichen Turgordruckes im gesamten Gelenk (Phaseolus multiflorus) oder
wenigstens eine gleiche Verteilung in den antagonistischen Flanken (Phaseolus
vulgaris) herrscht, so bleibt im Amiciagelenk auch nach der Rotation der Gegen-
satz zwischen einer Hälfte mit höherer und niedrigerer osmotischer Energie
bestehen, nur mit dem Unterschiede, daß die Turgorwerte allgemein gestiegen
sind, wenn auch in der oberen (2,0—2,5°/o Salpeter) und unteren (0,5— 1,0 °/o)
Hälfte nicht in gleicher Höhe. Nach Pfeffer (VI. p. 509) erklärt sich der
204
Unterschied zwischen geo- und autonyktinastischen Pflanzen so, daß die
physiologische Dorsiventralität in bezug auf die photonastische Wirkung bei
Phaseolus durch die einseitig wirkende Schwerkraft induziert ist, so daß
sie durch den Klinostaten aufgehoben wird, bei Amici’a dagegen inhärent ist,
so daß die Schlafbewegungen auch am Klinostaten fortbestehen. Daß dieses
entgegengesetzte Verhalten der beiden Pflanzen nicht nur in den ohne
weiteres sichtbaren Schlafbewegungen, sondern auch in deren inneren Ur-
sachen, nämlich in den Expansionsverhältnissen, zum Ausdruck kommt, ist
eine Folgerung, die durch die erwähnten Ergebnisse der plasmolytischen
Untersuchung bestätigt zu werden scheint. Freilich standen mir weitere
Gelenke, die sich durch ihre Größe und anatomischen Verhältnisse als Ver-
suchsobjekte so geeignet hätten wie Phaseolus und Amicia, nicht zur Ver-
fügung, so daß meine Vermutung noch anderweitiger Bestätigung bedarf.
Nachstehende Tabelle gibt die gemessenen plasmolytischen Grenzwerte
(Salpeterprozente) in jeder Gelenkhälfte vor und nach der Umkehrung an,
und zwar die vor und nach der Umkehrung einander entsprechenden Werte
in derselben Reihenfolge. Beim normalen Blattgelenk bezeichnet die erste
Zahl den bei einem Gelenkquerschnitt in den oberen bezw. unteren Rand-
zellen gemessenen Turgordruck, der gegen die Mitte hin entweder steigt
oder fällt (2. Zahl). o = obere, bei der Umkehrung konvex werdende, u —
untere, bei der Umkehrung konkav werdende Gelenkhälfte.e. e = Erhöhung
in Salpeterprozenten, s = Senkung des 'Turgorwertes.
- = u
= Ge- Erhöl
S ar Pe rhöhung | = 5
Pflanze een | Targor- |inodos 15 5 5
3 01, 0/ wechsel | normalen 2 sH
- o z £
& | Salpeter | Salpeter Turgors |®_ #
Phaseolus, dreigeteiltes 0150-55 | 6,545 | e 1,0 0 9
Blatt u | 5,0—5,5 | 4,0—4,5 | s 1,0 @
. . | 3,0—3,5 6,5—5,0 32
Erythrina bogotensis 5 4,0—3,5 30-45 x 1,0 so 1
a | o | ca 50 | 8,0-5,0 | e ca. 3,0 dr
Robinia Pseudacacia s 55-50 | 3,5-5,0| sca. 2,0) ®% 60 2
) 6,0 8,0—6,0 | e 2,0 .
Trifolium ochroleueum | a 6,0 50-60 | s 10 33a 1
3 | | 4,0—4,5 7,0—5,0 a — 3,0
Laburnum alpinum x 5,0—4,5 | 2,5—4,0 | s — 2,5 er i
A 0 3,9 —4,0 6,5—5,0 e 2,5 | 60 B)
Amieia | Blattstiel u | 45-40 2a s 10
- [0] P) I) € y
Zygomertis (Blattgelenk n } 5,9 a5 le 30 2
Außer den oben erwähnten Papilionaceen wurden Pflanzen anderer
Familien mit zu Schlafbewegungen befähigten Blattgelenken umgekehrt und
plasmolytisch untersucht. Aus der umstehenden Tabelle geht hervor, daß
im Mimosa- und Oxalis-Gelenk ebenfalls ein Turgorwechsel stattfindet.
Angaben über die Anatomie der Gelenke finden sich für Mimosa bei Unger
205
(I. p. 420, ebenda p. 421 für Oxalıs), Pfeffer (I. p. 9 ff.), Haberlandt
(I. p. 29 ff., 49 u. II. p. 500 ff.) und Schwendener (I. p. 211 ff., ebenda
p. 251 ff. und Abbildg. für Oxalis). Die osmotischen Verhältnisse im
normalen Gelenk erwähnt Hilburg (I. p. 48).
on ” 5 | |
= # al nn Erhöhung 43 5
:= 'Normales | krümmtes, Tursor- |: je
Pflanze = | Gelenk Turgor- | in?/, des s.s
= | = nam
Sul ron 0 wechsel | normalen #.3°
vg ER Turgors > -
rl 5 | Salpeter | Salpeteı | 5
13,0—3,5 | 60-50 | e 35 |
M . sa or oO Ne I | ‚05,0 e 2 ‘
7) Mimosa pudica | 5240 195845805 70 2
De R 0 | 3,0—4,0 3%) eos] 9
8) Oxalis esculenta | 0 3,5 205 40 2
9) Malvaceae.
Daß Blattorgane dieser Familie periodische Bewegungen ausführen,
darauf hat Vöchting (I. p. 501) hingewiesen. Nach ihm werden diese
Bewegungen bewerkstelligt teils durch den Stiel in seiner gesamten Länge,
teils durch ein an der Spitze desselben unterhalb der Lamina befind-
liches, allerdings äußerlich nieht deutlich abgesetztes Gelenk. An dem
mir zur Verfügung stehenden beschränkten Versuchsmaterial, nämlich
älteren Topfpflanzen von Abutilon Darwinii, waren keine periodischen Be-
wegungen zu beobachten. Ebenso waren sie bei einem jüngeren Exemplar
von Malva verticillata (im Sommer) nicht besonders auffällig, während zu
gleicher Zeit eine danebenstehende Phaseoluspflanze eine ansehnliche Be-
wegungsamplitude aufwies. Eine besondere Bewegungsfähigkeit des oberen
Gelenkes, dessen Turgorwerte übrigens nicht von dem übrigen Blattstiel
verschieden waren, konnte ich überhaupt nicht konstatieren. Allerdings
habe ich nur die Pflanze in bezug auf den Einfluß des geotropischen Reizes
untersucht, der für das obere „Variationsgelenk“ allein, wie auch Vöchting
erwähnt, nicht in Betracht kommt. Denn beim Umkehren der jüngeren
Pflanzen wurde eine ansehnliche geotropische Krümmung von der gesamten
wachstumsfähigen Zone im mittleren Teile des Blattstieles ausgeführt.
Dabei erweiterte sich der Winkel zwischen Stengel und Blattstielbasis nur
wenig (10—15°. Diese Krümmung im unteren (Basis-) Gelenk, das ja an
der Schlafbewegung auch beteiligt sein soll, war ansehnlicher bei einem
älteren Blattstiele von Abutilon, der infolge der Ausbildung verholzender
Elemente nicht mehr beweglich war. Während in diesem Entwicklungs-
stadium das obere Gelenk die Blattfläche nur durch eine geringe und
langsam vor sich gehende Torsion in die geeignete Lichtlage bringt, wird
die Krümmung im Gelenk an der Basis allein, und zwar durch Wachstum,
ausgeführt. Ich habe deshalb nur mediane Längsschnitte dieses Gelenkes
plasmolytisch untersucht. Der ziemlich konstante Turgorwert von vier
206
solehen Gelenken, die während drei Tage langer Umkehrung eine Winkel-
änderung erkennen ließen, und zwar für das
1. Blatt von 40 bis 85°,
Dr Ass =ulool,
Bu 2:65, 2085
Au, 2.600,95
betrug 6,5 —7,0°/o Salpeter, und zwar war bei der Aufkrimmung keine
Turgorzunahme gegenüber normal erfolgt. Erwähnt sei noch, daß in manchen
Längsschnitten eine schon bei den Nutationskrümmungen beobachtete geringe
Senkung des osmotischen Druckes auf der konvex werdenden Seite beobachtet
wurde, ferner, daß bei aufrechter Stellung im oberen Rindenparenchym meist
eine etwas höhere Konzentration als im antagonistischen Gewebe herrscht,
die möglicherweise in Beziehung steht zur Epinastie der basalen Teile des
Stieles, die die große Bewegungskurve des Blattes durch den oberen und
unteren Quadranten bewirkt.
Marantaceen.
Die Blätter der Marantaceen sind bekanntlich am oberen Ende des
Stieles mit einem heliotropisch empfindlichen, zu Schlafbewegungen befähigten
Gelenkpolster ausgestattet, das bei Umkehrung der Pflanze und Festlegung
des Blattstieles auch eine ansehnliche geotropische Krümmung ausführt.
Allerdings erfolgt die Reaktion auf den geotropischen und heliotropischen
Reiz hin ziemlich langsam. Die Anatomie dieser Polster ist neuerdings
eingehend von Debski (I. p. 244 ff.), Schwendener (I. p. 197) und
Möbius (I. p. 58 ff.) beschrieben worden. Dabei wird die Mechanik der
heliotropischen Krümmung im allgemeinen und die Bedeutung des eigen-
tümlichen „Wassergewebes“ für dieselbe erwähnt. Die Ansichten über das
Zustandekommen der tropistischen Krümmung widersprechen sich ziemlich.
Nach Debski handelt es sich dabei nur um Turgerschwankungen und nicht
um Wachstum, während Möbius, was auch Pfeffer (VI. p. 670) für
möglich hält, eine Kombination von Variations- und Nutationsbewegung
annimmt, indem die anfangs nur durch den Turgor bewirkte Krümmung
ziemlich schnell durch Wachstum fixiert wird. Beide Autoren begründen
ihre Ansichten durch Beobachtungen, die einander gerade entgegengesetzt
sind: Debski stellte fest, daß durch Plasmolyse die Krümmung im Gelenk
wieder rückgängig gemacht werden konnte, und daß durch Messungen nur
eine geringe Längenveränderung der Konvexseite, dagegen eine starke Ver-
kürzung der Konkavseite nachzuweisen war. Möbius sah, daß die helio-
tropische Krümmung sich in den meisten Fällen erhielt, wenn die Pflanze
längere Zeit im Dunkelraum sich befand oder einem Lichtreize ausgesetzt
war, der von der gegenüberliegenden Seite her kam. Ohne die Frage zu
entscheiden, welche Ansicht richtig ist, möchte ich doch für die geotropische
Krümmung der Ansicht von Möbius beipfliehten. Denn einmal bleibt der
äußere Erfolg der Inversstellung, nämlich die Verlängerung der konvexen
207
Oberseite des Gelenkes, auch nach Wiederaufrichtung der Pflanze während
einer 14 tägigen Beobachtungszeit unverändert bestehen, anderseits be-
stätigten meine plasmolytischen Untersuchungen die Befunde Debskis
niemals. Dieser fand im Rindenparenchym der Konkavseite eine absolute
Steigerung des Turgors und meint, daß durch eine solche Zunahme des
Turgors eine Verkürzung der Zellen der Konkavseite bewirkt werde, eine
Ansicht, die durch Pfeffer (VI. p. 668 Anmerkung) und Noll (II. p. 48)
als irrig bezeichnet wird. Mit dieser Erhöhung des Turgors auf der
Konkavseite soll gleichzeitig eine Senkung in den benachbarten Zellen des
Wassergewebes derselben Flanke eintreten. Wenn ich auch die Turgor-
verhältnisse bei einer geotropischen Krümmung feststellte, und wenn es
mir dabei niemals gelang, eine Zunahme der osmotischen Energie im Rinden-
parenchym auf der konkaven Seite nachzuweisen, vielmehr auf der Konvex-
seite eine solche von 0,5—1,0°/o Salpeter, allerdings nur in einigen Zellen,
so möchte ich doch auf Grund meiner obigen Ergebnisse (p. 188) an der
Richtigkeit der plasmolytischen Befunde Debskis zweifeln. Denn ich fand
bei der heliotropischen Krümmung anderer Variationsgelenke eine Turgor-
schwellung nur auf der konvex werdenden Seite. Was die Zellen des
Wassergewebes betrifft, so ist es mir trotz zahlreicher Versuche nicht möglich
gewesen, den plasmolytischen Grenzwert zu bestimmen, da der sehr dünne
Primordialschlauch bei der Einwirkung der Lösung in einzelne Teile zerfällt.
Deshalb kann ich die Annahme Debskis, daß in diesem Gewebe auf der
Konkavseite eine Turgorsenkung eintritt, auf plasmolytischem Wege nicht
begründen. Als Untersuchungsobjekt wurde verwendet:
10) Calathea Lietzei.
Marsiliaceen.
Bei sämtlichen geotropisch gekrümmten Marsilia-Gelenken wurde eine
Differenz im Turgordruck, der übrigens normalerweise ziemlich hoch (6,0
bis 7,0°/o) ist, festgestellt, und zwar ist sie durch eine Turgorsteigerung
in der erdwärts gewandten Hälfte bewirkt worden. Die Pflanzen befanden
sich in Töpfen. Es wurden untersucht:
11) Marsilia quadrifoliata und
12) Marstilia hirsuta.
Die Untersuchungen der genannten Bewegungsgelenke haben gezeigt,
daß die zu Schlafbewegungen befähigten auch geotropische und heliotropische
Variationskrümmungen ausführen, nur bei den Marantaceen tritt alsbald
Wachstum ein. Solche tropistische Reaktionen werden durch einen Turgor-
wechsel bewirkt, indem in der konvex werdenden Gelenkhälfte eine Zu-
nahme, in dem antagonistischen Gewebe eine Senkung der osmotischen
Energie eintritt, und zwar beträgt die Steigerung im Mittel 50° des nor-
malen osmotischen Wertes. Die bei den einzelnen Pflanzen notierten Werte
208
sind natürlich nicht als konstante Größen zu betrachten, sondern individuelle
Differenzen in den osmotischen Verhältnissen und Unzulänglichkeiten der
Methode schließen nicht aus, daß Abweichungen von den Mittelwerten zu-
weilen erheblich sind. An der auch schon von Hilburg ermittelten Tat-
sache aber, daß die tropistische Krümmung im Variationsgelenk wesentlich
durch die vermehrte Turgorkraft ausgeführt wird, ist nicht zu zweifeln.
Da die osmotischen Prozesse, die auf den tropistischen Reiz hin zu
einer einseitigen Turgorzunahme führen, nur bei den Bewegungsgelenken
und einigen Stengelknoten nachgewiesen werden konnten, so ergibt sich,
daß dem Protoplasten in ihren Zellen eine besondere Reaktionsfähigkeit
eigentümlich ist. Gerade für jene Pflanzenteile erweist sich diese als zweck-
entsprechend; denn da sie nicht befähigt sind, die Reizkrümmungen durch
Wachstum auszuführen, oder wenigstens, wie die Grasknoten, erst durch
wiedererwecktes Wachstum, so ersteht ihnen in der Turgorkraft ein anderes
wirksames Energiemittel als Ersatz. In der Kette des tropistisch induzierten
Reizvorganges ist der Turgorwechsel die motorische Aktion. Den gesamten
Reizprozeß im Gelenk, insbesondere die Perzeption, weiterhin zu verfolgen,
habe ich nicht unternommen. So vermag ich nicht zu entscheiden, ob der
Wechsel in der osmotischen Energie dadurch hervorgerufen wird, daß der
tropistische Reiz direkt vom Protoplasma jeder einzelnen Zelle perzipiert
wird, oder ob gewisse Perzeptionsorgane im Gelenk vorhanden sind. Nemee
(I. p. 123 f., 153) hält im bezug auf den Geotropismus speziell auch für
den der Bewegungsgelenke für wesentlich das Vorkommen von Stärkekörnern
in der Stärkescheide, und zwar nach seinen Beobachtungen immer im physi-
kalisch unteren Teile der Zelle. Wenigstens betont er, daß die Schlaf-
bewegung der geonyktinastischen Pflanzen an das Vorkommen der spezifisch
schwereren Körperchen in der Stärkescheide gebunden ist. Für die Be-
urteilung dieser Frage, wie überhaupt des Unterschiedes zwischen Geo- und
Autonyktinastie ist von Belang, daß am Klinostaten tatsächlich nur die
einseitige, nicht aber die allseitige Schwerkraftswirkung eliminiert ist, daß
demnach geonyktinastische Pflanzen ihre Schlafbewegung auch einstellen,
wenn die Schwerkraft allseitig wirkt. Wird die Umlagerung der Stärke-
körner als Reizursache auch für die geotropische Krümmung der Gelenk-
polster angenommen, was bedeuten würde, daß der einseitige Druck der
Stärkekörner die einseitige Turgorschwellung verursacht, so bliebe immer
noch die Frage offen, wie dann der allseitige Druck der Stärkekörner am
Klinostaten zustande kommt, welcher doch der allseitigen Turgorschwellung
zugrunde liegen müßte. Wie dem auch sei, so ist man doch im Hinblick
auf die Variationsgelenke berechtigt, von der Möglichkeit eines geotropischen
und heliotropischen Einflusses auf den Turgordruck in den Geweben zu
reden.
209
E. Zusammenstellung der Ergebnisse.
1. Wie schon bekannt, wird bei den meisten geotropischen bezw. helio-
tropischen Nutationskrümmungen die Beschleunigung der Zuwachsbewegung
nieht durch eine Erhöhung der Turgorenergie bewirkt. Vielfach tritt in
den Zellen der konvex werdenden Flanke eine geringe Abnahme des osmo-
tischen Druckes ein.
2. Bei mechanischer Hemmung der tropistischen Krümmung und Ver-
weilen des Organs in der tropistischen Reizlage erfolgt zumeist weder eine
einseitige, noch eine für die beiden antagonistischen Flanken in entgegen-
gesetztem Sinne gerichtete Turgorveränderung.
3. Nur bei einigen Stengelknoten in der horizontalen Zwangslage (Hor-
deum, Secale, Triticum (2), Corynephorus, Trisetum, Phalarıs und zuweilen
Melandryum) erfährt der Turgor eine Steigerung in den Parenchymzellen
der konvex werdenden Seite, die 0,5—2,0 Prozent Salpeter äquivalent ist.
Hierbei ist das Alter des Knotens von Belang, denn einseitige Erhöhung
des Turgors findet im Alter nicht statt.
4. Diese Turgorreaktion beruht teils auf Wachstumshemmung, teils ist
sie, wie Klinostatenversuche beweisen, geotropisch induziert. Für eine
rasche und mit ansehnlicher mechanischer Leistung verknüpfte Aufwärts-
krümmung vorteilhaft, ist sie jedoch nicht die primäre Ursache der geotro-
pischen Wachstumsbewegung, wie auch aus der Reaktionszeit des Wachstums
(2'/s Stunden) und des Turgors (15 Stunden) hervorgeht.
5. Die bei Zugspannung oder Eingipsen beobachtete allseitige Turgor-
steigerung wird nicht von der Schwerkraft beeinflußt.
6. Die kampto- und geotrophischen Veränderungen finden ohne Variation
des Turgors statt.
7. Die Turgorverhältnisse der normal stehenden Pflanze verändern sich
meist nicht bei Klinostatendrehung.
5. Die tropistischen Variationskrümmungen werden durch Turgor-
wechsel bewirkt, wobei der Senkung der osmotischen Energie auf der geo-
tropischen Oberseite eine etwas höhere Steigerung auf der Gegenseite
entspricht.
9. Die unterseitige Turgorzunahme scheint bewirkt zu werden durch
die Aufnahme von löslichen Stoffen, die von der Oberseite zugewandert
sind, ferner durch Neubildung solcher in den eigenen Zellen; denn die
Reaktionszeit von Turgorsenkung, bezw. -steigerung beträgt etwa 1"/2 bezw.
2'/s Stunden. Außerdem sprechen einige Fälle für eine Stauung der wan-
dernden Stoffe in den Flanken.
10. Bei niederer Temperatur (6° C.) findet der Turgorweehsel nicht statt
und demzufolge keine geotropische Einkrümmung des Gelenkes; dagegen
vollzieht er sich bei konstanter Dunkelheit.
11. Aus den Klinostatenversuchen geht hervor, daß der durch die Um-
kehrung hervorgerufene Turgorwechsel geotropisch induziert ist.
210
12. Die obige Variation des Turgors (Punkt 9) konnte bei den geotro-
pischen Krümmungen der Bewegungsgelenke von Phaseolus, Erythrina,
Robinia, Trifolium, Laburnum, Amicia, Mimosa, Osxalis, Marsilia beob-
achtet werden, bei den Marantaceen wurde nur eine geringe Zunahme des
osmotischen Druckes auf der Unterseite gemessen, im gekrümmten Blattstiel-
selenk der Malvaceen war keine Veränderung zu konstatieren.
13. Am Klinostaten tritt in den Variationsgelenken eine deutliche allseitige
Turgorzunahme ein, die durch die Kontrolle der Biegungsfestigkeit be-
stätigt wird.
14. In den Gelenken von Phaseolus vulgaris konnte ein Unterschied
der Turgorverhältnisse bei Tag- und Nachtstellung festgestellt werden.
Am Schlusse dieser Arbeit ist es dem Verfasser eine angenehme Pflicht,
seinem hochverehrten Lehrer, Herrn Geh. Rat Professor Dr. Pfeffer, für
die zahlreichen Anregungen und die wohlwollende Unterstützung erneut zu
danken. Ebenso gebührt Herrn Privatdozent Dr. Miehe für die freund-
lichen Ratschläge und die schätzenswerte Anleitung aufrichtiger Dank.
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Einteilung.
Seite
Beestorische,nund. sachliehe Einleitung. 2 2 2. 22.022163
Beanbeihiodisches.“ „u. „0 ae 1ER Eee ee Ze rl
C. Turgorverhältnisse bei tropistischen Nutationskrümmungen . 167
Bee Krummunpsist realisieren ee wu ae a ee 67
a) Keimstengel, Sprosse, und Wurzeln . 2 an 2 ne 167
b) Stengelknoten . . . EEE a ee
II. Die Krümmung ist ende: anne BE N Be TR
a)-Einleitendeseer A sur 1: 43 2 5 rl Mac enden m 1 Tee
biz ErGebniarr ea u Se a BR ae N ER eg
III. Verschiedenes. (Künstliche Erhöhung des Turgors durch Welken.
Turgor einer Keimpflanze am Klinostaten. Kampto- und Geotrophismus
und Purgordruck)‘. ... ... a ae Fe
IV. Turgorverhältnisse in den Erna ee TR
a) Die normalen Turgorverhältnisse . . . 177
b) Turgorverhältnisse bei in horizontaler Tage Bahaltenen KStengen!
gelenken von Hordeum und Secale
1. bei einseitiger Schwerkraftsreizung . . are 7
2. bei diffuser Schwerkraftsreizung am Klinasraten el rer Bars
e) Turgorverhältnisse in anderen eingegipsten Grasknoten . . . „. . 185
D. Turgorverhältnisse bei den tropistischen Variations-
krümmungen . . . u a lee
I. Das et PICS: EEE SEARN::
a) Einseitige Schwerkraftsreizung folge Tnverestelline‘. rn T L13
1. Wiederholung der Versuche Hilburgs . . . 186
2. Näheres über Eintritt, Verlauf und Bedingungen den Enger
reaktion. ... - PR BE Re 57
b) Diffuse Sen Werkes nung am Rlimostaten a See WERTELOG
l2 Blasmelytische- Untersuchungen, 7. a2. a sa e 2r 2arlds
2. Kontrolle der Biegungsfestigkeit . . . 197
e) Anderweitige Beobachtungen. (Urterachiete Mes Blasmely Keeneh
Wertes im Gelenk bei Tag- und Nachtstellung des Blattes. Kein
heliotropischer Einfluß auf den Turgor der Oberseite in aufrechter
Stellung) . . en er RA er ei)
II. Andere Gelenkraleter ee En, ce RA
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Neue Untersuchungen über den Kältetod
der Kartoffel.
Von Arthur Apelt.
A. Einleitung.
a) Grundlagen der Untersuchungen.
Rn Objekt hat bei der Erforschung des Kältetodes der Pflanzen für die
Ausbildung der darüber herrschenden 'T'heorien eine so große Bedeutung be-
kommen, wie die Knolle der Kartoffel (Solanum tuberosum).
Herm. Müller-Thurgau!) schließt seine Untersuchungen über den
Kältetod dieses Objektes mit der Folgerung ab, daß dasselbe im Augenblick
getötet werde, in welchem in den Zellen Eisbildung stattfindet. Das Ge-
frieren bedinge das Erfrieren.
Müller-Thurgau baut auf diesen Befund, welcher durch einige andere
sich gleichartig verhaltende Objekte (Zwiebel, Runkelrübe, Trauben, Äpfel,
Birnen) unterstützt wird, seine physikalische Erfrierungstheorie auf.
Diese Theorie ist, kurz gefaßt, folgende?): Durch das Gefrieren des
Wassers findet ein intensiver Wasserentzug, das heißt eine Austrocknung
der Protoplasten statt. Diese Austrocknung sei die Todesursache; der Tod
werde also nicht durch die Kälte, sondern durch eine Folgeerscheinung der
sinkenden Temperatur, nämlich durch das Ausfrieren des Zellsaftes, bewirkt.
Dieser Theorie schließt sieh Molisch?) in seiner monographischen Be-
arbeitung des Erfrierens der Pflanzen in allen wesentlichen Punkten an.
Zwar sind ihm Fälle bekannt, in welchen das Absterben der Pflanzen bei
wesentlich über der Eisbildung liegender Temperatur erfolgt. Bei seinen
Untersuchungen ®) fand er, daß bei einer Temperatur von —+ 1,4° bis + 3,7
die Blätter von Episcia bicolor Hook. nach 18 Stunden, die von Sciado-
calyx Warscewiezii Regel nach 24 Stunden Schädigungen aufwiesen und daß
1) Herm. Müller-Thurgau, Über das Gefrieren und Erfrieren der Pflanzen,
Landwirtschaftl. Jahrbücher IX. 1880 S. 168 ff. und Landwirtschaftl. Jahrbücher XV.
S. 455 ff. u. S. 505.
2) Herm. Müller-Thurgau, |. c, XV. 1886 S. 534—537.
3) H. Molisch, Untersuchungen über das Erfrieren der Pflanzen. Jena 1897.
#) Molisch, 1. c. S. 61, 62. Daselbst viele andere Beispiele,
216
die Blattspreiten beider Pflanzen nach fünf Tagen völlig abgestorben waren.
Andererseits diskutiert er die Befunde anderer Forscher!), nach welchen
Organismen tief, ja unter Umständen außerordentlich tief unter ihrer Eis-
bildungstemperatur am Leben bleiben.
Trotz dieser beiden Fälle des Erfrierens über und des Lebenbleibens
tief unter der Eisbildungstemperatur schließt er sich (bezüglich der höheren
Organismen wenigstens) im wesentlichen der physikalischen Erfrierungs-
theorie Müller-Thurgaus!) an.
Nachdem schon Pfeffer?) seine Bedenken bezüglich der physikalischen
Erfrierungstheorie ausgesprochen hat und, den Kältetod mit dem Hitzetod in
Parallele stellend, im wesentlichen das Überschreiten des spezifischen Minimums
als Todesursache angesehen, die eigentliche Todesursache also in die nicht
näher zu verfolgende Konstitution des Protoplasmas verlegt hat, bekräftigte
Mez°) diese Auffassung durch eine große Anzahl von Versuchen.
Mez hat insbesondere gezeigt, daß es eine sehr große Anzahl von
Pflanzen gibt, welche eine Eisbildung in ihren Geweben ertragen, ohne
daß durch diesen physikalischen Vorgang der Kältetod eintritt. Dieser
Hinweis wäre nichts neues gewesen, wenn nicht zugleich durch Mez gezeigt
worden wäre, daß die Austrocknungskurven der Protoplasten durch die Eis-
bildung keineswegs parallel gehen mit den Todestemperaturen, sondern daß
die nach den Theorien der physikalischen Chemie weitestgehende Austrocknung
bei einer großen Anzahl von Pflanzen bei einer Temperatur bereits erfolgt *)
ist, welche hoch über der Todestemperatur der betreffenden Organismen liegt.
Es kann dementsprechend hier nicht die Eisbildung, sondern es muß
die Konstitution, es müssen die Eigenschaften des Protoplasmas bestimmend
sein für den Kältetod; dementsprechend definiert Mez°’), von der physi-
kalischen Erfriertheorie absehend, den Kältetodespunkt als denjenigen Punkt,
bei welchem das Minimum der jedem Protoplasten spezifischen Temperatur-
zone nach unten überschritten wird.
Die Grundlagen der physikalischen Erfrierungstheorie hat Mez dadurch
erschüttert, daß er auf Grund seiner mit exakten Meßmethoden ausgeführten
Untersuchungen das völlige Zusammenfallen von Eisbildungspunkt und Todes-
punkt in der Kartoffel bestritt‘) und damit von Sachs’) bereits viel früher
gemachte Beobachtungen bestätigte. Nach Mez liegt der Eisbildungspunkt
der Kartoffel deutlich höher als der Todespunkt. Hieraus folgt, daß die
Eisbildung nicht in der Weise wirksam sein kann, daß die Kartoffelknolle
auch nicht die geringste Eisbildung in ihren Geweben ertrage.
1) Molisch, |. e. S. 66—73.
2) Pfeffer, Pflanzenphysiologie. Leipzig 1904, II. S. 314—318.
3) Mez, Neue Untersuchungen über das Erfrieren eisbeständiger Pflanzen. Flora
oder Allgem. bot. Zeitung 1905, 94. Band, Heft 1.
4) Mez |. c. S. 95.
ö) Mez |. c. S. 96. 6) Mez |]. ce. S. 120.
?) Sachs, Versuchsstationen Il. 1560 S. 172.
217
b) Aufgaben der Untersuchungen.
Die genaueste Untersuchung des Verhaltens von Eisbildung und Todes-
punkt in der Kartoffel wurde mir wegen des theoretischen Interesses, welches
gerade dieses Objekt für die Lehre von dem Erfrieren der Pflanzen ge-
wonnen hat, von Herrn Professor Mez als Aufgabe gestellt.
Eine Anzahl anderer Aufgaben verbanden sich mit dieser Grundfrage
der Arbeit.
Von Herm. Müller-Thurgau!) wurde definitiv festgestellt, daß bei
niedrigen Temperaturen in der Kartoffel eine intensive Speicherung von
Zucker auftritt. Diese Beobachtung war zwar schon früher von anderen
Forschern gemacht worden, sie wurde aber von ebenso vielen bestritten,
bis sie von Herm. Müller- Thurgau klargestellt wurde. Nachdem
A. Fischer?) ein gleiches Verhalten bezüglich einer großen Anzahl unserer
Laubbäume nachgewiesen hat, welche gleichfalls mit Beginn der kalten
Jahreszeit ihre Stärke in Zucker umwandeln, hat dieser die bezeichneten
Erscheinungen auch mit der Theorie des Erfrierens der Pflanze verknüpft.
Es ist bekannt, daß mit steigendem osmotischen Drucke die Temperatur
der Eisbildung herabgesetzt wird und daß dementsprechend bei Anhäufung
von Zucker in den Zellen der Beginn der Eisbildung hinausgeschoben wird.
Diese theoretische Erwägung ließ sich sehr natürlich mit der oben kurz
skizzierten Austrocknungstheorie des Erfrierens verbinden: durch die Zucker-
bildung wird der Gefrierpunkt des Zellsaftes herabgesetzt; es lag nun
natürlich nahe, in dieser Zuckerbildung eine Bestätigung der physikalischen
Erfriertheorie zu sehen.
Von Herrn Professor Mez wurde mir die Aufgabe gestellt, die Menge
des Zuckers, welche sich in der Kartoffel bei verschiedenen Temperaturen
bildet, quantitativ zu bestimmen und die gewonnenen Zahlen mit den Erfrier-
daten der gleichen Objekte in Parallele zu stellen, um auf diese Weise,
bei der bekannten osmotischen Kraft des Traubenzuckers, die Entscheidung
treffen zu können, ob die Herabsetzung des Gefrierpunktes, welche zu er-
warten war, zahlenmäßig mit der Heraufsetzung des Zuckergehaltes, das
heißt des osmotischen Druckes, in Parallele steht und besonders, ob irgend
welches Gleichlaufen der Zahlen des Zuckergehaltes und der Erfriertempe-
raturen zu beobachten sei.
Für das Erfrieren der Pflanzen ist es ferner von besonderer Wichtigkeit,
zu wissen, ob die T'odesursache in einem Zerfall des Protoplasmas zu suchen
ist, oder ob eine allzu große Energieabgabe für den Kältetod in Frage
kommt. Energieentzug oder Zerfall des Plasmas als Todesursache ist
möglich, wenn der Protoplast durch Abkühlung unter sein spezifisches
Minimum abgetötet wird, dagegen würde es sich um Energieentzug als
1) Herm. Müller-Thurgau, Über Zuckeranhäufung in Pflanzenteilen infolge
niederer Temperaturen. Landwirtsch. Jahrbücher XI. 1832 S. 751—828.
2) A. Fischer, Jahrb, f. wissenschaft. Botanik XXII. S. 158—160.
218
einzige Todesursache handeln, wenn der Kältetod auch dann eintreten würde,
wenn das Untersuchungsobjekt längere Zeit bei einer den Todespunkt nicht
erreichenden, aber ihm naheliegenden Temperatur gehalten wird. Für den
Fall eines negativen Ausfalls der die zweite Fragestellung betreffenden
Experimente wäre auch bezüglich der ersten der Tod infolge von Energie-
entzug wenig wahrscheinlich.
In bezug auf diese Überlegung wurde mir als nächste Aufgabe gestellt,
zu untersuchen, ob eine einmalige tiefe Abkühlung, die den Tod des Ob-
jektes zur Folge hat, durch eine länger andauernde Temperatur ersetzt
werden könnte, die etwas über dem Erfrierpunkt liegt.
Als letzte Aufgabe wurde mir gestellt, Beobachtungen nachzuprüfen,
welche von Göppert!) veröffentlicht worden sind. Dieser Autor gibt an,
daß Pflanzen, welche einer niedrigen Temperatur ausgesetzt waren, ohne
dabei den Tod zu erleiden, dann wieder ins Warme gebracht und vier bis
sechs mal auf die gleiche Temperatur abgekühlt wurden, dies noch aus-
halten, daß sie aber bei häufiger Wiederholung absterben. Diese Angaben
besitzen ein großes theoretisches Interesse und mußten in exakter Weise
nachgeprüft werden, weil die Göppertschen Versuche nur in sehr roher
Weise, nämlich durch Hinausstellen der Pflanzen während einer Frostnacht
und nachherige Feststellung der Minimaltemperaturen, also mit Hilfe von
Ablesungen, die nicht einmal den 'Temperaturverlauf einer einzigen Nacht
wiedergaben, angestellt worden sind.
Es hat sich bei den Untersuchungen über das Erfrieren der Pflanzen
mehr und mehr herausgestellt, daß einzig und allein genaue Temperatur-
messungen im Innern derjenigen Teile, deren Verhalten gegen die Kälte
geprüft werden soll, zu einem sicheren Ergebnis führen. Messungen der
erreichten niedrigsten Lufttemperatur, ja selbst Messungen der Außentempe-
ratur einer Pflanze geben noch kein Bild über den Verlauf der Temperatur-
kurve im Innern derselben. Schon die Versuche von Herm. Müller-
Thurgau?) zeigten dies aufs Unwiderleglichste, da dieser zum ersten Male
darauf hingewiesen hat, daß die Innentemperatur einer Pflanze keineswegs
der Außentemperatur zu folgen braucht, sondern daß sie, infolge der bei
der Kristallisation des Zellsaftes frei werdenden latenten Wärme, von dem
Verlaufe der Außentemperatur häufig auf das Gewaltigste abweicht.
Es kommt noch hinzu, daß Mez°) darauf hingewiesen hat, daß das
Unterkühlungsphänomen für das Erfrieren von einer gewissen Bedeutung
ist, da eine Pflanze, in deren Innern die Unterkühlung vermieden wird,
langsamer erfriert als eine solche, bei welcher die Unterkühlung eintritt.
1) Göppert, Über die Wärmeentwicklung in den Pflanzen, deren Gefrieren und
die Schutzmittel gegen dasselbe. Breslau 1830, S. 62.
2) Herm, Müller-Thurgau, Über das Gefrieren und Erfrieren der Pflanzen,
Landwirt. Jahrb. XV. 1886 S. 459 u. 456 ff.
2) Mezy! 1..ie; (S.2105:
Aus allen diesen Gründen mußten die Angaben Göpperts von neuem
und zwar durch exakte Temperaturmessungen im Innern der der Abkühlung
unterzogenen Pflanzenteile nachgeprüft werden.
c) Technik der Untersuchungen.
Als Instrument meiner Messungen bediente ich mich des von Mez') be-
nutzten Galvanometers nach- Deprez d’Arsonval, welches die Ablesung
von hundertstel Graden mit Leichtigkeit gestattet. Eine Beschreibung der
nun auch in der Botanik geübten elektrischen Meßmethode an dieser Stelle
ist unnötig geworden. Bei der von mir benutzten Thermonadel entsprechen
einem Grade Celsius 14,61 Skalenteile oder ein Skalenteil war gleich
0,0684 °.
Die Abkühlung der Versuchsstücke wurde stets mit Hilfe einer aus Eis
und Kochsalz hergestellten Kältemischung vorgenommen. Die Isolierung
der Objekte erfolgte in der von Mez!) angegebenen Weise.
Mein besonderes Augenmerk habe ich bei meinen Versuchen darauf ge-
richtet, daß Unterkühlung in den Objekten so viel wie möglieh vermieden
wurde. Ich habe zu diesem Zwecke in das Gefriergefäß stets einige Tropfen
Wasser gegeben und in dieses das zu untersuchende Objekt eintauchen
lassen. Obgleich nicht immer auf diese Weise die Unterkühlung vollständig
vermieden werden konnte, so war sie doch in der übergroßen Anzahl der
Fälle nicht vorhanden und in anderen nur außerordentlich gering. "Trotzdem
habe ich auch diese letzteren Versuche ausgeschieden und sie für meine
Schlüsse nicht als Unterlage verwendet.
Die Beantwortung jeder in meiner Arbeit behandelten Frage hatte als
Grundlage die Bestimmung der spezifischen Todespunkte der in Unter-
suchung genommenen Kartoffelstücke beziehungsweise Kartoffeltriebe. Dabei
verfuhr ich so, daß ich, von oben und unten kommend, den spezifischen
Punkt immer mehr einengte, bis ich denselben genau bestimmt hatte. Mehrere
Kontrolluntersuchungen dienten dann dazu, die gefundenen Todestempera-
turen mit Sicherheit zu bestätigen.
Zur Konstatierung des Todes habe ich mich nicht allein der Verfärbung
der Kartoffelsticke bedient, die, wie bereits Sachs?), Herm. Müller-
Thurgau?) und Mez*) hervorheben, den Tod mit Sicherheit anzeigt,
sondern ich habe mich bemüht, in noch schärferer Weise den Tod festzu-
stellen. Es geschah dies von der Erwägung ausgehend, daß unter Kältetod
mehreres verstanden werden kann. Zunächst dasjenige, was ich darunter
in Anschluß an Mez°) verstanden haben möchte, nämlich die Abtötung des
Protoplasmas durch die erreichte inframinimale Temperatur.
1) Mez, 1. c. S. 96, 97.
2) Sachs, Versuchsstationen II. 1860 S. 189, 190.
®) Herm. Müller-Thurgau, Landwirt. Jahrb. XV. 1836 S. 455.
4).Mez, l.ve. S.- 120. »EMez, 1..e, 8.89.
Von diesem 'T'ode ist klarer Weise ein solcher Tod unterschieden, welcher
nieht durch, sondern infolge dieser Kälte eintreten kann. Es ist sehr wohl
denkbar, — und das wird von Mez!) angedeutet, — daß durch die Kälte
zwar nicht der Tod einer Zelle, aber doch eine derartige Schwächung des
Protoplasten eintreten kann, daß dieser nachträglich nach kürzerer oder
längerer Zeit abstirbt. In diesem Falle wäre die erreichte tiefe Temperatur
nicht als direkte Todesursache, sondern als Ursache einer zum Tode führenden
Krankheit anzusehen.
In praktischer Beziehung, wenn es sich darum handelt, Kartoffeln gegen
das Erfrieren und Sterben zu schützen, ist ein Unterschied zwischen diesen
beiden Todesarten nicht zu machen, da der ungünstige Effekt in beiden
Fällen eintritt. Für theoretische Untersuchungen dagegen sind klarer Weise
die beiden Todesarten auf das schärfste zu trennen.
Um dies zu können, habe ich mich nicht mit der Verfärbung der er-
frorenen Stücke zur Konstatierung des Todes begnügt, weil diese auch das
Ergebnis einer kurzwährenden Krankheit anzeigen kann, sondern ich habe
stets sofort nach Beendigung eines jeden Versuches die Prüfung auf das
Leben oder Abgestorbensein der Protoplasten mit Hilfe der osmotischen
Methode?) vorgenommen.
Durch verschiedene Versuche habe ich gefunden, daß eine Salpeter-
lösung, die 2,3° KNO, enthielt, die also einem osmotischen Effekt von
9 Atmosphären entspricht, dem osmotischen Druck der Zellen entsprach.
Zu meinen Versuchen habe ich eine Salpeterlösung von 6—8°/o benutzt.
Sie wirkt einerseits noch nicht giftig auf das Protoplasma ein, andererseits
läßt sie die Plasmolyse lebender Zellen mit genügender Deutlichkeit er-
erkennen. Um die Plasmolyse noch mehr hervortreten zu lassen, habe
ich der Salpeterlösung einige Tropfen Methylenblau zugesetzt. Von diesem
Farbstoffe ist zwar bekannt, daß er auf das Protoplasma giftig wirkt. Aber
einerseits habe ich nur so geringe Spuren desselben verwendet,daß die Lösung
eben blau gefärbt war, andererseits tritt die Giftwirkung des Farbstoffes nur
dann ein, wenn dieser in das Protoplasma eindringt. Dies war bei seiner
Verwendung zur Färbung der osmotisch die Kraft des Zellsafts übersteigenden
Salpeterlösung ausgeschlossen 3). Die gefärbte Lösung bot den Vorteil, daß
das Eintreten der Plasmolyse selbst dort, wo diese nur schwach war, mit
Sicherheit festgestellt werden konnte.
d) Kurze Darstellung der Ergebnisse meiner Untersuchungen.
Wenn ich in kurzem die Ergebnisse der Untersuchungen, die sich an
die im Abschnitte b) wiedergegebenen Fragestellungen anknüpften, voraus-
nehmen darf, so wurde von mir festgestellt:
!) Mez, l. c. S. 120 Anmerkung.
2) Vgl. Pfeffer, Pflanzenphysiologie I. S. 127.
B)ERReikker, al nc-ITESE3E
221
a) Der Erfrierpunkt der Kartoffel fällt mit dem Gefrierpunkte nicht zu-
sammen, sondern liegt deutlich tiefer als letzterer.
b) Die Zuckerbildung in einer Kartoffel ist quantitativ viel zu gering,
um die bei längerem Kaltliegen der Knollen beobachtete Senkung des
Erfrierpunktes zu erklären.
ce) Eine einmalige tiefe Abkühlung des Versuchsobjektes unter das spe-
zifische Minimum kann nicht durch eine länger anhaltende Tempe-
ratur wenig über dem Erfrierpunkte ersetzt werden.
d) Die Göppertsche Beobachtung, daß niederer Temperatur ausgesetzt
gewesene Pflanzen Wiederholungen der Abkühlungen schlecht ertragen
und bei höherer Temperatur erfrieren als nicht vorher tief abgekühlte,
hat sich bestätigt.
e) Außer diesen Ergebnissen wurde noch ein wichtiges Resultat gewonnen,
nämlich die Bestätigung der von Müller-Thurgau gemachten und
ganz nebensächlich erwähnten Beobachtung, daß die Kartoffel be-
züglich ihres Gefrierpunktes von der Temperatur, bei welcher sie
längere Zeit vor dem Versuche gehalten wurde, beeinflußt wird.
Dieses Verhalten ist von besonderem theoretischen Interesse und wurde
in Anbetracht seiner Wichtigkeit auf das genaueste in vielfältiger Wieder-
holung nachgeprüft.
Bei seinen Untersuchungen über die Anhäufung von Zucker in Pflanzen-
teilen infolge niederer Temperaturen beobachtete Müller-Thurgau!) eine
Erniedrigung des Ge- und Erfrierpunktes der kaltgelagerten Kartoffeln. Er
fand, daß süße Kartoffeln einen tieferen Überkältungspunkt haben und
daß sie bei der Kälte noch am Leben blieben, bei weleher Kartoffeln, die
bei höherer Temperatur gelegen hatten, erfroren. Kartoffeln, die 20 Tage
auf Eis gelegen hatten, erfroren bei: — 1,55 — 1,5; — 1,2; — 1,4°,
während gleiche Kartoffeln, die bei Zimmertemperatur gelegen hatten, er-
froren bei: — 1,2; — 1,1; — 1,1; — 1,1° Celsius).
Müller-Thurgau sieht den Grund für das verschiedene Verhalten der
Kartoffeln in der Verschiedenheit der Konzentration der Zellsäfte. Er
erklärt den tieferen Erfrierungspunkt der kaltgelagerten Kartoffeln mit dem
größeren Zuckergehalte des Zellsaftes und spricht den Gedanken aus, daß
es sich bei dem Süßwerden der Kartoffel um eine Anpassungserscheinung
handeln könne.
Während Müller-Thurgau nur gelegentlich diesen Einfluß der um-
gebenden Temperatur auf den Erfrierungspunkt der Kartoffel mit wenigen
Angaben berührt, habe ich denselben durch Abänderung der Versuche bis
ins einzelne geprüft und genaue Messungen angestellt. |
So darf ich hoffen, daß meine Arbeit die Anschauungen, welche über
das Erfrieren der Pflanzen vorhanden sind, in einigen Punkten klären wird.
!) Müller-Thurgau, Landwirt. Jahrb. XI. 1882 S, 826, 827.
2) Weitere Zahlen könnte man den Tabellen aus d. Landwirt Jahrb. XI. 1882
S. 492 entnehmen,
222
Besonders kann ich schon von Anfang an hervorheben, daß die Anschau-
ungen über dies Problem, welche Pfeffer und Mez vertreten, durch meine
Arbeit gestützt werden.
B. Untersuchungen über den Kältetod der Kartoffel.
I. Das Erfrieren der Kartoffelknollen.
a) Die absoluten Todespunkte der Kulturrasse „Magnum bonum‘“.
l. Untersuchungen über das Verhalten verschiedener Teile
derselben Knolle gegen niedere Temperatur.
Bei meinen Untersuchungen über das Erfrieren der Kartoffelknolle hatte
ich zunächst zu prüfen, ob sich Kartoffeln derselben Rasse in bezug auf
den Kältetodespunkt gleich verhalten oder ob wesentliche individuelle Unter-
schiede vorhanden sind. Ferner war es nötig zu wissen, ob sich alle Teile
gegen die Einwirkungen der Kälte gleich verhalten, oder ob ein Gewebeteil
früher als der andere erfriert. Müller- Thurgau!) kommt auf Grund
seiner Untersuchungen zu dem Ergebnis, daß die Kartoffel nicht gleichmäßig
erfriert, sondern daß die erste, nach seinen Anschauungen mit dem Er-
frieren gleichzeitige Eisbildung in der Kambialzone auftritt, und zwar sei
hier wieder der Teil, welcher der Anheftungsstelle zugekehrt ist (die Basis
der Knolle) am empfindlichsten gegen die Einwirkung der Kälte. Hieraus
folgert er, daß die Temperatur, welche die erste Eisbildung ermöglicht, für
das Kambium höher liegt als für die anderen Gewebeteile und für die Basis
wieder höher als für den oberen Teil. Diese Verschiedenheiten im Gefrieren
und dementsprechend nach seiner Theorie im Erfrieren erklärt Müller-
Thurgau aus dem verschiedenen Wassergehalte der einzelnen Gewebe-
partien der Kartoffelknolle.
Ich habe bei meinen Versuchen bald Stücke aus dem Innern, bald
Kambium enthaltende aus den äußeren Partien sowie abwechselnd solche
aus Basis und oberen Teilen genommen, aber ich habe, wie die unten an-
gegebenen Tabellen zeigen, für die verschiedenen Teile immer denselben
Erfrierpunkt gefunden. Nur die Partien, die sich unmittelbar unter der
Schale befanden, wurden durch die Korkschicht gegen die eindringende Kälte
geschützt; sie erfrieren nicht so leicht wie die nicht von Kork bedeckten.
Aus den angegebenen Daten, welche nur eine Versuchsreihe darstellen
und vielfach nachgeprüft wurden, geht hervor, daß bei Kartoffeln derselben
Rasse bedeutende individuelle Verschiedenheiten nicht vorhanden sind, daß
insbesondere die Größenverhältnisse der einzelnen Knollen für das Erfrieren
ohne Einfluß sind. Der Todespunkt liegt für alle drei Kartoffeln bei — 44,1
Skalenteilen = — 3,02°.
!) Müller-Thurgau, Landwirt. Jahrb. XV. 1886 S. 455 und 456. Dazu
Tafel VII. Figur 1—6.
223
Tabelle 1.
Erfrierpunkt der Teile einer Kartoffelknolle.
Kleine Kartoffel.
Innere Gewebe lekten er Re en
| ee
Teilstrichen | — 43,5 — 46,2 — 45,2
(1 = 0,0684°) | | Me 10,4
Mittlere Kartoffel.
Temp. in — 43,3 | — 42,0 | — 44,2 — 44,2
Teilstrichen | — 43,8 — 45,9 — 43,8
| — 44,0
— 44,0
Große Kartoffel.
Temp. in — 39,0 | — 41,0 = AD 4m
Teilstrichen || — 41,5 | — 41,0 — 45,8 | — 45,1
—43,1| — 43,9 — 46,8 AT
— 44,0 | — 44,0 — 48,3 — 47,0
Außerdem glaube ich aus den Versuchen schließen zu dürfen, daß eine
Differenziation für Kältewirkung in den verschiedenen Gewebepartien bei
der Kartoffel nicht vorhanden ist. Da die Kälte von außen eindringt,
werden die der Schale naheliegenden Partien zuerst unter ihr zu leiden
haben. Daraus erklärt sich das Auftreten der ersten erfrorenen Zellpartien
in der Kambiumschicht der von Müller-Thurgau untersuchten Kartoffeln.
Die Temperatur der Eisbildung in den verschiedenen Geweben habe
ich nicht untersucht. Es ist aber aus theoretischen Gründen außerordentlich
wahrscheinlich, daß der Gefrierpunkt des Zellsaftes stärkearmer Zellen etwas
höher liegt, als der des Zellsaftes stärkereicher. Ohne daß dabei eine ver-
schiedene molekulare Konzentration der Salzlösungen vorzuliegen braucht,
wirkt die Anhäufung der Stärke durch Verkleinerung der Safträume und
durch die hieraus entstehende Vergrößerung der kapillaren Spannung des
Saftes in dem Sinne auf den Zellsaft, daß sein Gefrierpunkt herabgesetzt
wird. Auf den Erfrierpunkt hat aber diese Herabsetzung keinen Einfluß.
2. Einfluß plötzlicher Temperaturschwankungen.
Nach der Erfriertheorie Duhamels!) und Senebiers?) sollten die
Pflanzen durch Zerreißen der Zellen, welches durch das sich in den Zellen
1) Duhamel, Observations des differents effets qui produisent sur les vegetaux
les grandes gel&es d’hiver et les petites gel&es du printemps. Me&m. de l’Acad. roy.
des sciences de Paris A. 1737 S. 273—298. Phys. des arbres. Paris 1758 I I.
S. 343—353.
2) Senebier, Physiol. vegetal. T. III. Chapitre 8, De la chaleur et du froid
relativement aux plantes.
224
bildende Eis hervorgerufen würde, getötet werden. Diese Ansicht wurde
besonders von Göppert!) und Sachs?) bekämpft. Müller- Thurgau’)
und Molisch*) wiesen durch mikroskopische Untersuchungen nach, daß
das Eis sich zuerst in den Intercellularen bilde, daß diese Anfänge der
Eisbildung auch das cellulare Wasser an sich ziehen und daß, wenn
Zerreißungen vorkommen, diese wesentlich nur zu einer Vergrößerung der
Intercellularräume, nicht aber zu einer letalen Schädigung der lebenden
Gewebe führen. Welche Ursachen bewirken, daß die Eisbildung in den
Intercellularen (und in großen Gefäßen) beginnt, hat Mez°) zuerst erklärt.
Gestützt auf die Angaben älterer Autoren, auf die Erfahrungen der
praktischen Gärtner und Landwirte, vor allem aber auf Grund seiner viel-
fachen Untersuchungen über das Gefrieren und Auftauen der Pflanzen, kam
Sachs‘) zu der Überzeugung, daß das Gefrieren für die Pflanzen unschädlich
sei und daß für das Weiterleben oder den Tod nur die Art des Auftauens
in Frage komme. Durch langsames Auftauen könnte die Pflanze vor dem
Absterben bewahrt werden.
Durch die Untersuchungen von Müller-Thurgau’) und Molisch°)
ist jedoch der Beweis erbracht worden, daß eine Beeinflußung des Lebens
durch langsames oder schnelles Auftauen nicht zu bemerken war bis auf
wenige Fälle”), die aber durch Mez!°) ihre Erklärung gefunden haben.
Auch bei meinen Untersuchungen habe ich darauf geachtet, ob schnelleres
oder langsameres Gefrieren beziehungsweise Auftauen für das Erfrieren der
Kartoffel von Bedeutung wäre. Durch größeren oder geringeren Zusatz von
Salz zu dem zerstoßenen Eise konnte ich die Temperatur der Kältemischung
von — 1° bis auf — 15° abstufen, und so war es mir möglich, das Unter-
suchungsobjekt schnell oder langsam gefrieren zu lassen. Eine weitere
Verzögerung des Gefriervorganges konnte ich dadurch herbeiführen, daß ich
in das Gefriergefäß eine größere Menge Wasser gab. So gelang es mir,
größere Objekte einerseits in 15 Minuten gefrieren und wieder auftauen zu
lassen, andererseits konnte ich die Versuche über einen ganzen Tag aus-
dehnen. Das schnelle Auftauen bewirkte ich dadurch, daß ich das Gefrier-
sefäß in warmes Wasser eintauchte, das langsame dadurch, daß ich das
Kartoffelstück in die kalte Luft über der Kältemischung brachte.
ulGoppertz.]..c.S. A, 25.
2) Sachs, Versuchsstationen, 1860, Bd. II. S. 179. Flora 1862, S. 20.
3) Müller-Thurgau, Landwirt. Jahrb. IX. 1830 S. 134, XV. 1886 S. 453.
4) Molisch, |. c. S. 24. 6), Mez, 1.362.582 102.
6) Sachs, Landwirt. Versuchsstationen, 5. H., 1860 S. 177, Kristallbildungen
bei dem Erfrieren und Veränderung der Zellhäute bei dem Auftauen saftiger Pflanzen-
teile. Bericht über die Verhandl. der K. Sächs. Ges. d. Wissenschaften zu Leipzig.
1360 S. 40.
”) Müller-Thurgau, 1830 S. 517 ft. 8) Molisch, |. e. S. 34—47.
9) Molisch, 1. c. S. 47. H. Müller-Thurgau, Über das Erfrieren des
Obstes. Schweiz. Zeitschr. für Obst- und Weinbau. 1394.
20\7Mez, 1..c. S. 1115 113:
225
Tabelle 2.
Wirkung raschen und langsamen Gefrierens und ebensolchen Auftauens
auf den Tod der Kartoffelknolle.
Kartoffel rasch gefroren, rasch aufgetaut.
Versuchsdauer 15 Minuten.
1. Objekt. 2. Objekt.
Die Stücke lebten Die Stücke lebten tot
waren tot
Temp. in 33.6 | 96,7 ae
Teilstrichen 34,2 | 37,0 34,3 | 37,5
(1 =0,0684 9) 36,0 | 38,7 35,8 | 38,9
36,2 39,2
Rasch gefroren, langsam aufgetaut. Versuchsdauer
bis 5 Stunden.
Temp. in || 32,5 36,9 || 33,7 | 372
Teilstrichen | 32,8 37,4 33.80.10. 308
| 342 380 | 35,6 | 380
I 38,2 Mil 70,00 005883
| 36,2 | | 39,4
Langsam gefroren, rasch aufgetaut. Versuchsdauer
bis 4 Stunden.
Temp. in 33,7 36,3 || 34,8 | 36,4
Teilstrichen | 33,8 36,9 | 934,900 36,9
34,2 37,2 | 35,6 37,5
34,5 203 | 358 38,2
35,7 38,8. 36,0 | 38,3
|
Langsam gefroren, langsam aufgetaut. Versuchsdauer
bis 7 Stunden.
Die Stücke lebten Die Stücke
waren tot
Temp. in | 32,0 | 36,3
Teilstrichen 33,9 | 36,6
| 34:71. hi 374
34,8 38,3
| 35,8 |
Der Todespunkt aller untersuchten Kartoffeln liegt bei 36,2 Skalenteilen
— — 2,41”. Aus den dargestellten Versuchsreihen geht hervor, daß es für
das Leben oder den Tod der Kartoffel ganz gleichgültig ist, ob sie rasch
gefriert und rasch wiederauftaut, oder ob sie langsam abgekühlt und langsam
wieder erwärmt wird. Für die Pflanze ist es von großer Wichtigkeit !),
daß sie gegen plötzliche Temperaturschwankungen wenig empfindlich ist,
1) Siehe Pfeffer, I, e. TI. S. 300 und S. 93.
226
da sie ja im Freien oft sehr große und rasch eintretende 'Temperaturunter-
schiede auszuhalten hat.
Meine Ergebnisse stimmen mit denen von Molisch), Frisch?) und
Mez°) überein; alle diese Forscher vermochten keine Beschädigungen der
Pflanzen durch rasches Auftauen festzustellen.
Ein gleiches Verhalten der Pflanzen im allgemeinen hat auch Müller-
Thurgau®) beobachtet, bezüglich der Kartoffel aber infolge seiner primi-
tiven Versuchsmethode nicht feststellen können, da er, wie oben dargelegt,
das kleine auch hier vorhandene Intervall zwischen Gefrierpunkt und Er-
frierpunkt nicht zu messen vermochte.
3. Abhängigkeit der Erfrierpunkte von der Außentemperatur.
Nachdem ich mich, wie oben dargestellt, davon überzeugt hatte, daß
sowohl die Knollen derselben Rasse, wie auch die Gewebeteile derselben
Knollen sich ganz gleichmäßig gegen die Kälte verhalten, und nachdem ich
auch für die Kartoffel nachgewiesen hatte, daß für ihr Leben oder Sterben
die Schnelligkeit der Abkühlung und Wiedererwärmung gleichgültig ist, konnte
ich an die Hauptaufgabe meiner Arbeit gehen, nämlich an die Beantwortung
der Frage nach dem absoluten Kältetodespunkte und seinem Verhältnis
zum Gefrierpunkt.
Als absoluter Todespunkt für die Kartoffelknolle wird von Müller-
Thurgau) — 1° angegeben. Bei meinen Versuchen hat sich zunächst her-
ausgestellt, daß diese Temperaturbestimmung unrichtig, nämlich viel zu
hoch ist.
Die Differenz zwischen meinen und Müllers Resultaten kommt wohl
von der Verschiedenheit der Untersuchungsmethoden her. Seine Versuche ®)
wurden in der Weise angestellt, daß er Kartoffelknollen mit einem Kork-
bohrer mit Löchern versah und in diese Löcher Quecksilberthermometer
einführte. Dabei hat er das Glas des Quecksilbergefäßes dem Gewebe
nicht unmittelbar angelegt, sondern hat eine, wenn auch dünne, so doch
vorhandene und in ihrer Wirksamkeit zu beträchtlichen Fehlern führende
isolierende Luftschicht zwischen dem Quecksilbergefäß und dem zu unter-
suchenden Objekte gelassen. Der Fehler, welcher auf diese Weise entstand,
beträgt fast einen Grad Celsius, da (wie ich unten darzustellen haben werde)
die höchste Erfriertemperatur der von mir untersuchten Knollen (siehe
unten die bei Untersuchung der Malta-Kartoffeln gewonnenen Resultate) bei
— 1,71° bis — 1,78° liegt.
1) Molisch, |. ec. S. 34—47.
2) Frisch, Sitzungsber. der Wiener Akadem. 1377, Bd. 75, Abt. 3, S. 257.
3), AMiez ul. e.2S. 110.
#) Müller-Thurgau, |. c. S. 517 ff.
5) Müller-Thurgau, Landwirt. Jahrb. IX. 1880 S. 147, XV. 1886 S. 456.
6) Müller-Thurgau, Landwirt. Jahrb. IX. 1880 S. 168, XV. 1886 S. 455.
227
Ferner ist es nach meinen Untersuchungen unzulässig, von einem fest-
stehenden Kältetodespunkte der Kartoffel zu sprechen, weil ich gefunden
habe, daß die verschiedenen Rassen sich verschieden verhalten und daß
dieselbe Knolle, wie aus meinen unten wiedergegebenen Tabellen ersichtlich
ist, je nach ihrer Vorbehandlung sehr verschiedene absolute Todespunkte
aufweisen kann.
Hier interessiert zunächst einmal der höchste gefundene Wert bei der
Sorte „Magnum bonum“. Derselbe wurde bei Knollen, welche vier Wochen
lang in einem Warmhause bei einer ungefähr gleichmäßigen Temperatur von
22,5° gehalten worden waren, auf 31,2 Skalenteile — — 2,14° bestimmt.
Die folgenden Tabellen zeigen die Untersuchungen, welche zu dieser Be-
stimmung geführt haben.
Tabelle 3.
Erfrierpunkte der Sorte „Magnum bonum“ nach vierwöchentlicher
Lagerung bei 22,5°.
Kleine Kartoffel Mittlere Kartoffel
Sticke lebt | Stücke Stücke | Stücke
ren \ erfroren lebten | erfroren
Temp. in | 30,8 | 32,3 | 30,4 26,3 | 31,3 33,7
Teilstrichen | 1233-9 1163 1,1 N 31562.30,3
(1 = 0,0684) | | 36,8 | | 33,1 39,0
| | | 34,3
| | |
Große Kartoffel.
Die Stücke lebten | Die Stücke
erfroren
Temp. in | Ds 31,4
Teilstrichen | 2956° 132,0
I 30,0 | 33,0
ı 31,1 36,9
Auf Grund dieser und vieler hier nicht mit angegebenen Beobachtungen
ergibt sich also:
Die Kartoffel lebte noch bei Die Kartoffel 1
|| war erfroren bei
Temp. in 26,3 31,3
Teilstrichen 27.2 31,4
27,3 31,6
28,7 32,0
29,6 33,1
30,0 33,1
30,4 33,9
30,8 34,3
31,1 34,5
| 31,1 | 35,0
Der Todespunkt liegt also bei 31,2 Skalenteilen = — 2,14°.
Beiträge zur Biologie der Pflanzen, Bd, IX, Heft II, 15
228
Für Kartoffeln „Magnum bonum“, die sieben Wochen im Warmhause
bei 22,5° gelegen hatten, wurde der Todespunkt gleichfalls bei 31,2 Skalen-
teilen = — 2,14° ermittelt.
Tabelle 4.
Erfrierpunkt der Sorte „Magnum DOnDIE® ae siebenwöchentlicher
Lagerung bei 22,
Kleine Kartoffel Mittlere Kartoffel
Die Stücke lebten | erfroren Dr Stücke erfroren
ebten
Temp. in 27,3 | 32,1 29,4 31,5
Teilstrichen 29,6 | 34,0 30,2 33,2
(1 = 0,0684) 30,4 | 34,7 30,8 34,5
Die Stücke lebten Die Stücke waren erfroren
Temp. in 2153 31,9
Teilstrichen 29,4 32,1
29,6 32,4
30,2 33,2
30,4 34,0
30,8 34,9
34,7
Aus den dargestellten Versuchen geht hervor, daß Kartoffeln der Sorte
„Magnum bonum“, welche vier und welche sieben Wochen bei ungefähr
22,5° im Warmhause gelegen hatten, gleichmäßig bei — 2,14° erfroren.
Anders verhalten sich Kartoffeln, welche bei niedriger Temperatur ge-
lagert hatten.
Der Erfrierpunkt lag für Kartoffeln, die vier Wochen, bezw. sieben
Wochen in einem trockenen, warmen Zimmer bei einer Temperatur von
ungefähr — 18° aufbewahrt worden waren, gleichmäßig bei 34,5 Skalen-
teilen — — 2,36°.
Tabelle 5.
Erfrierpunkt der Sorte „Magnum bonum“ bei vierwöchentlicher
Lagerung bei 18°.
Raeıne Kartoffel, Mittlere Kartoffel,
vier Wochen aufbewahrt vier Wochen
= DE Stücke lebten ART, lebten erfroren
Temp. in | 33,9 36,0 32,4 | 35,7
Teilstrichen | 34,2 37,5 33,6 | 35,8
| 37,8 34,0 36,4
| | 34,3 | 34,0
229
Tabelle 6.
Erfrierpunkt der Sorte „Magnum bonum‘‘ bei siebenwöchentlicher
Lagerung bei 18°.
=
Kleine Kartoffeln,
sieben Wochen aufbewahrt
waren
Große Kartoffeln,
sieben Wochen aufbewahrt
Die Stücke lebten foren i® lebten | erfroren
er in | 314 IN 4,48:550 32,0 34,6
Teilstrichen 32,8 | 36,4 | 32, 7 | 36,1
33,9 37,8 33.5 | 36,4
| 38,7 33,7 37,7
| 33,9 | 39,0
34,5 | 39,2
Die Stücke lebten waren erfroren
Temp. in 33,9 34,6
Teilstriehen || 33,6 35,0
33,7 35,8
33,8 3957
33,9 35,7
38,9 36,0
34,0 36,1
34,2 36,4
34,4 36,4
34,5 36,4
Wesentlich anders stellt sich die Erfriertemperatur von Kartoffeln, welche
längere Zeit bei niederer Temperatur aufbewahrt wurden. Ich habe, um
diese Frage experimentell zu untersuchen, ein größeres Quantum Kartoffeln
im Eisschrank bei ungefähr O0 bis — 1° konstanter Temperatur längere
Zeit gelagert und bei der Untersuchung dieser Objekte gefunden, daß ihre
Erfrierpunkte ganz wesentlich unter den ursprünglichen Erfrierpunkt gefallen
waren. Derartig behandelte Objekte erfroren nämlich bei 45,0 Skalenteilen
oder bei — 3,08°.
Tabelle 7.
Erfrierpunkt der Sorte „Magnum bonum“ nach vierwöchentlicher
Lagerung im Eisschrank bei 0°.
Mittlere Kartoffel Mittlere Kartoffel
Die Stücke lebten we | ee! | un sa
Temp. in 39,4 45,7 42,0 | 45,2
Teilstrichen 41,0 45,7 42,4 45,5
(1 = 0,0684 °) 41,5 | 45,8 43,2 45,8
42,8 | 47,0 44,0 | 46,2
44,0 48,5 | 44,5 46,4
230
Tabelle 8.
Erfrierpunkt der Sorte „Magnum bonum“ nach vierwöchentlicher
Lagerung auf Eis.
Die Stücke lebten | waren tot | ui aus waren tot
| \ lebten
waapin | a1,al ul asor «40,3 SR an,6
Teilstrichen 40,6 46,2 40,5 45,8
41,4 46,7 41,3 46,2
| 42,2 46,8 42,9 47,0
ia 4352 47,0 44,5
| #48
Tabelle 9.
Erfrierpunkt der Sorte „Magnum bonum‘“ nach siebenwöchentlicher
Lagerung auf Eis.
Die Stücke lebten waren Die Stücke waren
erfroren lebten erfroren
——- = =
Temp. in 41,4 45,0 | 40,5 45,7
Teilstrichen 42,1 | 45,8 | 40,5 46,2
42,2 46,4 | 41,3 | 47,9
45,4 46,9 42,9 | 47,5
44,8 | 47,0 44,8
Die Stücke lebten Die Stücke waren erfroren
Temp. in 43,2 45,0
Teilstrichen 43,2 45,0
45,4 45,2
44,0 45,5
44,0 45,6
44,2 45,7
44,5 45,7
44,5 45,7
44,8 45,8
44,8 45,8
Kartoffeln, die in der Eiskiste bei — 3—4° aufbewahrt worden waren,
erfroren bei 42,5 Skalenteilen oder bei — 2,91 °.
Tabelle 10.
Erfrierpunkt der Sorte „Magnum bonum“ nach vierwöchentlicher
Lagerung bei + 3—4°.
Mittlere Kartoffel Mittlere Kartoffel
i ET | waren .| Die Stücke waren
Die Stücke lebten | erfroren lebten erfroren
Temp. in | 41,0 | 45,4 38,7 42,8
Teilstrichen ı 42,0 i 43,5 40,0 42,8
a=00684) | 423 | 44,0 41,3 43,0
| | 45,4 42,4 44,7
| | 48,0
231
Mittlere Kartoffel
Die Stücke lebten
Temp. in
Teilstrichen
Die Aufbewahrung im Kühlen hat hiernach gegenüber der Aufbewahrung
in der Wärme eine Erniedrigung des Erfrierpunktes um 13,83 Skalenteile
gleich 0,94° ergeben.
Zwischen den beiden Extremen, den im Warmhaus gehaltenen und den
auf Eis gelagerten Kartoffeln hielten sich Kartoffeln, welche bei Zimmer-
Ihr Erfrierpunkt lag bei 38,5
38,7
40,2
41,0
41,3
42,0
42,3
42,6
temperatur (10—12°) aufbewahrt waren.
Skalenteilen oder bei — 2,63 °.
Tabelle 11.
Die Stücke waren
erfroren
42,8
42,8
43,0
43,1
43,4
43,5
43,9
Erfrierpunkt der Sorte „Magnum bonum“ nach Lagerung
bei -- 10—12°.
Kleine Kartoffel
Mittlere Kartoffel
\ Die Stücke
. 3 waren waren
Die Stücke lebten en lebten erfroren
Temp. n | Sl 38,6 35,9 33,5
Teilstriehen | 37,6 38,6 36,0 39,0
u arT 41,3 36,1 39,0
| 36,3 41,1
38,1 41,4
| | 41,6
Große Kartoffel
Die Stücke lebten
Temp. in
Teilstrichen
Ähnliche Schwankungen, wie sie die Erfrierpunkte aufwiesen, waren
auch bei den Gefrierpunkten vorhanden.
gefroren bei einer höheren Temperatur, wenn sie im Warmhause gelegen
hatten, und ihr Gefrierpunkt lag tiefer, wenn sie in der Eiskiste gewesen waren.
35,5
35,9
36,0
36,1
36,3
37,6
38,0
38,1
38,1
38.4
38,5
38,6
38,6
39,0
39,0
39,4
39,8
41,1
41,3
41,3
|Die Stücke waren erfroren
Die Kartoffeln „Magnum bonum“
232
Bei allen Kartoffeln aber, gleichviel was für eine Vorbehandlung sie
erfahren hatten, war zu beachten, daß der Gefrierpunkt über dem Erfrier-
punkt lag. Der Unterschied war zwar nicht groß, aber doch stets mit
Sicherheit meßbar. So liegt der Erfrierpunkt der Kartoffeln aus dem Warm-
hause bei 31,2 Skalenteilen oder bei — 2,14°, ihr Gefrierpunkt liegt bei
29,9 Skalenteilen oder — 2,04°. Die Differenz unterhalb des Gefrierpunktes
bis zum Erfrierpunkte beträgt nur 0,10°; dieser Unterschied ist sehr klein
und nur mit relativ feinen Meßinstrumenten festzustellen. Es ist begreiflich,
daß Müller-Thurgau mit seinen oben geschilderten unvollkommenen Hilfs-
mitteln das kleine Intervall zwischen Ge- und Erfrierpunkt übersah. Für
die Theorie des Erfrierens ist aber dieses Intervall von Wichtigkeit; denn es
zeigt, daß auch bei der Kartoffel Gefrieren und Erfrieren nicht zusammen-
fallen.
Der Gefrierpunkt der Kartoffeln, die im Zimmer aufbewahrt worden
waren, lag bei 36,0 Skalenteilen oder bei — 2,46°, der Erfrierpunkt da-
gegen lag bei 38,5 Skalenteilen oder — 3,63°. Hier beträgt der Unterschied
0,17%. Am größten war der Unterschied für. die Kartoffeln, die auf Eis
gelegen hatten. Diese Knollen erfroren bei 45,0 Skalenteilen oder bei
— 3,08°. Ihr Gefrierpunkt dagegen lag bei 38,0 Skalenteilen oder — 2,60°.
Hier beträgt die Differenz fast einen halben Grad.
Diese Herabsetzung des Gefrierpunktes hat ihre Ursache in der Zucker-
anhäufung, welche in der Kartoffelknolle aufgetreten war, und welche im
folgenden Abschnitte des Näheren zu behandeln sein wird.
Den größten Wert an Zucker fand Müller-Thurgau!) mit 56,18 gr
auf 1000 gr Frischgewicht.
Diese Zuckermenge setzt den Gefrierpunkt um 0,434 — 6,2 Skalen-
teile herab. Die Differenz in den von mir beobachteten Gefrierpunkten
der warm- und kaltgelegten Kartoffeln beträgt 3 Skalenteile. Der gefundene
Wert stimmt ungefähr mit dem berechneten überein.
Über das Verhältnis vom Gefrierpunkt zum Erfrierpunkt geben am
besten die Seite 233 eingefügten graphischen Darstellungen Aufschluß.
Um den Verlauf des Gefriervorganges genauer verfolgen zu können, habe
ich die Kartoffelstücke nicht in Wasser, sondern in Luft gefrieren lassen.
Um aber hierbei Unterkühlungen auszuschließen, ließ ich zunächst auf dem
Boden des Gefriergefäßes etwas Wasser gefrieren, auf das ich dann die
Untersuchungsobjekte aufsetzte. Die Ablesungen wurden nach der Uhr von
10 zu 10 Sekunden vorgenommen.
Aus den oben dargestellten Versuchen ergibt sich das interessante Re-
sultat, daß die Kartoffel keinen spezifischen Gefrier- und Kältetodespunkt
besitzt, sondern daß diese Punkte je nach der T’emperatur, welche vorher
auf die Objekte eingewirkt hat, wechseln.
1) Siehe oben S. 217.
233
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234
4. Der Einfluß der Zuckerbildung auf die Lage der
Erfrierpunkte.
Zur Feststellung, ob irgend welcher erkennbare Einfluß des durch Zueker-
bildung gesteigerten osmotischen Druckes auf die Herabsetzung des Kälte-
todespunktes vorhanden ist, habe ich folgende Versuche angestellt:
Zunächst wurde in einem genau abgewogenen Quantum bei ungefähr 8
gehaltener Kartoffeln die Menge des Zuckers bestimmt und zugleich wurde
der absolute Todespunkt dieser Kartoffeln festgelegt. Sie erfroren bei 39,0
Skalenteilen oder — 2,67°. Für die Kartoffeln, die 14 Tage auf Eis ge-
legen hatten, lag der Erfrierpunkt bei 43,7 Skalenteilen oder bei — 2,99°.
Von diesen beiden, verschieden vorbehandelten Objekten wurden Be-
stimmungen des im Zellsafte enthaltenen Zuckers nach den Vorschriften
von Herzfeld!) in folgender Weise ausgeführt): 150 gr Kartoffeln wurden
sorgfältig zerrieben und der Saft ausgepreßt. Die Rückstände wurden mit
einer abgemessenen Menge destillierten Wassers mehrmals ausgewaschen und
abgepreßt. Der stark gefärbte Saft wurde mit Knochenkohle versetzt und
längere Zeit gekocht, bis er klar wurde. Er wurde dann abfiltriert und
solange gekocht, bis das zum Aus- und Nachwaschen verwendete Wasser
verdampft war. Ich erhielt so den Saft, wie er in der Kartoffel vorlag.
Um Gährung zu vermeiden, setzte ich einige Tropfen Chloroform zu.
Zur Bestimmung des Zuckers wurden folgende Lösungen nach den Vor-
schriften von Fehling hergestellt:
34,639 gr reinstes Kupfersulfat wurden zu 500 cem gelöst. Das Kupfer-
sulfat muß mehrmals umkristallisiert werden, darunter mindestens einmal
aus verdünnter Salpetersäure. 173 gr Seignettesalz löst man in 400 cem
Wasser auf und setzt dazu 100 eem Natronlauge, die 516 gr Ätznatron im
Liter enthält.
Nach den Vorschriften, die Herzfeld gegeben hat, müssen 10 gr zu
50 ccm gelöst werden. Bei meinem Zuckersafte entsprachen 1 cem nicht
genau einem Gramm. Der Kartoffelsaft der Kartoffeln ans dem Zimmer
hatte das spezifische Gewicht?) 1,0261 gr oder ein Gramm des Saftes war
gleich 0,97293 cem. Der Saft der kaltgelagerten Kartoffel wog 1,0286 gr
oder ein Gramm war gleich 0,97218 cem. 50 gr Saft — 48,61 cem be-
ziehungsweise 48,65 cem Saft — füllte ich auf zu 250cem. Diese Mischung ent-
hielt also laut Vorschrift m 50 cem Lösung 10 gr der untersuchten Flüssigkeit.
1) Nach Lunge, Chemisch-technische Untersuchungsmethoden. Berlin 1900.
Il. S. 233—285.
2) Diese Untersuchungen wurden im chemischen Laboratorium der Univ. Halle
mit gütiger Erlaubnis des Herrn Prof. Dr. Vorländer, dem ich für seine Förderung
meiner Arbeit ergebenst danke, ausgeführt.
3) Diese Untersuchungen wurden mit Hilfe des Pyknometers im physikalischen
Institut zu Halle ausgeführt. Für die Erlaubnis hierzu bin ich Herrn Prof. Dr. Dorn
zu besonderem Danke verpflichtet. -
50 cem dieser Lösung versetzte ich mit 25 cem Kupfersulfat und mit
25 ccm Seignettesalzlösung. Die verschiedenen Bestandteile wurden in einer
Erlenmeyer-Kochflasche von etwa 300 cem Inhalt durch Umschwenken
gründlich gemischt und über einem starken Brenner in wenigen Minuten
zum Sieden erhitzt. Von dem Augenblicke an, mit welchem das Kochen
eintrat, erhielt ich noch genau zwei Minuten mit einem kleinen Brenner
im Sieden, verdünnte dann sofort mit 100 cem kaltem, luftfreien Wasser,
um die Flüssigkeit abzukühlen und dadurch ein nachträgliches Abscheiden
von Kupferoxydul zu verhindern. Als Filter benutzte ich ein Soxhletsches
Filterröhrchen, in dessen Verengung ein mehrfach durchlöcherter Platinkonus
und darauf eine ungefähr zwei Zentimeter hohe Asbestschicht kam. Der
verwendete Asbest muß vorher besonders gereinigt werden. Ich habe ihn
mit verdünnter Salzsäure ausgekocht, dann mit heißem destillierten Wasser
ausgewaschen und hierauf mit Alkohol und Äther nachgespült. Unter
Durchleiten von trockener Luft wird er ausgeglüht, im Exsikkator er-
kalten gelassen, und darauf wird das Röhrchen gewogen.
Sobald sich das Kupferoxydul etwas abgesetzt hatte, begann ich zu
filtrieren. Auf das Röhrchen, das auf einer Saugflasche befestigt war,
wurde ein Trichterchen aufgesetzt, der Asbest befeuchtet, die Flüssigkeit
aufgegossen und die Luftpumpe angestellt. Mit kaltem Wasser wurde der
Rückstand auf das Filter gespritzt. Nun wusch ich mit einem halben Liter
kochenden Wassers, darauf mit 20 eem absolutem Alkohol nach und trocknete
das Asbestrohr in einem Trockenschranke. Darauf schloß ich es an einen
Gasometer an, leitete trockene Luft durch und erhitzte die Stellen des As-
bestes, an denen der Niederschlag lag. Durch dieses schwache Erhitzen
soll einerseits das Kupferoxyd umgewandelt werden, andererseits sollen die
Verbindungen, die das Kupfer mit organischen Bestandteilen eingegangen
sein könnte, zerstört werden. Nun verband ich das Rohr mit einem Wasser-
stoffapparat, leitete zunächst langsam, dann stärker Wasserstoff durch. Durch
langsames Erwärmen wurde das Kupferoxyd in metallisches Kupfer um-
gewandelt. Die Reduktion kann man als beendet ansehen, sobald die
Wassertröpfehen, die sich während derselben gebildet haben, verdampft sind.
Das Rohr ließ ich im Wasserstoffstrom erkalten und wog es dann sofort.
Ich fand für die Kartoffeln, die bei 3° gelegen hatten
0,6722 gr Zucker und
0,6785 „ -
im Durchschnitt: 0,6755 gr Zucker.
Für die Kartoffeln, die auf Eis gelegen hatten, und deren Saft noch
um die Hälfte verdünnt war, die also in 50 cem Lösung nur 5 gr Zucker-
lösung enthielten, fand ich
1,042 gr Zucker und
1,059 „ n
im Durchschnitt: 1,0405 gr Zucker.
236
Die kaltgelagerten Kartoffeln hatten also in 14 Tagen 0,3650 gr Zucker
pro 100 gr Zellsaft angehäuft.
Der Gefrierpunkt der Kartoffeln, die auf Eis gelegen haben, kann nur
durch diesen Überschuß an Zucker gegenüber den warmgelegenen herunter-
gegangen sein. Die Gefrierpunktserniedrigung!) beträgt theoretisch, wenn
keine Dissoziation und Zersetzung stattfindet: m —=
Hierbei bedeutet:
m = Grammolekül (für C,H,,0° 4 H,0 — 198,1) ?),
P = Gramm des gelösten Stoffes in 1000 gr Lösungsmittel,
A = Gefrierpunktserniedrigung,
k = Konstante), nur abhängig vom Lösungsmittel (für Wasser 1,9).
05.2 IE c
N = an, ira 0,0350°.
Die Resultate meiner Untersuchungen waren, daß die Erniedrigung des
Gefrierpunktes des Zellsaftes durch den vorhandenen überschüssigen Zucker
0,035° beträgt, während die Erniedrigung des Gefrierpunktes unter Einfluß
der Kaltlagerung 0,32° beträgt. Irgend welcher Parallelismus zwischen
diesen Zahlen ist nicht aufzufinden und damit auf experimentellem Wege
nachgewiesen, daß die Erhöhung des osmotischen Druckes durch den ge-
bildeten Zucker nicht die Ursache für die Herabsetzung des Kältetodes-
punktes sein kann.
In den von mir untersuchten Kartoffeln, die bei Zimmertemperatur ge-
legen hatten, fand ich mehr Zucker, als Müller- Thurgau‘) für diese
Temperatur hat nachweisen können. Eine Erklärung für diesen Unterschied
ist darin zu suchen, daß meine Zahlen sich auf 1000 gr Saft beziehen,
während Müller-Thurgau den Zucker auf 1000 gr Frischgewicht be-
rechnet hat.
Ich muß ferner betonen, daß die gefundenen Werte nicht ganz der
Wirklichkeit entsprechen, da in der Kartoffel noch geringe Mengen Rohr-
zuckers’) vorkommen. Doch ist dieser Fehler in Anbetracht des hohen
Molekulargewichts und dementsprechend der geringen osmotischen Wirkung
des Rohrzuckers viel zu gering, als daß er die Resultate wesentlich beein-
flussen könnte. Ferner ist für die Konstante Wasser angenommen, während
der Kartoffelsaft ein Gemisch verschiedener Lösungen ist. Doch kann
1) OÖ. E. v. Lippmann, Chemie der Zuckerarten S. 120.
2) Nach Hollemann, Organische Chemie S. 234.
3) Meyer-Wildermann, Experimentelle Feststellungen der van t’Hoffschen
Konstanten in sehr verdünnten Lösungen. Ch. Zeitung 21, 522. Zeitschr. für phys.
Chemie 3, 203. 4, 497.
#) Müller-Thurgau, Landwirt. Jahrb. XI. 1832 S. 713.
5) Müller-Thurgau, Über die Natur des in süßen Kartoffeln sich vor-
findenden Zuckers. Landwirt. Jahrb. XIV. 1855 S. 909—912, n. L. Jahrb. 1882
S. 774.
wohl auch dieser Fehler vernachlässigt werden, da der Kartoffelsaft nicht
allzuviel gelöste Stoffe enthalten wird. Wenigstens weicht sein spezifisches
Gewicht, wie aus den Angaben auf Seite 234 ersichtlich ist, nur wenig von
dem des Wassers ab.
Um den Gefrierpunkt um 0,32° herabzusetzen, wäre ein Unterschied in
den Kartoffelsäften von 33,364 gr Zucker nötig. Um die Erniedrigung
des Erfrierpunktes der kaltgelagerten Kartoffeln der Kartoffelsorte „Magnum
bonum“ durch Erhöhung des osmotischen Druckes infolge von Zuckeranhäufung
zu erklären, wären 98,008 gr Zucker und für die Maltakartoffel sogar
139,71 gr Zucker nötig. So große Zuckermengen sind aber für die Kar-
toffel nicht nachgewiesen. Gerade bei den Maltakartoffeln, welche frisch
geerntet zum Verkauf kommen, kann die Zucekeranhäufung keine bedeutende
sein; denn Müller-Thurgau!) weist in seiner Arbeit über Zuckeranhäufung
in Pflanzenteilen infolge niederer Temperaturen nach, daß die frisch aus-
gegrabenen Kartoffeln gar keinen reduzierenden Zucker haben und daß die
Zuckeranhäufung infolge von Kaltlagerung bei kürzlich gereiften Kartoffeln
viel langsamer vor sich geht als bei denselben Kartoffeln, die einige Monate
später auf Eis gelegt wurden. Nach 30 Tagen zeigten solche Kartoffeln
erst 5,50, 2,95, 14,17, 2,66, 9,48 gr Zucker auf 1000 gr Frischgewicht.
Gleichzeitig weist Müller-Thurgau?) nach, daß man keineswegs den
Zuckergehalt der Kartoffeln bis auf jede beliebige Höhe steigern kann, sondern
daß, gerade wie bei so vielen chemisch-physiologischen Vorgängen, die
Wirkung abgeschwächt wird, ja ganz aufhört, wenn die Endprodukte nicht
entfernt werden, so daß bei einer gewissen Konzentration des in den Zellen
bereits vorhandenen Zuckers die Zuckerbildung sistiert wird.
Nach einem Aufenthalte von 20 Tagen im Eise betrug der Zuckergehalt
durchschnittlich 15°/o; würde die Zuckeranhäufung mit derselben Energie
fortdauern, so müßten in 60 Tagen die Kartoffeln über 40°/o enthalten
haben. Bei seinen vielen Untersuchungen fand aber Müller-Thurgau
selbst bei Kartoffeln, die 100 Tage auf Eis gelegen hatten, sehr selten
über 30°/oo, niemals über 40°/oo Zucker.
Selbst Müller-Thurgau°), der mehrere hundert Kartoffeln auf ihren
Zuckergehalt untersuchte, hat also niemals so große Mengen gefunden, daß
sie (angenommen, die Herabsetzung der Todespunkte stehe mit der Zucker-
anhäufung in irgend welcher Beziehung) eine Erklärung für die Verschieden-
heit der Todespunkte abgeben könnten. Ich lasse hier eimige Daten,
darunter die höchsten von Müller-Thurgau beobachteten Zuckermengen
aus seinen vielen Untersuchungen folgen, wobei ich die gefundenen Zucker-
mengen benutze, um die durch den Zucker bewirkte resp. theoretisch
1) Müller-Thurgau, Landwirt. Jahrb. XI. 1832 S. 730—732.
2) Müller-Thurgau, |. c. S. 752.
3) Müller-Thurgau, Über Zuekeranhäufung. Landwirt. Jahrb. XI. 1882
3.2792 ff.
238
mögliche Gefrierpunktserniedrigung nach der oben gegebenen Formel zu be-
rechnen. Er fand in Kartoffeln, die bei 0° gelegen hatten:
Tabelle 12.
Kartoffelsorte ‚‚Frühe Johannisberger‘“, bei 0% gelagert.
Dauer der || Zuckergehalt auf 1000 gr Daraus berechnete
Lagerung Frischgewicht Gefrierpunktserniedrigung
30 Tage 10,40 0,09975
9,13 0,08757
20,50 0,19662
17,04 0,16543
19,30 0,18511
14,18 0,13600
26,70 0,25605
| 6,76 0,06434
32 Tage | 25,19 0,24160
19,41 0,18533
| 24,31 0,23316
383 = 18,90 0,18127
21,85 0,20970
Sara 19,21 0,18900
4:2 vr 15,72 0,15090
48 = 50,31 0,2908
Tabelle 13.
Rote Rosenkartoffeln, die im Eise aufbewahrt wurden.
Dauer der || Zuckergehalt auf 1000 gr | Daraus berechnete
Lagerung Frischgewicht \Gefrierpunktserniedrigung
75 Tage 24,90 0,2388
27,66 0,2653
18 = 28,48 0,2752
80 = 25,04 0,2402
25,01 0,2400
20,05 0,1923
19,57 0,1877
23,19 0,2282
100 Tage 27,16 0,2605
30,71 | 0,2945
40. 2 36,18 | 0,3470
63 = 31,66 | 0,5036
Aus den angeführten Zahlen geht hervor, daß im günstigsten Falle
(36,18 gr Zucker in 1000 gr Frischgewicht) der Gefrierpunkt des Zell-
saftes nur um 0,347° herabgesetzt werden könnte. Nimmt man nun noch
an, daß der in den Kartoffeln neben dem Fruchtzueker vorhandene Rohr-
zucker 18 gr beträgt), so würde der Gefrierpunkt bei dem fast doppelten
1) Müller-Thurgau, Über die Natur des in süßen Kartoffeln sich vor-
findenden Zuckers. Landwirt. Jahrb. XIV. S. 835, 909—912.
2 2839
Molekulargewicht des Rohrzuckers noch um ungefähr 0,087 herabgemindert
werden. Im günstigsten Falle, d. h. bei der höchsten von Müller-Thurgau
gefundenen Zuckermenge, würde also die Gefrierpunktserniedrigung 0,434
betragen.
Die Erniedrigung des Erfrierpunktes kaltgelagerter Kartoffeln (mit
wesentlich geringerer Zuckeranhäufung) beträgt dagegen nach meinen Ver-
suchen für „Magnum bonum“* 13,3 Skalenteile —= 0,94° und für Malta-
kartoffeln 19,5 Skalenteile — 1,23%. Der durch Kaltlagerung auf-
gehäufte Zucker ist also nicht imstande, die Variabilität der
Erfrierpunkte genügend zu erklären.
Ich glaube, auf Grund der von Müller-Thurgau bestimmten Werte
für die Zuckeranhäufung in Verbindung mit meinen experimentell ermittelten
Todespunkten für die Kartoffel sogar noch einen Schritt weitergehen und
aussprechen zu dürfen, daß der in den Kartoffeln bei Kaltlagerung auf-
tretende Zucker nicht nur das Herabsinken des Todespunktes nicht erklären
kann, sondern daß aus den aufgeführten Zahlen deutlich hervorgeht, daß
der größere oder geringere Zuckergehalt überhaupt nicht den geringsten
Einfluß auf die Lagerung der Todespunkte der Kartoffel hat.
Wie meine Versuche (siehe Seite 229) zeigen, liegt der T'odespunkt der
Kartoffeln „Magnum bonum“, die bei Eistemperatur gehalten waren, bei
45 Skalenteilen = — 3,08°. Diese Ziffer wurde durch viele Versuchsreihen
kontrolliert und konstant festgestellt. Zwar waren ganz geringe Schwan-
kungen vorhanden, allein diese betrugen nie mehr als einen Teilstrich der
Skala und fallen in die Fehlergrenze der Versuche. Die Schwankungen
würden also hier im Höchstfalle 0,0684 ° betragen können.
Dagegen zeigen die verschiedenen untersuchten Kartoffeln Müller-
Thurgaus so große Differenzen im Zuckergehalte, daß die Erfrierpunkte,
den Zusammenhang von Gefrierpunkt und Erfrierpunkt vorausgesetzt, ganz
bedeutende Differenzen aufweisen müßten. Wäre nämlich der im Zellsaft
gelöste, osmotisch wirksame Zncker wirklich für das Erfrieren der Kartoffel-
knolle ausschlaggebend, so müßte doch der Todespunkt der kaltgelagerten
Kartoffeln wenigstens ähnlich große Schwankungen aufweisen, wie die in-
folge der Differenzen im Zuckergehalte der einzelnen Kartoffeln eintretenden
Änderungen des osmotischen Druckes schwanken. Diese Differenz ist für
die frühe Johannisberger im extremsten Falle (von 6,76 gr bis 30,31 gr
Zucker auf 1000 gr) = 0,2260° oder gleich 3,3 Skalenteilen, und für die
rote Johannisberger (19,57 bis 36,18 gr) —= 0,1593 oder gleich 2,3 Skalen-
teilen. Da nun einerseits die Kartoffelsorte „Magnum bonum“ und ebenso
die gleichfalls von mir untersuchte Maltakartoffel im Kältetodespunkt völlige
Übereinstimmung zeigen, andererseits aber die beiden Rassen, die Müller-
Thurgau untersuchte, diese großen Unterschiede im Zuckergehalte auf-
weisen, halte ich mich zu dem Schlusse berechtigt, daß der Zuckergehalt
wohl für das Gefrieren des Zellsaftes, niemals aber für das Erfrieren der
Kartoffelknolle Bedeutung besitzt. Nicht auf den Kälteschutz durch Herab-
setzung des Gefrierpunktes, wie Müller-Thurgau und, ihm folgend,
Pfeffer!) will, sondern auf die Auflösung der thermisch passiven Stärke
und ihre Überführung in thermisch aktive gelöste Reservestoffe?), sowie auf
spätere aktive Lebensvorgänge hat die Zuckeranhäufung Bezug.
Mit der abfallenden Temperatur in der kalten Jahreszeit wird die Kar-
toffel süß. Im Frühjahr beginnt sie zu keimen und jetzt wird der Zucker
bei der Ernährung und für die kräftige Entwicklung der Triebe rasch ver-
braucht. So fand Müller-Thurgau bei seinen Keimversuchen mit süßen
und nicht süßen Kartoffeln, daß erstere besser und schneller keimten als
letztere. Die Triebe der süßen Kartoffeln übertrafen die anderen nicht nur
durch ihr wesentlich gefördertes Wachstum, sondern sie besaßen auch ein
bedeutend höheres Trockengewicht. Zu dem gleichen Ergebnisse, daß der
Zuckergehalt ohne Einfluß auf die 'Todespunkte ist, gelangt man auch,
wenn man die Untersuchungen, welche die Bestimmungen der Todespunkte
der bei Zimmertemperatur und der bei Gewächshaustemperatur gelagerten
Kartoffeln betreffen, vergleicht.
Nach Müller-Thurgau®), welcher diesem Thema die größte Auf-
merksamkeit geschenkt hat, tritt bei — 10° die Grenze auf, von welcher
ab die höheren Temperaturen einen vollkommenen Verbrauch (völlige Ver-
atmung) des gebildeten Zuckers in der ruhenden Kartoffelknolle ergeben.
Von dieser Temperatur ab nach oben ist also kein für die osmotische
Spannung im Innern der Zelle in Betracht kommender Zucker mehr im
Zellsaft gelöst. Trotzdem zeigen sich bei unter verschieden hoher Tem-
peratur gehaltenen Kartoffeln die Differenzen in den Erfrierpunkten oberhalb
der als Grenze anzusehenden 10° mindestens ebenso deutlich wie unterhalb
dieser Grenze.
Es ist nicht abzusehen, wieso die Zuckeranhäufung in den kaltgelagerten
Kartoffeln die Ursache der Erniedrigung ihres Erfrierpunktes sein soll, wenn
bei den praktisch zuckerlosen Kartoffeln, welche bei — 12 und —- 22,5°
gelegen hatten, die gleiche Differenz in den Erfrierpunkten vorhanden ist.
Der 7,3 Skalenteile = 0,49 betragende°) Unterschied im Erfrieren der
bei höherer und der bei Zimmertemperatur gehaltenen Kartoffeln kann nicht
vom Zuckergehalte ihres Zellsaftes abhängen; man wird also auch bezüglich
des Einflußes des Zuckers auf die Differenzen zwischen den bei Zimmer-
und bei Eistemperatur gehaltenen Kartoffeln von diesem Standpunkt aus
zum Schluß kommen, daß der Zuckergehalt mit dem Erfrieren nichts zu
tun hat.
Ich fasse nochmals zusammen: Nach den Darlegungen, welche ich be-
züglich des Zuckergehaltes der normalen bei Zimmertemperatur gehaltenen
1) Pfeffer, Pflanzenphysiologie II. S. 317.
2) Mez, lc. p.S4127. s) Müller-Thurgau XI. 1882 S. 325, 326.
4, Müller-Thurgau, Landwirt. Jahrb. 1382 S. 774.
5) Vgl. oben S. 228 und S. 231.
und der kaltgelagerten Kartoffel gemacht habe, kann der wesentliche Unter-
schied der Todespunkte, welcher z. B. bei den Maltakartoffeln von 25,5
bis 45,0 Skalenteilen, also um 1,23° schwankt, nicht von dem Zucker-
gehalte herrühren. Denn ein Gramm Fruchtzucker auf 1000 gr Zellsaft
erniedrigt den Gefrierpunkt nur um 0,00959°. Das Gefrieren der Kartoffel
könnte dementsprechend nach dem höchsten gefundenen Werte, nur bis
0,4340 heruntergemindert werden. Da das Gefrierpunktsintervall 0 bis
36,15 gr —= 0,434° mit dem Erfrierintervall —25,5 bis — 45,0 Skalen-
teile —= 1,230 in keinerlei erkennbarem Verhältnis steht, im Gegenteil
der Erfrierpunkt ganz unverhältnismäßig tiefer liegt als der Gefrierpunkt,
so hat offenbar das Erfrieren nichts mit dem Zuckergehalte zu tun. Es
kann sich demnach bei der Erniedrigung des Erfrierpunktes infolge von
kalter Lagerung der Kartoffel nur um eine Eigenschaft des Protoplasmas
handeln, nämlich darum, daß das Protoplasma sich an kältere oder wärmere
Temperaturen gewöhnt, und daß durch diese Gewöhnung die Lage der
Todespunkte beeinflußt wird.
Diese Folgerung hat Müller-Thurgau, welcher, wie oben dargelegt!),
gleichfalls die Erfrierpunktserniedrigung kaltgelagerter Kartoffeln schon be-
obachtet hatte, nicht gezogen, weil er sich über die Größe der durch die
Zuckerbildung möglichen Gefrierpunktserniedrigung nicht klar war. Sie
scheint mir ein neues Licht auf das Problem der Akklimatisation zu werfen.
Während die Praxis von lange her durch ihre Versuche dazu geführt
wurde, eine direkte Akklimatisation anzunehmen, wird von wissenschaftlich-
kritischer Seite bisher die Entstehung frostbeständiger Rassen von Pflanzen
im wesentlichen als eine Ausleseerscheinung angesehen [Müller-Thurgau?)
und Mez®)] in der Weise, daß im Laufe der Zeit durch Überleben der
mehr frostbeständigen Nachkommenschaft allmählich immer frostbeständigere
Formen gewonnen wurden. Dem widerspricht aber z. B. die Tatsache,
daß bei dem Überpflanzen von Bäumen wärmerer Klimate in solche kälterer
eine deutliche Gewöhnung der Exemplare an das kältere Klima eintritt, daß
also eine wirkliche Akklimatisation stattfindet. Als ebensolche Akklimati-
sation möchte ich auch die nun zahlenmäßig nachgewiesene Tatsache be-
zeichnen, daß die kaltgelegten Kartoffeln eine niedrigere Kältetodestemperatur
besitzen, als die bei Zimmertemperatur gehaltenen Knollen und diese wieder
wesentlich niedriger erfrieren als die im Warmhaus aufbewahrt gewesenen.
5. Geschwindigkeit der Anpassung an die Außentemperatur.
Bei den geschilderten Untersuchungen über die Erniedrigung, beziehungs-
weise Erhöhung des Kältetodespunktes infolge der Temperatur, bei welcher
die Objekte aufbewahrt wurden, ergab sich natürlich die Frage, in welcher
1) Siehe S. 221.
2) Müller-Thurgau, Landwirt. Jahrb. XV. 1886 S. 538 ff.
3) Mez, |]. c. S. 91 Anmerkung.
242
Zeit die Gewöhnung des Protoplasmas an Temperaturänderungen erfolgte,
das heißt, welche Zeit notwendig ist, um bei Kaltlagerung einen klaren
Ausschlag der bestimmten Todespunkte nach unten, bei Warmlagerung einen
solehen nach oben zu erzeugen. Ferner drängte sich die Frage auf, ob
die erworbene Eigenschaft des bei tiefer oder hoher Temperatur eintretenden
Todes bei Aufhebung der einwirkenden Umstände beliebig oft in entgegen-
gesetzter Richtung veränderbar ist, oder nicht.
Ich habe in dieser Beziehung mit der Kartoffelsorte „Magnum bonum“
nur wenige Versuche angestellt, am meisten dagegen mit Maltakartoffeln,
von deren Verhalten im nächsten Kapitel die Rede sein wird, experimentiert
und gefunden, daß der Ausschlag nach unten und nach oben schon nach
sehr kurzer Einwirkung der Außentemperatur klar erkennbar ist.
Bei Kaltlagerung der Kartoffeln, die vorher bei Zimmertemperatur (+- 10
bis 12% gelegen hatten, war nach vier Tagen ein Herabsinken des Erfrier-
punktes um einen Skalenteil — 0,068° zu beobachten. Nach 15 Tagen
betrug der Unterschied drei Skalenteile oder 0,34° und nach vier Wochen
zehn Skalenteille —= 0,68° gegen den ursprünglichen Erfrierpunkt. Faßt
man die Gesamtdauer des längsten Versuches (vier Wochen) ins Auge, so
fällt der Erfrierpunkt durchsehnittlich in drei Tagen um einen Skalenteil
— 0,068°. Von dieser Durchschnittsziffer weichen nur die den Beginn
des Versuches betreffenden Zahlen und zwar wenig ab, da ich erst nach
vier Tagen eine Differenz von einem Skalenteil nachweisen konnte. Doch
ist der Unterschied so gering, daß er in die Fehlergrenze fällt. Außerdem
ist noch als Grund für das langsamere Herabgehen des Todespunktes in
den ersten vier Tagen zu berücksichtigen, daß die Kartoffeln, die vorher
lange bei 4 10 bis + 12° gelegen hatten, in ihrem Innern diese 'Tempe-
ratur besaßen. Es dauert aber eine ziemliche Zeit, ehe sie die Temperatur
der umgebenden Luft annehmen. So wies Göppert!) nach, daß eine Kar-
toffel, die bei 10° gelegen hatte, sich erst in 18 Stunden auf die Außen-
temperatur von 5° einstellte.
Ein ganz gleiches Verhalten zeigten die Kartoffeln, die aus einer Tem-
peratur von 10—12 in eine solehe von 22,5° gebracht wurden. Auch hier
betrug nach vier Tagen die Erfrierpunktserhöhung einen Skalenteil —= 0,068°,
nach vier Wochen neun Skalenteile oder 0,62°. Es kommen also auch hier
auf einen Tag ungefähr '/s Skalenteil Erfrierpunktsverschiebung. Die Kar-
toffeln, welche auf Eis gelegen haben, erhöhen ihren Erfrierpunkt wieder,
sobald sie in eine wärmere Temperatur gebracht werden. So stieg der
Erfrierpunkt von Maltakartoffeln, die auf Eis gelegen hatten und deren
Erfrierpunkt bei 44,5—45,1 Skalentelen — — 3,05—3,09° festgestellt
worden war, in drei Wochen wieder auf 38,8 Skalenteile = — 2,66.
1) Göppert, 1. c. S. 164-167.
243
Tabelle 14.
Verhalten der Maltakartoffel, welche vier Wochen auf Eis und dann wieder
drei Wochen im warmen Zimmer gelegen hatte.
Kleine Kartoffel Mittlere Kartoffel
Die Stücke lebten waren erfroren Die Stücke lebten waren erfroren
39,6 | 39,6 35,2 38,8 zweifelh.
37,3 41,2 36,9 42,4
37,2 42,5
38,8 zweifelh,
Die Stücke lebten Die Stücke waren erfroren.
35,2 38,8 zweifelhaft
35,93 39,1
35,6 39,6
36,2 39,7
36,3 39,9
37,2 40,5
37,3 41,9
38,2 42,4
38,5 42,5
38,8 zweifelhaft
38,8
Aus den dargestellten Ergebnissen geht hervor, daß die Gewöhnung an
niedrige Temperaturverhältnisse außerordentlich rasch vor sich geht und
daß ebenso die gesteigerte Außentemperatur wieder rasch den Todespunkt
steigen läßt. Dieses Resultat hat eine bedeutende Wichtigkeit, wenn
man bedenkt, daß es eine Vorstellung gibt von der Geschwindigkeit, mit
welcher die Gewächse der kalten und der gemäßigten Klimate imstande
sind, mit ihren Erfrierpunkten bei Eintritt der kalten Jahreszeit dem Ab-
sinken der äußeren Temperatur zu folgen. Auf der anderen Seite lehrt es
auch verstehen, warum die im gemäßigten Europa um die Maimitte herum
mit ziemlicher Regelmäßigkeit eintretenden Kälterückschläge viel größere
Verheerungen anzurichten imstande sind, als die tieferen Temperaturen im
Winter. Bei derart raschen Temperaturschwankungen fällt die Einstellung
der Organismen auf niedere Erfriertemperaturen, welche bei allmählichem
Übergang der Witterung stattfindet, natürlich hinweg. Fortgesetzte Unter-
suchungen an anderen Objekten werden zu zeigen haben, ob die Anpassungs-
fähigkeit der Kartoffel an Temperaturschwankungen eine extreme ist oder
nicht. Unter Berücksichtigung der Tatsache, daß die Kartoffel ein unter-
irdisches und durch die wirksame Erdisolation !) gegen Temperaturschwan-
kungen normalerweise geschütztes Gebilde ist, möchte ich annehmen, daß die
Einstellungsfähigkeit oberirdischer Pflanzenteile, z. B. der Winterknospen ete.,
eine wesentlich größere ist.
\) Vgl. Pfeffer, 1. c. 302; desgl. Müller-Thurgau, Landwirt. Jahrb. XVI.
1886 S. 550.
Beiträge zur Biologie der Pflanzen, Bd, IX, Heft II. 16
244
b) Das Erfrieren der Maltakartoffel.
Nachdem es sich gezeigt hatte, daß bei der einheimischen Kartoffelsorte
„Magnum bonum“ die geschilderte Abhängigkeit zwischen Außentemperatur
und Erfriertemperatur besteht, hatte es ferner Interesse, eine unter günstigeren
Bedingungen gewachsene, das heißt aus wärmeren Klimaten stammende Kar-
toffel auf die gleichen Verhältnisse zu untersuchen. Ich wählte als Unter-
suchungsobjekt eine kleine, eirunde, gelbe Frühkartoffel, welche unter dem
Namen Maltakartoffel in den Monaten Mai-Juni in Halle überall zum Verkauf
ausliegt. Zunächst überzeugte ich mich durch mikroskopische Untersuchung,
daß die zu untersuchenden Kartoffeln dieser Sorte in ihrem Reifezustand
demjenigen der untersuchten Sorte „Magnum bonum“ entsprachen.
Von der Erfahrung ausgehend, daß bei unreifen Kartoffeln die Leuko-
plasten an den Stärkekörnern noch in bedeutenderer Größe zu beobachten
sind und daß die Anhäufung der Stärke in den Zellagen unter der peri-
pheren Korkschicht bei unreifen Kartoffeln eine sehr lockere ist, habe ich
die Überzeugung gewonnen, in meinen Maltakartoffeln vollkommen ausgereifte
Objekte vor mir zu haben. Die Stärkebildner waren beinahe ganz reduziert,
zum Teil überhaupt verschwunden, auch die Anhäufung der Stärke unter
der Oberhaut entsprach den bei der Sorte „Magnum bonum“ gefundenen
Verhältnissen.
Bei der Untersuchung dieser Kartoffelsorte ergab sich nun das Resultat,
daß die gleiche Beeinflussung der Todespunkte durch die vorausgegangene
Temperatur auch bei der Maltakartoffel vorhanden war. Zur Veranschau-
lichung füge ich hier einige Versuchergebnisse ein, die zeigen, daß bei Zimmer-
temperatur der Todespunkt der Maltakartoffeln bei 34,3 Skalenteilen gleich
— 2,35° lag; daß dieselbe Sorte nach vierwöchentlichem Liegen im Warm-
hause bei 25—26, Skalenteilen gleich — 1,71—1,78° erfror und daß sie
auf Eis gelagert ihren Todespunkt auf - 3,0° herabsinken ließ.
Tabelle 15.
Verhalten von Maltakartoffeln, die bei Zimmertemperatur gelegen haben.
Kleine Kartoffel Große Kartoffel
Die Stücke lebten waren erfroren Die Stücke lebten | waren erfroren
32,3 34,3 | 23,4 34,7
33,9 39a 27,8 35,9
29,8 | 36,8
31,2 37,3
33,0 38,0
34,2
Die Kartoffeln lebten Die Kartoffeln erfroren
29,8 32,9 34,3 36,4
30,7 33,0 34,3 36,8
31,22 73358 | 34,7 37,3
32205339 | 35,5 37,6
32,5 34,2 35,7 38,0
245
Die Kartoffeln, die vier Wochen im Warmhause bei 22,5° gelegen
hatten, erfroren bei 25>—26 Skalenteilen — 1,789.
Tabelle 16.
Verhalten der Maltakartoffeln, die vier Wochen im Warmhause lagen.
Kleine Kartoffel Mittlere Kartoffel
Die Stücke lebten waren erfroren Die Stücke lebten waren erfroren
21,0 28,8 22,5 26,9
21,7 26,0 23,3 27,0
23,9 26,8 23,5 27,3
25,0 24,5 27,6
25,1 28,8
| 29,3
Die Rartoffeln lebten Die Kartoffeln erfroren
27 25,8
2285 26,0
23,3 26,0
23,9 26,9
23,5 26,8
24,3 27,0
24,3 27,1
24,8 27,3
25,0 27,3
25,1 27,6
Der Todespunkt der Kartoffeln, die auf Eis gelegen hatten, war auf
45,0 Teilstriche = — 3,08° gesunken.
Tabelle 17.
Verhalten von Maltakartoffeln, die sechs Wochen auf Eis lagen.
Mittlere Kartoffel
39,8
Die Stücke lebten
|
Die Stücke waren erfroren
40,6
| 45,2 45,4
43,0 41,7 46,0 46,3
44,5 42,8 47,1 | 47,2
45,0 45,0 48,5
Die Kartoffeln lebten Die Kartoffeln erfroren
42,1 45,1
42,5 45,2
42,8 45,4
43,0 46,0
44,5 46,5
44,7 47,1
45,0 47,2
45,0 47,8
45,0 48,5
45,0 48,6
16*
246
Verglichen mit den oben für „Magnum bonum“ gegebenen Zahlen sei
auf das zweite Ergebnis dieser Untersuchungen hingewiesen, daß nämlich
die beiden oberen Todespunkte dieser Kartoffelsorte höher liegen als die
der Sorte „Magnum bonum“. Dagegen fällt der untere Todespunkt, das
heißt derjenige, welcher nach vierwöchentlicher Eislagerung erzielt wird,
mit dem Todespunkte von „Magnum bonum“ genau zusammen.
Dieses Ergebnis bestätigt meine oben gemachten Ausführungen über die
Möglichkeit der Akklimatisation von Pflanzen insofern, als sich auf das
klarste zeigt, daß die Maltakartoffeln an sich die Einwirkungen des milderen
Klimas, unter welcher sie gewachsen ist, in der Lage ihrer oberen Todes-
punkte zeigt, daß aber dieselbe Knolle imstande ist, sich auch niederen
Temperaturen anzupassen, und zwar ebensogut wie Kartoffelsorten, die bei
kühleren Temperaturen ihre Vegetation durchführen.
II. Das Erfrieren der Kartoffeltriebe.
l. Abhängigkeit der Kältetodespunkte von der Außen-
temperatur.
Es war nun von Interesse, weiter zu untersuchen, ob sich die gleichen
Verhältnisse bezüglich des Erfrierens, wie sie bei den Knollen gefunden
wurden, auch bei den grünen zellsaftreichen Trieben der Kartoffel nach-
weisen lassen. An sich war zu erwarten, daß die Kartoffeltriebe sich etwas
anders verhalten würden als die Knollen, und zwar aus folgendem Grunde:
Während die Knollen Reservestoffspeicher darstellen, welche auch in der
Heimat der Kartoffel bestimmt sind, die Pflanzen über eine relativ kühle
Zeit hinweg am Leben zu erhalten, während also bei ihnen eine Anpassung
an die Überwindung klimatischer Schädigungen zu erwarten war, ist dies
bei den Kartoffeltrieben in keiner Weise der Fall. Die Kartoffeltriebe sind
ihrer ganzen Natur nach Organe, welche in der Natur der Kälte weniger
ausgesetzt sind als die Knollen, bei welchen also eine geringere Fähigkeit
zur Ertragung der Kälte vorausgesetzt werden konnte. Dieses stimmt mit
der allgemein beobachteten Erscheinung überein, daß auf den Feldern Kar-
toffeltriebe schon bei Außentemperaturen zugrunde gehen, bei welchen die
Kartoffelknollen unbeschädigt bleiben. Die Untersuchung der Kartoffeltriebe
war also deswegen wünschenswert, weil die eventuelle Konstatierung der bei
den Knollen gefundenen Reaktionsfähigkeit auf Kälte bei ihnen aus den an-
geführten Gründen weniger wahrscheinlich war und weil sowohl das Auftreten,
wie das eventuelle Nichtauftreten dieser Reaktionsfähigkeit interessant ist.
Es hat sich bei den in folgenden darzustellenden Untersuchungen gezeigt,
daß die Kartoffeltriebe in ganz ähnlicher Weise ihren Erfrierpunkt erniedrigen,
beziehungsweise erhöhen, wenn sie vorher bei erniedrigter oder erhöhter
Temperatur gehalten wurden. Ferner hat sich herausgestellt, daß die Er-
frierpunkte der Triebe keineswegs in allen Teilen die gleichen sind, sondern
daß sich Basis, Mitte und Spitze desselben Triebes wesentlich verschieden
247
verhalten. Zunächst seien die Ergebnisse meiner Versuche mitgeteilt, die
zeigen, daß die gleiche Einstellungsfähigkeit der Triebe auf niedere oder
höhere Erfriertemperaturen vorhanden ist wie bei den Knollen.
Ich habe diese Versuche, die viel zeitraubender waren als die mit den
Kartoffelknollen, hauptsächlich mit den Trieben der Sorte „Magnum bonum“
durchgeführt und bei ihr die besten Resultate erhalten. Die Triebe der
Maltakartoffeln verhielten sich theoretisch ebenso wie die von „Magnum
bonum“, nur waren hier die Ausschläge geringer. Die folgenden Tabellen
zeigen das Verhältnis der Triebe von „Magnum bonum“, die bei Zimmer-
temperatur und auf Eis gehalten wurden.
Tabelle 18.
Todespunkte von Trieben, die bei Zimmertemperatur gehalten wurden.
Die Triebe lebten
Untere Teile Mittlere Teile
Temp. in 29,6 30,0
Teilstrichen
30,5 35,1
— r 0 ’ )
nn 30,7 | 36,2
31,4 36,4
31,5 37,2
37,5
Die Triebe waren erfroren
Temp. in | 32,6 34,7 38,8
Teilstrichen 32,7 35,4 38,8
33,05:3957 39,4
33,98 36,7 40,3
Der Todespunkt der unteren Teile der Triebe liegt also zwischen 31,5
bis 32,6 Skalenteilen — — 2,16 bis — 2,23°, die der mittleren 37,5 bis
38,8 Skalenteilen — 2,57 bis — 2,66°. Dadurch, daß die Triebe keinen
einheitlichen Todespunkt hatten, wurden die Untersuchungen ganz wesentlich
erschwert. Mein Bestreben mußte es sein, möglichst gleich lange und gleich
gut entwickelte Exemplare zu untersuchen. Auch durfte ich natürlich nur
Teile miteinander vergleichen, die sich möglichst genau entsprachen, da ich
sonst falsche Werte für die einzelnen Teile erhalten haben würde.
Tabelle 19.
Todespunkt von Trieben, die drei Wochen auf Eis gelegen haben.
Die Triebe lebten
Untere Teile Mittlere Teile
29,0 34,3
29,8 39,8
32,2 36,9
33,7 36,7
34,0 38,3
34,2 38,7
248
Die Triebe waren erfroren
Untere Teile Mittlere Teile
34,5 40,1
35,2 40,0
36,2 41,1
37,8 42,6
38,2 44,3
39,0 46,3
Der Todespunkt der unteren Teile der Triebe liegt demnach bei 34,5
Skalenteilen —= — 2,36, der mittleren bei 38,7 bis 40,1 Skalenteilen gleich
— 2,65 bis 2,74°. Aus diesen Zahlen geht hervor, daß die Triebe von
„Magnum bonum“, die drei Wochen auf Eis gelegen haben, ihren Erfrier-
punkt um 0,20 bis 0,13° beziehungsweise 0,08° erniedrigt haben. Die
Maltakartoffeltriebe erfroren zwischen 31,0 und 52,4 Skalenteilen — — 2,12
bis 2,14%. Für die oberen Teile lag der Kältetodespunkt nur wenig höher,
Durch dreiwöchentliche Lagerung auf Eis erniedrigte sich ihr Erfrierpunkt
nur um 0,05 bis 0,07 Grad.
Es ist bemerkenswert, daß bei den Trieben die gleiche Lagerung der
tiefsten Toodespunkte, die bei den Kartoffelknollen aufgefallen war, hier nicht
vorhanden ist, sondern daß die Maltakartoffeltriebe einen wesentlich höheren -
tiefsten Todespunkt zeigen als die bei uns gezogenen Kartoffeln. Ich möchte
in diesem Verhalten eine erblich gewordene Akklimatisation der Triebe der
im kälteren Klima gezogenen Sorte „Magnum bonum“ sehen. Meine hier
gewonnenen und genau bestimmten Resultate bestätigen die nur im all-
gemeinen beobachteten und mit ungenauen Zahlen belegten Befunde früherer
Autoren.
Die Anpassung der grünen Teile einer Pflanze an höhere oder niedere
Temperaturen ist eine bekannte Erscheinung. Höchst zweifelhaft ist, ob
es mit ihr zusammenhängt, daß die tropischen Gewächse im allgemeinen
eher erfrieren als die Pflanzen der gemäßigten und kalten Zone!). Hier
dürften erbliche Eigenschaften vorliegen. Auch die große Kälteresistenz der
hochalpinen Gewächse ist kein direkter Beweis für diese Anpassungsfähigkeit.
Dagegen sprechen für eine solche Versuche Haberlandts und Göpperts
mit einheimischen Pflanzen. Haberlandt?) fand, daß Keimpflanzen, die
bei 18 bis 20°C. aufgewachsen waren, schneller erfroren als die bei + 8°
gezogenen Keimlinge. Göppert’) versetzte Senecio vulgaris, Fumaria
offieinalis, Poa annua, die schon Kältegrade bis zu — 9° ausgehalten
hatten, in ein Gewächshaus, dessen Temperatur zwischen — 12 bis 18°
1) Siehe Pfeffer, Pflanzenphysiologie II. S. 302.
2) Haberlandt, Die Schutzeinrichtungen der Keimpflanzen. 1877 S. 948. Bot.
Jahrb. 1879 S. 259.
3) Göppert, Wärmeentwicklung in den Pflanzen, 1330 S. 63.
schwankte. Als er sie nach 15 Tagen in die freie Luft brachte, erfroren
sie schon bei — 7°. Andere Pflanzen der gleichen Art, die während der
ganzen Zeit im Freien geblieben waren, blieben unversehrt.
2. Verhalten verschiedener Teile der Kartoffeltriebe.
Was nun das Verhalten der Teile eines Kartoffeltriebes gegen Kälte
betrifft, so habe ich gefunden, wie es schon aus den Tabellen im vorher-
gehenden Abschnitte hervorgeht, daß die Fähigkeit, Kälte zu ertragen, von
der Basis zur Spitze zunimmt. Dies Ergebnis drückt sich in folgenden bei
der Sorte „Magnum bonum“* gewonnenen Untersuchungsresultaten aus:
Tabelle 20.
Untere Teile des Kartoffeltriebes. Bis zu 12 em Höhe
Die Stücke lebten | Die Stücke waren erfroren
26,4 26,7 24,9 32,0 zweifelh. 32,6 32,2 zweifelh,
26,6 | 27,0 27,6 33,9 33,4 32,6
27,4 27,5 29,9 35,0 35,0 39,6
28,35 29,5 30,3 36,4 37,0 36,5
30,3 30,0 30,8 31,3 ad,T
30,5 31,5 31,2 41,0
45,8
Mittlere Teile des Triebes. 12 bis 20 cm Höhe
24,1 | 30,0 zweifelh. | 38,4 zweifelh. 38,8
25,5 | 35,1 | 39,6 39,4
36,1 | 36,4 41,1 40,0
37,2 36,2 | 41,5 40,6
37,5 37,2 | 44,4 45,9
37,2 N | 47,0
Obere Teile des Triebes. 20 em und höher
38,8 39,2 | 47,3 46,9
41,7 39,9 | 47,9 48,1
43,6 42,3 48,5 50,3
43,9 42,8 | 48,8 295
44,3 44,4 | 49,0
46,9 |
Das Ergebnis, daß die unteren Teile mehr, die oberen weniger frost-
empfindlich sind, stimmt mit den Beobachtungen anderer Forscher, insbe-
sondere mit denen Göpperts überein. Es sei darauf hingewiesen, daß
bezüglich dieser Frage die landwirtschaftliche Praxis bezüglich der Kartoffel-
triebe nicht zu den gleichen Ergebnissen kommen wird und kann, wie die
experimentelle Untersuchung.
Bei Maifrösten, welche das Kartoffelkraut vernichten, zeigt sich nirgends,
daß die Basis der Kartoffelstengel erfroren ist, während die Spitze noch
lebendig geblieben ist. Im Gegenteil erfrieren die Spitzen häufig, während
250
die Basis unversehrt bleibt und durch neue Verzweigung den Ausfall der
Spitzen wieder auszugleiehen imstande ist. Dies rührt aber nicht daher,
daß auf dem Acker die Basis der Kartoffeltriebe widerstandsfähiger ist als
die Spitze, sondern hat offenbar die Ursache darin, daß die Lufttemperatur
in der Nähe des Erdbodens allermeist höher ist als diejenige in einiger
Entfernung vom Boden.
Wie bereits angedeutet, ist es eine auch von anderen Autoren festge-
stellte Tatsache, daß die äußersten Teile von Trieben gegen die Kälte
besonders widerstandsfähig sind, daß also die Widerstandsfähigkeit gegen
Kälte von der Basis eines Krauttriebes nach der Spitze hin zunimmt. Ich
weise zum Beleg dieser Behauptung hauptsächlich auf die von Noll!)
über die Knospen niedergelegten Ergebnisse hin. Auch möchte ich hier
darauf hinweisen, daß ich nur von den Trieben, nicht aber von den Blättern
spreche, daß also die so auffällige Erscheinung abgefrorener Kartoffelblätter
an den Trieben zur Beurteilung meiner Ergebnisse nicht herangezogen werden
darf, denn es muß ganz ausdrücklich betont werden, daß in Anbetracht der
dünnen Textur und des ganzen auf Verdunstung hinzielenden Baues der
Blätter hier infolge der Ausstrahlung sowohl wie infolge der Wärme-
bindung durch die Verdunstung wesentlich andere 'Temperaturverhältnisse
vorliegen, als sie auf einen festen, radiär gebauten Stamm einwirken. Die
bedeutend größere Frostempfindlichkeit der Blätter geht aus den Beobachtungen
Göpperts?) hervor.
Dieser®) kommt auf Grund seiner Versuche dazu, als allgemeine Regel
aufzustellen, daß an ein und derselben Pflanze die jungen Blätter und Triebe
länger der Einwirkung allmählich eintretender Kälte widerstehen als die
älteren gleichartigen Teile. Es fragt sich nun, welche Gründe für das
verschiedene Verhalten der verschieden alten Teile des Kartoffeltriebs vor-
handen sind. Hier tritt zunächst einmal die Frage nach der Zellgröße auf,
welcher insbesondere von Pfeffer®) und Molisch’) eine gewisse Bedeutung
beigelegt wird. Pfeffer*) spricht die Meinung aus, daß die Fähigkeit,
sanz außerorordentlich niedere Temperaturen zu ertragen, wie sie Pietet‘)
und andere für niedrige Kryptogamen nachgewiesen haben, wohl damit zu-
sammenhängen könnte, daß bei kleineren und kleinsten Zellen andere Ad-
sorptionsverhältnisse des Zellsaftes vorliegen als bei größeren Zellen.
Ich glaube, daß die Zellgröße als solche bei der Kartoffel mit den
Todespunkten nichts zu tun hat, und zwar werde ich zu diesem Schlusse
dadurch geführt, daß bei gleicher Zellengröße im Trieb und in der Knolle
die Triebe höher gelagerte Erfrierungspunkte haben als die Knollen. Man
1) Noll, Über frostharte Knospenvariationen. Landwirt. Jahrb. XIV. 1885
S. 707—712.
NGOppert, 1. c.7S. Ibanez. 3) Göppert, I. c. S. 12—23 und S. 98, 99.
A, Pfeffer, cr 11.82 313: DEM@LiSch,.l. c.19.018,719:
6) Pictet, Archiv d. sciene, phys. et natur. d. Geneve 1893 III. ser. Vol. 30 p. 311.
251
könnte gegen diese Auffassung einwenden, daß die Adsorptionsverhältnisse
des Zellsaftes nicht nur durch die umgebenden Membranen, sondern auch
durch die Inhaltsbestandteile einer Zelle beeinflußt werden, daß also bei
gleicher Größe die Adsorption in einer mit Stärkekörnern erfüllten Zelle
wesentlich bedeutendere Höhen erreicht als in einer leeren. Dem kann ich
nicht zustimmen aus einem theoretischen und aus einem, meinen Beob-
achtungen entspringenden Grunde. Die Vorstellung von der Abhängigkeit
des Erfrierpunktes von den Adsorptionsverhältnissen ist entstanden unter
der physikalischen Erfrierungstheorie, welche Erfriertod und Austrocknungstod
für gleichbedeutend erklärte.
Mez') hat bereits darauf hingewiesen, daß dasjenige Wasser, welches
als Adsorptionswasser in Frage kommt, unter allen Umständen, also auch
bei höheren Temperaturen, so fest mit den Zellbestandteilen und besonders
mit den Salzen, welche im Zellsaft vorhanden sind, verbunden ist, daß eine
Loslösung dieses Wassers überhaupt nicht in Frage kommt. Dieses Wasser
wird auch durch die niedrigsten Temperaturen nicht von den Salzen ab-
gespalten in der Weise, daß alles Wasser für sich gefrieren würde und
das Salz rein für sich ausfallen ließe, sondern die konzentrierte Salzlösung
(eutektisches Gemisch) erstarrt wie ein einheitlicher Körper. Nur wenn
alles Wasser für sich erstarren würde, könnte intensivste Austrocknung in
Frage kommen. Ebenso wie das durch Salze, verhält sich auch das durch
Adsorption gleichfalls molekular gebundene Wasser. Ferner aber habe ich
bei Messungen und Vergleich der Zellgrößen in verschieden hohe Erfrier-
punkte aufweisenden Teilen des Kartoffeltriebes keine das verschiedene Ver-
halten erklärenden Differenzen gefunden.
Hier muß selbstverständlich von der Spitze mit ihrem mehr oder weniger
embryonalen Gewebe abgesehen werden. Ist aber das Stadium der Fertig-
stellung der Zellen erreicht, so ändern diese, wenigstens bei der Kartoffel,
ihre Größe nicht mehr. Auch bezüglich ihres Inhaltes ist keinerlei besondere
Differenz zu beobachten und trotzdem bleiben die Unterschiede bezüglich
des Erfrierpunktes bestehen. Daraus geht hervor, daß es sich auch hier
nicht um roh physikalische Ursachen handeln kann, welche den Erfrier-
punkt bedingen, sondern daß die feine, physikalisch uns noch unbekannte
Konstitution des Protoplasmas an den Teilen, welche verschiedene Erfrier-
punkte zeigen, eine verschiedene sein muß.
3. Die Kältewiderstandsfähigkeit embryonaler Gewebe.
Aus den angegebenen Gründen schließe ich, daß die Zellengröße mit
dem Erfrierpunkte, wenigstens was die Kartoffel anbetrifft, nichts zu tun
hat und ich kann dementsprechend in der geminderten Größe der embryo-
nalen Zellen gleichfalls nicht den Grund sehen, weswegen die Kartoffeltriebe
an ihrer Spitze die tiefstgelegenen Erfrierpunkte zeigen.
1) Mez,.l. ec. S. 95
252
Hier ist nun zunächst die Frage zu beantworten, ob nicht vielleicht die
Menge des Zellsaftes eine Ursache für das verschiedene Verhalten der Triebe
sein könnte; denn wie im allgemeinen die embryonalen Gewebe plasmareich
und zellsaftarm sind, so ist dies auch bei der Kartoffel im besonderen
der Fall. Es müßte, wenn die Menge des Zellsaftes für die Erfriertempe-
ratur von wesentlicher Bedeutung wäre, irgend eine auffällige Beziehung
zwischen Zellsaftmenge und Erfriertemperatur sich finden lassen. Dem ist
aber nicht so. Ich habe in der Spitze der Kartoffeltriebe, und diese müßte
die typischsten Resultate unzweifelhaft ergehen, keinen Unterschied bezüglich
der Erfriertemperaturen gefunden, wenn ich die 'Thermonadel in das wasser-
arme äußerste Gewebe der Vegetationsspitze, oder wenn ich sie in das wasser-
reiche Gewebe der Zone der inneren Ausbildung versenkte. Beide Zonen
verhalten sich bezüglich ihrer Erfriertemperatur so gleich, daß ein Unter-
schied auch nicht einmal durch Teilstriche des Galvanometers, das heißt durch
hundertstel Grad, ausgedrückt werden kann, und daß die geringen manch-
mal konstatierten Schwankungen unter allen Umständen innerhalb der Fehler-
grenze der Versuche fallen.
Dagegen sind die Differenzen zwischen der Zone der inneren Ausbildung
und der tieferliegenden Zone, wie oben dargestellt, beträchtlich und können
jeden Augenblick mit vollster Sicherheit nachgewiesen werden. Die Zone
der inneren Ausbildung der Zellen und die Zone der definitiv fertiggestellten
Zellen sind aber, wie jeder Schnitt zeigt, bezüglich der Zellgröße nicht
wesentlich verschieden. Aus diesen Gründen schließe ich, daß es nicht
die geringere Menge des Zellsaftes in den wachsenden Spitzen ist, welche
die Erniedrigung des Erfrierpunktes bedingt, sondern auch hier sehe ich
die Ursache in einer vor der Hand nicht aufklärbaren Eigenschaft des
Jüngeren Protoplasmas im Gegensatz zum älteren.
Auf Grund seiner vielfachen, wenn auch rohen Untersuchungen kommt
auch Göppert!) zu dem Schlusse, daß der größere oder geringere Gehalt
an Zellsaft für das Erfrieren der Pflanzen ganz unwesentlich ist. Die Em-
pfänglichkeit der Pflanzen für den Einfluß der Kälte sieht er in den ver-
schiedenen Zuständen der „Vitalität“, in welchen sich die Pflanze in ihren
verschiedenen Entwicklungsstufen befindet. Nur dann ist der Wassergehalt
den Pflanzen schädlich, wenn sie durch Aufnahme einer zu großen Feuchtigkeits-
menge in einen kränklichen Zustand versetzt worden sind, oder wenn ihre
Entwicklung direkt gehemmt wurde.
Auf ein besonderes Verhalten des jüngeren Protoplasmas im Gegensatz
zum älteren weisen in gleichmäßiger Übereinstimmung sowohl die von Molisch
und Mez gewonnenen Resultate hin, wie auch nicht veröffentlichte, welche
Daehne bei der Untersuchung absoluter Kältetodespunkte niederer Wasser-
organismen gewonnen hat. Daehne hat gefunden, daß bei der Abkühlung
von Enteromorpha intestinalis der Todespunkt bereits länger ausgebildeter
DiGSppert, 1. e.18297.
253
Zellen ein höher liegender ist, als derjenige von jüngeren Zellen, deren Teilung
eben erst erfolgt ist. Für derartige Versuche ist Enteromorpha intestinalis
ein vortreffliches Objekt, weil bei der Einschichtigkeit des aufgeschlitzten
Thallus die Zellen in ein sehr regelmäßiges Netz geordnet sind und daher
alle völlig gleichmäßig übersehen und beurteilt werden können. Der Eintritt
des Todes kann sowohl durch eine geringe Verfärbung der Zellen, wie ins-
besondere durch die sofortige Desorganisation des Protoplasmas (körniger
Zerfall desselben) aufs leichteste beobachtet werden; auch ermöglicht sich hier
die plasmolytische Reaktion auf Leben oder Tod mit besonderer Sicherheit.
Ferner hat Enteromorpha intestinalis die für die Untersuchung günstige
Eigenschaft, daß bei ihr frisch gebildete Zellwände durch geringere Dicke
der trennenden Membran mit Leichtigkeit als jugendlich erkannt werden
können, auch wenn die neu gebildeten Zellen bereits zur gleichen Größe
wie die umliegenden herangewachsen sind.
Daehne hat beobachtet, daß diese jugendlichen Zellen einen wesentlich
tieferen Erfrierpunkt aufweisen als die umgebenden älteren. Über die ab-
soluten Erfrierpunkte wird Daehne voraussichtlich selbst genauere Angaben
machen. Wodurch diese Eigenschaft des jüngeren Protoplasmas, diese kon-
statierte Kälteresistenz, welche diejenige der älteren Zellen übersteigt, bedingt
wird, kann bis jetzt noch nicht mit Sicherheit entschieden werden. Es wäre
nicht unmöglich, daß es sich um Ernährungsdifferenzen des Protoplasmas
handelt.
Durch Noll!) und Göbel?) wurde in klarer Weise auf die Eigenschaft
der jugendlichen Zellen hingewiesen, daß diese gleichwie Parasiten die
Nährstoffe aus dem umliegenden Gewebe an sich reißen. Durch Molisch’)
wurde die interessante Entdeckung gemacht, daß bei mehreren Blättern
(Nicotiana Tabacum, Primula sinensis, Campanula pyramidalıs u. a.) die
Schließzellen der Spaltöffnungen eine wesentlich höhere Kälteresistenz auf-
weisen als die übrigen Zellen der Epidermis.
Es ist bekannt, daß die Spaltöffnungsschließzellen bei den allermeisten
höheren Pflanzen und speziell bei den von Molisch untersuchten sich vor
den übrigen Epidermiszellen durch den Besitz von Chlorophylikörnern, das
heißt durch eigene Assimilation, auszeichnen. Die mechanische Erklärung
Schwendeners‘) über die Funktion der Schließzellen als Öffnungs- und
Schließungsmechanismus der Spaltöffnung hat zur Voraussetzung, daß die
gebildeten Assimilate in größerer Menge in den Schließzellen verbleiben und
nicht, wie dies in den eigentlichen Assimilationsgeweben der Fall ist, rasch
1) Noll, Beobachtungen und Betrachtungen über embryonale Substanz. Biolog.
Zentralblatt, Band XXIII. S. 281, 321, 401.
?2) Siehe auch Göbel, Die Regeneration. Wissensch. Ergebnisse des intern.
botanischen Kongresses, Wien 1905 S. 226.
3) Molisch, 1. c. S. 30—33.
#) Schwendener, Monatsberichte der Berl. Akademie 1881 S. 833. Sitzungs-
berichte der Berl, Akademie 1889 S. 65.
254
in unlösliche Form umgewandelt beziehungsweise abgeführt werden. Aus
dieser Anhäufung von Assimilaten in den Schließzellen, und zwar aus einer
Anhäufung in osmotisch wirksamer Form (Zucker) wird von selbst eine
besonders intensive Ernährung der Protoplasten der Schließzellen verständlich.
Ich lasse es aber dahingestellt, ob diese Erklärung, welche rein
spekulativer Art und, was die Kartoffel betrifft, vor der Hand jeder experi-
mentellen Prüfung unzugänglich ist, mit der Wirklichkeit übereinstimmt.
Eine gewisse Erklärung, warum gerade die jungen Zellen eines Gewebes
vor den älteren eine erhöhte Kälteresistenz voraushaben, dürfte aber auf
dem angegebenen Wege doch möglich sein. Denn hier sei auch auf die
Erfahrung der Praxis hingewiesen, welche gezeigt hat, daß gut ernährte
Bäume gegen Kälte wesentlich widerstandsfähiger sind, als schlecht ernährte !).
Derartige Erwägungen, wie ich sie hier bezüglich des Ernährungszustandes
des Protoplasmas angedeutet habe, sind auch anderen nicht fremd. Vor
allem weist Müller-Thurgau!) darauf hin. Er ist der Ansicht, daß alles,
was die Ernährung einer Pflanze nachteilig beeinflußt, auch die Widerstands-
fähigkeit gegen Frost vermindert. Durch Förderung des Assimilationsvor-
ganges wird eine Kräftigung der Pflanzen erzielt. Je besser die überwinternden
Teile der Pflanze mit Reservestoffen versehen sind, desto eher werden sie
im allgemeinen dem Froste zu widerstehen vermögen. Er läßt es unent-
schieden, ob die Reservestoffe selbst schützend wirken, oder ob durch die
gleichen Umstände, durch welche die Assimilation begünstigt wird, auch die
Widerstandsfähigkeit der Protoplasten gesteigert wird. Müller-Thurgau?)
macht auch darauf aufmerksam, daß für die größere Frostempfindlichkeit
im Warmhaus gezogener Pflanzen nicht nur die Anpassungsmöglichkeit her-
anzuziehen ist, sondern daß auch hier Ernährungsvorgänge eine Rolle spielen
könnten. Die im Warmen gewachsenen Stengel und Blätter sind infolge
ihres raschen Wachstums weniger gut ernährt, was sich schon dadurch
kund gibt, daß sie im selben Entwicklungsstadium reicher an Wasser sind
als Pflanzen, welche bei niederer Temperatur gezogen wurden.
Die gleiche Hypothese, daß die Frostresistenz innerhalb gewisser Grenzen
zusammenhängt mit dem Ernährungszustand der Protoplasten, macht auch das
Verhalten der Kartoffelknolle bei verschiedenen Temperaturen verständlich.
Müller-Thurgau°) weist in seinen Untersuchungen über die Zucker-
bildung in kaltlagernden Kartoffeln darauf hin, daß bezüglich des Proto-
plasmas von einem Hunger- und einem Sättigungszustand gesprochen werden
kann. Der Hungerzustand macht sich in der Weise geltend, daß der ge-
samte aus der Stärke gebildete Zucker sofort verbraucht wird, während im
gesättigten Zustande ein Überschuß von Zucker im Zellsaft vorhanden ist.
1) Müller-Thurgau, Über das Erfrieren der Pflanzen. Landw. Jahrb. XV.
1835 S. 543— 545.
2) Müller-Thurgau, |. c. S. 543.
39) Müller-Thurgau, Landw. Jahrb. XI. 1332 S. 774 u. 789.
255
Nach Müller-Thurgau!) liegt, wie oben bereits erwähnt, die Grenze
dieser beiden Zustände des Kartoffelprotoplasmas ungefähr bei — 10°.
Da nun nach meinen Untersuchungen mit herabgesetzter Außentemperatur
die Kälteresistenz steigt und da nach den zitierten Untersuchungen von
Miüller-Thurgau der Ernährungszustand des Protoplasmas mit herab-
gesetzter Außentemperatur sich bessert, mit steigender Außentemperatur
aber sich mindert, so würden meine Anschauungen über die Ursachen der
verschiedenen Kälteresistenz verschieden behandelter Kartoffelteile mit denen
von Miüller-Thurgau in diesem Falle aufs vortrefflichste übereinstimmen.
III. Spezielle Fragen.
a) Ersatz einer einmaligen tiefen Temperatur durch lang-
andauernde etwas höhere Temperatur.
Im Laufe der Untersuchungen drängte sich die Frage auf, ob ein ein-
maliges Herabsinken der Temperatur unter das spezifische Minimum ersetzt
werden kann durch längeres Verweilen der Pflanze bei einer Temperatur
wenig über ihrer Todestemperatur. Diese Frage ist von theoretischem In-
teresse; sie betrifft nämlich die Grundanschauungen über den Kältetod des
Protoplasmas. Wenn eine kurzandauernde tiefe Erniedrigung der Tempe-
ratur durch eine länger andauernde etwas geringere Erniedrigung ersetzt
werden kann, so ist es wahrscheinlich, daß der Tod des Protoplasmas
durch Energieentzug eintritt. Ist dagegen dieser Ersatz nicht möglich,
sondern wird der Tod nur durch Abfallen der Temperatur unter das spe-
zifische Minimum bedingt, so dürften es Zerfallerscheinungen im Protoplasma
sein, welche zum Tode führen (vgl. oben S. 217).
Diese Frage ist schon von Göppert?) in Angriff genommen worden.
Er ging bei seinen Versuchen von der Beobachtung aus, daß bei der Ein-
wirkung vorübergehender nächtlicher Fröste auf exotische Gewächse, die
im Freien als einjährige oder in Töpfen als perennierende Pflanzen gezogen
werden, in den meisten Fällen nur einzelne Teile, einzelne Blätter erfrieren,
die ganzen Pflanzen aber keineswegs getötet werden, obgleich in solchen
Nächten die Kälte oft — 2 bis — 3° beträgt. Dieselben Pflanzen werden
aber schon bei — 1° getötet, wenn die niedere Temperatur 24 bis 28
Stunden anhält. Die von Göppert untersuchten Pflanzen befanden sich
in Töpfen und wurden an den geeigneten Tagen der Einwirkung der
Atmosphäre übergeben. Reichte die Kälte hin, ihre Säftemasse völlig zum
Erstarren zu bringen, so fand er alle in der heißen Zone ursprünglich
einheimischen Gewächse nach dem Auftauen vernichtet.
Diese Untersuchungen Göpperts können meiner Meinung nach nicht als
für unsere Fragestellung entscheidend angesehen werden, da nicht feststeht,
1) Müller-Thurgau, |. e. S. 74.
2) Göppert, |. e. S. 63—65.
256
bei welcher Temperatur das spezifische Minimum der untersuchten Pflanzen
liegt und wieweit und wie lange sie abgekühlt wurden. Vor allem aber
wissen wir nicht, welche Temperatur im Innern der Pflanzen selbst vor-
handen war, da diese sich durch Ausstrahlung tief unter die Temperatur
der umgebenden Luft abkühlen können !).
Hier sind ferner die Untersuchungen von Molisch?) zu berücksichtigen, .
welcher fand, daß in einer Temperatur zwischen + 1,4 und + 3,7° die
Blätter von Episcia bicolor Hook. nach 18 Stunden, mitunter auch schon
früher, zahlreiche braune Flecke zeigten. Aber auch hier ist nicht bewiesen,
ob dieser Tod nicht auch durch ein Herabsinken der Temperatur unter das
spezifische Minimum herbeigeführt worden ist. Der Kältetodespunkt dieser
Pflanze ist nicht bekannt, doch dürfte er über 0° liegen, wie ich aus fol-
genden Angaben Molischs schließe: Blätter von Episcia bicolor wurden
in Eiswasser gelegt und in einem Kalthause aufbewahrt, dessen Temperatur
— 2 bis — 5° hatte. Die Temperatur des die Blätter umgebenden Wassers
war O0 bis — 1°. Einzelne Blätter zeigten schon nach drei Stunden braune
Flecken, waren also getötet. Die Blätter waren hier also bei + 1° unter
das spezifische Minimum abgekühlt; denn das Verfärben der erfrorenen
Teile wird, ganz entsprechend dem Verhalten der Kartoffel, nicht sofort
mit dem Tode der betreffenden Gewebe eintreten, sondern erst nach einigen
Stunden bemerkbar werden. Es ist nun aber sehr leicht möglich, daß der
Kältetodespunkt von Episcia bicolor noch höher liegt und daß sie schon
bei einer Temperatur (+ 1,4°) erfriert, wie sie das Kalthaus bei seinen
Temperaturschwankungen aufwies.
Im Gegensatz zu Episcia bicolor steht das Verhalten mehrerer anderer
(Eranthemum nervosum R. Br., Sinningia Lindeni, Euphorbia splendens Boj.)
Pflanzen, die nach Molisch’s®) Angaben erst nach 20tägigem Aufenthalt
im Kalthause absterben. Ich halte dafür, daß es sich hier nicht um einen
primären Tod durch Erfrieren handelt, sondern daß das Absterben dieser
Pflanzen als eine sekundäre Folgeerscheinung der kalten Temperatur anzu-
sehen ist. Durch die Kälte werden viele Lebensprozesse gestört. Die
Atmung sinkt auf ein Minimum herab, der osmotische Austausch zwischen
den Zellen ist, wenn überhaupt noch vorhanden, so doch nur noch sehr
gering. Es können sich schädliche Stoffwechselprodukte ansammeln, die
das Protoplasma töten, es kann schon durch die Kälte an und für sich
eine Störung im chemischen Aufbau und in der Tätigkeit des Plasmas her-
beigeführt werden. Aus einem solchen Grunde erklärt sich wohl auch das
von Pfeffer?) beobachtete Absterben der Keimwurzeln von Oucurbita Pepo
und Phaseolus vulgaris, nachdem sie vier Wochen bei O bis + 1° verweilt
hatten. In allen diesen Fällen ist, um mich kurz auszudrücken, nicht aus-
I) Vgl. Pfeffer, Pflanzenphysiol. II. S. 304.
2) Molisch, 1. ec. S. 56—65.
3) Molisch, |. ce. S. 61, 62. 4, Pfeffer, |. c. S. 298.
ee
geschlossen, daß kein echter Erfriertod, sondern eine durch niedere Tem-
peratur bedingte letal endende Krankheit der Pflanzen vorlag.
Ich suchte die Frage, ob einmaliges Überschreiten des spezifischen
Minimum durch länger andauerndes Verweilen dicht über der Todestemperatur
ersetzt werden kann, auf folgende Weise zu lösen: Von einer Anzahl Kar-
toffeln wurden je drei gleiche Stücke ausgewählt. Das eine derselben wurde
zur Bestimmung des Todespunktes benutzt, das zweite in der Weise be-
handelt, daß die Temperatur des Todespunktes gerade eben einen Augen-
blick lang erreicht wurde, während das dritte Stück verschieden lange Zeit
wenig über der Todestemperatur gehalten wurde. Um die Temperatur des
Untersuchungsobjektes auf einem gewünschten Punkte beliebig lange halten
zu können, ersetzte ich das kleine Gefriergefäß durch ein großes von un-
gefähr einem Liter Inhalt. Das Wasser, in dem ich bisher die Kartoffel-
stücke hatte gefrieren lassen, ersetzte ich durch ein Gemisch von Wasser
und Glyzerin. Glyzerin hat die Eigenschaft, den Gefrierpunkt des Wassers
bedeutend herabzusetzen. Durch Zusatz einer geringen Menge von Glyzerin
oder von Wasser hatte ich es in der Hand, den Gefrierpunkt des Gemisches
um Bruchteile eines Skalenteils zu erhöhen, beziehungsweise zu erniedrigen.
Das Untersuchungsobjekt konnte ich auf diese Weise mit Leichtigkeit mehrere
Stunden hindurch bei derselben Temperatur halten.
1. Versuchsreihe:
Die Kartoffel erfror bei 38,5 Skalenteilen —= 2,63°. Stücke einen
Augenblick auf — 38,7 Skalenteile = — 2,65° abgekühlt, waren erfroren.
Stücke eine halbe Stunde bei 32,5 bis 33 Skalenteilen — — 2,22 bis 2,26
lebten.
2. Versuchsreihe.
Die Kartoffel erfror bei 39,2 Skalenteilen oder bei — 2,68°. Stücke
einen Augenblick auf 39,5 Skalentele = — 2,70° abgekühlt, waren er-
froren. Stücke eine Stunde bei 33,5 bis 34,5 Skalenteilen — — 2,29 bis
— 2,36 ° gehalten, lebten. Desgleichen Stücke, welche zwei Stunden zwischen
24,5 bis 25,0 Skalenteilen = — 1,65 bis 1,71° gehalten wurden.
3. Versuchsreihe.
Die Kartoffel erfror bei 39,0 Skalenteilen —= — 2,67°. Stücke einen
Augenblick auf 39,5 Skalenteile = — 2,70° abgekühlt, waren erfroren.
Stücke eine Stunde bei 33,0 bis 33,5 Skalenteilen — — 2,22 bis — 2,29
gehalten, lebten.
4. Versuchsreihe.
Die Kartoffel erfror bei 38,7 Skalenteilen — — 2,65°. Stücke einen
Augenblick auf 38,9 Skalenteile = — 2,67° abgekühlt, waren erfroren.
Stücke zwei Stunden zwischen 33,7 bis 34,0 Skalenteilen = — 2,31 bis
— 2,33° gehalten, lebten.
Aus den dargestellten Untersuchungsergebnissen geht hervor, daß eine
einmalige tiefe Abkühlung, wenigstens bei der Kartoffel, nicht durch länger
258
anhaltende weniger tiefe Kälte ersetzt werden kann; dementsprechend sehe
ich in dem Kältetod der Kartoffelstücke eine Zerfallerscheinung ihres Proto-
plasmas und befinde mich so mit der bereits oben angegebenen Definition
von Pfeffer!) und Mez?) bezüglich des Kältetodes in Einklang, welche
in diesem Tode das Resultat einer Erniedrigung der Temperatur unter das
spezifische Minimum der betreffenden Pflanzen sehen.
b) Wirkung öfters wiederholt eintretender Kälte.
Die letzte Frage, deren Untersuchung mir oblag, betraf das von Göppert°)
bereits behandelte Problem, welchen Einfluß wiederholt einwirkende, aber
den absoluten Todespunkt nicht erreichende Kälte ausübt. Eine lange Er-
fahrung hat bisher mit ziemlicher Gewißheit nachgewiesen, daß niedere
Temperatur am nachteiligsten einwirkt, wenn Wärme und. Kälte in kurzen
Zwischenräumen häufig wechseln. Göppert nimmt an, daß durch die
wiederholten Fröste und durch das darauf folgende Auftauen die Intensität
des Lebens vermindert wird und so Pflanzen bei Frostgraden zugrunde
sehen, bei denen sie unter gewöhnlichen Umständen nicht beschädigt
worden wären.
Aus Göpperts Versuchen geht hervor, daß Pflanzen wohl mehrmals
unter 0° abgekühlt werden können, daß sie aber bei oftmaliger Wieder-
holung absterben. Er ließ Euphorbia Lathyris bei — 4° völlig erstarren.
Daß diese Pflanze gefroren ist, läßt sich leicht daran erkennen, daß die
Blätter, die im gewöhnlichen Zustande wagerecht ausgebreitet sind, mit
ihren Spitzen sich senken, so daß sie dem Stengel anliegen. Als er die
Pflanze darauf in ein warmes Zimmer von — 18° brachte, taute sie bald
auf und die Blätter nahmen ihre ursprüngliche wagerechte Stellung wieder
ein. Ganz ebenso verhielt sich Euphorbia Lathyris, als sie an demselben
Tage noch zweimal, und am folgenden Tage dreimal bei ziemlich gleicher
Temperatur gefrieren lassen wurde. Beim Auftauen nahmen die Blätter
fast mit derselben Schnelligkeit ihre Anfangsstellung wieder ein. Jedoch
schon in den letzten Versuchen erhoben sich die Blätter nieht mehr völlig
zu der horizontalen Lage, am dritten Tage endlich fand dies fast gar nicht
mehr, oder doch nur in geringerem Grade statt. Die Pflanze sezernierte
zwar noch Milch, starb aber im Verlauf von acht Tagen ungeachtet sorg-
samer Pflege. Die Pflanze war also hier infolge wiederholter Einwirkung
relativ geringer Frostgrade vernichtet, denn Euphorbia Lathyris hält im
Freien im unbedeckten Zustande 10 bis 12° unter Null längere Zeit hin-
durch aus, ohne geschädigt zu werden.
Zu ganz ähnlichen Ergebnissen führten die Versuche, die Göppert mit
Lamium purpureum, Alsine media, Capsella Bursa pastoris, Poa annua,
Senecio vulgaris, Chelidonium majus, Statice Armeria, Cheiranthus Cheirt,
1) Pfeffer, ]. ec. S. 314—318. 2)7Mez, I. e.S. 9b:
3) Göppert, l. ce. S. 61, 62.
259
Brassica oleracea, Helleborus niger anstellte. Diese Pflanzen wiesen keine
Beschädigungen auf, wenn sie vier- bis sechsmal hintereinander — 3 bis — 4°
ausgesetzt wurden, wurde jedoch das Experiment häufiger wiederholt, so
gingen sie alle zugrunde, obgleich die ersten fünf Pflanzen im Freien, ohne
segen die Kälte geschützt zu sein, — 9 bis 10° und die übrigen sogar
— 12 bis — 13° aushalten, ohne dabei von der Kälte vernichtet zu werden.
Eine Andeutung eines ganz ähnlichen Verhaltens der Kartoffelknolle bei
wiederholter Abkühlung und darauf folgender Erwärmung finden wir ebenfalls
bei Göppeert!) erwähnt bei der Wiedergabe der Untersuchungen, die Einhof
über die chemische Veränderung in der Kartoffel infolge von Einwirkungen des
Frostes beschrieben hat. Einhof?) fand zunächst die bereits oben von mir
im Anschluß an Versuche von Müller-Thurgau ausführlich behandelte Er-
scheinung der Zuckerbildung in kalt lagernden Kartoffeln auf, ferner aber
machte er die für die vorliegende Frage interessante Beobachtung, daß die
süßgewordenen Kartoffeln an Süßigkeit zunahmen, wenn sie abwechselnd einer
Temperatur von 8 bis 12° Reaumur über und 1 bis 2° Reaumur unter dem
Gefrierpunkt ausgesetzt wurden. Indessen vermochten sie den Wechsel dieser
Temperatur nicht oft zu ertragen, ohne dabei getötet zu werden.
Bei meinen eigenen Untersuchungen betrefis der Frage, ob die Kartoffel
mehrmalige Abkühlung bis kurz über ihren Erfrierpunkt aushalte, bin ich
auf folgende Weise vorgegangen: Von einer großen Kartoffel stellte ich
den Todespunkt fest. Andere Stücke derselben Kartoffel wurden in der
Weise behandelt, daß sie teils ein-, teils mehrmals in rascher Folge fast bis
zu ihrem Erfrierpunkte abgekühlt wurden. Die nachfolgenden Tabellen -
geben die Resultate dieser Untersuchungen wieder.
Tabelle 21.
Wirkung öfters wiederholter Abkühlung.
Die untersuchte Kartoffel erfror bei 32,0 Skalenteilen = — 2,20°.
2. Versuch
Abgekühlt auf
1. Versuch
Abgekühlt auf
wieder erwärmt wieder erwärmt
25,2 Skalenteile
25,2 Skalenteile
26,4 = + 15° 24,1 - + 15°
23,2 - + 15° 24,8 - + 15°
Das Stück lebte. Das Stück lebte.
3. Versuch 4. Versuch
Abgekühlt wieder erwärmt Abgekühlt wieder erwärmt
24,6 54,5 22,1 12,0
25,7 26,2 25,2 22,5
23,3 34,0 24,9 18,0
25,4 23,5 36,9
25,6
Das Stück lebte,
1881 S.
Das Stück lebte.
I) Göppert, |. ec. S. 35; siehe auch Müller-Thurgau, Landwirt. Jahrb. XI.
2) Einhof, Chemische Untersuchungen der Kartoffel in Gehlens Neuem allgem.
Journal der Chemie. 4. Band, Berlin 1805 S. 473 u. ft.
Beiträge zur Biologie der Pflanzen, Bd, IX, Heft II. 17
260
Tabelle 22.
Wirkung öfters wiederholter Abkühlung.
Die untersuchte Kartoffel erfror bei 34,0 Skalenteilen —= — 2,339.
1. Versuch.
Abgekühlt Erwärnit
27,0 15,0
28,5 11,0
28,0 14,0
28,5 22,5
28,5 28,5
29,0
Dieses Stück war sehr geschwächt. Das Leben war nicht ganz sicher festzustellen.
2. Versuch. 3. Versuch.
Abgekühlt Erwärmt Abgekühlt Erwärmt
32,2 14,0 26,5 5,0
29,0 23,0 28,5 10,0
31,3 25,3 21,5 4,0
32,5 8,0. © 27,5 28,0
28,3 8,5 27,0 27,0
29,0 7,0 29,2 31,0
30,0 18,5 28,5 17,5
30,0 29,0 7,2
Das Stück war völlig erfroren. 29,0 18,6
23,8
Das Stück war erfroren,
Meine Untersuchungen bestätigen, wie aus den Tabellen ersichtlich ist,
die Angaben Göpperts im allgemeinen und die Einhofs im besonderen.
Die Kartoffelknolle verhält sich fast genau so, wie die von Göppert unter-
suchten grünen Pflanzen. Auch die Kartoffel kann mehrmals abgekühlt
werden, ohne dadurch geschädigt zu werden. Wird sie aber sechsmal einer
Temperatur ausgesetzt, die nahe bei ihrem Todespunkte liegt, so wird sie
schwer geschädigt. Wird sie noch häufiger abgekühlt, so wird sie getötet.
Dieses Verhalten erklärt sich aus dem Pfefferschen!) Satz, daß keine
Inanspruchnahme ganz spurlos an den Pflanzen vorübergeht.
Dureh meine Untersuchungen wird die von Göppert und mit ihm von den
praktischen Landwirten und Gärtnern behauptete Tatsache, daß wiederholter
Frost geringerer Grade unter Umständen mehr schädige als einmal erreichte
tiefe Temperatur, experimentell bewiesen. Göpperts Versuche können nicht
als beweiskräftig angesehen werden, weil bei ihnen die Innentemperaturen der
Versuchspflanzen nicht ermittelt worden sind. Dies ist aber völlig unerläßlich.
Es sei hier nur daran erinnert, daß ein ins Freie gestellter Pflanzenteil
keineswegs nur bis zu der Temperatur abgekühlt zu werden braucht, welche
das Quecksilberthermometer in der umgebenden Luft angibt, sondern daß, wie
allgemein bekannt), infolge der Strahlung unter Umständen im Innern der
Pflanzen erheblich tiefere erreicht werden.
3, Pfeffer, 1. e..3.901: ArPfeffer,.]. 0, .S..90%
261
Auf der anderen Seite ist von Müller-Thurgau!) und mit besonderem
Nachdruck von Mez?) darauf hingewiesen worden, daß infolge der beim
Gefrieren eintretenden Produktion latenter Wärme die Teemperaturkurve im
Innern eines Organes keineswegs der Außentemperatur parallel zu verlaufen
braucht, sondern daß sie, und zwar nun nach oben hin, im Innern aufs
wesentlichste von der Außentemperatur abweichen kann.
Bevor diese und ähnliche Fehlerquellen nicht experimenteli sorgfältig aus-
geschaltet sind, ist die Behauptung, daß eine Pflanze eine gewisse Temperatur
infolge ihres Aufenthaltes in Luft von dieser Temperatur angenommen haben
müsse, unbewiesen und kann vollkommen unrichtig sein. Erst genaue
Messungen über die erreichte Temperatur im Innern geben die Berechtigung,
Schlüsse zu ziehen, wie sie Göppert im Vorstehenden gezogen hat.
Diese Schlüsse sind richtig. Auch nach meinen Versuchen kann die
Kartoffel bei einer wesentlich über ihrem Erfrierpunkt liegenden Temperatur
getötet werden dadurch, daß man sie oft abkühlt.
Auch diese Erfahrung spricht aufs klarste gegen die physikalische Er-
frierungslehre und deutet an, daß es sich bei dem Kältetod der Pflanzen um
einen Protoplasmazerfall handle, welcher nicht durch Wasserentzug erklärt
werden kann. Denn klarer Weise kann bei den häufig sich folgenden Gefrier-
und Auftauversuchen innerhalb der kurzen Zeit (meine Versuche haben jeweils
den Zeitraum eines Vor- oder Nachmittags nicht überschritten) die Zusammen-
setzung des Zellsaftes sich nicht wesentlich geändert, jedenfalls nicht derart
umgewandelt haben, daß wesentlich andere Gefrierpunkte beim Erstarren der
osmotisch wirksamen Lösungen hätten vorhanden sein können. Es muß also
die Konstitution des Protoplasmas sein, welche für die Lage der Erfrierpunkte
maßgebend ist. Wie diese Veränderung eintritt und sich kennzeichnet, ist
durch die Versuche dargelegt; worauf sie beruht, steht völlig dahin.
Die Veränderung des Protoplasmas ist der Grund für die höhere Lage
des Todespunktes bei öfters rasch abgekühlten Kartoffelstücken in völlig
gleicher Weise wie es eine Veränderung des Protoplasmas ist, welche bei
warmgelegten Kartoffeln den Todespunkt gleichfalls in die Höhe schnellen
läßt. Diese Veränderung des Protoplasmas bedeutet in praktischer Be-
ziehung eine Schwächung desselben und macht sich nicht nur bezüglich der
Todespunkte bemerklich, sondern kann, wie schon Göppert klar hervor-
hebt, wenn der Tod nicht gewollt wird, eine Erkrankung der Pflanzen be-
wirken, welehe zum Tod führt.
Für die Lehre von dem Erfrieren der Pflanze hat aber diese Krankheit
eine geringere Bedeutung, weil ihre physikalische Unterlage, was die Kon-
stitution des Protoplasmas betrifft, vor der Hand nicht erforschbar ist und
weil die Symptome der Erkrankung selbst mit dem Kältetod als solchem
im strengsten Sinne nichts zu tun haben.
!) Müller-Thurgau, Landw. Jahrb. 1886 S. 454 u. 486 u, ff.
2) Mez, l. c. S. 94.
17%
262
Inhaltsangabe.
A. Einleitung.
a) Grundlagen der Untersuchungen .
b) Aufgaben meiner Untersuchungen
e) Technik der Untersuchungen '
d) Kurze Darstellung der Ergebnisse -
B. Untersuchungen über den Kältetod der rec
I. Das Erfrieren der Kartoffelknolle:
a) Die absoluten Todespunkte von „Magnum bonum“.
1. Untersuchungen über das Verhalten verschiedener Teile der-
derselben Knolle e s .
2. Der Einfluß plötzlicher Temperaturschwrankangen : e
3. Abhängigkeit der Erfrierpunkte von der Außentemperatur .
4. Der Einfluß der Zuckerbildung auf die Erfrierpunkte
. Geschwindigkeit der Anpassung an die Außentemperatur
b) Das Erfrieren der Maltakartoffel .
II. Das Erfrieren der Kartoffeltriebe.
1. Die Kältetodespunkte durch Außentemperaturen beeinflußt.
2. Verhalten verschiedener Teile der Triebe .
3. Die Kältewiderstandsfähigkeit embryonaler Gewebe
or
III. Spezielle Fragen.
a) Untersuchungen über den Ersatz kurzdauernder tiefer durch lang-
dauernde etwas höhere Temperatur
b) Untersuchungen über wiederholt einwirkende Kälte
215—217
217—219
219 — 220
220—222
222—223
223—226
226—233
233—240
240— 244
244—246
246—249
249— 251
251—255
255—258
258 —261
Einfluss der Beleuchtung auf die heliotropische
Stimmung.
(Aus dem pflanzenphysiologischen Institut der Universität Breslau.)
Von Ernst Pringsheim jun.
Einleitung.
Ba Gelegenheit einer früheren Arbeit über Heliotropismus (19) hatte
ich mir vorgenommen, den Gründen nachzugehen, die zu der Laboratoriums-
regel geführt haben, daß zu feineren Versuchen über die Lichtkrümmungen
der Pflanzen etiolierte Keimlinge genommen werden sollen. Welche Vorteile
werden dabei erreicht, worin zeigt sich überhaupt der Einfluß vor-
hergehender Verdunkelung oder Beleuchtung auf die helio-
tropische Krümmung?
Nur natürlich ist es, daß man die Objekte dem in Richtung und Stärke
wechselnden Einfluß der Sonnenbeleuchtung entzog, um gerades, gleichmäßig
reagierendes Material zu bekommen. Das war aber offenbar nicht der
einzige Grund; man beabsichtigte, wie das an vielen Orten ausgesprochen
ist, einen günstigen Einfluß auf die Empfindlichkeit der verwendeten Keim-
pflanzen. Welcher Art aber dieser Einfluß im einzelnen ist, darüber finden
sich nur an wenigen Stellen in der Literatur Angaben, die sich noch dazu
scheinbar widersprechen. In Wirklichkeit fügen sie sich sehr gut einer
einheitlichen Betrachtungsweise, nur waren die hierauf zielenden Beob-
achtungen — Experimente scheint niemand angestellt zu haben — zu
spärlich, als daß ein klares Bild zu zeichnen möglich gewesen wäre.
264
Literaturbesprechung.
Die ersten Angaben über den Einfluß der Vorbeleuchtung auf die Licht-
reaktion fand ich in Strasburgers Arbeit über die Schwärmsporen (29, 39).
Er gibt an, daß die bei starker Beleuchtung erwachsenen Schwärmer sich
nach einer Lichtintensität hin bewegen, die auf solche, die in schwachem
Licht gewachsen sind, schon abstoßend wirkt.
Für phanerogame Keimlinge findet Wiesner (30, I, 9), der, ohne den
Grund anzugeben, schon ganz im Anfang seiner Monographie über den
Heliotropismus, seine Pflanzen und sogar Weidenzweige etioliert benutzt, daß
die im Dunkeln gewachsenen Pflänzchen „empfindlicher“ sind als am Licht
gewachsene, d. h. daß sie vor seiner Gasflamme schneller reagieren. Auch
Wiesners Versuche, die untere Intensitätsschwelle für die heliotropische
Reaktion aufzufinden (31), wurden daher, ebenso wie die seines Schülers
Figdor (5) mit etiolierten Pflanzen angestellt, da, wie letzterer sagt „es
bekannt ist, daß etiolierte Pflanzen »lichtempfindlicher« sind als am Licht
gezogene“. Große Empfindlichkeit wird also als gleichbedeutend mit tiefer
Lage der Reizschwelle angesehen, bei Wiesner aber, wie eben gesagt,
auch mit schneller Reaktion.
Es folgt Oltmanns (20) mit seiner Arbeit über photometrische Be-
wegungen, in der das durch Strasburger bekannte zum Teil gerade nach
der für uns wichtigen Seite hin weiter ausgebaut wird. Er achtet genauer
auf die Wirkung der Belichtung auf die innere Disposition, was z. B. daraus
hervorgeht, daß er (20, 190) ausdrücklich hervorhebt: „Auch von der vor-
gängigen Beleuchtung ist die Lichtstimmung abhängig. Es konnte eine
Differenz zwischen beiden Kästen (mit Volvox) insofern konstatiert werden,
als in dem einmalig verdunkelten eine unverkennbare Neigung der Kugeln
vorhanden war, mehr ins Dunkle zu gehen.“ Und weiterhin (p. 231): „Von
der vorgängigen Beleuchtung sehen wir die Sprossen ebenso abhängig wie
die phototaktischen Pflanzen.“ Wie Oltmanns als erster den Zusammen-
hang zwischen Lichtintensität und Heliotropismus richtig erfaßte, so ist bei
ihm auch der Einfluß der Vorbelichtung auf die heliotropische Stimmung klar
hervorgehoben und diese als innere Disposition von den äußerlich sichtbaren
Merkmalen des Etiolements unterschieden!), Aus allen diesen Angaben
1) Wie ich aus eigenen Beobachtungen hinzufügen kann, hat die Schnelligkeit
des Wachstums, die bei etiolierten Pflanzen auch nach dem Wechsel der Beleuchtung
eine Zeitlang größer ist als bei am Licht gezogenen, keinen Einfluß auf die Länge
der Reaktionszeit, denn etiolierte und ergrünte Pflanzen begannen ihre geotropische
Krümmung gleich schnell, wenn sie im Dunkeln wagerecht gelegt wurden. Dagegen
hat starke Beleuchtung einen verzögernden Einfluß auf die geotropische Aufrichtung,
der vielleicht einfach in der Wirkung auf das Wachstum seine Ursache hat und bei
hoher Intensität beinahe zur Sistierung der Aufkrümmung führen kann,
Daß auch der Mangel des Ergrünens im Dunkeln für die Veränderung der Dis-
position nicht in Betracht kommt, läßt sich leicht mit Hilfe der Sachsschen Glocke
265
seht also hervor, daß im Dunkeln gewachsene Pflanzen „empfindlicher“ sind,
d.h. daß sie eine niedrigere Reizschnelle haben und auf eine, diese etwas über.
schreitende Intensität schneller reagieren als am Sonnenlicht gewachsene.
Nun ist es aber andererseits bekannt, daß es eine Lichtintensität gibt,
von der ab bei weiterer Verstärkung die Reaktionszeit nicht mehr ab-,
sondern zunimmt. Wird dieser Punkt bei Pflanzen, die an Licht „gewöhnt“
sind, nicht auch verschoben sein, solchen gegenüber, die im Dunkeln ge-
wachsen sind? Und in welcher Weise?
Auch darüber finden wir bei Oltmanns eine Angabe, die aber wenig
Beachtung gefunden zu haben scheint, obgleich sie bei oberflächlicher Be-
trachtung der herrschenden Meinung von der größeren „Empfindlichkeit“
etiolierter Pflanzen zu widersprechen scheint, und bei tieferem Eingehen
Licht auf das Wesen der Stimmung zu werfen geeignet ist. In seiner
Arbeit über positiven und negativen Heliotropismus (21, 14) gibt nämlich
Oltmanns an, daß sowohl bei Bogenlicht als bei hellem Tageslicht im
Dunkeln gezogene Keimlinge langsamer reagieren als am Licht gewachsene
(vergl. loc. eit. p. 9 für Hordeum, dasselbe für Phycomyces p. 10).
An dieser Stelle ist nichts zur Erklärung dieses auffallenden Phänomens
gesagt, und doch war sich Oltmanns, wie aus gelegentlichen Andeutungen
hervorgeht, klar über das Verhältnis der Stimmungshöhe zur Reaktion bei
verschiedenen Helligkeiten. Es sei auf seine Kurve (Taf. IV, Fig. 2) und
die dazu gehörige Bemerkung auf Seite 231 seiner ersten dieses Thema
behandelnden Arbeit verwiesen (20).
Der Zusammenhang zwischen diesen Erscheinungen leuchtet aber aus
der Darstellung nicht ohne weiteres ein und wurde mir selbst erst nach
eingehenderer Beschäftigung mit dem Gegenstande und eigenen Experimenten
klar. Ich glaube daher nicht fehlzugehen, wenn ich annehme, daß das Ver-
halten verschieden gestimmter Pflanzen bei schwächerem und stärkerem Licht
nicht als allgemein bekannt gelten darf!).
Nur so sind die, mir ganz unverständlichen Angaben zu erklären, die
Czapek (2, 6) darüber macht, wie er die durch Umstimmung verursachten
Störungen vermieden haben will. Zu diesem Zwecke benutzte er diejenige
zeigen, die nur rotgelbes Licht durchläßt. Unter dieser gezogene Pflanzen ver-
halten sich wie im Dunkeln gehaltene. Dagegen reagieren solche, die unter der
Kupferoxydammoniakglocke gezogen wurden, so wie solche, die einem wenig ge-
schwächten Tageslicht ausgesetzt waren.
Ein weiterer Beweis liegt darin, daß, wie unten gezeigt wird, die Umstimmung
lange vor Beginn des Ergrünens erfolgt.
1) So teilte mir Herr Dr. Ohno mündlich eine im Pfefferschen Laboratorium
gemachte Beobachtung mit, die er sich nicht erklären konnte, die aber hierher gehört.
Er fand, daß Avena-Keimlinge, die etwa eine Stunde am Tageslicht auf dem Teller
des Klinostaten rotiert hatten, nachher vor einer Auerlampe, nur durch eine Kühl-
küvette von dieser getrennt, schneller reagierten als solche, die unmittelbar aus dem
Dunkeln kamen,
266
Lichtintensität, bei der die betreffenden Keimlinge am schnellsten reagierten,
die sogen. optimale. Da Czapek, wie ich annehme, mit etiolierten Keim-
lingen gearbeitet hat, so ist es klar, daß schon in der zum heliotropischen
Effekt führenden Beleuchtung selbst ein Grund zur Umstimmung gegeben
war. Darin bietet doch die „optimale“ Lichtstärke keinen Vorteil vor den
anderen. Meiner Meinung nach liegt nur dann nicht die „Gefahr“ der Um-
stimmung vor, wenn man mit Pflanzen arbeitet, die schon vorher in der
betreffenden Beleuchtung gewachsen sind.
Da in Pfeffers Handbuch auf die Bedeutung der Stimmungsverhältnisse
nur nebenher an verschiedenen Stellen hingewiesen ist (23, z. B. 550, 627,
773), ist aus ihm schwer ein klares Bild über den Stand der Frage zu ge-
winnen. Seiner Darstellung liegt der Gedanke zugrunde, daß die Art und
Weise, wie ein Organismus sich gegen die Einwirkungen der Außenwelt
verhält, von dessen inneren und äußeren Dispositionen durchaus abhängig
ist. Deren Gesamtheit wird allgemein als Sensibilität des betreffenden
Organismus gegen den Reizanlaß; bezeichnet (loe. eit. 548), und als Stimmung
der durch äußere oder innere Anlässe veränderliche Zustand dieser Sensi-
bilität; während ich mit etwas schärferer Fassung des Begriffes das quan-
titative Verhältnis der Reizstärke zur Größe der Reaktion als von der
Stimmung abhängig bezeichne und daher unter der Stimmungshöhe eines
Organs denjenigen physiologischen Zustand verstehe, der es bewirkt, daß
ein Reizanlaß von irgendwelcher Intensität eine Reizreaktion von einer be-
stimmten Art und Größe veranlaßt. Diese Auffassung vom Wesen der
Reizstimmung als einer spezifischen Disposition, — nicht des Gesamt-
organismus, sondern der reizbaren Struktur —, die zum Wesen der Reiz-
barkeit selbst gehört und gewissermaßen deren Steuerung, je nach den
äußeren Verhältnissen übernimmt, will ich als eins der Resultate dieser
Arbeit am Schlusse eingehender zu begründen suchen.
Im übrigen beruht meine Arbeit ganz auf der Überzeugung, die Pfeffer
wiederholt ausspricht, daß die Reizstimmung überall die Art der Reaktion
beeinflußt, und daß auf die verschiedenartigste Weise, zum Beispiel auch durch
den Reizanlaß selbst, eine Verschiebung der inneren Dispositionen statt-
finden kann. Gerade den letzten Punkt, die Verschiebung der Stimmungs-
höhe durch den tropistischen Reiz selbst, hielt ich für ein Eindringen in
das Wesen der Reizstimmungen für besonders geeignet und hoffte darin
auch Anhaltspunkte für ein späteres Studium des quantitativen Einflusses
differenter Reize zu finden.
Deshalb ist es mir, als Grundlage für die späteren Erörterungen, wichtig
festzustellen, daß Pfeffer (23, 627) der einzige ist, der ausdrücklich darauf
hinweist, daß der zur Reaktion führende, tropistische Reiz bei etiolierten
Pflanzen selbst schon ein Grund zur Erhöhung der Stimmung ist und sein
muß. Oltmanns hat diese Veränderung während der Reaktion auch be-
obachtet, aber sie offenbar auf die lange Versuchsdauer geschoben und als
eine Ausnahme gegenüber den gewöhnlichen physiologischen Experimenten
267
betrachtet, denn er ist der Meinung, daß eine Umstimmung ein langwieriger
Prozeß sei. Das geht daraus hervor, daß er (20, 231) Wiesners Befund
mit den Worten anführt: „Schon eine zwölfstündige Beleuchtung schraubt
bei etiolierten Pflanzen die Liehtstimmung bedeutend herauf“; während in
Wirklichkeit die Veränderung der Stimmung mit der Belichtung beginnt.
Aus meiner Besprechung der Literatur ergibt sich wohl, daß selbst,
wenn man alles Bekannte zusammennimmt, noch recht vieles aufzuklären
ist; folgende Fragen bleiben unbeantwortet:
1. Wie verhalten sich Pflanzen verschiedener Stimmung bei schwacher
und starker Beleuchtung ?
2. Wie lange Zeit ist nötig, um eine Veränderung der Stimmung her-
beizuführen ?
3. Kann die Stimmung in beiden Richtungen in gleicher Weise verschoben
werden oder bleibt eine einmal erreichte hohe Stimmung der Pflanze be-
stehen ?
4. Wie ist der genaue Verlauf der Kurve, die die Stärke der helio-
tropischen Reaktion bei verschiedenen Lichtintensitäten ausdrückt und wie
wird sie durch Veränderung der Stimmung beeinflußt?
5. Wie kommt die Optimumkurve zustande, die bei einer Reizintensität
schon zu sinken anfängt, wo von einem schädigenden Einfluß des Lichtes
noch keine Rede sein kann’?
Selbstverständlich ergaben sich bei der Bearbeitung dieser Fragen noch
weitere, die auch, soweit das möglich war, in Angriff genommen wurden,
so daß die Untersuchung schließlich mancherlei neues brachte. Aber auch
aus dem Angeführten geht wohl hervor, daß vieles nur durch das Experiment
zu entscheiden war und daß es geboten war, den Veränderungen im physio-
logischen Zustand durch besondere Untersuchungen nachzugehen, anstatt sie
nur als lästige „Launen“ des Objektes zu betrachten.
Methodik.
Zu meinen Versuchen bedurfte ich einer emigermaßen konstanten Licht-
quelle. Es kam also nur künstliches Lieht in einem verdunkelten Raume
in Betracht. Der erste Teil der Versuche wurde in dem Dunkelzimmer
des Breslauer pflanzenphysiologischen Institutes durchgeführt, das ich ganz
für meine Zwecke einrichten durfte. Auch hatte ich freie Hand in An-
schaffung verschiedener Apparate. In diesem Raume konnte ich, ohne Re-
flexe fürchten zu müssen, meine Pflanzen in der Diagonale bis auf 300 cm
von der Lichtquelle aufstellen. Die Wände, Decke und Tische sind matt-
schwarz gestrichen; die Stellen, welche trotzdem noch Licht zurückwarfen,
wurden mit schwarzem Tuch oder dunkelrotem Plüsch verhängt. Die Be-
nutzbarkeit des Dunkelraumes während der Tagesstunden wurde dadurch
erhöht, daß über der Tür nach außen ein Halbkreis aus Holz befestigt
wurde, an dessen Peripherie ein doppelter schwarzer Leinenvorhang an
268
einer Stange verschiebbar angebracht ist. Auf diese Weise ist es möglich
in den Raum zu gelangen, ohne Licht hinein zu lassen, indem man die
Tür erst öffnet, wenn man den Vorhang hinter sich zugezogen hat. Um
den Raum im Winter auf die nötige Temperatur zu bringen, konstruierte
ich eine Art lichtdichten Gasofens, bestehend aus zwei ineinander befestigten
Eisenblechzylindern, von denen der äußere schwarz emailliert ist. Beide
haben oben und unten einen Kranz von Luftlöchern, die aber gegeneinander
verschoben sind, sodaß kein direktes Licht herausfallen kann. Darin wurde
ein sogen. Sternbrenner mit vielen kleinen Flämmehen untergebracht, der
sehr wenig Licht produziert und auch bei größerer Kälte ausreicht, um den
nicht großen Raum auf 18—20° zu bringen. Übrigens hat, innerhalb der in
Betracht kommenden Grenzen von 17— 22°C, die Temperatur keinen deut-
lichen Einfluß auf die heliotropische Reaktionszeit. Die Schädlichkeitder Ver-
brennungsgase, die Trockenheit der Luft und andere, schwer definierbare
Einflüsse machen aber das Arbeiten im Winter (auch bei besserer Heizung,
wie ich im Leipziger botanischen Institut erfuhr) so schwer, daß ich es
vorzog, den Sommer, so gut das ging, auszunutzen. Die meisten Versuche
sind daher in den Monaten Mai bis Oktober ausgeführt. Leider stand mir
in dem beschriebenen Dunkelzimmer auch zur Beleuchtung nur Gas zur
Verfügung. Wurden aber die Versuche nicht zu lange ausgedehnt und
dazwischen gut gelüftet, so machten sich keine Störungen bemerkbar.
Fig. 1. Fig. II.
Hinteransicht Vorderansicht
mit der liebtdieht schließenden Tür. mit den beiden Lichtauslaßöffnungen OÖ.
K die mit Scharnieren versehenen vier B die zum Drehen der Rlendenscheiben
Klappen. dienenden Knöpfe.
269
Ich benutzte Gasglühlieht, das sich durch seinen Reichtum an wirk-
samen Strahlen auszeichnet. Um einen begrenzten Strahlenkegel zu be-
kommen und Reflexe nach Möglichkeit auszuschließen, wurde eine aus
‚starkem Schwarzblech konstruierte Laterne verwendet, die sich als sehr
brauchbar erwies. Daher will ich sie hier kurz beschreiben. Ich ging von
der Idee aus, daß es für eine vielseitige Verwendbarkeit zweckmäßig sei,
nicht nur eine, sondern zwei Lichtöffnungen zu haben. Die beiden Strahlen-
kegel sollten so zueinander stehen, daß es möglich war, sie mit Hilfe
zweier Spiegel unter möglichst kleinem Einfallswinkel einander entgegen zu
reflektieren, damit man eine Pflanze von zwei entgegengesetzten Seiten be-
leuchten könne (Massart 16; Nathansohn und Pringsheim 19;
Kniep 12, 694). Auch sollte man die beiden Lichtkegel für zwei gleich-
zeitig zu machende Vergleichsversuche benutzen können. Auf diese Weise
erlangte Resultate sind immer den nacheinander gewonnenen vorzuziehen,
weil auf diese Weise alle Bedingungen, vor allem die mit dem Gasdruck
wechselnde Helligkeit der Lampe am besten vergleichbar sind.
Das waren die Gründe, daß ich ein reguläres Fünfeek als Grundfläche
benutzte (Fig. I u. ID). Dieses dient einem fünfseitigen Prisma als Basis,
das seinerseits von einer Pyramide nach oben abgeschlossen wird. An der
Spitze dieser sitzt ein kurzer Schornstein, der
so konstruiert ist, daß die Verbrennungsgase,
aber nicht das Licht passieren können, in
ähnlicher Weise wie man es bei den roten
Lampen für photographische Dunkelkammern
hat (Fig. II). Unten ist für lichtdichte Zufuhr
von Sauerstoff gesorgt. An zwei der Prismen-
seiten, die nicht aneinander stoßen, sind in der
Höhe des Glühstrumpfes Löcher angebracht, die
den Austritt der Lichtstrahlen gestatten. Sie
haben nach außen kurze Rohransätze und sind
von innen durch Blendenscheiben, die sich revol-
verartig drehen lassen, teilweise oder ganz ver-
schließbar. Sind beide Öffnungen geschlossen,
so kann die Lampe innen hell brennen, ohne
daß man, selbst mit dunkeladaptiertem Auge,
den geringsten Lichtschimmer bemerkt. Deshalb Fig. III.
wäre die Laterne auch für thermotropische Ver- Der Schornsteinaufsatz,
suche zu brauchen. Stellt man innen einen z. T. durchsichtig dargestellt.
Bunsenbrenner auf, so strahlen die schwarzen
Flächen sehr gut. Die Ritzen der die eine Seite einnehmenden, übergreifenden
Tür sind durch vier Klappen mit Scharnieren noch besonders gedichtet.
Um einige Versuchsreihen, zu denen diese Hilfsmittel noch nicht aus-
reichten, zu Ende zu bringen und weitere hinzuzufügen, wandte ich mich
an den Direktor des Breslauer physikalischen Institutes, Herrn Professor
270
Lummer. Er stellte mir bereitwilligst einen großen, zu verdunkelnden
Raum zur Verfügung, der nebst einer daran grenzenden Dunkelkammer mit
allem ausgestattet war, was ich mir nur wünschen konnte. Ich bin daher
Herrn Professor Lummer zu sehr großem Danke verpflichtet, den ich auch
an dieser Stelle ausdrücken möchte.
In der Diagonale dieses Raumes war für meine Zwecke eine Länge von
Sm zu brauchen. Ich konnte Nernstlampen, eine kleine Bogenlampe und
eine Quarzquecksilberbogenlampe von Heräus benutzen. Meine Versuche
wurden in der Hauptsache mit den ersteren gemacht, die für physiologische
Zwecke besonders brauchbar sind. Wo stärkere Beleuchtung nötig war,
leistete mir die Quecksilberlampe wegen ihrer unbeschränkten Brenndauer
(bei Bogenlampen müssen Kohlen gewechselt werden) und ihres Reichtums
an wirksamen Strahlen gute Dienste, obgleich sie meine Erwartungen in-
sofern enttäuschte, als ihre Intensität für negative Krümmungen viel zu
gering war. Da die stärkst brechbaren Strahlen stark schädigen, muß man
mindestens eine Glasplatte zwischenschalten.
Als pflanzliches Material wurden Keimlinge verwendet, die von Tag zu
Tag frisch kultiviert werden mußten. Die Samen kamen zum Keimen auf
feuchtes Fliespapier unter eine Glocke. Ich legte eine umgekehrte Kri-
stallisierschale auf einen Teller und auf diese eine Filterpapierscheibe, von
der ein Streifen in das Wasser des Tellers hing. Avena, Brassica, Panicum
und andere keimten so sehr gleichmäßig innerhalb von zwei bis drei Tagen.
Darauf wurden sie mit der Pinzette in kleine Löcher sehr fein gesiebter
Erde in Töpfchen piquiert, etwas verschüttet, gut feucht gehalten und ent-
weder ins Dunkle gestellt oder belichtet. In zwei weiteren Tagen waren so
die meisten Keimlinge zum Versuch fertig, so daß die ganze Entwickelung
von der ersten Keimung an nur vier bis fünf Tage dauerte.
Die im Dunkeln zu ziehenden Pflänzchen kamen unter große Pappstürze
in ein besonderes, gut ventilierbares, verdunkeltes Zimmer ohne Gasleitung-
Die, welche am Licht kultiviert werden sollten, wurden an vertikaler Achse
rotiert, um vorzeitige Krümmung auszuschließen. Das geschah entweder
in dem Versuchsgewächshaus des Institutes, das sich auf dem Dache be-
findet und Oberlicht hat, oder bei künstlicher Beleuchtung. Als Rotations-
apparate standen mir zwei Pfeffersche Klinostaten zur Verfügung. Wollte
ich aber gleichzeitig eine größere Anzahl von Töpfchen in verschiedenen
Entfernungen von der Lampe rotieren lassen, so reichten sie nicht aus.
Ich benutzte dann einen kleinen Nebenapparat, der sich leicht anfertigen
läßt (Fig. IV und V). Es kam darauf an, von der Klinostatenachse aus
weitere Achsen mit 'Teellern zur Aufnahme von Töpfcehen drehen zu lassen.
Um ein sicheres Funktionieren zu gewährleisten, war eine geringe Reibung
dieser Achsen, sowie eine starke Friktion der zu verwendenden Schnur-
scheiben Bedingung, damit bei der langsamen Rotation kein toter Gang
einträte. Ich erreichte das in der Weise, daß ich als Schnurscheiben flache
Korke mit eingefeilter Rinne benutzte, von denen der eine unter dem Teller
271
des Klinostaten, zwischen diesem und der Schraube, die ihn an der Achse
befestigt, saß (Fig V). Der andere, mit ihm durch einen Wollenfaden als
„Treibriemen“ verbundene, war auf der zu drehenden Achse mit Siegellack
angekittet. Als Achsen wurden Glasstäbe benutzt, die unten zugespitzt
waren und sich in zwei kurzen Glasröhrchen drehten, von denen das untere
rund zugeschmolzen war, so daß die Spitze des Glasstabes auf einer Glas-
unterlage ruhte. Die Glasröhrehen waren ihrerseits mit Siegellack in einem
Holzrahmen befestigt, der sich leicht in einem Stativ einklemmen ließ. Die
Glasachsen trugen oben einen Kork mit angesiegeltem Pappteller für die
Blumentöpfehen. Wurden sie mit etwas Vaseline geschmiert, so drehten
sie sich so leicht, daß jeder Klinostat zwei davon drehen konnte, so daß
ich gleichzeitig in sechs Entfernungen von der Lampe Pflänzchen rotieren
lassen konnte.
Auf diese Weise ist es möglich, von gewissen Pflanzenarten, wie Avena,
Sinapis, Brassica, Panicum, sehr gleichmäßig wachsendes und reagierendes
Material zu erzielen, da man sowohl unter den gekeimten Samen als auch
später vor Verwendung der Töpfe eine Auslese der krummen oder zurück-
gebliebenen Exemplare vornehmen kann. Natürlich sind nicht alle gut
heliotropischen Keimlinge für die verschiedenen Zwecke brauchbar, die eine
Art zeichnet sich dureh diese, die andere durch jene Eigenschaft aus, so
daß man von Fall zu Fall prüfen und wählen muß. Im folgenden seien
dazu einige Anhaltspunkte gegeben.
Von Orueiferen reagiert, soweit ich sie geprüft habe, Brassica Napus
am schnellsten, etwas schlechter Lepidium sativum und Sinapis alba.
Brassica hat außerdem eine sehr tiefe Unterschiedsschwelle, so daß bei
zweiseitiger Beleuchtung eine scharfe Seheitelung entsteht (Nathansohn
und Pringsheim 19). Dagegen ist unter Umständen die spontane Nutation,
wie bei allen verwendeten dieotylen Keimlingen, störend; erstens weil sie
278
zu Verwechslungen Anlaß geben kann und daher alle Keimlinge die Flanken-
orientierung haben müssen (Wiesner 30 I, 36), zweitens weil bei seit-
licher Belichtung unter Rotation Beschattung eintritt, die Krümmungen zur
Folge hat.
Von Gramineen ist Avena sativa den anderen Getreidearten durch seine
kurze Reaktionszeit überlegen. Die Unterschiedsschwelle ist höher als bei
Brassica, so daß bei zweiseitiger Beleuchtung keine Scheitelung entsteht.
Dafür reagieren junge Keimlinge fast ohne individuelle Differenzen, sind
physiologisch ringsgleich, haben etioliert wie ergrünt eine gut brauchbare
Gestalt und sind gegen Eingriffe relativ unempfindlich (Rothert 26, 64
und Fitting 8, 179).
Phalaris, das von Darwin so viel benutzt wurde, konnte ich nie
brauchen, weil es im Dunkeln sehr bald (wie später auch Avena) sein
Hypocotyl entwickelt, das heliotropisch wie geotropisch ganz unempfindlich
zu sein scheint, so daß die Keimlinge stark gekrümmt waren, oft fast auf
der Erde lagen!).
Panicum miliaceum zeichnet sich bekanntlich durch die Trennung von
Perzeptions- und Aktionszone aus und reagiert rasch und gleichmäßig, wenn
auch nicht so rasch wie Avena, hinter der es auch durch seine große Zart-
heit zurücksteht, wie dadurch, daß es am Licht sein so schön reagierendes
Hypocotyl kaum entwickelt, so daß sich nur die Spitze des Cotyledons
krümmen kann.
Unter den Papilionaceen ist Vieia sativa im allgemeinen am brauch-
barsten, besser als Ervum Lens und Pisum sativum sowie die anderen
Vicia-Arten (für letztere OÖ. Richter 25, 11), besonders wegen der schnellen
Reaktion, der niedrigen Reizschwelle und der sehr beeinflußbaren Stimmung;
sie ist aber wegen langsamen Wachstums, starker Nutation und besonders
wegen ihrer Empfindlichkeit gegen Verunreinigungen der Luft (Richter 25)
weniger brauchbar als die G@ramineen und ÜCrueiferen.
Ipomoea wiederum ist von den kräftigeren Keimlingen bei geradem
Wuchs das empfindlichste und ein sehr gutes Objekt, das überall Verwendung
finden sollte, wo die zarteren Pflanzen Schwierigkeiten bieten.
Für meine Zwecke war Avena am besten, und zwar vor allem
wegen seiner gleichmäßigen Reaktionszeit. Da man nämlich die Stärke der
heliotropischen Reizung nicht direkt messen kann, ist man auf äußerlich
erkennbare Merkmale angewiesen. Die Messung des Ablenkungswinkels
kam für meine Zwecke nicht in Betracht, da in der hierzu nötigen langen
Belichtungszeit eine Veränderung der Stimmung durch die angewandte
1) Möglicherweise haben wir hier ein Objekt, das im Sinne von O. Richter
(25, 1) empfindlich gegen den Einfluß der Laboratoriumsluft ist. Eigene Versuche
mit Vieia sativa zeigten mir übrigens in Ergänzung der seinen, daß es eine Spannung
des schädlichen Dampfes gibt, wo der Geotropismus stärker als der Heliotropismus
geschädigt wird. Bei höherer Dampfspannung erlischt auch dieser noch vor dem
Wachstum.
273
Liehtquelle selbst erfolgt wäre. Das war bei Verwendung der Reaktions-
zeit als Maß, wie man sehen wird, nicht so störend, daß es meine
Schlußfolgerungen unmöglich gemacht hätte. Die Messung der Perzeptions-
zeit erwies sich auch als nicht so zweckmäßig, schon wegen der zur Be-
obaehtung unvermeidlichen Belichtung und wegen der längeren Dauer der
Versuche. Die Resultate bestätigten die Richtigkeit meiner Wahl.
Im Dunkeln und am Licht gewachsene Keimlinge.
Seit langem ist bekannt, daß es positiv und negativ heliotropische
Pflanzen gibt, das heißt solche, die sich nach der Lichtquelle hin, und
solche, die sich von ihr fortbewegen. Später wurde gefunden, daß ein und
dieselben Pflanzen sich je nach der Liechtintensität verschieden verhalten
können, indem starkes Licht negativen, schwächeres positiven Heliotropismus
hervorruft (N. J. C. Müller 17 und Oltmanns 20).
Beginnt man die Prüfung mit ganz schwachem Licht, so findet keine
Krümmung statt bis die Intensität soweit gesteigert ist, daß die Reizschwelle
überschritten wird. Von da an nimmt die Stärke der Reaktion zunächst
stetig zu, die Reaktionszeit ab, bis zum sogenannten Optimum des Heliotro-
pismus. Auf diesem bleiben beide bei weiterer Steigerung der Lichtintensität
eine Zeitlang konstant, um sich bei weiterer Steigerung im umgekehrten
Sinne zu verändern, so daß schließlich ein Zustand erreicht wird, wo die
Reaktion so lange ausbleibt, daß es den Anschein hat, als wäre die Pflanze
indifferent gegen Licht. Bei noch intensiverer Beleuchtung setzt die negative
Krümmung erst schwach, dann stärker ein. Das ist die bis jetzt erreichte
Grenze!) Kurve 1.
Was die Lage der Kurvenwendepunkte betrifft, so ist zu sagen, daß
kürzeste positive Reaktionszeit für empfindliche heliotropische Keimlinge,
wie Avena, Brassica, Panicum, etwa in 500 em Entfernung von einer
Nernstlampe erreicht ist, daß bei etwa 200 cm die Reaktionszeit wieder
zunimmt und daß die Umkehr zur negativen Krümmung nur mit einer
ı) Jost (11, 572) vervollständigt diese so zustande gekommene Kurve der Re-
aktion bei verschiedener Lichtintensität willkürlich, indem er annimmt, daß mit noch
steigender Lichtintensität auch die negative Krümmung ein Maximum erreicht, um
jenseits wieder abzusinken. Praktisch dürfte die Anwendung so hoher Lichtinten-
sität bei Keimlingen ohne Schädigung nieht möglich sein. Auch die bei niedrigerer
Intensität schon negativ reagierenden phototaktischen Organismen werden für
diese Frage kaum brauchbar sein, weil sie gegen starkes Licht noch empfindlicher
sind. Immerhin wäre es denkbar, daß man Material fände, mit dem derartige Ver-
suche gelängen. Rein theoretisch, wie Jost das will, kann man darüber kaum etwas
aussagen; besonders da die Maximumkurve für die positiven Reaktionen nicht so
einfach zustande kommt (wie ich zeigen werde), daß man daraus den Schluß ziehen
könnte, die negativen Reaktionen bildeten ebenfalls eine solche. Im Gegenteil, das
ist sehr unwahrscheinlich!
274
starken Bogenlampe zu erreichen ist. Genauere Maße anzugeben ist leider
nicht möglich, da wir keine Methode haben, die heliotropische Wirksam-
keit einer Lichtquelle in einer bestimmten Einheit auszudrücken). Auch die
obigen Angaben haben nur eine beschränkte Gültigkeit, da die Kardinal-
Kurve I.
positive
Indifferertg- Krümmung Reaktions-
Zone Zeit
negative j
»»>—> Lichtintensität> —
punkte für verschiedene Pflanzenarten — abgesehen von individuellen
Schwankungen — bei verschiedenen Helligkeiten liegen. Wir werden sehen,
daß ihre Lage aber auch bei derselben Spezies durch äußere Einflüsse, und
zwar vor allem durch Beleuchtung, gesetzmäßig verschiebbar ist. Den inneren
Zustand, der die Lage der Kardinalpunkte bei einer Pflanzenart bestimmt,
nennt man die heliotropische Stimmung. Die Veränderung dieser
inneren Disposition zeigt sich also in einer Verschiebung des Helligkeits-
grades, bei dem die Reizschwelle, das Optimum, die Indifferenzzone, die
negative Reizschwelle liegen. Diese aber sind, wie gesagt, nur die Wende-
punkte derjenigen Kurve, die die Intensität und Richtung der Reaktion bei
verschiedenen Helligkeiten darstellt. Diese Kurve bekommt man am ein-
fachsten, wenn man als Abszissen die Entfernungen von einer Lichtquelle,
als Ordinaten die Reaktionszeiten oder, da diese an zwei Punkten © werden,
deren reziproke Werte einträgt. Man sieht dann leicht ein, daß mit einer
Veränderung der Stimmung nicht nur die Reizschwelle, sondern die ganze
Kurve verschoben werden muß, und mit dieser auch die Reaktionszeiten
bei irgend welchen bestimmten Lichtintensitäten. Denkt man sich zwei so
gegeneinandre verschobene Kurven in dasselbe Koordinatensystem eingetragen,
1) Bekanntlich kann man weder photometrisch, noch aktinometrisch, noch bolo-
metrisch die Stärke der Strahlen messen, die die heliotropische Reaktion bewirken.
275
so wird sich ein absteigender Ast der einen mit einem aufsteigenden der
anderen schneiden, so daß an einer Stelle die eine, an der anderen die
andere höherliegende Punkte berührt. Ins Tatsächliche übersetzt bedeutet
das, daß bei einer niedrigeren Lichtintensität die niedrig gestimmten, bei
einer hohen aber die hochgestimmten schneller reagieren werden. Also
kann die Reaktionszeit bei einer gewissen Helligkeit, mit Vorsicht ange-
wendet, als Indizium der Stimmung gelten.
Es ist klar, daß die erste technische Vorbedingung für derartige Ver-
suche ein möglichst gleichmäßig reagierendes Material, die zweite eine
möglichst große Verschiebung der Kurven durch Veränderung der Stimmung
ist. Außerdem war es nötig, eine bestimmte Stimmung als Ausgangspunkt
zu benutzen. Dazu eignen sich am besten Keimlinge, die überhaupt nie
am Licht gewesen sind, denn diese lassen sich an „Empfindlichkeit“, d. h.
an niedriger Lage der Reizschwelle und damit der ganzen Reaktionskurve
nicht übertreffen. Durch Beleuchtung wird ihre Stimmung nach Wunsch
erhöht.
Um die für feinere Untersuchungen geeignetste Pflanzenart herauszu-
finden, wurden für die ersten Versuche eine große Anzahl von Pflanzen-
keimlingen, die als heliotropisch empfindlich bekannt sind, verwendet: Von
Cruciferen Sinapis alba, Brassica Napus und Lepidium sativum, von Pa-
pilionaceen Ervum Lens und Vicia sativa, von Gramineen Panicum milia-
ceum, Avena sativa, Phalarıs canariensis und Secale cereale, ferner Ipo-
moea purpurea und Helianthus annuus.
Diese Versuche wurden in der Weise angestellt, daß in den Lichtkegel
der Laterne paarweise in verschiedenen Entfernungen je ein am Licht und
ein im Dunkeln kultivierter Topf mit Keimlingen kam. Alle verwendeten
Pflanzenarten zeigten, wenn auch nicht gleich deutlich, dieselbe Erscheinung.
Bei geringer Lichtintensität reagierten, wie zu erwarten, die etiolierten
Keimlinge schneller als die am Licht gewachsenen, in der Nähe der Lampe
war das Verhältnis umgekehrt. Das entspricht dem oben über die Ver-
schiebung der Kurven gesagten.
Sehen wir ein Beispiel genauer an. In Tabelle I sind für Brassica
Napus die Beginne und das Fortschreiten der Reaktion in verschiedener
Helligkeit, einerseits für am Licht, andrerseits für im Dunkeln gewachsene
Pflanzen eingetragen. Der Beginn der Reaktion wird außerdem durch die
ausgezogenen Linien markiert. Besonders wenn man diese beachtet, ergibt
sich ohne weiteres das Resultat, daß die am Licht gewachsenen Keimlinge
zuerst in der Nähe der Lampe zu reagieren beginnen und die Reaktion
nach hinten fortschreitet, daß dagegen bei den aus dem Dunkeln kommenden
die Krümmung etwas später in der Ferne einsetzt und nach vorn vor-
schreitet. Bei mittlerer Helligkeit findet die Reaktion bei beiden Arten von
Keimlingen etwa gleich schnell statt.
Das entsprieht vollkommen dem oben über die Kreuzung der gegen-
einander verschobenen Kurven gesagten, ja die ausgezogenen Linien, die
Beiträge zur Biologie der Pflanzen, Bd. IX, Heft II. 15
276
Tabelle I.
Brassica Napus.
A am Licht
B im Dunkeln
& keine Reaktion
—+? erster Beginn
—+—- stärkere -
\ gewachsen. + starke =
—- deutliche Reaktion
an = Entfernung von der Lampe in Zentimetern
Minuten
Beginn
0% 70 140 180 220
A Be I & & & & &
35 B | & &o & & &
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Die Linien — — — und ww bedeuten den Beginn der Reaktion.
die Reaktionsbeginne begleiten, deuten den Verlauf der Kurven in der Nähe
des Schnittpunktes ohne weiteres an. Da, wo sich der ab- und der auf-
steigende Ast schneiden, findet die Reaktion gleichzeitig statt, bei größerer
Helligkeit reagieren die am Licht gewachsenen, bei geringer die aus dem
Dunkeln kommenden schneller.
Aber noch ein anderes, nicht ohne weiteres vorauszusagendes Resultat
ergibt sich im Zusammenhang mit dem erwähnten: Da, wo die Reak-
tionszeit für die niedrig gestimmten Pflanzen schon wieder zu-
zunehmen beginnt, ist sie für die hochgestimmten noch im
Abnehmen begriffen, und zwar bis zu viel größeren Lichtintensitäten.
So sind für die letzteren die kürzesten Reaktionszeiten zu konstatieren, wie
das auch aus den ausgezogenen Linien in den Tabellen hervorgeht. Für
die Konstruktion der Kurven ergibt sich daraus, daß die nach größerer
Helligkeit verschobene auch einen höheren Gipfel hat.
Also werden, entgegen einer weit verbreiteten Ansicht, die absolut ge-
ringsten Reaktionszeiten bei solchen Pflanzen gefunden, die am Lichte
gewachsen sind, und sie nehmen bis zu viel höherer Intensität ab als man
bisher geglaubt hat, vorausgesetzt, daß die Stimmung der verwendeten
ZUR
Tabelle II.
Sinapıs alba.
Zeit in | | Entfernung von der Lampe in Zentimetern
Minuten | |
Beginn | |
108 20 40 70 140 180 | 340
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Keimlinge hoch genug ist. Diejenige Lichtintensität, bei der etiolierte Keim-
linge am schnellsten reagieren, bezeichnete Wiesner (30, 38) als Optimum.
Wir sehen, daß da nur ein relatives Maximum vorliegt. Die Reaktionszeit
bei dieser „optimalen“ Intensität ist nach Wiesner für Vicia sativa
(30, 37) 60—70 Minuten, nach Czapek (2, 9) für Avena sativa ebenfalls
60—70, nach eigenen Versuchen 45—50 Minuten. Ich fand für erstere
20—25, für letztere 25—30 Minuten, wenn ich am Licht gewachsene
Keimlinge in 30 em Entfernung vom Auerstrumpf aufstellte. Für die Ver-
wendung der Reaktionszeiten als Maß der Reizstärke ergibt sich daraus,
daß ihre Längen bei am Lichte gewachsenen Pflanzen in weiteren Grenzen
variieren, als bei etiolierten. Denn bei solchen Versuchen kommt es haupt-
sächlich auf die Intensitäten an, wo für etiolierte Pflanzen die Reaktionszeit
schon wieder zunimmt, sodaß man aus ihrer Länge nicht schließen kann,
auf welcher Seite vom Gipfel der Kurve man sich befindet. Außerdem
zieht sich dieser Gipfel ziemlich lang hin, sodaß die Reaktionszeit bei ver-
schiedenen Helligkeiten nahezu konstant wird. Das fällt fort, sobald man
höher gestimmte Pflanzen nimmt, die also für viele Zwecke vorzuziehen sein
dürften. Allerdings müssen sie durch Rotation vor einer konstanten Licht-
quelle vorbereitet werden.
18*
278
Einfluß kurzer Vorbeleuchtung.
Um den Einfluß der Beleuchtung auf die heliotropische Stimmung ge-
nauer zu präzisieren, mußte ich erstens die Dauer, zweitens die Stärke der
Einwirkung des Lichtes variieren. Vor allem liegt die Frage nahe, ob
der konstatierte Unterschied zwischen im Hellen und im Dunkeln ge-
wachsenen Pflanzen ein qualitativer ist, oder ob beide Gruppen durch Über-
gänge verbunden sind. Bis dahin hatte ich mit Pflanzen gearbeitet, auf die
das Tageslicht während der ganzen Dauer ihrer oberirdischen Entwickelung
eingewirkt hatte, und die daher in ihrem ganzen Aussehen wesentlich von
den etiolierten verschieden waren. Jetzt wurde der Versuch gemacht, alle
Keimlinge im Dunkeln zu ziehen, und dann die eine Hälfte vor ihrer Ver-
wendung kürzer oder länger zu belichten, während die andere bis zum Be-
ginn des Versuches im Dunkeln blieb. Zunächst wurden einige Versuche
mit Sonnenlicht als umstimmendem Faktor angestellt. Es fand sich, daß
z. B. eine Vorbelichtung von einer Stunde, nach der die so behandelten
Pflanzen sich äußerlich in nichts von den im Dunkeln gebliebenen unter-
schieden, genügte, um im heliotropischen Verhalten Differenzen hervor-
zurufen, die denen der ganz am Licht erzogenen Pflanzen gleichkamen.
Nun ging ich mit der Beleuchtungszeit herunter bis auf 10 Minuten und
fand, daß auch das schon genügte, um die Reaktionszeit in der Nähe der
Auerlampe zu verkürzen. Aus diesem Befunde geht hervor, daß die
Stimmung der lichtempfindlichen Pflanze mit bedeutend größerer Schnellig-
keit den Veränderungen der Beleuchtung folgt als man früher glaubte.
Um genauere Resultate zu bekommen, mußte ich nicht nur die Dauer,
sondern auch die Stärke der Vorbelichtung in der Hand haben. Deshalb
benutzte ich auch hierfür die Lichtquellen, die die Reaktion hervorriefen,
indem ich die Pflanzen vor ihnen in der oben beschriebenen Weise (p. 271)
rotieren ließ. Es fragte sich aber, welche Lichtintensitäit man wählen
sollte.e Nun ist sicher der einfachste Fall der, daß die durch die Vor-
belichtung erreichte Stimmung auch während der Perzeption erhalten bleibt,
denn, wie Pfeffer (23, 627) mit Recht betont, findet eine „Abschwächung
der Sensibilität“ schon durch den tropistischen Reiz selbst statt — falls
nämlich im Dunkeln gewachsene Pflanzen genommen werden. Nimmt man
aber Keimlinge, die vor der Reaktion in der betreffenden Lichtintensität
rotiert worden sind, so kann keine Umstimmung mehr erfolgen. !)
Es wurde also dieselbe Lichtintensität zur Vorbelichtung wie zur Reaktion
verwendet, und zwar interessierte mich zunächst das Verhalten bei solchem
1) Pfeffer (23, 627) nimmt allerdings eine verschiedene Wirkung der diflusen
und der tropistischen Inanspruchnahme auf die Stimmung an. Was man unter
diffuser Einwirkung zu verstehen hat, ersieht man aus der Anmerkung, es ist all-
seitig ganz gleiche Wirkung des Tropistikums. Diese ist beim Lieht nicht zu er-
reichen, Sucht man sie dureh Rotation zu ersetzen, so findet man denselben Ein-
fluß auf die Stimmung wie bei einseitiger Inanspruchnahme,
279
Licht, das eine, gegenüber der optimalen, verlängerten Reaktionszeit bewirkte,
also das auf dem absteigenden Ast der Kurve für etiolierte Pflanzen liegende.
Die Versuche wurden so angestellt, dal immer ein Topf mit Avena-
Keimlingen in der Nähe der Auerlampe, wo die Reaktionszeit 60 Minuten
(gegenüber 45 Minuten in größerer Entfernung) betrug, 15, 10, 5 Minuten
rotiert wurde, darauf ein zweiter aus dem Dunkeln daneben gestellt und
der Klinostat angehalten wurde. Fünf Minuten war das kürzeste Zeitmaß,
mit dem ich operierte, auch die Prüfung der Reaktionen fand nie häufiger
als alle 5 Minuten statt. Schon so kurze Vorbelichtung hatte einen merk-
lichen Effekt, und zwar wurde die Reaktionszeit unter diesen Um-
ständen um genau so viel verkürzt, wie die Dauer der Vor-
belichtung betragen hatte. Wurde also 15 Minuten vorbelichtet, so
reagierten die Keimlinge in 45 Minuten, während die Vergleichspflanzen
60 Minuten brauchten, wurde 10 Minuten vorbelichtet, so betrug die Reak-
tionszeit 50 Minuten u. s. f.
Ich stellte darauf die Versuche so an, daß beide Töpfe gleichzeitig exponiert
wurden, und der eine die erste Zeit rotierte, während der andere ruhig stand.
Dabei suchte ich die obere Grenze der Vorbelichtungszeit festzustellen, die
noch reaktionsverkürzend wirkt. Es fand sich, daß beide Töpfe gleichzeitig
reagierten, wenn ich nicht länger als 25—30 Minuten rotieren ließ. Die
eigentliche Reaktionszeit wurde so von 60 auf 35—30 Minuten verkürzt.
Nachdem ich vorher gefunden hatte, daß die Reaktionszeit durch Er-
höhung der Stimmung herabgesetzt werden kann, ließen diese Resultate nur
eine Deutung zu, daß nämlich der erste Teil der verlängerten
Reaktionszeit bei starkem Licht nur der Erhöhung der
Stimmung dient, und daß während dieser Zeit die Richtung der Be-
leuchtung ohne Bedeutung ist. Die Verzögerung der Reaktion niedrig-
gestimmter Pflanzen bei hellem Licht rührt also daher, daß eine gewisse
Zeit gebraucht wird, um die Stimmung auf eine Höhe zu bringen, wo tro-
pistische Reizung stattfindet. Bis dahin sind die Pflanzen indifferent gegen
die Lichtriehtung, wie in der eigentlichen Indifferenzzone, die den Über-
gang vom positiven zum negativen Heliotropismus vermittelt. Die Indifferenz
gegen so starkes Licht muß sich also nur durch ihre Dauer von jener un-
terscheiden, die den ersten Teil der scheinbaren Reaktionszeit bei supra-
optimaler Beleuchtung (im Sinne Wiesners) einnimmt. _
Die Indifferenz gegen die Richtung der Beleuchtung während des ersten
Teiles der verlängerten Reaktionszeit wurde noch auf eine andere Weise
geprüft. Die Vorbelichtung wurde nämlich in entgegengesetzter Richtung
als die Reaktion bewirkt, und zwar so, daß ruhig vor der Lampe stehende
Keimlinge mit solchen verglichen wurden, die nach einer gewissen Zeit (im
Maximum 25 Minuten) um 180° gedreht wurden. Auch diese Umkehrung
wirkte nicht verzögernd auf die Reaktion ein. Es ergab sich also das
scheinbar so merkwürdige Resultat, daß eine Beleuchtung von der Hinter-
seite eine Verkürzung der Reaktionszeit bewirkte.
280
Wir können demnach die verlängerte (scheinbare) Reaktionszeit in
folgende Phasen auflösen: Ein Keimling mit niedriger Stimmung wird hell
beleuchtet. Es findet keine tropistische Reizung statt, die Pflanze ist helio-
tropisch indifferent. Aber das Licht ist nicht ohne Wirkung, die Stimmung
steigt. Dadurch fällt die gleichbleibende Beleuchtung schließlich in den
Helligkeitsbereich, der positive Krümmung auslöst.
Ähnlich verhält sich die Sache mit der verlängerten Reaktionszeit am
Licht gewachsener Pflanzen bei niedriger Lichtintensität. Da ihre Stimmung
und somit die Schwelle hoch ist, wird sie vom Reiz zunächst nieht erreicht.
Aber die Stimmung sinkt, und damit auch der Schwellenwert, sodaß
schließlich Reizung und Krümmung, wenn auch beträchtlich verzögert, statt-
finden. Auf diese Weise kommt es zu Stande, daß hoch gestimmte Pflanzen
bei niedriger Intensität langsamer reagieren als niedrig gestimmte, daß also
am Licht gewachsene Keimlinge „unempfindlicher* gegen schwaches Licht
sind. Daß sie überhaupt schließlich reagieren, hat seine Ursache darin,
daß die Stimmung nicht auf der Höhe bleibt, die sie einmal erreicht hat,
falls die Pflanze ins Dunkle oder in schwächere Beleuchtung kommt;
sondern sich nach unten ebenso wie nach oben entsprechend den Bedingungen
verändert. Doch bleibt immer eine Nachwirkung früherer Beleuchtung be-
stehen, die sich darin zeigt, daß von einer einmal beleuchteten Pflanze eine
gewisse Stimmungshöhe schneller erreicht wird, auch wenn sie dazwischen
im Dunkeln war. Darauf weist auch schon Oltmanns hin (21, 12).
Meine Versuche hierüber berechtigen noch nicht zu exakteren Schlüssen, da
mit der Komplikation die Schwierigkeit steigt.
Reaktionszeit akkomodierter Pilanzen.
Ich setzte oben auseinander, daß es zur Erlangung möglichst einfacher
Verhältnisse zweckmäßig sei, dieselbe Lichtintensität zur Vorbelichtung wie
zur Reaktion zu verwenden. Dabei ergab sich, daß bei einer Differenz
zwischen Stimmungshöhe und Beleuchtungsstärke erst nach einer gewissen
Umstimmungszeit die tropistische Perzeption oder heliotropische Polarisation
(Fitting 8, 240) einsetzt. Nun ist aber vorauszusehen, daß zu dieser
Zeit die Stimmung noch nicht die der Beleuchtung entsprechende Höhe
erreicht haben wird. Um Konstanz der Stimmungshöhe zu bekommen, wird
eine längere Belichtung nötig sein, da die Perzeption schon einsetzen wird,
wenn die Pflanze das Gebiet der Indifferenz überwunden hat.
Beleuchten wir nun unsere Keimlinge unter Rotation längere Zeit mit
derselben Lichtintensität, bis wir uns überzeugt haben, daß keine Ver-
änderung der Stimmung mehr eintritt, daß sie also der Helligkeit ent-
sprechend eingestellt ist, so bekommen wir eine Reaktionszeit, die vor den
anderen das voraus hat, daß während der Perzeption keine Umstimmung
stattfindet. Ich nenne sie die „normale Reaktionszeit“.
Sie ist nicht zu verwechseln mit der eigentlichen Reaktionszeit niedrig
gestimmter Pflanzen bei hellem Licht, die wir erhalten, wenn wir von der
281
(scheinbaren) verlängerten Reaktionszeit den Teil abziehen, der zur Erhöhung
der Stimmung nötig ist. Letzterer ist ebenfalls verschieden von der „Akko-
modationszeit“, die verstreicht, ehe Konstanz der Stimmung eintritt.
Normale Reaktionszeit und Akkomodationszeit können nur durch weitere
Experimente gefunden werden. Vorauszusehen ist nur soviel, daß normale
Reaktionszeit und eigentliche Reaktionszeit eine gewisse Proportionalität haben
werden und daß erstere kürzer sein wird. Von der Akkomodations- und Um-
stimmungszeit wird ähnliches gelten, erstere wird länger sein, und man kann
vorhersagen, daß beide mit zunehmender Stimmungsdifferenz wachsen werden.
Stellt man dementsprechende Versuche an, so zeigt sich, daß die normale
Reaktionszeit bei starkem Licht nur wenig kürzer ist als die eigentliche
Reaktionszeit aus dem Dunkeln kommender Pflanzen. In einem Falle war
die scheinbare Reaktionszeit 60 Minuten, von denen man die ersten 25 bis
30 Minuten rotieren lassen konnte, ohne Verspätung der Krümmung her-
vorzurufen, so daß also die eigentliche Reaktionszeit 30—35 Minuten betrug.
Die normale Reaktionszeit war 25—30 Minuten. Der Stimmungsbereich,
innerhalb dessen Perzeption stattfindet, ist also sehr eng, denn diese setzte
erst etwa fünf Minuten vor Erreichung der vollen Stimmungshöhe ein.
Da, wie oben gezeigt wurde, niedrig gestimmte Pflanzen bei niedriger
Lichtintensität, und hochgestimmte bei hoher am schnellsten reagieren, so
liegt der Schluß nahe, daß jede Pflanze bei der Lichtintensität am schnellsten
reagiert, auf die sie gestimmt ist. Schon aus den bisher mitgeteilten Ver-
suchen sind Argumente hierfür zu entnehmen. In 30 cm von der Auerlampe
reagierten Avena-Keimlinge, die am Sonnenlicht gewachsen, also hochge-
stimmt waren, nach 35 Minuten, solche, die im Dunkeln gewachsen waren,
nach 45 Minuten und solche, die an Ort und Stelle rotiert worden waren,
nach 25—30 Minuten, also am schnellsten. Um meine Annahme aber zur
Gewißheit zu machen, mußten noch zahlreiche Versuche mit kleineren In-
tensitätsintervallen gemacht werden. Sehr klein konnten sie der individuellen
Differenzen wegen nieht werden. Soweit das aber bei physiologischen Fragen
erwartet werden kann, fielen die Versuche bestätigend aus. Sie wurden
so angestellt, daß ich Töpfe in drei Entfernungen von der Lampe rotieren
ließ, dann alle in der mittleren aufstellte und die Reaktionszeit beobachtete.
Es fand sich, daß die aus größerer sowohl wie die aus geringerer Ent-
fernung langsamer reagierten als die, welche an Ort und Stelle geblieben
waren. Daraus ergibt sich mit Sicherheit der Satz: Die normale Re-
aktionszeit ist die kürzeste, die bei der betreffenden Licht-
intensität überhaupt möglich ist!).
Dadurch gewinnt die normale Reaktionszeit eine neue Bedeutung. Sie
entspricht am klarsten der Reizstärke des betreffenden Lichtes, weil sie
t) Ich will natürlich nicht behaupten, daß Licht, welches von der Stimmungs-
höhe nach unten oder oben ein wenig abweicht, nicht dieselbe Reaktionszeit bewirken
könnte; nur eine kürzere ließ sich niemals nachweisen,
Be
erstens der Reaktion ohne Stimmungsänderung entspricht, zweitens die
kürzeste von allen ist und drittens nur gerade bei einer Lichtintensität (oder
einem kleinen Intervall) zu finden ist. Denn die normalen Reaktionszeiten
bilden eine Kurve ohne Wendepunkt im Gegensatz zu denen etiolierter
Pflanzen, wo jede zwei verschiedenen Helligkeiten entspricht, einer hohen
und einer niedrigen. Nach dem, was oben (p. 276) über den Unterschied
des Verhaltens im Dunkeln und am Licht gezogener Pflanzen gesagt wurde,
muß ja die normale Reaktionszeit ebenso wie die gleichmäßig hochgestimmter
Pflanzen bis zu viel höherer Helligkeit abnehmen als dem sogenannten
Optimum für im Dunkeln gezogenene Pflanzen entspricht, und zwar bis an
die durch das Wesen der Reaktion gezogene Grenze.
Daher war es von Interesse, die normalen Reaktionszeiten für ver-
schiedene Lichtintensitäten festzustellen und die so entstandene Kurve mit
der für etiolierte Pflanzen zu vergleichen. Das dürfte schon deshalb einen
gewissen Wert haben, weil es sich vielleicht manchmal als zweckmäßig
erweisen wird, zur Vermeidung der Störungen, die sich bei physiolo-
gischen Arbeiten aus der Umstimmung ergeben, solche Pflanzen zu ver-
wenden, die unter Rotation an die betreffende Lichtintensität „gewöhnt“
worden sind.
Ich habe vor einer Nernstlampe die normalen Reaktionszeiten in ver-
schiedenen Entfernungen gemessen. Um sicher zu sein, daß die benutzten
Avena-Keimlinge wirklich die entsprechende Stimmungshöhe erreicht hatten,
wurden sie mindestens zwei Stunden an der betreffenden Stelle rotiert.
Stets wurden sechs Töpfe auf einmal exponiert und zu dem Zweck die im
methodischen Teil beschriebene Anordnung (p. 271) benutzt. Schließlich
wurden die Klinostaten zum Zweck der Reaktion angehalten und neben
jeden Topf ein frischer aus dem Dunkeln gestellt, um die Reaktionszeit
etiolierter Keimlinge mit der der akkomodierten zu vergleichen. Aus einer
größeren Zahl von Versuchen erhielt ich Durchschnittswerte, die mit einigen
Abrundungen die Kurve II ergaben. Die gefundenen Reaktionszeiten enthält
Tabelle III.
Tabelle III (zu Kurve II).
Avena.
Reaktionszeiten Reaktionszeiten 5
alaare im Dünkaln owachnener Bun am Orte vorbelichteter Sa
cm Minuten IR: Minuten ir
30 55, 60, 55, 55—60 557 | 30. 30, 25 23
60 60, 40—45, 50. 50 52 | 30, 35—40. 25 0
90 50, 40—45, 50, 55 | 50 || 20,28930580 35 32
120 45, 40, 50, 45, 50 I 46 || 30-35, 35, 30, 30—35 32
150 50, 50, 45, 45, 50 | 46 | 40,783, 25, 30 32
200 55, 50. 40—45, 40 48 | 33, ah 36
300 45, 50, 45, 45, 40—45, 40 | 45 \ 40, 40. 35, 30 36
400 45, 45—50, 40, 45, 55 46 50, 35. 40, 40 41
500 50, 45—50, 45, 45 48 | | 4550, 40—45, 40, 50, 45 45
600 50—55, 45, 55, 50 51 | 55, 45—50. 50 50
700 50—55, 60, 65, 55 59 | 60, 55—60, 65. 60 60
800 60, 80, 70, 65—70 69 70, 70, 80, 60 70
283
P
Man sieht, daß die normalen Reaktionszeiten mit wachsender Helligkeit
stetig abnehmen, erst stärker, dann weniger, um schließlich konstant zu
werden.) Nach der anderen Richtung, wo die Reaktionszeiten bei sinkender
Lichtintensität in höherem Maße zunehmen, ist die Grenze weiter entfernt.
Sie wird durch die Reizschwelle bezeichnet, die ja nicht tiefer gehen kann,
als sie bei Pflanzen ist, die im Dunkeln kultiviert wurden. Wäre der
Dunkelraum, der mir zur Verfügung stand, noch länger als 8 m gewesen,
so hätte ich sicher auch noch längere Reaktionszeiten als solche von
65—70 Minuten bekommen.
Damit ist nun die Kurve der nicht vorbelichteten Pflanzen zu vergleichen,
die aus dem Dunkeln unmittelbar vor die Lampe kamen. Wir sehen an
ihr nichts neues. Die Reaktionszeiten sind in einer gewissen mittleren
Helligkeit am kürzesten und nehmen von da sowohl bei Verstärkung als
auch bei Abschwächung des Lichtes zu. Von 200—500 em Entfernung
Kurve II.
von der Nernstlampe waren sie am kürzesten und nahezu konstant, ein
Umstand, der alle früheren Versuche, die Reaktionszeit als Maß der Reiz-
stärke zu benutzen, so unsicher machte. Er rührt daher, daß zwischen
200 und 500 em die Reaktionszeit etwa ebenso stark ab-, wie die Um-
stimmungszeit zunimmt. Von da überwiegt nach der einen Seite das An-
wachsen der einen, nach der anderen das der anderen.
1) Hätte ich die Helligkeit weiter gesteigert, was bei der Nernstlampe nicht
möglich war, so wäre die Reaktionszeit konstant auf derselben Höhe geblieben, die
die tiefste Stelle der Kurve darstellt, da auch bei intensivstem Licht keine Abnahme
mehr zu konstatieren war.
284
Wir können ohne großen Fehler den Abstand zwischen beiden Kurven
als Umstimmungszeit ansehen, jedenfalls wird eine enge Proportionalität
zwischen beiden bestehen. Dann sehen wir, daß die Umstimmungszeit mit
wachsender Differenz zwischen der vorhandenen und der zu erreichenden
Stimmung stark zunimmt. Mit sinkender Lichtintensität nimmt der Abstand
zwischen beiden Kurven ab, so daß sie schließlich zusammenfallen. Das
bedeutet, daß hier keine Umstimmung vor Beginn der Reaktion nötig ist, so
daß also die betreffende Lichtintensität von vornherein in den tropistischen
Stimmungsbezirk fällt. Der Punkt, wo beide Kurven sich vereinigen, stimmt
etwa mit dem überein, wo die Reaktionszeit für etiolierte Keimlinge aufhört
zu sinken, da an dieser Stelle die eben merklich werdende Umstimmungszeit
anfängt auf den Verlauf der Kurve zu wirken.
Nun war noch das Verhalten hochgestimmter Pflanzen bei geringer
Liehtintensität zu verfolgen. Wie ich schon bei den ersten Versuchen fand,
reagieren sie langsamer als solche, die im Dunkeln kultiviert worden sind,
und zwar wird die Differenz mit sinkender Lichtintensität immer größer,
bis schließlich die am Licht gewachsenen um Stunden hinter den etiolierten
zurückbleiben (Tabelle I und II).
Um einen etwas schärferen Ausdruck für das Verhalten hochgestimmter
Pflanzen bei niedriger Lichtintensität zu bekommen, wurde vor der Nernst-
lampe ein Stück Kurve für die Reaktionszeiten am Sonnenlicht gewachsener
Avena-Keimlinge bestimmt und als Ile auf Seite 283 eingetragen. Allerdings
ist es aus verschiedenen Gründen, hauptsächlich aber wegen der größeren
individuellen Schwankungen, weniger zuverläßig als die beiden anderen.
Immerhin sieht man, daß zwar bei der größten Helligkeit in der Nähe der
Liehtquelle, die der Höhe der Stimmung am nächsten kam, die Reaktions-
zeit nur wenig größer ist als die normale. Aber mit abnehmender Licht-
intensität wachsen die Reaktionszeiten mehr und mehr, so daß die Kurve
sehr steil wird.
Wie aus einigen Versuchen mit Vorbelichtung durch künstliches Licht
hervorging, zeigen sich so starke Differenzen nur bei Keimlingen, deren
Stimmung so hoch ist, daß es sehr lange dauert, bis sie so weit gesunken
ist, daß die schwachen Reize die Schwelle erreichen. Auch hier findet
nämlich, ebenso wie bei niedrig gestimmten Pflanzen und hoher Lichtinten-
sität, zunächst keine Perzeption statt, bis die Umstimmung so weit vor-
geschritten ist, daß der Reiz die Schwelle (hier die untere!) überschreiten
kann. Es geht aus diesem Versuch offenbar hervor, daß die Herabstimmung
länger dauert als die Höherstimmung, aber noch nicht mit voller Sicherheit,
da ja die Anfangsstimmung nicht bekannt ist. Außerdem darf man nicht
vergessen, daß sich die Steilheit der Kurve zum Teil daraus ergibt, daß
hier die Zunahme der Reaktionszeit und der Umstimmungszeit sich summieren,
während bei der Kurve für niedrig gestimmte Pflanzen (IIb) nur dadurch
überhaupt ein Steigen stattfindet, daß schließlich das Anwachsen der Um-
stimmungszeit die Abnahme der Reaktionszeit übertrifft. Außerdem gibt
285
es für die Zunahme der Reaktionszeit nicht wie für die Abnahme eine
Grenze in dem Reaktionsvermögen der Pflanze.
Um das Verhältnis von positiver zu negativer Umstimmungszeit festzu-
stellen, wurde gleichzeitig die Reaktionszeit akkomodierter Pflanzen in zwei
möglichst verschiedenen Lichtintensitäten festgestellt und die Reaktionszeit
solcher, die nach der Akkomodation umgewechselt worden waren. Tabelle IV.
Die Versuche waren leider nicht alle gleich deutlich. Es ging aus ihnen
aber hervor, daß die Umstimmung nicht in beiden Richtungen gleich schnell
erfolgt, die Erniedrigung der Stimmung braucht mehr Zeit, als
die Erhöhung. Nimmt man geringere Lichtdifferenzen, so werden die
Versuche unscharf.
Die Reaktionszeiten für die positive heliotropische Reaktion im Dunkeln
gewachsener Keimlinge geben eine Kurve mit einem Höhepunkt, dem
Optimum der Pflanzenphysiologen seit Sachs. Obgleich nun wohl die An-
Tabelle IV.
a. Avena satıva. b.
Vorbel. em | Vorbel. em |
v. d. Lampe v. d. Lampe
50 | 800 | 50 | 700 ||
RR EN FR Fe ee) en re
Lampe 800 | 110 | 70 40 Lampe. 700 | 90 60 | 30
| Reaktionszeit Umstim- Reaktionszeit | Umstim-
| in Minuten | mungszeit in Minuten | mungszeit
nahme dieses Forschers verlassen ist, daß die Abhängigkeit der physiolo-
gischen Prozesse von äußeren Umständen stets eine solche Kurve liefert
(Sachs 27, 233), so ist es doch von Interesse einen Fall aufzeigen zu
können, wo die Optimumkurve in ihre Komponenten aufgelöst werden kann.
Wie ich gezeigt habe, kommt sie beim Heliotropismus durch den Antago-
nismus eines mit steigender Reizintensität verzögernden und eines beschleu-
nigenden Einflußes zustande. Indem zuerst das Absinken der Reaktionszeit
fast rein zur Geltung kommt, von einer gewissen Intensität ab aber die
Umstimmungszeit Einfluß auf die Länge der scheinbaren Reaktionszeit ge-
winnt, findet eine Richtungsänderung der Kurven statt, die mit dem Einfluß
der Beleuchtungsstärke auf die Reaktionszeit an sich nichts zu tun hat.
Selten wird man wohl in der glücklichen Lage sein, die Wirkung zweier
Komponenten auf den Verlauf einer Reaktionskurve aufzeigen zu können.
Gewöhnlich wird der Hemmungsfaktor im inneren Getriebe des Organismus
verborgen bleiben, so daß scheinbar eine einheitliche Ursache Ansteigen und
Abfallen der Kurve bewirkt. So war es im Grunde auch mit dem ver-
zögernden Einfluß der heliotropischen Stimmung auf die Reaktionszeit bei
„supraoptimaler“ Lichtstärke, bis es gelang, in ihrer Nachwirkung eine
Handhabe zu ihrer Absonderung zu finden.
236
Wahrscheinlich wird ein Reizagens sehr häufig, schon bevor es durch
seine Intensität schädlich auf den Gesamtorganismus einwirkt, einen die
Reizwirkung hemmenden Vorgang auslösen oder steigern und dadurch das
Absinken der Kurve zuwege bringen, die nur das äußerlich wahrnehmbare
Aggregat von Vorgängen in seinem quantitativen Verlauf darstellt.
Die von mir revidierte Reizkurve für den Heliotropismus stellt nun auch
ein vollkommenes Analogon zu der des Geotropismus dar, bei dem ebenfalls
mit steigender Zentrifugalwirkung die Reaktionszeit erst schneller, dann
immer langsamer abnimmt, um schließlich konstant zu bleiben. Dort gibt
es offenbar keinen Indifferenzzustand bei starken Reizen und keine Beein-
flussung der Stimmung durch Schwerereiz !).
Verhältnis des heliotropischen zum Umstimmungsreiz.
In meinen bisherigen Erörterungen habe ich überall die Sache so dar-
gestellt, als wäre die Umstimmungsreizbarkeit etwas von der heliotropischen
verschiedenes, und nur betont, daß in der heliotropischen Reizung selbst
schon ein Umstimmungsfaktor gegeben sei, worauf auch Pfeffer in seiner
Physiologie (23, 626 u. 627) hinweist. Ich glaube aber weiter gehen zu
dürfen und nehme an, daß eine Einwirkung auf die ‘Stimmung mit der
Liehtreizung untrennbar verknüpft ist und an dieselben reizbaren Strukturen
gebunden ist. Beide sind nur Seiten ein und desselben Gesamtvorganges
oder Folgen der ersten Veränderung in dem gereizten Organ, in dem sich
nicht nur der eine Vorgang als gerader Weg von der Perzeption zur Re-
aktion abspielt, sondern auf den Reizanstoß hin mancherlei Prozesse neben-
und durcheinander wirken, von denen nur sehr wenig äußerlich sichtbar
ist. Zu diesem gehört die Einwirkung auf die Stimmung, die aber mit ge-
eigneten Mittelm nachweisbar ist. Sie setzt sofort mit der Belichtung ein,
während der tropistische Reiz, wie ich zeigen konnte, oft erst wirksam wird,
wenn jene eine gewisse Höhe erreicht hat. Von einer eigentlichen Reizung
der Strukturen, die für die tropistische Perzeption maßgebend sind, kann man
jedoch wohl nur beim Erreichen oder Festhalten einer gewissen Stimmungs-
höhe reden, während beim Übergang von starker zu schwacher Beleuchtung
ein Nachlassen des Reizes stattfindet. Bei völliger Verdunkelung wird
durch autonome Faktoren, — Gegenreaktionen, wie sie in allen Reizprozessen
wirksam sind, — allmählich der tiefste Stand der Stimmung erreicht. Unter
Umständen ist auch die geringe Höhe der Stimmungsreizung oder kurzweg
„Stimmung“ Bedingung für die Wirksamkeit des tropistischen Reizes. Dieser
aber ist an sich, als physikalische Reizursache, immer ein Hemmnis für die
Erniedrigung der Stimmung. Deshalb ist es möglich, die Reaktion hoch-
gestimmter Pflanzen bei schwachem Licht durch zeitweise Verdunkelung zu
1) Ich fand keinerlei Differenz in der Reaktionszeit solcher Keimlinge, die aufrecht
gestanden und solcher, die eine zeitlang an horizontaler Achse rotiert hatten.
au
beschleunigen gegenüber anderen Pflanzen, die die ganze Zeit mit diesem
schwachen Lichte beleuchtet wurden.
Nachweisen läßt sich die Veränderung der Stimmung dadurch, daß sie
die unmittelbare Einwirkung des Reizes überdauert, wie das auch beim
heliotropischen Reiz der Fall ist. Letzterer aber läßt sich durch Rotation
oder zweiseitige Beleuchtung in seiner tropistischen Wirkung aufheben, so
daß allein der umstimmende Faktor wirksam bleibt. Bei den Umstimmungs-
reizen ist natürlich eine gegenseitige Hinderung nicht möglich, weil es sich
nicht um Richtungsreize handelt, im Gegenteil findet hier eine Summation
der gesamten Lichtmenge statt, die ein Organ trifft. Ist dasselbe stielrund,
wie es für die Hypokotyle der Paniceen und Dicotyledonenkeimlinge sowie
für die Gramineencoleoptylen annähernd zutrifft, so ist die beim Rotieren
aufgefangene Lichtmenge der beim Stillstehen gleich ').
Auf anderen reizbaren Strukturen als die tropistischen und die Um-
stimmungsreize wird dagegeu von vornherein der Einfluß der Beleuchtung
auf das Ergrünen und das Wachstum beruhen, der gleichfalls eine Lichtreiz-
barkeit darstellt. Besonders letztere würde eine genauere Untersuchung, was
Reizleitung, Korrelation und zeitliche Verhältnisse betrifft, sicher lohnen.
(Vergleiche Fitting 7, 25.)
Für das Verständnis des Zusammenhanges zwischen Umstimmung und
heliotropischer Reizbarkeit schien es mir auch von Bedeutung, zu unter-
suchen, ob die Lokalisation der heliotropischen Perzeption in allen Fälleu
mit der der umstimmenden zusammenfällt. In heliotropisch perzipierenden
Organen ist immer beides verknüpft. Wollen wir also eine eventuelle
Trennung nachweisen, so müssen wir ein Organ benutzen, das keine Per-
zeption, wohl aber heliotropische Reaktion zeigt, denn nur diese gestattet,
die Höhe der Stimmung zu erkennen. Also kamen für diesen Zweck nur
Objekte in Betracht, bei denen Perzeption und Reaktion vollkommen auf
verschiedene Organe verteilt sind. Blätter schienen weniger geeignet, also
blieben nur die durch Rothert so gut bekannten Puniceen-Keimlinge als
brauchbar übrig, bei denen der die Krümmung ausführende Achsenteil selbst
keine Perzeptionsfähigkeit besitzt. Es fragte sich nun, ob dieses sogenannte
Hypokotyl durch direkte Beleuchtung überhaupt nicht affıziert wird und
auch in seiner Stimmungshöhe von der an seiner Spitze befindlichen
Koleoptyle abhängig ist, wie es bei der heliotropischen Reizung der Fall ist.
Um diese Frage zu entscheiden, wurde die Spitze der Keimlinge bis
zum Ansatz des Hypokotyles mit einem Käppchen aus Metallfolie bedeckt,
wie das schon Darwin (3, 402) und Rothert (26, 17) getan haben. Nur
daß ich anstatt Zinnfolie solche aus Aluminum benutzte, die etwa den
!) Nur von dieser hängt aber die Einwirkung auf die Stimmung ab. Deshalb
kann ich nicht glauben, daß Pfeffers (23, 627 Anm. 1) Annahme richtig ist, daß
diffuse und tropistische Inanspruchnahme verschiedene Wirkung gaben. In meinen
Experimenten findet sich auch nichts, was dafür spricht.
288
dritten Teil wiegt und dabei etwas steifer ist. Mit solchen Käppcehen be.
deckte Keimlinge standen drei Stunden 30 em von der Lampe, ohne sich
heliotropisch zu krümmen. Wurden dann frische aus dem Dunkeln daneben
gestellt und die Käppchen abgenommen, so reagierten in allen Fällen die
vorbelichteten schneller, ein Zeichen für die Erhöhung der Stimmung, die
allerdings zurückblieb gegen solche Keimlinge, die die gleiche Zeit ohne
Käppehen vor der Lampe rotiert hatten. Da dabei die von Rothert
(26, 70) als so störend empfundenen Ungleichheiten !) nicht bemerkt wurden,
gaben mehrfach wiederholte Versuche immer sehr nahe dasselbe Resultat,
sodaß in meinen Protokollen, die von fünf zu fünf Minuten aufgenommen
wurden, immer dieselben Zeiten stehen.
Es reagierten 50 em von der Nernstlampe:
Panicum-Keimlinge, ohne Kappe vorbelichtet, nach . . . 45—50 Min.
solche, die mit „ - waren, nach. 70B
solche, die garnicht h = ie: 1007528
Um das wichtige Resultat völlig sicherzustellen, will ich noch einmal
besonders betonen, daß bei der angewendeten Liehtintensität die Differenzen
sehr scharf waren und sich auch nach Beginn der Reaktion längere Zeit
deutlich zeigten. Wurden die Versuche bei schwächerem Lichte angestellt,
so wurden die Differenzen der verschieden behandelten Keimlinge geringer,
die individuellen größer.
Das Ergebnis läßt nun eine verschiedenartige Deutung zu. Scheinbar
die einfachste ist die, daß heliotropische Reizbarkeit und Umstimmungs-
fähigkeit verschieden lokalisiert sind, und daß letztere an die Krümmungs-
fähigkeit gebunden ist, die das Hypokotyl allein besitzt. Daß die Stimmungs-
veränderung direkt auf die Reaktion wirke, weil in meinem Versuche nur
das reagierende Hypokotyl von den Lichtstrahlen getroffen wird, ist aber
durchaus noch nicht bewiesen. Ebenso gut kann ja eine Leitung des
Stimmungsreizes in akropetaler Richtung nach der Koleoptyle stattfinden,
die allerdings als solche von höchstem Interesse wäre.
Diese letztere Deutung nun erscheint mir als die weitaus wahrschein-
lichere. Für sie spricht erstens, daß das Licht bei Verdunkelung der
Koleoptyle eine geringere umstimmende Wirkung hat, als wenn diese direkt
getroffen würden. Beeinflußte die Stimmung unmittelbar die Reaktion, so
müßte der volle Effekt erreicht sein, wenn das allein sich krümmende
Hypokotyl in seiner ganzen Ausdehnung vom Licht getroffen wird. Zweitens
spricht gegen den direkten Einfluß auf die Reaktion die Tatsache, daß eine
Veränderung der Stimmung auch die Richtung der Reaktion (ob positiv
oder negativ) beeinflussen kann. Denn wenn der Stimmungszustand des
Organes direkt auf die Stärke der Reaktion einwirkte, so wäre nicht ein-
zusehen, wie dabei noch zwei Möglichkeiten, die positive oder die negative
!) Diese rührten wohl von einer ungleichen Verschlechterung der Luft im Sinne
Richters (25) her.
289
Reaktion, vorhanden sein könnten. Offenbar ist irgendwo in der Reizkette
eine Art Umschaltung vorgesehen, die bewirkt, daß die folgende tropistische
Polarisation entweder in der einen oder in der entgegengesetzten Richtung
stattfinden kann; ähnlich wie die Stellung eines Hahnes bei der Lokomotive
bewirkt, daß beim Zulassen des Dampfes die Maschine entweder vorwärts
oder rückwärts fährt. Diese Umschaltung würde dann von der Größe der
Differenz zwischen Stimmung und Außenreiz abhängen. Ist die reizbare
Struktur auf negative oder positive Reaktion eingestellt, so bewirkt die In-
tensität des Reizes die Stärke der Reaktion. Diese Auffassung stellt sich
in Gegensatz zu der älteren, z. B. durch Oltmanns vertretenen, daß sich
die Pflanze gegen eine Lichtintensität an sich indifferent verhält, gegen eine
stärkere negativ reagiert. Erst die Beleuchtung mit diesen Liehtintensitäten
bringt den Zustand hervor, der sich in der fehlenden oder negativen Re-
aktion offenbart. Die sogenannten indifferenten Reize z. B. werden per-
zipiert und würden positive Krümmung verursachen, wenn nicht durch Be-
leuchtung mit Lieht von der betreffenden Intensität eine Umschaltung bewirkt
würde, die zunächst jede Reaktion verhindert. Daß das so ist, läßt sich
beweisen, wenn man dieselbe Lichtstärke in Pausen, als intermittierendes
Licht anwendet. Das geschieht, indem man eine Scheibe mit Ausschnitten
zwischen Pflanze und Lichtquelle rotieren läßt. Sind die Dunkelpausen
lang genug, so findet positive Reaktion statt, auch wenn das Licht an sich
zu stark ist, um solche hervorzurufen. Also findet Perzeption auch dieser
Lichtstärke statt; aber bei einer gewissen Reizhöhe, die bei zwischen-
geschalteten Dunkelpausen nicht erreicht wird, wird die Kette zwischen
Perzeption und Reaktion unterbrochen oder die Umschaltung auf negative
Reaktion bewirkt. Nebenher geht aber immer noch die Veränderung der
Stimmung, die es bewirken kann, daß die Umschaltung zurückgeht und die
negative Reaktion in eine positive umschlägt (Oltmanns 27, 12).
Da es also nach dem Gesagten nicht anzunehmen ist, daß die Ver-
änderung der Stimmung unmittelbar die Reaktion beeinflußt, so bleibt nur
noch die Möglichkeit übrig, daß die Beleuchtung des Hypokotyls von Pa-
nicum die Stimmung in der verdunkelten Koleoptyle erhöht, oder daß die
Reizleitung durch vorhergehende Beleuchtung affıziert wird.
Das sieht nun so aus, als ob die oben ausgesprochene Behauptung,
Stimmungsreiz und tropistischer würden von derselben Struktur perzipiert,
sich nicht aufrecht erhalten ließe. Es bleibt aber eine andere Deutung,
die mir wahrscheinlicher ist. Ich sehe in meinem Befund einen Parallelfall
zu der von Fitting (6, 373 ff.) konstatierten Hemmungsreizbarkeit der
Außenseite gewisser Ranken, die an sich keine Perzeptionsfähigkeit für
die Krümmungsreaktion hat. Ich denke mir die ungleiche Verteilung der
Reizbarkeit als Anpassung (resp. Arbeitsteilung) aus der gleichmäßigen her-
vorgegangen. Die für den Reiz nur mittelbar empfänglichen Teile, in dem
einen Fall die Rankenaußenseite, in dem anderen das Paniceen-Hypokotyl,
haben aber nur die Fähigkeit verloren, eine Krümmungsperzeption selbst-
290
ständig aufzunehmen, nicht die mit dieser verknüpfte Hemmungs- und Um-
stimmungsreizbarkeit. Klarer würde die Analogie werden, wenn man fände,
daß die heliotropische Reizung der Koleoptyle von der einen Seite, durch
Beleuchtung nur des Hypokotyls von der anderen Seite gehemmt würde
(Fitting 7, 68). Solche Versuche sind aber technisch schwer ausführbar,
weil die einseitige Verdunkelung der Spitze bei den zarten Objekten Schwierig-
keiten macht. Auch nach meinen Versuchen ist eine solche Hemmungs-
reizbarkeit des Panicum-Hypokotyls nicht bestimmt vorauszusagen, immerhin
aber wahrscheinlicher gemacht.
Nach den obigen Auseinandersetzungen ist die Veränderung der
Stimmung eines Organes aufzufassen als eine Beeinflussung der
reizbaren Struktur, die die Grundlage irgend eines Teiles
der Reizkette, — wahrscheinlich der Perzeption, — darstellt, durch
einen gleichartigen oder ungleichartigen Reiz.
Nicht anschließen kann ich mich der Einteilung von Pfeffer (22, 477),
der zwischen solchen Stimmungsänderungen unterschied, die mit der Reiz-
wirkung steigen und fallen und solchen, die durch die Kulturbedingungen
anerzogen sind. Zu den ersteren rechnet er die bei chemotaktischen Orga-
nismen beobachteten, zu den letzteren „die größere Empfindlichkeit der
etiolierten Pflanze gegen Licht“. In Wirklichkeit besteht der Unterschied
nur in der längeren Nachwirkung bei der heliotropischen Pflanze, denn
auch bei ihr steigt und fällt die Stimmung mit der Belichtung. Die weiter
von Pfeffer (loc. eit.) als Beispiel für den Einfluß der Kulturbedingungen
angeführte geringe Reizbarkeit der schlecht ernährten Mimose gehört, ebenso
wie die Verzögerung aller Reizbewegungen durch die Kälte, überhaupt kaum
hierher und ist wohl mehr auf eine Hemmung der allgemeinen physiolo-
gischen Tätigkeit, besonders aber des Bewegungsmechanismus zurückzuführen,
als auf eine spezifische Beeinflussung der Stimmung.
Sicherlich gibt es solche induzierte Stimmungen, die nicht mehr rück-
gängig zu machen sind, wie z. B. die durch Licht bestimmte Dorsiventralität
der Marchantia-Brutkörperchen, sowie die Polarität des Fucus-Eies und der
Equisetum-Sporen, die ebenfalls von der Lichtrichtung abhängt. Aber auch
hier liegt ein Eingreifen des Stimmungsreizes in das physiologische Getriebe
an einer ganz bestimmten, vorgesehenen Stelle vor, was bei der Verringerung
der Sensibilität durch ungünstige Bedingungen nicht der Fall ist.
Hier reicht eben die Auffassung der Stimmungserhöhung als einfache Ver-
ringerung der Reizbarkeit nicht aus. Letztere wird z. B., wie erwähnt,
auch durch Mangel an Wärme hervorgerufen, die zu den Grundbedingungen
alles Lebens gehört. Das aber als Beeinflussung der Stimmung aufzufassen,
wie es Pfeffer (23, 77) tut, erscheint mir nach meinen Untersuchungen
für eine klare Unterscheidung nicht günstig. Der Mangel einer Lebens-
bedingung bewirkt in der Verzögerung der Reizkrümmungen keine An-
passungsreaktion der Pflanze, die dagegen vorliegt, wenn höhere Temperatur
die Schwärmer von Algen auf höhere, niedrige auf geringere Lichtintensität
291
einstellt (Strasburger 29, 55). Hier kann die Erniedrigung der Temperatur
die Reaktion gegen Licht verstärken oder schwächen, je nach der Intensität
dieses, wie es bei der Wärme als formaler Bedingung nicht der Fall ist.
Eine Veränderung der Stimmung in meinem Sinne ist also immer als eine
Art Anpassung aufzufassen, die die Reaktion gegenüber irgend einem Reize
verändert. Werden z. B. Nebenwurzeln beleuchtet, so verkleinern sie ihren
Grenzwinkel ebenso, als wenn sie stärker geotropisch gereizt würden. Da ist
die Veränderung der Stimmung klar. Dagegen wirken ungünstige allgemeine
Umstände auf die Reaktion gegenüber jeder Reizintensität hemmend.
Nachdem wir so den Umfang dessen, was als Beeinflussung der Stimmung
anzusehen ist, fester umschrieben haben und das bezeichnende in der
spezifischen, wo nicht ausschließlichen Wirkung auf eine bestimmte Reiz-
barkeit ohne Störung des übrigen physiologischen Getriebes gefunden haben,
bleibt als weitere Einteilung am zweckmäßigsten die nach der Dauer der
Einwirkung.
l. Keine oder fast keine Nachwirkung finden wir beim chemischen und
besonders beim Schwerereiz.
2. Eine länger andauernde Wirkung zeichnet den Lichtreiz aus.
3. Dauernde Veränderung der Stimmung findet sich in der sogenannten
stabilen Induktion, wie bei Marchantia-Brutkörpern ete. (Pfeffer 23, 181
und 679), die aber mit den vorher besprochenen Erscheinungen nur in
lockerem Zusaminenhang steht.
Weiter könnte man dann unterscheiden zwischen Umstimmungen durch
innere und äußere Bedingungen, zwischen quantitativen und qualitativen
Umstimmungen. Auf diese Weise ist aber auch keine scharfe Trennung
der einzelnen Gruppen zu erreichen. Auch kreuzen sich diese verschiedenen
Unterscheidungen in der mannigfachsten Weise, sodaß ein ganzes System
dazu gehörte, alle bekannten Fälle unterzubringen. Hiervon nehme ich
aber, der Gewaltsamkeit solcher Versuche wegen, Abstand.
Biologische Bedeutung der Umstimmungsiähigkeit
heliotropischer Pilanzen.
Aus dem engen Zusammenhang, den ich zwischen der Perzeption von
Lichtreizen und dem Einflusse auf die Stimmung fand, läßt sich schon
schließen, daß voraussichtlich überall da, wo ein Lichtsinn, d. h. Unter-
scheidungsfähigkeit von Lichtintensitäten vorhanden ist, auch ein veränder-
licher physiologischer Zustand das betreffende Organ befähigt, sich der
Stärke der Beleuchtung anzupassen. Das wurde von mir für die Achsen-
organe und Koleoptylen von Keimlingen eingehend studiert, für Blätter ist
es durch Oltmanns (20, 235) ebenfalls bekannt. Auch bei phototaktischen
Pflanzen und Tieren, sowie bei der Netzhaut des menschlichen Auges wurden
entsprechende Einrichtungen gefunden, wovon im nächsten Kapitel noch die
Rede sein soll.
Beiträge zur Biologie der Pflanzen, Bd. IX, Heft II. 19
2
Die veränderliche Stärke der Beleuchtung in der Natur macht offenbar
eine solche Einrichtung nötig, die sich dagegen beim Schweresinn, der durch
eine stets gleichbleibende Kraft affıziert wird, nicht herausgebildet hat.
Nun muß aber die Frage gestellt werden, was eigentlich durch diese ge-
setzmäßig veränderliche Lichtstimmung ökologisch erreicht wird.
Meine Versuche wurden mit Keimlingen angestellt, die eine schöne
Akkomodationsfähigkeit zeigen, wie ja überhaupt die Pflanze in ihrer ersten
Lebensperiode besonders anpassungsfähig ist und sein muß, um die richtige
Orientierung im Raume zu gewinnen und sich aus der Erde empor zu
arbeiten oder, fallsıder Same oberirdisch keimt, ihre Wurzeln in diese zu
versenken und den Stengel über sie zu erheben.
Aus diesen Umständen ergibt sich schen, daß die Keimpflanze einem
plötzlichen Lichtwechsel ebenso wie einem möglichst langen Aufenthalt im
Dunkeln am häufigsten standzuhalten haben wird. Dabei ist ihr nun ihre
Stimmungsreizbarkeit von besonderem Nutzen. Ein Keimling, der in der
Erde tiefster Dunkelheit ausgesetzt ist, wächst zunächst negativ geotropisch
senkrecht nach oben, auf dem voraussichtlich nächsten Wege zum Licht.
Sobald ihn nun der geringste Lichtschimmer trifft, folgt er diesem, da seine
Reizschwelle die denkbar niedrigste ist. Auf diese Weise kommt er all-
mählich, indem der Heliotropismus den Geotropismus überwindet!) oder mit
ihm zusammenarbeitet, in immer hellere Beleuchtung, auf die er aber, seiner
steigenden Lichtstimmung wegen, in derselben Weise positiv reagiert, bis
er sein Ziel, die freie Atmosphäre, erreicht hat. Wird das junge Pflänzchen
aber plötzlich von allzu grellem, ihm noch schädlichem Lichte getroffen, so
sucht es der zu starken Transpiration und anderen Schädlichkeiten, die die
kräftige Insolation für eine etiolierte Pflanze hat, durch negative Krümmung
auszuweichen, bis es durch Erhöhung der Stimmung wieder befähigt wird,
sich aufzurichten. Inzwischen wird durch Ergrünen, Verstärkung der Zell-
wände und der Cutieula und andere, längere Zeit brauchende Anpassungen
an starke Beleuchtung der schädigende Einfluß aufgehoben.
Eine solche, negativ heliotropische Krümmung wäre nun für eine ältere
Pflanze, die schon die ersten Blätter am Licht ausgebreitet hat, nicht nur
überflüssig, sondern direkt schädlich. Auch muß diese auf viel stärkere
Lichtintensitäten heliotropisch reagieren, um eine geeignete Orientierung zu
gewinnen als sie die junge, noch zwischen Erde, Steinen oder Blättern
verborgene Keimpflanze gewöhnlich treffen. Daher ist die Erhöhung der
Stimmung durch Beleuchtung ökologisch ebenfalls verständlich.
Auf ein schwierigeres Gebiet begeben wir uns, wenn wir das Verhalten
der erwachsenen Pflanze gegenüber dem Licht auf das Mitwirken des
1) Es ist wohl klar, worauf Ozapek in seiner Arbeit (2) aber nicht hingewiesen
hat, daß es eine biologische Bedeutung hat, wenn Keimlinge bei gleichzeitiger Ein
wirkung von Schwerkraft und Licht letzterem folgen. Die Erreichung des Lichtes
ist Ja der Endzweck. Wie leicht kann der Weg senkrecht nach oben versperrt sein.
293
Stimmungsfaktors untersuchen. Noch ganz dem für Keimpflanzen gesagten
ähnlich sind die Bedingungen für solche Pflanzenteile, die auf irgend eime
Weise verschüttet wurden und für Sprosse, die aus Wurzeln und unterirdischen
Stengelorganen austreiben; nur daß hierbei im allgemeinen die Schwerkraft
im höheren Maße die Führerrolle übernimmt (vergl. z. B. etiolierte Weiden-
zweige bei Wiesner 30 I, 40).
Wie steht es nun aber mit dem nächtlichen Zuwachs, der bekanntlich
den des Tages gewöhnlich übertrifft? Falsch wäre es natürlich anzunehmen,
er wüchse unorientiert. Geotropismus, Autotropismus und Epinastie richten
Achsenorgane und Blätter, so daß sie auch bei Abschluß des Lichtes eine
annähernd natürliche Lage gewinnen, die aber bei den Blättern und an
einseitig beleuchteten Orten auch bei den Sprossen erst durch den Helio-
tropismus zweckmäßig korrigiert wird. (Pfeffer 23, 677 u. 687.) Auch
geht durch die anderen genannten, richtenden Faktoren ein Teil der am
Tage erreichten. Lichtorientierung verloren, der am Morgen möglichst früh
wiedergewonnen werden muß. Würde nun auch über die nächtliche Ver-
dunkelung die Lichtstimmung die Höhe behalten, die sie am Tage vorher
erreicht hatte, so würde erst dann eine phototropische Reaktion eintreten,
wenn die Beleuchtung annähernd so stark geworden wäre, wie die hellste
früher erreichte (s. p. 281). Damit aber würde einmal die zur Krümmungs-
orientierung günstigste Zeit raschen Wachstums unbenutzt vorübergelassen
werden und außerdem würde ein Teil der zur Assimilation nötigen Sonnen-
strahlen die Pflanze, und besonders die Blätter, noch in ungünstiger
Lage antreffen. So aber findet schon am frühen Morgen eine heliotropische
Orientierung statt, so daß die Pflanze nur mit wachsender Helligkeit, ent-
sprechend dem Stande der Sonne, eine allmähliche Veränderung der Stellungen
vorzunehmen hat.
Nicht alle Blätter sind in derselben Weise befähigt, ihre Orientierung
nach der Stärke und Richtung des Lichtes schnell und ausgiebig zu ver-
ändern. Besonders bevorzugt erscheinen die mit Gelenken versehenen. Für
sie spielt das rasche Wachstum bei schwacher Beleuchtung keine Rolle,
sobald sie allein durch Variationsbewegungen zu reagieren imstande sind.
Bei ihren verhältnismäßig schnellen Krümmungen aber ist es von umso
größerer Bedeutung, durch rasche Stimmungsveränderung stets vollkommen
perzeptionsfähig zu sein, falls nicht die Lichtintensität gar zu plötzlich
wechselt. Das kann in zwei Richtungen geschehen, Veränderungen von
Hell zu Dunkel bewirken zunächst keine besondere Reaktion, (abgesehen
natürlich von Schlafbewegungen), umgekehrte veranlassen Profilstellung.
Die nur durch Wachstumsbewegungen auf Licht reagierenden Blätter
sind wohl gewöhnlich nur in ihrer Jugend befähigt, dem Lauf der Sonne
und der Beleuchtungsintensität zu folgen. Das allmählich abklingende
Wachstum verringert die tägliche Bewegungsamplitude, so daß die Blätter
immer schwächer um eine Mittelstellung pendeln, die zuletzt beim Erlöschen
des Wachstums als sogenannte fixe Lichtlage konstant bleibt.
132
29
Bei einem tieferen Eingehen auf die verschiedenen biologischen Typen,
wie es heute noch nicht möglich ist, und weitere Untersuchungen über die
Veränderungen der Lichtstimmung, besonders auch bei den Blättern, vor-
ausgesetzt, würde sicherlich zur ökologischen Bedeutung der Akkomodation
lichtempfindlicher Pflanzenorgane noch mancherlei zu sagen sein. Vorläufig
aber sei das erwähnte genug. Nur sind noch einige, zum Thema gehörige
Angaben und Theorien älterer Autoren zu besprechen.
So sucht Figdor (5, 14) im Anschluß an Oltmanns nachzuweisen,
daß Schattenpflanzen allgemein auf niedrigere Lichtintensität gestimmt sind
als Sonnenpflanzen. Da ich nun gezeigt habe, innerhalb wie weiter Grenzen
die Stimmungshöhe verschiebbar ist, könnte es sich jedoch nur um Fest-
stellung der Grenzen handeln, innerhalb deren sich die Stimmung bewegt,
was von der Auffassung Figdors schon wesentlich abweicht. In Wirk-
lichkeit hat Figdor eine dieser Grenzen festzustellen gesucht, indem er
die untere Reizschwelle im Dunkeln gewachsener Keimlinge bestimmte.
Nehmen wir nun selbst an, daß die Lage dieses Punktes der mittleren
normalen Lichtstimmung an ihrem Standorte gewachsener Keimpflanzen pro-
portional sei, so ist immer noch außer acht gelassen, daß der Lichtgenuß
der Keimlinge keineswegs der der erwachsenen Pflanze proportional zu sein
braucht, nach welch letzterem die Einteilung in Sonnen- und Schatten-
pflanzen allein vorgenommen wird, daß weiter für die biologische Funktion
die Schnelligkeit der Akkomodation und der Reaktion mindestens ebenso
wichtig ist, wie die mittlere Stimmungshöhe.
Soll Figdors Ansicht aber garnicht auf eine teleologisch-biologische
Deutung hinauslaufen, die den Einfluß der Stimmungshöhe auf die helio-
tropische Krümmung zur Grundlage hätte, sondern will er in der Höhe der
Stimmung eine, abgesehen von der Wirkung auf den Heliotropismus, mit
der Standortsanpassung zusammenhängende Einrichtung sehen, so ist nicht
zu verstehen, worin dieser Zusammenhang bestände. Die Höhe der Licht-
stimmung bedeutet doch nicht einen der Beleuchtung angepaßten Zustand
der ganzen Pflanze, wie etwa die Lage der Temperatur-Kardinalpunkte,
die für das Gedeihen des Organismus in irgend einer Wärmelage von Be-
deutung ist, sondern die Lichtstimmung ist garnichts anderes als die Art,
wie die Pflanze auf verschiedene Lichtintensitäten heliotropisch reagiert.
Nun berechtigen noch dazu Figdors experimentelle Ergebnisse nicht zu
dem Schlusse, daß die Pflanzen nach der Lage ihrer heliotropischen Reiz-
schwelle in eine Reihe gebracht werden können, die dem Lichtgenuß an
ihrem Standorte entspricht!). Erstens ist die Zahl der untersuchten Pflanzen
zu gering, zweitens sind schon unter den untersuchten Keimlingen mehrere
Ausnahmen und zweifelhafte Fälle, drittens müßte bei diesen Versuchen
!) Hier soll auch noch eine Vererbung erworbener Eigenschaften mitwirken,
da Figdor annimmt, daß ein sonniger Standort der Mutterpflanze die ältere erbliche
Anlage von Schattenpflauzen auch in der nächsten Generation beeinflusse (für Vieia
sativa 1. ce. p. 14).
295
die Wirkung der Schwerkraft ausgeschlossen werden, da zwei derartige
Versuche (5, 13) ergaben, daß durch den Geotropismus eine sehr wesentliche
Veränderung hervorgerufen wurde, die bei verschiedenen Pflanzen verschieden
groß ausfallen muß. (Die unbekannte Wirkung des Autotropismus bliebe
auch dann noch bestehen!)
Ich ging auf diesen Fall näher ein, um gleichzeitig meinen eigenen Stand-
punkt in dieser Sache zu präzisieren und zu zeigen, was für ein Gewirr von
unbewußten Trugschlüssen hier zu einem, scheinbar einleuchtenden Ergebnis
geführt hat. Auf diese Weise ist der so sehr erwünschte Zusammenschluß
zwischen Biologie und Physiologie nicht zu gewinnen, dazu gehört schon
eine feinere Analyse der Tatsachen.
Wir haben, wie ich nicht erst zu erweisen brauche, vorläufig kein Mittel,
die relative Höhe der Stimmung einer Pflanze in irgend einem Momente fest-
zustellen, außer durch die Verzögerung der Reaktion bei verschiedenen Licht-
intensitäten. Auf diese Weise sind aber immer nur die Stimmungshöhen bei
derselben Pflanzenart zu vergleichen, da die Reaktionszeiten noch von vielen
anderen, unberechenbaren Faktoren, die im Wesen der Pflanze liegen, ab-
hängen. Verschiedene Pflanzenarten zu vergleichen ist nieht möglich, außer
durch die Lage der Reizschwelle, weil bei der Feststellung dieser die Reak-
tionszeit nicht in Betracht kommt. Das hat Figdor richtig herausgefühlt.
Die Reizsehwelle ist aber nur bei niedrigst gestimmten Pflanzen zu bestimmen,
weil eine höhere Stimmung bei der Untersuchung selbst sich verändern würde.
Die Unzulässigkeit der Übertragung solcher Befunde auf den Zustand bei
normalem Wachstum leuchtet ein.
Auch Oltmanns begeht den Fehler, die Lage der Reizschwelle im
Dunkeln gewachsener Pflanzen mit der Lichtmenge in Verbindung zu bringen,
die sie gewöhnlich trifft. Er überträgt die an sich wohl richtige Anschauung,
daß gewisse freibewegliche Organismen, wie Volvox, durch positiv oder negativ
phototaktische Bewegungen die für sie günstigste Helligkeit aufsuchen, auf
alle andern Fälle, auch auf festgewachsene Pflanzen, deren Biologie von
Grund aus verschieden ist. So nennt er überall diejenige Helligkeit optimal),
die Indifferenz, also weder positiven noch negativen Heliotropismus hervor-
ruft. Diese Lichtintensität liegt aber, wie ich gezeigt habe, für verschieden
vorbehandelte Pflanzen ganz verschieden, so daß die Lage des Indifferenz-
punktes keineswegs auf derlei biologische Zusammenhänge schließen läßt,
um so weniger als auch hier eine Übertragung von der Keimpflanze auf die
späteren Stadien nicht zulässig ist?). Besonders verkehrt wird aber die Be-
1) Das führt noch besonders dadurch zu Verwirrungen, daß Wiesner (30, I, 38)
diejenige Liehtintensität optimal nennt, die schnellste heliotropische Reaktion etiolierter
Pflanzen hervorruft. Man sollte bei allgemein physiologischen Begriflen besser die
Zweckbeziehung ganz fortlassen. Vergl. auch Pfeffer, 23, 627.
2) Am Licht gewachsene Keimlinge reagieren gerade bei der von Oltmanns
für etiolierte als ‚„‚optimal‘‘ bezeichneten Lichtintensität mit größter Energie, obgleich
sie es, dem Gedankengange dieses Autors entsprechend, „gar nicht nötig“ hätten!
296
zeichnung des Indifferenzstadiums als Optimum, wenn sie auch auf Phycomyces
angewendet wird, der als „Schattenpflanze* mit niedriger Lichtstimmung
aufgeführt wird. Es ist doch wohl anerkannt, daß für Pilze, wie z. B.
Phycomyces und Pilobolus der Lichtsinn nicht den Zweck hat, sie in günstige
Beleuchtungsverhältnisse zu bringen, wie es bei einer phanerogamen, grünen
Keimpflanze der Fall ist, sondern daß er allein der Fortpflanzung dient.
Inwiefern soll da nun die Lichtintensität, die für im Dunkeln gewachsene
Fruchthyphen weder positiven noch negativen Heliotropismus hervorruft,
optimal sein? Sie ist es weder für den Gesamtorganismus noch für eine
Partialfunktion.
Diese Richtigstellung soll aber dem sehr großen Verdienst von Olt-
manns’ Arbeit keineswegs Abbruch tun, umsoweniger, als dieser Forscher
(20, 260) sich selbst deutlich genug über die Unsicherheit seiner biologischen
Deutungen ausspricht. Er kommt dann allerdings zu dem Schlusse, daß
die Stärke und Richtung der Lichtbewegungen bei verschiedener Licht-
intensität indirekt zweckmäßig sein wird, wo wir den unmittelbaren Nutzen
nicht sehen. Das mag in vielen Fällen richtig sein, ich bin auch nicht
dafür, von der Nutzlosigkeit einer Einrichtung zu sprechen, deren Zweck-
mäßigkeit nicht ohne weiteres einleuchtet, aber es bleibt immer noch die
Möglichkeit, daß zwar das Vorhandensein und die Stärke der Lichtreizbarkeit
bei genauerem Eingehen auf spezielle Eigentümlichkeiten biologisch deutbar
sind, nicht aber die quantitativen Verhältnisse, die mit der Reizbarkeit als
solcher untrennbar verknüpft sind und mit in Kauf genommen werden müssen.
Aus dem Gesagten geht jedenfalls hervor, daß die ökologische Deutung
zwar auch bei allgemein physiologischen Tatsachen hier und da gelingen
mag, daß sie aber ihre erste und zunächst wichtigste Tätigkeit gerade bei
den Ausnahmen oder Anpassungen an spezielle, greifbare Bedingungen zu
entfalten hat. Eine Reizbarkeit, ‘ein Reaktionsvermögen ist gegeben, das
sich vom Leben als solehem nicht trennen und daher anch nicht erklären
läßt. Es läßt aber mancherlei Möglichkeiten der weiteren Ausgestaltung
zu. Hier wird eine Seite eines Reizkomplexes gefördert, dort eine unter-
drückt. So kommen die Differenzen zustande, die wir als Anpassungen vor
uns sehen.
Je allgemeiner eine physiologische Tatsache ist, je mehr Organismen-
gruppen sie umfaßt und je weiter ihre Entstehung im Stammbaum zurück-
liegt, um so unsicherer wird die Deutung, um so wertvoller allerdings die
Aufdeekung eines klaren Zusammenhanges. Diesen Weg von der allge-
meinen zur speziellen Gesetzmäßigkeit, entsprechend der Entwickelung des
Lebens auf der Erde, wird aber. der Gedankengang einer künftigen Biologie
zurücklegen müssen, wenn sie sich mit den Errungenschaften der modernen
Systematik und Physiologie ins Einvernehmen setzen will.
Allgemeine Physiologie der Lichtstimmung.
Bei unseren geringen Kenntnissen auf diesem Gebiete konnte ich nur
einzelne Andeutungen über den biologischen Wert der Stimmungsveränderungen
geben, die im übrigen durch die jeweiligen Bedürfnisse modifiziert erscheinen
können. Das wird voraussichtlich bei den Tieren in stärkerem Maße der
Fall sein als bei den höheren Pflanzen, für die die Bedingungen des Lebens
nicht so sehr variieren.
Durch diese spezifischen Anpassungen braucht aber das physiologische
Grundgesetz nicht ganz verdeckt zu sein. So fanden z. B. Groom und
Loeb (9), daß die Intensität des Lichtes den Sinn der Phototaxis von
Balanus-Larven bestimmt, ganz in derselben Weise, wie das Strasburger
und Oltmanns für pflanzliche Schwärmer nachgewiesen haben. Bei Lampen-
licht wurde stets positive Phototaxis beobachtet, starkes Sonnenlicht dagegen
rief negative hervor. Auch wurde eine Veränderung der Stimmung durch
Beleuchtung beobachtet, die freilich nicht in allen Einzelheiten mit dem für
Pflanzen bekannten übereinstimmte. Später jedoch gab Loeb selbst an,
daß seine abweichenden Beobachtungen nicht wiederholt werden konnten
und daß die Umwandlungen der heliotropischen Stimmung wohl von mehr
Variablen abhingen (75, 197). Letzteres scheint bei freibeweglichen Orga-
nismen häufig der Fall zu sein, wie schon Strasburger fand. Loeb
selbst gab in einer drei Jahre nach der ersten erschienenen Arbeit (14, I, 272)
zahlreiche Beobachtungen über die Veränderung der Stimmung durch andere
physikalische und chemische Einflüsse an, die kürzlich noch vermehrt
wurden (75). Da Loebs Versuche ohne genauere Kenntnis der Ergebnisse
der pflanzlichen und menschlichen Reizphysiologie durchgeführt wurden, so
wäre eine neuerliche Untersuchung mit Berücksichtigung aller Nebenwirkungen
von großem Wert, wofür in Loebs Arbeiten mancherlei Anregung zu
finden wäre.
Noch näher als der Vergleich mit phototaktischen Tieren liegt uns wohl
der mit dem menschlichen Auge, den schon Darwin (5, 417) bei seinen
Beobachtungen über die heliotropischen Nachwirkungen und die Erhöhung
der Reizbarkeit durch Verdunkelung zog.
Wir wissen, daß sowohl beim Übergang aus dem Hellen ins Dunkle,
wie auch bei dem umgekehrten der Zustand der Netzhaut sich erst der
Beleuchtung der Umgebung anpassen muß, ehe ein deutliches Sehen möglich
ist!). Die Erscheinung der Indifferenz niedrig gestimmter Pflanzen bei starkem
Lieht kann man direkt der positiven Blendung vergleichen, wie Wundt
(32, II, 171) den Zustand nennt, in dem das Auge nach dem Übergang aus
dem Dunkeln ins Helle vor der Akkomodation sich befindet. Das um-
gekehrte, „negative Blendung“*, tritt nach dem Wechsel von Licht zu Dunkel-
1) Die Veränderungen der Größe der Pupille dienen mehr dazu, bei plötzlichem
Wechsel die noch nicht adaptierte Netzhaut zu schützen,
298
heit ein, wobei die schwachen Reize, wie auch bei der Pflanze zunächst, unter-
schwellig bleiben. Wundts Worte hierüber passen ebensogut auf Pflanzen;
er sagt (l. e.): „so können wir nämlich die Erscheinung nennen, daß beim
plötzlichen Eintreten aus dem Hellen ins Dunkle sowohl die Reiz- wie die
Unterschiedsschwelle stark erhöht (hochliegend?!) erscheint, dann aber bei
längerem Aufenthalt im Dunkeln allmählich sinkt. Beide Tatsachen weisen
darauf hin, daß die Netzhaut allmählich in einen Zustand übergeht, der der
Beleuchtung der Umgebung angepaßt ist: im Dunkeln wird sie reizbarer,
im Hellen vermindert sich ihre Reizbarkeit“. Auch beim Menschen sind die
Extreme durch alle Zwischenglieder verbunden, wie Wundt ebenfalls betont:
„Nach diesen“ [subjektiven Kennzeichen] „muß man jedenfalls mannigfache
Stufen der Adaptation annehmen, bei denen jedesmal durch uns noch un-
bekannte Vorgänge innerhalb der Sehzellen diese den der Lichtumgebung
adäquaten Zustand der Erregbarkeit annehmen. Die Geschwindigkeit, mit der
dies geschieht, ist dabei selbst hauptsächlich von der Lichtumgebung ab-
hängig. Namentlich bedarf die Dunkeladaptation einer erheblich längeren
Zeit als die Helladaptation“. Letzteres ist auch bei der Pflanze der Fall,
also stimmen beide Phänomene sogar in solchen Einzelheiten überein, wie
es die Zeitverhältnisse sind. Ich muß gestehen, daß ich zwar gehofft hatte,
meine Resultate würden einer allgemein physiologischen Anwendung fähig
sein, aber doch erstaunt war, als ich nach Schluß meiner Experimente diese
Stelle las. Denn vorher erschien mir der Vergleich der pflanzlichen Licht-
perzeption mit der des menschlichen Auges auch in den quantitativen Ver-
hältnissen etwas kühn, trotzdem es Nathansohn und mir (19) schon früher
gelungen war, die Gültigkeit des fürs Auge nachgewiesenen Talbotschen
Gesetzes für die Summation von Lichtreizen auf die Pflanze auszudehnen,
und nach Massart (16) das Webersche Gesetz für sie ebenfalls zutrifft.
Da nun aber festgestellt wurde, daß das Verhalten der lichtempfindlichen
Pflanzen mit dem der Netzhaut in einigen wichtigen Punkten vergleichbar
ist, mag es gestattet sein, mit Benutzung der Tatsachen aus beiden Gebieten
den Versuch einer zusammenfassenden Darstellung zu wagen. Besonders das
Verhältnis von Umstimmung und Weberschem Gesetz scheint mir einer Klärung
bedürftig. Die allgemeinen Tatsachen, um die es sich handelt, sind folgende:
Die heliotropische Pflanze ist, wie viele andere Organismen, mit einem
Lichtsinn begabt, d. h. mit der Fähigkeit, Helligkeitsunterschiede wahrzu-
nehmen. Diese Tatsache ist unabhängig von der unentschiedenen Frage,
ob Lichtriehtung oder Lichtabfall von der heliotropischen Pflanze als
Krümmungsreiz empfunden wird. Denn schon daraus, daß die Pflanze auf
verschieden starkes Licht verschieden schnell, und auf starkes negativ, auf
schwächeres positiv reagiert, geht hervor, daß sie ein Unterscheidungsvermögen
für Helligkeiten hat.
Allen mit einem solehen Lichtsinn ausgestatteten Organismen resp. Organen
scheint nun die Fähigkeit eigen zu sein, ihre reizbare Struktur der Stärke
der Reizes anzupassen, so daß die Reizbarkeit, die, stationär gedacht, nur
299
ein gewisses Helligkeitsgebiet umfaßt, durch die Akkomodation befähigt wird,
in weiteren Intensitätsgrenzen zu arbeiten. Durch die Akkomodation wird
aber nicht nur bewirkt, daß die Schwellenwerte verschoben werden, sondern
außerdem, daß für die betreffende Helligkeit maximale Unterschiedsempfind-
lichkeit erreicht wird. Außerdem ist für die Pflanze mit ihr die kürzeste
Reaktionszeit verknüpft, der Reiz hat also bei der auf die betreffende Licht-
intensität gestimmten Pflanze seine maximale, ihm zukommende heliotropische
Wirksamkeit !).
Soll ein neu hinzukommender Reiz mit einem anderen verglichen werden,
so ist es nötig, daß der erste so lange gewirkt hat, bis die Nachwirkungen
früherer Reize verklungen sind, d. h., bis das Organ akkomodiert ist. Nur
unter diesen Umständen zeigt die Proportion zweier zu vergleichender Reize
das quantitative Verhalten, das durch das Webersche Gesetz ausgedrückt
wird, d. h., die Unterschiedsschwelle entspricht immer demselben minimalen
Verhältnis der beiden Reize. Dieses Verhältnis wird größer, sobald das
Organ nicht akkomodiert ist, sei es nun höher oder tiefer gestimmt; also
wird eine Differenz zweier Eindrücke, die zunächst unterschwellig ist, die
Schwelle überschreiten können, wenn die Stimmung sich der Beleuchtung
angepaßt hat, gleichgültig, ob sie dabei steigen oder fallen muß. Wir sehen
daher unter Umständen bei Erhöhung der Stimmung die absolute Reizschwelle
steigen, die Unterschiedsschwelle aber sinken. Die Akkomodation ver-
feinert das Unterscheidungsvermögen!
Was die Zeiten anbelangt, die zur Umstimmung nötig sind, so herrscht
hierin ebenfalls eine Gesetzmäßigkeit, die darin besteht, daß sie mit
wachsender Differenz zwischen der bestehenden und der zu erreichenden
Stimmungshöhe zunehmen. Bei der Veränderung der Stimmung werden
kontinuierlich alle zwischenliegenden Stadien durchlaufen, so daß beim Aus-
gehen von einem solchen der weitere Verlauf derselbe ist, wie wenn schon
vorher eine Veränderung stattgefunden hätte. Daraus geht hervor, daß der
Gang in jedem Moment nicht von der früheren Stimmung abhängig ist,
sondern nur von der augenblicklichen und der zu erreichenden, gewisser-
maßen von dem Niveauunterschied. Auch darin zeigt sich ein gemeinsames
Moment, daß die positive Umstimmung von dunkel zu hell schneller vor sich
geht, als die negative von hell zu dunkel.
Diese Darstellung soll nun in folgendem durch Anführung der ent-
sprechenden Beobachtungen gestützt werden.
Wir haben gesehen, daß eine Erhöhung der Reizstimmung eine Erhöhung
der Reizschwelle in sich schließt, die freilich für die Pflanze nicht ex-
perimentell nachgewiesen, sondern nur aus der Veränderung einer anderen,
mit ihr funktionell verknüpften Größe, der Reaktionszeit geschlossen wurde.
!) Daraus könnte man ein, allerdings nicht vollkommen entscheidendes Argument
für die Annahme ziehen, daß der Heliotropismus auf Unterschiedsempfindlichkeit
beruht, da mit dieser die heliotropische Reizintensität bei Veränderung der Stimmung
steigt und fällt,
300
Wollte man die Schwellenwerte für verschiedene Stimmungshöhen zahlen-
mäßig feststellen, was für Pflanzen an sich schon große experimentelle
Schwierigkeiten hat, so müßte man die Stimmung längere Zeit auf einer
gewissen Höhe festhalten), weil die Dauer eines Versuches mit Pflanzen zu
lang ist, als daß die Stimmung nicht wesentlich fiele.e Das ist beim Auge
nicht der Fall, daher hat schon Aubert (7, 28) den Versuch machen können,
die Verschiebung der Reizschwelle durch Aufenthalt im Dunkeln zu messen.
Die Kritik seiner und der späteren Arbeiten findet sich bei Piper (24),
dem wir die genauesten Untersuchungen auf diesem Gebiete verdanken. Aus
seinen Messungen geht hervor, wie groß die Anpassungsfähigkeit der Netz-
haut ist, auch kann man daraus die Adaptationszeiten entnehmen.
Zahlreicher sind die Arbeiten über den Einfluß der Beleuchtungsintensität
auf die Unterschiedsschwelle, die bekanntlich dem Weberschen Gesetz unter-
liest. Es besagt, daß der eben merkliche Unterschied zwischen zwei Reizen
mit der Reizintensität wächst, und zwar proportional dieser. In diesem An-
wachsen der Unterschiedsschwelle und der Reizschwelle bei der Inanspruch-
nahme durch einen Reiz sieht Pfeffer (25, 627) ein gemeinsames Moment
und ordnet beide als Abstumpfungen durch den Reiz unter einen Begriff.
Der Zusammenhang scheint mir aber doch komplizierter als es hiernach den
Anschein haben könnte. Die Erweiterung des Wortes „Schwelle“ auf den
geringsten eben merklichen Unterschied war eine etwas willkürliche Über-
tragung Fechners (4, I, 242), die uns nicht täuschen darf.
Bei der Prüfung des Weberschen Gesetzes wurden die zu vergleichenden
Reize entweder gleichzeitig oder hintereinander angewendet, je nach der
Art des zu prüfenden Sinnesgebietes. War das Organ z. B. das Auge, so
wurden beide Reize meist nebeneinander angewendet, war es das Ohr, nach-
einander. Daraus ist zu ersehen, daß es nicht die Abstumpfung ist, die
die Unterschiedsschwelle mit steigender Reizstärke erhöht. Gerade die ge-
ringe Dauer der Nachwirkung und das Fehlen der Ermüdung macht die
Schallempfindungen besonders geeignet für die genaue Konstatierung des
Weberschen Gesetzes (Wundt 32, I, 514). Bekanntlich fließen Schall-
empfindungen erst bei viel höherer Frequenz ineinander als Gesichtsempfin-
dungen. Die Nachwirkungen spielen beim Auge eine große Rolle, es verhält
sich in dieser Beziehung der heliotropischen Pflanze durchaus analog. Die
Erscheinung, von der ich spreche, ist die Akkomodation der Netzhaut, bei
der z. B. Kries (18, 168) von einer durch Licht beeinflußbaren Stimmung,
ganz in unserem Sinne, spricht. Piper (24, 161) hat für das Auge fest-
gestellt, wie sich die Reizschwellen beim Übergang von Hell- zu Dunkel-
adaptation verschieben. Er fand die Akkomodationszeit um so größer,
1) Das würde durch eine, an sich atropistische Beleuchtung möglich sein, die
etwa von oben einfiele, vielleicht auch durch zwei, sich in ihrer heliotropischen
Wirkung aufhebende Lichtquellen oder durch Rotation gegenüber der umstimmenden
Lampe, während die andere ınitrotierte.
301
je größer die Differenz zwischen der vorhandenen und der der neuen Be-
leuchtung entsprechenden Stimmung war.
Ich sagte oben, daß das Webersche Gesetz am reinsten und in der
breitesten Gültigkeit zutage tritt, wenn vollständige Akkomodation an den
Lichtreiz erreicht ist, von dem der zweite eben merklich unterscheidbar sein
soll. Unter dieser Voraussetzung ist nämlich die Unterschiedsschwelle am
niedrigsten. Das akkomodierte Auge hat also die größte Sehschärfe, die
bei der betreffenden Helligkeit möglich ist, ähnlich wie die akkomodierte
Pflanze die schnellste Reaktion zeigt, die bei der betreffenden Helligkeit
möglich ist. Aber wie wir dort gesehen haben, daß die normale Reaktions-
zeit von der Lichtintensität abhängig ist, so auch die Helligkeitsempfindung
und die Sehschärfe des Auges, im Gegensatz zu Schirmers Behauptung
(28, 147), daß das akkomodierte Auge von verschiedenen Liehtintensitäten
einen gleichbleibenden Eindruck habe. Die Akkomodation kann nicht mehr
leisten, als das Auge so sehtüchtig zu machen, wie es eben bei der be-
treffenden Helligkeit überhaupt möglich ist. Es braucht wohl kaum daran
erinnert zu werden, daß selbst das völlig akkomodierte Auge Mondlicht als
schwächer empfindet und dabei weniger gut unterscheidet, als bei Sonnen-
licht. Die absolute Schätzung für die Reizintensität (die allerdings sehr
wenig genau ist und nur große Intervalle zu Bewußtsein bringt) ist aber
am besten beim akkomodierten Auge, so wie die akkomodierte Pflanze durch
ihre Reaktionszeit am schärfsten die Reizstärke des betreffenden Lichtes
erkennen läßt. Jedenfalls wird auch darin Übereinstimmung herrschen, daß
bei der akkomodierten Pflanze die Unterschiedsschwelle am tiefsten liegen
wird. Das ließe sich experimentell prüfen. (Vergl. Anm. auf vor. Seite.)
Wir sehen durch die Stimmungserhöhung unter Umständen die Unter-
schiedsschwelle sinken, während die Reizschwelle steigt, ein Zeichen, daß
man beide nicht ohne weiteres zusammenordnen kann. Das fand schon früher
seinen Ausdruck darin, daß es nicht recht passend erschien, von einer Ver-
minderung der Empfindlichkeit oder einer Abstumpfung zu reden, wo die
physiologische Reizwirkung verstärkt wird.
Mancherlei Hoffnungen könnte man an die enge Übereinstimmung in der
Abhängigkeit der Reizbarkeit von der Inanspruchnahme durch den Reiz bei
so verschiedenen Organismen, wie es Algenschwärmer, Volvo.rkolonien,
Phycomycesfruchtträger, phanerogame Keimlinge, Balanus-Larven und das
menschliche Auge sind, knüpfen; man muß sich dabei aber immer vergegen-
wärtigen, daß ein experimentelles Ergebnis stets nur für die Fälle als gültig
betrachtet werden darf, für die es wirklich nachgewiesen worden ist. Wollen
wir daraus aber ein allgemein-physiologisches Gesetz ableiten, was zunächst
unser Ziel sein muß, so dürfen wir nicht vergessen, daß ein solches noch
lange keine physikalisch-chemische Erklärung darstellt.
302
Eine andere Erklärungsweise ist die teleologische. Sie sollte immer zur
Ergänzung der kausalen, die uns ja doch stets zum größten Teil verschlossen
bleibt, herangezogen werden. Beim Auge finden wir es sehr verständlich,
daß es im adaptierten Zustande für seine augenblickliche Aufgabe am besten
geeignet ist. Daß aber auch die Pflanze, die auf die betreffende Helligkeit
gestimmt ist, am schnellsten reagiert, also offenbar am stärksten gereizt wird,
bedurfte eines eingehenden Nachweises. Auch ist es vorläufig nicht einzu-
sehen, von welchem Nutzen diese Einrichtung sein kann. Wohl können wir
einige gröbere Anpassungserscheinungen der Lichtempfindlichkeit ökologisch
verständlich zu machen suchen. Warum aber die Pflanze eine so feine Ab-
stufung ihres Lichtsinnes aufweist, wie er in den Erscheinungen der Um-
stimmung, sowie in der nach Dauer und Intensität genau präzisierten Reizung
durch kurze Lichtblitze (Nathansohn und Pringsheim 19) zutage tritt,
das können wir vorläufig durchaus nicht sagen. Jedenfalls sehen wir soviel,
daß die Trägheit, die die Pflanze Reizen gegenüber scheinbar aufweist, nur
von ihrer, den Tieren gegenüber erschwerten Bewegungsfähigkeit herrührt,
die Sensibilität als solche steht in der Feinheit der quantitativen Abstufung
der der Tiere durchaus nicht nach.
Die Allgemeingültigkeit gewisser physiologischer Gesetze, wie sie für
das Webersche, das Talbotsche und das der Adaptation zu bestehen
scheint, muß andererseits gerade vor biologischer Deutung im einzelnen
warnen. Um so unklarer wird allerdings deren Verhältnis zur Lehre von
der Anpassung durch Auslese. Wir können nur annehmen, daß sie mit
dem Wesen der Reizbarkeit untrennbar verknüpft sind, so wie diese mit
dem des Lebens.
Zusammenfassung.
1. Die Reaktionszeiten heliotropischer Pflanzen nehmen mit wachsender
Lichtintensität stetig ab, erst stärker, dann wenig, um schließlich konstant
zu werden.
2. Die [scheinbare] Verlängerung der Reaktionszeit von einer gewissen,
früher als Optimum bezeichneten Lichtstärke ab, rührt daher, daß die
Pflanzen bei dieser Intensität zunächst indifferent sind, bis die Stimmung so
weit gestiegen ist, daß Reaktion eintritt.
3. Das oben erwähnte scheinbare Optimum ist nur bei im Dunkeln kulti-
vierten Pflanzen zu beobachten und hat schon deshalb eine geringe Bedeutung.
4. Werden die Pflanzen, nachdem sie aus dem Dunkeln gekommen sind,
eine Zeit lang unter Rotation mit der Lichtintensität beleuchtet, gegen die sie
später reagieren sollen, so fällt auch bei starkem Licht die Indifferenz fort,
und es zeigt sich eine, gegenüber früheren Angaben wesentlich beschleunigte
Reaktion.
5. Diese Reaktion akkomodierter Pflanzen ist die schnellste, die bei der
betreffenden Lichtstärke überhaupt möglich ist. Die so erhaltenen Reaktions-
zeiten für verschiedene Lichtintensitäten geben die unter 1. beschriebene Kurve.
308
6. Da im ersten Teil der Belichtung niedrig gestimmter Pflanzen mit
starkem Licht, der „Umstimmungszeit“, die Lichtrichtung ohne Bedeutung
ist und nur die Intensität in Betracht kommt, reagieren solche Pflanzen,
die während dieser Zeit rotierten oder rückwärts beleuchtet wurden, ebenso
schnell wie solche, die die ganze Zeit ruhig gestanden haben.
7. Ähnlich sind die Verhältnisse bei hochgestimmten Pflanzen und niedriger
Lichtintensität. Der Stimmungsbereich, innerhalb dessen wirklich Reaktion
stattfindet, ist recht eng.
8. Bei Paniceen-Keimlingen ist das Hypokotyl, das keinen Lichtreiz
perzipieren kann, für Umstimmung doch empfänglich. Bei Verdunkelung
der Koleoptyle ist aber die Umstimmung geringer als bei Beleuchtung des
ganzen Keimlings.
9, Die Veränderung der Stimmung eines Organes ist aufzufassen als eine
Beeinflussung der reizbaren Struktur, die die Grundlage irgend eines Teiles
der Reizkette darstellt, durch einen gleichartigen oder ungleichartigen Reiz.
Man muß unterscheiden zwischen:
a) der Akkomodation, die die Anpassung an die Beleuchtungsverhältnisse
bedingt, und
b) der Umschaltung, die es bewirkt, daß positive, negative oder gar-
keine Reaktion stattfindet.
10. Die Umschaltung ist abhängig von der Differenz zwischen der be-
stehenden und der der Beleuchtung entsprechenden Stimmungshöhe; ver-
ringert sich diese Differenz, so werden etwaige Umschaltungen rückgängig
semacht. Das Resultat ist positive Reaktion, falls das Organ zu ihr über-
haupt befähigt ist.
a) Wird eine niedrig gestimmte Pflanze hell beleuchtet, so reagiert sie
negativ, ist die Beleuchtung schwächer, positiv. Dazwischen liegt die In-
differenzzone.
b) Wird eine hochgestimmte Pflanze stark beleuchtet, so reagiert sie
positiv, wird sie schwach beleuchtet, so bleibt der Reiz unterschwellig, bis
die Stimmung so weit gesunken ist, daß positive Reaktion stattfindet.
e) Die Stimmungshöhe folgt in beiden Richtungen der Stärke der Be-
leuchtung; nach oben aber schneller als nach unten.
11. Eine ökologische Deutung der Stimmungsverändernngen ist nur in
beschränktem Maße möglich. Alle Hypothesen, die die Stimmungshöhe als
etwas konstantes zugrunde legen, sind hinfällig. Für die von mir unter-
suchten Keimlinge ist die Umstimmung durch Veränderung der Beleuchtung
als biologischer Faktor am besten verständlich.
12. Die Stimmungsveränderungen der menschlichen Netzhaut entsprechen
in mehreren wichtigen Punkten denen der heliotropischen Pflanze. Da auch
bei anderen Organismen ähnliche Verhältnisse vorzuliegen scheinen, so haben
wir hierin wohl eine allgemein-physiologische Gesetzmäßigkeit des Licht-
sinnes vor uns.
SE)
N
15.
16.
Zitierte Literatur.
Bei den Zitaten im Text ist die schräggedruckte Zahl die hier voranstehende, die zweite
die Seitenzahl.
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Sitzungsber. d. Wiener Ak., Mathem.-naturw. Klasse, Bd. CIV, Abt. I. 1895.
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Sitzungsber. d. Wiener Ak., Mathem.-naturw. Klasse, Bd. CII, Abt. I. 189.
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Jahrbücher f. wissenschaftl. Botanik, Bd. 44. 1907.
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Über Fechners psychophysisches Gesetz. Sitzungsber. d. Wiener Ak., Mathem.
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bücher f. wissenschaftl. Botanik, Bd. 44. 1907.
Kraepelin, Philosophische Studien, Bd. 2. 1385.
Loeb, Die künstliche Umwandlung von positiv heliotropischen Tieren in negative
und umgekehrt. Pflügers Archiv Bd. LIV, 1893. Englisch abgedruckt in:
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Zitate hiernach,
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Bull. de l’Acad. belg. 3 ser., Bd. 16, No. 12. 1888.
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19.
20,
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Nathansohn und Pringsheim, E.,, Wirkung intermittierender Beleuchtung
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scheint etwa gleichzeitig.)
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suchungen aus dem botan. Institut zu Tübingen. Heft Ill. Leipzig 1834.
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Rothert, Über Heliotropismus. Cohns Beiträge zur Biologie der Pflanzen.
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Sachs, Vorlesungen über Pflanzenphysiologie. I. Auflage. 1882. In der
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Strasburger, Wirkung des Lichtes und der Wärme auf Schwärmsporen.
Sonderabdruck aus der Jenaischen Zeitschrift f. Naturw. 12. Jena 1878.
. Wiesner, Die heliotropischen Erscheinungen im Pflanzenreiche. I. Teil. Denk-
schriften der mathem.-naturw. Klasse der Wiener Akad., Bd. XXXIX. 1378.
II. Teil, Bd. XLIII. 1882.
Wiesner, Versuch einer Bestimmung der unteren Grenze der heliotropischen
Empfindlichkeit nebst Bemerkungen zur Theorie des Heliotropismus. Österr.-
bot. Zeitschr. 1893.
Wundt, Physiologische Psychologie, 5. Auflage. Leipzig 1902 u. 03.
Inhaltsübersicht.
Seite
1. Einleitung. . ; 263
2. Literaturbesprechung . ; . 264
3. Methodik . 2367
4. Im Dunkeln und am Licht gewachsene Pflanzen . 273
5. Einfluß kurzer Vorbelichtung . 2378
6. Reaktionszeit akkomodierter Pflanzen 250
7. Verhältnis des heliotropischen zum Umstimmungsreiz . - en 2\,
8. Biologische Bedeutung der Umstimmungsfähigkeit ee Se 291
9. Allgemeine Physiologie der Lichtstimmung . 297
10. Zusammenfassung . 302
11. Literaturverzeichnis 304
Beiträge
zur
biologie der Pflanzen.
Begründet von
Professor Dr. Ferd. Cohn,
herausgegeben von
Dr. Felix Rosen,
Professor an der Universität Breslau.
Neunter Band. Drittes Heft.
Mit einer Tafel.
02:
Breslau 1909.
J. U. Kern’s Verlag
(Max Müller).
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AUHkE in Rast“ zahl
RE ar Y:.D8:
Inhalt des dritten Heftes.
Untersuchungen über Stoßreizbarkeit.
Seite.
Von Julius Brunn. 307
Unterkühlung und Kältetod der Pflanzen. Von Hans Voigtländer 359
Studien zur heliotropischen Stimmung und Präsentationszeit. (Zweite
Mitteilung) Von Ernst Pringsheim. (Mit Tafel 7).
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Untersuchungen über Stoßreizbarkeit.
Von Julius Brunn.
al.
I. Einleitung.
Senon Theophrast hat davon gewußt, daß es Pflanzen gäbe, die bei Be-
rührung die Blätter sinken ließen, wie es ihm aus Ägypten von großen
Bäumen in der Nähe von Memphis (Historia plantarum IV, 2, 11) berichtet
worden war. Er hat aber diese Erscheinung augenscheinlich nur als eine
Art Welken aufgefaßt, und er sah sich nicht genötigt, an der Definition
seines Meisters, daß den Pflanzen nur die ernährende Seele zukomme,
irgend etwas zu ändern. In ganz entstellter Form begegnet uns dieselbe
Erzählung bei Plinius (Hist. natur. XII, 10, 65) wieder, und den Bericht
eines Apollodorus über eine Aeschynomene, deren Name das Staunen
über diese sonst an den Pflanzen ungewohnte Erscheinung deutlich aus-
drückt, hat er (l. e. XXIV, 17, 167) an das Ende einer Sammlung ab-
sonderlichster Zaubermittel, der Chirocmata, gesetzt und dadurch seinem
Unglauben Ausdruck verliehen.
In der Folgezeit gehen die spärlichen Kenntnisse von den stoßreizbaren
Pflanzen ganz verloren, und da diese auffälligste Art pflanzlicher Reiz-
bewegungen nicht bekannt war, ist es verständlich, daß das Dogma, die
Pflanzen entbehrten der Empfindung, unbeschränkte Geltung behielt.
Um so größer war das Staunen, als die Entdecker im Anfange des
16. Jahrhunderts nach Europa neue Kunde von solchen Gewächsen brachten,
zuerst von Biophytumarten aus Indien, sehr bald auch von Mimosen aus
Amerika; und besonders diese erwarben sich bald eine Art von Popularität,
die sich in ihren Benennungen, im sprichwörtlichen Gebrauche und in bil-
dender und redender Kunst deutlich zu erkennen gibt.
In der Wissenschaft war aber noch mancher Kampf gegen das „planta
est eorpus vivum non sentiens“ zu führen. Dies zeigt sich einmal in den
verschiedenen Erklärungsversuchen, die Bewegungen rein mechanisch zu-
stande kommen zu lassen, deren letzter, auf dem Wege über Brückes
klassische Untersuchungen (1848) entstanden, derjenige Hofmeisters ist,
der (1867) diese Bewegungen von den sonstigen pflanzlichen Bewegungen
Beiträge zur Biologie der Pflanzen, Bd. IX, Heft II. 20
308
getrennt behandelt, da sie ja nur durch die verschiedenen Quellungszustände
der Zellwände bedingt seien. Andererseits zeigt sich dieser Kampf in den
Erörterungen über die Frage, ob den Pflanzen Irritabilität (wie dem Muskel)
oder auch Sensibilität (wie dem Nerven) zukomme, worauf die Antwort, z. B.
bei de Candolle in seiner Pflanzenphysiologie, lautete, den Pflanzen käme
„Exeitabilität“ zu, nur um die Trennung von den Tieren zu betonen.
Diese Frage ist für uns jetzt kein Problem mehr. Speziell bei Mimosa
hat Sachs (1363) durch seine Untersuchungen über die vorübergehenden
Starrezustände gezeigt, daß die Reizbarkeit der Sinnpflanze eine ihrer Lebens-
erscheinungen ist und wie die anderen durch die Außenbedingungen be-
einflußt wird.
Und seit Pfeffers Untersuchungen (1873, 1875, 1877) ist die Mit-
wirkung des Protoplasten außer Frage gestellt. Seit der Zeit ist diese Er-
scheinung der allgemein reizphysiologischen Behandlung zugänglich geworden,
und Pfeffer selbst hat (1885) die Art der Reize näher präzisiert, die hier
in Betracht kommt.
Der wirksame Reiz ist danach „jede irgendwie in genügendem Maße
erzielte Zerrung und somit jede beliebige Stoßwirkung“* (Pfeffer 1885
p.: 517). Pflanzen, bei denen durch solche Reize Reaktionen ausgelöst
werden, sind als „stoßempfindliche“ oder nach dem Vorschlage von Czapek
(1898) als „seismästhetische“ zu bezeichnen.
Von solchen Pflanzen sind nun die „stoßreizbaren* im engeren Sinne
solche, deren Reaktionsart unter den Begriff der „Nastie“ fällt, d. h. es
sind „durch diffuse Reize, vermöge der physiologischen Dorsiventralität er-
zeugte Krümmungen“ (Pfeffer 1904 p. 83), oder, anders ausgedrückt, die
Richtung der Bewegung ist von der Richtung des Reizes unabhängig und
nur durch den Bau des Organs bestimmt.
Der Grund dafür, daß diese schon so oft behandelten Erscheinungen
aufs neue untersucht werden sollten, war die Frage, wodurch die Größe
der Reaktion bestimmt werde, wie es zu erklären sei, daß bei Mimosa, ab-
weichend von den sonstigen stoßreizbaren („seismonastisch reagierenden“)
Pflanzen, wie z. B. den Oxalidaceen, ein überhaupt wirksamer Reiz die
volle Bewegungsgröße auslöse, und wann auch hier submaximale Auslösungen
möglich seien.
Daneben handelte es sich im Zusammenhange allgemein um die Frage,
wie wiederholte Reize wirkten, inwiefern durch wiederholte Reizungen die
Innenbedingungen verändert würden.
Die hauptsächlich zur Entscheidung dieser Fragen unternommenen
Untersuchungen lieferten aber noch sonst einiges Material zur genaueren
Einzelkenntnis des äußeren Bildes des Reaktionsverlaufes, worüber bis jetzt
in erster Linie die Untersuchungen von Bert (1866 und 1870) für Mimosa
pudica Anhaltspunkte gaben.
Nicht berührt wurden die Fragen nach dem Wesen der Reizleitungs-
vorgänge bei Mimosa und Biophytum, ferner nicht die Fragen nach der
IR
Mechanik der Bewegung, und schließlich mußte ich es mir auch versagen,
das noch so ungeklärte und so sehr interessante Problem des Nutzens und
der phylogenetischen Entstehung dieser Erscheinungen zu berühren.
Die folgenden Untersuchungen wurden auf den Vorschlag des Herrn
Geheimrat Pfeffer im Botanischen Laboratorium der Universität Leipzig
am Ende des Winter-Semesters 1904/05 begonnen und in den Sommer-
Semestern 1905 und 1906 fortgesetzt.
Es ist mir eine angenehme Pflicht, allen den Herren, die mir mit Rat
und Tat zur Hand gegangen sind, meinen verbindlichsten Dank auszusprechen.
In erster Linie fühle ich mich Herrn Geheimrat Pfeffer für sein stets
bewiesenes Wohlwollen, sein Interesse und seine bereitwillige Hilfe zu
wärmstem Danke verpflichtet, auch danke ich den Herren Dr. Miehe und
Dr. Nathansohn für vielfache Anregung und Unterstützung.
Ich bringe zunächst die Versuchsergebnisse, nach den einzelnen Pflanzen
geordnet, und werde daran eine Diskussion anschließen.
II. Versuchsergebnisse.
In diesem Teile werde ich versuchen, die beobachteten Tatsachen zu
geben, ohne vorerst auf die theoretische Deutung näher einzugehen.
a) Versuche an Mimosa.
1. Allgemeines über die Reaktion.
Ich untersuchte die beiden Arten Mimosa pudica und M. Speggazzinii).
Bei beiden wendete ich mein Augenmerk in erster Linie auf die Gelenke
an der Basis des primären Blattstieles. Die Reaktion, die von den Blättchen
ausgeführt wird, habe ich nur gelegentlich beobachtet, eigentliche Experimente
stellte ich hier jedoch nicht an, die Bewegungen schließlich, die durch die
Gelenkpolster am Grunde der sekundären Blattstiele ausgeführt werden,
habe ich überhaupt nicht weiter verfolgt.
Wie wir seit Pfeffers (1873) und Brückes (1848) Untersuchungen
wissen, besteht die Reaktion des primären Gelenkwulstes darin, daß nach
einem Stoßreiz von genügender Intensität, der also, wie der übliche physio-
logische Ausdruck lautet, über der Schwelle liegt, die untere Gewebehälfte
erschlafft. Dadurch wird infolge des Zusammenwirkens der Gewebespannung,
der Expansionskraft der oberen Hälfte und des Gewichtes des Blattes das
Polster zu einem Kreisbogen eingekrümmt oder, wie es in der Regel der
Fall ist, die schon vorher bestehende Einkrümmung wird verstärkt.
Ein Maß für die Stärke der Reaktion liegt in der Veränderung des zu
dem Kreisbogen gehörigen Zentriwinkels. Wir können sie verfolgen, wenn
1) Die Namen der Pflanzen gebe ich im folgenden immer so, wie sie im Leipziger
Botanischen Garten bezeichnet sind.
20*
310
wir den Winkel messen, den die neue Stellung des primären Blattstieles
mit der früheren bildet. (Vgl. hierüber die Darlegungen Brückes 1848
p- 453 Anm.)
Wie die meisten pflanzlichen und tierischen Reizreaktionen tritt auch diese
nicht sofort nach der Einwirkung des Reizes ein, sondern es verstreicht eine ge-
wisse Zeit, die, wie beim Muskel, auch hier als „Latenz“ bezeichnet sein möge.
Die mit der Einkrümmung des Gelenkes verbundene Abwärtsbewegung
des Blattstieles möchte ich als den „Abstieg“ bezeichnen, seine Größe als
die „Amplitude“ der Bewegung.
Nachdem der tiefste Punkt der Bewegung erreicht ist, beginnt, ohne
daß dieses Stadium durch eine Ruhepause abgeschlossen würde, unmittelbar
der zweite Teil der Reaktion, der in einer allmählichen Geradstreckung des
Polsters besteht und infolgedessen durch eine Hebung des Blattes sichtbar
wird; ich möchte ihn als den „Aufstieg“ bezeichnen.
Dies zeigt uns alles die Kurve I (p. 311). Wir sehen um 9 Uhr 34’ den
Abstieg einsetzen, um 934’ 30” ist der tiefste Punkt erreicht, darauf
beginnt der Aufstieg. Wir sehen aber, daß die Bewegung nicht aufhört, als
um 9 Uhr 51’ die Ausgangslage wieder erreicht ist, sondern weiter fort-
gesetzt wird, um 9?58’ bis 9®59’ einen Höhepunkt zu erreichen, worauf
die Bewegung, abermals über die Ruhelage hinausgehend, bis 10" 9’ fortgesetzt
wird, um wieder anzusteigen. Es finden also hier „Oszillationen“ statt.
Der Abstieg erreicht unter den normalen Versuchsbedingungen (Tempe-
raturen zwischen 20° und 25° C.) bei M. pudica schon in der zweiten,
bei M. Speggazzinii spätestens in der dritten und vierten Sekunde sein
Maximum an Geschwindigkeit, darauf setzt sich die Bewegung mit ab-
nehmender Geschwindigkeit, bis ungefähr in die 50. Sekunde bei M. Speg-
gazzinti, fort, wobei jedoch ungefähr von der achten Sekunde an nur wenige
Grade durchlaufen werden. Bei M. pudica hat Bert (1870 p. 81 ff.) an
horizontal liegenden Exemplaren die Bewegung mittels des Mareyschen
Myographions registriert und fand, daß der tiefste Punkt nach vier bis
sieben Sekunden (l. e. p. 82 Kurve) erreicht wurde. Doch fand ich nur
ausnahmsweise so schnelle Bewegungen. Meistens wurde auch hier um die .
30. Sekunde der tiefste Punkt erreicht. Von der sechsten oder achten
Sekunde an betrug jedoch die Senkung nur noch wenige Grade.
Bei M. Speggazziniü geht die Bewegung meist ınit geringerer Amplitude
als bei M. pudica vor sich, der Aufstieg erfolgt auch weniger schnell, und
die Oszillationen, die bei M. pudica meistens auch längst nicht so bedeutend
sind, wie die in Kurve I dargestellten, fallen hier gewöhnlich ganz weg
oder betragen nur wenige Grade.
2. Methodik der Versuche.
Als Versuchsmaterial dienten eingetopfte Exemplare der beiden
Mimosenarten, bei M. pudica aus Samen, bei M. Speggazzinü aus Stecklingen
erzogene von 15 bis 20 cm Höhe, die meist noch unverzweigt waren.
(usSogprın) we uodunsajgejoyury op uaga8 uagenpag aıp !wur g — eynurp pol “az vıp usnapaq uassızsqy rg)
‚SOyUH usagund sap Sunzioy yoru Junsomag ap znepro‘ ‘Dorpnd »sounpf "T aaıny
\
an
312
Ort der Untersuchungen war das an das Laboratoriumsgebäude nach
Süden zu angebaute Glashaus.
Daß dieser Raum gewählt wurde, brachte manche Nachteile und Fehler-
quellen mit sich. An sonnigen Tagen wechselte die Temperatur ziemlich
stark. Die Sonnenstrahlung erwärmte die Luft im Glashause beträchtlich,
sehr häufig über die draußen herrschende Lufttemperatur, in den Nächten
trat dann oft ein starker Temperaturabfall en. Um die Einflüsse der
wechselnden Temperatur wenigstens kontrollieren zu können, wurde in meist
viertelstündigen Zwischenräumen die Temperatur an in Fünftelgrade ge-
teilten Thermometern abgelesen. Um die Temperaturschwankungen zu
reduzieren, wurde das Glasdach mit Lattenrouleaux überdeckt, die Arbeits-
plätze speziell noch durch Leinwandschirme geschützt, und durch Öffnen
und Schließen der Luftklappen versucht, die Temperatur etwas zu regu-
lieren. So wurde erreicht, daß die Temperaturschwankungen während einer
Stunde selten mehr als 1 oder 2° betrugen. An trüben Tagen war die
- Temperatur weit konstanter, sie schwankte dann oft während mehrerer
Stunden kaum um einen Grad.
Mit der Temperatur wechselte natürlich auch die relative Feuchtigkeit
der Luft. Beobachtete Extreme überhaupt sind 88°/o und 41/0, doch wurde
durch Begießen des Bodens dafür gesorgt, daß die Feuchtigkeit meistens
nur zwischen 50° und 70°/o schwankte.
Die vorhin erwähnten Rouleaux und Leinwandschirme hatten außer dem
Zweck, die Wärmestrahlung der Sonne zu mildern, auch den, die Licht-
intensität zu dämpfen, dadurch störende heliotropische Torsionen auszu-
schließen und gleichzeitig die Liehtschwankungen zu verringern und photo-
nastische Bewegungen zu reduzieren.
Die Reizung geschah auf zwei Arten. Die erste, die ich als die
mechanische bezeichne, wurde teils durch leichte, streifende Berührung der
Unterseite des Gelenkes mittels einer in einen Holzgriff gefaßten Nähnadel
(dies wurde in den Versuchsprotokollen als K bezeichnet), teils aber auch
dadurch bewirkt, daß ein Schlag auf das Blatt mit einem Holzstäbchen
ausgeführt wurde (mit S bezeichnet).
Die zweite Reizungsmethode war die mittels elektrischer Ströme. Wie
Kabsch (1861b), Hofmeister (1867), Pfeffer (1885) bei der gleichen
Pflanze und Burdon-Sanderson (1877) bei Dionaea, benutzte ich als Strom-
quelle ein Schlitteninduktorium, das von einem Akkumulator gespeist wurde.
Dies liefert einmal die genügende schnelle Spannungsschwankung, um
in dem hohen Widerstande des Pflanzengewebes!) die nötige Schwankung
1) Bei meiner Versuchsanstellung war der Widerstand für die vom Strom dureh-
flossene Strecke, die ca. 1 bis 2 em lang war, von einer Größe von der Ordnung
105—10% Ohm. Diese und die folgenden elektrischen Messungen nahm ich im physi-
kalischen Institut der Universität Leipzig vor, dessen Direktor, Herrn Prof. Wiener,
ich für die gütige Erlaubnis auch an dieser Stelle meinen besten Dank aussprechen
möchte.
313
deı Stromdichte herzustellen, und bietet außerdem die Möglichkeit, die Stärke
des Reizes bequem abzustufen. Das von mir benutzte Induktorium war an
der Seite mit einer Skala versehen, die in halbe Zentimeter geteilt war,
so daß bei der Stellung Null die Rollen übereinander geschoben waren, bei
der Stellung 25 die sekundäre mit ihrem hinteren Rande den vorderen der
primären berührte.
Die Potentialschwankung war, wie eine Eichung mit dem ballistischen
Galvanometer zeigte, bei der Stellung 0 15,5 mal so groß wie bei der
Stellung 25.
Gereizt wurde meist mit dem Öffnungsstoß, der sich als weit stärker
wirksam erwies als der Schließungsstoß )).
Es wurde auch mit dem Selbstunterbrecher gearbeitet, der, nach dem
Prinzip des Wagnerschen Hammers konstruiert, am Induktorium angebracht
war. Doch war die Konstruktion recht unzweckmäßig, da die übermäßige
Größe der zu bewegenden Massen den Unterbrecher unregelmäßig arbeiten ließ.
Als Stromschlüssel diente ein trockener Schalthebel.
Daß Induktionsströme benutzt wurden, hatte außerdem den Vorteil, daß
metallische Elektroden angewandt werden konnten, da infolge der Gleichheit
der Strommengen des Öffnungs- und Schließungsstoßes Polarisation nicht
eintritt und der umständliche Apparat der unpolarisierbaren Elektroden also
wegfällt.
Anfangs benutzte ich als Elektroden, wie Burdon-Sanderson
(1877) bei Dionaea, Stahlnadeln, die in das Gewebe hineingestochen wurden:
eine unter der Basis des Gelenkpolsters in den Stamm, eine in den pri-
mären Blattstiel. Später aber benutzte ich Stückchen Platindraht, die in das
mit einer feinen Nadel vorgebohrte Loch hineingesteckt wurden, da sich am
Eisen bald dieke Krusten eines roten Salzes, besonders bei M. pudica?),
bildeten. Außerdem war die Belastung durch die Platindrähte weit geringer.
Als Elektrodenhalter dienten Galgen, die in der Weise hergestellt
waren, daß rechtwinklig gebogene Glasröhren von ea. '/s cm innerem Durch-
messer und 6—8 em Schenkellänge mit einem Schenkel über einen Blumen-
stock geschoben und mit Siegellack befestigt wurden. Der Blumenstock
diente dazu, die Galgen in die Erde des Blumentopfes zu stecken, der die
zu untersuchende Pflanze enthielt. Um den horizontalen Schenkel war blanker
Kupferdraht in wenigen Windungen gelegt und Lametta vielfach herum-
geschlungen. Über den Scheitel des rechten Winkels ragte der Kupfer-
draht hinaus, so daß hier die Endklemmen der Zuleitungsschnüre vom In-
duktorium her angelegt werden konnten. Die Lametta war nach Bedarf
mehr oder weniger weit abzuwickeln und wurde an das ösenförmig gebogene
Ende der Elektroden angeknotet.
1) Vgl. hierüber die ausführlichen Darlegungen bei Hermann (1905 p. 76 ff.),
ferner Pfeffer (1904 p. 536) und Biedermann (1895 p. 547).
2) Vgl. hierüber auch Haberlandt (1890 p. 17—19).
Infolge des geringen Gewichtes der Lametta wurde das Blatt nicht
wesentlich belastet. Elektrode — der zu tragenden Länge des Lametta-
streifens bewirkten im ungünstigsten Falle keine größere Belastung des pri-
mären Blattstieles, als wenn in 1 em Entfernung vom Stamm 0,04 g an-
gehängt worden wären, also eine minimale Vergrößerung des statischen
Momentes.
Schädigungen, die durch diese Verwundung oder durch die nachfol-
gende elektrische Reizung verursacht worden waren, wurden besonders bei
M. pudica beobachtet. M. Speggazzinii erwies sich hingegen als recht un-
empfindlich. So zeigte im Juli 1906 eine Pflanze bei achttägiger Unter-
suchung keinen bemerkbaren Unterschied am Schluß dieser Zeit gegenüber
dem Anfange. Die elektrische Reizung schien die Schädigungen im erster
Linie hervorzurufen.
Jede zu untersuchende Pflanze wurde mit zwei solchen Galgen ausge-
stattet. So bildete sie ein einheitliches Ganzes, was z. B. bei Bestimmungen
der Biegungsfestigkeit, die nach der von Brücke (1848 p. 440) ange-
gebenen Methode!) vorgenommen wurde, von Vorteil war, da diese Messungen
so auch bei dauernder Reizung vorgenommen werden konnten.
Ein weiterer großer Vorteil der elektrischen Reizung besteht darin, daß
man mit ihrer Hilfe auch unter Glasglocken usw. Reize applizieren kann,
wo der mechanischen Reizung große Schwierigkeiten entgegenstehen würden.
Leider habe ich erst in der letzten Zeit meiner Versuche die Schwierig-
keiten überwunden, die mir anfänglich eine geeignete Stromzuleitung z. B. in
eine Glasglocke machte, und habe sie daher nur bei Narkoseversuchen an-
gewendet.
Es handelte sich nämlich darum, die Drähte gasdicht einzuführen und
die Glasglocke jederzeit abheben zu können, ohne die Pflanze zu erschüttern,
und beim Wiederdarüberstülpen der Glocke sofort den Kontakt herzustellen.
Zu dem Ende wurde die mit zwei Galgen montierte Pflanze zunächst durch
zwei isolierte Kupferdrähte leitend mit zwei Quecksilbernäpfen verbunden,
die natürlich, um ein Verdampfen des Quecksilbers möglichst auszuschließen,
mit einer Flüssigkeit überschichtet sein mußten. Ferner wurden zwei Drähte
in die Glocke von außen eingeführt (ich führte sie durch den Korkstopfen
ein, der den Tubulus verschloß, an der Wand hinunter und hielt sie durch
einen federnden, isolierten Drahtbügel in ihrer Lage fest) und so im Innern
geleitet, daß ihre Enden in die Quecksilbernäpfe tauchen konnten, wenn
die Glocke darüber gestülpt wurde. Da der abgeschliffene Rand der Glocke
auf eine abgeschliffene Glasplatte gestellt wurde, konnte auch hier für
Dichtung gesorgt werden.
1) Sie besteht bekanntlich darin, daß die Winkel gemessen werden, die der
primäre Blattstiel einmal bei normaler Stellung, dann in inverser Stellung mit dem
Stamme bildet, wobei der Blattstiel beide Male horizontal steht. Die Differenz der
beiden Ablesungen gibt ein Maß für die Biegungsfestigkeit des Gelenkes.
Die Ablesung der Bewegung geschah anfangs meist in der Weise,
daß die Pflanze vor ein Koordinatenpapier gestellt wurde, über zwei feste
Punkte anvisiert und die Stellung irgend eines markanten Punktes des be-
wegten Organes, hier also des Blattstieles, nach den Koordinaten aufge-
zeichnet wurde. Diese Methode wurde später nur selten, hauptsächlich hin
und wieder bei Oxalis angewandt.
Statt dessen wurde meistens die Bewegung des primären Blattstieles an
einem Gradbogen verfolgt. Es wurden zwei Arten von solchen benutzt,
kleine von 4 em und große von 8 oder 10 cm Radius. Die kleinen wurden
besonders bei M. pudica angewandt, wo der Blattstiel selber den Zeiger
bildete, die großen bei M. Speggazzini. Hier diente dann als Index eine
Glaskapillare, die, mittels Bastschleifehen am primären Blattstiel befestigt,
dessen Verlängerung bildete.
Die Belastung des Blattes war gering, denn das Gewicht einer 10 cm
langen Kapillare betrug nur ungefähr 0,05 g, d. h. die Belastung durch sie
entsprach einem in 1 cm Entfernung vom Stamm ans Blatt angehängten
Gewicht von 0,25 g.
Die durch die Armierung und Elektroden bewirkte Belastung betrug
also höchstens 0,3 g in ] em Entfernung, also eine recht unbedeutende
Größe gegenüber den von Schilling (1895) angewandten Belastungen, bei
denen Schilling trotz vierfacher Vergrößerung des statischen Momentes
(l. e. p. 425) die gleiche Reaktion wie sonst erhalten zu haben angibt.
So konnte die Bewegung deutlich verfolgt werden.
Ein absolutes Maß für die Größe der Einkrümmung des Gelenkes wurde
so natürlich nicht erhalten. Denn das freie Ende des Polsters beschreibt
nicht einen Kreisbogen, sondern eine Spirale!), und der Blattstiel, den
wir der Einfachheit halber als die Tangente am Ende des entstehenden
Kreisbogens betrachten wollen (obwohl er meistens auf der Endfläche des
Polsters schief inseriert ist), steht auf dieser Spirale anfangs normal, um
bei der Einkrümmung von 180° einen Winkel von 45° mit der Kurve zu
bilden.
Auf dem Gradbogen würde aber nur die Stellung einer zu einem Kreis-
bogen normalen Geraden genau abgelesen werden können.
Wie die in der Anmerkung’) beigefügte Tabelle zeigt, werden aber inner-
halb der in Betracht kommenden Einkrümmungsgrößen von 0° bis 180° die
Ungenauigkeiten der Winkelangaben so klein, wenn der Mittelpunkt des
!) Eine Kochleoide von der auf Polarkoordinaten bezogenen Gleichung r —
sin 1 ; ae 2 :
17 m worin a die Länge des Gelenkes, p den Offnungswinkel des entstehenden
2
Kreisbogens bedeutet.
q
2) Die Tabelle wurde durch Konstruktion auf Grund einer Berechnung ermittelt.
In p ist die Einkrümmung des Gelenkes angegeben, in b die Angabe am großen
Bogen (Radius 10 cm) bei einer Gelenklänge von 3 mm, in e die Angaben am kleinen
Bogen (Radius 4 cm) bei einer Gelenklänge von 6 mm. Vorausgesetzt wird, daß
316
Kreises auf die Mitte des ungefähr zu 90° eingekrümmten Polsters eingestellt
wird, daß sie am großen Kreisbogen neben den Ablesungsfehlern vernach-
läßigt werden können und am kleinen nur wenig ins Gewicht fallen.
Daher wurde auch von der von Brücke (1848 p. 453 Anm.) ange-
gebenen Konstruktionsmethode abgesehen, deren Gewinn in keinem Ver-
hältnis zu der Umständlichkeit ihrer Ausführung gestanden hätte.
3. Bestimmung der Reizschwelle.
Die bequeme Abstufung der Reizgrößen, die die Benutzung des Schlitten-
induktoriums ermöglichte, bewirkte, daß die Reizschwelle der untersuchten
Pflanzen festgestellt werden konnte. Es handelte sich dabei immer um rela-
tive Werte, die einen Vergleich zwischen zwei verschiedenen Zuständen des
Versuchsobjektes gestatteten. Zwischen zwei Pflanzen war dagegen aus
verschiedenen Gründen eine solche Vergleichung der gefundenen Werte nicht
statthaft. Der elektrische Widerstand der Pflanzen war verschieden nach
den verschiedenen Entfernungen der beiden Elektroden von einander und
nach dem Querschnitt des durchströmten Gewebes. Da als reizend nach
dem Dubois-Reymondschen Satze, den wir vom Muskel zweifellos hier-
her übertragen können, die Schwankungen der Stromdichte anzusehen sind,
muß der verschiedene Querschnitt des in den Strom eingeschalteten Ge-
webes, selbst bei gleichem Widerstand, doch eine verschieden große Dichte-
schwankung bedingen.
Die Reizgröße, die gerade genügend ist, um eine Reaktion auszulösen,
ist nach meinen Messungen im physikalischen Institut ungefähr von der
Größenordnung einer Schwankung der Stromdichte um 10-7 — 10-° Coulomb
auf den Quadratmillimeter im Zeitteilchen, das der Öffnungsstoß erfordert.
Die Reizschwelle wurde in der Weise bestimmt, daß von einer unter
der Schwelle liegenden Reizgröße aus allmählich der Reiz gesteigert wurde.
Dabei lag zwischen den einzelnen Stufen der Reizung ein Zeitraum von
mindestens 1’/., meistens von 2 bis 5 Minuten, aus Gründen, die ich im
Abschnitt über die Wirkung wiederholter Reize unter © (p. 333 f.) aus-
einandersetzen werde.
Auf jeder Reizstufe wurde der Reiz nicht nur einmal, sondern in einer
Wiederholung in bestimmtem Rhythmus angewandt.
bei völliger Geradstreckung des Polsters der Blattstiel vertikal steht. Wie aus der
Tabelle hervorgeht, ist die Einteilung der Gradbögen derart, daß 180 oben und O
unten ist. p b e
0° über 180° 181°
30° 21508 148°
60° 21900 121°
90° unter 91° Sm
120° = 61° 62°
150° = Sal“ 33°
180° IK 4°
317
Dieses gestattete die Reizschwelle mit größerer Annäherung zu bestimmen,
als wenn nur Einzelreize angewandt wurden.
Es zeigte sich nämlich, daß Reize, die sehr dicht unter der Schwelle
lagen, wirksam wurden, wenn sie in Wiederholung angewendet wurden.
Dabei wurde eine solche „Summation“ selbst dann beobachtet, wenn
zwischen den einzelnen Reizen fünf Sekunden lagen. Natürlich ist hier der
Einwand zu erheben, daß diese Erscheinung dadurch hervorgerufen worden
sei, daß die Stärke der einzelnen Reize nicht gleichmäßig gewesen sei,
z. B. könnte der wirksame Reiz stärker als die vorhergehenden gewesen
sein und damit erst über die Schwelle getreten sein, während die vorherigen
alle darunter geblieben wären. Dies könnte z. B. durch verschieden guten
Kontakt oder durch verschieden geschwindes Unterbrechen des Stromes ver-
ursacht worden sein.
Der verschieden gute Kontakt könnte verschieden große Stromstärken
in der Primärspule bedingen; da aber der Schalthebel stets in gleicher
Weise bewegt wurde und die beiden Metallflächen stets aneinander gepreßt
waren, dürfte dieser Umstand von geringer Bedeutung sein.
Das verschieden geschwinde Unterbrechen des Stromes würde verschieden
schnelle Stromstärkenänderung in der primären Rolle hervorbringen können,
Nun ist aber zu bedenken, daß der Grund dafür, daß der Öffnungsstoß so
viel schneller verläuft als der Schließungsstoß, darin liegt, daß der in der
primären Spule entstehende Extrastrom das Verschwinden des Stromes be-
schleunigt. Da dieser Extrastrom jedoch infolge der ungeändert bleibenden
Selbstinduktion sehr viel weniger variiert als die Unterbrechungsgeschwin-
digkeit des Schalthebels, wird die Geschwindigkeit der Stromschwankung
wohl als ungeändert angesehen werden dürfen.
Am ballistischen Galvanometer ließ sich kein Unterschied konstatieren,
doch wird hier nur das Integral der Stromschwankung, nicht aber die Zeit
gemessen, und damit ist über physiologische Gleich- und Ungleichwertigkeit
natürlich nichts gesagt.
Wenn wir aber annehmen, wie wir wohl dürfen, daß die Beobachtungen
nicht auf einem derartigen Fehler beruhen, so ergibt sich aus ihnen weiter
folgendes:
Ob die schon erwähnten fünf Sekunden die obere Grenze des Zeitinter-
valls sind, innerhalb dessen eme solche Summierung stattfmden kann, ver-
mag ich nicht zu sagen; dieses Intervall ist nur das größte, das ich be-
nutzte.
Folgen die Einzelreize schneller aufeinander, so tritt die Reaktionsaus-
lösung schon nach wenigen Reizstößen auf. Darauf beruht auch die kräf-
tigere Wirkung der Reizung bei Anwendung des Selbstunterbrechers, z. B. im
folgenden Falle:
Versuch 1.
M. Speggazzinn. Temperatur 14,2° bei bedecktem Himmel. Um
11®2’ mit drei Öffnungsstößen bei der Stellung 20 der sekundären
Rolle mit vier Sekunden Intervall, um 11"4’ mit 15 Stößen bei der
Stellung 191) vergeblich gereizt. Darauf:
| Stellung
Zeit Reizgröße vor nach
I der Reizung
1m 7’ 15x18 | 94° | 940
11®11’ | 18d2), kaum 1 Sek. | 94° | 5903)
Innerhalb der knappen Sekunde sind weit weniger Stromstöße durch
das reizbare Gewebe geschickt worden (wohl nur 6 bis 10) als vorher in
der Minute. Wir haben also eine Erscheinung vor uns, die der von Richet
(1879) am Krebsscherenschließmuskel beobachteten und (l. ec. p. 548 f.) als
„addition latente“ bezeichneten Erscheinung analog wäre und auch der in
den Lehrbüchern der Physiologie zitierten Fickschen Beobachtung, daß
„an und für sich unwirksame Reize wirksam werden, wenn sie nur in ge-
nügend schnellem Rhythmus wiederholt werden“ (so Tigerstedt
1905 p. 24), entspräche.
Es ist hierbei noch zu beachten, daß die Reizgröße, die schon bei ein-
maliger Anwendung reizend wirkt, nur außerordentlich wenig höher liegt
als die Reizgröße, die erst bei der Wiederholung wirksam ist.
Der Anwendung der elektrischen Reizung zur Reizschwellenbestimmung
setzten sich aber Hindernisse darin entgegen, daß von einer gewissen Stärke
an die Stromstöße auf das Leben der Gewebe schädigend wirken.
Besonders war M. pudica dafür sehr empfindlich. M. Speggazzinii erwies
sich auch hier als widerstandsfähiger und besser zu gebrauchen.
4. Die Latenzzeit.
Nach erfolgter Reizung tritt die Reaktion nicht momentan, sondern erst
nach Ablauf einer gewissen Zeit, der Latenzzeit, auf. Meistens ist sie, wie
Pfeffer (1904 p. 441) auch angibt, kleiner als eine Sekunde, sowohl bei
M. pudica wie bei M. Speggazzinti. Jedoch kann sie unter gewissen Um-
ständen weit größere Werte annehmen. ;
Da ich aber die Latenzzeit in gelegentlichen Beobachtungen (d. h. freilich
bei jeder Beobachtung, wo sie merkbar wurde), maß, nicht aber besondere
Versuche zur Entscheidung der Frage nach den bestimmenden Faktoren
anstellte, kann ich mehr als den Versuch, die beobachteten Tatsachen
zusammenzufassen, hier nicht geben.
Die größte beobachtete Latenz betrug 9's Sekunden. Und zwar be-
obachtete ich sie an einer M. Speggazzinü, die den fünften Tag im Ver-
1) Geschrieben: 15x19, 4 Sek. Int.
2) „ld, kaum 1 Sekunde“ heißt: Anwendung des Selbstunterbrechers bei der
Stellung 18, kaum 1 Sekunde hindurch.
®) Gemessen um 11 Uhr 11 Minuten 30 Sekunden.
319
suchsraume stand. An dem in Betracht kommenden Tage war die Reaktion
träger, als nach der Temperatur (24— 25° C.) erwartet werden durfte, am
folgenden Tage betrug die Amplitude der Reaktion nur noch 3°. Die
Pflanze hatte ein schlechtes Aussehen und war bei der Bestimmung der
Schwelle stark ohne Erfolg gereizt worden.
Latenzen von vier Sekunden kamen häufiger vor. Ihre Größe scheint
nur von den inneren Bedingungen der Pflanze, nicht aber von der Stärke
des Reizes abzuhängen. Das zeigt z. B. folgender Versuch:
Versuch 2.
M. Speggazzini. Temperatur 10%50’ 13,8°, 11®20’ 14°, 11245’
14,35%. Zwei Tage vorher zu einem Narkoseversuch benutzt, die Nacht
war sehr kühl gewesen, die Pflanze sah geschädigt aus, bei voran-
gegangenen Reizungen hatte sie noch keine deutliche Latenz gezeist.
Bewegung
Zeit Stellung Reizstärke \ Latenz
| bis
10155’ | 101° | 3x 20,54, 4 Sek. Int., | 900 —
| jedesmal 1 Sekunde
ERST. 950 3190 | 86° 2 Sek.
1338 902 STR 1,048:319 Dime
Ina 92% ? I 849 4 >
Die Vergrößerung der Latenzzeit stellte sich besonders bei Pflanzen ein,
die längere Zeit im Versuchsraume bei niedrigen Temperaturen gestanden
hatten und häufig und stark gereizt worden waren. Auch bei Narkose-
versuchen wurde Vergrößerung der Latenzzeit bemerkt.
5. Die Reaktion.
Die Bedeutung der verschiedenen Einflüsse für den Ablauf der Reaktion
teile ich nach den inneren und äußeren Bedingungen. An sich kommen ja
die Bedingungen überhaupt nur soweit in Frage, als sie Veränderungen des
inneren Zustandes des Organismus sind. Doch hat diese Trennung in die
Abschnitte über den Einfluß äußerer und innerer Bedingungen den be-
sonderen Grund, daß die Beobachtungen über den Einfluß äußerer Umstände
mehr gelegentlicher Natur sind (abgesehen von den Narkoseversuchen), die-
Jenigen betreffs der Wirkung der Innenbedingungen aber, besonders betreffs
der Wirkung wiederholter Reize, das eigentliche Ziel der Untersuchungen
an Mimosa darstellen.
aa) Einfluß äußerer Bedingungen.
Da ich über den Einfluß der Beleuchtungsintensität und von Luft- und
Bodenfeuchtigkeit nur sehr spärliche Beobachtungen machte, beschränke ich
mich darauf, auf den Einfluß der Temperatur etwas näher einzugehen.
320
Exakte Angaben zu machen, ermöglichte mir meine Versuchsanstellung
nicht. Denn da die Temperatur nur selten annähernd konstant war, meist
aber sank oder stieg, war der Zustand der Versuchsobjekte nicht der der
jeweils am Thermometer abgelesenen Temperatur entsprechende, sondern
durch die vorhergehende Temperaturkurve mit bestimmt, ein Einfluß, der, wie
Bach (1907 p. 120) bei der Untersuchung der geotropischen Reizvorgänge
gezeigt hat, nicht vernachlässigt werden darf.
Der Einfluß der Temperatur zeigt sich nun in drei Beziehungen:
a) Die Reizschwelle liegt nahe dem Temperaturminimum (vgl. ß) nicht
besonders hoch und fällt mit steigender Temperatur. Ob den Beobachtungen,
daß oberhalb 26° C. die Reizschwelle wieder steigt, wie mehrere Versuche aus
der letzten Hälfte des Juli 1906 zu zeigen scheinen, ein Gewicht beizulegen ist,
ist mir zweifelhaft, da die untersuchten Pflanzen auch Schädigungen darin
zeigten, daß die Bewegungen sehr viel langsamer und von geringerer Amplitude
waren als bei anderen Exemplaren unter entsprechenden Bedingungen.
ß) Auf die Amplitude und Schnelligkeit der Bewegung äußert die Tem-
peratur ihren Einfluß derart, daß mit der steigenden Temperatur beides
wächst, nachdem in der Gegend des Temperaturminimums sowohl Aus-
giebigkeit wie Geschwindigkeit der Bewegungen sehr klein gewesen waren.
Das Temperaturminimum liegt, wie auch Sachs (1863 p. 452) fand,
in der Gegend von 15° C. für M. pudica; da aber die vorhergehende
niedere Temperatur nachwirkte, fand ich es meistens bei 16° C. liegend.
Bei M. Speggazzini liegt es tiefer, ungefähr bei 13° C.
x) Die Neigung der Bewegung, in Oszillationen abzuschließen, wird durch
das Steigen der Temperatur verstärkt, oberhalb 25° C. werden sie bei
M. pudica sehr deutlich,, und in der Nähe von 30° ©. werden sie auch
bei M. Speggazzinii bemerkbarer.
Da die höchste beobachtete Temperatur nur 33° ©. betrug, habe ich
den Eintritt von Wärmestarre (Sachs |. e.) nicht beobachten können.
Einfluß von Narkotieis.
Diesem Abschnitte möchte ich zunächst einige Bemerkungen voraus-
schieken, die die Versuchsanstellung und Fehlerquellen betreffen und die
mir, obwohl gerade an Mimosa!) wiederholt Versuche angestellt worden
sind, doch am Platze zu sein scheinen.
Es wurde M. Speggazzinii in einer Glasglocke untersucht, die Äther-
dämpfe enthielt. Äther wurde gewählt, weil er am Liehte sich nicht zersetzt,
wie Chloroform es unter Bildung von Salzsäure tut.
Große Schwierigkeiten macht die gute Dichtung der Glocke. Da alle
Fette Äther lösen und ihn infolgedessen aus dem Gasraum in der Glocke
absorbieren, sind die gewöhnlichen Dichtungsmittel, wie Luftpumpenfett und
dergleichen, nicht gut zu benutzen. Es wurde daher Glyzerin genommen,
1) Vgl. die Literaturangaben bei Pfeffer (1904 p. 534 Anm. 2).
321
in dem Äther fast unlöslich ist, was sich auch recht gut bewährte. Leider
hat es dafür die unangenehme Eigenschaft, stark hygroskopisch zu sein.
Glyzerin wurde auch dazu benutzt, das Quecksilber der in den methodischen
Bemerkungen erwähnten Kontaktnäpfe zu überschichten, da das sonst vor-
zuziehende Paraffinöl wegen seiner Ätherlöslichkeit nicht angewendet werden
konnte. Die Zuleitungsdrähte hätten am besten natürlich ins Glas ein-
geschmolzen sein können; um aber die Glasglocken auch anderweit benutzbar
zu lassen, führte ich sie durch den paraffinierten Stopfen im Tubulus ein,
Ich glaubte, die Absorption des Äthers an der unteren Fläche des Stopfens
deswegen unberücksichtigt lassen zu dürfen, weil angenommen werden konnte,
daß die schweren Ätherdämpfe, zumal bei der langsamen Diffusion unter
der Glocke, nur in sehr geringem Maße in den Tubulus gelangen würden.
Daher glaubte ich mich auch berechtigt, den Stopfen von außen mit
Klebwachs zu dichten. Äthergeruch habe ich außerhalb der Glocke nicht
im mindesten spüren können.
Die benutzte Glocke faßte zwölf Liter; der Äther wurde in Form wäßriger
Lösung darunter gebracht, und zwar in zwei flache Schalen ausgegossen.
Das Ätherwasser wurde nach Gewichtsprozenten hergestellt, freilich der
schnelleren Abmessung wegen durch Volummessung, wobei die Dichte des
Äthers zu 0,72 angenommen wurde.
Jedesmal wurden 100 g Lösung gebraucht.
Die Verwendung wäßriger Lösung hat den Vorteil, daß die Verluste,
die durch Verdampfung des Äthers zwischen der Abmessung und der An-
wendung und schließlich auch durch das Adhärieren am Meßgefäß entstehen,
herabgesetzt werden.
Nun spielen, wie bei allen Giften, bei den Narkotieis!) die Konzentra-
tionen im Organismus?) eine große Rolle.
Wir können sie angenähert berechnen, wenn wir die Löslichkeit des Nar-
kotikums, also des Äthers, im Organismus gleich seiner Löslichkeit im Wasser
setzen, wie Overton es auch bei seinen Berechnungen getan hat. (1901p.85#f.).
Da zeigt sich gleich ein Faktor von äußerster Wichtigkeit, der in den
früheren Beobachtungen zu wenig Beachtung gefunden hat, das ist die
ne Ä ; : = Wasser
Temperatur. Mit ihr ändert sich nämlich der Teilungskoeffizient Feen
asraum
in hohem Maße.
1) Was wir unter einem Narkotikum zu verstehen haben, ist praktisch von Fall
zu Fall leichter zu entscheiden, als zu definieren. Die Meyer-Övertonsche
Theorie (Overton, 1901 p. 71) hilft uns da nichts; in der Definition Koberts
(1906 p. 396), Narkotikum sei ein Gift, das „allgemeine Lahmlegung der Funktionen
des Protoplasmas“ bewirke, ist der Begriff des Giftes abzugrenzen (vgl. Kobert
1902 p. 13), und das ist sehr schwer.
2) Jedenfalls nach Overton (1901 p. 25). O. redet zwar speziell von den Kon-
zentrationen des Anästhetikums im „Blutplasma der interzellularen Lymphe und
dem Imbibitionswasser der Ganglienzellen“, doch ist unzweifelhaft allgemeine Gültig-
keit, auch für die Pflanzen, beabsichtigt.
322
Die Temperatur wurde nun bei jedem Versuche messend verfolgt. Zu
dem Zwecke war ein in Fünftelgrade geteiltes Celsiusthermometer mit unter
die Glocke gebracht.
Wenn ich auch in der folgenden Berechnung Temperaturwerte benutze,
die ich nicht beobachtet habe, so hat dies seinen Grund darin, daß mir
gerade hierfür bei Overton (l. c.) Angaben!) vorliegen, die ich brauchen
kann, und im Prinzip ändert sich nichts an der Sache, wenn die Unter-
schiede des Teilungskoeffizienten bei den von mir beobachteten Temperaturen
einen anderen absoluten Wert annehmen würden.
Nach Overton lösen sich bei 17° C. 6,7 g Äther in 100 cem Wasser,
der Dampfdruck des Äthers beträgt bei dieser Temperatur 380 mm Queck-
silber. Da ein Liter Ätherdampf von 17° C. und 380 mm Druck 1,58 g
wiegen muß, da nämlich ein Liter bei 0° und 760 mm 3,32 g wiegt, muß
in 100 eem mit Ätherdampf gesättigten Gasraumes bei 17° C. 0,158 g
Äther enthalten sein.
Da nun eine gesättigte Ätherlösung?) bei der gleichen Temperatur in
100 eem 6,7 g Äther enthält, wäre der Teilungskoeffizient nn. = Si
— 42,4 für 17° 6.
Bei 38° C. betragen aber die Werte: für den Äthergasdruck 850 mm
und für die Löslichkeit im Wasser 5 g in 100 cem; also enthalten 100 ecm
Gasraum 0,338 g Ather, und der Teilungskoeffizient Sm
asraum
— 15 bei 38° C.?), ist also 2,8 mal so klein als bei 17° C.
Jedenfalls ergibt sich hieraus, daß bei steigender Temperatur die Tiefe
der Äthernarkose trotz gleichbleibender Ätherkonzentration im Gasraum ab-
nehmen kann.
Für eine absolute Berechnung der zur Narkose nötigen Äthermenge
wäre es erforderlich, den Gehalt der Luft unter der Glocke an Äther zu
kennen. Da ich jedesmal 100 g Lösung benutzte, entsprach a °/oigem Äther-
wasser ein Gehalt von a g Äther in 12 1 Luft, wenn von der Absorption
abgesehen wird.
& 5
betr ägt 0,338
1) Daß Overtons Angaben von denen in Beilsteins Handbuch der org. Chemie
etwas abweichen, berücksichtige ich hier nicht.
2) Wir vernachlässigen hierbei verschiedenes:
1. daß das Volum der 6,7g Äther enthaltenden Lösung mehr als 100 eem beträgt;
2. daß die Lösungsgeschwindigkeit des Äthers im Wasser nicht so groß ist,
daß sich aus einem. Ätherdampf enthaltenden Gasraume wirklich in genügend kurzer
Zeit das Geichgewicht einstellte;
3. daß Overton nichts über den Druck sagt, für den seine Angaben gelten.
Es wurde angenommen für Atmosphärendruck;
4. wurde nicht in Betracht gezogen, inwieweit Adsorption im Spiele ist.
3) Daß bei dieser Temperatur eine Doppelschicht, bestehend aus einer Lösung
von Äther in Wasser und einer von Wasser in Äther, sich bildet, wurde nicht be-
rücksichtigt.
323
Die bloße Angabe der Konzentration des Ätherwassers, wie sie KoSanin
(1905) und Hosseus (1903) geben, ist nur dann ausreichend, wenn es
sich um Vergleichszahlen bei gleichem Volum der abgesperrten Luft und
gleicher Temperatur handelt. Anhaltspunkte zur Berechnung der zur Narkose
nötigen Äthermenge oder Vergleichspunkte für Nachversuche geben sie nicht.
Von möglichen individuellen Verschiedenheiten der untersuchten Pflanzen
abgesehen, wie sie ja in der chirurgischen Narkose bekannt sind und wie
Rothert (1904) sie auch bei Bakterien fand, ist noch das folgende zu
berücksichtigen.
Die Atmosphäre unter der Glocke ist natürlich nicht sofort mit den
Ätherdämpfen erfüllt. Da ich nun nicht, wie KoSanin (1905 p. 56),
die Pflanzen unter die schon seit drei bis fünf Stunden mit Ätherdämpfen
gefüllte Glocke brachte, sondern den Apparat erst zusammenstellte und
dann die Pflanzen ohne Äther untersuchte, um Reizschwelle, Amplitude und
Geschwindigkeit der Bewegung festzustellen, und erst dann die Glocke lüftete,
um das Ätherwasser in die flachen Schalen zu gießen, mußte es infolge der
großen Dichte des Ätherdampfes und der nur geringen Strömungen unterhalb
der Glocke einige Zeit dauern, bis die Ätherkonzentration um das unter-
suchte Blatt herum genügend groß war, um die erste narkotisierende Wirkung
auszuüben, und die Narkose mußte sich allmählich verstärken.
Die Wirkungen der Narkose zeigten sich nun zunächst in einer
Erhöhung der Reizschwelle.
Versuche 3.
M. Speggazzinii. Unter der Glasglocke. 31. 7. 06. Sonnenschein.
Temperatur: 9%40’ 22,9%, 10640’ 24,69% 11%40’ 26,2%. Um 9530’
begonnen die Reizschwelle zu bestimmen, um 9% 30’, 33’, 9% 38’, 41’, 44’
gereizt, jedesmal 16 Einzelstöße mit zwei Sekunden Intervall, jedesmal
die sekundäre Rolle von 22,5 an um 0,5 Teilstriche weiter hinauf-
geschoben, 947’ 5><20; Bewegung von 94°, der bis dahin einge-
nommenen Stellung, bis 45,5, dann Aufstieg. Um 10%40’ 92°. Jetzt
2°/o Ätherwasser unter die Glocke gegeben, um 11”23’ beginnt folgende
Reizschwellenbestimmung :
Zeit Stellung Reizgröße | Bemerkung
11523 | 104,5° | 16x 215
11896 | 165 ° | 16x21
11630’ | 104,5° | 16x 20,5
11634’ | 104,20 16 x 20
112387 |, 10479 16 x 19,5
112437 | 710309 I 16x 19
11846 | 103 ® | 168x185
112507 |,2,.1025,2 19x18
11354, || > 101579 5x17,5 || Bewegung bis 67°.
In einem Falle beobachtete ich aber auch ein anfängliches Sinken der Schwelle.
Beiträge zur Biologie der Pflanzen, Bd. IX, Heft III. 21
324
Versuch 4.
M. Speggazzinii. Unter Glasglocke. 26. 7. 06. Sonnenschein. Tem-
peratur: 2"40’:29°, 35307 31,2% 3556’ 31,8%. Um 2h46’ war die
Reizschwelle 1><20, und entsprechend war nach erfolgloser Reizung
um 2"13’ mit 16x21, um 2%16 mit 20,5, um 2"19 die Schwelle zu
16x20 bestimmt worden. Zwischen 305’ und 310’ wird 3°/o Äther-
wasser unter die Glocke gebracht. Um 3%40’ soll die Reizschwelle
bestimmt werden, begonnen wird mit der Stärke 21, da erfolgt gleich
beim ersten Öffnungsstoß eine Reaktion von 103,5 bis 64°.
Die Stärke des neuen Reizes war nur *%5 von der des früheren, also
die Erniedrigung der Schwelle zweifellos.
Daß z. B. im Versuch 3 diese Schwellenerniedrigung nicht beobachtet
wurde, läßt sich erklären, wenn man bedenkt, daß der wirksame Reiz nicht
schon 30 Minuten nach dem Einbringen des Ätherwassers, wie im Versuch 4,
sondern erst nach 74 Minuten erfolgte, wodurch die Möglichkeit, daß die
Narkose über dies Stadium der erniedrigten Schwelle schon vorgeschritten
war, nicht ausgeschlossen erscheint. Ohne Analogie würde diese Erscheinung
durchaus nicht dastehen, ich erinnere an das „Exzitationsstadium“ der
klinischen Narkose (vgl. z. B. Kionka 1898 p. 426) und an das Sinken
der phototaktischen Reizschwelle bei O’hlamydomonas (Rothert 1904 p. 36).
Im weiteren Verlauf der Narkose zeigte sich der Einfluß der Temperatur
darin, daß die Reizschwelle bei niedrigeren Temperaturen bedeutend höher
lag als bei höheren.
So lag bei einer M. Speggazzinü am 1. 8. 06 bei einer Temperatur
von 23° ©. die Schwelle bei ungefähr 110, am Nachmittage desselben
Tages bei 116 bei einer Temperatur von 29°. Am nächsten Tage lag
sie bei niedrigeren Temperaturen wieder höher.
Der angeführte Wert entspricht ungefähr einer Verminderung des Schwellen-
reizes auf die Hälfte, weit mehr, als die Temperatur allein bewirkt hätte.
Auf den Verlauf der Reaktion äußert sich die Narkose in einer Ver-
kleinerung der Amplitude in erster Linie, wie z. B. auch Versuch 3 zeigt.
Im weiteren Verlauf der Narkose sinkt die durch den Schwellenreiz aus-
gelöste Reaktion auf wenige Grade. Dafür tritt aber eine andere Erscheinung
auf, nämlich die, daß nicht mehr wie unter gewöhnlichen Umständen „ex-
plosionsartig die volle Amplitude ausgelöst wird“ (Pfeffer 1904 p. 442),
sondern ein stärkerer Reiz die Bewegung vergrößert. Da aber diese sub-
maximalen Auslösungen, deren Vorhandensein Pfeffer (l. e.) auch,
aber ohne nähere Begründung, ‚angibt, sich von den noch zu erwähnenden
anderen Fällen ihres Vorkommens bei Mimosa in nichts unterscheiden, werde
ich sie bei der Besprechung der Wirkung wiederholter Reize (p. 531)
im Zusammenhang behandeln und erwähne hier vorläufig nur die Tatsache.
Wie die Amplitude, nimmt auch die Geschwindigkeit der Bewegung ab;
ob hier eine anfängliche Steigerung stattfindet, muß ich dahingestellt sein
325
lassen. Wie weit die zuletzt von Kosanin (1905) genauer verfolgte Zu-
nahme der Steifheit des Gelenkes in der Ätheratmosphäre hier mitspielt,
vermag ich nieht zu entscheiden.
bb) Einfluß innerer Bedingungen.
Das Alter.
Die primären Gelenke der Mimosenblätter sind schon frühzeitig reizbar;
schon wenn das Polster noch fast einen geraden Zylinder bildet und die
sekundären Blattstiele sich noch nieht gerade gestreckt haben, die Blättehen
aber gerade anfangen sich auszubreiten, erfolgt auf einen Reiz hin eine
Reaktion. Dies geben auch Brücke (1848 p. 437), Bert (1866 p. 16
d. Sep.) und Pfeffer (1873 p. 8) an.
Da das Polster anfangs gestreckt ist, steht der primäre Blattstiel steil
aufgerichtet, und dem entspricht es, daß die ersten Reizbewegungen kaum
unter die Horizontale hinabgehen.
Mit zunehmendem Alter wird die Amplitude größer, außerdem ist die
Ruhelage der Blätter (bei Tagstellung) eine tiefere. Ob weiterhin wieder
eine Abnahme der Reaktionsfähigkeit sich zeigt, darüber geben mir meine
Protokolle keine eindeutige Auskunft.
Über die Schnelligkeit der Bewegungen habe ich ebensowenig wie über
die Beeinflussung der Reizschwelle etwas Sicheres ausmachen können.
Die jungen Polster sind natürlich weniger widerstandsfähig als die älteren
und zeigen daher leicht Schädigungen nach elektrischer Reizung.
Eine bedeutungsvolle Erscheinung ist aber die, daß auf erneute stärkere
Reize hin die Amplitude der Bewegung vergrößert wird, daß also bei jungen
Blättern submaximale Auslösungen möglich sind. Auch hier verweise
ich auf den betreffenden Abschnitt (p. 331).
Die periodischen Bewegungen.
Der Einfluß der Tagesperiode zeigt sich bei M. pudica und M. Speggazzinüi
in ganz gleicher Weise, daher ich sie, wie überhaupt bisher und im folgenden
weiterhin, gemeinsam behandeln werde.
Bei beiden verläuft die Tagesperiode (vergl. betr. M. pudica u. a. Bert
1866 p: 7.1 di Sep, Pfekfer 218758 9.2.23,.3081..189% p.: 18) in der
Art, daß (im Juni und Juli)!) die primären Blattstiele sich nachmittags
zwischen 5 und 6 Uhr zu senken beginnen, abends zwischen 6 und 9 Uhr
die tiefste Lage erreichen, sich darauf ziemlich geschwind wieder erheben
und zwischen Mitternacht und 3 Uhr früh ihre höchste Stellung erreichen,
in der das Gelenk oft fast gerade gestreckt ist, worauf bis zum Tage lang-
!) Hieraus erklären sich die Abweichungen von Berts Angaben (l. e.), die für
den September gelten.
21*
326
same Senkung bis zur Tagesstellung eintritt, die dann mit verschiedenen
Unregelmäßigkeiten, die teils autonomer Natur, teils Rezeptionsbewegungen
nach Lichtreizen sind, bis zum Eintritt der abendlichen Senkung innegehalten
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Kurve II. Mimosa Speggazzinii.
Reaktion und Biegungsfestigkeit; Ila bei dauernder Reizung mit dem Selbstunter-
brecher, die Wellenlinie deutet das an.
Die Abszissen bedeuten die Zeit, hier und in den folgenden Kurven | mm = ] Minute,
die oberen Ordinaten die Winkelablesung am Gradbogen. Die unteren, ausgezogenen
Ordinaten geben den Winkel an, der bei der Bestimmung der Biegungsfestigkeit
nach Brückescher Methode erhalten wurde,
327
wird. Diese geht nach verschiedenen Umständen, wie Temperatur), Alter
des Blattes, verschieden weit vor sich.
Die seismonastischen Bewegungen sind nun von den periodischen voll-
kommen unabhängig. Beide Bewegungen überlagern sich vollkommen,
so daß eine resultierende Kurve entsteht.
Kurve III, in der deutlich hervortritt, wie die Oszillationen der durch den
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{12} os) = =] [e7) oo > oo ın
Mimosa pudica.
Kurve III,
Übereinanderlagern der Reaktions- und periodischen Bewegung,
auf die
Die Wellenlinie bedeutet Reizung mit Selbstunterbrecher .
1) Nach Kosanin (1905) senken sich die Blätter bei Temperaturen von über
30° ©. nicht unter die Horizontale.
328
Reiz um 2"22’ ausgelösten Bewegung durch die einsetzende abendliche
Senkung hindurch sich bemerkbar machen. (Um 7 Uhr war die Stellung
des primären Blattstieles 39°).
Nur im Zustande der tiefsten Senkung zeigen sich Veränderungen in
der Amplitude der Bewegungen, sie ist dann meist nur klein, wie schon
Brücke (1848 p. 451) aus rein mechanischen Gründen erklärt. Ob man,
wie Bert es tut (1866 p. 14 des Sep.), behaupten darf, daß die Amplitude
nachts größer sei als bei der gleichen Stellung am Tage, muß ich als
zweifelhaft hinstellen, da meine Beobachtungen mich diesen allgemeinen Satz
nicht aussprechen lassen. Hier sind so viele andere Umstände, wie Tem-
peratur usw., zu berücksichtigen, daß auf den Einfluß der Periode als solcher
in dieser Richtung kaum geschlossen werden darf, wenn eine derartige Ver-
größerung der Amplitude beobachtet wird.
Gleicherweise ist die Frage, ob die Biegungsfestigkeit nachts anders ist
als am Tage, nicht eindeutig zu beantworten. Einigermaßen deutlich ist
nur die Zunahme der Biegungsfestigkeit am Abend zu beobachten.
Auch in der Größe der Abnahme der Biegungsfestigkeit nach erfolgter
Reizung habe ich einen Unterschied zwischen der Nachtstellung und der
gleichen Tagstellung nicht gefunden.
Was das Verhalten der Reizschwelle betrifft, scheint auch hier kein
Unterschied zu bestehen. Nur auf einen Punkt muß ich näher eingehen,
nämlich die Behauptung Brückes (1848 p. 452), daß abends die Em-
pfindlichkeit zugenommen habe. Er schließt dies daraus, daß bei der Be-
stimmung der Biegungsfestigkeit abends beim Umkehren der Pflanze leichter
eine Reizung erfolge als sonst. Ich beobachtete diese Erniedrigung nicht,
vielmehr eine Erhöhung der Schwelle. So in folgenden Fällen:
Versuch 5.
M. pudica. Temperatur: 3 Uhr 29° C., 6 Uhr 26° C.
2450’ bei 1450 Schwelle: 1x 23
E00) z 18x22
Dies bedeutet eine Erhöhung um das 1,2fache.
Nun ist hier aber gleichzeitig die Temperatur gesunken. Im folgenden
Versuche fällt diese Fehlerquelle fort.
Versuch 6.
M. Speggazziniü. Temperatur: 3 Uhr 28° C., 5 Uhr 29,5 °C.
3b 19’ bei 990 ° Schwelle: 18,5d 2 Sek.
ANDI Eh z über 16x 17,5.
Das bedeutet hier eine Erhöhung der Schwelle auf mehr als das
1,15 fache.
Da nun die Brückesche Beobachtung zu Recht besteht, da tatsächlich
abends die Gefahr besonders groß ist, die Pflanzen beim Umkehren zu
329
reizen !), kann der Grund wohl nur darin liegen, daß beim Umkehren das
vorher sehr stark komprimierte Gewebe der unteren Gelenkhälfte eine be-
deutend stärkere Zerrung erfährt als sonst, daß also nicht die Empfind-
lichkeit, sondern die Größe des Reizes zugenommen hat.
Wiederholte Reize.
Wir betrachten hier vier Fälle und werden im Anschluß daran unter <)
die Frage nach dem Vorkommen des „Tetanus“ behandeln.
“) Über die Erscheinung der Summation der Reize haben wir im
Kapitel über die Bestimmung der Reizschwelle gesprochen. Wir fanden
dabei, daß sehr nahe unter der Schwelle liegende Reize dann wirksam
werden, wenn sie in genügend schnellem Rhythmus wiederholt werden. Ein
Zwischenraum von fünf Sekunden zwischen den einzelnen Reizen ließ diesen
Effekt noch eintreten, doch zeigte sich, daß bei schnellerer Wiederholung
schon eine kleinere Anzahl von Reizen genügend ist.
3) Wenn die Reaktion ausgeführt ist, kann sie durch Reize derselben
Stärke, die bei der tiefsten Lage einwirken, nicht vergrößert werden.
Das zeigt der folgende Versuch:
Versuch 7:
(Die erste Reizung in Kurve IVb.)
M,. Speggazzinü. 10. 5. 06. Temp.: 9"25’ 21,4°. Sonnenschein.
Zeit Stellung Reiz Bemerkungen
9596. 92° 1X 20 wirkt
5 7 5 Ö
1077 72°
2 72,5°
zZ 820, 4 Sek. Int. wirkt nicht
9231’ 82°
Im folgenden Versuche zeigt sich, daß auch Reize von viel größerer Stärke
dann unwirksam sind. versteh 8
M. pudica. 31. 7. 06. Temp.: 9%49’ 25,9, 10620’ 27,2%. Sonnenschein.
M
Zeit | Stellung | Reiz fir] Bemerkungen
gh 53’ | 107° | 28,5d, 1 Sek. wirkt
2077 650% |
a | 1xX15 ohne Wirkung
gh 54’ | | Ball) = =
gh 54’ 3077 | 67° | 125 2 =
gE5H | 680 |
10° 01’ N
t) Auch Schwendener gibt (1897 p. 236—237 in den ges. Mitt.) Zunahme der
Empfindlichkeit abends an. Wenn er aber weiterhin sagt, „daß schon eine geringe
Erschütterung schwache Senkungen der Hauptblattstiele verursacht“, so ist dies nicht
recht verständlich. Soll das bedeuten, daß submaximale Auslösungen auftreten? Ich
habe solche als Wirkung der Abendstellung nicht beobachten können, Oder ist nur
die abendliche Reduktion der Amplitude gemeint?
330
FE RE IE EN BEE
[=]
_
—
Ferse 110
B
Bi ]
= 100
S S
N &
0 v
- 5 90
80
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ZESBe=E- Eos ae
15 ?
EBENEBNEZEZFISESNEZEEZFTZEZEZEBIEZEZFZEZE
Kurve IV. Mimosa Speggazzinüi.
Wiederholte erfolgreiche Reize.
331
Wir sehen also, daß die Aufstiegsbewegung fortgesetzt wird, ohne daß
erneute Reize Wirkung zeigen, selbst wenn sie, wie der letzte, bedeutend
(10 mal) stärker als der ursprüngliche sind.
Anders liegt die Sache unter gewissen
Bedingungen, wie sie große Jugend. des
Blattes und der Zustand der Narkose mit
sich bringen. Außerdem findet man die in
Frage kommende Erscheinung auch dann, wenn
die Blätter durch vorangegangene wieder-
holte und starke Reizungen in Anspruch
genommen waren. In diesen drei Fällen zeigen
sich submaximale Auslösungen.
Dabei löst aber nicht ein zweiter Reiz
von der gleichen Stärke die neue Bewegung
aus, sondern der Reiz muß kräftiger als der
erste sein, damit eine Vergrößerung der Am-
plitude eintritt.
Kurve V zeigt den Fall eines jungen Blattes
von M. Speggazzinü, wo die erste Reaktion
von 130° bis 97° ausgelöst wurde, worauf Kea
kräftige Schläge die Senkung bis zu 80° ver- Mimosa Speggasaunit,
Fi 4 = 5 . . Junges att.
größerten; danach ging aber der Aufstieg wie Submeaxniale Auslosunp-
sonst vor sich. m S bedeutet mehrere
ERERE » ; Schläge!). Die Koordinaten-
: Be m le zeigt das gleiche ee ner
er folgende Versuch: den.
= Versuch 9. ar
M. Speggazzinüi. 26. 7.06, seit 3° 10’ in nareosi durch 100 g 3° Ätherwasser
in der 12 Liter enthaltenden Glasglocke. Temp.: 4"51’ 29,8°C. Sonnenschein.
Zeit Stellung Reiz Bemerkungen
4630’ I 99,59 | Begonnen die Schwelle zu bestimmen um
: | 4h 31’, 3 Min. Zwischenräume zwischen
| jeder neuen Stufe der Reizgröße
4452’ Ir Rei Reaktion bis 85°
Ir a weitere Reaktion bis 68°
Die Steigerung des Reizes entspricht einer Verdreifachung der Reizstärke.,
Natürlich ist damit nicht gesagt, daß diese Steigerung ein genaues Maß
gebe, doch ließ sich diese Größe darum schlecht bestimmen, weil bei diesen
Reizintensitäten leicht die schädigende Wirkung eintrat. Außerdem gaben
entsprechende Versuche ganz ähnliche Werte.
7) Werden die Reize erst einige Zeit nach dem Beginn des Aufstiegs
wiederholt, dann läßt sich, wie auch Pfeffer (1885 p. 522 Anm.) angibt,
!) In der Zeichnung tritt nicht deutlich hervor, daß die erste ausgelöste Be-
wegung zum tiefsten Punkt gekommen war und im Begriff stand, den Aufstieg zu
beginnen; die Vergrößerung der Amplitude ist also nieht die direkte Fortsetzung
des ersten Abstieges,
332
erreichen, daß auf jeden Reiz eine neue Senkung erfolgt. Einen solchen
Fall zeigt besonders schön die Kurve IVb. (p. 330).
Wir sehen hier, wie jeder der in Intervallen von fünf Minuten fast eine
Stunde lang aufeinander folgenden Reize, der von derselben Stärke wie der
erste auslösende ist, eine Senkung hervorruft. Daß die Amplitude der ein-
zelnen Reaktionen nicht gleich ist, interessiert uns hier noch nicht. An
dieser Stelle will ich nur darauf hinweisen, daß auch diese neuen Be-
wegungen durch weitere Reize derselben Stärke nicht vergrößert werden.
Anders wird die Sache, wenn zwischen den neuen Reizen eine kürzere
Zeit verfließt, d. h. eine relativ kürzere Zeit, denn je nach den besonderen
Bedingungen ist die Zeit, in der die Reizbarkeit zurückkehrt, verschieden
lang. Dann zeigt sich, daß die Bewegung ganz wie sonst fortgesetzt wird.
Dies ist schon eine alte Beobachtung. Der überall zitierte Desfon-
tainessche!) Versuch, der, bald ebenso grob, bald feiner, oft wiederholt
worden ist, lehrte schon, daß die Mimose sich an das Stoßen und Rütteln
einer Wagenfahrt gewöhnen könne.
Pfeffer gibt an (1873 p. 59), daß ein neuer Reiz nach zwei Minuten
wirksam sein könne, unter Umständen genüge wohl auch eine noch kürzere
Frist (l. ce. Anm.). Die Zeitdauer, welche zur Wiederherstellung der Reizbar-
keit erforderlich ist, ist von verschiedenen Umständen abhängig, und nähere
Angaben über ihre Größe haben daher immer nur bedingten Wert. Nach
meinen Beobachtungen kann sie über fünf Minuten betragen, ob sie aber
unter zwei Minuten herabsinkt, darüber geben mir meine Versuche keine
Auskunft.
Es ist nun für den Ablauf der Reaktion ganz gleich, ob die Reize
innerhalb des maximalen Intervalls oder etwa zu mehreren in der Sekunde
aufeinanderfolgen: die Reaktion geht dann ganz in der gleichen Weise vor
sich wie in dem Falle, wo keine Reize einwirken. Auch die Biegungs-
festigkeit nimmt in genau der gleichen Weise wieder zu. Pfeffer gibt
schon (1873 p. 61 f.) an, daß nach der bei dauernder Reizung ausgeführten
Reaktion die Biegungsfestigkeit wieder so groß ist, wie vordem. Der Um-
stand, daß die Bewegung bei dauernder Reizung genau so wie sonst ver-
läuft, gestattete mir vorhin, bei der Besprechung der Wirkung der Tages-
periode die Kurve III (p. 327) anzuführen; wie die Schlangenlinie andeuten
soll, ist sie bei dauernder Reizung mittels des Selbstunterbrechers ge-
wonnen worden.
Daß die Biegungsfestigkeit in gleicher Weise zunimmt, zeigt auch ein
Vergleich der Kurven IIa und IIb (p. 326), wo in der unteren Reihe die
!) Den ursprünglichen Bericht habe auch ich nirgends finden können, der Versuch
scheint um 1800 herum ausgeführt worden zu sein. Im 18. Jahrhundert habe ich
ihn nicht zitiert gefunden, das erste Zitat ist wohl das bei Cuvier in seiner Histoire
des progres des sciences, vol. ], 1826, der im Bericht über das Jahr 1922 gelegent-
lieh einer Arbeit von Fodera über die gleichen Versuche sagt: „ainsi que Des-
fontaines avait deja observ& il y a nombre d’annees“.
333
Länge der senkrechten Linien die bei der Bestimmung der Biegungsfestigkeit
erhaltenen Winkeldifferenzen angeben. Ila wurde bei dauernder Reizung
mit dem Selbstunterbrecher, IIb bei einmaliger Reizung erhalten.
6) Während der Einwirkung dauernder Reize ist die Pflanze nicht, wie
Pfeffer (1873 p. 56 ff.) annahm, gänzlich unempfindlich, sondern die Reiz-
schwelle ist nur erhöht. Dies schloß Pfeffer selbst (1885 p. 521) aus
eigenen Beobachtungen und aus denen Hofmeisters (1367 p. 317), wonach
an dauernd durch Induktionsschläge gereizten Mimosen durch stärkere Reize
eine neue Bewegung ausgelöst wird.
Ich führte einige Versuche derart aus, daß ich die Pflanzen mit dem
Schwellenreiz dauernd reizte und, nachdem die Ausgangslage wieder erreicht
war, die Rolle nicht zu langsam ('/s bis 1 Teilstrich in der Sekunde un-
gefähr) und möglichst gleichmäßig hinaufschob, bis die Reaktion eintrat.
Ich fand dabei folgende Werte:
Die erste die neue Verhältnis
Reaktion trat ein bei | des alten zum Temperatur
der Spulenstellung neuen Reize |
22,9 18 lt 222,2 2
24 118 1:72,9 Da
22 501290 1:1,6 29\ dieselbe
20 17,5 ED 29°| Pflanze
24 | 20 wo21 30°
21 ke es | 2,9
Die ersten beiden Versuche und der letzte waren mit M. Speggazzinii,
die drei anderen mit M. pudica ausgeführt. Die große Ungenauigkeit der
Methode läßt es verständlich erscheinen, daß bei einer so geringen Anzahl
von Versuchen irgend ein konstantes Verhältnis der beiden Reizgrößen, wie es
nach dem hier möglicherweise geltenden Feehner-Weberschen Gesetze zu
erwarten gewesen wäre, nicht gefunden wurde; auffallend ist jedoch die nahezu
gleiche Größe der beiden bei 29°C. an einer Pflanze beobachteten Werte.
Aber nicht nur Reize, die eine Reaktion auslösen, wirken auf die Schwelle
verändernd ein, sondern auch solche, die unter der Schwelle liegen. So z. B.
im folgenden Versuch:
im folgenden Versuc an
M. pudica. 31. 7. 06. Temperatur: 2"46’ 31,8%, 3428’ 32,2°,
4"41’ 31,2°. Sonnenschein.
Zeit Stellung Reizgröße Bemerkungen.
2.07 88 22,5d, 2 Sek. | Reaktion
15’77 | 59 0
305° | 620 |
usw.
3902 11 7902011425 d,.10 Min.
4» 007% ° 708 bis 17,5 Reaktion
| \ verschoben
334
Auch im folgenden Versuche zeigt sich, wenn auch äußerlich in etwas
anderer Weise, daß Reizung mit unterschwelligen Reizen die Schwelle hin-
aufrücken lassen kann.
Versuch 11.
M. pudica. 27. 7. 06. Temperatur: 340’ 29,5°. Sonnenschein.
Um 3547, bei der Stellung 116° wird 25d eingeschaltet, darauf
wird die Rolle um je einen halben Teilstrich in 5 Sekunden verschoben,
bis um 3®48’30’ 17d erreicht ist, dies wird 15 Sekunden belassen,
ohne daß eine Reaktion eintritt, dann um 3" 48’ 45’ ausgeschaltet.
Um 3" 53’ bei der Stellung 117° 20d eingeschaltet, was eine Reaktion
bis 55° bewirkt. FT
Auf Grund dieser Erscheinung ließ ich bei den Reizschwellenbestimmungen
3 bis 5 Minuten zwischen den einzelnen Steigerungen verfließen, damit eine
etwa eingetretene Erhöhung der Schwelle wieder verschwinden könne.
e) Es ist nun noch die Frage zu erledigen, ob bei der Mimose auch
ein dem Muskeltetanus analoger Vorgang vorkommt. Dabei wird auch die
Frage gleichzeitig berührt werden, wie die wiederholte Inanspruchnahme
auf die Reaktionsfähigkeit der Pflanze zurückwirkt.
Der Tetanus ist ein diskontinuierlicher Vorgang, der darin besteht, daß
wiederholte Reize die Kontraktion des Muskels vergrößern, da sich die
Einzelkontraktionen, die jeder neue Reiz auslöst, überlagern. So entsteht
bei genügend schneller Aufeinanderfolge der Reize eine scheinbar einheitliche
Kontraktion von längerer Dauer, die sich von habituell ähnlichen Erscheinungen,
wie Lähmungen, durch lebhafte Stoffwechselvorgänge unterscheidet (vergl.
hierüber die Lehrbücher der Tierphysiologie).. Es würde bei Mrmosa ein
solcher „Tetanus“ dann vorliegen, wenn neue Reize nach Beendigung des
Abstieges den Aufstieg verhindern könnten.
Wir sahen nun vorhin (unter B) dieses Abschnitts (p. 329), daß bei
Mimosa gleich starke und auch stärkere Reize nach Beendigung des Abstieges
unter gewöhnlichen Umständen nicht wirksam sind. So ist ein Tetanus
nicht wahrscheinlich. Aber immerhin ist er damit noch nicht ausgeschlossen,
da gewisse Bedingungen existieren könnten, unter denen auch wiederholte
gleiche Reize immer aufs neue Bewegungen auslösen.
Betrachten wir folgendes:
Versuch 12.
M. Speggazzinü. 29. 6. 05. Temperatur: 11"15’ 25,5°, 11"45’ 26,4°.
Sonnenschein.
Von 950’ ab dauernd gereizt mit 22,5d, von 10"40’ ab sind in
unregelmäßigen Zwischenräumen mehrere — unwirksame — Steigerungen
der Reizstärke (für je 10 Sekunden) versucht worden. Die letzte
Steigerung war um 11®15’ bis 18,5 gewesen; jetzt zeigt sich folgendes
Bild:
335
Zeit Stellung Bemerkung
112395: 1192 Steigerung bis 13d,
1202 m 1122 das beibehalten wird.
307 110° f
11" 26’ 106°
114 27’ 101,5°
117 28’ 990
USW.
1154 || 89,20
Jedoch ergibt sich hier sogleich ein Kriterium dafür, daß hier kein
Tetanus vorliegt, aus dem Umstande, daß nach dem Ausschalten die Senkung
nicht zurückgeht, sondern bestehen bleibt. Wir haben vielmehr eine Er-
scheinung vor uns, die als Lähmung zu bezeichnen ist. In diesem Falle
führte sie freilich zum Tode des Gelenkes.
Wir können jedoch auch transitorische Lähmungen beobachten, die
wie die dauernden nach sehr heftigen Reizungen eintreten. Dafür, daß dann
kein, vielleicht nur kurzdauernder, Tetanus vorliegt, ist ein unzweideutiges
Kennzeichen der Umstand, daß solche vorübergehenden Lähmungen nach
Einzelreizen eintreten können.
Es zeigt sich dabei die besondere Erscheinung, daß zwischen solchen
transitorischen Lähmungen und der normalen Reizreaktion
eine kontinuierliche Reihe von Übergängen besteht, wie sich be-
sonders bei der zweiten Reaktion der submaximalen Auslösungen zeigt.
Der in Kurve V (p. 331) dargestellte Verlauf der Bewegung unter-
scheidet sich zwar in keiner Beziehung von der gewöhnlichen Reaktion.
Aber der in Versuch 9 mitgeteilte Fall bildet insofern einen Übergang zu
den vorübergehenden Lähmungen, als hier die tiefste Stellung nicht schon
eine halbe Minute nach dem zweiten Reiz, sondern erst nach 2"/s Minuten
erreicht wurde. In einem anderen Falle wurde (Temperatur 13° C.) von
einem jungen Blatte einer M. Speggazzinii infolge heftiger Reizung nach
dem ersten Abstiege die Amplitude vergrößert, jedoch der tiefste Punkt erst
nach 12 Minuten erreicht.
Die Pflanzen reagieren einige Stunden nach solchen transitorischen
Lähmungen wieder ganz wie früher. Wenn die Lähmung jedoch länger
gedauert hatte, zeigen sich auch nach längerer Zeit Unregelmäßigkeiten in
der Reaktion, die Amplitude ist herabgesetzt, und die Geschwindigkeit der
Bewegung geringer als sonst. Es braucht nicht einmal eine Lähmung in
die Erscheinung getreten zu sein; nach wiederholten starken Reizen zeigt
sich dieselbe Erscheinung. Zugleich ist es in diesem Falle möglich, sub-
maximale Reaktionen!) zu erhalten.
1) Auf die neuen Angaben Linsbauers (1906 p. 8ff. des Sep.), der bei Mimosa
submaximale Auslösungen beobachtet hat, bin ich im vorangegangenen darum nicht
336
Wie sich die Reizschwelle nach der starken Inanspruchnahme durch wieder-
holte Reizung verhält, darüber gestatten mir meine Versuche kein eindeutiges
Urteil; daß die Latenzzeit zunimmt, wurde schon oben (p. 319) erwähnt.
Schon in Zwischenräumen von "4 bis einer ganzen Stunde wiederholte
Reaktionen scheinen eine derartige Ermüdung hervorzurufen, die sich
in eine Abnahme der Amplitude und Geschwindigkeit zeigt, wie z. B. die
Kurve IVa demonstriert.
b) Versuche an Amicia.
Wie wohl Hansgirg 1893 (p. 126) zuerst angab, sind die Blätter von
Amicia Zygomeris für Stoßreize recht empfindlich.
Die Reaktion besteht darin, daß die beiden am Tage horizontal aus-
gebreiteten Blättehenpaare (Abbildung z. B. im Bonner Lehrbuch) abwärts
zusammenschlagen. Bei starken Erschütterungen senkt sich auch der Blatt-
stiel um ungefähr 20°.
Meine Untersuchung wurde gleichfalls im Glashause vorgenommen.
Leider waren zwei Umstände einer so speziellen Untersuchung, wie Mimosa
sie erfuhr, hinderlich, einmal der, daß die Bewegung der Blättehen mit der
von Pfeffer 1875 (p. 49) angegebenen Methode der Papierdreiecke verfolgt
werden mußte, da auch die Koordinatenmethode nur schlecht anzuwenden
war, und zweitens, daß nicht elektrisch gereizt werden konnte, da die dünne
Lamina des Blattes die Elektroden nur schlecht befestigen ließ und dazu
sich sehr bald um die Wunde herum geschädigt zeigte.
Daher habe ich die einzelne Reaktion nur wenig verfolgt.
Augenscheinlich liegt die Reizschwelle höher als bei Mimosa, denn ich
mußte stärkere Schläge auf das Blatt wirken lassen, damit sich eine Re-
aktion zeigte. Die Bewegung erfolgte dann langsamer als bei der Sinn-
pflanze, der Abstieg hat zu Anfang seine größte Geschwindigkeit, die dann
abnimmt, bis nach zwei bis drei Minuten der tiefste Punkt erreicht ist,
worauf, anfangs nur wenig langsamer als bei Mimosa, doch bald mit be-
deutend geringerer Geschwindigkeit der Aufstieg beginnt. Es wird aber
nicht durch einen jeden Reiz die volle Amplitude ausgelöst, sondern die
absteigende Bewegung kann durch neue Reize derselben !) Stärke vergrößert
eingegangen, weil Linsbauers Angaben sich auf die von mir nicht genauer unter-
suchten tertiären Gelenke der Sinnpflanze beziehen. Diese bieten darnach, sowie
nach meinen beiläufigen Notizen ein anderes Verhalten dar, indem hier ein ‚‚Tetanus“
möglich zu sein scheint und auch submaximale Auslösungen durch nur wenig
stärkere neue Reize vergrößert werden können (besonders, nach |. c. p. 9 Anm., bei
fortgeleiteten Reizen). Linsbauer betont nicht, daß die Mimosenblättchen sich
reizphysiologisch anders verhalten als die primären Gelenke, wie dies durchaus der
Fall zu sein scheint. Genauere Angaben kann ich nicht machen.
1) Ob die Reizstärke absolut gleich war, konnte ich bei der Methode der Schläge
mittels des Holzstäbehens nicht kontrollieren. Es ist daher wohl möglich, daß die
folgenden Reize stärker gewesen sind. Doch ist die Vergrößerung jedenfalls außer-
ordentlich gering, bei weitem nicht so bedeutend, wie die bei Mimosa im Fall sub-
maximaler Auslösungen nötige.
337
werden. Die Reize mögen dabei während des Abstieges, bei der tiefsten
Stellung oder bei schon begonnenem Aufstiege wirken.
Es erhebt sich auf Grund dieser Erscheinung die Frage, ob denn bei
längere Zeit fortgesetzter Reizung die Pflanze daran verhindert werden
kann, den Aufstieg zu beginnen. Jedenfalls ist die Wahrscheinlichkeit groß,
daß dies mindestens längere Zeiten hindurch möglich sein müsse.
Da elektrische Reizung mit Benutzung des Selbstunterbrechers ausge-
schlossen war, wurde dazu gegriffen, mechanische Reize zu wiederholen und
die Pflanzen dauernd zu erschüttern. Die Stöße eines Klinostaten mit Anker-
Uhrwerk, wie Pfeffer 1885 (p. 507) ihn bei Ranken benutzte, erwiesen
sich nicht als genügend, und daher wurde folgende Methode angewandt.
Die Pflanzen wurden in ihren Töpfen, die mit Stramin überzogen wurden,
um das Herausfallen der Erde zu verhüten, auf einer Wippe zwischen auf-
genagelten Korkstücken derart mit Stricken befestigt, daß eine seitliche
Verschiebung unmöglich war. Als Wippe diente ein um ein Scharnier be-
wegliches Breit, das ein an einem Rade angebrachter Daumen hob, um es
dann wieder fallen zu lassen. Dieses Rad wurde auf verschiedene Weise,
teils mittels eines Heißluftmotors, teils mittels eines Elektromotors angetrieben,
dessen Umdrehungszahl durch ein Vorgelege reduziert wurde.
Dieser Apparat arbeitete nun längst nicht so exakt, wie der bei Bach
(1907 p. 96 ff.) beschriebene. Besonders beim Elektromotor kamen recht
sroße Änderungen in der Geschwindigkeit der Aufeinanderfolge der einzelnen
Stöße vor. Daß diese Schwankungen nicht unwesentlich waren, zeigten
Kontrollversuche mit Mimosa, bei denen deutlich durch eine plötzliche
Änderung der Geschwindigkeit eine Senkung ausgelöst werden konnte.
Doch tritt diese Fehlerquelle gegenüber den anderen sehr zurück, mit
denen diese Versuchsmethode behaftet war.
Einer der unbedeutendsten von diesen ist, daß die Pflanzen in Pendel-
schwingungen gerieten, weil die Bewegung nicht in gradlinigem Heben und
Fallen, sondern in Schwingungen in einem Kreisbogen bestand. Lockerte
sich dann die Erde im Topfe auch nur ein wenig, oder veränderte sich die
Geschwindigkeit der Stöße um ein geringes, dann veränderte sich auch infolge
der Eigenschwingung der Pflanze die Stoßintensität, da Blätter, die vorher
in lebhaftester Schwingung sich befunden hatten, nun in einen Schwingungs-
knoten kommen konnten, wodurch infolge der jetzt eintretenden Ruhe die
Intensität der Reizung natürlich herabgesetzt wurde.
Es wirkten aber auf die Pflanze nicht nur die Stoßreize, sondern auch ver-
schiedene andere Einflüsse ein, deren wichtigste die Beleuchtungsschwankungen
(von phototropischen Reizen ganz abgesehen) und die Tagesperiode waren.
Die jedesmalige Stellung der Blätter war somit eine Resultante aus der
Wirkung dieser drei Kräfte, und daher ist es nicht verwunderlich, wenn
die erhaltenen Bilder so sehr wenig eindeutig sind.
Betrachten wir folgende Versuche:
Ehen
38
Versuch 13.
Amicia Zygomeris. 15. 5. 06. Auf dem Schüttelapparat. Sonnenschein.
Temperatur: 9"36’ 23,0°, 9251’ 23,90, 10413’ 24,2%, 11"3’ 25,29.
Zeit Winkel der Blättchen Bemerkungen
1.0Baars 22.2 Baar
9h 35" 170° 180°
Ser angelassen, 160 Stöße
9h 41’ 1302.7774302 in der Minute.
350 1200 90°
102717 140° 909
10h 44’ 150° 120°
103557 150° 150°
1127797 160° 150°
A. Zygomeris.
Versuch 14.
14. 5. 06. Auf dem Schüttelapparat.
Temperatur: 8345’ 18,4%, 9404’ 17,8%, 9431’ 18,6%, 10619’ 19,49,
10041’ 20,49,
10%51’ 20,99,
Bemerkungen
Zeit l Winkel der Blättchen
{ 1. Paar 2. Paar
8b 50’ 180° 160
Bun]
95 00’ 120% 90°
9h 08’ 100° 20°
9h 96’ 80° 10°
g9h 36’ 90° 10°
gh 44’ 100° 10%
103.20" 160° 40°
10h 40’ 180° 70°
10% 50’ 180° 90°
Versu
A. Zygomeris. 16. 5. 06.
Temperatur: 72 317717,02,78%.037 417,20, 73h 35 717420 SH 19 75
90’ 17,30, gu1g’ 17,30, 9h36’ 17,19, 9hA5’ 17,00.
angelassen, 150—160 i. d. Min.
bis 9%31’ grauer Himmel, dann
aufklärend
10"19’ leichte gleichm. Bewölk.
10% 24 weiter abnehmend
\10%41’ durch einzelne Wolken
unterbrochener Sonnenschein
|10%51’ desgleichen
ch 15.
Auf dem Schüttelapparat.
Bemerkungen
Zeit Winkel der Blättchen |
Paare Baar
7h 34’ 170° 180°
7b 35’
7h 54 30° 30°
Ssna a 10° 10°
833m 7 10% 100
8h50° | 40° 50°
| 20° 30°
gang” | A402 30°
9n35.2 |. 200 20%
gh45’ | 40° 30°
9h 56’ 70° 60°
angelassen, 150—160 i. d. Min.,
ziemlich dunkle Wolkendecke
849’ etwas heller werdend
950’ grauer Himmel
9h3’ desgleichen
inzwischen dunkler
9436’ wieder heller werdend
Himmel nur mittelstark bedeckt
339
Es zeigt sich in ähnlicher Weise wie in Versuch 15 eine Stellungs-
änderung der Blättehen in allen sonstigen Versuchsprotokollen, bei Zunahme
der Helligkeit Erhebung, bei Abnahme eine Senkung, während die nicht
erschütterten Kontrollexemplare ihre Stellung beibehalten. Bei einer eine
Nacht hindurch gereizten Amicia fand ich am nächsten Morgen volle Aus-
breitung der Blättchen.
Wenn nun speziell hier ein überwiegender Anteil an der Hebung der
Blättehen der Periode zugesprochen werden muß, so lehrt doch gerade der
Umstand, daß im Verlauf der Reizung, wie auch Versuch 15 zeigt, die
anderen Einflüsse überwiegend zur Geltung kommen, daß die Wirksamkeit
des Stoßreizes zurückgetreten ist. Und wenn wir auch im Versuch 14 der
Helligkeitszunahme einen großen Teil an der Rückbewegung aus der Reiz-
stellung zuschreiben werden, so muß daneben doch die Akkomodation an
den Reiz eingetreten sein. Versuch 13 scheint sogar ganz dafür zu sprechen,
doch ist hier der Einfluß der gleichzeitigen Temperatursteigerung vielleicht
mit im Spiele.
Immerhin scheint, wenn auch vorerst mit großer Vorsicht, die Existenz
der Akkomodation bei Amicia angenommen werden zu können.
Definitive Entscheidung dieser Fragen gäben nur Versuche, die nach
Ausschältung der Periode durch konstante Beleuchtung unter konstanten
Bedingungen bei ganz gleichmäßigen Reizen vorgenommen werden müßten.
ec) Versuche an Oxalidaceen.
Von Oxalidaceen mit gefingerten Blättchen benutzte ich verschiedene
Arten der Gattung Oxalis, in erster Linie eine unbestimmte Spezies des
Botanischen Gartens und ©. Acetosella mit gedreiten, O. Deppei mit ge-
vierten Blättern.
Auch hier wurden die Untersuchungen im Glashause vorgenommen.
Die einzelne Reaktion wurde mit der Koordinatenmethode, bei ©. Deppei
auch in der Weise verfolgt, daß zwei entgegengesetzt gerichtete Blättchen
entfernt wurden und dann mit Hilfe einer in das Blattgewebe eingestochenen
Kapillare am Gradbogen die Bewegung des einen übrig gebliebenen Blättehens
festgestellt wurde.
Leider war die elektrische Reizung nicht anwendbar, weil die Blättchen
die Verwundung durch die Elektroden schlecht vertrugen!) und außerdem
auch hier wie bei Amicia wegen der geringen Dicke der Blattspreite der
Kontakt nicht in der nötigen Güte hergestellt werden konnte.
Was den Verlauf der einzelnen Bewegungen anlangt, so sind sie natürlich
bei den verschiedenen Spezies verschieden geschwind und verschieden groß ?).
1) Da ©. Deppei, die etwas widerstandsfähiger ist als ©. Acetosella, das Ein-
stechen der Kapillare ganz gut verträgt und Platin wohl ebenso indifferent wie Glas
ist, muß wohl an der schädigenden Wirkung der Elektroden die in ihrer Nachbar-
schaft sehr hohe Stromdichte mit beteiligt sein.
2) Über den Einfluß äußerer Bedingungen finden sich Angaben bei Pfeffer
1373 (p. 68 ff.).
Beiträge zur Biologie der Pflanzen, Bd. IX, Heft III. 22
340
Sie gehen bei den drei hauptsächlich untersuchten Arten ziemlich gleich
schnell vor sich. Die Senkung ist bei allen dreien, wie Pfeffer 1873
(p. 69) für Oxalis Acetosella angibt, in 1 bis 3 Minuten zum größten
Teile vollendet, die Hebung in '/ bis 1 Stunde wieder vollzogen. Bei
O0. Deppei geht der Übergang von der Senkung zur Hebung ziemlich
schnell vor sich, bei den anderen beiden Arten beharrt das Blatt mehrere
Minuten in der tiefsten Lage, oder genauer ausgedrückt, ist die Geschwindig-
keit der Bewegung mehrere Minuten hindurch sehr unbedeutend und kaum
merklich.
Wie nun schon lange bekannt ist (vergl. Pfeffer 1373 p. 69), kann
die durch den ersten Reiz bewirkte Senkung durch erneute Reize vergrößert
werden. Ob dabei die Stärke des Reizes, der dazu nötig ist, nur gleich
der des ersten oder ob sie größer sein muß, kann ich nicht mit Bestimmt-
heit angeben, jedenfalls ist, wie bei Amicia, der Unterschied nur äußerst
gering.
Diese neuen Reize wirken sowohl während des Abstieges, wie in der
tiefsten Stellung und beim Aufstieg!. Es ist daher möglich, hier einen
„Tetanus“ zu erzielen. Die Frage war, ob hier wirklich, wie Pfeffer
1885 (p. 521) angibt, eine Akkomodation eintritt, die sich in einem Rück-
gang trotz weiterer Reizung zeigen müßte.
Die Methode der dauernden Reizung war dieselbe wie die bei Amicia
angewandte und litt daher an denselben Fehlerquellen. Aus diesem Grunde
kann auch hier der Schluß aus dem vorliegenden Material nur mit aller-
größter Vorsicht gezogen werden, solange nicht Versuche nach Ausschaltung
der Periode bei ganz konstanten Bedingungen vorgenommen sind.
Der Schluß, den meine Versuche erlauben, ist der, daß bei Oxalis eine
Akkomodation in sehr viel längerer Zeit als bei Amicia deshalb nicht aus-
geschlossen ist, weil sich, besonders bei längerer Dauer der Reizung,
der Einfluß der anderen Reize deutlicher bemerkbar macht.
Doch gibt besonders ein Versuch zu denken, wo Oxalisblätter, die die
Nacht über gereizt worden waren, am nächsten Morgen sich nur zum Teil
ganz erhoben hatten.
Ich gebe hier einige Versuchsresultate, die die außerordentliche Ver-
worrenheit der Bilder zeigen.
Die Winkel mit dem Blattstiel wurden nach Papierdreiecken geschätzt.
Es zeigte sich dabei eine weitgehende Unabhängigkeit der Blättehen eines
Blattes von einander. Ich bemerke noch, daß auch hier (wie bei Amicia)
neue Stoßreize während der Dauer der Reizung auf dem Schüttelapparat
durch eine Senkung beantwortet werden.
1) Sonderbar ist die Angabe Hansgirgs (1393 p. 119), daß bei Oxalis die
Blätter nach der ersten nicht sofort einer zweiten ähnlichen Bewegung fähig seien,
sondern erst nach einiger Zeit. Etwas derartiges habe ich nie beobachten können
und kann mir die Angabe nicht erklären.
341
Versuch 16.
O0. Deppei und Acetosella. 19. 5. 06. Auf dem Schüttelapparat.
Temperatur: 8421’ 17,1°, 1008’ 17,4°, 11207’ 18,4°.
Zeit Stellung der Blättchen Eee
ue Re
OÖ. Deppei O. Acetosella 5
ET 1 238
8b 24’ | 150° 170° | 120° BR |
|
|
8027’ angelassen, 150 in der Minute,
grauer Himmel.
8243" | 110% 110%) 90% 600300
9500’ 50° 80° | 90° 40° 20° | 849’ Lichtblick, dann wie vorhin
10%06’ | 50° 100° | 60° 50° 10° | Wolken langsam abnehmend
10%50’ | 50° 120° | 80° 30° 30° | 10%25’ Sonnenblick, dann wieder
| schwache Wolkendecke
11608’ | 50° 140° | 80° 30° 80° | 11®07’ nur leichter Wolken-
| schleier, der sich nach
11%15/ 60.2140091790,7402908 | 1115’ erst wieder verstärkt.
Versuch 17.
0. species. 1.5. 06. Auf dem Schüttelapparat. Temperatur: 9%52’ 19,2°,
10626’ 20,1°, 11830’ 21°.
; Stellung
= derBlätichen
IUNE2733
9455’ | 90° 90° 90° || angelassen, Sonnenschein
g9h 58’ | 70% 60° 80°
10%. 05’ || 70° 50° 60°
10714717100 700560°
10628’ | — 50° 60° || 10% 36’—10"34’ Wolken
10" 33’ | 70° 50% 609 |
106 41’ || 80% 60° 60° || 10641’—10%45’ Wolken
10% 50’ || 70° 50° 60° || 10648’—10b53’ Wolken
106 52’ | 50% 40° 50° | 10653’ Sonne
102552217.60.226007°6027 |
|
|
|
|
Bemerkungen
112 272 1.60227022 5027,
1 SEE I
Wir sehen also zwar einen Rückgang des „Tetanus“, doch ist er nur
sehr undeutlich, und im Versuch 16 ist immer die Helligkeitszunahme ein
Faktor, dessen Einfluß jedenfalls nicht unterschätzt werden darf!).
1141’ Wolke
1) Meine Versuche an Oxalidaceen mit gefiederten Blättern gaben keine guten
Resultate. Nur an jungen Blättern frisch aus dem Samen gewachsener Exemplare
von Biophytum sensitivum konnte ich die von Haberiandt 1898 (p. 35 f.) be-
obachteten Reizwellen, die an den einzelnen Blättchen submaximale Senkungen her-
vorrufen, auf starke Reize (Sengen des Endblättchens) hin eintreten sehen. Neue
Einsichten eröffneten mir diese Versuche nicht, besonders weil nur sehr wenige brauch-
bare Exemplare und erst gegen Ende des Sommersemesters 1906 mir zur Verfügung
standen.
22*
342
d) Versuch an Cynareen.
Die Filamente der Cynareen haben bekanntlich die Eigenschaft, sich
auf Stoßreize zu verkürzen, wobei die Staubfäden die Antherenröhre her-
unterziehen, sodaß der Griffel den Pollen aus der Röhre hinausbürstet.
Juels Abbildung (1906, Tafel I Fig. 5a) für Centaurea Jacea zeigt, daß
die Krümmung in der intakten Blüte nur außerordentlich gering ist und
erst nach dem Herauspräparieren der Staubgefäße größer wird.
Wie wir seit Pfeffer (1573 p. 80 ff.) wissen, kommt diese Bewegung da-
durch zustande, daß nach einem Stoßreiz das Gewebe infolge von Flüssigkeits-
austritt aus den Zellen erschlafft und die vorher durch den Turgor stark
gedehnten Zellwände sich infolge ihrer Elastizität verkürzen.
Neben denen anderer Cynareen untersuchte ich besonders die Filamente
der Centaurea macrocephala, die übrigens auch das Objekt verschiedener
im Breslauer Institut ausgeführter Untersuchungen (so von Kabsch 186la,
p. 27, Schenkemeyer 1877) gewesen sind. Sie haben besonders den
Vorteil der Größe, da ihre Länge ungefähr I em beträgt, wodurch eine
bequeme Handhabung ermöglicht wird. C. americana, das von Linsbauer
(1905) besonders studierte Objekt, stand mir leider nicht zur Verfügung.
Die Untersuchung geschah in der Weise, daß eine aus dem Körbchen
herausgenommene Blüte in ein mit Wasser gefülltes, an einem Ende zu-
seschmolzenes Glasröhrchen gesetzt wurde, das mit Wachs auf einem Kork-
würfel in jeder gewünschten Lage fixiert werden konnte. Verschlossen war
das Röhrehen mit etwas Watte; der Kork war auf einem Öbjektträger
befestigt !).
Der bauchige Teil der Kronenröhre wurde mit Schere und Pinzette
abpräpariert. Dabei verloren die Filamente ihre Widerlager und krümmten
sich nach außen. Verfolgt wurde nun die Reaktion hauptsächlich an der
Größe der Ausbiegung.
Zu dem Zwecke wurde das in die günstigste Lage gebrachte Röhrchen
auf den Objekttisch einer Zeißschen binokulären Lupe gesetzt. Eine dem
einen Okular aufgesetzte Camera lucida, die bei Nichtbenutzung zur Seite
seklappt werden konnte, erlaubte es, die Bewegung des Filamentes auf
Koordinatenpapier aufzuzeichnen, wobei zwei mit Tusche auf dem Griffel
angebrachte Fixpunkte und irgendwie durch ihre Form ausgezeichnete
Trichome des Filaments als Marken dienten. Gereizt wurde mittels einer
feinen in einen Holzgriff gefaßten Nähnadel. Auf elektrische Reizung wurde
aus äußeren Gründen verzichtet.
Die Reizschwelle habe ich daher nicht bestimmt. Hier sind inzwischen
Linsbauers Angaben (1906 p. 5 d. Sep.) erschienen, der angibt, die
Schwelle läge bei ©. Jacea „unter günstigen Umständen (wie sie etwa an
1) Wie Juel 1906 (p. 19 f.) es für ©. Jacea angibt, vertrugen auch die ©. macro-
cephala-Blüten recht gut große T'ranspirationsverluste, ohne die Reizbarkeit zu
verlieren.
343
warmen Sommertagen am normalen Standorte herrschen) bei einer Stoßkraft
von 2,08 10-* emg“, eine Angabe, deren Zuverlässigkeit ich nicht be-
zweifle, von der ich aber unentschieden lassen muß, wie weit die Größe
der Druckfläche hier in Frage kommt. Ebenso muß ich natürlich die Frage
nach dem mechanischen Äquivalent der elektrisch ermittelten Reizschwelle
auf sich beruhen lassen.
Die Veranlassung meiner Untersuchungen war, daß im Gegensatz zu
Pfeffers Behauptung, daß bei den Cynareenfilamenten ein jeder Reiz „ex-
plosionsartig die volle Bewegungsamplitude“ auslöse (1904 p. 442), Lins-
bauer (1905) an Ü. americana submaximale Auslösungen beobachtet hatte.
In der Tat ist freilich die Reaktion gewöhnlich so beschaffen, daß nach
einer äußerst kurzen Latenz die Kontraktion in ungefähr '/« Minute zur
völligen Geradestreckung vor sich geht, worauf nach 6 bis 8 Minuten die
Ruhelage wieder erreicht ist. (Bei ©. americana geht nach Linsbauer
(1905 p. 811) die Bewegung augenscheinlich etwas rascher vor sich: 7 bis
13 Sekunden für die Kontraktion, 50 bis 60 Sekunden für Erreichung der
Ruhelage.) Ob Oszillationen vorkommen, ist natürlich sehr schwer festzu-
stellen, da vor allem die Bürste des Griffels durch die Reibung an der
Antherenröhre die Bewegung oft hemmt, so daß eine weitere Ausbiegung
des Filamentes nach wie vor der Reizung nicht die Folge seiner Überver-
längerung zu sein braucht, sondern wohl in den meisten Fällen durch die
Verkürzung der Sehne des Kurvenstücks verursacht wird, das vom Staub-
faden gebildet wird.
Jedoch zeigt sich nicht allzu selten, daß das Filament sich nur unvoll-
kommen kontrahiert, so daß es sich nicht gerade streckt, sondern nur seine
Krümmung etwas abflacht. Auf erneuten Reiz kann dann vollständige Kon-
traktion erzielt werden.
Die Bedingungen, unter denen diese Bewegungsart eintritt, vermag ich
nicht genau anzugeben, sie scheint besonders bei solchen Blüten zur Be-
obachtung zu gelangen, die schon längere Zeit vom Körbchen losgelöst sind.
Ob auch das Alter der Blüte hier mitspielt, ist mir zweifelhaft, da ich die
Erscheinung sowohl bei Blüten beobachtete, deren Narben hervorzutreten
begannen, als auch bei solchen, deren Antherenröhre gerade anfing sich
zu öffnen.
Neben dieser Art submaximaler Reaktionen zeigte sich aber, be-
sonders bei älteren und etwas angewelkten Exemplaren, eine andere Art.
Diese äußerte sich darin, daß nur die der gereizten Stelle zunächst liegende
Partie des Staubfadens sich verkürzte, so daß, wenn z. B. auf der Innen-
seite gereizt worden war, hier ein stumpfer Knick entstand, dessen Öffnung
nach innen gerichtet war, und ganz entsprechend war das Bild, das bei
Reizung auf den anderen Seiten des Filamentes entstand.
Diese Beobachtung steht im engen Zusammenhange mit einer anderen,
die schon von Cohn (zitiert nach Pfeffer 1373, p. 113) gemacht wurde,
daß nämlich nicht immer die Kontraktion auf der ganzen Länge des Organes
344
mit einem Schlage einsetzt, wie es bei frisch aus dem Blütenstande ent-
fernten jungen Blüten der Fall ist, sondern daß das Fortschreiten der Kon-
traktion von der Reizstelle aus nach beiden Seiten deutlich zu beobachten
ist. Ob dabei, wie es den Anschein hat, diese Welle mit zunehmender
Geschwindigkeit fortschreitet, habe ich genau messend nicht verfolgen können.
Wie Linsbauer gemessen hat (1906 p. 8 des Sep.), muß der Reiz,
der die submaximale Reaktion der ersten Art verstärkt, größer sein als der
erste Reiz, jedenfalls ist aber der nötige Reizzuwachs nur gering. Wie
sich diese reizbaren Organe bei dauernder Reizung verhalten werden, ist
daher nicht sicher zu vermuten. Pfeffer gibt (1873 p. 109) an, daß bei
dauernder Reizung ein Rückgang eintrete.e Nach Linsbauers eben an-
geführten Messungen hätte dies auch große Wahrscheinlichkeit für sich,
doch unterließ ich damals derartige Untersuchungen, da mir meine Versuche
zeigten, daß die Öynareenfilamente nicht nur während des Rückganges, sondern
auch während der Kontraktion reizbar seien, was besonders bei submaxi-
maler Kontraktion erster Art zu sehen war. Da ich nicht Anzeichen dafür
hatte, daß der zweite Reiz stärker sein mußte als der erste, glaubte ich
mich berechtigt, ein Verhalten analog Oxalis und Amicia anzunehmen. Die
Frage muß also noch offen bleiben. Juel (1906 p. 20 des Sep.) gibt an,
eine Ermüdung konstatiert zu haben, doch ist die Maßmethode, wie er selbst
sagt, wenig einwandfrei, so daß auf diese Resultate, obwohl sie der Wahr-
scheinlichkeit nicht entbehren, besonderer Wert nicht gelegt werden kann.
Die Ermüdung soll sich in minder ausgiebiger Reaktion zeigen.
Bestätigen konnte ich durchaus Linsbauers Angaben (1905 p. 817),
daß die Trichome nicht, wie Haberlandt es gewollt hatte (1901 p. 35 ff.),
als Perzeptionsorgane, sondern höchstens als „Stimulatoren“ dienen, denn
die bei Ü. macrocephala recht langen und biegsamen Haare konnte ich mit
einer darüber hinstreichenden Nadel weitgehend deformieren, ohne daß eine
Reaktion eintrat. Durch Linsbauers Auseinandersetzung mit Haber-
landt (L. 1906 p. 14 f.) ist der Gegenstand wohl für die dort aufgeführten
Arten ©. Jacea und rhenana (C. americana 1905) erledigt, sodaß sich hier
O©. macrocephala nur noch hinzugesellt. Auf Haberlandts Einwände in
der zweiten Auflage seiner „Sinnesorgane“ (p. 46 f.) kurz eingehend, möchte
ich noch hinzufügen, daß ich C. macrocephala im Juli, zu Anfang ihrer
Blütezeit, untersuchte, und ferner, daß ich nicht nur ein Trichom, sondern
mehrere der Reihe nach verbiegen konnte, ohne daß die Reaktion sich
zeigte, die dann bei Berührung der Epidermis des Filaments sofort eintrat.
e) Versuche an Mimulus.
Untersucht wurden die Narben von Mimulus luteus. Wie bekannt, klappen
ihre zwei Lappen auf Stoßreize zusammen.
Die Untersuchungen wurden ganz in entsprechender Weise wie bei den
Cynareenfilamenten unter dem Zeißschen Binokular vorgenommen. Die
Narbe (meist eben geöffneter Blüten) wurde dadurch der Untersuchung zu-
345
gänglich gemacht, daß die Krone entfernt wurde. Da Mimulus luteus benutzt
wurde, blieb die Reaktion auf den gereizten Narbenlappen beschränkt (vergl.
Oliver 18837).
Nun bewirkte hier nicht jeder Reiz die volle Auslösung der Bewegung,
sondern es wurden auch submaximale Reaktionen beobachtet. Besonders
häufig zeigten sich diese in der Art, daß nur die durch Darüberhinstreifen
mit der Nadel gereizte Partie sich auf der papillösen Innenseite kontrahierte,
während die übrigen Teile vollkommen die alte Form behielten.
Neben diesen meist zur Beobachtung gelangenden unvollständigen Re-
aktionen zeigten sich auch submaximale der Beschaffenheit, daß auf einen
Reiz hin der ganze Lappen sich, aber nicht bis zum vollen möglichen Be-
trage kontrahierte.
III. Diskussion.
a) Allgemeines.
Eine wahrnehmbare Reaktion ist natürlich das einzige Kennzeichen dafür,
daß eine Veränderung der Außenbedingungen auf die Pflanze als Reiz gewirkt
hat. Ein anderes Kennzeichen haben wir nicht. Jedoch können uns Modi-
fikationen des normalen Verlaufs eines Reizvorganges Anhaltspunkte zur
Entscheidung der Frage geben, ob solche Änderungen, die selbst keine
Reaktionen auslösen, auf den pflanzlichen Organismus gewirkt haben.
Ist eine solehe Modifikation festgestellt, erhebt sich die Frage, in welchem
Teile des Reizvorganges diese Veränderung der Innenkonstellationen vor
sich gegangen ist.
Wir müssen jeden Reizvorgang in mindestens drei Teile zerlegen; außer
dem Auslösungsvorgang selber und der Reaktion müssen wir, wie Pfeffer
(1897 p. 13) mit vollem Rechte bemerkt, schon aus logischen Gründen
Zwischenglieder annehmen. Diese drei Teile zusammen bilden die „Reiz-
kette“. Rothert hat (1894 p. 165 f.) vorgeschlagen, die Auslösung als
„Perzeption“, die Zwischenglieder als „Reizung“, den endgültig ausgelösten
Vorgang als „Reaktion“ zu bezeichnen. Die Bezeichnungen für das Anfangs-
und Endglied werde ich adoptieren, jedoch scheint mir der Name „Reizung“
ungünstig gewählt, da „Reizung“ nicht nur den Zustand des Gereiztwerdens,
sondern auch den Vorgang des Reizens selber bezeichnet, wie auch im Texte
von mir der Ausdruck wiederholt gebraucht worden ist.
Ich möchte daher diesen Teil der Reizkette einfach als die „Zwischen-
glieder“ bezeichnen und bespreche also im folgenden in 1) die Perzeption )),
in 2) die Zwischenglieder, in 3) die Reaktion.
!) Daß ich den Namen „Perzeption“ wähle, hat seinen Grund in praktischen
Rücksichten, Diese Bezeichnung ist ganz allgemein in der Physiologie eingebürgert,
Pfeffer spricht in seiner Physiologie von der Perzeption des Schwerereizes usw.
Eine Stellungnahme zu metaphysischen Problemen soll hierin nicht liegen, und gerade
deshalb habe ich nicht den aus einer solehen — einseitigen — Stellungnahme ent
346
b) Spezielle Diskussion.
1. Die Perzeption.
Als Perzeption können wir mit Rothert (1394 p. 165) die durch den
Reiz bewirkten primären Veränderungen (unbekannter Natur) im Protoplasten
bezeichnen, die dann weiterhin die übrige Kette der Vorgänge nach sich
ziehen und dadurch schließlich eine sichtbare Reaktion hervorrufen können.
Die Größe des Reizanlasses, die den vollständigen Reizverlauf zur Folge
hat, bezeichnet man bekanntlich als Reiz-, genauer als „Reaktionsschwelle“,
unter dieser liegende Reizgrößen als „unterschwellige Reize“. Ob der Reiz
selbst eine bestimmte Größe erreichen muß, um überhaupt perzipiert zu
werden, — wie es nicht unwahrscheinlich ist, — darüber ist ein sicheres
Urteil zurzeit nicht möglich, da eben genauere Kriterien dafür, ob ein Reiz
perzipiert wird oder nicht, fehlen, wenn uns keine Reaktionen darüber
Auskunft geben. Eine solche Reizgröße aber würde, wenn sie bestünde,
als „Perzeptionsschwelle“ zu bezeichnen sein.
Der uns hier beschäftigende Stoßreiz unterscheidet sich nun in mancher
Beziehung von den Reizarten, die in den letzten Jahren durch Rothert
(1894), Czapek (1898) und noch ganz vor kurzem durch Fitting (1905
und 1907b) eingehende Behandlung erfahren haben, nämlich dem geotro-
pischen und heliotropischen Reize.
Czapek stellte zunächst (1898 p. 181) den Begriff der „Präsentations-
zeit“ auf, der von Fitting (1905 p. 285) präzise definiert wurde als die
„minimale Zeitdauer, die ein Reizanlaß auf eine Pflanze einwirken muß, um
gerade noch eine sichtbare Reaktion auszulösen“.
Ein solcher Begriff fällt für den Stoßreiz fort. Bei stationären
Reizen!) kommt es allerdings nicht auf die Intensität des Reizes allein,
sondern auch auf die Dauer seiner Einwirkung an; die Größen der Prä-
sentationszeit, wie sie Bach (1907) ermittelt hat, sind also Werte, die erst
im Verein mit der Größe der Erdgravitation die Reizschwelle bestimmen.
Der Stoßreiz ist aber ein transitorischer Reiz, d. h. es kommt hier
auf die Geschwindigkeit der Änderung der Intensität irgendwelcher
Außenbedingungen an.
springenden Namen „Rezeption“ gewählt, oder gar Beer-, Bethe-, Uexkülls
„Antitypie“. Gleichfalls soll in dem später benutzten Terminus „rektorische Pro-
zesse‘“ keine Stellungnahme zu derartigen Fragen ausgedrückt sein. Dieses, zum
großen Teile erkenntnistheoretische l’roblem hier abzuhandeln, kann nicht meine
Absicht sein; wenn ich auch versucht habe, mir eine bestimmte Meinung zu bilden,
fehlt mir doch noch die genügende Erfahrung, die zur Beantwortung einer so
schwierigen Frage nötig ist.
!) Hier, wo wir nur das Wesen des wirksamen Reizes im Auge haben, dürfen
wir nieht in die Definition stationärer und transitorischer Reizungen den Reizerfolg
mit hineinziehen, wie es Pfeffer (1897 p. 15) tut, der von transitorischen Reiz-
reaktionen spricht, wenn Rückregulation erfolgt, von stationären, wenn eine neue
Gleichgewichtslage eingenommen wird.
347
Ein außerordentlich deutliches Beispiel gibt uns die Reizung mit dem In-
duktionsstoß. Das Integral der Stromintensitätsänderungen ist beim Öffnungs-,
wie beim Schließungsstoß dasselbe; aber die Änderung im Zeitdifferential
ist beim Öffnungsstoß bedeutend größer, und so zeigt sich eine bedeutend
stärkere Wirkung des Öffnungsstoßes.
Aus diesem Grunde ist es auch nicht wahrscheinlich, daß hier der Begriff
der „Perzeptionszeit“ (Fitting 1905 p. 285), d. h. der minimalen Zeit-
dauer, die dazu erforderlich ist, daß die Pflanze den Reiz perzipiere, eine
so bedeutende Rolle spielt, wie er beim stationären Reiz sie spielen mag,
obwohl sie auch dort nur äußerst kurz ist, so z. B. minimale Bruchteile
einer Sekunde bei geotropischer Reizung von Pflanzenteilen (Fitting 1905
p. 303) beträgt.
Sollte trotzdem eine solche Perzeptionszeit auch beim transitorischen Reize
angenommen werden müssen, so ist ihre Messung jedenfalls äußerst schwierig,
einmal schon wegen ihrer außerordentlichen Kürze, denn sie müßte kleiner
sein als die Zeitdauer des Öffnungsinduktionsstoßes. Dann aber fehlt uns
hier die Möglichkeit, wie sie bei den stationären Reizen (vergl. Fitting
1905 und Pringsheim 1906) besteht, zwei gleichzeitige entgegengesetzt
wirkende Reize mit einander zu vergleichen.
Uns bleibt zur Untersuchung der Wirkung unterschwelliger Reize nur
die Möglichkeit, diese Reize zu wiederholen. Dabei beobachteten wir bei
Mimosa (und Burdon-Sanderson 1877 p. 414 f. bei Dionaea) die Er-
scheinung der Summation (Richets „addition latente“), nämlich, daß unter-
schwellige Reize bei wiederholter Einwirkung eine Reaktion hervorbringen.
Wir sahen gleichzeitig, daß die Zeitdauer zwischen den einzelnen Stößen
von großer Wichtigkeit ist, indem bei kürzeren Intervallen die Summation
schon nach einer geringeren Zahl von Stößen eintritt.
Eine Summation haben bei stationären Reizen Fitting (1905) für den
Geotropismus, und Pringsheim und Nathansohn (vergl. Pringsheim 1906)
für den Heliotropismus nachgewiesen. Aus den letzten Versuchen ergibt
sich klar, was nach Fitting beim Geotropismus in gleicher Weise zutreffend
zu sein scheint, daß (Pringsheim 1906 p. 41) Reize, die in Abständen
innerhalb eines gewissen Zeitmaximums auf einander folgen, sich im strengen
Sinne addieren, daß also hier das Talbotsche Gesetz gilt, das aus der
Psychologie der Gesichtswahrnehmungen bekannt war.
Ein derartiges Gesetz kann nun beim transitorischen Reiz nicht Geltung
haben, da zwar Produkte aus Zeit und Intensität (oder aus Zeit und irgend
einer Funktion der Intensität) in der Zeit eine Summierung zulassen, nicht
aber Produkte von Intensitäten (oder ihren Funktionen) und Geschwindig-
keiten.
Wir müssen uns damit begnügen, zur Erklärung anzunehmen, daß jeder
Reiz einen „Erregungszustand“ hinterlasse. Jeder folgende Reiz, der inner-
halb einer gewissen Zeit wirkt, erhöht die Erregung, sodaß schließlich der
letzte die Reaktion auslöst.
343
Wenn nun aufeimnanderfolgende Reize sich nicht summieren, kann der
Grund entweder darin liegen, daß die Erregung nieht genügend hoch gesteigert
werden kann, weil die Reize zu schwach sind, — oder aber die Erregung
könnte schon verklungen sein; die Zeit des Abklingens der Erregung können
wir mit Fitting (1905 p. 333 £.) als „Relaxationszeit“ bezeichnen.
Die Relaxationszeit kann bei Mimosa über 5 Sekunden betragen; wie
groß ihr Höchstwert genau ist, läßt sich aus begreiflichen Gründen schlecht
feststellen, bei Dionaea ergibt sich aus Burdon-Sandersons Angaben
(l. e.) eine Größe von über 2 Minuten.
Nun zeigte sich aber bei Mimosa die Erscheinung, daß Reize, die
dauernd einwirken, die Schwelle erhöhen, und sogar solche, die unter der
Schwelle lagen. Ganz entsprechend gibt Linsbauer (1906 p. 9 des Sep.)
für Oynareenfilamente an, daß Vergrößerung einer submaximalen Auslösung
nur durch einen stärkeren Reiz erzielt werden könne; bei Mimosa sahen
wir eine recht bedeutende Zunahme des Reizes nötig werden, um in den
Fällen, wo submaximale Auslösungen möglich sind, eine Vergrößerung der
Amplitude herbeizuführen. Dagegen scheint bei Dionaea (nach Burdon-
Sanderson |. c.) und bei Amicia und Oxalis schon ein gleich starker Reiz
eine neue Reaktion auslösen zu können.
Wir können uns wohl am besten dieses Verhalten so erklären, daß wir
nach dem Abklingen der Erregung (nach dem Verlauf der Relaxationszeit)
bei Dionaea, Amicia und Oxalis ein einfaches Rückkehren auf den vorigen
Zustand annehmen; bei Mimosa und den Cynareenfilamenten dagegen
nach diesem Abklingen noch ein Umschlagen der Erregung annehmen, wie
wir ein derartiges Verhalten in der belebten Natur ja auch sonst, z. B. im
Gefühlsverlaufe des Menschen und am Muskel (vergl. über diesen Wundt
1902 p. 65 ff.) finden. Diese „Depression“ bewirkt ein Hinaufrücken der
Reaktionsschwelle.
Doch mit diesen Fragen haben wir allmählich das Gebiet der eigent-
lichen Perzeption verlassen und sind schon zu den „Zwischengliedern“ fort-
geschritten. Denn die „Erregung“ und „Depression“ gehören nicht mehr
zu den „primären Veränderungen im Protoplasten“, sind vielmehr schon
sekundärer Natur.
Wir fahren also mit der Besprechung dieser Frage im nächsten Ab-
schnitte fort, der die Überschrift trägt:
2. Die Zwischenglieder des Reizprozesses.
Einen äußerlichen Ausdruck findet das Vorhandensein solcher Zwischen-
glieder in der „Reaktionszeit“ (Czapek 1898), d. h. der Zeit, die zwischen
dem Aufhören des Reizes und dem Eintreten der Reaktion verfließt. Sie
fällt bei unseren Versuchsobjekten mit der „Latenz“ zusammen. Während
sie unter gewöhnlichen Umständen nur Bruchteile einer Sekunde betrug,
fanden wir ja bei Mimosa bis zu 9"/s Sekunden.
349
Es schien damals (Versuch 2) ihre Größe nur von den Innenbedingungen
der Pflanze abzuhängen;; durch starke vorhergegangene Reizungen, durch niedere
Temperaturen und Narkose schien sie verlängert zu werden. Dies würde
wohl mit der Angabe Bachs (1907 p. 122) übereinstimmen, daß auch bei
geotropischer Reizung die Länge der Reaktionszeit nicht von der Stärke
des Reizes abhinge und daher nicht als ein „Maß der Erregung“ betrachtet
werden dürfe.
Von den Zwischengliedern des Reizprozesses ist nun die eine Seite schon
oft Gegenstand der Untersuchungen gewesen, nämlich die Bedingungen, die
die extensive Ausbreitung der Reaktion, die sogenannte Reizleitung be-
stimmen und als die „duktorischen* Prozesse und Bedingungen bezeichnet
werden. In jüngster Zeit hat Fitting (1907a) hierüber eine umfassende
Monographie geliefert, zu der als eine Art Ergänzung seine neuesten Ver-
suche (1907 b) hinzutreten.
Wie schon in der Einleitung gesagt wurde, interessiert uns hier die
Mechanik der Reizleitungen nicht weiter. Es ist nur die Tatsache hervor-
zuheben, daß Reizleitung bei jeder Reaktion angenommen werden muß, in
denen die Zellen, auf die der Reiz einwirkt, nicht identisch sind mit denen,
in denen die sichtbar werdende Reaktion vor sich geht, wie das z. B. bei der
mechanischen Reizung der reizbaren Organe dann der Fall ist, wenn der
Reiz nur auf eine eng umschriebene Stelle des Organes einwirkt.
Eine Störung dieser duktorischen Prozesse beobachteten wir ja auch bei
Öynareenfilamenten und den Mimulusnarben in der lokal beschränkten
Kontraktion (freilich unter noch nicht näher präzisierbaren Bedingungen).
Eine solche lokal beschränkte Kontraktion könnte nun natürlich auch
die Ursache sein, daß bei den reizbaren Blattgelenken auf gewisse Reize
hin die Einkrümmung nicht völlig, sondern nur zum Teile erfolgt. Dies
läßt sich jedoch nicht so leicht feststellen, wie bei den Cynareenstaubfäden
und Mimulusnarben, da hier nicht, wie dort, die Reaktion des reizbaren
Organs selbst, sondern nur das äußere Sympton der Blattsenkung beobachtet
wird. Unwahrscheinlich ist aber eine solche Art der Submaximalität einer
Reaktion bei elektrischer Reizung und bei allgemeiner Erschütterung der
Pflanze. Und es zeigte sich ja auch bei den Cynareen und bei Mimulus
eine zweite Art submaximaler Auslösung, in denen die motorischen Fähig-
keiten des Gewebes wohl im ganzen reizbaren Organe, aber in geringerer
Intensität als sonst in Tätigkeit gesetzt wurden. Die (ohne Zweifel viel-
artigen) Glieder der Reizkette, die die Aktivierung der vorhandenen Be-
wegungsmöglichkeiten ihrer Intensität nach bedingen, bilden somit das
logische Korrelat zu den duktorischen Prozessen und Bedingungen. Czapek
hat (1898 p. 302) vorgeschlagen, sie als die „zentralen“ zu bezeichnen.
Da diese Bezeichnung aber auf der Theorie eines dem der Tiere analogen
Zentralorgans beruht, möchte ich im folgenden sie als die „rektorischen“
bezeichnen, wobei diese Bezeichnung zugleich in sprachlicher Hinsicht den
Worten „duktorisch‘‘, „sensorisch“ usw. konzinn wäre.
390
Die Glieder der Reizkette in der Nähe des Perzeptionsaktes sind es
nun jedenfalls, die das ausmachen, was wir als „Erregung“ und „Depression“
bezeichnet hatten. Wir können uns vorstellen, daß jeder Reiz den Ablauf
der Reizkette anzubahnen sucht und wiederholte Reize ihn immer mehr
erleichtern, bis der letzte der summierten Reize die Reizkette voll ablaufen
läßt. Die Depression entspräche wachsender Schwierigkeit im Ablauf
der Kette.
Somit ergibt sich aber ganz klar, daß die „Perzeptionsfähigkeit“, „Sensi-
bilität“ oder „Reizbarkeit“ nicht ein Maß nur für die sensorischen Prozesse
ist, sondern einen Teil der rektorischen mit umfaßt, also eine höchst
komplexe Größe darstellt. Dies kommt z. B. sehr bei den Wirkungen
erneuter Reize in Betracht, die einwirken, während die erste Reaktion noch
vor sich geht. In diesem Sinne ist wohl der Ausdruck Pfeffers (1904
p. 443) zu fassen, daß die Inanspruchnahme durch eine einzelne Auslösung
eine „transitorische Sistierung der Reizbarkeit“ bedinge.
Ein Fehlen einer „Depression“ ermöglicht einen „Tetanus“, der infolge-
dessen bei Mimosa (und vielleicht bei Cynareen) nicht beobachtet wird,
aber bei Oxalis, Amicia und Dionaea vorkommt.
Hier zeigt Dionaea noch insofern ein besonderes, charakteristisches Ver-
halten, als hier jeder neue Reiz, der die Amplitude vergrößert, ihr auch
einen größeren Zuwachs liefert, als der vorhergehende war (nach Burdon-
Sanderson 1877 p. 414 ff... Dem entspricht ganz das von Richet
(1879 p. 549) abgebildete Verhalten des Krebsscherenmuskels, dessen
Zuekungstreppe gleichfalls zunehmende Stufen zeigt. In diesem Falle ist
also die rektorische Stimmung derart, daß ein neuer gleich starker Reiz eine
weit größere Aktivierung motorischer Mittel bedingt als der vorhergehende.
Anders liegt die Sache bei Oxalis und Amicia,; der zweite (ob gleich
starke oder unbedeutend stärkere?) Reiz löst eine neue kleinere Amplitude
aus. Hier tritt in der ersten Reaktion schon fast die ganze Reizkette,
soweit sie durch die Reizgröße überhaupt ausgelöst werden kann, ins Spiel,
Bei Mimosa schließlich treten unter normalen Umständen die motorischen
Fähigkeiten überhaupt voll in Aktion!), und daher ist es verständlich, daß
bei normaler Reaktion eine Vergrößerung der Amplitude auch durch sehr
viel stärkere Reize schon deswegen nicht erzielt werden kann, weil die
Bewegungsmittel fehlen.
Der Ablauf der Reizkette wird aber hier durch Narkose, durch zu große
Jugend des Blattes und durch wiederholte Reizung dahin modifiziert, daß
nun die Bewegungsmittel auch hier nicht voll in Tätigkeit gesetzt werden ?);
!) Da wir die Stimmung der Pflanze, die die Intensität der Reaktion bedingt,
als ‚„rektorische‘“ bezeichneten, könnten wir an dieser Stelle auch bei Amicia und
bei Mimosa von der normalen rektorischen Stimmung reden.
2) Eine Möglichkeit wäre natürlich, daß in diesem Falle unvollständige oder teil-
weise verlegte Reizbahnen vorlägen, doch ist diese Annahme bei der elektrischen
Reizung wohl wenig wahrscheinlich (wie schon auf der vorigen Seite gesagt worden ist).
351
dann entstehen auch hier submaximale Auslösungen. Wir müssen den Grund
davon also ganz in diesem Teil des Reizvorganges suchen, und können daher
den Pfefferschen Ausdruck (1904 p. 442), daß bei Mimosa submaximale
Auslösungen erzielbar seien, wenn die „Sensibilität“ herabgesetzt sei, höchstens
im vorhin angedeuteten Sinne gelten lassen!).
Daß hier dann die Reizsteigerung so bedeutend sein muß, damit die
neue Auslösung zu Stande komme, ist in diesem Zusammenhange weniger
wichtig und wurde vorhin (p. 348 f.) schon betrachtet.
Durch diese Darlegungen sind wir gleichzeitig in die Nähe des Begriffes
der „Reaktionsfähigkeit“ gelangt.
Es ist hier natürlich der eine Faktor eine conditio sine qua non, nämlich das
Vorhandensein motorischer Fähigkeiten. Aber was als „Reaktionsfähigkeit“
gefaßt ist, ist gleichzeitig durch die rektorischen Prozesse mit bedingt.
So ist es unzweifelhaft ungenau, wenn Jost (1904, p. 635) sagt, daß
die Kleinheit der Amplitude bei den an Mimosen während der Reaktion
neu ausgelösten Reaktionen auf noch unvollständig wiederhergestellter Reak-
tionsfähigkeit berube. Freilich kann nicht gleich wieder eine volle Bewegungs-
größe erwartet werden, und daß die erste neu ausgelöste Bewegung auch
nicht so tief hinabgeht, wie die ursprüngliche Bewegung, wäre auch nicht
zu verwundern. Aber daß in meiner Kurve IVb (p. 330) die Reaktionen
so ungleich sind, muß doch nachdenklich machen. Wie kann z. B. man-
gelnde motorische Fähigkeit es bedingen, daß die Senkung um 936’ kleiner
als die um 9" 31’ ist, weshalb sollen die nach 950’ erfolgenden Reaktionen
wieder größer, und vor allem weshalb die nach 10"10’ wieder kleiner sein?
Vollends der folgende Versuch läßt eine andere Auffassung, als daß die
Zwischenglieder der Reizkette die Größe dieser Amplituden bestimmen,
kaum zu.
Versuch 18.
Mimosa Speggaziniüi. 2. 8. 05. Temperatur: 22,5°. Leichte Bewölkung.
Zeit Reizstärke ne NEE BuES | Wann gemessen?
| der Reizung |
3N47’ | 2% 23,3 Sek. Int. | 102° 71° | tiefste Stellung
ul, | 123 Ta m 174,50 = z
3255. 1.293 Var Sl. 78. - z
33924307223 110.832 UinsS 19 z z
4403’ 1 20x 23 86.10.80 nach 40 Sekunden
4.07. ,20,>< 23 91,9% 2932552 DU z
4211. 120<23 94,5277950 Ken re z
4415’ 20x 23 BGE 06% | = >= 2
713 .020823 I 96° 96° Ne = =
4423’ 12023 | 96° Ib Fl 0 - z
1) Es ist bemerkenswert, daß die submaximalen Amplituden unter den gleichen
Bedingungen auftreten, wie die Vergrößerung der Latenz: in narcosi und nach
wiederholter starker Reizung. Auch nach langem Aufenthalt in niederen Temperaturen
352
Wir müssen also die „Reaktionsfähigkeit“ als einen sehr komplexen
Begriff auffassen, der außer durch die motorischen Fähigkeiten durch die
Zwischenglieder bestimmt ist. Es ist daher an sich empfehlenswert, nur
dann diesen Ausdruck zu gebrauchen, wenn man die rein motorische Seite
im Auge hat, jedoch ist eine solche Scheidung bei diesem empirischen Be-
griff nur selten möglich.
3. Die Reaktion.
Eine Beeinflussung der motorischen Vorgänge liegt mit ziemlicher Sicher-
heit rein wohl nur in dem Falle vor, in dem der Teil der Reaktion ver-
ändert ist, den wir bei der Sinnpflanze als „Aufstieg“ bezeichneten, also
bei der Rückregulation. So mag die nach wiederholter starker Reizung
eintretende Verlangsamung und in ganz entsprechender Weise die Steigerung
der Geschwindigkeit der Bewegung mit steigender Temperatur eine derartige
rein motorische Beeinflussung sein.
Beim ersten Teil der Reizbewegung, beim „Abstieg“ oder der eigent-
lichen Reaktion, die den Abschluß der Reizkette bildet, ist die Entscheidung
weit schwieriger, wie wir im vorigen Abschnitte schon versuchten anzu-
deuten; hier ist es wohl nur die Geschwindigkeit der Bewegung, aus deren
Veränderung auf eine Modifikation der motorischen Funktionen geschlossen
werden kann.
Die beiden Teile der Reizbewegung sind aber von einander recht unab-
hängig, wenn auch der zweite Teil die Folge des ersten ist. Dies zeigt
z. B. die bei Mimosa zur Beobachtung kommende Erscheinung der Lähmung,
die auf einem gegenüber dem normalen Verhalten verzögerten Eintreten der
Rückregulation beruhen muß; ferner der Umstand, daß unter gewissen Um-
ständen, wie bei dem dauernden Narbenschlusse bei Mimulus infolge von
Bestäubung (Gärtner 1844 p. 290, und Burk 1902) die Rückregulation
ganz ausbleibt!).
Wir wenden uns nun den Wechselwirkungen zu, die teils zwischen einer
konstanten Größe, der Elastizität der Zellwände, und einer variablen, der
Turgorenergie, bestehen, — so bei den Cynareenfilamenten, teils zwischen
nahm die Latenz zu, also in Fällen, in denen Pfeffer (1904 p. 442) die Möglich-
keit, submaximale Auslösungen zu erhalten, angibt; ob bei jungen Blättern auch
Latenzvergrößerung eintreten kann, weiß ich nicht. Jedenfalls gibt aber dies Zusammen-
treffen zu denken, — es wird wohl kaum zufällig sein.
1) Auf welchen energetischen Mitteln beide Reaktionen, Ab- wie Aufstieg, be-
ruhen, ist eine Frage, die uns, wie schon in der Einleitung erwähnt wurde, hier
nicht weiter interessiert. Freilich hat nach dem jetzigen Stande unserer Kenntnisse
von der großen Rolle der Fermente die von Pfeffer (1890 p. 325 ff.) neben anderen
denkbaren Möglichkeiten angeführte Art und Weise, daß das rapide Sinken des
Turgors und die Wiederherstellung des alten Zustandes bei den „Variationsbe-
wegungen“ (Pfeffer 1875 p. 1.) infolge chemischer Umsetzungen, wie Polymeri-
sationen und Spaltungen vor sich gehe, sehr große Wahrscheinlichkeit für sich, weil
mittels Enzymen solche Wirkungen schnell erzielt werden könnten.
393
zwei variablen Größen, — so in den Blattgelenken. Nur im zweiten Fall
ist die Frage nach dem genaueren Verhalten der Antagonisten zu erörtern.
Wenn auch speziell bei Mimosa durch Pfeffers Untersuchungen (1875)
klargelegt ist, daß die untere Gelenkhälfte bei der Reizreaktion an Volumen
abnimmt, während das Volumen der oberen unverändert bleibt, so ergibt
sich doch die Frage, ob die obere Hälfte nicht auch durch den Reiz beeinflußt
wird. Bestimmungen der Biegungsfestigkeit können nur die Differenz der
Expansionskraft beider Hälften zeigen, nicht aber über den Verlauf des
Vorganges im einzelnen etwas aussagen. Ebensowenig gibt uns der Verlauf
der normalen Reaktion ein Kennzeichen: schon über die Geschwindigkeit
der Ab- und Zunahme des Turgors in jedem einzelnen Falle kann sie uns
keine genaue Auskunft geben, da die Kompression der unteren (und oberen)
Gewebshälfte beim Ab- (und Auf-)stieg die Geschwindigkeit verändern muß.
Nur einige wenige Beobachtungen lassen die Frage aufwerfen, ob nicht
auch die obere Polsterseite auf Stoßreize durch Erschlaffung reagiere, wenn
auch nur in geringem Maße.
So gibt Bert (1866 p. 27 des Sep.) an (was Pfeffer 1873 p. 58,
Anm. 1 wohl nur wiederholt), daß an umgekehrten Pflanzen, deren untere
Gelenkhälfte entfernt worden sei, auf Reizung der Blattstiel sich um 5°
gesenkt habe; er selbst hält freilich die Resultate nicht für einwandfrei.
Ich beobachtete zweimal, daß der Blattstiel auf Reize hin sich hob, anstatt
sich zu senken. So eines Morgens mehreremale hintereinander an einem
Blatt einer M. pudica nach einer sehr kalten Nacht. Die Hebungen be-
trugen nur wenige Grade, gingen aber viel schneller vor sich als sonst
etwaige autonome Hebungen, mit denen sie infolgedessen nicht verwechselt
werden konnten. Im weiteren Verlauf des Tages reagierte das Blatt
wieder normal.
Wenn auch allzuviel Gewicht diesen wenigen Beobachtungen nicht wohl
beizulegen ist, regen sie doch die Frage an, ob nicht auch die obere Polster-
hälfte nach Reizen erschlaffe. Diese Frage erhebt sich auch bei den Oszil-
lationen. Das Vorhandensein der letzteren steht fest, die theoretischen
Einwände Schwendeners (1897, p. 240 d. ges. Schr.) können demgegen-
über nichts besagen. Es ist hier aber die Frage aufzuwerfen, ob bei den
Öszillationen beide Gelenkhälften oder nur eine beteiligt sind. Biegungs-
festigkeitsmessungen sind mir leider bei keiner einzigen Oszillation geglückt,
so daß auch dieser Anhalt fehlt.
Auch daß ÖOszillationen und periodische Bewegungen unabhängig von ein-
ander verlaufen, kann uns sicheren Entscheid nicht geben. Wir missen
daher diese Frage offen lassen.
Ein ganz anderes Problem ist das, wodurch denn überhaupt diese Oszil-
lationen bedingt sind. Aller Wahrscheinlichkeit nach stellen sie einen Teil
der Reaktion dar, und sind nicht etwa zufällig zur gleichen Zeit einsetzende
autonome Schwankungen; das zeigt uns einmal, daß Amplitude und Ge-
schwindigkeit mit der Zeit abnehmen, und ferner, daß beide viel größer
354
sind, als bei irgend einer sonst beobachteten autonomen Bewegung. Infolge-
dessen ergibt sich die Frage, weshalb diese Rückregulation nicht mit Er-
reichung der Normallage abgeschlossen ist, sondern sich darüber hinaus fort-
setzt, und wodurch die Pflanze veranlaßt wird, diesen Zustand wieder zu
beseitigen und schließlich erst nach mehrfachem Hin und Her zur Ruhe kommt.
Doch gelangen wir damit in ein Gebiet, das, bis jetzt jedenfalls, nur
der philosophischen Spekulation offen steht.
Zusammeniassung.
A. Neben kritischen Bemerkungen zur Methodik der Versuche wurden
bei den untersuchten Pflanzen im Vorstehenden Einzelheiten über den Verlauf
des Reizvorganges gegeben. Von diesen mögen folgende hervorgehoben
werden:
I. Bei Mimosa war die Benutzung des Schlitteninduktoriums zur Reizung
wertvoll. Es ergab sich:
1. Die Reaktionszeit („Latenz“) beträgt meistens nur Bruchteile einer
Sekunde, kann aber bis über 9 Sekunden anwachsen.
2. Wiederholte Reize erniedrigen anfangs die Schwelle, erhöhen sie
aber weiterhin. Die Zeit, die verfließt, bis die Schwelle wieder
den alten Wert hat, ist als „Relaxationszeit‘“ zu bezeichnen und
beträgt mindestens 2, ist jedoch meistens größer als 5 Minuten.
a) Summation: die anfängliche Erniedrigung der Schwelle bewirkt,
daß dieht unter der Schwelle liegende Reize, die in genügend
schnellem Rhythmus wiederholt werden, sich derart addieren
können, daß die Reaktion ausgelöst wird; zwischen den einzelnen
Reizen können bis zu 5 Sekunden liegen.
Innerhalb der Relaxationszeit aufeinander folgende Reize von der
Stärke des wirksamen beeinflußen den Verlauf der von ihm
ausgelösten Reaktion in keiner Weise.
Ist in diesem Falle die Reaktionsfähigkeit erhalten geblieben oder
wiederhergestellt, dann ist auch die Pflanze nicht „unempfindlich“,
denn eine Verstärkung des Reizes, (soweit sie ohne Schädigung der
Pflanze bewerkstelligt werden kann) löst eine neue Reaktion aus.
b
De
2
—
3. Submaximale Auslösungen sind in narcosi, an jungen Blättern und
dann zu erhalten, wenn wiederholte starke Reize vorangegangen
sind. Der zweite, die Reaktion vergrößernde, Reiz muß erheblich
stärker als der erste sein; die neue Reaktion findet in einer Weise
statt, daß man eine kontinuierliche Reihe von der normalen Reaktion
bis zur „Lähmung“ aufstellen kann.
4. Narkose erhöht die Schwelle, scheint sie aber anfangs vorübergehend
zu erniedrigen.
I. Ob der bei Amicia und Oxalis infolge dauernder Reizung eintretende
„Tetanus‘‘ schließlich doch zurückgeht, ist zwar nicht unwahrscheinlich,
Ill.
IV.
355
läßt sich aber mit Sicherheit nicht behaupten; eine unzweidentige Ent-
scheidung können nur Versuche geben, bei denen die Reizstärke wirklich
unverändert bleibt, Beleuchtung (und wohl auch Temperatur) konstant
und Periode (und autonome Bewegungen) ausgeschaltet sind.
Bei den Cynareenfilamenten und Mimulusnarben wurden zwei Arten
submaximaler Auslösungen beobachtet:
1. lokal beschränkte, in denen sich nur die nächste Umgebung der
gereizten Stelle des Filaments (bezw. der Narbe) verkürzte,
2. lokal nicht beschränkte, welche aber von geringerer Ausgiebigkeit
sind als sonst.
Bei den ÖCynareenfilamenten dienen die Trichome nicht als „Perzep-
tionsorgane‘‘, sondern höchstens als „‚Stimulatoren‘‘ (im Sinne Haber-
landts).
B. Aus der Diskussion sei noch hervorgehoben:
Transitorische Reize sind solche, in denen die Reizschwelle durch die
Geschwindigkeit der Änderung irgend einer Außenbedingung bestimmt
wird, stationäre solche, wo die Dauer und Intensität irgend eines äußeren
Einflusses die Reizschwelle bestimmt. Bei beiden scheint die „Perzeptions-
zeit‘‘ außerordentlich, vielleicht unendlich klein zu sein, der Begriff der
„Präsentationszeit“ kommt nur bei den stationären, nicht aber bei den
transitorischen Reizen in Betracht.
Beiträge zur Biologie der Pflanzen, Bd. IX, Heft III 23
Verzeichnis der Literatur,
die im Text zitiert wurde).
ann
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Unterkühlung und Kältetod der Pflanzen.
Von Hans Voigtländer.
D:. Untersuchungen über das Gefrieren der Pflanzen und die Aufdeckung
der dabei in Betracht kommenden Gesetze haben in neuerer Zeit wesentliche
Fortschritte gemacht. Nachdem durch Arbeiten von H. Müller- Thurgau),
sowie durch die Monographie von Molisch?) die Frage nach dem Erfriertod
der Pflanzen ventiliert und die Ursache für diesen wesentlich auf physikalische
Grundlage gestellt war, insofern als eine Gleichsetzung von Gefriertod und
Austrocknungstod behauptet wurde, ist diese Anschauung vor allem durch
Mez°) und die auf seine Anregung gemachten Arbeiten von Apelt?) und
Rein’) erschüttert worden. Es wurde gezeigt, daß die Grundlagen, auf
denen die physikalisch-mechanische Erfrierkypothese begründet war, nicht
genügen. Insbesondere hat Mez®) darauf hingewiesen, daß die Menge des
sich bildenden Eises in einer gefrierenden Pflanze keineswegs parallel mit
dem Temperaturabfall geht. Es gibt viele Pflanzen, welche tief unter der
Erstarrungstemperatur der eutektischen Lösung ihres im Zellsaft gelösten
Salzgemisches erfrieren.
Durch Apelt’) wurde nachgewiesen, daß bei der Kartoffel, dem Typ-
objekt, welches zur physikalisch-mechanischen Gefrierhypothese geführt hatte,
ein zwar kleines, aber mit feinen Instrumenten stets mit Sicherheit meßbares
Intervall zwischen Gefrierpunkt und Erfrierpunkt liegt, sodaß also die von
den vorhergehenden Autoren behauptete Übereinstimmung dieser beiden
Punkte in Wirklichkeit nicht vorhanden ist.
1) H. Müller- Thurgau in Landwirtschaftl. Jahrbüchern IX (1880), XV (1886).
2) H. Molisch, Untersuchungen über das Erfrieren der Pflanzen (Jena 1897).
3) C. Mez, Flora oder Allgemeine bot. Zeitung, 94. Bd. (1905), Heft 1.
4) A. Apelt, Neue Untersuchungen über den Kältetod der Kartoffel (in Cohns
Beiträgen 1907).
5) R. Rein, Untersuchungen über den Kältetod der Pflanzen, in Zeitschrift für
Naturwissensch., Bd. 80 (1903).
s)rMiez;"k ep. 92.
NnApelt,Ierp. iz
360
Daß auch andere physikalische Bedingungen die Lage des Erfrier-
punktes nicht bestimmen, hat Apelt!) insofern nachgewiesen, als nach
seinen Untersuchungen der osmotische Druck in den Zellen keinerlei er-
kennbaren Einfluß auf die Lage des Erfrierpunktes besitzt.
Durch Rein? wurden die Untersuchungen über das Verhältnis von
osmotischem Druck und Erfrierpunkt in ausgedehnterem Maße fortgesetzt
und bei einer größeren Anzahl von Pflanzen geprüft. Der von Apelt ge-
fundene Satz fand seine Bestätigung.
Ferner fügt die Arbeit Reins?) unserer Erkenntnis den Satz hinzu,
daß auch die Zellengröße, d. h. die kapillare Spannung, welche in dem
Zellsaft herrscht, keinen erkennbaren Einfluß auf die Lage der Erfrierpunkte
besitzt.
Dagegen wurde durch die Arbeit von Mez*) sowie durch die beiden
zitierten Arbeiten scharf darauf hingewiesen, daß es sich beim Kältetod
ebenso wie beim Hitzetod des Protoplasmas einzig und allein um spezifische
Eigenschaften der Protoplasten der einzelnen Spezies handelt.
Diese Anschauung fand eine bedeutsame Bekräftigung durch den von
Apelt°) geführten Nachweis, daß der Erfrierpunkt durch die vor dem
Experiment auf die Pflanzen einwirkenden Wärmeverhältnisse variiert werden
kann, sowie durch die Entdeckung Reins‘), daß diese Variationsfähigkeit
allein den Pflanzen kälterer Klimate, nicht aber denen der Tropen zukommt.
Abgesehen von diesen kurz skizzierten Resultaten, ist für die Lehre vom
Erfrieren der Pflanzen der von Rein’) experimentell festgestellte Satz von
Wichtigkeit, daß keine Tropenpflanze, auch keine der allerempfindlichsten
Arten, über —2° erfriert.
Um diesen Satz richtig zu verstehen und um ihn insbesondere mit den
von früheren Autoren, vor allem von Molisch°) gewonnenen experimentellen
Resultaten, daß Kältetod tatsächlich bei manchen Pflanzen schon über dem
Nullpunkt eintritt, in Einklang zu bringen, war es notwendig, die bereits
von Mez°) und Apelt!®, gegebene Definition des Erfriertodes wieder auf-
zunehmen und scharf zwischen dem eigentlichen Erfriertod und einem den
Beschluß einer infolge der Kälte eintretenden längeren oder kürzeren Krankheit
bildenden Tode zu unterscheiden.
Abgesehen von den hier zitierten Arbeiten ist in der Zwischenzeit noch
eine weitere vonGorke!!) erschienen, welche sich insofern auf die physikalisch-
mechanische Erfriertheorie stützt, als sie den Erfriertod zwar nicht in einem
Ausfrieren des Wassers aus dem Protoplasma, wohl aber in einem Aus-
salzen der für das Leben notwendigen Eiweißstoffe sieht, also zwar die
2 Apelt,.).’c 20% 2) Rein, l.c.p. 9 fl. 8) AR ein, 1. cp 1e
4) Mez, 1. c. p. 96. SEA Ppelt, 1. c. p. 12 6 Rein ,ilrer prs2dt
2); Rein,.l. e.,p.,25: 8) Molisch, |. c. p. 49—65.
9) Mez, |. c. p. 120, Anmerkung. 0) ApeltsAlyep. B.
11) H, Gorke, Über chemische Vorgänge beim Erfrieren der Pflanzen, in Land-
wirtschaftlichen Versuchsstationen LXV, p. 149.
361
nicht mehr haltbare Theorie, daß der Erfriertod durch Ausfrieren des
Wassers zustande komme, verläßt, an ihre Stelle aber eine außerordentlich
ähnliche setzt, die sich auf die schwerst faßbaren und chemisch noch wenig
bekannten Körper in der Pflanze, die Eiweißstoffe, bezieht.
Die Gesamtheit dieser Arbeiten hat gezeigt, daß bezüglich der theo-
retischen Grundlagen unsere Kenntnisse über das Erfrieren der Pflanzen
noch in einer Anzahl von Punkten nicht genügend geklärt sind, und die
Untersuchung mehrerer hierhergehöriger Fragestellungen wurde mir von
Herrn Prof. Mez übertragen.
Die wichtigste Frage, welche ich zu behandeln hatte, war die, welchen
Einfluß die Unterkühlung auf den Kältetod der Pflanzen ausübt. Ferner
war es meine Aufgabe, einen Überblick über das Unterkühlungsphänomen
in der Pflanze und den Grund seines Auftretens respektive Nichtauftretens
zu erhalten. Bereits von früheren Autoren, insbesondere von Molisch!),
sewonnene Resultate ließen es ferner wünschenswert erscheinen, darüber
Klarheit zu bekommen. inwiefern die Gefrierpunkte und Erfrierpunkte ver-
schiedener Gewebe innerhalb eines und desselben Pflanzenkörpers differieren.
Endlich wurde die Frage, ob bei dem Gefrieren und Erfrieren der Pflanzen
tatsächlich ein Aussalzen von Eiweißstoffen oder auch Fermenten irgendwie
in Betracht kommt, einer experimentellen Prüfung unterworfen.
Die Bedeutung der Unterkühlung für den Kältetod der Pflanzen.
A. Das Unterkühlungsphänomen bei den Pflanzen.
a) Allgemeine Ausführungen über die Bedingungen für das Eintreten
der Unterkühlung.
Über die Unterkühlung in Geweben der höheren Pflanzen wissen wir
im allgemeinen nur?), daß sie bei Abkühlungsexperimenten außerordentlich
häufig eintritt, und daß die Erforschung dieser Verhältnisse auf besondere
Schwierigkeiten stößt, weil man im großen ganzen das Vermeiden oder Ein-
treten des Unterkühlungsphänomens nicht genügend in der Hand hat.
Um sich über die Unterkühlung von Pflanzenteilen Klarheit zu ver-
schaffen, genügt es niemals, wenige. Experimente zu machen, sondern nur
eine sehr große Anzahl gibt die Möglichkeit, die Störungen, welche das
Eintreten und die Tiefe der Unterkühlung beeinflussen, einigermaßen zu
beseitigen.
Insbesondere ist es nicht möglich, wie Bachmetjew°) tut, auf regel-
mäßiges Ansteigen und Abfallen des Unterkühlungsgrades (vgl. p. 364) zu
1) Molisch, |. ec. p. 30—33.
2) Müller- Thurgau in Landwirtschaftl. Jahrbüchern IX, p. 145, XV, p. 486;
Molisch, l.se. p..18;’Mez, 1. e..p.: 98.
8) Bachmetjew, Experimentelle entomologische Studien I, p. 39 ff. (Leipzig
1901) und Zeitschrift für wissenschaftliche Zoologie, Bd. 67, p. 59 ff. (1900).
362
schließen, wenn man nur einige wenige Versuche angestellt hat. Die An-
gaben, die ich im folgenden mache, beziehen sich für jedes Objekt auf
Serien von mindestens 50 Versuchen. Durch die große Zahl dieser Ver-
suche hoffe ich über die Unsicherheit, welche auf dem Gebiete des Unter-
kühlungsphänomens der Pflanzen herrscht, hinweggekommen zu sein.
Für die Flüssigkeiten gilt der Satz, daß sie nicht tiefer unterkühlt
werden können, als daß der bleibende Wärmerest noch genügt, um beim
Gefrieren durch Produktion von Wärme die spezifische Gefriertemperatur
wiederherzustellen). Die Bemerkung Bachmetjews?), daß die Unter-
kühlung des Wassers, wie die Berechnung zeige, nur dann einen Anstieg
beim Kristallisieren bis 0° erreicht, solange die Unterkühlung —80° nicht
unterschreitet, — sei dies der Fall, so könne der Anstieg nur bis zu
Temperaturen unter 0° gehen — ist in dieser Form nicht richtig.
Mit der Frage nach den in Organismen häufig sich zeigenden, nach tiefen
Unterkühlungen eintretenden Temperaturdefekten hat sich Mez eingehend
beschäftigt und den Satz aufgestellt, daß die Menge der „thermisch passiven“
Substanzen im Körper der Organismen (Zellwände und andere feste Körper)
für die Höhe des nach Unterkühlung eintretenden Temperatur-Anstiegs be-
stimmend ist. Von der bei Kristallisation der Flüssigkeiten (thermisch
aktiver Substanzen) freiwerdenden Wärme wird je nach dem Abkühlungsgrad
und der Menge der thermisch passiven Substanzen ein Teil zu deren Er-
wärmung verwendet; die Flüssigkeit wird also bei der Eisbildung nicht die
spezifische Temperatur erreichen. Daß Bachmetjew diese Überlegung
außer acht gelassen hat, erklärt seine unrichtigen Angaben.
Bezüglich der Lösungen eines und desselben Salzes von verschiedener
Konzentration ist, was den Übersättigungspunkt°®) anlangt (und diese Unter-
suchungen kann man ohne weiteres auf die Unterkühlung übertragen‘), da
Übersättigung in keiner Weise einen Ausnahmezustand der Lösung bedingt))
durch Jaff & festgestellt worden, daß die Konzentration auf den Kristallisations-
punkt — falls man die maximale Lebensdauer der übersättigten Lösung
berücksichtigt — und damit auf den Unterkühlungspunkt keinen erkennbaren
Einfluß besitzt. Doch bezieht sich dieser Satz nur auf durchaus homogene
Flüssigkeiten, während jede Unterbrechung der Kontinuität durch Staub-
teilchen ete. in einer Lösung um so leichter die Erstarrung herbeiführt, je
gesättigter sie ist). Bei einer stark übersättigten Lösung genügen Staub-
teilchen von einer Kleinheit zur Einleitung des Kristallisationsvorganges,
welche bei einer schwächer übersättigten Lösung die Erstarrung nicht ein-
zuleiten vermögen ’).
2), Mez,]. ec. p. 116. 2) Bachmetjew, Entomolog. Studien I, p. SO.
3) G. Jaffe, Studien an übersättigten Lösungen, in Zeitschrift für Physikalische
Chemie, Bd. 43 (1903), p- 575.
#4) W. Ostwald, Lehrbuch der allgemeinen Chemie, Bd. I, p. 1037.
5) W. Ostwald, Allg. Chemie I, 1038. 6) G. Jaftfe, 1. ce. p.:994.
9) G..Jaffe, 1. c. p. 578.
363
Demnach ist die Ansicht Müller-Thurgaus'), wonach alle den Gefrier-
punkt herabsetzenden Einflüsse, speziell auch die wachsende Konzentration
der Lösungen, gleichfalls den Unterkühlungspunkt erniedrigen sollen, nicht
zutreffend.
Sehen wir von der theoretischen Stellung des Problems ab und be-
trachten die Verhältnisse, wie sie in der Pflanze resp. im Zellsaft derselben
vorliegen, so heißt das: Die Unterkühlung wird experimentell um so weniger
tief getrieben werden können, je konzentrierter der Zellsaft ist, denn je ge-
sättigter eine Lösung ist, um so geringere Störungen genügen, um die
Kristallisation herbeizuführen ?).
Wie diese Verhältnisse in der Pflanze liegen, davon wissen wir, ab-
gesehen von einigen Angaben, die sich bei Mez°) finden, noch so gut wie
nichts. In seinen Untersuchungen, welche das Unterkühlungsphänomen nur
streiften, hat Mez festgestellt, daß die Unterkühlung der Säfte und Pflanzen
gehindert resp. gemindert werde durch Luftgehalt der Zellsäfte, sowie durch
einen Gehalt an schleimigen und gummiartigen Substanzen.
Diese Andeutungen nachzuprüfen und die gewonnenen Resultate zu er-
weitern, war von allgemeinerem Interesse.
b) Einfluß von Abkühlungsgeschwindigkeit und Erschütterungen
auf die Unterkühlung in Pflanzen.
Will man das Unterkühlungsphänomen studieren, so wird man sich vor
allem erst mit der Wirkung äußerer Einflüsse bekannt zu machen suchen,
um durch sie entstehende Fehler möglichst vermeiden zu können.
Von vielen wird als hauptsächlichstes Moment die Abkühlungs-
geschwindigkeit in Betracht gezogen. Nach vielen Angaben von physi-
kalischer Seite®) ist langsame Abkühlung der Unterkühlung förderlich. Doch
ist dieser Einfluß einer durch ungleichmäßige Abkühlung — das Gefäß mit
der zu unterkühlenden Flüssigkeit tauchte direkt in die Kältemischung —
bedingten Veränderung lokaler Temperatur-, Druck- und Konzentrations-
verhältnisse zuzuschreiben, die einen Einfluß haben auf die Verschiebung
der Grenze metastabil-labil®). Fichtbauer®), der mit reinen Stoffen und
verdünnten Lösungen arbeitete, vermochte einen Einfluß der Abkühlungs.
geschwindigkeit nicht zu konstatieren.
Von Forschern, die das Unterkühlungsphänomen an Organismen studiert
haben, spricht sich Müller-Thurgau ’) dahin aus, daß die Unterkühlung
ı) H. Müller-Thurgau in Landwirtsch. Jahrbüchern IX, p. 185.
2) G. Jaffe, l. c.'p. 594. 3) Mez, l. c. p. 104.
4) S,u. a. Schaum u. Schönbeck, Drudes Annalen S, p. 654; Rüdorff,
Poggendorfs Annalen 115, p. 59.
5) W. Ostwald, Allgemeine Chemie II, p. 775.
6) Füchtbauer, Freiwillige Erstarrung unterkühlter Flüssigkeiten, in Zeitschrift
für Physikalische Chemie, Bd. 48 (1904), p. 558.
7, H. Müller-Thurgau in Landwirtsch. Jahrbüchern IX (1880), p. 159.
364
proportional der Abkühlungsgeschwindigkeit steigt. Daß ich mich dieser
Ansicht nicht anschließen kann, zeigen meine unten abgedruckten Tabellen;
bei Müller- Thurgau ist über diesen Punkt, abgesehen von der aus-
gesprochenen Meinung, nichts positives, insbesondere nichts beweisendes zu
finden. Beobachtungen führt er nicht an.
Am eingehendsten hat sich Bachmetjew!) mit der Feststellung der
Beziehungen zwischen Unterkühlung und Abkühlungsgeschwindigkeit be-
schäftigt. Bachmetjew vergleicht den Unterkühlungsgrad — d. h. die
Differenz zwischen dem Unterkühlungspunkt und dem normalen Erstarrungs-
punkt, bis zu dem die ‚Temperatur bei der Eisbildung steigt — mit der
Abkühlungsgeschwindigkeit.. Nun kann aber von konstanter Abkühlungs-
geschwindigkeit bei einem Unterkühlungsversuche, wie auch Bachmetjew?)
schon betont, keine Rede sein; denn bei beginnender Unterkühlung geschieht
der Teemperaturabfall des Versuchsobjektes sehr rasch, verlangsamt sich
aber vor allem bei tiefen Unterkühlungen gegen Ende des Versuches sehr,
sodaß sich in der Nähe des Umkehrpunktes die Abkühlungsgeschwindigkeit,
d. h. die Anzahl Temperaturgrade, um die das Objekt während einer Minute
seinen Wärmezustand verringert,, dem Werte 0 nähert. Dies Verhalten ist
nicht nur theoretisch wenigstens teilweise verständlich, es tritt auch bei
jedem Unterkühlungsversuche unzweideutig hervor. Ein Beispiel mag es
erläutern. Bei einem Versuche mit Verbascum phlomoides brauchte das
Objekt, um sich von 0° bis —1,86° abzukühlen, 16 Sekunden, während
es gegen Ende desselben Versuchs das gleiche Temperaturintervall von
— 11,16° bis —13,02° in 83 Sekunden, also in einem über fünfmal so
großen Zeitraum, zurücklegte. Der Einfluß der verschiedenen Temperatur-
differenz zwischen Objekt und Kältemischung zu Anfang und gegen Ende
des Versuchs kommt für die Erklärung dieses Verhaltens zunächst in Betracht,
vermag die Erscheinung aber meines Ermessens doch nicht völlig klarzu-
stellen, da die benutzten Kältemischungen gewöhnlich eine "Temperatur von
— 30° bis — 40° C. aufwiesen, und außerdem auch bei geringeren Unter-
kühlungen, wo die Tiemperaturdifferenz zwischen Objekt und Kältemischung
bei den starken Kältegraden der Mischung nicht in Frage kommt, die Ab-
kühlungsgeschwindigkeit stark abnimmt, wie aus der umstehenden kleinen
Tabelle I -— sie gibt die Anzahl von Sekunden an, die das Objekt zur Zurück-
legung der unter sich gleichen Teemperaturintervalle braucht — hervorgeht.
Bachmetjew hat daher willkürlich als Abkühlungsgeschwindigkeit
definiert: Die Anzahl Temperaturgrade, um die das unterkühlte Objekt seine
Temperatur pro Minute erniedrigt, gerechnet von —4° C. an?).
Die Ergebnisse seiner Untersuchungen — Bachmetjew machte seine
Studien an Insekten — faßt er dahin zusammen,
1) Bachmetjew, Entomolog. Studien I, p. 90—112; ders., Zeitschrift für
wissensch. Zoologie 67, p. 529 ff.
2) Bachmetjew, Entomolog. Studien I, p. 90.
3) Bachmetjew, Entomolog. Studien I, p. 91.
Er
Tabelle 1.
Anzahl der Sekunden, welche dazu nötig waren, die Temperatur des Objekts in
dem darüberstehenden Temperaturintervall zu erniedrigen.
Temperaturintervalle
Objekt 0° —1,86° | —3,72° | —5,58° | —7,44°
bis bis bis | bis | bis
—1,86° | — 3,720 | —5,58° | —7,44° | —9,33°
Verbaseum phlomoides . 5 a TAT 17
e - ; ll"? 14% 15% 170%
Hedera Helix. . . . 7 10” 127 Tau
- = j h . 1 15“ 184 JS 230”
Yueca filamentosa . . 19% 14" 21. 24"
Helleborus hybridus. . 13% 13” |. 16° 184
e e r h 18’ IS | 24" 97"
Yueca filamentosa . . 8” I | 3. —
= z NR. 9X 10” 14’ ——
Papaver pinnatifidum . | 16” 20” 24” —
1. daß bei mittlerer Abkühlungsgeschwindigkeit der Unterkühlungsgrad
der Insektensäfte je nach der Natur derselben ein Minimum oder Maximum
aufweist,
2. daß die extremen Unterkühlungsgrade bei verschiedenen Insekten
verschieden sind, die Extreme aller Objekte jedoch bei fast ein und der-
selben Abkühlungsgeschwindigkeit liegen.
3. Später!) findet Bachmetjew, daß verschiedene Maxima und Minima
bei einem Objekt existieren, der Unterkühlungsgrad also eine periodische
Funktion der Abkühlungsgeschwindigkeit sei.
Bei meinen Untersuchungen bin ich in genau der gleichen Weise wie
Bachmetjew verfahren. Nur lag der Punkt, von dem an ich die Ab-
kühlungsgeschwindigkeit rechnete, nicht bei —4°, sondern bei —3,7°. Dies
lag in der Versuchsanordnung; da bei Aufstellung der Temperaturkurve die
Zeit von 20 zu 20 Skalenteilen von der Uhr abgelesen wurde, und der
Skalenteil —40 einer Temperatur von —3,7° C. entsprach, mußte diese
Änderung getroffen werden. Die Thermonadel wurde lackiert und vor jedem
Versuch mit einem Wattebäuschehen sehr sorgfältig gereinigt. Das Schutz-
glas wurde von drei zu drei Versuchen oder noch öfter mit absolutem Alkohol
ausgespült, um die an der Gefäßwandung befindlichen Eiskriställchen, die
eine vorzeitige Erstarrung verursachen konnten, zu entfernen. Das ange-
spießte Objekt mit Watte zu umhüllen zur Erreichung möglichst tiefer Unter-
kühlungen ?), kann ich nach den Erfahrungen, die ich besonders bei meinen
Versuchen mit interzellularenreichen und schleimigen Objekten machte, nicht
als ein die Unterkühlung förderndes Mittel ansprechen.
1) Bachmetjew, |. c. p. 110.
2) Kodis in Zentralblatt für Physiologie 12, p.593 (1898); Müller- Thurgau
in Landwirtsch. Jahrbücher IX (1880), p. 118.
366
Die oben angeführten Sätze Bachmetjews habe ich bei Pflanzen nach-
geprüft resp. zu bestätigen gesucht, jedoch in keiner Weise Beziehungen
ähnlicher Art feststellen können.
Der größte resp. kleinste Unterkühlungsgrad liegt bald bei hoher, bald
bei mittlerer, bald bei geringerer Abkühlungsgeschwindigkeit.
Tabelle II.
Maximum | Minimum
des Unter- || Abkühlungs-) ges Unter- |) Abkühlungs-
Objekt kühlungs- |geschwindig-) kühlungs- || geschwindig-
grades keit grades keit
Skalenteile | pro’ | Skalenteile pro’
Verbascum phlomoides. . — 77 9,9% —31 yo
Hedera Helix en. 7 — 56 en —15 6,
Yucca filamentosa . . . —41 || 6,0° —8 an
Rumex obtusifolius. . . — 77 || 5,4° — 26 38
Sedum spectabile . . . | — 104 5,20 | -— 40 6,0°
Sedum purpurascens . .| —112 | 5,0 — 66 6,58
Helleborus hybridus . . — 42 4,8° || —15 6,3
Papaver pinnatifidum . . — 76 | 4,600 "0 237 4,2°
Rhododendron canadense . —41 44° | —17 3.98
Daß hier weder Maxima noch Minima des Unterkühlungsgrades bei
auch nur annähernd gleicher Abkühlungsgeschwindigkeit liegen, geht wohl
klar hervor. Damit fallen zugleich die beiden anderen Gesetze Bachmetjews.
Aber auch bei gleicher Abkühlungsgeschwindigkeit differiert der Unterkühlungs-
grad meist sehr, wie die folgende Tabelle III (siehe Anhang) zeigt.
Bachmetjew hat dies bei einzelnen Objekten ebenfalls gefunden
— teils weist seine Tabelle überhaupt keine Regelmäßigkeit!) auf, teils ist
bei gleicher Abkühlungsgeschwindigkeit der Unterkühlungsgrad verschieden ?),
teils sind bei gleichem Unterkühlungsgrad sehr verschiedene Abkühlungs-
geschwindigkeiten vorhanden); er hat dies durch starke Individualität und
mehr oder weniger vorgeschrittenes Entwicklungsstadium zu erklären versucht.
Wer immer aber mit Unterkühlungsversuchen zu tun gehabt hat, wird mir zu-
stimmen, wenn ich es für höchst wahrscheinlich halte, daß diese Unstetigkeiten
durch äußere Zufälligkeiten bedingt sind, die bei reinen Salzlösungen nicht
immer mit Sicherheit, bei der Untersuchung von Organismen aber sehr schwer
fernzuhalten sind. Abgesehen von meinen bei Pflanzen gewonnenen durchaus
abweichenden Resultaten stütze ich meine Ansicht darauf, daß die Zahl der
von Bachmetjew jeweils mit einem Objekte unternommenen Versuche eine
viel zu geringe war, um überhaupt ein sicheres Resultat zu ermöglichen.
Er verfährt bei der Verwertung seiner Versuche ganz willkürlich, bisweilen
zieht er Schlüsse aus zwei Versuchen‘), ein andermal zieht er „aus Mangel
1) Bachmetjew, Entomolog. Studien I], p. 101 u. 94.
2) Ders. I, p. 104. 8) Ders. I, p. 105, 106. *)UDera:l; pP. 91,92:
367
an Beobachtungsmaterial“ bei drei Versuchen keine Schlüsse!), ja er reiht
die Beobachtungen (1 u. 3) von zwei verschiedenen Spezies aneinander,
trotzdem er schon der geschlechtlichen Differenzierung innerhalb ein und
derselben Spezies Einfluß auf den Unterkühlungsgrad zuschreibt?). Im
Gegensatz dazu habe ich, wie oben bereits betont wurde, nirgends Angaben
gemacht, die nicht auf eine große Anzahl von Versuchen (50 oder mehr bei
demselben Objekt) begründet waren.
Da nach meinen Beobachtungen eine Gesetzmäßigkeit zwischen den be-
sprochenen Größen nicht zu erkennen war, habe ich im weiteren Verlauf
meine Versuche ohne Rücksicht auf die Abkühlungsgeschwindigkeit an-
gestellt.
Einen weiteren viel umstrittenen Punkt bei dem Unterkühlungsphänomen
bildet der Einfluß mechanischer Wirkungen, oder, was für unsere Zwecke
bei Pflanzen nur in Betracht kommt, der Einfluß von Erschütterungen.
Schon Fahrenheit?), der Entdecker des Unterkühlungsphänomens,
fand, daß stark unterkühltes Wasser durch Erschütterungen zum Erstarren
gebracht wird, schwach unterkühltes dagegen nicht. Jaffe?*) findet bei über-
sättigten Lösungen, daß sich verschiedene Stoffe teils indifferent gegen Er-
schütterung verhalten, teils eine Einwirkung erkennen lassen. Mez°) konnte
bei Pflanzen konstatieren, daß, hauptsächlich innerhalb zweier von ihm näher
charakterisierter Labilitätszonen, ausgeübte Stöße den Kristallisationsvorgang
bei Unterkühlung einleiten. Die eine Zone liegt nahe dem Gefrierpunkte, die
andere nahe dem tiefsten Unterkühlungspunkte. Da ich bei meinen Versuchen
fand, daß durch Aufstoßen und Rütteln der benutzten Pflanzenteile die Er-
starrung nach der Unterkühlung eingeleitet wird, also die Angaben von Mez
bestätigt fand, wurde bei den unten zu besprechenden Versuchen, ob die Pflanze
in der Unterkühlung getötet wird, sehr vorsichtig verfahren. Nach möglichst
tief getriebener Unterkühlung wurde das Objekt mit der Thermonadel aus der
Kältemischung unter sorgfältiger Vermeidung von Erschütterungen gezogen
und mußte sich, ohne zu erstarren, auf Zimmertemperatur wieder erwärmen,
um dann auf seinen Lebenszustand untersucht zu werden. Die dauernde
Beobachtung der Galvanometerskala bei der Abkühlung wie bei der folgenden
Erwärmung läßt mit absoluter Sicherheit erkennen, ob Kristallisation der
Zellsäfte eintritt oder vermieden wird.
c) Diskussion der Fehlerquellen, welche in der Verwundung der
Objekte ihre Ursache haben.
Bei allen an pflanzlichen und tierischen Objekten ausführbaren Unter-
suchungen über das Unterkühlungsphänomen wird man, sofern wirklich die
Innentemperatur der betreffenden Objekte zur Beobachtung gelangen soll,
!) Bachmetjew, Entomolog. Studien I, p. 108, 107. 2\.Ders- LE p. Lie:
3) Gabriel Fahrenheit in Phil. Trans. 39, p. 73 (1724).
#) Jaffe, 1. c. p. 588. sMez, 1. c..p: 9%.
einen leider nicht unwesentlichen Versuchsfehler nicht vermeiden können.
Keine derartige Untersuchung kann ausgeführt werden, ohne daß eine Ver-
wundung des Objektes eintritt. Mit jeder Verwundung ist selbstverständlich
ein Ausfließen des Zellsaftes aus dem Innern der verletzten Zellen verbunden.
Jede Änderung der molekularen Struktur dieser ausgetretenen Zellsaftteile,
insbesondere jedes Gefrieren derselben, pflanzt sich aber, wie seit langem
bekannt ist), allseitig außerordentlich rasch durch Zellmembranen und Ge-
webe fort. Man kann durch kein Mittel partielles Gefrieren und partielle
Unterkühlung eines zusammenhängenden Organismus erzielen. Tritt irgend-
wo Kristallisation ein, so ergreift diese das Untersuchungsobjekt in seiner
ganzen Ausdehnung. Von dieser Eigenschaft der Pflanzenteile wurde z. B.
von Apelt?) in der Weise Vorteil gezogen, daß er durch Aufsetzen der
zu untersuchenden Objekte auf eine dünne Eisschicht die bei seiner Frage-
stellung auszuschließende Unterkühlung mit Sicherheit vermied.
So muß es sich bei meinen Untersuchungen um die Frage handeln, ob
ihre Resultate sich wesentlich auf den ausgetretenen Zellsaft, welcher die
Thermonadel umgibt, beziehen, oder ob sie wirkliche Verhältnisse der nor-
malen Zellgewebe darstellen.
Bezüglich der früheren Untersuchungen, welche insbesonders Müller-
Thurgau ?) mit Hilfe des Quecksilberthermometers, das in Pflanzenteile ein-
gepreßt wurde, angestellt hat, kann mit großer Sicherheit behauptet werden,
daß die gewonnenen Resultate sich wesentlich auf den ausgepreßten, das
Gefäß des Thermometers umgebenden Zellsaft bezogen. In diesem Falle war
die Masse der verletzten Gewebe eine so große und die mechanische Ein-
führung des Instrumentes zugleich eine so wenig schonende, daß ohne allen
Zweifel bedeutende ausgepreßte Zellsaftmengen das Gefäß des T'hermometers
umgaben, Mengen der Flüssigkeit, welche insbesondere ganz andere kapillare
Spannungsverhältnisse aufweisen müssen als die Zellsäfte in den kleinen
Zellräumen. Dazu kommt, was zuerst von Mez*) für Pflanzen nachgewiesen
und jetzt von mir bestätigt wurde, daß der Luftgehalt der Flüssigkeit be-
züglich der Tiefe der erreichbaren Unterkühlung der Objekte einen großen
Einfluß hat. Über diesen Punkt wird unten zu handeln sein. Es leuchtet ein,
daß bei der Einführung des Gefäßes eines Thermometers in lebende Gewebe
nicht allein Zellsaft ausgepreßt wird, sondern daß dieser auch in nicht genau
kontrollierbarer Weise mit Luft gemengt wird, daß dementsprechend eine
in mehreren sehr wichtigen Beziehungen verschiedene und von dem Safte
lebender Zellen streng zu unterscheidende Flüssigkeit bei Anwendung von
Quecksilberthermometern zu Unterkühlungsversuchen vorliegt.
Anders steht es bei Verwendung der Thermonadel zu derartigen Ver-
suchen. Je feiner und spitzer die Thermonadel ist, um so geringer sind
die Verwundungen, die bei ihrem Einbringen gesetzt werden. Bei den von
2rMez, 1. cHpSshile anelb, ld. cap. 5.
°) Müller-Thurgau IX, p. 156. 4) Mez, |. c. p. 104.
369
mir verwendeten außerordentlich spitzen und scharfen Instrumenten war
nicht anzunehmen, daß beim Einstechen Quetschungen und dadurch Austritt
größerer Zellsaftmengen aus der Zelle eintraten. Auch gibt die Kleinheit
der durch die Thermonadel gesetzten Wunde nur sehr geringe Gelegenheit
für Aufnahme von Luft durch den Zellsaft. Obgleich ich nicht verkenne,
daß auch bei meinen Versuchen in der Meßmethode liegende Fehlerquellen
vorhanden sind, halte ich dieselben für unbedeutend, unter allen Umständen
für verschwindend klein gegenüber den bei allen bisher angewandten Meß-
methoden entstehenden.
d) Einfluß des Luitgehaltes der Pflanzen auf das Unterkühlungs-
phänomen.
Daß Luftgehalt an sich der Unterkühlung von Flüssigkeiten hinderlich
ist, scheint Dufour!) gewußt zu haben, denn er empfiehlt zur sicheren Er-
langung von Unterkühlung bei Wasser Abkühlen luftfreien Wassers in luft-
verdünntem Raum. Füchtbauer?, verwendet zu seinen Unterkühlungs-
versuchen mit Wasser, wie er ausdrücklich angibt, ausgekochtes Wasser.
Der erste, der bei Pflanzen die Einwirkung der gelösten Luft erkannte und
auf die allgemeine Bedeutung dieses Umstandes für den Gefriervorgang der
pflanzlichen Objekte hinwies, war jedenfalls Mez°). Er konstatierte den
Einfluß des Luftgehaltes auf die Unterkühlung bei pflanzlichen Preßsäften
und gab auf Grund seiner Beobachtungen und einer darüber aufgestellten
Theorie eine weitere Erklärung für das erste Auftreten des Eises in den
Interzellularen und Tracheen der Pflanzen. Meine Versuche bestätigen die
Beobachtungen von Mez in bester Weise. Ich habe konstatieren können,
daß mit wachsendem Interzellularquerschnitt die Unterkühlung abnimmt, ja
vollständig unterbleibt.
Trägt man auf ein Achsenkreuz als Abszissen die Unterkühlungen in
Skalenteilen, als Ordinaten die dazugehörigen Interzellularquerschnitte, die
durch Aufzeichnen mit dem Abbeschen Zeichenapparat und nachheriges Aus-
messen und Berechnen gewonnen wurden, letztere in hundertfacher Über-
höhung auf, so erhält man eine für die tiefst erreichten Unterkühlungen bei
abnehmendem Interzellularenquerschnitt ansteigende Kurve.
Unregelmäßigkeiten treten erst dann auf, wenn die Unterschiede
zwischen den Interzellularquerschnitten gering werden, und andere Momente
den Einfluß des Luftgehaltes der die Interzellularen auskleidenden Wasser-
häutchen überwiegen. Meiner Meinung nach hat Mez*) recht, wenn er die
Behauptung Müller-Thurgaus), jede Pflanze müsse unterkühlt werden,
bevor sie gefriere, bestreitet.
") L. Dufour, Über das Gefrieren des Wassers und die Bildung des Hagels,
in Poggendorfs Annalen, Bd. 114, p. 530 (1861).
2) Eücchtbauer,l. c. p..558 3) Mez, |. c. p. 103, 104.
4), Mez, klei p. 101. 5) Müller-Thurgau, Landw. Jahrbücher IX, p. 145.
Tabelle IV.
| Inter-
Objekt Unterkühlung zellularen-
querschnitt
R Skalenteile Grad C, in qmm
Strelitzia augusta — (22) —0° || 2,4
Nymphaea alba . 33 —-2,72° | 1,68000
Veratrum Lobelianum . — 56 — 3,91° || 0,28000
Arum maculatum — 70 —4,89° | 0,21600
Sagittaria sagittifolia — 75 —5,24° || 0,12600
Sempervivum tectorum. — 106 —9,81° | 0,06300
Rhododendron canadensis . — 102 — 9,44° || 0,03068
Megasia eiliata *) — 176 —7,03° || 0,02090
Papaver pinnatifidum — 108 --10,00° | 0,010540
Rumex obtusifolius . — 117 — 10,80° || 0,006450
Helleborus hybridus — 138 — 12,79° || 0,006350
Yucea filamentosa *) — 89 —8,24° | 0,004140
Hedera Helix. h — 122 11,29° | 0,003020
Verbascum phlomoides. — 139 — 12,37° | 0,001790
Lactuca virosa — 120 — 11,11° | 0,000066
Rieinus communis — 122 — 11,29° || 0,000025
*) Fallen durch überaus luftreiches Gewebe infolge vieler kleiner Inter-
zellularen aus der Reihe.
Für die Tracheen vermochte ich einen experimentellen Nachweis, daß
ihre Größe die Unterkühlung mindere, nicht zu erbringen. Doch sprechen
für diese Annahme die anatomischen Beobachtungen, welche zuerst Müller-
Thurgau!) gemacht hat. Auch ist keinerlei Grund vorhanden, weswegen
mit Luft erfüllte Tracheen sich anders verhalten sollen als Luft führende
Interzellularen. Bei beiden Organgruppen grenzen Luftsäulen an mit Wasser
imbibierte Membranen; die Dicke dieser Membranen kann auf das allein in
Betracht kommende mit der Luft in Berührung stehende Flüssigkeitshäutchen
keinen Einfluß ausüben.
e) Einfluß der kapillaren Spannung des Zellsaftes auf die Unter-
kühlung.
Von weiteren für die Theorie der Unterkühlung in Pflanzen in Betracht
kommenden Eigenschaften der Zellgewebe seien zunächst die Oberflächen-
spannungen untersucht, denen wohl hauptsächlich die Unterkühlung in den
kapillaren Zellräumen der Pflanze zugeschrieben werden muß.
Der die Unterkühlung fördernde Einfluß der Kapillaren ist vielfach be-
obachtet und in verschiedenster Weise bestätigt. So von Mousson?), Bach-
1) Müller-Thurgau, Landw. Jahrbücher XV, p. 456, 481; vgl. auch Mez,
l. e. p. 103.
2) Mousson, Physik auf Grundlage der Erfahrung. 1. Aufl., II. Abteil., p. 73.
on
metjew!) (Tonkugeln), Müller-Thurgau?) (Fließpapier), Frankenheim?)
(kleine Massen); Jaffe*) und Füchtbauer°), welche das Unterkühlungs-
phänomen von übersättigten Lösungen resp. reinen Stoffen studiert haben,
verwendeten fast ausschließlich Kapillaren. Auch Müller- Thurgau, der das
Unterkühlungsphänomen an Pflanzen zuerst beobachtete, schreibt dem ana-
tomischen Aufbau des Gewebes vor allen anderen Ursachen das Auftreten
der Unterkühlung zu. Für ihn fördern alle Bedingungen, welche die Be-
weglichkeit der Wasserteilchen hindern und den Gefrierpunkt erniedrigen,
eine Unterkühlung®). Was den ersten Teil dieses Satzes betrifft, wird man
Müller-Thurgau beistimmen, der zweite aber ist, wie oben (p. 362) von mir
gezeigt wurde, unrichtig. Besonders betont ferner Molisch’) den Kapillaritäts-
einfluß bei der Unterkühlung und mißt ihr in biologischer Beziehung eine
große Bedeutung zu. Dies alles ließ den Gedanken gerechtfertigt erscheinen,
daß zwischen Zellgröße und Unterkühlung eine experimentell auffindbare Be-
ziehung bestände. Die von mir vorgenommene genaue Untersuchung dieser
Verhältnisse ergab aber ein von diesen theoretischen Erwägungen abweichendes
Resultat.
Tabelle V.
Objekt | Unterkühlung SE
| Skalenteile Grad 0. In) chmm
I |Rhododendron canadense .| — 102 — 9,44° | 0,0000691
2|Hedera Helix . . . .| —122 | —11,29° | 0,000153
3|| Yucca filamentosa . . . — 89 — 8,24° | 0,000217
4 |Ricinus communis . . .| —.122 — 11,29° || 0,000260
5|[Megasia eiliata . . . . — 76 — 7,03° || 0,000513
6|Rumex obtusifolius . . .| — 117 — 10,80° || 0,00127
7\\Helleborus hybridus . .| —138 — 12,79° || 0,00263
8 |Sempervivum tecetorum. .| — 106 — 9,81° || 0,00269
9 Papaver pinnatiidum . .' —108 — 10,00° || 0,00287
10 Verbaseum phlomoides. .! —139 — 12,87° || 0,00309
11||Laetuca virosa . . . .| —120 | —11,11° || 0,00447
Aus dieser Tabelle ist kein die Theorie bestätigender Schluß zu ziehen.
Rhododendron weist eine tiefste erreichbare Unterkühlung von — 102 Skalen-
teilen auf, Papaver pinnatifidum, dessen Zellen vierzigmal größer sind, eine
solche von —- 108 Skalenteilen. Einen maßgebenden Einfluß auf die Tiefe
der Unterkühlung hat die Zellgröße also nicht.
1) Bachmetjew in Zeitschrift für wissensch. Zoologie, Bd. 66, p. 534 (1899).
®2, H. Müller-Thurgau, Landw. Jahrbücher IX, p. 146.
°) W. Ostwald, l. c. p. 752. 4) Jaffe, l. ce. p. 567.
5) Füchtbauer, |. c. p. 558.
6) Müller- Thurgau in Landw. Jahrbüchern IX, p. 185.
9, Molisch, 1. e. p- 19.
Beiträge zur Biologie der Pflanzen, Bd. IX, Heft III >4
372
Merkwürdigerweise hält es Bachmetjew!) in den Ergebnissen seiner
Arbeit für sehr wahrscheinlich, daß sich bei Schmetterlingspuppen ein ein-
faches Verhältnis zwischen der Größe des Tieres und dem Unterkühlungs-
grad auffinden lasse, derart, daß, je größer die Puppe, um so geringer der
minimale Unterkühlungsgrad sei. Davon kann gar nicht die Rede sein.
Das würde doch, in die Botanik übersetzt, heißen, daß eine zweijährige Eiche
weniger tief unterkühlt werden kann als eine einjährige Eiche. So einfach
liegen die Verhältnisse denn doch nicht. Bachmetjews Resultate leiden,
wie bereits oben (p. 366) gezeigt wurde, an dem Fehler, daß sie auf eine
viel zu geringe Zahl von Beobachtungen begründet wurden.
Alle oben angeführten Autoren sehen den Einfluß kapillarer Räume
auf zu unterkühlende Flüssigkeiten in den durch Oberflächenspannungen
verursachten Zustandsänderungen der Stoffe, analog dem Einflusse dieser
auf die Gefrierpunktserniedrigung, also dem Druck. Da aber schon Müller-
Thurgau ?) unentschieden lassen mußte, ob der osmotische Druck in den
Zellen die Unterkühlung wirklich beeinflußt, war es von Interesse, die Frage
genauer zu untersuchen.
f) Wirkung des osmotischen Druckes auf die Unterkühlungsgröße.
Da die Konzentration einer Flüssigkeit an und für sich, wie oben schon
gesagt, einen Einfluß auf den Unterkühlungsgrad nicht auszuüben vermag,
kam hier der Druck, unter dem die Pflanzen infolge der osmotisch wirk-
samen Stoffe innerhalb des Plasmaschlauches stehen, in Frage.
Die Versuche wurden unter gleichen Vorsichtsmaßregeln ausgeführt,
wie die über die Wirkung der Abkühlungsgeschwindigkeit angestellten und
alle übrigen Unterkühlungsexperimente. Mit jedem Objekt wurden die Ver-
suche dreimal zu verschiedenen Zeiten jeweils mindestens fünfzigmal durch-
geführt, sodaß sich bezüglich der Unterkühlungstiefe ziemlich sichere Re-
sultate ergeben haben dürften. Dafür spricht auch bei den Objekten, die
bei anderer Gelegenheit schon einmal untersucht waren, die gute Überein-
stimmung der erreichten tiefsten Unterkühlungspunkte. Der osmotische
Druck wurde mittels KNO,-Lösungen bestimmt, deren Prozentgehalt sich
in Differenzen von 0,2°/ KNO, innerhalb des Konzentrationsgebietes von
1% — 5° KNO, abstufte.
Nach zahlreichen Versuchen mit einer sehr großen Anzahl von Objekten
— es wurden unter anderen eine ganze Reihe Crassulaceen untersucht, bei
denen der Turgor infolge der eigenartigen Atmungsverhältnisse besonders
sroßen Schwankungen?) unterliegt? — muß ein merkbarer Einfluß des
1) Bachmetjew in Zeitschrift für wissensch. Zoologie, Bd. 67, p. 550 (1900).
2) H. Müller-Thurgau in Landwirtsch. Jahrbüchern IX, p. 185.
3) G. Kraus, Stoffwechsel der Crassulaceen (Abhandlg. der Naturforschenden
Gesellschaft zu Halle, Bd. 16, 1886), p. 7, fand bei Bryophyllum den Unterschied
im Gehalt an freier Äpfelsäure am Tage und während der Nacht bis 6,2%, der
Trockensubstanz.
375
osmotischen Druckes auf die Unterkühlung bei Pflanzen verneint werden.
In der beigegebenen Tabelle ist von jedem Objekt nur die tiefste erreichte
Unterkühlung angegeben.
Tabelle VI.
| Turgor
Objekt Le a Unterk.- | ee
ühlung au Grad 1%, KNO,
1|| Aconium Humboldi . . .|| —13,29° | —2,33° || 10,96 1,0
2|Sedum oppositifoium . . .|| — 13,599 | —4,74° 8,85 1,6
3|Sedum purpurascens . . .| — 12,09% | —1,67° || 10,42 1,8
4Sedum spectabile . . . .|| — 12,18% | —2,51° 9,672 1,8
5Impatiens Sultani . . . .| —12,74% | —4,37° 8,37 2,0
6Sedum roseum . . . . „1 — 13,02% | —1,95° || 11,07 2,0
7\Saxifraga cordifoia . . .|, —10,88% || — 6,51 4,38 2,4
8|Cacalia repens . . . . .|| —12,56° | —5,67° 6,89 2,6
9/Sempervivum Zelebori. . .| —13,49° | —5,67° 7,82 2,8
10 Sempervivum soboliferum . .ı| —14,88° | —6,14° 8,74 3,0
11||Rumex obtusifolius. . . .|| —10,23° || —3,72° 6,51 3,0
12| Sempervivum ruthenieum . .|| — 14,79% | —4,28° | 10,51 3,4
13| Sempervivum Reginae Amaliae | — 13,29% | —4,93° 8,36 3,6
14 Sempervivum elegans . . .| —16,00° | —6,76° 9,24 3,8
15) Sempervivum fimbriatum . .| —16,18%° | —5,23° || 10,95 3,8
16| Yucea filamentosa . . . .| —7,91° || —3,72° 4,19 4,0
17 Verbaseum phlomoides . .|| —12,180% | —5,77° | 6,41 4,0
8 |Sasıfrasa elatiory | 202. 3,91% — — 4,2
19/Dipsacus fullonüum . . . .| — 13,020 | —5,67° 1.35 4,4
20 Helleborus hybridus . . .|| —12,56° | — 6,42° 6,14 4,6
g) Unterkühlungshemmende Wirkung von Pflanzenschleim.
Als letzte innere Ursache, welche bei der allgemeinen Besprechung der
Abhängigkeit der Unterkühlung in Pflanzen in Betracht kommen kann, ist
die Wirkung vorhandener schleim- und gummiartiger Stoffe, auf deren unter-
kühlungsmindernden Einfluß Mez!) aufmerksam gemacht hat, zu nennen.
Während bei den in den bisherigen Tabellen aufgeführten Pflanzen kein
wesentlicher Gehalt von Pflanzenschleim in den Geweben vorhanden ist,
wurden nun zur Prüfung der Wirkung des Schleims einige reichlich mit
Muein versehene Arten, besonders Malvaceen, herangezogen. Die Versuche
bestätigten im vollsten Maße die Beobachtungen von Mez.
So konnte bei Althaea officinalis trotz vieler Versuche nur einmal Unter-
kühlung bis —4,19° C. bei dem sehr geringen Unterkühlungsgrade (Differenz
zwischen Gefrier- und Unterkühlungspunkt) 1,19 erhalten werden, während
Althaea rosea bisweilen, aber sehr geringe Unterkühlung bis — 3,85° (Unter-
kühlungsgrad 0,91 C.) zeigte. Ein Einfluß von Interzellularen ist hier voll-
2)7Mez,.l ep. 104.
24*
Let Unter- Anstie Unterkühlungs-
Objekt Ne kühlung bis ; grad ö
Versuche| Grade C. Grade C. Skt. || Grade C.
|
re 1—19 | keine Unterkühlung |
Althaea offieinalis | 90 218 3,00 "17 1,19
1—13 | keine Unterkühlung |
14 =909 17 = 195 1 2
15 — 2,09 | —.2,02 1 0,07
16 —2,3l || — 2,17 2 0,13
Althaea rosea . . . 17 — 2,31 — 2,17 p) 0,14
18 — 9,79 | —-2,09° | 10200
19 — 3,00 — 1,95 15 1,05
20 — 3,49 | —2,09 || 20 | 1,40
21 — 3,85 || —2,94 13 0,91
1—11 | keine Unterkühlung
12 — 2,09 || —2,02 1 0,07
Malva silvestris . . - 13 — 2,72 — 2,37 5 0,35
14 —,85 — 3,28 9 0,57
15 — 5,03 — 3,70 19 1,33
1—9 keine Unterkühlung
10 — 2,17 — 1,95 3 0,22
11 3,00. | 90900115 00164
Symphytum offieinale . 12 — 3,35 — 2,79 8 | 0,56
13 — 3,54 — 2,85 24 0,69
14 —6,29 | —2,65 | 52 | 3,64
15 —6,36 — 2,51 55 || 3,85
ständig ausgeschlossen. Dieses Resultat, daß tatsächlich pflanzliche Muein-
stoffe die Unterkühlung hindern resp. mindern, steht in guter Übereinstimmung
mit der Behauptung Müller-Thurgaus!), daß alle diejenigen Bedingungen
die Unterkühlung mindern, welche die Beweglichkeit der Flüssigkeitsmolekeln
hemmen. Ebenso wird durch unser Ergebnis die Anschauung Fücht-
bauers?) gestützt, daß die von ihm als unterkühlungshemmend anerkannten
wirksamen Staubteilchen colloidaler Natur seien. Man wird die Viskosität
der im Pflanzenkörper vorhandenen Kolloide bezüglich des Unterkühlungs-
phänomens nicht außer acht lassen dürfen.
1) Müller-Thurgau in Landw. Jahrbüchern IX, p. 185 (1880).
2) Füchtbauer, 1. e. p. 554.
375
B. Die biologische Bedeutung des Unterkühlungsphänomens.
I. Untersuchungen über die Frage, ob der Kältetod in der
Unterkühlung eintritt?
Der Unterkühlung wird von Müller-Thurgau!) und Molisch?) für
den Schutz des Lebens bei eintretender Abkühlung der Pflanze eine be-
trächtliche Wichtigkeit zugeschrieben. Da beide Autoren vor allem in dem
durch die Eisbildung bedingten Wasserentzug die Todesursache sehen, war
es natürlich, daß sie das vielfach sich zeigende Unterkühlungsphänomen als
Schutzmittel für die Lebensvorgänge in der Pflanze in Anspruch nahmen
und daher allen Pflanzen insgemein zuschrieben, da ja dadurch die Eis-
bildung, und damit die den Tod bedingende Ursache, hinausgeschoben wird.
Im Gegensatz dazu ist Mez°) der Ansicht, daß nicht eintretende Unter-
kühlung den Pflanzen von Nutzen sei.
Eine Ausdehnung der experimentellen Untersuchungen auf diesem Gebiete
war wünschenswert. Insbesondere ließ auch das Studium des Unterkühlungs-
phänomens weitere Beiträge zur theoretischen Auffassung des Kältetodes
erwarten.
Die Frage, ob die Pflanze bei sehr tiefer Abkühlung in der Unter-
kühlung überhaupt stirbt, ist von früheren Autoren nicht berührt und noch
vollständig ungeklärt. Nur Mez*) hat beobachtet, daß sehr niedrige
Temperaturen selbst bei Tropenpflanzen (Mez arbeitete mit Peperomia incana)
manchmal nicht zum Tode führen.
Im Verlauf seiner Untersuchungen über das Erfrieren von Gewächsen
verschiedener Klimate war Rein?°) auf die Tatsache gestoßen, daß die ge-
samten Angaben früherer Autoren®) über Erfrieren von Gewächsen über 0°
sich nicht auf den eigentlichen Erfriertod bezogen, sondern daß der Tod
als Folge einer durch die Kälte verursachten Krankheit angesehen werden
müsse. Kein Gewächs erfriert über — 2°, selbst die empfindlichsten
Tropenpflanzen (z. B. Gesneraceen) nicht. Die Beobachtung Apelts’) da-
gegen, daß eine einmalige tiefe Abkühlung des Versuchsobjektes unter das
spezifische Minimum nicht durch eine länger anhaltende Temperatur wenig
über dem Gefrierpunkt ersetzt werden könne, bezieht sich nicht auf unter-
kühlte, sondern auf ohne Unterkühlung gefrorene Objekte.
!) Müller-Thurgau in Landw. Jahrbüchern IX, p. 145.
2, Melisch,.k cp 19:
SE Meza E..cz pe 109:
4) Mez, 1. ce. p. 97 erwähnt, vgl. p. 111.
SPpReim, l2c. 9.8.
6) Goeppert, Über Wärmeentwicklung in den Pflanzen, p. 43 (Breslau 1830);
Kunisch, Über die tötliche Einwirkung niederer Temperatur auf die Pflanze, p. 14
(Breslau, Inaug.-Diss., 1880); Molisch, |. c. p. 49 ff.; A. Bjerkander in Kgl.
schwedisch. akademisch. Abhandlungen f. d. Jahr 1778, Bd. 40, p. 55—58; Hardig,
Bot. Zeitung, 1354, p. 202.
?) Apelt, l. ec. p. 41.
376
Da ferner von Rein!) beobachtet ist, daß die eutektischen Punkte der
Zellsäfte aller untersuchten Pflanzen der bezeichneten empfindlichen Tropen-
konstitution sehr hoch, nämlich Bruchteile von Graden über dem Erfrier-
punkt liegen, so folgt daraus, daß bei diesen Tropenpflanzen der Eintritt
der Eisbildung für das Erfrieren nicht gleichgültig ist. Denn das Eintreten
der Eisbildung ist das einzige faßbare Moment, welches bei der Temperatur
wenig unter 0° zu den sonst gleichmäßigen Innenumständen dazu kommt
und hier einen Anknüpfungspunkt für eine Erklärung bietet.
Tatsächlich hat die Eisbildung einen höchst wesentlichen Einfluß. Um
ihn zu studieren, wurde das Unterkühlungsphänomen herangezogen. Es war
die Frage zu beantworten: welchen Einfluß hat die Unterkühlung auf die
Pflanze, wenn nachfolgende Eisbildung vermieden wird?
Die Untersuchungen wurden in der Weise angestellt, daß bei Beginn
der Experimente vorerst durch eine große Anzahl von Versuchen der Todes-
punkt der betreffenden Pflanze genau festgelegt wurde. War dieses ge-
schehen, so wurden Stücke von dem Objekte an der Nadel unterkühlt. Um
hierbei zu recht tiefen Temperaturen zu gelangen, wurde vor jedem Ver-
such genau in der oben angegebenen Weise die Nadel sorgfältig von
etwa vorhandenen Eisbildungen gereinigt, außerdem das Schutzglas, in
welchem Thermonadel und Objekt schwebten, mit absolutem Alkohol von
dem Eistau, der sich an der inneren Gefäßwandung niedergeschlagen hatte,
durch Ausspülen gereinigt, sodaß die sonst allzu häufige hemmende Wirkung
von Kristallkeimen selbst dann, wenn das Objekt einmal zufällig das Um-
hüllungsglas berührte (was zwar möglichst sorgfältig vermieden wurde, aber
beim Einschieben doch manchmal vorkam) auf ein sehr geringes Maß be-
schränkt wurde. Nach möglichst tief getriebener Unterkühlung wurde die
Thermonadel vorsichtig, um Erschütterungen zu vermeiden, mit dem Objekt
aus der Kältemischung gezogen und über der kalten Luft des Abkühlungs-
gemisches langsam wieder auf Zimmertemperatur gebracht, ohne daß Gefrieren
eintrat. Dann wurde mittels Plasmolyse konstatiert, ob das Objekt getötet
war oder lebte.
Es ist mir, und dies Resultat ist von großer Wichtigkeit, nie gelungen,
den Kältetod zu konstatieren. Wie die folgende Tabelle zeigt, wurde bei
sehr vielen Objekten die Unterkühlung tief unter den 'Todespunkt herab-
getrieben; bei keinem derselben trat der Tod ein, wenn Eisbildung ver-
mieden wurde (siehe umstehende Tabelle VIII).
Über Sehädigungen des Protoplasten, welche bei Unterkühlung bis zu
tiefen Temperaturen auftreten, wird unten gehandelt werden. Die unter-
kühlten Stücke — es wurden hierbei Unterkühlungen von — 13°C. erreicht —
plasmolysierten in gleicher Weise wie die Kontrollobjekte.
Um den Kältetod herbeizuführen, muß also neben der Temperatur-
erniedrigung auch die Eisbildung in den Geweben vorhanden sein. Mit
)Rein,. cp.225.
377
Tabelie VI.
Ünter- || , 6 | Zi Unter- || 9, C
|
Objekt \ Todespunkt || kühlung N kühlung rn Zustand
| Skalenteile | Skalenteile
| 10=13,5Skt.
— 50 3,70 ‚lebend —114 || 8,44|| lebend
ı — 73 |5,40 lebend |— 133,5) 9,88) lebend
et — 74 Skt.| —85 |/6,29| lebend | —139 10,30] lebend
une oder — 95,5 7,14|jlebend | —-142 |10,52|| lebend
—5,5°C.|— 110 |8,22||lebend)— 147 [110,88|| lebend
— 113 |/8,37||lebend | — 155,511,52|| lebend
— 169,5|12,55, lebend
; — 46 Skt. | —90 16,66|llebend Iı— 156 |11,55|| lebend
ne | oder |—115 |8,51\|lebend | —141 10,44] lebend
— 3,4° C. |— 123 |j9,11||lebend |— 151 |111,19)| lebend
Sk lebend en,
i — 56 Skt. | —94 16,96|| lebend | — 103,5 7,661) leben
Der ntia | oder — 95,5 7,14 lebend — 100 || 7,40|| lebend
u) —5,2°C.|| —94 |6,96||lebend | —106 || 7,85 lebend
10— 13,5 Skt.
Bieinıs — 72 Skt. | —60 14,44 ||lebend|— 111 | 8,22|| lebend
nis | oder — 94 [6,96||lebend|— 103 || 7,65|| lebend
—5,5° 0. |— 100 ||7,40||lebend I — 120 || 8,88|| lebend
10—=13,2Skt.
r —53 Skt. || —89 6,58/|lebend|| —130 | 9,63|| lebend
2eB en | oder — 105 |7,65||lebend|— 142 |10,52|| lebend
—4,0° C. |—12i 1|8,96||lebend I— 156 |11,55|| lebend
diesen Resultaten wird eine Frage von großer theoretischer Wichtigkeit an-
geschnitten. Die mit theoretischen Gründen und auf experimentelle Weise
reichlich widerlegte physikalische Erfrierhypothese, daß der Tod des Proto-
plasmas durch Wasserentzug eintritt, scheint eine neue gewichtige Be-
stätigung zu erhalten. Denn es wird durch diese Untersuchungen gezeigt,
daß nicht die inframinimale Temperatur für sich allein tötend wirkt.
Il. Untersuchungen über die thermischen Verhältnisse am Todespunkt
erfrierender Pflanzen.
Klarheit bezüglich der physikalischen, auf Austrocknung der Proto-
plasten basierten Erfriertheorie konnten nur Untersuchungen ergeben, die
noch viel feiner, als dies bisher geschehen war, die thermischen Verhältnisse
am Todespunkt verschiedener Pflanzen klarlegten.
Es handelt sich um folgende Erwägungen: Wenn durch den Gefrier-
vorgang irgend ein Teil des Protoplasten eine molekulare Veränderung
erleidet (Apelt!) hat bereits wahrscheinlich gemacht, daß der Kältetod auf
einem Zerfall des Protoplasmas beruhe), ist die Möglichkeit, ja die Wahr-
2) Apelt, 1. €, p.A7.
378
scheinlichkeit vorhanden, daß bei ganz feiner Messung irgend welche ther-
mischen Vorgänge bei diesem Zerfall zu beobachten sind.
Die zweite Möglichkeit der Lokalisation des Kältetodes an seiner
spezifischen Stelle ist, daß dort irgend welche besonderen Abschnitte im
Gefriervorgang liegen könnten, z. B. daß das eutektische Gemisch irgend
einer zusammengesetzten Salzlösung an der betreffenden Stelle gefriert. Auch
dieser Vorgang muß sich (und das noch viel deutlicher als ein etwaiger
Protoplasmazerfall) durch thermische Veränderungen am Todespunkt markieren.
Endlich tauchte die Hypothese auf!), daß der Kältetod durch Aussalzen
von löslichen Eiweißkörpern infolge der durch das Gefrieren des Wassers
entstehenden Konzentration der Salzlösung eintritt. Die Möglichkeit lag vor,
daß auch dieser Vorgang sich beim Todespunkt in der Temperaturkurve
bemerkbar mache.
Untersuchungen, welche in dieser Richtung angestellt werden, können
nun nicht mit Größen von 1/10° ©. rechnen. Dieser Maßstab wäre viel
zu grob. Daher konnte die bisherige Meßmethode, bei der 10,8 Skalen-
teile = 1° oder 1 Skalenteil = 0,0926° C. entsprachen, unmöglich aus-
reichend erscheinen.
Dureh Ausschaltung des inneren Widerstandes des von mir benutzten
Galvanometers sind 1/100° direkt meßbar, 1/1000 ° mit Sicherheit schätzbar.
Nur eine Messung mit so kleinen Größen konnte einige Aussicht auf Erfolg
bieten. Zur besseren Kontrolle wurde noch eine Versuchsanordnung benutzt,
bei der durch Einschalten eines äußeren Widerstandes in Nebenschluß
erreicht wurde, daß die Empfindlichkeit der feinsten Einstellung (1° 100 Skt.)
auf 1% = 50 Skalenteile herabgemindert wurde. So standen mir drei ver-
schiedene Einstellungen zur Verfügung:
I. 1 Skalenteil = 0,0926° C. (1° — 10,8 Skalenteile),
II. 1 Skalenteil — 0,0202° C. (1° = 50 Skalenteile),
II. 1 Skalenteil —= 0,0102° C. (1° = 100 Skalenteile).
Die Anstellung dieser Messungen war aber mit großen technischen
Schwierigkeiten verknüpft. Da man bei Messungen mit dem Galvanometer
an Ausschläge von einer bestimmten Amplitude gebunden ist, war es bei
Einstellung II und III nicht möglich, solange die Kühlstelle zur Vermeidung
der Peltierschen Wirkung bei 0° gehalten wurde, Temperaturen unter
— 4° resp. unter —2° zu messen. Objekte mit so hohem Erfrierpunkt
(besonders bei Einstellung III) in genügender Anzahl und Verschiedenartigkeit
zu finden, war nicht leicht und ihre ausschließliche Untersuchung nicht an-
gängig. Um also in der Wahl der Objekte nicht zu beschränkt zu sein
und dennoch die Messungen mit den feinen Methoden vornehmen zu können,
mußte eine Möglichkeit gefunden werden, nach Bestimmung des Todespunktes
durch die grobe Einstellung (I) und mit Kühlstelle bei 0,0°, die Kühlstelle
1) Gorke, Über chemische Vorgänge beim Erfrieren der Pflanzen. Landw.
Versuchsstationen, Bd. 65, p. 149 (1907).
ganz in der Nähe des Todespunktes konstant zu halten, um in einer
Amplitude von nur wenigen Graden die thermischen Vorgänge genau kon-
trollieren und die Temperaturkurve des Pflanzenteiles in diesem Wärme-
gebiet aufnehmen zu können.
Dieses Mittel fand sich in der bei Kältemischungen zutagetretenden
Erscheinung des kryohydratischen Punktes!). Gibt man nämlich zu einer
Kältemischung nach und nach mehr Salz, so gelangt man schließlich zu
einem Punkte, wo die flüssige Phase, d. h. die durch Schmelzen des Eises
entstandene konzentrierte Salzlösung, im Gleichgewicht ist mit den festen
Phasen Salz und Eis, also zu einer Temperatur, wo die flüssige Phase bei
Wärmeentzug sowohl Eis wie Salz ausscheiden und umgekehrt bei Wärme-
zufuhr die festen Phasen Salz und Eis auflösen würde. Derartige Um-
wandlungspunkte sind, wie wir vom Eise und vom Vorhandensein eines be-
stimmten Schmelzpunktes bei festen Körpern wissen, mit einer konstanten
Temperatur verknüpft. Es ist der Erstarrungspunkt der konzentrierten Salz-
lösung. Diese kryohydratische Temperatur hat für jedes Salz einen spe-
zifischen Wert?), und zwar haben leichtlösliche Salze und solche, die den
Gefrierpunkt stärker erniedrigen, im allgemeinen eine tiefere kryohydratische
Temperatur als schwerlösliche®). So ist man also in der Lage, die Kühl-
stelle in der Nähe jedes Todespunktes, wo er auch liegen möge, konstant
zu halten, sofern man nur ein Salz mit der betreffenden kryohydratischen
Temperatur in Anwendung bringt.
Bei der praktischen Ausführung mußte ich also dafür sorgen, daß in
der Kältemischung immer das betreffende Salz in festem Aggregatzustande
zugegen war; es durfte allerdings nicht in derartigen Mengen zugebracht
werden, daß seine Eigenwärme die Temperatur der Kältemischung beein-
flussen konnte.
Mit diesem Mittel und unter Benutzung starker Wärme-Isolation war es
mir möglich, die Temperaturen solcher Kältegemische bisweilen eine Stunde
lang auf zehntel Grade genau konstant zu halten.
Die Kühlstelle wurde in dieses Gemisch getaucht, und nach Erreichung
der konstanten Temperatur konnten die Versuche beginnen. Unmittelbar in
der Nähe der Kühlstelle tauchte in das Gefäß, welches die Kühlstelle mit
Petroleum umgab, ein Thermometer, von dem jederzeit und vor jedem
Versuch die Temperatur der Kühlstelle abgelesen und so kontrolliert werden
konnte, bei welchem Kältegrade der Nullpunkt des Galvanometers lag. Vor
und nach jedem Versuch wurde die Temperatur der Kühlstelle notiert und
bei Berechnung des Todespunktes verwendet. Da ein Versuch die Dauer
von 5’ nie überschritt, genügte diese Vorsichtsmaßregel, um gröbere Versuchs-
1) W. Nernst, Theoretische Chemie, p. 125; Winkelmann, Handbuch der
Physik, Bd. II, p. 628.
3)7W. Nernst, l..c>p. 198
3) W. Nernst, 1. ce. p. 128; Winkelmann, |. c. p. 630.
fehler fernzuhalten. Daß die Kältemischung jederzeit fleißig umgerührt
wurde, insbesondere vor jedem Versuch, sei besonders betont. Die Temperatur-
kurve des zu untersuchenden Pflanzenteils wurde durch Ablesungen der Zeit
bei Einstellung I von 10 zu 10 Skalenteilen, bei Einstellung II von 20 zu
20 Skalenteilen, bei Einstellung III von 40 zu 40 Skalenteilen festgestellt.
Zur näheren Erläuterung sei ein Versuchsbeispiel hier angeführt. War z. B.
der Todespunkt von Tradescantia virginica mit grober Methode (1 Skalen-
teil = 0,0926 C.) bei —5,5° C. festgestellt worden und es sollten die
thermischen Vorgänge in der Nähe des Todespunktes mit der empfindlicheren
Meßmethode II (1 Skalenteil — 0,0202° C.) weiter untersucht werden, so
wurde die Kühlstelle durch eine Kältemischung von Zinksulfat und Eis,
deren kryohydratischer Punkt bei —6,5° C. liegt!), auf dieser Temperatur,
dem Todespunkte der Pflanze sehr nahe, konstant gehalten. Dann wurde
das Objekt an die Thermonadel gespießt und der Gefriervorgang eingeleitet.
Dies geschah unter Vermeidung von Unterkühlung durch Auflegen eines
Eissplitterchens, welches, wie durch eine sehr große Anzahl von Vorversuchen
festgestellt war, regelmäßig jede Unterkühlung verhindert. War die Temperatur
des Objektes soweit gesunken, daß die Gefrierkurve mit dem Galvanometer
verfolgt werden konnte, so wurde die Temperatur der Kühlstelle schnell
abgelesen, sie lag bei — 6,4° C., der Nullpunkt ist also bei — 6,4° anzu-
setzen. Der Todespunkt der Pflanze ist bei —5,5° C. Die Differenz
zwischen beiden beträgt 6,4°—5,5° — 0,9°. Der Todespunkt mußte sich
also, falls thermische Vorgänge eintreten sollten, bei 0,9.50 = 45 Skalen-
teilen markieren, und zwar bei Skalenteil —45 der Galvanometerskala, da
der Nullpunkt tiefer liegt als der Todespunkt. Die aufgenommenen Temperatur-
kurven zeigten aber weder bei dem angegebenen, als Beispiel herangezogenen
Objekt, noch, wie meine folgenden Tabellen ausweisen, bei irgend einer
anderen untersuchten Pflanze bei dieser Temperatur in einem Spielraum von
2,6° eine Unregelmäßigkeit, also kann von einer Veränderung, die mit
thermischen Vorgängen verbunden ist, nicht die Rede sein. In gleicher
Weise sind die in der Tabelle aufgeführten Temperaturkurven gewonnen.
Aus den im Anhang abgedruckten Tabellen IX—XV ergibt sich, daß
bei Einstellung II und IlI nirgends in der Nähe des Todespunktes eine
Knickung der Temperaturkurve zu bemerken ist. Beim Todespunkt kann
also von den oben angeführten drei möglichen Veränderungen im Proto-
plasma, soweit solche mit thermischen Vorgängen verbunden sind, nicht die
Rede sein.
Es ist danach jedenfalls ausgeschlossen, daß der Tod mit dem Kristalli-
sationsvorgang irgend etwas direkt zu tun hat, ferner ist es höchst wahr-
scheinlich, daß der Gefriervorgang nichts mit dem Zerfall des Protoplasmas
zu tun hat, während die Aussalzung von Eiweißstoffen selbst bei so feinen
Messungen nicht ausgeschlossen ist, da es sich dabei um kleine Mengen
1) Landolt-Börnstein, Physikalisch-chemische Tabellen.
381
handeln kann und die Molekularstruktur dieser Körper völlig unklar ist.
Wir haben deshalb keinerlei Anhalt, auch nur Vermutungen anzustellen,
welche Größe die thermischen Vorgänge beim Aussalzen gelöster Eiweiß-
körper haben könnten.
Diese Untersuchungen der thermischen Vorgänge am Todespunkt selbst
würden aber dafür, daß am Todespunkt keinerlei mit Wärmeentwicklung
verbundene Prozesse stattfinden, noch nicht völlig beweisend sein, wenn bei
weiterem Verfolgen der 'T'emperaturkurve nach unten, in derselben irgend
welche Knickung anzeigte, daß noch Gefriervorgänge in den Zellen unter-
halb des Todespunktes stattfänden. Es war dementsprechend die Temperatur-
kurve noch weiter zu verfolgen bis zu einer Temperatur herunter, bei welcher
mit Sicherheit anzunehmen ist, daß keine Lösung der in der Pflanze zu
erwartenden Salze noch flüssig ist. DBeistehende Tabelle gibt die kryo-
hydratischen Punkte der Salze, welche hier in Betracht kommen können.
Tabelle XVI.
| Kryo- Anzahl gr in 2
Salz hydratischer DE Wasser löalich
: ei nebenstehender
Punkt bei Temperatur
Oxalsäure . . . | —0,5 5,2
Natriumkarbonat . —.2,1° 6,2
Kaliumnitrat . . —2,9° 12,2
Rohrzucker . . =o335 51,4
Kaliumchlorid. . || —11,1° 24,6
Natriumehlorid . || —22,4° 30,9
Natriumnitrat. . || —18,5° 58,5
Ammoniumnitrat . || — 17,35 70,0
Kaliumkarbonat . || — 36,5 ° 66,5
Die niedrige Temperatur wurde durch feste Kohlensäure nach der von
Rein!) angegebenen Methode erreicht und mit Benutzung des inneren Wider-
standes des Galvanometers (1/10° meßbar, 1/100° schätzbar) gemessen,
sodaß die Meßmethode ausreichend war, um eventuell auftretende Knieckungen
der abfallenden Temperaturkurve aufzufinden. Vorgesehen war, derartige
Knickungen dann in feiner Weise noch weiter zu untersuchen. Das Resultat
vieler sehr schwieriger Aufnahmen war, daß keinerlei Knickung der Abfalls-
kurve beobachtet werden konnte (vgl. Tabelle XVII im Anhang).
Daraus geht hervor, daß die Abfalllinien in ihrem Verlauf allein durch
den Temperaturabfall des Objektes und nicht durch damit in Konkurrenz
tretende Wärmequellen bedingt sind, mit anderen Worten, daß der Kristalli-
sationsvorgang der festwerdenden Säfte nicht nur beim 'Todespunkt, sondern
über dem Todespunkt bereits vollständig eingetreten ist.
1) Rein, 1. e. p. 7.
382
So wird man aus der von mir gemachten Beobachtung, daß in der
Unterkühlung kein Kältetod eintritt, sondern daß dieser an den für jede
Pflanze genau bestimmten Punkten nur bei Eisbildung beobachtet werden
kann, nicht schließen können, daß der Tod durch Flüssigkeitsentzug, d. h.
auf die von Müller- Thurgau und Molisch angegebene Weise eintritt.
Worauf er beruht, ist allerdings völlig ungeklärt, da das Verhalten in der
Unterkühlung zeigt, daß auch die inframinimale Temperatur an sich noch
nicht tödlich wirkt. Nur beide Faktoren, nämlich inframinimale Temperatur
und Eisbildung in den Geweben zusammen, bewirken den typischen Kältetod.
III. Die Aussalzung löslicher Eiweißstoffe durch den Gefriervorgang.
a) Aussalzung von Eiweißstoffen unbestimmter Natur.
In allerneuester Zeit hat nun Gorke!) die physikalische Erfrier-
hypothese zu modifizieren versucht. Gorke geht von der beim Studium
der Eiweißstoffe viel benutzten Methode, die Eiweißkörper durch Aussalzen
mittels Neutralsalzen zu gewinnen, aus. Er folgert richtig: wenn beim
Gefrieren ein Wasserentzug des Zellsaftes stattfindet, so müssen bei der
allmählich sich steigernden Konzentration der Zellsaftsalze die im Zellsaft
gelösten Eiweißkörper ausgesalzt werden. Dieses Ausfällen der Eiweiß-
verbindungen soll den Tod beim Gefrieren bedingen. Gegen diese Annahme
machen sich in zweierlei Hinsicht Bedenken geltend.
Vor allem scheinen die Untersuchungen, auf Grund deren Gorke zu
diesem Resultat gekommen ist, nicht einwandfrei zu sein.
Gorke arbeitete mit Preßsäften, die aus erfrorenen und nicht erfrorenen
Pflanzen gewonnen wurden, und konstatierte hierbei, daß Preßsaft von einer
erfrorenen Pflanze an aussalzbaren Eiweißstoffen ärmer ist als der Saft einer
nicht erfrorenen. Ein gleiches Resultat erlangte er, wenn er frische Pflanzen
auspreßte und nachträglich den Preßsaft gefrieren ließ. Hier trat in dem
gefrorenen Preßsaft ein Niederschlag auf, der vor allem eiweißhaltig war.
Auf den größeren oder geringeren Gehalt an aussalzbaren Eiweißkörpern
in den Preßsäften schloß er, nachdem er dieselben ausgesalzen und aufs
Filter gebracht hatte, indem er den Gesamtstickstoff des Niederschlages
nach der Methode von Kjeldahl bestimmte. Die Kjeldahlsche Be-
stimmung wird von Physiologen der Dumasschen Methode der Einfachheit
und leiehteren Handhabung wegen vorgezogen, vor allem, wenn es sich um
ein Gemisch von Eiweißkörpern handelt 2).
Zunächst aber besagt die Angabe Gorkes, daß nach der Kjeldahlschen
Methode gearbeitet ist, gar nichts. Es sind eine ganze Reihe Abänderungen
und Verbesserungen dieser Methode getroffen, so daß ohne Angabe, nach
1) Gorke, Über chemische Vorgänge beim Erfrieren der Pflanzen, in Landw.
Versuchsstationen, Bd. 65, p. 149 (1907).
?)Kutscher u. Steudel in Zeitschrift für physiolog. Chemie, Bd.39, p.12(1903).
383
welcher Modifikation der Kjeldahlschen Stickstoffbestimmung die Resultate
gewonnen sind, die dargestellten Ergebnisse unkontrollierbar sind. Da auch
bezüglich der Zuverlässigkeit der modifizierten Methoden Meinungsverschieden-
heiten bestehen !), ist es bedauerlich, daß Gorke nicht angibt, nach welcher
Modifikation er gearbeitet hat.
Nun machten Kutscher und Steudel?) darauf aufmerksam, daß sich
Stiekstoffverluste, wenn man nicht genau die optimalen Bedingungen einhält,
bis zu 7°/o ergeben, auch wenn die Konstitution des Eiweißkörpers — bei
ganzen Gruppen von Körpern, so den Nitro- und Cyanverbindungen, ist die
Kjeldahlsche Methode nicht anwendbar — einen Grund hierfür nicht er-
kennen läßt. Besonders bei der Oxydation mit Kupfersulfat und Kalium-
permanganat kommen große Stickstoffverluste vor, wie Kutschers und
Steudels Versuche zeigen und auch von Beger®), Fingerling’) und
Morgen?) zugegeben wird. Zwar wurde Kutscher und Steudel von
verschiedenen anderen Autoren *) entgegengehalten, daß bei vorsichtiger und
richtiger Anwendung der Kjeldahl-Methode, vor allem bei den Modifikationen
von Wilfahrt°’) und Gunning‘) sich ganz gute Resultate mit nur 0,4°/o
Stickstoffverlust höchstens, erreichen lassen, doch sind bei der ursprünglichen
Kjeldahl-Methode und nicht sehr vorsichtigen Arbeiten unrichtige Resultate
nicht zu vermeiden. Schon das von Gorke gewählte Vorgehen, einen Nieder-
schlag zu erzeugen und diesen auf seinen Stickstoffgehalt zu untersuchen,
wird von Kutscher und Steudel als nicht einwandfrei bezeichnet.
Eine bedeutende Fehlerquelle, welche Gorke nicht erwähnt, kann auch
die Dauer die Aufschließung sein. Nach Sörensen und Petersen’) sind
mindestens zwei bis drei Stunden Kochen notwendig, Kutscher und
Steudel kochten nur bis zu einer Stunde und erhielten Verluste von Stick-
stoff bis zu 7°/o, wie schon erwähnt.
Vor allem ist aber die Substanzmenge, die Gorke zu seinen Unter-
suchungen verwandte, bedeutend zu klein. Beger, Fingerling und
Morgen°) wandten zu ihren Untersuchungen Mengen von 0,5 g durch-
schnittlich an, betonen aber dabei ausdrücklich, daß dadurch die Genauigkeit
schon beeinträchtigt würde, da bei so kleinen Substanzmengen, die bei der
am Schluß der Methode stattfindenden Titration unvermeidlichen Fehler sich
!) Kutscher u. Steudel, Il. c. p. 17; Beger, Fingerling und Morgen
in Zeitschrift für physiolog. Chemie, Bd. 39, p. 332 (1903).
2) Kutscher u. Steudel,. ce. p> 12.
3) Beger, Fingerling und Morgen, Zeitschrift für physiolog. Chemie,
Bd. 39 (1903), p. 332.
4) Schöndorf, Pflügers Archiv, 98 (1903), p. 130—135; Beger, Fingerling
und Morgen, |. c. p. 329 ff.; Sörensen u. Petersen, Zeitschrift für physiolog.
Chemie, Bd. 39 (1903), p. 514 ff.
5) Wilfahrt, Chemisches Zentralblatt, 1885, p. 17.
6) Beger, Fingerling, Morgen, |. c. p. 334.
?) Sörensen u. Petersen, |. c. p. 518.
®) Beger, Fingerling ete., 1. c. p. 331.
384
bedeutender bemerkbar machen. Ich habe nach einer Angabe Gorkes
— er fand 9,6 mg Stickstoff — die von ihm nicht angegebene untersuchte
Substanzmenge zu berechnen versucht. Da er in dem aus Gerstenpflanzen-
Preßsaft ausgesalzenen Niederschlag nur Spuren von Kalium und Phosphor
konstatierte, habe ich Gersten-Leukosin !) mit 16,63°/ Stickstoffgehalt als
Grundsubstanz des Eiweißniederschlages angenommen. In diesem Falle hätte
Gorke eine Menge von 0,056 g Substanz auf Stickstoffgehalt untersucht,
während die obengenannten Autoren schon eine Substanzmenge von 0,3 g
für zu gering halten. Sörensen und Petersen?) verlangen für eine ge-
naue Stickstoffbestimmung nach Kjeldahl einen Gehalt der angewandten
Substanzmenge an Stickstoff in Höhe von 15—30 mg, während Gorke
Stickstoffmengen im Gesamtgewicht von höchstens 12 mg bis zu 4,6 mg
herab zu seinen Untersuchungen anwandte. Daß bei solch geringen Substanz-
mengen Differenzen von 4,4 mg Stickstoffgehalt als innerhalb der Versuchs-
fehlergrenze liegend betrachtet werden müssen, ist, wenn man die folgenden
Ausführungen berücksichtigt, leicht einzusehen.
Gorke benutzte keineswegs völlig klare Preßsäfte?). Er gibt aus-
drücklich an, daß eine völlige Klärung nur dann vorgenommen wurde, wenn sie
unbedingt nötig war, da Zersetzungen durch langes Stehen beim Filtrieren und
vor allem Ausfällen mancher Eiweißstoffe durch Wirkung der Tonfilterplatten
vermieden werden sollten. Wie große Differenzen schon durch verschieden
starke Klärung der Preßsäfte möglich sind, konnte ich bei Gelegenheit meiner
Bestimmungen des spezifischen Gewichtes von Pflanzenpreßsäften erkennen.
Bei meinen ersten Bestimmungen benutzte ich ebenfalls, um Zersetzungen
zu vermeiden, unfiltrierten Preßsaft. Es stellte sich bei Wiederholung der
Versuche mit filtriertem Preßsaft eine Differenz des spezifischen Gewichts
von 0,00089, d. h. bei 20 ccm Preßsaft ein Gewichtsunterschied von 0,0178 g
heraus, also mehr als der fünfte Teil der von Gorke zur Analyse ver-
wandten Gesamtmenge des Niederschlags, obgleich gröbere Teilchen durch
Hindurchpressen durch ein diekes und sehr dichtes Baumwollengewebe fern-
gehalten waren. Gegenüber den allein durch verschieden starke Klärung
der Preßsäfte auftretenden Differenzen (in meinem Falle mehr als 20°)
kommen die — noch dazu in die Fehlergrenzen der Analyse fallenden —
Differenzzahlen Gorkes garnicht in Betracht.
Vor allem fällt aber folgender bei der von Gorke geübten Gewinnungsart
der Preßsäfte begangener Fehler ins Gewicht. Er gibt an: „Da sich er-
frorene Pflanzen, wie bekannt, leichter auspressen lassen, wurde hier der
Druck nur soweit gesteigert, bis dieselbe Menge Saft wie bei den nicht er-
frorenen Pflanzen erhalten war. Einige Chlorophylikörner gingen in beiden
Fällen durchs Filter.“ So wird es sehr wahrscheinlich, daß sich in dem
nicht geklärten Preßsaft der gefrorenen Pflanze viel weniger Eiweißstoffe
1) Czapek, Biochemie der Pflanzen, II, p. 11 (Jena 1905).
2) Sörensen n. Petersen, |. e. p. 517. 3) Gorke, 1. e. ,‚p.’191.
385
(es kommt hierbei auf nicht gelöste an) finden, da die Zellen nicht derartig
zerquetscht wurden, wie bei den frischen nicht gefrorenen Pflanzen.
Diese Einwände lassen die von Gorke gewonnenen Resultate keines-
wegs als sicher erscheinen, vielmehr fallen die gefundenen Differenzen inner-
halb der Versuchsfehler seiner Methoden.
Abgesehen von dem durch Kritik der Methode gewonnenen, nicht zu-
stimmenden Urteile über die Untersuchungen Gorkes bin ich auch in der
Lage, dieselben mit positiven Gründen zu bekämpfen.
Gorke will als Todesursache das Aussalzen der löslichen Eiweißkörper
durch die beim Gefrieren sich konzentrierenden Zellsaftsalze verantwortlich
machen. Nun hat aber der Zellsaft eines jeden Pflanzenteils seinen spe-
zifischen eutektischen Punkt, bei dem die letzten flüssigen Anteile in der
Pflanze erstarren. Sind gelöste Eiweißstoffe im Zellsaft vorhanden, so fallen
sie entweder spätestens bei Erreichung dieses Punktes aus, oder sie gefrieren
für sich, unausgefällt. Unterhalb des eutektischen Punktes ist eine erstarrungs-
fähige Flüssigkeit, die ein Aussalzen bedingen könnte, nicht mehr vorhanden.
Bei meinen schon oben besprochenen Versuchen habe ich die 'Temperatur-
kurve bis —40° hinab verfolgt, ohne auch nur eine Andeutung zu finden,
daß nach dem eutektischen Punkt irgend ein Gefriervorgang noch stattfindet.
Daß aber der eutektische Punkt mit dem Todespunkt nichts zu tun haben
kann, hat schon Apelt!) sicher festgestellt und meine oben (p. 377 ff.) dar-
gestellten Untersuchungen zeigen dasselbe. Insbesondere geht dies klar aus
den von mir aufgenommenen Temperaturkurven über thermische Vorgänge
am Todespunkte hervor. Es ist stets ein deutliches Intervall zwischen
eutektischem Punkt und Todespunkt zu konstatieren, das bei Pflanzen kalter
Klimate außerordentlich groß sein kann, aber auch bei solchen warmer
Länder bisweilen eine Ausdehnung von 4°C. (Yucca filamentosa, Tab. XII)
hat. Es kann also das Aussalzen der Eiweißstoffe beim eutektischen Punkt
als Todesursache nicht in Betracht kommen; unterhalb desselben ist ein
solcher Vorgang aber unmöglich.
Die Angabe Gorkes — er arbeitete auch mit frischen Preßsäften, die
er gefrieren ließ — daß bei Roggenpflanzen- und Fichtennadelpreßsaft ein
Niederschlag erst bei — 15° resp. — 40° auftrete, kann nicht richtig sein,
und dies um so weniger, als der Niederschlag erst nach einigen Tagen
Kältewirkung auftreten solle. Es sind neuerdings von Apelt und Rein
eine große Menge genauester Gefrierpunktsbestimmungen in Pflanzenteilen
gemacht worden: Nirgends lag der Gefrierpunkt resp. der eutektische Punkt
des Salzgemisches der Zellsäfte tiefer als —5,5°. Die in der Tabelle XVII
(Anhang) wiedergegebenen Temperaturkurven von Preßsäften aus Agave
americana, einer Pflanze, deren Erfrierpunkt bei — 5,5, deren eutektischer
Punkt bei — 4,9 liegt, habe ich aufs genaueste aufgenommen. Unter — 4,9
ist ein flüssiger Bestandteil nicht möglich, also ebensowenig ein Ausfällen.
DPRBelbnlreıprT
386
Entweder die Eiweißstoffe werden ausgesalzen während des Gefrier-
vorganges, solange die Komponenten Salzlösung und Eiweiß flüssig sind,
oder sie werden überhaupt nicht ausgesalzen.
Es ist Gorke also nicht gelungen seine These, daß der Erfriertod
im Aussalzen seine Ursache habe, zu beweisen oder auch nur wahrscheinlich
zu machen.
Als ebenso unwahrscheinlich muß aber der Versuch, den er im zweiten
Teil seiner Abhandlung macht, den Tod megathermer Pflanzen, welche über
0° zugrunde gehen, durch Umlagerungen der Atome innerhalb der Eiweiß-
molekel zu erklären, angesehen werden. Gorke folgert aus der Tatsache,
daß die Reaktionsstärke der Phosphorsäure mit fallender Temperatur zu-
nimmt, daß die phosphorhaltigen Eiweißstoffe der Pflanze bei Temperatur-
erniedrigung eine Umlagerung erfahren, wodurch schließlich der Tod ver-
anlaßt werde. Bei seinen Versuchen — er neutralisierte die sauren Pflanzen-
preßsäfte bei verschiedenen Temperaturen mit Kalilauge — konnte er auch
eine Zunahme des Säurecharakters der in den Säften aufgelösten Stoffe
konstatieren. Ob dies aber durch die Umlagerung der phosphorhaltigen
Eiweißverbindungen verursacht wird, ist mehr als fraglich, da nicht erwiesen
ist, daß der Phosphor oder auch nur ein Teil desselben wirklich als Phosphor-
säure in der Eiweißmolekel vorhanden ist. Es ist in keiner Weise erwiesen
oder auch nur wahrscheinlich, daß die im Zellsaft gelösten Salze durch die
Temperaturerniedrigung sich umsetzen und eine Änderung der Aeidität hervor-
rufen, wie das Kunisch!) in seiner Arbeit vermutete. Die Aktivierung der
Phosphorsäure bei niedriger Temperatur ist selbstverständlich nur von der
Temperatur abhängig und dieser proportional. Sie müßte doch auch bei
Temperaturerniedrigungen in der Unterkühlung eintreten und eine zum Tode
führende Umlagerung veranlassen. Dies ist nicht der Fall, da sämtliche
von mir untersuchten Objekte auch nach den größten Unterkühlungen
(Escheveria Leopoldiana wurde bis 7,79° unter den Todespunkt (— 3,49),
Agave americana bis 7,05° unter dem Todespunkt (—5,5°) unterkühlt)
zweifellos lebten. Diese und beliebig viele andere Fälle bewiesen klar,
daß nicht die Kälte an sich und für sich, dementsprechend nicht eine der
Kälte proportional zunehmende Aktivierung von Phosphorsäure den Tod
herbeiführt. Es ist, wie schon oben gesagt, außer der Temperaturerniedrigung
die Änderung des Aggregatzustandes erforderlich, um die Pflanze den Kälte-
tod sterben zu lassen.
b) Ausfällen von Fermenten durch den Gefriervorgang.
Ich habe aber noch weiter die Gorkeschen Anschauungen zu prüfen
versucht, und zwar in der Weise, daß ich bestrebt war, nachzuweisen, ob
vielleicht aus der ungeheuren Menge der in Frage kommenden Eiweißkörper
) Kunisch, Über die tödliche Einwirkung niederer Temperaturen auf die
Pflanzen, Breslau, Inaug.-Diss. (1880), p. 49.
387
eine bestimmte, klar definierbare Gruppe, nämlich die Fermente, sich so ver-
halte, wie dies Gorke für Eiweißkörper angibt. Meinen Versuchen eine
Beweiskraft für oder gegen die Gorkesche These beizumessen, bin ich um
so mehr berechtigt, als man doch bei Aussalzung vital wichtiger, gelöster
Eiweißstoffe zunächst an Fermente denken muß.
Nach den oben angestellten Messungen in der Nähe des T'odespunktes
war das Ausfällen der Enzyme zwar unwahrscheinlich, doch konnte auf dem
Wege der thermischen Bestimmung ein sicheres Resultat nicht erlangt werden.
Bei meinen speziell diesen Punkt betreffenden Untersuchungen ging ich
von der Erwägung aus, daß sich bei zunehmender Erstarrung, da sich beim
Abkühlen eines mit Flüssigkeit gefüllten Gefäßes, welches rings von einer
Kältemischung umgeben ist, die feste Phase zuerst an der Gefäßwandung
in Form eines Eismantels abscheidet, der innere Teil eines gefrierenden
Pflanzenpreßsaftes nach und nach mit Fermenten anreichern müßte, wenn
beim Gefrieren überhaupt ein Ausscheiden von Fermenten stattfindet.
Allgemein bedient man sich jetzt bei Untersuchungen mit intrazellularen
Fermenten der Methode der aseptischen Autolyse!), d.h. man läßt den aus
der Pflanze gewonnenen Preßsaft, welcher die Fermente enthält, auf die zu
spaltende Substanz unter Fernhaltung von Mikroben einwirken. Meine
Versuche wurden daher ebenfalls mit Pflanzenpreßsäften, die aus dem
mechanisch zerkleinerten Pflanzenteil durch Anwendung eines Druckes von
300 Atmosphären mittels einer hydraulischen Pflanzenpresse gewonnen
waren, angestellt. Als Objekt wurde Agave americana benutzt. Ein Teil
des gewonnenen Preßsaftes wurde nach dem oben angegebenen Verfahren
dem Gefrieren unter Umrühren ausgesetzt. Hatte sich an der Gefäßwandung
?/; des Saftes als Eismantel abgeschieden, so wurde der noch flüssige Teil
abgegossen. Nach Auftauen und Abgießen der Eismantelschicht standen
mir drei verschiedene Preßsäfte zur Verfügung, deren fermentative Wirkung
sich, falls beim Gefrieren ein Ausscheiden von Fermenten stattgefunden
hatte, in folgender Weise abstufen mußte: Der abgegossene Preßsaft (A)
mußte die stärkste Fermentwirkung zeigen, da er die aus der Eismantel-
schicht ausgefrorenen Fermente mehr enthalten mußte, der gefroren gewesene
Preßsaft (C) also die schwächste Wirkung ausüben, während der nicht
behandelte Preßsaft (B) bezüglich seines Fermentgehaltes in der Mitte
zwischen beiden zu rangieren hatte.
Es kam nun darauf an, die Fermentwirkung der drei verschiedenen
Preßsäfte A, B und C zu konstatieren. Zur Vereinfachung der Versuche
beschränkte ich mich dabei auf proteolytische und diastatische Fermente.
Zur Feststellung der Wirkung der proteolytischen Fermente benutzte ich
ihre Fähigkeit, Gelatine zu verflüssigen?). Bei den diastatischen Fermenten
wandte ich ein von Wijsmann°) angegebenes Verfahren an. Dieser ver-
2 Czapek, L c. p. 67.
2) Green-Windisch, Die Enzyme, p. 184, 190.
3) Green-Windisch, Die Enzyme (Berlin 1901), p. 61.
Beiträge zur Biologie der Pflanzen, Bd. IX, Heft III. 25
388
setzte Stärkekleister mit Gelatine und ließ die Masse erstarren. Dann gab
er auf die Gelatine-Stärkemasse Diastaselösung, welche hineindiffundiert.
Den Fortgang der Verzuckerung stellte er durch Jodlösung fest. Nach
ein- bis zweitägiger Einwirkung konnte er konstatieren, daß sich bei Zu-
gaben von Jodjodkaliumlösung Zonen bildeten, die von blau über violett
und rot in farblos übergingen.
Mein Verfahren war folgendermaßen: Drei genau gleiche englumige
Reagenzgläschen wurden bis zu einer Marke mit zehnprozentiger Gelatine-
lösung, die vorher ebenso wie die Gläschen sterilisiert war, gefüllt, und
die Masse erstarren gelassen, sodaß in jedem Gläschen die gleiche Menge
vorhanden war, und diese einer aufgegossenen Flüssigkeit die gleiche
Oberfläche bot.
Sodann wurden in gleicher Weise drei Reagenzgläschen von genau
gleicher Beschaffenheit bis zu einer Marke mit zweiprozentigem Stärkekleister,
dem ein Zusatz von zehn Prozent Gelatine beigegeben war, um ihm Kon-
sistenz zu verleihen, gefüllt.
In die drei Röhrchen mit zehnprozentiger Gelatine wurde von den
Preßsäften A, B und C ein gleiches Quantum gefüllt, ebenso in die Röhren
mit der Stärkelösung.
Dies geschah am 18. Juni 4h 15’ nachmittags mit der Gelatinelösung
und um 6h — mit der Stärkelösung. Am folgenden Tage 9h 15’ vor-
mittags wurde kontrolliert. Auf die Gelatinelösung hatten die Fermente
der Preßsäfte 17 Stunden, auf die Stärkelösung 15 Stunden gewirkt. Bei
den Röhrchen mit Gelatinelösung hatte sich bei allen drei Preßsäften A,
B und © eine genau gleiche schmale trübe Zone gebildet und eine kleine,
bei allen gleiche Menge hatte sich verflüssigt, wie mittels der angebrachten
Marken konstatiert werden konnte. Die mikroskopische Untersuchung ergab,
daß es sich nicht um Bakterienwirkung handeln konnte. Der Nachweis
eines proteolytischen Fermentes war also gelungen. Doch hatten die Preß-
säfte A, B, C mit genau gleicher Intensität gewirkt. Ein Ausfällen durch
den Gefriervorgang hatte also nicht stattgefunden.
Zu den Röhrehen mit dem Stärkekleister wurde Jodjodkaliumlösung zu-
gegeben. Es hätte sich also, falls eine Umsetzung von Stärke in Zucker
stattgefunden hatte, am oberen Meniskus eine schmalere oder breitere Zone,
je nach der in dem betreffenden Preßsaft vorhandenen Fermentmenge, mit
der oben angegebenen Farbenfolge zeigen müssen. Die Blaufärbung begann
jedoch sogleich in der Höhe der Marke bei allen drei Preßsäften, sodaß
ein diastatisches Ferment nicht konstatiert werden konnte.
Der zweite Versuch ist nicht beweisend. Doch zeigt der erste, daß
ein Ausfällen von Fermenten beim Gefriervorgang sicher nicht stattfindet.
Ein Einfluß des Gefrierens durch Aussalzung der Fermente ist also nicht
anzunehmen, denn es ist nicht einzusehen, weshalb sich andere Fermente
nicht dem bei unseren Versuchen vorhandenen proteolytischen Ferment
analog verhalten sollten.
389
IV. Die praktische Bedeutung des Unterkühlungsphänomens für das
Pflanzenleben.
l. Die Unterkühlung tritt in der Natur relativ selten ein.
Die Bedeutung der Unterkühlung könnte nach der Beobachtung, daß
in ihr kein Kältetod zustande kommt, eine sehr große sein. In der Tat
haben manche Autoren, besonders Pfeffer!), betont, daß die Unterkühlung
lebensfördernd wirke. Ich habe, nachdem durch Mez?) bereits dasselbe
gefunden war, oben darauf hingewiesen, daß die Unterkühlung gemindert
resp. gehindert wird durch genau verfolgbare Ursachen. Zu diesen gehören
z. B. die Interzellularen. Man wird nun beim Experiment, zu welchem
stets nur kleine Pflanzenstücke verwandt werden (ich habe die Beobachtung
gemacht, daß man, um möglichst tiefe Unterkühlungen zu erreichen, sehr
kleine Stücke verwenden muß) Objekte benutzen, welche keine oder so gut
wie keine Interzellularen besitzen. Hierher gehören z. B. die von Mez°)
verwendeten Knoten von /mpatiens parviflora, sowie alle von mir unter-
suchten parenchymatischen Stengel usw. In der Natur hingegen grenzen
die dichten Gewebe fast allgemein an lockere an. Alle Durchlüftungs-
gewebe, welche nicht nur in den Blättern, sondern auch in Stämmen vor-
kommen, um nur auf eine Gewebsart hinzuweisen, hindern resp. mindern
die Unterkühlung gemäß ihrem Interzellularinhalt. Da nun von vielen
Autoren) darauf hingewiesen wurde (was ich selbst aus vielfacher Erfahrung
bestätigen kann), daß die Eisbildung im Pflanzenkörper, wenn sie eingetreten
ist, sich rapid ausbreitet, so wird das Unterkühlungsphänomen wesentlich
auf Laboratorien-Experimente beschränkt sein, in der Natur aber relativ
selten vorkommen, auch kaum jemals die Tiefe wie im Experiment erreichen
und demgemäß eine geringe praktische Bedeutung gewinnen. Tatsächlich
ergeben die z. B. mit Blättern (als ganzen Organen) gemachten Unterkühlungs-
versuche nur ganz geringe Tremperaturabfälle.
Müller-Thurgau) unterkühlte ganze Blätter von Rose, Tulpe, Bohne
auf — 3° acht Stunden lang. Ebenso maß er die Unterkühlung von Blättern
im Freien. Er fand bis — 4° Unterkühlung. Die Lufttemperatur betrug
— 1,30%). Wie groß in diesen Fällen der Unterkühlungsgrad (Differenz von
Eisbildungs- und Unterkühlungspunkt) war, ist nicht angegeben; er kann
aber allerhöchstens 2° betragen haben.
Daß inframinimale Temperatur allein für sich den Kältetod nicht
herbeiführen kann, ist oben nachgewiesen, doch scheint mir nach einer
Beobachtung Molischs’) eine Schädigung der Protoplasten nicht aus-
geschlossen. Molisch schreibt: „Staubfädenhaare von Tradescantia erlitten
bei Unterkühlung bis — 9° während sechs Stunden keine Schädigung, außer
daß sich der Protoplast von der Wand stellenweise abhob, also Wasser
!) Pfeffer, Pflanzenphysiologie, II. p. 310 (Leipzig 1904).
2), Mezs ke. P2 104: Sy Mezsicce. p: 98: “£Mez, Liesp. Kl.
5) Müller-Thurgau in Landw. Jahrbüchern XV, p. 489, 490.
6) Durch Ausstrahlung von Wärme sinkt die Temperatur der Blätter unter die
Temperatur der umgebenden Luft. DENKo sch“ rcap29:
‘
15)
5*
N
ausstieß.* Ist diese Beobachtung von Molisch richtig, so muß man m. E.
eine Beeinträchtigung der Lebensfunktion des Protoplasten bei Unterkühlung
annehmen. Denn nach Klemm), der die mannigfachsten Einflüsse, die
Desorganisationserscheinungen hervorrufen, studierte, deutet eine 'Turgor-
verminderung (um eine solche handelt es sich bei der von Molisch
gemachten Beobachtung zweifellos) ein Agens an, das von geringer aber
immerhin vorhandener Schädlichkeit ist. Klemm hält Kontraktionen des
Protoplasmas für ein Zeichen, daß die beginnende Desorganisation nicht
plötzlieh zum Tode führt, sondern ein nur allmähliches Ableben veranlaßt.
Es würde sich dabei also um Schädigung durch den Teimperaturwechsel
handeln, keineswegs aber um Kältetod. Im die gleiche Kategorie von
Schädigungen dürften die von Apelt?) beobachteten gehören, welche durch
wiederholte Abkühlung eines Objektes bis dicht über den Todespunkt ein-
treten. Auch hier handelt es sich beim Eingehen der Versuchsobjekte
nicht um typischen Kältetod, sondern um nieht genauer definierbare, aber
stets vorhandene Schwächungen der Protoplasten durch die Kälte.
2. Über verschiedene Unterkühlungspunkte verschiedener
Gewebe desselben Pflanzenteils.
Daß Differenzen zwischen den Erfrierpunkten der verschiedenen Gewebe
eines Pflanzenteils bestehen, ist schon lange bekannt®). Untersuchungen
aber über Differenzen der eutektischen Punkte und Gefrierpunkte von
verschiedenen Geweben eines und desselben Pflanzenteils wurden noch nicht
angestellt. Anlaß zu diesen Versuchen gab die Beobachtung, daß bei stark
sukkulenten Pflanzen die eutektischen Punkte völlig konstant waren, sobald
man Stücke aus ein und demselben Gewebe nahm, daß dies jedoch nicht
der Fall war, wenn man Stücke benutzte, die sowohl parenchymatisches
Wassergewebe als auch Chlorophyligewebe enthielten. Die Untersuchungen
wurden mit einer größeren Anzahl von sukkulenten Pflanzen angestellt.
Zuerst wurde von jedem Objekt die genaue Temperaturkurve sowohl der
Chlorophylischicht, als des zentralen Wassergewebes aufgenommen. Diese
Kurven ließen zwischen den eutektischen Punkten der beiden Gewebs-
schichten große Differenzen erkennen, während für den Beginn des Gefrierens
bei den Gewebsschichten nur eine geringe Differenz zu konstatieren war.
Die beigefügte Tabelle zeigt dies deutlich (siehe Tabelle XIX).
Von den Faktoren, welche einen Einfluß auf die Lage der eutektischen
Punkte haben konnten, lag am nächsten, den verschiedenen Gehalt an
gelösten Salzen dafür verantwortlich zu machen. Es wurde daher das
spezifische Gewicht der Preßsäfte beider Gewebsschichten bestimmt.
Als Objekte waren Agave americana und Euphorbia antiquorum
geeignet. Die Chlorophylischicht wurde bei beiden von dem Wassergewebe
1) P. Klemm, Desorganisationserscheinungen der Zelle, in Pringsheims
Jahrbüchern für wissensch. Botanik, Bd. 28 (1905), p. 675.
2) Apelt, |. ce. p..44. 2) Miolisch, J..eı pr 305 Apelts Ice p2 Sage
sorgfältig getrennt und die Preßsäfte gesondert gewonnen, doch so, daß die
Grenzschicht zwischen beiden Gewebsarten nicht verwendet wurde. Die
Preßsäfte wurden filtriert, um sie völlig klar zu bekommen, und dann
ihr spezifisches Gewicht mit Hilfe Pyknometers bestimmt. Es
ergab sich, daß der Saft der Chlorophylischicht ein größeres spezifisches
Gewicht besaß, als der Saft des zentralen Wassergewebes (s. Tabelle XX).
Dieser Unterschied ist auf größeren Gehalt an gelösten Salzen und osmotischen
Die Tabelle zeigt die Differenzen zwischen
des
Stoffen überhaupt zurückzuführen.
den eutektischen Punkten der Gewebsschichten und den dazu gehörigen
spezifischen Gewichten,
Tabelle XX.
=
Cechsschieht Spezifisches | Beginn des | Eutektischer Todespunkt
| Gewicht Gefrierens Punkt
1. Agave americana.
Chlorophylischicht 1, 0:,12:102427.0,68.12 1772:3,0325 |, 7 6,6,2
Wassergewebe 1,01032 —0,65° | —4,20° | — 5,9
Differenz ' 0,00089 0,030 1,450 |. 0,70
2. Euphorbia antiquorum.
Chlorophylischicht 1,00649 | —.0,70° | —6,30° | —.9,30°
Wassergewebe 100508, 16 0,730 17303: [1:95.00
Differenz | 0,00145 0,050 3,210 3,600
Dieses Resultat wirft ein eigenartiges Licht auf die Bedeutung der
Unterkühlung. Wie oben (p. 572) schon gezeigt wurde, hat die Konzentration
der Zellsäfte direkt keinen Einfluß auf den Unterkühlungsgrad, doch ver-
ursachen alle unterkühlungshemmenden Faktoren bei stärker konzentrierten
Lösungen viel leichter ein Erstarren, als bei schwächer konzentrierten. Da
nun der Zellsaft in der Rindenschicht, wie oben nachgewiesen wurde, eine
bedeutendere Konzentration an gelösten Stoffen besitzt, als der des Wasser-
gewebes, so werden die überall in der Natur in Erscheinung tretenden
unterkühlungshemmenden Faktoren eine größere Unterkühlung unmöglich
machen. Und da beim Zellsaft des Chlorophyligewebes, infolge seiner
größeren Konzentration eine viel größere Erstarrungswahrscheinlichkeit
vorliegt, und die Eisbildung sich augenblicklich durch die Pflanze fortpflanzt,
ist in der Natur, wo überall innerhalb desselben Pflanzenkörpers Zellen mit
verschiedener Konzentration des Zellsaftes vorkommen, tiefe
Unterkühlung kaum möglich. Das zentrale Wassergewebe, welches infolge
seiner Zellsaftbeschaffenheit eine tiefere Unterkühlung zuließe, wird durch
die bald eintretende Erstarrung der Rindenschicht zur Eisbildung mit fort-
gerissen. Dies ist ein weiterer Grund, die Bedeutung der Unterkühlung
für das Leben der Pflanzen nicht allzu hoch anzuschlagen. Meine An-
schauung steht mit der Müller-Thurgaus!) und Molischs?), welche
eine sehr
!) Müller-Thurgau, Landw. Jahrbücher, IX, p. 185. 2) Molisch, l.c. p. 18.
392
gerade in der Konzentration des Zellsaftes ein unterkühlungsförderndes
Moment sahen, in Widerspruch, doch stütze ich meine Ansicht auf die
physikalisch-chemischen Arbeiten von de Coppet), Jaff&?) und Ostwald?).
Die Unterkühlung ist eine Begleiterscheinung und Folge des kapillaren
Aufbaues der Pflanze, trägt aber kaum zum Schutze des Lebens in der
Pflanze bei Temperaturwechsel bei.
Zusammenstellung.
Die Resultate der vorstehenden Arbeit über Unterkühlung und Kältetod
der Pflanzen können in folgende Sätze kurz zusammengefaßt werden:
1. Der Kältetod der Pflanzen tritt niemals im Zustand der Unterkühlung
der Zellsäfte ein, mag dieselbe so tief unter den spezifischen 'Todespunkt
getrieben werden wie nur möglich.
2. Der typische Kältetod tritt auch bei megathermen Pflanzen niemals
über dem Eispunkt ein.
Satz 1 und 2 zusammengezogen bedeuten: Zum Eintritt des typischen
Kältetodes ist Eisbildung in den Geweben notwendig.
3. Diese Eisbildung an sich allein ist gleichfalls nicht die Ursache des
typischen Kältetodes.
4. Die Todesursache wird gebildet gemeinsam durch Eintreten der
Eisbildung und Abkühlung unter das jeweilige spezifische Minimum, welches
unter Umständen außerordentlich tief unter dem eutektischen Punkt der
Salzmischungen im Zellsaft liegen kann.
5. Der Kältetod tritt nieht ein infolge der Aussalzung im Zellsaft oder
Protoplasma gelöster Eiweißstoffe oder Fermente.
; 6. Auch die Aktivierung der Phosphorsäure in phosphorhaltigen Eiweiß-
stoffen durch die Kälte ist nicht Ursache des Kältetodes.
7. Das Unterkühlungsphänomen hat für die Lebenserhaltung der Pflanzen
keine irgendwie in Betracht kommende Bedeutung.
8. Das Unterkühlungsphänomen bei Pflanzen ist überhaupt im wesent-
lichen ein Laboratoriumsexperiment und tritt im Leben viel seltener und in
sehr viel geringerer Tiefe auf, als dies bisher allgemein angenommen wurde.
9. Die früher gemachten Beobachtungen über Unterkühlungshemmung,
speziell durch in der Flüssigkeit gelöste Luft sowie durch Pflanzenschleim,
wurden bestätigt.
Vorliegende Arbeit wurde auf Anregung und unter Leitung des Herrn
Prof. Mez, der mir auch die ihm gehörenden Apparate gütigst zur Verfügung
stellte, ausgeführt; es sei mir gestattet, für die ständig mir zuteil gewordene
liebenswürdige Unterstützung auch an dieser Stelle herzlichst zu danken.
1) de Coppet, zitiert bei Ostwald, Allgemeine Chemie, II?, p. 752.
2) Jaffe, Studien an übersättigten Lösungen, Zeitschrift für physikalische
Chemie, Bd. 43, p. 574, 583.
5) W. Ostwald, Allgemeine Chemie, I, p. 993 ff.; 112, 332 ff., 704 ff.
Tabelle III (siehe Text Seite 366).
1. Verbascum phlomordes (Blattstiel).
1 Skalenteil = 0,0926° C©.
A Abkühl.-
Dupz Anstieg er geschwind.
ühlung gra be 7a.
Skalenteile Skalenteile Skalenteile Grad C. pro '
— 100 —52 48 11,4
— 0 58 62 10,3
—91 An 44 10,3
89 —o» 77 9,5
—99 —45 54 9,5
— 105 — 56 49 9,5
— 90 —53 37 9,5
80 1 31 9,5
sl — 56 75 8,7
119 — 5 ler 83
— 70 —50 | 2% 8,0
— 132 — 5 07 7,6
ll — 49 68 7,6
it —] 50 7,6
—ı» 0000 1012 6,7
— 104 59 52 6,7
= 105 Zune 2 Az 6,3
— 135 DS WMLTT | 5,0
1 Skalenteil = 0,0926° C.
2. Sedum spectabile (Blatt).
Unter-
kühlung
Skalenteile
— 100
— 113
—63
— 99
dr
—y8
— el
— 118
— 125
30
— DD
Anstieg
Skalenteile
Unterkühl.-
grad
Skalenteile
Abkühl.-
geschwind.
bei —3,70C.
Grad C. pro '
FRE HEIST
SBÜLNSUT Na s
=
DOOR DMN
oo O0 0Q
394
3. Rumex obtusifolius (Blattstiel).
1 Skalenteil = 0,0926° C.
Unter- Aush Unterkühl.- Abkubl
kühlın nstieg geschwind.
5 5 bei — 3,70 C.
Skalenteile Skalenteile | Skalenteile Grad C. pro ’
— 36 70 6,7
— 29 68 6,3
— 34 73 6,0
59 70 6,0
— 26 6,0
—54 70 5,7
nd 66 5,7
—30 60 9,7
— a] 42 E31
— 40 77 9,4
— 36 61 9,4
= 54 5,2
—32 65 4,8
—41 48 4,8
—39 65 4,6
—59 26 3,8
Er
4. Yucca filamentosa (Blatt).
1 Skalenteil = 0,0926° C.
Unter- Ansti Unterkühl.- | Abkühl.-
kühlung neue grad nn
Skalenteile Skalenteile Skalenteile Grad C. = {
— 68 — 39 29 8,7
2.5 —.h 30 81
—66 — us 18 8,1
— 60 in 8 8,1
— 1: — 60 18 7,6
—l 61 20 7.1
—ı N 15 7,1
—87 —55 32 6,7
— » 30 6,7
—. ae 15 6,3
— 79 ns 41 6,0
— 85 B 27 5,7
—75 — 58 17 5,7
—82 — 65 17 5,4
— 89 — 64 25 5,0
er
395
5. Helleborus hybridus (Blattstiel).
1 Skalenteil — 0,0926 C.
Abkühl.-
Unter- i Unterkühl.- .
kühlung zus grad b Es
Skalenteile Skalenteile Skalenteile Grad C. pro ‘
— 115 39 26 a7
= 110 on 25 7,6
41 —99 18 7,6
Ha — 95 26 7,1
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Studien zur heliotropischen Stimmung
und Präsentationszeit.
(Zweite Mitteilung.)
Von Ernst Pringsheim.
8
I. Einleitung.
Die im vorigen Jahre von mir veröffentlichte Arbeit über den „Einfluß der
Beleuchtung auf die heliotropische Stimmung“ (22) war von vornherein als
eine Art Programm gedacht, dessen Ausführung wegen der Kürze der Zeit
zum Teil noch recht skizzenhaft sen mußte. Die damals studierten Vor-
gänge bei der heliotropischen Reizung im Dunkeln und am Licht gewachsener
Keimlinge bei verschieden intensiver einseitiger Belichtung führten mich zu
dem Schlusse, daß die Reizintensität des Lichtes mit seiner Stärke andauernd
‚ächst, und daß das von Wiesner (32) beobachtete Optimum, von dem
aus sie wieder abnehmen sollte, nur auf einem vorübergehenden Indifferenz-
zustande beruht, der in niedrig gestimmten Pflanzen durch Licht von einer
gewissen Stärke hervorgerufen wird. Daneben wurde zu zeigen versucht,
daß die Pflanzen in ihrer Stimmungsveränderung eine der Adaptation!) der
Netzhaut in vielen Punkten ähnliche Einrichtung besitzen, die als charak-
teristisch für den Lichtsinn im allgemeinen betrachtet werden könnte. Be-
sonders dieser letztere Teil blieb noch allzu lückenhaft und beschränkte sich
in manchen Partien auf Analogieschlüsse, die weiterer Forschung den Weg
weisen sollten.
Damals wurde die Reaktionszeit als Zeichen der Stimmungshöhe be-
nutzt, wobei ich mir wohl bewußt war, daß die dabei stattfindende längere
Belichtung selbst wieder die der Pflanze eigene und durch Vorbelichtung
auf eine gewisse willkürliche Höhe gebrachte Stimmung beeinflussen mußte.
Trotzdem konnten einige Resultate gewonnen werden, da die Reaktionszeit,
wie sich zeigte, eine für die Lichtintensität bezeichnende Länge hat, falls
die Pflanzen vorher unter Rotation bis zur Konstanz an die betreffende Be-
1) Die früher gebrauchte Bezeichnung Akkomodation für diesen Vorgang ist
zu verlassen.
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leuchtung gewöhnt worden waren. Und zwar nimmt diese „normale“ Re-
aktionszeit, wie sie genannt wurde, bis zu einer gewissen Grenze mit der
Steigerung der Liehtintensität ab, und zwar über das „Optimum“ von Wiesner
hinaus, das nur für etiolierte Pflanzen gilt.
War dagegen die Stimmung höher oder tiefer als sie der (heliotropische
Reaktion hervorrufenden einseitigen) Beleuchtung entsprach, so war die
Reaktionszeit gegenüber der normalen verlängert.
Ferner konnte gezeigt werden, daß diese Verlängerung der Reaktions-
zeit durch eine entsprechend lange richtungslose Anfangsbelichtung auf-
gehoben werden konnte, so daß die Keimlinge, die anfangs rotiert hatten
oder vor Beginn der eigentlichen Reaktionszeit um 180° gedreht worden
waren, zur selben Zeit reagierten wie solche, die die ganze Zeit still ge-
standen hatten (vgl. 22 S. 279; für andere Pflanzenarten als Avena sativa
auch diese Arbeit, Protokoll Nr. 1—3). Der erste Teil der verlängerten
Reaktionszeit bei einer, der jeweiligen Stimmung nicht adäquaten Licht-
intensität durfte daher kurz als die Zeit der Umstimmung bezeichnet werden,
während deren die Objekte scheinbar indifferent gegen heliotropische Einflüsse
waren. Daß eine solche Umstimmungszeit nicht nur für den Wechsel von
dunkel zu hell, sondern auch für den von schwachem zu stärkerem und von
starkem zu schwachem Lichte gilt, zeigen die Protokolle Nr. 4 und 5.
Die Deutung dieser Verhältnisse hat sich inzwischen durch neue Ver-
suche etwas verschoben. Sie soll am Schlusse versucht werden.
Die Art der Mitteilung meiner Resultate und manche daraus gezogenen
Schlüsse veranlaßten Fitting in einer Besprechung in der Botanischen Zeitung
(4) einige zum Teil berechtigte Einwände vorzubringen, daneben allerdings
auch Mißverständnisse, die wohl durch die Kürze der Darstellung hervor-
gerufen worden sind. Auf dieses Referat soll noch an verschiedenen Stellen
eingegangen werden.
Die damals neuen und durch die zitierte Arbeit ins Licht gerückten,
aber durchaus nicht völlig geklärten Probleme sind inzwischen mit Hilfe
neuer Methoden weiter gefördert worden und haben teilweise auch durch
andere Arbeiten an Übersichtlichkeit gewonnen. Trotzdem auch heute die
Untersuchungen nicht als abgeschlossen betrachtet werden können, soll
daher mitgeteilt werden, was sich mitteilen läßt. Es soll dabei versucht
werden, durch alte und neue Protokolle die früher dargelegten Ansichten
zu erhärten, soweit sie sich bestätigt haben, andererseits aber zu berichtigen,
wo der Mangel an Tatsachen Irrtümer veranlaßt hatte.
Schon oben sind die zwei Hauptgebiete bezeichnet worden, auf die
sich die so gestellte Aufgabe erstreckte, einmal mußte das heliotropische
Verhalten der Pflanzen bei verschieden starkem Lichte genauer studiert
und die vorübergehende „Indifferenz“ !), auf die früher nur geschlossen wurde,
bewiesen, andererseits versucht werden, in die Art des Stimmungswechsels
!) Dieser Ausdruck bleibt nur der Kürze wegen vorläufig noch beibehalten.
mit feineren Methoden einzudringen. In beiden Teilen ergaben sich wieder
eine Anzahl überraschender, neuer Tatsachen, die heute nicht alle recht
gedeutet werden können, eine Mitteilung aber immerhin lohnen; daneben
jedoch auch eine Bestätigung und Vertiefung der früheren Vorstellung und
und eine bessere Verknüpfung des bekannten, wobei manches in einem völlig
anderen Lichte erscheint als es am Anfange erwartet werden konnte. Ein Teil
der Versuche wurde wieder im physikalischen Institute in Breslau angestellt.
Ich fühle mich daher Herrn Professor Lummer von neuem zu großem Danke
verpflichtet. Der größere Teil der Arbeit entstand in dem inzwischen ver-
besserten Dunkelzimmer des Breslauer pflanzenphysiologischen Institutes.
Il. Methodik.
Die Lichtintensitäten, mit denen gearbeitet wurde, sind früher nicht an-
gegeben worden, worin Fitting mit Recht einen Mangel sieht. Obgleich
schon früher (22, S. 274) betont wurde, daß die aktinometrisch nach Wiesner
oder photometrisch, d. h. mit Hilfe des Auges als Maßstab gewonnenen
Werte für die Pflanzen nicht viel Bedeutung haben, und deshalb vorgezogen
wurde, deren Reaktionszeit selbst als Anhalt für die benutzte Lichtintensität
anzugeben, soll diesem Mangel doch, so weit möglich, abgeholfen werden.
Meine Nernstlampen brannten bei 0,5 Amp. und 95 Volt und hatten zuerst
32 Kerzen. Da aber ihre Intensität anfangs schnell abnahm (14, S. 151)
mußten sie vor Gebrauch über Nacht brennen. Sie hatten dann etwa
30 Kerzen und sanken weiterhin sehr langsam auf 27—23 Kerzen. Das
sind verhältnismäßig geringe Differenzen, die für meine Versuche im all-
gemeinen keinen merklichen Fehler bedingten.
Die Auerlampe war von der gewöhnlichen Sorte und hatte etwa 45 Kerzen.
Bei den Versuchen, wo ich leider nur angab „in der Nähe der Auerlampe“,
standen die Keimlinge 40—50 em vom Strumpfe derselben. Die ultraroten
Strahlen hatten keinen Einfluß auf die heliotropische Reaktion, wovon ich
mich durch besondere Versuche überzeugte. Viel störender war die Aus-
troeknung durch die an der heißen Laterne erzeugten Luftströme. Deshalb
schaltete ich stets eine große Fensterglasscheibe zwischen Lichtquelle und
Pflanzen. Neuere Versuche wurden so angestellt, daß die Laterne außerhalb
des Dunkelzimmers stand und die Lichtstrahlen durch ein verglastes Loch
in einer Tür hereinfielen. Bei dieser Anordnung wurde die Vergiftung durch
die Verbrennungsgase, sowie die Austrockung der Luft vollständig und die
Wärmestrahlung beinahe ganz vermieden, sodas ein berußtes Thermometer
gegenüber einem blanken gewöhnlich keinen Unterschied aufwies. Bei dem
geringsten Abstande von der Lampe war die Differenz höchstens !/,°. An
den Resultaten wurde weder dadurch, noch auch durch die Einschaltung
einer Wasserküvette etwas wesentliches geändert. Die Vorbereitung und
Aufstellung der Versuche erfolgte im „gelbroten“, unwirksamen Lichte, der
Beginn der wirksamen Belichtung mit Fortnehmen des zwischen geschalteten
418
Gelbfilters, wie ich das vor kurzem beschrieben habe!) (25). Daß die
langwellige Hälfte des Spektrums keine Stimmungsveränderung bewirkt, habe
ich schon früher angegeben. (22, S. 265.)
Die Anwendung des gelbroten Lichtes bot für alle Versuche eine wesent-
liche Bequemlichkeit, die auch der Schärfe der Ergebnisse zu gute kam,
insofern als sie das Gießen und Vorbereiten der Keimlinge sowie ihre Auf-
stellung erleichterte. Bei Experimenten, in denen es auf die genaue Dauer
der Belichtung ankommt, also besonders bei Bestimmungen von Präsentations-
zeiten ?), ist das von großem Vorteil, weil durch die so ermöglichte Vermeidung
gegenseitiger Beschattungen, wie sie bei Aufstellung im Dunkeln immer vor-
kommen werden, eine Quelle des Irrtums verstopft wird. Eine ganz neue
Möglichkeit aber ergab das neue Hilfsmittel insofern, als es gestattete, den
Gang der Reaktion dauernd oder periodisch zu kontrollieren, ohne eine neue
Reizung zu veranlassen. Das aber ist eine Forderung, die insofern gerechtfertigt
erscheinen wird, als jede willkürlich herausgegriffene Beobachtungszeit zwingt,
einen Teil der bei einer Reizung von der Dauer der Präsentationszeit schnell
vorübergehenden Reaktionen zu vernachlässigen. Erst vor kurzem hat das
Warwara Polowzow (21) mit Recht scharf hervorgehoben. Die Beobachter
heliotropischer Induktionen waren allerdings bis jetzt zu dieser Beschränkung
gezwungen, da eine Anwendung roten unwirksamen Lichtes für solche Zwecke
meines Wissens nirgends gemacht worden ist. Nur ich selbst habe schon
früher in der mit Nathansohn gemeinsam veröffentlichten Arbeit (14) für
die Vorbereitung des Materials eine rote, elektrische Dunkelkammerlampe
benutzt. Ich habe diese Methode aber wieder verlassen, da eine vor die
Lichtquelle gestellte Küvette mit einer Lösung von Methylorange oder eine
von meinen Gelbscheiben eine viel hellere Beleuchtung gibt. Außerdem ist
es von Vorteil, daß dieses Licht von derselben Stelle kommt, von der auch
das heliotropische wirksame Licht einfällt.
Das Arbeiten mit rotgelbem Lichte gestaltete sich so, daß die benutzte
Lampe bis auf eine Öffnung lichtdicht verdeckt wurde. Vor dieser Öffnung be-
fand sich ein Holzerker mit Durchlaß für die Lichtstrahlen, in den eine Küvette
mit gelbroter Lösung gestellt werden konnte (vgl. Fig. 1). Bei der Nernstlampe
diente für diesen Zweck ein schwarz bezogener Holzkasten, der noch mit einem
Tuche bedeckt wurde. Die Auerlampe stand in der früher (22, 8. 268) be-
schriebenen Laterne, und zwar diesmal außerhalb des Zimmers hinter einer Tür.
In dieser befand sich eine Öffnung und vor letzterer im Dunkelzimmer der Erker-
1) Es möge an dieser Stelle nachgetragen werden, daß es sich unter Umständen
empfiehlt, dem Methylorange ein klein wenig eines roten Farbstoffes zuzufügen, sodaß
die Durchlässigkeit für Grün noch mehr reduziert wird. Besonders geeignet ist hierzu
Rhodamin-B, aber auch Saffranin und Neutralrot sind zu brauchen.
2) Ich benutzte früher das Wort Perzeptionszeit im Anschluß an Ozapek als
gleichbedeutend mit Präsentationszeit, schließe mich jetzt aber der wohl begründeten
Unterscheidung Fittingsan (Jahrb. f. wissensch. Bot. 1905, S. 285). Eine Perzeptions-
zeit in dessen Sinne dürfte allerdings nicht existieren.
419
kasten mit der Küvette, so daß nach Wunsch nur gelbes Licht auf die
Pflanzen fallen konnte. Bei dieser Beleuchtung konnte man sich im Zimmer
gut zurechtfinden, ohne daß bei
Kontrollversuchen, die über Nacht
standen, die geringste heliotro-
pische Krümmung eingetreten
wäre.
Da für das Arbeiten mit der
Auerlampe im Pflanzenphysiolo-
gischen Institute nur ein Dunkel-
raum zur Verfügung stand, in dem
Pflanzen höchstens 3 Meter von
derLichtöffnung aufgestellt werden
konnten, und ein Entfernen der
Lampe von letzterer unter den ge-
gebenen Verhältnissen nicht mög-
lich war, mußte bei einem großen
Teile der Versuche das Licht ge- Fig. 1. Vorrichtung zum Abdämpfen und
dämpft werden. Um dabei noch Unwirksammachen des Lichtes. Der Erker
’ 2 trägt hinten die gelben Dämpfungsscheiben,
bequem arbeiten zu können, nahm davor die Küvette mit der gelbroten Lösung.
ich bald von den anfangs be- Durch die runde Offnung treten die Licht-
strahlen aus.
nutzten Rauchglasscheiben Ab-
stand, da hinter diesen bei der gewünschten Verminderung der helio-
tropischen Wirkung kaum mehr etwas zu sehen war. Ich benützte
anstatt dessen Glasplatten mit einer gelben Gelatineschicht, die so schwach
gefärbt war, daß noch ein Teil des wirksamen Lichtes durchgelassen
wurde. Mit verschieden stark gefärbten Platten und Kombination dieser
kann so jede gewünschte Liehtabschwächung erreieht werden. Die Platten
kamen hinter die Küvette in ein abgeteiltes Fach des Erkerkastens und
blieben während der Belichtung stecken. (vgl. Abb. 1.) Leider läßt sich
für diese Versuche die heliotropisch wirksame Lichtintensität nicht genau
angeben. Soweit sie aber aus der Präsentationszeit von Avena sativa im
Vergleich zu der in verschiedenen Entfernungen von der Auerlampe ohne
Liehtdämpfung abgeleitet werden kann, war sie für die meist benutzte
Helligkeit, bei der Plattenkombination II + IV, den 20. Teil so wirksam,
entsprach also in 100 em Entfernung etwa 2,2 Meterkerzen.
Soweit frühere Beobachter eine planmäßig gewählte Zeit zur Kon-
statierung der Resultate benutzten, ist gegen diese Beschränkung nicht viel
einzuwenden, wenn es auch, wie mir jetzt scheint, meist ohne Gefahr gewesen
wäre, das Ergebnis schon etwa nach einer Stunde mit schwacher Belichtung
zu kontrollieren, weil eine etwa daraus sich ergebende neue Induktion erst
sehr viel später als die beabsichtigte in die Erscheinung getreten wäre.
Die Gewißheit der Gefahriosigkeit dieses Verfahrens konnte aber erst durch
Kontrollversuche erworben werden. Blaauw (30) hat daher mit Recht bei
Beiträge zur Biologie der Pflanzen, Bd. IX, Heft II. 97
420
Avena nach 2 Stunden beobachtet, wo im allgemeinen die Reaktion auf
ihrem Höhepunkte ist. Für die Bestimmung der einfachen Präsentations-
zeit reicht das aus. Bei Fröschel (6) kann ich keine Angabe der Beobachtungs-
zeit finden. Über den Rückgang der Krümmung können beide keine Angaben
machen, da ihre Pflanzen für die Beobachtung ans Licht gebracht werden
mußten. Ich fand bei allen gut reagierenden Objekten spätestens bis zum
nächsten Tage ein völliges Ausgleichen der Krümmung, bei den von mir
benützten Lichtintensitäten selbst bei Induktionen bis zu 45 Minuten. Es
scheint mir deshalb nicht zweckmäßig, nach einstündiger Induktion erst
24 Stunden später zu beobachten, wie es Figdor (3) getan hat.
Inwieweit eine nachträgliche Belichtung, auch unter Rotation, die voran-
sesangene Induktion beeinflussen kann und welche Erscheinungen den früheren
Autoren, die sich mit der Bestimmung von Präsentationszeiten beschäftigten,
infolge der willkürlich gewählten Beobachtungszeit entgehen mußten, das macht
einen wesentlichen Teil dieser Arbeit aus, ist also noch ausführlich zu erörtern.
Die Zeitmessung geschah mit Hilfe eines auf Sekunden eingestellten
Metronoms und der Taschenuhr. Es wurde vorher bei gelbem Lichte die
Lage ausgeprobt, in der am wenigsten Beschattungen zu befürchten waren.
Ganz kurze Induktionen geschehen dann nach dem Schlage des Metronoms
durch schnelles Fortziehen und Wiedervorstellen eines schwarzen Brettes.
Längere Belichtungen begannen mit der Entfernung der gelben Küvette und
endeten durch Fortstellen an einen dunklen Ort in bestimmter Reihenfolge.
Nach Beendigung der Versuche wurden sofort bei gelbrotem Lichte alle
belichteten Töpfchen in bestimmter Anordnung auf ein als Tablett dienendes
Brettchen und mit diesem unter einen Dunkelsturz gestellt.
Die Rotation auf dem Klinostaten fand da, wo sie nur für kurze Zeit
angewendet wurde, mit verhältnismäßig großer Geschwindigkeit statt, nämlich
eine Umdrehung in 15 Sekunden. Unter Um-
ständen konnte die Drehung des Klinostaten
selbst als Zeitmaß benutzt werden. Die
schnelle Drehung sollte verhindern, daß eine
tropistische Induktion während der Rotation
selbst stattfände, was aber, wie ich bemerken
will, auch bei wesentlich geringerer 'Touren-
zahl nie geschieht, falls nicht etwa weniger
als eine Umdrehung zurückgelegt wird. Bei
einer halben Umdrehung, die also 7—8 Se-
kunden dauerte, fand ich 50 em von der
Fig. 2. Die Pfeile geben die Nernstlampe eine Reaktion in der Richtung,
. er = . .
Richtung des Lichtes an, derKreis ;, der das Licht am längsten eingewirkt
die Art der einmaligen Rotation, i i
während deren einer Hälfte be- hatte, also entsprechend dem Rotationskreise
liehtet wurde, in der Fig. 2 nach außen. Bei einer ganzen,
sowie 1Ys Umdrehungen blieb eine Krümmung aus. Die Schnelligkeit
des Anlaufens hatte außerdem den Vorteil, daß die Zeit der Rotation,
421
resp. des vorhergehenden oder nachfolgenden Stillstandes viel genauer an-
segeben werden kann als das bei langsamem Laufen des Uhrwerkes
möglich ist. Mit Hilfe der Sperrklinke kann der Pfeffersche Klinostat fast
momentan in Gang gebracht und angehalten werden.
Die Temperatur wurde durchweg auf nur 15—16° gehalten, so daß die
Reaktionszeiten etwas länger wurden als in den früher mitgeteilten Versuchen.
Prinzipiell wird dadurch nichts geändert. Ein Vorteil lag aber darin, daß
die Keimlinge länger brauchbar blieben. Zudem war bei der in den Winter-
monaten nötigen Heizung die Austrocknung der Luft weniger stark. Die
Luftfeuchtigkeit wurde auf 60—65°/ gehalten.
Als Versuchsmaterial kamen wiederum etiolierte Keimlinge zur Ver-
wendung, und zwar fast nur solche von Avena sativa, da, wie früher aus-
einander gesetzt (22, 8. 272), diese die feinste Unterscheidung der beginnenden
Krümmung gestatten, am gleichmäßigsten wachsen und reagieren, und, was
diesmal besonders in Betracht kam, am widerstandsfähigsten gegen Schädigungen
sind. Ich konnte nämlich während der zum Teil benutzten Wintermonate
keine andere Pflanzenart in wünschenswerter Qualität heranziehen, wenn
auch einige andere Keimlinge bei Gelegenheit zum Vergleich benutzt wurden.
Außerdem ist die Verwendung eines gutbekannten, möglichst gleichförmigen
Materials bei dem vorläufig angestrebten mehr intensiven als extensiven
Studium der heliotropischen Stimmungserscheinungen auch wieder ein großer
Vorteil. Für den ersten Teil der Versuche im physikalischen Institut mit
Nernstlicht wurde ein Aussaatmaterial aus einer hiesigen Handlung benutzt,
später nach dem Vorgange von Schröder (27, S. 157 Anm.) die Hafersorte
„großer weißer v. Ligowo“ von Haage und Schmidt, die sich als sehr
kräftig, widerstandsfähig und reizbar erwies, wenn auch die Präsentations-
und Reaktionszeiten etwas länger waren als bei der ersten Sorte.
Was die Angabe von Mittelwerten der beobachteten Reaktionszeiten
anbelangt, die Fitting fordert, so ist bei Avena sativa die Reaktion so
gleichmäßig, daß nur ganz wenige Individuen aus dem allgemeinen Bilde
herausfallen. Diese wurden bei allen Versuchen außer Acht gelassen. Allerdings
gilt diese Gleichmäßigkeit nur für die einfachen Präsentations- und Reaktions-
zeitbestimmungen, die Verschiebung der Stimmungshöhe erfolgt mit größeren
individuellen Differenzen. Gleichmäßiges Material und Gleichförmigkeit der
Bedingungen sind am besten in gleichzeitigen Parallelversuchen zu erreichen.
Werden dagegen Experimente, die zeitlich auseinanderliegen, verglichen,
wie es zur Gewinnung der auf Seite 2833 der ersten Mitteilung gegebenen
Kurve nötig war, so können die Befunde um größere Beträge differieren.
Mittelwerte führen dann am besten zum Ziel (22, S. 232). Bei Feststellung
der Reaktionszeit beobachteteich das erste Unsymmetrischwerden der Coleoptilen-
spitze, das durch die Verschiebung der Lichtreflexe sehr scharf hervortritt.
Etwa bestehende Zweifel wurden durch die, bei der nächsten Beobachtung
nach 5 Minuten verstärkte oder nicht eingetretene Krümmung beseitigt. Bald
gewinnt man solche Übung, daß Täuschungen nicht mehr vorkommen.
27%
422
Die anderen, mehr zur Bestätigung herangezogenen Objekte geben sehr
viel weniger scharfe Reaktionsanfänge. Einige Versuchsprotokolle hierüber
sollen unten folgen (Prot. 1—3).
Il. Entstehung der „Indifferenz“.
Fitting hat in seiner wiederholt erwähnten Kritik besonders daran
Anstoß genommen, daß meine Angabe der anfänglichen Indifferenz von
Dunkelkeimlingen bei starkem Lichte und die von Fröschel (6, S. 235 ff.),
daß die Präsentationszeiten mit der Intensitätssteigerung des Lichtes stetig
abnehmen, sich scheinbar widersprechen. Denn da das Gesetz, daß für
eine bestimmte Spezies das Produkt aus Lichtintensität und Präsentationszeit
konstant ist, auch für starkes Licht gilt, so müßte bei meiner Auerlampe
schon ganz kurze Belichtung von Bruchteilen einer Sekunde ausreichen,
Reaktion hervorzurufen, während nach meiner Annahme kurze Reizung mit
so hellem Lichte unwirksam sein müßte, falls wirklich der erste Teil der
verlängerten Reaktionszeit nur der Umstimmung dienen sollte. An dieser
Stelle möchte ich betonen, daß Fröschels Befunde zur Zeit meiner Ver-
öffentlichung nicht bekannt waren, wie man es etwa aus Fittings Referat
herauslesen könnte, wenn er 8. 326 sagt: „Diese Hypothese steht im Wider-
spruch mit unseren sonstigen Erfahrungen“. Seit Wiesner (32. I, 8. 64)
hatte damals niemand in größerem Umfange heliotropische Präsentationszeiten
gemessen, und die Angaben dieses Forschers stimmen offenbar auch nicht
mit Fröschels Befunden überein, denn er fand erst viel längere Induktionen
wirksam.
Meine eigenen ersten Versuche ergaben unter Umständen nach kurzer
Reizung nachträgliche Krümmungen, nach längerer aber nicht. Das erschien
mir damals so unerklärlich, daß ich zunächst von einer Veröffentlichung
absah und mich auf die Messung der Reaktionszeiten beschränkte. Inzwischen
habe ich das Versäumte zum Teil nachgeholt, da die von Fitting empfundene
Schwierigkeit, daß Indifferenz bei einer Helligkeit eintreten sollte, die sehr
bald eine heliotropische Reaktion induzieren mußte, mir sofort aufstieß, als
ich Fröschels Arbeit kennen lernte; ich andererseits aber jetzt den Weg
zu sehen glaubte, um in der begonnenen Richtung weiter vorzudringen.
Es darf übrigens, was Fitting in seinem Referate über Blaauws
Arbeit betont, auch nicht vergessen werden, daß — ganz abgesehen von
meinen Befunden und ihrer theoretischen Deutung, — zwischen der alten
Anschauung, daß die heliotropische Reizstärke mit Zunahme der Licht-
intensität vom „Optimum“ ab sich verringert (Fitting 4, 8. 324, Jost 11,
S. 571) und den Resultaten von Fröschel und Blaauw, daß bei stärkerem
Lichte die zur Erzielung der Krümmung nötige Induktionszeit immer kleiner
wird, auch eine, scheinbar unüberbrückbare Kluft gähnt. Für die Stütze
meiner Anschauung, daß vielmehr die heliotropische Erregung mit der Licht-
intensität wächst, sind diese neueren Untersuchungen von großem Werte.
Andererseits aber wird die nötige Verknüpfung des zurzeit bekannten, wie
ich zu zeigen hoffe, erst durch meine theoretischen Vorstellungen ermöglicht.
Um die Veränderung der heliotropischen Stimmung während der Messung
der Reaktionszeit, die mir in meiner ersten Arbeit als Maß der Reizstärke
eines Lichtes dienen mußte, zu verhindern, habe ich die vorher im Dunkeln
gezogenen Keimlinge erst an die betreffende Lichtintensität gewöhnt, wobei durch
Rotation vorzeitige Krümmungen verhindert wurden. Ich bekam so eine stetig
abfallende Kurve der Reaktionszeiten !), aus der ich schloß, daß die Wirkung
des Lichtes mit seiner Intensität stetig wächst. Nur die Trägheit des Re-
aktionsprozesses bedingt es, daß die Reaktionszeit nicht weiter vermindert
werden kann, da er an sich eine gewisse Zeit, in diesem Falle (bei Avena
sativa und 18 —20°) etwa 30 Minuten bedarf, um eine mit bloßem Auge
sichtbare Krümmung hervorzurufen. Wäre es möglich, einen Maßstab für
die Reizintensität zu finden, der von diesem 'T'rägheitsmomente frei wäre,
so, dachte ich damals, müßte sich eine noch viel strengere Proportionalität
zwischen Lichtintensität und Erregungsstärke nachweisen lassen. Ein solcher
Maßstab liegt nun in der Präsentationszeit vor, und die zitierten Befunde
von Fröschel und Blaauw bestätigen die Richtigkeit meiner Vorstellungen.
Denn die graphische Darstellung der Präsentationszeiten in ihrer Abhängig-
keit von der Lichtintensität stellt ebenfalls eine stetig fallende Kurve dar!
Nach diesen Ergebnissen darf die von mir gehegte Vermutung als be-
wiesen gelten, daß die heliotropische Reizstärke eines Lichtes
mit dessen Intensität stetigzunimmt. Welches sind nun die Gründe,
auf die man seit Wiesner die Lehre aufgebaut hat, daß die Wirkung von
einem sogen. Optimum ab falle? Es sind zweierlei, nach den beiden Größen,
die Wiesner zur Messung benutzte: Der Krümmungswinkel sollte abnehmen,
die Reaktionszeit sich verlängern. Betrachten wir zunächst die Versuche, die
Wiesner zurKonstatierung der ersten Tatsache führten, so fällt die Willkürlich-
keit des Zeitpunktes der Messung auf (32, I, S. 37). Er nimmt die Konstatierung
!) Fitting zweifelt an dieser Tatsache, indem er der Meinung ist, ich hätte nur
Lichtintensitäten bis ungefähr 300 Meterkerzen (30 em von der etwa 27-kerzigen
Nernstlampe) geprüft. Das ist ein Irrtum. Wie aus der Anmerkung auf S, 283
hervorgeht, wurde die Reaktionszeit adaptierter Keimlinge auch bei weit höherer
Lichtintensität, und zwar mit Hilfe der Quecksilber- und einer kleinen Kohlenbogen-
lampe geprüft, wobei dieselbe Zeit von etwa 30 Minuten bis zum Beginn der
Krümmung gefunden wurde. Ob freilich bei noch weit höherer Lichtintensität die
Adaptation ebensogut möglich ist, oder nicht dort vielleicht doch wieder längere
Reaktionszeiten auftreten, wage ich nicht zu entscheiden. Schließlich kann ja auch
bei so starken Einwirkungen ein anderes schädigendes Moment hinzukommen, das
mit der von mir untersuchten Verlängerung der Reaktionszeit bei Überschreitung
des „Optimums“ nichts zu tun hat. Entsprechend ist die Adaptation der Netzhaut
nur bis zu einem gewissen Grade möglich. „Nur bei einem bestimmten Ausmaße
der Beleuchtung, welches man als das absolute Optimum der Dauerbeleuchtung be-
zeichnen kann, erreicht nach erfolgter Anpassung die Deutlichkeit des Sehens ihr
absolutes Maximum.“ (9, S. 73.)
1}
424
des Krümmungswinkels 4 Stunden nach Beginn der Belichtung vor. Da nun
die Reaktionszeiten sehr verschieden lang sind, so sind bei 1,5 m von der
Lichtquelle, wo die Krümmung zuerst begann, seitdem schon 2 Stunden
50 Minuten, bei 0,1 m aber, wo die Krümmung am längsten auf sich
warten ließ, erst eine Stunde seit Beginn der Reaktion verlaufen. Es kann
daher nicht wunder nehmen, daß die letztere Krümmung erst 30° beträgt,
während im „Optimum“ der Lichtintensität schon 90° erreicht sind. Hätte
Wiesner nach längerer Zeit noch einmal gemessen, so hätten sich die
Winkeldifferenzen jedenfalls wesentlich verringert, falls sie nicht ganz ver-
schwunden wären. Nur eine wiederholte Messung aber kann darüber Auf-
schluß geben, wie die Krümmung fortschreitet und wann Konstanz erreicht
ist. Das kann unter Umständen sehr lange dauern. Ich stellte etiolierte
Avenakeimlinge in verschiedenen Entfernungen in der Höhe der Auerlampe
auf und konstatierte nach 22 Stunden den Grad der eingetretenen Reaktion.
Die hintersten, in etwa 300 em Entfernung hatten sich um 90° gekrümmt,
auch noch bei 140 em waren keine Abweichungen von der Strahlenrichtung
zu konstatieren. Von da an zeigte sich eine geringe Verminderung des
Krümmungswinkels, der aber auch bei der größten Lichtintensität, bei 30 cm
Entfernung vom Auerstrumpfe, noch mehr als 80° betrug. Hätten nicht
die Coleoptilen vorzeitig ihr Wachstum eingestellt, was sich bei dieser Be-
leuchtung nicht vermeiden ließ, so wäre wohl auch diese Abweichung von
der Strahlenrichtung verschwunden. Der Versuch soll bei günstiger Jahres-
zeit mit länger wachsenden Objekten wiederholt werden !).
Die zweite Tatsache, die für die Abnahme des heliotropischen Effektes
bei starkem Lichte sprechen sollte, war die Verlängerung der Reaktionszeiten.
Daß dieser Beweis nicht stichhaltig ist, glaube ich auch für diejenigen
zwingend bewiesen zu haben, die meiner Hypothese der „Indifferenz“ vor
der Stimmungsadaptation zunächst noch skeptisch gegenüberstehen. Denn
daß diese Zunahme der Reaktionszeiten nur für niedrig gestimmte Pflanzen
gilt und mit der Stimmungsanpassung fortfällt, daran kann nicht mehr ge-
zweifelt werden. Damit sinkt aber die Beweiskraft dieses Argumentes doch
wohl sehr wesentlich, denn nun muß gefragt werden, wedurch denn die
Verzögerung bei im Dunklen gewachsenen Keimlingen verursacht wird. Da
sie mit der Stimmungsadaptation fortfällt, kann für sie kaum eine geringere
Reizstärke des intensiven Lichtes verantwortlich gemacht werden.
Fitting war zwar in seinem Referate der Meinung, daß meine Resultate
zu den daraus gezogenen Schlüssen noch nicht berechtigen, leider konnte
er sich aber von einer gewissen Voreingenommenheit nicht ganz frei machen.
Daß er sich damals in die neue Sachlage noch nicht genügend hineingefunden
hatte, geht aus einem Satze bald zu Beginn seiner Besprechung hervor. Er
sagte dort: „Bekanntlich?) nimmt mit steigender Lichtintensität die positiv
1) Ist inzwischen geschehen, vergl. Anhang.
2) Von mir gesperrt.
425
phototropische Krümmung bis zu einem Maximum zu, um dann, mit weiterer
Zunahme des Lichtes sich wieder zu vermindern und schließlich in eine
negative Krümmung umzuschlagen“. Er ging also von einer Vorstellung
als selbstverständlich aus, deren Schiefheit ich zu beweisen gesucht habe.
Worin zeigt sich denn die Verminderung der phototropischen Krümmung bei
gesteigerter Lichtintensität? Doch hauptsächlich in der verlängerten Reaktions-
zeit, von der ich gezeigt habe, daß sie durch die niedrige Stimmung bedingt
ist. Es darf somit nicht wundernehmen, wenn Fitting meiner Arbeit nicht
ganz gerecht wurde. Neuerdings (5, S. 147) nähert er sich allerdings meiner
Auffassung. Der Widerspruch zwischen der alten Vorstellung vom Optimum
und den Befunden über die Abhängigkeit der Präsentationszeit von der Licht-
intensität ist ihm jetzt auch aufgefallen, und er sucht über ihn hinwegzukommen,
indem er die Vermutung ausspricht, daß die Verzögerung der positiv helio-
tropischen Reaktion „nicht schlechthin von einer geringeren Empfindlichkeit
gegenüber hohen Lichtintensitäten abhängen kann, sondern mit der längeren
Dauer der Belichtung irgendwie verknüpft sein muß“. Hierin soll nun auch
ein neuer Beweis gegen meine Annahme liegen, daß die Verzögerung der
Reaktion auf einer vorübergehenden Indifferenz beruhe. Fitting hat
dabei aber übersehen, daß ich obigen Gedanken, daß der Zustand der
Indifferenz erst durch die Belichtung hervorgerufen wird, schon auf S. 239
meiner Arbeit ausgesprochen und, wenn auch kurz, experimentell begründet
habe. Wenn ich die Folgerungen daraus damals noch nicht zur völligen
Klarheit bringen konnte, so lag das zum Teil an dem Mangel an Tat-
sachen. Der ausführliche Beweis blieb dieser Arbeit vorbehalten und wird
weiter unten gegeben.
Blaauw hat die kürzesten Präsentationszeiten bis herab zu 0,001 Se-
kunden, bei Beleuchtungsstärken (26520 Meterkerzen!)) gefunden, wo bei
dauernder Einwirkung negative Krümmung oder Indifferenz eingetreten wäre.
Überhaupt kann nach diesen Ergebnissen von einer Verminderung der helio-
tropischen Wirkung durch starkes Licht nicht mehr die Rede sein. Woher kommt
es nun, daß eine Verzögerung der Reaktion doch tatsächlich eintritt? Oder,
wenn man sich auf den Boden meiner Theorie stellt, die eine vorübergehende
„Indifferenz“ niedrig gestimmter Keimlinge bei starkem Lichte annimmt, wie
entsteht diese Indifferenz? Denn daß sie irgendwie entstehen muß, da ja
nach ganz kurzer Reizung Krümmung eintritt, ist klar und ist auch früher
von mir nachdrücklich betont worden. Ich zeigte nämlich, daß eine Beleuchtung,
die, dauernd wirkend, zur Indifferenz führt, falls sie periodisch unterbrochen
wird, starke positive Krümmung induziert. (22, S. 289.) Daraus folgerte ich,
daß die Pflanze nicht gegenüber einer bestimmten Lichtintensität an sich
1) Induzierte Helligkeiten oder, — um das subjektive Moment auszuschalten, das
dem Worte Helligkeit anklebt (vgl. 9, S. 4), — besser Beleuchtungsstärken, können
nur in Meterkerzen (= Lux) ausgedrückt werden, nicht in H. ©. (Hefnerkerzen).
126
indifferent ist, sondern daß sie in diesen Zustand erst durch die Belichtung
mit der betreffenden Intensität gerät).
Es bot sich somit eine Gelegenheit, die Richtigkeit meiner Anschauung
zu prüfen. Wird die Indifferenz durch Einwirkung eines Lichtes hervor-
gerufen, das bei kurzer Präsentation positive Krümmung induziert, bei
dauernder aber eine verlängerte Reaktionszeit bewirkt, so muß es dazwischen
eine Belichtungszeit geben, die scheinbar gar keine Reaktion hervorruft und
erst bei einer Induktionszeit, die länger als die früher ermittelte Indifferenz-
(oder Adaptations-)zeit ist, muß wieder positive Reaktion auftreten.
So verhielt es sich nun in der Tat! Schon der erste Versuch ergab
ein entsprechendes Resultat. Vier Töpfe mit je etwa 15 Avena-Keimlingen
wurden 5 Uhr 30 Min. 100 em von der Nernstlampe, 5 Sekunden, 1 Minute,
15 Minuten und 25 Minuten belichtet. Um 7 Uhr waren die Pflänzchen
in den beiden ersten deutlich gekrümmt, die in den beiden länger belichteten
nicht. Nach einer weiteren Viertelstunde hatten die beiden kurz belichteten
"stark reagiert; die, welehe 15 Minuten belichtet worden waren, gar nicht
und die 25 Minuten belichteten ganz schwach. Daran änderte sich auch nach
15 und 30 Minuten nichts. Die 15 Minuten belichteten blieben dauernd gerade;
waren 2 Stunden 15 Minuten nach Beginn der Exposition, als ob sie nie
belichtet worden wären, und auch am nächsten Tage völlig gerade. Genau
dasselbe ergab ein gleichzeitiger Parallelversuch bei 150 cm von der
Nernstlampe.
Die Reaktionszeit betrug bei Belichtung von Präsentationszeitdauer oder
wenig darüber und 15—16° stets etwa 1 Stunde 30 Minuten, wie groß
auch die Lichtintensität und demnach die Präsentationszeit war. War nach
Verstreichen dieser Zeit und bis 2 Stunden vom Beginn der Belichtung keine
Krümmung eingetreten, dann blieben die Keimlinge im Dunkeln dauernd
gerade, als ob keine Reizung stattgefunden hätte. Etwa nach 2 Stunden
war bei Induktionszeiten, die die Präsentationszeit nicht sehr überstiegen,
der Höhepunkt der Krümmung erreicht. Das ist der Zeitpunkt, in dem
Blaauw seine Resultate ablas. Bei längeren Belichtungen erfolgte die
Reaktion, falls keine Indifferenz eintrat, früher.
27. X. 1908. 16° 60%,2)
Auerlampe 300 cm ohne Gelbscheibe Reaktionszeit
Bei dauernder Belichtung . . . . - . 60 Minuten
Induktion 50—70 Sekunden . . . . . 75 e
’) 10 „ ” ” ” ” . . 90 >)
1) Hierher gehört wohl auch eine Beobachtung von J. Loeb (12, S. 576). Er
fand, daß Balanus-Larven, die mit dem Lichte einer Quarzquecksilberlampe bestrahlt
worden waren, negativ phototaktisch wurden, und zwar auch gegenüber dem Lichte
einer Glühlampe, das sonst positive Reaktion hervorrief. Der negativ phototaktische
Zustand hielt 10—20 Minuten an, später reagierten die Tiere wieder positiv.
2) Die Temperatur und relative Luftfeuchtigkeit sind überall in der obigen
Weise in Celsiusgraden und Prozenten angegeben.
427
Um das beschriebene Verhalten sicherzustellen, und genauere Daten
für das Eintreten der Indifferenz bei verschiedenen Lichtintensitäten zu ge-
winnen, wurden etwa 20 Versuche mit der Nernstlampe und 30 mit der
Auerlampe angestellt, die alle im wesentlichen Resultate übereinstimmen.
Dieses besteht darin, daß bei einer gewissen Lichtintensität
eine Zeit der einseitigen Belichtung gefunden werden kann,
die länger als die Präsentationszeit ist und auf die keine nach-
trägliche Krümmung erfolgt. (Protok. No. 6 u. 7 und Tab. 1 u. 2.)
Je höher die Liehtintensität ist, desto kürzer ist die minimale, „Indifferenz“
hervorrufende Induktionszeit, und zwar nimmt sie etwa umgekehrt propor-
tional dieser zu, sodaß es bei diesem physiologischen Effekte offenbar wie
bei der Präsentationszeit auf die einwirkende „Lichtmenge“ ankommt. Die
Grenze für die Beleuchtungsintensität, wo noch Indifferenz erzielt werden
konnte, lag bei der Nernstlampe in etwa 150—200, bei der Auerlampe
ungefähr bei 200—250 em von der Lichtquelle!). Im ersteren Falle mußte
etwa 4 Minuten, im letzteren etwa 3 Minuten belichtet werden, um In-
differenz zu erzielen. Die niedrigsten, in meinen Versuchen erreichten Werte
sind für die Nernstlampe in 25 cm Entfernung, also bei ungefähr 120 Meter-
kerzen 5 Sekunden, für die Auerlampe in 25 cm Entfernung, also bei etwa
160 Meterkerzen ebenfalls 5 Sekunden. Wurde kürzer belichtet, als diesen
angegebenen Grenzwerten entspricht, so trat deutliche Reaktion ein.
Tabelle 1.
Entfernung Auerlampe (ohne Dämpfung).
vom Strumpf
35cm |1lu 24 | 3107207 4021,275; ı 15 u. 20° +
| 10’ |
50. Dal 10, 12, 14, 20, 40”, 1, 2,|| 20° +? | 25, 30, 35, 40, 50, 60° +
| I 3 4 6, 8, 10, 15’ |
75 » 10, 15, 20° + || I 20, 40”, 2, 5, 7, 10, 15, 30, 35, 40’ +
ı | 20, 25’ |
10055 3101, 20, | 40 = 23 1160: 1802557, 10, 12,51551130/-.%% | 355 40,45% E
30” + | | 20, 25’
150 , 20, 40, SO" 2,8, 5,10, 19, 202.25, 832-2 35, 40° +
| | 30’
175 „. | 10,20, 80“4|2'+? |j5, 10, 15, 20, 25, 30'o| 139° +
20085; I RS |3u.4” 42] | 15 3.9,17.10515520493,
| | 30, 35, 40°
| || aber alle bis auf die beiden
| letzten gehen bald zurück!
300: , BUS) 54? | 102207407792 72737
12°’ +
1!) Die Zahlen entsprechen hier wie überall einander nicht völlig, wenn man sie
auf gleiche photometrische Helligkeit berechnet. Vielmehr ergibt sich überall eine
relativ größere Wirksamkeit der Nernstlampe. Das kann allerdings neben dem re-
lativen Gehalt an heliotropisch wirksamen Strahlen auch an der Benutzung anderen
Materiales liegen. Aus meinen Zahlen wäre dann zu schließen, daß der Hafer „großer
weißer v. Ligowo“ eine etwas höhere „spezifische Stimmungskomponente“ hätte.
428
Tabelle 2.
Nernstlampe.
Entfernung
J5,emu 12129 4,25u 10, 20, 40, 60, 90, 120, 15° 4
150, 180, 210“, A, 6,
S 12°
505252192302 6049005273, 7,810; 20, 25, 30° +
15’
1005, 121525, 210,2302.60,290)15,7553105 15, 175.202 1052-22 25’ +
120” +
1502,20 52, 21,00,252=1- 4, 8, 10, 20° 25’ —+
BE E30; |
30' + |
Die Tabellen 1 und 2 enthalten die Resultate der Induktionsversuche
bei verschiedenen Beleuchtungsintensitäten und -Zeiten. Das Zeichen +
bedeutet positive, ® keine Reaktion. —+- ? bedeutet, daß etwa gleich viel
Individuen gerade und gekrümmt oder doch die Krümmungen nur bei
der Hälfte sicher zu konstatieren waren.
IV. Überwindung der Indifferenz.
Nachdem ich nun gezeigt habe, daß das Ausbleiben der Krümmung
wie ihr Einsetzen durch die Bestrahlung mit einer gewissen Lichtmenge
hervorgerufen wird, bleibt zu erörtern, was geschah, wenn länger belichtet
wurde als die zur Erreichung der Indifferenz notwendige Zeit. Schließlich
mußte ja mit der Annäherung der Induktion an die Reaktionszeit wiederum
ein Grenzwert erreicht werden, bei dem neuerlich eine Krümmung eintrat,
die Indifferenzperiode also überschritten war.
Als ich diese Frage experimentell in Angriff nahm, war es mir wahr-
scheinlich, daß die Überwindung der Indifferenz bei verschiedenen Licht-
intensitäten durch eine Belichtungszeit hervorgerufen werden würde, die der
früher (22, S. 284) ermittelten Adaptationszeit entspräche, da die eigentliche
Präsentationszeit als verhältnismäßig sehr kurz außer acht gelassen werden
könnte. Es stellte sich aber heraus, daß die Sache verwickelter liegt, so-
daß mir bis heute trotz der darauf verwendeten Mühe eine Unklarheit ge-
blieben ist. Es entsprechen nämlich für das benutzte Intensitätsintervall
die gefundenen Werte für die Induktionszeit, die die Indifferenz überwindet,
zwar einigermaßen in ihrer Größe den früher bei derselben Beleuchtungs-
stärke gefundenen Umstimmungszeiten!. Sie nehmen aber nicht, wie
das erwartet wurde, mit der Lichtintensität zu, sondern, wenn auch wenig,
ab. (Tab. 1 u. 2.) Man muß nun allerdings bedenken, daß überhaupt
nur die Beleuchtungsstärken ungefähr von 25—200 cm von der Nernst-
resp. Auerlampe für die Erzielung einer Indifferenz in Betracht kamen,
weil größere Lichtstärken nicht zur Verfügung standen und geringere
keine Indifferenz mehr hervorriefen.. Das ist aber für heliotropische Ver-
1) Protok. Nr. 8.
429
suche kein umfangreiches Intensitätsintervall. Doch auch schon innerhalb
dieses Zwischenraumes variieren die zur Indifferenz führenden Minimal-
werte sehr wesentlich. Es ist also bemerkenswert, daß von 25—200 em
von der Auerlampe die Maximalwerte der Zeit, bei deren Überschreitung
wieder wirksame Induktion stattfindet, sich in umgekehrter Richtung und
nicht mehr als von 15—35 Minuten, also nicht proportional, verschieben,
Man kann daraus vorläufig nur schließen, daß dem die Umstimmungszeit
verlängernden Vorgange ein anderer entgegenarbeitet, der auf ein be-
schleunigtes Krümmungsbestreben hinwirkt, und daß dieser bei einer ge-
wissen Lichtintensität das Übergewicht erlangt. Dieser Vorgang ist voraus-
sichtlich identisch mit demjenigen, der bei adaptierten Pflanzen die mit der
Liehtintensität sinkende Reaktionszeit bewirkt. Die Ausmalung weiterer
Möglichkeiten unterlasse ich, um so mehr, als nur Versuche mit größeren
Liehtintensitäten, als sie mir zur Verfügung standen, Klärung in diese, wie
in manche anderen Probleme der heliotropischen Reizbarkeit bringen können.
Nur eins möchte ich an dieser Stelle noch hervorheben, daß nämlich
die Umstimmungszeit nie direkt bestimmt wurde, sondern nur ermittelt
durch die Differenz der Reaktionszeiten adaptierter und im Dunkeln ge-
wachsener Keimlinge. Da aber die zur Krümmung führenden Prozesse
sicherlich schon einsetzen werden, bevor Konstanz der Stimmung!) erreicht
ist, und zwar mit um so größerer Energie, je größer die Lichtintensität ist,
so ist hiermit wieder em neuer variabler Zeitwert gegeben, der seinerseits
die Sachlage kompliziert, und zu dessen Bestimmung neue, umfangreiche
Versuchsreihen nötig wären, zu denen vorläufig die Zeit fehlte.
Um nun zu den äußerlich Indifferenz hervorrufenden Induktionszeiten
zurückzukehren, so ist die Variationsmöglichkeit dieser Zeiten bei der
schwächsten Beleuchtung, die noch Indifferenz hervorruft (etwa 200 cm)
am größten, weil sie, absolut genommen, von da mit Steigerung der Inten-
sität des Lichtes von hinten mehr abnimmt als sie von vorne wächst. Die
relative Ab- und Zunahme verhält sich dagegen umgekehrt. Die Minimal-
zeiten, an sich kurz, nehmen bei sinkender Lichtintensität verhältnismäßig
stark zu, die langen Maximalzeiten dagegen relativ wenig ab. Die graphische
Darstellung (Fig. 3) zeigt diese Verhältnisse nicht richtig, weil sie aus
Mangel an Raum verschieden stark zusammengezogen werden mußte. (Vgl.
Figurenerklärung.) Wie das Verhalten bei sehr viel größeren Lichtinten-
sitäten wäre, läßt sich vorerst nicht vorraussagen, denn extrapolieren darf
man bei physiologischen Kurven nicht und Experimente stehen mir nicht
zur Verfügung.
Bei schwächerer Beleuchtung, etwa von 200 cm ab, tritt Indifferenz
überhaupt nicht mehr auf, und jede, die Präsentationszeit übersteigende ein-
seitige Belichtung hat eine mit ihrer Dauer wachsende heliotropische Nach-
1) Über die Konstanz der Stimmung und die Definition der Stimmungshöhe
aus der Bestimmung der Präsentationszeiten siehe weiter unten S. 440.
430
wirkung. An den vorderen und hinteren Grenzen der Indifferenzfläche
(vgl. Fig. 3) treten schwache Krümmungen auf, die aber bald zurückgehen.
Bei 200 em, wo eine vollkommene Indifferenz nicht mehr zu erzielen
yegısuagur
-sdungpnafpg Spusmyaunz D—>
Induktionszeit »>—
Fig. 3. Die Abseissen-Maße der Rurve ı sind von der ersten zur
letzten steigend zusammengezogen.
l. Gebiet der unterschwelligen Belichtungen.
2. Positive Krümmung durch Überschreiten der Präsentationszeit.
3. Ausbleiben der Reaktion (Indifferenzfläche).
4. Definitiv positive Krümmung nach Erhöhung der Stimmung.
war, verschwimmen diese Grenzen ineinander, so daß sich der Einfluß der
Gegentendenzen nur darin zeigt, daß die bei den mittleren Induktionszeiten
von 1—30 Min. auftretenden Krümmungen schneller zurückgehen als die bei
kürzerer und bei längerer Belichtung. Schließlich, nach etwa 2"/ı Stunden,
zeigen nur noch die Keimlinge, die mindestens 40 Min. belichtet worden
sind, eine positive Krümmung, während alle anderen gerade oder in Riück-
krümmung begriffen sind.
Betrachten wir nun die Reaktionen etwas eingehender, welche durch
einseitige Belichtung hervorgerufen werden, die länger als die Präsentations-
zeit aber kürzer als die kürzeste, Indifferenz verursachende Reizung ist.
Mit Überschreitung der Präsentationszeit wird die Reaktionszeit kaum
merklich verkürzt, die Krümmungen werden aber deutlicher und gehen nicht so
schnell zurück. Schließlich kommt, mit der Annäherung an die Grenzlinie der
Indifferenz, eine Belichtungszeit, wo im Gegenteil, trotz anfänglicher deutlicher
Krümmung, die die bei Belichtung von Präsentationszeitdauer an Stärke
übertrifft, nach einiger Zeit eine Gegenbewegung einsetzt, die bald zu
S-förmiger Krümmung führt. Diese schlägt häufig in eine Form um, die
man ohne weiteres für eine rein negative Krümmung halten würde, wenn
man ihre Entstehung nicht kennte. Offenbar geht die, inzwischen tiefer
gerückte, primäre positive Krümmung autotropisch schneller zurück als die
später einsetzende negative Spitzenreaktion.
Die Natur der letzteren konnte nicht ganz aufgehellt werden. Ich
halte es für wahrscheinlich, daß sie eine wirkliche negative Reaktion dar-
stellt. Die Gründe für diese Auffassung sollen im theoretischen Teile dar-
431
gelegt werden. Daß die Gegenkrümmung nicht rein autotropisch ist, geht
daraus hervor, daß sie um so früher bemerkbar wurde, je länger die Be-
lichtung war, während die eigentliche Gegenreaktion erst nach dem Aus-
klingen der primären Reizung erscheint, sodaß also der autotropische Aus-
gleich um so früher erfolgt, je kürzer die Reizung ist. Außerdem setzt sie
an der Spitze ein, während die eigentlichen Ausgleichskrümmungen nur das
sestörte Gleichgewicht wiederherstellen und die gekrümmte Zone gerade
richten. Ganz besonders spricht aber gegen diese Erklärung, daß die
Gegenkrümmungen oft energischer waren, als die Zukrümmung, ja daß selbst
dann, allerdings schwache, negative Reaktionen beobachtet werden konnten,
wenn eine positive Krümmung vorher nicht sichtbar ausgeführt worden war.
An geotropische Reaktion, die etwa durch die Abweichung von der Ver-
tikalen hervorgerufen worden sein könnte, war somit auch nicht zu denken.
Die rein negativen Spitzenkrümmungen traten besonders, aber nicht immer
nur dann auf, wenn die Belichtung nicht wesentlich länger gewesen war
als sie zur Verhinderung positiver Krümmungen sein mußte. Über die Ent-
stehungsbedingungen ist aber doch keine völlige Klarheit erlangt worden.
Ich habe demnach auch die Frage nicht definitiv entschieden, ob diese
schwach negativen Krümmungen, die bei einer gewissen Induktionszeit auf-
treten, wirklich wesensgleich mit den von N. I. ©. Müller, Oltmanns und
Figdor beobachteten bei weit stärkerer Dauerbelichtung sind. Jedenfalls muß
der Umstand hervorgehoben werden, daß, wie bei dauernder starker Belichtung
in einer gewissen Beleuchtungszone (im sog. Optimum von Oltmanns) die
Krümmungen verhältnismäßig lange ausbleiben und bei.noch stärkerer Be-
leuchtung selbst negative Krümmungen auftreten, die später auch in positive
übergehen können, so hier bei schwächerer Beleuchtung und verschieden
langer Induktion erst Indifferenz und dann sogar negative Reaktion hervor-
gerufen wird, bei noch längerer aber wiederum positive. Eine große
Übereinstimmung scheint mir da zweifellos vorhanden.
Alle bisher beschriebenen Versuche sind mit Keimlingen von Avena
sativa angestellt worden. Um mich zu vergewissern, daß diese in ihrem
Verhalten nicht einzeln dastehen, wurden zum Vergleich andere Objekte,
wie Brassica Napus, Hordeum sativum, Panicum miliaceum, Secale cereale,
Agrostemma Githago und Lepidium sativum herangezogen. Alle zeigten
sich unempfindlicher als der Hafer, d. h. es bedurfte zur Erzielung der
entsprechenden heliotropischen Wirkung einer größeren Lichtintensität. So
konnte vorübergehende Indifferenz nur bei den drei ersten einwandfrei nach-
gewiesen werden. Daß die anderen sie nicht zeigten, glaube ich nur auf
die schwache Lichtintensität resp. zu geringe Empfindlichkeit zurückführen
zu dürfen (vgl. Protok. 6).
Als das bemerkenswerteste Resultat dieser Untersuchungen möchte ich
hervorheben, daß bei einer gewissen Stärke der Beleuchtung das
anfangs induzierte positive Krümmungsbestreben, wie es bei
Unterbrechung der Belichtung nachträglich zum Vorschein
432
kommt, wieder ausgelöscht wird und sogar in negatives um-
schlagen kann. Positive Krümmung tritt dann erst wieder ein, nachdem
eine ganze Reihe von wechselnden inneren Zustands- und Stimmungsperioden
durchlaufen ist. Mit allem Vorbehalt möchte ich hier an die Nachbilder
des Auges bei kurzer starker Belichtung erinnern, ohne den Vergleich weiter
zu verfolgen.
V. Analogien aus anderen Reizgebieten.
Auch auf rein botanischem Gebiete darf uns die geschilderte Sachlage nach
unseren derzeitigen Kenntnissen nicht zu sehr überraschen. Denn wenn Blaauw
positive Reaktionen nach sehr kurzer Reizung bei Lichtintensitäten gefunden
hat, die, dauernd einwirkend, mindestens sehr verspätete Reaktion oder
Indifferenz, wahrscheinlich aber sogar negative Krümmung hervorgerufen
hätten !), so ist das auch nur in der oben dargestellten Weise zu verstehen.
Das anfangs induzierte Bestreben zu positiver Reaktion muß wieder zu
nichte gemacht werden, wenn die intensive Belichtung andauert. Vielleicht
hören wir in der Beziehung noch genaueres, wenn Blaauw seine Ergebnisse
ausführlich mitteilt. Es bedurfte also eigentlich nicht einmal meiner Be-
funde, um zu dieser Erkenntnis zu kommen. Die Sache scheint aber jetzt
klarer und die Ergebnisse stützen sich gegenseitig in wünschenswerter Weise.
Um das Bild noch mehr abzurunden, sei an folgende ältere Beobachtungen
erinnert. Strasburger, dem wir für die Lehre von der Lichtstimmung
soviel verdanken, findet (2), S. 55) eine „Nachwirkung der Dunkelheit“ bei
neuer Reizung insofern, als „die das Licht zuvor fliehenden, am negativen
Rande des Tropfens angesammelten Schwärmer (verschiedener Algen) sich
jetzt in entgegengesetzter Richtung in Bewegnng setzen. Sie gelangen oft
bis zur Mitte des Tropfens, um dann umzukehren“. Die Nachwirkung geht
hier schnell vorüber. Es genügt aber auch eine kurze Verdunkelung, um
diese Wirkung hervorzurufen. Mir scheint diese Beobachtung so zu deuten,
daß nach meiner jetzigen Ausdrucksweise die Schwärmer in Dunkeladaptation
auf eine kurze Belichtung mit intensivem Lichte zwar positiv reagieren, aber
bald durch die Dauer der Belichtung veranlaßt werden (erst indifferent und
dann) negativ phototaktisch zu werden. Ich sehe also in dieser Nach-
wirkung eine, wenn auch kurz dauernde, Stimmungsveränderung, die durch
Sauerstoffentzug, wie Strasburger zeigt, dauernder gemacht werden kann.
Letztere Tatsache dürfte weitere Untersuchung lohnen, wie überhaupt diese
Probleme mit phototaktischen Organismen neu aufgenommen werden sollten.
Am meisten Material bieten Loebs (12) Untersuchungen. Er zeigte neuer-
dings, daß man durch Belichtung mit einer Quarzquecksilberlampe Balanus-
1) Dies ergibt sich aus dem Vergleich mit den von Oltmanns angewendeten
Liehtintensitäten, sowie daraus, daß die von jenem benutzten Hordeum-Keimlinge
weniger empfindlich sind, als solche von Avena.
433
Nauplien (das sind Krebslarven), negativ heliotropisch machen kann und daß
dieser negative Heliotropismus auch bei schwächerem Lichte einige Zeit bestehen
bleibt. Darin kann man wiederum einen Beweis für die Anschauung sehen,
daß ein Organismus nicht an sich positiv oder negativ gegen eine bestimmte
Lichtintensität reagiert, sondern erst durch die Belichtung in diesen Zustand
gerät, der sie eventuell auch überdauern kann. Diese Dauer ist freilich bei
verschiedenen Organismen als sehr verschieden anzunehmen. Da hierzu noch
die positive Reaktion bei intensivem Lichte vor und nach der Helladaptation
kommt, deren Dauer auch wieder stark variieren kann, so ist es nicht zu ver-
wundern, wenn die in der Literatur verstreuten Beobachtungen zunächst ein
scheinbar nicht zu entwirrendes Chaos darstellen.
In einer älteren Arbeit hat Loeb zusammen mit Groom (7) einen noch
wertvolleren Beitrag zu unserem Thema geliefert. Die Verfasser fanden
nämlich, daß „1. die Nauplien (von Balanus), wenn sie längere Zeit im
Dunkeln gewesen sind, ausnahmslos positiv heliotropisch werden, und zwar
gegen direktes Sonnenlicht sowohl wie gegen diffuses Himmelslieht oder
gegen Lampenlicht; daß 2. aber Licht von einer geniügenden Intensität,
wenn es einige Zeit auf die Nauplien eingewirkt hat, dieselben ausnahmslos
negativ heliotropisch macht; je stärker das Licht ist, um so rascher erfolgt diese
Umwandlung.“ (8. 166.) „Das Paradoxe der Erscheinung liegt in dem Um-
stande, daß längerer Aufenthalt in direktem Sonnenlichte, welches die Tiere
am schnellsten negativ heliotropisch macht, bei dieser Versuchsanordnung die
gleiche Nachwirkung hat, wie längerer Aufenthalt in einem lichtleeren
Raume: in beiden Fällen sind die Tiere, wenn man sie in diffuses Tages-
licht zurückbringt, positiv heliotropisch, um nach einiger Zeit ... .. . wieder
negativ heliotropisch zu werden“. Das entspricht offenbar dem Verhalten
der heliotropischen Keimlinge, die auch positiv anstatt negativ reagieren,
wenn sie höher gestimmt sind und andererseits bei tiefer Stimmung im
Anfang der Reizung mit starkem Lichte positives Krümmungsbestreben
zeigen, das sich dort nur durch Unterbrechung der Beleuchtung nachweisen
läßt. (Siehe auch den theoretischen Teil S. 460.) Groom und Loeb sagen
weiter: „Es wäre möglich, durch eine Theorie die scheinbare Disharmonie
beider Tatsachen zu beseitigen; eine derartige Theorie hat uns in der Tat
auch zur Anstellung der entscheidenden Versuche geführt —, wir wollen
aber in dieser Abhandlung nur die Tatsachen darlegen.“ (8. 171.) Leider
ist diese "Theorie meines Wissens auch später nicht veröffentlicht worden.
Jedenfalls geht für die Verfasser aus den Untersuchungen hervor, „daß es
falsch wäre, schlechthin zu behaupten, die Tiere seien bei starkem Lichte
negativ, bei schwachem Lichte positiv heliotropisch.“ (S. 168.) Und doch
ist das bis heute die herrschende Meinung, obwohl seitdem (1890) 18 Jahre
verstrichen sind und sich die heliotropischen Keimpflanzen offenbar ebenso
verhalten.
Wie steht es nun aber in der Beziehung mit der Netzhaut? Positive
und negative Reaktionen gibt es da zwar nicht, es kann aber immerhin die
434
Frage aufgeworfen werden, ob auch dort die für eine intensive Wirkung
charakteristischen Einflüsse eine gewisse Zeit brauchen, um sich geltend zu
machen und ob nicht vor Ablauf dieser Zeit dort ebenfalls Reizwirkungen
entstehen wie sie bei längerer Einwirkung ein schwächerer Reiz hervorruft.
Abgesehen von den Tatsachen des Talbotschen Gesetzes!) haben wir die
Untersuchungen von Bloch und besonders von Charpentier, welche
zeigen, daß ein intensiver Lichtreiz, falls er kurze Zeit einwirkt, nicht die
volle Erregungshöhe induziert, sodaß also der Eindruck ein schwächeres
Licht vortäuscht. Und zwar ist dessen Stärke bis zu einer gewissen Grenze
proportional der Einwirkungszeit, sodaß auch dort wie bei der heliotropischen
Pflanze an der Reizschwelle das Produkt aus Intensität und Zeit konstant
ist. Bei längerer Einwirkung eines solchen Lichtes aufs Auge nähert sich
dann die Erregungshöhe der, die bei dauernder Belichtung erreicht wird.
Aus diesen Ergebnissen und aus der Gültigkeit des Gesetzes von Talbot
auch für sehr intensives Licht kann man schließen, daß auch die Blendungs-
erscheinungen, die einige Ähnlichkeit mit denen der Indifferenz und negativen
Reaktion haben, eine gewisse Dauer der Einwirkung voraussetzen. Ein
dunkel adaptiertes Auge sieht bei einem Blitze mehr als es sehen würde,
wenn dieselbe Lichtintensität einige Sekunden anhielte. Es ist in diesem
Falle keine Zeit zur Blendung, durch die das Auge untüchtiger würde, bis
es durch Stimmungserhöhung seine bei dem betreffenden Lichte optimale
Sehschärfe erlangt hätte ?). |
Sehen wir uns nun nach Analogien auf anderen Reizgebieten um, so
ist von dem meist untersuchten Geotropismus nichts dergleichen zu erwarten,
weil überhaupt keine Umstimmung durch die Schwerereizung bekannt ist,
wohl aber wäre die chemische Reizbarkeit zum Vergleich heranzuziehen. Bei
der Chemotaxis ist freilich die zeitliche Abgrenzung einer Reizwirkung kaum
möglich, und wir finden daher dort nur, daß eine Substanz, die bei großer
Verdünnung positive Reaktion veranlaßt, bei Erhöhung der Konzentration
abstoßend wirkt. Günstiger liegt die Sache beim Chemotropismus, der
durch W. Polowzow (21) einem eingehenderen Studium erschlossen ist.
Mit ihrer Methode der Diffusion durch 'T'onrohre ist es möglich, die Ein-
wirkung quantitativ und zeitlich zu beschränken. Sie findet, daß Reize von
einer gewissen Intensität (S. 54) nur negative Krümmungen und schwächere,
von ihr dureh Intermittenz hergestellte ($. 179), nur positive hervorrufen.
Dazwischen befindet sich ein Gebiet, in dem anfangs eine schwache Zu-
1) Dieses besagt, daß intermittierendes Licht um so viel schwächer wirkt, als
die eingeschobenen Dunkelpausen betragen. Der physiologische Effekt ist also gleich
dem Produkt aus Lichtintensität und Einwirkungszeit, woraus sich ergibt, daß die
Wirkung um so geringer ist, je kürzer der Einzelreiz dauert.
2) Diese Ausführungen sollen vorläufig nur auf eine Ähnlichkeit hinweisen, ohne
daß ich behaupten will, daß eine innere Wesensgemeinschaft zwischen den beiden
Gebieten bestehe. Dazu fehlen wohl noch zu sehr die Tatsachen, die aber nicht
allzuschwer zu beschaffen sein dürften.
435
krümmung eintritt, die später in das Gegenteil umschlägt. Wir sehen auch da,
daß stärkere Reize im Anfange so wirken, wie schwächere nach längerer In-
duktion, so daß es möglich ist, die dadurch hervorgerufene positive Reaktion
mit dem Mikroskop zu verfolgen, falls die richtige Reizintensität gewählt wird.
Wird zur rechten Zeit der Gasstrom abgestellt, „ehe die zeitliche Reizschwelle
für die negative Krümmung erreicht ist, so kommt nur eine ausgeprägte positive
Krümmung zustande“ (S. 53). Ist der Strom zu stark, so ist bei dauernder Ein-
wirkung nur negative Krümmung zu beobachten. Die sich hier anschließenden,
durch die Analogie mit dem Phototropismus angeregten Fragen wären haupt-
sächlich, ob bei einer bestimmten Induktionszeit auch Indifferenz hervorgerufen
wird und ob eine negative Reaktion durch Erhöhung der Stimmung auch wieder
in positive umschlagen kann. Daß die negative Reaktion nicht durch die
Reizintensität als solche hervorgerufen, sondern erst durch die dauernde Ein-
wirkung des relativ starken Reizes erzeugt wird, geht auch dort (vgl. oben
S. 25) aus den Versuchen mit intermittierender Reizung hervor, wo rein
positive Krümmung durch einen unterbrochenen Gasstrom bewirkt wird, der
bei konstanter Diffusion negative Reaktion auslösen würde (S. 179 ff.). Aus
all’ dem wird geschlossen, „daß die positiven Krümmungen nicht als erstes
Stadium des Prozesses angesehen werden dürfen, sondern als eine selbständige
Reaktion auf die kurze Einwirkungsdauer der kleinen Mengen der ein-
wirkenden CO,“
Die Ähnlichkeit mit dem, was ich beim Heliotropismus feststellen konnte,
scheint mir recht einleuchtend. Wir sehen also bei zwei Reizgebieten, wo
das Auftreten positiver oder negativer Reaktion von der Stärke des Reizes
abhängt, daß 1) der schwache Reiz Zukrümmung, der starke Wegkrümmung
bedingt, 2) die negative Reaktion erst durch das Andauern des Reizanlasses
hervorgerufen wird, indem eine gewisse Intensität der Einwirkung bei kurzer
Dauer denselben Effekt hat, wie eine schwächere bei längerer, 3) daß die
negative Reaktion bei intensivem Reiz die anfänglich induzierte positive ganz
auslöschen kann.
VI. Einfluß der Stimmung auf die Präsentationszeit.
Die Frage, die sich nun darbot, betraf das Verhältnis der Präsen-
tationszeiten zu den früher studierten Stimmungs-Phänomenen. Als Grundlage
dazu suchte ich mir eine Vorstellung von der Länge der Präsentationszeiteu
bei Avena sativa und der Gültigkeit des von Fröschel (6) konstatierten
Gesetzes zu verschaffen. Dieses besagt, daß das Produkt aus Lichtintensität
und Präsentationszeit für jede Pflanzenart einen konstanten Wert hat. Ich
benutzte dazu nach einigen Vorversuchen die Beleuchtung in soleher Entfernung
von der Nernstlampe, daß die Präsentationszeiten nicht unter das mit meinen
einfachen Mitteln konstatierbare Maß hinabgingen. In dem so leider be-
schränkten Beleuchtungsintervall fand ich das Gesetz gültig. Weitere Unter-
Beiträge zur Biologie der Pflanzen, Bd. IX, Heft III, 28
436
suchungen, die geplant waren, wurden dann durch die Veröffentlichung der
Blaauw’schen Ergebnise (30) überflüssig.
Tabelle 3.
Präsentationszeiten von Avena sativa.
Entfernung | Berechnet mit.
von der Gekind Zugrundelegung
Nernstlampe ne des Wertes 20"
inem | für S00 em
150 at | 0:77
300 etwa 2’; 2—3” 2,8”
00 8— 10” 8
600 etwa 9"7:710%;.>1075:1113” Me
700 < 16”; etwa 17’; 15—16” 110%
800 15—20”; 20—25”’; 15—20”; 20”
| a0—arr
l
Zum Vergleich mit den von Fröschel gefundenen Präsentationszeiten
wurde in 800 em von der Nernstlampe eine Bestimmung mit Lepidium sativum
gemacht. Sie ergab, daß erst nach 8 Minuten langer Belichtung Reaktion
eintrat, daß also nach Fröschels Ausdrucksweise Avena etwa 25 mal so
empfindlich ist als Lepidium. Nachdem so die Präsentationszeiten bei der
niedrigsten Stimmung, die möglich ist, bekannt waren, konnte ich dazu über-
gehen, den Einfluß einer willkürlichen Stimmungserhöhung zu prüfen.
Es war nun bekannt, daß Reaktionszeit wie Präsentationszeit mit
steigender Lichtintensität kürzer werden, und daß erstere durch die Stimmungs-
adaptation ebenfalls sinkt. Es mußte sich daher die Frage ergeben, wie
denn die Präsentationszeit von der heliotropischen Stimmung abhängig ist.
Sowohl Fröschel wie Blaauw haben nur mit etiolierten Keimlingen ge-
arbeitet und eine Belichtung vor der heliotropischen Reizung nach Möglichkeit
vermieden. Wie stellt sich aber die Sache, wenn der Pflanze absichtlich eine
höhere Stimmung verliehen wird als sie hat, wenn sie aus dem Dunkeln kommt?
Eine Prüfung dieser Verhältnisse war nun auf zweierlei Weisen zu
erreichen. Entweder konnten die Versuchskeimlinge bei verschiedenen Licht-
intensitäten unter Drehung bis zur Konstanz der Stimmung belichtet werden,
und es konnte dann die Präsentationszeit bei einer bestimmten anderen
Lichtintensität gemessen werden. Oder aber es konnte der zeitliche Verlauf
der Umstimmung in seinem Einfluß auf die Größe der Präsentationszeiten
zu bestimmen gesucht werden. Falls dann die Vorbelichtung eine Wirkung
auf die Präsentationszeit hatte, so mußte es sich zeigen, wie lange sie dauern
mußte, um diesen Einfluß auszuüben und wie er sich eventuell mit der Zeit
verstärkte. Ich wählte die zweite Methode, weil ich hoffte, daß sie gleich
einen tieferen und interessanteren Einblick in die Umstimmungsvorgänge
erlauben würde, und weil ich vorher nicht wissen konnte, wann Konstanz
der Stimmung erreicht sei. Eine längere Rotation war zu vermeiden, weil
dabei eine Verschlechterung des Versuchsmateriales nie ganz zu verhindern
Br 2
war. Die Belichtung hindert das Wachstum, gegenseitige Beschattung führt
zu unkontrollierbaren Krümmungen und so fort. Gutes gerades Material
von größter Zuverlässigkeit war aber, wie sich bald herausstellte, für diese
Versuche unerläßlich. In den Bestimmungen der Präsentationszeiten können
sonst zu leicht Irrtümer entstehen.
Es waren a priori folgende Möglichkeiten für einen eventuellen Einfluß
der Stimmungserhöhung auf die Präsentationszeit zu bedenken:
Il. Die Pflanze konnte während der Adaptationszeit wirklich völlig indifferent
gegen einseitige Lichtreizung sein. Dann mußte die Präsentationszeit
immer mindestens gleich der Umstimmungzeit sein und mit der Annäherung
der Stimmung sinken. Diese Möglichkeit ist nach den neueren Befunden,
besonders von Blaauw, nicht verwirklicht.
2. Die Stimmungsveränderung konnte ohne Einfluß auf die Präsentations-
zeit sein. Das war aber nach den an der Netzhaut gemachten Er-
fahrungen wenig wahrscheinlich. Das Produkt aus Lichtintensität und
Belichtungszeit, die „Lichtmenge“, die für den physiologischen Eindruck
eines Lichtreizes maßgebend ist, hat nämlich nach Charpentier
(1, S. 340) umso weniger Wirkung, je unempfindlicher die Netzhaut durch
vorhergehende Belichtung ist, woraus auch für die Pflanzen wahrscheinlich
wird das Zutreffen der letzten Möglichkeit:
. Die Präsentationszeit bei einer gegebenen Lichtintensität wächst mit
steigender Stimmung, wie ich das schon früher annahm (22, 8. 301).
>
Ich habe in meiner ersten Mitteilung die Anschauung vertreten, daß
die schnellere Reaktion solcher Keimlinge, die an eine gewisse Lichtintensität
gewöhnt sind, auf einer Art von Adaptation beruhe, ähnlich wie das für
die Netzhaut bekannt ist. In der Sinnesphysiologie des Auges wird der
Gang der Helligkeitsanpassung der Netzhaut mit Hilfe von Intensitätsschwellen-
bestimmungen verfolgt, wie das z. B. Piper (20) getan hat. Er bestimmte
im Verlauf der Dunkeladaptation periodisch die geringste, gerade noch unter-
schiedene Helligkeit einer Fläche, die verschieden stark beleuchtet werden
konnte. Solche Messungen sind bei Pflanzen selbstverständlich unmöglich,
da bis zur eintretenten Reaktion die Stimmung längst wieder verändert
sein würde. Möglich sind dagegen Bestimmungen der Präsentationszeit,
weil hierzu nur verhältnismäßig kurze Belichtungen erforderlich sind. Da nun
nach den Untersuchungen von Fröschel und Blaauw das Produkt aus
Präsentationszeit und Beleuchtungsstärke konstant ist, also in beiden Fällen
im Grunde Lichtmengen-Schwellenbestimmungen gemacht werden, so können
beide Methoden als analog betrachtet werden.
Allerdings wird auch bei diesen Versuchen während der Exposition
die Stimmung verändert. Wenn man aber anstatt der von Piper studierten
Dunkeladaptation den umgekehrten Vorgang untersucht, so wird die Ver.
änderung der Stimmung in derselbeu Richtung fortschreiten und so das
Bild weniger stören. Jedenfalls wird ein deutliches Resultat dann zu er
28#
438
warten sein, wenn zur Bestimmung der Präsentationszeit dieselbe Licht-
intensität benutzt wird wie zur Erhöhung der Stimmung der aus dem Dunkeln
kommenden Pflanzen, da unter diesen Umständen die Präsentation nur wie
eine Verlängerung der unter Rotation bewirkten Vorbelichtung wirken wird.
Die absoluten Zahlen für die Vorbelichtungs- und die Präsentationszeit
werden freilich so nicht zu ermitteln sein, da beide Zeiten ineinander über-
gehen; aber die relativen Werte werden doch auch einen gewissen Einblick
in das innere Geschehen ermöglichen. Unter diesen Umständen wird die
eigentliche Vorbelichtungszeit größer als die Rotationszeit, aber kleiner als die
Summe von Rotationszeit und Expositionszeit sein. Die Präsentationszeit wird
kleiner als die Expositionszeit sein. Beide Werte sind umso näher zu be-
stimmen, je kleiner das Verhältnis von Präsentations- zur Vorbelichtungszeit
ist. Leider war es in Wirklichkeit ziemlich groß, da die Präsentationszeiten
mit der Belichtungszeit schnell wachsen. Die Resultate ergeben daher nur ganz
annähernd ein Bild von dem Ansteigen der Stimmung. Vielleicht wäre es
doch besser gewesen, die Präsentationszeiten bei einer höheren Lichtintensität
zu messen, als sie der Vorbelichtung diente. Das bleibt der Zukunft vorbehalten.
Eine andere größere Schwierigkeit lag darin, daß das Material, das
bisher bei allen Reaktionszeit- und Grenzbestimmungen so schön über-
einstimmende Werte gegeben hatte, sich bei diesen neuen Versuchsreihen
als außerordentlich „launisch“ erwies, so daß auch unter Zuhilfenahme
mehrerer Einzelbestimmungen keine ganz befriedigende Übereinstimmung
erhalten werden konnte.
Die Versuche fanden in der Weise statt, daß immer vier möglichst
gleichmäßige Töpfehen mit Avena-Keimlingen von 2'/’s—3"/s em Länge bei
einer relativ schwachen Beleuchtung, die keine täuschende Indifferenz mehr
hervorrufen konnte!), eine gewisse Zeit rotiert wurden, daß dann der
Klinostat angehalten und nun in bestimmten Zeitabständen ein Topf nach dem
anderen ins Dunkle gestellt wurde. Nach 90 Minuten begann die Prüfung
der Resultate bei gelbrotem Lichte und wurde dann alle 10 oder 15 Minuten
wiederholt ?).
Vorbelichtung und Präsentationszeit.
Tabelle 4.
Auerlampe 100 em, Dämpfungsscheiben II -- IV.
Vorbelichtung 0 Min. Präsentationszeit 8— 10 Sek.
? en D) 20— 30 ”
? 2 ” ” 110—120 r)
R a R 140—160 7,
n DES c etwa 6 Min.
? 10 „ 2) 6—8 ?
” 20 ? » 6-8 n
1) Gelbscheibe II —+ IV, 100 em v. d. Auerlampe, vgl. Methodik S. 419.
2) Auch hierbei wurden manchmal schwach negative Krümmungen ohne vorher
gehende positive beobachtet, über deren Ursache ich nichts zu sagen weiß, da sie
nicht weiter verfolgt wurden.
439
Tabelle 5.
Nernstlampe ohne Dämpfung.
Entfernung von der Lichtquelle
Vorbel. 150, 300, 600, Ei
0 Min. | — 1% BIN 11 30”
El 2 a Sa BE Ve Pe Ba
0 „ | 2’ 3" il 3_4! Präsen-
15 234 34 TR zen
n | ar
20 b)) | 27 DEAN AN Ar
4 Stden. | 2’ N, gr 4’
Die Versuche ergaben mithin folgende gesicherte Resultate!):
l. Durch Belichtung wird die Präsentationszeit verlängert, sodaß deren
Dauer als Maß der Stimmungshöhe dienen kann.
2. Diese Verlängerung der Präsentationszeiten erfolgt vom Beginn der
Vorbelichtung anfangs langsam, dann schneller und schließlich wieder langsamer.
3. Schon nach etwa 20 Minuten konnte bei den gewählten Liehtinten-
sitäten eine weitere Veränderung der Präsentationszeiten nicht mehr kon-
statiert werden, so
daß diese auch nach Men
vier Stunden Belich-
tungszeit nicht größer A
waren, als nach 20 Mi-
nuten dauernder. 6
Die Wiederab-
nahme der Präsen-
tationszeiten nach der 7
Verdunkelung erfolgt 2
weit langsamer, so 2 *
daß z. B. nach 10 Mi- S
nuten Rotation am 8 ;
Licht und 10 Minuten
Verdunkelung länger h
gereizt werden muß,
um Krümmungen zu
erzielen, als wenn die f
Pflanzen nie ans Licht
gekommen wären.
Über die Kurve
des Absinkens kann
ich noch keine ge-
nauen Angaben machen, da ich bisher nur wenige Bestimmungen angestellt habe.
7003 3. 0 15° 20 Min
Vorbelichtung.
Fig. 4.
Ich hoffe aber die Untersuchungen in der Richtung weiter ausbauen zu können,
wenn es gelingt, der starken individuellen Schwankungen irgendwie Herr zu
1) Vgl. Protok. Nr. 9, Tab. 4 u. 5 und Fig 4.
440
werden. Sonst bleibt nichts anderes übrig, als eine weit größere Anzahl
von Einzelbestimmungen zu sammeln. Denn die Sache scheint mir an sich
wichtig genug, selbst eine größere Mühe zu lohnen. Ferner habe ich bisher
auch darüber keine Klarheit erlangt, ob die Stimmung nach einmaliger Be-
lichtung jemals wieder auf den tiefsten Stand, wie er bei völliger Erziehung
im Dunkeln vorliegt, zurückgeht. Da man bei nicht zu hoher Temperatur
(14— 15°) die Avena-Keimlinge relativ lange gebrauchsfähig erhalten kann !),
so ist diese Frage angreifbar, wenn auch wegen der sich möglicherweise
mit dem Alter ändernden Eigenstimmung vielleicht nicht ganz lösbar. Eine
andere Frage ist die, inwiefern mit der Präsentationszeit ein wirkliches Maß
der Stimmungshöhe gegeben ist, oder, da absolute Messungen dieser Eigen-
schaft an sich ja nicht möglich sind, ob der Stimmungsverlauf mit einer
eventuell zu findenden anderen Meßmethode, die mir bis jetzt nicht zur Ver-
fügung steht, sich anders darstellen würde. Es wäre z. B. möglich, daß
auch dann, wenn die Präsentationszeit sich durch eine Belichtung von be-
stimmter Intensität nicht mehr ändert, wenn also, mit diesem Maße gemessen,
Konstanz der Stimmung eingetreten ist, doch noch Stimmungsveränderungen
vor sich gehen, die vielleicht auf andere Weise nachgewiesen werden könnten.
Eine experimentell angreifbare Seite dieser Frage ist die, ob das Ab-
sinken der Stimmung nur von der durch die Länge der Präsentationszeit
definierten Stimmungshöhe abhängt oder ob nicht vielmehr ein gewisser
Zustand länger erhalten bleibt, wenn die ihn bewirkende Belichtung länger
angedauert hat als zur Erreichung der sogen. Konstanz nötig ist. Bei langen
Beliehtungszeiten wird das zweifellos so sein?), solche Versuche habe ich
jedoch bis jetzt nicht angestellt. Bei kurzer Belichtung und nachträglicher
Verdunkelung habe ich einige wenige gemacht, die den Einfluß der vorher-
gehenden Belichtungsdauer nur schwach zeigten. Doch müßten diese Ver-
suche, wie überhaupt die über das Absinken der Stimmung, noch wesentlich
erweitert werden. Das angegebene kann nur zur Orientierung dienen.
Immerhin geht daraus hervor, daß das Absinken der Stimmung langsamer
erfolgt als das Ansteigen! Denn nach 10 Minuten Belichtung und 10 Minuten
Verdunkelung ist nicht der Anfangszustand erreicht, wie er bei den aus
völliger Finsternis kommenden Pflanzen vorliegt; sondern ein Zustand —
soweit er sich aus der Präsentationszeit erschließen läßt — der etwa einer
Belichtung von etwas weniger als 2 Minuten entspricht. Den gleichen
Schluß habe ich früher aus Reaktionszeitversuchen gezogen (22, S. 285) und
dasselbe gilt auch für die Netzhaut.
1) Bei etwa 20—22° sind sie eigentlich nur einen Vor- oder Nachmittag brauch-
bar, weil die große Periode zu schnell vorübergeht und die Coleoptile durch-
brochen wird.
2) Entsprechende Resultate liegen von Rabinowitsch für die Netzhaut vor (26).
Es muß also die gegenteilige Angabe auf S. 299 meiner älteren Arbeit, die sich auf
Piper stützte, berichtigt werden.
441
Das Hauptresultat der in diesem Kapitel beschriebenen Versuche ist
jedenfalls das, daß die Pflanze durch Erhöhung ihrer Stimmung in einen
Zustand gerät, in dem bei gleichbleibender Lichtstärke eine Belichtung von
srößerer Dauer erforderlich ist, um Reaktion hervorzurufen. Offenbar ist
unter diesen Umständen zur Erzielung desselben physiologischen Eiffektes
eine größere Licht- oder vielmehr Beleuchtungsmenge nötig, als bei niedrigerer
Stimmung. Entsprechend fand Charpentier (1, 8. 193) „Plus que cette
»masse« de lumiere necessaire est considerable, plus la sensibilite lumineuse
est faible, et r&ciproquement“. Dieser Schluß wird aus Versuchen gezogen, in
denen gezeigt wird, daß bei einer gewissen Helladaptation entweder die
Intensität oder die Dauer der Belichtung erhöht werden muß, um denselben
Gesichtseindruck zu erzielen, der bei Dunkeladaptation beobachtet worden
war. Wir sehen also auch hier eine Analogie zwischen heliotropischer
Stimmungserhöhung bei Pflanzen und Helladaption der Netzhaut des mensch-
lichen Auges.
Was die Kurve des Anstieges betrifft, so ist diese für die Netzhaut
von Lohmann (13) bestimmt worden. Weil aber die Helladaptation viel
schneller erfolgt als der umgekehrte Vorgang und außerdem während der
ersten Zeit nach Beginn der Belichtung die Nachbilder eine Einstellung der
Schwellenwerte nicht erlauben, ist diese Kurve nicht mit der Bestimmtheit
anzugeben, wie sie Piper für die Dunkeladaptation erreicht hat. Ihr erster
Teil fehlt ganz, weil die störenden Nachbilder anfangs die Schwellenbestimmung
unmöglich machten. Es kann also nicht gesagt werden, ob auch dort wie
bei der Piperschen Kurve für negative Adaptation und meiner für positive
bei Pflanzen, der raschen Veränderung ein Zeitabschnitt vorangeht, in dem
die Wirkung noch relativ gering ist. Im weiteren Verlaufe entspricht die
Lohmannsche Kurve der meinen und der Pipers, indem die Veränderung
in der Zeiteinheit immer geringer wird, bis Konstanz eintritt. Es ist an-
zunehmen, daß es möglich wäre, die Helladaptation der Netzhaut, weniger
gestört durch Nachbilder, schon von einem früheren Stadium ab zu verfolgen,
wenn man mit geringeren Lichtintensitäten arbeitete, — so wie ich mich
auch gezwungen sah, eine verhältnismäßig schwache Beleuchtung zu benützen,
um Indifferenzen zu vermeiden. Unter diesen Umständen dürfte die Kurve dieselbe
Übereinstimmung mit der meinigen zeigen, wie es die Pipersche wirklich tut.
Doch ist diese Prophezeiung natürlich von Gewißheit weit entfernt.
Schließlich sehe ich in dem Ergebnisse, daß die zur heliotropischen
Reaktion führende mindeste Beleuchtungsmenge mit der Stimmung steigt,
einen neuen Beweis dafür, daß keineswegs bei etiolierten Keimlingen die
Lichtempfindlichkeit geschwächt ist und dadurch etwa die verlängerten Re-
aktionszeiten bei starker Beleuchtung herrühren können, eine Hypothese, die
Fitting in seinem Referate anführt (4, $. 326). Es verhält sich vielmehr
umgekehrt, es wird, wenn man so sagen will, durch Aufhebung der Dunkel-
adaptation die Lichtempfindlichkeit geschwächt.
442
VI. Auf die Induktion folgende allseitige Belichtung,
Will man die Induktionswirkungen beim Heliotropismus und Geotropismus
miteinander vergleichen, so muß man dafür sorgen, daß Reizung und Aus-
führung der Krümmung unter möglichst ähnlichen Bedingungen vor sich gehen.
Bei den Messungen der Präsentationszeit hat man die belichteten Pflänzchen
bisher stets ins Dunkle gestellt, um nachträgliche Reizung auszuschließen.
Es ist dabei auch gewöhnlich nicht versucht worden, die Schwerkraftwirkung
durch Rotation „auszuschließen“. Letzteres ist dagegen bei den Messungen
der geotropischen Präsentationszeit üblich. Fragt man sich, was dadurch er-
reicht wurde, so ist a priori nicht vorauszusehen, ob die induzierte Krümmung
bei nachträglicher Rotation an horizontaler Achse, oder bei Vertikalstellung
intensiver wird. In ersterem Falle wirkt der beginnenden Krümmung (neben
der nicht zu vermeidenden Rektipetalität) vielleicht die allseitige Reizung
ähnlich entgegen, wie im zweiten der mit Beginn der Abweichung von der
Vertikalen einsetzende einseitige Schwerereiz. Es scheint mir sogar, als
könnten möglicherweise manche der als Autotropismus zusammengefaßten
Phänomene auf die ausgleichende Wirkung der allseitigen Reizung zurück-
geführt werden, wenn ich das weiter unten zu schildernde entsprechende
Verhalten bei heliotropischer Reizung vergleiche.
Nun ist zwar bekannt, daß geotropische Induktionen am Klinostaten
stärker zum Ausdruck kommen. Ob die Rotation jedoch in allen Stadien
des Reizprozesses nach der Induktion fördernd wirkt, bleibt noch zu unter-
suchen. Selbst wenn diese Frage aber bejaht wird, darf nicht das gleiche
für die heliotropische Reizung geschlossen werden. Dort muß zwischen der
Rotation gegen die Schwerkraftswirkung, die nach Wiesner (32 I, 8. 56) und
Guttenberg (8, S. 212) fördernd auf die Ausführung der Krümmung wirkt
und der gegen die Richtung des Lichtes unterschieden werden.
Ein völliges Ausschließen gleichartiger späterer Reize ist beim Geo-
tropismus nicht wie beim Heliotropismus möglich. Bei ersterem sehen wir,
daß die allseitige Reizung die vorausgehende einseitige wahrscheinlich nicht
beeinflußt und daß daher bei der kürzesten Induktionszeit, die noch Reaktion
hervorruft, also der Präsentationszeit, am Klinostaten eine stärkere Krümmung
auftritt, als wenn die Objekte nach der Reizung vertikal gestellt werden.
Wollen wir beim Heliotropismus möglichst ähnliche Bedingungen haben, so
müssen wir die Pflanze eigentlich nach der Reizung gleichzeitig gegen die
Richtung der Schwerkraft und der Lichtstrahlen rotieren lassen, nicht aber
letztere ausschalten, wie das bei den Präsentationszeitbestimmungen bisher
immer geschehen ist. Von der Rotation gegen die Richtung der Schwer-
kraft wollen wir hier absehen; reizen wir aber die Pflanzen mit Präsentations-
zeitdauer heliotropisch und lassen wir sie nachher bei derselben Beleuchtung
an vertikaler Achse rotieren, so finden wir das überraschende Resultat, daß
das induzierte heliotropische Reaktionsbestreben dadurch völlig ausgelöscht
wird. Schon eine nachträgliche Rotation, die etwa gleich lang wie die
vorausgegangene Reizung ist, genügt, um den Eindruck der einseitigen Be-
liehtung auszulöschen, und zwar auch bei schwachen Lichtintensitäten, wo
keine Indifferenz möglich ist. Das Verhältnis von Induktionszeit und Aus-
löschungszeit war bei den studierten Intensitäten und Zeiten ungefähr
gleich 11). Die längste geprüfte Induktion war eine solche von 7 Minuten,
die kürzeste 20 Sekunden. Außerdem wurde geprüft, wie lange einseitig
belichtet werden mußte, damit bei nachträglicher dauernder Rotation
unter denselben Lichtverhältnissen noch eine Krümmung sichtbar würde.
Es zeigte sich, daß dabei eine Induktionszeit von 25 Minuten nötig war.
Nach einer Belichtung von nur 20 Minuten trat bei nachträglicher Rotation
keine Reaktion mehr auf, die mit bloßem Auge zu erkennen gewesen wäre.
Tabelle 6.
Zusammenfassung der Resultate bei einer auf die Induktion
folgenden allseitigen Reizung unter Rotation.
Avena sativa, 100 em v. d. Auerlampe, Dämpfunesscheiben II 1NYZ
P® pfung
Induktion | Rotation
30” 20” 2); 25"; 302: 390: 40"; 80/7; ] 202;
30% 202; 23: Dal: 307; 40”; 507; 60";
40’ 2074504: 40”; | 40”; 50—80”;
60’ 0"; 20"; 40"; 60"; 60"; 60"; 80"; 100”;
oA VE 2; 37; 4; 623 78/8
3’ 3; 3,5;
5 0; 3; 3 57; U: 2.9
Zi 0; bis 8rs
10,219,6207 = dauernd
23. ‚ dauernd
Resultat: | reagieren zweifelh. | bleiben gerade
Nach der 25 Minuten langen Induktion wurde die Reaktion, bei dauernder
allseitiger Belichtung durch Rotation, etwa 80 Minuten nach Beginn der
Reizung sichtbar. Hier gilt also die Regel nicht mehr, daß die Rotations-
zeit etwa gleich der Induktionszeit sein muß, um die heliotropische Krümmung
zu verhindern. Leider geht aus meinen Protokollen nicht hervor, ob auch
nach einer Induktion von 20 Minuten eine ebensolange Rotation genügt, um
!) Diese „Konstante“ hatte einen kleinen Gang, insofern, als längere Induktionen
durch eine verhältnismäßig etwas kürzere Rotation ausgelöscht wurden.
?) Einmal unterstrichen bedeutet, daß der Versuch mit gleichem Resultat wieder-
holt wurde, zweimal unterstrichen, daß er doppelt wiederholt wurde u. s. f.
444
Krümmung zu verhindern, oder nur eine dauernde. Es wäre möglich, daß
erst dann, wenn die Zeit der einseitigen Belichtung einen gewissen Schwellen-
wert erreicht (in diesem Falle 25 Minuten), der vielleicht durch den mit
bloßem Auge nicht sichtbaren Beginn der Reaktion gekennzeichnet ist,
nachträgliche Rotation nicht mehr gänzlich auslöschend wirken kann, wenn
auch die Krümmung schneller zurückgeht als im Dunklen; während bei etwas
kürzerer Induktion eine wesentlich kürzere Rotation schon die Krümmung
verhindert. So wäre es zu verstehen, daß die bei Induktionszeiten von
20 Sekunden bis zu 7 Minuten gefundene Regel für Reizungen von einer
gewissen Länge plötzlich ihre Geltung verlöre. Doch bleibt das bis
zur Anstellung neuer Experimente, die auch in dieser Frage nötig er
scheinen, eine rein hypothetische Erklärungsmöglichkeit. Es ist ebenso
möglich, daß die nur in einem engen Gebiete konstatierte Regel, daß die
Auslöschungszeit etwa gleich der Induktionszeit ist, für längere Reizungen
nicht mehr gilt.
Jedenfalls haben diese Versuche das Resultat gezeitigt, daß eine
spätere heliotropische oder doch jedenfalls Lichtreizung durchaus nicht
ohne Wirkung auf eine vorangegangene ist, wenigstens wenn seit Beginn
der ersten Reizung nicht zu lange Zeit verstrichen ist. Ob das Entgegen-
gesetzte stattfindet, daß nämlich die erste Induktion eine darauf folgende
beeinflußt, läßt sich aus meinen Versuchen noch nicht ersehen. Czapek
(2, 8. 13) verneint diese Beeinflussung. Er hat 45 Minuten gereizt. Heute
müßte man die Forderung aufstellen, daß bei konstanter Stimmungshöhe
gearbeitet und wesentlich kürzer induziert würde, um klare Antworten auf
diese Frage zu erhalten. Immerhin ist Czapeks Ergebnis auch für uns
von Wert.
Das Resultat, das sich bei meiner wesentlich anderen Fragestellung
ergab, leitet uns zu weiteren Betrachtungen. Zunächst ist es bemerkens-
wert, daß der einmal begonnene Reaktionsverlauf überhaupt noch durch
gleichartige Reizeinflüsse verändert werden kann. Daß eine die Krümmungs-
reaktion selbst treffende Einwirkung auch nach dem Reizanstoß noch das
Resultat modifizieren kann, ist leicht verständlich. Daß aber eine nach-
trägliche Reizung, die nach unseren heutigen Vorstellungen erst die Reiz-
kette von Anfang bis zu Ende durchlaufen muß, ehe sie nach außen hin
wirkt, doch einen vorangegangenen Impuls gleichsam überholen und zu
nichte machen kann, ist wohl eine neuartige Vorstellung. Es läßt sich
noch nicht übersehen, ob sie geeignet ist, unsere hypothetische Vorstellung
von der einsinnig gerichteten Kette von Vorgängen, die die Perzeption mit
der Reaktion verknüpfen, umzugestalten. (Vgl. 14, 8. 1719).
1) Man vergleiche auch die Erscheinung, daß zwei aufeinanderfolgende entgegen-
gesetzte geotropische Impulse einander aufheben. Fitting, Jahrb. f. wissensch.
Bot. 1905, S. 378 fl.
445
Übrigens konnte auch schon aus den Versuchen, die die Auslöschung
einer induzierten heliotropischen Krümmung durch gleichgerichtete Reizung,
also das Ausbleiben der Krümmung bei Verlängerung der Induktion, zeigten,
geschlossen werden, daß ein jüngerer Reiz in die schon begonnene ältere
Reizkette eingreifen kann. Wie das geschieht, darüber kann ich leider
nichts aussagen. Nur das eine verdient noch hervorgehoben zu werden,
daß auch bei nachträglicher Induktion unter Umständen nicht nur keine
positive, sondern sogar negative Krümmung auftrat, die ein etwas höheres
Maß erreichen konnte als bei bloßer einseitiger Induktion. Bei der von
mir für diese Versuche durchgängig gewählten Beleuchtung (100 em, II —+ IV,
s. oben 8. 419) traten negative Krümmungen am schönsten nach 5 Minuten
Induktion und 5 Minuten Rotation auf, und zwar etwa 5 Stunden nach
Beginn der Belichtung, wie denn überhaupt diese Erscheinung überall eine
wesentlich längere Beobachtungszeit erforderte als die Konstatierung posi-
tiver Reaktionen. Es wurde versucht, die Zeitgrenzen festzulegen, innerhalb
deren die Belichtung und die Rotationszeit variieren darf, um die Erscheinung
hervorzurufen. Zunächst mußte ich mich vergewissern, ob die nachträgliche
Rotation bei demselben Lichte nicht wie eine einfache Verlängerung der
Induktion wirkte. Es wurde zu dem Zwecke je ein Topf
a) 5 Minuten gereizt, 2,5 Minuten rotiert
b) 9 ” ” 3 „ „
OS s nicht rotiert
d) 10 ” ” vB] ”
Darauf ins Dunkle gestellt. Alle Belichtungen begannen 10 Uhr 15 Minuten.
a b c dh)
1A I & +? +?
2307 & + 7
ee & —- =
18 > —?2?.7+ -—besx<
121070. — ===F x
1 en vgl. Tafel VII Fig. 4.
Man sieht, daß eine Induktion, deren Dauer gleich der Reiz- -—- der
Rotationszeit ist, nur die Krümmung verstärkt, aber nicht auslöschend wirkt
oder gar negative Krümmung veranlaßt. Es handelt sich ja auch um eine
zu schwache Lichtintensität, als daß diese Erklärung wahrscheinlich ge-
wesen wäre.
Nun wurde versucht, ob auch bei einer Induktion von 3 und
7 Minuten eine negative Krümmung durch nachträgliche Rotation hervor-
gerufen werden kann.
1) Zeichenerklärung Tab. 1 S. 428, — bedeutet negative, X bedeutet Zurück-
gehen einer Reaktion,
446
15. I. 09. 16° 65%. 100 em v. d. Auerlampe II + IV.
gereizt rotiert | gereizt rotiert
a) 3’ 0" er) Zu 0’
b) 34 3 e) U 6
c) 3% 51 nah) 7 8
Darauf ins Dunkle. Belichtung hatte begonnen 10” 10".
a b 6 | d e f
112750, ae & 4??? &
136 +? & +? & &
9710, + & & + & &
190290! + & & -- & &
1927307 + & & -H & &
1204450 & & -H & —??
u -H &o & + —??2 —??
Sr es Fanpgcs au DD
Als Resultat ergab sich, daß nach 3 Minuten Induktion durch eine
Rotation von 3 und 5 Minuten die Reaktion verhindert, aber keine negative
Krümmung hervorgerufen wurde. Bei 7 Minuten Reizung wurde durch
6 und 8 Minuten lange Rotation die positive Reaktion ausgeschaltet und eine
negative Krümmung erzeugt, die aber wesentlich schwächer war, als die bei
5 Minuten langer Induktion und Rotation. Ein anderer Versuch zeigte, daß
bei noch längerer Rotation wiederum keine negative Krümmung auftrat.
Längere Reizung als solche von 7 Minuten wurde daher nicht versucht, da
hiermit schon das Optimum für das behandelte Phänomen überschritten war,
das freilich nach diesen Versuchen gleich rätselsaft bleibt. Jedenfalls dürfte
sich aber seine Bedeutung nieht von der der Auslöschung durch nachträgliche
Rotation trennen lassen.
Es wäre nun denkbar, daß diese Auslöschung auf der nachträglichen
Stimmungserhöhung beruhte, die es bewirkte, daß der Reiz, trotzdem er
perzipiert war, in einer Phase der Kette nicht die Reizschwelle erreichte.
Man müßte dann annehmen, daß die Stimmungsveränderungen allgemein
nicht die Perzeption, sondern ein späteres Glied der Reizkette beeinflußten.
Diese Auffassung ist auch nicht gänzlich abzulehnen, doch fehlen eigens
darauf gerichtete Untersuchungen, und die absoluten Zeitwerte scheinen nicht
mit denen bei vorhergehender Rotation zu stimmen. Vor allem mütßten
dann wohl auch kürzere Induktionen als solche von 25 Minuten während
nachträglicher dauernder Rotation zu Krümmungen führen, da auch bei
jängster Vorbelichtung so hohe Werte der Präsentationszeiten nicht erreicht
wurden. Die Umstände, die da hineinspielen, sind aber noch nicht so gut
zu übersehen, daß ein abschließendes Urteil möglich wäre. Jedenfalls entsprach
eine vorangehende Rotation einer nachfolgenden nicht ganz in ihrer Wirkung.
Es ist deshalb wohl die Stimmungserhöhung nur als ein bei der Aus-
löschung der Induktionswirkung möglicherweise hineinspielender Faktor auf-
447
zufassen, zu dessen Ausschaltung Versuche mit konstanter Stimmung er-
wünscht wären!). Das Wesentliche wird jedenfalls in der ausgleichenden
Wirkung der allseitigen Reizung liegen. Ich möchte mit einigem Vorbehalt
die Vermutung aussprechen, daß die verminderte Differenz der Erregungs-
höhen auf den einander gegenüberliegenden Seiten beim Zustandekommen
der beschriebenen Erscheinung mitwirkte. Das wäre dann ein neues Ar-
gument für die Auffassung, daß die hehiotropische Sensibilität eine Unter-
schiedsempfindlichkeit darstellt, daß es also auf den Lichtabfall und nicht
auf die Lichtriehtung ankommt, während sich der Geotropismus umgekehrt
verhält. Da übrigens bei letzterem keine Stimmungsveränderung durch die
einwirkende Kraft in Betracht kommt, so ist die Mitwirkung des ersten
Faktors ebenfalls mit der Tatsache vereinbar, daß beim Schwerereiz die all-
seitige Reizung keine Auslöschung einer vorangegangenen Induktion bewirkt,
sondern sogar das Anwachsen der Krümmung erleichtert. Die Regel, daß die
Auslöschungszeit etwa gleich der Induktionszeit ist, ist deshalb bemerkenswert,
weil es eigentlich anzunehmen war, daß zur Vernichtung eines heliotropischen
Anstoßes eine gleichgroße Gegenkraft erforderlich sei. Diese wäre aber
durch eine Belichtung von derselben Dauer und Intensität in genau ent-
gegengesetzter Richtung gegeben, und es ist klar, daß bei einer Belichtung
unter Rotation die der induzierten Krümmung direkt entgegenwirkende Kom-
ponente weniger Kraft haben muß, als bei dauernder Reizung in entgegen-
gesetzter Richtung. Man hätte sogar erwarten können, daß die Rotation
ganz ohne Wirkung gewesen wäre, weil während derselben alle richtenden
Einflüsse sich gegenseitig aufheben. Wenigstens hätte das der herrschenden
Meinung und den bestehenden Klinostaten-Theorien entsprochen. Die hier
angedeuteten Probleme scheinen mir aber eine erneute Bearbeitung auch
der geotropischen Reizvorgänge von diesen Gesichtspunkten aus zu verlangen.
Die geschilderten Versuche sind jedenfalls nach mehreren Richtungen weiter
auszubauen.
VII. Fehlerquellen und Umgrenzung der
Stimmungsphänomene.
Aus den angeführten Tatsachen ist ersichtlich, daß die heliotropische
Präsentationszeit, wie sie Fröschel und Blaauw ermittelt haben, nicht
nur von der Lichtintensität (abgesehen von Pflanzenart, Temperatur ete.)
abhängig ist, sondern auch noch von anderen Bedingungen. Die Pflanzen
müssen nämlich nach den heliotropischen Reizungen im Dunkeln aufrecht
stehen und dürfen weder vorher noch nachher von heliotropisch wirksamem
Lichte getroffen werden. Ferner ist die Forderung aufzustellen, daß die
Krümmung fortlaufend beobachtet werde, da die minimale Reaktion bald
!) Diese sind inzwischen nachgeholt worden und bestätigend ausgefallen.
Vgl. Anhang.
448
rückgängig gemacht wird. Wird die geeignete Zeit gewählt, so genügt
allerdings auch einmalige Beobachtung oder doch eine Kontrolle von Zeit
zu Zeit, die ohne Gefahr mit Hilfe schwacher Beleuchtung vorgenommen
werden darf, falls damit nicht zu früh begonnen wird und nur das Auftreten
oder Nichtauftreten einer Reaktion festgestellt werden soll. Ob durch nach-
trägliche Rotation im Dunkeln an horizontaler Achse etwas geändert wird,
seht aus den vorhandenen Angaben nicht klar hervor. Es ist aber wahr-
scheinlich, daß dadurch die Präsentationszeit herabgesetzt wird, so wie es
für die Reaktionszeit bekannt ist.
Wichtiger erscheint die von Polowzow aufgerollte Frage, ob es nötig
sei, für derartige Feststellungen die mikroskopische Messung zu Hilfe zu
nehmen. Nach meinen Erfahrungen ist ihre Forderung, immer mikrometrische
Einzelbeobachtung an Stelle der Beurteilung mit bloßem Auge zu setzen,
übertrieben. Die vor ihr erreichten Resultate zeigen schon, daß sich viele
Fragen auch ohne das Meßmikroskop mit Erfolg angreifen lassen, manche
verlangen sogar die Massenbeobachtung. Andererseits gibt es sicher eine
ganze Anzahl Fragen, an die man nur mit Hilfe der feinsten Meßmethoden
herankommen kann, und so sollten sich beide Arbeitsweisen ergänzen und
durehdringen, womöglich sogar durch noch wieder andere, vorläufig weniger
ausgebildete, unterstützt werden. Als solche wären z. B. die periodische
Zeiehnung mit einem geeigneten Apparate oder die Photographie der rea-
sierenden Objekte zu nennen, für die brauchbare Methoden auszuarbeiten
ich im Begriffe bin.
Die Arbeit von Polowzow enthält neben den gefundenen speziellen
Tatsachen der ehemotropischen Reizung durch Gase, noch mancherlei be-
achtenswertes. So z. B. den schnellen Beginn der „aeroidotropischen“ und
geotropischen Krümmung. Selbst bei der größten Schnelligkeit der Be-
obachtung wurde unter Umständen der Anfang der Reaktionskrümmung ver-
paßt. (21, S. 164.) Das ist ein Resultat, das man kaum erwartet hätte,
wenn auch schon früher kurze Reaktionszeiten, z. B. von Oltmanns,
mikroskopisch festgestellt wurden.
Es machte sich nach diesen Befunden nötig, die heliotropische Reaktion
auch mikroskopisch zu verfolgen. Ich arbeite mit einer Vergrößerung von
etwa 20 (Leitz Objektiv 1* Okular I), und zwar lag mır daran, zunächst
die Wachstumsbeeinflußung bei plötzlicher Belichtung und dann den Beginn
einer eindeutigen heliotropischen Krümmung festzustellen. Die Zahl der
Versuche ist noch nicht groß, sie sind daher auch nicht genügend variiert
worden. In den meisten wurde ein Avena-Keimling 1 Meter von der Auerlampe
mit zwischengeschalteter rot-gelber Scheibe auf sein Wachstum „im Dunkeln‘
seprüft, darauf durch Entfernen des Lichtfilters eine Minute lang belichtet;
dann wurde die Gelbscheibe wieder zwischengestellt, der Keimling um 90°
gedreht und nun weiter beobachtet. Die Krümmungsebene war dann senk-
recht zum Miskroskoptubus, der Keimling hob sich vom gelben Hintergrunde
sehr gut ab, und da er genau in die Mitte der vertikal gestellten, kurz-
Be
strichigen Skala eingestellt wurde, konnte der Krümmungsbeginn und bis
dahin das Wachstum bestimmt werden. War eine erste Krümmung ein-
getreten, so wurde mit Hilfe der Schraube, die das Mikroskop um die
senkrechte Achse dreht, die Spitze des Keimlings wieder auf die Mitte der
Skala gebracht und nur solche Krümmungen als heliotropische angesprochen,
die beständig in einer Richtung verliefen, bis ein Irrtum nicht mehr möglich
war. Die gewöhnlich gewählte Belichtungszeit von 1 Minute in 100 em
Entfernung von der Lampe gewährleistete das sichere Einsetzen der helio-
tropischen Krümmung ohne etwa dazwischentretende Indiflerenz.
Es ergab sich, wie aus den mitgeteilten Protokollen hervorgeht
(Nr. 11a—f), daß anstatt der mit bloßem Auge konstatierbaren Reaktions-
zeit von etwa 90 Minuten eine solche von wesentlich kürzerer Dauer, von
40 bis zu 25 Minuten herabgehend gefunden wurde. Kürzere konnten
nicht beobachtet werden. Niemals begann die Krümmung sofort. Leider
stimmen aber die Reaktionszeiten nicht unter sich überein. Die Versuche
sind nur zur Orientierung angestellt worden, genügen aber immerhin, um zu
zeigen, daß eine meßbare Beeinflussung der Wachstumsgeschwindigkeit durch
so kurze Belichtung nicht stattfindet. Dies ist insofern bemerkenswert, als
Ja ein Teil der als Stimmungsveränderungen gedeuteten Erscheinungen
möglicherweise als Wachstumsbeeinflussung hätte erklärt werden können.
Meine Messungen geben dafür aber durchaus keinen Anhalt. Sie hätten
nur dann so gedeutet werden können, wenn der Sprung von dunkel zu hell
einen scharfen Knick der Wachstumskurve verursacht hätte. Das war aber
selbt dann nicht der Fall, wenn ich das Licht der Auerlampe durch eine
Schusterkugel konzentrierte oder das weit hellere der Sonne benutzte und
außerdem längere Induktionszeiten wählte. Überall, wo sich ein Einfluß
überhaupt geltend machte, erfolgte die Wirkung erst nach längerer Zeit und
sehr allmählich, wie das auch Pfeffer betont (19, S. 109). Aus den
gleichen Messungen geht ferner von neuem hervor, daß die durch die
Strahlung bedingte Erwärmung nicht für die von mir beschriebenen Er-
scheinungen verantwortlich zu machen ist. (Vgl. oben, Methodik 8. 417, und
Fitting 4, S. 325 u. 326.)
Immerhin war noch eine andere Fehlerquelle zu berücksichtigen, die
ebenfalls durch die Belichtung selbst gegeben war. Es konnte nämlich
die durch das Licht verstärkte Transpiration in die Reaktion eingreifen.
Obgleich die mikroskopischen Messungen schon bewiesen, daß unter den
Versuchsbedingungen eine wesentliche Hemmung des Wachstums nicht ein-
trat, so war doch eine solche, wenn auch unmeßbare, nicht gänzlich
zu vermeiden. Zum Teil mußte sie durch die Transpirationssteigerungen
hevorgerufen werden, die dadurch bewirkt wurden, daß die Luft im Dunkel-
zimmer immer etwas weniger feucht war als unter den Dunkelstürzen,
in denen die Keimlinge aufgezogen wurden. Groß war dieser Unterschied
nicht, da die Luftfeuchtigkeit meist 60—65°/o betrug, und die unter den
Stürzen 70—75°/o. Dazu mußte dann aber die Wirkung der Belichtung kommen,
2.
die durch Erwärmung ebenfalls eine Transpirationssteigerung hervorrufen
muß, und zwar auch bei gelbem Lichte. Plötzliche Erhöhung der Transpiration,
allerdings erheblichere als in meinen Versuchen, sah aber Schütze (28)
eine ganz bedeutende Wachstumshemmung herbeiführen. Diese indirekte
Wirkung des Lichtes auf das Wachstum muß wenigstens theoretisch von
der unmittelbaren unterschieden werden. Wie groß sie praktisch ist, läßt
sich nicht voraussagen, da sie bisher nicht berücksichtigt worden ist. Ein
eventuelles Hineinspielen dieser Erscheinungen war besonders deshalb zu be-
achten, weil nach Wiesner (32, S. 7) durch Herabsetzen des Turgors
auch eine Beschleunigung der heliotropischen Krümmung bewirkt werden
kann, die dieser Forscher mit der durch Vorbelichtung erzielten, die er als
erster beobachtete, in inneren Zusammenhang bringt. Unter meinen Versuchs-
bedingungen war ein solcher Einfluß nicht zu bemerken, weiter aber habe
ich die entsprechenden Experimente nicht ausgedehnt. Es bleibt da noch
ein reiches Feld der Tätigkeit, wie überhaupt so manche Beobachtung
Wiesners den Anstoß zu erneuter Untersuchung geben sollte, wenn auch
seine Auffassung vom Wesen des Heliotropismus, aus der viele Experimente
hervorgingen, heute verlassen ist.
Den deutlichsten Beweis für die Unwirksamkeit der eben in Betracht
gezogenen Fehlerquellen sehe ich in Versuchen mit „verschiedenfarbigem“
Lichte. Es gelang nämlich, Indifferenz durch längere Belichtung hinter
Kupferoxydamoniak hervorzurufen !), nicht aber hinter Kaliumbichromat oder
Methylorange. Eine längere Bestrahlung mit rotgelbem Lichte hatte gar
keinen Einfluß auf die besprochenen Erscheinungen. Da aber die lang-
wellige Hälfte des sichtbaren Spektrums einer Auerlampe stärker erwärmt
und daher stärker auf die Transpiration wirkt, und da auch längere erhöhte
Transpiration an vergleichsweise trockener Luft keinen Einfluß auf die hier
in Betracht kommenden Erscheinungen hatte, so scheint mir diese Fehler-
quelle nieht von Belang. Für das Verhalten etiolierter Pflanzen in starkem
Lichte ist also weder die Erwärmung noch die Transpirationssteigerung ver-
antwortlich zu machen. Daß die auf vermehrte Verdunstung hinwirkenden
Faktoren, wie überhaupt ungünstige Bedingungen, keine sichtbare Störung
verursachten, mag an der relativ großen Unempfindlichkeit der Avena-
koleoptile liegen, die sie Verwundungen gegenüber nach Fitting und gegen
Austrocknung nach eigens angestellten Versuchen zeigt. Auch die nicht
sehr günstige Atmosphäre im Dunkelzimmer während der Wintermonate, die
die Verwendung anderer Keimlinge beinahe unmöglich machte, störte die
Versuche mit Avena nicht wesentlich.
An dieser Stelle möchte ich auch dem Einwande Fittings (4, 8. 326)
begegnen, daß etiolierte Pflanzen anomal seien und deshalb sich heliotropisch
anders verhielten als solche, die vorher belichtet worden sind. Eine solche
Annahme kann uns nieht der Aufgabe entheben, der Ursache dieser Ano-
1) Vgl. Protok. No. 12.
451
malität nachzuspüren und zu versuchen, ob sich nicht ergründen läßt, worin
sich etiolierte Pflanzen von normalen unterscheiden. Darin lag gerade die Auf-
gabe, die ich mir gestellt hatte! Wenn Fitting aber mit dieser Bemerkung
sagen will, daß sich vielleicht die heliotropische Stimmung etiolierter Keimlinge
nicht nur quantitativ, sondern auch qualitativ von der belichteter unter-
scheidet, so ist diese Möglichkeit nicht völlig abzulehnen; Erscheinungen,
die dafür sprechen, konnten aber auch nicht gefunden werden. Es herrscht
vielmehr offenbar ein stetiger Übergang von den Keimlingen, die nie das
Licht gesehen haben, zu denen, die unter normalen Bedingungen erzogen
worden sind. Dies geht z. B. aus dem allmählichen Anwachsen der
Präsentationszeit mit der Vorbelichtung hervor. Auch in der Verlängerung
der Reaktionszeit und der vorübergehenden Indifferenz verhalten sich schwach
vorbelichtete Pflanzen ganz wie die aus völliger Dunkelheit, nur daß durch
Erhöhung der Stimmung die Erscheinungen weniger ausgeprägt werden, die
beim Versetzen in intensive Beleuchtung beobachtet werden. So ließ es
sich auch zeigen, daß Keimlinge, die einige Zeit unter Rotation schwach
vorbelichtet worden waren, nachher, an helleres Licht gebracht, nicht schneller
reagierten, wenn sie bis zum Beginn der Krümmung ruhig standen, als
solche, die nach einer gewissen Zeit um 180° gedreht wurden. Auch wenn
umgekehrt hochgestimmte Pflanzen aus diffusem Tageslicht in das stark
gedämpfte der Auerlampe versetzt wurden, wurde die Reaktionszeit nicht
verlängert, wenn während der ersten Zeit rotiert oder durch Drehen um
180° die Lichtrichtung gewechselt wurde, wie ich das auch schon in der
vorigen Arbeit angegeben habe (22, S. 230). [Hierüber vgl. Protokoll No. 4
und 5.] Diese Erscheinung ist aber im Gegensatz zu der ersterwähnten
offenbar so zu deuten, daß die im Verhältnis zur Stimmung sehr schwache Be-
leuchtung zunächst unter der Schwelle bleibt. (Vgl. 22, S. 234.)
Wir können demnach die als Stimmungsveränderungen bezeichneten
Vorgänge in der Pflanze vorläufig mit keinen anderen in Verbindung bringen
und müssen sie als Reaktionen eigener Art auf Belichtungswechsel betrachten.
Die dureh Belichtung in Pflanzen hervorgerufenen Veränderungen sind aber
so mannigfaltig miteinander verknüpft, daß irgend welche Beziehungen,
z. B. zu chemischen Vorgängen, ziemlich wahrscheinlich sind. Ich glaubte
zunächst einen solehen Zusammenhang in der von Wolfgang Ostwald
(17, 8. 10) nachgewiesenen Beeinflussung der oxydatischen Reaktionen durch
das Licht finden zu können. Dieser Autor stellte umfangreiche Versuche
mit Körperextrakten und Säften solcher Tiere an, die als lichtreizbar bekannt
sind, und fand, daß im allgemeinen sowohl im Tierkörper wie in vitro die
Katalasewirkung durch Belichtung vermindert, die Peroxydasewirkung aber
gesteigert wird. Diese spezifische Liehtwirkung bringt er in Beziehung zu
den phototaktischen Reaktionen der betreffenden Tiere. Obgleich leider
vergleichende Versuche mit nichtphototaktischen Organismen fehlen, er-
schien mir dieser Zusammenhang doch aus mehreren Gründen so wahr-
scheinlich, daß ich in einem Referate in der Botanischen Zeitung 1908
Beiträge zur Biologie der Pflanzen, Bd, IX, Heft III, 29
452
auf diese Arbeit hinwies und die triftig erschemenden Belege hervorhob.
Allerdings dachte ich mir den Zusammenhang etwas anders als der Verfasser,
hielt mit meiner Meinung aber zurück bis zur Anstellung besonders darauf
gerichteter Versuche. Ostwald stellt sich im Anschluß an Loeb vor, daß
es spezifische „heliotropische Stoffe“ gibt, die er in den oxydatischen Fer-
menten gefunden zu haben glaubt, und die bewirken, daß eine bestimmte
Lichtreaktion ausgeführt wird. Diese Anschauung kann heute kaum mehr
befriedigen, der Zusammenhang zwischen einer chemischen Veränderung und
der einheitlichen Reaktion eines ganzen Organismus bliebe völlig unverständlich
und ist doch das eigentlich zu erklärende. Vor allem aber gehört zur
phototaktischen Reizung die einseitige Wirkung des Lichtes, die in Ostwalds
Arbeit mit keinem Worte erwähnt wird. — Wie aber, wenn die durch das
Licht in vorher im Dunkeln gewesenen Organismen bewirkten chemischen
Veränderungen in irgend einer Beziehung zur Stimmungsveränderung ständen,
die ja von der Lichtrichtung unabhängig ist, ihrerseits aber die Art der
Reaktion beeinflußt? Das war die mir beim Lesen von Ostwalds Arbeit auf-
tauchende Vermutung, die den im ganzen zustimmenden Charakter des
Referates bewirkte. Leider hat sie sich nicht bestätigen lassen.
Die Ausführung der Versuche übernahm Herr Dr. J. Brunn, der die
Resultate in einer besonderen Arbeit zu veröffentlichen gedenkt. Er erlaubte
mir das hierher gehörige kurz voraus zu nehmen, wofür ich ihm zu be-
sonderem Danke verpflichtet bin. Zunächst darf gesagt werden, daß sich
Östwalds Resultate für pflanzliche Extrakte im ganzen bestätigten. Zur
Stütze meiner Vermutung hätte sich nun aber zeigen müssen, daß die Be-
liehtungszeiten und Intensitäten mit denen, die Stimmungsveränderung be-
wirkten, einigermaßen übereinstimmten. Hauptsächlich aber hätten danach
solche Pflanzenteile und tierische Stoffe, die mit Lichtreaktionsbewegungen
nichts zu tun haben, eine entsprechende Beeinflussung der oxydatischen
Reaktionen vermissen lassen müssen. Daß letzteres Postulat nicht erfüllt
ist, ersahen wir schon bei der Durchsicht der Literatur aus einer Arbeit
von E. Hertel (10, $. 37), der die von Ostwald studierten Licht-
wirkungen schon vor ihm bei den Oxydasen der Milch beobachtete. Das
gleiche Resultat ergab der Preßsaft von Kartoffeln, Meerrettich und Rüben,
denen man keine Lichtreizbarkeit zusprechen kann. Es scheinen also
allgemeine Eigenschaften der oxydatischen Fermente vorzuliegen, wie ja
überhaupt die Mehrzahl der photochemischen Prozesse Oxydations- und Re-
duktionswirkungen vorstellt. Allerdings geht aus unseren Versuchen nicht
hervor, ob diese photochemischen Prozesse nicht doch vielleicht unter Um-
ständen mit Lichtreizbarkeit in Beziehung stehen, wofür freilich die Zeit-
und Intensitätswerte der Belichtung keinen Anhalt geben, denn sie sind im
Vergleich zu denen, die Stimmungsveränderung bewirken, viel zu hoch.
So ist die ganze Hypothese in dieser Form ihrer Stützen beraubt,
wenn es auch schwer fallen dürfte, einen zwingenden Gegenbeweis zu
erbringen.
453
Allgemein sind die Stimmungsverhältnisse unter den weiten Begriff der
Empfindlichkeit gebracht worden. Diese aber ist von vielen Dingen ab-
hängig, die mit der Stimmung nichts zu tun haben, so daß eine sorgfältige
Scheidung nötig wird. Daß die Stimmungserhöhung nicht als Ermüdung
definiert werden sollte, ist wiederholt betont worden. Der Begriff der Er-
müdung scheint mir so wenig klar, daß seine Einführung nicht glücklich
wäre. Aber auch abgesehen davon, ist das, was man als verschiedene
Empfindlichkeit des gleichen oder verschiedener Organismen bezeichnet hat,
ein Gemenge der heterogensten Dinge. Man könnte z. B. einen Keimling
von Avena auch durch Kälte, Verwundung oder Bedeckung seiner Spitze
unempfindlicher gegen Licht machen. Keine dieser Prozeduren würde aber
dasselbe bewirken wie eine Stimmungserhöhung durch Licht. Durch besondere
Versuche habe ich mich davon überzeugt, daß in keinem Falle die Ver-
zögerung der heliotropischen Reaktion gegen starkes Licht aufgehoben wird.
Im Gegenteil wird durch alle diese Verminderungen der Empfindlichkeit die
Reaktionszeit nur verlängert, ein Erfolg, der für die Ausschaltung der
exquisit lichtempfindlichen Spitze durch lichtdichte Bedeekung oder Abschneiden
nicht ohne weiteres vorauszusehen war). Es wäre demnach falsch, zu sagen,
daß z. B. die Spitze der Avena-Coleoptile der tiefstgestimmte Teil wäre. Die
Abnahme der Empfindlichkeit nach der Basis zu muß in anderen Ver-
hältnissen ihre Ursache haben.
Wir haben somit keinen Anhalt gefunden, der die Stimmungsveränderungen
an andere Vorgänge anzuknüpfen erlaubte und müssen uns begnügen,
sie mit Hilfe der bekannten Wirkungen zu definieren. Demnach ist die
heliotropische Stimmung der mit der Beleuchtung wechselnde innere Zustand,
von dem die Reizintensität irgend eines Lichtes, abgesehen von dessen
Stärke, abhängt. Nur von der Art der Reaktion gegenüber einem bekannten
Reize kann man auf die Stimmung des Objektes schließen, und nur durch
diese kann sie definiert werden.
IX. Theoretisches.
Die Wirkungen kurz dauernder Reize lassen sich, wie das schon
Charpentier (1) und kürzlich unabhängig von ihm Fröschel (6) getan
haben, unter das Gesetz der Reizmenge bringen. Dieses besagt, daß der
physiologische Effekt einzelner oder intermittierender Reize, die eine gewisse
Dauer nicht überschreiten, sich aus dem Produkt aus Intensität i, Ein-
wirkungsdauer t und, wo das in Betracht kommt, gereizter Fläche f ergibt.
e—ı= st
Die gereizte Fläche kann zwar allgemein bei Lichtreizung variiert werden;
es ist das aber bisher nur für die Netzhaut und nicht für heliotropische
1) Ähnliche Versuche sind allerdings von Rothert (Cohns Beitr. z. Biologie
d. Pflanzen, 1894, Bd. 7, S. 34) angestellt worden und haben zu demselben Resultat
geführt. Sie sollten aber einem ganz anderen Zwecke dienen, auch war die Be-
leuchtung schwächer, so daß obiges Resultat daraus noch nicht zu ersehen war.
29*
454
Pflanzen versucht worden, für die es experimentell einige Schwierigkeiten
ergeben dürfte. Sehen wir davon ab, so ist das Gesetz: e=i-t für
intermittierende Reize bei der Netzhaut bekannt als das Gesetz von Talbot.
Seine Gültigkeit für Pflanzen haben Nathansohn und ich (14) nach-
gewiesen. Für die geotropische Reizung scheint es auch zu gelten. Ebenso
(las Reizmengengesetz für kurze Einzelreizungen (Fitting, Bot. Ztg. 1908,
I, 8. 328). Dieses ist zuerst von M. A. Bloch für die Netzhauterregungen
gefunden, später von Charpentier eingehend experimentell bestätigt
worden. Für den Heliotropismus haben es Fröschel und Blaauw gleich-
zeitig konstatiert.
Über die Art seines Zustandekommens bei intermittierenden Reizen ist
inbezug auf; die Netzhaut mancherlei geschrieben worden. Zur Theorie
des Talbotschen Gesetzes für die Pflanze siehe Nathansohn und Prings-
heim (14, 8. 166). Ich entnehme dem nur soviel, wie zur Entwiekelung
des weiteren nötig ist. Wir haben es als wahrscheinlich dargestellt, daß
mit dem Beginn einer Reizung, die die Pflanze aus ihrem Gleichgewichts-
zustand entfernt, auch das Bestreben erwacht, dieselbe in diesen Zustand
zurückzubringen. Dieses Bestreben nannten wir mit Pfeffer Gegenreaktion.
In ihrer Stärke ist sie von der Erregungshöhe abhängig zu denken. Jeder
Intensität des physikalischen Reizes entspricht nun ein gewisses Ansteigen
der primären Erregung, und zwar ist die in der Zeiteinheit erreichte Er-
regungshöhe eine Funktion der Stärke des Reizes. Ebenso ist der durch die
Gegenreaktion in der Zeiteinheit bewirkte Abfall der Erregungshöhe ab-
hängig von dieser letzteren als bewirkender Ursache. Aus diesen hypo-
thetischen Voraussetzungen konnte eine Deutung der Vorgänge erreicht
werden, die das quantitative Verhalten bei der Entstehung der Summation
nach Talbot bewirken. Betrachten wir nun auf derselben Grundlage das
Zustandekommen des Reizmengengesetzes bei Einzelreizungen.
Wir sehen, daß der Effekt einer Induktion mit bestimmter Liehtintensität
bis zu einer gewissen Grenze mit der Einwirkungsdauer zunimmt. Nun ist
die Erzielung eben merklicher Krümmung an eine bestimmte Größe des
Produktes i - t gebunden. Die wahrscheinlichste Erklärung für diese Gesetz-
mäßigkeit ist die, daß unter den entsprechenden Verhältnissen der physio.
logische Effekt proportional jedem der beiden Einzelfaktoren zunimmt, denn
es ist nicht anzunehmen, daß der eine gerade um soviel hinter dem pro-
portionalen Anstieg zurickbleibt wie der andere ihn übertrifft. Wenn nun
die Erregung bis zu einer gewissen Grenze proportional der Zeit anstiege,
so müßte bei einem Einzelreize, z. B. von der Dauer der Präsentationszeit,
die Gegenreaktion zunächst außer Betracht bleiben, und die Erregung ge-
radlinig ansteigen, wie das Charpentier annimmt (1, 8. 124), sodaß die
Reizhöhe a, die vom Reiz mit der Intensität i nach der Zeit t erreicht wird,
durch den Reiz 2 i schon nach $ erklommen wäre. Wollen wir uns ein
Bild vom Zustandekommen des Reizmengengesetzes machen, so ist diese
Vorstellung kaum zu vermeiden. Die Erregung kann aber nicht an-
455
dauernd geradlinig steigen, weil sonst ein Reiz von noch so geringer
Intensität schließlich die maximale Reaktion hervorrufen müßte, was er
erfahrungsgemäß nicht tut. Vielmehr wird eine definitive Erregungshöhe
erreicht, die von der Stärke des Reizes abhängt und konstant bleibt, falls
nicht die Reizintensität anwächst. (14, S. 171.) Nun könnte es scheinen,
als wäre ein Ausweg aus dieser Schwierigkeit —, daß nämlich die Erregung
nicht endlos ansteigt, und doch anfangs die Wirkung proportional der Zeit
zunimmt — gefunden, wenn wir annähmen, daß die Gegenreaktion eine
Latenzzeit besäße, daß sie also erst einsetzte, wenn die primäre Erregung
einen Schwellenwert erreicht hätte, bis zu dessen Überschreitung eine gewisse
Zeit verstriche. Dann könnte nämlich in dem Gebiete, wo diese Erregungs-
höhe noch nicht erreicht wäre, das Reizmengengesetz gelten, indem bis
dahin die Erregung geradlinig anstiege. Gegen diese Annahme läßt sich
aber einwenden, daß dann alle Reizwirkungen von geringer Intensität bis
Fig. 5.
Die Fig. 5 soll schematisch darstellen, wie das Reizmengengesetz für kurze
einmalige und intermittierende Reize zustande kommen könnte.
Kurve I bedeutet den Anstieg der heliotropischen Erregung bei irgend einer
Beleuchtungsintensität und konstanten Stimmung unter Mitwirkung der Gegenreaktion,
die das allmähliche Übergehen in horizontale Richtung bewirkt.
Kurve III bedeutet den Verlauf der Erregung bei der vierfachen Beleuchtungs-
intensität.
Man sieht den anfänglich fast geradlinigen Verlauf des Erregungsanstieges, der
es ermöglicht, daß Kurve III nach einer gewissen Zeit bei a auf derselben Erregungs-
höhe ist wie I nach der vierfachen Zeit bei b.
Die Kurve II (als Sinuskurve zu denken) zeigt den Gang der primären Er-
regung bei langsam intermittierendem Lichte von derselben Intensität wie bei III und
der Periode 1:1.
zu dieser Schwellengrenze unbeschränkt ansteigen müßten, sodaß also alle
diese Reize mindestens diese Erregung, wenn auch vielleicht spät, hervor-
rufen könnten. Das läßt sich aber offenbar nicht mit den Beobachtungen
456
vereinen. Vielmehr entspricht jedem, auch dem schwächsten Reizanlasse,
eine gewisse nicht überschreitbare und daher früher oder später konstant
werdende Erregungshöhe, sodaß wir also nicht um die Forderung herum-
kommen, daß die Gegenreaktion sofort einsetzen müsse. Die Kurve, die
die Erregung wirklich beschreibt, muß also von Anfang an von zwei Fak-
toren bedingt sein, einmal von der Reizintensität und der davon abhängenden,
im ersten Zeitintervall eingeschlagenen Anstiegsrichtung, die beim Wegfall
der Gegenreaktion gradliniges Fortschreiten in einem gewissen Winkel ver-
anlaßte, zweitens von der Gegenreaktion, die nur von der augenblicklichen
Erregungshöhe abhängig zu denken ist und daher mit steigender Erregung
in steigendem Maße die Kurve herabzuziehen suchen wird. (Vgl. Kurve
Fig. 5.) Dadurch kommt ein anfangs stärkeres, dann immer mehr von der
Gegenreaktion vermindertes Ansteigen zustande, bis beide Bestrebungen sich
das Gleichgewicht halten und die Kurve mit konstanter Erregungshöhe
horizontal verläuft. Dieser Punkt wird um so niedriger liegen, je schwächer
der Reizanlaß ist. Der erste Teil wird die Abweichung von der gerade
ansteigenden Linie am wenigsten verraten, und auf diesem Gebiete bewegen
wir uns offenbar dann, wenn Einzelreize proportional der Zeit anwachsen,
was, wie Charpentier für die Netzhaut nachgewiesen hat, nur bei sehr
kurzen Induktionen stimmt. Bei längeren bleibt die Erregung immer mehr
hinter der zurück, die dem Werte i-t entsprechen würde. Letzteres ist
bei Pflanzen bisher nicht nachgewiesen. Offenbar liegt die Präsentationszeit
noch innerhalb dieses Gebietes. Die zeitliche Ausdehnung des geradlinigen
Anstieges muß also mit Abnahme der Reizintensität wachsen und die Grenze
dürfte eher mit einer gewissen Erregungshöhe, also mit einem gewissen
Produkte i - t zusammenfallen als mit einem absoluten Zeitwerte.
Wenn diese Vorstellungen richtig sind, so ergibt sich nun auch, daß
das Reizmengengesetz für Einzelreize theoretisch nur angenähert gültig zu
denken ist, wie genau es auch experimentell stimmen mag. Gefordert wurde
seine Gültigkeit schon von Nathansohn und mir auf Grund unserer Ver-
suche über intermittierende Reize und der Befunde von Fitting (14, 8. 159).
Die damals vorliegenden experimentellen Daten genügten der Forderung nicht
ganz. Daraus, daß mit dem Anwachsen der reizlosen Intervalle bei Fittings
seotropischen Versuchen der Effekt schließlich unter das Maß sank, das
durch die Summe der Einzelwirkungen gegeben ist, wurde aber geschlossen,
daß bei kürzeren Intervallen nur die Abweichungen zu gering sind, als daß
sie festgestellt werden könnten (14, 8. 190). Das entspricht auch meinem
heutigen Standpunkte.
Wir haben somit die Kurve der Erregung, die beim Einwirken eines
konstanten Reizes auftritt, in zwei hypothetische Komponenten gespalten.
Die Erregung würde mit einer von der Reizintensität abhängigen Ge-
schwindigkeit geradlinig und endlos ansteigen, wenn nicht die Gegenreaktion
ihr entgegenarbeitete, die bestrebt ist, den Organismus in das Gleichgewicht
mit der Erregung 0, die beim Ausbleiben jedes Reizes vorliegt, zurückzuführen.
457
Dadurch weicht der Verlauf der wirklich zustandekommenden Erregung immer
stärker vom gradlinigen Anstiege ab, und geht schließlich in die Horizontale
über, bei der er konstant bleibt, da nun primäre Erregung und Gegenreaktion
sich das Gleichgewicht halten. Hört die Reizung auf, so fällt die Erregung
durch die Wirkung der Gegenreaktion, und zwar mit abnehmender Ge-
schwindigkeit, da mit der Annäherung an das Gleichgewicht das sie bedingende
Bestreben immer schwächer wird.
Das sind die Vorstellungen, die wir uns von den Vorgängen bei
konstanten Verhältnissen machen können. Beim Phototropismus und der
Phototaxis kommt nun aber noch ein komplizierender Faktor hinzu, das ist
die Stimmungsveränderung, die immer dann vor sich gehen wird, wenn ein
Beleuchtungswechsel erfolgt, also vor allem dann, wenn ein Dunkelkeimling
ans Licht gebracht wird. Das Steigen der Stimmung ruft, wie wir gesehen
haben, eine Verminderung der Empfindlichkeit hervor, die sich z. B. in der
Verlängerung der Präsentationszeiten ausdrückt. Je niedriger die Stimmung,
desto eher wird die Erregungshöhe erreicht, die eine nach außen sichtbare
Reaktion hervorruft, desto steiler wird also der Erregungsanstieg sein.
Aus den Untersuchungen von Oltmanns (16, 8. 11, 15, 16) sieht man
aber auch, daß überhaupt alle Reizwirkungen mit Erhöhung der Stimmung
an Intensität abnehmen; so mußte z. B. zur Erzielung der Indifferenz bei
am Lichte gewachsenen Keimlingen eine höhere Beleuchtungsintensität an-
gewendet werden, als bei niedrig gestimmten; negative Krümmung wurde
bei den angewendeten Lichtintensitäten überhaupt nur bei etiolierten Keimlingen
erreicht. Entsprechend ist das Verhalten bei phototaktischen Organismen,
und auch bei der Netzhaut entspricht der Dunkeladaptation die niedrigste
Schwelle.
Wir können aus all’ dem ersehen, daß die Erregung durch irgend einen
Reiz um so intensiver sein wird, je niedriger die Stimmung ist. Eine ge-
wisse Erregungshöhe ist aber Bedingung, nicht nur für die Überschreitung
der heliotropischen Reizschwelle, sondern auch für das Zustandekommen
einer negativen Reaktion oder der Indifferenz. Ich sehe also jetzt die Be-
dingung für die Umschaltung zu negativer Reaktion, oder, mit einem glück-
licheren Ausdrucke, den Wo. Ostwald geschaffen hat, für die Sinnesumkehr
der heliotropischen Reaktion einfach in der hohen Erregung, d. h. in der
Intensität, mit der die auf die Perzeption folgenden Vorgänge in der Reiz-
kette sich geltend machen. Die Ausdrucksweise, wie ich sie in meiner
vorigen Arbeit [z. B. Zusammenfassung Nr. 10] gebrauchte, mußte ich ver-
lassen, da sie die Sache nicht trifft. Wenn nach meiner jetzigen Auffassung
die Höhe der tropistischen Erregung für die Induktion des negativen
Krümmungsbestrebens maßgebend ist, so wird eine einseitige Belichtung
während der ganzen Zeit (der Präsentationszeit für die negative Krümmung)
nötig sein, um sie hervorzurufen. Früher hielt ich es auch für möglich,
daß dieser Zustand des negativen Krümmungsbestrebens nur durch die Stimmung
458
der Pflanze bedingt und durch jede Belichtung hervorgerufen würde. Für diese
Annahme scheint allerdings der Befund von Loeb (12, 8. 576, vgl. diese
Arbeit S. 426) zu sprechen. Eine wirkliche Entscheidung wäre durch neue Ver-
suche, wo möglich mit intensiverer Beleuchtung, zu erbringen.
Eine so hohe Erregung, wie sie für negative Reaktion nötig ist, wird
jedenfalls bei den im Dunkeln gezogenen Pflanzen schon bei einer Licht-
intensität erreicht werden, bei der eine hochgestimmte noch positiv reagiert.
Das geht aus Oltmanns Beobachtungen klar hervor. Sehen wir nun zu,
in welcher Weise die Veränderung der Stimmung auf den Erregungsverlauf
eines Organismus wirken wird, der, aus dem Dunkeln kommend, plötzlich
einseitiger starker Belichtung ausgesetzt wird. Der im vorigen Abschnitte
skizzierte Erregungsverlauf ist für konstante Stimmung gedacht. Ich durfte
zunächst von diesen Veränderungen ganz absehen, weil es sich um Be-
lichtungen von nur Präsentationszeitdauer handelte, wo entweder die Zeit zu
kurz oder die Lichtintensität zu schwach war, als daß die Stimmungs-
veränderung merklich hineingespielt hätten. Jetzt aber wollen wir zu längeren
Induktionen und größeren Reizintensitäten übergehen und versuchen, uns ein
Bild davon zu machen, wie in meinen Experimenten Indifferenz und negative
Reaktion zustande kommen konnten. Wir wollen uns dabei gegenwärtig
halten, daß nach meiner Anschauung eine gewisse Erregungshöhe positive
Reaktion bedingt, daß bei einer gewissen größeren — Umschaltung oder Sinnes-
umkehr stattfinden wird, und daß zwischen beiden ein Gebiet liegen muß,
in dem beide einander entgegenwirkend Indifferenz vortäuschen. Dann ist
es klar, daß im Beginn der einseitigen Belichtung, auch wenn diese noch
so intensiv ist, die Erregung so niedrig sein wird, daß anfangs gar keine,
nach längerem Ansteigen positive Reaktion induziert wird. Wird an der
Grenze zwischen beiden die Belichtung unterbrochen und es ergibt sich positive
Krümmung, so sind wir an der Zeitschwelle, die man Präsentationszeit nennt.
Es steigt aber die Erregung weiter an und erreicht schließlich eine solche
Intensität, daß die auf negative Reaktion hinzielenden Prozesse ausgelöst
werden, durch deren Entgegenwirken zunächst ein Gleichgewicht zwischen
positiven und negativen Krümmungsbestrebungen, d. h. Indifferenz, entsteht,
die wiederum durch Unterbrechen der Belichtung nachgewiesen werden kann!).
Eine etwas längere Reizung bewirkt dann Überwiegen der negativen Reaktion.
Nun haben wir aber gesehen, daß mit Beginn der Belichtung auch die
Stimmung anfängt zu steigen. Zuerst macht sich das noch nicht se sehr
bemerkbar, aber später bewirkt sie ein stärkeres Herabdrücken der Erregung,
da diese außer von der Intensität des Reizanlasses auch von der Stimmung,
1) Die von Fitting in seinem Referate (4, S. 326) vermuteten Widerstände,
die sich bei Versetzung etiolierter Keimlinge in starke Beleuchtung anfangs dem
Ablaufe der Reaktion entgegenstellen, sehe ich demnach in den einsetzenden, auf
negative Reaktion hinwirkenden Prozessen. Sie werden durch Vorbelichtung be-
seitigt, weil dann keine so hohe primäre Erregung mehr erreicht wird.
459
d.h. dem Zustande der hypothetischen Perzeptionsstrukturen abhängig ist. Es
wird also nach einiger Zeit derselbe Reiz, der im Beginne, bei niedriger
Stimmung, eine starke Erregung bewirkt hat, an Wirkung verlieren, die Er-
regung wird sinken und kann sekundär unter das für negative Reaktion
nötige Maß heruntergehen (Fig. 6). Wir sehen daher auch in Oltmanns
Versuchen, daß Keimlinge, die erst negativ reagiert haben, später gerade
Zeit D—>
229 3 Fig. 6.
4
Die Figur 6 soll schematisch darstellen, wie die durch die Kurve I ausgedrückte
Erregung, die mit der Dauer der Belichtung steigt, um dann durch das Mitwirken
der Gegenreaktion allmählich konstant zu werden, durch die langsamer ansteigende
Stimmung (Kurve II) nachträglich wieder sinkt (Kurve III). Der Zwischenraum
zwischen I und II entspricht ungefähr dem zwischen der Ordinatenachse und II.
Das wurde nur der Einfachheit und Anschaulichkeit wegen so dargestellt, da ja die
Masse von I und II willkürlich und nicht vergleichbar sind. — Es entspricht somit
auch der Zwischenraum zwischen I und III dem zwischen II und der Ordinatenachse,
wodurch die Depression der Erregung (I) auf die Gestalt von III klar wird.
Man sieht nun an III, wie bei a die Erregung ausreicht, um sichtbare Krümmung
zu veranlassen (Präsentationszeit). Bei b wird die Erregung so groß, daß negative
Bestrebungen von genügender Intensität ausgelöst werden, um ein Ausbleiben der
Krümmung zu bewirken. Bei e ist dann durch das Ansteigen der Stimmung die
Reizstärke des betreffenden Lichtes so weit gesunken, daß wieder positive Krümmung
auftritt.
Die Zahlen 1—4 entsprechen denen der Fig. 3, mit der Fig. 5 zu vergleichen
ist. Jene drückt das äußere Geschehen bei verschiedenen Induktionszeiten und Licht-
intensitäten aus, diese das Zustandekommen desselben durch das Zusammenwirken
der hypothetischen Komponenten des inneren Geschehens.
werden und sogar positiv reagieren, wenn die Stimmung genügend gestiegen
ist (16, 8. 17). Ein solches Verhalten fordert Fitting nach der in meiner
vorigen Arbeit entwickelten Vorstellung. In der Arbeit von Oltmanns
kann man sehen, daß es verwirklicht ist.
Denken wir uns eine geringere Lichtstärke wirksam, so wird die
negative Krümmung an Intensität abnehmen, und an der Grenze von posi-
tiver und negativer Reaktion werden die Keimlinge indifferent scheinen. Aber
auch zeitlich wird die, nachträglich in positive übergehende negative Reaktion
mit der Abnahme der Lichtintensität an Gebiet verlieren, bis nur erstere
erscheint. Es wird deshalb verständlich, daß sie bei dauernder Belichtung
durch die Auer- und Nernstlampe von der intensiveren positiven Reaktion
460
verdeckt wird, sowie auch die anfänglich induzierte positive Reaktion von
der stärkeren negativen verhindert werden kann in die Erscheinnng zu treten.
Wird aber die Belichtung rechtzeitig unterbrochen, so daß die Stimmung
verhindert wird, weiter anzusteigen und keine positive Reaktion mehr in-
duziert wird, so kann die negative Reaktion oder doch Indifferenz sich nach
außen bemerkbar machen und ein entsprechendes Verhalten der ins Dunkle
gestellten Keimlinge bewirken. Wir würden demnach hinter den Er-
scheinungen, die wir bei Unterbrechung der Reizung nachträglich auftreten
sehen, dieselben Ursachen vermuten dürfen, die bei dauernder Reizung nur
dann einen entsprechenden äußeren Effekt haben, wenn sie wesentlich
intensiver einwirken, weil jeder folgende Impuls das Bestreben hat, den
vorhergehenden auszulöschen.
Daß eine Erregung in ihrem Verlaufe noch durch nachträgliche Reizung
beeinflußt werden kann, habe ich schon auf $. 444 hervorgehoben. Es darf
daraus geschlossen werden, daß der Verlauf der Reizkette nicht einseitig
fortschreitend von der Perzeption zur Reaktion zu denken ist, sodaß also
ein einmal induziertes Krümmungsbestreben, ohne später verändert werden
zu können, bis zur Reaktion durchliefe, sondern daß in der lebenden Pflanze
ein verwickeltes Netz von Vorgängen, die mannigfach verknüpft sein können,
entsteht, ein Hin- und Wiederwirken von physikalischen und chemischen Vor-
gängen, die, selbst wenn sie da oder dort gepackt werden, noch lange kein
Bild von dem eigentlich wichtigen Lebensvorgange geben können. Man
kann sich vorstellen, daß allerlei Seitenprozesse, die keine unwesentlichen
Nebenreaktionen zu sein brauchen, ausgelöst werden und daß so der ganze
Organismus an der Erregung teilnimmt, bis allmählich die Gegenreaktionen
das Gleichgewicht wieder herstellen. Inzwischen können aber diese Seiten-
prozesse den inneren Zustand des ganzen verändern und so das schließlich
nach außen sichtbare Geschehen beeinflussen. Des Näheren können alle
diese Vorgänge noch nicht dargelegt werden, meine Untersuchungen haben
aber wohl gezeigt, daß man sich alles immer noch zu einfach vorgestellt
hat. Man kommt mit den alten, an sich vielleicht anschaulicheren Vor-
stellungen nicht mehr aus.
Ein ähnlicher Gang des Stimmungs- und Erregungsverlaufes wäre nun
auch für phototaktische Organismen und chemotropische Pflanzenteile an-
zunehmen. Da oben ($. 433 ff.) die Ähnlichkeit des äußeren Verhaltens
dargelegt wurde, verzichte ich darauf, alle diese Erscheinungen speziell auf
die entwickelten theoretischen Anschauungen zurückzuführen. Nur die von
Groom und Loeb (7) beschriebene „paradoxe“ Gleichheit im Benehmen
solcher Balanuslarven, die aus dem Dunkeln und solcher, die aus intensiver
Beleuchtung kamen, wenn sie in diffuses Tageslicht versetzt werden, soll
noch theoretisch besprochen werden. Beide Gruppen reagierten nämlich erst
positiv, dann negativ phototaktisch. Die aus dem Hellen kommenden waren
sehr hoch gestimmt; die mittlere Lichtintensität, die dann auf sie einwirkte,
hatte also nicht die Kraft, eine Erregung von der Stärke zu bewirken, daß
461
negative Reaktion entstanden wäre. Später, nachdem die Stimmung ge-
sunken war, reagierten sie dann negativ wie immer bei dauernder Be-
lichtung von einer gewissen Stärke. Bei den Tieren, die im Finstern ge-
wesen waren, hatten Stimmung und Erregung einen sehr tiefen Stand.
Bevor letztere zur vollen Höhe angestiegen war, trat positive Reaktion ein,
die später, nach weiterem Anstieg, in negative umschlug. Bei diesen Or-
ganismen stieg also die Stimmung in diffusem Tageslichte nie so hoch, daß
dauernde positive Reaktion eingetreten wäre. Man könnte das vielleicht so
ausdrücken, daß ihre „Eigenstimmung“ niedrig war, womit gesagt sein soll, daß
die, die Variationsbreite der Stimmung bedingenden Faktoren eine Beschränkung
nach oben verursachten. Diese Eigenstimmung oder der Stimmungsumfang kann
dann seinerseits wieder durch andere Einflüsse, wie Temperatur, chemische
Agentien, Alter usw. verschoben werden, worüber in den Arbeiten von Stras-
burger, Oltmanns, Wiesner und Loeb mancherlei zu finden ist.
Es müssen diese letzten Erwägungen auch zur Vorsicht mahnen, nicht
zu sehr zu verallgemeinern, da man nie weiß, wo die spezifischen Grenzen
liegen. So brauchen z. B. nicht bei jeder Lichtintensität die vorbelichteten
Keimlinge mit maximaler Geschwindigkeit positiv zu reagieren, und es braucht
nicht auf jede negative später eine positive heliotropische Krümmung zu
folgen. Es brauchen überhaupt nicht in allen heliotropischen Pfianzenteilen
beide Reaktionsmöglichkeiten, die positive und negative, vorzuliegen. Es
gelang z. B. bisher nicht, negativ heliotropische Sinapiswurzel durch schwaches
Lieht positiv zu machen. Überhaupt bleibt noch ein weites Feld für die
extensive Forschung übrig, zu der Wiesner den ersten Grund gelegt hat.
Hier konnte nur ein Schema gegeben werden. 2
Um noch einmal zusammenzufassen, so glaube ich bei dem verhältnis-
mäßig schwachen Lichte von Nernst- und Auerlampe den ersten Anfang
derselben Erscheinungen beobachtet zu haben, die bisher nur für das weit
stärkere der Bogenlampe oder das konzentrierte Licht der Sonne bekannt
waren. Was dort bei dauernder Belichtung leicht in die Augen fiel, mußte
hier allerdings erst durch rechtzeitige Unterbrechung der Reizung vor der
Verwischung durch intensivere Reize bewahrt werden. So gewinnt auch
die Verzögerung der Reaktion niedrig gestimmter Keimlinge bei starkem Lichte,
als deren Ursache ich schon früher eine vorübergehende Indifferenz an-
gesprochen hatte, an Klarheit. Es ist jetzt kaum mehr zu bezweifeln, daß
diese Indifferenz mit der lange bekannten bei intensiverem Lichte identisch
ist. Für diese Anschauung spricht: 1. die Möglichkeit des Auftretens negativer
Reaktionen, 2. der spätere Übergang ins positive, 3. die Bewirkung durch
ein Licht von größerer Intensität als desjenigen, das rein positive Reaktion
hervorruft. Dadurch, daß ich meine Keimlinge durch rechtzeitige Versetzung
ins Dunkle vor einer zu großen Stimmungserhöhung bewahrte, konnte das
relativ schwache Licht nach außen hin eine Wirkung ausüben, die bei
dauernder Belichtung und dadurch weiter ansteigender Stimmung nur durch
weit intensiveres ausgeübt wird.
ERRIHIRTE
Nun wird es auch verständlich, warum die bei Licht von einer gewissen
Stärke an (Optimum Wiesners) auftretende Verzögerung der Reaktion im
Dunkeln gewachsener Keimlinge durch Vorbelichtung vermieden werden
kann. Es wird dann das negative Krümmungsbestreben, das im Widerstreit
mit dem positiven vorübergehende „Indifferenz‘‘ erzeugt, bei der höheren
Stimmung gar nicht erst induziert, weil die Erregung nicht die entsprechende
Höhe erreichen kann. Daher können sogleich die auf positive Reaktion
hinzielenden Prozesse ohne Hemmung ihren Lauf nehmen. Andererseits
wird bei zu hoher Stimmung durch Erhöhung aller Schwellenwerte und
dadurch bedingte Herabsetzung der Erregungsgröße auch wieder eine Ver-
zögerung der Reaktion eintreten. Es muß demnach für jede Reizintensität
ein Optimum der Stimmung geben, das ich bei meinen Objekten mit jener
übereinstimmend fand, die durch längere Einwirkung desselben Lichtes ent-
steht. Ob diesem Zusammentreffen eine innere Bedeutung zukommt, wage
ich nicht zu entscheiden. Ich neige aber auch heute der Anschauung zu,
daß der heliotropische Stimmungswechsel auf eine Anpassung der Reiz-
strukturen an die herrschenden Lichtverhältnisse hinzielt, also eine Adap-
tation darstellt, ähnlich wie sie für die Retina bekannt ist. Offenbar liegt
es im Wesen des Lichtsinnes begründet, daß die zu seiner Betätigung
dienende Reizbarkeit nicht ohne weiteres befähigt ist, innerhalb einer so
weiten Intensitätsskala befriedigend zu wirken, wie sie in der Natur vorliegt,
sondern daß sie je nach dem Bedürfnis eingestellt werden muß, um volle
Leistungsfähigkeit zu erwerben. Es schwanken ja auch die Lichtdifferenzen,
die vom Organismus wegen ihrer Wichtigkeit für sein Bestehen unterschieden
werden müssen, innerhalb so weiter Grenzen, wie es kaum bei einem anderen
Reizanlaß der Fall ist. Jedenfalls ist es verständlich, daß der Schweresinn,
der nur mit der praktisch überall auf der Erde gleichförmigen Kraft g zu
rechnen hat, keine derartige Einstellbarkeit aufweist, daß also geotropische
Stimmungsveränderungen durch adäquate Reize nicht bekannt sind. Ein
negativ geotropisches Organ krümmt sich bei Zentrifugalversuchen immer
nach innen, sobald die Reizschwelle überschritten ist; eine positive Reaktion
auf schwache Reize kommt dort nicht vor, ebensowenig eine negative bei
starker Reizung positiv reagierender Pflanzenteile.
Dagegen liegen die Dinge, wie es scheint, auf dem Gebiete der chemischen
Reizbarkeit ganz ähnlich wie bei der Lichtreizbarkeit. Auch die chemischen
Reize bieten eine für den Organismus wichtige, feine quantitative Abstufung.
Auch dort finden wir bei schwacher Erregung positive, bei starker negative
Reaktion, auch dort ist die Stärke der Erregung außer von der Intensität des
Reizanlasses von dem inneren Zustande des Organismus stark abhängig.
Nach meiner Auffassung ist der Lichtstimmungswechsel sowohl bei der
heliotropischen Pflanze wie bei der Netzhaut ein Vorgang eigener Art, hervor-
gerufen durch Beleuchtungswechsel und hinzielend auf eine Anpassung der
Reizstrukturen (des hypothetischen Perzeptionsorganes) an die Beleuchtungs-
verhältnisse. Das, worauf es an dieser Stelle ankommt, formuliert Hering
LER
für die Netzhaut (9, S. 73) folgendermaßen: „Die verschiedenen Grade der
allgemeinen Beleuchtung erfordern also verschiedene Anpassungszustände
des Auges, und umgekehrt entspricht jedem Anpassungszustande eine be-
sondere, für diesen Anpassungszustand optimale Beleuchtungsstärke, wenn
das Auge das unter den gegebenen Verhältnissen mögliche Maximum der
Deutlichkeit des Sehens erreichen soll —.“ Derselbe Forscher hat schon
früh die Auffassung der Stimmungserhöhung der Netzhaut beim Wechsel
von dunkel zu hell als Anpassung betont, und gezeigt, daß die Adap-
tation nicht als Ermüdung aufgefaßt werden kann. Für die Pflanze ist
allerdings ein solcher Satz immer noch mehr Programm als erwiesene Tat-
sache. Immerhin denke ich, daß alle Analogien, auch die in dieser Arbeit
neu hinzugekommenen, für ein ungefähr gleiches Verhalten sprechen. Die
Übereinstimmungen zwischen den Stimmungsveränderungen der heliotropischen
Pflanze und der Adaptation der Netzhaut bestehen hauptsächlich in folgendem:
1. Beide folgen der Veränderung der Lichtstärke nach oben und unten,
nach oben aber schneller.
2. Die vollendete Stimmungsanpassung bewirkt die kürzeste Reaktions-
zeit, d. h. sie ermöglicht die höchste, rein positive Reaktion hervorrufende
Erregung. Die Adaptation ermöglicht die Ausnutzung großer Helligkeiten
durch größtmögliche Sehschärfe.
3. Die Lichtanpassung bedingt in beiden Fällen ein Steigen der zur
Erzielung eines bestimmten physiologischen Effektes nötigen Beleuchtungs-
menge, also z. B. an der Reizschwelle eine Verlängerung der Belichtungs-
zeit oder eine Verstärkung der Beleuchtung.
4. Je länger eine bestimmte Lichtintensität gewirkt hat, desto länger
bleibt die ihr entsprechende Stimmung erhalten, resp. desto langsamer geht
nachher ein neuer Wechsel vor sich.
Ob die von mir entwickelten Anschauungen und hypothetischen Folgerungen
sich mit späteren Befunden werden vereinigen lassen, läßt sich heute nicht
sagen, ist auch von keiner großen Bedeutung. Einen eigentlichen Wert aber
würden die theoretischen Erörterungen gewinnen, wenn sie zur Entdeckung
neuer Zusammenhänge führen würden, auch wenn sie, wie das z. B. schon
in dieser Untersuchung der Fall war, dabei modifiziert werden müßten. Da
aber die Verhältnisse offenbar äußerst verwickelt sind, ist die Beschaffung
neuen 'Tatsachenmaterials die Hauptsache.
X. Zusammenfassung.
1. Die heliotropische Reizintensität nimmt mit der Beleuchtungsstärke
dauernd zu.
a) Das sogenannte Optimum (Wiesner) zeigt sich bei der Reaktionszeit
nur dann, wenn die benutzten Keimlinge auf wesentlich niedrigere Licht-
intensität gestimmt sind als sie der heliotropisch wirksamen Belichtung
entspricht.
464
b) Eine Abnahme der Krümmungswinkel bei intensiverem Licht sieht man
nur dann, wenn niedrig gestimmten Pflanzen nicht genug Zeit zur
Vollendung der Reaktion gelassen wird. Schließlich erreichen sie die-
selbe maximale Krümmung wie die bei „optimaler“ Belichtung.
ce) Das gleiche geht aus der stetigen Abnahme der Präsentationszeiten mit
der Steigerung der Lichtintensität hervor.
2. Die Zunahme der Reaktionszeiten etiolierter Pflanzen mit der
Steigerung der Beleuchtungsstärke über ein gewisses Maß hat ihre Ursache
darin, daß unter diesen Umständen (niedrige Stimmung, intensives Licht)
schon negativ heliotropische Tendenzen ausgelöst werden, die im Kampf mit
den positiven eine vorübergehende Indifferenz vortäuschen. Die eigentliche
positive Reaktion beginnt erst, wenn die Stimmung bis zu einer gewissen
Höhe gestiegen ist.
3. Die Aktivierung der negativen Tendenzen, (die bei sehr starkem Lichte
wirkliche negative Krümmungen bewirken), ist an eine gewisse Erregungshöhe
gebunden, die erst mit der Zeit erreicht wird. Wird die Belichtung vorher
unterbrochen, so tritt positive Krümmung ein. Nach einer gewissen längeren
Induktion aber halten sich positive und negative Tendenzen gerade die Wage,
sodaß äußerlich keine Reaktion sichtbar wird, die Pflanzen scheinen indifferent.
Wird eine genügende Lichtmenge in so kurzer Zeit appliziert, daß die Um-
stimmung noch nicht mitwirkt, so treten negative Reaktionen auf.
4. Die in der Zeiteinheit erreichte Erregungshöhe ist eine Funktion
der Beleuchtungsintensität und der Stimmung. Bei einer gewissen minimalen
Erregungshöhe tritt äußerlich sichtbare Krümmung auf. Das dazu erforder-
liche Liehtquantum (Induktionszeit X Beleuchtungsintensität) wächst mit der
Stimmung, daher also bei konstanter Lichtstärke die Präsentationszeit bei
Dunkelkeimlingen am kürzesten ist und durch Vorbeliehtung wächst.
5. Nimmt man umgekehrt die Länge der Präsentationszeit bei einer be-
stimmten Beleuchtungsintensität als Maß der Stimmung, so ergibt sich, daß diese
mit der Dauer der Belichtung erst langsam, dann schnell und dann wieder
langsam steigt, und [bei den geprüften Lichtintensitäten] bald konstant wird.
6. Läßt man auf eine Induktion, die nachträglich im Dunkeln positive
Reaktion hervorrufen würde, eine allseitige gleich intensive Belichtung unter
Rotation folgen, so wird bei kurzen Induktionszeiten das Krümmungsbestreben
durch verhältnismäßig kurze Rotation (in meinen Versuchen etwa gleich
lang wie die Induktion) völlig ausgelöscht. Soll bei nachträglicher dauernder
allseitiger Reizung Reaktion auftreten, so muß sehr lange (bei mir 25 Minuten)
induziert werden.
7. Bei mikroskopischer Beobachtung der heliotropischen Krümmung
konnte nie ein sofortiger Beginn beobachtet werden, die kürzeste Reaktions-
zeit war 20 Minuten. Eine meßbare Hemmung des Wachstums durch Be-
liehtung und Transpirationssteigerung, die etwa die sogenannte Indifferenz
hätte hervorrufen können, ließ sich nicht nachweisen.
Breslau, Pflanzenphysiologisches Institut, im April 1909.
Protokolle.
Die wiedergegebenen Versuchsprotokolle sind nur herausgegriffen. Die
meisten Resultate wurden viel häufiger beobachtet, als es nach ihnen
scheinen könnte. Nur die mikrometrischen Messungen, soweit sie mit
künstlichem Licht und Beobachtung des Krümmungsbeginnes angestellt
wurden, sind sämtlich wiedergegeben. Über die Hemmung des Wachstums
durch Belichtung wurden mehr Versuche angestellt, die aber nichts neues
ergaben. Die Experimente, die die Erhöhung der Präsentationszeit durch
Belichtung vor der Nernstlampe erwiesen, sind ganz weggelassen. Ihre Er-
gebnisse findet man in Tab. 5 S. 439.
Erklärung der Zeichen (vgl. S. 423).
— — deutliche positive Krümmung
++ = starke - „
> — Krümmung geht zurück
o — keine Reaktion
— — negative Reaktion
? — die betreffende Krümmung noch schwach.
Vorübergehende Indifferenz von Dunkelkeimlingen bei hellem Licht.
1. Panicum miliaceum, Dunkelkeimlinge von 2,5—3 em.
15° C. 65° Luftfeuchtigkeit.
100 em v. d. Auerlampe ohne Dämpfung, wobei die Präsentationszeit
8 Sekunden beträgt
a) zwei Töpfe nach 35 Min.,
Dies = „ 45 „um 180° gedreht,
ei „ stehen still.
Die Belichtung beginnt 10® 35’. Erster Beginn der Krümmung nach
zwei Stunden.
12h 45° aa 2 +? 2
nach 130° b) 12 »
co) 4+? 90
12h 55° a) 1+ 5+? Sw
nach 140° b) 12 w
co) 6+ 6-+??
1k 908 ay a TERN S
nach 165° b) 4-+? Sw
ce) 8+5+?
Die Indifferenz dauerte also offenbar eine kürzere Zeit als 35 Minuten,
da die stillstehenden früher reagierten. Immerhin sieht man auch schon
an diesem Versuche, daß die Reaktion durch den Richtungswechsel in der
466
Belichtung nicht um die volle Zeit bis zu dieser Prozedur verlängert wurde,
d.h. daß die Reaktionszeit der in anderer Richtung vorbelichteten Keimlinge
wesentlich verkürzt ist. In dem folgenden Versuche wurde das Umdrehen
früher vorgenommen.
2. Panicum miliaceum, Dunkelkeimlinge, Hypocotyl 2—2,5 em, etwa
dreimal so lang als die Coleoptile.
15° C, 65° Luftfeuchtigkeit.
100 cm v. d. Auerlampe ohne Dämpfung.
a) zwei Töpfe werden nach 25 Min.,
b)E, > 30°, »um180j0@eedreht,
eo), „ stehen still.
Belichtung beginnt 11® 5’, nach 2 Stunden die ersten Krümmungen.
Ih 5° a) 6-+?? 100
nach 120° b) 4-+?? 10
ein
a
nach 130° b) + 54? 4+?? 1»
eo); 3 UE-L- 2918 n20R
Ih 95° a) 9+ 74?
nachy 140% b)B 205 we 1
c) 10+ 5+?
Alle reagieren gleichzeitig. Man sieht, daß die heliotropische Belichtungs-
zeit unter diesen Umständen etwa 30 Minuten beträgt. Nach einer halben
Stunde werden also die auf die Reaktion hinzielenden Prozesse so merklich,
daß eine wenig später vorgenommene Änderung der Beleuchtungsrichtung
verzögernd auf die Reaktion wirkt.
3. Brassica Napus, Dunkelkeimlinge von 3—4 cm.
16° C, 65°/ Luftfeuchtigkeit.
100 cm v. d. Auerlampe ohne Dämpfung.
a) drei Töpfe nach 25 Min. um 180° gedreht,
B)2ıR, „ stehen still.
Belichtung beginnt 5" 10’, nach 2 Stunden erster, noch undeutlicher
Beginn. Th 20° a) 4-+ 10
nach 130° b) 2 + 16 w
7h 30° a) 6+ So
nach 140° b) 5+ 13»
7h 40° a) 9+ 5o
nach 150° b) 10+ Sw
7h 50° a)13 + 1?
nach 160° b) 17 + 2?
Auch hier also keine Verzögerung durch die Riehtungsänderung der
Belichtung. Das Material eignet sich aber für solche Versuche weniger als
die Gramineenkeimlinge. Die Grenze der heliotropischen Zeit wurde daher
nicht festgestellt. Mit Lepidium sativum wurden entsprechende Versuche
mit gleichem Erfolge ausgeführt.
Sehr
Indifferenz schwach vorbelichteter Keimlinge.
4. Avena sativa. 8. XH, 16° C, 55°/, Luftfeuchtigkeit.
Vorbelichtung unter Rotation von 1" 15’ bis 5" 15’ in 1 m Entfernung
von der Auerlampe, vorgeschaltet Dämpfungsscheibe II und IV und ein Blatt
Fließpapier. Diese, sehr schwache Beleuchtung hat nach den 4 Stunden
eine deutliche Reaktion bei einem stillstehenden Topf bewirkt, die nach dem
Fortnehmen der Lichtdämpfung bald zunimmt.
Trotz dieser Vorbelichtung zeigen die Pflanzen nachher bei 100 em ohne
Dämpfung eine vorübergehende Indifferenz. Obgleich nämlich ein Topf
10 Minuten nach dem Anhalten des Klinostaten, ein anderer nach weiteren
15 Minuten um 180° gedreht wurde, reagierten die Keimlinge in beiden zu
gleicher Zeit wie in einem dritten, der vom Anhalten des Klinostaten und
Beseitigung der Liehtdämpfung an stillgestanden hatte.
Klinostat angehalten
u. Lichtdämpfung
eentfernt: a) nach 10 Min. b) nach 15 Min. c)
Haas || um 180° gedreht. | steht still.
Gh 15° 14492? 5 RE 13492 Aw
oe eu au ro ao | 2 er es
630° |6+ 34? era ae
Indifferenz stark vorbelichteter Keimlinge bei schwachem Lichte.
5. Avena sativa. 9. XU, 16° C, 60°/, Luftfeuchtigkeit.
Vorbelichtung von vier Töpfehen a—d unter Rotation am Fenster in
hellem diffusem Tageslichte von 9" 50’— 11" 1’. Aufstellung in rotgelbem,
unwirksamem Lichte in 100 em von der Auerlampe. Belichtung hinter
II —+- IV beginnt 11® 2’, ein frischer Dunkeltopf daneben — e, a nach 10,
b nach 15, e nach 20 Minuten um 180° gedreht, d steht still.
Beginn
Ray] a b e d e
12h 15° & &o sS SS) +?
12h 25° & & e\) & +
12h 40° n & a) & +
12h 50° 5+?? 5 14-2? 5» 3-?? 4m 3-4?7?4w +
Ih ER ae BI EA Hr ne Br a el
Es reagieren somit die nach 10, 15, 20 Minuten um 130° gedrehten
Keimlinge von a, b und ce ebenso schnell wie die still stehenden in d. Also
auch bei der Versetzung von hellem Licht in schwaches, anfangs „Indifferenz“.
Man kann daraus schließen, daß die Wirkung des schwachen Lichtes, so-
jange die Keimlinge hoch gestimmt sind, unmerklich ist. Erst nach dem
Fallen der Stimmung, also hier frühestens nach 20 Minuten, beginnt der auf
heliotropische Reaktion hinzielende Vorgang kräftig einzusetzen. — Bei ge-
ringeren Lichtdifferenzen gelangen die Versuche Prot. 4 und 5 nicht.
Beiträge zur Biologie der Pflanzen, Bd. IX, Heft III. 30
468
Entstehung der Indifferenz.
6. a) Brassica Napus, Keimlinge von 5—6 em Länge.
50 em von der Nernstlampe ohne Dämpfung.
SL
108 15% gereizt 9, A, 76, 28,15, 20, „25, 80,60, 130’Sek
12h +?4?4?v oo © © ® 2%
12h 15°‘ 4 4 »o »© »® » ©» » DR
12h 30‘ Eee %09 1a. 1,709, 2Co 100.
b) Brassica Napus, Keimlinge von 2—3 cm Länge.
50 em von der Auerlampe ohne Dämpfung.
147x110. ,152 56050.
10h 45‘ gereizt 5, 10, 20, 40 Sek.
12h 45‘ + +» &
ih + +» &o
1h 20‘ 4 + &
c) Brassica Napus, Keimlinge von 2—3 em Länge.
100 cm von der Auerlampe ohne Dämpfung.
105 30° gereizt 1, 2, 4 Min.
12h 30° SIR IS
12h 45° ® ® &
ıh & ıw o
ih 15‘ &® ® &
d) Hordeum spec.
100 em von der Auerlampe ohne Dämpfung:
12.AX18. 216965 %o.
10h 15° gereizt 10, 60, 800 Sek.
12h & & &
2515 eN) +? &
12h 30°‘ & + DS
12h 45° +?? + &
ul +? + o
e) Hordeum spec.
100 em v. d. Auerlampe ohne Dämpfung.
13° XI. 24627090:
11h 45‘ gereizt 180, 240 Sek.
I: & &
1h 20° & a
1h 30°‘ & &
3h'45' & &
f) Panicum miliaceum.
100 em v. d. Auerlampe ohne Dämpfung.
1192 XII 2216270%0:
5h 15°—5h 20‘ gereizt 20, 40, _S0, 160, 320 Sek.
6h 30° Se Ö & & os) & [oS)
6h 45’ a) & & & &
7 ER ae
Tu 15° Er
Th 30° a Ar Ar
469
£) Panicum miliaceum.
100 em v. d. Auerlampe ohne Dämpfung.
21.731 16.270976:
10h 25‘—10b 45‘ gereizt 1, 5, Ikpr 10, 15; 20 Min.
12h 40° +2? +??? 4+?? © AS os)
12h 55° ae er VE &
1b 10° + +? +? +?? o
h) Panicum miliaceum.
70 em v. d. Auerlampe ohne Dämpfung.
95.87. 22190560%/0:
10h 30-35’ gereizt 10, 20, 40, SO, 120, 160. 200, 240, 300 Sek.
12h 45° a TE ET Be 3
ıh g= E= -H +?? » 8 © [aS)
1b 15° + + + a) oS) o on © RN)
7. a) Avena satina.
100 em v. d. Auerlampe ohne Dämpfung des Lichtes.
1-2X]2082 815076 58fe:
10h 55° gereizt 5, 10, 15, 20 Sek.
12h 10° EIKE TTS TENITTS 242?90
12h 20° Ben 112.20 Ra
12h 30° 13 +? 093 Tl 9 29
12h 40° er 11-62 152 ae ac en
12h 50° 3 IE u 1100 205
Ih 13 4 Il 11 + 54 6+?
ae 1% 13 + 11x MX x bis
Also auch schon bei so kurzen Induktionen ein Abnehmen der positiven
Reaktion mit der Verlängerung der Belichtung.
b).1..X1...150 6596;
11h gereizt 30 40 60 so Sek
12h 10° 2+?? 10 » & &
124 20° ee ee S
12h 30° SE RE N
12h 40‘ 12 +?? Tee AV
12h 50° 12 -+?? 12 +2? — ?? —??
]h 412819? obisX Eon urz 2
1h 15° SEDis,; < co bis X —? 2
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9h 30° gereizt 90 120 Sek
11h 15° 3422 110 ©
11h 30° Ba S
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12h 50° oo x bis
d) 22. % MTE0
10% 52° gereizt 5, 10, 15, 20, 40, 60, 80, 100, 160,220, 280, 480Sek.
12h 30° SE BEER TIENEe DEEP TPITG I VERSEHEN REIZE RIESE
12h 35° a ae Se
12h 40° SR Le ey RR BR re
124 45° Ba A RL Mal. or
12h 50° + + + + + +? +2?+2?2 »© &
ıh EEE eo aan
470
Überwindung der Indifferenz.
8. Avena sativa.
100 em v. d. Auerlampe ohne Dämpfung des Lichtes.
13. X. 08.2 1607090.
br 0Errere zen EI: 25, 30, 55, 40 Min.
ıh Sue ro. 19.7 a9 emp
1h 10° Re ee. ca 172 „ie 2.> 22 +??
1h 20° vo © © © ® -4?? +? + +?
3h 45‘ BEIDES, Te & & N) &
Einfluß der Stimmung auf die Präsentationszeit.
9. Avena sativa.
100 em v. d. Auerlampe, Gelbscheibe II — IV.
a) Ohne Vorbelichtung.
72,21. .159,.00%0
I0REIOrere ee 8, 12 Sek.
11h 45° SS a) >
12h 5° DSDS Ta +
12h 20° Se ae air
Präsentationszeit etwa 8 Sekunden.
9. XI. :. 15° 60°%.
11h gereizt 10, 20, 40, 80, 160, 320, 640 Sek.
ih alle haben (mit der Länge der Induktionszeit zunehmend) reagiert.
Präsentationszeit kleiner als 10 Sekunden.
9. XI. 15° 60°. Schon am Vormittag benutzte Keimlinge.
Heegereint 285,912,22216,220:242Sck.
an © +++ +
Präsentationszeit etwa 12 Sekunden, also durch die Vorbelichtung, ob-
gleich 6 Stunden vergangen sind, etwas erhöht.
b) Vorbelichtung 1 Minute.
9. XI. 15° 60%.
5b 20' gereizt 20, 30, 40, 60 Sek.
Th SL 9a Eu
7b 30° © +? +? u
Präsentationszeit 20—30 Sekunden.
10. XI. 15° 60%.
10h 45° gereizt 20, 30, 40, 50, 60 Sek.
12h 45° Sursee |
Präsentationszeit 20—30 Sekunden.
ec) Vorbeliechtung 2 Minuten.
9. XI. 15° 60%.
55 10°. gereizt "50, 70, 90, 110,: 130 Sek
Resultat wegen starker individueller Differenzen fraglich, ebenso bei
einem Versuch vom 11. XI.
471
13.27. 165% '60,%0-
10h 38° gereizt 60, 50, 100, 120 Sek. A
125 20° & & o a
12h 40° & &o wo ?(8-+?2?2-+??1ow)
12h 55° & a) N) Te Et)
1h 10° N) &o o x (0x 1+??
Präsentationszeit 100—120 Sekunden.
16. XL. 14—15°, 50—55°.
10h 40° gereizt 70, 90, 110, 130 Sek.
12h & & & &
1227157 +?? as) o &
12h 30° +2? a\) BS) +??
12h 45° > +??? -+2?? +
ıh N) +?? +2?? +
1b 15° o 4+?? & +
Präsentationszeit 110—130 Sekunden.
d) Vorbeliehtung 3 Minuten.
ERSXT 7 .1602°50%7e:
10b 35° gereizt 20, 100, 120, 140 Sek.
1abEe57 ® & AS)
12h 15° &® © o RN)
12h 35° ® & &
12,55% 8 ex) &
Präsentationszeit länger als 140 Sekunden.
132° XI, 1697604
105 50‘ gereizt 60, 90, 120, 150 Sek.
12h 40° © © wo At??? 6m
12% 55° oa 0 wo 4At??6
1» 10° ee >”
Präsentationszeit etwa 150 Sekunden.
142 XI 16.9, °65,%%0.
10h 35° gereizt 1%, 140, 160, 180 Sek.
12h 15° & & +?? on
12h 25° oo +2? + os)
12h 40° o as) + &o
ıh on X + +?
1h 20° RS er en
Präsentationszeit 140—160 Sekunden.
e) Vorbelichtung 5 Minuten.
14. XI. 16°, 65%.
11b —11b 5‘ gereizt 200, 240, 280, 320 Sek.
12b 15‘ & & & &
12h 25° SS & o
12h 40° ei ee
ıh ®& oe -+?? +??
1b 20° & & >@ &
Die Induktionszeiten 250 und 320 Sekunden kommen offenbar der
Präsentationszeit nahe.
472
17.21.2216, 055%0.
10h 40‘'-46' gereizt 3, 4, 5, 6 Min.
12" 30° und 1h keine Reaktion, Präsentationszeit länger als 6 Minuten.
20. I. 15,5°, 60%.
ESP ZINN 52 gereizt 73, 4, % 6 Min.
11035. RN) &o & a)
11h 45° & eG) & &
11h 55‘ +?? +?? +?? +7?
ah = +?? +?? + ??
12h 15° +?? +7? +? +??
12225 x x & +?
12h 35° x x & EiE
ıı & & [aS) -F
Präsentationszeit etwa 6 Minuten.
f) Vorbelichtung 10 Minuten.
14 7X. 27169763 %.
11h 20'-32' gereizt 6, 8, 10, 12 Min.
125% wo av) & &
12h 45° &® od & +2??
I. +4 4 +
1h 20° &® + +? +?
Präsentationszeit 6—8 Minuten.
19:.Xx124 159, 5070.
10h 18‘—93' gereizt 5,5 6, 7, 8Min.
12h 40° & & & &
ja DR arte
Ih 20° o® +? +? mi?
Präsentationszeit 6 - 8 Minuten.
9221..1:5,90276970.
10h 5°—17' gereizt 6, S, 10, 12 Mm.
11h 40° NER IeNEeT
1255157 oo +? +? +?
Präsentationszeit etwa 8 Minuten.
g) Vorbelichtung 20 Minuten.
24. I. 16°, 60%.
10h 45'—59' gereizt 6, S, 10, 14 Min.
12h a) Oo I 2 Ze 5 er
12h 10° o wo 2+?? 5+
12b 25‘ 4+??2? +?? —4? +
12h 45‘ +4+?? +? +? +
1h x x x ++
Präsentationszeit 6—8 Minuten.
Auf die Induktion folgende allseitige Belichtung.
10. Avena sativa, 100 em v. d. Auerl., Dämpfungsscheiben II + IV.
16. %11.001,7,0560%0:
106 45° induziert 20 Sek., rotiert 20, 40, 80, 120 Sek.
12h 45° +?? © & &
ıh E & & &
1715: + & PS) &
4753
18. XII. 16°, 60%.
10b 10‘—18‘ induziert 2 Min., rotiert 2, 4, 6, 8 Min.
12h 10° Gare
12h 40° + © &
Ih 10° > Re o
18. XII. 16°, 60%.
11h 17°— 25° induziert ‚». 2, 4 8 Min, rotiert dauernd.
12h 40° vo oo» © &
1h DECO ES, &
1b 15° NEE SEES &
LI RI 1607010.
11h 25°—50° induziert 10, 15, 20, 25 Min., rotiert dauernd.
12h 45° 8 »® ©
12h 55° &® ®
1b 15° 8 ©
19. XI. 16770%,.
23
e Is Bu sc
5h induziert 20 Sek., rotiert 20, 30, 35 Sek.
Gh 30° 2 © S
6h 45‘ + +?? o
Th + + fo) &
7h’15£ En + +2? o
Ta 30° ERETE ©
197 21,2, 16,0770%/0
5h 5° induziert 40 Sek., rotiert 40, 50, 60, 70 Sek.
6h 30° Se
6h 45° 8 oo 8 vo»
7ıh SU DES
Ta Senn
7h 30° SEN SENDE
20. XII. 16°, 70%.
10h 25° induziert 30 Sek., rotiert 30, 40, 50, 60 Sek
12h 15‘ v8 oo &
12h 35° 8 »® © &
12h 50° oo oo ®» &
1h 10° 88 © © &
ZRSXIR 4:16 70210.
10b 35‘ induziert 40 Sek., rotiert 20, 40, 60, 80 Sek.
12h 15° & & & &
12h 35° +? +? &
12h 50° +? +? >S)
15h 10° E= +? &
20. XII. 16°, 70%.
10h 45° induziert 60 Sek., rotiert 40, 60, 80, 100 Sek.
1252152 & & a) &
1905352 +?? +2? &
12h 50° +? +??? &
15h 10° — 4? & oo
474
21. X11.52.160,770%0.
11h 15° induziert 60 Sek., rotiert 40, 60, 80, 100 Sek.
12h 40° & & & &
19h2n5% +?7? & &
115° +? +?? &
1h 25° E= 4? © &
91: KIT 60 770%:
11h 25° induziert 120 Sek., rotiert 90, 120, 180, 240 Sek.
12240: &
&® © &
12h 55° & ® &
1h 15’ f 4+?? © » &
1b 25° +? & & &
RT. 216.0,70%]0:
11h 30° induziert 30 Sek., rotiert 20, 25, 30, 40 Sek.
12h 55° SS SB
1h 15° +?»
1h 25° 1?» oo o
92. %X1.0216 70%.
10h 15° induziert 60 Sek., rotiert 40, 60, SO, 100 Sek.
125 10° & 8 © &
12h 20° +2? ®o &o
12h 30° + © » »
Der Rest der Protokolle folgt in abgekürzter Form:
induziert rotiert
237%. 5 ee ee ee
BE SXIE 60° 0, 20, 40, 60° +
23. XI. 60 20, 40, 60 —+
24. XI. 5’ 2,5:--;5 37 ©
24. XI. 60 0, 20 u. 40”; 60"
94. XI. 5% 0, SU. lluäco
14. 1. 55 0 +;:5'’w
15°. 3' 0°+;3u8'’w
15-27: fr 0°’+;:6u8'w
18.47: 3% 0, 60, 90, 120” +
Mikrometrische Messung.
1. Avena-Coleoptile.
23. I. 09. 15°, 55°. 100 cm v. d. Auerlampe.
Zeit Maße in Teilstrichen.
11h 5° 0
11h 15‘ 2 E :
11h 95° A pei gelbrotem Licht.
11h 30° 5 (Da 11h 32'’—33° belichtet und um 90° gedreht,
sodaß die spätere Krümmungsebene mit der Bildebene
11» 33° 30% 0 zusammenfällt. Spitze wieder auf O gestellt.
11h 43° 30% 1,9
11h 48' 30% 2,9
11h 55° 30“ 4
12h 3° 30" 5
12h 3’ 30° 6
12h 13° 30° 6,5
12b 18° 30° 7,5 — — schwache positive Reaktion }).
12h 23° 30% 8 — — positive Reaktion weiter.
12 h- 28° 30 ? — — noch weiter, Längenmessung nicht mehr möglich.
Reaktion nach 45 Minuten deutlich.
2. Avena-Coleoptile.
23. I. 09. 15°, 55°. 100 em v. d. Auerlampe.
Zeit Maße in Teilstrichen.
12h 26‘ 0
12h 31° 1 | bei gelbrotem Lichte.
12h 36‘ 2 IS 12b 37'’—38S‘, um 90° gedreht und auf 0
12h 38° 30% 0 gestellt.
12h 48‘ 30“ 2
12h 58° 30” 3,9
243302 4 — — ganz schwache Nutation.
725% 307 5
157187304 6 — — etwas positiv gekrümmt.
11575307 ? — — weiter reagiert.
?
1723.30 — — weiter reagiert.
Reaktion nach 35 Minuten.
3. Avena-Coleoptile.
24. I. 09. 16°, 60°. 100 cm v. d. Auerlampe.
Zeit Maße in Teilstrichen.
1179797: 0
at 37: 2 belichtet 11h 38° 30-39 30“, um 90° gedreht und
11h 40° 0 auf 0 gestellt.
11h 50° 4 — — schwache Nutation verkehrt.
2 9,5 — — etwas positiv gekrümmt.
12h 10° 112? — — weiter.
12h 20° ? — — weiter, mit bloßem Auge beobachtet.
Reaktion nach 20 Minuten.
Da diese Reaktion überraschend schnell einsetzte, was vielleicht auf
das besonders gute Wachstum zu schieben war, so wurde ein anderer
Keimling desselben Topfes verfolgt, der kleiner war. lr war belichtet:
4. 11b 38° 30”—39' 30“, wie der vorige.
12h 12° 0
1207 3 — — positive Reaktion.
12h 22° ? — — weiter gut gekrümmt.
Er war also zu dieser Zeit, 32 Minuten nach der Belichtung, auch
schon in guter Reizkrümmung begriffen.
1) Vgl. S. 449.
476
5. Avena-Coleoptile.
24. I. 09. 16°, 60°. 100 em v. d. Auerlampe.
Zeit Maße in Teilstrichen.
12h 25° 30" 0
12h 35° 30“ 2 schwache + Nutation. Belichtet 12h 36‘ 30“ bis
12h 39° 37‘ 50, um 90° gedreht und auf O eingestellt.
12h 44°
12h 49°
12h 54°
12h 59°
ih 4°
1R 9%
1h 14°
1h 19°
Ih 94
— schwach positive Reaktion.
— — weiter.
— — stark weiter.
Reaktion nach 35 Minuten.
» vv None wvmr ©
6. Avena-Coleoptile.
22. I. 09. 15,5°, 65°. 100 cm v.d. Auerlampe, 30 Sek. Belichtung!
Zeit Maß in Teilstrichen.
10h 43° 0
10h 48‘ 1,5
10h 53° 3 |
1m; 6,5 belichtet 11b 4’—4’ 30“, um 90° gedreht und auf O
llh 5° 0 eingestellt.
11h 10‘ 1,5 — — schwache + Nutation.
11h 15° 3,2 — — stehen geblieben.
11h 20° 4 — — ganz schwache — Nutation.
11h 25° 6 — — ebenso.
11h 30 7 — — deutliche + Reaktion.
1lh 35 S — — ganz schwach weiter +
11h 40° 9 — — deutliches Fortschreiten.
ı1h 45‘ ? — — Reaktion gut.
Reaktion nach 25 oder 35 Minuten.
Entstehung der Indifferenz in blauem Lichte.
Avena saliva.
100 em v. d. Auerlampe. Eine Kuvette mit konzentrierter Lösung von
Kupferoxydammoniak zwischengeschaltet.
4.°X1.. 15026590:
9h 45' gereizt 1, 3 5 Th 9 Min.
11h 15 +? Be) &o &o o
114 30° Ar DL aut had S
11h 45° ++ xbise x x _— 22
12h er 2 2
12h 30° a een: ea 2
16.
17.
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Bd. 75, S. 183.
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Bd. 81, S. 1.
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Bd. 26a, S. 556.
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Transpiration. Sitzungsberichte der Wiener Akad., mathem.-naturw. Klasse,
Bd. 74, Abt. 1.
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Denkschriften der math.-naturw. Klasse der Wiener Akad., I. Teil, Bd. 39,
ll. Teil, Bd. 43.
Erklärung der Tafel.
Abbildung 1. Vicia sativa.
Der Topf links ganz im Dunklen erwachsen, der rechts einen Tag an diflusem
Sonnenlicht rotiert. 40 cm v. d. Auerlampe nach einer Stunde photographiert.
[Man beachte die Auflösung der Nutation rechts.]
Abbildung 2. Avena sativa.
Beide Töpfe mit Keimlingen waren dauernd im Dunkeln erzogen worden. Die
eingesteckten Streichhölzchen bedeuten die während der Induktion vom Lichte ab-
gekehrte Seite. 1 m v.d. Auerlampe, der linke Topf 5 Min., der rechte 5 Sek. be-
lichtet. Aufnahme 2 Stunden nach der Reizung.
Abbildung 3. Avena sativa.
Wie oben. Der rechte Topf zeigt die bei einer gewissen Lichtintensität (45 Lux)
und Belichtungsdauer (2 Min.) auftretenden schwachen negativen Spitzenreaktionen,
der linke die zu dieser Zeit (3 Stunden nach der Reizung) ausgeführte positive
Krümmung nach kurzer Belichtung (5 Sek.).
Abbildung 4. Avena sativa.
Wie oben. Der linke Topf 5 Min. schwach belichtet (100 em v. d. Auerlampe mit
Gelbscheibe II + IV), der rechte bei der gleichen Lichtintensität erst 5 Min. gereizt,
dann 5 Min. rotiert. Die Abbildung zeigt die viel stärkere „negative“ Krümmung.
Druck von R. Nischkowsky in Breslau.
Ar
in