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Full text of "Beiträge zur Geschichte der griechischen Plastik"

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BEITRÄGE 

ZOK 

GESCHICHTE DER GRIECHISCHEN PLASTIK 

VON 

ALEXANDER CONZE. 



Mit XI Tafeln, 

meitteiiB nsoh Ab^ÜBBen dei uohaeologisohen VuHimifl dar kSnigl. TJuiTenitfit Halle -Wittenberg 

geieichnet usd lithograpbirt 

HEDMtNN SCHENCK. 



Zveite Anfüge. 



HALLE, 

rSKLAO DBB BUCKHABIILUIia . DBB WAIHBIISADHE8. 

1869. 



n 



L. -i- /<§ 



Herrn 



EDUARD VON DER LAUNITZ 



zugeeignet. 



Die hier gebotenen Beiträge zur Geschichte der griechischen Plastik 
sind in so fern ein Ergebniss meiner Amtsthätigkeit als Vorsteher des archaeo- 
logischen Museums der Universität zu Halle, als ich für diese Sammlung die 
Abgüsse der bis dahin noch gar nicht oder doch wenigstens nicht genügend in 
weiteren Kreisen bekannt gewordenen antiken Bildhauerwerke, deren Herausgabe 
den Kern dieser Beiträge bildet, beschaffen konnte. Die akademischen archaeo- 
logischen Sammlungen haben nicht nur die leichtere Aufgabe, das nach dem bis- 
herigen Stande der Forschung unerlässliche Material für den Unterricht zusam- 
menzubringen , sie haben daneben auch die andere weniger bequeme Aufgabe ins 
Auge zu fassen, zur sicheren Grundlage der noch immer mit der grossen Zer- 
streuung ihres Materials kämpfenden Wissenschaft der antiken Kunst die stili- 
stisch wichtigen bisher noch unbenutzten Werke der Beobachtung zugänglich zu 
machen. Hierzu habe ich nach Kräften das Meinige zu thun gesucht; Erheb- 
licheres in dieser Richtung kann freilich nur eine reicher dotirte Sammlung bei 
planvoller Leitung nach und nach leisten. Mir war es nur möglich in fünf 
Jahren fünf solche unser kunstgeschichtliches Wissen bereichernde Stücke zu 
erwerben und auch das gelang bei beschränkten Mitteln nur mit Beihülfe vor 
Allem der Generaldirection der königl. Museen zu Berlin, welche allein die 
Kosten der Formung des Grabreliefs von Orchomenos und der Petersburger 
Ephebenstatue getragen hat , dann der Vorstände der Universitätsmuseen von 
Breslau, Bonn, Dorpat, Göttingen und der im vielversprechenden Werden begrif- 
fenen Universitätssammlung zu München. Ein mehr, als es bis jetzt stattfindet, 
fortgesetztes Hand in Hand Gehen zunächst der Vorstände der zahlreichen deut- 
schen Sammlungen würde sich bei derartigen Unternehmungen gewiss ungemein 
förderlich erweisen. Dankbar habe ich übrigens auch noch der entgegenkom- 
menden Bereitwilligkeit des Magistrats von Bologna zu gedenken. 

Die kunstgeschichtliche Wichtigkeit der fünf neuen Bildhauerwerke werden 
die Abbildungen, so wie sie hier am Orte von geschickter Hand hergestellt 
werden konnten, wenigstens annähernd dem kundigen Auge zeigen. Ich habe 



VI 



nun aber aucli meinerseits versucht, die Eäthsel einigermaassen der Lösung näher 
zu führen, welche uns jedes neu auftauchende Werk namentlich der älteren 
griechischen Kunst aufzugeben pflegt und dabei bin ich auf Erörterungen über 
Fragen von ziemlich erheblicher Wichtigkeit eingegangen. Einige neue Ansichten 
sind ausgesprochen, die sich mir bei fortgesetzter Beobachtung zum Theile schon 
seit längerer Zeit aufgedrängt hatten. Auf dieser Seite wird nun freilich, wie 
ich mir sehr wohl bewusst bin, vielleicht der sterbliche Theil dieser ganzen 
Arbeit liegen. Dass eine grosse Anzahl meiner Fachgenossen die von mir auf- 
gestellten Vermuthungen und Behauptungen einstweilen nicht billigt, weiss ich 
sogar zum Voraus. Dennoch sie öffentlich auszusprechen, war mir eine wissen- 
schaftliche Gewissenspflicht. Mein Hauptwunsch dabei ist, zur Prüfung von 
Ansichten, die ich für mich allein bisher nicht zu einer mir selbst zweifellosen 
Gewissheit bringen konnte, die ich aber ebensowenig durch früher aufgestellte 
entgegengesetzte Behauptungen von vorn herein als beseitigt anzusehen vermag, 
die Betheiligung anderer Mitarbeiter auf dem Gebiete der griechischen Kunst- 
geschichte in Anspruch zu nehmen. 

Giebichenstein bei Halle a. S., den 26. November 1868. 

Auf Wunsch des Herrn Verlegers erscheint meine Arbeit in einer zweiten 
Auflage. Diese enthält nur einige ganz geringe Aenderungen und Zusätze, zu 
denen theilweise Michaelis und Kekul6 den Anlass gaben. Inzwischen sind mehre 
Besprechungen erschienen , von Hübner in der Berliner Zeitschrift für das Gymna- 
sialwesen 1869, S. 145 ff., vonKekulö, diese besonders eingehend , in den N.Jahr- 
büchern für Phil, und Päd. 1869, S. 81 ff., von Bursian, so darf man wenigstens 
vermuthen, im Literarischen Centralblatte 1869, S. 591 f., von Heibig im Bull, 
deir inst, di corr. arch. 1869, S. 74 ff., von Benndorf in der Zeitschrift f. d. 
Österreich. Gymnas. 1869, S. 261 ff., von Lützow in der Zeitschrift f. bildende 
Kunst 1869, S. 287 ff. Im Ganzen enthalten sie mehr Widerspruch als 
Zustimmung. Dem gegenüber möge dieser im Wesentlichen unveränderte Wieder- 
abdruck nicht so gedeutet werden, als legte ich auf die entgegenstehenden 
Ansichten kein Gewicht. Ich halte es nur fär zweckmässiger, erst noch die 
Abgabe anderer Stimmen abzuwarten, um dann auch meinerseits noch ein Mal 
auf die angeregten Fragen zurückzukommen. 

Wien, den 26. Mai 1869. 



- ^ --»--- 1- 






Tafel I. 

Marmorkopf in Bologna. 



Der auf dieser Tafel in zwei Ansichten abgebildete Marmorkopf gehört zu der 
Antikensammlung des früheren Architekten Palagi in Mailand, welche, vom Municipium 
von Bologna angekauft, gegenwärtig in dem sogenannten arciginnasio antico aufgestellt 
ist.^ Leider ist es mir nicht gelungen, weiter zurück über die Herkunft dieses ausge- 
zeichneten Kopfes Etwas in Erfahrung zu bringen. Er ist von so tadelloser Erhaltung, 
dass auch nicht ein Stückchen an ihm fehlt oder etwa ergänzt wäre. Seinen antiken 
Ursprung wird deshalb Niemand bezweifeln wollen. 

Es ist der Kopf eines jungen Mannes, dessen volles Haar eine breite, hinten 
zusammengeknüpfte Binde umgiebt; nach der Form des Bruststücks muss er ursprünglich 
2u einer ganzen Statue gehört haben. Nichts an dem Kopfe deutet auf eine Gottheit 
oder einen mythischen Heros; vielmehr erscheint es am wahrscheinlichsten, dass dieser, 
wie viele andre jugendliche Köpfe mit Binden im Haare, einer Ehrenstatue gehört habe, 
sei es, dass die Binde ihm als Siegesbinde oder als auch sonst vorkommende Kopftracht 
gegeben wurde. Die jetzt ausgehöhlt leeren Augen waren ohne Zweifel ursprünglich 
mit einer andern Masse ausgefüllt. Das Band im Haare macht ganz den Eindruck einer 
jetzt etwas leeren Fläche, die ursprünglich durch Farbe, durch ein farbiges Ornament 
vermuthlich, gefüllt war. 

Ein erhebliches, den dargestellten Gegenstand betreffendes Interesse knüpft sich 
also an den Bologneser Kopf, so weit unser Wissen reicht, nicht; sonst wäre er auch wohl 
nicht so lange unbeachtet geblieben.^ Er verdient aber trotzdem im höchsten Grade unsre 
Aufmerksamkeit; mit seiner ebenso edlen wie höchst eigenthümlichen Bildung, die uns 
in einer für ein Marmorwerk so seltenen Unversehrtheit bewahrt geblieben ist, tritt der 
Kopf bedeutsam unter der Reihe bisher bekannter antiker Typen hervor. Ich erinnere 



1) Das archaeologische Maseum der UnlTersität zu Halle besitzt einen Gipsabgnss als Geschenk 
des Municipiimis von Bologna. 

2) Ich machte auf ihn aufmerksam in Gerhards arch. Anzeiger 1867, S. 00.* 

Conze Beiträge sur Gesch. der griech. PUstIk. 8. Aufl. 1 



TAFEL I. 



mich besonders eines Kopfes unter unserm Antikenvorrathe, der durch seine formellen 
Eigenthümlichkeiten einigermaassen diesem Bologneser Jünglingskopfe nahe steht; es ist 
der von Brmm besonders zu Ehren gebrachte ursprünglich farnesische, jetzt Neapler weib- 
liche Kopf,^ in dem Brunn* eine Hera und zwar nach dem Vorbilde der Polykletischen 
Hera im Tempel bei Argos erkennen zu dürfen glaubt. Schon in der Anordnung und 
Behandlung des Haares wird man bis in Einzelheiten hinein gleichen Geschmack und ver- 
wandte Hand an beiden Köpfen nicht verkennen. Dieselbe Sprödigkeit im Ausdrucke, 
dieselbe Herbigkeit in der Bildung der Gesichtsformen ist beiden gemeinsam, und wenn 
diese z. B. in den Augenrändern am Neapler Kopfe noch stärker ist, so muss man dafür 
in Anschlag bringen, dass dieser Kopf kolossaler ist als der Bologneser. In diesen Form- 
eigenthümlichkeiten wird man nun ebensowohl bei unserm Bologneser Kopfe die Abzeichen 
älteren echt griechischen Ursprungs erkennen müssen, wie Brunn aus ihnen mit Recht 
das Gleiche fiir den Neapler Kopf folgerte. Hierzu muss ich jedoch sogleich bemerken, 
dass ich den Bologneser Kopf nicht für eine originale frühgriechische Arbeit halte, was ja 
übrigens auch von dem Neapler nicht anzunehmen und nicht angenommen ist. Ich halte 
ihn fiir eine das Charakteristische sehr gut bewahrende Nachbildung von antiker Hand. 
Es fehlt namentlich in manchen Nebendingen ^ wie an den kleinen hinten hervorhängenden 
Haarlöckchen die liebevolle und gedankenvolle Behandlung, die das Original eines Werkes 
von solcher Bedeutung jedenfalls auszeichnen würde. Indem ich das Wesentliche dessen, 
was auch von Friederichs* über den Neapler Kopf gesagt ist, auf den Bologneser 
Jünglingskopf anwendbar finde , setze ich diesen , wohlverstanden also sein Original , vor 
das Ende des fünften Jahrhunderts v. Chr. 

Hätte Brunn richtig in dem famesischen Frauenkopfe die Nachbildung eines 
Originals von Polyklet erkannt, so würde der Bologneser Kopf, dessen Original man nach 
Phidias nicht entstanden glauben wird, der von allen uns bekannten Köpfen aus der 
Werkstätte des Phidias sich sehr erheblich unterscheidet, mit gutem Fug auch in enge 
Beziehung zu Polyklet gesetzt werden müssen. Die Prüfung einer solchen Annahme wird 
uns bei Besprechung der folgenden Tafel beschäftigen. 



1) Mon. in. deU' inst di corr. arch. VIII, Taf. l. 

2) Ann. delF inst, di corr. arch. 1864, S. 297 ff. 

3) Berlins antike Bildwerke I , S. 106 , n. 89. 



MARMOBKOPF IN KASSEL. 3 



Tafel II. 

Marmorkopf in Kassel. 



Der auf dieser Tafel wiederam in zwei Ansichten abgebildete Kopf von parischem 
Marmor gehört unter die vorzüglichsten Zierden der Antikensammlung im Museum Fride- 
ricianum zu Kassel.^ Ueber seine Herkunft ist mir Nichts bekannt. Er ist leider weniger 
gut erhalten als der eben besprochene Bologneser Kopf. Das Bruststück mit einem 
Theile des Halses und ein grosses Stück der Nase sind moderne Ergänzungen, wie auf 
der Abbildung angedeutet werden konnte. Ausserdem ist namentlich ein Stück der 
rechten Seite der Unterlippe neu eingesetzt; hier und da haben die mehr vortretenden 
Haare etwas gelitten, und die zwei nach seitwärts abstehenden Enden der hinten am 
Kopfe geknüpften Binde scheinen abgebrochen zu sein. 

Auch dieser Kopf ist der eines jungen Mannes , in dessen vollem Haare eine breite 
Binde liegt ;^ auch dieser Kopf ist wahrscheinlich nur der Ueberrest einer ganzen Statue. 
Auch bei ihm deutet Nichts auf eine Gottheit oder einen der bekannten mythischen 
Heroen. Auch für ihn erscheint die Annahme, er habe zu einer Ehrenstatue gehört, am 
wahrscheinlichsten. 

Das ganze Gewicht muss bei der Betrachtung und Würdigung auch dieses Kopfes 
wiederum auf die Form gelegt werden, die uns hier aber bei angestelltem Vergleiche mit 
dem Bologneser Kopfe in grundverschiedener Eigenthümlichkeit entgegentritt. Zunächst 
muss aber bemerkt werden, dass wir es hier in dem Kasseler Kopfe mit einer ungleich 
lebensvollem Arbeit zu thun haben, in der feinen Modellirung des Fleisches, besonders 
auf Stirn und Wangen , im ganzen Wurfe und in jedem Löckchen des Haars , überall zeigt 
sich eine mit unmittelbarem Verständniss und Gefahl liebevoll arbeitende Hand. Diese 
Vorzüge treten am Originale in dem schönen Material des parischen Steins noch ungleich 
mehr hervor, als nicht nur in einer Abbildung, sondern selbst auch im Gipsabgüsse. 
Ich stehe nicht an, in diesem Kopfe eine der besten uns erhaltenen Marmorarbeiten voll 
Geist und Originalität zu erkennen, und zwar eine Arbeit, um das gleich auszusprechen, 
von attischer Hand. 



1) n. 38 in der Uebersicht der im Museum zu Kassel befindlichen wichtigsten Antiken vom J. 1843. 

2) Yergl. den Dresdener Kopf: Becker Augusteum Taf. LVII, 1. [Dieser Dresdener Kopf ist in 
der That eine Wiederholung. Vergl. auch Heibig im Bull, deir inst, di corr. arch. 1869; S. 75.] 

1* 



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TAFEL n. 



Je mehr wir beide Köpfe, diesen Kasseler und den Bologneser, vergleichen, desto 
stärker tritt uns, ganz abgesehen von dem eben betonten verachiedenen Werthe der Aus- 
fahrung beider, in allem Ganzen und Einzelnen eine tiefliegende Verschiedenheit ent- 
gegen, eine Verschiedenheit, die stilistischer Art ist. Die zwei Köpfe gehören verschie- 
denen Zeiten, verschiedenen Schulen, verschiedenen Künstlern an, und keine Frage ist es, 
dass der Kasseler Kopf den Stempel einer weit entwickelteren Kunstweise trägt. Die 
grössere Leerheit der Formen von I mag theilweise auf Ilechnung des Kopisten kommen, 
theüweise gehört sie aber zu der strengeren, einfacheren Art, in der jener Kopf gearbeitet 
ist. Anstatt der Sprödigkeit der Gesichtsform mit ihren grossen Flächen bei I ist bei II 
eine äusserst weich bis in die kleinsten Bewegungen der Form hinein durchgeführte Model- 
lirung getreten; glaubten wir bei I an ein ursprüngliches Aufsetzen von Farben, so ist n 
im Marmor selbst malerischer behandelt. An I ist jede Haarlocke in ihrer welligen Lage 
mit grosser Zierlichkeit ins Einzelne hinein und mit sichtlichem Wohlgefallen an den 
feinen Linienspielen ausgearbeitet — selbst vom Kopisten noch, während bei 11 mehr auf 
die Gesammtwirkung des Haars hingearbeitet ist; die einzelnen Locken und Löckchen 
machen sich nicht so ffir sich mehr geltend; dann ist an die Stelle sorg&Itiger Schei- 
telung und Ordnung bei H vielmehr etwas Ungeordnetes oder doch Ungezwungeneres 
getreten. Die Schwierigkeit, die Gesanuntheit des Haars in seiner Eigenthümlichkeit 
plastisch darzustellen, ist bei H besser überwunden; das Haar giebt sich als solches mit 
aller Naturwahrheit, man fühlt förmlich, wie die Binde sich in die weiche Lockenfulle 
hineingelegt hat. Die Binde selbst ist hier nicht so leer wie bei I, sie ist wenigstens 
durch zwei Saumstreifen in der plastischen Ausarbeitung geziert , während bei I vermuthlich 
die Malerei dafür hatte eintreten müssen. Und nun der Gesichtsausdruck beider Köpfe! 
Schon die Haltung weicht bei dem einen vom andern ab; I sieht ziemlich grade vor sich 
hin, II ist sehr merklich auf die rechte Seite geneigt, und gewiss richtig hat der Ergänzer 
diesen Kopf auch nach vorn gesenkt hinblicken lassen. Es ist, wie man sagt, weniger 
Stimmung in I, er scheint fast gleichgültig, während durch den Kasseler Kopf ein stark 
ausgesprochen gefahlvoUer Zug hindurchgeht. Dem zum Ausdrucke dient schon die Sen- 
kung und Seitwärtsneigung des Kopfes, dieser Zug liegt dann aber weiter in dem leise 
geöffneten Munde, der bei I einfach geschlossen bleibt, vor Allem in der zarten Hebung 
der linken Seite der Oberlippe. Hier versagt leicht eine jede Abbildung. Dass ein 
solches Hineinarbeiten eines, wenn auch noch so maassvollen, Anklanges an Gefühlsstim- 
mung, wie es am Kasseler Kopf • stattgefunden hat, ein Schritt hinaus über die geistige 
Gefasstheit und Unerregtheit des Bologneser Kopfes, der auch sonst ja alterthümlichere 
Formenbehandlung zeigt, ist, hat die eingehendere Betrachtung der geschichtlichen Ent- 
wickelung des Ausdruckes in den griechischen Kunstwerken wohl zu einer leicht allgemein 
zugestandenen Behauptung gemacht. Ein letzter Schritt in dieser Eichtung sind die 
gewaltsamer pathetisch bewegten Köpfe der Diadochenzeit z. B. der sog. sterbende 
Alexander in Florenz; den Ausgangspunkt bilden die gleichmüthig starren oder nur eben 
durch ein Lächeln belebten Köpfe von Statuen wie der Apoll von Tenea. 



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MÄRMOBKOPF IN KASSEL. 



Müssen wir also im Bologneser Kopfe eine ältere, im Kasseler eine entwickeltere 
griechische Kunst erkennen, — denn eine Ansetzung in römische Zeit ist bei beiden ganz 
ausgeschlossen — , so habe ich vorweg schon die Weise des Kasseler Kopfes kurzhin als 
attisch bezeichnet und zwar würde ich an die Zeit nach Phidias bis gegen den Uebergang 
zur jüngeren attischen Schule hin denken, bis in die Zeit, um an ein bestimmtes Werk 
anzuknüpfen, etwa der Eirene mit dem Pliitoskinde von Kephisodotos, die wir jetzt in der 
Muncheuer früher sogenannten Leukothea^ wenigstens im Nachbilde uns erhalten wissen.* 
lieber den weichen seelenvollen Zug im Gesichte dieser Münchener Statue, der auch im 
Kasseler Kopfe anklingt , haben Priederichs ^ und Brunn sich treffend geäussert. Mit einer 
solchen annähernden Bestimmung der Entstehungszeit des Kasseler Kopfes würde es nun 
sehr wohl stimmen , wenn wir den Bologneser Kopf dem von Brunn als Hera des Polyklet 
gedeuteten Neapler Frauenkopfe seiner Entstehungszeit nach annähern dürften. Ich halte 
in der That eine solche Zeitbestimmung beider Köpfe für die wahrscheinlichst richtige, 
wenn ich auch den Beweis, dass der Neapler Kopf wirklich grade der der Polykletischen 
Hera sein müsse, nicht als gefuhrt ansehen kann. 

Eine neueste kunstgeschichtliche Hypothese, die auf sorgfältige Beobachtung 
gegi-ündet aufgestellt und von den meisten Mitforschem mehr oder weniger ausdrücklich 
als das Richtige treffend anerkannt ist, macht es mir unmöglich, mit meiner Besprechung 
des Kasseler Kopfes hier inne zu halten oder mich etwa damit zu begnügen, den von mir 
kurzweg behaupteten attischen Charakter dieses Kopfes noch weiter durch Vergleichungen 
auch Andern zum Bewusstsein zu bringen. Ich gerathe wenigstens mit solchen Ver- 
gleichungen sofort in den Bereich jener Hypothese, und der Kasseler Kopf kann kaum 
als attisch oder wenigstens nicht als durchaus original attisch anerkannt werden, wenn 
die Hypothese richtig ist. Ich muss desshalb etwas weitläufiger das Eine zu erweisen und 
zugleich das Andere zu widerlegen suchen. Wem dabei in meinen Auseinandersetzungen 
die Bündigkeit zu mangeln scheint, den bitte ich zu bedenken, dass wir uns hierin einem 
noch wenig aufgehellten Dämmerlichte bewegen, in dem man noch immer halb tastend 
nur erst unsichere Schritte wagt. 

Die Hypothese, welche ich meine, ist die von meinem Freunde Friederichs* 
zuerst öffentlich ausgesprochene und vertheidigte Zurückfuhrung einer bestimmten in 
verschiedenen Exemplaren zu Neapel, Florenz (2), Rom (3),* Kassel* uns erhaltenen 



1) Gerhards arch. Zeit. 1859, Taf. CXXI. CXXn. 

2) Bmirn über die sog. Leokothea. Mönchen 1867. 

3) Berlins antike Bildwerke I, n. 411, S. 229. 

4) Der Dorypboros des Polyklet. 23. Berliner Winckelmannsprogramm. 6. 1863. — Berlins 
antike Bildwerke I, S. 118 f. n. 96. 

5) wenn wir zwei von Heibig im Bnll. dell' inst, di corr. arch. 1864, S. 30 angeführte Exemplare 
mitrechnen. 

6) Welckers Zeitschrift für Gesch. n. Ansl. der alten Kunst I, S. 186 ff. Landon annales du 
masee Taf. 21 soU eine Abbildung geben. 



TAFSL II. 



Statae auf ein Original des PolyUet. Friederichs nimmt an, dass diese Statue, deren 
Berühmtheit im späteren Alterüinme jedenfalls die vielen erhaltenen Eopieen bezeugen, 
der berühmte Doryphoros von PolyUet ist, eine Statue, die bei späteren Künstlern zu 
einem gewissen kanonischen Ansehen in Bezug auf ihre Körperverhältnisse gelangt sein 
muss , die aber nach einer Aeusserung Plutarchs ^ ursprünglich die Statue eines bestimmten 
Athleten gewesen sein kann, dessen Namen aber späterhin nicht mehr bekannt war, die 
man dann also den Doryphoros schlechthin oder auch, als sie zu einem Proportionsmuster 
ffir die Künstler wurde, den Kanon' nannte, so wie man also heute beispielsweise unbe- 
kümmert um die dargestellte Person vom Violinspieler Baphaels spricht. Keines der 
Exemplare der Statue, welche Priederichs nun für den Doryphoros Polyklets erklärt, ist 
als Doryphoros mit dem Speere in der Hand erhalten: aber eine Ansatzspur am Kopfe 
des Neapler. Exemplars stimmt wohl zu der Annahme, dass sie so zu ergänzen seien; die 
linke Hand fehlt ihnen allen. Die müsste den Speer geschultert gehalten haben; eine 
Gemme des Berliner Museums,' auf der das ganze Motiv sich findet, ist von Friederichs 
nachträglich^ als Bestätigung seines Ergänzungsvorschlages geltend gemacht. Ich will 
dieses als richtig zugeben; das Original der verschiedenen übereinstimmenden Statuen war 
höchst wahrscheinlich ein Doryphoros. 

Weiter kommen wir nun aber an einen Scheideweg. Brunn hat den Neapler 
Frauenkopf für eine Kopie nach Polyklets Hera, Friederichs die Neapler Statue und 
ihre Wiederholungen far Kopieen nach Polyklets Doryphoros erklärt. Man hat mehrfach 
Beides als richtig angenommen. Ich muss aber die bestimmte Forderung stellen, 
Eines von Beiden aufzugeben. Hat Brunn die Hera richtig erkannt, so irrt Friederichs, 
hat Friederichs den Doryphoros Polyklets wieder entdeckt, so hat der Neapler Kopf 
Nichts mit Polyklet zu thun. Man sollte glauben, es brauchte nur ausgesprochen zu 
sein, um sofort zugestanden zu werden, dass die stilistischen Eigenthümlichkeiten des 
Brunnschen Kopfes und der Friederichsschen Statuen so weit auseinandergehen, dass 
an eine Entstehung beider Werke in einer Zeit oder zugleich auch aus einer Schule 
oder gar von ein und demselben Künstler nicht zu denken ist.^ Wie ein im Stile zu 



1) Praec. ger. reip. 27: — fiij deiaO'ai yQatf ofi(vtov TifidÜv fj nlarjofiivwv ^ xakxorvnovfi^viuv, 
tv «tV x«i t6 ivdoxifjovv dlXoTQiov lari. ^EnaiviUai yä^ ov/ q} yfyov€v, akV atf ou yfyoviv 6 
aalniyxtrig xal 6 doQvtpogos. Hier ist Polyklets doQV(f6QOs xttr i^o^nv gemeint; der aaljnyxrrig ist das 
bei PUn. (d. h. 35, 130) mit den Worten „tubicenque inter pauca landatns** erwähnte Gemälde von Antidotos. 

2) Die Identität von Doryphoros und Kanon nehme ich als nach den beiden Stellen bei 
Qnint. V, 12, 21 und bei Cic. Brat. 86, 296 kaum zu bezweifeln (Blümner archaeol. Stud. zuLucian S. 23) 
hier durchweg an. Dagegen kann die handschriftliche üeberlieferung bei Plinius sich nicht halten. 

3) IV. Hasse, 249. 

4) Berlins antike Bildwerke I, S. 551, Nachtrag zu N. 96. 

5) Kekul^ (Hebe S. 64) behauptet freilich sogar mit Berufung auf diemitgetheilten Maasse, deren 
Beweiskraft ich in diesem Falle aber nicht einzusehen gestehe, ausdrücklich die Uebereinstimmung des 
Brunnschen Herakopfes und des Friederichsschen Doryphoroskopfes. Auch Wachsmuth (Rhein. Mus. N. F. 
XXin, S. 193) nimmt beide Werke als erwiesen Polykletisch an. 



MARMOBKOPF IN KASSEL. 



dem Neapler sog. Junokopfe passender jugendlich männlicher Kopf etwa aussehen muss, 
das zeigt unser Bologneser Kopf (Taf. I), dessen gänzliche Verschiedenheit vom Kopfe 
des Friederichsschen Doryphoros die Vergleichung deutlich macht. Wenn einmal durchaus 
eines von jenen beiden Werken Polyklet angehören soll, so kann das meines Erachtens nur 
der Neapler Frauenkopf sein , ohne dass ich freilich, wie gesagt, auch Dieses für eigentlich 
erwiesen halten könnte. 

Lassen wir jetzt aber einmal den Herakopf fallen und folgen wir Friederichs in 
seiner Doryphoros -Hypothese, so werden wir bei weiterer Umschau darauf aufmerksam, 
und dadurch wurde uns hier diese Frage in den Weg geworfen, dass es unter den uns 
erhaltenen Antiken eine grosse Anzahl zunächst von Köpfen giebt, in denen sich die Grund- 
züge der Bildung des Friederichsschen Doryphoroskopfes wiederholen, die mit ihm in eine 
Klasse zu setzen sind, mit ihm auf einem gemeinsamen Entstehungsgrunde ruhen müssen. 

Ich nenne voran den Neapler Bronzekopf von ApoUonios, Archias Sohne aus 
Athen, den bereits Friederichs ^ mit entschiedenem Eechte als eine Wiederholung des 
Kopftypus seines Doryphoros angeführt hat. Es ist bekannt, dass diese athenischen 
Künstler in Kom vielfach ältere Originale nachbildeten.* Auf drei zugehörige Köpfe in 
Rom und Neapel hat Heibig ^ aufmerksam gemacht, zwei haben Benndorf und Schöne im 
Lateran* bemerkt, verschiedene lassen sich in der Eremitage zu Petersburg* zusammen 
finden , einer ist in den Specimens of antient sculpture ^ abgebildet. Die Bronzestatuette 
eines nackten Epheben früher in der Privatsammlung der Königin Amalie, jetzt im 
Kultusministerium zu Athen, ^ die angeblich aus dem Peloponnese herrühren soll, hat 
völlig einen Kopf dieser Klasse. Ich habe mich bei gemeinsamen Betrachtungen mit 
andern Studiengenossen überzeugen können, dass über die Zugehörigkeit eines Kopfes zu 
der einen grossen Familie, so zu sagen, für ein einigermaassen geübtes Auge selten ein 
Zweifel besteht; nur darüber gehen die Ansichten auseinander, wo der Ursprung dieser 
jedenfalls auf einen Ursprung wenigstens in Bezug auf Schule und nicht zu sehr ausein- 
anderliegende Entstehungszeit zurückzuführenden Arbeiten zu suchen ist. Die mehrfach 
wiederholte Statue eines sich salbenden Athleten rechnet Friederichs ® zu den Polykletischen 
Werken, während für mich wenigstens die Köpfe des Turiner* Exemplars und eines andern 



1) Berlins antike Bildwerke I. S. 119, n. 97. 

2) Brunn Gesch. der gr. Künstler I, S. 561. 

3) Bull, deir inst, dl corr. arch. 1864, S. 30. 

4) Die antiken Bildw. des lateranens. Mus. S. 170, n. 254. S. 349, n. 491. 

5) z. B. Marmorwerke n. 83. 179. Verwandt auch n. 28. 
' 6) I, taf. 30. 

7) Bursian in Gerhards arch. Zeit. 1855, S. 56.* Einen Abguss derselben schenkte Benndorf 
dem archaeologischen Museum der Universität zu Halle. [Jetzt abgebildet Mon. ined. dell* inst, die corr. 
arch. Vm, tav. LIQ und besprochen Ton Kekul^ Annali dell' inst, di corr. arch. 1868, p. 316 ff. Sikyon 
scheint der Fundort zu sein.] 

8) Berlins antike Bildw. I, S. 119, n. 98. 

9) Gerhards arch. Anz. 1867, S. 77,* n. 1193. 



8 TAFEL n. 

in Petworth^ wie die sämmtlichen bisher aufgezählten Stücke attisch sind oder, um mich 
vorsichtiger auszudrücken, in ihren charakteristischen Eigenheiten mit sicher attischen 
Arbeiten übereinstimmen und zwar mit attischen Arbeiten aus der Zeit von Phidias an 
bis herab an die Grenze etwa der jüngeren attischen Schule. 

Ein besonders charakteristisches Abzeichen der Köpfe der erwähnten Klasse liegt 
in der Form des Schädels in seiner Profilansicht. Er ist von hinten nach vorn lang und 
obenauf ziemlich platt, er fällt hinten ebenfalls in ziemlich grader Linie ohne sehr merk- 
liche Nackeneinbiegung ab und ähnlich gradlinig setzt sich wiederum die Stirn von dem 
oberen Schädelumrisse ab, so dass der ganze Schädel im Profil etwas lang Viereckiges 
hat. Diese Formation zeigt nun auch der Kasseler Kopf; die Bildung wird in ihrer 
Eigenart sofort noch deutlicher durch den Vergleich mit der gerundeteren Form des 
Bologneser Kopfes, der dieser ganzen Klasse von Köpfen dann auch sonst durchaus fremd 
ist. Ganz dieselbe viereckige Kopfbildung zeigt aber der sog. Theseus aus dem Ostgiebel 
des Parthenon; danach nenne ich sie attisch. 

Eine weitere Familienähnlichkeit, diese freilich nicht so einfach zu demonstriren 
wie jene Schädelform, liegt bei den betreffenden Köpfen im Gesichte. Ich muss hier die 
Vergleichung wo möglich an Abgüssen anheimgeben; das Aufzählen von Einzelheiten nützt 
wenig; es handelt sich um den physiognomischen Gesammteindruck. Mehr oder weniger 
durchgehend tritt dabei im Zusammenhange mit einer leisen Wendung des Kopfes und 
einer oft ziemlich auffälligen Schiefheit in den sich entsprechenden Gesichtsth eilen jene 
Anfangs bei Beschreibung unsres Kasseler Kopfes als so besonders ausdrucksvoll hervor- 
gehobene weiche Hebung der Oberlippe an einem Mundwinkel hervor. Am Kopfe der 
Friederichsschen Doryphorosfigur ist sie noch kaum angedeutet, am Kasseler Kopf spricht 
sie sich stark aus; Benndorf und Schöne beschreiben im Lateran^ einen Kopf als ziemlich 
übereinstimmend mit den „Doryphoros- Köpfen", doch mit einem trüben, beinahe schwer- 
müthigen Ausdrucke. In dieser Beziehung ein Mehr und Weniger kann sonst zusammen- 
gehörende Werke nicht auf verschiedenen Ursprung zurückzuführen berechtigen; es ist 
sicher , dass im Hineinarbeiten dieses leisen Wehes , welches zuletzt so ungemein anziehend 
wirkt, die Kunst allmälig weiterging, dass etwas so Feines das eine Mal stärker, das 
andre Mal schwächer zum Ausdrucke kam. Ich muss aber diese ganze Gesichtsbildung 
und -Stimmung wiederum für attisch halten, indem ich mich auf die Köpfe zahlreicher 
Grabreliefs, auf den Kopf der Eirene in München als sicher attische Werke mit dieser 
Eigenthümlichkeit berufe. 

Im Gesichte stimmt mit dem Kasseler Kopfe noch ein in zahlreichen Wieder- 
holungen uns erhaltener Kopf über ein, dessen Schädelbildung, durch einen Helm verdeckt, 
sich nicht zur Vergleichung ziehen lässt. Es ist der bald Achilleus bald Mars genannte 



1) Gerhards arch. Anz. 1864 , S. 239.* Zu einer zuversichtlichen Beurtheilung dieser jedenfalls wich- 
tigen Figuren fehlt es noch an allen Vorbedingungen; weder Abgüsse noch Abbildungen sind vorhanden. 

2) Die antiken Bildw. des lateranens. Mus. S. 170, n. 254. 



MARMORKOFF IN KASSEL. 9 

Kopf ,^ der wiederum übereinstimmt mit dem Kopfe der ebenfalls bald Achilleus bald Mars 
genannten Borghesischen Statue im Louvi-e.^ Diese Statue im Louvre vermag ich nun 
andrerseits wiederum auch ihrer Eigenthümlichkeit, ihren Proportionen* nach nicht von 
den Statuen zu trennen , in denen Friederichs den Dor jphoros wiederfindet. Am wenigsten 
kann ich die Borghesische Statue und damit zugleich die erwähnten Einzelköpfe, wie 
Priederichs thut,* für römischen Ursprungs halten. Eömische Kopistenarbeiten sind sie, 
aber nach älter griechischen und zwar attischen Originalen. Etwas Aeusserliches ist bei 
diesen Köpfen wiederum attisch, der Helm, der in Form und Verzierung vom Helme der 
Parthenos des Phidias abstammt , sich auch ähnlich an einem freilich ohne Grund Miltiades 
genannten aber gewiss attischen Portraitkopfe ^ wiederfindet. Da ich auf attische Portrait- 
köpfe gefuhrt werde, so darf ich wohl noch erwähnen, dass mir die zwei auf der Stirn- 
höhe sich theilenden Haarlocken an einigen dieser Portraitkopfe mit verwandtem Geschmacke 
wie an Friederichs' sogenanntem Doryphoros Polyklets angeordnet scheinen. 

Wenn ich also in der von Friederichs für polykletisch gehaltenen Statue durchaus 
Nichts vom attischen Stile wesentlich Verschiedenes finden kann, wenn sie mich vielmehr 
nach dem Eindrucke, den mir vieljährige Betrachtung zum Maasstabe gegeben hat, rein 
attisch anmuthet, so ist es mir damit unmöglich gemacht, bei ihnen weiter an Polyklet 
zu denken. Ich müsste sonst vorher meine gesammte Vorstellung vom Gange der 
älteren griechischen Kunstentwicklung ändern. Bis jetzt ist es mir durchaus unwahr- 
scheinlich, dass Polyklet, der mit seinen Leistungen doch den Gipfelpunkt der altargivi- 
schen Kunstthätigkeit gebildet zu haben scheint, von der neben der argivischen damals 
zuerst auf die höchste Höhe emporsteigenden attischen Kunstweise des Phidias und seiner 
Nachfolger nicht ganz wesentlich verschieden gearbeitet haben sollte. Wie scharf noch 
nach den Perserkriegen die lokalen Hauptkunstschulen in grösster Verschiedenheit neben 
einander, standen, wird man ermessen, wenn man die letzthin noch wieder von Brunn ^ auf 



1) In Dresden (Becker Angusteam taf. 35) , in der Eremitage (Kat. n. 171), in München (Friederichs 
Berlins antike Bildw. I, n. 721. Brunn Kat. der Glyptothek n. 91), im Mosernn Worsleyanum (Gerhards 
arch. Anz. 1864, S. 216*), in der Blondellschen Sammlung (Specimens of ant. sculpt. II, taf. 19), im 
Campo Santo zu Pisa. Siehe Stephani im Compte rendu de la coram. arch. de Tacad. de St. Petershourg 
1864, S. 123. Ein Fragment in der Ambraser Sammlung zu V7ien. 

2) üeber ihn zuletzt Ürlichs im Winckelmannsprogramm des Vereins von Alterthumsfr. im Kheinl. 
1867, S. 34 ff. Friederichs Berlins antike Bildw. I, S. 436, n. 720. Ist er ein Ares, so kann man immer 
noch an den des Alkamenes als das Original denken; Urlichs vertheidigt wieder die Benennung AchiUeus 
und hält dann Silanion für den Künstler des Originals. 

3) Polykletische Proportionen fand in ihr z. B. 0. Müller Handbuch der Archaeol. § 413, 2, wozu 
Welcker ein Fragezeichen setzte. S. auch § 332, 2. 

4) Berlins antike Bildw. I, S. 437. Die Wölfe am Helme, das Symbol des römischen Mars 
werden dafür geltend gemacht. Stephani hat mir aber an dem Petersburger Exemplare des Kopfes bei 
diesen Thieren deutlich Halsbänder gezeigt, so dass es vielmehr Hunde wären. 

5) Visconti iconografia greca I, taf. 13. Vergl. Archaeol. Zeitung 1868, S. 1 f. 

6) Sitzungsberichte der königl. bair. Akad. d. Wissensch. phüos. - philol. Kl. 4. Mai 1867. 

Conse BeitrSge zur Geach. der griecb. PlMtik. 2. Aufl. 2 



10 TAFEL II. 

das Beste befürwortete Entstehung der Aiginetischen Giebelstatuen nach dem Siege von 
Salamis zugiebt und die dann wenn auch etwas jüngeren Parthenonskulpturen mit ihnen 
zusammenhält 

Ich kann nicht umhin, hier auch die Analogie der allgemeinen Entwicklungs- 
gesetze, die wir in der neueren Kunstgeschichte klar verfolgen können, zur Ausfül- 
lung unserer lückenhaften Ueberlieferung der alten Kunstgeschichte mit herbeizuziehen. 
Am Ende des 15. und im ersten Anfange des 16. Jahrhunderts, also in der der Periode 
des Polyklet und Phidias analogen Zeit zeigen sich gi-ade flie fuhrenden, mit selbständiger 
Genialität und Energie vorausschreitenden Künstler der einzelnen italiänischen Kantone, 
wenn sie auch vielfach mit einander in Berührung kamen, dennoch ein Jeder in hohem 
Grade eigenartig, so Lionardo neben Raphael, wenn auch beide durch die Florentinische 
Schule gingen. In einem analogen Verhältnisse müssen auch Polyklet und Phidias gestan- 
den haben; Polyklet kann meines Erachtens nicht, mag er immerhin mit Phidias in 
einer Schule gelernt haben, in seinen Idealen, in seiner Formengebung dem Phidias so 
gleichartig gewesen sein, dass sein Doryphoros ganz in den attischen Formen der Schule 
des Phidias uns entgegentreten könnte, wie mir die von Friederichs dem Polyklet zuge- 
schriebene Statue entgegentritt. Hätten beide Künstler so erstaunlich gleichartig gear- 
beitet, so würde vielleicht sogar ihre epochemachende Bedeutung mit Unrecht behauptet 
sein und ihr Lehrer Ageladas, wozu uns Nichts berechtigt, als ein tonangebender Meister 
aus dem Dunkel hervorzuziehen sein. Um noch einen und einen etwas stärker gewählten 
Vergleich aus der neueren Kunstgeschichte zu entnehmen, so scheint mir anzunehmen 
zu sein, dass Polyklet neben Phidias stand, fast wie Dürer neben Raphael. Wie in den 
beiden letzteren die deutsche und italiänische Weise sich auf ihre höchste Höhe erhob, 
die deutsche in meisterhafter Vollendung und doch überholt und für die Weiterentwickelung 
zurückgedrängt von der italiänischen, so hoben sich in Polyklet die peloponnesische Kunst 
in Argos imd in Phidias die attische Skulptur zum Gipfel, wie ich voraussetze, sehr 
bestimmt eigenartig eine jede, die argivische Weise dann aber überholt und für die 
Weiterentwicklung zurückgedrängt von der attischen. Bald wurde attisch im Peloponnes 
gearbeitet wie italiänisch nach Raphael in Deutschland. Hiermit ist zugleich zugestanden, 
dass Polyklets Werke bei aller Vollendung um ein Kleines hinter dem höchsten Gelingen 
in Phidias Arbeiten zurückgestanden haben werden; dem entsprechen die Urtheile der 
Alten, die bald in Polyklet den grössten Meister sahen, bald doch wieder einen Schatten 
von Mangelhaftigkeit auf ihn warfen.^ Ich kann mich nach dem Gesagten nicht dafür 
erklären, in der Darstellung der griechischen Kunstgeschichte Polyklet, wie üblich ist, 
erst hinter Phidias einzureihen. 

Nur wenige Mitforscher haben sich gegen Friederichs Doryphoros - Hypothese 
erklärt, Petersen in Gerhards arch. Zeitung 1864, S. 130 ff. und wenigstens zweifelnd 



1) Plin. n. h. 34, 56. Quintil. inst orat. 12, 10, 7. Cicero Brutus 18, 70. Die SteUen bei 
verbeck die antiken Schriftquellen zur Gesch. der bild. Künste bei den Griechen. S. 137 f. 



MARMORKOPF IN KASRET.. 11 

Bursian im Litterar. Centralblatt 1864, n. 15, S. 348.^ Beide haben daran Anstoss 
genommen, dass eine so herkulisch ausgewachsene Gestalt wie die Florentiner Statue und 
ihre Wiederholungen dann bei Plinius als puer bezeichnet sein müsste, welches Wort 
vielmehr eine jugendlichere Bildung voraussetzen liesse. Ich will aber zugeben, dass 
Friederichs auf diesen Einwand erledigend geantwortet hat.* Ferner hat Petersen die 
mehr schreitende als stehende Stellung der vermeintlichen Doryphorosstatue als gegen eine 
Zurückfuhrung auf Polyklet sprechend geltend gemacht. Hierin hat er in meinen Augen 
Kecht, doch kann ich ihm nicht zugeben, dass desshalb die fragliche Statue erst in die 
Kaiserzeit zu setzen sei. Ich muss hierzu noch ein Bedenken gegen die Friederichssche 
Hypothese anführen. Lukian, ein Mann anerkannt feinen Blickes för Formen und dem 
eine reiche Kenntniss von Kunstwerken zu Gebote stand, hat in seiner Schrift über den 
Tanz * sich auf den Doryphoros des Polyklet bezogen. Er will den Körper eines Tänzers, 
wie er sein soll, schildern, er soll nicht zu hoch und nicht zu klein, nicht zu fleischig und 
nicht zu mager sein, in Allem die rechte Mitte halten und, um mit einem Worte zu 
sagen, wie er sein soll, nennt er einfach die berühmte Polykletische Statue; so solle ein 
Tänzer gewachsen sein. Wie passt das, wenn die Statue, welche Friederichs dafür hält, 
jene Polykletische ist? Dieser breite schwere Körper, der in entwickelter MuskelfuUe 
über gewaltigem untersetztem Knochengerüste auftritt, eine der wuchtigsten Mannes- 
gestalten der alten Kunst, in seiner ganzen Erscheinung eben ein Athlet aber nie ein 
Tänzer, . Es wird mir schwer einen Mann wie Lukian einer so sehr fehlgreifenden Herbei- 
ziehung eines derartigen Beispiels für fähig zu halten. 

Der Kasseler Kopf führte uns auf diese ganze Meinungserklärung. Ihn wie den 
Friederichsschen Doryphoros stelle ich also zu den attischen Werken. Friederichs hat 
selbst erwähnt,* dass es auch von Kresilas, den Brunn ^ mit gutem Grunde den attischen 
Künstlern anreiht, einen Doryphoros gab. Diesen für das Original der besprochenen 
Kopieen in Florenz u. s. w. zu halten ist mir das Wahrscheinlichste und ich werde durch 
die Vergleichung der in mehren Exemplaren erhaltenen verwundeten Amazone des Kresi- 
las® davon nicht zurückgebracht. 

Ich komme zum Schlüsse noch einmal auf den Kasseler Kopf zurück. In münd- 
licher Mittheilung bin ich sowohl von Launitz als auch von Benndorf darauf aufmerksam 



1) Ausdrücklich zugestimmt haben Heibig (bull, dell' inst, di corr. arch. 1864, S. 29 ff.)» Miglia- 
rini (ib. S. 158 f.), Eekul^ in seinem Buche über Hebe, Benndorf und Schöne im Verzeichnisse der 
antiken Bildwerke des lateranensischen Museums an mehren Stellen; Schöne (bull. 1866» S. 70 f.) hat 
auch die Minerva Albani zur Vergleichung herbeigezogen und in ihr das Polykletische Profil wieder- 
gefunden. Die Statue wird er damit wohl nicht für polykletisch erklären wollen. 

2) Gerhards arch. Zeit. 1864, S. 149 f. 

3) 75. 

4) Der Doryphoros des Polyklet. S. 8. 

5) Gesch. der griech. Künstler I, S. 260 ff. 

6) 0. Jahn Berichte der königl. sächs. Gesellsch. der V\ issensch. zu Leipzig 1850 , S. 40 ff. 

2* 



12 TAFEL n. 

gemacht, dass die seitwärts abstehenden und wie schon angegeben abgebrochenen Enden 
der hinten zusammengeknüpften Kopfbinde wohl darauf fahren können, die Statue habe 
die eben umgelegte und zusammengeknüpfte Binde mit beiden Händen angefasst gehalten, 
sie sei ein Diadumenos gewesen. Es war das bekanntlich ein beliebtes und in der That 
sehr schönes Motiv der antiken Kunst.* Wer nun mit Friederichs die Florentiner Statue 
und ihre Wiederholungen für den Doryphoros des Polyklet hält, wird bei diesem ver- 
wandten Kopfe vielleicht auch an den Diadumenos des Polyklet * denken wollen. Ich kann 
das nach dem Gesagten nicht. Uebereinstimmend mit der früher famesischen Statue, die 
jetzt im britischen Museum ist und die man herkömmlicher, desshalb aber nicht berech- 
tigter Weise noch auf Polyklets Original zurückzuführen pflegt,* ist unser Kasseler Kopf, 
so weit ich mich bei freilich ungenügenden Hülfsmitteln im Augenblicke überzeugen kann, 
keineswegs.* In der Antikensammlung des Baron de Janz^ zu Paris befand sich , jetzt 
wohl im Cabinet des m^dailles daselbst, eine kleine Bronze eines Diadumenos, sehr ver- 
wittert, aber sehr anmuthig in der Bewegung. Ich habe sie nach einer sehr ungenügenden 
Vorlage in einem andeutenden Umrisse auf dem Titelblatte dieser Arbeit abbilden lassen, 
weil sie den bei der Bewegung des ümbindens sich leise seitwärts und noch vom über 
neigenden Kopf, so wie der Kasseler bewegt ist, zeigt. Ich erwähne endlich noch, dass 
nach Benndorfs Mittheilung, der mir auch einen Gipsabguss zur Vergleichung gebracht 
hat, sich in Steinhäusers Besitze ein leider im Gesichte stark verstümmelter Marmorkopf 
befindet, welcher nicht genau aber doch so sehr mit dem Kasseler übereinstimmt, dass an 
einem Zusammenhange beider nicht zu zweifeln ist. Eine Veröffentlichang dieses Stein- 
häuserschen Kopfes und eine Verfolgung der hier sich eröffnenden Fragen dürfen wir dem- 
nächst von Benndorf ^ erwarten. 



1) Ich nenne nur zwei attische Darstellungen: *0 tikTs 6 uva^ov^ivog tmvU^ ttjv xeif.aX^y von 
Phidias in Olympia (Paus. VI, 4, 5,) und der ^tioXIcdv (ivaöovfiivos ratvftf xriv xofirir am Arestempel in 
Athen (Paus. I, 8, 5). 

2) Plin. n. h. 34, 55. Lucian Philopseudes 18. 

3) Overheck Gesch. der griech. Plastik I, S. 308. Triqueti (the fine arts quarterly review 1865, 
S. 215) hat mit seinen nicht sehr zutreffenden Angahen keinen Beweis gefuhrt. Einige Vergleichungen 
bei Benndorf und Schöne die antiken Bildw. des lateranens. Mus. S. 80 f. 

4) Die mir von A. S. Murray mitgetheilten Maasse des Kopfes der ehemals famesischen Statue 
stimmen nicht mit denen des Kasseler Kopfes überein. 



APOLLOSTATÜE DT ATHEN. 13 



Tafel TLX-\r (VT- VIII), 

Apollostatue in Athen. 



Die auf Taf. III — V in drei Ansichten abgebildete männliche Statue von weissem, 
wahrscheinlich pentelischem Marmor ist bei der Fortsetzung der von Stark so glücklich 
begonnenen Ausgrabung des Dionysischen Theaters zu Athen gefunden, sehr zertrünmiert 
zwar, doch hat sich aus den Stücken die ganze Figur bis auf die Unterarme und Hände 
und bis auf die Füsse und einige kleinere Schäden wieder zusammensetzen lassen. Die 
verschiedenen Brüche und fehlenden Stücke der Figur hat Benndorf auf meine Bitte 
folgendermaassen verzeichnet: Gebrochen ist der Hals dicht unter dem Kinne, der rechte 
und linke Oberarm, der linke Oberschenkel zwei Mal, der rechte sowohl als auch der 
linke Unterschenkel beide auch zwei Mal. Die Nase ist mit einem Theile des Mundes 
aus dem Gesichte offenbar auf einen Schlag, wahrscheinlich beim Sturze der schweren 
Statue, herausgebrochen; sonst ist der Kopf bis auf einige Lockenenden gut erhalten. 
Ganz fehlen die Unterarme mit den Händen und die Füsse, wie die Abbildung es zeigt; 
auch der Geschlechtstheil ist abgebrochen. Ausserdem sind noch mehre kleinere Stücke 
nicht wiedergefunden, ein* Stück am linken Schulterblatte, eins unter dem linken, ein 
kleineres unter dem rechten Glutaeus, eins vom am rechten, ein kleineres am linken 
Oberschenkel, eins in der Höhle des rechten Knies. Bemerkenswerth für die Richtung 
der verlornen Armtheile ist der erhaltene Ansatz einer Stütze unter der linken Hüfte 
(s. die Abb. Taf. IV und Taf. V, n. 1) und ein gleicher unter der rechten Hüfte. Am 
rechten Beine zieht sich femer seitwärts nach aussen, doch ein wenig nach hinten zu, 
wie Taf. V, n. 3 besser noch als Tafel IV zeigt, ein langer schmaler abgebrochener 
Ansatz hinunter, wie von einem Attribute, das die rechte Hand gehalten haben könnte, 
oder von einer zu einem solchen Attribute hingehenden Stütze.^ 



1) Höhe der Figur die fehlenden Püsse mit veranschlagt etwa 1,76 M. Der Körper hat über 
7 Kopflängen. Abstand der innem Augenwinkel 0,035, der äusseren 0,09. Mundbreite 0,042. Längs- 
durchmesser des Schädels 0,21. Abstand der Ohrläppchen von einander 0,123. Abstand der Brust- 
warzen 0,293. Von der Kommissur des Schlüsselbeins bis zum Nabel 0,403. Vom Nabel bis zum obem 
Bande des Schamhaars 0^15. Brustbreite von Achselhöhe zu Achselhöhe c. 0,87. Vom Nabel zur linken 



14 TAFEL in— V (vi — VIIl). 

Die erste Nachricht vom Funde der Statiie gab Pervanoglu im Bull, dell' inst, di 
corr. arch. 1862, S. 168 f.; er sagt, sie sei in elf Stacken zusammengesucht Yer- 
muthungsweise f&gt er hinzu, dass ein auch bei denselben Ausgrabungen im Theater 
gefundener Omphalos die Basis der Statue gewesen sein könne. Dieser Omphalos, mit 
Binden dicht überdeckt, ist oben platt abgeschnitten und dient« sicher als Basis för eine 
Statue und zwar gewiss eine stehende nackte männliche; das zeigen unzweifelhaft die auf 
seiner oberen Fläche erhaltenen Ueberreste und Spuren zweier Füsse (s. Taf. V, 2). Es 
lässt sich auch erkennen , dass von beiden Füssen der rechte der des Standbeins der Figur 
war. Dieses und auch die .Grösse der Fussspuren auf dem Omphalos, so weit sie sich 
noch messen lässt, stimmt wohl zu der gefundenen Figur. 

Der zweite Berichterstatter über den, wie man gleich Anfangs in Athen sab, 
interessanten Fund, U. Köhler, nimmt (Bull, dell' inst, di corr. arch. 1865, S. 134) 
nach neuer Untersuchung der betreffenden Stücke Pervanoglus Vermuthung, die gefundene 
Figur habe ursprünglich auf dem Omphalos gestanden, als sicher richtig an. Auch 
Benndorf, der später auf meine Bitte die inzwischen in dem Theseustempel unter- 
gebrachten Originalstücke darauf ansah, erklärte den Marmor von Omphalos und Statue 
für allem Anscheine nach denselben und die Zusammengehörigkeit als nicht zu bezweifeln. 
Ist dem nun wirklich so, so gehört der lange schmale Ansatz am rechten Beine der 
Statue sicher zu keinem etwa zur Seite als Stütze angebrachten Baumstamme; denn von 
einem solchen ist auf der hier unversehrten Oberfläche des Omphalos an dieser Stelle 
neben dem rechten Fusse keine Spur. Die Oberfläche des Omphalos (s. die Abb. Taf. V, n. 2) 
ist sonst um den linken Fussrest her durch spätere Zerstörung angegriffen; in einem 
horizontalen walzenförmigen Loche soll noch der Best eines eisernen Dübels festsitzen. 

Die zwei erwähnten Berichte in Bullettino des archaeol. Instituts, namentlich der 
von Köhler, Hessen eine kunstgeschichtliche Wichtigkeit der gefundenen Statue nicht 
verkennen. Darauf hin gelang es unter Betheiligung der Museen zu Berlin, München, 
Qöttingen, Bonn, Dorpat, Breslau und Halle für alle diese Sammlungen einen Abguss der 
Statuenfragmente sammt Omphalos zu erhalten.^ Bei der Zusammensetzung im Hallischen 
Museum folgte ich der Annahme, dass die Statue auf dem Omphalos gestanden habe, wie 
auch Taf. V, 1 zeigt. Dieser Versuch hat mir diese Annahme auch nur wahrscheinlicher 
gemacht. Bei der Aufstellung des Gipses im Berliner Museum hat man dagegen Figur 
und Omphalos getrennt gelassen und das ist zuzugeben, dass eine volle durch äussere 
Umstände erwiesene Sicherheit für die Zusammengehörigkeit nicht vorhanden ist. 
Namentlich darf Köhlers Ausdruck, der Omphalos sei nahe bei der Figur gefunden 
worden,* nicht dafür geltend gemacht werden. Der Vorsteher der Alterthümer in Athen 



Brostwarze 0,283. Ebenso zur rechten Brustwarze 0,264. Oberschenkel bis auf die Höhe der Kniescheibe 
c. 0,55. Unterschenkel Ton da bis auf den innem Knöchel c. 0,46. Linker Oberarm c. 0,385 M. 

1) Ein Abguss ist jetzt auch zu Wien im oesterreich. Museum für Kunst und Industrie. 

2) a. a. 0. „easendosi rinyenuto ridno ad essa un onfalo." 



APOLLOSTATUB IN ATHEN. 15 

Eustratiadis hat mir vielmehr auf meine Anfrage durch Postolakkas mittheilen lassen , der 
Omphalos sei ausserhalb der Orchestra zwischen den parallelen Mauern der westlichen 
Parodos, die Statuenstücke dagegen seien hinter den mittleren Inschriftsesseln , beide Theile 
also doch in einigem Abstände von einander, aufgegraben. Dieser Fundbericht giebt also 
keinen bestimmten Grund für die Zusammengehörigkeit, aber auch meines Erachtens 
keinen Grund dagegen ab. So viel steht fest, auf dem Omphalos stand aufrecht eine 
nackte, männliche Gestalt mit einer Fusssetzung wie unsre Statue sie gehabt haben muss, 
und das war denn doch gewiss ein ApoUon. Stand unsre Statue darauf, so haben wir für 
diese ihre Bedeutung ab ApoUon durch das Stehen auf dem Omphalos besonders gut 
beglaubigt. Der heilige Erdnabelstein in Delphi, mit den geknüpften Binden überdeckt, 
ist jetzt längst etwas ganz Geläufiges in Eunstdarstellungen; sitzend auf ihm zeigen den 
ApoUon als Delphischen Gott ausser verschiedenen Vasenbildern zwei Statuen in Neapel^ 
und in ViUa Albani.* Einen auf dem Omphalos stehenden ApoUon lerne ich dagegen 
ausser dem hier vorliegenden Beispiele aUein erst aus dem neuen Hefte der MüUerschen 
Denkmäler d. a. K. in Wieselers Bearbeitung* kennen, wo der Gott offenbar in Nach- 
bUdung eines alterthümUchen Idols auf einer unter Faustina geprägten Münze der Stadt 
Tarsos so erscheint. Wichtig ist es nun aber weiter, dass, auch wenn man die Zusam- 
mengehörigkeit der Statue und des Omphalos als unerweissUch leugnen woUte, dennoch 
die Statue ein ApoUon bleibt. Dafür spricht namentUch der umstand ^ dass auf einem 
Kapitolinischen, in älterem Stile gehaltenen BeUef* unter der Götter Versammlung , die 
den Thron des Zeus umsteht, sicher ApoUon gerade mit derselben auffallenden Eopftracht 
wie die neugefundene Statue vorkommt. Bei einiger Ueberlegung wird man auch das 
noch zugeben, dass, sobald die Statue als ApoUon an sich schon beglaubigt ist, ihre 
Zusammengehörigkeit mit dem nicht aUzu entfernt gefundenen Omphalos, auf dem ein 
ApoUon in übereinstimmender BeinsteUung gestanden haben muss, von welchem aber 
sonst kein Stück zum Vorschein gekommen ist, nur aufs Neue wahrscheinUcher wird.^ 

ApoUon steht hier vor uns als das GötterbUd einer Zeit , die noch an kraftvoUeren, 
aber freiUch auch weniger geistig belebten und erregten Idealen hing, als die Diadochen- 
zeit, welche das Original eines belvederischen ApoUo hinsteUte. Der heute meist mehr 
mit der des späteren Griechenthumes übereinstimmenden Geschmacksrichtung kommt in 
dieser feierUch stiUen Gestalt wohl etwas sehr Fremdartiges entgegen; aber so eigen- 
thümlich das Werk ist, so meisterhaft ist es, und dass es auch im Alterthume Berühmt- 



1) Museo Borb. Xlil, taf. 41. Clarac mnsee de scnlpt 485, 937. 

2) Beschr. Roms III, 2, S. 509. MüUer-Wieseler D. d. a. K. H, n. 137. 

3) Koch nicht ausgegeben. Taf. H. n. 12. 

4) Braun Vorschule der Eunstmythologie taf. 5. Kekule im bull, dell* inst, di corr. arch. 
1866, S. 71. 

5) Der Omphalos mit der eingedrückten Spur eines Fusses darauf im Lateranensischen Museum 
bleibt mir ein Käthsel. Benndorf und Schone die ant. Bildw. des later. Mus. S. 305, n. 439,* 
Taf. XI, 1. 2. 



16 TAPEL m — V (vi— VIIl). 

heit erlangte, beweisen noch zwei Wiederholungen^ desselben, die eine im Kapitolini- 
schen (Taf. Vn),* die andre im britischen Museum (Taf. VI).' Die letztere ist jene 
auch schon inmier als Apollo bezeichnete Statue, welche in Mitten des phigalischen 
Saales steht; sie röhrt aus Choiseul-Gouffiers in Konstantinopel zusammengebrachter 
Sammlung her und ist also wahrscheinlich im griechischen Osten gefunden, während die 
Kapitolinische Statue doch wahrscheinlich auf römischem Boden ans Licht gekommen sein 
wird. Das Exemplar in London von vortrefflichem parischem Marmor ist das beste, 
von schöner Arbeit und am vollständigsten erhalten; namentlich sind an ihm die den 
beiden andern Wiederholungen fehlenden und hier erstaunlich naturwahren und sehr 
wohlgeformten Füsse * noch vorhanden ; auch ist im Gesichte nur die Nasenspitze ergänzt 
Die Arme dagegen sind ziemlich ebenso verstünunelt wie an den beiden andern Exem- 
plaren , nur der linke ist wenigstens noch bis gegen die Handwurzel hin und in seiner 
Verbindung mit der hier an derselben Stelle wie am athenischen Exemplare vorhandenen 
Stutze erhalten. Zur Seite des rechten Beines steht hier als Stütze ein Baumstamm. 
An diesem Baumstamme nach Aussen hin läuft Etwas wie ein oben leise gekrümmter 
Stab hin.^ Seitwärts unter dem linken Knie ist auch noch die Spur eines Ansatzes,^ 
die auf irgend ein Attribut in der linken Hand fuhrt. "^ Das dritte Exemplar im Kapito- 
linischen Museum hat den geringsten Werth. Am Kopfe ist die Nase und zwar besonders 
unpassend als Adlernase ergänzt, letzteres gewiss unter Einfluss der alten verkehrten 
Benennung solcher Köpfe und Statuen, welche für Ptolemaeer galten. Die Arme fehlen 
beide vom Ellbogen an, auch die Beine von unterhalb der Kniee abwärts. Ihre Ergän- 
zung auf der Abbildung wiederzugeben schien überflüssig. Der Ergänzer hat neben das 



1) Messungen des athenischen Exemplars (s. oben S. 13, Anm. 1) habe ich am Abgösse gemacht, 
von dem Londoner Exemplare verdanke ich sie A. S. Mnrray und Michaelis, von dem Kapitolinischen 
Heibig. Diese Messungen von verschiedenen Händen, mit verschiedenen Instrumenten gemacht, eignen 
sich nicht zur Mittheilung hier, was ein Mangel bleibt. Dass aber alle drei Exemplare als Wiederholungen 
desselben Originals in derselben Grösse anzusehen sind , zeigen sie jedenfalls zur Genüge. 

2) Clarac musee de sculpture 862, 2189. Auf den Kopf zu Winckelmanns ges. Werken Tafel 22 
machte mich zuerst Wieseler aufmerksam. 

3) Specimens of antient sculpture II, taf. 5. EUis Townley Gallery I, S. 194. Waagen Eunstw. 
und Künstler in England I, S. 104. 

4) Der linke Fuss ist etwas länger als der rechte. Leider sind die Fussspuren auf dem Omphalos aus 
Athen zu sehr zerstört, um aus den allerdings wohl ungefähr passend scheinenden Massen der Füsse des Lon- 
doner Exemplars eine feste Beweishülfe für die Zusammengehörigkeit von Figur und Omphalos zu gewinnen. 

5) Michaelis denkt in seinen vor der Statue genommenen und mir mitgetheilten handschriftlichen 
Notizen an einen schmalen Lederriemen, vielleicht von einer Kithar. Einer solchen scheine vom an dem 
Baumstamme ein leise gekrümmter Gegenstand, wie eine Schildkrötenschale etwa, als üeberrest anzu- 
gehören. Das Hom wäre dann von Bronze gewesen oder mit Bronze angesetzt; wenigstens stecke noch 
ein Zapfen oben in dem Ueberreste. 

6) Am athenischen Exemplare nicht vorhanden. 

7) Ellis a. a. 0. S. 195: The left seems to have held a bow, which has been in contact with 
the leg on that side. 



APOLLOSTATUE IN ATHEN. 17 

rechte Bein einen Baumstamm , wie er am Londoner Exemplare alt erhalten ist, gestellt; 
ob ihn dabei eine Spur an dem anstossenden alten Stücke des Oberschenkels leitete, ist 
nicht zu ersehen. Ich erinnere hierbei an den an entsprechender Stelle vorhandenen 
Ueberrest am Beine des athenischen Exemplars, welcher dort, wenn anders die Figur auf 
dem Omphalos stand , wie wir sahen , nicht von einer Baumstammstütze herrühren kann. 

Von den erhaltenen drei Wiederholungen der Statue ist vermuthlich keine das 
Original , trotz aller Meisterschaft der Hand an dem athenischen und Londoner Exemplare. 
Wenn man aber nach der Zeit der Entstehung des Originals fragt , um das sichtlich höchst 
eigenthümliche Werk im Zusammenhange der kunstgeschichtlichen Entwickelung besser 
zu verstehen — ohne das bleibt jedem Beschauer allerlei Seltsames und die befriedigende 
Betrachtung Störendes — so haben gleich die ersten Berichterstatter stark ausgesprochene 
alterthümliche Züge im Ganzen und Einzelnen nicht verkannt. Dabei ist die Arbeit aber 
doch wieder eine meisterhafte, namentlich in Bezug auf die Behandlung des Nackten. 
Alterthümlich ist die fast etwas unbeholfene Art, wie die Figur auf die Füsse gesetzt 
ist, alterthümlich ist etwas Eckiges in der Formenbildung, alterthümlich die Anordnung 
und Ausführung des Haars. Es fällt nämlich vom Vorderkopfe in zierlich sich windenden 
Locken lang in die Stirn herab, während es hinten sehr lang gewachsen in zwei Zöpfe 
geflochten ist, die, der eine rechts herum, der andere links herum, wie eine Binde um 
den Kopf gelegt und vorn mit einem eingeflochtenen Bändchen sauber zusammengeknüpft 
sind. Es ist für die Formengeschichte lehrreich, genau dieselbe alterthümliche Haartracht 
an zwei Marmorköpfen im Berliner Museum wiederzufinden (Taf. VIII , 1 a b und 2 a b). 
An dem einen ^ (1 a b) ist die Sache noch mit Verständniss , wenn auch nicht mehr mit 
der auch auf das Kleine Gewicht legenden Sauberkeit und Liebe altgriechischer Technik 
gearbeitet; das Gelock ist schon etwas modernisirt und gar im Gesichte ist der alter- 
thümliche Typus ganz verschwunden; Letzteres ist noch mehr der Fall an dem zweiten 
auf dem Aventin gefundenen ^ Kopfe (2 ab), wo auch das Gelock noch freier geworden 
ist, und die Haarflechte nur mit der grossesten Oberflächlichkeit, kaum als Haar noch 
gehörig zu verstehen, gemeisselt ist Es sind die letzten verhallenden Nachklänge alter 
Vorbilder in den Duzendarbeiten römischer Zeit Alterthümlich ist weiter an dem Apollo 
auch das in etwas steifer Begelmässigkeit gelockte und zu einer oben gradlinig abge- 
schnittenen Masse zusammengehaltene Schamhaar. Entschieden alterthümlich ist endlich 
das etwas todte, wenn auch in den Formen z. B. der Wangen sehr fein behandelte 
Gesicht mit den schmal geschlitzten Augen. Doch ist hier zu bemerken , dass das Gesicht 
des Londoner Exemplars vollendeter durchgebildet erscheint, und auch an dem Kapito- 
linischen Exemplare lässt die Abbildung einige Abweichung im Gesicht veimuthen. Die 
erwähnte Meisterschaft in der Darstellung des Nackten zeigt sich dagegen überall , besonders 
hervorstehend aber am linken Beine des athenischen Exemplars mit den so schwierigen, 



1) n. 175. Vergl. Friederichs in Gerhards arch. Anz. 1865, S. 61*. 

2) Bull, dell' inst, di corr. arch. 18G6, S. 71. Heibig kaufte ihn bei Martinetti für das Berliner Museum. 

Conzo Beitrftge zur Gesch. der gricch. Plastik. 8. Aufl. 3 



18 TAFEL 111 — V (vi — Vin). 

hier aber tadellos behandelten Formen des Knies. Hierfür hat mir Launitz noch beson- 
ders die Augen geöffnet. An dem Londoner Exemplare sind die Füsse bewundemswerth. 
Der ganze Körperbau ist ausserordentlich kräftig , die Schultern breit und wenig abfallend, 
sondern von vom gesehen mit dem Schlüsselbeine eine ziemlich starre grade Linie 
bildend, der Brustkasten ladet nach vorn gewaltig aus, stark ist die Muskulatur der 
Brust wie der Arme und einzelne Hauptadern liegen mit strotzender Fülle deutlich zu 
Tage. Hinten treten die Glutaeen mächtig heraus und über ihnen zieht sich der ausser- 
ordentlich kräftig durchgebildete Kücken zu einem sehr hohlen Kreuze ein. Es ist durch- 
aus ein Ideal männlicher Körperschöne voll gewaltiger Kraft und Mächtigkeit des Baus, 
auf dem nun der verhältnissmässig nicht grosse Kopf noch um so kleiner erscheint In allen 
diesen Dingen sehe ich Nichts als charakteristische Eigenthümlichkeiten altgriechischer 
Kunst und ich halte das Original dieser Statuen für ein so echt altgriechisches Werk 
aus der Zeit nahe vor der Entwickelung attischer Kunst zu Phidiasschen Leistungen, 
wie nur die Aigineten sein können, deren Verschiedenheit in mancher Beziehung ich 
darum zwar nicht verkenne, die aber zunächst doch auch dieselbe, wenn auch viel mehr 
ins Einzelne gehende Meisterschaft des Wissens und Könnens in der nackten Form neben 
allerlei alterthümlichen Seltsamkeiten zeigen. Da es eine grosse Wahrscheinlichkeit 
hat, dass die Athener in ihrem Theater, wenn sie ein älteres Werk wiederholten, ein 
attisches aus ihrem reichen Vorrathe wählten, so können wir uns so weit für berechtigt 
halten, dieses Original der älteren attischen Kunst zuzuweisen. Nun trifft es sich eigen- 
thümlich, dass namentlich die Art der Haaranordnung am Vorderkopfe sich ausserordentlich 
ähnlich an einer Statue findet, die ich wie auch wohl Andre schon längst für die Kopie 
eines altattischen Werkes gehalten habe, nämlich an der sogenannten Giustinianischen 
Vesta, die freilich durchaus nicht nothwendig grade eine Vesta zu sein braucht.^ Die 
ehemals Giustinianische , jetzt Torloniasche Statue theilt mit dem Apollo aus Athen und 
seinen Wiederholungen auch das noch etwas gleichmässige Aufstehen auf beiden Beinen,* 
was an der weiblichen ganz bekleideten Figur jenen vielbesprochenen graden Faltenfall des 
Gewandes hervorruft. Wenn nun bei den Beschreibungen einer Sosandra von Kaiamis, wie sie 



1) Was man für eine zum Zwecke der Charakterisirung einer Hestia vom Künstler gewählte 
Kunstform halt (s. noch Friederichs Berlins antike Bildw. I, S. 97 n. 80) halte ich für den Stil der Ent- 
stehungszeit. Altertliümliches Unvermögen wäre ein zu starker Ausdruck dafür ; „ der Künstler dachte sich 
nur die Götter noch nicht schmeichelnd und gefällig, sondern ernst und streng." Belehrte uns irgend 
ein Umstand über die Bedeutung der Statue , und müssten wir sie danach beispielsweise für eine Aphrodite 
halten, so würde vielleicht Friederichs Urtheil so ausfallen, wie das über die Pallas in der Metope von 
01}'mpia (a. a. 0. I, S. 131); da findet er den Charakter der Figur nicht ganz passend für Pallas, erklärt 
sich ihn aber durch die Kunststufe des Werks. 

2) [Ich wusste , als ich dieses schrieb , sehr wohl , was Kekule in seiner Rezension a. a. 0. S. 88 
hervorhebt, dass der linke Fuss ein wenig nach hinten zurückgesetzt unter dem Gewände hervor sichtbar 
gemacht ist Auch an der Apollostatue kann man ja allerdings ein Standbein und ein Spielbein unter- 
scheiden; dennoch ist nicht entschieden das Gewicht der ganzen Figur auf das Standbein gelegt und das 
ist auch bei der Torloniaschen Statue nicht geschehen.] 



APOLLOSTATÜE IN ATHEN. 19 

namentlich Lukian^ gegeben hat, mir immer sofort die Giustinianische Statue von Augen 
tritt,* so darf man im Wege vermuthungsweiser Kombination wohl weiter daran denken, 
dass grade Kaiamis auch eine oder mehre Apollostatuen gearbeitet hatte. Der sogenannte 
ApoUon Alexikakos des Kaiamis stand im Kerameikos zu Athen, ein ApoUon des Kaiamis, 
dieser aber kolossal, war von Lucullus aus ApoUonia in Pontus weggeführt und in Kom 
auf dem Kapitole aufgestellt.^ Es soll nur eine Vermuthung sein, die ohne weitere Unter- 
stützung vielleicht werthlos bleibt, selbst wenn sie das Richtige getroffen haben sollte, 
dass jener mit einem delphischen Spruche in Verbindung gesetzte * Alexikakos das Original 
der auf dem delphischen Nabelsteine stehenden im athenischen Theater gefundenen Statue 
und ihrer Repliken gewesen sei. Ich betone ausdrücklich, dass wir das Recht haben, 
bei einer mehrfach im Alterthume kopirten Figur an ein bedeutendes Original zu denken, 
ohne darum in die früher beliebte Verkehrtheit zu verfallen, allüberall in erhaltenen 
antiken Kopieen auch in der schriftlichen Ueberlieferung genannte Originale zu wittern. 
Dass auf die Stellung des Kaiamis in der Kunstgeschichte die Eigenheiten wie der 
Giustinianischen Statue so auch unsres Apollo nach allem, was wir wissen, wohl passen, 
wird man zugeben und damit eine wenigstens annähernde Richtigkeit der versuchten 
Zurückführung auf jenen Künstler. Meisterschaft mit noch nicht ganz abgestreifter Befan- 
genheit werden im Kaiamis sich vereinigt haben. Er war gewiss einer von den tüchtigen, 
aber beschränktem Künstlern, über die Phidias hinwegschritt, wie Raphael über Francia, 
die selbst die neuen Bahnen nicht mehr aus ihrer Weise heraustretend nachfolgend 
beschreiten konnten, wie Perugino aus seiner Manier durch seinen grossen Schüler nicht 
mehr aufgestört vnirde. 

Ich habe meine Beurtheilung der fraglichen Statuen , die jedenfalls ihren Platz in 
der Kunstgeschichte verlangen, bis zur, ich gestehe es, gewagten Vermuthung ausge- 
sprochen. Mögen wir nun aber einen ApoUbn nach Kaiamis vor uns haben oder nicht, das 
halte ich fest, dass das Original dieser Statuen in die Region des Kaiamis gehört, dass 
es ein in den Kopieen im Wesentlichen mit Treue wiedergegebenes Werk des griechischen 
Quattrocento sozusagen ist. Aber auch dieses allgemeiner gehaltene Resultat wird nicht 
von Allen gebilligt werden; Köhler hat bei seiner Beschreibung von einer archaistischen 
Arbeit gesprochen, archalsirend habe ich sie sonst nennen gehört und Angesichts des 
athenischen Originals hat man die Originalität des Stils vermisst. Hier muss ich dem 
ürtheile Anderer , dem mit der Zeit sich jedenfalls noch mehr zuschärfenden Blicke die 
Entscheidung lassen; so weit ich bis jetzt sehe, kann ich an eine Entstehung der bespro- 



1) Imagg. 6. s. Blümner archaeol. Stadien zu Lncian, S. 7 ff. 

2) In verwandter Anschauungsweise hat Friederichs (Berlins antike Bildw. I , S. 36.) bei der sog. 
Penelope im Vatikan an Ealamis erinnert. Der Hermes Kriopharos in Wiltonhouse ist in keiner Weise 
geeignet über den Stil des Kaiamis Aufschluss zu geben. 

3) Die Stellen bei Overbeck die antiken Schriftquellen zur Gesch. der bild. Künste bei den 
Griechen S. 95. 

4) Paus. I, 3, 3. 

3* 



20 TAFEL ni — V (vi — VIIl). 

ebenen Statue in spätgriechischer oder römischer Zeit als Product eines Studiums älteren 
Kunststils nicht glauben. Es erscheint mir Alles echt und alt aus einem Gusse, im 
Ganzen und im Einzelnen, die Wirkung der Eopistenhände natürlich abgerechnet; wollte 
man Mangel an Harmonie finden, so dürfte man daraus nicht Arbeit in einem der Zeit 
des Künstlers fremden Stile herauslesen wollen^ es wäre dann eben der leise Mangel 
einer Zeit, die in der Kunst noch erst dicht vor der Vollendung stand. Aber Eins, so 
wird mir Mancher entgegnen, ist doch unvereinbar mit so früher Datirung, Eins zeigt 
doch, dass die Figur erst in der Zeit nach Alexander und nur mit Anklängen an alte 
Werke gemacht wurde; das ist der verhältnissmässig so sehr kleine Kopf. An dem 
Pliuianischen Satze (n. h. 35, 65) statuariae arti (Lysippus) plurumum traditur contulisse 
— capita minora faciendo quam antiqui pflegte man wenigstens lange in gutem Glauben 
ein jedes Werk zu messen, ob es vor- oder nachlysippisch sei. Die allerdings am 
Lysippischen Apoxyomenos, am Herakles Farnese und andern spätem Werken vorhan- 
denen kleine Köpfe galten für eine Bestätigung jenes Satzes und far etwas jener spätgrie- 
chischen und dann der römischen Zeit ausschliesslich Eigenthümliches. Und doch hat man 
ziemlich einstimmig die Wiederentdeckung* der Statuen des Harmodius und Aristogeiton 
von Kritios und Nesiotes in den Neapler Kopieen gutgeheissen , Statuen, die denn doch 
lange vor Lysippus entstanden und die zugleich doch zu den kleinköpfigsten Antiken 
gehören. Da haben wir also, was zunächst unsern Apollo betrifft, ein Beispiel klein- 
köpfiger Proportion an einem Werke altattischer Künstler, Zeitgenossen des Kaiamis. 
Auch die von uns mit Kaiamis in Verbindung gebrachte „ Giustinianische Yesta'^ hat 
etwa acht Kopflängen; das Kopftuch macht es nur weniger auffallend. Der Apoll von 
Tenea, den man als ein sehr altes Werk nicht anfechten wird, hat ebenfalls einen sehr 
winzigen Kopf, der hier nur durch die grosse Haarmasse weniger auffällt. Auf andre 
Beispiele, die eben nur der kleine Kopf hat falsch chronologisch bestimmen lassen, 
führt uns die Besprechung der folgenden Tafel. Ausserdem mögen hier nur noch die 
beiden sehr kleinköpfigen Athleten auf dem Diskus aus Aegina im Berliner Museum' 
erwähnt sein, die Niemand in nachlysippische Zeit wird herabrücken wollen und schliess- 
lich ist noch Eins sehr wichtig: man mustere die älteren Yasenbilder, namentlich die 
Vasen sogenannten strengen Stils mit thonfarbigen Figuren; da wird man ein entschie- 
denes Vorherrschen kleinköpfiger Proportionen finden. Figuren von 8 bis 9 Kopflängen 
sind auf diesen Vasen häufig ; auf der Berliner *Vase mit dem Morde des Aigisthos ' sind 
sogar über 9 Kopflängen zu messen. Als auch sonst stilistisch mit unserer Apollostatue 
übereinstimmend will ich noch besonders nennen den „Achill" auf einem Krater aus Gir- 



1) Friederichs in Gerhards arch. Zeit. 1859 S. 65 ff. Berlins antike Bildw. I, S. 81 ff. n. 24. 25. 
Benndorf Ann. dell' inst, di corr. arch. 1867. S. 304 ff. 

2) Ann. delF inst, di corr. arch. 1832, tav. d'agg. B und bei Ed. Finder über den Fünfkampf 
der Hellenen zu S. 96. 

3) Ann. dell' inst, di corr. arch. 1853 , tav. d*agg. H. Overbeck Gall. her. Bildw. Taf. XXVm, 10. 



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APOLLOSTATCE IN ATHEN. 21 

geuti^ von etwa 8 Kopflängen und den Apollon auf einer grossartigen Vase mit dem 
Kampfe des Gottes gegen Tityos.* Ich bin nicht der Meinung, es seien auf solchen 
Vasenbildem genau bis ins kleine berechnete und beabsichtigte Proportionen dieser Art 
zu suchen; auch stellt sich auf der gebogenen Fläche eines Gefässes die Sache dem Auge 
etwas milder dar, als wenn die Figuren in die flachen Abbildungen übertragen sind. Aber 
das ist unleugbar und sehr wichtig auch für die Untersuchung der Proportionen plastischer 
Werke, dass eine Richtung auf sehr kräftige, breitbrüstige, muskelentwickelte Körper 
aber mit kleinen Köpfen durch diese Vasenbilder, die in runder Zeitsumme zwischen den 
persischen und peloponnesischen Krieg zu setzen sind, hindurchgeht. Wenn die Vasen- 
bilder des sogenannten strengen Stils nun , wie eben gesagt , zu datiren sind , wenn sie den 
Formen ihrer Inschriften nach bis gegen Ol. 86 reichen, so ist ihre stilistische Aehn- 
lichkeit mit unserer Apollostatue wiederum sehr wohl im Einklänge mit unserer ver- 
muthungsweise ausgesprochenen Zurückfiihrung dieser Statue auf Kaiamis oder ihrer 
Datirung doch etwa um dessen Zeit 



1) Mon. in. dell' inst, di corr. arch. I, Taf. 52. Vergl. Welcker alte Denkm. DI, S. 401 ff. und 
Taf. 25, 1. 

2) Mon. in. deU* inst, di corr. arch. I, Taf. 23. 



22 TAFEL IX (X). 



Tafel IX (X). 

Marmorstatue in Petersburg. 



Eine Marmorstatue in der Sammlung der kaiserlichen Eremitage zu Petersburg, 
früher im Palazzo Soranzo zu Venedig befindlich, giebt uns neue Bäthsel auf, sei es, dass 
wir deutend einen Namen für sie zu finden suchen, sei es, dass wir sie stilistisch zu 
begreifen und an ihren richtigen Platz in der kunstgeschichtlichen Entwickelung zu stellen 
versuchen. Für die Namengebung bleibe ich ganz rathlos; doch machen wir zunächst die 
unerlässlichen äusseren Angaben.^ 

Die Statue ist von einem weissen, aber sehr vergilbten und fast alabasterartig 
geschichteten Marmor gearbeitet. Sie ist offenbar lange vieler Unbill frei ausgesetzt 
gewesen, trotz einer Menge von Beschädigungen aber doch ziemlich gut erhalten, nament- 
lich ist, was besondere Erwähnung verdient, der Kopf niemals vom Bumpfe getrennt 
gewesen. Verloren ist namentlich der rechte Unterarm von oberhalb des Ellbogens an; 
er ist ergänzt, absurder Weise mit einem Griffel in der Hand, so dass der Ergänzer die 
in die Höhe blickende Gestalt sich als einen in einer Art von poetischer Inspiration 
begriffenen Schriftsteller gedacht zu haben scheint. Diese sinnlose Ergänzung habe ich 
beim Formen der Statue für das Berliner und Hallische Museum wegfallen lassen und so 
auch in der Abbildung. Schwierig ist es über den Zustand des linken Arms Rechenschaft 
zu geben. Die Hand halte ich sicher fui antik, der Zeigefinger ist ungebrochen, die 
andern vier Pinger sind sämmtlich angesetzt; im Inneren der Hand ist keine Spur von 
einem Gegenstande, sei es von Marmor, sei es von Metall, den sie gehalten haben könnte. 
Ist die Hand nun auch antik, so ist es doch fraglich, ob sie zur Statue gehörte. Der 
Marmor hat zwar ein ähnliches Aussehen ^ aber jedenfalls ist die Hand mit einem ganz 
modernen , etwas zu lang gerathenen Zwischensatzstücke (s. die Abbildung) an den antiken 
Armstumpf der Statue erst angesetzt Er entsteht so die weitere Frage, ob, wenn sie 
auch zur Statue gehörte, ihre etwas eckige Haltung so richtig getroffen ist. Bestimmt 



1) Eopfhöhe etwa 0,19 ^' Abstand der Brustwarzen 0^205. Oberer Nabelrand bis Halsgrabe 0,33. 
Von ebenda bis auf die rechte Brustwarze 0,20, bis auf die linke 0,215. Von ebenda bis auf den Ansatz 
des Geschlechtstheüs 0,12. Abstand der Achselhöhlen 0,285. Oberschenkel c. 0,43. Linker Unterschenkel 
bis auf den Innern Knöchel c. 0,375. Linker Fuss c. 0,22. Bechter Fuss c. 0,235. 



MABHORSTATUE IM PETERSBURG. 23 

in Abrede stellen möchte ich nicht, dass die Hand zugehörig und auch in richtiger 
Haltung angesetzt ist. Neu ergänzt ist ferner die Nase (s. die Abbildung) und der im 
Abgüsse wie in der Abbildung weggelassene Geschlechtstheil. Gebrochen war die Figur 
an mehren Stellen. Der linke Arm war über dem Ellbogen gebrochen, ebenso das 
rechte Bein in gleicher Höhe etwa mit dem obern Ende des Baumstamms, ferner das 
rechte Bein hart unter, das linke dicht über dem Fussknöchel. Die Basis hat eine neue 
Einfassung bekonmien; die Spitze des rechten Fusses und an ihr. wieder die grosse Zehe 
sind angesetzt, der linke Fuss dagegen ist wohl erhalten. Die Füsse sind mit dem 
antiken Mittelstücke der Basis in Eins, auch der Stamm und das rechte ünterbein, so 
dass die Figur in ihrem ganzen Stande als echt alt anzusehen ist. Bei der Zusammen- 
flickung sowohl des linken Arms als auch des rechten Beins ist jedesmal hinten eine 
eiserne Klammer eingelassen, eingeflickt ist hinten ein grosses Stück auf der linken 
Schulter, auf Arm und Schulterblatt hinüber greifend. Endlich muss die Statue einmal 
hinten im Kücken mit einem Halter gegen eine Wand oder eine andre Stütze befestigt 
gewesen sein; mitten im Rücken ist davon das nachher ausgeflickte viereckige Loch 
geblieben. Vorn auf dem linken Schenkel, vielleicht auch am rechten, sehr deutlich aber 
auf der Brust in der Herzgegend lässt der Marmor die Spuren von Kugeln , die auf die 
Statue abgeschossen sind, erkennen. 

Es ist zu vermuthen und auch die Kugelspuren würden damit besonders gut zu 
reimen sein, dass die Statue aus dem griechischen Osten nach Venedig kam; wir wissen 
aber nichts Sicheres darüber. 

Dargestellt ist ein nackter Ephebe. Sein nach seitwärts in die Höhe gewandter 
Blick kann auf die Annahme führen, er habe ursprünglich zu irgend einer andern Gestalt 
in Beziehung gestanden. Höchst eigenthümlich ist die Haartracht; nach beiden Seiten 
hängen volle Haarmassen in die Schläfen herab, hinten fällt das Haar in den Nacken, 
oben auf dem Scheitel ist es nach vorn gestrichen und ganz vom zu einem Büschel 
zusammengebunden, der in die Stirn herabfällt. Es ist eine von den in mannigfachen 
Formen vorkonmienden reichen und zierlich zurechtgelegten Haartrachten auch des männ- 
lichen Geschlechtes in altgriechischer Zeit, welche nach und nach, in Athen um die Zeit 
des Perserkrieges, ausser Gebrauch kamen. 

Schon diese Haartracht giebt der Statue etwas Alterthümliches , alterthümlich ist 
aber auch der ganze Stil.^ Ich stehe nicht an in der Figur allerdings kein Original aus 
altgriechischer Zeit — dazu ist die Arbeit zu leer — , aber eine getreue Kopie eines 
Originals wiederum der älteren Kunst vor Phidias zu erkennen. Nicht mir zuerst ist 
eine Verwandtschaft dieser Petersburger Statue mit jener Jünglingsstatue in Villa Albani* 

1) Der Schenk auf der Vase mit Hectors Auslösung (Mon. in. deir inst, di corr. arch. VUI, Taf. 27) 
und wiederum der jugendliche Mundschenk auf einer Trinkschale des britischen Museums (Otto Jahn über 
Darstellung griech. Dichter auf Yasenbildem. Abh. der k. sächs. Ges. der Wiss. zu Leipzig YIII , Taf. YII) 
erinnern mich immer stark an unsere Statue. 

2) Ann. dell* inst, di corr. arch. 1865, tav. d'agg. D. 



24 TAFEL IX (X). 

aufgefallen , welche inschriftlich als die Arbeit des Stephanos , eines Schülers des Pasiteles, 
bezeichnet ist. Diese Statue von der Hand des Stephanos, ausgeführt also allerdings erst 
gegen Ende des letzten Jahrhunderts vor Chr. , halte ich im Widerspruche mit den meisten 
ausgesprochenen Urtheilen nicht für ein nur mit Benutzung älterer Vorbilder in der Schule 
des Pasiteles entstandenes Werk, sondern wie den Petersburger Epheben einfach für eine 
Kopie einer altgriechischen Statue, von welcher ausser der von Stephanos gearbeiteten 
auch noch eine Anzahl anderer Kopieen auf uns gekommen ist. 

Diese Behauptungen verlangen eine etwas ausführlichere Darlegung. Was zunächst 
die wenigen über die Petersburger Statue bisher laut gewordenen Ansichten betrifft, so 
kann ich von einer früheren Besprechung derselben in der Bevue arch^ologique 
(V, p. 557 ff.), wo auch ein ümriss aber ohne Angabe der Ergänzungen und stilistisch 
entstellt (Taf. 101) gegeben ist, kurzweg ganz absehen. Der Katalog der antiken Skulp- 
turen der Eremitage (2. Ausgab.e. 1«65. S. 37, n. 153) führt die Statue als dorischen 
Epheben auf; das Haar sei das dorische Ephebenhaar. Ausserdem hat meines Wissens 
nur Heibig einmal im Bull, dell' inst di corr. archeol. (1867, S. 128 f.) die Statue 
erwähnt und sie für eine der Arbeiten der eklektischen Schulen erklärt, die bekannt durch 
die Namen des Pasiteles, Stephanos und Menelaos im letzten Jahrhundert der Republik 
und im ersten des Kaiserreichs in Thätigkeit waren. Heibig findet in der Statue die 
Vereinigung archaischer und freientwickelter Elemente, welche den Werken dieser 
Schulen eigenthümlich sei. Den Augen und dem Haare sei der alte Stil anzumerken, 
andre Theile, wie die Kniee und der Hals Hessen das raf&nirte Naturstudium der spät- 
griechischen Zeit erkennen. Hierauf will ich nur erwidern, dass die Vereinigung von 
steifer Alterthümlichkeit in Haar und Gesicht und von einem nie übertroffenen Natur- 
studium bekanntlich den Aigineten eigen ist, die Niemand späten eklektischen Schulen 
zuweisen wird. 

Es handelt sich hier nun aber um mehr als um eine Differenz der Ansichten 
zwischen Heibig und mir in Bezug auf diese eine Statue; diese Differenz hat ihren Grund 
weiterhin wieder darin, dass wir beide eine ganze Klasse von Kunstwerken verschieden 
beurtheilen. Es ist die Klasse, welche sich für unsre Kenntniss als um einen festen 
Mittelpunkt um jene Statue des Stephanos in Villa Albani schaart. Diese Albanische 
Statue wird zum festen Mittelpunkte durch ihre schon erwähnte Inschrift; ^r^q^avog 
IlaaiTelovg jua&rjTrjg htoEi. Kein Grund zum Zweifel, dass sie von einem Schüler des 
bekannten Pasiteles, also gegen den Anfang der römischen Kaiserzeit gearbeitet wurde. 
Dabei ist andererseits offenbar, dass sie in ihrer Eigenthümlichkeit sehr absticht gegen 
die damals gewöhnliche Kunstweise, wie sie in der Diadochenzeit entwickelt nach Bom 
übertragen war und wurde. Brunn hat in der Geschichte der griechischen Künstler 
(I, S. 596 ff.) die Ansicht aufgestellt, Stephanos habe eine neue Musterfigur vielleicht 
gradezu aus dem Polykletischen sogenannten Kanon , von dem die breite Brust geblieben sein 
könne, aber mit Hinzufiigung der Lysippischen Proportionsänderung, der nach Maassgabe der 
schon oben (S. 20) erwähnten Plinianischen Stelle der kleine Kopf entnommen sei, herstellen 



MARMOBKOPP IN PETERSBURG. 25 

wollen, das sei die Statue in Villa Albani oder die Statue dort sei doch wenigstens eine 
Kopie nach einer solchen Musterfigur des Stephanos. Dieser von Overbeck in seine 
Geschichte der griechischen Plastik (II, S. 270) aufgenommenen Ansicht wird dann 
hinzugefügt, Stephanos müsse seine Absicht erreicht haben, die Figur müsse eine Muster- 
figur geworden sein; denn wir besässen noch mehre Kopieen nach ihr. 0. Jahn hat 
bereits mit Benutzung meiner Untersuchungen der Statue und ihrer Wiederholungen diese 
Annahme zurückgewiesen (Berichte der k. sächs. Ges. der Wiss. 1861, S. 118). Es 
sind bisher , von Repliken des Kopfes ^ abgesehen , fünf Wiederholungen der Statue des 
Stephanos, diese selbst (A) eingeschlossen, bekannt geworden, eine im Billardo der 
Villa Albani (B), eine im Lateran (C)*, eine im Museum zu Neapel (D) und eine im 
Louvre (E). In Neapel ist sie mit einer weiblichen Gestalt zu einer Gruppe, die man 
fiir Orestes und Elektra^ erklärt hat, zusammengesetzt, im Louvre ebenso mit einer 
männlichen Figur. Das Exemplar B ist schlechter erhalten, aber besser gearbeitet und 
echter altgriechisch, als das Exempljir A, wodurch wir namentlich genöthigt sind, 
Stephanos einfach als Kopisten der betreffenden Statue anzusehen, ^s liegt auch über- 
haupt kein Grund vor, die Entstehung des Originals anders als in wirklich frühgrie- 
chische Zeit zu setzen. Was Brunn hauptsächlich bei seiner Beurtheilung der Statue 
bestimmte, der sehr kleine Kopf, kann, wie schon 0. Jahn mir zugestanden hat und 
wie ich bei Besprechung des Apollo aus dem athenischen Theater oben hervorgehoben 
habe, nicht für eine nachlysippische Entstehungszeit geltend gemacht werden. 0. Jahn 
scheint geneigt die. Neapler Gmppe als das Original anzusehen, aus dem Stephanos 
seine eine Figur kopirt habe. Ich nehme als das Wahrscheinlichste an, dass die Figur 
als Einzelfigur eine berühmtere altgriechische Arbeit war, die als solche von Stephanos, 
der in des gelehrten Pasiteles Schule grade zu solchen Studien gefuhrt werden musste, 
kopirt wurde, die auch andre Bildhauer kopirten (B C) oder sie, wie C und D zeigen, 
mit andern Figuren zusamnjengesetzt zu Gruppen verwertheten. Der ursprüngliche Name 
der Figur bleibt dabei ganz dahingestellt; sollte auch die Neapler Gruppe Orestes und 
Elektra und die Pariser Orestes und Pylades darstellen sollen, so würden wir damit keines- 
wegs genöthigt sein, für die Einzelfigur als ursprüngliche Bedeutung die des Orestes anzu- 
nehmen. Es ist nun überhaupt von dieser Namenfrage abgesehen viel wahrscheinlicher, dass 
ein altgriechisches Werk zu solchem Ansehen in römischer Zeit gelangte , als dass ein Pro- 
duct der Schule des Pasiteles so vielbeliebt sollte geworden sein. Ich erwähne , dass auch 



1) z. B. im Lateran (Benndorf u. Schöne die antiken Bildw. des Lateran. Mus. S. 95, n. 157). 
Verwandte Köpfe in mehren Sammlungen müssen erst noch zusammengestellt werden. Zwei von Kekule 
ann. deir inst, di corr. arch. 1865, S. 62 als Repliken genannt. 

2) Benndorf u. Schöne die antiken Bildw. des lateranens. Mus. S. 29, n. 4G. Die übrigen 
Exemplare bei 0. Jahn a. a. 0. 

3) Genaue Wiederholungen dieser weiblichen Figur, eigentliche Kopieen, besitzen wir nicht; die 
von 0. Jahn (a. a. 0.) angeführten sind nur freie Bearbeitungen des Motivs; stilistisch weichen sie alle ab. 

Conze Beiträge zur Gesch. der griecb. Plastik. 2. Aufl. 4 



26 TAFEL IX (x). 

Friederichs ^ bereite zugegeben hat , dass Stephanos ein altes Original kopirte ; den Charakter 
einer Kopistenarbeit trägt sein Werk durchaus auch an sich: Trefflichkeit im Ganzen, 
Leerheit und Armuth im Einzelnen, in allen Formen wie im Gesichte. Der Vergleich mit 
dem Exemplare B, welches eine Menge von ursprunglichen Schönheiten bewahrt, die 
Stephanos gar nicht wiedergegeben hat, wird das bei jeder genauen Betrachtung nur 
augenfälliger machen. Ich kann mich in dieser Auffassung nicht beirren lassen durch 
den sorgfältigen und durchdachten Aufsatz von Kekul^ (Ann. deir inst, di corr. archeol. 
1865, S. 55 ff.), welcher das Original der Arbeit des Stephanos, den auch er mit Beirath 
von Künstlern nur für einen Kopisten halten kann , dem Lehrer Pasiteles zuschreiben möchte. 
Ich sehe auch für diese Annahme keine Wahrscheinlichkeii Die Neapler Gruppe halte auch 
ich mit Kekul^ für ein spätes Erzeugniss einer wenigstens der des Pasiteles verwandten 
Kunstwerkstatt, an der weiblichen Figur in dieser Gruppe hat Stephani* die Spuren römi- 
scher Kunst zu finden geglaubt, aber die männliche Figur in ihr ist nach meiner Ansicht 
eine altgriechische, zu der Zusammensetzung mit der Frauengestalt hier benutzt, wie 
zur Zusammensetzung mit einer männlichen Figur in der Pariser Gruppe. Ich behaupte, 
es ist keine nur aus einem Vermischen verschiedener Stile erklärliche Disharmonie in 
der ganzen Gestalt und in der stilistischen Eigenthümlichkeit ihrer Theile, es wäre 
höchstens jenes Etwas von Disharmonie , das jede Epoche des Werdens vor der Vollen- 
dung in Natur und Kunst mit sich bringt. Eine hohe nur durch die Kopistenhände 
geschmälerte Meisterschaft im Nackten geht Hand in Hand mit einer gewissen Eckig- 
keit der gleichsam noch nicht ganz gelösten Bewegung und mit einem wenig ent- 
wickelten Gesichtsausdrucke, ganz wie auch sonst in altgriechischen Werken, die auffal- 
lende Proportion des gewaltigen Baus im ganzen Torso zusammen mit dem winzigen Kopfe, 
so dass die Gestalt Beides, Kraft und Schlankheit im höchsten Grade jedes einzeln aus- 
gesprochen, aber noch nicht wirklich verschmolzen vereinigt, das sind, wie wir schon 
sahen, grade charakteristische Züge wiederum altgriechischer Kunst. Lysippos Gestalten 
sind also eigentlich keine völlige Neuerung gegenüber allem früher Dagewesenen, wie 
jetzt auf Autorität der Plinianischen Stelle angenommen wird. Lysippos wird nur 
den Attikern gegenüber wieder geneuert haben, aber indem er an die älteren Werke 
anknüpfte. Er vereinigt Kraft und Schlankheit wie jene Alten, aber er vereinigt sie 
harmonisch, er ninmit dem Torso das Eckige (quadratas veterum staturas immutando) 
und bringt den bei den Attikern zur Kegel gewordenen Linienfluss durch entschiedeneres 
Aufruhenlassen des Körpers auf dem einen Beine hinein. Jene alten Werke — wir können 
den athenischen Apollo (Taf. IH — V), die Petersburger Ephebenstatue (Taf. IX), den 
Jüngling des Stephanos und seine Repliken, femer den Apollo in Neapel^ und Mantua^ 



1) Berlins antike Bildw. I, S. 113 zu n. 92. 

2) Corapte rendu de la comm. arch. de Tacad. de S. Petersbourg IBGOt S. 26, Anm. 

3) Ann. delF inst, di corr. arch. 18G5 , tav. d'agg. 0. D. Mon. dell' inst. VIII , Taf. 13. 

4) Maseo di Mantova I, Taf. 5. 6. Clarac48*2B, 933 A. Friederichs Berlins ant. Bildw. I, S. 108, n. 90. 



MABMOBKOPF IN PETERSBURG. 27 

als anschauliche Beispiele nehmen — haben schon das Buhen auf einem Beine , aber^noch 
nicht so entschieden, dass die ganze Körperhaltung Fluss und Abwechslung dadurch 
erhielte. Die Stellung ist noch nicht, wie sie später typisch wird, der Art, dass sie bei 
langgewandeten Frauengestalten das Zerfallen auch des Gewandes in eine mit senkrechten 
Parallelfalten stehende Hälfte über dem Standbeine und eine von dem darunter hervor- 
tretenden Körper in ihrer Form bedingte Hälfte über dem Spielbeine zerlegt. Ich habe 
auf Tafel X durch Zusanmienstellung eines flüchtigen Umrisses des Apollo von Tenea (1), 
der Statue von Stephanos (2) und des Idolino (3), der für mich attischen Stempel trägt, 
diese allmälige für die Geschichte der griechischen Kunst so wichtige Entwicklung in der 
Art des Stehens statuarischer Einzelfiguren zu zeigen gesucht. Es ist das nichts Keues 
und von dem auf den ganzen Körper sich erstreckenden Einflüsse der einen und andern 
Art des Stehens einer Gestalt will ich als von etwas zu Bekanntem nicht weiter sprechen; 
es kam mir nur darauf an zu zeigen, dass die Statue des Stephanos und ihres Gleichen 
auch in dieser Beziehung als Werke einer Entwicklungsperiode sich zu erkennen geben, 
dass sie einen erheblichen Fortschritt gegenüber alten Werken , wie dem Apoll von Tenea, 
aufweisen, der im Idolino dann aber noch weiter verfolgt, im sog. Hermes im Belvedere 
bis zum manieristischen Uebermaasse gesteigert ist. Bei Plinius* wird Polyklet als der 
Neuerer in Bezug auf das Aufstellen der Figuren auf den Buhepunkt eines Beines genannt. 
Wäre, um auf den Gegenstand früherer Besprechung zurückzukommen, die von Friederichs 
dafür angesprochene Statue Polyklets Doryphoros, so wäre Polyklet hierin nicht der 
Neuerer gewesen, womit ich mich an Petersens^ Bemerkung anschliesse, er hätte über 
diese ganze Entwicklungsreihe hinaus oder neben ihr weg sozusagen seine Figuren bereits 
halb im Schritte dargestellt. 

Wenn ich nun unsern Petersburger Epheben ebenso wie die Statue des Stephanos 
und ihre Genossen für im Wesentlichen treue Kopieen altgriechischer Werke halte, so 
wird die weitere Frage an mich herantreten: welcher Zeit, genauer welcher Schule, 
welchem Künstler schreibe ich sie zu? Eine mir selbst voUkommen gesichert richtig 
erscheinende Antwort hierauf vermag ich nicht zu geben ; in Anschlag zu bringen ist aber 
zunächst Zweierlei. Es ist bereits zur Genüge hervorgehoben, dass diese Statuen der 
Herbigkeit ihres Stils nach in die Zeit vor den Aufschwung der attischen Kunst zumal 
durch Phidias gehören. Das ist das Eine. Das Andre ist ebenfalls schon betont, dass 
sie eine meisterhafte Beherrschung der nackten Form, so weit die Kopistenhand das nicht 
zu sehr beeinträchtigt hat, erkennen lassen. Damit ist gegeben, dass die Originale dieser 
Statuen dem Ende jener Periode angehörten. Damals, wie in Italien im 15. Jahrhunderte 
vor den vollendenden Meistern, war die Beherrschung der Form vöUig erreicht, dass sich 
aber damit wie in Italien bei Mantegna, bei den Bellinis u. A. hie und da etwas 



1) n. h. 34, 53. Der Deutung von Urlichs (Chrestom. Plin. S. 319 und Arch. Zeit. ISöS, S. 111) 
kann ich mich nicht anschliessen. 

2) Gerhards arch. Zeit. 1864, S. 131. 

4* 



28 TAFEL IX (X). 

Beengtes , Unfreies im Vortrage verband , bezeugen sehr handgreiflich die Aegineten , auch 
wenn wir sie richtig nach den Perserkriegen ansetzen, bezeugt die durch die erhaltenen 
Kopieen bestätigte Angabe, dass selbst ein Myron sich in der Behandlung des Haars von 
der Tradition noch nicht ganz freigemacht hatte. Es wurde schon bei dem Versuche , den 
athenischen ApoUon und die giustinianische Frauenstatue mit der Kunstweise des Ealamis 
in Verbindung zu bringen, auch die Analogie der modernen Kunstgeschichte dafür geltend 
gemacht, dass selbst gleichzeitig mit Phidias die übrigen Künstler sich noch mehr oder 
weniger in den Fesseln der altern Weise bei ihrem Schallen bewegten. 

Es giebt nun unter den meines Erachtens der Statue des Stephanos und ihren 
Genossen verwandten plastischen Werken eins, nämlich die Wettläuferin in der Kande- 
labergallerie des Vaticans * — sie ist für mich auch die Kopie eines altgriechischen 
Originals, — welches mit grossester Wahrscheinlichkeit aus einer peloponnesischen Werk- 
statt hervorgegangen ist. E. Q. Visconti * hat bereits nachgewiesen , dass ihre eigen- 
thümliche Tracht fast genau die der elischen Frauen beim Wettlaufe, wie diese Pau- 
sanias^ beschreibt, ist. Das macht doch für die ältere Zeit, als noch nicht attische 
Künstler nach auswärts hin wie später thätig waren, die Entstehung dieser Statue in 
einer peloponnesischen Werkstatt wahrscheinlich. Ich stimme hierin wörtlich mit Frie- 
derichs überein.* Die peloponnesischen Schulen standen jedenfalls auf der Höhe der 
griechischen Kunst, ehe in Athen die perikle'ischen Schöpfungen begannen. Dürften wir 
nun diesen älteren peloponnesischen Schulen mit der Wettläuferin im Vatican auch das 
Original, nach dem Stephanos arbeitete, vielleicht auch den Petersburger Epheben zuwei- 
sen, so wären in jenen Schulen oder in einer von ihnen die eigenthümlichen Propor- 
tionen dieser zugleich in Rücken und Hintertheil, in Schultern und Brust überkräftigen 
Figuren, mit ihrem hohen Wüchse und kleinen Kopfe* zu Hause gewesen, man hätte ein 
solches durchaus männlich gefärbtes Ideal dort auch auf die Behandlung der weiblichen 
Gestalt übertragen. Wäre alles Dieses richtig, so würde die schon berührte Aufnahme 
dieser Proportionen und ihre dem fortgeschrittenen Formgefühle entsprechende harmoni- 
schere Umbildung durch Lysippos in einem neuen Lichte erscheinen. Lysippos, aus pelo- 
ponnesischer Schule hervorgegangen, hätte sich dann dem Formideale der alten Pelo- 
ponnesier angeschlossen, wie er sich in der Technik im Gegensatze gegen die attische 
den Marmor bevorzugende Kunstübung an den Erzguss der alten Peloponnesier hielt 
Mit einem solchen Verhältnisse würde die Anekdote im Einklänge sein, nach welcher 
Lysippos den Doryphoros des Polyklet seinen Lehrmeister genannt haben soll. Sollten 



1) Visconti museo Pio-Clem. III, Taf. 27. 

2) a. a. 0. S: 125 ff. der Mailänder Ausgabe. 

3) V, 16, 2. 

4) Berlins antike Bildw. I. S. 110, n. 91. 

5) Die sehr kurzen Proportionen auf einem altspartanischen Reliefsteine machen das nicht unmög- 
lich; es ist eine sehr unbeholfene Arbeit, bei der auch der gegebene Raum beengend gewirkt haben kann» 
wie letzteres auch bei den älteren Metopen von Selinus der Fall gewesen sein kann. 



MARMORSTATUE IN PETERSBURG. 29 

diese Kombinationen das Richtige treffen, so muss Lysippos als der Weiterbildner und 
Vollender des altpeloponnesischen Stils , nachdem dieser von den Attikem seit Phidias eine 
Weile in den Hintergrund gedrängt worden war, gelten. 

Man sieht aus alle Diesem wieder, ich kann mir den Doryphoros des Polyklet 
nicht in den Formen der von Friederichs auf ihn zurückgeführten Florentiner Statue und 
ihrer Wiederholungen denken. Es hat sich mir vielmehr in Beziehung auf diesen Haupt- 
punkt, den wir mit aller Gewalt aufzuklären suchen müssen, auf die jedenfalls — das 
kann man nach der Berühmtheit des Werkes im späteren Alterthume mit Zuversicht 
sagen — auf die jedenfalls, sage ich, noch vorhandenen Nachbildungen der Polykletischen 
Musterfigur schon seit Jahren eine Vermuthung aufgedrängt, welche durch die inzwischen 
von Friederichs aufgestellte bei mir nicht beseitigt ist, fTir welche sich allerdings auch 
bis jetzt ein Beweis nicht geboten hat, die ich hier auszusprechen wage. Die Statue, 
welche Stephanos und ausser ihm noch Andre kopirten, die zwei Mal auch in eine Gruppe 
gesetzt uns erhalten ist, sie könnte grade die gesuchte Polykletische Musterfigur sein. 
Dass ich sie der Zeit etwa Polyklets zuweisen muss, habe ich gesagt; dass eine leise 
Spur auf Ursprung in einer peloponnesischen Werkstatt fuhrt, ebenfalls. So oft kopirt 
und benutzt, wie sie ist, muss also, wenn wir auf dieser allerdings sehr schwankenden 
Brücke weiter gehen dürfen, in ihr ein berühmtes Werk eines älteren peloponnesischen 
Künstlers vorliegen. Das in späterer Zeit benihmteste war jedenfalls jene Polykletische 
Figur, dass eine solche kanonische Gestalt häufig und grade auch in der gelehrt studi- 
renden Schule des Pasiteles kopirt ward, ist auf alle Fälle sehr begreiflich und so wird 
man, wenn man ein Mal so weit ist, an die Möglichkeit wohl denken können, Stephanos 
habe uns eine gewiss verflachte und die vorauszusetzende feine Durchführung des 
Originals verwischende Kopie des Polykletischen Doryphoros geliefert. Ein Doryphoros 
kann die Statue gewesen sein; man denke an die einfach senkrecht aufgesetzt gehal- 
tene Lanze des Kriegers der Aristionstele und eines andern attischen Grabsteins,* 
an das auch sonst grade auf älteren Bildwerken übliche Halten der Lanzen in dieser 
Weise und man wird zugeben, dass die linke an keiner der Kopieen antik erhaltene 
Hand die Lanze ruhig senkrecht auf den Boden gestützt ursprünglich wohl gehalten 
haben könnte. Jugendlich wie die Statue des Stephanos war der Doryphoros Polyklets. 
Dass femer für eine Musterfigur, an der man die Regeln der Körperbildung abneh- 
men konnte, die ruhig grade aufrecht stehende Stellung wie an der vorhandenen Statue 
vorauszusetzen ist, hat wohl ein Jeder angenommen. Brunn (Geschichte der griech. 
Künstler I, S. 597) hat gewiss mit Recht von der Statue des Stephanos gesagt: „die 
Haltung ist durchaus streng und gemessen, wenig bewegt und, wie es scheint, grade 
darauf berechnet, den ganzen Körper in seinen einfachen und normalen Verhältnissen 
zu zeigen.*' Bnmn denkt dabei dann selbst auch ohne Weiteres an Polyklets Kanon; 
imr die Kleinheit des Kopfes bringt ihn dazu, gleichsam eine zweite verbesserte Auflage, 



1) Gerhards arch. Zeit 1860, Taf. CXXXV, 2. 



30 TAFEL IX (x). 

eine Bearbeitung dorcli den Stephanos — und Eekul^ setzt nur den Pasiteles als den 
Bearbeiter an die Stelle — anzunehmen. Dass aber der kleine Kopf uns nicht bestimmen 
darf, uns von der Zeit Polyklets zu entfernen, ist wohl zur Genüge festgestellt. Und 
passt nun nicht ferner das Quadrate, was den Proportionen der Werke Polyklets und der 
Aelteren überhaupt nachgesagt wird, sehr wohl auf diese Statue trotz aller Schlankheit. 
Es liegt Yomehmlich in Brust und Schultern; 0. Jahn hat deren Bildung nicht besser zu 
bezeichnen gewusst, als indem er das Wort quadratus anwendete. Der obere Torso 
erscheint ja wie in ein Rechteck eingeschrieben und das giebt der Gestalt trotz ihrer Höhe 
etwas kraftvoll Gedrungenes. Wäre die mehrfach angefahrte Stelle des Auetor ad Heren- 
nium^ nur zuverlässiger überliefert, so würde ich die, wie es scheint, för Polyklet dort 
besonders betonte Brust in der auffallenden Brustbildung unserer Statue wiederfinden. Ich 
will noch erwähnen, dass die Art des Stehens der Statue des Stephanos, worüber schon 
gesprochen ist, als ein maassvoll neu versuchtes, noch nicht recht durchgeführtes uno 
crure insistere erscheint. In Lukians Schilderung eines Tänzers, wie er sein soll, wird 
man, um auch das nicht zu übergehen, die Herbeiziehung einer solchen Gestalt wie diese 
Statue des Stephanos durchaus passend finden müssen. Dass ich aber mit Winckelmann 
und Andern im Allgemeinen eine gewisse leise Befangenheit der Arbeiten des Polyklet, 
mit der sich eine äusserste Sorgfalt der Durchführung grade sehr wohl vereinigt denken 
lässt, gegenüber den gleichsam mehr aus einem Gusse im Ganzen hingestellten Arbeiten 
des Phidias annehme, habe ich bereits oben ausgesprochen. 

Ich bin weit entfernt davon, der vermuthungsweise ausgesprochenen Zurückfahrung 

der Statue des Stephanos und ihrer Repliken auf den Doryphoros oder Kanon Polyklets 

mehr Werth beizumessen, als den eines nicht ganz unmöglichen Versuchs, an den man 

sich beim Suchen in einer ziemlich dunkeln Region für den Augenblick einmal halten kann. 

Zuversichtlicher halte ich schon daran fest, dass die Proportionen der Statue des Stephanos, 

des Mantuanischen und Herkulanensischen Apollo, der Wettläuferin imVatican altgriechische 

und zwar altpeloponnesische sind und dass Polyklets Proportionen ihnen in den Hauptzügen 

I glichen. Dass sie gleichartig auch an einem altattischen Werke, jenem Apollo aus Athen, 

1 sich finden, kann jene Annahme nicht widerlegen. Die bei Yitruv^ aufgezeichneten 

I Körpermaasse , deren sich die altern Maler und Bildhauer bedient hätten, habe ich nicht 

zu verwerthen vermocht; sie stimmen weder mit den Statuen, in denen Priederichs das 
Polykletische Original wiederfindet, noch mit denen, in welchen ich es vermuthete. Jene 
«sind gedrungener als eine Figur von den Yitruvischen Verhältnissen, diese schlanker. 



1) IV, 6. 

2) III, 1. 



• 



GRABRELIEF AUS ORCHOMENOB. 31 



Tafel XI. 

Grabrelief aus Orchomenos. 



Den ziemlich weitgreifenden Besprechungen , zu welchen die auf den vorigen Tafeln 
zum ersten Male veröffentlichten Bildwerke Anlass gaben, folge zum Schluss das Ein- 
fachere und Kurze, was zu dem auf dieser Tafel zum ersten Male wenigstens getreuer^ 
abgebildeten Belief zu sagen ist. 

Auf dem Friedhofe des kleinen böotischen Dorfes Romäiko, welches ungef&hr eine 
Stunde von Skripu (Orchomenos) entfernt an der von Kapuma (Chaironea) her fahrenden 
Strasse liegt, steht seit Jahren auf dem Grabe eines neugriechischen Landmanns auf- 
gerichtet ein mannshoher Grabstein, antiker Arbeit. Man erzählt, dass er aus dem Dorfe 
Petro-Magüla, also aus der nächsten Umgebung der alten Hauptstadt Orchomenos an 
seinen jetzigen Platz gebracht sei, wo ihn die Verwendung wieder zu dem, was er 
ursprunglich gewesen war, zu einem Grabsteine, wohl bisher vor Zerstörung geschützt 
hat. Zwei ältere englische Eeisende haben den Stein gesehen, in ihren Eeisewerken 
beschrieben und ihn auch , aber sehr ungenügend abgebildet. Sie gaben auch schon Spuren 
einer Inschrift auf dem untern Bande des Steines an. Als Michaelis und ich ^ im Jahre 1860 
den Stein beim Besuche von Bomäiko sahen, gelang es uns, nachdem wir den untern 
Theil von Erde frei gemacht hatten, die Inschrift vollständig abzuschreiben. Einen Fehler, 
den wir bei der Lesung machten, hat Kirchhofif^ berichtigt; er hat auch Becht gehabt, 
gegen unsre sehr bestimmte Angabe zu behaupten, dass von der InschrifUeiste am Ende 
etwas abgebrochen und so die Möglichkeit äusserlich gegeben sei, einen vollen Hexameter 
zu ergänzen. Mit Ungrund wollte er dagegen voraussetzen, dass auch zu Anfang der 
Inschrift ein Buchstabe verloren sei. Nachdem jetzt für das Berliner Museum die Form 
des Grabsteins genommen ist und Abgüsse aus derselben zunächst in Berlin und in Halle 
aufgestellt sind, lässt sich hierüber sicher urtheilen. Dadurch wurde es auch erst möglich 
die hier gebotene Abbildung des Beliefs zu beschaifen.^ 



1) Ann. deir inst, di corr. arch. 1861, S. 81 ff. 

2) Studien zur Geschichte des griechischen Alphabets. 2. Auflage. S. 63 ff. 

3) Höhe der Reliefplatte ohne Fuss- und Deckglied c. 1,82 M. , Breite derselben unten 0,52, 
oben 0,50 M. 



32 TAFEL XI. 

Die luschrift ^ lautet nun also mit Ausnahme der ersten Stelle ganz nach Kirch- 
hoffs Lesung unserer Abschrift: 

l^X^TjVfOQ inoirjoev 6 Nu^wg' äkX faid€a[&€. 
Alxenor aus Naxos hat es gemacht; seht nur! 

Die selbstzufriedene Wendung am Schlüsse des Verses , wie sie Kirchhofif hergestellt 
hat, kann an eine ähnliche Wendung in der Inschrift eines Thongefösses des Euthymides- 
erinnern. 

Mit dem epigraphischen Theile ist aber das Interesse des Grabsteins von Orcho- 
menos bei weitem nicht erschöpft, auch für die kunstgeschichtliche Betrachtung ist der- 
selbe von grossem Werthe, da er der Entwicklungszeit des fünften Jahrhunderts angehört 
und recht wohl erhalten geblieben ist. Zwar wird der Naxier Alxenor, den wir sonst 
auch nirgends genannt finden, nicht grade eine der fuhrenden Künstlergi'össen seiner Zeit 
gewesen sein. Weder die Art des von ihm in Orchomenos übernommenen Auftrages, einen 
Grabstein zu machen, noch die Arbeit selbst sprechen für einen hervorragenden Künstler, 
' wenn auch die Inschrift eine gewisse Betonung auf ein Werk von Alxenors Hand legt. 
Wir finden in seiner Arbeit aber die charakteristischen Eigenthümlichkeiten des Kunst- 
zustandes seiner Zeit, wie sie sich in einem jeden auch untergeordneteren Gewerkserzeug- 
nisse einer jeden Periode wiederzuspiegeln pflegen. 

Alxenor hat nach der Weise des altern Griechenthums, das noch nicht alle Blumen 
der Allegorie auf die Gräber streute, den Verstorbenen abgebildet , wie er im Leben war.^ 
Im umgeschlagenen Himation, das Haar mit einem Bande umfasst, lehnt sich der bärtige 
Alte auf seinen Knotenstock; bei ihm ist sein treuer Begleiter, der Hund, der zu ihm 
aufspringt • um nach einer Heuschrecke , die sein Herr in den Fingern hält , zu schnappen. 
Es ist ganz die Harmlosigkeit eines alltäglichen Vorganges.* Von den Heuschrecken, 
immer zumal im Orient den grossen Feinden der Saaten, mochte ein guter Hauswirth oft 
genug gelegentlich eine unschädlich machen.* 

Die Arbeit zeigt ein wohl fortgeschrittenes aber noch nicht ganz zur sichern 
Herrschaft über Form und Darstellungsmittel gelangtes Können, hie und da ein Wollen 
ohne Vermögen. Lebendige Wahrheit im Darzustellenden wird überall gesucht, aber das 



1) S. (las Facsimile in den Ann. deU' inst, di corr. arch. 1861, tav. d*agg. E. n. 3, verglichen mit 
unserer Abbildung der Stele , welche den im Facsimile nicht angegebenen Bruch am Ende zeigt. Michaelis 
in Gerhards arch. Anz. Ib^ß?, S. 110.* 

2) (OS oi'd^TTOTf Evif^ovtog B. 0. Jahn Verzeichniss der Vasens. König Ludwigs Einl. S. CVlIl. 

3) 0. Jahn in den Grenzboten 1868 , S. 166. Populäre Aufsätze S. 227. 

4) Sehr häufig springt auf Grabsteinen der Hund nach einem Vogel auf, den der Verstorbene 
hält, auch wohl nach einer Weintraube bei einem verstorbenen Kinde. Auf einem Grabrelief aus Rhodos 
im Louvre hält der Verstorbene auf seiner Hand ein Häschen, während der Hund aufspringt. Hiemach 
wird das von L. Ross (Inselreisen IQ , S. 35) beschriebene Relieffragment auf Kasos auch zu einem gleich- 
artigen Grabrelief gehören. 

5) Eros im Begriffe eine auf einer Kornähre sitzende Heuschrecke zu fangen. Relief im Museum 
zu Avignon. Eros treibt hier Kinderspiel. Vergl. fab. Aesop. 350 Halm. 



GBABRELIEF AUS OBCHOMENOS. 33 

Gelingen fehlt noch vielfach; man sieht die Mühe noch. Das macht das ganze Belief für 
den gewöhnlichen Beschauer, der es als ein Einzelnes beurtheilt, mierfreulich, für den 
auf das Werden der Kunst achtenden Forscher wird es grade durch diese Züge anziehend 
und anerkennungswerth. Die natürlich bewegte Stellung ist verständlich dargestellt, am 
rechten Pusse ist eine starke Verkürzung gewagt. Das Nackte ist mit Kenntniss behan- 
delt, die jetzt etwas abgestossenen Hände waren namentlich gut gelungen, die Muskulatur 
ist sorgfältig ins Einzelne gezeichnet, die grosse Ader am Oberarme fehlt nicht. Dagegen 
zeigen sich Haar und Gewand auch hier als die Stücke, welche der griechischen Kunst 
erst zuletzt gelangen und ebenso ist auch das in der Profilansicht des Gesichtes mandel- 
förmig von vorn gezeichnete Auge im Einklänge mit der auch sonst in diesen Theilen am 
längsten zurückbleibenden Formenentwicklung» Das Haar ist nicht mehr nach einem her- 
gebrachten Schema gemeisselt, sondern mit dem nur noch unbeholfenen Bestreben einzelne 
Löckchen darzustellen; über der Kopfbinde ist kein Haar angegeben.^ Das Gewand hat 
sich sozusagen mit dem Körper noch nicht recht vertragen und auseinandergesetzt; unten 
lässt es ihn stark durchscheinen; oben wo Alxenor den Versuch gemacht hat, die Wirkung 
des Aufstützens auf den Stock in dem Paltenzuge darzustellen, ist ihm über die Beschäf- 
tigung mit diesem Einzelmotiv der Zusammenhang im Ganzen verloren gegangen. Bei 
der Einordnung des Bildwerks in den gegebenen Raum der Platte fehlt noch das leichte 
sich Fugen in die Schranke, das keine Henunung mehr fühlen lässt, diese grosse Vir- 
tuosität der fertigen griechischen Kunst , sehr merklich ; namentlich der Hund ist in seiner 
aufspringenden Stellung etwas hineingequält in den Rahmen. Alle diese Eigenheiten der 
Entwicklungszeit finden sich namentlich auf verwandten Vasenbildem wieder; ich führe 
beispielsweise die Männer auf der grossartigen Vase aus Caere mit der Abholung der 
Leiche Hektors (Monumenti in. dell' inst, di corr. archeol. VIH, Taf. 27) an, wo sich auch 
dieselbe Art der Stellung sogar bis zu der Pussverkürzung wiederfindet. Auch solche Ver- 
gleiche sprechen für die erste Hälfte des fünften Jahrhunderts v. Chr. als Entstehungszeit 
des Reliefs von Orchomenos, so dass also Alxenor etwa ein Zeitgenosse des Kaiamis 
gewesen wäre und sein bei aller Tüchtigkeit doch noch recht beschränktes Handwerk viel- 
leicht bis in die Zeit hinein ausübte, als schon Phidias Alles zu überflügeln begann. 

Das Relief ist sehr niedrig gehalten, so dass es sich nicht über die Randleisten der 
Stele erhebt, welche seitwärts als Pilaster oben mit einer Deckgliederung gestaltet sind, 
während unten die Fussplatte als Träger der Inschrift vortritt. Diese Begrenzung in der 
Höhenerhebung des Reliefs ist namentlich am Kopfe, am rechten Arme, am linken Beine 
merklich , die ganz in einer Fläche abgeplattet sind , in welcher die inneren Formen mehr 
linear eingezeichnet als modellirt sind. Es ist. gewiss anzunehmen, dass die ganze flache 
plastische Unterlage ursprünglich durch Farbe weiter belebt war , wie es an der Aristionstele 
erhalten geblieben ist. An unserm Relief ist nur an den kleinen Kapitalen der Seiten- 



1) Friedericbs Berlins antike Bildw. I, n. 29, S. 30 nimmt ein glatt anliegendes Eäppchen, wie 
as des Patroklos auf der Sosiasschale , an. 

Conze Beltrilge zur Qesch. der griech. Plastik. 2. Aufl. 5 









34 ^ -^ '* TAFEL XI. 

pfeilerchen* und auf dem zwischen ihnen hingelegten Kyma die ursprüngliche Bemalung 
mit einer überfallenden Blätterreihe noch in ähnlicher Weise auf dem Steine kenntlich 
geblieben, wie z. B. die ursprünglich gemalten Ornamente an den Thronen im Belief des 
Harpyienmonuments von Xantbos. 

Meine firüheren Auseinandersetzungen über die kleinköpfigen Proportionen der Figuren 
in altgriechischen Kunstwerken veranlassen mich hervorzuheben, dass auch auf diesem 
doch wieder einmal recht unzweifelhaft nicht nachlysippischen Grabsteine die Gestalt des 
Verstorbenen etwa acht Kopflängen hat 

Schon mit Hülfe der älteren sehr unvollkommenen Abbildungen dieses Reliefs von 
Orchomenos war man darauf aufmerksam geworden, dass auf einem altgriechischen Grab- 
steine im Museum zu Neapel, dessen Herkunft leider nicht über die Sammlung Boi^ 
hinaus zu verfolgen ist, die Figur des Verstorbenen wesentlich der auf dem Orchomenischen 
Steine gleicht.^ Oben auf der Neapler Stele ist die Palmettenkrönung noch erhalten, die 
auch auf der von Orchomenos als ursprünglich vorhanden vorauszusetzen ist Auch die 
Neapler Stele zeigt auf ihrer untern Leiste , worauf ich zuerst durch Boetticher * aufinerk- 
sam geworden bin , Beste einer Inschrift , die indessen wenigstens am Gipsabgüsse in Berlin 
ganz unleserlich blieben. Die üebereinstünmung der Beliefs zeigt die auf Tafel XI unter 
n. 2 neben die Stele von Orchomenos gesetzte Abbildung des Neapler Grabsteins.^ Es 
hat aber nur eine freie Wiederholung desselben Motivs stattgefunden. Das Gewand auf 2 
ist kürzer, der rechte Fuss ist da nicht in Verkürzung gebracht, der Hund sitzt ruhiger; 
endlich fehlt die Heuschrecke in der rechten Hand , wodurch deren Bewegung unverständlich 
wird. Am linken Handknöchel hängt an einem gewiss ursprünglich durch die Farbe ange- 
gebenen Bande oder Biemchen ein rundes Salbfiäschchen. Vom am Kopfbande ist eine 
Knüpfung und eine darüber emporstehende Spitze,^ vielleicht nur das Ende der Binde zu sehen. 
Von den beiden Grabreliefs macht das von Orchomenos den Eindruck grösserer 
ürsprünglichkeit, ohne dass ich es bestimmt für das eigentliche Original erklären möchte. 



1) 0. MüUer Handb. der Archaeol. § 96, n. 28. 

2) Nachtrag zum Kataloge der Gipsabgüsse des Berliner Museums n. 280. 

3) In Gips restaurirt: Nasenspitze mit Nasenflügel, die rechte Hand ausser dem Daumen und 
kleinen Finger, ein Stück am rechten Arme, ein Stück des Stocks über der linken Hand, ein Stück des 
Ballens und der Handwurzel, der Zeigefinger der linken Hand; von dem Ringe um die Handwurzel ist 
nur ein Stückchen antik. An den Händen und am Kopfe sonst Vieles Verstössen. Die Abbildung giebt 
den kleinen Quast am Gewandzipfel auf dem linken Schenkel nicht an. Hohe des Beliefs ohne Fussplatte 
und Krönung 1,78 M., Breite etwa 0,58 M. 

4) Gegen Friederichs Berlins antike Bildw. I, S. 29 zu n. 21 s. Gott. gel. Anz. 1868, S. 806. 
Vergl. z. B. Roulez mem. pour servir ä expliquer les peintures d'une coupe de Yulci. Abb. der Brüsseler 
Ak. XVI, 1842, Taf. 1. 2. 



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