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C-.^r '-^f.hZ'^ O)
Geschichte
der
tadt Düsseldorf
in iwölf Abhandinngen.
-o-<{SKe>-o —
Festsclirif t
ssuni
600jährigen Jubiläum.
Herausgegeben
vom
Düsseldorfer öesohichts-Verein,
Dflsseidorf 1888.
Ürttck und Vorlag von C. Kraus, DOssotdoHi
A
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HARVARO UNIVEMStTr
LI3RARY
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Uamri
dw 1T«liiniHlJlllillillfcit LiiBSte
zbntralanhquariat
deutschen dbmokratischbn
UaPZlG 1973
ttr:
WIS8BNSCHAFTUCHBS ANTIQUARIAT UND VERLAG
FERDINAND KEIP, FRANKFURT / MAIN
tmkkm DDR 10/3910
Ag509/99A97S
ndem die Stadt Düsseldorf durch Beginn eines
neuen Jahrhunderts, des siebten seit ihrem
Bestehen als Stadt, Veranlassung bekommt,
rückwärts zu blicken und sich zu vergegen-
wärtigen, wie sie zu dem geworden, was sie jetzt ist,
welche Schicksale und Wandelungen , welche Förde-
rungen und Hemmnisse, welcher Glanz und welche Leiden,
welche Bestrebungen und welche Errungenschaften ihre
Geschichte bilden, ist der Düsseldorfer Geschichts- Verein
in erster Linie dazu berufen, eine solche Rückschau
zu eröffnen. Dies zu thun hat er zeitig genug für
eine ehrende Pflicht erkannt und hat Sorge getragen,
innerhalb und ausserhalb des Vereins Kräfte zu flndcn,
welche die erforderliche Fähigkeit und Bereitwilligkeit
besässen. Es wurde beschlossen, den dritten Band der
Jahrbücher des Vereins in Form einer Festschrift i) zu
veröffentlichen, welche den Zweck haben sollte, auf
Grund wissenschaftlicher Forschung in allgemein ver-
ständlicher Fassung und, soweit es nicht unentbehrlich,
mit Ausschliessung alles gelehrten Beiwerks ein Bild von
der geschichtlichen Entwickelung der Stadt bis auf die
1) Der Qeschichts -Verein beabsichtigte ausserdem eine historische
AiMBtellung zu veranstalten; aUein der Plan, dem schon lu Anfang
des Jahres 1887 näher getreten werden sollte, scheiterte damals an
der ablehnenden Haltung der Stadtverordneten -Versammlung. Die
grössere Bereitwilligkeit der Konsthallen -Verwaltung ermöglichte
unlängst das Zusammentreten eines Comitös aus Bürgern der Stadt
und damit bis zu einem gewissen Grade das Zustandekommen des
ursprünglichen Planes.
heutigen Tage sowohl in politischer als auch ganz be-
sonders in culturhistorischer Beziehung zu bieten. Dieser
Zweck schien erreichbar durch eine Reihenfolge von zwölf
Abhandlungen, in welchen die Vorgeschichte von Stadt
und Land, die politische Geschichte, die Geschichte der
städtischen Verfassung, der katholischen, evangelischen
und israelitischen Gemeinde, der Schulen, der Kunst und
Literatur, der Architektur, des Theaters und der Musik,
ferner die militärischen Verhältnisse und endlich Handel
und Industrie zur Darstellung kämen. Die Ausarbeitung
dieser Abhandlungen übernahmen bereitwilligst die
Herren Professor Dr. J. Schneider, Dr. Hermann Forst,
Dr. H. Eschbach, Dr. L. Küpper, Consistorialrath Ad.
Natorp, Rabbiner Dr. Abr. Wedell, Dr. Tönnies, Professor
Th. Levin und L. Merländer, Baurath 0. Moeller, Dr. 6.
Wimmer, Hauptmann M. Kohtz und Handelskammer-
Sekretär P. Schmitz. Nachdem dann die Stadt gegen
Ueberlassung einer grösseren Anzahl von Exemplaren
der Festschrift einen Beitrag zu den Herstellungskosten
bewilligt hatte, und da auch der Verleger grosses Ent-
gegenkommen zeigte, war eine reichere Ausstattung mit
artistischen Beilagen möglich, als ursprünglich beabsichtigt
war. Alsbald aber begannen ungeahnte und schwer zu
überwindende Schwierigkeiten sich zu erheben. Es genügt
hier zu bemerken, dass es erst spät gelang, für die Ge-
schichte der Schulen an Stelle des verstorbenen Herrn
Dt. Tönnies den Gymnasiallehrer Herrn Gust. Kniffler
und an Stelle des erkrankten Herrn Professor Th. Levin
den Maler Herrn Ed. Daelen für die kunstgeschichtliche
Abhandlung zu gewinnen. Dass nach diesen und zahl-
reichen anderen Schwierigkeiten die Festschrift mit allen
zwölf Abhandlungen entsprechend dem anfänglichen Plane
rechtzeitig erscheinen kann, gereicht dem Verein und den
Mitarbeitern zu grosser Freude; ganz besonders aber
empfindet diese Freude der Vorstand, indem er die Schrift
den Vereinsmitgliedern, den Bewohnern Düsseldorfs und
Allen, die sich für Düsseldorfs Geschichte interessiren,
nunmehr übergeben kann. Dabei hat er die Zuversicht,
dass es den Herren Mitarbeitern gelungen ist, in ihrem
getrennten Zusammenwirken den Freunden Düsseldorfs
und seiner Geschichte eine umfassende Rückschau über
die Vergangenheit der Stadt im Ganzen wie in den ein-
zelnen hervorragenderen Richtungen zu ermöglichen, und
erfüllt mit Freude die Pflicht, den Dank für die Bereit-
willigkeit, mit der auch von Nichtmitgliedern die Aus-
arbeitung der einzelnen Abhandlungen übernommen und
zu Ende geführt ist, öffentlich auszusprechen.
Möge das Werk der Stadt zur Ehre gereichen, dem
Vereine aber alte Fj-eunde erhalten und neue gewinnen!
Düsseldorf, im August 1888.
Der Vorstand des Düsseldorfer Geschichts -Vereins:
Dr. K. Boiie, Kabb. Dr. A. Wedeil,
Vorsitzender. stellvertretender Vorsitzender.
iU Bloot», Uorjuwelier. Dr. med. Hnekleubroiclu
X. Kohtz, Hauptmann. 0« Moeller, Baurath.
C. M. Seyppely Maler.
Inhalts -Verzeiehniss.
Seite
Zur ältesten Geflchichte deR Stadt- und LandkreiBen DÜBaeldorf.
Von ProfßBRor J. Schneider 1
PolitiRche Geschichte des bergischen Landes, insbesondere der
Stadt Düsseldorf. Von Dr. Hermann Forst 19
Znr Verfassungsgeschichte der Stadt Düsseldorf. Von Dr.
H. Eschbach 51
Geschichte der katholischen Gemeinde Düsseldorfs. Von
Dr. Ludwig Küpper 65
Geschichte der evangelischen Gemeinde Düsseldorfs. Von
Adelbert Natorp, k. Consistorialrath und Pfarrer der
ev. Gemeinde 105
Geschichte der jüdischen Gemeinde Düsseldorfs. Von Rabbiner
Dr. Abr. Wedell 149
Entwickelung des Schulwesens su Düsseldorf. Von Gymnasial-
lehrer G. Kniffler 255
a) Zur Geschichte der bildenden Kunst in Düsseldorf. Von
E. Daelen 295
b) Buchdruck und Buchhandel in Düsseldorf. Von L.Merländer 321
Die Baugeschichte von Düsseldorf. Von Otto mar Moeller,
Königl. Baurath 351
Theater und Musik. Von Dr. G. W immer 385
Geschichte der militärischen Verhältnisse der Stadt Düsseldorf.
Von Hauptmann Kohtz 419
Die Abtei Düsselthal 454
Handel und Industrie der Stadt Düsseldorf. Von Handels-
kammer-Sekretär P. Schmitz 459
:»!
i M
Zur filtesten Geschichte des Stadt- und Landkreises
Düsseldorf.
Von J. Solinalder.
jr die älteste Geschichte unserer Gegend he-
tzen wir nur äusserst wenige achriftliehe
achrichten, und wir müssen versuchen, die
■ossen und zahlreichen Lücken durch Hin-
iziehung der Altesten Denkmäler wenigstens
einigennassen zu ergänzen.
Geben wir in die ft'Uhesten Zeiten zurück, so finden
wir in unserem Kreise noch die Spuren jenes grossen
Handelsweges, der einst von der Küste des Mittelmeeres
nordwärts nach dem Rheine bei Basel, und dann in zwei
Armen, links- und rechtsrheinisch, stromabwärts in der
Richtung nach der Nordsee gefuhrt hat.i) Nachdem der
griechische Geograph und Mathematiker Pytheas von
Hassilia (Marseille) aus, um die Mitte des 4. Jahrhunderts
vor Chr. Geh., zu SchiiTe die westlichen und nördlichen
Küsten entlang bis zur Elbemündung gelangt und Kunde
von den bis dahin fast ganz unbekannten nördlichen
Gegenden gebracht, setzten sich die Mfissüioten, um die
geährliche KOstenfahrt zu vermeiden , auch zu Lande
mit dem Norden in Verbindung, und zum Zwecke des
sich entwickelnden Handelsverkehres, bei welchem die
Auffindung des Bernsteines die Hauptrolle spielte, entstand
zunächst der grosse fiandetoweg, der von Marseille aus
in nördlicher Richtung bis zur Wesermündung ging und
später in einem beträchtlichen Theile von den Römern
zu Kriegszwecken ausgebaut wurde. >) Ein zweiter Han-
delsweg lief von der durch die Massilioten gegründeten
Kolonie Nicäa (Nicia, Nizza), wovon der rechtsrheinische
Arm, wie bereits oben erwähnt, auf eine kurze Strecke
auch unsere Gegend durchlief; da dieser Weg später von
deu Hörnern in seiner ganzen Ausdehnung kunstmässig
') J.Schneider, die alten Heer- u.Handelswe^e der Germanen,
Bfimer und Franken im deutschen Reiche, 4. Heft. Leipzig 1886.
*) Die alten Heer- und Handelswege etc. l.HefL Düsseldorf 1882.
2 Aelfe9te Geschichte Düsseldorfs.
ausgebaut worden, so konnte er bis zu Ende aus den
hinterlassenenUeberresten mitSicherheit ermittelt werden.*)
Derselbe ist vom Mittelmeer bis zum Rheine bei Basel,
und von hier dem rechten Rheinufer entlang bis Kastei
(bei Mainz) seit Iftngerer Zeit als Römerstrasse bekannt,
und von hier ab auf Grund der noch vorhandenen Reste
des Strassendammes rheinabwärts von dem Verfasser
untersucht worden. Da von Kastei an die mehrfach dicht
an daa Rheinufer herantretenden Thalgehänge dem Ver-
kehre hinderlich waren, so ging von da aus der Weg
über das Gebirge, und zwar über Wiesbaden, Limburg,
Altenkirchen bis Siegburg, von hier unter dem Namen
^Mauspfad^ (Muspad) bis Immigrath, überschritt bei Op-
laden die Wupper, und trat nördlich von Richrath in den
Kreis Düsseldorf. <) Der Weg durchläuft den Kreis zu-
nächst ü];)er Hilden und Unterbach, überschreitet gegen-
über Haus Morp das Thal der Dussel, und zieht durch
die Waldungen und über die Höhen östlich an Gerres-
heim vorbei, bis Ratingen und Lintorf, von wo er dann
zu Essenberg, gegenüber Duisburg, sein Ende erreicht
Hier lag das uralte Asciburgium, wahrscheinlich eine
griechische Schiffsstation, von welcher aus zuletzt der
Wasserweg bis zur Nordsee eingeschlagen wurde. ^) Da-
mals lag Asciburgium, wie sich noch aus dem ältesten
Rheinbette erkennen lässt, auf der rechten Rheinseite;
dasselbe war später noch, als es bereits, wie jetzt, auf
dem linken Ufer lag, eine römische Niederlassung, und
4 Kilom. davon, auf dem Burgfelde bei Asberg, befand
sich das römische Lager, das nach dem Römerorte be-
nannt wurde.*)
In jenen vorgeschichtlichen Zeiten fanden auch Völker-
wanderungen von Westen nach Osten, von Gallien her,
über d^n Rhein statt, und hieraus erklären sich wohl so
manch^ in unserer Gegend und überhaupt am Nieder-
rhein vorkommende Ortsbenennungen, die sich nur aus
den keltischen Mundarten ableiten lassen. In späterer
1) Die alten Heer- und Handelswege etc. 3. Hefu Leipssig, 1884.
*) J. Schneider, neue Beiträge zur alten Geschichte und
Geographie der Rheinlande. 6. Folge. Düsseldorf, 1874.
*) Die alten Heer- und Handelsweffe etc. 4. Heft.
^) Schon vor den Griechen hatten die Phönizier zu Wasser und
zu Lande Handelsbeziehung^i mit dem Norden geknüpft, allein
da die meisten über das Abendland handelnden Schriften der da-
maligen Zeit verloren gegangen, so besitzen wir nur sehr spärliche
Nachrichten über den, durch Handelsreisen erweiterten,, damaligen
Völkerverkehr. Vgl. auch Gent he, über den Antheil der Rheinlande
am vorröroischen und römischen Bemsteinhandel, in Pick' s Monats-
schrift für rheinisch-westfälische Geschichtsforschung und Alterthums-
kunde II, 1 ff.
A4lt$$t€ G€9ekiekU DOaaeldorfM. 3
Zeit kehrte sich das Verhältniss um, indem einzelne Völker-
schaften von der rechten Bheinseite auf die linke hinüber-
wanderten und sich dort festsetzten. Aber erst durch
Jul. Cäsar erhalten wir nähere Nachricht über die am
Niederrhein um die Mitte des 1. Jahrhunderts v. Chr.
vorhandenen Völkerschaften: es werden uns die Si gam-
bern genannt, die von der Lippegegend rheinaufwärts
das rechte Ufer innehatten, i) und wir können mit Sicher-
heit annehmen, dass sie auch unsere Oegend bewohnten.
Die Sigambem werden uns als wild und kriegerisch ge-
schildert; <) sie wohnten auf einzelnen Höfen, auch in
Dörfern, und trieben Ackerbau ;&) in ihren Wohnsitzen
werden Bergwaldungen und Sümpfe erwähnt.^) Hiermit
stimmt die physische Beschaffenheit unseres Landstrichs
völlig überein, wo die Gebirge ehedem in höherem Masse
als jetzt mit Waldungen bedeckt waren, die sich auch
streckenweise durch die Rheinebene hinzogen, und die
letztere durch Ueberfluthungen des Rheines und seiner
Arme eine sumpfige Beschaffenheit erhielt. In jener Zeit,
und bis in's 14. Jahrhundert hinein, floss nämlich der
Rhein von Grimlinghausen an Neuss vorbei und in einem
weiten Bogen nach Düsseldorf, wobei er das Bestreben
hatte, nach Osten das Land zu überfluthen und einzelne
Arme auszusenden, von denen der bedeutendste in seinem
jetzt ausgetrockneten Bette noch wohl zu erkennen ist.
Dieser vorgeschichtliche Rheinarm kömmt aus der Gegend
von Benrath, läuft dem Fusse des Höhenzuges entlang
über Grafenberg, wo das alte Bette besonders deutlich
ist, und endet am Rheine in der Gegend von Wanheim.
Von Grafenberg ging an Flingern vorbei ein kleinerer
Wasserarm nach dem Rheine ab, den man nebst der
nördlichen Fortsetzung des Hauptarmes in neuester Zeit
mit Unrecht als den Hauptstrom zur Römerzeit angesehen
hat.^) Die häufigen Ueberschwemmungen , denen jene
Wasserarme ihre Entstehung verdanken, waren auch die
Ursache, dass der obgenannte vorgeschichtliche Handels-
weg, der bis dahin näher dem Rheine durch die Ebene
lief^ bei Unterbach die Höhen erstieg, und dann stets über
das Gebirge, weiter vom Rheine entfernt, bis jenseits
Ratingen zog.
1) Caesar bell. gall. IV, 16, 35.
^ Die Belegstellen finden sich bei Ukert, Germania S. 353.
») Caecar b. g. IV, t9.
«) Ukert a. a. 0.
fr) Pick 's Monatsschrift für die Geschichte Westdeutschlands.
VII. Jahrgang.
!♦
4 Aelieate Geschichte Düsseldorfs.
Id der Rheinebene konnte in jenen entfernten Zeiten,
bei ihrer sumpfigen Beschaffenheit, ebenso wie in den
Bergwaldungen, nur eine geringe Bevölkerung vorhanden
sein, und wir besitzen daher auch, ausser den Gräbern,
nur w^enig Denkmäler, die sich, wenigstens theil weise,
auf jene Zeiten zurückführen lassen. Die in unserem
Kreise aufgefundenen und im historischen Museum der
Stadt Düsseldorf aufbewahrten Gegenstände, die zum Theil
einer sehr frühen, zum Theil aber auch einer späteren
Periode angehören können, bestehen aus fünf Steinbeilen,
von denen je eines in Wersten, Lintorf, im Tannenwäldchen,
bei Heiligenhaus und in Düsseldorf gefunden worden, ferner
aus einer Lanzenspitze aus Feuerstein, gefunden bei Ra-
tingen, und einem bearbeiteten Hirschgeweihrest, gefunden
am Schwarzbach bei Ratingen. Ausserdem befindet sich in
der Sammlung des Hrn. Guntrum zu Düsseldorf ein Stein-
beil, gefunden bei Flingern, und eine Steinwaffe, gefunden
zu Oberbilk, im Museum zu Bonn. Germanische Gräber,
welche theilweise den ältesten Zeiten angehören, theil-
weise aber auch bis zum frühesten Mittelalter hinabreichen
können, sind gefunden worden zu Flingern, Pempelfort,
Icklach, Düsseldorf, Oberbilk, bei Stoffeln, am Tctelberg,
im Aaper- Wald, an der Fahnenburg, bei Waldesheim, zu
Lintorf, Grossenbaum, Hilden; das bedeutendste Gräber-
feld aber zieht sich vom Eaiserhain über die Golzheimer
Heide hin und hat in der neuesten Zeit eine grosse Aus-
beute an germanischen Graburnen und einigen anderen
GefUssen geliefert. «) Auch wurden in den Gräbern eine
Münze von Augustus, eine bronzene Enopfnadel, einige
Bronzeringe und Thonperlen mit Bronzeplättirung ge-
funden.^) Sämmtliche Thongefässe zeigen den gemein-
samen Typus, dass sie aus &eier Hand geformt und am
Feuer gebrannt sind. Die mit Asche und Knochenresten
gefüllten Urnen, fast immer ohne weitere Beigaben, sind
von verschiedener Form und Grösse, und zuweilen noch
mit einer flachen Schüssel gedeckt. Sie finden sich häufig*
^) Rheinische Provinzialblätter. Bd. II. S. 3 if.
*) Die erste Nachricht über dieses Gräberfeld haben wir gegeben
in d. neuen Beiträgen etc. VI, 9 u. in Pick 's Monatsschrift I, d8.
3) Ein Theil der an den yerschiedenen Orten aufgefundenen Urnen
befindet sich in dem historischen Museum, in den Sammlungen des
Hm Guntrum, des Realgymnasiums und auf der Fahnenburg.
Wir machen insbesondere auf ein in dem bist. Museum befindliches
germ. Grab nebst Leichenbrandstelle auftnerksam, welches durch
um. C. Koenen so wieder hergestellt ist, wie es bei einer auf der
Golzheimer Heide durch den Düsseldorfer Geschichtsverein unter
Leitung des Hm. 0. Rautert stattgehabten Ausgrabung bloss-
gelegt wurde.
Aelteste Geschichte Düsseldorfs. 5
unter kleinen aufgeworfenen Hügeln oder auch in ebener
Erde, und daneben triflFt man zuweilen die Reste des
Scheiterhaufens an. Auch kommen die Gräber sowohl
wie auch die obgenannten Steinwerkzeuge fast nur an
den alten Wegen vor.i)
Als um die Zeit von Chr. Geb. durch die Kriegszüge
der Römer die am Ufer des Niederrheins wohnenden
Völker allmälig zurückgedrängt worden, entstand, zumal
durch die Uebersiedelung eines grossen Theils der Sigam-
bern von der rechten auf die linke Rheinseite unter Ti-
berius, dem rechten Rheinufer entlang ein von Be-
wohnern leerer Landstreifen, der sich nach und nach
von der niederländischen Gränze bis über das Sieben-
gebirge hin ausdehnte. 2)
Diesen leeren Uferstrich, der auch unsern Kreis um-
fasste, behielten die Römer, auch nachdem sie ihre Er-
oberungspläne in Deutschland völlig aufgegeben, in
ständigem Besitz und benutzten ihn hauptsächlich zu
Weideplätzen für die Pferde der linksrheinischen Be-
satzungen, s) dann auch zur Anlage von Ziegelbäckereien,
wie aus mehreren Ziegelstempeln hervorgeht. -*) Ausser-
dem besassen sie auf der rechten Rheinseite Steinbrüche
bei Dünwald und B.- Gladbach, und am Virneberge bei
Rheinbreitbach Kupferbergwerke. Es war aber dieser
Uferstrich noch von besonderer Wichtigkeit für den
Schutz des linken Rheinufers gegen die Einfälle der
Germanen, sowie für die freie Schiflffahrt auf dem Rheine,
und welchen Werth die Römer hauptsächlich aus diesem
Grunde auf den Besitz desselben legten, geht aus der
Hartnäckigkeit hervor, mit welcher sie jede Bewohnung
desselben durch die benachbarten Germanen verweigerten,
und die wiederholten, bald durch Unterhandlungen, bald
durch Gewalt bewirkten Versuche derselben, das un-
^) Unter den Urnen der Golzheimer Heide ist noch ein im
historischen Museum befindliches QefUss hervorzuheben, das die
Form eines geflochtenen Korbes zeigt, und in seinem Innern ange-
brannte Knoclien und ein Bronzeringelchen enthielt.
S) Tacit. annal. XIII, 54, 55.
») Tacit a. a. O.
^) Auf Ziegeln z. B. zu Aachen gefunden befinden sich Stempel,
nach denen diese Ziegel „trans Rhenum** hergestellt sind, während
andere die Bezeichnung „te^la transrhenana^ tragen. Einzelne
dieser Ziegel sind zugleich mit dem Namen der 1. und der 10. Legion
versehen, von denen wir wissen, dass sie im 1. Jahrhundert n. Chr.
am Niederrhein telegen haben. S. Lorsch in d. Zeitschrift des
Aachener Geschichtsvereins VII. Bd. 3. u. 4. Heft S. 159 if. Ausser-
dem wurden den ganzen Niederrhein hinab von Bonn bis Xanten
zahlreiche Ziegel bloss mit der Bezeichnung „transrhenana^ (sc.tegula)
gefunden. (Auch in der Guntrum'schen Sammlung befindet sich
ein solcher Stempel.)
6 AeltesU Gesehiehte DUssMoffs,
bebaute Land in Besitz zu nehmen, gewaltsam abschlu-
gen 1). Auch werden die Römer diese Zeit nicht unbenutzt
gelassen haben, um durch die Krieger der linksrheini-
schen Besatzungen einen Theil der Erdwerke auszufahren,
deren Reste sich noch bei uns erhalten haben. Dahin
gehört der oben genannte alte Handelsweg, der nunmehr als
Erddamm mit Seitenwällen kunstmässig erneuert wurde,
femer der zweite Arm der Rheinstrasse, der später von
Kastei ab ganz nahe dem Rheine, ebenso wie die Römer-
strasse des linken Ufers, zuweilen durch die Felsen gebrochen
wurde. 2) Derselbe überschreitet bei Bergheim die Sieg,
hierauf bei Reuschenberg die Wupper und tritt alsbald in
den Kreis Düsseldorf. Hier führt er an Langenfeld und
Benrath, dann dicht östlich an Düsseldorf vorbei über
Huckingen weiter, und endet zuletzt am Rheine bei
Utrecht. 3) Dieser Strassenarm, der ebenfalls aus einem
Erddamme mit zwei Seitenwällen bestand, war mit zahl-
reichen Warthügeln zum Signalisiren besetzt, wovon sich
ebenfalls noch einige Ueberreste in unserm Kreise er-
halten haben. Ausser einem weniger bedeutenden Reste
bei Benrath finden wir eine solche Hügelwarte noch
deutlich am Biegerhof und weiter abwärts bis zur nieder-
ländischen Grenze noch deren acht. Femer treffen wir
die Ueberbleibsel eines römishem Marschlagers an dieser
Strasse, nämlich bei Or. Winkelhausen, wovon ein Theil
des inneren Einschlusses noch wohl erhalten ist. ^) Auch
einzelne Fortsetzungen der von der linken Rheinseite
über den Strom führenden Römerstrassen werden dieser
Zeit zuzuschreiben sein. Wenn man daher in unserer
Gegend so mahche Ueberreste von Erdanlagen findet,
welche die Forschung als römische Strassen und Schanzen
bezeichnet, so ergibt sich aus dem angeführten Umstände,
1) Tac. ann. XIII., 54, 55. — Der Einfluss, welchen die Römer
damals in den rechtsrheinischen Gebieten ausübten, wird auch durch
den Umdtand bezeugt, dass sie bei verschiedenen germanischen
Völkern Trappen aushoben (Tac. Agric. 28, 32). Es war überhaupt
festgestellt, wie weit die Germanen vom Rheinufer entfernt wohnen
durt'ten. (S. die Belegstellen b. Ukert, Germania S. 271). Noch im
batavischen Kriege (71 n. Chr.) beklagen sich die Tenktem bitter
über den gehemmten Verkehr mit dem jenseitigen Rheinufer. Eine
in der Guntnim*schen Sammlung befindliche imd bei Flingem ge-
fundene Urne mit einer Erzmünze des Nero (54 — 68 n. Chr.) mag
aus der Zeit jenes Krieges (69 — 71) herrühren, als die benachbarten
Tenktern in den leeren Uferstrich eingedrungen waren.
S) Pick 's Monatsschrift f. d. Geschichte Westdeutschlands IV.
Jahrgang.
') Die alten Heer- und Handelswege etc. 3. u. 5. Heft.
^) Neue Beiträge zur alten Geschiclite und Geograpliio d.
Rhlde. 6. Folge
Äüttate Geaehiehte DHaseldoffn, 7
dass die Römer, auch nachdem ihre frühere Herrschaft
in Deutschland aufgehört, doch das reehtrheinische Ufer-
land in Besitz behielten, zur Genüge, dass dieselben
während des 1. Jahrhunderts n. Chr. Zeit und Gelegen-
heit genug hatten, solche Werke in dem unmittelbar
dem rechten Rheinufer angrenzenden Landstriche aus-
zuführen.
Um dieselbe Zeit verliessen die in dem südwestlichen
Winkel zwischen Rhein und Donau wolinenden Germanen,
durch die Nähe der Römer beunruhigt, ihr Land und
zogen gegen Osten. Das leere Gebiet besiedelten allmälig
herübergewanderte Gallier, und um die Bevölkerung vor
plötzlichen Ueberfällen der Germanen zu schützen, zogen
die Römer den limes, d. L eine durchflochtene Palissaden-
wand mit dahin tergelegenem Banketwall und vorliegen«
dem Graben, dem sog. Pfahlgraben, der in kurzen Ent-
fernungen mit steinernen Wartthürmen besetzt war. i)
Ganz entsprechende Einrichtungen finden wir nun auch
am Niederrhein, nur war hier die Construction der
limites verschieden von derjenigen am ObeiThein: statt
der Pfahlwand finden wir hier einen starken Erdwall,
der auf seiner Krone mit schwer durchdringlichem leben*
digem Gehölz, sogenanntem Gebück, bewachsen war,
davor einen durch zwei schmälere Wälle gebildeten
Gräben, und hinter dem Hauptwall ebenfalls ein Banket
(Weg). Gleich den Wartthürmen am Pfahlgraben waren
diese sogenannten „Landwehren^ in kurzen Abständen
mit aus Erde aufgeworfenen Warthügeln besetzt, die
wahrscheinlich, wenigstens theilweise, einen hölzernen
Thurm trugen. Diese niederrheinischen Schutzwehren
laufen der Art, dass sie in Verbindung mit dem Rheine
und unter sich einzelne Gebietstheile einschliessen, die
sich von Holland aus dem Strome entlang aufwärts bis
aber das Siebengebirge hinaus erstrecken, wo zuletzt
ihre Construction in die des hier beginnenden Pfahl-
grabens übergeht. s) Hiernach fallen die von diesen
Schutzwehren eingeschlossenen Landestheile ge-
nau mit dem oben erwähnten leeren Uferstrich
zusammen, und es drängt sich unabweislich die An-
nahme auf, dass jener leere Landstrich in einer gewissen
spätem Zeit allmälig besiedelt und dann durch die Gränz-
wehren ebenso geschützt wurde, wie der ehemals leere
0 Die Pfahlmauer diente gegen Angreifer zu Fuss, der Graben
gegen Reiterei und das Banket als Weg für die Wächter, um die
befestigte Postenlinie su beschreiten.
*) Ueber die Landwehren ist ausführlich gehandelt in den
neuen Beiträgen etc.
8 Aelteste Geschichte Dilsaeldorfs.
Landstrich am Oberrhein durch den Pfahlgraben. Die
Einrichtung der Landwehren ist eine urgermanische, wir
finden sie in ihrer ältesten Form durch ganz Deutschland
bis in den fernsten Osten vor. Diese Art von Wehran-
lagen wurde aber später von den Römern übernommen,
und unter ihrer Anordimng und Leitung wurden, nach
den Zeugnissen der alten Schriftsteller, i) zahlreiche Land-
wehren am Rheine und in Westfalen errichtet, die meistens
noch das römische Profil aufweisen, und von dem Kundigen
sich leicht von den weiter östlich gelegenen unterscheiden
lassen. Auch waren diese Wehranlagen, ebensowenig
wie der Pfahlgraben, eigentlich militärische Werke, son-
dern zu denselben Zwecken bestimmt, für welche sie auch
den Germanen gedient, nämlich die Gebietsgränzen zu
überwachen und vor feindlichen UeberfftUen zu schützen.
Sie erfüllten auch diesen Zweck zu einer Zeit, wo die
Völker am Niederrhein nur sehr wenig mit metallischen
Werkzeugen versehen waren, um das dichte Gebück zu
durchbrechen, eben so vollkommen, wie der zu demselben
Zweck angelegte Pfahlgraben am Oberrhein. Unser Land-
kreis liegt nun ebenfalls in dem Einschluss einer solchen
Landwehr, und wir werden zu prüfen haben, in wie fern
einstens auch eine Besiedelung unserer Gegend stattge-
funden, und in welchem politischen Verhältnisse diese
Ansiedelungen zu dem römischen Gebiete jenseits des
Rheines gestanden haben. Hierbei kommt uns ein altes
Schriftstück zu Hülfe, das in der neuesten Zeit sehr ver-
schiedenartige Auslegungen gefunden, aber noch nicht in
seiner ganzen Bedeutung hinreichend gewürdigt ist, nämlich
ein um die Mitte des 4. Jahrhunderts n. Chr. abgefasster
Anhang eines Verzeichnisses der Provinzen des römischen
Reiches. 2) Wir geben unsere Erklärung dieser merk-
würdigen Urkunde, soweit sie unsere Gegend betrifft,
anspruchslos und in aller Kürze, aber gestützt auf die
Erforschung der Denkmäler, die hier besonders in Betracht
kommen. 3)
Zunächst wird uns, als auf der rechten Rheinseite
gelegen, eine Anzahl römischer Gaue (civitates) genannt,
») Tacit. annal. I, 50; H, 7. — Vellej. Pat. II, 120.
3) Zuerst kerausgeg. i. J. 1743 v. Scip. Mat'fei, dann vouTh.
Mommsen in d. Abhandl. d. K. Akademie d. W. z. Beiliu 1B62.
*) Die Urkunde mit den Ergänzungen lautet folgendermassen:
^Nomina civitatum trans Rhenum fluvium quae sunt: Usipiormn,
Tnbantum, Tenctrensium, Chattuariorum (Amsivariorum?), Chasu-
ariorum. Istae omnes civitates trans Rhenum in formulam Belgicae
primae redactae. Trans castellum Montiacesenaro LXXX leugas
trans Rhenum Romani possederunt. Istae civitates sub Gallieno
imperatore a barbaris oceupatae sunt.^
Atteste Geschichte Düseeidorfs. 9
aus deren Namen schon hervorgeht, dass sie von dem
durch den Pfahlgraben eingeschlossenen Gebiete gänzlich
verschieden waren. Diese Gaue, deren Völkerschaften
hauptsächlich in den Gegenden des Niederrheins ansässig
waren, konnten nur vom Pfahlgraben an rhein abwärts
dem Strome entlang gelegen haben, und wenn wir des
oben besprochenen ehedem leeren Ufergebietes ge-
denken, das genau in der genannten Strecke sich aus-
dehnt, so ergibt sich sofort die Folgerung, dass jene
römischen Gaue durch eine spätere Besiedeluug des län-
gere Zeit leer gelegenen Landstriches entstanden sind.
Diese Ansiedlungen fanden aber, der Unsicherheit der
Gegend wegen, nicht wie am Oberrhein durch herüber-
gewanderte romanisirte Gallier, sondern durch eingewan-
derte Germanen statt, i) denen unter gewissen Bedingungen
die schon früher von den Germanen in Anspruch ge-
nommenen Ländereien zur Bebauung übergeben wurden.
Dadurch erreichten die Römer den doppelten Zweck,
einerseits dass ihre Oberhoheit auch am Niederrhein auf
einen bewohnten rechtsrheinischen Landstrich ausgedehnt
wurde, wie es schon am Oberrhein der Fall war, und
dass anderseits auch ihre Besitzungen auf dem linken
Rheinufer dadurch einen erhöhten Schutz erhielten. Hier-
bei darf man nicht annehmen, dass ganze Völkerschaften
in diese Gaugebiete aufgenommen wurden, sondern nur
solche Theile derselben, die sich freiwillig den römischen
Bedingungen zu unterwerfen und die römische Herrschaft
anzuerkennen geneigt waren. Die besiedelten Landes-
theile wurden dann, wie am Oberrhein durch den Pfahl-
graben, so hier durch ebendieselben Landwehren ein-
geschlossen, mit deren Anlage bereits Drusus und Tibe-
rius begonnen hatten. In dem angeführten Schriftstück
würd uns zuerst genannt der Gau der Usipier. Nun wissen
wir mit Bestimmtheit, s) dass in der augusteischen Zeit
Usipier am Niederrhein und zwar nördlich der Lippe-
mündung wohnten, später finden wir Usipier am Ober-
rhein als die westlichen Nachbarn der Chatten. Sei es nun,
dass die am Niederrhein wohnenden Usipier, unter Zu-
rücklassung eines Theiles, später an den Oberrhein zu
den Chatten gezogen, oder, wie Andere wollen, bei der
Auswanderung zur Zeit Cäsar's ein Theil des Volkes in
seinem ursprünglichen Sitze am Oberrhein zurückgeblieben
und nur ein Theil an den Niederrhein gelangt war, jeden-
falls befand sich der spätere Uslpiergau in dem früheren
1) Dies bezeugt der Umstand, dass weder römisches Mauer-
werk, noch Qräber in dem besagten Landstrich gefunden worden sind.
<) Caesar bell. gaU. IV, 16. Floms IV, 12. Tac. ann. XIII 56.
10 JOteste Geschickte DüeeMwfe.
Oebiete der Usipier am Niederrhein, gleichwie sich der
dabintergelegene Gau der Tubanten in das benachbarte
Holland (Twente) hineinerstreckte. Dann folgt den Rhein
aufwärts der Gau der Tenktem, hinter diesem landein-
wärts nach der mittleren Ruhr (Hattingen) der Gau der
Chattuarier und zuletzt dem Rheine entlang bis zum
Pfahlgraben der Gau der Chasuarier. Wir haben nun
flrüheri) die alte Landwehr, welche den Usipiergau um-
grenzte, ihrem Laufe nach in der Art bestimmt, dass die-
selbe vom alten Rhein bei Hauberg beginnend in einem
grossen Bogen bis zum Rheine bei Walsum lief,^) und
hier schloss sich der Gau der Tenktern an, dessen
Grenzen ebenfalls durch die ihn umschliessende Land-
wehr angegeben werden. &) Dieser Gau schloss auch
den heutigen Stadt- und Landkreis Düsseldorf ein,
der hiemach in römischer Zeit, nachdem er eine längere
Weile unbebaut gelegen, von den Tenktern besiedelt
worden war.*)
Die nahen Beziehungen, in welchen damals das rechts-
rheinische Uferland mit dem linksrheinischen Römerlande
gestanden, werden durch die grosse Menge römischer
Alterthüraer, welche in seiner ganzen Ausdehnung sich
vorfinden, vollauf bestätigt. Dahin gehören zunächst die
zahlreichen römischen Münzen, welche sowohl in wie
ausserhalb der Gräber gefunden werden und auf einen
lebhaften Verkehr mit den Römern hinweisen. Dann die
vielen Bruchstücke römischer Dachziegel, welche bezeu-
gen, dass die germanischen Bewohner öfters statt der
hergebrachten Stroh- und Schindelbedachung sich in
römischer Weise der Ziegel bedienten; femer die vielen
römischen Geräthe und Schmucksachen, die meistens in
Gräbern gefunden werden. Hauptsächlich aber sind die
>) S. Neue Beiträge etc.
*) Wir finden in der Karte bei v. Ledebur „Das Land and
Volk der Beukterer**, den Gau der UHipier am Niederrhein fast ge-
nau in derselben Begrenzung rezeicbnet, wie es dem Laufe der in
ihren Resten noch erhaltenen Landwehr entspricht.
S) Ein Arm der Gränzwehr schloss sich bei Hittorf dem Rheine
an; ob dies der Hauptarm, oder aber die von der Dukenburg
weiter über Rennbanm, Altenberg und Bechem laufende Landwehr,
wird durch fernere Untersuchungen rheinaufwärts zu bestimmen sein.
^) Die Tenktern hatten ihre Wohnsitze im Bergischen und auf-
wärts bis zur Sieg; von ihnen sagt Tacitas (Oerm. 82), dass sie
ausser dem gewohnten Waffenmhm sich auch durch eine trefflich
geübte Reiterei auszeichneten, sodass selbst das chattische Fuss-
Volk nicht berühmter sei, als die Reiterei der Tenktern. Die Be-
zeichnung „Tenctrenses** in dem Veroneser Fragment statt der ge-
wöhnlichen „Tencteri** kann auffallen; ob damit vielleicht ein mit
den Tenktern v(*rbnndener kleinerer Stamm gemeint sei, mögen
die Philologen entscheiden.
ÄtHttste Geschichte Düsseldorfs, 11
reichverzierten Schüsseln aus terra sigillata zu erwähnen,
die aus römischen Fabriken herstammen und den Be-
wohnern als Oraburnen gedient haben ; die Zahl derselben
ist so gross, wie selbst nicht in den linksrheinischen
römischen Besitzungen. Wir führen hier nur die vor-
züglicheren römischen Funde auf, welche in unserm
Städte und Landkreise bis jetzt vorgekommen und zu
unserer Kunde gelangt sind. Zu Düsseldorf in der Thal-
strasse kamen beim Hftuserbau zwei verzierte Schüsseln
aus terra sigillata zum Vorschein, i j Auf dem Alexander-
platze daselbst wurden verschiedene römische Antikaglien
ausgegraben, darunter einige Bronzefiguren. 2) In Unter-
bilk fand man Aschenumen nebst Gef&ssstücken aus
terra sigillata, sowie einen goldenen Ring mit geschnit-
tenem Onyx. 9) Am Zusammentreffen der Duisburger-
mit der Nordstrasse wurden mehrere kelchförmige Näpf-
chen aus feinem Thon in der Erde gefunden, die
gemeinlich für römisch gehalten werden. ^) An der
Römerstrasse am Fusse des laberges (b. Hilden) wurde
ein goldener Ring mit einem geschnittenen Onyx im
Boden gefunden. &) Zwischen Düsseldorf und Flehe kam
aus einer Tiefe von 1,5 m ein gegossenes römisches
Bronzestück zum Vorschein, das die Inschrift: „Utere
felix^ trägt und wahrscheinlich einem Waffenstück an-
gehört hat. <) An der Eisenbahnstation Rath fand man in
einem Grabe mehrere verzierte Schüsseln aus terra sigil-
lata, in einer derselben ein Glasfläschchen, dann zwei
Gefässe aus Bronze und verschiedene eiserne Geräth-
Schäften nebst einer geschlagenen Messingplatte. 7) In
Oberbilk wurde eine grosse verzierte Schüssel aus terra
sigillata nebst mehreren anderen Gefässen gefunden, s)
Am Hofe Leuchtenberg fanden sich in Gräbern reich-
^) Die Schüsseln befinden sich als Geschenk des Hrn. W.
Herchenbach im historischen Museum.
«) Neue Beiträge etc. VI S. 7.
•) Bonner Jahrbb. XXXYI, 88.
^) Die Gegenstände befinden sich im bist. Museum. — Der
römische Ursprung der in der Altstadt gefundenen Gefässstücke
ist zweifelhaft; wenigstens sind die in der Altstadt gefundenen
Gefässscherben, welche der Verf. in der Guntrum'schen Sammlung
gesehen, nicht römisch (Bonner Jahrbb. XXXIX, 155). Der Fundort
eines früher in Düsseldorf (jetzt in Mannheim) befindlichen Legion-
steines ist unffewiss.
^) Neue Beiträge etc. 6. Folge. Pieper in Pick's Monatsschrift
IV S. 647.
*) Das Bronzestück befindet sich in der Guntrum*schen
Sammlung.
'') A. Fahne. Beiträge z. limes imp. rom. etc. S. .5.
^) Fahne a. a. 0.
12 AdtetU O$»ehicht0 DüssddwrfB.
verzierte Schüsseln aus terra sigillata. i) In KL Eller
sind so zahlreiche mit Schmuck versebene Schüsseln aus
terra sigillata ausgegraben worden, wie es bis jezt an
keinem andern Orte der ganzen Provinz vorgekommen
ist. 2) Wenn man nun bedenkt, wie viele römische Funde
bloss in den letzten Jahrzehnten in einem so verhältniss-
massig kleinen Bezirke gemacht wurden, so kann man
sich vorstellen, wie vieles in einem Zeitraum von andert-
halb Jahrtausenden zu Tage getreten, aber unbeachtet
verloren gegangen, und in welch lebhaftem Verkehr und
innigem Zusammenhang hiernach der rechtsrheinische
Uferstrich mit dem linksrheinischen Kömerreiche gestan-
den haben muss.
Ein ferneres Zeugniss liefern die zahlreichen Strassen
mit den Resten der darangelegenen Verschanzungen,
welche in der Zeit der römischen Oberhoheit in unserm
Lande angelegt wurden. Diese Strassen stehen mit den
Römerstrassen der linken Rheinseite in innigem Zusam-
menhang, und greifen ebenso unter sich in strengster
Planmässigkeit ineinander, so dass wir das Strassennetz
der rechten Rheinseite mit dem römischen auf der linken
derartig in Uebereinstimmung finden, dass beide als ein
einziges vom Rheine durchschnittenes Ganze anzusehen
sind, und sowie auf der linken Rheinseite die Römer-
strassen von den römischen Alterthümern begleitet wer-
den, so sind auch alle Funde römischer Alterthümer an
den Fortsetzungen dieser Strassen auf der rechten Rhein-
seite gemacht worden. &) Unter den an den Römerstrassen
der rechten Rheinseite gelegenen Verschanzungen heben
wir ein römisches Lager hervor, das an der bei Bürgel
den Rhein überschreitenden, über Hilden und Mettmann
nordwärts führenden Strasse im N^anderthale unweit
1) Nene Beiträge etc. IX. Eine der Schüsseln erhielt der
Verf. durch Güte des Hrn. Rittergutsbesitzers Lanz in Lohausen,
die übrigen durch Ankauf von den Findern.
') Ein Theil (vier Stück) befindet sich im bist. Museum, ein
anderer ist nach Anssen gelangt. In einer der ersteren Schüsseln
befinden sich ausser Knochenresten Gefässstücke aus Bronze, Theüe
eines Lederriemens und geschmolzene Stücke selben, weissen und
braunen Glases. Ferner enthält die Sammlung des Hm. Ph. Braun
eine ebendaherrührende Schüssel aus terra sigillata, worin sich
einige Bruchstücke einer zweiten Schüssel, Knochen und Bronze-
Btücke befinden. Aus demselben Funde enthält die Sammlung eine
verzierte schwarze, mit einem künstlichen Ueberzuge versehene
Urne, ähnlich den bei Darzau (Hannover) gefundenen. Vgl. H o s t -
mann, der Urnenfriedhof von Darzau. Braunschweig 1874.
') S. die alten Heer- und Handels wege etc. 1.-5. Heft
Leipzig 1882—86.
Aelieüe Oesehiehte DOsMMorfa 13
Düsseldorf y gelegen ist^) Dasselbe befindet sich auf
einem Bergvorsprang, der an zwei Seiten von der Dussel^
an der dritten von dem Mettmanner Bache begrenzt wird,
und führt den Namen „die alte Burg^. Die obere Berg-
fläche ist an drei Seiten von schroffen Abhängen begrenzt,
und am Rande in Form eines Rechtecks von einem noch
wohlerhaltenen Graben umgeben; an der Südwestseite
ist auch noch ein Theil des Lagerwalles erhalten. An
der Südseite läuft die Höhe in eine Bergzunge aus, welche
einige Schritte tiefer durch einen Quergraben abgeschni-
ten ist; ein zweiter spitz auslaufender Berggrat zieht
sich von der Südwestseite in's Thal, aut welchem man
nur schwache Spuren eines Grabens bemerkt, und an
der Südostseite der Bergfläche, wo die Abhänge weniger
steil sind, trifft man unterhalb des Hauptgrabens noch
einen zu verstärktem Schutze angelegten doppelten Gra-
ben an. In dem östlichen Theile des Lagerraumes befand
sich früher eine weite Vertiefung, die wahrscheinlich als
Pferdetränke gedient, und nahe dabei liegt der schön
gemauerte, 25,6 m tiefe Brunnen, der noch jetzt im Ge-
brauche ist. Das Lager ist, ebenso wie das schon oben
genannte, als Marsch- oder Etappenlager aufzufassen, wie
sich deren in Westfalen noch mehrere erhalten haben.
Wir flnden auch hier die Eigenthümlichkeit, die der Ver-
fasser bei vielen andern Lagern und Kastellen sowohl
auf der linken wie rechten Rheinseite beobachtet hat, dass
sich die Römerstrasse, zu welcher das Lager gehört, be-
vor sie dasselbe erreicht, in zwei Arme theilt, von denen
der östliche Seitenarm beim Hause Schlickum abgeht,
dann nach der Dussel hinabzieht und die Berghöhe an
der Südseite ersteigt, hierauf das Lager an der Nordost-
seite verlässt und nach dem Blixberg (Blicksberg) geht;
hier lag wahrscheinlich eine Warie, um den Uebergang
über das enge Thälchen des Mettmanner Baches zu über-
wachen, worauf dann die Strasse, die Höhe hinansteigend,
sich beim Hermhofe wieder mit dem Hauptarme ver-
einigt. 2)
1) Die Oertlicbkeit liegt dicht an der Grenze im Kreise Mett-
mazm, und zwar bei der Eisenbahnstation Neanderthal, so dass sie
von Düsseldorf aus in kurzer Zeit leicht erreicht werden kann.
<) Die in dem Kreise Düsseldorf erforschten Strassen sind von
dem z. Vorsitzenden des Düsseldorfer Geschichtsvereins, Hm.
W. Herchenbach, und einigen Vorstandsmitgliedern theilweise
begangen, hierauf die Schanzen und Strassen von dem Z.Vorstands-
mit^iede Hrn. Falkenbach in ihrer Gesammtheit an Ort und
SteUe eingesehen worden, und hat Hr. F. in zwei Vereinssitzungen
über die Ergebnisse ausführlichen Bericht erstattet. S. Beiträge z.
Geschichte des Niederrheins 1. Bd. 1S86.
14 AMuU GtßehiehU DügaMotft.
Gleichwie am Oberrhein die vom Pfahlgraben begrenz-
ten Gebiete zu der Provinz Obergermanien gehörten, so
werden auch am Niederrhein die von den Landwehren
eingeschlossenen Gaue zu der Provinz Niedergermanien
zu rechnen sein. Sie waren^ wie unsere Urkunde besagt,
^in formulam Belgicae primae redactae*^, wozu vor Allem
die Verpflichtung zum Kriegsdienste gehörte. Ferner
wird ein Tribut an Vieh- und Qetreidelieferungen be-
standen und den Bewohnern obgelegen haben, die Warten,
Landwehren und Strassen in Stand zu halten, neue Erd-
werke dieser Art anzulegen, sowie auf den Warten der
Strassen und Wehren Wachtdienste zu verrichten. Und
hiermit stimmt der Befund der Denkmäler in diesen Ge-
bieten vollständig ttberein: während am Oberrhein in
dem Dekumatenlande zahlreiche römische Niederlassungen
gegründet wurden, finden wir am Niederrhein keine
Spur von römischen Gebäuden, und während dort der
Gränzwehr und den Strassen entlang römische Standlager
und Kastelle angelegt waren, kommen an den Land-
wehren solche militärische Anlagen nirgends vor; statt
wie am Oberrhein den römischen Kriegern, war am
Niederrhein der Schutz der Gränzen und Strassen den
eingesessenen Germanen anvertraut, und diesen lag
gleichzeitig die Anlegung der Strassen und Wehren mit
ihren Erdschanzen ob. Wenn man alle diese Verhält-
nisse in Betracht zieht, so dürften auch die Unklarheiten
und Zweifel verschwinden, die bei Manchen über die
grosse Zahl von Zweigstrassen entstanden, von denen
die Spezialforschung in dem rechtsrhreinischen Uferlande
Kunde gibt. Denn gleichwie in dem linksrheinischen
Römerlande in den langen Friedensjahren des 2. Jahr-
hunderts n. Chr. das vielverzweigte Strassennetz durch
die römischen Provinzialen allmälig vervollständigt wurde,
so wird in derselben Zeit auch in dem rechtsrheinischen
Uferlande sowohl das Landwehr- wie das Strassensystem
unter Anordnung und Leitung der Römer durch die an-
sässigen Germanen seine Vollendung erhalten haben.
Wir werden daher alle jene Erdanlagen der rechten
Rheinseite, deren Reste so offenbar den römischen Cha-
rakter tragen, und von denen namentlich die Strassen
fast sämmüich nichts anders, als die Fortsetzungen der
Römerstrassen der linken Rheinseite sind, als römisch-
germanische Anlagen zu bezeichnen haben.
Ueber den Zeitpimkt, von welchem aus die Besiede-
lung des rechtsreinlschen Uferlandes stattgefunden, be-
sitzen wir keine schriftlichen Nachrichten, nur so viel
ist gewiss, dass dieselbe zu der Zeit, als Tacitus seine
ÄüUaU GuchiehU Düs9Üdwf9, 15
Germania schrieb, noch nicht stattgefunden hatte, da hier
noch der Rhein die gallisch-germanische Grenze bildet, i)
Aber es ist sehr wahrscheinlich^ dass bald darnach, und
zwar durch den Kaiser Trajan (98 — 117 n. Chr.) bei
seiner Anwesenheit am Niederrhein die Kolonisation und
politische Organisation des früher leeren üferstriches
bewirkt worden ist. Dagegen besitzen wir sichere Nach-
richt über das Aufliören der römischen Oberhoheit in
unserem Landstrich, indem die angeführte Urkunde besagt,
dass unter dem Kaiser Gallienus (259 — 268 n. Chr.)
die Barbaren die römischen Gaue auf der rechten Rhein-
seite in Besitz genommen haben. Anderthalb Jahrhunderte
stand demnach das rechtsrheinische Uferland unter römi-
scher Oberhoheit, im Norden geschützt durch das Kastell
auf dem Eltenberge, im Süden durch das Kastell bei
Niederbiber, im Osten durch die Landwehren und im
Westen begränzt durch den Rhein mit seinen zahlreichen
Befestigungen, deren Besatzungen stets bereit waren, feind-
lichen Einfällen in kürzester Frist auf den zahlreichen
nach der rechten Rheinseite führenden Strassen zu bc:
gegnen. Als aber nach einer langen Friedenszeit der
römisch-germanische Uferstrich, der bis dahin zugleich
eine starke Schutzwehr für das linksrheinische Römerland
gebildet, von den Franken in Besitz genommen war, wurde
der Rhein wiederum die Grenze des unteren Germanien's,
in welches nunmehr immer häufigere EinfWe stattfanden,
wodurch die römischen Heere noch oftmals auf deutschen
Boden geführt wurden.^) Noch im J. 388 n. Chr. waren
die Franken plündernd und verwüstend in Gallien ein-
gedrungen, wurden aber bei ihrem Rückzuge nach dem
1) Nach der „Germania^ schrieb Tacitus die „Geschichtsbücher",
die von dem Regierangsantritt Galba*s bis zu Domitian*s Tode
reichen« und er sagt in der Einleitung: „Wofern ich das Leben
friste, habe ich die Herrschaft des göttlichen Nerva und die Re-
gierang Trojan*s, ids reichhaltigem und sichreren Stoff, für mein
reisenalter aufgespart**. Aber wir besitzen von den Geschichts-
büchern nur die vier ersten und einen TheU des fünften Buches;
die'Regierungszeiten des Domitian, Nerva und Trajan fehlen gänzlich.
*) Bemerkenswerth ist eine hierauf bezügUche Stelle in „In-
certi Paneffyr. Gonstantino dict." (Panegyrici latini rec. Baehrens,
Lipsiae 1874. p. 164), worin es heisst: »Quid loquar rursus in-
timas Franciae nationes jam non ab his locis quae olim
Romani invaserant, sedapropriis ex origine sui sedibus
atque ab ultimis barbariae litoribus avulsas, ut in desertis Galliae
regionibus coUocatae et pacem Romani imperii cultu juvarent et
arma dilectu?", worin wir einen neuen Beleg für das ehemalige
Vorhandensein des rechtsrheinischen Römerlandes amNiederrhem
finden, indem unter demjenigen Theile des ]?>ankenlandes (Franciae),
welchen ehedem die Römer in Besitz genommen hatten, nur unser
rechtsrheinisches Uferland am Niederrhein verstanden werden kann.
16 Adttsie Geaehiehte Düsseldorfs.
Rheine geschlagen, und der römische Feldherr Quintinus
setzte zu ihrer Verfolgung bei Neuss über den Strom.
Er durchzog auf einer der dortigen Strassen, vielleicht
auf derjenigen, die von Volmerswerth her durch das
bergische Land führt und an welcher das oben erwähnte
römische Waifenstück mit Inschrift gefunden wurde, M
unsere Gegend, liess sich aber von den Franken vom
Wege ab in Wälder und Sümpfe verlocken, wobei das
ganze römische Heer, mit Ausnahme Weniger, aufgerieben
wurde.*) Dies ist die letzte geschichtliche Nachricht,
welche wir aus dem Alterthum über unsere Landschaft
besitzen.
Nach dem Untergange der Römerherrschaft am unteren
Rheine, gegen die Mitte des 5. Jahrhunderts n. Chr., ge-
hörten die Bewohner unserer Gegend zu den ripuarischen
Franken, welche unter eigenen Königen auf beiden Ufern
des Rheines wohnten. Unter dem salfränkischen König
Chlodowech (481 — öll) wurde das Land mit dem neuen
Frankenreiche vereinigt. Von dem Christenthum finden
wir unter Chlodowech's Nachfolgern, den Merowingem,
nur wenig sichere Spuren in unserm Lande : erst als um
das Jahr 690 die christlichen Missionäre aus England
herüber kamen, unter ihnen der h. Suitbert, wurde von
diesem (i. J. 693) bei den benachbarten Boruktuariem
eine christliche Gemeinde gegründet, die aber in Folge
eines unglücklichen Krieges mit den Sachsen wieder zer-
streut wurde. Der h. Suitbert erhielt darauf von dem
Majordomus Pipin die damalige Rheininsel Kaiserswerth
zum Wohnsitz angewiesen; hier gründete derselbe ein
Kloster, von wo aus das Christenthum mit Erfolg weiter
verbreitet wurde, und man kann annehmen, dass unter
E^l d. Gr., zu Anfang des 9. Jahrhunderts, die Christi-
nisirung des Landes vollendet war.
Während der heidnischen Zeit, unter* der wirren
Herrschaft der Merowinger, waren die Kulturzustände
unseres Landes nicht viel weiter fortgeschritten, als in
der flränkischen Zeit vor der Völkerwanderung, zumal
bei den vom Ende des 6. bis zu Anfang des 8. Jahr-
hunderts sich stets wiederholenden Einfällen der Sachsen,
die jede ruhige Entwickelung unmöglich machten. Es
werden daher die bereits im Alterthum errichteten Wehr-
*) Diese Strasse ist in der Karte des 5. Heftes der alten Heer-
und HandeJswege etc. nur bis südlich von Unna gezeichnet ; dieselbe
ist nunmehr bis zu ihrem Ende verfolgt worden, und läuft von der
Fr.-Wilh.-H6he weiter über Fröhmem, südlich von Ostbüren durch
den Schelkwald, und mündet kurz vor Werl, bei Büderich, in den
grossen Hellweg.
<) Sulpitius Alexander ap. Qregor. Turon. bist Franc. II, 9.
A€lf$9te GeBchichte DSsseMorf«, 17
anlagen nicht bloss im Gebrauche geblieben, sondern noch
weitere Verschanzungen für die Bewohner nothwendig
geworden sein^ indem diese nicht, wie in der römisch-
germanischen Periode, bei plötzlichen Ueberfällen auf
sofortigen militärischen Beistand zu rechnen hatten. Wir
finden daher ausser den ältesten noch eine Anzahl kleinerer
Landwehren, die nur aus einem beiderseits von einem
Graben begleiteten Walle bestehn, und ebenfalls mit
Warten und Zufluchtsörtern zur Aufnahme der Bewohner
mit ihren Viehheerden besetzt waren. ^) Auch die Ge-
fässe zeigen noch meistens wie im Alterthum nur eine
sehr geringe Kunstfertigkeit; bei den Gräbern herrscht
ebenso noch der Leichenbrand vor.
Eine Erinnerung an das Heidenthum bewahrt noch
der jetzt unter dem Namen „Grafenberg^ bekannte Höhen-
zug unweit Düsseldorf, welcher in Urkunden des Mittel-
alters „Gudesberch**, sowie der dortige Wald „Gotzbusch*^
und „Gudisbusch^ genannt wird. Es kann kein Zweifel
sein, dass die Namen „Godesberg" und „Godesbusch" eine
altgermanische Kultusstätte des Gottes Wodan bezeichnen. 2)
Erst mit der Verbreitung des Christenthums wurden
die Bewohner von der früheren unsteten Lebensweise zu
einer grösseren Sesshafügkeit geführt^ fester an das übrige
schon christliche Reich angeschlossen und wandten sich^
statt den Erwerb wie früher in Raubkriegen zu suchen^
eifriger dem Ackerbau und der Viehzucht zu. Es bildeten
sich festere Niederlassungen, wodurch die Rodungen ver-
mehrt wurden, namentlich durch Klostergründungen, welche
der Bodenkultur immer mehr Raum verachafften. So finden
wir am Ende des 8. und zu Anfang des 9. Jahrhunderts
Dörfer und Höfe urkundlich aufgeführt; hervorzuheben
1) Hierher gehören grossentheils die in den neuen Beiträgen
etc. als Landwehren 8. n. 4. Ordnung bezeichneten WAUe; die in
unserem Kreise liegenden Schanzen aus dieser Zeit sind in den
neuen Beiträgen etc. 6. F. und in Pick*8 Monatsschrift I, IV, V u. VI
beschrieben und durch Pläne erläutert. Da auch die späteren Ein-
fälle der Normannen und Ungarn solche Wehranstaltien nothwendig
machten, so kann man annehmen, dass diese Landwehren mit ihren
Schanzen vom Anfang des 7. bis zum Ende des 10. Jahrhunderts
hinabreichen. Da einige derselben deutlich die sächsische Be-
festigungsmethode aufweisen, so ergibt sich, dass damals ein Streifen
sächsischer Bevölkerung durch unsere Geeend zog, oder hier eine
von Franken und Sachsen gemischte Bevölkerung sass.
<) S. Harless und Crecelius in d. Zeitschrift d. bergischen
Geschichtsvereins 7. Bd. S. 205 und 815. — Westlich nicht weit vom
Fusse des Berges lag, von Sumpfland umgeben, ein fränkischer
Zufluchtsort, der grösste in unserem Kreise, wovon wir einen Plan
in d. neuen Beiträgen etc. 6. F. gegeben haben. Jetzt sind fast alle
Spuren der Befestigung verschwunden, jedoch sind in der General-
stabskarte V. 1861, 3ect Düsseldorf, noch die Umrisse gezeichnet.
18 Aelteste Geschichte DüstteldorfM,
ist die um das Jahr 870 zu (lerresheim durch deu frän-
kischen Ritter Gerrich eifolgte Gründung eines Frauen-
klostei's, das aber bereits im J. 917 durch die Ungarn
zerstört wurde. V) In diese Zeit, wenn nicht schon früher
in die Zeit der Normannenzüge, fällt die Errichtung des
noch vor einigen Jahren bei Hilden vorhandenen grossen
Ringwalles, welcher zum Schutze der dortigen Bewohner
mit ihrer Habe gedient hatte. «) Im J. 970 waren Kloster
und Kirche zu Gerresheim wieder hergestellt. —
Wir schliessen hiermit diese kleinen Beiträge zur
ältesten Geschichte unseres Kreises^ die wir an der Hand
schriftlicher Quellen und der Denkmäler bis in*s 10. Jahr-
hundert tortzuführen versucht haben. Es geschieht in
diesem Zeiträume von Düsseldorf noch keiner urkund-
lichen Erwähnung: ei-st im Jahre 1159 wird der Ort als
ein Dorf genannt, das im Jahre 1288 Stadtrechte erhielt
und befestigt wurde. Die Stadt nahm, nachdem sie ein
KoUegiatstift und den Zoll erhalten, bald auch die zeit-
weilige, später die beständige Residenz der Landesherren
geworden, im Laufe der Jahrhunderte an Bedeutung
immer mehr zu; aber erst unter dem Scepter der
Hohenzollern ist Düsseldorf zu Dem geworden, was es
jetzt ist, — eine der blühendsten Städte des Deut-
schen Reiches. 3) Möge unsere gute Stadt dessen stets
eingedenk bleiben!
') S Kessel, der selige Gerrich, Stifter d. Abtei Gerresheim.
Düsseldorf 1877.
') Die Oertlichkeit führt seit alters den Naineu ,,da8 Kolter-
höfchen*' (der Name „Heidenburg** ist neueren Ursprungs). S. Pick*s
Monatsschrift I 378, wo auch ein von dem K. Resi^^i^ugs- und Bau-
rath Hm. Lieber aufgenommener Plan mitgetheiit ist. Die Vcr-
schanzun^ zeigt dieselbe Konstruction, wie die altsächsiche „Hünen-
burg** bei Emsbüren. Hr. C. Koenen, welcher die in dem Walle
aufgefundenen Gefttsse untersucht hat, setzt dieselben in das O.—IO.
Jahrhundert. Der an dem noch vorhandenen Wallstück befindliche
Baurest gehört dem späteren Mittelalter an. Die mnze Verschan-
zung, welche in der Rheinprovinz einzig in ihrer Art ist, und von
welcher kurz vor ihrer Zerstörung noch ein besonderer Plan auf-
genommen wurde, voll bei einer späteren Gelegenheit ausführlicher
erörtert werden.
^) Vor hundert Jahren hatte Düsssldorf 8764 Einwohner; im
Jahre 1816, nachdem es 1815 an die Krone Preussen g^ekomnien,
zählte es noch 14100, jetzt hat es ca. 130,000 Einwohner. Die jährliche
Bevölkerungszunahme betrug in den letzten Jahren durchschittlieh
über 4000 Personen.
Politische Geschichte des bergischen Landes,
insbesondere der Stadt Düsseldorf.
Dr. Hermann Forst.
j iie politische Gescliiclite Düsseldorfs ist iin-
I trennbar mit der Geschichte des bergischen
I I Landes verknüpft. Weder aus einer römischen
I Niederlassung, noch aus einer kaiserlichen
1,.,. I Pfalz oder einem Bischofssitze ist die Stadt
hervorgegangen; sie ist vielmehr die Schöpfung eines
Landesherrn, der »einem Gebiete die unmittelbare Be-
theiliguug an dem Rhcinhandel sichern wollte. Ihre
weitere Entwickelung aber bis zum Beginn unseres Jahr-
hunderts beruht darauf, dass Düsseldorf allmählich die
Hauptstadt des Landes, der Mittelpunkt der Verwaltung,
der Sitz der Forsten und der bestandige Gegenstand ihrer
Fürsorge geworden war. Wohl nur dadurch ist es im
Stande gewesen, gleichalterige und zeitweise bedeutendere
Orte, wie z. B, Wesel, zu überholen. Daraus aber erklart
es sich auch, dass Düsseldorf in politischer Hinsicht
niemals andere Bahnen eingeschlagen hat, als das Terri-
torium, dem es angehörte.
'Wenn nun in einer zur Feier des 600jahrigen Be-
stehens der Stadt herausgegebenen Festschrift der politi-
schen Geschichte Düsseldorfs ein besonderer Abschnitt
gewidmet wird, so kann der Bearbeiter desselben nicht
omhio, die Gesammtgeschlchte des bergischeii Landes
und seiner Fürsten dem Leser übersichtlich vorzuführen,
allerdings mit besonderer Hervorhebung der Düsseldorf
unmittelbar berührenden Begebenheiten. Er muss dabei
auch die Geschichte des Landes vor dem Jahre 1288 in
seine Darstellung aufhehmen. Der Schlusspunkt der Er-
zählung ergiebt sich von selbst mit dem Jahre 1814, der
f^verleibung in den preussisehen Staat. Denn der An-
20 Pölitisehe Geschieht« DüsBeldorfa.
theily welchen Düsseldorf seitdem an der politischen Eut-
Wickelung dieses Staates genommen hat, entzieht sich
für jetzt noch der objectiven historischen Betrachtung.
Um aber zu verstehen, wie sich das bergische Land
als ein besonderes Staatswesen innerhalb des deutschen
Reiches bilden konnte, müssen wir bis auf den Ursprung
dieses Reiches zurückgreifen. Bekanntlich ist dasselbe
im 9. Jahrhundert unserer Zeitrechnung aus dem fränki-
schen, von Karl dem Grossen geschaffenen Weltreiche
hervorgegangen. Von der damaligen Verfassung und
Verwaltung des Landes vermögen wir mit Hülfe der
erhaltenen Urkunden ein wenigstens im Grossen und
Ganzen richtiges Bild zu entwerfen.
Die Verwaltung des frankischen Reiches beruhte darauf,
dass das ganze Land in Gaue eingetheilt war. Der Gau
entsprach nach Umfang und Bedeutung ungefähr dem
heutigen Kreise. An seiner Spitze stand der Gaugraf,
ursprünglich ein blosser Beamter ; unter Karl dem Grossen
begann jedoch bereits dieses Amt und die damit ver-
bundene Ausstattung an Grundbesitz in bestimmten Fa-
milien erblich zu werden. Die Befugnisse des Grafen
bestanden wesentlich darin, dass er im Namen des Königs
Gericht hielt, für die Vollstreckung der Strafen sorgte,
überhaupt Frieden und Recht schirmte, in Kriegszeiten
aber die Wehrpflichtigen des Gaues zusammenberief und
dem Heere zuführte. Er vereinigte also in seiner Person
alle Civil- und Militärgewalt.
Das Grafenamt nun wurde, wie gesagt, im Laufe der
Zeit in bestimmten Familien erblich und ging beim Tode
des zeitigen Inhabers gleich dem Privateigenthum auf
den Sohn oder nächsten Verwandten über. Es gelang
femer einzelnen durch Besitz oder persönliche Eigen-
schaften hervorragenden Grafen, die Hoheit über mehrere
Gaue zu erwerben und in gleicher Weise auf ihre Nach-
kommen zu übertragen. So bildeten sich grössere unter
einem Herrn vereinigte Gebiete — der Ursprung der
späteren Fürstonthümer.
Der Bezirk, in welchem das heutige Düsseldorf liegt,
hiess der Keldagau. Ob derselbe bei der Reichstheilung
zu Verdun im Jahre 843 an Lothar oder an Ludwig den
Deutschen fiel, können wir nicht bestimmt feststellen.
Sicher gehörte er seit 870 zum ostfränkischen — deutschen ~>
Reiche. Urkundlich genannt wird er zum ersten Male
904; damals ist ein Mitglied der mäclitigen fränkischen
Familie der Konradiner (aus welcher König Konrad L
hervorging) Graf dieses Gaues.
FiDiitUehe Geaehiehte DOaseldorfa 21
Das deutsche Reich zerfiel damals in fünf grosse
HerzogthQmer. Der Keldagau müsste nun seiner Lage
nach entweder zu Franken oder zu Lothringen gehört
haben. Die Frage Iftsst sich jedoch nicht entscheiden,
da die Konradiner damals in beiden Ländern herzogliche
Gewalt besassen. Kaiser Otto der Grosse sah sich in
Folge der Aufstünde von 938 und 953 veranlasst; beide
HerzogthQmer in eine Anzahl kleinerer Gebiete aufzu-
lösen. Infolgedessen steht am Ende des 10. Jahrhunderts
der Keldagau ebenso wie der nördlich angrenzende Rulir-
gau (mit Duisburg) unter den zu Aachen residirenden
lothringischen Pfalzgrafen.
Der Gau umfasste hauptsächlich das zwischen Rhein,
Anger und Wupper gelegene Gebiet; doch gehörte auch
ein Stück des linken Rheinufers, das Kirchspiel Lank,
dazu. In östlicher Richtung erstreckte er sich wahr-
scheinlich bis nach Elberfeld und Solingen. So weit
nämlich reichte im Mittelalter der rechtsrheinische Sprengel
des Dekans von Neuss, und man nimmt an, dass die
kirchlichen Dekanate ihrem Umfange nach in der Regel
mit den Gauen zusammenfielen. Der bedeutendste Ort
des Keldagaues war Kaiserswerth mit dem um das Jahr
700 gegründeten Stifte; femer Gerresheim. Bilk wird
schon im Jahre 799 als Pfarrdorf genannt ; Himmelgeist
erscheint 904 unter dem Namen Humilgis. Einen be-
deutenden Theil des Gebietes nahmen königliche Domänen
ein, die sich an die beiden Höfe Rath und Mettmann an-
schlössen. Einen zwischen Rhein, Ruhr und Dussel ge-
legenen Wald schenkte Heinrich IV. im Jahre 1065 dem
Erzbischof Adalbert von Bremen ; doch hat dieser sich
nicht im Besitze zu behaupten vermocht. Seinen Namen
führte der Gau wohl von dem Ketel-, jetzt Kittelbache,
der bei Kaiserswerth in den Rhein mündet. Die Haupt-
gerichtsstätte war wohl schon in jener Zeit, wie später,
auf dem Kreuzberge bei Kaiserswerth.
Die lothringischen *— später rheinischen — Pfalzgrafen,
Unter deren Herrschaftder Keldagau nebst den benachbarten
Gebieten stand, waren ursprünglich die Verwalter der zu
der Kaiserpfalz Aachen gehörigen Domänen. Dadurch
nahmen sie im 10. Jabrhifndert unter der weltlichen Aristo-
kratie des Herzogthums Lothringen die erste Stelle ein. Die
lothringischen Herzöge waren damals sehr geneigt, dem
Kaiser Opposition zu machen, zumal da sie immer an Frank-
reich eine Stütze fanden; es lag daher im Interesse der
Krone, ihnen in ihrem eigenen Lande ein Gegengewicht zu
geben. Dazu eigneten sich die Pfalzgrafen besonders. Indem
die Krone ihnen nach und nach die Verwaltung ganzer
22 PbWiäehe Geschieht0 DüMMotfs.
Gaue übertrug und sie zugleich, wie es scheint, von den
Herzögen völlig unabhängig machte, hob sich die Stellung
der lothringischen Pfalzgrafen so, dass sie am Ende des
Jahrhunderts unter den ersten Grossen des Reiches er-
scheinen. Ffalzgraf Erenfrid oder Ezo heirathete 990 die
Schwester des Kaisers Otto III. Sein und seiner Nach-
folger Gebiet reichte auf der linken Rheinseite von
Aachen bis zur Nahe, allerdings vielfach durchbrochen
von den Besitzungen der kölnischen und trierischen
Kirche; auf dem rechten Ufer beherrschte er den Ruhr-
gau, Keldagau, Deutzer Gau und Auelgau (an der Sieg).
Die Mitte des 1 1 . Jahrhunderts bezeichnet einen Wende-
punkt in der Geschichte der Pfalzgrafen. Bis dahin waren
sie durch gemeinsame politische Interessen mit den Erz-
bischöfen von Köln im Kampfe gegen das übermächtige
lothringische Herzogthum verbunden gewesen. Jetzt war
dieses endgQltig vom Rhemufer abgedrängt und nicht mehr
zu fürchten. Anderseits kreuztea sich bei der grossen
Ausdehnung der kirchlichen Besitzungen die Ansprüche
und Interessen der Erzbischöfe so vielfach mit denen der
Pfalzgrafen, dass es nicht an Anlass zum Streit fehlte.
Im Jahre 1058 ergriff Pfalzgraf Heinrich die Waffen gegen
den Erzbischof Anno; er unterlag jedoch im Kampfe und
starb zwei Jahre später geisteskrank. Sein Sohn, gewöhn*
lieh Heinrich von Laach genannt, war damals noch un-
mündig; später wurde er Pfalzgraf und zeichnete sich in
den Bürgerkriegen der Folgezeit als treuer Anhänger
Kaiser Heinrichs IV. aus ; aber als er 1095 starb, erlosch
mit ihm der Mannesstamm seines Geschlechtes. In seine
reichen Besitzungen theilten sich die Erben; die schon
verkleinerte Pfalzgrafschaft erhielt sein Stiefsohn Siegfried.
Sie verblieb seitdem nicht mehr erblich in einer Familie,
sondern wurde von den Kaisern jeweils an besonders
getreue Männer verliehen. So erhielt sie 1142 Hermann
von Stahleck, der Schwager Konrads IH. Er ist der letzte
rheinische Pfalzgraf — diese Bezeichnung war jetzt ge-
bräuchlich — , der urkundlich als Herr des Keldagaues
genannt wird. Da er die Verwaltung hier nicht selber
führen konnte, so hatte er sie, wie aus einer Urkunde
vom Jahre 1148 hervorgeht, an Hermann von Hardenberg
übertragen.
Die drei anderen obengenannten Gaue waren damals
bereits, wahrscheinlich seit 1095, den Pfalzgi^afen entzogen
und standen unter besonderen Herren. Im Deutzer Gau
waltete schon die Familie, deren Nachkommen später
alle diese Gebiete beherrschen sollten : die Edlen von Berg,
so genannt nach ihrer Burg bei Odenthal. Ahnherr des
PoH fische Geschichte Düsseldorfs. 23
Geschlechtes ist wohl Hermann, der seit dem Jahre 1003
Schirmvogt der Abtei Deutz war und, wie es scheint,
dasselbe Amt bei der Abtei Werden bekleidete. Einer
seiner Nachkommen, Adolf, führt als Vogt von Werden
1068 zum ersten Male den Familiennamen „vom Berge".
Im Jahre 1101 erscheint ein Adolf von Berg, wohl der
Sohn des vorigen, zum ersten Male als Graf. In jener
Epoche wurden vielfach die alten Gauverbände aufgelöst
und die Verwaltung der einzelnen Theile verschiedenen
Familien übertragen, welche nun alle den Grafentitel
führten. Die so entstandenen neuen Grafschaften erhielten
ihren Namen von dem Stammsitze des regierenden Ge-
schlechts. So erscheinen im Deutzer Gau neben den Grafen
von Berg damals auch Grafen von Hückes wagen, deren
Gebiet später mit Berg wieder vereinigt worden ist.
Graf Adolf und sein Bruder Eberhard gründeten im
Jahre 1139 aut ihrem Stammsitze ein Cistercienserkloster,
die spätere Abtei Altenberg; sie selbst erbauten sich ein
neues Schloss, Burg an der Wupper. Adolfs Sohn Adolf II.
sah sich um das Jahr 1160 veranlasst, die bedeutenden
Besitzungen seiner Familie unter seine zwei Söhne zu
theilen. Der ältere, Eberhard, bekam die um Altena ge-
legenen Güter, aus denen später die Grafschaft Mark
hervorging; der jüngere, Engelbert, behielt die rheinischen
Gebiete.
Engelbert ist als der eigentliche Begründer der Graf-
schaft Berg zu betrachten, da es ihm gelang, den Kelda-
gau an sein Haus zu bringen. Pfalzgraf Hermann von
Stahleck hatte, einem strengen Verbot Kaiser Friedrichs I.
zum Trotze, die Waffen gegen Erzbischof Arnold von
Mainz ergriffen; er wurde dafür 1155 so hart bestraft,
dass er seine Würden niederlegte und in ein IQoster trat,
auch bald darauf starb. Da er keine Kinder hatte, erhielt
Konrad, der Stiefbruder des Kaisers, die erledigte Pfalz-
grafschaft. Ob nun gleich bei dieser Gelegenheit der
ehemalige Keldagau davon abgetrennt und dem Grafen
Engelbert unterstellt wurde, oder ob Konrad, der meist
auf seinen Stammgütern am Neckar weilte, sich erst
später der entlegenen und schwer zu verwaltenden nieder-
rheinischen Gebiete entäusserte, können wir nicht fest-
stellen; jedenfalls erscheinen die Grafen von Berg um
das Jahr 1180 als Herren des ganzen Gebietes südlich
von der Ruhr.
Düsseldoif, ein kleiner Ort, dessen Name zum ersten
Male in einer Urkunde vom .Jahre 1159 genannt wird,
gehörte in jener Zeit dem Edelherrn Arnold von Teveren.
Dieser scheint keine Kinder gehabt zu haben; denn um
24 Politische Geßchiehte Düsseldotfs,
daH Jahr 1189 kaufte Graf Engelbert ihm seine sämmt-
liehen rechtsrheinischen Besitzungen, darunter Düsseldorf,
ab. Gleichfalls durch Kauf erwarb Engelbert die von
dem Erzstift Köln lehnsabhängigen Ortschaften Hilden
und Elberfeld.
Als treuer Kampfgenosse des Kaisers Friedrich I.
starb Engelbert 1189 auf dem Kreuzzuge. Sein ältester
Sohn und Nachfolger, Adolf III., fiel 1218, ebenfalls auf
einem Kreuzzuge, vor Damiette in Aegypten. Er hinter-
liess nur eine Tochter Irmgard, welche mit Heinrich,
einem jQngeren Sohne des Herzogs von Limburg, vermählt
war. Zunächst übernahm Adolfs jüngerer Bruder Engel-
bert, Erzbischof von Köln, die Verwaltung der Grafschaft
Berg und vereinigte letztere dadurch für einige Zeit mit
dem Erzstifte. Engelbert war ein energischer, hoch-
strebender Kirchenfürst, engverbunden mit dem jungen
Könige Friedrich U. Als dieser 1220 zur Kaiserkrönung
nach Italien zog, ernannte er Engelbert zum Reichsver-
weser. Aber die Strenge, mit welcher Engelbert die
Interessen seiner Kirche vertrat, machte ihm viele Feinde,
und im Jahre 1225 fiel er durch Mörderhand. Es war
einer seiner Neffen aus der altenaischen Lmie, Friedrich
Graf von Isenburg, der das Attentat leitete; er musste
dafür auf dem Rade sterben; doch auch die beiden Bischöfe
von Osnabrück und Münster, Friedrichs Brüder, erschienen
der Theilnahme verdächtig und verloren ihr Amt.
Mit Engelbert erlosch die rheinische Linie des Hauses
Berg und ihre Besitzungen gingen auf die Tochter Adolfs III.
und deren Gemahl Heinrich von Limburg über. Erst
unter diesem neuen Geschlechte wurde der rothe Löwe
im silbernen Felde das Wappenschild der Grafschaft; die
alten Grafen hatten zwei gezahnte Querbalken im Schilde
geführt. Heinrich von Limburg und seine männlichen
Nachkommen haben etwas über ein Jahrhundert lang
das bergische Land beherrscht. Heinrichs Sohn Adolf IV.
schloss sich der Fürstenempörung gegen die Hohenstaufen
an und erhielt dafür von dem Gegenkönige Wilhelm von
Holland die Reichshöfe Rath und Mettmann zum Geschenk.
Sein Nachfolger Adolf V. ist für uns dadurch besonders
interessant, dass unter ihm Düsseldorf zur Stadt erhoben
wurde. Dieses Ereigniss stand im engsten Zusammenhange
mit den politischen Kämpfen, die sich damals am Nieder-
rhein abspielten; wir müssen deswegen etwas näher auf
dieselben eingehen.
Seit dem Ende des 12. Jahrhunderts waren die Erz-
bischöfe von Köln die mächtigsten Fürsten am Nieder-
rhein und im südlichen Westfalen. Da jedoch weder ihre
FblHigdit OiBchiehie Ditsseldorfs. 25
Besitzungen noch ihre Hoheitsrechtc genau bestimmte
Grenzen hatten, so sahen die ErzbischOfe sich in zahl-
reiche Streitigkeiten mit den benachbarten Grafen und
Herren verwickelt Sie mussten infolgedessen darnach
streben, jene Nachbarn allmählich in völlige Abhängigkeit
von dem Erzstifte zu bringen, sie womöglich zu unter-
werfen. Mit einigen ist ihnen das auch geglQckt, nament-
lich seit dem Untergange der Hohenstaufen, als keine
Reichsgewalt mehr die Schwachen schützte. Kräftigen
Widerstand dagegen fanden sie an den Grafen von Jülich.
Diese hatten die ehemals pfalzgraflichen Gebiete zwischen
Rhein und Maas mit ihrem Stammlande vereinigt. Der
einst zwischen Pfalzgraf Heinrich und Erzbischof Anno
geführte Kampf wiederholte sich jetzt; aber der Ausgang
war anders. Als Erzbischof Engelbert ü. im Jahre 1266
persönlich an der Spitze seines Heeres in das JQlicher
Land einfiel, wurde er von dem Grafen Walram im Ge-
fecht überwunden und als Kriegsgefangener auf das Schloss
Nideggeu gebracht ; erst nach vier Jahren erhielt er seine
Freiheit zurück.
Gleichzeitig war den Erzbischöfen im Mittelpunkte
ihrer Macht ein anderer gefährlicher Feind erwachsen.
Zur Durchführung ihrer politischen Pläne bedurften sie
bedeutender Geldmittel und suchten dieselben theils durch
Anlage von Zollstätten an den Handelsstrassen, theils
durch indirecte Steuern zu beschaffen. Dies traf den
Handel und die Industrie der mächtigen Stadt Köln be-
sonders empfindlich; die Stadt widersetzte sich daher.
Um ihren Widerstand zu brechen, erlaubten die Erzbischöfe
sich Eingriffe in die Stadtverfassung, setzten städtische
Beamte willkürlich ab und suchten die Verwaltung ganz
in ihre eigenen Hände zu bringen. Da brach in Köln
der Aufstand aus; 1261 wurde die erzbischöfliche Be-
satzung vertrieben, und die Stadt schloss Bündnisse mit
den benachbarten Grafen von Jülich und Berg, sowie
mit anderen Dynasten.
Auch die Grafen von Berg fühlten sich durch die
Bestrebungen der Erzbischöfe vielfach bedroht und in
ihren Rechten verletzt. Graf Adolf V. erhob namentlich
Erbansprüche auf die Schirmvogtei über das Stift Essen,
welche dem Erzbischof Engelbert U. auf Lebenszeit über-
tragen war. Engelbert starb 1274; sein Nachfolger Sieg-
fried erwarb nach langen Bemühungen jene Schirmvogtei
zwar nicht für sich selbst, aber für einen seiner Anver-
wandten, und stand seitdem auf feindlichem Fusse mit
Graf Adolf.
2(3 llotttisehf Geschichte Düsseldorfs,
So gespannt und unsicher waren die Verhältnisse,
als im Jahre 1280 der Herzog von Liraburg, Adolfs Oheim,
starb. Er hinterliess nur eine Tochter, Irmgard, welche
mit dem Grafen Reinald von Geldern vermählt war.
Reinald folgte zunächst dem Schwiegervater in der Re-
gierung. Aber Irmgard starb kinderlos 1282, und nun
beanspruchte Adolf als nächster Agnat die Erbfolge fdr
sich. Reinald wollte nicht weichen, und Adolf, der sich
zum Kampfe zu schwach fühlte, trat seine Ansprüche
gegen eine Entschädigung an den Herzog Johann von
Brabant ab. Reinald fand Hülfe bei Erzbischof Siegfried
und dem Grafen von Luxemburg ; dafür verbündeten sich
die Grafen von Jülich und Mark, sowie die Stadt Köln
mit Brabant und Berg. Der Krieg zog sich von der Maas
an den Rhein. Am 5. Juni 1288 trafen die beiden Heere,
in denen sich fast der gesammte niederrheinische Adel
befand, bei Worringen auf einander, das eine von Herzog
Johann, das andere von Erzbischof Siegfried und dem
Grafen von Geldern persönlich geführt. Bei dem Herzoge
stand Graf Adolf mit dem bergischen Aufgebot und den
Kölner Bürgern in Reserve; sein rechtzeitiges Eingreifen,
als der Sieg sich schon auf die Seite des Erzbischofs zu
neigen drohte, entschied den Kampf. Am Abend war das
feindliche Heer vernichtet, der Erzbischof selbst Adolfs
Gefangener ; er wurde auf das Schloss Burg geführt und
musste nach langem Sträuben auf die von dem Grafen
gestellten Bedingungen hin Frieden schliessen, um seine
Freiheit wiederzuerlangen.
Schon längst hatte Graf Adolf gewünscht, auf seinem
Gebiete eine Stadt unmittelbar am Rheinufer zu gründen
und so das bergische Land direct am Rheinhandel zu
betheiligen. Bisher war dies an dem Widerstände der
t^rzbischöfe wie auch der einflussreichen Kaufleute von
Köln gescheitert. Jetzt benutzte Adolf die Gunst der
Umstände. Zur Ausführung seines Planes wählte er den
Ort Düsseldorf. Unter dem 14. August des Jahres ver-
lieh er, in Gemeinschaft mit seiner Gemahlin Elisabeth,
dem Orte Stadtrecht. Zugleich wurde bei der Kirche
ein Collegium von Canonichen gegründet. Es wäre zum
Aufblühen der Stadt sehr förderlich gewesen, hier eine
Zollstätte, an welcher alle vorbeifahrenden Schiffe anlegen
mussten, zu errichten. Dies konnte Adolf jedoch mit Rück-
sicht auf die verbündete Stadt Köln nicht wagen, sondern
musste es seinen Nachkommen überlassen.
Acht Jahre später, am 28. September 1296, starb
Adolf. Die in Chroniken des 15. Jahrhunderts sich findende
Erzählung, er sei von Erzbischof Siegfried hinterlistiger
Polüigehe Ge^ekkkte DOsseidorfs. 27
Weise gefangen und in rafTinirter Art zu Tode gemartert
worden, ist mit den urkundlichen Zeugnissen über seine
Regententhätigkeit nicht in Einklang zu bringen und muss
als Sage betrachtet werden. Adolfe Bruder und Nach-
folger Wilhelm setzte es 1306 durch , dass die Stiftung
des Canonichen-Collegiums an der Düsseldorfer Kirche von
dem Erzbischof Heinrich von Köln bestätigt wurde, was
bis dahin nicht geschehen war. Wilhelms Nachfolger,
Adolf VI., erhielt zwar 1324 von König Ludwig dem
Baiem die Erlaubniss, den bisher bei Duisburg erhobenen
Rheinzoll nach Düsseldorf verlegen zu dürfen; doch wurde
dies später wieder rückgängig gemacht
Mit dem Tode des kinderlosen Adolf VI. erlosch 1348
das limburgische Haus. Adolfs Schwester Margarethe,
Gräfin von Ravensberg, hatte eine gleichnamige Tochter,
die mit Gerhard, dem älteren Sohne des Markgrafen
(späteren Herzogs) Wilhelm I. von Jülich vermählt war.
Gerhard erbte dadurch zuerst die Grafschaft Ravensberg,
dann nach Adolfs Tode auch Berg. Es schien, als solle
Berg schon jetzt mit Jülich vereinigt werden. Allein
Gerhard, der auch die Herrschaft Hardenberg erworben
hatte, fiel noch bei Lebzeiten seines Vaters 1360 in einer
Fehde. Das Herzogthum Jülich kam daher an seinen
jüngeren Bruder Wilhelm, während Gerhards Sohn, gleich-
falls Wilhelm genannt, Berg und Ravensberg erbte.
Dem jungen Wilhelm gelang es 1362, sein Land durch
die Erwerbung der Herrschaften Blankenberg und Löwen-
berg (am Fusse des Siebengebirges) zu vergrössern. Im
Jahre 1371 unterstützte er seinen Oheim Wilhelm von
Jülich und den Grafen Reinald von Geldern in einer
Fehde gegen den Herzog von Brabant; die Brabanter
wurden bei Baesweiler am 22. August entscheidend ge-
schlagen. Kaiser Karl IV. vermittelte einen für Jülich
günstigen Frieden. Das Haus Jülich schloss sich nun
eng an den Kaiser an. Als 1378 das bekannte kirchliche
Schisma ausbrach und Karls Nachfolger, König Wenzel,
sich für den in Rom residirenden Papst entschied, trat
der Herzog von Jülich dem zum Schutze dieses Papstes
geschlossenen Bunde bei. Wahrscheinlich hat Wilhelm
von Berg dasselbe gethan ; denn bald darauf, am 24. Mai
1380, erhob König Wenzel ihn zum Herzoge und die
Grafschaft Berg zum Herzogthum.
Wilhelm scheint eine besondere Vorliebe für Düssel-
dorf gehegt zu haben, denn er war eifrig bemüht, das
Aufblühen der Stadt zu befördern. Er baute das Schloss
am Rhein, vergrösserte die alte Kirche durch Gründung
neuer Canonicate, zog die Ortschaften Golzheim, Deren-
28 MUisehs QeM^kkU DÜMeldorft.
doif; Bilk und Hamm in den Stadtverband und erweiterte
die Stadtmauer bis zum südlichen Düsselarme. Ausserdem
errichtete er in Düsseldorf eine Münzstatte und erwarb
endlich auf die Dauer das Recht, hier von allen vorbei-
fahrenden Schiffen einen Zoll erheben zu dürfen.
Des Herzogs Lebensende war wenig glücklich. In
einer Fehde gegen den Grafen von Cleve wurde er am
7. Juni 1397 bei Cleverhamm geschlagen und mit dem
grössten Theile seines Heeres gefangen. Auf die Nach-
richt davon bemächtigten sich seine Söhne des Schlosses
zu Düsseldorf und Hessen sich als liandesherren huldigen.
Als Wilhelm, gegen schweres Lösegeld aus der Gefangen-
schaft entlassen zurückkehrte, musste er ihnen einige
Gebiete zu selbständiger Verwaltung überlassen. Ander-
seits war er genöthigt, zur Zahlung seines Lösegeldes
grosse Anleihen aufzunehmen; dies erbitterte die Söhne von
neuem, und der älteste von ihnen, Adolf, liess 1403 den
alten Vater zu Monheim gefangen nehmen. Zwar erlangte
der Herzog durch die Hülfe eines Dieners seine Freiheit
wieder und fand bei seinen Verwandten Unterstützung;
aber vor offenem Kampfe scheute er zurück, schloss viel-
mehr 1405 einen Vertrag mit Adolf, worin er letzterem
den grössten Theil des Landes überliess, für sich nur
Düsseldorf und einige Aemter behaltend. Als ein ge-
brochener Mann starb er hier am 25. Juni 1408.
Die Regierung seines Nachfolgers Adolf ist haupt-
sächlich durch zweierlei bemerkenswerth. Um sich seinem
Vater gegenüber auf das Land stützen zu können, ertheilte
Adolf sowohl der Ritterschaft wie den Städten ausgedehnte
Vorrechte: so bewilligte er der Stadt Düsseldorf die
Accise, das Braugerechtsam und die Fischerei in den
Stadtgräben. Femer aber erfolgte unter ihm die politiscbe
Vereinigung des Herzogthums Jülich mit Berg, die von
da an bis 1801 bestanden hat. Herzog Reinald von Jülich
starb 1423, und Adolf erbte sein Land, nachdem er sich
mit einem anderen Verwandten, Johann von Heinsberg,
gütlich auseinandergesetzt hatte. Dagegen gelang es
Adolf nicht, auch das Herzogthum Geldern zu gewinnen.
Dieses war seit 1373 mit Jülich voreinigt; jetzt aber, nach
dem Aussterben des Jülicher Mannsstammes, erkannten
die Stände von Geldern einen anderen Prätendenten,
Arnold von Egmont, als Herzog an. Dieser behauptete
sich im Besitze, obwohl Kaiser Sigismund die Ansprüche
Adolfs unterstützte. Der Streit war noch nicht entschieden,
als Adolf am 14. Juli 1437 starb.
Sein Neffe Gerhard, der ihm in der Regienmg folgte,
hatte zunächst vollauf damit zu thun, die von Adolf
PotUUOte Geaehiehte DüsaMotfs. 29
gemachten Schulden abzutragen; er musste sich daher
anfangs jeder Unternehmung auf Geldern enthalten. Da-
bei fand er jedoch Mittel, im Jahre 1443 in Düsseldorf
ein Kreuzbrüder -Kloster zu stiften. Trotz seiner Fried-
fertigkeit wurde er 1444 von Herzog Arnold von Qeldem
imvermuthet angegriffen, schlug den Feind aber ent-
scheidend am Hubertustage (3. November) bei Linnich;
zum Andenken dieses Sieges stiftete er den noch heute
in Bayern bestehenden Hubertusorden. Die Thatkraft, die
Gerhard hier bewiesen hatte, zeigte er später nicht mehr ;
wenigstens liess er sich, da seine Ehe mit Sophie von
Sachsen anfangs kinderlos zu bleiben schien, im Jahre
14Stl bewegen, das Herzogthum Berg testamentarisch dem
Erzstift Köln zu schenken. Der energische Erzbischof
Dietrich von Köln hoffte dadurch den Schaden, den er
in seinem unglücklichen Kriege gegen die Stadt Soest
erlitten hatte, wieder zu ersetzen. Die Verschreibung
wurde jedoch hinfällig, als Sophie einige Jahre später
einen Sohn und dann noch mehrere Kinder gebar.
Dietrichs Nachfolger Ruprecht verzichtete 1469 endgültig
auf die Ansprüche an Berg. Damals führte bereits Sophie
allein die Regierung des Landes, da Gerhard seit 1460
geisteskrank war. Als Sophie 1473 starb, übernahm der
älteste Sohn Wilhelm die Regentschaft; durch den Tod
des Vaters wurde er 1475 wirklicher Herzog. Wilhelm
hatte bereits 1474 seine Ansprüche auf Geldern dem
mächtigen Herzog von Burgund, Karl dem Kühnen, ab-
treten müssen. Um diese Zeit war Erzbischof Ruprecht
von seinem Domcapitel abgesetzt und an seiner Stelle
Hermann von Hessen erwählt worden; als nun Karl der
Kühne für Ruprecht Partei ergriff, 1475 in das Erzstift
eindrang und Neuss belagerte, zog der Kaiser Friedrich IH.
mit einem Reichsheere der Stadt zu Hülfe und bewog
Karl zum Abmarsch. Herzog Wilhelm konnte sich an
dem Kriege nicht activ betheiligen, da Jülich von den
Burgundern, Berg aber von den Truppen des Kaisers
besetzt war. Karl der Kühne fiel zwei Jahre später bei
Nancy; seine einzige Tochter Mana heirathete des Kaisers
Sohn Maximilian und brachte diesem die Niederlande,
darunter auch Geldern, als Mitgift zu. Die Stände von
Geldern empörten sich jedoch gegen Max und wählten
Karl von Egmond, einen Nachkommen Arnolds, zum
Herzoge. Gegen diesen verbündeten sich die Herzöge
von Jülich-Berg und von Cleve mit Max, der unterdessen
den Kaiserthron bestiegen hatte; es gelang zwar nicht,
Karl zu vertreiben, wohl aber seine Angriffe zurück-
zuweisen.
30 Politiselu Oe8ehieht0 DOssMorfs.
Iii Cleve regierten damals die Nachkommen jenes
Eberhard von Berg, der bei der Brudertheilung 1160 die
um Altena gelegenen Besitzungen der Familie erhalten
hatte. Es war Eberhard und seinen Nachfolgern gelungen,
ihr Erbe im Laufe des lä. Jahrhunderts ansehnlich zu
vergrössern und daraus die Grafschaft Mark zu bilden.
Ausserdem traten sie in verwandtschaftliche Verbindungen
mit den benachbarten Grafen von Cleve, die ihren Stamm-
baum bekanntlich auf den Schwanenrittcr Elias Grail
zurückführten. Als nun 1368 der letzte männliche Sprosse
dieses Geschlechtes, Graf Johann, kinderlos starb, folgte
ihm in Cleve sein Neffe Adolf von der Mark. Dessen
gleichnamiger Sohn vereinigte im Jahre 1398 beide Ge-
biete und setzte es 1417 durch, dass Kaiser Sigismund
Cleve zum Herzogthum erhob. Herzog Adolfs Enkel,
Johann IL, der seit 1481 regierte, hatte mit Wilhelm von
Jülich -Berg das obenerwähnte Bündniss gegen Geldern
geschlossen. Das gemeinsame politische Interesse rief
den Gedanken an eine Familienverbindung wach. Wilhelm
hatte ausser einer Tochter Maria keine Rinder; diese
Tochter musste also Jülich und Berg erben und ihrem
Gemahl zubringen. Sie wurde daher, obwohl erst fünf
Jahre alt, am 25. November 1496 mit Johanns ältestem —
auch erst sechsjährigen — Sohne Johann verlobt und
zugleich bestimmt, dass Jülich, Berg und Ravensberg
nach dem Tode der beiden regierenden Herzöge mit Cleve
und Mark unter einem Fürsten vereinigt werden sollten.
Diese Uebereinkunft widersprach allerdings den An-
sprüchen des Herzogs Albrecht von Sachsen, der im Jahre
1483 von Kaiser Friedrich III. die Anwartschaft auf Jülich
und Berg erhalten hatte; Wilhelm und Johann setzten
es jedoch durch, dass Kaiser Maximilian 1509 diese Ver-
fügung seines Vaters zurücknahm und jene Eheberedung
bestätigte. Im folgenden Jahre wurde die Hochzeit ge-
feiert, und als Wilhelm im September 1511 starb, folgten
Johann und Maria ihm zunächst in Jülich -Berg. Zehn
Jahre später, am 15. Mai 1521, starb auch der alte Herzog
von Cleve, und als darauf Maximilians Nachfolger, Kaiser
Karl V., am 22. Juni desselben Jahres den jungen Johann
als Herzog zu Jülich, Cleve und Berg, Grafen zu der
Mark und zU Ravensberg anerkannt hatte, waren die
niederrheinischen Territorien unter dem Scepter des alten,
dem Deutzer Gau entsprossenen Geschlechtes vereinigt.
Johanns Regententhätigkeit wiu*de hauptsächlich durch
die kirchliche Frage in Anspruch genommen. Es ist be-
kannt, wie Luthers Auftreten damals ganz Deutschland
erregt hatte; der grössere Theil der Nation stand auf
Politische Gesehichtt Düaseldorfe, 31
seiner Seite, während der Kaiser und die Mehrzahl der
Fürsten sich der Bewegung abgeneigt zeigten. Herzog
Johann war durch seine Stellung zu den Niederlanden
auf ein freundschaftliches Verhältniss zu dem Hause
Oesterreich hingewiesen : anderseits erkannte er die Noth-
wendigkeit kirchlicher Reformen an. Er und seine Räthe:
der Kanzler Gogreve, der Propst Vlatten und der als
Erzieher des Thronfolgen angestellte junge Gelehrte
Konrad von Heresbach waren der Ansicht, dass man
durch Abstellung der schreiendsten Missbrauche, sowie
durch wissenschaftliche und sittliche Hebung des geist
liehen Standes das Volk befriedigen, im Uebrigen aber
die alten ELirchenformen beibehalten könne. Man wollte
also aber den Parteien stehen. Von dieser Ansicht ging
der Herzog auch nicht ab, als seine Tochter Sibylla 1527
den protestantischen Kurprinzen Johann Friedrich von
Sachsen heirathete. Da aber die sehnlichst gewünschten
Reformen weder vom Kaiser noch vom Papste zu erlangen
waren, so beschloss der Herzog, selbständig vorzugehen.
Nach mehreren vorbereitenden Edicten erliess er 1533
für sein Land eine Kirchenordnung, welche die dogma-
tischen Streitigkeiten umging. Bald aber musste auch
diese vermittelnde Richtung gegen Umsturzversuche ver-
theidigt werden, als sich von den Niederlanden her die
Sekte der Wiedertäufer über Westdeutschland verbreitete,
mit ihren religiösen Lehren zugleich communistische ver-
breitete und endlich in Münster durch eine politische und
sociale Revolution ihre Zukunftsträume zu verwirklichen
suchte. Unter den ersten Fürsten, welche dem Bischof
von Münster Hülfe leisteten, war Herzog Johann; auch
in seinen eigenen Landen ging er streng gegen die
wiedertäuferischen Agitatoren vor.
Die enge Verbindung, in welcher Johann mit dem
Kaiserhause stand, löste sich gegen Ende seiner Regierung,
um unter seinem Nachfolger in offene Feindschaft um-
zuschlagen. Den Anlass dazu gab das Herzogthum
Geldern. Dort regierte noch immer Herzog Karl, der
Feind Oesterreicbs ; aber er war alt und kinderlos. Er
hatte 1528 in einem Vertrage versprechen müssen, dass
nach seinem Tode Geldern an den Kaiser fallen solle.
Trotzdem versuchte er, das Herzogthum dem Könige
von Frankreich zu übertragen. Aber die Stände von
Geldern verweigerten ihre Zustimmung und wählten, da
sie weder österreichisch noch französisch werden wollten,
den Jungherzog Wilhelm von Jülich-Cleve-Berg, Johanns
Sohn , zum Nachfolger Karls. Johann und Wilhelm
nahmen die Wahl an und ergriffnen nach Karls Tode 1538
32 MUi§eh$ OeaeMekU DüsBetdarfM.
Besitz von Geldern ; doch gelang es ihnen nicht, die Zu
Stimmung des Kaisers zu gewinnen; dieser hielt vielmehr
seine Ansprüche aufrecht. Noch während der Unter-
handlungen starb Johann am 6. Februar 1539. Wilhelm,
der, kaum 22 Jahre alt, die Regierung übernahm, sali
sich vor die Frage gestellt, ob er Geldern dem Kaiser
gutwillig abtreten, oder mit Waffengewalt behaupten
wollte. Er wAhlto das letztere, in der Hofftaung, dabei
von den deutschen Protestanten, sowie von England und
Frankreich unterstützt zu werden. Denn der Kurfürst
von Sachsen, Johann Friedrich, war sein Schwager,
ebenso König Heinrich der VIU. von England; dieser
hatte noch 1539 Wilhelms zweite Schwester Anna ge-
heirathet. Mit Frankreich endlich wurde im Juli 1540
ein Schutzbündniss abgeschlossen ; Wilhelm verlobte sich
mit der Nichte des Königs, der Prinzessin Johanna von
Navarra. Der Krieg brach im Jahre 1542 offen aus.
In Cleve sammelte der Marschall Rossem mit französi-
schem Gelde ein Heer und fiel in die Niederlande ein:
dagegen streiften kaiserliche Truppen .verheerend im
Herzogthum Jülich. Es half nichts, dass sie im März 1543
bei Sittard geschlagen wurden; denn nun rückte der
Kaiser mit einem italienisch - spanischen Heere durch
Süddeutschland den Rhein hinunter, alle Vermittlungs-
vorschläge der deutschen Fürsten zurückweisend. Am
24. August erstürmte er die tapfer vertheidigte Stadt
Düren ; dieselbe wurde von den Spaniern geplündert und
völlig niedergebrannt. Es zeigte sich, dass die Verbin-
dung mit Frankreich unserm Herzog mehr Schaden ala
Nutzen brachte; denn der Kurfürst von Sachsen wollte
nicht an der Seite des Reichsfeindes gegen den Kaiser
kämpfen; der König von England aber hatte bereits mit
Karl V. ein Bündniss gegen Frankreich geschlossen. Von
seinen Freunden verlassen, musste Wilhelm sich dem
Kaiser unterwerfen und auf Geldern verzichten. Seine
Verlobung wurde aufgelöst und im Jahre 154ti heirathete
er eine Nichte Karls, Maria, die Tochter des Königs von
Böhmen und nachmaligen Kaisers Ferdinand I. Diese
Ehe kettete ihn wieder enge an das Haus Oestereich.
Trotzdem gab er den Gedanken, zwischen den beiden
grossen Religionsparteien eine vermittelnde Stellung zu
behaupten, nicht auf. Während des schmalkaldischen
Krieges blieb er neutral; als der Kaiser dann einer
neuen Erhebung der Protestanten unterlag, die Krone zu
Gunsten Ferdinands niederlegte und dieser im Augsburger
Religionsfrieden 1555 den lutherischen Reichstäuden Gleich-
berechtigung mit den Altgläubigen zugestand, hatte Herzog
FriUhehe 0$9ekielU9 Dü$$Morf8. 33
Wilhelm wieder freiere Hand. Er duldete in seinen Gebieten
die Priesterehe und die Austheilung des Abendmahls unter
beiderlei Gtestalt an die Laien; seine älteren Töchter
wurden von evangelisch gesinnten Lehrern erzogen. In
Düsseldorf konnte Johann Monheim, der bei den Alt-
glaubigen als Ketzer galt, das 1545 von Wilhelm ge-
gründete Gymnasium leiten. Erst um das Jahr 1570
begann eine Aenderung einzutreten. Viele protestantische
Niederländer waren damfüs, um dem Schreckensregiment
des Herzogs Alba zu entgehen, in die jüUch-clevischen
Gebiete geflüchtet; Alba fürchtete sie und begünstigte,
um nach dieser Seite gesichert zu sein, die Bildung einer
spanisch - katholischen Partei unter den Rftthen*} am
Düsseldorfer Hofe. Diese Partei gewann allmAhlich bei
dem seit 1566 an den Folgen eines Schlaganfalls leiden-
den Herzog überwiegenden Einfluss, zumal da Wilhelm
wünschte, seinen zweiten Sohn Johann Wilhelm durch
den Papst zum Bischof von Münster erheben zu lassen.
Daher erhielten sowohl Johann Wilhelm wie sein älterer
Bruder Karl Friedrich streng katholische Lehrer. E^l
Friedrich, der begabtere von beiden, wurde 1571 zu
seiner weiteren Ausbildung nach Wien und von da nach
Rom gesandt; dort aber starb er plötzlich 1575 an den
Blattern. Es war ein Unglück für das Land; denn nun
ging die Thronfolge auf den geistig und körperlich
schwachen Johann Wilhelm über. Als dieser 1585 die
eifrig katholische, in München erzogene Prinzessin Jakobe
von Baden heirathete, schien die spanisch gesinnte Hof-
partei unter Führung des Marschalls Schenkem, des
Hofmeisters Ossenbroich und des Vicekanzlers Hardenrath
die Herrschaft in der Hand zu haben. Dagegen jedoch
erhob sich eine namentlich unter den Landständen stark
vertretene evangelische Fi*action, geleitet von dem Grafen
Wirich von Dhaun und dem Kammermeister Werner
Paland von Breidenbend. Herzog Wilhelm, dessen Kräfte
immer mehr abnahmen, schwankte haltlos zwischen den
Parteien hin und her. Noch schlimmer wurde es, als
1590 bei dem Jungherzog die Geistesschwache in offenen
Wahnsinn überging, sodass man ihn in Gewahrsam setzen
musste. Es ist bemerkenswerth, dass er durch seine
Mutter ein Urenkel der wahnsinnigen Johanna von
Castilien war, und dass ausser ihm noch zwei Urenkel
derselben, der Infant Don Carlos von Spanien und der
deutsche Kaiser Rudolf H., geisteskrank gestorben sind.
'^) Als nBfttiie*' bezeichnete man damals die Gesammtheic der
höchsten Hof- und Begienmgsbeamten^ also nach modemer Aus-
draeksweise das Ministerium.
3
34 Politische Geschichte Düsaefdorfs.
Unter den obwaltenden Umständen war aus Johann
Wilhelms Ehe mit Jakobe keine Nachkommenschaft mehr
zu erw^arten, und die Frage erhob sich, wer nach dem
Erlöschen des Mannesstammes die niederrheinischen Lande
erben sollte. Herzog Wilhelm hatte vier Töchter; die
älteste, Maria Eleonore, M^ar mit dem Herzoge Albrecht
Friedrich von Preussen vermählt, die zweite, Anna, mit
dem Pfalzgrafen von Neuburg, die di-itte, Magdalene, mit
dem Pfalzgrafen von ZweibrQcken ; alle drei waren prote-
stantisch, die vierte dagegen, die noch unvermäblt in
Düsseldorf lebende Sibylla, eine eifrige Katholikin. Nun
hatte Kaiser Karl V. bei der Vermählung seiner Nichte
mit Herzog Wilhelm ausdrücklich bestimmt, dass die aus
dieser Ehe hervorgehenden Töchter und deren Nach-
kommen beim Erlöschen des Mannesstammes in erster
Linie erbberechtigt sein sollten. Die drei verheiratheten
Schwestern thaten auch alsbald Schritte, um zur Sicherung
ihrer Ansprüche die Bildung einer von ihnen abhängigen
Regentschaft durchzusetzen. Dem widerstrebte aber die
katholische Partei, gestützt auf Spanien und den Kaiser
Rudolf n. ; man wollte das Land nicht unter protestan-
tische Herrschaft kommen lassen. Jakobe selbst, eine
leidenschaftliche Natur, hielt sich für berechtigt, an Stelle
ihres kranken Gemahls zu herrschen; da Schenkern mit
seinen Genossen dies aus Eigennutz nicht zulassen wollte,
so näherte Jakobe sich plötzlich den Protestanten und
setzte es durch, dass 1591 ihr ein massgebender Einfluss
auf die Regierung eingeräumt M'urde. Dabei blieb es
auch zunächst, als Herzog Wilhelm endlich am 5. Januar
1592 starb. Aber Jakobe vermochte ihre Stellung nicht
zu behaupten. Ihr Vetter, der Kurfürst Ernst von Köln,
bewog sie, mit ihm ein geheimes Bündniss zur Unter-
drückung der Protestanten zu schliessen ; sie hoffte damit
die Gunst des Kaisers zu erlangen und von diesem förm-
lich als Regentin eingesetzt zu werden. Ein von ihr
persönlich beleidigter kaiserlicher Gesandter verrieth das
Geheimniss den protestantischen Landständen, und nun
verloren diese das Vertrauen zu Jacobe, ohne dass es
derselben gelang, sich mit Schenkern und dessen Genossen
aufrichtig zu verständigen. Schenkern fand eine Stütze
an der Prinzessin Sibylla, die persönlich mit Jakobe tief
verfeindet war. Diese Streitigkeiten lähmten die Ver-
w^altung der öffentlichen Angelegenheiten; zugleich war
die Regierung tief verschuldet und musste beständig mit
neuen Steuerforderungen vor den Landtag treten; dabei
zeigte sie sich unfähig, Frieden und Recht zu schützen.
Obwohl sie sich nicht an dem zwischen Spanien und den
PbUtische Geschichte Dilsseldorfs. 35
Niederlanden geführten Kriege betheiligte, vermochte sie
nicht zu verhindern, dass die Truppen beider Theile
brandschatzend und verheerend die jülich-cle vischen Ge-
biete durchzogen. Bei all dieser Noth gab Jakobe selbst
durch ihre prunkvolle Hofhaltung Anstoss, und bald
erzählte man, dass sie mit einem jungen bergischen Edel-
manne, Dietrich von Hall, in einem unerlaubten Verhält-
nisse stehe und nur aus diesem Grunde ihren Gemahl
gefangen halte. Dies benutzte Schenkern zu einem
Staatsstreich. Am 23. Januar 1595 traten die Stände von
Jülich und Berg in Grevenbroich zusammen und ver-
langten sofort, dass der Herzog persönlich an den Ver-
handlungen theilnehme. Als Jakobe dies für unmöglich
erklärte, eilte Schenkern mit dem Grafen von Dhaun und
achtzig Soldaten in der Nacht vom 26. zum 27. nach
Düsseldorf, besetzte das Schloss und bemächtigte sich der
Person des Herzogs. Für Jakobe erhob sich Niemand:
sie wurde verhaftet und von Schenkern und Sibylla beim
Kaiser des Ehebruchs angeklagt. Man wollte eine Schei-
dung der Ehe durchsetzen, um den Herzog anderweitig
verheirathen zu können. Dabei stellten sich jedoch
juristische Schwierigkeiten heraus; der Prozess zog sich
in die Länge. Ueber drittehalb Jahre sass Jakobe in
Haft; da fand man sie eines Morgens, am 3. September
1597, todt in ihrem Bette. Einer der wenigen Zeugen,
welche die Leiche zu sehen bekamen, glaubte Spuren
einer gewaltsamen Erstickung zu bemerken. Der Ver-
dacht wurde dadurch bestärkt, dass Schenkern, ohne den
Freunden der Herzogin weiteren Zutritt zu gestatten, die
Verstorbene in aller Stille in der Kreuzkirche zu Düssel-
dorf beisetzen liess. Zeitgenössische und spätere Geschicht-
schreiber haben ihn direct des Mordes beschuldigt.
Unterdessen war es einem aus Holland berufenen
Arzte gelungen, den Zustand des Herzogs einigermassen
zu bessern, und die Räthe suchten nun sofort eine neue
Gemahlin für ihren Herrn. Denn nur wenn Johann Wil-
helm selbst Nachkommenschaft erzielte, liess sich die ge-
fürchtete protestantische Erbfolge abwenden. Man wählte
endlich Antonetta, die Tochter des Herzogs von Lothringen.
Die Hochzeit fand am 20. Juni 1599 zu Düsseldorf statt.
Die Lage des Staates blieb nach wie vor traurig.
Ohne die Neutralität des deutschen Reiches zu achten,
überschritt im Herbst 1598 der spanische General Mendoza
mit seinem Heere bei Wesel den Rhein und bezog in
Westfalen Winterquartiere. Die verwilderten Soldaten
begingen gegen die Landbevölkerung unerhörte Grausam-
keiten. Eine Abtheilung überfiel das Schloss Broich an
i*
36 FoUtiBcht Geschickte Dü$9Üd<nf8.
der Ruhr^ auf welchem Wirich von Dhaun wohnte; nach
kurzem Kampfe musste sich der Graf ergeben und wurde,
obwohl der spanische Oberst ihm feierlich das Leben zu-
gesichert hatte, von einigen Soldaten ermordet. Erst im
April 1599 verliess Mendoza mit der Hauptarmee das
deutsche Gebiet wieder.
Die Erfolge y welche Prinz Moritz von Oranien im
Jahre 1600 in Flandern erfocht, zogen die spanischen
Streitkräfte grösstentheils dorthin, und so kam für die
geplagten Rheinlande eine Zeit der Ruhe. Antonetta von
Lothringen, ehrgeizig wie Jakobe, aber klüger, setzte es
im Jahre 1600 durch, dass sie vom Kaiser und den Land-
ständen als Regentin anerkaimt wurde. Dann erschien
sie plötzlich mit Truppen vor der Festung Jülich, deren
Kommandant Schenkem war, entzog diesem den Befehl
und nöthigte ihn, das Land zu verlassen und nach Köln
zu flüchten. Zugleich wurde gegen ihn ein Prozess ein-
geleitet, der jedoch nicht zum Austrage kam, da Schenkem
an das Reichskammergericht in Speyer appellirte.
Der Zustand des Herzogs wurde indessen immer trau*
rigor. Ein Versuch, die vermeintlich in dem unglück-
lichen Manne hausenden bösen Geister durch zwei als
Teufelsbeschwörer berühmte Jesuiten austreiben zu lassen,
war erfolglos. Auch blieb die zweite Ehe so unfruchtbar
wie die erste. Am 25. März wurde Johann Wilhelm durch
den Tod von seinen Leiden erlöst; mit ihm erlosch das
alte Grafengeschlecht, welches im Laufe von 600 Jahren
schliesslich drei Herzogthüroer und zwei Grafschaften
unter seinem Scepter vereinigt hatte.
Nach dem kaiserlichen Privileg von 1546 hätte nun
zunächst Herzog Wilhelms älteste Tochter Maria Eleonore
in der Regierung folgen müssen. Sie* war jedoch schon
1608 gestorben. Aus ihrer Ehe mit Herzog Albrecht
Friedrich von Preussen waren nur Töchter hervorgegangen.
Die älteste derselben, Anna, hatte den Kurfürsten Johann
Sigismund von Brandenburg geheirathet, und dieser bean-
spruchte nun die Nachfolge in den rheinischen Landen,
sandte auch sofort Bevollmächtigte aus, welche in seinem
Namen von den Städten und Schlössern, u. A. Cleve und
Düsseldorf, durch Anschlagen des brandenburgischen
Wappens Besitz ergriffen. Dagegen protestirte jedoch
der Gemahl der zweiten Tochter Wilhelms, der Pfalzgraf
von Neuburg, aus dessen Ehe ein Sohn, Wolfgang Wil-
helm, entsprossen war. Der Pfalzgraf behauptete, dasa
männliche Nachkommen den Voirang vor weiblichen
hätten ; daher gebühre die Nachfolge seinem Sohne. Hier-
gegen erhoben sich wieder mehrere andere Prätendenten,
Folüüehe GeBckickU DassMorfa. 37
welche Theile der Erbschaft beanspruchten , namentlich
Sibylla und der Kurfürst von Sachsen. Sibylla hatte sich
noch in vorgerückten Jahren mit dem Markgrafen von
Burgau, einem Verwandten des Kaisers, vermählt und
wurde daher von Spanien begünstigt. Sachsen endlich
stützte seine Ansprüche hauptsachlich auf die kaiserlichen
Verleihungen aus dem 15. Jahrhundert. Der Kaiser, von
den Parteien zum Schiedsrichter angerufen, beschloss, die
Herzogthümer vorläufig in Sequester zu nehmen. Sein
Vetter Erzherzog Leopold, Bischof von Passau, begab
sich nach Jülich, rief spanische Truppen aus den Nieder-
landen herbei und besetzte damit die Festungen des
Herzogthums. Offen trat die Absicht zu Tage, beide
protestantische Fürsten von den niederrheinischen Landen
auszuschliessen. Dieser Gefahr gegenüber einigten sie
sich, um ihr Recht gemeinsam zu wahren. Der von dem
Kurfürsten als Statthalter nach Cleve gesandte Markgraf
Ernst schloss mit Wolfgang Wilhelm zu Dortmund am
20./10. Juni 1609 einen Vertrag, wonach Brandenburg und
Pfalz-Neuburg zunächst die Regierung gemeinsam führen
sollten. Der spanisch-österreichischen Macht gegenüber
waren sie jedoch auf fremde Hülfe angewiesen ; sie fanden
dieselbe bei den vereinigten Niederlanden und bei König
Heinrich IV. von Frankreich. Denn dieser, einst das
Haupt der Hugenotten, war trotz seines Uebertritts zur
römischen Kirche der Beschützer aller von Spanien be-
drohten Protestanten geblieben. Ein holländisch -fran-
zösisches Heer vertrieb die Truppen des Erzherzogs Leo-
pold aus Jülich. Nach kurzer Zeit jedoch brachen zwi-
schen Wolfgang Wilhelm und dem Kurfürsten neue Streitig-
keiten aus. Der Pfalzgraf heirathete am 10. November
1613 Magdalena, die Tochter des streng katholischen
Herzogs Maximilian von Bayern, und trat im folgenden
Jahre in Düsseldorf öffentlich zum katholischen Glauben
über. Er gewann damit die Hülfe Spaniens; ein spanisches
Heer unter Spinola rückte heran und nöthigte die branden-
burgischen Besatzungen, das Herzogthum Jülich zu räumen;
selbst Wesel wurde genommen. Unter holländischer Ver-
mittelung ward zwar im November 1614 zu Xanten ein
Vergleich geschlossen; derselbe zeigte sich jedoch undurch-
führbar. Die Brandenburger behaupteten sich mit hollän-
discher Hülfe in Cleve und Ravensberg; die Spanier
wagten es nicht, weiter vorzudringen, um nicht den zwi-
schen ihnen und der Republik der Niederlande seit 1609
bestehenden Waffenstillstand zu verletzen. Erst mit dem
Ablauf desselben im Jahre 1621 begann der offene Krieg
hier von Neuem. Zu grossen Feldschlachten kam es
38 Politische Geschichte Düaseldorfs.
dabei nicht; jeder Tbeil suchte nur dem anderen mög-
lichst viel Städte und feste Schlösser abzunehmen. Das
Land aber litt schwer unter der Anwesenheit beider
Heere. Um diesem Zustande ein Ende zu machen^ einigten
der Kurfürst und der Pfalzgraf sich über einen Vertrags
welcher am 11. Mai 1624 zu Düsseldorf von den beider-
seitigen Bevollmächtigten abgeschlossen wurde. Damach
sollte der Kurfürst Cleve, Mark und Ravensberg, der
Pfalzgraf aber Jülich, Berg und Ravenstein vorläufig be-
halten. Dieser „Provisional-Tractat" ist die Grundlage
der späteren Theilung geworden.
Die ersehnte Ruhe brachte er zunächst noch nicht.
Bereits hatte sich der im Jahre 1618 in Böhmen ausge-
brochene dreissigjährige Krieg nach Nörddeutschland
gezogen ; der bayrische Feldherr Tilly stand in Westfalen
und kam den Spaniern gegen die Holländer zur Hülfe.
Wolfgang Wilhelm erklärte sich zwar neutral, vermochte
aber die Spanier nicht zum Abzüge zu bewegen ; ebenso
blieben die Holländer in Cleve. Als dann die kaiserlichen
Waffen siegreich bis nach Holstein vordrangen, glaubte
Kaiser Ferdinand H. auch die jülich-clevischen Lande
gewinnen zu können. Er sprach das Sequester aus und
liess sie durch Tilly s Truppen, soweit es ging, besetzen.
Dagegen schloss Wolfgang Wilhelm mit Brandenburg 1629
und 16;K) neue Theilungs vertrage, welche den von 1624
näher ausführten. Das Vorrücken des Schwedenkönigs
Gustav Adolf nöthigte Tilly zum Abzüge; auch die Spanier
verliessen allmählich das rechte Rheinufer.
An dem dreissigjährigen Kriege hat Wolfgang Wilhelm
keinen thätigen Antheil genommen. Er blieb neutral und
suchte bei allen kriegführenden Mächten die Anerkennung
seiner Neutralität durchzusetzen. Damit konnte er jedoch
nicht verhindern, dass seine Länder abwechselnd von
schwedischen , kaiserlichen und französischen Truppen
durchzogen wurden und dabei schwer litten. Als er selbst,
um einem solchen Einfall der Schweden zu begegnen, im
Jahre 1634 Soldaten warb, wollten seine Landstände die
dazu nöthigen Steuern nicht bewilligen und verklagten ihn
beim Kaiser. Dieser nahm die Klage an und befahl dem
Pfalzgrafen, die neu errichteten Regimenter aufzulösen
oder in das kaiserliche Heer einzustellen; nur 800 Mann
zu Fuss und 100 zu Pferde sollte er für sich behalten.
Als Wolfgang Wilhelm darauf nicht einging, erliess der
Kaiser 1638 ein Mandat, welches den Ständen Recht gab.
Der Pfalzgraf berief dagegen 1639 Vertreter der Land-
gemeinden (denn die Bauern hatten auf dem Landtage
keine eigene Vertretung) nach Düsseldorf und setzte es
Ptüithehe Geschichte Düsseldorfs, 39
durch, dass diese ihm die verlangten Steuern bewilligten.
Aber Ritterschaft und Städte erklärten diese Bewilligung
für nichtig und klagten aufs Neue beim Kaiser. Daraus
entspann sich ein Prozess, der erst 1(549 seine Entschei-
dung fand, nachdem der westfälische Friede dem Lande
die ersehnte äussere Ruhe gebracht hatte.
Einen Conflict anderer Art verursachte die Kirchen-
politik Wolfgang Wilhelms. Seit 1609 waren in den
Herzogthümern zahlreiche protestantische (Jemeinden her-
vorgetreten und hatten es durchgesetzt, dass man ihnen
(las Recht freier Religionsübung gewährte. Als nun dei-
Pfalzgraf 1614 zur katholischen Kirche übertrat und
damit die Hülfe Spaniens gewann, verlangten seine neuen
Bundesgenossen, dass er den Protestantismus in seinen
Gebieten unterdrücke. In der That wurden da, wo die
Spanier hinkamen, den Protestanten die Kirchen entzogen
und ihre Prediger vertrieben. Wolfgang Wilhelm stimmte
dem zu, da nach damaliger Anschauung die Confession
des Landesherrn für alle Unterthanen bindend war. Aber
Brandenburg . als Mitbesitzer des Landes nahm sich der
bedrängten Evangelischen an ; die holländischen Truppen
übten Repressalien an den Katholiken der von ihnen be-
setzten Gebiete. Mehrfache Verträge über diesen Punkt
erwiesen sich unausführbar. Die Streitigkeiten dauerten
auch nach dem Ende des Krieges fort. Im Jahre 1651 Hess
der grosse Kurfürst Friedrich Wilhelm von Brandenburg,
gereizt durch eine Verletzung des zuletzt geschlossenen
Vertrages, seine Truppen in Berg einrücken ; sie drangen
bis Düsseldorf vor. Wolfgang Wilhelm rief dagegen loth-
ringische Schaaren herbei, die ihrerseits in die Grafschaft
Mark einfielen. Unter kaiserlicher und holländischer Ver-
mittelung kam dann ein neuer Vertrag su Stande, der
den Streit jedoch nicht zu endigen vermochte.
Im Uebrigen bethätigte Wolfgang Wilhelm seine katho-
lische Gesinnung durch genaue Beobachtung der kirch-
lichen Vorschrifteu und durch Einführung neuer Orden,
darunter der Jesuiten, in seine Lande. Persönlich war
er nicht unduldsam ; seine zweite Gemahlin, die protestan-
tische Katharina Charlotte von Zweibrücken, hat er gegen
alle Bekehrungsversuche geschützt. Ein hervorstechender
Zug in seinem Wesen ist die Vorliebe für italienische
Bildung; er zog italienische Musiker und Architecten an
seinen Hof und bediente sich selbst im Verkehr mit fremden
Fürsten und Diplomaten gerne der italienischen Sprache.
Die Ausführung des 1651 mit Brandenburg geschlos-
senen Vertrages scheiterte namentlich daran, dass Wolf-
gang Wilhelms Sohn, der Erbprinz Philipp Wilhelm, leb-
40 Fbiiiiache Getehiehte DüssMotfs.
haft widerstrebte und zu gewaltsamen Massregeln gegen
Brandenburg drängte. Die Streitigkeiten wären noch nicht
geschlichtet, als der alte Pfalzgraf anoi 20. Mai 1653 starb
und Philipp Wilhelm den Thron bestieg. Philipp Wilhelm
war von Jesuiten erzogen, daher noch eifriger katholisch
als sein Vater; dabei besass er Ehrgeiz und gefiel sich
in grossen politischen Combinationen. Als der durch
Cromwells siegreiche Waffen aus England vertriebene
Stuart Karl II. im Jahre 1654 seinen Wohnsitz in Köln
nahm, lud Philipp Wilhelm ihn zu einem Besuche in
Düsseldorf ein und empfing ihn dort (im October) mit
königlichen Ehren. Der englische Minister Clarendon, der
seinen Herren auf der Flucht begleitete und in seinen
Memoiren diesen Besuch in Düsseldorf näher beschreibt,
nennt den Pfalzgrafen einen der gebildetsten Fürsten
Deutschlands, einen Mann, der die feinen Umgangsformen
der Franzosen mit dem ernsten Wesen der Deutschen
verbinde. An diesen Besuch knüpfte Philipp Wilhelm
einen weitgreifenden Plan. Mit Hülfe des Papstes wollte
er einen grossen Bund der katholischen Mächte zu Stande
bringen, der mit vereinten Kräften die puritanische Repu-
blik in England stürzen und Karl H. auf den Thron zurück-
führen sollte. Im Jahre 1655 sandte er den Jesuiten Anton
nach Rom, um diesen Entwurf dem Papste vorzulegen.
Das Projekt erwies sich als unausführbar, da Spanien und
Frankreich, die noch im heftigsten Kriege mit einander
lagen, sich nicht einigen lißssen. Eben so wenig Erfolg
hatte Philipp Wilhelm mit dem Bestreben, den Kaiser zu
energischem Vorgehen gegen Brandenburg zu veranlassen.
Erbittert darüber,^ wandte der Pfalzgraf sich ganz auf
die Seite Frankreichs und trat 1657 der von mehreren
westdeutschen Fürsten unter französischem Schutze ein-
geleiteten Verbindung, welche später den Namen „rhei-
nische Allianz^ erhielt, bei. Damals musste nach deip
Tode Ferdinands HI. ein neuer Kaiser gewählt werden;
die Verbündeten bemühten sich, die Wahl auf Philipp
Wilhelm selbst oder auf den Kurfürsten von Bayern zu
lenken. An dem Widerspruch Brandenburgs und Sachsens
scheiterte dieser Plan, und die Kaiserkrone blieb dem
Hause Oesterreich erhalten. Ebenso fruchtlos blieben
Phijipp Wilhelms Bemühungen, sich zum Könige von
Polen wählen zu lassen ; auch hier trat ihm der Branden-
burger, damals mit Polen gegen Schweden verbündet, in
den Weg. Nur einen bleibenden Gewinn brachte dem
Pfalzgrafen das französische Bündniss: in dem 1659 zwi-
schen Frankreich^ und Spanien geschlossenen pyrenäischen
Frieden wurde bestimmt, dass die spanischen Truppen
MUische GeschiehU DüssMorfs. 41
die noch von ihnen besetzte Festung Jülich räumen und
dem Landesherm Übergeben sollten. Philipp Wilhelm
aber sah ein, dass er seinem brandenburgischen Gegner
weder politisch noch militärisch gewachsen war; er suchte
d^er eine Verständigung. So kam am 19. September
1666 zwischen beiden der Vertrag von Cleve zu Stande,
der die Theilungsfrage endgültig entschied. Damach
behielt der Kurfürst Cleve , Mark und Ravensberg, der
Pfalzgraf Jülich und Berg; doch sollten beide Fürsten
Titel und Wappen der sämmtlichen L.änder fuhren , die
Lfänder überhaupt ein Ganzes bilden. Die Entscheidung
über Ravenstein blieb besonderer Verständigung vorbe-
halten; sie erfolgte erst 1670, indem der KurfQrst dieses
Gebiet dem Pfalzgrafen überliess mit der Bedingung, dass
es nach dem Erlöschen des Hauses Neuburg an Branden-
burg zurückfallen solle. Die kirchlichen Verhältnisse
endlich wurden durch einen 1672 geschlossenen Vertrag
dahin geregelt, dass die Katholiken in dem branden-
burgischen, die Protestanten in dem neuburgischen Theile
freie Religionsübung erhielten und jeder Fürst das Schutz-
recht über seine im Gebiete des andern wohnenden Glau-
bensgenossen ausübte; alljährlich trat eine gemischte
Oommission zusammen, um die etwa vorgebrachten Be-
schwerden zu untersuchen.
Nicht bloss Gründe der äusseren Politik hatten den
Pfalzgrafen nachgiebiger gegen Brandenburg gestimmt;
auch nach innen, seinem eigenen Lande gegenüber, war
seine Stellung dadurch gesicherter geworden. Seit 1658
lag er in heftigem Streite mit den Ständen von Jülich
und Berg. Diese hatten sich geweigert, die Kosten für
den Unterhalt der von Philipp Wilhelm angeworbenen
Truppen weiter zu zahlei;, und verlangten Verringerung
des Heeres, während der Pfalzgraf dies nicht zugeben
wollte. Jahr- für Jahr wiederholten die Stände ihre Be-
schwerden; als dies nichts half, erhoben sie beim kaiser-
lichen Hofe Klage, und es war zu befürchten, dtiss sie
schliesslich Hülfe bei dem Brandenburger suchen würden.
Durch den Vertrag von 1666 war diese Gefahr für Philipp
Wilhelm beseitigt. Der Streit mit den Ständen selbst
Avurde endlich im Jahre 1672 durch einen Vertrag, den
sogenannten Hauptrecess, dem 1675 noch ein „Erläute-
rangsrecess^ folgte, beigelegt.
Die Absicht, eine grosse Rolle in der europäischen
Politik zu spielen, hatte Philipp Wilhelm noch nicht auf-
gegeben. Im Jahre 1668 bewarb er sich zum zweiten
Mfd um die polnische Königskrone ; aber obwohl Branden-
burg ihn diesmal unterstützte, hatte er auch jetzt keinen
42 MUUche Gfchichte D(k$BMorf6.
Erfolg. Seitdem war er bemüht ^ sich durch Familien-
Verbindungen eine angesehene Stellung zu verschaffen.
Seine zweite Ehe mit der zum Katholicismus übergetretenen
hessischen Prinzessin Elisabeth Amalie war, wie die er-
haltenen Briefe bezeugen , überaus glücklich. Aus ihr
gingen 17 Kinder hervor, von denen sechs Söhne und
ebensoviel Töchter den Vater überlebten. Der älteste
Sohn, Erbprinz Johann Wilhelm, unternahm zu seiner
Ausbildung 1679 eine grössere Rundreise an den euro-
päischen Fürstenhöfen. Charakteristisch für die Zeit ist
es, dass er dabei zueilt Ludwig XIV. in St. Germain be-
suchte, obwohl das deutsche Reich damals mit Frankreich
im Kriege lag und französische Truppen im Herzogthum
Jülich standen. Von Frankreich ging er nach Italien,
verweilte dort etwa ein Jahr und kehrte über Wien nach
Hause zurück. Unterdessen hatte Kaiser Leopold nach
dem Tode seiner Gemahlin um die älteste Tochter Philipp
Wilhelms, Eleonore Magdalene, geworben; im Dezember
1676, wenige Monate nach Johann Wilhelms Rückkehr,
fand die Hochzeit statt Drei Jahre später, im October
1679, heirathete Johann Wilhelm selbst die Stiefschwester
des Kaisers, Erzherzogin Maria Anna. So war das Haus
Neuburg doppelt mit der kaiserlichen Familie verschwägert.
Es mag gleich hier bemerkt werden, dass eine zweite
Tochter Philipp Wilhelms später Königin von Portugal,
eine dritte Königin von Spanien wurde.*^)
Bei den Unterhandlungen über Johann Wilhelms Ver-
mählung hatte man österreichischer Seits hervorgehoben,
dass eine kaiserliche Prinzessin nur einen regierenden
Fürsten heirathen könne. Philipp Wilhelm entschloss sich
deswegen seinem Sohne Jülich und Berg abzutreten. Dies
that er durch Patent vom 1. August 1679, während er
fQr sich selbst Neuburg behielt. Johann Wilhelm über-
nahm die Regierung unter schwierigen Verhältnissen.
Beide Herzogtümer waren durch den eben beendeten
Krieg mit Frankreich tief erschöpft Der junge Fürst
entschloss sich auf Andringen der Stände im Jahre 1680,
einen Theil der Truppen zu verabschieden; aber 1682
machte die dem Reiche von den Türken wie von Frank-
reich drohende Gefahr neue Rüstungen nothwendig. Dies
führte wieder zu Streitigkeiten mit den Landständen,
welche die von Johann Wilhelm geforderten Summen
nicht bewilligen wollten; doch setzte Johann Wilhelm
seine Absichten endlich durch. Dann erlosch 1685 die
in Kurpfalz regierende Linie, und Philipp Wilhelm als
*) Letztere ist die Heldin von Victor Hu^os Drama: „Ray Blas^.
nilchster Erbberechtigter Avurde EurfOrst. Aber Ludwig XIV.
beanspruchte einen Theil der pfälzischen Länder fttr
seine Schwägerin, die Herzogin von Orleans, Elisabeth
Charlotte; gleichzeitig bemühte er sich, die Wahl seines
Parteigängers Wilhelm Egon von Fürstenberg zum Erz-
bischof von Köln durchzusetzen. Als dies an dem Wider-
stände des Kaisers und des Papstes scheiterte, fielen 1689
französische Truppen in die Rheinlande ein, und nun
begann jener Krieg, in welchem namentlich die Pfalz so
grauenhaft verwüstet worden ist, dass man z. B. am
Heidelberger Schlosse noch jetzt die Spuren jener Zer-
störung sieht Auch unser Land hatte schwer zu leiden;
die Franzosen besetzten die damals noch zum Erzstift
Köln gehörige Festung Kaiserswerth, drangen von Bonn
aus nach Siegburg vor und brandschatzten die Umgegend.
Erst mit Hülfe der Brandenburger gelang es, den Feind
zu vertreiben. Im folgenden Jahre, 1690, starb der alte
Philipp Wilhelm, und Johann Wilhelm wurde Kurfürst.
So vollzog sich die Vereinigung von Jülich-Berg mit Kur-
pfalz, die über ein Jahrhundert lang bestehen sollte.
Obwohl die niederrheinischen Gebiete dadurch ein
Nebenland des Kurstaates wurden, so blieb doch auch
nach wiederhergestelltem Frieden 1697 Düsseldorf die
Residenz Johann Wilhelms und der Sitz der Regierung,
da die pfälzischen Lande durch den Krieg zu sehr erschöpft
waren, um die Kosten einer prunkvollen Hofhaltung auf-
bringen zu können; eine solche aber hielt der Kurfürst
für unerlässlich zur Behauptung seiner Würde. Wie hoch
seine politischen Absichten sich verstiegen, bewies er
1697. Damals erschien in Düsseldorf ein armenischer
Flüchtling, Israel Ory, und legte ihm einen Plan zur
Befreiung Armeniens von der türkischen Herrschaft vor.
Johann Wilhelm gmg darauf ein unter der Bedingung,
dass die Armenier ihn selbst zum Könige wählten und
zugleich zur römisch-katholischen Kirche überträten.
Mit den nöthigen Schreiben versehen, reiste Ory nach
Armenien, gewann mehrere angesehene Häuptlinge für
den Plan und kehrte im September 1699 nach Düsseldorf
zurück. Er schlug vor, dass ein aus pfälzischen und
kaiserlichen Truppen bestehendes Corps durch Polen und
Russland nach Armenien gesandt werden sollte, um sich
dort mit den Streitkräften der Eingeborenen zu ver-
einigen. Johann Wilhelm sandte ihn darauf nach Rom
zum Papste und von da nach Russland an Peter den
Grossen, um von beiden Unterstützung zu erlangen. Die
weitere Verfolgung des Entwurfes wurde jedoch durch den
Ausbruch des spanischen Erbfolgekrieges gestört. Der
44 PUditisehe OtBehiekte DawOdoffs.
Kurfürst von Köln, Joseph Clemens, war mit Ludwig XIV.
verbandet; wieder rückten französische Truppen in das
Erzstift ein, besetzten Neuss und Kaiserswerth. Dagegen
ergriff Johann Wilhelm die Partei des Kaisers. Am
26. Dezember 1701 Hess er einen für die Franzosen be-
stimmten Transport von Lebensmitteln und Kriegsbedarf,
welcher auf 44 Schiffen rheinabwärts geführt wurde, bei
Grimlinghausen durch seine Truppen abfassen und nach
Düsseldorf bringen ; zugleich rief er ein brandenburgisch-
holländisches Heer zur Hülfe herbei. Kaiserswerth wurde
im April 1702 eingeschlossen und nach harter Belagerung
am 15. Juni zur Uebergabe gezwungen. Joseph Clemens
rächte sich durch einen verheerenden Zug, den er persön-
lich leitete, von Beuel aus in das bergische Land. Das
Vorrücken der Verbündeten, die jetzt auch durch eng-
lische Truppen verstärkt wurden, zwang die Franzosen
endlich, den Niederrhein zu verlassen; Joseph Clemens
selbst floh nach Frankreich. Es war der letzte Krieg,
den ein rheinischer Pfalzgraf gegen einen Erzbischof von
Köln geführt hat.
Schon oben ist erwähnt, das» Johann Wilhelm infolge
der seit 1682 unternommenen neuen Rüstungen in Streit
mit seinen Landständen gerathen war. Seine Theilnahme
an den beiden Reichskriegen gegen Frankreich, sowie
die Bedürfnisse seines Hofes, die bei dem traurigen Zu-
stande der kurpfälzischen Lande hauptsächlich von Jülich
und Berg getragen werden mussten, zwangen ihn zu
immer neuen Geldforderungen. Die Stände zeigten sich
zu weiteren Bewilligungen wenig geneigt und glaubten
sich durch die Recesse von 1672 und 1675 gegen die
Erhebung unbewilligter Auflagen geschützt. Aber Johann
Wilhelm, durchdrungen von dem Gefühl seiner souveränen
Würde und in der absoluten Regierungsweise Ludwigs XIV.
sein Vorbild sehend, setzte sich über die Recesse hinweg,
schrieb eigenmächtig Steuern aus und liess sie gewaltsam
eintreiben. Als die so gewonnenen Mittel nicht zureich-
ten, wurden Domänen veräussert, dann 1705 eine Bank
gegründet, welche Schuldscheine (das Papiergeld jener
Zeit) ausgab, endlich eine Anleihe in Holland gemacht.
Die Stände widersetzten sich diesen ohne ihre Zustimmung
vorgenommenen Finanzoperationen und verklagten den
Kurfürsten beim Kaiser; doch zog sich der Prozess, wie
gewöhnlich, in die Länge und wurde erst nach Johann
Wilhelms Tode beendet.
Trotz dieses Verfassungsconflictes verstand Johann
Wilhelm sich bei seinen Unterthanen beliebt zu machen.
Die Pracht seines Hofes kam doch in vieler Beziehung
B>lUi8ehB GeaehichU DÜ89adwfs. 45
wieder dem Lande, namentlich der Stadt DQsseldorf, zu
Gute. Für letztere bat er überhaupt viel gethan. Er
erweiterte sie durch Gründung der Neustadt ; dort wollte
er auch ein neues, grosses Schloss aufführen; der Plan
dazu ist noch erhalten. Bekannt ist es, dass die Gemälde*
gallerie ihm ihren Ursprung verdankt und dass er eine
italienische Oper hielt. Dabei verschmähte er auch nicht,
persönlich an einem Schützenfeste theilzunehmen.
Sein Familienleben war nicht sehr glücklich. Zwei
Kinder, welche seine Gemahlin zur Welt brachte, lebten
nicht lange. Maria Anna selbst starb 1689, und der Kur-
fürst heirathete darauf eine Tochter des Grossherzogs von
Toscana, Anna Maria Loisia. Jedoch blieb diese Ehe
kinderlos. Dabei quälte die leidenschaftliche Italienerin
ihren Gemahl mit Eifersucht; man erzählte, sie schleiche
Abends verkleidet in den Strassen umher, um seine Liebeä-
händel auszuforschen.
Der Glanz Düsseldorfs fand ein jähes Ende, als
Johann Wilhelm am 8. Juni 1716 starb. Sein Bruder
Karl Philipp, der ihm in der Regierung folgte — die
anderen Söhne Philipp Wilhelms waren theils todt, theils
gehörten sie dem geistlichen Stande an — löste den Hof-
staat auf, entliess die von Johann Wilhelm angestellten
Künstler und verlegte den Sitz der Regierung nach Heidel-
berg, später nach Mannheim. Die niederrheinischen Ge-
biete hat er als Kurfürst nie betreten, hauptsächlich
deswegen, weil die hier bestehende landständische Ver-
fassung seinem absolutistischen Sinne nicht zusagte; in
der Kurpfalz, wo es keinen Landtag gab, fühlte er sich
inrohler. So wurden Jülich und Berg von ihm nur als
Nebenlande behandelt. Bald aber tauchte die Frage auf,
ob sie überhaupt bei Kurpfalz bleiben würden. Von
Karl Philipps Kindern starben die meisten im zartesten
Alter; nur eine Tochter, Elisabeth Auguste, blieb am
Leben und heirathete 1717 einen Verwandten, den Erb-
prinzen Joseph Karl von Pfalz-Sulzbach. Dieser musste
also die pfälzischen Lande erben; Karl Philipp aber
wünschte ihm auch Jülich und Berg zu übertragen. Es
war fraglich, ob der Vertrag von 1666 dies zuliess oder
ob nicht nach dem Aussterben des Neuburgischen Manns-
stammes diese Gebiete an Brandenburg — seit 1701 be-
kanntlich das Königreich Preussen — zurückfallen müssten.
Die Frage wurde noch verwickelter, als die Erbprinzessin
1728 starb und keine Söhne, sondern nur drei Töchter
hinterliess. König Friedrich Wilhelm L von Preussen
war geneigt, sich mit Berg zu begnügen, Jülich dagegen
dem Erbprinzen zu überlassen; er schloss 1728 mit dem
46 Fbliii9eh€ Qetehiehie DüsaMorfa.
Kaiser Karl VI. einen Vertrag, worin letzterer sich ver
pflichtete; beim Ableben Karl Philipps sofort Preussen in
den vorläufigen Besitz von Berg einzufahren. Auch der
Erbprinz von Sulzbach starb 1729; seine Ansprüche gingen
auf seinen jüngeren Bruder und dessen Sohn Karl Theodor
über. Karl Philipp suchte Hülfe bei Frankreich; diese
Macht versprach 1729, Berg nicht an Preussen fallen zu
lassen. Der Kaiser machte nun einen Vermittelungs-
vorschlag, wonach Preussen den grOssten Theil von Berg^
Sulzbach aber die Stadt Düsseldorf und einen Landstrich
am rechten Rheinufer bekommen sollte; damit erklärten
sich auch Frankreich und England einverstanden. Die
Unterhandlungen dauerten bis zum Tode Friedrich Wil-
helms I., 1740. Auch Friedrich der Grrosse bemühte sich
während der ersten Monate nach seuier Thronbesteigung,
Düsseldorf für Preussen zu retten; da gab ihm der Tod
des Kaisers und der Ausbruch des österreichischen Erb-
folgekrieges Gelegenheit, die alten Ansprüche seines
Hauses auf Schlesien wieder zur Geltung zu bringen.
Um sich dieses Land zu sichern , trat er dem Bündnisse
bei, welches der Kurfürst Karl Albert von Bayern mit
Kurpfalz und Frankreich gegen das Haus ELabsburg ge-
schlossen hatte, und liess zu, dass nach Karl Philipps
Tode 1742 der junge Karl Theodor Jülich und Berg
ebenso wie die Pfalz erhielt.
Infolge jenes Bündnisses war Düsseldorf von fran-
zösischen Truppen besetzt worden; der Krieg nahm jedoch,
als England den Oesterreichern zu Hülfe kam, eine für
Bayern und Frankreich unglückliche Wendung. Nament-
lich das Herzogthum Jülich hatte von den englischen
und österreichischen Truppen viel zu leiden. Dem Schutze
Preussens verdankte e&i Karl Theodor, dass er in den
Dresdener Frieden 1745 mit eingeschlossen wurde und
alle seine Länder behielt. Im folgenden Jahre konnte
er persönlich in Düsseldorf unter glänzenden Festlich-
keiten die Huldigung entgegennehmen. Der Ausbruch
des siebenjährigen Krieges 1756 brachte den Rheinlanden
neue Leiden. Kurpfalz und Frankreich standen diesmal
auf der Seite Oesterreichs, während England, Hannover,
Hessen und Braunschweig mit Preussen verbündet waren.
Düsseldorf wurde von den Franzosen besetzt, im Jahre
1758 nach der Schlacht bei Crefeld von den Hanno-
veranern erobert, aber bald wieder geräumt, und kam
von neuem in die Hände der Franzosen, die nun bis 1762
hier blieben.
Dem Kriege folgte eine dreissigjährige Friedensepoche^
in welcher das bergische Land unter der Verwaltung des
Statthalters Grafen Goltstein zu neuer Blttthe gelangte«
Die Stadt Düsseldorf wurde durch Erweiterung der
Festungswerke und Anlage der Earlsstadt vergrössert.
Sie erhielt ferner wAhrend dieser Zeit die Malerakademie,
die Landesbibliothek y eine Rechtsschule und eine anato-
mische Lehranstalt. An dem Gedeihen der neugeschaffenen
deutschen Nationalliteratur nahm der Kreis, welcher sich
in Pempelfort um die beiden Brüder Jacob! schaarte,
regen Antheil.
In Bezug auf die äusseren politischen Verhältnisse
sind für uns aus diesem Zeitraum zwei Thatsachen be-
merkenswerth. Zunächst gelang es Karl Theodor, im
Jahre 1768 das bisher pfandweise zu Kurköln gehörige
Städtchen Kaiserswerth durch Vertrag zu erwerben.
Ferner erbte er 1777 das KurfQrstenthum Bayern und
verlegte seine Residenz nach München ; dadurch entstand
die bis 180ß dauernde Verbindung des bergischen Landes
mit Bayern.
Ein hartes Schicksal traf unsere Gegend in dem
durch die französische Revolution hervorgerufenen Kriege.
1794 drangen die Franzosen von den Niederlanden aus
gegen den Rhein vor, zwangen die Oesterreicher zum
RQckzuge auf das rechte Ufer und setzten sich gegen-
über Düsseldorf fest. Unsere Stadt hatte damals eine
aus kaiserlichen und pfälzischen Truppen bestehende
Besatzung; in der Nacht vom 5. zum 6. October wurde
sie von den Feinden bombardirt und in Brand geschossen.
Im folgenden Jahre, in der Nacht vom ö. zum 6. Sep-
tember 1795, überschritten die Franzosen bei Uerdingen
den Rhein, drängten die Kaiserlichen südwärts, besetzten
Düsseldorf und ergossen sich plündernd über das bergische
Land. Ihre Erpressungen und Ausschweifungen riefen
bei den gequälten Bauern eine derartige Erbitterung
hervor, dass Viele derselben zu den Waffen griffen und
gegen kleinere französische Abtheilungen einen Frei-
schaarenkrieg eröffneten. Der junge Advokat Ferdinand
Stücker zu Bensberg versuchte im Verein mit dem Vicar
Ommerborn die Bildung eines Landsturmes, welcher den
kaiserlichen Truppen zu Hülfe kommen sollte. Als das
Unternehmen missglückte, trat Stücker selbst als Offizier
in das österreichische Heer ein. Die Kaiserlichen mussten
sich endlich nach der Lahn zurückziehen, und die Fran-
zosen blieben Herren des Landes; erst im Mai 1801, nach
dem Frieden von Luneville, verliessen sie das rechte
Rheinufer; vorher wurden noch die Festungswerke Düssel-
dorfs geschleift.
48 MitiBdie Gesekk^U DassOdorfs.
Während dieser Zeit war Karl Theodor am 16. Februar
1799 kinderlos gestorben und Max Joseph von Pfalz-
ZweibrQcken (der Stammvater des jetzigen bayerischen
Königshauses) Kurfürst geworden. Dieser musste im
Frieden von 1801 alle seine linksrheinischen Besitzungen
an Frankreich abtreten; auch die rechtsrheinische Pfalz
verlor er durch den Reichsdeputationshscuptschluss 1803^
sodass er nur Bayern und das Herzogthum Berg behielt.
Die Verwaltung des letzteren übertrug er durch den
„Apanagial - Recess'^ vom 30. November 1803 seinem
Schwager, dem Herzog Wilhelm von Bayern, und dieser
hat nun etwas über zwei Jahre in Düsseldorf residirt.
Da trat 1806 eine neue politische Aenderung ein, welche
Düsseldorf nochmals für kurze Zeit zur Hauptstadt eines
selbständigen Staatswesens machte.
Bayern hatte sich 1805 eng an das französische
Kaiserreich angeschlossen und zum Lohne dafür ansehn-
liehe österreichische Gebiete, sowie die Königskrone er-
halten. Dagegen musste Max Joseph das Herzogthum
Berg am 15. März 1806 an Napoleon abtreten; letzterer
übertrug es sofort an demselben Tage seinem Schwager
Joachim Murat, welcher zunächst durch General Dupont
Besitz ergreifen liess und dann selbst am 24. März seinen
feierlichen Einzug in Düsseldorf hielt. Gleichzeitig hatte
Preussen das rechtsrheinische Cleve abtreten müssen;
dieses, sowie das Fürstenthum Nassau - Oranien wurden
mit Joachims Gebiet vereinigt. Der neugebildete Staat
erhielt den Namen „Grossherzogthum Berg^. Weiteren
Zuwachs brachte der im October desselben Jahres zwi-
schen Frankreich und Preussen ausgebrochene S^rieg;
au& den eroberten preussischen Provinzen erhielt Joachim
die Grafschaft Mark und das Münsterland. Er behielt
sein Grossherzogthum jedoch nicht lange ; im Jahre 1808
zum Könige von Neapel erhoben, trat er unter dem 15.
Juli d. J. Berg an Napoleon wieder ab und dieser über-
trug es am 3. März 1809 seinem kleinen Neffen, dem
Prinzen Napoleon Louis, ältesten Sohn des Königs von
Holland und Bruder des späteren Kaisers Napoleon UI."*)
Die Verwaltung behielt der Kaiser selbst in der Hand;
als Statthalter residirte in Düsseldorf der Graf Beugnot
Schon unter Joachim war die Regierung wesentlich
nach französischem Muster eingerichtet worden ; Beugnot
führte dies vollständig durch. Die französische Verwal»
tung hat in mancher Beziehung wohlthätig gewirkt, in-
dem sie das Lehnswesen und die Leibeigenschaft aufliob»
*) Er fiel 1831 in Rom bei einem Aufstande.
PDlUUehe GesekicfUe DüssMorfs, 49
das Gerichtswesen reformirte und das französische Recht
einführte. Auch wurden die in Düsseldorf bestehenden
Fachschulen zu einer Universität vereinigt; diese konnte
jedoch nicht ins Leben treten, da es an Geld zu ihrer
Unterhaltung fehlte. Napcdeon hatte 1806 den von ihm
abhängigen Gebieten allen Handel mit England unter-
sagt ; dadurch verlor die bergische Industrie eine wichtige
Absatzquelle. Ausser den hohen Steuern wurde noch
die von den Franzosen eingeführte Conscription besonders
drückend empfunden; denn Napoleon brauchte für seine
Kriege viel deutsches Blut. Die bergischen Soldaten
fochten in Spanien und Russland für Zwecke, die dem
Lande ftemd waren. Ueberhaupt wurde das Grossherzog-
thum vollständig als zu Frankreich gehörig behandelt.
Schon Joachim hatte bei allen wichtigeren Maassregeln
die Anweisungen Napoleons befolgen müssen, dazu hielt
ihn seine militärische Stellung beständig im Auslande
fest; er hat sich nach der Huldigung nur noch einmal,
von Juli bis October 1806, in Berg aufgehalten und
meist in Benrath residirt. Sein Nachfolger, der junge
Prinz, wuchs in Frankreich auf, und der Kaiser Napoleon
selbst hat Düsseldorf nur einmal, vom 2. bis 5. Novem-
ber 1811, besucht. Der alte bergische Landtag war im
Februar 1807 zum letzten Male zu Rathe gezogen
worden: als die Deputirten daa von der Regierung
vorgelegte Budget nicht in seinem ganzen Umfange
annehmen wollten, wurden sie heimgeschickt und nicht
wieder berufen. Eine von Beugnot ausgearbeitete con-
stitutionelle Verfassung ist nicht mehr in Kraft getreten.
Der von Preussen, Russland und Oesterreich im
Jahre 1813 geführte Befreiungskrieg machte der franzö-
sischen Herrschaft ein Ende. Die Schlacht bei Leipzig
zwang Napoleon zum Rückzuge über den Rhein, und mit
ihm flohen die fi*anzösischen Behörden. Beugnot verliess
Dfisseldorf am 4. November; zehn Tage später wurde
die Stadt von russischen Truppen besetzt. Aus den nicht
altpreussischen Theilen des Grossherzogthums bildeten
die Verbündeten vorläufig ein „General-Gouvernement
Berg^, und ernannten zum General - Gouverneur den
Staatsrath Justus Grüner. Dieser wusste durch beson-
nenes Auftreten die Einwohner für die deutsche Sache
zu gewinnen, sodass sie die Lasten der Occupation willig
ertrugen; der sofort organisirte Landsturm machte, von
Linientruppen unterstützt, Streifzüge auf das linke, noch
von den Franzosen besetzte Rheinufer, bis im Beginn
des Jahres 1814 auch dieses von den Verbündeten erobert
wurde. An Stelle Gruners, der nach dem Mittelrhein
50 Polttiftche Geschichte DUsseldot^s,
berufen wui'de, trat Anfang Februar der Prinz Alexander
von Solms ; als aber am 15. Juni die verbündeten Mächte
die Verwaltung von Berg an Preussen übertrugen, kehrte
Grüner als General-Gouverneur nach Düsseldorf zurück.
Auf dem Wiener Congress wafen die Kheinlande der
Gegenstand langer Verhandlungen; endlich wurden sie
definitiv an Preussen abgetreten, während Bayern die
ehemals preussischen Fürstenthümer Ansbach und Bayreuth
behielt. Am 3. Mai 1815 Hessen die preussischen Com-
missäre in Düsseldorf das aus Wien vom 5. April datirte
königliche Besitzergreifungspatent anschlagen ; damit war
die Stadt dem preussischen Staate einverleibt.
Zur Verfassungsgeschichte der Stadt Düsseldorf.
Dr. H. Baohbaoli
n 14. August 1266 wurde das seit 1189 bergisch
gewordene Kirchspiel Düsseldorf durch den
Orafen Adolf V. von Berg und seine Gemahlin
Elisabeth zur Stadt erhoben. Die Erhebungs-
urkunde, deren Original seit dem Anfange des
Jahrhunderts leider noch immer verschwunden ist, verlieh
der jungen Stadt als Pathengeschenk gleich eine Reihe
öffentlich-rechtlicher Befugnisse und Einrichtungen, welche
das Wesen einer Stadt ausmachen und von andern
Stfidten erst allmählich und nicht ohne Kämpfe er-
rungen werden mussten. In der Folgezeit, besonders
seitdem Düsseldorf 1346 ständige Residenz der bergischen
Landesherren und damit der Gegenstand ihrer besonderen
Vorliebe geworden war, wurden diese Privilegien nicht
nur wiederholt bestätigt, sondern auch bedeutend er-
weitert. Auf Grundlage dieser Privilegien nahm die
Ausbildung der städtischen Verfassung einen ruhigen
harmonischen Fortgang, bis die fi-anzösische Herrschaft
denselben durch die Einführung einer Communalver-
fassung nach französischem Muster gewaltsam unter-
brach.
Bei der Lückenhaftigkeit des bis jetzt zur Verfügung
stehenden urkundlichen Materials und bei dem Mangel
fast jeglicher Vorarbeiten ist es indessen zur Zeit noch
schwierig, auch nur einen elnigermassen vollständigen
Ueberbllck der Eiitwickelung der Stadtverfassung Düssel-
dorfs zu geben. Wenn trotzdem auf den folgenden Seiten
der Versuch gewagt wird, einiges daraus mitzutheilen, so
darf derselbe wohl um so eher eine nachsichtige Be-
urtheilung erbitten, als er dem Wunsche entsprungen ist,
52 Zur Vet^asaungagesehiehte der Stadt Düsseldorf,
einen Hauptzug in dem Jubiläumsbilde der Stadtgeschichte
wenigstens nicht ganz zu vermissen.
I. Stadtgebiet und Stadtgemeinde. Nach der
Erhebungsurkunde von 1288 bestand das damalige Stadt-
gebiet aus einem Innen- und einem Aussenbezirk. Ersterer,
auf dem rechten Ufer des nördlichen (unteren) Düsselarmes
belegen und von Wall und Graben theilweise eingeschlossen,
umfasste die Altestadt, die Liefergasse und die Kiftmer-
strasse; seinen Mittelpunkt bildete die Pfarrkirche des ehe-
maligen Kirchspiels mit dem sie umgebenden Kirchhofe,
die spätere Stiftskirche mit dem Stifsplatze. Der Aussen-
bezirk setzte sich aus 5 grösseren Gehöften zusammen:
aus den Besitzungen des Ritters Adolf von Flingern, in
der Gegend des heutigen Friedrichsplatzes, dem Hofe
Rumpolds von Pempellbrt, welcher den heutigen Hofgarten,
Jägerhof und Malkasten umfasste, aus den GQtem eines
Ritters von Loe und zwei nicht näher bekannten, „die
zwei Berge" oder „zwischen den zwei Bergen** genannten
Gehöften. Hundert Jahre später erfuhr dieses ursprüng-
liche Gebiet durch Herzog Wilhelm von Berg eine be-
deutende Erweiterung. Er tauschte 1383 gegen einen
Hof zu MQndelheim die Besitzungen des Heinrich Haick
von Flingern ein, zu welchen die am heutigen Friedrichs-
platz belegene Stadt -Mühle gehörte, und legte dieses
Terrain zu dem Innenbezirk der Stadt, welcher sich nun-
mehr nach Süden und Südwesten so erheblich ausdehnte,
dass er um 1394 bereits ganz mit einem Graben und
theilweise mit einer Stadtmauer bis an den südlichen
(oberen) Düsserarm eingeschlossen erscheint. Noch grösser
war die Erweiterung des Aussenbezirks. Ihm wurden
1384 die Hundschaften Gk>lzheim und Derendorf, sowie
die alte und grosse Dorfttchaft Buk einverleibt; letztere
besass eine eigene Kirche und ein eigenes Schöflfengericht,
und bestand aus den drei Hundschaften Arien- oder Orien-
bilk, jetzt Oberbilk, Kehr- oder Kirchbilk und dem nach
der Lage der Mühle so benannten Mühlhoven. Weiterhin
wurde 1394 das Kirchspiel Hamm in den Stadt verband
gezogen. Das so erweiterte Stadtgebiet blieb auf Jahr-
hunderte hinaus im Wesentlichen unverändert.
Das volle Bürgerrecht, welches nicht nur den Anspruch
auf den städtischen Schutz, sondern auch die Befugnisa
zur Antheilnahme am Stadtregiment in sich schloss, sprach
die Erhebungsurkunde von 1288 allen Einwohnern dea
damaligen Stadtgebiets zu. Zugleich sprach dieselbe dea
allbekannten Rechtssatz : „Stadtluft macht firei^ aus, aber
mit einer Unterscheidung zwischen den Vogteileuten dea
Landesherm und den Hörigen anderer Herren. Bei den
Zur VerfaäsungsgeBehiehte der Siadt Düsseldorf, &d
ersteren war die Aufnahme zum Bürger abhängig von
der Erlaubniss des Landesherm; die Hörigen anderer
Herren wurden freie Bürger, wenn sie in der Stadt Woh-
nung genommen und Jahr und Tag behalten hatten, ohne
innerhalb dieser Zeit von ihrem Herrn zurückgefordert
worden zu sein ; während dieser Frist von Jahr und Tag
konnte der Herr sie sammt ihrem Hab und Gut zurück-
begehren. Bei den Stadterweiterungen von 1384 und 1394
gab der Herzog das volle Bürgerrecht auch den Bewohnern
von Oolzheim, Derendorf, Bilk und Hamm, unter besonderer
Strafandrohung gegen jede Beeinträchtigung desselben.
Ganz ausgeschlossen von der Erwerbung des Bürgerrechts
waren in den ersten Jahrhunderten die Juden; noch 1438
bewilligte Herzog Gerhard der Stadt auf ihre Bitte, dass
während der nächsten 12 Jahre keine Juden dort wohnen
oder verweilen sollten. Im 16. Jahrhundert machte man
eine Zeit lang die Aufnahme zum Bürger abhängig von
der Angehörigkeit zur römisch-katholischen Confession;
der Neuaufzunehmende musste darüber zuvor eine Be-
scheinigung der herzoglichen Beamten oder des Stadt-
dechants beibringen. Die Aufnahme selbst vollzog sich
in späterer Zeit und noch bis in die zweite Hälfte des
18. Jahrhunderts durch einen feierlichen Akt vor Bürger-
meister und Rath; der Aufzunehmende musste vor ihnen
den „gewöhnlichen Bürgereid" ablegen und eine Auf-
nahmegebühr entrichten; der Name des neuen Bürgers
wurde in das Stadtbuch eingetragen ; über die Aufnahme
wurde sodann ein Bürgerbrief ausgefertigt, für welchen
40 kölnische Weisspfennige zu zahlen waren. Das Bürger-
recht ging verloren durch Auswanderung und Stadtver-
weisung. Eine besonders bevorzugte Stellung unter den
Bürgern nahmen die hohen und niederen Geistlichen,
sowie später sämmtliche herzogliche Beamte bis auf die
Sekretäre hinab, ein. Den Bürgern gegenüber standen
die Gäste, Fremde, welche sich nur vorübergehend in
der Stadt aufhielten: sie hatten an den politischen Rechten
gar keinen, an dem städtischen Schutze nur theilweisen
Antheil.
Zur Hebung des wirthschaftlichen Wohlstandes der
Stadtgemeinde war nun vor allem dienlich, dass die
BQrgrer von einer Reihe lästiger Abgaben und Dienste
theilweise oder ganz befreit, und dass ihnen andererseits
nicht unerhebliche neue Einnahmequellen erschlossen
wurden.
Die Gründungsurkunde von 1288 verlieh den Bürgern
zunlU^hst gänzliche Zollfreiheit in den bergischen Landen ;
Herzog Gerhard dehnte 1449 dieselbe für alle in- und
54 Zur Verfasaungsgesehichte d€r SU»dt Däsaeldor
auswärtigen Bürger auf seine gesammten jetzigen und
künftigen Lande aus. Sodann wurden 1288 den Bürgern
alle öffentlichen Abgaben bis auf die an den Grafen zu
zahlende Herbstbede und den Futterhafer erlassen; erstere
Abgabe wurde durch die Stadt, letztere durch den landes-
herrlichen Finanzbeamten, den Kellner erhoben. Seit
dem 15. Jahrhundert hatte die Stadt daneben zu Weih-
nachten das sogen. Opfergelt mit 50 rhein. Gulden an
den Landesherru zu zahlen ; 1449 überwies Herzog Gerhard
diese Abgabe dem Ereuzbrüderkloster als Stiftungsgut.
Der Erwerb der in der Stadt belegenen vogteilichen
Güter des Landesherrn, welcher nach der Urkunde von
1288 noch an die Erlaubniss des Grafen geknüpft war,
wurde 1376, jedoch mit Vorbehalt der auf denselben
lastenden Abgaben und Dienste, freigegeben. Abgaben-
freiheit von ^ allen Srbsummen, Schätzungen, Diensten
und Ungeld^ wurde 1384 und 1394 den Bürgern auch für
die in Golzheim, Derendorf, Bilk und Hamm belegenen
Güter bewilligt; den Einwohnern von Hamm wurde zudem
auf 24 Jahre Bedefreiheit gewährt. Durch einen Schieds-
spruch zwischen der Stadt und der Collegiatkirche zu
Düsseldorf von 1341 wurde der an letztere zu zahlende
Zehnt dahin festgesetzt, dass von jeder Wohnstätte ein
Rauchhuhn, von jedem Garten in der Feldfiur von den
dort gezogenen Gemüsen ein Denar, und von den anderen
Gartenerzeugnissen deren zehnter Theil jährlichs ent-
richtet werden musste. Die von der Collegiatkirche selbst
erworbenen Hofstätten wurden 1396 von allen Abgaben
und Diensten befreit. Den Bürgern scheint die Freiheit
von Diensten auch fast im ganzen Umfang zugestanden
worden zu sein. Schon 1432 verapricht Herzog Adolf,
dass die Stadt in Zukunft nicht mehr zur Stellung von
Dienstfuhren, womit sie gegen ihre alten Privilegien eine
Zeit lang belästigt worden sei, angehalten werden solle.
Ein Weisthum von 1494 über die schuldigen Dienste
der freien Höfe in der Bürgerschaft setzt fest, dass diese
freien Höfe schuldig sind, zu dem Gottesdienst an den
hohen Festen des Jahres und gegen das Unwetter dem
Offermann zu Bilk läuten zu helfen, zum Bedarf der
Nachbarn stets 2 Karren in guter Bereitschaft, sowie einen
Stier und einen Zuchteber zu halten; ferner müssen sie
bei dem Criminalgcrichte Dienste leisten und den städti-
schen Wachtdienst mit versehen; auf Verlangen des Landes-
herr n oder der Stadt haben sie einen Heerwagen zu stellen;
die Stellung des etwa noch weiter erforderlichen Heer-
wagens ist Sache der Bürger. Die Bürger waren zu
Kriegsdiensten ausserhalb der Stadt dem Landesherrn nur
Zhit Verfassttngsgeschichte <hr SttuU Düasehloi^f* 55
in sehr beschränktem Maasse verpflichtet; zur Verthei-
digung der Stadt waren dagegen alle gleich verbunden.
Zu letzterem Zwecke war in späterer Zeit die ganze
Bürgerschaft in 4 Compagnien imter der Führung je eines
Hauptmannes eingetheilt, welche aus städtischen Mitteln
bestimmte Geldzulagen empfingen. In erster Linie über-
nahmen die städtischen Schützen die Stadtvertheidigung;
sie erhielten deshalb jährlich vom Landesherrn 15, von
der Stadt 8 Gulden; letztere lieferte ausserdem zu den
Schützenfesten den Wein und befreite den Schützenkönig
auf ein Jahr von Steuern und Diensten. Von dem allen
Bürgern gleichmässig obliegenden Wachtdienst konnte
sonst nur ein landesherrliches Privileg entbinden. Be-
freiungen von der Haus- oder von der Gewinnsteuer be-
willigte auf kürzere oder längere Zeit der Rath wegen
Krankheit, Misswachs u. dergl.
Unter den positiven Massregeln zur Beförderung des
Stadtwohls sind an erster Stelle die Marktprivilegien zu
erwähnen. Das Recht zur Markthaltung, welches zum
Wesen einer Stadt gehörte, musste durch besonderes landes-
herrliches Privileg verliehen werden. Schon die Erhebungs-
urkunde von 1288 verlieh nun der Stadt Düsseldorf zwei
freie Jahrmärkte^ von welchen der eine drei Tage vor
und drei Tage nach Pfingsten, der andere am Feste des
hl. Lambertus abgehalten werden sollte, und einen Wochen-
markt auf jeden Dienstag. Jedem Besucher wird der
Marktfrieden, freier und ungehinderter Zutritt sowie Be-
freiung von persönlicher Haft und Beschlagnahme des
Eigenthums zugesagt; nur die des Landes Verwiesenen
erfreuen sich nicht dieser Vergünstigung. Graf Wilhelm
verlieh 1371 weiter der Stadt einen sogen. Sonntagsmarkt,
der vom Samstagabend bis zum Montagmorgen dauerte.
Herzog Wilhelm bewilligte 1482 der Stadt einen dritten
freien erblichen Jahrmarkt, drei Tage vor und drei Tage
nach St. Albanstag, sowie einen freien erblichen Korn-
markt auf jeden Mittwoch. Von letzterem sind neben
den Feinden des Landes auch solche Leute, welche auf
-einem der Märkte gegen Credit gekauft, den Zahltag aber
demnächst hatten verstreichen lassen, so lange aus-
geschlossen, als jene Schuld nicht getilgt ist. Dagegen
waren sowohl reiche als auch arme Krämer, welche das
Marktstandgeld oder die Miethe für die Marktbuden nicht
erschwingen konnten, zugelassen; verboten war der ge-
winnsüchtige Vorkauf des Korns. Im Zusammenhange mit
den Marktprivilegien wurde 1371 der Stadt das Recht
verliehen, Mass- und Waagegeld zu erheben. — Eine
weitere wichtige Einnahmequelle, ja gradezu eine Lebens-
50 Zur Verfassungsgesehiehte d&r Stadt Dlittläorf,
frage der mittelalterlichen Stadt bildete der Besitz einer
genügenden Anzahl von Mühlen. Da „Wasser und Wind
der Herrschaft sind^, so bedurfte es sowohl zur Anlage
neuer als auch zur Verlegung bereits bestehender Wasser-
und Windmühlen stets eines landesherrlichen Privilegs.
Herzog Gerhard verpachtete 1449 zunächst der Stadt
seine zwei Walk- und Oelmühlen, erstere von besonderer
Bedeutung für das Tuchmacher-Gewerbe ; die Pachtsumme
war an den Kellner in Düsseldorf zu zahlen. Im Jahre
1483 verpachtete Herzog Wilhelm der Stadt die Stadt-
mühle und die Rompelsmühlc mit dem Recht, die Mühlen
auch an eine andere Stelle zu verlegen und zum Mühlen-
bau das Düsselwasser abzulassen. Als Pacht zahlte die
Stadt an den Kellner von der Stadtmühle 40 Malter
Roggen und 40 Malter Malz, von der Rompelsmflhle 12
Malter Roggen und zwar zu zwei Terminen: 26 Malter
Roggen und 20 Malter Malz auf St. Johannstag zu Mitt-
sommer und ebensoviel auf St. Andreastag. Besonders
werthvoU für die Stadt war es, dass sie zugleich für beide
Mühlen das Mahl-Zwangsrecht für den ganzen Stadtbezirk
erhielt, so dass jeder Bürger bei Geldstrafe verpflichtet
war, seine gesammte Frucht in diesen Bannmühlen gegen
eine Abgabe an die Stadt mahlen zu lassen ; ausgenommen
von diesem Bannrecht war die dem Herzog gehörige Schade-
lachs- (Scheidlings- ?) Mühle ; auch durfte die Stadt von dem
für die herzogliche Hofhaltung erforderlichen Getreide
keine Abgabe in den Bannmühlen erheben. Herzog Jo-
hannverlieh 1512, weil in Düsseldorf zu bestimmten Zeiten,
besonders bei hartem Winter und trockenem Sommer,
Wassermangel herrsche, der Stadt dazu eine Windmühle,
von welcher keine Pacht gezahlt zu werden brauchte.
Neben jenen Wassermühlen, welchen bei einer Belagerung
leicht das Wasser abgegraben werden konnte, und dieser
Windmühle, welche wegen ihrer Lage auf oder vor der
Stadtmauer sehr dem Feinde ausgesetzt war, besass die
Stadt noch eine Rossmühle, welche somit in den Tagen
einer Belagerung besonders wichtig war. — Unter den
sonstigen . Gerechtsamen der Stadt sind noch zu nennen
das ihr, 1437 zunächst nur für die Stadtgräben bis Pempel-
fort, 1449 aber auch für den Rhein gegen eine jährliche
Abgabe von 2 Salmen an den Kellner verliehene Fischerei-
gerechtsam und das 1437 für den ganzen Stadtbezirk be-
willigte Biergrütgerechtsam. Nachdem die Abgabe für
die Fischerei 1483 auf 4 Salmen erhöht worden war,
wurde sie der Stadt auf ihre Bitte 1661 ganz erlassen.
Die Einnahmen aus diesen beiden Gerechtsamen musste
die Stadt in erster Linie zur Unterhaltung der Stadtmauer
Zur Verfasaungsgeschiehte der Stadt Düsseldorf, 57
und sonstiger Bauten verwenden, worüber sie auf Er-
fordern Rechenschaft zu geben hatte. — Endlich ist noch
zu erwähnen, dass die Stadt das schon früher auf einige
Jahre erhaltene Recht, von jedem auf dem Rhein vorbei-
fahrenden Schiffe zur Unterhaltung des Werftes 2 köl-
nische Weisspfennige zu erheben, 1446 auf immer erhielt,
dass sie im Besitze des Schröteramts am Rhein und in
der Stadt gegen eine jährliche, am St. Andreastage fällige
Abgabe von 4 rhein. Oulden, welche ihr aber 1483 er-
lassen wurde, und im Besitze der Erahnengerechtigkeit
war, sowie dass ihr seit 1483 die städtische Accise, welche
sie theilweise schon früher besass, ganz überlassen war
mit dem Rechte, die Höhe derselben beliebig festzusetzen.
Neben diesen wirthschaftlichen Befreiungen und Be-
günstigungen der Stadtgemeinde zeigte sich deren öffent-
lich-rechtliche Selbständigkeit einmal darin, dass in der
älteren Zeit die ganze Stadtgemeinde selbständig handelnd
auftritt bei Rechtshändeln, welche das gesammte städtische
Interesse berühren, und sodann besonders in der Gerichts-
verfassung und in der inneren Verwaltung.
n. Gerichtsverfassung. Die Erhebungsurkunde
von 1288 gab der Stadt ein eigenes Gericht. Die räum-
liche Ausdehnung der Gerichtsbarkeit dieses Stadtgerichts
deckte sich mit den Grenzen des Stadtgebiets; zwar be-
hielt Bilk, als es 1384 dem Stadt verbände einverleibt
wurde, anfangs sein eigenes Schöffengericht bei; aber
schon 1394 bei der Zutheilung von Hamm, welches bis
dahin in Bilk dingpflichtig war, an das Stadtgebiet wurde
dieses besondere Gericht aufgehoben. Die sachliche
Zuständigkeit des Stadtgerichts umfasste anfangs die
gesammte Civil- und Strafgerichtsbarkeit. Von letzterer
waren jedoch leichtere Vergehen gegen polizeiliche An-
ordnungen, deren Aburtheilung dem Rath zustand, und
diejenigen Strafthaten gegen Religion und Sittlichkeit aus-
genommen, welche zur Zuständigkeit des Sendgerichts
gehörten. Letzteres wurde einmal im Jahre unter dem
Vorsitze des Pfarrers abgehalten ; die im Laufe des Jahres
vorgekommenen, zu seiner Cognition gehörigen Vergehen
wurden in der Sitzung von den Nachbarmeistern zur
Anzeige gebracht und gleich abgeurtheilt. Weiter waren
aber anfangs von der Criminalgerichtsbarkeit des Stadt-
gerichts ausgenommen die Fälle des Diebstahls, des Todt-
Schlags und der Nothzucht; für diese war das Haupt-
gericht zu Kreuzberg vor Kaiserswerth zuständig; zu
diesem Gerichte, welches durch den Zusammentritt der
Ritterschaft und der Schöffen aller Gerichte unterhalb
der Wupper gebildet wurde, hatte auch Düsseldorf einen
58 Zur Verfaasungageschiehte der Stadt Düsseldorf,
seiner Schöffen zu entsenden. Graf Wilhelm verlieh in-
dessen 1371 der Stadt „einen Galgen'^ d. h. die Zuständig-
keit auch für jene bis dahin vor das Kreuzberger Gericht
gehörigen Verbrechen, jedoch mit der Massgabe , dass
bei deren Verhandlung nicht der Stadtrichter, sondern
der Amtmann von Angermund den Vorsitz führen sollte.
Erstreckte sich nunmehr die Zuständigkeit des Stadt^
gerichts auf den ganzen Stadtbezirk und auf fast alle
Civil- und Strafsachen seiner Bewohner, so wurde diese
Bedeutung desselben noch erhöht dadurch, dass der Stadt
gleich 1288 das Privilegium verliehen wurde, dass kein
Bürger wegen irgend einer Civil- oder Strafklage, mochte
dieselbe auch ausserhalb der Stadt erwachsen sein, vor
ein auswärtiges Gericht gezogen werden durfte.
Im Zusammenhange hiermit ist auch der processrecht-
lichei) Vorschriften zu gedenken, welche die Gründungs-
urkunde von 1288 zum Vortheile der Bürger aufstellte,
und welche auf eine Erleichterung des Beweises und
Einschränkung des Zweikampfes hinauslaufen.
Der ausgedehnte, lebhafte Verkehr, welchen man
sich von der Stadt versprach, konnte nicht bestehen mit
dem bis dahin geltenden landrechtliehen Beweisrecht,
nach welchem der Beklagte, wenn nicht ein gerichtlich
abgeschlossener Vertrag oder ein durch leibliche Be-
weisung dargethanes Vergehen vorlag, in allen Fällen
jede klägerischerseits behauptete Schuld durch seinen
einfachen Eid ableugnen konnte, ohne dass dem Kläger
vergönnt war, seine Behauptung unter Zeugenbeweis zu
stellen. Deshalb Hess die Erhebungsurkunde von 1288
für den Kläger in Civilsachen den Beweis durch zwei
Zeugen zu, welcher dem einfachen Reinigungseid des
Beklagten vorging; als Zeugen konnten aber nur ein*
heimische oder fremde Schöffen auftreten. Der unter-
liegende Theil hatte 5 Mark an den Landesherrn und
5 Schillinge an die Stadt zu zahlen. Desgleichen konnten
Eheschliessungen durch zwei Zeugen („Bruloffsleute^ ;
bruloff d. h. Hochzeit) bewiesen werden. In Criminalsachen
genügte zur Ueberführung das Zeugniss zweier Schöffen
und des vereidigten Frohnboten; lag kein Zeugniss
vor, 80 konnte der Angeschuldigte sich durch seinen Eid
reinigen, vorbehaltlich der Ueberführung durch einen
gerichtlichen Zweikampf : auf einten solchen brauchte sieb
aber ein Bürger nur gegenüber einem Bürger und nur
in schweren Criminalfällen einzulassen. Die Strafgelder
fielen ebenfalls zum grösseren Theil an den Landesherm»
zum kleineren Theil an die Stadt.
Zuf VerfasBungsgesekiehU ätt Stadt Düsseldorf. 59
Das Personal des Stadtgerichts bestand aus dem
Schultheiss, acht Schöffen, dem Gerichtsschreiber, der zu-
gleich als Stadtschreiber fungirte, und aus einem, später
zwei Gerichtsboten. Der Scbultheiss setzte die Termine
an, führte in dem Gericht, mit Ausnahme bei der Ver-
handlung über Diebstahl, Todtschlag oder Nothzucht, den
Vorsitz und hatte die Vollstreckungsgewalt; er wurde
von dem Landesherm ernannt und war diesem vereidigt;
von ihm empfing er auch ein festes Gehalt neben dem
ihm zustehenden Antheil an den Gerichtsgebtthren ; später
scheint der jedesmalige Bürgermeister für das nächste
Jahr das Amt des Schultheissen bekleidet zu haben; er
hatte einen Stellvertreter in der Person des Unterschult-
heissen. Das Urtheil wurde lediglich von den Schöffen
gesprochen. Sie wurden von der Bürgerschaft frei ge-
wählt und mussten von dem Landesherrn bestätigt werden;
wählbar waren nur Bürger; die Schöffen hatten dem
Landesherrn und der Stadt den genau feststehenden
Schöflfeneid zu leisten. Bei dem Tode oder sonstigen Ab-
gange eines Schöffen hatten die übrigen im Verein mit
der Bürgerschaft für die erledigte Stelle drei neue Can-
didaten dem Landesherrn zu präsentiren; dieser musste
einen von denselben zum Schöffen ernennen. Eine feste
Besoldung bezogen die Schöffen von dem Landesherrn
nicht; ihr Unterhalt bestand, abgesehen davon, dass die
Stadt ihnen jährlichs einen Radergulden zahlte, in den
gewissen Antheilen an den Gerichtsgebühren. Der Stadt-
schreiber, welcher dem Landesherrn und der Stadt ver-
eidigt war, bezog von der Stadt eine feste Besoldung,
jährlichs 14 Radergulden und 2 Malter Roggen; er hatte
alle gerichtlichen Akte, Verträge, Verhandlungen und
Urtheile in das Gerichtsbuch einzutragen, welches auf
dem Bürger- oder Rathhause in 'einer Truhe aufbewahrt
wurde, zu welcher nur die beiden ältesten Schöffen, und
zwar jeder einen verschiedenen, Schlüssel besassen. Die
Boteu, welche ebenfalls von der Bürgerschaft gewählt
wurden und dem Landesherrn und der Stadt vereidigt
waren, hatten die Ladungen auszuführen, Pfändungen
vorzunehmen und sonst bei der Zwangsvollstreckung dem
Schultheissen behülflich zu sein; jeder von ihnen bezog
jährlich von der Stadt 6 Gulden, die Kleidung und ein
Paar Schuhe. Daneben hatten sie wie auch der Stadt-
schreiber gewisse Antheile an dßn Gerichtsgebühren.
Während die Gerichtssitzungen Anfangs nur nach Bedarf
stattfinden sollten, wurde 1555 angeordnet, dass sie
wenigstens alle 14 Tage an einem Werktage von 7 Uhr
Morgens im Sommer und von 8 Uhr im Winter bis Mittags
60 Zur Verfasaungsgesekiehte der Stadt DüssBldorf.
1 Uhr, nach einer 8 Tage vorüer in den Kirchen ge-
schehenen Bekanntmachung, abgehalten werden sollten.
Bei Civil- und Straf klagen musste das Gericht mit wenig-
stens sieben Schöffen besessen sein; bei den Akten
der freiwilligen Gerichtsbarkeit genügte meistens die
Mitwirkung des Schultheissen und zweier Schöffen.
Erhoben sich unter den Schöffen in irgend einer Rechts-
frage Zweifel, so mussten sie ihre Consultation bei dem
Schöffengericht in Ratingen nehmen ; als Beilage zu dieser
Consultationsfahrt hatte jede Partei vier Gulden zu zahlen :
daneben wurden dem consultirten Schöffenstuhl manchmal
besondere Geschenke verehrt. Darauf, dass eine Stadt
Consultationsstätte für eine andere ist, weist auch ledig-
lich die Bezeichnung „Hauptstadt'' hin; Düsseldorf war
„Hauptäitadt^, weil bei seinem Schöffengericht dasjenige
von Monheim Consultation nehmen musste. In späterer
Zeit wurde das Schöffengericht angewiesen, in schwierigen
Rechtsfragen das Gutachten einer juristischen Facultät
einzuholen. — Gegen alle Urtheile des Schöffengerichts
stand jeder Partei das Rechtsmittel der Appellation an
den Landesherrn zu. Dieses Rechtsmittel wurde 1561
auf Processe beschränkt, deren Streitobject über 25, und
1578 auf solche, deren Streitobject über 50 Goldgulden
betrug. Dem damaligen Zuge der Zeit, die Urtheile der
eigenen Gerichte der Instanz des neuen Reichskammer-
gerichts möglichst zu entziehen, folgten auch die Herzöge
von Berg ; von den Urtheilen des herzoglichen Hofgerichts
zu Düsseldorf konnte seit 1546 an das Reichskammer-
gericht nur bei einem Streitobjecht von mehr als 400 rhein.
Gulden, und seit 1568 nur bei einem solchen von mehr
als 600 Goldgulden appellirt werden.
Der anfänglichen, ziemlich umfassenden sachlichen
Zuständigkeit des städtischen Schöffengerichts erwuchs
mit der Zeit eine erhebliche Concurrenz in der Gerichts-
barkeit des Rathes. Schon früh hatte der Rath die Cog-
nition in kleineren Polizeidelicten und einen erheblichen
Theil der freiwilligen Gerichtsbarkeit, nämlich die Vor-
mundschafts- und Nachlassenschaftssachen an sich ge-
bracht; der Umfang seiner Zuständigkeit dehnte sich,
wenn auch unter mannigfachen Competenzstreitigkeiten,
immer mehr aus, bis er im Jahre 1672 nicht nur die
Cognition, sondern auch die Execution in allen Polizei-
delicten und in allen Civilsachen umfasste und landes-
herrlich bestätigt wurde.
III. Innere Verwaltung. Die innere Verwaltung
der städtischen Angelegenheiten lag in den Händen des
Bürgermeisters und des Raths. Zweifelhaft ist, ob der
Zur Verfas8ung9gesehieht4 dgr Stadt D^ssMorf» 61
Rath schon gleich bei der Stadterhebung Düsseldorfs ins
Leben trat, und die Erhebungsurkunde von 1288 seine
Einsetzung nur deshalb mit Stillschweigen übergeht, weil
dieselbe wohl selbstverständlich war, oder ob das Schöifen-
coUegium anfangs auch die Functionen des Raths versah,
und dieser sich erst in der Folgezeit aus jenem entwickelte.
Jedenfalls bestand der Rath als besonderes CoUegium
bereits 1358 laut einer Urkunde aus diesem Jahre. Bürger-
meister und Rath wurden von und aus der Bürgerschaft
gewählt und sind dem Landesherm vereidigt. Wie zur
BQrgeraufnahme, so wurde auch von dem Candidaten für
die Rathswahl im 16. und noch im 17. Jahrhundert die
Ängehörigkeit zur römisch-katholischen Confession ge-
fordert. In späterer Zeit wurde der Bürgermeister ab-
wechselnd in dem einen Jahre aus dem Schöffencollegium,
in dem andern aus den Rathsmitgliedern gewählt; auch das
active Wahlrecht war damals von der gesammten Bürger-
schaft auf die Schöffen und Rathsmitglieder übergegangen.
Der Bürgermeister musste noch im 18. Jahrhundert für
die Dauer seines Amtes eine ziemlich hoch bemessene
Caution stellen. Erst In dem auf das abgelaufene Amts-
jähr folgenden Jahre legte er Rechnung über seine Amts-
führung ab vor einer Commission, welche aus einem
Schöffen, einem Altrath und einem Jungrath bestand.
Die einzelnen Zweige der umfangreichen Thätigkeit des
Raths waren bald an einzelne Mitglieder, bald an Com-
missionen vertheilt.
Entsprechend der oben erwähnten Bedeutung der
Mühlen fllr die Stadt, war auch deren Verwaltung ein-
gehend geregelt. Das ganze Mühlenwesen unterstand
dem aus den Rathsmitgliedern zu ernennenden Mühlen-
commissar, welcher ebenso wie der Bürgermeister eine
hohe Caution stellen musste. Das ihm untergebene Personal
bestand aus den vier, zeitweilig sechs Stadtmüllern, den
zwei Mühlschreibern und den erforderlichen Mühlknechten ;
alle diese Personen waren dem Rath vereidigt. Abgesehen
von der technischen Leitung und der Ausführung der
erforderlichen Reparaturen, war die Thätigkeit des Mühlen-
commissars eine finanzielle und ^ewerbspoIizeUiche. In
erster Beziehung hatte er darauf zu sehen, dass kein
Getreide in den Mühlen zum Mahlen angenommen wurde,
bevor durch Vorzeigung der auf dem Mühlencomptoir zu
lösenden Mahl- und Acciszettel der Nachweis erbracht
war, dass die Abgabe an die Stadt entrichtet war; An-
zeigen von Uebertretungen des Bannrechta waren bei
ihm zu erstatten ; die Denuncianten erhielten aus städtischen
Mitteln Belohnung. Sodann lag ihm die Controlle des
62 Zur Vtrfa98ungsg€ichiehi€ der Stadt Düsseldorf.
Geschäftsverkehrs der Müller mit dem Publicum ob,
welcher durch die Vorschriften der Mühl-Ordnung geregelt
war. Die Mttller durften sich nur dem vom Rathe ge-
zeichneten Maasse bedienen ; sie durften die Früchte der
verschiedenen Mahlleute nicht vermengen ; sie sollten die
Leute der Reihe nach, wie sie in die Mühle kommen,
abfertigen, „es wäre dann ein Armer, so viel Kinder und
kein Brod hätte ;^ Gänse, Hühner und Enten durften sie
nicht in der Mühle gehen lassen, auch sollten sie nicht
mehr Schweine mästen, als sie für ihren Haushalt bedurften.
Die Mühlknechte hatten von den Bürgern das zu mahlende
Getreide abzuholen. Ausser ihrem feststehenden Gehalte
erhielten die Müller zu Fastnacht von der Stadt eine
besondere Geldzulage, das sogen. Fastnachtsbibal. Um
dem Rath, welcher die Preise des Getreides und Brodes
festsetzte, eine jederzeit zutreffende Unterlage hierfür zu
verschaffen, musste der Mühlencommissar jedesmal, sobald
eine Aenderung der Fruchttaxe in Aussicht stand, hierüber
dem Rath Bericht erstatten. Die Mühlenschrciber hatten
am Ende eines jeden Monats eine Bilanz über Einnahme
und Ausgabe der Mühlen dem Stadtrentmeister einzureichen.
Nach Ablauf seiner Amtsperiode hatte der Mühlencom-
missar gegen einen von der Stadt zu entrichtenden Mess-
lohn eine genaue Aufstellung der in den Stadtmühlen
lagernden Getreidevorräthe dem Rath einzureichen. Der
Rath controUirte diese Vorräthe deshalb, weil er, um bei
Missernten oder dergl. Unglücksfällen einer Hungersnoth
oder wenigstens einer Vertheuerung des Korns vorzu-
beugen, verbunden war, in einem Befestigungsthurme der
Stadtmauer, dem sogen. Kornstburm, stets einen gewissen
eisernen Bestand an Getreide vorräthig zu halten.
Der Rath handhabte ferner die Marktpolizei durch
die aus seiner Mitte ernannten Markt- und Hallenmeister,
denen zwei vereidete Markt- und Hallendiener zur Seite
standen. Die auf dem Markte befindlichen Verkaufs-
hallen wurden an die Verkäufer gegen ein festes Stand-
geld überlassen und zwar entschied vierte^ährlich eine
Verloosung über die einzelnen Stände. Gewisse Waaren,
wie Fleisch, durften nur in diesen Hallen, niemals im
Wohnhause feilgeboten werden. Die Lebensmittel konnten
nicht theurer verkauft werden, als die vom Rathe mit
Genehmigung des Landesherm aufgestellte Lebensmittel-
taxe gestattete. Es durften auf dem Markte nur die vom
Rath gestempelten oder geaichten Maasse und Gewichte
benutzt werden; die Aichung selbst geschah vor ver-
sammeltem Rathe durch Einzeichnung oder Einbrennung
^des gewohnlichen Stadtzeichens, des Ankers^. Zugleich
Zur VerfasaungageeehiehU der Stadt Düsseldorf. 63
hatten die genannten Beamten auch darüber zu wachen,
das8 nur gute Waaren auf den Markt kamen, dass die
Maass- und Waagengelder und die sonstigen Abgaben
von den Waaren richtig an die Stadt gezahlt wurden.
Nach einer Raths Verordnung von 1665 wurden hinsichtlich
der auf dem Wochenmarkte zu erhebenden Accise die
Fremden den Bürgern gleichgestellt ; Obst, Eier, Hühner,
inländische Butter, EAse, Honig und fHsche Fische, des-
gleichen kleineres Eisenwerk, wie Nägel, Harken und
Schuppen waren abgabefrei ; wurden sie aber in grösseren
Quantitäten, in Fässern oder in Karren zu Markt gebracht,
so wurde davon die einfache Accise erhoben ; das fremde
Bier unterlag der doppelten Accise, nämlich einer Abgabe
von 8 Weisspfennigen von der Ohm.
Weiterhin nahm die Baupolizei die Thätigkeit des
Raths erheblich in Anspruch, besonders seitdem Düssel-
dorf Residenz geworden war^ und das Streben des Landes-
herm so sehr auf die Verschönerung der Stadt durch
neue und ansprechende Bauten gerichtet war, dass sogar
hier und da für die Errichtung eines Neubaues Steuer-
und Dienstefreiheit auf einige Jahre durch landesherrliches
Privileg bewilligt wurde.
Es durften die Dächer nicht mehr mit Stroh, sondern
nur noch mit Dachziegeln gedeckt werden. Zur Her-
stellung derselben war ein besonderer städtischer Dach-
ziegelbäcker angestellt, welcher nach seinem Contrakte
die ersten drei Jahre jährlichs 125,000 und für jedes fol-
gende Jahr 100000 Pfannen fertigstellen und den Bürgern
tausend Stück Pfannen zu 51/2 Oulden ablassen musste.
Eine Baufluchtlinie wurde festgesetzt, über die hinaus
nicht gebaut werden durfte; die Giebel der "Häuser an
dem Markte und den benachbarten Strassen mussten aus
Stein hergestellt werden; für die Ziegelsteine war eine
bestimmte Grösse vorgeschrieben; Scheunen, Stallungen,
Düngergruben und ^heimliche Gemächer^ durften nicht
mehr auf die Strassen oder öffentlichen Plätze hinaus an-
gelegt werden. Hand in Hand mit diesen Vorschriften
ging die Strassen- und Wegepolizei. Die Pflasterung der
Strassen wurde nach einem bestimmten Plane in die Hand
genommen; die Gossen sollten in der Mitte der Strassen
angelegt werden, wo dieselben sich aber von Alters her
neben den Häusern befanden, sollten sie überdeckt werden;
behufs Ausbesserung der Strassen sollte der Rath immer
einen gewissen Vorrath von Pflastersteinen und Kies in
Bereitschaft halten. Die Reinigung der städtischen Strassen
überwachten die vier Stadtdiener; die Aufsicht über die
64 Zur VerfassungsgesehichU der Stadt DOssMorf,
Wege in der Feldflur lag in den Händen von FeldschQtzen;
zur Ausbesserung der Wege wurden noch im 18. Jahr-
hundert vielfach die Hand- und Spanndienste der Anwohner
aufgeboten. Die gegen Feuersbrunst vom Rath beschafften
Löschgeräthe standen unter den Aufsicht der Stadtdiener.
Diese Beamten hatten zugleich die Steuern beizutreiben,
die Bekanntmachungen des Raths durch .Trommelschlag
und Vorlesen auf dem Markte zu verkünden, die Laternen
der Stadt in Ordnung zu halten und ähnliche unter-
geordneten Dienste zu verrichten.
Der Rath beaufsichtigte auch das Schulwesen; die
Nachbarmeister mussten am zu diesem Zwecke von Zeit
zu Zeit ein Verzeichniss derjenigen Elinder aus ihrer
Nachbarschaft einreichen, welche ,,m Schul und Katechis-
mus zu gehen schuldigt sind. Das Armenwesen und die
Krankenpflege gehörten ebenfalls zu dem Geschäftskreis
des Raths. Die Stadtmüller mussten auf städtische Kosten
zu Ostern, Pfingsten und Weihnachten eine gewisse
Quantität Getreide für die Armen verbacken; die Stadt-
kasse bewilligte den Armen zeitweise Almosen in Geld
und Lebensmitteln. Den Kranken, für welche besonders
das durch den Wohlthätigkeitssinn der Bürger mit
Stiftungen reich ausgestattete Gasthaus oder Hospital
sorgte, wurde unentgeltlich ärztliche Hülfe und Medizin
gewährt. Für die Aufgaben der Gesundheitspolizei hatte
der Rath stets ein wachsames Auge ; als die Pest in der
Nachbarschaft auftrat, liess er Vorschläge über die Ab-
sperrung der Strassen mittels Ketten und Gatter aus-
arbeiten.
Endlich mag noch darauf hingewiesen werden, dass
dem Rathe, theilweise unter Mitwirkung des Landesherm,
für alle diese Zweige der städtischen Verwaltung auch
die autonome Gesetzgebungsgewalt zustand. An der
Spitze der gleichfalls dem Rath zustehenden, und sich
hauptsächlich in dem Besteuerungsrecht der Bürger
äussernden Finanzgewalt stand der Stadtrentmeister,
welcher aus den Rathsmitgliedem gewählt wurde.
der katholischen Gemeinde Düsseldorfs.
Von
Dr. Ludwig Küpper.
ach der alten Gau-Eintbeilung, welche in diesem
Falle auch für die Abgrenzung des kirchlichen
Verwaltungsbezirkes massgebend war, gehörte
die Gegend, in der später die Stadt Düssel-
dorf gelegen, zum sogenannten Keldachgau.
Dieser erstreckte sich von der Wupper bis zur Anger
und vom Rheine nach Osten hin bis an den Hettergau in
der Gegend von Elberfeld. Die ersten Christianisirungs-
versuche im Keldachgau sind wahrscheinlich von Köln
aus unternommen worden. Einige alte Kirchen, so in der
Nähe von Düsseldorf die Kirchen zu Hilden, Wittlaer und
Mündelheim, führen ihren Ursprung auf diese kölnische
Missionsthätigkeit zurück. Im Jahre 695 liess sich sodann
der h. Suidbertus auf der nach ihm Suidbertswerth,
spärter seit Friedrich Barbarossa Kaiserswerth genannten
lUheininsel nieder; von hier aus wurde nun theils durch
Suidbert selbst, theils durch seine Nachfolger die Bekeh-
rung des Keldachgaues vollendet, i) Von Suidbert selbst
gestiftet sind in der Nähe von Düsseldorf die Kirchen
Katingen und Bilk; letztere, die alte St. Martinskirche
in Bilk^ ist geschichtlich die Mutterkirche, weil erste
Pfarrkirche des ganzen Düsseldorfer Bezirkes. Ausser-
dem befand sich aber innerhalb jenes Pfarrbezirkes an
der Stelle, wo jetzt die Lambertildrche steht, noch eine
kleine Kü'che oder Kapelle, hinsichtlich welcher es un-
gewiss ist, ob sie von Suidbert selbst, oder von einem
>) Vgl. zu diesen Eingangsdaten Kessel, der sei. Gerrich (von
GorreHheim). Düsseid. 1877, S. 15 ff.
66 Geschichte der hathclischen Gemeinde Dffseeldwfe,
seiner Nachfolger emchtet wurde.*) Um diese Eürcbe
herum baute sich allmählich ein Dörfehen an, der Anfang
des heutigen Düsseldorf. Im Jahre 1206 wurde dasselbe
von Bilk abgetrennt und zu einer eigenen Pfarre er-
hoben, welche ausser Düsseldorf auch das Gebiet der
späteren Plärre Derendorf umfasste. Titular der Pfarr-
kirche war der h. Lambertus.
Einen weiteren Aufschwung, wie in der commanalen,
so auch in der kirchlichen Entwickelung Düsseldorfs
brachte das Jahr 1288. Nachdem Graf Adolph VT. von
Berg am 5. Juni dieses Jahres seinen Gegner, den Kölner
Erzbischof Sifrid von Westerburg, in der Worringer
Schlacht besiegt und gefangen genommen hatte, beschloss
er in Ausführung eines lange gehegten Planes, einen
befestigten Platz am Rheine anzulegen. Hierau wurde
Düsseldorf ausersehen und zum Range einer Stadt erhoben.
Hand in Hand damit ging die bauliche Erweiterung der
bisherigen Pfarrkirche und ihre Umwandlung in eine
Collegiat- oder Stiftskirche. Erstere vollzog sich in
der Weise, dass durch Verlängerung der Seitenmauem
des bisherigen Baues, der als Chor stehen blieb, eine ein-
schiffige Kirche mit einem Thurm an der Westseite her-
gestellt wurde, welche ungefähr den Flächenraum des
heutigen, Innern Chores und Schiffes der Lambertikirche
einnahm. Zur Errichtung eines CoUegiatstiftes gab Papst
Nikolaus IV. durch Breve vom 9. Sept. 1288 seine Zu-
stimmung und beauftragte damit den Abt von Siegburg,
da der Erzbischof von Köln sich in Gefangenschaft be-
fand.^) Als Stiftskirche erhielt die bisherige Lambertus-
kirche den Titel Mariä-Himmelfahrts -Kirche (B. M. V.
ässumtae). Das Stift zählte anfangs nur vier Kanoniker,
den Dechanten miteinbegriffen, welcher zugleich Pfarrer
der Gemeinde war. Unter dem folgenden Grafen Wilhelm I.
stifteten die Herren von Eller noch zwei Kanonikate,
denen Graf Adolph VIT. zwei weitere hinzufügte. Diese
Stiftungen wurden, erstere durch Clemens V. am 9. Juli
1305, letztere durch Erzbischof Heinrich von Virneburgr
am 24. März 1310 bestätigt.») Sonach war die Stiftskirche,
M Bayerle, die kath. Kirchen Düsseldorfs. Düsseld. 1844, S. 1 ff.
berichtet nach „einem alten Manuscripto**, dass an genanntem Orte
zuerst eine Marienkapeile gestanden habe, deren Fundamente nach-
her unter dem Innern Chor der Lambertikirche aufgedeckt worden
seien, und dass man dann „späterhin*' an Stelle jener Marienkapelle
eine Kirche zu Ehren der hh. Lambertus, Severin und Anno erbaut
habe, von welcher das jetzige Pfeilerwerk des Innern Chores der
Lambertikirche noch heirühren soll.
*) S. Brosii Annales Juliae Montiumque comitum tom. II, 2<
Bayerle S. 233.
») Bros. Annal. II, 27. 28. Bnverle 23«.
Geachfehte der hatholitehen Gemeinde Dileeeldorfe» 07
da noch zwei Vikarieen hinzukamen, am Anfang des
14. Jahrhunderts durch zehn Geistliche bedient. Die Stadt
Düsseldorf selbst hatte damals noch einen sehr kleinen
Umfang. Sie umfasste ausser dem alten Schloss und der
Stiftskirche nur die Strasse, genannt Altestadt, mit den
beiden Nebenstrassen Liefergasse und Krämergasse. Im
Aussenbezirk lagen zwar noch einige Güter, welche den
Herren von Flingern, von Pempelfort, von Loe und von
Eller gehörten.') Jedenfalls war aber die Zahl der Be-
völkerung noch so gering, dass der Dechant des Stiftes
die seelsorgliche Arbeit allein bewältigen konnte.
An der Ostseite der Altestadt führte das Liebfrauen-
thor in's Freie, d. h. dahin, wo jetzt die Ratingerstrasse
anfängt. Der Hinaustretende erblickte zur Linken ein altes
Muttergotteskapellchen, welchem das Thor seinen Namen
verdankte. 2) Dasselbe enthielt ein viel verehrtes Bild
„unser lieven vrauwen vam Hemelryke." Hierher kamen
von Alters her aus ganz Rheinland und Westfalen und
vom Oberrhein bis zur Schweiz hinauf zahlreiche Pilger-
züge, sodass Düsseldorf durch dieses Bild ein berühmter
Wallfahrtsort geworden war. Die Herren von Eller als
Grundherren des Bodens, auf welchem die Kapelle stand,
bauten neben dieselbe ein Hospital zur h. Anna, welches
für die Aufnahme von Pilgern, Kranken und Armen be-
stimmt war. Auch eine „Vurstat** war allmählich neben
der Liebfrauenkapelle entstanden. Bis zur Mitte des
14. Jahrhunderts hatten die Pilgerzüge ihre höchste Blüthe
erreicht. Um diese Zeit begann man, über der Lieb-
frauenkapelle die jetzt noch stehende, zweischiffige Kirche
zu erbauen, welche bis zum Jahre 1899 vollendet war.
Sie führte den Titel „Unsrer lieben Frauen vor der Porze**,
wurde aber später gewöhnlich Kreuzherrenkirche genannt.
Zwei Priester waren an derselben zur Besorgung des
Gottesdienstes angestellt, s)
Mittlerweile hatte auch die Stiftskirche eine bedeutende
Vergrösserung und Verschönerung erfahren. Sie ver-
dankte dieselbe dem Grafen Wilhelm H., 1360—1408,
welcher, 1380 durch den Kaiser zur herzoglichen Würde
erhoben, von da an den Titel Wilhelm L, Herzog von
Berg^ führte. Anfangs übernahm für ihn seine Mutter,
I) S. Lacomblet, Archiv für die Geschichte des Niederrheins.
Düsseid. 1863, Bd. lY S. 29. 9i) tt\
*) Nach der erzbischöflichen Stiftungsurkunde des Kreuzherren-
klosters vom Jahre 144G wäre genannte Kapelle spätestens vor 950
erbaut worden; denn es heisst dort, in derselben werde das Bild
der seliirsten Jungfrau schon seit 500 Jahren verehrt.
*) S. Strauven, die fürstliehen Mausoleen Düsseldorfs. Düasel-
dorf 1879, S. 11 ff.
5 *
68 Guehiehte d&r katholfsehfn Gemeinde Düneldorfe.
die Gräfin Margaretha, die vormundschaftliche Regierung.
Mit grosser Freigebigkeit sorgte sie für die Kirchen des
Landes und fand darin einige Erleichterung in ihrer Be
trübniss über den vorzeitigen Tod ihres im Turnier ge-
fallenen Gatten. Die fromme Gesinnung der Mutter war
auch auf den Sohn übergegangen; dieser aber verband
mit der Bethätigung derselben zugleich den äussern Zweck,
der nach Düsseldorf verlegten, nunmehr herzoglichen
Hofhaltung durch reiche Ausstattung der Kirche und
einen zahlreichen Klerus ebenso, wie durch die Vergrösse-
rung der Stadt und ihrer Befestigungen, einen höhern
Glanz zu verleihen. In den Jahren 1370 bis i:)94 baute
er die Stiftskirche zu einer dreischiffigen Hallenkirche
um, wodurch dieselbe ihre gegenwärtige Gestalt erhielt.
Im Innern war sie mit Wandmalereien und bunten
Glasfenstern geschmückt. Die Einweihung geschah am
12. Juli 1394. Als Titulare der Kirche werden neben der
allerseligsten Jungfrau die Heiligen Thomas, Lambertus,
Apollinaris, Severin und Anno aufgeführt. Bereits am
1. März 1392 hatte Herzog Wilhelm zu den vorhandenen
acht Kanonikalpf^ünden einschliesslich der Dechantei vier-
zehn neue gestiftet, nämlich die Propstei, Scholasterie,
Thesaurarie, Cantorie und zehn Kanonikalpräbenden. In
einer zweiten Ausfertigung der Urkunden im Juli 1392
wird die Zahl der neuen Präbenden auf fünfzehn erhöht,
und zu den vorhandenen zwei Vikarieen werden noch
zwölf neue hinzugefügt, darunter die beiden noch jetzt
bestehenden Vikarieen vom h. Kreuz und vom h. Petrus.')
Zwar sind diese Bestimmungen thatsächlich niemals ganz
zur Ausführung gekommen; aber dennoch zählte man
1394 schon vierzig Geistliche bei der Düsseldorfer Stifts-
kirche. Diese grosse Zahl der Kleriker machte die Er-
richtung von zwölf neuen Altären in der Kirche noth-
wendig; überhaupt sorgtQ>der Herzog auch für die innere
Ausstattung des Gotteshauses in würdiger Weise; jetzt
noch zeugen von seiner Freigebigkeit vier grosse Messing-
leuchter auf dem Chore der Kirche, welche ursprünglich
für das durch Wilhelm I. in der Stiftskirche hergerichtete
fürstliche Grabgewölbe bestimmt waren. Letztere Mass-
regel, die Anlegung eines Mausoleums für die herzogliche
Familie unterhalb der Stiftskirche, liefert allein schon
den Beweis, dass Herzog Wilhelm diese Kirche als seine
und seines Hauses Kirche betrachtete. Bis dahin waren
nämlich die bergischen Grafen regelmässig in Altenberg
1) S. die Bestätigiingsurkunde Bonifaz' IX. in Brosii AniMil.
II, :J6. B«yerle S. 2?R). Lacomblct, Archiv für die Geschichte des
Niederrheins IV, 107.
Geschichte der katholischen Gemeinde Düeeeidoffe, G9
beigesetzt worden. Um nun dieser seiner Kirclie einen
noch grösseren Glanz zu verleihen, sammelte der Herzog
föi" dieselbe auf Grund einer von Bonifaz IX. ertheilteu
Vollmacht möglichst viele und kostbare Reliquien. So
wurde 1383 am 28. September der Leib des h. Apollinaris
von Remagen nach Düsseldorf in die Stiftskirche gebracht ;
dieser Heilige, wie Einige meinen, ein Schüler des Apostel-
fttrsten Petrus, wird seitdem als Patron der Stadt Düssel-
dorf verehrt und das Andenken an die Uebertragung
seiner Reliquien durch das Fest Translatio reliquiarum
an dem genannten Tage gefeiert. Seit 1392 zieht auch
schon die ApoUinarisprozession jährlich denselben Weg
durch die Strassen des alten Düsseldorf. In demselben
Jahre 1392 kamen die Reliquien des h. Willeikus, eines
Genossen des h. Suidbertus, von Kaiserswerth nach Düssel-
dorf; 1393 wurde das Haupt der h. Lucia von dem Con-
vent zu Altenberg für die Stiftskü'che erworben. Dazu
kamen noch in demselben Jahre eine Partikel vom h. Kreuz
und Reliquien des h. Laurentius aus Gross-St. Martin in
Köln. 1 ^ Bei diesen Bemühungen um den Erwerb kost-
barer Heiligthümer wurde Herzog Wilhelm geleitet durch
den Geist seiner Zeit, welcher die Verehrung der Reliquien
und die Wallfahrten ohne Zweifel als einen Nachklang
der Kreuzzüge in dem religiösen Leben besonders hervor-
treten liess. Demgemäss war es nicht nur in religiöser,
sondern selbst in materieller Hinsicht für einen Ort von
der grössten Bedeutung, hervorragende Heiligthümer zu
besitzen. So tritt nun auch Düsseldorf, welches bis dahin
schon wegen seiner Liebfrauenkapelle jährlich von Pilger-
schaaren aufgesucht wurde, seit dem Ende des vierzehnten
Jahrhunderts in die Reihe der grossen, rheinischen Wall-
fahrtsorte, in denen alle sieben Jahre eine besonders feier-
liche Zeigung der Reliquien stattfand, s) Hierzu diente
h S. Bros. Aiinal. 11, 36. 37 und die Urkunde bezüglich der
Uebertraffung des h. Willeikus bei Bayerle S. 241.
*) Den Beweis hierfür hat Krebs, Zur Geschichte der Heilig-
thunisfahrten, Köln l8öl, S. 31 flf. erbracht. Derselbe stützt sich auf
a) die Limbur^j^er Chronik im Stadtarchiv zu Köln zum Jahre 13\Hi
„Indulgentz zu Düsseldorif Bergischen Landes. Indulgentz in massen
einer Komerfart ginge ahn in obgx. Jare zu DüsseldorfT, dass da
Hget in dem Niderlande und ist des Hertzogen von Berge und wass
dass aus gnade Bonifacii noni Bapstes zu Rome und wart in der-
selbigen zeyt da selbst gestifft ein Canonicat von Neuen und dass
wass von dem grossen zulauife, der dahin wass." Das Wort „Romer-
fart** im Texte bedeutet hier überhaupt eine Wallfahrt, — b) Re-
gistrum sive Processus reliquiarum ecclesiae coUegiatae gloriosae
semper benedictae Dei genitricis et virginis Mariae in Duysseldorp
coiitinens potiores historiarum particulas in die divi Jacobi cum
promulgantur ad honorem sanciorum pop.ilo praedicabiles. Es ist
dies ein Pergamentcodex aus 1511 im Archiv von St. Lnmbertus in
70 G^schiefite der katholischefi Gemeinde DüueMorfe,
der Anbau an der Südseite des Chores der Stiftskirehe,
von dessen Höhe herab dem Volke die HeiligthUmer ge-
zeigt wurden.
Eines der letzten Werke Wilhelms I. in religiöser
Hinsicht war die 1407 erfolgte Einführung einer Mutter-
;;ottesbruderschaft in der vor dem Thor gelegenen Lieb-
frauenkirche, aus welcher sich nachher die Rosenkranz-
bruderschaft entwickelt hat. Nach dem Vorgange des
Herzogs traten die angesehensten Personen des Hofes
und der Stadt und Viele aus dem Volke dieser Vereinigung
bei. Der Eifer des Fürsten für eine solche, ausschliess-
lich dem religiösen Gebiete angehörige Sache gewahrt
einen sichern Rückschluss auf die Beweggründe, welche
ihn überhaupt bei seiner Thätigkeit zu Gunsten der Reli-
gion geleitet haben. Wenn wir auch in dieser Hinsicht
nicht den heutigen Massstab zur Beurtheilung des Herzogs
Wilhelm anlegen dürfen, so bleibt es doch gewiss auch
für die damalige Zeit wahr und unbestritten, dass ein
Fürst, der einer Rosenkranzbruderschaft als Erster beitritt,
um durch sein Beispiel die Unterthanen nachzuziehen,
ohne Zweifel persönlich eine tiefreligiöse Gesinnung be-
sitzen muss. Dieser frommen imd religiösen Gesinnung
des Fürsten haben wir dann aber auch, wenigstens in
erster Linie, alles das zuzuschreiben, was er sonst für die
Kirche und die Religion in Düsseldorf gethan hat, wenn-
gleich nicht geleugnet werden soll, dass er dabei auch
den Glanz seines Hofes und den materiellen Vortheil der
Stadt im Auge hatte.
Düsseldorf, welcher die von Bonifaz IX. ausgeHtellteu sieben Tr-
kunden über die Heiligthümer, AblllBse u. s. w. und die Enieue-
rungsbullen seiner Nachfolger enthftlt — c) Eine Chronik des Stiftes
aus dem 17. Jhdt. im Archiv von St. Lambertus, in welcher über
die Zeigung der Reliquien Folgendes sich findet: Ab anno 1G54
anticipato (sc. modo) in dominica die festum s. Apollinaris celebra-
tur cum indulgentiis, cum processione solemni per civitatem, «luando
et Processi o ex Ratingen deducitur. Ostens! o reliquiarum fit
in festo h. Jacobi et omni septennio solemniter; vide
„processum reliquiarum" — den unter b angeführten Codex — . iu
quo vitae sanctorum per modum promulgationis conscriptae in per-
gameno .... Propter insirnes reliquias omni septennio OMten-
sio reliquiarum, uti Aquisgrani, et inter Keptem ecclcsias
visebatur a peregrinis a Trcviris praecedendo in Capellen, iiide
Coloniam, inde in Grevenradt, exinde Dusseldorpium et in Gladbach,
finaliter Aquisgranum, et Tungris absolvebant peregrinationem suam.
Es wurde also jährlich am Feste des k. Jakobus eine Zeigung der
Reliquien vorgenommen und alle sieben Jahre in feierlicher Weise.
Letzteres geschah, wie in Aachen, und in zeitlicher Verbindung:
mit der Aachener Heiligthumsfahrt. Die sieben, von den Pilger-
schaaren au^esuchten Orte waren Trier, Schillings-Capellen nm
Vorgebirge, Köln, Graefrath im Bergischen, Düsseldorf, Manchen-
Gladbach und Aachen.
Ge^ehiehte der kiUholiaehen Gemeinde DüeeeUlorfs, 71
Es war gewiss nur eine billige Anerkennung von
Seiten der Kirche, dass dem Herzoge ebenso, wie seinen
Vorfahren, gemäss den kanonischen Bestimmungen das
Patronats- oder Vorschlagsrecht bei Besetzung der von
ihm gestifteten kirchlichen Stellen eingeräumt wurde.
Im Uebrigen geschah die kanonische Besetzung der Stellen
innerhalb der Dekanie des Keldachgaues wenigstens an
den von Kaiserswerth aus gegründeten Kirchen bis in
das vierzehnte Jahrhundert hinein durch den Archipres-
byter von Kaiserswerth ohne Mitwirkung der Kölner
Diöcesanbehörde. Von da an aber verschwindet der
Keldachgau mit seiner Dekanie aus der Geschichte; letz-
tere erscheint fürderhin mit der Neusser Dekanie ver-
bunden und unterliegt mit derselben der Archidiakonal-
gerichtsbarkeit des Kölner Domdechanten. i)
Die unter der Regierung Wilhelms I. entfaltete äussere
Blüthe des kirchlichen Lebens war leider nach dem
Hingang dieses Fürsten nicht mehr von langer Dauer.
Sein Nachfolger, Herzog Adolph I., 1408—1437, seit 1425
auch Herzog von Jülich, wurde in eine blutige Fehde mit
dem Erzbischof Theoderich von Köln verwickelt, während
welcher die Greuel des Krieges wiederholt bis dicht
unter die Mauern Düsseldorfs sich hinwälzten. Dem Stifts-
kapitel wurden hierdurch die Einkünfte aus den Liegen-
schaften, ausserhalb der Stadt geschmälert. In Folge
dessen resignirte der zweite Propst, Albert Zobben, 1427
zu Gunsten des Stiftes; die Propstei ging ein und die
Dechantei war von da ab wieder die erste Dignität des
Kapitels. Gleichzeitig wurden mehrere Präbenden theils
eingezogen, theils mit der Dechantei vereinigt, sodass blos
fünfzehn Kanonikate übrig blieben, von denen aber auch
noch einige fast immer unbesetzt waren. Wie das Stift,
so litt auch die Stadt unter den Folgen des Krieges; ins-
besondere wurden die zahlreich dorthin kommenden Pro-
zessionen versprengt und blieben in der Folge ganz aus.
Herzog Gerhard I., 1437 — 1457, suchte diesem Uebelstand
theilweise dadurch abzuhelfen, dass er gleich im Anfang
seiner Regierung, 1438, Kreuzbrüder oder Kreuz-
herren — firatres s. crucis, crucigeri — nach Düssel-
dorf berief. Dieser in Belgien entstandene Orden mit
dem Hauptkloster in Huy hatte sich die Wahrnehmung
des kirchlichen Predigtamtes zur Aufgabe gesetzt. Nach
Deutschland kamen die ersten E[reuzbrüder 1298 auf
Veranlassung des Grafen Adolph VI. von Berg und grün-
deten hier das Kloster zu Beyenburg. Seitdem blieben
ihnen die bergischen Fürsten gewogen ; so erklärt es sich^
<) Binterim u. Mooren, Alte Krzdiöcese Köln T, 20H.
72 Oeschiehte der haiholieehen Otmemde Dü$$eldaff$,
dass. Herzog Grerhard gerade die EreuzbrUder als ersten
Orden nach Düsseldorf berief. Die feste, kirchliche Hal-
tung, welche die Klöster der EreuzbrQder in den Stürmen
des folgenden Jahrhunderts eingenommen haben, berech-
tigt zu dem Schlüsse, dass damals ein guter Geist in
diesem Orden herrschte. In Düsseldorf begünstigte sie
besonders die Gemahlin des Herzogs Gerhard, Herzogin
Sophia, eme geborene Prinzessin von Sachsen-Lauenburg.
Im Jahre 1445 übergab ihnen der Herzog die vor der
Altstadt gelegene Liebfrauenkirche >); das daneben befind-
liche Hospital zur h. Anna, dessen Gebäulichkeiten als
Kloster in Benutzung kamen, wurde 1450 nach der Flinger-
strasse und von da 1507 in Folge der Stiftung des Pfarrers
von Bosweiler und eines Kanonikus an die Stelle der
heutigen Garnisonskirche in der Kaserne verlegt. Am
3. November 1444 gewann Herzog Gerhard die Schacht
bei Linnig gegen den Herzog von Geldern ; in Folge dessen
stiftete er den Ritterorden vom h. Hubertus; jeder neu
aufgenommene Ritter musste vier Mark Gold an das Anna-
Hospital zahlen, wodurch dieses den Namen Hubertus-
spital erhalten hat.
Die Kreuzbrüder verstanden es, eine gedeihliche, das
Volk ansprechende Thätigkeit zu entfalten; ihre Kirche
wurde bald ein mit Vorliebe gewählter Begräbnissplatz
fUr angesehene Familien und blieb dieses bis in das acht-
zehnte Jahrhundert hinein. Vielleicht hat schon die Her-
zogin Sophie selbst hier ihre Ruhestätte gefunden; später,
am 10. September 1597, wurde die unglückliche Jakobe
von Baden in der Kreuzbrüderkirche beerdigt.*)
In der Stiftskirche war schon unter Herzog Adolph
am 20. Januar* 1435 die Sebastianusbruderschaft mit einem
eigenen Altar gestiftet worden; etwas später, unter dem
Dechanten Wilhelm de monte, 1447 — 1476, wurde an der
Nordseite der Kirche der sogenannte Kalvarienberg, eine
Kreuzigungsgruppe errichtet; dieselbe stand frei auf einem
etwa sieben Fuss hohen Untersatz, mit der Fronte gegen
die Kirche gewandt; mehrere Fuss hinter ihr her, un-
gefähr in der Mitte der heutigen Strasse, lief die Mauer
des Kirchhofes.») Herzog Wilhelm H., 1475—1511, liess
das Tabemakelhäuschen und das Chorgestühl, welche
sich heute noch in der Kirche befinden, errichten; von
ihm rührt auch die jetzt noch bestehende Frühmess-
stiftung her.
^) S. die BestätigungBiirkunde des ErssbischoCs Theoderich bei
BrosiuB II, 58.
*) Stranven, Mausoleen S. 13 ff.
<; Strnuven, Kalvarienberg, DüsKeldorf 1883, S. 1 ff.
Oetd^dUe der htUkoiisehen Gemeinde DlUeeldoffe. 73
Diese Thatsacheu liefern den Beweis, dass sowolil
der religiöse Sinn im Allgemeinen während des fünfzehnten
Jahrhunderts in Düsseldorf sich noch immer wirksam er-
wies, als auch insbesondere, dass die bergischen Fürsten
fortfuhren, nach dem Vorbilde Wilhelms I. den kirch-
lichen Angelegenheiten ihre Fürsorge zuzuwenden. Im
Verhältniss zur damaligen Ausdehnung der Stadt war für
die religiösen Bedürfnisse ihrer Bewohner in reichlichstetn
Alasse gesorgt Wenn wir auch die Thätigkeit des Ka-
pitels tUr die eigentliche Seelsorge nicht zu hoch an-
schlagen dürfen, so bot dasselbe doch den Gläubigen
einen regelmässigen und im Vergleich mit andern Orten
reichen und feierlichen Gottesdienst. Jeden Morgen um
tüLuf Uhr wurden die Metten gesungen ; daran schloss sich
lun sechs Uhr die gesungene Frühmesse ; alsdann folgten
die Stillmessen der Kanoniker und Vikare und um neun
Uhr das Hochamt. Nachmittags drei Uhr wurde Vesper
und Complet gehalten. Gepredigt wurde an allen Sonn-
und Feiertagen und an den Freitagen der Fastenzeit.
Der Pfarrdienst lag noch immer dem Dechanten allein
ob; doch wird es demselben nicht schwer gefallen sein,
namentlich für Christenlehre und Krankenbesuch, wenn
nöthig, bei den Kanonikern und Stiftsvikaren Unterstützung
zu finden. Dazu kam dann die Thätigkeit der Kreuz-
herren auf der Kanzel und im Beichtstuhl. Als kirchliche
Vereinigungen in jener Zeit sind die schon genannte
Rosenkranzbruderschaft und die Sebastianusbruderschaft
zu verzeichnen. In die Oeffentlichkeit trat das religiöse
Leben bei Gelegenheit der feierlichen Prozessionen, deren
vier erwähnt werden, nämlich erstens die Frohnleichnanis-
prozession, sodann die sogenannte Reliquienprozes^ion am
Feste des h. Jakobus, welche einen integrirenden Bestand-
theil der Heiligthumsfahrt bildete, und femer je eine Pro-
zession am Pfingstmontag und am Feste Kreuzerflndmig.
Nach Allem dürfen wir uns also wohl für berechtigt
halten zu der Behauptung, dass das religiöse Leben in
Düsseldorf, soweit dieses aus äussern Anzeichen erschlossen
werden kann, während des fünfzehnten Jahrhunderts
einer kräftigen und gesunden Blüthe sich erfreute.
Mit dem Tode Wilhelm's 11. erlosch der Mannesstamm
der Jülich-Bergischen Fürstenlinie; es folgte von lall
bis 1539 Johann I., der Friedfertige, Erbprinz von Cleve,
später als Herzog von Cleve Johann V., welcher die
Tochter Wilhelms 11., Maria, geehelicht hatte. Unter die-
sem Fürsten, mehr aber noch unter seinem Sohne Wil-
helm dem Reichen fanden die religiösen Wirreu des
sechszehnten Jahrhunderts auch in Düsseldorf Ein-
74 Genchichte der katholUehen Getueitide DüBseldotfs,
gang. Im Jahre 1527 gab Johann I. seine Tochter Sibylle
dem sächsischen Kurprinzen Johann Friedrich zur Ehe.
In Begleitung des Letzteren kam der Hofprediger Fried-
rich Mykonius, ein peraönlicher Freund Luthers ^ nach
Düsseldorf. Bei dieser Gelegenheit liess es sich nicht
umgehen, dass derselbe einige Male in der Schlosskapelle
predigte. Seitdem soll es hi Düsseldorf Anhänger der
neuen Lehren gegeben haben, i) Herzog Johann I. stand
aber grundsätzlich fest zur Kirche. Beweis dafür ist sein
1Ö2Ö erlassenes Dekret gegen die „Irrungen und Aufruhr
stiftenden Lehren und Schriften Luthers**: desgleichen
verbot er 1530 alle Religionsneuerungen und zwang die
bereits eingedrungenen Prediger der neuen Lehren, das
Land zu verlassen. Im Jahre IbM schloss er einen Ver-
trag mit dem damals noch kirchlich gesinnten Erzbischof
Hermann von Wied, um „aus ihren beidei^seitigen Gebieten
diejenigen fernzuhalten, welche die wahre Gegenwart
Christi im heiligsten Sakramente oder die Nothwendigkeit
der Taufe leugnen, welche die Heiligen lästern oder ge^en
die katholische Kirche sprechen^. Andererseits theilte
Johann I. init vielen seiner Zeitgenossen die Ueberzeugunj?,
dass eine Reformation auf dem kirchlichen Gebiete, d. h.
die Abstellung der im Laufe der Zeit eingeschlichenen
Missbräuche, ein unabweisbares Bedürfniss sei. Indem
er nun aber selbst dieses Reformwerk in die Hand nahm,
that er einen grundsätzlich zwar nich^. zu billigenden
Schritt der jedoch sowohl durch das Beispiel anderer
Reichsf ulkten , als auch durch die aussergeAvöhnlicken
Zeitverhältnisse erklärt werden kann. In seinen sojre-
nannten Kirchenordnungen von 1525 und 1532 ertheilt
Johann I. den Pfarrern scharfe Anweisungen in Bezug
auf Predigt und Katechese und verbietet zugleich jede
Einführung neuer Riten und Ceremonien. Letztere Be-
stimmung mochte wohl in erster Linie gegen die von
Aussen kommenden Neuerungen gerichtet sein ; sie konnte
aber auch der Entfaltung des religiösen Lebens innerhalb
der Kirche hinderlich werden, insofern sie nämlich ge-
wisse Erscheinungen auf dem Gebiete der Heiligen- und
^) Der damals gerade in DüB8cldorf anwesende Minont Joh.HoUor,
genannt Korbach, aus Köln hielt am 19. Febr. 1527 eine Disputation
mit Mykonius. Sofort erschien protestantischer Seits ein Bericht über
dieselbe, nach welchem Heller nicht blos sehr ungeschickt sich be-
nommen, sondern auch schliesslich die gegnerischen Argumente als
richtig anerkannt haben sollte. Dagegen erschien „Broder Johann
Hellers von Korbach obBeruant vif eyn unwarhnfftich smeychbuechlen
das yn der letsteu Frnncfurder messe wydder en ys ussganghen,
Collen lb27,** Er protestirt dagegen, dass er ssu Düsseldorf ,,seineu
Glauben ffekrencket vnd geleumdt habe*' und zeigt an elf Piuikteu
die Unwahrheit der gegnerischen Darstellung.
G$9ehidite der luUMitehen Gemeinde DüeeMorfe, 75
Reliquien Verehrung, der Ablässe, Prozessionen u. dergl.
mitbetraf, welche hin und wieder allerdings dem Drange
einer in Äussern Gestaltungen vielleicht allzu erfinderischen
Frömmigkeit ihren Ursprung verdankten.^)
Der geistige Urheber und zugleich Verfasser der
Kirchenordnungen Johanns I. war der Humanist Konrad
von Heresbach, ein Sohn des bergischen Landes, SchQler
des Erasmus und Freund Melanchthons. 2) Als Erzieher
des Erbprinzen Wilhelm und später als Berather dieses
Fürsten hat er auf die kirchlichen Angelegenheiten einen
grossen Einfluss ausgeübt. Wie Erasmus selbst, so war
auch Heresbach der kirchlichen Spaltung abhold ; er starb
1576 im Frieden der katholischen Kirche. Allein auch
darin glich er seinem Lehrer, dass er, wie dieser, den
Cultus, die Disciplin und selbst die Lehre der Kirche
unter Berücksichtigung der angeblich berechtigten For-
derungen der Neuerer einem Läuterungsprozesse unter-
werfen wollte, aus welchem ein alle Theile befriedigendes
Kirchen wesen hervorgehen sollte. Hierzu fehlte es aber
Beiden ausser an der Berechtigung auch an der nöthigen,
theologischen Durchbildung. Das desfallsige Bestreben
des Konrad von Heresbach hat sich unter dem folgenden
Herzoge in noch bedenklicherer Weise geltend gemacht.
Heraog Wilhelm IH., der Reiche, 1539—1592, besass
weder die Entschiedenheit des Willens, noch auch die
Einsicht seines Vaters und war daher mehr, als dieser,
von äussern Einflüssen abhängig, besonders während der
letzten Zeit seiner Regierung, wo er von körperlichen Leiden
und geistiger Schwäche heimgesucht wurde. Gleich von
Anfang an gerieth Wilhelm HI. durch den Conflikt mit
M Die am 8. Juli 1535 erlassene „Ordnung und Besserung**
seur Aufrechthaltung der Ruhe in den Herzogthümem, welche bis
xum allgemeinen Concil oder bis zu sonstiger kaiserlicher und stän-
discher neform Geltung haben sollte, verfolgte ofTenhar den Zweck,
die durch den Bauernaufstand erregte Bevölkerung zu beschwich-
tigen. £8 konnten aber lutherisch Gesinnte leicht in ihr ein Zu-
geatändniss und eine Auf^nunterung erblicken, zumal einzelne Vor-
schriften in die Immunität der Kirche eingriffen. An die Kirchen-
ordnung vom 11. Januar 1532 schloss sich 1533 eine auf herzogliche
Anordnung veranstaltete Visitation aller Kirchen des Landes diuxh
eine aus Geistlichen und Laien zusammengesetzte Commission, wo-
bei es zugleich auf Kenn tn issnahme der Emkünfte zum Zweck der
Besteuerung abgesehen war: alles Eingriffe in die kirchliche Iiunui-
nität, die man sich indess unter den gegebenen Umständen gefallen
laasen musste. Vgl. H. J. Floss, zum Clevisch-Märkischen KirChen-
streic Bonn 1883. S. 4, 5.
^ Albr. Wolters, Konrad v. Heresbach und der Clevische Hof
zu seiner Zeit, nach neuen Quellen geschildert. Ein Beitrag zur
Geschichte des Rcfomiatlonszeitaltors und seines Humanismus. Ver-
öffentlicht durch den Bergischen Geschichts verein. Elberfeld 1867.
76 Oeaehiehte ihr kaüwlisehen Otmeinde Düsa'eldorfB.
Karl V. wegen Geldems in eine für seine kirchliche Haltung
gefährliche Lage. Er wandte sich 1540 an den Convent
der protestantischen Fürsten in Frankfurt a. M.^ um durch
ihre Verwendung beim Kaiser sich im Besitze Geldems
zu behaupten. Abgesehen von diesem Schritte hat die
Regierung Wilhelms III. nach Aussen hin stets den katho-
lischen Charakter bewahrt. Im folgenden Jahre schon
finden wir den Namen des Herzogs unter dem Antwort-
schreiben der katholischen Fürsten auf eine kaiserliche
Anfrage in Betreff der Religionsangelegeuheiten. Es heisst
darin, die vielen Irrlehren, Spaltungen und Missbräuche,
welche eingeschlichen seien, machten die baldige Be-
rufung eines allgemeinen Concils nothwendig. Bis dahin
dürfe aber Niemand eigenmächtig in der Religion, ihren
Ceremonien und Riten eine Aenderung vornehmen. Der
Vertrag zu Venlo ir)4;{, durch welchen der Geldern'sche
Krieg beendigt wurde, legte dem Herzog in Art. 1 die
Verpflichtung auf, „seine Erblande und deren Bewohner
im rechten Glauben und in der Religion der allgemeinen
Kirche zu erhalten, keine Neuerungen vorzunehmen oder zu
gestatten und etwa schon eingedrungene zu beseitigen.^ i;
Zur grösseren Sichei^tellung dieser Vertragsbestimmuug
sollte die Ehe dienen, welche 1546 zwischen Wilhelm III.
und Maria von Gestenreich, der Tochter Ferduiands I.,
geschlossen wurde. In der Sache des Hermann von Wied,
in den Truchsess'schen Streitigkeiten, sowie in den Aachener
Wirren hat die Regierung Wilhelms III. immer den katho-
lischen Standpunkt eingenommen. Dieser officiellen Hal-
tung des Herzogs und seiner Regierung entsprach aber
keineswegs die Entwicklung der Dinge im Lande selbst:
nicht als ob der Herzog Willens gewesen wäre, den Pro-
testantismus einzuführen oder dessen Einführung förmlich
zu gestatten; im Gegentheil, 1548 Hess er den in Wesel
eingerichteten, protestantischen Cult unterdrücken und
stellte den katholischen Gottesdienst wieder her. Ausser-
dem bewies er auch noch durch andere Handlungen, die,
weil der politischen Bedeutung entbehrend, auch nicht
durch politische Rücksichten bestimmt sein konnten, dass
er persönlich ein katholischer Fürst sein wollte. So berief
er 1565 zur Einsegnung des von ihm ausserhalb der Stadt
angelegten, neuen Kirchhofs den Weihbischof Johann
Kritius von Münster, welcher bei dieser Gelegenheit in
Düsseldorf flrmte. Desgleichen liess er 1568 den Leib
der sei. Christina von Stommeln in feierlicher Weise von
Nideggen nach Jülich transferiren. Nichtsdestoweniger
bleibt es aber doch wahr, dass Wilhelm III. durch seine im
M Bro8. Aunal. III. r»0.
GwehichU der katholUehen Gemeinde DffeaMoffs» 77
Sinne Heresbachs gehaltenen, angeblichen Reformen das
Eindringen des Protestantismus in die bergischen Lande
erleichtert und befördert hat. Als die wichtigsten Re-
formen, von denen er nicht abstehen könne, bezeichnete
Wilhelm 1561 gegenüber dem pApsllichen Nuntius .loh.
Franz Commendone den Laienkelch und die Friesterehe.
Wenn man nun bedenkt, dass gerade diese beiden Stücke
allenthalben als das äussere Wahrzeichen der Einführung
des Protestantismus galten, so kann man leicht ermessen,
wem das Reformwerk Wilhelms III. schliesslich zum
Vortheil gereichen musste. Dazu kamen von 1500 an
mehrere Verordnungen, welche die Wallfahrten unter-
sagten, die Bilderverehrun g einschränkten und sogar der
Ausübung der kirchlichen Jurisdiktion im herzoglichen
Gebiete enge Schranken zogen, also lauter Bestimmungen,
welche offenbar von einer grossen Rücksichtnahme auf
die Anschauungen des Protestantismus zeugten und die
daher dem Eindringen desselben ebenso förderlich waren,
wie sie die Entfaltung des katholischen Cultus hinderten.!)
Die protestantischen Prediger durften nur nicht förmlich
und öffentlich als solche auftreten; wenn sie sich aber
auf den Boden der Reform Wilhelms III. stellten, so
konnten sie ungehindert ihre Thätigkeit entfalten. So
erklärt es sich, wie der Herzog ir>61 dem Nuntius Com-
mendone, der von ihm die Entlassung des protestantischen
Hofpredigers forderte, antworten konnte, der Mann sei
ja rechtgläubig. Solcher „rechtgläubigen** HofJ)rediger
hatte der Herzog mehrei'e nach einander ; einem derselben,
Wolleck ab Os, vertraute er sogar die Erziehung seiner
Töchter an. Selbstredend blieben die Neuerungen nicht
auf den Hofgottesdienst beschränkt, sondern fanden eben-
so auch Eingang in Stadt und Land. Wenn Herzog Wil-
helm in der mehrerwähnten Unterredung mit dem Nuntius
nicht übertreibt, indem er sagt, der Laienkelch sei schon
seit fünfundzwanzig Jahren im Gebrauche, so würde die
Einführung desselben spätestens in den Anfang der Re-
gieining Wilhelms III. zu versetzen sein.
Im Jahre 1545 wurde in Düsseldorf eine gelehrte
Schule, das sogenannte Seminarium reipublicae, gegründet.
Es war dieses ein humanistisches Gymnasium, verbunden
mit theologischen und juristischen Lehrcursen. Hier sollten
bis zur (Gründung einer Landesuniversität die Geistlichen
^) Hiusiclitlich di*r Ausübung' der kirchlichen Jurisdiktion stan-
den die Herzöge aus dem clevischen Hanse schon seit der Mitte
des 15. Jhdts. zu den Ordinarien von Köln und Münster in einem
«respannten VerhMltnisse, welches in den oben erwähnten Verord-
nnng'en Wilhelms HI. schärfer zum Ausdruck kam. Vgl. Floss,
Clevisch-Milrkischer Kirchinistreit, S. 1 ff.
78 Oesehichte tfer ktUhoiiaehen Gemeinde DUseekfarfa,
und Juristen des Landes ausser der allgemein wissen-
schaftlichen Vorbildung auch ihre specielle Fachbildung
erhalten. Nur Wenige besuchten auswärtige Universi-
täten und wurden dann später gewöhnlich im höhereu
Staats- und Kirchendienst verwendet. Es war also offen-
bar ausserordentlich viel daran gelegen, in welchem Geiste
das Seminarium reipublicae geleitet wurde. Als Rektor
berief man an die Anstalt den Magister Johannes Mon-
heim von Köln, einen Verehrer des Erasmus, der aber
in der Entwicklung seiner religiösen Ideen über Erasmus
hinausgmg und schliesslich auf dem protestantischen
Standpunkte anlangte. Während seine 1551 erschienene
„Erklärung des apostolischen Glaubensbekenntnisses und
der zehn Gebote^ sich damit begntlgte, die katholische
Kirchenlehre im Sinne des Erasmus in einer etwas ver-
flüchtigenden Weise darzustellen, enthielt der ir)601atemi6eh
herausgegebene „Katechismus^ bereits vollständig die
Lehre Luthers, allerdings in einer vorsichtigen, von An-
griffen auf die katholische Lehre absehenden Form. Das
Seminarium reipublicae war also unter Monheims Leitung
„zwar äusseriich keine der evangelischen üjrche ange-
hörige Anstalt; es wurde aber doch nach reformatorischen
Grundsätzen daselbst gelehrt.^ i)
Weder die Vorstellungen des Nuntius 1561, noch
auch die 1559 erfolgten kaiserlichen Mahnungen vermochten
den Herzog von dem einmal betretenen Wege abzubringen;
er gerieth immer mehr in Abhängigkeit von seinen pro-
testantischen oder doch reformgesinnten Käthen, unter
denen neben Heresbach besonders Aegidius Mommer zu
nennen ist. In den Jahren 1562, 1566 und 1567 wurden
durch vom Herzog eingesetzte Conrniissionen neue Kirchen-
ordnungen ausgearbeitet, welche nach des Herzogs Willen
eine „nützliche, beilsame, fromme und heilige Reformation
enthalten sollten, wie sie für die Kirchen seiner Länder
passend und hinreichend wäre.*'*) Es wurden aber nur
die früheren, den katholischen Cultus einschränkenden
Bestimmungen erneuert, dagegen die ^Predigt des Evan-
geliums im Sinne des Erasmus^ freigegeben. Letzteres
war die schützende Flagge für das Eindringen der neuen
Lehren; der Widerstand des Herzogs gegen dieselben
erlahmte in demselben Masse, in welchem seine geistige
und körperliche Schwäche zunahm. ^"^ So konnte 1567 der
>) Töimies, Die FakulUtsstudieii zu Düsseldorf, I. Thl. 8. 14 f.
*) Bros. Ananl. III, 74.
') Herzog Wilhelm erlitt zuerst 150(>aiif der Reise nach Augsbarg*
zam Reichstag einen Schlaganfall, der sich dort einige Male wiederholte.
Seitdem blieb er in einem „angefochtenen, beschwerlichen standt der
Oewhiehte der katholisehen Gemeinde Düueldarfe. 79
Prediger Leo von Düren es unternehmen, während einer
Krankheit des Dechanten sogar in der Stiftskirche den
bisherigen Gottesdienst abzustellen und dafür deutschen
Psalmengesang und die Communion unter beiden Gestalten
einzuführen. Düsseldorf war also auf dem besten Wege,
tiiatsächlich protestantisch zu werden, wozu dann der vom
Herzog und von Heresbach begünstigte Erasmianismus
die Brücke gebildet haben würde. Da trat mit dem Jahre
1570 ein Umschwung ein; der Tod des Aegidius Mommer
und der Abgang Heresbachs verschafften den katholisch
gesinnten Käthen das Uebergewicht ; das herzogliche Re-
formwerk gerieth in's Stocken, und der bis dahin ge-
hemmte und gebundene Widerstand des Katholicismus
konnte sich nunmehr Geltung verschaffen.
Die nächste Folge dieses Umschwunges zeigte sich
darin, dass die bisherige Unklarheit aufhörte und man
sich jetzt für oder gegen entscheiden musste. Die Zahl
der Anhänger des Protestantismus, deren es, wie oben
bemerkt, vielleicht schon seit 1527 in Düsseldorf gab,
hatte inzwischen so zugenommen, dass nach 1570 sofort
schon eine eigene protestantisch-reformirte Gemeinde ent-
stand. Ausserdem gab es aber auch noch Viele, die, ohne
gerade zum Protestantismus überzugehen, doch an den
bisher eingeführten Neuerungen im Gottesdienst, nament-
lich am Laienkelch, festhalten wollten und daher der voll-
ständigen Wiederherstellung des alten Gottesdienstes
Schwierigkeiten bereiteten. Andererseits Hess der katho-
lische Klerus, voran der Dechant Peter Flüggen, sich
diese Wiederherstellung sehr angelegen sein, ebenso, wie
auch die Wiedergewinnung der zur neuen Lehre Ueber-
getretenen und ihre Zurückführung in den Schooss der
katholischen Kirche. M Die Schwierigkeiten, welche die
Zeit Verhältnisse für die Seelsorge mit sich brachten, hatten
schon 1542 das Bedürfniss fühlbar gemacht, dem Dechanten
in seiner Eigenschaft als Pfarrer Gehülfen zur Seite zu
geben, und so wurden damals ein Canonikus und 1574
einer der Vikare als Hülfsseelsorger bestellt. Gegen den
im Seminarium reipublicae noch immer gebrauchten
^rcsundheit*', iialb gelähmt und oft geintig gestört. Auf der Rück-
reise hielt er sich in Stuttgart auf und wurde hier von dem Hersog
CiiriBtoph und von dessen Hofprediger Johannes Brenz eifWg den
Ideen des Protestantismus näher geführt. Die Kirchenordnung von
läHT war von Brenz vorher durchgesehen. Vgl. C. Binz, Doctor
Johann Weyer, ein rheinischer Arzt, der erste Bekämpfer des
Hexenwahns (Leibarzt Wilhelms III.). Bonn, 1885. S. 156.
1) Im Jahre 1578 erhielt der Dechant Peter Flüggen auf sein
Ersuchen von Rom die Fakultttt, Protestanten wieder in die Kirche
aufzunehmen, s. Bayerle S. 245.
80 G€9ehieki€ der koihoiUdtm Qemtmie Dü»$Moffß.
Monheim'scheu Katechismus wurde 1579 ein kaiserliches
Verbot erwirkt und an seiner Stelle der Katechismus von
Canisius eingeführt.
Unter dem letzten Herzog aus dem clevischen Hause,
Johann Wilhelm, 1592 — 1609, der schon beim Regierungs-
antritt schwachsinnig war, trat in den religiösen Verhält-
nissen keine Aenderung ein. Mit seinem Tode begann
der JQlich'sche Erbfolgestreit. Die beiden Hauptprftten-
denten waren Johann Sigismund, Kurfürst von Branden-
burgy Schwiegersohn der bereits verstorbenen ältesten,
und Wolfgang Wilhelm von Pfalz-Neuburg an der Donau,
Sohn der noch lebenden zweiten Schwester des letzten
Herzogs von Jülich -Cleve- Berg. Beide gehörten dem
lutherischen Bekenntnisse an; es eröflfkete sich also für
die katholischen Bewohner der drei Herzogthümer die in
der damaligen Zeit wenig erfteuliche Aussicht, Unter-
thanen eines andersgläubigen Herrschers zu werden. Die
beiden Prätendenten einigten sich dahin, die Herzogthümer
einstweilen gemeinschaftlich in Besitz zu nehmen. Düssel-
dorf wurde von den Soldaten des Pfalz - Neuburgers be-
setzt, und es folgten nun von 1609 bis 1614 für den
Katholicismus daselbst schlimme Tage. Die öffentliche
Ausübung der katholischen Religion ausserhalb der Kirchen
war untersagt und ein Gegenstand des Gespöttes; ja, es
kam so weit, dass es für schimpflich galt, katholisch zu
sein. 1) Zum Glück stand damals der tüchtige und hoch-
verdiente Dechant Wilhelm Bont an der Spitze des Kapitels
imd der Pfarrgemeinde. Ihr Ende erreichte diese Be-
drückung des Katholicismus durch die am 25. Mai 1614
eilolgte Rückkehr Wolfgang Wilhelms zur katholischen
Kirche. Zugleich datirt von diesem Zeitpunkte an die
entschiedene und vollständige WiederhersteUung der katho-
lischen Religion in Düsseldorf.
Es lässt sich nicht leugnen, dass während der nun
abgelaufenen Periode der religiösen Wirren, also etwa
von 15^7 bis 1614, die protestantischen Ideen bei der
Bewohnerschaft' Düsseldorfs auf einen nicht ganz uuftucht-
M lu dieser Zeit war es. wo die Hammer and Bilker durch
ihr F^iugreifeu den Anszug der Frohnleichnamsprocession herbei-
führten. Dieselben pflegften sich alUähriich bei der Düsseldorfer
Procession anzuscliliessen. Als sie nun merkten, dass Dechant and
Kapitel su ängstlich seien, nm die Procession ausziehen zu lassen,
bildeten sie gregen Ende des Hochamtes ohne Weiteres ihre Reihen
nud eroflYieten den Zug. Die hierdurch ermuthifj^ten Düsseldorfer.
Geistlichkeit und Volk, schlössen sich an, während die durch das
Unerwartete dieses Vorgehens überraschten Beamten und Soldaten
des Neubur^ers nicht zeitig genug darüber schlüssig wurden, was
Hie thun sollten. So wurde die Procession ungestört zu Ende ge-
führt. Baverle S. 55.
049Mebte der kaihoHschgn Oemeimh DilaseUlorfa, 81
baren Boden gefallen waren. Zu den allgemeinen Ui*-
sachen, welche damals allenthalben das Vordringen der
neuen Lehren begünstigten, kam eben fOr Düsseldorf noch
der besondere Umstand hinzu, dass die protestantisirende
Reform von oben herab ins Werk gesetzt wurde. Der
Einfluss des herzoglichen Hofes auf die Bewohner der Stadt
Düsseldorf, die ja ihren Fürsten Alles verdankte, war über-
haupt sehr gross, und die religiöse Seite machte in dieser
Hinsicht erst recht keine Ausnahme. Als Erbauer der
Gotteshäuser, als traditionelle Beschützer uncT Beförderer
der Religion, als Gründer und Patronatsherren der meisten
geistlichen Stellen übten die bergischen Herzöge auch in
kirchlichen Dingen einen beherrschenden Einfluss aus.
Sodann gewährte, wie wir bereits gesehen haben, die Art
und Weise, in welcher staatlicherseits reformirt wurde,
dem Eindrüigen der neuen Lehren bedeutenden Vorschub.
Ohne förmlichen Bruch mit der alten Kirche, vor welchem
doch wohl Mancher zurückgeschreckt wäre, wurden die
Geister allmählich mit protestantischen Ideen und An-
schauungen erfüllt. Das Meiste in dieser Hinsicht hat
die Monheim'sche Schule geleistet während der dreissig
Jahre, wo ^nach reformatorischen Grundsätzen^ daselbst
gelehrt wurde. Man wird wohl nicht fehlgehen mit der
Annahme, dass in Folge dessen ein grosser Theil der
Gebildeten des bergischen Landes protestantisch dachte
imd fühlte.
Um in diesen Verhältnissen Wandel zu schaffen, be-
durfte es eines mächtigen, dabei festen und zielbewussten
Willens und grosser Umsicht in der Wahl der Mittel.
Beides fand sich vereinigt in der Person des Herzogs
Wolfgang Wilhelm, 1614 — 1652. Unnrittelbar vor
seinem Uebertritt zum Katholicismus i) war zwischen ihm
1) Dieser Schritt Wolfgang Wilhelm's ist vielfach politischen
Beweggründen zugeschrieben worden. Woifgang V^ilhelm hatte
1613 die bayerische Prinzessin Magdalena geheirathet und war
dadurch den katholischen HOfen von Mttnchen und Wien näher
getreten. Der brandenburfische Kurfürst, welcher aUe Schritte
seinen Mitbewerbers scharf im Auge behielt, unterliess nicht, die
reformirten hollftndischen Generalstaaten hiervon in Kenntniss
zu Hetzen, um diese dadurch von einer etwa beabsichtigten
Unterstützung des Neuburgers abzuhalten. Als Letzterer nun
katholisch geworden war, suchte und fand er natürlich die
Unterstützung der katholischen Mächte, insbesondere der Spanier
in Belgien, welche ihm den Spinola mit einem Heere zu Hülfo
Nandten, um die noch nicht unterworfenen Orte der Herzogthümer
Jülich und Berg zu erobern. Darauf trat der Kurfürst vom lutherischen
zum reformirten Bekenntniss über und erhielt dadurch um so eher
die Unterstützung der reformirten Generalstaaten. So ist allerdings
die Politik durch den beiderseitigen Religions Wechsel beeinfltisst
worden; dies berechtigt aber noch keineswegs dazu, den Uebertritr
82 Geschichte der katholischen Gemeinde Düsseldorfs,
und dem Kurfürsten eine Theiiung der Herzogthümer zu
Xanten verabredet worden. Danach sollte Pfalz-Neuburg
Jülich und Berg, Kurbrandenburg Cleve und Mark er-
halten, während Ravensberg einstweilen noch im gemein-
samen Besitze verblieb. Obwohl dieser Vertrag nicht
ratificirt wurde, konnte man doch mit grosser Wahr-
scheinlichkeit annehmen, dass spftter nichts Wesentliches
mehr daran geändert werden würde. Da also der Besitz von
Düsseldorf gesichert erachien, gab sich Wolfgang Wilhelm
bald an die Aufgabe,, der religiösen Zwitterstellung, worin
die Stadt bis dahin mehr oder weniger sich befunden
hatte, ein Ende zu machen und die alte katholische Re-
ligion in ihrer Reinheit wieder herzustellen. Er sah aber
wohl ein, dass dieses Ziel durch äussere Massregeln nicht
erreicht werden könne, sondern dass es dazu einer Er-
neuerung des Geistes und also der Heranziehung fHscher,
geistiger Kräfte bedürfe. Deshalb berief er die Jesuiten
und die Kapuziner nach Düsseldorf. Diese beiden Orden
waren beinahe gleichzeitig in's Leben getreten, ersterer
1540, letzterer 1528 durch Abzweigung aus dem Franzis-
kanerorden; beide standen also damals in ihrer Jugend -
frische; sie verfügten über die besten Kräfte und ergänzten
sich dabei gegenseitig in ihrer Wirksamkeit, insofern
nämlich die Jesuiten in erster Linie auf die vornehmem
und gebildeten Stände einwirkten, während die Kapuziner
eine mehr volksthümliche Thätigkeit entfalteten. Sonach
durfte also Wolfgang Wilhelm von der Berufung gerade
dieser beiden Orden am ehesten eine Ei*neuerung des
kirchlichen Lebens in Düsseldorf erwarten.
Die ersten Kapuziner kamen, gesandt vom päpst-
lichen Nuntius Anton Albergato, am 24. November 1017
in Düsseldorf an. Der Herzog kaufte ihnen in der Flinger-
strasse einen Platz für die Kirche ; am 29. Juni 1621 fand
die Grundsteinlegung und am 25. Februar 1624 die Ein-
weihung statt ; mit Rücksicht auf die Herzogin Magdalena,
die besondere Beförderin des Werkes, wurde die neue
Kirche der h. Magdalena geweiht. Im Jahre 1623 war
ein Haus zum Klosterbau angekauft worden: 1639 wurde
neben der Kirche eine Todtenkapelle angelegt und in
Wolt'gang Wilhelm 's nun auch ohne Weiteres auf politische Beweg:-
^ünde zurückzuführen. Er selbst gibt als Grund seines Ueber-
trittes an die 'Ueberzeugung von der Wahrheit der katholischen
Religion, welche er aus dem Buche des Canisius „Summa doctrinae
christianae*' geschöpft habe. Vgl. A. Räss, Convertiten seit der Re-
formation IV, 223, wo auch ana^eg'eben ist, dass WolfMng Wilhelm
bereits am 14. Juli 1613 vor semer Eheschliessung zu München con-
vertirt, seine Conversion aber erst zu Düsseldorf am 25. Mai l<ii4
bekannt gemacht habe.
Vi
Otschiehfe der katholiseJien Gemeinde Düsseldorfs* 83
demselben Jahre, sowie 1641 und 1649 das Klostergebäude
erweitert, alles auf Kosten des Herzogs.
Fast gleichzeitig mit der Berufung der Kapuziner
erfolgte auch die der Jesuiten. Wolfgang Wilhelm
wandte sich 1618 an den Provinzial der Jesuiten in Köln;
1619 trafen die ersten Patres, Bernhard Buchholz und
Gerhard Lippius, mit einem Laienbruder in Düsseldorf
ein.i) Gegen die Errichtung eines Jesuitenklosters wurden
von drei Seiten Einwendungen erhoben, nämlich von Seiter
der städtischen Behörden, von Seiten der Vorstände der
protestantischen Gemeinden und von Seiten der in Düssel-
dorf ansässigen Kreuzbrüder. Ueberhaupt war man
anfangs für die Jesuiten nicht sehr eingenommen; es
kostete ihnen sogar Mühe, die Erlaubniss zu kirchlichen
Verrichtungen zu erhalten. Indessen liess sich Wolfgang
Wilhelm durch solche Schwierigkeiten nicht beirren;
noch in demselben Jahre trat er, wie einst Herzog Wilhelm,
seinen Unterthanen zum Vorbilde in die von den Jesuiten
gestiftete Congregation für Herren und Gelehrte, das
sogenannte Pactum Marianum, ein;>) viele angesehene
Personen geistlichen und weltlichen Standes folgten dem
fürstlichen Beispiel. Im folgenden Jahre 1620 wurde die
Sodalität der studirenden Jugend unter dem Titel „Maria,
Königin der Engel^ errichtet; am 1. November desselben
Jahres, nach anderer Angabe am 14. August 1621, über-
nahmen die Jesuiten auch die Leitung des Seminarium
reipublicae; später, im Jahre 1629, errichteten sie dazu
aus freiwilligen Beiträgen ein Convict für die studirenden
Jünglinge, genannt Salvatorium. Gegen Ende 1620 be-
fanden sich bereits dreizehn Jesuiten in Düsseldorf; die-
selben pflegten regelmässig an zwei Stellen in der Stadt
die Religionslehre öffentlich vorzutragen, wodurch sie die
im Glauben Wankenden befestigten und Manche, die sich
von der alten Kirche abgewandt hatten, wieder zurück-
führten. Als Frucht dieser Wirksamkeit entstand im
Jahre 1621 die BürgersodalitHt unter dem Titel „Maria
Himmelfahrt^, deren erster Präfect der Bürgermeister
Wilhelm Laufs war. Sie umfasste verheirathete und ledige
Mitglieder; erst 1636 trennten sich letztere ab und
gründeten die Junggesellen - Sodalität unter dem Titel
1) Die Nachrichten über die erste Niederlassung der Jesuiten
schwanken zwischen 1617 und 1620. Die meiste Wahrscheinlichkeit
besitzt die im Texte enthaltene Angabe. S. Baverle 127. Tönnies 18.
*) Das Pactum Marianum hat sich, allerdings in verkümmerter
Form, bis heute erhalten; geg'euwärtig- besteht es nur noch als
Vereinisutig von Geistlichen zum Zwecke der Fürbitte für die ab-
g<^hieaenen Mitglieder.
(;*
84 O€0ehidU$ der kathoiiiehen Otmeitkte DR39eidorf$,
„Uariä Reinigung''. Im Jahre 1633 hatte die Bürger-
sodalität zum ersten Mal eine Charfreitagsprozession zu
den Hauptkirchen der Stadt veranstaltet, welche seitdem
jährlich, jetzt von der Maxkirche aus, gehalten wird.
Bereits im Jahre 1621 hatte der Herzog den Jesuiten
ein eigenes Haus gekauft, welches sie am 29. November^
dem Tage des h. Andreas, bezogen. Dazu fügte er 1622
noch die Schenkung zweier anderer Häuser und einer
Summe Geldes zum Bau der Kirche. Am o. Juli wurde
unter grossen Feierlichkeiten der Grundstein der Kirche
gelegt und durch den Kölner Weihbischof Otto Gereon
benedicirt. Nach siebei^jähriger Bauthätigkeit konnte
1629, wiederum am 29. November, der erste Gottesdienst
in dieser nach dem Apostel Andreas benannten Kirche
gehalten werden. Dieselbe erfreute sich auch ferner der
besondern Gunst des Hofes und trat nach und nach zu
den Pfalz -Neuburgischen Fürsten in ein ähnliches Ver-
hältniss, wie dasjenige, in welchem die Stiftskirche zu
den alten, bergischen Herzögen gestanden hatte. In
Folge dessen erhielt sie auch den Namen der Hofkirche.
Herzogin Magdalena, die treue Gehülfin ihres Gemahl»
bei dem Werke der Wiederherstellung des Katholicismus^
hatte die Vollendung dieser Kirche nicht mehr erlebt;
sie war schon 1628 zu Neuburg a. d. Donau gestorben
und in der dortigen Jesuitenkirche beigesetzt worden.
Wolfgang Wilhelm 's zweite Gemahlin, die Pfalzgräfin
Katharina Charlotte von Zweibrücken, gehörte dem
reformirten Bekenntniss an. Um so mehr liess sich aber
die Gemahlin des Erbherzogs, Anna Katharina Constantia,
die Ausstattung der Jesuitenkirche angelegen sein; ihr
verdankt dieselbe die meisten Reliquien, welche sie
besitzt, besonders die des h. Andreas sammt der dazu
gehörenden silbernen Büste. Herzog Wolfgang Wilhelm
erbaute hinter dem Chor der Kirche das fürstliche Mau*
soleum, in welchem die Erbherzogin nach ihrem 1651
plötzlich erfolgten Tode als erste ihre Ruhestätte fand.
Die Stiftskirche, obwohl die Hauptkirche der Stadt,
wurde doch durch die der neuen Andreaskirche zu Theil
werdende Bevorzugung thatsächlich etwas in den Hinter-
grund gerückt. Dazu kam noch ein äusserer Unfall, von
welchem sie im Jahre 16.S4 betroffen ward. Am 10. August
dieses Jahres flog das am Rhein auf der Ecke der jetzigen
Ritterstrasse gelegene Pulvermagazin mit 300 Centnern
Pulver in die Luft und richtete ringsumher grosse Ver-
wüstungen an. Die bunten Glasgemälde der Stiftskirche,
sowie ihre innern Wandgemälde waren gänzlich zerstört,
und bei der Noth der Zeiten mitten im dreissig;jälin^eii
G$schiehte der kaihoÜBcken Gemeinde Düseehlwrfe» 85
Kriege durfte man, zutnal die fQrstliche Kasse durch
andere Ausgaben sehr in Anspruch genommen war, an
eine Wiederherstellung gar nicht denken. Man niusste
sich damit begnügen, den Schaden durch Uebertünchung
und einfache X^erglasung nothdUrftig auszubessern. Die
den Kirchhof nach der Rheinseite hin abgrenzende Mauer
war niedergeworfen, während der zwischen ihr und der
Kirche gelegene Calvarienberg merkwürdiger Weise gar
keinen Schaden genommen hatte, obwohl die stützenden
Eisenstangen hinter den drei Kreuzen von der Gewalt
des Stosses verbogen waren.
Durch die von den Jesuiten in's Leben gerufenen
Congregationen war die Möglichkeit geschaffen, auf den
mAnnlichen Theil der Bevölkerung eine erfolgreiche
religiöse Einwirkung auszuüben. Für die Frauen und
Jungfrauen entstand eine ähnliCihe Vereinigung in der
sogenannten Ursula-Gesellschaft, welche ebenfalls,
und zwar bis heute, ihren Sitz in der Andreaskirche hat.
Im Jahre 1627 traten aus Anlass der Pest die Wittwe
Marg. Heistermanns, geb. Steinhausen, und zehn andere
Frauen und Jungfrauen zusammen und verpflichteten sich
zu gewissen Andachtsübungen, zur Unterstützung der
Armen und zur Pflege der Pestkranken. Diese Vereini-
gung, welcher bald hochfttratliche und andere angesehene
Damen beitraten, erhielt 1652 die päpstliche Bestätigung
als kirchliche Bruderschaft.
Obschon die Zugehörigkeit der Herzogthümer Jülich
und Berg zum Hause Pfalz-Neuburg noch nicht entgültig
gesichert war, verhandelte Wolfgang Wilhelm doch schon
mit dem erzbischöflichen Stuhle zu Köln behufs Regu*
lirung der kirchlichen Verhältnisse im Bergischen. In
Folge dessen wurden 1621 durch die sogenannte Pro-
visional - Transaction zwischen Erzbischof Ferdinand von
Köln und Wolfgang Wilhelm die rechtsrheinischen Pfarren
der Neusser Dekanie von dieser abgetrennt und zum
Dekanate Düsseldorf vereinigt, i)
Zu den in Düsseldorf bereits vorhandenen Ordens-
niederlassungen der Kreuzherren, Kapuziner und Jesuiten
kamen in der Folge sowohl unter Wolfgang Wilhelm, als
auch unter seinem Sohne Philipp WUhelm 1652—1690
noch mehrere andere Klöster hinzu. Am 15. Oktober 1638
Hessen sich die Coelestinerinnen von Köln in Dussel
dorf nieder und kauften 1642, vom Herzog und von der
Stadt unterstützt, ein Haus in der Ratingerstrasse. Zum
Rlosterbau kamen sie erst 1688 und vollendeten denselben
M Binterini u. Mooren. Alte KradiocoBe Köln I, 208.
8<) Geschichte der katholischen Oememde Düsseldorfs*
1691. Darauf legten sie 1H9G den Grundstein zur Kirche^
welche 1 701 in Gebrauch genommen wurde. — Aus ganz
kleinen Anfängen erwuchs das heute noch als Ordens-
haus dastehende, wenngleich von seinen ehemaligen In-
sassen nicht mehr bewohnte Carmelitessenkloster.
Im Jahre 1639 erhielt die Priorin der Carmelitessen zu
Köln von Herzog Wolfgang Wilhelm und vom städtischen
Magistrat die Erlaubnisse eine Niederlassung in Düsseldorf
zu gründen. Zu diesem Zwecke schickte sie vorerst ein
Fräulein Anna Maria von Knippenburg, welche dem Orden
sehr zugethan war und später selbst eintrat, nach Düssel-
dorf, um die ersten Vorbereitungen zu treffen. Erst 1642
gelang es dieser, ein kleines Häuschen zu erwerben,
welches sich auf dem freien Platze befand, der durch
die Katastrophe von 1634 zwischen dem Rhein und der
Stiftskirche entstanden war. Hier wurde 1643 der erste
Carmelitessenconvent , bestehend aus vier Schwestern,
gegründet. Dieselben erwarben sodann einen Platz neben
jenem Häuschen und begannen hier 1644 den Bau eines
bescheidenen Klösterchens, welches 1646 vollendet wurde.
Hierbei waren sie sowohl durch den Herzog, als auch
durch den Bürgermeister Pipers thatkräftig unterstützt
worden. Ersterer schenkte ihnen den Platz, auf welchem
jetzt die Kirche steht. Sie verbanden denselben einst-
weilen durch Mauern mit ihrem Wohngebäude und be-
nutzten ihn als Garten. Das neue Klösterchen, dessen
Insassen einen rein beschaulichen und strengen Lebens-
wandel führten, erregte Bewunderung und Theilnahme
besonders in den Kreisen der vornehmen Damen am Hofe
und in der Stadt, von denen mehrere der Genossenschaft
beitraten. Eine hervorragende Beschützerin der Carmeli-
tessen war die Prinzessin Eleonore Magdalena Theresia,
Tochter des Herzogs Philipp Wilhelm und später Ge-
mahlin des Kaisers Leopold. Bis zum Jahre 1670 hatten
die Schwestern, unterstützt von ihren Wohlth&tern, durch
den Ankauf dreier Häuser nach der Altestadt hin den
Platz gewonnen, auf welchem sie im folgenden Jahr-
hundert den grössern Klosterbau begannen. — Im Jahre
1649, als Düsseldorf wieder von der Pest heimgesucht
war, kamen sechs Oellitinnen, Krankenschwestern von
der Regel des h. Augustinus, von Köln und bezogen
vorderhand eine provisorische und räumlich beschränkte
Wohnung. Durch CoUecten, welche sie im Lande ab-
hielten, sammelten die sonst armen Schwestern die Mittel
zu einem bescheidenen Klosterbau auf der Hunsrücken-
strasse, der aber erst im Jahre 1699 fertig gestellt wurde.
Ihre Kirche war der h. Elisabeth gewidmet.
Ge$ehickt€ dei' katholischen Gemeinde Diiseeldorfs, 87
Die bis jetzt erwähnten weiblichen Genossenschaften
hatte man in Düsseldorf gerne aufgenommen und bereit-
willigst unterstützt. Dieselben bildeten ja auch nur kleinere
Niederlassungen, welche der Bevölkerung nicht besonders
beschwerlich fielen^ im Gegentheil, wie die der Cellitinnen,
Rogar einen unmittelbaren, äussern Nutzen brachten.
Auch waren ihre Wirkungskreise verschieden, indem die
letztgenannten dem praktischen, die beiden andern dem
beschaulichen Leben sich widmeten, sodass sie gegen-
seitig einander nicht beeinträchtigen konnten. Anders
aber lagen die Dinge, als 16«öO auch die Franziskaner
in Köln sich anschickten, ein Kloster in Düsseldorf zu
gründen. War schon, wie oben bemerkt, gegen die an
dritter Stelle gekommenen Jesuiten nicht blos von Seiten
der Protestanten, sondern sogar von den Kreuzherren
Einspruch erhoben worden, so musste man jetzt, wo der
vierte Männerorden sich in Düsseldorf niederlassen wollte,
um so eher auf den Gedanken kommen, dies möchte doch
wohl des Guten etwas zu viel sein. Auch Wolfgang
Wilhelm theilte die Bedenken, welche gegen die Errich-
tung eines vierten Männerklosters erhoben wurden ; allein
bei seiner Arommen Gemüthsart konnte er es nicht über
sich gewinnen, dem Pater Bolender, der ihn um die
Erlaubniss zum Klosterbau anging, eine abschlägige Ant-
wort zu geben. Er ertheilte, wenngleich zögernd, die
landesherrliche Genehmigung am 9. Januar 1651 und
kaufte sogar den Franziskanern ein Haus in der Citadelle.
Erzbischof Max Heinrich gab am 18. December 1651 die
kirchliche Erlaubnisse), und es Hessen sich nun vier Patres
und zwei Laienbrüder in Düsseldorf nieder. Sie fanden
aber in der ersten Zeit fast gar keinen Anklang und
in Folge dessen auch keine Unterstützung bei der Be-
völkerung, was für die ausschliesslich auf Collecten
angewiesenen Franziskaner eine sehr missliche Sache
war. Indessen Hessen sie sich doch nicht entmuthigen;
sobald die häuslichen Einrichtungen soweit gediehen
waren y begannen sie in ihrer Kapelle Gottesdienst zu
halten, nämlich täglich feierliche Conventualmesse und
Nachmittags Vesper und Complet; an Sonn- und Feier-
tagen war Morgens Predigt und Katechese ; besonders die
Predigten der Franziskaner erzielten einen gewaltigen
Zulauf, sodass sie nicht selten im Freien gehalten werden
mussten. Im Jahre 1652 vermachte eine Frau Anna von
Binafeld ein Kapital zum Kloster- und Kirchenbau; am
9. Mai 1655 wurde durch den Herzog Philipp Wilhelm
der Grundstein gelegt; im Jahre 1659 konnte das Kloster
1) Urkunde bei Bayerle 8. 255.
88 Geschichte ffer kaHtolisehfn Gemtmdt Dll98Mo9f§,
bezogeil werden, und 1003 war auch die Kirche volleudet.
Am 4. August 1G69 wurde in der Franziskanerkirche die
Bruderschaft von der unbefleckten Empf&ngniss und am
28. December 1683 die vom h. Antonius von Padua
errichtet, in welche sich der Herzog, die Herzogin und
viele Andere sofort einschreiben Hessen. Durch Ausdauer
und anhaltende Thätigkeit war es den Franziskanern
gelungen, unter schwierigen Verhältnissen in DQsseldorf
festen Fuss zu fassen und eine fruchtbringende Wirksam-
keit zu eröffnen.
Im letzten Viertel des Jahrhunderts endlich kamen
auch noch dieUrsulineriunen nach Düsseldorf, w^elche
sich der Erziehung der weiblichen Jugend widmen. Schon
seit 1677 w^ohnten einige Schwestern in einem Privathause
in der Nähe des Carmelitessenklosters ; 1684 erhielten sie
vom Herzog einen Bauplatz zum Qeschenke und bezogen
bereits 1686 das neu erbaute Kloster.
So hatte denn Ein Jahrhundert der Stadt DQsseldorf,
welche bis dahin nur die Kreuzherren in ihren Mauern
beherbergte, sieben neue religiöse Genossenschaften
gebracht: die Jesuiten, Kapuziner, Franziskaner, Coe-
lestinerinnen, Carmelitessen, Cellitinnen und Ursulinerinnen.
Nach einem Bericht des Dechanten Arn. Bern. Voetz vom
Jahre 1658 zählte Düsseldorf damals 14 768 Einwohner,
darunter 13848 Katholiken und 920 Andersgläubige. Die
Anhäufung der religiösen Orden in einer verhältnissniässig
nicht so sehr grossen Stadt findet ihre Erklärung in den
Zeitverhältnissen. In Folge der Ausbreitung des Prote-
stantismus waren nämlich die Klöster an sehr vielen
Orten eingegangen; die Insassen derselben zogen sich in
ihre betreifenden Haupt- oder Mutterklöster zurück, und
von dort aus suchte man dann, um der eingetretenen
Uebervölkerung abzuhelfen, die katholisch gebliebenen
Landestheile zur Anlage neuer Niederlassungen auf.
Daher kommt es, dass wir nach der Kirchenspaltung in
den katholischen Gebieten die Klöster in grösserer An-
zahl als früher antreffen.
Für Düsseldorf hatte die Errichtung und Wirksam-
keit dieser klösterlichen Genossenschaften den Erfolge,
dass der Katholicismus seiner Bewohner, welcher während
des sechszehnten Jahrhunderts, wie wir gesehen haben ,
nicht nur in seinem äussern Bestände, sondern mehr noch
in seinem Innern Wesen gefährdet war, jetzt wieder alles
fremden Beiwerks entkleidet und mit neuer Lebenskraft
erfüllt wurde. Beweis dessen ist schon der in den oben
erwähnten Klosterbauten sich kundgebende, religiöse
Opfergeist der Bevölkerung: denn wenn auch die Frei-
Oes^itkU d4tr ktUhoif'tehen Gemeinde DäseeMoife. 89
gebigkeit der Landesfürsten einen grossen Theil der Kosten
deckte, so unterliegt es doch keinem Zweifel, dass die
Borger noch Vieles dazu beiges^teuert haben. So wurde
auch im Jahre 1667, da wiederum die Pest Dasseldorf heim-
gesucht hatte, zur Danksagung wegen des Aufhörens der
Seuche die Rochuskapelle in Pempelfort erbaut,, zu
welcher von da an viele Prozessionen hinzogen. Von
1690^1692 wurde die Pfarre Derendorf errichtet. Vor
den Thoren der Stadt wohnten nach dem Berichte des
Dechanten Voetz noch 5&9 zur Düsseldorfer Pfarre ge-
hörige Katholiken. Seit der Erweiterung der Festungs-
werke unter Wolfgang Wilhelm war besonders die nächt-
liche Pastorirung dieser Pfarrangehörigen Sehr schwierig
geworden. Die Düsseldorfer Kanoniker Peter und Arnold
Sommers, zwei Brüder, fundirten die neue Pfarre unter
Mitwirkung des Kanonikus Berthold von Weyer aus ihrem
eigenen Vermögen. Sie erbauten Kirche, Pastorat und
Vikarie und dotirten die Stellen. Das Material zum Kirchen-
bau wurde von einer abgerissenen Kapelle hergenommen,
die einst Kaiser Friedrich m. an Kirchholtes hatte er-
bauen lassen. Der Hochaltar stammte aus der Stiftskirche,
wo er hinter dem dortigen Hochaltar gestanden hatte.
Er war der allerheiligsten Dreifaltigkeit gewidmet und
gab die Veranlassung, dass auch die Derendorfer Kirche
diesen Titel erhielt, worauf ihre drei Thürme hinweisen.
Auch fQr die innere Ausstattung der Gotteshäuser trug
man wieder Sorge: wir brauchen nicht auf die reich
gehaltene Jesuitenkirche hinzuweisen; selbst die schwer
geschädigte Stiftskirche fand gegen Eifde des Jahrhunderts
wieder die Mittel, um auf ihren innem Schmuck Bedacht
zu nehmen. Nachdem sie 1666 von Herzog Philipp Wilhelm
den Silber - vergoldeten Schrein für die Reliquien des h.
Apollinaris zum Oeschenk erhalten hatte, ging man 1681
an die Errichtung des jetzigen Hochaltars und beschaffte
von 1690 bis 1704 die Statuen, auf dem Altar und zu
beiden Seiten desselben.
Alle diese Opfer, welche die katholische Bevölkerung
Dllsseldorfs im Laufe des siebenzehnten Jahrhunderts
sich für Kirchen- und Klosterbauten auferlegte, wiegen
um so schwerer, weil sie in einer äusserlich sehr be-
drängten Zeit gebracht wurden. Es war eben die Zeit
des äreissigjährigen Krieges und seiner Nachwirkungen,
von denen auch die Gegenden betroffen wurden, welche
die G^issel des Krieges selbst nicht erreichte. Dazu kam
noch, dass die Stadt zu wiederholten Malen von Seuchen
heimgesucht wurde; 1627, 1649 und 1U6G herrschte die
Pest, 1676 die rothe Ruhr in Düsseldorf; an letzterer
90 Geschichte der kathoiiseken Gemeinde DUsaeldoffe^
Krankheit allein starben 900 Menschen , darunter zehn
der Krankenpflege gewidmete Franziskaner. Allerdings
sind derartige Heimsuchungen andererseits auch wieder
geeignet, den religiösen Sinn im Volke zu wecken und
lebendig zu erhalten. In Düsseldorf zeigte sich gerade
diese Wirkung der betrübten Zeiten schliesslich auch noch
darin, dass ältere, zum Theil in Verfall gerathene kirch-
liche Uebungen und Einrichtungen wieder hergestellt und
erweitert wurden. So bestand in der Stiftskirche eine
alte Fimdation von einem Kanonikus Johann Xantis,
gemäss welcher am Oktavtag von Frohnleichnam ein
Umzug um die Kirche gehalten und täglich nach der
Vesper eine sakramentalische Antiphone gesungen wurde.
Am 6. Januar IBoo beschloss das Stiftskapitel, dass fürder-
hin an jedem Donnerstag eine h. Messe vor dem aus-
gesetzten hochwürdigsten Gute und nach derselben sakra-
ment^ischer Umzug durch die Kirche gehalten und bei
der Vesper der sakramentalische Segen ertheilt werden
sollte. Da diese neue Einrichtung sehr vielen Anklang
fand, so errichtete der Dechant Voetz eine sakramen-
talische Bruderschaft in der Stiftskirche und machte eine
Fundation für die obigen Andachten und für eine Predigt
an jedem zweiten Sonntag des Monates, i) Herzog
Philipp Wilhelm übernahm das Protectorat der neuen
Bruderschaft. — In der Kreuzherrenkirche war die alte
Rosenkranzbruderschaft allmählich in Verfall gerathen.
Der Subprior Adolph Eiifens stellte dieselbe 1657 wieder
her und erwirkte eine neue {Päpstliche Bestätigung im
Jahre 1659.2) Auch dieser Bruderschaft schloss sich der
Herzog, wie einst Wilhelm I., an und nahm dieselbe in
seinen besondem Schutz.
Der religiöse Aufschwung in Düsseldorf, welcher mit
dem Regierungsantritt Wolfgang Wilhelm's 1614 begonnen
hatte, dauerte auch während der ersten Hälfte des acht^
zehnten Jahrhunderts in feinen Nachwirkungen noch fort.
Auf Herzog Philipp Wilhelm folgte dessen Sohn Johann
Wilhelm, 1690—1716, zugleich Kurfürst von der Pfalz.»)
Er ist der letzte der Pfalz - Neubiirgischen Fürsten, die
1) Bestätigt durch Erzbischof Maximilian von Köln am 1i). Januar
Wviy durch Papst Alexander VIT. am 4. März 16G4; Urkunden bei
Bayerle S. 247. 249.
«) Urkunde bei Bayerle S. 249.
') Im Jahre 1685 starb die Linie Pfalz-Simmem aus, an welcher
die Kurwürde haftete; dieselbe gin^ auf Pfalz-Neuburg über.
Herzog Philipp Wilhelm, jetzt Kurfürst, verlegte seine Residenz
nach Heidelberg; in Düsseldorf blieb der Kurprinz Johann Wilhelm
zurück, welcher auch als Knrfürst diese Residenz beibehielt, da
Heidelberg von den Franzosen zerstört war.
Ge9ehiehi$ der ko^MUehen Gtme'mdB DüMMwfs, 91
im Mausoleum der Jesuitenkirche beigesetzt sind. Sein
Bruder und Nachfolger Karl Philipp^ 1716—1742, ist gar
nicht nach Düsseldorf gekommen. In den ersten Dezennien
des Jahrhunderts veranstalteten mehrere der in Düsseldorf
ansässigen Orden Erweiterungen ihrer Niederlassungen
oder auch Neubauten, offenbar aus dem Grunde, weil
die ursprünglichen Anlagen sich als nicht ausreichend
erwiesen. Die Ursulinerinnen erbauten 1702 ihre jetzige
Kirche und 1707 ein Schulgebftude. Die Kapuziner be-
gannen 1706 den Bau eines neuen Klosters an Stelle des
abgebrochenen alten. In demselben Jahre fingen auch
die Carmelitessen an, das jetzige Kloster mit der Kirche
zu erbauen, welche 1716 vollendet wurden. Die C^llitinnen
erweiterten 1736 ihre Kirche, und die Franziskaner be-
gannen 1734 den Bau der jetzt noch stehenden Kirche
und des ELlosters. Am 4. October 1737 wurde der erste
Gottesdienst in der neuen Kirche gehalten. — Im Jahre
1708 erneuerte Johann Wilhelm den alten Ritterorden
vom h. Hubertus. Das Hubertus -Hospital, ursprünglich
St. Anna -Hospital, wurde 1710 in die Neustadt verlegt
in ein Gebäude, welches hauptsächlich durch die Be-
mühungen des Jesuiten Orban errichtet worden war.
Auf der Stelle, wo es gestanden, begann man 1735 den
Bau der jetzigen Gamisonskirche, welche daher den Titel
8t. Anna -Kirche erhielt. Im Jahre 1717 beging der
Nachbarort Kaiserswertb das Millenarium des Todestages
des h. Suidbertus; zu diesem Feste kam der Erzbischof
Joseph Clemens von Köln nach Kaiserswertb; auf der
Rückreise verweflte derselbe am 5. Mai in Düsseldorf,
wo er die Herzogin -Wittwe, Gemahlin des 1716 ver-
storbenen Kurfürsten Johann Wilhelm, besuchte und in
der Hof kapelle die h. Firmung spendete. Im Jahre 1721
beging die Bürgersodalität unter grossen Feieiiichkeiten
ihre erste Säcularfeier, desgleichen 1736 die J unggesellen-
Sodalität.
Mit dem Tode des Kurfürsten Karl Philipp 1742 er-
losch das Geschlecht der Pfalz^Neuburgischen Regenten,
denen das alte Düsseldorf die Erhaltung des Katholicismus
zu verdanken hat. Ehe wir Abschied von ihnen nehmen,
erQbrigt noch die Frage nach dem Verhältnisse der An-
gehörigen der verschiedenen Confessionen zu einander,
wie es sich während dieser Periode von 1614 bis 1742
gestaltet hat. Neben der überwiegend katholischen Be-
völkerung Düsseldorfs bestand eine kleine reformirte und
eine noch kleinere lutherische Gemeinde. Dechant Voetz
gibt für 1608 folgende Zahlen an: 13848 Katholiken,
707 Reformirte, 213 Lutherische. Dass zwischen diesen
t>2 G$$ehiekU d§r kaihotisehen Oetneinde Da$$Moff$,
Angehörigen verschiedener Confessionen in damaliger Zeit
wiederholt Reibungen vorkamen, darf uns nicht wundern.
Die religiöse Trennung war eben noch zu frisch, als dass
die Aufgabe, friedlich neben einander zu leben, sofort
schon von Allen richtig hätte gelöst werden können.
Den Katholiken als Anhängern der alten, vordem allein
berechtigten Ku*che kostete dies selbstredend einige Ueber-
windung ; aber auch die Protestanten erhoben, wenigstens
vom dogmatischen Standpunkte aus, den Anspruch auf
Alleinberechtigung; ziemlich schroff geschah dieses von
Seiten der Reformirten, welche sich selbst ofRciell Christen,
die Katholiken aber immer nur Papisten nannten und
den katholischen Cult als Götzendienst, die katholischen
Kirchen als Götzentempel bezeichneten. Abgesehen von
diesem, auf den religiösen Meinungen beruhenden An-
sprüche mussten aber auch die Protestanten im Hinblick
auf die geschichtliche Entwicklung der Religionsverhält-
nisse im bergischen Lande und speciell in Düsseldorf es
schmerzlich empfinden, dass sie da, wo sie bis 1614 gehofft
hatten, die Alleinherrschaft zu erlangen, jetzt nur noch
eine staatlich in bestimmten Grenzen geduldete Religions-
partei waren. Hiermit hatte es nämlich folgende Be-
wandtniss. Kurbrandenburg und Pfalz - Neuburg waren
in Bezug auf die religiösen Angelegenheiten der Herzog-
thümer JQlich-Cleve-Berg durch die Heirathstraktate
gebunden, welche sie zur Zeit mit Wilhelm IH. abge-
schlossen hatten und welche die ganze Grundlage ihrer
Erbberechtigung bildeten. Danach mussten sie die römisch-
katholische Religion Qberall in dem Zustande und in den
Rechten belassen, worin sich dieselbe bei ihrem Regie-
rungsantritt befunden hatte. In diesem Sinne lautete auch
die Zusicherung, welche bei der Besitzergreifung 1609
von beiden Fürsten gegeben wurde. Pfalz-Neuburg hielt
sich nun seit 1614 grundsätzlich an diese Bestimmung
und betrachtete demnach das Jahr 1609 als Normaljahr
für die öffentliche ReligionsQbung und den kirchlichen
Besitzstand.!) Nun waren aber, wie früher schon gesagt
wurde, die Jahre 1609 bis 1614 der Ausbreitung des
Protestantismus noch besonders günstig gewesen. Mithin
bedeutete das Festhalten am Normaljahr 1609 nicht nur
1) Später, nach dem westfftliscben Frieden, trat das allgemeine
NonnaUabr 1634 an dessen Stelle, wa« aber keine tbatslchliche
Aendemnff mit sich brachte, da man ja eben bis dahin, nAmlich bis
1694, die Verhältnisse nach dem Normaljahr 1G09 geregelt hatte.
Jedoch gab Ffalz-Nenbnrg 1647 den Brandenbnrgischen vorstellun-
Sen soweit nach, dass es für die Religionsübung, nicht aber fOr
en Isirchlichen Besitzstand, das Jahr 1612 als Nonna\jahr annahm.
Oegehichtß der kaikoliMdißn Gemeinde DSesMorfe 9d
eine Verhinderung aller weiteren Fortschritte des Pro-
testantismus, sondern auch ein Zurückdrängen desselben
auf manchen Punkten, die er schon in Besitz genommen hatte.
Mochten diese Massnahmen immerhin in der geschicht-
lichen Rechtsentwicklung begründet sein, so wurden doch
die davon Betroffenen mit Erbitterung gegen die Re-
gierung und gegen ihre katholischen Mitbürger erfüllt
Sie suchten und fanden Hülfe bei einem auswärtigen
Fürsten, nämlich bei Eurbrandenburg. Dieses nahm sich
der jülich-bergischen Protestanten an, umgekehrt Pfalz-
Neuburg der cleve-märkischen Katholiken. So entstand
das System der Repressalien, indem jeder der beiden
Fürsten es seine eigenen andersgläubigen Unterthanen
entgelten liess, wenn er glaubte, dass seine Confessions-
verwandten in dem Gebiete des Andern bedrüökt würden.
Dieses System, welches vielleicht als Durchgangsstufe
zur vollen Toleranz eine geschichtliche Nothwendigkeit
besass, war aber doch wenig geeignet, während seiner
Dauer das Verhältniss der Confessionen zu einander
günstig zu gestalten. 1)
Nach dem Erloschen der Pfalz-Neuburgischen Linie
fielen die Herzogthümer Jülich und Berg an den Kur-
fürsten Karl Theodor von der Pfalz-Sulzbach'schen Linie,
welcher von 1742 — 1799, seit 1777 auch als Kurflirst von
1) Das System der Repressalien war offenbar in sich nn-
moralisch, nicht nur deshalb, weil es Unschuldige für die wahre
oder vermeintiiche Schuld Anderer büssen liess, sondern auch an»
dem Grunde, weil es sich als einen lediglich auf die Gewalt ge-
Kttttsten Eingriff in fremde Angelegenheiten darsteUte. Um letzteres
zu verschleiern, leitete Brandenbarg sein Einmischungsrecht von
dem Umstände her, dass die Herzogthftmer Jülich-Cleve-Berg reichs-
rechtUch ein untheilbares Ganzes bildeten, welches die beiden Fürsten
gemeinsam beherrschten. Hieraus folgerte es, die vorgenommene
Theilung hätte nicht die eigentliche Herrschaft, sondern nur die
Verwaltung und Nutzniessun^ zum Gegenstande ; mithin stehe ihm
auch in Jülich und Berg die landesherrliche Würde zu, und es
mflase daher jede Beeinträchtigung seiner Confessionsverwandten
in diesen Gebieten als eine inm widerfahrende Unbill ansehen.
Um aber an den Heirathstraktaten vorbeizukommen, stellte Branden-
burg die Behauptung auf, eh sei keine Schmälerung der römisch-
katholischen BeUgion, wenn man, ohne sie in ihrer Uebung und
ihrem Besitzstande anzutasten, auch den Protestantismus sich frei
neben ihr entwickeln lasse (Bros. AnnaJ. III, 155 sqq.). Diese An-
schauung war aber der damaligen Zeit ganz ftremd und hatte sicher
auch den Abschliessem der Heirathstraktate durchaus fem gelegen.
Pfalz-Neuburg musste daher annehmen, dsiss diese Ausle^ng der
Traktate ebenso, wie die spitzfindige Herleitung des Einmischungs-
r^ites, hauptsächlich den Zweck verfolge, der brandenburg^schen
Politik in den fortwährenden Theilungsstreitigkeiten neue Klage-
punkte zu liefern. Bei den wiederholten, desfallsigen Verhand-
Inn^n, welche nach d(*m Xantencr Vertrag von 1611 In den Jahren
04 GeseMehie der hatkoiMfehm Otmemde DüsBeMwfe,
Bayern regierte und das bergische Land durch seinen
Statthalter, den Grafen Gtoltstein, verwalten liess. Sein
Nachfolger, Max Joseph, 1799—1806, von der Linie Pfalz-
Zweibrücken, schickte seinen Vetter, Herzog Wilhelm in
Bayern, als Statthalter nach Düsseldorf. Als Max Joseph
1806 König von Bayern wurde, trat er das Herzogthum
Berg an Napoleon I. ab, welcher dasselbe an Joachim
Mürat vergab. Nach dem Sturze Napoleon's kamen die
bergischen Lande an die Krone Preussen. Unter der
Verwaltung des Grafen Goltstein hielt die von Frankreich
her kommende Aufkläi^ung ihren Einzug in Düsseldorf.
Die mit Kurpfalz verbündeten Franzosen gründeten 1752
die erste Freimaurerloge in der Stadt, genannt La paix
du Bas-Rhin. Von 1756—1762 und von 1795—1801 hatte
Düsseldorf französische Besatzung, was für Religion und
Sittlichkeit nicht vortheflhaft war. Im Jahre 1769 wurden
die Kirchhöfe innerhalb der Stadt geschlossen; den Pro-
testanten wurde ein SUrchhof am Kapellchen in Deren-
dorf angewiesen, den Katholiken der 1 766 neu angelegte
Earchhof auf dem Festungsglacis zwischen der Stein- und
Grünstrasse, welcher bis 1802 im Gebrauche blieb, da
1795 der gemeinsame städtische Friedhof angelegt worden
1629 bis 1706 zwischen den beiden possedirenden Fürsten geführt
wurden, spielte die religiöse Frage immer eine Hauptrolle und wurde
die Politik der Repressalieti als zu Recht bestehend betrachtet und
behandelt. Uebrigens brachte diese Politik den Jttlich-Bergischen
Protestanten keinen Vortheil; denn erstens gab Rarbrandenburg
den meisten Anlass zu Repressalien (vergl. Fioss a. a. O., besonders
S. 16--43). Noch im Jahre 1723 richtete Pfalz -Neuburg deshalb
eine Beschwerdeschrift an den Kaiser: vAllemnterthänigste Beprae-
sentatio Gravaminum Religionis Der Römisch Katholischen Jm Hert-
zogthumb Cleve Auch Graifschafft Marck und tUvensberg. Cum
JnstificHtionibus Erstattet Von Jhro ChurfUrstl. Durchl. zu Pfaltz,
Jülich- und Bergischer Regierung. Düsseldorff Getruckt bey Till-
manno Liborio Stahl, Churfürstl. privilegiirter HolT- und Kantzley
Buchtrucker 1723. Ferner drohte Brandenburg in den Erbstreitig-
keiten wiederholt mit bewaffnetem Einschreiten und führte diese
Drohung sogar zweimal, 1(>47 und 1651, wirklich aus, indem es bin
unter die Mauern Düsseldorfs vorrückte. In solchen Zeiten erfreuten
«ich die Jüiich-Bergischen Protestanten keiner glimpflichen Behand-
lune, weil man in ihnen die geheimen Freunde des Feindes er-
blickte. Abgesehen hiervon und von den Fällen, die sich als Re-
pressalie erklären lassen, haben die Pfalz-Neuburgischen Fürsten
die vor 1609 erworbenen Rechte der Protestanten respektirt und
damit Alles gethan, was sich in damaliger Zeit von einem Fürsten
gegenüber andersgläubigen Unterthanen erwarten Hess. Toleranz
im heutigen Sinne konnten sie nicht üben, weil eine solche Toleranz
damals überhaupt noch unbekannt war. lieber Wolfgang Wilhelm
insbesondere vergl. Räss a. a 0., wo durch das Zeugniss des
protestantischen Historikers Menzel (Neuere Geschichte der Deut-
schen IV, 58 ff.) dargethan wird, dass ihn der Yorwurt' der Unduld-
samkeit nicht trifft.
Oettdiiehte der kaihdiaehen Gemeinde Düeeeldarfe* 95
war. Zum Zwecke der Strassenerweiterung verlangte
die Regierung nach Schliessung der innerstädtischen Kirch-
höfe 1769 vom Stiftskapitel die Niederleguug der Kirch-
hofismauer an der Nordseite der Stiftskirche und die Trans-
ferirung des dort befindlichen Kalvarienberges. Da das
Stiftskapitel auf diese Forderung nicht sofort einging,
wurde Beides auf Befehl des Grafen Goltstein gewaltsamer
Weise ausgeführt. Darauf liess das Kapitel den Kalvarien-
berg an der Nordseite der Kirche aufstellen, wo er sich
bis heute befindet.^) — Ungefähr um dieselbe Zeit, um's
Jahr 1770, verschwand der letzte. Äussere Rest der alten
Heiligthumsfahrten ; die feierliche Procession zur Ver-
ehrung der Reliquien, welche am Tage des heil. Jakobus
gehalten wurde, unterblieb von da an ; an ihre Stelle trat
eine innerhalb der Kirche stattfindende Ausstellung und
Verehrung der Reliquien am ersten Sonntag im August.
Die Aufhebung des Jesuitenordens 1773 blieb für Düssel-
dorf zunächst ohne praktische Folgen, da die Jesuiten
unter dem Titel einer Congregation von Weltgeistlichen
ihr gemeinsames Leben und ihre bisherige ThAtigkeit
fortsetzten; sie nahmen sogar neue Mitglieder in diese
Congregation auf. — Als im Jahre 178b die aus dem alten
Düsseldorf nach der neu gegründeten Karlsstadt führende
Mittelstrasse angelegt wurde, musste das Kapuzinerkloster
dieser Anlage weichen. Die Kapuziner erhielten statt
des weggebrochenen Klosters zwei Häuser auf der Ecke
der Wall- und Mittelstrasse. — Bei der Beschiessung
Düsseldorfs durch die Franzosen am Abend des 6. October
1794 wurden Kirche und Kloster der Coelestinerinnen
auf der Ratingerstrasse ein Raub der Flammen.
Diese kurze Aufzählung der hauptsächlichsten, die
kirchlichen Dinge betreffenden Ereignisse in der zweiten
Hälfte des vorigen Jahrhunderts muss auf demjenigen,
welcher die Entwicklung des katholisch-kirchlichen Lebens
in Düsseldorf die Jahrhunderte hindurch verfolgt hat, einen
betrübenden Eindruck machen. Das Eine oder Andere
mag ja zufälligen Ursachen zuzuschreiben sein; aber
verkennen lässt sich doch nicht, dass ein neuer Geist
thätig war, der Geist der sogenaimten Aufklärung, die
zwar in materiellen Dingen Manches besserte, aber zu-
gleich auch ihre Abneigung gegen die bestehenden Ver-
hältnisse auf dem religiösen und kirchlichen Gebiete nicht
unterdrücken konnte. Man meint schon die Hammer-
schläge zu vernehmen, welche gegen den alten Bau
>) Im vorigen Jahre (1887) sind jedoch die im Laufe der Zeit
sehr del'ect gewordenen, alten Figuren des Ralvnrienbergeit durch
neue ersetzt worden.
96 QesehiMg der kaikoiiseheH Gemeinde DOeeMwffe.
geführt werden^ sodass hier und da bereits ein Stein
herausbrOckelt ; ja, man glaubt den Augenblick nahe,
wo der letzte wuchtige Schlag geschieht, der den ganzen
Bau zertrümmern soll. Dieser Augenblick war in der
That sehr nahe. In Folge des Regensburger Reichs-
deputationshauptschlusses vom Jahre 1803 vollzog sich
auch in Düsseldorf die Saecularisirung der kirchlichen
Institute. Es fielen derselben hier zum Opfer das CoUegiat-
Stift und sAmmtliche Klöster, welche theils sofort auf-
gelöst, theils, wie das der Carmelitessen, zum Aussterben
verurtheilt wurden, indem sie keine neuen Mitglieder
mehr aufnehmen durften. Eine Ausnahme bildeten nui*
die unmittelbar praktischen Zwecken dienenden Ursu-
linerinnen und Cellitinnen; jedoch wurde den letzteren
ebenso, wie den aufgehobenen, das übrigens unbedeutende
Klostervermögen entzogen und ihnen dafür eine jAhrliche
Pension angewiesen ; auch wurde ihre Zahl auf höchstens
zehn festgesetzt. — Im CoUegiatstift waren zur Zeit der
Aufhebung, was selten der Fall gewesen, alle Kanonikal-
prabenden besetzt: es fanden sich daselbst fünfzehn
Kanoniker und zehn Vikare. Nach Aufhebung des Stiftes
blieb die Kirche, was sie vor 1288 gewesen War, eine
einfache Pfarrkirche, und erhielt auch wieder den frühem
Titel des h. Lambertus, den sie als Pfarrkirche bis 1288
geführt hatte. Der Dechant und Pfarrer Joseph LülsdorflT
behielt letzteres Amt bei bis zum Jahre 1808, wo er
resignirte. 1) — In der Kreuzherrenkirche setzte nach
Aufhebung des Klosters die Rosenkranzbruderschaft den
Oottesdieust noch bis 1. Mai 1812 fort; dann wurde die
Kirche zu profanen Zwecken bestimmt. Unter Napoleon 1.
diente sie 1812 und 1813 als Tabaksmagazin, darauf als
Pferdestall für die russischen Truppen, seit 1819 al»
Montirungsdepot. Die Rosenkranzbruderschaft wurde am
12. Mai 1812 aus der Kreuzherrenkirche in die Lambertus-
kirche transferirt. <) Seitdem wird hier taglich Nach-
mittags Rosenkranzandacht und am Titularfest der Bruder-
schaft, am Feste „Maria vom Siege ^, den ersten Sonntage
im Oc tober, feierliche Prozession gehalten. Auch das
uralte Gnadenbild kam aus der Kreuzherrenkirche in die
Lambertuskirche und befindet sich daselbst auf dem
sogenannten Pfarraltar, welcher am Eingang des Chores
1) Reihenfolge der Pfarrer seitdem: Joseph Lülsdorff, 1799 big
1806 (t 27. Dez. 1820); Adam Brewer, 1806—1820 (f 26. Des. 1820);
Johann Wilhelm Heinzen, 1821—1840: Philipp Joesten, 1841—1874;
Vakatnr 1874—1888; Heinrich Hubert Cremer, seit 1888. Die Reihen-
folji^e der früheren Dechanten und Pfarrer s. bei Baverle S. 82.
S) S. Urknnde bei Bayerle S. 254.
Gt9ehiekt€ der kaikolisekM Gemeinde DÜB9Morf$. »7
auf der Evangelienseite steht — Im ehemaligen Jesuiten-
collegium waren zur Zeit der Saecularisirung noch elf
Priester y von denen sieben auswärtige ISeelsorgsstellen
Qbemahmen; vier blieben in Düsseldorf zurück, setzten
das gemeinsame Leben fort und wirkten noch, einige
Jahrzehnte hindurch in höchst segensreicher Weise,
geachtet und geliebt von der Bevölkerung der Stadt, i) —
Die Franziskanerkirche wurde nach Aufhebung des
Klosters im Jahre 1805 zur zweiten Pfarrkirche der
9
Stadt erhoben und erhielt aus Rücksicht auf den Kur-
fürsten Max Joseph den Titel des h. Maximilian. <)
So war nun mit Einem Schlage vernichtet, was Jahr-
hunderte allmählich geschaflfen hatten. Die Zeitgenossen
wurden von diesem Zerstörungswerk wahrscheinlich
weniger tief berührt, als wir es uns heute vorstellen.
Es war eben eine Zeit grosser Bedrängnisse, wo Jeder
mit sich selbst genug zu thun hatte; auch war es eine
Zeit der gewaltsamsten Umwälzungen, welche Throne
stürzen und tausencyährige Reiche zusammenbrechen
Hdh; was -Wunder, wenn da auch das Nächstliegende
nicht mehr Stand hielt! Sodann blieben nach Auflösung
der kirchlichen Institute, wie schon oben bemerkt wurde,
doch noch manche, jenen Instituten bis dahin angehörende
Personen in der Stadt zurück und setzten ihre bisherige
Wirksamkeit in der Seelsorge fort. Dies erleichterte
nicht nur den Uebergang in die neuen Verhältnisse; es
war auch von der grössten Wichtigkeit für die Erhaltung
der Religion in jener im Allgemeinen glaubensarmen und
von den Ideen der Aufklärung und der Revolution erfüllten
Zeit. Der schon erwähnte P. Dienhardt war seit dem
Jahre 1786 bis zu seinem Tode im Jahre IBM Präses
der Marianischen Bürgersodalität. Unter seiner Leitung
hatte diese Sodalität noch im Jahre 1199 den Beweis
geliefert, dass der alte Oeist ungeschwächt in ihr fort-
^) Es waren dieseH'die Priester Michael Dienhardt, Heinrich
Wüsten, Philipp Schalten und Michael Granderath. Nur der Erste
wta Jesuit und bis 177b im Collegiuni su Münstereifel gewesen.
Darauf kam er nach Düsseldorf, weil hier nach Aufhebung des
Ordens das gemeinschaftliche Leben noch fortbestehen blieb. £j
starb, S!) Jahre alt, am 13. Mai 1834. Die drei Andern waren nach
1773 in die Congregation zum h. Andreas in Düsseldorf eingetreten.
Heinrich Wüsten starb am 8. Nov. 1835 im Alter von 79 Jahren,*
Philipp Schulten am 10. Febr. 1840 im Alter von 74 Jahren und
Michael Granderath am 12. April 1842 im Alter von 72 Jahren.
Ein gemeinsamer Grabstein auf dem städtischen Friedhof deckt
ihre Asche. R. i. P.
*) Reihenfolge der Pfarrer: Job. Casp. Hildeph. Schmitz, 1805
— lt>32; Philipp Joesten, 1832—1841: Herm. Jos. RöUmann, 1841
— 1845; Job. Pet. Schmitz, 1845—1870; Joh. Kribben, seit 1871. ^
98 GesehichU der kathoiiaehen Gemeinde Düsseldoffs,
lebte, indem sie aus freiwilligen Beiträgen das Marianische,
später vom h. Maximilian genannte Krankenhaus stiftete
und einige Jahre hindurch unterhielt, bis es, hinreichend
fundirt, in das Hospitalgebäude in der Neustadt verlegt
und der Armenverwaltung übergeben wurde. Im Jahre
1821 beging die Bürgersodalität ihr zweihundertjähriges
Jubiläum durch eine achttägige Festfeier, welche ihren
Glanzpunkt am 15. August, dem Titularfest der Bruder-
schaft, erreichte. Es war dieses zugleich eine Onaden-
zeit für Düsseldorf und die Umgegend: denn ungefähr
vierzigtausend Christgläubige gingen in diesen acht Tagen
zu den h. Sakramenten, und an zweihundert neue Mit-
glieder meldeten sich zur Aufnahme in die Congregation.
Zum Andenken an dieses Jubiläum wird seitdem in der
Andreaskirche die dreitägige, feierliche Andacht am Feste
Maria Himmelfahrt gehalten. Im Jahre 1836 wurde das
zweihundertjährige Jubelfest der Junggesellen-Sodalität in
ähnlicher Weise begangen. Dieser Sodalität hat P. Schulten
siebenundvierzig Jahre lang als Präses vorgestanden,
während der dritte jener ehrwürdigen Männer^ P. Heinr.
Wüsten, die Ursula-Gesellschaft bia zu seinem Tode leitete.
Durch das aufopferungsvolle, ausschliesslich der Ehre Gottes
und dem Heile der Seelen gewidmete Wirken dieser und
anderer Männer aus der alten Schule wurde in der eigent-
lichen Bürgerschaft Düsseldorfs ein Kern von Religiosität
erhalten und gepflegt, der die Stürme der Zeit überdauerte.
Unterdessen kam es durch die Verhandlungen der
preussischen Regierung mit dem römischen Stuhle
zu geordneten, kirchlichen Verhältnissen in der Kölner
Erzdiöcese, und von der Metropole aus wurde dann auch
die Düsseldorfer Kirche wieder mit neuen, geistlichen
Kräften versehen. Schon vor dem Jahre 1830 hatte man
sich mit dem Gedanken getragen, die Andreaskirche zur
dritten Pfarrkirche der Stadt zu erheben. Unter Erz-
bischof Ferdinand August kam es I8)i3 bereits zur Ab-
grenzung des Pfarrbezirkes; die Ausführung des Planes
scheiterte aber am Geldpunkte. Durch königl. Cabinets-
Ordre vom 9. Januar 1836 wurde die Pensionssumme
der letzten vier Geistlichen aus der Congregation zum
h. Andreas als bleibende, jährliche Rente zur Dotirung
der Pfarre bestimmt. Ferner wurde durch Cabinetsordre
vom 5. Dez. 1840 ein jährlicher Beitrag von 600 Thlr.
aus der Staatskasse angewiesen. Die kanonische Er-
richtung der Pfarre erfolgte im Jahre 1842 durch den
Coadjutor, Erzbischof Johannes von Geissei. i) — In dem
1) Pfarrer: Franz Grünmeyer, 1842—1871; Suidb. Ambr. Aug.
Nottebaum, seit 1871.
Guehiehte der katholischen Gemeinde DflsseldorfSi 99
ehemahligen Carmelitessenkloster befanden sich um's Jahr
1830 nur noch zwei der frühern Schwestern; da wurde
durch Cabinetsordre vom 1. Januar 1831 dieses Kloster
den Cellltinnen überwiesen rait der Verpflichtung, neben
ihrer bisherigen, ambulanten Krankenpflege auch im
Hause selbst eine Krankenanstalt zu unterhalten, zu
welchem Zwecke eine bis dahin im Carmelitesionkloster
lebende Dame, Frl. Therese von Buschmann, eine be-
deutende Summe vermacht hatte. Die bisherige Kirche
der Cellltinnen gegenüber der Andreaskirche wurde 1837
niedergerissen und an ihrer Stelle das Pfarrhaus von
St Andreas erbaut; das Kloster der Cellltinnen wurde
später zu Wohnungen für die KaplAne hergerichtet. —
Die Aufgabe, das von. der Bevölkerung immer mehr in
Anspruch genommene Krankenhaus zu leiten, überstieg
bald die KrAfte der Cellltinnen, und da diese von ihrer
eigenen Genossenschaft keine Hülfe erhalten konnten, so
kamen am 13. Juli 1852 fünf Kreuzschwestem (Töchter
des h. Kreuzes) hierher zur Stellvertretung der Cellltinnen
bei dem Hospitaldienst unter gänzlicher Beibehaltung der
bestehenden Rechtsverhältnisse. Schliesslich wurde ver-
mittelst Cabinetsordre vom 26. September 1859 „die An-
stalt der barmherzigen Schwestern zu Düsseldorf bei
fortdauernder Wirksamkeit der noch vorhandenen Celll-
tinnen den Schwestern aus der Congregation vom h. Kreuz
zu Aspel bei Rees in der Art überwiesen, dass diese
künftig ganz an die Stelle der Cellltinnen treten.^
Das Oymnasium oder ehemalige Seminarium reipu-
blicae wurde auch nach 1773 von den Exjesuiten und
ihren Oehülfen noch fortgeführt bis 1805. Seine heutige
Verfassung erhielt es im Jahre 1814. Der Gottesdienst
der Anstalt verblieb in der Andreaskirche. Mit der Ab-
haltung desselben, sowie mit der Seelsorge und dem
religiösen Unterricht der Schüler wurde der Religions-
lehrer der Anstalt betraut, i)
') Das alte Jesuitengymnasium hatte nur geistliche Lehrer,
von denen jeder in seiner Klasse den Religionsunterricht ertheilte.
Dasselbe war auch noch an dem grossherzoglichen Lyceum 1805
bis 1813 der Fall. An dem neuen Gymnasium gab Caplan Scheins
▼on 1814 — 1817 den Religionsunterricht im Nebenamte. Seit 1816
bis zu seinem am 25. Dezember 1817 erfolgten Tode half ihm da-
bei der Prof. Dr. Aegid. Jak. Schallmeyer, früher an der kur-
köinischen Universität Bonn thätig, dann Rektor der dortigen
Centralschule und von 1805—1813 Rektor des Lyceums in Düsseldorf.
Es folgten nun von Oktober 1817 bis Mttrz 1819 und von Oktober
1819 bis Juni 1820 die beiden seltsamen Mystiker Martin Boos
und Joh-annes Qossner. In der Zwischenzeit gab Caplan
Gftrtner den Rell^onsunterricht. Von 1820—1835 ertheilte den-
selben Prof. Hagemann, seit 1814 Lehrer der lateinischen Sprache
7»
100 G€9ekiekt0 der kotkoli$dmt Gtmeinde DB9$Morf8.
Für die Gamisonkirche hatte der um diese Kirche
und um die Gamisonpfarre sehr verdiente Garnison-
pfarrer Udalrich Krings nach der Zerstörung der Kircdie
der Coelestinerinnen 1794 deren Hochaltar und Kanzel
und nach der Aufhebung des Kapuzinerklosters 1804 aus
der Kirche desselben bie beiden NebenaltAre, zwei Beicht-
stühle und die Orgel erworben. Unter der preussischen
Regierung ging die Kirche in den Besitz des Hilitärflscus
und in die Verwaltung des Kriegsministeriums über. Seit
dem 18. Oktober 1816 wird auch protestantischer Gottes-
dienst in derselben gehalten. Eine Cabinetsordre vom
;-)0. September 1824 bezeichnet die Kirche als evangelische
Gamisonkirche. Da sie aber nach derselben Cabinets-
Ordre ihren bisherigen Namen St. Anna-Kirche und ihre
katholische Einrichtung beibehalten und auch für den
katholischen Militargottesdienst bestimmt sein soll, so ist
sie thatsächlich bis heute Simultankirche, i)
Im Jahre 1817 zAhlte Düsseldorf ungefähr 14000 Ein-
wohner, ebenso viele, wie hundertfünfzig Jahre früher
zu den Zeiten des Dechanten Voetz. Seitdem hat die
Zahl der Bewohner der Stadt stetig und zwar zuletzt
in beschleunigter Weise zugenommen, sodass sie jetzt
nahezu das Zehnfache der Bevölkerung von 1817 betragt
Zugleich hat die Stadt sich nach allen Seiten hin rftum-
lich ausgedehnt und die beiden Nachbarorte Bilk und
Derendorf, die früher je eine Viertelstunde von ihr ent-
fernt waren, vollständig in ihren Bereich gezogen. Schon
am Gymnafiium. Danach folgten die Religionglehrer: J. L. von den
Driesch, 1836—1840; Franz Ludwig Krabe, 1840—1886, seit 1881
vertreten durch Religionslehrer ChnslJan Fuvs; Dr. Ladw. Küpper^
seit 1886. — An der städtischen Realschule, dem spätem Beal-
gymnasinm, seit 1888 auch humanistisches Gymnasium, haben seit
Gründung der Anstalt 1838 folgende Kapiäne der Maxpfarre Reli-
gionsunterricht ertheilt: Herrn. KÖllmann, 1838—1841 ; Joh. Theod. Jos.
oclc, 1841-1849; Karl Langendorf, 1849-1857; C^nütian Puss, 1857
bis 1873; dann folgte der Religrionslehrer Dr. Christian Lingen, seit
1873. — Die städtische BOrgerschule, gegründet 1872, war bis 1878
mit dem Realgymnasium vereinigt. Seitdem waren Religionslehrer
an derselben: Karl Sonnenschein 1878^1886: Karl Sech«, seit 18^.
1) Reihenfolge der Gamisonpfarrer: Udalrich Krings, 178SI
bis 1811; Everhard Brewer, 1812-1813; Joseph Custodis, 18l6'-1820;
Johann Komwebel, 1820—1832; Jakob Bodenheim, 1882*1840;
Franz Alex. Aug. Halm, 1841 — 1846: Joh. Heinr. Ant Lampen-
fM:herf, 1846—1855; P'rans Aloys Jos. Hamacher, 1855—1866; Friedr.
Kayser, 1866-1883; Anton Keck, seit 1887. — Die katholische
Gamisonpfarre besteht seit 1700; die Gamisonpfarrer während des
18. Jalurhunderts siehe bei Bayerle, S. 190. — Die Seelsorge im
Arresthause wurde bis 1841 gewöhnlich von Pfarrgeistlichen im
Nebenamte mitversehen. Seitdem waren ständige Seelsorger da-
selbst: Eduard Gerst, 1841— 18(;5; Conrad Gustav Prell, 1865—1873;
Karl Theodor Hubert Schieiden, seit 1874.
OtBehiehfe d^r. kalholiBehen Gemeinde Düeseldorfe* 101
Bayerle im Schlussworte seines 1844 erschienenen Buches
bezeichnet es als eine dringende Nothwendigkeit, dass
f&r die Bewohner der Gegend am Wehrhahn, deren Zahl
er auf 4000 veranschlagt, eine eigene Pfarre gegründet
werde. Seitdem sind vierundvierzig Jahre dahingegangen,
ohne dass nach dieser Richtung hin etwas G-reifbares
geschehen wftre. Zur Erklärung muss allerdings beige-
fllgt werden, dass seit 1874 die kirchenpoiitischen Wirren
eine Forderung des Werkes sehr erschwerten. Vorher
aber hatten sich auf dem in Frage stehenden Gebiete in
dem Zeitraum von 1^50 bis 1870 mehrere religiöse Ge-
nossenschaften niedergelassen, deren Kirchen oder Kapellen
gröestentheils der Bevölkerung zugänglich waren. So die
Schwestern vom armen Kinde im Waisenhaus zu Deren-
dorf 1850, die Kreuzschwestem in Christi Hilf 1859, die
Ciarissen in der Kaiserstrasse 1859, die Franziskaner in
der Klosterstrasse 1853, die Dominikaner in der Friedrichs-
stadt 1860, ebendort 1867 die Dienstmägde Christi und
ungefähr um dieselbe Zeit die Ejreuzschwestem zur
Leitung einer Töchterschule, und endlich die Franzis-
kanerinnen aus Aachen in dem durch Beiträge von den
Katholiken errichteten Marien-Hospital. Durch diese
Kloster-Kirchen und Kapellen, besonders aber durch die
Thfttigkeit der genannten zwei Männerorden, Franzis-
kan^* und Dominikaner, war tHr die religiösen Bedürf-
nisse der Bevölkerung in den neuen Stadttheilen immer-
hin gesorgt. Jedoch ist seit 1886 auch der Plan wieder
ernstlich aufgenommen worden, geordnete PfWrrsysteme
dort einzurichten. — Ausser den eben genannten klöster-
lichen Niederlassungen bestanden vor 1875 noch die der
Kreuzschwestem im ehemaligen Carmelitessenkloster, der
Franziskanerinnen auf der Ritterstrasse und im Max-
Joseph - Hospital in der Neustadt, und das alte Kloster
der Ursulinerinnen. Hiervon wurden diejenigen, welche
nicht der Krankenpflege gewidmet waren, im Jahre 1875
oder spätestens 1877 aufgelöst, sind aber seit 1887 wieder
hergestellt worden mit Ausnahme des Klosters der Kreuz-
schi^estem in der Friedrichsstadt und desjenigen der
Schwestern vom armen Kinde in Derendorf. Zur Zeit
besitzt also DQsseldorf zwei Männerklöster und acht
Fraaenklöster. Von letztern ist nur eins, das der Ciarissen,
dem beschaulichen Leben gewidmet; die andern ver-
folgen praktische Zwecke.
Die katholische Gemeinde in DQsseldorf kann ebenso,
wie die Stadt selbst, sich zwar nicht mit den andern
grossen Rheinstädten hinsichtlich des Alterthums messen;
aber es ist doch immerhin eine ansehnliche Vergangen-
102 Qeschichie der kaihoUaehen Gemeitide DüsMeldorf«*
heit von etwa neunhundert Jahren, auf welche sie zurück-
zublicken im Stande ist. Und zwar wendet sich unser
Blick, wenn er die ersten Anfange Düsseldorfs aufsucht,
nothwendig zur Lamberti-Kirche hin, die heute noch der
katholische Düsseldorfer gewöhnlich seine „grosse Kirche^
nennt. Sie birgt in ihrem Innern nicht nur die Mauer-
reste des ältesten Gotteshauses, ja, des ältesten Bau-
werkes der Stadt; sie hat auch seit dem Anfange dieses
Jahrhunderts jenem alten Onadenbilde eine Zufluchts-
stätte geboten,' welches schon im Beginn des gegen-
wärtigen Jahrtausends fromme Pilgerschaaren von nah
und fern hierher zusammenführte. Dort sehen wir also
die handgreiflichen Beweise für das Alter der Stadt und
der katholischen Gemeinde Düsseldorf. Was bei einem
Gebäude das Fundament, das ist bei einer aus Menschen
gebildeten Gesellschaft oder Vereinigung in gewissem
Sinne ihre Vergangenheit. Einen je längern Bestand
eine Gesellschaft aufzuweisen hat, desto grösser ist in
der Regel auch die Anhänglichkeit, womit die Einzelnen
ihr zugethan sind, desto stärker das Band, welches sie
umschliesst, und desto längere Dauer verspricht sie für
die Zukunft. Möge dieses auch an der katholischen Ge-
meinde Düsseldorfs sich bewähren!
Zwei Momente sind es sodann, die aus der Ver-
gangenheit dieser Gemeinde uns der Beachtung noch be-
sonders werth erscheinen. Die ersten Glaubensboten im
bergischen Lande waren von der Kölnischen Kirche ge-
sandt. Der h. Suidbertuä, der später um 700 hier predigte
imd entweder selbst oder durch seine Nachfolger den
Grund zur Kirche in Düsseldorf legte, kam als aposto-
lischer Sendbote in diese Gegenden. So weisen schon
die ersten Anfänge des Katholicismus in Dflsseidorf auf
Köln, die Metropole, und auf Rom, den Mittelpunkt der
katholischen Kirche, zurück. So oft wir seitdem in der
Geschichte Düsseldorfs vernehmen, dass irgend eine neue
Schöpfung oder Einrichtung auf kirchlichem Gebiete von
Köln oder von Rom aus bestätigt wird, ebenso viele Be-
weise haben wir für die Thatsache, dass der Katholicismus
in Düsseldorf von je her im organisdien Verbände der
Gesammtkirche wurzelte. Die hieraus für Ghegenwart
und Zukunft sich ergebende Mahnung zum treuen Fest-
halten an der kirchlichen Einheit wird von den Katho-
liken Düsseldorfis wohl verstanden und beherzigt. Ihrer
desfallsigen Gesinnung hat die katholische Gemeinde noch
in der jüngsten Zeit beredten Ausdruck geliehen, als sie im
Oktober 1886 den Erzbischof Philip pus mit der grössten
Freude und Feierlichkeit in ihrer Mitte bewillkommnete.
049ehhhte der katMiacheH Gemeinde Düsseldorfs, 103
Ferner zeigt uns schon die vorliegende, kurze lieber-
sieht über die Geschichte des KaÜiolicismus in Düssel-
dorf, dass derselbe sich von Seiten der Landesfürsten
fast immer einer wohlwollenden Behandlung zu erfreuen
hatte. Die dem Katholicismus weniger günstige Haltung
der beiden ersten clevischen Herzöge wird reichlich auf-
gewogen durch die vielen Wohlthaten, welche sowohl
die früheren bergischen, als auch die späteren Pfalz-
Neuburgischen Fürsten der katholischen Kirche erwiesen
haben. In dieser Hinsicht blicken wir nun auch mit
Dank und Vertrauen auf zu denjenigen Fürsten, welche
Düsseldorf seit siebenzig Jahren seine Landesherren nennt.
Die Hohenzollern*schen Könige sind nicht nur die Rechts-
nachfolger, sondern die wirklichen Nachkommen unsrer
alten, bergischen Herzöge. Ihnen sind wir besondern
Dank schuldig dafür, dass sie die Toleranz, welche Kur-
fürst Max Joseph 1799 für seine Staaten, also auch für
das bergische Land, proclamirte, seitdem praktisch ge-
übt haben. Wenn wir uns erinnern, wie schwer es
unsern Vorfahren geworden ist, in den auf die Glaubens-
spaltung folgenden Zeiten das richtige Verhältniss für
das Zusammenleben der Confessionen zu finden, so mögen
wir daraus entnehmen, von wie grosser Bedeutung es ist,
dass jetzt von oben herab Parität geübt und gegenseitige
Duldung eingeschärft wird. Das herrliche Wort, welches
der nun in Gott ruhende König, Kaiser Friedrich,
bei seinem Regierungsantritt gesprochen hat, wird allen
Katholiken unvergesslich bleiben, das Wort: ^Meinem
Herzen stehen alle Unterthanen gleich niäbe!^ Eine solche
Gesinnung, praktisch und anhaltend bethätigt, hat einen
grösseren Werth, als selbst die den Kirchen und religiösen
Instituten gespendeten Wohlthaten.
Unter dem Schutze rechtliebender und toleranter
Fürsten, im engen Auschluss an Papst und Bischof, die
Vertreter der kirchlichen Einheit, geht die katholische
Gemeinde Düsseldorfs im Vertrauen auf Gott ihrer Zukunft
entgegen. Wir sehen, wie in der Geschichte des alten
Düsseldorf in religiöser Hinsicht Zeiten der Blüthe und
Perioden des Verfalles mit einander abwechseln ; es lässt
sich nicht leugnen, dass wir jetzt seit mehreren Jahr-
zehnten schon einen kirchlichen Aufschwung zu ver-
zeichnen haben; ob derselbe noch ferner anhalten und
sich weiter entwickeln, oder ob er vielleicht schon bald
in's Stocken gerathen und dem Verfalle weichen wird,
das hängt wesentlich davon ab, wie wir selbst, Priester
und Volk, unsere Schuldigkeit thun. Die Geschichte giebt
uns auf diese Frage keine Antwort; denn abgesehen
104 G€$ekickU der hoikoiigchen Gemeinde Düeeeldarfe.
davon, dass die neue Grossstadt Düsseldorf ihrer Zu-
sammensetzung nach ein ganz anderes Gemeinwesen ist,
als das alte, kleine Düsseldorf, dessen kirchliche Ge-
schichte wir hier vor uns haben; abgesehen hiervon ist
es überhaupt nicht Sache der Geschichte, die Zukunft zu
beleuchten; sie entrollt uns das Bild des Geschehenen,
den Sehleier, der das Kommende verhüllt, Iftsst sie un-
berührt: denn die Zukunft steht in der Hand des Ewigen.
Geschichte der evangelischen Gemeinde Düsseldorfs.
Adalbart Hatorp,
K. CotiHlHtoriiilrath und Pfnrrer der er. Oenieindo.
ie jetzt etwa .12000 Seelen zählende und in
stetem raschem Wachathum begriffene evan-
eeliscbe Gemeinde zu Düsseldorf mit ihren
Schn-estern, der evangelischen GarnUon-
Qemeinde und der Anstaltsgemeinde Dtlssel-
thal, kann ihre UrsprQnge bis in die ersten Zeiten der
Reformation verfolgen, ist aber erst im Jahre 1635 als
„evangelische uqirte Gemeinde" aus der Vereinigung
der vormals reformirten und der lutherischen Ge-
meinde hervorgegangen, wAhrend die Gamisongemeinde
mit dem Jahre 1615 und die Parochie Dasselthal am
17. Juni 1659 als selbständige Gemeinden von ihr aufl-
schieden. Aber auch jene beiden über 250 Jahre von
einander getrennten Gemeinden, die reformirte und die
lutherische, treten erst mit dem Jahre 1609 als solche
in die Oeffentlichlieit, wahrend sie bis dahin als sogenannte
„geheime Gemeinden" oder „Kirchen unter dem Kreuze"
etwa vierzig Jahre Hindurch bestanden hatten, und ihre
Vorgeschichte verliert sich in den reformstorischea Be-
wegungen, welche bis zum Jahre 1570 unsere Stadt wie
das ganze Lflndcrgebiet der Herzeige von Cleve- Jülich-
Berg und Mark beherrschten.
Schon Johann in. (lull— ir)39), der „Friedfertige",
welcher als Jungherzog von Cleve die Tochter des Herzogs
Withelm's n. von Berg, Jülich und Ravensberg, Maria,
im Jahre 1510 geheirathet hatte, seit 1511 mit seiner
Gemahlin über das Herzogthum Berg-Jölich- Ravensberg
regierte und nach dem Tode des Herzogs Johann H. von
Clev« im Jahre 1521 auch dessen Erbe antrat, so dass
lOH Oe$ehichU der evangelisehen Oemeinde DüsnMorf*.
er nunmehr als ^Herzog von Cleve-Jülich-Berg, Graf von
der Mark, Ravensberg etc.'' über ein Land von etwa
250 Quadratmeilen herrschte ^ war der Reformation
zugethan, wie dies namentlich daraus hervorgeht , dass
der berühmte Erasmus und andere Humanisten das
grösste Ansehen am fürstlichen Hofe zu Düsseldorf ge-
nossen und der Herzog die Erziehung seines Sohnes, des
hoffnungsvollen Erbprinzen Wilhelm, einem der hervor-
ragendsten Schüler des Erasmus und Freunde Meianch-
thon's, dem hochgelehrten Konrad von Heresbach
(geb. am 2. August 1496 zu Heresbach bei Mettmann,
gest. 1576 zu Wesel) anvertraute. Ein im Archiv der
evangelischen Gemeinde befindlicher Aufsatz des Dr. jur.
Johann von Redinckho ven , eines Mitgliedes des Consi-
storiums der vormals reformirten Gemeinde, spricht sich
hierüber folgendermassen aus: ^Als sich im Jahr unsers
Herrn und Heylandes Jesu Christi 1517 der Religions-
Streit in Deutschland erhoben und die Landsfürstliche
Obrigkeit dieser Lande, die Hertzogen Gülich, Cleve und
Berg, Grafen zu der Mark und Ravensbergh, Herren zu
Ravenstein im Werk befunden, dass viele Missbräuche
im Papstthumb fürhanden, haben sie verschiedene Ord-
nungen und Reformationes zu Abstellung und Verbesserung
derselben sonderlich Hertzog Johans christseligen An-
denkens im Jahr 1533 eine im Druck aussgehen lassen.^
Auf die in diesen Worten angedeuteten reformatorischen
Bestrebungen des Herzogs musste namentlich auch der
Umstand fOrdemd einwirken, dass seine Tochter Sibylla
sich im Jahre 1526 mit dem frommen und entschieden
evangelisch -gesinnten Kurprinzen Johann Friedrich
von Sachsen verlobte und im Jahre 1527 vermahlte;
und eben in die Zeit dieser Verlobung fällt ein Ereigniss,
welches uns lebhaft mitten in den Kampf jener Zeit zu
versetzen geeignet ist und sowohl für die in der Um-
gebung des Herzogs bereits herrschende evangelische
Strömung als für den Widerstand, den dieselbe noch bei
Vielen fand, Zeugniss ablegt.
Als nämlich der Kurprinz Johann Friedrich zum
Besuche seiner Braut sich im Jahre 1527 am DQsseldorfer
Hofe aufhielt, befand sich in seinem Gefolge als Reise-
Prediger Friedrich Mecum, genannt Myconius, später
Superintendent zu Grotha, ein Freund Luthers, von dem
er wegen seines kindlichen, herzlichen Glaubens und um
seiner übrigen guten Eigenschaften willen hochgesch&tzt
und zärtlich geliebt wurde. Die Zeit, welche Myconius
in den hiesigen Landen zubrachte, hat er vielfach zur
Verkündigung des Evangeliums angewandt und unter
0$sekidU€ der wangeHseh^H Oemetnde DüsaMorfs. 107
grossem Zulauf auch hier in DQsseldorf (so wie in
Essen, Soest u. s. w.) gepredigt. Da nun ein Franzis-
kanermönch aus Köln, Namens Corbaeh, öffentlich am
27. Febr. 1527 auf der Kanzel erklärt hatte, dass, wenn
ihn Jemand eines Irrthums zeihen wolle, er bereit sei,
aus heiliger Schrift besseren Unterricht anzunehmen, so
forderte ihn einer der adligen Begleiter des Kurprinzen,
ein Herr von Wildenfels, auf, mit Myconius eine öffent-
liche Disputation über den Glauben zu halten, was zu
jener Zeit oft geschah.
Am 19. Febr. fand diese Disputation hier in Düssel-
dorf statt, wobei ausser dem genannten Fürsten viele
hohe Beamte und Edelleute, Gelehrte und andere Bürger
der Stadt erschienen. Die Einzelheiten dieser Disputation
können wir nicht alle anführen; der Erfolg aber war
der, dass Corbach nach derselben aufstand und sprach:
„Lieber Fritz, ich habe dir fürwahr gerne zugehört, wir
können auch gar nichts an deiner Hede strafen, es gefällt
mir alles und ist recht und hat wahrhaftigen Grund.
Predigest du also, dann predigest du den rechten christ-
lichen Glauben.^
Wie grossen Einfluss namentlich auch Konrad von
Heresbach auf den Herzog ausübte, geht aus dem ferneren
Umstände hervor, dass der Letztere, der noch im März
1525 gegen die inuner mehr sich ausbreitenden ^Irrungen
und aufruhrstiftenden Schriften und Lehren Luthers*^ als
„eitele, falsche und ketzerische*' ein scharfes Mandat
hatte ausgehen lassen, worin den Uebertretern mit Ge-
fän^niss und Strafe an Leib und Gut gedroht wurde,
schon nach vier Monaten ^seinen Unterthanen zu Gute
eine Ejrchen-Ordnung und Besserung*' ergehen Hess, worin
die Abstellung weltlicher Missbräuche in der Kirche und
unter der Geistlichkeit befohlen wurde. Herzog Johann
wurde freilich durch alle diese Einflüsse nicht vermocht,
sich entschieden auf die Seite der Reformation zu stellen,
g'laubte vielmehr zwischen Rom und Wittenberg eine
vermittelnde Stellung einnehmen und den offenen Bruch
mit dem Papstthum verhüten zu müssen und liess sich,
angesichts der vielfach in seinen Landen hervortretenden
sektirerischen, namentlic^i wiedertäuferischen Unruhen,
dazu bestimiAen, im Jahre 1530 die Abschaflhing aller
bereits vorgenommenen Beligions-Neuerungen zu befehlen.
Allein wahrscheinlich der Einfluss des Erasmus bewog
ihn, im Jahre 1532 eine von Konrad von Heresbach ver-
fasste und von Erasmus durchgesehene Reft>rmations-
ordnung zu erlassen und dieselbe im Jahre 1533 in
einem noch mehr evangelischen Sinne zu erläutern.
108 Ge9eMeht€ der evangeHsehen Gemeinde DÜeeMorfe,
Einen Einblick in diese Kirchenordnung gewährt uns
eine Schilderung, welche der Professor zu Herbem , Dr.
Joh. Melchior, vormals Prediger der hiesigen reformirten
Gemeinde, in dem dritten Bande seiner theologischen
Werke (Herborn, 1696) gibt. Derselbe schreibt:
,,Es beliebte dem Allweisen Gott etwa 30 oder 40
Jahre vorhin der Landesobrigkeit in's Hertz zu geben,
nebst andern Königen,- Chur- und Fürsten Sorge zu tragen
vor dero guten Unterthanen ewiges Wohlergehen. Dami
zuvorderst Herrn Hertzog Johann HL . . . hat nicht
allein die in dem christlichen (Gottesdienst damals Tast
überall eingeschlichenen vielfältigen Missbräuche gesehen
und daher die Verbesserung derselben, welche durch eine
wunderbare Schickung Gottes beynahe durch ganz Europa
auf eine .Zeit durch unterschiedliche Veranlassung vor-
genommen war, nicht ver unbilligt, sondern auch durch
eine im Jahre 1533 den 5. April öfentlich ausgelassene
weitläuftige Verordnung des Gottesdienstes halber in
diesen Landen angefangen.^
„Ich habe, sagt er, des Durchl. Fürsten Kirchen-
ordnung gelesen, welches gottseligen Vermahnungen zu
wünschen wäre, dass das Volk lieber einfolgen wollte
als etlicher bösen Meynung oder Wahn. Es wird in der-
selben sonderlich allen Pastoren, Predigern und Seel-
sorgern in allen diesen Fürstenthümern und Landen
befohlen: dass sie die menschlichen Gedichte und Ein-
setzung fahren lassen und dem Volk das heilige Wort
Gk>ttes schlecht rein und unverfälscht predigen und vor-
tragen, massen das Wort Gottes die einzige Lehre zur
Seligkeit sey, dessen Auslegung geschehen muss nach
andern hellen klaren örtem der Schrift, mit Betrachtung
dessen, was vorsteht und nachfolgt, nicht anerkennen,
was zu ihrem Gutdünken, Zuneigung und Vornehmen
ausgelegt und gezogen werden möchte^ sondern was der
heiligen Schrift allenthalben gemäss.^
Wenn nun auch diese und andere Kirchenorduung'en
vom Jahre 1532 und 1533 auf halbem Wege stehen
blieben, so dass Luther von Urnen sagte: ^bOs teutsch,
bös evangelisch,^ so wurde doch Heresbach durch den
Briefwechsel mit Melanchthon mehr und mehr den Lehren
der Reformation zugethan, und in der Vorrede zu seiner
Geschichte der Münster*schen Wiedertäufer, deren ent*
setzliches Gebahren er näher kennen gelernt hatte, als
er 1534 den Herzog Johann auf seinem Feldzuge geg^en
dieselben begleitete, sagt er u. A.: „die Lehre, die ich
bisher als Luthers Lehre kennen gelernt hatte, enthalt
keinen Glaubenssatz, welcher von der Kirche oder von
Ouehiehts der tvongüUekm Gemeinde DüesMorfe. 109
den Gesetzen für ketzerisch erklärt worden ist." In
diesem Geiste wirkte er namentlich auch als Erzieher
der fürstlichen Elinder, von welchen die erwähnte Prin-
zessin Sibylla lebenslänglich ihrem um des evangelischen
Bekenntnisses willen so hart verfolgten und vom Kaiser
zu langwierigem Gefängniss venirtheilten Gemahl treu
verblieb, während die Prinzessin Anna dem vom Papste
abgefallenen Könige Heinrich VIII. von England ver-
mlUilt wurde und die Prinzessin Amalie, um ganz
ungestört ihres evangelischen Glaubens leben zu können,
sich nach dem Schlosse Burg an der Wupper zurt&ckzog.
Sonderlich aber — sagt Melchior — hat Herzog Johann
Sorge getragen für die gute Auferziehung Dero Erb*
printzen und zu solchem Ende Demselben zum Unter-
weiser und Hoffmeister vorgestellt Conrad von Heresbach,
dessen Gelahrtheit, Gottesfurcht und Treue und andere
herrliche Gaben aus vielfältigen Handlungen, besonders
aus dem bekannten Buch Y,von Auferziehung fürst-
licher Kinder^ bei den Nachkommen unvergessen.^
Dieser Erbprinz gelangte als Wihelm EI. im Jahre
1539 zur Regierung und regierte bis 1592. Sein Vater
hatte noch vor seinem Tode die Freude, dass die Stände
des Herzogthums Geldern den vielversprechenden Sohn
zum Herzog wählten, damit das Land bei Deutschland
verbleibe und nicht durch die burgundische Erbschaft an
Spanien falle. Aber die Herzogswürde war ein Danaer-
Geschenk; denn schon bald brach der Krieg zwischen
Kaiser Karl V. und dem bedrängten Herzog wegen dieser
Besitznahme aus, und obwohl Franz I. von Frankreich
dem Letzteren Beistand leistete und die Kaiserlichen 1543
bei Sittard geschlagen wurden, zwang dennoch der
Kaiser, der mit verstärkten Truppen heranrückte, den
Herzog zu dem für ihn höchst nachtheiligen Vertrage
von Venlo, in welchem er nicht allein versprechen
musste, allen Verbindungen mit Frankreich, auch seiner
Verlobung mit der 11 jährigen Prinzessin Johanna von
Navarra, der Schwester des Königs Franz, zu entsagen,
sondern auch sich verpflichtete, „die katholische Religion
in seinen Landen aufrecht zu erhalten, allen Neuerungen
aber zu entsagen und dieselben abzustellen." Noch mehr
wurde er dem Kaiser dadurch verpflichtet, dass er 1546
Maria von Oesterreich, die Tochter des nachmaligen
Kaisers Ferdinand I., heirathete.
Wir würden jedoch irren in der Annahme, als hätte
Herzog Wilhelm seine einer gemässigten Reformation zu-
gethane Gesinnung dieser schweren Schicksalsschläge
we^en geändert. Noch zwei Jahrzehnte hindurch ver-
110 Oe$chieht€ der 0pang€fi§ehen OemeiHde I>üs$eidorf4.
blieb Heresbach in seiner Sitellung als herzoglicher Geheim-
rath und Erzieher der fürstlichen Kinder: und dass die
Erziehung der letzteren im evangelischen Geiste geschah,
dürfte schon daraus hervorgehen, dass die älteste Tochter
Wilhelm-s, Maria Eleonore, 1573 mit Albrecht Friedrich
von Brandenburg, die zweite, Anna, 1574 mit dem Pfalz*
graf en Philipp Ludwig von Neuburg, die dritte, Magdalena,
1579 mit dem Pfalzgrafen Johann von Zweibrücken — lauter
evangelisch-gesinnten Fürsten — vermählt wurden. Auch
wurde im Jahre 1545 zum ersten Relctor der von Herzog
Wilhelm gegründeten gelehrten Schule, des seminarium
reipublicae, an welcher auch theologische, juristische und
politische Vorlesungen gehalten wurden, ein Gesinnungs-
genosse von Heresbach, der berühmte Magister Johannes
Monheim, der „Lehrer von Niederdeutschland^, be-
rufen, — ein Mann, der zwar anfangs mehr im G^ist und
Sinn des Erasmus, je länger je mehr aber in entschieden
reformatorischer Richtung wirkte, wie dies namentlich
sein berühmter Katechismus vom Jahre 1560 beweist,
und der die Düsseldorfer Schule zu einer solchen Blüthe
brachte, dass dieselbe von nah und fem besucht wurde
und eine Zeitlang gegen 1800 Studirende zahlte. Sein
Einfluss auf die Düsseldorfer Bürgerschaft war ein so
tiefgehender, dass die „Rathsverwandten^ noch in einer
Eingabe an den Bürgermeister und Rath vom Jahre 1581
ihm folgendes Zeugniss ausstellen : „Der hochgelelirte und
weit berühmte erstbestellte Rektor seUgen Gedächtnisses,
M. Johannes Monhemius, hat seine Meinung getreulich
am Anfang dahin gestellt, damit er mit allem Ernste und
gebührlichen Mitteln der Jugend vorstehen möchte, auch
denselben mit seinem Leben, Wandel, Lehre und Dis-
ciplin dermassen vorgestanden, dass sein Name und
Gelehrtheit durch die ganze Christenheit gerühmt und
vieler Eltern Gemüther dadurch bewegt, dass sie ihre
Eander über 50, 60, 70 und mehr Meilen Wegs mit grossen
Kosten hierher zum Studium geschickt haben. *^
Auch Melchior bezeugt, dass Herzog Wilhelm trotz
seiner misslichen Lage und seiner Verheirathung mit
Maria von Oesterreich „treu eyfrige Sorge zu Errettung
der armen Unterthanen aus dem alten Aberglauben habe
sehen lassen.^ Im Jahre 1556 den 16. Juli habe er „allen
Pastoren befohlen, Gk>ttes Wort lauter und rein zu predigen^
den CatQchismum mit öfterer Wiederholung zu üben, auch
die Bildertracht und lästerliche MissbrAuche zu meiden.*'
„Iiti Jahre 1559 den 12. Januar haben Ihrö Fürstliche
Gnaden ein sehr merkwürdiges Schreiben selbst aufgesetzt
und geschrieben an Kaiserliche Majestät zur Verant*
GeschiekU der evangelischen Gemeinde DUeeeldorfe, 111
wortung dessen, worüber Dieselbe beschuldigt worden,
als nämlich y dass sie Neuerung im Gottesdienste an-
richteten, einen verhejTatteten Hofprediger hätten und
Dero Kinder in der Evangelischen Religion erziehen
Hessen. Die Antwort ist recht christlich und recht fürst-
lich eingerichtet.^ .... ^Sonderlich aber muss hierbei
unvergessen bleiben die Reformationsordnung, so
1567 mit Rath und Zuthun der vornehmsten Stände
und Räthe verfasset und gestaltet worden, die
dann desselben Inhalts, wie die von Herzog Johannes
angenommene.^ . . . „Gleichwie nun,^ heisst es weiter,
„I. F. Q. den Gottesdienst auf diese Weise bei Dero
Hofe bedienen lassen durch unterschiedliche Prediger als
Arnoldum, Bungardum, Nicolaum, RolliUm, Gerhardum,
Yeltium etc., also haben sie auch an den meisten Orten
in diesen Landen und sonderlich im Bergischen die Kirchen
mit evangelischen Predigern versehen, wie dann allhier
in Düsseldorf neben obgedachten Hofpredigern von D. D.
Leone und Caspare in der Pfarrkirche das h. Evangelium
nach obgesetzter Ordnung bis auf das Jahr 1570, da
Doctor Mommerus (des Herzogs Geheimer Rath) gestorben,
einschliesslich ist gepredigt worden.^
Die letzten Worte Melchior 's bezeugen, was auch
durch andere Nachrichten aus jener Zeit bestätigt wird,
dass nicht allein im Schlosse, sondern auch in der hiesigen
Pfarrkirche zum h. Lambertus eine längere Reihe von
Jahren hindurch, jedenfalls aber von lö67 — 1570 das Wort
Gottes nach den in der gedachten Kirchenordnung vor-
geschriebenen evangelischen Grundsätzen verkündigt und
das heilige Abendmahl unter beiderlei Gestalt gespendet
worden ist. Es ist wohl zu weit gegangen, wenn man
hieraus gefolgert hat, dass damiüs bereits hier eine
„reformirte Gemeinde^ bestanden habe ; wir werden viel-
mehr nur annehmen dürfen, dass die Reform des Kirchen-
wesens in der Residenz des Herzogs mit besonderem
Eifer und unter Zustimmung des grössten Theils dei
Geistlichen und der Bevölkerung durchgeführt wurde.
Immerhin aber ist die erwähnte Thatsache ein Zeugniss
für den Aufschwung, welchen die evangelische Bewegung
damals am Niederrhein bereits genommen hatte.
Dass diese Bewegung gleichwohl nicht ihr Ziel
erreichte, hatte seinen vorzüglichen Grund darin, dass
Herzog Wilhelm, durch einen Schlaganfall gelähmt und
durch viele Leiden damiedergebeugt , mehr und mehr
einer geistigen Umnachtung verfiel, welche sich seit 1570
so verschlimmerte, dass nur zeitweise lichte Augen-
blicke eintraten. Die inzwischen mächtig gewordene
112 GudkkkU der evanffelUdten OßmHmd^ Dü$9§fd09fg*
aller Reform feindliche Gegenpartei riss die Zügel der
Regierung an sich und hatte um so leichteres Spiel, als
sich auch bei dem Jungherzog Johann Wilhelm bald
Vorzeichen des Tiefsinnes und einer geistigen Störung
einstellten , welche auch durch* seine im Jahre 1585 er-
folgte Heirath mit der durch Schönheit und (Geistesschärfe
gleich ausgezeichneten Markgräfln Jakobe von Baden
nicht behoben wurde. Wohl beharrte ein grosser Theil
der fürstlichen RAthe bei dem protestantischen Bekenn^
niss; aber der Einfluss des Kaisers , der im Jahre 1591
seme Commissarien nach Düsseldorf sandte, um die am
dortigen Hofe obwaltenden Verhältnisse zu überwachen
und eine „Regimentsordnung^ einzusetzen, nach welcher
die Regierung fortan gefdhrt werden sollte, war zu
mächtig, als dass diese Räthe die Ueberhand hätten
gewinnen können. Und als vollends nach dem Tode
Johann's III. und dem Regierungsantritt Johann Wilhelm's
im Jahre 1591 der Rangstreit zwischen der Schwester des
Letzteren, Sibylla, und der Herzogin Jakobe ausbrach,
als dessen Opfer Jakobe im Jahre 1597 ermordet im
Bette aufgefunden wurde, bot die übermächtige Oegen-
parthei alles auf, um zu verhindern, dass bei der Kinder-
losigkeit des Herzogs die Herrschaft an die älteste
Schwester desselben, eben jene Sibylla, oder an eine
andere ihrer drei Schwestern, welche sämmtlich an prote-
stantische Fürsten verheirathet waren, fallen möchte.
Unter diesen Umständen blieb den evangelisch-
gesinnten Bürgern der Stadt, welche seit dem Jahre 1570
am Hofe keine Stütze und in den kirchlichen Gottesdiensten
keine ihren Ansichten entsprechende Erbauung mehr
fanden, nichts anders übrig als sich in aller Stille und
Zurückgezogenheit, so gut es anging, zu erbauen. ,yDa
hat man sich denn,'* schreibt Melchior, „nach angefangener
Landesobrigkeitlicher Reformationsordnung den Gottes-
dienst, so gut man konnte, unter vielen Trübsalen
bedienen lassen und ist eben dadurch desto mehr ver-
anlasst worden, auch die noch übrigen bekannten Miaa-
bräuche zu verlassen und alles flrey nach der vollkommenen
Richtschnur des göttlichen Wortes einzurichten.^^
Schon vom Jahre 1570 an bestand in Düsseldorf eine
sogenannte „heimliche^' reformirte Gemeinde, wahr-
scheinlich auch eine lutherische, obwohl sich dies noch
nicht vollständig urkundlich nachweisen lässt. Die Akten
des reformirten Classical - Conventf^s von Bedburg er-
wähnen unterem 5. Juli 1573, dass in Düsseldorf ein
Prediger angestellt werden müsse, der den bereits an-
gefangenen Bau einer Kirche fördern solle, und ordnen
i»S*^*
O09chMU der $vong$U8ek$H Oemmndt DüsBddorfe. 113
unter'm 7. Juli 1574 an^ dass für Düsseldorf und Rfaeydt
bis auf weiteres ein gemeinsamer Prediger, Conradus Titz
aus Köln, bestellt werde.
Derselbe blieb zwar der gedrQckten Verhältnisse
halber nicht lange in dieser Stellung, und auch die nach
folgenden Prediger wechseln in rascher Folge; Name,
Wohnort und Wohnung derselben müssen wegen drohender
Gefahr streng verschwiegen werden. Doch erfahren wir,
dass im Jahre 1593 die Gemeinde von der Jolicher Classe
ausscheidet und in die Bergische eintritt ; ihre Deputirten
wohnten 1594 der Synode zu Elberfeld bei, und ihr da-
maliger Prediger war Johannes Gosmannus (1593 bis
1596).
Wie dQrftig und schwankend Oberhaupt die Nach-
richten aber die ersten Jahrzehnte der Gemeinde erscheinen,
so geht doch so viel aus ihnen hervor, dass der von
selten der herrschenden Partei auf sie geübte Druck sie
nur zu grösserer Opferwilligkeit und Beharrlichkeit in
ihrem evangelischen Glauben anspornte. In den if^'ohl-
gegliederten Organismus der reformirten Synoden fest
eingefügt, haben wir sie uns nach dem Vorbilde und den
Vorschriften derselben geordnet zu denken, geleitet durch
ein von sämmtlichen Hausvätern erwähltes, aus Predigern,
Aeltegten und Armenpflegern bestehendes ^Consistorium^;
im Bekenntniss auf den Heidelberger Katechismus ge-
gründet; ihren Gottesdienst in Psalmengesang, Gebet und
Predigt des göttlichen Vaters bestehend; in Wandel und
Leben durch eine äusserst strenge Kirchenzucht geregelt,
welche sie sowohl von der Betheiligung an den gewöhn-
lichen weltlichen Vergnügungen als von jeder Anbeque-
mung an die herrschende Kirche (z. B. durch Mischehen)
fernhielt, die strengste Sonntagsheiligung und tägliche
Hausandachten vorschrieb und das geringste Aergemiss
mit Oeldbusse und andere Kirchenstrafen belegte. Nur
eine Gemeinde, die auf so festem Fundamente ruhte, ver-
mochte auch trotz aller Armuth und Vereinzelung die
schwere Zeit eines 4(]!fährigen Druckes zu bestehen, auf
welche dann nur vorübergehend eine günstigere Zeit folgte,
um die Gemeinde auf noch schwerere Drangsal zu rüsten.
Die angedeutete günstigere Wendung bezeichnet das
Todesjahr des Herzogs Johann Wilhelm, 1609. Da er
kinderlos starb, so bewarben sich Kurfürst Johann
Sigismund von Brandenburg und Pfalzgraf Wolf-
gang Wilhelm von Neuburg als nächstberechtigte
Prätendenten um die Herrschaft über die verwaisten
Lande, Hessen dieselben gleichzeitig durch ihre Gesandten
in Besitz nehmen und würden wohl sofort in Krieg mit
s
114 Geschichte der evangüisdhen Gemeinde DUseeldorfe,
einander gerathen sein, wenn nicht Landgraf Moritz von
Hessen im Interesse des Protestantismus die Vermittler-
rolle ttbemommen hätte. Der Vertrag zuDortmmid (31.
Mai 1609) ordnete eine yorlAufige gemeinschaftliche Re-
gierung an. Durch eine Verheirathung des jungen Pfalz-
grafen mit der ältesten Tochter des Kurfürsten, Anna
Sophia, sollte die Versöhnung im Jahre 1613 vollzogen
werden; als aber der Pfalzgraf verlangte, dass ihm Jülich
und Cleve als Mitgift zum alleinigen Besitz überlassen
werde, und diese Forderung bei einem Gastmahl auf dem
Schlosse zu Düsseldorf ertrotzen wollte, liess sich der
Kurfürst von seinem Zorne sc weit fortreissen, dass er
nach einer weit verbreiteten, jedoch durch Zeitgenossen
nicht verbürgten Nachricht dem Pfalzgrafen eine Ohr-
feige ertheilte. Dieser schwur Rache, heirathete die
bayrische Prinzessin Magdalena, Schwester des Herzogs
Maximilian von Bayern, und trat 1614 zum Katholizismus
über, — der Krieg war unvermeidlich. Die Niederlande
traten auf Seite des inzwischen zur reformirten Confession
übergegangenen Kurfürsten, der Kaiser mit seinen spa-
nischen Heeren auf Seite des Pfalzgrafen. Kriegsheere
wälzten sich über die unglücklichen Lande hin; der
dreissigjährige Krieg, in welchen dieselben auch in etwa
verwickelt wurden, erhöhte die Drangsale, — die evan-
gelischen Gemeinden waren der Schauplatz der grössten
Gewaltthaten. Je nachdem das Kriegsglück wechselte,
wurden ihnen Prediger, Kirchen und anderes Besitzthum
genommen oder zurückgegeben. Der Gottesdienst musste
vielfach in Wäldern und Höhlen gehalten werden; die
Protestanten wurden gezwungen, den katholischen Cere-
monieen ihre Huldigungen darzubringen und die heiligen
Handlungen durch katholische Priester vollziehen zu
lassen ; ein Jahr lang war das ganze Jülicher Land seiner
protestantischen Prediger beraubt. Allerdings verglichen
sich die beiden Fürsten 1629 durch einen zu Düsseldorf
geschlossenen Vertrag dahin, dass der Kurfürst das Herzog-
thum Cleve und die Grafschaft Mark, der Pfalzgraf die
Herzogtbümer Jülich und Berg erhalten und beide zu-
sammen die Grafschaft Ravensberg besitzen sollten;
infolgedessen wurden die Laude 1631 von den fremden
Truppen geräumt. Allein die Wohlthaten des. Friedens
konnten, so lange der Krieg im übrigen Deutschland
währte, den Ländern nicht zurückgegeben werden, und
da namentlich der Pfalzgraf seine protestantischen Unter-
thanen zu bedrängen fortfuhr, so eröfbete der Kurfürst
im Jahre 1651 nochmals den Krieg, der wiederum uns&g-
liches Elend mit sich brachte, bis es endlich durch die
0t9ehiekU der tvangelisehen Gemeinde DOsseldorfe* 115
von den clevischen und märkischen Ständen flehentlich
angerufene Vermittelung der Niederländer gelang, am
9. September 1666 einen Friedensvertrag zu Stande zu
bringen, wodurch das kurfOrstliche Haus in den vollen
Besitz von Cleve, Mark, Ravensberg und Mors, der Pfalz-
graf in den von Jülich, Berg und Ravenstein gelangte.
Die Religionsangelegenheiten wurden durch besondere
Recesse (1665 und 1672) geregelt. Nach denselben er*
hielten im JQlich'schen die Reformirten an 34, die Luthe-
raner an 7 Orten, im Bergischen jene an 30, diese an
34 Orten freie Religionsübung.
Dass das Ji^ 1609 auch fUr die Evangelischen in
Düsseldorf ein hochbedeutsames war, geht schon daraus
hervor, dass mit dem 9. Januar dieses Jahres das Consistorial-
ProtokoU der reformirten Oemeinde, deren Geschichte wir
zunächst weiter verfolgen, beginnt Zwar wird noch in
diesem Protokoll den neuaufgenommenen Gemeindegliedem
eingeschärft, dass sie „schweigen^ sollen, damit die Oe-
meinde nicht in Ungelegenheiten komme, aber das Con-
sistorium veranstaltet doch am 25. März aus Anlass des
Todes des Herzogs Johann Wilhelm einen Buss- und Bettag
und entsendet schon im Juni seine ersten Vertreter (Kridtfus
und Johann Lohe) zum Convent der Düsseldorfer Classe.
Ein festes gottesdienstliches Lolcal besitzt sie noch nicht ;
der Prediger Philipp Poppinghaus ausNeviges predigte
gastweise in dem Saale eines Hauses am Markte, ^zum
weissen Ross^ genannt, dann in der Behausung des fürst-
lichen Baumeisters Pasqualino, „Hirzbach's Haus^ genannt,
und in dem Saale eines Färbers Heinrich Heines. Derselbe
Prediger wird dann der Nachfolger des bisherigen hiesigen
Prediger Philipp Polichius und verwaltet das Predigt-
amt vom 1. Januar 1610 bis zu seinem Tode am 5. Sep-
tember 1624. Ueberhaupt erscheint die reformirte Oe-
meinde mit dem Jahre 1609 als eine „öffentliche*'. Ihre
Aeltesten leiten die Oottesdienste mit Bibelvorlesungen
und Gebet ein ; alle Kinder werden im öffentlichen Gottes-
dienst getauft; die Oemeinde erwirbt einen Bauplatz an
der Kurzestrasse, und schon im Dezember 1610 wird das
erste Brautpaar in dem dort erbauten Ootteshause (Predigt-
haus ohne Thurm und Olocke) getraut. Am 10. Juli 1611
wurde sogar der Düsseldorfer Classical-Convent in ihres
Patriarchen, des Färbers (Cornelius) Hause gehalten.
Auch unterhält die Oemeinde schon eine Rektoratschule,
als deren erster Schulmeister ein gewisser „Petrus^ und
seit 1612 Johann Anton Biber angestellt wurde, welcher
zugleich Hülfsprediger der Oemeinde war und die Schule
zu solcher Blüthe erhob, dass schon im Jahre 1613 vier
8»
116 OesehMU$ der etangüiseh^n Gemtmde DüstMorfs,
Lehrer an ihr angestellt sind und dieses Institut den Neid
der alten, immer mehr sich auflösenden (katholischen)
Fürstenschule erregte. Durch ein Brandenburgisches
Subsidium (300 Thlr.) wird dann noch die Anstellung
eines fünften Lehrers ermöglicht. Alles deutet darauf
hin, dass die Gemeinde, welche anfangs aus nur hundert
Gliedern bestand, infolge der gewährten Religionsfreiheit
nicht nur rasch an Seelenzahl wuchs, sondern auch eine
grosse Thatkraft und Opferwilligkeit an den Tag legte,
worin sie von dem anfangs noch günstig gestunmten pfalz-
ueuburgischen Hofe sowie von auswärtigen Gemeinden
und fürstlichen Höfen bestärkt wurde. Seit 1613 wurde
sogar die Anstellung eines zweiten Predigers, Henricus
Krauthofen, notwendig, weil Poppinghaus, der zugleich
Inspektor der Düsseldorfer Classe und bereits alters-
schwach war, der Hülfe bedurfte, und war es der Ge-
meinde gestattet, das heilige Abendmahl in der Schloss-
kirche, an welcher damals Magister Abraham Scultetus
als evangelischer Hof^rediger fungirte, zu feiern.
Aber schon die im Jahre 1613 in der Stadt um sich
greifende Pest brachte schwere Prüfungen für die junge
Gemeinde mit sich. Viele Einwohner flohen aus der
Stadt; die Gemeinde durfte ihre Freitagsgottesdienste
nicht mehr in der Schlosskapelle abhalten; ein besonderer
Seelsorger musste für die Pestkranken angestellt werden ,
und als im Jahre 1614 die Eriegsunruhen begannen, sahen
sich Prediger Poppinghaus und Rektor Biber genöthig^,
nach Cleve und Holland zu reisen, um für die bedrängte
Gemeinde zu collectiren. Nur mit grosser Mühe gelang
es in den folgenden Jahren Hülfsprediger und Lehrer für
kurze Dauer zu gewinnen; die Rektoratschüler mussteu
sich vielfach an den Hausthüren ihren Unterhalt erbitten,
und die Geistlichen wurden mit Einquartierung belästigt.
Den empfindlichsten Schlag aber erlitt die Gemeinde, als
im Jahre 1624 ihr verdienter Prediger Poppinghaus starbt)
und an seinem Begräbnisstage, als die Leichenbegteitung
kaum vor dem Thore war, die reformirte Kirche durch
die Räthe des Fürsten geschlossen und die freie Religions-
übung verboten wurde, — ein Zustand, der bis zu
dem Jahre 1643 währte. Auf die wiederholten Bitt-
gesuche um Aufhebung dieser Massregeln wurde der
*) Die dankbare Gemeinde ehrte ihn durch folgendes von
Dr. Redinghofen verfasste Chronologiiun seines Grabsteines:
QllJnta HeJ septeMbrJs ConstantJ peCfore Constans VerbJ
CoeLestJH PraeCo PHJLJppVs obJt. (Am 5. September starb mit
standhaftem Mathe der stanahafte Verkftndiger des göttlichen Wortes
Philippus.)
Getehiekie der wangeliechmi Gemeinde DOeeMarfe, 117
Gemeinde u. A. geantwortet, dass die letzteren nur zum
Besten der Gemeinde dienen, damit dieselbe desto mehr
Anlass habe, zu der katholischen Kirche zurückzukehren.
Sie konnte sich nur noch wie ehedem gruppenweise in
einzelnen HAusem versammeln; die auf Poppinghaus
folgenden Prediger wurden nur mit MQhe und für kurze
Zeit gewonnen, die Schule nur durch das Brandenburgische
Subsidium von jährlich 1000 Thlr. erhalten. Eine Zeit-
lang mussten sogar die Sonntagsgottesdienste um allerlei
Ungelegenheit willen fortfallen ; der Prediger Da v. Bon gart
konnte sein Amt nur unter der Bedingung annehmen, dass er
Frau und ELinder nicht mitzubringen nötig habe, und
(iabriel Kohlhagen (1635 — Hl) musste die Gemeinde ver-
lassen, weil ohne obrigkeitliche Bewilligung kein neuer
BQrger aufgenommen werden dQrfe. So sah sich die
Gemeinde auf die gelegentliche. Bedienung durch aus-
wärtige Prediger angewiesen, ihre Kirche wurde als
Scheune fttr den Hof benutzt, im Jahre 1638 auch die
Schule geschlossen und jede geistliche Amtshandlung
untersagt
Es ist um so ehrenvoller, dass die Gemeinde trotz
aller dieser Bedrängnisse den Opfermuth besass, noch im
Jahre 1625 ein Armenhaus und im Jahre 1643 eine für
die ganze bergische Synode bestimmte theologische Biblio-
thek zu gründen, welche noch heute besteht. Auch geht
aus einem noch erhaltenen Verzeichniss hervor, dass die
Gemeinde im Jahre 1641 noch 700 Glieder, darunter 500
Communicanten, zählte. Oben unter dem Dache des
Predigerhauses hielt sie ihre Gottesdienste, bis sie zu
Anfang des Jahres 1643 es wagte, sich wieder in ihrer
Kirche zu versammeln. Dies wurde zwar schon am
16. Februar wieder verboten und ihren Mitgliedern sogar
das Bürgerrecht und das Recht der Erbtaufe aberkannt;
aber am Palmsonntag des Jahres 1644 durfte sie ihre
Kirche wieder beziehen, und am 1. Ostertage dieses Jahres
feierten dann 450 Communicanten das h. Abendmahl in
derselben. Die Bedrückungen hörten zwar auch dann
noch nicht vOllig auf; u. A. wurde die Schule zu wieder-
holten Malen geschlossen, und die Gemeindeglieder
wurden gezwungen, der Procession nach der Pempelforter
Rochuskapelle beizuwohnen. Doch bewirkten die Klassen
der Gemeinde bei der brandenburgischen Regierung; dass
diese durch Repressalien die endliche Beseitigung dieser
Drangsale herbeiführte.
Unter den vielen einheimischen und auswärtigen
Wohlthätern, welche die Gemeinde in dieser schweren
Zeit unterstützten, ist namentlich die Pfalzgräfln und
118 Otsehiehte der evangelttchen Gemeinde DüaeMarfe.
Herzogin Katharina Charlotte zu nennen, w^che dem
pfälzischen Fürstenhause angehörii;^, auch trotz dem lieber-
tritt ihres Gemahls, des Herzogs Wolfgang Wilhelm zum
Katholicismus, ihrem reformirten Bekenntniss unwandel-
bar treu verblieb, in der fürstlichen Hofkapelle durch
ihre Hofprediger Johannes Hundius und Andere evange-
lischen Gottesdienst abhalten liess und sich mit landes-
mütterlicher Fürsorge aller bedrängten Glaubensgenossen
in der Nähe und Ferne annahm. Sie bewilligte z. B.,
dass die in der Schlosskirche gesammelten Gaben den
Armen der hiesigen reformirten Gemeinde zu gute kämen,
liess auf ihre Kosten arme Elinder derselben, besonders
pfälzische, durch einen Lehrer aus ZweibrQcken, Melchior
F eye 11, unterrichten, und rettete den schon zur Er-
schiessung verurtheilten Prediger Johannes Lünenschloss
von Solingen, als er nach Düsseldorf transportirt wurde
und die Herzogin ihm zufällig in Hilden begegnete, da-
durch vom Tode, dass sie ihn in ihrem eigenen Wagen
mit nach Düsseldorf nahm und bei dem Herzog für ihn
eintrat. Sie starb am 21. März 1651, von ihren Glaubens-
genossen als eine ^^hohe Säule ihrer Kirche^ heiss beweint,
und ruht in der Fürstengruft der hiesigen Lambertuskirche.
Die von ihr der reformirten Gemeinde geschenkten
Abendmahlsgefässe befinden sich noch im Gebrauche der
hiesigen evangelischen Gemeinde.
Daas mit dem Ende des 30jährigen Krieges auch fOr
die reformirte Gemeinde in Düsseldorf ruhigere Zeiten
anbrachen, geht daraus hervor, dass der im Jahre 1644
berufene Prediger Peter Sondermann bis an sein Ende
(1663) bei derselben verblieb. Ihm folgte Jac. Lehnhoff,
der sich durch hohe katechetische Begabung auszeichnete
und von dessen Hand sich noch ein beachtenswerthes
Gutachten über die Vereinigung der Lutheraner und Re-
formirten im Gemeinde-Archiv befindet. Als dieser im
Jahre 1667 nach Elberfeld berufen wurde, erwählte die
Gemeinde den noch jugendlichen, aber sehr eifrigen
Prediger Steinhausen, der in Folge seiner labadisti-
schen Richtung in mancherlei Kämpfe verwickelt wurde,
aber schon 1673 starb. Sein Nachfolger wurde Sylvester
L Ursen aus Danzig, der im Jahre 1677 eine Streitschrift
wider den hiesigen Jesuiten Nacatenus ausgehen liess.
aber auch mit dem Rector der lateinischen Schule, dem
berühmten Liederdichter Joachim Neander in ziemlich
gehässige Streitigkeiten gerieth, weil dieser in Wort und
Wandel ebenfalls die mehr innerliche und mystische
Richtung des holländischen Labadismus vertrat, während
jener der strengen Orthodoxie seiner Zeit angeliörte.
Ge$ehiehte der evangeliäcken Gemeinde Düeeeldorfe. 11!>
Joachim Neander ist einer der gefeiertsten Lieder-
dichter der evangelischen Kirche. Er „sang und spielte
dem HErm^; d. h. er erfand zu den von ihm gedichteten
Liedern auch zum Theil die schönen, tiefergreifenden
Weisen. Und wenn er auch als Dichter einem Luther,
Paul Gerhard und Anderen den Vortritt lassen muss, so
steht er ihnen doch in seiner Art ebenbürtig zur Seite.
Namentlich aber ist es die reformirte Kirche Deutsch-
lands, welche Ursache hat, Neander's Andenken in Ehren
zu halten. Er war es, der dieser Kirche, welche bisher
nur die in Reime gebrachten Psalmen Davids in ihren
Gottesdiensten gesungen hatte, mit seinen „Bundesliedern^
die erste Gabe ureigenen, aus vollem Herzen frei ent-
strömenden Liedes darbot und dadurch die reiche Ge-
sangesgabe, welche auch dieser Kirche in Männern wie
Gerhard Tersteegen, Friedrich Adolf Lampe u. a. anver-
traut werden sollte, entfesselte. Er ist, wenn nicht der
Schöpfer des reformirten Kirchenliedes, so doch der erste
Herold eines neuen reichen Liederfrühlings dieser Kirche.
Neander war 1650 in Bremen als der Sohn eines
Lehrers am dortigen Pädagogium geboren, wurde als
Student am Gymnasium illustre seiner Vaterstadt durch
eine ihn mächtig ergreifende Predigt des dortigen be-
rühmten Predigers Theodor Undereyk im lebendigen
Glauben erweckt, besuchte seit 1671 die Universität Heidel-
berg, wo er zugleich als Informator einiger Studenten
wirkte, brachte den Winter 1673/74 in Frankfurt a/Main
zu, wo er die dortigen reformirten Fremdengemeinden
und den berühmten Vertreter der im besten Sinne pietisti-
schen Richtung : Phil. Jacob S p e n e r kennen lernte, und
trat am 1. Mai 1674 sein Amt als Rector in Düsseldorf
an. Seine Wirksamkeit als Lehrer war vorzüglich, seine
Predigtweise „ohne viel Kunst, jedoch nicht ohne Be-
weisung des in ihm wohnenden Geistes**. Weil er aber
nach Spener's Vorbild die coUegia pietatis (die frommen
Zusammenkünfte der gläubigen Christen zu gemeinsamer
Betrachtung der heil. Schrift und zum Gebet) auf eigne
Hand auch in der Düsseldorfer Gemeinde einführte, ob-
wohl die General-Synode angeordnet hatte, dass dieselben
nur auf Anordnung des Consistoriums und unter Aufsicht
der Prediger stattfinden dürften, so wurde er in heftige
Kämpfe idt dem Düsseldorfer Consistorium und nament-
lich mit dem Pre^diger Lürsen verwickelt. Man warf ihm,
wohl nicht mit Unrecht, auch noch andere eigenmächtige
Anordnungen im Schulwesen vor, und obwohl er unterm
17. Februar 1677 durch eigenhändige Unterschrift eines
wider ihn gerichteten Anklage - ProtocoUs seine Fehler
120 Oesehiehte der emngeliaehen Oemeind^ DfU9Morf%.
^aufrichtig und ohne Mentalreservation^ anerkannte, was
dem. jugendlich eifrigen Mann ohne Zweifel zur Ehre ge-
reicht, so ist es doch begreiflich, dass er sich aus seiner
Stellung heraussehnte, zumal, nachdem das Consistorium
ihn weder zum Nachfolger des im Jahre 1677 nach Danzig
berufenen Predigers LQrsen, noch zum Hülfsprediger seines
Nachfolgers Johann Melchior, des nachmals so berühmt
gewordenen Professors zu Herborn, berief. Aus jener
Zeit schweren inneren und äusseren Kampfes mögen aber
wohl die innigsten und schönsten seiner Lieder stammen,
namentlich auch jene, in welchen sich die Schilderungen
des nach ihm genannten „Neanderthals^ (des „Oesteins^
bei Mettmann) befinden.
Wir können den Lebensgang des frommen, liebens-
würdigen Dichters an dieser Stelle nicht weiter verfolgen i),
und bemerken nur noch, dass er im Jahre 1679 zum dritten
Prediger an der St. Martini - Kirche seiner Vaterstadt
Bremen berufen, diesem Rufe freudig Folge leistete, vom
Düsseldorfer Consistorium mit einem höchst ehrenvollen
Abgangs-Zeugniss bedacht wurde, im Jahre 1680 die erste
Ausgabe seiner Lieder unter dem Titel : A. u. 0. Joachimi
Neandri Glaub'- und Liebesübung etc. erscheinen Hess,
aber schon am 31. Mai 1680 von der Pest dahingerafft
wurde. Unter seinen Liedern zeichnen sich namentlich
das „wahrhaft königliche Lied^: „Lobe den Herren, den
mächtigen König der Ehren^, femer: „Wunderbarer König*^
mit seiner auch so „wunderbaren, gewaltigen^ Melodie,
— „Ich will ganz und gar nicht zweifeln^, — „Meine
Hoffnung stehet veste^ u. a. aus. Zu 19 derselben ver-
fasste Neander selbst die vortrefflichen Melodieen und
wurde deshalb von Bunsen mit Recht als der „Psalniist
des Neuen Bundes^ bezeichnet. Die Düsseldorfer Ge-
meinde ehrte bei der im Jahre 18i)0 stattgefundenen 300-
jährigen Gedächtnissfeier das Andenken des Dichtera
durch eine in der ehemals reformirten Kirche angebrachte
Marmortafel, welche das Bild desselben nach dem in
Mettmann aufgefundenen vortrefflichen Oelbilde wieder-
giebt und mit den Wahlsprüchen Neander 's: ., Unbeweg-
lich in dem HErm^, „Ich will mich lieber zu Tode hoflfen,
als durch Unglauben verloren gehen*' geschmückt ist.
Der erwähnte berühmte Prediger Melchior wurde
im Jahre 1670 von Kaldenkirchen an die Düsseldorfer
Gemeinde berufen, folgte jedoch schon 1682 dem Rufe
als Professor in Herbom. Während seiner Amtszeit tag^e
') Unter den Biographien des Dichters zeichnet sich nament-
lich die von Prediger Iken in Bremen 1880 herausgegebene durch
Gründlichkeit nnd VollstAndigkeit aus.
Gesehiehte der erangeli9ch$n OetMinde DBaseUlorfs. 121
zum ersten Male die bergische Provinzialsynode in Düssel-
dorf. Durch die von ihm verfasste ^Schulordnung^ und
^Kinderbibel^ machte er sich auch um die Schulen der
Gemeinde hochverdient, disputirte hierselbst öffentlich mit
einem Jesuiten und kämpfte litterarisch wider einen
italienischen Kapuzinermönch Marcus d'Äviano^ der sich
als Wunderthftter ausgab. Neben ihm wirltte nach Nean-
der's Abberufung der Rector und HQlfsprediger Konrad
Bl&sing, welcher im Auftrage der sehr bedrängten
Gemeinde eine Collectenreise nach London machte und
eine anziehende Beschreibung der mit dieser Reise ver-
knüpften Leiden dem Archiv der Gemeinde übergab.
Auf Melchior folgte im Jahre 1682 Hardingius ab
Hamm, bisheriger Prediger zu Ruhrort. Da durch den
„Religions- Vergleich" zwischen Kurbrandenburg und der
Kurpfalz die Religionsfreiheit nunmehr völlig gesichert
war, so entschloss sich die Gemeinde im Jahre 1682 zum
Bau der Kirche an der Bolkerstrasse, und Hardingius war
unausgesetzt für die Förderung desselben thätig. Er
sandte die Mitglieder des Consistoriums mit seinen (noch
erhaltenen) Empfehlungen auf CoUecten-Reisen nach Hol-
land, England, Hessen, Anhalt, Nürnberg, Bremen etc.
Am 13. März 1683 konnte der Grundstein der Kirche ge-
legt, am 5. März 1684 das erste Brautpaar in derselben
getraut werden; 1687 wurde mit dem Bau des Kirch
thurms begonnen. Die Gemeinde selbst brachte grosse
Opfer für den Bau und die innere Einrichtung der El&che ;
auch wurde mit dem Jahre 1688 wieder ein zweiter
Prediger, der zugleich als Rector der- lateinischen Schule
fungirte, angestellt (Andreas Hoppenrath aus Bremen;
seit 1693 Daniel Pauli aus Danzig; seit 1695 Petrus
Melchior aus Heeren). Neue Schulhäuser und eine
zweite Predigerwohnung (an der Kurzenstrasse) wurden
erbaut.
Die Drangsale der Gemeinde hatten freilich noch
nicht ganz aufgehört. U. A. wurde Prediger ab Hamm,
weil er die Taufe eines Kindes aus gemischter Ehe voll-
zogen hatte, vom 17. August bis 28. October 1696 „mit
2wei Schildwachen arrestirt^, und eine ganze Reihe von
Beschwerden wegen .Religionsbedrückung Hess die Ge-
meinde noch 1716 an die Behörden gelangen. Doch
genoss sie seit der „Düsseldorfer Ratification der Kirchen-
oi*diiung^ unter dem Kurfürsten Johann Wilhelm (13. Juli
1706) und unter dem Schutze des Preu^^sischen Resi-
denten, welcher mit diesem Jahre seinen Wohnsitz in
DOsseldorf nahm, grössere Freiheit und Sicherheit, welche
dann auch unter dem jesuitisch gesinnten Fürsten Karl
122 Geschichte der evangetischen Gemeinde DflseeJäorf«.
Philipp (1716 — 1742) nicht mehr gefährdet wurden; und
der kunstsinnige Karl Theodor (1742 — 1799) setzte vollends
dem mächtigen preussischen Schutze keinen Widerstand
mehr entgegen. Zufolge dessen wuchs die Gemeinde fort-
während an Seelenzahl und Leistungsfähigkeit^ wie letzteres
namentlich aus den zahlreichen und nicht unbedeutenden
milden Stiftungen des 18. Jahrhunderts hervorgeht.
Nach dem Tode des Predigers ab Hamm (1728) wurde
der Hof^rediger Joh. H. Jäger zu Dillenburg zum Nach-
folger, nach dem Tode des zweiten Predigers Petrus
Melchior (1732) Petrus WQlfing, Prediger zu Wülfrath,
zu dessen Nachfolger erwählt. Dieser Wülflng, von dessen
Predigtgabe Jung Stilling sagt: ^er predigte so schön, so
erbaulich und mit einer Würde, dass Zuhörer, die ihn
nicht kannten, in Thränen zerflossen und ihn für einen
apostolischen Mann hielten^, war derselbe Mann, der
später in Solingen und Konsdorf ein Haupt der berüch-
tigten Ronsdorfer Secte wurde und — obwohl anfangs
von der Preussischen Regierung bestätigt und zum Con-
sistorialrath ernannt — hernach wegen seines schänd-
lichen Lebenswandels abgesetzt, in tiefstem Elende starb.
Schon in Düsseldorf zeigte er seine Hinneigung zu jener
Secte und wurde deshalb von seinem Consistorium ver-
klagt, so dass es für die Gemeinde eine Wohlthat war,
dass er im Jahre 1734 nach Solingen berufen wurde.
Die Nachfolger Wülflngs waren: Johann Triesch,
bis dahin Prediger in Gemünd (1734 — 1765, zugleich Präses
der General-Synode), Wetzelius Wackerzapf (1766— 1772),
bisher Prediger in Erkrath, Justus Brummer, bisher
Prediger in Emmerich (1773—1792), ein Mann von grosser
Rechtschaifenheit, der aber schon im Geiste des Ratio-
nalismus wirkte und dadurch nicht wenigen Gemeinde-
gliedern anstössig wurde. Die erste Prediger-Stelle blieb
wegen der Bedrängnisse des siebenjährigen Krieges zwei
Jahre unbesetzt. Der im Jahre 1760 erwählte Heinrich
Bertram Hoff mann, bisher Prediger zu DQssel, starb
nach kurzer gesegneter Arbeit schon im Jahre 1762. Sein
Nachfolger wurde Johann Wilhelm Janssen, bisher
Prediger zu Brien^n, welcher im Jahre 1802 sein Amt
wegen Alterschwäche niederlegte.
Dass der Rationalismus allmählich auch in der refor*
mirten Gemeinde seine schlimmen Früchte in der zweiten
Hälfte des vorigen Jahrhunderts zeitigte, geht aus der
Predigt hervor, welche der Prediger P i t h a n bei Janssen's
Amtsniederlegung hielt und in welcher er u. A. sa^:
„Janssen kam in dem Jahre 1763 hierher zu unserer
s
Oeachiehie der evanffeiisehen Oemeiftde Düsseldorfs, 123
Gemeinde; zu einer Zeit; wo man sehr häufig die Stätte
besuchte, wo des Herrn Lob verkündiget wird. Dieses war
Freude für sein Herz und Aufmunterung für seinen regen
Fleiss. Desto inniger musste es ihn aber auch betrüben;
dass späterhin manche anfingen die Versammlung zu
verlassen; dass der feurige Eifer für die Gottseligkeit
allmählich anfing zu erkalten; dass die Kirehenzucht um
einen Theil ihres Ansehens kam; dass die Sitten immer
mehr verwilderten und die strafbaren Leidenschaften sich
imgezügelter zeigten in ihren wilden Ausbrüchen. Manches
ist unsern Zeitgenossen gleichgültig geworden, was imsern
Vorfahren heilig war. Als euer alter Lehrer sein Amt
unter euch antrat; da war es Sitte in den Familien; dass
iüle Hausgenossen an jedem Sonntage die Kirche be-
suchten und die mehrsten selbst zwei-, andere sogar drei-
mal darin gesehen wurden an jedem Sonntage. Wenn
Jemand an isinem ganzen Sonntage nicht in der Kirche
erschien; so gehörte dieses zur Ausnahme und man hielt
die Abwesenden für krank oder für ausheimisch. Jetzt
aber gehört; wie ein scharfsinniger Beobachter unserer
Zeitgenossen sagt, „das Besuchen der Kirche bei vielen
zur Ausnahme; und die Weichlichkeit unserer Tage findet
die Kirchen selbst schädlich für die Gesundheit. Sonst
sah man die Kirchen an als Oerter der Erholung von
dem Arbeiten der WochC; jetzt kennt man andere Oerter
der Zerstreuung; welche für die Sinnlichkeit reizender
und angenehmer sind. Wie kränkend mussten diese und
ähnliche Wahrnehmungen für einen Mann werden, der
in ganz anderen Zeiten gebildet und mit ganz anderen
Vorstellungen aufgewachsen war!"
Von sonstigen die Gemeinde betreffenden Ereignissen
sei hier nur erwähnt; dass am 15. Februar 1733 ein Zug
Salzburger Emigranten; welche nach Holland fiüchteten,
von der reformirten und lutherischen Gemeinde bewirthet
und beschenkt, die reformirte Kirche 1761 in ein Mehl-
haus der hier hausenden französischen Armee verwandelt;
nach der grossen Rhein-Ueberschwemmung am 27. Fe-
bruar 1784 (wo die Kirche einen Fuss hoch unter Wasser
stand); ein feierlicher Dankgottesdienst für gnädige Be-
wahrung veranstaltet; und in der Nacht des Bombarde-
ments vom 6. zum 7. October 1794 die Kirche und die
anstossenden Gemeindehäuser von den Granatkugeln der
französischen Armee beschädigt wurden.
Bevor wir jedoch die Geschichte der reformirten
Gemeinde in dem gegenwärtigen Jahrhundert weiter ver-
folgen, müssen wir einen Rückblick auf die Geschichte
ihrer Schwester-GemeindC; ;,der evangelischen Kirche
124 Oesehichte der evan^elUehen Gemeinde DüsseHdorfe,
Augsburgiscber (unveränderter) Confeasion" (oder
kurzweg „lutherische Gemeinde^ genannt) werfen.
Leider besitzen wir Qber die ersten Anfänge dieser
Gemeinde nur wenige zuverlässige Urkunden, da erst im
Jahre 1676 ein Consistorium derselben erwählt wurde
und erst mit dem Jahre 1 702 die Protokolle des letzteren
beginnen. Dass aber die lutherische Gemeinde ebenso
alt ist wie die reformirte, geht schon aus der merkwQr-
digen Eingabe hervor, welche im Jahre 1577, als der
Stiftsdechant Petrus Montanus hierselbst die fernere
Spendung des heil. Abendmahls unter beiderlei Gestalt
in der Stiftskirche verweigerte, die gesammte Bürger-
schaft der Stadt Düsseldorf, auch Bürgermeister,
Schöffen und Rath an den damals zu Grevenbroich ver-
sammelten Landtag der Herzogthümer Jülich und Berg
richteten, und in welcher dieselben, unter Berufung aitf
„die Tradition der alten katholisch-apostolischen Kirche
und die auf dem Reichstage zu Augsburg (1530) ange-
nommene und zugelassene Confession, um Aufrechthal-
tung des mit Consens des Fürsten seit langer Zeit
wohlhergebrachten Usus** der Stiftskirche bitten.
Noch deutlicher aber als die Eingabe der Bürger-
schaft spricht sich eine Eingabe der „ Augsburgischen
Konfessionsverwandten zu Düsseldorf^, welche dem Pfalz*
grafen Wolfgang Wilhelm am 14/21. Mkrz 1610 über-
reicht wurde, über das Vorhandensein einer lutherischen
Gemeinde vor diesem Jahre aus. Sie sagen: In folge
der in diesen Jülich'schen und Bergischen Landen ein-
getretenen Administration sei das „helle und klare Licht
der reinen evangelischen Lehre in dieser Fürstlichen
Stadt Düsseldorf wiederum von neuem aufgegangen,
erschienen und durch öffentliche Predigten fruchtbarlich
ausgebreitet worden; „haben sich zu deroselben Lher
(Lehre) von tag zu tag und jhe langer jhe mehr femer
Gottförchtige Christen nicht allein Syncere (aufrichtig)
und öffentlich bekandt, sondern seien auch durch milte
gnad, hülff und beistandt Gottes des heiligen Geistes auf
rechter Bann der einmall bekandter göttlicher wahrheitt
einmütiglich zu verharren, zu glauben und die biss anhero
christlich und voll contlnuirte publica concionum sacrarum
exercitia ^öffentliche Ausübung christlicher Versamm-
lungen) und Gottesdienste hinfürters ebenmessiglich zu
verrichten entschlossen und gemeint^. Sie (die lutlie-
rischen Gemeindeglieder) bitten daher um EinrAuniun^
. der St. Anna- oder Gasthauskirche (Hospitalkapello) zum
Mitgebrauche.
0$9tkiehte der evangdiseheH Gemeinde DSi$9Üdorf*, 125
Eine zweite Eingabe der lutherischen Gemeinde-
glieder vom 15. April 1610 erwähnt, dass sie im Jahre
1609 einen Prediger Augsburgischer Konfession angestellt
haben, und bitten zur Salarierung desselben um eine
landesherrliche Beisteuer. Unterzeichnet ist diese Ein-
gabe von Wilhelm Lithodius, der Rechte Doktor; Adrian
Kompsthoff, Prokurator; Reinhard Wüsthoflf, Rathsver-
wandter; Bernhard Steinbrinck, Krämer; Matthias Neiss-
mann, Kannegiesser ; Isaak Mockenhäupt, Goldschmidt;
Hans Klein, Koch; Matthias Ernst, Siegelschneider. —
Mittelst Fürstlichen Reskripts vom 18/28. April 1610
wurden für vorgedachten Zweck jährlich 50 Rthlr. aps
der Landrentmeisterei bewilligt. Auch trug Pfalzgraf
TVolfgang Wilhelm den 7. Juli 1610 seinem Vater Philipp
Ludwig den Plan der Erbauung einer Kirche als Simultan-
kirche für Kalvinische und Lutherische vor, und Philipp
Ludwig stimmt unter dem 11. Juli 1610 diesem Vor-
schlage bei; doch kam dieser Plan nicht zur Ausführung,
und wird die lutherische Gemeinde wohl, ähnlich wie die
reformirte, sich anfangs mit gemietheten Lokalen bcr
helfen haben.
Ferner erfahren wir aus den im Kirchenarchiv zu
Schwelm vorhandenen Urkunden, dass dort ein lutherischer
Prediger namens Grosswin Könnemann nach einjähriger
Thätigkeit in Düsseldorf als Pastor wirkte und im Jahre
1609 einem Rufe an die lutherische Gemeinde zu Hagen
folgte. Dieser Könnemann wird also zu den Predigern
zählen, welche -^ meist nur für kurze Zeit und mit oft-
maligen Unterbrechungen wie in der reformirten Ge-
meinde — die hiesige heimliche lutherische Gemeinde
in den letzten Jahrzehnten des 16. und zu Anfang des
17. Jahrhunderts bedienten.
Mit dem Jahre 1609 tritt die oben geschilderte
günstigere Wendang der Dinge für die evangelischen
Gremeinden ein. Sie erhalten das Recht des öffentlichen
Gottesdienstes, und wir erfahren nun zunächst aus einer
im hiesigen Landesarchiv befindlichen Nachricht, dass
die lutherische Gemeinde am 6/16. März 1611 den auij
Frankfurt am Main gebürtigen Georg Beyer als ihren
Prediger berief. Doch schon unterm 9. Juli desselben
Jahres wird berichtet, dass derselbe, der schon nach
einer Nachricht vom 11. Juli 1610 mit dem ^Kalvinischen
Pfaffen Philippe Poppinghusio in guter Gemeinschaft
stand^, zur reformirten Kirche übergetreten und da-
durch Misshelligkeiten entstanden seien. Der Fürstliche
Rath und Hofprediger M. Georg Heilbrunner empfiehlt
deshalb der Gemeinde, an Beyer's Stelle den Magister
126 Gesehiektg der evangelit^en Gtmtinde Düsseldorfs,
Justus Weier aus Mülheim zu berufen. Am 9. September
1611 ist Weier bereits evangelisch -lutherischer Prediger
zu Düsseldorf, und Wolfgang Wilhelm erlässt an ihn ein
Reskript wegen der Uebergriffe von reformirter Seite.
Zu Ende des Jahres 1612 wird auch schon der
Reparatur der lutherischen Schule und des Schullehrers
Kantor Leonhard Sutorius (Schuster) aus Gunzenhausen,
der seit dem September 1610 angestellt ist, Erwähnung
gethan.
Vor Allem wichtig aber ist die Nachricht aus den
Akten der ersten lutherischen Synode von Cleve • Mark,
welche im September 1612 durch den damals noch
lutherischen Pfalzgrafen Wolfgang Wilhelm nach Dins-
laken berufen wurde. Die Akten befinden sich in dem
selten gewordenen Buche von Buinink : „Sammlung merk-
würdiger Rechtshändel. Heilbronn 1758 I. pag. 193 —
254" und bezeugen, dass auf dieser Synode zwei Hof-
prediger: der evangelische (lutherische) Pastor Justus
Weyer aus Düsseldorf und Dr. Johann Hesselbein aus
Wesel als landesherrliche Kommissare fungirten. Beide
eröffneten die Synode mit lateinischen Ansprachen, und
wurde die confessionis forma (Form des Glaubensbekennt-
nisses) von allen anwesenden Pfarrern unterschrieben.
Weyer's Unterschrift lautet: M. (agister) Justus Weyer,
eeclesiae Dusseldorp., quae est Augustanae Confessionis,
pa«tor (Magister J. W., Pastor der der Augsburgischen
Ronfession zugethanen Gemeinde zu Düsseldorf).
Mit dem Jahre 1613 beginnen denn auch schon die
CoUecten für den Bau einer lutherischen Kirche. Es
werden zwei Prediger: Magister Theodoricus Stricker
und Magister Johann Frisius erwähnt, welche neben
Justus Weyer als „Pestilentiarii" (Seelsorger der Pest-
kranken) wirken. An Stelle des zum Eirchenrath und
Hofprediger ernannten J. Weyer (gestorben 1641) wird
1613 der Professor zu Giessen, Magister Antonius Hagen-
busch, zum Stadtprediger berufen. 1614 erwirbt die
Gemeinde den Bauplatz zur Kirche. Am 23. November
1641, also gleich nach Weyer's Tode, wurde jedoch der
Gemeinde das Recht des öfi*entlichen Gottesdienstes ent-
zogen, und darf wohl angenommen werden, dass sie
dasselbe erst im Jahre 1643, gleichzeitig mit der refor-
mirten Gemeinde, welche schon seit 1624 keine öffent-
lichen Gottesdienste mehr halten durfte, zurück erhalten
hat. In den auf dem Landgerichte zu Düsseldorf be-
ruhenden, mit dem Jahre 1643 beginnenden Taufregistern
der lutherischen Gemeinde wird ein Pastor David Blenno
Stettinensis (von Stettin) erwähnt; eine Nachricht im
Gesfhichte der ecangtlisehen Gemeinde DüBeeidorfe. 127
Protokollbuch des Consistoriums erwähnt jedoch weder
Hagenbusch noch Blenno, sondern bezeichnet Johann
B a d e r u s aus Erfurt als Weyer's Nachfolger (?) im Jahre
1642; als dritten Prediger: Michael Schipelius im
Jahre 1648; als vierten Hoffmann, 165ö; als fünften
David Seyler, 1684; als sechsten den bisherigen HQlts-
prediger Joh. Bern. Stollmann, 1708.
Während wir von Justus Weyer's weithin reichender
Wirksamkeit auch aus anderen Quellen erfahren, sind
uns über die genannten Nachfolger keine nähere Nach-
richten erhalten; und nur über den zuletzt genannten
David Seyler finden sich einige Mittheilungen in dem
vom Jahre 1763 datirten ^ Reisetagebuche ^ eines ge-
wissen G. Stolle (Handschrift aus der Breslauer Univer-
sitäts-Bibliothek), welcher berichtet:
Den 10. September waren wir bei dem Lutherischen
Prediger, David Seyler, von dem wir unter andern folgen-
des erfuhren:
Die Gemeinde sei hier schwach und sei er nur allein
Prediger bei der Kirche, welche keine fundos habe,
sondern nur von den Auditoribus unterhalten würde,
doch sammelte man nach und nach dazu. Sachsen hätte
vorhin immer subsidien-Gelder gegeben, aber unter des
itzigen Churfürsten Regierung sei alles ausblieben. Es
sei auch nur Eine lutherische trivial Schule hier, und ein
Schulmeister, der auch in der Kirche vorsinge. Mit dem
vorigen reformirten Prediger habe er keine Verdrüsslich-
keiten gehabt, aber die itzigen scalirten öfters in Predigten
recht schimpflich auf die lutherischen, welche sie auch
nennten. Ohnlängst hätte der eine nieht taufen wollen,
weil ein lutherischer Offizier mit unter den Gevattern
gewesen. Er aber enthalte sich in Predigten auf alle
Weise des Elenchi, wenn er gleich dazu Gelegenheit
genug habC; und fundire seine Zuhörer nur in Thesi.
In der hiesigen Kirche sei weder der Exorcismus
noch die privat^Beichte introducirt, er verlange auch keins
von beiden einzuführen. Doch wie sich die, so zum
Abendmahl gehen wollten, zuvor bei ihm angeben müssten,
so frage er die Fremden allezeit, ob sie auch über dem
Mangel der Beichte einen Scrupel hätten, und erböte
sich auf solchen Fall, sie Beichte zu hören.
Dennoch halte er davor, dass, wo die Beichte oder
andere adiaphora eingeführt wären, man darüber halten,
und wenn sie der Fürst abschaffen wolle, keinen Fuss
breit nachgeben müsse. Denn dergleichen AbschaflFüng
müsse liberrimo cum consensu omnium trium statuum
(unter ft*eie8ter Zustimmung aller drei Stände) geschehen.
1^ Oeschichte der epangeli9cfi$H Omnemde DUM$§ldarf8»
Der Brandenburgische Hof intendire offenbar Syncre-
tismum (beabsichtige die Union der beiden evangelischen
Bekenntnisse), und sei die Hallische Academie blos zu
dem Ende aufgerichtet. Wenigstens werde man Syncre-
tismum im Herzogthum Magdeburg introduciren.
Von Hoffnung besserer Zeiten halte er nichts, denn
es weise sich hier das Contrarium aus.
Hier könne keiner ein OfBcium kriegen, der nicht
katholisch wäre oder würde, daher er viel Sorge wegen
seines Sohnes, der in Jena jura studire, habe.
Keine Bibliothek dürfe man hier nicht suchen, denn
der Churfürst habe keine, und die, so bei dem Jesuiten-
CoUegio sei, bestehe nur ex Patribus & libris Jesuitarum.
Es lebten auch keine literati hier, die von der erudition
profession machten, ausser ein trefflicher Chymicus
Dr. Schrader.
Der Herr Pastor ist ein langer hagerer Mann, der
das alte deutsche Decorum hat, und ein grosser Ortho-
doxus ist. Er ist aus Sachsen gebürtig und vorher in
Jülich Pastor gewest, allwo die lutherische Gemeine noch
schwacher als hier sein soll. Er hat viel an sich, so
man bei den Gemeinen Dorf^riestem zuweilen findet.
Keine sonderbare erudition darf man bei ihm nicht
suchen, doch hat er die Metaphysic und historie zieai-
lich inne. Er ist noch sehr hurtig auf die Beine, unge-
achtet er nicht weit von 60 Jahre ist. In seiner Auf-
führung gegen uns beging er viel Bassessen imd zeigte,
dass er seine Autorität schlecht in Acht zu nehmen weiss.
Doch sollte em Fremder, der ihn etliche mahl sprechen
könnte, viel vom hiesigen Hofe von ihm erfahren können,
denn er weiss sehr viel Specialia. Denen Pietisten ist
er nicht gut, meint auch, es sei sehr ungereimt, dass sie
den Apostolischen statum introduciren wollten, als welcher
ja ganz unvollkommen gewest, dieweil es ihm am Wehr-
stande gemangelt.
Also zeige auch die communio bonorum (Güter-
gemeinschaft) von eben dieser Unvollkommenheit, denn
diese habe deswegen introduciret werden müssen, weil
die Personae Ecclesiasticae und armen Christen sonst
damals nicht hatten leben können.''
Die lutherische Gemeinde hatte wie ihre reformirte
Schwester hierselbst eine lateinische (Rektorat-) und eine
deutsche Schule. Nähere Nachrichten fehlen.
Ausserdem wissen wir nur, dass die Kirche der
lutherischen Gemeinde, die jetzt soj^enannte ,,kleinere''
Kirche, ein Kirchenhaus ohne Thurm und Glocken, am
31. August 1687 eingeweiht wurde. Dieselbe wurde unter
€h$ekkikU der epangelieehen Oemeifide DüBBM&ffs, 129
dem Schutze der adeligen H&user Isselstein (MadelriuisV)
und DQsselstein (der an der Ecke der jetzigen Mittel-
und Wallstrasse wohnte) und zwar in dem Banne (auf
dem Grundbesitz) dieser beiden zur evangelischen Kirche
übergetretenen Edelleute erbaut. Das (Gotteshaus durfte,
wie auch das reformirte, nicht an der öffentlichen Strasse
liegen, sondern musste in einem Hofe, welcher mit Thor
und umschlies&enden Gebäuden und Mauern versehen
war, gebaut werden. Schon diese Lage zeigte, dass der
Protestantismus nur geduldet war.
Die Kosten dieser Kirche wurden mit dem bereits
früher gesammelten Baufonds, durch Beiträge der Ge-
meinde und Collecten in luUierischen Gemeinden bis
nach Hamburg und Holland hin bestritten. Die Aeltesten
übernahmen die Reise und wurden dazu nicht nur mit
dem erforderlichen Reisegelde, sondern auch mit neuen
Reisekleidem versehen. Das bisherige „Predigthaus ^
wurde nach Einweihung der Kirche dem Prediger als
Dienstwohnung ttberwiesien. Im Jahre 1690 schenkte ein
Gemeindeglied, J. W., einen Taufstein aus schwarzem
Marmor, der jetzt in der Taufkapelle der Johanneskirche
aufgestellt ist. Am 18. September 1706 wendet sich die
Gemeinde an den König von Dänemark um eine Bei-
steuer für Thurm und Glocken, welche letztere jedoch
die Kirche noch heute nicht besitzt.
In das Jahr 1708 fällt die Berufung des bekannten
kirchlichen Liederdichters Bartholomäus Crasselius,
welcher bis zum Jahr 1724 neben Stohlmann als Pfarrer
der Gemeinde wirkte. Er war, wie sein Grabstein in
der kleineren Kirche (rechts vom Altar) meldet, den
21. Februar 1667 zu Wernsdorf bei Glaucha in Sachsen
g'eboren und wurde von dem Dorfe Nidden in der
Wetterau im Jahre 1708 als Pastor der lutherischen
Gemeinde hierselbst berufen, welches Amt er also
16 Jahre und 5 Monate hier verwaltet hat.
Die Gabe der Dichtkunst war ihm in hohem Masse
verliehen; seine uns übrig gebliebenen Lieder, deren
Zahl leider! gering ist, gehören zu den kernigsten und
schönsten unsers so reichen deutschen Kirchenlieder-
Schatzes und werden noch immer gesungen, u. a. die
Lieder: ,^Dir, Dir, Jehova, will ich singen", „Halleluja,
Lob, Preis und Ehr'", „Heirger Jesu, Heil'gungsquelle"
(freie deutsche Uebertragung eines hollAndischen Liedes),
„Erwach', o Mensch, erwache", „Friede, ach Friede, o
göttlicher Friede", und das schöne Morgenlied: ^Herr
Jesu, ewges Licht".
9
130 Genehichte der erangelisehen Gemeinde DÜBseldot'fs.
In welchem Geiste Crasselius sein Amt auffasste, geht
aus dem Gedichte zum 1. Januar 1710: „Geistliche Neu-
jahrs-Posaune" hervor, in welchem es u. A. heisst:
Ihr rühmet euch der wahren Lelire,
Wer ^cbet aber Gott die Ehre
Und lebt der wahren Lelnre nach?
So wisset doch, dass alles Lehren
Bei eurem so glaublosen Hören
Durchaus nicht sei genug zur Sach\
Der Himmel möchte drob erschüttern,
Die Erde beben und erzittern,
Dass Alles so im Arji^en liegt.
Der Leute Thun in jedem Stande
Ist meist nur Bosheit, Sund und Schande,
Wenn man*s nach Gottes Wort erwiegt.
Ein Jeder lebt dahin
Nach seines Fleisches Sinn,
Frei und sicher.
In Frechheit toll und Frevels voll.
Als wlir kein Gott, der strafen woll.
Sein Zorn entbrannt', sein Schwert ist trunken
Im Himmel, und er will es tunken
In der verbosten Menschen Blut.
Der Reiter auf dem rotben Pferde
Nimmt M'eg den Frieden von der Erde
Tnd flammet an des Krieges Glut etc.
Crasselius verfasste zwar auch manche harmlosere
scherzhafte Gelegenheits- Gedichte, von welchen etliche
im Kirchen-Archiv aufbewahrt sind, strafte aber in seinen
Predigten die todte Rechtgläubigkeit und das damit Hand
in Hand gehende leichtfertige Leben seiner Gemeinde-
glieder nicht selten in so scharfer Weise, dass er wegen
dieser „Anzüglichkeiten" von seinem Consistoriura zur
Rede gestellt und gelegentlich einer Kirchen - Visitation
im Jahre 1715 von dem Inspector des Bergischen luthe-
rischen Ministerii verwarnt wurde. Offenbar vertrat
Crasselius den Standpunkt eines Spenei und Franke*
gegenüber der mehr und mehr erstarrenden orthodoxen
Richtung seiner Zeit. Die Grabschrift seines Leichen-
steines vor dem Altar der Kirche bezeichnet ihn übrigens
als ^wachsamen und glaubenseif^igen Hirten^, und sein
auf demselben Steine angebrachtes Siegel zeigt den „guten
Hirten*^ mit der Umschrift: „Der gute Hirte, mein grött-
liches Panier", sowie den bezeichnenden Text der ihm
gehaltenen Gedächtnisspredigt Joh. 16, 33: „Solches habe
Ich zu euch geredet, dass ihr in mir Frieden habt. In
der Welt habt ihr Angst, aber seid getrost, Ich habe die
Welt überwunden. **
Nach Crasselius' am 10. November 1724 erfolgten
Tode versah der ^treu-fleissig gewesene" Pastor Stohl-
3»5i*«-"
Gesehiehte der erangelisehen Oetnehide Düsseldorfi. 1.-U
mann die Gemeinde bis zu seinem 1734 erfolgten Tode
allein. Als Nachfolger wurde Pastor Johann Georg
Overkamp zu Jülich erwählt, welcher gleich im ersten
Jahre seiner hiesigen Wirksamkeit zum Consistorialrath
ernannt wurde und sein Amt hlerselbst zwanzig Jahre
mit einer Treue verwaltete, welche ihn bei seiner ganzen
Gemeinde in Liebe und Hochachtung setzte.** (Vgl. List:
Geschichte der evang. Gemeinde zu Mannheim, Mannheim
1767.) Er folgte im «Fahre 1754 einem Rufe nach Mann-
heim, weil er. einen Herrn H., der die Schwester seiner
ersten Frau geheirathet, nicht zum h. Abendmahle zu-
lassen wollte und deshalb in Ordnungsstrafe genommen
worden war. — Ihm folgte Leopold Caspar Issing, 1754
bis 1774, bisher Prediger in Stolberg, der, wie eine von
ihm veifasste lateinische Streitschrift beweist, ebenfalls
der Spener-Franke'schen pietistischen Richtung zugethan
war. Auf einem Heimritt von Solingen hierher wurde
der bereits altersschwache Mann vom Schlagfiuss befallen
und starb auf der sogenannten „Schalcksmühle". Seine
Leiche wurde vor dem Altar der Kirche beigesetzt. Sein
Nachfolger, Stiftsprediger Fischer zu Gevelsberg, nach
dem Zeugniss des Inspectors ein ebenso beliebter als
begabter und rechtschaffener Prediger, starb schon im
Jahre seiner Berufung 1774, und sein Sarg wurde in
Crasselius' Grab versenkt. Ihm folgte 1775 Theodor Hart-
mann, bisher Pastor zu Holpe, welcher über 70 Jahre
der Gemeinde erhalten werden sollte.
Blicken wir hier, am Schlüsse des achtzehnten Jahr-
hunderts auf die Entwicklung der lutherischen Gemeinde
zurQck, so war sie zwar an Seelenzahl nicht bedeutend
gewachsen. Sie zählte nach einer amtlichen Zusammen-
stellung vom Jahre 1791 nur 986 Seelen mit den Militär-
personen, die sich zu ihr hielten, ohne dieselben 759;
und dass ihr Zuwachs auch im Anfange des 19. Jahr-
hunderts kein sehr starker war, ergibt sich aus einer
Zahlung vom Jahre 1817, wonach sie innerhalb der Stadt
I0a9 und ausserhalb derselben 143, zusammen also 1212
Seelen zählte, während die reformirte Gemeinde in diesem
Jahre 1188 und die Stadt Düsseldorf (ohne den Aussen-
bezirk) 14100 Seelen zählte. Aber zu der Gemeinde
gehörten manche hervorragende Familien, von denen
wir hier nur nennen die Kaufherren Fr. Chr. HoflFmann
und Huyssen, Buchhändler Dänzer, Instrumentenmacher
Eberl6 ,» Kaufmann Huyssen , Kaufmann Cretzschmar,
Blechschläger Lieber, Geheimrath Jacobi in Pempelfort etc.
Dazu hatte sie den Vorzug, eine grosse Anzahl treuer
Verkündiger des göttlichen Wortes, unter welchen Weyer
9*
182 0€9chicht€ der evangtlitdien Oemeinde Däueldorfs.
und Crasselius besonders hervorragen , zu besitzen und
auch in. Th. Hartmann einen Mann erhalten, der ebenso-
sehr durch seine Predigtgabe wie durch seine gewissen-
hafte Treue und Verwaitungsgabe hervorragte und bei-
nahe dreiviertel Jahrhundert das lautere Evangelium von
Christo in ihr verkündigen durfte , für dessen hervor-
ragende Bedeutung auch der Umstand zeugt , dass er
zweimal (1793 und 1806) zum Inspector des unterbergischen
Ministeriums berufen wurde und an der Leitung der
wichtigsten Angelegenheiten des letzteren, z.B. bei Heraus-
gabe des ^Bergiscben Gesangbuchs", betheiligt war.
An der Rectoratschule, welche zu Anfang des 18. Jahr-
hunderts wieder in's Leben getreten war, wirkte seit 1704
Johann Bernhard Stohlmann, der, wie seine Nachfolger,
zugleich als Hülfsprediger wirkte. Bis dahm bildete die
Rectoratschule nur die höhere Klasse der deutschen
Schule. Von 1754 an wurde dieselbe jedoch als eine
selbständige Schule von der letzteren getrennt und an
dieselbe ein hervorragender Lehrer, der „bestbewährte**
Rector Johann Peter Reitz berufen, der von 1755 bis
1797 an derselben wirkte.
Dieser Mann hat mehrere ausgezeichnete Schüler
gebildet, worunter wir nur das berühmte Brüderpaar von
Pempelfort, den Dichter Johann Georg Jacobi und den
Philosophen Friedrich Heimich Jacobi, sowie den nach-
maligen bayerischen Geheimrath Heinrich von Schenk
nennen. Der zweite Sohn Fr. Hr. Jacobi's, der in Düssel-
dorf im Jahre 1845 gestorbene Geheimrath Jacobi sagt
von ihm, dass er ein Mann von mehr als gewöhnlicher
wissenschaftlicher Ausbildung und strenger Logik gewesen
sei, ein Mann von dem achtbarsten Charakter, ein treff-
licher Schulmann und gern gehörter Prediger.
Die durch Reitzens Tod erledigte Rectoratstelle wurde
nicht wieder besetzt, weil die Zahl der Schüler zu gering
war, sondern dem Pastor Hartmann der Candidat Danz-
mann adjungirt, der zugleich an diejenigen Schüler der
Trivialschule, welche es begehrten, lateinischen Unter-
richt ertheilen sollte, und die Gemeinde benutzte die
leergewordene Rectoratschule zur Erweiterung dieser
Trivialschule, deren RAume l&ngst zu eng geworden.
Am 3. April 1804 folgte jedoch Danzmann einem Rufe
als Prediger nach Maestricht, und das Consistorium be-
schliesst, nunmehr die Rectoratschule ganz eingehen zu
lassen, dem Pastor Hartmann aber anheimzugeben ^ für
das Rectoratgehalt sich einen Ac^unkten zu halten und
die Rectorwohnung zu vermiethen.
Als bemerkenswerthe Züge aus der kirchlichen £i)t-
Oes^ieht€ der etangüiteken Gemeinde Düseeldorfe, 193
Wicklung der Gemeinde seien hier nur folgende hervor-
gehoben. Die Form des Gottesdienstes war von der des
reformirten wenig verschieden. Die Taufen und Trau-
ungen fanden der Regel nach im öffentlichen Gottesdienst
statt. Im Jahre 1689 wurde das treflSiche Gesangbuch
^die singenden und klingenden Berge^ eingeführt. In
der Kirche wurden nicht nur die Pastoren und deren
Angehörige, sondern auch gegen ziemlich hohe Gebühren
(50Rtb.) andere hervorragende Gemeindeglieder begraben,
und noch heute nennen die in der Kirche aufgehangenen
Wappen die Namen der dem Adel angehörigen hier be-
statteten Personen. Desgleichen befanden sich in der
Kirche ein „Fürstenstuhl'^ und viele Kirchenstühle, welche
von Familien kftuflich erworben oder auf längere Dauer
gepachtet oder als Ehrensitze verliehen wurden. Die
lutherischen Militair- Personen, unter welchen sich stets
viele hohe Officiere befanden, nahmen an dem Gemeinde-
Gottesdienste theil und wurden überhaupt als Mitglieder
der Gemeinde angesehen, und manche Generale und
höhere Offiziere in der Kirche begraben. Hervorragende
Ereignisse, wie die Genesung des Landesfürsten im Jahre
1754, die EiTcttung aus der Gefahr der Rhein -Ueber-
schwemmung im Jahre 1 784, wo das Wasser bis an dem
vierten Treppstieg in der Kirche stand, das hundert-
jAhrige Kirchweihfest 1787 und der Tod des Landesfürsten
1799, wurden mit Gottesdienst und je nach Umständen
mit Musik- Aufführung in der SLirche und Kanonenschüssen
gefeiert, vierteljährliche Buss- und Bettage begangen.
Fortdauernd war die Gemeinde darauf bedacht, ihre
Kirch-, Pfarr- und Schulgebäude, sowie die Gehälter ihrer
Pfarrer, Lehrer und Kirhendiener zu verbessern. Wie
gering die letzteren waren, geht daraus hervor, dass noch
im Jahre 1723 der Präceptor (deutsche Schulmeister) nur
48, der Organist 40, der Küster 18 und der Calcant
"2 Thlr. jährlich bezogen. Die Pfarrer erhielten um die-
selbe Zeit 200 Thlr. Jahrgehalt Auch auf die Erwerbung
der um die Kirche liegenden Häuser und Grundstücke
ist die Gemeinde fortwährend bedacht. Sie kauft 1529
das Haus und den Garten des Hülshoff für 2100 Rthlr.,
damit der Gottesdienst nicht belästigt werde und die
Kirche nöthigenfalls erweitert werden könne. 1748 wird
ein neues Pfarrhaus anstelle des alten erbaut; 1755 das
dem letztern gegenüberliegende Haus dem Bector Reitz
und seiner Schule überwiesen, 1765 eine neue Org:el von
Teschemachor in Elberfeld zu 850 Rthlr. gekauft: 1767
eine neue Galerie in der Kirche für die Mannspersonen
erbaut, 1776 ein Armenhaus gekauft.
134 Genchichte der ecungtiischen Gemeinde DiUseMot'fe,
Nach einer im Protokollbuch von 1790 beflndlicheii
Zusammenstellung des Vermögens besass die Gemeinde
damals an Kirchen -Kapitalien 62öO Rthlr., an Armen-
Kapitalien 7200 Rthlr., 4 Häuser, welche 275 Rthlr. Miethe
abwarfen, und das Armenhaus, welches 20 Rthlr. Miethe
aufbrachte. Das sächsische Subsidium brachte jährlich
p. p. 100 Rthlr. ein. Die jährlichen festen Einkünfte be-
liefen sich auf 62Ö Rthlr., für die Armen ausserdem auf
:n0 Rthlr. Alles Andere musste durch CoUecten auf-
gebracht werden.
Diese Collecten lieferten immerhin beträchtliche Er-
träge; der Aelteste Fahimer konnte z. B. von seiner
Collecte in Holland 800 und Pastor Stohlmann ebendaher
1528 Rthlr. abliefern. Auch empfing die Gemeinde manche
bedeutendere Vermächtnisse, z. B. 1742: 4500 Rthlr. von
einem Kaufmann Siegfried Ackermann in Leipzig, 1781:
500 Rthlr. von Commercienrath Fahimer, 1784: 500 Rthlr.
von Georg Hoffmann für die Armen, 1785: ein Haus von
dem Generalmajor Frh. von Hammerstein zum Besten der
Armen etc. Auch aus den Begräbnissen in der Kirche
und der Verwerthung der Kirchenstuhle wurden die Mittel
zum Unterhalt des Gemeindewesens genommen; doch
wurden die ersteren zur französischen Zeit untersagt und
bei der Restauration der Kirche im Jahre 1779 kamen
auf Beschluss der Gemeinde auch die Bankberechtigungen
In Wegfall, wodurch freilich jahrelange und gehässige
Processe mit den ehemaligen EigenthOmern herbeigeführt
wurden.
Vor dem Eindringen des Rationalismus wurde die
lutherische Gemeinde (im Gegensatze zu der reformirten)
dadurch verschont, dass, wie es scheint, sämmtliche
Pastoren treu an der Kirchenlehre festhielten. Aber mit
dem Eindringen der französischen Aufklärung und der fran*
zösischen Heere, Sitten und Unsitten schwanden auch in
der lutherischen Gemeinde die alte Gottesfurcht und
Kirchlichkeit, Kirchenzucht und Sittenstrenge mehr und
mehr dahin, wie die Predigten des letzten lutherischen
Pfarrers, des nachmaligen Oberconsistorialraths Dr. th.
Theodor Hartmann, es oft genug beklagen. Es ijvar
Zeit, dass die grossen politischen Katastrophen zu Bnde
des vorigen und zu Anfang dieses Jahrhunderts eintraten,
damit unter dem Zusammensturz des Alten und lieber-
lebten ein Neues, Besseres sich gestalte.
Mit der Besitzergreifung des Bergischen Landes von
Seiten Preussens (5. April 1815) begann in jeder Beziehung*
eine neue Zeit auch für die ehemalige Hauptstadt des
bergischen Landes. Die preussischen Könige Uessen sich
Geschichte der evangeUBchen Gemehule Düsseldorfs. 135
die Pflege ihrer neuerworbenen Lande in den folgenden
Jahrzehnten bestens angelegen sein. Unter ihrem Scepter
nahmen Handel mid Industrie am Rheinstrom, namentlich
auch im Bergischen, einen ungeahnten Aufschwung. Die
Bevölkerung des Rheinlandes und auch unserer Stadt
war in stetem mächtigem Wachsthum begriffen. Das
Grymnasium unserer vStadt, das eine Musteranstalt werden
sollte und dazu mit reichen Mitteln ausgestattet wurde,
die Königliche Kunstakademie, welche gewissermassen
einen Ersatz für die nicht gewährte Universität bilden sollte,
und manche Königliche Behörden, welche hier ihren
Sitz erhielten, verliehen unserer Stadt eine immer grösser
werdende Bedeutung. Auch der mehr und mehr auf-
blühende Transithandel, die niederrheinische Dampfschiff-
fahrts-Gesellschaft, die Eisenbahn, w^ eiche Düsseldorf und
Elberfeld mit einander verband, trugen wesentlich zur
Hebung der Stadt bei. Fächerartig breiteten sich ihre
Strassen nach allen Seiten hin aus, und im Jahre 1880
zählte sie etwa eine sechsmal so grosse Bevölkerung
wie bei der preussischen Besitzergreifung, nämlich 95190
i^eelen, darunter 236:W Evangelische, 70542 Katholiken,
1008 Juden, 278 Dissidenten.
Auch die kirchlichen Verhältnisse des Rheinlandes
erfuhren durch die grossen politischen Umwälzungen eine
völlige Umgestaltung. Dieselben wurden zur französischen
Zeit den Präfecten unterstellt, und selbst der wohl-
gesinnte General - Gouverneur Justus Grüner arbeitete
auf eine organische Verbindung des Kirchenwesens mit
dem Gouvernement hin, zu welchem Ende er im Jahre
1814 ein Oberconsistorium zu Düsseldorf einsetzte.
Aber König Friedrich Wilhelm IIL war nicht geneigt,
die geschichtlich gewordene und seit Jahrhunderten im
Segen bestehende Presbyterial- und Synodal-Verfassung
aufzuheben. Jenes Oberconsistorium wurde schon im
Jahre 1816 wieder aufgehoben und nach freilich lang-
jährigen Verhandlungen zwischen den Synoden und den
landesherrlichen Kirchenbehörden unterm 5. März 1835
die Kirchenordnung für die evangelischen Gemeinden der
Provinz Westfalen und der Rheinprovinz erlassen, welche
zwar den landesherrlichen Behörden die Aufsicht über
das Kirchenwesen überweist, zugleich aber auch durch
die Anordnung der grösseren Gemeinde Repräsentationen,
der Provinzial-Synoden u. s. w. der Kirche ein grösseres
Mass von Selbständigkeit verlieh und den ersten Schritt
zur Einheit und Selbständigkeit der gesammten evan-
gelischen Kirche in Preussen bezeichnete. Dazu trat das
überaus segensreiche Werk der „Union^ der lutherischen
liUi G^8chichte der erangeHaehen Gemeinde DiUsMarfß.
und reforuiirten Kirche, eine Frucht namentlich deH
::}(X)Jährigen Reformations- Jubiläums im Jahre 1817 und
zugleich eigenstes Werk des preussischen Königs. Ein
frischer Geisteshauch durchwehte die evangelische Kirche
der Westprovinzen und gab sich ebensosehr durch das
Wiedererwachen eines tieferen Glaubenslebens als durch
GrQndung zahlreichster christlicher Vereine und Stiftungen
kund.
Auch die beiden Düsseldorfer evangelischen Ge-
meinden haben von der Schmach und Noth des ersten
Jahrzehnts dieses Jahrhunderts ihr Theil mitbekommen.
Die reformirte Gemeinde war durch die Kdegsnoth so
sehr in Schulden gerathen, dass sie sich genöthigt sah,
die Kirchensitze zu vermiethen, und ihre lateinische Schule
war so verfallen, dass fast gar keine Schüler mehr die-
selbe besuchten und der Rector Gadermann 1804 das
Schul^immer in ein Wohnzimmer verwandeln konnte.
Auch an Seelenzahl sah sich die Gemeinde im Jahre 180(S
auf 970 herabgesunken. 1805 wird ihr das Beerdigen in
den Kirchen von der Regierung verboten; die confessio-
nellen Kirchhöfe werden geschlossen , der Communal-
Kirchhof an der Goltzheimer Insel eröflfbet und so ver-
theilt, dass den Katholiken 8/4, den Protestanten 1/4 ^^^^
Grundfläche überwiesen wird. Zufolge Einführung des
Code Napoleon müssen 1808 die Tauf-, Copulations- und
Sterbe - Register an die Mairie abgeliefert werden. ,,Ge-
horsam ist des Bürgers Pflicht^, sagt lakonisch das
betreffende Consistorial - Protokoll. An ^ Diener - Steuer^
(Predigergehalts-Beiträgen) gehen nur 660 Rthlr. ein. Am
Sonntag den 4. Juni 1809 muss sogar ein Siegesfest für
die Siege Nappleon'Sy welche die Einnahme von Wien zur
Folge hatten/ gefeiert werden. 1810 müssen wegen Ein-
führung der Civil-Ehe Kirchenzuchts-Massregeln gegen
solche Personen, welche sich nicht kirchlich copullreii
lassen, beschlossen werden. Dem Kaiser Napoleon mussten
bei seinem Besuche die Prediger, sowie Aelteste und der
Schulmeister mit den Kindern entgegengehen. 1811 wird
die Gemeinde gezwungen, ihre Armen -Kapitalien der
Mairie anzugeben, imd es sollen fortan nicht allein die
Zinsen derselben, sondern auch jährlich ihr auf 200 Rthlr.
veranschlagtes, in den Gottesdiensten gesammeltes Armen-
geld an das Central-Bureau der Armenverwaltung abge-
geben werden. Letzteres verweigert jedoch die Gemeinde
und beschliesst 1812, die Klingelbeutel Sammlungen fOr
ihre Armen fortzusetzen, ausseiHlem aber Büchsen, deren
Ertrag jenem Bureau behändigt werden soll, an den Aus-
gängen der Kirche aufzustellen. Ihr gesammtes Kapital-
-«Ki"E»»«^—
OtsehkhU der evangtli$eken Otmeindt DUssMoffe, 137
Vermögen belauft sich in diesem Jahre auf 18610 Thlr.,
and sind darum fortwährende ausserordentliche Samm-
lungen nöthigy um das Deficit der Kirchenkasse zu decken.
1813 geht auch die Schule und das Schulhaus in den
Besitz der Commune über, und die Zinsen der Schul-
Eapitalien mOssen an dieselbe bezahlt werden. Als der
Prediger Joh. Peter Adolf Schriever, welcher im Jahre
1802 zum Nachfolger des ejneritirten Pfarrers Janssen
berufen war, im Jahre 1813 einem Rufe nach Duisburg
folgte und der Emeritus Janssen , beinahe 85 Jahre alt^
starb y blieb die erledigte Pfarrstelle der Noth der Zeit
wegen unbesetzt. Der im Jahre 1792 erwählte Prediger
Pithan muss die Gemeinde zwei Jahre lang allein be-
dienen, und erst im Jahre 1815 wählt die Gemeinde den
Professor am hiesigen Königl. Gymnasium, Heinrich
Wilhelm Budde, zum zweiten Prediger.
Die lutherische Gemeinde, welche am Schlüsse des
18. Jahrhunderts nicht ganz 1000 Seelen zählte, trat mit
ihrem bewährten Pastor Hartmann in das neue Jahr-
hundert ein. Das Rectorat war bereits eingegangen, doch
unterrichtete seit 1799 der Hülfsprediger Candidat Danz-
mann einige Kinder der Elementarschule im Lateinischen.
Dieselben obrigkeitlichen Massregcln, welche die refor-
mirte Ghsmeinde so schwer getroffen hatten, musste selbt-
redend auch die lutherische über sich ergehen lassen.
Obwohl letztere im Jahre 1807 an den König von Sachsen
wegen erlangter Königswürde in dankbarer Erinnerung
an das so lange gewährte sächsische Subsidium ein Gratu-
latiousschreiben gesandt hatte, wurde ihr im Jahre 1810
die Fortbewilligung vom sächsischen Landtage für immer
versagt. Auch auf inner-kirchlichem Gebiete vollzogen
sich in dieser Zeit mancherlei Wandlungen. Im Jahre
1808 wurden die bisher an katholischen Wochen-Feier-
tagen gehaltenen Gottesdienste abgeschafft, 1806 die Grab-
reden, 1808 das unter Hartmanns mQhe voller Mitwirkung
entstandene „Verbesserte Bergische Gesangbuch^ einge-
tObrt; 1816 dem Prediger Hartmann verstattet, alle vier-
zehn Tage Sonntag-Nachmittags den Gottesdienst m der
Garnisonkirche zu leiten.
Wenn die beiden Gemeinden zur Zeit der Fremd-
herrschaft und in Folge der grossen Veränderungen, welche
dieselbe mit sich brachte, sich einander wesentlich ge-
nähert hatten, so dass z. B. die lutherische der refor-
mirten wegen Umbaues der Kirche der letzteren wieder-
holt gestattet hatte, ihre Gottesdienste in der lutherischen
Kirche abzuhalten, so gewann diese -Annäherung noch
festeren Bestand durch das Bestreben der Preussischen
138 Gespickte der evangelischett Gemeinde Düeeeidorfe.
Regierung y eine neue, für beide Confessionen gültige
Kirchenverfassung einzuführen. Schon am 10. und 11. Sep-
tember 1817 wurde in der lutherischen Kirche nach König-
licher Verordnung die erste vereinigte Kreissynode ab-
gehalten und beschloss dieselbe die Wahl eines gemein-
schaftlichen Superintendenten derselben. Am 31. October
und 1. November dieses Jahres fand eine gemeinsame
Feier des Reformations-Jubelfestes statt An den Nach-
mittagen predigte Budde in der lutherischen und Hart-
mann in der reformirten Kirche, und namentlich die
Hartmann'sche Festpredigt ergriff die vereinten Gemeinden
so tief) dass es in dem Festberichtc heisst : „man vernahm,
dass dem würdigen Redner von oben gegeben sei, was
er in so viel Glauben und Liebe gesprochen, und schied
wohl Keiner aus der Kirche, der nicht geftlhlt hatte, wie
wohl es thuc; in heiligen Dingen Ein Herz und Eine Seele
zu sein.^ Schon im November dieses Jahres beriethen die
beiderseitigen Consistorien über die Vereinigung der Ge-
meinden. Es gingen jedoch wegen allerlei äusserer und
innerer Schwierigkeiten noch mehrere Jahre mit den Ver-
handlungen hin und erst am 8. December 1824 wurde
die y,Unions- Urkunde^ vollzogen, um mit dem 1. Januar
1625 in Kraft zu treten. Die Gemeinde nannte sich fortan
„vereinigte evangelische Gemeinde^, Härtmann und
Budde waren ihre Pfarrer. (Der inzwischen zum Con-
sistorialrath ernannte Pastor Hartmann hatte bereits am
17. October 18:^3 sein nOjähriges Dienstjubiläum überaus
festlich begangen, Consistorialrath Pithan im Jahre 1824
sein Amt niedergelegt, um sich ganz seinem Amte als
Regierungsrath zu widmen.)
Von den mancherlei Veränderungen, welche die
Union mit sich brachte, sei hier nur erwähnt, dass die
Hauptgottesdienste gleichzeitig in beiden Kirchen, die
Wochen und Nachmittags • Gottesdienste jedoch abwech-
selnd in denselben stattfanden. 1829 wurde das Natorp-
Rinck'sche Choralbuch, 1835 die neue Agende eingeführt;
1836 den hiesigen beiden Militair^Geistlichen gestattet, in
der vormals reformirten, jetzt „die grössere*^ genannten
Kirche Sonntag-Nachmittags einen Gottesdienst abzuhalten ;
1841 den Engländern erlaubt, ihre Gottesdienste Sonntage
Morgens in der „kleineren Kirche^ zu halten. 1849 wurde
die grössere Kirche wegen der stets wachsenden Zahl
der Kirchenbesucher einem umfassenden Umbau unter*
werfen; die Gemeinde zählte damals bereits 5600 Seelen.
1853 wurde das ^^Evangelische Gesangbuch^ eingeführt.
Da Consistorialrath Dr. th. Hartmann, der im Jahre 1658
das 60jährige Amtsjubiläum feierte, manche Amtshand-
Geschickte der evangelieehen Gemeinde Düesetdorfs, 139
luDgen nicht mehr wahrnehmen konnte, so wurde im Jahre
1840 Eberhard Rudolf Spiess. bisher Pfarrer zu Langen-
berg, als dritter Prediger angestellt. Im Jahre 1843
feierte dann Oberconsistorialrath Dr. th. Hartmann sein
lOjähriges Amtsjubiläum. Das seltene Fest wurde in
glänzendster Weise begangen un4 zum Andenken an
dasselbe das Waisenhaus der Gemeinde gegründet. Im
Jahre 1844 am 2. Juni ging der Gefeierte, 93 Jahre alt,
heim. Das von der Gemeinde auf dem städtischen Fried-
hofe ihm errichtete Denkmal rühmt mit Recht seine treue,
mehr als 70jährige Amtsführung, da er stets durch lautere
Verkündigung des Evangelii und würdigen Wandel sich
ausgezeichnet hatte.
Bald nach Hartmann's Tode wurde Pastor Spiess^
der mit grossem Eifer und Segen in der Gemeinde ge-
wirkt hatte, als Pfarrer, Consistorial- und Schulrath nach
Trier abberufen, wo er im Jahre 1880 sein 50jähriges
Amtsjubiläum feierte und als Oberconsistorialrath bald
hernach starb. Zu seinem Nachfolger wurde Karl Krafft^
bisher Pfarrer zu Flamersheim und zu Hückeswagen,
berufen. Die hervorragende Begabung desselben als
Predigei-, sein lebendiger Eifer um das christliche Leben
der Gemeinde, seine besonderen Verdienste auch um
die Erforschung der Geschichte derselben sind noch zu
lebendig in der Erinnerung, als dass wir sie zu schildern
brauchten. Es sei hier nur erwähnt, dass die Einführung
der wöchentlichen Bibelstunden in der Kirche und in den
Schulen, der monatlichen öffentlichen Missionsstimden,
der öffentlichen Sonntags-Katechisationen, die rasche Ent-
wicklung des Waisenhauses, die Gründung des Kranken-
hauses, des Jünglings- und Männervereins, des weiblichen
Missionsvereins, der Umbau der grösseren Kirche, welcher
4100 Thlr. erforderte u. a. wesentlich seinem Eifer zu
verdanken sind. Auch wirkte er jahrelang als Religions-
lehrer an der städtischen Realschule, als Präsident der
rheinisch-westfälischen Gefängniss-Gesellschaft, als Präses
des protestantischen Bundes etc. Im Jahre 1856 folgte der-
selbe einem Rufe als Pfarrer an die reformirte Gemeinde
zu Elberfeld, legte vor einigen Jahren sein Amt nieder^
ist aber — wegen seiner schriftstellerischen Verdienste
inzwischen mit der Würde eines Doctors der Theologie
und der Philosophie geschmückt — noch unablässig,
namentlich auf dem Gebiete der Kirchengeschichte Rhein-
lands, thätig. Da die hiesige Gemeinde inzwischen bis
auf die Seelenzahl .5600 angewachsen war, wurde eine
dritte Pfarrstelle gegründet und im Jahre 1851 an dieselbe
G. B- Adelbert Natorp (seit 1849 Hülfspfarrer der refor-
140 GMchiehit der ttangdieehtn Gemtiwie M$$MqrfM.
mirten Gemeinde zu Cronenberg, seit 1850 Pfarrer zu
Holpe) berufen, während nach Eraift's Abberufung im
Jahre 1857 Karl Julius Roffhack fseit 1837 Pastor in
Kaldenkirchen-Biachty seit 1845 in Mors) und nach dem
Tode des Consistorialraths Pf airers Dr. th. Budde, der
am 4. Februar 1860 sein 50jähriges Amtsjubiläum feierte
und bald darauf , am 1. März desselben Jahres starb,
Pfarrer Karl Blech (seit 1854 Pfarrer in St. Goar, seit
1857 Pfarrer in Trier) berufen wurden. Im Jahre 1868
wurde Pfarrer Natorp zum Königlichen Consistorial-,
Regierungs- und geistlichen Bathe bei der hiesigen Königl.
Regierung ernannt, welches Amt er bis zur Aufhebung
der geistlichen Rathsstellen bei den Regierungen im Jahre
1878 im Nebenamt bekleidete; im Jahre 1870 wurden
Pfarrer Roffhack, im Jahre 1881 Pfarrer Blech zu
Superintendenten der Kreissynode Düsseldorf erwählt.
Als dann Pfarrer Roffhack im Jahre 1877 starb , wurde
im Jahre 1878 Pfarrer Hermann Petersen (seit 1870
Pfarrvikar zu Kalk, seit 1873 Pastor in Mettmann) be-
rufen. Da aber die Gemeinde schon damals bis zu
19000 Seelen angewachsen war, wurde noch in dem-
selben Jahre die Orttndung einer vierten Pfarrstelle
beschlossen und für dieselbe Pastor Frey aus Langen-
dreer berufen ; desgleichen im Jahre 1886| wo die Seelen-
zahl ca. 26000 betrug, eine fünfte Pfarrstelle gegrOndet,
fOr welche Pastor Duesberg berufen wurde.
Es würde zu weit führen und dem Zwecke dieser
Denkschrift nicht entsprechen, wenn wie die innere und
äussere Entwicklung der Gemeinde in den letzten dreissig
Jahren im Einzelnen emgehender schildern wollten. Ein
kurzer Ueberblick über die wichtigeren Angelegenheiten
derselben dürfte genügen.
Unter Anderem verdient hervorgehoben zu werden,
dass behufs Ertheilung des evangelischen Religionsunter-
richts an den hiesigen höheren Schulen, dem K6nigl.
Gymnasium und der städtischen Realschule, welchen bis-
her zwei Pfarrer der Gtemeinde wahrgenommmen hatten,
seit dem Jahre 1856 unter Mitwirkung des Presbyteriums
besondere Religionslehrer angestellt wurden: Im Jiüire
1856 Pastor Droste ausDülken, 1859 Dr. Herbst, 1862
Pastor Axenfeld, 1864 Oandidat Deussen, nach
dessen Abgang im Jahre 1871 Jedoch die Mitwirkung der
Gemeinde aufhörte und für jede Schule die Relig^ons*
lehrer von den betreffenden Behörden allein berufen
wurden.
Am 4. Februar 1860 wurde das 50jAhrlge Amtsjubi-
Iftum des Konsistorialraths, Pfarrers, Prof. Dr. H. Budde,
OuekithU der ßpangeHtehen GemeimU DÜBseldofft. 14t
am 14. Juni 1874 das 2öjahrige des Eonsistorialraths Pfr.
A. Natorp und am 29. Juni 1879 das 2öjfthrige des
Pfarrers Blech festlich begangen.
Mit der Gründung der 4. Pfarrstelle im Jahre 1878
wurde die Eintheilung der Gemeinde in vier, und bei der
Gründung der ö. Pfarrstelle im Jahre 1887 in fOnf Pfarr^
bezirke verbunden, wodurch die seelsorgerische Thfttig-
keit der Pastoren wesentlich befördert wurde.
Am 11. August 183Ö war die erste Repräsentation
der Gemeinde, aus 40 Mitgliedern bestehend, gewählt
worden; im Jahre 1839 wurde die Zahl der Mitglieder
auf 60 erhöht Diese Körperschaft wählte fortan die 16,
jetzt 18 Mitglieder des Presbyteriums, so dass dasselbe^
die Pfarrer einbegriffen, aus 23 Mitgliedern besteht, näm-
lich aus 5 Pfarrern, unter welchen d%r Vorsitz jährlich
wechselt, 4 Aeltesten, 4 Kirchmeistern und 10 Diakonen.
Für die Armenpflege wurde im Jahre 1847 ein Hülfs-
diakon und 1858 eine Kaisers werther Diakonissin auge-
stellt. Gegenwärtig sind jedoch fünf Diakonissen, je eine
für jeden Pfarrbezirk, thätig, und steht denselben seit
1881 ein Frauen-Armen-Verein zur Seite.
Das im Jahre 1843 aus Anlass des 70jährigen Amts-
jubiläums des Konsistorialraths Dr. Th. Hartmann ge-
gründete Waisenhaus hat sich inzwischen zu einer der
gesegnetsten Anstalten der Gemeinde entwickelt. Auf
dem an der Pempelforterstrasse gelegenen, 7 Morgen
grossen Grundstück y^zur Löwenburg^ wurde im Jahre
1865 ein grosses Gebäude mit einem Kostenaufwand von
19585 Thlm. erbaut, in welchem gegenwärtig unter
Leitung des Hausvaters Fischer etwa 40 Kinder ver-
pflegt werden. Zahlreiche Stiftungen setzen die Anstalt
in den Stand, ihre Ausgaben abgesehen von den Pflege-
geldem, welche für die Zöglinge gezahlt werden, selbst-
ständig zu bestreiten.
Im Jahre 1849 wurde von einem Freundeskreise ein
^^Evangelisches Krankenhaus^ gegründet. Als
solches diente zunächst das vormalige Pfarrhaus an der
kleinem Kirche an der Bergerstrasse. Da dies aber
schon bald nicht mehr genügte, wurde im Jahre 1862
von der Gemeinde, welche inzwischen die Oberleitung
des Krankenhauses übernommen hatte, ein Bauplatz am
Fürstenwall erworben und am 15. Juli 1864 der Grund-
stein zu dem grossen, prächtigen Gebäude gelegt, dessen
Baukosten sich auf 88515 Thlr. beUefen. Eine öffent-
liehe Einweihung konnte wegen der kriegerischen Ereig-
nisse des Jahres 1866 nicht stattfinden, doch wurde die
Anstalt bei der Aufnahme der ersten verwundeten und
142 Oeschfchtg der tvangdiachen Gemeinde Dileeeidorfe.
kranken Krieger in ernster Andachtsstunde dem Schutz
des Herrn befohlen ; die Verpflegung der grossen Scbaaren
von Kriegern kam dem Hause wesentlich zu gute^ indem
von nah und fern die Liebesgaben zur innern Einrichtung
des Hauses und zur Bestreitung der Pflegekosten gesandt
wurden. 1877 erwarb die Anstalt Corporationsrechte
und trat somit aus dem unmittelbaren Verbände mit der
Gemeinde heraus. Am 31. October 1876 wurde die in
der Anstalt befindliche Kirche, welche während der
Kriegszeit als Krankensaal benutzt war, zum öffentlichen
gottesdienstlichen Gebrauche eingeweiht, und finden seit*
dem regelmässige Sonntags - Gottesdienste in derselben
statt. Das Krankenhaus ist eine Zierde der Stadt und
ein Segen für die Gemeinde.
Aus der Entwicklung des Schullebens dürfte hervor-
zuheben sein, dass die Gemeinde im Jahre 1835 eine
Frei schule für die Kinder der untersten Klasse in*s
Leben rief, (Hauptlehrer: Jul. Braselmann), welche jedoch
später bei der Vereinigung dieser Schulen mit den
städtischen Schulen wieder einging. Im Jahre 1837 be-
gründete ein provisorisches Curatorium (Regierungsrath
Alt gelt etc.) die Luisenschule für die Töchter der
höhern Stände, so, genannt nach Ihrer Königl. Hoheit der
Frau Prinzessin Friedrich von Preussen, Luise, welche
das Protektorat der Schule huldvollst übernahm und bis
an ihren Heimgang bekleidete. Im Jahre 1854 ging diese
Schule in den Besitz der Gemeinde über und wurde von
einem Scholarchat, welches dieselbe wählte, geleitet; 1861
wurde das Schulgebäude in der Steinstrasse erbaut; 18()3
an Stelle der bisherigen Vorsteherin Frl. Julie Quincke
der bisherige Lehrer an der städtischen Realschule, Herr
Dr. ü e 1 1 n e r zum Director der Schule berufen ; im Jahre
1864 eine Selekta zur Ausbildung der Zöglinge für das
höhere Schulfach mit der Schule verbunden; im Jahre
1875 wurde die Anstalt zum Preise von 100,000 Hark au
die Stadt Düsseldorf verkauft, unter deren Leitung die-
selbe sich noch heute befindet und einen confessionell-
paritätischen Charakter bekommen hat.
Jahrzehnte hindurch rang die Gemeinde darnach,
auch für die männliche Jugend der höheren Stände eine
entsprechende evangelische Bildungsanstalt in's Leben
zu rufen, womöglich ein evangelisches Gymnasium, fand
aber hierzu nicht die vielfach nachgesuchte Genehmigung^
und Beihülfe der Behörden und konnte auch das nicht
erreichen, dass an dem hiesigen königl. Oynmasium die
Zahl der evangelischen Lehrer dem Bedürfniss und der
Zahl der evangelischen Schüler desselben entspräche.
ti'S««
Oesehiehte der effangelischen Gemeinde Dilseeidorfa, 143
wiewohl dies durch VerfQgung des Herrn Ministers vom
Jahre 1873 als nothwendig anerkannt war. Inzwischen
ist jedoch mit der städtischen Realschule ein paritätisches
Gymnasium verbunden, an welchem eine grössere Zahl
evangelischer Lehrer angestellt wurde. ^)
Die drei an Schüler- und Classenzahl stets wachsenden
Elementarschulen, bis dahin Eigenthum der Qemeinde
und von ihren Schulvorständen geleitet, gingen im Jahre
1858 in den Besitz der Stadt aber; im Jahre 1877 wurden
die Pfarrer auch von der Schulaufsicht entbunden. Qegen-
wärtig bestehen fünf evangelische Volksschulen in der
Stadt, während für die evangelischen Kinder der ent-
fernteren Aussenbezirke in den betreffenden katholischen
Schulen evangelischer Religions-Unterricht ertheilt wird.
Neben den öffentlichen Schulen bestanden seit den
vierziger Jahren mehrere Privat schulen mit vor-
wiegend evangelischem Charakter und Lehrpersonal : die
Knabenschulen des Herrn Friedrich und des Herrn
Köster; die höhern Töchterschulen der Frl. v. Erkellentz
und der Frau Maler Schuback (welche letztere Schule
noch besteht. — Zu der ebenfalls in den vierziger Jahren
gegründeten Kleinkinderschule an der Kurzestrasse
sind im Laufe der Zeit fflnf neue (in der Bilkerstrasse,
in Derendorf, Oberbilk, am Fttrstenwall und in der Kur-
fürstenstrasse) und mehrere Kindergärten nach dem
FröbeFschen Systeme hinzugetreten. Auch die im Jahre
1841 gegründete Nähschule für arme Kinder besteht
noch heute zu grossem Segen fort, und in Derendorf hat
die Kaisers werther Diakonissen - Anstalt eine Mägde-
bildungs-Anstalt gegründet.
In der Gemeinde selbst und zum Theil weit über die
Grenzen desselben hinaus wirkt ein ganzer Kranz von
christlichen Vereinen. Es seien hier u. A. nur erwähnt :
1) die im Jahre 1826 gegründete rheinisch-westfälische
Gefängnissgesellschaft, welche von vornherein Düssel-
dorf zu ihrem Vorort erwählte und deren Präsidenten
(Graf Spee, Landgerichts - Präsident Hoffinann, Pastor
KrafTt und seit 1856 Consistorialrath Natorp) sowie Haupt-
Agenten (Pastor Bigehold, Schnitze, Scheffer, Stursberg,
Gräber) ebenfalls hier wohnen 2) Der rheinische
Hauptverein der Gustav-Adolf-Stiftung 1844
1) Wie bedeutend die Zahl der evaDj^elischen Schüler inzwischen
angewachsen ist, geht aus der letzten Zählung vom 1. Februar 188H
hervor, nach welcher das Kgl. Gymnasium 359 kath^ 229 evang.,
15 Israel. Schüler, das Realgymnasium 173 kath., 392 evang., 24 Israel.
Schüler, die Bürgerschule 2H1 kath., 19G evang., 24 israel. Schüler,
diese Anstalten zusammen aber 793 knth., 817 evang., 60 israel.
Schüler zählten.
144 OuckkhU der 9vangHi9eh€n 0$m§ind€ Dü99Moff$.
ZU Elberfeld gegrttndet, seit 1847 in Düsseldorf domicUiFt,
32 Zweig-, 26 Frauen- und einen studentischen Verein
umfassend. — 3) Die niederrheinische Prediger-
Conferenz, gegründet 1857. — 4) Der Zweigverein
des evangelischen Bundes, gegründet 1887. — 5) Der
Idission- und Bibelhülfsverein seit 1816. — 6) Der Gostav-
Adolf-Zweigverein. — 7) Der Gustav-Adolf-Frauenverein.
8) Der Gef&ngniss - Hülfsverein. — 9) Der GeAngniss-
Frauenverein. — 10) Der Jünglings- und Mftnnervereiu
seit 1845. — 11) Das Curatorium des „Gästhauses zur
Heimath^ in der Oststrasse, seit 1852; mit Gorporations-
Rechten ausgestattet 1872. — 12) Christlicher Volksverein,
seit 1873, unter wechselnden Bezeichnungen. — 13) Die
Kranken- und Sterbelade „evangelische Einigkeit^ seit
1854. _ 14) Die Königin - Luise • Stiftung seit 1876 für
Unterstützung der Ausbildung evangelischer Volksschul-
lehrer. — 15) Der Verein für Stadtmission seit 1878, für
Anstellung von Stadtmissionaren. — 16) Verein der
Sonntagsschulen (seit 1876), welche in fast allen Stad^
gebieten vertreten sind. — 17) Der Frauen-Armen- Verein
seit 1881, zur Leitung und Unterstützung der Thätigkeit
der Gemeinde - Diakonissen. — 18) Der weibliche Httlfs-
verein für das evang. Krankenhaus. — 19) Desgleichen
für das evang. Waisenhaus. — 20) Verein für Pflege
armer Wöchnerinnen. — 21) Der kirchliche Gesangverein
seit 1851. — 22) Der Dienstmädchen- und Jungfrauen-
Verein.
Bis zum Jahre 1859 bildete auch die im Jahre 1822
durch den Grafen Adelbert von der Recke - Volmerstein
gegründete Rettungsanstalt Düsselthal, die erste
deutsche Anstalt dieser Art, einen Bestandtheil der hiesi^n
evang. Gemeinde. Die „Gesellschaft der Menschenfreunde^
und ein „Jungfrauen- Verein^ unterstützten die Anstalt
mit ihrer Thätigkeit. Mit 44 Kindern wurde dieselbe
eröffhet, im Jahre 1854 betrug die Zahl der Pfleglinge
bereits 2ö4, so dass in Zoppenbrück eine Neben -Anstalt
gegründet werden musste. Im Jahre 1847 übernahm ein
Curatorium die Oberleitung der Anstalt und berief den
Inspektor Friedr. Georgi, im Jahre 1863 den Pfr. Wilh.
Imhäusser zum Director. Am 17. Juni 1859 wurden der
Anstalt die Rechte einer selbstAndigen Pfarrei verliehen,
nachdem die Anstaltskirche bereits am 3. August 1854
eingeweiht und in öffentlichem Gebrauch war.
An der hiesigen ev. Gef&ngniss-Gemeinde, welche
noch heute keine Parochie für sich, sondern einen
integrirenden Bestandtheil der evangelischen Gemeinde
bildet, wurden seit dem Jahre 1828, zunächst durch die
rt*s«T
0€9chichie der wangdUchen Oemeiude Dflsseldoffs. 14^
rheinisch - westfälische Gefängniss - Oesellschaft^ später
durch die Staatsbehörde evangelische Geistliche angestellt.
Als solche wirkten W. Schmidt aus Lobeda 1828/29 und
in rascher Folge : H. G. Müller^ später Pfr. und Sup. in
Monzingen ; Karl Küpper (später Pfarrer in Köln), Wilms,
Johannes Ball f 1843, Ktthler t 1^49, Bögehold
1849—57, Rudolf Schultze 1857--62, R.W. Scheffer
1862— 73, H.Stursberg 1873—87 und Gräber seit 1887.
Seit der Besitzergreifung des Bergischen Landes
durch die Krone Preussen besteht hierselbst auch eine
evangelische Garnisongemeinde. Bisher hatten nui*
die katholischen Militärs die zur Caseme gehörige
^St. AnnarKir^e^ in Gebrauch und ihren eigenen Seel-
sorger > während die evangelischen Mannschaften in die
beiden evangelischen Gemeinden eingepfarrt waren. Ein
evangelischer Feldprediger begleitete schon das preussische
bergische Corps auf seinem Zuge nach Nassau und Frank-
fürt 1815 wurde dann die evangelische Seelsorge dem
Pastor Hartmann an der lutherischen Gemeinde über-
tragen, 1820 Joh. Hermann Altgelt als erster Militär-
prediger der 14. Divisen angestellt, am 30. Septbr. 1824
die St. Anna -Kirche mittelst Cabinets - Ordre für eine
evangelische Gamisonkirche erklärt, jedoch unter Mit-
gebrauch für die . katholische Gamisongemeinde, 1827
Prediger Dr. Ninnich zum 2. Militärprediger ernannt;
183^ Ganusonprediger Thielen aus Wesel zu Altgelts
Nachfolger, (welcher Letztere als Schulrath bei der hiesigen
Regfierung eintrat) 1836 H. G. Monj 6 zu Ninnich's Nach-
folg^er, 1846 Dr. Kottmeier zum Nachfolger von Thielen,
der zum Militär - Oberprediger in Coblenz ernannt war.
Monjö starb 1849, und wurde seine Stelle nicht wieder
besetzt. Als Dr. Kottmeier 1867 als Pfarrer nach Eis-
leben berufen wurde, folgte ihm Wilhelm Meyer aus
MOuster i. W., welcher im Jahre 1870 mit der 14. Division
n Ach Frankreich ausrückte, auf dem Feldzuge am Gallen-
fieber schwer erkrankte und bald darauf in Münster
starb. Sein Nachfolger wurde im Jahre 1871 der noch
jet2rt fungirende Divisionspfarrer Herr Ferd. Becker,
seit 1878 Feld-Divisionspfarrer der 5. Division.
Die anglikanische Gemiefaide, welche mit mehreren
Unterbrechungen schon seit vielen Jahrzehnten hierselbst
besteht, benutzt die kleinere Kirche auf der Bergerstrasse
zu iliren Gk>tte8diensten , wofür sie sich verpflichtet hat,
die in denselben gesammelten Gaben für die Armen der
Dialconie unserer Gemeinde zu übergeben. Als Geistliche
ffjngJTtien an derselben seit den fünfziger Jahren Rev.
Samuel Tucker, Leader-Cowper, Broadt, Godfrey
10
14(J Geachichte der evuntjeU sehen Gemeinde Dfls9eMot*fs.
und der jetzige Geistliche Rev. Drought. Die Zahl der
Gemeindeglieder ist eine verhalt nissniässig geringe und
wechselnde.
Nach der im Jahre 1880 gehaltenen Volkszählung
befanden sich unter den 95 190. hierselbst ortsangehörigen
Personen auch 278 Dissidenten (gegen 291 im Jahre 1870).
Dieselben gehörten grösstentheUs der Gemeinde der von
der Landeskirche sich getrennt haltenden Lutheraner an.
welche seit der Mitte dieses Jahrhunderts hierselbst be-
steht, anfangs von auswärtigen Pastoren bedient wurde,
jetzt aber ihren eignen Geistlichen und in der Kreuz-
strasse ein Kircheuhaus erbaut hat. Die Irvingianer
(„apostolische Gemeinde*^) besitzen ebenfalls, seitdem der
bekannte Agitator derselben, Herr von Pochhammer, hier-
selbst seine Vorträge hielt, ein Versammlungslokal in der
Klosterstrasse und unterhalten einen Prediger. Seit dem
Jahre 1880 hat sich ferner eine sogenannte „freie Ge-
meinde" nach dem Vorbilde ähnlicher Gemeinden im
Wupperthale hierselbst gebildet. Nachdem der Leiter
derselben schon jahrelang in seinem Hause Versamm-
lungen gehalten hatte, in welchen auch das heil. Abend-
mahl von ihm verwaltet wurde, erfolgte im Jahre 188<)
der Austritt mehrerer Familien aus der Landeskirche.
Die hierselbst wohnenden Darbisten, Baptisten, Menno-
niten etc. sind zu wenig zahlreich, um selbständige
Gemeinden bilden zu können. Den Altkatholiken, welche
seit dem vatikanischen Concile hierselbst eine Gemeinde
begründeten und deren Pfarrer durch kirchengeschicht-
liche und allgemein- wissenschaftliche Vorträge in weiteren
Kreisen eine anregende Wirksamkeit ausüben, räumte
unsere Gemeinde die beiden älteren Kirchen zur unent-
geltlichen Benutzung für ihre Gottesdienste ein.
Der Rückblick auf ihre Geschichte kann die evan-
gelische Gemeinde nur mit lebhaftestem Danke gegen den
Herrn der Kirche erfüllen. Das einst in sturmbewegtev
Zeit gepfianzte Senfkorn evangelischen Glaubens ist im
Laufe der Jahrhunderte zu einem kräftigen Baume mit
weithinschattonden Zweigen geworden. Die beiden Oe-
meinden, welche fast 250 Jahre lang die Träger dieses
Lebens waren und dasselbe, getrennt von einander, eine
jede in besonderer Weise ausgestalteten, haben sich i^ie
zwei Flüsse zu einem um so mächtigeren Strome mit
einander verbunden. Die vereinigte, jetzt etwa »')2000 Seelen
zählende Gemeinde hat sich innerhalb eines halben Jahr>
hunderts an Seelenzahl verzehnfacht und nimmt durch
den äusseren Wohlstand, die Intelligenz und christliche
Gesinnung, die sie vertritt, neben der katholischen Be-
OesehiehU der etangüisehtn Chmeinde DüanM&rfs, 147
völkeruug; welche mit ca. 100000 Seelen den Haupt-
bestandtbeil der Gesammtbevölkerung unserer Stadt
ausmacht, eine einflussreiche, geachtete Stellung ein. Sie
ist in fortwährender höchsterfreulicher äusserer und
innerer Fortentwicklung begriffen, besitzt in ihren fünf
Pfarrern, welche einmüthig auf dem Grunde des lautern
Evangeliums stehen, die dem augenblicklichen Bedürfnisse
der Seelenzahl — wenn auch nicht völlig — genügenden
seelsorgerischen Kräfte und in ihrem aus 23 Mitgliedern
bestehenden Presbyterium, sowie der aus 60 Mitgliedern
bestehenden Repräsentation eine Vertretung, welche sich
allezeit freudig zu Arbeit und Opfern bereit flnden lässt,
wo es die Ehre des HErrn und das Wohl der Gemeinde
gilt. Sie befindet sich in der glücklichen Lage, das heran-
wachsende Geschlecht in zahlreichen höheren und niederen
Schulen, welchen die Behörden die wärmste Fürsorge an-
gedeihen lassen, bilden lassen zu können. Eine grosse Zahl
von Anstalten und Vereinen arbeitet in ihr am Baue des
Reiches Gottes und in der Abhülfe von allerlei Noth und
£lend. Sie selbst bethätigt den in ihr waltenden christ-
lichen Geist durch lebhafte Theilnahme am öffentlichen
Gottesdienste und eine hervorragende seltene Opfer-
willigkeit.
Auch den gottesdienstlicben Bedürfnissen ist durch
ihre vier Kirchen ausreichend Rechnung getragen; denn
zu den beiden ältesten Kirchen (auf der Bolker- und der
Bergerstrasse) trat schon im Jahre 1871 die Krafiken-
hauskirche, welche immerhin gegen 600 Andächtige
fasst und einem lebhaft empfundenen Bedürfnisse des süd-
lichen Stadttheils entspricht, indem in derselben sonntäg-
lich Hauptgottesdienst stattfindet. Im Jahre 1881 aber
(am 6. December konnte die mit einem Aufwände von
mehr als 1000000 Mark erbaute, grosse und architec-
tonisch hervorragende Johanneskirche auf dem Königs-
platze geweiht werden, welche seitdem den Mittelpunkt
des gottesdienstlichen Lebens bildet uud wegen ihrer
schönen Lage, ihrer herrlicher Formen, ihrer ausgezeich-
neten Orgel, ihres klangvollen mächtigen Geläutes und
YOT Allem wegen ihrer zahlreich besuchten Gottesdienste
eine wahre Freude der Gemeinde und das sprechendste
Sinnbild ihres geistigen Lebens ist. Auch zu geistlichen
Concerten und zu jährlich vier liturgischen Gottesdiensten
bietet sie die ausreichenden und akustisch günstigen
Räume dar, und schon manche grössere kirchliche Feste,
wie das Lutherfest 1883 und die Hauptversammlung des
Evangrelischen Vereins der Gustav -Adolf -Stiftung 1886
wurden in ihr begangen.
10*
148 Ouckiekte d^r ecangetistken Otm€kid$ Dü$»Marfg,
Wenn daher die Stadt DOsseldorf in diesem Jahre
1888 ihr 600 jähriges Bestehen als eine freudige Jubilarin
feiert, so wird auch die evangelische Gemeinde gern an
ihrer Freude und an ihrem Danke gegen den Allerhöchsten
sich betheiligen und mit ihr einstimmen in das Bekenntniss:
„Nicht uns, Herr, nicht uns, sondern Deinem
Namen gieb Ehre um Deine Gnade und Wahrheit!
(Ps. 115, 1.)
•]
-,1
!
!
Cesdiichte der jüdischen Gemeinde Düsseldorfs.
1
': Rnbbintr Dr. Abr. WedelL
I lie Synagogen-Gemeinde Düsseldorf als Sitz des
j 1 Synagogen - Bezirks gleichen Namens erhielt
j I ihre gegenwärtige Verfassung erst durch das
I 9 Statut, welches zufolge des preussischen Juden-
', a gesetzes vom Jahre 1847 festgestellt werden
j musste. Vor der Einverleibung der bergischen Lande in
die preussische Monarchie bildete sie einen Theil der
I „verglaydeten Judenschaft von OUlich und Berg", spater
derjenigen des Grossherzogthums Berg. Der jüdischen
1 Gemeinde lag aber nicht nur die Sorge fUr die besonderen
1 religiösen Interessen ob. Da die Juden in den angegebenen
Landestheilen wie in ganz Deutschland kein Bürgerrecht
besassen, und das Recht in denselben zu wohnen, in be-
schranktem Masse Handel und Gewerbe zu treiben, zu
heirathen, ja selbst das Recht dort zu sterben, um hohen
Preis erwerben und mit vieler Mühe gegen so manche
Anfechtung und Verkümmerung vertheidigen mussten, so
war die Verwaltung der jüdischen Gemeinde, zumal da
auch die Jurisdiction in Streitsachen zwischen Juden und
Juden ihr anheimgegeben war, ziemlich verzweigt, mühe-
roU und verantwortungsreich. Das Gemeindeleben um-
tuste also nicht nur die Entwicklung und Bethätigung
der religitiBea Anschauungen, Wie sie in Schule, Synagoge,
Wohlthatigkeits -Vereinen und im Leben zum Ausdruck
innen , soodem auch das Ringen nach einer würdigen
'Ärgerlichen Stellung, das Ankämpfen der Juden gegen
täe aicli ihnen entgegenstellenden Hindemisse und gegen
äe aber ihre Religion vielfach verbreiteten Vonirtheile
md falschen Anschauungen, eineGteschichte ihrer geduldig
^ ^ttergeben ertragenen Leiden und aufgenOthigten
150 Oettehiehte der jnditchen Gemeinde Düs9eldorf$,
Oeschlchte der Jaden in den Herzogthflmem Jfllleh-Berg
and des sp&ter errichteten Grossherzoicthnnis Berg.
Das Recht der Juden, in den bergischen Landen zu
wohnen, ist noch nicht sehr alt. Die im Jahre 1608 bei
Bernhard Buyss erschienene Polizei - Ordnung für Jülich,
Cleve, Berg enthält noch die Verordnung: „Es sollen in
vnaern Furstenthumben vnd Landen, wie gleichfals bei
den Vnderherligkeiten, oder denen orten, so in gemein-
schafft mit vns sitzen, auch bei vnsern Lehen vnd Schirmbs
verwandten, keine Juden, so nit nach Christlicher Ord-
nung getaufl't, gestattet, auffgehalten oder vergleitet
werden, bei Vermeidung straff vnd peen."
Der älteste aufgefundene Schutzbrief datirt vom
Jahre 1689.
Die Erlaubniss, in den bergischen Landen wohnen
zu dürfen, wurde den Juden von den jedesmaligen Re-
genten in Form eines Sehutzbriefes ertheilt, der in der
Regel auf 16 Jahre ausgestellt und dann immer wieder
auf die gleiche Dauer verlängert wurde. Für die jedes-
malige Erneuerung einer solchen Geleitsconcession war
die Summe von 10000 Gulden „als zum trockenen wein*
Kauf, wie auch erkenntlichkeit , oder Kronensteuer in
einer unzertheilten Summe in der landrhentenmeisterei
in Düsseldorf baar zu erlegen, annebens zum Jährlichen
Tribut vier Tausent quartaliter mit eintausent Guliken
court. zur Hof-Kammer richtig einzuliefern,^ Ausser diesem
^Tribut"^ hatten die Juden auch noch die sonstigen all-
gemeinen und lokalen Steuern zu entrichten, vor allem
die Gewinn- und Gewerbesteuer, welche jedoch pro Kopf
nicht höher als nach dem Ertrage von 3 Morgen Acker-
land berechnet werden durfte, für welche aber ebenso
wie die Kronen- und Tributsteuer die gesammte ver-
glaydete Judenschaft solidarisch haftbar war, in der Weise,
dass der etwaige durch Vermögensverfall, Wegzug oder
Ableben Einzelner entstandene Ausfall auf die Uebrigen
zu repartiren war. Alle diese Abgaben hatten gegenQber
andern Forderungen seitens der Lokalbehörden oder von
Privatleuten das Vorzugsrecht. Ein diesbezüglicher „Auss
Hochstgem. Ihrer Kuifürstl. Durchl. gnädigsten befebl
(gez. Fhr. v. Blankart) an Richtern in SohUngen^ d. d.
Düsseldorf 24 Mertz 1781 lautet : „C. T. C. Lieber getreuer,
Wir schliessen euch eine abschrift der uns von selten
Vorgänger und Vorsteheren der gemeinen gülich und
bergischen Judenschaft Contra Salomon Leyser übergebner
anzeig mit dem ggsten befehl hiebey, dass ihr pto. des
triebuts rückstands, falls nichts erhebliches dagegen ein*
Geaehicide der jüdischen Oemeinde DHsseMoi*fs. 151
zuwenden gegen den beKlagten Salomon Leyser execiitive
Verfahren, und vor dessen Zahlung keine Von demselben
ausgestellte schuldscheme Zur gerichtlicher realisation
annehmen sollet.^ Andere Abgaben waren von den Ein-
zelnen selbst zu zahlen, wie z. B. Ehlengelder, aus-
wendiger Leibzoll der nach Ermessen der Vorsteher ver-
pachtet werden konnte u. a. m. Für jedes neugeborne Kind
und beim Ableben einer männlichen, später auch einer
weiblichen Person war je ein Goldgulden zu entrichten.
In einzelnen Orten waren noch besondere Gefälle zu
zahlen; so war in Eaiserswerth von jedem geschlachteten
Vieh die Zunge an die „Kellnerey^ abzuliefern. Die Juden
glaubten in Ansehung ihrer sonstigen Abgaben und auf
Grund der ihnen am 19. Juni 1704 ausdrücklich gewährten
Befreiung von dieser „wider die Billigkeit auferlegten
Lieferung der Zungen" diese verweigern zu können,
wurden jedoch „weil auch die Christen dieselben zu liefern
hatten", mit ihrem Gesuch abgewiesen. „In sachen Vor-
gänger und Vorsteher der Gulich und Bergi Judenschaft
wider Kellnerei zu Eayserswehrt die von dortigen Juden
wegen geschlachtet werdenden Viehes abgeforderten
Zungen betreifendt werden Klagende Vorgänger und Vor-
steher mit ihrem Gesuch ab, und die schlachtende Juden
zu Kayserswehrt zu befolgung der Eameral - Verordnung
Vom 29^ TSS V. J. und demgemäss Vom dortigen Kellner
erteilten Decret angewiesen. Düsseldorf den 24 Julius
1782. Frhr. von Gangreben." Sportelen und Kanzley-
gebOhr betragen sich mit der Insinuation dieses sieben
rthlr. 41/2 stüber, sind zahlt." Diese wichtige Frage war
im Jahre 1786 noch nicht entschieden. Denn 11 Julius
d. J. wurde aus gstem Befehl des Kurfürsten Bericht ein
gefordert. „Hochgelehrter, Lieber, Getreuer! Ihr findet
Copeilich beigelegt, was Uns Vorgänger und Vorsteher
gemeiner Judenschaft wider euch wegen hartist einge-
bundener Kirchmess zungen Lieferung untgst. remonstrirt
haben, worüber euer untgst. Flichtmässiger Bericht un-
verlängst erwartet wird," Nicht besser erging es mit der
von „denen im Städtgen Siegburg Domicilirten Juden
prAtendirt werdende Freiheit vom gemeynsamen Beytrag,
worüber „der Vom abten zu Siegburg erstattete Unthste
Bericht denen Vorgängern etc. kommunikabel erkannt
wird, um das nötige inner 14 tagen zu verhandeln."
Wegen erlittenen grossen Wasserschadens wurde den
Juden der am 23. X^ 1784 erbetene Nachlass von
den Krongeldem in Höhe von 1000 Rthlr., d. d. Mannheim
14. Januar 1785 in „Höchsten gnaden" bewilligt, wofür
die Judenschaft folgendes Dankschreiben an den Kur-
152 Geschichte der jüdischen Gemeinde Dilsseidarfn.
fürsten richtete: Durchlauchtigster! Eure Kurfüi-stUche
Dufchl. Avar so gnädig uns unter dero höchstem schütz
in den herzogthümern gülich und Berg eingessene Juden
in rücksicht des durch die vorigjährige wasserüber-
schwemmung erlittenen trangsal mit einem Tribut Nach-
lass mildest zu trösten, für welche wahrhaft LandesvAter-
liehe Wohlthat wir hiermit den wärmsten Dank unthägst
abstatten.'^
pDer grundgQtige Gott den wir alle verEhren, ver-
leye Eurer Kurstl. Durchl. dargegen noch eine lang-
wierig beglückte Regierung und beloone höchstdieselbe
mit dem für uns und unsere Nach Eommenschaft ewig
unvergesslichen besten Ruhm eines Fürsten, der gut-
thätigste Vater aller auch sogar der geringsten landes
Kindern stets gewesen zu sein.^
„Der nemliche Gott wird gewisslich unsere bey jedem
öffentlichen religionsdienst fUr höchstdieselbe zu ihm auf-
steigende reichenste Segenswünsche mildest erhöhren und
Euere Churfürstlicher Durchlaucht sind zu holdselig und
gütig dieselbe zu verschmähen, Um welche einzige
Gnad wir gegenwärtig unterthäuigst bitten.^
ad man US Clementissimus Unthgst fussfällige Dank-
sagung etc.
Wie bei diesem Anlass so hatten die Herzöge resp.
Kurfürsten innerhalb der oben bezeichneten Grenzen den
Juden wiederholt ihren Schutz und ihr Wohlwollen be-
wiesen und ihre Bereitwilligkeit bekundet, denselben die
ihnen durch die Geleitsconcession eingeräumten Rechte
und die Respectirung der ihnen auf Grund des Schutz-
briefes verliehenen Verfassung zu gewährleisten.
YAifassang der Ofllleh Bergisehen Jndensehaft.
Durch die Schutzbriefe wurde die Zahl der für GQlich
und Berg zugelassenen Haushaltungen auf 215 festgestellt.
Die in den „Pfand- und Unterherrschaften" wohnenden
Juden, deren Menge nicht genau flxirt war, waren in der
Zahl 21 ö nicht mitgerechnet, unterlagen aber sonst den-
selben Bestimmungen. Die gesammte Verwaltung ruhte
in den Händen eines Vorstandes^ Die religiösen An-
gelegenheiten und gerichtlichen Entscheidungen in civil*
rechtlichen Streitigkeiten zwischen Juden untereinander
lagen in erster Instanz dem Oberrabbiner ob — der ebenso
wie die Verwaltung seinen Sitz in Düsseldorf hatte.
Gewählt wurden diese Organe durch die
General-Tersammliuig der Gemeinde.
So oft es nöthig war, versammelte sich die gesammte
Judenscbaft zu gemeinsamen Berathungen über allgemeine
OeaeliicfUe der Jildisehe» OememtU Dilaseldorfa. ISJS
Angelegenheiten^ wie Tribut- und Steuerfragen, deren
Repartition, Petitionen an die Behörden, Wahl eines
Oberrabbiners und des Vorstandes, Feststellung der Ge-
meindestatuten und wichtigsten Verordnungen und Ab-
stellung von Uebelständen. Die Einladung zu diesen
Vei^sammlungen, welche an verschiedenen Orten statt-
fanden, erging durch die Ober- Vorgänger, nachdem von
der Behörde oder vielmehr von dem Herracher die Br-
laubniss hierzu ertheilt war. Sämratliche Behörden, auch
diejenigen der Pfand- und Unterherrschaften, wurden an-
gewiesen, der Versammlung und den zu denselben sich
begebenden Juden den nöthigen Schutz zu gewähren.
„Auf die vom Vorgänger und Vorsteher der Gülich
und bergischen Judenschaft übergebene unthgste Anzeige
einer im Monat Aprill Künftig notig findenden allgemeinen
Eonvokation wird denen Supplikanten aufgegeben, an-
forderst die ursach der allgemeinen zusammen Berufung
anzuzeigen, sodann der Verordnung vom 13^? August
1779 wegen Übergebung eines genauen Verzeichnisses
deren in hiesigen 'Herzogtümern in Städten, Amter, Frei-
heiten, unter und Pfandherrschaften und sonstigen Orthen
wohnenden vergleideten Jüdischen Familien in 14 Tagen
bei 6 Rthlr. straf zu geben.
Aus Seiner Kurfersten Durchl. sonderbar ggstem Befehl
Graf von Nesselrode.**
„C. T. C. Unsern ggsten Gruss zuvor Wohlgeborener,
liebe getreuer;
Da Wir zum Besten Unserer Gülich und bergischen
Judenschaft ggst. ver williget haben, dass dieselbe in
Künftigen Monat April in dortigen Flecken (Aldenhoven)
sich versammeln möge, so befehlen euch ggst, derselben
Glieder bei Hin und her reissen auch wärendem aufent-
halt nicht zu behindern sondern dass denen selben in
jeden Angelegenheiten allen Beistand leisten oder den
etwaigen Anstand sofort berichten sollet. Düsseldorf
24 X»^r 1783. Alis Seiner KurfÜrstl. Durchl. sondern
ggsten Befehl Graf von Nesselrode. An Beamte Amts
Aldenhoven."
Solche Versammlungen haben stattgefunden in Düren
1698; Mülheim 1702; Bergheim 1706 und 1718; Düren
1718; Aldenhoven 1722; Düren 1726, 1730, 1732, 1737,
1746, 1749, 1752; Aldenhoven 1784 etc.
Den Vorsitz in diesen Versammlungen, denen der
Oberrabbiner als Ehrenmitglied beiwohnte, führte einer
der Ober-Vorgänger unter Assistenz der übrigen Vor-
standsmitglieder. Zur Tagesordnung gehörte regelmässig:
154 OeschiehU der JildUchen Gemeimh Dilsneidorfs.
Wahl des Voi*8tande8;
Bericht der Rechnungsrevisoren;
Wahl derselben;
Einschätzung des Vermögens behufs Fesstellung der
zu entrichtenden Steuern;
Prüfung resp. Bestätigung früherer Beschlüsse;
nöthigenfalls
Wahl des Oberrabbiners und Feststellung des Ver-
trages;
Bauten und andere Gemeinde-Angelegenheiten.
Besonders wurden die Bestinunungen des jedesmaligen
meistens gleichlautend abgefassten Schutzbriefes nach-
drücklichst eingeschärft imd zur Nachachtung empfohlen.
Durch den Geleits-Brief war den Juden die selbstständige
Verwaltung ihrer inneren Angelegenheiten gewährleistet
worden; „Alle und jede unqualiflcirte Subjekten so sich
imi gehabung des freyen gefeites oder um das OberVor-
gängersamt und andere offlcia bej unserem Hoflager an-
melden, werden de piano ab- und zu der Judenschaft
fort zeitlichen Vorgänger und Vorsteher hinVerwiesen."
Wie sehr die Gemeinde darauf bedacht war, die Bestim-
mungen der Geleits-Concession zu respectiren und jede
Belästigung des Kurfürsten zu vermeiden, geht aus einem
schon 1698 gefassten und dann regelmässig in den Ge-
meinde-Versammlungen wiederholten Beschlüsse hervor,
nach welchem Jeder, der gegen obige Bestimmung sich
um ein Ober- Vorgänger-Amt bei der Behörde bewürbe,
in eine sofort zu erlegende Strafe von 1000 Goldgulden
für den Kurfürsten verfallen sein sollte, „ohne in die
Jurisdiktion und das Interesse des Kurfürsten im Geringsten
einzugreifen.^ Dadurch wollte man zugleich Spaltungen
und Streitigkeiten in der Gemeinde vorbeugen. Aus dem-
selben Grunde verpflichtete sich die Gemeinde, mit der
durch die Geleits-Concession gesetzlich festgestellten und
durch anderweitige Rescripte näher geregelten Jurisdiction
des Oberrabbiners zu begnügen und keinen andern Rechts-
weg zu beschreiten. Auch auf das Privatleben bezügliche
Beschlüsse wurden gefasst, und die Uebertretung der-
selben mit Strafe belegt. Die Lustbarkeiten sollten sich
in bescheidenen Grenzen halten, bei Hochzeiten sollten
nicht mehr als 20 Personen geladen werden. Der Rab-
biner sollte verpflichtet sein, Uebertretungen dem Vor-
stände zu melden und zur Bestrafung zu bringen. Auf
die Erhaltung des Friedens und die Vermeidung von
Reibungen zwischen einzelnen Familien desselben Ortes
berechnet war die auf jedem Gemeindetage immer aufs
Neue in Erinnerung gebrachte Bestimmung, dass kein
Otsekiehte der jBdieehen Gemeinde Düseüdorfe* 1&5
Eniecht ohne Einwilligung seines Brodherrn bei einer
andern Familie desselben Ortes eine Stellung annehmen
dQrfB; es sei denn, dass er 6 Monate von dem Orte ab-
wesend gewesen wäre. Die durch die Obervorgänger
angeordnete Entfernung eines Knechtes in Kettwig, der
diese Bestimmung übertreten hatte, wurde auf die seitens
desselben bei der Behörde eingelegte Beschwerde unter
Hinweisung auf die seit erdenklichen Zeiten bei der
Judenschaft bestehende Einrichtung— ^pure^ gut geheissen.
Den religiösen Angelegenheiten, den Einrichtungen der
Synagoge und dem Gottesdienste wurde in solchen Ver-
sammlungen die grösste Sorgfalt gewidmet, denn — so
heisst es in dem Vorwort zu den betreffenden Beschlüssen —
„der Anfang aller Weisheit ist die Gottesfurcht," Vor-
bereitet und begutachtet und meistens auch beantragt
wurden diese Beschlüsse durch den
Vorstand.
Dieser wurde von der General-Versammlung aus der
Mitte von 15 Mannern gewählt, welche vom Vorstand vor-
geschlagen wurden. Er wurde zusammengesetzt aus einem
Ober- Vorgänger, dessen Stellvertreter, 3 Vorgängern und
3 Vorstehern oder Beisitzern, im Ganzen 8 Mitgliedern.
Der Vorstand bedurfte der Bestätigung durch den Landes-
herm, stand in erster Instanz unter Aufsicht des Rabbiners,
in zweiter Instanz unter derjenigen der vom Landesherm
ernannten Special - Commissarien resp. des Landesherm
selbst. Die Obliegenheiten und Vollmachten des Vor-
standes entsprachen etwa denjenigen des Bürgermeister-
Amtes. In seinen Händen ruhte die Bewilligung des
Niederlassungsrecbts, die Ausübung der Polizei, die Ver-
theilung und die Einziehung der Steuern, das Passwesen,
die Begutachtung sämmtlicher die Judenschaft betreffenden
Prägen, die Vertretung derselben den Behörden gegen-
über und die Ueberwachung der den Juden gewähr-
leisteten Rechte. Das Amt erforderte die grösste Wärme
und Begeisterung für die religiösen Angelegenheiten, eine
tiefernste Ueberzeugungstreue, Umsicht, Freimuth und
Entschiedenheit, denn das Amt eines Ober -Vorgängers
und mehr oder minder auch das eines der anderen Mit-
glieder des Vorstandes war ein sehr mühevolles, zeit-
raubendes und verantwortungsvolles ; trotzdem musste es
i^anz unentgeltlich ausgeübt werden ; nicht einmal Reise-
kosten und Diäten wurden den Vorgängern gewährt. Die
Behörde hatte darüber keine Vorschriften gemacht; aber
die Gemeindeversammlungen erklärten in Uebereinstim-
muHK mit dem Vorstande alle diese Aemter als Ehren-
156 Otu^iehfe ihr jfIdUehen Oemeindt D!ls$eMorf4,
ftmter, für welche nichts zu entrichten war. Damit nicht
zuviel Kosten den einzelnen Vorstehern erwüchsen, sollte
der Rabbiner in allen Fällen, in welchen nicht die An-
M*esenheit aller Vorsteher, sondern nur einzelner erforder*
lieh war, bei der Citirung derselben einen bestimmten
Turnus einhalten. Die von den Vorstehern ernannten
Rechnungsführer, Rendanten und Revisoren sollten, so
oft sie behufs Rechnungslegung in Düsseldorf erschienen,
eine Entschädigung erhalten und zwar den Betrag von
1/2 Thaler pro Tag.
Eine der wichtigsten Obliegenheiten des Vorstandes
resp. der Obervorgänger war die Ausstellung der Schutz-
oder Geleitspatente für die einzelnen Faniilien. Während
ursprünglich dieselben von dem jeweiligen Landesherrn
in jedem einzelnen Falle bewilligt werden mussten, wurde
später ein allgemeiner Verglaydungsbrief der gesammten
Judenschaft in den Herzogthümern Jülich -Berg bis zu
einer bestinunten Familienzahl gewährt und die Ver-
theilung den Obervorgängem überlassen. Die Zahl der
zugelassenen Familien wurde allmählich grösser. Im
Jahre 1689 betrug dieselbe 190. Im Jahre 1763 wurde
die Zahl auf 215 erhöht und bei der Erneuerung des
Oeleitbriefes 1779 in derselben Höhe belassen, „da die
gesammte Judenschaft unterthänigst zu erkennen giegeben.
wie dass dieselbe durch den in Vorigen bestandszeiten
Vorgewesenen sieben Jahre hindurch angehaltenen theuren
Krieg, und die denselben dabei fast unerträglich zuge-
fallenen lasten, auch sonsten ihr begegneten -Vielen
widrigen Schicksalen, in Verlierung der Vermögenden,
und anwachss der un Vermögenden, fort starke Schwächung
des Handels dermassen an lebensmkteln erschöptit, und
geschwächet worden, dass sie nicht einmal im stände
seyen, die Von Zeit zu Zeit landkündiger dingen auf-
genohmene schwere Kapitalien zu refundiren Vielweniger
die Von ihnen dermal gethane oblata in puncto der
Kronensteuer Sive trockenen wein- Kauf gelder so wohl
als der jährlichen Tributsschuldigkeit praestiren zu können,
es sey dan, dass ihnen weiterhin landesherrlich gnadigst
gestattet würde, ihre Judenfamilien bei der in jüngerer
gnädigsten Concession bestimbten Zal der zweihundei-t
ftinfzehn hausshaltungen belassen zu dürfen, und dann
Wir in ansehung all^olcher reflections würdiger umst&nde
diesem petito in gnaden deferiret haben.<^ Diejenigen
Familien, welche in Vermögens- Verfall gerathen oder durch
ihre Aufführung und durch ihren Lebenswandel Aerger-
niss erregt hatten oder sonst verdächtig waren, mussten
auf Requisition des Vorstandes sofort ^aus dem Lande fort-
Geschichte der JOdiechen Oemewde Düsseidorfs, 157
geschafft werden.^ Für diese und für die Ausgestorbenen
konnten die ObervorgOnger nach eingeholter obrigkeit-
licher Genehmigung an die von ihnen bezeichneten
Familien neue Patentbriefe ausstellen, die Steuern wurden
dann nach dem Vermögen der Einzelnen repartirt und
von »Steuerempfängem erhoben, welche zu ernennen aus-
schliesslich die Obervorgänger das Recht hatten, ein
Recht, welches sich aus der solidarischen Haftbarkeit
der Gesammt-Judenschaft fQr den ganzen Steuerbetrag
logischer Weise von selbst ergab. Demnach konnte auch
keiner an den durch die so enormen Abgaben erworbenen
Rechten des freien Verkehrs und des Handel- und Gewerbe-
treibens participiren, der die auf ihn entfallende Steuer-
quote zu zahlen sich weigerte ; derselbe wurde vielmehr
mit einer Strafe von 100 Dukaten und sofortiger Aus-
weisung belegt. Befreyt und zu der Zahl von 215 Familien
nicht mitgerechnet waren nur ^ohngefehr zehn Familien,
imd zwar die un Vermögenden ältesten, zween schubl-
diener, Vorsinger, schuhlKlöpfer, Schreiber und bothen.^
Selbst die Vorgänger und der Rabbiner mussten an der
Kronensteuer und am Tribut paiücipiren. Befreit waren
die letzteren und der älteste Vorsteher nur in dem Orte,
wo sie wohnten, von allen Einquartirungs- und sonstigen
dergleichen Lasten, ausschliesslich der Gewinnsteuer d. h.
solcher Abgaben, welche der Hof-Kammer zuflössen.
Den Vorgängern wurde die strengste Handhabung der
Steuerpflicht bei Vermeidung schwerer Geldstrafen ein-
geschärft. Auch das eigene Interesse der Judenschaft
erforderte eine solche und bedingte die genaueste Ge-
rechtigkeit bei der Vertheilung der Steuer. Controlirt
wurde dieselbe durch die gesammte Judenschaft auf den
allgemeinen Versammlungen, und nur sehr vereinzelt
sind die Fälle, in denen eine Reclamation erfolgte oder
bei der Obrigkeit versucht wurde. Fremde, gar nicht
oder anderweitig verglaydete Juden durften je nach den
zeitlichen Bestimmungen nur 24 Stunden oder höchstens
3 Tage beherbergt werden, und auch nur dann, wenn
sie mit genügenden Geldmitteln versehen waren. Bettler
mussten in einem abgesonderten als Asyl eingerichteten
Hause übernachten und bedurften auch hierfür eines vom
Obervorgänger ausgestellten Passirscheines. Die Ober-
vorgänger hatten auch darüber zu wachen, dass unter
keinem Verwände ein Versuch zur Steuerdefraudation
gemacht wurde. Ein Missbrauch des Geleitsbriefes durch
Verleihung oder Verschenkung an andere Personen wurde
mit Einziehung desselben, mit Geldstrafen und Ausweisung
bestraft. Dahin zielten auch verschiedene Beschlüsse,
158 Geschichte der jüdischen Gemeinde Düneidwrfe.
welche auf den allgemeinen Gemeindetagen gefasst wurden.
Es sollte Niemandem gestattet sein, vom Fremden sieh
Waaren ^aufsetzen^ zu lassen, oder ^ Packenträger ^ aus-
zusenden, welche die Waaren auf halben Gewinn ver-
treiben sollten. Hausirer sollten nicht in fremde Gebiets-
theile übertreten und fremde Hausirer nicht zugelassen
werden. Contraventionen wurden mit Geldstrafen von
4—6 Dukaten zur Hälfte fQr die Hofkammer, zur Hälfte
für die Judenschaft belegt. Auch durfte Niemand Fleisch
kaufen, welches von auswärts, namentlich aus „Kur-
kollnischem^ Gebiete eingeführt wurde. Ein neuer Patent-
brief sollte nur nach Zustimmung der Mehrzahl der Vor-
steher und nur an solche Familien verliehen werden,
deren Vater oder Mutter im Lande geboren war, welche
sich eines guten Leumundes ei'ft*euten, ein Vermögen von
mindestens 400 Rthlr. nachweisen konnten und auf die
Dauer von 3 Jahren von einem ansässigen vermögenden
Manne einen Bürgschein für die Steuer bei dem Empfänger
hinterlegten. Der Rabbiner sollte eine Trauung nur dann
vollziehen oder gestatten, wenn die beiderseitigen Braut-
eltern eine Bescheinigung des Steuerempfängers bei-
brächten, dass sämmtliche Steuern entrichtet und keine
Rückstände vorhanden seien ; that er es dennoch, so sollte
dem Rabbiner der Ausfall an Steuern am Gehalte gekürzt
werden. Auch der Waisenpflege und der Vormundschaft
wurde die grösste Sorgfalt und Wachsamkeit gewidmet.
Da es bisher, so lautet ein Beschluss der in Düren im
Jahre 1746 gefasst und 1749 und 1752 bestätigt wurde,
da es bisher, wenn ein Hausvater starb und minderjährige
Waisen hinterliess, mit dem Nachlass wunderlich her-
gegangen, so wird bestimmt, dass derartige Sterbefälle
sofort beim Ober- Vorgänger-Amt angezeigt, und dass der
Nachlass je nach den Umständen unter Zuziehung des
Rabbiners von einem Vorgänger und einem Vorsteher,
die von dem Obervorgänger in Düsseldorf zu wählen
sind, geprüft und festgestellt, das Inventar -Verzeichniss
bei dem Obervorgänger hinterlegt und der Antheil der
Minderjährigen bei den Gemeindesteuer-Empfängern zum
üblichen Zinsfuss verzinsbar angelegt werden sollen."^
Der Rechnungsführung wurde überhaupt grosse Sorgfalt
zugewendet, über die vorzunehmende Revision in den
Versammlungen Bericht erstattet. Die Kasse konnte nur
bei Anwesenheit von 3 Vorstehern geöffnet werden, da
jeder einen der drei dazu nothwendigen Schlüssel hatte.
Ausgaben, welche nicht etatsmässig waren, durften nur
bis zur Höhe von 50, später von 100 Thalern gemacht
werden, und nur wenn die Mehrzahl der Vorsteher he-
5S»»-
Geschichte der jüdischen Gemeinde JMisseldorfs. 159
tragt worden war und ihre Zustimmung gegeben hatte.
In dringenden Fällen hatte jeder Vorsteher das Recht,
eine Ausgabe von 10 Thalern nach eigenem Gutdünken
zu machen.
Schwieriger, unangenehmer und vor allem gefähr-
licher als die Verwaltungsgeschäfte w^r die Wahrnehmung
der gewährleisteten Rechte und die Vertretung der in
ihren Rechten gekränkten Juden, die Abwehr von un-
gerechtfertigten Eingriffen der Behörden, der Schutz
gegen Angriffe und Misshandlungen seitens anderer Ein-
wohner. Die Erfüllung dieser Obliegenheiten erforderte
grosse Geschäftskenntniss , Umsicht und Gewandtheit,
Besonnenheit und Würde, eine das gewöhnliche Mass
überschreitende Bildung und das nöthige Ansehen bei den
Behörden und unter der Bevölkerung, vor allem aber
ein strenges Gerechtigkeitsgefühl, ein gesundes Urtheil,
ein warmes, wohlwollendes und theilnehmendes Herz für
Wahrheit, Recht und Frieden und für die Noth und die
Bedrängniss Anderer.
„Wir wollen auch", so heisdt es in der Coneessions-
Urkunde, „auf dass in ZuKunft die vergeleitete Juden
riuf dem lande, in Dörferen und Städten Von gesindel und
Jugend ferner nicht molestieret und in ihrer Nahrung
gestöret werden, durch unsere Nachgesetzte Gulich und
bergische Regierung eine general Verordnung zu jeder-
manns Wissenschaft gnädigst ergehen und dahm publi-
ciren lassen, dass wenn sich dagegen Contravention er-
eignen würde, ihnen alsdann prompte Summarische Justitz
mit statuirung abschröckenden exempels angedeihen solle."
Dankbar muss anerkannt werden, dass die Landes-
herren stets die grösste Bereitwilligkeit an den Tag
gelegt, den den Juden zugesicherten Schutz mit allen
Mitteln ihnen angedeihen zu lassen, alle Angriffe auf
die Sicherheit der Juden energisch zurückzuweisen, wohl
auch je nach den Umständen mit strengen Strafen zu
belegen. Die Schnelligkeit, mit welcher etwaige Be-
schwerden der Vorgängerschaft behufs Abstellung von
Uebelständen und thatsächlicher Gewalt von den Behörden
erledigt wurden, darf hierbei nicht unerwähnt bleiben,
um so mehr als die Fälle, welche zu einem Einschreiten
des Landesherrn zu Gunsten der Juden Veranlassung
gaben, gar nicht zu den seltenen gehörten. Es war nicht
nur jugendlicher üebermuth oder pöbelhafte Gewalt-
thatig'keit, welche den Juden bittere Stunden bereitete,
sie mit ernstlichen Gefahren bedrohte, in ihren heiligsten
Gefühlen kränkte und die Ruhestätten ihrer Verstorbenen
entweihte. Nicht selten waren es auch Behörden, welche
WiO Geschickte der jüdiechen Chmeinde DHBteidoffs.
den Juden ihre garantirten Rechte verkümmerten;
Schultheissen, Amtleute, ja selbst eine Gerichtsbehörde
mussten erst durch Androhung oder Belegung mit Strafen
von dem Landesherrn daran erinnert werden, dass sie
zum Schutze der bestehenden besetze eingesetzt seien,
eine Verletzung derselben nicht dulden, geschweige denn
selbst vornehmen dürften, und es wärci vielleicht kein
uninteressanter Beitrag zur Rechtsgeschichte jener Zeit,
wollte man die Fälle eingehend behandeln, in denen
einzelne Aemter trotz dem klarsten Wortlaut des Gesetzes
und trotz wiederholter Verhftngung von Geldstrafen seitens
des Landesherren, es verstanden, die Ausführung der
bündigsten Regierungs > Befehle Jahre lang hinzuhalten.
Die nächste Stelle, bei welchen derartige Beschwerden
angebracht werden mussten, war für die Judenschaft ihr
Vorgangeramt. Die Erledigung aller dieser Beschwerden
zum Schutze ihrer Glaubensgenossen verursachte den
Vorgängern eine ungeheure Arbeitslast und es gehörte
ebenso viel Wohlwollen und Liebe als Unerschrockenheit
und Energie dazu, die Ortsbesörden für derartige Un-
gebührlichkeiten höheren Ortes zu belangen, da sie sich
der Gefahr aussetzten, ihrerseits von denselben mit ihrem
Unwillen verfolgt zu werden. Neben Ausschreitungen
des Pöbels besonders bei Beerdigung von jüdischen Leichen
waren es auch Beeinträchtigungen ihrer gewerblichen
Rechte, Verletzungen ihres Eigenthumsrechtes an Fried-
höfen, Eingriffe in die dem Rabbiner zustehende Juris-
diction in Civilsachen, auch woht grausame Behandlung
bei Untersuchungen und Inhaftirungen, welche den Vor-
gängern Veranlassung gaben, gegen die Uebertreter des
Gesetzes einzuschreiten. Man wollte es ja dem Juden
nicht eingestehen, dass er für seine Ueberzeugungen
litte, dass dieser Bereitwilligkeit, für seinen Glauben
Entsagung, Entbehrung, Kummer und Elend, Schmach
und Entehrung hinzunehmen, eine ideale Gesinnung zu
Grunde lag. Man erblickte in ihm nicht den idealen
Dulder, sondern , den verblendeten Träger falscher Ueber-
zeugungen; weil man diese nicht gelten liess, leugnete
man auclf den idealen Grundzug seines Charakters. Und
doch ist es nur durch diesen zu erklären, dass es über-
haupt möglich war, Männer zu finden, welche sich den
schweren Pflichten eines Vorgängers unterzogen und die
Arbeitslast nicht scheuten, die nicht nur durch Erledigung:
der laufenden Verwaltungsgeschäfte und durch die Grosse
der mit einem solchen Posten verbundenen Verantwort-
lichkeit, sondern auch durch die fast täglich einlaufenden
Beschwerden, durch die Untersuchung und Feststellunp:
des Sachverhalts, durch häufige Reisen und durch die
Menge und Ausdehnung der schriftlichen Arbeiten ver-
ursacht wurde und nicht selten eine sehr undankbare
war. Uebrigens walteten die Vorgänger ihres Amtes
nicht nur dann, wenn Excesse bereits verübt waren,
sondern bewiesen stets die grösste Umsicht, indem sie
durch rechtzeitige Vorstellungen bei der Behörde über
gefahrdrohende Erscheinungen zur Verhinderung von
Ausschreitungen beitrugen. Dahin gehört eine Eingabe
vom 13. Juli 1727.
„Durchlauchtigster Churfürst, Gnädigster Herr! In-
dem Vernahmen, dass dahier und in dero landen herUmb
ein liedt abgetruckt, gesungen, Undt VerEauffet werden
solle, alsswenn Von einigen Juden in Schwobach ahm
Charfreitag 1727 mit einem Hundt passion Vorgestellet
seyn sollte, dieses aber wie sub N. 1. beygehendes ge-
trucktes Exemplar mit mehreren enthaltet, sich falsch
befunden, Undt dahero allerdings Zu präsumieren ist, dass
selbiges dennen Verglaydeten Juden Zum Tort auss-
gedichtet seyn müsse, derweilen aussen Landt selbiges
hin- undt wieder Unns nicht allein Vorgehalten sondern
auch dergestalten Vorgeworfen wirt, dass man schier
nicht sicher hin- und herreissen dürfte, Undt derentwegen
billig ist, dass dieses erdichtetes liedt eingeZogen. Undt
nachdrücklich gnädigst befohlen werde, dass selbiges
nicht gesungen noch femers VerAüssert weniger Unns
desfallss etwas Vorgeworfen werden solle. HierUmb So
gelangt Zu Ew. Churfürstl. Durchlaucht Unsere Unter-
thAnigste Bitt, dieselbe hiesigem buchdruckeren, dass Er
die annoch habende lieder anhero einschicken Undt
femers Keine Verkaufen solle per decretum ggst. auf-
geben, so dan durchs landt generalia dahin ggst. ablassen
wollen, dass Keiner solches liedt hinführe absingen
VerkaudBTen oder Vorzeigen undt widrigens derselbe wiU-
kflhrlich bestraffet werden solle. Hierüber Ew. Churfürstl.
Durchl. Unterthänigste Ober -Vorgänger Undt Vorsteher
j^ambtlich in gülich Undt bergischen landen Verglaydeter
JudenschafL^
Darauf erging aus Onolzbach 12. Februar 1728
folgender Erlast : „Demnach in Erfahrung bringen müssen,
was massen einige auf denen Messen und Jahr-Märckten
mit allerhuid Liedern herumziehende Lieder-Sänger sich
unterstandten, sowohl in fremden als Brandenburgischen
Orten ein hOchstärgerlich- und Gotteslästerlich erdichtetes
Liedy dess Innhalts: Als ob einige Juden in Schwobach
am Cbar- Freytag verwichenen Jahres mit einem Hund
die Passion vorgestellet: öffentlich abgesungen und ver-
u
1H2 Oeschfchte der jüdischen Gemeinde DUsaMotf«,
kauftet und man nun von hiesig- Hoch- FOrstL Gnädig-
ster Herrschafftswegen auf den desshalben entstandenen
Ruft' sogleich eine genaue Inquisition angestellet dabey
aber sich obiges keineswegs ergeben wie dann auch die
in dem Lied bemeldte Juden in dchwobach sich gar nicht
befinden; Als ergehet an alle Ober- und Beamte auch
Burgermeister und Räthe in Städten , Märckten und
Flecken hiemit der Befehl mittelst öffentlicher Ablesung
dieser Verordnung allen und jeden Unterthanen und
Einwohnern bei willkührlicher Straff anzubefehlen, dass
sie sothanes Lded; wann sie ein oder anderes Exemplar
annoch in Händen hätten und noch bekommen wQrden,
weder public machen noch davon reden, noch solches
absingen sondern vielmehr sofort zu denen Ober- und
Ämtern ohnverlangt bringen, und diejenige so «othanes
Lied absingen propaliren und verkauffen werden, an-
zeigen sollen, welche sodann zu examiniren auch der
Erfolg davon anzuzeigen ist, damit diese zu der wohl-
verdienten Straff gezogen werden können : Nebst deme
sollen auch alle und jede Unterthanen und Einwohner
dieses Fürstenthums derentwegen denen Juden nicht den
geringsten Vorwurff thun noch an selbige Gewalt und
Hand anlegen, widrigenfalls aber nachdrücklicher Straffe
gewärtig seyn. Wornach sich jeder zu achten wissen
wird. Signatum unter hie- vorgedruckt- Hoch- FQrstl. Hof-
Raths-Canzley-Insiegel. ^
Die Bedeutung und Gefahr solcher Umtriebe wurde
von der Behörde voll und ganz anerkannt. Das geht
aus der an obigen Erlass anknüpfenden Bitte an die
Behörden anderer Länder hervor. „Alss wird der Wahr-
heit zu Steuer auch gegen ausswärtige Orte ein solches
nicht nur kräftigst attestu'et sondern auch eine jede
Obrigkeit, welche hierunter imploriret wird, gegen die
hierwieder handelnde den nöthig obrigkeitl. Ernst zu
Abstellung dieser auch den Christen höchst schädlichen
Ärgemuss vorkehren zu lassen, welches von hiesigen
Orts wegen bey sich ergebenden Occasionen gebührend
solle reciprociret werden. Dessen zur Urkund Vom
hiesigen Stattrichter, AmtsBurgermeister und Raths Mre^n
ein solches unterschrieben und dero auch gemeiner Stadt
kleiner Insiegel anvorgedrucket werden. Schwobach
8 July Anno 1729. Sr. Hochfürstl. Durchl. zu Branden-
burg Onoldsbach, der Zeit Verordneter Stattrichter.**
Eine gleiche Auffassung von solchen gegen die Juden
geschleuderten Anklagen und von deren Gemein^efähr-
lichkeit bekundete später die jüdische Oemeinde zu
Düsseldorf in einem von ihr am ß. Febr. 1838 au das
an*
Oßschiehte der jüdischen Oetneinde Düsseldorfs, 163
Kgl. Oberpräsidium zu Coblenz gerichteten Schreiben,
welches auch wegen seines sonstigen Inhalts und nament-
lich der Erwähnung der vermuthlichen Folgen der Ent-
fernung des Erzbischofes Freiherrn von Droste allge-
meineres Interesse in Anspruch nimmt. Dieses Schreiben
lautet !
pAn ein hohes Königliches Oberprftsidium
zu Coblenz.
Mittheilung der israelitischen Gemeinde
zu Düsseldorf, das allgemeine Staats-
interesse betreffend.
Unterzeichnete erachten es als eine ihrer Bürger-
pflichten, ein hohes Königliches Oberpräsidium auf ein
Ereigniss aufmerksam zu machen, welches nicht nur in
ihr eigenes, sondern auch in das Staatsinteresse einzu-
greifen und die allgemeine Ruhe und Wohlfahrt zu
gefährden scheint.
Die am 27. Decbr. 1836 an dem vierjährigen Knaben
Friedrich Pütz von hier verübte, und in hiesiger Zeitung
schon unterm 1. Januar a. p. von hiesiger Königlichen
Regierung zur öffentlichen Kenntniss gebrachte Mordthat,
wird gegenwärtig in den meisten öffentlichen Blättern
aller Nachbarstaaten der Art verunstaltet, dass man eine
allgemeine Aufregung der Oemüther, deren gefährliche
Folgen nicht voraus zu sehen sind, mit Recht befürchten
muss.
In der Hannoverschen Zeitung Nr. 16, Augsburger
Abendzeitung Nr. 24, Hamburger Zeitung etc. etc. wird
berichtet, dass man gegenwärtig hier zu Düsseldorf einen
Jaden eingebracht habe, welcher aus Aberglauben, dass
ChrlBten-Marterblut der Juden Glück und Seelenheil be-
ordere, dies schändliche Verbrechen verübt haben soll.
Von unsern dortigen Glaubensgenossen ward daher hiesiges
Rabbinat von allen Seiten mit Bitten überhäuft, den
Referenten dieses verbrecherischen Attentates so viel
und so schnell als möglich Lügen zu strafen. Zweifeln
wir auch nicht, dass dies das beste Mittel zur Besänfti-
gung^ der Gemüther sein wird, so können wir uns dennoch
nicht verhehlen, dass dieses Gerücht einen ganz andern
Charakter als den augenfälligen an sich trägt.
Sollten nur blos wir Juden die Zielscheibe dieses
ruchloeen Aufwiegeiers sein; warum verschwieg derselbe
diese Missethat zur Zeit als sie verübt, und hier allge-
meines Stadtgespräch gewesen, und verbreitet sie erst
jetzt, Tvo sie beim hiesigen Publikum schon beinahe ver-
gessen ist?
11*
1H4 Geadiiekte der jMiteheti Gemeinde DOeeMorfe.
Bei näherer Erwägung aber^ gewahren wir durch die
Aussage aller öffentlichen Blätter , dass dieses Qerttcht
einzig und allein von Coln ausgegangen, von einer Stadt,
in welcher seit einiger Zeit, seit der Entferiiung des
Erzbischofes Freiherm von Droste, nach der Meinung
Einzelner, eine Gährung der Gemttther herrschen soll,
und wo man einem baldigen Conflicte vielleicht nicht
ungern entgegen sehen möchte. Sollte man auch wohl,
zur Anfachung einer solchen Flamme, der Juden sich
als ZQndfluiken bedienen wollen? —
Wir erdreisten uns nicht. Einem hohen Oberpräsidium
gegenüber, unsere Memung in Staatsangelegenheiten
äussern zu wollen ; dennoch aber — ungeachtet wir uns
Qberzeugt halten, dass Hochdasselbe unsem httlfsbedürf-
tigen Glaubensgenossen, auch ohne erst dazu aufgefordert
zu werden, den erforderlichen Schutz angedeihen lassen
wird — glauben wir nicht verabsäumen zu dQrfen, Hoch-
dasselbe darauf auftnerksam zu machen, dass durch
Ermittelung jenes boshaften Referenten man vielleicht
manchem heillosen Getriebe leicht auf die Spur kommen
könnte. Indem wir uns dieser Pflicht entledigen, empfehlen
wir uns dem Schutze Hochdesselben tmd verharren
Eines hohen Königlichen Oberpräsidiums
ganz ergebene
Düsseldorf, den 6. Febr. 1838.«
Kurz vorher hatte die Hannoversche Zeitung eine
aus Cöln datirte Mittheilung gebracht, dass die israelitische
Gemeinde in Düsseldorf 100 Thlr. gesteuert habe, „um den
.Juden zu fangen, der das Christenkind ermordet habe, um
Marterblut zu haben.« Thatsächlich aber war nicht von der
Gemeinde, sondern von einzelnen Israeliten in Düsseldorf
als Prämie zur Ermittelung des Mörders (nicht des Juden)^
der den Knaben Pütz ermordet hatte, eine Summe von
100 Thlrn. ausgesetzt worden. Eine ähnliche Prämie w^ar
auch von mehreren christlichen Gesellschaften mittelst
Subscription aufgebracht worden. Es ist eine erfreuliche
Wahrnehmung, zu sehen, dass die Aufklärung dieses
Falles, wie es auch durch den Oberprokurator geschehen
ist, nicht als eine ausschliesslich die Juden angehende
Angelegenheit, sondern als eine der gesammten Gesell-
schaft zufidlende und im staatlichen Interesse liegende
Ehrenpflicht angesehen wurde. Aehnlich verhielt es sich
mit den Gerüchten von der im Kreise Grevenbroich im
Jahre 1834 und ui Jülich im Jahre 1840 stattgehabten
Ermordung eines christlichen Mannes resp. Kindes durch
Juden. In beiden Fällen veröiTentlichte nicht nur die
Oberprokuratur eine authentische Darstellung der ledige-
►•■i"
GtMdiiehU der jüdischen Gemeinde Dflseeldotfe, 165
•
lieh auf Erfindung beruhenden , jedes Thatbestandes ent-
behrenden Anklagen y sondern wetteiferten auch die
Zeitungen und die Geistlichkeit beider Confessionen in
dem Nachweise der völligen Grundlosigkeit dieses Mähr-
chens und in der Veröffentlichung von Aussprüchen, in
denen auch Päpste wie Innocentius IV. und Gregor X.
auf das Schändliche und Grundlose solcher Behauptungen
nachdrücklich hinweisen und die Bischöfe Deutschlands
zur Bekämpfung solchen Aberglaubens alles Ernstes auf-
rufen. Dr. Binterim, Pfarrer in Bilk und Pastor Wildenfeld
in Gräfrath publiciren Schriften in demselben Sinne (18:U).
Ueberhaupt war die Behörde bemüht, das Einvernehmen
zwischen den Bekennern der verschiedenen Religionen
herzustellen und zu erhalten; und erbat hierzu auch die
Hilfe der Geistlichkeit. ,,An den landdechant der Christi-
nität Ahr d. d. Dusseldorf 23. Juny 1780. Unsern ggsten
gruss zu Vor, würdig lieber andächtiger, auf bey Verwahrte
Von Vorgänger und Vorsteher unserer Jülich und bergischen
Judenschaft übergebne unterthgste anzeig wegen des
auf ihren Sabbath und feyertägen dortigen Juden unter-
sagten beystand Von Katholischen befehlen auch ggst den
pastoren zu Sinzig über die angäbe Zu Vernehmen, den-
selben an die erzbischöfliche Verordnung Vom Jahr 1 7nO
mit welcher dergleychen beyhülfe denen Juden zu leisten
erlaubt ist, zu erinnern, mithin denselben anzuweisen den
Verbott zu wiederrufen auch selbst demgemäss sich zu
betragen und wie geschehen zu berichten.'' Am 8. Juni
1784 folgte noch ein Erlass an „Vögten Amts Sintzig'',
„Lieber getreuer ! auf Eopeilich anliegende anzeig der
Vorgänger und Vorsteher unserer gemeinen Judenschaft
befehlen euch ggst denen Kristen zu Synzig die Beihülfe auf
den Sabath der Juden zu erlauben und hiemach dortigen
Pastoren zu verbescheiden.'' Grosse Energie sehen wir die
Regierung in solchen Fällen entwickeln, wo die Juden, sei es
von Einzelnen sei es von Pöbelhaufen, misshandelt oder selbst
von den Lokalbehörden in ihren Eigenthums- oder sonstigen
Rechten gekränkt werden. In Gangelt scheint es wieder-
holt zu blutigen Excessen gekommen zu sein, wie am
18. Juni 1 780 und im Jahre 1 782, wo im Februar selbst Militair
requirirty und den Bürgern bis Ende May in Quartier
gelegt wurde. Die Untersuchung wurde mit aller Strenge
fortgeführt, die Rädelsführer arretiert und die Akten nach-
drücklich eingefordert. Von den vielen in dieser Angelegen-
heit ergangenen Erlassen mag wenigstens einer d. d. 9. Febr.
1782 hier seine Stelle finden: „Lieber getreuer, dahe die
samtl. Acten in behuef deren gangelter Junggesellen
Compg. an der diesiger Judenschafft Verübten misshand-
166 Geschichte der Jüdischen Oemeinde DüssMorfs.
langen Von dahiesigen unseren gebeimenrath zu hiesigem
unserem hofFrath abgegeben worden, so un Verhalten wir
Euch hiermit gnädigst dass an der bisherigen Verfügung
allerdings wohl geschehen, befehlen euch zugleich andurch,
gestalten mit fernerer Untersuchung deren bereits näher
Vorgegangenen und Von dem Vorgänger der sämmtlichen
Judenschaft schriftlicher angezeigter thätlichKeit forthzu-
fahren, dabey auch mit besonderem Fletss die Thäter zu
beauskttndigen, des endes Vorgängig alle dergleichen Miss-
handlungen bey 100 Thaler und nach befinden bey Zucht-
hauss, schantzen, auch schwehrerer straf mittels einem
ohn Verzug in £[irchen zu VerEündenden auch an gewöhn-
lichen orten anzuhaftenden Decrets nochmahlen mit dem
Zusatz zu untersagen, dass in zukunfft bey Jedesmahliger
auch der geringsten beunRuhigung eines Juden, man als
den der oder die täteren unentdeckt bleiben würden, die
Junggesellen Compagnie mit exemplarischer Bestrafung
nach beschaffenheit des Verbrechens angesehen und
dafür soforth exequiret, imfall der entdeckung aber> der
oder die Thäteren ohne rücksicht der persohn Corporaliter
arrestiret und soforth nacher gülich zur gefängnus in
beystand hinlänglicher schützen auch nöthigenfalls mittels
eines Von daher zu befördernden Militair-Commando ge-
fänglich überführt werden solle, mithin dieses auch erför-
derlichen falls mittels gehöriger Requisition des dortigen
gouvernements, was endts wir gemäss der abschriftlichen
anlange an dahiesige Generalität das behörige bereits
ergehen lassen, zu bewerkstelligen, mithin ab dem ferneren
erfolg mit einsendung ptlli zu seiner Zeit anhero ghrst
zu berichten/' Ausschreitungen, welche sich besonders
Kinder im Jahre 1781 in Jülich sich hatten zu schulden
kommen lassen, veranlassten in diesem Jahre den Befehl
^sodan in dortiger Stadt durch öffentlichen trommenschlag
Verkünden lassen soUet, dass führohin die Eltern deren-
jenigen Kinder, welche dasige Juden bey begräbnussen,
oder sonst beunruhigen dafür angesehen, und andere
erwachsene ausgelassene buben exemplarisch werden
bestraft werden, über den erfolg gewärtigen Wir inner
3 Wochen eueren untgsten bericht. An Stadt schulteis
zu gülich. Aus Ihre Kurftlrstl. Durchl. sonderbahr ggsten
befehl.«
Aber nicht nur gegen Privatpersonen, sondern auch
gegen Behörden, welche den Rechtsstandpunkt verliessen,
wurde mit aller Strenge vorgegangen. Der Magistrat zu
Euskirchen hatte den dortigen Juden den ihnen eignen-
thümlich gehörenden Friedhof einfach entzogen und deu-
selben anderweitig verpachtet und femer nicht gestattet.
Gesehichte <ler jildhehen Gemehule DilMeldoifs, 167
ihre Leichen auf demselben zu begraben. D. d. 14. Aug.
1781 erging an Bürgermeister und Rath der Hauptstadt
Euskirchen sowohl als auch an Kelnerei daselbst von der
Hofkammer der Befehl: ^Lieber getreuer auf Von Vor-
stehern der gemeinen G. und B. verglaydeter Judenschaft
uns Qbergebene nebengehende Copeiliche unthgste be-
schwehrführung befehlen wir euch hiermit ggst^ dass ihr
die dasigen Juden bey dem befragten Kirchhof quo vis
modo handhaben sollet.^ Aber dieser Befehl hatte nicht
die gewünschten Folgen, nach wie vor wurden die Juden
in Ausübung ihres Rechtes gehindert und bei den sich
bis zum 6. homung 1782 hinziehenden Verhandlungen
geftend gemacht, dass die Gräber nicht tief genug an-
gelegt wurden. Dies wurde als Grund für die Einziehung
des Friedhofes angegeben. Aber diese Willkür wurde in
gebührender Weise beseitigt. „. . . . Liebe, getreue ....
indem nun Euch Keineswegs zugestanden die Juden ihres
Besitzes zu entsetzen, als wird euch dieses eigenmäch-
tige Vorgehen nicht nur verwissen, sondern auch ggst
befohlen, die Verpfachtung des Kirchhoffs angesicht dieses
aufzuheben, den Kirchhoff in Vorigen standt zu stellen,
die Juden am Begräbnüss ihrer leichen auf den bisherigen
platz ferner nicht zu behindern, wegen Tieferer Ein-
senkung deren leichen nach ermessen dortigen medici
das nOthige zu Verordnen und sorge zu Tragen, dass
die Juden bei ihren leichen Vom pöbel ferner nicht beein-
trächtigt werden, wobei wir euch zugleich in die diesert-
wegen aufgegangene Kosten fällig erteilen.'' In Gürze-
nich wurde den Juden von dem Inhaber der Unterherr-
schaft Tit-Grafen von Schellardt nicht gestattet, Grab-
steine zu setzen; in Waldeniel, wo den Juden von der
Regierung ein beliebig grosser Waldcomplex als Begräb-
nissstätte eigenthümlich angewiesen war, nur mit dem
Vorbehalt, dass der Holzbestand Eigenthum der Domäne
bleiben sollte, wurde von dem Amtsvogt der Versuch
gemacht, dieses Besitzrecht dadurch illusorisch zu machen,
dass die Bäume nicht nur abgeschnitten, sondern, dass
auch die Wurzeln ohne Rücksicht auf die Gräber aus-
gerodet und letztere auf diese Weise zerstört wurden.
Die Eingabe der Vorginger führte zu Verhandlungen,
die sich viele Jahre lang hinzogen. Die Vorgänger traten
energisch und beharrlich für die Rechte ihrer Glaubens-
genossen ein und fanden bereitwillige und kräftige Unter-
stQtzung bei den Behörden. Es liessen sich Bände füllen
von den Eingaben und Beschwerden, welche die Vor-
gAnger an die Behörden richten mussten, mit den Be-
richten, die einzuliefern waren und mit den Excessen der
168 Oewhiehfe der jMiaehen Gemeinde Dfleeeidatfe*
Behörden, durch die sie veruraacht wareu. Wir mOssen uns
jedoch auf die angefahrten einzelnen Fälle beschrftnken.
Nur aus dem Gebiete der Criminalrechtspflege sei hier
noch Einiges erwähnt, weil es für die Beurtheilung der
Competenz der Gerichte resp. Amts-Vögte wichtig ist
„An amtMan ambt Bergheim 12. Mertz 1782/^ unsem
ggsten gruss zuVor, wohlgebohrener, lieber getreuer, auf
bey Verwahrte Vom schutzJuden Gabriel Joseph Von
Elstorit wider Sallomon Pesmann Von Kerpen ttbergebene
imploration befehlen euch ggst den Supplicanten ange-
sicht dieses lossZulassen und auch zu Verantworten, dass
denselben ohne ggsten Befehl in arrest geZogen habt"
Interessant ist auch folgender Erlass d. d. 11. April 1782
,,an Einhaberen der unter Herrschaft Tetz getreuer,
M^essen sich bey hiesigem unsern Hof^ath der Vorgänger
der gulichen Judenschaft Med. Dr. Hoyser Levi, wider
euch zur Sachen flsci wider Juden Abraham untbgst be-
schweret, geben wir Euch aus der abschriftlichen Anlage
des mehreren mit dem ggsten Befehl zu entnehmen, dass
ihr über die wahre beschaff^nheit des gefängnOs inner
dreyen tagen nach empfangung dieses umständlich anhero
untbgst berichten und bey angegebener Bewandtnus, den
beschuldigten Juden Abraham Von solch gesätzwiedrig
eingerichteten gefängnüs soforth abführen, und in ein
anderes dem menschlichen Körper Unschädliches behalt-
nüs hinbringen lassen, woh wiedrigens bei dessen ent-
stehung auf Ewere Kosten einem nächst anschliessendem
Uuterherrschaftlichen beambten die einnahm des Augen-
scheins ab diesem gefängnOs so wohl als Zur VorKehr
der gemessenen abhttlfsmittellen ggst aufgetragen werden
soll." Besonderes Interesse verdient noch ein Erlass aus
kurfttrstl. sonderbahrem ggsten befehl an den Stattschult-
heissen von Gulich insofern, als er die gerade jetzt viel-
fach behandelte Entschädigungspflicht der Behörde für
unschuldig verhaftete Personen anerkennt. Derselbe be-
stimmt nämlich, zwei des Diebstahls bezichtigte Juden
aus der Haft zu entlassen, ihnen ihren Pass und ihr Geld
wiederzugeben und ausserdem 2 Kronenthaler „zu Reise-
geld^' und einiger Genugthuung.^'
Auch zu diplomatischen Verhandlungen zwichen der
jQlich-bergischen und der Kgl. preussischen Regierung
gab eine Eingabe der Vorgängerschaft bezüglich des
Grenzverkehrs der jOlieh-bergischen Judenschaft Ver-
anlassung. Durch Verfügung vom 12. xber 1780 hatte
nämlich die KgL preussiscbe Regierung bestinunt, dass
Juden die Kgl. Staaten nur unter der B^ingung betreten
und bereisen durften, dass sie von ihrer betreffenden
Otst^iekte ier jüdischen Gemeinde DHaeMotf», l<i9
Landesregierung mit Handels-Concession versehen oder
einen Besitz von 50 Thlrn. baar aufweisen könnten und
gegen die entsprechende Gebühr einen Passirschein lösten.
Hierdurch wurden die in den Grenzorten SQchteln,
DQlken etc. wohnenden Schut^uden in ihren Handels-
geschäften, welche sie seit vielen Jahren in den Herzog-
thttmern betrieben hatten, wesentlich beschränkt, da sie
ihre geringen Mittel im Geschäfte mussten cursiren lassen
und nicht immer einen Baar-Vorrath von 50 Thlrn. aufzu-
weisen hatten. Dazu kam noch, dass ihren Knechten,
die sie zur Abholung resp. Einbringung ihrer Waaren über
die Grenze schicken mussten, häufig eine solche Summe
nicht anvertraut werden konnte. Auch fiel ihnen bei
dem geringen Gewinn ihrer Handelsgeschäfte die Er-
legung der Gebühr fOr einen Passirschein sehr schwer.
Da nun die Kgl. preussischen Unterthanen ohne Unter-
schied in den Herzogthümern vollkommenste Handels-
freiheit genossen, so verlangte die bergiscbe Regierung
für ihre Unterthanen das gleiche Recht. Es empfehle
sich allerdings, fremde, landesschädliche Betteljuden von
der Grenze abzuweisen; aber dies treffe die mit „ordent-
liche glaidspatenteu^ versehenen jülich-bergischen Juden
nichts „da nur die im lande gebohrenen oder in hiesigen
familien Verheiratheten Juden, und zwahren jene, welche
einiges Vermögen besitzen, patentisieret werden. Von
welchen dero seitigen landen nicht die mindeste gefahr
noch ungemach zu beförchten haben, Vielmehr der
nahrungsstand beiderseitiger unterthanen befördert wird.
Wir ersuchen solchem nach unsern freuüdnachbarlich
entweder diesseitig vergleideten Schutz Juden die Vor-
herige handelungs freyheit in dasigem Herzogthum zu
gestatten, oder eine günstige erklärung oben erwähnter
Verordnung allerhöchstenorts zu gesinnen und über den
erfolg uns beliebend zu benachrichtigen.^ Hierauf erging
die Kgl. allerhöchste Resolution, dass die jülich-bergischen
Schutzjuden nach wie vor in den preussischen Provinzen
ein- und durchpassiren könnten, dass aber diejenigen,
welche dort Handel treiben wollten, nach preussischem
Verfahren von den preussischen Behörden die erforder-
liche Concession nachsuchen und bezahlen mussten. Zu-
folge dieses Bescheides befahl die „kurfällzische Regie-
nmg<*, „nachdem unsern schütz Juden, sonderlich jenen
in dasigem Amt (Bruggen) wohnenden, die betreibung
ihres handeis im Herzogthum Geldern Kgl. Preussischen
anteils ungeachtet aller Vorstellung erschwehret wird, so
befehlen auch ggst die Juden aus denen Preussisch-Geldri-
sehen auf Vorzeigung ihrer schütz Patenten zwar pas-
170 GeBchichte der jUdiselien Gemeinde DüeeeHdarfe*
siren zu lassen , den Handel aber in hiesigen Landen zu
Verbieten, bis sie von hier aus erlaubnissscheine ausge-
bracht haben."
Mit derselben Energie und Bereitwilligkeit schützte
und unterstützte die Regierung in Ausübung seiner Rechte
und Pflichten den
Rabbiner.
Dieser war nicht nur das synagogale Oberhaupt,
sondern auch der erstinstanzliche Richter in allen zwischen
Juden schwebenden Angelegenheiten, insofern sie nicht
criminalrechtlicher Natur waren. Auch über Beschwerden
gegen die Ober -Vorgänger resp. den Vorstand hatte er
zu erkennen: Das Amt eines Rabbiners war bei der Viel-
seitigkeit seiner Pflichten ein sehr anstrengendes, erfor-
derte reiches Wissen und vor Allem ein unbedingtes Ver-
trauen seitens der ihm unterstellten Gemeinden. Dass
dieses durch die richterliche Wirksamkeit bezüglich seiner
geistlichen Lehrthätigkeit nicht erschüttert wurde, dass
vielmehr die doppelseitige Eigenschaft des Rabbiners nui*
dazu beitrug, die Ehrfurcht und die Liebe der Gemeinden
zu steigern, ehrt beide in gleicher Weise und ist ein
Zeugniss nicht nur für die weise Mässigung, die Umsicht,
Gelehrsamkeit und Gerechtigkeit des Rabbiners, sondern
auch für den friedlichen und rechtlichen Sinn der Oe-
meindemitglieder, welche es dem Rabbiner nicht entgelten
liessen, wenn sie in einem Rechtsstreite unterlegen waren,
da sie vor seinem Richterstuhl nicht erschienen, um den
Process zu gewinnen, sondern in gleichem Grade von dem
Wunsche beseelt waren, je nach der gefällten Ent-
scheidung, sich eines unrechtmässigen Besitzes zu ent-
äussern oder den Beschädigten zu entschädigen. Eline
Appellation gegen Anordnungen des Vorstandes sowohl
wie gegen das Urtheil des Rabbiners war sehr selten.
Dieselbe war durch Churfürstl. Befehl vom 21. Januar
1783 genau geregelt.
Serenissimus Elector.
Nachdem Se. Churfürstl. Gn. mit ggstem Rescript
vom 31. Aug. nächsthin ggst. verordnet haben, dass da
die Juden in allen unter sich vornehmenden Handlangen
lediglich nach ihren Mosaischen Gesetzen und Gewohn-
heiten sich zu betragen schuldig, folglich denen in der
Kristenheit üblichen Bräuchen, oder allgemeinen bürger-
lichen Rechten um so weniger unterworfen als ihre Privat
Satzungen und Gebräuchen den kristlichen Richtern un-
bekannt, mithin lediglich von denen zu ihren Obern
erwählten Rabiner, auf welche sie ihrer Religion gemtes
das einzige Zutrauen haben, zu entscheiden sind, und
GeBchiehte der jMimihen Otmemd§ DüMMorfa. 171
denn Hochstbes. 8r. Churfürstl. Gn. ggst nicht gemeint
sind^ von diesem Herkommen abzugehen ^ und in der-
gleichen Fällen die Berufung an die christlichen Gerichts-
stellen zu ziehen, gleichwohlen aber auch, um den besorg-
lichen Misbrauch, dass wann Jeder streitende Parthie,
nach erfolgtem ungünstigem Urtheil an einen andern
R ab in er unbeschränkt gestaltet bleiben sollte, dergleichen
Prozessen in der Unendliche gezogen werden könnten,
ggst wollen, dass auf dem Falle, wo gegen den Ausspruch
des LandRabiners von dem unterliegenden Theil, an
einen andern unparthey sehen provocirt, von diesem
aber das erste Erkenntnis reformirt wird, kein weiterer
Absprung gestattet, sondern von beiden streiten-
den Theilen auf einen dritten unpartheyschen
Rabiner compromittirt, so hin dessen fällende
Entscheidung ohne mindeste weitere Beruffung voll-
strecket werden solle, als wird denen Vorsteher und Vor-
gänger der G. und Bergische Judenschaft zu ihrer und
des LandRabiners Verbescheidung ein und anderes ggst
unverhalten. Düsseldorf den 21 Jenner 1783.
Aus Ihre ChurfOrstl. ggst Befehl
C. G. von Nesselrode.
An Vorgänger und Vorst. der G. u. B. Judenschaft.
Allerdings waren die Gesichtspunkte, von denen man
bei Regelung der Rechtsverhältnisse ausging, ebenso
eigenthümlich und eng begrenzt, als es bei der ganzen
den jüdischen Gemeinden gegebenen Verfassung der Fall
war.i) Aber unter solchen Umständen mussten es die
Juden immerhin als ein grosses Glück betrachten, dass
ihre Rechtsverhältnisse genau bestimmt waren, und bei
der meistens vorherrschenden falschen Beurtheilung ihrer
Religionsgesetze, ihrer Sitten und Sittlichkeit, und der
sich daraus ergebenden Gesinnung gegen sie, wurden sie
durch die ihnen anheim gegebene Jurisdiction vor vielen
Kränkungen und Beeinträchtigungen ihrer Rechte bewahrt.
Denn trotz der bündigsten Vorschriften der Geleits-
Concession und späterer Erlasse wurde von den Behörden,
selbst von den Gerichten gar häufig der Versuch gemacht,
den Rabbiner in Ausübung der Jurisdiction zu beschrän-
ken. Allerdings hatte § 8 der Geleits-Concession, welcher
von der Gerichtsbarkeit des Rabbiners handelt, eine Un-
klarheit gelassen.
Derselbe lautet: „Wann zwischen Jude und Juden
Differentien, ausserhalb Criminalsachen, es sey heirats,
0 Vergl. hierüber Presset, Die Zerstreuung des Volkes Israel.
Berlin 1888. H. Reuter's Verlag. Zweites Heft S. 87 fg.
172 G€9ekieki$ der jnditehen Gemeinde DüeseldoffB*
oder das Jüdische Ceremoniel betreffende Vorfallenheiten,
sich ereignen sollen, solche von den gemeinde- Judenschafts-
rabineren decidiret und ausgemacht werden, doch auch
demjenigen Von beiden Theilen, so mit solcher entschei-
dung graviert zu seyn Vermeinen würde, zu einem
andern unpartheyischen Rabiner zu provocieren und ab-
zuberufen, auch daselbst die sache zum Schlüsse prose-
quiren freistehen.'^ Aus dem Wortlaut dieses Paragraphen
ging deutlich allerdings nur hervor, dass die Compe-
tenz des Rabbiners sich auf rituelle und ceremonielle
Fragen erstrecke. Zweifelhaft blieb nach demselben
dagegen seine Competenz für civilrechtliche Fragen.
Diese wurden nun durch die Ober -Vorgänger durch
Gesuch d. d. 18. Januar 1780 bei einem concreten
Rechtshandel zum Austrag gebracht. Ein gewisser Ben-
jamin Michael zu Mülheim a. d. Ruhr hatte nämlich in
einem zwischen ihm und seinem Bruder bestehenden
Rechtsstreit, der schon beim Rabbiner anhängig gemacht
worden war, die Entscheidung bei dem Amtsgericht in
Broich nachgesucht, unter dem Verwände, dass nur Cere-
monialsachen der Entscheidung durch den Rabbiner
unterständen, dass aber Schuldforderungen vor die ordent-
liche Gerichtsbarkeit gehören. Thatsächlich hatte auch
das Amtsgericht hi Broich d. d. 30. X^ 1779 folgenden
Befehl erlassen: „Nachdem Benjamin Michael anzeiget
wass massen er ad instantiam seines Bruders Samuel
Michael vor dem Landi'abbiner citiert worden, die zwischen
beiden teilen obschwebende Irrung aber Kein Jüdische
Ceremoniel sondern eine schuldSache betrifft, worinnen
dem Rabiner Keine Jurisdiction gestattet werden Kann,
als wird dem Benjamin Michael verbotten sich bey dem
Rabiner zu sistiren, sondern beide teilen sollen dem
alschon erteilten Decreto zu folgen bey dahiesiger Kanzley
in primo post ferios erscheinen.^ Gegen diesen gericht-
lichen Befehl erhoben die Vorsteher der Judenschaft
Beschwerde und baten, „dieses Decretum inhibitorium de
piano wieder einzuziehen und den Benjamin Michael zu
unserm Oberlar.i-Rabiner als dem bisherigen Richter zu
hin verweisen paenaliter zu verordnen.^ Es wurde hierbei
auf mehrere Beispiele in Sintzig, Mülheim am Rhein aus
früheren Jahren hingewiesen und die speciflcirte Anfüh-
rung der ergangenen ^^churfürstl. Verordnungen in Aus-
sicht gestellt, ;,wann uns die Judenschafftliche Litteralien
des Verlebten Vorgängers Hörn extradiert wären.^ Ins-
besondere wurde aber auf einen solchen bestrittenen,
zu ihren Gunsten entschiedenen Fall rekurrirt. ^GemAss
dem 8^ articul der ggsten Vergleitungs-Concession ist
Ge9ehieki$ der jüdhekmi Qtmmnde DOsBeUhrfs. 173
unserer GOlicher Ober Land Rabbiner in causis quibus-
cunque exceptis criminalibus der Competent-Richter,
wann zwischen Juden unter sich RechtsstreittigEeitten en^
stehen. Aus dieser Zuständigkeit hat derselb inhalts der
Nebenlag den schutzJuden Pinis Heinsberg in Heinsberg
schuldig erklärt der Wä[ Heve in Bergheim 85 Rthlr.
wegen rQckständig Kostgeld zu entrichten und ihn, weilen
mehreren desfals erlassenen Decretis Keine Folge ge-
leistet worden, in eine Bracht von 5 Rthlr. fällig erteilt.
Gleichwie nun aber der condemnatus nach wie vor con-
tumax bleibt, und in solchem Fall die Ordnung verheisset,
dass bei Ew. Kurfstl. Durchl. wir um die Gerichtsbarkeit
des Rabiners zu handhaben pro decemendo executione
untthgst implorieren.
So Bitten unthgst, dass hOchstdieselben an Beambte
zu Heinsberg gestatte, dass vorbenannten Pinnes Heins-
berg zur entrichtigung der 85 Rthlr. Kostgelder sowol
als abtragung der Bruch t executive vermögen sollen, die
gemessene Verordnung zu erteilen ggdst geruhen wollen.^
Allerdings sind die Fälle nicht selten, in welchen die
Vorgänger die Jurisdiction des Rabbiners reklamiren
mussten, und dass ihrem Wunsche willfahrt wurde. So
erging ein Erlass d. d. 31. Januar 1783 an schulteis der
unter Herrschaft Stollberg: „Lieber getreuer, auf bey
Verwahrte Von Vorgänger und Vorsteher der gemeinen
G. und Bergischen Judenschaft übergeben e imploration,
befehlen euch ggst in allen die Juden unter sich betref-
fenden düferentien ausser den Kriminal- und flscal-Fällen
dem Rabiner die Erkantnuss zu belassen, die ungehor-
samen Juden zu derenselben nachlebung anzuweisen,
auch die vom Rabiner angesetzet werdenden Brachten
zu Exequiren.*^ Nachdem die Sache zum Austrag gebracht
ww, bedurfte es fOr die Folge in der That nur einer
Erinnerung bei der Hofkammer, um den betreffenden
Einzelfall in diesem Sinne zu erledigen; es genügte sogar
schon eine Vorstellung bei dem betr. Amte, wie z. B. an
amts-Verwalter zu Brügen d. d. 31. Aug. 1783 .... Ew.
HochEdelgebohren notiz zu geben, wie um nichts
billigeres, als dass sie zufoUg Ihrer Kurtürstl. Durchl. ims
ggst verliehenen Concession diese Sache von sich und
zur entscheidung mehr gedachten ober-Rabiners verweisen,
so habe hierum namens unsre gem. Judenschaft unter-
dienstlich ersuchen sollen, wessen wir bey vorfallende
occasionen nicht anstehen werden mit aller Dienstgeflissen-
heit zu erwidern.^ Nur ein Gericht scheint trotz aller
Befehle und ausdrücklichen kurfürstl. Verordnungen sich
nicht haben entschli^Bsen zu können, die Jurisdiction des
174 Geschichte der jüdischen Gemeinde Düeaeldmfe*
Rabbiuers anzuerkennen, und trotz aller über dasselbe
verhängten Strafen und Vermahnungen darauf bedacht
gewesen zu sein, den Juden die Ausübung ihrer Rechte
zu verkümmern imd selbst Zwiespalt in der Judenschaft
hervorzurufen sich nicht gescheut zu haben. Es ist dieses
das bereits in einem ähnlichen Falle erwähnte Gericht
zu Broichy welches schon um deswillen hier näher be-
handelt werden muss, als sein Verhalten den kurfürstl.
Befehlen gegenüber ein eigenthümliches Licht auf die ganze
Verwaltung und Gerichtsbarkeit des Landes zu werfen
geeignet ist. Die mir vorliegenden Acten beweisen, dass
dieses Gericht einen sonst einfachen Fall mehr als vier
Jahre hinzuhalten verstanden hat, ohne dass eine Ent-
scheidung getroffen worden wäre, einfach deswegen, weil
es die Jurisdiction des Rabbiners nicht anerkannte. Am
6. Juli 1781 war dem Gericht aufgegeben worden, den
Samuel Hempel wider Wittib Simon Cars und ihren Sohn
Merten Simon dem § 8 der Geleits-Concession gemäss an
den Rabbiner zu verweisen.
Am 25. Juli 1781 wird dem Gericht bei Vermeidung
der „fälligen erKlährung in die Strafe von 6 Rthlr." eine
nochmalige Frist von acht Tagen bestimmt und zugleich
befohlen, bis auf nähere Verordnung alles Verfahren ein-
zustellen.
Am 13. September desselben Jahres wird der Befehl
wiederholt. Trotzdem hatte das Gericht sein Verfahren
nicht nur nicht eingestellt, sondern seinen Befehl executorisch
ausführen lassen. Am 25. September desselben Jahres
ergeht der Befehl „bei Vermeydung von 25 Rthlr. an-
gesicht dieses zu geleben und auch zu verantworten dass
ohnangesehen deren erlassenen ggsten Verordnung ihr
declarando et exequendo Verfahren habt, mithien die von
Merten Simon exequirte 10 Goldgulden ebener Massen
angesicht dieses rückzuerstatten und wieder denselben
mit fernerem Verfahren bey Vermeidung vorgen. BrQcht
anzuhalten.^ Bezeichnend entweder für die ernstliche
Absicht, den gewährleisteten Schutz zu gewähren oder
für das Ansehen der kurfürstl. Regierung ist der Erlass
vom 4. Decbr. 1781, wonach bei Vermeidung „der würk-
lichen fällig Erklärung in die bedrohete Straf von 25 Rthlr.
nochmalilige Frist von 8 Tagen vorbestimmt wird.^ Anstatt
dem Kurfürsten zu gehorchen, hatte das Amt zu Broieh
das Verbot in Civilsachen vor dem Rabbiner zu erscheinen
von dem concreten Fall vielmehr auffalle alda wohnenden^
Juden ausgedehnt und wurde von demselben Tage auf-
gefordert, das Verbot aufzuheben und sich binnen 14 Ta^en
zu verantworten. Am 19. Hornung 1782 wird unter Ver-
Guchiehte der jfidisehen Gemeinde Dilsaeldorfs. 175
Weisung auf die vorangegangeneu Befehle unter dem
Vorigen Präjudiz nochmahlige Frist von 8 Tagen zu allem
überfluss bestimmt, und zugleich die Aufhebung des. all-
gemeinen Verbotes bei Vermeidung von 6 Thlr. Strafe
nochmals gefordert. Da im Jahre 1784 die Sache noch
immer nicht erledigt war, wird am 28. Octbr. binnen
14 Tagen Bericht gefordert, „wie weith es mit dieser
Sache gekommen.^ V^Tenn diese Erlasse auch gerade keine
Beweise grosser Energie und grossen Ansehens der kur-
fürstlichen Regierung bei den Unterbeamten sind, so wird
man ihr wenigstens nicht das Zeugniss grosser Geduld
und Ausdauer verweigern können. Andererseits beweisen
sie, welche Unerschrockenheit und Beharrlichkeit die
Vorgänger bekunden mussten, um nicht nur die ihren
Glaubensgenossen gewährleisteten Rechte zu schützen,
sondern überhaupt das bedrohte Recht zu wahren. Dem
Amte Broich gegenüber war das um so nothwendiger,
als dasselbe sich auch noch andere Eingriffe in die den
Juden zustehende Gerichtsbarkeit erlaubte und allerhand
Händel unterstützte, welche das bis dahin gepflegte fried-
liche und einheitliche Zusammengehen der jülisch-bergischen
Judenscbaft zu zerreissen geeignet und berechnet waren.
Bezeichnend nach dieser Richtung ist das in der
Synagoge zu Broich im Jahre 1783 durch Gerichtsboten
verkündete Verbot, Insinuationen durch den Schulmeister
zu bewirken. Am 12. Septbr. 1783 muss die Regierung
daher wieder den Befehl wiederholen, die Juden in denen
unter sichhabendenStreitsachen ausser Fiscal- und Kriminal-
Fällen zum Rabbiner zu verweisen und sich nach dieser
Seite hin femer nichts zu Schulden kommen zu lassen.
Es muss dies um so mehr auffallen, als der Kurfürst am
23. Juli 1783 ein Rescript erlassen hatte, dass „wann der
Ober-Rabiner hiesiger Landen Judenschaft einen Juden
zu erscheinen nötig findet, derselbe solches zwar durch
den jüdischen Schulmeister fernerhin bewirken
lassen möge, hingegen jedesmal den vorgesetzten christ-
lichen Richter dessen benachrichtigen, widrigenfalls aber
der citirte Jud zu erscheinen nicht schuldig seyn solle. ^
Am 23. Novbr. 1784 muss das Amt Broich aufgefordert
werden, die Vorgänger bei Eintreibung des schuldigen
Tributes zu unterstützen. An Widerwärtigkeiten fehlte
es also den Vorgängern und dem Rabbiner keineswegs.
Um so erfreulicher war es, dass die Gemeinden selbst
bemüht waren, alles zu vermeiden, was denselben ihr
Amt zu erschweren geeignet war. Willig fügte man sich
im Kreise der Judenschaft selbst der Anordnung ihrer
nächsten Vorgesetzten und nur höchst selten wurden die
17Ü Oesekichie der jüditehtn Omneüide DüMeldarfe.
Judencommissare gegen Anordnungen derselben angerufen.
In solchen Fällen hatte zunächst der Rabbiner zu ent-
scheiden. „Auf bey verwahrt Juden Samuel Isaac zu
Wartenscheid wider Vorgänger der Gülich und bergischen
Judenschaft übergeben Unthggste anzeig wird dem Ober-
Rabiner ggst befohlen, Supplicanten schleunig und un-
partheüsche Justitz angedeyhen zu lassen: Düsseldorf 4^
Septbr. 1783. Der damalige Land-Rabbiner Loeb Aaron
Scheyer fordert daher die Herren Vorateher auf, einen
oder zwei aus ihrer Mitte mit einer vollkommenen Voll-
macht zu versehen, damit diese binnen 15 Tagen mit dem
Kläger vor ihm erschienen, um ihre Zwistigkeiten „nach
dem Getz Moyses auszumachen. Es komme auf sie der
Segen Gottes.**
In der Regel entschied der Rabbiner allein, ohne
Beisitzer. Indes war es ihm anheimgestellt, aus der Mitte
der Vorsteher sich einen oder zwei Beisitzer als Gut-
achter zu wählen. Eine Verfügung der Regierung, welche
die Beisitzer als obligatorisch einführen wollte, veran-
lasste am 10. Septbr. 1781 eine Petition von 15 damals
in Düsseldorf wohnenden jüdischen Familienvätern (dar-
unter Dr. med. G. von Gteldem) dahin gehend, „dass es
dahier niemahlen Gebrauch gewesen, dem Ober-Land-
rabbiner in process-Sachen beysitzern zu geben; auch
befindet sich unter sämmtliche hiesige Judenschaft niemand
im stand, ein solches Amt zu vertretten, weilen Keiner so
weit studiert hat, um ein rechtsspruch urteilen zu können.**
Handelsbücher oder Berechnungen und dergleichen
untersuchen zu helfen, werden dem Rabbiner wohl von
jeder Parthey, so im Process verwickelt, ein Handelsmann
als Beysitzer zugegeben, allein solche beysitzeren darfen
keineswegs im rechtsspruch sich bekümmern, und weilen
wir bis dahin nichts als gutes und lobliches von unserem
Ober-Rabbiner (Scheuer) zu sagen wissen, so gelanget an
einer hochlöblichen Regierung unsere unterthänigste bitte,
solches in gnädigster betrachtung zu ziehen, damit keine
neuen hier noch ni^. gewesene beysitzersämter eingeführt
werden."
Zur besseren Wahrnehmung der Rechtssprechung
sollte der Rabbiner, der seinen Sitz in Düsseldorf hatte,
nach einem Beschlüsse der General -Versammlung vom
Jahre 1737, der dann immer wiederholt wurde, im Interesse
der etwas entfernter wohnenden Juden in der Provinz
Gülich, aUjährlich in Düren oder Jülich — je nach Wahl
der Vorgänger — eine Inspection der Gemeindeangele^en-
heiten vornehmen und etwaige Streitigkeiten schlichten,
welche wegen der grossen Entfernung vom Sitze des
Oesehickte der jüdi^ehen Gemeinde Düaaeldorfe, 177
Rabbinats oder wegen der grösseren Kosten von den
Parteien nicht zum Austrag gebracht worden waren und
deren Verzögerung den Streit zu erweitern und den Frieden
in den Gemeinden zu untergraben drohten. Das Gehalt,
das früher 50 Gulden lUieinisch pro Jahr betrug, wurde
mit Rücksicht auf diese dem Rabbiner neu auferlegte
Verpflichtung auf 100 Gulden Rheinisch erhöht, zahlbar
in halbjährlichen Raten. Ausserdem bezog der Rabbiner
für jeden Verlobungsakt 1 Thlr., fOr jede Trauung 1 Gold-
gulden, fUr jede von ihm auszustellende Urkunde 1 V2 ^^d.,
tUr die Prüfung eines Schächters IV2 Thlr., für eine
Wiederholungsprüfung IV2 Gld., für jedes Zeugenverhör
6 GM., für jede Vorladung V2 GW., für ein Urtheil 1 0/^
des Betrages, mindestens aber 1 Rthlr. Die Schreib-
gebühren hatte der Rabbiner zu tragen.
Ausser den genannten Funktionen hatte aber der
Rabbiner, und zwar vorzüglich, die gesammten religiösen
Interessen der Gemeinde zu fördern und zu überwachen.
Er sollte, wie es in der Vocation heisst, von seinem Lehr-
und Richterstuhle aus die Mitglieder seiner Gemeinden
belehren über den Weg, den sie einschlagen, über den
Lebenswandel, den sie führen sollen, um das ewige Leben
zu gewinnen^ er sollte femer den Unterricht überwachen
und an Sabbat, Neumond und Festen in schönen, an-
ziehenden Predigten oder Lehrvorträgen geläuterte Wahr-
heit lehren. Ausser diesen Vorträgen, welche in der
Synagoge stattfanden, wurden von ihm in seinem Hause
oder in den Versammlungen religiöser Vereinigungen täg-
lich noch andere belehrende Vorträge über die fünf Bücher
Mosis, Propheten und Psalmen, über die religionsphilo-
sophischen Werke des Maimonides (Führer der Verirrten),
des Jehudah ha-Levi (Eusari), des Joseph Albo (Jkarim),
Saadiah (Emunot we deot) u. a. m., besonders auch über
talmudische Materien gehalten. Für die Mitglieder der
spater noch zu behandelnden Bruderschaften oder Ver-
einigungen für religiöse und wohlthätige Zwecke war der
Besuch bei Vermeidung verhältnissmässiger hoher Geld-
strafen obligatorisch. Aber bei dem allgemeinen Drange
der Juden nach Eenntniss ihrer Religionsquellen und
nach allgemeiner Bildung, welcher diese Vereinigungen
eben hervorgerufen hatte, bedurfte es dieser Strafen
nicht. Vielmehr fanden sie in diesen Vorträgen gleich-
zeitig Ersatz für so viele andere Freuden des Lebens, die
ihnen veraagt waren, Trost und Erhebung in den Leiden,
Muth und Hoffhung für die Zukunft und ein Mittel zur
Hebung ihrer Geisteskräfte, deren Bethätigung im Staats-
leben ihnen mit wenigen Ausnahmen verwehrt war.
12 . I
178 Geschichte der jüdiselitn Gemeinde DünMoffs,
Andererseits erweckten dieselben einen tiet^eligiösen,
wahrhaft geläuterten Sinn und ein ideales Streben und
knüpften ein inniges Band zwischen dem Rabbiner und
den Qemeindemitgliedern^ denen derselbe ein wahrhafter,
vertrauter Freund und Berather wurde in allen Lebens-
lagen, sowohl im Privatleben der einzelnen Familien, als
auch in den Angelegenheiten der Gemeinde, welche keinen
Beschluss fasste, ohne dass der Rabbiner Gelegenheit ge-
funden hätte, seine Meinung über die schwebenden Fragen
zu äussern und zu verfechten. Sein Haus war ein zu jeder
Zeit geöffneter Zufluchtsort für Arme und Bedrängte und
überhaupt der Mittelpunkt der Gemeinde in allen ihren
Lebensäusserungen, und die langjährige Amtsthätigkeit
der einzelnen Rabbiner knüpfte zwischen der Gemeinde
und ihrem Lehrer ein immer engeres Band, und noch
heute wird ihnen ein dankbares Andenken bewahrt.
Die in vorstehender Schilderung dargelegte Ver-
fassung der gülich - bergischen Judenschaft wurde mit
einem Schlage beseitigt durch Eintritt der französischen
Fremdherrschaft im Jahre 1807/8, durch Errichtung des
Grossherzogthums Berg und die Einführung des Code
Napoleon in diesem Landestheil zufolge Kaiserlichen
Deere tes vom 12. November 1809, und durch die nach
Anhörung des 1806/7 von Napoleon in Paris zusammen-
berufenen jüdischen Synhedriums und des darauffolgenden
jüdischen Parlaments 1) geschafl'ene Consistorial - Ordnung
vom 17. März 1808. Zufolge dieser wurden 3 jüdische Con-
sistorialbezirke Bonn, Crefeld, Trier errichtet. Indes
haben wir für die Geschichte der Juden Düsseldorfs uns
zu beschränken auf die
Terfassung der jüdischen Gemeinde des GroAsherzog-
thums Berg.
Diese konnte sich nur auf die synagogalen und
rituellen Verhältnisse beschränken. In bürgerlicher Be-
ziehung unterlagen die Juden dieses LandesÜieiles fortan
keinen besonderen und einschränkenden Bestimmungen
mehr. Durch Decret der französischen National- Versamm-
lung vom 27. September 1791 waren alle vorher zum
Nachtheil der Juden ergangenen Verordnungen zunächst
für das linke Rheinufer aufgehoben worden. Das Bürger
recht wurde Jedem beigelegt, welcher den Bürgereid
leistete, überhaupt wurden die Rechtsverhältnisse der
Juden denen der übrigen Staatsbürger völlig gleichgestellt.
Diese Bestimmungen wurden durch die spätere Qesetz-
gebung (Art. 7 und 8 des Code civil) anerkannt und
J) Vgl Grätz, GeHchichte der Juden, Bd. 11, S. 2<>7 t'gg.
ilH»""
Geschichte der jüdischen Gemeinde Düsseldorfs. 179
bestAtigt. Die Juden waren demnach den übrigen Staats-
bürgern gleich und nicht nur zu jedem beliebigen Ge-
werbebetrieb und zur Acquisition liegender Gründe befugt,
sondern auch zur Wahrnehmung öffentlicher Äemter für
geeignet erklärt. Selbst ausländische Juden hatten bei
Erhebung des Bürgerrechts keine andere Verpflichtung
wie jeder Fremde. Sie mussten nämlich 10 Jahre im
Lande wohnen und von dem Regenten ein Naturalisations-
decret erwirken. In besonderen Fällen genügte der
Aufenthalt von einem Jahre. (Art. 3 der Constitution
vom Jahre 8 der Republik [1799/1800]; Art. 13 des Code
civil; Gutachten des Staatsraths vom 18./20. Plairial im
Jahre 11; Beschluss des Senats vom 19. Februar 1805
und Decret vom 17. März 1809.) Für das Grossherzog-
thum Berg traten alle diese Bestimmungen sofort nach
der Errichtung in Kraft und zwar ohne vorhergehende
gesetzliche Bestimmung, factisch dadurch, dass die Juden
der Militärpflicht und allen öffentlichen Lasten und Abgaben
gleich allen andern Unterthanen unterworfen wurden, wo-
gegen sie aber auch von allen Abgaben, welche den Juden
besonders auferlegt waren, ausdrücklich befreit wurden.
Ihnen wurde gleich nach der Besitzergreif ung gestattet, sich
in die Bürgerregister ihres bisherigen Wohnortes eintragen
und sich Bürgerbriefe ertheilen zu lassen. Durch den Art. 6
des Kaiserl. Decretes vom 3. Nov. 1809 wurden die Juden
hinsichtlich der Unterstützung aus öffentlichen Armen-
Anstalten den Christen gleichgesetzt. Das Kaiserliche
Decret vom 12. Nov. 1809 führte im Grossherzogthum
Berg den Code Napoleon ein und hob dadurch allen
Unterschied zwischen Christen und Juden auf. Freilich
hatte Napoleon durch dasselbe Gesetz (vom .30. Mai 1806),
durch welches er aus der Mitte der in sämmtlichen seiner
Gewalt unterworfenen Ländern wohnenden Juden ein
Synhedrion zur Beantwortung der von ihm bezüglich
ihrer in Ansehung ihres Verhältnisses zu Bekennern
anderer Religionen geltenden religiösen Anschauungen
nach Paris zusammenberufen hatte, auch verschiedene
provisorische Ausnahmegesetze für einen Theil der Juden
geschaffen und diese Ausnahmen durch Gesetz vom 17.
MArz 1808 auf die Dauer von 10 Jahren bestätigt. Allein
dieses Gesetz, welches er selbst schon im April desselben
Jahres zum Theil wieder ausser Kraft setzte i) und durch
bald darauf folgende weitere Bestimmungen so sehr ein-
schränkte, dass es fast einer Aufhebung des Gesetzes
gleichkam, war im Grossherzogthum Borg weder
') Vgl. Orätz, Geschichte der Juden, Bd. 11, a. a. 0.
12*
180 Geschichte der jüdischen Gemeinde Düeseldorfe,
publicirt Avorden, noch zur Anwendung gekom-
men. Es muss dies um so mebr betont werden, als in
den später preussischerseits angestellten Erhebungen be-
züglich der Regelung der jüdischen Gemeinde- Verhältnisse
mehrfach darauf verwiesen wurde, obwohl es doch nur
ein Beweis dafür war, dass Napoleon, welcher die Juden
wiederholt darüber beruhigen liess, dass ihre Gleich-
stellung keine Einschränkung erleiden werde, auch ihnen
kein Wort gehalten. Er hatte alle Welt getäuscht und
die Freiheit überall unterdrückt, warum hätte er den
Juden Wort halten und ihre Freiheit allein unangetastet
lassen sollen? Durch dasselbe Gesetz war auch jene
schlechte Consistorial - Organisation geschaffen worden,
welche die Vertreter der Synagoge zu Polizeidienem
herabwürdigte.!) Die Juden des Grossherzogthums Berg
hatten daher keine Veranlassung, sich einem der 3 ge-
schaffenen Consistorien Bonn, Crefeld, Trier unterzuordnen.
Sie behielten vielmehr ihre bisherige synagogale Ordnung
unter ihrem bisherigen Land - Rabbiner Scheuer bei.
Dieser wurde auch von der französischen Regierung -als
legitimer Vertreter der Juden von Berg anerkannt. Der
amtliche Verkehr der Präfectur mit den Juden wurde
durch L.-R. Scheuer vermittelt. Trotzdem war dieser
der am meisten geschädigte Theil. Da das Executions-
recht für die Cultussteuer durch die französische Besitz-
ergreifung den Juden verloren gegangen und die Kopfzahl
des neuen Sprengeis auf ein Drittel des früheren Land-
Rabbinats- Sprengeis Düsseldorf herabgegangen war, so
hatte die Aufbringung des Gehaltes seine Schwierigkeit.
Am 10. Juli 1809 hatte sich Land-Rabbiner Scheuer dieser-
halb an das französische Ministerium gewandt. In einem
Schreiben vom 18. October 1811 theUte darauf der PrU-
fect mit, dass „das hohe Ministerium geäussert habe, wie
es nicht abzusehen sei, dass die bergische Judenschaft
ihrem einstweiligen Rabbiner ihren Antheil am Gehalt
vorenthalten wolle, und dass in Gemässheit dieser Be-
stimmung an den Juden- Vorstand nach vorläufiger
Untersuchung über die ratirliche Vertheilung desGtehalts
das Nähere erlassen werden solle". Diese Absicht ist
jedoch nicht ausgeführt worden. Denn seit Errichtung'
des Grossherzogthums Berg hat L.-R. Scheuer von der
Gemeinde als solcher kein Gehalt mehr bezogen. Diese
Härte, welche um so grösser war, als Scheuer bei Er-
richtung des Grossherzogthums Berg 76 Jahre alt war
und bei Alt und Jung in hohem Ansehen stand, lässt sich
1) Grtttz, Geschichte der Juden, Bd. 11, S. 902 fgg.
»•3
GetehiehU d^ jüdischen Gemeinde Düeaeldarfs. 181
nur durch die grosse Verwirrung erklären, welcher die
jüdische Gemeinde von Berg nach der Einverleibung
in die Königlich preussische Monarchie für lange Zeit
anheimfiel.
Die jfldisehe Gemeinde des ehemaligen Grossherzogthums
Berg anter prenssischer Herrsehaft.
Schon am 30. Juni 1816 hatte der Oberpräsident der
Herzogthümer Jülich, Cleve und Berg von den beiden
jüdischen Consistorial- Synagogen zu Crefeld und Bonn
und von der Egl. Regierung zu Düsseldorf für das ehe-
malige Grossherzogthum Berg nähere Aufschlüsse über
die Verfassung und die Familien- und Seelenzahl der
Juden in den genannten Bezirken eingefordert; um zweck-
mässige Vorschläge für eine neue Feststellung der kirch-
lichen Verhältnisse der Juden im genannten Ober-Präsidial-
bezirk machen und danach bestimmen zu können ^ wie
bei der erfolgten Vereinigung beider Rhein ufer auch diese
Verhältnisse in UebereinStimmung zu bringen und auf
eine dem Wohl des Staates angemessene Weise festzu-
stellen sind. Auf Grund des durch das Kaiserliche Decret
vom 17. März 1808 geschaffenen Organisationsplanes der
jüdischen Gemeinden , nach welchem in jedem Departe-
ment; in welchem 2000 Juden und mehr wohnten , eine
Synagoge und ein Consistorium errichtet werden sollte^
und mit Rücksicht auf die bei der veränderten Landes-
eintheilung entstandene Verwickelung hielt der Ober-
prAsident eine Reform schlechterdings für nothwendig.
Da die Anzahl der jüdischen Einwohner sich beliefe
a) im Bezirk der Egl. Regierung zu Düsseldorf auf 2905,
b) „ „ „ „ ^ n Cöln „ 1264,
c) n T) 77 TT „ Ti Cleve „ 1552
Seelen und somit beinahe die erforderliche Anzahl für
drei Ober- oder Hauptsynagogen vorhanden wäre, so
grQndete der Oberpräsident hierauf folgende Vorschläge :
1 • Scheint es zweckmässig zu sein, für jeden Regierungs-
bezirk eine Ober- oder Hauptsynagoge zu errichten;
2. der Sitz dieser Synagoge konnte in die Hauptstädte
verlegt werden, im Begierungsbezirk Düsseldorf aber
in Crefeld bleiben;
3. jeder Synagoge wäre ein Rabbiner vorzusetzen, wovon
4. einer als Oberrabbiner die höheren Befehle in. Voll-
zug zu setzen und an die übrigen Rabbiner mitzu-
theilen hätte;
5. würde ein Haupt-Synagogen- Vorstand für allgemeine
Mrichtige Angelegenheiten zu bilden sein, wovon die
1^2 Geschichte der fOdhchen Oemeinde DiUieldorfs,
Rabbiner Mitglieder und der Oberrabiner Vorsteher
wäre.
Von diesem Vorstande wäre insbesondere die
Prüfung der Juden, welche sich dem Unterricht der
Jugend widmen y abhängig zu machen, jedoch hätte
der Vorstand bei Besetzung der Schullehrerstellen
6. jedesmal die Genehmigung seines Vorschlages von
der Provinzialbehörde einzuholen, welche entscheiden
muss, ob unbedingt oder erst nach vorgängiger Prü-
fung die Anstellung erfolgen solle.
Die Kgl. Regierung zu Düsseldorf sollte sich über
diese Vorschläge und gleichzeitig darüber äussern, wie-
fern es rathsam sein möge, das oben angeführte Kaiser-
liche Decrct beizubehalten, abzuschaffen oder zu modi-
ficiren.
Der Oberpräsident ging bei diesen Vorschlägen von
der Voraussetzung aus, dass die Juden der betreifenden
Landestbeile in dem Besitze ihrer jeweiligen bürgerlichen
Rechte verbleiben sollten. Seine Vorschläge fanden daher
kein Gehör, da die Kgl. Staatsregierung ganz anderer
Ansicht war. Vielmehr waren zufolge der Verfügung des
Ministers des Innern Freiherrn von Schuckmann vom
7. Mai 1822 „alle zu den Verrichtungen bei den Geschwonien-
gerichten qualificirten Einwohner des Regierungsbezirks
Düsseldorf, welche sich zum israelitischen Glauben be-
kennen, aus den Generallisten der Geschwornen gestrichen
worden. Gegen diese Massregel wurden nun die Vor-
steher der israelitischen Gemeinde unterm 21. Juni 1822
vorstellig.
„Wie tief uns diese eben so unverdiente als über-
raschende Massregel gekränkt hat, vermögen wir Euer
Excellenz nicht durch Worte darzustellen ; wir sind durch
jene Verfügung nicht nur an unsren staatsbürgerlichen
Rechten wesentlich verletzt, sondern es ist auch unsre
bürgerliche Ehre der öffentlichen Schmach und Schande
Preis gegeben. Von der Gerechtigkeit Eurer Excellenz
dürfen wir es mit Recht erwarten, dass in so fern wir
unsre eben aufgestellte Behauptung zu rechtfertigen ver-
mögen, auch von Hochdenselben die vorgedachte Ver-
fügung unverzüglich werde zurückgenommen werden;
wir beeilen uns daher, zwar mit wenigen Worten, aber
mit klaren Gesetzen die Wahrheit unsrer Behauptung ge-
horsamst auseinander zu setzen und zu belegen.
Nach dem Art. 8 des bei uns geltenden Civilgesetzes
soll jeder Ein 1 an der die bürgerliche Rechte gemessen ,
das Gesetz stellt kein Unterschied zwischen den Staats-
bürgern in Ansehung der Religionsverschiedenheit auf.
SSP*
Oeschichte der Jüdischen Gemeinde DUsseldot'fs. IKj
die Israeliten sind eben so wenig als jeder andere Bürger,
wes Glaubens er sey, bei der Verleihung der bürgerlichen
Rechte verkürzt worden.
Warum sollten sie es aber auch seyn? Ewig wahr
und unumstösslich bleiben die Worte des weisen Fenelon,
die er an Jacob den 3^ von England, als dieser ihn in
Cambray besuchte, richtete: „Nulle puissance humaine
ne peut forcer les retranchements inp6n6trables de • la
libertö du Coeur. La force ne peut jamais persuader les
hommes ; eile ne fait que des hypocrites. Quand les rois
ce mMeut de la religion, au lieu de la prot^gcr, ils la
mettent en servitude. Accordez donc k tous la liberte
civile, non en approuvant tout comme indifferent, mais en
souffrant avec patience tout ce que Dieu souffre, et en
tachant de ramener les hommes par une douce persuasion.^
Von dem Geiste dieser weisen Grundsätze durch-
drangen, hat der Gesetzgeber es wohlbedächtlich ver-
mieden, eine Scheidewand zwischen den Bürgern eines
und des nemlichen Staates in Rücksicht der Religions-
verschiedenheit zu ziehen, er hat allen gleiche bürger-
liche Rechte verliehen.
Der gegenwärtige König von Frankreich, der sich
der Allerchristlichste nennt, hat nach der Wiederher-
stellung seines Reiches keinen Grund gefunden, unsre
Glaubensgenossen in ihren früher erworbenen staatsbürger-
lichen Rechte einzuschränken.
Zu den Staatsbürgerlichen Rechten zählt der
Art. 42 des in den Rheinprovinzen geltenden Strafgesetz-
buchs, insbesondere auch da« Recht, zu den Verrich-
tungen der Geschwornen berufen zu werden, ein
sehr ehrenwerthes Recht, welches, indem es die Mitbürger
in da« Verhältnis als Richter über den Mitbürger stellt,
auch zwischen diesen selbst in Ansehung der Religions-
verschiedenheit, keinen Unterschied verstattet.
Aus welchen Klassen der Staatsbürger dieGeschwornen-
gerichte zusammengesetzt werden sollen, dieses ist im
Art 382 der Criminalprozessordnung, die bei uns einge-
führt ist, festgestellt, aus welcher gesetzlichen Bestimmung
auch hervorgehet, dass insbesondere diejenige, welche zur
Bestreitung der Staatsausgaben das Mehrere beitragen,
zu den Verrichtungen der Geschwornen zugezogen werden
sollen.
QajQZ mit Recht behauptet der Königl.. Preusslsche
Appellationsgerichtsrath Lenzen in seinem Handbuch für
die Geschwornen, dass die im Gesetz (Art. 312 der Criminal-
prozessordnung) vorgeschriebene Eidesform den Vortheil
habe, dass in den Rheinprovinzen, wo sehr oft Katholische,
184 Geschichte der jildischev Gemeinde Düsseldorfs.
Reforniirte, Lutherische, Menoniten und Israeliten als
Geschworne neben einander sitzen, jeder ohne mit den
Grundsätzen seines Glaubensbekenntnisses in Widerspruch
zu kommen, den Eid leisten könne.
Nach dem Art. 8 Nr. 3 des Strafgesetzbuches für die
Rheinprovinzen wird der Verlust der bürgerlichen Rechte
zu den entehrenden Strafen gezählt; es kann aber
über niemand eine solche Entehrung verfügt werden,
als wenn förmlich gesprochenes Urtheil dieselbe
sanctiouirt hat.
Wenn auch gleich das Recht, zu den Verrichtungen
der Geschwornen zugezogen zu werden, nur ein Theil
der Staatsbürgerlichen Rechte ausmacht, welche das Gesetz
den Staatsbürgern ohne allen Unterschied der Religion
verliehen hat, so muss auch selbst die Entziehung eines
Theiles dieser Rechte als entehrend und schmachvoll
angesehen werden
Noch mehr, der unvernünftige der fanatische Juden-
hasser wird in der zu unserer Schande und Nachtheil
eingeführten Massregel, eine neue Veranlassung finden,
seinem Verfolgungsgeiste desto freyer den Zügel schiessen
zu lassen, weil er den Beweis vor Augen zu haben glaubt
und auch wohl hat, dass wir von oben herab der Ver-
achtung Preis gegeben sind.^
Hierauf erging am 1. Juli 1822 der Bescheid, kein
Staatsbürger habe ein Recht zu verlangen, dass gerade
er in die Geschwomenlisten aufgenommen werde, dass
ferner die Juden in den alten Provinzen dieses Recht
überhaupt nicht besitzen und für die ganze Monarchie
nur ein inneres Staatsrecht Anwendung finden könne.
Principiell wichtig war in diesem Erlass ausserdem
noch die Bemerkung, dass die Vorsteher der israelitischen
Gemeinde, da sie als solche nur für die kirchlichen
Angelegenheiten bestellt wurden, überhaupt gar nicht
legitimirt seien, Namens der übrigen Juden Rechte zu
reklamiren, welche von diesen als Staatsbürger in An-
spruch genommen werden. Mit einem Schlage war damit
nicht nur die Gleichberechtigung der Juden, sondern auch
die Eigenschaft der Vorsteher als der berechtigten Ver>
treter ihrer Gemeinden aufgehoben. Indessen konnte die
Regierung der Nothwendigkeit einer Regelung der Ver-
hältnisse gleichviel in welchem Sinne sich nicht ver-
schliessen. Es muss hier constatirt werden, dass auch
der Oberpräsident von Coblenz, Staatsminister von Inders-
leben, am 31. März 1824 ebenso wie der Oberpräsident
für die ehemaligen Herzogthümer Jülich-Cleve-Berg schon
im Jahre 1816/17 die Anordnung von Landrabbinem und
r*»»--
Gnehiiiktg der jüäiseken Gemeinde DUseeldarfe* 185
die Regiüirung ihrer Amtswirksamkeit für den betreffenden
Landesbezirk beantragt hatten. Trotz der Uebereinstim-
mung dieser beiden hohen Beamten in dieser Frage, die
sie eingehend studirt hatten, erhielt auch der letztere
von den Ministem des Innern und des Cultus am 27. April
1824 den lakonischen Bescheid, dass mau zur Zeit keine
genOgende Veranlassung habe, auf die Ausführung der
betreffenden Vorschläge Bedacht zu nehmen. Trotzdem
forderte das Oberpräsidium d. d. 2. Aug. 1824 neue Mit-
theilungen über den damaligen Synodal - Verband der
rheinischen Juden, da die Gestaltung dieses Verbandes
auf dem rechten Kheinufer noch nicht so genügend be-
kannt sei, wie diejenige der durch kaiserliches Decret
vom 17. März 1808 geschaffenen drei Consistorialsynagogeu
von Crefeld, Bonn und Trier. Der Vorsteher der Svna-
gogen-Gemeinde Düsseldorf antwortete hierauf, dass er
zu andern Gemeinden gar keine Beziehungen mehr habe,
dass er nicht einmal für die eigene Gemeinde von der
Behörde bestätigt sei und daher keine Auskunft geben
könne. Früher sei der Sitz des Oberrabbinera der ehe-
maligen Jülich -bergischen Judenschaft in Düsseldoif ge-
wesen; Gehalt hätte er von dieser bezogen, bis nach
Abtrennung des Jülicher Landes das Grossherzogthuni
Berg gebildet worden sei. Die Gemeinde sei dann nicht
mehr im Stande gewesen, das Gehalt aufzubringen, und
Landrabbiner Scheuer hätte seitdem das Rabbinat unent-
geltlich verwaltet. Da dieser zu jener Zeit nicht mehr
am Leben und die Gemeinde ohne Rabbiner war, da
femer Crefeld nach der neuen Ländereintheilung zum
Regierungsbezirk Düsseldorf gehöre und nach der Con-
sistorial -Verfassung der Rabbiner immer an dem Orte
seinen Sitz haben müsse, wo die meisten Juden wohnten,
so beantragte der Vorstand, dass der Rabbiner von Cre-
feld nach Düsseldorf versetzt und diejenigen Bezirke, die
ihm zugetheilt wären, • der Düsseldorfer Synagoge ein-
verleibt würden.
Indes wurde die Sache noch keineswegs für spruch-
reif erachtet. Vielmehr wurde am 30. October 1826 auf
Befehl des Königs eine Darstellung der damaligen Ver-
haltnisse der rheinischen Juden entworfen und den rhei-
niscben Provinziallandständen vorgelegt mit der Forderung,
dass letztere „zu erkennen gäben, ob und was für Wünsche
sie in Hinsicht dieser Verhältnisse hätten.^ In dieser
Denkschrift, welche ein Zeugniss fast fanatischen Juden-
hasses ist, wird den Ständen unter Verkennung aller that-
sächlichen und geschichtlichen Verhältnisse das denkbar
Schlimmste über die Juden aufgetischt. Es sei wünschens-
186 GeMchieht der jüdischen Gemeinde DHateldorfe.
werth, die Juden aller Provinzen einem General*Synhedria
oder Consistorio unterzuordnen, welches aus Männern bc-
steht, die wegen ihrer Kenntnisse, Aufklärung und Recht-
schaffenheit das öffentliche Vertrauen verdienen, und
demselben nach Massgabe des BedQrftiisses Provinzial-
Consistorien unterzuordnen, welche das Kirchenwesen der
Juden nach den vom General-Synhedrio vorzuschlagenden
Principien und Lehren besorgen. Die Kinder mttssten
sämmthch in christliche Schulen geschickt werden, damit
sie nicht blos hebräisch lesen und schreiben lernten, um
in einer unverständlichen und geheimen Sprache sich un-
entdeckt ihre Geheimnisse und Betrügereien mitzutheilen
und rechnen zu lernen, was zur Berechnung wucherischer
Procente nöthig ist, und damit sie nicht in ihrem an-
gebornen und man. könnte fast sagen in ihrer Religion
begründeten Wucher- und Schachersystem hartnäckig
beharrten. Die Ausnahmebestimmungen des Gesetzes vom
17. März 1808 sollten daher verlängert und auch auf die
Landestheile ausgedehnt werden, in welchen es bisher
noch keine Geltung hatte. Diese Ausführungen, welche
den täglich zu machenden Wahrnehmungen offenbar
Hohn sprachen, mussten in einer Zeit, wo die Juden aller
Länder Proben ihrer wissenschaftlichen Befähigung ge-
geben, ihren Mitbürgern mit gutem Erfolge auf allen
Gebieten gemeinnütziger und staatlicher Bestrebungen sich
angeschlossen hatten, wo die von Moses Mendelsohn und
Lessing ausgestreute Saat bereits aufgegangen war, in einer
Zeit, wo die Wissenschaft des Judenthums eine achtung-
gebietende Stellung einzunehmen angefangen hatte und
sich anschickte, eine deutsche Wissenschaft zu werden,
wo formvollendete deutsche Predigten in den jüdischen
Gotteshäusern gehört wurden, wo Moses Monteflore bereits
das lautere Gold seines Herzens offenbart und als Sherifi'
von London sich bewährt hatte, in einer solchen Zeit
wirkten solche Ausführungen, wie diese Denkschrift sie
enthielt, vielleicht besser als alle Schutzschriften für die
Juden, da sie allen Unbefangenen die Augen darüber
öffneten, wie weit die Verblendung und der Judenhass
die Menschen von der Wahrheit zu entfernen vermögen.
Kaum war es nöthig, aber man wird es begreiflich finden,
dass die jüdische Gemeinde Düsseldorfs, als des Ortes,
wo das Verdiöt über das Judenthum gefällt werden sollte,
es für ihre Ehrenpflicht hielt, ein Promemoria gegen diese
Denkschrift den versammelten Landständen zu über-
reichen, zumal da die Juden des ehemaligen Grossherzog:-
thums Berg, welche bis zur Einverleibung in die Königl.
preussischen Lande im Vollbesitze der bürgerlichen
G€8ehfcht$ der jüdi$ehen Gemeinde D&sseidorfe, 187
Gleichberechtigung gewesen waren , am bärtesten dadurch
getroffen werden sollten. Zur Beleuchtung jenes mehi*-
fa<üi erwähnten kaiserlichen Decretes vom Jahre 1808
wird zunächst auf seinen verfassungswidrigen Ursprung
hingewiesen, da es zu seiner rechtmässigen Oültigkeit
der Zustimmung der Stände bedurft hätte ; Napoleon hätte
es auch in seinem Zorn erlassen, >) weil er auf seinen
EroberungszQgen unerwartete Schwierigkeiten gefunden,
die Fortschritte, die er hätte machen wollen, ihm nicht
schnell genug gingen. Napoleon hätte den offenbaren
Beweis geliefert, dass er sich Obereilt, da er schon
April 1808, also kaum einen Monat nach Verkündigung
seines Decretes, die Judenschaft von Paris, am 22. Juli
desselben Jahres das Departement der unteren Pyrenäen
und am 22. April 1810 fQnfzehn weitere Departements
von dem Banne jenes Decretes befreit hätte und zweifellos
noch mehr befreit haben würde, wenn seine Eroberungs-
plAne ihn nicht gehindert hätten, sich um das innere
Glück seiner Völker zu bekümmern. Das Decret sei ein
Gewaltstreich, beruhe auf übereilten Beschlüssen und könne
denmach weder zweckmässig, noch gut und gerecht sein.
Ein solches dürfe aber der preussischen Regierung nicht als
nachahmungswerth empfohlen werden. Die Einführung
grade dieses Decretes würde in sonderbarem Widerspruch
stehen mit dem Bemühen, die Reste der Fremdherrschaft zu
vertilgen. Durch das Decret solle bewirkt werden, dass in
der Folge kein Unterschied mehr sei zwischen den Juden
und den übrigen Staatsbürgern. Dieser Zweck könne doch
unmöglich dadurch erreicht werden, dass die Gleichheit vor
dem Gesetze aufgehoben und dass eine Scheidewand er-
richtet werde, welche die Juden in den Augen ihrer Mit-
bOrger verächtlich mache. Dadurch könne man ihre
Redlichkeit und ihren Zartsinn nicht erwecken und
herstellen. Das Decret nehme ihnen die Freiheit, ein
ehrliches Geschäft zu treiben, um sie vor unerlaubten
Geschäften und Qewerben zu entwöhnen, und bringe
sie an einem Tage um ihr Vermögen, um ihre christlichen
Schuldner, die nicht Kaufleute sind, zu bereichem, in der
Absicht, um den Juden die Lust zu benehmen, sich auf
Kosten dieser einen Vortheil zu verschaffen. Diese Mass-
regeln mttssten die entgegengesetzte Wirkung hervor-
bringen. Das Decret sei ein Eingriff in die richterliche
Gewalt, da es einen bedeutenden Volkstheil ohne Unter-
suchung, ohne Urtheil mit Strafe und Schande belege;
^) Grfttz, Geschichte der Juden, Bd. II, kennzeichnet übngens
den Ursprung des Gesetzes nach neueren Forschungen und bis
dahin unbenutzten Quellen noch schärfer.
188 OeBchiekU der jüduelun Gemeinde DOeeMorfe.
CS sei die schnödeste Ungerechtigkeit, die Bekenner einer
Religion in Masse zu treffen, den Schuldigen mit dem
Unschuldigen zu 8ti*afen und zu schänden, einen ganzen
Volkstheil zu entehren, um eüie gewisse Anzahl seiner
Mitglieder zu erreichen, die er selbst verachtet. Wo
der Wucher bei den Juden sich gefunden hätte, sei er
eine Folge der gegen sie gerichteten Gesetzgebung; sie
hätten kein Handwerk treiben, kein Grundeigenthum er-
langen dürfen : zu welchem Zwecke sollten die Juden ihre
Söhne die Universität besuchen lassen, da sie ja doch
kein Amt erhalten könnten. Der Wucher sei auch den
Juden oft von der Behörde befohlen worden. ^) Wolle
man den Wucher treffen, so mache man die Gesetze,
wenn sie nicht ausreichten, noch strenger. Allein das
Gesetz umfasse alle Unterthanen ohne Unterschied des
Glaubens ; es falle nicht ausschliesslich auf die Bekenner
eines Glaubens und überliefere sie nicht der Schmach
und Verachtung. Es würde nicht schwer fallen, so heisst
es in jener an die Landstände gerichteten Gegenvorstellung
vom 30. November 1826, ^den Beweis zu führen, dass in
einer gewissen Stadt von mittlerer Grösse es ohnl&ngst
400 Christen gab, die auf Pfänder liehen, gegen 100 und
mehr Procente, und welchem Greschäftsmann sind nicht
Beispiele genug bekannt von Orten, wo ein nämlicher
Wucher getrieben wird. Würde man darum die Einführ ung
einer besonderen Gesetzgebung in der Art wie das Decret
gegen diese oder jene Stadt billigen können. Es ^ibt
Gegendon, wo gewisse Verbrechen häufiger vorfallen,
es gibt darin Klassen von Menschen, welche dieselben
häufiger begehen, aber noch ist es, so viel wir wissen,
keinem deutschen Regenten eingefallen, solche Gegenden
oder eine solche Klasse durch eine Specialgesetzgebung
zu ächten, die eben so ungerecht und gehässig seui wQrde,
als die, Gott sei Dank, abgeschafften Specialgerichte
waren, denen Frankreich das fragliche Decret verdankt.
Wolle man eine Annäherung bewirken, so beseitige man
die Sondergesetze, welche die Juden verächtlich machen,
nehme man zum natürlichsten Mittel, zur Erziehung seine
Zufiucht. Dass die Juden in dieser Hinsicht besondlers
in diesen Gegenden, das Bedürfniss selbst fühlend, schon
viel zur Verbesserung der Erziehung gethan haben, kann
den Staatsbeamten nicht entgangen sein, so wie dass man
bei der Wahl der Lehrer nicht einmal auf die Confesaion
sehe, und dass an der jüdischen Schule zu Düsseldorf
neben zwei jüdischen drei christliche Lehrer angestellt
^h
>) Vgl. Stobbe. Die rechtliche Stellung der Jaden in Dentschland.
4:^
G€9ekiekt€ der jüdim^n Oemeindi DÜMsMarfe. 189
seien. „Wir leben der zuversichtlichen Hoffiiung", so
schliesst das Memorandum, „dass die Vorschläge der hohen
Herren Depuürten eben so rein und human sein werden,
wie nach ihrer Ueberzeugung die Absicht des erhabenen
Monarchen ist, der Sie in einer so wichtigen Angelegenheit
zu Seinen Rathgebern ersehen hat.^ Bei der Wichtigkeit
und Complicirtheit der Frage und der Verschiedenheit
des in den verschiedenen Theilen Rheinlands geltenden
Rechts war eine schleunige Lösung dieser Frage kaum
zu erwarten.
So bald sollte die Rheinische Judenschaft von ihren
bangen Sorgen nicht befreit werden. Die Verhandlungen
und die staatlich angeordneten Erhebungen ttber die Ver-
haltnisse der Juden nahmen kein Ende. Das Material
war bei der verschiedenartigen Behandlung, die den Juden
nicht nur in den verschiedenen Landestheilen , sondern
auch in ein und derselben Provinz zu verschiedenen Zeiten
zu Theil geworden war, allerdings ein reichhaltiges und
um so schwerer zu bewältigen, als von gegnerischer Seite
keine Anstrengungen gescheut wurden, um die herrschende
Verwirrung zu vergrössem und die ohnehin schon un-
klaren Vorstellungen noch mehr zu verdunkeln. Welche
Mittel den Gegnern ihr blinder Hass eingab, dürfte aus
folgendem Theaterzettel hervorgehen:
Theater in Gladbach.
5. Vorstellung im 2. Abonnement.
Mit hoher obrigkeitlicher Genehmigung wird heute
Sonntag den 27. May (1827)
aufgeführt
Der Rehbock oder die schuldlosen Schuldbewussten.
Personen u. s. w.
Vorher
Israels Angst oder das Schreckens -Wort Hepp Hepp
vom Jahro 1819,
tragikomisches Drama in 1 Akt von Heinrich Beinhauer.
Personen :
Levi Bazmann, Oberrabbiner .... Breuer.
Joel Herz, ein reicher Jude .... Hen' Röder.
Sarchen, seine Tochter Frl. Guthmann.
Rüben Seckel, Comptoirdiener des Herz Herr Meyer.
Schönchen, Magd bei Herz M. Georg.
Schlemen, ein Schmidt Herr Schiele.
Bartel, ein Zimmermann Ph. Breuer.
Eine Ordonnanz, ein Polizeicommissair.
1. Platz 10 Sgr. 2. Platz 5 Sgr. 3. Platz 2V2 Sgr.
Anfang 8 Uhr.
190 Gesehiehtt der jOdiwhen Gemeinde D!k$9Morf$.
Gewohnt, fQr die InteresBen und die Kühe ihrer
Glaubensgenossen einzutreten, wie es bis zur Einver-
leibung in die preussischen Lande ihre Pflicht und ihr
Recht war, unterliess die jQdische Ctemeinde zu Düssel-
dorf auch bei dieser Gelegenheit nicht, bei der richtigen
Behörde vorstellig zu werden, und richtete am ö. Juni
1827 an den Staatsprokurator Wingem ein Schreiben, in
welchem unter Hinweis auf obigen Theaterzettel ausge-
führt wurde, dass „die entstehen könnenden Folgen ernst-
haft genug seien, um die geziemende Bitte zu rechtfertigen :
es möge Ew. Wohlgeboren gefallen, ein wachsames Augen-
merk darauf zu setzen, dass künftig dergleichen die
öffentliche Ruhe bedrohenden Ankündigungen nicht ge-
duldet werden."
Der nächste Erfolg war allerdings nicht sehr günstig.
Vielmehr kamen immer neue Verordnimgen, welche die
Stellung der Juden immer mehr herabdrückten und, wie wir
später sehen werden, auch die innere Entwickelung
der Gemeinden wesentlich erschwerten, ja ihre
ganze Existenz in hohem Grade gefährdeten. So
erschien am 20. Decbr. 1826 ein Ministerial-Erlass : „Nach
der höheren Bestimmung soll in Zukunft keinem Juden
mehr die Niederlassung in der hiesigen Oberbürgermeisterei
gestattet werden, welcher nicht eine Conccssion des hohen
Ministeriums des Innern und der Polizei beibringt. Dies
gilt von allen ohne Ausnahme, sowohl von denen, welche
aus einem andern preussischen Ort kommen, des-
gleichen von denen, welche sich mit einer hiesigen Jüdin
verheirathen und endlich von denen, welche sich schon
länger, jedoch nur auf den Grund einer polizeilichen £r-
laubniss zum zeitlichen Aufenthalt hier (zum Beispiel als
Handlungsdiener, Lehrlinge, Dienstboten u. s. w.) aufge-
halten haben. Im Jahre 1836 wird den Juden von der
Kgl. Regierung in Düsseldorf der „Verbrauch der christ-
lichen Taufnamen" verboten. Dieser Erlass bietet noch
das besondere Interesse, dass der Vorstand oder vielmehr
jedes einzelne Mitglied desselben erklärte, nicht im Stande
zu sein, das in der Verfügung der Kgl. Regierung vom
4. Aug. enthaltene, durch kein Gesetz unterstützte
Verbot den Glaubensgenossen zur Nacbachtung bekannt
zu machen, erstens weil sie nicht wüssten, welche Namen
mit den christlichen Taufnamen gemeint seien, besonders
aber deswegen, weil die Kgl. Regierung nach ihren
wiederholten Verfügungen die Düsseldorfer Juden als
eine Gemeinde nicht anerkennen, und auch ihre reli-
giösen Anordnungen in keiner Weise berücksichtigen wolle.
Dieses Verbot wurde erst zufolge einer Eröffnung des
GeaehiekU der jüdtBehen Gemeinde DOeeeldoffs. 191
Kgl. Oberpräsidiums der Rheinprovinz d. d. 7. April 1841
ai^ Befehl des Königs fOr die Gebietstheile des französi-
schen Rechts aufgehoben. Es sollte fortan dort bei den
Bestimmungen des Gesetzes vom 11. Oerminal X und
des Decretes vom 20. Juli 1808 sein Bewenden behalten.
Schlimmer und folgenschwerer war die Frage, welche
im Jahre 1842 aufgeworfen wurde : „ob die Juden ferner-
hin Militärdienste leisten oder Rekrutengelder bezahlen
sollen, da sie doch nicht zum Avancement zugelassen
werden.^ Es muss Jedem einleuchten , dass falls die
Frage so entschieden wurde, dass die Juden vom Militär-
dienste ausgeschlossen wurden, der Standpunkt derselben
zu einer Isolirtheit zurQckschreiten musste, die ihnen die
Früchte bürgerlicher Stellung über kurz oder lang gänz-
lich wieder eutzog. Sorgenschwer und von den quälend-
sten Besorgnissen erfüllt, wandte sich auch die Düssel-
dorfer Gemeinde petitionirend an des Königs Majestät
selbst und wies darauf hin, dass jedes Rütteln an den
politischen Verhältnissen der Juden diese nicht nur in
den Augen, wenn nicht der höher Gebildeten, doch in
jenen der Niedrigeren, also der Mehrzahl ihrer Mitbürger
herabsetzen, sondern selbst der Gefahr öffentlicher Be-
leidigungen und Beschimpfungen neuerdings aussetzen
würde. Beispiele davon lägen in nicht gar weiter Feme,
und was irrige Begriffe, Verkennung der besten Absichten
für Wirkungen auf die geringere Volksklasse wenigstens
hervorbringen, davon liefere die neueste Zeit in der
Rheinprovinz einen traurigen Beweis. Die Petition lautet:
Ansichten, welche, wie es heisst, bei uns eine be-
sondere Nationalität unterstellen, und darauf die Noth-
wendigkeit oder Zweckmässigkeit besonderer politischer
Einrichtungen gründen, scheinen uns ihre Quelle in einem
Irrthume zu haben. Sie existirt in Wirklichkeit nicht,
und kann schon darum nicht existiren, weil wir in allen
Ländern und Gemeinden weit zerstreut leben. Auch
nehmen wir dieselben nicht in Anspruch, und wünschten
nicht, dass man uns eine sogenannte Wohlthat aufdringen
möge. Was wir bisher, obschon hin und wieder in
manchem Betracht gehemmt und gehindert, in Künsten,
Wissenschaften und in Handwerken zu leisten gestrebt
haben, mag zum Beweise dienen, dass, weit entfernt, uns
von unsern christlichen Mitbürgern sondern und unter-
scheiden zu wollen, wir es an sehr ernsthaften Bemüh-
ungen für das Entgegengesetzte nicht haben fehlen lassen.
Wenn wir hierbei an der Religion unserer Väter festhalten,
so ändert dies an dem oben bemerkten Verhältnisse wohl
eben so wenig, als die sehr grosse Verschiedenheit
192 Geaehiehte der jOdigehen Gemeinde DüeeMorfe.
religiöser Ansichten bei unsern christlichen Mitbürgern,
und so sehr wir, was die Religion betrifft, eine Trennung
fttr nothwendig und unvermeidlich halten, so sehr vdder-
strebt sie uns in politischer Hinsicht.
Wir sind nun auch so glücklich, hier im Herzogthum
Berg seit mehr als dreissig Jahren mit unsern christ-
lichen Mitbürgern gleich, und im Genüsse aller politischen
Rechte, wie sie, zu stehen. Wir sind Preussen, fühlen es
mit Stolz, dass wir Preussen sind, und haben, seit wir
es sind, unsere Pflichten als Staatsbürger gewissenhaft,
gleich unsern christlichen Mitbürgern, ohne Unterschied
erfüllt; unsere Brüder, unsere Söhne haben mit der
nämlichen Hingebung, wie jene, ihr Blut in der Verthei-
digung des Thrones und des Vaterlandes verspritzt, und
erfüllen bis auf diesen Augenbiicic ihre »Militärpflicht,
wir glauben es ohne Anmassung sagen zu dürfen, mit
Auszeichnung. Wir gestehen, dass uns nicht die geringste
Veranlassung bekannt geworden, welche eine Aenderung
in diesem Besitze unserer Rechte, die uns durch das
Königliche Wort vom 5. April 1815, und noch mehr durch
die bekannte Humanität unserer Landesregierung garantirt
zu sein scheinen, eine Beeinträchtigung, eine Herab-
setzung motiviren könnte. Wir wissen nicht, womit wir
letztere verdient haben. ^
Auf den in dieser Petition dargelegten Standpunkt
hatte sich auch die Gemeinde gestellt, indem sie es ab-
lehnte, sich an einer von der Gemeinde zu Wesel vor-
geschlagenen Absendung einer Deputation der Juden
Rheinlands uiffl Westfalens zur Huldigung am 15. Oct. 1840
nach Berlin zu betheiligen. Der Moment sei auch nicht
geeignet, Se. Majestät mit Beschwerden zu behelligen und
eine Deputation nach Berlin würde nicht huldigen und
petitioniren zugleich dürfen.
Den ersten, wenn auch schwachen Lichtstrahl brachte
die Antwort des Ministeriums des Innern und der Polizei
vom 5. Mai 1842 an die jüdische Gemeinde zu Düssel-
dorf. Daiin heisst es:
,,Des Königs Majestät haben aus Ihrer an mich
zur Bescheidung abgegebenen Immediat- Eingabe vom
23. März c. ersehen, zu welchen Besorgnissen die grossen-
theils unrichtige Auffassung der dem Eönigl. Staats-
Ministerio ziu* näheren Erwägung gestellten, die Verhält-
nisse der Juden betreffende Gesichtspunkte Veranlassung^
gegeben hat. Im Allerhöchsten Auftrage eröifhe ich
Ihnen deshalb, dass es ganz eigentlich in der Allerhöchsten
Absicht liegt, Massregeln zu ergreifen, durch welche die
den Juden auferlegten Beschränkungen aufgehoben werden.
Geschichte der jMischen Gemeinde Düsseldorfs. 1D3
insbesondere ihnen im Gemeinde - Verbände mit Christen
die Wahrnehmung ihrer Interessen mehr gesichert, in
der Besorgung ihrer eigenen Angelegenheiten durch Bil-
dung von Corporationen eine grössere Selbstständigkeit
oiid Autorität eingeräumt und im Allgemeinen die Gelegen-
heit erweitert wird, ihre Kräfte und Fähigkeiten für sich
und die Christen, unter denen sie leben, benutzen zu
können. Mit der Aufhebung der Militairpflicht der Juden
würde denselben nichts genommen werden, da ihnen der
freiwillige Eintritt in den Militairdienst gestattet bleibe.
Jedenfalls möchten aber die Juden die Resultate der an-
geordneten Berathungen ruhig erwarten und könnten sie
dabei veitrauen, dass ihnen jede mit höheren und allge-
meinen Interassen vereinbare Verbesseining ihres Zustandes
nicht versagt werden wird.
Berlin, den o. Mai 1842.
Der Minister des Innern und der Polizei."
Auch der dem Rheinischen Provinzial - Landtag im
Jahre 1826 vorgelegten Frage bezüglich der Aufhebung
des sogenannten Juden - DecretB und die Gleichstellung
der Juden, welche noch immer ihrer Beantwortung harrte,
widmete die Gemeinde ununterbrochen ihre gespannteste
Auftnerksamkeit und eifrigste Thätigkeit. Endlich nahte
der bedeutungsvolle Tag, an welchem die lange behan-
delte Frage wenigstens in der Vorinstanz entschieden
werden sollte. Das Wohl und Wehe nicht bloss der
rheinischen Juden hing von dieser Berathung ab. Denn
wenn die Gleichstellung der Juden Rheinlands auch nur
geschmälert worden wäre, und zwar aus dem Grunde,
dass sie vermöge ihrer Religion und ihrer Haltung dazu
unwürdig wären, so wären sie auch in den anderen
Theilen der preussischen Monarchie und auch in anderen
Ländern auf lange Zeit hinaus der Verachtung und Be-
drückung preisgegeben worden. Die 46. Plenarsitzung
am 13. Juli 1843 beschäftigte den Rheinischen Provinzial-
Landtag mit der schwebenden Frage. Herzerhebend für
einen jeden rechtlich denkenden Menschen sind die Ver-
handlungen, die da gepflogen wurden, reichhaltig, be-
lehrend und überzeugend das zusammengetragene Ma-
terial und erdrückend für die Gegner, wie es auch das
Resultat der Abstimmung ergab. Vielseitig wurde hervor-
gehoben, dass jenes Decret in Frankreich, seinem Ur-
spnmgsort, bereits seit mehr als 25 Jahren ausser Kraft
sei, dass es nur noch in einem Theile Rheinpreussens
bestehe zur Schande der Stände, welche es verabsäumt
hätten, auf seine Beseitigung zu dringen. So äussert ein
Abgeordneter der Städte:
18
VM Geschichte der jüdischen Getueitule DiisaMorfi*.
„Nach den Vorträgen, die wir vom verehrten Refe-
renten und von einem Abgeordneten der Städte gehört,
bleibt mir nichts mehr zu sagen übrig, als dass Mir ent-
weder diese herrliehen Producta der geistreichsten Huma-
nität verbrennen oder durch den Druck der Unsterblich-
keit überliefern raüssten. Vermodern oder verschimmeln
dürfen sie in unseren Archiven nicht. Es handelt sich
zunächst um die Aufhebung eines vei'schollenen Gesetzes,
desjenigen vom 17. März 1808. Dieses Gesetz war ein
Strafedict für die Dauer von 10 Jahren; es galt für das
Elsass und kam nur par bricole nach dem jetzigen Rhein-
baiern, Rheinhessen und Rheinpreussen, und zwar nur
ins halbe Rheinpreussen. Seit 20 Jahren 3 Monaten und
13 Tagen ist die Strafzeit vorüber, und es ist veraäumt
w^orden, und zwar von den Ständen vei^äumt worden,
darauf aufmerksam zu machen, dass im Elsass, in Rhein*
baiern und Rheinhessen die Wirkung des Strafedicts auf-
gehört hat, dass sie nirgendwo mehr bestehet, als im
halben Rheinpreussen. Hier aber besteht sie ohne Fug,
Grund und Recht, denn es hat sich in dem Vierteljahr-
hundert nichts zugetragen, was die Fortdauer der Strafe
auch nur dem Scheine nach rechtfertigen könnte. Wir
bitten unsere Brüder vom rechten Ufer, uns zu helfen.
Diese Bitte ist so billig und gerecht, dass sie uns gai*
nicht abgeschlagen werden kann. Was würden wohl
unsere Nachbarsieute von unserer Einigkeit und Einheit
sagen, wenn unsere Bitte, die wir an die rechte Rhein-
seite richten, und zwar in einer Sache, die wir eine Ehren-
sache nennen, eine vergebliche Bitte wäre? Es ist der*
gestalt eine Ehrensache, dass ganz Deutschland, Belgien,
Holland und Frankreich auf uns sehen und dass dabei
der Ruhm des 7. rheinischen Landtags auf dem Spiel
steht. Meinen verehrten Mitständen lege ich diesen Ruhm
warm ans Herz!"
Ferner ein Abgeordneter der Landgemeinden:
„Dass es uns nach den Principien des UrChristen-
thums nicht geziemt, die Juden von unserm Staatsbürger-
thume auszuschliessen, kann wohl nicht in Zweifel ge-
zogen werden; und der Umstand, dass die Juden nach
ihrer jüdischen und nicht nach unserer so genannten
christlichen Weise verschroben sind, kann uns eben so
wenig und um so weniger dazu berechtigen, da deren
seitherige Ausgeschlossenheit und eben daher entstandene
anscheinende Niedrigkeit unser eigenes Werk, das Werk
unserer unchristlichen Selbstüberschätzung und unserer
Selbstsucht ist. Es erscheint mir deshalb als eine heilig
Pflicht, diese unsere seitherige Versündigung an den
Gesehtehte der jüdiwhen Gemeinde Düeeeldoffs, 195
Juden^ und an uns selbst^ wieder gut zu machen und auf
deren Emancipation anzutragen, mit dem Wunsche, dass
dieses allmählich auch eine allgemeine menschliche
Emancipation in Bezug auf gesunde, vernünftige Moral
und auf Humanität fordern möge.''
Ein Abgeordneter der Städte:
;,Die politische und religiöse Seite der Frage über die
Emancipation der Juden glaube ich nach dem Trefflichen,
das hierüber in unserer Versammlung gesagt worden ist,
nicht ferner beleuchten zu müssen. Ich will nur erklären,
dass ich für die Emancipation stimme, und um so mehr
dafür stimme, als ich die Gefahr nicht einsehen kann,
welche diese Massregel für den Staat haben sollte. Die
Bevölkerung der Rheinprovinz beträgt ungefähr 2,600,000
Seelen, hierunter sind noch nicht 27,000 Juden; dieselben
machen also ungefähr 1 Proc. der ganzen .Population.
Wenn diese geringe Anzahl unserer Mitbürger uns in
Rechten gleich gestellt wird, wie sie es bereits in den
Lasten ist, so wäre dies nur ein Act der Gerechtigkeit,
dessen Nachtheile meiner Ansicht nach sehr übertrieben
werden. Es ist wahr, die Juden haben sich bis jetzt un-
vermischt erhalten. Gewiss ist aber, dass diese Isolirung
beiden Theilen zur Last fällt, nämlich dem unterdrückten
jüdischen Volke sowohl, als auch dem herrschenden.^
Ein Abgeordneter der Ritterschaft:
„Wenn angeführt worden, dass der Talmud schlechte
Grundsätze enthalte, so bestreite ich nicht, dass eine Ueber-
Setzung desselben manches Verwerfliche enthalte; allein es
ist auch allgemein bekannt, dass der Verfasster dieser
Auflage, Namens Eisenmenger, dieses Buch bloss aus
Rache gegen die reichen Juden in Frankfurt geschrieben,
die ihm eine grosse Summe Geldes verweigert hatten,
welche er von ihnen begehrt hatt/e. Hier liegt also eine
böse Absicht dieser Schrift zu Grunde. Dieses Buch wird
auch von allen jüdischen und christlichen Gelehrten ver-
worfen. Dagegen giebt es aber viele andere Auflagen,
oder besser gesagt, Uebersetzungen des Talmud, welche
nur die Lehre der reinsten Moral enthalten. Sollte dies
irgend von einer Seite bezweifelt werden, oder sollte
Jemand die Meinung haben, dass es sich anders mit den
jüdischen Religionsbüchern verhalte, so bin ich erbötig
und im Stande, dieserhalb jeden Beweis anzutreten. Mit
einer grossen Menge israelitischer Religionsbücher ver-
seben, kann ich auf unumstössliche Weise die Wahrheit
meiner Behauptung darthun.^
Es würde zu weit führen, alle diese herrlichen Worte
in extenso an dieser Stelle wiederzugeben, vielmehr müssen
13*
196 Gtsekichte der jüdisehen Gemeinde DÜeeeldorfe.
wir auf die Verhandlungen selbst verweisen (abgedruckt
in der Düsseldorfer Zeitung vom 2. Aug. 1843 Nr. 212).
Der Berichterstatter hatte namens des Ausschusses be-
antragt : Bitten wir unsem gerechten König, dass es Ihm
gefallen möge
^die Anwendbarkeit des napoleonischen Decretes vom
17. März 1808 in dem linksrheinischen Theile der Provinz
Allergnädigst aufzuheben^; und femer zweitens:
^ Alle noch bestehenden Hindemisse zur völligen Gleich-
stellung der Juden mit Seinen christlichen Unterthauen
Allergnädigst beseitigen zu wollen.^
Der erste Theil des Antrages wurde mit 68 gegen 5
Stimmen angenommen. Der zweite Theil wurde im Sinne
des Landtagsmarschalls, der die Oleichstellung der bOrger-
liehen und politischen Rechte ausdrücklich angefohrt
wissen wollte, und eines Abgeordneten der Städte, der
;,die Beseitigung der Hindemisse vorzubereiten^ eingefügt
wissen wollte, mit 64 gegen 19 Stimmen in folgender
Fassung angenommen:
^Die Wegräumung aller noch bestehenden Hinder-
nisse zur völligen Gleichstellung der Juden in bürg^er-
lieber und politischer Hinsicht mit Seinen christlichen
Unterthanen vorzubereiten und deren Beseitigung herbei-
führen zu wollen.**
In ihrer Freude über dieses Resultat, welches die
bangen fast 20 Jahre gehegten Befürchtungen beseitigte
und Juden und Judenthum in einer so gerechten, aner-
kennenden und warmen Weise beleuchtete, von Dank gegen
die Vorsehung und gegen die eifrigen und erleuchteten
Vorkämpfer für Recht und Humanität erfüllt, übersandte
die Gemeinde dem Oberbürgermeister Herrn v. FuchsiuB
100 Thaler zur Vertheilung von Brod an die hiesigen
Armen und der Vorsteherin der barmherzigen Schwestern
ein Geschenk von 40 Thalem zum Besten der Anstalt.
Vor Allem gab sie den lebhaften Gefühlen des Dankes
gegen die Hohen Stände in folgender Adresse Ausdruck.
y,Hohe Stände Versammlung!
Durch das heute abgegebene Votum, bei Sr. M^jestftt
dem Könige die Emancipation der Juden zu beantragten,
hat eine hohe Stände -Versammlung die Herzen vieler
Tausende mit der grössten Freude und Begeisterung er-
füllt. Dieses Votum bildet einen unschätzbaren Annex
zu denjenigen, die von einer hohen Ständeversammlung^
im Laufe ihrer diesjährigen Diskussionen bereits ausge-
gangen sind; dieses Votum wird wiederhallen in ganz
Deutschland, wir dürfen zuversichtlich behaupten in ganz
Europa, — es wird Epoche machen in den Annalen deutscher
Oesehiehte der jMUchtn Otmeinde DüssMarfs. 197
StändeversamixilungeQ. — Es war dem 7. Rhein. Provinzial-
Landtag vorbehalten, in wenigen Stunden die Schuld von
Jahrhunderten abzutragen, es war ihm vorbehalten, in
wenigen Stunden ein Werk zu vollenden, mit dessen
Aufbau England, da« seiner Freisinnigkeit wegen so sehr
gepriesene Land, schon Jahrzehnte beschäftigt ist: ein
Werk, dessen sich, was Humanität und Gerechtigkeit
betrifft, keine Ständeversammlung rühmen darf.
Ein Alp, der viele, viele Jahre die Brust der preussi-
schen Juden beklemmte, ist gewichen und hat einem
Gefühle Platz gemacht, das nur der begreifen dürfte,
der Jahre lang Ketten getragen und plötzlich derselben
entledigt wird.
Der 7. Rhein. Pro vinzial - Landtag hat durch sein
heutiges Votum sich geehrt, hat die Provinz geehrt, deren
Vertreter er ist.
Der 7. Rhein. Provinzial-Landtag darf mit Stolz sagen,
da.8s er die Initiative stets da ergriffnen, wo es galt, die
Interessen der Billigkeit und Gerechtigkeit zu vertreten.
Er hat den von uns stets festgehaltenen und in
trttben Tagen uns aufHchtenden Gedanken bewährt, dass
ein brüderliches Band war, ist, und seyn wird, das unsere
Herzen mit denen unserer Mitbürger verbindet: ein
moralisches Band, ein Band des Wahren und Guten.
Es hatte ausserdem der Regierungsantritt unseres
hochherzigen Königs Majestät ; es hatte das unsere Brust
erhebende Gefühl, dem Landesvater mit Blut und Leben
ergeben zu seyn, den Hoffhungsstrahl entzündet, dass an
den Stufen Seines Thrones auch unsere Lage eine gnädige
Berücksichtigung finden werde.
Die Stimme des Volkes ist Gottes Stimme. — Die
Rheinprovinz hat es in zahlreichen Petitionen bewiesen,
wie sehr ihr die Gleichstellung der Juden mit den übrigen
Mitbürgern am Herzen liege; der 7. Rhein. Provinzial-
Landtag hat, als Organ der Provinz, diesen Wünschen
die Weihe gegeben.
Und so bringen denn die gehorsamst unterzeichneten
israelitischen Einwohner der Stadt Düsseldorf Einer hohen
Standeversammlung im Namen der Gerechtigkeit und
Humanität ihren innigst gefühlten Dank dar.
Nur der allmächtige Vater ist Zeuge unsers tief
empfundenen Dankes; zu Ihm wollen wir betend uns
wenden, dass er seinen Segen den Vertretern der Israeliten
auf dem 7. Rhein. Provinzial-Landtage verleihe; zu Ilun
wollen wir vom tiefsten Dankgefühl durchdrungen, die in-
brünstige Bitte richten, dass er uns die Kräfte geben möge,
uns in Wort und That dieses beglückenden Ausspruches Einer
IDH Geaehiehte dgr jildigehen Oemeinde DügsMorf».
hohen ätändeversammlung stets würdig beweisen zu
können.
Mit Ehrerbietung und dankbarster Hochachtung ver-
harren Einer hohen Ständeversammlung gehorsamste
Düsseldorf, 13. Juli 1843.**
(Folgen die Unterschriften sämmtlicher Mitglieder
der israelitischen Gemeinde zu Düsseldorf.)
Auch die Düsseldorfer Zeitung widmet dem Beschlüsse
des Landtages einen warmen Dank. In der bereits er-
wähnten Nummer schreibt sie:
^Düsseldorf, vom 15. Juli. Es ist bereits bekannt
geworden, dass der Landtag für die Emancipation der
.luden sich ausgesprochen. — In der That, ein schöneres,
ehrenderes Denkmal konnte der siebente rheinische Land-
tag sich selbst und seinem Wirken nicht setzen ! — Ganz
Deutschland wird sich freuen über den Geist der Freiheit,
der in diesem Votum einer deutschen Ständeversammlung
sich ankündigt. — Für die Juden ! was heisst dies anders,
als für Recht und Freiheit ? Wohl uns, dass wir zu dieser
Erkenntniss gekommen! Wohl uns, wenn wir auf dieser
Bahn fortwandeln und ringen und kämpfen für Recht
und Freiheit, bis wir endlich auch das Höchste aller
individuellen Freiheit erreicht haben werden: Freiheit
des Geistes und Gedankens, Freiheit des Wortes!^
Besonders verdient gemacht hatte sich um die Er-
reichung dieses Resultates uAter den Vertretern der Geist-
lichkeit Canonicus Lensing aus Emmerich. Aus deim
Kreise der Düsseldorfer Bürgerschaft war es besonders
Commerzienrath Baum , damaliger Landtagsdeputirter.
Zahlreich und voll des Dankes waren die Anerkennungs-
schreiben, welche auch der Gemeinde zu Düsseldorf für ihr
mannhaftes und umsichtiges Auftreten von den Glaubens-
genossen gezollt wurden. Auch der verdiente Dr. Z.Frankel,
Oben^abbiner von Dresden und Leipzig, später Director
des jüdisch-theol. Seminars zu Breslau, zeichnete die Oe-
meinde durch ein solches Schreiben aus und fügte gleich-
zeitig eine Dankadresse an den Landtag bei, welche es
wohl verdient, hier wiedergegeben zu werden.
„Hohe Stände Versammlung !
Die Kunde des Triumphes, den die Sache der Mensch-
heit durch den h. rheinischen Landtag gefeiert, hat das
Herz jedes echten Patrioten mit Stolz erfüllt und in dem
Gemüthe der Juden Deutschlands Gefühle der Verehrung^
und der dankbarsten Anerkennung angeregt.
Der h. rheinische Landtag hat das Wort „Emanci-
pation der Juden^ in seinem ganzen Umfange ausge-
sprochen und hierdurch kundgethan, welche Motive
>V>1
Oe$chiehie der Jfidisehen Oeineüule Dilsseldorfs, 199
Vertreter eines edlen und freien Volkes belebten. Durch-
drungen von dem Werthe des Menschen^ von den Rechten,
die weder durch Verschiedenheit der (,^onfession, noch
dur'th Nebenrücksichten je beeinträchtigt werden dürfen,
hat der h. Landtag im Juden den Sohn des Vaterlandes,
den einbeimischen Bürger des deutschen Bodens an-
erkannt, dem gewährt werden soll, wozu seine gerechten
Ansprüche ihn berechtigen.
Es hat die Wahrheit ihre mächtige, unbesiegbare
Kraft, sie trägt ein göttliches Zeichen an ihrer Stirn,
das nicht durch die falbe Schminke einer erheuchelten
Autlclärung, nicht dm*eh den falschen missverstandenen
Eifer für Gott, nicht durch ängstliche, eine kleinliche
Engherzigkeit nur schlecht verhüllende Vorsicht erlangt
werden kann. Dort, wo man, was dem Juden gewährt
wird, als Gnade ansieht, wandelt sich die Gabe in ein
kränkendes, herznagendes Almosen um; es wird abge-
zirkelt und abgewogen und berechnet und bemessen,
bin das Gewährte in ein Nichts zusammensinkt, bis der
Empfänger inne wird, wie wenig Einst es dem Spender
war, wie ihn nicht ein höherer, von der Achtung vor
der Würde des Menschen beseelter Wille trieb, sondern
nur der Schein gemieden werden sollte, als gebe man
der Stimme der Menschheit nicht Gehör. Wo nicht aus
einem lebendigen Ergüsse des Rechts sich die Stimme
für den gedrückten jüdischen Mitbürger erhebt, wird der
bettelhaften Gabe die Unwürdigkeit hinzugefügt, dass man,
die eigene Schuld auf den Juden hinüberwälzend, ein
grauenerregendes Bild von seiner Verworfenheit aufstellt,
ihm jede menschliche Schwäche zum Laster anrechnet
und neue andichtet, mit ihm erst philanthropische (!) Ver-
suche anstellen, ihn durch Beschränkungen und Verclausu-
lirung von vornherein unschädlich machen will; und man
fO^ zum Unrecht den Spott hinzu, ihm die drückendsten
Beschränkungen als liebende Fürsorge anzurechnen. —
Welches Gefühl kann ein in solcher Absicht gewährtes
Zu^eständniss im Juden erwecken, welche Zugeständnisse
werden überhaupt diejenigen, welche ein solcher Geist
belebt, machen, wie muss nicht in ihrem Schosse Humanität
und Grossherzigkeit zu einer schwachen verkrüppelten
Pflanze zusammenschrumpfen.
Doch welchen Geist haben Sie, hochherzige, edle
Manner des freien Rheins, bekundet! Nicht Gnade
wollten Sie spenden, sondern im reinsten Hochgefühle
Recht ertheUen : Sie wurden von dem Genius der Wahr-
heit geleitet, der über Vorurtheil und Selbstsucht erhebt,
darum sprachen Sie ^ungetheilte bürgerliche Gleich-
200 Geschichte der jiUlf sehen OemtimU Dileeetdarfs.
Stellung^ aus, ertönte aus Ihrem Munde das Wort, auf
das Jahrelang geharrt wurde.
Hohe Ständevei^animlung! Es ist das von innigein
Danke tiefbewegte Geniüth eines Juden, das diese Zeilen
dictirt: und er darf mit Gewissheit aussprechen , dass
viele Tausende seiner (rlaubensgenossen, die, wenn auch
gleich ihm vom Rheine fern lebend und zu Preussens
Unterthanen sich nicht rechnend, in dieses GefQhl mit
einstimmen. Es ist aber auch nicht minder die Aeusserung
eines Mannes, den jeder gegen die Bekenner einer andern
Confession geübte Druck aufs tiefste verwundet ; den die
Leiden der Protestanten in den Piemontesischen Gebirgen
mit nicht geringerm Schmerze erfBllen, als die der Juden
in den meisten christlichen und die der Katholiken in
manchen protestantischen LAndern. Das Wort „Mensch"
soll zu seiner wahren Bedeutung und Geltung kommen ;
und wie traurig, wenn die Religion, die Botin des Friedens
und der Liebe, die Veranlasserin des bittersten Unrechts
wird! — Es ist endlich die Stimme eines Deutschen, der
auf deutschem Boden geboren, in deutschen Sitten gross-
gezogen, auf den Namen eines Deutschen stolz sein Auge
bewundernd zu der Höhe erhebt, die deutsche Wissen-
schaft und Bildung erreicht; und doch sieht er sich in
dem Volke, dem er der Confession nach angehört, zurQck-
gedrängt, muss, was dem Menschen am theuersten, die
Freiheit, bei auswärtigen • Nationen für seine Glaubens-
genossen suchen! Nach Frankreich, Belgien, Holland
schweifte der Blick hinüber, in Germaniens Gauen konnte
er mit Ausnahme Churhessens nicht den erwQnschten
Ruhepunkt finden: der Deutsche, dem Recht heilig, der
Freiheit zum Paniere erhebt, will er allein die Freiheit
des Menschen im Juden verkennen, er, der Hochgebildete,
hinter seinem westlichen Nachbar so weit zurQckatehen ?
Sie, erhabene Männer! haben die Ehrenrettung Deutsch-
lands Qbemommen ; und Ihr Wirken ist um so bedeutens-
reicher, als es in einen Zeitraum fällt, in welchem der
Brust Vieler mancher Seufzer über Rückschritte entfährt,
die auf dem Gebiete der Humanität drohen. Da erhebt
das edle Rheinvolk laut und vernehmbar seine Stimme:
fk*eisinnige Städte des Rheinlandes treten in die Schranken
fOr die Emancipation der Juden, seine h. Stände fassen
einen Beschlusar, wie er die Vertreter eines fttr Recht
und Freiheit glühenden Volkes ehrt, legen ihre Wünsche
an den Stufen eines Thrones nieder, den ein weiser und
gerechter König einnimmt, der diesen Wünschen Erhörun^
schenken wird. Durch den rheinischen Landtag bricht
eine neue Zeit an: denn schon in dem ausgesprochenen
^«•dkMte d$r jQdi9(k9n Oermindt Dü9BMorf$. 201
Beschlüsse liegt für den Juden die befriedigende Mani-
festation, dass er einem grossen Theile der Bewohner
Deutschlands nicht mehr ein Fremdling sei. Diese Ueber-
zeugung wird sich weiter Raum schaffen ; der Funke des
Beligionshasses und der Unduldsamkeit; der hier und dort
noch auflodert; wird vor der grossherzigen , vom Rhein-
Iftnder geoifenbarten Gesinnung erlöschen^ kern Vorwand
wird mehr gesucht, nicht wird die Nationalität des Judet)
als Vehikel des Menschenhasses herbeigeholt : der deutsche
Jude ist ein Deutscher, gehört dem Vaterlande mit seinem
Leben und seinem Gute an, fühlt sich nicht durch seine
Confession behindert, sich zur deutschen Nation zu rechnen.
yyRecht und Freiheit jedem Menschen, Duldung und Liebe
jedem Glaubensbekenntnisse^, dieses wird in Zukunft der
Wahlspruch Deutschlands sein; unter dieser Fahne sam-
meln sich alle seine Söhne, unter diesem Bollwerke wird
jedem Feinde widerstanden, dieses das Rheinlied, das alle
Zeiten überdauert: die edelsten Männer haben es auge-
stimmt und bald wird es allgemein widerhallen.
Mit der tiefsten Hochachtung und Verehrung zeichnet
sich einer h. Stände Versammlung
ergebenster
Dr. Z. Frankel,
Oberrabbiner der Israel. Gemeinden
zu Dresden und Leipzig.
Badeort SwinemQnde a. d. Ostsee, den 27. Juli 1843.^
Auf den weiteren Verlauf der Gesetzgebung können
wir hier nicht weiter eingehen, da er. nicht speciell zur
Geschichte Düsseldorfs gehört. Es ist bekannt, dass die
Verhältnisse der Juden durch das Gesetz vom 23. Juli
1847 und durch die Verfassungsurkunde vom 31. Januar
1850, speciell durch die Bestimmung: „Alle Preussen sind
vor dem Gesetze gleich, der Genuss der bürgerlichen und
staatsbQrgerlichen Rechte ist unabhängig von dem reli-
giösen Bekenntnisse*^ endgiltig geregelt wurde. Der Ver^
such des Abgeordneten Wagener und Genossen , auf die
Aufhebung der Art. 4 und 12 der Verfassung gerichtet,
vieranlasste die Düsseldorfer Gemeinde später abermals
zu einer am 10. Febr. 1856 eingereichten Petition an das
Abgeordnetenhaus.
Der Synagogen- Bezirk Dflsseidorf.
Die umsichtige Thätigkeit, welche die israelitische
Oemeinde in den die Glaubensgenossen im Allgemeinen
und die rheinischen Juden insbesondere betreffenden
Fragen entfaltete, muss um so mehr anerkannt werden,
als die Oemeinde in ihren inneren Angelegenheiten viele
202 Oesehichte der jüdieehtn Oeauinde DQsBMwrf^
Schwierigkeiten zu bekämpfen hatte, die durch die aller
gesetzlichen Bestimmungen entbehrenden und durch die
Auflösung der frOher jolich-bergischen, später bergischen
Judengenossenschaft geschaffen worden waren. Diese
zerfiel in einzehie Gemeinden, welche unter sich keinen
gesetzlichen Zusammenhang mehr hatten, und da auch
diese keine rechtliche Organisation besassen, so hing es
von dem Willen der Einzelnen ab, sich zu einer Gemeinde
zusammenzuschliessen oder nicht. Die Verfassung dieser
Genossenschaften war zwar beseitigt, aber durch keine
neue, den neuen Verhältnissen entsprechende ersetzt
worden. So eigenthttmlich die alte Verfassung auch war,
so hatte sie doch wenigstens einen Bechtsboden geschaffen,
der Willkür des Einzelnen einen Riegel vorgeschoben und
die Möglichkeit geboten, die allgemebien Gultusangelegen-
heiten nach feststehenden Normen zu ordnen und zu ver-
walten. Dazu kam noch, dass die Juden für die Erhaltung
und Beschaffung ihrer religiösen Institutionen, wie Syna-
gogen, Schulen, Friedhöfe, f(lr die Besoldung der Rabbiner,
der Lehrer, der Cantoren und der andern nothwendigen
Beamten grosse Geldopfer zu bringen hatten, die neben
den andern ihnen auferlegten Lasten, als Tribut, Eron-
geldem und sonstigen Steuern und der französischen Con-
tribution einen sel^ drückenden Charakter hatten. Zur
Bestreitung dieser Verpflichtungen hatten die Juden
schwere Capitalien aufhehmen müssen. Die Amortisation
und die Verzinsung derselben wurde durch Unolagen ge-
deckt, welche nach den Bestimmungen der Schutzbriefe
und des späteren corporativen Charakters der bergischen
Judenschaft executivisch erhoben werden konnten. Der
Vorstand war eine von der jeweiligen Regierung aner-
kannte und der jüdischen Gemeinde gegenüber mit den
nöthigen Rechten ausgestattete Behörde. Nachdem dieser
Charakter der speciell jüdischen Abgaben beseitigt und
die Befugnisse des Vorstandes aufgehoben worden waren,
musste bei dem gänzlichen Mangel einer Gemeindeordnung
die grösste Verwirrung in den Gememdeangelegenheiten
hervorgerufen und durch die nothwendige Auseinander-
setzung der einzelnen Gemeinden mit ihrem früheren
Verbände der Herzogthümer Jülich und Berg und später
des Grossherzogthums Berg bezüglich der gemeinsamen
Schulden noch verwickelter werden. Die Autorität des
nach alter Gewohnheit gewählten Vorstandes wurde nicht
mehr anerkannt, und seine Anordnungen wurden nicht
befolgt. Der Versuch, sich dem Gemeindezwange zu ent-
ziehen, wurde um so häufiger gemacht, als die Zugehörig-
keit zur Gemeinde grosse Opfer erheischte. Denn die ein-
Geschichte der jüdUchen Gemeinde Düeeeldorfe. 208
gegangenen Verbindlichkeiten hatten einen solidarischen
Charakter; Capitalien waren den Juden nur unter der
Bedingung hcrgeliehen worden, dass sie alle für einen
mit ihrem Vermögen für dieselben hafteten. Freilich
standen diesen Pflichten auch Rechte gegenüber, wie
z. B. das Recht, den Vorstand und die Beamten zu wählen,
das Eigenthumsrecht an dem Vermögen der Gemeinde,
an den Friedhöfen, Synagogen, die Benutzung reservirter
Plätze in denselben u. a. m. Da aber die Synagoge aus
religiösen Gründen auch denjenigen nicht verschlossen
werden durfte, welche an den Gemeindelasten nicht
participirten, so konnten alle, welchen es an dem nöthi-
gen Gemeinsinn fehlte, oder welchen die überkommenen
Cultus-Einrichtungen und Gewohnheiten nicht behagten,
den Gemeindelasten sich leicht entziehen, ohne in reli-
giöser Beziehung gerade in eine Zwangslage zu kommen.
Diesen konnte natürlich ein massgebender Einfluss auf
die Gestaltung der religiösen Einrichtungen, auf den Cultus
und auf die Schulverhältnisse nicht eingeräumt werden,
um so weniger, als es denselben auch an der Pietät
gebrach, welche den älteren und religiösgesinnten Ge-
meindemitgliedern eigen war. Der Unterschied zwischen
wirklichen und nicht wirklichen Gemeindemitgliedem
wurde daher allmählich immer schärfer betont. Theils
aus religiösem Interesse und um destructive Elemente
von dem Gemeindeverbande fernzuhalten, theils aber auch,
um den bedeutenden finanziellen Verpflichtungen ent-
sprechen zu können, wurde die Aufnahme in den Gemeinde-
verband von der Entrichtung eines ziemlich hohen Eintritts-
geldes, bis zu 200 Thaler und mehr, abhängig gemacht.
Allmählich bildeten sich zwei ziemlich schroff sich gegen-
überstehende Parteien heraus, die der Neuerungssüchtigen
und die Partei derjenigen, welche zwar nicht weniger
geneigt waren, dem Streben nach Bildung nachzugeben
und den Zeitverhältnissen Rechnung zu tragen, aber doch
das religiöse Leben in der Gemeinde zu erhalten und zu
pflegen suchten. Der Gegensatz wurde um so grösser,
als der Mangel aller gesetzlichen Bestimmungen der
Willkür Thür und Thor öfltaete. So kam es allmählich
auch dahin, dass die Vorsteher, welche nach alter Ge-
wohnheit gewählt worden waren und ihres Amtes mit
Treue und Hingebung, mit frommem Ernst und der
nöthigen religiösen Wärme gewaltet hatten, nicht von
Allen anerkannt wurden, und dass von der andern Seite
der Versuch gemacht und thatsächlich ausgefllhrt wurde,
einen Gegenvorstand zu wählen und den Vorstand und
dessen Befugnisse zu reformiren.
204 GetchiehU dtr jüdUehen O^meinde DttssMarft,
Während der Fremdherrschaft hatten sich zahh*eiche
Juden in dem Orossherzogthum Berg niedergelassen, ohne
sich dem G^meindeverbande anzuschliessen und die ge-
meinsamen Lasten tragen zu helfen. Schon Landrabbiner
Scheuer machte gelegentlich der fUr das Jahr 1812 anbe-
fohlenen Wiederaufnahme der Bevölkerung darauf aufmerk-
sam, dass „die seit einiger Zeit aus fremden Orten hierher
verzogenen Individuen^ in seiner Aufhahme nicht ein-
geschlossen seien, zu seiner Gemeinde nicht gehören und
es aus diesem Grunde dem Maire leichter sei als ihm,
hierüber ein genaues Verzeichniss aufnehmen zu lassen.
Aus diesen Zugezogenen oder aus den bis dahin nicht
mitgezählten jungen, meistens unselbststftndigen Leuten
rekrutirten sich zumeist die Neuerer, welchen die durch
gemeinsame Kämpfe und Sorgen und die langjährige,
durch viele Geschlechter von den Vorfahren über-
kommene und geweihte Zusammengehörigkeit, sowie die
ererbten lokalen Traditionen fehlten. Da sie aber in der
Mehrheit waren, gelang es ihnen allmählich, die älteren,
bewährten und opferfthigen Gemeinde -Mitglieder eine
Zeit lang zu majorisiren.
Bezeichnend ist eine Eingabe von Simon Prag, eines
wohlthätigen , glaubenseifrigen, gebildeten Mannes, der
lange Jahre die Gemeinde verwaltet hatte, das Ver-
trauen nicht nur der jüdischen, sondern auch der christ-
lichen Mitbürger in hohem Grade genoss, und einen
Beweis dafür durch die Uebertragung vieler Ehrenämter,
besonders durch die Wahl als Stadtverordneter bekommen
hatte. Dieser lehnte eine im Jahre 1824 auf ihn ge-
fallene Wahl als Deputirter der Gemeinde ab, weil er
in seinem „bereits über 60 Jahre vorgerückten Alter^
seine eigenen, wie viel weniger fremde Geschäfte mit
der nöthigen Umsicht nicht zu versehen vermöchte.
„Seit mehr denn 20 Jahren habe ich mit regem Eifer der
Gememde vorgestanden und deren WoU überall zu
fördern gestrebt; nun aber kann und werde ich mich
nicht femer dazu verstehen, um so weniger, als jetzt dei*
Geist des Widerspruchs immer mehr und mehr um sich
greift, die (Geschäfte erschwert und mir meines Lebens
letzte Tage verbittern würde. ^ Solcher Schwierigkeiten
bei den Wahlen und den sonstigen Gemeindeangeleg'en-
heiten ergaben sich inmier mehr, je allgemeiner das
Streben nach einer entsprechenden Gemeinde- Verfassung:
wurde. Wenn auch nicht geleugnet werden kann, dass
dasselbe durchaus berechtigt war, so war doch zu be-
dauern, dass die schuldige Rücksicht auf ältere und um
die Gemeinde hochverdiente Männer, welche ihre Opfer-
Geschulte der jüdischen Gemeinde DüeeMwfe. 205
f&bigkeit bei allen Gelegenheiten bekundet hatten^ nicht
immer in gebührender Weise genommen wurde. Ein
solches Verhalten machte die Erreichung des eigentlich
nicht bekämpften Zieles schwieriger^ als es sonst gewesen
wilre. Dazu kam noch, dass man bei dem religiösen
Verhalten der leitenden Persönlichkeiten in ihre Be-
strebungen nicht das nöthige Vertrauen setzte. In An-
sehung dieser Verhältnisse sah sich daher der Ober-
bürgermeister Elüber in sehr dankenswerther Weise
veranlasst, am 19. Sept. 1827 eine allgemeine Versamm-
lung der in der hiesigen „Sammelgemeinde^ wohnenden
männlichen grossjährigen und selbsständigen Israeliten
zu veranstalten, um theils von denselben über ihr Ge-
meindewesen Auskunft zu erlangen, theils zu einer wahr-
scheinlich nothwendigen besseren Ordnung dieses Ge-
meindewesens für die Zukunft Einleitung zu treffen.
Eingeladen waren 70; von diesen erschienen 33; als
verreist angemeldet wurden 10 und 27 leisteten der Ein-
ladung keine Folge. Auf Befragen vereinigten sich
sAmmtliche Anwesende in der Erklärung, dass eigentliche
von den sämmtlichen in Düsseldorf wohnenden Israeliten
anerkannte und von irgend einer obrigkeitlichen Behörde
bestätigte oder genehmigte Statuten in Betreff der Auf-
nahme neuer Mitglieder der Geldumlagen in der Ge-
meinde, des Ritus u. s. w. nicht existirten. Das war
allerdings, soweit die Zeit unter preussischer Herrschaft
in Betracht kam, richtig. Andererseits wiesen aber die
älteren, in der Versammlung nicht erschienenen liQt-
glieder in einem schriftlich eingereichten Protest mit Recht
darauf hin, dass die Statuten durch die von den Jülich-
bergischen Herrschern den Juden verliehene Gemeinde-
Verfassung gegeben waren, und dass die Observanzen
bezüglich des Ritus und der inneren Gemeinde-Vewaltung
von den General -Versanunlungen schon von Alters her
schriftlich niedergelegt seien, und von den höchstens 38
bis 40 kontribuirenden und als solche in den engeren
Cyklus der Gemeinde aufgenommenen wahlfähigen
Gemeinde - Mitgliedern nach einer langjährigen und
geheiligten Observanz anerkannt seien. Die Statuten
den fremden Elementen der Gemeinde, die für ihre be-
anspruchten Rechte weiter nichts als ihren Wohnsitz
geltend machen könnten, zur Bestätigung vorzulegen, sei
weder durch Gesetz, noch nach den Grundsätzen der
Billigkeit geboten, so lange dieselben sich den Lasten
entzögen. Es war also durch den starken Zuzug einfach
eine sehr fühlbare Lücke in der Verfassung entstanden,
welcher die Behörde bis dahin keine Beachtung geschenkt
206 Oeachichte der jüdischen Gemeinde Düeaeldoffs.
hatte uBd zu deren Beseitigung die Kgl. Regierung die
Sache noch lange Zeit nicht für spruchreif hielt, ein so
dringendes Bedürfniss nach einer gesetzgeberischen Ein-
wirkung auch vorlag. Von den in jener Versammlung
Erschienenen wurde ein solches Bedürfniss ausdrücklich
zu erkennen gegeben in dem einstimmigen Wunsche,
dass ihrer Gemeinde die zur Zeit noch fehlende Ver-
fassung gegeben würde, und dass in derselben unter
anderem die Bestimmung aufzunehmen sei, dass unter
der Voraussetzung der Uebernahme gleicher Pflichten,
jeder in Düsseldorf wohnende, grossjährige und selbst-
ständige Israelit gleiche Rechte auszuüben habe, eine
Verfassung, welche selbstredend der höheren Staatsbehörde
zur Genehmigung vorzulegen sei. Als Grundlage für
eine solche Verfassung wurde der Decrets-Entwurf vom
Jahre 1814 über die Organisation der christlichen Kirchen-
räthe zusammen mit Art 8 — 11 des Decretes in Betreflf
der Wohlthätigkeits-Anstalten vom 3. Nov. 1809 mit Aus-
nahme der auf die israelitische Gemeinde nach deren
Eigenthümlichkeiten nicht anwendbaren Bestimmungen
allseitig als genügend anerkannt, unter der still-
schweigenden, selbstverständlichen Voraussetzung, dass
gleichen Pflichten auch gleiche Rechte gegenüberstehen
müssten. Hiermit waren auch die älteren Mitglieder
einverstanden; nur der Begriff gleiche Pflichten war ein
bestrittener. Die älteren Mitglieder machten mit Recht
geltend, dass zu denselben nicht nur die laufenden Ab-
gaben, sondern auch die Betheiligung an den bereits
früher zur Erwerbung der Synagogen, Friedhöfe, Ge-
meindehäuser aufgebrachten nicht unerheblichen Capi-
talien nach Massgabe des Vermögens gefordert werden
und voä den die Aufnahme in den Gemeinde Verband
Nachsuchenden durch Einzahlung einer entsprechenden
Summe geleistet werden müssen. Nach einem früheren
Beschlüsse belief sich der zu zahlende Beitrag bis auf
200 Thlr. ; später, als die Aufnahmen zahlreicher wurden,
variirte er zwischen 60 und 10 Thlr. Die Entscheidung
dieser Frage wurde um so dringender, als 7 Gemeinde-
mitglieder ihren bereits früher gezahlten Beitrag von
je 153 Thaler 25 Groschen 5 Pfennig von dem Vorstand
zurückverlangten. Dieser wies jedoch diese Zumuthung^
zurück und zwar mit Recht, da die Petenten bei der
Aufnahme den von allen gleichmässig geforderten Revers
unterschrieben hatten, ein für alle Mal auf jedes fernere
Anrecht auf ihren gezahlten Beitrag zu verzichten, und
durch den Eintritt in den Synagogen-Verband nur kirch-
liche Rechte an der Synagoge und den sonstigen religiösen
«a»--
Oesehiehte der jüäieehen Gemeinde Dileeeldorfa» 207
Institutionen, aber kein Eigentliumsrecht an dem übrigen
Vermögen erlangt hatten, dieses vielmehr ausschliesslich
den älteren Mitgliedern gehörte. Ausserdem herrschten
Heinungsverschiedenheiten über den Wahlmodus, Zu-
sammensetzung und die Betugnisse des Vorstandes.
Der Kernpunkt der Frage war aber : ist der Vorstand
bloss ein Kirchen -Vorstand, vertritt er die Gemeinde
auch in rechtlicher Beziehung, oder hat in finanziellen
Fragen die ganze Gemeinde zu entscheiden? Nach
langen Verhandlungen und vielen gescheiterten Versuchen
kam endlich vermittelst namentlicher Abstimmung die
Wahl eines Vorstandes von 3 Mitgliedern zu Stande, dem
für Budget- und Steuerfragen 4 Beigeordnete zur Seite
gestellt sein sollten. Die Wahl dieser Beigeordneten
konnte erst später und nur in der Weise vorgenommen
werden, dass die Stimmzettel der Gemeindemitglieder
abgeholt und in einer verschlossenen Urne dem Vorstande
übergeben wurden. Trotzdem hatte der neue Vorstand
zunächst sein Amt ohne die Beigeordneten zu verwalten
begonnen und von dem alten Vorstande die Herausgabe
des Gemeinde-Eigenthums gefordert und auch die beiden
an die Synagoge stossenden Wohnhäuser als dazu gehörig
reklamirt. Da aber der Vorstand ohne Beigeordnete
nicht legal war, da femer der später beliebte Wahl-
modus derselben nicht gebilligt und den proklamirten
Beigeordneten die Anerkennung versagt wurde, der
Vorstand ferner gegen den früher erwähnten Beschluss
für seine Vollmacht nicht nur den kirchlichen, sondern
auch civilrechtlichen Charakter beanspruchte, so hielten
sich die abgehenden Vorsteher nicht für berechtigt, ihre
Nachfolger als legal anzuerkennen und ihnen das 6e-
meiudevermögen auszuliefern. Ebenso weigerten sich
verschiedene Gemeindemitglieder, die rückständigen Bei-
träge an den neuen Vorstand zu entrichten. Eine andere
Schwierigkeit war daraus entstanden, dass der Vorstand
einseitig den Kreis der zu den Umlagen heranzuziehenden
jüdischen Einwohner Düsseldorfs erweitert und diesen^
wenn auch nur eine sehr beschränkte Mitgliedschaft,
aber doch das Stimmrecht eingeräumt hatte. Beide
Parteien wandten sich an die Regierung mit der Bitte,
den Streit zu entscheiden. Der neue Vorstand ersuchte
die Regierung um Klärung der ihm in synagogalen An-
gelegenheiten zustehenden Rechte und Pflichten, und bat
ferner, die Widerstrebenden zur Herausgabe des Gemeinde-
Eigenthums und zur Zahlung der rückständigen Gemeinde-
beitrage zwangsweise anzuhalten. Die andere Partei
protcstirte gegen die ganz observanzwidrige Zusammen-
208 O09ehicht€ der jüdischen Gemeinde DOseeldorfe.
berufung der WaMversammlung und die angewandte
Form der Stimmenabgabe^ obwohl sie gegen die gew&bl
ten Personen als Kirchen vor Steher (denn nur eines
Kirchenvorstandes bedurfte man) nichts einzuwenden
hätten; sie seien weder mit den von einem Theile der
Gemeinde den Kirchenvorstehern eingeräumten Rechten,
noch mit der Wahl von 4 Deputirten als Gemeinde-
vertretem einverstanden und mOssten alles in dieser Sache
verhandelte als nicht verbindlich betrachten, zumal da
die denselben zu ertheilenden Befugnisse allzu ausgedehnt
seien und sich mit den Begriffen von Recht und Billigkeit
nicht vereinbaren liesen. Die Regierung selbst war
rathlos und erklärte, dass sie das einschlägige Material
zu sammeln und ' die Erstattung eines umfassenden
Berichtes zur Veranlassung der höheren Entscheidung
über dieselbe beabsichtige. Die Regierung hoffe dadurch
eine Verfassung zu veranlassen, wodurch alle ferneren
Beschwerden beseitigt und der Gemeinde die innere Ruhe
verschafft würde. Bis dahin müsse alles vermieden werden,
was den Zustand der Gemeinde alteriren oder verschlimmem
könnte. Auf wiederholte Vorstellungen seitens der Kgl.
Regierung und des Kgl. Oberpräsidü entschied das Mini-
sterium des Innern folgendermassen : Bis dahin, dass
vielleicht durch ein Gesetz ein anderes bestimmt würde,
ist allerdings die Judenschaft eines Ortes in Hinsicht
ihres Kirchen- und Schulwesens als eine Privat-
gesellschaft zu betrachten. Eine directe Einwirkung
der Administration auf diese Gesellschaftsverhältnisse,
namentlich eine Bestimmung der Beftignisse des Vor-
standes, wird bis jetzt durch die Gesetzgebung nicht
gerechtfertigt und kein einzelner würde genöthigt werden
können, in Folge einer solchen durch das Gk»etz nicht
gerechtfertigten Bestimmung eine vom Vorstande aus-
geschriebene allgemeine Umlage zu bezahlen. Was die
Ordnung im Bethause anbetreffe, so ist eine polizeiliche
Einschreitung nur dann zulässig, wenn deren Störung
eine Störung der öffentlichen Ordnung zur Folge hätte.
Etwaige Ansprüche auf Gebühren, welche für Benutzung^
gewisser Plätze zu entrichten sind, müssen gerichtliidi
geltend gemacht werden. In demselben Masse muss,
wenn die Vorsteher sich weigern, das Privateigenthum
der GeseUschaffc herauszugeben, denen, die darauf An-
spruch machen, überlassen bleiben, diesen Anspruch vor
Gericht auszuführen. Im Uebrigen haben des Königs
Majestät ausdrücklich jede Veränderung im israelitischen
Gottesdienste untersagt, weil eine solche, wie die Erfah-
rung zeigt, nur Spaltungen in der Judenschaft hervor-
Geiehichte der JUdisehtn Gemeinde Düseeldorfe. 209
bringen. Es kann daher auch in dieser Beziehung nichts
verfügt werden. Die Regierung liess also die Gemeinde
in dieser schwierigen Lage einfach im Stich und schien
sich der Verantwortlichkeit fUr die herrschende Ver-
wirrung gar nicht bewusst zu sein. Wenn die alte Ver-
fassung den Wünschen der Regierung nicht entsprach,
was allerdings leicht begreiflich , so hätte sie trotzdem
doch wohl mindestens so lange in Kraft bleiben müssen,
bis eine bessere geschaffen war; durch die einfache Be-
seitigung wurde aber den Oemeinden der Rechtsboden
vollständig entzogen, denn auch der Rechtsweg, auf
welchen die Regierung verwies, war thatsächlich ausge-
schlossen. Zur Beschreitung desselben war nämlich eine
von sämmtlichen Gemeindemitgliedern ausgestellte Voll-
macht nöthig. Durch die Verweigerung derselben seitens
auch nur eines Mitgliedes wurde der Rechtsweg einfach
abgeschnitten. Dazu kam noch, dass der Begriff „Gemeinde-
mitglied*' gai' nicht definirt und gesetzlich festgestellt war.
Diese Schwierigkeit und diese Zwangslage, in welche die
Gemeinde durch Aufhebung der alten Bestimmungen ohne
vorherige Einführung einer neuen Verfassung gebracht
worden war, ist bisher noch gar nicht genug gewürdigt
worden. Dass die Gemeinde dennoch durch alle diese
Fährlichkeiten hindurch ihre synagogalen Einrichtungen
rettete und aus eigener Kraft zu geordbieten Verhältnissen
zu gelangen wusste, ist in der That ein glänzendes Zeug-
niss für den guten Kern der Gemeinde und für ihre treue
Anhänglichkeit und warme Begeisterung für die heilige
Sache. Auch in Düsseldorf waren beide Parteien von
dem besten Willen beseelt, die gestörte Ordnung herzu-
stellen und den Bestand der Gemeinde zu sichern; die
herrschenden Differenzen beruhten nur auf dem gänz-
lichen Mangel einer jeden gesetzlichen Bestinunung und
auf Meinungsverschiedenheiten über die einzuschlagenden
Wege. Der Beweis hierfür liegt in einem am 15. Febr.
1830 bei Notar Coninx errichteten notarieUen Akt vor,
durch welchen die wirklichen Mitglieder für die ihnen
gehörigen, durch schwere Geldopfer erworbenen Eigen-
Üiumsobjecte, welche bis dahin unter Verwaltung des
Oemeindevorstandes gestanden, den opponirenden Mit-
gliedern das Miteigenthum gegen Uebemahme des ratir-
Uehen Betrages zu den Gemeindeschulden und gegen jede
Verzichtleistung auf irgendwelche früher erhobene Ent-
schädigungsansprüche übertrugen. Femer wurde bestimmt,
dass der Ertrag der in Frage konunenden Gnmdstücke
für die Bedürfnisse der Kirche und Ausübung des Cultus
pflichtmässig verwendet werde. Für die nächsten 10 Jahre
u
210 Geschichte der jüdisdien Gemeinde Düsseidorfg.
wurde jede andere Verfügung über die Grundstücke aus-
geschlossen und für die spätere Zeit von «/jo Stimmen-
mehrheit abhängig gemacht. In einem der Häuser sollte
eine Schule gehalten werden. Neue vollberechtigte Mit-
glieder sollten auch ferner vom Vorstand nach der bis-
herigen Observanz aufgenommen werden dürfen. Für
den Aufnahme -Akt sollte der Vorstand ebenso wie für
vermögensrechtliche Verwaltungs-Angelegenheiten durch
einen durch's Loos zu bestimmenden Ausschuss von 6 Mit-
gliedern verstärkt werden. Die Aufnahme als vollbe-
rechtigtes Mitglied wurde von der Unterzeichnung dieses
Vertrages abhängig gemacht. Nachdem durch diesen
notariellen Akt die Gemeinde eine gesetzliche Grundlage
erhalten, traten die Unterzeichner dieses Vertrages ge-
wissermassen als neue Gemeinde zusammen und einigten
sich gar bald bezüglich der inneren Verwaltungs - Ange-
legenheiten, der Umlagen, des Vorstandes und des Cultus.
Bezüglich des letzteren wurde die Einführung etwaiger
Aenderungen für die Dauer der Rabbinats - Vacanz von
der Zustimmung dreier auswärtiger Rabbiner, und zwar
Earlburg in Crefeld, Auerbach in Bonn und Schnatich
in Bingen abhängig gemacht. Düsseldorf selbst entbehrte
damals noch seit dem Ableben des R. Scheuer in Folge
der herrschenden Verwirrung eines Rabbiners. Sobald
nur die Gemeinde wieder einigen Bestand gefunden hatte,
wurde, wie noch später zu berichten sein wird, die
Wiederbesetzung des Rabbinats mit allem Eifer betrieben
und so eine Frage erledigt, mit welcher die Schulfrage
aufs innigste zusammenhing.
Diese Selbsthülfe und gewissermassen neue Begrün-
dung einer Gemeinde und Feststellung ihrer Statuten in
Form eines notariellen Vertrages war ein sehr weiser
Ausweg und andererseits um so dringender geboten, als
die Regierung sich beharrlich weigerte, Statuten und
Vorstand einer Gemeinde ihre Bestätigung zu ertbeilen
und die schwebenden Fragen geflissentlich ignorirte ; man
wollte dem zu erwartenden Gesetze nicht vorgreifen,
obwohl man einsah, dass die jüdischen Gemeinden auf
die Anerkennung seitens des Staates und Verleihung der
corporativen Rechte doch einen wohl begründeten recht-
lichen Anspruch hätten. Erst nach langen Kämpfen, die
auch von der sehr rührigen Gemeinde in Wesel eifrig
unterstützt wurden, entschied das Kultusministerium im
Einverständniss mit dem Minister des Innern und der
Polizei am 9. Juni 1840 diese Frage folgendermassen :
Die Beschwerde der Judenschaft wegen verweigerter An-
erkennung als Corporation und versagter Bestätigung ihrer
GesehiehU der jüdischen Gemeinde Düsseldorfe, 211
Statuten sind nicht unbegründet; selbst die Einfülirung
der allgemeinen Landrechts hat in den durch die franzö-
sische Gesetzgebung begründeten inneren und staatsrecht-
lichen Verhältnissen der Juden Nichts geändert , die
Synagogengesellschaften derjenigen Provinzen, in welchen
das französische Gesetz rechtlich eingeführt, sind als vom
Staate genehmigt, ja anbefohlen zu betrachten und
müssen demzufolge als Corporationen anerkannt werden.
Demgemäss sind auch die betreifenden Vorsteher als
förmliche Corporations-Beamte anzuerkennen.
Trotzdem dauerten die Verhandlungen mit den Be-
hörden wegen der Ausführung dieser Bestimmungen noch
recht lange. Erst am 24. Febr. 1845 wurde von dem
Landrath Freiherm von Frentz zum ersten Mal wieder
die Bestätigung des (im Jan. 1845 gewählten) Vorstandes
ausgesprochen, und erst im Jahre 1847 die Frage allge-
mein durch Gesetz geregelt.
Auf Grund dieses Gesetzes wurde eifrig an den
neuen Statuten gearbeitet. Nach verschiedenen Entwürfen
wurde derjenige vom 29. Januar 1858 vom Kgl. Ober-
präsidium bestätigt. Der neue Synagogen- Verband erhielt
den Namen „Synagogen-Bezirk Düsseldorf^ und umfasste
den landrathlichen Kreis gleichen Namens. Alle in dem-
selben wohnenden Juden sind Mitglieder der Gemeinde,
welche in Bezug auf ihre Vermögensverhältnisse die Rechte
einer juristischen Person hat. Vertreten sind dieselben
durch einen Vorstand von 3 Mitgliedern; diese werden
von den 9 Repräsentanten gewählt, und letztere sind von
der ganzen Gemeinde zu wählen. Im Uebrigen muss hier
auf die gedruckt vorliegenden Statuten verwiesen werden,
die im Jahre 1883 eine kleine Modiflcation erfuhren.
Der in dem oben erwähnten Ministerial-Erlass vom
Jahre 1840 ferner ausgesprochene Grundsatz, dass „die
Auseinandersetzung des Rechtsverhältnisses der Juden
bloss ihre religiösen Verhältnisse betreffe, indem sie in
allen übrigen Verhältnissen den andern Einwohnern gleich-
stehen und ohne irgend einen Unterschied zur bürger-
lichen Gemeinde gehören^, hinderte doch nicht, dass, wie
bereits früher ausgeführt, im Jahre 1842 noch die Frage
erörtert wurde, ob die Juden zum Militärdienst zuzulassen
seien, und dass auch die Frage der Gleichberechtigung erst
durch die Verfassung im Jahre 1850 ausgesprochen wurde.
Noch widerspruchsvoller war die Stellung, welche
die Behörden einnahmen gegenüber dem
Schulwesen.
Während die Behörde die gesetzliche Berechtigung
der Vorstände sonst einfach leugnete, stellte sie in der
14*
212 O01lehickt^ der jüdischen Gemeinde Düueldarfs.
Schulfrage Forderungen an dieselben, welche nur unter
der Voraussetzung gewisser corporativer Autorität und
Machtbefugnisse geleistet werden konnten. Nur den ver-
worrenen Verhältnissen ist es zuzuschreiben, dass dem
Schulwesen erst verhältnissmässig spät die gebührende
Pflege zugewandt werden konnte.
An Interesse, Eifer und Verständniss fttr diese wich-
tige Frage fehlte es der Gemeinde durchaus nicht ; allein
bei der eigenthümlichen Gemeinde • Verfassung und der
später herrschenden Verwirrung der Gemeinde -Verhält-
nisse konnte die Schule nur einen privaten Charakter
haben. Zur Errichtung einer öffentlichen Schule konnte
die Gemeinde nicht schreiten, weil sie zu sehr verschuldet
war, die gemeinsamen Beiträge, wie bereits auseinander-
gesetzt, nicht gesichert, oft sogar sehr fraglich waren
und daher keine Fundirung vorhanden war, um den
Bestand einer öffentlichen Schule gewährleisten und die
zu übernehmenden Verpflichtungen mit Sicherheit erfüllen
zu können. Wie in allen andern Beziehungen, so wurde
die Gemeinde auch im Schulwesen durch die Gesetz-
gebung gehindert. Während der jülich-bergischen Gebiets-
Verfassung wurde der Schulmeister, der zugleich Gerichts-
vollzieher und häufig auch Rabbinats-Secretair war, von
der Gemeinde besoldet. Die Schulinspection lag dem
Land-Rabbiner ob, der wiederum durch die Regierung
controUirt wurde. Da, wo die Gemeinden den Schul*
Unterricht vernachlässigten, wurden sie von der Regierung
zur Abstellung der Uebelstände und zur gewissenhaften
Erfüllung ihrer Pflichten mit allem Nachdruck angehalten.
Bezeichnend hierfür ist folgender Erlass vom 6. Homing
1 787 an den Magistrat zu Mülheim am Rhein : „Nachdem
Se. Churfürstl. Durchl. das unterthgste Gesuch der Juden-
schafts-Vorgänger und Vorsteher zu Mülheim am rhein,
um ggste erlaubnis zur Errichtung einer Synagoge ab-
geschlagen haben. So wird solches dem Magistrat Zu
gemeldetem Mülheim mit dem auftrage un Verhalten, die
Supplicanten demgemäss zu Verbescheiden und denen
selben auf Zu geben, dass sie ihre Jugend zum teutsch
lesen und schreiben anführen lassen sollen, um die Handels-
bücher nach der ggsten Normal- Verordnung in Teutscher
Sprache einrichten zu können, so dann die Sportellen und
kanzeley gebühr mit 7 Rthh*. 45 stüber Von Supplicanten
beizunehmen und geheimraths Expeditor Bruns in 14 tagen
einzuschicken.^ 1) Daraus geht zunächst hervor, dass
1) Die gerügten Mängel scheinen doch nicht so schwerwiegend
gewesen zu sein, da schon am 22. Juni 1787 der Magistrat von
[ülheim angewiesen wurde, den Juden auf der Communications-
Gt9ehiehU der jüdischen Gemeinde Düeaeldarfe. 21S
Normal-Verordnungen vorhanden waren. Andererseits ist
der Umstand^ dass in andern Fallen die Concession zur
Erbauung einer Synagoge nach gutachtlicher Aeusserung
des Landrabbiners anstandslos ertheilt wurde, ein Beweis
dafbr, dass im Allgemeinen der Schulunterricht nicht
bemängelt zu werden brauchte.
Nach Errichtung des Grossherzogthums Berg hörte
dieses Verhältniss auf, da die Auseinandersetzung mit den
durch die veränderte Landeseintheilung abgetrennten Ge-
meinden eine sehr schwierige war imd so lange Zeit in
Anspruch nahm, dass sie nach Beseitigung der Fremd-
herrschaft noch lange nicht geregelt war. Wir hatten
gesehen, dass in Folge dessen sogar das Gehalt des den
früher vereinigten Herzogthttmern Jülich und Berg gemein-
samen Landrabbiners in Wegfall kam, weil es nicht ein-
getrieben werden konnte. Wie hätte die Gemeinde daran
denken können, andere Verpflichtungen einzugehen, da
Capitalien nicht vorhanden waren. Die Behörde überliess
die Gemeinde ihrem Schicksal, zahlte keinen Beitrag und
übte ebensowenig eine ControUe über den Schulbesuch
resp. den Unterricht der Kinder aus: Die einzelnen Fa-
milien, welche wie in anderer Beziehung so auch hier
auf Selbsthülfe angewiesen waren, hielten sich theils
einzeln, theils mehrere zusammen einen Hauslehrer oder
schickten ihre Kinder in christliche Schulen. Dass manche
Familien Bedenken trugen, letzteren Weg für den Unter-
richt ihrer Kinder zu wählen, kann nicht befremden,
wenn man bedenkt, dass das den Rheinischen Ständen
eingereichte Expos6 u. v. a. die Beschuldigung enthielt,
die Juden Hessen ihre Kinder blos hebräisch lesen und
schreiben lernen, um in einer unverständlichen und ge-
heimen Sprache sich unentdeckt ihre Geheimnisse und
Betrügereien mitzutheilen u. s. w.i) Man fürchtete, und
nicht mit Unrecht, dass diese Anschauung der Behörden
nicht ohne Einfluss auf den in jenen Schulen herrschenden
Oeist geblieben und sowohl Lehrer als Schüler geneigt
sein möchten, die jüdischen Kinder nach diesem Mass-
stabe zu messen, zu «beurtheilen und zu befhandeln und
dadurch die wahre Bildung des Herzens und des Gemüthes
zu verkümmern. Ausserdem kam noch die Frage des
Religionsunterrichtes hinzu, der damals an den öfTentlichen
Schulen noch nicht eingeführt war und neben den andern
Unterrichiskosten wieder andere nicht unerhebliche Opfer
oder Wallstrasse einen bequemen, räumlichen Platz gegen billigen
Pfandschilling zu überlassen, um darauf ein neues Haus und in
diesem ein Zimmer zur Synagoge einzurichten.
1) Vergl. 8. 186.
214 Geschichte der jüdieehen Gemeinde Düeseiäorfs.
erheischt hätte, trotzdem aber nicht diejenige umsichtige
Pflege gefunden hfttte, welche man für ihn in Anspruch
nehmen musste. In seinem das jüdische Schulwesen
betreffenden Schreiben vom 23. August 1827 hebt der
Oberbürgermeister Klüber diese Schwierigkeiten besonders
hervor. Diese seien nicht leicht zu überwinden und
beständen vorzüglich darin , dass bei der geringen An-
zahl der israelitischen Kinder die Eltern derselben,
wenn sie eine eigene Schule haben wollen, bedeutendere
Beiträge an Schul- und Heizungsgeld sich gefallen lassen
müssen, als solche bei den viel zahlreicheren christlichen
Schulen nöthig sind, während zugleich „aus dem nehm-
liehen Grunde die bürgerliche Gemeinde die Beihülfe
nicht leisten kann, welche sie den christlichen Schulen
gewährt." Trotzdem verlangte die Behörde in vielen
Fällen für die armen Kinder freien Unterricht von der
Gemeinde, mindestens die „Einrichtung, dass auch die
ärmeren Kinder an dem Religionsunterrichte Theil nehmen,
wenn sie auch von dem übrigen Unterrichte ausgeschlossen
seien, und diesen in der allgemeinen Freischule besuchen
sollen.**
Wenn aber auch erschwert, so wurde die Erziehung
der Kinder keineswegs vernachlässigt. Der Drang nach
Bildung machte sich zu allen Zeiten unter den Juden
geltend. Auch die jülich-bergische Judenschaft hatte eine
recht stattliche Reihe Männer und Frauen aufzuweisen,
welche sich einer wissenschaftlichen oder tüchtigen all-
gemeinen Bildung erfreuten, wie z. B. die Familien von
Geldern in Düsseldorf, welche in mehreren Geschlechtern
sehr gesuchte und selbst vom Landesherm durch sein
Vertrauen ausgezeichnete Aerzte stellte, i) Dr. Moses Levi
aus Bergh8im u. v. A.
Die Schulfrage bildete in dem oben geschilderten
Verfassungsstreit 2) der Gemeinde, welche nach der Ein-
verleibung des Grossherzogthums Berg in die Preussische
Monarchie die Gemüther erhitzte, eine der wichtigsten
Streitobjecte, wenn nicht den Ausgangspunkt des ganzen
Zwistes. Schon im Jahre 1820 wurde an die General-
Schul-Direction eine Eingabe folgenden Inhalts gerichtet :
„Der erste Unterricht in Schulen ist die Grundlage
des bürgerlichen Wohls in allgemeiner und besonderer
Beziehung, hievon hängt es ab, in der noch unverdorbenen
Natur der Jugend das Werk der Menschen- Veredlung zu
beginnen, den Lernenden eine wahre, nicht blos cere-
1) Vergl. Wedell, Heinrich Heine's Stammbaum mütterlicherseits.
«) Vergl. S. 202 fgg.
lai"--
Geachichte der Jüdischen Gemeinde DU$9eldorfs. 215
monielle Achtung gegen Gott und seine Werke beizu-
bringen, in ihnen deutliche Begriffe von Tugend und Laster
zu pflanzen und so den wahren iSinn für Religion, Moral
und bürgerliches Wohl in dem Maas zu wecken, dass
in reiferen Jahren die Beschäftigung des Geistes und
moralische Vervollkommnung der Menschen noch immer
ein fruchtbares Streben bleibe.
Schon seit 30 Jahren wurde unter verschiedenen
Regierungen an Verbesserung des Schulwesens gearbeitet,
imd das Grossherzogthum Berg hat seit einigen Jahren
das Glück, unter der Leitung einer ausgezeichneten Schul-
Direction eine allgemeine, nach richtigen Principien be-
rechnete Schulverbesserung erhalten zu haben, wenigstens
geben die Hauptorte und Städte darüber einen redenden
Beweiss, und mehrere in hiesiger Stadt unter Vorsitz der
hohen Behörden gehaltenen öffentlichen Prüfungen sagen
jedem Kenner, was jetzt die Schulen sind, was sie sonst
waren.
Nur der Unterricht in den israelitischen Schulen ist
derjenige, welcher, wie immer, auch jetzt noch am
weitesten zurückstehet. Diese Religions-Genossen, welche
so lange unter dem Drucke der Verfolgung seufzten,
haben zwar endlich die glückliche Epoche erlebt, wo
mehr liberale Grundsätze in ihnen die Menschenrechte
nicht verkennen, und wo ein Decret des grossen Kaisers
sie unter die Zahl seiner Bürger aufgenommen hat.
Der gutgesinnte Theil der Israeliten ist aber davon
überzeugt, dass zu jener bürgerlichen Gleichheit auch
vorzüglich die Verbesserung des israelitischen Schul-
unterrichts ein wesentliches Erforderniss sey, wofern man
in der Volksaufklärung und Bildung des Geistes mit dem
Christen gleichen Schritt halten soll.
Alle diese Inconvenienzen würden gehoben , wenn
anstatt der jetzt vorhandenen 4 verschiedenen Hausslehrer
ein greprüfter Gemeinheitslehrer angestellt würde, der
unter der Aufsicht der Schulinspection die Jugend nebst
dem eigenthümlichen Religions- Unterricht auch in jenen
\yisseii8chaften gehörig bildete, welche dem Menschen
und Bürger nöthig sind.
Die Einrichtung zu einem Gemeinheitslehrer kann
keinen Beschwernissen unterworfen seyn, wenn hier ein
höheres Geboth den Widerspruch des Eigensinns beseitiget.
Unter den jetz bestehenden 4 Hausslehrern befinden sich
2, -wovon jeder nebst freye Kost und Brand jährlichs
250 Rtli. bezieht; die Rechnung ist also leicht gemacht,
dass CS bei einer vernünftigen Eintheilung, wenn nemlich
die bei Christenschulen fast allgemein angenommenen
216 Gewhichte der jildid^ieu Gemtindt Dlk99Morf9*
Grundsätze einer Schulsteuer befolgt werden, nicht schwer
fallen kann, einen eigenen Oemeinheitslehrer ohne schwere
Belastung der Individuen zu besolden, ihn durch ein festes
Gehalt von etwa 300 — 400 Rth. gegen alle Nalirungssorge
zu schützen, und so den Unfug ungeprüfter wandernder
Hausslehrer zu beseitigen.
Man bedenke nur, dass in hiesiger Stadt immer
25— :K) Schulfähige Israeliten-Kinder sind, und dass auch
die ärmste Familie monathlich gern 1 Rth. beitragen
wird, wenn sie sich eines festen guten Unterrichts ihrer
Jugend freuen kann.
Die hohe Schuldirection wird diese Vorschläge einiger
gutgesinnter Haussväter nicht enthören, sondern zu ihrer
baldigen Ausführung die nöthige Verfügung erlassen, wo-
hin wir unsre vertrauensvolle Bitte richten."
£in Schulzwang bestand damals überhaupt noch nicht,
vielmehr scheint derselbe erst durch Obcr-Präsidial-Ver-
Ordnung vom 13. September 1824 eingeführt, seitdem
aber auch strenger gehabt worden zu sein ; erst im Jahre
1826/27 wandte die Behörde auch dem jüdischen Schul-
wesen ihre Aufmerksamkeit zu. So forderte sie den Ge-
meinde-Vorstand durch Schreiben vom 14. Novbr. 1826
auf, für den Unterricht von 6 armen Kindern Sorge zu
tragen. Die Gemeinde übernahm dies bereitwillig, ver-
wahrte sich aber gegen einen etwaigen gesetzlich
obligatorischen Charakter dieser Pflicht und wies
darauf hin, dass ihre Kräfte aufs Aeusserste angespannt
seien, dass bei dem Mangel jedes rechtlichen Bodens ihre
ganze Existenz bedroht sei, und dass viele Mitglieder sich
überhaupt weigerten, ihre Beiträge zu bezahlen, ohne dass
sie irgend welches Mittel hätte, die Säumigen zur Zahlung
ihrer Beiträge zwangsweise anzuhalten. Mit dem con-
cessionirten Lehrer J. L. Neuburger traf die Gemeinde
das Abkommen, dass er aus der Gemeindekasse einen
jährlichen Beitrag erhalten sollte, wogegen er die Pflicht
hätte, „einigen armen Kindern, die ihm vom zeitlichen
Vorstande zugewiesen wurden, in Privatstunden Unterricht
zu ertheilen'^ Indessen sah sich der Vorstand genöthigt,
der Behörde mitzutheilen dass „ein gewisser Meyer
Frankfurter sich weigere, seine Kinder von dieser Ein-
richtung Gebrauch machen zu lassen'^ In dem bereits
erwähnten Schreiben vom 14. Novbr. 1826 hatte die Be-
hörde die jährlich zweimalige Einreichung einer Liste der
schulpflichtigen Kinder und eines Nachweises über den
Schulbesuch angeordnet. Allgemeine Bestinimungen Qber
das jüdische Schulwesen gab es noch nicht. Erst im
Jahre 1827 erliess die Kgl. Regierung auf Grund der
Geschiehte der jtldiachen Gemeinde Düsseldorfs, 217
bestehenden Verordnungen (vom Jahre 1824) und mit
Genehmigung des Kgl. Ministeriums der geistlichen,
Unterrichts - und Medicinal - Angelegenheiten über das
jüdische Schulwesen im Allgemeinen, und insbesondere
in der Anwendung auf die Düsseldorfer israe-
litische Schule allgemeine Bestimmungen J) Auf
Grund dieser Bestimmungen wurde nun die Gemeinde
aufgefordert, binnen 14 Tagen hinsichtlich des Lehrers
Neuburger, der damals mit dem Unterlehrer Traven eine
Elementarschule in Düsseldorf hielt, die unter Nr. 2
litt, b, c, d, e und f genannten Stücke einzureichen.
Gegen diesen am 23. Aug. 1827 ergangenen Erlass legten
die Vorsteher in Gemeinschaft mit den alteren, wahl-
fähigen Mitgliedern der Gemeinde in unbegreiflicher
Kurzsichtigkeit, welche höchstens in dem die Gemeinde
damals erregenden Gemeinde -Verfassungs - Streite ihre
Erklärung finden kann,2) unter 18. Septbr. 1827 bei dem
Oberbürgermeister und unter 24. Octbr. desselben Jahres
bei der Kgl. Regierung eine sehr bedauerliche Verwah-
rung ein.
„Wenn wir den Sinn und den Zweck des genannten
gefälligen Schreibens i'ichtig aufgefasst haben, so dürfte
daraus hervorgehen, dass Ew. Hochwohlgeb. der Ansicht
sind, dass wir den hier wohnenden Lehrer H. Neuburger
als einen öffentlichen Gemeinde -Lehrer betrachteten.
Die Gemeinde aber hat denselben niemals als solchen
anerkannt, und auch dessen von einer hochlöbl. Königl.
Regierung ertheilte Concession ward ihn gewiss nur zum
Privatlehrer berufen haben.
Gerade aus seiner persönlichen Stellung zu seiner
Behörde und zu der städtischen Gemeinde geht aber
deutlich hervor, dass es ausser den Grenzen unserer Be-
fugrniss liegt, ihn zur Beibringung der geforderten Nach-
weise, Zeugnisse und sonstige Requisite zur Beibehaltung
seiner Stelle anzuhalten, und müssen wir daher dieses
Ew'. Hochwohlgeb. ganz ergebenst für den Fall anheim-
geben, wenn Sie d^ rechtlichen Meinung sind, dass
Neuburger, obschon früher als Privatlehrer geprüft und
aDgrestellt, durch ein späteres Gesetz verpflichtet werden
könne, in Beziehung auf seine Qualiflcation, und zum
Zweck der Beibehaltung derselben Qualität sich auch
den neuern Gesetzen zu fügen.
Wie gesagt, uns gegenüber hat Neuburger keine
Verpflichtung zu antworten, wenn er nicht etwa beab-
sichtigen sollte, bei dem projectirten Plane der Errichtung
«) Vergl. Amtsblatt. — «) Vergl. S. 202 fgg.
218 Oeaehiehte der JMiwhen Gemeinde DOeeeldoffe.
einer öffentlichen Jüdischen Gemeinde-Schule durch ein
bestimmtes Gehalt und andere Vortheile seine Existenz
mehr sicher zu stellen.
Einem solchen Plane aber würden sich die unter-
zeichneten mit vollem Rechte widersetzen müssen, und
um Ew. Hochwohlgeb. schon jetzt zu zeigen, dass einer
solchen Widersetzung die trieftigsten Gründe zur Seite
stehen, beehren wir uns folgendes anzuführen.
Eine öfiTentliche anzulegende Schule müsste, wie
Ew. Hochwohlgeb. selbst zugeben, nur aus den Mitteln
der jüdischen Gemeinde unterhalten werden.
Die Gemeinde aber befindet sich nicht in der Lage,
um eine so grosse Bürde ohne die gröste Aufopferungen
auf sich zu nehmen. Ihre Ausgaben sind für den Gottes-
dienst, die Erhaltung der Gebäude, des Dienstperso-
nals u. d. g. zu bedeutend. Dagegen die Anzahl der zu
diesen Lasten beitragenden zu geringfügig, als dass die
Unterzeichneten nicht verpflichtet wären, den Machinatio-
nen entgegen zu arbeiten, die ohne ihr Wissen und Zuthun
die Ausführung des projectirten Planes wenigstens vor-
bereiten helfen sollen.
Mag es wahr sein, dass diejenigen Israeliten, welche
ihre Kinder zu Neuburger in die Schule schicken, jetzt
mehr zahlen müssen, als wenn zu einer öffentlichen Oe-
meindeschule jeder ohne Rücksicht auf Theilnahme am
Unterricht und unterrichtsffthige Kinder zu kontribuiren ver-
pflichtet ist, mag es wahr sein, dass auch Hr. Neuburger
dabei seinen Vortheil zu erstreben und zu erlangen weiss,
mag es endlich wahr sein, dass man sogar gegen alles
Recht die hier und in den benachbarten Ortschaften woh-
nenden armen und nicht wahlfähigen Israeliten dahin zu
stimmen gewusst hat, dass diese für die Errichtung einer
öffentlichen Israelitischen Schule ihr Votum abgeben
wollen, und werden, so ist es auf der andern Seite auch
nicht zu verkennen, dass weder Gewinnsucht der Be-
mitteltem noch der Vortheil des Einzelnen dann nur Ein
Qran in die Wagschale legen darf, wenn es sich von der
Errichtung oder Zurückweisung einer angeblich gemein-
nützigen Anstalt handelt ; es ist dann nicht zu verkennen,
dass nach unsren Statuten und einer langj&hrigen und
daher geheiligten Observanz nur Diejenigen ein Sitz- und
Stinunrecht in der Gemeinde haben, die zu den Lasten
kontribuiren, und als kontribuirende in den engern Cyklus
der Gemeinde aufgenonunen sind.
Solcher wahlfähigen Glieder der Gemeinde aber gibt
es hier höchstens 38 — 40 und zu diesen gehören die Unter-
schriebenen sämmtlich.
0€9ehicht$ der jOdisehen Gemeinde Düeseldorfs. 219
Wenn es sich aber nun finden sollte, dass die bis-
herigen Ausgaben für den Religions-Unterricht der armen
Juden nicht hinreichten, so sind wir mit Freuden erbOtig
die Beiträge zu erhöhen, und wir zeigen dadurch, dass
wir gerne da helfen, wo es Noth thut.
Allein die Einrichtung einer öffentlichen Schule ist
um so weniger dringend nothwendig, als viele jüdischen
Kinder au dem Unterrichte in christlichen Schulen Theil
nehmen und die andern mit dem Unterricht des Neubürger
ganz zufrieden sein können.
Dem Allen tritt nun noch hinzu, dass die hohe Ver-
ordnung Sr. Excellenz des Staatsministers und Oberprä-
sidenten Herrn von Ingensieben vom 13. September 1824
(Amtsblatt Nr. 76) in den §. 2. §. 4. §. 10. 11 uns zur
Seite steht, indem nach derselben wir die Kinder entweder
in eine christliche Schule schicken, oder sie durch einen
jüdischen Privatlehrer unterrichten lassen können.
Der Zwang zur Anlegung einer öffentlichen Jüdischen
Schule scheint nach dem §.12 derselben hohen Verord-
nung gänzlich ausgeschlossen, es vielmehr der Jüdischen
Corporation allein anheimgestellt zu sein, nach ihrem
Willen und mit Rücksicht auf ihre Verhältnisse für die
Errichtung der öffentlichen Schule mit Vorbehalt der
Genehmigung der Regierung Sorge zu tragen.
Wir müssen demnach es wiederholen, dass wir in
der Errichtung einer öffentlichen Jüdischen Schule nicht
willigen."
Die Verhandlungen über diese Frage zogen sich sehr
in die Länge und wurden erst im Jahre 1838 durch die
Berufung des Lehrers N. Frank zu einem befriedigenden
Abschluss gebracht. Inzwischen wurden, wie bereits
fraher gezeigt worden, die Rechts-Verhältnisse der Ge-
meinde auf privatem Wege durch notariellen Act geordnet
und durch Berufung des Dr. Jacob Rosenberg als Rabbiner
in Düsseldorf, über welchen später noch zu berichten
sein wird, eine den Wünschen der Gemeinde entsprechende
Schul - Inspection besonders des religionsunteiiichtlichen
Tbeiles eingerichtet. Nachdem diese wichtigen, Grund
lehrenden Fragen gelöst waren, schritt die Gemeinde ohne
Zögern zur Lösung der Schulfrage und bewies dadurch,
dass die Vjerzögerung • der Angelegenheit nicht ihrem
Mangel an Interesse, sondern dem rechtlosen Zustande
der Gemeindeverhältnisse zur Last fiel. Im Juni 1837
war der Rabbiner Dr. Jacob Rosenberg in sein Amt ein-
geführt worden. Im Septbr. 1838 wurde die Ertheilung
der Concession für den Lehrer N. Frank erbeten und
nach mehrfachen Verhandlungen gegen Anfang des Jahres
220 Geschichte der jüdischen Gemeinde DüssMovfe,
1839 ertheilt, auf Grund der gesetzlichen vorgeschriebenen
Nachweise und des folgenden Berufsscheines:
„Wir bescheinigen hiermit, dass unser Herr Rabbiner
(Dr. Jacob Rosenberg), beauftragt und bevollmächtigt
von den mehrsten Eltern hiesiger schulpflichtigen Eander
unserer Glaubensgenossen, den mitunterzeichneten Herrn
N. Frank aus Lechenich, ehemaligen Lehrer zu Brühl,
vorläufig auf ein Jahr angenommen hat, um in folgenden
Gegenständen, als Religionslehre (Biblische Geschichte,
Exegese, Dogmatik) — hebräischer und deutscher Sprache
— hebräischer, deutscher und französischer Calligraphie —
Rechnen — Geographie und Geschichte, täglich 6 Stunden,
nämlich des Morgens von 8 — 12 Uhr und des Nachmittags
von 2 — 4 Uhr, den Unterricht zu ertheilen, wofür dem-
selben im Namen der Eltern ausser Kost und Wohnung
am Ende des Jahres ein Ueberschuss von den monat-
lichen Schulgeldern von 100 bis 120 Thlrn. zugesichert
ist. Düsseldorf, 27. November 1838. Die Vorsteher.«
Eine andere Form der Berufung gab es nicht, da die
Gemeinde sowohl als auch dei- Vorstand der gesetzlichen
Anerkennung entbehrten; was zugleich die lange Ver
zögerung der Angelegenheit erklärlich machte. Noch im
November 1835 musste der Vorstand bei Einreichung des
Berichtes tlber den Schulbesuch auf die Anfrage der
Behörde bezüglich des Schulvorstandes constatiren, dass
„wir keinen Schulvorstand haben, es uns auch nicht bei-
kommen konnte, einen solchen zu bilden, indem schon
mehrere Male von einer hohen Egl. Regierung sogar die
Anerkennung eines israelitischen Kirchen -Vorstandes ab-
gelehnt worden. Dasselbe Verhältniss wird noch in einem
Schreiben vom 21. Juli 1841 an Oberbürgermeister von
Fuchsins constatirt. Natürlich hatte die Schule des Lehrers
N. Frank zunächst nur den Charakter einer Privat*
Familienschule. Neben derselben existirten bis zum Jahre
1840 noch die als öffentlich bezeichneten Schulen von
Neuburg und von Oxe. Ausserdem ertheilte Privatunter-
richt der Lehrer Jacob Leffimann. Der Schulbericht pro
1840 vom 26. Januar 1841 constatirt 45 schulpflichtige
Kinder, von denen 17 die Schule des Lehrers Frank,
20 Kinder christliche Schulen besuchen und 8 Privat-
unterricht geniessen. Von öffentlichen Schulen werden
aufgeführt die Realschule, die Schulen von Neuburg, von
Oxe und von Frl. von Erkelenz ; von Privatschulen ausser
derjenigen des Lehrers N. Frank die Schule der Frau
Schön, der Frau Lautier, des Frl. Mündersdorf und des
Frl. Meyer. Bezeichnend für die Controle des Schul-
besuchs und für die der Gemeinde in dieser Beziehung
GeschichU der jfldischen Gemeinde DQaseldorfa, 221
angewiesene Stellung ist folgende Bemerkung zu dem
erwähnten Schulbericht: Sechs Kinder unbemittelter Eltern
werden unterrichtet von dem unter der Leitung des Herrn
Frank stehenden Lehrer Jacob Lelfmann, den wir ver-
mittelst wohlthätiger Beiträge einiger Mitglieder unserer
Gemeinde salariren. Uebrigens können wir für unsere
Angaben weder in Betreff der Anzahl der schulpflichtigen
Kinder noch derjenigen, welche christliche Schulen be-
suchen und den Religionsunterricht zu Hause erhalten
sollen, verbürgen da wir weder die Kraft noch
die Befugniss besitzen, die Eltern hierüber zur
Rechenschaft zu ziehen. Im Jahre 1844 besuchten
von 66 schulpflichtigen Kindern nur 23 die Frank'sche
Schule. In einer an die Stadt gerichteten Eingabe vom
1. Febr. 1844 wird als Ursache dieses schwachen Besuches
die Höhe des Schulgeldes (1 — 2 Thlr. monatlich) angegeben
und um einen Beitrag aus städtischen Mitteln gebeten.
Der darauf bewilligte Zuschuss von 50 Thlrn. jährlich
wird zur Ermässigung des Schulgeldes für Kinder minder-
bemittelter Eltern verwendet. Zur Hebung der Schule
wurden in der Folge grosse Anstrengungen gemacht:
das Schulgeld auf :^0, 25 und 30 Sgr. pro Monat ermässigt,
die Knaben und Mädchen getrennt unterrichtet, das Lehr-
personal durch Uebertragung des Religionsunterrichtes an
Prediger Dr. Joel und durch Hinzuziehung einer Lehrerin
und dreier christlicher Lehrer erweitert. Aber die der
Schule von der Gemeinde gemachten Zuwendungen reich-
ten nicht aus. Endlich im Jahre 1854 wurde die Schule
auf Kosten der Stadtkasse übernommen und als eine
öffentliche erklärt. Der Gemeinde resp. einem aus dem
Rabbiner als Vorsitzendem und vier Gemeindemitgliedern
bestehenden Schulvorstande wurde das Aufsichtsrecht be-
lassen. Mit dieser Elementarschule wurde eine für die
andere Schulen besuchenden Kinder bestimmte Religions-
schule verbunden, deren Kosten aber der Synagogen-
Gemeinde zur Last fielen. Einen weiteren Fortschritt
machte die Unterrichtsfrage in den Jahren 1877 — 1880
durch Einführung des jüdischen Religionsunterrichtes an der
Louisenschule, Real- und Höhern Bürgerschule, am Kgl.
Gymnasium und nach Aufhebung der jüdischen Elementar-
schule in Folge der Pensionirung des Hauptlehrers N. Frank
auch an den Volksschulen, an letzteren in der Weise,
dass die Schüler der verschiedenen Scbulbezirke sich zu
geroeinsamem Unterricht in vier wöchentlichen Stunden
wahrend der gewöhnlichen Schulstunden versammeln.
Die Auflösung der Elementarschule erfolgte^m Jahre 1877,
da der Hauptlehrer und damals einzige an der Schule
222 Geschichte der jüdischen Gemeitide DüBseldwfs»
wirkende Lehrer Frank die Pensionirung nachgesucht
hatte und die Schule zur Zeit im Ganzen nur von 22
unter ca. 120 schulpflichtigen Kindern besucht wurde.
In Folge der wesentlichen Erleichterung ihrer Schul-
lasten konnte die Gemeinde sich mehr dem Ausbau ihrer
eigenen Religionsschule widmen. Dieselbe hat jetzt 6
aufsteigende Knaben- und 5 aufsteigende Mädchenklassen,
welche nach Erreichung des geplanten Zieles um je eine
vermehrt werden sollen. Gegenwärtig ertheilen an der-
selben ausser dem Rabbiner noch 3 Lehrer Unterricht
und zwar Herr Hauptlehrer N, Frank, welcher unter
allseitiger Theilnahme und dankbarer Anerkennung der
Gemeinde im November 1886 bereits sein 50 jahriges
Dienstjubiläum gefeiert hat ; ferner Herr Lehrer Loeben-
stein und Herr Cantor GrQnstein.
Wie aber die Synagogen - Gemeinde zu allen Zeiten
sich in den Dienst der allgemeinen Interessen gestellt
und mit Eifer dieselben gefördert hat, wie sie namentlich
als muthige und umsichtige Vorkämpferin fQr die bürger-
liche Gleichberechtigung ihrer Glaubensgenossen sich be-
währt hat, so wusste sie auch jetzt, nachdem ihre innere
Verwaltung kaum eine festere Gestalt gewonnen hatte,
ihren Ruf zu rechtfertigen, indem sie zwei für die Er-
ziehung wichtige Institute in ihren Schutz nahm, die bald
zu grosser Bedeutung gelangten. Das erste derselben
ist die
Bildangs -Anstalt für israelitische Lehrer^
durch deren Gründung Herr Rabbiner Dr. Feilchenfeld
(jetzt Rabbiner der Synagogen -Gemeinde zu Posen) sich
ein hohes Verdienst erwarb. Seiner unermüdlichen Thätig-
keit gelang, es einen Verein zu bilden, dessen Zweck es
war, ein Seminar zur Ausbildung allseitig berufstüchtiger,
gesetzlich qualificirter und dem Religionsgesetze treu
anhangender jüdischer Lehrer zu gründen und zu erhalten.
Die Statuten dieses Vereins wurden in der ersten General-
Versammlung am 25. März 1867 angenommen. Nach diesen
steht dem aus 5 Mitgliedern zusammengesetzten Vorstand
eine Fachcommission zur Seite, welche vom Vorstand auf
6 Jahre gewählt wird, aus 2 im Amte stehenden Rabbinern,
2 fachkundigen Männern und dem Seminar-Director be-
steht, und die Leistungen des Seminars ordnet und über-
wacht. Nach einer andern sehr wichtigen Bestimmung
des Statuts müssen diejenigen Schüler, welche das Seminar
als Lehramts -Candidaten verlassen wollen, ehe sie sich
vor der Seitens der Regierung bestellten Commission einer
Prüfung in den andern Wissenszweigen unterziehen dürfen,
G48ehieht4 der jadisehen Gemeinde Dnteeldorfe. 228
durch ein von der Fach-Commission ausgestelltes Zeugniss
Ober ihre Befähigung in den Religionsfftchem sich ausweisen
können. Das Seminar wird aus rein privaten Mitteln,
ohne jede staatliche Unterstützung erhalten und ist mit
einem Internat verbunden. Auf Grund einer von der
Kgl. Regierung d. d. 22. Febr. 1867 ertheilten Concession
wurde die Anstalt am 11. Juli 1867 mit fUnf bei der Auf-
nahmeprüfung reif befundenen Schülern eröffnet. Als
Lehrer gehörten der Anstalt bei der Eröffnung an:
Dr. H. Plato, als angestellter Hauptlehrer in einzelnen
Disciplinen der Religionswissenschaft, femer im Deut^
sehen, Französischen, in Geschichte, Geographie, Rechnen
und Naturgescl^ichte;
Rabbiner Dr. Feilchenfeld als Urheber und Seele des
ganzen Unternehmens, welcher bis zu seiner im Herbst
1872 erfolgten Uebersiedelung nach Posen das Seminar
als Leiter und Vorsteher der Regierung gegenüber
vertrat und unentgeltlich den Unterricht in den andcra
Disciplinen der Religionswissenschaft und seit Herbst
1868 in Geometrie leitete;
RealschuUehrer Erk in Gesang und im Schreiben;
Cantor Eichberg in der hebräischen Schrift;
Maler Kost im Zeichnen;
Musiklehrer Alexander und seit Herbst 1868 auch
der städtische Capellmeister Kochner im Violinspiel;
Unterofl9cier Schmitz und seit August 1868 an dessen
Stelle der städtische Turnlehrer Eichelsheim im Turnen.
Der unermüdlichen Thfttigkeit des Rabbiner Dr.
Feilchenield (der übrigens im vorigen Jahre auch in Posen
ein jüdisches Lehrerseminar gegründet hat) war es zu
danken, dass kaum drei Monate nach dem ersten Aufrufe
der ersten General -Versammlung 2000 Thaler für min-
destens fünf Jahre zugesicherte Jahres - Einnahmen und
die daraufhin von der Kgl. Regierung ertheilte Concession
vorgelegt werden konnten. Die Gründung eines solchen
Seminars war ein um so glücklicherer Gedanke, als für
die zahlreichen besonders im Rheinland existirenden
jüdischen Elementar- und Religions - Schulen der Mangel
an solchen Lehrern sich besonders fühlbar machte, welche
neben ihrer gesetzlichen Qualification mit ihrer religiösen
Treue und Wärme auch zugleich eine über das noth-
wendige Maass einigermassen hinausgehende Kenntniss
der Religionsquellen verbanden. Die Kgl. Regierung zu
Düsseldorf nahm schon im Jahre 1868 eine sehr ein-
gehende Revision vor, und sprach durch Rescript mit
Bezugnahme auf eine siebenstündige vom Regierungs-
Schulrath abgehaltene Prüfung, deren Ergebniss als „sehr
224 Otschiclite der jMisehen Gemeinde Düsseldorfs.
günstig" bezeichnet wird, „füi* zweckmässige Einrichtung
des Instituts und für gute Resultate des Unterrichts" dem
Seminar ihre Anerkennung aus. Diese Wahrnehmung,
das Ansehen der beiden leitenden Rabbiner (Dr. W. Feil-
chenfeld, damals in Düsseldorf, und Dr. Schwarz, Rabbiner
in Cöln) s. A., sowie der fühlbare Mangel an gesetzes-
treuen Lehrern wandten dem Seminar das Vertrauen der
Gemeinden in stets wachsendem Grade zu, so dass ver-
möge der wachsenden Mittel die Zahl der Schüler schon
Anfang 1871 auf 15 erhöht werden konnte. In demselben
Jahre haben die ersten ö Schüler des Seminars die Lehrer-
prüfung in Kempen „gut" bestanden. Der erste Bericht
schliesst ab in Einnahme mit 6675 Thlr. 8 Sgr. 6 Pfg.
„ Ausgabe „ 5670 „ 16 „ 1 „
Der zweite Bericht schliesst ab
in Einnahme mit 8963 „ 17 „ 7 ^
„ Ausgabe „ 7546 „ ^ 18 „ 9 „
Ungefähr die Hälfte der ersten Jahreseinnahme rührte
von Zeichnungen der Düsseldorfer Mitgleder her, darunter
eine Zeichnung von S. H. Prag über 2000 Thlr. Zwei
andere Zeichnungen von je 500 Thlr. rührten von Hermann
Isaak und Joseph Isaak in Ruhrort her. Den wachsenden
Ausgaben des Seminars entsprachen in der Regel auch
wachsende Einnahmen, welche durch Legate und andere
Schenkungen immer mehr gesichert wurden. Im Jahre
1874 wurden dem Seminar zwei in Ehrenfeld gelegene
Häuser als Geschenk zugewiesen, und ersteres selbst der
an das Geschenk geknüpften Bedingung gemäss nach
dort verlegt, bis ihm einige Jahre später mit Einwilligung
des Geschenkgebers ein eigenes mit einer Synagoge ver-
bundenes Haus in Cöln errichtet wurde.
Ein gleiches Verständniss und Interesse für die ge-
meinsamen Interessen bewies die Gemeinde, indem sie
ihre warme Theilnahme entgegenbrachte dem
Yerein zar Terbreltnng der Handwerke nnter den Juden«
Der Aufruf zur Gründung dieses Vereins wurde von
dem referirenden Rabbiner Dr. Wedell in Gemeinschaft
mit den Herren Banquier D. Fleck und Stadtverordneten
G. Herzfeld im März 1880 erlassen und der Verein selbst
am 18. April gegründet und am 5. Mai desselben Jahres
durch Feststellung der Vereinssatzungen und Wahl des
Vorstandes coustituirt. In denselben wurden ausser den
drei Unterzeichnern des Aufrufes noch die Herren Joseph
Levison und Julius Manes von hier gewählt. Die Grün-
dung des Vereins wurde für nöthig erachtet, nicht weil
man an der Neigung und Befähigung der Glaubens-
Oesehichie der jüdischen Gemeinde Düseeldorfs. 225
genossen für das Handwerk zweifelte, sondern weil man
die Schwierigkeiten erkannte, mit welchen namentlich
die auf dem Lande oder in kleinen Städten wohnenden
Israeliten zu kämpfen hatten, wenn sie ihre Söhne dem
Handwerke zuführen wollten. Denn in den meisten
Fällen war das Handwerk an ihrem Wohnorte entweder
gar nicht oder nicht gut genug vertreten. B.ei einem aus-
wärtigen Meister den Knaben unterzubringen gelang
ihnen häufig nicht, weil sie einen solchen zufolge ihrer
Isolirtheit nicht zu finden oder, wenn sie einen gefunden
hatten, die nöthigen Kosten nicht aufzubringen ver-
mochten. Ausserdem wollten sie ihre Söhne doch nicht
ohne Aufsicht lassen und mit der Wahl des Handwerks
nicht die sittlichen und religiösen Grundsätze aufgeben
sehen, in welchen sie die Kinder erzogen hatten. Zudem
bot sich in grösseren Städten für die Fortbildung und für
die Vervollkommnung im Handwerk besser Gelegenheit.
Endlich kam es auch darauf an, in den Knaben ein ge-
wisses Standesbewusstsein und durch die Concurrenz mit
anderen Lehrlingen einen berechtigten Ehrgeiz und da-
durch die Freude an der Arbeit zu wecken. Von diesen
Gesichtspunkten ausgehend, wusste der Vorstand etwaige
Zweifel an dem Gelingen des Unternehmens zu beseitigen,
die Zweifler aufzuklären und als Freunde des Vereins
zu gewinnen. Ursprünglich für den Synagogenbezirk
Düsseldorf betimmt, wurde der Verein gar bald auch
von ausserhalb dieses Bezirkes wohnenden Eltern um
Unterstützung und Vermittelung angegangen; ausserdem
meldeten sich auch viele, welche die Mittel für ihre
Ausbildung bereitwillig selbst bestritten und nur die
moralische Unterstützung, die nöthige Aufsicht und die
Förderung bezüglich der tüchtigen Ausbildung vom Ver-
eine erbaten und so den Beweis lieferten, dass es nur
äussere Gründe, aber nicht Abneigung gewesen war, welche
sie von der Wahl eines Handwerks zurückgehalten hatten.
Weit entfernt, solche Knaben aus engherzigem Lokal-
sinn abzuweisen, begrüsste der Vorstand die kräftig in
Fluss gekommene Bewegung und erbat von den Mit-
gliedern die Ermächtigung, auch auf diese die Fürsorge
des Vereins auszudehnen. Im Gegensatz zu dem Ver-
fahren anderer Vereine von gleicher Tendenz, welche
Knaben, die nicht an dem Orte geboren, oder wenn sie
auch dort Heimathsrechte hatten, nicht auch zugleich
dort in Lehre gegeben waren, von jeder Unterstützung
ausschlössen, erkannten die Mitglieder der Düsseldorfer
Gemeinde, die diesem Vereine angehörten und gewohnt
waren, das Wohl der Gesammtheit im Auge zu behalten
15
226 Gesehichte der jüdmhen Gemeinde DOsiMorfa.
und nach Kräften zu fördern, die Nothwendigkeit an,
dem Vereine einen erweiterten Wirkungskreis anzuweisen.
Damit war eine empfindliche Lücke auf diesem Gebiete
der Wohlthätigkeit beseitigt. Denn' gerade die kleinen
Gemeinden, welche einem grösseren Verbände nicht an-
gehörten, und bisher der Förderung auf diesem Gebiete
entbehrten, bedurften der Unterstützung auf demselben
am meisten. Diese Lücke beseitigt zu haben , oder
wenigstens eine kräftige Anregung zu ihrer Beseitigung
gegeben zu haben, ist nicht das kleinste Verdienst,
welches sich die Düsseldorfer Gemeinde erworben hat.
Ein wesentlicher Antheil an demselben gebührt der
Cölner Gemeinde, welche auf das eifrige Betreiben ihres
ersten Vorstehers, Herrn Jacob de Jonge, des Herrn
Dr. med. B. Auerbach, dingirenden Arztes des dortigen
Asyls Elsbach'scher Stiftung, des damaligen Bürgermeisters
Dr. Rosenthal, des Herrn Louis Rothschild, der von
Düsseldorf ausgegangenen Bewegung im Jahre 1886 in
thatkräftigster Weise sich anschloss. Nicht zum wenig-
sten ist auch Herr Dr. med. Levison in Siegburg daran
betheiiigt. Denn die Aufnahmegesuche gingen in erfreu-
licher Weise so zahlreich ein, dass die in Düsseldorf
aufgebrachten Mittel nicht mehr ausreichten und durch
andei^^eitige Zuwendungen vermehrt werden mussten.
Im Einverständniss mit den genannten Herren erliess der
Vorstand an andere Gemeinden im April 1886 einen
Aufruf in dem es u. A. heisst: Wir dürfen überzeugt
sein, dass Sie die Tragweite unserer Bestrebungen nicht
unterschätzen. Gerade jetzt, wo wir über die schweren
Erfahrungen der letzten Jahre wieder ruhiger zu denken
angefangen haben, die Trauer über dieselben aber noch
in uns nachzittert, müssen wir unser ganzes Können ein-
setzen, um derartigen Bewegungen den Boden künftig zu
entziehen. Schon die Theilnahme so hervorragender
Glaubensgenossen, wie sie unsere heutige Mitgliederliste
nachweist, dürfte hinreichen, um zur Mitarbeit anzu-
spornen ; es wäre gewiss zu beklagen, wenn das Interesse,
welches solche Männer für das Wohl ihrer bedrängten
Glaubensgenossen bekunden, nicht mit Dankbarkeit will-
kommen geheissen und lebendig erhalten würde, und
dies um so mehr, als der begonnene rege Zusammen-
schluss unserer Glaubensgenossen die Aussicht eröffnet,
dass derselbe nicht blos nach der zunächst beabsichtigten
Richtung hin, sondern in einer späteren Zeit auch für die
Hebung der sozialen Stellung der Israeliten überhaupt und
für ihre endliche Gleichberechtigung mit den übrigen Staats-
bürgern unter segensreichem Erfolge wirksam werden kauu.
Onekichte der jüdieekm Qemeinde lHi$$Morf». 227
Nach dem Vorgehen der Cölner Gemeinde konnte es
nicht ausbleiben, dass auch andere grössere Gemeinden
dem Unternehmen ihre Gunst zuwandten. So z. B. Aachen,
wo die Herren Rabbiner Dr. Jaulus, Jacob Lippmann
und Jos. Biefefeld; Elberfeld, wo Frau Helene Weyl,
Herr Rabbiner Dr. Auerbach und R. Eisenstein die Sache
eifrig in die Hand nahmen. Durch diese vielseitige
UnterstQtzung stieg die Zahl der Mitglieder im letzten
Jahre auf 1082 und die Zahl der betheiligten auf ganz
Deutschland vertheilten Städte auf 144, denen sich seit
1. April d. J. weitere 23 Städte mit 116 Mitgliedern zu-
gesellt haben. Durch die in der General- Versanmilung
vom 31. Mai 1887 veränderten Statuten wurde jede geo-
graphische Schranke beseitigt und der Vorstand selbst-
redend erweitert. Demselben gehören jetzt an : Rabbiner ,
Dr. Wedeil, Vorsitzender, D. Fleck, Kassirer, Amtsrichter
Dr. Fritz Frank, G. Herzfeld, Schriftführer, Jos. Levison,
Stellvertreter, Düsseldorf, zugleich als geschäftsführender
Ausschuss; Rabbiner Dr. Jaulus, Aachen; Jacob Lippmann,
Aachen; Geh. Sanitätsrath Dr. Eristeller, Berlin; Moritz
Katzenstein, Bielefeld ; Isidor Goldschmidt, Dortmund ; Rab-
biner Dr. Auerbach, Elberfeld; I. S. Hirschland, Essen; Dr.
med. B. Auerbach, Köln; I. de Jonge und I. Levy jun.,
Köln ; Dr. med. Levison, Siegburg; Eugen Rothschild, Trier.
Seit Gründung des Vereins sind in die Fürsorge des
Vereins bereits 115 Lehrlinge aufgenommen worden und
noch zahlreiche andere bereits angemeldete Lehrlinge
harren der Aufnahme, welche hoffentlich durch ent-
sprechende Vermehrung der Vereinsmittel recht bald er-
möglicht werden wird. Bei Gelegenheit der am 10. Mai
d. J. im Hotel Heck hierselbst veranstalteten Ausstellung
von Lehrlingsarbeiten konnten 14 Lehrlinge prämiirt
werden. Ein Lehrling wurde ausserdem noch durch eine
mit den Bildnissen Sr. Majestät des in Gott rjuhenden
Kaisers Wilhelm I. und Ihrer Majestät der Kaiserin
Aug^usta geschmückten silbernen Medaille ausgezeichnet.
Im übrigen muss auf die gedruckt vorliegenden Jahres-
berichte verwiesen werden, üeber die andern Wohl-
thätigkeitsvereine , welche ihre Thätigkeit mehr oder
weniger auf den engeren Kreis der Gemeinde beschränken,
wird später zu berichten sein. Auf die Gestaltung und
Entw^ickelung derselben haben neben den Gemeinde- und
Vereinsvorständen einen wesentlichen Einfluss geübt
Die Rabbiner der Gemeinde J)
Wahrscheinlich der erste Rabbiner der Jülich -bergi-
schen JudenschafI: war
iTVgl." S. 170-178.
15*
228 Geschichte der jüdischen Gemeinde Düsseldorfs,
1. Rabbi Samson Levi Fröhlich, 1706—1750.
Im Memorial-Buch der Gemeinde finden sich über ihn
folgende Angaben: Das Amt eines Rabbiners in Jülich-
Berg bekleidete er 44 Jahre bis zu seinem Tode, ohne
die geringste Ermüdung und ohne die Lasten des Amtes
zu empfinden. Das Richteramt versah er in strengster
Unparteilichkeit und Unbestechlichkeit ; mit Rücksicht auf
dasselbe nahm er nie auch nur die geringste Dienst-
leistung an. In Liebe und Milde leitete er seine Gemeinde,
hielt sie zum Studium der Lehre an, gründete in derselben
einen heiligen Zwecken, wie der Krankenpflege
und dem Beerdigungswesen gewidmeten Verein,
deren Mitglieder er alltäglich in seinem Hause zu be-
lehrenden Vorträgen vereinigte. Ausserdem richtete er
in Ermangelung eines andern Gotteshauses in seinem
Hause ein Betlokal für den täglichen Gottesdienst
für Männer und Frauen ein. Er starb um die Mitta^-
stunde, wie die Sonne, wenn sie zum Untergange sich
neigt, am 2. Neumondstage dem L Jjar 1750 im Alter
von 70 Jahren und wurde mit grossen Ehren auf dem
Friedhofe zu Düsseldorf bestattet.
Bei dem ersten Besuche, welchen Garl Theodor mit
seiner hohen Gemahlin seiner Residenz im Jahre 174G
abstattete, betheiligte sich auch Rabbiner Samson Levi
an den zum Empfange des Herrscherpaares veranstalteten
Festlichkeiten, deren Beschreibung 1747 bei Tilmann
Libor. Stahl, Churfürstl. Hof-Buchdrucker, auf Anordnung
des Magistrats erschienen ist. Derselben entnehmen wir
Folgendes :
„Der Rabiner Samson Levi auf dem Hunds-RQck
zeigete bey der höchst -verlangten Ankunft Ihrer Chur-
fürstlichen Durchlauchten, dass er nicht de Tribu Levi,
oder von der leichten Waare seyn wolte, und hatte in
Hebraeischer Sprache ein so kräftiges Gebett unter zu-
länglichen Lichtern ausgestellt, dergleichen kaum Samson
hervorgebracht, als er nach der Philistiern Niederlage in
seinem höchsten Durst aus einem Esels-Kinbacken Wasser
herausgelocket. (a) Selbiges wäre nach seiner Übersetzung
folgender Massen verfasset:
Der Allmächtige Gott, dem sein Königreich ist ein
Königreich von der gantzen Welt, der da giebt Hülf denen
Königen, der da hat ausgezogen seinen Knecht David
von dem bösen Schwerdt, der da giebt ins Meer einen
Weeg, und in starcke Wässer einen Steeg, der soll segnen,
fruchtbahren, bewahren, beschirmen, helifen den Hohen,
(a) Judic In.
51«- -
Geschichte der jüdischen Gemeinde DUsseldot^fs. 329
Achtbahren und Erhabenen Unsern Durchlauchtigsten,
Allerfj:nädigsten Churfüreten und Herrn, Herrn Carl
Theodor, Pfaltz-Graf bey Rhein, und dessen Gemahlin
Ihro Churfttrstliche Durchlaucht Maria Elisabeth Augusta,
Ihr Glantz soll erhoben werden: König über alle Königen!
Durch Deine Barmhertzigkeit lasse Sie lang leben, be-
wahren und von allem Leyd, Traurigkeit und Schatten
beschirmen, und sollen ihren Feind werften vor ihrem
Angesicht und unter ihre Füssen, und sollen beglücken,
wo Sie sich hinkehren m-erden, der König über alle
Königen, durch seine Barmhertzigkeit soll er ihnen in
ihren Hertzen geben, und in Hertzen aller ihren Raths-
U oberen eine Barmhertzigkeit umb zu thuen mit uns
Kinder Israel, und mit allen Menschen Gnaden und Guts,
dass sollen sicherlich wohnen. Dieses solle Gottes Willen
seyn. Amen.**
2. Rabbiner Moodechai Halberstadt, 1751—1769.
Nach den Aufzeichnungen des Memorialbuches trug er
viel zur Verbreitung der Lehre in Israel bei und hatte
viele Schüler. P> selbst widmete sich dem Studium Tag
und Nacht, führte einen sehr frommen Lebenswandel und
verwendete den fünften Theil seines Vermögens für die
Armen. Er verschied in der Nacht zu Dinstag dem
16. Jjar = 23. Mai 1769 und ruht ebenfalls auf dem
hiesigen Friedhof.
3. Rabbi Jacob Brandes, 1769—1774.
In seiner Vaterstadt Fürth mit bedeutenden talmudi-
schen Kenntnissen ausgestattet, bereitete er sich lange
Zeit für das Rabbinerfach vor und war vor Uebernahme
des Landrabbinates von Jülich und Berg 20 Jahre lang
Rabbiner in Darmstadt. Auch um ihn sammelten sich
viele Schüler. Er starb zu Düsseldorf am Dinstag
14. Siwan = 24. Mai 1774. Seine Frau Rebecka, >) deren
ITeberreste und Grabstein bei dem Kanalbau auf der
Kasernenstrasse im Jahre 1884 aufgefunden und nach
dem Friedhofe auf der Bongardstrasse überführt wurde,
errichtete bei ihrem Tode für die jülich-bergische Juden-
schaft ein Legat; welches von der jülich-bergischen Juden-
Schuldentilgungs-Commission (damaliger Präsident Land-
rath von Lasberg) nach längeren Verhandlungen am
18. Juli 1832 der Düsseldorfer Gemeinde überwiesen wurde
gegen die ausdrückliche Verpflichtung, das Kapital nebst
■iy^ Zinsen an einen etwa später auftretenden recht-
mässig'en Prätendenten zurückzuzahlen. Bis dahin, also
17 Jahre lang, hatte die Gemeinde in frommer Pietät
^
1) Vgl, über dieselbe Wedell, Heinc's Stainiubaum.
230 Oesehieht$ der jOdiachen Gemeinde DÜMaMoffa.
die an das Legat geknüpften Bedingungen erflUlt^ auch
ohne das Kapital oder die Zinsen desselben erhalten zu
haben.
4. Rabbi Jehuda Lob Scheuer, 1779—1821.
„Er war", so rühmt von ihm das Memoriale, „ein
grosser Gelehrter (ein Korb voll Bücher), bescheiden und
demüthig, bekleidete das Amt eines Landrabbiners von
Jülich -Berg, später des Grossherzogthums Berg allein
42 Jahre lang zum Heil und Segen der Gemeinde, deren
friedliche Entwickelung er in schwierigen Zeiten zu fördern
wusste, hielt Viele von der Sünde zurück, bildete eine
grosse Zahl von Schülern aus, von denen viele wieder
selbst ein Rabbinat bekleideten. Er lebt im Andenken
der Gemeinde fort durch die vielen schönen Lehren und
Forschungsresultate, welche an seinen Namen geknüpft
sind, und durch den frommen Lebenswandel, den er stets
geführt hat."
Seine seltene Uneigennützigkeit bewies er, indem er
nach Errichtung des Grossherzogthunis Berg bis zu seinem
Tode, also 13 Jahre, in hingebender Liebe für seine
Religion seinem heiligen Amte und den ihm anvertrauten
heiligen Pflichten unentgeltlich oblag, i) Im herzlichen
Einvernehmen pflegte er einen sehr regen wissenschaft-
lichen Verkehr mit seinem benachbarten Amtsbruder,
Consistorial-Oberrabbiner Rabbi Lob Karlburg zu Crefeld
30 Jahre lang. Er war der Grossvater des jetzigen
Gemeinde-Vorstehers Herrn Banquier Leonhard Scheuer
und verschied im Alter von 87 Jahren am Montag
27. Schebath = 24. Januar 1821. Bei seiner Beerdigung
waren viele Geschäftslokale, diejenigen der Juden sänimt-
lieh geschlossen. Die Leichenrede in der Synagoge hielt
sein Freund, der bereits erwähnte Rabbi L. Karlburg.
Er rühmte von ihm, dass er ^wie der Hohe Priester Aron
bis zu seinem Lebenshauch die Würde seines Amtes be-
hauptet und im Zelte der Lehre in Lauterkeit und Rein-
heit geweilt^, dass er mit seiner Person und mit seinem
Vermögen weit über seine Kräfte Liebeswerke geübt und
durch sein Beispiel auch andere dazu angeregt habe,
dass er in liebevoller Sorgfalt seine Gemeinde erzogen,
wie ein Vater seinen Sohn erzieht. Einen besonderen
Werth gewinnt diese Rede noch dadurch, dass er in seine
von warmer Liebe und inniger Trauer durchhauchten
Worte so manche von Rabbi Scheuer aufgestellte Lehre
und aufgedeckte schwierige Exegese verwebt. Eine zi^reite
Rede hielt derselbe bei dem Trauergottesdienst in der
») Vgl. Seite'^lÖO fg.
OetMehtt der jüdigeken Gemeinde Dässeldorfe, 231
Synagoge zu Düsseldorf am Montag den 3. Adar I =
5. Februar. Acht Tage später hielt er zum Andenken
des verblichenen Freundes auch eine Trauerfeier in der
Synagoge zu Crefeld ab. Sämmtliche drei Reden, die an
und für sich einen hohen Werth haben, wurden nach
einem in der Bibliothek des Freiherrn von Rosenthal in
Amsterdam aufgefundenen Manuscript ixn Jahre 1886 dem
Druck übergeben (Oscar Lehmann, Mainz). Die irdische
Hülle R. Scheuer's ruht auf dem Friedhofe auf der
Bongardstrasse.
5. Dr. Jacob Rosenberg, 1837—1843.
Nach dem Tode des Landrabbiners Scheuer trat eine
längere Vacanz ein. Der hauptsächlichste Grund für
dieselbe ist wohl in den damals so sehr zerrütteten Ge-
meindeverhältnissen >) zu suchen. Ausserdem hatte die
Gemeinde den Wunsch, dass der damalige Consistorial-
Oberrabbiner Karlburg in Crefeld seinen Sprengel mit
demjenigen von Düsseldorf vereinigte und seinen Sitz
nach Düsseldorf verlegte. Die Verhandlungen zogen sich
lange hin, scheiterten aber an der beharrlichen Weigerung
Karlburg's, Crefeld zu verlassen, so bereitwillig er auch
war, auf rituelle Fragen die nöthige Auskunft zu er-
theilen. Die Verwaistheit des Rabbinats machte sich
aber, wie es in der Eingabe an die Kgl. Regierung vom
4. December 1834 heisst, immer fühlbarer, da die Ge-
meinde auch der Predigt, der Schulinspection und eines
entsprechenden Religionsunterrichtes entbehrte. Dennoch
hätte sie nicht früher zur Wahl eines Rabbiners schreiten
können, weil- sie keinen für das Amt genügend qualiflcir-
ten Mann gefunden, der sich den früheren Rabbinern
würdig angereiht hätte. Den Mann, welchen wir suchten,
so heisst es in der erwähnten Eingabe, finden wir in dem
Herrn Joseph Rosenberg, dem Sohne des hiesigen Herrn
Gabriel Rosenberg. „Mit Erlaubnis« eines hohen Mini-
steriums zu Berlin hat er auf der Universität zu Würz-
burg studiert, von wo er nunmehr, nachdem er seine
Studien rühmlichst vollendet hat, als philosophiae doctor
rite promotus zurückgekehrt ist. Mit einer gründlichen
wissenschaftlichen Ausbildung im Allgemeinen verbindet
er insbesondere eine ausgezeichnet tiefe Einsicht in die
israeUtische Theologie und eine geläuterte, im wahren
Sinne des Wortes aufgeklärte Moral. Da aber die hiesige
Gemeinde allein viel zu schwach ist, einen Rabbiner an-
standig zu unterhalten, auch der Ober - Landrabbiner
Scheuer vor der französischen Herrschaft von den damals
ly Vgl S. 181 fgg.
232 Geschichte der jild fachen Gemeinde Düeseldorftt.
vereinigten Herzogthümern Jülich und Berg aufgenommen
und besoldet wurde, so dürfte es als recht und billig er-
scheinen, wenn alle israelitischen Gemeinden des hiesigen
Regierungsbezirkes; die nicht zum Rabbinate Crefeld ge-
hören, zur Besoldung des Rabbiners herangezogen würden.
An die Bitte, die Ernennung des Dr. Rosenberg zum
Landrabbiner gut zu heissen, wurde noch der Antrag
geknüpft, die erwähnten Gemeinden zum Beitrage für das
Rabbinats-Gehalt zu verpflichten und denselben jeder Zeit
für executorisch zu erklären. Da die Gemeinde auf
diesen Antrag „keine genügende Antwort" erhielt, so
sprach sich die Mehrheit der Mitglieder dafür aus, bei
dem Kgl. Ministerium in Berlin vorstellig zu werden, und
die staatliche Anstellung und Besoldung zu bean-
tragen. Bei der Stellung der Kgl. Regierung den Ge-
meindefrageu gegenüber war nichts anderes als eine
Ablehnung zu erwarten, und nicht einmal die Anstellung
eines Rabbiners für die Düsseldorfer Lokal -Gemeinde
möglich, da sie in den Augen der Regierung als solche
gar nicht existirte, sondern nur Privatgesellschaft war.
Wiederum musste man zur Selbsthülfe schreiten. Es
verbanden sich daher ein grosser Theil der Mitglieder
und etwa 40 auswärtige Gemeinden und verpflichteten
sich zunächst auf die Reihe von 6 Jahren zu festen Bei-
trägen, aus denen das Rabbinatsgehalt für Dr. Rosenberg
bestritten werden sollte. Drei Jahre waren wieder mit
diesen Verhandlungen vergangen. Endlich, am 2. April
1837, konnte das Berufungsschreiben an Dr. Rosenberg
abgehen. Unser eifrigstes Bestreben, so heisst es in
demselben, um zu diesem Ziele zu gelangen, wird Ihnen
die zureichende Ueberzeugung geliefert haben, dass unser
Leitstern 2iur Besetzung dieser Stelle, die wir jetzt von
Ihnen ausgefüllt zu sehen wünschen, nur Anhänglichkeit
und Vorliebe für Ihre Person gewesen, und mit Recht
glauben wir darauf bauen zu dürfen, dass auch Sie im
Geiste der Anhänglichkeit und Liebe uns stets begegnen
werden, dass nicht Eigennutz, sondern nur das warme
Gefühl zur Aufrechterhaltung und Beföderung unserer
Religion in ihrer Reinheit und Heiligkeit in allen Ihren
Handlungen stets hervorleuchten werde. Zur Beurthei-
lung des damals in Düsseldorf herrschenden Geistes ver-
dient unter den in jenem Berufungsschreiben aufgeführten
allgemeinen und besonderen Pflichten hervorgehoben zu
werden, dass der Rabbiner „von den Bemittelten
reiche Gaben zu erlangen trachten sollte, um sie
der blöden Armuth zuzuwenden. Der Rabbiner soUte
der Gemeinde stets mehr und mehr in seiner Person die
0$8€hicht€ d0r jüdi$ch$n G€m$md$ DüsMddwfs. 233
Verwirklichung der Verheissungeii des Propheten Maleachi
veranschaulichen, welcher im Namen Gtottes spreche:
^Die Lehre der Wahrheit trug er in seinem Munde,
Unrecht ward auf seinen Lippen nicht gefunden, in
Frieden und Rechtsehaifenheit wandelte er vor mir und
brachte Viele von der Sttnde zurQck.^
Ausser seiner wissenschaftlichen Bildung standen dem
Dr. Rosenberg bedeutende talmudische Kenntnisse zur
Seite, welche er unter Anleitung des in weiten Kreisen
bekannten Oberrabbiners Jacob Ettlinger von Altena sich
erworben hatte, und welche den Angehörigen seiner Familie
von Alters her in hohem Grade eigen waren. Aus dieser
waren bedeutende Rabbiner hervorgegangen, welche in
Prag und Mainz amtirt hatten. Die Düsseldorfer Rabbiner
Brandes und M. Halberatadt waren der erstere väter-
licher-, der andere mütterlicherseits mit seinen Eltern
nahe verwandt, so dass er in seiner Antrittsrede i) auf
sich anwenden konnte den Vers Ps. 45, 17: „An deiner
Ahnen Stelle werden dereinst deine Kinder treten, du
selbst wirst sie zu Vorgesetzten machen^ ; Dr. Rosenberg
konnte dies um so mehr, als auch sein Vater,^) der im
Jahre 1804 aus Prag in Düsseldorf eingewandert und am
ö. Januar 1806 in den Gemeindeverband aufgenommen
worden war, so bedeutendes talmudisches Wissen besass,
dass er vom Oberrabbiner Karlburg ermächtigt worden
war, rituelle Fragen zu entscheiden.
In sein Amt am 15. Juni 1837 eingeführt, bekleidete
er dasselbe 6 Jahre und erwarb sich die allgemeine
Hochachtung und Liebe seiner Gemeinde. Nachdem er
dann 10 Jahre Provinzialrabbiner in Fulda und 10 Jahre
Landrabbiner von Groningen gewesen war^ zog er sich
vom Amte zurück, um ganz seinen Studien obzuliegen,
und wählte seinen Wohnsitz in Frankfurt am Main, wo-
selbst er am letzten Tage des Passahfestes = 14. April 1868
starb. Seine Wittwe lebt noch in Oberwesel am Rhein.
Nach seinem Abgange blieb das Amt des Rabbiners lange
Zeit unbesetzt; die Gemeindeverhältnisse waren ja noch
immer nicht gesetzlich geregelt. Nach mehreren Jahren
erst wurde als Prediger und Religionslehrer berufen
6. Dr. H. Joel, 1850—1855.
In der Zwischenzeit war die Gemeinde mit der Fest-
stellung ihrer Statuten beschäftigt, welche bei der Schwie-
rig^keit der Materie und Wichtigkeit der Sache das Interesse
der Gemeinde in hervorragendem Grade in Anspruch
1) Erschienen bei J. H. C. Schreiner, DüSBeldorf 1837.
*) Gestorben über 90 Jahre alt im Jahre 1S49.
284 Owehiehte der jMitehen Gemeinde DOeeekUnfe.
nahm. Inzwischen hatte man aber die Besetzung des
vakanten Rabbinats nicht aus dem Auge verloren; von
einem grossen Theile der Gemeinde wurde das für das
Jahr 1850 aufgestellte Budget, welches noch keine Position
für den Rabbinatsgehalt ausgeworfen hatte, nur unter der
Bedingung bestätigt, dass in kürzester Zeit die nöthigen
Schritte zur Berufung eines Predigers eingeleitet würden.
Ein Mitglied, Herr Michael Simons, i) verweigerte sogar
die Bewilligung des geforderten Budgets, weil die Position
für den Rabbiner in demselben nicht aufgenommen war.
Diesem vielseitigen Wunsche wurde auch so schleunig
entsprochen, dass die Wahl eines Predigers am 9. Mai 18öO
beschlossen und am 24. Mai durch Berufung des Dr. J.
vollzogen werden konnte. In demselben Jahre in sein
Amt eingeführt, wandte er seine besondere Fürsorge der
Ausbildung des Synagogenchores zu. Durch seine Predigten
erwarb er sich den Ruf grosser Beredtsamkeit und ver-
anlasste viele Gemeinden zu dem Gesuche, bezüglich des
Predigtamtes der Düsseldorfer Gemeinde sich anschliessen
zu dürfen. Nachdem er dieselbe verlassen, um das Rabbinat
in Hirschberg in Schlesien zu übernehmen, folgte ihm
7. Dr. W. Feilchenfeld 1855—1872.
Geboren am 10. Juni 1827 zu Gr.-Glogau, bezog er
nach 7i/2JAhrigem Besuche des dortigen katholischen
Gymnasii* im Jahre 1844 die Berliner Universität bis
zum Jahre 1848, lag an derselben philosophischen und
orientalischen Studien ob, promovirte 1849 auf Grund
seiner In augural- Dissertation über „die Ethik der Stoiker"
und lag bis zur Uebernahme des Düsseldorfer Rabbinatcs
in Danzig und Hamburg talmudischen Studien ob. Er-
schienen ist von ihm ausser verschiedenen exegetischen
Arbeiten in „Frankeis Monatsschrift^ und „Berliner
Magazin" ein „Systematisches Lehrbuch der Israelitischen
Religion", welches wie in vielen anderen Städten so auch
hier in den höheren Lehranstalten eingeführt ist. Die
rationelle Anordnung und Behandlung des in reichhaltigstem
Maasse gebotenen Stoffes machen das Buch zu einem sehr
werthvollen Hilfsmittel beim Unterricht. In zweiter Auf-
lage ist es im Jahre 1878 bei Merzbach, Posen, er-
schienen.
Den Eifer, mit dem er die Gründung eines Lehrer-
seminars hierselbst betrieben,^) bekundete er im gleichen
^) Herr Mich. Simons war lange Jahre Vorsitzender der Re-
{»räsentanten, später Vorsteher der Gemeinde ; seine verewig^te Frau
ansjährige Vorsteherin des Frauen -Vereins, den sie durch ihr Wohl-
wollen und ihren Bath sehr gefördert hat
«) Vgl. S. 222 fgg.
OesehiMe der jndisehgn Otmeind» DlUsMarfs. 235
Grade in Beziehung auf die Gestaltung und den Aus-
bau der Religionsschule und Hebung der Elementar-
schule. Die Tiefe seines Wissens, die Wärme , mit
der er seinen Beruf erfasste, die zielbewusste Würde,
mit der er sein Amt vertrat, seine Ueberzeugungstreue
und die Lauterkeit seines Charakters machen die Liebe
und Anhänglichkeit erklärlich, welche die Gemeinde ihm
entgegenbrachte und auch heute noch ungeschmälert
bewahrt. Mit innigem Bedauern sah ihn die Gemeinde
scheiden, um dem Rufe nach Posen einer der bedeutendsten
Gemeinden Deutschlands zu folgen, wo er noch heute
eine segensreiche Thätigkeit entfaltet. Nach seinem
Scheiden wurde mit Wahrnehmung der Rabbinatsgeschäfte
betraut
8. Dr. Plato. 1872—1874.
Trotz seiner grossen Arbeitslast, welche die Direction
des Lehrerseminars mit sich brachte, Hess sich Dr. F.
bereit finden, seine Gelehrsamkeit auch in den Dienst der
religiösen Interessen der Gemeinde zu stellen, als deren
treuer Berather namentlich in allen den Umbau der
Synagoge und sonstigen die rituellen baulichen Einrich-
tungen betreffenden Fragen er sich bewährt hat. Eine
besondere Anziehungskraft wird namentlich den gehalt-
vollen exegetischen Vorträgen nachgerühmt, welche er
in den Versammlungen der Mitglieder der religiösen Ver-
einigungen gehalten. Wie bereits früher berichtet, wurde
aber das Seminar nach Ehrenfeld verlegt i) und auf diese
Weise seiner rabbinischen Thätigkeit in der hiesigen
Gemeinde ein Ziel gesetzt. Ihm folgte der rcferirende
Rabbiner
9. Dr. Abraham Wedell, seit 1875.
Geboren zu Posen am 4. Juni 1844, besuchte er bis
Ostern 1863 das dortige Kgl. Friedrich- Wilhelms-Gymnasium
und wurde gleichzeitig von dem Rabbiner Loewenstamm
in die rabbinische Litteratur eingeführt. Dann bezog er
das Rabbinerseminar und die Kgl. Universität zu Breslau.
An letzterer philosophischen und philologischen Studien
obliegend, promovirte er auf Grund seiner Inaugural-
Dissertation ^^De emendationibus in libris sacris Veteris
Testamenti propositis^. Von dem damals unter dem
Direktorate des Oberrabbiner Dr. Z. Frankel stehenden
Rabbinerseminar mit dem Rabbiner-Diplom entlassen,
stand er seit Ostern 1867 abwechselnd im Dienst der
Breslauer Gemeinde und seiner Vaterstadt Posen bis er
von Breslau aus im Jahre 1874 in sein hiesiges Amt berufen
1) Vgl. S. 224.
286 Oeaekiehte der iUdUeken GemeMU DüB$M&rf$.
und 1875 in dasselbe eingeführt wurde, in welchem ihm
die Wirksamkeit seiner Amtsvorganger reiche Anregung
bot, imd den lebhaften Wunsch eingab, in ihre Fussstapfen
zu treten und ein ihrer würdiger Nachfolger zu werden.
Undankbar würde es sein, an dieser Stelle die eifrige,
selbstlose und umsichtige Thätigkeit der
Gemelnde-Yertretnngen,
ihr Wohlwollen und die persönliche Theilnahme gegen die
Beamten der Gemeinde unerwähnt zu lassen, welche durch
dasselbe nicht nur in ihren amtlichen Obliegenheiten stets
bereitwillig unterstützt, sondern auch zur freudigen Hin-
gebung an ihren Beruf angeregt und über so manche
Schwierigkeit hinweggehoben wurden. Die vorangehende
Darstellung zeigte zur Genüge die reichen Verdienste,
welche zu allen Zeiten die Gemeindeverwaltung um die
vielen wichtigen im Gemeindeleben pulsirenden Interessen
sich erworben hat. Schwierig und zu weitläufig würde
es sein, all die vielen hochverdienten .Männer besonders
namhaft zu machen und aus dem Kreise der Gemeinde-
mitglieder die würdigen Männer und Frauen zu schildern,
deren Beispiel noch in die heutige Zeit hineinleuchtet.
Deshalb beschränken wir uns darauf, an dieser Stelle die
gegenwärtigen Mitglieder der Gemeindeverwaltung nam-
haft zu machen. Zum Vorstand gehören der Anciennetttt
nach die Herren Leonhard Scheuer, Abr. Reifenberg, Jos.
Levison, die in Verbindung mit dem Repräsentantcn-
Collegium unter dem langjährigen Vorsitz der Herren
Louis Bacharach und D. Fleck die Gemeinde-Angelegen-
heiten leiten. Dankbar sei hier auch noch der beiden
Cantoren Eichberg undLevy gedacht, von denen ersterer
mehr als 50 Jahre und letzterer ca. 25 Jahre bis zu ihrem
Tode mit unermüdlichem Eifer und gewissenhafter Treue
ihres Amtes gewaltet.
Synagogen.
Die Synagogen, welche die Düsseldoifer Gemeinde
theils eigenthümlich , theils miethweise besessen, sind
gewesen :
I.Auf der Neusserstrasse (jetziges Hubertusstift)
1712—1772;
2. Hundsrücken, wo jetzt die Gommunikationsstrasse
ist, 1772-^1776;
3. Neustrasse, in dem ursprünglich Villers'schen Hause,
1776—1792;
4. Casernenstrasse, wo sie noch heute ist
In der ersten Zeit ihres Bestehens hat die Gemeinde
in Düsseldorf als solche eine eigene Synagoge nicht gehabt.
O09^ickie der jüäiteken Chmeinde DÜ$9Marf0. 287
Vielmehr hatten einzelne Gemeindemitglieder, wie z. B.
Rabbiner Simson Levi^) und andere in ihrem Hause die
nOthigen Zimmer für ein Betlocal der Gemeinde eingeräumt
und hergerichtet. Als aber die Gemeinde zahlreicher
wurde, reichten die Räume nicht mehr aus, und stellte
sich das Bedürfniss nach einem Bethause immer fühlbarer
heraus. Es war daher ein sehr verdienstliches Unter-
nehmen, als der churfUrstliche Hofkammer- Agent J. J. von
Geldern zugleich mit seinem auf der Neusserstrasse
im Jahre 1712 errichteten Hause eine Synagoge
erbaute. Dasselbe ging im Jahre 1772 in den Besitz
des St Hubertusstiftes über. Spuren der Synagoge, nament-
lich die jetzt zugebauten Bogen fUr die Wandöfftiungen
zwischen der Männer- und Frauenabtheilung, sind jetzt
noch sichtbar. Die Urkunde, welche Johann Wilhelm
Ober die Erlaubniss zur Erwerbung des Platzes zur Er-
bauung des Hauses, und zur Errichtung der Synagoge
fQr Joseph Jacob von Gelderen d. d. 14. Juni 1712 aus-
stellen liess, lautete folgendermassen :
^Thun Kund und fuegen Hirmit männiglichen zu wissen
nachdem uns hiessiger unser HofTkammer Agent Joseph
Jacobs Von Gelderen Vnthgst zu Vernehmen ge-
geben, wass gestalt er Vorhabens seye in Hiessiger
unserer statt Extension Vor Der bergerpforthen ein Hau ss
und Juden-Schull zu erbawen, mit gehorsambster Bitt
wir Ihme zu solchem undt eine zwischen Dem Borchard
Vndt Fjeed Dermahlen ledig liegenden Drey-Hundert
sechsszehn fuess in Die länge, undt Hundert Dreyssig
sechss fuess in Die Breite anhaltende Haussplatz sambt
einiger freyheit undt Dem privilegio Dass Dergleichen
schull zu erbawen Niemanden Ihme undt seine erben
femer Verstattet werden möge zu Verleihen ggst geruhen
weiten, Dass wir solchem Vnthgste gesuch undt Bitt in
einem so anderen ggst statt gegeben inmassen wir Hirmit
undt Erafft Diesses Thun also und Dergestalt, Das er
Joseph Jacobs Von geldern seine erben undt nachkommen
solchen Ihm ggst ahngewiessenen platz alss Ihr äigenthumb
einhalten ewig Vndt erblich besitzen, mithin Derselb undt
dass auff sothanen platz setzendes gebäu Dreyssig Nach-
einander folgende Jahren a dato dass selbiges Völlig
auffgeführet undt gebauet sein wirdt. Von allen Real undt
personalen sowohl ordinarie als Extraordinarie auch gewinn-
Vndt gewerbsteuren, wachten Vndt einquartirungen ft*ey
sein undt bleiben, er Joseph Jacob Von gelderen Vndt
seine erben auch sothanen Baws undt Darin treibender
1) Vgl Seite 228.
288 Guekidiie d^r Jüäisehen Otmeinä* DiUieläarfi.
Nahrung halber mit Keinen absonderlichen Juden Tribut
oder Kauifung Desglaicbs Inner solcher Zeit belegt oder
beschweret werden, Hingegen er Joseph Jacob Von gelderen
Diessen Vorhabenden baw nach ahnlass des Von Vnserem
Hoff Architecto De Boys desfalss Verfertigten abrisses
längstens innerhalb Drey Jahren a dato Diesses bey
Verlust des platzes zu Vollführen oder wenigstens Vnter
Tach Vndt fach zu bringen schuldig sein, Nach Verlauff
Vorgtr. 30 Jahren aber Diesse erhaltene freyheit Von
obspecificierten lasten Vndt Respee Juden Tribut cessiren,
mithin das erbawendes hauss Vnd Judenschull in einer
proportionirlichen steweren anschlag gebracht, Vnd hiessi-
ger statt mattrical mit ein Verleibt, Derselben Contingent
aber in der bergischer landtsmattrical Darumb nicht Ver-
grössert worden sondern bey den itzigem anschlag bleiben
solle. Damit also Das Commercium zu mehreren Nutzen
undt auffhehmen Hiessiger unserer Residentz Stattbürger
Vnd einwohner Destomehr empör gebracht, Vndt befördert
werden Möge, wir Befehlen solchem nach unseren gulich
undt bergischen Cantzleren Präsidenten gehaim Hoffis Undt
Cammerräthen auch Oubernatoren und Commendanten
so dan brambten Burgermeister, Scheffen undt Räth, foit
gemeinen eingesenen Burger undt ein wohneren Dahier
fort Dergesambter Hiessiger Judenschaift sambt Vnd
sonders Hirmit ggst Vndt ernstlich, obg. Joseph Jacob
Von gelderen Dessen erben undt nachkommen wieder
gegenwertige unsere gnädigste Concession Vndt privilegin
Keineswegs zu beschwere Noch Das es Von anderen ge-
schehen zu gestatten, sondern dabey mit abschaffung aller
widriger eintrachten Kraiftiglich «su schützen, undt zu
Handthaben, zu Vrkundt Dessen haben wir unss äigen-
händig Vnterschrieben, Vndt Vnser Churfurstl. geheimes
Insigel Hier ahnhangen lassen, so geschehen in unserer
Residentzstatt Dusseldorff den 14. Juny 1712.
Johann Wilhelm Churfürst."
Wie bereits bemerkt, ging dies Haus nebst der Sy-
nagoge im Jahre 1772 in den Besitz des Hubertusstiftes
über. Eine in dem Gemeinde-Archiv aufbewahrte Be-
trachtung rühmt den durch den Besitzwechscl jenes Hauses
in Ansehung der Zwecke, welchen es vor und nach dem
Verkaufe diente, besonders merkwürdigen Geist der
Duldung. Diese Betrachtung, welche gar wohl in weiteren
Kreisen bekannt zu werden verdient, lautet:
„Unter den merkwürdigen Erscheinungen unserer
Zeit, ein ausgezeichneter Charakter-Zug unserer Zeit-
genossen, bleibt gewiss das löbliche und emsige Streben,
die verborgenen AltcrthOmer wieder an Tageslicht zu
»*~'
G$8di4^U€ d$r iÜdUek^ Chmeind$ Dü$8ddorf$. 289
bringen, es ist so zu sagen eine tugendhafte Handlung,
dass man nämlich dadurch unsre Vorfahren ehren, ihre
Werke der Vergessenheit entziehen, nicht zu gedenken
den grossen mächtigen Nutzen, fQr alle Zweige der
menschlichen Erkenntnisse. Wie sehr werden nicht durch die
neue Entdeckungen das Gebiet der Geschichte und so vieler
andern Künsten und Wissenschaften erhellt und vermehrt.
Will man damit Vergleichungen anstellen, so werden
solche freilich nicht die erfreulichsten Resultate gewähren ;
denn wer hätte denken sollen, dass jezt, ein ganz Jahr-
hundert später, das sich das erleuchtete und liberale
nennt, und worin die Staats- und Rechtswissenschaft in
Deutschland wirklich auf einer höheren Stufe fortgerükt
sind, doch noch consultirt, discutirt, deliberirt, censirt und
recensirt wird, ob Deutsehe in Deutschland auch Deutsche
Bürgerrechte geniessen dürfen? —
Auch bewog mich noch zur Mittheüung dieser Urkunde
der Gedanke : Vielleicht meinen Mitbürgern dadurch einen
Gefallen zu erzeigen, indem wohl vielleicht noch viele
nicht wissen mögen, wann und von wem das Maximilian
Josephs Krankenhaus in der Neustadt zu Düsseldorf
erbauet worden ist, denn die Schule,^) eigentlich die Kirche,
respct. die Synagoge wovon die Urkunde spricht, ist das
Gebäude worin sich jezt das Krankenhaus befindet Die
Urkunde lautet wie folgt:
Die Gott gefällige Verheissung zu welcher dieses Ge-
bäude gleich ursprünglich bestimmt war, hat sich nun
auch feiner durch die frommen, biederen und wohltbätigen
Gesinnungen der Bewohner Düsseldorfs erhalten; es ist
nämlich ein Zufluchtsort der Bruderliebe, der Humanität
geworden, indem darin Arme und Kranke von allen
Confessionen ohne Unterschied eine gleiche Aufnahme,
eine gleiche Pflege finden. — Und so werden noch fort,
der ursprünglichen Bestimmung dieses Hauses gemäss,
fromme Gebethe nämlich von den Armen, Kranken und
HQlfsbedürftigen, gehalten, welche zum reichen Seegen
für die Bewohner Düsseldorfs erfüllt werden mögen."
') Die. Gewohnheit der Israeliten in ehemaligen Zeiten, und die
auch noch jezt nnter dem grossen Haufen dieser Religion sgenossen
besteht: für ihre Bethäuser Schule anstatt Kirche, Tempel zu
BA^en, entstand in den traurigen Zeiten der Reiigionsverfolgiingeii.
Eh war nftmlich in diesen Zeiten den Israeliten nicht erlaubt, öf^nt-
Jiche Betiiäuser zu haben ; um nun doch ihre Gebete gemeinschaft-
lieh verrichten zu können, versanimleten sie sich in ihren Gymnasien,
Schulen. Wer daher sagen wollte: ich gehe in die Kirche, der
»ag-te dann: ich gehe in die Schule. Und so blieb diese Redensart
bis heute heran gebräuchlich.
240 a$$ekiehU der JMiäi^tm ChmeMU /Mlmldoi/f.
Von derNeusserstrasse wurde die Synagoge nach der
HundsrOckenstrasse
verlegt, wo sie bis zum Jahre 1776 verblieb. Wegen des
durch die Anlage der Communikationsstrasse nothwendig
gewordenen Abbruches des betreffenden Hauses wurde
die Synagoge wieder verlegt und zwar nach der
Neustrasse 1776—1792.
Durch Kauf- Akt vom 31. Decbr. 1776, abgeschlossen
mit dem Geheimrath von Boolen, ging das auf der Neu-
Strasse belegene Haus desselben mit dem Hinterhause auf
den Wall Cjetzige Alleestrasse) ausgehende, und von dem
Grafen Seisserschen Grundstück begrenzte Haus des
Geheimrath von Boolen in den Besitz der Gemeinde über.
Dasselbe hatte ehemal» dem Herrn von Villers gehört
und war von den Zehnpfenning'schen Eheleuten an den
Geheimrath von Boolen verkauft worden. Das Besitzrecht
wurde jedoch in Folge eines von ^tit. Herrn Comet Frinken^,
einem Anverwandten des ersten Verkäufers, durch das „ Ver-
näherungsrecht^ angestrengten Erbschafbsstreites nach
langem Processiren Herrn von Boolen am 16. October 1787
gerichtlich abgesprochen und auf diese Weise auch der
Verkauf für ungiltig erklärt. In Folge dessen musste die
Gemeinde das Haus von dem neuen Besitzer pachtweise
übernehmen und zwar auf 6 Jahre, jedoch mit dem Vor-
behalt, es schon nach 3 Jahren kündigen zu können. 8o
hart aucli die Bedingungen des am 27. Octbr. d. J. ab-
geschlossenen Pachtcontraktes waren, musste die Gemeinde
sie dennoch acceptiren, da sie ein anderes geeignetes
Grundstück nicht zur Verfügung hatte und zunächst auch
Herrn von Boolen für die ihr daraus entstandenen Kosten
belangen wollte. Denn der neue Besitzer Comet Frinken
forderte nicht nur die Räumung des Hauses, sondern auch
die Entfernung der für die Synagoge getroffenen bau-
lichen und sonstigen Einrichtungen imd die Herstellung
des früheren baulichen Zustandes. Die Gemeinde nahm
diese Bedingungen an mit der Massgabe, dass der Ver-
miether sich zuerst an Geheimrath von Boolen zu halten,
dass aber die Gemeinde für jeden Ausfall aufzukommen habe.
Der Kaufpreis hatte betragen 5100 Thlr. gleich Con-
venthlr. 3060. Sonstige Vergütungen für kleinere Kepara-
turen, an Schreiner, Maurer, „Blästerer", „Leyendecker",
Schlosserarbeiten 40 Conventhlr. 40 Stüb. Aus der Speci-
flcation ist ersichtlich, dass damals die Tagesarbeit eines
Leyendeckergesellen mit 30Stüber (lOOStüber = 1 Rthlr.),
die eines Handlangers mit 15 Stüber, ein „&mer Kalg<^
mit 4 Stüber, ein „Pund IG zinn^ mit 10 Stüber berechnet
ChsekicktB d4r jiidi$ehen G$m$inde DOssMorfs. 241
wurde. Ein ^scbloss im letzten stock nach der stros hin
abgebrochen und zurecbt gemacht und 2 neuen fordern
tor eingemacht und ein neues vor^ kostete 19 Stüber.
Die auf die baulichen Veränderungen verwandten Kosten
der Gemeinde betrugen circa 400 Thlr., und für die Herrich-
tung des Hauses im früheren Zustande wurden von dem
Cornet Frinken laut Taxe 500 Thlr. liquidirt, obwohl die
Taxatoren Huschberger und der Lehrer der Baukunst
Joseph Erb zu der von ihnen am 3. Juni 1788 entworfenen
Taxe folgenden Vermerk gemacht hatten; 7,Wie nun aber
stadtkundig das Haus beym Ankauf des Geheimrathen
von Boolen in sehr schlechtem stände war; so ist hieraus
ersichtlich, dass in diesem Hause mehr gebessert als ver-
schlimmert worden^. Hierzu kamen noch die 190 Thlr.
betragenden Kosten für den von der andern Partei bis
ans Oberlandesgericht gebrachten Rechtsstreit, der ein
ziemlich verwickelter war , da die Gemeinde sich an
von Boolen hielt und Frinken wieder gegen die Gemeinde
vorging, Boolen die Reparaturen selbst besorgen wollte,
von Frinken aber gehindert wurde u.s.w. Diese beiden
Processe, in welche die Gemeinde ohne ihr Verschulden
verwickelt worden war, die ihr obenein noch viel Verdruss
und grosse Schulden verursachten, reiften in der Gemeinde
den Entschluss, sich gegen ähnliche Erfahrungen durch
Errichtung einer neuen Synagoge zu schützen. Hierzu
bot ihr die nach dem Plane von Johimn Wilhelm ent-
worfene „Extension*^ in der Carlstadt der Stadt gute
Gelegenheit. Das in Aussicht genonmiene Grundstück
befand sich im IV. Quadrat auf der
Casernenstrasse,
wo auch der Friedhof der Gemeinde war, und als um
diese Zeit in Folge der Bebauung dieses Theiles der
Extension geräumt werden musste. Die Gemeinde wandte
sich daher in einer Eingabe vom 18. October 1789 an
den Kurfürsten und erbat die Erlaubniss zu dem ge-
planten Bau. Die Wohnungen in Düsseldorf seien ohne-
hin rar und so beschwerlich zu haben, daas sich selten
die Gelegenheit ergebe, eine erwerben zu können; die
wenigstens seien ausserdem zu einer Wohnung geeignet;
Miethhäuser Uessen sich bei den enormen daraus er-
wachsenden Kosten gar nicht dazu einrichten. Deshalb
sei es unumgänglich nöthig, eine neue Synagoge zu bauen.
In dem Quadrat IV an der Ostseite *) hätte sie zu dem
normalmässigen Preise gegen baare Zahlung einen Bau*
<) Vgl die zu dem Capitel „Friedhöfe" beigegebene Zeich-
mmg Seite 246.
16
242 Geschichte der jadischen Getneinds DU$9Mcrfs.
platz von 60 Rhein. Fiiss Länge und 120 Fuss Tiefe er-
worben, um vorn eine Wohnung für den Rabbiner und
dahinter die Synagoge zu errichten. Den Schutzjuden-
Gemeinden würde allenthalben in den Haupt- und wenn
sie „anzählig genug wären^ auch in den übrigen Städten
eine eigenthümliche Synagoge zugestanden, deshalb hoffte
sie, dass ihr das nämliche zum mindesten in der kurfürst-
lichen Residenzstadt „mildest^ gewährt werde. Die Ge-
währung dieser Bitte stand um so mehr in Aussicht, als
denjenigen, welche in der neuen Carlstadt bauten, für
20 Jahre Steuerfreiheit zugesichert wurde. Die Juden-
schaft ging aber noch einen Schritt weiter und bat, der
zu errichtenden Synagoge „nach dem Beyspiel der christ-
lichen Kirchen und Bethäuser, welche bekanntermassen
davon gänzlich befreyt sind, um so mehr eine ewige
Freyheit ggst zu verleihen, als sich ohnehin der Bauplatz
bis hieran in Keinem Steur - Anschlag befunden hat und
in dem zu errichtenden Gebäu nie ein bürgerliches dem
Steur - Beytrag unterwürlBges Gewerb geführt werden
wird." y^^iT gedenken dargegen die bemeldete Synagoge
mit dem heiligsten Gelübde einzuweihen, dass die Dassel-
dorfer Schutz-Judensohaft den höchsten Gott um Erhöhung
und Verherrlichung des durchlauchtigsten Churhauses
alltäglich eifrigst anflehen werde." Das Gesuch musste
jedoch erst sehr viele Instanzen durchlaufen. D. d. 16.
Juni 1790 wird zunächst der G.-B. Geheimrath „vorder-
samst zum gutachtlichen Bericht aufgefordert^, dieses
fordert das ^hohe Dicasterium^ zum Bericht auf. Dieses
hat ebenso wenig wie die Bau-Commission etwas einzu-
wenden. Die Resolutio Seri^ vom 21. Aug. 1790 aus
Frankfurt lautet: „Mag auf sich beruhen.^ Dieser
Bescheid macht nun wieder den ganzen Instanzen^weg
durch. „Der Ghrath von Ddorff*' commentirt diesen Be-
scheid folgendermassen : Da die Erbauung einer
Synagoge in der Carlstadt nicht verbotten vrird,
so scheinet solche erlaubet zu seyn, dessen die
wegen der Carlstadt Verordnete Commission zu benach-
richtigen wäre.^ gez. Knapp. Die endgültige Entscheidung
des Grafen von Nesselrode vom 17. September 1790
lautet: „Da wegen der Erbauung der Synagoge in hie-
siger Carlstatt mit ggsten Apostill vom 21. Aug. n&chst-
hin verordnet worden, dass der Vorwurf auf sich be-
ruhen möge, damithin anhero meint, dass die
Erbauung nachgegeben worden." Rüstig schritt die
Gemeinde an's Werk. Nach dem von Hof-Maurermeister
Köhler zu Düsseldorf entworfenen Plan, bestand der Bau :
In einem grossen WohnhaussC; so im Quadrat N: IV:
Oesehiehie der jOdisehen Gemeinde DUeeeldarfe. 243
nach der Ostseiten in hiesiger Carlstadt gelegen, wird 63 Fuss
zur Fronte der Strassen breit, 38 Fuss Tief, Dttsseldorffer
Maass. bekommet auf beydenseiten Keller, numicht unter
der Einfarth. wii*d zwey stock hoch, mit einem Blatten
Soliden Dachstuhl, und überhaupt nach der Plan in seiner
bequemlichkeit proportion, und stärcke eingerichtet.
Ferner bestehet der Bau in einer Netten Synagoge,
oder Kirchen Gebäude, wie solches der Grund Plan eben-
falls in länge. Breite, und Höhe nachweiset, bekommt eine
Altane, oder Gallerie auf dreyen Seiten, wird mit einer
Kuppel, oder Laterne im Dachstuhl eingerichtet, ttbrigens
alles bestandmässig, dauerhaft, und gut verfertiget,
Noch ferner seynd die sämtliche Scheide-Mauern des
ganzen Platzes zu herstellen.
Der Kostenanschlag betrug 7300 Thaler. Schon im
Jahre 1791 war der Bau fertig gestellt um in der Folge
vor allen Beunruhigungen desto sicherer zu sein, bat die
Gemehide um die Ausstellung einer Canzlei- oder Sicher-
heits -Urkunde über die d. d. 21. Aug. 1790 mittelst
höchsthändigen Rescripts erteilte Erlaubniss. Wieder
musste der ganze Instanzenweg durchlaufen werden, „da
in dem Reacript nicht zugleich entschieden sei, ob so-
thane Urkunt auszufertigen sei.^ Es war daher erst „von
der Hochlöbl. Hofkammer die Auskunft zu gesinnen^,
ob Bestimmungen Ober die Erbauung einer Juden-
Synagoge und über das Recht, liegende Grttnde
zu erwerben, vorhanden seien. Die Hofkammer be-
richtete, es seien weder wegen der Synagoge noch
darüber Akten vorhanden, dass „den Juden jema-
len untersagt sey liegende Gründe zu erwerben.^
^Was also dieses objecti halber zu verodnen seyn,
müsse man hochbelobter Stelle als eine in die Landes-
hoheit einschlagende Sache platterdings über-
lassen. Das alles am 12. Juni 1792, nach dem der
Bauconsens bereits am 21. August 1790 an höchster
Stelle ertheilt worden war. Am 19. Juni 1792 ist nun
die Sicherheits-Urkunde allerdings bereits ausgestellt;
allein „vor Aushändigung derselben will man darüber
Verlassiget seyn, ob die Baukasse wegen der gem.
Judenschaft überlaas. Bauplatz Befriedigt sey^. Als
die Gemeinde „sicherem Vernehmen nach^ diese Bean-
standung erfahren, schickte sie, um nicht länger auf-
gehalten zu werden, die betreft'ende Quittung ein und
bittet um endliche Aushändigung der bereits ausgestellten
Sicherheits-Urkunde. Nachdem dieses geschehen, wurde
die Synagoge am Neumondstage Nissau = 24. März 1 792
eing'eweiht. Zur Erinnerung an diesen hohen Festtag
16*
244 Oesehidiie der jMiaeh^n Oemeinde DütaMwf:
der Gemeinde und im tief empfundenen Danke gegen
Gott wurde an demselben Tage ein neuer allgemeiner
Wohl thatigkeits - Verein gegründet und mit dem bereits
bestehenden von Rabbiner Samson Levi fast hundert
Jahre früher gegrtUideten Erankenverpflegungs - und
Beerdigungs -Verein verbunden. i) Die Synagoge erwies
sich jedoch gar bald als zu klein; schon in der Sitzung
vom 27. Juli 1851 wurden der Gemeinde -Vertretung
einige Pläne zur Vergrösserung der Synagoge vorgelegt.
Die Verhandlungen zogen sich jedoch sehr in die Länge.
Der am 23. Februar 1868 gefasste Beschluss, endlich zum
Bau zu schreiten und das auf 15,000 Thlr. veranschlagte
Capital durch Actien zu beschaffen, wurde am 1. Novbr.
1870 dahin erweitert, dass sowohl die Sjmagoge, als auch
die davor stehenden Häuser, welche im baufälligem Zu-
stande sich befanden, ebenfalls neu gebaut und das
Capital auf 25,000 Thlr. erhöht, ein passender Bauplatz
gesucht und die nöthigen Schritte ungesäumt gethan
werden sollten. Am 3. December 1871 wurde der Bau-
commission für die Wahl eines anderen Platzes der
Termin bis zum 31. December 1871 verlängert. Wenn
dann kein Platz da wäre, sollte die Synagoge auf ihrem
firüheren Platze errichtet imd sofort zum Baue geschritten
werden. Die „sofortige^ Ausführung dieses Beschlusses
wurde denn auch am 5. October 1873 durch Abschlags
eines Vertrages mit den Herren Deckers &• Kühne
bewirkt, nach welchem der Bau der Synagoge ohne
aUes Transportable und ohne Gas- und Wasserleitung für
die Summe von 15,000 Thlr. ausgeführt werden sollte.
Die Mittel für den Bau der Synagoge und der H&user
wurde mit Genehmigung der Kgl. Regierung durch eine
Anleihe aufgebracht, welche in Höhe von 90,000 Mark
bei der Rhein. Provinzial-Hülfskasse zu 41/2% und unter
der Bedingung der ratenweisen Rückzahlung in 15 Jahren
im Jahre 1874 erhoben wurde. Später wurde diese Summe
noch vergrOssert, der Zinsfuss aber aus eigener Initative
der Hülfskasse auf 4V4% herabgesetzt und die Amorti-
sationsbedingungen wesentlich erleichtert. Endlich im
Herbst 1875 konnte die Synagoge unter der Theilnahme
der hohen Behörden von dem referirenden und noch
jetzt hier im Amte befindlichen Rabbiner am 10. Sept.
1875 eingeweiht werden. So viele Mühe, so viele Sorg^
und Kosten auch der Neubau der Synagoge erfordert hat^
so ist trotz der kurzen Zeit ihres Bestehens die Frage
der Erweiterung schon vielfach an die Gemeinde-Vertretung
von neuem herangetreten und wiederholt Gegenstand
1) Vgl. Seite 228 und Seite 250.
GtMehiekf* dtr jOditditn Otmtindt DO—MorfM. 246
eingehender Erörterung gewesen, ohne dass bis jetzt eine
geeignete Lösung gefunden worden wäre.
Frledhfife.
Der älteste Friedhof der Düsseldorfer Gemeinde war
ihr von dem Landesherrn auf der jetzigen Käsern en-
strasae gleich nach ihrer Ansiedelung angewiesen worden.
Die beigedruckte Zeichnung stellt den Situationsplan
'i
desselben dar. Nach dem Geleitspatent zahlte die Gemeinde
beim Ableben einer mfionlichen Person einen Qoldgulden
246 GtwshichU der jüditek^n Omtuind^ DÜBBOdorfs.
für die Erlaubnisse dieselbe begraben zu dürfen, und zwar
nach dem Wortlaut des Patents ^so oflFt einer verstirbt^.
Aber Höchstgemelter Ihrer Churfürstl. Durchl. sonder-
bahrer ggstr. Befelch vom 17. Aug. 1742 gab dieser Be-
stimmung eine andere Deutung. Dieser Erlass lautet:
„Lieber Getreuer; Uns ist höchst missfälligst zu ver-
nehmen vorkommen, wie dass einige deren in hieran tigen
Unseren Landen vergleidten Juden den bey Absterben
einer Jüdinn verschuldeten Goldgl. ferner abzutragen sich
neuerlicher Dingen weigeren, mithin diese ihre fuglose
Intention durch die im Olaydts-Patent befindliche Wörter :
So offt einer verstirbt (als welche ihrer irriger Meinung
nach nur vom Männlichen Geschlecht zu verstehen wAren)
behaupten wollen; Gleichwie aber gedachter Articulus
Einer sich auff den negst vorherigen Sensum referirt,
einfolgsam auch von denen darin vermeldten Persohnen
so wohl Mann- als Weiblichen Geschlechts zu verstehen
ist ; Also habt ihr bey Abstorben eines Juden oder Jüdinn
ohne Unterscheid des Geschlechts euch Jedesmahlen einen
Goldgl. unter Straff, dass euch selbiger widrigen Falls zu
Last gestellet werden solle, entrichten zu lassen, und be-
hörend zu verrechnen. Dflsseldorflf den 17. Aug. 1742.
Aus Höchstgemelter Ihrer Churfürstl. Durchl.
sonderbahrem gnädigstem Befelch."
Die Auffassung der Gemeinde scheint aber die rich-
tige gewesen zu sein ; denn in den späteren Geleitspatenten
heisst es ausdrücklich : „nicht zwar von dem weiblichen,
sondern lediglich von dem Männlichen geschlechte
zu an Weisung der begräbnis bezahlt werden, mithin das
weibliche hievon durchaus frey seyn solle." AU-
mälig dehnte sich die Stadt nach dieser Extension hin
aus und im Jahr 1 780 erging an die Gemeinde die Weisung,
sich einen andern Friedhof zu suchen, da der bisherige
applaniert werden müsse. Darauf hin petitionirte die
Gemeinde d. d. 13. Aug. 1781 „um die erste Gnade^,
dass das Revier des Friedhofes „bis zum letzten VoUzuf?
der Enklavisirung geschont bliebe.^ Käme die Ordnung
auch hieran, so bestände „die zweite Gnad darin'', dass
der Kirchhofsdistrikt eine solche Bestimmung erhielte,
wobey die Gräber nicht verletzt noch die Gebeyne ver-
rückt zu werden bedurften. Denn diese Sorge sind wir
den Eingangs erwähnten Gesetzen und Beyspielen zufolg
unsern Todten am Vorzüglichsten schuldig. Femer wurde
um die Erlaubniss gebeten, falls die Gräber nicht sollten
verschont bleiben können, die irdischen üeberreste der
Verstorbenen nach der neuen, von der Regierung ihr
anzuweisenden Begräbnissstätte, überführen zu dürfen.
0$sehieht€ der JHdi$ehen Oemeitide D39BMo}*f$, 247
Der Begräbnissplatz sei der Gemeinde nach Massgabe
des 9. Artikels der Geleitsconcession unentgeltlich zuzu-
weisen, weil eben dafür „die Erkenntniss von einem Gold-
gulden bey der Geburt oder Begräbniss eines Juden
männlichen Geschlechtes abgetragen wird.^ Am besten
wäre derselbe vor dem Ratinger oder Flinger Thor an-
zulegen, „weilen das B.erger Thor zu Winterszeit bey
hohem Wasser nicht zu passieren ist.^ Die Hof kammer
gab bereits am 2. Juli 1 782 der Ober-Kellnerei auf, diesem
„billigen^ Wunsche der Judenschaft zu entsprechen, einen
ohnschädlichen Ort sofort auszuersehcn und an höherer
Stelle zu benennen. Nach längeren Verhandlungen wurde
der Gemeinde im Jahre 1788 der
Gräuliche Bongard
als Begräbnissstelle unentgeltlich angewiesen. Be-
zQglich des Friedhofes auf der Casernenstrasse wurde der
Gemeinde das Hecht ertheilt, nach Verhältnis» der auf
der „Extension" fortschreitenden Bauthätigkeit die davon
berührten Gräber nach dem neuen Friedhof überzuführen.
Bei sehr vielen ist dies geschehen; den exhumirten Ge-
beinen wurden zum grössten Theil nebst den Grabsteinen
rechts vom Eingang des. neuen Friedhofes neue Grab-
stätten bereitet. Unbegreiflicher Weise ist dies jedoch
nicht bei allen geschehen; dielnschrift der beigegebenen
Skizze des Friedhofes enthält die Angabe: Diese Gestalt
hatte der fi-ühere Friedhof der Düsseldorfer Gemeinde.
Jetzt aber ist derselbe zum Theil mit Häusern bebaut;
man räumte die Gräber, hob die Gebeine aus, bestattete
sie auf dem neuen Friedhofe, welcher der Gemeinde um
diese Zeit angewiesen wurde. Ein Theil der Gräber
befindet sich jedoch noch jetzt unter der Strasse,
ohne dass die Gebeine, welche darin ruhten, ausgegraben
worden wären. Merkwürdiger Weise waren das grade
die jüngsten Gräber, welche bekannten Persönlichkeiten
angehörten, deren Familienangehörige noch in Düsseldorf
und Umgegend lebten, wie z. B. das Grab der Frau Dr.
von Geldern geb. Bock, Grossmutter von Heinrich Heine ^)
und der Frau Rabbiner Brandes. 2) Diese Gräber und
verschiedene andere wurden im Jahre 1884 auf der
Casernenstrasse mit den vorzüglich erhaltenen Grabsteinen
bei den Canalisationsarbeiten ausgegraben und nach dem
Friedhof an der Bongardstrasse überführt. Dass dies
nicht gleich damals bei der Anlage des neuen Friedhofes
geschehen, lässt sich, wie zu vermuthen, nur dadurch
1) Vgl. Wedell, Heinrich Heine*» StammbAum mütterlicherseits.
«) Vgl. S. 229.
248 Geaehichte der jüdischen Gemeinde DünMorfe,
erklären, dass die Bebauung des$ betreffenden Theiles der
Extension so schnelle Fortschritte machte, dass die RAu-
mung des Friedhofes damit nicht gleichen Schritt halten
konnte. Sofort schritt die Gemeinde zur Einrichtung des
neuen Friedhofes. Bereits am 12. Februar 1788 wurde
durch den damaligen Gemeindevorsteher Dr. med. von
Gelderen mit Bendict Giesen upd Bartholem Meyra ein
Vertrag abgeschlossen, wonach die letzteren es über-
nahmen, um den gräulichen Bongard, „wohe der Neue
JudenKirchhoff angelegt ist^ eine Hecke zu machen
und sechs Jahre zu unterhalten. Dafür erhielten sie
12 Thlr. 30 Stüber sofort und ebenso viel nach Herstellung
der Hecke; fQr die Bewachung des Friedhofes erhielten
sie das Abnutzungsrecht des Graswuchses. UeberflOssig
war eine solche Bewachung nicht, da sogar in der Stadt
die Leichenzüge gegen Beschimpfungen nicht geschützt
waren. Denn ^um von den Leichenbegängnissen der
Juden jeden Unfug und sonstige Excessen, die bei
Gelegenheit derselben nicht selten Statt gehabt
haben, zu entfernen u. s. w. wird vom Ereiskommissär
und Oberbürgermeister Schramm d. d. 20. August 1818
u. a. verfügt:
^Die Beerdigung der Israelitischen Leichen darf nur
des Morgens und Abends und zwar vom 20. März
bis 20. September des Morgens vor 8 Uhr und des
Abends nicht früher als nach 7 Uhr; und vom
21. September bis den 19. März des Morgens vor
9 Uhr und des Abends nicht früher als nach 3 Uhr
geschehen."
Auf Grund eines Gutachtens des damaligen Land-
rabbiners Scheuer wurden die Leichen damals nicht
gefahren, sondern getragen.
Nicht unerwähnt darf hier bleiben, dass dieser Fried-
hof lange Zeit nicht Eigenthum der Gemeinde war,
sondern erst am 4. August 1837 von der Egl. Regierung
für die Gemeinde durch den damah'gen Vorsteher Sal.
Mayer angekauft wurde. Von der angekauften Parcelle
wurden ö Morgen 133 Ruthen 70 Fuss Herrn Jos. Custodis
für den entfallenden Theil des Ankaufspreises incl. Kosten
und Stempel für 2138 Thlr. 2 st. 3 Pf. überlassen. Den
Rest von 1 Morgen 52 Ruthen 70 Fuss mit dem Antbeil
an dem halben Düsselbach übernahm die Gemeinde selbst.
Die Unterhandlungen wegen des Ankaufes waren schon
1827 von dem damaligen Gemeindevorsteher G. F. van
Perlstein 1) mit der Egl. Regierung angeknüpft worden;
1) Auch die Gattin desselben, Frau Eleonore geb. Cohen, war
eine sehr thätige Vorsteherin des Frauen-Vereins gewesen.
G$9^iehU der jMisehen Gemeinde JOüeeeldarfe. 249
•
dieselben zogen sich jedoch in die Länge, weil das Grund-
stück damals noch zum grossen Theil verpachtet war,
und die Oemeinde dieses Pachtverhältniss nicht über-
nehmen wollte. Nach einem 1842 mit der Gemeinde
getroffenen Abkommen abemabmen die A^jacenten Sar-
torius & Keller gegen gewisse Rechte die Verpflichtung,
einen grossen Theil des Friedhofes mit einer 6 Fuss hohen
Mauer zu umgeben. Der übrige Theil derselben wurde in
demselben Jahre durch freiwillige Beiträge der Gemeinde-
mitglieder aufgebracht. In Folge ihrer allmäligen Aus-
dehnung war die Stadt dem Friedhofe allmälig näher
gerückt, so dass die Behörde im Jahre 1874 die Schliessung
desselben anordnete. Nach längeren Verhandlungen wurde
der Gemeinde von der städtischen Behörde ein Grund-
stück am Stoffeler Damm unentgeltlich angewiesen. Die
Gemeinde hielt dieses Grundstück wegen seiner grossen
Entfernung von der Stadt nicht für geeignet und bean-
tragte, yyihr die Mitbenutzung des Communalfriedhofes zu
gestatten.^ Nach Annahme dieses Antrages wurde der
Gemeinde ein bis dahin als Gartenland verpachtet ge-
wesener, an die Eaiserswerther Chaussee grenzender
Theil des Friedhofes zur alleinigen Benutzung mit
besonderer Einfahrt direct von der Chaussee aus unter
den allgemein festgestellten Normen eingeräumt. Nach
diesen musste ein jedes Grab, welches unantastbar bleiben
sollte, für eine gewisse Summe angekauft werden. Da
nach jüdischem Ritus die Unantastbarkeit eines Grabes
das erste Erforderniss für ein solches ist, so wurde von
der Gemeinde -Vertretung der Beschluss gefasst, für
sämmtliche Gräber die betreffende Gebühr zu
zahlen. Die Gemeinde hatte, ohne die Tragweite ihres
Beschlusses zu kennen, während der Rabbinats-Vacanz
die Mitbenutzung erbeten und glaubte nach Ge-
währung ihres Antrages denselben nicht wieder
ablehnen zu können, obwohl verschiedene Schwierig-
keiten sich ergaben und die Kosten sehr grosse waren.
Ausserdem war der endgültige Termin für die Schliessung
des Friedhofes herangekommen, ohne dass die Gemeinde
für einen andern Friedhof gesorgt hatte. Bei diesem
Stadium, in welchem sich die Angelegenheit befand,
musste der Rabbiner, als die Sache an ihn heran trat,
sich darauf beschränken, wenigstens dafür Sorge zu tragen,
dass keine rituelle Bestimmung verletzt wurde. Im Rahmen
der früher gefassten Beschlüsse war die Gemeinde auch
bemüht, diesen Forderungen gerecht zu werden, ins-
besondere wurde darauf gesehen, dass die erworbenen
Grä.ber sämmtlich „erb und eigen thümlich für alle Zeiten
2dO Oetehichte der Jildi$ehen Gemeinde Düsseldorfs.
waren." Als aber das betreffende, die Besitzfrage ord-
nende Regulativ fttr die Folge von der Stadt geändert
und noch viel schwerere Bedingungen stellte, da ferner
ein grosser Theil der Gemeinde hauptsächlich von der
irrthUmlichen Meinung ausgehend, dass auf andere
Weise die Unantastbarkeit der Gräber nicht gesichert
werden konnte, einen der Gemeinde gehörigen Platz für
den Friedhof wünschte und ein solcher der Gemeinde
von einigen Mitgliedern als Geschenk angeboten wurde,
wozu der Rabbiner einen erheblichen Theil der Beiträge
gesammelt hatte, so übernahm es der Vorstand in Ueber-
einstlmmung mit den Repräsentanten auf Antrag des
Gemeinderabbiners, von der Kgl. Regierung die Erlaubniss
zu erbitten, den
Friedhof auf der Ulmenstrasse
als Geschenk annehmen und einrichten zu dürfen. Seit
Schliessung des andern Friedhofes ist dies der einzige,
der jetzt von der Gemeinde benutzt wird. Das erste
Grab auf demselben wurde Simon Quack bereitet, der
einen grossen Beitrag zur Erwerbung des Friedhofes
geleistet hatte.
Wohlthätigkeits - Yereiue.
Um die von den verschiedenen Vereinen verfolgten
Wohlthätigkeits - und religiösen Zwecke besser zu er-
reichen und die Thätigkeit der einzelnen Vereine segens-
reicher zu gestalten, wurde auf Anregung des zeitigen
Rabbiners eine möglichst enge Verbindung dieser Vereine
angestrebt durch Bildung einer Central-Commission.
Der Präsident derselben ist der zeitige Rabbiner. Zu-
sammengesetzt wird dieselbe durch Deputirte der Vor-
stände von den Vereinen, welche den Bestimmungen Ober
die Central-Commission sich unterwerfen.
Der wichtigste Verein für die religiösen Interessen
und für die Armenzwecke der Lokal gemeinde ist
1. der Krankenpflege- und Beerdigungs-Verein
(Chewrat G'milut Chassadim Waawirat T'hillim).
Derselbe wurde von dem ersten Rabbiner der Ge-
meinde 1) im Anfang des vorigen Jahrhunderts gegründet
und am Tage der Einweihung der Synagoge auf der
Casernenstrasse 1. Nissan = 24. März 1792 mit der an
diesem Tage gegründeten Abtheihing für sonstige Unter-
stützungen vereinigt. Entsprechend den Bedürfnissen,
welche sich aus der Vergrösserung der Gemeinde und der
M Vgl. Seite 228.
GeBchiehtt der jüditehen Otmeiftde Düsatldorfs. 251
Erweiterung der Stadt ergaben, wurden nach sehr ein«
gehenden Berathungen mit dem Rabbiner im Jahre 1880
die Statuten den neuen Verhältnissen angepasst und die
Zwecke des Vereins u. a. folgendermassen noimirt:
Allen erkrankten Mitgliedern des hiesigen städti-
schen Synagogenbezirkes und deren Angehörigen durch
die ordentlichen Mitglieder den nöthigen Beistand durch
Besuch, Wartung und Pflege, nöthigenfalls durch Auf-
nahme in ein Krankenhaus unentgeltlich angedeihen zu
lassen.
Zur Unterstützung der ordentlichen Mitglieder in Aus-
übung ihrer Pflichten für geübte Krankenwärter und
Krankenwärterinnen Sorge zu tragen und soweit die hier
vorhandenen Kräfte nicht ausreichen, zu diesem Behufe
eine Anzahl junger, kräftiger Männer und Frauen aus-
bilden zu lassen.
Beranken bis zu ihrer Genesung oder Todesstunde
mit Trost und Andachtsübungen durch die ordentlichen
Mitglieder zur Seite zu stehen, ebenso beim Hinscheiden
die rituellen Gebete von Letzteren verrichten zu lassen.
Die Leichen durch bestellte Männer oder Frauen
bewachen, durch ordentliche Mitglieder resp. durch
die Ehrendamen unter Zuziehung der Vereinsdienerinnen
nach dem vorgeschriebenen Ritus waschen, reinigen und
ankleiden zu lassen.
Ferner die Leichen dm'ch ordentliche Mitglieder
zum Friedhofe begleiten und bestatten zu lassen.
Hiesigen Armen je nach den Mitteln des Vereins
Unterstützung angedeihen zu lassen.
Zur Weiterbildung der Mitglieder leichtere religions-
wissenschaftliche Vorträge halten zu lassen.
Jedes ordentliche Mitglied ist verpflichtet, nach er-
folgrt;er schriftlicher Aufforderung des Pflegers die Wache
am Krankenbette persönlich zu übernehmen, im Ver-
hinderungsfalle hat es für einen Stellvertreter zu sorgen.
Die Wächter dürfen den Kranken nicht verlassen, bevor
die folgenden zur Ablösung da sind. Länger als eine
halbe Stunde sind sie jedoch nicht zu warten verpflichtet,
haben aber in diesem Falle dem Pfleger sofort Anzeige
zu machen, der dann das Weitere zu veranlassen hat.
Die Aufgabe der ordentlichen Mitglieder bei der
Krankenpflege ist folgende : den Anordnungen der Aerzte
pünktlich nachzukommen, den Kranken liebevoll zu
pflegen, Alles zu vermeiden, was seine Behaglichkeit und
Ruhe stört, für die Sauberkeit des Krankenlagers und
Kraukenzimmers und bei etwa eintretenden Vorzeichen
252 Oesehiehte der jüdischen Gemeinde Düaeeldorfe.
des herannahenden Todes, nach Möglichkeit fUr die An-
wesenheit mehrerer Vereinsmitglieder zu sorgen^ um
gemeinschaftlich die Gebete bei dem Sterbenden zu ver-
richten. Ferner ist es Pflicht der Wächter, den Familien-
mitgliedern des Kranken, so weit die Rücksicht auf den-
selben es gestattet, in ihren geschäftlichen und häus-
lichen Angelegenheiten treu zur Seite zu stehen, auch
dann, wenn die Krankenpflege nicht in Anspruch ge-
nommen wird.
Der Verein macht in der Ausübung seiner wesent-
lichsten Pflichten keinen Unterschied zwischen Mitgliedern
und Nichtmitgliedern , denn in seinem wahren Mitgefühl
für seine Schutzbefohlenen verbindet er mit der körper-
lichen Pflege auch geistige Bemühungen. Er sorgt dafür,
dass die gesetzlich vorgeschriebenen Gebräuche ausgeübt
werden, er sorgt für die letzten Augenblicke, da die Seele
sich vorbereitet, um vor ihrem Gotte zu erscheinen. Man
lässt den Sterbenden ein Bekenntniss ablegen, man betet
mit ihm zusammen, man betet für ihn nach seinem Tode.i)
Der Verein hat in den letzten Jahren ein starkes Wachs-
thum, vor allem kein Deflcit zu verzeichnen und schloss
im letztverflossenen Jahre ab in Einnahme mit 1304,35 M.,
in Ausgabe mit 1177,96 M., Vermögensbestand 9592,11 M.
Das Vermögen ist trotz des hohen Alters des Vereins
ein verhältnissmässig geringes, weil derselbe die Ver-
wendung seiner Mittel für die von ihm verfolgten Zwecke
für die beste Anlage derselben hält. Gegenwärtig wird
der Verein geleitet von den Herren : L. Scheuer (Vorsitz.),
M. May (Stell vertr.), Alex Levi, L. Leib, H. Hirsch,
A. Raphael, Jacob Wolf. Die drei letztgenannten Herren
sind die „Pfleger" des Vereins.
Derselben Verwaltung ist unterstellt der Verein
2. Malbisch Arumim.
Zweck: Bekleidung armer Schulkinder.
3. Israelitischer Frauen-Verein.
Zweck im Wesentlichen derselbe als derjenige des
Krankenpflege- und Beerdiguugs -Vereins. Die Vorstanda-
damen haben die Pflicht, durch Besuch in den Häusern
der bedürftigen Familien von deren Lage und Be-
dürfnissen genaue Kenntniss zu erlangen und er-
füllen dieselbe mit rührender Gewissenhaftigkeit.
Ein seit Jahrhunderten geheiligter Brauch des Frauen-
Vereins ist, für Verstorbene die Sterbekleider anzu-
^) Vgl. Fürstin Gortschakoff, Christen und Juden. Antorisirte
Uebersetzung von Blamenthal. Mainz 1888.
0€9^i€lU€ der jüdischen Gemeinde DOeeeidorfe. 2&8
fertigen. Dieselben bestehen fttr alle in gleicher Weise
aus weissem Linnen.
Die Gründung des Vereins erfolgte vor ca. 50 Jahren.
Der Vorstand besteht jetzt aus den Damen Frau J. M. Ney-
mann, Frau Rabbiner Dr. Wedeil und Frau Jos. Wolf.
Was wir von dem ersten Verein bezüglich der Kranken-
pflege und des den Kranken gewidmeten religiösen Bei-
standes gesagt haben, muss auch von dem Frauen -Verein
in hohem Grade gerfihmt werden.
Seine Einnahmen betrugen im letzten Jahre incl.
eines Saldos aus 1886 von 380,69 Mark 1854,44 Mark,
seine Ausgaben 1456,88 Mark. Sein Vermögen betrug
Ende Decbr. 4200 Mark und ist durch eine eingegangene
Forderung aus einem Nachlass auf 4900 Mark gewachsen.
4. Der „Neue Verein**^:
Chewrah Chadaschah.
Zweck: Beschaffung von Unterrichtsmitteln für un-
bemittelte Kinder, Lieferung von Brand und Nahrungs-
mitteln. Nach dem Hinscheiden der andern Vorsteher
ruht die Verwaltung seit mehreren Jahren ausschliesslich
in den Händen des Herrn Michael Simons, der dem Wunsche
der Mitglieder gemäss den Verein demnächst zu reorgani-
siren gedenkt.
Derselben Verwaltung imtersteht
5. Hachnosat Kailoh.
Zweck: Ausstattung armer Bräute.
6. Privat -Verein
(Verein gegen Hausbettelei).
Vorstand: Louis Bacharach.
7. „Zedakah^.
Allgemeine Wohlthätigkeits-Kasse. Verwaltung: Ge-
meinde -Vorstand.
Was die Gemeinde sonst durch ihre einzelnen Mit-
glieder oder in Vereinen für die Wohlthätigkeit oder
sonstige gemeinnützige Zwecke leistet, kann und darf
hier nicht weiter erörtert werden. Im Allgemeinen ist
auf diesem Gebiete eine freudige stets wachsende Reg-
samkeit wahrzunehmen, die um so mehr Anerkennung
verdient, als sie sich bemüht, im Zusammenhang mit den
Altvordern zu bleiben.
Gern und eifrig haben die Mitglieder der Gemeinde
sich an allen bürgerlichen und staatlichen Bestrebungen
betheiligt und dankbar jede Gelegenheit ergriiTen, in allen
Bürgertugenden mit ihren Mitbürgern wetteifern zu dürfen.
254 Oe9ehichte der jMi$eken Qemitnde Dll9$Marf$.
Was in dieser Beziehung von Mitgliedern des Synagogen-
Verbandes geleistet worden, ihre Bedeutung für das Ge-
sammt-CuIturleben der Stadt, des Staates und der Mensch-
heit überhaupt gehört nicht sowohl der Geschichte der
jüdischen Gemeinde, als vielmehr der allgemeinen Cultur-
geschichte an und musste daher hier unberücksichtigt
bleiben. Denn das Besondere, was die Gemeinde für
sich in Anspruch nimmt, ist nur auf dem Gebiete ihrer
religiösen Einrichtungen zu suchen; sonst aber treten
ihre Mitglieder in die Reihen ihrer Mitbürger, mit welchen
sie einig sind in der Liebe und Treue gegen das Vater-
land, in der Liebe und Treue gegen das erlauchte Herrscher-
haus und in der Beherzigung der prophetischen Mahnung :
„Fördert das Wohl der Stadt, dahin ich eucli
geführt und betet um sie zum Ewigen.^
EntWickelung des Schulwesens zu Düsseldorf/)
GyiiiiiKsiallebi'<«r O. Knlfller.
T die Bedeutung des Schulwesens för die Cultur
und das ganze Leben eines Volkes keimt,
würde in dieser der Vergangenheit Düsseldorfs
gewidmeten Festschrift einen Rückblick auf
die früheren Schul Verhältnisse unserer Stadt
ungern vermissen. Die Rücksicht auf den zur Verfügung
gestellten Raum nOtbigt zwar den Verfasser, sich kurz
zu fassen und nur das Hauptsächliche hervorzuheben,
indessen dürfte die Hoffnung nicht unberechtigt sein, dass
auch so jeder Leser ein klares und übersichtliches Bild
von der Entwickelung der Düsseldorfer Schulen erhalten
wird. Dabei wird selbstverständlich der älteren Geschichte
umsomehr eine eingehendere Darstellung zu Theil werden
mQssen, als ja nur früher bei dem Mangel an gesetzlichen
Bestimmungen eine gewisse Mannigfaltigkeit und Eigen-
art in der Gründung und Erhaltung von Unterrichts-
anstalten sich zeigen konnte, während heut zu Tage beim
Vorhandensein einer festen, gesetzlichen Norm, die den
gleichen Zwecken dienenden Schulen überall sich auch
in gleicher Weise entwickeln. Femer werden gerade in
*) Quellen: 1. Netteshelm, Geschichte der Schnlen im alten
Herzogthnm Geldern. Dü§seldorf, Ba^l. 1881. 2. Kortüm, Nach-
richt über das Gymnaslnm zu Düsseldorf im 16. Jahrhundert. Pro-
gramm 1819. 3. Krafft, Die gelehrte Schule zu Düsseldorf. Pro-
srainin des Real Gymnasium a 1853. 4. Tönnies, Die Docenten der
juristischen Fakultät zu Düsseldorf, in Nr. i der Zeitschrift des
Düsseldorfer GeschichtsTereinB 1883. 5. Tönnies, Die FakultKts-
Studien zn Düsseldorf. Programm der Bürgerschale 1881. ß. Pro-
Eamme und Pestschriften der besprochenen Schulen. 7. Kortüm,
n Lebensbild. Berlin, Reimer 18A0. 8. Urkunden aus dem 16.
Jahrhundert. 9. Freundlichst zur Verfügung gestellte Privatmlt-
theilungen.
256 Entwiekelung dea Schulwestt^B zu Düsaüdarf.
diesem Jahre sich die Bewohner Düsseldorfs mit Vorliebe in
vergangene Zeiten zurückversetzen und erfahren wollen, in
welcher Weise damals für die Unterweisung der Jugend,
die man jetzt als eine der Hauptaufgaben des Staates an-
sieht, gesorgt war. Wie alles im Leben, so hat sich auch das
Schulwesen aus kleinen und kaum wahrnehmbaren An-
fängen entwickelt. Es hat ohne Zweifel bei jedem Volke,
also auch in unserer Gegend, Zeiten gegeben, in welchen
der Einzelne sich mit den- Unterweisungen begnügen
musste, welche ihm zufällig von seiner Umgebung zu-
ertheilt wurden. Es bedeutet schon einen gewissen Grad
der Kultur, wenn das Bedürfniss nach einer ausreichen-
deren und zusammenhangenden Belehrung zur Gründung
einer diesem Zwecke dienenden Anstalt trieb. In Deutsch-
land sind solche nach Einführung des Christenthums im
Anschluss an die Klöster und Kirchen entstanden und
haben sich durch alle Jahrhunderte des Mittelalters mehr
oder weniger blühend erhalten. Da jedoch selten eine
Urkunde über die Gründung einer Schule aufgenommen
wurde, so sind wir über die Zeit der Errichtung gewöhnlich
im Ungewissen, und daher kann es uns nicht wundem,
dass wir auch nicht wissen, ob zur Zeit, als Düsseldorf
die Stadtrechte erhielt, eine Schule vorhanden war oder
nicht. Wie aber dort, wo ein geordnetes Pfarrsystem
sich bildete, im Laufe des 11. und 12. Jahrhunderts
mindestens eine vom Pfarrer oder Küster geleitete Schreib-
und Leseschule bestanden hat, so dürfen wir dies auch
von Düsseldorf voraussetzen. Diese Schule mag eine
kleine Ausdehnung erfahren haben, als 1288 bei Ver-
leihung der Stadtrechte die vorhandene Pfarrkirche zu
einer Collegiatkirche mit 8 Geistlichen erhoben wurde.
Das m*kundlich festgestellte Jahr der Errichtung oder
der Existenz einer Schule zu Düsseldorf ist der 1. März
1392, an welchem Tage mit päpstlicher Genehmigung das
CoUegium um 15 Geistliche vermehrt wurde. Einer von
den neu eingetretenen wird ausdrücklich als Scholasticus
aufgeführt; er hatte das ganze Unterrichtswesen der
neuen Stadt zu beaufeichtigen und zu leiten, den Lehr-
plan zu entwerfen, Lehrer anzustellen und untaugliche
zu entlassen. Ausser dieser geistlichen Aufsicht wurde
der enge Anschluss der Schule an die S^irche noch durch
die Verpflichtung der Schüler zu der Theilnahme an dem
täglichen Gottesdienst und durch das Versprechen des
kirchlichen Gehorsams von Seiten der Lehrer gestärkt.
Nach den Statuten des Düsseldorfer Kapitels sollte daa
Amt des Scholasticus einem wohlgebildeten, urtheilsfähigen
Manne übertragen werden, der die Schulen wohl besorgen
Enifeickelung d4s Sehtdweaena zu DSaaeldoff. 257
und mit Rath und Zustimmung des Decbanten und Kapitels
Schulmeister anstellen solle, die sich durch Bildung, gläu-
bige Gesinnung empfehlen und in den Wissenschaften
wohl unterrichten könnten. Vom Scholasticus also wurden
die Lehrer (Rectoren, Conrectoren, Schulmeister, oder
auch Ludimagistri genannt) ausgewählt und in ihr Amt
eingeführt; dieselben hatten in der Regel neben ihrem
Amte den Kantor- und Organistendienst zu übernehmen.
Diese Leute besassen schon durch die Kenntniss der litur-
gischen Formeln und des Kirchengesanges mit seinen Noten
und seinem Texte eine höhere Bildung als das gewöhnliche
Volk, dazu wurden sie noch in besonders eingerichteten
Kttsterschulen vorgebildet. Im Anfange, wo nur wenige
Schulen in Düsseldorf waren, wird der Scholasticus den
Religionsunterricht und den Unterricht besonders der
Chorknaben selbst in der Hand gehabt haben. Ferner
hatte er wohl die Unterweisung der Kleriker zu leiten,
ivelche sich dem Unterrichte der lateinischen oder der
Trivial- oder Stiftsschulen widmen wollten. In den Ur-
kunden werden Kapläne und Küster hauptsächlich als
solche genannt, welche in der Stiftsschule unterrichteten.
Oft flgurirte ein Lehrer dieser zugleich als Schreibmeister
in der kleinen Schule, wodurch eine enge Verbindung
zwischen beiden erzielt Wurde.
Der Einfluss der Kirche wurde wohl zuerst in Bezug
auf die Wahl der Lehrer beschränkt. Während Anfangs
der Wille des Scholasticus oder des Kapitels den Aus-
schlag gab, bemerken wir später bei den Stadtbehörden
das Streben, das Schulwesen und besonders die Anstellung
der Lehrer in ihre alleinige Gewalt zu bekommen.
So entbrannte zuweilen zwischen dem Scholasticus und
dem Magistrate ein Streit, welcher in der Regel zu
Gunsten der Stadt, zuweilen des Kapitels beigelegt
wurde. Z. B. schreibt 1699 der Magistrat an- das Kapitel,
dass er seit undenklichen Jahren die Schulmeister der
unteren Klasse angestellt habe, wie er aus verschiedenen
Bestallungen nachweist. Dechant und Kapitel remon-
strirten, dass ihnen vermöge ihrer Fundation allein zustehe,
einen Schulmeister anzuordnen. Bürgermeister und Rath
habe trotzdem nach Absteiben des Sdiulmeisters Nosthoif
den Agricola angestellt. Als Agricola starb, sandte das
Kapitel einen Notar an die Stadt mit der Bitte, einen
Ort zu nennen, wo man gemeinschaftlich einen Ludi-
magister wählen könne. Der Rath wies dies von der
Hand und erklärte, bei seinem Standpunkte zu verbleiben.
Der Notar präsentirte zwei passende Personen, von denen
eine später als Lehrer allseitig anerkannt wurde. Hier
17
258 Entwickehwg des Schulwesens zu Düsseldorf,
trug also das Kapitel den Sieg davon. Schwer in's
Gewicht fiel in diesen Streitigkeiten die Stimme des herzog-
lichen Landesherrn, weil er die Schule unterstützte.
Dieser Einfiuss der weltlichen Behörden wurde insofern
vermehrt, als das Verhalten und die Unterrichtsweise
eines Lehrers von der Bürgerschaft und dem Magistrate
einer Kritik unterzogen und die Entfernung nicht geeig-
neter Lehrkräfte beantragt wurde. Ein Beispiel hierfüi*
finden wir in der von der Düsseldorfer Bürgerschaft am
26. Dezember 1535 an den Rath gerichteten Bittschrift,
worin es heisst : Die Bürgerschaft wünscht die Entlassung
des bisherigen Schulmeisters ^angesehen er in Wesen
und Lehre lange Jahr ungeschickt befunden worden'^.
Mit der allmäligen Ausdehnung dieser Rechte hielt natür-
lich die Vermehrung der Verpflichtung zur Unterhaltung
der Schule gleichen Schritt. Die Stadt unterstützte zuerst
durch Naturallieferungen die von der Kirche angestellten
Lehrer, dann wies sie ihnen eine geeignete Wohnung oder
eine Entschädigung in Geld an und sorgte für passende
Schullokale und schliesslich für alle Bedürfnisse. Trotzdem
wurde das Aufsichtsrecht der Kirche immer anerkannt
und sogar gewünscht, wie wir dies für das 18. Jahr-
hundert aus einer Klage des Magistrats entnehmen können.
Welcher Art waren denn die dem Scholasticus unter-
stellten Schulen ? Unter dier Aufsicht desselben standen im
15. Jahrhundert zwei in ihren Zielen auseinandergehende
Anstalten, einerseits die vom Herzog Wilhelm gegründete
Trivial- und NuUanenschule und andererseits die „kleine
Schule" oder „Kinderschule**. Die letztere ersetzte die
Stelle unserer Elementarschule, die andere bereitete zu
den höheren Studien vor; sie umfaßte, wie auch der
Name andeutet, das sogenannte Trivium : Grammatik^
Rhetorik, Dialectik, mit Ausschluss des Griechischen. Die
lateinische Literatur fand zwar keine Berücksichtigung, die
lateinische Sprache selbst wurde aber aus Uebersetzungen
und Kommentaren des Aristoteles, also nicht aus den
Autoren selbst, gelehrt. Die Schüler, welche den höheren
Unterricht genossen, waren wie die anderer Schulen
Deutchlands theils in der Stadt ansässig, theils kamen
sie von auswärts und fanden bei den Bewohnern Klost
und Unterkommen ; die ärmeren lebten von den Almosen
bemittelter Bürger, von dem Ertrage des Gesanges beim
Gottesdienste, oder von den Einnahmen des Chors, der,
fromme Lieder absingend, vor den einzelnen Häusern
Unterstützungen einsammelte.
Das Lokal der Stiftsschule lag in unmittelbarer Nn^lie
der Stiftskirche ; denn im Jahre 1635 erlitt dasselbe beim
BtihticMung des SehHlwesens zu Düsseldorf» 259
Auffliegen des der Kirche gegenüberliegenden Pulver-
thurms eine solche Zerstörung, dass die Schüler dem
Regen und Sturme ausgesetzt waren. Auf die Klage des
Schulmeisters Anton Härtung wurde das Lokal vom
Magistrat wieder in Stand gesetzt.
Die Frequenz dieser ältesten Schulen ist schwer fest-
zustellen, so lange das Verhältniss derselben zu einander
und zu den später errichteten höheren Lehranstalten nicht
feststeht. In einem Bericht des Magistrats an den Herzog
vom Jahre 1670 wird die Frequenz der lateinischen
Schule auf 130, die der deutschen Schule auf 50 angegeben
und zugleich mitgetheilt, dass das Schullokal eine Ver-
grösserung erfahren habe, wodurch es Raum für 150
Kinder und mehr erhielt. Es ist selbstverständlich, dass
im Laufe der Zeit das Bedürfniss besonders nach Elementar-
schulen immer dringender wurde. Man machte sogar
schwache Versuche, die Mädchen von den Knaben zu
trennen, auch fanden die ärmeren Schüler allerdings erst
dann mehr Berücksichtigung, als unangenehme Vor-
kommnisse, wie Zügellosigkeit und Müssiggang die Behörde
daran erinnerte, dass auch etwa^s für das gewöhnliche
Volk geschehen müsse. Ferner werden wir bei Prüfung
der einzelnen historischen Angaben finden, dass das
Privatschulwesen eine gewisse Ausdehnung nicht immer
zum Vortheil des Unterrichts annahm. Die Thatsache
endlich, dass nach der Reformation die Kinder katholi-
scher Eltern trotz Abmahnung der Behörde die Schulen
lutherischer Lehrer besuchten, zeigt deutlich, dass die
Reformirten und Protestanten zeitweise mit genügenden
Lehrkräften versehen waren. Nach diesen allgemeinen
Erörterungen mag es gestattet sein, einzelne Daten zur
Beleuchtung des Gesagten vorzuführen. Für das Jahr
1587 ist das Vorhandensein eines Lehrers, „welcher für
die Mädchen sorgt", urkundlich festgestellt. Ebenso
werden 1670 sechs Devotessen erwähnt, welche nicht allein
Mädchen, sondern auch einige Jungen unter ihrer Disciplin
hatten. Schon 14 Jahre später schenkte Herzog Johann
Wilhelm den aus Cöln 1681 angekommenen Ursulinerinnen
einen Platz zum Bau einer Kirche und eines Klosters,
in v^elchem lange Jahre eine blühende Mädchenschule
bestand. Eine Knabenschule unterhielten ferner schon
seit dem Anfang des 16. Jahrhunderts die Kreuzherren
in ihrem Kloster an der Ratingerstrasse. 1803 wurde
zwar der Orden der Kreuzherren aufgehoben, aber die
Schule blieb unter zwei Lehrern im Kloster bestehen.
Als 1812 hierin ein Montirungsdepot angelegt wurde,
verleg'te man die Schule auf die Mühlenstrasse. Aus
17 ♦
260 EMwiekdutig des SekülwMtnt zu DBasMorf.
derselben entstand später die Andreaspfarrschule , die
noch jetzt den Namen Ereuzbrüderschule führt
In Derendorf bestand um das Jahr 1676 eine von
emer Lehrerin geleitete Schule, die vom Stiftsdechanten
beaufsichtigt wurde. 6 Jahre später ertheilte der Herzog
einem Lehrer die Concession, eben dort eine Privat-
schule zu halten. Dies sind wohl die Anfänge der späteren
Derendorfer Pfarrschule.
Da in diesen Zeiten von einem Schulzwang nicht die
Rede sein konnte, so ist es nicht auffällig; dass eine
grosse Zahl armer Kinder ohne jeden Unterricht in
MQssiggang auf den Gassen aufwuchs und eine Last für
die Stadt und den Staat wurde. Gegen diesen Unfug
wandte sich ein Schreiben des Herzogs vom 4. Mai 1666;
in diesem spricht er seine Absicht aus, „eine freie deutsche
Schule" zu errichten und mit zwei Lehrerinnen zu ver-
sehen. Die Stadt bot ihm als Lokal die auf dem Kirchhof
gelegenen Schulhäuser an, die schon früher für den Unter-
richt der armen Kinder gebraucht waren. Wir werden
nicht fehlgehen, wenn wir hierin den Ursprung zu der
am Anfange dieses Jahrhunderts bestehenden Armen-
schule finden.
Ein weiterer Uebelstand war das Ueberhandnehmen
der Privatschulen, deren Inhaber meist nicht einmal die
nöthigen Kenntnisse oder amtliche Erlaubniss besasaen.
So wird 1567 eine deutsche Schule in der Bergerstrasse,
1570 die Schule des Anton Hambach, „welcher Bürgers-
töchter unterrichtete'', erwähnt. Mandie von diesen Privat*
lehrern genossen insofern eine öffentliche Anerkennung,,
als sie von Einquartierungen und überhaupt von bürger-
lichen Lasten befreit waren. Sie machten eben durch
ihre Thätigkeit den Mangel an Schulen weniger fühlbar,,
schadeten aber oft durch* ihre UngeschickUchkeit der
anvertrauten Jugend sehr.
Im Anfange des 18. Jahrhunderts liess der Kurfarat
eine Untersuchung des Privatschulwesens für Düsseldorf
durch den Stiftsdechanten vornehmen. Es stellte sich
heraus, dass 19 Privatschulen vorhanden waren. Die
Leiter derselben waren ein Kutscher, ein Kerzenmacher^
eine Wittwe u. s. w. Die Frequenz belief sich zwischen
6 und 50. Der Mangel an religiöser Ausbildung und die
Ausartung der Düsseldorfer Jugend bestimmte zuletzt den
Kurfürsten Carl Theodor, am 7. Mai 1760 eine Verord-
nung zu erla;ssen, wonach die . Kinder gehalten waren^
jeden Sonntag dem in der Jesuiten- und Franziskaner-
kirche stattfindenden Religionsunterricht beizuwohnen.
ßtticiekelung des SehtUwesens zu Düsseldorf, 261
Erst gegen Ende des Jahrhunderts wurden ernste Mass-
regeln ergriffen, um eine Aufbesserung des Lehrerstandes
zu erzielen und das Schulwesen zu organisiren, man kam
eben allmählich zu der Ansicht, dass nur selten ein
tauglicher Lehrer ohne Anleitung sich selbst bilden könne,
sondern dass es zur Heranbildung desselben einer plan-
mässigen Vorbereitung bedürfe, lieber die damalige Lage
des Schulwesens gibt 1803 Joseph Schräm, welcher als
Professor der juristischen Akademie zu Düsseldorf thfttig
war, in seinem Buche: ^Die Verbesserung der Schulen^
ein trauriges Bild, welches er jedenfalls aus seiner
nächsten Nähe hergeholt hat, und betont die Nothwen-
digkeit einer durchgreifenden Umgestaltung des Öffent-
lichen Unterrichts. Seine Vorschläge zur Hebung sind
theils noch heute beachtenswerth, theils haben sie ihre
Verwirklichung gefunden. Zeiten, in welchen die Aus-
bildung der gewöhnlich im Nebenamt fungirenden Lehrer
dem Zufalle überlassen blieb, in welchen das Einkommen
sich meist auf das geringe Schulgeld und einige Natural-
lieferungen beschränkte, konnten eben keine Verhältnisse
schaffen, die zur festen Gestaltung des Schulwesens unum-
gänglich nöthig sind. Aehnlich ging es bei den Protestanten.
Zu Düsseldorf bestanden schon 1570 eine lutherische
und eine reformirte Gemeinde. Wir dürfen voraussetzen,
dass diese sofort bei ihrer Constituirung für den Unterricht
der Jugend besorgt gewesen sind. Als sie mehr sesshaft
geworden waren, gründeten sie 1610 jede für sich eine
Rectoratschule. In der reformirten Lateinschule, welche
wohl die bedeutendere war, wird zuerst ein Schulmeister
Petrus genannt. Seit 1612 wirkte an ihr als Rector
Johann Anton Biber, der schon vier Lehrer anstellte,
woraus ersichtlich ist, dass die Schule 3-*4 Klassen ent-
hielt. Um auch einen fünften Lehrer unterhalten zu
können, wandte man sich an den Kurfürsten von Branden-
burg*; dieser willfahrte dem Gesuche, indem er eine
Unterstützung von 300 Thlr. jährlich spendete und dieselbe
spttter^ als die Gemeinde selbst die Mittel nicht aufwenden
konnte, auf 1000 Thlr. erhöhte. Der bekannte Lieder-
dichter Joachim Neander war hier von 1674 — 79 Rector.
TSAafkgev Lehrerwechsel, Ungeschicklichkeit im Unter-
richte, die verheerende Pest führte eine zeitweilige
Schliessung der Schule herbei. In der lutherischen
Rectoratschule wirkte 1704 Joh. Beruh. Stohlmann, der
zugleich eine Hülfspredigerstelle inne hatte. Als völlig
von der deutschen Schule getrennte Anstalt trat sie erst
unter dem Rectorate des Joh. Pet. Reitz (1755 — 1797),
des verdienstvollen Lehrers der beiden Jacobi, auf. Nach
262 Ent Wickelung des SehtUwesens tu Düsseldorf,
dessen Tode verfiel die Schule schnell; denn es wurde
kein Rector angestellt , sondern ein Prediger gab den
Schülern Gelegenheit, privatim das Lateinische zu lernen.
Dieses Schicksal des Zerfalles theilte die gleichalterige
Genossin, die retbrmirte Schule, mit ihr. 1804 gingen
beide ein und ihre Lokale wurden anderweitig ver-
werthet. Die beiden evangelischen Elementarschulen^
die lutherische und reformirte, aber hielten sich. 1835
wurde eine Freischule besonders eingerichtet. Diese drei
Gemeindeschulen gingen 1858 in den Besitz der Stadt
über; dazu sind 1875 und 1884 noch zwei neue gekommen,
so dass jetzt 5 evangelische Volksschulen bestehen. An
diese schliesst sich die 1822 gegründete Rettungsanstalt
Düsselthal, wozu 1854 als Filiale die demselben Zweck
dienende Anstalt Zoppenbrück trat.
Während man sich mit der geschilderten Lage des
niederen Schulwesens bis in die Neuzeit begnügte, er-
wiesen sich die Strömungen, welche eine Hebung der
höheren Studien veranlassten, ungleich mächtiger. Hatte
doch die Wiedergeburt der klassischen Alterthumswissen-
schaft auch in Deutschland den Eifer für dieselbe geweckt,
war ja in Holland 1371 das Institut der Brüder vom gemein-
samen Leben, welches so Grosses für die Schulen des
westlichen und nördlichen Deutschland leistete, gegründet
worderf. Diese Anregungen mögen auch die Düsseldorfer
Bürgerschaft geleitet haben, als sie 1535 die oben er-
wähnte Bittschrift DetreflFs Verbesserung der Trivialschule
bei dem Magistrate einreichte. Die Adresse dieses Gesuches^
welche eigentlich an den Scholasticus und das Kapitel
hätte gerichtet werden müssen, zeigte schon, dass man
die Schule dem geistlichen Einflüsse möglichst entziehen
wollte. Es regierte damals im Herzogthum Berg Herzog-
Johann ; diesem gelang es, für seinen Sohn Wilhelm einen
dem Kreise der Humanisten, besonders dem Erasmus
nahestehenden Gelehrten, Conrad von Heresbach, als Er-
zieher zu gewinnen. Als Wilhehn im Jahre 1539 nach
dem Tode seines Vaters die Regierung übernommen hatte^
behielt er Heresbach als fürstlichen Rath in seiner Um-
gebung. Dieser und der Jülichsche Kanzler von Gogreve
wussten den Herzog zur Errichtung einer den neuen
Ideen entsprechenden Schule zu bestimmen. Ob und wie
man bei diesem Vorhaben sich mit dem Scholasticus in
Verbindung setzte, ist bei dem Mangel an urkundlichem
Material nicht mehr zu bestimmen. Genug, als es sich
um die leitende Persönlichkeit handelte, fiel die Wahl auf
Johann Monheim. Dieser, auf der humanistischen Schule
zu Münster gebildet, zu Cöln als Lehrer an der UniversitÄt
Eift Wickelung des Schul totsena lu Düsseldorf. 263
tliätig, hatte sich genöthigt gesehen, wegen seiner dem
Protestantismus zuneigenden Anschauungen Cöhi zu ver-
lassen und ein anderweitiges Feld seiner Thätigkeit auf-
zusuchen. In Düsseldorf hatte er sich die Gunst des
Herzogs Johann in so hohem Grade erworben, dass dieser,
als der Papst seine Entfernung verlangte, seinetwegen
dem Plane, eine Akademie zu Düsseldorf zu gründen,
entsagte. Herzog Wilhelm stellte ihn also im Jahre 1545
an die Spitze einer humanistischen Anstalt. Es ist zweifel-
haft und bedarf noch genauer Untersuchung, ob die durch
Monheim eingerichtete Schule eine völlige Neubildung
oder nur eine Erweiterung der alten stiftischen Trivial-
schule war. Nettesheim spricht sich anfangs für die
letztere Möglichkeit aus, später hält er ersteres für wahr-
scheinlich. Eortüm sagt p. 20: „Mit dem Stifte stand
das Gymnasium in gar keiner Verbindung, vielmehr hatte
der Magistrat die specielle Aufsicht.^ Als Beweis führt
er einen von Monheim an den Scholasticus Arnold Bongard
gerichteten Brief an; hierin weist Monheim den Scho-
lasticus, der langer Gewohnheit gemäss ein Aufsichtsrecht
über die neue Schule beansprucht hatte, sehr entschieden
zurück. Und doch war ein Zusammenhang zwischen der
neu gegründeten und der alten Anstalt dadurch vorhanden,
dass der Lehrer der NuUanen (Schüler der untersten
Klasse) Dienste bei der Kirche zu verrichten hatte und
also in dieser Beziehung dem Scholasticus untergeben
war. Der grösste Theil des Gymnasiums oder der fürst-
lichen Particularschule, wie sie in den Urkunden genannt
wird, wurde in einem eigens für die Schule gebauten
Hause in der Nähe der Lambertuskirche untergebracht.
vielleicht fanden, besonders als die Schule anwuchs,
einzelne Klassen, etwa die untersten, in der alten Trivial-
schule ihr Unterkommen ; denn es Ulsst sich nicht leicht
annehmen, dass beide Schulen nebeneinander bestanden
haben. Das Gehall;, welches Monheim zugesichert wurde,
war sehr geling bemessen: 50 Rthlr. gingen ihm vom
Herzog, 25 von der Stadt zu. Dazu kamen noch die
Schulgelder, welche unter die Lehrer vertheilt wurden.
Dem Quartanorum, d. h. Lehrer der IV. Klasse, verfällt
sein Gehalt auf Michaelis mit (K) Thlrn. cölnisch, dem
Quintanorum mit iX) Thlr. auf Michaelis, dem Sextanorum
mit 25 Thlr. zur selben Zeit, dem Nullanorum mit 20 Thlr.
auf Remigius, also auf den 1. October. Zu den Einkünften
der ersten Rectoren gehörte auch ein Hof zu Keyenberg,
den Monheim und sein Nachfolger Fabricius mit Erlaubuiss
des Herzogs verpachteten. Die Schule als solche hatte
noch folgende Renten: Aus der Kellnerei zu Caster
264 Entwickelnttff des Schulwesens zu MssMwf.
23 Gulden 8 Albus, aus der dortigen Vikarie 20 Malter
Roggen, 8 Malter Gerste, aus der Vikarie zu Born
14V? Malter Roggen und läVs Malter Hafer, ebenso be-
stimmte Abgaben in Geld und Getreide von der Vikarie
Blankenberg, St. Thomas zu Düsseldorf, aus Sehellenberg,
Ravensberg, alles Gefalle, welche der Herzog der Schule
geschenkt hatte.
Das erhaltene Lectionsverzeichniss vom 21. Juli 1&Ö6
lässt unis einen tiefen Blick in die Verfassung derselben
thun. Es waren vorhanden 7 Klassen (Secunda, Tertia,
Quarta, Quinta, Sexta, Septima und Inflma), an deren
Spitze je ein Lehrer mit dem Titel Conrector, Lector oder
Präceptor stand ; praefecti waren Jünglinge, welche unter
Aufsicht des Lehrers die Lectionen wiederholten. Als
Gegenstände des Unterrichts werden genannt: für Se-
cunda: Aristoteles, Caesar, Justinians Institutionen; in com-
binirten Lectionen : die Reden des Demosthenes und Cicero.
Auch in den anderen Klassen findet sich die Leetüre des
Cicero, Vergil und Terenz, in Sexta und Septima Aesops
Fabeln, das I. Buch von Ciceros Briefen mit Auswahl.
Die Hauptfächer waren überhaupt Griechisch, Latein und
Religionslehre, während die neueren Sprachen, darunter
die deutsche, nicht gelehrt wurden. Die Schüler unter-
standen nach der Lage ihrer Wohnungen der Aufsicht
eines bestimmten Lehrers; z. B. hatte der Conrector die
Aufsicht über die Schüler, welche in der Ratingerstrasse
wohnten, Steinhauer über die Wohnungen in der Nähe
des alten Schlosses und der Dussel, Bergwald über die
Mühlenstrasse , den Markt bis zum alten Schloss, Kaiser
über Berger-, Rhein und Zollstrasse, der Lehrer der Sexta
über die Kurzestrasse und den Hunsrück, der der Septima
über die Bolker- und Neustrasse, der Präceptor der untersten
Klasse über die Flingerstrasse. Dies Verzeichniss ist auch
besonders deswegen von Interesse, weil aus diesem der
Umfang hervorgeht, den Düsseldorf vor 300 Jahren hatte.
Tüchtige Lehrer unter Leitung des geistvollen Rectors
erzielten bald solche Erfolge, dass das Düsseldorfer Gym-
nasium zeitweise 1700—2000 Schüler zählte. Störend für
die Dauer dieses blühenden Zustandes war die zweifel-
hafte Stellung, welche Monheim, der allerdings dem
religiösen Hader abgeneigt war, im Kirchenstreit ein-
nahm. Sein Katechismus verwickelte ihn in Streit mit
der theologischen Facultät zu Cöln. Der Herzog sah sich
daher genöthigt, das Buch für den Schulgebrauch zu ver-
bieten und den Katechismus von Canisius an die Stelle
zu setzen. Trotzdem nahm die Frequenz der Schule
wegen des Rufes der Heterodoxie immer mehr ab, während
£kitirf€k§lunff des SehultcenenB zu DütUldorf. 265
das JesuitencoUegium zu Cöln sich hob. Als Monheim
im Jahre 1564 starb, bat die Stadt den Herzog, den bis-
herigen Conrector Franz Fabricius zu dessen Nachfolger
zu ernennen und ihm den Johann Brachelius als Conrector
beizugeben. Dieser führte das Rectorat in demselben
Geiste wie Monheim, legte aber nicht den Nachdruck auf
die theologischen Studien , . sondern auf die LectQre der
klassischen Schriftsteller. GestQtzt auf eine umfassende
Gelehrsamkeit, die ihn Männern, wie Tumebus, Lambinus
nahe brachte, ausserordentlich geschickt im Lehren und
geliebt wegen seiner edlen Persönlichkeit, wusste er bis
zu seinem Tode 1573 die BlQthe der Anstalt zu erhalten.
(Seine zahlreichen Ausgaben der Klassiker führt Kortüm
p. 35 fgg. an.) In wie einfachen Verhältnissen er lebte,
zeigt auch der Umstand, dass seine Tochter Mechtildis
sich nach seinem Tode an den Magistrat mit der Bitte
wandte, ihr in Anbetracht der Dienste ihres Vaters eine
Unterstützung „für Brod und Bier*^ zukommen zu lassen.
10 Thaler wurden ihr bewilligt. 157.3 nahm Dietrich
von der Horst, Amtmann zu Düsseldorf, mit dem Magi-
strate den Magister Heinrich Betuleius als Conrector an.
Derselbe versprach in seiner Anstellungsurkunde „mit
Visitirung der Herbergen auf den Spieltagen und, wann
es sonst die Nothdurft und Gelegenheit am meisten er-
heischt, keinen Ernst zu sparen. Er soll auch die Jugend
nicht allein in liberalibus artibus und graeca und latina
lingua unterrichten, sondern besonders zu Gottes Furcht
und allen ehrlichen Tugenden und guten Sitten treiben,
zudem sie nichts lehren, das der allgemeinen katholischen
Religion zuwider ist."
Schnell, wie das Wachsthum der Schule gewesen war,
trat auch der Verfall ein. Da die erledigte Rectorstelle
nicht sofort besetzt wurde, so zogen sich die Schüler ander-
wärts hin; die truchsessischen Unruhen, der nieder-
l&ndisch-spanische Krieg, später die Thronstreitigkeiten
lenkten den Blick von der Monheimschen Schule ab.
Auch der sonst für das Blühen der Schule so besorgte
Herzog Wilhelm liess den Verhältnissen ihren Lauf, denn
schon vor dem Tode des Fabricius wurde er 1566 vom
Schlage gerührt und war unfähig, energisch für die Be-
rufung eines tüchtigen Rectors zu sorgen. Nur die Bürger-
schaft und die Schüler vergassen nicht den einstigen
Glanz des gymnasium illustre. In zahlreichen Eingaben
wurde der Magistrat aufgefordert, beim Herzog um Wieder-
herstellung der Anstalt vorstellig zu werden; er wurde
daran erinnert, wie einst die Stadt und Umgegend viele
Vortheile von den zahlreichen Schülern genossen habe.
266 Enttoickelung des Schulteesens zu Düsseldorf.
Man erreichte es endlich, dass Hermann Vielhaber 1589
berufen wurde. Aber weder er noch sein Nachfolger
Aldringer konnte den Zerfall der Schule aufhalten. Wie
sehr die Zucht schon vorher gesunken war, zeigt eine
Verfügung des Herzogs vom 18. Febr. 1581. Hierin lässt
derselbe dem Magistrat befehlen, anlftsslich des Tumultes
der Studenten gegen den Schultheiss, wobei sich auch
Bürger und Handwerksgesellen betheiligt haben, die Namen
der studentischen Anhänger und Rädelsführer anzugeben,
welche die Schule erbrochen, die Schulglocke gezogen
und geläutet, mit Steinen geworfen, den Tumult besonders
befördert, die Gefangenen zu befreien versucht, das Wort
für die Studenten geführt haben u. s. w. Durch solche
Vorfälle wurde die Bürgerschaft immer wieder an das
Vorhandensein einer in Verfall gerathenen Schule er-
erinHert. Mit Wehmuth nennt sie in den Eingaben immer
wieder die glänzenden Namen eines Monheim und Fabricius
und ist bedacht, durch Erhöhung des Lehroreinkommens
bessere Lehrkräfte zu erhalten, wie dies die Bittschrift
des Magistrats an den BLerzog vom 4. Febr. 1594 hervor-
hebt. Im November desselben Jahres wiederholt er die
Bitte bezüglich Anstellung eines Tertianorum (Lehrers
der m. Klasse) und Sextanorum (Lehrers der VL Klasse),
damit die Schule wieder zu dem früher weitberühmten
Flor gelange, und schlägt zum Sextanorum den Ludgerus
Mehrenscheidt als geeigneten Mann vor. Er theilt auch
mit, dass der jetzige Nullanorum Weinzapi treibe, was
doch keinem Schulmeister zu thun gebühre. Dieser sei
ermahnt es aufzugeben, thue es aber nicht.
Eins der ältesten Documente für die humanistische
Schule Düsseldorfs im 16. Jahrhundert ist eine Disciplinar-
Verordnung für die Studenten, die auch Clerici genannt
werden. Das Alter derselben geht aus der Sprache und
Schrift deutlich hervor. Sie enthält eingehende Bestim-
mungen über das Verhalten der Zöglinge ausserhalb der
Schule bei Tag und Nacht, über ihr Verhältniss zum Wirth,
genaue Anweisungen über Miethpreis der Herberge; am
Schluss wird die Nothwendigkeit der Errichtung eines
Krankenhauses für die Cleriker und die Gründung einer
Bibliothek, die etwa über der Sakristei Platz finden könnte^
hervorgehoben. Diese Disciplinar- Gesetze haben schon
Kortüm und Krafft abgedruckt und verwerthet; beide
gaben ausserdem das an den Bürgermeister und Rath
am 21. Juli 1556 eingereichte Lectionsverzeichniss der
Schule als Beilage heraus. Aus demselben geht hervor,
dass auch in den Oster- und Michaelisferien die Schule
eigentlich nicht geschlossen wurde, denn es wurde in
EnUwitk^ung des Schulte$$€n9 zu DüisMarf. 267
der 2. und 3. Klasse gelesen: die Dialoge des Lucian,
Briefe CiceroS; Oden des Horaz, an den Feiertagen der
Psalter^ in der 4. und 5. Klasse die Bucolica des Verguß
die Briefe des Horaz, in der 6. und 7. Klasse die Fabeln
des Aesop^ das erste Buch von Cicero's Briefen ; hierbei
wurde täglich das wiederholt, was im vorhergehenden
Semester in denselben Klassen vorgenommen war. Da
in den Ferien die Prfifecten in die Heimath reisten, so
fand in der Schule Morgens um 9 Uhr und Abends um
5 Uhr eine Repetition durch die Lehrer statt; für diese
besondere Mühewaltung erhielten dieselben pro Stunde
6 Stttber. Unter dem 4. Februar 1594 wandte sich der
Magistrat zu Düsseldorf an den fürstlichen Rath, um eine
Hebung der Monheim'schen Schule zu veranlassen. Es
sei bekannt, mit welch' grosser Mühe und mit welchem
Fleiss durch Job. Monheim und Fabricius als Rectoren
der fürstlichen Trivialschule der Jugend sowohl in regi-
mine als disciplina vorgestanden worden, weshalb diese
aus verschiedenen fremden Ländern herbeieilte, so dass
daraus viele gelehrte Männer, von denen sich noch Viele
an fremden Höfen befänden , entsprossen seien. Es sei
sehr zu beklagen, dass die Rectoren zu früh gestorben,
wodurch ebenso wie durch den Kölnischen Krieg die
Schule in merklichen Abgang gerathen sei. Dies sei ein
grosser materieller Schaden für die Bürgerschaft und
die umliegenden Dörfer. Er bittet ^die Mittel zu be-
denken^ womit vielgemeldete Schule zu besserm Stand
mit Erhöhung den Schulmeistern ihrer Competenz zu
bringen.*^ Die Stadt selbst sähe sich ohne Mittel. Die
Einkünfte wären durch das stete Hoflager und die be-
schwerlichen Bauten überladen. Die Wirthe hätten auch
noch keine Bezahlung des Vorgestreckten von der herzog-
lichen Hochzeit erhalten. Magistrat bittet darauf zu sehen,
dass ein berühmter und gelehrter Rector und ein geschick-
ter Tertianorum und Sextanorum berufen werde, ,|damit
die Schull, wan dieselbige mit nottürftiger Anzahl der
Präceptoren widder besetzt, zu vorigen Stand und Flor
gerhaten, und die benachbarten Leute ihre Kinder hier-
hin tamquam ad reflorescentia studia zu senden, desto
mehr angereizt werden.^ Folgends möge man betrachten,
ob etwa mortiflcirte Güt^r oder doch sonst etwas vor-
handen sein möchte, welches zu genannter Schule Unter-
halt zu gebrauchen sein möchte. Der Dechant habe zur
Erhaltung seiner Mutter und Schwester, die doch schon
gestorben seien, 20 Malter Korn jährlich erhalten. Diese
sollte man der Schule zuwenden, auch sorgen, dass die
Wirthsleute „nun einmal nach so lange Zeit gehabter
268 EnfwickeluMg des Schuf toesena zu DüBseldorf,
Gedult befriedigt würden". Schon im November desselben
Jahres (1594) bittet der Magistrat um Entscheidung be-
züglich der Anstellung eines Tortianorum und Sextanorum
an der fürstlichen Trivialschule, damit die Schule wieder
zu dem weit berühmten Flor gelange, und schlagt zum
Sextanorum den gewesenen Sextanorum Ludgerus Mehren-
scheidt als geeigneten Mann vor. Schon 1581 wenden
sich die Schüler der 1. Klasse an den Magistrat, um Ab-
hilfe der bestehenden Beschwerden, y,da wir ungern von
hier weggehen, sondern viel lieber sehen, dass viele guter
Leute Kinder mit Frohlocken dieser Bürgerschaft wieder
zu uns kommen möchten." Den zeitigen Rector Mylander
halten sie für unfähig, indem sie sagen: Nam ut de
doctrina huius hominis hie nihil dicamus, ipsa tarnen
experientia nimirum constat ipsum ad administrandam
scholam esse ineptissimum.
Interessant ist eine bis jetzt ungedruckte Urkunde
vom 27. October 1600, in welcher der Rath die Gebrechen,
welche sich an der Schule eingeschlichen haben, aufdeckt
und ein Mittel zur Abhülfe angiebt.
1. Anfänglich halten es Bürgermeister und Rath für
unziemlich, dass den auditores tertiae classis per inter-
capedinem lectionum aus der Schule zu bleiben erlaubet
werde, deshalb solches abzuschaffen, und ihnen, wie
vormals etliche gute auditores zum Vorzulesen zu geben.
2. Dass auch die Stunden, so lectionibus scholasticis
bestimmt, fleissiger observiert werden, daneben der Rector
so wenig als seine CoUegen (ausserhalb Leibs Schwach-
heit und anderen unumgänglichen Ursachen) des Aus-
bleibens sich nicht ermächtigen.
3. Dass scholasticae leges cum notis nicht allein in
classibus, sondern auch in octuriis singulis gehalten werden,
die Kinder zu ermahnen und Aufsicht zu haben.
4. Und gleichfalls, dass sich dieselben mit täglichem
Conjugiren, Compariren und Decliniren, wie von alters
gebräuchlich, ante horam et adventum praeceptorum üben
und nicht übersehen.
5. Auf diejenigen, so post sonitum horae zu der Schule
kommen, ernstlicher Acht zu haben und zu bestrafen.
6. Hinfttrder die candidatos et altiorem classem pe-
tentes nicht allein durch die praeceptores, sondern auch
den Rector selbst in omnibus praeceptis cuiusque classis
zu examiniren.
7. Die strafwürdigen nicht aus Ounst zu übersehen,
und die unschuldigen aus Missgunst oder Hass nicht über-
fallen, sondern pro qualitate delicti et delinquentiura
malitia discretion zu halten.
BntwicMung d$9 SdiulweaeM zu DÜweldotf, 2($9
8. So sehet man auch wohl vor gut an (jedoch auf
Verbesserung des Rectors und Schulmeisters), dass in den
3 winterlichen und kältesten Monaten, nAmlich Decembri,
Januario und Februario, die Studenten den Morgen zu
sieben und des Abends zu dreien Uhren bis zur vierten
Stunde in die Schule zu kommen gehalten werden, weil
auch zu Cöln in den gymnasiis früher und später die
lectiones nicht gehalten werden.
9. Dass der Rector sich zu den Bürgern, so ihre
Kinder auswendig ad triviales scholas zu schicken vor-
nehmen, verfüge, und dasselbe ihnen mit Zusage besserer
Anordnung und Fleisses gütlich widerrathe.
l5. Gleichfalls auch auf den Strassen oder in der Nähe,
da die Schulkinder wohnen, bet(Ordern, dass geschickte
GeseUen denselben zu praefectis angeordnet werden,
alles doch nach Gelegenheit, und so viel möglich.
11. Es wird auch für rathsam gehalten, dass in
Tertia und Quarta classibus die Dialectica, so zu Cöln
in Gymnasiis bräuchlich, vorgelesen werde, damit die
Kinder, so von hinnen auf Cöln zur Ausführung ihrer
Studirung geschickt, mit neuen praeceptis desto weniger
alsdann beschweret werden.
12. Zudem, dass der Rector sammt seinen Collegis
unter sich die Anordnung thun, dass dem alten Brauch
und Schuldigkeit nach extraordinarie andere liberales
artes publice gelesen und dociert werden, als namentlich
in allen und jeden Wochen Musica drei Tage, jedesmal
eine Stunde, Arithmetica in zweien andern Tagen und
zum dritten Sphaera Procli oder dergleichen auf einen
andern Tag oder Stunde.
13. Die Vorsehung zu thun, dass inter Tertlae classis
auditores jeder zu allen halben Jahren ein oder mehrere
Male publice declamire, darzu dann Urnen gute Anleitung
zu geben, dass auch dieselben wöchentlich einmal post
ordinariam lectionem publice disputieren, darzu ihnen
materie ex dialectica, oder sonst theses ex moralibus zu
geben.
14. Genannte Tertlanos samt den quartanis und
quintanis mit Ernst dahin zu halten, dass sie zu allen
und jeden Wochen carmina machen, und des Dinstags
übergeben, und, da man variationes sententiarum oder
andere dergleichen exercitia auflegen wollte, dass solches
neben den carminibus und ohne Versäumung derselben
geschehe.
lö. Dass den Sextanis und Septanis wöchentlich
deutsche Argumenta pro captu puerorum ins Lateinüber-
setzen dictirt, mit nichten aber etwas aus den Evangeliis
270 SkhcicMung des SehuheesenB zu Ddiseldorf.
und andern BQchern zu schreiben und loco exercitii (welches
inflmae classis discipulis besser anstehet) zu Obergeben
zugelassen werde.
16. Und möchte denselben des Dinstags die Con-
structiones, wie bis anhero üblich, zu exhibiren auferlegt
werden.
17. Die täglichen repetitiones lectionum mit den
Kindern nicht zu unterlassen, sonst auch alle und jede
exercitia, so zu dero besseren Information dienlich und
von Alters her auch sonst in aliis bene consitutis Oymnasiis
bräuchlich, proposito honoris praemio et poena vorzustellen,
damit die Kinder desto bälder in bonis artibus et moribus
zunehmen möge.^
Die Gebrechen, welche der Magistrat im Jahre 1600
in der Schule erkannte, erstreckten sich also auf Un-
Pünktlichkeit der Lehrer und Schüler, Nichtbeachtung
der Schulgesetze und Parteilichkeit im Strafen. Andere
Bestinunungen betreflfen den Unterricht selbst, der
sich möglichst an den des Cölner Gymnasiums anzu-
schliessen hat.
Unter diesen Verhältnissen war im Jahre 1614 das
Haus Pf alz - Zweibrücken auf den Thron gelangt. Wolf>
gang Wilhelm brach mit der Tradition des »Schwankens
in kirchlicher Beziehung, welches seine Vorgänger seit
der Reformation gezeigt hatten. Er wandte sich energisch
dem Katholicismus zu und schenkte ^eine Gunst dem
damals in Blüthe stehenden Jesuitenorden. Auf seine
Einladung kamen im März 1619 zwei Ordensbrüder nach
Düsseldorf, ihre Zahl stieg Ende 1620 auf dreizehn. Als
Lokal diente ihnen das alte Schulgebäude, welches sie
jedoch 1625 mit dem vom Herzog angekauften Ossen-
broich'schen Haus am Mühlenplatze und 1655 mit dem
eigentlichen JesuitencoUegium, dem jetzigen Regierungs-
gebäude, vertauschten. Der nach Westen gelegene Theil
der Monheim'schen Schule an der Lambertuskirche fiel
durch Kauf an das Stift und wurde zu Wohnungen der
Kapitulare verwendet, der andere Theil wurde der Stadt
überwiesen mit der Verpflichtung, eine Kinderschule darin
zu unterhalten. Diese überlässt ihren Antheil 1651 dem
Kapitel gänzlich.
Bei Berufung der Jesuiten nach Düsseldorf hat der
Fürst und der Magistrat seine Rechte in Betreff der WaU
der Lehrer aufgeben müssen. Fortan finden wir nur noch
die Anstellung des Lese- und Schreiblehrers und des
NuUanorum in den städtischen Urkunden erwähnt. Dieser
letztere Umstand macht es wahrscheinlich, dass "wenig*
stens die unterste Klasse der alten Trivialschule neben
Entfrickelung des Sehuitre$ena zu DüsaMorf. 271
den neuen Anstalten immer unter städtischem Patronat
fortbestanden hat. Nach 1676 berichtet der Rath an den
Herzog, dass die Stadt mit einem lateinischen und deutschen
Schulmeister gar wohl versehen sei.
Mit dem Gymnasium der Jesuiten war auch eine
Anstalt für arme Theologen verbunden, welche ein Ca-
nonicus der Stiftskirche, Peter Lair, unter dem Titel des
Erlösers (Salvatoris) gegründet hatte. Die Jesuiten rieh
teten die ihnen übertragene Schule nach der: ratio et
institutio studiorum societatis Jesu vom Jahre 1599 ein;
Lateinschreiben und -sprechen, Gewandtheit in der Logik
und Rhetorik waren die Hauptziele. Die studia inferiora,
etwa dem heutigen Gymnasium entsprechend, umfassten
b Klassen: 1. Infima, 2. Grammatica, 3. Syntaxis, 4. Poe-
tica oder Humanitas, 5. Rhetorica. 1 — 3 incl. hiessen
auch Grammatica, die beiden oberen Humanitas. Jede
Klasse war auf ein Jahr, die Rhetorica auf zwei Jahre
berechnet. Auf diese Klassen folgten die studia superiora
oder Lycealklassen , die in einem zweijährigen philo-
sophischen Lehrgang (Logica) und ein vierjähriges Fach-
studium zerfielen. Mittel auf die Schüler einzuwirken
waren: die Ämulation, das Concertiren, die Wahl der
Hagistrate durch die Schüler und zahlreiche Preisver-
theilungen. Es liegen dem Verf. die aus der Gymnasial-
bibliothek bereitwillig zur Verfügung gestellten Programme
der Jahre 1755, 1761, 1789 und 1798 vor. Das erste ent-
hält ein Trauerspiel „Jephte^, welches, dem alten Testa-
ment (Buch der Richter, Cap. XI) entnommen, am 24.
und 2d. September offenbar in Gegenwart des Landes-
herrn von der „auserlesenen^ Jugend der 5. Klasse auf-
geführt wurde. Am Schlüsse fand unter einer dem Ge-
schmack der Zeit entsprechenden Huldigung des Herzogs
die Preis vertheilung, welche meist in Büchern bestand, statt.
Reichhaltiger ist das zweite Programm, welches folgendes
enthält: die durch Prämien ausgezeichneten Schüler
der Rhetorik, Humanitas, der Grammatica in ihren drei
Abtheilungen, dann folgen Thesen aus dem Gebiete der
Philosophie, Arithmetik, Theologie und Geschichte für die
Zöglinge, welche die studia superiora vertraten. Im
Sommer wurden förmliche Disputationen in der Aula vor dem
Publicum, auch wohl in Gegenwart des Fürsten abgehalten.
Der, welcher die Thesen aufstellte, hatte dieselbe gegen
alle Anwesende zu vertheidigen und als richtig zu be-
i^eisen. Beigefügt ist endlich eine genaue Inhaltsangabe
des aufgeführten Trauerspiels: ^Themistocles, ein Opfer
der Liebe zum Vaterlande." Mit dem Hauptstück war ein
Vorspiel verbunden, welches, der römischen Geschichte
272 Entu>iekelung des Sehulw^senM zu Däntdd^rf.
oder Mythologie entnommen^ sich zu einer Huldigung des
anwesenden Fürsten zuspitzte und der Pr&mienvertheilung
vorausging. Mit diesen Vorspielen waren jedenfalls rhyth-
mische Bewegungen verbunden, denn sie werden auch
Tänze genannt. Wir dürfen also annehmen, dass mit
diesen theatralischen Aufführungen gegen Ende September
das Schuljahr geschlossen w^urde, dass aber schon während
des ganzen Sommers Disputationen, welche sich auf alle
Gebiete des Wissens erstreckten, unter Aufsicht eines
Professors von den Zöglingen der studia superiora ab-
gehalten wurden. Die Schülerverzeichnisse zeigen mir
wenige Namen von auswärtigen Schülern. Mayen, Rhein-
berg, Aachen, Venlo, Gladbach, Blankenstein sind zeit-
weise vertreten. In dem Programm von 1789 finden wir
nur 4 Klassen: 1. Orammatica inf. mit 32 Schülern, 2.
Gramm, sup. mit 23, 3. Rhetorica inf. mit 18, 4. Rhetorica
sup. mit 23 Schülern, im Ganzen 96 Schüler. Im Pro-
gramm 1798 sind nur noch 52 namentlich aufgeführt.
Wir können daraus den Schluss ziehen, dass die Anstalt,
als 1773 der Jesuitenorden aufgelöst wurde, allmälig dem
Zerfalle entgegenging. Zwar übernahmen die Congrega-
tionisten (Exjesuiten) mit einzelnen Franziskanerpatres
den Unterricht, aber ohne nennenswerthen Erfolg, bis
durch den Reichsdeputationshauptschluss im Jahre 1803
die Anstalt gänzlich aufgelöst wurde.
In dem Lectionsplan der Schule Monheims und der
Jesuiten lagen gewisse Keime für eine Anstalt, die über
das Ziel der höheren Schulen als Mittelschulen zwischen
Elementarschule und Universität hinausgingen. Man kann
nämlich deutlich erkennen, dass in den oberen Klassen
auch eine Vorbereitung für diejenigen vorgesehen war,
welche auf Grund einer besonderen Vorbildung Anspruch
auf ein öffentliches Amt machten. Schon Herzog Johann
versuchte es, wie wir oben sahen, in Düsseldorf eine
förmliche Akademie zu gründen ; er gab diesen Gedanken
erst dann auf, als ihm die Entfernung des in kirchlichen
Dingen zweideutigen Monheim als Vorbedingung auferlegt
wurde. — Aber nur die Theologen und Juristen erhielten
einige Anleitung durch Erklärung der Institutionen und
des alten und neuen Testamentes in der fürstlichen Par-
ticularschule ; für die Mediciner geschah nichts. Bei den
Jesuiten war schon in den obenerwähnten studia superiora
eine Art Facultät für Theologie und Philosophie gegeben ;
an dem zwe^ährigen philosophischen Cursus nahmen auch
Juristen und Mediciner Theil, während der vierjährige
theologische speciell für den Ordensnachwuchs und die
Weltgeistlichen bestimmt war. Drei für die Philosophie
Eittwickelung d€8 Schuf wen^m za DSsseldorf, 273
bestimmte Professoren trugen Moral, eigentliche Philosophie
und Mathematik vor. Die vier für die Theologie bestimmten
Docenten behandelten die hl. Schrift, das kanonische
Recht, Hebräisch, scholastische Theologie und Casuistik.
Auch die Franziskaner eröffneten 167-J, weil es das Tri-
dentiner Concil so vorschrieb, einen theologischen Lehr-
kursus, welcher noch erweitert wurde, als nach 1773 durch
Aufhebung des Jesuitenordens die Congregationisten, d. h.
die Exjesuiten, allm^lig ausstarben. £>er Staat betheiligte
sich durch Zuschüsse zu den Besoldungen für die einzelnen
Docenten an diesen Studien umsomehr, da ihm durch
Einziehung der Jesuiten coUegien reiche Mittel zuflössen.
Indessen die kriegerischen Zeiten am Anfange des 19. Jahr-
hunderts bewirkten, dass man dieser Anstalt wenig Be-
achtung schenkte, sie ging 1803 ein. Nach V/^jAhnger
Unterbrechung wurden zwar die theologischen Vorlesungen
durch einen Professor fortgesetzt, aber die Leipziger
Schlacht räumte auch damit auf.
Was die juristischen Vorlesungen anbetrifft, so waren
schon lange besondere Professoren für die sogenannte
Rechtsschule in Thätigkeit, aber sie lassen sich erst für
das Jahr 1728 nachweisen. 1769 wurden dieselben staat-
lich anerkannt. Vier Docenten lasen damals, nur der
besoldete ununterbrochen. Nach langen Verhandlungen
wurde durch den Churfürsten 1804 eine Verordnung ver-
öffentlicht, wonach der Besuch der Düsseldorfer Akademie
als ausreichend für Diejenigen erachtet wurde, welche
sich um ein geistliches oder weltliches Amt bewarben.
Tönnies nennt in euier besonderen Schrift folgende Do-
centen der juristischen Facultät zu Düsseldorf. Heinrich
Brewer las etwa bis 1812, die beiden Dewies, Karl Anton
Hamacher, Franz Anton Hedderich, der auch ausserhalb
JQlichs und Bergs einen geachteten Namen hatte; Karl
Joseph Henoumonty gebürtig aus dem Luxemburgischen,
las seit 1774. Johann Wilhelm Neuss, geb. 1781, hatte
mit 15 Jahren das hiesige Gymnasium absolvirt, hörte
dann die Vorlesungen bei Henoumont, dessen befähigtster
Schüler er war; Joseph Schräm ging später als Biblio-
thekar an die neugegründete Universität Bonn. Johann
Wilhelm Windscheid, las um 1775, starb 1801 als wirk-
licher Geheimrath. Die meisten waren Professoren ün
Nebenamt, sie hatten meist eine einträgliche Advocatur,
der sie ihre Hauptkräfte widmeten. Karl Hamacher ver-
öffentlichte 1803 einen Entwurf eines Lehr- und Studien-
planes für juristische Academien. Er beklagt darin die
planlose Lehrart der Rechtswissenschaft und schlägt vor,
fünf Professorea ohne Nebenamt anzustellen, welche nach
18
274 Enttcickelung des Schulwesens zu Düsseldorf,
bestimmtem Plane lesen sollten. Er entwickelt ein gerade
nicht ansprechendes Bild der hiesigen juristischen Facultät.
wenn er sagt: ^Ohne alle pädagogische, encyclopädische
und geschichtliche Vorkenntnisse wird der angehende
Rechtsbeflissene gewöhnlich in das weitschichtige Gebiet
der Rechtswissenschaft eingeführt, während weder die
Dauer eines Cursus noch die Studienzeit überhaupt fest
bestimmt ist."
Es lässt sich auch eine anatomische Lehranstalt nach-
weisen, deren Anfänge bis 1740 zurückgehen. Zuerst war
sie eine Privatunternehmung, durch die Medicinalordnung
vom Jahr 1773 erhielt sie aber staatliche Anerkennung.
Es wurde darin von den approbirten Chirurgen der
Nachweis gefordert, dass sie auf dem Düsseldorfer tbeatrum
anatomicum oder anderswo die Anatomie gehört hätten.
Aber nur die Chirurgen bildeten sich in Düsseldorf, vom Arzte
wurde der Besuch einer Universität verlangt. Auch für
andere Gebiete des Wissens fanden öffentliche Vorlesun-
gen statt, z. B. für Geometrie, Baukunst und Cameralistik
fLand-, Berg- und Forstiwrthschaft, Polizei, Finanzen und
Staatsöconomie), wie das aus den vorliegenden jülichschen
und bergischen Nachrichten für das Jahr 1799 hervor-
geht. Das allen diesen Bestrebungen Gemeinsame ist
folgendes : Zuerst bieten sich die Lehrer für gewisse Fächer
freiwillig zum Unterrichten an. Der Staat giebt seine
Zustimmung, leistet aber erst Zuschüsse, wenn er sieht.
dass ihm dadurch ein guter Beamtenstand gesichert wird.
Der Besuch einer Universität wurde nur von solchen
verlangt, welche sich um die höchsten Stellungen be-
warben. Für den gewöhnlichen Beamten waren die in
Düsseldorf gehaltenen Vorlesungen ausreichend.
Der Gedanke, aus diesen verschiedenartigen Trümmern
einer Hochschule eine umfassende Akademie erstehen zu
lassen, lag nahe. Murat, der Grossherzog von Berg, fasste
ihn, Napoleon brachte ihn der Ausführung nahe durch
das Decret vom 17. December 1811. Hierdurch wurde
der neu zu gründenden Anstalt eine Dotation von 114,000
Francs zugewiesen, vier Facultäten sollten das ganze
Wissensgebiet umfassen. Die Verhandlungen über die Ver-
mehrung der Lehrkräfte zogen sich bis in das Jahr 1814
hinein, in welchem nach der Besiegung Napoleons jeder
Gedanke an eine Universität in Düsseldorf aufgegeben
wurde.
Wenn auch die Erhebung Düsseldorfs zu einer Uni-
versität damals und auch später nicht erfolgte, so erhielt
CS jedoch im 18. Jahrhundert durch einen hochherzigen
Fürsten auf dem Gebiete der Kunst eine Anstalt, welche
Entwiektlung des Schulwesens xn Düsseldorf, 275
ihren glanzvollen Ruf weit über die Grenzen Europas
verbreitet hat und noch verbreitet. Jeder weiss, dass
hier die Kunstakademie gemeint ist. Sie soll hier nicht
eingehend besprochen werden, aber, da auch sie der
Unterweisung und dem Unterricht ihr Dasein verdankt,
eine kurze Erwähnung finden. Schon seit dem Jahre
1767 bestand zu Düsseldorf eine „Zeichnungs-Akademie",
welche im Jahre 1777 zu einer Akademie der schönen
Künste von dem Churfürsten Carl Theodor erweitert
wurde. Um das Jahr 1780 war folgendes Lehrpersonal
vorhanden: L. Krähe, Director 1767 — 1790, Erb, Professor
der Baukunst; Bäumchen, Professor der Bildhauerkunst:
Bruillot, Professor der Malerkunst, H. Schmitz in der
Kupferstecherkunst; Aloys und Lambert Cornelius, In-
spectoren der Akademie, der erstere der Vater, der letz-
tere der Bruder des grossen Cornelius. Nachdem die
Gallerie im Jahre 1805 nach Baiern gebracht, das Herzog-
thum Berg an Frankreich gefallen, und Bouillot und
Johann Peter Langer (der letzte Director der Akademie
1790 — 1806) nach München gegangen war, fristete die
Akademie nur kläglich ihr Dasein. Schaeffer, Thelott
und Lambert Cornelius führten ihr Lehramt fort. Der
letztere war ausserdem Zeichenlehrer an dem inzwischen
neu eingerichteten Gymnasium. 1816 belief sich die Zahl
der Schüler auf 89. Das grosse Akademiegebäude auf
der Akademiestrasse wurde 1810 von dem Minister des
Innern in Besitz genommen, die Schule aber in das
Franziskanerkloster verwiesen, wo auch das Lyceum oder
Gymnasium seine Zimmer hatte. Dieses räumliche Zu-
sammenwohnen liess sogar den Gedanken in Erwägung
ziehen, ob es nicht angängig wäre, zwischen der Akademie
der bildenden Künste und dem Gymnasium eine Ver-
bindung herzustellen. Kortüm erklärte sich mit ent-
schiedenen Worten gegen eine solche Vereinigung. „Das
Streben eines Gymnasiums ist ganz auf das Allgemeine
gerichtet, welches zwar das Besondere einschliesst, aber
nicht als solches unmittelbar berücksichtigt. Eine Kunst-
schule ist ganz auf das Besondere gerichtet, mithin ist
eine Verbindung einer solchen Anstalt mit dem Gymnasium
nicht möglich, wenn die Idee des letztern nicht aufgehoben
oder wenigstens getrübt werden soU.^ Mit diesen Gründen
war der Plan, die Kunstschule mit dem Gymnasium zu
verbinden, abgethan, aber es dauerte doch noch einige
Jahre, bis man energische Schritte zur Hebung der Kunt-
schule that. An dieser Stelle verdient auch die gleichfalls
von Karl Theodor gegründete Landesbibliothek Erwähnung.
Sie wurde anfangs ansehnlich bereichert auf Grund einer
276 Enttciekelun^ dis Seliiäfr$$€ns zu DU$$M9rf.
Verordnung, wonach jeder angestellte Beamte ein Werk
von grösserem Umfange im Werthe von mindestens zehn
Thalern an sie abgeben musste. Daneben bestand noch
eine Sammlung als Handbibliothek, die im Local der
Landesbibliothek zur Benutzung des Publicums aufgestellt
war. Heute dient diese Bibliothek, die allmfllig durch
regelmässige Zuschüsse des Staates auf 50,000 Bjindo
angewachsen ist, den Interessen der Wissenschaft für
Stadt und Umgegend.
Die politischen Verhältnisse am Ende des 18. und am
Anfang des 19. Jahrhunderts hatten alle höheren Studien
in Düsseldorf dem Untergang nahegebracht, aber in den
Zeiten der politischen Umwälzungen kam wieder neues
Leben in alle der Wissenschaft gewidmeten Veranstal-
tungen, denn ein frischer Hauch wehte nicht nur auf
dem Gebiet des nationalen Bewusstseins , sondern auch
auf allen Gebieten des Wissens und Könnens raftte sich
mächtigder zu frohem Schaffen angeregte menschliche Geist
auf. Dassbei diesem neuerwachten Streben das Schulwesen
eine Umgestaltung erfuhr, ist selbstverständlich. Aber schon
ehe die Entscheidung in den Befreiungskriegen gefallen war,
wandte man seine Aufmerksamkeit auf die Schule. Auch in
Düsseldorf war man darauf bedacht, das alte Gymnasium
den neuen Anschauungen entsprechend umzugestalten.
So wurde die Verordnung vom 20. Nov. 1805 erlassen.
Dieselbe führt die Gegenstände des Unterrichtes und die
Aufnahmebedingungen an. Es werden gelehrt: die
griechische und lateinische Sprache mit der entsprechenden
Leetüre, dazu die Alterthümer, die Archäologie, Mytho-
logie, alte Geographie, reine Mathematik, Physik
und Astronomie, Rhetorik, Logik und Erfahrungsseelen-
lehre, deutsche und iVanzösische Spräche, Stilübung und
Declamation, ältere und neuere Geschichte, Geographie,
Naturgeschichte, gewöhnliches Rechnen, Schönschreiben,
Zeichnen, Botanik und Vocalmusik. Den Religionsunter-
richt für die katholischen Schüler giebt der Rector des
Lyceums. Zur Aufnahme wird nur fertiges Lesen und
Schreiben der deutschen Sprache erfordert. Das Schul-
geld, 20 Rthlr. betragend, wird an den Rector bezahlt,
der eine Karte als Quittung verabfolgt. Am Schlüsse der
Verfügung wird die Privat-Pensionsanstalt des Professor
Kuithan für auswärtige Schüler empfohlen. Der Unterricht
wurde in dem ehemals von den Franziskanern bewohnten
Kloster an der Citadelle, und zwar in 5 Sälen gegeben.
Mit dem Beginn des Winters 1807 wurde eine Vorbereitungs-
klasse eingerichtet und dafür ein besonderer Lehrer an-
gestellt. Im Jahre 1810 musste das Kloster auch einen
Entfwiekelang des Schulwesens zu Düsseldotf, 277
Theil der Kunstakademie , die Zeicheuscliule und Archi-
tektur mit einigen Sammlungen aufnehmen.
Die Lehrer waren grösstentheils schon bejahrte Geist-
liche, denen besonders die griechische Sprache fast gänz-
lich fremd war. Man berief daher einige Weltliche, wie
den Astronomen Benzenberg, der sich durch die Auf-
findung des Fallgesetzes berühmt gemacht hatte, ferner
den Professor Schräm, welcher jedoch wenig Anlagen
zum Lehrer hatte. Im Jahre 1812 führte der Rector
Schallmayer die philos. Klasse, Prof. Brewer unter-
richtete dort in der Mathematik, in der 1. Klasse gab
Prof. Crem er Rhetorik und Poetik, femer Griechisch und
Latein. Prof. Schräm unterrichtete im Deutschen,
Daulnoy im Französischen. Der 2. Klasse stand Prof.
Eisermann vor, der 3. Prof. Hohenadel, der 4. Prof.
Dahmen, der Vorbereitungsklasse Prof. Asthöver. An
der Spitze des Lyceums stand Jacob Schallmayer, der in
Bonn Professor der Theologie gewesen war. Unter ihm
sank, wie aus den Akten hervorgeht, die Zucht bedenk-
lich, daher erhielt Karl Wilhelm KortOm, welcher seit
1810 als Hauslehrer in Düsseldorf weilte, 1812 vom Mi-
nister Napoleons, dem Grafen Nesselrode, den Auftrag,
Vorschläge zur Umgestaltung des Düsseldorfer Lyceums
auszuarbeiten. Schon Napoleon hatte in seinem Decret
betreffs Errichtung einer Universität auch das Lyceum
ins Auge gefasst. Z.B. bestimmt Art. 14: II sera Stabil
un Lyc^e ä Dusseldorf, les professeurs seront au nombre
de 8. Art. 15: II sera stabil un pensionnat dans le Lyc^e.
Art. 16: Le gouvernement entretiendra dans le Lycee
de D. 60 ei^ves qui seront designös pannis les Als de
militaires et fonctionnaires. Us seront nomm^s par nous.
Napoleon hatte also nicht nur eine Erweiterung des
Lyceums in Aussicht genommen, sondern auch ein grosses
staatliches Alumnat errichten wollen, ein Gedanke, der
später 1819 für kurze Zeit verwirklicht wurde.
Als Rector Schallmayer bedenklich erkrankte, wurde
Kortüm am 6. Mai 1813 zum Director des Lyceums er-
nannt; er ist als der eigentliche Reorganisator des Gym-
nasiums zu betrachten. Die erste Frucht seiner Arbeiten
war ein ausführlicher Lehrplan für 6 Klassen, die erste
und zweite Klasse mit zweijährigem Cursus. Die Frequenz
betrug 140 Schüler. Im Programm 1814 gibt Kortüm,
welcher auch ordentliches Mitglied der Schulcommission
geworden war, Bericht über die Ziele des neu ein-
gerichteten Gymnasiums; es soll von allem dem, was
für den nächsten Zweck, für den sogenannten Nutzen
gelehrt wird, absehen. Einen ähnlichen Gedanken äusserte
278 Eni Wickelung des Schulwesens zu Düsseldorf.
er, wie oben erwähnt, als es sieh um die Verbindung
der Kunst-Akademie mit dem Gymnasium handelte. Um
sein ideales Ziel zu erreichen, musste K. sich nach guten
Lehrkräften umsehen. So berief er Theodor BrQggemann
und Friedrich Kohlrausch , Männer, welche hier und
später in hohen Staatsämtern segensreich gewirkt haben.
Im September 1822 wurde Kortüm zum Consistorlal- und
Schulrath bei der Regierung zu Düsseldorf ernannt, er
blieb jedoch erster Director des Gymnasiums, während
Brttggemann als zweiter Director die eigentliche Leitung
erhielt. 1827 Qberliess Kortüm seinem Nachfolger alle
Geschäfte, der nun den vollen Titel „Director** führte.
Die Blüthe der Anstalt nahm fortwährend zu; 1822
wurde die Prima in zwei Abtheilungen getrennt, die
Schülerzahl stieg auf 290 und 1823 auf 309, 1824 auf
393; 1825 finden wir Quinta und Quarta in 2 Cöten ge-
theilt, 1826 die Obersecunda von Untersecunda getrennt
Von da ab sinkt die Frequenz, weil die Schüler in den
dunklen Räumen des Franziskanerklosters keinen Platz
fanden. Kortüms energischem Einschreiten ist es zu ver-
danken, dasa endlich der Bau des neuen Gymnasial-
gebäudes in der Alleesti'asse begonnen wurde. Herbst
1831 wurde die Schule dahin verlegt, Brüggemann, der
diesen Augenblick so sehr ersehnt hatte, folgte nicht
dahin, ebensowenig führte er sein Vorhaben aus, die
Geschichte des Gymnasiums von 1805 — 1831 bei Gelegen-
heit der Uebersiedelung zu schreiben. Er ging nämlich
als Provinzial - Schulrath nach Coblenz und 1839 als
Geheimer Regierungsrath nach Berlin in das Cultus*
ministerium. Am 17. October 1832 wurde Dr. Franz
WüUner feierlich durch seinen Vorgänger eingeführt; bei
dieser Gelegenheit wurde die Aula zum ersten Male be-
nutzt. Am 31. October 1833 hatte die Anstalt die hohe
Ehre, von dem damaligen Elronprinzen Friedrich Wilhelm
besichtigt zu werden ; das LehrercoUegium begrüsste ihn
in einer alcäischen Ode.
WüUner starb leider schon am 22. Juni 1842. Im
April 1844 übernahm Dr. Karl Kiesel aus Coblenz die
Direction der aufblühenden Schule. Es würde uns zu
weit führen, wenn wir hier auseinandersetzen wollten,
in welcher Weise das Düsseldorfer Gymnasium unter
Kiesels Leitung seinen unter vorzüglichen Dirigenten er-
worbenen guten Ruf noch erhöhte, wie die stets wachsende
Schülerzahl dazu nöthigte, fast alle Klassen in zwei Cöten
zu trennen, so dass sozusagen ein Doppelgymnasium mit
gegen 600 Schülern entstand. Was Kiesel hierbei leistete,
hat das LehrercoUegium bei Gelegenheit seines 25jährigfen
Entwicktläng dts Schul wtsens zu Dössefdorf, 279
Amtsjubiläums zum Ausdruck gebracht, iudem es ihn
in der Begrüssungsschrift : „Düsseldorpiensis Gymnfisii
sospitator" d. h. Erhalter nennt. Ostern 1884 nach 40jäh-
i'iger Leitung der grossen und hochgeachteten Anstalt
t!*at Kiesel in den wohlverdienten Ruhestand und übergab
dieselbe dem Gymnasial-Director Dr. August Uppenkamp,
welcher schon seit langen Jahren als Director ver-
schiedener Gymnasien thätig war. So ist die Hoffnung
bei-echtigt, dass die Anstalt unter der jetzigen Leitung mit
den alten Traditionen zugleich den alten Geist, der sie
zur Blüthe brachte, für die Zukunft bewahren wird.
Hiermit ist die Geschichte des alten Gymnasiums
durchlaufen; wir haben gesehen, wie verschieden ihre
Geschicke sich gestalteten. Zuei-st tritt rasche Blüthe
unter Monheim und Fabricius uns entgegen , dann
ntscher Verfall, eine Erneuerung der Schule durch die
Jesuiten mit Abstreifung des zweifelhaften religiösen
Charakters, welcher an ihr im 16. Jahrhundert haftete.
Die ci-ste Blüthe wird nicht mehr erreicht, hierauf zweiter
Verfall, der sich bis 180:J hinzieht, endlich eine zweite
Erneuerung im Jahre I8O0 mit Veränderungen vom Jahre
1814 und endlich gleichmässige Entwickelung zu dem
heutigen Stande. Dass die Darstellung etwas ausführ-
licher wurde, wird man als berechtigt anerkennen, wenn
man bedenkt, dass das Gymnasium mit den mehr oder
weniger mit ihm zusammenhangenden Facultätsstudien
zeitweise der alleinige Träger aller höheren Studien noch
bis in dieses Jahrhundert hinein war. Erst am 28. Mai 1838
erhielt dasselbe in der Realschule, welche auf Grund der
von Kortüm ausgearbeiteten Instruction für Realschulen
vom Jahre 1832 eingerichtet wurde, eine Schwesteranstalt.
Sie wurde unter Heinens Leitung mit drei Klassen in
den alten vom Gymnasium verlassenen Räumen des
F'ranziskandfklosters eröffnet. Die Anstalt hatte anfangs
das Latein nur als facultativen Lehrgegenstand auf-
genommen; da aber die Zahl der Lateinschüler immer
zunahm, so sah sich die Schule genöthigt, eine Schwenkung
nach dem Gymnasiallehrplan zu macheu und hat dieselbe
heute soweit vollzogen, dass, wie Prof. Dr. Rothert in
seiner Festschrift 1888 sagt, die eine Hälfte ein huma-
nistisches Gymnasium geworden, und die andere kein
Realgymnasium mehr ist.
Wie seiner Zeit dem Gymnasium, so wurde bald der
Realschule das alte Schullocal an der Citadellstrasse zu
eng. Nach mannigfachen Schwierigkeiten, die sich durch
die Kosten emes Neubaues einzustellen pflegen, bezog
man am 11. Oct. 18IK) das neue Gebäude in der Kloster-
280 EntuficMimg dti Schulwesens zn Dßssel^lsrf,
Strasse. Von nun an nahm die Entwickelung der Anstalt
ihren stetigen Fortgang. Herbst 1864 wurden zwei Vor-
schulklassen, später Parallelklassen eingefülirt, seit Ostern
1883 Gyninasialklassen ; in diesem Schuljahre ist die Gyni-
nasial-Oberprinia angeschlossen und damit das städtische
Gymnasium vollendet worden. Keinen starb plötzlich
im Jahre 1870; Professor Dr. Honigsheim leitete in-
terimistisch die Anstalt, bis Director Ostendorf 1872 die-
selbe übernahm. Als auch dieser 1877 starb, folgte ihm
Böttcher bis 1882, dann Kirchner bis 1885. Von dieser Zeit
an führt Dr. Matthias die Dircction der Schule. Diese
erfreute sich besondei^s unter den beiden letzten Dirigenten
einer stets wachsenden Blüthe. Vorher nümlich war ein
stetiges Steigen der Frequenz bis 1872 erkennbar, dann
sank dieselbe durch Errichtung der Bürgerschule, durch
den wirthschaftlichen Rückgang und durch eine stets zu-
nehmende Abneigung gegen die Realbildung. Letzterer
Umstand nöthigte, wie oben erwähnt, dazu, den Lehrplan
nach der Gymnasial -Richtung zu ändern. Diese den
Wünschen der Bevölkerung entsprechende Verschiebung
hat auf den Besuch so vortheilhaft eingewirkt, dass in
diesem Jahre die Frequenz auf 490 gestiegen ist. So kann
die Schule, welche noch kürzlich das Jubiläum ihres
50jährigen Bestehens gefeiert hat, im Besitze eines wohl-
eingerichteten Unterrichtsapparates mit Zufriedenheit auf
den zurückgelegten Weg blicken und mit Zuversicht der
Zukunft entgegensehen. Allerdings ist ihr weiterer £nt-
wickelungsgang von Bedürfnissen und Wünschen abhängig,
die man für längere Zeit nicht voraussehen kann. Wie
Matthias am Schluss seiner Geschichte der Gymnasial-
abtheilung bemerkt, ist zwar schon jetzt das Gymnasium
als Hauptanstalt anzusehen, während die Realklassen, die
der Schule den Namen gaben, sich an dasselbe anlehnen.
Aber vielleicht verlegt die Zukunft wieder den Schwer-
punkt auf die reale Richtung, der die Schule ihre Ent-
stehung verdankt. Wer weiss es?
Wenden wir uns nach diesem kurzen Ueberblick über
die Geschichte des hiesigen Realgymnasiums zur höheren
Bürgerschule. Durch die Unterrichts- und Prüfungs-
ordnung vom 6. October 1859 war der Begriff von höheren
Bürgerschulen dahin bestimmt worden, dass sie dem Plan
der Realschule erster Ordnung bis zur Prima ausschliess-
lich folgten. Sie standen also in demselben Verhältniss
zum Realgymnasium, wie die Progymnasien zu den Gym-
nasien. Die höhere Bürgerschule, wie sie heute in den
meisten grösseren Städten besteht, eingerichtet nach dem
Lehrplan vom 31. März 1882, ist eine höhere Lehranstalt
Enfwiekelung den 8ehulufe9en$ zu DOsneldorf. 281
mit französischer und englischer Sprache , aber ohne
Latein, weiche nach 6 jährigem Lehrgang mit der Er-
langung der wissenschaftlichen Befähigung zum einjährig-
freiVf-UUgen Dienst schliesst. Die deutsche Sprache erfährt
eine eingehende Behandlung, das Französische beginnt
mit 8 Stunden in Sexta, das Englische mit 5 in Tertia;
auch Rechnen und Naturkünde werden mehr als auf den
anderen höheren Anstalten berücksichtigt. Der Vorzug
dieser Veränderung liegt darin, dass die höhere Bürger-
schule selbst eine Vollanstalt geworden ist, die nicht
mehr auf die Prima eines Realgymnasiums hinweist,
sondern, in sich selbst abgeschlossen, die Bürgersöhne
für ihren Beruf in Handel und Industrie wohl vorbereitet
entlässt. Dass hiermit den Bedürfnissen der Bevölkerung
gedient war, zeigt das schnelle Wachsen und Blühen der
Anstalt.
Diese wurde im Herbst 1872 mit Sexta eröffnet und
stand bis 1878 unter der Leitung Ostendorfs; in diesem Jahre
erhielt sie, von der Realschule abgezweigt, eine selbst-
ständige Leitung in der Person des bisherigen Ober-
lehrers Hugo Viehoff. Im Anfange musste sich die Schule
mit dem nothdürftigen Unterkommen im alten Realschul-
gebäude an der Maxkirche begnügen, Ostern 1875 kam
sie in den Anbau bei der neuen Realschule in der Kloster-
strasse. Auch dort war ihr Aufenthalt von verhältniss-
massig kurzer Dauer, denn am 26. September 1887 zog
sie in das eigens für sie erbaute, prachtvolle Gebäude
an der Florastrasse. Hier hat die Schule ihr bleibendes
Heim gefunden, und wird es voraussichtlich nicht viele
Jahre dauern, bis die für grosse Verhältnisse einge-
richteten Räumlichkeiten sich als zu klein erweisen, um
die stets wachsende Schülerzahl aufzunehmen. Schon jetzt
wird bis Tertia incl. in 2 Cöten, in Sexta sogar in 3 Cöten
unterrichtet, dazu kommen noch drei Vorschulklassen,
so dass sich die Oesammtfrequenz auf 480 Schüler beläuft.
Wahrend wir die höheren Lehranstalten eine segensreiche
Wirksamkeit in Mitte einer rasch anwachsenden Stadt
entfalten sehen, stehen die Schulen, welche sich der
Kunst und dem Kunstgewerbe widmen, nicht hinter den-
selben zurück.
Es ist bekannt, dass im Anfange dieses Jahrhunderts
nur noch kläglich die Kunstakademie ihr Dasein fristete.
Als aber das Herzogthum Berg an Preussen gefallen war,
forderte das Ministerium auf Anregung des Prof. Thelott
einen Bericht über den Zustand der Kunstakademie und
deren Sammlungen. Prof. Schaeffer reichte Februar 1817
den Plan zur Vervollkommnung der hiesigen Akademie
282 Enficickilung des Sekufwesens zu Düsstldorf
und zur Errichtung einer polytechnischen Schule beim
Ministeilum ein. Indem er hierbei den Nützlichkeits-
principien seiner Zeit Rechnung trägt, will er geschickte
Handwerker, Künstler und Militairs bilden. Das Wichtigste
war wohl, einen geeigneten Mann an die Spitze der Akademie
zu setzen. Die Wahl fiel nach sorgsamen Erwägungen
auf Peter Cornelius, den Sohn des schon erwähnten
Malers und Inspectors Aloys Cornelius und jüngeren
Bruder des Inspectors Lambert Cornelius. Am 9. März
1819 wurde durch Königl. Cabinetsordre die Akademie
in's Leben gerufen und Cornelius am 1. October 1819
zum Director derselben ernannt. 1821 sah man, als
Cornelius energisch dagegen auftrat, von einer Verbin-
dung der Akademie mit einem Polytechnikum ganz ab.
Cornelius legte 1824 das Directorium nieder, um an die
Spitze des Münchener Instituts zu treten. Sein Nach-
folger Wilhelm Schadow trat 1826 ein und behielt die
Leitung bis 1859, Eduard Bendemann (1859—67) wirkte
in Schadows Sinn weiter, trat aber im Jahre 1867 aus,
worauf ein Interimistikum (1867 — 70 Altgelt) bestand, bis
Wislicenus mit (liese zum Directorat berufen wurde.
Im Jahre 1864 wurde Wittig als Lehrer der Bildhauer-
klasse angestellt, und somit die Bildhauerkunst als Lehr-
gegenstand eingeführt. Im Juni 1869 feierte die Akademie
unter grosser Theilnahme der Stadt und des Staates ihr
50 jähriges Jubiläum, womit zugleich die Einweihung des
Schadowdenkmals verbunden war. Bis zu dem grossen
Brande des Akademiegebäudes am 20. März 1872 verging
eine Zeit ruhigen Schaffens. Da« Lehrercollegium wurde
vervollständigt und vermehrt, obgleich das Lokal, worin
die Akademie vorläufig untergebracht, für seinen Zweck
wenig geeignet war. Die eine Hälfte der Lehrer arbeitete
in den Räumen des ehemaligen Galeriebaues, die andere
Hälfte im sogenannten „Wunderbau^. welcher in der
Pempelforterstrasse lag. Das Directorium der Anstalt
hatten während der ganzen Zeit zwischen dem Brande
und der Vollendung des neuen Gebäudes die Professoren
H. Wislicenus und Baumeister Lotz inne. Im Jahre 1877
wurden wegen der grossen Frequenz zwei Parallelklassen
für die Elementarklasse und eine für das Zeichnen nach dem
lebenden Modelle geschaffen. Der Bau des neuen Qe-
bäudes am Sicherheitsbafen begann 1875 und wurde 1879
so weit vollendet, dass am 20« October die feierliche
Einweihung stattfinden konnte. Zugleich wurde die Be-
setzung des Directoriums , welches bisher durch die
Regierung bestimmt war, der Wahl des Lehrercollegiums
überlassen. Jetzt, wo die Akademie seit beinahe 9 Jahren
Bhdwiekelang des S^tulwuena zu DOsseläorf.
283
ihrer Bestimmung übergeben ist, ist eine Zeit stillen
Arbeitens in den verschiedenen Abtbeilungen eingetreten,
und so ist die Hoffnung berechtigt, dass die dritte Kunst-
epoche fQr die Akademie selbst und für die sie um-
schliessende Stadt den alten Glanz erhöhen wird. Es
dürfte nicht ohne Interesse sein, hier eine Uebersicht der
Frequenz für das Schu^ahr 1886/87 anzuführen.
Im Schuljahr 1. October 1886/87 war der Klassen-
besuch in der Akademie wie folgt:
1. Elementar-Klasse (Prof. Lauenstein) .
2. Vor-Klasse (Prof. Crola)
:3. Antiken- und Natur-Klasse (Prof. Janssen)
4. Mal -Klassen für Figurenmalerei (Prof
V. Gebhardt und Prof. Roeting) . . .
ö. Mal-Klasse für Landschaft ....
6. Fach-Mal-Klassen a) Prof. von Gebhardt
b) Prof. Janssen. .
c) Prof. Sohn . .
7. Ei^te Klasse für Figurenmalerei
a) Prof. Sohn, Genre- u. Historienmalerei
b) Prof. V. Gebhardt, religiöse Malerei
c) Prof. Janssen, Monumental- u. Historien
maierei
8. Erste Klasse, Landschaften (Prof. E.Dücker)
9. Kupferstecher-Klasse (Prof. Forberg) .
10. Radir-Klasse (derselbe)
11. Bildhauer-Klasse (Prof. A. Wittig) . .
12. Den Unterricht in der Ornamentik und
Decoration (Prof. A. Schill) besuchten
13. Fachschule ad 12 (Prof. Schill) . . .
öl Schüler
30 „
44 „
24 „
7 .
4 .
12 n
4 .
8 «
2
5
6
1
15
3
n
64
2
n
Summa 282 Schüler
Davon gehörten mehreren Klassen zugleich an 131 „
Schülerbestand 1886/87 148.
Lehrer : 13.
Schon im Anfange des Jahrhunderts waren, wie erwähnt,
PlAne aufgetaucht, mit der Akademie auch eine polytech-
nische Schule zu verbinden ; Cornelius erhob entschieden
dagegen Einspruch und meinte, man könne eine Künstler-
schule nicht mit einer Lehranstalt der höheren Mathematik
vereinigen, weil man Leonardo zu ihrer Leitung nicht
von den Todten auferwecken könne. In Folge dieser
Ablehnung kam die Schule nach Aachen und wurde
1870 eröffnet. Das Aufblühen des Kunstgewerbes in der
rasch anwachsenden Stadt stellte aber allmälig das
Bedürfniss einer den Interessen der Gewerbetreibenden
dienenden Anstalt als unabweisbar und dringend hin.
284 3ittriekelttng des Schulwesens zu Düsseldorf,
Man zögerte nicht lange. Nachdem Anfangs 1883 der
prachtvolle Bau am Rheinufer mit Unterstatzung des
Staates fertig gestellt worden war, konnte dieselbe durch
den als Director berufenen Professor Stiller Ostern er-
öffnet werden. Die Kunstgewerbeschule bietet die Gelegen-
heit, auf Grund guter Volksschulbildung sich Kenntnisse
zu verschaffen, welche befähigen, irgend einen gewerb-
lichen Beruf auch künstlerisch auszuüben. Dies Ziel
sucht man in drei Abtheilungen zu erreichen und zwar
1. in einer Vorbereitungsklasse, welche früher Vorschule
genannt wurde, mit Unterricht im Freihandzeichnen,
geometrischem Zeichnen und Modelliren (Kursus 1 Jahr) ;
2. in der Fachabtheilung (den sogenannten Fachklasseu)
der Architektur, der Mal- und Modellir-Klasse ; 3. in der
Abendschule, welche den Zweck hat, Lehrlingen und
Gehülfen in ihren freien Stunden neben der praktischen
Tagesthätigkeit Gelegenheit zu künstlerischer Ausbildung
zu geben, in 4 Abtheilungen ; daneben Hospitanten, d. h.
solche, welche nur zeitweise oder unvollständig den
Unterricht gemessen wollen, werden nur für die Fach-
klassen aufgenommen.
Die Frequenz im Somnuner- Halbjahr 1883 betrug
120 Schüler (30 Vorschüler, 2 Fachschüler, 88 Abend-
schüler); im Wintersemester 162 (44 Vorschüler, 12 Fach-
schüler, 106 Abendschüler); im Sommersemester 1884
166 Schüler (39, 20, 107), im Wintersemester 1884/85 182
Schüler (48, 35, 99); im Sommersemester 1885 147 Schüler
(30, 28, 89); im Wintersmnester 1885/86 211 Schüler (50,
56, 105); Sommersemester 1886 159 Schüler (24, 35,
100); Wintersemester 1886/87 238 Schüler (45, 70,
123); Sommersemester 1887 153 Schüler (25, 35, 93);
Wintersemester 1887/88 249 Schüler (47, 65, 137); Sommer-
semester 1888 155 Schüler (38, 39, 78). Ausstellungen von
Schülerarbeiten z. B. im Jahre 1884 legten erfreulichen Be-
weis von der Tüchtigkeit des Unterrichts und seinem Erfolge
ab. Am 1. October 1886 trat eine Fachschule für Treiben,
Graviren und Ciseliren hinzu. Zuvor wurde der erate
sechswöchentliche Cursus zur Ausbildung von Zeichen-
lehrern an der gewerblichen Fortbildungsschule abgehalten;
an diesem na&nen 26 Lehrer theil. Mit dem 1. October
1883 wurde die gewerbliche Fortbildungsschule dem Director
der Eunstgewerbeschule unterstellt und erhielt folgenden
Lehrplan : 1 . Freihandzeichnen, 2. Zirkelzeichnen, 3. Pro-
jectionszeichnen, 4. Fachzeichnen für Bauhandwerker und
Maschinenbauer, 5. Geometrie, 6. Deutsch, 7. Rechnen
und Buchführung. Die Frequenz betrug im Schuljahr
1884/85 zwischen S9ö--«12 Schüler, im Sehu^ahr 1885/86
Enfwiekelung des SehHlwesens zu DUaseldotf. 285
zwischen 412—430, 1886/87 zwischen 384—510. Der
Unterricht wird jetzt in 25 Klassen nait Iß Lehrern ge-
geben.
Wenn wir einen kurzen Rückblick über die den ver-
schiedenartigsten Interessen des Lebens dienenden höheren
Anstalten werfen, so müssen wir gestehen, dass sich ein
reiches und buntes Bild der Entwickelung des höheren
Schulwesens vor unsem Augen entrollt. Dasselbe enthält
seine passende Ergänzung durch die Betrachtung der
Bahnen, w^elche das höhere Mädchenschulwesen gewandelt
ist. Seit dem 16. Jahrhundert hatten in den katholischen
Gemeinden die weiblichen Orden Unterricht und Er-
ziehung der Mädchen meist in den Händen. Wir haben
gesehen, wie in Düsseldorf die Ursulinerinnen den Mädchen-
unterricht bis in dies Jahrhundert hinein leiteten. Da-
neben traten besonders im Anfange dieses Jahrhunderts
Privatpersonen als Inhaber solcher Schulen auf, z. B.
leitete Vikar Daulnoy eine simultane Töchterschule, welche
600 Tblr. aus dem bergischen Schulfonds bezog, 2. Frl.
von Erkelens hatte eine Schule, aus welcher später die
Louisenschule hervorging. Im Jahre 1799 erbietet sich
Frau Bennoit, junge Mädchen in der französischen
Sprache, sowie in der Stickerei in Gold und Seide zu
unterrichten. Ferner werden noch genannt die Schulen
von Frl. Diepold, Frau Dr. Philippi, Frl. Sack, Quincke
und Perpeet, welche meist die Concurrenz mit den in-
zwischen geschaffenen öffentlichen Anstalten nicht aus-
halten konnten und eingingen. Erst seit 1872, als namhafte
Vertreter des höheren Mädchenschulwesens eine Denk-
schrift der Regierung vorlegten und einen einheitlichen
Lehrplan verlangten, traten die Anstalten als öffentliche
im gesetzlichen Sinne auf.
Die Louisenschule, welche wir zuerst zu be-
sprechen haben, entwickelte sich aus kleinen Anfängen.
Es bildete sich 1837 eine Societät von Männern, deren
Töchter eine höhere Bildung erlangen sollten. Regierungs-
rath Altgelt trat an die Spitze des Unternehmens. Am
30. October trat die Schule mit 3 Klassen ins Leben und
wurde kurz darauf als evangelische Gemeindescbule an-
erkannt, aber erst 1854 ging sie definitiv in den Besitz
der Gemeinde über. Ihre Kgl. Hoheit Prinzessin Friedrich
von Preussen ttbernahm das Protectorat Ober die Anstalt,
die daher den Namen Louisenschule erhielt. Sie blieb
im Besitz der ev. Gemeinde von 1854 bis 1876. Ihr Lokal
wechselte viermal. Zuerst befand sie sich in der Woh-
nung der Frl. von Erkelenz, dann seit 1839 in der Canal-
strasse 1, später in der Breitestrasse, der jetzigen Bier-
286 Entwiehtiung des SchulweBtn» zu DilssMorf,
hoifscdien Conditorei. Altgelt, der unermüdliche Leiter
und Curator, verhalf der Gemeinde zu einem eigenen
Gebäude in der Steinstrasse, welches 1863 bezogen wurde.
Nachdem kurz vorher die Schule einen selbststflndigen
Director in der Person des Herrn Uellner, des bisherigen
Oberlehrers am Realgymnasium, erhalten hatte, wurde
sie 1864 neu organisirt und ihr zugleich eine Selecta
oder Seminarklasse beigefügt; 1867 wurde das MAdchen-
turnen als facultativer Lehrgegenstand eingeführt. Seit
dem 1. Mai 1876 ging die Schule an die Stadt über und
wurde als eine städtische, paritätische, höhere Töchter-
schule mit einer Seminarklasse und 10 Klassen fort-
geführt; als Filiale erhielt sie 1877 in der Thalstrasse,
als die von den Schwestern vom hl. Kreuze geleitete
katholische höhere Mädchenschule einging, die Friedrichs-
schule zunächst mit 6 aufsteigenden Klassen. Die ge-
sammte Anstalt hat jetzt 378 Schülerinnen, darunter 80 aus
der Friedrichsschule.
Als die schon seit zwei Jahrhunderten bestehende
höhere Mädchenschule der Ursulinerinnen in der Ritter-
strasse in den siebenziger Jahren einging, wurde Ostern
1880 an deren Stelle die Marienschule mit vorwiegend
katholischem Charakter eingerichtet und begann im Hause
Marienstrasse 12 mit 192 Kindern in 8 Klassen; zu
Ostern 1881 kam die 9. und Ostern 1882 zugleich mit
der Uebersiedelung nach Alexanderstrasse 1 die 10. Klasse
hinzu. Sie arbeitete nach dem Lehrplan für öffentliche,
höhere Mädchenschulen ; ihre Frequenz hielt sich zwischen
192 — 299. Erst in diesem Schuljahre hat die Zahl sich
auf 239 gemindert, weil Ostern 1888 die Ursulinerinnen
die alte Schule wieder eröffneten. Die letztere wird von
157 Kindern in 10 Klassen besucht. Ausserdem ist noch
die Schuback'sche Schule mit simultanem Charakter in
der Bismarckstrasse zu erwähnen. Diese ist auch aus
kleinen Anfängen entstanden. Im Jahre 1859 begann
Frau Emma Schuback einen kleinen Cursus mit 8 Schale-
rinnen, im Jahre 1864 wurde daraus eine Schule mit 5
Klassen (jede mit zweijährigem Cursus) und bald steigerte
sich die Frequenz so, dass der Ausbau einer vollständig-
organisirten Schule nach den jetzigen Anforderungen mit
10 Klassen und einer Selekta vollzogen werden konnte.
1887 ging die Schule an Frl. A. Schmidt mit 162 SchQle-
rinnen über. Die etwa noch bestehenden Pensionate
fQr weibliche Erziehung treten in ihrer Thätigkeit von
der Oeffentlichkeit zurück, da sie grösstentheils aus-
wärtige Schülerinnen haben. Sie kommen daher hier
nicht in Betracht. Mit Freuden können wir bei dieser
Erttwhkelung de» Schulve9en9 zu DUBseldoi'f, 387
kurzen Ueberschau eonstatiren, dass das höhere Mädchen
Schulwesen in Düsseldorf in hoffnungsreicher Bittthe be-
griffen ist.
Eine Mittelstellung zwischen höheren Töchterschulen
und Volksschulen nimmt die städtische Bürgermädchen-
schule ein; sie ist besonders für die Töchter des Mittel-
standes, der Gewerbetreibenden, Kaufleute, Beamten u.s.w.
bestimmt und gewährt eine über das Maass der Volks-
schule hinausgehende Bildung, die in der Regel mit dem
15. Lebensjahre erreicht ist. Ihre Hauptaufgabe ist die
praktische Vorbereitung ihrer Schtllerinnen ftlrs Leben,
wesshalb die einzelnen Fächer vom Gesichtspunkte der
unmittelbaren Verwerthung betrieben werden. Dabei ist
die Schule keine Fachschule für irgend ein gewerbliches
Geschäft, vielmehr legt sie Werth auf eine w^ahrhaft
religiöse und nationale Erziehung. Sie begnügt sich ferner
mit einer fremden Sprache, der französischen, und gewinnt
dadurch Zeit, die anderen Fächer mehr zu berücksichtigen.
Dass eine solche Anstalt einem wirklichen Bedürfniss
abgeholfen hat, zeigt ihr rasches Emporblühen. Am
1. October 1878 mit 71 Schülerinnen in 4 aufsteigenden
Klassen unter ÜUners Leitung eröffnet, wurde sie Ostern
1879 schon von 212 Schülerinnen besucht. Am 24. Oct. 1880
trat der seitherige w issenschaftliche Lehrer an der Louisen-
schule, Herr Kessler, als Rector ein. Unter der Leitung
desselben wurden die vorgesehenen 8 Klassen I, II, III
unterste Stufe, IV, V, VI Mittelstufe, VII und VIII Ober-
stufe aufgebaut; die III. und IV. Klasse musste bald ge-
theilt werden.
Mit Beginn des Wintersemesters 1886 trat Rector
Kessler, als er zum Stadtschulinspector ernannt war, aus
und überliess die Leitung dem wissenschaftlichen Lehrei*
an der höh. Mädchenschule in Wesel, R. Hagenbuch.
Die Frequenz steigerte sich im Schuljahr 1887/88 auf
412 Schülerinnen, die von 12 ordentlichen Lehrkräften
und 1 Hülfslehrerin unterrichtet wurden.
Wir haben nun die Anstalten, welche auf Grund der
allgemeinen Volksbildung die Erhöhung des Wissens und
Könnens nach den verschiedensten Richtungen mit ab-
weichenden Zielen sich zur Aufgabe stellen, durchlaufen :
überall sehen wir die erfreulichste Blüthe, freudiges
Weiterstreben zur menschenmöglichen Vollkommenheit.
Nicht minder angenehm wird uns die Schau über die
Anstalten sein, welche die für alle Bürger des Staates
ohne Ausnahme nöthige Bildung erzielen wollen. Die
Elementarschulen verdanken, wie alle Schulen, ihre eigent-
liche Entwickelung dem 19. Jahrhundert. Was wir früher
288 Entwickelung dta Sehulwegens zu DÜMtldorf.
finden^ sind nur Anfänge , die mehr oder weniger den
Keim des Fortschritts in sich bergen. Nach Ausweis der
Ordnung der Frohnleichnamsprocession vom Jahre 1807
waren in Düsseldorf folgende katholische Schulen vor-
handen: 1) die Armenschule, 2) die Privatschulen von
Kneip u. s. w., 3) die öffentliche Max- aind Lambertus*
Pfarrschule. Die letztere ist von allen Schulen ohne
Zweifel die älteste: an sie schloss sich in der zweiten
Hälfte des 17. Jahrhunderts die durch die Ursulinerinnen
geleitete Mädchenschule, welche sich lange erhalten hat.
Die Armenächule, welche in der Processionsordnung ge-
nannt ist, mag aus der freien deutschen Schule, welche
lßU() der Herzog gründen wollte, hervorgegangen sein.
Alsl808die von den Franziskanern bediente Maxkirche
säcularisirt und 1805 zu einer Pfarrkirche eingerichtet
wurde, entstand aus der Winkelschule, die dieser Orden
schon im 18. Jahrhundert hielt, eine Pfarrschule, während
die Andreaspfarrschule erst bei Errichtung der Pfarre im
Jahre 1842 begründet wurde. Wie oben erwähnt, ging
letztere aus der von den Kreuzherren errichteten Schule
hei*vor, die zuerst im Kloster, seit 1812 in der Mülilcn*
Strasse sich befand. Um diese Zeit wird man auch zu
jeder Pfarrei die eingesessenen Armenschüler in einer
sogenannten Freischule vereinigt haben. Die letztere
Avar auch bei den Protestanten von der I. und II. BezirkB-
schule getrennt. Die übrigen in den sechsziger Jahren
bestehenden Schulen schlössen sich oft an die Pfarreien
an ; z. B. an die Bilker, Hammer, Oberbilker, Derendorfer.
Ausserdem bestanden noch die Neustädter, Volmers-
werther , Pempelfort - Flinger', Mörsenbroicher , Grafen-
berger und die jüdische Schule.
Später wurden folgende Schulen gegründet: 1) die
Kreuzschule (katb.) im Jahre 1870, 2) die Oberbilker (ev.)
Schule 1871, 3) Friedrichsstädter (kath.) 1875, 4) Friedrich»
Städter (ev.) 1875, 5) Bongardschule (kath.) 1875, 6) Karls-
schule (kath.) 1881, 7) Golzheimer Schule (kath.) 1882,
8) Hüttenschule (kath.) 1884, 9) Pempelforter Schule (ev.)
1884. Im Jahre 1883 wurden die bis dahin besteheAden
drei katholischen sowie die eine evangelische Freischule
aufgehoben und die drei ersteren mit den Pfarrschulen
zu je einer Knaben- bezw. Mädchenschule vereinigt, wfth*
rend die letztere nun als UI. Bezirksschule flgurirte.
1879 wurden die selbständigen Mädchenschulsysteme be*
seitigt und mit den Knabenschulen vereinigt, jedoch so,
dass damit die Trennung der Kinder nach Geschlechteim
nicht aufgehoben worden ist. Die jüdische Schule ist,
nachdem der Lehrer pensionirt worden war, 1877 ein-
»*:
EMwidßdunff det 8ekyho$$en8 zu Dünüäorf.
289
gegangen, die Kinder derselben besuchen seit dieser Zeit
die abrigen Volksschulen. Nach diesen Vorbemerkungen
stellt sich das Volksschulwesen, wie es heute besteht, am
besten in folgender Tabelle dar:
l.Lambertus- Schule mit 16 Klassen und 1115 Kindern,
Lambertusstrasse.
2. Andreas -Seh. m. 12K1. und 811 K., Andreas-u.Neubrück-
3.Max-Sch.
4.Kreuz-Sch.
5. Bongard^ch. „ 9 „
6. Karls -Seh.
» 12 „
» 13 „
7. Hotten -Seh. „ 8 ,
8. Friedrichs-
städt.kath.Sch. „ 14 „
9. Friedrichs-
städter ev. Seh. „ 14 „
n
955 ^ Citadellstrasse. [str.
744 „ Kreuzstrasse.
528 „ Bongardstrasse.
10. Evangelische
L Bez.-Sch.
11. Evangelische
» 6,
n.Bez.-Sch. „ 9 „
12. Evangelische
m. Bez.-Sch. „ 6 „
13.Neustadt.Sch. „ 14 „
14. Bilker Schule „ 13 „
15. Hammer Seh. „ 5 „
16. Volmers-
werther Seh.
1 7. Oberbilker
I. Bez. -Seh.
18. Oberbilker
n. Bez. -Seh.
19. Oberbilker
evang. Seh.
20. Pempelforter
ev. Schule
21.Flinger-Seh. „ 16 ,j
22. JDerendorfer
Schule
2B. Golzheim.Seh.
24. Mörsen-
broieherSeh. ^ ^ n
25. Qrafenb. Seh. ,, 3 „
28. Hilfsschule für
schwach-
begabte Kind, n 1 n
n ^ r>
, 14 „
, 23„
» 10,
» ^ T)
» 12,
n * n
n
n
ff
ff
ff
ff
ff
ff
ff
881 „ Karlstrasse.
576 „ Hüttenstrasse.
1004 „ Thalstrasse.
1021 „ Kirchfeldstrasse.
423 „ Bilkerstrasse.
589 ^ Bismarckstrasse.
453 „ Ratingerstrasse.
988 „ Fürstenwallstrasse.
904 „ Martinstrasse.
324 „ Hamm.
201 „ Volmerswerth.
1008 „ Hildener u.Stoffelerst.
1630 „ Eller- u. Höhenstr.
673 „ Kölnerstr.
358 jf Qrafenberger-
1162 y, Lindenstr. [Chaussee.
846 „ MOnsterstr.
482 „ Kaiserswertherstr.
245 „ MOrsenbroieh.
233 „ Grafenberg.
31 . Kreuzstr.
Summa in 262Kl.sindl8215Kinder.
19
290 En f Wickel nug dea Schulwesens zu Dlisseldwrf,
Zu diesen 26 Volksschulen kommen noch die Schulen
der Anstalten Düsselthal und Zoppenbrück, die erstere
mit 2 Klassen und 119 Kindern, die letztere mit 1 Klasse
und 32 Kindern. Bei der israelitischen Gemeüide ist
ausserdem eine sogenannte Religionsschule eingerichtet:
an dieser wirken 3 Lehrer. Die unter Nr. 26 bezeichnete
Hilfsschule für Schwachbegabte Kinder entspricht emem
dringenden Bedürfniss, denn sie gewährt die Möglichkeit,
dass diejenigen, welche in einer Volksschule nicht recht
vorankommen und nur ein Hemmschuh, oft ein Gegen-
stand des Spottes für die anderen sind, bei langsamem
Fortschreiten doch noch die nothwendigsten Kenntnisse
sich verschaffen und so nicht völlig für die menschliche
Gesellschaft verloren gehen. Dem Wächsthum dieser
Schule steht allerdings die falsche Scheu der Eltern ent-
gegen, ihr Kind einer solchen Schule anzuvertrauen und
damit zuzugeben, dass dasselbe zu den Schwachbegabten
gehöre. Indessen wird sich hier auch die Einsicht Bahn
brechen, dass mit dem Besuch einer eigens für solche
Kinder eingerichteten Anstalt den Interessen derselben
mehr gedient ist, als sie jahrelang nutzlos die Elementar-
schule besuchen zu lassen. Die Einrichtung der sonst an-
geführten Volksschulen ist so conform allen andern, dass
wir es uns hier ersparen können, näher auf den Lehrplan
einzugehen. Sämmtliche Schulen sind derselben Leitung,
nämlich der Stadtschulinspection, welche zuerst Dr. Heyer,
nach dessen Tode dem früheren ordentlichen Lehrer der
Louisenschule, Kessler, übertragen wurde, unterstellt.
Auch auf dem Gebiete des Volksschulwesens sehen wir
eine mit dem Anwachsen der Bevölkerung fortschreitende
EntM'ickelung : fast in jedem Jahre finden Neugründungen
oder Erweiterungen der grossen Schulen statt; dies zeiget,
dass die Stadt über der Sorge für das höhere Schulwesen
den Werth der Volksbildung nicht verkennt. Das Bild,
welches uns dieser Zweig des Unterrichtes in Düsseldorf
entrollt, ist zwar einfacher, aber nicht minder grossartig^
als die Vielseitigkeit des höheren. Es wird hier eine
passende Stelle für eine Uebersicht sein, welche die
Lehrer-, Klassen- und Schüler-Zahl sftmmtlicher Anstalten
Düsseldorfs enthält.
1. Kunst-Akademie mit L-)Lehrpers.l3Kl. 148Schmeru
2. Kunstgewerbesch. „10 ^ 8 ^ 249 „
;}. Fortbildungssch. .,25 „ 16 „ 492 ,,
4. Gymnasium „ 32 „ 19 „ 595 „
5. Realgynmasium „32 „ 19 „ 586 „
112Lehrpers.75Kl. 2070Schttlern
Ehtfcichelung des Sehtüweaens zu DOsaeldorf. 291
Uebertrag: 112 Lehrp. 75K1. 2 070 Schülern
6. Höh. Bürgersch. mit 20
77
13«
474
77
7. Luisenschule ^ 20
77
13 „
323
71
8. Friedrichsschule „ 7
77
^v
80
77
9. Marienschule „ 17
77
10 „
239
71
10. Ursulinerinnensch. „ 10
77
10«
157
77
11. Schubackschule „ 14
77
10 „
172
77
12. Städtische Bürger-
Mädchenschule ^ 13
77
10 „
419
77
13. Volksschulen „ 265
77
265 „
18366
77
Zahl in sämmtl. Anstalten 468 Lehrp. 411E1.22303Schülern.
Diese Angaben, welche dem zuletzt beendigten Schul-
jahr entnommen sind, können natürlich nicht auf dauernde
Gültigkeit Anspruch machen, aber sie geben uns ein
beletu*endes Bild von der Entwickelung des Schulwesens
in unserer Stadt. Dies wirkt eindringlicher, wenn wir
uns in kurzen Zügen den Entwickelungsgang von Anfang
bi^ zum heutigen Standpunkte vergegenwärtigen. Vor
600 Jahren existirte nur die bei der Stiftskirche befind-
liche Pfarrschule, bis 1392 eine Trivialschule, welche
wohl meist zur Ausbildung der Kleriker und der Beamten
bestimmt war, dazu trat. Wie beide Anstalten einer
Aufsicht, nämUch der des Scholasticus, unterstanden, so
werden sie aueh räumlich in demselben Gebäude unter-
gebracht worden sein. Die Trivialschule erhielt 1545 eine
humanistische Richtung durch Gründung der Monheim-
schen Anstalt, aus deren Trümmern 1620 eine Jesuiten-
schule hervorging. Kurz vorher errichtete die pro-
testantische Gemeinde eine Lateinschule mit protestan-
tischem Character. Im 17. Jahrhundert übernahmen ein-
zelne Orden den Unterricht, besonders des weiblichen
Geschlechts, andere, z. B. die Franziskaner, legten eine
Winkelschule an und führen nach Aufhebung des Jesuiten-
ordens die theologischen Vorlesungen weiter. Aus dem
Kreise der Laien traten Personen hervor, welche juristische,
medicinische oder sonstige, das Studium der Universität
ersetzende Vorträge halten. Für die Armenkinder werden
Schulen eingerichtet, um sie an bessere Zucht zu gewöhnen :
sie werden verpflichtet, den religiösen Uebungen in der
Max- und Andreaskirche beizuwohnen. 1767 wird die
Kunst- Akademie gegründet und so ein ganz neues Gebiet
des Unterrichts eröffnet Die Säkularisirung der Ordensgüter
durch den Reichsdeputationshauptsehluss vernichtet mit
wenigen Ausnahmen die Einrichtungen des Mittelalters.
Es ist natürlich, dass in den Zeiten der politischen Um-
wäLsungen die Unterrichtsanstalten am meisten leiden und
292 E^tcickelung des Schulwesens zu Düsseidoff.
oft ihre Thätigkeit ganz einstellen müssen. Die Lambertus-
Pfarrschule ist wohl ohne Unterbrechung fortgeführt worden^
an diese schloss sich 1805 bei Gründung der Maxpfarre
die Elementarschule für diesen Bezirk; im selben Jahre
wurde die alte Jesuitenschule unter dem Namen eines
Lyceums eröifhet, daraus hat sich das heutige Königliche
Gymnasium entwickelt. Die juristischen Vorlesungen
setzen sich noch einige Jahre fort und hören allmäUg
ganz auf. Die Kunst-Akademie ist durch den Verlust der
Gallerie sehr geschadigt und fristet nach Weggang der
Lehrer ein kümmerliches Dasein, bis unter Preussens
Herrschaft auch für sie die Stunde der Wiedergeburt
schlägt. 1837 legte man den ersten Grund zur heutigen
Luisenschule mit protestantischem Character^ während
die Erziehung katholischer Mädchen hauptsächlich in der
Hand der Ursulinerinnen und einiger Privatanstalten lag.
1838 wurde das Realgymnasium, 1842 die Andreaspfarr-
schule, 1872 die höhere Bürgerschule, 1877 die Friedrichs-
schule als Filiale der Luisenschule, 1878 die städtische
Bürgermädchenschule, 1880 die Marienschule, 1883 die
Kunstgewerbeschule gegründet. Zugleich wurden zu den
bestehenden Volksschulen seit 1870 zahlreiche Schul-
systeme hinzugefügt. Wir bemerken hieraus leicht, dass das
Leben auf dem Gebiete des Unterrichtes um so stärker
pulsirt, je näher wir der Gegenwart kommen.
Rasblos wie die Zeit ist auch das unaufhörliche Fort-
schreiten im Unterrichtswesen, und fast täglich entstehen
Bedürfhisse zu Aenderungen in bestehenden Einrichtungen
oder zu Neubildungen, die, wenn sie auch nicht das Leben
der Schule berühren, dennoch in gewisser Weise in den
Gang des Unterrichtes eingreifen. Aus kleinen Schulen
ist ein Aufbau von Klassen entstanden, die kaum von
den einzelnen Dirigenten übersehen werden können.
Ebenso ist der Lehrstoff, den Bedürfhissen der Gegenwart
entsprechend, ausgedehnter und vielseitiger geworden.
Dies sind Schattenseiten, welche sich einerseits aus dem
wachsenden Bedürfniss nach Bildung, das sich immer
grösserer Gesellschaftskreise bemächtigt, andererseits aus
den Ansprüchen, welche die Cultur an die jetzt lebenden
Menschen stellt, leicht erklären lassen. Wie derjenie;^e,
welcher sich gegen die Fortschritte der Wissenschaft und
Kunst ablehnend verhielte, hinter seiner Zeit zurückbliebe,
so würde auch die Stadt, welche dem Drange ihrer He-
wohner nach Unterweisung auf den Gebieten des Wissens
und Könnens nicht Rechnimg trüge und entgegenk&me,
sich zur weiteren Entwickelung unfähig machen. Diese
Einsicht ist heute so allgemein verbreitet, dass man ger&de
EtUwiekeiung des Sehulteesens zu Düsseldorf. 293
in den aufstrebenden Städten auch eine erfreuliche Blüthe
der Schulanstalten wahrnimmt. In Düsseldorf ist schon
vieles geschehen, aber die Zukunft wird noch manches
als der Vervollständigung oder Umänderung benöthigt
hinstellen, was jetzt uns als fertig erscheint Bei den
Volksschiüen ist eine Erweiterung der Schulsysteme ein-
fach. Bei den höheren Lehranstalten aber zeigt sich das
Bedttrftaiss nicht so schnell und klar. Es vergehen meist
Jahre, ehe sich ein Verlangen der Bewohner nach einer be-
stimmten Lehranstalt so deutlich darstellt, dass die Behörde
durch Errichtung derselben dem allgemeinen Wunsche
nachkommen muss. Dann ist es natürlich, dass solche
Anstalten sich sofort nach ihrer Gründung einer grossen
Blüthe erfreuen. Daher dehnt sich die höhere Bürgerschule
so schnell aus, dass man schon bald an die Eröffnung
einer ähnlichen Anstalt im nördlichen Stadttheile wird
denken müssen; so ist das aus dem Realgymnasium her-
vorgegangene städtische Gymnasium schon jetzt die Haupt-
anstalt, während die reale Bildung weniger gesucht wird.
Wenn es gestattet ist, am Schlüsse dieser Zeilen einen
Blick in die Zukunft zu thun und die Frage zu beant-
worten, welche Anstalten in Düsseldorf das 700jährige
Jubiläum der Stadt feiern werden, so glaube ich, dass
die Zahl der Gynmasien und höheren Bürgerschulen sich
nach dem Anwachsen der Bevölkerung vermehren wird,
während das Realgymnasium wegen der Concurrenz beider
geringe Gewähr für dauernde Blüthe bietet. Freilich wird
das Gynmasium sich noch manche Veränderungen gefallen
lassen müssen, ehe es seine Laufbahn mit Ruhe ver-
folgen kann.
Die Bürgerschaft zu Düsseldorf hat ihr Interesse für
die Unterweisung ihrer Jugend, wie aus den Urkunden
des 16. Jahrhunderts hervorgeht, schon zu Zeiten kund
geg^eben, wo man anderswo eine Erkenntniss von dem
Werth des Unterrichtes vergeblich sucht. Allerdings
spielte damals neben dem Beweggrund des idealen
Zweckes auch der materielle Vortheil, nämlich durch
eine gute Schule auswärtige Schüler anzuziehen und
dadurch für den Stadtbewohner Gelegenheit zu Verdienst
zu geben, eine nicht unwichtige Rolle. Heute fällt dieser
auf den Nutzen gerichtete Beweggrund fort; denn für
eine grosse Stadt können die Schüler, die etwa von
aussen kommen, keinen Einfluss auf EntSchliessungen
haben, welche sich auf Gründung oder Einrichtung von
Schulanstalten beziehen. Jetzt herrscht nur das eine
Streben vor, die Einwohnerschaft durch Unterweisung
und Erziehung auf der Höhe der modernen Kultur zu
294 Entwickelung des Schulwesens zu Düsseldorf'.
erhalten und sie zur verständnissvollen und thätigen
Theilnahme an allen Ereignissen der Gegenwart und an
den Ergebnissen der Wissenschaft und Kunst zu befugen.
Wie endlich nur der Staat, welcher die Fortschritte
auf dem Gebiete des Schulwesens mit wachsamem Auge
verfolgt und die als besser anerkannten Einrichtungen
energisch einführt, seine Machtstellung behaupten kann,
so wird auch die Stadt am meisten bltlhen und weiter
gedeihen, welche dem Schulwesen eine sorgsame Pflege
zu Theil werden lässt. Düsseldorf braucht heute den
Vergleich mit andern Städten in Bezug hierauf nicht zu
fürchten; wir wünschen, dass seine Bewohner auch bei
der 700jährigen Jubiläumsfeier auf ihre Schulen mit der-
selben Freude und Befriedigung blicken können, mit
welcher den nachsichtigen Leser diese kurze Umschau
erfüllt haben dürfte.
a) Zur Geschichte der bildenden Kunst in Düsseldorf.
Von
B. Daelen.
it dem Jahre 1888 hat Düsseldorf ein weiteres,
das sechste Jahrhundert seit seiner Erhebung
zur Stadt zurückgelegt. Ein Rückblick auf
dieses letzte Säculum zeigt, dass dasselbe eine
bei weitem tiefgehendere Umwandlung im
ganzen Wesen der Stadt mit sich gebracht hat, wie irgend
eines der fünf vorangegangenen. Das Hauptmotiv zu
dieser Thatsache liegt in dem Umstände, dass Düsseldorf
in dieser Zeit eine Kunststadt von hoher Bedeutung ge-
worden ist. Das hat dem letzten Jahrhundert im Leben
der Stadt seine Signatur, seinen eigentlichen Charakter
aufgeprägt, ihm dadurch eine unberechenbare Wichtig-
keit verleihend. Heute, da die Düsseldorfer Kunst wie
ein mächtiger Baum in üppigster Bluthe prangt, ist es
wohl von Interesse, in der Erinnerung noch einmal ihrer
Entwickelung von den ersten Keimen an nachzugehen.
Der Anfang der Entstehung verliert sich wie bei allen
Dingen in's Dunkle, Unerforschliche. In den ersten Jahr-
hunderten des Bestehens der Stadt scheint die Kunst-
Qbung in ihren Mauern keine hervorragende gewesen za
sein. Wenigstens fehlen darüber so gut wie alle Nach-
i-ichten, und der Forscher könnte hier auch mit dem
Famulus Wagner seuföen: „Wie schwer sind doch die
Mittel zu erwerben, durch die man zu den Quellen steigt."
Was in jener Zelt von Kunstwerken in Düsseldorf
zur Aufstellung kam, in den Kirchen oder im Schlosse,
war hauptsächlich von auswärtigen Künstlern verfertigt:
so die unter dem Namen das Kreuz beka>nnte, vor der
Lambertikirche an der Xordseite errichtete steinerne
Gruppe des gekreuzigten Heilandes, zu beiden Seiten die
296 Zur Geschichte der hildenden KwnH in DÜ9$M4nf.
mitgekreuzigten Schacher, unterhalb Maria, Johannes und
der römische Hauptmann, ein werthvolles Denkmal der
damaligen Zeit mit ihrer Auffassung voll naiver Innig-
keit, welches im vergangenen Jahre leider einer modernen
Arbeit hat weichen müssen, ungefähr derselben Zeit,
dem fünfzehnten oder dem Anfang des sechzehnten Jahr-
hunderts, entstammt auch das Bildwerk des h. Christo-
phorus, das Christuskind durch den Fluss tragend, im
Innern der Lambertikirche ; dem Ende des sedizehnten
Jahrhunderts das ebendaselbst vorhandene prunkvolle
Denkmal, welches dem Herzog Wilhelm V. von seinem
Sohne Johann Wilhelm I. errichtet und von einem
italienischen Künstler verfertigt wurde.
Als ein Begebniss von Bedeutung aus der frühesten
Zeit der Düsseldorfer Kunst ist es erwähnenswertfa, dass
der berühmte Meister Hans Holbein 1539 einige Zeit in
Düsseldorf weilte und im Auftrage des Königs Heinrich Vill.
von England das Bildniss der Prinzessin Anna, der Tochter
des Herzogs Johann HI. (1511 — 1539) malte. Der Meister
war von dem englischen Minister mit Weisung versehen
und zauberte von der Prinzessin ein Bild auf die Leine-
wand, das den König in Entzücken versetzte und ihn
sofort zum Abschluss der Verlobung bewog. Beim An-
blick des Originals in persona war er nachher dann
allerdings so enttäuscht, dass er sofort Unausstürzte und
eine Fluth von Schimpfnamen (wie „grande cavale de
Flandre^ etc.) in sehr unkbniglicher Weise über die arme
Braut losliess. Eine prachtvolle Pergamenturkunde, die
Ehepackten enthaltend, ein Meisterwerk der Kalligraphie
mit Miniaturen und Initialen, welche dem kunstreichen
Pinsel Holbetns zugeschrieben werden, befindet sich auf
dem Düsseldorfer Provinzial-Archiv.
Schon um die Mitte des sechzehnten Jahrhunderts,
also im dritten Geburtsjahrhundert der Stadt, soll dieselbe
nach älteren Chronisten eine berühmte Kunststadt, die
seit 1545 eine Malerschule besass, gewesen sein. Doch
wird bei dieser Behauptung wohl etwas lokalpatriotische
Färbung mitwirken, denn ganz abgesehen von den wirk-
lich bedeutenden Kunststädten aus jener Zeit wird damals
Düsseldorf auch einen Vergleich mit seinen niederrhei
nischen und westfälischen Nachbarinnen, am wenigsten
beispielsweise mit Köln und seiner Malerschule oder selbst
mit dem kleinen Calcar und seinem bedeutenden Meister
schwerlich haben aufhehmen können. Scheinen seine
Künstler sich zunächst doch nur im Porträtfach, weniger
dagegen in freigeschaffenen Compositionen hervorgetbasi
zu haben. Namentlich auf jenem Gebiete taucht denn
I*"-- »-— >
Zur Getehiehte der bildenden Kunst in Düseeidorf, 297
auch zuerst ein EOnsÜername mit einem gewissen Klang
aus dem Dunkel der Lokalgeschichte auf.
Als Rathsverwandter der Stadt Düsseldorf und aus
guter alter Ddsseldorfer Familie abstammend, stand der
Maler Spielberg in Diensten des Herzogs Johann Wilhelm
von Jülich-Cleve-Berg und genoss bei diesem hohe Ehren.
Er malte in Oel und auf Olas. Sein Bruder Gabriel
Spielberg war Hofmaler des Königs von Spanien. Mehr
Bedeutung erlangte sein Sohn Johann Spielberg,
zu Düsseldorf geboren (1619—1690). Er erhielt seine
Ausbildung zimilchst in der Düsseldorfer Schule, die zum
grössten Theil wohl eine wissenschaftliche Anstalt war,
und durch den ergänzenden Unterricht seines Vaters.
Auf sein sich früh entwickelndes Talent aufinerksam ge-
worden, sandte ihn der Herzog Wolfgang Wilhelm mit
einem Empfehlungsschreiben an den ihm befreundeten
Peter Paul Rubens, dem der Herzog einst in Madrid, wo
der berühmte Maler als Gesandter der Niederlande weilte
und eines Tages durch einen Volksauflauf ernstlich be-
droht wurde, bei dieser Gelegenheit durch schnelle Ent-
führung das Leben gerettet hatte. Während Spielberg
auf der Reise nach Antwerpen begriffen war, starb Rubens
und nun ging der junge Künstler zu dem berühmten
Govert Flink, bei dem er seine vollständige Ausbildung
erhielt. Von seinem Gönner und Mäcen, Herzog Wolfgang
Wilhelm, zum Hofmaler ernannt und nach Düsseldorf
zurückberufen, malte er hier zahlreiche Porträts, sowie
mehrere Historienbilder, u. A. ein grosses Altarbild für
die Kirche zu Roermonde, für das Schloss zu Düsseldorf
die Thaten des Herkules etc.
Unter seinen Eandern zeichnete sich seine Tochter
Adriana Spielberg (1650 geb.) sowohl durch Oelbilder
wie namentlich auch durch Zeichnungen in Kreide und
PasteU aus. Sie verehelichte sich mit einem tüchtigen
Künstler, Wilhelm Breckvelt, einem geborenen Düssel-
dorfer, und nach seinem bald erfolgten Tode zum zweiten
Male mit dem berühmten Landschaftsmaler Eglon
van der Neer (1643 — 1703), der auch bereits zweimal
verheirathet gewesen und in seiner eigenen Familie eine
kleine Kunstschule mit nach Düsseldorf brachte. Ausser
dem Porträtfach wurde durch letzteren nun auch bereits
die Landschaftsmalerei heimisch in Düsseldorf.
Obwohl Düsseldorf schon seit langer Zeit eine Resi-
denzstadt regierender Fürsten war, so wählte sie nach
der Gepflogenheit der damaligen kleinstaatlichen Regenten
zunächst doch keiner der Herrscher zum beständigen
Aufenthalt. Noch Herzog Philipp Wilhelm residirte ab-
298 Zuf öeachichfe der bildenden Kunst in Düsseldorf,
wechselnd hier, zu Neuburg und Heidelberg. Erst sein
Sohn Kurfürst Herzog Johann Wilhelm, zu Düsseldorf am
19. April 1658 geboren, zeigte eine grosse Vorliebe für
seine Geburtsstadt und wählte sie zur bleibenden Residenz.
Unter seiner glanzvollen Regierung entwickelte sich die
bis dahin kleine Stadt zu einer mächtig blühenden Pracht-
entfaltung und jetzt beginnt sie auch in der Kunst eine
grössere Bedeutung zu gewinnen. Schon in seiner Jugend,
namentlich während eines Aufenthaltes in Italien am
medicäisehen Hofe, hatte Johann Wilhelm das Studium
der Kunstgeschichte und der schönen Künste mit Be-
geisterung gepflegt. Als er 1691 nach dem Tode seiner
ersten Oattin eine zweite Ehe mit der kunstsinnigen und
heiteren Erbprinzessin von Toscana, Anna Maria Loisia,
einer Tochter des Grossherzogs Cosmos III., einging und
dadurch auch seine Kunstliebe immer reichere Anregung
erhielt, reifte in ihm der Plan, in einer umfangreichen
Gallerie Werke der bedeutendsten Meister zu sanamein.
Ausser durch seine Gemahlin und schon vor seiner Ver-
ehelichung wurde er zu jenem Unternehmen am meisten
durch den Maler Douven angeregt und durch ihn in seinen
Bestrebungen aufs eifrigste unterstützt. Johann Franz
Douven, geb. zu Roermonde (1656 — 1727), später Chevalier
van Douven, wurde von Johann Wilhelm, der seine Werke
sehr schätzen gelernt hatte, 1682 zum Hofmaler ernannt
und bürgerte sich seit dieser Zeit in Düsseldorf vollständig'
ein. Er erwarb sich als fürstlicher Porträtmaler einen
hohen Ruf und malte eine grosse Anzahl gekrönter Häupter,
so den Kaiser und die Kaiserin von Oestreich, den Köni^
und die Königin von Dänemark, den König von Spanien
(während seines Aufenthaltes in Düsseldorf vom 16. bis
zum 27. Oct. 1703) u. A., im Ganzen drei Kaiser, drei
Kaiserinnen, fünf Könige, sieben Königinnen und eine
lange Reihe Fürsten und Prinzen; sowie hervorragende
Zeltgenossen. Als vertrauter Rathgeber und Liebling
seines hohen Gönners Johann Wilhelm suchte er in
uneigennützigster Weise dessen Sammlerfleiss zu nähren
und auf eine Vereinigung von Kunstwerken nach Schulen
und Richtungen zu einem geordneten Ganzen zu leiten.
Nach dem Tode seines Vaters (1690) gelangte Johann
Wilhelm in den Besitz der herrlichen Kunstsammlung'en
seiner Ahnen,, namentlich seines kunstsinnigen Grossvaters
Wolfgang Wilhelm. Von ihm, dem Freunde und Lebensretter
des Malerfürsten Rubens, hatte er wohl auch die begeisterte
Verehrung und Sympathie für den grossen Meister geerbt
und es heisst desshalb wohl nicht mit Unrecht, dass Johann
Wilhelm vor den gewaltigen Kunstwerken desselben den
Zur Oesehiehie der büdeiiden Kun$t in DÜBaeldarf. 299
ersten Impuls empfing zu dem grossartigen Plan, dessen
Ausführung eine Hauptthat seines wirkungsreichen Lebens
bildet, die Errichtung der weltberühmten, herrlichen
Düsseldorfer Gemftlde-Gallerie. In den genialen Rubens-
schen Schöpfungen liegt ein so von edler Leidenschaft
durchglühter und zu hoher Begeisterung fortreissender
erhabener Schwung, dass es leicht erklärlich ist, wie
unter ihrer Einwirkung ein jugendlich schwärmerisches
und empfängliches Gemüth zu der enthusiastischen Kunst-
liebe entflammt wird, welche zu der Lösung einer so
grandiosen Aufgabe entschieden erforderlich ist.
Wenn man bedenkt, welch eine Wichtigkeit und Be-
deutung die Ausführung jener Idee Johann Wilhelms für
die ganze fernere Entwickelung Düsseldorfs gewonnen
hat, so kann man ahnend ungefähr abwägen, wieviel
diese Kunststadt dem gewaltigen Genius des grossen Nieder-
länders zu verdanken hat.
Seiner Neigung entsprechend richtete Johann Wilhelm
zunächst sein Augenmerk darauf, in den Besitz Rubens-
scher Werke zu gelangen und mit ihnen das Fundament
zu der Sammlung zu legen. Gleich nach seinem Re-
gierungsantritt liess der Fürst aus seinen Schlössern der
verschiedenen Residenzen, so aus Neuburg und auch aus
der dortigen Kirche allmälig die geeigneten Meister-
werke nach Düsseldorf überführen. Bezeichnet werden
speciell von Rubens Werken „Niederlage der Amazonen
am Thermodon", „Die Märtyrer**, „Das Weltgericht" und
„Die Himmelfahrt Maria**, welch letzteres Bild wegen
seiner grossen Dimensionen hier nur in der Stiftskirche
placirt werden konnte und in der That zu dem Plan
eines neuen geräumigen Gallerieauf baues in der Folge
den Anstoss gegeben haben soll. Auch im weiteren Ver-
lauf bat dieses letztere Bild eine speciell für Düsseldorf
interessante, ereignissreiche Geschichte. Ist es doch
das einzige Werk von Bedeutung, welches aus dem über-
reichen Schatz der alten Gallerie der Stadt bis auf den
heutigen Tag erhalten worden ist in einer manchmal
an das Wunderbare grenzenden Weise, so bei den mehr-
fachen Entführungen der Gallerie und bei dem letzten
g^rossen Brande des alten Schlosses. Schon diese Ver-
gangenheit verleiht dem Bilde einen besonderen Reiz;
vornehmlich aber auch wogen seines hohen Eunstwerthes
wäre es wohl zu wünschen, dass ihm ein Platz ange-
wiesen würde, wo seine hehre, lichtvolle Schönheit nicht
nur einzelnen Bevorzugten, sondern Allen mit Leichtig-
keit zugänglich gemacht wäre und vor allem nach Ge-
bilhr gewürdigt werden könnte.
300 Zur Oeschiehte der bildenden Kunst in DOueldarf.
Hatte Johann Wilhelm eine besondere Vorliebe fUr
die Kunst der Niederländer, so wusste er doch auch die
grossen Italiener nach ihrem vollen Werth zu schätzen
und war jedenfalls hocherflreut, als seine zweite Gemahlin
Anna Maria Loisia von Medici nebst einer Mitgift von
Millionen Gold auch bedeutende Eunstschätze aus ihrem
damit so gesegneten Heimathlande nach Düsseldorf brachte
und fortan ihren Gemahl in seinem grossartigen Unter-
nehmen, eine hochbedeutende Eunstanstalt zu errichten, aut
das Eifrigste unterstützte. Ausser im Sammeln von Kunst-
werken, zu deren Ankauf vertraute und bewährte Kunst-
kenner ausgesandt wurden, wetteiferte das Fürstenpaar
jetzt auch in der Berufung berühmter Meister, welche zum
Theil, wie Douven, nun ihren ständigen Wohnsitz wählten,
zum Theil wenigstens längere Zeit in Düsseldorf wirkten.
Der grössten Gunst des prunkliebenden Hofes erfreute
sich besonders Adrian van der Werff, geboren im
Kralinger Amt bei Rotterdam (1659—1722). Als Johann
Wilhelm 1696 nach dem Haag kam, besuchte er auch
van der Werff zu Rotterdam, kaufte verschiedene seiner
Bilder und bestellte ihm noch einige andere mit der
Weisung, nach Vollendung dieselben in Person nach Düssel-
dorf zu bringen. Als der beglückte Künstler im folgenden
Jahre sich dieses ehrenvollen Auftrages entledigte, erwarb
er sich damit so sehr die Zufriedenheit des C^urftlrsten,
dass dieser ihn auf sechs Monate des Jahres gegen ein
Gehalt von 4000 Gulden holländisch in Dienst nahm.
Seit dieser Zeit blieb van der Werff dauernd in naher
Beziehung imd Verbindung zum Düsseldorfer Hofe sowie
auch zur Stadt. Viele seiner besten Werke fanden Auf-
nahme in der neugegründeten Gallerie und wenn dieselben
auch heutzutage wegen der ihnen anhaftenden SüssUchkeit
und Gelecktheit nicht mehr die übertriebene Würdigung
finden, welche ihnen zur Zeit ihrer Entstehung zu Theil
wurde, so dürfen sie immerhin doch als eine Zierde der
glänzenden Sammlung betrachtet werden i).
Die feierliche ErOffhung der Gallerie, deren kunst-
gerechte Anordnung hauptsächlich durch die Meister
1) DasH übrigens auch zu, jener Zeit nicht Alle so beffeisterte
Verehrer der van der Werff' sehen Mose waren wie der Cbnrfürst,
zeigt sich schon in folgender Beurtheilung eines Zeitgenossen, welcher
schreibt: „ein Maler, der zwar durch seine Werke einen grossen
Ruhm erworben, aber dennoch sie mit einer so' peinlich gezwungenen
SorgfHitigkeit ausgeführt hat, wie die Michel Aneelo, die Raphael,
die Titian von ganzem Herzen verabscheuten. Ueberlasset, sagten
diese grossen Genies, diese kindischen Spielereien den Flämingem,
welclie nichts als Sclavenarbeit thun, weil ihre Raltsinnigkeit uner-
schöpflich ist.** —
Zur Geschichte der bildenden Kunst in Düsseldorf. 901
Douven und van der Wertf bewerkstelligt worden war,
erfolgte 1710 und Tausende von Bewunderem strömten
nun durch die fQnf prachtvollen Säle in der Beletage
hochcntzQckt von dem Anblick des wundervollen Farben-
zaubers. Einer der Säle war vollständig mit Rubens'schen
Meisterwerken angefüllt, ein anderer enthielt fast nur
solche van der Werifs; auch Rembrandt und Gerhard
Dow fanden sich sehr reich vertreten. Im ersten Saal
(der Niederländer) hing oben an das prächtige Bild von
bouven „Churfttrst Johann Wilhelm hoch zu Ross in
voller Rüstung, mit freundlichem Antlitze seinem Volke
Frieden und den Künsten Schutz verkündend.^ — In zwei
Sälen des Erdgeschosses waren die Modelle der erhaben-
sten Statuen und Antiken Italiens .enthalten. Jene so
zaJilreiche und herrliche Gemäldesammlung bildete nur
einen Theil der unschätzbaren Exmstkammer, zu welcher
der Sammleiüeiss und die Kunstliebe des Churfürsten mit
ausserordentlichem Kostenaufwande das Düsseldorfer
Schloss umzugestalten wusste. Auch beschäftigte Johann
Wilhelm ausser den beiden genannten, vorzugsweise unter
den Strahlen seiner Gunst lebenden Künstlern noch eine
grosse Anzahl von Künstlern und Künstlerinnen in seinem
Dienste. Von niederländischen Künstlern werden hervor-
gehoben Jan Weening (1644 — 1 7 1 9), ein Bildniss-, Thier-
und Blumen-Maler von Amsterdam, Anton Schoonians
aus Antwerpen (1653— 1726), durch genaue l^enntniss und
glückliche Anwendung des Halbdunkels berühmt, wohnte
bis zum Tode Johann Wilhelms in Düsseldorf und malte
für die Gallerie sieben Bilder; Gottfried Schalken
aus Dortrecht (1643 — 1706), besonders durch seine Nacht-
stücke mit grellem Lichteffect berühmt, wohnte in Düssel-
dorf auf der Flingerstrasse und malte vier Bilder für die
Gallerie; Johann van Kessel aus Antwerpen (1644 — 1708)
malte während mehrerer Jahre verschiedene Decorationen
im Schlosse; Hermann van der Meyn aus Amster-
dam, der drei Blumenstücke und Jan van Nickelen,
der zwei Architekturbilder für die Gallerie verfertigte;
femer des letzteren Schwiegersohn Wilhelm Trost>
ein tüchtiger Porträtmaler, sowie seine Tochter Jacobe
Maria van Nickeln, eine talentvolle Blumen- und
Früchtemalerin und ihr ebenbürtig zur Seite die Amster-
damer Malerin Rachel Ruysch, die auch verschiedene
Aufträge des Churfürsten in Düsseldorf ausführte.
Von italienischen Malern, die längere oder kürzere
Zeit in Düsseldorf lebten, werden genannt Antonio
Bellucci aus Venedig (1654 — 1716), von dem sich drei
Bilder in der Gallerie befanden; Antonio Pellegrini
309 Zur Gesehiehte der hildtnden Kunst in DüssMorf.
aus Padua (1675 — 1741) malte Bilder und Deckengemälde
in Düsseldorf, so namentlich einen englischen Gruss in der
Gamisonkirche für den Hauptaltar und die Decken (bis
1840 daselbst befindlich); Domenico Zanetti, Historien-
maler; sodann der Freskomaler Antonio Bernardi aus
Bologna, Antonio Milanese, Architektur- und Perspectiv-
maler; femer zwei Emaillemaler, vier andere Miniatur-
maler und noch zwei Elfenbeinschnitzer.
Eine sehr hervorragende Persönlichkeit des damaligen
Eunstlebens in Düsseldorf war der Bildhauer, spätere
Chevalier Grupello aus Mailand (1643—1730). Sein
Hauptwerk war die Bronzestatue des ChurfDr^ten. Wie
der Letztere in efflgie auf dem Douven'schen Gemälde
stolz und hoch zu Ross dem in die Gallerie Eintretenden
gewaltig imponirend entgegenritt, so sollte nun auch
auf dem Hauptplatz der Stadt, auf dem öffentlichen Markt,
sein in Erz gegossenes Bildniss jedem Beschauer, jedem
Besucher Düsseldorfs als hervorragendstes Wahrzeichen
seiner Sehenswürdigkeiten zu unvergesslichem Eindruck
in die Augen fallen. Bei dem kolossalen Ehrgeize Johann
Wilhelms war es wohl selbstverständlich, dass er in hohem
Masse die menschliche Schwäche besass, sich gerne
beweihräuchern zu lassen. Keine grössere Freude konnte
ilmi also jedenfalls gemacht werden, als indem ihm von
seinen Unterthanen in Stadt und Land als Zeichen der
Dankbarkeit für die Wohlthaten seiner Regierung, nament-
lich der Stiftung der Gallerie, jenes imposante Monument,
seine Reiterstatue, errichtet wurde. Und leicht erklärlich
ist es danach auch, dass er dem vortrefflichen Künstler,
welcher dasselbe so sehr zu seiner Zufriedenheit auszu-
führen verstanden hatte, Zeit seines Lebens eine ganz
besondere Muniflcenz angedeihen liess. Davon bringt
die Geschichte mehrfache augenscheinliche Beweise,
wogegen sie im Uebrigen über das Leben und Wirken
eines Künstlers von der Bedeutung eines Grupello auf-
fallend wenig authentisches Material liefert. Um so leb-
hafter hat sich der Volksmund mit seiner Person be-
schäftigt und weiss noch heutzutage eine Menge ganz
märchenhaft klingender Geschichten von ihm zu erzählen,
so dass er danach fast zu einer mythischen Figur ge-
worden ist.
Das Piedestal der Reiterstatue Johann Wilhelms ist
nicht nach dem ursprünglichen Project, welches noch
wesentlich grossartiger war, vollendet worden. NaoYi
diesem Entwurf waren bereits im Modell hergestellt Arier
grosse Löwen, zu deren Guss der ChurfQrst schon den
Befehl ertheilt hatte, sammt der Lapidarinschrift, welebe
Zur OescJiichte der bildenden Kunst in Düsseldorf, 303
das Piedestal zieren sollte ; in symbolischer Darstellung
wurden von diesen vier Löwen die vier Cardinallaster
Hoffart, Geiz, Neid und Völlerei unterdrückt. Ausser
jenem Standbild wurden von Qrupello eine hohe Pyramide
in Bronce sowie ein anmuthiger Springbrunnen mit Aktäon
und Diana nebst ihrer Umgebung, den lieblichen Nymphen,
welche auf dem Galleriehofe in Düsseldorf ihre Aufstellung
fanden, hergestellt. Ferner verfertigte er im Auftrage
Johann Wilhelms eine grosse Anzahl kleinerer Arbeiten,
wie Bronze- und Marmorstatuen, Porträts, Basreliefs, Modelle
2u biblischen Gegenständen, Heiligenbildern, Thier- und
Jagdstücken, Möbelverzierungen u. dergl. mehr.
Der auf dasGrossartige gerichtete Sinn Johann Wilhelms,
der sich in allen seinen Bestrebungen bethätigt hat, zeigt
sich vor allem auch in dem Project eines neuen kolossalen
Palastes, welcher im Anschluss der Lorettokapelle, also
auf der heutigen Wegelinie bis zur Neustadt errichtet
werden sollte. Der Entwurf, im hiesigen Archiv auf-
bewahrt, legt noch heute Zeugniss davon ab, wie be-
deutend Düsseldorf damals schon hätte erstehen können.
Ein Tourist aus jener Zeit schreibt: „Ich habe den Plan
eines neuen Palastes gesehen, dessen Bau beabsichtigt
war; derselbe würde, ausgeführt, sicher eines der gross-
artigsten Gebäude Europas geworden sein.^ Johann
Wilhelm liebte sein Düsseldorf ungemein und sein ge-
waltiger Ehrgeiz träumte kühn von der ihm vorschwebenden
Errungenschaft, es in die Reihe der ersten, berühmtesten
Kunst- und Weltstädte erhoben zu sehen, nicht bedenkend,
dass zu einem solchen grandiosen Unternehmen nicht
die Lebenskraft eines Einzelnen, und sei sie noch so
thatenreich, ebenso wenig wie die materiellen Mittel aus-
reichen. Noch in voller Beschäftigung mit der Ausführung
seiner enormen Projecte begriffen, wurde er plötzlich
durch den Tod dahingerafft.
Wie in der Regel ein Extrem das andere hervorruft,
wie der übertriebenen Aktion schleunigst die Reaktion
folgtj so geschah es auch hier. Der verschwenderischen
Prachtliebe Johann Wilhelms gegenüber stellte sich das
engherzige Sparsamkeitsprinzip seines Nachfolgers, seines
Bruders Carl Philipp, im denkbar schärfsten Contrast.
Nicht gpenug, dass die gewaltigen Pläne de» Verstorbenen
unausgreführt blieben, 6s sollte auch möglichst das von
ihm Ausgeführte wieder vernichtet, respective zu baarem
Oelde umgewandelt werden; wenigstens sollte es nicht
in Düsseldorf verbleiben. Johann Wilhelms ganzer Nach-
lass wurde mit Beschlag belegt, alle Kostbarkeiten, Ge-
Q^desammlung, Möbel etc. nach den Residenzen Neu-
304 Zur GMchiehte der bildenden Kunei in DSseeidoff*
bürg und Mannheim-Schwetzingen des neuen ChurfUrsten
fortgeführt. Sogar die Reiterstatue auf dem Marktplatz
sollte zu dem Zweck zerschnitten werden, welch letzterer
Befehl jedoch zurückgenommen wurde ; man beschränkte
sich auf die Wegnahme der fertigen Theile des bestimmungs-
mässigen Postaments in Grupellos Laboratorium, der vier
Löwen, sowie des Springbrunnens und der Pyramide.
Nur die Bildergallerie blieb unangetastet.
War in dem Sonnenglanz der Gunst des vorigen
Churtürsten die Stadt schnell zu üppigster Prachtent-
faltung erblüht, so sank sie unter der kalten Abwendung
seines kargen Nachfolgers, der ihr wahrend seiner sechs-
undzwanzigjährigen Regierungszeit keinen einzigen Be-
such abstattete, noch schneller zu siechem Hinwelken
dahin. Namentlich das künstlerische Leben war auf ein
Minimum reduzirt und wies nicht einen Vertreter von
Bedeutung auf. Als Direktor der Gallerie fungirte Hof-
maler Gerhard Joseph Earsch. Auswärtige Künstler,
durch die Schätze der Gallerie angezogen, hielten sich
Studiums halber nur vorübergehend in Düsseldorf auf.
Es war etwas wie eine nebelgraue Aschermittwochs-
stimmung über die heitere buntfarbige Residenz gekommen;
auf den herrlichen sonnigen Feiertag schien eine endlose
trübe Nacht folgen zu sollen. Die Saat aber, welche
Johann Wilhelm, der illustre Beschützer seiner Residenz,
in so überreichem Masse ausgestreut hatte, konnte
doch nicht von dem plötzlich hereinbrechenden Rauh-
frost gänzlich vernichtet werden. Sie schlummerte nur
dem kommenden Frühlingserwachen traumbefangen ent-
gegen. Der erlauchte Säemann hatte den Acker vor-
züglich bestellt und mit trefflichen Mitteln die Frucht-
barkeit des Bodens geweckt. Nur hatte sein glühender
Eifer, um die schönste Frucht zu erndten, ihn hingerissen,
zu früh und zu sehr mit übervollen Händen die keim-
fähigen Saatkörner auszustreuen. Noch viele raube,
kalte und stürmische Tage hielten das lustige Empor-
keimen der im Boden Schlummernden mit barscher
Strenge zurück.
Nach dem Tode Carl Philipps succedirte Carl Theodor,
welcher Düsseldorf und seiner Gallerie wieder mehr
Aufmerksamkeit wie sein Vorgänger zuwandte und sie
auch zeitweise mit seinem Besuche beehrte. Seine hohe
Gunst für die Stadt zeigte sich vor allem in der für sie
so hochbedeutsamen Weise, dass er im Jahre 1767 hier
mit unmittelbarem Anschluss an die Gemäldegallerie eine
Kunstakademie errichtete. Zum Director der neuen An-
stalt wurde Johann Lambert Krähe (1720—1790), Hof-
Zur Geschichte der bildenden Kunst in Düsseldorf* 305
maier und Professor der Akademien zu Rom und Florenz,
ein geborener Düsseldorfer, ernannt. Seinem Rufe und
seinen eifrigen Bemühungen gelang es bald, junge Talente
heranzuziehen und so war 1774 die Anstalt vollständig
organisirt und ausser von Deutschen selbst von Eng-
ländern, Franzosen und Holländern besucht. War nun
aber auch ohne Zweifel Krähe ein in seiner Art streb-
samer, kenntnissreicher und tüchtiger Charakter, so
mangelte ihm doch die selbstständige schöpferische Kraft,
welche den bedeutenden Künstler macht. An diesem
Mangel krankte, wie überhaupt die damalige Zeit, so
auch die seinem Directorium unterstehende Akademie;
sie war wie alle übrigen eine Zopfakademie. Unter dem
directen Einfluss der prächtigen Gemäldegallerie bezeichnet
die damalige Kunstrichtung eine schwankende Mittelstufe
zwischen decorativer Zopfkunst, dem neu sich regenden
Classicismus und niederländischen Anklängen. Immerhin
aber war ein bedeutungsvoller Anfang, der erste Schritt
zu einem frischen Aufstreben gemacht. So konnte also
die Stadt aus dem fünften Jahrhundert ihres Bestehens,
das in seinem Anfang ebenso glorreich wie in seinem
weiteren Verlaufe betrübend gewesen war, nun mit einer
hofifhungsfrohen Aussicht auf die Zukunft in das sechste
Jahrhundert übertreten. Das letztere sollte ungefähr den
umgekehrten Verlauf wie das vorangegangene nehmen;
es brachte zu Anfang die niederschmetterndsten Schick-
salsschläge für die Stadt und ihre Kunst, führte dagegen
im weiteren Verlaufe bis zum Schluss eine stetig wacli^ende
Entfaltimg ihres Aufblühens mit sich. Und in dieser
stetigen, gesunden Entwickelung liegt einerseits die Be-
gründung für die tiefgehende Bedeutung gerade dieses
Zeitraumes im (Gegensatz zu den vorangegangenen Jahr-
hunderten, andemtheils aber auch die Gewähr für die
Dauerhaftigkeit der daraus hervorgegangenen Errungen-
schaften. Diesen Unterschied zwischen der Entwickelung
der Düsseldorfer Kunst im letzten Jahrhundert und der
der froheren Zeit in das rechte Licht zu rücken, das ist
die eigentlich grundlegende Absicht dieser Schrift. Sie
tritt somit jetzt in einen neuen Abschnitt, in den zweiten
und Haupttheil ihrer Aufgabe ein, in einem Ueberblick,
wenn auch nur gedrängt und skizzenhaft, wie es bei der
Beschränktiieit des Raumes nicht anders möglich ist,
die vollständige Verschiedenartigkeit zu zeichneu, welche
sich in dem Wesen dieses Jahrhunderts gegen die früheren
und namentlich das vorletzte äussert. Dieser Unterschied
kennzeichnet sich am klarsten in dem schon vorhin
erwähnten Vergleich mit dem Ausstreuen der Frucht auf
20
306 Zur Geschichte der bildendefi Kmiet in Düsseldorf,
den urbar gemachten Acker und dem Emporwachsen der
demselben entkeimten Pflanze. So von aussen hineui,
von oben herab ist nach langem, dunklem Winter von
emsiger Hand das Saatkorn in den fruchtbaren Boden
gebracht worden und nachdem es eine Zeit lang darin
geruht, ist erst in diesem Jahrhundert die reiche Saat zu
herrlichem Erblühen aus demselben emporgesprossen, nun
erst hat sie in diesem ihrem Boden, ihrer Mutter Erde
Wurzel gefasst, nun erst kann sie wirklich mit Stolz ihren
Namen „Düsseldorfer Kunst^ tragen. Diese Berechtigung
hat sich denn auch im Laufe des letzten Jahrhunderts in
der ganzen Welt die vollste Geltmig, den besten Klang
verschafft. —
Nach dem Tode Krahes (1790) wurde Johann Peter
Langer, geboren zu Calcum bei Düsseldorf, zum Director
der Akademie und Gallerio ernannt. War seine Bedeutung
als Künstler zwar auch nicht viel höher anzuschlagen als
die seines Vorgängers, so gewann sein Directorium doch
eine grössere Wichtigkeit zunächst schon dadurch, dass
sein weit berühmterer Sohn Robert, der 1806 Professor
der Münchener Akademie wurde, im vorigen Jahrhundert
Schüler der Düsseldorfer Akademie war, sowie vor Allem
aber dadurch, dass Robert Langers Altersgenosse und
Mitschüler kein geringerer als Peter Cornelius (geboren
zu Düsseldorf 1787) war, also Derjenige, welcher für die
Glanzperiode der Düsseldorfer Kunst als der eigentliche
Grundpfeiler zu betrachten ist.
Bevor aber mit diesem Namen die Lenzessonne der
neuen Kunst der vielgeprüften Stadt aufging, sollte erst
noch einmal eine recht finstere Sturmnacht mit allen ihren
Schrecken niederschmetternd und zerstörend über sie
dahinbrausen, um sie vor ihrer Erhebung bis zur tiefsten
Verwüstung herabzuwürdigen. Von einer stolzen Residenz-
stadt, die sich vermass, den grössten Städten der Welt
den Rang ablaufen zu können, war Düsseldorf schon seit
langer Zeit, namentlich nach der Vereinigung der kur-
pfälzischen Lande mit Bayern, immer mehr zu einer be-
scheidenen stillen Provinzialstadt herabgesunken. Sein
einziger Stolz war nur noch seine weltberühmte Gemälde-
gallerie. Schon hatte sie einmal beim Bombardement der
Stadt (1758) nach Mannheim geflüchtet werden müssen,
war aber bei hergestellter Ruhe (1764) unversehrt zurück-
geführt worden. Sie zog ausser den Malern auch die
Koryphäen anderer Künste zeitweise nach Düsseldorf, so
Lessing, Wieland, Claudius, Heyse, Humboldt, Herder,
Bürger, Hölderlin und vor allem den Grössten, Goethe,
zum Besuche seines Freundes Joh. Heinr. Jakobi. Da
Zur GuehiehU d§r bOdendtn Kunst in Düsseldorf. 307
zog das schwere Ungewitter der französischen Revolution
über die erschreckten Lande dahin; mit infernalischer
Gewalt prasselte es auch auf das unbeschutze Düsseldorf
nieder. Bei dem Bombardement am 6. October 1794,
welches viele Gebäude zerstörte und beschädigte, war
glücklicherweise die schon vorbereitete Flüchtung des
Gallerieschatzes kurz vorher bewerkstelligt. Die Samm-
lung wurde über Bremen nach Glückstadt gebracht und
kam erst nach dem Lüneviller Frieden nach Düsseldorf
zurück (1801). Aber die ob der Wiederkunft laut jubelnde
Bürger- und Eünstlerschaft sollte sich ihres theuersten
Schatzes nicht lange in Ruhe erfreuen. Kaum begannen
die friedlichen Gaue wieder aufzuathmen, da fuhr aufs
Neue und mit vermehrter Vehemenz wie die wilde Jagd
ein Heer von Furien Alles mit Schrecken, Entsetzen und
G-raus erfüllend, von Frankreich her über das zitternde
Europa dahin. Und zum dritten Male musste die Düssel-
dorfer Gallerie geflüchtet werden (1805). Diesmal — wie
es in dem allerhöchsten, vom Präsidenten von Hompesch
bestätigten Befehle aus München heisst — weil ^von den
andringenden feindlichen Preussen ein Ueberfall zu be-
fürchten stehe. ^ Und diesmal war es auf Nimmerwieder-
sehen. Der Schatz gelangte unter grossen Gefahren bis
nach München und hier verliebte man sich derart in ihn,
dass man sich nicht mehr von ihm trennen konnte. Wie
sehr der Schmerz Düsseldorfs um den unersetzlichen
Verlust ein tiefer, ein ungeheurer war, das beschreiben
zu wollen würde stets ein vergeblicher Versuch bleiben.
Dem von Johann Wilhelm gepflanzten, prächtigen Baume,
der seinem Acker zu Nutz und Schutz gedeihen sollte,
dem aber schon so mancher schöne Zweig entrissen wurde,
war jetzt die Krone geraubt und sein Lebensmark bis
ins Innerste zerstört worden. Die Grösse dieses Leids
vvar so tödtlich verwundend, dass sie sich kaum noch
steigern liess, als nun auch die mit der Gallerie verbundene
Kunstakademie ihrem Schatze folgen und ebenfalls nach
MCinchen verpflanzt werden sollte. Der Director Langer
und sein Sohn Robert sowie der Inspector Bouillot zogen
bereits 1806 nach dorthin ab.
So schien die junge Düsseldorfer Akademie glücklich
entschlafen; in dem Staatskalender von 1805 geschah
des Institus schon keiner Erwähnung mehr, und blieb es
auch faktisch noch bestehen, so gab es doch kaum ein
Lebenszeichen mehr von sich. Nur ein paar unterge-
ordnete Lehrer, die mit der Namen- Akademie ein kümmer-
liclies Dasein fristeten, waren übrig geblieben. In diesem
desolaten scheintodähnlichen Zustande gelangte das arme
20*
308 Zur Oeachielitn der bildenden Kunst in DUseeldorf»
Düsseldorf in den Besitz der gefürchteten „feindlichen
Preussen^. Damit sollte nun wohl endgültig sein Todes-
urtheil gesprochen sein.
Die barbarischen Preussen schienen aber doch selt-
samerweise ein menschliches Rühren zu fühlen. Sie er-
kundigten sich bald ganz theilnehmend nach dem Befinden
des im Scheintod schlummernden Pfleglings. Unter'm
5. December 1816 forderte das Ministerium des Innern
einen Bericht ein „über den Zustand der Kunstakademie
und deren Sammlungen^ und in dieser Forderung ergab
sich die Handhabe zur weiteren Verfolgung des Gedankens
einer Neubegründung der Düsseldorfer Kunstakademie.
Allerdings war jenes Mitgefühl anfangs nur eine schwache
Regung^ die noch lange mit allerhand praktischen Be-
denken und Erwägungen zu kämpfen hatte, ehe sie sich
so weit erwärmen konnte, dass sie zu einem klaren
definitiven Entschluss kam. Und bei diesem Zögern und
Ueberlegen wäre beinahe die Gunst des Augenblicks un-
genutzt vorübergegangen.
In Erwägung der wenig günstigen Finanzlage und
der daraus resultirenden Sparsamkeitsrücksicht hatte
nämlich die königliche Regierung zu Düsseldorf einen
praktischen Vorschlag gemacht. Sie fand ganz richtig
in der Berufung tüchtiger Künstler an die neu zu gründende
Anstalt die beste Gewähr für deren Aufblühen und da
„auf eine nicht sehr reichliche Ausstattung zu rechnen^
war, welche ausgezeichnete Männer ihr zuzuwenden ge-
eignet gewesen wäre, so machte man Rechnung auf den
Umstand, dass zwei damals sich hervorüiuende Künstler
aus hiesiger Gegend gebürtig waren und sich von ihnen
annehmen lassen durfte, dass vielleicht die Liebe zur
Heimath sie geneigt machen möchte, eine Anstellung hier
anderen vortheilhaften Anträgen vorzuziehen. Die beiden
in's Auge gefassten Personen waren der Bildhauer Flathea
in Paris, gebürtig aus Crefeld, und der Maler Peter Cor-
nelius in Rom aus Düsseldorf.
Diese Annahme zeigte sich denn auch als durchaus
gerechtfertigt. Auf eine Anfrage erklärte Cornelius in
einem Briefe vom 2. Mai 1818 sich sehr bereit, die Leitung
der neueinzurichtenden Kunstschule zu übernehmen, in-
dem er als Hauptgrund seine Liebe zur Heimath und
seine Anhänglichkeit an den preussischen Staat, an
welchen er „mit allen seinen Angehörigen durch wahr-
haft innige Bande geknüpft sei", betonte. Aber trotz der
diesen Brief begleitenden warmen Empfehlung Niebubrs,
der kein Bedenken trug, Cornelius „den ersten Maler zu
nennen, der seit dem 16. Jahrhundert erstanden und
Zur Oesehiehte der bildenden Kunst in DRsaeldorf. 309
dessen Werth man bis dahin in Deutschland noch lange
nicht hinreichend kennen zu lernen Gelegenheit gehabt
habe" und „der unter den Malern sei, was Goethe unter
den Dichtern", und trotz der eifrigen Befürwortung der
königlichen Regierung zu Düsseldorf konnten die gegen-
stehenden Bedenklichkeiten nur langsam zertheilt werden.
Erst auf ein nochmaliges dringenderes Schreiben Niebuhrs
vom ö. Juni 1819 hatte die preussische Regierung sich
entschliessen können, Cornelius für die Directorsstelle
an der Akademie zu Düsseldorf in Aussicht zu nehmen
und mit dieser ihm zugleich das Anerbieten zu machen,
sich an der Ausmalung des neuerbauten Schinkelschen
Schauspielhauses zu betheiligen. Ungefähr kam dieser
Entschluss aber jetzt zu spät. Cornelius war inzwischen
von Rom nach München übergesiedelt und es war schon
lange kein Geheimniss mehr, dass er durch die Huld des
kunstliebenden Kronprinzen Ludwig, die ihn durch gross-
artige Aufträge dahin gezogen, nun dort auch vollständig
gefesselt werden sollte. Ergriffen von dem Anblick der
für die Glyptothek angefertigten Cartons hatte der Kron-
prinz dem Künstler die Erfüllung- aller seiner Wünsche
auf die huldvollste und aufmunterndste Weise bewilligt.
Cornelius ging erneute Verpflichtungen ein und glaubte
dieselben nicht lösen zu können, ohne Ehre und Gewissen
zu verletzen. So war also die äusserste Gefahr in Ver-
zug, dass München, welches dem wetteifernden Düssel-
dorf schon seine Gallerie und seine erste Akademie ent-
führt hatte, ihm nun auch noch seine schönste Hoffnung
für die Erstehung der neu zu gründenden Akademie vor-
weg nehmen würde. Cornelius aber, der treue Sohn
Düsseldorfs, gerieth andrerseits in schmerzlichen Conflikt,
dem ehrenvollen Ruf in das geliebte Vaterland, in seine
theure Heimathstadt nicht folgen zu sollen. Lag ihm
doch das hier zu beginnende reformatorische Werk nicht
minder am Herzen wie die eigene Kunstthätigkeit. Da
entschloss sich der preussische Minister zu einem Akt
freisinniger Protection der Kunst und liberaler Behand-
lung des Künstlef*s Cornelius war nämlich der Meinung,
dass in Düsseldorf Bau und Einrichtung so weit zurück
seien, dass wohl' noch zwei Jahre hingehen könnten, bis
alles vorbereitet sei; inzwischen könne er in München
seine Arbeit fördern, in Berlin sich berathen und in
Düsseldorf leiten und ordnen. Er verkannte den Nach-
theil dieser Abwesenheit nicht, glaubte ihn aber auf-
gewogen durch den Vortheil, den eine grosse Arbeit auf
Lehrer und Schüler habe : die Fähigeren sollten unmittel-
bar Antheil an derselben nehmen und in der lebendigen
310 Zur Geschichte der bildenden Kunst in Düsseldorf.
Ausübung der Kunst, mit Wort und Lehre verbunden,
die wirksamste Art gefunden werden, an einem Orte, wo
die Kunst keine Geschichte und weder heimische noch
fremde Werke mehr aufzuweisen habe, ein neues Kunst-
leben zu erwecken und ihm Richtung und Dauer zu geben.
„Und wenn dann — äusserte er — meine jetzige
Arbeit vollendet sein wird und ich mir die Schule an-
gezogen habe, so kann das nähere Vaterland femer Ober
uns gebieten; es wird noch Zeit, Kunst und Lebenskraft
übrig sein, zu leisten und zu lehren.^ — Hardenberg ging
auf alle Vorschläge ein ; Cornelius wurde zum Director
der Kunstakademie in Düsseldorf vom 1. October 1819
ab ernannt und erhielt die von ihm zur Bedingung ge-
machte Erlaubniss, während zweier Jahre die Sommer-
monate hindurch in München zur Vollendung der dort
bedungenen Arbeiten zubringen zu dürfen.
So war denn für Düsseldorf die junge geniale Kraft,
welche sich seinem Erblühen so gerne mit voller Sohnes-
liebe gewidmet hätte, wenigstens nicht ganz verloren
gegangen; nachdem es so vieles vollständig hatte ab-
geben müssen, durfte es seinen Cornelius wenigstens
theilen mit dem glücklicheren München. So war nun der
Regenerator zugleich für beide Kunststädte gewonnen,
welche denn auch hinfort die beiden Stätten wurden, an
denen sich die Glanzperiode der deutschen Kunst ent-
falten sollte. Ende Januar 1820 folgte er einer Einladung
nach Berlin zum Zweck der Vereinbarung der Reorgani-
sation der Düsseldorfer Schule. Der ausführliche Plan
zu einer solchen, den er mit dem Kupferstecher Mosler
zusammen ausgearbeitet hatte, fand im Ganzen Billigung.
Cornelius war der Ansicht, dass der Mangel an Kunst-
werken in Düsseldorf nur durch eine liberale, den alten
Kunstschulen ähnliche Lehrart einigermassen ersetzt
werden könnte und dass von dem Meister in den Ver-
zweigungen der Schule eine Thätigkeit unterhalten und
angeregt werden müsste, die soviel als möglich die Elr-
zeugung zu einem angegebenen Zwecke bestimmter Werke
zum Ziele habe.
Die Gediegenheit und Grossartigkeit seiner Arbeiten
im Göttersaal der Münchener Glyptothek, welche mit
Beihülfe talentvoller Schüler zum grossen Theile bereits
vollendet waren, verschafften dem Meister einen rasch
sich verbreitenden Ruf, und dies äusserte bei seinem
Amtsantritt in Düsseldorf sofort seine Wirkung. Zu den
einheimischen Eleven, darunter C. Schorn und der viel-
versprechende A. Eberle, die namhaftesten, .gesellten
sich mehrere tüchtige auswärtige Schüler^ worunter
Zur Geschichte der bildenden Kunst in Düsseldorf, 311
C. Stürmer und H. A. Stilke^ sowie des Meisters Lieb-
lingsschQler J. Götzenberger, im folgenden Jahre auch
W. Kaulbach, C. Hermann^ H.Anschütz, Chr. Rüben
und mehrere Andere. Freilich war nun diese Anstalt
weniger Akademie als Corneliusschule und ihr Haupt
weniger Director als Meister, um welchen sich die Schaar
der Jünger mit begeisterter und doch wieder familiärer
Hingebung drängte. Alles Reglement fiel und mit den
Theorien war es vorüber; Lehren und Rath • des
Hauptes dagegen, unsystematisch und mehr gelegentlich
hingeworfen, eingestreut in gemeinsame Arbeit wie in
unterhaltende Gespräche, wirkten wahrhaft orakelhaft
auf dem empfJlnglichen Boden. Auch die von Cornelius
nach Düsseldorf gezogenen Lehrer, Mosler und Winter-
gerst, standen ganz unter seinem Einfluss und waren
die treuen Dolmetscher seiner Intentionen. Kein Wunder,
dass in Kurzem die ganze Schule wie aus einem Gusse
dastand. Von jedem Besuch, den die Schüler in des
Meisters Atelier machten, wo ein Carton nach dem andern
für die Glyptothekfresken entstand, kehrten sie angeregt,
geläutert zurück, angefeuert durch das ernstfreundliche
Wort, das Cornelius an jeden zu richten wusste und be-
festigt in dem Wunsche, nach demselben Ziele zu streben.
Es gab aber für den Meister nur ein Ziel : die monumentale
Kunst. Diese fasste er jedoch keineswegs in einen eng-
begrenzten Rahmen, sondern betrachtete Antike, Sage,
das religiöse Gebiet und die Geschichte als ebenbürtig.
Auch von einem Anlehnen an eine bestimmte Kunst-
richtung war keine Rede mehr. Tüchtige Naturstudien
sollten das Mittel sein, die Ideen zum Ausdruck zu bringen;
sonst empfahl er besonders die Antike und die grossen Cin-
quecentisten als Correktiv. Hinsichtlich der Stoff wähl rieth
er im allgemeinen von Dichter-Illustrationen ab: „Es taugt
nicht, den Dichtern nachzudichten. Unsere Kunst ist frei
und muss sich frei gestalten. Erw^ärmen sollen wir uns
an der Begeisterung der Dichter, das ganze Leben muss
von ihnen durchdrungen sein; aber wo wir dichten, sollen
wir selbst dichten und nicht für uns dichten lassen. . . .
Scenenmalerei ist Nachdruck; die iVeie Kunst muss sich
dessen schämen.^ — Das waren goldene Worte, denn
Selbstständigkeit um jeden Preis, stolzes Selbstbewusst-
sein, das war es, was der Kunst vor allem Noth that
und namentlich der überall nur nachäffenden Malerei.
So war denn in Düsseldorf als Pflanzstätte endlich
eine erfreuliche Saat aufgegangen, die anfing kräftig
Wurzeln zu schlagen. Es hatte nun eine Schule mit
tüchtigen selbstschaffenden Künstlern, die zwar noch zum
312 Zur Geschichte der hiWenden Kirnst in Dilssefdorf.
grössten Theil Zugvögel waren, die die Sommenuoaate
in München arbeiteten, aber doch auch einen guten Theil
ihrer Kraft der Düsseldorfer Kunstthätigkeit widmeten.
Die erste monumentale Bethätigung der Schule war die
Ausmalung der Aula der Bonner Universität durch Götzen-
berger, Hermann und Förster. Unvollendet blieb das
jüngste Gericht für die Decke des Assisensaales zu Coblenz,
welches Stilke, Stürmer und Anschütz übertragen war:
ebenso ging's mit einigen Privatbestellungen für Schlösser
in der Umgegend Düsseldorfs; denn mit der ganzen
Herrlichkeit der jungen aufblühenden Schule war's plötz-
lich wieder zu Ende. Als der alte Langer, der Director
der Münchener Akademie, 1824 starb und nun Cornelius
zur Annahme dieser Stellung durch seinen Protector
König Ludwig auf das energischste gedrängt wurde,
waren die Gründe, welche dafür sprachen, so über-
wiegender Natur, dass sie doch ausschlaggebend wirken
mussten und über die treue HeimathsUebe siegten. Bevor
der Meister jedoch — schweren Herzens — seine junge
Schöpfung verlies», gab er sich alle Mühe, ihren Be-
stand in der von ihm begründeten Richtung zu sichern.
Er ermahnte seine Schüler, auch nach seinem Abgange
von der Anstalt rüstig in seinem Sinne fortzuarbeiten,
aber die überwiegende Mehrzahl und gerade die her\'or-
ragender en derselben erklärten mit E. Förster: „Die
Anstalt, zu der wir gekommen, sind Sie ; wohin Sie gehen,
folgen wir Ihnen!"
So stand denn die Düsseldorfer Kunstakademie aber-
mals verwaist, verödet da, doch sollte dieses neue
Missgeschick nur die Einleitung sein zu einem grösseren
glänzenderen Glücke. Nach einem kurzen Interregnum,
während welcher Zeit Mosler die Leitung der Anstalt
übernommen hatte und es damit allerdings recht kläglich
bestellt war, wurde 1826 Wilhelm Schadow zum
Director der Akademie berufen und in ihm war eine
Lehrkraft und ein organisatorisches Talent von so hervor-
ragender Bedeutung für die neue Kunstanstalt gewonnen,
wie sie eines solchen zu frischem Emporblühen dringend
bedurfte. So hebt denn auch mit Schadow eine stetifce
und gedeihliche Entwickelung der Düsseldorfer Kunst au.
Cornelius und Schadow — das sind für die Düssel-
dorfer Malerschule die beiden hell leuchtenden Kory-
phäen, wenn auch in ganz verschiedener Richtung
geworden. Es wäre ein vergebliches Unterfangen,
Schadow zur künstlerischen Höhe eines Cornelius empor-
schrauben zu wollen. Es sind eben zwei verschiedene
Dinge, ein grosser Künstler und ein tüchtiger Lehrer zu
Zur Geschichte der bildenden Kunst in Düssefdorf, 313
sein, ebenso wie es zwei ganz verschiedene Dinge sind,
was der Künstler lernen kann und was er von Hause
aus mitbringen muss. Die Akademie kann niemals einen
Künstler erziehen, wenn nicht bereits die Hauptsache,
die künstlerische Beanlagung, vorhanden ist. Den
grossen Künstler macht die ihm innewohnende Gewalt
der Idee, die schöpferische Phantasie. Sie muss von
Anfang an in ihm leben , sie muss ihn zum Ausdruck
treiben; um aber den Ausdruck dieser inneren Idee in
einer möglichst vollendeten äusseren Form zu ermög-
lichen, dafür lernt er die Form d, i. das Technische.
Dies ist es demnach vor allem, worin eine künstlerische
Lehranstalt ihre Eleven zu fördern hat, wenngleich si^
damit auch keineswegs die Entwickelung der ideellen
Beanlagung ausser Acht lassen darf. Es liegt somit in
der Natur der Sache, dass der grosse Künstler, getrieben
von dem verzehrenden Feuer der zum Ausdruck
drängenden Idee, weniger befähigt ist für eine direkte
Lehrthätigkeit , so sehr er sich auch stets einer Menge
g'eistiger Zöglinge erfreuen wird, deren innere Gluth von
dem vorleuchtenden Flammenzeichen zum Nachstreben
solcher unbewussten Führer hingerissen wird. Der
geringere Künstler wird in der Regel aber ein viel
nüchternerer Denker, ein praktischerer Mann sein und
darum mehr befähigt, auf das rein Technische, das
Handwerksmässige sein Augenmerk zu richten und mit
aller Ruhe darin auch lernbegierige Zöglinge zu unter-
weisen. So überwog denn in der That auch nach
Schadows Uebernahme des Directoriums die Cultivirung
und Weiterbildung in der Technik des Malens das
eigentlich artistische Interesse der Schüler und es ist
nicht zu leugnen, dass viele Haupteiiolge der Düssel-
dorfer diesem Umstände zu danken sind. Es waltete
eben ein günstiges Geschick über die neuerstandene
Düsseldorfer Akademie, dass ihr zur Leitung gleich zu
Anfang der grösste Künstler und der grösste Lehrer
folgerichtig nacheinander beschieden wurden , wodurch
die Namen Cornelius und Schadow überhaupt die Leit-
sterne der Düsseldorfer Kunst geworden sind.
Die von Schadow gebrachte Neuerung, mehr Werth
auf das Technische zu legen, führte zugleich den nicht
zu unterschätzenden Vortheil mit sich, dass man dadurch
zu gesteigertem Bestreben angeregt ward, auch in jeder
anderen formalen Hinsicht dem errungenen Vortheile
gleichzukommen und dass der Düsseldorfer Boden dadurch
wesentlich vorbereitet ward, in der folgenden Periode
der Realistik und Coloristik doppelte Früchte zu tragen.
314 Zur Geschichte der bildenden Kunst in Düsseldorf,
Schadow konnte sie noch sehen und trotzdem, dass er
sich frühzeitig in Folge zunehmender nazarenischer und
propagandistischer Gesinnung mit den weiteren Fort-
schritten in einseitige Opposition stellte, 1862 den Ruhm
mit sich in's Grab nehnaen, doch durch die von ihm
begründete Schulrichtung den Weg zur neuesten Kunst
mit gebahnt zu haben.
Schadow fand bei seinem Eintritt ein Feld vor, auf
dem alles wild und kraus durcheinander wuchs und das
desshalb des Umackerns und der Neusaat bedurfte, um ge-
sunde Früchte zu tragen. Je mehr dieses der Fall war,
um so mehr muss man die Weisheit und Zweckmässig-
keit seiner Anordnungen anerkennen, welche in nicht zu
langer Zeit die glücklichste Umgestaltung der Verhältnisse
zu Stande brachte. Um die formelle Künstlererziehung
hat er sich so verdient gemacht, dass seine Methode als
wahres Muster überall empfohlen worden ist.
Die Einflüsse aus dem Lustrum des Cornelius-
Directorats, mit Avelchem Schadow etwa zu rechnen
gehabt hatte, waren kaum nennenswerth. Wenn in der
ersteren Zeit etwas im Geiste des Cornelius geschah, so
war es namentlich die durch Mosler durchgesetzte Be-
stimmung des 1829 gegründeten Kunst Vereins für die Rhein-
lande und Westfalen, dass ein Fünftel der Jahresbeiträge
in den sog. öffentlichen Fonds fiiessen sollte, welcher zur
Herstellung monufnentaler Arbeiten bestimmt war und
seinen Zweck vielfach glänzend erreichte, wie z. B. die
Gemälde Rethels im Aachener Rathhause, die Over-
beck'sche Himmelfahrt Maria im Dom zu Köln, der
Bendemann'sche Fries in der Realschule zu Düsseldorf
u. s. w. beweisen. Es zeigte sich darin, wie Recht
Cornelius hatte, als er in dem 1819 entworfenen Plan zur
Organisation der Kunstakademie die Einrichtung eines
solchen kunstfördernden Vereins als ein dringendes Be*
dürfniss hinstellte und zum Schlüsse sagte: „Wir ge-
trauen uns für unsere Heimath und die Rheinischen
Provinzen überhaupt den guten Erfolg eines auf die
Unterstützung öffentlicher Kunstthätigkeit gerichteten
Vereins voraus zu bürgen. Die in dieser Hinsicht zu
machenden Vorschläge müssen wir uns indessen noch
vorbehalten bis auf bessere Müsse und Selbstanwesenheit
am Rhein zur Rücksprache mit den dortigen noch eifrigen
Kunstfreunden, deren Trieb durch den Mangel einer
allgemeinen Thätigkeit und eines gemeinschaftlichen
Unterstützungsplans sich in der Liebhaberei zu Privat-
sammlungen einzeln zersplittert, ohne im Ganzen zu
fruchten. Die Organisation der einzelnen zersplitterten
1",
>
Zur Gresehichte der bildenden Kunst in Düsseldorf, 315
und auf das Kleinliche gerichteten Thätigkeit des Kunst-
triebes zu einer öffentlichen, allgemeinen und grossartigen
durch einen freiwilligen Verein, der sich an unsere An-
stalt anlehnte und sich unsei^m Einfluss zu entziehen nie-
mals Ursache haben soll ; dies hängt nothwendig mit dem
Organisationsplan der Kunstunterrichtsanstalt zusammen.
Wir müssten uns ein Gewissen daraus machen, mehr
Künstler zu erziehen, als wir hoffen, dass beschäftigt
werden." — Hier ist es ersichtlich, wie sehr Cornelius auch
die practische Seite wohl zu würdigen wusste, nur verlor
er sie bei seiner Hauptbestrebung leicht wieder aus dem
Auge; anders bei seinem Nachfolger. Je weniger in
Düsseldorf von einer Cornelianischen Tradition die Rede
sein konnte, um so durchgreifender entfalteten die Mit-
glieder der von Schadow eingerichteten Meisterklasse
ihre schulbildende Thätigkeit, sofort achtunggebietend
durch ihre Geschlossenheit, neidlose Gegenseitigkeit und
gemeinsame Bestrebung wie durch glückliche Verbindung
verschiedenartiger Talente.
Schadow wählte als Künstler vorwiegend das biblische
Stoffgebiet; darin am nächsten, obzvar Protestant, stand
ihm R. J. B. Hüb n er, welcher sein gleichstrebender
Genosse, wie eine gleichfalls verwandte Erscheinung^
Chr. Köhler sein Lieblingsschüler war. Wie letzterer
an Schadow, so schloss sich Ed. Bendemann an Hübner
an, auf welchen letzteren übrigens des Schülers unstreitig
grösseres Talent reichlich zurückwirkte. Als in ähnlicher
Richtung wirkend, sind hier noch Rob. Reinik, 0.
Mengelberg und J. Niessen anzuführen. Ausserdem
Hessen sich hier noch eine lange Reihe von Künstlern
namhaft machen, die vielleicht zu ihrer Zeit als Vertreter
der biblisch - historischen Richtung sich für fulminante
Lichter hielten, aber wo ist ihr Glanz geblieben? — An
Namen hat es in der That nicht gefehlt, noch viel weniger
an Werken, aber wie wenig eigentliche Ausbeute! Das
meiste liegt hier freilich an dem Eklekticismus der
ganzen Richtung. Nur eine geringe Anzahl von Mit-
gliedern der Schule bildete zu dieser oberflächlichen
Aeusserlichkeit einen wohlthuenden Gegensatz durch ihre
ernste, wahre Strenggläubigkeit. Als Haupt dieser from-
men Schaar, deren Richtung als die nazarenische be-
zeichnet wird, ist Ernst Deger zu nennen, eine edle,
keusche, reine Natur, wie man sie selten findet.
Die genialste Künstlerkraft erstand der Schule auf
dem Felde der profanen Geschichtsmalerei in dem un-
glücklichen Alfred Rethel. Er ist wohl die glän-
zendste Erscheinung der Düsseldorfer Schule; seine
316 Zur Geschichte der bildenden Kirnst in Düsseldorf,
Schöpfungen gehören zu dem Grossartigsten, was die
Kunst je hervorgebracht hat. War der Schule in Rethel
der grösste Qenius aufgegangen, allerdings leider nicht
zur vollen Entwickelung ausgereift, so erblühte ihr in Karl
Friedrich Lessing das grösste und zugleich viel-
seitigste Talent und zwar in voller ausgiebigster Kraft-
entfaltung ; er leistete gleich Bedeutendes auf dem Felde
der Historien-, Genre- und Landschaftsmalerei. Seine Werke
waren als der vollendetste und prägnanteste Ausdruck
der damaligen Düsseldorfer Schule ihr höchster Stolz.
Speciell auf dem Felde der Schlachtenmalerei that sieh
namentlich Wilhelm Camphausen aus Düsseldorf
hervor.
Eine andere Richtung, die gewissermassen den Ueber-
gang von der Historie zum Genre bildet und die ideali-
sirte Natur als das Ziel ihres Strebens erkannte, fand in
Carl Sohn und Theodor Hildebrandt ihre Hauptver-
treter, die als überzeugte Naturalisten auch die berufensten
Porträtmaler waren. In ihnen und Lessing besass die
junge Schule unzweifelhaft ihre anregendsten Kräfte.
Schon in der Zeit ihrer Blüthe rief die übertriebene
romantische Richtung eine leichterklärliche Reaction her-
vor, die sich namentlich im Genre in humoristisch-satiri-
scher Weise äusserte. Der Hauptvertreter dieser Gegen-
strömung war Ad. Schrödter, der geistreiche Verherr-
licher des Don Qu^ote, FalstafT, Eulenspiegel, Münchhausen
und ähnlicher köstlicher Gestalten. Ihm würdig zur Seite
stand P. Hasenklever. Unter den Malern des Volks
zeichnete sich Rudolf Jordan, der Helgoland sieb als
Domäne erwählte, besonders aus. Eine andere Gruppe
der Düsseldorfer Genremaler suchte seine Stoffe mehr in
der Nähe im häuslichen Kleinleben der bürgerlichen wie
der bäuerlichen Sphäre. Als das hervorragendste Talent
muss hier jedenfalls Ludwig Knaus, welcher noch heute
als Altmeister der Genremalerei den ersten Ehrenplatz
einnimmt, genannt werden.
Mit besonderem Stolz durfte die rheinische Kunst-
schule auf ihre Landschaften blicken, denn gerade fOr
diesen Zweig hatte sie vortreffliche Talente gefunden und
gebildet. Als eigentlicher Begründer der historisch-
stylistischen Richtung darf Joh. Wilh. Schirmer be-
trachtet werden. Die zu ihm stehende Gruppe, welche
gewissermassen die Poesie der Reflexion zum Ziele hatte,
wurde bei weitem überflügelt von den naturalistischen
Landschaftsmalern, welche die Poesie der Wahrheit, der
Kraft, der Fülle auf ihre Fahne geschrieben hatten.
*^ie glänzendsten Vertreter dieses Kreises waren die
Zur Geschichte der bildenden Kunst in Düsseldorf. 317
BrüderAndreas und Oswald Achenbach, das leuchtende
Doppelgestirn der Landschaft; dem eine lange Reihe
tüchtiger Talente folgte auf der verlockenden Bahn.
Einen bedeutenden Aufschwung nahm auch die Kupfer-
stecherschule, seitdem Joseph Keller an ihre Spitze
trat; er bildete eine zahlreiche Schülerschaar.
In der ersten Zeit des Schadow'schen Directoriums, in
den dreissiger Jahren, schien der jungenSchule eine ähnliche
Einseitigkeit und Abgeschlossenheit wie der Comelianischen
gefährlich w^erden zu sollen. Es war von vornherein
Sitte, dass alle Künstler im Akademie-Gebäude arbeiteten,
keiner dachte daran, selbst dann, wenn er in technischer
Beziehung nichts mehr zu lernen hatte, sein eigener Herr
und Meister 2u werden. Diese Künstler wirthschaft hatte
etwas äusserst Gemüthliches. Einer hockte neben dem
andern im Atelier, selbst die Erholung bei der Arbeit
war höchstens dem Besuch in einer andern Werkstätte
gewidmet. Unter diesen Umständen kann es nicht auf-
fallen, wenn die Ideen gewissermassen ansteckend wirkten,
wenn eine seltsam kindliche, naiv anmuthige Ueber-
einstimmung nicht allein im Stoffe, sondern auch in der
Farbengebung zur Erscheinung kam. Aber diese biedere
Urgemüthlichkeit blieb nicht lange ungestört und heute
darf man sagen, zum guten Glück der Düsseldorfer
Kunst, die denn doch höhere Ziele zu erreichen hatte.
Was alles für Zündstoffe mitwirkend waren, um das
schöne idyllische Zusammenleben auf der Akademie aus-
einander zu sprengen, lässt sich nicht mit ein paar
Worten erzählen. Alte und neue Beschuldigungen wurden
hervorgesucht und dienten zum Vorwande, die geliebten
RAume, in denen die Jugendarbeiten gewachsen waren,
zu verlassen. Eine grosse Anzahl der besten Künstler
bezog die Werkstätten ausserhalb der Akademie und
damit trat eine neue höchst bedeutungsvolle und heilsame
Wendung in der Geschichte der Düsseldorfer Kunst ein.
Die etwas sehr das Treibhaus verrathende Pflanze fasste von
jetzt ab in dem gesunden Mutterboden immer mehr und
fester Boden. Und das merkte man ihren Blüthen an,
die eine immer kräftigere Naturfarbe zeigten, einen
immer würzigeren Duft spendeten. Sie athmeten die
frische freie Rheinluft und so gewann jetzt bald ihre
Bezeichnung als Erzeugniss der ^Düsseldorfer Kunst^
einen immer eigenartigeren, bedeutenderen Klang.
Die vierziger und fünfziger Jahre waren eine Vor-
bereitung auf die kommende erhebende ZQit, die überall
ersehnt und voraus geahnt wurde, ebenso auf dem Ge-
biete der Politik wie auf dem der Kunst. Wie viel
318 Zur Geschichte der bildenden Kunst in Düsseldorf,
Ahnendes durchklingt nicht die Worte, mit denen 1853
W. Müller von Königswinter sein vortreffliches Buch über
die Schade w'sche Schule abschliesst : „Haben die Düssel-
dorfer nun freilich auf den Gebieten der Genremalerei
und der Landschaft die grösste Vielseitigkeit entwickelt,
so soll damit nicht gesagt sein^ dass sie nicht auch eine
künftige Berechtigung zur geschichtlichen Kunst haben.
Hoffentlich werden wir wieder einmal ein geschichtliches
Volk, wie wir es vor Zeiten waren. Dann wird uns auch
die Geschichte in Bild, Drama, Epos nicht fehlen. Da-
mit diese frommen Wünsche aber in Erfüllung gehen, ist
es durchaus an der Zeit, dass die Regierung mehr für die
hiesige Schule thue, wie besonders in der letzten Zeit
geschehen ist. Vor allem bedarf die alternde Akademie
eine Erfrischung im Lehrpersonal und in ihren Einrich-
tungen. — Es ist auch nöthig, dass an einem solchen In-
stitut in der Geschichte, Kunstgeschichte und Literatur
von tüchtigen Leuten unterrichtet werde, damit ein
höherer Schwung in die Ideen, die zu genrehaft sind,
kommt. Ueberdies könnte es nicht schaden, wenn gleich-
falls Lehrer für die Genremalerei und Skulptur angestellt
würden. Und könnte nicht die Historienmalerei dann und
wann durch Bestellungen, die der Staat gibt, gefördert
werden?" —
Alle diese frommen Wünsche sind nun in Erfüllung
gegangen ; die heissersehnte Zeit ist gekommen, der Traum
der vierziger und fünfziger Jahre zur Wirklichkeit ge-
worden. Die grosse Wandlung, die sich auf politischem
Gebiete vollzog, die glänzende Erstehung des neuen
deutschen Reiches, hatte auch die Erhebung auf den
meisten anderen Gebieten, so auch auf dem der Kunst
zur Folge. In Düsseldorf vollzogen sich gewaltige fort-
schrittliche Veränderungen, die langsam vorbereitet mit
immer lebhafterer Bewegung vor sich gingen. Der Haupt-
anstoss dazu war, wie erwähnt, schon in der Loslösung
der Künstlerschaft von der Akademie gegeben worden.
Nach und nach Hessen sich ganze Schaaren von Künstlern,
die durch kein Schulverhältniss und keine Traditionen
mit der Düsseldorfer Akademie verknüpft waren, viel-
mehr Privatschüler, die ihr bedeutender Ruf angezogen,
in ihren eigenen Ateliers bildeten, sodass die Begriffe
Düsseldorfer Schule und Düsseldorfer Kunstakademie sich
langst nicht mehr deckten, da das Kunstleben Düssel-
dorfs der Akademie über den Kopf gewachsen war. Die
nächstliegende Folge war, dass die freie Künstlerschaft
sich auch einen Sammelpunkt zu errichten suchte und
dies durch die Gründung des Künstler Vereins „Malkasten"
Zur Geschichte der bildenden Kunst in Düsseldorf, 319
(1848) dokumentirte, der durch seine liberale Tendenz des
gemeinsamen collegialischen Wirkens eine segensreiche
Thätigkeit entfaltete und allein schon durch seine
glänzenden und geistreichen Feste einen wesentlichen
Factor im Culturleben der Kunststadt ausmachte. Eine
nicht minder erspriessliche Wirksamkeit wurde durch
andere vereinigende Institute, die Kunstgenossenschaft
sowie den Verein der Düsseldorfer Künstler zu gegen-
seitiger Unterstützung und Hülfe erzielt. Eine hei-
tere Seite einträchtlichen Zusammenwirkens fand ni
den „Düsseldorfer Monatsheften^, die eine Zeit lang
ganz Deutschland mit lustigen Künstlerschwänken ver-
sorgten, zum Ausdruck. Um für die unwiederbringliche
alte Gemäldegallerie einigen Ersatz zu schaffen, wurde
eine Städtische Gemäldegallerie ins Leben gerufen und
zwar aus vorzüglichen Werken der eigenen Schule. Hatte
sie durch ihr Emporblühen doch eklatant gezeigt, dass
sie das direkte Vorbild der Alten entbehren konnte. Ja
es war hier das auffallende Faktum zu konstatiren, dass
eben das Eraporblühen sich eigentlich gerade von der
Entführung der alten Gallerie her datiren liess, während
zur Zeit der Anwesenheit derselben kein rechtes Kunst-
leben gedeihen wollte, ebensowenig wie noch heute in
Städten, z. B. Dresden und Kassel, die die schönsten
Gallerien der Welt besitzen. Auch Münchens Kunst hat
von dem geraubten Schatz nur sehr zweifelhafte Vortheile
gehabt. Sehr wohl verdient war es demnach, dass die
preussische Regierung der Stadt und Künstlerschaft zur
Entschädigung für das vollständige Aufgeben der An-
sprüche auf die alte Gallerie eine Summe zur Erbauung
einer neuen Kunsthalle überwies und dass in ihr der
stadtischen Gallerie eine würdige Aufnahme bereitet wurde.
Diese sich nach und nach vollziehenden günstigen
Veränderungen blieben natürlich nicht ohne Rückwirkung
auf die Akademie, deren sich nun auch der Staat mehr
annahm, namentlich seitdem die Leitung des preussischen
Kultusministeriums aus den Händen von Mühlers in die
überall energisch eingreifen den Hände Falks übergegangen
war. Vor allem wurde die so nöthige Vervollständigung des
akademischen Lehrkörpers vorgenommen, theils durch
die anerkanntesten der selbstständig in Düsseldorf lebenden
Künstler, theils durch die hervorragendsten Schüler der
Akademie selbst, theils durch von auswärts berufene
Lehrer, welche bis dahin nicht vertretene Fächer lehrten.
Im Jahre 1862 wurde endlich die bis dahin nur auf dem
Papier stehende Bildhauerklasse zu wirkungsreichem
Leben erweckt und die junge Pflanze hat sich heute
320 Zur Geschichte der biltlenden Kunst in Düsseldorf,
bereits zu einem recht kräftigen und fruchtbringenden
Stamm entwickelt. Bald wurde auch ein Lehrstuhl für
Anatomie, sowie für Kunstgeschichte und Literatur er-
richtet. Nachdem endlich auch mit der Ernennung eines
Professors der Genremalerei ein vielversprechender An-
fang gemacht worden, folgte dieser Berufung bald die
Heranziehung einer Reihe der tüchtigsten jüngeren Künstler
als Lehrkräfte nach, namentlich auch für das historische
Fach; waren die Deutschen doch jetzt ein geschicht-
liches Volk geworden. Der glänzendste Erfolg dieser
wichtigen Neuerungen, ein überall sichtbarer begeisterungs-
voller und thatkräftiger Aufschwung liess nicht lange
auf sich warten. Und so kann Düsseldorf, das mittler-
weile sich aus dem kleinen, Lindenblüthenduft durch-
zogenen Landstädtchen zu einer weit ausgedehnten, handel-
und industriereichen prächtigen Hauptstadt des Rheinlandes
mit weit über 100000 Einwohnern emporgeschwungen
hat, mit vollberechtigter Genugthuung das Prädicat einer
Kunstmetropole in Anspruch nehmen. Die treue gute
Mutter, die sie der Kunst allzeit war, darf mit Stolz auf
die vorzüglichen Meisterwerke ihrer Söhne blicken, deren
Ruhm die ganze Welt durchklingt, sie darf mit hofftaungs-
freudigem Wohlwollen für ihre Benjamine, ftlr den viel-
versprechenden Nachwuchs, das Jüngste Düsseldorf**,
zuversichtlich heiter in die Zukunft schauen und, die
herzlichen Glückwünsche ihrer Getreuen entgegen-
nehmend, mit zufriedenem Lächeln in ihr siebentes
Jahrhundert eintreten.
Nicht besser lässt sich demnach diese Betrachtung
schliessen als mit den schönen, bei der Enthüllung
des Cornelius -Denkmals gesprochenen Worten Wilhelm
Camphausens :
„Wir dürfen alle mit Stolz heute empfinden, dass wir
auf Düsseldorfer Boden stehen, der 9ich denn doch als
Pflanzstätte der bildenden Kunst so fruchtbar erwiesen
hat. Ihre grossen Pfleger und Hüter, Cornelius -wie
Schadow, haben beide, jeder in seiner Weise, zu ihrem
Wachsthum und Weltruhm mächtig gewirkt und unser
Düsseldorf sendet nach wie vor die allwärts begehrten
Apostel ihres Lehramtes weit und breit hinaus ins ganze
Reich. Ueberall treibt, grünt und blüht ein ftrischer
thatenlustiger Nachwuchs und die verklärten Geister
derer, welche das Hohepriesteramt deutscher Kunst hier
geübt haben, dürfen sich der Frucht ihrer Aussaat wahr*
lieh in alle Ewigkeiten freuen!"
i'(.**'t.»«4..''C«'fc.J'i.«'«. ••'!..•'♦» ♦•■J..*'^ .»"«.**»,.••»„.•<,.»•», .•., •'•..•'^.♦•»^•'», ".»'»..••», «•«..•'{.^•»..•'^..••»..•'^..•••..•■»...'»..•■^...•«..••»..••^.••'-.♦••..''•-.••■-"^
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b) Buchdruck und Buchhandel in Düsseldorf.'')
(Verzeichniss der in Düsseldorf erschienenen Druckwerke bis zum
Jahre 1750.)
Von
Ij. Merländer.
tiehr als hundert Jahre waren seit dem Auf-
treten Guttenbergs veiHossen, ehe die Kunst
des Bücherdrucks in Düsseldorf heimisch
wurde. Die Stadt war zu Ende des 15. Jahr-
hunderts noch zu unbedeutend y das geistige
Leben in ihr noch nicht genügend entfaltet , als dass
eine Buchdruckerei, ttlr deren Erzeugnisse bei den im-
g^enügenden Verkehrsmitteln und dem noch in der ersten
Entwicklung sich befindenden Buchhandel hauptsächlich
auf Absatz in der Stadt selbst und in den nächstliegenden
Ortschaften gerechnet werden musste, Aussicht auf ein
lohnendes Fortbestehen hätte haben können; auch mag
die Nähe der Stadt Köln, der Hauptpflegestätte rheini-
schen Bücherdrucks, in welcher bereits seit dem Jahre
146i? diese Kunst erfolgreich betrieben wurde, und die
eine grosse Anzahl wohleingerichteter und bedeutender
Druckereien besass, das Bedürfniss nach einer Druckerei
in Düsseldorf nicht haben aufkommen lassen. So sind
denn auch die ältesten noch vorhandenen gedruckten
Düsseldorfer Regierungs -Verordnungen vom Jahre 1475
und spätere behördliche Druckschriften bis in die zweite
HÄlfte des 16. Jahrhunderts in Köln hergestellt worden.
*) Eine Fortsetzung der Geschichte des Buchdrucks und Buch-
handels in Düsseldorf, enthaltend die Druckwerke, welche nach
dem Jahre 1750 in Düsseldorf erschienen sind, wird von demselben
Verfasser in Jahrbuch IV und event. V des Düsseldorfer Geschichts-
Vereins gebracht werden. Den Schluss des Ganzen wird .ein Ver-
zeichniss derjenigen Düsneldorler Drucke bilden, welche eine
Ang^abe des Druckers nicht enthalten.
21
322 Buchdruck und Buchhandel in Düsseldorf.
Wann die erste Druckerei in Düsseldorf entstand,
ist urkundlich nicht festzustellen ; der älteste Düsseldorfer
Drucker, Jacob Baethen, scheint mit seinem Unternehmen
kein Glück gehabt zu haben, da er bald nach Erscheinen
des einzigen von ihm bekannten Druckes vom Jahre 1556
(s. u.) einer zweiten Druckerei den Platz räumen musste,
deren Fortbestehen für einen Zeitraum von mehr als
60 Jahren nachweisbar ist.
Das Aufblühen der gelehrten Schule unter Monheims
Leitung in der Mitte des 16. Jahrhunderts begünstigte
wesentlich die Entwicklung des Bücherdrucks in Düssel-
dorf und ermöglichte die Existenz einer neuen OfHcin,
die in unmittelbarer Beziehung zu dieser Gelehrtenwelt
stand und ihr auch ihr Entstehen verdankt.
In Nachstehendem soll nun zum ersten Male versucht
werden, über die in Düsseldorf bis zum Schlüsse des
18. Jahrhunderts gedruckten und erschienenen Werke
eine Aufstellung zu geben, die allerdings bei dem fast
vollständig fehlenden bibliographischen Material über
gerade diesen Theil des Bücherwesens, sowie bei der
Seltenheit der meisten Düsseldorfer Drucke, die mit ge-
ringen Ausnahmen nur in einer verhältnissmässig kleinen
Auflage hergestellt sind, den Anspruch auf Vollständig-
keit nicht machen kann. *)
Das älteste Düsseldorfer Druckerzeugniss, aus der
Officin von
Jacob Baethen
stammend,
1. S3an ®ottcö Onabcn / önfcr 2BiU)cImö ^crtjogen ju ®\\l\&i i
fficuc t)nb Serge / ®rauen ju ber 3Karcf önb SRauenfeberg / ^crm
JU JRaucnftcin etc.
Orbnung bed ©eriAtüc^en ^roceg/mte ed bamit ^in^
furter inn bnfer ©rafffc^afft äiauengberg gesotten werben foU ;
im iar taufenb ftinf^onbert onnb fe^dDnbfünff^ig ouggangen.
©ebrucft ju Duffclborff bet) 3|acob ©aet^en. 2R. D. 8bi.
ein Druck in Folioformat, wird in Buininck, Tentamen
p. 93 erwähnt, doch gelang es nicht, ein Exemplar aus-
findig zu machen.
Wohl auf Veranlassung seines Schwagers Johannes
Oridryus, der ein Lehrer an der Monheim'schen Schule
war, errichtete gegen das Ende des Jahres 1557
1) Besitzer hier nicht aufgeführter Düsseldorfer Drucke werden
freundlichst gebeten, Angaben Über dieselben an den Verfasser
dieser Abhandlung oder an den Vorstand des Düsseldorfer Qe-
schichts -Vereins gelangen zu lassen.
Buchdruck und Buchhandel in Dllsseldor/, 323
Albert Buys
die bereits erwähnte neue Druckoreiwerkstätte, als deren
Erstlingserzeugniss nachstehendes in der Königlichen
Landesbibliothek zu Düsseldorf auf bewahr tesWerkehen gilt.
2. Tabulae Joannis Mormellii ruremundensis in artis
componendorum versuum rudimenta ad primam auc-
toris editionem diligenter recognitae et ex eadem
auctae.
Adiecimus in puerorum gratiam et usum ualde
necessarium, de ratione distinguendi, ex Joanne Riuio
uiro doctissimo breuem praeceptionem.
Dusseldorpii £xcudebat Albertus Buys, Anno
MD.LVIIL
Format klein 8, Type römisch Cursiv, 61 nicht bezeichnete
Seiten, mit Custoden und Si^aturen.
Der ihm von der herzoglichen Regierung anvertraute
Druck
3. Orbttung / med unfer SBil^elmd ^er^oaen ju ©ttltdg / Sleue
önb Serge / ®rauen i^u ber ÜRarrf unb SRauenßbero / Ferren 511
Stauenften etc. 9(tn6t(eut bnb Seuel^aber in beotenung irer
Slmbter fid^ gu baUen.
©etructt ju !£)uff elburff butd^ «Ibertum 8ut)g. Anno MDL VIII.
fol. H. p. 122. >}
scheint indessen nicht zur Befriedigung des Bestellers aus-
gefallen zu sein, da spätere amtliche Schriftstücke wieder
in Köln gedruckt wurden ; es ist aber auch möglich, dass
ein Contract mit der Officin Erben Birckmans und Jacob
Soter in Köln^ die bis 1563 die herzoglichen Verordnungen
druckte, eine Ueberweisung dieser Arbeiten an den städti-
schen Drucker nicht zuliess.
Gar bald empfand Buys das Bedürfniss, für sein
[Jnternehmen eine wissenschaftlich gebildete Persönlich-
1) Abkürzungen:
A s= Juliae Montiumque Comitum, Marchionum et Ducum Anna-
lium. Colonia 1731.
B = G. J. Bnininck, Tentamen historicum de Ordinationibus
provinc. Juliacensibus Montensibus. Dusseldorpii 1794.
G =: Th. Oeorgi, Allgem. Europäisches Bücher-Lexicon. Leipzig
1742f58.
H 3= W. Heinsius, AUfi^em. Bücher-Lexicon. Leipzig 1793/94.
£ = J. S. Esch, Handbuch der deutschen Literatur, Amsterdam
und Leipzig 1812/14.
Lf = M. Lipenii Bibliotheca realis. Francofurti 1682.
V s=s D. Melch. Voets, Historia Juris civilis Juliacensium et Mon-
tensium. Dusseldorpii 1714.
WN sss Gülich und Bergische Wöchentliche Nachrichten, lieber
die biographischen Notizen verffl. ^Zeitschrift des Düssel-
dorfer Geschichts-Yereins*' 1883 Nr. 3 : „Buchdruck und Buch-
handel** von Dr. Tönnies.
21*
324 Buchdruck und Buchhandel in Düsseldorf,
keit ZU gewinnen, welche als Corrector an der Leitung
desselben theilnahm. Zu diesem Zwecke nahm er 1558
seinen Schwager als Theilhaber in sein Geschäft auf,
welches von Beiden unter der Firma
Johannes Oridryus & Albertus Buys
weitergeführt wurde.
Die Officin w9t verhältnissmässig gut eingerichtet.
Sie besass ein ausreichendes Schriftmaterial , bestehend
aus Schriften in 3 Graden Antiqua , 2 Graden römisch
Cursiv, 4 Graden Fractur, 1 Grad Griechisch und je
2 Alphabeten grosser Initialen in Antiqua und Fractur.
Ausserdem brachte sie 6 verschiedene kleinere und grössere
Kopfleisten, die zum Theil recht schön geschnitten waren,
sowie 8 Schlussvignetten zur Verwendung. Die Drucke
sind durchgehends sauber und schön hergestellt und be-
kunden die Sorgfalt eines geübten Fachmannes.
Aus der gemeinsamen Thätigkeit der beiden SchwÄger
gingen hervor:
4. D. ERASMI ROTERODAMI DE CONSTRVCTIONE
LIBELLUS, Henrici Primae scolijs illustratus.
Gerardi Listrii octo flgurae constrvctiones cum Anno-
tatiunculis Petri Vvinellij Harderuicensis. Cum ac-
cessione quadam non infrugifera ex Despauterio.
DUSSELDORPII Excudebant Johannes Oridryus
et Albertus Buys Affines. Anno 155€.
kl. 80. Cursiv Römisch, Antiqua und Griechisch, lOH nicht
bezeichn. Seiten, mit Cust. und Sign.
5. FRANCISCI FABRICII MARCODVRANI ANNO-
TATIONES in sex Terentii comoedias.
In qvibvs et veralectio ratione subiecta constitvitvr,
et mvlta interpretatione explicantvr.
DVSSELDORPII Excudebaux Johannes Oridryus
et Albertus Buys, Affines. An. M. D. LVIII.
kl. 80. Rdm. Cursiv, Antiqua und Griechisch. 218 nicht bez.
Seiten mit Cust. und Sign.
6. Epitome christianae et evangelicae veritatis plurimam
partem ex Erasmi Roterodami scriptis theolog^icis
excerpta. Dusseldcrpii 1558.
kl. 8<>. Römische Cursiv und Antiqua.
7. PVBLIVS TERENTIVS A. M. Antonio Mvreto locis
prope innvmerabilibvs emendatvs.
Cvm eivsdem Mvreti argvmentis ad singulas co-
moedias et Franc. Fabricii Marcodurani annotationibus.
Praemis. epist. nvncvpatoriam ad Jo. Vlattenvm
Dvsseldorpii 1558.
kl. 80. Rom. Cursiv.
Buchdruck und Buchhafidel in Düsseldorf. 325
8. CATECHISMVS, in qvo christianae religioiiis elementa
sincere simpliciterque explicantvi', avctore Jo. Mon-
hemio. Dvsseldorpii excvdebant Jo. Oridryvs et Al-
bertvs Buysivs, Affines. 1560.
kl. 80. 117 BlMtter.
9. C. Lycosthenis parabolae sive similitud. ab Erasmo
Rot. coli. DQsseldorpii 1561.
kl. 80.
10. P. Lagneri sententiarum (et apophthegni.) insign.
thesaurus ex Cicerone etc.
Dusseldorpii Oryelrius et A. Buyssius 1562.
kl. 80. 500 Seiten.
11. PVBLTVS TERENTIVS A. M. Antonio Mvreto locis
prope innvmerabilibys emendatvs.
Cym eivsdem Mvreti argvmentis ad singulas co-
moedi AS et Franc. Fabricii Marcodurani annotationibus.
DVSSELDORPII Excudebant Johannes Oridryus
et Albertus Buvsius Affines. Anno M. D. LXIII.
kl. 80. Rom. Cusiv. 14 unbez., 391 bezeich, und 13 unbez
Seiten mit Cust. u. Sign. Auf dem Titel das Druckersignet (s. u.)
12. Franc. Fabricii Ciceronis epistolarura select. libri 2.
Dusseldorpii Excudebant Johannes Oridryus et Albertus
Buysius Affines. 1565.
kl. 80. Antiqua und Rom. Cursiv.
13. jDei^ DuvdjtcuÄtigcii |)orf)gcbovcncn gnrften ünb ^crvn/^cvvit
SBil^clm ©cr^of^cn ju ©iiltd» ; ffiletjc önnb 93crg / ®vouen ^w
ber SWarrf unb Sflaucnfeberq / ^errn ju JRauciiftcin etc. 9Ied)t!3'
orbnunq \>r\ Sieformation / fantpt onbern Sonftttutionen / (Sbictcu
onb ertlerungen etlicher fcKc / njie eö jn beiben jvev g. 0).
f^urftent^umben ®uU(^ onb Sero geilten / geurr^cUt \>nt> evfanbt
merben fo(t / ouffd nen? reuibirt onb gebeffert.
9)2it einem neutoen Stegifter / nuc^ etUd)en f^onnulen fu
uor^tn mit babei getocfen.
9Rit Seljfert. SRoit f^rei^eit onb *^rioi(egio jn }e()cn jaren
nttt nQC^jubru(fen.
©ebrucft in jrcr gf. ®. Stat Duffelborff burdj Qoanncm
Oribrt)um tmb «Ibertum »u^fe. «nno ÜR. D. eiS.
fol. Deutsche Type, Fractur. Titel roth und schwarz gedruckt,
auf dem Titel das herzogliche Wappen in Holzschnitt. 2 Seiten
Privilegium, 12 unbez. Seiten Register, 1 Seite weiss, 211 bez. Seiten.
Mit ein^m blattgrossen Holzschnitt mit Monogramm Si^ Justitia,
Pax, Misericordia, Veritas sowie das herzogl. Wappen darstellend.
Auf S. 99 ein blattgrosser Holzschnitt, Baum der Sippschaft. 14
Kopfleisten, 13 Schlussyignetten in Holzschnitt.
14. Franc. Fabricii Disciplina Scholae Dusseldorpieiisis
Dusseldorpii Joannes Oridryus & Albertus Buyssius
1566.
8«. L. bibl. Philosoph. 1. p. 408.
326 Buchdruck und Buchhandel in Dlisseidorf,
15. Ciceronis Orationes pro lege Manilia de haruspicum
responsis, de provinciis eonsularibus, in L. Calp.
Pisonem, pro A. Milone, pro Ligario adnotat. illustr.
Dusseldorpii 1569.
kl. 8®. Höiii. Ciirsiv und Antiqua.
16. Crbnung / roclt^cv (jcftalt c*? mit bcv jn bcn ^"^ftcnt^uwbcn
einlief) dnb $crg ^ieuor geleifter / ünb i|}o aufd ntto betoiUigteY
ac^tiorigev '3lccl)g Dnb aufläge jufialten / ünb n)te biefelbc oon
einer jeben rvf)ax auf ju^eben. 'JK. !C ?. 3£i.
tbi. B. p. 98 ohne Bezeichnung des Druckers.
Das Signet (Buchdruckerzeichen) der Officin zeigt
einen auf einem Berge stehenden vielästigen Baum, an
welchem zwei sich kreuzende Anker hängen; eine An-
spielung auf den Namen Oridryus {=•. Bergwald).
Im Jahre 1572 verzog Oridryus nach Wesel, wo er
bis 1584 Rector der neuen reformirten Schule an der
jetzt evangelischen Willibrordikirche war, und Buys setzte
das Unternehmen für seine alleinige Rechnung fort.
Eifrig bedacht, den gesteigerten Ansprüchen, die ap das-
selbe gestellt wurden, zu entsprechen, legte er sich noch
eine neue Fracturschrift zu, die in Nr. 31 (s. u.) zur An-
wendung kam. Auch erfreute er sich nunmehr, nachdem
ihm bereits 1564 für den Druck der Rechtsordnung ein
Privilegium auf 10 Jahre ertheilt worden w^ar, der Zu-
weisungen des herzoglichen Hofes, welcher sämmtliche
amtlichen Drucksachen in seiner Werkstätte anfertigen
liess. Das im Auftrage des Herzogs Wilhelm heraus-
gegebene Prachtwerk dos Graminäus, die sogenannte
„Jülich'sche Hochzeit^ ist indessen nicht von ihm, sondern
in Köln hergestellt worden, da Buys die für den Kupfer-
druck nothwendigen Einrichtungen nicht besass.
Wieder unter der früheren Firma
Albert Buys
erschienen •
1 7. De« I)urd|Icud)ttflcn ^od^aeborncn gutften önb ^exm / ^errn
SBil^elmö |)cr^09cn ju ®uli(^ / Stltut bnb 93crg / brauen
^u ber aWarcf onb 9taucn8bcrg / ^crrn ju 9lQUcnftdn / ic.
^jtecbtdorbnung t)nb tRefortnatton /
9Rit oDer^anbt nä^Iic^en bnb nötigen batAU gehörigen
Dnb Mebeuor publicirten / ober bod^ ntemald baoei getructten
Sbicten t)nb gemeinen beue(^en t^^ ^^ff^ "^^ auggangen.
ÜMit Jletjferl. SKaü. grei^eit unb ^riuilegio in ge^cn jaren
nit na(^5utruc{en.
®etvuctt jn jver g. ®. ©tatt Duffetborff burc^ «Ibcrtum
SBuljß / Anno M. D. LXXUU.
fol. Titel roth und schwarz gedruckt, mit dem herzog]. Wappen
in Holzschnitt. Fractur.
BucMruck und Butihhandel in Düsseldorf, 327
18 imbez. S. (Register), 1 blattgrosser Holzschnitt (wie in
Nr 13), 1 Seite leer, 18« bez. S., wovon die letzte leer.
Auf S. 84 ein blattgr. Holzschnitt „Baum der Sippschaft". Mit
schönen Holzschnitt -Initialen, Kopfleisten und Vignetten, wie Nr. 13.
18. Statuta quarundam lUustrissimi Principis ac Domini
D. Guilielmi Juliacensium Clivorum, ac Montensium
Ducis, Comitis Marehiae et Rauensburgi, Domini in
Rauenstcin etc. Collegiatarum Ecciesiarum, authori-
tate Apostolica correcta et confirmata.
Anno M, D. LXXV Dusseldorpii excudebat Albertus
Busius. Anno M. D. LXXV.
B. p. 98.
19. Veterum aliquot Rituum seu Coiisuetudinum Ecclesiae
CoUegiatae Dusseldorpensis ad normam aequitatis
reformatarum Declaratio.
Dusseldorpii. Excudebat Albertus Busius. Anno
M. D. LXXV.
B. p. 100.
20. Veterum aliquot Rituum seu Consuetudiuum Ecclesiae
CoUegiatae Monasteriensis Eiffliae ad normam aequi-
tatis reformatarum Declaratio.
Dusseldorpii. Excudebat Albertus Busius. Anno
M. D. LXXV.
B. p. 101.
21. Veterum aliquot Rituum seu Consuetudiuum Ecclesiae
CoUegiatae Juliacensis ad normam aequitatis
reformatarum Declaratio.
Dusseldorpii. Excudebat Albertus Busius. Anno
M. D. LXXV.
B. p. 102.
j 22. Veterum aliquot Rituum seu Consuetudinum Ecclesiae
j CoUegiatae Heinsbergensis ad normam aequitatis
reformatarum Declaratio.
( Dusseldorpii. Excudebat Albertus Busius. Anno
M. D. LXXV.
B. p. 102.
23. Veterum aliquot Rituum seu Consuetudinum Ecclesiae
CoUegiatae Sittardensis ad normam aequitatis refor-
matarum Declaratio.
Dusseldorpii. Excudebat Albertus Busius. Anno
M. D. LXXV.
B. p. 102.
24. Veterum aliquot Rituum seu Consuetudinum Ecclesiae
CoUegiatae Wassenbergensis ad normam aequitatis
reformatarum Declaratio.
328 Btiehdruek und Buchhandel in DOseefdoff,
Dusseldorpii : Excudebat Albertus Busius. Anno
M. D. LXXV.
B. p. 102.
25. ^oliäci) fambt anbcrn Ovbnuuflcn önb ©bieten t>e<s riird)
Icuc^tigen ^od^gcborncn fjurftcu önb ^errn / $cmi aöiü)clm^
|)cr^oflcn iu ®ulid^ / Öleuc önb Serge / ©roucn ju bcr 9Kar(!
t)nb JftauenSbcrg / ^evrn au JUauenftein / 2C. ^^^o ober mit
nublidien jufe^en jum anoernmad auggongen. ©etrucft jn
jreir g. &. ©tat Duffelborff burc^ albcvtum »mife, ^m jo^r
grunffje^en^unbert (Sintinbod^t^ig.
fol. Fractur 83 Seiten.
Erste Düsseldorfer Ausgabe der Polizeiordimug. (1558 Köln,
Soter, 15<53 Köln, Soter.) Vergl. B. p. 78. Historisches Politisches
Handbuch Theil III Pfalz § 84.
26. ^^oIt(^e^ fombt anbeten Orbiiungen onb (Sbictcn bei9 X)nrc^tcad)^
tigen ^oci^geborenen f^urftcn t)nb |)errn SBU^etmd ^er^^ogcn .^u
@uUcl^ / Qtcue unb Serg / brauen ju ber SRarcf t^nb dtaucndberg /
JOerren ju Staiicnftein. 3tud^ Orbitung / we$ SWjrer 3für|tt. (Knaben
ämptleute onbSefet^aber in bebienung xfyczx^mpttx [lij ju t)alten.
3^0 aber mit nu^Iid^en jufe^en jum anberma^I auggangcn.
®etru(ft in 3^rer gürftt. ©naben (Statt 3)ufTetborff Durd)
aibertum »utjfe / im ^a^r 1581.
fol. Fractur. 99 S. V. p. 122.
Zweite Ausgrabe der Poiizeiordnung aus demselben Jahre.
27. X)ed ^urd^l. ^»oc^geb. durften k)nb 6errn / ^errn föit^elmd
ßer^ogen ju ©ultd^ / dtem tinb 99erg / Srauen ju ber SRarcC Dnb
^auen gberg / ^er m ju 9iauenftetn 2C. Sled^td^OrbnungDnb
Sieformation; mit atler^anb nfi^U^en t)nb nötigen barju
gehörigen t)nb bor dato herunter gefegt publtcirten / aber bicfer
^ed^tdorbnung bid an^ero niemal^td betigeffigten ©bieten Dnb
gemeinen beuel^en^ je^jo auffd nekve auggangen.
SWit Stat)\. gWaj. ^ret^^eit önb priuil. in 10 joren nit na*^
jubrudCen, gebrucft jn jrer g. ®. (Statt ©uffelborff burcft 9ttb.
»ut)B 1582.
fol. 191 S. B p. 86.
Dritte Ausgabe der Kechtsordniing.
28. EXHORTATIO DE ESSEQVENDA CALENDARII
CORRECTIONE QVAM S. D. N, GREGORIVS XIIL
PONT. MAX. EDI PROMVLGARI ET PER ITALIAM
caeterasque orbis Christiani partes Anno MD I x x x i j.
obseruari mandauit. AD SACRAM CAESAREAM MA-
JESTATEM IMPERII ELECTORES AC PRINcipes cae-
terosq. Status : Praecipud verö ad serenissimum Reue-
rendissimunq^ principem Ernestum, recens electum
Archiepiscopum Coloniensefn, Principem Electorem ect.
Nee non ad Illustrissimum et Reuerendissimum D.
Joannem Wilhelmum , Postulatum Administratorem
Monasteriensem, luliae, Cliuiae et Montium et Ducem
Buekdruek und Buehha^täü in Dfl9$Morf. 329
haereditaiium^ Dominos suob dementissimos, directa
et scripta.
Per Tlieodorum Oraminaeum, Pbilosopliiae Doc-
torem J. Licentiatum, Illustrissimi ac Reuerendissimi
Principis ac Domini D. Joannis Willieimi Administra-
toris Monasteriensis etc. consiliarium. DVSSELDORPII
Excudebat Albertus Busius Anno 1583.
40 gMi% in Cursiv £^drnckt. 44 unbez. S.
Auf der Rflckfleite des Titeln da« Wappen der Rechtsordming^
von 1565.
29. Bernardi Molleri historicum Tapetum pro Joannis
Wilhelm! Juiiae, Cliviae, Montuimque Ducis et Jacobae
Marchionissae Badensis nuptiis. Dusseldorpii 1585.
4<>. Nach J. Th. Brosii, Annalea Coloniae 1731.
30. 8inj. X^omartud^ a>er ®eelcu @peiB/ !DüffeIbort Sltbcrtud
9u96 1585.
31. X^l^e ^folmen S)auibd / Sie bie ^iebeuor in aflevtej art
Stemmen Dnb ÜRelobeien / bur* bcn ^crrn CA8PARVM VLEN-
BER0EN8IVM in Zvud Derfertigt / ncmlic^ ab^efem / l^nb
alltn onfangenben ©d^filem ber SRuttc ^u X)tenft emfcittg mit
biet Stimmen juaericfttet: !Durd& CVNRADVM HAGIVM
RINTELEVM. 3)iefer3eit bed !Z)ur(l^leu(^tigen f $od)gebiirct(
^urften t^nb ^erm / |>emt ^o^nd ffitt^elmm / ßer^ogcn ^n
®flltc^ / SIeue DYib 99erg / (Stauen ,^ur SDlorcf Dnb SVauenBberg
/©erm ju JRauenftein / jc. MV8ICVM.
Werbet \>oti bed 6eiUaen ©eijted / Dnb rebet Dtitercinanbev
t)on Vfotmen / ono 8od / Dnb @(eift(i(4en ®ef engen f Singet
bnb Sobftnget bem &errn in emrem £ier$en. Sp^ef. u.
©ebrucft ju 2)fiffelborff burc^ 3l!6ert ^u^g ' int jo^v nacb
(£^vifti ®e(urt / ffln^je^en^unbert neun t)nb Qc^^ig.
foss 40. Fractur mit 51inigem Notensatz,
unbez. S. (Vorrede) 311 unbez S. Text. Mit Sign.
Auf der letzten Seite ein Holzschnitt. König David ndt der
Harfe zwischen zwei Spielleuten darstellena.
Mit diesem Drucke schliesst die mehr als dreissig-
jährige Thätigkeit des Albert Buys. Bei seinem bald
darauf erfolgten Tode vererbte sich das Geschäft auf
seinen Sohn
Bernhard Buys,
der indessen nicht den Unternehmungsgeist des Vaters
besass und die Druckerei ziemlich vernachlässigte, so dass
solche bald in Verfall gerieth. Seine Drucke sind weniger
sorg^ltig behandelt und lassen eine nachlässigere Aus-
führung unschwer erkennen.
32. JDrbnung tonfer 3o^<^nd äStlMmd )9on &ottt^ gnaben ^evt^ogen
}u ®uli$ / S(euc tmb Scrg / (brauen ,^1 brr äKarcf mmb iRauenf »
330 Buehdruck und Buchhandel in Düsseldorf»
bcrg / |)errn ju Stoucnftein it. Sanbfc^reiber / bariuncn aud|
etlid^e puncten/fo t)nf erc ®ulic6ifd^e / 3)ergif d^e bnb Sloueudbergifd^e
9(in6tleut^ / $ogt ' ®d^oU^eiffen / 9Ii^tere / ü^tngere uiib anbere
35icnerc betreffen, wie bicfelbe bei ben Sruc^ten üerftoeren tonnb
fonftcn fic^ juuctl)altcnn.
®cbruit jn jrer g. ®. ©tat Duffetbovff Durd) ©crnorbum
93ut)g 3tn JQ^T funffje^en ^uubert (Sieben ünb neunt5ig.
fol. B p. 00. V. N. 376.
33. M. TÜLLII CICERONIS EPISTOLARVM SELEC-
TARVM LIBRI DVO.
DVSSELDORPII Excudebat Beriiardus Busius Anno
M. D. XCVIIII.
kl. 8". Antiqua ii. Cui*8iv. 4 u. 82 uubez. S. mit Gast. u. Sig^.
Auf dem Titel das Buchdruckerzeichen von No. 11.
34. lOANNIS PITSn ANGELI SACRAE THEOLOgiae
Doctoris de Peregrinatione libri septem, lam primum
in lucem editi.
Psalmo 67. Mirabilis Deus in sanctis suis.
Cum Gratia et Privilegio S. Caes. Maiestatis.
DVSSELDORPII Apud Bernardum Busium Anno
CIO 10 CIV.
129. Antiqua u. Cursiv. 16 unbez. S. (Von-ede), 12 unbez. S.
(Index) 1 Bl. weiRH, 628 bez. S., 2 unbez. S. (Errata), 3 Vignetten.
Auf dem Titel eine kleine Vignette (Löwenkopf).
35. Orbnung )7nb Steformatton bt^ iDurc^leuc^tigen / |)Q(lbgebomen
»durften t)nb Ferren / |)errn Sil^elmd ^er|}ogen ju^ulic^ /
dleue t)nb SSerg / ®rauen )u ber SRardE bnb Slauengberg / ^erm
ju 9iaucnftein etc. 97eben anbevn Sonftituttonen / (Sbicten unb
crflerungen e|licl^er feile / ttnt ed berent^alben in betben jret
f^. &. gurftent^umben ®ultcl^ bnb Serg gehalten / geurt^etlt Dnb
crfanbt merbcn foU.
3|o aug gnebigem beuelc^ bed dud^ !Dur(^Ieud^tigen ^oc^-
[ebornen (durften Dnb ^errn / ^errn ^o^and 9Bi(f)e(m
ler^ogen }u ®ulidb SIeue bnnb iBerg / ©tauen gu ber 3Ravd i
tauenlberg bnb 9)toerg / ^erm ju 9iauenftein / etc.
Qu^d ntto reDibtrt / t)nb ntit e^Iic^en ^ugefe^ten (Sbicten in
trucf brad^t. 9Rit einem t)erme^rten 9{egi[ter.
ÜRit Sle^f. 9RQq. greü^eit Dnb ^riuilegto in je^en jaren nit
noc^AUtruden.
®etru(ft in irer ^. &. @tatt !£)uffeIborff burc^ Sem^arbt
Su^g. 3m )Q^r t^aufent feti^d^onbert Dnb fed^d.
fol. Vierte Ausgabe der Rechtsordnung. B p. 111.
36. ^olije^ Orbnung bed S)urd^(eud^tigen / ^od^geborenen gUrften
Dnb ^erm / ^erm 3BiI^e(md ^er^ogen ju ®üKd^ / (Steüe ünb
93erg / ©raben ju ber ^laxi ünb SlabeuiSberQ / fetten au Sflabtn«
[tein ect. fambt onberen Orbnungen t)nb (Sbtcten / xoit Jxif ^rer
rürftl. Knaben Hmptleut^e bnb 9efei)I6aber in bebienung i^er
[mpter ju ^Iten.
Buehthrttck und Bwshhandtl in DOaMMorf. 931
l^etJQ auffd nett) au§ anäbigen Sefelc^ bed audj jDutc^«
Icuc^tiaen / |)0(l^ge6orenen Suiten Dnb Ferren / |)errn !0[o^ahd
Stl^elmen $et^ogen ju ©fitic^ / Siebe dnb Serfl/®raüen 5U
bcr ^atcE / ^abendberg bnb SRoerg / Ferren j^u SRot^enftein etc.
mit ^ufa^ etlicher ^iebeboren aulgongener (Sbtcten t)nb 3)efeld^»
fc^Jf ten Derme^t Dnb fambt ange^eff ter SBruc^ten Orbnung in
trudc verfertigt.
3Rit einem nemen Stegiftcv.
©etrudft in 3^er garftl. ©naben ®tatt S)uffeIborff burc^
Sem^rbt Su^g im 3a^r 1608.
tbl. V. p. 128. Dritte Ausgabe der Polizeiordnimg.
37. Copia @(^eibend ßrn. (Srnft / üRarggrafcn ju Sranbenburg unb
.6m. SBoIfgang ^ill^elmd ' ^fahgrafen am Sl^ein de dato
f)fiffeIborff 10. Slug. an bie Stöm. Sla^f. aRajeft in puncto
PoMeBsioniB. !Cfi{feIborf IGOiK
4«. L. Bibl. philos. 1/768.
38. APPELLATIO PRIMA. «fmeUation k)nb $rot)ocation be^ber
Snierten getoalbtmäc^tigten ^lirften in ben ©ülidif d^en / SIet)if d^en /
Dnb zugehörigen Sonben.
Sßie biefelb oon ^^ren ^. 0;. ®. ®. bem j^erren Sburffirften
wn 9Re^n| dnb onberen sugef^icft morben. S^it i^ren Senlagen.
(Srftli^ gebrutft in 3. g. g. ®. ®. Statt Düffelborff /
burc^ Sem^arben Su^g / 3m 3ol)r M.-DG. X.
40. 116 bez. S. auf dem Titel eine kleine Vignette, auf 8. 88
der Titel der Appellatio secunda.
39. SopeQ ^erm (Srnften 9Rarggraf[end gu Sranbenburg / bnb
6errn iffiolffgang !ffiil^e(md ^failgrafen / etc. (Schreibend / an
$öm. Stot). uRq^. \oMfi bet^gelegtem ^nftrument provocationia
et oblationis.
A^. Fractur 4 unbez. S., 1 Kopfleiste, 1 Initiale, ohne Ort-
und Jahresangabe (1610 von Buys gedruckt).
40. Appellation ßr. (Smften SRarggrafen }u Sranbenburg / unb Sr.
Sßolff gana Sil^elm ^fol^groffen t)on megen ber in bem Su«
li(^if(9en ^firftent^um gemorbenen ftriegdleuten in causa reti-
nendae Possessionis. $)fiffe(borff 1610.
40. Lip. Bibl. philos. I No. 768.
41. Phil. Ludovici Com. Palatini Refütatio eorum quae
contra Jus suum afferuntur. Dusseldorpii 1611.
40. L. Bibl. jurfdica I No. 404.
42. Resolutio lohannis Casimiri in Causa Tutelac Electo-
ralis Palatinae data, quorundam Germaniae Principum,
quia Ludovico Electore, Tutores nominabantur in
Testamento Legatis anno 1584. Dusseldorpii 1611.
4«. L. Bibl. jurid. I No. 175.
43. ?^erncr unb bodtommener Seri&t / bon bed $n. ^^iltpp Subknigen '
$fQ(|graffen be^ 9{^ein/etc. dted^tenffu 3- a- ^' wegen ber
angefaflenen Tutel gebfi^rt etc. 3)fiffelborff Kill.
4«. L. Bibl. philos. II. No. 1084.
S32 Bndfdruck und Buehhantfe! in DflM^eidoff.
44. Ulterior et plenior Informatio in causa administrationis
ElectoratusPalatini, cum refutatione praetensaeTutelae
Testamentariae pro Dn. Philip po Ludovico,
Comite Palatino Rheni. Dusseldorp.
40. ohne Druckjahr (1611) L. bibl. jur. I No. 175.
45. DE LA CHARGE ET DIGNITE DE L' AMBASSADEVR:
PAR JAN HOTMAN Sieur de Villiei-s. Troisidnie
edition augment^e et meilleure.
AVEC VNE LISTE DES Auteurs qui ont escrit
en ce mesme sujet. et VN EXTRAIT DE L'ANTI-
COLAZON. A DVSSELDORP Par Bernard Busius
MDCXm.
129. Antiqua. 10 unbez. S. (Vorrede) 274 bess. S.
46. Legatus Galliens loannis Hotmanni Villerii Franc.
F. Utrag. ediHo Gallica anni MDCIII et anni MDCIV
nunc verö long^ melior ec auctior eadem lingiia.
Dusseldorpii apud Bernhardum Busium. M. D. CXIIL
b<>. Erwähnt in: Jan Hotman, de la Char;^e de i*Aniba8sndeur
Dasseldorf 1613.
Mit dem Tode Beruh. Buys, der vor lß!JO erfolgt sein
miissy hört das Geschäft auf: Werkzeuge und Schrift-
material wurden verkauft, und finden sich aus letzterem
einige Schriftsorten in den Drucken von
Heinrich Ulenberg
wieder. Ulenberg ist der erste DQsseldorfer Drucker, der
den Titel „Herzoglicher Buchdrucker^ führt, der ihm in-
dessen erst nach mehrjähriger Thätigkeit verliehen worden
sein muss, da seine älteren Drucke diese Bezeichnung:
nicht enthalten.
47. EXTRACTVS DIVERSARVM EXTINCTIONVM PRO-
XBMLS XXX. ANNIS circa Monasterium B. Mariae Vir-
ginis Ordinis Regularium Nouesicnsium attentataruni.
DVSSELDORPn Imprimebat Henricus Vlenbergius.
ANNO M. DC. XXIV.
4^ Antiqua, Cnrsiv und Fractur, 9S bez. S., 1 Kopfleiste.
Auf dem Titel eine Vignette.
48. SCHEDION APOLOGETICVM AC REFVTATIO IN-
FAMIS LIBELLI; Titulo: Piae ac justaeDefensionis etc.
Sub Pei-sona et flctitio Noraine PHILADELPHI VERK-
MENTANI HAGIOPOLITANI euulgati:
Ad responsum Juris, in Causa CANONICORVM.
REGVLARIVM NOVESIANORVM, contra noniiullo^
Offioiatos Archifraternitatis Sanctae Crucis Coloniens^ia.
PER WERNHERVM THVMMERMVTH ADVOCAT etc
Buchdruck und Buchhandel in Düweläorf. 3.')3
Esaiac 9. vers. 19. Vir fratri suo non parcet.
Et diclinabit ad dextram, et esuriet et comedet ad
sinistrani, et non saturabitur: vnusquisque carnem
brachii sui vorabit; Manasses Ephraim et Ephraim
Manassen, etc.
DVSSELDORPII, Typis excudit Henricus Vlen-
bergius, ANNO M. DC. XXIIII.
40. Antiqua u. Cursiv, b6 bez. S., 2 Kopfleisten, 3 Vignetten.
49. COPIA l>cd «ertrag« / fo jwifc^cn 3^rer C^urfl. ÜJurd^t.
511 Svoiibcnburg f t)iib ^fol^ 9cen)6urg / ben neunbten 9Rartti
Anno 1629 ab$ie()anbelt. Q^ebrucft ^m "^oisiX M. DG. XXIX.
4^ 13 nnbez. S^ Fractnr. Titel mit kleiner Vignette.
50. Svccessio Principvm Ivliae, Cliviae ac Montivm ex
quo Comitibus in Duces evecti sunt. Item Dominorvm
Heinbergensivm, qvi annis qvingentis et supra eidem
dominio cum imperio pra fuere tanguam majoris
operis delineatio.
Accedvnt Tetrasticha in comites ac dvces clivenses
cum notis Avthore R. D. Petro k Streithagen canonico
Heinsbergen&i.
Omnis pro patria Labor et pro principe sumptus.
Dusseldorpiiy Typis Henrici Vlenbergij Ducalis Tjf^th
gi'aphi. Anno 1629.
40. Antiqua. 2 S. u. 25 bez. S. 2 Kopfleisten, 1 Schluss-
vigiiettc. Titel nach dem handschriftlich ergflnztcn Exemplar der
Kgl. Lnndesbibliothek zu Düsseldorf.
51. Tetrasticha in Comites ac Duces Clivensis, cum
notis. Authore R. D. Petro k Streithagen canonicus
Heinsbergensi.
Dusseldorpii , Typis Henrici Vlenbergy, Ducalis
Typographi. Anno 1629.
Ebensowenig wie über Ulenberg besitzen wir Nach-
richten über seinen Nachfolger
Christoph Ort,
dessen Wirksamkeit nur den Zeitraum weniger Jahre
umfasst. Wahrend sein Name auf den Drucken vom
Jahre 1632 ohne jede weitere Bezeichnung vorkommt,
tritt O. uns in der Rechtsordnung von 1635 als „Fürstlich
Pfaltz Newb. Buchtrucker" entgegen. Nur wenige seiner
Drucke sind uns erhalten worden.
52. Specvlvm vitae, vel statvs conivgalis, sive meraora-
bilia exempla plurium Sanctorum, vel pissimorum
Coniugum praeclare ab eis in eo statu gestorum
selecta ex editis S. S. rebus gestis et S. Scriptura
studio boni communis in lucem data industria.
334 Buchtiruek und Bttefthafidel in Düs$Morf,
Casparis Zephyrini, Art. Lib. Magistri, et Eccle-
siastae. Dvsseldorpii, Excudebat Christophorus Ort.
M. DG. XXXII.
8^ Antiqua. 29 unbez. S- (Dedication, Inhalt und Vorrede),
338 bez. S. 1 Blatt weiss, 8 unbez. S. Reg^iBter, 1 Schlussvignette.
53. R. D. Casparis Zephyrini Artium liberalium Hagistri.
Elegiarvm liberi III
(Vignette)
Dvsseldorpii, Excudebat Christophorus Ort.
M. DC. xxxn.
80. Antiqua. 206 bez S., wovon S. 128 leer.
Einige kleine Randleisten und Vignetten.
54. Sphaerae Terrestris quadripartitac Siue Historie
metricae IV. Partium Orbis Europae, Asiae, Aphricae,
Americae libri IV.
Ad IV. Sacri Romani Imperü Principes Eccle-
siasticos. Authore Caspare Zephyrini, Art. Lib. Mag.
Dvsseldorpii, Apud Christophorum Ort / Anno 1632.
80. Römisch Cursiv. 14 unbez. S. (Dedication und Vorrede),
222 bez. S. 8 Kopfleisten, 2 Vignetten. Auf dem Titel eine kleine
Vignette.
55. Sled^tfi« Se^en« ©eri^tfdireiber« S3nb Reformation Orbnung 2)ed
^Durd^Ieui^ttgen durften Dnb Ferren ^errn 993it^e(md, ^er^ogeu
m miiq I aUut t>vh Serg / ©raffen ju ber SRarct ünb
iRauengberg / ^errn ju ätauenftcin / 2C.
92eben anbern Constitutionen (Sbicten dnb mrtlärunaen
eMtd^er fl^äße / n)ie ed berent^alben in be^ben ^ürftent^utnoen
^ü(ic6 bnb SBera gehalten / geuert^eitt bnb ertonbt merben f oU.
lOte^unb aug gnabtgften SBefelc^ 2)ed quc^ üDurditeudittgen
gürflcn önb iQtvxn / ^ctrn WOLFGANO WILHELMS ^fol|«
graffen be^ 9t^et^n / in )8a^etn / ju ©fllic^ / (SIeue bnb Serg
^et^ngen / ©raffen ju $etben|/®pon^eimb/ber äRarcf /9Iauen§'
berg bnb 9RoerB / ^errn in SRauenfteln 2C. Suffd nem bber«
fef)en / mit fleig corrigirt / bnnb iebevmennigltc^en jum bcften
mieberumb in Zxud brad)t.
9Rit jme^en nu^tid^en 9iegifter.
Cum Gratia et Priuilegio Ducali.
©uffclborff / ®etru(!t bnb betlegt burt^ tt^riftoff Ort / gfirftt.
$fal^ VlettA. ^uc^trudCer / ^m ^affx na4 ber gnabeuteidben
geburt 3cfu C^fri 1635.
Fünfte Ausgabe der Rechtsordnung,
fol. V. N. 23. B. p. 121.
Es ist nicht zu verwundern, dass die Wirren und
Nachwirkungen des dreissigjährigen Krieges, der Deutsch-
land in wirthschaftlicher wie auch geistiger Beziehung
tiefe Wunden geschlagen hatte, sich gerade auf dem Ge-
biete des Bacherwesens besonders bemerkbar machten
und einen Rückgang des Buchhandels zur Folge hatten,
Buchdruck und Buchhandel in DüMtldorf, 335
der die kleineren Druckwerkstätten am empfindlichsten
traf; jedenfalls dürfte hierin der Grund zu finden sein für
das fast vollständige Aufhören buchhändlerischer Unter-
nehmungen in Düsseldorf während eines Zeitraumes von
mehr als 30 Jahren. Zwar erschienen vereinzelt in jener
Epoche einige Drucke (s. u.) meist politischen Inhaltes,
doch ist auf denselben ein Drucker nicht namhaft ge-
macht, und dürfte es zweifelhaft sein, ob sie sämmtlich
in Düsseldorf gedruckt worden sind.
Gegen Ende der sechsziger Jahre tritt uns in einem
nicht datirten Drucke, dessen Vorrede vom Jahre 1667
stammt, zuerst der Name des Druckers
Arnold Schieuter
entgegen, mit welchem die nunmehr ununterbrochene
Reihe der Düsseldorfer Drucker wieder eröffnet wird.
Kurfürst Johann Wilhelm unterstützte ihn, mehr aber
noch seinen Sohn und Nachfolger Johann Christian
Schieuter, indem er die Rechts- und Polizei - Ordnungen
Herzog Wilhelms mit Zusätzen versehen aufs Neue heraus-
geben lässt und einen mehrmaligen Druck derselben ver-
anlasst.
Von Arnold Schieuter suid uns nur zwei Drucke
bekannt :
56. HISTORIA JURIS CIVILIS JVLIACENSIUM ET MON-
TENSIUM, Nunc secundum edita et APPENDICE aucta
ac locupletata. Opus omnibus, qui in Judiciis Du-
catuum Juliae et Montium Causas agunt et Jus dicunt,
apprim^ utile et necessarium AVTHORE Serenissimi
Principis et Domini DOMINI JOHANNIS WILHELMI
Comitis Palatini, Rheni, Bavariae, Juliae, Cliviae ac
Montium Ducis etc.
Consiliario intiroo, causarum feudalium Directore,
Aulici judicii Commissario et Ducalis Archivi Custode
D. MELCHIORE VOETS ICto.
Prostant DVSSELDORPII Apud ARNOLDUM
®d)Ieuter.
fol. ohne Angabe des Druckjahres (Vorrede datirt von 1667).
Fractur und Antiqua. 8 unbez. S. (Vorrede; 124 bez. S., 8 unbez. S.
(Index), 2 Kopfleisten, 8 Vignetten. Auf S. 9 das herzogl. Wappen.
57. Orbnung !DSd ^od^^^f^ilrftlic^en miiii- unb Sergifdien $off^
©cric^tö AU 55ucffclborf /
®QniDt bcnen an gemeltent ^off«®eri(l^t nac^ unb uac^
publieirten gemeinen Sejc^eiben /
?lud gnaebigftem SBefcId) t^t^ iJurd&Icu^tigften guerften
unb J)(S9i«W JOHAN WILHELMEN / ^^falfegtaffen bet) 9»f|ein /
in 33aeQern f 5u ®uUrf) S(eDe unb Serg / ^er^ogen / ®raffeu
336 Bttehdruek und Bttehhandel in DBs«€ldorf,
ui $elben^ / <Spon^cimb / Der 3Kar(f / 9tat)€nB(erg iiiib 9MoerB /
^cvren m SRaocnftciit etc.
3n Irurf öcrfcrtigt.
©ctrurft ju Ducffctborff / »ci Arnold ScWeuter 1684.
fol. Erste Ausgabe der Hofgerichtsordnung.
Im Jahre 1693 übernahm
Johann Christian Schieuter
das Geschäft seines Vaters, welches er unter seiner eigenen
Firma fortsetzte. Die vorhandenen alten LagerbestAnde
liess er nachträglich noch mit der neuen Firma versehen,
wie dies ein im Historischen Museum zu Düsseldorf be-
findlicher Druck von Nr. 56 zeigt, dessen Titel die Be-
zeichnung
DVSSELDORPII, Prostant apud Johannem Christianum
@(A(cuter. Anno 1698.
trägt, nachdem die ursprQngliche Druckangabe überklebt
worden war. Seinen Verlag erölRiet er mit nachstehendem
Werke von D. Melchior Voets, dessen erste Auflage in
Köln gedruckt worden war.
58. TRACTATUS DE JURE REVOLÜTIONIS AD LUCEM
ORDINATIONIS JUDICURIAE, Cap. »efcftluB Doii
Succession 88.
^a% nad^ altem f^crtommrn unb ®tbvauif ber ^firften»
ttpntben ®fi(id^ unb 93erg / bie ®fiter faden unb erben f oQen
^tnber ftc^ an bie näc^fte (Sxben, ba^er fte (onrnten.
In quo Praecipua REVOLÜTIONIS Capita tan-
guntur, Exemplis, Praejudiciis et rebus judicatis iUu-
strantur, nee non Materia Successionis ab instetato
accurat^ et nervosa enucleantur AUTHORE D. MEL-
CHIORE VOETS IC, Ducali Juliae et Montium Oon-
siliario Intimo et Vice-Cancellano, Nee non Aulici
Judici Dusseldorpiensis Commissario et Ducalis Ar-
chivi Praefecto.
Accedit ejusdem Authoris Tractatus ad Observa-
tiones Feudalis. Editio Secunda Correctior.
DVSSELDORPII Typis et impensis JOHANNIS
CHRLSTIANI SCHLEUTER Anno M. DC. XCIV.
fol. Titel roth und schwarz gedruckt, mit kleiner Vignette
Fractur und Antiqua. 4 unbez. S. (Vorrede), 63 bez. S. (Text).
7 unbez. S. (Index), 44 bez. und 4 unbez. 8. (Observatioiies), 4
Kopfleisten, 8 Vignetten. Grosse Holzschnitt-Initialen.
59. &nü(i^" unb Seraifc^e ^e(6td> Sekret» ®eri(6tdf(^rei6ev< Srflc^ten«
i^oücet)« unb REFORMATION-09tD92U92® • 7)e^ 3)ur(4(eui^
tigftcn f^firften unb ^erm / ^errn SBiU^etind / ^er^oaen lu
mixdi I Steoe unb $erg / ^raffen ^w bcv 9K(iV(f unb 9)!al>enB^
bcTQ / $(£9i9T9! ju dtanenftcin etc.
Buchdruck und Budthandel in MssMot'f. 337
92e6en anbeten Goustitntioneny Edicten unb (Sr((övun()en
etltd^e f^Uc n^ie ed berent^alben in be^ben ($firftent^um'6cn
®iUi(4 unb 93er9 gehalten / geurt^eiU unb erfonnt merbcu fo((.
^e^unb aug gnäbigftem Sefeld^ bcd au(^ Surd^feud^tif^ften
(ävo§mad)tiqften S^ur « gfirftcn unb joerm / ^m. JOUAN
WILHELBiS, ^fal^raffen beQ »Mn / 33cd ^eil. 9»5m. Steid^o
(Sr^«®(^at}metfterd unb S^uvffivften / in Sägern / -^u (äflltd) /
(S(et)e unb Setg ßer^ogen / @rafen ,ut Selben^ / (Spon^cimb /
ber SRard / SRaüenlberg unb 9Roer| / ^ervn ,^u SRabenftein / etc.
Suffd ntto fiberfe^en / mit ^(eiß cojrrigirt unb jebermännig»
ticken jum beften roicberumb tn Xxnd gebrad^t. Wlxt «^toe^en
nüfeltdben Meftlftetn. 3)U@®(ä«D09i5 / ®ettucft unb Jöcrlegt
bnx^ JOHANN CHRISTIAN SCHLEÜTER ^m 3q^i MDCXCVI.
foL Sechste Ausgabe der Rechtsordnung.
Mit dem churfärstl. Wappen auf dem Titel. 6 unbez. S. (Re-
gister), 185 bez. S., 16 unbez. S. (Biattweiser), 8 Kopfleisten, 5
Vi^etten. Auf Fol. 75 ein Rupfer-Baum der Sippschaft Grosse
Initiale 0 im Worte Ordnung. Jede Seite mit Ueberschriffc : „Rechts-
etc. Ordnung."
J. C. Schlenter's erste Ausgabe.
60. ®ülic^ unb »ergifc^e *OC33(S?)^09lI)9?U9I® / 35cd Durdj^
leuc^tigften ^ürften unb $errn J ^erm SBil^elmd / ^er^^ogeu
}u ®mii I (£let)e unb 8erg / (äroffen ju ber 9Rov({ unb StooenB«
berg / $(5911919} gu 9{at)enftein / etc.
@ampt anbeten Orbnungen unb Edicten^ h)ie ftd^ S^rer
^ürft(.- ©nob. Kmbtleut^e unb Sefeld^^abere in Sebienung
i^ter %embter .^u ber^alten.
Suje^o Quffd nein aug gnäbigftem Sefeld^ bed aud^ 2)ur(^<
leud^tigften ®ro6mä(^tiaften (£^ur«?$flrften unb |^erm / &xn.
JOHAN WILHELMS, ^fal^graffen bet) iR^ein / bed ^ei(. 9töm.
Steic^d (5r$«@d)a^meifterd unb Q^urffirften / in Sägern / ^n
@UIi(^ / Siebe unb Serg ^er^jogen I ®vaffen ju Se(ben)} / ©pon«
^eimb / ber SRarcE / 9labengberg unb üRoerg / $errn }u Stoben«
ftein / etc.
9Kit ^ufa| etlicher ^iebeborn auggangnet Edicten unb Se«
fel(^«@d^rifften betme^rt / unb fambt angesengten Sriid^ten
Orbnungen in %md gebrad^t. 3Rit jkoe^en 9tegiftem berer
ber erfte bie Xitulen / ber anbem bie ÜKaterien begreifft.
DU®®(SSX)£)9t^ / ©ebrucEt unb «erlegt bur$ JOHANN
GHRI8TUN 8CHLEUTER 3m ^a^r MDCXCVI.
fol. Vierte Ausgabe der Polizeiordnung (erste Ausgabe von
Schieuter).
6 unbez. S. (Register), 101 bez. S., 16 unbez. S. (Register).
6 Kopfleisten, 4 Vignetten.
Grosse Initiale 0 im Worte Ordnung. Jede Seite mit Ueber-
schrift „Polizey-Ordnung".
61. Orbnung DS® ^oc^'f^Urftti^en ®ue(i(^ unb Sergif d^en
®eridbtd ju übueffelborf / @ambt benen an ^emeltem
®eriAt nad^ unb nad^ publicirten gemeinen 9e)d^eiben /
nud gnaebigftem 99efe(d^ S)ed 2)ur4Ieud^tiaflen f^uerften
unb ^erm i&moRSt JOHAN WILHELMEN; Sfa(^graffen be^
9l^n / in Sae^ern / ju ©uelic^ / Siebe unb Serg $>er$ogen /
22
338 Buchdruck und Buchhandel in Düneidorf.
3raffen jit Selben^ / ©pon^eimb / bcv ÜRorcf / Siot^engberg unb
5)tocr6 / ^crrn ju JRaöcnftcin etc.
Qn Irurf öevfctttgt
^J{act) bcm 6^em^(ar 1684
@cbruc{t 5U DU^S(SS3)08l$ 9et| Jobann Chiistian Scbleuter.
Zweite Ausgabe der Hofgericbtsordnung.
fol. 2 iinbez. S. (Index), 48 bez. Seiten. Mit dem churfüret-
liehen Wappen auf dem Titel. Auf S.l eine 5 cm hohe, 14 cm breite
Kopfleiste, die Justitia darstellend, auf S. 26 eine schöne Schluss-
vignette (Adam und Eva).
Der Druck dieser' „Ordnung** stammt aus dem Jahre 1696
und wurde gleichzeitig mit Nr. 59 vorgenommen.
Diese ersten Ausgaben von Schieuter scheinen nur
in einer geringen Anzahl von Exemplaren hergestellt
worden zu sein, sodass man bald zum Drucke einer
zweiten Auf läge schreiten musste. Die zweiten Ausgaben
tragen zwar die Jahreszahl 1696, sind aber höchst wahr-
scheinlich ein oder zwei Jahre später veranstaltet worden.
Der Satz derselben ist von denen der ersten Ausgabe
abweichend.
62. ©ulid)« unb S3erfltfc^c Slcc^td* 8cljen= ©crit^tfd&rc ibcr* Srüd^tcn»
^olige^« unb Reformation £)9ft!D9m92® / !Z)ed S)ur(^(eu(^tiaften
gürftcn unb ^ctrn / ^crrn SBlIbefmö / ^ctjogcn iu ®üli4 /
SIene unb SBerg f ©raffen ju ber Ward unb Scoüengoerg / ^erm
5U Slaocnftctn -etc.
92e6en anbeten Constitutionen, Edicten unb (Srftärunaen
etlicher ^^Oe f mie ed berent^Iben in be^ben grurftent^umben
Ottlic^ unb Serg geilten / geurt^eKt unb etfant merben foU.
^e^unb au§ gnSbigftem Sefeld^ bed auc^ iPurc^teuc^tigften
®vo6mäc^tiaften Qt^ur^gÜrften unb $evrn / ßn. JOHAN WIL-
HELMS, ^falt^graff en beb {R^ein / bed ^eiL Köm. Steierl» (Sr^
@d)afemeifterd unb S^urfürften / in Sägern / ju ®ült^ / Sleüe
unb 93erg ^er^ogen / ©raffen ju Selbenfe / ®))on^eimb / ber
SKarcf / 8?aöen6bera unb ÜRörfe ^erm ju utanenftein etc.
Suffd nett) überfe^en/ mit f^Ieigcorrigirt unb jebermänmgti^en
jum be[ten mieberum in XrucC gebrad^t.
9Rtt Awe^en nüj^^Ud^en 9tegiftem. 99eb biefem Xrucf mit
einem 3^1^^ berfc^eibener Crbnungen / fedicten, 93efe((4en unb
Hecessen, berme^ret.
3)üffe(borff / ©ebrudt unb Verlegt burc^ Johann-Christiaii
Schieuter, ^m 3a^r 1696.
Siebente Ausgabe der Rechtsordnung; zweiter Druck derselben
von Schieuter.
fol. Fractur und Antiqua. Mit dem churfiirstl. Wappen auf
dem Titel.
6 unbes. S. (Register), 185 bez. S., 16 unbez. S. (Blattwei»er),
8 Kopfleisten, 5 Schlussvignetten, abweichend von der ersten Ana-
gäbe. Auf S. 75 ein blattsTosser Kupferstich „Arbor Consangui-
nitatis.^ Die Seiten ohne Ueberschriften.
63. @fili(^ unb »ergifc^e $083d(Sg)'09lS)97U9{® !Z)e$ 3>ur(^«
leuc^tigften gfirften unb |)erTn/^errn 9Bit^elmd / ^er^ogen ^u
Buehdruek uttd Biukhandel in DaaMeldarf. 339
&üt\(b Siede unb SBera^ / ©raffen ju ber 2Rarcf itnb 9taDcng«
berg / ^erm ju SRadenftein etc.
@ampt anbeten Otbnungen unb Edicten / mie fic^ ^^ver
j|ttrftl. ®nab. 9m6tleut^e unb Sefeld^^abere in Sebienung i^rer
nentbter }u Detriten.
9[nte|o auffd neko aug anäbigftem 93efel(i^ beg au(6 !Durc^^
leuc^ttgften @ro|nt8d^tiaften S^urffirften unb ^emt/ &n. JOHAN
WILHELMS, ^fategrajfen 6e^ 9{6ein / beg $eU. mm. Sieid^i»
Sr^fdäa^meifter unb S^urffivften / m SS^evn/^u ©ülid^ / Siede
unb Serg ^er^og/ ©raffen ju 93e(ben^ / ©ponqieint / ber Tlaxdl
9fladengberg unb9)l(örg/|)errn juStadenftein /etc. 9Rtt3ufa^ etlid^er
^iebedom außgangner Edicten unb 9efel(i^«@d^rtfften derme^rt /
unb fambt angesengten 93rfi(j^ten Orbnun^en in SCrucf gebrad^t.
9Wit jtoe^en fRegiftem bem ber erfte bie litulcn / bcr anbete
bie üRaterien begretfft.
!CüffeIborff / ®ebru(ft unb derlegt burd^ Johann Christian
Schieuter, ^m ^a^r 1696.
Fünfte Ausgabe der Polizeiordniing, zweiter Druck derselben
von Schieuter.
fol. Fractur. 6 unbez. S. (Register), 101 bez. S. (Text), 16
unbez. S. (Register), 7 Kopfleisten, 8 Schlussvignetten. Auf dem
Titel fehlt das' Wappen, die Seiten ohne Ueberschrift.
64. ORDNUNG HQt^ $od^«?(firftIt(J^en ©Ulic^« unb »ergifd^en ^of ••
geric^td ju S)fiff elborff , ^mbt benen an gemettem l^off^eriqt
nad^ unb nad^ pnblicirten gemeinen Sefdbeiben / 9u§ g^äbtgftem
Sefeldi DeiS Durc^Ieud^tigTten prften unb ^errn / ^9191169? /
JOHAN WILHELMEN, 5ßfaltoraffen be^ 3lt)eln / in »ät^em / ju
® ulic^ / (Siede unb 93erg |)er$ogen / ©raffen ju Selben^ f ® pon^etmb /
ber 9Rar(E / SRaden^erg unb 9)tör§ / Ferren ju Stadenftein / etc-
3u jtrudC derfertlgt.
yiaäf bem Exemplar 1684.
©etrudt m 2)ü{f elborff / Se^ Johann Christian Schieuter.
Dritte Ausgabe der Hofgerichtsordnung, zweiter Druck von
J. C. Schieuter.
fol. 2 unbez. S. (Index), 28 und 24 bez. S. (Text), 2 unbez.
S. (Index). Mit dem Churfürstl. Wappen auf dem Titel. Auf S 1
eine 2i/t cm hohe WU cm breite Kopfleiste, auf S. 28 eine Schluss-
vignette (Adam und Eva).
65. 3pf^$ (Siniaer Orbnungen / Sefelc^ern / Edicten unb Recessen^
ffield^e auff gnäbigften Sefel^ bed S)urdbleud)tigften ®rog*
mäd^tigften (Sburfttrtten unb ^errn ßn. JOHAN WILHELMS
^fal^oraff en be^ iRhein f bed ^. Sftbm. mt\A&. Sr^^Sd^a^meifterd
unb S^urfürften / m S&^em/Au (SiUIicQ / Siede unb Ser^^
6er|ogen / ©raffen ju S5elbenb/ ^pon^txmb / ber 9Rarcf / 9tadenB«
berg unb ÜRörl / ^erm ju iRadenftetn ; etc.
3)er ®filid^* unb ©eraifd^en 9led&tiJ*^oIicet)* unb Reformations-
Orbnung be^^ufelfen anabtgft derorbnet.
9teben einem Sftegifter ber Orbnungen / S5ef eichen / Edicten, etc.
©ebructt ju Dflffelborff ^ctf Johan-Christian Schieuter, ^m
3a^r 1697.
fol. Fractur und Antiaua.
Mit dem churfürstl. Wappen auf dem Titel. 2 unbez. S.
(Register), 50 (davon 29—32 doppelt), 16 und 15 bez. S., 4 Kopfleisten.
22*
340 Buchdruck und Budihandel in Düsseldorf,
66. Inquisitions-Recess in Criminalibus, 1695 11. Junii.
fol. Fractur. 8 bez. S. ohne Dnickangabe; 1697 gedruckt.
67. ^6ter S^urffirftl. !3)ur(^I. ju $fQ(j^ iRac^ma^Iige femer gnä<
bigfte Srläuteruno über 93orige aiißgangene Taxa- uiib Licent-
Oronimg jii Düjfelborff.
!33e^ Johaii Christian Schleuter 1701.
4<^. Fractur. 5 unbez. S. Auf dem Titel eine kleine Vignette.
68. ANA DEM A Floribus et Gemmis inteitextum, quo
SERENISSIMUM et POTENTISSIMUM PRINCIPEM
ac DOMINUM D: JOANNEM GÜILIELMUM, COMITEM
PALATINUM RHENI Sacri Romani Jmperii Archl-
thesaurariuni, et ELECTOREM, Bavariae, Juliae,
Cliviae, et Montium Ducem, Comitem Veldentiae,
Sponhemiiy Marchiae, Ravenspurgi, et Moersiae, Do-
minum Ravenstenii etc. etc.
IN NATALI EJÜSDEM SOLENNITATE coronabat
JOANNES BUCHELS Electoralis Celsitudinis Biblio^
thecarius.
Dusseldorpii imprimebat Job. Christianus Schleuter.
4<>. Antiqua und Cursiv. 84 unbez. S., 1702 gedruckt.
69. ROSAE NEOBURGICAE MARIAE SOPHIAE ELISA-
BETHAE serenissimae ac Potentissimae Lusitanae
Reginae piis manibus parentatur Dusseldorpii k SERE-
NISSIMO & POTENTISSIMO JOANNE GÜILIELMO
COMITE PALATINO RHENI, Sacri Romani Imperii
Archithesaurario & Electore, Bavariae; Juliae, Cliviae
& Montium Duce, Comite Veldentiae, Sponheimii,
Marchiae, Ravenspergae & Moersiae^ Domino in Raven-
stein etö.
Oiferebat devotissimus Cliens Joannes Bucheis,
Julio-Linnichius.
Dusseldorpii imprimebat Joh. Christianus Schleuter.
4<>. Antiqua und Cursiv. 22 unbez. S., gedruckt 1702.
Da Buchdruckereien häufig erbliches Besitzthum eiu
und derselben Familie bildeten und vom Vater auf den
Sohn übergingen, — die Geschichte des Buchhandels liefen
hierfür zahlreiche Belege — so darf man wohl die Ver-
muthung aussprechen, dass die
Wittwe Beyer
oder Bayer, welche Schreibart auch vorkommt, eine Tochter
Schleuter's gewesen sei, da in ihren Drucken sich die
Tjrpen der Schleuter 'sehen Officin wieder finden. Ob ihr
Mann, Friederich Caspar Beyer, selbst der OflBcin vor-
gestanden hat, was nur ganz kurze Zeit, in den Jahren
1702 oder 1703 gewesen sein könnte, oder noch zu Leb-
Buchdruck und Buchhandel in DUsseldotf» 341
Zeiten Schieuters an dessen Geschäfte betheiligt gewesen
ist, muss dahingestellt bleiben. Anfänglich führte die
Wittwe Beyer den Titel „Chur- Fürstliche Hoff- Buch-
druckerinn", der im Jahre 1708 sich in „Churfürstl. Hoff-
und Stadt-Buchdruckerin n^ geändert hat.
70. »ovaefc^Iagenc C0NDITI0NE8 gttr bic Sbctöebimg bcr SJcftung
Sat)fcv6tt)crt^ / Statt / ©cbloffeö / unb anflc^öriflc« ©c^än^^cn ;
fomol)[ Ht^^ at^ jenfeit^ bcd St^etnd.
(Um ©d^lug:) ©ebvucft unb ju finben ju !DfiffeIborff / 6et)
bet JBttttoe 93cQerd / S^ur f$ürftli(^er ^off SucJ^brucfevinn.
4^. Fractor. 7 iiiibez. S. 1 SchluBBvignette. Ohne Angabe
des Drackjahres (1703).
71 . JÜSTITIA Possessiones PALATINAE Super CAESARLS
JNSULA Vulgö ffQt)fcr«n)crt^ ET APPERTINENTIIS
Impressa DUSSELDORPII Typis Viduae Friderici
Caspari Beyer Typographi Electoralis. Cum Speciali
Privilegio de non reimprimendo in terris Electoralibus
sub poena conflscationis exemplarium et oO Florenorum
aureorum. 1703.
fol. Fractur und Antiqnn.
72. 3!)eut(t(^e unb arfiublidle (SrHäruna bcr "Sbeltc^en unb 9ltttev^
liefen freien ^ed^t^lSunft / Lechouen ouff ben ©tog / unb
beten ®e6Taud^$ eigentli^er Ütad^vtc^t. Stuff bte rechte ^toltäntfc^e
fixt unb Manier, in biefed Xractätlein t)erfafft / unb mit not^^
menbigen ftu))ff er < ® tficten nad) 9RögHd)f eit aejteret / unb )dox
auoen oeftelt / (Srftlid^ ^rtJorgebvdc^t burdj JEANN DANIEL
L' ANGE e^urfürftl. *f älfeif^en ©off* unb JDcro Söbl. Universität
bcftcltcn gecfttmeiftcrn.
9(nje^o }unt Awe^ten mal)! im Xrucf I)erau6Qege6en burd^
CHARL L'ANGE, Ö^rer (J^urfürftl. S)utc^f. ju ^falt? Maiorn
unb Exercitien«ü»etftcm.
Düffelborff / flctrutft bct^ bcr aBittib »at^evö tt^urfürftf. 4>off*
unb @tatt»»uc^tru(ferin. 3m ga^r 1708.
Erstes Düsseldorfer Rnpfervrerk.
Quer FoHo. Fractur. 1 Portrait L*Ange*s (E. v. Lennep etc.)
4 unbez. S. (Vorrede), 126 iinbez. S. mit 61 grossen Kupfern von
C. Metzger, 2 unbez. S. (Inhalt)
73. CATECHISMÜS Ober fturfter Unterricht aUgcmciner Cfjrift»
lieber Se^ borinnen bet Reformirten £>eibelberger Q^tec^idmud
nod^ fetner eigentlichen Setg in ertiar^ unb beftätttgung ber
^g unb 9ntn)orten alfo get^rfifet roirb f bag olled f toa§> ber
QÜaemeiner S^rtftlid^en 8e^r gemä§ / bellten / jened aber / toa&
biefer fie^r jutoieber / oertDorffen / unb an beff en ftott bie n^a^re
Se^r Q^fti aefe^t / unb mit 3^ugnu§en ber gdttli^en ^eiligen
@(^rift bemiefen »irb.
Durt^ P GEORGIVM BAUSSVMER be§ ©. Orben«
ber 9rmen FranciscanerRecollecten SöOnifc^er ^roDtn^^rteftem.
342 Buchdruck und Buchhandel in Düsseldorf.
SRit (i^ur*prftlt4er ^fatft^gre^^cit etc.
3)flffcIborff getrutft bcft bcr aSBittib »c^cr« S^urfl. ^off
unb Statt »ut^br. 1709.
80, Fractur und Schwabacher. Mit dem churf. Wappen auf
dem Titel.
4 unb. S. Antiqua (Approbation), 10 unb. S (Vorrede), 4S2
und 32 bez. S., 2 kleine Vignetten und mehrere Schlussstücke aus
Veraatzrosetten.
74. e^ur^^faltifcftc RELIGIONS-DECLARATION8om2LWo'
öcmbrid 1705.
fol. Fractur. 34 bez. S., 1 Kopfleiste, 1 grosse Initiale ohne
Druckbezeichnung, aber aus der Beyer'schen Omcin stammend.
Bereits 1714 heisst der Besitzer der Beyer'schen
Druckerei
Johann Leonhard Weyer.
75. HISTORIA JURIS CIVILIS JÜLIACENSIUM ET
MONTENSIUM Nunc secundum edita ET APPENDICE
AÜCTA AC LOCOPLETATA. Opus omnibus, qui in
Jüdiciis Ducatuum Juliae et Montium Causas agunt
& Jus dicunt, apprim6 utile et necessarium.
Avcthore Serenissimi Prineipis & Domini Domini
JOHANNIS WILHELMI COMITIS PALATINI RHENI,
BAVARIiE, JÜLIiE, CLIVI^ AC MONTIUM DUCIS
etc. Consiliario intimo, causarum feudalum Directore,
Aulici judicii Commissario & Ducalis Archivi Custode
D. MELCHIORE VOETS JCto.
DUSSELDORPn, Typis & Expensis JOHANNIS
LEONARDI WEYER, Anno MDCCXIV,
fol. 4 unbez. S. (Vorrede), 124 bez. S., 8 unbez. S. (Index),
3 Kopfleisten, 3 Vignetten. Fractur, Antiqua und Cursiv. Auf 8. ^
das herzogliche Wappen der Rechtsordnung von 1565 in Holzschnitt.
76. TR ACTATUS DE JURE REVOLUTIONIS, AD LUCEM
ORDINATIONIS JUDICIARIAE, CAP. »cft^Iufe öon
Succession 88.
!Dag nad^ aUent ^ertommen unb ®e6rau4 ber gfßtften«
t^utnben ®ü\\d^ unb Serg / bie ®ftter faOen unb er6en foOen
^inber {td^ an bie nSd^fte (Srben f ba^er [xt fonttnen.
In quo Praecipua REVOLUTIONIS Capita tan-
guntur Exemplis, Praqudiciis & rebus judicatis
iilustrantur, nee non Materia Successionis ab intestato
accuratö & nervös* enucleantur. AUTHORE D-
MELCHIORE VOETS. J. C. Ducali Juliae & Montium
Consiliario Intimo & Vice-Cancellario, Nee non Aulici
Judieii Dusseldorpiensis Commissario & Duealis
Archivi Praefatio. Aceedit ejusdem Authoris Traetatus
Buchdruck uttd Buchhandel in DPsseldorf, 343
ad Observationes Feudales. EDITIA TERTIA
Correctior.
DUSSELDORPII, Typis & Impensls JOHANNIS
LEONARDI WEYER, Anno M. DCC. XX.
foi. 4 imbez. S. (Vorrede), 62 bez. S., 6 unbez. S. (Iudex).
44 bez. und 4 unbez. S. (Observationes) ß Kopfleisten, 2 Vignetten.
77. Äirc^cmAGENDA DS)(S9l gormultrc »c^ bcucn eüangclifdj^
REFORMIRTEN üblirf|. !DU®@(5eS50SRf5 »et) 3pl)ann
Seonliarb aB(5?)(g9t 1726.
4« Fraktur. Titel mit einer Vignette (König David). 121 bez.
S. 1 Bl. Register. 6 Kopfleisten, 2 Vignetten.
78. HISTORIA JURIS CIVILIS JULIACENSIUM ET
MONTENSIUM Nunc secundum edita ET APPENDICE
AUCTA AC LOCUPLETATA. Opus omnibus, qui in
Judicii Ducatuum Juliae, et Montium Causas agunt
& Jus dicunt, apprim6 utile et necessarium.
Avthore Serenissimi Principis & Domini Domini
JOHANNIS WILHELMI COMITIS PALATINI RHENI,
BAVARIAE, JULIAE, CLIVIA AC MONTIUM
DUCIS etc.
Consiliario intimo, causarum feudalium Directore,
Aulici judicii Commissario & Ducalis Archivi Custode
D. MELCHIORE VOETS JCto.
DUSSELDOPII, Typis & Expensis JOHANNIS
LEONARDI WEYER, Anno MDCCXXIX.
fol. 4 unbez. S. (Vorrede), 123 bez. S., 9 unbez. S. (Index).
2 Vignetten.
79. 3)ed 3)ur(^(eudbtigen ^oc^acbo^renen f^iirften unb ^errn / ^ervti
SBil^elm^ ^erl^ogen ju Q)iilt(^ / (£Ieoe unb Serg / ©raffen ju
bcr SRarc! unb SRabenrtcr^ / ^crrn ju SRaücnftein etc. Sted^tiS-
Orbnung unb SReformatton / @ampt anbeten Constitutionen;
Edicten unb övflärungcn etlidber gälte / wie eö in 6et)ben
3^rer g. ®. gflrftent^umben müxdi unb Setg gebalten / gc^
urt^cWt unb enant toerben foU.
atuffö neutt) revidirt / unb gebcffert. 2)Ht einem neumen
{Reoifter aud^ etlicben f^ormulen / fo bor^tn ntt babel) gewefen.
©ebtucft im ^a^r M.D.CC.XXIX.
Achte Ausgabe der Rechtsordnung, fol. auf dem Titel da»
churfiirsti. Wappen. Voets, historia juris, civilis, 1729, p. 7.
«0. 3ufafe (SInigcv Orbnungen Sefelcftern / EDICTKN unb
RECES8EN; SSeld^e auff gnäbigften Sefeld^ bed !DuTd)teuc^tigften
C^urfürften unb ^trm ^n. JOHAN WILHELMS ^falfegraffen
bet| 9l^ein / bed ^. 9f{öm. 9{eic^d (5r6^®(^a^nteifterd unb S^ur«
ffirften / in Sät)ern / ^u &ülm I Cieoe unb 93erg ^er^ogen /
®roffen ju SJelbenfe/ ©ponljeimb / ber SKarcf / SRaüenäberfj unb
^oerg / ^erm )u iRabenftein etc. (Cer @ältcl^» unb äSergtfd^en
9te(^td«$oHce^« unb Reformations-Orbnung be^jufet^en gnöbigft
344 Buchdruck und Buchhandel in Dü$$Morf.
Dcrorbnet. 97c6cn einem Steflifter ber Orbnungett / Sefeld^n /
Edicten etc.
®ebru(tt ju 2)fiffe(borff Se^ JOHANN LEONHARD
WEYER, Anno 1731.
fol. Fractur. Auf dem Titel das chnrfttrstl. Wappen. 2 unbes.
S. (Register), 54 bez. S. (davon 45*-48 doppelt), 16, 15 und 8 bei. S.
(Text), 4 Kopfleisten.
Eine gefährliche Concurrenz erwuchs der Beyerschen
Officin mit der Errichtung einer zweiten Druckerei im
Jahre 171o durch
Tilman LiboriuB Stahl,
dessen Nachkommen bis auf den heutigen Tag im Besitze
derselben geblieben sind.
Durch seine Ernennung zum „Churfttrstlichen Hof-
und Cantzley Buchdrucker" mit Privilegium vom IT. No-
vember 1 723 und Uebertragung des Druckes der offlciellen
Schriftstücke an ihn wird am besten bekundet, wie sehr
Stahl es verstanden hat, in verhaltnissmässig kurzer Zeit
seinem Geschäfte die Ausdehnung und Bedeutung zu
geben, die emen Wettkampf mit dem Alteren Geschäfte
ermöglichten, welcher zur Verdrängung des letzteren
führte. Tilman Liborius Stahl ist es auch, dem DOssel-
dorf seine erste Zeitung, die Stadt -Düsseldorfer Post-
Zeitung verdankt (s. u.).
81. DICAEOLOGIA DE DUOBUS CONTRACTIBUS
REALIBUS MÜTUO, COMMODATO SÜBNEXIS RE-
MLSSIVIS SCHOLIIS Implorato JEHOVAE Sulfragio
lyusque Entheä gratiä PRAESIDENTE D. LUDOLPHO
HENRICO HAKE J. U. D. de Authoritate et Giemen-
tissimo Serenitatis suae Electoralis Palatinae &etc
Consensu Lycei Private — Juridcii, Nomophylace, In
mediam juridico — Exercitatoriae dialexis palaestram
äuccinctissimö Prolata k PRAE-ET NOBILIBUS ac
PERQUAM ERUDITIS JURIUM CANDIDATIS D.
Arnolde Friderico PICKARTZ Gerresheimiensi, D.
Christiane Petro KOCH Confluentino, D. Joanne
Adolphe WÖLTING Essendiensi, D. Joanne Baptista
Stephane RASIGA Düsselano.
DUSSELDORPn Die (23) Mensi Septemb. Anno
1715 ab horä 9. matutina usq; ad undecimo et se-
cunda pomerid. usq; ad quartam.
Impressum k TILLMANNO LIBORIO STAHL.
4<>. Antiqua und Cursiv. 13 nnbez. S., 1 Kopfleiste.
82. VITA PRODIGIA ET MORS SANCTI SVVIBERTI
EPISCOPI ♦ WERDENSLS MONASTERIENSLS
Buchdruck und Buchhandel in DüMsMotf. 315
APOSTOLI SIGNIS PER CELEBRIS * ORATORIE
QVONDAM A Coaevo svo et socio ♦ Divo Marcellino
Presbytero exarata ♦ Modo vero versibvs conscripta ♦
ab aliquvo eivsdem Beati antistitis diente *
ANNO qvo soles divvis Svvibertvs Mille beatvs
pervixit svperis post sva fata thronis.
DUSSELDORPII Typis TILMANNI LIBORH STAHL.
S^, Antiqua und Cursiy. 18 nnbez. S. (Widmunjc und Vor-
rede), 120 bez. S., 3 Kopf leisten ; ohne Dmckjahr. Titel in 7 fächern
Chronogramm (1717).
83. VITA S. SWIBERTI EPISCOPI WERDENSIS Fri«
siorum, Saxonum, Westphalorum, et in primis URBIS
MONASTERIENSIS APOSTOLI, primum scripta A
Beato Marcellino Presbytero Coaevo et Socio ejus,
expost aucta ä S. Ludgero I^o- Monasteriensi episcopo
Fidä relatione de miraculls et Canonizatione ejusdem
SANCTI, denuo recusa ANNO ÄHLLenarlo ft Die
obltVS sanCtI SVIbertl.
DUaSELDORPII, Typis TILMANNI LIBORII STAHL.
8^. Antiqua und Cursiv. 12 unbez. S. (Index und Vorrede).
152 bez. S., ohne Druckjahr (1717).
84. «ctctimafetgc FACTI SPECIES Juxta annorum seriem
Cum DEDUCATIONE JÜRIÜM IN ACTIS ALLEGA-
TORUM. 3[n ©Q^cn: ©einer ö^urfürftl. ©urc^Iauc^t ju
$fQ(^ Slld ^er^ogen ju @fl(ic^ unb Serg / etc. Conti*a 3^ve
(S^urffirftl. X)uv(^lQU(l^t Unb (Sin ^o^^koarbigeö 2:^um6^(£apltu(
;>u SBQen Citationes kaijfcrdmert^ betreffenbt.
!CfiffeIborff / gebvudt bet) Tilmano Liborio @ta^( S^urffirft(.
Priveligirtcr Jpoff« unb ffianftlet) Suc^brucfer 1722.
fol. 4 unbez. S., 262 bez. S., 1 Tabelle, 1 Kopfleiste.
Wahrscheinlich erst im Jahre 1728 gedruckt, da auf dem
Titel schon die Bezeichnung Privileg. Hofbuchdrucker vorkommt.
85. «acruntertWniflftc REPRAESENTATIO GRAVAMINÜM
RELI6I0NIS £er Stömifd) » (Sat^oltfc^en ^m f)er^ogtl)umb
ßteöe «uc^ Orafffc^aft SRarrf unb »aöendberg Cum JUSTI-
FICATIONIBUS örftattet t>on 3^ro (S^urfürftl. Durd^I. ju
$fa(^ ®fißd)« unb Sergifd^er Stegterung.
!Z)fi{feIborff ©etrucft btt) Tilmanno Liborio @taE|( / S^ur«
fflrftL privilegiirter ^off« unb (San|(e9«Su(l^trucfev 1723.
fol. Fractur und Antiqua. 176 (mit S. 5 anfangend), 168 und
180 bez. 8.
86. aaeruntert^äntgftc « (Suntmarifd^e 9Biebet^oIung GRAVAML
NÜM RELIGIONIS 3)cren SR8mlf4»(Sot^oIifdjen 3m gürftcm
tt)umb G(ebe Unb ©rafffc^aften ÜRardC unb 9{at)eni»6erg /
JÜNCTIS ADDITIONALIBÜS NOVIS.
fol. Fractur und Antiqua. 6 unbez. S., 52, 90, 16 und 68
bez. S., 4 Kopfleisten, 2 Vignetten, ohne Druck jähr (1727).
346 Buchdruck und Buchhandel in Diisseldorf,
87. ßat^oüfcöc« ®cfan8*SBud>/3[n öiclcn «ttcn unb »Zcuen
Sicbcrrt bcftc^cnb / 5Wid^t nur jum SJicnft S)ercn anbäc^tigcn
^Itaern / SBcldjc Öä^tl«^ «n ücrfd^icbcnc ©nabcnrcicftc Ocrtci
tDaUfo^vten / ®onbern aud^ SUcn anbäd^tigen C^riften / in bcncit
Stireren unb ju |^aug / jii nü^Iic^en itnb täglich bequemen @c
braud^ / jufammen getragen.
Cum special! Pfivil. Seren. Electoris Palatini.
Düffelborff / »e^ SCttman Öibor ©to^I / ö^urfiirftl. ^off
leud^trutfer 1728.
12^. Fractur und Antiqua. 334 bez. S., 6 unbez. S. (Register)
88. üRariontfc^e Slnbad^t Unb Derofelben Orbnung @o tu
ber 9Jor Düffelborff be^ »ilti* Oeteaenen Cauretonifcfcon 9Wuttcr
©Otted SapeOen / Se^ 3)ero &. ©nabemSitbnug Unter beni
StttuI : ^ttlff ber S^riften / genauen totrb / unb eingerichtet ift
3Jon einem ^rieftcr ber ©efettfd^afft gSfu Permissu
Superiorum.
©üffelborff ®etru4t bei) lilmon ßibor. ©ta^l (ffi^urfur[tl.
^off-SBud^trurfcr 1730. .
8«. Fractur. Auf dem Titel eine Vignette mit IHS i«
Kupferstich.
16 unbez S. (Vorrede), 104 bez. S. und 50 unbez. S. (Gesäuge).
2 Kupfer, das Gnadenbild mit der Kapelle und die Maria Lauretana
darstellend. 4 Vignetten.
89. 35er Siebe »auffmonfd&afft Ober ®(flcHicö getroffener Öicbc^'
3Banbe( bei bem ^oc^jettHc^en (S^ren^gefte bed aSßo^t*(£b[en,
«orad^tbaren $erm / 4>(£9l9l?R THEODOR De KRYTTER
So^Ibeno^mten .ftauffman in S^Uffelborff / äEBe^Ianb @r. $)od)'
ffibl. Des |)errn / ^n. ARNOLD DE KRYTTER gern bc
ruffenen ftauffmannd in Sefel nac^gelaffener (S^Kc^er ®ol)u,
%Id berfetbe Anno 1730 ben 17. aRortii 3Rit ber auc^ ffio^I»
(Sblen / ^ithW^x* unb 2:ugenbfamen grauen l^WHWfiSH Snnen
SRargaretben SBerg, SBetjIanb @r. SBoM*(lbI .^errn / ^crren
Arnolden SEBUS äBo^tbena^mten ßauff« unb |>Qnbe{dmQnn
in Düffelborff / SRatftgelaffenen SSSittibcn / ®id6 bur* ^rieftcr^
lidöe CÖPULATION ffi^Ud^ öerbinben liefe; ®ab ber ffio^-
meinenbe (Cid^ter mit biefen fleringfägigen ®{tt(fn)ünfd^ung^<
ßcilen ju erfennen feine Freuno*WiuigKeit.
fol. 4 Seiten ohne Druckbezeichnung (gedruckt von Stahl 17.30).
90. TRACTATIO DE USÜFRUCTÜ CONSUETUDINARIO
JÜLIAE - MONTENSI IN GRATIAM EORÜM.
Qui in foro Ducatuum Juliae & Montium causas
agunty Conscripta k Joanne Christiano Schütz J. U. L.
& Advocato Legali in Patria Montensi adjecto Judici
rerum & verborum locupletissimo.
Dusseldorpii, Apud Tilmannum Liborium Stahl,
Aulae Typographum. MDCCXXXI.
fol. 26 bez. S., 2 unbez. S., Antiqua. 1 Kopfleiste.
91. Sßo^r^affte »eftättigung Deren S^rer 9fl8mifd^«»Q^f. on*
»önigl. ffiatbol. ÜRaj. 3n bcnen ^a^ren 1723 unb 1727. ©on
Buehdruek und Buchhandel in D^seldorf, 347
3^er (S^urffirftlid^en IDur^Iaud^t )u ^fal^ ®filt^« unb Ser^
Sifd^er Sanbed«9legterung SDeruntert^ämgft repraesentirter aud)
anctis Additionalibns novis gummariter tmeber^oltet (£Ie)>«
9Rar(tif4' unb 9{a)[)endbergtf(l^et Relisions - Orayaminam nebft
tanbgreifflid^er 98ieber(egung/ 9Rebrift per AnonymnB Son
Icöifd^cr »cgleruna 3n bencn gaötcn 1721. 1723. 1724 unb
1733 auffgelegter Sinmaglid^et Kbte^nungen snb Rubricis:
Segrünbete Sntmort / ®rfinbHd^e Seannoortung / SH^ttge Snietg.
Unb SReid^d Conatitationg- aud^ Provindal-Religiona-Recesa-
ntS§ige (Srinnerung unb i93ortrag / f^ort Special unb General
Stnkoeifung bet o^ne (Srunb in benen j>a^ren 1719 1729 unb
meiter k)orgebiIbeter ©iilic^- unb Sfetgifd^er (SDangelifd^er
Religions Sefd^koetben. 3)urd) eine unoerfätfqtc ©egen^altung
t)orgefteIt / unb ntit unbernetnlic^en Schlagen gere(^tfertigt Son
SSieber^o^Iter (S^ur^^fäl^ifd^er ^Regierung, ^m Febmario
3a^r8 1735.
2)fiffeIborff gebrucft 6e^ Xilmann Siboriud ®ia% S^ur*
ffirftL Privil. ^off Su^brurfcr.
fol. Fractur und Antiqua. 157 zweispaltig bedruckte bez. S.
1 Blatt weiss, 84 bez. S., 1 Blatt weiss; und 54 bez. S. 2 Kopf-
leisten, 1 Schlussvignette.
92. Relinons-SSergleid^ 993el(^er jmifcften !Dem ^urd^Ieud^tigften
^firjten ufib ^erm f fetten ^riebrid^ SBtt^elmen / SRarggraffen
}u IBranbenbutg / bed $. SRöm. {Reid^d (Sr| « Sämmerern / unb
S^urfftrften f in^reuffen / ju SRagbeburg / ©ülid^ / SIeoe 93eTge /
©tettin / ^ommeten bet (Saffuben unb S^enben / aud^ in ©Rieften /
}u (Jroffcn unb Sägcrnborff ^er^ogen / Surggraffen ju Kfim*
Derg / dürften ju ^alberjtatt / ÜRin'ben unb Q^nrin / ©raffen $u
bet 9Rard! unb SRaDeniSDerg / fetten ju SRaDenftein / unb ber
Sanbe San^enburg unb SBuiau / etc.
Unb bem 3)uT(^Ieu^tigften f^Iirften unb Ferren / fetten
$^iap)) äBiIbeImen/$|oI|«®ra^en bei; 9{^ein/in Sägern;
m ®üli(4 / Siebe unb Serg f)er^ogen / (Stoffen ju Selben^ /
^pon^eim | bet ÜRatdE / iRabendbetg unb SRoetg / fetten ju
9lat)enftein / etc.
Uebet X)Qd Religions- unb ftit^en^SBefen ^n benen ^et^og«
t^umben (Sillic^ / (Sleüe unb 3)etg / ouc^ ©taffjd^afften 9RatcE
unb Stoüendbetg respective am 26. Aprilis 1672 lu SöQen an
bet Spree, unb am 30. Julii 1673 5U ©üffelbotf auffgeric^tet
motben.
tDfi^elbotff / ©ettudt be^ SEitm. Sibot. @ta^I. (S^utfütftl.
PriYiL $off« unb (San^Ie^ Suc^bt. 1735.
4<>. Fractur und Antiqua. 62 bez. S. (mit S. 5 anfangend).
93. ProTisional-Serglei^ung 3^U^^n ^^^n ^oc^n^fitbigften f
!Dut4Ieud^ttgften Gi)utfäi*ften unb ^ertn/^errn^etbinanben,
(Stl^Sifd^offen ju SöKen / unb (£f)utfatften / Sifd^offen }u
^abetbam / Sttttig unb 9Rflnftet / Administratom !Dero (^tiftet
ßUbed^etmb unb Setd^tedgaben \ gfltften gu ©tabul, $falt^<
®taffen be^ {Rhein/ in Ober* unb Wlcbet Sa^etn, SBeftp^alen,
(Jngetn unb Sutlion ^er^ogen, SWarg « ©raffen ju gtanc^i*
monbt, etc.
348 BtteMruek and Buckhandel in Dnsseidorf.
Unb bem ^urc^Ieuc^tigfteu O^ttvftcn unb ^crm / ^emt
Solffgang Stl^elmen, $fal| « ©roff en be^ 9t^ein / in
SBat^ern / i^u 3fi(i4 / (Sleoe unb ^erg (»ev^ogeti / ©raffen ju
SelbenV^ / ©pim^eim / bcr 9)tar({ / ätoDen^bev^ unb ÜRörg / Ferren
ju äidoenftein / etc. äBie ed mit ber ®€tftlid)en Jurisdiction
in ben (äillic^fci^en f^üvftent^umen unb l'anben big gur ^anpt^
fäc^Iic^en unb enbUd|cn ^Ib^anblung ju galten.
iRa(6 bem Exemplar Anno 1621.
Düffetborff / ©ebrucet bei Stilm. l>i6or. ®ta^l. S^nrfl.
Privil. .^off' unb San^Iek) Sud^br. 1735.
4<^. Frnctiir und Antiqua. 15 bez. S.
94. 92ebcn « Kecess 3"^Mci)^'^ ^^^ !3)uv(4(euc^tigften f^firften unb
.^erren / Ferren ^riebertc^ SSil^cImen / SRorggraffeu ju SBranben«
gurg / bed &. SRöm. mtx^^ @r^«Sämmerern / unb Qi^ur»
tüvjten / in $veuffen / f^u 9)tagbeburg / (äfilic^ / S(et)e / Serge /
Stettin / Sommern ber Sa^uben unb 9Senben / audi in
®(^(efien / ju (troffen unb :^ägemborff |)er^ogen / Suragrajfen
ju 9}Um6erg / f^ürften ju ^olberftatt > SRtnben unb ^amtn /
(^raffen ^u ber ä)tar(t unb ätaDenSberg / |)erren 5u 9laoen^
ftcin f uno ber Canbc ^amenburg unb SButou
Unb 'Dem X)urc^leu(^tigften gffirften unb f^erren / Ferren
^^ilipp SBil^elmen / ^falt^maffen bet) 9l^ein / in Sägern / ju
6tt(i^ f Siebe unb Serge ^er^^ogen / ©raffen ju Selben^ / @))on«
l)eim / ber äRard / StaDendberg unb 9R5rg / Ferren 5u 9Iauenftein.
Ueber ben Punctum Keligionis unb anbere ®eift(. @ad^en /
in bencn @fllid)*(£(et)if(^eit unb angei)örigen Sanben.
9tadi bem Exemplar t)i)m ^a^r (S^rifti 1666.
J)ttffelborff, getrucft belj SEilm. Sib. ©ta^I S^urfl. IMvil.
."Öoff«»ud)br. 1735.
4<^. Fraetur und Antiqna. 44 bez. S.
95. ©rünbtic^er »eric^t Über bad ftircften* Unb RELIGIONS-
ffiefen ^n ben gfürftent^umben ©filid^ / Siebe unb Serg / %udf)
3ugebörigen ©rafffc^afften äRarcf unb SRabendberg / etc.
35üjfeIborff / ©ebrucft unb au finben be^ Xilman Sibortud
(S>Xa\){, G^urfürftl. Privil. ^off- unb San^leQ « Suc^brucCer.
Anno 1735.
4<>. Fraetur, Schwabacher und Antiqua. 32 unbez. S. 1 Schlnss-
Vignette.
96. 9(6erma^lige Sieber^o^lung Siaer !2>er)enigen EDICTEN Unb
GENERAL Serorbnungen Seld^e SBegen ber in be^ben
ßer^ogt^umbcn ©filid^- unb Serg Ublid^er ®teuer Gollecüonen
unb barin einf(^(aaenber Materien bor unb nad) audaangen [e^nb.
!&ü{fetborff / ©etructt bet) Tilmann Liborio ®taf)l / S^urfürftL
^off* unb (Sandlet) Suc^trucfer 1738.
fol. 9 unbez. S. 212 bez. S. 18 unbez. S. (Register). 2 Kopf-
leisten. 3 Vignetten. Mit Tabellen.
97. ausführliche unb ©rünblid&e SPECIFICATION Derer bor»
trefflichen unb unfc^ä^baren ®emä()Ibcn / Sßelc^c ^n ber
GALERIE ber C^urfürftL Uesidentz ju Diiffelborff in großer
9Renge anzutreffen fei)nb.
Buchdruek und Bu^handei in Dßasetdorf, 349
®ebrurft »ctj TILMANN LIBOR @tal)I / 6l)iirff. Privi-
legirter 9ud}bvu(iEer.
8* Fractiir. 5 niibez. S. (Vorrede und Widmung). 48 unbez.
S., ohne Druckjahr.
Erster Katalo^^ über die Düsseldorfer Gernttlde-Gallerie, verfasst
von Gerhard Joseph Karsch. Vor 1742 gednickt.
Ausser dem im Besitze des Herrn Carl Guntnun in Düsseldorf
sich befindenden Exemplare soll noch ein zweites in München
existiren.
98. TRACTATUS DE JURE REVOLTITIONIS AD LUCEM
ORDINATIONIS JUDICIARIiE. Cap. SBefc^luS Don
Succession 88.
X)Qg nad) altem ^erCommen imb &cbrou(^ bcr (^ürftcu^
t^ümer &ül\di unb Serg bie Ofitev faKen unb erben foHen
^tnber ftc^ an bie näc^fte Stben, ba^er fte fomntcn.
In quo PRAECIPUA REVOLÜTIONIS CAPITA
tanguntur, EXEMPLLS, PRAEJÜDICIO ET REBUS
judicatis illustrantur, nee non Materia Successionis
ab instetato accuratö et nervosa enucleantur AUTHORE
D. MELCHIORE VOETS JC. Ducali Juliae et Montiuni
Consiliario Intimo et Vicecaucellario, nee non Aulici
Judici DiisAeldorpiensis Commissario et Ducalis Archivi
Praefecto.
Accedunt Ejusdem Authoris OBSERVATIONES
FEUDALEiS
EDITIO NOVISSIMA. Prioribus omnibus multd
emendatior et castigatior.
DUSSELDORPn , Typis et Expensis Tilmanni
Liborii Stahl, Aulae Typographi Anno 1743.
fol. Fractur und Antiaiia. 4 unbez. S. (Vorrede), 62 bez. S.
(Text), 6 nnbez. S. (Index), 40 bez. und 4 unbez. S. (Observntiones).
2 Kopfleisten, 2 Vignetten.
99. 3)ie in einet auffcrorbentlid^en Seleuc^timg brennenbc Siebe
unb (S^rfutd^t
9Ud unfre @onn/ bie ft(b fo lana fd^ien ;^u t)erbergen;
X)urd^ i^re @egenmart beftral^lt oad ßaupt ber bergen,
J)aö ift: ätö 5)et Durdileud^tiaftet ^ttrft unb iQtxv f)evr
CARL THEODOR, $fah«®raf be^ 9I^etn, bed ^. 9iöm. SReid^i^
(Sr^^d^a^meifter unb &qurfUrft/ in ^BaticrU/ au ®ü(i(i§/ (SIeoe
unb 93erg J^eriOf), ?Hlrft au äKörg/ Marquis ju bergen Op-Zoom,
®raf ju wthtn^f Spon^eim, ber 9)lav({ unb Stadenfpevg, ^err
^ SRaüenftein etc.
9Rit ^et !Dur4(eu(^tiaften gfirftin unb flauen ©emoblinne;
^r. MARIA ELISABETH AUOUSTA @ambt bem t)uv^<
leucfttiaften Mrften unb Serm, ßu. FRIDERICH ^faligrafen
bett StbeiU; ^etAogen in ^^ern, trafen ju Selben^, ®pon^eim
unb Stap^oUftetUy ^errn ju ^oljenea etc. etc. ®r. Cburffirftl.
X)ur(^(. }u ^fa(^ Dct)ber/ nemblu^en ber Qeib«®ärbe ju $ferb, unb
@(^mei^cr i^eib^Gardc/ fo bau fämbtUc^en fibvigeu Trouppes ju
350 Buchdruck und Buchhandel in DOaBeidarf.
9fto§ unb ju $ug/ ' Gommandirenbem Oeneralissimo; 9Kttem
bed Orbend S. Haberti^ auc^ Cbriften fiber ein Regiment ju
gufe etc. etc-
Unb bcr ICurc^Ieud^tigften ^ürftinne unb grauen ©emol^linue
gr. FRANCI8CA DOROTHEA etc. etc.
S)un6 $öd^ft^X)erofeIben ben 15 Dctobrid 1746 begtüAe
Snfunft ^te |^aupt> unb 9}ertben^@tabt Düffelborff (Srfreueten;
^urc^ fetbiger ^au))t« unb 9leftben^'®tabt untertQänlgftet
Magistrat, n^ie aud^ fSmbtlid^e getreutfte Sfirgerfd^ft t)orge<
ftellet/ 2(uf Snorbnung gemeUen Magistrats nad^ t^or^ei-
gegangener Sammlung ber babe^ an ben bon dlaiff^ unb <Stabt«
tt)egen aufgeffi^rten vS^ren^^forteu/ knie anii fonft an ben
Käufern ber ®tabt angebrad^ten ®inn«8i(bem unb ^e^fd^ften
jum XrudC gebracht.
©etructt be^ 3:ilmann Sibor ©tal^I; S^uvffirftL ^of^Sudi)^
trutfer, 1747.
fol. Titel doppelseitig. Fractur. 175 bez. S. 1 Kopfleiste,
1 Vignette. Am Schiuss das grosse Monogramm StahVs TJ1.S.
lOO.fturtje unb nfi^Itd^e atnmertungen 9e^ ben Sitt« ober aßaU«
fahrten / Unb an aQen ^üU unb 9RiracuIofen Orten. 3n
Dbdiger äJerfambtung / Ober fflr ftd^ aQetn / mit 93etten ober
@ingen jugeoraud^en/^emad^tunbetngerid^tet burc^ANTONIUM
S) 0 n i n a e r Processions^SSrubermetftem.
iDüffelborff / 93e^ Tilmano Uborio @ta^( C^urffirftl. ^off«
Sud^trutfem.
120. Fractur. 60 bez S., ohne Druclgahr (1728).
101. ®tabt*a)üffeIborffer ¥oft-3eitung.
4®. Praetor, 4 S. mit Vignette (Stadtansicht) am Kopfe. £Ir-
schien vom 1. Januar 1745 ab wöchentlich 2 mal, des Dienstags und
Freitapfs. Näheres über diese Zeitung s. „Beiträge ziur Geschichte
des Niederrheins*', II. Band.
Die Baugeschichte von Düsseldorf/)
Ottomar Moeller, Königl. BnuraOi.
n der baulichen Entwickelung DQsaeldorfs bUdet
die Mitte des 16. Jahrhunderts in mehrfacher
Hinsicht eine Scheidelinie. Der Massivbau,
bisher im Wesentlichen auf die öffentlichen
Qebäude, d. h. das Schloss, die Kirchen und
das Rathhaus beschränkt, gewinnt Verbreitung und wird
insbesondere bei den bürgerlichen Wohnhausbauten mit
Vorliebe angewandt. Zugleich werden in Nachahmung
des von anderen niederdeutschen Städten gegebenen Bei-
spieles die ersten Versuche gemacht, die Formen der
Renaissance einzuführen, wennschon dieselben, soweit die
Schauseiten der Häuser in Betracht kommen, mit grosser
Einfachheit auftreten, wie wir an mehreren aus iener
Zeit stammenden, in ihrer ursprQnglichen Form noch
jetzt erhaltenen Häusern sehen. Ferner gewinnt von der
Mitte des 16. Jahrhunderts ab das Bestreben allgemeinere
Verbreitung, durch Anlegung geschlossener Strassen den
bisherigen überwiegend ländlichen Charakter der Stadt
mehr und mehr zu beseitigen.
Aus allen diesen Gründen ist es angezeigt, den ge-
nannten Zeitpunkt als Grenze der ersten Periode in der
baulichen Fntwiekelung DOsseldorfö anzunehmen.
*) Du historische Material ist folgenden Werken entnommen:
Lacomblet, Urkundenbnch — v. Schanmbnrg, Historische Wandemag'
durch DftaaeldoTf — Wilhelml, Panorama von Düsseldorf — Strnuven,
Oeschi^te dea Schlosses za Düsseldorf — Ferber, Das Landsteuer-
bach Dttseeldorfb von 1632 — Bayerle, Die katholischen Kirchen
DttBseldorTs. — Die StadtplSne (Fig. 1, 3, 8 und 9) sind Copien der
im historischen Museam aufbewahrten Originalzeichnungen von
F. Cnstodfs. Da in letzteren die Strassenbe Zeichnungen fehlen, ist
ein Stadtplan aus der Gegenwart mit eing-etragenen Strassennamen
beigefügt (Fig. 12, Schluss des Werkes).
3d2 Die Bautieschichtt von D3ft8eidorf,
Für die Grenzbestimraung der folgenden Periode er-
scheint die Zeit am geeignetsten, in welclier als Folge
der Festsetzungen des im Jahre 1801 abgeschlossenen
Friedens zu Luneville die Stadt nach jahrhundertelanger
Einschnürung durch Festungswerke von diesen bereit
und in die Lage gesetzt wurde, sich auszudehnen, und
sich durch Anlegung von freien Plätzen, breiten Strassen
mit schattigen Baumreihen und von mustergültigen Park-
anlagen zu verschönern.
Die dritte Periode, in welcher sich Düsseldorf zur
Grossstadt ausbildet, reicht vom Anfange des Jahrhunderts
bis zur Gegenwart und wird zugleich durch die Um-
gestaltung der Bahnhofsanlagen abgeschlossen, welche
der räumlichen Entwickelung der Stadt für lange Zeit
die Linie vorschreibt, innerhalb welcher sie sich zu be-
wegen haben wird.
I. Die baoliehe Entwickelung Dfisseldoif»
bis zum Jahre 1550.
Ueber den Ursprung Düsseldorfs sind verbürgte Nach-
richten nicht auf uns gekommen. Es ist zwar von einigen
Geschichtsschreibern behauptet worden, dass von Grim-
linghausen und Niederkassel aus, wo sich Castelle der
Römer befanden, eine römische Niederlassung auf der
Stelle der jetzigen Stadt Düsseldorf gegründet worden
sei, indess ist kein einziger stichhaltiger Beweis für die
Richtigkeit dieser Behauptung beigebracht worden. Da*
gegen steht es zweifellos fest, dass römische Legionen
auf ihren Zügen in das innere Germanien unsere Gegend
wiederholt betreten haben; ein Beleg für ihre Anwesen-
heit ist uns ausser durch verschiedene in Oberbilk und
Klein-Eller gefundene Gtef&sse und Münzen durch einen
im Anfange des vorigen Jahrhunderts hier ausgegn'abenen
Denkstein gegeben, der 1739 in das Museum nach Mann-
heim überführt ist und folgende Inschrift hat:
D. M.
P. GRATINI
PRIMI. VETR.
LEG. XXXvvi)
H. F. G.
Weit früher als vom eigentlichen Düsseldorf erhalten
wir zuverlässige Nachrichten von dem jetzt vollständig
mit der Stadt veremigten Vororte Bilk. Wenn wir von
der nicht gerade unwahi*scheinlichen, aber doch auch
>) Die 30. Legion gehörte zu dem von Hemianu im Teuto-
burger Walde geschlagenen Heere des Varus, welches seinen Rück-
zug nach dem Niederrhein nahm.
Die Bang€8chieht€ «*on Düsseldorf, 353
nicht glaubhaft verbürgten Angabe absehen, dass der
Mönch Suitbertusi), der das Kloster Kaiserswerth gestiftet
hat, auch die Pfarrkirche in Bilk eingeweiht habe, so
finden wir die erste urkundliche Erwähnung Bilks in
einem Schenkungsbriefe des Erzbischofs Heribert von
Köln, der im Jahre 1018 der Abtei zu Deutz bei ihrer
Stiftung einen Hof zu Bilk als Eigenthum zuwies. Die
Annahme dürfte zulässig sein, dass der Name des jetzt
noch in der Nähe der Bilker Kirche vorhandenen „Deutzer
Hofes^ auf jene Schenkung zurückzuführen ist.
Die erste sichere Kunde«) von dem Dasein desjenigen
Theiles unserer Stadt, welcher den Kern derselben bildet,
nämlich des an der rechten Seite der Mündung des nörd-
lichen Düsselarmes s) in den Rhein belegenen Ortes, giebt
uns eine vom Papste Urban IV. ausgestellte Urkunde vom
4.^) Mai 1159, in welchem derselbe dem Stifte der heiligen
Ursula in Köln das Einkommen von 5 Schillingen Duis-
burger Münze aus „Düsseldorpe^ bestätigt.
Der Grund und Boden dieser Ansiedelung gehörte
dem Ritter Arnold von Tyvern oder Tevern, der seine
Besitzung Düsseldorp^) nebst den Gütern Holthusen, Buske,
Kruthofen, Eickenbüren, Wald, Monheim, Hongen und
Himmelgeist zu Ende des 12. Jahrhunderts gegen 100
Mark Silber dem Grafen Engelbert von Berg abtrat. Die
Erwerbungsurkunde ist ohne Datum und u. a. von Otto
von Heldorp und Daniel von Erkerode mit unterzeichnet.
Düsseldorf wurde nebst den übrigen vorgenannten
Gütern mit der Grafschaft Berg vereinigt und begann
von dieser Zeit an sich allmälig, wenn auch zunächst
nur in sehr bescheidenen Grenzen, zur Stadt zu ent-
wickeln. Gegen Ende des 13. Jahrhunderts wurde der
damals noch unbedeutende und in Urkunden äusserst
selten erwähnte Ort durch den Grafen Adolf V. von Berg
1) Die Kirche ist nach demselben benaimt, ebenso die von
<ler Kirche nach Thal Bilk führende Strasse.
>) Nach 0. V. Mülhnanns Statistik soll der Ort Düsseldorf
urkundlich bereits uni d50 n. Chr. bestanden haben; die bezü^^liche
Urkunde ist indess nicht angeführt.
') Dieser Arm der Dussel bildet die südliche Grenze des
Ketil-Waldes und des Keldach-Gaues.
^) V. Schaumburg a. a. 0. datirt die Urkimde vom 23. Mai.
^) Strauven a. a. O. vermuthet, dass die Burg zu Düsseldorf
an derselben Stelle errichtet sei, wo der alte Sahlhof lag, aus
welchem das Dorf und später die. Stadt hervorgegangen ist, lässt
es aber unentschieden, ob die Erwerbung des Grafen von Berg von
dem Herrn von Tevern etwa als eine Erweiterung des ziun Sahl-
hofe bereits gehörenden Gkbietes oder als Erwerbung des Sahl-
hofes selbst anzusehen ist
23
3Ö4 Die Baugttehiehte von X>a*§tldorf.
mit Uräbeii und Wällen und, zui' Zeit oder kurz nach seiner
Erhebung zur Stadt mit Mauern und ThUrmen befestigt.
Als die Erhebung bald nach dem von Adolt über den
Bischof von Köln en-ungenen Siege bei Worringen mit-
telst Freibriefes vom 14. August 1:J88 erfolgte,
hatte Düsseldorf einen noch sehr geringen Umfang: es
Tig. 1, DÜB.s^ldorf Kcg:en Ende dp» XIII, Jahrhiiiid^rri.
beschränkte sich auf die noch jetzt die „Alte Stadt"
genannte Strasse, die Lewengasse'), die von dem Ober-
keUnerei-Gebäude, dem sogenannten Lewenhause*) nach
der Lambertus-Kirche führende „Gasse" und die nur auf
der Ostseite bebaute, gegen den Rhein durch eine Mauer
abgeschlossene Krämerstrasse. Die letztere sowie die
Lewengasse und die später ausgebaute untere Ritterstrasse
waren ursprünglich Bürgergftnge hinter den Gräben, später
den Mauern der Stadt.
In der Nähe der Krämerstrasse stand eine Kapelle,
welche im Anfange des 13. Jahrhunderts zur Pfarrkirche
erhoben sein soll, zu deren Patron der heilige Lambertus
erwählt wurde. An der Stelle dieser Kapelle ist die
jetzige Lambertus-Pfarrkirche erbaut.
') Spiiter Lielcr^asee genannt.
*) Das Lewen- oder Lieferh^us liat nach Strnuven >. n. 0. schon
lange Zeit vor Erh^bunsr DÜHspIdorfs zur Stadt und ror Erbauung
der Ringninuem bestanden.
Die BaugMchichte ron Düsseldorf. 355
Die Burg der bergiscben Grafen lag ausserhalb der
Gräben bezw. späteren Ringmauern an derselben Stelle,
an der noch jetzt die dunkeln Ruinen des Schlosses in
die Lüfte ragen; sie stand mit dem am südlichen Ende
der Erämerstrasse^ befindlichen Thore durch einen Weg
in Verbindung; der mittelst einer Brücke über die das
Schloss umfliessende Dussel führte. Ein anderer vom
Schlosse ausgehender Weg lief entlang des linken Düssel-
ufers nach der vor der Stadt i) gelegenen Mühle.
An der dem Schlosse entgegengesetzten Seite der
Stadt, da, wo die „Alte Stadt^ und die Liefergasse zu-
sammenstossen, also am Anfange der jetzigen Ratinger-
Strasse, stand ein anderes Hauptthor, das Liebfrauenthor,
und vor demselben eine Kapelle, deren Ursprung jeden-
falls in eine sehr frühe Zeit zurückreichte. Sie hiess die
Liebfrauenkapelle 2) und barg in ihrem Innern ein wunder-
thätiges Marienbild, das eine grosse Menge von Gläubigen
aus allen benachbarten Gauen anzog, weshalb unmittel-
bar daneben zur Aufnahme und Pflege der Pilger ein
Gasthaus errichtet war, das zugleich zum Hospital diente.
Das Liebfrauenthor trennte die Stadt von der „Vuratadf^,
unter welch' letzterer wir uns indess noch keinen ge-
schlossenen Stadttheil, sondern nur zerstreute Gehöfte zu
denken haben. Ein drittes Thor „an der Lindentrappe"
befand sich auf der Nordwestseite der Stadt und ver-
mittelte den Zugang von der „Alten Stadt" zum Rheine.
Ob dieses Thor indess schon, wie die beiden vorher-
genannten, zur Zeit der Erhebung Düsseldorfs zur Stadt
bestanden hat, ist mindestens zweifelhaft.
Noch unter der Regierung des Grafen Adolf wurde
der Stadt ein Aussenbezirk zugelegt, der die Besitzungen
des Ritters Adolf von Vlingeren und Rumpolds von
Pempelfort umfasste, von denen erstere aus der am jetzigen
Friedrichsplatze belegenen Mühle au der DQssel nebst
Garten und Wiesen, letztere aus dem Pempelforter Hofe,
dem späteren Jägerhofe bestanden.
Im Jahre 1377 verlegte Graf Wilhelm den bisher vor
dem Duisburger Walde erhobenen Rheinzoll nach Düssel-
dorf. Zugleich wurde die Regulirung des Rheinufers in
Verbindung mit der Errichtung eines Werftes vorgenommen
und an der nordwestlichen Ecke der Stadt an der Stelle,
an welcher später die Schlachthalle stand, ein Wacht-
M Am jetzigen Friedrichsplatze.
2^ Die Lieb&auenkapelle, welche v. Schauinburg (a. a. 0. S. 17) und
Bayerle (a. a. 0. S. 23) „fcreuzkapelle" nennen, wurde laut Urkunde
Herzog Gerhards von Jülich -Berg vom 14. August 1443 dem von
ihm gestifteten Kreuzbrüder-Kloster überwiesen.
23*
956 Die Bauffeschidtte von Düsseldorf,
thurm zur Erhebung des Zolles und daneben zwischen
der heutigen Sjrche der barmherzigen Schwestern und
der Ritterstrasse ein Eder oder Lagerhaus erbaut. Der
später zur Aufbewahrung von Pulver benutzte Wacht-
thurm flog in der Nacht vom 31. Juli 1634, vom Blitz
entzündet, in die Luft, wodurch an der Stifts-, jetzigen'
Lambertuskirche und an vielen Häuserii, besonders des nörd-
liehen Stadttheiles, erhebliche Beschädigungen verursacht
wurden!). In der unmittelbaren Nähe des Lagerhauses
stand auch das ei-ste Bürgerhaus, in welchem die Schöffen
ihre Versammlungen hielten und zu Gericht sasseii ^).
Im Laufe des 14. Jahrhunderts war die Stadt allmälig
nach Süden vergrössert worden; die Mühlenstrasse, die
Kurze Strasse^), die untere Bolkerstrasse und ein Theil
des Burglatzes wurden angebaut und bildeten einen Stadt-
theil, der im Gegensatze zu der innerhalb der Ringmauern
liegenden alten Stadt die Bezeichnung „neue Stadt*^ er-
hielt und dieselbe auch bis zum Anfange des 17. Jahr-
hunderts führte.
Den obenerwähnten Aussenbezirken wurden im Jahre
1384 durch den ersten Herzog von Berg, Wilhelm I.*),
welcher Düsseldorf zur dauernden Residenz wählte, die
Dorfschaften Golzheim, Derendorf und Bilk und zehn
Jahre später das Dorf flamm hinzugefügt.
Der weitere Ausbau der Stadt wurde durch Wilhelm L
dadurch angeregt, dass er nach einer Urkunde vom Jahre
1394 den Platz zwischen der Oberdüssel, dem Rheine und
der neuen Stadt den Bürgern zur Bebauung anwies, in
Folge welcher Aufforderung allmälig die Flinger-, Berger-
und Rheinstrasse entstanden. Eine wesentliche Unter-
stützung der auf Vergrösserung der Stadt gerichteten
Bestrebungen des Herzogs wurde dadurch erzielt, dass
derselbe den zwischen der Stadt und der Oberdüssel sich
Anbauenden 1395 die Ermächtigung verlieh, behufs
Deckung der Pflaster- und Brückenbaukosten von allem
durchgehenden Fuhrwerk eine Abgabe zu erheben. — Zu
dieser Zeit war auch die „neue Stadt" bereits mit Mauern
und Gräben umgeben, welche beim Hinzutritt der zuletzt-
genannten drei Strassen abermals erweitert wurden.
Gleichwie in den meisten deutschen Residenzstädten
der Character ihrer baulichen Entwickelung durch ihre
Fürsten bestimmt worden ist, so verdankt auch die Stadt
>) Es sollen über 50 Häuser zerstört und eine noch grossere
Anzahl beschädigt worden sein.
<) Die Glocke aus diesem Bürgerhause vom Jahre 1545 härgt
im jetzigen Rathhausthurme.
^) In älteren Urkunden „Kottenstrasse'^ genannt.
♦) Kaiser Wenzel hatte ihn 1380 zum Herzoge von Berg erhoben-
Dir Bauffeiehielile tmn DüMtldorf. 357
Düsseldorf ihr Aufblunen ihren Heirscbeni, den tapfRi-eii
und liochgebildeten bcr^isclien G-rafeii und Herzögen,
welclie ihre ganze Energie daran gesetzt hatten, ihre
Herrscliaft bis zu den Ufern des scliönen Stromes aus-
zudehnen, dessen Silberglsnz ihnen bis zu den heimisclien
Bergeshöhen hinauf lockend entgegengeblinkt hatte. Nncli-
dem die Stadt, wie oben gezeigt ist, durch Herzog Wil-
helm I. »ach Süden erheblich erweitert worden vthv, erfuhr
sie inner der Herrschaft Gerhards IT. eine umfangreiche
Fi^, 2. Kreuxbrüderkiruhe mit Kn|ielle.
Vergrösserung nach Osten. Der Herzog hatte 1443 die
Kreuzbrüder nach Düsseldoif berufen •) und ihnen an
der Stelle einen Platz zur Erbauung eines Klosters an-
gewiesen, an welcher die schon erwähnte Liebfrauenkapelle
und das Hospital standen. Neben dieser Kapelle?) wurden
') V. Scliaumburg: a. ii. 0. S. 16.
-) Der Abbruch dersflben hai 1811 siaitget'undei'
3o8 Die Baugescliiehte oon MssMoff,
die Kreuzbrdderkirche (Fig. 2) (das jetzige Montirungs-
depot) und das Kloster erbaut, das Hospital wurde nach
der Ecke der Flinger- und Mittelstrasse, spftter (1709)
nach der Kasernenstrasse und zuletzt (1772) nach der
Neustadt verlegt, wo es noch jetzt besteht.
Zur Zeit der Erbauung des Kreuzherrenklosters waren
im der jetzigen Ratingerstrasse, also ausserhalb des da-
mals am Ende der Altestadt belegenen Liebfraucnthores,
bereits einige Gehöfte mit in den Urkunden besonders
erwähnten Gärten und mehrere Häuser vorhanden ; nach
Angabe eines Heberegisters aus dem Jahre 1424 sollen
in der „Vurstadt** vor dem Liebfrauenthore bereits 25
(in der Altestadt 48 und in der Neuen Stadt 76) zins-
pflichtige Häuser gestanden haben. Der Bau des Klosters
veranlasste die weitere Besiedelung des nach Ratingen i)
führenden Weges, an dessen Ostlichem Ende schon zu
Anfang des Jahrhunderts ein zweites Thor, die Ratinger
Pforte, errichtet worden war.«) Femer wurde behufs
Herstellung einer directen Verbindung mit der neuen
Stadt der Bau einer neuen BrQcke über die Dussel nöthig,
welcher wiederum Veranlassung zur Anlegung einer neuen
Strasse, der Neubrückstrasse, gab. Das Hühlengässchen,
welches die Verbindung mit dem auf der Nordseite der
Stadt vorhandenen, aber noch nicht bebauten Wege, der
jetzigen Ritterstrasse, vermittelte, mag zu derselben Zeit
entstanden sein.
Wir haben oben gezeigt, welchen Umfang die Stadt
im Jahre 1288 hatte; im Laufe weiterer 2 Jahrhunderte
hatte sie sich um ungefähr das Fünffache ihres damaligen
Umfanges vergrössert. Die nördliche Grenze bildete, von
dem an der nordwestlichen Ecke der Stadt stehenden
Zollthurme ausgehend, der noch unbebaute Weg, welcher
an die Gärten hinter den Häusern der Altestadt grenzte
und bis zu dem am Eiskeller stehenden, die nordöstliche
Ecke der Stadt bildenden Thurme») reichte. Die Ost-
grenze erstreckte sich vom Thurme am Eiskellerberge
bis zu dem Thurme am Stadtbrückchen und setzt« sich
aus dem Mühlengässchen und einem von da^) über den
Friedrichsplatz und hinter den Gärten der Hunsrücken-
1) Geg'en 800 Hrotinga, 848 Hratuga, Hretinga, 11G5 Razzinga.
1198 Rattengen, 1209 Rancengen, 1276 Ratingen (v. Mülmann a. a.D.
S. 443).
2) Die Ratinger-Portze kommt nach v. Schaumburg (a. a. 0. S. 17)
zuerst 1425 vor.
8) Die Fundamente dieses Thurmes liegen im jetzigen Eis-
kellerberge.
*) Ratinger Mauer.
Die Baugescnichtt oon Döstefdorf. 859
sti-asse*) entlang bis zur Ecke der Neu- und Wallstrasse
führenden Wege zusammen. Ebenso wie am Ende der
Ratingerstrasse stand auch am Ausgange der Flinger-
strasse ein fester Thorthurm, ferner befand sich zwischen
beiden in der Gegend des heutigen Friedrichsplatzes ein
vorspringender fester Thorthurm, jedoch ohne Thoröffnung.
Die Südgrenze bildete keine gerade Linie, sondern lief
vom Thore am Stadtbrückchen in südwestlicher Richtung
bis zum Zusammenstoss der jetzigen Hafen- und Akademie-
Strasse, wo ursprünglich das nach dem Bergischen Lande
führende Bergerthor stand, und wandte sich von da nord-
westlich durch die Akademie- und Rheinstrasse zu dem
am Ausgange der letzteren stehenden Rheinthore. Die
Südgrenze war durch 2 Thttrme befestigt. Die West-
grenze wurde durch den Rhein, bezw. durch den bis an
letzteren sich erstreckenden, damals auf der westlichen
Seite noch unbebauten Marktplatz, durch das Schloss und
die Krämerstrasse gebildet. Nahe der südlichen Ecke
stand das Zollthor .2)
Die innerhalb der vorbeschriebenen Grenzen liegenden,
oben bereits in der Reihenfolge ihrer Entstehung nament-
lich aufgeführten Strassen waren am Ende des 15. Jahr-
hunderts, ja auch noch bis zur Mitte des 16. Jahr-
hunderts nichts weniger als geschlossene Strassen. Die
Häuserreihen zeigten stellenweise noch sehr erhebliche
Lücken, welche durch mehr oder minder umfangreiche
Gärten, Felder und Wiesen ausgefüllt wurden. Dies war
aus dem früher bereits erwähnten Umstände zu erklären,
dass Herzog Wilhelm I. viele Bewohner der Dorfschaften
Golzheim, Derendorf, Bilk und Hamm veranlasst hatte,
sieh Häuser innerhalb der Ringmauern ^ix erbauen und
von da aus ihr früheres Gewerbe, das hauptsächlich in
Garten- und Feldbau bestand, fortzusetzen. Viele dieser
eingewanderten Bauern hatten es indess für zweckmässig
befunden, ausser auf ihren in den Vororten belegenen
Grundstücken auch auf dem bei ihren städtischen Häusern
befindlichen Grund und Boden der früheren Beschäftigung
nachzugehen, Getreide und Gemüse zu bauen und Vieh
zu ziehen, und so kam es, dass innerhalb der Ringmauern
bis ungefähr zur Mitte des 16. Jahrhunderts der land
>) Nenstrasse.
') Das Liebfrauen- und das Liiideutreppcnthor waren ausser
den vorgenannten d Thoren ebenfalls noch vorhanden. Da ein
Plan der Stadt aus dem Anfange des U). Jahrhundorts nicht bei-
j^egeben werden kann, so mag auf den nachfolgenden Plan vom
Jahre 1620 (Fig. 3) hingewiesen werden, aus welchem sowohl der
vorbeschriebene Umfang der Stadt als auch die Lage der oben-
crwtthnten 5 Thore (I— Vj ersichtlich ist. Siehe auch Fig. 4, f), (> und 7.
360 Die Haugesehichtt ran Dilsaeldorf,
vvirthschaftliche Betrieb in hoher Blttthe stand. Einen
wirklich stüdtisehen Charakter erhielt DQsseldorf erst in
der folgenden Periode.
Von den ött'entlichen Bauwerken dieser annähernd
(h*ei Jahrhunderte umfassenden Periode der Baugeschichte
Düsseldorfs sind ausser dem Thurme der Bilker Kirche,
der Lambertus-; der Kreuzherrenkirche und dem Schloss-
thurme nur geringfügige Reste auf uns gekommen. Da
auch die urkundlichen Nachrichten über die Architektur
.jener frühesten Zeiten äusserst spärlicn bemessen sind, so
mangelt es an Anhaltspunkten, welche objectiv zu sicheren
Schlüssen über Stil und Bauart der Bauwerke dieser
Periode berechtigen. Mit Gewissheit lässt sich nur be-
haupten, dass die Kapellen und Kirchen vollständig
massiv erbaut waren. Ob auch in jener Zeit Profan-
bauten bestanden haben, zu deren Herstellung aus-
schliesslich Steinmaterial verwendet worden war, ist
zweiielhaft ; am zutreffendsten dürfte die Annahme sein,
dass die hervorragenderen Bauwerke, wie das Schloss,
das Bürgerhaus, das Lagerhaus u. a. m. im unteren Ge-
schosse massiv erbaut waren, i) dass aber die auf da.s
Erdgeschoss aufgesetzten Bautheile aus Fachwerk be-*
standen. Die Wohnhäuser mit ihren Nebenbauten mögen
in jener frühesten Zeit wohl ausschliesslich aus Fachwerk
errichtet gewesen sein. 2)
Was die bei den öffentlichen Bauten angewendeten
Stilformen betrifft, so gehörten dieselben bis zur Mitte
des l.'j. Jahrhunderts dem romanischen, von da ab dem
gothischen Stile an; die Renaissanceformen treten erst
in der folgenden Periode auf, doch ist nicht ausgeschlossen,
dass bereits bei der im Jahre IbliS vorgenommenen be-
deutenden Erweiterung und Reparatur des Schlosses die
ersten Versuche gemacht worden sind, die Renaissance
in Düsseldorf einzuführen.
Als älteste Bauwerke Düsseldorfs müssen die eben
bereits erwähnten Kirchen und Kapellen, nämlich die
Bilkerkirche, die Muttergottes- S) und die Liebflrauenkapeile
angesehen werden.
Wann die Bilker Kirche erbaut ist, lässt sich nicht
mehr genau feststellen, es kann nur als in hohem Grade
wahrscheinlich bezeichnet werden, dass sie bereits im
10. Jahrhundert vorhanden gewesen ist und von Anfang
an in ihrem jetzigen Umfange bestanden hat. Die Kirche
0 Die Thüniie am SchloHse sind allem Anscheine nach toII-
stAiidig massiv erbaut ivorden.
«) Wilhelmi a. a. O. S. 25.
^) Alis welcher die Lambertus-Pfarrkirche hervorging.
Die Baugesehiehie von DilssehJorf. 861
ist ursprünglich als romanische Basilika errichtet, deren
Schiffe und Chor indess im Laufe der Zeiten wiederholt
durch Brand zerstört und vor ungefähr 20 Jahren im
gothischen Stile restaurirt worden sind. Der romanische
Thurm ist, wenn auch mit neuer Tuffsteinverblendung, in
seinen ursprünglichen Architekturformen bis auf die
Gegenwart erhalten geblieben. Die Schiffe haben jetzt
gewölbte Decken, es ist indess anzunehmen, dass sie an-
fangs flach gedeckt gewesen sind, da gewölbte romanische
Basiliken am Niederrhein erst um 1100 auftreten. Obgleich
die Kirche nur eine geringe Grösse hat, so macht sie
doch, namentlich im Innern, durch die schönabgemessenen
Raumverhältnisse auf den Beschauer einen überaus
günstigen Eindruck.
Die Muttergottes-Eapelle wird etwas später als
die Bilker Kirche errichtet sein, ihre Fundamente haben
sich im Chor der Lambertuskirche vorgefunden, als
ein Todtenkeller zur Beerdigung verstorbener Kanonichen
hergestellt werden sollte. Beinahe an derselben Stelle,
an welcher diese Kapelle gestanden hat, wurde später
eine Kapelle zu Ehren der Heiligen Lambertus, Severinus
und Anno erbaut, welche, als im Jahre 1206 das Dorf
an der Dussel zur Pfarre erhoben wurde, die Pfarrkirche
dieses Dorfes wurde und von der Zeit an Lambertus-
kirche hiess. Die im gothischen Stile erbaute Kirche
hatte sehr bescheidene Grössen Verhältnisse und wurde,
als Graf Adolf VII. bei Errichtung des Collegiatstiften
eine Vergrösserung derselben vornahm, als*^ Chor der
neuen Kirche beibehalten, während der jetzt noch be-
stehende Thurm neu gebaut wurde. Die Sacristei der
früheren Lambertuskirche war gegenüber der jetzigen
Sacristei zur Seite des dritten Pfeilers gelegen; ihre Ein
gangsthür ist an den hinter den Chorstühlen noch vor-
handenen Thürgewänden von Haustein erkennbar.
Im Jahre 1392 wurde durch Herzog Wilhelm eine
Vergrösserung des Stiftes und zugleich eine Erweiterung
der Kirche vorgenommen ; die durch Graf Adolf erbauten
Seitenwände der Ejrche wurden in ihrem unteren Theile
weggebrochen und durch Pfeiler ersetzt. Zu beiden Seiten
der ursprünglichen Kirche wurden unter Beibehaltung
des Thurmes und des Chores die jetzt noch vorhandenen
Nebenschiffe, und zwar durchweg aus Ziegelsteinen er-
baut, während die wiederbenutzten Theile der alten
Kirche, nämlich der Thurm, die auf den Mittelpfeilern
ruhenden Ueberreste der ehemaligen Umfassungsmauern
und der Chor theils aus Tuffstein, theils aus Ziegeln her-
gestellt sind.
362 Die Bauge«chichte con DfUaeldorf,
Die erweiterte Kirche wurde als Hallenkirche; d. h.
mit annähernd gleich hohen Schiffen in zwar einfachen,
aber der herrlichen Entwicklung, welche die gothische
Baukunst im 14. Jahrhundert erreicht hatte, entsprechend
schönen Formen ausgeführt. Das Innere der Kirche war
mit zahlreichen, jetzt nicht mehr vorhandenen Altären
ausgestattet, die Wände waren mit reichen Malereien
geschmückt, welche iudess ebensowenig wie die kunst-
vollen Glasmalereien der Fenster der Gegenwart er-
halten sind.
Ueber die Zeit der Erbauung des Schlosses fehlen
zuverlässige Nachrichten. Die Annahme ist nicht un-
gerechtfertigt, i) dass die ungünstigen Veränderungen,
welche der Lauf des Rheines bei Düsseldorf erlitten hat,
durch die im Jahre 1260 stattgefundene Ueberschwem-
mung herbeigeführt worden sind, und dass das Schloss
oder die Bur^ bereits vor dieser Zeit an dem damals
noch günstiger gestalteten Ufer erbaut worden ist.
Auch haben sich an den Hausteinen des Unterbaues
Steinmetzzeichen vorgefunden, wie sie um 1150 am Rheine
üblich gewesen sind. Der älteste Theil des Schlosses hat
sich auf der Westseite des Platzes befunden, auf dem
später das Ständehaus stand ; seine im ganzen schwachen
Mauern waren aussen mit Sandsteinquadern bekleidet
und erhielten später-) innere Verstärkungen von Ziegel-
stein-Mauerwerk. Oestlich von diesem ältesten unregel-
mässigen Baue wurde bei der ersten Vergrösserung des
Schlosses im 13. Jahrhundert ein Flügel angefügt, der
ein längliches Viereck mit an der Nordostecke an der
Krämerstrasse vorgelegtem, schweren Thurme bildete;
südwestlich von diesem Flügel stand ein zweiter Thui-m
von rechteckigem Grundriss. Dem noch, bestehenden
runden Eckthurme ist 1499 ein weiteres Stockwerk auf-
gesetzt worden, das wahrscheinlich ein einfaches Helm-
dach trug.
Die zweite, gegen Ende de^ 14. Jahrhunderts vor-
genommene Vergrösserung des Schlosses bestand in der
Erbauung des südlich von dem älteren Theile, parallel
dem Rheine gelegenen Langhauses und des südlichen
Schlossflügels mit einem, die Mühlen- und Kurzestrasse,
den Burg- und Marktplatz beherrschenden viereckigen
Thurme. Der untere Theil dieser bei der zweiten Ver-
grösserung zugefügten Bauwerke bestand ebenso wie der
des bereits früher erbauten Flügels aus Basaltblöcken,
>) Stranven n. a. 0. S. 5 u. f.
-) Ungefähr um die Mitte des 14. Jahrhunderts.
Die BatMftschiehte oon DütmMorf, 3(>3
deren Zwischenräume indess nicht mehr wie bei dem
erstgenannten Vergrösserungsbau mit Tuffsteinen und
Ziegelbrocken, sondern nur mit Ziegelsteinen ausgeftkllt
waren. Die oberen Stockwerke sämmtlicher zum Schlosse
gehörenden Bauten sind mit Ausnahme der durchweg
massiven Thürme, wie bereits oben erwähnt ist, höchst
wahrscheinlich von Fachwerk hergestellt gewesen. Die
südlich an das Schloss bis zum Zollthor sich anschliessenden
Häuser gehörten ebenfalls zu ersterem und waren haupt-
sächlich als Wohnungen des Dienstpersonals benutzt, i)
Im Jahi^e 151 1 w^urden der zwischen dem runden Thurme
an der Erämerstrasse und dem Rheine liegende Schloss-
fiUgel und die angrenzenden Bautheile grösstentheils durch
Feuer zerstört; der Wiederaufbau der niedergebrannten
Theile nahm mehr als ein volles Jahrzehnt in Anspruch.
Eine fernere bedeutende Reparatur bezw. Erweiterung
des Schlosses fand im Jahre 1538 statt.
lieber die Architektur der Fa^aden des Schlosses in
dieser ersten Periode lässt sich hinsichtlich des ältesten
Theiles gar nichts Zuverlässiges ermitteln. Die späteren
Um- und Anbauten sind, wie aus der ältesten bekannten
Ansicht des Schlosses in Graminäus „Beschreibung der
Hochzeit des Herzogs Johann Wilhelm mit Jacobe von
Baden** (1585) hervorgeht, im Stile des Ueberganges aus
der Gothik zur Renaissance erbaut.
Das letzte bedeutende öffentliche Bauwerk dieser
Periode, die im Auschluss an die bereits mehrere Jahr-
hunderte alte Liebfrauenkapelle erbaute Kreuzbrüderkirche
nebst dem Kloster stammt aus dem Jahre 1443 (Fig. 2).
Sie besteht aus zwei Schiffen von je sechs Gewölbefeldern,
welche ersteren auf der Ostseite mit je einem aus dem
halben Zehneck gebildeten Chor abgeschlossen sind.
Zwischen beiden Schiffen stehen zur Unterstützung der
Deckengewölbe fünf achteckige Pfeiler mit je zwei vor-
gelegten Diensten, welche ebenso wie die entsprechenden
dreiviertelkreisförmigen Dienste der Wandpfeiler Blatt-
kapitAle tragen. Die Kirche ist durchweg aus Ziegel-
steinen erbaut, nur zu den Gesimsen ist rother Sandstein
verwandt. Auf der Ostseite zwischen beiden Chören steht
der viereckige Thurm, der wie die Schiffe bis zur Höhe
der Hauptgesimse der letzteren in einfacher gothischer
Architektur ausgeführt ist. Auf den gothischen Unterbau
des Thurmes sind noch zwei Stockwerke in späten Re-
iiaissanceformen aufgesetzt, w*elche von einer Laterne
*) Im Jfthre 1545 wurde hier die sogenannte Katsbahn er-
richtet, in welcher die fürstlichen Herrscha^n sich mit dem Kats-
spiel (iihnlich dem Kricket) vergntigten.
364 Die Bayffesehiehte von DOssetdorf,
gekrönt werden. Auf der hier beigefügten Abbildung der
Kirche, welche jetzt zum Montirungsdepot benutzt wird,
sind ausser den (jetzt zugemauerten) hohen gotbischen
Fenstern auch der früher an der Südwestecke vorhanden
gewesene Treppenthurm und die 1811 abgebrochene Lieb
frauenkapelle dargestellt.
Hier ist auch noch das. in der Ratinger Strasse ge-
legene Haus „zum schwarzen Horn'^ zu nennen, welches
bis zum 16. Jahrhundert als Bürgerhaus (Rathhaus) benutzt
wurde. Die Fagaden- Architektur des mehrfach umgebauten
Hauses stammt aus der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts.
Im Oiobel befindet sich ein aus Stein gefertigtes Hom
und das herzogliche Wappen mit dem Wahlspruche: in
deo spes mea Ao. 71.
Von den nicht mehr vorhandenen öffentlichen Ge-
bäuden dieser Periode, nämlich dem Lieferhause, dem
Eder- und dem Bürgerhause am Lindentrappenthore, sind
weder Abbildungen noch sonstige nähere Nachrichten auf
uns gekommen, so dass über deren Bauaii; und Stilformen
keine Auskunft gegeben werden kann.
II. Die Yergrösseraug der Stadt and die Bauten in der
Zeit von 1550—1801.
Von der Mitte des 16. Jahrhunderts an, unter der
Regierung Herzog Wilhelms IIL, bedingten das Wachsen
der Einwohnerzahl und die dauernde Niederlassung zahl-
reicher Beamten und wohlhabender Privatpersonen eine
vermehrte Herstellung von Wohngebäuden, wodurch der
Stadt der ländliche Charakter allmälig genommen w^urde,
so dass in den letzten Jahren des 16. Jahrhunderts die
Strassen fast gänzlich geschlossene Häuserreihen aufwiesen.
Eine ganz ansehnliche Zahl von Häusern aus jener
Zeit am Burgplatze, in der Kurzen- und Bolkerstrasse mit
den Jahreszahlen 1584, 1589, 1595 u. a. m. sind bis zur
Gegenwart erhalten worden, auch das Haus an der ELrAmer-
Strasse mit dem erkerartig übergebauten oberen Geschosse
stammt aus dieser, wenn nicht vielleicht schon aus noch
früherer Zeit, ebenso das alte Büi^gerhaus in der Ra-
tingerstrasse und vor allem das heutige Rathhaus auf dem
Marktplatze.
So gross auch in der Zeit von 15öO — 1600 die Ver-
änderungen gewesen waren, welche die St^dt im Innern
erfahren hatte, so waren doch die Grenzen und der äussere
Umfang gänzlich unverändert geblieben. Erst mit dem
Beginn des 17. Jahrhunderts trat in dieser Hinsicht eine
Aenderung ein, welche durch die im Jahre 1614 vom v
Di* Baiigttekielil« eon DOattldoi'f,
Fig. 3. Düsseldorf im Jahre 1690.
3G6 Die Baugeschtchte von DUsteldoff.
Pfalzgrafen Wolfgang Wilhelm begonnene, im Jahre 1620
fortgesetzte Erweiterung der Fortification veranlasst war
(Fig. 3). Durch dieselbe wurden die bisher als Wallgänge
bestandene Neu- und Wallstrasse, sowie der Parade- jetzige
FriedrichsplatZ; geschaffen. Ausser den vier Bastionen
am Eiskeller, am Müh].enplätzchen, am alten Flingerthore
und am Bergerthore (Fig. 3 No. 1 — 4) wurde auch die bereits
1552 begonnene Citadelle auf der Südwestseite der Stadt
mit zwei Bastionen nach der Neustadt hin und mit einer
Bastion am damaligen Hafen (Fig. 3 No. 5 — 7) gegenüber
dem Rheinörtchen, ausgebaut. Auch hatte dieser Umbau
der Festungswerke die Verlegung des Flingerthores an
das Ende der neuangelegten Communicationsstrasse und
des Bergerthores in die Courtine der Citadelle, wo es noch
jetzt steht, zur Folge. Zum Zwecke der Verbindung der
Stadt mit der Citadelle wurde an der dort gelegenen
Mühle 1) eine Brücke hergestellt. Die Besiedelung der
Citadelle wurde 1641 begonnen.
In der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts wurden
die Hafenstrasse, die Citadellstrasse mit ihren Neben-
gassen,«) die Dammstrasse und im Jahre 1709 die Neu-
stadt angelegt. In letzterer beabsichtigte Kurfürst Johann
Wilhelm mit Rücksicht auf den beginnenden Verfall des
alten Schlosses ein neues Schloss von gewaltigem Um-
fange nach einem in reicher italienischer Renaissance
gehaltenen Entw^urfe zu bauen, der noch jetzt im histo-
rischen Museum aufbewahrt wird. Er gab aber diese Ab-
sicht wieder auf, was die Gegenwart Grund hat, tief zu
bedauern. Die Erbauung eines Schlosses auf der Süd-
seite der Stadt in unmittelbarer Nähe des Rheines würde
eine gesunde und kräftige E^ntwickelung der an den
Strom stossenden Stadttheile zur Folge gehabt haben,
wie solche in sämihtlichen Rheinstädten von einiger Be-
deutung stattgefunden hat und aulfallender Weise nur in
Düsseldorf unterblieben ist.3) Die verkümmerte, zum Theil
hässliche Gestaltung der meisten am Rheine gelegenen
Strassen des südlichen Theiles der Stadt würde unmög-
lich gewesen sein und Düsseldorf vom Rheine her einen
erfreulicheren Anblick als jetzt bieten, wenn der Bau des
neuen Schlosses nach dem dafür bestimmten Entwürfe
zur Ausführung gekommen wäre.
») Hofmühle.
<) Die letztgenannten auf dem Terrain des alt«n Schloss-
g'rtrtens, wovon die Oran«»:erie9trasse ihren Nnnien erhalten hat.
3) Die Ausnahme hiervon, welche der Marktplatz mit seiner
nttchst^n Umgebung macht, ist auf die Nähe des alten Schlosses
zurückzuführen.
/>t> Baug99ehieht€ von DüBBtldorf, 367
Auch die sonstigen, auf Erweiterung der Stadt nach
Süden gerichteten Pläne des Kurfürsten konnten nicht
zur Ausführung gebracht werden, weil die Stände die
Bewilligung der Kosten verweigerten. Die Ausdehnung
der Festungswerke, die sogenannte Extension, wurde
deshalb auf eine Linie beschränkt, welche ungefähr an
der Ecke der heutigen Königsallee, und Königsstrasse
bei den alten Festungswerken begann, bis zur Gegend
der Bahnhöfe lief und von da die Richtung nach dem
Schwanenmarkt nahm und sich an die Citadelle wieder
anschloss.
Zur Verbindung der Stadt mit der Extension wurde
das Stadtbrückchen angelegt; eine zweite nach der
Citadelle führende Brücke war am Franziskanerkloster,
der jetzigen Max-Pfarrkirche, vorhanden.
Wenn somit auf den im grossen Stile gehaltenen
Plänen und Absichten Johann Wilhelms, seine Residenz
zu vergrössern, offenbares Missgeschick ruhte, so waren
seine Bemühungen um die Verschönerung der damals
bestehenden Stadt, in der er Künste und Gewerbe zu
einem vorher nicht gekannten Aufschwünge gebracht
hatte, um so mehr mit Erfolg belohnt. Viele aus älterer
Zeit stammende Häuser wurden im Aeussern verschönert,
Lücken in den Häuserreihen ausgefüllt und überhaupt
eine regelmässige Bauart sowie die Innehaltung gerade]*
Fluchtlinien in den Strassen vorgeschrieben, desgleichen
wurde das erste Reglement für Reinigung und Beleuchtung
der Strassen erlassen. Nach dem im Jahre 1716 erfolgten
Tode Johann Wilhelms trat in der baulichen Entwickelung
Düsseldorfs eine Jahrzehnte lange Ruhepause ein: es
wurden zwar in und ausser der »Stadt eine grössere An-
zahl öffentlicher Gebäude, wie z. B. die Galleriegebäude,
der Marstall, das Gouvernementshaus, der Jägerhof u. A.,
zum grössten Theile unter Leitung des Grafen Goltstein
aufgeführt, aber neue Strassen und Plätze sind bis 1787
nicht angelegt worden. In diesem Jahre ward eine in
ihren Folgen noch in der Gegenwart sehr wichtige und
bedeutungsvolle Aenderung angebahnt.
Da durch den oben erwähnten weiteren Ausbau der
Festungswerke nach Südosten die bisherige Südfront vom
Flinger- bis zum Bergerbastion entbehrlich geworden war,
so begab man sich daran, diese Front zu schleifen, da3
Terrain einzuebnen und auf der gewonnenen grossen
Fläche ein neues Stadtviertel, die Karlsstadt, anzulegen.
(Vergl. Fig. 8 und 9.) Die Pläne zur Bebauung waren
auf Veranlassung der Regierung durch mehrere Artillerie-
und Genieoffiziere entworfen worden. Anfänglich wurde
DU Baagt$eliieMe von Dittüdorf.
Y\$. 4. Das Zollthor vor dnin Umb«tt.
Fig. ü. Das ehetn&lige lUtinger Thor nebst der Windmflhlr
auf dem Xltcren Thore.
Fig. 6, Das ehemalige Rheiiithor.
Fig. 7. Das «hemaligo Flingerthor.
i>i> Baugtachiehlt ron DButldorf.
Dt* Bauguehichtt ron DOmMorf. 371
372 Die BaugesehichU von Düsneldotf,
die Baulust der Privatleute durch den für die Quadrat-
ruthe Grund und Boden geforderten Preis von 1 Thlr.
zurQckgehalten, nachdem man diese Forderung aber hatte
fallen lassen und den Bauenden 20jAhrige Steuerfreiheit
zugesichert worden war, die Regierung überdies die Auf-
füllung und Planirung der Strassen ausführen liess, machte
die Bebauung des neuen Viertels so rasche Fortschritte,
dass im Jahre 1791 die Earlsstadt bereits 86 Häuser hatte.
Es entstanden der Earlsplatz und im Anschlüsse daran
die Kasernen-, die Anfänge der Hohen-, Bilker- und Post-
strasse, sowie die Benrather- und Bastionsstrasse nebst
einem Theile der Südstrasse als Grenze. Ferner wurden
auf dem zugefüllten Festungsgraben die heutige Mittel-
und Grabenstrasse angelegt. (Fig. 9 u. 12.)
Werfen wir einen kurzen Rückblick auf Bauart imd
Stil der Häuser, welche diese Periode charakterisiren, so
müssen wir nochmals hervorheben, dass von Anfang der
Periode an das Streben hervortrat, bei Errichtung der
bürgerlichen Wohnhäuser und deren Nebengebäude mehr
und mehr die Feuersicherheit zu erhöhen und zu diesem
Zwecke solidere Constructionen und Materialien zu wählen,
als bis dahin gebräuchlich waren. Der Holz- und der
Fachwerksbau wurden durch den Massivbau allmälig
merklich zurückgedrängt, auch war man seit dem Ein-
tritte in das 17. Jahrhundert besonders darauf bedacht,
die gefährlichen Strohdächer zu beseitigen und die Dächer
mit Pfannen einzudecken.') Als Steinmaterial verwendete
man den vom Oberrhein bezogenen Basalt, die Basaltlava,
verschiedene Sandsteinsorten imd namentlich meistens
sehr gut geformte und gebrannte Ziegelsteine, welche in
der früheren Zeit annähernd das Format unserer jetzigen
Ziegel hatten, in späterer Zeit aber grösser geformt
1) In einer ^^^chtsordnung und Reformation des Durch-
leuchtigen Hoch2>ebornen Fürsten und Herrn, Herrn Wilhelms
Hertzogen zu Giuich, Cleve und Berg etc/* vom Jahre 1606 ist vor-
geschrieben: „Die Oebelen oder Vorhaupter der heuser, so an die
Strassen kommen sollen/ wa nit gantz, jedoch zum wenigsten zehen
oder zwelfT füess ungefehrlich hoch, auss dem grundt mit steinen
auffrichtig und ohne einiche übersetzt gemacht werden. Doch soll
man sich souil möglich befleissigen, das die Oebelen vorhaupt, mit
steinen gar ausgemacht, und in die höchde mit den andern heusem
gezogen vnd gebracht werden mögen.
So soll man auch nach gelegenheit der heuser vnd platz vber
das dritt und vierdte hauss vngefehrlich, souil möfi'lich, notturfftige
Brandtmauem, itiit rhat der Werckmeister legen und erbawen lassen.
Gleich fals sollen zu mehrer Verhütung des Fewrs vnd Brandt-
schadens, alle Tächer hlnfurter mit Leyen oder Pfannen, vnd uir
mehr mit Stroh gedeckt werden.
Die Schewren und Stall soll man nit zuhart an die heuser,
sondern so weit als immer möglich, davon bawen.
Die BaugesehichU von Düsseldorf. 373
wurden. Mit der Einführung der Renaissanceformen in
die Architektur zu Anfang dieser Periode hatte man,
wenigstens hinsichtlich der Fagadengestaltung, kein be-
sonderes Glück; es ist aus dieser ganzen Periode kein
einziges öffentliches oder Privat-Gebäude mit hervorragend
künstlerisch ausgeführter Fagade vorhanden. Die An-
wendung der neuen Stilformen, die übrigens bei öffent-
lichen Gebäuden meistens der römischen, bei den Priva^
gebäuden fast ausschliesslich der deutschen Renaissance
entnommen wurden, beschränkte sich hauptsächlich auf
die Ausschmückung der Giebel und Portale und zwar
bei ersteren meistens auf die Herstellung einer mittelst
starkgeschwungener Voluten gebildeten Giebel-Silhouette.
Ausserdem wurden wohl auch am Giebel oder an dem
häufig vorkommenden Mittelrisalite dorische oder tos-
kanische Anten, unter den Fenstersohlbänken Consolen
mit oder ohne Festons angebracht, aus welchen Eunst-
formen in vielen Fällen die gesammte künstlerische Aus-
schmückung der Häuserfronten bestand.
In Herstellung ästhetisch wirksamer Innen -Archi-
tekturen war man erfolgreicher. Ausser in einigen Kirchen
und profanen öffentlichen Gebäuden wurden auch in
Privathäusem in auffallend grosser Zahl künstlerisch aus-
gestattete Räume geschaffen, insbesondere zeigte sich in
der Anfertigung von Stuckdecken, Hausteintreppen und
schmiedeeisernen Geländern eine nicht gering zu schätzende
Geschicklichkeit.
Die gothischen Formen wurden, je weiter man in
dieser Periode vorschritt, mehr und mehr verlassen und
kamen in der zweiten Hälfte derselben nur noch ver-
einzelt als Ornamente in Renaissance-Fagaden vor.
Bevor wir uns zu den hervorragenderen, in dieser
Periode entstandenen öffentlichen Gebäuden wenden,
müssen wir nochmals das bedeutendste aller überhaupt
vorhandenen Bauwerke, das herzogliche, später kurfürst-
liche Schloss erwähnen, welches von der Mitte des IG.
bis zum Ende des 1 8. Jahrhunderts mehrfache, zum Theil
sehr eingreifende Veränderungen erlitt.
Obwohl gegen Ende des 16. Jahrhunderts das Schloss
sich in recht schlechtem baulichen Zustande befunden
haben muss,i) so wurden doch nur die dringend noth-
wendigen Instandsetzungen ausgeführt und erst nach dem
Jahre 1634, als durch das schon erwähnte Auffliegen
1) Die Stände scheinen dem Herzog Johann Wilhelm die Mittel
zur Instandhaltung des Schlosses verweigert zu haben, denn er war
1595 genöthigt, zur Bestreitung von Reparatiirkosten 8 Hflusor zu
verkaufen. (Stranven a. a. 0. S. 90.)
874 Die Bmigeschiehie ton Dünseldorf,
eines Pulveithurmes auch an den Gebäuden des Schlosses
Schaden angerichtet worden war, erfolgte eine gründliche
Reparatur. Wesentliche Umbauten Hess der EurfOrst
Johann Wilhelm vornehmen, der 1693 seine Residenz von
Heidelberg nach Düsseldorf verlegte ; unter anderem liess
er den Thurm im Hofe nebst den anstossenden, am Haupt-
flügel befindlichen schmalen Gängen abbrechen und an
Stelle der entfernten Bautheile die Colonnaden errichten^
welche sich bis zu dem grossen Brande am 19. März 1872
erhalten haben. Eine Umänderung der nach dem Rheine
gelegenen Ansichtsseite des Schlosses fand indess nicht
statt, was aus einer Zeichnung des letzteren vom Jahre
1713 hervorgeht, welche noch die alte Fa^ade, aber ohne
den Thurm im Hofe, zeigt. Dagegen wurde das Gallerie-
gebäude zur Aufnahme der weltberühmten Gemälde-
sammlung des Kurfürsten errichtet und erhielten die von
letzterem und seiner Gemahlin bewohnten Räume des
Schlosses eine so prachtvolle und kostbare Ausstattung,
dass Fremde aus weiten Entfernungen nach Düsseldorf
reisten, um das Innere des Schlosses und die daselbst
aufgehäuften Kunstschätze und Kostbai*keiten zu be-
sichtigen.
Ueber die äussere Erscheinung des Schlosses sagt
Strauven (a. a. 0. S. 40), dass es zwar mit zahlreichen
und regelmässigen Fensteröffnungen versehen gewesen
sei, aber durchaus keinen kasernenartigen Eindruck ge-
macht habe. Das Erdgeschoss hatte Fenster von der
doppelten Breite zur Höhe, im ersten Geschosse waren
die Fenster im gleichen Verhältniss, aber grösser- als
diejenigen des Erdgeschosses angelegt und im zweiten
Geschosse waren sie ungefähr eben so hoch wie die des
Erdgeschosses, aber nur halb so breit. Die Fenster dea
Erd- und ersten Geschosses hatten vollständige Kreuze^
diejenigen des zweiten Geschosses nur Querriegel zwischen
Fenster und Oberlicht. Um das ganze Gebäude, sowohl
aussen als im Hofe, liefen über dem Hauptgesimse mit
Zinnen versehene Brustwehren, an deren verschiedenen
Ecken erkerartige Vorsprünge angebracht waren. Das
steile Dach wurde hin und wieder durch Staffelgiebel und
Schornsteine unterbrochen. Sämmtliche Fronten waren
in Ziegelrohbau aufgeführt, von dem sich die aus Hau-
stein gefertigten Fenstereinfassungen, Gesimse und Erker
malerisch abhoben.
Eine wesentliche bauliche Umgestaltung, namentlich
auch der äusseren Ansichten, erhielt das Schloss unter
Kurfürst Carl Theodor, welcher 1755 durch Baumeister
Nosthofen die gothischen Architekturformen durch Re-
Die Baugeschiehtc von Düsseldorf. 375
naissanceformen ersetzen licss. Die bis dahin auf vor-
springenden gothischen Bogenstellungen ruhenden Brust-
wehren des Daches wurden nebst letzterem, aber unter
Beibehaltung der gothischen Bögen, entfernt, ein zu Wohn-
räumen für die Dienerschaft eingerichtetes viertes Ge-
schoss und darüber ein neues, schweres, französiches
Dach von 3 Speichergeschossen aufgeführt. (Fig. 10 u. 11.)
Beim Bombardement von 1794 brannte das Schloss im
Innern fast gänzlich aus und der nördliche Flügel zwischen
dem Thurme an der Krämerstrasse und dem Rheine
wurde bis auf den Grund zeretört. Der Wiederauf- resp.
Ausbau des Schlosses erfolgte erst in unserem Jahrhundert
behufs Einrichtung der für die Versammlungen der Stände
und für die Kunst -Akademie erforderlichen Räume, welche
den gedachten Zwecken bis zu der 1872 stattgehabten,
fast vollständigen Zerstörung des Schlosses durch Feuer
dienten.
Als die bedeutendsten der in dieser Periode errichteten
Gebäude sind zu nennen:
Das Rathhaus. Es wurde 1567 unter Leitung des
aus Duisburg berufenen Baumeisters Heinrich Tuschmann
im Bau begonnen und zeigt die Formen des Ueberganges
vom gothischen zum Renaissance-Stil. Es ist als einfacher
Putzbau mit Hausteingliederungen ausgeführt, hat einen
Uhrthurm und zwei Front- und einen Seitengiebel. Im
Innern ist ausser dem schönen schmiedeeisernen Treppen-
geländer aus dem 17. Jahrhundert nichts architektonisch
Bemerkenswerthes vorhanden.
Die Andreaskirche. Ein Ziegelputzbau mit kräftig
wirkender, nicht unschöner Haustein -Architektur in später
römischer Renaissance. Die beiden den Chor flankirenden
massiven Thürme mit Kuppeldächern gewähren mit der
dahinter liegenden kuppelgewölbten Begräbnisskapelle
eine malerische Ansicht des Bauwerks. Die Grundstein-
legung fand 1622 statt, die Vollendung fällt in das
Jahr 1629.1)
Das Innere ist dreischiffig, auf starken Pfeilern über-
wölbt mit gleichfalls überwölbten Emporen und mit
schöner, etwas überladener, doch streng im Charakter
*) B^-erle a. a. 0. S. 132; dagreo^en geht aus einem Briefe des
Herzog« Wolfgang Wilhelm an den Amtmann von Angermund vom
t>. Juni 1635 hervor, dass zu dieser Zeit die Kirche noch nicht voll-
Htändig fertig war, indem er am Anfang des Briefes sagt : .demnach
man zu dem Kirchenbaw den wir hierselbst vor die PPes oocietatis
Jhesu zu der ehren Gottes auf unsere Kosten verfertigen lassen,
etlicher auf sichere weiss gewachsener bawholtzer vohnoeten hat,^
(Archiv Heitorf.)
Dit Baugtiebiehte ton DflM^dorf.
Die BaugeaehiehU von DdatMorf.
378 Die Baugesehiehte von DüssMoff»
des Stils durchgeführter farbiger Stuckdecoration in reicher
Vergoldung.
Das Regierungsgebäude ^ ehemaliges Jesuiten-
kloster, dessen Grundstein 1625 gelegt wurde, ist ein
schmuckloser, dreigeschossiger Ziegelputzbau, der mit der
Andreaskirche einen grossen viereckigen Hof umschliesst.
An der Ecke der Mühlenstrasse, am Friedrichsplatze, hat
das Gebäude einen thurmartigen Aufbau, der ehemals als
Sternwarte und als Station für den optischen Telegraphen
benutzt worden ist.
Die evangelische (reformirte) Kirche an der
Bolkerstrasse. Ein einfacher, 1683 begonnener Ziegel-
rohbau in spätrömischer Renaissance mit flachgewölbter
Spalierdecke und Emporen auf eisernen Säulen. Der
massive Kuppelthurm zeichnet sich durch hübsche
Silhouette aus.
Die evangelische (lutherische) Kirche an der
Bergerstrasse. Sie ist, wie auch die vorgenannte, rings
von Gebäuden umschlossen. Die Kirche, deren Grund-
stein 1687 gelegt wurde, ist ein in deutscher, mit fremden
Elementen gemischter Renaissance aufgeführter Ziegel-
rohbau ohne Thurm. Das Innere ist mit Spalier-Stich-
bogengewölbe überdeckt imd hat zwei Reihen Emporen
auf Holzpfosten.
Die Rochus -Kapelle. Ein kleines Bauwerk in
Barockstil aus dem Jahre 1667. Die Kapelle hat einen
kreuzförmigen Grundriss und eine gewölbte Decke ohne
Pfeiler.
Die Loretto- Kapelle, jetzige Bilker Pfarrkirche.
Diese Kirche wurde im Jahre 1686 als Putzbau mit
Haustein - Architektur in später römischer Renaissance
erbaut. Der ursprünglich gerade Giebel und das Portal
wurden 1740 im Barockstile umgebaut. Der massive
Vierungsthurm trägt eine Zwiebelhaube. Das Innere,
durch schwere Pfeiler in drei gleich breite, überwölbte
Schiffe getheilt, ist in toskanischer Renaissanc der Kirche
della Santa casa in Loretto, aber in einfacherer Aus-
stattung, nachgebildet.
Die Derendorfer Kirche. Sie ist 1692 erbaut und
wird durch eine Verbindung verschiedener Stilformen
charakterisirt. Die Kirche hat drei Schiffe, von denen
die beiden seitlichen niedriger sind als das Hauptschiff;
von den 3 Thürmen stehen zwei am Portal, der dritte
befindet sich am Chor.
Der Hontheimer Hofi) in der Akademiestrasse,
1) Ehemals dem Fi*eiherm von Hontheim zugehörig.
Die Baugesehiehte von DOMßldarf* 379
ein nüchterner, dreistöckiger Putzbau, der aus annfthemd
derselben Zeit wie die vorgenannten Kirchen stammt und
im Laufe der Zeit, nach Aufgabe des Besitzes durch die
Hontheim'scheFamilie, verschiedenen öffenüichen Zwecken
gedient hat. Ausser dem Land- und dem Friedensgerichte
hat auch die Kunstakademie zeitweise i) ihren Sitz in
einem Theile dieses Gebäudes gehabt, dessen anderer,
nördlicher Theil schon im Jahre 1752 zum Gefangenhaus
eingerichtet wurde.
Das Ursulinenkloster, dessen Grundsteinlegung
1685 stattfand, ist ein einfacher Putzbau, welcher eine
kleine, 1702 erbaute, mit flacher Putzdecke versehene
Kirche umschliesst.
Das Carmelitessenkloster. Im Jahre 1G42 er-
hielten die Carmelitessen an der Stelle, an welcher der
in die Luft geflogene Pulverthurm gestanden hatte, einen
Platz zur Gründung einer Niederlassung angewiesen. Der
Bau des jetzigen Klosters wurde 1 706, der Bau der Kirche
1712') begonnen. Die letztere wturde, wie die meisten
Kirchen jener Zeit, in spatrömischer Renaissance aufgeführt
und hat keinen Thurm; der Grundriss ist kreuzförmig.
Die Infanterie-Kaserne 8) ist im Jahre 1735 als
Putzbau unter Vermeidung ornamentaler Ausschmückung
erbaut und 1771 durch Aufbau emes Stockwerks ver-
grössert.^) Die an der Strasse in der Fluchtlinie der
Kaserne stehende Garnisonkirche ist gleichfalls 1735 im
Zopfstil erbaut und hat kreuzförmigen Grundriss mit ab-
gerundeten Kreuzarmen.
Die Maximilianskirche. An Stelle der 1655 bis
1659 erbauten Franziskanerkirche nebst Kloster wurden
die jetzt noch bestehende Kirche und das Kloster in den
Jahren 1734—1737 errichtet. Die Kirche ist ein Ziegel-
rohbau in römischer Renaissance mit schönem und zier-
lichem Zwiebel thurm. Die Klostergebäude wurden in
späterer Zeit als Gymnasium und zu Wohnungen der
Pfarrer und der Hülfsgeistlichen benutzt.
Das Präsidialgebäude. Es ist zwischen 1760 und
1766 anstelle mehrer.er niedergerissenen Häuser zugleich
mit dem Marstalle erbaut, welch letzterer 1794 in Folge
des Bombardements niederbrannte. Das vom Feuer
gänzlich unberührt gebliebene stattliche Gebäude, firüher
die Residenz genannt, ist jetzt Sitz des Präsidiums der
>) Bis 1806.
*) Schaumburg^ a. a. 0. S. 44.
*) Ehemals auch Artillerie-Kaserne.
*) 1816 wurden mehrere Flügelbauten hinzugefügt.
380 Die Baugetehiehtt von Düsseldorf,
Königlichen Regierung; es ist in spätem Barockstil als
Putzbau mit besonders hervorgehobenem Portal in Hau-
steinarchitelctur aufgeführt.
Das JägerhofschlosSy ebenfalls zwischen 1760 und
1766 erbaut, war IcurfQrstliches Jagdschloss und zu Zeiten
Wohnung des Jülich- und Bergischen Oberjflgermeisters.
Das Gebäude hat einen grossen im Zopfstil errichteten
Mittelbau mit zwei später hinzugefügten Seitenflügeln.
Trotz seiner einfachen Stilformen macht das Schloss einen
recht gefälligen Eindruck, der durch seine freundliche
Lage zwischen dem wohlgepflegten Schlossparke und
dem Hofgarten noch erhöht wird. Der anstossende Marstall
zeichnet sich durch drei mit reichen Holzschnitzereien
geschmückte Frontispice aus.
Von den in dieser Periode erbauten, jetzt nicht mehr
vorhandenen öffentlichen Gebäuden sind nachfolgende
die bemerkenswerthesten :
Das Kapuzinerkloster in der Flingerstrasse. Der
Bau der Kirche dauerte von 1621—1624. Im Jahre 1803
wurde das Kloster aufgehoben. ^)
Das Seminar wurde 1623 auf dem Friedrichsplatze
an der Stelle erbaut, wo jetzt die Kunsthalle steht.
Das Tummelhaus. Es war 1636 erbaut und lag
auf dem Grund und Boden des jetzigen Präsidialgebäudes,
der Eingang zu demselben befand sich in der Ratinger-
strasse und führte durch das Thor der jetzigen evan-
gelischen Schule.
Das Celliten-Nonnenkloster auf dem Hunsrücken.
Die Kirche wurde 1699 eingeweiht und 1786 erweitert.
Das Theater am Rathhause.
Das Opernhaus in der Mühlenstrasse neben dem
alten Marstalle in der Nähe des Tummelhauses.
III. Die Stadterweiterung und die Bauten des
19. Jahrhunderts.
Durch die im Friedensschlüsse zu LuneviUe 1801 fest-
gesetzte Schleifung der Festungswerke in Düsseldorf wurde
der Vergrösserung und Verschönerung der Stadt ein
günstiges Feld eröffnet. Der Cburfürst Maximilian Joseph
erkannte die hohe Bedeutung der Stadterweiterung für
die zukünftige Entwickeluug seiner Residenz und ernannte
durch Erlass vom 28. Januar 1802 eine besondere Com-
1) 1807 kaufte Posthalter Georg Lejeune die Kirche und baute
an ihrer Steile ein neues Haus.
Die Baugeschiehte von Däsneldorf, 881
mission für die Leitung der Bebauungs- Angelegenheiten i),
an deren Spitze der Hofrath Jacobi^) stand.
In dieser Zeit; und zwar bis zum Jahre 1809, ent-
standen die Breite- und die Elberfelderstrasse^). Die Ver-
längerung der Hohenstrasse wurde durch Austrocknung
eines Theiles des sogen. Earlsstädter Sumpfes ermöglicht
(etwa 1805—1806). Gleichzeitig, ungefähr mit der Nieder-
legung des alten Flingerthores *) (1808—1810) erfolgten
auch die ersten Anbauten auf dem Terrain der heutigen
Alleestrasse, die Anlage des boulevard Napoleon; der
weitere Ausbau desselben fand aber erst in Gemässheit
des Kaiserlichen Decrets vom 17. December 1811 statt,
durch welches die alten, nach 1801 schon theilweise de-
molirten Festungswerke nebst den Glacis behufs Um-
schaffung in Baumanlagen und öffentliche Promenaden
der Stadt geschenkt wurden und zugleich auch die Er-
weiterung des Rheinwerftes bis zum neuen Hafen ^) an-
geordnet ward. In diese Zeit der beginnenden Ver-
schönerung Dasseldorfs fällt auch die erste Anlage der
Eaiserstrasse (nie de Tempereur). Einer späteren Periode
dagegen (etwa seit 1816) gehört die Bebauung des Kälber-
marktes, letzigen Schadowplatzes und des Steinwegs, der
jetzigen Schadowstrasse an, von welch' letzterer indess
bis 1848 erst der bei weitem kleinere Theil vorhanden
war. Ferner sind in den Jahren nach 1830 die Jägerhof-
und die Hofgartenstrasse und nach 1850 die Victoria-,
Bleich-, Goltstein- und Jacobistrasse entetanden. Etwas
später (um 1860 herum) ist die Bebauung der Duisburger-
und der Feldstrasse, sowie der Mehrzahl der übrigen
Strassen des nördlichen StadttheUs begonnen worden.
Im Süden entstanden seit 1830 etwa die Haroldstrasse,
der Schwanenmarkt und ein Theil der Südstrasse, des-
gleichen, wenn auch etwas später, die zum westlichen
Theile der Stadt zu rechnenden Strassen am Karlsthor
und die Bergerallee, jüngeren Ursprungs sind in diesem
Stadttheile (Ue Wasser- und die Kavalleriestrasse mit den
sie durchkreuzenden Nebenstrassen.
Wie aber die Königs-Allee, den Namen vom König
1) Besonderes Verdienst mn die Stadterweiterung haben sich
die Herren Hofhaumeister Haschherger, Garteninspector Weyhe,
der spätere Oherhaurath Bauer luid Hauptmann vonDouwe erworben.
') Nachher Regiemugsrath, Sohn des Philosophen.
•) Der Plan der Stadt Düsseldorf vom Jahre 1809, welchen der
Ingenieur-Kapitain Gnfhroi anfertigte und W. Breitenstein in Kupfer
stach, weist im ganzen 51 Strassen auf.
*) Nur das Wachthäuschen blieb stehen.
^) Der Sicherheitshafen war von der Hafenstrasse an die nörd-
liche Grenze der Stadt verlegt worden.
382 Die Baugeschidite von DÜ99Mwrf.
Friedrich Wilhelm IV. fahrend, erst von 1840 ab bebaut
wurde, so auch die Hauptstrasse der nach demselben
König benannten Friedrichstadt, die Friedrichstrasse. Die
übrigen Strassen dieses Stadttheiles, die Louisen-, Herzog-,
Elisabeth-, Kraut- ^etzt Reichs-) Strasse gehören derselben,
der Fdrstenwall und dessen Nebenstrassen der neuesten
Zeit an.
In der jetzigen Oststrasse standen 1848 — ^50 erst einige
wenige, damals einstöckige Häuser mit Vorgärten in der
Nähe der Einmündung der Bismarckstrasse. Die Bahn-
strasse wurde zu der vorgenannten Zeit angelegt. Der
Königsplatz und die angrenzenden Theile der Bismarck-
und Marienstrasse sowie die Klosterstrasse^ früher die
Pfannenschoppenstrasse genannt, sind erst nach 1850 und
zwar auf dem Terrain des ehemaligen Schnable'schen
Qutes angelegt ; die übrigen Strassen des östlichen Stadt-
theiles sind erst in den letzten zwei Jahrzehnten erbaut
worden.
Was die in dieser letzten Periode vorherrschende
Bauart betrifft, so tritt ebenso wie in den vorhergehenden
beiden Jahrhunderten das Streben hervor, den zerstörenden
Wirkungen von Feuersbrünsten durch Verbesserung der
Bau-Constructionen und Materialien möglichst vorzubeugen,
es werden aber ausserdem auch durch die allgemeine
Einführung des Eisens und des Cementes in die Reihe
der Baumaterialien ganz neue Bahnen betreten, die so^
wohl auf die innere wie auf die äussere Gestaltung der
Bauwerke einen ganz erheblichen Einfluss ausüben. Ob-
wohl die Verwendung des Cementes bei Herstellung der
Schauseiten der Häuser in den letzten Jahrzehnten hier
am Orte ganz allgemein üblich geworden ist, so muss
doch anerkennend hervorgehoben werden, dass auch die
sogenannten echten Materialien i) vielfach zur Anwendung
gelangen, wodurch sowohl die Festigkeit und Feuer-
sicherheit der Gebäude, als auch die ästhetische Wirkung
der zur Ausschmückung gewählten Kunstformen bedeutend
erhöht wird.
Auch darf die Pflege, welche die Glasmalerei in neuerer
Zeit in Düsseldorf gefunden hat und deren Wiederaufnahme
unter die Zahl architektonischer Schmuckmittel nicht
unerwähnt bleiben, sie findet nicht nur bei kirchlichen
Bauwerken, sondern auch in profanen öffentlichen Gebäuden
imd in Wohnhäusern, insbesondere bei den Fjenstern von
Treppenfiuren und im altdeutschen Stile eingerichteten
Zimmern vielfache Anwendung.
>) Hausteine und Verblendziegeln.
Die Baugeaehichte von DüasMorf. 383
Was aber in baulicher Hinsicht unserem Jahrhundert
den grössten Vorzug vor seinen Vorgängern giebt, das
sind die feuer-, gesundheits- und baupolizeilichen Anord-
nungen, die zur Förderung des öffentlichen Wohles für
die Anlage von Häusern und Strassen getroffen sind.
Im Oegensatz zu der Menge dumpfer und lichtarmer
Strassen innerhalb des ehemaligen Festungsringes sind
nach der Schleifung der Festungswerke eine grosse Zahl
heller, breiter, zum Theil sogar mit Baumreihen besetzter
Strassen geschaffen, und wenn auch in den letzten Jahr-
zehnten in einzelnen Fällen hierbei noch Fehler gemacht
worden sind, i) so ist man doch nie wieder zu so geringer
Breite zurQckgegangen, wie solche noch viele Strassen
der alten Stadt aufweisen. Es wQrde zu weit führen, die
grosse Zahl der sonstigen hierher gehörenden, zum Zwecke
der Beförderung des Gesammtwohles ergriffenen Mass-
regeln aufzuzählen, nur die wichtigste aller hi der Neu-
zeit getroffenen baulichen Verbesserungen, die Abführung
der Tage- und Schmutzwässer mittelst unterirdischer
Canäle aus der Stadt, verdient besondere Erwähnung.
Die Einführung der CanaUsation bringt Düsseldorf jetzt
schon grossen Nutzen, sie wird der Stadt aber in Folge
des günstigen Einflusses auf die Verbesserung der sanitären
Verhältnisse zum ganz besonderen Segen dann gereichen,
wenn Düsseldorf das Doppelte und Dreifache seines
jetzigen Umfanges erreicht haben wird.
In Hinsicht der Entwickelung der Architektur nach
der ästhetischen Seite in unserer Stadt kann von der
ersten Hälfte unseres Jahrhunderts nicht viel Rühmens-
werthes mitgetheilt werden. Die Nachwirkungen der
schweren Verluste, welche Deutschland während der
Eriegsjahre im Beginn dieser Periode erlitten hat, machten
sich auch in Düsseldorf ganz besonders auf dem Gebiete
des öfl'entlichen und privaten Bauwesens geltend. Nüch-
ternste Einfachheit, begünstigt durch die in den ersten
Jahrzehnten herrschende classische Richtung in der Archi-
tektur, war der Hauptgrundzug in allem, was gebaut
wurde. Erst von der Mitte des Jahrhunderts ab ging
man, wenn zunächst auch noch mit grosser Vorsicht, in
der Ausschmückung der Bauwerke etwas weiter und erst,
als sich im Laufe der sechsziger Jahre die Renaissance
allgemein wieder Bahn gebrochen hatte, schloss man sich
auch in Düsseldorf der neuen Richtung anfangs mit Wohlr
wollen, später mit heller Begeisterung an.
Bei den öffentlichen Bauwerken überwiegt die ita-
lienische, bei den Privatbauten die deutsche Renaissance ;
1) z. B^ Kloster- und Immermannstrasse.
394 Die Baugeaekichte von Düsaeldoff.
die Gothik ist nur in vereinzelten Fällen zur Anwendung
gekommen. Wenn sich auch noch an einigen Fagaden
wichtigthuende Geschmacklosigkeit , an anderen wflde
Zügellosigkeit breit machen, so ist doch auch schon viel
Schönes zu sehen; erfreulicherweise muss zugestanden
werden, dass es in diesem Punkte mit jedem Jahre besser
wird, dass der Cultus der edlen Schönheit eine stetig
wachsende Zahl von Anhängern gewinnt und auf Grund
dieser Wahrnehmungen kann die ft*eudige Hoffnung aus-
gesprochen werden, dass, wenn die architektonische Ent-
wickelung auf den in neuester Zeit betretenen Pfaden weiter
fortschreitet, Düsseldorf in Kurzem zu den schönsten
Städten Deutschlands gehören wird.
Die im gegenwärtigen Jahrhundert entstandenen be-
deutenderen öffentlichen Bauwerke, auf deren Besprechung
ihrer grossen Zahl wegen hier verzichtet werden muss,
sind folgende: die beiden Thorgebäude zwischen der
Ratingerstrasse und dem Hofgarten, die Husarenkaseme,
das Gymnasium, das Realgymnasium, das Haupt-Postamt;
die Tonhalle mit dem Rittersaale, die Franziskaner-
Klosterkirche, das Justizgebäude, das Staatsarchiv, das
Bergisch-Märkische Bahnhofsgebäude, die Ulanenkaseme,
das Kunstakademie-Gebäude, das städtische Theater, die
Kunsthalle, die Johanniskirche, das Marienhospital, die
Synagoge, das Ständehaus, die Dominikanerkirche, das
evangelische Krankenhaus, die Lambertus- Schule, die
höhere Bürgerschule, die Kunstgewerbeschule und der
Erweiterungsbau des Rathhauses.
Theater und Musik.
Dr. a. Wimmer.
die Musen schon frühzeitig in Düsseldorf
ren Einzug gehalten und festen Wohnsitz
gründet haben, darauf weist schon die geo-
aphische Lage dieser Stadt hin. Die deutsche
„asik und Poesie steht bis zur Zeit der Re-
naissance entschieden unter dem herrschenden Einflüsse
Frankreichs; dies zeigt besonders unsere höfische Kunst-
poeaie, die sich eng an die westlichen Vorbilder anschliesst.
Von Frankreich aus fanden die bald feurigen, bald geist-
reich prickelnden Weisen der Troubadours, sowie die
reich verschlungenen epischen Stoffe der Trouv^res der
nördlichen Provinzen Eingang und bald auch Nachahmung
und FortentwickeluHg bei uns. lii Frankreich sehen wir
auch die ersten Musikdramen — ich brauche hier nur
an das bekannte Schäferspiel des Pikarden Adam de la
Haie „Si jeus de Robin et Marion" zu erinnern — ihre
Entstehung und erste Entwickelung nehmen. Der Nieder-
rhein bildet während einer langen Zeit das vermittelnde
Band zwischen dem Westen und Osten, macht dem Osten
die Bluthe der in Frankreich schnell aufspriessenden
feineren Cultur und Gesittung zuganglich.
Die Musik selbst fand im vierzehnten, fünfzehnten
imd sechszehnten Jahrhundert am Niederrhein ihre erste
kunstmässige Ausbildung ; hier ist die Heimath eines Ocken-
helm, Josquin de Präs, Kadrian Willaert und Orlandus d^
Laasus, welche die edle Kunst bald nach dem Innern
Deutschtands und nach Italien verpflanzten.
Dusseldorf durfte schon wegen seiner günstigen geo-
graphischen Lage von allen diesen Bestrebungen auf dem
Gebiete der Kunst und Poesie nicht unberührt geblieben
386 Theater und Musik,
sein, und in der That deuten verschiedene uns überlieferte
Nachrichten darauf hin, dass besonders die Musik hier
schon frühzeitig eine Pflegstätte gefunden hat. Doch sind
diese Nachrichten theils nur spärlich und lückenhaft über-
liefert, theils von sagenhaften Zuthaten so eng durch-
flochten, dass es kaum möglich sein dürfte, feste geschicht-
liche Thatsachen aus der Ueberlieferung auszuschälen.
Die ersten ausführlichen Nachrichten über die hiesigen
Musikverhältnisse sind uns aus der Regierungszeit des
Pfalzgrafen Wolfgang Wilhelm überliefert, ein mit feinem
Kunstverständniss begabter Regent, welcher in Dtlsseldorf
seine feste Residenz hatte. Die nachfolgenden Notizen
über diese Periode sind aus alten Urkunden und Acten
zusammengestellt worden, welche das Königliche Archiv
aufbewahrt hat.
Wolfgang Wilhelm unterhielt trotz der bedrängten
Zeiten des dreissigjährigen Krieges eine tüchtige geschulte
Kapelle von reich besoldeten italienischen Sängern und
deutschen Musikern, mit denen er die grossen geistlichen
Compositionen der italienischen Schule zur Aufführung
brachte. In verschiedenen uns erhaltenen Listen der
Hof beamten sind uns ihre Namen überliefert. Der Kapell-
meister Negri und die Solosänger erhielten ausser einem
für jene Zeiten ganz bedeutenden Gehalte von durch-
schnittlich etwa 200 Reichsthalern wöchentlich noch zwei
Goldgulden für Kostgeld, sowie täglich zwei Maass Wein,
zwei Maass Bier und zwei Weizenbrote aus der chur-
fttrstlichen Oberkellnerei geliefert; die übrigen Musiker
mussten sich mit etwa dem vierten Theile dieses Gehaltes
begnügen. Im Ganzen zählte die Kapelle 8 italienische
Sänger und 20 Musiker, die Trompeter mit eingerechnet
Die scheussliche Sitte, die Sopranpartien von Castraten
singen zu lassen, war noch nicht aufgekommen, und da
es anderseits noch nicht statthaft war, diese Partien
Frauen zu übertragen, was doch das Natürlichste gewesen
wäre, so erfahren wir aus dem gleich noch näher zu
besprechenden italienischen Briefwechsel zwischen Egidio
Hennio, Canonicus und Cantor an der St. Johanniskirche
zu Lüttich, und Wolfgang Wilhelm, dass für die Sopran-
und Altpartien Knaben sorgfältig ausgebildet wurden.
Am 23. September 1637 schreibt nämlich der Pfalzgraf
dem Hennio folgenden Brief, der in deutscher Uebersetzung
so lautet: ^Da ich vernommen habe, dass Ihr in Eurem
Hause zwei Knaben habt, denen Ihr die Musik lehrt, so
haben Wir Euch hiermit bedeuten wollen, dass, sobald
sie zum Dienst für unsere Kapelle fähig sein werden,
Wir jedem derselben hundert Pattaconi (etwa 600 Mark)
Theater und Musik. 387
zahlen werden." Hennio sendet ihm den emen der Knaben
schon mit dem nächsten Briefe.
Egidio Hennio spielt um diese Zeit eine ganz her-
vorragende Rolle in dem Musikleben Düsseldorfs, da er
nach einer Urkunde vom 12. April 1638 zum Superintendenten
über die Hofkapelle ernannt wurde. Diese lateinische
Urkunde lautet in der Uebersetzung folgendermassen :
^Wir von Gottes Gnaden Wolfgang Wilhelm, Pfalzgraf*
des Rheins, Herzog von Baiern, Jülich, Cleve und Berg
u. s. w. thun Allen kund und zu wissen, dass wir in
Anerkennung seiner ausgezeichneten Pflichttreue und
Anhänglichkeit an Uns, sowie seiner hervorragenden
Geistesgaben und Kenntnisse sowohl in geistlichen An-
gelegenheiten, als auch besonders in der Musik, den Egidio
Hennio, Canonicus und Cantor an der St. Johanniskirche
zu Lüttich, in Unsern Dienst genommen und ihm die
Oberaufsicht über unsere Musik übertragen haben, so dass
er auf besondere Aufforderung hier zu erscheinen hat,
oder auch ohne eine solche Aufforderung, falls Zeit und
Müsse es ihm gestattet, hier sich ganz niederlassen darf.
Als Besoldung für seine zu leistenden Dienste haben Wir
verfügt, dass dem benannten Hennio jährlich 100 Gold-
gulden ausbezahlt werden. '^
Der nun folgende Briefwechsel zwischen Beiden, welcher
sich bis zum Jahre 1650 ununterbrochen fortzieht, ist
hochinteressant, nicht nur wegen der Aufschlüsse über
Düsseldorfer Kunstverhältnisse, sondern auch besonders
wegen der culturhistorischen Bilder, welche derselbe vor
unsern Augen enthüllt, und es ist zu bedauern, dass hier
nicht der Ort ist, denselben ganz mitzutheilen. In einem
Briefe vom 7. Mai 1644 entschuldigt sich der Pfalzgraf,
dass er nicht im Stande gewesen sei, dem Hennio den
fälligen Gehalt auszuzahlen, da durch die Stürme des
noch immer tobenden Krieges seine Einkünfte so zu-
sammengeschrumpft seien, dass, wenn Gott nicht bald helfe,
er gezwungen sein werde, seine Ausgaben auf das Aller-
nothwendigste zu beschränken. Hennio erwidert in einem
ausführlichen Briefe, er habe nicht nur überhaupt noch
kein Gehalt ausbezahlt erhalten, sondern auch nicht ein-
mal die Unkosten für Reisen, Abschreiben von Noten,
Unterricht und Kost zweier Knaben für die Hofkapelle
u. s. w. seien ihm ersetzt worden. Wolfgang Wilhelm
weist nun seinen Zollpächter Haen zu Urmond an der
Maass an, dem Hennio aus den Zöllen den rückständigen
Betrag auszuzahlen. Erst nach vielen Aufforderungen und
Drohbriefen kann derselbe bewogen werden, für den
verlangten Zweck Geld herzugeben.
25*
388 Theater und Mtisik.
Egidio Hennio stammt aus der Schule des grossen
Palestrina; seine Werke, von denen mehrere auch im
Druck erschienen, gehören fast ausschliesslich dem Ge-
biete der Kirchenmusik an. Regelmässig pflegte er zu
den hohen Festen passende Compositionen dem Pfalz-
grafen zu senden, der dieselben dann durch seine Sänger
und Musiker zu Gehör bringen Hess. Leider sind dem
Verfasser von allen seinen Werken keine zu Gesicht ge-
kommen, doch dürften sich in Lüttich noch viele seiner
Werke handschriftlich erhalten haben. Theils um eine
Idee von der Fruchtbarkeit dieses Meisters zu geben,
theils um zu zeigen, welcher Art die Musik war, welche
um diese Zeit hier in Düsseldorf cultivirt wurde, mag
hier eine Liste von Compositionen folgen, welche Egidio
Hennio in den Jahren von 1638 bis 1646 dem Pfalzgrafen
zur Aufführung gesandt hat: 1. Missae quatuor solennes
octo vocum stylo hilari ac pleno; Antverpiae impressae.
2. Missa k 8, sei voci 6 doi Violini. 3. Missa ä 5 cum
Trombonis. 4. Missa ä 8 da Cacciatori. 5. Missa k b i
doi Violini ; tertii toni. 6. Missa ä 6 voci 6 sei instrumenti.
7. Missa ä 6 voci pro defunctis. 8. Jubilate deo ä 12 voci.
9. Ut primum tribularis k 8 voci con doi Violini. 10. Laudate
dominum in sanctis k 8 voci. 11. Gaudeamus k 8 voci.
12. Cantabo Altissimo k 12 voci. 13. Venite exultemus
domino k 8 voci. 14. Inviolata intacta k 7 voci. 15. Angelus
domini k 10 voci. 16) 0 quam tu pulchra es Hierusalem
k 7 con 2 Violini. 17. Laudemus dominum ä 6, 3 voci B. T. A.,
2 Violini fe un Fagotte. 18. 0 caelestis amor k 5 voci.
19. Ferte ä 7 in Nativitate domini. 20. Dulcis Jesu et
amande domini k 5 voci. 21. 0 me miserum dolentem
a 10. 22. In deo inbilemus omnes k 10 voci, 2 Violini.
23. Anima mea caelum dum admiraris k sei. 24. Quam
dilecta tabernacula tua & 6; 4 voci -6 2 Violini. 25. Cuius
Deus pater est k 5. 26. Qui Mariam adamatis ä 4; 2 Violini,
2 Canti. 27. 0 sponse mi, ö lilium k 3. 28. 0 bone Jesu
ö dulcedo k 3. 29. Parvum quando cerno deum a 3.
30. Virgo decora sole convertita k 3. 31. Tota pulchra
es ä 2. 32. Fulcite me floribus k 2 tenori. 33. Jesu mi
tu amor es k 2. 34. Quaesivi te mi Jesu k 2. 35. Silens
taces verbum parens k 2. 36. Tenelle mi, ocella mi ä 2.
37. In lectulo meo k 2. 38. Ignis aeterne qui semper k 2.
Aus der nächstfolgenden Zeit fliessen die Nachrichten
wieder spärlicher, doch geht aus einer Notiz bei Clarendon,
Histoire de la rebellion d'Angleterre, vol. VI, p. 316 der
französischen Ausgabe {k la Haye 1709) deutlich hervor,
dass auch der Nachfolger Wolfgang Wilhelms die Kunst
schützte und förderte. Im October 1654 nämlich stattete
Theater und Musik. 889
der vertriebene König Karl II. von England, der damals
in Köln lebte, dem Pfalzgrafen Philipp Wilhelm einen
Besuch in Düsseldorf ab und wurde von diesem auf das
freigebigste aufgenommen und bewirthet. Bei der Schil-
derung dieses Besuchs bemerkt Clarendon (der Kanzler
des Königs, der seinen Herrn in die Verbannung begleitet
hatte): „Les repas furent tr6s-longs selon Tusage de TAUe-
magne, avec des musiques diflförentes de voix et d'instrumens :
et si elles n'6toient pas excellentes, du moins elles ^toient
nouvelles, le roi n'ayant pas accoutum6 d'en entendre de
semblables."
In das 17. Jahrhundert fällt auch die erste Ausbildung
und Vollendung der italienischen Oper, welche sich durch
die Gunst der Höfe bald Eingang in Deutschland ver-
schaffte: in Dasseldorf wurde dieselbe verhältnissmässig
schon sehr früh, nämlich 1687 von Karl Philipp eingeführt.
Dieser Fürst setzte sich im Sommer dieses Jahres in
brieflichen Verkejir mit dem am Hofe zu Heidelberg
lebenden Componisten Sebastiane Moratelli, ein um diese
Zeit an den deutschen Höfen sehr beliebter Musiker, um
mit ihm die Aufführung von neuen Opern, welche der-
selbe componirt hatte, in's Werk zu setzen. Ausser
mehreren Briefen aus den Sommermonaten des Jahres
1687 ist uns noch der Plan einer Oper handschriftlich
erhalten, welche ihren Stoff aus der Odyssee entlehnt hat.
Im folgenden Jahre wurde ein zur Feier der Hochzeit
Karl Philipps mit der Fürstin Ludovica Charlotte Radzivill
von Moratelli componirtes Musikdrama, die Dido, vor
einer glänzenden Versammlung in Scene gesetzt; das
italienische Textbuch erschien im October 1688 bei Giorgio
Maria Rapparini in Düsseldorf. Ob sich die italienische
Oper am Hofe zu Düsseldorf längere Zeit erhalten hat,
darüber schweigen die Nachrichten, doch scheint dies
unzweifelhaft der Fall gewesen zu sein. So berichtet
uns Brosius „Geschichte der Herzöge von Jülich, Cleve
und Berg" Folgendes: Am 25. Mai 1660 wurde dem
Herzoge Philipp Wilhelm ein Prinz Ludwig Anton zu
Düsseldorf geboren. Bei seiner Taufe fanden grosse
Lustbarkeiten, Musik von Blas- und anderen Instrumenten,
Bä.Ue und Feuerwerk statt. Zehn Pferde, welche zwei
Jahre dazu unterrichtet worden waren, führten nach dem
Schalle der Trompeten Tänze aus; dieses Schauspiel
hatte eine Menge Kölner nach Düsseldorf gezogen (vgl.
Brosius p. 168). — Als am 19. Juni 1697 Johann Gaston,
Grossherzog von Etrurien, der die Wittwe des Pfolzgrafen
Philipp Wilhelm zur Ehe genommen hatte, nach Düssel-
dorf kam, ging der Jülich- und Bergische Adel und die
390 Theater und MuM.
vornehmsten aus der Ritterschaft demselben entgegen,
und unter Kanonendonner und Glockengeläute zog der-
selbe in die Stadt ein. Am 2. Juli fand eine grosse
Hochzeit statt, wobei allerlei öffentliche Lustbarkeiten
gehalten und Theaterstücke (ludi theatrales) aufgefohrt
wurden, welche das Publicum so entzückten, dass die
Musik von Orpheus und der Amphione selbst eingerichtet
zu sein schien. Der erste Adel führte auf der Rennbahn
Reiterspiele auf, kurz, sagt Brosius, es fehlte nichts, was
die Augen, die Ohren und den Gaumen weidete (p. 208).
— Von ähnlichen Festlichkeiten berichtet der Chronist
p. 214, als am 16. Sept. 1703 der König Karl von Spanien
nach Düsseldorf kam. So erzählt uns auch Johanna Balz:
„Düsseldorf er Musikantengeschichten, Festgabe zum Nieder-
rheinischen Musikfeste 1887^ nach beglaubigten Quellen,
wie im Jahre 1710 LuUy's Hauptwerk „Les f^tes de
Tamour et de Bachus", Text von Quinault, mit welchem
der bertlhmte Componist die grosse Oper in Paris eröflhet
hatte, am Hofe aufgeführt wurde. Ferner ist noch be-
kannt, wie Händel im Jahre 1719 auf einer Reise nach
dem Continente, um hier bedeutende Sänger für seine
italienische Oper in London zu engagiren, auch nach
Düsseldorf kam und hier den zu jener Zeit hoch berühmten
Baldassari gewann. Doch fehlen genauere Nachrichten
über den Verlauf und das schliessliche Schicksal der
italienischen Oper zu Düsseldorf.
Im Gegensatze zu der vom Hofe gepflegten Oper
begann seit der Mitte des vorigen Jahrhunderts eine mehr
für die Interessen der grösseren Massen des Bürgerstandes
berechnete öffentliche Schaubühne in Düsseldorf festen
Boden zu gewinnen. Die Werkstätte, welche 1706 dem
Ritter von Grupello erbaut war, um darin die jetzt auf
dem Markte stehende Reiterstatue des Churfürsten Johann
Wilhelm zu giessen, war im Jahre 1747 bei der Anwesen-
heit des Churfürsten Karl Theodor für einige Wochen
zu einem Theater umgestaltet worden. Seit dem Jahre
1751 wurden hier regelmässig jeden Winter von einer
fahrenden Schauspielertruppe öffentliche Vorstellungen
gegeben und bis zur Erbauung des neuen Theatergebäudes
im Jahre 1874 hat das alte Oebäude ununterbrochen
diesem Zwecke dienen müssen. Die früheste Erwähnung
des alten Schauspielhauses geschieht am 27. Oktober 1751,
wo der Prinzipal einer fahrenden sächsischen Komödianten-
Gesellschaft, N. Schuch, die Erlaubniss erhält, während
des folgenden Winters seine Trauer- und Schauspiele auf-
führen zu dürfen. 1753 bis 1755 führt eine italienische
Gesellschaft unter Geovazio Sillani Lustspiele auf. Am
Theater und Musik. 391
7. Januar 1758 petitionirt der Direktor Karl Theophilus
Doebbelin um die Ueberlassung des alten Ballhauses zur
Aufführung von Komödien. Dies wird ihm auch gestattet;
da sich dieser Saal aber in einem sehr herunterge-
kommenen Zustande befindet, auch keinerlei Heizvor-
richtung enthält, so wird kurz darauf um Einräumung
des Komödienhauses gebeten, in dem allerdings augen-
blicklich die durchmarschirenden Franzosen (wir befinden
uns in der Zeit des siebenjährigen Krieges) ihre Kriegs-
vorräthe aufgespeichert haben. Doebbelin erbietet sich,
dieselben auf eigene Kosten nach dem Ballhause trans-
portiren zu lassen. Auch dies wird ilim erlaubt, aber
unter der Bedingung, dass er kein höheres Entree nehme,
als die letzt hier gewesene Wallrodische Gesellschaft.
Am 7. September 1758 „Supplie trfes humblement Pierre
Jacques Ribou, directeur d'une troupe de com6diens
frangais qu'il plaise k Votre Excellence (Churfürst Karl
Theodor) de vouloir bien lui accorder la permission de
representer ses spectacles dans la ville de Dasseldorf,
ainsi que la salle des dit« spectacles aux charges et
conditions qu'il plaira k Votre Excellence de lui imposer;"
sein Gesuch wird ihm unter der Bedingung gewährt, dass
er das Komödienhaus nächsten Ostern so verlässt, wie
er es vorgefunden hat.
In den nun folgenden Jahren bis 1781 scheint das
Theater mehr und mehr gesunken zu sein, indem Gesell-
schaften der niedrigsten Art mit Seiltänzern, Equilibristen,
Pantomimen u. s. w. abwechseln. Auch französische
Truppen treten in diesem Zeiträume wiederholt auf. Bis-
her war den Schauspielern das Theater, wie es scheint,
ohne irgend eine feste Abgabe überlassen worden; nur
wurde ihnen wiederholt aufgegeben, das Gebäude in dem-
selben Zustande zu verlassen, wie es ihnen jedesmal über-
geben worden war. Das mochte sich wohl auf die Dauer
als unpraktisch erweisen, und so wurde denn dem Schau-
spieldirektor Arn. Heinr. Porsch, welcher zum ersten Male
1767 Düsseldorf mit seiner Truppe besuchte, das Schau-
spielhaus nur unter der Bedingung überlassen, dass er
von jeder Vorstellung einen Dukaten an die Brüchten-
Kasse bezahlen sollte; diese Abgabe wurde für die Zu-
kunft zur feststehenden Bedingung gemacht. Trotzdem
kam das Theatergebäude, da es noch an jeder besonderen
kompetenten Aufsichtsbehörde fehlte, allmählich immer
mehr in Verfall, Diese beiden Umstände, die verhältniss-
mässig hohe Abgabe und der elende Zustand des Ge-
bäudes mochten erdrückend für die Schauspieluntemehmer
wirken, so dass sich schliesslich keine einigermassen an-
392 Theatei' und Musik.
Ständige Gesellschaft mehr nach Düsseldorf wagte. Wie
schlimm es um diese Zeit mit dem Theaterwesen gestanden
liaben muss, geht am Deutlichsten aus der folgenden
Cabinets -Verfügung Karl Theodors vom 28. März 1775
hervor: „Nachdeme Wir die dem Directorn Teutscher
Schauspieler Josephi gütigst ertheilte Concession weg
verschiedenen unanständig aufgeführten Piecen einzuziehen
gütigst bewogen worden (und) anbey gütigst wollen, dass
demselben weitere aufführung deren Comoedien dahier
und in samtlichen hiesigen Landen für beständig ver-
botten seyn solle : Als befehlen euch gütigst, gen. Josephi
die fernere aufführung der Comoedien angesicht dieses
zu untersagen, und dass dieses geschehen, mit Bemerkung
obiger Ursach an hiesigen Comoedien Hauss so fort
aflflgiren lassen sollet."
Trotz dieses Verbotes finden wir in den nächsten
Jahren die Josephische Truppe wieder in Düsseldorf:
ausser ihr traten noch andere Gesellschaften auf, welche
aber kaum besser gewesen zu sein scheinen, so dass das
Theater von dem besseren Theile der Bürgerschaft mehr
und mehr vernachlässigt wurde. Hülfe war dringend
nothwendig, wenn nicht das Theater ein Schandfleck für
Düsseldorf bleiben sollte. Einsichtsvolle Bürger wandten
sich deshalb mit einem Gesuche, in dem die traurigen
Theater Verhältnisse, welche besonders durch den Zustand
des Thalientempels verschuldet zu sein schienen, geschildert
wurden, an den residirenden Pfaizgrafen Karl Theodor mit
der Bitte um Abhülfe. Dieser kunstliebende Fürst erliess
nun in Folge dessen am 9. Oktober 1781 die wichtige
Verfügung, dass das Theaterwesen in Zukunft dem Polizei-
Commissar von Neorberg unterstellt werden sollte; das
Gebäude selbst wurde einer gründlichen Reparatur unter-
zogen, neue Decorationen wurden aus der Privatschatulle
des Pfalzgrafen angeschafft und den Direktoren einige
Erleichterung gewährt. Die Abgaben aber wurden auf
neun Gulden für jede Vorstellung erhöht, von denen sechs
für die Unterhaltung des Theaters und drei für die Armen-
kasse verwendet werden sollten. Da jedoch die Directoren
häufig nicht im Stande waren, diese hohe Abgabe zu er-
schwingen, so musste ihnen dieselbe oft theilweise oder
ganz erlassen werden. Trotz dieser Nachsicht gelang
es nicht, bessere Gesellschaften auf eine längere Zeit an
Düsseldorf zu fesseln. Um die Art der Vorstellungen zu
illustriren, welche um diese Zeit in Düsseldorf ziu* Auf-
führung gelangten, mögen folgende Theaterzettel aus den
achtziger Jahren des vorigen Jahrhunders, welche uns
zufällig erhalten sind, hier einen Platz finden: „Am
Theater und Musik. 393
Mittwoch den 19. dieses Monats Februar (1783) wird die
allhiesige Schauspieler-Gesellschaft zum Besten und Wohl
hiesiger betrangten Stadt-Armen das Trauerspiel Hamlet
aufführen : Abonnement suspendu. Nur ein Hamlet kann
den Zuschauer erstarrend machen, sein Herz in die Presse
nehmen und alle seine Sinne mit der Ewigkeit bekannt
machen. Dieses Trauerspiel ist eine wahre schreckliche
Geschichte Dännemarks, und enthalt schaudernd das
Widervergeltungsrecht : der Geist eines ermordeten Königs
kommt aus seinem unterirdischen Behältniss, erscheint
um Mitternacht, ob dem verabscheuungswürdigen Buben-
stück seines Oheims, entdeckt ihm die frefelhafte Er-
mordung. Hamlet, von Wuth, Rache und Wehe durch-
drungen, stürzt wüthend auf seinen meuchelmörderischen
Oheim, durchbohrt ihm, rächet den Tod seines Vatters
und besteigt seinen rechtmässigen Thron (sie !). Wo hatte
es noch einen Menschen gegeben, der nicht gern Hamlet
gesehen, bewundert, ihm seinen Besuch und Beyfall ge-
schenket hatte.'' Es handelt sich hier um eine sogenannte
Armen Vorstellung, da den Direktoren häufig gestattet
wurde, anstatt drei Gulden für jede Vorstellung an die
Armenkasse zu entrichten, im Verlaufe der Saison zwei
Vorstellungen zu geben, deren Ertrag ganz den Armen
zu Gute kommen sollte ; die naive, etwas marktschreierische
Reclame kommt also in diesem Falle den Armen zu
Gute. Bezeichnend genug ist auch folgender Zettel aus
dem Jahre 1784: „Mit gnädigster Erlaubniss werden die
hier anwesende bekannte Italiänische Virtuosen, in
hiesigem Churfürstlichem Comedienhauss heute Sonntag
den 19. December 1784 aufzuführen die Ehre haben:
eine hier noch nie gesehene Opera BuflTa in zwei Auf-
zügen, betittelt: der Hypochondrist, verzweifelt über die
Doctoren, wird hernach aus Räch ein französischer Pferde-
arzt. Die Musik ist von Herrn Sarti, Kapellmeister von
der Kaiserin von Russland. Das Leggeld : auf der Gallerie,
der gewesenen Charfürstlichen Loge, und dem Parquett
zahlt die Persohn 30 Stüber, auf der zweiten Gallerie
20 Stüber, auf dem Parterre 10 Stüber, auf dem letzten
Platz 5 Stüber (1 Stüber ist etwa 5 Pfennig).«
In der darauf folgenden Periode der französischen
Revolution wurde das Theatergebäude von durchziehenden
Truppen, welche wiederholt in dasselbe einquartirt wurden,
arg beschädigt. Die Wittwe Böhm, welche schon früher
Vorstellungen in Düsseldorf gegeben hatte, erhält am
8. August 1798 die Erlaubniss zur freien Benutzung
des Theaters für den folgenden Winter unter der Be-
dingung^ dass sie das von den Franzosen verwüstete
394 Theater und Musik.
Schauspielhaus auf ihre eigenen Kosten Avieder in den
Stand setzt.
Düsseldorf war im letzten Jahrzehnt des vorigen
Jahrhunderts der Sammelplatz von französischen Flücht-
lingen, unter denen sich auch viele hervorragende Männer
befanden, so dass sich hier bald ein reges geistiges und
gesellschaftliches Leben entwickelte. Bemerkenswerth ist
noch aus dieser Zeit, dass am Karoli-Tag 1794 von der
Gesellschaft des Schauspieldirectors Hunnius hier zum
ersten Male Mozarts Zauberflöte zur Aufführung gebracht
wurde.
Am 25. Februar 1806 nahm Napoleon für seinen
Schwager Mürat Besitz vom Herzogthum Berg; dass die
Fremdherrschaft äusserst deprimirend auf ein deutsches
Theater wirken musste, ist selbstverständlich ; wie völlig
bar man aber damals noch jedes Nationalbewusstseins
war, zeigt sich in einem besonders grellen Lichte aut
dem Theater zu Düsseldorf. Man benutzte hier die Bühne
dazu, den gefährlichsten Feind deutscher Sitte und Cultur,
den Kaiser Napoleon den Ersten, zu vergöttern. Wie
schamlos man dabei zu Werke ging, möge uns folgende
kurze Inhaltsangabe eines Prologs zur Feier des St. Na-
poleon-Tages, aufgeführt auf dem bergischen National-
Theater zu Düsseldorf den 15. August 1806, vorführen:
Die Scene ist eine ländliche Gegend. Landleute, festlich
geschmückt, bringen einen Lorbeerbaum, verziert mit
Bändern und Kränzen, und setzen ihn in die Mitte der
Bühne. Ein Greis hält eine schwungvolle Lobrede auf
Napoleon; eine feierliche Musik ertönt — Minerva lilsst
aus den Wolken sich herab — die Landleute drängen
sich ehrfurchtsvoll zu beiden Seiten der Scene und fallen
auf die Kniee. Minerva preist Napoleon als den grössten
Sohn der Zeiten, der Götter Liebling, der Menschheit
Schirm und Stolz u. s. w. Darauf erhebt sich die Göttin
in die Wolken. Unter einer sanften Harmonie verwandelt
sich die Scene in den strahlenden Tempel des Nachruhms.
Napoleons Brustbild, colossal, über demselben ein Stern
in einem Oval, von Lorbeerzweigen umgeben, ruht auf
den Schultern der Europa, die ihren Arm über die alte
Hemisphäre ausstreckt. Es folgt ein Quartett der Priester,
dann wieder eine Lobrede des Greises ; unter den Klängen
einer jubelnden Musik erscheint schliesslich der Genius
des Friedens. Das Ganze endet mit einem Recitativ und
Schlusschor. — Nun, für diese Kriecherei machten sich
die hier anwesenden Franzosen auch weidlich lustig über
die Düsseldorfer Bühne, die ihnen zur Zielscheibe ihres
Theater und Musik. 395
Witzes diente; iii einer Flugschrift „S6ance au Parnasse
sur le Th6atre de Dusseldorf" wird dieselbe auf das
schärfste gegeisselt. —
Mit der Besitzergreifung Preussens beginnt eine neue
Periode für das Düsseldorfer Theater, da laut einer
Schenkungs- Urkunde vom 11. April 1818 das Theater-
gebäude in den Besitz der Stadt überging. Seit der Er-
hebung Deutschlands gegen die fremde Gewaltherrschaft
begann überall ein neues, frisches Leben emporzublühen.
Dieser frische Hauch machte sich besonders in Düsseldorf
fühlbar, welches bald der Sammelplatz von bedeutenden
Männern auf dem Gebiete der Kunst und Literatur wurde.
Aus den Kreisen der wohlhabenden Kaufleute hatte sich
schnell ein Theater-Actionär- Verein gebildet, der es sich
zur Aufgabe machte, das Theatergebäude im baulichen
Zustande zu erhalten, sowie für die Garderobe und die
sonstigen Requisiten die Mittel zu beschaffen. Bald tauchte
auch der Plan auf, ein neues Theatergebäude zu errichten.
Schon im Jahre 1812 hatte der Baurath v. Vagedes einen
Plan im grossen Stile entworfen, welcher für eine Ein
wohnerzahl von 40000 Seelen berechnet war (Düsseldorf
zählte fünf Jahre später, im Jahre 1817, nur etwas über
15500 Bewohner). Für dieses Theater war ein freier
und geräumiger Platz an der Ostseite der Alleestrasse
gewählt worden ; die Ungunst der Zeiten verhinderte die
Ausführung. Auf Wunsch des Präsidenten, Herrn v. Pestel,
verfertigte v. Vagedes darauf im Mai 1817 einen neuen
Plan, der auf der Stelle des alten Theaters am Markt
zur Ausführung kommen sollte. Man begann schon, auf
das alte Theater und das daranstossende Gebäude des
Appellationshofes (die alte Kanzlei) als Hypothek gestützt,
den Baufonds vermittelst Actien zu sammeln. Auf Wunsch
der Actionäre wurde aber der bedeutende Architect Wein-
brenner aus Karlsruhe, welcher sich eines grossen Rufes
im Theaterbauwesen erfreute, nach Düsseldorf berufen,
um hier an Ort und Stelle einen neuen Plan zu entwerfen.
Beide Pläne wurden sodann der Königl. Regierung zur
Begutachtung vorgelegt, von dieser jedoch als unpractisch
verworfen. Man wandte sich nun an den berühmten
Oberbaurath Schinkel in Berlin, welcher einen dritten
Plan entwarf; die Ausführung dieses Planes erforderte
aber bedeutend mehr Mittel, als man vorgesehen hatte.
Trotzdem sollte der Bau schon im Jahre 1822 beginnen,
als plötzlich das ganze Unternehmen wieder in 's Stocken
gerieth. Nach jahrelangem unerquicklichem Kampfe wurde
das, was die Einsichtsvolleren wollten, der Neubau, ver-
worfen und aus missverstandener Sparsamkeit die Bei-
396 Theater und Musik.
behaltung des alten Rumpfes nur mit neuer Ausschmtlckung
beschlossen.
Sehr launig schildert uns Immermann in seinen
Maskengesprächen (Deutsche Pandora III, Stuttg. 1840
p. 61) den Zustand des alten Theaters bei seiner Ankunft
in Düsseldorf im Frühling des Jahres 1827 : „Nachmittags
hörte ich in meinem Gasthofe, es sei hier auch Theater.
Der Name der Gesellschaft wurde mir genannt, die, im
Herbst zusammengestoppelt, den Winter durch sich für
das Wohl der Menschheit bemühe, und im Frühling, wenn
die Schwalben kommen, wieder auseinander fliege. Der
zweite Gang war also Abends in's Schauspielhaus. Es
war nicht leicht, in das Allerheiligste dieses Tempels
vorzudringen, denn Dunkel, wie es sich für die Avenüen
zu Mysterien ziemt, waren die Korridors, denen hin und
wieder die Bedielung fehlte, so dass man in dieses und
jenes Loch trat, und gegen manchen rohen Pfosten stiess
man in der Dunkelheit.^
„Ein nichtswürdiges Lokal war's in der That, das
alte Gieshaus, worin sie damals spielten^, fiel der Papagei-
grüne ein. „Man wusste gar nicht, was man im Parterre
unter den Füssen hatte, ob es noch Bruchstücke von
ehemaligen Bohlen waren, oder der reine Müll. Einmal
bricht ein dicker Mann mit seinem Beine durch den
Fussboden seiner Loge durch; eine Dame, die in dem
Räume darunter sitzt, fällt in Ohnmacht vor Schreck
über den dunkeln Körper, der da so plötzlich vor ihrem
Gesichte h&ngt, der arme Mann renkt sich aber das
Bein aus. Indessen sass sich's doch recht hübsch darin,
und man war einmal daran gewöhnt. An den Bogen-
brüstungen umher standen auch die Namen der Theater-
schriftsteller und der Komponisten angeschrieben: die
Theaterschriftsteller schwarz, und die Komponisten roth.
Das sah recht gut aus.*'
„Wenn man sie nur hätte deutlicher lesen können l*'
rief der schwarze Domino (knmermann). „Aber, Lieber,
der Kronleuchter verbreitete doch ein gar zu zartes
Dämmerlicht. — Sie gaben an jenem Abende ein Stück,
ich weiss nicht mehr welches. Darauf folgte eine Merk-
würdigkeit. Ein Gastwirth aus der Nähe, der sich be-
wusst war, dass die Ader des Schönen in ihm rinne,
deklamirte den Ausbruch der Verzweiflung von Kotzebue.**
Endlich wurde im Jahre 1832 diesem traurigen Zu-
stande des Theatergebäudes ein Ende gemacht, indem
am 1. Juni dieses Jahres 20000 Thaler für die Wieder-
hei*stellung von der Stadtverordneten-Versanunlung be-
willigt wurden. Man überzog die Sitzlehnen mit rothem
Theater und Musik. 897
Tuch, versah Gallerie und Decke mit zierlichem Anstrich,
verbesserte die Beleuchtung und pflanzte, um durch
äusseres Ansehen den Thalientempel zu rechtfertigen,
einen Porticus (6 Fuss weit) aus vier jonischen Säulen
mit Frontispiz vor den Giebel.
Ehe wir uns der Glanzperiode des Dtlsseldorfer
Theaters unter Immermanns Leitung zuwenden, haben
wir uns noch kurz mit dem Manne zu beschäftigen, der
es zum ersten Male verstand, durch eine lange Reihe
von Jahren hindurch eine feste Schauspielersruppe zu-
sammenzuhalten und das Düsseldorfer Theateruntemehmen
auf eine sichere pekuniäre Grundlage zu stellen. Es ist
dies der Direktor Derossi, welcher mit Ausnahme der
Jahre 1834 — :J7, wo Immer mann die Leitung des Theaters
übernommen hatte, vom Jahre 1817 — 1840 Pächter und
Direktor des hiesigen Theaters war und mit geschäfts-
kundiger Hand die vielen Schwierigkeiten, an denen seine
Vorgänger meist gescheitert waren, zu überwinden ver-
stand. Schon seit dem Jahre 1814 war er an der Düssel-
dorfer Bühne als Schauspieler und Regisseur unter seiner
Vorgängerin, der Madame Caroline Müller thätg gewesen,
welche um diese Zeit regelmässig mit ihrer Truppe
während der Wintermonate Düsseldorf besuchte und das
Publikum gewöhnlich wöchentlich drei Mal mit theatra-
lischen Vorstellungen unterhielt; er kannte also bei der
Uebernahme der Direktion die Schwierigkeiten, welche
gerade Düsseldorf einem solchen Unternehmen bot. Denn
während auf der einen Seite möglichst hohe künstlerische
Anforderungen an ihn gestellt wurden, hatte er anderer-
seits auf keine pekuniäre Unterstützung von Seiten der
Stadt zu hoffen. Die Abgaben, welche die Direktoren
als Miethe an den Theater-Baufonds, sowie an die Armen-
verwaltung zu entrichten hatten, waren von jeher äusserst
diilckend für dieselben gewesen. Die Armenabgabe
wurde auf verschiedene Weise erhoben, indem bald von
jeder Vorstellung ein bestimmter Betrag, um diese Zeit
meist zwischen 2 und 3 Thalern schwankend, entrichtet
werden musste, bald die Bestimmung getroffen wurde,
dass während jeder Saison zwei Armenvorstellungen ge
geben werden sollten ; zu anderen Zeiten wurden 5% von
der Brutto-Einnahme jeder Vorstellung für diesen Zweck
erhoben; dazu kam die Theatermiethe, welche nach der
Restauration des Gebäudes im Jahre 1832 von 2V2 Thaler
auf das Doppelte erhöht wurde. Da dem Direktor ausser-
dem, wie schon oben erwähnt, keine pekuniären Er-
leichterungen von Seiten der Stadt zu Theil wurden, so
ist es wenigstens theilweise zu entschuldigen, wenn
398 Theater und MumOc
Derossi bei seinem Unternehmen sich ganz nach dem
Geschmacke des gewöhnlichen Theaterbesuchers richtete,
da irgend welche höhere, ideale Bestrebungen sicher seinen
pekuniären Ruin herbeigeführt haben würden. Um seine
Truppe während des ganzen Jahres zusammen halten zu
können, war er genöthigt, besonder während der Sommer-
monate abwechselnd in Elberfeld und Crefeld Vor-
stellungen zu geben, welche auch dazu dienten, ein etwa
vorkommendes Defizit des Düsseldorfer Unternehmens
wieder auszugleichen.
Dem Geschmacke des gebildeten Publikums, welches
wie tiberall, so auch in Düsseldorf die verschwindende
Minderheit bildete, konnten seine Leistungen keineswegs
genügen; der Mangel eines tüchtigen Theaters machte
sich gegen das Ende der zwanziger Jahre immer mehr
fühlbar. Als Wilhelm Schade w im Jahre 1826 an Cornelius
Stelle die Leitung der Kunstakademie übernahm, wurde
sein Haus bald der Sammelpunkt eines regen geistigen
Verkehrs, dessen Seele Immermann wurde. Um den
Mangel an höheren theatralischen Kunstgenüssen zu
ersetzen, hielt dieser während der folgenden Jahre
dramatische Vorlesungen im Kreise der Künstler und
Literaten, welche sich damals in so bedeutender Anzahl
um Schadow zu versammeln begannen; dann räumten
ihm die Maler ein Atelier im alten Akadamiegebäude
ein, in dem er nun öffentlich Vorlesungen hielt; dieses
Atelier musste sich vor jeder Vorstellung kurzweg in den
kerzenhellen Salon verwandeln, dessen graue Wände
freilich mit allerhand Zeichnungen, Farbenskizzen, Kartons
besteckt blieben. Immermann selbst sagt in den oben
erwähnten Maskengesprächen Folgendes über diese Vor-
lesungen : „Die dilettantischen Versuche, die bei Schadow^
angestellt, oder durch ihn herbeigeführt wurden, halfen
in dem exclusiven Kreise den Sinn für das Dramatische
erregen, der sich nun nur um so ekler von den Komödianten
abwendete, da die Liebhaber dem Bedürfniss, wenn auch
keine künstlerisch zubereitete Speise, doch etwas natür-
lich Geistreiches boten. Meine Vorlesungen kamen dazu.
Diese neue Art, ein dramatisches Gedicht zu rezitiren,
ist von Tiek erfunden und zu einer Kunst gemacht,
Holtei und Andere sind ihm gefolgt; ich schloss mich
gleichfalls solcher Richtung an, und hin und wieder ist
mir der charakteristische Vortrag eines Werkes gelungen.
Es bleibt freilich immer eine Zwitterkunst, und der Ge-
schmack daran kann sich nur in Zeiten finden, denen
die Partitur entkommen ist. Die Darstellung nämlich ist
die volle Instrumentalmusik, ein gutes Spiel auf dem
Theater und Musik. 399
Flügel aber eine derartige Vorlesung — im glücklichsten
Falle, der auch nur eintrifft, wenn Organ und Individualität
des Vorlesers gerade besonders zum Gredichte passen.
Eine Klippe des Gelingens sind fast immer die weiblichen
Rollen, bei deren Vortrag eine gewisse Affeetation kaum
zu vermeiden ist. Leicht wird auch die zarte Grenz-
linie, welche dieses Genre von der Action scheidet, über-
sprungen. — Iphigenie, Blaubart, Wallenstein, König
Johann, Romeo, Leben ein Traum, standhafter Prinz,
Däumchen, Hamlet, Prinz von Homburg, gestiefelter Kater,
König Oedipus und Oedipus in Kolonos wurden während
zweier Winter vorgelesen."
Bevor wir uns nun zu dem künstlerisch bedeutendsten
Abschnitte der Geschichte des Düsseldorfer Theaters
wenden, mag es uns gestattet sein, mit kurzen Zügen
den Mann vorzuführen, durch dessen unerschöpfliche
Thatkraft und liebevolle Hingabe an einen idealen Zweck
die Düsseldorfer Bühne, wenn auch nur für eine kurze
Zeit, zu einer Musteranstalt von der höchsten Bedeutung,
zu einer Pfiegestätte alles wahrhaft Schönen und Grossen
geworden ist.
Karl Lebrecht Immermann stammt aus einer jener
kernigen preussischen Beamtenfamilien, in denen ein fest
ausgeprägtes Pflichtbewusstsein sich mit Gottesfurcht und
Anhänglichkeit an das Königshaus harmonisch verbinden
und zu einem scharf ausgeprägten Ganzen vereinigen.
Am 24. April 1796 zu Magdeburg geboren, wo sein Vater
die Stelle eines Kriegs- und Domänenraths inne hatte,
bezog er nach einer im elterlichen Hause streng über-
wachten Jugend die Universität zu Halle, um dort Jura
zu Studiren. Obgleich er sich schbn seit der frühesten
Jugend zum Dramatischen hingezogen fühlte, so war es
ihm doch erst hier und in dem nahe gelegenen Bade
Lauchstätt vergönnt, in den Darstellungen der Weimari-
schen Gesellschaft korrekte, kunstgemässe Wiedergabe
bedeutender Werke auf sich wirken zu lassen. Von dem
Eindrucke, den diese Aufführungen auf ihn machten,
zeugen am besten seine eigenen Worte : ^Von Vergnügen
war da nicht die Rede, sondern entzückt war ich und
verzückt. Die alte Kirche, worin man die Bühne ein-
gerichtet hatte, war mir eine geweihte Halle, und form-
gebend für meine ganze spätere Zeit sind diese Eindrücke
gewesen."
Die gewaltige Zeit der Befreiungskriege war gerade
nicht geeignet, die nöthige Müsse für innere Concentration
und Reflexion zu gewähren, welche nöthig sind, ein noch
im Werden begriffenes Talent der Reife entgegen zu
400 Theater und Musik.
führen. Etwa im Beginne des August 1813 ordnete Na-
poleon bei einem nächtlichen Durchzuge durch Halle die
Schliessung der Universität an. Am andern Morgen
zerstreute sich die akademische Jugend in alle Winde.
Das Feuer der Begeisterung riss auch Immermanu mit
fort und er trat als Freiwilliger in das preussische Heer
ein. Ein heftiges Nervenfleber, welches ihn noch vor
dem eigenlichen Aufbruch seines Regiments ergriff, hin-
derte diesmal seine Theilnahme an dem grossen Werke
der nationalen Befreiung. Niedergeschlagen kehrte er
nach Beendigung des Feldzuges zu seinen Studien zurück,
als plötzlich die Nachricht von der Entweichung Napoleons
von Elba und bald darauf der Aufruf des Königs an die
Freiwilligen eintraf. Immermann stellte sich mit einer
kleinen Anzahl von Freunden sofort in seiner Vaterstadt.
Die Erinnerungen aus diesem Feldzuge, das bunte wechsel-
volle Soldatenleben, welches nun folgte, sind in seinem
Tagebuche, welches er während der ersten Wochen des
Feldlebens führte, in den lebhaftesten Farben plastisch
dargestellt. Er kämpfte bei Belle Alliance mit und nahm
auch später an dem Einzüge der Truppen in Paris Theil.
Als Offizier entlassen, kehrte Immermann nach Be-
endigung des Krieges zu seinen Studien zurück, um die
selben jetzt mit. Müsse beendigen zu können. Nachdem
er das erste juristische Examen im Beginn des Jahres 1818
bei dem Oberlandesgericht in Halberstadt abgelegt hatte,
trat er in den Staatsdienst ein. Nach vorübergehendem
Aufenthalte in Oschersleben und Magdeburg wurde er als
Auditeur für die Garnison nach Münster versetzt, wo er
im November des Jahres 1819 eintraf. Hier lernte er
nach einiger Zeit dte hochgebildete und für die Poesie
zart empfängliche Frau des aus den Freiheitskriegen als
Führer einer Freischaar so bekannt gewordenen Lützow
kennen, welcher seit Juli 1817 als Brigadegeneral der
Garnison in Münster vorstand. Lützow war ein tüchtiger
Soldat, aber nichts weniger als feinfühlend oder für
höhere geistige Genüsse empfänglich. Das mochte wohl
der innere Grund sein, weshalb das eheliche Verhältniss
immer kälter wurde, da Lützow im geselligen Kreise von
Freunden und Kriegskameraden am Stanmitische Zer-
streuung suchte. Von dem rohen Wesen ihres Gemahls
abgestossen, fühlte sie sich immer mehr zu Immermann
hingezogen, dessen Dichtungen sie ein feines Verständniss
entgegenbrachte. Ohne dass er es sich zu gestehen
wagte, erwachte in Immermann eine tiefe Leidenschaft
für diese Frau; so liess er sich unbewusst in immer un-
haltbarere Zustände treiben, welche seine Versetzung und
Theater und Musik. 401
die bald darauf folgende Ehescheidung in unmittelbarem
Gefolge hatten.
Die folgenden Jahre verlebte Immermann in seiner
Vaterstadt Magdeburg, wohin ihm auch seine Freundin
unter ihrem elterlichen Namen als Gräfin Elisa von
Ahlefeld nach einiger Zeit gefolgt war. Jetzt und auch
später drang er wiederholt in sie, ihm öffentlich am
Altare die Hand zu reichen, um das Verhältnisse welches
leicht zu öffentlichem Aergerniss Veranlassung gab, vor
der öffentlichen Meinung zu schützen, aber sie war jetzt
und auch später nicht dazu zu bewegen, sei es, dass sie
ihre Freiheit nicht durch ein neues EhebQndniss sich ver-
kürzen wollte, oder dass in Folge einer sorglosen Er-
ziehung die öffentliche Meinung sie gleichgültig liess.
Als Immermann nun im Frühling 1827 als Landgerichts-
rath nach Düsseldorf kam, folgte sie ihm bald nach und
liess sich auf einem reizenden Landgute in Derendorf
nieder, welches nach seinem früheren Besitzer gewöhn-
lich EoUenbachs Gut genannt wurde. Inunermann gab
bald darauf seine Wohnung hinter dem sogenannten
Napoleonsberge auf und folgte seiner Freundin nach
Derendorf. Hier, an der nördlichen Seite des Hofgartens,
in dem freundlichen im Garten versteckten Hause, haben
die meisten und besten von Inmiermanns Dichtungen das
Licht der Welt erblickt, hier bildete sich auch bald eine
Versanmüungsstätte der hervorragendsten Männer Düssel-
dorfs, welche sich als Schriftsteller oder Künstler in
weiteren Kreisen einen Namen erworben haben.
Immermanns bedeutendste Leistungen liegen nicht
auf dem dramatischen Gebiet der Poesie ; doch hatte, wie
wir gesehen haben, die Bühne schon frühzeitig eine grosse
Anziehungskraft auf ihn ausgeübt, und seine ersten selbst-
ständigen dramatischen Versuche fallen schon vor seine
Uebersiedelung nach Düsseldorf. Hier erhielten seine
Bestrebungen im Kreise von Künstlern und hervorragenden
Literaten, wie Uechtriz und Schnaase, die kräftigste
Förderung; ein neues Leben ging ihm auf: „Aus dumpfer
Arbeitsstube trat ich in einen heitern Kreis, dessen Arbeit
auf die Schönheit ging, und hatte selbst Müsse ; aus form-
losen Umgebungen unter solche, denen unter den Händen
Alles zur Form wurde, nicht allein ihr geistiges Leben
und Weben, sondern auch des Alltags Ernst, Scherz, der
geringste Einfall. — Ein zweites Studentenleben führten
wir damals, aber kein rüdes, sondern ein phantasie volles.^
Nachdem das allgemeine Interesse für die Bühne durch
Vorlesungen im engem und weitern Kreise geweckt und
durch die Restauration des alten Theaters ein würdiger
26
402 Theater und Musik.
Musentempel geschaffen worden war, bildete sich auf
Immermanns Anregung im Herbst 1832 ein neuer Theater-
verein unter dem Protectopate des Prinzen Friedrich von
HohenzoUem, dem fUnfeehn Männer von hervorragender
Bildung, die zum Theil den vornehmsten Kreisen Düssel-
dorfs angehörten, beitraten. Die Aufgabe war keine
leichte, zumal da der Director Derossi sich auf seine
wohlerworbenen Rechte stützend anfangs allen Neue-
rungen und Eingriffen in seine Wirkungssphäre Widerstand
leistete; nur der siegreichen Energie Immermanns war
es möglich, die vielen Schwierigkeiten zu überwinden,
und so wurden noch im Laufe dieses Winters vier Sub-
scriptions- oder Mustervorstellungen, wie sie im Publikum
hiessen, in das Repertoir eingeschoben.
Interessant i^t die Art, wie Immermann die Stücke
mit den Schauspielern einstudirte. Von der Ueberzeugung
ausgehend, dass, wie des Dichters Werk aus einem Haupte
entspringe, auch die Reproduction desselben vernünftiger
Weise nur aus einem Haupte hervorgehen könne, machte
er das vollendete Ensemble zum Grundprincip seines
Wirkens. Der Satz von der künstlerischen Freiheit der
darstellenden Individuen ist zwar nicht ganz zu verneinen,
darf aber nur eine sehr beschränkte Anwendung finden.
Von dem Ueberwuchern jenes falschen Princips leitete
Immermann die Verwilderung der Bühne her. Er hat
auf das glänzendste den Beweis geliefert, dass mit mittel-
massigen Subjecten, die einem Haupte folgen, sich correcte
Darstellungen liefern lassen, die den wahren Kunstfreund
zu erfreuen im Stande sind, während wir anderer Orten
das Gedicht durch grosse Talente zerfleischen sehen.
Zuerst las Immermann das Stück, welches gegeben werden
sollte, den Schauspielern vor. Dann hielt er mit jedem
Einzelnen Special -Leseproben, aus denen sich die allge-
meine Leseprobe aufbaute. Ertönten in dieser noch
Disparitäten des Ausdrucks, so wurden die schadhaften
Stellen so lange nachgebessert, und wo nichts Anderes
half, vorgesprochen, bis das Ganze in der Recitation als
fertig gelten konnte. Die Action stellte er darauf zuerst
in Zimmerproben fest, die oft nur einzelne Acte, zuweilen
nicht mehr als ein paar Scenen umfassten, damit der
Darstellende in den nackten, nüchternen Wänden seine
Phantasie um so mehr anspannen lernte, und die falschen
Geister, die nur zu leicht sich auf der Bühne breit machen,
die JDämonen des Gespreizten, Rhetorischen, oder der
hohlen Handwerksmäsdigkeit, nicht verwirrend auf ihn
einwirkten. Stand das Gedicht so ohne alle illusorische
Nothkrücke fertig da, dann ging er erst mit den Leuten
Theater und Musik. 408
auf das Theater. Gegeben wurde das Stück nicht eher,
als bis Jeder; bis zum anmeldenden Bedienten herab,
seine Sache wenigstens so gut machte, wie Naturell und
Fleiss es ihm nur irgend verstatteten. Sinn und Begeiste-
rung fQr das Ganze eines Werkes, und der feste Muth,
diesen Sinn durchzusetzen, bewirkten eine gemeinsame
Raschheit des Spieles, eine Rundung des Ensembles, ein
Ineinandergreifen aller einzelnen Theile, die man damals
auf den ersten Theatern unseres Vaterlandes vergeblich
suchte. „Man fQhlte,^ sagt Uechtritz, „dass ein poetischer
und bedeutender Geist, nicht der prosaische Handwerker-
sinn eines gewöhnlichen Regisseurs oder gar der blinde
Zufall das Ganze der Darstellung leite. Als Ein grosses,
harmonisch concentrirtes Bild, nicht als ein Gemengsei
vortrefflich und erbärmlich, in den verschiedensten Ma-
nieren, den verschiedensten Tempos gespielter Rollen
trat sie dem Beschauer entgegen. Was auch im Einzelnen
zu vermissen und selbst als verfehlt zu rügen blieb, die
durchschmettemde Wirkung des Ganzen söhnte damit
aus, während es sich auf manchen andern Bühnen gerade
umgekehrt verhält, wo die bervorschreiende Trefflichkeit
eines einzelnen Spielers uns das ünzusammenhängende
oder Laue der ganzen Darstellung nur um so fühlbarer
macht. ^
Emilia Galotti, die erste Mustervorstellung, war ein
Ereigniss für die Stadt. Alles war wochenlang gespannt
darauf, man wusste nicht, was dabei denn so grossartiges
herauskommen sollte. Die „gelehrte Bühne^, dieses Spott-
wort wurde von den elenden Widersachern zuerst aus-
gesprochen. Als der Vorhang endlich fiel, war man er-
staunt, dass die Schauspieler da droben auf der Bühne
nicht so schrieen, predigten, durcheinander strudelten und
stolperten, wie sonst, sondern wie Menschen sprachen und
sich betrugen, imd zwar wie Menschen, welche die Hand-
lung, die sie darstellten, etwas anginge. Anfangs blieb
das Publikum still. Von dem Disput zwischen Oppiani
und Marinelli aber an entzündeten sich die Zuschauer
und wurden frei von dem Zwange, der sie eingeschnürt
hatte. Nun fiel Scene für Scene, ja Rede für Rede der
Applaus, der endlich bis zum Jubel stieg, in dem Alle
hervorgerufen wurden.
Im folgenden Sommer leitete Felix Mendelssohn das
fünfzehnte Rheinische Musikfest in Düsseldorf. Es gelang,
den Künstler, welcher sich schon eines bedeutenden
Rufes erfreute, durch die Uebertragung der Stelle eines
städtischen Musikdirectors für längere Zeit an Düsseldorf
zu fesseln. In Immermann tauchte sofort der Plan auf.
404 Theater und Musik.
denselben auch zugleich für das Theater zu gewinnen.
Er fühlte, dass die weitere Entwickelung der Düsseldorfer
Bühne nur in dem Falle möglich war, wenn es gelang,
das Orchester und die Oper in derselben Weise wie das
Schauspiel zu heben. Mendelssohn war natürlich die
geeignetste Persönlichkeit, mit mittelmässigen Kräften —
denn für grosse Virtuosen waren keine Mittel vorhanden —
das für die Oper zu leisten, was Immermann für die
Schaubühne zu leisten unternommen hatte. Mendelssohn,
der schon im October sein neues Amt übernahm, trat
sofort in den Theaterverein ein, und es wurde mit Rück-
sicht auf die schon vorgeschrittene Jahreszeit beschlossen,
vorläufig die Mustervorstellungen des vorigen Jahres in
erweiterter Form fortzuführen, indem sich Mendelssohn
zur aiijstischen Leitung der Oper bereit erklärte.
Beim Beginne der Saison machte sich ganz im-
erwarteter Weise zum ersten Male eine Opposition gegen
Immermanns Bestrebungen geltend. Die Reihe der Muster-
vorstellungen sollte nämlich diesmal mit der Aufführung
des Don Juan unter Mendelssohns Leitung am 19. December
eröffnet werden ; drei Tage vorher war kein Billet weder
zu den Logen noch zu den gesperrten Sitzen zu erhalten.
In freudigster Erregung sah man dem Abende entgegen,
an dem Mendelssohn zum ersten Male am Dirigentenpulte
erscheinen würde; Niemand ahnte den unangenehmen
Zwischenfall, der das ganze Unternehmen von vornherein
in Frage stellte. Der Abend nahte, und schon gegen
halb fünf Uhr hatte sich die zuströmende Menge durch
die Eingangsthüren gedrängt, so dass um halb sechs Uhr
alle Räume gefüllt waren. Hoch und höher wurde die
Erwartung gesteigert ; die Mitglieder des Orchesters suchten
sich zu fassen, da erschien Mendelssohn und ein tumul-
tuarisches Geräusch, welches sich gleich anfangs erhoben
hatte, legte sich plötzlich. Während der Ouvertüre, die
auf das Glänzendste gelang, blieb Alles ruhig, als aber
der Vorhang sich hob, da brach der Widerwille des rohen
ungebildeten Pöbels gegen das höhere Streben sich freie
Bahn. Es wurde geheult, gepfiffen, getrommelt, der Di-
rector vorgefordert; die Bestie war los. Nur mit der
äussersten Anstrengung, unter häufigen Unterbrechungen
aus dem Parterre und der Gallerie gelang es, die Oper
zu Ende zu führen. Die äussere Veranlassung zu dem
Tumulte war die Erhöhung der Eintrittspreise gewesen,
welche den Zweck hatte, den Schauspielern für die viele
Mühe und Anstrengung, welche ihnen aus diesen Vor-
stellungen im Besonderen erwuchsen, in Form von Prämien
für besonders gute Leistungen eine Belohnung zu bieten
Theater und Musik. 405
und sie zu weiteren Studien anzuspornen. Immermann
war auf das Aeusserte empört: „Nach unserer Ansiclit",
schrieb er dem Comite, „kann das Schöne ohne eine ent-
schiedene Gesinnung Anderer für dasselbe sich nie ver-
wirklichen ; ohne eine solche muss namentlich das höhere
Dramatische der gemeinen Gesinnung gegenüber, die im
Theater keine Erhebung des Geistes, sondern nur leeren
Zeitvertreib oder einen Tummelplatz für ihre niedrigen
Leidenschaften sucht, noch schutzloser dastehen, als es
ohnehin leider schon der Fall ist." Mendelssohn erklärte,
die nächste Oper, zu der schon alle Billets verkauft waren,
nicht leiten zu können, wenn ihm nicht vorher diö Garantie
geleistet werde, dass ähnliche Störungen nicht wieder
vorkommen würden; die Orchestermitglieder ihrerseits
erklärten, nicht ohne Mendelssohn spielen zu wollen. Es
herrschte die äusserste Verwirrung, und die zweite Auf-
führung der Oper musste vorläufig unterbleiben. Die
Zeitungen boten Alles auf, den Schaden wieder gut zu
machen, und der Verein zur Beförderung der Tonkunst
erliess ein Manifest, in dem um die Wiederholung der
Oper dringend gebeten wurde. Das Theater-Comite zeigte
an, dass es sich sofort auflösen werde, sobald bei der
nächsten Aufführung die geringste Störung eintreten werde,
und so kam denn schliesslich die Wiederholung zu Stande,
die diesmal auf das glänzendste verlief. Mendelssohn
wurde bei seinem Erscheinen applaudirt und auf Ver-
langen des Publicums mit einem dreimal wiederholten
Tusch empfangen.
Ausser dem Don Juan kamen in diesem Winter noch
Egmont, Nathan, Wasserträger, Braut von Messina und
Andreas Hofer von Immermann zur Aufführung.
Als das Ende der Saison heranrückte, arbeitete Immer-
mann auf das Lebhafteste an der Bildung eines grösseren
Theater- Vereins ; am 3. April 1834 war das Programm
schon völlig ausgearbeitet: das Theater in Düsseldorf
sollte aufhören, eine Privatunternehmung zu sein. Die
Stadt als Eigenthümerin des Schauspielhauses sollte das-
selbe als städtische Anstalt neu gründen und weiter führen.
Mendelssohn und Immermann erklärten sich zur Ueber-
nahme der artistischen Leitung bereit. Es wurden von
Personen aus den höchsten Kreisen sofort 10,000 Thaler
in Actien zu je 250 Thaler unterzeichnet, mit denen das
Unternehmen ins Werk gesetzt werden sollte. Der bis-
herige Director Derossi trat seine Rechte gegen Ent-
schädigung an die Gesellschaft ab, und mit froher Er-
wartung sah man der Eröffnung der neuen Saison entgegen.
Immermann selbst hatte sich einen einjährigen Urlaub
406 Theater und Musik,
von den Staatsgeschäften genommen, um sich ganz der
neuen Aufgabe widmen zu können. Auf einer grosseren
Reise, die er eigens zu dem Zwecke unternommen hatte^
suchte er sich die Schauspieler für die neue Bühne aus,
welche auf seinen besonderen Wunsch dauernd engagirt
werden sollten. Mitte October war die Gesellschaft bei-
sammen : es fanden sich mehrere hübsche, frische Talente
darunter kein einziges grosses Genie, zu dessen Engage-
ment die Mittel fehlten, aber auch kein einziger Unfähiger.
Kaum war die Bühne eröflfhet, als sie auch schon
von einem harten Schlage getroffen wurde, indem Mendels-
sohn vierzehn Tage später erklärte, dass er sich von
den Geschäften der Intendanz befreit zu sehen wünsche^
weil seine Gesundheit und seine übrigen Arbeiten darunter
litten. Er hatte nie ein grosses Interesse für die Oper
empfunden und war nur durch Immermanns Einfluss zu
der Uebemahme der ihm so lästigen und zeitraubenden
Arbeit bewogen worden. An seine Stelle trat der jugend-
liche Musikdirector Julius Kietz, welcher zum Glück mit
grossem Talent und regem Eifer für die eigentlich mu-
sikalischen Leistungen eintrat. Den innem Grund des
raschen Bruches bezeichnet Emil Devrient in seiner
Geschichte des Theaters in kurzen, treffenden Worten:
Zimmermanns herbe imd eisenstimige Natur und Mendels-
sohns verwöhnte Reizbarkeit stiessen zusammen. Immer-
mann war gewohnt, allen Widerstand zu besiegen, Mendels-
sohn keinen zu ertragen.^ —
Schon am Ende dieser ersten Saison zeigte es sich,
dass sich das neue Unternehmen ohne schwere Opfer
nicht würde weiter führen lassen, da die Bilanz am Ende
derselben ein starkes Deficit aufzeigte. Bei der grossen
Menge, die schliesslich doch nur Zerstreuung sucht, hatte
sich das Interesse für das Unternehmen bald bedeutend
vermindert, so dass nicht nur ein Ueberschuss von tausend
Thalern, welcher bis Ende Januars gemacht worden war,
am Schlüsse des Theaters am 4. Juli 1835 wieder auf-
gebraucht war, sondern es musste sogar ein neuer Griff
in den Actienfonds gemacht werden, der durch das In-
ventar und die übrigen Vorausgaben schon wesentlich
geschmälert war.
War so das pekuniäre Resultat ein ziemlich drückendes
gewesen, so hatte es doch von den verschiedensten Seiten
nicht an Anerkennung und Aufmunterung gefehlt. Grabbe,
welcher auf Immermanns Einladung Anfangs December
1834 von Frankfurt nach Düsseldorf übergesiedelt war,
gehörte zu den Ersten, welche die Bedeutung und die
Eigen thümlichkeiten der werdenden Bühne begriffen. Seine
Theater utuL Mnaik. 407
Kritiken, welche ursprünglich in einem Lokalblatte er-
schienen, hat er später zu einem eigenen Aufsatze über
die Düsseldorfer Bühne ausgearbeitet und erweitert.
Fremde Gäste spendeten derselben auch mehr Aner-
kennung als die Einheimischen, namentlich spricht der
Dichter Zedlitz seine höchste Bewunderung über eine
Aufführung des Egmont aus, die ihm eine ganz uner-
wartete Vollendung gezeigt hatte.
Um die Truppe während der Sommermonate beschäf-
tigen und das entstandene Deficit ausgleichen zu können,
hatte Immermann gleich am Anfange des Jahres 183ö
\\m die Erlaubniss nachgesucht, in Bonn Vorstellungen
geben zu dürfen; dort hoffte er von dem gebildeten und
leicht erregbaren Publikum auf ein reges Interesse und
zahlreichen Besuch. Diese Erlaubniss wurde aber nicht
gegeben, und so wurde denn beschlossen, bis zur Wieder-
eröflhung der Bühne die Truppe in Crefeld und Elberfeld
zu beschäftigen. Aber namentlich an dem letzteren Orte,
wo in Ermangelung eines besseren Raumes die Vor-
stellungen in einer Reitbahn, welche die Kunst des Düssel-
dorfer Maschinisten und die mitgebrachten Decorationen
nothdürftig in einen anständigen Saal verwandeln mussten,
wurden die Kosten nicht gedeckt, trotz unsäglicher An-
strengung von Seiten Immermanns, der drei Monate lang
ein wahres Campagneleben zwischen Düsseldorf und Elber-
feld führte.
Im nächsten Winter hatte Immermann zu den schweren
aufreibenden Geschäften der Intendanz auch noch sein
Amt als Landgerichtsrath zu verwalten, da ihm sein Ge-
such um Verlängerung seines Urlaubes abgeschlagen
worden war. Diese zweite Saison zeigte noch deutlicher,
wie schwierig es sein würde, das Unternehmen finanziell
auf eigene Füsse zu stellen. In einer Versammlung der
Actionäre vom 13. Februar 1836 verzichten diese unbe-
dingt auf die Zinsen und willigen darein, dass das letzte
Drittel des Actiencapitals zur Fortführung des Unter-
nehmens verwendet werde. Aber auch dieses Opfer
genügte nicht; am 11. März wurde ein Circular aii die
Freunde und Gönner des Theaters gesandt, um frei-
willige Beiträge einzusammeln; diese steuerten denn auch
2479 Thaler bei ; ausserdem wurde von einigen Freunden
gegen Uebertragung des Inventars die Summe von
1500 Thalern vorgeschossen: nur so war es möglich,
diese Saison zu Ende zu führen.
Immermann war nur durch die Bitten und Ermunte-
rungen seiner Freunde zu bewegen, die Intendanz noch
ein Jahr weiter zu führen, obschon die Unhaltbarkeit
408 Theater und Musik.
des Unternehmens erwiesen war, da ein wirkliches Kunst-
institut nicht von den Almosen einiger reichen GMnner
bestehen kann, wodurch seine Existenz beständig dem
Zufalle preisgegeben sein würde. Den Sommer Ober
wurden wieder Vorstellungen in Crefeld und Elberfeld
gegeben; doch reichten auch diesmal die Einnahmen
nicht hin, die Kosten des Instituts zu decken; die neue
Saison musste daher mit einem Deficit beginnen. Am
16. Januar 1837 waren alle Mittel erschöpft, und es
musste daher eine neue Appellation an das Wohlwollen
der Theaterfreunde gemacht werden, um wenigstens die
eingegangenen contractlichen Verpflichtungen und andere
unvermeidliche Ausgaben decken zu können; ein neuer
Zuschuss von 1400 Thalern war schon aufgebraucht.
Aber die Geduld der Gönner, an welche fortwährend so
grosse Anforderungen gestellt wurden, zeigte sich er-
schöpft; so wurde denn der Schluss der Btthne auf den
31. März 1837 festgesetzt. Die Hergänge dieses Winters
hat Immermann in Form eines Tagebuches niederge-
schrieben, so dass wir gerade über diese letzte Zeit am
besten unterrichtet sind. Immermann sorgte dafür, dass
die Bühne im höchsten Glänze unterging; die Schauspieler
selbst unterzogen sich den grössten Anstrengungen, weil
sie es für ihre Pflicht hielten, die Ehre des Instituts zu
retten. Neben der übrigen Tages waare, welche als eine
Concession an das grosse Publikum stets mit den grösseren
klassischen Werken abwechselte, wurde noch im letzten
Monate Julius Cäsar, Iphigenie und Griseldis von Halm
ganz neu einstudirt.
Der Grund, weshalb die Düsseldorfer Bühne unter-
ging, ist also kein innerer, sondern der allermateriellste :
„Nicht an einem Innern Leiden," sagt Inmiermann in den
schon mehrfach erwähnten Maskengesprächen, „sondern
einzig und allein daran ist sie gestorben, dass ihr eui
jährliches Subsidium von 4000 Thalern fehlte, dessen sie
etwa zu ihrem Fortbestande bedurfte."
Devrient hat Immermann und seiner Schule den Vor-
wurf gemacht, dass er die Schauspielkunst nicht als
Lebendigmachung des poetischen Gedankens anerkenne,
dass er nicht wahrhaft schöpferisch die Gedanken seiner
Rolle in einer Weise ausbilde, wie sie dem Dichter nur
dunkel vorgeschwebt habe. Dieser Tadel trifft aber, wie
Putlitz in seiner Biographie tmmermanns sehr richtig
bemerkt, nur theilweise zu, wenn es sich nämlich um die
Wiedergabe von Werken, wie namentlich der Dramen
Shakespeares handelt, in denen die Worte häufig nur
höchst unvollständig die Innern Gewalten zum Ausdruck
Theater und Musik-. 409
bringen, während das Tiefste und Feinste zwischen den
Zeilen gelesen werden muss; hier muss allerdings dem
darstellenden Genie ein freierer Spielraum zugestanden
werden. Völlig berechtigt ist aber Immermanns Methode
bei der grossen Mehrzahl der deutschen Klassiker, nament-
lich Schillers, welche in breiter Ruhe die Gedanken in
der Rede ausspinnen; er unterdrückte bei der Wieder-
gabe dieser Werke jede individuelle Selbstständigkeit der
Schauspieler, indem er dieselbe den höheren Zwecken
des einheitlichen Ensembles opferte. — Aeusserlich be-
herrschte er die Schauspieler vollständig; irgend welche
Nachlässigkeit, Unordnung oder Unfolgsamkeit wurde auf
das Emp&dlichste mit grösseren oder geringeren Geld-
strafen geahndet. Doch übte seine eigene, unermüdliche
Energie allein schon einen belebenden Einfluss auf die
Ausdauer derselben aus. Er hatte eine solche Gewalt
über sie, dass die vornehmsten Schauspieler, wenn er es
vorschrieb, in den unbedeutendsten Nebenrollen auftraten,
und Alle zeigten sich zu Anstrengungen willig, welche
die Kräfte des Menschen zu übersteigen schienen. Vier-
mal wurde in der Woche gespielt, und jedes Stück konnte
nur ein- oder höchstens zweimal wiederholt werden. Un-
geachtet der Nothwendigkeit, unaufhörlich neues zu bringen,
durfte doch kein dramatisches Werk ohne mehrere, höchst
gründliche Proben die Bühne betreten. Während sich so
die Darsteller ihrem Intendanten völlig unterordneten,
vertrat dieser mit grosser Energie ihre Interessen. Be-
zeichnend für das Verhältniss zwischen Immermann und
den Darstellern sind die Worte, welche er ihnen am
13. Januar 1837 in das Circularheft schrieb: „Es macht
mir übrigens Freude, bei dieser Gelegenheit (der Kün-
digung des gesammten Personals) auszusprechen, dass
derjenigen, mit welchen unzufrieden zu sein ich gerechte
Ursache habe, nur Einzelne sind, und dass die Mehrzahl
der Mitglieder, und namentlich diejenigen, welche Haupt-
fächer bekleiden, sich beeifert, der Anstalt zu nützen,
mir in meinem Wirken entgegen zu kommen, und selbst
ungewöhnliche Anstrengungen nicht zu scheuen. Diesen
ehrliebenden und wohlgesinnten Künstlern danke ich hier-
mit; in ihrem Zutrauen und in ihrer Neigung finde ich
den Lohn für dreüährige, mühselige Arbeit, von ihnen
werde ich, wenn unser Verhältniss hier sich auflöst, als
Freund von Freunden scheiden, meine besten Wünsche
werden sie begleiten, und wo ich kann, werde ich ihnen
in der Nähe und Feme nützlich sein.
Immermanns Bemühungen hatten für Düsseldorf die
nachhaltige Wirkung, dass dem Theater in Zukunft von
410 Theater und Musik.
Seiten der Behörden eine grössere Aufmerksamkeit ge-
schenkt wurde, welche sich äusserlich darin zeigte, dass
eine Commission, theils aus den Bürgern der Stadt, theils
aus den Mitgliedern des Stadtrathes, erw&hlt wurde, welche
aus 12 Mitgliedern bestand und Theatercomitee genannt
wurde. Dies Theatercomitee, welches sich bis auf den
heutigen Tag bewährt hat, sollte nach einer Verfügung
des Oberpräsidenten der Rheinprovinz die Bestimmung
haben, darüber zu wachen, dass bei der Wahl der auf-
zuführenden Stücke die Pflichten gegen den Staat und
gegen Moral und Sitte nicht verletzt würden und dass
überhaupt ein öffentliches Aergemiss von der Bühne ent-
fernt bleibe. Dazu kamen bald noch besondere Befug-
nisse, welche vom Stadtrath hinzugefügt wurden ; es fäUt
dem Comitee bei der jedesmaligen Erledigung der Direction
die Wahl eines neuen Directors zu, welche gewöhnlich
nach dem Ausschreiben einer freien Bewerbung voll-
zogen wird ; es setzt die Bedingungen des Vertrages fest,
welche jedem neuen Director von der Stadt vorgeschrieben
werden. Femer wacht es über das Repertoire und die
Wahl der Stücke; es hat dafür zu sorgen, dass unfähige
Darsteller durch bessere ersetzt werden ; es hat das Recht,
ernste Verwarnungen zu ertheilen und selbst mit der
Entziehung der Concession zu drohen, wenn sich der
Director grober Vergehen schuldig macht; doch hat nur
der Stadtrath das Recht, die Drohung zur Ausführung zu
bringen.
Die letzte Periode des Düsseldorfer Theaters nach
dem Untergange des städtischen Unternehmens unter
Immermanns Leitung bietet wenig Erfreuliches zu be-
richten dar. Vorläufig trat der schon früher erwähnte
Director Derossi in seine Stellung wieder ein. Sein Nach-
folger im Jahre 1841, der bisherige Regisseur W. Henkel,
war beim Publicum wenig beliebt; im Jahre 1845 konnte
er seinen Verpflichtungen nicht mehr nachkommen. Auch
seine Nachfolger Grabe wsky (1840 — 46), Gustav Brauer
(1846—47), W, Böttner (1847—49), W. Löwe (1849—50)
konnten das Theater auf keine sichere Grundlage bringen
und traten nach grossen pecuniären Verlusten zurück.
Nicht viel besser erging es dem Director Ludw. Kramer
(1850 — 54), welcher wegen Mangels an Betheiligung,
woran zum Theil wohl die schlechten Leistungen Schuld
sein mochten, freiwillig die Direction niederlegte, da ihm
die Stadt keine Erleichterungen gewähren wollte.
Ihm folgte E. Th. L'Arronge (1854—55), bisher
Director des Stadttheaters in Aachen. Nach Immerroann
ist er der bedeutendste Leiter der Düsseldorfer Bühne
Theater und Musik. 411
gewesen^ aber auch ihm gelang es trotz der weitgehendsten
Unterstützung von Seiten der Stadt nicht, die Ausgaben
durch die Einnahmen zu decken. Die Miethe von 6 Thalern
für jede Vorstellung wurde ihm ganz erlassen ; als einzige
Bedingung blieb nur die Verpflichtung, während jeder
Saison zwei Beneflzvorstellungen für die Armenkasse und
eine für den Pensionsfonds des städtischen Orchesters zu
geben. Er zog es schon nach einer Saison vor, die ihm
mehr Aussicht auf pecuniären Erfolg bietende Stelle als
Director des Danziger Theaters zu übernehmen. Georg
Jacob Meisinger (1855 — 59) trat an seine Stelle; dieser
stand bei dem Publicum als Darsteller unter Derossi und
später unter Immermann noch im besten Andenken und
man setzte die grössten Hoffnungen auf ihn, besonders
da ihm zu gleicher Zeit von der Regierung die Concession
für Elberfeld ertheilt worden war. Da er sich als einen
sehr tüchtigen Dirigenten zeigte, so wurde ihm nicht nur
das Orchesterbeneflz erlassen, sondern auch ein jährlicher
Zuschuss von 300 Thalern zu den Beleuchtungskosten
bewilligt. Trotzdem hatte er gleich im ersten Monate
der Saison ein Deficit von 1500 Thalem, so dass sich das
Theatercomitö veranlasst sah, am 25. October 1855 unter
Hinweis auf die ausserordentlichen Bestrebungen Mei-
singers zur Hebung der Bühne das Publicum zu zahl-
reicherem Besuche der Vorstellungen aufzufordern; er
konnte sich trotz der grössten Anstrengungen nur bis zum
Jahre 1859 behaupten.
Nach seinem Rücktritte folgte der Director Greiner
(1859—61); dann Bensberg (1861—64). Der Letztere
endigte mit völligem Ruin; um das Haus zu füllen, wendete
er schliesslich das verfängliche Mittel an, Billete zu den
Logen und Sperrsitzen unter dem Preise zu verschleudern;
dazu gab er gerechte Klage über mangelhaftes Personal
und noch mangelhaftere Leistungen. Die Folge war, dass
er am 25. März 1864 heimlich entwich, eine grosse
Schuldenlast und völlige Verwirrung zurücklassend. Um
die unglücklichen Schauspieler, welche den grössten Theil
ihrer Gage eingebüsst hatten, vor gänzlichem Elend zu
schützen, wurden denselben von der Stadt 500 Thaler
als Unterstützung bewilligt und der Regisseur Denkhausen
mit der Fortführung der Direction bis zum Ende der
Saison beauftragt.
In dieser peinlichen Lage nahm man das Anerbieten
des L'Arronge dankbar an ; dieser hatte nach seiner
Rückkehr von Danzig vom Jahre 1 858 — 63 das Stadt- und
Thatiatheater in Köln geleitet und dort ausserdem das
Victoriatheater aus eigenen Mitteln erbaut und in dem-
412 Theater und Musik.
selben von 1861 — 63 während der Sommermonate Vor-
Stellungen gegeben. Seine Rückkehr wurde mit Freuden
begrüssty da man unter seiner Dii*ection einen neuen
Aufschwung des Theaters nach der letzten Misswirthschaft
erwartete. Damit das DOsseldorfer Theater nicht zu einer
Filiale von Köln herabgedrückt werden könnte, musste
er sich verpflichten, fOr Düsseldorf ein selbststandiges
Personal zu halten und seinen Wohnsitz hierher zu ver-
legen. L'Arronge bot in der nächsten Saison Alles auf,
dem Publicum gediegene Eunstleistungen zu bieten: be-
deutende Oäste wie Döring traten wiederholt auf; zugleich
gab er im Laufe des Winters die Direction in Köln ganz
auf, um seine Kraft dem hiesigen Theater allein widmen
zu können in der Hoffnung, sich hier eine dauernde Heimath
zu gründen. Das Theater, an dem Immermann gewirkt
hatte, hörte nicht auf, seine Anziehungskraft auszuüben.
Trotz eines Zuschusses von 400 Thalem von der Stadt
hatte er schon am Ende der ersten Saison einen Verlust
von 3000 Thalern. Aber dennoch liess er sich nicht ent-
muthigen; er hoffte, durch eine Verbindung mit einigen
benachbarten Städten in der nächsten Saison das ent-
standene Deficit wieder decken zu können. Im nächsten
Winter (1865—66) gab er daher zu gleicher Zeit in Essen
und Duisburg Vorstellungen. Da er hier einen gewissen
Ueberschuss erzielte und da ihm ausserdem von December
an ein monatlicher Zuschuss von 400 Thalern bewilligt
wurde, von dem die Orchestergage bezahlt werden sollte,
so kam er durch diese Saison glatt hindurch. Im nächsten
Sommer gab er selbst mit seiner Frau an fremden Bühnen
Oastrollen und setzte die Aufführungen in Duisburg und
Essen fort, so dass er mit frischem Muthe die neue Saison
in Düsseldorf antrat. Aber es war dies die letzte; am
Ende derselben legte er die Direction nieder, um nach
Amerika auszuwandern, wo er ein ergiebigeres Feld für
sein Talent zu finden hoffte.
Es folgen nun der Direktor Sasse aus Stettin (1867 — 71),
Franz KuUak (1871—73), Scherbarth (1873—76), welche
ohne Ausnahme zu Grunde gingen. Unter Scherbarths
Direktion wurde endlich das lange ersehnte neue Theater-
gebäude vollendet. Wie wir gesehen haben, reichen die
ersten Projekte eines Neubaues bis zum Jahre 1820 zu-
rück. Nachdem sich nun immer mehr herausgestellt hatte,
dass es nicht möglich sei, im alten Theatergebäude eine
den gerechten Ansprüchen Düsseldorfs entsprechende
Gesellschaft zu halten, tauchten schon im Jahre 1864 die
ersten Gedanken an den Bau eines neuen Theatergebäudes
wieder auf. In einer Flugschrift, welche in diesem Jahre
Theater und Muath, ^ 413
erschien, wies A. Fahne auf die Schäden hin, weiche das
viel zu kleine alte Gebäude im Gefolge hatte; nach
Immermann hatten die Dircctoren nur ausnahmsweise
Gutes, meist sehr Mittelmässiges, oft ganz Unwürdiges
geliefert. Fremde Kräfte auftreten zu lassen, war für
die Directoren nicht ohne die grössten Opfer möglich
gewesen, da die mögliche Totaleinnahme wegen des be-
schränkten Raumes die durch ein Gastspiel hervorgerufenen
Mehrkosten nicht decken konnte. Der bessere Theil der
OeseUschaft hielt sich überhaupt von dem Theater fem.
Noch im Dezember desselben Jahres folgte eine Petition
an den Ober-Bürgermeister, welche die Namen der an-
gesehensten Bürger zur Unterschrift hatte. Die Folge
war, dass am 21. Februar 1865 die Stadtverordneten-
Versammlung 120000 Thaler für einen Neubau bewilligte,
welche durch eine Anleihe gedeckt werden sollten. Der
Entwurf des Prof. Giese erhielt schliesslich nach einigen
Aenderungen den Vorzug. Aber die Verhandlungen kamen,
nachdem noch am 26. November 1867 die Mehrkosten von
1 8 000 Thalern für die Ausführung des Giese'schen Planes
bewilligt worden waren, wieder ins Stocken. Erst am
15. Juli 1873 wurde die Ausführung dieses wieder und
wieder umgeänderten Planes, welche jetzt auf 270000
Thaler berechnet wurde, endgültig beschlossen und schon
im September in Angriff' genommen. Am 1. November
1875 war der Bau so weit vollendet, dass die Vorstellungen
darin begonnen werden konnten. Wir lassen hier einen
interessanten Bericht folgen, welcher zur Eröffiiungsfeier
in einer Lokalzeitung erschien: „Die Gründungsarbeiten
begannen im September 1873 und zwar unter sehr erheb-
lichen Schwierigkeiten, da sowohl der Baugrund selbst,
als auch das reichlich vorhandene Wasser der Bewältigung
arge Hindernisse entgegenstellten; besonders in ersterer
Beziehung ergab sich der Uebelstand, dass der auszu-
hebende Grund ausschliesslich aus ausgefülltem Boden
und ausgeschütteten Festungsgräben bestand und deshalb
sogar Sprengarbeiten vorgenommen werden mussten, um
einen bauwürdigen Grund für die 144 Grundpfeiler zu
fewinnen, auf denen das ganze Gebäude fundirt ist. Die
ohle der meisten dieser Pfeiler befindet sich bis zu acht
Meter unter der Krone der Alleestrasse, weil man erst in
solcher Tiefe auf gewachsenen Boden stiess, ja einzelne
Gebäudetheile sind sogar direkt auf altes Festungsmauer-
werk gesetzt, in welchem man Wölbungen und Wendel-
treppen .^von einem früheren Treppenthurm herrührend)
vorfand. Die Grundpfeiler sind durch starke Wölbungen
mit einander verbunden. Trotz aller dieser Schwierig-
414 Theater und Musik,
keiten Jconnte doch im April 1874 mit dem Oberbau be-
gonnen werden und schon gegen Mitte September 1875
war die Aufstellung sämmtlicher Dächer beendet.^ —
^Der .Zuschauerraum ist für 1500 Personen berechnet.
Das Orchester fasst bequem 50 Musiker. Es hat eine
vorzügliche Resonanz, wie denn überhaupt die Akustik
im ganzen Hause eine vortreffliche genannt werden kann.
Zu beiden Seiten des Orchesters sind die sog. Stimmzimmer
angebracht, welche den wohlthfttigen Zweck haben, dem
Publikum den sehr zweifelhaften Ohrenschmaus des
Instrumentenstimmens zu ersparen.^ — „Die Bühne selbst
ist 15,70 Meter tief und 22,50 Meter breit. Die Breite
der Bühnenöffnung beträgt 10,50 Meter. Die Bühnen-
einrichtung hat Herr Maschinenmeister Brandt von Darm-
stadt geleitet. Es ist dies derselbe berühmte Meister,
welcher auch von Richard .Wagner nach Bayreuth be-
rufen wurde, um dessen Meisterbühne für die Darstellung
der Nibelungen-Trilogie einzurichten; es verdient daher
die grösste Anerkennung, dass die Lösung dieser für ein
Theater wichtigsten Aufgabe solch einer eminent befähigten
Kraft anvertraut wurde. — Die Bühneneinrichtung des
hiesigen neuen Theaters ist aber auch geradezu vollendet
zu nennen und genügt allen Anforderungen, welche heut-
zutage in potenzirter Form an die Bühnentechnik gestellt
werden, in der erschöpfendsten Weise. Die Gardinen
und Prospekte können ungeroUt in voller Höhe aufgezogen
werden. Die zusammengehörigen Dekorationen sind durch
Maschinerien derartig miteinander verbunden, dass sie
durch eine einfache Eurbeldrehung zu gleicher Zeit, d. h.
also mit einem Ruck zusammengestellt auf der Scene
erscheinen. — Hinter der eigentlichen Bühne ist noch ein
grosser Raum, welcher nöthigenfalls noch als Fortsetzung
der Bühne benutzt werden kann. In dem Bühnenpodium
sind fünf Versenkungen und mehrere sogenannte Kassetten-
klappen angebracht, welch' letztere zum Versenken von
Versatz- und Dekorationsstücken dienen. Unter diesem
Podium befindet sich die ganze Untermaschinerie in zwei
Etagen, auch sind in diesem Räume Ausgänge nach dem
Orchester und der Eingang zum Souffleurkasten angebracht.
Ueber der Hinterbühne befindet sich der geräumige Maler-
saal, in welchem die Prospekte und Oardinen in voller
Grösse ausgebreitet gemalt werden.*' — „Fügen wir
schliesslich noch hinzu, dass das ganze Haus durch sieben
Kaloriferen nach neuestem, rauchunmöglichem System,
mit Wasserverdampfung (von Reinhardt in Würzburg) ge-
heizt wird, so haben wir ein ungefähres Bild von der
Grösse, Schönheit und Zweckmässigkeit des neuen Ge-
Theater und Musik, 415
bäudes. Im Ganzen sind auf den Bau selbst über eine
Million Mark verwendet worden."
Die Hoffnung, das Theaterwesen durch diese grossen
Opfer endlich auf eine sichere Grundlage gebracht zu
haben, sollte sich jedoch vorläufig noch nicht verwirk-
lichen. Der Director Scherbarth wurde, trotzdem er zu
gleicher Zeit im alten Theater Vorstellungen gab, noch
im Laufe der ersten Saison bankerott, da er seinen Ver-
pflichtungen nicht nachkommen konnte: sein sehr reich-
haltiges Inventar, bestehend in der Theaterbibliothek,
Garderobe und anderen Requisiten, ging fQr die Summe
von 20,000 Mark in den Besitz der Stadt über. Der
Director Ubrich in Aachen lehnte die ihm angebotene
Direction ab, da er ohne grosse Verluste nicht durchzu-
kommen fürchtete. In dieser Noth nahm man die Be-
werbung Karl Erdmanns an, welcher sich als erster
Tenor unter Eullack einer grossen Beliebtheit bei dem
Publikum erfreut hatte; die Befürchtung, dass er sich
nicht lange behaupten werde, verwirklichte sich schon
am Ende der ersten Saison, trotzdem ihm am 5. Dezember
1876 die Theatermiethe auf unbestimmte Zeit erlassen
worden war.
Ihm folgte Albert Schirmer (1877 — 1880), welcher
zwar den gesteigerten Ansprüchen des Publikums gerecht
wurde und das gänzlich geschwundene Vertrauen des
besseren Publikums wiederzugewinnen verstand, aber doch
so grosse pecuniäre Verluste erlitt, dass er am 10. Nov.
1880 um Aufhebung des Contractes bat. Das Theater-
Comitä sprach sich in seiner Sitzung vom 12. Nov. d. J.
dahin aus, dass eine Aufhebung des Vertrages mit
Schirmer nicht wünschenswerth sei, da nicht gehofft .
werden könne, dass für die Theaterverhältnisse dadurch
irgend eine Besserung eintreten werde, da für jeden
kommenden Theaterdirector die nämlichen Schwierigkeiten
sich darbieten würden, wie für Herrn Schirmer. Eine
wesentliche Unterstützung von Seiten der Stadt, welche
vom Comit6 vorgeschlagen wurde, ging jedoch in der
Stadtverordneten - Versammlung nicht durch; das Ent-
lassungsgesuch wurde angenommen.
Am 18. Jan. 1881 bewarb sich nun Karl Simons, ein
geborener Kölner, um die Direction. Er war lange Zeit
als Sänger und Regisseur an den ersten Theatern Deutsch-
lands, wie z. B. München, Köln, Breslau und Hamburg
thätig gewesen und hatte schon die Leitung des Flora-
Theaters in Köln und zuletzt das Grand Thöatre in Gent
mit Erfolg in den Händen gehabt. Sein Anerbieten wurde
Angenommen, und damit endlich das Unternehmen auf
416 Theater und MueQe.
eine sichere, geschäftsmässige Grundlage gestellt Die
wichtigsten Bestimmungen des mit ihm abgeschlossenen
Vertrages sind folgende: die Pacht betrftgt jährlich
8000 Mark; jedoch wird dem Director das Gas (löOOO
Kubikmeter) und das Wasser von der Stadt Ifrei geliefert.
Finden im Theater von der Stadt veranstaltete öffentliche
Feste statt, so erhält der Director für jeden Abend
2000 Mark Vergütung. BQffet und Restauration gehören
dem Pächter. Für das städtische Orchester hat derselbe
monatlich 3000 Mark zu zahlen; den Dirigenten hat er
selbst zu stellen. Zur Ergänzung des Inventars werden
ihm Forderungen bis zur Höhe der Pacht jährlich ver-
gütet, aber 30% unter dem Selbstkostenpreis. Zur
Sicherheit hat der Director eine Caution von 12000 M.
zu hinterlegen.
Der geschäftskundigen Hand und dem eifrigen Streben
des Karl Simons, welcher keine Mühe und Opfer scheut,
wenn es gilt, dem Publikum durch das Auftreten der
ersten Capazitäten oder durch Inscenirung der besten
Novitäten einen erhöhten Eunstgenuss zu verschaffen,
verdankt das Düsseldorfer Theater seine endlich nach
langen Kämpfen und Wirren gegründete Lebensfähigkeit
Es bleibt uns jetzt noch übrig, auf die musikalischen
Verhältnisse Düsseldorfs im Laufe dieses Jahrhunderts
einen Blick zu werfen ; dass gerade in Düsseldorf sowohl
von Seiten der Stadt als auch durch Privatvereine für
die Musik mehr als in irgend einer anderen Stadt von
gleicher Ausdehung geschehen ist, steht als Thatsache
fest. Die Einrichtung der gediegenen wöchentlichen
Concerte der städtischen Capelle in der Tonhalle für
einen Preis, der sie jedem Bürger zugänglich macht, hat
nicht wenig zum Ruhme Düsseldorfs als eine Stadt der
Kunst und der Musen beigetragen.
Das Grösste, was am Rhein zur Verbreitung und
Popularisirung der Musik geschehen ist, sind bekanntlich
die Niederrheinischen Musilcfeste, welche zwar von dem
Musikdirector Schornstein aus Elberfeld im November
des Jahres 1817 zuerst angeregt wurden, aber doch an
Düsseldorf den nachhaltigsten Rückhalt gehabt haben^
da bekanntlich Elberfeld seit dem Jahre 1827 aus der
Reihe der Städte ausgeschieden ist, welche jährlich zur
Zeit des schönen Pfingstfestes abwechselnd das Musikfest
in ihren Mauern feiern, sodass nur Düsseldorf, Köln und
Aachen, welches 1825 dem Bunde beitrat, übrig ge>
blieben sind.
Die geschichtliche Entwickelung dieser Feste ist
schon mehrfach behandelt worden ; wir möchten den Kunst-
Theater und Musik, 417
freund, welcher Genaueres über den Verlauf derselben
zu erfahren wünscht, auf folgende beiden Schriften ver-
weisen: 1) Dr. jur. Becher: Aesthetische und historische
Abhandlung über die Niederrheinischen Musikfeste, 1836.
2) Blätter der Erinnerung an die fünfzigjährige Dauer
der Niederrheinischen Musikfeste, Köln 1868 (von Hauche-
corne, einem der Gründer dieser Feste verfasst); in der
letzteren Schrift gibt der Autor eine vollzählige Liste der
bis dahin aufgeführten Programme, sowie die Namen der
mitwirkenden Solisten und Dirigenten. Die hervorragend-
sten Kräfte haben gerade den Düsseldorfer Aufführungen
durch ihre persönliche Leitung einen besonderen Glanz
verliehen. Es sind dies der Reihe nach Burgmüller, Spohr
und Ries, Mendelssohn, Rietz, Schumann, Hiller und Tausch.
Einige biographische Bemerkungen über diese Männer,
soweit sie Düsseldorf im Besonderen interessiren, mögen
den Schluss dieser Skizze bilden.
Aug. Friedr. Burgmüller (geb. 1760 zu Magdeburg,
t 21. Aug. 1824 zu Düsseldorf) siedelte schon im Jahre
1806 als städtischer Musikdirector über; zu gleicher Zeit
war er als Gesanglehrer am Königlichen Gymnasium
angestellt. Er war ein äusserst thatkräftiger Mann und
vortrefflicher Dirigent , wegen seines ausgezeichneten
Humors ausserordentlich beliebt. Einige recht interessante
Anekdoten hat uns Wolfgang Müller von Eönigswinter
im 1. Bande seiner „Erzählungen eines Rheinischen Chro-
nisten'' nach mündlichen Traditionen überliefert. Er war
einer der thätigsten Gründer der Niederrheinischen Musik-
feste gewesen. Ein hochbegabter Musiker war sein leider
so früh verstorbener Sohn Norbert, dem in dem eben
erwähnten Buche ein schönes Denkmal von Freundeshand
gesetzt worden ist. Norbert hinterliess eine grosse Anzahl
tief empfundener Compositionen ; namentlich sind seine
Lieder wegen ihrer zarten Innigkeit einer grösseren Ver-
breitung werth. Er selbst hatte in seiner kindlichen
Bescheidenheit nicht daran gedacht, die ihm im lieber-
mass zuströmenden musikalischen Gedanken der Oeffent-
Uchkeit zu übergeben; erst der Verlagshandlung von
Fr. Eistner gebührt das Verdienst, seit 1872 umfangreichere
Veröffentlichungen aus seinem reichen Nachlasse ver-
anstaltet zu haben.
Nach einigen Unterbrechungen wurde im Jahre 1833,
wie schon früher erwähnt, Felix Mendelssohn-Bartholdi
als städtischer Musikdirector für einige Jahre (1833 — 1835)
an Düsseldorf gefesselt. Die Düsseldorfer Musikfeste hat
er nach seinem Fortgange noch bis zum Jahre 1842 ganz
oder theilweise geleitet. Ihm folgte Julius Rietz, welcher
27
418 Theater tiw(7 Mitaik.
schon einige Jahre die Direction der Oper an dem Theater
Immermanns in den Händen gehabt hatte. Er übernahm
1836 in dem jugendlichen Alter von 25 Jahren die städ-
tische Musikdirectorstelle. Immermann schätzte den jungen
Künstler sehr hoch, der sieh durch Armuth und schwere
Hindernisse siegreich durchkämpfend schnell eine geach-
tete Stellung erworben hatte. Viele seiner besten Com-
positionen sind hier im geistig belebenden Verkehr ent-
standen. Die Leitung der städtischen Concerte, sowie
der Niederrheinischen Musikfeste war gerade geeignet,
sein eminentes Directionstalent völlig zu entwickeln.
Leider gelang es nicht, den tüchtigen Mann dauernd an
Düsseldorf zu fesseln, da er schon im Jahre 1847 einem
ehrenvollen Rufe als Kapellmeister am Stadttheater zu
Leipzig und zugleich als Leiter der dortigen Singakademie
Folge leistete.
Ihm folgte im Jahre 1850 Robert Schumann (1810 — 1856;
als städtischer Musikdirector. Anfangs fühlte sich dieser
grosse Meister in seiner neuen Stellung recht behaglich:
aber nur zu bald kam es zu Misshelligkeiten, in Folge
dessen der Verwaltungsrath des Düsseldorfer Musikvereins
ihn plötzlich seiner Function als städtischen Musikdirector
enthob. Sein unglückliches Ende, welches von unheilbarer
Krankheit herbeigeführt wurde, ist allbekannt; nach seinem
Tode liess sich seine Wittwe Clara Schumann für einige
Zeit in Düsseldorf nieder. An seine Stelle trat Julius
Tausch, welcher im Jahre 1827 in Dessau geboren, schon
seit 1846 in Düsseldorf als Pianist und Leiter der Künstler-
Liedertafel einen geachteten Namen sich erworben hatte.
In den Jahren 1853 — 1855 übernahm er die Vertretung
R. Schumanns, zu dessen Nachfolger er 1855 endgültig
ernannt wurde. Seine zahlreichen Compositionen , be-
stehend aus Kirchenmusiken, Ouvertüren und anderen
Orchestercompositionen, sowie aus gemischten Chören,
Männerchören, Liedern und Ciavierstücken sind bei
weitem noch nicht alle im Druck erschienen. Gar
manchen schönen und gediegenen Kunstgenuss verdankt
ihm das Düsseldorfer Publikum, sowohl als Leiter (seit
1853) der Abonnementsconcerte, als auch Mitdirigent der
in Düsseldorf gefeierten Niederrheinischen Musikfeste.
Geschichte der militärischen Verhältnisse
der Stadt Düsseldorf.
Voll
Hauptmann Kobtz.
tf VII., Graf von Berg, beabsichtigte nach
3r für ihn ao ruhmreichen Schlacht von Wor-
ngen am Bhein einen neuen festen Platz zu
runden, als Ersatz für die zerstörten Vesten
—onheini und Mülheim. Aus diesem Qrundc
ertheilte er am 18. August 1288 dem Flecken Düsseldorf
den Freibrief und machte ihn zur Stadt. Die Ausdehnung
der damaligen Stadt war sehr gering, auf dem rechten
Ufer der nördlichen DUssel zog sich die Ringmauer am
Rhein beginnend bis zur Liefergasse, dann im rechten
Winkel bis zur Ritterstrasae, von wo sie sich bis zur
Krftmerstrasse erstreckte und parallel dem Rhein ihren
Abschluss fand. Durch die Vorliebe der Herzöge von
Berg für Düsseldorf vergrösserte sich die Stadt, die, wie
eine alte Chronik nagt, „eine schöne und lustige fürst-
liche Burg" war. Es ist anzunehmen, dass das Schloss
schon zur Zeit der Ertheilung des Freibriefes, wenn auch
in geringerem Umfange, bestand. Die älteste bekannte
Urkunde, in welcher des Schlosses Erwähnung gethan
wird, ist aus dem Jahre 1386 und werden in derselben
für die Entwickelung Düsseldorfs wichtige Bestimmungen
getroffen. In dieser Urkunde sind die Verhandlungen über
RheinzoU enthalten, welcher früher bei Monheim und dann
bei Angerort erhoben wurde, und der nun auf Düsseldorf
überging. Herzog Wilhelm bestimmte das Schloss Düssel-
dorf als denjenigen Ort, wo ihm alle auf diesen Zoll
bezüglichen Zustellungen gemacht werden sollten. Die
Einkünfte dieses Zolles, die verschiedenen kirchlichen
420 Geachichte der militärfachen Verhältniase der Steult DHaaeldorf,
Gründungen zu dieser Zeit, die Erhebung des Grafen
Wilhelm zum Herzog, bewirkten die Vergrösserung der
Stadt, die jedoch zu der Zeit die nördliche Dussel nicht
überschritt. Um eine Erweiterung der Stadt nach Süden
herbeizuführen, erliessen Herzog Wilhelm und seine Ge-
mahlin Anna von Baiern im Jahre 1394 eine Urkunde,
welche allen denen Vortheile und Erleichterungen ge-
währte, welche sich zwischen den beiden Düsselarmen
anbauen möchten. Sie erhielten ebenfalls städtische Frei-
heiten und alle Privilegien der ersten Bürger Düsseldorfs,
indem sie vom Schöppenstuhl zu Bilk an den Schultheiss
und Bürgermeister von Düsseldorf überwiesen wurden und
auf 24 Jahre von allen Abgaben befreit wurden. Diese
neue Stadt wurde auch mit Graben und Mauern versehen,
doch scheint ihre Ausdehnung noch gering gewesen zu
sein. Die Herzöge von Berg nahmen mit der Zeit im
Schloss zu Düsseldorf ihren dauernden Wohnsitz, auch
blieb nach deren Aussterben 1511 unter Clevischer Herr-
schaft Düsseldorf Hauptstadt. Wilhelm HL, Herzog von
Cleve, sah sich in den dreissiger Jahren des 16. Jahr-
hunderts veranlasst, die Befestigung von Düsseldorf um-
zugestalten, da freistehende Stadtmauern, mit Thürmchen
besetzt, gegen die eingeführten und verbesserten schweren
Feuergeschütze keinen Schutz mehr boten. Die Ein-
führung von Erdwerken mit Bastionen war geboten,
und nahmen solche Werke mehr Raum in Anspruch, wie
die steinernen Mauern. Die Stadt erhielt 5 Thore, deren
Lage ein Bild von der Ausdehnung der Befestigung geben.
Das Ratinger Thor stand einige hundert Schritte rück-
wärts seiner jetzigen Lage, das Flingerthor am östlichen
Ausgang der Flingerstrasse, das Bergerthor da, wo die
Akademiestrasse die Hafenstrasse trifft, das Rheinthor
zwischen Arresthaus und Freihafen, das Zollthor an seiner
jetzigen Stelle. Noch besser wird eine Wanderung inner-
halb der Mauern die Ausdehnung der Stadt veranschau-
lichen. Das alte Schloss lag an der nordwestlichen Seite
des jetzigen Burgplatzes auf dem rechten Ufer der Dussel ;
die Krämerstrasse war nur auf der östlichen Seite be-
baut und stand am alten Schlachthause der ZoUthurm.
Von hier aus gelangte man gegen Osten hin durch die
Strasse „achter der Mauer am Pulverthurm", die jetzige
Ratingerstrasse und die Strasse „achter der Mauer bei
den Mönchen" zur nordöstlichen Ecke der Stadt, wo sich
in der Nähe des heutigen Eiskellers abermals ein Thurm
befand. Von hier aus nach Süden zu bildet das heutige
Mühlengässchen , die Ratinger- Mauer und etwa die Neu-
strasse bis zum Stadtbrückchen die Grenze, das Ratinger-
Gtschichfe der milit^Hsehen Verhältnisse der Stadt Düsseldorf. 421
und Flingerthor war durch grosse, feste Thorthürme
geschützt, desgleichen befand sich zwischen beiden Thoren,
etwa zwischen Kunsthalle und Theater, ein vorspringender
Thurm. Den östlichen Abschluss machte am Stadtbrück-
chen wieder ein Thurm. Von hier aus zum Bergerthor
gelangte man durch die jetzige Wallstrasse und findet
sich auf diesem Wege, etwa in Höhe der kleinen evan-
gelischen Kirche, wieder ein vorspringender Thurm. Vom
Bergerthor, welches durch den „Portmanns - Thurm" ge-
deckt war, gelangte man durch die Strasse „ achter der
Mauer am Bergerthor" (jetzt Akademiestrasse), wo auch
ein Thurm lag, zum Rheinthor, gleichfalls durch Thor-
thurm befestigt. Von hier führte die Strasse „achter der
Mauer am Reinkes Oertchen" zum Rhein, wo ein fester
Thurm wiederum die Ecke bildete, am Rhein entlang
kam man am Zollthor mit festem Thurm vorüber. Der
jetzige Markt und Burgplatz waren nach der Rheinseite
zu noch unbebaut und gelangte man so wieder zum
Schloss, nachdem man die zur Krämerstrasse führende
Brücke über die Dussel überschritten hatte.
Die Citadelle wurde nach Vollendung der Stadt
befestigung im alten Schlossgarten angelegt, sie scheint
ein Erdwerk mit trockenem Graben gewesen zu sein und
entstand hierdurch der Hafen an der Stelle, wo heute der
sogenannte Freihafen und das Arresthaus sich befinden.
Dass die Citadelle bereits 1583 angelegt war, ist aus dem
Werke des Landschreibers Graminäus zu ersehen, welcher
„die Jülich'sche Hochzeit" bildlich verewigt hat. Auf einem
Kupfer des Werkes sieht man, wie von der Citadelle her
ein Tross von einziehenden Reisigen mit Freudenschüssen
empfangen wird. Unter der Regierung der letzten Herzöge
von Cleve, besonders unter Johann Wilhelm, scheint die
Verwaltung des Militärhaushalts und des Festungswesens
sehr schlecht gewesen zu sein, wie aus noch vorhandenen
Verfügungen, Berichten und Beschwerden hervorgeht. In
einem Schreiben vom 26. August 1583 wendet sich der
Fürstlich Jülich'sche Artilleriemeister Schultheiss Hartych
Breckewolt an die ehrenhaften und grossgünstigen Herren
Räthe mit dem Vorschlage, man möge in Düsseldorf doch
ein Fähnlein von 200 — 300 Knechten errichten, damit
desto besser Regiment zu halten, denn wo die Knechte
nicht bei einem aufgerichteten Fähnlein gelebt und ge-
schworen, möchte nicht leichtlich gute Tüchtigkeit ge-
funden werden. Und 200 — 300 Knechte wären nöthig,
denn mit 100 Soldaten möchte diese Stadt Düsseldorf
sammt dem fürstlichen Schloss nicht, wie es sich gezieme,
besetzt werden ; sintemal sich ein Theil der Bürger allbier
422 Geschichte der mllitö rittchen Verhältnisse der Stadt DUssMorf,
ZU verlauten gelüsten lassen, dass wenn sein gnAdiger
Herr Knechte hineinlegen werde, so wollten sie dieselben
wieder herausjagen. Wie denn ihm noch gestern Hochstein
allhier im schwarzen Hörn angesagt im Beisein des Amt-
manns Blankenberg, dass er, Hochstein, von Andern
gehört hätte, wie sich etliche Bürger allhier sollten haben
verlauten lassen, sofern Knechte hierherkämen, so wollten
sie die Knechte mit sammt dem Schultheiss todtschlagen.
Unterm 24. August 1584 schreibt Breckewolt wieder an
die fürstlichen Räthe und schläft ihnen vor, die 12 Sol-
daten, wovon täglich 6 die Wache an den Thoren hatten,
auch zu den Nachtwachen heranzuziehen, namentlich aut
dem Schloss und zur Aufsicht eines oder zweier Bürger,
damit sie daselbst keine langen Finger, machten. Dann
sollten sie auch Nachts mit den Bürgern an den schwächsten
Stellen des Walles Wache thua, es wäre rathsam, wenn
auch 2 oder 3 Soldaten des Herzogs, von denen welche
zu W^illich lägen, dem Schultheiss untergeordnet würden,
um unbekannte oder verdächtige Personen, die sich in
der Stadt betreffen Hessen, nöthigenfalLs einzuziehen, indem
dies nicht Sache der Bürger sei, die ihrer Nahrung nach-
gehen müssten. Li einem dritten Schreiben ohne Datum
beklagt sich der Artilleriemeister, dass er seit 1583 mehrere
Jahre hindurch vergeblich um Verbesserung der zur Forti-
fication der Stadt Düsseldorf nöthigen Utensilien und
Geräthe gebeten habe, er ergreife daher die Gelegenheit,
die Herren Räthe nochmals darauf aufmerksam zu machen,
da nämlich die Winterzeit dazu geeignet sei, Verbesse-
rungen vorzunehmen. Dem Augenschein nach würden
die Wände des Artilleriehauses binnen 14 Tagen einfallen
und das Dach desselben sei so baufällig, dass die noch
vorräthigen Geschütze, Haken, Rohre und andern Dinge
vergänglich und zerstört würden, auch könne er nicht
dafür einstehen, falls etwas vorkäme oder gestohlen
würde. Er müsse die desfallsige Schuld allein auf den
Burggrafen zurückweisen, der keiner seiner Vorstellungen
bisher Gehör gegeben habe. Der Giebel des Werkhauses
drohe dem Einsturz; es sei auch nicht ein Pfund Lunte
vorhanden und müssten wenigstens 200 — 300 Pfund be-
stellt werden. Der Büchsenmeister bedürfe zweier lederner
Pulversäcke. Bei Ankäufen von Salpeter durch den Burg-
grafen solle der Pulvermeister zugezogen werden, um die
Qualität zu untersuchen. Der Artilleriemeister oder
Artillerie - Schmied solle sich vor der Anfertigung des
Pulvers mit dem Pulvermacher über die anzufertigenden
Sorten benehmen und das fertige Pulver vor der Abliefe-
rung probiren. Schliesslich bemerkt er noch: auf dem
Geschichte der militärischen Verhältnisse der Studt Düsseldorf. 423
Walle Wäre grosse Unordnung, Ferkel, Schafe, Ziegen
spazieren darauf herum, wie es doch keiner Orten ge-
bräuchlich sei, auch Bänder, wie Jung und Alt träten die
Brustwehren nieder ; die Wallthtire stände jederzeit offen,
auch habe Jedermänniglich, geistlichen und weltlichen
Standes, Schlüssel davon und gebrauche sie, deswegen
wäre es sehr nöthig, dass sein gnädiger Fürst und Herr
die fürstlichen Räthe in allen diesen Dingen bessere Ord-
nung bestellten.
In einem vierten Schreiben beklagt Breckewolt sich
nochmals dringend über den schlechten Zustand des
Artilleriewesens, da ein Theil des Geschützes, besonders
des auf dem Rheinörtchen, so beschaffen sei, dass man
es noch ^zur Freuden, zu Schimpf oder Ernst" aber nicht
mehr gebrauchen könne. Von 5 Feldschlangen und
6 Serpentinen, die auf den Wällen ständen, seien die
Achsen und Boden so verfault, dass die darauf liegenden
Stücke durchfielen. — Das Schreiben schliesst wie alle
mit dringlicher Bitte um Reparatur.
Bei Antritt der Regierung des letzten Herzogs Johann
Wilhelm von Cleve reicht Breckewolt nochmals ein Ver-
zeichniss aller Uebelstände ein, zugleich verwahrt er sich
gegen die Folgen der Nachlässigkeit und bittet mit allem
Fleiss zu erwägen, dass den Schäden abgeholfen und
Material angeschafft w^erde; auch möge Gott verhüten,
schreibt er weiter, dass man Geschütze und Werk zum
Ernst gebrauchen müsse. — Endlich entschliesst sich die
Verwaltung im Jahre 1596 zu einer Besichtigung. „Am
25. Juli 1596 ist der Herr Canzler Broill sammt dem
Vice-Canzler L. Pütz neben dem Hauptmann Caterbach,
Schultheiss Breckewolt und Bürgermeister zu Düsseldorf,
auch dem Baumeister Pasqualin über den Stadtwall all-
hier, gleichfalls die Citadelle gegangen, um die Gelegen-
heit und Mängel zu besichtigen." Ueber die Besichtigung
erfolgte ein ausführlicher Bericht, aus welchem zur Zeit
der geringe Werth der Festung ersichtlich ist. Es wird
hervorgehoben, dass an vielen Stellen, aus Mangel an
Leuten, die Schildwachen fehlen ; ein Wachthaus ist durch
„die Beesten" verunreinigt, kein Tisch noch Brettchen
sei darin, daher müssten die Wachmannschaften auf der
Erde in Koth und Unfiath aufeinander liegen, da sonst,
wenn Tisch und Bretter darin wären, sie etwas anwenden
könnten, damit sie wach blieben. Der Bürgermeister will
für Abstellung sorgen. Ferner wäre es gut, wenn keine
Kühe auf die Wälle kämen, so dieselben beschädigten.
Die Gräben auf den Wällen sollen besser im Stande ge-
halten werden, damit nicht in Regenzeiten, wie es ge-
424 Geschichte der militärischen Verhaltnisse der Stadt DUaseld&rf.
schehen, das Wasser stehen bleibe und nicht, wer solche
Brustwehren vertheidigen solle, im tiefen Schmutz zu
stehen habe, und auch wenn es friere und dann das
Wetter abgehe, die Brustwehr nicht einfalle. Am Mühlen-
bastion sei der Wall so niedrig und draussen so hoch,
dass man vom Felde auf die innere Stadtmauer und den
Mühlenplatz sehen könne; da solle der Graben vertieft
und die Erde auf den Wall geworfen; ferner an unter-
schiedlichen Orten Mauern mit Hameye (Stakete) an-
gebracht werden, damit nicht Jeder auf den Wall laufe.
Trotz dieses Berichtes entschloss sich die Verwaltung
doch nicht zu durchgreifenden Verbesserungen, nur wurde
am 7. October desselben Jahres ein Edikt erlassen, wo-
nach Sträflinge zum Festungsbau verwandt werden sollten.
Werfen wir bei Beginn des 17. Jahrhunderts einen
Blick auf Düsseldorf, so finden wir, dass der äussere
Umfang etwa derselbe geblieben ist, nur haben die
Festungswerke, wie schon gesagt, eine andere Gestalt er-
halten. Im Jahre 1527 erschien das erste deutsche Buch
über Befestigungskunst, verfasst von Albrecht Dürer. In
diesem „Unterricht zur Befestigung der Schloss, Stadt
und Flecken" wurde gelehrt, statt der Mauern Wälle und
statt der Thürme Rondells anzulegen. Johann in. hatte
bei der Belagerung von Münster 1535 die Vortheile dieser
neuen Befestigungsart kennen gelernt und ist anzunehmen,
dass der Anfang zur Neubefestigung von Düsseldorf in der
angegebenen Art auf Johann ni. zurückzuführen ist. Sein
Nachfolger Wilhelm lll. wurde durch seine kriegerischen
Unternehmungen genöthigt, seine Hauptstadt bestens zu
befestigen. Auf den Landtagen von 1540 an wird viel-
fach mit den Ständen über die Mittel zum Festungsbau
verhandelt, 1560 wird sogar die für damalige Zeiten sehr
hohe Summe von 30000 Thalern bewilligt. Die Thürme
wurden in Rondells verwandelt, auch wurden Bastione
mit casemattirten Flanken angelegt. Wir finden solche
Bastionen am Mühlenplatz, am heutigen AUeeplätzchen,
am Bergerthor, mit der Spitze bis auf den heutigen
Carlsplatz auslaufend, und am Rhein das Rhein-Oertchen.
Am Rhein wurde das Werft vom Rhein -Oertchen
bis zum Schlosse ausgebaut. Die nördliche Front blieb
unverändert und diente der feste Thurm am Rheine als
linke, das Rondell auf dem Eiskeller als rechte Flanken-
deckung. Wir haben gehört, in welcher mangelhaften
Verfassung die . Werke sich bei Beginn des 17. Jahr-
hunderts befanden, jedoch scheinen in den Jahren 1599
bis 1602 Verbesserungen ausgeführt worden zu sein, da
Gesefiichte der milüärisehen Verhäftnisse der Stielt Düsseldorf. 425
sich die Stände mit der Regierung über die Kosten im
Zwiespalt befinden.
Zum Schutz der Festung waren die Bürger in 4 Com-
pagnien^ strassenweise formirt, an deren Spitze je ein
Rathsmitglied als Hauptmann, mit Lieutenant und
Fähnrich stand. Sie sollten den Wachdienst ausüben
und hatten auf den Wällen ihren bestimmten Platz.
Graminäus zeigt sie uns, zum Theil mit Feuerröhren,
zum Theil mit Spiessen bewaffnet. Johann Wilhelm, der
letzte Clevische Herzog, starb kinderlos am 25. März 1609.
Der Hof Junker Adolf von Eynatten wurde sofort zum Kaiser
nach Prag geschickt, um Botschaft von diesem wichtigen
Ereignisse zu bringen, er kehrte nach 14 Tagen mit
näheren Befefden des Kaisers zurück. Inzwischen hatte
der Kurfürst von Brandenburg durch seinen Bevollmäch-
tigten Stephan von Hartefeld in Begleitung des Notars
Gerhard Beckmann aus Köln und der mitgebrachten
Zeugen von Düsseldorf Besitz ergreifen lassen und wurde
das Brandenburgische Wappen an die ^Bergerporz^ an-
geschlagen. Am nächsten Tage wird auch das Wappen
von Pfalz -Neuburg an die „Bergerporz^ angeschlagen,
ausserdem wollte der Kaiser die Clevischen Lande als
erledigtes Reichslehen einstweilen für sich in Beschlag
nehmen. Im Vergleich zu Dortmund wird eine Einigung
dahin erzielt, dass vorläufig gemeinschaftliche Verwal-
tung durch Brandenburg und Pfalz - Neuburg eintritt.
Markgraf Ernst von Brandenburg imd Pfalzgraf Wolfgang
Wilhelm von Neuburg hielten am 16. Juni 1609 als Be-
vollmächtigte ihrer Füi^sten ihren feierlichen Einzug in
Düsseldorf und wohnten zusammen im Schlosse. Dieses
Condominat hatte aber keinen langen Bestand, namentlich
nachdem Markgraf Ernst gestorben und Kurprinz Georg
Wilhelm ihm folgte. Im Jahre 1613 kam der Kurfürst
Johann Sigismund selbst nach Düsseldorf, um die ent-
standenen Zwistigkeiten auszugleichen und um Wolfgang
Wilhelm mit Anna Sophia, seiner Tochter, zu verloben.
Hier soll nun beim Mittagsmahle der Kurfürst dem Wolf-
gting Wilhelm eine Ohrfeige gegeben haben.
Von nun ab war ein Zusammenwohnen nicht mehr
möglich ; die Brandenburger verlegten ihre Residenz nach
Cleve, wogegen Wolfgang Wilhelm in Düsseldorf ver-
blieb. In aller Eile liess er an der weiteren Befestigung
der Stadt arbeiten, es wurden viele Gärten eingezogen,
welche in Erdwerke („halbe Monde**) verwandelt wurden;
wir finden solche vor dem Ratinger Thor, dem Mühlen-
rondell und am Rhein. 1620 wurde die ganze Befestigung
einer gründlichen Revision unterworfen. Der damals
426 Gesehiehte der müMrisehtn VerhäUnisse der Stadt Dnsseidorf.
entworfene Plan zeigt uns 4 Bastionen am Eiskeller, am
MQblenplatz, am alten Flingerthor und am alten Berger-
thor, ausserdem die 1552 begonnene Citadelle in vervoU-
ständigter Form mit 2 Bastionen nach der heutigen Neu-
stadt hin und einer Bastion am damaligen Hafen, gegen-
über dem Rhein - Oertchen. Bei diesem Umbau wurden
auch Flinger- und Berger-Thor an ihre jetzigen Stellen
verlegt. Stadt und Citadelle wurden durch eine Brücke
an der dort gelegenen Mühle verbunden. Zwischen dem
Zollthor und dem Schlosse ünden wir noch 2 Thürme
und da, wo das ehemalige Schlachthaus stand, einen
ECkthurm, welcher als Pulverthurm diente. Wolfgang
Wilhelm versuchte nun auch, sich in den Besitz von
Jülich zu setzen, was aber misslang. Der Kurprinz Georg
Wilhelm erhielt hiervon Kenntniss und stieg in ihm der
Gedanke auf, sich dafür durch eine Ueberrumpelung von
Düsseldorf zu rächen. In einer Mftrznacht des Jahres 1614
erschienen 400 Mann der Besatzung von Meurs mit
Sturmleitern vor Düsseldorf, geführt durch den Branden-
burgischen Oberst von Schwiegel. Die Wachsamkeit der
Posten verhinderte den Handstreich und als die Bürger-
Compagnien bewaffnet auf den Wällen erschienen, zog
das Ueberrumpelungs- Corps ab. Die Stärke der Be-
satzung hat sich in diesen Jahren oft geändert. Im Jahre
1617 bestand die Garnison aus 6 Compagnien zu Fuss
und 1 Compagnie Reiter, in Smnma mit Weibern und
Kindern etwa 1800 Köpfe. Die Garnisonliste von 1625
ergiebt hingegen nur 440 Söldner mit 212 Weibern und
257 Kindern. 1628 wurde die Garnison um 400 Mann
zu Fuss und 2 Compagnien zu Pferde verstärkt. Durch
den dreissigjährigen Krieg, ausgenommen die letzten
Jahre, hat Düsseldorf nicht zu leiden gehabt, die Stadt
wurde sogar 1630 durch die holländischen Generalstaaten
als „Residentz- Statt, Cantzeln, Archival und Rechen-
Kammer^ für neutral erklärt und entging auf diese
Weise den vielfachen Geldcontributionen und Lasten der
Einquartirung. Am 30. August 1634 entlud sich über
Düsseldorf ein schreckliches Gewitter imd schlug der
Blitz in den schon erwähnten Pulverthurm. Ueber 50
Häuser wurden zerstört, das Schloss und die Lambertus-
kirche stark beschädigt, viele Menschen verloren das
Leben und soll sogar eine Kanone über den Rhein g^e-
schleudert worden sein.
In den Jahren 1639 bis 1642 hatte Düsseldorf durch
Einquartirung Kaiserlicher Kriegsvölker unter dem Ober»t
Meutter und dem Stabsoberstlieutenant von Koppstein,
sowie unter den Kaiserlichen Feldherren Lamboy, Hatz-
Gesehichte der militärischen VerhUltniMe der^ Stadt Düsseldorf. 427
feld, Pappenheim und Piccolomini viel zu leiden. Noch
schlechter erging es aber der Stadt Neuss, welche 1642
von den Hessen eingenommen war, die in Gemeinschaft
mit den Weimaranern und Franzosen die ganze Umgegend
beunruhigten. Eine Unternehmung der Neusser Besatzung
1643 in dunkler Nacht zu Schiff gegen Eaiserswerth
wurde durch die Wachsamkeit des Düsseldorfer „Aus-
legers", eines kleinen Kanonenbootes, welches im Frieden
zur Handhabung des Zolles, im Kriege zur Vertheidigung
des Platzes diente, verhindert. Hierfür rächte sich die
Neusser Besatzung im Juli 1647, indem 50 Reiter eine
Kaiserliche Compagnie „Feuerröhrer" in der Nähe von
Düsseldorf überfielen, 14 Mann niederhieben und den
Fähndrich mit 58 Gefangenen nach Neuss transportirten.
Einquartirung von Freund und Feind muss zu jener
Zeit wegen der mangelhaften Disciplin der Truppen in
gleicher Weise lästig gewesen sein. So hatte Düsseldorf
1649 das auf dem Durchmarsch befindliche Branden-
burgische Dragoner-Regiment von Qoldstein mit Stab und
Bagage einzuquartiren und erfahren wir, dass sich das
Regiment grobe Ausschreitungen „mit Schlagen und Ver-
wunden^ zu Schulden kommen liess. Ebenso sollen sich
in der Aussenbürgerschaft die Pfalz-Neuburgischen Reiter
betragen haben. Als im Jahre 1651 sich Wolfgang Wil-
helm und der grosse Churfürst in Folge Religionsstreitig-
keiten entzweit hatten, schickte letzterer den General
von Sparre mit einer Heeresabtheilung, um einen Ueber-
fall auf Düsseldorf zu versuchen. Zunächst wurde
Ratingen genommen und drangen Brandenburgische Ab-
theilungen schon bis Pempelfort vor. Weitere Unter-
nehmungen wurden aufgegeben, nachdem beide Fürsten
in einer persönlichen Zusammenkunft in Angermund einen
Waffenstillstand schlössen, dem weitere Vergleichsver-
handlungen folgten. Wolfgang Wilhelm starb 1653 im
Alter von 75 Jahren und folgte ihm sein Sohn Philipp
Wilhelm, unter dessen Regierung am 9. September 1666
zu Cleve ein Erbvergleich zu Stande kam. Pfalz-Neuburg
erhielt Jülich und Berg, Brandenburg das Uebrige ; beide
Fürsten sollten jedoch den ganzen Titel führen und die
beiderseitigen Unterthanen mit den Worten „Liebe Ge-
treue" bezeichnen dürfen, auch sollte der Schaden, welcher
einem dieser Lande zugefügt würde, von beiden Theilen
gemeinschaftlich getragen werden. Philipp Wilhelm
machte sich sehr verdient um das Emporkommen der
Stadt, er liess das Rheinthor erweitern und unterhalb
des Schlosses eine Bastion, „das neue Werk", errichten ;
die alte Stadtmauer wurde dort abgebrochen und auf
428 Geschürte der miimrisehen VerhlUinisse der Stadt Düssüdorf.
diesem gewonnenen Terrain baute er die Reuterkaserne
und das Zeughaus. Als im Jahre 1685 Philipp Wilhelm
Churfürst von der Pfalz wurde, verlegte er seine Residenz
nach Heidelberg, liess jedoch den Churprinzen Johann
Wilhelm in Düsseldorf, welcher nach dem Tode seines
Vaters 1690 dort einen glänzenden Hof hielt und so die
Stadt zu grossem Ansehen brachte. Zunächst richtete
er sein Augenmerk auf die stärkere Befestigung der
Stadt. Die Werke wurden nach dem System Vauban
verändert und erweitert, er Uess den Plan zur Extension
entwerfen. Dieselbe sollte sich an das Flinger-Bastion,
die Gegend des heutigen Stadtbrückchens, anschliessen,
in der Richtung auf die Bahnhöfe hin sich erstrecken,
dort einen Winkel bilden, im Bogen etwa über den
heutigen Friedensplatz, die Neustadt umschliessen und am
Rhein endigen. Auf dieser Linie sollten 5 Bastionen er-
baut werden. Da die Geldmittel nicht reichten und die
Stände die Kosten nicht aufbringen wollten, so bestimmte
eine neue Verordnung nur die Ausdehnung bis zu den
jetzigen Bahnhöfen. Es entstanden 4 neue Bastione,
Christianus, eigentlich nur Contre-Garde des Flinger-
Bastions, dann Anna (auch Josephus, weil die heutige
Garnisonkirche sowohl der heiligen Anna, wie dem
heiligen Joseph geweiht ist) auf dem heutigen Exerzier-
platz, hieran anschliessend als südöstliche Ecke das
Bastion Petrus (auch St. Karl) und endlich am Ausgang
der Kasemenstrasse das Bastion St. Paulus. Hier schloss
sich die weitere Befestigung, von der südlichen Dussel
umflossen, mit verschiedenen kleineren Werken an die
Gontre-Gardedes südlichen Bastions der Citadeile ^Diment-
stein^ (benannt nach dem Grafen gleichen Namens) an.
Am Rheine lag das Thomas- oder Gouvernements-Bastion
der Citadeile mit dem Gouvernementshaus. Am südlichen
Ende des heutigen Freihafens lag die Andreas-Batterie,
das Bastion Spee schloss die Citadeile hier gegen die
Stadt. Das Stadtbrückchen wurde zur Verbmdung mit
der Extension erbaut, zur Citadeile führte die schon
früher erwähnte Brücke an der jetzigen Franziskaner-
Kirche. Auf der Nordfronte finden wir am Rhein das
Bastion Schaesberg (benannt nach dem Grafen gleichen
Namens) oder Karl Theodor und den Eiskeller oder
Elisabeth-Augusta, an der Ostfronte das Mühlen-Bastion
oder Friedericus (erhalten in Mühlenstrasse und Friedrichs-
platz) und das Flinger- Bastion oder Rosenthal, auch
Maria Franziska (erhalten in Flingerstrasse), zwischen
beiden ein Ravelin, auf welchem die jetzige Elberfelder-
strasse liegt. Auf der Südftonte lag gegen die Extension
Geschiekte der müMrisehtn Verhältnii$$ der Stadt DüsaMorf. 429
hin am heutigen Carlsplatz das Berger-Bastion, auch St.
Elisabeth und Carl August benannt (die Namen sind in
Carlsplatz und Bergerstrasse erhalten), der Rhein und der
Eingang zum Hafen wurden durch die Mathias-Batterie
am Rhein-Oertchen bestrichen. Zum grösseren Schutze
der Festimg und zur sicheren Aufnahme der vom Chur-
fürsten etablirten fliegenden Brücke baute derselbe auf
dem linken Rheinufer im Gebiete des Erzstiftes Cöln,
ohne Rücksicht auf das flremde Gebiet, eine Art von
Festungswerk, das Fort Düsselburg. Dasselbe war mangel-
haft gebaut, die Wälle waren statt mit Mauerwerk nur
mit Faschinen bekleidet, innerhalb befanden sieh zwei
kleine Kasernen und ein Wachthaus, deren mit der Zeit
überdeckten Fundamente im Jahre 1854 bei Anlage des
linksrheinischen Bahnhofes zu Tage traten. Der Haupt-
übelstand des Baues war der, dass das Hochwasser oft
in das Fort trat, ja es soll sogar bis drei Fuss im Erd-
geschoss der Kaserne gestanden haben. Als am S.Februar
1716 der zugefrorene Rhein aufbrach; wurde das Fort so
stark beschädigt, dass es demnächst abgetragen wurde.
Johann Wilhelm soll 1 702 den Bau der jetzigen Infanterie-
Kaserne begonnen haben, dieselbe wurde erst unter seinem
Nachfolger Carl Philipp vollendet. Leider sind die Ver-
handlungen der Militär- Verwaltung und der Gendarmerie
von 1700 bis 1820, welche auf die Organisation und die
persönlichen Verhältnisse des Grossherzoglich Bergischen
Militärs Bezug hatten, sowie die General-Registerbücher
des respectiven Kriegsministeriums unterm 26. September
1854 vom hiesigen Königlichen Staatsarchiv an das Kriegs-
ministerium zu Berlin eingereicht worden. Allem An-
scheine nach ist die Kaserne erst 1738 vollendet worden,
da sie in diesem Jahre dem Inspector Wuesthoff mit
einem Gehalt von 129 Thaler übergeben wird. Sie hatte
dieselbe Ausdehnung wie jetzt, jedoch fehlten die beiden
ZwischenfiOgel, welche den Innern Raum in drei Theile
theilen. Die Kaserne hatte nur Erdgeschoss und 1 Stockwerk,
an den vier Ecken befanden sich zweistöckige Gebäude,
ebenfalls war das Gebäude über dem jetzigen Mittelportal
zweistöckig. Diesem gegenüber befand sich eine Kapelle,
deren Altar nach dem Exercierplatz aus der Front der Ca-
serne heraustrat, wie deutlich auf alten Plänen der Festung
Düsseldorf zu ersehen ist. Als Johann Wilhelm 1716 starb,
folgte ihm sein Bruder Karl Philipp, welcher seine Residenz
nach Neuburg, dann nach Heidelberg, Schwetzingen und
zuletzt nach Mannheim verlegte. Er Hess sich in Düssel-
dorf durch den Marquis dlttre vertreten. Beim Leichen-
begängniss Johann Wilhelm's werden folgende Regimenter
430 Geschichte der mütUlrischen VerhäHnisse der Stadt D&seeldarf.
erwähnt: Am 3. August ge^en Abend wurde die Leiche
in der Jesuitenkirche beigesetzt. Der Leichenzug ging
um 9 Uhr Abends vom Schlosse aus, in den Strassen
bildeten die beiden Regimenter der Leibgarde und das
Regiment Norprath mit ihren in Trauerflor gehollten
Fahnen Spalier. Den Zug eröftnete ein Detachement der
Leib-Quarde zu Fuss mit verkehrtem Gewehr. Es folgten
dann Hausarme, Studenten, Magistrat, Clerus, Hofchargen,
die Churfürstlichen Musikanten, Pauker und Trompeter etc.
Vor der Leiche gingen Trabanten mit verkehrten Helle-
barden und die Leib-Guardes in zwei Reihen. Alsdann
folgten der Ordens-Herold, die Ordensritter St. Huberti
und Hofchargen. Den Schluss bildete ein Detachement
von der Leib-Guarde. Johann Wilhelm war der letzte
der landesherrlichen Fürsten, welche zu Düsseldorf ihre
Ruhestätte fanden. Zu erwähnen ist noch, dass Johann
Wilhelm den im Jahre 1444 von Herzog Gerhard von
Jülich und Berg gestifteten und hierauf allmälig in Ver-
gessenheit gerathenen Hubertusorden ins Leben zurückrief.
Der Orden, dem er Statuten gab und zu dessen Gross-
meister er sich selbst erklärte, bestand aus fürstlichen
Personen von unbeschränkter Anzahl und aus 12 Rittern
gräflichen und freiherrlichen Standes, sodann aus einem
Kanzler, Vicekanzler, Sekretär, Schatzmeister, Herold und
Garderober. Den Rittern lag die Pflicht ob, dem Chur-
fürsten treu und hold und gegen die Armen bi^rmherzig
zu sein. Mit dem Churfürsten Hessen sich seine Ver-
wandten und die vornehmsten Adeligen in den Orden
aufnehmen und erlegten das statutenmässige Geschenk
von 100 Dukaten an die Armen. Die Obersten der drei
Hubertus-Regimenter waren gehalten, den zehnten Pfennig
von ihren Einkünften zum Vortheil des Hubertushospitals
anzugeben. Aus der Militär-Kriegskasse wurden zur Unter-
haltung von 28 Personen zu 3 Stüber täglich die sogenannten
Hospital-Fettmännchen ausgezahlt, auch die Militärstraf-
gelder flössen dem Hubertushospital zu. Das Hospital
oder das sogenannte Gasthaus mit Kirche wurde 1709
erbaut. Die Gebäude stehen jetzt noch als Theile der
Artillerie-Kaserne und als Garnisonkirche, die in ihrer
jetzigen Gestalt erst 1735 vollendet wurde, und welche
bis auf unsere Tage im Munde alter Leute noch als Gast-
hauskirche fortlebt.
Die von Johann Wilhelm projectu'te und mit Eifer
betriebene Erweiterung der Festungswerke schritt, wenn
auch in geringerer Ausdehnung, unter seinem Nachfolger
langsam fort, da die Stände mit grosser Zähigkeit Geld
verweigerten. Aus jener Zeit flnden wir zwei Notizen,
0$$ehiehi€ der maUäriwhen Verhältnisse der Stadt Düsseldorf. 481
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432 GMehiehte der maUäriaehsn VerhUUni— der Stadt DOeeeidorf.
welche die Festung Düsseldorf betreffeiu Die erste ist
vom 14. October 1744 datirt und nennt uns alle in der
Festung befindlichen Eiiegsrequisiten und VorräÜie. Sie
ergiebt 207 Kanonen vom 24pfünder bis zur SlOthigen
Feldschlange, 22 Mörser, 100 Handmortiers; die Zeughaus^
vorrftthe sind notirt mit: 2613 reparirten, guten und
brauchbaren Musketen, 1 Justizschwert, 5 alten Turnier-
Harnischen, 88 Stück alten Grenadirkappen. (mit Büren-
häuten) vom General Hillersheim'schen Regiment und
2 ausgestopften wilden Pferden. Die zweite Notiz besagt,
dass auf Befehl in den Jahren 1748 und 1749 die Wälle
mit Bäumen bepflanzt wurden, um damit die schlechten
Giebel der Häuser zu verdecken. Aus diesen Jahren
stammt auch noch eine Abhandlung über eine sach-
verständige Besichtigung der Befestigungen von Düssel-
dorf durch den französischen Ingenieur le Roige. Dieser
giebt zunächst eine Characteristik der Stadt, beschreibt
dann eingehend die dnzelnen Werke, zählt alle Fehler
und Schwächen des Platzes auf, theilt dann seine Meinung
über Angriff und Vertheidigung mit und macht schliess-
lich Vorschläge zur Verbessenmg der Festung, was in
einem Kostenanschläge mit 434,100 Gulden zu bewirken
sei. — Stellt man eine kritische Betrachtung der Be-
festigungen von Düsseldorf an, so findet man sogleich,
dass weder die topographische noch die politische Lage die
Stadt zur Festung geeignet erscheinen lässt. Die Häuser
gehen bis dicht an das Ufer des Rheines, die Flussseite ist
die schwächste der Festung, das andere Rheinufer ist nicht
im Besitz des Churfürsten, der nothwendige Brücken-
kopf fehlt; aus diesem Grunde können, wie wir sehen
werden, auf dem linken Rheinufer mit Leichtigkeit
Batterien erbaut werden, welche ausserdem durch den
Rheindamm bei Obercassel gegen das Feuer der Festung
gedeckt sind. Düsseldorf war daher nicht für einen
energischen Widerstand geeignet. Das ganze Festungs-
system war nicht nach einem einheitlichen Plane angeleg^t,
nach und nach war der Bau ausgeführt und so entstand
eine ganz unregelmässige Befestigung, die ausserdem
zahlreiche Fehler im Grundriss aufwies und deren Profile
sehr massig waren. Zudem waren die Höhenverhältnisse
theilweise sehr schlecht berechnet; wir haben schon
gehört, dass das Müblenbastion vom Felde aus eingesehen
werden konnte, auch überragten an vielen Stellen die
vorliegenden Werke den Hauptwall, so dass von hier aus
nicht einmal das Glacis bestrichen werden konnte, in
welchem sich auch noch Löcher und Gruben befanden,
welche dem Angreifer gute Deckung darboten. Bomben-
OesehiekU der müüärisehen Verhältnisse der Stadt Düsseldorf. 433
sichere Räume waren nur in geringer Zahl vorhanden,
auch genagten dieselben nicht zur Aufnahme der Be-
satzung, zudem war die Citadelle nicht dazu angethan,
die Stadt zu beherrschen, auch bot sie der Garnison
keinen letzten sichern Zufluchtsort. Da die Wassergräben
durch die Dussel ihren Zufluss erhielten, so konnten sie
durch Ableitung dieses Baches leicht trocken gelegt
werden und dem Angreifer die förmliche Belagerung
erleichtern. Aus den angegebenen Gründen ist zu ersehen,
dass die Befestigung Düsseldorfs ein Missgriif war; der
Festungsbau und Unterhalt erforderte jährlich etwa
30000 Thaler, die anderweitig besser hätten verwerthet
werden können. Düsseldorf hat nur dann Bedeutung
gehabt, wenn es in der Hand des Besitzers des linken
Rheinufers war, weil es für diesen ein starker Brücken-
kopf war, um sein Vordringen auf dem rechten Ufer
wirksam zu unterstützen. Unter Karl Theodor, dem
Nachfolger Karl Philipps, wurde in Folge des Oester-
reichischen Erbfolgekrieges beschleunigt an den Festungs-
bauten gearbeitet, auch wurde zu jener Zeit das Berger-
thor in seiner jetzigen Gestalt renovirt, wie die daran
befindliche Inschrift besagt. Der siebei^jährige Krieg
sollte auch nicht spurlos an Düsseldorf vorübergehen.
Die Franzosen, welche während des österreichischen Erb-
folgekrieges mit Kurpfalz verbündet waren, kamen nach
Düsseldorf und sind auch noch nach dem zu Aachen ge-
schlossenen Frieden hier geblieben, erst einige Jahre
später zogen sie ab, um jedoch mit Ausbruch des sieben-
jährigen Ejrieges als Verbündete der Kaiserin Maria
Theresia wieder hier einzurücken. Düsseldorf wurde
Hauptwaffenplatz und schalteten und walteten sie hier
nach eigenem Ermessen ohne Rücksicht auf die Landes-
regierung. Der General Clermont liess die Werke von
Düsseldorf mit aller Sorgfalt armiren. Ein Aufruf an die
Ritterschaft, sich zur Landesvertheidigung zu rüsten, war
erfolglos, da nur der Freiherr von Dalwig zu Unterbach
am festgesetzten Tage mit zwei bewaffneten Dienern am
Sammelplatz an der Rochuskapelle zu Pempelfort erschien.
Nach der Schlacht von Crefeld am 23. Juni 1758 suchte
der Herzog Ferdinand von Braunschweig aus diesem Siege
möglichsten Nutzen zu ziehen; zur Belagerung von Wesel
fühlte sich der Herzog nicht stark genug, da ihm das
nöthige Kriegsmaterial fehlte, es blieb ihm daher nichts
anderes übrig, als eine Unternehmung gegen Düsseldorf
zu wagen. Sie empfahl sich zugleich als eine Vor-
bereitung zum Angriff auf Wesel, weil durch den Besitz
von Düsseldorf das feindliche Heer durchschnitten wurde,
28
434 Gesehiehte der militöriaehen VerhSUnisse der Stadt DäasMarf.
und weil der Herzog hoffte, hier noch genügendes Be-
lagerungsmaterial zu finden. Von einem Bombardement
von Düsseldorf konnte er sich viel versprechen, da die
Garnison schwach war, zwar nicht der Zahl nach, denn ,
sie bestand aus 12 Bataillonen, allein der grOsste Theil
derselben und der Gouverneur selbst waren Pfälzer. Es
erschien nicht glaubwürdig, dass weder diese noch ihr
Hof mit Gleichgültigkeit zusehen würden, dass die schöne
Stadt und die Archive, sowie die kostbare Gallerie in
Rauch aufgingen und dies nur gegen die Aussicht eines
sehr zweideutigen Vortheils, nämlich, um die Franzosen
zu verbinden, die so schon dem ganzen Lande sehr
lästig fielen und die man nach ihrer eiligen Flucht von
Crefeld schon aufgehört hatte zu fürchten. Der Herzog
beeilte sich daher, dem schon in Neuss stehenden General
von Wangenheim den Befehl zu schicken, die Stadt
Düsseldorf am 27. Juni unter Bedrohung, unverzüglich
in Brand gesteckt zu werden, zur Uebergabe aufzufordern.
Da die Uebergabe verweigert wurde, legte Wangenheim
seine Batterien und seine Kessel in der Nacht vom 27.
zum 28. Juni vor dem Dorfe Heerdt an und eröffnete
am Morgen des 28. Juni ein lebhaftes Feuer mit Bomben
und glühenden Kugeln. Die Besatzung antwortete zwar
durch ein ausserordentlich starkes Feuer von der Rhein-
seite her, ohne jedoch Schaden anzurichten. Die Kugeln
der Belagerer fielen aber in die Stadt, zündeten vielfach
und thaten grossen Schaden. Der Gouverneur fand sich
nun bereit, die unterbrochenen Unterhandlungen wieder
aufzunehmen und so kam es denn zu einer vorläufig^en
Capitulation. Der Gouverneur stellte Geiseln und erhielt
die Erlaubniss, an seinem Hofe in Mannheim Verhaltungs-
befehle einzuholen. Nach Rückkunft des Couriers wurde
am 7. Juli alles Uebrige bald berichtigt und die Capitu-
lation förmlich vollzogen, obgleich sich der französische
Commandant Graf von Bergeik heftig hiergegen sträubte.
Die Capitulations-Bedingungen lauten wie folgt:
Capitulation.
Nachdem zwischen endes unterzeichneter GeneralitAt
und zwaren von selten Ihrer Churfurstlichen Durchlaucht
zu Pfaltz, Carl Theodor, Pfaltzgrafen bey Rhein, des
heiligen Römischen Reiches Ertzschatzmeister an Chur
Fürsten in Bayern, zu Gülich, Cleve und Berg Hertzog^n,
Fürsten zu Moers, Marquisen zu Bergen ob Zoom, Grafen
zu Veldentz, Sponnheim, der Mark und Ravensberg, Herrn
zu Ravenstein etc. etc., General Lieutenant und comman-
direnden Obristen über ein Regiment zu Fuss, auch
Oetehit^te der müUärieekm VerhaUnisse der Stadt DütsMwrf. 435
Gouverneur daher, Freyberr von Isselbach an einer,
sodann von Seiner Königlichen Majestät Gross brittanien
deutscher Armee General Major Freyherr von Wangen-
heim an anderer selten, wegen hiesiger Stadt und Vestung
folgende Capitulationen geschlossen worden:
Art. 1. Soll den Chur Pßlltzigen sowohl als Fran-
zösischen Truppen der freye Abzug mit allen militärischen
ehrenbezeugungen, bagage, Kassen, und allen denen
Offlciers und Soldaten gehörigen Baarschaften und eifecten
sammt ihrem Ober- und Untergewehr, Regiments - Feld-
stücken, Munition und dabei gehörigen Artilleristen, nicht
weniger, dass diejenigen, welche krank zurückbleiben,
nicht als Kriegsgefangene anzusehen, sondern nach ihrer
Genesung mit passen zu ihren respectiven Corps ohn-
gehalten gehen können. (Randbemerkung.) Accordirt
in allen Puncten.
Art. 2. Dass Ihre Churfürstlichen Durchlaucht alle
tableaux der Gallerie, wie auch den Meublen flrey und
obngehalten transportiren lassen dürfen. (Randbemerkung.)
Accordirt, wobei heilig versichert wird, dass, wenn auch
alles in Status quo bleibe, nicht ein stück angerühret
oder veräussert werden wird.
Art. 3. Da^s in Regierungs-Form nichts geändert,
mithin Gülich- und Bergischer geheimer Rath, fort übrige
Dicasteria in Churfürsüichem höchsten Namen, auch der
Magistrat und die Bürgerschaft bey ihren von alters her-
gebrachten Privilegien und Freyheiten beybehalten und
geschützet werden sollen. (Randbemerkung.) Alles in
diesem Articul benannte soll in den jetzigen Umständen
bleiben, auch niemand an denen Privilegien gekränket,
vielmehr geschützet werden.
Art. 4. Mithin Landes- Regierungs- Justiz- Religions-
Policeysachen, und das Postwesen in jetzwesentlichem
Lauf belassen, auch alle, und jeden Landes Einwohner,
so wohl Land-Stände, als Noblessen und unterthanen von
ihren Privilegien, baarschaft, liegend nnd fahrend, und
häuslicher respective nalirung nicht Unordnungen, sondern
dabey gehandhabet, auch kein unterthan wider seinen
willen zu Kriegsdiensten gezwungen werden. (Rand-
bemerkung.) Accordirt in allen benannten umständen, ab-
sonderlich dass zu Kriegsdiensten gezwungen werden solle.
Art. 5. Dass das dahier zu Düsseldorf befindliche
Zeughaus, sammt allen Zubehörungen ohngestört gehalten
und daraus nichts entzogen werden solle. (Randbemer-
kung.) Die Artillerie Zeug- und rüsthaus uns getreulich
überliefert werden, welches alles beysammen gehalten
werden soll.
28*
436 Geschichte der militärteehen Verhältnisse der Stadt Düsseldorf,
Art. 6. Dass die etwaigen Contributiones nach ertrag-
lichkeit des sehr erschöpften Vennögens^tandes der Unter-
thanen auf ein gewisses regulirt werden mögen. (Rand-
bemerkung.) Da man hierinn nur wegen der Stadt Düssel-
dorf tractiret, so gehören diese zwei Artikulen nicht in
die Capitulation, massen wegen einer Stadt und nicht
wegen Landen tractirt wird; inzwischen werden die
etwa zu fordernden Contributiones nach Billigkeit an-
gesetzet werden, der letztere Articul aber bey existirenden
Gas gar keine Schwierigkeiten finden.
Art. 7. Dass nach geendigten Troublen Stadt und
Länder Seiner Chur-Fürstlichen Durchlaucht zu Pfalz in
demjenigen Stande, wie es dermalen sich befindet, ohne
einigen an- und Zuspruch loss, über und frey aus und
eingeräumet werden sollen.
Art. 8. Sollte wegen mangel der fuhren oder sonst
einfallender Hindemüss die Bagage fort, sonsten, sodann
die Kranken nicht transportiret werden können, solle die
bagage getreulich verwahret, die Kranken auch in denen
Lazaretten wohl und fieissig bis zu ihrer genesung ver-
pfleget, und demnächst nach gelegenheit abgeführet
werden. Zu ein- so anderer obsorge sollen zwey subalternen
Officiers mit nöthigen Feldscherem zurückbleiben. (Rand-
bemerkung.) Der bagage und allem, was zurückbleibt,
soll all Schutz und Schirm geleistet werden, nicht weniger
können die Kranken bis zu ihrer Genesung verbleiben,
jedoch dass solche auf Kosten Seiner Chur-Fürstlichen
Durchlaucht unterhalten werden.
Art. 9. Von Chur-Pf<zischer Seite wird versichert,
dass die für unterhabende Truppen noch vorrftthig fourage
und munition getreulich angegeben und nichts davon
ruinirt werden solle: wobey aber die Vorbehaltung ge-
schieht, dass von diesem Vorrath nichts veräussert, noch
weniger, dass die zum Chur-Fürstlichen Marchestall nöthige
fourage nicht angegriffen werden, sondern diese mit den
Chur-Fürstlichen Intraden zum behuf höchstgemeldeter
Seiner Churfürstl. Durchlaucht aufbehalten und ver-
bleiben solle. (Randbemerkung.) Alle munition und
fourage muss fidelement angezeigt werden ; von letzteren
können die Chur-Pfältzischen Truppen sich auf die Marsch-
täge besorgen, das übrige bleibt zum Stützen der allirten
Armee.
Art. 10. Die sämmtliche Besatzung wird übermorgen,
den 9ten dieses morgens ohngefehr acht uhren ausziehen,
alsdann die Schlüsseln dem General Freyherm von Wangen-
heim sollen überliefert werden, oder welchen Seine Durch-
laucht der Herzog darzu beordern wird. (Randbemerkung.)
Oesehiehte der müitdnschen Verhditniue der SUidi Düsseldorf. 437
Die sämmtliche Besatzung miiss höchstens morgen den
8ten abziehen : ein jedes Regiment aber kan Ofßciers und
Überhaupts einen Stabsofficier nachlassen, um dasjenige
zu besorgen, was nicht hat in Ordnung gebracht werden
können. Und weil
Art. 11. Die vorläufige einrückung und abwechselung
der alliirten Truppen in hiesiger Vestung zu allerhand
ohnordnung und Verbitterung anlassgeben wird, so hat
man die Zuversicht, dass höchstgemelte Seine Fürstliche
Durchlaucht mit allsolcher einrückung und abwechselung
so lang einhalten werden, bis dahin die Besatzung abge-
zogen. (Randbemerkung.) Es wäre ohnerhört und gereichte
zum nachtheile der alliirten Armee, wenn gegen den
Kriegsbrauch nach Vollziehung der Capitulation nicht
sofort possesson genommen werden sollte. Es soll also
noch heute durch ein Detachement Grenadiers ein
solches vollzogen werden : wobey ich repondire, dass ab-
seiten der unter meinem commando stehenden Truppen
keine ohnordnung angefangen werden soll.
Art. 12. Dass alle zur Garnison gehörige Officirs
und sonstige bediente, welche den ausmarche aus hiesiger
Vestung nicht mitmachen können, keineswegs als Kriegs-
gefangene angesehen, sondern dahier ruhig belassen, oder
nach verlangen der ausmarche frey und ohngehindert
gestattet werden soll. (Randbemerkung.) Alle zur Gar-
nison gehörigen und zurückbleibenden müssen sich mit
keiner Correspondenz oder dergleichen meliren, alsdann
sie ohngehindert bleiben können.
Art. 13. Die Churfürstlichen sowohl in als um die
Stadt, und auf dem Land gelegenen Lust -Schlösser oder
Jagdhäuser, auch Jagd-Zeug-hauss zu protegiren und im
mindesten nicht zu ruiniren, dem Chur Fürstlichen Jäger-
Corps zu erlauben, ihre forst vor wie nach, auch conser-
vation deren Waldungen zu besorgen und ihnen büchsen
und flinten zu erlauben, auch falls die Wilddiebe über-
hand nehmen soUteri, ihnen die assistenz zu leisten, und
die Chur Fürstliche Wildbann und leibgeheeg zu ver-
schonen. Je dennach all Wildbrett, so von einer hohen
Generalität verlangt wird, solle ohne anstand geliefert
werden. (Randbemerkung.) Allen Chur-Fürstlichen Schlös-
sern und Gebäude, auch Chur-Fürstlichen Bedienten solle
nicht das geringste Leid zugefügt werden, ebenfalls können
die jagtbedienten bey ihren Functionen bleiben.
Art. 14. Dass Bürger und unterthanen nicht dis-
armiret werden oder wann disarmiret werden sollten,
bey restitution deren Landen das gewehr zurück zu
geben. (Randbemerkung.) Solange die unterthanen sich
438 Geschichte der militSnachen VerluVtnisae der StwH DBgaeldotf.
ruhig verhalten y wird man zu solchen mittein nicht
schreiten: sollte es aber geschehen müssen, so wird das
gewehr auf die Aemter geliefert, und daselbst bis zu
anderweiter Veränderung der sachen aufbehalten werden.
Art. 15. Dass die Seiner Königlichen Majestät in
Frankreich zugehörige Artillerte und alle Eriegsmunition
und gereithschaft den Rhein hinauf bis Colin ohne Binder-
niss oder widerstand gebracht werden können, alles
jedoch auf Kosten seiner Königlichen Majestät. (Rand-
bemerkung.) Ausser denen Regimentsstücken muss die
übrige artillerie, munition und übrige gereitschafk in
Düsseldorf verbleiben.
Art. 16. Dass die in denen Spitälern oder Lazaretten
befindenden Kranken sowohl Offlciers, als Soldaten (wo-
runter die aufsichter, Directeurs, ControUeurs, Medici,
Feldscherer und Kranken-warter, und was sonsten dazu
gehörig, mitbegriefen, so bald sie im stand seyn werden,
hinwiederum nach der französischen Armee abgeschickt
werden sollen, keineswegs aber für Kriegsgefangene an-
gesehen werden, ihnen auch bey der abreise hinlängliche
Päss für ihre Person sowohl als für ihre effecten mit-
getheilet, die fuhren sollen jedoch von dem König bezahlt
werden. (Randbemerkung.) Accordirt, und ist schon im
ei*sten Articul mit eingeführet
Art. 17. Sollte dem Kriegs-Commissarius Seiner König-
lichen Majestät erlaubt seyn, so bald nur möglich, alle
Seiner Majestät dem König zugehörigen eifecten, wie auch
alle fruchten, mehl und haaber, zu welchem ende ihm
ein hinlänglicher pass ertheilet und die nöthigen Schiffe
gegen baare Zahlung angeschafiFt werden sollen, auf den
Rhein nachher Collen zu überbringen. (Randbemerkung.)
Wird mit den Königlich Französischen truppen sowie
denen Chur pfältzsischen gehalten, nemlich dass sie sich
auf dem marche versorgen und das übrige zurücklassen.
Art. 18. Weilen der ausmarche terminus für das
Garnison allzu anberauhmet, das General-Isselbachische
Regiment aber mit feld equipage-Waagen und Zelten nicht
versehen, die fuhren aber in der geschwinde zu Führung
der bagage dahier nicht beyzubringen ; so wird gebetten
den nechstgelegenen Aemtern zu eintreibung benöthigter
fuhren auszuschicken : den Detachement päss zu ertheilen,
und auch zu erlauben, wenn dahier Schiffe zu bekonmien
wären, dass die bagage dieses Regiments zu wasser von
hier bis Mannheim transportirt werden könnte. (Rand-
bemerkung.) Dem Regiment des General von Isselbach
soll allmöglicher Vorschup geschehen, und die fühlten
herbeigeschaffet werden.
Gesehiehle der mtlHörhehen Verhältnisse der Stadt Düsseldorf, 439
Art. 19. Man reservirt sich fernere separirte articulen
fals wegen etwaiger Uebereilung und Kürze der Zeit ein
oder anderes vergessen worden. Und dann diese hiec
iude überleget, fort die schlüssigen obigen Capitulationes
darauf erfolget, so ist gegenwärtiges in duplo aus-
gefertiget, und beiderseits eigenhändig nebst beygedruckt-
angebohrnem pettschaft unterschrieben worden den sieben-
ten Juli 1758.**
Die Bedingungen der Capitulation scheinen nicht
überall gehalten worden zu sein, es sollen Geschütze
vernagelt und zerschlagen und viele tausend Centner
Pulver ins Wasser geworfen worden sein. Nach andern
Aufzeichnungen wurde an der Neustadt aus mehreren
Schiffen der Hafer in den Rhein geschüttet. Im Marstall
in der Neustadt lag der Hafer kniehoch, Hammer Bauern
kauften für wenig Geld grosse Mengen. Desgleichen
wurde in der Stadt Hafer, Mehl und Reis verschleudert
und verdorben. Schuhe, von denen etliche tausend vor-
handen waren, wurden für 1 bis 2 Stüber verkauft. Am
8. Juli Morgens begann der Ausmarsch der Besatzung,
150 hannoverische Grenadiere besetzten sofort das Rhein-
thor und konnte Generalmajor von Wangenheim dem
Commandanten seine Aufwartung machen. Er wurde
jedoch durch den Generallieutenant von Hardenberg ab-
gelöst, um an der Erft weitere Unternehmungen zu leiten.
Hardenberg liess nach einigen Tagen mit Trommelschlag
auch in Hamm ankündigen, dass alle von den Franzosen
gekauften Gegenstände zurückgegeben werden müssten.
Der Stadt wurde eine Contribution von 1.00,000 Thalern
auferlegt und wurden am 18. Juli sechs vornehme Herren
als Geissei hierfür nach Hannover geschickt, wo einige
von ihnen über ein Jahr in Gefangenschaft verblieben.
In dieser Zeit waren die Franzosen wieder in den Besitz
von Neuss gelangt. Am 1. August Nachts 12 Uhr liessen
dieselben drei brennende Flösse, welche bei Urdenbach
gefertigtM'aren, gegen dieBrücke bei Düsseldorf schwimmen,
wodurch diese vollkommen zerstört wurde. Hierfür be-
legte Hardenberg die Bewohner von Hamm mit einer
Contribution von 2000 Thalern, da sie die brennenden
Flösse rechtzeitig in Düsseldorf hätten melden können,
woduich das Zerstören der Brücke verhindert worden
wäre. Da Herzog Ferdinand mit seiner Armee in der
Nacht vom 9. zum 10. August den Rhein bei Hoch-Elten
überschritt, beschlossen die Hannoveraner einen heimlichen
Abzug. In der genannten Nacht zogen sie durch das
Ratingerthor ab, nachdem sie vorher noch auf dem Mühlen-
platz einen neuen Galgen errichtet hatten. In der Stadt
440 Geschichte der milUärischen Verhältnisse der Stadt Düsseldorf.
Hessen sie das Gerücht ausbreiten, es sollten in selbiger
Nacht noch fünf aufgehängt werden; hierdurch woUte
man die Bürger in Schrecken versetzen, und ihre Auf-
merksamkeit vom Abzüge ablenken. Am Nachmittag
des 10. August zogen dann wieder Pfälzer und Franzosen
ungehindert in Düsseldorf ein ; General von Hardenberg
zog sich auf Lippstadt zurück und vereinigte sich dem-
nächst wieder mit der Armee des Herzogs Ferdinand.
Das Verlangen des Versailler Cabinets ging nun dahin,
dass Düsseldorf von französischen Truppen allein besetzt
würde und nur 100 bis 150 Pfälzer zum Wachtdienst am
Schloss aufgenommen werden sollten. Durch dieses Ver-
fahren gedachte man, in Erinnerung des von General von
Isselbach beobachteten Verfahrens, der Treue des Chur-
fürsten versichert zu sein. Die Ansichten desselben und
seiner Regierung entsprachen jedoch nicht den Wünschen
Frankreichs und steigerten sich im Laufe der desshalb
auch mit Oesterreich angeknüpften Besprechungen bis zu
der Drohung, die Klage vor Kaiser und Reich zu bringen,
wenn Frankreich auf seinen Forderungen bestehe. Im
weiteren Verlauf dieser Angelegenheit wurde endlich der
Vertrag bezüglich derZahlung der Hülfsgelder französischer-
seits aufgekündigt und demgemäss löste sich auch das
Verhältniss der pfälzischen Truppen zur französischen
Armee auf, sie betrachteten sich aber noch bis 1762 als
Herren von Düsseldorf.
Wie sehr auch Düsseldorf durch das Bombardement
gelitten haben mag, so scheinen doch die Lasten und
die Sorgen, welche die französische Besatzung in den
nächsten 4 Jahren der Stadt und der Bürgerschaft bereitet
hat, grösser gewesen zu sein. Es mögen hier einige
Notizen aus den Raths-ProtokoUen dieser Jahre folgen,
aus denen ersichtlich ist, dass die Garnison sich allerlei
Ausschreitungen auf Kosten der Bürger und der Stadt zu
Schulden kommen Hess. Raths-Protokoll vom 11. Jan. 1760:
Dem Gastgeber im schwarzen Pferd sind verbotene Geld-
species von den Franzosen aufgedrungen worden, des-
gleichen dem Bäckermeister im weissen Bären. Die
Leute bitten um Verhaltungsmassregeln für künftighin.
Der Magistrat entscheidet, es liesse sich hiergegen nichts
machen, so lange den Franzosen die Ausgabe derselben
nicht verboten sei.
Erst am 22. März wird eine Verfügung herbeigeführt,
wonach den Franzosen die Annahme und Ausgabe der
verrufenen Münzsorten verboten wird. Am 18. Januar
werden die Müller angewiesen, Tag und Nacht auf Wind-
und Wassermühlen für die französischen Truppen zu
OMchichU der müitäriaehen Verhältnisse der Stadt Düsseldorf. 441
mahlen. Unterm 22. Januar wird bestimmt, dass alle
Spieler und Comödianten einen proportionirten Theil als
Abgabe an das Hospital abliefern müssen , ausgenommen
die französischen. — Beschwerden über Einquartirung
kommen vielfach vor.
Unterm 15. März beschwert sich der Eameralpächter
zu Derendorf, desgleichen unterm 25. April Abt und Con-
ventualen zu Düsselthal, sie übergeben nähere Vorstellung
über Hauptmann Roberz und Lieutenant Heydkamp in
Pempelfort, welche die Einquartierung zu regeln hatten.
(Düsselthal war von allen Lasten befreit, wie aus der als
Anhang beigegebenen Schenkungsurkunde von Johann
Wilhelm L zu ersehen ist.) Die genannten Offiziere
erscheinen vor dem Magistrat und wollen über die von
der Abtei Düsselthal Einquartierungs halber geführte Be-
schwerde ihre Verantwortung ablegen. Roberz sagt aus,
er habe der Abtei mit Billet keine Einquartierung zur
Last gelegt. Vor etwa Monatsfrist seien in Pempelfort
allein 1000 Mann Schweizer eingerückt, Lieutenant
Heydkamp müsse wissen, ob dabei die Abtei beschwert
worden sei. Adjutant Heydkamp erwidert, diese 1000 Mann
seien ohne Ordre des Bürgermeisters, sondern auf Befehl
ihres Generals eingerückt und hätten eilends Quartier
verlangt. Es sei nicht möglich gewesen, sie mit Billets
ordnungsmässig in Pempelfort allein unterzubringen. Das
geringste Haus habe 30 Mann erhalten. Wie nicht alle
untergebracht werden konnten, habe sich ein Offizier mit
einer Compagnie eigenmächtig in Düsselthal einbillettirt«
Die Abtei sei wegen Liegenschaften in hiesiger Bürger-
schaft mit 109 Thalern in Anschlag gebracht und müsse
daher ihre Last gleich andern tragen, wenn nicht, so sei
hierzu specieller Beschluss des Magistrats nöthig. Das
Raths-ProtokoU vom 4. Februar erwähnt eines Reglements
des Duc de Broglio, Commandantenchef über Bequartie-
rung der französischen Truppen und über Austheilung
von Fourage, welches am 27. Januar 1760 publicirt
worden ist.
Raths-ProtokoU vom 27. Januar 1760: Hiesige Bürger
beschweren sich, sie seien übermässig mit Einquartierung
belastet und nicht im Stande, ihren Handel und Nahrung
zu treiben. Ihre Wirthsstuben und Zimmer seien voll
Soldaten, die nicht leiden, dass Bürger Vs Maass trinken
und sich setzen. In den Casernen sei noch Platz, dorthin
könne ja das Regiment von Rochefort gelegt werden, da
die Bürger bereits durch Artilleristen, Sappeurs, Mineurs,
Pontonniers, Domestiques, Chirurgieurs etc. belastet seien.
442 Geschichte der militarUclien Verhältnisse der Stadt Düsseldorf,
Anton Pauls zeigt an: Durch den Corporalen zu
Pempelfort Henric Clausen seien ihm 24 Mann einbillettirt,
annebst eine Wacht von 1 Lieutenant und 22 Mann ins
Haus gelegt. Er muss hierfUr Feuer und Licht stellen
und bittet hierfür um VergQtung. Hauptmann Roberz
erhält durch den Magistrat den Befehl: 1. Die in Pempel-
fort liegenden Dragoner selbst zu billettiren. 2. Keine
Corporales zur Billettirung zu gebrauchen. 3. Billettii*ungs-
liste bei einer Strafe von 10 Thalem in nächster Raths-
Sitzung einzuschicken.
Im Raths-ProtokoU vom 16. Januar 1761 finden wir,
dass der Commerzienrath Jakobi eine Rechnung übergiebt
über 525 Paar LeinentQcher und Laken, welche er in die
Casemen zum Behuf der französischen Völker geliefert hat.
Peter Thissen und Wittib Adolf Schmitz zu Volmerswerth
erhalten Entschädigung wegen ihrer im Dienst verdorbenen
Pferde. Bäckermeister Heinrich Weingartz in der Neu-
stadt präsentirt Rechnung über Holz ad 16 Thaler 15 Stüber,
geliefert für die Regimenter Vastan und Veaubecourt.
Henric Burgel übergab Rechnung für Fourage an fran-
zösische Artilleriepferde ad 13 Thaler 12 Albus. Die
Bataillone Chalons und Paris haben Fuhren requirirt, ohne
dafür regus auszustellen. DieSchreinerzunft fordert Zahlung
fQr die dem Regiment Caruman in der Neustadt gelieferten
Arbeiten. Der Magistrat sendet Bericht nebst Rechnung
und Anzeige, dass die Arbeit in Gefolg Mandati de
9. December 1758 angefertigt, an die französische Militär-
behörde. Der Magistrat werde von dieser, bei Kriegs-
zeiten mit Anschaffungen hart belästigten Zunft, täglich
behelligt und müsse umsomehr auf Zahlung anstehen, als
]i[agistrat mit keinen baaren Mitteln versehen sei, woraus
dergleichen besondere Zahlungen veriügt werden könnten.
Geliefert hatte die Schreinerzunft Tische, Bänke und
Mantelstöcke. — In der Sitzung vom 12. März 1761 prä-
sentirt der Bürgermeister eine gestrenge Verordnung vom
11. März, wonach aus hiesigen Landen zur französischen
Armee 600,000 Rationen Heu zu beschaffeö seien. Ohne
Unterschied auf Klöster und Rittersitze sei eine General-
Visitation vorzunehmen und eine gewissenhafte speci-
flcation des vorräthigen Heus, die Portionen zu 18 pariser
Pfund columnen weise einzureichen, so dass in 1. Col.
Vorrath, 2. Col. eigen Nbthwendigkeit, 3. Col. Ueberschuss
enthalten ist. In jedem Kirchspiel wird mittelst eines
Glockenschlages verboten, ohne schriftliche Erlaubniss des
Bürgermeisters den Vorrath an Heu bei einer Strafe von
10 Thalern zu verbringen. Am 2. April 1761 theilt der
Bürgermeister mit, es sei befohlen worden, sofort einen
Oesehiehte Jer militärischen Verhältnisse der Stadt Dßsseldoff. 443
Stall für 30 Pferde für den General de Chevert an der
Franziskaner -Mauer zu errichten. Den Franzosen wird
zur Antwort unter wiederholter Vorstellung der Bedräng-
niss der Stadt und Bürgerschaft, dass der Magistrat den
Stall unverzüglich in Arbeit stelle, seiner Kurfürstlichen
Durchlaucht aber anheimstellen werde, aus welchem
Fundo die Arbeitsleute und Kosten zu zahlen und herzu-
nehmen wären.
Wie vielseitig die Oesuche an den Magistrat waren,
geht femer aus dem Protokoll vom 13. und 17. April 1761
hervor.
Der Schreinergeselle Maul zeigt an, dass ihm bei
Anwesenheit des Schweizer Regiments Comte ein darunter
gestandener, dann desertirter Soldat Crojan ein kleines
Kind von 3 Jahren hinterlassen. Weil er aber unmöglich
im Stande sei, das Elind zu erziehen, so begehre er, dass
ihm die Alimentations-Kosten ex publice fundo hergereicht
würden. Es wird beschlossen, ihm aus Stadtmitteln ad
Interim 2 Thaler zu verreichen.
Es würde zu weit führen, noch mehr aus den vor-
handenen Raths-ProtokoUen zu erwähnen. Der Landesr
fürst Karl Theodor ist nur 2 mal in Düsseldorf gewesen,
nämlich im Jahre 1746 und 1785. Seine Anwesenheit
wurde mit grossen Festlichkeiten gefeiert, namentlich
wurde ihm im letzteren Jahre ein grosses militairisches
Schauspiel bereitet. Die Besatzung von Jülich und
Düsseldorf, 4 Regimenter Fussvolk und ein Regiment
Reiter bezogen auf der Haide zwischen Golzheim und
Kalkum ein Lustlager und führten im Beisein des Chur-
fürsten Kriegsübungen aus. Ihre Stärke betrug 5000
Mann Fussvolk und 600 Reiter.
An der Festung war weitergebaut worden, wodurch
die bisherige Südfront vom Flinger- bis zum Berger-
Bastion entbehrlich wurde. Sie wurde 1787 geschleift
und auf diesem Terrain zwischen Cidatelle und Kaserne
ein neues Stadtviertel angelegt, denjenigen, welche sich
hier anbauen wollten, wurde 20jährige Steuerfreiheit in
Aussicht gestellt. Die Garnison bestand Anfang der
90er Jahre aus dem 4., 7. und 13. Füsilier-Regiment zu
ungefähr 500 Mann mit den Namen de la Motte, Graf
von der Wahl, Fürst Isenburg, hinzu kam ein Grenadier-
Bataillon, das Kürassier-Regiment Graf Seyssel d' Aix
und eine Kompagnie Fussartillerie. Die Uniformen sollen
geschmackvoll gewesen sein. Die Infanterie und Cavallerie
hatten weisse Röcke, das 4. Regiment hatte dunkelblaue,
das 7. grüne, das 13. schwarze, das Grenadier-Bataillon
hellblaue, die Cavallerie rothe Aufschläge, die Artillerie
444 Oeschiehte der miliidHMchen VerkdUnisae der Stadt DüeeOdwrf.
hatte hellblaue Waffenröcke mit schwarzen Abzeichen.
Alle Truppen trugen Caskets mit wallendem Rossschweif,
der bei den Füsilieren und Artillerie schwarz, bei den
Grenadieren und Kürassieren weiss war. Der General
von Dalwigk war Commandant von Düsseldorf, Major de
la Treille Platzmajor. Die Mannschaften waren sämmt-
lieh in Kasernen untergebracht, die Grenadiere und
Füsiliere in der heutigen Infanterie-Kaserne, die nunmehr
das zweite Stockwerk erhalten hatte. Das alte Gasthaus
zu beiden Seiten der Garnisonkirche diente als Lazareth
und wurden in einem Schuppen hinter der Kirche die
kupfernen Geschütze aufbewahrt. Die Cavallerie hatte
eine Kaserne in der Neustadt, der jetzigen, welche erst
1822 vollendet wurde, gegenüber. Die Artillerie lag in
der Reuterkaserne, welche sich am Rhein unterhalb der
Lambertuskirche befand. Drei Pulverthürme befanden
sich in unmittelbarer Nähe der Infanterie-Kaserne. Die
Hauptwache war auf dem Burgplatz in einem besonderen
Gebäude vor dem Schloss, ausserdem gab es wie in allen
Festungen Thor- und Kasernenwachen.
Düsseldorf hatte sich einer etwa 30jährigen Ruhe
zu erfreuen gehabt, in welcher Zeit die Stadt sich rasch
entwickelte, umsomehr, da die Festungswerke wie schon
gesagt sehr ausgedehnt worden waren. Die Unruhen in
Frankreich sollten aber für Düsseldorf auch bedeutsam
werden. Nachdem die Oesterreicher im October 1794
an verschiedenen Stellen, so auch bei Düsseldorf, den
Rhein überschritten und hier sehr von dem General
Bernadotte bedrängt worden waren, erschienen am
6. October Morgens gegen 9 Uhr mehrere französische
Ingenieur-Offiziere begleitet von einem Infanterie-Piquet
am linken Rheinufer am Kölnischen Zollhaus, welches
etwa da lag, wo jetzt die Wirthschaft von Schwarz sich
befindet. Sie pflanzten dort nach republikanischer Sitte
einen Freiheitsbaum mit Jakobinermütze und der Revo-
lutionsfahne auf. Dies wurde von der Festung aus
beobachtet und feuerten auf Befehl des Pfalzbaierischen
Commandanten General Lamotte die Oesterreicher am
Zollthor ihre Geschütze gegen diesen Baum hin ab. Hier-
durch wurde ein Capitain getödtet und mehrere Soldaten
verwundet, was die Franzosen in die grösste Aufreg^ung
versetzte. Sofort wurde Meldung in's Hauptquartier zu
Neuss entsendet und soll der unter General Bernadotte
befehligende Divisions-Commandeur gerufen haben: „Die
Oesterreicher und Pfälzer haben mir guten Morgen ge-
wünscht, ich werde' ihnen guten Abend bieten.** Sofort
wurden Anstalten getroffen, um diese Herausforderung zu
Ge9chieht€ der milüärieehen Vei^uaUiiue der Stadt Da$9Marf. 445
Züchtigen. Am Nachmittag kamen mehrere hohe OfSciere
nach Obercaesely um das Ufer zu recognosciren , 4
schwere Geschütze wurden bei Anbruch der Dunkelheit
in einem Graben des abgetragenen Forts Düsselburg
gebracht und begann um 10 Uhr aus dieser nahen Ent-
fernung ein heftiges Bombardement. Um Mitternacht
brannten schon Schloss, Marstall, Kirche und Kloster der
Cölestinerinnen y sowie viele Privathäuser. Es entstand
eine schreckliche Angst in der Stadt, an löschen dachte
Niemand, die Bewohner flüchteten nach Aussen oder
suchten in den Kellern Schutz gegen die niederfallenden
Geschosse. Die Churpfälzer hatten sofort die Stadt ver-
lassen und machten erst in Elberfeld und Barmen Halt.
Die Churfürstliche Regierung, an der Spitze der Minister
von Hompesch, verliess gleichfalls Düsseldorf. Das
Bombardement hörte gegen Morgen auf, hatte aber der
Stadt in dieser kurzen Zeit einen Schaden von mehr als
einer Million Thalern zugefügt. Aber nicht nur das
Feuer, sondern auch Diebe und dergleichen Gesindel
hatten in der Stadt arg gehaust ; Churpfälzer waren zurück-
geblieben, die gemeinsam mit Oesterreichem in der
allgemeinen Verwirrung zu plündern begannen.
Die Landrentmeisterei und die Kellerei wurden er-
brochen, es wurden an baarem Gelde 2729 Reichsthaler
40 Stüber gestohlen, 63 Ohm Wein wurden vernichtet
oder gestohlen, im Keller soll man bis an die Knöchel
im Wein gewatet haben. Die Regierung erlitt einen Ver-
lust von 612993 Reichsthalem 30 Stüber, der Verlust der
Privaten ist nicht abgeschätzt worden. Die Franzosen
schienen mit der genommenen Vergeltung zufrieden zu
sein, denn sie überschritten den Rhein nicht, sondern er-
richteten auf dem linken Ufer nur ein Denkmal ihrer
That mit der Inschrift : „Landrecy y veng6 par les soldats
de la röpublique'^, welches darauf Bezug hatte, dass diese
Festung an der Sambre am 30. April desselben Jahres
von den Oesterreichem unter dem Prinzen von Coburg ge-
nommen worden war. Die Pfälzer rückten im April 1875
unter General von Zettwitz wieder zur Besetzung von
Düsseldorf ein. Die Oesterreicher hatten sich in der
Gegend von Düsseldorf nur durch Batterien gesichert
und bezogen mit den Pfälzern gemeinsam die Kasernen,
w^elche sehr überfüllt waren, da bis zu vier Mann in
einem Bett schlafen mussten, auch die Treppenabsätze
und Speicherräume belegt worden waren. Der FestUngs-
dienst wurde streng gehandhabt und zwar mit solcher
Stille, dass nicht mal getrommelt werden durfte. Im
Juli 1795 beschlossen endlich die Franzosen unter dem
446 Oesehiehte der müitärischen Verhiatniaat der Stadt DOeeeid&rf.
gänäral en chef Jourdan die Offensive zu ergreifen. Sie
bauten zum Schutze eines Rbeinüberganges grossartige
Angriffsbatterien bis nach Uerdingen. Der Festung
Düsseldorf gegenüber warfen sie drei grosse Batterien
auf, mit Scharten versehen und durch Laufgräben ver-
bunden: Sie enthielten 27 Geschütze, die oberste Batterie,
genannt batterie de la citadelle, von 8 Geschützen, be-
strich mit einer Scharte das Glagis, mit den 5 folgenden
die Werke der Citadelle, mit der 7. die Hafenmündung,
mit der 8. das Schloss; die zweite, batterie du chateau,
hatte 9 Geschütze, von denen 7 auf das Schloss und 2
auf das Bastion „Karl Theodor^ gerichtet waren; die
dritte, batterie de la forteresse, hatte 10 Geschütze, welche
die nördliche Front bestrichen. Ausserdem waren bei
Heerdt 2 und am Ausfluss der unteren Erft auf den
Neusser Weiden 3 kleine Batterien mit zusammen 15 Ge-
schützen. Im September 1795 erschien bei Heerdt eine
französische Division und fuhr Batterien auf zur Be-
schiessung der Stadt. In der Nacht zum 5. September
imternahmen die Franzosen den Rheinübergang bei
Uerdingen, die Division Leföbre landete um 12 Uhr auf
dem rechten Rheinufer auf neutralem Gebiet, ihr folgte
die Reserve-Division Tilly und gegen 6 Uhr Morgens die
Division Grenier. Der österreichische General Graf
Erbach, dem die Vertheidigung des Rheinufers übertragen
worden war, liess sich durch die gleichzeitig bei Düssel-
dorf erfolgende Kanonade täuschen, er vermuthete, dass
die Franzosen hier übersetzen würden, er setzte sich
daher mit 4 Compagnien und 2 Schwadronen Ulanen von
Calcum aus in Marsch nach Düsseldorf, erhielt aber schon
unterwegs vom Oberstlieutenant Graf Salaro die Meldung,
dass der Feind bei Hamm viele Truppen übergesetzt
hatte und bereits nach Düsseldorf zöge. Graf Erbach
kam Morgens gegen 4 Uhr nach Düsseldorf und vertrieb
die Franzosen aus den Gassen der Neustadt in die Häuser,
von wo aus sie ein mörderisches Feuer unterhielten.
Inzwischen unterhandelten , eingeschüchtert durch die
Drohung, Düsseldorf durch ihre 27 Feuerschlünde in einen
Schutthaufen zu verwandeln, der Minister von Hompesch,
der General von Zettwitz als Militär-Gouverneur der Provinz
und der General von Dalwigh als Commandant der Festung
mit dem Citoyen Louis Denizot, Beigeordneter der General-
adjutanten für die französische Republik, über die Bedin-
gungen der Capitulation, so sehr auch Graf Erbach wider-
sprach. Die Beschiessung der Stadt geschah nur aus zwei
Stücken der batterie de la citadelle, Schaden wurde nicht
angerichtet. Die Capitulations-Bedingungen waren folgende:
Geaehichte der milüärißehm Verhältnisse der Stadt Düsseldorf, 447
„Wir Unterschriebenen, mit Vollmacht Versehenen etc.
haben also festgesetzt:
Art. 1. Die Garnison wird jedoch bewaffnet und mit
allen Eriegsehren, desgleichen Beibehaltung der Bagage
und zwar sogleich ausmarschiren , derselben steht frei,
dahin zu ziehen, wo sie es für gut befindet, jedoch mit
der Bedingung, vor einem Jahr und Tag weder wider
die Armee der französischen Republik, noch ihrer Bundes-
genossen Waffen zu führen.
Art. 2. Es sind der Garnison 16 Cavalleriepferde,
von denen, die in der Festung sind, zugestanden, die
übrigen werden den Franzosen überliefert, die Offizier-
pferde und die des Marstalles ausgenommen, der letzteren
Zahl darf aber 15 nicht übersteigen.
Art. 3. AllB Kanonen und was zur Artillerie gehört,
mag es Namen haben wie es will, so wie auch die Nachen
und Schiffbrücken, welche im Hafen liegen, werden den
Franzosen übergeben.
Art. 4. Der Gouverneur soll einem Offizier den Auf-
trag geben, dem Agenten der französischen Republik den
genauen Stand von allen Magazinen, Munition, Feuer
Schlünden und alle Karten und Pläne, besonders welche
auf Mienen Bezug haben, zu überweisen.
Art. 5. Der Gouverneur soll von jedem Corps einen
Beauftragten zurücklassen, welcher Equipage nachschicken
wird, sobald die Oesterreichische Armee sich hinter die Sieg
retiriret haben wird ; zugleich sind den Generalen, welche
Truppen führen, zwei unbedeckte Wagen zugestanden.
Art. 6. Alle Oestreichischen Militair - Individuen,
welche sich in der Stadt befinden, sind in gegenwärtige
Oapitulation nicht mit einbegriffen und werden von diesem
Augenblicke an als Kriegsgefangene angesehen.
Art. 7. Der Gouverneur von Düsseldorf soll alle
französischen Emigi*anten, welche in der Stadt sein könn-
ten, angeben und der Macht der Franzosen überliefern.
Art. 8. Die Sicherheit des Eigenthums und der
Personen der Einwohner der Stadt Düsseldorf wird unter
den Schutz der französischen Republik gegeben.
Art. 9. Dem vorbenannten dirigirenden Minister
wird die Freiheit zugestanden, entweder mit seiner Familie
in Düsseldorf zu verbleiben, oder sich dahin zu verfügen,
wo er es für gut befinden möge.
So geschehen zu Düsseldorf den 20. Fructidor nach
der Zeitrechnung der französischen Republik oder nach
der allgemeinen den 6. September 1795 und haben unter-
zeichnet :
Denizot. Hompesch. Zettwitz. Dalwigh.
448 GesehicJUe der tnüUärUehw VerhäUnisae der Stadt DUseMwrf.
Somit war Düsseldorf in den Händen der Franzosen
und blieb darin bis zum Frieden von Lttneville 1801.
Am Nachmittage des 6. September trafen die Oenerale
Lef6bre und Kleber in Düsseldorf ein; am 7. wurden
zwei Schiffbrücken geschlagen, über welche fortwährend
französische Truppen durch Düsseldorf rückten. Hier
blieb nur eine schwache Besetzung unter dem Obersten
Winter zurück. In den folgenden Monaten wird an den
Festungswerken mit grossem Eifer gearbeitet, die benach-
barten Gemeinden wurden zur Schtmzarbeit berufen,
Bürger und Landleute mussten die schwersten Arbeiten
verrichten, die Waldungen wurden verwüstet, sogar Obst-
bäume brauchte man zu Faschinen und Pallisaden. Welche
Lasten die Stadt zu dieser Zeit zu tragen hatte, geht
daraus hervor, dass vom 6. September 1795 bis zum
31. Mai 1801 die Zahl von 3 257 694 Einquartierungstagen
für Mannschaften und 420121 Einquartierungstagen für
Pferde berechnet worden sind. Die Franzosen wollten
Düsseldorf zum grossen Waffenplatz für eine Besatzung
von 36000 Mann erweitem und umgaben die Festung
daher mit einem weiten Halbkreise von Verschanzungen,
welcher sich vom Rheinufer bei Flehe um Bilk herum
zum Wehrhahn bei Pempelfort und Derendorf vorbei bis
Golzheim erstreckte und am Rhein endigte. Im Ganzen
sollten 62 Batterien und Schanzen entstehen, welche mit
268 Geschützen zu besetzen waren und an welchen bis
zum Jahre 1799 gearbeitet wurde. Ferner wurde noch
an der Stelle des ehemaligen Forts Düsselburg ein starker
Brückenkopf angelegt. Die Festungsbauten wurden durch
General Kleber und am 10. März 1796 durch den gön^ral
en Chef Jourdan, welcher in Bonn sein Hauptquartier
hatte, besichtigt. Einem feierlichen Einzüge folgte grosse
Heerschau, Feste, Gelage und Feuerwerke, alles auf
Kosten der Bürger, welche noch gute Miene zum bösen
Spiel machen mussten. Dass die Bürger schliesslich nicht
mehr im Stande waren, die Einquartierung zu verpflegen
und dass die Soldaten dies selbst einsahen, geht aus der
Erzählung eines in den 50. Jahren noch lebenden Augen-
zeugen hervor. Derselbe berichtet:
^Ich begleitete eines Tages ein Bataillon der Division
Lef6bre zu einer Uebung hinaus, welche auf den Sand-
hügeln von Iklak vor sich gehen sollte, die zu gleichen
Zwecken auch heute noch von den Truppen häufig
besucht werden. Die Kompagnien waren aufgestellt und
das Exercitium sollte beginnen , als wie auf Commando
die Soldaten die Gewehre niederlegten. Der Bataillons-
Chef ruft die Kompagnie-Chefs zusammen und fragt sie
Qesehichte der mHU^ritchen VerMUnine der Stadt Düsaeldarf. 449
nach der Ursache dieses massenhaften Excesses — sie
wissen sie nicht. — Darauf Iftsst der Chef das Bataillon
ein Viereck formiren, ruft die ünterofflciere vor und ver-
langt von ihnen Amkunft. Diese erklaren denn im
Namen und aus Auftrag der Kompagnie, dass sie der
Republik dienten, diese aber auch verpflichtet sei, sie zu
unterhalten; solches sei aber seit nunmehr einem halben
Jahre nicht mehr geschehen, vielmehr lägen sie ihren
Quartiergebern auf eine unerträgliche Weise zur Last
und nach ihrer Ueberzeugung könnten dieselben sie
nicht mehr mitunterhalten. — Inzwischen hat eine
Meldung nach Düsseldorf den befehligenden General
herbeigerufen, welcher selbst die Klage der Leute ver-
nimmt und ihnen eröffnet, dass sie in Zeit von 24 Stunden
und fortan regelmässig ihre täglichen Portionen erhalten
würden. Die Soldaten sind zufrieden gestellt und die
Uebung geht ohne weitere Indisciplin in bester Ordnung
vor sich. Im Herbst des Jahres 1797 wurde der Karls-
platz ausgefüllt und planirt und diente der Garnison als
Exercier- und Paradeplatz. Im Jahre 1799 wurde mit
dem grössten Eifer an den Befestigungen gearbeitet,
jeder Amtsbezirk musste 150 Arbeiter und 10 Fuhren
stellen. Im Herbst wurde die Arbeiterzahl erst auf 2400
und dann auf 1400 herabgesetzt. Ferner mussten 50000
Pallisaden, 15000 Faschinen und 2000 Eichenstämme
durch das Land geliefert werden. Endlich machte der
Frieden zu Lüneville am 9. Februar 1801 der Herrschaft
der Franzosen auf dem rechten Rheinufer ein Ende, auch
enthielt er die für Düsseldorf segensreiche Bestimmung,
dass die Festungswerke geschleift werden sollten. Nach
den getroffenen Festsetzungen sollten die Franzosen am
31. März 1801 das rechte Rheinufer räumen , jedoch
sollten vorher die Festungswerke geschleift und der Rest
der Kriegssteuem bezahlt werden. Die Landstände
weigerten sich zunächst, an den Kosten und der Arbeit
theUzunehmen, da es sich ja nur um Verschönerung von
Düsseldorf handle. Hiermit drangen sie aber nicht durchs
da nach Ansicht der Franzosen die Ausführung der
Friedensbedingungen Aufgabe des ganzen Landes sei.
Die Franzosen selbst zerstörten nun die Hauptwerke, in-
dem sie Kasematten und Mauerwerk mit Pulver sprengten.
Die für Ausbau und Instandhaltung der Festung jährlich
vom Bergischen Lande ausgeworfenen 30000 Thaler
w^urden in diesem Jahre zum letzten Male erhoben, um
nun aber die Kosten der Zerstörung zu decken. Es
g'elang, durch freiwillige Arbeit bis zum Mai die Sache
soweit zu fördern, dass die Franzosen sich befriedigt er-
29
450 Gedehichte dtr militSriseken Verhältnisse der Stadt Düsseldorf •
klärten und am letzten Mai abzogen. Hiermit verliert
Dflsseidorf' seine militärische Bedeutung. Fast wäre
Düsseldorf nochmals dem Schicksal verfallen , Festung
zu werden. Als im Spät herbste des Jahres 1811 Napoleon
nach Düsseldorf kam y unterwarf er die Stadt und Um-
gegend einer persönlichen Rekognoscirung, um zu unter-
suchen, ob sich dieselbe zur nochmaligen Befestigung
eigne. Er stand jedoch vollständig wegen der ungünstigen
Lage der Stadt von diesem Unternehmen ab und gab das
wichtige Dekret, in welchem die geschleiften Festungs-
werke nebst dem Glacis der Stadt zu Verschönerungs-
zwecken geschenkt wurden. Im Jahre 1806 wurde bekannt-
lich der Churfürst Maximilian Joseph, welcher von 1799 ab
in hiesigen Landen herrschte, vom Kaiser Napoleon I.
zum König von Bayern erhoben. Zugleich erging das
Dekret, wonach Joachim Mürat zum Grossherzog von
Berg ernannt wurde. Dieser kam bald nach seiner Er-
nennung nach Düsseldorf und residirte gewöhlich im
Schloss von Benrath. Unter ihm wurden die Planirungs-
arbeiten mit Eifer fortgesetzt und hatten hierzu die Land-
stände jährlich 40000 Franken bewilligt. Auf dem Haupt-
wall entstand die Alleestrasse, damals „Boulevard Napoleon ^
genannt. Zu gleicher Zeit entstand die heutige Königs-
allee, der Ananasberg wurde durch Galeeredsclaveii
angefahren, der Napoleonsberg verdankt dem neuen Hafen
seine Entstehung. Der Exercierplatz an der Infanterie-
Kaserne scheint als solcher im Jahre 1809 hergestellt
worden zu sein, da in diesem Jahre 7781 Francs 2 Cen-
times zur Planirung desselben an verschiedene Fuhrleute
gezahlt worden sind, desgleichen erhielt die Infanterie-
Brigade für geleistete Arbeit 74 Francs 17 Centimes.
Joachim Mürat blieb nur 2 Jahre hier, da er am 15. Juni
1808 vom Kaiser zum König von Neapel ernannt wurde.
Nunmehr blieb das Grossherzogthum Berg unter franzö-
sischer Herrschaft, da der neue Grossherzog Louis Napoleon
erst 5 Jahre alt war. Am 1. Juni 1809 erschien eine
Instruction zur Ausführung der Gesetze- und Reglements
über die Conscription , welche in der Druckerei des
Gouvernements gedruckt worden war. Dem französischen
Text ist die deutsche Uebersetzung beigegeben. Es ist
bekannt, mit welcher Strenge dieses Gesetz gehandhabt
und durchgeführt wurde. Alle jungen Leute von 20 Jahren
gehörten zur Conscription des betreffenden Jahres. Artikel
2 sagt: Kein Stand, kein Verhältniss, es möge Namen
haben wie es wolle, begründet eine Ausnahme. — Nur die-
jenigen sind völlig eximirt, welche bei den Protestanten
zum Predigeramte, bei den Katholiken zum Subdiakonate
Geschichte der müiiä riechen Verhält niese der Stadt Düsseldorf. 451
gelangt sind. Artikel 5 lautet: Die Dienstzeit ist in
S'riedenszeit auf 5 Jahre festgesetzt. In Kriegszeiten
kommt es darauf an, ob die Umstände es gestatten,
dass nach Ablauf der 5 jährigen Dienstzeit der Abschied
ertheilt werde. Die Instruction wird mit den Worten
eingeführt : Seine Majestät der Kaiser haben durch aller-
höchstes Dekret^ datirt von St. Cloud, den 21. October 1808
zu verordnen geruht, dass die französischen Conscriptions-
Gesetze und Reglements, ihrem ganzen Umfang nach, in
dem Grossherzogthum zur Anwendung gebracht werden
sollen. Unterzeichnet ist die Instruction durch den
Minister des Innern, Graf von Nesselrode.
Wie schon erwähnt, befand sich das Militär-Lazareth
in den Gebäulichkeiten zu beiden Seiten der Garnison-
kirche. Diese Kirche wurde 1772 der Garnison über-
geben, sie fahrte den Namen St. Anna -Kirche. Die
Pfarrer hatten ein eigenes Pfarrsiegel und hatten amtliche
Anerkennung bei allen geistlichen und weltlichen Be-
hörden. Sie bezogen ihr Gehalt von 400 Thalern, sowie
die Cultuskosten aus der Militärkasse, zudem hatten die-
selben, wie auch der Küster, freie Wohnung in der Caserne.
In der Kirche befindet sich ein Hochaltar von Marmor
mit Stuck, er stammt aus der Klosterkirche der Cölesti-
nerinnen her, die 179ö bei dem Bombardement zerstört
wurde. Das Altarbid, die Taufe Jesu darstellend, ist im
Jahre 1847 durch den Maler Ittenbach zum Preise von
800 Thalem gemalt worden. Die Kosten hat zu zwei
Drittel der Kunstverein für Rheinland und Westphalen
getragen, das letzte Drittel ist durch Sammlung unter
beiden Confessionen beschafft worden.
Die beiden Nebenaltäre stammen aus der Kapuziner-
kirche; einer ist der heiligen Anna, der andere dem
heiligen Johannes von Nepomuck geweiht. Auf diesem
Altar befindet sich auch noch die Statue des heiligen
Johannes, des Schutzpatrons der Krieger, insbesondere
des der Infanterie. Durch Allerhöchste Cabinetsordre
vom 30. September 1824 wurde bestimmt, dass die Kirche
als evangelische Garnisonkirche zu betrachten sei, wobei
sie jedoch auch fernerhin den Namen heilige Anna-Kirche
beibehalten sollte. Die Kirche ist dem Kriegsministerium
überwiesen, welches für die Unterhaltung sorgen und die
Ausübung des katholischen Gottesdienstes in derselben
gestatten soll. Die Gamisonkirche wurde 1815 zur Unter-
bringxmg französischer Gefangener benutzt, demnächst
bis 1816 als Magazin. Im Jahre 1818 wurde die Infanterie-
Caserne durch Zwischenfiügel erweitert; hierzu wurden
die 2500000 Ziegelsteine, welche eigentlich zum Bau des
452 Geschichte der mUitarischen Verhöltnis9e der Stadt Das$eidorf.
Nordcanals bei Neuss bestimmt waren, verwendet. Im
nächsten Jahre wurde die Artilleriecaseme, von welcher
bis dahin bekanntlich nur der westliche Theil mit kurzen
nach Norden imd Süden angesetzten Flügeln bestand, im
Viereck bis zum Exercierplatz ausgebaut, auch wurde
eine Lieferung von 11 200000 Steinen zum Bau der Caseme
in der Neustadt ausgeschrieben. Dieser Bau wurde im
Jahre 1822 vollendet. Der Stall auf der westlichen Seite
der Casemenstrasse wurde 1834 gebaut. Zwischen der
lufanterie-Caseme und der jetzigen Post standen im An-
fang dieses Jahrhunderts hölzerne Stallungen. 1813 waren
dieselben mit polnischen Lanciers belegt. Diese erhielten
nach der Schlacht bei Leipzig Befehl, nach Frankreich
zu marschiren. Um dem zu entgehen, zündeten sie die
Stallungen an, wobei etwa 82 — 86 Pferde verbrannten.
Die ganze Equipage des Führers ging hierbei zu Grunde.
Beim Bau des Hintergebäudes der Post stiess man im
Anfang der fQnfziger Jahre auf eine Menge Knochen ; es
stellte sich heraus, dass nach dem damaligen Brande die
Pferde dort vergraben worden waren.
Aus dem Jahre 1810 wird uns von einem grossen
Feuer berichtet, welches am 16.December auf dem Exercier-
platz angezündet wurde, um die englischen Waaren zu
verbrennen, deren Verkauf in Folge der Continentalsperre
untersagt war. Die Waaren wurden an diesem Tage aus
dem alten Schloss, in welches sie geschafft worden waren,
unter Begleitung eines Piquets der Gendarmerie und unter.
Trommelschlag durch die Stadt zum Marsfelde, so hiess
damals der Exercierplatz, gefahren. Die Verbrennung
geschah Mittags zwischen 12 und 2 Uhr in Gegenwart
einer Menge Volkes unter Aufsicht des Bataillons-Chefs
Hemskirch. Zugegen waren : Der Präfect Graf von Borcke,
Stadt- Commandant Bonnet, die Präfectur-Räthe und De-
partements-Chefs, der Maire Freiherr von Pfeill, der
General -Zolladministrator und viele Zollbeamten. In
Mindels Wegweiser durch Düsseldorf vom Jahre 1817
finden wir, dass sich das Militär-Bekleidungs-Depot (sp&ter
Montirungs-Depot, jetzt Bekleidungs-Amt genannt) schon
in der Ereuzbrüderkirche und in dem zugehörigen Kloster^
welches zur Zeit abgebrochen wird, um einem Neubau
zu weichen, befindet, ein Theil des Militär -Bekleidungs*
Depots befand sich noch im Akademiegebäude des alten
Schlosses. Für den Gebrauch der Garnison waren femer
bestimmt: Die neue Caserne (im Gegensatz zur Reuter-
caseme), das Militär-Lazareth, das Commiss-Backhaus in
der Citadellstrasse und die Hauptwache. Diese befand
sich bis zum Anfang der fünfziger Jahre auf dem Burg*-
Geschichte der milifdrischen Verhältnisse der Stadt Düsseldorf, 463
platz in einem freistehenden Gebäude, welches zum alten
Schlosse gehörte. Wegen Baufälligkeit und da man die
Reparaturkosten von 1500 Thalern nicht aufwenden wollte,
musste das Gebäude geräumt werden. Es schwebten
Unterhandlungen wegen Verlegung der Hauptwache in
das alte Schloss oder in das Marstall - Gebäude, welches
neben dem Regierungsgebäude in der Mühlenstrasse lag.
Schliesslich erhielt die Wache ihren jetzigen Platz. Mindel
zählt auch den Düsseldorfer Militär -Etat des Jahres
1817 auf; derselbe setzte sich zusammen aus 1. Landwehr-
Inspection vom Regierungsbezirk Düsseldorf, Commandeur
General -Major von Rödlich. 2. Stamm des Rheinischen
Grenadier - Landwehr - Bataillons , Commandeur Major
von Bork. 3. Dritte Abtheilung der 7. Artillerie-Brigade
mit einer reitenden und vier Fuss - Compagnien , Com-
mandeur Major von Gieseler. 4. Rheinische Provinzial-
Invaliden - Compagnie , Commandeur Oberst - Lieutenant
von Roishausen, ö. Stamm-Mannschaft des 2. Bataillons
vom 1. Düsseldorfer Landwehr -Regiment, Commandeur
Major von Romberg. 6. Garnison-Geistlichkeit. Hierunter
sind folgende Personen aufgeführt: Hartmann, Consistorial-
rath und lutherischer Garnison -Prediger, Frau Gemmer,
Eüsterin, Custodis, katholischer Garnison -Prediger, Neu-
bauer, Küster und Unteroffizier in der Invaliden-Compagnie.
Unter Nr. 7 sind Casernen- und Lazareth -Verwaltung
aufgeführt. Die Gensdarmerie bestand aus dem Haupt-
mann und Brigade-Chef von Forell, einem Obersergeanten,
einem Unteroffizier und einem Gefreiten, ausserdem aus
5 Cavalleristen und 3 Infanteristen. — Die Truppen der
Garnison hatten in früheren Jahren ihre Schiessstände
im Hofgarten hinter dem Napoleonsberg. Als im Jahre
1847 die 7. Jäger -Abtheilung von Wetzlar nach Düsseldorf
verlegt wurde, leistete die Stadt Zuschüsse zur Errichtung
von Schiessbahnen im Bilkerbusch^ welcher sich zwischen
Oberbilk und Klein -Eller befand. Diese Schiessstände
wurden bis zum Jahre 1876 benutzt, mussten jedoch ein-
gehen, da die Cultur sich nach jener Gegend hin immer
mehr erstreckt hatte und da sie die Eisenbahn, welche
in nicht zu weiter Entfernung hinter denselben vorbei-
führte, gefährdeten. Die jetzigen Schiessstände, 12 an
der Zahl, liegen bekanntlich im Aaperwalde und werden
seit dem Jahre 1876 von den Truppentheilen der Garnison
benutzt.
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Ä^ ^'^'^"'^'^^"^^'f f "-'^HHF'^W^^^F^^^^fW^^F^^^
Die Abtei Düsseithal.
Johann Wilhelm, Churfürst zu Pfalz, gründete im
Jahre 1707 zu Düsseithal bei Düsseldorf eine aus der
Abtei Orval im Herzogthum Luxemburg ausgegangene
Niederlassung Cisterzienser-Mönche von der strengen Ob-
servanz und stiftet und begiftet sie reichlieh; dieselbe ist
sodann im Jahre 1714 zur Abtei erhoben worden.
Wir Johann Wilhelm, von Gottes Gnaden Pfalzgraf
bei Rhein, des heiligen Römischen Reiches Erzschatz-
meister und Churfürst, Herzog in Baiem, zu Jülich, Cleve
und Berg, Füi-st von Mors, Graf zu Veldenz, Sponheim,
der Mark und Ravsnsberg, Herr zu Ravenstein u. s. w.
Allen, die Gegenwärtiges lesen, unsern ChurfUrstlich
gnädigen Gruss. W«nn wir bei der Regierung unsrer
getreuen Unterthanen vorzüglich darauf sehen, dass die
heilige Genossenschaft der Mönche in ungestörter Sicher-
heit Gott um so treuer und würdiger dienen könne, so
thun wir dies im kindlichen Vertrauen auf den Herrn,
dass sie in stiller Einsamkeit durch ihr inständiges Gebet
und ihren eifrigen Dienst die göttliche Barmherzigkeit
uns um so eher zuwenden werden, in Betracht wir selbst
durch weltliche Sorgen und des Krieges Unruhen immer-
fort behindert sind, den geistlichen Uebungen sowie wir
wünschten obzuliegen. Nachdem wir daher erwogen die
Widerwärtigkeiten, Sorgen und Beschwerden, denen die
geistlichen Väter des Cisterzienser-Ordens von der strengen
Observanz, welche neulich von dem Canonikus an der
Metropolitankirche zu Köln, dem ehrwürdigen Herrn Damen
nach der unterhalb unsrer Churfürstlichen Residenz ge-
legenen Insel Lürich berufen worden, durch eine unvorher-
gesehene Ueberschwemmung daselbst leicht ausgesetzt
sein könnten: so haben wir bei uns beschlossen, für die
Sicherheit dieser Väter, soviel wir mit der Gnade Gottes
vermögen, Sorge zu tragen und jeglicher Furcht und
etwaigem Unheil bei Zeiten vorzubeugen; demgemäss
haben wir auf den Wunsch und mit Zustimmung des ge-
Die Abtei DOsaeWiai. 455
nannten Herrn Däraen, dessen frommer Absicht wir durch
gegenwärtige Schenkung nicht nur nicht entgegen zu
treten, sondern in Gründung eines Klosters kräftigst Vor-
schub zu leisten gesonnen sind, hinsichtlich eines andern
mehr gelegenen Ortes huldreichst Voraorge getroffen und
erachteten w^ir den unterhalb dem Grafenberg gelegenen
Wald, welcher gemeiniglich der Unterflingerbusch und
Broich genannt wird, hierzu für geeignet.
Wir Hessen zu dem Ende diesen Wald nebst den
dazu gehörenden Wiesen und Weideplätzen der Länge
nach von der Zoppenbrück über den Communalw^eg bis
zum Fuss des genannten Berges, und der Breite nach
von der erwähnten Brücke über die Dussel bis zu den
Wiesen von Derendorf und diesseits des Flusses bis vor
die sogenannten Speckerhöfe und von da wiederum bis
zu dem Fusse des angeführten Berges, sowie es das darüber
aufgenommene Protokoll und die Grenzsteine besagen,
durch unsere Commissare abgrenzen.
Sodann übermachen und schenken wir den oben-
genannten Vätern im Hinblick auf die ewige Vergeltung
hierdurch huldreichst die beiden bereits erwähnten Specker-
höfe und deren Ländereien, nachdem sie nebst dem oben
beschriebenen Walde zu einem angemessenen Preise unser
Eigenthum geworden; ferner noch das anderseitige Ufer
des genannten Flüsschens, vordem Lebel und Andern an-
gehörend, zum Theil urbargemachtes Land, von der
Zoppenbrück bis zu eben diesen Höfen, zugleich mit dem
Wege, über welchen sonst die Viehheerden aus unserer
Stadt Düsseldorf in den genannten Wald geführt worden,
anfangend gleich bei Pempelfort bis hinter die sogenannte
Schiffruthe; mit allen dazu gehörigen Liegenschaften,
Rechten, Privilegien, Einkünften, Renten und Gefällen.
Wir haben hierbei die Absicht im Auge, jene Väter zu
ermächtigen, daselbst eine Abtei nach der ursprünglichen
Anordnung zu errichten, ihr Kloster nebst Kirche und
sonstigen durch die Statuten oder Regel vorgeschriebenen
Gebäulichkeiten, auch eine Mühle, jedoch nur zum eignen
Gebrauch zu bauen. Demnach sollen die an Zahl wie
an Frömmigkeit wachsenden Brüder gehalten sein, un-
gestört Gott allein, dessen Dienste sie sich zu ihrem Heile
gewidmet haben, in stiller Abgeschiedenheit und im Geiste
der Busse ihrem Gelübde gemäss zu dienen, auch das
heilige Opfer für unsere und unsrer geliebtesten Gemahlinn
der Frau Grossherzoginn von Etrurien Anna Ludovica
und unsres churfürstlichen Hauses Wohlfahrt, sowie für
das Heil unsrer Vorfahren und I^achfolger ununterbrochen
darzubringen.
456 Die AUei Dtlsseitkai.
Wir erkifiren und geüehmigen hiermit , dass jenes
neue Kloster, sein Oberer und die Grenossenschaft aller
jener Befreiung, Exemtionen, Freiheiten, Rechte, Privi-
legien und Befugnisse, deren auch die übrigen Vorsteher
und Klöster desselben Ordens sich zu erfreuen haben,
theilhaftig werden können und sollen. Wir entbinden und
befreien daher den Ort, die Personen, nicht weniger das
den genannten Vätern angehörende Vieh, für alle Zeiten
von jeder weltlichen Gerichtsbarkeit, Verpflichtung oder
sonst irgend einer Belastung, Beschwerde oder Abgabe,
mag dieselbe aufgelegt sein oder noch aufgelegt werden.
Ebenso befreien wir deren zu ihrem eignen Lebens-
unterhalte dienenden GQter, sowie die zum Aufbau des
Klosters, der Kirche und übrigen Gebäulichkeiten erforder-
lichen, zu Wasser oder Land herbeizuschaffenden Mate-
rialien innerhalb der Grenze unseres Gebietes von
jeglicher Entrichtung eines 2k)lles oder sonstigen Auflage :
mit dem Vorbehalte jedoch, dass sie gehalten seien, nach
20 Jahren diese Steuerbefreiung wieder nachzusuchen und
zu erneuem.
Und weil es uns gefallen hat, dieselben Väter von
nun an unter unsem besondem churfürstlichen durch-
lauchtigsten Schutz zu stellen, so wollen wir sie auch
mit besondem Gnaden und Begünstigungen huldvollst
beschenken, indem wir gestatten, dass jegliches Besitz-
thum, Ländereien, Wiesen, Wälder, Weinberge oder sonst
irgend ein Gut, welches ihnen entweder zu Greschenk
übergeben oder auf eine andere rechtliche Weise zu Theil
geworden, von jeder Belastung, der dasselbe vielleicht
früher unterworfen war (mit Ausnahme der Zehnten),
frei und entbunden sei, von dem Zeitpunkte an, wo es
ihr Eigenthum geworden, bis dahin, dass fünfzig Mönche
aus den Einkünften der erworbenen Güter anständig sich
erhalten können, auf die Person jährlich fünf Reichsthaler
gerechnet, was die Väter bei Strafe des Verlustes dieses
ertheilten Privilegiums uns und unsern Nachfolgern
baldigst anzuzeigen gehalten sind. Endlich wollen wir
denselben gnädigst gestatten, dass sie oberhalb des ge-
schenkten Territoriums von dem Düsselbach Gebrauch
machen dürfen, sowie zur Aufführung einer Mühle, als
zum Bau einer Brücke und zu anderweitigen Bedürfhissen,
und dass sie eine Schafsheerde in die bei der Stadt ge-
legenen Weideplätze, sowie auch in den sogenannten
Staperwald zum Weiden schicken und dort belassen
können, gleichwie auch Andere dasselbe Recht und Privi-
legium geniessen, ohne dass dadurch irgend Jemand be-
einträchtigt werde.
Die Abtei Düsse?thaJ. 457
Es ist unser ernster Willo, dass durchaus Niemanden
das Recht zustehe, die erwähnten Väter oder deren Nach-
folger im Besitze dieser freiwilligen Sekenkung resp. Be-
freiung zu behelligen, weder ihre Güter und Besitzthümer
zu belasten, einzuziehen oder die eingezogenen unrecht-
mässiger Weise zurückzuhalten, noch sie selbst irgendwie
zu quälen und zu prellen, sondern Alles dasjenige, was
ihren Bedürfnissen angemessen erscheinen dürfte, soll
ihnen und ihren Nachfolgern unversehrt und unbekümmert
erhalten bleiben.
Sollte jedoch irgend Jemand sich erdreisten, dieser
unsrer Schenkung oder Anordnung frech entgegenzu-
handeln, den treffe unser und unser Nachfolger (deren
Gewissen wir die genaueste Befolgung dieses hiermit auf-
bürden und die sich vor dem höchsten Bichter hierüber
zu verantworten haben werden) nachdrücklicher Zorn
und für so unerhörte Verwegenheit die härteste und un-
erlässliche Strafe.
Damit aber ziu* Ehre Gottes, zur Erbauung seiner
Kirche und zum Heile der Brüder die daselbst best-
angeordnete Zucht für ewige Zeiten aufrecht erhalten
bleibe, bestimmen wir hiermit und behalten uns und unseni
Nachfolgern ausdrücklich vor, dass in dem neu zu er-
richtenden Kloster die Einfachheit, die Armuth und die
Regel des heiligen Benedikt unverbrüchlich beobachtet
werde, gemäss jenem Ordensmuster, welches die ursprüng-
lichen Cisterzienserväter in der ersten Zeit ihres Ordens
rühmlichst aufgestellt und noch rühmlicher durch ihr
Leben bewährt haben und welches auch jetzt noch die
Richtschnur der obengenannten Brüder auf jener Insel
ist. Wir erwarten, dass hierüber uns und unserer Re-
gierung, sowie dem Gasthaus hier in Düsseldorf jedem
ein geschriebenes Exemplar zugestellt werde, zur Auf-
bewahrung in unsrer geheimen und in unsrer Regierungs-
Kanzlei, wie auch im Gasthaus zu Düsseldorf.
Sollte der Fall sich ereignen, dass die also geschil-
derten Brüder aus menschlicher Schwachheit oder durch
teuflische Verführung (was fern sei) in der buchstäblichen
oder strengen Befolgung ihrer Regel erschlaffen und ihr
Gelübde ausser Acht lassen und nachdem sie auf voraus-
gegangene canonische Ermahnungen, von Rechtswegen
und von ihrem Orden zu Rede gestellt, nicht in sich
gehen, ihre Sitten nicht bessern und zum frühem Lebens-
wandel gemäss der uns, unsrer Regierung, sowie unserm
Gasthaus zu Düsseldorf abschriftlich übergebenen Urkunde
nicht sofort zurückkehren: so sollen der Obere sowohl
als die übrigen Mönche des gedachten Klosters unter die
458 Die Abtei Dasselihal
verschiedenen Klöster der reinem oder erwähnten frQhern
Observanz zerstreut werden, und sollen in das besagte
Kloster y wenn anderwo Mönche desselben Ordens zu
finden sind, gesucht und berufen werden, welche sich zu
der ursprOngUchen Einrichtung bereitwillig bekennen.
Wenn aber ungeachtet angewandter Mühe solche
nicht mehr zu finden sind, so sollen alsdann aUe sowohl
bewegliche als unbewegliche Güter des besagten Klosters
dem hiesigen Gasthaus zu Düsseldorf ohne Widerrede
zufallen, mit Vorbehalt eines jährlichen Gehaltes fQr die
zerstreuten Mönche jenes Klosters auf Lebzeit
Damit nun deren Nachfolger nicht Unkenntniss dieser
unserer Verfügung leichtsinnig vorschützen können, so
beschliessen und verordnen wir hiermit, dass dieses Decret
und jene Satzung, nach welcher die oft erwähnten Brüder,
zwölf an der Zahl (wie diess statutgemäss feststeht), zu
leben verpfiichtet sind, der im Kapitel gesetzlich be-
stehenden Regel angehängt und eine Abschrift davon
uns, unsrer Regierung, sowie auch den Provisoren des
hiesigen Gasthauses zu Düsseldorf in der Frist eines
Jahres übergeben werde, um dieselbe beständig vor
Augen zu haben.
Zur Beglaubigung Alles und jedes Einzelnen haben
wir Gegenwärtiges eigenhändig imterschrieben und mit
unserm ChurfOrstlichen Siegel bestätigen lassen.
Gegeben zu Düsseldorf, den 1. August 1707.
Johann Wilhelm, ChurfOrst.
>j^i < /
Handel und Industrie der Stadt Düsseldorf.
Von
Hand ei Bknmmer- Sekretär P. Solimitz.
I. Periode. Ton der Terlelhnng der Stadtrechte
bis znm Jahre 1798.
Die ersten Spuren über die Entwickelung des Handels
und der gewerblichen Verhältnisse unseres Platzes greifen
zurück bis zum Jahre 1288.
In der Urkunde, in welcher Graf Adolf von Berg
dem an der Dussel gelegenen Flecken die Stadtrechte
feierlichst verbriefte, ertheilte er nAmlich seinen Bewohnern
nebst anderen Freiheiten auch die Erlaubniss, jährlich
zwei Jahrmarkte abzuhalten, zu Pfliigsten und am Lam-
bertustage, und ausserdem an zwei Tagen jeder Woche
einen f^ien Kom- und Wochenmarkt. Zur Belebung des
inneren städtischen Verkehrs und Ausnutzung der durch
die Märkte der Stadt verliehenen Privilegien fehlte es
derselben aber an einer for die damalige Zeit noch
wesentlichen Vorbedingung, nämlich einer gefeierten
Kirche. Eine solche war um so nothwendiger, als Düssel-
dorf nicht aus eigenem Drange und innerer Nothwendig-
keit sich entwickelte, vielmehr als eine künstliche
Schöpfung seiner Landesherren erscheint.
Die unmittelbaren Nachfolger des Gründers der .Stadt
erachteten es daher als ihre vornehmste Aufgabe, für eine
nach Aussen glänzend erscheinende Kirche ihren ganzen
Einäuss einzusetzen. GegenEnde des 14. Jahrhunderts waren
ihre Bemühungen auch mit Erfolg gekrönt. Sie erhielten
nämlich von den benachbarten Kirchen, namentlich von
Köln, so viele Reliquien, dass, wie die Limburger Chronik
zum Jahre 1394 meldet, von diesem Jahre an „der Ablass
und die Römerfahrt zu Düsseldorf anging". Der Zweck
der Landesherren, auf diese Weise Handel und Verkehr
nach Möglichkeit zu beleben, war erreicht, denn schaaren-
"weise pilgerte man von Nah und Fern zur jungen Stadt.
460 Handel utid Industrie der Stadt Düsseldorf»
In gleicher Intention war derselben schon 1371 das
Recht zur Erhebung des Maass- und Waagegeldes ver-
liehen; sechs Jahre später wurde der Rheinzoll^ der bis
dahin vor dem Duisburger Walde erhoben worden war,
nach Düsseldorf verlegt.
Aus diesem Anlass wurde unterhalb des Schlosses
das Rheinufer regulirt, mit dem Werftbau begonnen und
in der Nähe des ehemaligen Pulverthurmes — jetzigen
Karmelitessenklosters — ein Zoll- und Lagerhaus — Eder-
haus genannt — erbaut. i)
Die erste Einrichtung geschah zweifellos auf Kosten
des Landesherrn, für dessen Rechnung auch der Zoll erhoben
wurde. Sehr bald aber, und schon vor dem Jahre 1426,
^begnadigte" Herzog Adolf die Stadt mit dem Rechte,
von jedem der rheinauf- und abwärtsfahrenden Schiffe
2 Weisspfennige zu erheben, gegen üebernahme der Ver-
pflichtung, das Werft dafür zu unterhalten. „Darumb
burgermeister ind rath den warf auch erfflich bow haftig
halden sullen", wie es in dem Bestätigungsbriefe des
Herzog Gerhard II. vom 13. Mai 1446 heisst.«)
Nach einem Heberegister aus der Zeit von 1566 — 1617
soll das Werftgeld im 16. Jahrhundert durchschnittlich
150 Mark, nach unserer Währung, das Eder- oder Lager-
geld aber viel weniger betragen haben.
Im Jahre 1437 wurden der Stadt die Accise und die
Einkünfte der Grüt, oder das Bierbrauergerechtsam über-
lassen, auf die „Bede^-Zahlung von 400 Mark, welche
bei der Aufnahme von Bilk in die städtischen Freiheiten
bedungen war, verzichtet, und die Fischerei in den Stadt-
gräben bis Eempelfort freigegeben, im Jahre 1489 am
St. Margarethentage auch die Rheinfischerei und die
Städtische nebst der Rumpels-Mühle in Bilk der Stadt in
Erbpacht überlassen. (5. Band der von Redinghoven'schen
Handschriftensammlung in der Königlichen Staatsbibliothek
in München.)
Dem Umstände, dass die Stadt erst in verhältniss-
massig später Zeit durch künstliche Förderung der Landes-
herren sich entwickelte, ist es auch zuzuschreiben, dass
wir Kämpfen zwischen den Zünften und dem Adel, Streitig-
keiten zwischen einem aus sich selbst hervorgegangenen
kräftigen Bürgerthume und der Landesherrschaft hier
nicht begegnen, daher wir aber auch Handelsverbindungen,
wie sie andere rhemische und westphälische Städte durch
*) Der Pulverthunn explodirte 1634 und zerstörte gleichzeitig*
das Ederhaus.
*) Die betreffende Urkunde ist nicht auf uns gekommen.
Handtl und InäutUie der Stadt DlUsddorf. 461
den Bund der Hansa damals aufzuweisen hatten, hier
am Platze nicht kennen.
Doch bald gewann die Stadt an räumlicher Aus*
dehnung und Einwohnerzahl. Demgemäss nahmen auch
der Handelsverkehr und die Gewerke einen entsprechenden
Aufschwung. In der Mitte des 15. Jahrhunderts stand das
Handwerk hier schon in einiger BlQthe. DieChronik berichtet
uns von den Privilegien der Schneider, Schuster, Schmiede
und WüUengewandschneider, der Zunft der Eaufleute,
den Vorrechten der Zimmermannsgilde, Schreiner, Maurer,
Pliesterer, Dachdecker und Steinhauer, der Fassbinder und
Schrödter, der Bäcker, Gold- und Silberschmiede und der
Verfertiger chirurgischer Instrumente.
Leider fehlen uns ebensowohl specielle Mittheilungen
über den Inhalt der diesen Zunftgenossenschaften ertheilten
Privilegien, als über ihre Leistungsfähigkeit, insbesondere
auch über die vorzugsweise von ihnen verfertigten
Specialitäten.
Gegen Ende dieses Jahrhunderts, etwa um 1498, suchte
Herzog Wilhelm II. den Handel der Stadt dadurch zu
heben, dass er ihr den Krahnen zur freien Benutzung
und mit der alleinigen Auflage überliess, denselben ihm
zur Verfügung zu stellen, so oft ein Floss mit Wein für
ihn ankomme. Dieser Krahnen i) befand sich in der Nähe
des vorhin erwähnten ehemaligen Pulverthurmes.
1556 wurde ein zweiter Erahnen vor dem Zollthore^
wohin um diese Zeit auch das Zollhaus verlegt wurde,
errichtet, und gleichzeitig hierselbst auch ein neues Werft
erbaut, so dass wir von diesem Jahre ab das sogenannte
alte und neue Werft haben, welche beide durch das
Schloss getrennt wurden.
Die ältesten bekannten Verhandlungen über unsere
Werftbauten datiren aus dem Jahre 1595. In demselben
fand hierselbst eine grossartige Ueberschwemmung statt,
die zur Folge hatte, dass Stadtmauer und Werft so sehr
beschädigt wurden, dass eine sorgfältige Ausbesserung
unbedingt nöthig erschien. Von der herzoglichen Regierung
zu deren Vornahme ersucht, weigerte die Stadt sich be-
harrlich, indem sie ausführte, dass die herzogliche Hof-
kammer durch Bepfianzung der Lauswarth den Strom
des Rheines direct auf die Stadt geleitet habe und den
dadurch entstandenen Schaden auch selbst ausbessern
müsse. Ihre Weigerung hatte indessen wenig Erfolg.
Ohne Rücksicht auf die von ihr geschilderte traurige
Finanzlage wurde sie wiederholt und so eindringlich zur
') Nach einer privaten Mittheilung war dersolhc auf Schiffen
errichtet.
462 Handel und Industrie der Stadt Düsseldorf.
Inangriffnahme der Reparaturen angebalten, dass sie sich
schliesslich zur Ausführung derselben vom neuen SIrahnen
— also vom Zollthore — bis zum Schlosse anschickte. Sie
beklagte zwar bei der ersten Gelegenheit, als sie den
neuen Landesherren von Brandenburg und Pfalz-Neuburg
ihre Huldigung darbrachte, die ihr aufgebürdeten Lasten,
und bat dieselben, Werft- und Eidergelder selbst einzu-
ziehen, gegen Uebernahme der Verpflichtung, Werft und
Eider dafür zu unterhalten, damit, wie es in der betreifenden
Urkunde heisst : „wir also absulchen hoch beschwierlichen
lasten ferner geübrigt sein und pleiben." Ihre diesbezüg-
lichen Vorstellungen und Bitten scheinen indessen nur den
Erfolg gehabt zu haben, dass der Fürst zu den Werftbauten
2000 Thaler beisteuerte. Ein fürstlicher Beamter, Frei-
herr von Märken, soll sogar hierzu um das Jahr 1611
bemerkt haben, „wenn in Folge der erwähnten starken
Strömung das Schloss und die fürstlichen Gebäude nicht
in Gefahr gekommen wären, würde man die Stadt haben
allein zappeln lassen."
Weitere ältere Verhandlungen über die hiesigen Werft-
bauten konnten vom Verfasser nicht aufgefunden werden.
Einer privaten Mittheilung zufolge findet sich jedoch in
einem Protokolle über die Eröffnung der Werftbüchse vom
Jahre 1731 folgende bemerkenswerthe Stelle:
„welches Werftgeld von einem hochlöblichen Magistrate
altem Herkommen gemäss des Endes beständig em-
pfangen worden, dass hingegen davor um den Krahnen
bis an den Bogen vor dem Schloss am Rhein das Werft
in gutem Zustand halten und conserviren müssen."
Hiernach lässt sich mit einiger Sicherheit annehmen,
dass bereits vor dem Jahre 1731 die Werftbaufrage dahin
ihre Erledigung gefunden, dass die Stadt gegen Bezug
des Werftgeldes das eigentliche Handelswerft (vom Schloss-
bogen aufwärts bis zum Krahnen) zu unterhalten hatte,
dass hingegen die Unterhaltung des alten, inzwischen
verlassenen Handelswerftes vom Knabenhause — jetzt
Pfandhaus — bis zur alten Fleischhalle, so wie es vom
Landesherrn allein aus den Zollgefällen errichtet worden,
auch aus Landesmitteln bestritten wurde, während endlich
die Instandhaltung des dazwischen liegenden kleinern
Theils vor dem Schlosse dem Domänenfonds oblag. Eine
Bestätigung dieser Annahme dürfte darin zu finden sein,
dass die Kosten einer im Jahre 1788 durch Baumeister
Köhler vorgenommenen grösseren Worftreparatur thatsäch-
lich nach diesem Massstabe vertheilt wurden. Soweit unsere
Kenntniss über die Errichtung und Unterhaltung unserer
Werftanlagen aus der Zeit der vergangenen Jahrhunderte! —
Handel und Induitrie dir Stadt DüsBeldorf. 463
Aus Herzog Johann in. Regierung haben wir die
seltsame Kunde, dass der Wind als ein Ausfluss der
landesherrlichen Rechte galt. Nach einer Urkunde vom
29. September 1512 erhielt die Stadt nämlich die Befugniss,
eine Windmühle anlegen zu dürfen, und will der Herzog
ihr diesen Bau „gnädigst verwilligen, gönnen und ihr
dazu den Wind geben und vorlehnen". (Schauenburg,
Wanderung durch Düsseldorf 1856.)
Um dieselbe Zeit führte Herzog Johann Wilhelm zu
Gunsten der WüUen-Gewandschneider- und Erämerzunft
eine Wollenweber-Ordnung ein und veranlasste die Er-
richtung einer Tuchballe auf dem Rathhause. i) Hiemach
war ausserhalb der Zeit der gewöhnlichen Jahrmärkte
jegliches Hausiren in der Stadt mit den in den hiesigen
Kram- und Kaufläden befindlichen Waaren bei Strafe der
Confiskation derselben verboten. Auch waren die
fremden Kauf- und Handelsleute gehalten, alle zum Ver-
kaufe hierhin gebrachten wüllenen, seidenen und sonstigen
Krämerwaaren bei deren Einbringung sofort einem vom
Magistrat für die Tuchhalle bestellten Aufseher — Hallen-
streicher genannt — anzugeben; ihre Waaren in der
Tuchhalle niederzulegen, und davon die vorgeschriebene
Gebühr zu entrichten.
Den Kölner Kauf leuten war das Hausiren in hiesiger
Stadt stets verboten, wahrscheinlich, weil Köln, die damals
so mächtige Handels-Metropole und Beherrscherin des
ganzen Niederrheins, nichts unversucht liess, der Aus-
dehnung des Düsseldorfer Handels möglichst grosse
Schwierigkeiten zu bereiten. Es sei hier gleich bemerkt,
dass in späterer Zeit das Recht des Hausirens von der
Erwerbung des Bürgerrechts in einer der Handelsstädte
des Herzogthums und von der Etablirung eines Waaren-
ladens daselbst abhängig gemacht wurde.
Um die Mitte des 17. Jahrhunderts scheint der Handel
und Verkehr Düsseldorfs schon einige Lebhaftigkeit an-
genommen zu haben, denn eine im hiesigen Stiftsarchiv
befindliche Urkunde aus dem Jahre 1658 berichtet uns,
dass Düsseldorf damals ohne die Aussenbezirke 648 Häuser
hatte, und seine Einwohnerzahl nach mehreren Tausenden
2Sählte.
Gleichzeitig meldet der Chronist, dass in diesem
Jahre eine Commission, aus den Herren : Grafen von Spee,
von Nesselrode, Freiherrn von Hocbkirchen, Robertz und
I>. Contzen bestehend, zum Besten des Handels in Er-
i^ägung gezogen habe:
1) Nach einer andern Mittheilung befand sich diese Halle auf
dem Marktplatze unmittelbar vor dem Rathhause.
464 Handel und Industrie der Stadt Düaeeldorf.
^dass, da viele Kauf- und Handelsleute neuerlich
in die Stadt gezogen und das Commercium extendirt
worden, nöthig sei, den Bürgern zur mehreren Sicher-
heit des Gewerbes die Einquartierung zu nehmen; auch
müsse der Hafen vergrössert, das Gebaut) auf der
Citadelle befördert und diese und andere Einrichtung
den Agenten in Köln, Brüssel, Haag und Maestricht
bekannt gegeben werden."
Ueber die Frequenz auf den damals von hier aus-
gehenden Verkehrsstrassen, sowie über die Bedeutung der
damaligen Verkehrsmittel haben wir ausser dürftigen
Nachrichten über die ersten Postwagencourse und ver-
einzelten Mittheilungen über die Rheinschifffahrt, keine
weiteren Aufzeichnungen.
Hiernach soll der erste Postwagen«) im Jahre 1668
von hier nach Nymwegen abgefahren und dem Fuhrmann
Maurenbrecher die Erlaubniss zur Unterhaltung dieser
Verbindung ertheilt worden sein.
Schon bald folgen nun weitere regelmässige Post-
verbindungen mit Jülich, Aachen, Köln, Wesel, Bremen,
Hannover, Berlin und Hamburg. Der Personen-Fahrpreis
betrug bis Jülich 5 Schilling, bis Köln 1/2, Aachen 1,
Wesel 2, Hannover ö^/^, Bremen 68/4, Hamburg 7V2 und
Berlin 10 Reichsthaler. Für Beförderung der Waaren
wurde IV2 Reichsthaler per Centner entrichtet.
Das Briefporto war für Köln wie für Aachen auf
4 Albus festgesetzt.
In welch' gemüthlicher Weise damals auf den
Postwagencaurs aufmerksam gemacht wurde, geht aus
folgender Bekanntmachung hervor:
„Einem hiesigen geehrten Publikum und sämmt-
liehen Reisenden dient hiermit zur Nachricht, dass ich
dermalen meine neue Behausung in der Carlstadt be-
zogen habe, und das bisher auf der Zollstrasse bestandene
>) Eine Giesserei.
2) In ältester Zeit gab man Reisenden, wandernden Krämern
und Handwerkern, die gerade des Weges gingen, wohin man Briefe
befördern wollte, solche mit ; insbesondere übernahmen die Metzger
dergleichen Aufträge, weil dieselben, um Vieh zu kaufen, vielfach
in die entlegendsten Gegenden reisten. Der entsprechende Lohn
wurde vom Absender bedungen und bezahlt. Als das Besorgen
der Briefe durch die sogenannten „Metzger-Posten** bekannt
wurde , kündeten dieselben ihre Ankunft auf kleinen Jagd- oder
Waldhörnern an, worauf die Einwohner in dem Ablager (Herberge)
des Angekommenen sich einfanden, um die mitgebrachten Briefe
%u empfangen und die zu versendenden zu übergeben. Wegen
(li>s bequemen Gebrauches und ihres weit schallenden Tones wurden
diese Waldhörner im Jahre 1615 zuerst bei den Thum und Taxisschen
Posten, später in ganz Deutschland eingeführt.
Handel und Industrie der Stadt DOsaeldorf,
465
Postcomptoir des Aachener und Weselschen Wagens
von dem heutigen Dienstag an gerechnet, in der auf
die Franziskaner Kirche stossenden Strasse anzutreten
sein wird, woselbst der Secretär bei offener Thür jederzeit
zur Hand ist ; diejenigen also, welche sich der bei mir ab-
gehenden Wagen bedienen wollen, belieben sich hier-
selbst oder bei verschlossenem Comptoir vorn in der
Hauptstrasse an meiner Behausung zu melden. Uebrigens
ersuche ich nochmalen, diePäcke frühzeitig und längstens
vor 8 Uhr Abends einzugeben, damit aller durch Ueber-
schnellung und Unzeit entstehender Unordnungen vor-
gebogen bleibe. Wittib Maurenbrecher."
Im Anschluss an vorhin erwähnte Post-Fahrpreise
dürfte es nicht uninteressant sein, ans folgender Tabelle
den Courswerth der damals im Herzogthum geltenden
Münzen zu ersehen:
Jülich- Clevisch-B ergische Münzen.
ReichB-
thaler
Reiehs-
ort
Schil-
ling
Blaffert
StOber
Albas
Fett-
mtnn-
chen
FQchse
Heller
1
4
8
20
GO
80
120
240
960
1
2
5 15
20
30
60
240
1
2«/2
7V«
10
15
30
120
1
3
4
6
12
48
1
IVs
2
4
16
1 Berg. = S80 Rehspf.
1
1'»
8
12
1 Reichspfennig ungeffthr 4Vt Heller.
1
2
8
1
4
Oeldüberfluss war damals hier am Platze nicht zu
finden, was daraus hervorgeht, dass der Zinsfuss 12 Procent
betrug.
Zur bessern Verbindung der beiderseitigen Rheinufer
wurde jetzt — in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts —
466 Handel und Industrie der Stadt Düsseldorf,
eine fliegende Bracke hierselbst errichtet, deren Baukosten,
einer Verordnung vom Jahre 1689 zufolge, durch ErhBbung
einer besondern Steuer vom ganzen Herzogthum Berg zu
tragen waren. (Scotti, Düsseldorf 182L)
Auch wurde zur Heranziehung und Ansiedelung neuer
Einwohner allen, welche im Weichbilde der Stadt sich
anbauen wollten, 26jährige Steuerfreiheit und Exemtion
von Wache und Einquartierung zugesichert.
Einen etwas komischen Eindruck für eine Stadt mit
mehreren tausend Einwohnern macht eine für Gasthäuser
und Herbergen in dieser Zeit erlassene Polizeiverordnung,
welche lautet: „Den Wirden sali nit zugelassen syn, so
duyr zu tzappen, als sie willen ; — des Sommers zu neun
uhren, und des winters zu sieven des abents, sollen alle
Gelägen nit allein gerechent, sondern auch uff un us sin,
uff ein peen einem jederen einen goltgulden un dem Wirde
zween". Nach einer weitern etwas später ergangenen Ver-
ordnung durften Gastwirthe für die Mittagsmahlzeit nach
Maassgabe ihrer Güte nicht mehr als 30, 20, 15, 10 und l^f^
Stüber nehmen; den Weinwirthen war bei Strafe von 25
Goldgulden verboten, ein Fass Wein zum Verkauf anzuzapfen,
bevor ein zu diesem Zweck bestellter Eüfermeister den
Inhalt des Fasses geprüft und dessen Preis bestimmt hatte.
Ganz vorzüglich liest sich dagegen eine zum Schutze
einer geordneten Gewcrbethätigkeit erlassene Verfügung.
Nach derselben war der sogenannte „Blaue Montag" streng
verpönt und waren die Geseellen gehalten, am ersten eben-
so wie an jedem andern Tage der Woche zu arbeiten, bei
einer Strafe von 15 Stüber im ersten, 30 Stüber im zweiten
und Stägiger Arreststrafe im dritten Uebertretungsfalle.
Die mit ihnen feiernden Meister wurden in jedem Falle
mit der doppelten Strafe belegt und im Wiederholungs-
falle sogar des Rechtes zur ferneren Ausübung ihres Hand-
werkes verlustig erklärt.
Vom Jahre 1769 an geben die „Jülich Bergischen Wochen-
blätter" — herausgegeben auf der Neustrasse am Parade-
platz von dem Steuer -Canzlei -Verwandten Zehnpfennig*
— höchst schätzenswerthe Mittheilungen über manche der
damaligen gewerblichen Verhältnisse unseres Platzes.*)
*) Die erste Zeitung wurde hierselbst von dem Hof kammerrath
T. L. Stahl im Jahre 1745 herausgegeben. Dieselbe war betitelt:
„Stadt - Düsseldorfer - Post - Zeitung" und erechien wöchentlich zwei-
mal, bis zum Jahre 1756. Den oberen Theil der ersten Seite jeder
Nummer nahm eine in Holzschnitt ausgeführte Ansicht der Stadt
Düsseldorf ein. Dieselbe wurde später durch das Jülich- und
Bergische Doppelwappen ersetzt. Ein voUständ^er Abdruck der
ersten Nummer dieser Zeitung befindet sich im Besitze des Herrn
Guntrum hier.
Juni
123
Juli
139
Aug.
Sept.
Octbr.
92
125
153
Novbr.
91
Decbr.
93
Jan. r
770 99
Febr.
112
März
9(5
April
85
V
n
Handel und luduttrie der Stadt Düsseldorf. 467
Zunächst wird über den Fremdenverkehr nach den Auf-
zeichnungen erwähnten Jahres berichtet, dass in 19 in
der Fremdenliste damals regelmässig genannten Hotels
und zwar vom Mai 1769 bis zum Mai 1770 logirten:
im Monat Mai 1769 101 Personen, worunter 5ö Kaufleute;
r, 66
77 32 ^
» 62
r, 35
77 ^f 77
77 ^^3 „
77 59 77
" ? "
77 5"^ 71
Die in erster Linie interessirenden Kaufleute kamen
zum grössten Theil aus dem Wupperthal und von Köln,
vereinzelt aus Holland und aus Westfalen. Erwähnte
Hotels, oder richtiger bezeichnet, Gasthäuser lagen be-
greiflicher Weise sämmtlich im alten Düsseldorf. So
finden wir auf der Bolkerstrasse die Gasthöfe: Zum Pfau,
zum seh Warzen Pferd, den Zweibrücker Hof, zum Anker, zum
Klotz und goldenen Berg; auf der Rheinstrasse haben wir
das Gasthaus zum Antonio, auf der Bergerstrasse zum
Heidelberger Fass, auf der Flingerstrasse zum Schellfisch,
Kurzestrasse zum Raben ; auf der Ratingerstrasse in dem
vormaligen Rathhaus von Düsseldorf das Gasthaus zum
schwarzen Hörn ; auf der Citadellstrasse befindet sich der
Französische Hof, auf der Kurzestrasse das alte Kaifee-
haus, auf dem Burgplatz der Gasthof von CüstoU ; ausser
diesen werden noch als Gasthöfe genannt der Bönn'sche
Hof auf der Hafenstrasse; ferner die Gasthöfe zur Stadt
Siegburg, zum Posthaus, der „Prinz von Oranien" und
der Trier'sche Hof.
Ueber die höfliche Form, in welcher die Gasthof-
besitzer sich damals dem reisenden Publicum zu empfehlen
pfiegten, melden die „Bergischen Wochenblätter" beispiels-
weise Folgendes: „Auf der Citadelle dahier, im Fran-
zösischen Hofe, bei Gastgebern Boulanger, logirt man zu
Fuss und Pferd, seind auch genugsam Remisen für
Equipagen, man findet bei ihm allezeit alles dasjenige,
was man zu essen begehren wird, er macht auch alle
Sorten von Gebackenem nach dem Geschmack des Publi-
kum, wenn er nur wenig zuvor avertirt worden, diejenige,
welche bei ihm Tafel halten wollen, brauchen ihm nur
zuvor zu avertiren und werden alsdann wohl aufgewartet
30*
468 Handel und Industrie der Stadt Düsseldorf,
werden: er bat auch alle Sorten in- und ausländischer
Weine, schöne Zimmer für die Noblesse und welche
Tractemente geben wollen, und wird alle, welche ihn
mit ihrem Besuch beehren, in billigem Preiss zu accom-
modiren und zu vergnügen suchen. Jacob Uhlenberg
„ä la bonne Esperanee" empfiehlt seinen Gästen ausser
der Güte seines Gasthauses zur weitern Bequemlichkeit
einen fidelen Reitklepper. **
Als gewerbliche Etablissements werden uns um diese
Zeit in erster Linie drei Spinnereien genannt, unter welchen
diejenige des im Jahre 1784 zum besoldeten Commerzien-
rath ernannten Herrn G. Brügelmann deshalb besonders
erwähnt zu werden verdient, weil ihr Besitzer das seltene
Glück hatte, für eine von ihm erfundene Kratz-, Spinn-
und Hand-Maschine einen Patentschutz zu erwirken, wie
er heute wohl nicht mehr ertheilt wird. In einer kur-
fürstlichen Verordnung vom 24. August 1784 heisst es
nämlich :
„Nachdem Se. Churfürstl. Durchlaucht dem Fabri-
kanten Johann Gottfried Brügelmann auf dessen neu an-
gelegte Kratz-, Spinn- und Handmaschinen ein gnädigstes
Privilegium exclusivum auf zwölf Jahre in der Maasse
gnädigst ertheilet haben, dass dieselbe weder nachgemacht,
noch die dazu gehörende Arbeitsleute dessen Fabrike auf
keinerlei Weise entzogen, verführet oder verleitet werden
sollen, dass sodann derjenige, welcher dem zuwider sich
beigehen lassen wird, die zu solcher Fabrik-Maschine ge-
hörende Leute, unter welchem Verwände es auch immer
sey, zu verführen, mit tausend Ducaten Straf unnachlässig-
beleget und im Miszahlungsfalle zum Kaiserswerther
Zuchthaus lebenslänglich abgegeben werden solle : So
wird solches zu jedermanns Wissenschaft und Warnung
bekannt gemacht und gemeldtem Brügelmann erlaubet
den Inhalt dieses, wo und wie derselbe dienlich erachtet,
verkünden zu lassen.
Aus Seiner Churfürstlichen Durchleucht sonderbarem
gnädigsten Befehl ^^^^ ^^^^^ ^^^ Nesselrod.
V. Reinertz."
Herr Brügelmann nahm an der allmäligenEntwickelung-
des Handels und der Industrie gegen Ende des vorigen
und im Anfange dieses Jahrhunderts einen hervorragenden
Antheil. Auch war er es, der durch Errichtung seiner
mechanischen Baumwollspinnerei in Cromford — der
ersten in Deutschland — die Emancipation vom englischen
Gammarkte herbeizuführen versuchte.
Handel uttd InduHHe der Stadt Düsseldorf. 469
Von den beiden andern Spinnereien wurde die eine
als Kattimspinnerei 1774 auf der Flingerstrasse im Fran-
ciscus angelegt, und konnten in derselben gemäss Bekannt-
machung vom Mai d. J. Kinder von 6—8 Jahren bei
einem Wochen verdienst von 30 Stüber Beschäftigung finden:
die dritte, ^Spinnstube" genannt, war fttr die im hiesigen
Gefängniss Detinirten schon seit 1755 eingerichtet. Eine
vierte Spinnerei wurde gegen Ende des vorigen Jahr-
hunderts zur Beschäftigung der Stadtarmen im Armen -
hause — heutigen Leihhause — hierselbst errichtet i).
Neben diesen Spinnereien existirten damals hier — höchst
wahrscheinlich in sehr beschränktem Umfange — eine
Seil-, Strumpf- und Gazefabrik, eine Seifensiederei, mehrere
Weinessig- und eine Senffabrik, eine Färberei, eine Tabak-
fabrik, eine Kupfer- und mehrere Buchdruckereien.
Dass neben den Gasthofbesitzern auch die Vertreter
der Gewerbe ihre Fertigkeiten den Kauflustigen anzu-
preisen verstanden, zeigt folgende, den vorhin gegebenen
Stilblüthen sich ebenbürtig anschliessende Offerte eines
') Ueber die Armenunterstützung geg-en Ende des vorigen
Jahrhunderts liegt ein Aufruf des Mediciualrathes A. J. Vamhagen
vom 3. April 1787 vor, in welchem derselbe zur Unterstützung eines
Armen-Kranken-Institutes, wie folgt, ersucht:
„Die Casse der werkthätigen Menschenliebe zur Verpflegung
armer Kranker beläuft sich dermalen auf 153 Rthaler 47 Stbr.
Es ist nun nicht mehr zu zweifeln, dass ich bald einen kleinen
Anfang mit einer einstweilen zur Miethe zu beziehenden und gänz-
lich einzurichtenden Rrankenwohnung um so gewisser machen könne,
als dieses Institut anjetzo durch die aus allen Ständen und Glaubens-
Bekannten ganz neu entstandene Philantropische* Societät, deren
würdige Mitglieder sich zum Besten derselben verwenden und als
Aufseher una unparteiische Zeugen der quartaliter verfügt werdenden
Berechnung gfütigst anerboten haben, sein voUkommnes Gewicht
und Ansehen erhalten hat. Die würdigen Mitglieder sind:
Wie sehr wäi*e es nunmehr zu wünschen, dass der zum Besten
des Instituts sich so rühmlichst verwendende Verfasser des hiesigen
wöchentlichen Anzeiger diese Einrichtung zur Aufmunterung des
auswärtigen Publici in seinen Anzeigen einzurücken, wieder be-
rjechtigt würde."
1793 genehmigte der Bergische Geheimrath die Satzungen einer
von den Bewohnern der Carlstadt für ihre Armen errichteten Unti-r
Stützungskasse. Die Mitglieder dieses Wohlthätigkeitsvereins durften
monatlich nur 5 Stüber in die Casse zahlen ; wer mehr geben wollte,
musste den betreffenden Betrag heimlich an den Cassirer abliefeni ;
auch wurde bei der Eintragung eines solchen Betrages der Name
des Gebers nicht angegeben. Anspruch auf Unterstützung hatte
jeder Arme, welcher sechs Wochen lang in der Carlstadt gewohnt
hatte. In der Casse sollten am Jahresschlüsse nicht mehr als 100
Thaler sein; ftir den Mehrbetrag wurden Kleidungsstücke gekauft
und an arme Kinder der Carlstadt verschenkt. — Seit dem Jahre 1820
ist die Armenpflege, wie gegenwärtig, nach Bezirken eingctheilt.
470 Handel und Industrie der Stadt Düsseldorf,
hiesigen Seifensieders. Dieser Künstler macht nämlich
im Januar 1799 bekannt:
^Ein sehr erfahrener und auf die Chemie gegründeter
Seifensieder, welcher nicht nur aus gutem Unschlitt,
sondern auch aus existirenden Oehlen, sogar aus der ver-
dorbensten Schmierseife die allerbeste harte oder spanische
Seife verfertigen lernt, wie auch mit allen Farben die
Seife zu marmoriren und allerhand Blumen und Figuren
in dieselbe auf eine ganz leichte Weise zu bringen weiss
und alle verdorbene Seife wieder zurecht machen kann,
entbietet denjenigen, welche diese Kunst zu erlernen
wünschen, seine Dienste an; Liebhaber belieben sich an
die Expedition dieser Nachrichten franco zu adressiren.**
Von den grösseren Waarengeschäften wird nach den
Angaben der vorhin citirten Wochenblätter bis zum Jahre
1800 nur eine Tapetenhandlung genannt, was um so mehr
zu verwundern ist, als die Spedition damals hier schon
florirte, und der hiesige Getreidehandel nach einer Mit-
theilung vom Jahre 1776 in jener Zeit hier in hoher Blüthe
stand. Der Buchhandlungen waren 1770 schon vier hier.
Erwähnenswerth ist auch noch die hier bestehende
Kurfürstliche Handlungs- Akademie, von welcher die
Wochenblätter unter dem 21. Mai 1778 mittheilen, dass
das jährliche Kostgeld für die Zöglinge von 300 auf
200 Gulden herabgesetzt sei und Unterricht ertheilt
werde im Schreiben, Rechnen, der doppelten Buchführung,
in allen bei der Handlung erforderlichen Arbeiten, in der
deutschen, französischen, englischen, italienischen und
holländischen Sprache und in der Geographie.
Ueber den damaligen Rheinverkehr, soweit Düsseldorf
an demselben betheiligt war, melden die Wochenblätter,
dass in den letzten 30 Jahren des verflossenen Jahrhunderts
monatlich durchschnittlich 70 Schüfe den hiesigen Hafen
anliefen, von denen 30 directe Ladung für Düsseldorf
hatten. Dieselbe bestand vorzugsweise aus Kaufmanns-
gütern aller Art, aus Weinen, rohem Zucker, Tabak und
Früchten, welch' letztere wöchentlich regelmässig durch
die sogenannten Neusser- und Grimmlinghauser- Wochen-
fähren hierhin gebracht wurden; ferner wurden Eisen,
Blei, Holz, schwarzer Brand und Steine hier mit Erfolg
abgesetzt. Die von hier per Schiff abgehenden Sendungen
waren nach erwähnten Mittheilungen äusserst selten und
beschränkten sich fast ausschliesslich auf Wein und den
oben genannten schwarzen Brand.
Folgende Verkehrsstrassen — vorzugsweise für Fracht-
fuhrwerk — wurden nach einer Mittheilung des ehemaligen
Kreis - Polizei - Inspectors C. H. Mindel vom Jahre 1817
Handel und Industrie der Stadt DQueeldorf, 471
gegen Ende des Jahres 1760 durch den Kur-Pfalz-
Baierischen Statthalter, Grafen Goldstein, von hier aus an-
gelegt :
1. Eine Strasse über Elberfeld und die Grafschaft
Mark in's nördliche Deutschland, vom Wehrhahnen aus-
gehend ;
2. über Benrath, Mülheim a. Rhein und Frankfurt
a. Main in*s obere Deutschland;
3. über Derendorf in zwei Richtungen, östlich über
Ratingen, Kettwig, Mülheim a. d. Ruhr und Münster, west-
lich über Kaiserswerth, Duisburg und Wesel nach Holland;
4. von der Neustadt ausgehend bis Volmers werth i)
an den Rhein nach Grimlinghausen auf die Chaussee,
welche von Neuss über Dormagen nach Köln führt;
5. etwas später endlich wurde eine Landstrasse über
Kloster Meer, Crefeld und Cleve nach Holland geführt.
II. Perlode. Toni Jahre 1798 bis znr RheinschilTfahrts-
Convention im Jahre 1831.
Mit dem Jahre 1798 tritt der Handel Düsseldorfs in
eine neue Phase seiner Entwickelung. (iegen Ende dieses
Jahres erwählte nämlich eine aus den Notabein der da^
maligen Kaufmannschaft bestehende Gesellschaft, welche
die Förderung des Handels sich zur Aufgabe gestellt
hatte, die Herren Hofkammerrath Lentzen, Commercien-
rath C. Brügelmann, F. H. Clostermann, F. W. Camp-
hausen, C. A. Ditgcs, F. W. Carstanien, C. G. Jaeger
und W. Zeller zu ihren Vertretern und ertheilte ihnen
die Vollmacht, die hiesige Kaufmannschaft von jetzt ab
in allen den Handel und die Schifffahrt betreffenden An-
gelegenheiten rechtsverbindlich zu vertreten. Diese, aus
freiem Entschluss der hiesigen Interessenten hervor-
gegangene neue Handelsrepräsentation, bestand im An-
fange aus 8 Mitgliedern. Nachdem sie als solche im Jahre
1805 gemäss Erlass des damaligen bergischen Ministers
und Landes - Commissars, Freiherrn von Hompesch, die
landesherrliche Anerkennung erhalten, wurde die Zahl
ihrer Mitglieder auf 6 festgesetzt, von denen 2 alljährlich
ausschieden. Auch wurden ihr seitens der Regierung
wie der Stadtverwaltung Commissare beigeordnet, welche
über alle in den Sitzungen verhandelten Handelsange-
legenheiten ihren Behörden unverzüglich Bericht zu er-
*) Wie in Hamm war auch in Volmers worth eine fliegende
Brücke.
472 Handel und Industrie der Stadt Düsseldorf,
statten hatten, i) Vom Jahre 1818 ab führte der Ober-
bürgermeister in den Sitzungen des Handlungsvorstandes
den Vorsitz.
Die Hauptthätigkeit dieser neu gebildeten Handels-
vertretung, welche ihre Sitzungen in dem am früheren
Paradeplatz gelegenen Börsensaale abhielt, erstreckte
sich zunächst auf die Herbeiführung einer regelmässigen
Schifffahrt zwischen Düsseldorf, Amsterdam, Rotterdam
und später auch Dortrecht einerseits und Frankfurt und
Mannheim anderseits.
Zu diesem Zwecke wurde zunächst mit der Kauf-
mannschaft der genannten niederrheinischen Handels-
plätze die sogenannte Rang- oder Beurt-SchifFfahrt ver-
einbart, beziehungsweise contractlich geregelt. Nach
diesen Abmachungen ging regelmässig alle 14 Tage von
hier ein Schiff nach Holland und umgekehrt von dort
eins nach hier ab.
Die Hauptverpflichtung der Beurt-Schiffer bestand
darin, nur für Düsseldorf oder für hiesige Spediteure be-
stimmte Güter hierhin zu befördern, wie sie anderseits
Güter anderer, als hiesiger Kaufleute nur dann hier ein-
laden durften, wenn sie durch einen hiesigen Spediteur
zu besorgen waren. Als Gegenleistung übernahm der
hiesige Handelsstand, bei Zahlung einer Conventional-
strafe von 25 Reichsthalern im Uebertretimgsfalle — welcher
Betrag in die Handelskasse floss — die Verpflichtung,
seine Waarensendungen durch die Beurt-Schiffer aus-
schliesslich besorgen zu lassen.
Nach Regelung der Beurtfahrt, soweit die damaligen
Verhältnisse eine solche zuliessen, veranlasste der Hand-
lungsvorstand die Aufstellung eines Reglements für alle
Rheinarbeiter, für die Zunft der Rheinfuhrleute, Päckel-
chenträger und Karrenbinder. Erstere hatten die per
Schiff angekommenen Güter dem Empfänger an's Haus
und die von dort abzusendenden an den Rhein zu be-
sorgen; die Päckelchenträger waren auf dem Werfte,
die Karrenbinder im Lagerhause beschäftigt.
Durch seine eigenen Leute konnte der Kaufmann
nämlich die per Schiff angekommenen Güter nur dann
vom Rheine abholen lassen, wenn dieselben bei ihm
ausser Lohn auch Kost erhielten, und wenn er ein eigenes
Gefähr zur Verfügung hatte.
Neben der Erledigung mannigfacher anderer Arbeiten,
beispielsweise der Ertheilung von Rechtsgutachten, Ver-
1) Die Regierung committirte zu diesem Zwecke im Jahre 1805
den Geheimrath Windscheid, die Stadtverwaltung den SchölFen
Rheinbach.
Handel und InditstHe der Stt^t Dtlaaeldorf. 473
mittlung von Stundungen für schwache Zahler, Fest-
setzung der bei Havarien entstandenen Schäden etc., war
der Handlungsvorstand gleich nach seiner Constituirung
bestrebt, ein den Verhältnissen in etwa entsprechendes
Lagerhaus hierselbst zu errichten. Nach baldiger Ver-
ständigung mit der Regierung wurde zu diesem Zwecke
das ehemalige Hofbräuhaus, das auf dem jetzigen Pack-
hofe des Hauptsteuer-Amtes sich befand, von dem Hand-
lungsvorstande zu dem Preise von 9000 Reichsthaler
käuflich erworben. Derselbe führte die Verwaltung, be-
richtete aus den Intraden, da der Ankauf ein Actien-
untemehmen der Handlungsgeselischaft war, die Zins-
zahlung an die Actionäre und bestritt die Kosten für die
Unterhaltung des Gebäudes. Zeitweise hatte das Lager-
haus eine ständige, aus 3 Pfälzer Invaliden bestehende,
und von einem Corporal befehligte Wache.
Einen hervorragenden TheU seiner Thätigkeit ver-
wendete der Handlungsvorstand auf die Befreiung der
Düsseldorfer Schifffahrt vom Kölner Stapel. Das soge-
nannte Kölner Stapelrecht bestand in der angeblichen
Befugniss Kölns, von jedem den Rhein herauf und herunter
fahrenden Schiffer zu verlangen, dass er beim Passiren
der Stadt den Kölner Hafen anlaufe, seine Ladung dort
verzolle, in andere ober- oder unterrheinische Schiffe
umlade, und seine Waare zu Gunsten der stapelstädtischen
Consumenten während dreier Tage feilbiete. Letzere
Forderung war bereits im Laufe der Jahre in Wegfall
gekommen.
Gegen dieses eigenartige Recht oder Unrecht, wie
Windscheid „Commentatio de Stapula Düsseldorpii 1775"
dasselbe bezeichnet, erhoben die Herzoge von Berg in
Gemeinschaft mit den gleichfalls interessirten Regierungen
der Niederlande und der Helvetischen Republik unaus-
gesetzt, aber vergeblich, Einspruch.
Wenn wir die historische Entwickelung des Stapel-
rechts uns vergegenwärtigen, müssen wir uns zurückver-
setzen in die Zeiten des Faustrechts, in jene Zeiten, in
welchen jedweder kleine Potentat sich erlaubte, wie den
Handel auf dem Festlande so auch den Verkehr auf dem
Rheine durch vollständig willkürliche Entnahme von Zöllen
zu stören und zu erschweren. Damals flüchtete sich der
Handel in die Städte unter den unmittelbaren Schutz der
Kaiser. Die Kauf leute staffelten daselbst ihre Waaren auf,
ohne dass dafür eine besondere Abgabe erhoben worden
wäre. Allmählich erst gingen Köln, Mainz und Strassburg, ge-
stützt auf ihr Ansehen und ihre damalige Macht, dazu über,
das Stapelrecht in dem oben angeführten Umfange aus-
474 Handel und Industrie der Stadt Düsseldorf,
zubilden. Köln insbesondere verlangte in Ausübung des-
selben, wie in einer im Anfange dieses Jahrhunderts er-
schienenen Brochüre mitgetheilt wird, sogar, dass jedes
von Holland kommende Schiff, welches für Düsseldorf
Waaren mit sich führte, zunächst in seinem Hafen allen
mit dem Stapel verbundenen Belästigungen sich unter-
ziehe und dann erst mit seiner Ladung zum hiesigen
Platze zurückfahren solle.
Schon im Februar 1687 hatte der Kurprinz Johann
Wilhelm — als Vertreter seines Vaters — gegen diese
Anmassungen protestirt und diesen Protest in den Jahren
1679 und 1694 mit Nachdruck wiederholt, jedoch, wie
schon vorher angedeutet, ohne Erfolg. Anfangs 1701 er-
ging an den Stadtschultheissen von Düsseldorf der Befehl,
alle, den Bürgern der Stadt Köln zugehörenden, den Rhein
auf- und abfahrenden Schifte so lange mit Arrest zu be-
legen, bis den diesseitigen privilegirten , Markt-Schiflfern
von der Stadt Köln (wegen der dortigen Ausübung des
Stapelrechtes') geziemende Genugthuung geleistet werde.
Tm Jahre 1703 wurde dieser Befehl durch die weitere
Bestimmung verschärft, dass alle hier gelegenen Güter
und Gefälle von Magistrat- und Privatpersonen der Stadt
Köln sequestrirt und verkauft werden sollten. Der Ver-
kauf fand aber nicht statt, auch wurde der Sequester
bald aufgehoben, die geschilderten Chikane und Be-
lästigungen blieben aber zum grossen Schaden unseres
Platzes bestehen.
Durch den Lüneviller Frieden, nach welchem das
linke Rheinufer an Frankreich tiberging und die Schiff-
fahrt auf dem Rheine freigegeben, alle bestehenden Zölle
und insbesondere das Stapelrecht abgeschafft wurden, er-
wartete man die endliche Beseitigung der geschilderten
Uebelstände. Allein auch nach diesem Friedenstractate
und der hinsichtlich der Freiheit der Rheinschifffahrt ge-
troffenen klaren Vereinbarung bestand Köln noch auf der
Ausübung seines Stapelrechtes. Der hiesige Handlungs-
vorstand wandte sich daher, da die Handelsvertretung
der Stadt Köln auf Unterhandlungen sich überhaupt nicht
einliess, mit seiner Klage an das Französische Ministerium.
Unterstützt wurden seine Vorstellungen durch den in
Paris beglaubigten kurj>fälzisch - baierischen Gesandten
Cetto, durch gleichzeitige Intervention der niederländischen
und der schweizerischen Republik, schliesslich noch durch
Verwendung des ebenfalls hierum ersuchten preussischen
Ministers von Struensee. Billiger Weise hätte man nun
erwarten sollen, dass die Kölner Rheinkommissarien,
welchen die eventuelle Execution bei Nichtbeachtung der
Handel und Industne ihr Stadt Dd^seldorf. 475
Stapelvorschriften oblagt während der Zeit dieser Ver-
handlungen mit möglichster Milde und Schonung gegen
die Düsseldorfer Schiffer vorgegangen wären. Anstatt
dessen überschritten dieselben aber die von ihnen selbst
bisher noch beobachtete Grenze, indem sie ein in Mülheim
vor Anker liegendes Schiff, welches regelmässige Fahrten
zwischen diesem Platze und Düsseldorf unternahm, eines
Tages nach Köln abzuführen suchten, um dort die Stapel-
gebühren zu erzwingen. Solche Früchte hatte der Kölner
Stapel bis jetzt noch nicht gezeitigt; nach diesem
Präcedenzfall durften alle erdenklichen Ausschreitungen
erwartet werden. Daher begab sich der baierische Hof
kammerrath Bertoldi nunmehr persönlich zu dem auf dem
linken Rheinufer commandirenden General Ph. Jacobe
und bat ihn, den Kölnern zu weiteren Executionen, wie
sie solche in Mülheim vorgenommen, wenigstens kein
Militär zur Verfügung zu stellen. Allein auch diese Vor
Stellung hatte wenig Erfolg, dagegen schreckten die Stapel-
belästigungen die hiesigen Schiffer so sehr ab, dass
schliesslich Niemand mehr den Muth hatte, an der Stadt
Köln vorbeizufahren und ein oberrheinischer Schiffer ge-
dungen werden musste, um unter dem Schutze von
bergischen Dragonern die Vorbeifahrt an der Stadt Köln
zu wagen. Die Fahrt gelang auch bis Deutz, dort aber
angekommen, wurden die Bedeckungsmannschaften ver-
jagt und das betreffende Schiff auf das französische Ufer
herübergeholt.
Diese, für den Schifter wie Kaufmann des rechten
Rheinufers so trostlosen Verhältnisse schildert der damalige
herzogliche Geheimrath Jacobi mit den Worten: „Für
den diesseitigen Uferbewohner ist kein Handel mehr auf
dem Rhein und nichts ist dem Deutschen von seinem
vaterländischen Strome übrig, als die Ueberschwem-
mungen."
Nach der ersten Occupation des Herzogthums Berg
durch die Franzosen im Jahre 1795 wird Düsseldorf zu-
erst als wichtiger Speditionsplatz in den Annalen der
Schifffahrtsgeschichte aufgeführt. Es hatte die verhält-
nissmässig sehr schnelle und glückliche Entwicklung dieses
Industriezweiges ihren Grund in dem eigenmächtigen
Auftreten der französischen Douaniers, die zwar unter der
Devise der Freiheit und Gleichheit die diesseitigen Ufer
besetzten, hinsichtlich der Zollerhebung sich jedoch eine
WUIkür gestatteten, welche die grösste Erbitterung in
den Kreisen der Kaufleute wie Schifffahrttreibenden her-
vorrief. Von Köln aus beherrschten die Douaniers den
ganzen Niederrhein, daher der Kölner Hafen nun dieser-
476 Uanifef und Imhtsfrie der Stadt Düsseldorf.
halb sowohl, als wegen der vielen mit dem dortigen
Stapel verbundenen und mit Recht gefürchteten Chikane
geflissentlich gemieden wurde. Kein Wunder, dass in
Folge dessen die Landstrasse des rechten Rheinufers zum
Vortheile Düsseldorf 8 fast belebter wurde, als der Rhein.
Ein grosser Theil der zu Berg fahrenden Güter wurde
nämlich am hiesigen Platze gelöscht und mit Umgehung
des Kölner Stapels und der französischen Douaniers von
hier per Achse nach ZOndorf — oberhalb Köln — gebracht,
um von dort wieder per Schiff an den Oberrhein, meist
nach Frankfurt überführt zu werden. Oder aber die
Güter wurden direct von hier per Achse bis Frankfurt be-
fördert. Ungeachtet der bedeutenden, in Folge dieses
unnatürlichen Verkehrs entstehenden Spesen, hatte der-
selbe zwischen Düsseldorf und Frankfurt um diese Zeit
eine so grosse Ausdehnung, dass im Anfange dieses Jahr-
hunderts 104745 Centner holländischer Güter hier ein-
gingen, die alle, nach Abzug dessen, was davon hier am
Platze und in der Umgegend consumirt wurde, auf dem
vorhin bezeichaeten Wege über Zündorf rheinaufwärts
gingen. Gegen diese bevorzugte Stellung Düsseldorfs
gingen aber bald die Duisburger sowohl wie die Kölner Kauf-
leute und Spediteure vor, indem erstere bei dem damaligen
preussischen Minister von Struensee eine Verfügung er-
wirkten, nach welcher das Hauptzoll -Amt in Emmerich
gehalten war, von jedem auf Düsseldorf fahrenden Schilfe
einen ungleich höheren Zoll zu erheben, als von den für
Duisburg bestimmten, um auf diese Weise sowohl den
Waarenverkehr zum Oberrhein über den Duisburger
Hafen zu führen, als auch die Spedition des damals
schon bedeutenden bergischen Landes von seinem natur-
gemässen Hafen abzulenken.
In gleicher Weise suchte die Kölner Handelskammer
die hiesigen Bemühungen, den Transit immer mehr auf das
rechte Rheinufer zu ziehen, zu vereiteln. Sie bemühte
sich nämlich, durch Rundschreiben ihren auswärtigen
Handelsfreunden begreiflich zu machen, dass die gegen-
wärtig beliebte Beförderung der Güter per Achse über
Zündorf mit nicht geringeren Belästigungen verbunden
sei, wie der Versandt per Schiff über Köln und Mainz,
wo nur einige ^oll-Formalitäten zu erfüllen wären.
Verhältnissmässig günstiger als zu Wasser, war die
Verbindung Düsseldorfs in damaliger Zeit mit den be-
nachbarten, wie entfernteren Handelsplätzen, zu Lande.
Nach den Mittheilungen der Jülich-Bergischen Wochen-
blätter haben wir nämlich in der zweiten Hälfte des
18. Jahrhunderts folgende regelmässige Postverbindungen:
Handel und InduHrie der Stadt Düsseldorf. 477
Zweimal in der Woche fuhr der sogenannte Kaiserliche
Reichs-Postwagen, vom Reichsposthause in der Lief er-
gasse hier, nach Köln ab, traf gegen 1 Uhr dort ein, und
setzte nach kurzer Rast seine Reise nach Bonn fort, wo
er gegen ö Uhr Abends ankam. Der sogenannte kur-
pfÄlzisch-privilegirte Wagen stellte die Verbin-
dung mit Aachen her und fuhr dreimal in der Woche
von hier nach dort ab und wiederum hierhin zurück.
Vom Jahre 1787 ab war es möglich, diese Tour in einem
Tage zu machen. In Aachen hatte die Verbindung An-
schluss nach Lüttich, Maestricht und Brüssel. Der Weseler
Wagen ging zweimal in der Woche von hier über Wesel
nach Amheim und Amsterdam, wo er am zweiten bezw.
dritten Tage ankam.
Das Postbureau für diese Touren wurde im Jahre 1 790
von der Zollstrasse zur heutigen Poststrasse verlegt.
Im Jahre 1784 theilt das hiesige Kur-Kölln hoch-
fürstlich Münster'sche Postamt mit, dass zwei-
mal in der Woche ein Wagen von hier über Münster nach
Hannover, Braunschweig, Hamburg und Bremen abgehe,
das Kurfälzische Münster'sche macht aufmerk-
sam auf eine neue Verbindung über Dormagen nach Köln.
Vom Jahre 1806 ab ist das Postwesen durchaus ge-
regelt. Neben den fahrenden Posten, welche von diesem
Jahre ab von dem Posthalter Le Jeune von der Flinger-
strasse — Kaiserliche Reichspost — von dem Postmeister
Maurenbrecher in der Carlsstadt und von der Posthalterin
Rettig von der Citadell abgingen, und den Personen- und
Güterverkehr mit dem gesammten bergischen Lande so-
wohl wie weit über dessen Grenzen hinaus vermittelten,
haben wir von jetzt ab auch reitende Posten, welche
tagtäglich nach aller Herren Länder abgehen. Ausserdem
erwähnen die Jülich-Bergischen Wochenblätter von 1789
an auch Postkarren, namentlich zur Unterhaltung des
Verkehrs zwischen Düsseldorf und dem Jülicher Lande.
Endlich haben wir um jene Zeit Postboten, welche
den Packet- und Briefverkehr Düsseldorfs mit solchen
Orten insbesondere vermittelten, welche von den reitenden
und fahrenden Posten nicht berührt wurden.
Innerhalb der Stadt wurde das heutige Droschken-
fuhrwesen durch die Zunft der sogenannten Porte Chaisen-
Traeger ersetzt ; dieselben erhielten für das Tragen einer
Pei'son, von welcher sie für eine ganze Woche gedungen
waren, 7 Reichsthaler ; für ihre Dienstleistungen für einen
ganzen Tag — 12 Stunden — 1 Reichsthaler 35 Stüber
und für jeden einzelnen Gang in der Stadt 35 Stüber.
N
478 Handel und hiduttrie der Stadt DOsseidorf,
Für den Handel waren inzwischen, nachdem das
Herzogthum Berg zum zweitenmal von den Franzosen
oecupirt war, Verhältnisse eingetreten, die seine En^
Wickelung keineswegs gQnstig beeinflussen konnten. Schon
der mehrfache Wechsel der Landesherrschaft innerhalb
20 Jahren und die mit demselben verbundene immer-
währende Abänderung der für den Handel bestehenden
Vorschriften musste noth wendiger Weise seiner Ausdehnung
höchst hinderlich sein. Hierzu kam noch als weiteres
ungünstiges Moment die Unzufriedenheit der Einwohner
mit den neuen Verhältnissen, die wenig guten Beziehungen
zu den benachbarten Verkehrsstaaten, endlich die von
Napoleon verhängte Continentalsperre. Durch Verordnung
vom Jahre 1803 war schon für das Gebiet der fran-
zösischen Republik die Einfuhr von Colonialwaaren, welche
aus englischen Colonien stammten, oder unmittelbar oder
mittelbar aus England kamen, verboten worden. Diese
Sperrmassregel wurde im Jahre 1806 noch dadurch ver-
schärft, dass Frankreich die britischen Inseln in Blokade-
zustand erklärte, den Handel mit denselben gänzlich
verbot und Briefe und Packete, die in englischer Sprache
geschrieben waren, ohne weiteres confisciren liess. Jeder
auf französischem Gebiet betroffene Engländer galt als
Kriegsgefangener, sein Eigenthum war gute Prise. Ln
October 1810 endlich erging die Verfügung, dass alle im
Grossherzogthum Berg und Holland, in den Hansestädten,
in Italien, in den illyrischen Provinzen — dem Königreich
Neapel und den besetzten spanischen Provinzen befind-
lichen englischen Waaren verbrannt werden sollten. Hier
in Düsseldorf fand die Verbrennung dieser Waaren, wie
ein noch lebender Augenzeuge berichtet, auf dem Exer-
cierplatz hinter der Infanterie-Caserne statt. Wenige
Tage vorher war eine Publication erlassen worden, nach
welcher von allen im Grossherzogthum Berg vorhandenen
Colonialwaaren innerhalb zehn Tagen eine Abgabe ent-
richtet werden musste, widrigenfalls sie conflscirt und
nach Düsseldorf gebracht werden sollten. Dagegen sollten
Handel und Verkehr im Innern gefördert und von manchen
bisher bestandenen Beschränkungen frei werden. Es
wurden daher zunächst alle vorhandenen Zollbureaus,
deren es eine stattliche Anzahl damals gab, aufgehoben,
desgleichen alle Inlandszölle, diejenigen ausgenommen,
die für Unterhaltung von Brücken und Wegen etc. be-
stimmt waren.
Femer wurden durch Decret vom 3. Dezember 1809
alle Privilegien der Kauf leute, alle Vorrechte der Zünfte
und Innungen abgeschafft. Das Zunftwesen hatte nun-
Handel und Industrie der Stadt Düsseldorf. 479
mehr seine Bedeutung verloren, insofern es Jedem frei-
stand, nach Entrichtung der betreffenden Steuer — der
sogenannten Patentsteuer — jegliches Geschäft zu eröffnen,
jedes Handwerk zu betreiben. In dem darauf folgenden
Jahre wurde angeblich zum Schutze der heimischen Textil-
industrie eine Belohnung von 100000 Franken für den-
jenigen ausgesetzt, welcher die Indigo-Pflanze hier so culti-
viren würde, dass der daraus gewonnene Indigo dem von
auswärts bezogenen an Qualität gleich käme. Ferner
sollte mit einer Million Franken beschenkt werden, wer
die tauglichste Maschine zur Flachsspinnerei, wie solche
bei der Baumwollverarbeitung schon eingeführt war, er-
finden würde, i) Dagegen wurden im wirklichen Interesse
der Unterthanen mannichfache Verordnungen zur Be-
schaffung guter Nahrungsmittel erlassen. Beispielsweise
war nach einem Decret vom März 1807 der Verkauf des
Bieres nicht eher erlaubt, bis ein vom Polizei-Amte dazu
bestellter Probemeister von dessen Güte sich überzeugt
und hiernach den Preis auf 6, 4 und 3 Stüber festgesetzt
hatte. Zur Beschaffung guter Backwaaren wurden die
Müller gehalten, nach einer von der Stadtbehörde ihnen
alljähilich vorgelegten Probe zu mahlen, und durften die
Bäcker nur nach diesem Muster Gemahlenes verbacken.
Aehnliche Bestimmungen ergingen für die Metzger, welche
schon mit 24 stündigem strengen Arrest bestraft wurden,
sofern nur ein schlechtes Stück Fleisch in ihrem Hause
vorgefunden wurde. Alle diese zum Schutze des inlän-
dischen Handels wie der einzelnen Unterthanen getroffenen
Maassnahmen konnten jedoch den Schaden nicht aufwiegen,
den die Continentalsperre verursachte.
Von industriellen Anlagen werden um 1810—1812,
nach einem in der damaligen Dänzer'sche Buchhandlung
erschienenen Kalender, 2 Bleiweissfabriken, 2 Essig-
fabriken, 6 Hut- und 3 Instrumentenfabriken, 2 Kratzen-
und 6 Lichterfabriken, 4 Liqueur-, 2 Möbel-, 1 Parapluie-,
1 Schreibfedern-, 4 Seifen-, 2 Senf- und 2 Wagenfabriken,
1 Siamosen-, 3 Tabakfabriken und eine Zuckerfabrik an-
geführt. Ausserdem werden 13 Colonial- und 5 Material-
waarenhändler erwähnt, 19 Spediteure, 4 Wechselgeschäfte,
14 Weinhandlungen und eine Bierbrauerei, 1(>4 Wirthe
und 7 Besitzer von Kaffeehäusern, 6 Apotheken, 5 Buch-
händler, 7 Drucker und 3 Fruchthändler. Insbesondere
wird eine in der ehemaligen Cisterzienser Abtei in Düssel-
thal präparirte Stahl-Essenz als courante Waare ange-
priesen und scheint dieselbe als Handelsartikel auch guten
1) Thatsächlich waren diese Massregeln gegen Kngland gerichtet.
480 Handel und Industrie der Stadt Düsseldorf.
Absatz gehabt zu haben. Die Handelsgesellschaft, welche den
Handlungsvorstand wählte, soll damals 160 Mitglieder gehabt
imd die Einwohnerzahl überhaupt 14472 betragen haben.
In diese Zeit fällt auch der Ausbau unseres am Hof-
garten gelegenen Sicherheitshafens, welcher auf Verfügung
Napoleon? L, nachdem der alte, an der Hafenstrasse ge-
legene, zugeworfen war, von französischen Galeerensclaven
ausgeschachtet wurde. Napoleon hatte nämlich 1811 be-
stimmt, dass aus der Grundsteuer des damaligen Herzog-
thums Berg eine Sunuiie von 100000 Franken alljährlich
zur Verschönerung von Düsseldorf und zu nützlichen An-
lagen, unter Anderem zur Anlage eines Sicherheitshafens
verwendet werden sollte. — Aus den bei der Ausschach-
tung zusammengefahrenen Erdmassen entstand der Napo*
leonsberg.
Eine der letzten Verordnungen Napoleons für den
Handel Düsseldorfs wie des gesammten Grossherzog-
thums Berg betraf die Einführung eines Tabakmono-
pols. Nach demselben war der Anbau, die Einfuhr
und Verarbeitung fremden Tabaks hierselbst verboten.
Sämmtliche vorhandenen Vorräthe und Maschinen zur
Zubereitung desselben mussten der Regierung gegen ent-
sprechende Entschädigung eingeliefert werden und fand
der ausschliessliche Verkauf des Tabaks unter Aufsicht
der Pariser General-Zoll- Administration statt. Die Haupt-
niederlage für das Herzogthum Berg, welche ihren Be-
darf von der Regie aus Paris bezog, war in Düsseldorf.
Den Hauptvertrieb hatte am hiesigen Platze der Kauf-
mann Jacob Peltzer; eine Filiale befand sich auf der
ehemaligen Napoleonsstrasse, zwischen der Elberfelder-
strasse und dem alten Paradeplatz.
Gegen Ende des Jahres 1813 lösten sich endlich die
Fesseln, welche der Entwicklung des gesammten rheini-
schen Handels so lange hinderlich gewesen waren. Am
15. November 1813 kündigte der russische General-
lieutenant Graf von Priest der Stadt Düsseldorf an, dass
das Grossherzogthum von den Alliirtcn besetzt und die
Fremdherrschaft beseitigt sei. In demselben Monate noch
erfolgte die Aufhebung des unnatürlichen, die Freiheit
des Handels zerstörenden Continentalsystems, die Einfuhr
der englischen Waaren wurde wieder erlaubt und ein im
Jahre 1808 von Napoleon erlassenes und für den Handel
recht unbequemes Zollgesetz abgeschaift.
Das Herzogthum Berg erfreute sich auch schon bald
eines lebhaften Aufschwunges, nur Düsseldorf, die ehe-
malige Residenz, sollte an diesem Aufblühen keinen be-
sonderen Antheil nehmen, obgleich der Handlungsvorstand
Handa und Industrie der Stadt Düsseldorf. 481
sowohl als die Stadtverwaltung sich alle erdenkliche
Mühe gaben^ Handel und Verkehr nach Möglichkeit zu
fördern, was um so leichter versucht werden konnte, als
der Oberbürgermeister seit dem Jahre 1818 wiederum den
Vorsitz bei den Verhandlungen des Handlungsvorstandes
führte, in gleicher Weise, wie vor der französischen Zeit
ein Mitglied des pfalzbayerischen Geheimraths.
Insbesondere vermochte man gegen den Störenfried
des gesammten Niederrheins — man darf sagen wunder-
samer Weise — nichts auszurichten. Mit der wieder-
erwachenden Freiheit des Handels erhob nämlich das
Kölner Stapelrecht, welches wahrend der französischen
Zeit weniger zur Geltung gekommen war, wieder kühn
sein Haupt. Noch vor endgültiger Vereinigung des Gross-
herzogthums mit der Krone Preussens ersuchte zwar der
Handlungsvorstand gemeinschaftlich mit der Stadt Frank-
furt den damaligen Gouverneur von Berg, Justus Grüner,
um endliche Befreiung von diesen Belästigungen; auch
wurde gleich nach der Inbesitznahme der Rheinprovinz
ein von dem Fürsten von Hardenberg über die Unrecht-
mässigkeit des Kölner Stapels ausgearbeitetes Prome-
moria in Berlin übergeben in der Erwartung, endlich
billiges Gehör zu finden. Man gab sich um so mehr
dieser Hoffnung hin, als das Präsidium des Handlungs-
vorstandes, bestehend aus dem Präsidenten, Staatsrath
Arnold Masset und dem Mitgliede Wilhelm Niesstrass von
Sr. Majestät dem Könige Friedrich Wilhelm III., als sie
ihm in Aachen Namens des hiesigen Handelsvorstandes
den Eid der Treue leisteten, aufs huldvollste empfangen
worden waren.
Die endliche Befreiung erschien aber auch um so
nöthiger, als Düsseldorf nach der neuen Zollordnung be-
fürchten durfte, den ihm bis jetzt verbliebenen Land-
transport über Zündorf, und damit seine gesammte Spe-
dition der niederrheinischen und oberrheinischen Güter
zu Gunsten Kölns zu verlieren.
Die in dem Promemoria geschilderten misslichen Ver-
hältnisse wurden denn auch Bti höchster Stelle anerkannt
und der Deputation die Abschaffung des Stapels zu wieder-
holten Malen zugesagt. Aber kaum war die frohe Kunde
hierüber bis an den Rhein gedrungen, als auch schon
bald nachher eine entgegengesetzte Mittheilung derselben
folgte. Düsseldorf konnte nicht einmal vorübergehend die
freie Fahrt bei Köln erhalten, der Stapel blieb vielmehr in
Uebung bis zur Rheinschifffahrts-Convention im Jahre 1831.
Im August 1816 ereignete sich sogar der Fall, dass
die Kölner einem von Coblenz kommenden Schiffe, welches
31
482 Handel und Industrie der Stadt Diisgeldorf,
Getreide aus dem dortigen Königlichen Magazin zur Ver-
theilung an die hiesigen Armen hierhin brachte, die Vor-
beifahrt an ihrer Stadt so lange verweigerten, bis der
Schiflfsführer 158 Francs Stapelgabahren erlegt hatte, ob-
gleich derselbe zum Schutze gegen jegliche Belästigung
einen von der Militärbehörde ihm ttbergebenen Pass vor
zeigte.
Nach einer Aufstellung des schon erwähnten C. H.
Mindel vom Jahre 1817 hatte Düsseldorf um diese Zeit
15587 Seelen, der Stadtbezirk — einschliesslich der Aussen-
orte — 22 653. Von Letzteren gehörten 19909 der katho-
lischen Confession an, 2440 der evangelischen und 303
der israelitischen; hierzu kam noch ein Menonit. Von
Gewerbetreibenden waren nach diesen Mittheilungen da-
mals hier ansässig:
Bäcker 54, Barbire 1 4, Branntweinbrenner 38, Büchsen
macher 3, Drechsler 6, Färber 5, Fechtmeister 1, Fuhr-
leute 35, Fruchtmesser 6, Gelbgiesser 3, Goldarbeiter 15,
Glaser 12, Holzschneider 3, Hut macher 13, Hufschmiede 8,
Instrumentenmacher 5, Karrenbinder 4, Kürschner 3,
Kupferschmiede 4, Makler 5, Maurer 23, Musikanten 43,
Optiker 2, Perückenmacher 17, Pliesterer 21, Posamen-
tirer 5, Putzmacherinnen 3, Sattler 22, Schanker 70,
Schuster 163, Schneider 176, Schreiner 100, Schlosser 36,
Schlächter 52, Schiffer 19, Schiffbauer 13, Silberarbeiter 4^
Tapezirer 5, Tanzmeister 3, Uhrmacher 10, Vergolder 6,
Weber 19, Winkelirer 44, Zimmerleute 9, Zuckerbäcker 10.
Die Zahl der Gasthöfe, Weinstuben und Kaffeehäuser hat
sich 1817 nicht geändert. Unter den Handlungshäusern
werden 166 als bedeutende genannt.
Sechs Zeitungen wurden nach Mindel im Jahre 18 IG
hier herausgegeben, nämlich: Das Amtsblatt der König*
liehen Regierung, die Düsseldorfer Zeitung von Professor
Krämer, bei Herrn Bögemann gedruckt, das Düsseldorfer
Abendblatt, welches täglich, das Düsseldorfer Intelligenz-
blatt, welches wöchentlich bei Hofkammerrath T. Stahl
erschien, die Nieder rheinischen Blätter bei Franz Friedrich
Stahl und die Monatsrosei» vom Instructionsrichter von
Haupt, gedruckt bei Filurer.
Aus dem Jahre 1816 ist noch zu erwähnen, dass die
Thurn und Taxisschen Posten, welche damals, wie in ganz
Deutschland, so auch bis 1806 im Grossherzogthum Berg
und von 1814 ab in der preussischen Rheinprovinz ein-
geführt waren, durch Königlich Preussische Posten ersetzt
wurden. In diesem Jahre trat nämlich der Füret voa
Thurn und Taxis gegen eine bestimmte Entschädigung^
seine sämmtlichen Postanstalten an Preussen ab. Die
Handel und Industrie der Stadt DtlMeldorf, 483
üebemahme der Postanstalten durch die beiderseits Be-
vollmächtigteny geschah hierselbst am 28. Juni 1816.
Zu den vorhin geschilderten, durch die Stapelbelästi-
gungen herbeigeführten Calamitäten , kam nun noch
hinzu, dass die Aufhebung des hiesigen Freihafens durch
die Königliche Regierung beschlossen wurde.
Ein solche Verfügung, die der Spedition unseres
Platzes unersetzbare Verluste bringen musste, war um so
unerklärlicher, als Düsseldorf Jahrhunderte lang im Besitze
eines Freihafens gewesen war.
Während Köln erst im Jahre 1798 durch die Fran-
zosen einen Freihafen erhielt, hatte Düsseldorf dieses
Privilegium schon seit 1465. Graf Adolf von Berg
empfing nämlich in diesem Jahre von der Stadt Düssel-
dorf ein freies Geschenk in baarem Gelde. Hierfür
sicherte er derselben als Gegenleistung auf ewige Zeiten
den Besitz eines Freihafens zu. Seitdem verblieb unserem
Platze dieses Recht nicht nur Jahrhunderte lang voll-
ständig unangefochten, es erhielt vielmehr im Laufe der
Jahre auch seine weitere Sanction durch die Regenten
der im Herzogthum einander folgenden Herrscher-
stämme.
Nach dem Erlöschen des altbergischen Fürstenhauses
und dem Eintritt der Kurbrandenburg- und Pfalz -Neuen-
burger Linie in die Regentschaft des Herzogthums wurde
durch Erb vergleich vom 9. September 1699 zu Gunsten
der Landesbewohner die Beibehaltung aller hergebrachten
Privilegien und Freiheiten, damit auch implicite die des
bisherigen Freihafens vereinbart. In der That hat denn
auch die Pfälzische Regierung, während ihrer nahezu
2(X)jährigen Dauer in diesen Landen, das Freihafenrecht
der Stadt Düsseldorf weder beanstandet, noch zu beein-
trächtigen versucht, im Gegentheil: dasselbe wurde durch
eine Kurfürstlich bayerische Verordnung vom 30. October
1805 nochmals feierlichst bestätigt und zu Gunsten der
Stadt näher interpretirt.
Selbst unter französischer Herrschaft wurde dieses
Recht anerkannt. In einer Verfügung des grossherzoglich
bergischeu Finanzministeriums vom 17. September 1807
heisst es nämlich in § 5: „In Folge der beschlossenen
Aufhebung der Freiheiten kann die Stadt Düsseldorf nicht
mehr von den Zollgefällen befreit sein, welche nunmehr
wie anderwärts bei dem Aus- und Einladen am Rheine
erhoben werden sollen, jedoch ohne dass der Hafen
seine Freiheit verliert." In Uebereinstimmung mit
diesem Zugeständnisse wurde auch bei der Organisation
31*
484 Handel und Industrie der Stadt DHaseldorf.
des Zollwesens durch Napoleon im Jahre 1810 dieses Vor-
recht unversehrt erhalten.
Bei Einführung der neuen Zollordnung durch den
schon erwähnten bergischen General-Gouverneur Justus
Grüner im Jahre 1814 endlich wurde der Besitz fraglicher
Berechtigung abermals anerkannt. Ungeachtet dieses
vielhundertjährigen Besitzstandes und ohne Rücksicht
auf die bei höheren und höchsten Behörden versuchten
Vorstellungen, wurde dem Handlungsvorstande am
14. April 1826 durch das hiesige Obersteuer -Amt mit-
getheilt, dass die bisherige Befreiung von Durchgangs-
zöllen für die in den Freihafen eingeführten, für den
Transit bestimmten Waaren, aufgehoben sei. Der Hand-
lungsvorstand erhob zwar durch einen Notar gegen die
erste erzwungene Zahlung für Verzollung der durch-
gehenden Waaren feierlichst Protest, indess vergeblich.
Alles Demonstriren wie auch eine allerunterthänigste
Vorstellung an Se. Majestät den König war ohne Erfolg.
Durch königliches Decret vom 13. Februar 1827 wurde
vielmehr der bisherige Freihafen definitiv für aufge-
hoben erklärt.
Vor Abschluss dieser Periode ist noch einer weiteren
Schädigung zu Ungunsten unseres Platzes Erwähnung zu
thun. Nach einer Verordnung vom 28. December 1828
war die Bestimmung getroffen, dass alle Schiffe, welche
zwischen Düsseldorf und Emmerich fahren und an den
Zwischenplätzen ein- und ausladen würden, von dieser
Binnenfahrt nichts zu bezahlen haben sollten. Diese Be-
stimmung wurde nun zu Gunsten der Schiffer, welche
unterhalb Düsseldorf Ladung nahmen, dahin erweitert,
dass dieselben bei Emmerich vorbeifahren durften, ohne
den üblichen Wasserzoll daselbst zu entrichten, während
die von hier abgehenden Schiffe ihre Waaren dort ver-
zollen mussten. Dies hatte zur Folge, dass sich unter-
halb Düsseldorf, bei Golzheim ungefähr, eine BeurtschifF-
fahrt bildete, welche alle bergischen Güter anstatt von
Düsseldorf, von Golzheim nach Holland beförderte. Die
Aufhebung dieser Missstände war eine der letzten Aufgaben,
der sich der Handlungsvorstand nach 32jähriger segens-
reicher Wirksamkeit unterzog. Im November 1831 nämlich
schloss derselbe seine Thätigkeit, nachdem er sein Archiv
und was er sonst an Eigenthum besass, an die Stadt-
verwaltung abgegeben hatte.
Handel und IndustHe der Stadt Düsseldorf, 485
III. Periode. Tom Jahre 1831 ab.i)
Der Rheinschiff fahrts- Convention vom Jahre 1831
verdankt Düsseldorf, wie der erste Bericht der in
jenem Jahre errichteten Königlichen Handelskammer s)
ausführt, das beginnende Aufblühen seines Handels und
seiner Schifffahrt. Beseitigt sind jetzt alle Monopole und
Vorrechte, die seit länger als einem Jahrhundert zum
grössten Nachtheile unseres Platzes bestanden hatten, die
so sehr ersehnte Freiheit der Schifffahrt ist endlich er-
rungen, die rheinischen Städte sind von jetzt ab zu
gleicher Theilnahme an dem Wettkampfe auf der ge-
meinsamen Verkehrsstrasse berufen.
Für Düsseldorf hatte diese Verkehrserleichterung ins-
besondere zur Folge, dass es nunmehr die commerziellen
Vortheile, welche seine bevorzugte Lage im Mittelpunkte
der gewerbreichen Kreise Elberfeld, Solingen und Lennep
einerseits und Crefeld und Gladbach andererseits ihm
darbot, entsprechend ausnutzen konnte. Die in den
letzten Jahren einigermassen in Verfall gerathenen Rang-
fahrten zwischen hier und den niederländischen Handels-
plätzen Amsterdam, Rotterdam und Arnheim wurden
daher nach den Bestimmungen des mit der Convention
erlassenen neuen RheinschiflFfahrtsreglements wieder her-
gestellt und dadurch eine prompte und möglichst schnelle
Güterbeförderung bei billig stipulirten Frachtsätzen
zwischen Holland und hier bewirkt. Eine gleiche Rang-
fahrt wurde mit Coblenz und Mainz vereinbart und ver-
mittelst der Mosel mit Trier und Metz erstrebt. Die Folge
davon war eine solch' erhebliche Vermehrung der Güter-
zufuhr, dass die vorhandenen Freihafen * Anlagen bei
weitem nicht mehr ausreichten. Die schleunigste Errichtung
eines, wenn auch zunächst nur provisorischen Freihafen-
gebäudes, war aber auch um so nöthiger, als Düssel-
dorf, welches gleich Köln durch die Convention einen
Freihafen erhalten hatte, in Folge noch mangelnder
Freihafengebäude seiner alten Concurrentin Köln gegen-
^) Der nun folgende Theil der Abhandlung gibt in aller Kürze
eine gedrängte Uebe reicht über den Aufschwung unseres Handels
nach und in Folge der Rheinsehifffahrts- Convention. Eine aus-
führliche Darstellung dieser Entwickelung wie eine Beschreibung
der im Laufe der Jahre hier entstandenen Industriezweige bleibt
einer Fortsetzung dieser Abhandlung vorbehalten. — Der dem
Verfasser für die Bearbeitung seiner Aufgabe zu knapp bemessene
Raum gestattete nicht, eine auch nur annähernd erschöpfende Dar-
stellung des Handels und der Industrie während der letzten 40 Jahre
in diesem Jahrbuche erscheinen zu lassen.
*) Die Handelskammer trat mit erheblich erweiterter Conipetenz
an die Stelle des aufgelösten Hnndlungsvorstandes.
486
Hamlel itml Indnstn'e det* Stadt Düsseldot^,
über sich sehr benachtheiligt sah. Während nämlich die
für Köln bestimmten Schiffe bei den Qrenzsteuer-Aemtem
in Emmerich und Coblenz nur eine Abschrift ihres Schiffs-
manifestes zu hinterlegen brauchten und dann ihre Waaren
unter Begleitung nach Köln in den Hafen einführen
konnten, waren die Düsseldorfer Schiffe gehalten, in
Emmerich und Coblenz eine specielle Declaration einzu-
reichen und nach Gutbefinden der Steuerbeamten ihre
Waaren daselbst einer Revision zu unterwerfen, welcher
bei ihrer Ankunft im hiesigen Hafen eine zweite folgte.
In Folge dessen gelangte Köln mehrere Tage früher in
den Besitz der gleichzeitig mit den unsrigen vom Ober-
oder Niederrhein abgegangenen Güter. Diese Unzuträg-
lichkeit führte soweit, dass Elberfeldor Handlungshäuser
nur, um der mehrmaligen Revision zu entgehen, bedeutende
Parthien englischer Garne an Düsseldorf vorbei nach
Köln bringen liessen, um sie von dort nach Elberfeld zu
schaffen. Die Freihafengebäude, für welche sogleich,
nachdem deren Errichtung nothwendig geworden, ein
Platz vor dem ZoUthore, in der Nähe des ehemaligen
Ballhauses bestimmt war, wurden, nachdem der Handels-
stand mit den für den Bau in Frage kommenden Behörden
sich geeinigt hatte, an dieser Stelle aufgeführt. Gleich-
zeitig wurde eine bedeutende Erweiterung des Auslade-
platzes für steuerfreie Güter vorgenommen. Diese Anlage
war dadurch nöthig geworden, dass der hiesige Handel
schon im ersten Jahre nach der Convention sich so sehr
gehoben hatte, dass bei dem Hauptsteueramte hierselbst
gegen das Vorjahr eine Mehreinnahme von 50000 Thalern
erzielt wurde. In diesem Jahre — 1832 — kamen 1455
Schiffe, worunter 229 Dampfschiffe, hier an. Die ge-
sammte Gütereinfuhr betrug 704470 Centner gegen
120529 im Vorjahre, 1831.
Die weiteren grossartigen Erfolge für Handel und
Schifffahrt in den nun folgenden Jahren möge nachstehende
Aufstellung in etwa veranschaulichen:
Jahr
Einfuhr
Centner
Ausfuhr
Contner
Ins-
gesammt
Centner
dureli
Schüre
1831
120 52?)
21 597 142 126
—
1832
704 470
Handelsgüter 244 5<i7
Getreide 113 815
Steinkohlen 346 088
33937
738407
1455
^
704470
Handel und Induftrie der Stadt Düaeeldorf,
487
•
Jahr
E i n f u li r
Centner
Ausfuhr. ^.esammt
Centner i Centner
durch
Schiffe
1H33
715 048
Handelsgüter 208 829
Getreide 95 240
Steinkohlen 310 979
Consumtibilien 40 000
52 375
767 423
1637
715 048
1834
1 035 460
Handelsgüter 381 6i>4
Getreide 93 600
Tannen-Holz 82 400
Steinkohlen 398 280
Stroh und Heu 34 000
Salz 10 7(X)
Obst 5 650
Verschiedenes 29 166
I
57 019 1092 4791 1901
1 035 460
^-^
G7 053t 943253' 1799
Liqueure
Bpiritus
Extracte
Fabrik-
waaren
1835
876 200
Handelsgüter 388 109
Getreide 87 280
Steinkohlen 280 291
Baumaterialien 60 300
Heu und Stroh ,*J30U0
Holz 1 040
Salz 10 180
Verschiedenes 16000
876 200
1836
855 542
T. Vom Oben'hein
Handelsgüter 73 464
Baumaterialien 105 578
Getreide 102 414
Obst und Heu 18 680
300136
II. Vom Niederrhein
Handelsgüter 245 588
Getreide 2 492
Salz 11 738
Steinkohlen 295 588
555 40()
300136
855 542
1131441 1107186: 1606
488
Handel tmd IndtisMe de%' Stadt Düsseldorf.
Jahr
Einfuhr
Centner
Ausfuhr
Ooitner
Ins-
gesammt
Centner
•
durch
Schüre
1837
1026 465
I. Vom Oberrhein
Handelsgüter 81 272
Getreide 69 070
Baumaterialien 128 183
Obst, Fourage 24271
154177
1180642
1562
302 796
II. Vom Niederrhein
Handelsgüter 302 932
Getreide, Oelsamen 14 714
Salz 11562
Steinkohlen 394 461
723 66»
302 796
1026465
1838
1079043
I. Vom Oberrhein
Handelsgüter 138 128
Getreide 83 500
Baumaterialien 82 081
Fourage 18 690
189 374
Fabrik-,
Manufak-
tur-Waaren
Weine
Liqaeure
1268417
1881
322399
II. Vom Niederrhein
Handelsgüter 366 693
Getreide 28 500
Holz 3 110
Salz 9 942
Steinkohlen 378 399
756 644
322399
1079043
1839
1 070 738
I. Vom Oberrhein
Handelsgüter 103 999
Getreide 112 444
Baumaterialien 104 478
Fourage 37 080
192028
1
1 262 766
2419
358001
II. Vom Niederrhein
Handelsgüter 316 639
Getreide 23 980
Holz 7 940
Salz 10 076
Steinkohlen 347 374
Fourage 6 728
•
712 737
358001
1 070 738
Handel und Indttsirie der Stadt DüsaMorf,
489
Jahr
Einfuhr
Centner
Ausfuhr
Centner
Ins-
gresamint
Centiier
durch
8chiffe
1840
1 160 952
I. Vom Oberrhein
Handelsgüter 101 849
Qetreide 135 500
Baumaterialien 132 008
Pourage 22110
135825
1 296 777
2763
390467
II. Vom Niederrhein
Handelsgüter 332213
Getreide 16650
Holz und Lohe 17 478
Salz 11 829
Steinkohlen 365 155
Heu u. Kartoffeln 26 160
770485
390467
i
1160952
Hiernach wurden im ersten Jahrzehnt nach der Con-
vention von 17 023 Schiffen 9 799 476 Centner Güter hier
an- und abgefahren.
Im Einzebien wurden von den vorzugsweise während
der Zeit vom Jahre 1832 bis 1840 per Schilf hier an-
gekommenen Gütern und Rohstofl'en folgende Quantitäten
gelöscht :
1832 1833 1834 1835 1836 1^37
1838 1839 1840
Twiste
Rohe Baumwolle
Baumwollen-
game
Krapp-Galläpfel
Farbholz
Sunnach-
Quercitron
Thran
Oel zu Fabrik-
zwecken
Porzellan
Wein
Raps
Kaffee
Reis
Zucker
SüdfHichte
Schmiedeeisen
Rohes Gusseisen
Rohes Eisen
Maschinen
Kupfer
Blei
Centn.
61394
15410
11349
9871
11813
3970
4451
Centn.
43682
9528
103
24102
10775
7966
9767
15380
12562
4655
3742
1225
Centn. 'Centn.
63496
1181
1661
2114
19927
48824
47944
16327
14614
14300
25141
8347
16701
3832
2168
14500
28909
16101
10751
13591
10771
10974
19030
19041
6588
5860
3883
2784
3205
2490
4241
Centn.
51882
19240
32203
9371
12463
9957
17564
9945
17680
15509
4326
10926
2564
2684
566
275
Centn.
76067
Centn.
99043
2047724000
46172
14831
17236
16150
24000
11031
12366
64553
16569
18753
13390
23064
11790
14767
17137
6178
2971
6516
19063
5731
5810
3879
40010
2566
3105
1126
45f;0
645
2395
1266
9350
Centn.
84254
17923
13780
22775
27987
14054
11801
12457
11421
18598
7162
585(>
1696
603
Centn.
81249
1<;863
24680
22389
17884
20226
18385
8823
17469
19294
11287
12239
3810
7978
1730
847 1600
2170 7190
490 Handel und Industrie der Stadt Dttesefdatf,
Neben dieser Schiffsverbindung, bei welcher sich die
Niederländische, die Rhein -Yssel- und die Dampfechiff-
fahrts-Gesellschaft illr den Nieder- und Mittelrhein vor-
zugsweise betheiligten, nahm auch das Frachtfuhrwesen
an der Güterbeförderung einen wesentlichen Antheil.
Es wurden nämlich per Achse alljährlich durchschnittlich
100000 Centner hier an- und 300000 Centner von
hier abgefahren. Letztere waren meistens Speditions-
güter, insbesondere Fabrik- und Manufacturwaaren, Wein,
Liqueure und Spiritus. Im Jahre 1834 repräsentirten
dieselben einen Werth von 65 000 Thalem.
Die hiesigen Spediteure Hessen es aber auch weder
an Billigkeit der Spesenberechnung, noch an Umsicht und
zweckmässigen Einrichtungen und Erleichterungen tür den
Oütereigner fehlen, um mit anderen Rheinhafenstädten die
Concurrenz bestehen zu können. In Folge dessen florirte
dieser Industriezweig vor allen andern in einer Weise,
dass in sämmtlichen Berichten über die damaligen Handels-
verhältnisse von einer stets fortschreitenden Entwickelung
der Spedition die Rede ist.
Ein gleicher Aufschwung wird von dem hiesigen
Banquiergeschäft gemeldet, dessen Umschlag für das Jahr
1836 auf 6 Millionen Thaleir geschätzt wird, wobei noch
ein bedeutender Theil in Staatspapieren und Actien un-
berücksichtigt bleibt.
Neben diesen ganz hervon*agend in der Entwickelung
begriffenen Geschäftszweigen sind in den ersten dreissiger
Jahren als verhältnissmässig bedeutend der Grosshandel
in Colonial-, Färb- und Materialwaaren , im Droguen-
und Getreidegeschäft zu erwähnen. Denselben reihen
sich als annähernd ebenbürtig folgende Fabriken, be-
ziehungsweise Etablissements mit fabrikmässigem Betriebe,
an: verschiedene Zuckerraffinerieeni Bleiweiss-, Tabak-
und Wagenfabriken, Gerbereien, Tuch- und Siamosen-
Manufacturen und einige Seifensiedereien; 10 Liqueur-
fabriken, welche im Jahre 1833 12000 Ohm inländischen
Branntweins veredelten und daraus flu* annähernd 250000
Thaler Fertigfabrikate herstellten, welche Summe im Jahre
1834 sogar auf 400000 Thaler stieg. Unter den Wagen-
fabriken, die circa 180 Arbeiter beschäftigten, ist besonders
die im Jahre 1818 von einem damaligen Oberpostsecretair
Willmanns eingerichtete Königl. Postwagenfabrik zu er-
wähnen, welche al^ährlich 210 — 225 Postwagen fertig-
stellte. Im Anfange hatte sie nur den Zweck, die am
hiesigen Platze erforderlichen Wagen zu unterhalten;
bald aber wurden ihre Leistungen so sehr anerkannt,
dass der Bau wie die Reparaturen sämmtlicher Postw^agen
Handel und lutlusirk der Siadt DUsseldorf. 491
Rheinlands und Westphalens ihr Qbertragen wurden, in
Folge dessen sie im Jahre 1851 für die Unterhaltung von
600 auf den verschiedenen Routen unserer westlichen
Provinzen kursirenden Wagen zu sorgen hatte. Die
meisten Arbeiter — annähernd 200 — beschäftigte die
Kattundruckerei und Weberei von F. A. Deus. Ueber
100 Arbeiter fanden ihren Unterhalt in der damals be-
rühmten lithographischen Anstalt von Arnz & Cie., eine
fast gleiche Anzahl in einer WoU-Eratzenfabrik. Unter
letzteren befanden sich viele Kinder, welche in der
stadtischen Freischule, unter steter Aufsicht in zwei Ab-
theilungen, abwechselnd tüglich 8 — 9 Stunden in der
Weise beschäftigt wurden, dass der eine Theil Unterricht
in den Elementargegenst&nden erhielt, während der andere
Handarb 3it verrichtete.
Die Gesammtzabl der im Jahre 1834 hier beschäftigten
Fabrikarbeiter soll 1021 betragen haben. Die Anzahl
der Kaufleute mit kauftnännischen Rechten betrug damals
14Ö, während 420 Kaufleute ohne kauftnännische Rechte
hierselbst domicilirt waren.
Zwei Jahre später — 1836 — melden die Berichte
der Handelskammer zuerst von der Anlage zweier Dampf-
maschinen, in dem Etablissement der Firma Deuss & Moll
und in einer Kammfabrik, wozu im Jahre 1837 noch eine
dritte in einer Foumirschneiderei hinzukommt.
In diesem Jahre fand auch die erste DQsseldorfer
Gewerbeausstellung statt, welche in 33 Tagen von 9555
Fremden besucht wurde. Dieselbe wurde auf Veranlassung
eines schon im Jahre 1834 zum Schutze des hiesigen
Gewerbes gegrOndeten Vereins, welcher sich vorzugsweise
mit der Heranbildung der Lehrlinge und Gehülf^n des
Bauhandwerks befasste, abgehalten. Durch Vermittelung
dieses Vereins erhielten die betreffenden Lehrlinge unent-
geltlichen Unterricht in der Mathematik, Physik und Chemie,
auch stand denselben im Vereinslokale ein Lesecabinet
mit entsprechenden Fachschriften zur Benutzung offen.
Das durch die erste Ausstellung erzielte günstige
Resultat veranlasste im Jahre darauf einen hiesigen
Industriellen, Schimmelbusch^ eine Gewerbe- und Industrie-
Ausstellung des Regierungsbezirks Düsseldorf auf seine
eigene Kosten zu arrangiren, welche gleichfalls von Nah
und Fem gut besucht wurde.
Der Kleinhandel hatte an dem geschilderten mehr
und mehr hervortretenden Aufblühen einen nur geringen
Antheil. Vom Beginne des vorigen Jahrhunderts an be-
klagt er ohne Unterlass und mit Recht die seine Existenz
gefährdenden öffentlichen Waaren - Auctionen, wie das
4d3 Handel und Industrie der Stadt DüBseldcrf.
Hausiren durch Reisende von Haus zu Haus. Letztere
Klagen wurden aber aucii bald bei den Grossisten laut,
deren Geschäfte durch holländische Grosshändler dadurch
höchst nachtheilig beeinfiusst wurden, dass dieselben durch
ihre Agenten und Provisionsreisenden in hiesiger Gegend
in Colonial- wie in anderen Waaren bei den Consumenten
Aufträge in den kleinsten Quantitäten entgegennahmen
und solche auch sofort effectuirten.
Die vorhin erwähnte günstige Verbindung Düsseldorfs
mit den ober- wie niederrheinischen Plätzen vermittelst
der Segel- wie Dampf-Schiilfahrt sollte im Jahre 1837 eine
erhöhte Bedeutung durch eine directe überseeische Ver-
bindung mit London erfahren. Zu diesem Zwecke hatte
sich am hiesigen Platze, in Crefeld, Gladbach und in Köln
eine sogenannte „deutsch - englische Dampfschifffahrts-
Gesellschaft" gebildet, welche in kurzer Zeit zur Inan-
griffnahme ihres Planes ein Capital von 100000 Thalern
zusammenbrachte. Aber schon im folgenden Jahre musste
das Project aufgegeben werden, weil innerhalb des Comitees
durch die Kölner Mitglieder Differenzen herbeigeführt
wurden, welche das ganze Unternehmen zum Scheitern
bringen mussten.
Mit um so grösserer Energie wurde das schon im
Jahre 1832 hier aufgetauchte Lieblingsproject einer Eisen-
bahnverbindung Düsseldorfs mit Elberfeld durchgesetzt.
Der Verkehr zwischen diesen Handelsplätzen war damals
ein so sehr ausgedehnter, dass an der Rentabilität des
neuen Unternehmens nicht gezweifelt werden konnte,
weshalb es auch überall in den interessirten Kreisen
Anklang fand. Das im Jahre 1836 auf der Düsseldorf-
Elberfelder Landstrasse beförderte Güterquantum er-
reichte nahezu eine Million Centner. Die Personenfrequenz
war so gross, dass der Postverkehr zwischen hier und
Elberfeld nächst demjenigen von Berlin und Köln mit
ihrer Umgebung der bedeutendste in der ganzen preussi-
sehen Monarchie war; in gedachtem Jahre wurden auf
dieser Strecke 12500 Personen befördert, gleich 34 pro Tag.
Sehr günstig und viel versprechend war dem Projecte
die schon erwähnte, auf gemeinsame Anregung der Elber>
felder und hiesigen Handelskammer am 22. Septembei*
1836 ins Leben gerufene Dampfschifffahrts- Gesellschaft
für den Nieder- und Mittelrhein, der Bau unseres Frei-
hafens, die vorgesehene Errichtung der Schiffbrücke und
die von der Stadt Neuss vollführte Schüfbarmachung der
Erft bis zu ihrer Mündung unweit Düsseldorf. Letztere
Anlage war von Bedeutung wegen des nunmehr sebnelleii
und wohlfeilen Getreidetransportes von dem damals be-
Haiuhl und Industrie der Stadt Dtlsseldorf. 493
deutendsten Fruchtmarkte unserer Provinz zu dem ost-
rheinisehen Fabrikbezirke.
Die erste Fahrt auf der im Jahre 1838 bis Erkrath
fertiggestellten Eisenbahn fand am lö. October, dem Ge-
burtstage des damaligen Kronprinzen statt, während der
eigentliche Tag der Betriebseröffhung der 1. Dezember
dieses Jahres war.
Im folgenden Jahre wurde während der günstigen
Jahreszeit zweimal wöchentlich, sonst nur an Sonntagen
gefahren. Am 10. April des Jahres 1841 war die Strecke
Erkrath -Vohwinkel ausgebaut, und am S.September dieses
Jahres konnte die ganze Strecke bis Elberfeld dem Be-
triebe tibergeben werden.
In gleicher Weise, wie der Ausbau dieser, wurde kurze
Zeit nachher der Bau einer Bahn aus dem Kohlenrevier
der Ruhr über Kettwig nach hier, ferner einer Bahnver-
bindung Düsseldorfs mit Köln, sowie einer solchen durch
den Canton Sittard nach der Maass, zum Anschluss an das
grosse belgische Eisenbahnnetz und den Hafen von Ant-
werpen geplant. Letzterer Ausbau wurde um so mehr
erstrebt, als man auf diese Weise eine Schutzwehr gegen
das mächtige holländische Schiffs-Monopol zu erhalten hoffte.
In diese Zeit fällt auch die Anlage einer Gasfabrik
und Errichtung eines Fruchtmarktes hierselbst. ' Aus
letzterem Anlass wurde in der Nähe des Schwanen marktes
eine Fruchthalle zur Aufnahme desjenigen Getreides er-
baut, welches am Markttage nicht verkauft werden konnte,
und gleichzeitig für Beschaffung eines Fonds gesorgt, aus
welchem entsprechende Vorschüsse auf die nicht ver-
kauften Quantitäten gegeben werden sollten. Ein hie-
siger Banquier erbot sich, der Stadtverwaltimg hierzu die
nöthigen Geldmittel gegen Zahlung von 41/2 Procent zur
Verfügung zu stellen; dieselbe konnte indessen bei der
Abneigung der Regierung gegen dieses Project von dem
Anerbieten keinen Gebrauch machen. Nach Schluss des
Marktes hatte der Marktmeister der Handelskammer un-
verzüglich schriftlichen Bericht über die Anfuhr des Ge-
treides sowohl, als den Verkauf und die erzielten Preise
zu erstatten. Die Marktwaare kam ausschliesslich zu
Wasser an, das per Fuhre gebrachte Getreide gelangte
selten auf den Markt; es wurde meist den Consumenten
direct zugeführt.
Vorstehende Daten sind die erwähnenswerthesten aus
dem ersten Jahrzehnt nach der für Düsseldorfs Entwicke-
lungr so bedeutsam gewordenenRheinschifffahrts-Convention.
Die Oberbürgermeisterei hatte in diesem Jahre 32000,
die Stadt Düsseldorf 24000 Einwohner.
494 Hantlei und Industrie der Stadt DBsBeidorf,
Ein. detaillirtes Bild Qber den Oesammt-Gttterverkehr
während dieser Zeit bis zum Jahre 1851, ergibt die am
Schlüsse angeführte Tabelle. Dieser rege Güteraustausch
hatte im nächsten Jahrzehnt zur Folge, dass der Frei- und
der Sicherheitshafen; welch' letzterer im Jahre 1839 noch
vergrössert worden war, den Anforderungen des Verkehrs
nicht mehr genügten. Die Stadtverwaltung kaufte daher
die sogenannte Golzheimer Insel, woselbst sie, neben dem
bestehenden einen zweiten Sicherheitshafen anzulegen be-
absichtigte. Das zwischen beiden Häfen liegende Terrain
sollte zu einer Anlage für Schiffsbauwerfte eingerichtet
werden. — Leider ist das Project nicht zur Ausführung
gelangt. — Die geplanten Erweiterungen erschienen
namentlich wegen des ungeahnt grossartigen Aufschwungs,
den die Dampfschifffahrt in kurzer Zeit genommen, als
ein unabweisbares Bedürfniss. Bis zur Mitte der vierziger
Jahre florirte zwar noch die Segelschifffahrt, besonders
auf der Stromstrecke von den holländischen Häfen nach
Düsseldorf. Nach dieser Zeit zeigte es sich jedoch immer
mehr, dass das schwerfällige, und in seinen Bewegungen
zu langsame Segelscl* " dem leicht beweglichen Dampf-
schiffe gegenüber die Concurrenz nicht mehr aus-
zuhalten vermöge. Der hiesige Handelsstand bemühte
sich daher, da die Bedeutung der Dampfschifffahrt, ins-
besondere der Dampfschleppschifffahrt, für den ferneren
Verkehr auf dem Rhein wie für die Entwickelung der
einzelnen Rheinhafenstädte entscheidend zu werden
schien, für Düsseldorf eine eigene Dampfschleppschiff-
fahrt zu erhalten, was um so nöthiger war, als eine in
Köln schon bestehende Gesellschaft die Frachtsätze für
Düsseldorf ganz unverhältnissmässig hoch angesetzt hatte.
Die schon mehrfach erwähnte, vorzüglich eingerichtete
Dampfschifffahrts-Gesellschaft für den Nieder- und Mittel-
rhein, welche den Güterverkehr rheinaufwärts bis Mainz,
(wo weiter directer Anschluss mit Basel bestand) und rhein-
abwärts mit Rotterdam vermittelte, (von wo directe Ver-
bindung mit der englischen General-Steam - Navigation-
Company gegeben war), konnte das vorhandene Bedürfniss
nicht befriedigen. Es wurde daher die heutige Dampf-
schleppschifffahrts- Gesellschaft gebildet, deren Erfolge für
die Entwickelung des Handels unseres Platzes eine gleiche
Bedeutung erhielten, wie diejenigen der Gesellschaft für
den Nieder- und Mittelrhein.
Die Zahl der in den Jahren 1841 — 1850 im hiesigen
Hafen ein- und ausgegangenen Scliiffe beträgt 38 274 mit
15006165 Centner Güter gegen 17023 Schiffe mit
9799476 Center während der Zeit vom Jahre 1831—1841.
HaitM und Iitdiutri« der Stadt DitttUorf.
495
In den einzelnen Jahren kamen an:
1641 : 3154, worunter 1841 Dampfechiffe mit 1 357 859 Ctr.
„ 1385233 „
„ 1552112 „
„ 1505083 y,
r, 1742296 „
„ 1757432 „
r, 1668982 „
„ 1255976 „
r> 1200151 „
.1581541 .
1842:
3510
n
2180
1843:
3839
n
2512
1844:
4257
n
2911
1845:
4019
91
2697
1846:
4055
71
2803
1847:
3951
n
2717
1848:
3727
ji
2742
1849:
3734
n
2825
1850:
4028
n
2880
ri
38274
15006165
Die Haupteinfuhr-Artikel bildeten HandelsgQter, Ge-
treide, Steinkohlen und Holz. Vorzugsweise wurden in
den einzelnen Jahren folgende Waaren und Rohstoffe
hier eingeführt:
Im Jahre
1841 1 1S42 I
1948
1344
1846
1846
1847 1343 1
1349 1360
Ctr.
Ctr.
Ctr.
Otr.
Ctr.
otr.
otr.
Ctr.
Ctr.
Ctr.
Twi0tft
9M40
86676
97262
68684
—
76997
60170
61868
66626
70877
Rohe Baumwolle
12616
18966
16114
18214
—
18696
12216
86994
14660
16898
Krapp
Farbnols
4U109
66606
66372
29206
—
61917
64497
24676
62119
44692
23180
26663
21301
13323
—
13673
20383
17837
2iin
88698
Farbmatetialien und
I>roKueu
QuereltroihCarcuma,
1901
2164
8363
2666
—
3179
2440
6664 6194
9766
Sumach
—
24629
20929
13244
—
12318
19682
20193
14996
16177
Indicro
—
243^
1764
2621
^
3296
2760
1710
6260
4489
Kreide, Blei weis«
674
6207
7434
6366
—
620^
7466
6821
6400
9266
l*ottaaehe, Soda,
Alaun, Vitriol
882
10868
17830
—
—
9640
10994
10963
90061
26886
Thrao
17812
14866
16316
16464
—
10967
16210
16866
19060
14900
FabrikOl
11060
—
29847
21812
—
20627
21420
16776
29740
86786
Fonellan, Steingut
11781
11938
6986
8667
—
10680
644
700
8390
11394
Wein
1960&
lb866
21062
12793
—
82660
23894
22249
18890
86867
Kaffee
22616
20926
21691
22062
^
21160
20960
16468
87040
18460
Reto
896i
18767
9927
9782
~-
9760
90600
7900
9646
7040
Zucker
6347
9423
193231 8306
-^
10708
11602
90928
7606
7941
SadfirOchte
—
6678
7669
4866
—
8606
' 6668
4662
8624
8690
Getreide
167610
1434'J4
128976
171060
—
863160
268801
69770
87630
161968
Ball
7840
18393
9841
10990
_
10000
, 11197
10000
8690
11782
Holt, ureüitoates
6148S
78686
88696
68982
—
100088
91863
99610
73666
147669
Mcbmiede- und
6260
Roh-Eiaen
19168
61606
28704
—
._
"^^
_
87689
19064
Hteinkohlen 1890409
866311
882069
448068
446883
806818
8636*23
221196
113682
184241
Kupfer, Blei, Zinn, 1
1
1
1
(
Zink
1 686
in2i
! 9493
8039
—
9686
16667
16910
16182
1 12604
Die Ausfuhr, welche 1841: 124609 Ctr., 1842: 148578
Ctr., 1843: 219647 Ctr., 1844: 114.S38Ctr., 1845: 206360
Ctr., 1846: 200113 Ctr., 1847: 201021 Ctr., 1848: 233504
Ctr., 1849: 227023 Ctr., 1850: 350862 Ctr. betrug, umfasste
2um grössten Theil Handelsgüter, Kalksteine, Dach-
schiefer, Getreide und Kartoffeln.
In den hiesigen Fabriken, Engros- und Detail-Gesch Aften
traten während der vierziger Jahre folgende Aenderungen
ein: Es bestanden hier am Platze im Jahre 1850 gegen
1 840 (eingeklammerte Zahlen) Bankgeschäfte 6 (5), Kauf-
496 Handel und Industrie der Stadt DüseM&rf.
leute en gros 40 (17), Spediteure, Speditions- und Com-
missionsgeschäfte, zum Theil in Verbindung mit Colonial-
und Material waaren - Geschäften 59 (16 Spediteure),
Bijouterie-Handlungen 9 (8), Destillationen 12 mit 60 — 65
Arbeitern (9), Tuchhandlungen 9 (5), Buch- und Kunst-
handlungen 17 (9), Farbereien 2 mit 28— 30 Arbeitern (2),
TQrkischrothfftrbereien seit 1843 1 (3), Tabakfabriken 5
mit 250 Arbeitern (1848 2 mit 78 Arbeitern), Kattun-
druckereien 4 mit 320 Arbeitern und ca. 1800 Nessel-
webem in Westfalen (1842—48: 2 mit 200 Arbeitern),
Fabriken fUr baumwollene und mit Wolle gemischte
Waaren 6 mit 13 Webem, 700 Spulem und 600 Webern
in Wesfalen (entstanden Ende der 40er Jahre), Getreide-
handlungen 18 (1843: 10), Weinhandlungen 16 (2), Holz-
handlungen 12 (1842: 2), Schönfärberei und chemische
Waschanstalt 2 (1), Bleiröhren-, Zinnröhren-, Walzblei-
und Bleidraht- Fabrik 1 seit 1847, Bonbon- und Zucker-
waarenfabrik 1 seit 1844, Holzschneidereien 2, Ziegeleien 3,
Kalkbrennereien 1, Eisengiessereien 1 mit 10 — 13 Ar-
beitern (bis 1849 2), Kleinkrämer 307 (278), Trödler 32 (32),
Kohlenhändler 17 (17).
Aus dieser Aufstellung in Verbindung mit vorstehender
Tabelle und den weiteren Angaben über die Ein- und
Ausfuhr geht hervor, dass Handel und Industrie unseres
Platzes während des II. Jahrzehntes nach der Rheinschiff-
fahrts-Convention sich nicht weniger günstig entwickelten
als während der vorhergegangenen Periode. Dies trifft
in erster Linie für die Spedition zu, welche mit der in
den vierziger Jahren erfolgten Eröffnung der verschiedenen,
Düsseldorf berührenden Bahnen, wie mit der immer mehr
und mehr sich vollziehenden Entwickelung und Vervoll-
kommnung unserer Dampfschifffahrt naturgemäss von
Jahr zu Jahr an Bedeutung gewinnen musste.
In gleicher Weise hatte der Colonialwaarenhandel,
dessen Artikel einem beständigen Wechsel unterworfen
sind, weil sie zum grossen Thcil als rohe Naturproducte
in den Handel kommen, und darum von klimatischen und
örtlichen Verhältnissen, wie von dem Erfolge der jedes-
maligen Ernte abhängen, zufriedenstellende Abschlüsse.
Ein Beweis hierfür ist schon in der Vermehrung der En-
gros-Oeschäfte für die Artikel dieser Branche zu erblicken,
wie in dem weiteren Umstände, dass, ungeachtet der da-
dui'ch. hervorgerufeneu Concurrenz, über Mangel an Absatz
nicht geklagt wird.
Auch der Handel mit Farbmaterialien, Droguen und
Farbholz, mit Thran, Fabriköl und Wein ist keineswegs
unbedeutend.
Handel und Industrie der Stadt Dusseldorf, 497
Recht gut war während des jetzt zu beschreibenden
Zeitraumes die Textilindustrie beschäftigt. Die Kattun-
druckereien stellte» beispielsweise im Jahre 1846 über
100000 Stück fertiger Waareil her; sie würden diese Zahl
noch sehr überschritten haben, wenn es nicht an dem
nöthigen Rohstoff, an rohem Nessel gefehlt hätte. Die
Türkisch-Roth-Färbereien, in der ersten Hälfte der vier-
ziger Jahre ein blühender Industriezweig, gingen vom Jahre
1W6 ab, in welchem ihre Production auf circa 5 Millionen
Pfund Garne geschätzt wird, immer mehr zurück, weil
auf Twiste und Farbstoffe ein so hoher Eingangszoll gesetzt
war, dass dadurch die Concurrenz dem Auslande, nament-
lich Belgien gegenüber, nicht behauptet werden konnte.
Bei gleichen Einkaufspreisen mit dem Engländer hatte
der hiesige Fabrikant nämlich pro 1000 Pfd. 47 Thaler
Bezugs- und Zollkosten, gleich 161/2% des Werthes des
Rohstoffes zu tragen. In Folge dessen, namentlich auch,
weil ein für die Ausfuhr der gefärbten Game erbetener
Rückzoll nicht gewährt wurde, gingen mehrere hiesige
Fabrikanten dazu über, in Belgien, wo erwähnte Eingangs-
zölle nicht gezahlt wurden, Filialen ihrer Fabriken zu
errichten.
Sehr belebt war in der Mitte der vierziger Jahre
der Fruchtmarkt. Im Jahre 1846 wurden circa 150000
Centner mehr hier angefahren als im Jahre 1845. Hierbei
machte sich der Mangel geeigneter Räume zum Auf-
speichern der Früchte so sehr bemerkbar, dass mehrere
für Düsseldorf bestimmte Schiffe zum Unterbringen ihrer
Ladungen nach Neuss dirigirt werden mussten. Die
Handelskammer bemühte sich daher für die Beschaffung
entsprechender Localitäten in der Nähe der sogenannten
Reuterkaseme, sowie auf freien hierzu geeigneten Plätzen
vor dem Bergerthore.
Von noch grösserer Bedeutung für den hiesigen Handel,
namentlich für die Sicherheit des Transportes und zugleich
auch zur Beseitigung der französischen Concurrenz wurde
die auf Veranlassung der Handelskammer im Jahre 1842
ins Leben gerufene Gesellschaft für den See-, Fluss- und
Landtransport, welche im Jahre 1845 auf 8750 Policen
einen Werth von circa 11 1/9 Millionen Thaler versicherte.
Vom Zeitpunkt der Eröffnung ihres Betriebes an entwickelte
diese Gesellschaft fortschreitend eine immer grössere
Thätigkeit.
In das allgemeine Aufblühen fast aller Industrie- und
Handelszweige brachte das Jahr 1848 durch die politischen
Unruhen eine früher nie in diesem Masse gekannte Störung.
Mit den besten Hoffnungen war man in dieses Jahr ein-
498 Handel nml Industrie der Stadt DOaseldorf.
getreten. Der Erudtesegen des abgelaufenen Jahres
hatte der arbeitenden Klasse wohlfeile Nahrungsmittel
verschafft, namhafte Aufträge gaben der Gewerbethätig-
keit neuen Aufschwung uild verhiessen der Arbeit ge-
bührenden Lohn. Da kam die Kunde von den Februar-
Ereignissen in Paris. Der ersten Ueberraschung folgte
schon bald die Ueberzeugung, dass die Revolution des
Nachbarlandes auch für Deutschlands politische Gestaltung
wie sociale Lage von grossem Einfluss sein würde. Die
gehegten Befürchtungen für den Handel zeigten sich auch
schon recht bald als wohlbegründet. Es trat eine all-
gemeine Geschäftsstockung ein. Das Silber verschwand,
die Goldsorten stiegen, Papiergeld diente fast allein zur
Ausgleichung der Verbindlichkeiten, Eisenbahnactien und
Staatspapiere sanken im Course bis zu 30 und 40 Procent,
Waaren und Immobilien waren kaum zu verwerthen,
Wechsel in langer Sicht fanden keine Nehmer.
Da griff die Staatsregierung ein, indem sie zum
Schutze des Handels und der Industrie Unterstützungs-
und später Darlehnskassen einführte. Düsseldorf wurden
aus diesem Anlass 8000 Thaler bewilligt, welche als Vor-
schüsse meist an kleine Gewerbetreibende gegeben wur-
den. Am meisten hatten am hiesigen Platze unter diesen
Calamitäten der kleine Handwerkerstand, wie die im
Baufache beschäftigten Arbeiter, zu deren Unterhaltung
die Stadt grosse Summen aufwenden musste, zu leiden.
Die durch die Eisenbahn im zweiten Jahrzehnt nach
dem Abschluss der Rheinschifffahrts-Convention veranlasste
Güterbewegung am hiesigen Plätze wird in der Fort-
setzung dieser Abhandlung in tabellarischer Uebersicht
veranschaulicht werden. Schon jetzt sei hierzu für die
Strecke Düsseldorf-Elberfeld bemerkt, dass auf derselben
vom 1. September 1841 bis 1. September 1842 von hier
aus 136615 Personen befördert wurden und 241091 Ctr.
Güter, während die Personenft-equenz in demselben Zeit-
räume von Elberfeld nach hier 125196 betrug und das
Gesammtgewicht der beförderten Güter nur 14654 Ctr. aus-
machte. Als sehr förderlich für den hiesigen Verkehr erwies
sich die Anlage von Geleisen zur Verbindung des Eiber-
felder Bahnhofes mit dem Rheine, bezw. unserem Zollhofe.
Hierdurch war es ermöglicht, die per Schiff angekommenen
Güter direct auf die Eisenbahnwaggons und umgekehrt
vom Waggon in's Schiff überladen zu können. Von
gleichem Vortheil für Düsseldorf war die im Jahre 1849
vorgenommene Vereinigung der Düsseldorf - Elberfelder
mit der inzwischen ausgebauten Bergisch-Märkischen Bahn.
Am 20. December 1845 schon war die Verbindungslinie
Ha}%d€l und InduHrU der Stadt Düsseldorf.
499
Deutz-Düsseldorf der Köln-Mindener Eisenbahn-Gesellschaft
eröffnet worden; im Februar 1846 war der Ausbau der-
selben über Düsseldorf bis Duisburg und im Mai 1847 bis
Hamm vollendet, worauf am 15. October 1847 die ganze
Strecke von Deutz bis Berlin dem Betriebe übergeben
werden konnte. Im Jahre 1852 endlich wurde die Aachen-
Düsseldorfer Bahn zunächst bis Gladbach und im Januar
des darauf folgenden Jahres bis Aachen fertig gestellt.
Mit der Vollendung letzterer wurde Düsseldorf, durch
seine geographische Lage schon der naturgemässe Hafen
für das bergische Land, zu einem wichtigen Stapelplatze
für die Industrie des gesammten Niederrheins.
SammaiiBche Ueberslcht
über den RheinschiffTahrts- Verkehr zu Düsseldorf vom Jahre 1831—1851.
Einfuhr
Ausfuhr !
1
Jahr
Handels-
a. andere
Ottter
Centner
Ge-
treide
Centner
Stein-
kohlen
Centner
Im
Qanzen
Centner
Diver-
se Gü-
ter
Centner
Stein-
kohlen
Oentner
Im
Gan-
zen
Centner
Einfuhr
und
Ausfuhr
Centner
1831
1832
1833
1834
1835
1836
1837
1838
1839
1840
1841
1842
1843
1844
1845
1846
1847
1848
1849
1850
1851
244567
268829
543574
508629
455048
548220
618644
586940
643647
675329
725910
826430
691182
876428
788356
846<^2
741456
816716
9444S5
990129
113815
95240
93600
87280
104906
83784
112000
136424
152150
167512
143434
123976
171060
213160
363150
258801
59770
87680
151953
1745^6
346088
310979
398280
280291
295588
394461
328399
347374
366155
390409
366811
382059
448068
446338
305812
362523
221196
118632
134241
116138
120529
704470
715048
1,035460
876200
855542
1,026465
1,079043
1,070738
1,160952
1,233250
1,236155
1,^2465
1,311310
1,535926
1,557319
1,467961
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ENDE
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