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Full text of "Beiträge zur Geschichte der deutschen Sprache und Literatur"

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'^^^ÄAB^"^ 


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BEITRÄGE  ZUR  GESCHICHTE 

9  r  V/ 


D£B 


DEUTSCHEN  SPMCHE  Md 

LITERATM 


HERAUSGEGEBEN 


VON 


HERMANN  PAUL  und  WILHELM  BRAUNE. 


V.BAND. 


HALLE  VS. 

MAX    NIEMEYER. 

1878. 


v-5 


INHALT. 


Seit« 

Ueber  die  conditionalsätze  bei  Wolfram  von  Escbenbach  von  M.  Erbe  l 
Ueber  die  subBtantivische  anwendung  der  bildungen  mit  -lih  in  der 

bedeutung  *jeder'  bis  zum  11.  jahrh.  von  Ernst  Henrici     .    .  51 
Zur  accent-  und  lautlehre  der  germanischen  sprachen  von  E.  Sievers 

IL  Die  behandlung  unbetonter  vocale 63 

III.  Zum  vocalischen  auslautsgesetz 101 

Zur  metrik  des  Heiland  von  C.  K.  Hörn 164 

Nachtrag  (zu  IV,  s.  198f.)  von  B.  Symons 192 

Notiz  von  H.  Paul 192 

Unser  vrouwen  klage  von  G.  Milchsack. 

I.   Text 193 

II.  Die  Überlieferung 282 

1.  Die  handschriften 283 

2.  Die  lateinische  quelle 291 

3.  Die  lesarten 313 

4.  Der  dichter 348 

Conjunctionen  mit  mehrfacher  bedeutung.     Ein  beitrag   zur  lehre 

vom  Satzgefüge  von  L.  Tobler 358 

Das  märchen  vom  schlaraffen lande  von  J.  Poeschel 389 

Nibelungenfrage  und  philologische  methode  von  H.  Paul   .    .    .    .  428 

Zu  Walther  von  der  Vogelweide  von  H.  Paul 447 

Beiträge  zur  Skaldenmetrik  von  Eduard  Sievers 449 

Kleine  beitrage  zur  deutschen  grammatik  von  demselben. 

IV.  Das  nominalsuffix  tra  im  germanischen 519 

Zu  Friedrich  von  Sonnen  bürg  von  demselben 539 

Mhd.  selprvege  von  demselben 544 

Der  sßle  cranz  von  G.  Milchsack 548 

Die  skaldischen  versmasse   und  ihr  Verhältnis  zur  keltischen  (iri- 
schen) verskunst  von  A.  Edzardi 570 

Nachtrag  (zu  IV.  144—152)  von  demselben 590 


INHALT. 


8«lte 

lieber  die  conditionalsätze  bei  Wolfram  von  Kschenbach  von  M.  Erbe  l 
Ueber  die  subBtaDtivische  anwendung  der  bildungen  mit  -Hh  in  der 

bedeatung  'jeder'  bis  zum  11.  jahrh.  von  Ernst  Henrici     .    .  51 
Zur  accent-  und  lautlehre  der  germanischen  sprachen  von  E.  Sievers 

II.  Die  behandlnDg  unbetonter  vocale 63 

III.  Zum  vocalischen  anslautsgesetz 101 

Zur  metrik  des  Heliand  von  C.  R.  Hörn 164 

Nachtrag  (zu  IV,  8.  I98f.)  von  B.  Symons 192 

Notiz  von  H.  Paul 192 

Unser  vronwen  klage  von  G.  Milchsack. 

I.   Text 193 

U.   Die  Überlieferung 282 

1.  Die  handschriften 283 

2.  Die  lateinische  quelle 291 

3.  Die  lesarten 313 

4.  Der  dichter 348 

Conjunctionen  mit  mehrfacher  bedeutung.     Ein  beitrag  zur  lehre 

vom  Satzgefüge  von  L.  Tobler 358 

Das  märchen  vom  schlaraffen lande  von  J.  Poeschel 389 

Nibelungenfrage  und  philologische  methode  von  H.  Paul  .    .    .    .  428 

Zu  Walther  von  der  Vogelweide  von  H.  Paul 447 

Beiträge  zur  Skaldenmetrik  von  Eduard  Sievers 449 

Kleine  beitrage  zur  deutschen  grammatik  von  demselben. 

IV.  Das  nominalsuffix  tra  im  germanischen 519 

Zu  Friedrich  von  Sonnenburg  von  demselben 539 

Mhd.  selpwege  von  demselben 544 

Der  sdle  cranz  von  G.  Milchsack 548 

Die  skaldischen  versmasse   und  ihr  Verhältnis  zur  keltischen  (iri- 
schen) verskunst  von  A.  Edzardi 570 

Nachtrag  (zu  IV.  144—152)  von  demselben 590 


UEBER   DIE  CONDITIONALSAETZE   BEI 
WOLFRAM  VON  ESCHENBACH. 


ueit  der  herausgäbe  des  vierten  teils  von  Grimms  gram- 
matik  'verb  und  nomen  im  einfachen  satz'  im  jähre  1837  lag 
die  behandlung  der  ahd.  und  mhd.  syntax,  speciell  die  der 
zusammengesetzten  sätze,  bis  vor  kurzem  darnieder.  Auch 
Grimm  selbst  erfüllte  sein  in  der  einleituug  des  genannten 
Werkes  gegebenes  versprechen  nicht,  in  drei  weiteren  abschnitten 
den  mehrfachen  satz,  die  verbindende  conjunction  und  endlich 
die  Wortfolge  zu  erörtern.  Erst  vor  ungefähr  einem  jahrzelmt 
liat  man  wider  angefangen  in  einzelforsehuugen  eine  grund- 
lage  für  ein  späteres  umfassendes  handbuch  der  zusammen- 
gesetzten deutschen  syntax  in  ihrer  historischen  entwickeluug 
zu  schaflFen.  So  sind  in  dieser  bezichung,  um  aller  tlbrigen  zu 
geschweigen,  die  Untersuchungen  über  die  syntax  der  spräche 
des  Otfrid,  Halle  1874  und  1876*),  von  Erdmann  zu  er- 
wähnen. Einen  ähnlichen  zweck  verfolgen  auch  vorliegende 
blättcr,  die  eine  art  von  nebensätzen  bei  dem  dichter  behan- 
deln, der,  weil  am  freisten  von  gelehrter  bildung,  als  der  un- 
verfälschteste repräsentant  echt  deutscher  spräche  gelten  kann. 

Bevor  ich  aber  an  ihn  selbst  gehe,  sei  es  mir  verstattet, 
zunächst  eine  kurze  definition  des  begriifes  *  conditionalsatz ' 
vorauszusenden. 


*)  ein  buch,  das  der  methode  wie  der  ansarbeituDg  nach  als  muster 
dasteht  und  das  besser  als  worte  das  urteil  Miklosichs  widerlegen  kann, 
wenn  er  (vergleichende  grammatik  der  sla vischen  sprachen  IV,  769) 
sagt:  es  sei  nicht  richtig,  den  zusammengesetzten  satz  in  einem  eigenen 
hauptteil  zu  behandeln.  Vielmehr  müsse  das,  worauf  es  im  zusammmen- 
gesetzten  satz  ankomme,  in  verschiedenen  teilen  einer  syntax  dargelegt 
werden.  Eine  trennung  der  lehre  hindere  die  Übersicht  und  rufe  die 
Vorstellung  hervor,  als  ob  die  modi  in  dem  nebensatz  andere  bedeutun^ 
hätten  als  im  hauptsatz. 

OcitrÜgc  snr  getchiohte  der  deaUchen  gpraohe.   V.  | 


2  ERBE 

§  1.0 

Die  conditionale  periode  drückt  das  Verhältnis  einer  im 
nebensatze  (dem  Vordersätze,  der  protasis)  ausgesprochenen 
bedingung  zu  einem  im  hauptsatze  (dem  nachsatze,  der  apo- 
dosis)  angeführten,  bedingten  aus.  Das  conditionale  Verhältnis 
ist  ebenso  ein  causales  wie  das  des  grundes  zur  folge,  nur 
wird  die  bedingung  nicht  als  wirklicher,  sondern  als  ange- 
nommener oder  möglicher  grund  gedacht  Das  Verhältnis  der 
bedingenden  aussage  zu  der  Überzeugung  des  redenden  kann 
ein  dreifaches  sein: 

1)  entweder  er  fasst  sie  als  etwas  gewisses,  wirkliches, 
dann  steht  sie  meist  im  ind.; 

2)  oder  als  verneinte  Wirklichkeit,  über  deren  nicht- 
Wirklichkeit  oder  nichtmöglichkeit  bereits  entschieden  ist ; 
dann  steht  sie  meist  im  conj.  praet.  oder  plusquampf.; 

3)  die  bedingende  aussage  wird  als  Vorstellung  aufge- 
stellt, in  welchem  falle  jeder  modus  und  jedes  tempus 
zulässig  ist 

Anmerkung  1.  In  einzelnen  fällen  wird  nicht  der  ganze 
hauptsatz,  sondem  nur  ein  teil  desselben  eingeschränkt  So 
fuhrt  Uoltheuer^)  ein  beispiel  aus  Iweiu  (1153)  an,  wo  nur 
das  einem  Substantiv  verbundene  attribut  negiert  wird.  In 
P.  (K)9,  2;  weit  ir  daz  ze  liebe  ttion  iwer  /riundin,  ob  ez  diu 
Ut,  HO  iHt  se  ein  übele  mögt  ....  wird  das  eine  object  der 
protaMiH  eingescliränkt    (Cf.  Wh.  45,  1  f.) 

Anmerkung  2.  Mit  dem  grammatischen  Verhältnis 
ist  nicht  zu  verwechseln  das  logische,  das  nicht  selten  in 
directem  widers])ruch  mit  jenem  steht  Denn  da  für  das 
conditionale,  causale,  temporale  und  comparative  Verhältnis 
die  spräche  nicht  wie  für  die  Wunschsätze  eine  besondere  ver- 
balform ausgebildet  hat,  so  finden  wir  die  grammatischen 
darstellungen  dieser  Verhältnisse  oft  in  einander  übergehend. 
Und  gerade  bei  Wolfram,  dem  unerschöpflich  reichen,  in  sub- 
jectiven  und  humoristischen  Wendungen  sich  gefallenden  dieh- 


0  Cf.  Kühner  ausführliches  haiidbuch  der  griech.  spräche  ^  Um- 
nover  1872.  §  569  flf.  (11,  2,  963  ff.). 

')  Der  conjunctiv  in  Uartmanns  Iwein  in  Zachers  Zeitschrift,  suppie- 
mentband,  Halle  1874,  p.  172. 


CONDITIONALSAETZE  BEI  WOLFRAM.  3 

ter,  tritt  das  logische  Verhältnis  nicht  selten  vor  einer  anders 
gearteten  grammatischen  fassuug  zui'ück.  Von  conditional- 
sätzen,  bei  denen  die  grammatische  ausdrucksform  conditional 
ist,  deren  Inhalt  aber  logisch  entweder  nicht  conditional  ist 
oder  doch  nicht  conditional  gedacht  werden  muss,  begegnen, 
bei  Wolfram  hauptsächlich  folgende  arten: 

1)  die  conditionale  fassung  ist  nur  eine  höflichkeits* 
form;  es  wird  das  eintreten  eines  ereignisses  als  von  der 
gnade  und  dem  willen  des  angeredeten  abhängig  dargestellt, 
obgleich  dies  unbezweifelt  eintreten  wird.  Zum  teil  finden 
sich  hier  formelhafte  redensarten; 

2)  es  wird  aus  einer  in  den  conditionalsatz  gestellten  und 
mit  ie  verallgemeinerten  anzahl  von  fällen  einer  als  besonders 
hervorragend  herausgehoben,  wobei  leicht  Vermischung  mit  4) 
eintritt; 

3)  der  bedingungssatz  ist  erweiterter  Vertreter  eines  Sub- 
stantivs; 

4)  der  bedingungssatz  ist  Vertreter  eines  beteuerungs- 
satzes; 

5)  der  bedingungssatz  ist  Vertreter  eines  concessivsatzes, 
in  welchem  falle  meist  halt  im  nebensatz  mit  ob  (a.)  oder 
doch  (b.),  iedoch  (c),  dmiwch  (d.)  im  hauptsatz  eingefügt  wird; 

6)  der  bedingungssatz  ist  Vertreter  eines  temporal- 
satzes; 

7)  der  bedingungssatz  ist  Vertreter  eines  causalsatzes, 

8)  der  bedingungssatz  ist  Vertreter  einer  vergleichuug 
oder  eines  relativen  Verhältnisses; 

9)  das  grammatische  Verhältnis  des  bedingenden  und  be- 
dingten Satzes  ist  die  umkehrung  des  logischen: 

ad  1)  P.  270,  l  ruoIU  irs,  si  sol  unsckuldec  sin,  P.369, 13.  2t)3,3(». 
20,  3.  P.  59,  27  gebiet  ir,  so  ist  ez  war  P.  47,  22.  P.  G95,  7  weit  hs 
jehen,  deist  Parziväl  P.  535,  13.  359,  28.  P.  (i49,  21  jäy  herre,  ob  ir 
wellet,  zer  iTeude  er  sich  gesellet,  Wh.  15,  4  ob  ir  9mers  geloubet,  so 
ml  ich  zieren  diz  maere  mit  den  vieren.  Walth.  48,  22.  74,  2(».  P.  082, 
17  cf.  Wilmanns  ku  Walth.  82,  16. 

ad  2)  P.  054,  10  ob  riters  pris  gewan  ie  kraft,  die  lenge  und 
ouch  die  breite     Ireit  iwer  pris   die  kröne.     P.  308,  28.   514,  4.    Wh. 


^)  Das»  ob 'halt  aber   nicht  atets  conceasiven   flinn   hat,   zeigt  P. 
373,  30  ich  gib  dir  duz  du  in  gewerslj    ob  dich  halt  dine  muoter  lieze. 


4  ERBG 

255,  16  oh  der  minne  ie  mennischtichez  rts    gehlüet,  daz  was  sin  liehter 

schin. 

ad  3)  P.  403,  26  was  si  schoen,  daz  stuont  ir  wol  für :  *  ihre  Schön- 
heit stand  ihr  gut.'  P.  599,  15.  478,  29.  810,  18.  Wh.  178,  3  het  ich 
bürge  oder  lant,  die  siint  in  Terramires  hant  für:  meine  bürgen  hat  T. 
erobert    252,  18.    248,  4. 

ad  4)  P.  216,  9  oh  ich  in  niht  gelogen  hän,  von  Dianazdrün  der 
plan  muose  Zeltstangen  wonen  mir,  dann  in  spehteshart  si  ronen. 
Wh.  135,  28  iwer  kumher  sol  mich  riuwen,  ob  ich  hän  toußaeren  sin 
tlir:  *80  wahr  ich  ein  christ  bin.'    42,  8.     132,  24. 

ad  5  a)  P.  537,  27  ez  waeren  muede  zwSne  smide,  oh  si  halt 
heten  starke  lide.  P.  152,  17.  504,  25.  555,  6.  594,  12.  Wh.  315,  18 
ob  halt  diu  naht  uns  nähet,  ich  vinde  iedoch  wol  iwer  spor,  —  b.)  P.  206, 
28  wirt  mir  din  meister  nimmer  holt,  drns  amts  du  doch  geniezen  soll. 
P.  84,  14.  137.  29.  259,  8.  302,  27.  369,  14.  523,  27.  524,  7.  594,  12. 
638,  17.  T.  85,  1  wird  immer  tjost  mit  hurte  von  sperbrechens  krache 
üz  stner  hant  durch  Schilde  brächt,  sin  Hp  ist  zuo  dem  ungcmache 
doch  ze  kranc.  Wh.  268,  15;  mit  vorausgehendem  hauptsatz :  P.  532,  23 
er  ist  doch  äne  schände,  lit  er  inminnen  bände.  137,18.  —  c.)  P.  420,  6 
hin  ich  gein  dem  strite  laz,  ich  vreische  iedoch  die  maere  wol,  413,  S. 
114,  22.  Wh.  302,  9  swer  si  des  lasters  noch  wil  manen,  da  geschach 
iedoch  ein  widervart, —  d.)  P.  94,  7  ob  ich  der  änewaei'e,  dennoch 
west  ich  ein  maere.  T.  48,  3  ob  daz  alter  minnen  sich  geloubet,  d an- 
no ch  diu  jugent  wont  in  der  minne  hant.  Wh.  434,  23.  Aber  auch  ohne 
diese  partikeln:  P.  424,  24  soll  ich  nu  drumbe  sterbeti,  so  muoz  ich 
leisten  Sicherheit.  P.  19,  2S.  9S,  5.  415,  26.  419,  16.  420,  25.  424,  24. 
643,  22. 

ad  6)  P.  454,  26  ob  die  ir  unschult  wider zdch,  sit  muoz  sin  pflegn 
getouftiu  fruht  für:   *  nachdem  die  engel  in  den  himmel  gekehrt  waren.' 

ad  7)  P.  527,  4  waere  er  ze  rihtaere  erkant,  daz  er  denne  rihtc 
ir  swaere.  Wh.  181,  13  ob  ie  fürste  wart  min  man,  an  dem  hat  er 
missetän  für:  ^da  mein  mann  ein  fürst  war.' 

ad  8)  P.  593,  14  ist  die  nieswurz  in  der  nasn  draete  unde  strenge, 
durch  sm  herzen  enge  kom  alsus  diu  herzogin.  Wh.  178  14  ob  J\o3 
in  der  arke  grözen  kumber  ie  gewan,  denselben  mac  Gyburc  wol  hän. 
Wh.  76,  16.    317,  1. 

ad  9)  P.  405,  8  wirt  iu  kurze  wile  gemiret,  daz  muoz  an  iwenn 
geböte  stn  für:  *wenn  ihr  befehlt,  wird  man  euch  die  zeit  vertreiben.' 

L  TEIL. 
Die  einfacheren  formen  des  bedingungssatzes. 

§2. 

'Schon  in  der  frühesten  zeit  der  spräche,  in  der  periode 
des  einfachen  satzes,  vor  der  entstehung  des  relativums  und 
der  conjunctionen,    gab  es  haupt    und  nebengedanken ,    also 


CONDITIONALSAETZE  BEI  WOLFRAM.  5 

auch  haupt-  und  uebensätze.' ^)  'So  lange  aber  der  mensch 
aaf  der  untersten  stufe  seiner  geistigen  entwiekelung  steht, 
spricht  er  seine  gedanken  in  einzelnen  Sätzen  nach  einander 
aus,  unbekümmert,  den  innern  zusammenliang  und  die  wechsel- 
seitige bezieh  ung  der  gedanken  auch  äusserlich  in  der  form 
darzustellen'^).  Das  einzige  zeichen  für  haupt-  und  nebensatz 
ist  die  Satzbetonung. 

Während  das  ahd.  dergleichen  hypothetische  satzgeflige 
noch  ziemlich  vielfach  kennt,  wenn  es  den  imperativ  in  con- 
ditionaler  bcdcutung  verwenden  und  an  ihn  den  bedingten  satz 
in  gerader  Wortfolge  anschliessen  kann^),  so  finden  wir  Über- 
reste dieser  ersten  stufe  der  Sprachentwicklung  im  Wolfram 
nur  noch  in  sehr  geringer  anzahL  Als  solche  rechne  ich 
nämlich  die  bedingungssätze,  in  denen  das  conditionale  durch 
den  imperat  von  lä7i  ausgedrückt  ist,  an  den  sich  dann  der 
hier  stets  nachfolgende  hauptsatz  anschliesst  und  zwar  entweder 
1)  im  conj.  praet.,  als  gienge  das  verb.  finit.  im  couj.  praet. 
voraus,  oder  2)  im  ind.  praes.  mit  grösserer  rücksichtnahme 
auf  den  impv.  Jedenfalls  aber  werden,  wie  die  bedeutung  von 
Idn  in  diesem  falle,  'annehmen',  schon  ergibt,  nur  §  1.  sub  2 
erwähnte  bedingungeu  auf  diese  art  eingeführt,  über  deren 
niehtwirklichkeit  man  bereits  unterrichtet  ist 

ad  1)  Wh.  300,  13  nu  lät  in  sin  min  lanttnan,  ich  woU  im  doch 
sicherliche  helfen,  P.  355,  II.  In  P.  4,  2  nti  lät  min  eines  rvesen  drt, 
. .  därzuo  gehörte  wilder  funt,  op  si  tu  gerne  taeten  kunt,  daz  ich  in 
eine  künden  tvil  ist  der  conj.  im  hauptsatz  auch  durch  den  andern,  nach- 
folgenden nebensatz  bewirkt. 

ad  2)  Wh.  ISO,  23  7iu  lät  se  alle  Juden  sin,  die . . .  iwer  lant  ze 
Werne  sint  verlorn,  wart  ie  triwe  an  iu  geborn,  ir  stdt  durch  triwe 
klagen  sie.  V,  204,  25  nu  lät  in  sin  ze  töde  erslagen,  suln  durch  daz 
zwei  her  verzagen?  cf.  Wilmanns  zu  Walth.  87,  13,  der  also  darnach  zu 
modificieren. 

§3. 

Den  coordinierten  Sätzen  am  nächsten  und  zwischen  ihnen 

und  den  subordinierten  stehen  die  conditionalperioden,  deren 

protasis  die  spräche,  einen  schritt  weiter  gehend  in  der  unter- 


*)  Windiscli  u.  Delbrück,  syntaktische  forschungen  I.    Halle  1871, 
9b  f. 
3)  Kühner  a.a.  o.  $  517  (p.  777). 
3)  Erdmann  a.  a.  o.  §  168— lb7,  zumal  S  170. 


0  EBBE 

Scheidung  von  haupt-  und  nebensätzen ,  durch  die  Wortstellung: 
gekennzeichnet  hat  und  deren  apodosis  ohne  partikel  odicr 
l)raiiom6n  in  regebnäBsigev  Wortfolge  der  hauptsätze  gebildet  i^t«. 

I.  Die  gewöhnliche  und  regelmässige  wortsteUung  im 
neben s atze  i^t  folgende:  subject,  prädicat,  copula.  Jede 
abweichung  von  dieser  wortsteUung  im  nebensatz  ist  daher 
für  ihn  als  versetzte  Wortfolge  oder  Inversion  zu  betrach- 
ten, die  dann  entweder  notwendig  und  wesentlich,  oder 
willkürlich  ist 

1)  Die  wortfdge  nun,  die  das  einzige  zeichen  des  con- 
ditionalen  Verhältnisses  bei  den  eonjunctionslosen  bedinguiigs- 
sätzeu  ist,  (die  sonst  dem  fragesatz  angehörigc  cop.  subj. 
praed.),  ist  aus  diesem  gründe  hier  notwendig  und  wesent- 
lich (a)  und  kann  nur  mit  der  willkürlichen  Stellung :  copula, 
prädicat,  subject  vertauscht  werden  (b),  die  aber  auch  not- 
wendig wird,  wenn  das  subject  von  einem  satz  gebildet 
wird  (c). 

2)  Dieselbe  Inversion  hat,  um  hier  gleich  die  woi-tstellung 
der  conditioualsätze  in  allen  fällen  zu  besprechen,  mit  weni- 
gen ausnahmen  unde  nach  sich. 

3)  Die  übrigen  mit  conjunctionen  eingeführten  conditio- 
nalen  nebensätze,  hier  gewöhnlich  mit  der  regelmässigen 
Wortfolge  des  ncbensatzes,  haben  notwendig  die  inversion: 
praed.,  copüIa,  subject,  wenn  ein  satzglied  wegen  besonderer 
hervorhebung  an  die  spitze  (a)  oder  das  subject  aus  dem- 
selben gründe  an  das  ende  des  satzes  (b)  gesetzt  worden 
ist.  Daneben  kann  willkürlich  die  Stellung  des  erkenntnis- 
satzes  mit  nebeninversion  d.  i.  Verstellung  der  ncbenbestim- 
muiig  stehen  (c). 

4)  Die  negativen  excipierenden  bedingungssätze  (§  4) 
haben  die  gerade  Wortfolge  des  erkenntnissatzes ,  wenn  das 
an  die  spitze  tretende  pronomen  das  subject  ist  (a),  dagegen 
die  Stellung:  pronomen,  prädicat,  subject,  wenn  ein  in  ob- 
jectivem  Verhältnis  zum  verbum  des  bedingungssatzes  stehen- 
des Personalpronomen  den  nebensatz  beginnt  (b).  Die  nega- 
tion  ne  steht  hier  stets  vor  dem  haupt-  oder  hilfsverbum.^) 

0  Cf.  Dittmar  4iber  die  altdeutsche  negation  ne  in  abhängigen 
Sätzen'  in  Zachers  zeitscbr«,  ergänsungsband  1S74,  $  15— -19. 


CONDITIONALSABraB  BEI  WOLFRAM.  7 

IL  Während  im  nhd.  regol  ht,  dass  ein  vorangOBtellter 
adverbialsatz  die  Wortfolge  des  hauptsatzes  in  die  dem 
fragesatz  sonst  angehorige  Stellung:  copula,  subject,  prädicat 
umwandle,  finden  wir  im  mhd.  noch  die  gewöhnliche  Wortfolge 
des  erkenntnissatzeSy  falls  nicht  (und  diese  regeln  gelten  auch 
ftlr  die  vorangestellten  hauptsätze) 

1)  conjunctionaladverbien,  die  noch  den  Charakter  von 
coi\junctionen  tragen,  an  der  spitze  des  satzes  stehen,  oder 

2)  wegen  besonderer  hervorhebung  ein  satzteil  an  die 
spitze  oder  das  subject  an  das  ende  des  satzes  gestellt  wer- 
den soll,  oder 

3)  ein  interrogatives  pronomen  im  casus  obliquus  oder 
ein  Pronominaladverb  an  die  spitze  des  satzes  tritt,  in  wel- 
chen fällen  sich  meist  die  Wortfolge  des  fragesatzes  findet. 

ad  I.  1  a.)  statt  vieler  beispiele  nur  eins:  P.  t8ü,  12  . .  Siegels  Urkunde 
lac  da  äne  mäze  vU,      suki  gröze  ronen  sün  Siegels  ziU) 

ad  I.  Ib.)  P.  81,  8  waere  worden  der  turnei,  so  voaere  verswendet 
der  walt.  Wh.  160,  4  mirt  nu  nihi  von  ir  geklagt  diu  dürren  herze- 
baeren  sir,  ir  sol  getrüwen  niemer  man,  P.  170,  23.  337,  2.  359,  28. 
356,  23.     Wh.  277,  22.     220,  1. 

ad  I.  Ic.)  Wh.  224,  14  wil  mhier  manheit  ruochen  der  durch  uns 
an  dem  krhize  was,      swar  Gyburc  verty  dar  kSr  ouch  ich. 

ad  I.  2.)  P.  298,  21  ich  taete  ouch  noch,  und  soltez  sin.  Wh.  306,  16 
daz  öezzer  got  in  beiden  an  mir  und  si  ich  schuldic  dran.  P.  645,  16. 
163,  3.    Wh.  232,  11   nnd  vielleicht  251,  19.    Vgl.  Gudr.  227,  3.    298,  1. 


0  Z.  14  tibersetzt  Simrock:  ^wenn  für  schlegel  knorren  gelten*  und 
gibt  in  der  anmerkung  zu  der  stelle  an,  dass  4n  einigen  gegenden 
Deutschlands  noch  jetzt  gefallene  bäume  schlegel  heissen '  und  ihm  fol- 
gend Übersetzt  Bartsch:  *wenn  umgefallene  bäume  die  axt  vorstellen 
sollen.*  Doch  wäre  nach  dieser  erklärung  ^zeugnis  (denn  dies  ist  Ur- 
kunde z.  12)  des  Siegels  nicht  zu  verstehen.  Daher  übersetzt  das 
mhd.  wb.  III  883b  46  *wenn  grosse  ronen  die  bahn  sind,  auf  der  man 
schlegel  findet',  wofür  wol  genauer  zu  sagen  wäre  *wenn  grosse  ronen 
das  ziel  des  schlegels  sind  d.  h.  wenn  der  hammer,  dessen  man  sich  zum 
eintreiben  der  keüe  bedient,  seine  natürliche  anwendung  findet  bei  um- 
gestürzten baumstämmen,  die  gespalten  werden  sollen.*  Doch  hat  wol 
San  Marte  recht,  wenn  er  übersetzt:  Mässt  als  arbeitsziel  der  axt  man 
grosse  Stämme  gelten.*  —  *  Zeugnisse  von  siegelarbeit*,  sagt  der  dichter, 
'lagen  da  viel,  und  wenn  man  nur  zugibt,  dass  liegende  baumstämme 
auf  eine  arbeit  mit  dem  spaltenden  keile  schliessen  lassen,  so  wird  man 
wol  auch  glauben  dürfen,  dass  der  sieget,  mit  dem  die  keile  in  den 
stamm  hineingetrieben  werden,  nicht  weit  war.* 


S  ERBE 

Iw.  5S27.  6369.  a.  Heinr.  102S.  Walth.  33,  33.  S2,  U.  22,  37.  149,  25. 
MSF.  46,  2.  152,  20.  Trist.  212.  222.  2376.  6062.  1S600.  Weitere  bei- 
spiele  im  mhd.  wb.  III,  184  cf.  Beneke  zu  Iw.  5827  zu  Wigal.  p.  729 
und  LUbben.  wb.  z.  d.  Nib.  II.  aufl.  177  a.  Beispiele  für  tmde  ohne  Inver- 
sion des  subjects  mit  der  gewöhnlichen  satzfolge  des  von  einer  cou- 
junction  abhängigen  nebensatzes  gibt  Haupt  zu  Gottfried  von  Neifen 
S  17. 0 

ad  I.  3  a.)  P.  252,  3  ob  wendic  ist  sm  vreise,  rvol  dich  der  saelden 
reise!  u.  ö. 

ad  I.  3  b.)  P.  525,  6  sich  füegei  paz,  ob  weint  ein  kint,  denn  ein 
bartohter  man.    259,  15.    214,  13  u.  ö. 

ad  I.  3c.)  Wh.  150,  IS  ob  der  werde  kunec  Tybalt  nf  dxnerinarke 
Vit  mit  her^    man  sol  mich  bi  dir  sehen  ze  wer, 

ad  I.  4  a.)  P.  725.  7  ern  welle  nnschulde  rechen,  sus  muoser  hin 
z^ir  sprechen  u.  ö. 

ad  I.  4b.)  Wh.  30,  28.  der  wirt  ouch  drumbe  vil  verlorn,  ez  en- 
wend  der  in  diu  herze  siht, 

ad  II.  1.)  P.  59,  27  gebiet  ir,  so  ist  ez  war,  P.  302,  27  vinde  ich 
nimmer  von  iu  strtt,  doch  sint  diu  lani  so  wit,  ich  mac  da  arbeit 
holen.  P.  735,  12  sage  ich  des  mdre  denne  genuoc,  dennoch  mac 
ichs  iu  nur  wol  sagen,  P.  276,  27  ouch  het  ichs  dö  genozzen,  wesser, 
wie  si  mich  bestdt.  In  P.  5s5,  5  frou  minne  weit  ir  pris  bejagn,  möht 
ir  iu  doch  läzen  sagn  hat  wul  der  wünschende  Inhalt  die  Stellung  des 
fragesatzes  herbcigetührt,  denn  *doch'  steht  nicht  an  der  spitze  des 
Satzes  und  vgl.  damit  P.  206,  28.  137,  18.  532,  23.  Ueber  ein  und 
hinaus  invertiert  so  in  Wh.  1,  6  öA  diu  von  mir  vertrtbet  gedanc  die 
gar  flustic  sint,  so  bis  tu  vater  und  bin  ich  kint.  Eine  ausnähme 
bildet  Wh.  299,  2s  bin  ich  so  frum,  dar  nach  ich  muoz  uf  Alischanz 
nu  werben,    cf.  P.  398,  11.    561,  20. 

ad  II.  2.)  P.  50,  14  het  er  den  pris  behalten  do^  für  zuck  er 
gaezen  in  diu  wip.  P.  56,  29  ml  er  wider  wenden,  schiere  sol  ichz 
enden\  jedoch  auch  P.  7,  28  het  ich  dar  inne  m3r  getan,  etswn 
man  min  gedachte,  und  P.  510,  25  het  ich  iuch  swä  ich  wolte,  den 
wünsch  ich  gerne  dolte. 

ad  II.  3.)  P.  32,  6  waz  hülfe  in  dan  sm  vrechiu  ger?  P,  504,  IS 
op  si  sich  strits  gein  mir  bewigt,    wie  sol  ich  mich  ir  danne  wern? 

§4. 

Die  mehrzahl  der  mhd.  bedingungssätze  zeigt  die  forni^ 
die  die  spräche  in  ihrer  weitem  entwieklung  zur  scharfem 
begrenzuiig  der  godanken  stets  wählt,  die  Subordination;  die 
protasis  wird  der  apodosis  untergeordnet.  Die  mittel,  dies  zu 
bezeichnen,   sind  aber  mannigfaltig  und  ihrer   entstehungsart 

*)  Cf.  die  anmerkung  am  Schlüsse  der  abhandlung. 


CONDITIONALSAETZE  BEI  WOLFRAM.  9 

und  -zeit  nach  verschieden.  Hier  sollen  sie  in  der  reihenfolge 
aufgeführt  werden,  in  der  wir  sie  uns  von  der  spräche  gebildet 
zu  denken  haben. 

Den  ersten  platz  in  dieser  reihe  nehmen  die  conjunctiviseh 
beschränkenden  conditionalsätze  ein,  in  denen  die  abhangig- 
keit  lediglich  durch  den  modus  bezeichnet  wird.^)  Während 
die  mit  oh-niht  oder  blossem  niht  bei  gleichzeitig  invertierter 
Wortfolge  gebildeten  conditionalsätze  eine  in  der  Wirklichkeit 
vorhandene  oder  vorhanden  gewesene  bedingung  einführen,  die 
in  die  position  übersetzt  in  die  angäbe  von  grund  und  Ursache 
verwandelt  wird,  bringt  die  mit  ^le  gebildete  subjunctive  structur 
nur  eine  gedachte,  angenommene  bedingung,  die  —  und  darauf 
ist  das  hauptgewicht  zu  legen  —  die  zugleich  die  einzig  mög- 
liche sein  will.  Ueberträgt  man  die  ganze  negation  in  die 
Position,  so  kann  der  hauptsatz  nur  unter  der  gesetzten  be- 
dingung wahr  und  erfüllt  werden.  Das  Verhältnis  bleibt  also 
auch  dann  stets '^)  conditioual. 

I.  Der  ausdruck  für  die  Vorstellung  der  aussage  des  ncbeii- 
satzes  ist  der  conjunctiv.  Ihm  entspricht  im  hauptsatz,  ent- 
gegen der  sonst  gerade  in  bedingungssätzen  beliebten  concinni- 
tät,  meist  der  indicativ,  weil  sich  ja  die  annähme  nicht  auf 
die  apodosis  mehr  erstreckt,  und  zwar  steht 

1)  bei  conj.  praes.  des  nebensatzes,  der  übrigens  bei 
Wolfram  gerade  hier  ungemein  oft  vom  hilfszeitwort  wellen 
c.  inf.  mit  futurischer  bedeutung  gebildet  wird,  im  hauptsatz 
a)  der  ind.  et)  der  regel  nach  praes.,  ß)  ausnahmsweise 
praet.,  b)  der  conj.  praes.,  aber  mit  optativischer  be- 
deutung. 

2)  bei  conj.  praet.  im  nebensatz  a)  der  ind.  a)  der 
regel  nach  praet.  /?)  ausnahmsweise  entspricht  der  conj. 
praet.,  wol  im  afifect  der  rede,  durch  lebendigere  äusserung 
des  gedankens  heiTOrgerufen  dem  ind.  praes.  b)  conj. 
l)raet.,  der  aber  seinen  grund  hat   a)  im  ausruf.    Iß)  in  der 


*)  üeber  sie  und  zum  tolgenden  vgl.  Dittmars  genannten  treff- 
lichen aufsatz  in  Zachers  zeitschr.  ergänzungsband  1S74.  §  1—28,  auf 
dem  das  hier  gesagte  vollständig  fusst. 

^  So  kann  ich  mit  Wackernagel  (Fundgruben  1.  269—306,  §  5- 
anm.  a.)  trotz  Dittmar  a.  a.  0.  %  24  sagen,  denn  Wolfram  wenigstens 
kennt  historische  conditionalsätze  mit  ne  nicht. 


10  £BB£ 

lebhaften  frage.    7)    in  der  abhängigkeit  der  conditionalen 

poriode  von  einem  praeteritalen  bauptsatz. 
IL  1)  Bei  Wolfram  wird  gleich  häufig  dem,  wenn  auch 
nur  dem  sinne  nach,  negativen  wie  dem  positiven  hauptsatz 
der  hypothetische  nebensatz  mit  ne  angeschlosBen.  2)  Seltener 
steht  im  Parzival  der  positive,  oder  3)  der  negative  hauptsatz 
an  zweiter  stelle,  während  mir  im  Wh.  gar  kein  derartiges 
beispiel  aufgestossen  ist. 

III.  Die  negation  des  bedingungssatzes,  die  nicht  mit 
Wackernagel  0  aIb  eine  fortwirkung  der  hauptnegation  auf  den 
subordinierten  satz  angesehen  werden  darf,  sondern  der  eine 
selbständigere  bedeutung,  eine  freiere  Stellung  zuzusprechen 
ist,  wird  öfter  1)  durch  da)im  verstärkt,  eine  partikel,  die 
'eigentlich  eine  explanative  conjunction,  zur  bezeichnung  einer 
ausnehmenden  adversativbestimmimg  gebraucht  wird,  um  an- 
zuzeigen, dass  die  aussage  der  apodosis  verwirklicht  werden 
nmss  oder  soll,  falls  die  der  protasis  nicht  in  erftlllung  geht.' 
—  Von  einer  er  Setzung  der  negation  durch  dmine,  die  später 
so  allgemein  herschend  wird,  findet  sich  bei  Wolfram  noch 
nichts;  2)  die  negation  wird  durch  miders  verstärkt.  *Es  be- 
sagt, dass  der  aussage  eines  satzes  die  eines  andern  in  be- 
dingender ausnähme  entgegensteht';  3)  die  negation  fällt 
aus,  bei  Wolfram  aber  meist  nur  nach  einem  n. 

IV.  Ueber  die  Wortfolge  in  diesen  sätzen  vgl.  §  3.  I,  4. 
Hier  möge  nur  noch  einmal  betont  werden,  dass  stets  ein  pro- 
nomen  an  die  spitze  des  nebensatzes  tritt,  sei  es  dass  dies 
1)  der  nom.  eines  pron.  pers.,  wozu  auch  man  gerechnet  wer- 
den möge,  alno  das  subject  des  satzes,  oder  2)  der  cas.  obli- 
quus  eines  pronomens,  oder  3)  ein  pronominalverb  sei,  oder 
dai!^s  4)  das  aus  einem  Substantiv  oder  einem  satz  bestehende 
subject  des  nebensatzes  dui*ch  das  neutrum  ez  vorausgenommen 
werde.  Der  grund  dafür  ist  wol  der,  dass  die  negation  gern 
dem  vorausgehenden  pronomen  incliniert. 

ad  I.  1.  Fast  ein  viertel  der  von  mir  verzeichneten  einschränken- 
den 8Htie  aus  Iw.  Nib.  imd  Pars,  hat  diese  Umschreibung,  kh  enwelle 
F.  747,  6.  man  enwelle  Iw.  250,  er  enwelle  P.  740,  15.  725,  7.  485,  4. 
got  enwelle  Iw.  7415,  ir  enwelt  P.  47,  Ib.  133,  30.  645,  10.  Iw,  1490. 
1824.    Nib.  2123,  1.    sine  wellen  P.  738,  11. 

')  a.  a.  o.  p.  276. 


CONDITIONALSAETZE  BEI  WOLFRAM.  1 1 

ad  I.  1  a.  a)  P.  78S,  4  so  nacht  ez  iwerm  volle,  irn  lät  mich  von 
in  scheiden  ii.  ö.  —  ß)  P.  224,  26  mich  enhdbe  diu  äveniiure  heirogn,  sin 
reise  was  grdz  mit  einer  gewissen  breviloquenz ,  eigentlich:  'so  ist  es 
wahr,  dass  seine  reise  gross  war/  P.  725,  7  ern  weüe  uttschulde  rechen, 
sus  muoser  hin  zir  sprechen  mit  anwendung  des  praes.  bist,  im  ncben- 
satze,  wie  sie  Wolfram  liebt. 

ad  I.  Ib.)  P.  516,  5  niemen  sich  verspreche,  ern  wizze  i,  waz 
er  reche. 

ad  I.  2a.  a)  P.  151,  13  diu  enlachie decheinen  wis,  sine  saehe  in,. 
P.  152,  27.  188,  16.  753,  23.  19,  11.  110,  5.  118,  14.  280,  24.  Wh. 
185,  10. 

ad  I.  2  a.  ^)  P.  607,  17  ir  sU  hie  sirttes  ledec  gar,  ezn  tvaer  dan 
gr oezer  iwer  schar,    P.  443,  18.    692,  20.    410,  17. 

ad  I.  2b.  a)  P.  737,  18  . .  daz  ez  diu  rvip  solden  lohn,  sine  wolien 
dan  durch  Idsheit  lohn,  —  ß)  P.  692,  27  waz  prlss  möht  ich  an  dir  bejagn, 
ine  hört  dich  baz  gein  krefien  sagn,  —  y)  Wh.  339, 14  si  jähn,  in  waere 
unmaere  ir  lehn,    sine  geraechen  ^  den  schaden  baz. 

ad  II.  1)  P.  HC,  5  er  empfienc  nie  w^bes  minnen  teil,  ei'n  waere 
al  ir  vröuden  geil  u.  ö.  Wh.  30 ,  2b  der  wirt  ouch  drumbe  vil  verlorn^ 
cz  enwend  der  in  diu  herze  siht  u.  ö.  —  2)  P.  614,  19  frouwe,  esn  wende 
mich  der  tot,  ich  Ure  den  künec  söthe  not.  224,  25.  725,  7.  —  3)  P.  740, 
15  ern  welle  an  minne  denken,  sone  mag  er  niht  entwenken,  P.  410, 
17.    226,  16. 

ad  III.  1)  P.  348,  10  vor  den  mac  Lyppaut  wol  genesn,  ez  ensi 
dan  mm  herre  alein,  Wh.  127,  30.  P.  362,  13.  607,  18.  737,  18.  639,  1.— 
2)  P.  747,  6  al  dm  werlicher  lisl  mac  dich  vor  töde  niht  bewarn,  ine 
well  dich  anders  gerne  sporn.  —  3)  P.  638,  21  man  welle  itn  unrehtes 
jehen,  sd  habt  ir  selten  i  gesehen  decheinen  wirt  so  freuden  rieh, 
P.  241,  19,  aber  Wh.  270,  10  daz  kunder  wol  vermiden,  er  wurde  t 
drüf  gereizet, 

ad  IV.  1)  P.  265,  22  /im  bistu  der  verlorne,  dune  tätest  sie  dm 
hulde  hän,  P.  740,  15.  725,  7.  226,  16.  410,  17.  737,  18.  692,  27. 
151,  14.  152,  27.  188,  16  u.  (5.  Wh.  337,  29.  392,  21.  421,  17.  339,  15. 
185,  10.  P.  241, 19.  —  2)  P.  485,  5  ich  mac  uns  selbe  niht  gespisen,  esne 
welle  uns  got  bewUen,  P.  712,  17.  362,  12.  224,  25.  614,  19.—  3)  P. 
731,  29  dem  muoz  gein  sorgen  wesen  gäch,  dane  reiche  w\be  helfe 
nach  19,  11.  —  4)  P.  118,  14  erne  künde  niht  gesorgen,  ez  enwaere  ob 
im  der  vogelsanc,^)     P.  443,  16.  607,  17.      > 


*)  nicht  gehört,  wie  man  nach  San  Martes  Übersetzung  meinen 
könnte,  zu  diesem  paragraphen:  Wh.  3,  12  ein  iesUch  rtter  st  gewis 
der  siner  helfe  in  angest  gert,  daz  er  der  niemer  wirt  entwert,  1 5  ern 
sage  die  selben  not  vor  gote\  vielmehr  ist  z.  15  von  entweiht  abhängig, 
der  satz  also  ein  ergänzungssatz  und  er  (z.  15)  ist  Willehalm,  der  ja  als 
heiliger  die  pflicht  hat,  gott  die  gebete  der  menschen  vorzutragen. 


1 2  ERBE 

§  5. 
'Allmählicb,  als  mit  dem  weiteren  fortscbi  eiten  des  geisti- 
gen lebens  dem  menschen  der  innere  Zusammenhang  seiner 
gedanken  vor  die  seelc  zu  treten  begann,  schuf  sich  die  spräche 
in  besondern  Wörtern  zeichen  und  hebel  der  Satzbetonung, 
Die  tätigsten  helfer  bei  dieser  arbeit  waren  die  pronomina,  die 
zunächst  nur  deiktisch,  dann  aucli  anaphorisch  wurden,'  So 
werden  denn  das  relative  und  das  substantivische  wie  das  ad- 
jectivische  indefinite  pronomen  zu  kennzeichen  der  conditio- 
nalen  sätze  sowol  mit  als  ohne  auf  sie  bezügliches  pronomen 
demoustrativum  im  hauptsatz  und  zwar  finden  wir: 

1)  a)  vom  pronomen  relativum  der  wenigstens  bei  Wolf- 
ram wie  im  Iwein  (anders  ist  es  im  Walther)  nur  den  nom. 
masc.  sing.,  zu  übersetzen  durch  Svenn  jemand,'  b)  vom  pron. 
indefiuitum  adjectivum  swelcher  nur  den  nom.  sing.,  zu  über- 
setzen mit  ^wenn  ein,  eine'  etc.  c)  vom  substantivischen  pron. 
indef  swer  auch  die  casus  obliqui,  zu  übersetzen  durch  ^wenn 
jemand,  jemandes'  etc.  in  conditionaler  bedeutung,  und  end- 
lich begegnet  d)  auch  das  indefinite  Pronominaladverb  swä  im 
bedingungssatz,  zu  übersetzen  durch  *wenn  wo'; 

2)  durch  die  genannten  pronomina  können  bedingungen 
eingeführt  werden,  die  entweder  a)  als  wirklich  gesetzt  wer- 
den sollen  und  sie  stehen  im  ind.  praes.  oder  praet,  oder  die 
b)  als  bloss  möglich  bezeichnet  werden  sollen.  Sie  treten  in 
den  conj.  piaet. 

ad  1  a.)  P.  761,  29  r^(?r  dergein  leit  al  die  terre,  ez  waereni  gelle 
verre,  P.  6b,  14.  201,  22.  Ct".  Wb.  zu  Iwein  von  Beneke  1.  ausgäbe 
p.  73,  aber  Walt  her  1)2,  3:i  dei'  blic  gevrörvet  ein  herze  gar,  den  min- 
neclkh  ein  tmp  an  siht,  zu  welcher  stelle  (69,  26  seiner  ausgäbe)  Wil- 
inanns  zu  vergleichen  ist.^)  —  b.)  W.  1.  4,  3  swelch  schiltaere  entwtirfe 
daz,  des  waere  ouch  dem  genuoc,  P.  578,  27.  —  c.)  P.  427,  2  srvem  si 
güelliche  ir  küssen  hol,  des  muose  swenden  sich  der  wall  mit  maneger 
tjost  ungezall.  T.  91,  2.  63,  I.  P.  250,  29.  —  d.)  P.  539,  15  swä  vrei- 
sehet  man  ode  wip,  daz  überkomen  ist  min  Itp,  so  stit  mir  baz  eith 
sterben  vor,    P.  468,  29.    242,  8. 

0  Es  ist  selu*  zweifelhaft^  ob  Wilmanns  anffassung  richtig  ist,  da 
die  obliquen  casus  von  der  in  dieser  Verwendung  sonst  überhaupt  nicht 
nachzuweisen  sind.  Wir  haben  wol  den  auf  bUc  zu  beziehen  als  acc. 
des  inliaUs.  Andernfalls  mtisteu  wir  eine  ungenaue  beziehung  des  rela- 
tivums  auf  herze  annehmen.    P. 


CONDITIONALSAETZE  BEI  WOLFRAM.  13 

ad  2  a)  P.  241,  17  swei"  den  bogen  gespannen  siht,  der  sene- 
wen  er  der  slehte  giht.  P.  427,  2.  539,  15.  420,  18.  12,  27.  24,  2(). 
2^0,  28.  —  b.)  P.  406,  ()  min  triwe  ein  l()t  an  dem  orte  fürbaz  rvaege^ 
der  uns  tvegens  ze  rehte  pflaege.  P.  2b7,  2.  232,  14.  Wh.  133,  2S.  62, 
13.  Ans  andern  Schriftstellern  vgl.  Wal tli.  85,  27.  Iw.  10.  58.  95.  Walth. 
41,  23  107,  9.  Nib.  329,  3  und  Ltibben  wb.  z.  d.  Nib.  (Oldenb.  1865.) 
1 63a.  an».  161  b.  162b.  Kndr.  295,  3  und  Martin  zu  358,  2,  endlich 
Beneke  a.  a.  o.  424  und  425,  wo  auch  swedei^  als  conditional  ange- 
geben ist. 

§  6. 

Im  vorigen  paragrapheu  lernten  wir  als  ein  mittel,  die 
Unterordnung  der  sätze  zu  bezeichnen,  das  pronomen  kennen. 
'Welcher  art  aber  die  Verbindung  der  beiden  sätze  sei,  davon 
enthält  das  pronomen  nichts.'  ^Es  drückt  nur  aus,  dai^s  die 
Landlung  des  relativsatzes  das  posterius  oder  das  prius  zum 
hauptsatze  bilde.'  *  Ein  versuch,  auch  die  feinern,  sich  notwen- 
dig einstellenden  gedankeuverhältnisse  zum  ausdruck  zu  bringen, 
liegt  in  den  conjunctionen  vor.'*)  Wir  erblicken  also,  um  mit 
Miklosich^)  zu  reden,  in  der  maierei  der  spräche  jetzt  schritt 
für  schritt  mehr  die  perspective,  die  die  gegenstände  für  das 
äuge  aus  einem  nebeneinander  in  ein  hintereinander  umwan- 
delt: den  gedanken  im  isatzgefüge  nicht  mehr  ihren  platz  neben, 
sondern  unter  einander  anweist. 

Nach  Herling  •*)  sollen  die  bedingenden  conjunctionen  aller 
sprachen  —  und  ihrer  gibt  es  im  mhd.  vier  oder  je  nachdem 
man  will,  sechs:  unde,  daz,  (wandaz)  so,  {swenne)j  und  oh  — 
casus  inten-ogativer  pronomina  sein.  So  gut  aber  diese  an- 
nähme auch  zu  dem  fragenden  und  ungewissen  Charakter  der 
conditionalperioden  stimmen  würde,  und  so  sehr  sie  von  dem 
gebrauch  von  ob,  tl  und  si  in  indirecten,  wann  in  directen 
fragen  unterstützt  zu  werden  scheint,  so  spricht  die  abstam- 
mung  von  so,  das  mit  Bezzenberger *)  wol  sicher  von  dem 
reflexivum  sva  herzuleiten  ist,   und,  wenn  auch  nur  indirect. 


0  Windisch  u.  Delbrück  a.  a.  o.  p.  99  und  p.  35. 

*)  Vergleichende  grammatik  der  slav.  sprachen.  Wien  1868  und 
1870.    IV.    76. 

3)  Die  syntax  der  deutschen  spräche.  Frankfurt  1830.  I.  §  133  b. 
Note  k. 

*)  Untersuchungen  über  die  gotischen  adverbien  und  partikeln. 
Halle  1873.  p.  56  ff. 


14  ERBE 

der  umstand,  dass  das  indefinite  swenne  früher  einen  bedin- 
gungssatz  einleitete  als  unser  nhd.  wefwi,  zu  entschieden  gegen 
die  behauptung  Herlings.  Auch  ob  wird,  wie  wir  weiter  unten 
sehen  weixlen,  wahrscheinlicher  nicht  von  einem  pronomen  ab- 
geleitet. 

§  7. 
Am  wenigsten  streng  conditionalen  Charakter  trägt  von 
den  genannten  conjunctionen  das  an  mannigfaltigkeit  des  ge- 
brauchs  so  reiche  iinde.  Den  relativischen  gebrauch  dieser 
conjunction  ftihi*t  Tobler  ^)  auf  ihre  abstammung  von  einem 
demonstrativen  stamm  zurflck,  indem  er  so  schliesst:  demon- 
strativa  können  verallgemeinernde  bedeutung  haben,  ein  ver- 
allgemeinernder satz  aber  impliciere  stets  einen  relativsatz. 
Ueberhaupt  verrichte  ja  das  pronomen  demonstrativum  teils 
ursprünglich,  teils  später  den  dienst  des  relativpronomens.^) 
Auffallend  aber,  bemerkt  Tobler  mit  recht,  bleibt,  dass  unde, 
welches  im  gotischen  gar  nicht  vorkommt,  im  ahd.  nur  bei- 
geordnete Sätze  verbindet  und  dass  aL»o  ein  nachgeftthl  jenes 
Zusammenhangs  mit  dem  relativum  erst  im  mhd.  so  deutliche 
spuren  treibe.  Daher  sind  wir  denn  wol  berechtigt  3) ,  in  dem 
U7ide  ursprünglich  nur  eine  copula  zu  sehen,  die  haupt-  und 
nebensatz  als  eng  zusammengehörig  bezeichnen  soll. 

1)  Die  conditionale  Verwendung  von  unde  nun  erstreckt 
sich  sowol  a)  auf  conditionalsätze  die  eine  Voraussetzung; 
als  die  b)  eine  annähme  enthalten.  Im  ei*sten  falle  braucht 
Wolfram  ausserdem  auch  gern  im  nebensatz  den  conj.  praes., 
ja  die  einzige  indicativische  form  kann  auch  conj.  sein«  Im 
zweiten  fall  steht  der  conj.  praet. 

2)  Ueber  die  woi*tfolge  in  den  mit  wide  eingeleiteten  con- 
ditionalsätzen  vgl.  §  3.  L  2). 

3)  Während  wuie  bei  allen  andern  Schriftstellern  auch 
den   positiven    wie  negativen   anfangenden   conditionalsatz 

*)  In  Kahns  zeitschritlt  für  vergleichende  Sprachforschung  VII.  1S53. 
353  ff.  *über  den  relativischen  ^brauch  des  deutschen  unde  mit  ver- 
gleichung  verwanter  Bpracherscheimmg««.* 

*)  Vgl.  anch  Cartins  im  VI.  band  derselben  zeitschr.  92  und  Win- 
disch in  Curtius  Studien  II,  2U3  ff. 

3)  Vgl.  anch  Kölbing  in  Zachers  zeitschr.  IV,  347. 


CONDITIONALSAETZE  BEI  WOLFRAM.  1 5 

einfbhiii,  kennt  Wolfram  es  nur  im  nachstehenden  posi- 
tiven bedingungssatz. 

ad  t  a.)  P.  645,  16  frouwe  er  enbiui  iu  mire^  daz  nr  mit  werden 
freudeii  lebe,  und  vreischer  iwers  trdstes  gehe,  P.  163,  3  sU  ir  durh 
räies  schulde  her  komen,  iwer  hulde  müezt  ir  mir  durch  raten  Idn, 
und  weit  ir  rätes  volge  häuy  wo  z.  6  dem  sinne  nach  eine  ausfiihrung 
von  durch  raten  z.  5  ist.  Wh.  306,  16  daz  bezzer  got  in  beideti  an  mir, 
und  si  ich  schuldec  dran,  —  b.)  P.  298,  21  ich  taete  ouch  noch,  und 
soltez  stn,  Wh,  232,  U  deti  knappen  hete  gar  bevilt,  und  het  er  sich 
versunnen,     wie  daz  ors  wart  gewunnen,^) 

Beispiele  zu  2)  and  zu  dem  bei  andern  schnftstellera  auftretenden 
conditionalen  unde  siehe  §  3.  I,  2. 

§  8. 
Eine  von  den  conjunctionen ,  die  wie  die  eben  behandelte 
zur  einfllhrung  aller  möglichen  arten  von  nebenstitiien  dienen, 
eigentlich  also  keine  andere  bestimmung  hal)en,  als  den  von 
ihnen  eingeleiteten  satz  als  nebensatz  zu  kennzeichnen,  ist  das 
ursprüngliche  neutrum  des  relativpronomens,  das  also  auch 
conditionale  bedeutung  annehmen  kanU;  daz. 

daz  bedeutet  nun  im  conditionalen  sinne  entweder 

1)  ^falls'  und  kann  dann  a)  eine  Voraussetzung  im  ind. 
oder  b)  eine  annähme  im  conj.  praet  einführen,  oder 

2)  mit  finalem  anklang  ^unier  der  bedingung  dass' 
mit  conj.,  so  dass  ah»o  die  erfUllung  der  bedingung  zugleich 
als  absieht  des  subjects  des  hauptsatzes  oder  des  sprechenden 
angesehen  wird. 

Der  bedingungssatz  kann  vorausgehen  oder  folgen,  nega- 
tiven oder  positiven  sinn  haben. 

ad  1  a)  P. 609,  H,  ,so  ist  se  ein  übele  rnagt,  daz  sie  den  site  an  iu 
niht  klagt,  Walth.  121,  25  genuoge  kunnen  deste  haz  gereden,  daz  si 
bi  Hebe  sint,  Cf.  Biter  604.  Bai-tsch  liederdichf.  87, 145.  -  b.)  MSF.  184, 
21  daz  mir  der  schoenen  würde  ein  teil,  daz  diuhte  mich  ein  michel 
heil.  Waitli.  46,  28  owi  der  mich  da  weleu  hieze  deich  daz  eine  durch 
daz  ander  lieze.    Aus  Wolfram  kenne  ich  für  diesen  fall  kein  iKiispiel. 

*)  Diese  beispiele  werden  genügen,  l'oblers  ansieht  von  der  con- 
ditionalen bedeutung  unserer  conjunetion  zu  bestärken  und  es  zu  ver- 
vollständigen, wenn  er  Germ.  XIII,  99  f.  sagt,  dass  er  nui*  die  möglich- 
keit  einer  solchen  auf  grund  der  vergleichung  mit  andern  sprachen 
aufrecht  erhalten  möchte. 


16  ERBE 

51(1  2)  P.  26G,  25  der  nim  dir,  swederz  du  wellest ,  daz  du  mich 
iöi  niht  vellest ,  wo  das  mhd.  wb.  I,  321  b.  30  fälschlich  rein  finale  be- 
deutung  annimmt.  P.  219,  30  .  .  diu  not  ich  niht  verspraeche,  daz  Bro- 
barzaere  frouwen  lip    mit  ir  hulden  rvaer  min  nnp  cf.  Walth.  115,  b. 

§9. 

Eine  erwähnung  yerdient  im  auschluss  an  daz  das  aus 
ihm  und  der  ausschliessenden,  bis  jetzt  etymologisch  noch  un- 
sichern  partikel  rvan  zusammengesetzte  tvan  daz,  eine  con- 
junction,  die  zwar  nicht  eigentlich  bedingliche  bedeutung  hat^ 
jedoch  nhd.  conditional  übersetzt  werden  kann.  Genau  genom- 
men mllste  man  tibersetzen  'nur,  dass',  'ausser,  dass',  d.  h. 
nur  das  hindert[e]  ,das8'  oder  kurz  'doch*. 

Mit  wan  daz  wird  nämlich  ein  factum  eingeführt,  das  den 
hau])tsatz  aufhebend,  zugleich  nicht  den  möglichen,  sondern 
den  wirklichen  grund  für  diese  negierung  angibt. 

1   a)    Da  im  nebensatz  ein  factum,  im  hauptsatz  eine  an- 
nähme gegen  die  Wirklichkeit  eingeführt  wird,   so  steht  meist 
im  erstem  der  ind.,   im  letzteren  der  conj.,   und  zwar  enthält 
a)  der  satz  mit  rvan  daz  den  ind.  praes.  und  der  haupt- 
satz den  conj.  praet.,   falls   sich   der  inhalt  der  periode  auf 
gegenwart  oder  zukunft  bezieht. 

ß)  Wenn  das  ausgesagte  sich  auf  einen  fall  in  der  Ver- 
gangenheit beziehen  soll,  so  kann  das  verb  des  hauptsatzes 
im  conj.  plusqu.  stehen,  aber  auch  im  conj.  praet,  der  im 
mhd.  den  gleichen  sinn  haben  kann;  der  satz  mit  tvan  daz 
muss  den  ind.  praet  enthalten. 

b)  Nur  ausnahmsweise  erscheint  der  ind.  praes.  im  haupt- 
satz neben 

a)  ind.  praes.  im  nebensatz   bei  praesen tisch em  inhalt; 

ß)  ind.  praet  im  nebensatz.  Hier  ist  1)  entweder  das 
praet  des  nebensatzes  nur  eine  andere  ausdrucksweise  für 
einen  praesentischen  begriff,  oder  2)  das  praes.  im  haupt- 
satze  ist  ein  historisches  und  aus  ihm  verfällt  der  dichter 
im  nebensatz  in  die  gewöhnliche  erzählungsform ,  das  praet 

c)  Der  von  Beneke^)   und  Lachmann 2)   geleugnete,  im 

*)  Wörterbuch  zu  Iw.  s.  v.  rvan  p.  529. 

^)  Anmerk.  zu  Iw.  2908,  woselbst  es  heisst:  bei  rvan  daz  kann  wol 
der  conj.  stehen,  aber  dann  bedeutet  daz  den  zweck. 


CONDITIONALSAETZE  BEI  WOLFRAM.  17 

Wolfram  aber  an  ein  paar  stellen  nachweisbare  conj.  praet 
im  bedingungssatz  mit  wandaz  begegnet  nur,  wenn  der  Inhalt 
des  nebensatzes  im  Verhältnis  zum  hauptsatz  zeitlich  das 
posterius  ist. 

2)  Der  satz  mit  rvan  daz  folgt  zwar  meist  dem  haupt- 
satZy  aber  nicht  ausnahmslos. 

3)  Wie  in  der  protasis  des  einschränkenden  conditional- 
Satzes  kann  hier  anders  im  hauptsatze,  zur  stärkern  hervor- 
hebung  der  bedingung,  eintreten. 

ad*l.  a.  d)  Wh.  189,  35  ick  maeze  iu  dinges  dar  genuoc,  wandeiz 
in  von  im  smähet.  P.  150,  23.  366,  20.  422,  5.  605,  27.  Wh.  213,  14. 
158,  15.  T.  52,  4.  —  ß)  P.  84,  16  wandaz  gröz  jämer  undersluoc  die 
hoehe  an  siner  vreude  breit,  sin  minne  waer  ir  vil  bereit.  P.  169,  10. 
214,13.  314,26.  688,  11.  97,  29.  Wh.  153, 25.  418,  13.  Cf.  Nib.  1805, 
3.     1452,  1. 

ad  1.  b.  d)  Walth.  42,  20  gegen  den  vinstern  tagen  hau  ich  not, 
wandaz  ich  mich  rihte  nach  der  heide.  —  ß)  {)  F.  643,  3  ich  sage  vil 
tiht,  waz  da  geschach,  wan  daz  man  dem  un/uoge  ie  jach,  der  vei'- 
holniu  maere  machte  breit,  wo  ie  jach  nicht  viel  anderes  ist  als  giht. 
Ebenso  ist  P.  549,  18,  wo  wandaz  manz  iu  von  hove  entbdt  ziemlich  so 
viel  bedeutet  als  wan  daz  ir  daz  gebot  von  hove  hat.  2)  Wh.  269,  16 
Gyburc  ist  vtentUcher  not    erlöst,  wan  daz  se  et  jämer  twattc. 

ad  1.  c)  P.  323,  29  ungerne  wolle  ich  dir  versagn,  wandaz  ich 
müesez  laster  tragen  lässt  sich  umschreiben:  ^denn  dann,  wenn  ich 
nämlich  nicht  versagen ,  also  wenn  ich  dich  kämpfen  lassen  wollte,  mUste 
ich  das  laster  klagen*,  so  dass  also  Iw.  2968  er  hete  geweint  benamn, 
wandaz  er  sich  müese  schamn  wol  denkbar  und  ohne  zagen  in  den  text 
autzunehmen  wäre,  wäre  diese  lesart  nicht  nur  von  B  gegenüber  AE 
bezeugt. 

ad  2)  Ausnahmen  sind:  Wh.  418,  30  wan  daz  des  Sturmes  urhap 
des  tages  von  siner  hant  geschach,  si  heten  groezer  ungemach  dise 
äht  von  im  gwunnen.  P.  84,  16.  97,  2.  549,  18.  Wh.  213,  14.  Walth. 
95,  6.   Nib.  1805,  3. 

ad  3)  P.  97,  29  wan  daz  ich  schilt  von  ir  gewan,  ez  waer  noch 
anders  ungetan. 

Anmerkung.  In  derselben  bedeutung  gebrauchen  die 
Nib.  niwandaz.  (a.)  —  Bei  diesem  aber  wie  bei  wandaz  ist  die 
bloss  beschränkende  (b)  von  der  aufhebenden  bedeutung  wol 
zu  unterscheiden.  Nur  die  letztere  kann  conditional  übersetzt 
werden.  In  ersterer  hat  der  hauptsatz  stets  den  ind.  Ueber 
ein  ähnliches  blosses  wan  spricht  Lachmann  zu  Iw.  670.  Doch 
gehört  hierher  von  den  dort  herangezogenen  stellen  nur 
eine  (c). 

Beitrüge  zur  goschiohte  der  dcntscheu  spräche.    V.  2 


18  ERBE 

a.  Nib.  1059, 1  doch  enwurdez  nimmer  (jetän,  niwan  duz  wir  übele 
da  verlorn  hän  ...  die  guoten  iarnhüt.    813.  1.    2081,  2. 

b.  Walth.  8,  38  sam  tuont  die  vögele  wider  in,  wandaz  si  hahent 
einen  sin.    63,  35.    Er.  193. 

c.  'Itirheim  Wilh.  245  a  ein  rise  söUier  siege  pflaCj  daz  er  waere 
ufigenern,    wan  der  herre  Messias    mit  im  in  dem  strlte  was. 

§  10. 

Fast  ebenso  mannigfaltig,  wie  der  gebrauch  von  daz  ist 
die  anwendung  von  so  im  mhd.  Denn  während  das  got.  noch 
zwei  demselben  stamm  angehörige  Pronominaladverbien  at« 
adv.  dem.  und  sve  adv.  rel.  hat,  deren  letzteres  mit  seiner  in- 
strumentalen endung  von  dem  reflexiven  sva  wol  ebenso  ab- 
geleitet ist  als  pe  und  hve  von  la  und  Aa*),  finden  wir  beide 
im  ahd.  und  mhd.  in  das  eine  so  zusammengeschmolzen,  das 
nun  relative  wie  demonstrative  function  zu  erfüllen  hat  und 
also  ebensowol  den  hauptsatz  als  den  nebensatz  einführen 
kann.  Es  dient  im  mhd.,  speziell  bei  Wolfram  sowol  zur  ana- 
phorischen  Zurückweisung  auf  einzelne  bestiudteilo  desselben 
Satzes  als  auch  zur  einftihrung  des  nebensatzes,  ebenso  zur 
hinweisung  auf  den  subordinierten  nachsatz,  als  zur  auknUpfung 
ganzer  sätze  an  einen  vorausgegangenen  nebensatz. 

So  führt  es  denn  unter  andern,  wenngleich  im  ganzen 
selten,  auch  conditionale  nebensutze  ein,  die  man  jedoch  nicht 
mit  den  von  derselben  partikel  in  der  bedeutung  ^sobald  als 
eingeleiteten,  reinen  temporalsätzen  verwechseln  darf.  Der 
meist  voranstehende  nebensatz  wird  gern  durch  ein  correspon- 
dierendes  an  die  spitze  des  hauptsatzes  tretendes  so  mit  diesem 
verbunden. 

1)  In  Übereinstimmung  mit  der  vergleichenden  bedeutung 
des  s6  'wie  das  eine  —  so  das  andere'  sind  diese  sätze  meist 
temporal- conditional,  drücken  eine  widerholung  der  bedinguni; 
aus  und  können  dann  nhd.  durch  'so  oft  als',  'allemal  wenn 
. . .'  übersetzt  werden.     Daraus  ist  erklärlich,  dass : 

a.  so,  weil  kein  angenommenes  ereignis  einleitend,  hier 
nur  mit  dem   ind.  a)  praes.  verbunden  wird   zur  bezeich- 


*)  Vgl.  Bezzenberger :  *  Untersuchimgen  über  die  j?ot.  adv.  und 
part.',  Halle  1^73.  5G  ff.  und  Fick:  *Indog.  würterb.'  3.  aiifl.  (iüttiiij?en 
1874—70.     3,  300. 


CONDITIONALSAETZE  BEI  WOLFRAM.  19 

nung  eines  sich  noch  zur  zeit  öfter  widerholenden  ereig- 
nisseS;  dagegen  ß)  mit  mit  dem  ind,  praet,  wenn  von  einem 
vollständig  der  Vergangenheit  angehörigen  fall  die  rede  ist. 
b.  Ebenso  geht  aus  der  widerholung  der  bedingung  her- 
vor, dass  so  nur  positive  bedingungen  einführt,  wie  denn 
überhaupt  nach  einer  bemerkung  Dittmars  1)  in  der  guten  zeit 
der  mhd.  spräche  nftchst  den  sog.  einschränkenden  bedin- 
gungssätzen,  die  mit  ob-nihi  und  die  mit  niht  bei  Inversion 
gebildeten  mit  geringen  ausnahmen  die  einzigen  negativen 
conditionalsätze  sind. 

2)  Als  eine  weitere  entwicklung  der  conjunction  ist  es  zu 
betrachten,  wenn  sie 

a.  einen  einmalig  vorausgesetzten  fall  einfuhrt  oder 

b.  mit  der  negation  verbunden  auftritt, 

ad  1.  a.  d)  Wh.  243,  26  mir  wirt  halt  sus  enblanden,  so  ich  un- 
gewäpent  wip  grifan,  ob  ich  mit  iren  scheide  dan.  —  /?)  P.  1 59,  1 1  si 
reichten  vaste  unz  üf  die  hant,    so  mans  zem  spers  her  baut,    F.  490,  5. 

ad  2  a)  W.  73,  11  ^^  man  die  zungen  nennet  gar,  ir  nement  niht 
zrvelve  des  toufes  war,  Cf.  Walth.  101,  3.  —  b.  Walth.  91,  21  ganzer 
fröifle  hast  du  niht,    so  man  die  werdekeit  von  wibe  an  dir  niht  sihi. 

Anmerkung.  Ein  temporalconditionales  aus  derselben  vergleichen- 
den bedeatung  wie  das  einfache  so  hervorgegangenes  ^ah\  wie  es  zumal 
Walth.  kennt,  findet  sich  bei  Wolfram  nicht.  Doch  vgl.  Walth.  41,  37 
als  ich  mit  gedanken  itre  var,  so  rvil  mir  maneger  sprechen  zuo,  *8o 
oft  ich*;  'allemal  wenn  ich  meine  gedanken  wo  anders  habe,  redet  mich 
an  * . . .  Cf.  Iw.  3267,  fllr  das  ans  z.  3283  die  widerholung  der  bedingung 
hervorgeht. 

§  11. 

Häufiger  als  sd  findet  sich  mit  ihm  zusammengesetzt  und 
ihm  in  dieser  Zusammensetzung,  anwendung  wie  bedeutung 
nach,  sehr  ähnlich  wenue  (also  nun  ahd.  sö-wenne,  mlid. 
g'wenne  genau  =  si  quaudo),  eine  conjunction,  die  nach 
Weigand*^)  allein  erst  im  nhd.^)  als  bedingende  conjunction 
vorkommt 

Wie  sich  aus  der  temporalen  bedeutung,  die  swenne  ur- 
sprünglich hatte,  die  conditionale  entwickelt  hat,  ist  leicht  er- 


0  a.  a.  o.  p.  203. 

*)  Schmidthennors  deutsches  wb.  3  aufl.  II,  2,  1056. 

^)  1 537  führt  er  als  erstes  nachweisbares  jähr  an. 


20  EBBE 

klärlich;  denn  von  ^dann,  waun  du  dorthiu  kommst,  wirst  du 
sehen'  zu  ^falls  du  dorthin  kommst,  wirst  du  sehen'  ist  kein 
grosser  sprung;  wie  denn  überhaupt  locale  und  temporale  an- 
schauungen  und  —  was  dasselbe  sagen  will  —  ausdrucks- 
formen,  die  ältesten  sind.  Sie  werden  später  auf  causales  und 
damit  zugleich  auf  conditionales  übertragen. 

Für  srvmnej  das  sich  übrigens  im  Willehalm  genau  doppelt 
so  oft  findet  als  in  dem  fast  noch  einmal  so  langen  Parzival, 
gelten,  wie  schon  angedeutet  wurde,  dieselben  regeln,  die  oben 
für  so  aufgestellt  wurden.    So  steht  bei  widerholter  bedingung 

1)  hier  wie  dort  regelmässig  der  ind.  und  zwar: 

a.  ind.  praes.  zur  bezeichnung  eines  noch  zur  zeit 
öfter  widerholten  ereignisses, 

b.  ind.  praet.,  wenn  von  einem  schon  gänzlich  der 
Vergangenheit  angehörigen  falle  die  rede  ist.  —  Ebenso 
findet  sich 

2)  auch  hier  der  entwickeltere  gebrauch  von  swenne, 
wenn  es 

a.  eine  einmalig  vorausgesetzte  und 

b.  eine  angenommene  bedingung  einleitet.  Dagegen 
in  einem  negativen  satz  findet  es  sich  mit  conditionaler  be- 
deutung  nie. 

ad  1  a.)  P.  171,  3  srvenn  ir  dem  tuoi  kumbers  buoz,  so  nähet  tu 
de7'  gotes  gruoz,  Wh.  435,  14.  400,  23-  49,  12.  194,  21.  268,  13.  — 
b.)  P.  129,  25  den  man  drüber  ziehen  solle,  immer  swenne  ez  re- 
genen  wolte,  P.  57,  13.  Wh.  282,  25.  377,  29.  40,  16.  176,  13.  428, 
11.    2,  28. 

ad  2  a.)  P.  141,  27  swenne  ich  daz  mac  gerechen,  daz  wü  ich 
gerne  zechen.*  P.  172,  26.  330,  14.  19,  28.  Wh.  163,  5.  Und  einmal 
bei  conj.  praes..  Wh.  7,  18  swenne  der  nu  verderbe,  da  Itt  doch  m^r 
Sünden  an,  denne  almuosens  dort  gewan  an  sinem  toten  Heimrtch,  — 
b.  Wh.  447,  30  sölhe  herberge  künde  ich  lobn,  swenne  ichz  gerne 
taete     da  ich  fnnde  alsölh  geraete, 

Anmerkung.  Aehnlich  wie  wenne  wird  auch  wie  und 
wä  mit  so  zu  swie  und  srvä  verbunden  und  conditional  ver- 
wendet. Für  den  ersten  gebrauch  bietet  ein  beispiel  Hartm. 
Büchl.  1,  897,  für  den  zweiten  hat  die  belege  gesammelt  Haupt 
z.  Engelh.  6336,  denen  sich  Silv.  5081  und  Walth.  Marienleben 
37,  10  anschliesst. 


CONDITIONALSAETZE  BEI  WOLFRAM.  21 

§  12. 

Doch  die  spräche  begnügt  sich  nicht  mit  solchen  con- 
junctionen,  die  den  nebensatz  nur  als  solchen  kennzeichnen, 
ohne  eigentlich  näher  zu  bestimmen,  welcher  art  das  subordi- 
nierte Verhältnis  sei.  Mehr  und  mehr  zeigt  sich  das  bestreben, 
den  einzelnen  coujunctionen  ihre  feste  bedeutung  zu  geben, 
ihren  genau  begrenzten  Wirkungskreis  anzuweisen  und  den  ein- 
zelnen Satzarten  ihre  bestimmte  conjunetion  zuzuerteilen. 

Die  eigentliche  conditionale,  daneben  nur  zur  einleitung 
der  indirecten  fragen  verwante  und  darum  die  bei  weitem 
häufigste  conditionale  conjunetion,  ist  ob,  ein  wörtchen,  über 
dessen  Ursprung  die  meinungen  sehr  auseinander  gehen.  Zuerst 
regte  die  frage  J.  Grimm  an,  der  im  zweiten  teil  seiner  gram- 
matik  p.  50,  988,  im  dritten  p.  110,  284  und  760  darübör 
handelt.  Nach  ihm  ist  das  ahd.  ibu,  aus  dem  sich  später  opa 
und  tibi  1)  u.  a.  entwickelte,  der  dat.  sing,  eines  bei  Notker  '^) 
ein  paar  mal  noch  als  nomen  vorkommenden  stf.  iba  *bedin- 
gung,  Zweifel',  eines  Substantivs,  das  als  stn.  (if)  und  swf.  {ifi) 
und  in  zahlreichen  secundärbildungen  im  altn.  gar  häufig  vor- 
kommt. Alle  formen  unserer  conjunetion  haben  im  ahd.  con- 
ditionale wie  fragende  bedeutung,  und  so  haben  wir  wol  auch 
für  das  gotische,  wo  iba  nur  fragen ,  jabai  nur  bedingungssätze 
einleitet,  eine  ältere  stufe  der  spräche  anzunehmen,  in  der,  wie 
von  dem  negativen  niba,  beide  functionen  von  6inem  wort 
verrichtet  wurden. 

Grimm  stimmen  Wackernagel  3)  u.Fick^)  bei,  welcher  letztere 
aber  Jabai  von  ob  trennt  und  aus  einem  relativpronomen  ent- 
standen sein  lässt.  Ihnen  gegenüber  traten  Diofl*enbach*),Benfeyß), 


*)  denn  die  all/.nkühne  ansieht,  dass  bei  derselben  bedeutung  und 
der  so  grossen  ähnlichkeit  der  laute  diese  von  jenem  zu  trennen,  wird 
von  ihrem  eigenen  Urheber  Erdmann  (a.  a.  o.  §  122  anmerkung  t)  be- 
anstandet. 

')  Boethius  154  mit  ibo  'bedingungsweise'  und  267  äne  iba  'ohne 
zweifei.' 

3)  Glossar  zum  altdeutschen  leseb.  1889.  p.  297. 

*)  a.  a.  0.  II,  439.  301. 

*)  Wörterb.  der  got.  spr.  113  u.  190  ff. 

«J  Griech.  wnrzellexic.  I,  401. 


22  ERBE 

Graff*),  Bopp2),  Scberer^),  Leo  Meyer  4)  und  Curtius^)  auf, 
die  alle  unsere  conjunction  von  einem  entweder  demonstra- 
tiven oder  relativen*)  pronominalstamm  mit  einem,  ttbrigens 
dunkeln  und  von  jedem  der  genannten  männer  anders  aufge- 
fassten  -ha,  -hu,  -hat  ableiten. 

Da  wir  indess  das  substantivum,  dessen  erstarrter  easus 
form  wie  bedeutung  naeh  oh  sebr  wol  sein  kann,  noch  nach- 
weisen können,  so  scheint  mir  mit  Bezzenberger'')  Grimms 
ansieht  die  wahrscheinlichste,  ungeachtet  eines  noch  nicht 
widerlegten  einwurfs  von  Uppström^).  Freilich  ist  ebenso- 
wenig zu  übersehen,  dass  dieselbe  Verschiedenheit  des  anlauts 
bei  zwei  coujunctionen ,  nach  unserer  annähme  zwar  nicht 
desselben  Stammes,  aber  doch  der  gleichen  bedeutung,  sich  im 
sanscr.  findet,  wo,  wie  Bopp  a.  a.  o.  nachweist,  yadi  und  ita 
'wenn'  heissen. 

Zu   dem  mhd.,  speciell   dem   wolframianischen   gebrauch 


0  Sprachschatz  I.  75.  Berl.  1834—46. 

2)  Vergleichende  grammat.  2.  aufl.  §  3b3.  992.  Berl.  1857—61  und 
Ueber  einige  pronominalstämme.  Berlin  1830.  p.  15. 

3)  Zur  geschichte  der  deutschen  spräche.    Berlin  1868.   278.   305. 
^)  Die  got.  spräche.    Berlin  1869.    68.  392.  500.  377. 

*)  Grundzüge  der  etym.    Leipzig  1873.    389.  no.  606. 

®)  Eine  Unterscheidung,  die  seit  Windisohs  forschungen  für  die 
ältesten  zeitcn  jetzt  nicht  mehr  gemacht  wird.  Denn  dieser  weist  Curt. 
stud  II,  213  ff.  nach,  dass  jedes  pron.  rel.  früher  demonstrativ  oder 
interrogativ  war. 

'')  a.  a.  o.  p.  90. 

*)  Zu  Joh.  11,  25  seiner  ausgäbe  des  cod.  argent.  Upsala  1855.  4'\ 
woselbst  er  darauf  aufmerksam  macht,  dass  im  got.  sonst  stets  a-i  in  ;, 
nicht,  wie  Grimm  bei  jahai  aus  ja-ibai  annimmt,  in  a  tibergeht. 
—  Wenn  K.  Hildebrand  in  seiner  (Leipziger)  disscrtation  von  1871: 
'Heber  die  conditionalsätze  und  ihre  conjunctionen  in  der  altern 
Edda'  p.  14  meinte,  eine  oontraction  Yon  ja- ibai  in  jabai  neben  patist 
aus  pata-ist  erklären  zu  können  durch  analogio  von  sah,  svah,  hvah  aus 
sa-uh,  sva-uh,  hva-uh  neben  panuh  slvls  pana-uh,  so  irrte  er;  denn  wäh' 
rend  in  sa-uh  allerdings  der  ton  auf  dem  a  liegt,  muste  ja  in  ja-ibai  der 
hauptton  auf  dem  die  bedeutung  des  compositums  ausmachenden  zweiten 
Worte ,  d.  h.  dem  i  ruhen ,  und  dies  hätte  also  bei  der  zusammenziehung 
eigentlich  entschieden  den  sieg  davontragen  sollen.  Der  bedeutung 
aber  wie  der  ähnlichen  form  nach  scheint  die  got.  conditionaloonjunction 
doch  unmöglich,  wie  Uck  tat  (cf.  oben),  vom  ahd.  oba  getrennt  wer- 
den zu  können. 


CONDITIONALSAETZE  BEI  WOLFRAM.  23 

von  oh  ftbergehend,  habe  ich  eben  nur  zu  bemerken,  dass  es 
sich  bei  der  darstellnng  jedes  bedingliehen  verhältnisseB  ange- 
want  findet  und  dasp  es  also,  sowol  bei  vorausgehendem  als 
folgendem  hauptsatz, 

I.  eben  so  gut  einen  positiven  satz,  und  zwar 

1)  mit  wirklichem, 

2)  mit  angenommenem, 

3)  mit  vorausgesetztem  fall 

einfuhrt  (wonach  sich  dann,  wie  schon  §  1  bemerkt  wurde, 
der  modus  des  nebensatzes  bestimmt),  als 

IL  einen  negativen  nebensatz^)  einleiten  kann,  der  dann, 
im  gegensatz  zu  den  §  5  behandelten  einschränkenden  Sätzen 
mit  ne  bei  gerader  Wortfolge,  gerade  so  wie  die  mit  Inversion 
und  blossem  niht  gebildeten  negativen  conditionalperioden  eine 
in  der  Wirklichkeit  vorhandene  oder  vorhanden  gewesene  be- 
dingung,  eine  historische  condition  enthält,  die  bei  der  Um- 
setzung in  die  position  in  die  angäbe  von  grund  und  Ursache 
lind  Wirkung  verwandelt  wird.  Während  daher  die  einschrän- 
kenden sätxe  das  verb.  regens  im  conjunctiv,  dem  modus  der 
annähme,  haben,  findet  sich  auch  hier 

1)  der  indicativ,  der  modus  der  Wirklichkeit,  der  dann 
den  grund  als  faetisch  von  unserm  denken  vomusgesetzt  an- 
iribt,  —  und  zwar  meist  der  ind.  praes.  —  Daneben  steht 
aber  au(?h 

2)  der  conj.  und  zwar 

a.  der  sogenannte  conj.  negativus  praet.,  in  dem 
die  bedingende  aussage  vom  sprechenden  in  form  der  ver- 
neinten Wirklichkeit  aufgestellt  wird,  von  deren  nichtexist^nz 
er  aber  im  voraus  überzeugt  ist.  Die  folgerung  dieser  hypo- 
thcse  tritt  natürlich,  weil  nur  auf  einer  gedachten  Voraus- 
setzung beruhend,  gleichfalls  in  den  conjunctiv; 

b.  der  conj.  praes.  oder  praet,  wenn  die  protasis  als 
durch  die  obwaltenden  umstände  bedingt,  dargestellt  wird, 
so  dass  ihre  Verwirklichung  weder  als  schlechthin  gewis 
noch  als  schlechthin  unmöglich  erkannt  wird.  In  der  apo- 
dosis  steht  dann  meist  auch  der  conjunctiv.  Dieser  fall 
findet  statt 


')  Vgl.  hierzu  Dittinar  a.  a.  o.  $  'h)  ff.  u.  Wackern.  a.  a.  u.  §  5  anm.  a. 


24  ERBE 

a)  in  höflichkeitswendungen,  wenn  der  sprechende 
die  ausfühmng  einer  handlang  seinerseits  vom  wünsch  und 
willen  des  angeredeten  abhängig  sein  lassen  will;  ß)  auch 
in  andern  fällen  zur  bezeichnung  einer  bloss  möglichen , 
unbestimmt  genommenen  hypothese.  Hier  entspricht  1)  dem 
conj.  praet.  im  nebensatz  derselbe  modus  im  hauptsatz, 
2)  dem  conj.  praes.  im  nebensatz  ein  andei*er  modus. 

NB.   Ueber  ob -halt    und    seine    bedeutung    vergl.   oben  §    l. 

anm.  II.  5  a.   mit  der  note. 

Bei  der  grossen  menge  der  beispiele,  die  sich   flir   fast 

jeden  einzelnen  fall  bieten,  gebe  ich  im  folgenden  meist  nur 

je  eins. 

ad  I.  1)  P.  614,  l  Hirre,  ob  ich  tu  leide  sprach,  von  den  schul- 
den daz  geschach,  daz  ich  versuochen  rvolde,  ob  ich  iu  minne  solde 
bieten,  und  für  den  ind.  praes.  P.  419,  lö  ob  ir  fürsten,  minre  genoze, 
der  edelste  und  der  höchste  birt,  ich  pin  ouch  hirre  und  landeswirt.  - 
2)  P.  124,  12  ob  die  hirze  trüegen  sus  ir  vel,  so  verrvunt  ir  nihi  min 
gabyldt.  —  3)  P.  127,  21  Op  dich  ein  grä  wise  man  zuht  wil  Um,  als  er 
wol  kan,  dem  sollu  gerne  volgen.  Für  den  conj.  praes.  P.  139,  7  ob 
ich  in  müge  ernten,  ich  wil  gerne  mit  im  strtten.  Für  den  ind.  praet. 
P.  702,  14  ob  dem  iht  riemen  gebrach,  daz  hiez  er  wol  bereiten»  Für 
den  conj.  praet.  P.  226,  20  ob  si  suochten  elliu  her  sine  gaeben  für 
die  selben  not,    ze  drizec  jären  niht  ein  brot, 

ad  II.  1)  P.  149,  17  daz  tuon  ich  gerne,,.,  ob  werdekeit  mich 
niht  verbirt, 

ad  2.  a.)  Wh.  191,  16  geSret  waer  daz  selbe  wip,  diu  in  zer  werlde 
brähte,  op  der  touf  im  niht  versmähte.  —  b.  a)  P.  554,  26  . . .  wolt  iuch 
des  null  betragen,  daz  ir  mirz  geruochet  sagn.  cf.  P.  584,  6.  556,  6. 
ß)  I)  P.  425,  h  .  . ,  ob  ichs  gräls  erwürbe  niht,  daz  ich  ir  koeme,  der 
man  giht  der  krön  ze  Pelrapeire.  —  2)  P.  239,  28  nu  stt  dennit  ergetzet, 
ob  man  iwer  hie  niht  wol  enpflege, 

Anmerkung.  Eine  Umschreibung  für  ob -niht  ist  ez  en- 
wacre  oh,  ähnlich  wie  für  oft,  zumal  bei  Walther,  ist  daz 
begegnet. 

P.  280,  20  beide  arme  und  rtche  lobten  Artäses  haut,  daz  si 
durch  ir  gelübde  kraft  deheine  tjost  entaeten,  ez  enwaere  ob  si  in 
baetcn.  Vgl.  Dittiuar  a.  a.  o.  p.  215.  Wh.  177,  24  ist  daz  er  helfe  mir 
gelobt,  die  fiirsten  diuhte,  da  waere  getobt,  ob  er  die  gelübde  braeche. 
Vgl.  Wilmanns  zu  Waltb.  24,  25. 

§  13. 
Doch  die  spräche   hat  es  verstanden,  die   beiden  glieder 
der  conditionalperiode  noch  näher,  als  durch  die  conjunctionen 


CONDITIONALSAETZE  BBI  WOLFRAM.  25 

geschieht,  an  einander  zu  ketten.  Zu  diesem  zwecke  bedient 
sie  sich  der  demonstrativpronomina,  -Pronominaladverbien  und 
-Partikeln.    Steht  nämlich 

A.  der  bedingungssatz  an  der  ersten  stelle,  so  treten  zwar 
nicht  notwendig,  aber  doch  oft 

I.  entweder  formen  des  pron.  dem.  der  diu  daz 

1)  an  die  spitze  des  nachfolgenden  hauptsatzes,  um 
entweder  a)  den  ganzen  voraufgehenden  conditionalsatz  oder 
b)  einen  Satzteil  desselben  aufzunehmen,  und  zwar  a)  das 
subject,  ß)  das  object,  y)  ein  anderes  Satzglied,  und  führen 
dadurch,  falls  sie  nicht  selbst  subject  des  hauptsatzes  sind, 
Inversion  herbei. 

2)  Seltener  erscheinen  sie  a)  an  dem  ihnen  von  rechts- 
wegen  zukommenden  platze  im  satz  oder  treten  b)  hinter 
ein  anderes  wort  des  satzes.  —  Oder 

II.  der  hauptsatz  wird  von  einem  Substantiv  mit  dem,  de- 
monstrative kraft  erhaltenden,  artikel  begonnen,  um  1)  ein 
Substantiv  des  voraufgehenden  nebensatzes  wider  aufzunehmen, 
oder  2)  den  Inhalt  des  Vordersatzes  zusammenzufassen. 

B.  Seltener  wird  im  vorausgehenden  hauptsatz  auf 
den  nachfolgenden  durch  eine  form  des  pron.  dem.  der  diu  daz 
hingewiesen. 

C.  An  andern  stellen  erwarten  wir  im  nhd.  das  pron.  dem. 
im  hauptsatz,  wo  sein  die  mhd.  spräche  nicht  bedarf. 

ad  A.  I.  1  a.)  P.  230,  28  sazte  €uch  verre  dort  hin  dan,  daz 
waere  tu  alze  gastGch  und  so  sehr  oft.  —  b.  a)  F.  428,  8  wan  dienden  alle 
krdne  mir,  der  stüetid  ich  ab  durch  dtn  gehdt,  (Auch  hier  wie  zu  den 
meisten  folgenden  lallen  gebe  ich  aus  einer  gössen  menge  von  beispielen 
—  bloss  der  Vollständigkeit  halber  —  nur  eins.)  —  ß)  P.  573,  10  gervan  er 
ie  kraft  od  sin  die  warn  im  beid  empfüeret,  y)  P.  827,  29  ist  daz 
durch  ein  wtp  geschehen,  die  muoz  mir  süezer  tvorte  jehen.  Wh.  293, 
12.     P.  3,  12.     123,8.     532,17.     99,19.     366,16.     634,5.     674,7.    436,15. 

2  a.)  P.  812,  6  ob  ich  ie  pris  er  war p  mit  sper,  wan  waer  daz 
gar  durch  sie  geschehen,  wo  die  wünschende,  wie  P.  103,  12  die  fra- 
gende furm  auf  die  Wortstellung  von  einfluss  gewesen  ist;  aber  auch 
P.  468,  29  swä  si  kumbr  od  pris  bejagent,  für  ir  sünde  si  daz  tra- 
gent,  Wh.  252,  8.  —  b.)  P.  614,  1  ob  ich  iu  leide  sprach,  von  den 
schulden  daz  geschach. 

II.  1)  P.  452,  1  ist  gotes  kraft  so  fier,  daz  si  bediu  ors  unde 
der  uni  die  Hut  mac  wtsen,  stn  kraft  wil  ich  im  prisen.  P.  642, 
17  ob  der  helfe  an  iu  ger,  iwerr  helfe  habt  ir  ire.  Wenigstens  ähn- 
lich ist  Wh.  ISO,  26.    P.  249,  29.    P.  654,  10.  —  2)  lied.  8,  1  sol  er  von 


2G  ERBE 

mir  scheiden  nuo,  min  friuni,  diu  sorge  ist  mir  ze  üruo.  P.  713,  8. 
47S,  29.     510,  20.     Ö35,  fi.     589,  16.     Wh.  158,  22.     163,  2. 

ad  B.  Wh.  8,  19  von  gelucke  si  daz  nämen,  haut  fremde  (gen.) 
noch  den  sämen  der  Franzoyser  künne,  P.  598,  25.  609,  12.  787,  16. 
Wh.  158,  16.     193,  22. 

ad  C.  P.  609,  27  ich  sol  für  sm  lasters  not,  hän  ich  werdecltchez 
leben,  [seil,  dies]  üf  kämpf  für  in  ze  gisel  gehen. 

§  14. 
Dem  nhd.  gebrauch  näher  kommt  die  ankniipfung 
1.  des  nachfolgenden  hauptsatzes  1)  durch  die  demonstra- 
tiven Pronominaladverbien  —  a)  da  und  zwar  «)  mit,  ß)  ohne 
adverbialpräpositionen.  —  b)  danne'^ 

2)  durch  die  adversativen  adverbialconjunctionen  a)  doch, 
b)  iedoch,  c)  dennoch j  die,  wie  §  1  anm.  IL  5.  b — d  bemerkt 
wurde,  der  periode  concessiven  sinn  geben; 

3)  (und  dies  ist  das  häufigste)  durch  soj  das  a)  gewöhn- 
lich, bei  Wolfram  immer,  allein,  b)  in  einem  falle  bei  Waltlicr 
mit  danne  verbunden  auftritt,  aber  hier  wie  dort  Inversion 
herbeifiihrt  (cf.  §  3.  II,  1).  i) 

II.   Sehr  selten  steht  doch  im  voraufgehenden  hauptsatze. 

ad  I.  1.  a.  a)  P.  368,  28  geleil  ie  ritter  not  durch  ein  sus  wdnec 
frouwelin,  da  soll  ich  durch  iuch  inne  sm  u.  ö.  oder  temporal  P.  286,  5 
fvirt  hie  ein  tjost  von  dir  getan,  darnach  wil  manc  ander  man,  daz 
ich  in  läze  riten  u.  ö.  oder  es  tritt  ein  satzteii  noch  vor:  P.  511,  9  ob  ir 
mich  hinnen  füeret,  gröz  sorge  iu  darnach  rüeret  u.  ö.  —  ß)  P.  436, 4 
ob  si  worden  waer  sin  wip,  da  heie  sich  frouwe  LunHc  gesümet. 
660,  1.  747,  17  u.  ö.  —  b.)  P.  373,  21  hän  ich  im  niht  ze  gebenne  tvaz 
long  ich  dan  ze  lebenne?   P.  448,  3  u.  ö. 

2.  a.— c.)  vgl.  S  l.  anm.  II,  ö.  b.— d.  —  3a)  P.  564,  9  weit  ir 
nach  äventiure  gen,  so  lät  daz  ors  al  stille  stin  und  fast  auf  jeder 
öcite.  —  b.)  Walth.  HO,  9  endet  sich  min  ungemach,  so  weiz  ich  von 
wärheit  danne,    daz  nie  manne  an  liebe  baz  geschach, 

ad  II.  P.  137,  17  ich  bestüende  in  doch  durch  äventiur,  ob  sin 
fitem  gcebe  fiur. 

>)  Wenn  Ditimai*  iu  dem  augettihrtcn  aut'satze  meint,  in  einem  falle 
P.  725,  ^  stehe  nach  einschränkendem  satze  mit  ne  bei  gerader  Wort- 
folge sus  *  sonst',  so  irrt  er,  denn  sus  )>ezieht  sich  wol  auf  die  folgende 
zeile  =  so:  sin  dienst  nach  juinnen  bieten  =  minnedienst  ihr  an- 
bieten; die  Worte:  et^n  welle  unschulde  rechen,  sus  muoser  hin  zir 
sprechen,  sin  dienst  nach  minnen  bieten  wären  dann  zu  tibersetzen: 
*  wollte  er  nicht  räche  nehmen  für  ein  verhalten,  in  welchem  keine  schuld, 
so  muste  er  so  zu  ihr  sprechen,  dass  er  ihr  minnedienst  anbot.' 


CONDITIONALSAETZE  BEI  WOLFRAM.  27 

§  15.* 

Während  die  inversion  und  die  conjunctiouen  im  nebeu- 
satz  die  bedingungssätze  im  allgemeinen  als  solche  charakteri- 
sieren, liegen  die  mittel,  die  Schattierungen  des  conditionalen 
Verhältnisses,  möglichkeit  oder  Unmöglichkeit,  Wirklichkeit  oder 
unWahrscheinlichkeit  des  eintretens  eines  ereignisses  auszu- 
drücken im  deutschen  wie  in  den  übrigen  sprachen  in  der 
walil  von  tempus  und  modus.  Denn  weder  in  jenem  noch  in 
diesen  wird  der  modus  durch  conjunctiouen  bestimmt.  Beides, 
conjunction  wie  modus,  sind  vielmehr  gleichberechtigte  merk- 
male  und  kennzeichen,  wie  von  perioden  aller  art,  so  auch 
von  conditionalen  Satzgefügen.  Dieser,  der  modus,  ist,  um 
mit  K.  Hildebrand  in  seiner  oben  angezogenen  dissertation  zu 
reden,  der  ausdruck  des  innem  Verhältnisses,  in  dem  ein  ge- 
danke  zum  andeni  steht,  jene,  die  conjunction,  der  des  äussern. 

Da  nun  die  conditionalen  perioden  immer  nur  einen  mög- 
lichen grund  begreifen,  so  sollte  man  eben  hier  immer  den 
conjunctiv  erwarten.  Dem  ist  aber  nicht  so.  Vielmehr  richtet 
sich,  wie  schon  §  1  angedeutet  wurde,  die  wähl  des  modus 
im  allgemeinen  nur  darnach,  ob  auf  die  möglichkeit  einer 
Voraussetzung  und  die  Wirklichkeit  einer  bedingung  besonderes 
gewicht  gelegt  werden  soll,  und  zwar  steht  der  conjunctiv  zur 
bezeichnung  einer  blossen  annähme  oder  wenn  ein  mehr 
oder  weniger  starker  zweifei  an  der  möglichkeit  einer  bedin- 
gnng  ausgesprochen,  der  indicativ,  wenn  etwas  als  Wirklichkeit 
oder  als  Vorstellung  ausgesagt  werden  soll. 

Die  aussage  des  Vordersatzes  bestimmt  in  der  regel  die 
des  nachsatzes  und  damit  auch  das  tempus  und  vor  allen  den 
modus  desselben:  durch  den  parallelismus  der  beiden  glieder 
in  der  form  soll  die  beziehung  des  Inhalts  angedeutet  werden 
—  eine  regel,  von  der  die  an  freiheiten  und  kühnen  Wen- 
dungen aller  art  so  reiche  spräche  Wolframs  nicht  gar  selten 
abweicht.  Oft  genug  wird,  wie  wir  unten  im  einzelnen  sehen 
werden,  der  nachsatz  in  einer  dem  Vordersatz  nicht  entsprechen- 
den form  ausgedrückt.  In  der  regel  wird  aber  der  parallelis- 
mus von  tempus  und  modus  auch  festgehalten,  wenn,  wie 
nicht  selten,  der  hauptsatz  fragende  form  hat  oder  in  einem 
ausruf  besteht. 


28  ERBE 

Im  folgenden  werden  nur  die  moden  des  praesens  und 
des  praeteritum  einzeln  besprochen  werden,  da  *das  perfect 
sich  ohne  missgriff  unter  das  praesens,  das  plusquamperfectum 
unter  das  praeteritum  bringen  lässt.* 

§  16. 
Ein  wirkliches  ereignis  der  gegenwart  oder  eine  bedingung, 
auf  deren  Wirklichkeit,    möglichkeit    oder  Wahrscheinlichkeit 
absolut  keine  rücksicht  genommen  werden  soll,  wird 

I.  im  bedingungssatz  durch  den  ind.  praes.  einge- 
führt, das  sowol  zur  bezeichnung 

1)  eines  gegenwärtigen,  als 

2)  eines  zukünftigen  ereignisses  dient. 

II.  Ist  der  hauptsatz 

1)  ein  erkenntnissatz,  ein  fragesatz  oder  besteht  er  in 
einem  ausruf,  so  steht  er  der  regel  nach 

a)  in  demselben  modus  und  a)  demselben  tempus  (ind. 
praes.).  Da  jedoch  0  eine  bedingung,  die  jetzt  er- 
füllt wird,  wenigstens  für  die  beurteilung  eines  ver- 
gangenen ereignisses  noch  von  einfluss  sein  kann, 
oder  oft  2)  der  ind.  praet.  nur  eine  andere  form 
ist,  um  etwas  gegenwärtiges  auszudrücken,  so  kann 
auch  ß)  ein  anderes  tempus  (ind.  praet.)  eintreten. 

b)  oder  es  steht,  anakolnthisch,  ein  anderer  modus  und 
ein  anderes  tempus  (conj.  praet.),  wobei  also  dieselbe 
eigenschaft  dieser  verbalform  sich  .zeigt,  'ohne  alle 
beziehung  auf  etwas  vergangenes  ein  ungewis  gegen- 
wärtiges oder  zukünftiges  auszudrücken',  die  wir 
im  §  19  zu  besprechen  haben  werden.  Bemer- 
kenswert erscheint,  dass  ausser  bei  den  mit  wandaz 
eingeführten  bedingungssätzen  (über  diese  vgl.  §  9) 
in  sämmtlichen  hierher  gehörigen  fällen  entweder 
a)  das  verb  des  hauptsatzes  das  hilfszeitwort  möhte 
ist,  oder  ß)  die  verbalform  des  nebensatzes  zugleich 
conj.  praes.  sein  kann. 

2)  Ist  der  hauptsatz  ein  Wunschsatz,  so  steht  er  im 
conj.  praes., 

3)  enthält  er  einen  befehl,  im  imp. 


CONDITIONALSAETZE  BEI  WOLFRAM.  29 

ad  I.  1)  unum  pro  multis  P.  195,  27  ...  ist  Kingrün  Franzoys 
od  Bertün  . . ,  mit  mtner  haut  ir  sit  gewert.  —  2)  P.  226,  3  kumt  ir 
rehie  dar,    ich  nim  irver  hint  selbe  war, 

ad  II.  1.  a.  a)  auf  jeder  seite  z.  b.  P.  396,  5  nu  habt  ir  mir  misse- 
tän  sol  min  riter  sm  ein  koufmati,  —  ^)  1)  P.  263,  30  ruoht  ir,  si  täten 
strites  schtn.  P.  210,  16.  826,  22.  Wh.  15,  16.  35,  27.  188,  5.  202,  28.  — 
2)  Wh.  179,  6  weU  irz  niht  sneUedtche  tuon,  sd  wurdet  ir  nie  Karies 
suon  =  *8o  seid  ihr  nicht  Karls  söhn';  ähnlich  P.  436,  15  dem  wart  an 
ir  der  wünsch  gegeben'  =  *der  hat  an  ir  den  w.'  Wh.  8,  19.  P.  679,  1 
so  vorht  ich  smer  ire  nie  sd  sire  =  sd  vürhte  ich  siner  Sre,  wie  noch 
nie.*  Wh.  71,  16.  P.  568,  3  den  der  helfe  nie  verdröz  =  *den  der 
stets  hilft'.    P.601,  27.    560,  1.    Wh.  158,  22. 

1.  b.  d)  P.  520,  17  hirre,  sit  ir  von  riters  arty  so  möht  irz 
gerne  hän  bewart.  Vgl.  P.  710,  28.  510,  3.  Wh.  122,  15.  292,  30.  — 
ß)  P.  562,  IS  ob  ir  nu  gerne  hoeret,  wie,  deste  gemer  ichz  iu  verjaehe. 
Vgl.  P.  614,  27.  809,  15.  Andere  zu  keiner  der  beiden  arten  gehörige 
beispiele  bringt  Wilmanns  Walth.  11,  17. 

2)  P.  417,  5  ist  nun  hirre  wert  bekant,  daz  riht  alhie  sm  hant. 
P.  602,  1.     448,  13.     711,  28.     109,  30.     Wh.  210,  7. 

3)  P.  812,  1  Sol  diu  magt  iur  swester  sin,  sd  gebt  mir  umb  ir 
mmne  rät.    Wh.  81,  10.    201,  16.    337,  8  u.  ö. 

§  17. 

Der  ind.  praet.  steht  im  nebensatz,  wenn  das  mögliche  ein- 
treten eines  ereignisses  in  die  Vergangenheit  verlegt  wird  und 
leitet  nur  Voraussetzungen,  nie  annahmen  ein.  Die  mögliche  folge 
kann  natürlich  entweder  schon  in  der  Vergangenheit  eingetre- 
ten sein  oder  erst  in  der  gegenwart  zur  erscheinung  kommen. 
Demnach  steht 

1)  im  erkenntnissatz  und  in  der  ft'age  entweder 

a)  derselbe  modus  und  d)  dasselbe  tempus  oder  ß) 
verschiedenes  tempus  (ind.  praes.); 

b)  anderer  modus  und  anderes  tempus  (conj.  praet.) 
steht  a)  regelmässig  in  den  mit  wandaz  eingeleiteten  bedin- 
gungssätzen;  über  diese  vgl  §  9;  ß)  anakoluthisch  auch  in 
vereinzelten  andern  föllen,  doch  nur  möhie  oder  solte\ 

2)  Ist  der  hauptsatz  ein  Wunschsatz,  so  tritt  er  in  den 
conj.  praet. 

ad  1  a.  a)  P.  614,  1  ob  ich  iu  leide  sprach,  von  den  schulden 
daz  geschach  u.o.  —  /?)  P.  633,  12  hiez  iur  vater  Lot,  sd  sit  irz  diu 
4T  meinet  o«  ö. 


30  ERBE 

b.  a)  vgl.  oben  §  9.  —  (i)  Wh.  43, 14  was  daz  ir  freudeliaft  gewin, 
daz  möht  ein  trären  undeivarn.  Vgl.  Wli.  ^92,  22.  P.  36S,  28  geleit  ie 
riter  not . . .  da  soll  ich  durch  iiich  inne  sm. 

i\d  2)    P.  812,  (>  oh  ich  ie  pris  erwarp,     wan  waer  daz  durch  sie 


I 


geschehen* 

§  18. 

Der  conjunctiv  ist  der  modus  der  annähme;  daher  finden 
^vir  den  conj.  praes.  im  nebensatz 

1)  bei  den  beschrankenden  Sätzen  mit  ne  bei  gerader 
Wortfolge.    Im  hauptsatz  entspricht  der  ind.  praes,    Cf.  §  4; 

2)  bei  bedingungen,  deren  möglichkeit  oder  Wahrschein- 
lichkeit mehr  oder  weniger  stark  in  zweifei  gezogen  werden 
soll,  eine  nUance,  die  wir  im  nhd.  durch  unser  conditionales 
^sollte*  geben.    Im  hauptsatz  correspondiert  der  ind.  praes.; 

3)  bei  Voraussetzungen  entspricht  dem  conj.  praes.  im 
nebensatz  entweder  a)  der  ind.  praes.  oder  b)  seltener  der 
ind.  praet. 

4)  Zugleich  ist  aber  der  conj.  auch  modus  des  Wunsches; 
daher  steht  der  conj.  pi*aes.  im  bedingungssatz  (zumal  in  den 
mit  oh  eingeleiteten,  fUr  die  er  in  all  den  drei  letztgenannten 
fällen  eine  besondere  Vorliebe  hat),  wenn  damit  zugleich  be- 
zeichnet werden  soll,  dass  der  eintritt  der  bedingung  ein 
wünsch  des  sprechenden  sei.    Der  hauptsatz  tritt 

a)  in  den  ind.  praes., 

b)  (und  dies  besonders  häufig)  in  den  imperat,  eine  erschei- 
nung,  die,  wie  Holtheuer  (^der  conj.  in  Hartmanns  Iwein'  in 
Zachers  Zeitschrift  für  deutsche  philoL,  supplementbd.  1874 
p.  166)  wol  mit  recht  bemerkt,  darin  ihren  grund  hat,  dass 
hierbei  auflösung  des  bedingenden  satzes  in  einen  hauptsatz, 
dieser  dann  die  gestalt  eines  Wunschsatzes  annehmen  würde, 
welcher  mit  dem  wünsch  zugleich  eine  annähme  ausdrückt; 

c.  oder  im  hauptsatz  steht  endlich  der  conj.  praes.  mit 
optat  bedeutung. 

ad  1)  vgl.  §  4. 

ad  2)  P.  55S,  \h  oh  daz  got  erzeige y      daz  ir  tiihi  sii  veige,     so 
wen  ir  lurre  diss  landes.    239,  2S.    269,  Ib.    Wh.  \b\,  3(K     159,  25. 

ad  3.  a.)    P.  139,  7   ob  ich  in  müge  erriten,     ich  wil  gerne  viii  im 
strUen.     777,  2.    G42,  lü.     Wh.  2S8,  18.    27,  2.    3Ül,  4.     378,  1.   385,  12. 


CONDITIONALSÄETZE  BEE  WOLFRÄRf.  31 

—  b.)  P.  203,  N  oh  ichz  in  sagen  müeze,  er  vant  daz  nähe  süeze, 
liier  wie  24S,  14  ißt  wol  der  Vordersatz  als  ohne  genau  grammatisch 
entsprechenden  nachsatz  geblieben  zu  betiachten. 

ad  4.  a.)  P.  5ö,  2s  werde  unsei^  zweier  kindeün  annie  antlülze 
einan  man  gelich,  deis  war  der  wirt  eüens  rieh.  —  b.)  P.  SO.'J,  9  komer 
imh-  an  mannes  kraft,  dar  leistet  im  geselleschafl.  P.  53b,  2u.  550,  G. 
57b,  20.  715,  24.  051,  22.  051,  20.  322,  23.  522,  l.  39,  5.  154,  10. 
239,  2«.  Wh.so,0.  in,  30.  298,  29.  459,25.  T.  124,4  u,  ö.  —  c.)  P.  204, 
20  der  heidiu  krump  unde  sieht  gescuof,  küniier  scheiden,  so  fvender 
daz  an  beiden.  P.  743,  12  ob  im  nicht  gehelßn  megen  Condtvirainurs 
noch  der  gräl,  so  müezest  einen  trost  doch  habn.  P.  333,  21.  209, 
IS.     204,  27.     W.  341,  2. 

§  19. 
I.    Im  mhd.  conj.  praet.  ist  die  zeitsphüre  der  Vergangenheit 
iant  ganz  verwischt.    Er  kauu  im   iiebeusatz   der  eouditioual- 
Periode  ebensowol 

1)  ein  vergangenes  (und  dann  ist  er  im  nhd.  durch  den 
c<mj.  plusquampf.  widerzugeben),  als 

2)  ein  gegenwärtiges  (nhd.  ebenfalls  conj.  praet.),  als 

3)  ein  zukünftiges  ereiguis  einführen  (nhd.  Umschreibung 
des  verb.  finitum  durch  *  würde'  mit  inf.  praes.  oder  blosser 
conj.  praes.); 

4)  im  ersten  fall  kann  auch  conj.  plusquampf.  eintreten. 

IL    Der  conj.  praet.  im   nebensatz  des  conditionalen  Satz- 
gefüges steht  zur  bezeichnung 

1)  einer  annähme  gegen  die  Wirklichkeit  a)  in  positiven 
Sätzen,  b)  in  negativen  Sätzen:  sog.  conj.  negativus,  wenn  die 
bedingende  aussage  vom  sprechenden  in  form  verneinter  Wirk- 
lichkeit aufgestellt  wird,  von  deren  nichtexistenz  er  im  voraus 
überzeugt  ist,   cf.  §  12.  II.  2a. 

2)  einer  Voraussetzung,  über  deren  Wirklichkeit  oder  mög- 
lichkeit  sich  der  redende  des  Urteils  enthält. 

III.    Im  hauptsatz  entspricht  dem  conj.  praet.  des  conditio- 
nalen nebensatzes 

1)  derselbe  modus  und  a)  dasselbe  tempus  (conj.  praet.)  in 
den  meisten  fällen,  der  hauptregel  gemäss,  b)  anderes  tempus 
(conj.  praes.)  mit  optativer  bedeutung  in  einem  Wunschsätze; 

2)  anderer  modus  und  a)  dasselbe  tempus  (ind.  praet.): 
a)  stets  in   excipierenden  Sätzen,  worüber  §  4  vgl.;    Iß)  aus- 


32  ERBE 

nahmsweise  anakoluthisch,  wenn  der  moduswechsel  als  eine 
folge  des  aftects  der  rede  oder  der  lebendigem  äusseruug  des 
gedankens  anzusehen  ist;  b)  anderes  tompus  (ind.  praes.)^ 
wenn  die  unwirklichkeit  des  nebensatzes  besonders  betont  und 
der  Wirklichkeit  des  hauptsatzes  gegenübergestellt  wird,  auch 
sonst  hie  und  da,  wo  dieser  erklärungsgrund  nicht  ausreicht 

ad  I.  1)  P.  555,  19  der  liez  ez  äne  zürnen  gar,  oh  die  maget 
wol  gevar  ihts  da  rvaere  hetrvungen ,  und  oh  da  was  gerungen ,  nnd 
so  unendlich  oft,  z.  b.  777,  12,  84,  14.  18.  159,  9.  191,  13.  197,  19. 
245,  14.  555,  19.  Wh.  197,  16.  169,  25.  —  2)  F.  202,  13  oh  ich 
nu  gites  gerie,  untriwe  es  für  mich  werte  u.  ö.  —  3)  P.  226,  20  oh 
si  suohten  eltiu  her,  sine  gaehen  nicht  ein  hrdt  511,  5,  483,  22  a.  ö.  — 
4)  P.  139,  15  het  er  gelernt  stns  vater  site,  diu  hucket  waere  gehurtet 
baz  u.  ö. 

ad  II.  1.  a.)  P.  428,  8  dienden  alle  kröne  mir,  der  stüende  ich 
ab  durch  din  gebot,  —  b.)  422,  26  waert  ir  niht  genesn,  des  heten  scha- 
den elliu  lant  u.  ö.  —  2)  P.  395,  7  künde  ez  iu  niht  versmähen,  mit 
küsse  iuch  wolt  enpfähen    iwer  altiu  friwendtn  u.  (5. 

ad  III.  l.a.)  Der  Vollständigkeit  kalller  sei  auch  hier  ein  beispiel 
angeführt:  P.  461,  13  künde  gotes  kraft  mit  helfe  str»,  waz  ankers  waer 
diu  freude  mm  ?  —  b.  P.  486,  28  der  gotes  gruoz  mir  verre,  ob  mich  ie 
baz  gezaemCf  swes  ich  von  wirte  naeme,  —  2.  a.  d)  vgl.  $  4, 1.  2.  a.  a).  — 
ß)  P.  407,  7  da  nach  was  ein  dinc  geschehe?^,  hetens  ühele  ougen  niht 
ersehen,  *)  Cf.  P.  555,  19.  Anderer  art  ist  P.  679,  18  do  vorhter  die 
schände,  op  stn  der  künec  da  hete  erbitn\  hier  steht  nämlich  die 
schände  tür  den  hauptsatz  =  *er  hätte  schände',  ähnlich  wie  527,  26 
an  al  min  Sre  wesen  für  *  dass  ich  ohne  ehre  wäre.'  —  b)  P.  98,  5  ob  mir 
alle  kröne  waem  bereit,  ich  hän  nach  ir  mm  höchste  leit,  W.  262,  14. 
P.  137,  29.  424,  24.  536,  28.  —  In  P.  607,  17  ir  sit  hie  strttes  ledec  gar 
ezn  waer  dan  groezer  iwer  schar  ist  ausserdem  die  negation  des  neben 
Satzes  bei  der  Übersetzung  in  den  hauptsatz  zu  bringen.  Jedoch  auch 
P.  373,  30  Sit  du  dietis  von  im  gerst  ich  gib  dir  daz  du  in  gewer  st  ob 
dich  halt  din  muoter  Ueze,  ohne  dass  ein  besonderes  bedenken  an  der 
erlaubnis  der  mutter  ausgesprochen  werden  soll.    Cf.  P.  577,  5. 

§  20. 
I.    Ist  die  conditionale  periode  von  einem   andern   satze 
abhängig,  so  richtet  sich,  wie  in  allen  subordinierten  sätzeu, 


>)  Die  analogie  des  Schillerschen  ausdrucks:  ^mit  diesem  zweiten 
pfeil  durchschoss  ich  euch,  wenn  ich  mein  liebes  kind  getroffen  hätte' 
macht  Dittmars  erklärungsversuch ,  der  ind.  praet.  stehe,  ähnlich  dem 
lat.  impf,  hexpaene  und  j^rope,  hier  wegen  des  adv.  nach  *  beinahe'  (a.a.O. 
p.  224)  zum  mindesten  nicht  sicherer. 


CONDITIONALSAETZE  BEI  WOLFRAM.  33 

die  wähl  des  tempus   und  modus  im  conditionalen  satzgefbge 
nach  dem  tempus  des  hauptsatzes.    Nämlich 

1)  fällt  das  ereignis  des  hauptsatzes,  von  dem  die  pe- 
riode  abhängt,  in  die  gegenwart,  so  bleibt 

a)  der  conj.  praet.  in  den  bedingungssätzen  stehen,  wenn 
der  conditionalsatz  auch  in  unabhängiger  rede  den  conj. 
praet  haben  würde; 

b)  die  beiden  glieder  des  conditionalen  satzgefUges  treten 
im  falle  der  abhängigkeit  von  einem  praesentischen  haupt- 
satz  in  den  conj.  praes.,  wenn  sie  in  unabhängiger  rede  im 
ind.  praes.  stünden; 

c)  die  beiden  glieder  der  conditionalen  periode  bleiben 
dagegen  ungeändert,  wenn  sie  in  unabhängiger  rede  in  den 
ind  praet.  träten. 

2)  Fällt  das  ereignis  des  hauptsatzes,  von  dem  die  be- 
dingungssätze  abhängig  sind,  in  die  Vergangenheit,  so  steht  in 
jedem  falle  der  conj.  praet.,  sei  es  dass  die  bedingung,  unab- 
hängig ausgesprochen, 

a)  praesentisch, 

b)  praeterital  wäre. 

II.  Tritt  ein  anderer  satz  in  das  abhängigkeitsverhältnis 
zu  einem  bedingungssatz 

1)  der  im  praes.  steht,  so  tritt  ersterer  in  den  conj.  praes.; 

2)  steht  der  bedingungssatz  im  praet.,  so  steht 

a)  der  von  diesem  abhängige  satz  im  ind.,  wenn  darin 
ein  logisch  vom  bedingungssatz  unabhängiges  factum  aus- 
gesprochen wird; 

b)  wird  aber  das  eintreten  des  im  abhängigen  satz  aus- 
gesagten ereignisses  als  logisch  abhängig  vom  eintreten  der 
bedingung  gedacht,  so  wird  es  in  den  conj.  praet  gesetzt 

ad  I.  1  a.)  P.  713,  28  seht  denne,  tvaz  ich  raeche  an  näner  frou- 
wen,    ob  si  sie  aisus  saehen  weinen  hie,   Wh.  83,  6. 

b.)  Wh.  130,  2  hesUezet  vaste  zuo  die  tür,  ob  er  üzen 
klopfe  dran,  daz  man  in  wise  iedoch  hin  dan.  P.  701,  28.  P.  194,  13. 
Cf.  zu  a.)  und  b.)  Wh.  196,  23. 

c)  P.  2,  22  sm  triwe  hat  sd  kurzen  zagel,  daz  sie  den  dritten  biz 
niht  galt,    vuor  sie  mit  bremen  in  den  walt, 

2  a.)  Wh.  33,  8  mange  rotte  sin  vater  dar  im  sande,  daz  sie  nae- 
men  war  sm,  swenn  er  nach  prise  strite,  P.  774,  23.  217,  1.  425,  2. 
415,  14.    528,  12. 

Beitrige  inr  gefobiohte  der  d«ot»oh«n  ipraohe.    V.  3 


34  EBBE 

b.)  Wb.  134,  5  in  äükU  er  keU  äran  getobt  ob  er  ikt  ueze  mir 
tvm  brot.    Ct  P.  22&,  «.    Wk  17b,  2<i.   21,  21.    72,  9.    17,  1h. 

ad  li.  1)  Wh.  15V,  24  ii4tb  lernen  hie  van  wnr  vemametL,  iä  wände! 
H&ch  gehoere,    so  ergW  ic/i  wich,    Wh-  42,  17.    27,  4. 

2  a.)  P.  27t>^  27  Qch  hei  ieiis  da  geuozzen,  wtssery  wie  si  tnich  kesUL 
Wh.  Ibl,  «.    V.  4-4t),  4.     Wh.  159,  h, 

b.)  Wh.  1-17,  b  omwi,  wie  wine  uns  denne  beiibe,  so  watr  ich 
ä'irsie  die  er  vertribe.    WL  5b,  20.    Mi,  30. 

§21. 

Da  das  bediugende  (ab  bewirkendes,  als  g^und  oder  Ur- 
sache) dem  bediugten  (als  dem  bewirkten,  dem  gefolgerten), 
der  wxi  nach  vorangeht,  so  sollte  man  erwarten,  dass  auch 
in  der  spräche  der  nebensatz,  welcher  die  bedingung  enthält, 
dem  das  bedingte  enthaltenden  hauptsatze  vorangehen,  dass 
der  nebensatz  zugleich  den  Vordersatz,  der  hauptsatz  zugleich 
den  nachsatz  Inlden  müsse;  aber  die  spräche  hat  sieh  in  der 
aufeinanderfolge  dieser  beiden  sätze  eine  weit  grössere  freiheit 
gewahrt,  sofern  der  bedingende  satz  dem  bedingten  voran- 
gehen, nachfolgen  oder  eingeschoben  werden  kann,  und  zwar 
fluden  wir 

i)  bei  den  mit  coi^junctionen  eingeleiteten  bedingungs- 
sätseu  eben  so  viele  vorstehende  als  nachfolgende  nebensätze, 
ja  t^\  die 

*i)  nur  durch  iuverslon  gekennzeichneten  conjunctionslosen 
coudltioualsätxe  ist  es  sogai*  das  häufigste,  dass  die  bedingen- 
den uebensätjie  vorstehen; 

3)  dass  der  positive  hauptsatz  eines  mit  ne  einschränken- 
den eiuvJuncUviseheu  bedingungssaties  selten,  der  negative  im 
Par&,  gar  nicht,  im  Wh.  so  gut  wie  gar  nicht  au  erster  stelle 
stehe,  wuixle  §  4.  U.  bemerkt. 

4)  Auch  dartiber  wunie  oben  (§  2)  schon  gesprochen, 
dabs  die  bedingenden  sätse,  deren  beiliuguug  dureh  16h  einge- 
leitet weiHle,  stets  die  perio<Ie  beginnen. 

5)  Sehen  ist,  wie  im  ahiL,  dass  der  bedingende  satz  ein- 
geschoben wird  In  diesem  falle  tritt  er  dann  meist  unmittel- 
bar an  den  teil  des  satzes,  der  bedingungslos  eine  unbeab- 
sichtigte tr^weite  hätte,  d.  u  gewi^hnlieh  an  das  verb.  finitum. 

t>)  Selbst  in  couditienalsätien ,  deren  abhängigkeit  roa 
einem  vorhergehenden  satze  durch  daz  oder  ein  diese  eonse- 


CONDITIONALSAETZE  BEI  WOLFRAM.  35 

cutive  bedeutung  vertieteudes  pron.  dem.  gekennzeichuet  ist, 
wird  der  bedingende  satz  nicht  wie  nhd.  nach  daz  oder  dem 
pronomen  eingeschoben,  sondern  tritt,  falls  er  dem  bedingten 
voraufgeht,  auch  noch  vor  conjunction  resp.  pronomen,  oder 
ist,  wie  P.  425,  2,  daz  doch  schon  voraufgegangen,  so  wird 
dies  noch  einmal  widerholt. 

7)  Ferner  ist  zu  bemerken,  dass,  wie  im  nhd.,  auf  den 
conditionalen  nebensatz  nicht  immer  der  conditionale  haupt- 
satz  unmittelbar  folgt,  sondern  oft  ein  satz  oder  ein  verb  ein- 
geschoben wird,  unabhängig  von  der  hypothetischen  Zeitfolge, 
von  dem  die  apodosis  erst  abhängig  wird  —  eine  construction, 
an  der  kein  anstoss  zu  nehmen  wäre,  wenn  die  protasis  hinter 
die  apodosis  träte. 

Beispiele  sind  zu  1 — 4  nicht  nötig. 

ad  5)  P.  538,  20  helt,  nu  gich,  ivellestu  genesen  Sicherheit  y  aber 
auch  660,  23  nu  sol  ein  iesUch  saelic  wlp,  ob  sie  wii  tragn  werden  lip, 
erhietenz  werden  Ihtten  wol.  Cf.  P.  682,  17.  609,  27.  623,  25.  T.  108,  1. 
Wh.  88,  8.     45,  17.     149,  17.     165,  13.     206,  21. 

6)  P.  225,  9  der  het  an  im  sölh  gewant,  ob  im  dienden  elUu  lani, 
daz  ez  mht  bezzer  möhte  sm.  Cf.  337,  1.  415,  15.  528,  12.  Wh.  72,  9. 
S3,  9,  130,  2.  196,23.  26.  Wh.  10,  18  da  wart  sölh  rUerschaft  getan, 
sol  man  ir  geben  rehtez  wort,  diu  mac  für  war  wol  heizen  mort.  P. 
425,  2  der  helt  gebot  mir  dennoch  mir,  daz  ich  an  arge  Ust,  ob  ichs 
gräls  erwürbe  niht,     daz  ich  ir  koeme, 

7)  P.  532,  19  hülfen  mme  sinne  iemen  iht  für  minne,  hSrn  Gä- 
wän  bin  ich  wol  so  holt,  dem  wolt  ich  dienen  äne  soll.  Cf.  P.  49,  10 
flf.  326,  20.  317,  1.  Wh.  40,  8.  239,  27.  348,  16.  390,  17.  P.  294,  28 
liez  in  iwer  vreise,      ich  waen,  sich  werte  dirre  gast.    543,21.    320,20. 

Anmerkung!.  Da  unsere  spräche  keiner  eigenen  form 
fdr  das  futm-  fähig  ist,  so  bedient  sie  sich  an  seiner  stelle 
entweder  eines  andem  tempus  oder  umschreibt  es. 

Da  das  futur  der  ausdruck  für  etwas  noch  nicht  in  der 
Wirklichkeit  vorhandenes  und  daher  von  bedingungen  abhän- 
giges ist,  so  findet  es  sich  oft  genug  in  conditionalsätzen  ver- 
wendet. Am  häufigsten  wird  es  durch  a)  suln  und  webi,  die 
zuweilen  beide  in  einem  Satzgefüge  auftreten,  in  allen  per- 
sonen  ^),  seltener  durch  b)  müezen  und  c)  mugen  umschrieben. 


^)  Denn  so  richtig  es  für  den  erkenn tnissatz  ist,  wenn  Grimm,  gr.  IV, 
181  sagt:  *£&  leuchtet  ein,  dass  ahd.  und  mhd.  diese  Umschreibung 
eigentlich  auf  die  erste  person  beschränkt  ist,  denn  nur,  wer  von  sich 
selbst  redet,  ist  seine»  entschlusses  und  willens  so  gewis,  dass  er  eine 

3» 


30  ERBE 

2)  Daneben  wird  aber  auch  der  conj.  praet  durch  den 
gleichen  modus  der  genannten  verben,  verbunden  mit  dem  Inf. 
des  verbum  finitum,  umschrieben,  um  dadurch  den  Inhalt  des 
bedingungssatzes  noch  mehr  ins  gebiet  des  ungewissen  zu  ziehen. 

3)  Auch  andere  modale  beziehungen  werden  durch  hilfs- 
Wörter  ausgedrückt,  ohne  dass  isie  einen  futurischen  sinn  haben. 

ad  1  a.)  P.  327,  b  ob  ich  an  freuden  sol  genesen^  so  helft  mir, 
daz  si  Sre  sich,  P.  360,  26  mülslege  sult  ir  empfähen,  weit  ir  mir 
fürhaz  nähen  u.  s.  o.  —  b.)  P.  517,  25  wä  sol  ich  nu  troesten  holn, 
tnuoz  ich  sölhe  riuwe  doln  u.  ö.  —  c.)  P.  86,  15  von  dem  sol  er  ledcc 
sin,    mac  nän  hir  Brandelideün     ledic  sin  von  diner  hant. 

2)  P.  209,  9  wolt[-et]  ir  hie  ligen  noch  einjär,  sie  behielten  iuch. 
P.  524,  b  solt  ich  diens  geniezen,  iuch  möhte  spots  verdriezen.  P.  355, 
24  möht  ir  unschult  genozzen  hän,  ez  waer  niht  komn  an  disiu  ziL 
Auch  künde  findet  sich  so:  P.  395,  7  künde  ez  iuch  niht  versmähen, 
mit  küsse  iuch  wold  empfähen  irver  altiu  ftiwendin.  P.  224,  17  den 
müeser  gar  verloren  hän^    waerz  niht  ein  herzehafter  man, 

3)  P.  812,  1  sol  diu  magl  iur  s wester  sin  —  so  gebt  mir  umb  ir 
minne  rät  =  4st  es  wahr,  dass  dies  eure  Schwester  ist'  etc. 

Anmerkung  IL  Koch  einer  partikel  und  ihrer  Zu- 
sammensetzungen möchte  ich  hier  gedenken,  da  ihr  gebrauch 
im  bedingungssatz  von  dem  conditionalen  Verhältnis  der  glieder 
desselben  abhängt:  ie,  iemer,  nie  niemer,  über  die  Lachmann 
in  seinen  anmerkungen  zum  Iwein  zuerst  gründlich  gehandelt 
hat    Nach  ihm  verhält  sich  die  sache  so: 

Während  bei  Otfrid  die  regel  noch  so  lautet,  dass  iamer 
bei  futur,  io  bei  pmesens  und  praet  seine  stelle  hat,  finden 
wir  sie  im  mhd.,  speciell  bei  Wolfram,  bedeutend  complicierter. 
Hier  steht  nämlich 

A.  L    im  indicativischen  hauptsatz 

1)  imer  resp.  nimmir,  wenn  a)  von  einer  beginnenden 
oder  zukünftigen  tutigkeit  die  rede  ist,  b)  wenn  von  einem 
vergangenen  ereignis  die  rede  ist,  hier  jedoch  nur  a)  in  der 
bedeutung  'jedesmal'  resp.  'allemal  nicht';  ß)  in  der  bedeu- 
tung  'seitdem  jederzeit*  resp.  'von  da  an  nicht  mehr'; 

künftige  handlang  zu  melden  vermag,  von  der  zweiten  und  dritten  per- 
son  gebraucht  bleibt  'wollen'  bei  dem  blossen  ausdruck  des  willens 
stehen  n.  s.  w.*,  ebenso  natürlich  ist  es,  dass  im  conditionalsatz,  wo  der 
wiUe  eines  andern  als  bedingung  gesetzt  oder  ans  gewissen  umständen 
gefolgert  werden  kann,  sich  die  zweite  and  dritte  person  in  derselben 
aasdehnung  wie  die  erste  finden. 


CONDTTIONALSAETZE  BEI  WOLFRAM.  37 

2)    ie  resp.  nie  nie  bei  der  bezeichnung  der  zukunft. 

IL  Im  conjunctivischen  hauptsatz: 

1)  iemer  resp.  niemery  a)  wenn  das  tempus  praet.,  b)  wenn 
das  tempus  plusquamperf.,  doch  auch 

2)  ie  resp.  nie  selten  und  nur  bei  plusquamperf.; 

3)  iemer  mer  einmal  im  Wolfram  beim  praet. 

B.    Enthält  der  hypothetische  nebensatz 

I.    den  ind.  praes.,  so  steht  iemer,  niemer, 
n.    den  ind.  praet.,  so  steht  ie  resp.  nie, 

III.  den  conj.  praes.,  so  steht  iemer,  niemer, 

IV.  den  conj.  praet.,  so  riTjhtet  sich  die  wähl  nach  dem 
inhalt  des  bedingungssatzes.    Bezeichnet  dieser  nämlich 

1)  etwas  gegenwärtiges  oder  zukünftiges,  so  steht  iemer 
resp.  niemer, 

2)  wenn  er  sich  durch  ein  praet.  auflösen  lässt,  a)  der 
regel  nach  ie  resp.  nie,  b)  bei  den  verbcn,  die  notwendig  einen 
infinitiv  bei  sich  flihren  {möhte ,  künde,  solte),  iemer  und 
niemer, 

ad  A.  I.  1  a.)  P.  310,  21  kom  ich  imer  in  iwer  hüs,  eins  dinges 
ich   iuch   ölten  wil. 

b.  a)  P.  129,  25  den  man  drüber  ziehen  solte,  immer  swenne 
ez  regenen  walte.  —  /?)  P.  812,  28  Jupiter  mime  gote  wil  ich  iemmSr 
hazzen  tragn,  ern  wende  mir  diz  starke  leit.  Wh.  160,  6  wirt  nu  nihi 
von  ir  geklagt  diu  dürren  herzebaeren  sSr,  ir  sol  getrüwen 
niemer  man, 

2)  P.  599,  1  ^  ob  iwer  helfe  kan  gezemn  daz  ir  min  dienst  ruochet 
nemn,    sd  wart  nie  ndt  sd  hart  erkant  u.  s.  o. 

II.  l)  a.)  Wh.  303,  4  swer  in  dar  nmbe  baete,  dem  solt  er  nimer 
werden  holt,  P.  55,  25  waer  din  orden  in  miner  t,  sd  waer  mir 
immer  nach  dir  wL 

b)  P.  559,  27  het  ir  selbe  vrägens  niht  erdäht,  nimmer  waert  irs 
innen  brächt. 

2)  Wh.  153,  26  Tybalde  ich  Gyburge  nie  het  enpfuort,  wan  daz 
ich  räch,    daz  unserem  künege  hie  geschach. 

3)  Wh.  13,  24  ich  waer  iemer  mSr  ein  gans,  ob  mich  des  niht 
wolle  riwen, 

ad  B.  I.  P.  795,  3  ich  hän  unsanfte  erbiten,  wir  de  ich  iemer 
von  iu  vrd. 

II.  P.  573,  10  gewan  er  ie  kraft  od  sin,  die  warn  im  beide 
empfüeret. 

III.  P.  803,  9  kom  er  imer  an  mannes  kraft,  dar  leistet  im  ge- 
seüeschaft. 


38  ERBE 

ad  IV.  l)  P.  634,  15  er  keie  schiere  daz  vernomn,  möht  ich 
iemmer  für  haz  komn,  P.  53G,  2S  ob  mir  halt  nimmer  würde  ir  gruoz 
diu  mich  diss  strttes  hat  gewert ^    ich  gib  im  strtt,  ob  er  des  gert. 

2  a.)  P.  486,  28  der  goies  gruoz  mir  trerre,  ob  mich  ie  baz  ge- 
zaeme,  swes  ich  von  wirte  naeme.  P.  422,  26  waert  ir  nie  genesn, 
des  heten  schaden  elUu  lant. 

b.  P.  634,  \h  er  hete  schiere  daz  vernomn,  möhte  ich  iemer  für- 
baz  komn. 


IL    TEIL. 
Besondere  eigentämlichkeiten  der  couditionalperiode. 

§  22. 

Nicht  selten  ist,  wie  man  sieh  bei  der  kühnen  und  zwang- 
losen spräche  Wolfiams  schon  denken  kann,  die  conditional- 
periode  bei  ihm  nicht  so  klar  wie  in  den  bisher  besprochenen 
fallen.  Seine  liebhaberei  für  anakoluthe  auf  der  einen,  ge- 
dankensprünge  auf  der  andern  seite  tritt  oft  genug  auch  hier 
zu  tage  und  zerstört  dann  die  durchsichtigkeit  des  Verhält- 
nisses. Und  auch  die  spräche  an  sich  hat  mitunter  hier,  um 
nicht  selbstverständliches  zu  sagen,  einen  satz  unterdrückt, 
dort,  um  möglichst  deutlich  zu  werden,  einem  gliede  der  pe- 
riode  zwei  sätze  zugewiesen. 

Im  allgemeinen  lassen  sich  nämlich  diese  arten  von 
Sätzen  in  zwei  klassen  teilen,  deren  erste  perioden  enthält, 
von  denen  das  eine  glied  durch  mehrere  sätzc  gebildet  wird, 
deren  andere  solche,  von  denen  ein  glied  verkürzt  erscheint, 
oder  fehlt  und  zu  ergänzen  ist. 

Im  ersten  falle  ist  bei  WolA*am  das  häufigste,  dass  der 
bedingende  teil  aus  zwei  bedingungen  besteht  und  gleich 
hier  stossen  wir  auf  eine  eigentümlichkeit  unseres  dichters, 
der  ich  mich  nicht  entsinnen  kann  bei  andern  mhd.  schrift- 
stelleni  begegnet  zu  sein.  Verhältnismässig  oft  nämlich  (ich  habe 
im  ganzen  17  fälle,  11  im  Parz.,  6  im  Wh.  verzeichnet)  wird 

1)  eine  bedingung  zweimal  ausgesprochen,  so  dass  die 
erste  durch  die  zweite  umschrieben  oder  erläutert  und  specia- 
lisiert  wird,  sei  es  dass  sie  mit  ihr  durch  unde  verbunden  ist 
oder  nicht. 


CONDITIONALSAETZB  BEI  WOLFRAM.  39 

a)  Die  bedingungssätze  sind  dann 

a)  entweder  beide  ohne  oder 
ß)  beide  mit  06  eingeleitet. 

Im  ersten  falle  steht  aber  neben  dem  nur  durch  die  in- 
Version  gekennzeichneten  bedingungssatze  der  conditionale 
relativsatz,  ja  einmal  entspricht  ihm  auch  ein  mit  wandaz  ge- 
bildeter bedingungssatz. 

b)  Die  bedingungssatze  stehen  entweder 
a)    beide  vor  oder 

ß)  beide  nach  dem  bedingten  satze,  fälle ,  in  denen 
der  erste  satz  meist  ftir  einen  objectssatz  steht  oder  der 
zweite  die  stelle  eines  oonsecutivsatzes  vertritt  — ,  oder 

7)  der  bedingte  satz  steht,  djto  xoivov  zu  beiden 
nebensätzen  gehörig,  zwischen  ihnen. 

2)  Sogar  drei  bedingungen,  deren  Inhalt  im  gründe  der- 
selbe ist,  können  mit  einer  apodosis  verbunden  werden.  Hier 
stehen  mit  ob  gebildete  bedingungssatze  auch  neben  anders 
charakterisierten. 

ad  1.  a.  cc)  P.  338,  25  swem  ist  ze  söUien  werkai  gäch,  da  misse- 
wende  hoeret  nach,  pMihi  werder  Hp  an  den  gewin,  daz  muoz  in  liren 
kranker  sin  n.  ö. 

ß)  P.  8,  12  ob  ich  dar  nach  dienen  muoz  (*dart*)^  und  ob  ich 
des  wirdec  bin,  so  raetei  mir  mtn  bester  5m,  daz  ichs  mit  rehten 
triwen  phlege  u.  ö. 

b.  a)  P.  517,  13  Ht  Logroys  sd  nähen,  mac  i'n  dervor  ergähen, 
so  muoz  er  antwurten  mir  =  4Bt  Logroys  so  nahe,  dass  ich  ihn  noch 
davor  einholen  kann,  so  . .  /  u.  ö. 

ß)  Wh.  160,  29  der  wirt  nu  vil  zefüeret,  kan  iemen  golt  enpfAhen, 
swem  das  niht  wil  verstnähen  =  *wenn  das  einem  nicht  schmachvoll 
dünken  will,  gold  zu  nehmen'. 

/)  Wh.  290,  28  möht  ez  mit  dinen  htUden  sin,  sd  vrägt  ich  wann 
du  waerst  erborn,     woltst  duz  läzen  äne  zorn  n.  ö. 

2)  P.  588,  13  oh  kumber  sich  geliche  dem,  swelch  minnaer 
den  an  sich  genem,  der  werde,  alrirst  wol  gesunt,  mit  pftlen  alsus 
sire  wunt,  daz  tuot  im  lihte  als  wi,  als  sin  minnen  kumber  S 
=  *wenn  ein  knmmer  dem  gleich  ist  und  ein  liebender  ihn  auf  sich 
nimmt  und,  obwol  früher  gesund,  jetzt  mit  pfeilen  verwundet  wird, 
00  hat  er  mögliclierweise  nicht  geringere  schmerzen  als  früher  von 
seiner  minne.'  —  Wh.  449,  18  tr  werder  got  Apolle,  woU  er  zürnen 
unde  ir  admirät  des  heten  dise  guoten  rät,  swenne  si  ir  hulde  en- 
baeren,    ob  si  in  ir  hazze  waeren. 


40  ERBE 

§23. 

Oder  das  eintreten  eines  ereignisses  ist  in  der  tat  an  zwei 

1)  zunächst  yon  einander  unabhängige  bedingungen  geknüpft, 
die  dann 

a.  «)  durch  die  copula  unde  verbunden,   ß)  oder  un- 

verbunden, 

b.  a)   zugleich  vor  dem  bedingten  ereignis  stehen  oder 

dasselbe  (und.  dies  ist  das  gewöhnlichste)  ß)  ein- 
schliessen  und 

c.  ebenso wol  a)  (was  das  regelmässige)  dieselbe,  als 

ß)  verschiedene   form   (d.  i.  moden  und  con- 
junctionen)  haben  können. 

2)  Damit  nicht  zu  verwechseln  ist  der  fall,  dass 

a)  die  erste  protasis  als  möglicher  grund  oder  als  be- 
dingung  zur  zweiten  angesehen  wird,  in  welchem  falle  die 
beiden  nebensätze  voraufgehen. 

b)  Die  zweite  protasis  bildet  die  protasis  zur  ersten, 
auch  hier  ist  es  regel,  dass  «)  die  beiden  nebensätze  vorauf- 
gehen, und  nur  in  je  einem  falle  ß)  stehen  sie  nach  dem 
hauptsatz,  oder  /)  nehmen  diesen  in  ihre  mitte.  In  einem 
andern  hierher  gehörigen  falle  sind  d)  die  beiden  nachfol- 
genden bedingungssätze  in  einander  geschoben. 

c)  Der  eine  Vordersatz  hängt  ab  von  der  durch  den 
hauptsatz  mit  dem  andern  Vordersatz  gebildeten  periode. 
Auch  hier  treten  entweder  a)  die  bedingenden  sätze  beide 
vor  den  hauptsatz,  oder  ß)  folgen  ihm,  oder  /)  schliessen 
ihn  ein,  oder  ö)  der  den  hauptsatz  zunächst  bedingende 
nebeusatz  wird  in  diesen  eingeschoben. 

d)  In  einem  falle  ist  eine  bedingung  im  Verhältnis  zu 
einer  zweiten  die  protasis,  zu  einer  dritten  die  apodosis. 

e)  Die  formen  1)  und  2  b.)  sind  mit  einander  vereint 
in  einem  falle.  ^ 

ad  l  a.  d)  Wh.  48,  6  ob  ich  der  tritve  ir  rehi  wil  ttion,  und  ist 
min  munt  sd  wise,  ich  sag  daz  maere  erkennecUch,  Wh.  66,  30  habe 
ich  mit  Sünde  helfe  dtn  Gedient  [vergolten]  daz  si  der  sSle  leit  und 
ob  ich  zagetichen  streit.    P.  431,  6.-/9)  Wh.  410,  6  solt  ich  se  iu  alte 


0  Ueber  ähnliche  erscheinangen  im  lat.  und  griech.  cf.  Heindorf  zu 
Cic.  de  nat.  de.  1,  10  und  zu  Plato  Phaedo  67,  E. 


CONDITIONALSAETZE  BEI  WOLFRAM.  4 1 

mcahen  kunt     wer  da  tdt  wart  gevalt . . .     solt  ich  ir  sunderstriten  he- 
scheiderüichen  nennen,    sd  müese  tV  vU  bekennen  und  sehr  oft. 

b.  a)  P.  115,  15  oh  ich  guotes  wtbes  minne  ger,  mag  ich  mit 
Schilde  und  mit  sper,  verdienen  niht  ir  minne  solt,  aldar  nach  si  sie 
mir  holt,  372,  5.  Wh.  410,  6.  —  ß)  P.  413,  4  oh  iu  daz  nicht  ze  her- 
zen gSt,  sU  iuch  pSde  ein  muoter  truoc,  sd  gedenket,  hSrre,  oh  ir  sit 
kluoc,  ir  sandet  in  der  maget  her.  n.  e.  o. 

c.  a)  P.  322,  26  erwirht  er  iwer  hulde,  ir  höht . . .  von  im  ge- 
sagt, daz  iwern  pris  krenket,  sint  diu  Hute  wts  u.  s.  0.  —  /9)  P.  154, 
12  hat  Ärtüses  haut  dir  mm  hamasch. gegehn,  dSs  war  daz  taeter 
ouch  min  lehn,  mähtest u  mirz  an  gewinnen,  P.  254,  9.  342,  21. 
372,  5.  450,  1.  293,  14.  Wh.  66,  30.  5,  28.  P.  163,  5.  767,  20.  766,  3. 
nnd  80  oft. 

2.  a.)  P.  87,  6  wird  ich  der  heider  hie  gewert,  sol  iu  daz  pris 
verkrenken,  so  lät  mich  fürhaz  wenken,  P.  115,  12.  Wh.  157,  15.  P. 
372,  5.     115,  15.    475,  22. 

b.  a)  P.  453,  2  swer  drumhe  mit  mir  hägte,  ob  ichs  niht 
sagte,  unprU  der  hejagte,  P.  583,  1.  607,  25.  171,  27.  —  ß)  P.  598,  24 
wir  müezen  iuch  hi  vröuden  län,  sU  ir  des  der  geile,  ob  Lit  marveile 
so  klein  sich  hat  gerochen.  —  y)  P.  504,  21  wil  si  die  lenge  ringen,  si 
mac  mich  nider  bringen,  ich  erwerbe s  haz  od  gruoz,  sol  da  ein  tjost 
ergin  ze  fuoz.  —  S)  Wh.  348,  9  ez  stSt  wol  diner  kröne,  oh  du  nach 
der  gote  Idne,    ob  dichs  diu  minne  wise,    noch  hiute  kumher  dolst, 

c.  a)  P.  416,  11  erhoerent  die  Gäwänes  not  hän  ich  pris  dir  st 
denne  tdt.  —  /?)  P.  116,  2  ich  waere  S  nacket  äne  tuoch,  sd  ich  in  dem 
bade  saeze,  ob  ichs  questen  nicht  vergaeze, —  y)  P.  560,  1  weit  ir  niht 
erwinden,  mir  und  minen  kinden  geschach  so  rehte  leide  nie,  oh  ir 
den  Up  verlies  et  hie,  —  6)  F.  722,  20  op  si  mir  mir  genäde  tuon,  dl  ir- 
dischiu  richeit,  op  d'erde  waer  noch  also  breit,  da  für  naem  ich  si 
einen. 

d)  P.  619,  15  hän  ich  daran  missetän,  weit  ir  mich  daz  wizzen 
län,  ob  ich  durch  mtne  herzenöt,  dem  werden  riter  minne  bot,  so 
krenket  sich  min  minne. 

e)  P.  609,  2  weit  ir  daz  ze  liebe  tuon  iwer  friwendin,  oh  ez 
diu  ist,  daz  ir  sus  valschlichen  list  von  ir  vater  kunnet  sagn,  , .  so 
ist  se  ein  übel  mögt,     daz  si  den  site  an  iu  niht  klagt. 

Anmerkung.  1)  Die  in  den  beiden  letzten  paragraphen 
erwähnten  formen  werden  wol  auch  mit  einander  verbunden, 
und  man  erhält  das  eintreten  eines  ereignisses  nur  unter  drei 
bis  vier  bedingungen  zugestanden,  die  zum  teil  a)  entweder 
identisch,  oder  b)  einander  untergeordnet  sind. 

2)  Daneben  finden  sich  auch  a)  drei  oder  b)  vier  von  ein- 
ander verschiedene  und  von  einander  unabhängige  bedingungen, 
die  sich  erfüllen  müssen,  ehe  ein  ereignis  eintreten  kann; 


42  ERBE 

3)  aber  auch  drei  bedingungen,  von  denen  immer  eine 
der  mögliche  grund  der  folgenden  ist. 

ad  1.  a)  P.  419,  2  swä  ich  kum  zuome  strite,  hän  ich  da  vehtens 
phlihte,  od  fluht  mit  ungeschihte,  bin  ich  verzagetltche  ein  zage,  ode 
oh  ich  pris  aldä  he  jage,  des  danket  ir.  Hier  sind  (ähnlich  wie  177,  19) 
neben  der  ersten  von  ihnen  unabhängigen  bedingung  (z.  2)  die  zweite 
und  dritte  (z.  3  und  5)  identisch.  Ebenso  wird  in  P.  563,  27  £f.  z.  27 
nur  durch  z.  28  näher  erklärt,  wenn  es  da  heisst:  habt  ir  den  prts  an 
iuch  genomn,  sU  ir  durch  äventiure  komn  her,  sol  tu  gelingen,  tihte 
ir  megt  gedingen  um  mich,  Cf.  P.  504,  25.  —  b.)  Wh.  384,  26  der 
als  manec  lamp  gebunden  für  in  trüege,  oh  ers  eins  tags  erslüege, 
so  waer  stn  strU  harte  snely  ob  halt  beschorn  waer  ir  vel  Hier  ist 
die  erste  bedingung  protasis  der  zweiten.  Daneben  steht  als  dritte  dem 
sinne  nach  von  jenen  unabhängige  z.  30.  —  Verbunden  ist  1  a.  mit  1  b.  in 
Wh.  376,  22  ob  im  von  guotem  wlhe,  sölh  zimierde  wart  gesant,  oh 
daz  gediende  niht  sin  hant,  heter  ir  minne  künde,  da  mite  ertvarp  er 
Sünde,  tet  er  durh  si  niht  sölhe  tat,  die  man  noch  für  hdhez  eilen 
hat.  Hier  ist  die  zweite  bedingung  die  protasis  der  ersten,  zugleich 
aber  auch  so  ziemlich  desselben  Inhalts,  wie  die  vierte. 

ad  2.  a.)  Wh.  171,  25  unde  ob  ich  ge dienet  hän  inder  so  ge- 
triwen  man,  daz  ich  in  nu  gemanen  mac,  oh  ie  stn  trdst  an  mir  gelac, 
des  wirstu  innen  sol  ich  leben,  ich  wil  ouch  üz  fürsten  henden 
gehen,  kann  zugleich  als  beispiel  für  $  24  gelten,  da  z.  29  und  30,  gram- 
matisch wenigstens,  die  beiden  condidonalen  hauptsätze  sind.  Cf.  P. 
409,  12.  —  b.)  P.  451,  15  rvart  ab  er  ie  ritter  holt,  gedient  ie  ritter 
slnen  soll,  ode  mac  schilt  unde  swert  siner  helfe  stn  sd  wert,  und 
rehtiu  manltchiu  wer,  ist  hiut  sin  helfltcher  tac,  so  helfe,  er  ob  er 
helfen  mac. 

ad  3)  Wh.  445,  24  het  ich  einen  hirren,  vor  shne  hazze  selten  vn, 
ob  ich  im  stürme  waer  däbt,  da  er  sinen  lip  verlüre,  oh  man  mich 
saehe  in  Jämers  küre,    des  müese  ich  trügltche  jehen. 

NB.   Bei  diesen  wie  bei  den  beispielen  zu  den  vorigen  paragraphen 
ist  öfter  verschiedene  auffassung  möglich. 

§  24. 

Umgekehrt  kann  auch  die  apodosis  aus  zwei  sätzen  be- 
stehen, und  das  eintreten  einer  bedingung  wenigstens  formal 
zwei  ereignisse  im  gefolge  haben,  die  dann,  was  das  h;lufig8te, 
a)  entweder  die  cmo  xoivov  gebrauchte  bedingung  einschliessen, 
oder  b)  ihr  beide  voraufgehen,  oder  c)  ihr  beide  folgen. 

Aber  auch  hier  finden  wir  ähnlich  wie  oben  in  §  22  bei 
den  conditionalen  nebensätzen,  dass  die  bedingten  sätze  oft, 
ja  meist  einander  dem  inhalt  nach  gleich  sind  oder  der  zweite 


CONDITIONALSAETZE  BEI  WOLFRAM.  43 

nur  zur  erkUrung  oder  nähern  beBtimmung  des  erstem  hinzu- 
gefügt wird. 

Anmerkung.  Ein  dem  sub  a)  erwähnten  wenigstens 
ähnliches  ajio  xoivov  ist  es,  wenn  ob  im  Verhältnis  zum  einen 
satz  'wenn',  zum  andern  'ob'  bedeutet. 

ad  a)  P.  487,  6  man  möhte  mit  mir  beizen,  waer  ich  für  veder- 
spü  erkant,  ich  srvunge  algernde  von  der  hant,  Cf.  P.  16t,  20.  1\%  18. 
602,  2.     Wh.  149.  10.     251,  16. 

b)  P.  418,  1  da  rvaer  von  mtnen  handen  in  kreize  bestanden 
Gätvän  der  etlentha/te  degen,  des  hete  ich  mich  gein  im  bewegen^  daz 
der  kam^f  waere  alhie  getan,     woU  es  nun  herre  gestattet  h&n. 

c)  P.  127,  21  op  dich  ein  grä  wise  man  zuht  mit  lim,  als  er  wol 
kan,  dem  soltu  gerne  volgen,  und  wis  im  nicht  erbolgen,  wo  zugleich 
die  yerBchiedene  form  und  die  anknüpfung  der  beiden  sätze  durch  unde 
zu  bemerken  ist.    Vgl.  P.  47,  22.    290,  20.    33,  24.    Wh.  179,  24. 

Zur  anmerkung.  P.  304,  30  diz  läz  ich  an  dich,  Gätvän,  op 
daz  si  der  selbe  man,  der  mir  hat  laster  vor  gezilt,  so  rit  ich  mit  dir, 
swar  du  wilt. 

§  25. 

Wie  schon  oben  bemerkt  wurde,  kann  aber  auch  ein 
glied  der  periode  unvoUstäüdig  sein,  sei  es  dass  es  in  verkürzter 
gestalt  auftritt,  oder  ganz  ausgelassen  wii'd.  Dass  wir  beiden 
arten  bei  Wolfram  nicht  selten  begegnen,  werden  wir  erklär- 
lich finden,  wenn  wir  bedenken,  dass  es  einem  dichter  nicht 
darauf  ankam,  zu  belehren  oder  durch  beweisgrttnde  zu  über- 
zeugen, sondern  vei*stand  und  phantasie  zu  beschäftigen,  dass 
ihm  also  gedankensprünge  und  satzverkUrzungeu  sogar  ein 
künstlerisches  mittel  waren,  die  phantasie  seiner  leser  zu  be- 
leben und  seiaer  darstellung  reizvolle  abwechselung  zu  ver- 
leihen. 

Die  Verkürzung  wandelt  nach  Heyse  ^)  einen  satz  vollstän- 
dig um,  während  bei  der  form  der  ellipse  ein  satz  entweder 
vollständig  ausgelassen  wird,  oder  nur  ein  fragment  eines 
Satzes  erhalten  bleibt  zu  dem,  wenn  der  im  satz  oder  Satz- 
gefüge ausgedrückte  gedanke  vollständig  vorgestellt  werden 
soll,  notwendig  ganze  Satzteile  ergänzt  werden  müssen. 

Beim  bedingenden  nebensatz,  um  von  seinen  Verstüm- 
melungen  zunächst  zu  reden,  ist  die  gewöhnlichste  art  der 

*)  Lehrb.  der  deutschen  spr.  II,  679. 


44  ERBE 

Verkürzung  diejenige,    die    auch   andern    Schriftstellern    nicht 
fremd  ist,  und  die  eintritt,  wenn 

1)  wan  oder  nirvan  vor  den  nominativ, 

2)  sunder  und 

3)  äne  vor  den  accusativ  eines  suhstantivs  tritt,  dessen 
existeuz  als  der  grund  fllr  die  nichtwirklichkeit  des  im  haupt- 
satz  ausgesagten  ereignisses  dargestellt  wird.  Im  hauptsatz 
steht  hier  stets  der  eonj.  praet.,  in  dem,  als  in  einer  relativen 
zeit,  zugleich  die  notwendigkeit  der  ergänzung  liegt  Denn 
steht,  wie  an  einer  stelle  des  Parzival,  der  in(L,  so  ist  die 
protasis  nicht  verkürzt,  sondern  nur  elliptisch. 

4)  Eine  Verkürzung  liegt  nach  der  oben  gegebenen  defini- 
tion  auch  in  den  fällen  vor,  in  denen  man  ein  wort  oder  einen 
ausdruck  der  apodosis  zu  einem  hy))otheti8cheu  Vordersätze 
erweitern  könnte. 

ad  1)  P.  S12,  21  wan  rntn  kursU  Salamander,  aspindd  min  schilt 
da*  ander,  ich  wacr  verbrunnen  an  der  tjost,  und  eiogeschobcn :  Wh. 
453,  15  iesltch  min  helfaere,  wandu  verlorn  waere.  Vgl.  F.  356,  15. 
65«,  2.  788,  14,  327,  13.  Wh.  226,  7.  430,  l.  453,  13.  456,  20.  —  F. 
82,  10  niwan  der  künec  von  Ascalün^  durch  die  snüere  in  waere  ge- 
rant.  Bei  andern  Schriftstellern  begegnet  auch  wan  vor  dem  subject 
des  zu  ergänzenden  satzes  mit  durchs  so:  Nib.  2257,  4  wan  durch 
min  gelückcy    in  waer  noch  vrömdc  der  tdt.    Cf.  Wilm.  zuWalth.  45,  12. 

ad  2)    F.  643,  \2  er  waer  immer  unerneri,    s  und  er  amien. 

ad  3)  Wh.  261,  13  äne  Terrameres  gehüt  het  es  im  geholfen  kein 
sin  got  F.  54,  11  daz  velt  herherge  stuont  al  bldz,  wan  ein  gezelt,  daz 
was  vU  grdz  heisst:  Mas  velt  war  frei,  nur  ein  zeit  stand  darauf*  oder 
dgl.,  *da8  war  gar  gross*. 

ad  4)  F.  677,  12  es  waere  eim  andern  man  ze  vU  steht  filr:  *  würde 
man  das  einem  andeiii  manne  auftragen ,  das  wäre  ihm  zu  viel.*  Wh. 
152,  1  dri  starke  karräsche  unde  ein  wagen  möhtenz  wazzer  niht  ge- 
tragn,  'wollte  man  drei  wagen  anspannen,  sie  würden  die  tränen  der 
ritter  nicht  fortschaffen  können,  und  sehr  oft,  z.  b.  Wh.  22,  6.  40,  5. 
51,  13.  51,  16.  52,  30.  57,  25.  81,  2.  133,  .30  u.  8.  w.  Zumal  ist  es 
der  fall,  wenn  ein  eraignis  oder  ein  gegenständ  durch  vergleichung  mit 
einem  andern,  wie  oben  in  beiden  beispielen,  nach  grosse  oder  wert  be- 
stimmt werden  soll.  In  welcher  art  der  bedingende  sat^  zu  ergänzen 
ist,  zeigen  mehrere  stellen,  in  denen  die  protasis  gesetzt  ist.  So  vergl. 
F.  563,  4  derz  mit  gelte  wider  waege,  der  baruc  von  Baldac  vergtUte 
nicht  daz  drinne  lac,  und  F.  561,  26  waere  daz  dargegen  geleit,  damit 
ez  waere  vergalten  mcht  mit  F.  735,  15  swaz  diende  Artüses  hont,  daz 
vergulte  niht  die  steine,  die  mit  edelem  arte  reine  lägen  ikf  des  heldes 
wäpenroc.    Cf.  F.  761,  30. 


CONDITIONALSAETZE  BEI  WOLFRAM.  45 

§  26. 
Die  ellipse  des  bedingenden  nebensatzes  ist  zu  verzeichnen: 

I.  bei  conjunetivischen  Wunschsätzen  zumal  mit  gerne 
oder  ungeme.  Zu  ergänzen  ist  'wenn  es  möglich  wäre*, 
*  wenn  es  angienge '  oder  dgl.    Zu  ihnen  gehören  im  gründe  auch 

II.  die  Sätze  mit  solte,  in  denen  sich  eine  Unzufriedenheit 
mit  etwas  gegen  recht  und  gerechtigkeit  bestehendem  aus- 
spricht und  die  wir  meist  durch  ein  eingeschobenes 'eigentlich' 
charakterisieren.  Zu  ergänzen  ist  'wenn  es  nach  recht  gienge', 
'wenn  es  wäre  wies  sein  sollte'  u.  dgL 

Je  nach  dem  Zusammenhang  gestaltet  sich  der  inhalt  des 
zu  ergänzenden  bedingungssatzes^  wenn 

III.  1)  dieser  vertreten  ist  durch  einen  voraufgehenden  a) 
aussage-,  b)  wünsch-,  c)  frage-,  d)  auflforderungs-,  e)  conditio- 
nalen  nebeusatz. 

2)  Dass  der  bedingende  satz  aus  dem  vorhergehenden  zu 
ergänzen  ist,  wird  a)  entweder  nicht  besonders  angezeigt,  oder 
es  tritt  b)  so^  c)  da,  d)  danne  an  die  spitze  des  satzes,  wenn 
aus  dem  vorhergehenden  satz  eine  positive,  e)  anders,  seltener 
f)  söj  wenn  a)  aus  dem  negativen  vorhergehenden  satz  eine 
positive,  ß)  oder  aus  dem  positiven  satz  eine  negative  protasis 
ergänzt  werden  soll. 

In  einem  falle  steht  anders  noch  neben  dem  dem  vor- 
hergehenden satz  entgegengesetzten  nebensatz;  sm  in  der  be- 
deutung  'sonst'  findet  sich  bei  Wolfram  aber  nicht 

IV.  Sätze  mit  Hhie  'beinahe'  negieren  die  Wirklichkeit, 
sprechen  aber  aus,  dass  an  dem  eintreten  dieses  gegenteils  die 
Wirklichkeit  wenig  gefehlt  habe,  dass  es  eingetreten  sein  würde, 
wenn  die  sache  noch  einen  schritt  weiter  gegangen  wäre  oder 
dergleichen,  und  stehen  im  conj.  praet.  oder  plusquamperf. 

V.  Die  bedingung  ist  weder  aus  dem  vorhergehenden  satz 
noch  aus  einem  bestimmten  wort  der  apodosis  zu  entnehmen, 
sondern  kann  nur  aus  dem  Zusammenhang  ergänzt  werden. 

VI.  In  einem  falle  ist  der  nebcnsatz  zwar  ausgelassen, 
aber  an  seiner  stelle  steht  ein  aussagesatz,  wie  wir  im  nhd. 
an  den  eine  verneinte  Wirklichkeit  ausdrückenden  hauptsatz 
im  conj.  praet.  statt  der  protasis  einen  mit  'aber',  'doch', 
'allein'  u.  dgl.  eingeleiteten  hauptsatz  anreihen  können. 


4(3  £RB£j 

Anmerkung.  In  einer  stelle  sind  die  formen  von  §  24 
und  diesem  paragraph  vereint. 

ad  1.  P.  22, 10  daz  het  ich  gerne  erfunden  ^  vgl.  Wh.  118, 15.  15,  29. 
US,  7.  419,  30.  356,  17.  342,  17.  P.  167,  27.  132,  14  502,  20.  260,2. 
Wh.  13,  10  W  hetenz  ungerne  län  vgl.  Wh.  43,  11.  390,  17.  P.  286,  20. 
Wie  ungefähr  der  za  ergänzeude  satz  lauten  musB,  kann  lied  8,  5  zeigen, 
wo  die  protasis  neben  dem  satz  mit  gerne  steht:  1.  8,  3  diu  sorge  ist  mir 
ze  vruo,  ich  weiz  vil  rvol  daz  ist  auch  ime,  den  ich  in  minen  ougen 
gerne  bürge,    möhie  ich  in  also  behalten. 

ad  II.  Wh.  II 4,  9  es  soll  diu  stat  laster  hän,  daz  si  gern  dem 
einen  man  des  gerueftes  sich  enbarten.  Vgl.  113,  7.  88,  2.  338,  22. 
Bemerkenswert  ist  der  Wechsel  der  form  in  Wh.  166,  28  frouwe,  ez 
soll  auch  iu  sin  leit,  daz  ich  pin  trürens  unreldst,  und  gaebet  mir 
etslichen  trdst  'und  ihr  solltet  mich  eigentlich  trösten.* 

ad  III.  1  a.)  P.  226,  3  komt  ir  rehte  dar,  ich  nim  iwer  hhii 
selbe  war,  so  danket  als  man  iwer  pflege.  Zu  ergänzen  ist:  Masse  ich 
euch  verpflegen.*     Vgl.  Wh.  301,  25.    P.  258,  17.    294,  8.    665,  29. 

b.)  P.  120,  18  wan  wolt  et  nu  der  tiufel  komn,  den  bestüend  ich 
sichet  liehe.    Vgl.  P.  812,  25.    Wh.  141,  22. 

c.)  Wh.  139,  5  waz  ob  sich  krenket  al  mtn  werben?  sd  muoz 
diu  helfe  gar  verderben.    Vgl.  Wh.  225,  6.    P.  147,  8.    359,  20. 

d.)  P.  710,  8  werbt  gevuog,  sd  tuot  ir  wol.  Wh.  147,  5.  P.  198,  18: 
beim  Wechsel  der  personen  P.  244,  20. 

e.)  Wh.  174,  30  des  laster s  wurde  ich  nimmer  vri,  soldestu 
nacket  bi  mir  gin.  bruoder,  kanstu  dich  vcrsthi,  tviez  dine  genöze 
meinden?  =  *was  deine  freunde  dazu  sagen  würden,  wenn  ich  dich 
^nacket'  Hesse.' 

2  a.)  P.  812,  25  dwi,  het  mich  gesendet  dar  iwei*  swester 
minneclich  gevar!  ich  waer  gein  strite  noch  ir  böte.  Vgl.  P.  120,  18. 
742,  20.  —  b.)  P.  294,  8  ich  bringe  iuch  doch  betwungen  dar,  so  nimt 
man  iwer  unsanfte  war  und  sehr  ott,  z.  b.  P.  665,  29.  226,  3.  359,  20. 
Wh.  139,  5  u.  ö.  —  c.)  P.  248,  22  ruohten  sis,  so  waei'e  ir  rinc  mit  mir 
fuht  verkrenket,  dane  wurde  niht  gewenket  .  .  .  seil.:  *wenn  ich  mit 
ihnen  reiten  dürfte.*  —  d)  danne  und  so  stehen  kurz  nach  einander  Wh. 
147,  5:  daz  kirt  mit  fuoge  an  iwern  getvin.  dwi  wie  winc  uns  denne 
belibe,    so  waer  ich  d'Srste  die  er  vertribe. 

e.)  P.  143,  28  das  läzen  sich  durch  zuht  gezemn,  anders  iwer 
frouwe  Enide  und  ir  muoter  Karsnafide  wer  den  t  durch  die  mül  ge- 
zücket.   Vgl.  P.  147,  8.    453,  18. 

f.  a)  AVh.  301,  25  unser  mage  ich  niht  für  geste  hän,  so  het  diu 
Sippe  missetän.  Vgl.  P.  258,  17.  —  ß)  P.  244,  20  tat  mich  bt  witzen, 
so  waert  ir  diens  ungewert,  als  m\n  her  für  iuch  ist  gegert.  Cf.  noch 
unten. 

Zur  bemerkung  noch  T.  61,  3  anders  du  kanst  dich  versanden, 
ob  du  gtrst,  daz  ich  dir  kutnber  wende.    Ueber  sus  vgl.  noch  g  14,  3.  anm. 


CONDITIONALSAETZE  BEI  WOLFRAM.  47 

ad  IV.    P.  50,  1 1   mir  rvaere  ouch  tihie  alsam  geschehen, 
ad  V.    Wh.  10,  29  den  man  doch  tiure  het  erlöst,  seil.:   *wenB  er 
ihn  freigegeben  hätte.'    Vgl.  Wh.  217,  18.    P.  8,  13  u.  ö. 

Zuranmerkung.  P.  456,  12  sit  ir  äne  sirit  helihen?  so  stüende 
tu  haz  ein  ander  tvät,  liez  iuch  höchferie  rät  Denn  ergänzt  man,  so 
muBS  es  heissen :  '  wäret  ihr  ohne  streit  geblieben,  so  hättet  ihr  statt  des 
kriegerischen  hämisches  besser  ein  anderes  der  heiligen  zeit  angemesse- 
neres kleid  anziehen  können,  wenn  ihr  nicht  hochmütig  wärt.' 

§27. 

Oder  endlich  —  und  damit  komme  ich  zum  letzten  punkte 
meiner  abhandlung  —  das  bedingte  ereignis  tritt  in  verkürzter 
gestalt  auf  oder  ist  ganz  zu  ergänzen. 

1)  Die  apodosis  ist  verkürzt 

a)  in  den  mit  waz  danne  ob,  tvaz  oh  eingeleiteten  fragen, 
die  vollständig  lauten  müsten:  'was  sagst  du  dazu,  wenn', 
*was  soll  dann  geschehen,  wenn*; 

b)  in  einzelnen  andern  föUen. 

2)  Die  apodosis  ist  unterdrückt 

a)  bei  Wunschsätzen  im   conj.  praet.;    zu  ergänzen  ist 
'so  würde  ich  mich  freuen',  'so  wäre  es  gut'  oder  dgl.; 

b)  bei  den  so  ungemein  häufigen,  mit  alsj  als  oby  als  der 
eingeleiteten  vergleichungssätzen ,  in  denen  ein  wirkliches 
ereignis  mit  einem  angenommenen  und  daher  (mit  6iner  aus- 
nähme) im  conj.  stehenden  verglichen  und  dadurch  erläu- 
tert wird. 

c)  In  andern  fällen,  in  denen  der  hauptsatz  leicht  aus 
dem  zusammenhange  zu  ergänzen  ist.  So  ist  zumal  meist 
bei  persönlichen  (höflichen,  beteuernden  oder  andeni)  condi- 
tional  gefassten  bemerkungen  des  dichters  die  apodosis,  weil 
selbstverständlich,  verschwiegen. 

ad  1  a.)  Wh.  139,  5  waz  ob  sich  krenket  al  mm  werben?  Wh. 
225,  6  waz  danne  op  groezer  ist  ir  kraft?  P.  433,  4  waz  denne, 
bettbe  ich  küme  vgl.  P.  239,  14.    451,  13.    517,  10.    714,  4  u.  ö.  301,  22. 

b)  P.  95,  24  iwer  reht  ist  gein  mir  laz,  niwan  iwer  gemeiner  gruoz 
[seil.:  'gebührt  mir*],  ob  ich  den  von  iu  haben  muoz.  P.  195,  13 
frouwe,  hilft  iuch  iemens  tröst?  Ja,  Mrre ,  ob  ich  wurde  erlöst  *ja, 
tröst  (=  beistand)  hilft  mir,  falls  ich  . .  .* 

ad  2  a.)  P.  22,  9  öwi,  wan  taete  im  daz  niht  wtt  *wenn  ihm  das 
nur  nicht  weh  täte,  so  wäre  schon  alles  gut*  und  sehr  oft. 

b.)  Tit.  96,  3  si  zöch  dich  als  si  dich  gebaere,  P.  598,  29  iu  ist 
doch  der  schilt  zebroehen^     als  ob  iu  strtt  sül  wesen  kunt,    P.  571,  1 


48  £fiBE 

dd  härter  ein  gehrummen  als  der  wol ztveinzec  irummen  slüege  hie  ze 
tanze  =  'wie  das  brummen  sein  würde,  wenn  jemand  zwanzig  trommeln 
schlüge*  und  unzählig  oft  in  der  ganzen  mhd.  literatnr.  P.  213,  11  dh^ 
lant  ist  erloeset    als  der  sm  schif  er  o  es  et, 

c.)  P.  612,  10  oh  ich  so  sprechen  mac,  [so  will  ich  es  sagen], 
swer  mich  der  bl  hat  gesehn,  dei'  muoz  mir  riterschefte  jehen, 
P.  752,  7  wil  ich  der  wärheit  grifeti  zuo,  [so  muss  ich  sagen],  bcidiu 
mhi  vater  unde  ouch  duo,  tmd  ich,  wir  wären  gar  al  ein.  Vgl.  P.  16, 
tb.  511,  13.  363,  28.  Gleichsam  als  ersatz  für  den  ausfall  ninmit  ein 
nachtolgender  Ton  dem  zu  ergänzenden  als  abhängig  zu  denkender  satz 
die  form  der  apodosis  an.  P.  458,  2  het  irz  niht  für  eüieti  ruom,  sd 
trüege  ich  flucht  noch  magetuom  für  *so  würde  ich  euch  sagen,  dass  ich 
nie  trug  . . .'    s.  mhd.  wb.  2,  3.    Vgl.  P.  472,  1. 


Anmerkung  zu  s.S. 

Haupts  auffassung  der  angeführten  stellen  ist  nicht  ganz  richtig. 
Trist  13879  halte  ich  für  wahrscheinlich,  dass  zu  interpungieren  ist: 
'schoene',  sprach  er,  *nu  ist  mir  niht  herzeliche  Uep  wan  ir,  und  ich  von 
iu  nu  scheiden  sol.  daz  weiz  got  von  himele  wol,  daz  nimet  mir  nunc 
sinne.'  Wenn  aber  der  satz  mit  und  zum  folgenden  zu  ziehen  wäre,  so 
wäre  und  richtig  im  mhd.  wb.  als  Vertreter  für  daz  aufgefasst;  denn  er 
kann  nach  dem  zusammenhange  nicht  als  bedingung,  sondern  nur  als 
feststehende  tatsache  ausgesprochen  sein.  Die  meisten  beispiele  sind 
aus  Heinrichs  Tristan.  An  keiner  einzigen  unter  diesen  lässt  sich  und 
hypothetisch  fassen,  überall  ist  es  temporal,  synonym  mit  nu  ebenso  wie 
an  den  folgenden  beiden  von  Haupt  nicht  aufgeführten:  326  und  in  be- 
gunde  twingen  diu  minne  vaste  unde  genuoc  die  er  zuo  der  magede  truoc, 
er  gedäht  an  Kaedhien\  367  und  er  Tristandes  ernest  sach,  gar  sinnec- 
Uch  er  jach.  Ein  solches  temporales  unde  finde  ich  noch  bei  Wolfram 
Wh.  58,  13  den  marcräven  dähte  gröz  ir  kraft,  und  er  si  reht  ersach 
{und  hat  zwar  nur  K,  aber  das  sinnlose  wan,  wand  Imnt  gegen  do  op 
muss  wol  aus  und  entstellt  sein.)  Mit  diesem  seltenen  gebrauche  von 
und  ist  durchaus  nicht  zu  vermengen  die  allgemein  im  mhd.  übliche  Ver- 
wendung desselben  als  ersatz  für  relative  pronomina  sowol  wie  adver- 
bia,  wobei  immer  das  entsprechende  demonstrativum  wirklich  ausge- 
drückt werden  und  zwar  vorangehen  muss,  z.  b.  dar  nach  und  er  also 
gesaz  Boner  91,  23,  vgl.  die  beispiele  im  mhd.  wb.  III,  185.  Temporal 
ist  und  auch  aufzufassen  an  der  von  Haupt  angeführten  stelle  ans  dem 
Tanhauser  MS.  2,  60»,  wenn  es  nicht  vielleicht  noch  anders  zu  nehmen 
ist.  Es  hcisst  dort:  dd  ich  die  schoene  Srest  sach,  si  dÜhte  mich  sd 
minnenclich  daz  ich  mich  ir  für  eigen  jach ;  und  ich  ir  also  nähe  kam 
daz  ich  ir  bot  den  nunen  gruoz  und  si  mm  rehte  war  genam,  dd  wart 
mir  aller  sorgen  buoz.  Man  könnte  vielleicht  und  als  einfache  copula 
anknüpfend  an  den  Vordersatz  mit  dd  auffassen;  tür  das  dazwischen- 
treten eines  hauptsatzes,  wie  es  dann  statthaben  würde,  finden  sich  auch 
sonst  beispiele.    Es  bleiben  nur  drei  stellen   übrig,   in  denen  und  als 


CONDITIONALSAEITJE  BEI  WOLFRAM.  49 

bedingungspartikel  gefasst  werden  kann^  und  auch  an  diesen  ist  diese 
auffassang  nicht  völlig  sicher.  Aehnlich  wie  in  der  stelle  beim  Tan- 
hanser  könnte  und  als  copola  getasst  werden  Gottfr.  v.  Neif  8^  14  ff.: 
rvolde  mir  diu  hire  sende  sorge  ritig en,  daz  naeme  ich  für  der  vögele 
sanc  und  für  der  bluomen  schin;  und  si  nach  miner  Ure  mochte  fröide 
bringen  mir,  sd  waer  min  trüren  kranc  und  wolte  in  fröiden  sin.  Gottfr. 
y.  Neif.  22,  29  und  MSH.  3,  27  verdient  Haupts  construction  jedenfalls 
von  Seiten  des  sinnes  den  Vorzug  vor  einer  andern  allenfalls  denkbaren. 
Es  ist  somit  der  gebrauch  von  und  als  temporaler  wie  als  hypothetischer 
conjnnction  ein  sehr  eingeschränkter.  Da  wo  und  die  Wortfolge  der 
frage  nach  sich  hat,  ist  das  hypothetische  Verhältnis  eben  durch  diese 
folge  ausgedrückt,  nicht  durch  die  conjnnction,  die  hiertür  unwesentlich 
ist,  was  sich  am  klarsten  daraus  erkennen  lässt,  dass  sie  auch  vor  be- 
dingungssätzen ,  die  mit  oh  eingeleitet  sind,  steht,  vgl.  mhd.  wb.  III, 
t84i>.  38.  Es  hätten  daher  1  und  2  in  eins  zusammengezogen  werden 
können  mit  aussonderung  der  wenigen  zuletzt  angeführten  falle.  Beide 
sind  aus  der  directen  frage  hervorgegangen.  Danach  werden  des  Ver- 
fassers ausführungen  in  $  7  zu  modificieren  sein.  H.  Paul. 


INDEX. 

lieber  den  begriff  *  conditionalperiode'  und  die  trenn ung 

des  logischen  Verhältnisses  vom  grammatischen     .    §  1. 

I. 

Die  einfacheren  formen  des  bedingungssatzes   .'.•§§  2—19. 

A.    Verhältnis  der  sfitze  zu  einander       §§  2—14. 

1)  a.   Apodosis    und  protasis  werden  einander  bei- 

geordnet        §  2. 

b.   die  Wortfolge  das  erste  mittel  den  nebensatz 

zu  bezeichnen §  3. 

2)  Die  protasis  wird  der  apodosis  untergeordnet  .    .  §§  4 — 14. 

Die  Unterordnung  wird  gekennzeichnet 

a.  nur  durch  den  modus  (conj.)  mit  der  negation  §  4. 

b.  durch  das  relativum §  5. 

c.  durch  conjunctionen §§6—12. 

a.  unde     .    .    .    .    , §  7. 

ß.  daz §  8. 

y,  wandaz §  9. 

ö.  so §  10. 

e,  sfvenne §  lt. 

IC,,  oh §  12. 

d.  die  nähere   Zusammengehörigkeit    der   beiden 
teile  der  conditionalperiode  wird  bezeichnet 

a.    durch  das  an  die  spitze  des  hauptsatzes 

tretende  pronomen  demonstrativ.    §  13. 
ß.   durch  Partikeln  und  conjunctionen    §  14. 

Beltr^e  nur  ^cäuhiulite  der  dcutkohen  spräche.   V.  4 


50  EBBE  -^  OONDITIONALSAETZE  BEI  WOLt'RAM. 

B.  Tempora  und  modi §  t5. 

1)  Im  bedingungssatz  steht 

a.  der  ind.  praes §  t6. 

b.  der  ind.  praet •  §  17. 

c.  conj.  praes §  18. 

d.  conj.  praet §  19. 

2)  consecntio  temporum  bei  abhängigem  Verhältnis   .  §  20. 

C.  Stellunsr  der  sitze  zu  einander §  21. 

n. 

Besondere  eigentttmlichkeiten  der  conditionalen  periode. 

A.  Ein  glied  der  periode  enthält  mehrere  sätze 

1)  der  bedingende  teil: 

a.  formal §  22. 

b.  auch  dem  Inhalt  nach §  23. 

2)  der  bedingte  satz      §  24. 

B.  Ein  glied  der  periode  ist  verkürzt  oder  fehlt 

und  ist  zu  ergänzen 

1)  der  bedingende  satz  ist 

a.  verkürzt §  25. 

b.  ausgelassen §  26. 

2)  der  bedingte  teil  ist  verkürzt  oder  zu  ergänzen    §  27. 

HALLE.  M.  ERBE. 


/ 


UEBER  DIE  SUBSTANTIVISCHE  ANWENDUNG 

DER  BILDUNGEN  MIT  -Ith  IN  DER  BEDEUTUNG 

'JEDER'  BIS  ZUM  11.  JAHRH. 


iJrimm  hat  in  der  d.  gr.  II,  569  und  III,  53  über  die 
construction  der  mit  tih  zusammengesetzten  wöi*ter  nicht  er- 
schöpfend gehandelt,  auch  gibt  er  über  diesen  gegenständ  nicht 
durchaus  richtiges.  Erdmann,  Unters,  über  die  syntax  d.  spr. 
Otfr.  II,  154,  beschränkt  sich  darauf,  auf  Grimm  zu  verweisen. 
Die  folgende  Untersuchung  stellt  sich  zur  aufgäbe,  die  ange- 
gebene construction  nach  allen  selten  hin  zu  erläutern. 

Da  der  adjectivische  gebrauch  sich  nicht  von  dem  anderer 
adjective  unterscheidet,  so  werde  ich  im  folgenden  nur  die 
substantivischen  bildungen  mit  Jxh  behandeln. 

Das  einfache  ^h  in  der  bedeutung  'jeder'  ist  nicht  denk- 
bar; wo  es  dennoch  vorzukommen  scheint,  müssen  wir  uns 
nach  einer  andern  erklärung  umsehen;  es  wird  weiter  unten 
YL  davon  die  rede  sein.  Die  einfachste  vorkommende  form 
ist  getih^  allein  ich  bemerke  im  voraus,  dass  diese  form  nur 
iu  Verbindung  mit  einem  genetiv  vorkommt,  während  es  allein- 
stehend eine  Weiterbildung  durch  den  zusatz  eo  verlangt.  Die 
übrigen  bildungen  mit  tih  stimmen  in  der  construction  mit 
geJüh  überein,  und  deshalb  sind  sie  in  der  nachfolgenden 
Sammlung  in  gleiche  reihe  mit  getih  gestellt,  jedoch  sind  die 
citate  ftlr  das  letztere  durch  einen  ^  ausgezeichnet 

Es  ergeben  sich  nun  folgende  sieben  constructionen  von 
geJih  und  seinen  compositis: 

L    ohne  abhängigen  genetiv; 
IL    ohne  abhängigen  genetiv,  mit  folgendem  relativ; 

4* 


52  HENRICI 

III.  mit  abli.  gen.  eines  pronomen; 

IV.  mit  abh.  gen.  eines  substantivum; 

V.  im  plural  mit  abh.  gen.  eines  plural; 

VI.  uneigentlicbe  composition  mit  -ßÄ; 

VII.    adverbiale  bestimmungen  des  ortes   und  der  zeit,  ge- 
bildet mit  geiih, 

L    Obne  abhängigen  genetiv. 

A.   masc: 

Ich  l'isse  zunächst  die  belege  folgen: 

a)  nom.:  m  drostet  iuih  in  thiu  thing ,  thaz  iageHh  ist 
ediling.  Otfr.  I,  23,  45  (Kelle);  I,  23,  58;  I,  24,  3;  II,  2, 
10;  II,  3,  66;  II,  8,  25;  II,  8,  32;  II,  9,  22;  II,  23,  25;  III, 
5,  8;  III,  15,  51;  III,  17,  42;  III,  17,  44;  III,  17,  45;  III, 
17,  47;  III,  22,  40;  IV,  6,  39;  IV,  15,  52;  IV,  16,  54;  V, 
4,  11;  V,  4,  57;  V,  6,  33;  V,  9,  53;  V,  11,  44;  V,  11,  49; 
V,  20,  109;  V,  23,  294;  Psalm  (Heinzcl  u.  Scherer)  XI,  3; 
XXVIII,  9;  Symb.  apost.  (Heinz,  u.  Scher.)  1;  Summa  theol. 
29,  9;  Capell.  (Haltern.)  351b;  370  a;  Weissenb.  cat;  Tat. 
(Siever^)  119,  13;  Notk.  cat.;  Boeth.  (Graff  nach  selten)  6; 
12;    102;    103;    Beow.   (Grein)   874;   987;  984;  1165. 

b)  acc:  enen  gewiltken  nd.  glaube  (MüUenhoflf) ;  Otfr.  I, 
27,  50;  UI,  6,  23. 

c)  dat.:  vone  diu  gihit  tiu  natura  iogeRchemo  Boeth.  153; 
220;  Psalm  XXII,  15;  XXXVI,  6;  CHI,  16. 

Die  o))liquen  casus  des  masc.  treten  an  zahl  auffällig 
gegen  den  nom.  zurück.  Dieser  hat  bei  Otfr.  unter  27  fällen 
23  mal  keine  ilexionsendung,  während  sich  in  den  übrigen 
Schriften  das  Verhältnis  umkehrt:  flectiert  zu  unflectiert  verhält 
sich  ungefähr  wie  10:4.  Zu  Tatian  119,  13  inti  uuartta  io- 
giuuetih  in  sin  hüs  et  reversi  sunt  unusquisquc  in  domum  suam 
bemerke  ich,  dans  unusquisque  sonst  häufig  durch  das  zusam- 
mengesetzte ei7iero  giuueiiJi  ausgedrückt  wird.  Mit  dem  aiiikel 
ein  findet  sich  der  nom.  nur  in  der  summa,  der  acc.  im  nd. 
gL,  der  dat.  zweimal  in  den  Psalmen.  Der  gen.  kommt  allein- 
stehend gar  nicht  vor.  Es  sind  noch  zwei  fälle  hinzuzufügen, 
wo  iogelih   im    plural   steht:    Capell.  294b   iogeltche   durh   sih 


BILDUNGEN  MIT  -ßÄ,  53 

sunder igo  sdzen  und  Wessobr.  gl.  u.  b.  (Denkm.  XCV)  iegeJüchen 
als  dat.  Die  beschränkte  anwendung  des  plur.  erklärt  sich 
daraus ;  dass  schon  die  form  des  sing,  eine  mehrheit  in  sich 
schliesst 

Eine  eigentümliche  eigenschaft  der  bildungen  mit  Wi  ist 
ihre  fähigkeit,  einero  und  allero  als  Verstärkung  zu  sich  zu 
nehmen.  Tat  80,  3  thaz  iro  einero  ghiueUh]  99,  5;  176,  3; 
95,  5;  67,  15;  90,  6.  Dass  hier  nur  eine  Verstärkung  vor- 
liegt —  und  so  erklärt  es  Graflf  ahd.  spr.  II,  109  a  und  Sievers 
im  glossar  zu  Tat.  —  geht  klar  hervor  aus  allero  giuuelih  /on 
iu  Tat.  67,  15.  Wenn  gelih  mit  dem  zusatz  allero  *  jeder  von 
allen'  bedeutete,  so  könnte  nicht  /bw  iu  hinzugefügt  virerdeil. 
Vielleicht  ist  llbrigens  die  tatianische  Verstärkung  durch  einero 
bei  giuuelih  vireiter  nichts,  als  eine  nachahmung  des  ags.  änra 
gehwylc  (Grein,  Sprachsch.  I,  31,  Lye  s.  v.  änra). 

B.    nentr.: 

a)  nom.:  xarfjy.  (Hatt.)  404  b  uuanda  man  zeigdn  mag 
uuar  iogeRchez  liget. 

b)  dat :  Notk.  v.  d.  mus.  (Hatt)  587  b  daz  an  iogelichemo 
(L  e.  aiphabet)  si  diapason, 

c)  nom.  plur.:  Tat.  240,  1  oha  thiu  alliu  giscribaniu  vvur- 
din  suniringon  giuueRchiu, 

d)  verstärkt  durch  einero:  Tat.  45,  4  thar  uuärim  steinmu 
uuazarfaz  sehsu  giseziiu  afier  sübernesse  thero  lüdedno  thiu  bi- 
haben  mohtun  einero  giuuelih  zuei  mez  odo  ihriu. 

In  Tat  240,  1  ist  suniringon  giuueHchiu  die  Übersetzung 
von  per  singula,  und  so  der  plur.  als  nachahmung  des  lat  er- 
klärlich. 

C.   fem.: 

a)  nom.:    Capell.  344b  iogeHchiu  dia  andara. 

b)  acc:  Bas.  rec.  (Denkm.)  zuä  flasgün  umnes,  deo  uurzi 
ana  zi  ribanne:    eogiuuelihha  suntringün. 

Das  fem.,  nur  zweimal  im  nom.  und  acc.  vorkommend, 
hat  die  flexion  bewahrt  Das  erste  beispiel  iogeHchiu  dia  andara 
zeigt  ein  reciprokes  verhältüis,  wie  gr.  aXXrjXov,  Das  zweite, 
eogiuuelihha  suntringün,  bedeutet  unam  quamque  per  se. 


54  HENRIGI 

IL  Ohne  abhängigen  gen.,  mit  folgendem  relativ. 

a)  nom.  masc:  thaz  iogiuuelxh,  ther  sih  gibtlgh  zi  stnemo 
briioder,  ther-  ist  sculdig  duomes  Tat.  26,  2;  28,  1;  42,  1; 
87,  4;  118,  3;  135,  15:  143,3;  171,3;  194,7;  Psalm  CXVIII, 
U  153;  CXVin,  ß  135. 

b)  dat.  masc:  iogiüchemo,  ihemo  Tat.  108,  6;   149,  8. 

c)  neutr.:  Tat  167,  1  iogiuuelikaz,  thaz, 

d)  verstärkt  durch  allero:  allero  giuueHh,  ihie  hitit  inphä- 
hit  Tat  40,  5;  43,  1;  43,  2;  44,  21;  131,  14;  198,  1;  VU 
Matth.  XIII,  7  (Endl.  u.  Hoffmann  2.  aufl.). 

Es  findet  sich  in  dieser  classe  nur  das  masc.  und  neutr. 
Der  nom.  sing.  masc.  ist  zweimal  in  den  Psalmen  mit  dem 
unbestimmten  artikel  versehen.  Verstärkung  durch  cdlero  hat 
nur  im  Tat  und  einmal  im  Matth.  statt 

IIL    Mit  abhäng.  gen.  eines  pronomen. 

Wenn  geüh  mit  dem  genetiv  eines  pronomen  oder  substan- 
tivum  verbunden  ist,  so  nimmt  es  stets  das  genus  des  ab- 
hängigen gen.  an. 

A.  masc:  dero  iogelih  habet  mm  kenermida  Notk.  cat;  Boeth. 
8;  133;  Otfr.  IV,  7,  45;  V,  25,  65;  Tat  29,  2;  151,  4;  Psalm 
CXI,  5;  CXXXVIII,  19;  Tat  103,  4.  Es  kommen  vor  die 
abhängigen  genetive  dero^  iuer,  iro,  sulichero,  und  zwar  vor- 
gestellt; jedoch  bei  dem  durch  einero  verstärkten  giuuetih  Tat 
103,  4  ist  iuuar  nachgestellt 

B.  neutr.:  also  ouh  an  den  liden  sunderhigiu  geba  ist 
iro  iogeUches  Psalm  XXXII,  15;  Boeth.  166;  131;  216.  Der 
abhängige  gen.  ist  stets  vorgestellt. 

G.  fem. :  dar  iogelichiu  iro  (i.  e.  musarum)  rarta  hechndia 
GapelL  285  b;  Boeth.  8;  Capell.  276  b.  Zu  bemerken  ist  das 
erste  beispiel,  welches  ausnahmsweise  einen  nachgestellten 
gen.  zeigt 

IV.    Mit  abhäng.  gen.  eines  substantivum. 

A.    masc. 

1)  a.  nom :  scal  manno  giHh  fona  deru  moltu  arsten  *Musp. 
81;  *Rithm.  teut  50;  Otfr.  II,  8,  47;  AUerh.  (Denkm.  LXX); 
Hei.  2593;  2733;  3875;  4589;  4597;  Beow.  9;  1104;  2887; 
266;  985;  1166;  1673;  2215;  2233;  Otfr.  U,  19,  12. 


BILDUNGEN  MIT  M.  55 

b,  acc;  iogeRchen  dero  uerlornon  Boeth.  26;  Hei.  352; 
3189;  Beow.  936;  2250;  2516;  148. 

c  dat:  unde  iogelichemo  sifiero  keloübegen  Psalm  CI,  1; 
HeL  907;  1700;  1714;  1750;  1963;  2036;  2490;  4378;  4775; 
Beow.  3057;  1050;  2891;  412;  768;  784  u.  ö. 

d.  gen:  Isid.  (Holzm.)  43 ,  22  in  isaies  buohhum  eo  cht- 
Tiuueliihhes  dero  heideo  sundric  tindarscheit]  Hei.  2880;  3200; 
4116;  Beow.  2053;  2224;  732;  1396. 

e.  nom.  masc.  mit  abhäng.  gen.  sing:  ihat  mitie  menebos 
manhmnies  gehtvilik  Hei.  1505;  4050. 

2)  verstärkt  durch  allero. 

a.  nom:  ni  allero  manno  kiHh  ze  demo  mahale  sculi  Musp.  34; 
Freis.  pater  nost;  Ezzo  5,  1;  exhort.  ad  pleb.  ehr.;  Hei.  1418; 
1537;  1754;  2050;  2065;  2616;  2618;  3216;  4250;  4377. 

b.  dat:  pi  diu  ist  dürft  mihhil  allero  manno  uuelihhemo 
Musp.  18;  Freis.  pat.  nost 

Auffällig  zahlreich  bieten  sich  die  beispiele  aus  Hei.  Nur 
einmal,  bei  Otfr.,  ist  der  nom.  fleotiert.  Der  abhängige  gen. 
ist  überwiegend  vorgestellt,  etwa  im  Verhältnis  von  6:1. 
Bemerkenswert  sind  die  beiden  stellen  aus  HeL,  wo  gehtvilik 
mit  dem  gen.  sing,  verbunden  ist,  das  zweite  auch  deshalb 
noch,  weil  das  verbum  dem  sinne  nach  construiert  im  plur. 
steht.  Verstärkung  durch  allaro  findet  sich  besonders  oft  im 
Hei.  Auf  Grimms  falsche  erklärung  von  thegeno  geHhy  Rithm. 
teut,  weist  schon  Graff  ahd.  ahd.  spr.  II,  112,  hin. 

B.    neutr. 

dara  scal  queman  chunno  kiUhhaz  *Musp.  32;  Beow.  2433; 
*de  Heinrico;  *Otfr.  I,  18,  5;  Hei.  5255;  Beow.  2608;  HeL  1343; 
Beow.  2094;  HeL  1463;  4155;  Beow.  98;  1090.  Verstärkt  durch 
allero:  Musp.  92;  HeL  975;  1412;  3852;  VIIIMatth.l7;  HeL1690. 

Der  gen.  ist  hier  stets  vorgestellt  Zu  chunno  kiUhhaz 
Musp.  32  bemerke  ich  folgendes:  es  ist  mir  kein  beispiel  in 
der  altdeutschen  literatur  vorgekommen,  wo  der  abhängige 
genetiv  von  geHh  getrennt  ist  Die  Umstellung  Denkm.  III, 
dara  scal  chunno  queman  io  kiHhhaz,  wo  io  conjectur  ist,  er- 
gibt sich  also  als  eine  syntactische  Unmöglichkeit,  besonders, 
da  durch  die  cäsur  eine  noch  stärkere  trennung  hervorgebracht 
wird.     Dichterische   lioenz   kann   ebenfalls   nicht   zugegeben 


56  HENIUCI 

werden,  da  sich  auch  im  Hei.  und  Beow.  kein  analogon  da- 

ftir  findet 

C.    fem. 

a.  acc.  daz  er  rahhöno  uuetihha  rehio  arteile  Musp.  64 ; 
69;  Hei.  56;  Beow.  1705. 

b.  dat:  mi  dero  mAzon  iogelichero  sint  zuei  frontes  Gapell. 
322  b;   de  vocat.  gent.;   Beow.  806. 

c.  Verstärkt  durch  allaro:  tho  let  hi  thai  tverod  thanan  an 
alloro  haWa  gehrvillka  HeL  1987. 

Das  fem.  tritt  äusserst  selten  in  der  angegebenen  con- 
struction  auf;  der  abhäng.  gen.  ist  stets  vorgestellt.  Das  citat 
aus  dem  Heliand  halte  ich  für  hierhergehörig,  da  ich  nicht  den 
grund  einsehe,  aus  welchem  Heyne  im  gloss.  zu  Hei.  gihwilika 
als  acc.  plur.  auffassen  will. 

Ich  komme  hier  nochmals  auf  die  von  Sievers  angeregte, 
von  Emil  Henrici,  z.  gesch.  d.  mhd.  lyrik  s.  63  aufgenommene 
und  im  anz.  f.  d.  alt.  II,  147  kritisierte  frage  über  Denkm.  VIH 
zurück.  Einfaches  giRh  mit  abhäng.  gen.  kommt  vor:  Musp.  81 : 
scal  mamw  gilih  fona  dem  moltu  arsten\  Rithm.  teut.  50:  ihär 
faht  ihegeno  gelih  nichein  soso  Hluduxg\  Musp.  34:  m  allere 
manno  kilih  ze  demo  mähale  sculi\  Musp.  32:  dara  scal  quetnan 
chunno  kilxhhaz ;  de  Heinr :  cid  non  fecisset  Heinrich  allere  rehto 
gilih]  Otfr.  I,  18,  5:  Thoh  mir  megi  lidolth  sprechan  uuorto 
giUh.  Für  den  acc.  fem.  habe  ich  keine  belege  aufgefunden, 
wir  müssen  daher  die  andern  composita  bei  der  fraglichen  Über- 
setzung zu  rate  ziehen;  und  da  zeigt  sich  denn  acc.  fem. 
-lihha:  rahhöno  uuelihha,  thiodö  gehwilika,  peöda  gehwylce, 
erdno  gilih  ist  also  tatsächlich  unmöglich,  da  gelih  stets  das 
genus  des  abhängigen  gen.  hat,  und  da  der  acc.  sing.  fem.  der 
pronominalen  declination  im  ahd.  durchaus  flectirt  ist  erdno 
gilih  als  compositum  hinzustellen  ist  auch  nicht  möglich,  da 
auch  bei  der  composition  mit  -lih,  wo  dieselbe  bei  femininis 
vorkommt,  die  flexionsendung  des  acc.  erhalten  ist,  so  gloss. 
Ker.  160b:  in  /erd)iolihha,  200  a:  in  feranolihha.  Die  alte 
spräche  scheint  überhaupt  vor  der  Verbindung  eines  fem.  mit 
gelih  eine  scheu  gehabt  zu  haben;  denn  erst  bei  Notk.  und 
in  der  Bamb.  beichte  findet  sich  dieselbe  einige  male  wider 
(siehe  unten) ,  so  jedoch,  dass  die  genetivendung  verstümmelt 
und  stets  die  Verstärkung  allere  hinzugefügt  ist    Eine  ausnähme 


BILDUNGEN  MIT  -Ith.  57 

bilden  nur  einige  adverbiale  bestimmungen  der  zeit  und  des 
ortes,  z.  b.  in  ziteHh,  in  aller  stetegelich,  bei  welchen  das  be- 
wustsein  für  das  ursprüngliche  genus  leicht  verschwinden 
konnte  (siehe  unten).  Das  im  anz.  f.  d.  alt  aao.  angezogene 
in  zitelih  oder  gar  ein  mhd.  citat  ist  daher  nicht  geeignet,  die 
richtigkeit  von  eröno  gilih  zu  beweisen.  Es  kann  vielmehr 
nicht  geleugnet  werden,  dass  Haupt  einen  grammatischen 
fehler  gemacht  hat,  und  dass  somit  Denkm.  YIII  nicht  in  die 
ahd.  literatur  gehört.  Wenn  Steinmeyer  etwa  noch  ein  neu- 
trum  erönolih  an  der  fraglichen  stelle  vorschlagen  wollte,  so 
wäre  es  seine  sache,  dafür  aus  dem  8.  jh.  belege  zu  finden; 
ich  kann  solche  nicht  nachweisen,  halte  aber  das  schon  auf- 
geführte in  ferdnoHhka  für  einen  positiven  gegenbeweis. 

Y.    Im  plural  mit  abhäng.  gen.  eines  plural. 

a.  acc.  plur.  neutr.:  xar.  411b  tero  sibin  quantitatum  ioge- 
Rcho  chii  man  ebenmichel  unde  uneben  michel. 

b.  dat.  plur.  masc:  kuningo  gihwilikun  hemsitteandiun  Hei. 
342;  1008;  1020;  1113;  1618.  Der  plural  findet  sich  also  im 
HeL  ziemlich  häufig,  selten  im  hd.,  wegen  der  schon  oben  be- 
tonten pluralbedeutung  des  sing,  yongetih.  In  den  xar.  411b 
muss  iogelxcho  als  neutr.  plur.  genommen  werden,  wenn  man 
nicht  etwa  einen  Schreibfehler  statt  iogeHcha  annehmen  will.  — 
Der  gen.  ist  stets  vorgestellt 

VI.    Uneigentliche  composition  mit  -Ith. 

Der  umstand,  dass  bei  einigen  der  composita  -lihy  bei 
andern  gelih  den  zweiten  bestandteil  bildet,  gewährt  uns  einen 
fingerzeig,  wie  man  sich  diese  Wörter  entstanden  denken  muss. 
Sievers  bemerkt  mir:  ^Hh  in  der  bedeutung  von  gallh  existiert 
nur  in  der  einbildung  älterer  lexicographen  und  grammatiker. 
lih  heisst  nur  'körper*,  'äusseres*,  und  gaHh  also  Masselbe 
äussere  habend*;  das  ga  ist  unbedingt  notwendig  ftir  das  Zu- 
standekommen des  adjectivbegriffes,  (s.  Zimmer,  NominalsufiP.  a 
und  d  S.  231  f.).  Auch  die  scheinbaren  composita  sind  also 
als  gelih  mit  vorhergehendem  genetiv  zu  betrachten.  Bei  der 
Verschmelzung  der  beiden  bestandteile  ist  jedoch  schon  früh- 
zeitig Verstümmelung  eingetreten:  bald  ist  die  vorsilbe  gi  ge- 
schwuuden,  bald  die  genetivendung  verstümmelt,  bald  auch  bei- 


58  HENRICI 

des   ciTigetreten.     So    begegnen    nebeneinander    die    formen 
mannogelih^  mannigühy  mannilih  u.  8.  w. 

A.    masc.  und  nentr: 

1 .    mannolih. 

maymolih^  mannilih,  mannicRhy  mannelih,  mannaRhy  mennisgKh^ 
mangelih  »ind  die  vorkommenden  formen. 

a)  nom.:  mannolih  Paalm  CIII,  23;  Otfr.  I,  6,  15;  I,  23, 
12;  m{ii  fp/i.495b;  496a;  519b;  525b;  Boöth.  88;  109;  113 
mannilih:  Otfr.  prol.  ad.  Lud.  31;  I,  3,  40;  I,  23,  8;  I,  23,  59 

II,  2,  9;  II,  4,  76;  II,  17,  24;  II,  18,  15;  HI,  6,  44;  III,  9,  7 

III,  21,  23;  IV,  13,  9;  V,  1,  18;  V  1,  24;  V,  1,  29;  V,  1,  36 
V,  1,  41;  V,  l,  47;  V,  12,  19;  V,  19,51;  mannicRh:  NotL  cat 
Psalm  II,  12;  L,  19;  CXII,  1;  CVIII,  C,  20;  CXVIII,  G,  55 
CXLIV,  21;  mannelih:  Notk.  cat;  mammHh:  Otfr.  V,  7,  54 
momisglxh:  Bamb.  gl.  u,  b.;  iro  mannolih:  Boeth.  102;  ailer 
metmisglth  Bamb.  gl.  u.  b.;  aller  mangelih  Alem.  gl.  u.  b. 

1))  aco.:  mamiolichen  Boeth,  \\%\  HO;  192;  manniRchan: 
Otfr.  II,  12,  16;  mamüctichen:  Psalm  CXVIII,  E,  39;  mannigR- 
chon  psalm  IX,  9. 

c)  gen.:  mamioRches:  Boeth.  08;  78;  269;  manniliches: 
(Hfr.  I,  18,  31;  III,  20,39;  mannigliches:  Psalm  XL VIII, 
20;  manniclichcs :  Psalm  CXLV,  2. 

d)  dat:  mannolkhemo:  Boeth.  206;  217;  254;  Capell.  340a; 
manniilichemo:  Psalm  VII,  12;  CXIV,  5;  CXVIII,  A3;  CXXVII, 
3;  CXXIX,  3;  ma^menchemo:  Cai)ell.  304  b. 

Das  wort  mannolih  ist  ganz  übergegangen  zu  der  bedeu- 
tung  von  iogeiihy  wie  Boeth.  102  zeigt,  wo  dem  mamwHh  ein 
abhängiger  gen.  iro  vorgesetzt  ist  Otfrid  gebraucht  überwie- 
gend die  form  mannilihy  einmal  mannaiihy  sonst  auch  mannolih] 
die  psalmon  haben  fnamucHh^  nur  einmal  fnannolih.  Ausser 
der  vi>oalauuhnelung  zu  /  findet  sieh  Schwächung  zu  e  bei 
Notker«  einmal  die  form  map^geHh  Alem.  gl.  u.  b.,  wo  die  silbe 
-no  ausgefallen  ist  Verstärkung  durch  ailero  findet  nur  im 
nom.  statt  Die  form  fnennisglih  Bamb.  gl  u.  b.  ist  entstanden 
aus  ursprünglichem  mirfmis^cono-gelth.  und  man  hat  als  zwischen- 
fornu  analog  dem  mtMgriih.  ein  meHiüsca-geÜh  anzunehmen,  aus 
wolohom  nach  al>ormaligem  ausfall  des  o  unsere  form  ent- 
fttandeu  ist 


BILDUNGEN  MIT  4th.  59 

Was  Grimms  bemerkung  a.  a.  o.  betriflft,  nach  welcher 
die  obliquen  casus  nur  selten  auftreten,  so  gibt  die  Zusammen- 
stellung doch  ziemlich  zahlreiche  belege,  auch  führt  Grimm  die 
form  mannicRch  nicht  auf.  Ich  will  noch  erwähnen  Otfr.  proL 
ad  Lud.  9  mannogiRh,  wo  die  aneinanderfligung  der  bestand- 
teile  noch  kaum  composition  genannt  werden  kann.  Sämmt- 
liche  obliquen  casus  haben  ihre  flexionsendung  bewahrt 

2)  dingolth,  dingelth,  tingolth. 

a)  nom.:  Boeth.  216;  286;  :jteQl  tgii.  475b;  xar. 
449  a;    379  b. 

b)  acc.:  CapelL  340a;  Boeth.  105;  152;  213;  219; 
245;  252. 

c)  gen.:    Boeth.  148. 

d)  dat.:    xegl  sq/i.  470b;  523  a. 

Verstärkt  durch  allero: 

a)  nom.:    Boeth.  107;  154;  210. 

b)  acc:    Boeth.  151;  264;  xar.  391a;  403a. 

c)  gen.:    Boeth.  72;  81;  93;  156. 

dingolth  kommt  nur  bei  Notker  vor,  überwiegend  im  Boeth. 
Zweimal  in  den  xar.  ist  das  o  zm  e  geschwächt.  Auch  hier 
sind,  entgegen  Grimms  aufstellung,  die  casus  zahlreich  ver- 
treten. Die  Verstärkung  durch  allero  ist  fast  ebenso  häufig, 
wie  das  einfache  dingolih.  Die  flexion  der  casus  ist  mit  aus- 
nähme des  acc.  erhalten. 

3)  guotelth 

und  guaiigilich.  Das  wort  findet  sich  ohne  Verstärkung  bei 
Otfr.  II,  7,  47;  durch  allero  verstärkt  xegl  bq/i.  525  b  und 
psalm  XLIX,  7.  Die  flexion  ist  mit  ausnähme  des  acc 
erhalten. 

4)  friuntillh 

begegnet  nur  bei  Otfr.  V,  1,  30;  V,  1,  35;  V,  1,  42;  V,  1,  48; 
y,  4,  3,  und  auch  hier  nur  im  nom. 

5)  rehtollh. 

Notk.  v.  d.  vern.  543  b  allero  rehtoHh  zimig.  Hierher  kann 
man  auch,  falls  man  es  als  compositum  auffassen  will,  de 
Heinr.    cui  non  fecisset  Heinrich  allero  rehio  gilich   rechnen. 


60  HENRICI 

Die  vorstehende  stelle  aus  Notk.  zeigt  übrigens,  dass  -Hh  in 
der  bedeutung  durchaus  mit  al  synonym  ist;  es  geht  dies  her- 
vor aus  den  gleich  folgenden  werten  a.  a.  o.  546  a:  omne 
iustum  honestum:  alliz  reht  zimiiih]  omne  iustum  bonum,  allez 
reht  cuot. 

6)  strltollh.  —  Capell.  339  a  verstärkt  durch  allero. 

7)  teilelih.  —  Boeth.  135  und  256. 

8)  uuegellh  —  Psalm  XXXV,  5  im  dat. 

9)  dieticllh  —  Psalm  CXLVII,  20  im  dat. 

10)  gotellh.  —  Capell.  370  b  verstärkt  durch  allero, 

11)  boumelih  —  Boeth.  153;  Psalm  CIV,  33  boumegHh. 

12)  criutelih.  —  Boeth.  153. 

13)  rossellh  —  Psalm  XXXI,  9. 

14)  wewigellh.  —  Himm.  u.  höU.  156  verstärkt  durch  aller. 

15)  sangollh.  —  Notk.  v.  d.  mus.  587  b. 

16)  leidogillh.  —  Otfr.  V,  23,  218. 

17)  tierllh.  —  Boeth.  206  verstärkt  durch  allero. 

18)  lidoUh.  —  Otfr.  I,  18,  15. 

19)  ubelolih.  —  Boeth.  226  verstärkt  durch  allero. 

Von  den  gegebenen  stellen  sind: 

nom 64 

acc. 24 

gen 15 

dat 14 

Die  obliquen  casus  zusammen  kommen  an  zahl  also  dem 
nom.  annähernd  gleich.  Verstärkung  durch  allero  findet  im 
Verhältnis  von  1 :  5  statt;  mannoHh  hat  nie  ein  allero  bei  sich. 

B.  fem.: 

1)    säldolth. 

Boeth.  231  und  229,  beide  male  durch  allero  verstärkt 
Der  erste  der  angeführten  belege  bietet  eine  Schwierigkeit. 
Dass  Notk.  säldolth  gemäss  seiner  Zusammensetzung  als  fem. 
behandelt,  geht  aus  dem  zweiten  citat  hervor:  allero  säldoRh 
vuunesämiu.  Boeth.  231  zeigt  nun  die  widergabe  eines  latei- 
nischen accusativus  cum  infinitivo,  wir  sollten  also  als  subject 
in  demselben  allero  säldoHhha  erwarten.  Dass  Notker  trotz- 
dem säldolth  schreibt,  findet  nur  darin  seine  erklärung,  dass 


BILDUNGEN  MIT  M.  61 

der  acc.  c.  inf.  keine  geläufige  deutsche  construction  ist;  das 
Torliegende  säldoHh  ist  nom.,  die  ganze  construction  ein  nomi- 
natiYus  cum  infinitivo. 

2)  skandigellh. 

Himm.  u.  höU.  152  verstärkt  durch  aller, 

3)  egisillh. 
Himm.  u.  höll.  172  verstärkt  durch  aller, 

4)  uutbilih. 

Otfr.  IV,  26,  35  thaz  uuibilih  fon  im  qidt. 

Das  fem.,  nur  selten  vorkommend,  zeigt  meist  die  Verstär- 
kung durch  allero.  Ich  habe  hier  noch  eine  ganz  vereinzelt 
dastehende  anwenduug  zu  erwähnen  ßoeth.  256  unde  daz  knö- 
tesia  uueiz  st,  teileHchen  neutieiz  si]  und  ebenda:  nioman  ne 
ist  so  gehuhtig,  daz  er  alles  teileltches  sd  uuola  gehuge,  so  des 
knötesien,  ieilelih  bezeichnet  hier,  wie  aus  dem  Zusammen- 
hang hervorgeht,  ^singula*.  Notker  gebraucht  es  also  wie  ein 
substantivum  und  vergisst  bei  der  widergabe  von  'omnium 
singulorum*,  dass  der  begriff  *omnium*  schon  in  ieilelih  ent- 
halten ist. 

VII.    Adverbiale  bestimmungen  des  ortes  und  der  zeit 

gebildet  mit  -Hh. 

Sie  gehören  der  form  nach  zu  den  compositis ;  es  empfiehlt 
sich  jedoch,  sie  allein  zu  behandeln,  da  sie  bis  zum  aufgeben 
der  flexion  formelhaft  geworden  sind. 

1)    'überall  hin' 

ist  ausgedrückt  durch  in  allero  endegHh  Psalm  CIV,  31;  im 
Bamb.  gl.  u.  b.  in  aller  stetegeUch, 

2)    'nach  allen  selten' 

wird  ausgedrückt  durch  in  ferönolihha  gloss.  Ker.  160b,  200  a 

(Hattem.). 

3)  'alle  tage' 

wird  ausgedrückt:  a)  durch  den  genetiv  von  geHh  mit  vor- 
gestelltem abhängigen  genetiv  dago  Weissenb.  cat.;  Hei.  954; 
1593;  1609;  1672;  2284;  3337;  3629;  b)  durch  den  gen.  von 
geRh  mit  abhängigem  gen.  dago^  verstärkt  durch  allero.    Diese 


62  HENBICI  -  BILDUNGEN  MIT  -Wl 

Verbindung  findet  sich  nur  im  Hei  1217;  1254;  1916;  2168; 
2346;  3333;  3499;  3781;  c)  dago  xmdgeHches  sind  zu  öinem 
werte  verbunden,  wobei  die  übliche  Verstümmelung  zu  tago- 
Rhes,  dagolihesj  iageHhes  stattfindet  Diese  ausd^cksweise 
kommt  nur  bei  Notker  vor:  Boeth.  43;  49;  77;  109;  Capell. 
275a;  301b;  Psalm  VI,  8;  VII,  12;  XXIV,  11;  XLI,  4;  XLI, 
11;  CXXXV,  11;  CXLIV,  2.  Graff,  ahd,  sprs.  sagt:  UagaRh 
stebt  nur  adjectivisch  mit  folgendem  substantivum',  ebenso 
Grimm  a.  a.  o.  Diese  bemerkung  ist,  wie  das  vorkommen 
der  adverbialen  genetive  zeigt,  nicht  zutreffend.  Aus  dem 
substantivum  tagaHh  hat  sich  erst  das  adjectivum  iagatihher 
gebildet,  wie  es  z.  b.  in  der  oratio  dominica  vorkommt 

4)    'für  alle  zeit' 

wird  ausgedrückt:  a)  durch  in  mit  compositum:  m  zitegeHh, 
in  zltellh  jttQl  tQiL  486  b;  488b;  492  b;  Psalm  XXXIII,  2; 
b)  im  ags.  durch  iustrumentalis  mit  vorgestelltem  abhängigen 
genetiv:  mcela  gehrvyice  ßeow.  2057. 

5)    4n  jedem  jähre' 

wird  ausgedrückt  durch  den  geu.  von  geltch  mit  vorgestelltem 
abhängigen  gen.  jaro  geliches  Capell.  310a;  HeL  3812. 

6)    'an  jedem  morgen' 

wird  ausgedrückt:  a)  durch  genetiv  von  gelih  mit  vorgestelltem 
abhiingigeu  gen.  morgno  gehw Ulkes  Hei.  601;  b)  durch  instru- 
mentalis  von  gelih  mit  vorgestelltem  abhängigen  gen.:  tnoma 
gehtvylce  ßeow.  2450. 

7)    'in  jeder  nacht' 

wird  ausgedrückt  durch  nahiegelkhes  Psalm  VI,  7.  Man  sollte 
erwarten  nahtegelicher\  die  form  nahtegeliches  ist  wol  nach 
analogie  von  tagelichcs  gebildet,  beweist  aber  immerhin,  wie 
leicht  bei  den  adverbialen  bestimmungen,  aber  nur  bei  diesen, 
das  ursprüngliche  genus  des  hauptbestandteils  vergessen  wurde. 

BERLIN.  ERNST  HENRICL 


ZUR  ACCENT-  UND  LAUTLEHRE  DER 
GERMANISCHEN  SPRACHEN. 


IL    Die  behandlang  unbetonter  yocale. 

In  unserer  ersten  Untersuchung  (Beitr.  IV,  s.  522  ff.)  waren 
vocalsyncopierungen  einstweilen  nur  als  ein  kriterlum  für 
einstige  unbetontheit  der  betreffenden  silben  verwertet  worden. 
Es  genügte  dort,  nachzuweisen,  dass  überhaupt  einmal  irgend- 
wo syncope  eingetreten  sei.  Fragen  wir  aber  nicht  nur  nach 
den  gesetzen  des  accentes,  die  es  dort  zu  bestimmen  galt,  son- 
dern nach  der  geschichte  des  vocalismus  der  ableitungs-  und 
endsilben  überhaupt,  so  bedarf  das  Mher  gegebene  material 
noch  einer  wesentlichen  ergänzung  und  einer  sichtung  zum 
behüf  genauerer  zeitlicher  und  örtlicher  abgrenzung;  namentlich 
müssen  auch  die  vocale  unbetonter  silben  nach  kurzer 
Wurzelsilbe  nun  mit  herangezogen  werden,  die  oben  ganz 
ausser  acht  gelassen  wurden,  weil  sie  für  die  frage  nach  dem 
tiefton  nicht  direct  in  betracht  kamen. 

Es  wird  vielleicht  am  geratensten  sein,  im  anschluss  an 
das  im  vorigen  entwickelte  zunächst  die  geschicke  der  zwi- 
schen hochton  und  tiefton  stehenden  vocale  ins  äuge 
zu  fassen,  weil  deren  unbetontheit  ohne  weiteres  gesichert  ist. 
Daran  würden  sich  die  vocale  der  endsilben,  namentlich  zwei- 
silbiger Wörter,  anzuschliessen  haben,  die  nach  dem  oben  (Beitr. 
IV,  s.  526  ff.)  entwickelten  in  den  meisten  fällen  ebenfalls  für 
unbetont  zu  gelten  haben.  Endlich  wird  auch  die  behandlung 
ursprünglich  dreisilbiger  Wörter  zu  besprechen  sein,  welche 
nach  dem  vocalischen  auslautsgesetz  ihren  schlussvocal  trotz 
seiner  ursprünglichen  tieftonigkeit  syncopieren. 


64  SlEVEßS 

Wir  beginnen  mit  einer  kurzen  betraclitung  derjenigen 
Sprache,  welche  am  stärksten  mit  den  ableituugs-  und  eudungs- 
vocalen  aufgeräumt  hat,  des  nordischen. 

I.  Altnordisch. 

Hier  gilt  zunächst  die  regel,  dass  jeder  ursprünglich 
kurze  (früh  verkürzte?  s.  nachher)  unbetonte  mittel- 
vocal  in  offener  silbe  unmittelbar  vor  dem  tiefton 
schwindet,  und  zwar  zunächst  ohne  rücksicht  auf  die  quan- 
tität  der  hochtonigen  silbe.  Beispiele  (nach  dem  folgenden 
consonanten  geordnet): 

I.    Es  ist  nur  ein  mittelvocal  vorhanden  gewesen  i): 

a)  vor  /:  stur-ia,  hynd-la  C.  32  b-,  yng-lingar,  öb-Iingr  C  32»; 
die  casus  obliqui  der  substantiva  und  adjectiva  auf  -all, 
-ill,  -Uli  mit  vocalischer  endung,  C.  32  a.  33  b,  W.  §  37. 
80:  pimi'li,  eng-li,  kai-li,  jok-li]  gam-lir,  lit-lir]  neutra  wie 
öb-il,  dat.  zu  oö«/;  verba  auf  -la,  wie  hnup-la,  grip-la, 
C.  24  a. 

b)  vor  r:  die  comparative  mit  /:  dyp-ri,  frem-ri,  W.  §  86; 
die  r -casus  der  adjectiva:  blind-rar,  hlhid-ri,  blind-ra, 
mib-rar,  mib-ri,  mib-ra]  Wörter  auf -arr  und -wrr,  C.  32», 
W.  §  37:  ham-rar,  fjoi-rar\  neutra  wie  sum-ri^  verba  auf 
-ra,  wie  klif-ra,  C.  24  a. 

c)  vor  n:  verba  auf  -na  aus  -inön,  -andn,  wie  IwUna,  C. 
34  a  (zusammengefallen  mit  den  neutropassivis  auf  -wa); 
Wörter  auf  -ann,  -inn,  -unn,  C.  32  a^  W.  §  37.  80:  apt-ni, 
drött'Hij  him-7ü]  morg-ni,  jot-ni\  neutra  mag-^ii^)]  adjectiva 
und  participia  heiö-tiir,  op-nir,  gef-iür^  lyg-ixir^  feminina 
auf  -ning  wie  hluttek-ning  C.  31b, 

d)  vor  s:  feminina  auf -^a,  heil-sa,  C.  32  b;  desgl.  verba, 
hug-sa,  hrein-sa,  C.  24  a. 

e)  vor  Ö:  feminina  auf  Ö,  d,  t  aus  -iöa  :dyp'b,  maeg-Ö,  C.32b; 
neutrum    hof-bi]    sämmtliche   schwachen  praeterita   der 


*)  Mit  C.  verweise  ich  im  folgenden  auf  die  reichhaltigen  zasammen- 
stellungen  der  Oatlines  of  grammar  bei  Cleasby-Vigfüsson,  mit  W.  auf 
Wimmers  altn.  grammatik. 

^)  Entsprechende  feminina,  wie  ahd.  lugina^  sind  im  nordischen 
nicht  von  den  Verbalsubstantiven  auf  -ni-  zu  unterscheiden  (vgl.  C.  31  ^ 
unten). 


ZUR  AGCENT-  U.  LAUTLEHRE  DER  GERM.  SPRACHEN.      65 

ya-classe:    tam-ba,  äcßm-tSa   nebst  den  entsprechenden 
participien,  tam-tSr,  dosm-br  (über  talibr  etc.  s.  unten  67). 

f)  vor  ^:  adjectiva  auf  -agr,  -igr  (früh  verkürzt  aus  -igr'i\ 
'icffr,  C.  36  b,  W.  §  80  B ;  heilagr  —  hel-gir  nebst  subst 
helgi,  verb.  helga  etc.,  nautf-gir,  hgf-gir]  dazu  die  abs- 
tracta  auf  -gi,  C.  18  b,  W.  §  74,  wie  ggf-gi,  grceb-gi,  und 
die  verba  auf  -^a,  C.  24»,  wie  bl6b-ga,  synd-ga]  ferner 
feb-gin,  feti-gar,  mcetf-gin,  mceti-gur,  syst-kin. 

Femer  ist  die  Verkürzung  obligatorisch  bei  allen  ur- 
sprünglich kurzen  vocalen  in  position,  wenn  alle 
folgenden  consonanten  zur  folgenden  silbe  gezogen 
werden  können.  Dies  gilt  von  allen  mit  s  beginnenden 
endungen;  so  den  neutris  auf  -sl  vfio  pt/ng-sl,  C.  33»  und  den 
zahlreichen  femininis  auf  -sla  wie  kenn-sla^  geym-sla,  C.  31b; 
den  neutris  auf  'Sn{i)  Vfierosk-sn,  fi/ig-snif  C.  33»;  den  mascu- 
linis  auf  -str,  die  sich  an  verba  derya-dasse  anlehnen,  wie 
lem-sir  nebst  deren  ableitungen  (lemstra  verb.);  endlich  den 
adjectivis  auf  germ.  -iska-,  nord.  skr,  wie  Ban-skr,  -lendskr, 
heim-skr  C.  34 »  und  deren  ableitungen ,  namentlich  abstracten 
femininis  wie  gceti-ska,  C.  32  b  (über  -neskja  s.  unten).  In  allen 
übrigen  fällen  schützt  position  vor  dem  ausfall,  d.  h.  überall 
da  wo  das  erste  glied  ein  sonorer  laut  ist;  es  bleiben  also 
nicht  nur  die,  wie  wir  oben  gesehen  haben,  wol  sicher  tief- 
tonigen  vocale  der  bildung  auf  -m^,  -ung  nebst  ihren  verschie- 
denen weiteren  ableitungen,  sondern  auch  die  unbetonten 
vocale  der  Wörter  auf -^/«  wie  reykelsi^)  (aus  *reykisti,  vgL 
Beitr.  IV,  532,  und  die  eben  genannten  parallelbildungen  mit 
erhaltung  der  ursprünglichen  lautfolge  sl),  C.  33»;  auf  -aldi, 
'ildi  wie  digr-aldi  m.,  pykkildi  f.,  C.  32b.  33»;  auf  -am,  wie 
isam,  akam,  utidmn,  ü.  33»;  die  sämmtlichen  participia 
praesentis  und  die  ähnlichen  bildungen  auf  -endi  wie  örendi, 
und  'indi  wie  sannindi  (ohne  umlaut),  C.  33»;  die  feminina  auf 
-yr^ja  wie  vargynja. 

Die  adjectiva  2Mi  -dttr  aus  -oht  (C.  33  b)  scheinen  den  tief- 
ton auf  dieser  silbe  gehabt   zu  haben   (daher  auch   im  mhd. 


0  Wenn  nicht  diese  form,  worauf  das  e  vielleicht  hinweist,  erst  ans 
*reyk'Sli  entstanden  ist,  d.  h.  el  ursprünglich  nur  silbenbildendes  /  war. 

BeltrMice  sur  getohlclite  d«r  deutkoheii  ipnohe.   V.  5 


66  SIEVERS 

noch  oft  erhaltung  des  o).    Sie  fallen  also  nicht  mehr  unter 
unsere  kategorie. 

Ursprünglich  lange  oder  doch  erst  spät  ver- 
kürzte vocale  scheinen  zu  bleiben;  in  betracht  kommt 
aber  eigentlich  nur  6,  das  sich  teils  als  o,  teils  als  o,  u  erhält; 
zum  ersten  gehören  die  substantiva  auf  -abr  und  -naör  wie 
mänabr,  hünatir,  C.  31b  und  die  praeterita  und  participia 
praeteriti  der  verba  auf  d,  kallaba,  kallatir\  die  comparative 
und  Superlative  auf  -ari  und  -astr  und  die  feminina  auf  -an, 
C.  31  a;  zum  zweiten  die  feminina  wie  orrosta,  pjdmista,  C. 
32  b.  Durchbrochen  wird  diese  regel  allerdings  durch  die  grosse 
masse  der  schwachen  genitive  pluralis  wie  tung-na.  Da  die- 
selbe anomalie  auch  im  ags.  (und  alts.  ?)  vorliegt  (ags.  sealfode 
:tung{e)na),  so  wäre  es  nicht  undenkbar,  dass  in  diesen 
sprachen,  abweichend  vom  hochdeutschen  (Beitr.  IV,  531) 
das  6  tieftonig  gewesen  wäre.  Dann  wäre  vielmehr  der  aus- 
fall  in  offener  silbe  auch  bei  ursprünglicher  länge  das  regu- 
läre, und  wir  gewönnen  voUkommnere  Übereinstimmung  mit 
der  entwicklung  der  unbetonten  t,  deren  frühere  Verkürzung, 
die  oben  s.  65  zweifelnd  angenommen  wurde,  an  und  für 
sich  nicht  erklärlich  erscheint  Die  legel  hätte  dann  so  zu 
lauten,  dass  auch  ursprüngliche  länge  in  offener  silbe 
stets  ausfällt,  in  positiou  stets  bleibt  (also  auch  vor 
st).  Am  schwierigsten  sind  die  comparative  auf  -ari]  nach 
ags.  beorhtra  etc.  ist  man  geneigt,  bei  diesen  gemeingerma- 
nische Schlussbetonung  anzusetzen,  und  das  hätte  im  nordi- 
schen einfaches  -ri  ergeben.  Es  bliebe  noch  der  ausweg 
übrig,  beeinflussung  durch  den  Superlativ,  oder  speciell  nor- 
dische betouung  des  o  auch  hier  anzunehmen,  aber  fdr  keine 
von  beiden  deutungen  weiss  ich  im  augenblick  eine  absolute 
Wahrscheinlichkeit  zu  gewinnen,  und  es  ist  geratener,  diese 
frage  lieber  in  suspenso  zu  lassen,  und  das  um  so  mehr,  als 
der  einzige  diphthong,  der  unter  die  eben  behandelte  kate- 
gorie fällt,  das  di  der  schwachen  verba,  ebenfalls  keine  be- 
friedigende auskunft  gibt.  An  seiner  stelle  erscheint  nur  in 
den  participien  ein  vocal,  vakai  etc.,  das  praeteritum  vaktfa  ist 
von  einem  der  ya-classe  nicht  zu  unterscheiden.  Ob  hier  rein 
lautliehe  entwicklung  vorliegt  oder  anlehnungen  an  die  Ja-  und 
blasse  vorgenommen  sind,  wird  schwer  zu  entscheiden  sein. 


ZUR  ACCENT-  ü.  LAUTLEHRE  DER  GERM.  SPRACHEN.     67 

* 

Als  grössero  ausnahmen  von  diesen  regeln  erscheinen  so- 
dann auf  den  ersten  blick  1.  die  kurzsilbigen  participia  prae- 
teriti  wie  ialibr]  2.  Wörter  wie  ai^ili,  heimili]  3.  die  nomina 
agentis  auf  -eri,  jünger  -ari  (W.  §  64,  anm.  2);  4.  die  ad- 
jectiva  auf  -neskr  nebst  den  zugehörigen  femininis  vMi-neskjcL 
Aber  auch  diese  lassen  sich  wol  entfernen.  Die  erstaufgeführ- 
ten  formen  sind  jünger  als  die  nebenher  gehenden  wie  taltiry 
das  }  ist  ^nicht  der  alte  ableitungsvocal,  sondern  erst  später 
Zusatz;  das  zeigt  vor  allem  der  mangel  des  umlauts  in  der 
Stammsilbe.  Das  unter  2.  und  3.  aufgeführte  gehört  vielleicht 
zusammen.  Von  den  nominibus  auf  -eri  ist  es  an  sich  zweifel- 
haft, ob  sie  auf  älteres  -ari  oder  -äri  zurückgehen;  möglich 
auch,  dass  der  vocal  a  hier  tieftonig  war  (vgl.  Beitr.  IV,  529). 
Doch  ist  das  fttr  uns  gleichgültig,  wenn  die  regel  über  den 
ausfall  der  längen  in  der  form  wie  sie  zuletzt  gegeben  ist,  zu- 
trifft. Der  eigentliche  grund  für  die  conservierung  ist  dann  ein 
anderer.  Alle  jene  Wörter  sind  ursprünglich  stamme  auf  -ja 
oder  'Jan  {W.  a.  a.  o.  und  §  66) ;  das  J  des  Suffixes  half  hier 
mit  Position  bilden,  wie  bei  den  femininis  auf  -i/rya,  oben  s.  65. 
Was  endlich  das  -neskr,  -neskja  betrifft,  so  ist  es  möglich,  dass 
diese  ursprünglich  nicht  zu  unserer  reihe  gehörten,  sondern 
tieftoniges  sufiix  hatten;  denn  mit  ausnähme  von  manneskja 
und  fomeskja  (bei  denen  der  mangel  des  umlauts,  namentlich 
bei  dem  ersteren  worte,  dem  mennska  f.  zur  seite  steht,  den 
verdacht  jüngerer  bildung  erweckt)  stand  das  suffix  wol  stets 
ursprünglich  in  dritter  silbe:  viUneskja  etc.  Wir  hätten  dann 
eine  analogie  zu  der  verschiedenen  behandlung  des  gen.  pL 
auf  'ono  bei  Otfrid,  der  Beitr.  IV,  s.  537  erwähnt  ist.  Hier- 
fftr  spricht  namentlich  eine  bildung  wie  him-neskr  aus  *himi- 
niskazy  aus  dem  ohne  anstoss  ein  *himinskr  hätte  werden 
können  (nach  der  unten  zu  erörternden  regel  über  die  behand- 
lung unbetonter  doppelsilben),  wenn  die  betonung  -niskhz  ge- 
wesen wäre.  Will  man  das  nicht  zugeben,  so  darf  man  die 
erhaltung  des  vocals  der  vorausgehenden  schweren  consonant- 
gruppe  zuschreiben;  dies  ist  aber  an  sich  weniger  wahrschein- 
lich, da  doch  formen  wie  fiflska,  fegrsir  gebildet  werden.  ^) 


*)  Uebrigens  können  diese  bildungen  gewis  im  ganzen  kein  hohes 
alter  beanspruchen;  sie  müssen  meist  nach  der  analogie  weniger  worte 

5* 


68  SIEVEBS 

Es  bleiben  ahdann  nur  noch  ganz  vereinzelte  ausnahmen 
übrig,  für  die  ich  keine  erklärung  weiss.  So  die  Wörter 
arfuni,  sifuni,  Beimuni,  die  C.  32  a  aufgeführt  und  die  mir  ety- 
mologisch nicht  klar  genug  sind,  um  über  die  ursprüngliche 
Quantität  des  mittelyocals  urteilen  zu  können;  sodann  das 
adjectiy  heimill  oder  heimoll,  welches  nicht  zusammengezogen 
wird  (W.  §  80  A,  anm.  1 ;  die  etymologischen  versuche  bei  C. 
250  a-  b  machen  die  ausnähme  noch  nicht  erklärlich)  und  einige 
schwankende  adjectiva,  wie  heilagr,  vesall  und  ymiss  (W.  §  80 
B;  A  anm.  1),  deren  längere  formen  nach  Cleasby  -  Vigfiisson 
s.  vv.  zum  teil  speciell  moderneren  gebrauchs  sind ;  ferner  was 
W.  §  37  anm.  4  gibt,  etc. 

IL  Es  sind  zwei  mittlere  silben  vorhanden  gewesen. 
Hier  gilt  als  regel,  dass  der  vocal  der  zweiten  silbe  syn- 
copiert  wird;  ich  ftihre,  da  sich  die  oben  sub  1.  gegebenen 
fälle  einfach  der  reihe  nach  wenn  auch  in  sehr  beschränktem 
umfange  widerholen,  nur  wenige  foimen  an:  mit  /;  gamcU-lar, 
'li,  'la,  gamal-i]  mit  n:  heibin-nar  etc.,  heibi-t  für  *AeiÖm-/; 
mit  g :  gg/ug-rar  etc. ,  gg/ug-t  u.  s.  f.  Die  comparativformen, 
die  unter  1.  ein  beträchtliches  contingent  stellten,  fallen  hier 
fast  ganz  fort,  da  neben  einzelnen  Wörtern  wie  gjgfull  und 
svipally  welche  zum  teil  gjgful-U,  svipuNi  bilden  (W.  §  88  c, 
C.  20»)  die  meisten  zweisilbigen  adjectiva  ihre  Steigerungs- 
formen auf  -ari  bilden,  d.  h.  unter  classe  1  gehören,  wenn  in 


gebildet  sein,  denen  das  n  stammhaft  zukam,  wie  etwa  himn-eskr ;  solche 
wie  jartineskry  goineskr  müssen  trotz  nebenher  gehender  an-stämme 
schon  spätere  biidungen  sein  (cf.  ahd.  irdisc,  frenkisc  etc.)«  Man  kann  sich 
übrigens  schwer  der  vermutnng  entschlagen,  dass  jene  abstracta  anf 
-neskja  ihr  dasein  einer  Vermischung  zweier  suffixe  verdanken.  Die  im 
got.  und  westgermanischen  so  stark  entwickelte  endung  -nassus,  ahd. 
-nessi,  ags.  nes  fehlt  im  nordischen  gänzlich  (gramm.  II,  326).  Sollte 
sie  nicht  in  jenen  -neskja  mit  aufgegangen  sein  (man  denke  an  parallel- 
bildungen  wie  alts.  hithinussia  und  adj.  hithinisc;  got  fraußnassus  and 
ahd.  frdnisc\  doch  ist  das  letztere  wol  erst  spätere  bildung).  Es  be- 
durfte nur  eines  mit  an  lehnung  an  die  schwache  declination  gebildeten 
*'nessja  (vgl.  das  alts.  hSthinussia  etc.)  neben  adjectiven  auf -(«)<?5/rr,  um 
die  Vermischung  sehr  nahe  zu  legen.  Damit  wäre  auch  die  Schwierig- 
keit wegen  des  vocals  gehoben,  da  wir  dann  nicht  nur  tieftoniges  suffix 
(Beitr.  IV,  s.  529),  sondern  noch  dazu  vocal  vor  ss^  d.  h.  in  absolut 
schützender  position,  bekämen. 


ZÜB  ACCENT-  U.  LAUTLEHRE  DER  GERM.  SPRACHEN.     69 

der  tat  hier  das  a  tieftonig  war.  Die  adjectiva  auf  -ligr,  die 
zum  teil  im  comparativ  -lig-ri  haben  {maklig-ri  W.  §  87), 
können  doch  als  composita  nicht  eigentlich  hierher  gezogen 
werden. 

Es  sind  also  überhaupt  nur  wenige  unbetonte  mittel- 
vocale,  welche  sich  im  nordischen  erhalten,  eigentlich  nur  die 
vor  liquida  oder  nasal  -f  consonant  (s.  65)  und  die  zuletzt  be- 
sprochenen. Wie  sich  aus  den  angeführten  beispielen  ergibt, 
geschah  der  ausfall  sowol  nach  kurzer  wie  nach  langer  Stamm- 
silbe ;  aber  es  findet,  wie  sich  alsbald  zeigt,  ein  chronologischer 
unterschied  bezüglich  der  syncope  statt  Voraus  gieng  die  der 
mittelvocale  nach  kurzer  Stammsilbe;  sie  fällt  zum  teil 
vor  den  eintritt  des  i-umlauts,  denn  ein  an  dieser  stelle  ge- 
schwundenes }  hinterlässt  meist  keine  einwirkung  auf  den 
vorhergehenden  vocal,  während  lange  silbe  stets  umlaut  er- 
fordert. Diese  regel  triflFt  überall  zu  bei  den  kurzsilbigen 
verbis  der  ja  -  classe  (ial-Öa  etc.) ,  aber  auch  in  vielen  andern 
fällen;  man  vergleiche  z.  b.  Stur-la  :  hynd-la;  ketillj  kat-li ; 
lykillj  luk'lar;  megin,  mag-ni;  regln,  rag-na  etc.  (W.  §  37  anm. 
1.  2):  kyndill,  kyndlar;  engill,  englar;  von  adjectiven  dan-skr, 
val-skr  (jünger,  wegen  der  gebrochenen  vocale,  sind  skot-skr, 
hret-skr)  gegen  islend-skr,  scen-skr  etc.  (freilich  auch  gaut-skr 
u.  ä.).  Umlaute  kurzer  Wurzelsilben  scheinen  nur  vor  guttu- 
ralen regelmässiger  einzutreten,  vgl.  geg-num^  heg-la,  fek-ning] 
das  vergleicht  sich  dem  dat.  degi  und  den  participiis  wie 
tekinn,  W.  §  121.  Alles  zusammengefasst  wird  man  wenig- 
stens zugeben  dürfen,  dass  die  regel  vom  früheren  ausfall  des 
}  nach  kurzer  silbe  noch  an  hinlänglich  vielen  stellen  erkennt- 
lich ist;  freilich  ist,  namentlich  auf  dem  gebiete  der  nominal- 
bildung  und  nominalflexion ,  vieles  durch  ausgleichung  und 
analogiebildungen  verwischt  worden. 

Ein  wesentlich  anderes  bild  gewähren  die  westgerma- 
nischen sprachen.  Diese  haben  nicht  nur  eine  menge  ur- 
sprünglicher mittelvocale  erhalten,  sondern  die  anzahl  dersel- 
ben noch  durch  die  entwicklung  zahlreicher  'irrationaler'  vocale 
(svarabhakti  oder  wie  man  sie  sonst  nennen  will)  aus  früher 
silbenbildendem  Sonorlaute  wesentlich  gesteigert.  ^)    In  vielen 


*)  Ob  wirklich  entwicklung  eines  vocals  anzunehmen  ist  oder  das 


70  SIEVERS 

bcziebtiDgen  werden  diese  neuen  laute  mit  den  ursprfinglichen 
kfirzen  gleich  behandelt;  ein  ags.  wocres  ist  z.  b.  im  typus 
einem  dtires  yoUkommen  gleich^  obwol  wdcar  neuen,  Sber  alten 
Toeal  hat.  Doch  soll  hiermit  nicht  gesagt  sein,  dass  etwa 
wdcres  aus  *w6cores  gedeutet  werden  müsse;  im  g^enteil,  es 
ist  am  wahrscheinlichsten,  dass  es  directe  fortsetzung  der  alt- 
german.  form  *wdkres  ist;  aber  praktisch  lässt  sieh  die  zu- 
sammenbehandlung  beider  reihen  durch  den  gewinn  rechtfer- 
tigen,  den  die  bequemere  Übersicht  gewährt 

IL    Angelsächsisch. 

Das  angelsächsische  hat  seine  unbetonten  mittdvocale 
unter  den  westgermanischen  sprachen  am  consequentesten  be- 
handelt, wenn  wir  von  der  spräche  der  ältesten  denkmäler 
abseben,  in  denen  die  später  waltenden  gesetze  noch  nicht 
völlig  zum  durchbruch  gelangt  sind.  Indem  ich  diese  ältesten 
denkmäler,  schon  wegen  der  unzugänglichkeit  eines  grossen 
teiles  des  materials,  einer  andern  Specialuntersuchung  über- 
lassen muss,  beschränken  sich  meine  angaben  im  folgenden  im 
wesentlichen  auf  den  in  Greins  bibliothek  gegebenen  stoflf,  der 
indessen  mehr  als  ausreichend  ist,  um  die  nötigen  regeln  zu 
abstrahieren.  Innerhalb  dieses  gebietes  gelten  nun  folgende 
bestimmungen : 

I.    Einzelner  mittelvocal  (vgl.  s.  64). 

A.  Nach  langer  Wurzelsilbe. 

1.  Jeder  nicht  durch  position  geschützte  ur- 
sprünglich kurze  vocal  wird  (stets  vor /,  r,  weniger  regel- 
mässig vor  nasalen  und  anderen  consonanten)  syncopiert 
und  es  tritt  nie  irrationaler  vocal  ein.    Beispiele: 

a)  mit  /:  Ät-la^  Hrcbd-la,  atimed-la,  ofer^ed-laj  mänfbrdcbd-la, 
genW-la,  predn^d-la,  gettht-la^  gescirp-Ia]  me6w-le\  atrend-lian, 
nist'lan]  ferner  die  mehrsilbigen  formen  und  ableitungen 
von  ^)   a)   eöel,  Hrei5el,  tdely  middel;    enget,   grindel,  grendel, 


geschriebene   vocalzeichen    eventuell    nur   silbcnbildende   function   des 
sonorlants  anzeigen  soll)  soll  hier  nicht  untersucht  werden. 

*)  Ich  bezeichne   im  folgenden  mit  a)  die  Wörter  mit  sicher  altem, 
mit  b)  die  mit  neuem  oder  zweifelhaftem  mittelvocal. 


ZÜEACCENT-  ü.  LAUTLEHRE  DER  GERM.  SPRACHEN.     71 

swingel,  symbel^),  wyrpel,  pistel]  deöfol]  b)  ädl  (adle),  nä:dl, 
widl,  spätl  (spätlian)]  dpgol,  cndsl,  hüsl,  süsl]  säwol\  eaxl,  tvrixl 
{gewrixle,  gewrixlan)]  äppel,  cumhol,  iempel,  Engle^  iungel,  pancol, 
Wenälas  {WendleT),  turtle \  ich  habe  an  belegten  formen 
ohne  mittelvocale  (nur  im  nom.  bei  Grein  belegte  werte,  wie 
fengel,  gangol,  pengel  sind  nicht  aufgezählt)  bei  Grein  ca.  570 
gefunden;  an  ausnahmen  13,  nämlich  Stiele  Gen.  63.  Sat.  108. 
GfithL  248.  Pß.  68,23;  dedfoles  Crist  1537;  /ifela  Wald.  2,  10; 
idele  Hymn.  7,  108;  särvele  B.  1742;  stapele  Aelfr.  tod  19; 
endlich  Grendeles  B.  2006.  2118.  2139.  2353  (alle  bei  dem 
zweiten  Schreiber,  der  nlir  zwei  mal  Grendle{s)  setzt,  2002  und 
2521 ;  der  erste  hat  ausschliesslich,  19  mal,  die  letztere  form). 
Die  fremd  Wörter  apostolas  Sat.  571.  Men.  122,  circule,  Men.  67 
bilden  nicht  eigentliche  ausnahmen. 

b)  mit  r:  die  r- casus  der  adjectiva  und  die  umlautenden 
comparative;  die  neutra  pl.  auf  rw,  wie  lambru,  cildru'^)]  ferner 
die  casus  obliqui  und  ableitungen  von  a)  edwer,  incer,  uncer, 
6ber{?y  fyr'bran,  b)  &dr,  cbdre^),  hlcbder,  ncbdre,  /ödor,  hädor 
(hcbdre),  bröbor,  hroÖor,  hledtior,  hreöer  ^),  prireÖre^  ätor  {cetren), 
bitter,  h^üttor,  snoitor,  tuddor]  dogor,  gedcor,  rvöcor\  geömor\ 
äfor^),  dbfre^  noefre,  ^fre,  s^fre,  frofor  (frefran),  bfor\  ealdor, 
gealdor,  scuidre,  wuldor]  gieridran,  sundor,  wandrian,  wundrian\ 
beorbor,  corÖor,  morÖor]  tealtrian,  winier\  dohtor,  hleahior, 
leahtor,  suhiriga\  ceaster,  clüstor^  eästor,  geoslra,  p{r)edstre, 
bolsier,  heolstor,  winster,  mynster\  finger,  gingra,  hunger,  lufigre, 
ancor]  brember,  lambor,  timber,  clympre,  heolfor,  seolfor.  Hier 
zählte  ich  mit  ausschluss  der  r- casus  der  adjectiva  und  com- 
parative bei  Grein  ca.  1670  mal  ausstossung  des  vocals;  an 
ausnahmen  fanden  sich  vereinzelt  ^fere  Wr.  gloss.  50,  geömore 


^)  Alts,  sumbal,  wie  Heyne  ansetzt,  ist  falsch,  es  mass  sumbil 
heissen  oder  wir  haben  einen  neutralen  t-stamm  *  sumbli-  an/.aset%en. 

')  In  hrytieru,  das  seinen  vocai  meist  bewahrt,  scheint  Verkürzung 
der  Stammsilbe  eingetreten  zu  sein;  sonst  wäre  auch  die  nebenform 
kru75er,  welche  Lye  mehrfach  belegt,  nicht  wol  erklärlich. 

^)  Nicht  (ßdre,  hre75er,  wie  gewöhnlich  angesetzt  wird;  kurzsilbige 
Wörter  dieser  form  müsten  bei  der  häufigkeit  ihres  Vorkommens  neben- 
formen  wie  *cedere,  *hret5eres  aufweisen,  wie  sich  unten  ergeben  wird. 

*)  Nicht  afory  wie  Grein  ansetzt;  das  wort  ist  doch  gleich  ahd. 
eibar  Graff  I,  100;  ebenso  hlcbder  =  ahd.  hleilra. 


72  SIEVERS 

B.  151,  geomuru  B.  1075,  mynsterum  Guthl.  387,  btiere  Gen. 
1805.  Andr.  689,  sylfore  Rats.  15,  2;  fedtvere  Rats.  37,  3,  rvtä- 
dores  Sal.  112;  ferner  16  mal  ddgores  etc.  gegen  11  mal 
ddgresy  19  mal  bitere{s)  und  10  mal  snoteres  etc.  {snyteru). 
Was  es  mit  dem  auflFälligen  dogor  für  eine  bewantnis  hat,  ver- 
mag ich  nicht  zu  sagen;  erklärlich  sind  die  ausnahmen  bei 
bitter  und  snottor,  die  ja  ursprünglich  kurze  Wurzelsilbe  haben. 
Im  ganzen  also  bleiben  9  eigentliche  ausnahmen,  denn  das 
regelmässige  cäsere  ist  als  fremdwort  auszuschliessen« 

c)  mit  m:  cbdm,  hösm,  mdbum,  hldstm  {bldstma),  breahtm,  tveesim, 
wcesma  (zu  ahd.  uuahsamo).  Stets  ausgenommen  ist  fultum,  das 
überall  unversehi-tes  u  zeigt,  auch  in  der  ableitung  fliUumian 
(weil  das  u  tieftonig  war?);  schwanken  herscht  bei  den  Super- 
lativen auf  -ema,  -emest  :  nort5mestan  Metra  9,  43,  rvestmest  ib. 
16,  11,  ^ttnest  Guthl.  414.  Metra  10,  25;  aber  hindema  B.  2049. 
2517,  ^temest  Güthl.  1140.  Crist  880  (viele  andere  beispiele 
dafür  gibt  Lye  s.  vv.); 

d)  mitw:  Hier  finden  sich  grössere  Unregelmässigkeiten.  Die 
regel,  dass  nie  irrationaler  vocal  eintrete,  trifft  zwar  hier  stets 
zu:  vgl.  bei  Grein  bedceuy  fäcen  nebst  fcbcne,  fr  Seen  und  frScne, 
gcbsne,  l^gnan,  täcen  mit  täcnian  und  tcecnan,  w(^pen,  rvolcen, 
tvräsn,  tvrcbsnan,  fiersti]  unter  diesen  finde  ich  ausnahmsweise 
nur  gesine  Ex.  528;  regelmässig  erscheinen  ohne  mittelvocal 
die  verba  SLut  -nian,  mögen  sie  auf  germ.  -inon  oder  -andn  zu- 
rückgehen oder  den  ostgerm.  SLuf -fiati  gleichkommen  (Zimmer, 
Haupts  zs.  XIX,  416  f.),  vgl.  ägniauy  bäsnian,  brytnian,  costnian, 
eristnian,  drohinian,  edcnian^  einian,  fcestnianj  hceftnan,  hyrcnian, 
läcnian,  molsnian,  onhohs7iian,  wäcnian  nebst  wcecnan,  mtnian\ 
femer  unterliegen  der  regel  die  Wörter  dryhten  (ausser  Gen.  17. 
Sat  44.  164.  Ps.  68,  37.  Hymn.  7,  98.  9,  30),  eilen,  pedden] 
B,\ich fckmne  darf  wol  hierhergestellt  werden;  dagegen  schwanken 
die  substantiva  cefen,  morgen  9,  cristen  {neten  mit  urspr.  endung 
-m?),  forsten  n.,  die  participialadjectiva  dgen^  edcen  (sowie  hcbben) 
und  alle  participia  praetenti,  welche  namentlich  in  jüngeren 
denkmälern  die  erhaltung  des  e  vorziehen;    aber  ältere  sorg- 

0  (Bfen  und  morgen  schwanken  auch  nach  der  analogie  der 
feminina  auf  -en  aus  -tn/a,  wie  ftesten,  gymen,  Uncten,  mergen,  wSsten, 
fvyfgen,  haben  also  nn  in  den  casus  obliqai. 


ZUR  ACCENT-  ü.  LAUTLEHRE  DER  GERM.  SPRACHEN.     73 

fältige  hsa,  z.  b.  die  der  Cura  pastoralis,  lassen  auch  hier  das 
gesetz  erkennen.  Der  spätere  zustand  ist  wider  das  product 
einer  ausgleichung.  (Die  adjectiya  auf  -en  aus  4n  s.  weiter 
unten.)  Die  acc.  sg.  m.  der  adjectiva  haben  regelmäßsig  -ne, 
blmd-ne  etc. 

e)  mit^:  Die  regel  ist  durchgeführt:  bRt^-s,  mild-s,  ^Al-sa] 
verba  hledrsian,  htib-sian,  clcen-sian,  fckl-sian,  ^tsian,  häl-sian, 
mtkr-sian,  mild-sian,  min-sian,  ric-sian,  sum-sian,  yr-sian, 

f)  mit  p:  die  feminina  auf  -Ö(m)  aus  -ipa,  belege  s.  Beitr. 
I,  501;   unregelmässig  eahtotia  =-  got  ahtuda^)\ 

g)  mit  d:  heäfod,  mied  (nicht  heafod,  celed,  ygl.  s.  71  anm.  3 
und  Schubert,  de  Anglosax.  arte  metrica  p.  30  f.)  und  alle 
praeterita  und  flectierten  participia  praet.  der  langsilbigen  verba 
der  ya-classe.  Von  diesen  sind  meist  ausgenommen  diejenigen 
verba,  die  auf  muta  +  Sonorlaut  ausgehen:  frifredest  Ps.  85, 

17,  afrefrede  nom;  pl.  pari  Ps.  125,  1,  Ipgnedan  Crist  1120, 
atydrede  desgL  El.  1279,  efhede  Dan.  183.  El.  713.  Ps.  98,  8, 
arefnede  Ps.  68,  21  neben  häufigem  e/hrfe,  refnde^  s.  auch  Bege- 
mann,  schw.  praet.  126.  —  Subst  ausnähme  hobmede{s)  Metr. 

18,  2.  10,  iceppedu  Lye. 

h)  mit  t  finde  ich  nur  das  beispiel  yl/'etu,  ylfete  (mit  erhal- 
tung  des  mittelvocals),  denn  bei  den  verbis  auf  -etan  aus  ur- 
sprünglichem -atjan  (gr.  II,  218)  und  Substantiven  wie  tijfite  (gr. 
n,  214.  220)  waren  die  mittelvocale  durch  position  geschützt 
(daher  auch  noch  oft  genug  formen  mit  ti,  das  freilich  meistens 
durch  die  accentlosigkeit  seiner  silbe  zur  einfachen  tenuis 
herabgesunken  ist,  s.  Beitr.  IV,  s.  537). 

i)  mit  g  gehören  hierher  die  adjectiva  auf  ursprüngliches 
-ag,  denen  die  auf  -xg  im  ags.  gleich  behandelt  werden.  Bei 
beiden  classen  stehen  volle  und  gekürzte  formen  in  nicht  sehr 
verschiedener  anzahl  einander  gegenüber,  doch  so  dass  die  län- 
geren formen  noch  das  übergewicht  behaupten.  Die  abgelei- 
teten verba  auf  -bn  ziehen  dagegen  wie  es  scheint  die  gekürz- 
ten formen  vor,  indem  die  schwere  endung  mit  grösserer  ent- 
schiedenheit  den  tiefton  auf  sich  zog  als   die   adjectivischen 

*)  Hier  mag  teils  die  consonanthäufang  schützend  mitgewirkt  haben, 
teils  streben  nach  dentlichkeit,  denn  da  iti  im  ags.  einfaches  t  ergibt, 
wäre  bei  syncope  des  mittelvocals  die  Ordinalzahl  mit  der  cardinalform 
eahia  zusammengefallen. 


74  SIEVERS 

flexionsendungen:  Halfan,  ^emcktgian,  gemebgian,  mödgian,  mynd- 
gian,  särgian,  wiigian]  an  ausDahmen  habe  ich  aus  Grein  nur 
notiert  oriRbigian  Sal.  256,  ofermddigan  Ps.  Th.  9,  11.  Metra 
17,  16  {mtigati  Dan.  480?)  —  üebrigens  ist  es  hier  sehr 
schwer  zu  sagen,  ob  ig  hier  wirklich  vocal  +  cons.  oder  nur 
den  cons.  j  ausdrücken  soll. 

2.  Position  schützt  im  allgemeinen  gegen  den 
ausfall;  so  bleiben  unversehrt  die  adjectiva  auf  -isc  wie 
entisCy  mennisc  (mehrsilbig  eotonisc]  in  der  poesie  sind  übrigens 
diese  adjectiva  nicht  häufig);  dazu  subst  mennisc,  cewisce,  htwisce 
Lye;  die  meisten  Superlative  auf  -est(a)f  wie  okresta,  yldestOy 
sirengesta,  bei  denen  syncope  erst  spät  eintritt;  doch  stets 
h^hsta,  n^hsta]  ferner  immer  unverkürzt  eomest,  htBrfest,  hm- 
gesty  schwankend  öfost  nebst  efstan  (dies  regelmässig  so)  und 
okfest,  merkwürdigerweise  stets  verkürzt  fylst  und  fylstan,  ob- 
wol  hier  alte  länge  vorzuliegen  scheint  (ahd.  folieist,  doch  auch 
alts.  fullist.  Unbedingt  schützt  wie  im  nordischen  (s.  65)  Ver- 
bindung von  Sonorlaut  +  consonant:  fcereld,  pyrscwold]  fcbtels, 
wrigels  (vgl.  auch  bridels\  die  übrigen  gr.  II ,  334  angeführten 
Worte  nur  bei  Lye  belegt);  ferner  die  part.  praes.  und  flec- 
tierten  infinitive,  sowie  die  feminina  auf  -el,  -en,  gen.  -eile, 
-enne,  wie  condei,  rcbdelle,  hyrben,  -rceden,  mergen  (Beitr.  I,  492). 

3.  Auch  alte  länge  wird  in  offener  silbe  öfter 
syncopiert.  Hierher  fallen  die  bereits  erwähnten  adjectiva 
auf  'ig  aus  -ig,  die  auf  en  aus  -in  :  cbren,  f^ren,  hcbrven,  hmlen, 
Ickmen,  stcbnen  (syncope  belegt  durch /pmwm  Crist  733.  Panth.  60. 
Andr.  1380  hmlnan  Walf.  87,  sicenne  acc.  sg.  f.  Crist  641); 
desgl.  subst.  moegden  (sync.  mcegdnes  Jul.  608);  ticcen  Lye. 
Auch  im  schwachen  gen.  pl.  ist  ausfall  gestattet:  ärna,  läma, 
edrna,  Seaxna,  wisna,  sorgna,  edgna,  Francna,  Myrcna,  Heatio- 
heardna  (also  besonders  nach  r,  s  und  gutturalen?)  In  den 
adjectiven  eds lerne,  nor^erne,  sütieme,  westeme  aus  -oni  ist  ent- 
weder ebenfalls  syncope  oder  metathese  eingetreten.  Altes  -oö 
schwankt  in  m6nati\  von  folgotiy  innab,  langob,  earfot5  {earfetie) 
finde  ich  nur  volle  formen,  ebenso  bei  denen  auf  -noti,  gr.  II, 
254  f.,  und  änad,  huntod,  sowie  den  verbis  der  o-classe  und 
den  Superlativen  auf  -ost.    Hier  mag  die  conservierung  ihren 


ZUR  ACCENT-  ü.  LAUTLEHRE  DER  GERM.  SPRACHEN.      75 

grund  vielleicht  in  der  tieftonigkeit  des  vocals  haben  (s.  66); 
aber  auch  sonst  scheint  die  syncope  auf  solche  fälle  beschränkt, 
wo  nur  sehr  einfache  consonantgruppen  durch  sie  erzeugt 
werden. 

B.    Nach  kurzer  Wurzelsilbe. 

1.   Ursprünglicher^)  mittelvocal  wird  erhalten: 

a)  vor  /:  in  Amuling,  geedeling;  adela,  FUela,  gerela,  heafola, 
neafola,  hyrele,  pecele;  in  den  mehrsilbigen  formen  von  atoi, 
Eatul,  esoly  fetel  (gafol),  gamol,  hamol  (in  hamelian),  stabolj  sta- 
pol  {sotol,  swat5ol,  stveobol,  srveotol),  srvicol,  regol,  tigol  (nebst 
iigele),  yfel  an  ca.  440  stellen.  Doch  schwankt  zur  syncope 
von  diesen  yfel  (47  mal  mit,  34  mal  ohne  vocal,  wahrschein- 
lich wegen  des  /;  s.  unten  s.  77  flF.),  und  byrele]  einmal  steht 
gesTveotlad  Rats.  81,  18;  tigla  Wr.  gl.  38.  Stets  syncopieren 
lytel  und  bridel,  nur  Dom.  8  steht  einmal  lyiulu;  aber  ahd. 
luzzil  und  hrittil  (häufiger  als  hritil,  Graflf  III,  209)  weisen  hier 
auf  geschärften  consonanten  hin,  der  positionsbildend  wirkte; 
femer  micel  ausser  Men.  124.  Ps.  67,  18.  111,  6.  Hymn.  7,  94 
(alles  junge  quellen),  ysle  6  mal,  mynle  1  mal,  neorvol  16  mal 
{neowles  und  nedles,  also  etwa  neörvol  anzusetzen)  und  acol,  das 
gewöhnlich  mit  kurzem  a  angesetzt  wird,  dem  man  aber  eher 
ä  zuschreiben  darf,  u.  s.  w.  Das  fremd  wort  tcefle  halte  ich  nicht 
für  eine  ausnähme,  da  es  jedenfalls  aus  einer  bereits  verkürz- 
ten vulgärform  *  i^at;/a  herübergenommen  ist;  *t(wula  hätte  not- 
wendig *teafol{e)  ergeben  müssen.  Ueber  zweifelhaftes  s. 
unten. 

b)  vor  r:  eafora,  higora,  u/era,  genitferian,  smicere{?),  Wede- 
ras,  ferner  ceafor,  eodor^  eofor,  fetor,  hamor,  heat5or,  rodor, 
Tvelor{as);  nicor;  sigor,  salor,  teapor,  zusammen  gegen  300  mal; 
ausnahmen  eafrum  Gen.  399;  feire  6n.  ex.  76,  heatfre  Rats. 
6ö,  3  (?),  geheabrod  El.  1276,  homra  Jul.  237,  nicras  B.  1427, 


*)  Die  ursprünglichkeit  derBelben  ergibt  sich  1)  aus  dem  auftreten 
zweisilbiger  nom.  m.  mit  vocal  in  der  scblusssilbe  im  got.  und  nord.,  wie 
aiaü\  2)  ans  dem  auftreten  von  ahd.  alt«,  t^  u  in  der  ableitungssiibe,  wie 
in  fezzily  zugleich  am  eintritt  des  t-umlants  im  ags.  ersichtlich;  3)  ans 
dem  eintritt  der  ti- umlaute  im  ags.  oder  der  beibehaltung  der  a.  Oben 
sind  diejenigen  worte  in  klammer  gesetzt,  flfr  welche  Zeugnisse  ans  den 
verwanten  sprachen  nicht  zur  band  sind. 


7f,  SIEVEBS 

rftdr^M  Metra  28,  3*  Rät«.  14,  7,  za9ammea  8.  Eine  ganz  sin- 
IpttUre  KtcUung  nimmt  diesen  g^^iflber  kma^fer  nebet  seinen 
eftmffimliiä  und  dem  ady.  kwc^ere  ein;  man  sollte  hier  nach 
$4^,  hvapar  conM^uent  dreisilbige  formen  erwarten,  nnd  doch  be- 
leih Oreln  zweisilbige  formen  an  70  stellen,  dreisilbige,  aller- 
dings nicht  ganz  Tolktändig,  an  26  stellen.  Eine  begrflndete 
erkilirung  fXix  diese  erscheinung  kann  hier  noch  nicht  gegeben 
werdiE^o,  doch  mag  schon  jetzt  darauf  hingedeutet  werden,  dass 
man  vielleicht  das  got  -or  f&r  speciell  ostgerm.  form  halten 
darf,  zumal  a  doch  nicht  regelmässiger  yertreter  des  hier  zu 
recht  bestehenden  europ.  t  (xatsQog)  sein  kann.  Dann  fiele 
hnfwtier  zu  der  classe  der  worte  mit  irrationalem  vocal,  und 
damit  wäre  zugleich  der  auffällige  vocal  (e  erklärt  Diese  auf- 
faiwuog  wird  ausserdem  durch  das  verhalten  von  ahd.  ander, 
alts,  ötiar  bestätigt,  worüber  weiter  unten  das  nähere.  —  Eine 
wirkliche  ausnähme  bilden  die  r- casus  der  adjectiva  und  die 
Gomparative,  die  beide  übrigens  nicht  sehr  häufig  sind;  bei 
Grein  finde  ich  nur  gromra,  tmseedre,  tilra,  blacra  (Crist  897, 
das  a  zu  beachten),  doch  auch  blacere  SaL  27;  für  den  comp. 
gladra,  hreedra,  hwceira,  wcerra,  dazu  aus  Lye  Icetra  und 
tleacra;  nur  hetera  wechselt  mit  hetra  ab  (s.  Superlativ).  Da 
sich  dieselbe  Unregelmässigkeit  auch  im  acc.  sg.  hl  widerholt 
(bei  Grein  sind  belegt  gkedne,  hildescedne,  iilne),  so  darf  man 
wol  an  einen  einfluss  der  überwältigenden  masse  der  langsilbi- 
gen  adjectiva  denken.^ 

c)  vor  m :  meodum,  watium,  watiuma,  sodann  die  Superlative 
nitiemest,  yfemesl  bei  Grein,  dazu  .aus  Lye  leetemest,  medema, 
medemest  nebst  den  ableitungen  medemian,  medemung,  und  tveo- 
ioma\  nur  einmal  yfmesi  Metra  24,  20. 

d)  vor  n:  %\\h^i.gamen;  Heodeningas,  Bryteti,  Eotenas,  eoton, 
geofon,  hiofon;  cylene,  q/men  (Lye),  firen,  gyren,  Hageiia,  pecen 
{pigefi,  lufen)^)\  adj.  open,  recen  nebst  dem  adv.  recene,  dazu 
nlgon,  seofon;  verba  gedafenian,  hafenian,  glitinian,  opeman, 
gerecenian,  ieo/enian,  gepawenian,  rvarenian  (letztere  geschieden 

0  f^ive  und  dryge^  von  denen  nivne,  nivra  und  drygne  vorkommen^ 
sind  wegen  der  ansicheren  quantiült  des  warzelvocals  ausser  acht 
gelassen. 

')  iyg^^  ist  nicht  echt  ags.»  s.  meine  sohrift:  Der  Hei.  and  die  ags. 
Genesis  s.  11.  35. 


ZÜB  ACCENT-  ü.  LAUTLEHRE  DER  GERM.  SPRACHEN.      77 

Yon  den  verbis  auf  einfaches  na^  b.  unten);  zusammen  ca. 
240  mal  belegt-,  dazu  kommen  noch  alle  kurzsilbigen  par- 
ticipla  praet.  der  starken  verba,  die  als  nichts  beweisend 
(s.  72)  hier  übergangen  werden  können.  An  ausnahmen  finde 
ich  fimum  Sat  128.  435,  dafnati  Wr.  gl.  40  (dass  hier  der  aus- 
fall  nicht  alt  ist,  zeigt  das  a  der  Wurzelsilbe),  {and)leofne  Gren. 
933.  Phon.  243.  Andr.  1125,  wenn  dies  wort  =  got  libams  ist, 
endlich  28  mal  heofnes  etc.;  nämlich  17  mal  in  der  Genesis 
(und  zwar  fallen  13  stellen  in  das  von  mir  als  ursprünglich 
deutsch  ausgeschiedene  stück  B,  das  nur  etwa  600  verse  um- 
fasst),  7  mal  im  Satan;  sodann  in  der  späten  hs.  B  des  Sal. 
37.  40  und  Crist  778.  Zweifelhaft  bin  ich  über  die  Stellung 
von  fm^en  (nebst  fce^nian  etc.)  und  meegen,  welche  meist  das  e 
nicht  zeigen;  dazu  treten  ^e^  in  tdgegnes  u.  s.  w.,  regnian, 
renian  =  got.  raginön  und  segne  =  lat  sagena,  welche  nie 
ein  e  aufweisen.  Nach  got.  faginbn^  altn.  fegirm,  altn.  ahd. 
megin,  altn.  gegn,  ahd.  -gegin  mit  umlaut  u.  s.  w.  sollte  man 
hier  ursprünglichen  vocal  und  also  conservierung  erwarten. 
Wenn  dies  richtig  ist  (was  freilich  bei  der  noch  sehr  zweifel- 
haften geschichte  der  ersten  beiden  worte  noch  keineswegs  für 
ausgemacht  gelten  kann,  s.  unten  8.79  anm.  2),  so  müssen 
diese  formen  wol  nach  der  analogie  der  praeterita  legde,  scegde 
beurteilt  werden,  welche  ebenfalls  unregelmässig  ihren  vocal 
nach  g  ausstossen  (s.  auch  unten  g).  ^)  Im  schwachen  £:en.  pl. 
finde  ich  nur  -ena,  nicht  -^na  wie  teilweise  bei  den  langsilbigen 
(s.  74):  hanena,  rvilcvmena,  dropena,  Gotena,  gumena,  wcerlogona, 
rvelena,  tvitena;  carena,  /remena,  gifena  u.  s.  w.  (vgl.  Beitr. 
I,  489);  ausnähme  Fresna. 

e)  vor  s:  adesa,  egesa,  segese,  yfese  (Leo  69.  465),  cyfes  Lye 
und  die  mehrsilbigen  formen  von  ides  nach  der  regel,  doch 
auch  oft  egsa,  egsian  Grein  I,  221  f.  (wider  mit  g).  Von  verbis 
fallen  hierher  die  neubildungen  gemeisian  und  tvansian,  das  ich 
nur  mit  einer  stelle  bei  Lye  belegt  finde  (altes  -ison  hätte  um- 
laut hervorrufen  müssen),  welchen  sicher  langsilbige  typen  zum 
muster  gedient  haben;  hlynsian  und  svinsian  dagegen  scheinen 
wirkliche  ausnahmen  zu  sein  (wenn  sie  nicht  urspr.  7in  hatten). 

^)  Die  auBnahmen  beschränken  sich  also  im  wesentlichen  auf  das 
zusammentreffen  des  n  mit  den  tönenden  Spiranten  f  und  g ;  beide  Ver- 
bindungen sind  auch  sonst  im  ags.  häufig,  s.  unten  s.  80. 


78  SIEVERS 

f)  vor  p:  Heerebas,  pfetie,  h(eleb;  nlgot5a,  seofoba,  äugob, 
geogob]  daroö,  eafdtiy  faroti,  fracoti,  oraiS,  seoloÖ,  seonoti,  sweo- 
lob  (also  nicht  swedlotS,  das  wort  gehört  zu  stvelan),  waroö ; 
ausgenommen  drei  beispiele  von  gekürztem  oraö  (darunter  eins 
im  nom.),  die  Grein  II,  357  aus  prosaquellen  anführt  und  das 
schwankende  mcegeb  mit  tiberwiegen  der  gekürzten  formen  und 
Gefbas;  hier  scheinen  abermals  die  g  und  /  massgebend  ge- 
wesen zu  sein ;  ferner  die  substantiva  /rymb,  genuegb  (? ,  poten- 
tia  Lye,  einmal),  selb,  gesihb,  tilb  ^)  (das  letztere  nur  2  mal  bei 
Lye  belegt).  Diese  sind  nach  analogie  der  kurzsilbigen  ad- 
jectiva  (s.  76)  als  anlehnungen  an  die  zahlreichen  langsilbigen 
feminina  auf  -b{u)  zu  betrachten.  Die  geringe  zahl  dieser  aus- 
nahmen schmilzt  aber  noch  mehr  zusammen,  wenn  man  er- 
wägt, dass  selb  nur  einmal  in  dem  deutschen  stück  der  Gene- 
sis, V.  785,  das  gleichbedeutende  geselb  nur  einmal  in  den 
Metra  bezeugt  ist,  die  wir  nur  aus  späten  abschriften  des  ver- 
lorenen Originals  kennen,  und  den  verdacht  erweckt,  dass  es 
nur  fehlerhafte  Überlieferung  für  geseid  sei,  welches  neben  dem 
reichbelegten  seid  und  ableitungen  nicht  auffallen  kann.  Von 
gesihb  hat  bereits  J.  Grimm  gr.  II,  233  bemerkt,  dass  es  fehler- 
hafte Schreibung  für  ht  habe,  da  eine  germ.  bildung  auf  -ipa 
hier  fehle;  wir  werden  diesen  ausspruch  nur  dahin  zu  modi- 
ficieren  haben,  dass  lesihb  für  *gesiht  eine  anlehnung  an  die 
&- feminina  sei.  ' 

g)  vor  d:  eced,  rceced,  nacod,  meotodj  tveorod,  Winedas  {forod, 
witod  pai-ticipia?  Grein  I,  329.  II,  726  s.  v.  vitian)  stets  nach 
der  regel');  ebenso  die  schwachen  praeterita,  ausser  legde, 
sceide,  deren  anomalie  bereits  besprochen  ist,  und  mehrere 
verba  auf  k,  t,  d,  l,  welche  ihr  praeteritum  nach  art  der  lang- 
silbigen  bilden,  wie  reccan  reahte,  settan  seile,  treddan  tredde, 
tellan  tealde,  s.  gr.  I,  904.  Begemann,  schw.  praet.  125  ff.  und 
unten  lU,  I,  B  und  IV. 

h)  vor  t:  eo/bt,  ganot,  oret,  srveofot,  monetian;  das  fremdwort 
mynet  nebst  mynetian,  mynetere  in   zahlreichen  beispielen  bei 


0  hygtSy  das  gr.  II,  245  angeführt  wird,  finde  ich  nicht  in  den 
lexicis,  die  nur  hygd  =  got  -hugds  kennen. 

*)  fremde  =  got.  fr amaps  dagegen  weist  ein  e  nur  äusserst  selten 
auf,  Ps.  80,  9.  Sal.  A  34. 


ZUR  ACCENT-  ü.  LAUTLEHRE  DER  GERM.  SPRACHEN.  79 

Lye,  alle  nach  der  regel  {myntan  Grein  II,  271  'es  auf  etwas 
gemünzt  haben'  gehört  nicht  zu  mynet  und  überhaupt  nicht 
hierher);  nur  heorot  zeigt  wie  im  nom.  so  auch  in  den  mehr- 
silbigen casus  öfter  kürzung,  Grein  II,  69.  787. 

i)  vor  g:  Hier  sind  die  erscheinungen  ebensowenig  sicher 
abgegrenzt  wie  bei  den  langsilbigen  worten  (oben  s,  73);  die  er- 
haltung  überwiegt.  Ich  stelle  zur  Übersicht  einfach  die  verhält- 
niszahlen einer  reihe  von  Worten  nach  Grein  hierher;  die  erste 
zahl  gilt  dabei  den  volleren  formen :  hysii  1 0  :  26,  dysi^  15:2, 
hefig  13:1,  hunig  6  :  0,  lytig  2  :  0,  monig  81:18,  menigo  46 :  23, 
fvelig  9  :  2,  wütig  42 :  0,  gemynegian  1:0,  gemetigian  meditari 
9:1,  gemetgian  temporäre  0  :  7,  fVidga  2  :  2. 

k)  vor  k  nur  wenige  beispiele :  geoleca,  5ifica,  Sifeca,  heafoc, 
mtmec  nach  der  regel,  daneben  cirice,  meoluc,  seoluc  mit 
schwankendem  vocal. 

1)  vor  st  ist  mir  nur  hetsta  etc.  mit  consequenter  kürzung 
zur  band;  für  andere  fälle  von  position  mangeln  mir  ebenfalls 
belege. 

2.  Es  kann  irrationaler  vocal  eintreten.  Dies  hängt 
aber  von  den  umgebenden  consonanten  ab.    Er  erscheint: 

a)  vor  /  fast  nie,  meist  auch  nicht  in  endungslosen  formen : 
8.  botl  (nebst  hytla  und  bytlian),  seil,  friclan  (oder  dies,  wegen 
des  nicht  'gebrochenen'  i  zur  vorhergehenden  abteilung  als  aus- 
nähme bei  micel  s.  75  einzuschalten?),  egl  (egle,  eglcai),  hcegl, 
krcegl,  nwgl,  segl,  srvegl  {sigleT)\  nifol,  srvefl,  gesyßan,  tcefl  (s. 
oben  75),  rvefl,  fcesl,  mcet5l  {mceblan),  rvoedl^  simle  ca.  300  mal 
.bei  Grein  belegt;  hierzu  kommen  noch  13  formen  von  geagl, 
ceaflas,  geaflas,  meagol,  wenn  diese  worte  hierher  gehören  9, 
und  33  von  fugol;  an  ausnahmen  habe  ich  notiert  1  mal  /r/- 
coio  bei  Grein  I,  347  aus  Wanley*s  Cat,  hcegelas  Rats.  43,  11 2) 


*)  Der  einfluss  des  anlautenden  gutturales  genügt,  um  die  gestalt 
des  wurzelvocals  bei  den  drei  ersten  Wörtern  zu  erklären,  vgl.  geaf, 
ceaf  etc.;  ^magla-  ergäbe  aber  nur  *moegl\  meagol  ist  deswegen  ent- 
weder auf  ^magula-  zurtickzuftlhren  oder  wahrscheinlicher  als  meagol 
anzusetzen. 

')  Es  scheint,  dass  von  alters  her  bei  diesem  worte  doppelstämme 
bestanden  haben,  vgl.  hagol  und  hcegl,  altn.  Baff  all  und  hagl.  Mög- 
licherweise gilt  das  auch  von  mcegen^  vgl.  altn.  magn  und  megm,  Wimmei 


80  SIEYEBS 

und  13  formen  Yon  fu^ol,  endlich  heisst  es  stets  ^  44  mal, 
mai5oiiany  eine  ausnähme  gegenüber  dem  ebenso  consequenten 
nueblan,  die  ich  nicht  zu  erklären  weiss.  Es  scheint  allerdings 
fast,  als  ob  eine  lautumgebung  mit  dunklem  timbre  den  eintritt 
des  vocals  begünstige. 

b)  vor  r  erscheint  er  häufig  als  mittelvocal  nach  dentalen 
und  gutturalen  und  stets  in  den  endungslosen  formen  (nom. 
acc.);  vgl.  ceder,  feeder,  weder y  gewidor;  tvceter,  fetier,  sweörian, 
cecer,  /ceger,  leger,  punor  nebst  ihren  ableitungen  bei  Grein. 
Yon  labialen  finde  ich  nur  geongewifre,  tvcefre  und  die  obliquen 
casus  von  tiber  {H/res  etc.),  stets  ohne  mittelvocal;  von  ieo/rian 
ist  mir  nicht  sicher,  ob  es  hierher  gehört ;  lyt5re  und  wii5re  be- 
legt Grein  nur  in  dieser  form ;  da  aber  die  worte  nicht  gerade 
oft  vorkommen,  so  wird  es  schwer  sein  zu  entscheiden,  ob 
dies  nur  zufällig  ist  oder  darauf  beruht,  dass  hier  keine 
endungslosen  formen  zur  seite  standen,  welche  den  eintritt  des 
mittelvocals  begünstigen  konnten. 

c)  vor  m  erscheint  kein  mittelvocal :  botm,  unfliime,  unhUtme, 
fcetim,  hoi5ma,  drysmian,  prosm,  aprysman  nebst  ableitungen; 
nur  einmal  aprysemodon  aus  Oros.  angeführt  bei  Grein  I,  46. 

d)  vor  n  in  der  regel  kein  mittelvocal,  fh  wechselt  mit 
mn;  gn  verliert  oft  das  g  mit  hinter  lassung  von  dehnung,  bei- 
des anzeichen  daftir,  dass  beide  consonantgruppen  nie  durch 
einen  vocal  getrennt  waren.  Beispiele:  woecnan,  wcecnian; 
brcesne  (prcemeT),  brosnian,  bysn,  esne,  glisnian,  hlomianj  lisne, 
andrysne,  gerysne,  forrvisnian;  genamne,  nemnan,  samnian,  sem- 
ninga,  ymn;  efn,  efnan,  efne,  hrcefn,  nefne,  refnan^  stefn,  stef- 
nan,  srvefn;  frigwm,  regn,  segn,  pegn,  pignen,  wcegn.  Nur  in 
endungslosen  formen  dringt  bisweilen  e  ein,  bysen  Andr.  973. 
Guthl.  146.  Metra  12,  7;  e/en  öfter,  Grein  I,  218  f.,  gefrcegen 
B.  1011.  Ind.  7.  Sat.  225,  hrefen  El.  52.  segen  B.  47.  1021.,  El. 
124;  swefen  Dan.  129.  148.  159.  165.  496.  529.  553.  654;  pegen 
Sat.  388.  485.  Dan.  443.  Andr.  528.  Byrhtn.  294,  und  von  hier 
aus  wird  es  ganz  selten  auch  in  die  formen  mit  vocalischer 
endung  eingeschleppt;  bysene  etc.  Gen.  B  651.  680.  GuthL499; 
pegem{s)  Metra  9,  56.  Bychtn.  205.  230.  232. 

§  37,  anm.  t  (die  freilich  auch  eine  ganz  andere  deutnng  zulassen),  ahd. 
magan  und  megin. 


ZUR  ACCENT-  ü.  LAUTLEHRE  DER  GERM.  SPRACHEN.      8 1 

Andere  consonanten  kommen  hier  nicht  in  betracht,  es  sei 
denn  dass  man  die  einschiebung  eines  vocals  vor  ableitendem 
ja  und  va  hierher  rechnen  wolle,  die  sich  bekanntlich  ebenfalls 
auf  kurzsilbige  Wörter  beschränkt:  her{i)ges,  ner{i)gean,  we- 
fiCjgean;  heal(p)rves,  feal{e)we,  geoi{u)tve  (Lye),  swalerve  (alter 
Yocal  in  widewe);  hear{o)we,  gear(p)we,  near{p)rve,  sear{u)rve; 
bead{u)tve,  sceadewigean  u.  s.  w.  ^) 

II.   Zwei  mittelvocale. 

Regel:  Es  wird  (wie  im  nordischen)  der  zweite  syn- 
copiert,  ohne  rücksicht  auf  die  Quantität  der  Wurzel- 
silbe; es  erscheint  vor  dem  verkürzten  sufGx  der  rest  des 
Wortes  in  derselben  form  wie  unflectiert.  Es  fallen  hierher 
fast  nur  die  comparative  und  starken  casus  mit  ursprünglich 
zweisilbiger  endung  von  adjectiven  mit  ableitendem  -l,  -r,  -n, 
'ig,  'd,  'isc,  z.  b.  acc.  sg.  m.  idelne,  degolne  :  eatolne,  swiculne, 
y feine ,  neotvulne;  eöweme,  gedcome,  {hyge)j,eömome ,  hlütteme, 
(forb)snotteme ,  unceme,  fcegerne,  hwceöeme]  ägenne,  Atirenne, 
edcenne,  f^renne,  hcböenne,  hwAtenne,  trenne,  stcenenne  und  die 
accusative  der  starken  part.  praet.;  (cel)mihtigne ;  dreörigne, 
hdligfie,  synnigne  etc.:  dysigne,  hefigne,  manigne,  wlitigne,  nacodne 
Lye,  weoiodne  und  die  acc.  der  schwachen  part  praet;  men- 
niscne  u.  s.  f.  2) ;  gen.  dat.  sg.  f.  und  gen.  pl.  idelra,  gearu-,  hige- 
pancolre,  searoponcolra  :  gomelra,  sweotulra;  geomorre,  döerre, 
6Öerra,  forbsnotterra ;  hcebenra,  fricenra  (-en-  aus  silbenbilden- 
dem n);  eddigra,  häiigre,  -a,  mödigre,  -a  etc.:  dysigra,  manigre, 
-a;  witodre  u.  s.  f.;  comparative  wie  snoierra,  fcegerra,  fcegenra, 
hefigra,  wlitigra  etc.  Beim  zusammentreffen  zweier  r  treten 
hier  oft  Verkürzungen  ein:  in  adjectivcasus  z.  b.  eötvere  Guthl. 
679;  dtiere  Gen.  1694,  öt5era  Gen.  1338,  snoiera  Ps.  106,  42. 
Seel.  Ex.  128.  Cräftas  41;  eöwra  B.  634,  incre  Gen.  557;  6t5re 
Gen.  1868.  Rats.  22,  10,  ötSra  RunenL  7.  Metra  26,  90,  snotra 
Hymn.  3,  16.  Seel.  Verc.  128;  lybra  Ps.  126,  5;  beim  compa- 
rativ  rcedsnoteran  Andr.  473,  f(ßg{e)ra  5  mal,  Grein  I,  270. 

*)  Von  langsilbigen  wird  sich  schwerlich  viel  mehr  finden  als  rcbstva, 

^)  Auch  die  ya-stämme  auf  zwei  consonanten  verlieren  das  mittlere 

e  im  acc,   so   heorogi ferne   mit  irrationalem  vocal    vor  dem  r,   ans 

g1fr'ne\    femer  mit  Verkürzung  der   beiden  n  f ebene,  fricne,  gisne, 

sütSeme  (Byrhtn.  134)  gleich  den  nominativen,  s.  Grein  s.  vv. 

UottrlKe  sar  geMhiohie  der  deutschen  spräche.   V.  (i 


82  SIEVEKS 

Ausgenommen  sind  natürlich  alle  silben,  deren  Yocal  nach 
8.  74  f.  überhaupt  nicht  syncopiert  werden  kann  oder  die 
als  tieftonig  anzusehen  sind,  namentlich  die  schwachen  prae- 
terita  und  participia  srnf -ode,  -od  und  die  Superlative  aut-ost, 
-esta  (vgl.  auch  s.  66  f.). 

Als  principien  des  ags.  Verfahrens  ergeben  sich  hiermit: 
erhaltung  des  unbetonten  mittelvocals  nach  kurzer, 
tilgung  desselben  nach  langer  Wurzelsilbe;  irrationale 
vocale  erscheinen,  übereinstimmend  hiermit,  vor  sonoren  meist 
nur  in  unflectierten  formen  (d.  h.  da  wo  der  Sonorlaut  in  folge 
des  vocalischen  auslautsgesetzes  als  silbenbildner  auftreten 
muss,  wie  in  cecer,  ftnger  aus  *akraz,  *fingraz)\  in  flectierten 
formen  sind  sie  in  beschränktem  masse  nach  kurzer  Wurzel- 
silbe gestattet 

III.  Alt  sächsisch. 

Das  altsächsische  unterscheidet  sich  wie  das  althoch- 
deutsche von  den  beiden  bisher  behandelten  sprachen  durch 
die  umfönglichere  erhaltung  unbetonter  vocale.  Wo  wir  dort 
consequente  tilgung  fanden,  dürfen  wir  hier  im  allgemeinen 
nur  auf  ein  gelegentliches  schwanken  zwischen  syncope  und 
erhaltung  rechnen;  aber  dies  schwanken  folgt  denselben  ge- 
setzen  wie  im  angelsächsischen  die  syncope. 

L  Einzelner  mittelvocal. 

A.  Nach  langer  Wurzelsilbe. 

1.  a)  Nicht  durch  position  geschützte  kürze  kann 
ausfallen;  b)  irrationaler  vocal  erscheint  nur  in  den 
unflectierten  formen  (in  diesen  aber  regelmässig,  während 
im  ags.  wenigstens  l,  m,  n  häufig  als  silbenbildner  ohne  vooal 
st^en).    Beispiele : 

a)  mit  /:  von  a)  schwankend  nur  diutal :  äiubules  M,  diutales 
C  HeL  1366,  diobole{s)  Sachs,  beichte,  diuuilo  Hom.  (MSD.  lXX, 
Heyne  v) ;  aber  diublas,  diuhlun  etc.  Hei.  2279.  4442  ^ ;  stets 
bleibt  altes  %  und  u,  in  engil,  xdil,  Mtil,  fillulös,  murmulon  (öthil 


*)  Einfache  zablencitate  im  folgenden  beziehen  sich  stets  auf  den 
Heliand,    Die  Psalmen  sind  als  nicht  s&chsisch  natürlich  ansgesohlosaen. 


ZUR  ACCENT-  U.  LAUTLEHRE  DER  GERM.  SPRACHEN.    83 

nur  unflectiert);  zahlreichere  beispiele  in  den  gl.  Prud.  (Zs.  f. 
d.  alt  XV,  517  flf.),  thrembilös  204  (vgl.  670),  friuthilo  246, 
spinnilun  251,  stengila  268,  thiathili  389,  ginestilod  (jSS.  Von  b) 
finden  sich  unflectiert  cumhal,  dögal-  gl.  Prud.  444.  531.  545, 
fercal,  tungal,  uuehsal,  doch  auch  uuesl  M  3738;  flectiert  cnösles 
etc.,  sumble,  tungiun,  -as;  dazu  ahsla,  nädlun,  tuifli  nebst  ab- 
leitungen,  uuandlod  etc.  gl.  Arg.  Psalmencomm.,  uuehslörij  gislös 
gl.  Prud.  675,  thislun  716  f.,  handlon  369.  641. 

b)  mit  r:  die  r-casus  der  adjectiva  syncopieren  nicht,  ausser 
einmal  hingro  für  *lmigrero  C,  während  M  fälschlich  iungaro 
hat,  1247,  und  einmal  mahtigro  C,  -oro  M  2262,  ein  fall  der 
eigentlich  erst  unter  II  zur  spräche  zu  bringen  ist.  Die  com- 
paratiye  schwanken,  s.  das  Verzeichnis  bei  Schmeller  II,  178 
und  unten  s.  86.  Die  Wörter  auf  -ari,  -eri,  Schm.  II,  174a 
behalten  stets  ihren  vocal,  ebenso  kesur;  honero  Frek..  martiro 
Hom.,  aber  meira(s)  zu  *meiur  Frek.,  eiro  Frek.  124.  361.  425, 
preströs  Conf.,  sostra  sextarios  Ess. ;  im  Hei.  schwankend  mor- 
gano  C,  morgno  M  601;  stets  syncopiert  öiher  in  der  flexion, 
Schm.  II,  86,  ausser  ödaru  CM  3208,  ödara  M  3228,  letzteres 
fehlerhaft  für  ödran  C  ^).  —  Von  b)  unflectiert  aldar,  bitiar, 
clüstar-,  duncar,  embar,  ettar  (gL  Prud.  605),  hlüttar,  hungar, 
iämar,  lastar,  maldar ,  sundar,  timbar,  udther,  uuintar,  uundar, 
flectiert  aldres^^),  bittres,  clüstron,  fingru,  hSdra,  -dn,  hlüttres, 
hungres,  lungres,  smultro,  sütreas,  sundron,  gitimbrid,  uuestron, 
uuintro,  uundres,  -on;  dazu  ädro  (s.  71,  anm.  3),  frdfra,  -ean, 
gambra,  nädra,  (hiustri.  An  Schwankungen  sind  zu  verzeichnen 
accare,  -o  2567  C  (fehlt  M),  2592  CM  und  hlütterm  C  898. 
1719;  hlütturu  C  1935,  hlüttaron  M  4449  neben  vielen  formen 
ohne  vocal,  Schm.  II,  58;  sodann  aldares  C  3485,  lastares  C, 
-eres  M  5229  und  brodarun  M  3391;  hederun  Comm.,  hunderod, 
ästeron  Frek.,  nädara  gl.  Prud.  367  (gegen  258),  blddarun  308, 
Sttaraga  624. 

c)  mit  m:  die  dative  sg.  m.  n.  der  adjectiva  haben  stets 
-umu  {-amo,  -omo,  -emu)  oder  daraus  durch  verlust  des  schluss- 
vocals  gekürzte  formen,    niemals  -mu  als  endung;    vielleicht 


*)  Vgl.  das  s.  76  über  ags.  htvce^er  bemerkte  und  unten  s.  89. 
>)  Ich  gebe  der  kürze  halber  in  der  regel  nur  eine  casuBform  als 
beleg  an,  auch  wo  mehrere  casus  bezeugt  sind. 

6* 


84  SIEVERS 

deutet  dieser  umstand  noch  auf  die  einstige  schützende  gemi- 
nation  des  m  zurück.  Sonst  findet  sich  alter  vocal  vor  m  wol 
nur  in  uuänam,  -um,  auch  in  der  flexion.  Irrationaler  vocal  in 
äthom,  methom-,  uuastum,  dazu  flectiert  bdsme,  brahtmu,  meth- 
mos,  uuastmes  (auch  fehmia). 

d)  mit  n:  einsilbige  adjectiva  auf  -0  (resp.  zweisilbige  ja- 
jlfo^  Stämme,  nom.  -/)  haben  im  acc.  sg.  nur  -ayi:  allan,  äldan,  bR- 
Jkrt'l'^ll  thian,  enan,  godan,  grötan,  hSlan,  hetan,  hohan,  holdan,  huötian, 

^  iuuuan,  langan,  lethan,  lioban,  inärian,  middian,  mildian,  mxnan, 
rikian,  sinan,  seWaUj  spähan,  starcan,  suäran,  ihriddeofi,  üsan, 
Utadan,  uuisan,  uuissan,  dazu  auch  hlüttran  (über  öihran  und 
die  mehrsilbigen  adjectiva  s.  s.  88f.);  ausnahmen  erma  33  mal 
gegen  8  enauj  wenn  man  die  fälle  beider  hss.  zusammenzählt; 
antlangana  MC  4225;  mödspäha^ia  M,  -hna  C  1192;  gödene 
M  4775,  mlldiene  M  3861,  scirana  C  2008,  vgl.  2908;  uuidana 
MC  2289,  umdene  M  2881.  Altes  a  bleibt  ferner  stets  im  star- 
ken part.  praeteriti :  gibolgane,  gibundane,  drunkane,  giuuaJisanes, 
giuunnanes  Hei.,  farlätanero  Conf.,  begangmm  Hom.,  giscethanes 
Frek.,  giuurmigana  gl.  Prud.  226  und  in  den  ortsadverbien 
ferrana,  ösimia,  uuestana;  ebenso  euuana  C  1302  (euuiga  M); 
aber  thiodne{s)  C  4956.  4962.  5045.  5151,  wo  M  thiodane{s)  hat 
und  C  2549.  3283.  3996.  4693.  4737.  5369,  wo  M  fehlt,  gegen 
einmaliges  thiodene  C,  theodone  M  3056.  Altes  t  erscheint  in 
hethina(n)  3238.  M  4167  und  drohtine{s)  140  etc.,  wenn  Paul, 
Beitr.  lY,  s.  427  recht  hat,  hier  ursprüngliche  kürze  anzu- 
setzen ^) ;  geschwunden  ist  es  in  uuitnön  (s.  auch  gl.  Prud.  654. 
660),  fastnön,  alamosna  M  (doch  C  elimdsind)  und  läcno  gL 
Prud,  368.  —  Zu  b)  finden  sich  die  unflectierten  formen 
böcan,  tecan,  tiuäpan-,  uuolca^i,  die  flectierten  bocyies,  fecnes, 
tecnes,  uuäpne,  uuolcnes  nebst  segisna,  anbusni,  fecni,  lihni, 
fersna,  fröcni,  lögna,  lögnian,  giuuäpni')^  ^öcwww^a  gl.  Prud.  382. 
665,  soctieri  555.  747,  griicsniun  763. 

e)  mit  s  liegen  wol  nur  vor  ecso  2404,  minsön  und  bRdzea, 
bMzean^  regelmässig  gekürzt. 

0  Das  rein  ags.  drihines  C  264  bleibt  natürlich  hier  ausser  betracht 

')  Dass  hier  niemals  eine  trennung  des  vorausgehenden  consonanten 

von  dem  n  bestand,   lehren  namentlich   die  erweichungen  von  c  zu  g-, 

bdgno,  -e  M  373.  545,  Ugno  C  2076  (vgl.  405),  ßgnes  C  5652,  vgl.  Schm. 

II,  185a. 


ZUR  ACCENT-  U.  LAUTLEHRE  DER  GERM.  SPRACHEN.     85 

f)  mit  th:  die  abstracta  auf  -itha  und  verwantes,  häufig 
gekürzt:  diurtha  490.  2140.  4439.  4765.  M  4514,  hondun  722, 
märthu  950.  5674,  gimenihon  862,  sältha  872.  1327;  dagegen 
im  Heliand  diuritha  4338.  4414.  4647.  C  4514,  märitha  4  C. 
2165,  spähiiha  3454  C  (M  fehlt);  dazu  kommen  gihdriihano, 
uuihethon  Conf.,  meltethi  Frek.,  äruithi  gl.  Arg.,  ungiögitha  gl. 
Prud.  3,  bigengitha  92,  360,  ßlitha  313,  selfsuhtitha  412,  gthä- 
ritha  441,  hönitha  507,  cüskUha  599. 

g)  mit  d:  ausser  dem  unflectierten  eorid-  4141  an  Substan- 
tiven nur  hdbid,  welches  stets  in  der  flexion  syncopiert ,  Schm. 
58.  Von  langsilbigen  verbis  auf  -ja  syncopieren  in  der  regel 
die  auf  einfachen  consonanten  im  praeteritum,  s.  Heyne,  kl. 
alts.  gr.  54  f.  und  Begemann,  schwach,  praet.  s.  120  ff.,  deren 
Verzeichnissen  noch  aus  gl.  Prud.  giscerpta  463,  thomda  465, 
nddda  678  hinzuzufügen  sind;  ausnahmen  diuridun  G  83.  3584. 
3722:  diurdu7i  CM  2966,  M  3584.  3722;  ddpida  C  954.  3046, 
märidin  C  5883,  7iähida  3671.  C  5394,  näthidun  2910,  uuihida 
4633,  M  5974  (fehlt  C),  2854  (uuihda  C),  gihelida  Exorc.  Von 
verbis  auf  zwei  oder  mehr  consonanten  syncopieren  meist  nur 
die,  deren  schlussconsonant  ein  dental  ist  (s.  Heyne  a.  a.  o. 
55  und  dazu  liuhta,  menndun  G  4109  (wenn  dies  nicht  fttr 
mendiodun,  wie  M  liest,  verschrieben  ist),  rihta,  trdsta  und  die 
auf  geminata,  vgl.  gifulda,  merda  Gonf. ;  ausnahmsweise  beldida 
4791,  lestidun  C  2857,  thursiidi  G  5642  (fehlt  M).  Die  übrigen, 
namentlich  alle,  deren  schlussconsonant  ein  Sonorlaut  ist  {l,  n\ 
bewahren  das  i,  s.  Heyne  und  Begemann  a.  a.  o.  —  Die  lang- 
silbigen  participia  praeteriti  bewahren  ihr  i  im  Heliand  stets^ 
vgl  gidiuride  3319,  bineglida  G  5693,  ginemnida  1318,  gidgida 
G  5673,  giuuendidan  G  5811,  mengidamo  gL  Arg.  116;  aber  die 
Merseburger  glossen  gewähren  irvegde,  idömde,  der  Werdener 
psalmencommentar  gifulda  (Heyne  a.  a.  o.) ;  häufiger  sind  diese 
formen  in  den  gl.  Prud.:  gemeddan  377,  ÜUdsdaru  384,  gescerp- 
tun  482,  alösdan  511,  ferköpion  570  neben  gihäuideru  167, 
gilubbibemo  186,  ütgeinnäthridimo  399,  antervidio  573,  gimusidun 
780  (kurzsübig?). 

h)  mit  t  finde  ich  nur  raskitdda  gl.  Prud.  467. 

i)  mit  g  fallen  hierher  die  adjectiva  auf -a^,  die  zwar  ihr  a 
zum  teil  zu  i  schwächen    (s.  öchmeller   unter   craftag ,  Snag, 


86  SIEVERS 

mödag,  dthuudrag)y  aber  ausfall  nur  sehr  selten  eintreten  lassen: 
hilgost  C  5739,  helgoda  C  4634  {helagode  M);  vgl  dazu  un- 
giuuitgon  C,  ungeuuitigon  M  1818. 

k)  mit  k  viele  eigennamen  auf  -ako,  -  iko,  -ikin  wie  Abbiko, 
Aldako,  AldikOj  Alvikin  etc.  (s.  Heyne,  altniederd.  Eigenn.  passim), 
mit  be Wahrung  des  vocals. 

2.  Alte  natur-  und  positionslänge  schützen  im 
ganzen  vor  dem  ausfall.  So  sind  stets  unversehrt  (natür- 
lich abgesehen  von  kürzungen  und  qualitativen  Veränderungen 
des  vocals)  die  gen.  pl.  auf  -ono  {-ano,  -uno,  -eno)]  die  mehr- 
silbigen formen  der  adjectiva  auf  -in,  4g ;  die  praeterita  auf 
'6da,  bildungen  wie  coppöd,  beuuod,  arbedi,  mänutha  gl.  Prud. 
355,  die  Superlative  auf  -dsi\  ferner  die  ableitungen  auf  -and-, 
-und'  (wie  äband,  ärundi)  einschliesslich  der  part.  praes.;  die 
mit  -ung,  -ing ,  -unnia,  'innia  (letztere  wegen  des  tieftons,  s. 
Beitr.  IV,  529),  sowie  die  auf  -sli  und  -slo  {hurgisli  [gl.  Lips.], 
döpisU,  herdisli,  mendislo,  wegislo,  errislo  gl.  Prud.  1.  453,  gur- 
disla  388,  Jdnislon  499,  rädislon  152);  die  adjectiva  auf  -isc 
und  verwantes  (wie  hiuuiski,  gumiski,  gl.  Prud.  684.  799,  ab- 
disca)j  die  Superlative  auf  -ist(o)j  ambaht  u.  ä.  Auffallend 
weichen  die  comparative  ab.  Trotz  des  ursprünglichen  -dro 
findet  sich  in  C  (wie  im  ags.  regelmässig)  iungro  (so  stets), 
lethro  323,  leobrun  1683,  iämorlicra  735,  craftigron  610, 
säligron  611  neben  vollen  formen  auf  -oro,  -aro,  -ero\  M  kennt 
diese  kürzung  nicht;  auch  von  den  comparativen  auf-/ro  wendet 
es  die  gekürzten  formen  in  grösserem  umfang  nur  bei  den  sub- 
stantivierten Wörtern  aldron,  furthron,  herro  und  dem  ebenfalls 
nicht  mehr  comparativisch  gefühlten  suithro  (185.  5976)  an; 
ausserdem  steht  nur  einmal  lengron  M  170,  während  C  noch 
lengro  170.  1106.  2246,  stilrun  2255  (fehlt  M)  hat,  neben  altem 
-iro,  -ero,  —  Ausstossung  von  positionslänge  finde  ich  nur  in 
dfstUco  5935:  öbastRco  5896,  beide  nur  in  C  überliefert;  Heynes 
lesung  mennscemo  für  menniscemo  im  Werdener  psalmencom- 
mentar  wird  durch  Scherer  zu  Denkm.  LXXI,  42  ausdrücklich 
als  unrichtig  verworfen. 


ZUR  ACCENT-  ü.  LAUTLEHRE  DER  GERM.  SPRACHEN.     87 

B.   Nach  kurzer  Stammsilbe. 

1.  Alle  mittelyocale  bleiben  erhalten: 

a)  vor  /;  abales,  eöili,  gigamdlöd\  himilesy  mikile,  slutilas, 
uiiles  Schm.,  sekila,  skipilina  gl  Prud.  581.  542;  hatuio  Hei. 
3596,  steculi  gl.  Prud.  281.  b)  vor  r:  abaro,  bikera,  ederös, 
/eieros,  hamuron,  hauoro,  huethares,  radure,  sicora,  -dn,  kamara 
gl.  Prud.  504.  c)  vor  m:  kein  beispiel  ausser  degmo  aus  deci- 
mus,  das  vielleicht  ohne  mittel vocal  entlehnt  wurde,  wie  tafla 
etc.  (s.  s.  88).  d)  vor  n:  /aganon,  hebanes,  lacanes,  opana,  -dn, 
regano-]  femer  die  kurzsilbigen  participia  praet  der  starken 
verba;  mit  altem  i:  firina,  licgina,  eicena  (Frek.),  rethin6n]  vgl 
nigunu  e)  vor  s:  egiso,  felisos,  idisi.  f)  vor  th:  scauathon 
gl.  Prud.  620;  gibithi(g),  fremiihi,  haneihi,  helithds,  inguthi,  vgl. 
tegotho,  niguiho  und  magath  (von  dem  nur  diese  form  belegt 
ist),  g)  vor  d:  die  schwachen  praeterita  und  pari  praet.  s.  bei 
Begemann  a.  a.  o.  120  f.,  sodann  (ecid),  nimidas,  metodes,  ra- 
cude,  uiterodes.  h)  vor  t:  munita  gl.  Prud.  558.  579,  muniteriös, 
gimunitdd  Hei.,  vgl.  erito  pisorum  Ess.  Frek.  (Heyne  s.  109). 
i)  vor  g:  honegas,  manages,  luhigo,  uuUtige.  k)  vor  k:  {kelik\ 
kerika,  milukas  gl.  Prud.  342  und  eigennamen  auf  -ako,  -ikiny 
'Uko  etc.  wie  Alaka,  Adiko,  Abuko  n.  s.  f. 

Als  ausnahmen  von  dieser  regel  erscheinen  eine  reihe 
kurzsilbiger  verba  ohne  mittelvocal  im  praeteritum  und  parti- 
cipium  praeteriti:  hogda,  lagda  (legdd) ,  sagda;  latta  {leitet), 
satta  (settä);  quedda;  habda,  Ubda,  uuähta  (neben  utcekida); 
salda,  talda  (Begemann,  schw.  praet  120,  oben  s.  78  und  unten 
unter  IV).  Sonst  treffen  wir  nur  vereinzelte  Überschreitungen 
der  regel ;  so  in  lefna  acc.  sg.  m.  Hei.  2096.  2308,  bezt(o)  und 
lezi{o),  lazt{o)  (freilich  den  einzigen  beispielen  eines  acc.  sg.  m. 
oder  Superlativs  kurzsilbiger  adjectiva);  femer  stets  tegegnes, 
gegnungo  (wie  ags.,  s.  oben  77,  aber  abweichend  von  diesem 
megine  5043;  unflectiert  megin  wie  angegin)  und  schwankend 
seltia  neben  selitka,  Schm.  11^  95.  96. 

2.  Irrationaler  vocal  erscheint  stets  in  den  un- 
flectierten  formen,  in  den  flectierten  nur  vereinzelt, 
namentlich  vor  r;  vgl  mahal,  neial,  gagal  gl.  Pmd.  745,  segel, 
fagar,  legar,  uuedar ,  eban,  gaman,  sueban,  thegan  mit  bodlös, 


88  SIEVERS 

fugles,  hruslos  (s.  auch  gl.  Prud.  314),  kaflon,  mahle,  -ian,  nagios, 
sedle,  gisidli,  stadlo,  tansiuthlio  gl.  Piud.  373,  uuehsitafhm  (gl. 
Prud.  825,  s.  oben  s.  87),  thrufla  gl.  Prud.  273,  suigli,  simla; 
dodro ;  bödme,  fadmia  (?),  fathmos,  wagnos  gl.  Prud.  280 ;  drucno, 
-ian,  efno^  -nissi,  hofno,  suefne,  trahni,  segnoda,  thegnes,  nemnian, 
atsamne,  samnon,  stamne,  stemna,  simnon,  tolna;  an  einsohie- 
bungen  habe  ich  gefunden  suebanös  M  688  {suefnos  C,  und 
suuefne  MC  701);  nehulo  M  2910  (neflu  C  2910  und  5749), 
negilid  C  5704  {neglid  1186  und  C  5552,  hineglida  C  5693); 
agaleto  M,  agleto  C  3008;  vor  r  regelmässig  in  f agares,  legares, 
uuedares,  ungiuuidereon,  uuatares  (alter  vocal?),  uueiharo,  fethe- 
run,  hierher  auch  wol  stamaröd  gl.  Prud.  232,  litharin  703, 
lutharun  (?)  356,  vgl.  auch  gifagiritha  202.  Zweifelhaft  ist  mir 
das  Verhältnis  von  gidrusindt  C  zu  gitrumdd  M  Hei.  154. 

II.  Zwei  mittelvocale. 

Es  scheint  dass  hier  dasselbe  gesetz  von  der  tilgung  des 
zweiten  vocales  gilt  wie  im  ags.  und  altn.  (s.  68.  81),  natürlich 
mit  der  einschränkung,  die  durch  die  grössere  festigkeit  der 
vocale  des  alts.  geboten  wird.  Alle  endungen,  die  unmittelbar 
nach  langer  Stammsilbe  festen  vocal  haben,  bewahren  ihn  auch 
in  dritter  silbe;  so  die  genetive  pl.  auf  -ono  wie  iungorano, 
hiligonoy  gihörithafio^)]  die  r- casus  der  adjectiva,  craftigaro, 
Snigaro  {/agarero),  helagaro,  mahtigoro,  managaro,  mödigaro  und 
der  gen.  pl.  der  substantivierten  participien  wie  neriendero  etc. 
(Heyne  87  f.),  nomina  agentis  auf  -eri,  wie  muniteriös,  die  da- 
tive  sg.  m.  n.  der  adjectiva,  emgumu,  managumu,  ödagumu, 
thur/tigumu.  Aber  deutlich  wirkt  das  gesetz  in  den  accusa- 
tiven  sg.  m.  der  adjectiva.  Oben  s.  84  wurde  gezeigt,  dass 
alle  einsilbigen  adjectiva  mit  wenigen  ausnahmen  hier  die 
endung  -an  hatten;  ganz  anders  gestaltet  sich  das  Verhältnis 
der  formen  bei  den  zweisilbigen.  Zunächst  zwar  ttberrascht 
die  auffallend  grosse  anzahl  von  formen  mit  bewahrung  der 
vollständigen  endung:  craftigana  M  2S04,  helagana  M  1129, 
mikilana  M  2317,  unsundigana  GM  2722,    zu   denen   auch  die 


0  FormeD  wie  aidrono,  herrono,  hilgode  beweisen  nach  dem  8.  86 
gesagten  nichts  gegen  die  geltang  unseres  gesetzes,  obwol  hier  der  erste 
mittelvocal  ausgefallen  ist 


ZUR  ACCENT-  U.  LAUTLEHRE  DER  GERM.  SPRACHEN.   89 

componierten  adjectiva  zu  rechnen  sind:  langsamana  M  2700, 
G  4527,  nmdsamana  C  224,  antlangana  MC  4225,  modspähana 
M  1192,  aber  bei  weitem  am  häufigsten  ist  -na  als  endung, 
vgl.  craftagna  {crafiagne  M,  crafü{g)na  C)  CM  2674.  3130. 
3607.  3618.  4223.  4831.  5508;  C  2986;  M  5252;  Ulagim  ca. 
24  mal  in  beiden  hss.,  Schm.  II,  53  a,  Mtüna  381,  mahtigna  ca. 
20  mal  in  beiden  hss.,  Schm.  II,  75  a,  modagyia  550.  686,  säligna 
587,  sculdigna  3086.  4592;  dazu  langsamjia  M  4527,  C  2700; 
niudsamna  M  224,  mddspälma  C  1192.  Die  form  auf  -an  tritt 
dagegen  zurück :  wir  finden  regelmässig  enigan  (zu  enag)  9  mal, 
huetheran  1  mal,  huilican  6  mal,  managan  6  mal,  sicoran  2  mal, 
sodann  vereinzelt  craßagan  M  2986*  enigan  C  1003  (fehlt  M), 
helagan  C  1129  (-anaM;  die  übrigen  formen,  die  Schm.  II,  53 
aufiführt,  gehören  der  schwachen  declination  an),  liggeandean 
2331,  mahtigan  C  5919*  mikilan  C  2317,  odagan  3337*  sali- 
gan  C,  säligRcan  M  468,  ubilan  5185,  von  denen  die  besternten 
möglicherweise  schwache  formen  sein  können,  da  der  artikel 
vorausgeht.  So  bleibt  noch  der  accusativ  von  öbar,  der  in 
jeder  beziehung  singulär  ist;  es  findet  sich  nämlich  ddrana 
(dthrana)  M,  obema  (odama)  C  223.  1434.  1438.  2471,  obarna 
M,  obema  C  1446,  dann  aber  in  beiden  hss.  dbran  etc.  683. 
695.  718.  724.  1263.  1468.  2698.  4819.  5374,  und  C  3228. 
Nach  analogie  des  ags.  und  des  oben  gesagten  wäre  überall 
öbama,  dbema  zu  erwarten  gewesen  (vgl.  ags.  dberne),  wenn 
eben  der  vocal  der  zweiten  silbe  des  wertes  wirklich  ursprüng- 
lich ist,  wogegen  sich  namentlich  auch  von  selten  des  ahd.  gewich- 
tige bedenken  erheben  (s.  s.  93  f.).  —  Unbegreiflich  ist  mir, 
warum  enig  u.  s.  w.  ausschliesslich  sich  der  -an-form  bedienen. 

Alles  zusammengefas^t  ergibt  sich  also  auch  für  das  alt- 
sächsische  eine  stärkere  neigung  zur  syncope  nach 
langer,  als  nach  kurzer  Wurzelsilbe;  damit  übereinstim- 
mend gestattet  nur  kurze  Wurzelsilbe  gelegentliche  einschiebung 
eines  irrationalen  vocals  vor  vocalischer  endung. 

IV.  Althochdeutsch. 

Eine  vollständige  Untersuchung  der  einschlägigen  ahd. 
Verhältnisse  würde  mehr  räum  und  zeit  beanspruchen  als  sie 
mir  jetzt  zu  geböte  stehen.     Es  wird   aber  auch  für  unsere 


90  SIEVERS 

zwecke  genügen,  wenn  wir  nur  insoweit  eine  Charakteristik 
einzelner  hervorragender  denkmäler  geben,  als  sie  zur  erkennt- 
nis  der  dort  waltenden  gesetze  erforderlich  ist 

Was  bei  der  betrachtung  der  ahd.  denkmäler  auch  in  be- 
Ziehung  auf  unsere  frage  besonders  in  die  äugen  fallt,  ist  die 
ausserordentliche  divergenz  der  einzelnen  stQcke  je  nach  dem 
ort  und,  was  besonders  hier  gilt,  nach  der  zeit  Es  ist  des- 
halb besser,  den  bisher  eingeschlagenen  weg  der  betrachtung 
einzelner  lautgruppen  zu  verlassen,  zumal  ja  auch  durch  das 
vorangegangene  bereits  ein  hinlänglicher  überblick  in  dieser 
richtung  gegeben  ist 

Will  man  zu  einem  einigermassen  klaren  Überblick  über 
den  überall  entgegenstehenden  Wirrwarr  gelangen,  so  hat  man 
von  einem  recoustruierbaren,  idealen,  ältesten  ahd.  auszugehen. 
Für  dieses  gilt  als  erste  regel,  dass  ausser  dem  t  im  prae- 
teritum  und  participium  praetoriti  schwacher  verba 
kein  ursprünglicher  mittelvocal  syncopiert  war.  In 
dieser  beziehung  stimmen  alle  älteren  denkmäler  noch  überein. 
Bekannt  ist  die  sache  für  alle  ursprünglichen  längen  und  die 
t  und  u]  für  e  kommen  die  adjectivcasus  auf  -era,  -ero,  -eru, 
-emu  in  betracht,  ebenfalls  ohne  ausnähme.  Etwas  schwieriger 
liegt  die  sache  bei  a,  weil  sich  dieses  vielfach  auch  als  secun- 
därvocal  aus  silbenbildendem  Sonorlaut  entwickelt  Dieses 
secundär-a  erscheint  wie  im  alts.  regelmässig  da,  wo  nach  dem 
vocalischen  auslautsgesetz  ^)  ursprünglich  consonantischer  sonor- 
laut  nach  einem  andern  consonanten  in  den  auslaut  tritt,  es 
sei  denn,  dass  beide  zusammen  im  silbenauslaut  stehen  können 
(lautphys.  s.  11 1  f.),  also  zeichan,  hittar,  tougal,  aber  wechselnd 
aram,  halam  und  arm,  halm  etc. 

Es  dringt  aber,  und  dadurch  unterscheidet  sich  das  ahd. 
wesentlich  vom  altsächsischen,  dies  secundär-a  auch  in  das 
innere  des  wertes  ein  und  zwar  nach  kurzer  Stammsilbe 
bereits  im  allgemeinen  regelmässig  in  jenem  ältesten 
ahd.,  soweit  ich  sehe  mit  nur  6iner  consequenten  ausnähme, 
der  lautgruppe  mn  in  yiemnan  und  stimna  und  verwanten,  die 
bereits  frühzeitig  oft;  zu  nemman  und  stimma  assimiliert  werden; 
aber    nicht  in  den  ableitungen  von  sam{a)n,    wie   zi  samane, 


0  Wie  dieser  ausdrack  zu  verstehen  sei,  darüber  weiter  unten. 


ZUR  ACCENT-  ü.  LAUTLEHRE  DER  GERM.  SPRACHEN.     91 

samanön  etc.  Ich  führe  dies  gleich  von  vornherein  an,  weil 
diese  tatsache  wol  geeignet  ist,  uns  dies  auftreten  jenes  a  im 
inlaut  überhaupt  verständlich  zu  machen.  Allerdings  muss  bei 
dieser  erscheinung  auch  ein  lautgesetzliches  moment  mitgewirkt 
haben,  da  die  quantität  der  Stammsilben  dabei  stets  als  be- 
dingender factor  erscheint,  aber  zum  andern  teil  haben  wir 
es  auch  offenbar  mit  analogiebildungen  zu  tun,  mit  einer  Ver- 
schleppung der  secundär-a  der  schlusssilben  in  das  innere  des 
Wortes,  sobald  dasselbe  einen  Zuwachs  am  ende  bekommt.  Bis 
zu  einem  gewissen  grade  ist  also  der  eintritt  des  irrationalen 
mittelvocals  an  die  existenz  naheliegender  typen  mit  eben- 
solchen schlussvocalen  gebunden;  daher  beisst  es  wol  samanön 
nach  saman,  aber  zu  nemnan,  stimna  fehlt  die  parallele.*) 

Eine  weitere  folge  dieses  gleichmachungstriebes  ist  das 
allmählige  eindringen  solcher  irrationaler  a  nach 
langer  Stammsilbe,  das  lautgesetzlich  nicht  wol  erklärt  wer- 
den kann.  Hierin  gehen  aber  die  einzelnen  denkmäler  viel- 
fach auseinander,  und  es  ist  demnach  eine  etwas  genauere 
darlegung  der  sachlichen  Verhältnisse  notwendig. 

Es  gibt  vielleicht  kein  einziges  ahd.  denkmal  von  einigem 
umfange,  welches  ganz  auf  dem  Standpunkte  des  erwähnten 
idealahd.  stünde;  aber  bei  einigen  sind  doch  die  ab  weichungen 
noch  verschwindend  gering. 

Am  nächsten  kommt  dem  Urzustand  noch  Isidor.  Das  ge- 
setz,  dass  auch  nach  langer  silbe  alter  vocal  nicht  sjncopiert 
werde ,  ist  in  voller  giltigkeit.  Man  vgl.  z.  b.  (abgesehen  von 
den  nicht  auf  Sonorlaut  ausgehenden  endungen,  wie  ag  und 
den  nomin.  agentis  auf  -ari,  -eri,  die  wir  zunächst  ausser  acht 
lassen  können)  die  flectierten  formen  der  participien  chiscaffanes, 
chihorgonun,  uuordanan,  aruuorpanan,  bigunnenun,  chiheizssenin, 
-un,  chihuorua7xe  nebst  offono  (3),  chioffonöt ,  chioffayiödom, 
heidheno;  sodann  hifangolode ,  aridalida^)  (2);  uuazsserum  (2), 
femer  an  fremdwörtern  chimariorddan,  chimartirdt,  martyrunga, 


0  Dass  saman  nieht  etwa  alten  vocal  hat.  beweisen  alts.  tdsamne. 
samndn,  ags.  tdsomne,  somnian. 

^  Die  orsprünglichkeit  des  vocals  vor  /  erweist  die  durchgängige 
conserviemng  desselben  im  ahd.  und  die  alts.  nebenform  tdil. 


92  SIEVERS 

offerunc;  dagegen  mangelt  ein  vocal  regelmässig  in  frcna, 
frchno,  {chi)zeihnU ,  zeihne,  zeihnum,  iisnine,  bauhnit,  bauhnida, 
bauhnunc  etc.  (14),  aloosnhi]  ädhmot  (2);  unzuuiflo,  simbles  (2), 
lumblo;  hiüttror,  sundric,  aftristo,  fingro,  -um  (4),  sculdrdm  (4), 
ghelstro,  lastrdnt,  zimbrendi,  zimbrit,  fordhro  (s.  unten),  nädra, 
-Ü7i,  Nach  kurzer  Wurzelsilbe  treffen  wir  secundären  vocal  in 
regonoda  9,  14.  15,  fatere  35,  20,  faterun  35,  16.  22;  aber  er 
fehlt  noch  in  chisamnoda  11,  19,  samnunghe  25,  20  (trotz  öfterem 
samant)  und  hohseili,  -e  17,  30.  33,  22.  24.   35,  12.») 

Demnächst  wäre  die  Benedictinerregel  aufzuführen. 
Ueber  sie  geben  die  Zusammenstellungen  von  Seiler,  ßeitr.  I, 
432  f.  ein  ganz  falsches  bild;  ich  bin  also  auch  hier  genötigt, 
das  material  mehr  in  extenso  vorzuführen. 

Es  wird  zunächst  niemals  der  vocal  der  zahlreichen  pari 
praet.  auf  -ayi  nebst  eigan,  off  an  und  deren  ableitungen ,  und 
den  adverbien  auf -an«  syncopiert;  diese  stehen,  wie  überhaupt 
hier  ein  für  allemal  bemjerkt  werden  mag,  im  ahd.  fest.  Regel- 
recht ist  auch  der  vocal  in  morknne  99  und  in  keleisinit  52, 
leisanonti  53,  keleisanit  77.  Es  bleibt  ferner  das  a  der  adj. 
auf  -a/  =  altn.  -all,  -ull :  ezzalan  43 ,  -eer  80 ,  suuigali  etc. 
48  (2).  55.  88.  93,  äkezzalH  50,  zunkaler  56,  släfalero  72,  ubar- 
äzalii  89  (3),  truabaler  80.  121  nebst  Ualiv  44  und  stiagalum 
116;  vor  r  in  untiri  53,  üzordsto  55,  innarorun  55  (darüber 
weiter  unten),  aber  fremd  Wörter  syncopieren  hier;  es  heisst 
nicht  nur  stets  meisires  etc.  (7)  nach  analogie  von  magistri  u,  s.  f., 
sondern  auch  fministre(s\  monastre{s)j  munistrilih  etwa  13  mal, 
katemprot  58,  ketemproe  91,  ketemprdt  92.  102,  letztere  gewis 
im  anschluss  an  vulgäre  ausspräche  des  lateinischen.  Regel- 
mässig ohne  vocaleinschub  nach  langer  silbe  erscheinen  kipauh- 
nit  110;  {n)eonaldre  14  mal,  aldre  89,  altres  119,  altrum  87, 
luustreniem  31,  ßistrii  31,  pruadrä,  -o,  -um  32  (2).  40.  58.  81, 
kezimbrota  33,  zimbroe  92,  kizimbrii  98,  kezimbri  122,  chorires 
40  (2),  hlahire  44,  uuntrum  49,  hleitra  50,  achre  56,  -o,  -um 
91,  fordroron  61,  suntrigem  63,  kisuntrot  68,  suntrigo  94.  105, 
suntricHhchiu  102.  108  (2),  ooström  65,  -un  91,  lüttras  71,  Httri 


0  Hiernach  ist  die  formulierung  des  betreffenden  abschnittes  bei 
Weinhold,  Isidor  s.  61  etwas  zu  modificieren.  —  Ueber  einige  der  hier 
nicht  aufgeführten  formen  mit  r  s.  unten. 


ZUR  ACCENT-  U.  LAUTLEHRE  DER  GERM.  SPRACHEN.      93 

102,  hlüiremv  119,  unsühro  82,  caugrot  etc.  94.  100.  101.  105. 
125,  wmtre  107;  mit  /  simblum,  ausserordentlich  häufig.  Nach 
kurzer  silbe  consequenter  einschub  resp.  keine  syucope  in 
fremdwörtem:  fateres  30.  38.  47.  \^%fatere  h^^fatare  {Ifatera) 
70,  duuidaro  (?)  30.  42.  47.  62.  93  (2).  99.  102,  samanunga  etc. 
31.  34.  35.  41.  45.  46.  63.  80  (2).  81.  84.  97,  samanönne  99, 
ouanes  35,  ebanostin  42,  ebano  62.  69.  71.  102,  ebanemu  81.  120, 
zaharin  44,  sedaM  59,  sumares  62.  90.  91,  sumere,  vuidardt(a) 
95.  116,  rosomon  121,  scamelü  61,  chamara  105,  cucalün  107. 
Diesen  46  beispielen  steht  keine  einzige  ausnähme  gegenüber, 
\¥ol  aber  beginnt  die  erste  regel,  bezüglich  der  langsilbigen, 
bereits  durchbrochen  zu  werden.  Für  sie  sind  oben  etwa  80 
belege  beigebracht,  wozu  nach  oberflächlicher  Schätzung  viel- 
leicht noch  20  —  30  simblum  kommen;  dem  gegenüber  habe 
ich  ca.  20  ausnahmen  notiert:  pruadcre  41  (2),  lahtere  56  (2), 
sinbulü  56,  uuintares  62,  zuumalunga  70,  ahsalöm  11,  chortare 
11,  uuehsalum  82.  88,  vuehsale  95,  zaichanungu  84,  zeichanes  88, 
zaichane  100,  uuacharum  99,  smecharem  101,  altere  113;  aber 
pruadar  lOU  i^x  fratribus  des  lat.  textes  darf  man  nicht  ohne 
weiteres  hierherziehen;  auch  ätnme  HO  ist  unsicherer,  da  wir 
hier  es  nicht  mit  dem  gewöhnlichen  a  zu  tun  haben. 
—  Bei  diesen  Zählungen  sind  absichtlich  zwei  resp.  drei  föUe 
übergangen  worden,  welche  die  regel  scheinbar  in  grösserem 
massstabe  durchbrechen.  Zunächst  die  formen  zimbirrono  48, 
zimberre  88,  zimberren  88,  denen  sich  von  kurzsilbigen  noch 
kaganne  106,  kagannani  119,  nidarremees  48  u.dgl.  zur  seite 
Btelle.  In  den  drei  ersten  formen  fällt  der  secundäre  mittel- 
vocal  auf  (vgl.  got.  timrjan  und  ahd.  zimbrön,  das  ja  auch  in 
der  ßenedictinerregel  vorkommt).  Aber  sie  erklären  sich  sehr 
einfach  lautlich.  Nach  dem  was  lautphys.  s.  111  f.  über  die  zu 
eiugang  einer  silbe  möglichen  consonantgruppen  erörtert  wor- 
den ist,  begreift  es  sich  leicht,  dass  r  -f  halbvocal  j  in  dieser 
Stellung  mit  einander  in  conflict  gerieten  und  dass  schliesslich 
das  r  vor  dem  folgenden  consonanten  sonantische  geltung  be- 
kam, d.  h.  sich  im  ahd.  in  die  hierfür  übliche  lautgruppe  ar 
umsetzte.  Unsere  formen  sind  also  zunächst  mit  solchen  wie 
zimbarta,  zeichanta  u.  dgl.  zusammenzustellen. 

Die   andere  wichtigere  ausnähme  bctriflft   eine  reihe  von 
werten,   denen  man  insbesondere,  gestützt  auf  die  ostgerm. 


94  SIEVERS 

formen,  ursprüngliches  -ar  als  endung  zuzuschreiben  pflegt,  d,  h. 
die  pronomina  unsar ,  iurvar,  huedar  und  andar.    Die  beiden 
ersten   geben   in  den   bisher  besprochenen  beiden  denkmälem 
keinerlei  anstoss,  indem  sie  der  allgemeinen  regel  folgend  den 
vocal  der  schlusssilbe  auch  als  mittelvocal  behalten;  woniurver 
kommen  überhaupt  keine  gekürzten  formen  im  ahd.  vor,  was 
wegen  der  lautgestalt  des  wertes  ohne  weiteres  begreiflich  ist, 
und  uyiser  verkürzt  sich   in   älterer  zeit  nur  in  einigen  streng 
bairischen  denkmälern,  so  namentlich  im  Freisinger  paternoster, 
welches  die  formen  unsraz  18,   misro  19.  26,  umrem  25   auf- 
weist, ferner  nach  Graff  bei  Otloh,  den  Monseer  glossen  und 
Münchener  glossen   zu  Gregors  homilien   (Gh.  4).    Nur  Hymn. 
25,  8,  3   und    dann  erst  bei  Notker  taucht  auch  alem.  imsriu 
vereinzelt  auf.    Man  wird  deswegen  wol  kein  bedenken  tragen 
dürfen,  hier  wirklich  primären  vocal  anzusetzen.    Anders  liegt 
die  Sache  bei  ander]    dieses  entbehrt  des  vocales  regelmässig 
auch  in  den  denkmälern,  welche  secundären  vocal  nach  langer 
Silbe  nicht  haben,  aber  primäre  mittelvocale  unangetastet  lassen: 
so  bei  Isidor  und  in  der  Beuedictiuerregel ;    der  erstere  hat 
andres,    andremu,    andrem,   andra,  andrem  zusammen  11  mal 
(Weinhold  s.  lOOb),  die  letztere  ayidrer  38.  63,  andriu  38,  an- 
draz  34.  92.  95.  100,  andres  34.  49.  96,   aiidrera  39.  119,  an- 
dremu 59.  89.  95,    andrem  48.  53.  121,    andran   43.  54.   119, 
andra  95.  101,  ayidre  38.  60.  61  (2).  62.  63.  68.  100.  116.  118, 
andro  69,  andrero  98,  andreem  37.  38.  63.  64.  67  (2).  91.  92, 
zusammen  43  mal ;  nur  5  mal  habe  ich  formen  mit  mittelvocal 
gefunden,  nämlich  aiideres  63,  andares  63,  andera  79,  andaran 
99,  andere  122.    Es  ist  das  ein  beträchtlich  kleinerer  procent- 
satz  von  ausnahmen,  als  man  eigentlich  erwarten  sollte.   Auch 
in  den  kleineren  denkmälern,  die  auf  demselben  altertümlichen 
Standpunkt  stehen  wie  Is.  und  Ben.^  findet  sich  dasselbe  Ver- 
hältnis wider.    Die  Exhort.  hat  unsar  es  23,  aber  andran  13.  14, 
der  Weissenb.  kat.  unser az  2.  16,  unsere  3,  unserem  4.  20,  im- 
seran  44,  unsera  95,  aber  andhremo  23;   die  Fragm,  theot.  un- 
sere 27,  8,    unseres   30,  22,    uyiseremo  33,  5,   unsar ero  36,  27 
(ohne  die  nicht  vollständig  überlieferten  formen),   aber  andres, 
andremo ,   andra,    andre,  andro,    andriu    13  mal    (Massmann 
s.  26  a)  u.  d.  f.    Hält  man  dies  mit  dem  zusammen,  was  oben 
8.  89    über  die  Schwierigkeiten  bemerkt  wurde,  gewisse  for- 


ZUR  ACCENT.  ü.  LAUTLEHRE  DER  GERM.  SPRACHEN.      95 

men  von  alts.  öt^ar  aus  einer  grundform  mit  primärem  vocal 
abzuleiten,  so  darf  man  wol  ohne  allzu  grosse  kühnheit  den 
satz  aussprechen,  dass  für  beide  sprachen,  alts.  und  ahd.,  der 
vocal  dieses  wertes  nicht  als  ursprünglich  anzusetzen  sei.  Es 
bleibt  dann  von  unserer  wortgruppe  noch  huedar  übrig,  das 
freilieh  so  wenig  im  ahd.  wie  im  alts.  anstoss  gibt  oder  zu  be- 
stimmten Schlüssen  berechtigt  Hier  dürfen  wir  aber  mit  dem 
ags.  combinieren,  und  nun  wol  mit  grösserer  Zuversicht  als 
dies  oben  s.  76  geschehen  konnte,  auch  diesem  werte  ur- 
sprünglichen endungsvocal  für  das  westgermanische  absprechen. 
Dann  stehen  got  hvapar,  anpar  und  altn.  annarr  als  repräsen- 
tanten  einer  neu  zu  registrierenden  differenz  zwischen  ost-  und 
westgermanisch  da.  Wie  diese  entstanden  sei,  darüber  wage 
ich  einstweilen  nicht  zu  entscheiden. 

Eine  ähnliche  Schwierigkeit  bieten  die  comparativ-  und 
Superlativbildungen  von  ortsadverbien ;  wir  haben  bei  Isidor 
afiristo  17,  l,  fordhrom  35,  4,  in  den  Fragm.  theot.  aftrun  5, 
17.  11,  5.  12,  13,  aftrbsiin  11,  2,  fordrbno  16,  9,  aber  in  Pa. 
aftardsim  194,  untarostin  194,  hintarosto  218,  üzzarösto  218, 
innaröm  251 ;  in  der  Benedictinerregel  üzorosto  55,  iyiiiardrmi 
55,  9ihtr  fordröron  61  u.  s.  f.  Der  consequente  mangel  des  vocals 
in  den  beispielen  aus  Isid.und  Fragm.  scheint  ebenso  sicher  gegen, 
wie  sein  auftreten  in  den  übrigen  denkmälern  für  seine  ur- 
sprttnglichkeit  zu  sprechen.  Aber  es  ist  ein  deutlicher  unter- 
schied zwischen  jenen  werten,  und  dieser  erklärt  alles;  aftro, 
fordhro  sind  alte  comparative  mit  suffix  -tara,  europ.  -iera, 
welche  wie  das  besprochene  ander  aus  an-iara  den  suffixvocal 
bereits  in  ältester  zeit,  vor  dem  eintritt  der  geltung  unserer 
gesetze,  syncopierten.  Die  übrigen  aber  sind  moderne  bil- 
dungen,  anlehnungen  an  die  adverbien  widar,  hindar,  ütar, 
innar,  und  so  haben  sie  natürlich  den  vocal  dieser  Vorbilder 
als  festen  mittelvocal  erhalten. 

Doch  ich  kehre  nach  dieser  notwendigen  abschweifung 
wider  zu  den  ahd.  denkmälern  zurück  und  notiere  nur  noch, 
dass  durch  hinzuziehung  der  beispiele  von  ander  die  verhältnis- 
zahlen für  nichteinschiebung  resp.  einschiebung  secundären 
mittelvocals  für  die  Benedictinerregel  sich  zu  etwa  1 50 :  25 
umgestalten. 


96  SIEVERS 

Dem  Stande  des  Isidor  schliessen  sich  die  Fragmenta 
theotisca  noch  genau  an;  auch  sie  zeigen  namentlich  noch 
inlautendes  mn  in  kasamnotun  13,  23,  samnot  17,  1,  kasamndt 
17,  10,  kasamndt e  19,  19,  kasamn{o)to  Isid.  Weinh.  51,  5  und 
dl  in  höhsedle  15,  14,  ja  sie  gehen  über  ihn  noch  hinaus  durch 
gaf acuta  ^)  3,  10,  ganidrit  5,  8.  21,  18,  besmon  5,  14,  tehmdt  15, 
16.  Beispiele  des  einschubes  nach  kurzer  silbe  sind  fateres 
8,  8.  23,  13,  sumere  11  y  14,  eventuell  huuedaran  22,  29.  Als 
analogon  der  zahlreichen  langsilbigen  beispiele  notiere  ich  nur 
noch  silabres  21,  29. 

Der  Vocabularius  S.  Galli  gehört  zu  den  in  dieser 
beziehung  altertümlichsten  denkmälern,  freilich  ist  sein  umfang 
so  gering,  dass  das  zurücktreten  von  ausnahmen  nicht  eben 
viel  beweist.  Wir  finden  drisgufli'SX,  ganasira  A6y  (uuint)scüfla 
74.  75,  ädra  192,  ahsla  197,  dinstri  233,  mundri  399,  aber 
camara  26,  pesamo  73,  epani  82,  lebara  207,  reganöt  222, 
hoxiarehti  345. 

Auch  die  Pariser  glossen  Pa.  sind  noch  recht  altertüm- 
lich; fehlen  des  secundärvocals  nach  kurzer  silbe  habe  ich 
nicht  gefunden;  nach  laugor  silbe  traf  ich  ihn  in  antharönti, 
antharari,  antharöm,  aiitharöta,  anthara,  antharunga  Diut  I,  144 
{anirön  gl.  K.  etc.),  anderem  168,  hlütardstun  Hb,  pittari  200, 
urlastere  218,  suepfari  243,  duncali  177,  {ca)uuantalöt  190.  229, 
famuihsalit  190,  zmfalöndi  178,  zuifaH  194,  zuifaldt  226,  ziAfa- 
lii  230,  zuifalön  238,  zmfaläri  239;  faihanic  203,  uuolchanum 
217,  einzeihaner  242,  also  23  mal,  während  ich  sein  fehlen  in 
ca.  70  fallen  coustatierte. 

Von  hier  ab  nimmt  das  eindringen  der  secundärvocale  in 
langsilbige  wurter  rasch  zu;  die  Reichenauer  glossen  Ra. 
haben  etwa  18  sichere  beispiele  gegen  einige  50  belege  für  die 
älteren  kürzeren  formen.  In  den  buchstaben  A — I  der  ke ro- 
nischen glossen  stellt  sich  das  Verhältnis  bereits  wie  ca. 
40  :  50  (die  jüngeren  formen  beginnen  erst  bei  Hatt.  151»  mit 
zaihinit,  bis  dahin  stehen  26  formen  ohne  secundärvocal,  fast 
die  hälfte  der  überhaupt  in  jenem  stücke  belegten).  Auch  das 
gesetz    der  kurzsilbigen  wird  öfter   verletzt:   fomdnüg  142», 


0  oder  ist  dies  anszuschliessen  wie  achoTj  wegen  der  westgerm. 
yerscbärfung  vor  /? 


ZUR  ACCENT-  U.  LAUTLEHRE  DER  GERM.  SPRACHEN.     97 

eocattuedramu  149»,  flogröndi  150»,  kicresmöt  159b,  crismdta 
159b,  flokrondi  160b  etc.  Die  Murbacher  hymnen  haben 
kambaro,  heitarir  etc.,  heiiarit,  laugenmte,  reisanum,  simbulu, 
sleffara,  -%,  suntardnH,  tauganiu,  tunchaR,  vuäfomum,  uua?isamo, 
tiuacharSr,  uuatarit,  zusammen  26  mal  gegen  24  formen  der 
kürzeren  art  In  den  sonst  sehr  altertümlichen  Reichen  au  er 
glossen  Rb.  sind  die  älteren  formen  bereits  eine  Seltenheit  ge- 
worden: senaadra  492  b.  522  b.  531»,  senädrdno  500»,  utcasmegi 
500»,  uuasmigiu  501 »,  uuahsmiki  530  b,  unsübridu  493»,  kazimbri 
499»,  Uttiristun  bOS  %  altre  518»,  ri/rÄn  530»  gegenüber  ca.  45 
formen  mit  secundärvocal,  wobei  zweifelhafte  fälle  nicht  ein- 
mal mitgezählt  sind.  Aehnlich  ist  das  Verhältnis  auch  in  den 
fränkischen  denkmälem  des  9.  Jahrhunderts;  im  Tatian 
stehen  nur  die  beiden  Schreiber  yd^  noch  häufiger  auf  dem 
älteren  Standpunkt,  s.  meine  ausgäbe  s.  35;  f&r  Otfrid  fehlen 
mir  eigene  sammluogen;  ich  finde  bei  Kelle  angemerkt  nur 
hruadron,  mitres,  andremo,  umnistre,  uuimstrun,  finstremo  Kelle 
II,  436,  gizimbri  ib.  441,  zimbrdt,  fordröno  ib.  452,  zusammen 
13  stellen,  in  denen  nicht  einmal  die  hss.  übereinstimmen.  Nur 
n  hat  sich  besser  erhalten,  indem  die  ableitungen  von  dougan 
sowie  lougnen  und  bouhnen  ohne  mittelvocal  erscheinen,  wenige 
ausnahmen  abgerechnet,  s.  Kelle  II,  435.  449.  Was  endlich 
Notker  anlangt,  so  steht  dieser,  was  nach  seiner  zeitlichen 
Stellung  auch  kaum  anders  erwartet  werden  kann,  den  übrigen 
in  beziehung  auf  consequenz  der  einschaltung  der  mittelrocale 
▼oraus.  Ohne  ausnahmen  ist  er  natürlich  auch  nicht,  aber  sie 
sind  sehr  spärlich ;  in  den  zwei  ersten  büchem  des  Boethius, 
die  bei  Hattemer  etwa  80  selten  umfassen,  fand  ich  nur  zwei 
r^;elmässige  ausnahmen,  uinstri  19  b.  20».  22».  37  b.  44  a  (aber 
finsterSr  22  b,  uinstere  51b)  und  meistra  (fem.)  22  b.  30  b.  63», 
ausserdem  einmal  kalstre  34».  Man  darf  also  wol  sagen,  daes 
man  als  grundlage  für  die  entwickelung  der  mhd.  formen  (ich 
spreche  zunächst  nur  von  den  oberdeutschen,  die  man  gemein- 
hin als  mhd.  zu  bezeichnen  pflegt)  einen  sprachzustand  anzn- 
sehen  hat,  in  dem  der  ursprüngliche  auf  quantitätsYerschieden- 
heit  der  Stammsilben  beruhende  unterschied  der  behandlung 
innerer  consonantengruppen  völlig  ausgeglichen  war. 

Es  ist  bereits  oben  s.  90  bemerkt  worden,  dass  das  Yoraug 

B«itrlg«  sar  geaohiohu  der  deoUolMn  ■pnohe.    V.  7 


98  SIEVERS 

zusetzende  älteste  ahd.  syncope  ursprünglicher  vocale 
nicht  kennt,  ausser  im  schwachen  verbum.  Die  neigung  zur 
syncope  tritt  auch  im  verlaufe  der  ahd.  periode  erst  sehr  all- 
mählich auf.  Die  ältesten  denkmäler  haben  noch  fast  intakten 
vocalismus;  nur  ganz  gelegentlich  begegnet  neben  dem  öfter 
auftretenden  herro  einmal  unsriu  etc.  (s.  94),  oder  urstödR  Pa. 
241,  Ra.  274 a^  das  man  doch  zu  den  adjectivis  auf  -al  mit 
festem  a  stellen  möchte,  oder  geislun  Tat.  117,  2  (vgl.  s.  33  f.); 
andere  fälle  wie  therra,  therro ,  therm  Tat.  etc.  für  therera 
u.  s.  w.  sind  durch  die  eigentümliche  lautumgebung  bedingt. 
Eine  bestimmte  regel,  die  sich  an  die  für  das  ags.  und  alts. 
ermittelten  bestimmungen  anschlösse,  lässt  sich  für  die  ältere 
zeit  wegen  zu  grosser  spärlichkeit  des  materials  schwerlich 
gewinnen.  Erst  bei  Notker  beginnt  das  niaterial  etwas  reich- 
licher zu  werden.  Aber  die  alte  regel  erscheint  doch  nicht  in 
ihrer  reinheit.  Es  macht  sich,  wie  hernach  im  mhd.,  bereits 
der  einflus  gewisser  consonanten,  /  und  r  geltend;  nach  ihnen 
erfährt  auch  ursprünglicher  mittelvocal  nach  kurzer  Stamm- 
silbe bereits  syncope.  Aus  dem  Boethius  habe  ich  z.  b.  notiert 
gemdlnemo  27 »  pildoton  27  a,  eniärner  30  *>,  uerldmdn  36 »,  ge- 
chömer  60  a  (2),  kehdmes  63  a,  uerldniez  73  a,  ferldmiu  75  b^ 
ferldmes  93  a.  Einen  besonders  wichtigen  fall  bilden  die  ab- 
stracta  auf  -eda;  die  auf  ursprüngliches  -lida  und  -rida  nach 
langer  Stammsilbe  syncopieren  das  e  fast  stets:  sälda,  sdldä 
Boeth.  16  a.  25  b  (3).  48  a.  64  a.  67  b  (2).  68  a.  75  b.  92  a,  säldön 
35  b.  43  b.  45  a.  60  a  62  b  (2).  63  a.b.  64  a.b.  92  a,  saldo  45  a.  82  b, 
ünsälda  45a.  63  b.  92  a,  üngebärda  25  b,  ütigebärdon  69  b,  ürteildo  ' 
31b,  ürteilda  33  b.  39b,  zierdä  14&,  zierdo  Ih^,  aber  auch 
uuiderechereda  57  b,  irredo  m.  75  a,  tiureda  76  b.  Sonst  bleiben 
die  e  nach  langer  silbe,  auch  nach  m  und  n,  beniimedo  31a, 
geurönedo  34  a,  bemiineda  55  b,  bechinnedo  92  b.  Von  kurz- 
silbigen  hat  sich  selida  regelmässig  zu  silda  verkürzt,  z.  b. 
22  b.  35  a.  46  a,  aber  es  heisst  noch  kireda  34  b.  84  a,  glredo 
73  b.  —  Verkürzung  tritt  übrigens,  wie  mau  sieht,  stets  nur  da 
ein,  wo  durch  sie  articulationsverwante  lautgruppen  zusam- 
mentreten. 

Auch  der  fall,  dass  zwei  unbetonte  mittelvocale  im 
innern  eines  wertes  zusammentreffen,  gestattet  erst  bei  ISfotker 


ZUR  ACCENT-  U.  LAUTLEHRE  DER  GERM.  SPRACHEN.      99 

einigermassen  eine  erörterung,  da  in  den  älteren  denkmälern 
beide  unbeanstandet  bleiben.  Bei  Notker  scheint  dasselbe 
gesetz  zu  gelten,  das  sich  auch  im  ags.  und  alts.  fand,  nämlich 
dass  der  zweite  getilgt  wird,  wenn  überhaupt  syncope  eintritt; 
darum  heisst  es  stets  anderro  Boeth.  15  b.  20».  29  b.  38  b.  41a. 
55  b.  75  a  etc.,  dndermo  20  a.  29  a.  34  a.  54  a.  56  b.  70  b.  81a.b  etc., 
ünsermo  11%  ünserro  65  b^  iuuerro  71b,  73  b.  74a.b  etc.  Nach 
andern  consonanten  als  r  habe  ich  in  dem  bezeichneten  stücke 
des  Boeth ius  kürzung  nicht  gefunden;  es  heisst  mdnegero  67a, 
Hzzelero  85  a  etc. 


Das  eigentliche  syncopierungsgebiet  liefern  also  im  ahd. 
bloss  die  schwachen  verba.  Aber  auch  hier  liegen  die  sachen 
nicht  so  einfach  als  man  gemeinhin  anzunehmen  geneigt  ist. 
Hierauf  nachdrücklich  aufmerksam  gemacht  zu  haben  ist  das 
verdienst  von  Begemann,  schw.  praet.  120  ff.,  dessen  ausein- 
andersetzungen  bisher  wenig  beachtet  zu  sein  scheinen.  Mit 
der  annähme  einer  unabhängigen  rein  lautlichen  entwickelung 
der  formen  der  einzelnen  westgerm.  sprachen  aus  einer  grund- 
form  'ida  kommt  man  nicht  durch.  Die  schlagende  Überein- 
stimmung Yon  praeteritis  wie: 

ags. 

iegde 

sse^de 

hogde 

haefde 

Ufde 

leUe 

sealde 

tealde,  telede 

weahte 

oder  unflectierten  par 

geseald,  geseleG 
geteald,  geteled 

und  anderer,  auf  welche  Begemann  hinweist,  tut  die  existenz 
einer  praeteritalbildung  ohne  i  bei  kurzsilbigen  verbis  für  die 
westgerm.  Spracheinheit  unumstösslich  dar.  Die  oben  cursiy 
gesetzten  formen  müssen  als  modernere  anlehnungen  an  prae- 
terita  wie  alts.  nerida,  ahd.  nerita  gefasst  werden  (das  ags.  hat 
noch  am  wenigsten  neues,  nur  in  einzelnen  formen  hat  es  den 


alts. 

ahd. 

lagda,  legda 

— ,  legita 

sagda 

— ,  segiia 

hogda,  hugda 

hocta,  hugita 

babda 

hapta,  hebita 

libda 

latta,  letta 

lazta,  leziia 

salda 

salta,  selita 

talda 

zaAt&y  zelita 

unahta 

unahta,  uvekida 

dpien  wie: 

gisald 

glsalt,  geseUt 

gitald 

gizalt,  gizelit 

100  SIE  VERS 

umgelauteten  praesensvocal  durchgeführt  [legde,  leite],  wie  auch 
das  alts.  in  legda,  hugda,  letta ;  das  ahd.  lässt  die  alten  formen 
hocia,  hapta  sehr  bald  aussterben).  Denn  man  darf  diese 
verba  keineswegs  wegen  der  secundären  gemination  des  wurzel- 
auslauteuden  consonanten  in  gewissen  formen  des  praesens- 
Stammes  zu  den  langsilbigen  stellen,  vgl.  z.  b.  ags.  fremman  — 
fremeäe,  alts.  frummian  —  frumiäa  etc. ,  in  denen  ja  dasselbe 
stattfindet,  oder  ahd.  parallelen  wie  seien  —  salta  bei  Tatian 
u.  dgl.  Ob  man  mit  Begemann  diese  bildungsweise  bereits  der 
germanischen  grundspradie  zuzuschreiben  hat  ^)  (wofür  nament- 
lich die  ht  in  ags.  tveahte,  peahte  etc.  sprechen),  mag  hier  un- 
entschieden bleiben;  jedenfalls  existierte  sie  vor  der  trennung 
der  westgermanischen  sprachen. 

Die  eigentümliche  Sonderstellung,  die  die  praeterita  und 
participia  in  beziehung  auf  die  syncope  im  ahd.  einnehmen, 
würde  es  nahe  legen,  die  kürzeren  formen  ebenfalls  schon  der 
westgerm.  sprachperiode  zuzuschreiben.  Ich  möchte  dies  aber 
deswegen  doch  nicht  flir  richtig  halten,  weil  wir  dann  auf  die 
neue  Schwierigkeit  stossen  zu  erklären,  warum  jene  praeterita 
kurzsilbiger  yerba  mit  wenigen  ausnahmen  den  zu  erwarten- 
den unumgelauteten  vocal  haben,  während  die  langsilbigen 
ganz  consequent  umlaut  zeigen  (h^rde,  demde  etc.).  Es  wird 
also  richtiger  sein,  die  anomalie  dem  ahd.  zuzuschieben,  das 
ja  so  wie  so  in  vielen  beziehungen  inconsequenter  verfährt  als 
die  übrigen  westgerm.  sprachen,  namentlich  als  das  ags.  Diese 
inconsequenz  muss  ich  freilich  einstweilen  unerklärt  lassen;  es 
ist  nicht  unmöglich,  dass  hier  genauere  accentuntersuchungen 
noch  licht  verschaffen  (eine  andeutung  s.  weiter  unten  beim 
auslautsgesetz  für  -a). 

Fassen  wir  das  gesammtresultat  für  das  ahd.  zusammen, 
80  ergibt  sieh:  in  einem  grossen  teile  der  schwachen  verba 
zeigt  sich  dasselbe  syncopieruugsgesetz,  welches  das  ags.  und 
alts.  beherscht  Andere  formen  werden  durch  dasselbe  noch 
nicht  angetastet    Ihm   tritt   frühzeitig   eine  neigung  zur  ein- 


0  Diese  annähme  involviert  natürlich  für  das  gotische  die  weitere 
ansetzung  einer  grossen  reihe  von  formUbertragungen ;  die  nord.  formen 
sind  vielleicht  nicht  beweisend. 


ZUR  ACCENT-  ü.  LAUTLEHRE  DER  GERM.  SPRACHEN.     101 

sehiebung  secundärer  mittelvocale  entgegen  ^  viel  stärker  als 
sie  in  den  andern  sprachen  waltet;  eine  zeit  lang  wirkte  auch 
hier  das  ursprüngliche  gesetz  noch  nach,  insofern  nur  nach 
kurzer  silbe  einschub  gestattet  ist  (d.  h.  da  wo  ags.  alts.  nicht 
syncopieren) ,  bis  allmählich  auch  dieser  unterschied  fortfällt. 
Im  ahd.  ist  .die  grundlage  jener  syncopierungserscheinungen, 
das  alte  westgermanische  accentgesetz  ^  am  ersten  und  am 
stärksten  in  verfall  geraten. 

Dieser  letztere  satz  ist  von  ziemlicher  Wichtigkeit  fUr  das 
Verständnis  des  Verhaltens  des  ahd.  in  bezug  auf  die  behand- 
lung  der  germanischen  endsilbenvocale,  zu  denen  ich  nun 
übergehe. 

III.    Zum  vocalischen  anslantsgesetz. 

Die  bisherigen  versuche,  ein  bestimmtes  gesetz  für  die  be- 
handlung  der  schlusssilbenvocale  im  germanischen  zu  formu- 
lieren, legten  in  den  wesentlichsten  punkten  die  gotische  laut- 
gestalt  zu  gründe.  Das  gilt  namentlich  bezüglich  der  ursprüng- 
lich kurzen  vocale  der  endsilben.  Trotz  mehrfacher  versuche, 
von  Seite  der  skandinavischen  sprachen  aus  das  aus  dem  goti- 
schen gewonnene  gesetz  zu  durchbrechen  (so  namentlich  in 
arbeiten  von  Wimmer,  die  später  zu  nennen  sein  werden),  darf 
man  wol  sagen,  dass  die  formulierung  des  gesetzes  wie  sie 
Westphal-Scherer  gegeben  haben,  in  Deutschland  wenigstens  noch 
als  die  herschende  angesehen  wird. ^  Sie  lautet  bekanntlich,  dass 
wie  im  gotischen  jedes  kurze  a  und  t  einer  schlusssilbe  mehr- 
silbiger Wörter  bereits  gemeingermanisch  ausgefallen  sei,  dass 
aber  kurzes  u  sich  erhalten  habe:  so  got.  dag-s,  gast-s  :  survus, 
ags.  dce^,  ^iest :  sunu,  alts.  dag,  gast :  simu,  ahd.  tac,  gast:sunu. 
Alles  übrige  wird  der  entwickelung  der  einzelsprachen  zu- 
geschoben. 

Scherer  hat  bekanntlich  eine  erklärung  dieser  erscheinung 
gegeben,  die  fast  allgemeinen  beifall  gefunden  hat.    Die  vocale 


1)  Von  den  Deutschen  hat,  soweit  ich  sehe,  nar  Heinzel  den  satz 
auszusprechen  gewagt,  ^dass  auch  nach  der  Scheidung  von  den  Ostger- 
manen suffixale  a  in  germ.  endsilbe  noch  vorhanden  waren',  Niederfränk. 
geschäftsspr.  53 ;  dagegen  aber  alsbald  Zimmer,  Anz.  f.  d.  altert.  I,  98  ff. 


102  SIEVERS 

a,  i  mit  dem  hohen  eigentoDe  sollen  in  Widerspruch  getreten 
sein  mit  dem  princip  des  germanischen  accentes,  die  Stamm- 
silben durch  tonerhöhung  hervorzuheben.  Die  in  der  musika- 
lischen seala  tiefer  liegende  endsilbe  erträgt  nicht  jene  vocale, 
wol  aber  das  dumpfe  u^  dessen  eigenton  gleichfalls  ein  tiefer 
ist  (z.  GDS.  135  f.). 

Ich  glaube,  dass  weder  diese  erklärung,  so  ansprechend 
sie  auf  den  ersten  blick  ist,  sich  halten  läist,  noch  dass  über- 
haupt ein  vocalisches  auslautsgesetz  in  dem  bisher  angenom- 
menen umfange  existiert.  Für  die  längen  hat  neuerdings  ins- 
besondere Paul  in  diesen  Beiträgen  IV,  315  flF.  diese  ansieht 
eingehender  durchgeführt,  ich  hoffe  hier  zeigen  zu  können, 
dass  auch  der  schwund  ursprünglich  kurzer  /  und  a 
der  endsilben  meist  erst  dem  einzelleben  der  ger- 
manischen sprachen  angehört.  Auf  die  geschichte  ur- 
sprünglicher längen  werden  wir  nur  gelegentlich  einzugehen 
haben. 

Um  das  wesen  dessen,  was  man  'auslautsgesetz*  zu  nennen 
pflegt,  richtig  zu  verstehen,  muss  man  vor  allem  öinen  gesichts- 
punkt  fortwährend  im  äuge  behalten.  Das  wort  verändert 
sich  nicht  an  sich  allein,  sondern  sein  wandel  ist  stets 
durch  seine  Stellung  im  satze  bedingt.  Dieser  gesichts- 
punkt  ist,  wenn  ich  nichts  übersehen  habe,  zuerst  von 
H.  Schuchardt  in  seinem  im  jähre  1872  auf  der  Leipziger 
Philologen  Versammlung  gehaltenen  vertrag  'über  syntaktische 
modificationen  anlautender  consonanten  im  mittel-  und  süd- 
italienischen* klar  und  deutlich  hervorgehoben.^)  Im  anschluss 
an  ihn  habe  ich  sodann  in  der  Jenaer  literaturzeitung  1874 
s.  146  b  die  gestaltung  des  franz.  wortauslautes  unter  diesem 
gesichtspunkte  zu  erklären  gesucht  Vor  allem  hat  aber 
neuestens  Georg  Curtius  in  seiner  abhandlung  über  die  griech. 
auslautsgesetze,  Studien  X,  205  ff.,  die  ganze  frage  einer  prin- 
cipiellen  erörterung  unterzogen.  Indem  ich  mich  auf  diese 
ausftthrungen  stütze,  glaube  ich  an  die  spitze  unserer  betrach- 
tung  der  auslautsgesetze  den  satz  stellen  zu  dürfen:  Die  form 
eines  jeden  wertes,   welche  sich   als  die  normalform  dem  be- 

*)  S.  die  berichte  über  die  verbandlnngen  dieser  versaminlnng  s.  208, 
femer  Zs.  f.  deutsche  pbil.  IV,  241.  Germ.  XVII,  383. 


ZUR  ACCENT-  ü.  LAUTLEHRE  DER  GERM.  SPRACHEN.     103 

wustsein  des  sprechenden  einprägte  (und  demnach  auch  in  den 
meisten  fallen  diejenige  ist,  welche  zu  graphischer  darstellung 
gebracht  wird,  wo  nicht  wie  im  sanskrit  nur  satzschrift,  nicht 
wortschnft  besteht),  ist  diejenige,  welche  im  zusammenhange 
der  rede  durchschnittlich  am  häufigsten  vorkommt.  Dies  gilt 
nun  namentlich  da,  wo  es  sich  um  ausstossung  ganzer  silben 
handelt.  Die  betrachtung  einer  ganz  beliebigen  modernen 
spräche  zeigt  ja  alsbald,  dass  im  innern  des  satzes  die  neigung 
zu  Verkürzungen  viel  stärker  ist,  als  am  satzschluss;  in  der 
regel  hat  die  clausel  des  satzes  ein  grösseres  gewicht,  nament- 
lich pflegt  sich  das  tempo,  in  dem  die  einzelnen  silben  ge- 
sprochen werden,  wesentlich  zu  verlangsamen.  Insofern  kann 
man  die  clausel  als  ein  conservatives  dement  in  der  entwick- 
lung  der  wortform  betrachten,  welche  als  correctiv  für  die 
rascher  fortschreitende  Verstümmelung  der  Wörter  im  satzinnem 
dienen  kann.  Beide  factoren  werden  vielfach  in  widerstreit 
mit  einander  liegen,  und  auch  bei  der  gesprochenen  spräche 
wird  allmählig  eine  ausgleichung  eintreten,  sobald  die  differen- 
zen  zwischen  satzinlaut  und  -auslaut  dem  sprachbewustsein 
deutlicher  gegentibertreten ;  und  da  die  entwicklung  der  spräche 
in  den  meisten  fällen  zur  kürzung  und  Vereinfachung  führt,  so 
wird  auch  die  pausalform  schliesslich  der  in  der  entwicklung 
vorgeschrittenem  form  des  satzinnern  sich  anbequemen  müssen, 
und  so  fort  in  beständigem  flusse.  Es  ist  gerade  dies  wider 
ein  gebiet,  bei  dem  das  walten  der  analogiebildungen  und 
ausgleichungen  aufs  deutlichste  sichtbar  wird. 

Wir  ziehen  aus  derartigen  erwägungen  die  principielle 
lehre,  dass  wir  uns  zunächst  zu  fragen  haben:  in  welcher 
Satzumgebung  traten  altgerm.  formen  wie  *dagaz,  *gastiz  etc. 
am  gewöhnlichsten  auf,  und  wie  ist  danach  ihre  Verkürzung 
in  dags,  gasts  etc.  zu  beurteilen.  Die  antwort  ist  ziemlich 
einfach.  Nach  dem  neuen  germanischen  accentgesetz  ist  der 
häufigste  fall  der,  dass  das  folgende  wort  mit  einem  hochton 
beginnt  (ausnahmen  machen  ja  nur  gewisse  en-  und  procliticae) ; 
für  die  endsilbe  eines  beliebigen  wertes  lässt  sich  also  im  all- 
gemeinen die  Charakteristik  festsetzen :  sie  steht  zwischen  zwei 
höher  accentuierten  silben  und  zwar  unmittelbar  vor  der 
zweiten  von  diesen.  Von  dieser  Stellung  muss  also  auch 
ihr  geschick  hauptsächlich  abhängen.    Um  die  sache  auf  eine 


104  8IEVEBS 

einfaehe  fonnel  zu  bringen,  können  wir  sag«^:  wir  dfirfen 
iags,  gasts  nicht  aus  der  ßlaaselform  *dagaz  | ,  *gastiz  |  ab- 
leiten, sondern  aus  formeln  wie  *ddgaz  ist  (.  .  .)  | ,  *gdstiz 

ift  (•  .  OB  ^^ 

Wir  haben  also  hier  Ar  unsere  werte  das  acoentschema 
w^^  (.  .  .)•  ^  leuchtet,  denke  ich,  ohne  weiteres  ein,  dass 
dieses  den  in  der  bisherigen  Untersuchung  so  vielfach  verwan- 
ten  Schemen  www  und  r  ^  ^  ^  ähnlich  ist  wie  nur  mög- 
lich. Der  unterschied  kann  nur  ein  gradueller  sein;  ob  der 
folgende  accent  ein  hochton  oder  tiefton  ist,  bleibt  sich  im 
wesentlichen  gleich.  Ist  dies  richtig,  so  muss  die  consequenz 
sein,  dass  auch  jene  werte  unter  der  einwirkung  derselben 
gesetze  yerkttrzt  sind,  welche  die  syncope  inlautender  vocale 
bei  dreisilbigen  Wörtern  bedingten. 

Wie  stimmen  nun  die  sprachlichen  tatsachcn  mit 
diesen  erwägungen?  Durchaus  nicht,  wenn  wir  die  bis- 
herige formulierung  des  auslautsgesetzes  dazu  halten,  sie  stim- 
men vollkommen,  wenn  wir  das  sprachliche  material  richtig 
ordnen.  ^) 

1.    Der  auslaut  zweisilbiger  Wörter. 

Vor  allem  muss  für  die  betrachtung  der  auslautsgesetze 
das  verhalten  des  westgermanischen  massgebend  sein,  da 
in  diesem  das  accentprincip  mit  allen  seinen  folgen  am  klar- 
sten hervortrat  Wir  wenden  uns  dabei  zunächst  an  die  ein- 
fachsten wortformen,  die  zweisilbigen  Wörter.  Widerum  ist 
mit  einem  speciellen  falle  die  Untersuchung  zu  eröffiien,  der 
betrachtung  des  ^^,  weil  wir  dabei  von  dem  allgemein  zuge- 
standenen salze  ausgehen  können,  dass  die  erhaltung  des  u 
die  trennung  der  germanischen  sprachen  überdauerte. 

Hier  gilt  nun  ohne  weiteres  die  regel:  Germanisches 
u  bleibt  westgermanisch  nur  nach  kurzer  silbe,  es 
schwindet  nach  langer.    Man  vergleiche  die  beispiele: 


0  Ich  habe  hier  diesen  theoretischen  teil  voransgestellt,  um  für  die 
benrteilung  der  folgenden  tatsachen  von  vornherein  eine  fandiernng  zu 
haben;  doch  will  ich  ansdrUcklich  bemerken,  dass  der  gang  meiner 
Untersuchung  genau  der  umgekehrte  gewesen  ist,  dass  erst  die  factische 
regel  gefunden  wurde,  nachher  sich  die  erklärung  ergab.  Es  ist  viel- 
leicht nicht  unnötig,  dies  hervorzuheben. 


ZUR  ACCENT-  ü.  LAUTLEHRE  DER  GERM.  SPRACHEN.   105 


knrzsilbige: 


got 
faihu 
fila 
haiinB 
li>aB 
magas 
sidoB 
skados 

BUnUB 


ÜmB 

dkVLpUB 

fairhvuB 

flödUB 
(fdtUB 

h^idoB 
hühroB 
leipns 
loftaB 

laBtUB 

maibBtOB 

skildiiB 

tunf'us 

J^aÄrnoB 

yaddjoB 

vahstus 

vairdoB 

vifroB 

Hierzu  ist  zu  bemerken,  erstens,  dass  auch  alle  übrigen 
westgerm.  als  u- stamme  durch  die  endung  -u  belegten  Wörter 
kurzsilbig  sind,  z.  b.  ags.  fred^u,  meoäu,  lagu,  nmduy  alts.  fritSu, 
ahd.  fridu,  sign,  hugu^)  u.dgl.;  %,weitens  dass  genau  dasselbe 
Verhältnis  sich  auch  bei  der  composition  zeigt,  welche  natür- 
lich unter  denselben  gesetzen  sieht,  da  wir  es  bei  ihr  mit  ex- 
quisit festen  accentuierungsformen  zu  tun  haben,  ja  dass  in 
einigen  fällen  die  composita  den  lautgesetzen  getreuer  ge- 
wesen sind  als  die  simplicia;  so  heisst  es  ags.  alts.  ahd.  z.  b. 
ausser  der  composition   stets  lit5  resp.  lid^  in  der  composition 


agB. 

altfl. 

ahd. 

feo{h) 

feha 

fiha 

feoU 

filu 

filu 

heom- 

heru- 

leoCa-, 

Ut5           liöu-,  lit5 

lida-,  Ui 

maga 

maga 

— 

Bida 

Bida 

situ 

Bceada 

(skado) 

Bcatn 

Buna 

Buna 
langsilbige : 

Bona 

&r 

[6r] 

— 

deAS 

dö8 

töd 

feorh 

ferah 

(ferah) 

flöd 

flöd 

flnot 

f5t 

föt 

fuoz) 

häd 

hdd 

heit 

hunjor 

hungar 

hungar 

1«5 

I«5 

Itd 

(lyft) 

luft 

luft 

— 

[inst] 

last 

mist? 

— 

mist 

Bcyld 

[skild] 

skilt 

tdt$ 

[tand] 

Kaii(d) 

'pom 

[thom] 

dorn 

wag 

[w6g] 

unahBt 

— 

unirt 

— 

auidar. 

*)  Ob  dieae  werte  arsprUngliche  m- stamme  waren,  oder  etwa  erst 
durch  die  wirkang  des  consonantischen  auBlaatsgeBetzes  dazu  geworden 
Bind,  ist  natürlich  hier  gleichgültig. 


106 


SIEVERS 


erscheint  aber  nur  leot^n-,  Ut5U',  lidii-.  Was  diese  kürzeren 
formen,  wie  ags.  feoh,  frit5,  Hb,  ahd.  lid  betriflFt,  so  sind  sie 
gewis  dem  muster  der  viel  zahlreicheren  langsilbigen  Wörter 
gefolgt.  Was  diese  selbst  anlangt,  so  braucht  kaum  darauf 
noch  ausdrücklich  hingewiesen  zu  werden,  dass  mit  dem  Ver- 
luste des  charakteristischen  kennzeichens  ti  massenhafte  Über- 
tritte in  andere  declinationsreihen,  geschlechtswechsel  etc.  ver- 
bunden gewesen  sind. 


Dieselbe  doppelheit  weisen  nun  im  westgerma- 
nischen diejenigen  Wörter  auf,  welche  gotischen  etc. 
/-stammen  gegenüberstehen;  alle  kurzsilbigen  zeigen,  ins- 
besondere auch  in  der  composition,  ein  /  resp.  e  am  wortende, 
welches  bei  den  langsilbigen  fehlt.  >)  Ich  brauche  hier  wol  nur 
die  kurzsilbigen  herzusetzen: 


got 

ags. 

alts. 

ahd. 

baür 

byre 

— 

hugs 

hyge 

hugi 

hugi 

mats 

mete 

med 

(rnaz)y  mezzi 

mans 

luyue 

miini- 

Muni- 

qams 

cyme 

cumi 

chumi 

slahs 

siege 

slegi 

(slagl  ßlegi- 

8ta}?8 

stede 

stedi») 

(siai) 

vins 

wine 

uuini 

uuini 

vlits  wlite  uuliti  — 

Im  angelsächsischen  ist  die  zahl  der  hierher  gehörigen 
Wörter  sehr  gross;  ich  nenne  z.  b.  die  masculina  bere,  bite, 
hryce,  brt/)ie,  crvide,  q/re,  drepe,  drype,  e^e,  flyge,  gryre,  hryre, 
lyge,  lyre,  ryfie,  scyte,  sele,  stepe  etc.,  ferner  alle  abstracta  auf 
'scipe  =  alts.  -scepi,  altn.  -skapr,  Feminina  und  neutra 
scheinen  im  ags.  zu  fehlen;    für  alts.  siedi  f.  erscheint  mascu- 


*)  Dies  hat  zuerst  gesehen  Schlüter,  über  die  mit  dem  suffix  ja  ge- 
bildeten deutschen  nomina  33.  206  u.  ö. ;  aber  er  hat  die  erscheinung 
ganz  misverstanden  oder  nicht  die  nötigen  consequenzen  gezogen,  indem 
er  einen  Versuch  eines  jungem  Übertrittes  in  die  ya-declination'  darin 
sieht,  obwol  er  anderwärts,  s.  209  bemerkt,  dass  das  alts.  in  der  erhal- 
tung  dieser  älteren  declinationsweise  das  got  übertreffe. 

')  Gegenüber  der  mit  grosser  hartnäckigkeit  festgehaltenen  an- 
setzung  eines  alts.  nom.  stad  locus  bemerke  ich  ausdrücklich,  dass  nir- 
gends eine  andere  form  als  siedi  für  diesen  casus  belegt  und  dass  auch 
keine  andere  möglich  ist. 


ZUR  ACCENT-  U.  LAUTLEHRE  DER  GERM.  SPRACHEN.    107 

lines  siede,  welches  offenbar  auf  jüngerem  Wechsel  des  ge- 
schlechts  beruht  Ebenso  bei  den  neutris.  Man  lehrt  ge- 
wöhnlich,  dass  im  germ.  die  neutralen  /-stamme  bereits  er- 
loschen seien ;  aber  tatsächlich  existiert  noch  ein  wort,  das  ur- 
sprünglich ein  solcher  stamm,  ganz  nach  art  der  oben  berühr- 
ten Wörter  flectiert,  nämlich  ahd.  meri]  dies  ist  wider  im  ags. 
masc.  geworden,  wie  im  nord.  marr,  im  alts.  aber  fem.  meri 
(wie  got.  marei).  Auch  dem  alts.  ueutrum  meni  steht  ein  ags. 
mene  m.  gegenüber,  bei  diesem  ist  aber  das  ursprüngliche  ger- 
manische geschlecht  zweifelhaft  (skr.  mani  m.,  ahd.  menni  n. 
ist /a- form).  Aber  man  darf  doch  sagen,  dass  die  -i,  -e  in 
meri,  mere  etc.  derselben  beurteilung  unterliegen  müssen  wie 
die  der  übrigen  angeführten  Wörter,  zumal  sich  meri,  mere  so- 
wol  im  ahd.  wie  im  ags.  von  der  flexion  der  /a-stämme  deut- 
lich unterscheidet  fs.  meine  paradigmen,  ergänzungsblatt  s.  VI). 
Femer  gibt  es  auch  noch  einige  hierher  gehörige  adjectiva, 
nämlich  bryce  zerbrechlich,  und  cyme  lieblich  (vgl.  engl,  comely). 
Von  letzterem  ist  zwar  der  nom.  nicht  belegt,  aber  es  kann 
kein  zweifei  sein,  dass  hier  nicht  ya- stamme  vorliegen,  weil 
der  endconsonant  der  Wurzelsilbe  sich  der  gemination  entzieht 

Für  das  altsächsische  lässt  sich  nicht  so  viel  zusammen- 
bringen. Ausser  dem  bereits  in  der  tabelle  gegebenen  und 
den  abstractis  auf  -scepi  haben  wir  noch  an  masculinis  hiti, 
fluti^)  gl.  Prud.  744,  gruri ,  heti,  selfkxiri  Psalmencomm.  67 
(nach  der  evidenten  Verbesserung  von  Heinzel,  Denkm.  ^  546, 
nach  ahd.  selbchuri  und  ags.  cyre),  qniäi,  seU,  suiri,  uurisi  (in 
uurisi'iic),  auch  wol  flugi^)  nach  dem  dat.  flugia  gl.  Prud.  521 
=  ags.  bite,  gryre,  hete,  cyre,  crvide,  sele,  stvire,  fly^e.  An 
femininis  haben  wir  sicher  stedi  und  wol  auch  beki,  das  oft  in 
Ortsnamen  als  zweites  glied  erscheint,  und  das  neue  meri,  das 
man  nicht  als  meri  anzusetzen  braucht;  endlich  spuri  in  spuri- 
helti  Denkm.  IV,  4.  Auch  scheint  ein  adj.  drugi  {:luggi)  trüge- 
risch zu  existieren  Hei.  264,  wenn  man  dort  nicht  etwa  ein 
compositum  drugithing  ansetzen  will,  welches  mir  aber  keine 
rechte  Wahrscheinlichkeit  hat 

Das   althochdeutsche   hat  wider  besonders  stark  auf- 


*)  Heyne   setzt  im  glossar  zur  zweiten  ausgäbe  der  kl.  altniederd. 
denkm.  fluii  und  flvgi  ohne  ersichtlichen  grund  als  neutra  an. 


108  SI£VEBS 

geräumt  Es  bestehen  noch  sicher  alte  formen  von  utäni  und 
risi,  von  neutris  meri,  von  femininis  turi,  das  erst  aus  der  oon- 
sonantischen  declination  hierher  übergetreten  ist,  und  kuri,  mhd. 
tür  und  kür]  hier  beweisen  die  Kotkerischen  formen  ture  und 
kicre  (GrafiF  V,  445.  IV,  519),  dass  man  nicht  etwa,  wie  öfker 
geschehen  ist,  *tun  und*  kuri  ansetzen  darf,  Braune,  Beitr.  II, 
137).  Hierzu  kommt  aus  der  coiiiposition  noch  sptiri-  in  spuri- 
holz,  spuri'huni  (Denkm.  IV,  4  und  anm.  1,  Graff  IV,  977). 
Gewis  ist  aber  noch  manches  andere,  das  man  bisher  nur  mit 
mühe  anders  untergebracht  hat,  hier  einzureihen.  So  ist  quiii, 
das  Graff  IV,  647  als  f.  und  n.  ansetzt,  offenbar  masculinum 
=  ags.  cwide]  der  dat.  sg.  üfchume  Pa.  gl  K.  zu  üfchwm  origo 
Graff  IV,  673  sichert  diesem  werte  ebenfalls  männliches  ge- 
schlecht, im  verein  mit  ags.  q^me,  alts.  cumi,  und  darnach  wer- 
den auch  die  übrigen  werte  auf  -quimi,  -quemi  etc.  bei  Graff 
1.  c.  zu  beurteilen  sein  (so  auch  schon  Schlüter  a.  a.  o.).  In 
der  hauptsache  aber  sind  die  nominatiye  der  kurzsilbigen 
denen  der  langsilbigen  gleich  gemacht  Bei  einigen,  wie 
brüh,  duz,  haz ,  maz,  nuz ,  scuzj  staph,  könnte  man  an  einen 
einfluss  der  lautverschiebung  denken,  welche  die  quantität  der 
Stammsilben  veränderte,  aber  für  andere,  wie  flug ,  sal,  slag, 
stat,  scrit ,  mit  bleibt  doch  nur  die  annähme  einer  formüber- 
tragung  möglich  (näheres  darüber  s.  bei  Paul,  Beitr.  IV,  397  f.). 
In  der  composition  tritt  aber  das  t  wider  mehrfach  auf,  wo  es 
im  Simplex  geschwunden  ist,  so  in  saiihüs  gl.  K.  141a,  i^ 
scritimäl  (neben  scritamäl),  scritimez  Graff  II,  716.  895  zm  scrit, 
slegifedara  Graff  III,  448  zu  slag\  fluge-gerta,  -ras,  -scuoh  Graff 

IV,  258.  1180.  VI,  419  zu  ßig  (so  auch  wol  die  zahlreichen 
formen  mit   trugi,   wie  trugilih,  trugiheit,  trugihilidi  etc.  Graff 

V,  508):  selbst  bei  langsilbigen  findet  sich  dies  noch,  nämlich 
in  mezzimuos  Graff  II,  870   und  mezzi-rahs  neben  mazsahs  ib. 

VI,  90,  brüiigomo,  brütiboto,  truhtigomo,  nahtigala,  J.  Grimm, 
gr.  II,  419,  neben  brütbetti,  brütkamara,  nahtlob  etc.  ib.  II,  420. 

Was  ist  nun  jenes  i,  das  im  nom.  acc  sg.  und  in  der 
composition  erscheint?  Um  diese  frage  dreht  sich  alles.  Man 
hatte  bisher  alle  diese  Wörter  der  ya- declination  zugewiesen, 
soweit  masculina  und  neutra  in  betracht  kamen,  der  declina- 
tion der  abstracta  auf  -t,  was  von  femininis  vorlag.    Hiergegen 


ZÜB  ACCENT-  ü.  LAUTLEHRE  DER  GERM.  SPRACHEN.    1 09 

hat  aber  Schlüter  mit  recht  eingewant,  dass  dann  der  wurzel- 
auslautende  consonant  wie  bei  den /a- stammen  geminiert  sein 
müste  und  dass  im  ags.  der  nom.  nicht  auf  -e  auslauten  könnte, 
vgl,  z.  b.  hyge  mit  hrycg,  myne ,  tvine  mit  cynn,  wlite  mit  flett 
u.  dgL  (s.  auch  weiter  unten  bei  den  ya-stämmen).  Man  kann 
dazu  noch  fügen,  dass  auch  die  flexion  gar  nicht  überein- 
stimmt; wir  finden  im  ags.  für  den  plural  als  regel  die  endung 
-e  gegen  -as  der  ja  -  stamme,  im  Heliand  noch  mehrere  plurale 
auf  'iy  so  cumi,  quidi,  uuini  gegen  das  -iös  bei  den  ya-stämmen 
(nur  einmal  angeglichen  seliös  G  3686),  im  dat.  sg.  massenhaft 
die  endung  -i,  uuordquidi,  hugi,  seit,  meti  neben  dem  ange- 
glichenen 'ie,  welches  bei  den  ya-stämmen  allein  herscht 

Ebensowenig  wie  aus  der /a-declination  kann  das  -i  des 
nom.  acc  sg.  aus  dem  plural  oder  einem  andern  singularcasus 
hergeleitet  werden,  denn  dann  begriffe  sich  durchaus  nicht  die 
consequenz,  mit  der  nur  kurzsilbige  Wörter  diese  ^Umbildung* 
erfahren  hätten.  Dazu  halte  man  nun  den  yollkommenen 
parallelismus  der  u- stamme,  und  man  wird  nicht  mehr  zwei- 
feln dürfen,  dass  dieses-/  der  alte  stammauslaut  ist^  und 
dass  daher  ron  einem  gemeingermanischen  ausfall  des  t  in 
zweisilbigen  nominibus  so  wenig  die  rede  sein  kann  wie  von 
einem  des  u.  Ein  gegenbeweis  gegen  diese  aus  der  nominal- 
flexion  gewonnenen  resultate  lässt  sich  aus  dem  verbum  nicht 
f&hren;  denn  dieses  kennt  im  ganzen  nur  ursprünglich  drei- 
silbige formen;  die  beiden  einzigen  ursprünglich  zweisilbigen 
formenreihen,  die  sich  im  germanischen  erhalten  haben,  im,  is, 
ist,  sind  und  dorn,  dds,  döb,  danb  (die  reduplication  des  letzteren 
Wortes  war  schon  gemeingerm.  geschwunden)  sind  ja  zugleich 
langsilbig  und  fügen  sich  der  regel.  Die  möglichkeit  ist  aller- 
dings nicht  ausgeschlossen,  dass  die  ursprünglich  auslautenden 
t  dieser  Wörter  anders  behandelt  wurden,  als  die  gedeckten  t 
der  nom.  und  die  vielleicht  ebenso  durch  den  ursprünglich  da- 
hinter stehenden  nasal  m  wie  durch  den  systemzwang  ge- 
schützte i  des  acc.  der  nomina.  ^)    Anstössig  ist  nur  eine  form, 


0  Ag8.  dSs,  dStf  kann  nicht  als  zeugnis  für  die  erhaltang  des  -t  in 
ags.  zeit  gefasst  werden,  denn  das  verbum  ddn  ist  im  ags.  ganz  zur  con- 
jogation  der  verba  mit  thematischem  yocal  übergetreten.  Sonst  mUsste 
es  ja  aach  ic  *  dim  und  in  der  3.  pl.  *  diti  heissen.  —  Für  arsprUnglich 


110  SIE  VERS 

das  at»:8.  alts.  comparativadverb  bet,  ahd.  baz,  für  das  man 
*bete,  *beU  erwarten  sollte,  wenn  diese  formen  «»  got.  baiis 
mit  gemeingerm.  /  sind.  Aber  diese  form  unterliegt  selbst 
einer  reihe  von  bedenken,  s.  unten  s.  1 1 1  u.  ö.  lieber  die  ad- 
verbien  und  praepositionen  umbi  und  in  etc.  kann  erst  weiter 
unten  gehandelt  werden. 

Es  knüpfen  sich  hieran  alsbald  die  weiteren  fragen:  darf 
man  die  durchführung  dieses  abfallsgesetzes  in  den  westger- 
manischen sprachen  als  einen  gemeinschaftlichen  akt  derselben 
bezeichnen,  und  wie  stellt  sich  das  ostgermanische  dazu? 
Auf  die  erste  frage  lautet  die  antwort  mit  entschiedenheit  nein. 
Wir  sind  glücklicherweise  noch  im  besitze  zweier  ags.  formen, 
welche  die  sache  definitiv  erledigen.  Auf  dem  Cleiinonter 
runenkästchen  (Stephens,  the  old  northern  runic  monuments  I, 
470  ff,  C.  Hofmann,  Sitzungsber.  der  Münchener  Akad.  1871, 
s.  665  ff.)  steht  der  nom.  sg.  flodu,  auf  dem  kreuz  von  Bew- 
castle  (Stephens  I,  398  ff.)  der  nom.  olrvfwolpu^)  (beide  formen 
hat  schon  Sweet  [on  prehistoric  forms  and  dialects  of  old 
english  s.  6.]  hervorgehoben).  Aus  ihnen  sowie  aus  der  tatsache, 
dass  /  bei  langsilbigen  im  ags.  noch  umlaut  erzeugt  (s.  gleich 
nachher),  nicht  aber  im  ahd.  und  alts.,  folgt,  dass  der  Schwund 
des  u  und  i  nach  langeu  silben  erst  in  das  einzelleben  der 
westgerm.  sprachen  fällt,  dass  in  der  westgerm.  einheit  beide 
vocale  noch  ebenso  intakt  erhalten  waren  wie  es  das  u  im 
gotischen  ist.  Kur  das  accentgesetz,  welches  die  verschiedene 
behandlung  der  kurz-  und  langsilbigen  Wörter  bedingte,  ist  ge- 
meinsam gewesen.  —  Eine  besondere  bestätigung  hieifttr  bietet 
übrigens  die  behandlung  der  consonantischen  declina- 
tion.  Bei  den  langsilbigen  i- stammen  könnte  man  zweifeln 
wollen,  ob  der  umlaut  im  nom.  acc.  sg.  (z.  b.  giest,  tvyrm,  tvylm, 
die  feminina  s.  Beitr.  I,  496  f.)  lautgesetzlich  oder  durch 
form  Übertragung  zu  erklären  sei;  diese  formen  lassen  sich  des- 
halb nicht   mit  völliger  bestimmtheit  zur  festsetzung  der  chro- 

anslautendes  u  fehlen  verbalbelege.    Man  vgl.  Übrigens  was  unten  über 
Worte  wie  in,,  umbi  gesagt  ist. 

0  Die  inschrift  lautet  soweit  sie  hier  in  betracht  kommt:  pis  sige- 
becn  pun  {-bScun?)  setton  hwcetred  mopgar  olwfwolpv  aft  alcfripu  ean 
kyning  eac  oswiung  \  gebid  heo  sinna  sorvhula. 


ZUR  ACCENT-  ü.  LAUTLEHRE  DER  GERM.  SPRACHEN.     1 1 1 

nologie  des  vocalschwundes  benutzen;  wol  aber  lassen  formen 
wie  ags.  fei,  mys  etc.  im  dat.-loc  sg.  und  nom.  (-acc)  pl.  keinen 
zweifei  übrig;  sie  stehen  für  */dii,  ^müsi  resp.  */o'^/z,  "^mü'siz 
{-iz  aus  europ.  -es,  s.  Paul,  Beitr.  IV,  418,  vgl.  auch  altn. 
dohirir  auf  dem  stein  von  Tune).  Der  ausfall  des  vocals 
i  ist  also  jünger  als  der  eintritt  des  umlauts  im 
angelsächsischen.^)  Im  ahd.  und  alts.  fehlt  dagegen  der 
umlaut  wie  bei  den  entsprechenden  langsilbigen  alten  /-stam- 
men ganz  der  regel  entsprechend,  da  diese  beiden  sprachen 
den  umlaut  erst  relativ  später  eintreten  Hessen.  2) 

Was  das  verhalten  des  ostgermanischen  betrifft,  so 
hat  das  gotische  bekanntlich  alle  /  in  zweiter  siibe  getilgt, 
ausser  in  den  comparativadverbien  auf  -is  wie  haiis,  neben 
solchen  wie  mins,  vairs ,  pmiaseips,  swis,  Paul  hat  Beitr.  IV, 
414  anm.  bereits  richtig  bemerkt,  dass  die  vollere  form  aus 
dem  adjectivum  eingedrungen  ist.  Wider  anders  das  nor- 
dische. Dieses  erschwert  zwar  den  einblick  in  den  gang 
seiner  lautentwicklung  über  die  massen  durch  die  ausserordent- 
liche Zerrüttung  seiner  /-declination,  die  mit  allen  übrigen  decli- 
nationen  durcheinander  geworfen  ist.  Aber  ich  meine  doch, 
dass  eine  art  resultat  zu  erreichen  ist,  wenn  man  zunächst  die 
sicher  vergleichbaren  /-stamme  des  nordischen  und  der  übrigen 
germ.  sprachen  zusammenstellt.    Dies  gibt  folgendes  bild: 


*)  Abd.  und  alts.  haben  nur  wenige  deutliche  reste  der  cons.  decli- 
nation  einsilbiger  stamme  bewahrt  Interessant  ist  die  behandlung  des 
abstufenden  Stammes  dhvar ,  dhur  (vgl.  Osthofif,  Beitr.  III,  49.  74  fif.); 
dieser  ergab  nach  ausgleichung  der  stammabstufung  und  eintritt  des  um, 
un  für  nasalis  sonans  die  flexion  ^(dur?)^  * duras ,  *duri,  *  durum,  pl. 
*duriz,  *duräm,  *durums,  *duruns,  Nom.  sg.  und  gen.  pl.  lieferten  das 
neutr.  got.  daür  etc.,  acc.  sg.,  dat.  und  acc.  pl.  das  ags.  duru,  loc.  sg. 
und  nom.  pl.  das  ahd.  turi.  Dies  zur  ergänzung  von  Brugman,  Studien 
IX,  395. 

*)  Hier  macht  wider  nur  das  alts.  adverb  leng  für  *langiz  eine 
Schwierigkeit;  wir  haben  darin  jedenfalls  ein  beispiel  eines  analogischen 
umlauts  zu  sehen,  wie  in  nord.  hetr,  bezt,  s.  unten  und  Braune,  Beitr.  IV, 
542  £F. 


112 

SIEVERS 

kurzsilbige : 

langsilbige: 

altn.  burr  — 

ags.  byre 

altn 

. bekkr  — 

ahd.  bano 

Danr 

Dene  pl. 

belgr 

balg 

halr 

hsßle 

drykkr 

trunc 

hugr 

hyxe 

F 

1 

ermr  f. 

got  arms  (t-st). 

marr 

mere 

fengr 

ahd.  fang 

matr 

mete 

floBÖr  f. 

flaot 

manr 

myne 

gestr 

gast 

D^r 

ud,  gotnauB 

leygr 

loug,ag8.1Öj,ltx 

salr 

sele 

reykr 

Fonh,  ags.  r6c 

skapr 

-scipe 

serkr 

sarc  (?) 

slagr 

siege 

strengr 

Strang 

pMiT 

\>y\e 

BOBgr 

ags.  sw8g 

vinr 

wine 

Diese  tabelle  lehrt,  dass  bei  den  langsilbigen  umlaut  ein- 

tritty  dass  er  aber  bei  den  kurzsilbigen  fehlt.    Nun  halte  man 

hierzu  die  sicher  vergleichbaren  ya-stämme,  die  in  der  flexion 

grossenteils  mit  jenen  t- stammen  zusammengefallen  sind  and 

von  den  grammatikern   in  der  regel  nicht  streng  yon  ihnen 

getrennt  werden.^)    Wir  finden  da  an  kurzsilbigen,  auf  die 

allein  es  hier  ankommt: 

^   mascnlina: 

bet$r  =  ags.  bedd  n. 
dynr  dynn 

herr  bere 

hryggr  hrycj 

vefr  webb  n. 

prymT  )>rymm 

Also  regelmässig  umlaut,  wie  bei  den  langsilbigen  t- 
(und  ja-)  Stämmen.  Danach  muss  man  schliessen,  dass  die  un- 
umgelauteten  nominativformen ')  der  kurzsilbigen  t-stämme  die 


neutra: 

feminina: 

flet  = 

:  ags.  flett 

ben 

--  ags.  benn 

kyn 

cynn 

egg 

ecg 

lyf 

ahd.  Inppi 

hei 

hell 

net 

ags.  nett 

nyt 

nytt 

vetJ 

ahd.  wetti 

skel 

scell 

*)  Auch  nicht  von  Wimmer  (auf  dessen  vortrefflichen  sammlimgeii 
altn.  gr.  §  40  ff.  Übrigens  meine  obigen  Zusammenstellungen  beruhen), 
fttr  den  Standpunkt  seiner  grammatik  mit  recht  Wimmer  macht  auch, 
besonders  in  der  schwedischen  ausgäbe  §  43,  anm.  3  auf  die  grosse  rolle 
aufmerksam,  welche  die  quantitätsunterschiede  der  wnrselsilben  bei  der 
nord.  f-  und  ^a-declination  spielen. 

*)  Es  ist  selbstverständlich,  dass  nur  nom.  acc.  sg.  der  t-stämme 
unserem  gesetze  unterlagen ;  für  die  Übrigen  casus,  namentlich  nom.  acc 
pl.,  welche  eigentlich  umlaut  haben  sollten,  wie  im  ahd.  alts.,  ist  die 
form  des  sg.  massgebend  geworden,  s.  Scberer  z.  GDS.  420.  —  Fttr  die 
praktische  grammatik  des  nordischen  gewinnen  wir  die  regel,  alle  kurz- 


ZUR  ACCENT-  U.  LAUTLEHRE  DER  GERM.  SPRACHEN.  113 

rein  lautlich  entwickelten  fortsetzungen  der  urgerni.  *buriz  etc. 
sind,  mit  andern  wovten :  das  i  der  kurzsilbigen  i-stämme 
fiel  im  nordischen  vor,  das  der  langsilbigen  erst 
nach  dem  eintritte  des  i-umlautes  aus.  Dies  stimmt 
vortrefflich  zu  dem ,  was  früher  (oben  s.  69)  tlber  die  syncope 
des  inneren  l  beobachtet  wurde,  deren  gesetze  sich  am  deut- 
lichsten in  den  praeteritis  der  schwachen  verba  ausprägen: 
barba,  dvalba,  valba,  aber  hre^ida,  dcemba,  heyrtia  etc.  Das 
hier  geltende  syncopierungsgesetz  ist  genau  das  gegenteil  von 
dem,  welches  die  westgermanischen  sprachen  beherscht. 

Ganz  ohne  ausnahmen  scheint  allerdings  die  regel  nicht 
aufgehen  zu  sollen,  aber  alle  diese  lassen  sich  durch  richtige 
erklärung  so  ziemlich  beseitigen.  Zunächst  haben  die  lang- 
silbigen  feminina  der  /-stamme,  wie  äst,  ddb,  hüb,  väti,  sdtt  etc. 
meist  keinen  umlaut:  nur  du  und  cett,  hon  und  hcm,  kvdn  und 
kvcen,  sdtt  und  scett  schwanken  (Wimmer  §  48  anm.  3).  Wie 
aber  hier  schon  der  mangel  des  nominativ-r  zeigt,  sind  diese 
werte  ausserordentlich  frühzeitig  im  sing,  zur  bildung  der  ä- 
stämme  übergetreten,  deren  u-umlaut  sie  sogar  im  nom.  sg.  be- 
kommen, z.  b.  alt  ost,  dot5,  Wimmer  §  48  anm.  2.  Nur  zwei 
Wörter  scheinen  den  typus  der  alten  flexion  zu  tragen,  flcetir 
flut ,  gegen  got.  flödus,  ags.  fldd{u\  und  das  weiblich  gewordene 
ermr  ärmel  (wenn  man  dieses  direct  zu  got.  arms  m.  [i-stamm] 
stellen  darf),  und  beide  haben  den  umlaut  Von  den  unum- 
gelauteten  femininis  mit  r  im  nom.,  die  ihrer  flexion  nach 
hier  in  betracht  kämen,  ist  das  eine,  gunnr  (flectiert  wie  heiter, 
acc  pl.  heitiar,  Wimmer  §  41.  42)  ^a- stamm  und  verdankt 
seinen  unumgelauteten  vocal  der  einwirkung  eines  nebenher- 
gehenden a- Stammes,  der  auch  im  ags.  gütS,  ahd.  Gunda-  in 
eigennamen   wie  Gunda-hari  neben  güdea  Hild.  vorliegt;   das 


silbigen  Wörter  ohne  umlaut,  welche  nach  art  der  t-  oder  ^a- stamme 
flectiert  werden,  als  t-stämme^  alle  desgl.  umgelauteten  als  ja-  (und  Ju-) 
Stämme  anzusetzen.  Beide  declinationsformen  ganz  auseinanderzuwirren 
wird  wol  unmöglich  sein,  da  der  allein  entscheidende  acc.  pl.  (-t  oder 
-ja)  nicht  von  allen  Wörtern,  die  hierher  gehören  (und  diese  sind  sehr 
zahlreich),  belegbar  sein  wird.  —  Den  zahlreichen  formübertragungen, 
die  hierbei  in  betracht  kommen,  weiter  nachzagehen  kann  hier  nicht 
meine  aufgäbe  sein. 

Bcltrig«  s«r  gesobiohte  der  deatMben  spnolM.  V.  8 


1 1 4  SIEVERS 

andere;  brübr  sclieiut  eine  wirkliche  ausnähme  zu  bilden  (über 
die  flexion  s.  Wimmer  §  42,  anm.  3). 

Als  I- stamme  werden  sodann  eine  anzahl  langsilbiger 
masculina  ohne  umlaut  angesetzt:  hurt^r,  kostr,  sant^r,  skurbr, 
siulbr,  sulir,  purbr,  Wimmer  §  44.  45.  Ausser  saubr,  welches 
als  sichere  ausnähme  bleibt  (vgl.  got.  saudlm  Marc.  12,  33)  sind 
jene  Wörter  verbalsubstantiva,  die  zum  teil  sehr  wol  Ursprung* 
lieh  w-stümme  gewesen  sein  können  (suffix-Zw);  y^\,  ^oi.  kustus 
=  altn.  kosfr  (ucc.  pl.  aucli  noch  koslu),  lushis,  vahsius  und 
die  auf  -odus,  auhjödus,  gabaürjdpus,  mannlskodtis,  vrat&dus\  in 
die  auaiogie  dieser  mUssen  dann  fimdr  und  sultr  (zu  finpan 
und  sfveltan)  vermöge  ihrer  bedeutungsiihnlichkeit  übergetreten 
sein ;  ureprünglich  mögen  sie  /-strimmo  gewesen  sein,  vgl.  mhd. 
vunt,  vünde,  ags.  swylt,  aber  auch  got.  svultavairpja  Luc.  7,  2. 

Sodann  finde  ich  ein  umgelautetes  kurzsilbiges  wort, 
w*elclies  einem  sonstigem  /-stamm  zu  entsprechen  scheint,  näm- 
lich pytr  Wimmer  §  41  B,  =  ahd.  duz,  got.  in  put-hcaim] 
dies  mag  sich  an  die  vielen  umgelauteten  verbalsubstantiva 
angelehnt  haben,  welche  Wimmer  a.  a,  o.  aufzählt,  wie  dykr, 
fnykr,  glyrnr,  gnyf>r,  gyss ,  hlymr^  hrytr,  rymr,  styrr,  ylr,  yss, 
prymr  etc.,  die  man  nach  sicheren  beispielen  wie  prymr  = 
ags.  prym,  dat.  pl.  pryninnim^  flir  /a- stamme  oder,  wenn  man 
altn.  drynr  \)\,  zw  got  dru7yiis  vergleicht  für /w- stamme  halten 
muss.  Es  widerholte  sich  dann  die  eben  bei  fimdr,  sultr  be- 
sprochene erscheinung. 

Femer  ist  die  consonantische  declination  hier  zu  erwähnen. 
Die  meisten  Wörter  derselben  sind  laiigsilbig,  also  ist  der  um- 
laut gerechtfertigt  (masc.  /(Pfr,  menn,  iiegl,  fem.  hendr,  rcetr, 
mysa  etc.,  Winmier  §  53 — 59);  kurzsilbig  nur  hnot ,  stob  mit 
den  pluralen  hufitr,  hnetr\  stobr,  stetSr  und  das  pL  t.  dyrr. 
Von  diesen  sind  die  plurale  der  beiden  ersten  sicher  analogie- 
bildungen  nach  den  langsilbigen,  denn  sonst  müste  der  umlaut 
von  0  vielmehr  y  sein  {*hnytr,  da  das  wort  zu  einer  ?<-wurzel 
gehört,  vgl.  ahd.  h7ii(z),  und  dasselbe  wird  man  dann  auch  von 
dyrr  annehmen  dUrfen;  der  umgelautete  plural  muss  sich  zu 
einer  zeit  herausgebildet  haben,  wo  noch  ein  (unumgelauteter) 
sing,  bestand. 

Endlich  bleiben  noch  einige  comparativ-  (und  Superlativ-) 
aiiverbien  wie  betr,  frernr,  skenir  und  bezt,  fremst,  skemst\  diese 


ZUR  ACCENT-  ü.  LAUTLEHRE  DER  OERM.  SPRACHEN.    1 15 

stehen  wie  die  entsprechenden  adjectiyischen  formen  betri, 
fremri  etc.  unter  dem  eiuflasse  der  regelrecht  umlautenden 
langsilbigen,  sie  haben  analogischen,  nicht  etymologischen  oder 
lautgesetzlichen  umlaut;  neben  heztry  bezt  kommt  übrigens  das 
zu  erwartende  baztr,  bazt  wirklich  vor,  und  zwar  als  ältere 
form  bis  zum  ende  des  12.  Jahrhunderts  fast  ausschliesslich;  s. 
Cleasby-Vigfüsson  s.  61  f. 

Ein  zeitlicher  unterschied  in  der  behandlung  unbetonter 
f  und  u  in  gleicher  Stellung  (d.  h.  entweder  beide  nach  kurzer 
oder  beide  nach  langer  silbe)  Hess  sich  für  das  westgerma- 
nische nicht  constatieren.  Für  das  nordische  besteht  ein 
solcher;  das  u  hat  auch  bei  kurzsilbigen  umlaut  rcsp.  brechung 
hinterlassen;  es  heisst  mggr,  prgmr,  Hobr,  kjglr,  nygbr^)  eben- 
so wie  bei  inlautendem  u,  z.  b.  joklar,  jgtnar,  /jgtrar.  Wir 
finden  hier  dieselbe  regelmässigkeit  wie  in  den  reihen  stabr, 
matr,  munr  und  katlar,  luklar,  Agli  oder  bart^a,  vaktSa,  spurba 
u.  s.  w.  Diese  erscheinung  ist,  wie  ich  glaube,  von  Edzardi, 
Beiträge  IV,  160  f.  richtig  dahin  gedeutet,  dass  die  syncope 
des  u  einer  späteren  zeit  angehöre  als  die  des  i.  Wir  können 
hier  vielleicht  noch  den  weiteren  schluss  ziehen,  dass  das 
nordische  hierin  sich  mit  dem  gotischen  näher  berühre,  inso- 
fern dieses  ebenfalls  mit  dem  u  conservativ  verfährt.  Natür- 
lich soll  hiermit  nicht  etwa  ein  historischer  Zusammenhang 
der  syncopierung  des  i  für  gotisch -nordisch  behauptet  werden, 
aber  wol  darf  man  annehmen,  dass  ebenso  in  der  ostgerma- 
nischen einheit  ein  für  uns  noch  nicht  näher  bestimmbares 
etwas  in  der  articulation  vorhanden  gewesen  ist,  welches  die 
frühere  syncope  des  i  nach  der  trennung  in  beide  sprachzweige 
unabhängig  von  einander  bedingte,  wie  wir  für  das  westger- 
manische ein  gemeinsames  accentprincip  fanden,  das  schliess- 
lich zu  einem  übereinstimmenden  syncopierungssystem  führte. 

Wir  kommen  nun  zu  dem  weitaus  schwierigsten  teile  der 
ganzen  Untersuchung,  nämlich  der  frage  nach  dem  alter  und 

I)  Aber  wamm  heisst  es  limr,  litTj  sWr  (kvitfr)?  Ags.  lim  ist  a- 
stamm,  got.  vlits  t- stamm,  hier  erklärt  die  Übertragung  in  eine  andere 
declination  die  sache;  aber  si9r  =  got.  sidus'i  Altn.  valr  =  got  vdlus 
ist  zur  t- declination  tibergetreten. 


116  SIE  VERS 

den  gesetzen  der  syncopierung  des  a.  Dieses  ist  von 
allen  germanisclien  sprachen  in  weit  grösserem  umfange  ver- 
drängt als  die  beiden  anderen  grundvocale  u  und  /.  Es  liegen 
zwei  möglichkeiteu  der  erklärung  vor.  Erstens:  die  sacbe  hat 
einen  rein  physiologischen  grund.  Dafür  spricht,  dass  dieselbe 
erscheinung  auch  andere  sprachen  zeigen,  wie  etwa  das 
litauische.  Die  ältere  spräche  hat  noch  alle  drei  vocale  in 
den  endungen,  die  moderne  syncopiert  das  a  im  nom.  sg.  der 
rt-stämme,  nicht  aber  die  entsprechenden  i  und  u:  pöns,  vUks, 
aber  dalgis ,  äntis,  turgus  etc.  (doch  freilich  auch  ponänis  aus 
pdnamus  etc.,  wobei  aber  die  mehrsilbigkeit  mit  in  anschlag 
gebracht  werden  muss,  vielleicht  auch  qualitative  unterschiede 
des  w).  Die  erklärung  liegt  meines  erachtens  darin,  dass  a 
als  derjenige  vocal,  welcher  der  indiffcrenzlage  am  nächsten 
liegt  and  also  die  umgebenden  consonanten  am  wenigsten  be- 
eintiusst,  am  leichtesten  ausfallen  kann,  ohne  Weiterungen  zu 
veranlassen;  /  und  u  dagegen  wirken  stark  auf  ihre  nachbar- 
schaft  ein,  sie  rufen  namentlich  bei  vorausgehenden  lauten 
mouillierung  rcsp.  labialisierung  hervor  (deren  Vorhandensein 
im  germanischen  die  umlaute  bezeugen).  Bei  schwacher  aus- 
spraciie  des  vocales  werden  also  die  umgebenden  laute  doch 
stets  /-  oder  //-haltigen  klang  haben,  also  die  erinnemng  an 
den  vocal  /,  n  stets  wider  dem  hörer  oder  Sprecher  wach- 
rufen. Ausserdem  erfordern  /  und  u  grössere  articulations- 
bewegungen  von  der  indiflferenzlage  aus  gerechnet,  und  der 
allgemeine  satz,  dass  eine  articulation  sich  um  so  stärker  dem 
Sprachgefühle  einpräge  und  in  folge  dessen  um  so  weniger 
leicht  verändert  oder  in  Wegfall  gebracht  werde,  je  energischere 
oder  ausgedehntere  tätigkeit  des  Sprachorgans  sie  erfordert, 
gilt  auch  hier. 

Die  z\yeite  möglichkeit  ist  diese:  Die  /-  und  u- stamme 
sind  im  indogerm.  ursprünglich  in  überwiegender  mehrzahl 
oxytona  gewesen,  die  a- stamme  barytona.  Wenn  die 
Beitr.  IV,  538  anm.  angedeutete  auftassung  der  germ.  accent- 
verschiebung  richtig  ist,  so  musten  die  /-  und  u- stamme  noch 
längere  zeit  einen  nebenton  auf  ihrem  schlussvocal  haben,  der 
den  a-stämmen  abgieng.  Urgerm.  *gdsCiz^  *sdtiz,  *sunuz  ver- 
halten sich  zu  *dägaz,  *tv6rda{m)  etc.  etwa  wie  serb.  nom. 
vüdä    zum   acc  vödu    (Masing,  serb.-kroat.  aeceut,    vgl.  auch 


ZUR  ACCENT-  U.  LAUTLEHRE  DER  GERM.  SPRACHEN.      117 

Beitr.  IV,  526  anm.).  Dann  kann  die  frühere  und  consequen- 
tere  syncope  der  a  nicht  auffallen  (vgl  namentlich  auch 
unten  s.  121  f.). 

Angenommen  nun,  dass  wirklich  alle  germanischen 
sprachen  sämmtliche  kurzen  a  der  schlusssilben  getilgt  hätten, 
dürfen  wir  aus  diesem  factum  den  schluss  ziehen,  dass  sie 
diesen  act  gemeinschaftlich  vor  ihrer  trennung  vollzogen  haben  ? 
Mit  Sicherheit  gewis  nicht  Ich  brauche  nur  an  das  verhalten 
des  got.-nord.  bezüglich  des  i  zu  erinnern.  Auch  dieses  fehlt 
ja  (mit  einer  hernach  zu  erwähnenden  ausnähme,  über  die 
man  leicht  hinwegzugehen  pflegt,  den  runenformen)  in  beiden, 
und  doch  zeigte  eine  genauere  Untersuchung,  dass  das  i  im 
nord.  relativ  sehr  langen  bestand  hatte.  Noch  näher  liegt  das 
beispiel  des  litauisch -lettischen.  Wenn  man  hier  bloss  die 
modernsten  ausläufer  vergleichen  wollte,  so  könnte  man  als 
gemeinsame  endung  der  a- stamme  im  nom.  sg.  blosses  -s  er- 
schliessen,  aber  man  braucht  nicht  weit  zurückzugehen,  um 
das  scheinbar  gemeinsam  syncopiorte  a  im  lit.  noch  in  vollem 
umfange  anzutreffen.  Was  hier  bewiesen  ist,  dessen  mög- 
lichkeit  muss  man  doch  von  vornherein  auch  für  die  ger- 
manischen sprachen  zugestehen,  und  das  um  so  eher,  als  die 
betreffende  syncopierungserscheinung,  wie  eben  gezeigt  wurde, 
von  derartiger  physiologischer  beschaflfenlieit  ist,  dass  sie  unter 
ähnlichen  bedingungen  in  den  verschiedensten  sprachen  mit 
gröster  leichtigkeit  spontan  auftreten  kann. 

Die  besprochene  möglichkeit  gestaltet  sich  alsbald  zur 
gewisheit,  wenn  man  ohne  Voreingenommenheit  die  sprach- 
formen der  ältesten  nordischen  runeninschriften  durchmustert. 
Es  kommen  hier  besonders  in  betracht  die  inschriti;  des  gol- 
denen homs  ek  hlervagastiR  holtingaR  homa  tawidOy  die  des 
Steines  von  Tune  ek  wirvuR  after  woduride  rvitadahalaiban  rvo- 
rahto  runoR  und  arbinga  singostCR  arhiiigmi  opUngoR  dohtriR 
dalidun  {afte)r  woduride  siaina,  des  von  Varnum  ubar  hite  hara- 
banaR  (vi)t  jah  ek  eriluR  runoR  rvaritu,  des  von  Berga  saligasüR 
und  die  des  von  Tan  um  prawingan  haitinaR  was,  über  deren 
deutung  im  einzelnen  die  bei  Möbius  in  Kuhns  zeitschr.  XVIII, 
153  ff.  und  XIX,  208  ff.  angeführte  literatur  zu  vergleichen 
ist     Man  hat  sich   in  Deutschland    vielfach   daran  gewöhnt, 


118  SIEVERS 

dem  urteil  von  Glslason  (s.  a.  a.  o.)  folgend  die  hier  hervor- 
tretenden vocale  der  schlusssilben  für  'epenthetische  und  para- 
gogische  hülfsvocale'  zu  erklären  und  sie  dann  mit  gutem  ge- 
wissen zu  ignorieren,  weil  in  späteren  Inschriften  Verwirrung 
eintritt  (so  z.  b.  i  für  a  auf  dem  Istabystein ,  der  schon  durch 
die  a  der  formen  runaR  paian  als  jünger  gekennzeichnet  ist^ 
in  der  form  haeru  rvulafin  neben  hapuwulafn).  Dem  gegenüber 
brauche  ich  nur  auf  die  eingehenden  auseinandersetzungen 
über  diese  frage  von  Wimmer,  Navneordenes  böjning  s.  40  ff. 
(dessen  frühere  abhandlung,  de  seldste  nordiske  runeindskrifter, 
in  den  Aarböger  1867,  1 — 64  ist  mir  im  augenblick  nicht  zu- 
gänglich) zu  verweisen.  Wimmer  hat  dort  für  jeden  der 
sehen  will  den  vollgültigen  beweis  geliefert,  dass  eben  so  gut 
wie  die  i  in  hlervagasÜR  und  saligasÜR  noch  die  alten  stamm- 
auslaute von  gasti'  und  sali-  repräsentieren,  deren  teil  weises 
hineinreichen  in  weit  spätere  zeit  wir  oben  aus  anderen  grün- 
den folgerten,  so  auch  die  a  der  nominative  holüngaR,  wiwaR, 
harabanüR,  erilaR  und  der  accusative  homa,  staitia  (und  einiger 
anderer  hier  nicht  widerholter  formen)  alte  thematische  vocale 
sind.  Ein  weiteres  argument  für  diese  auffiassung  bieten  so- 
dann die  von  Thomson  ausführlich  behandelten  germanischen 
lehnwörter  der  Finnen  und  Lappen,  welche  die  a-,  i-,  u-stämme 
noch  deutlich  unterscheiden  lassen.  Namentlich  rücksichtlich 
der  Lappen  kann  es  kaum  zweifelhaft  sein,  dass  diese  aus 
einer  schon  specifisch  nordischen  spräche  entlehnten,  nicht 
etwa  aus  einem  gemeinsamen  urgermanisch  (Thomsen,  s.  119 
der  Übersetzung). 

Wir  constatieren  also  als  ersten  festen  punkt:  die  er- 
haltung  des  thematischen  a  im  nom.  acc  sg.  von 
nominibus  überdauerte  die  abzweigung  des  nordi- 
schen von  den  übrigen  germanischen  sprachen.  Ich 
spreche  dabei  absichtlich  in  so  bedingter  form,  denn  man 
muss  beachten,  dass  alle  belegten  formen  lang-  oder  mehrsil- 
bigen substantivis  angehören  und  dass  auch  die  ältesten  ixt- 
Schriften  bereits  eine  sicher  gekürzte  form  bieten,  das  pro- 
nomen  ek,  welches  für  den  repräsen tauten  der  nordischen 
entwickelung  der  kurzsilbigen  Wörter  dienen  könnte.  Auch 
kann  man  geltend  machen,  dass  die  westgerm.  Uc  resp.  ih 
im  vergleich  mit  nominalformen  wie  weg   etc.    die  annähme 


ZUR  ACCENT-  ü.  LAUTLEHRE  DER  GERM.  SPRACHEN.    119 

begünstigen,  dass  der  wegfall  des  auslautenden  vocales,  der 
jedenfalls  ein  a  oder  ein  ihm  nahestehender  dunkler  yocal  war, 
in  die  gemeinsame  periode  falle,  obschon  natürlich  zu  einem 
stricten  beweise  dies  argument  nicht  hinreicht  (ygl.  altn.  mik, 
pik,  sik  und  ags.  meCj  pec).  Aber  es  kann  uns  doch  veran- 
lassen, die  frage  zu  stellen,  ob  nicht  doch  für  einige  Wie  be- 
reits gemeingermanischer  schwund  des  a  angenommen  wer- 
den müsse. 

Einen  solchen  fall  bietet  nun  wol  die  verbalflexion  der 
1.  person  plur.  des  perfectums.  Eine  form  wie  bitum 
ist  doch  aller  wahrscheinliohkeit  gemeingermanisch.  Sie  ent- 
stand^ wie  Brugman  überzeugend  nachgewiesen,  zunächst  aus 
*bitm  mit  ^m  sonans'  (Brugman,  nasalis  sonans  in  der  indog. 
grundprache,  in  Curtius'  Studien  IX,  287  flf.,  speciell  s.  327), 
wie  die  3.  person  biiun  aus  *bitji]  weiterhin  stehen  diese  for- 
men ftlr  *  {bi)bitmd  resp.  {bi)bitme  ^)  und  *  (hi)bitn\t) ;  m  sonans 
tritt  in  der  ersteren  ein,  sobald  das  a  abfällt.  Nun  ist  die 
entwickelung  einer  nasalis  oder  liquida  sonans  zu  um,  un,  uri, 
vr,  ul  auf  die  gemeingermanische  periode  beschränkt  (ihr  haupt- 
gebiet bilden  bekanntlich  die  Stammsilben  der  praeterita  und 
participia  wie  bundum,  bundans  etc.)  Darauf  beruht  z.  b.  der 
weiter  unten  genauer  zu  erörternde  unterschied  zwischen  for- 
men wie  got.  bitun  :  rign,  altn.  bitu  :  regn,  ags.  biton :  re^n,  alts. 
bitun  :  regan,  ahd.  bizzun  :  regan.  Was  hier  vom  n  gilt,  muss 
doch  auch  für  m  gelten,  d.  h.  jenes  vorausgesetzte  *  bitm  muss 
bereits  gemeingermanisch  vorhanden  gewesen  sein.^) —  Diese 


*)  Man  darf  nicht  etwa  ein  *bhihhidfn  als  indog.  ansetzen  (dessen 
endnng  m  ja  auch  wol  mit  recht  für  die  1.  sg.  in  ansprnch  genommen 
wird,  s.  120);  dem  widersprechen  von  seite  des  deutschen  die  zahlwOrter 
sibun^  niun,  taihun,  welche  fUr  *  sa^pm,  *  na^vm,  *  da^k^m  stehen  (Brug- 
man 8.  327)  nnd  deren  ursprünglich  auslautendes  m  sonans  oder  -um  wie 
das  m  i^on  tarn,  *f>am  in  n  verwandelt  wurde  (got.  pan-a  etc.).  üebri- 
gens  erklärt  sich  der  ausfall  des  t  in  sibun  erst  jetzt  durch  Brngmans 
hypothese  (in  folge  des  Zusammentreffens  von  ptm). 

*)  In  der  2.  pL  got.  bundup  etc.  beruht  das  u  natürlich  auf  Über- 
tragung aus  der  1.  und  3.  person.  Auch  diese  Übertragung  scheint 
gemein  germanisch  gewesen  zu  sein,  ein  anzcichen  mehr  für  den  frühen 
schwand  des  a,  e  in  der  ersten  person. 


120  SIEVERS 

-um,  "un  entziehen  sich  (der  deutlichkeit  zu  liebe?)  den 
späteren  syncopierungsgesetzen. 

Eine  ähnliche  entscheidung  geben,  wenn  auch  nicht  mit 
gleich  grosser  Wahrscheinlichkeit,  die  2.  sg.  des  imperativs 
und  die  1.  3.  sg.  iud.  des  starken  praeteritums.  Auch 
hier  haben  wir  als  europäische  endung  unbetontes  -e  anzusetzen 
(wenn  die  Brugman-Paulsche  auflfassung,  Beitr.  IV,  464  richtig 
ist,  welche  das  a  in  skr.  veda,  gr.  oUa  aus  m  sonans  hervor- 
gehen lässt,  so  muss  für  das  germ.  perfect  eine  angleich ung 
der  1.  an  die  3.  person  angenommen  werden;  denn  sonauti- 
sches  m  im  auslaut  hätte  zu  -un  werden  müssen,  wie  in  got 
sibun,  niun,  taihmi,  s.  oben  s.  119  anm.  1,  oder  das  sonantische  n 
in  der  3.  pl.  perf.  bitun  etc.).  Dass  dieses  e  früher  abfiel  als 
das  der  endung  -ez,  -iz  im  nom.  pl.  einsilbiger  consonan tischer 
Stämme  (oben  s.  111)  oder  das  ursprünglich  betonte  i  des  loa 
sg.  derselben  stamme  (ags.  fei,  bec,  menn  für  *  manni  etc.)  zeigt 
der  durchgängige  mangel  des  umlauts  im  altn.  und  ags.,  und 
die  einsilbigkeit  der  kurzsilbigen  Imperativformen  im  westger- 
manischen (man  sollte  ja  sonst  *nimi  etc.  erwarten).  Insbe- 
sondere aber  beweist  wider,  wie  beim  plural  des  praeteritums, 
die  verschiedene  behandlung  des  wortausganges  bei  nominibus 
und  verbis  im  altnordischen.  Während  aus  den  nominalformen 
^bända-m,  *gdnga-z  im  altn.  band,  gang-r  wird,  entwickeln  sich 
*  binde,  *{be)bdnde,  *  gange  {^  gegange)  zu  bitl,  batt,  gakk  (gekk) 
u.  s.  f.  Dies  lässt  sich  doch  kaum  anders  auffassen  als  so, 
dass  man  annimmt,  umordisch  bereits  auslautende  media  sei 
zur  tenuis  geworden,  die  erst  später  in  den  auslaut  tretende 
habe  sich  gehalten,  ebenso  wie  z.  b.  umordisch  auslautendes 
n  abfallt,  später  erst  auslautendes  bleibt  (bitu,  nema :  son,  apian 
acc.  etc.).  Dass  sich  die  erscheinung  in  irgend  einer  anderen 
weise,  z.  b.  durch  annähme  einer  reihe  von  formübertragungen 
oder  schützender  ein  Wirkungen  des  'systemzwanges'  erklären 
Hesse,  halte  ich  nicht  für  wahrscheinlich.  Man  gerät  bei  jedem 
neuen  versuche  nur  in  immer  weitere  complicationen  und  un- 
begreiflichkeiten, während  alles  sich  einfach  ordnet,  sobald  man 
von  der  annähme  ausgeht,  dass  das  a,  e  jener  verbalformen 
vor  dem  der  nomina  abgefallen  sei. 

Hieran  schliessen  sich  sodann  eine  anzahl  ursprünglich 
zweisilbiger  adverbia  und  präpositionen  an,  wie  an  »=  gr. 


ZUR  ACCENT-  U.  LAUTLEHRE  DER  GERM.  SPRACHEN.     121 

opdy  af  =  gr.  oMo,  in  =  gr.  Ivl  u.  dgl.  lieber  sie  hat  zuletzt 
Paul,  Beitr.  IV,  468  flf.  gehandelt.  Ob  alles  dort  vorgebrachte 
richtig  ist,  mag  ich  hier  nicht  entscheiden;  aber  ich  denke 
die  bemerkung  über  altn.  ä  aus  ana  trifft  zu,  dass  nämlich 
diese  form  nach  dem  erwähnten  auslautsgesetz  für  das  Vor- 
handensein einer  germ.  form  an  neben  ana  zeuge;  dasselbe 
darf  man  auch  wol  für  altn.  af  neben  ahd.  aha  =  gr.  ano 
behaupten;  denn  wäre  die  form  direct  auf  germ.  *a^a  zurück- 
zuführen, so  hätten  wir  eher  ein  *o/*  aus  *o^u  erwarten 
müssen.  Was  von  d  gilt,  muss  sodann  auch  auf  altn.  i  zu- 
treffen, d.  h.  wir  müssen  eine  germ.  grundform  *in  ansetzen. 
Diese  scheint  dem  auslautsgesetze  zu  widersprechen,  denn 
griech.  oxytoniertes  ivl  lässt  westgerm.  *ini  erwarten.  Eben- 
so streitet  ahd.  alts.  umbi,  ags.  ymbe,  altn.  umb,  um  gegen  dieses 
gesetz;  nach  unserer  fassung  sollten  die  formen  ahd.  alts.  *umb, 
ags.  ymb,  altn.  *ymb,  *ym  heissen  (wie  ahd.  alts.  mann,  ags. 
alts.  menn  aus  *  mannt),  aber  nur  ags.  ymb  kommt  wirklich 
vor.  Nord,  um  verlangt  eine  gemeingerm.  form  umb,  eine 
zweite  form  umbi  wird  durch  die  übrigen  germ.  sprachen  ge- 
sichert Welche  doppelformen  sollen  nun  diesen  ursprünglich 
zu  gründe  liegen?  Einen  erklärungsversuch  will  ich  hier 
wenigstens  andeuten.  Ich  knüpfe  dabei  au  die  bemerkung 
Pauls  a.  a.  o.  an,  dass  im  ganzen  die  kürzeren  werte  als  prä- 
positionen,  die  längeren  als  adverbien  gebraucht  werden.  Nun 
sind  jene  werte,  wie  auch  speciell  die  deutsche  lautgestalt 
beweist  (vgl.  z.  b.  inlautendes  b  =  indog.  p  in  aba,  oba,  s. 
Vemer  bei  Kuhn  XXIII,  97  ff.)  ursprünglich  meist  oxytona 
gewesen.  Wäre  es  nun  undenkbar,  dass  sie  als  adverbia,  wie 
gewisse  pronominalformen  im  ahd.  (Beitr.  IV,  536  anm.  3),  die 
oxytonißrung  über  die  kritische  periode  der  vocalsyncopie- 
rungen  hinaus  bewahrt  und  dadurch  ihren  schlussvocal  nicht 
nur  gemeingermanisch,  sondern  sogar  innerhalb  der  einzel- 
sprachen gerettet  hätten?  Dies  erklärte  die  form  umbi]  denn 
woher  sollte  eine  form  *umbt  erschlossen  werden,  die  nach 
den  gewöhnlichen  auslautsregeln  diesem  ahd.  alts.  umbi  zu 
gründe  liegen  müste?  Als  präpositionen  aber  verlieren  jene 
Wörter  durch  die  enklise  regelrecht  ihren  accent,  sie  unter- 
liegen also  den  auslautsgesetzen;  umbi  wird  also  germ.  zu  umb 
(—  altn.  um*,  um),  wie  *dd'mi,  *dosi,  *dotSi,  *dd'nti  zu  germ. 


122  sieat:rs 

dorn,  dos,  döb,  *d^ib  (oben  8.  109);  ebenso  wird  *ini  zu  in, 
*mitii  zu  mid^).  Sollte  diese  eiklärung  sich  nicht  möglicher- 
weise auch  auf  einzelne  a  ausdehnen  lassen  (freilich  haben 
wir  auch  griech.  doppelformen  wie  ava  und  ap(o  etc.)?  Wir 
hätten  dann  ursprüngliche  parallelen  von  adverbien  und  prä- 
positioneu  in  der  urgeim.  form  imbi:umb,  abd:aib,  and  :  arij 
uM  :  ui,  mibi :  *ml(^,  forä  :  for,  furi :  far  etc.  Später  wären 
die  unterschiede  der  beiden  classen  wider  verwischt*)  Doch 
möchte  ich  dies  letztere  für  nicht  mehr  als  eine  hingeworfene 
Vermutung  angeselien  wissen. 

Aus  den  bisher  erörterten  fällen  dürfen  wir  wol  den  satz 
abstrahieren:  dass  ursprünglich  auslautendes  unbe- 
tontes a,  ty  i  (filr  u  fehlen  belege)  bereits  in  der  germa- 
nischen grundsprache  abgefallen  sei  Hiervon  ausgenom- 
men sind  die  voc.  sg.  der  a- stamme ,  welche  wenigstens  im 
nordischen  das  zeichen  des  germ.  abfalles,  die  Veränderung 
der  auslautenden  consonanten^  nicht  zeigen.  Es  ist  diese  aus- 
nähme übrigens  durch  den  systemzwang  leicht  erklärlich. 

Ganz  anders  stellt  sich  die  behandlung  des  wortauslauten- 
den Gj  um  das  gleich  hier  zu  erledigen,  im  innern  eines 
comp  0  situ  ms.  Hier  bleibt  es  gleich  den  i  und  u  in  der 
germaniBcIien  grundsprache  unangefochten.  Die  im  gotischen 
erst  beginnende  syncopierung  (die  beispiele  s.  bei  den  Alten- 
burgem  II,  2,  129  f.  und  J.  Grimm,  gr.  II,  412  ff.)  wird  von 
den  Skandinaviern  und  Angelsachsen  bis  zur  völligen  tilgung 
der  a  fortgesetzt  (gr.  II,  421  f.),  bei  den  Deutschen,  deren 
neigung  zur  kürzung  überhaupt  erst  später  wirkt,  treten  noch 
verschiedene  a  in  der  composition  auf,  aber  unter  dem  ein- 
flusse  des  quantitätsgesetzes  nur  nach  kurzer  silbe  (s.  J.  .Grimm, 


*)  Man  kann  auch  daran  denken,  dass  die  schlasssilben  dieser 
Wörter  ursprünglich  mindestens  in  dritter  silbe  vom  hochton  ab  ge- 
rechnet standen  und  daher  nach  den  gesetzen  mehrsilbiger  Wörter  be- 
handelt wurden,  über  die  unten  näheres  folgt 

')  Man  begreift  unter  dieser  voraassetzung  auch  leichter  die  erhal- 
tnng  des  a  gegenüber  sonstigem  nord.-westgerm.  -u  hier  und  in  den 
schwachen  praeteritis,  die  offenbar  starken  nebenton  hatten,  wie  nun 
schon  von  verschiedenen  selten  hervorgehoben  ist  (Ob  dieser  nebenton 
auch  die  anomalie  der  ahd.  schwachen  praeterita,  oben  8.  90,  erkUbren 
hUft?) 


ZÜE  ACCENT-  ü.  LAU'IXEHRE  DER  GERM.  SPRACHEN.    123 

gr.  11^  414;  wenn  man  von  den  altfränkiHchen  namen  wie 
lundoberctus  o.  dgl.  absieht,  die  J.  Grimm  a.  a.  o.  nebst  einer 
reichen  beispielsammlung  anführt  (vgl.  auch  die  nachtrage 
gr.  IL  1006  f.).  Im  Heliand  ist  das  a  schon  ziemlich  erloschen, 
wenn  auch  nicht  so  völlig  wie  J.  Grimm  gr.  II,  420  f.  an- 
geben muste,  da  ihm  der  ganze  text  noch  nicht  vorlag;  es 
finden  sich  die  composita  ala-  (oder  alO')hel,  -hutt,  -iung, 
-mäht ig,  -ihioda,  -uualdo,  -uualtand  und  baraRco  neben  solchen 
mit  a/-  und  bar-,  s.  Schmeller  II,  5.  10;  in  den  gl.  Prud. 
steht  dagethingo  588. 

Mit  den  ursprünglich  auslautenden  a,  e,  i  ist  wie  ich 
glaube  die  reihe  der  bereits  im  germanischen  syncope  erfah- 
renden vocale  zweisilbiger  Wörter  erschöpft.  Für  den  nom. 
und  acc.  sg.  der  a- stamme  stellen  die  nordischen  runenformen 
die  Sache  ausser  zweifei.  Doch  lassen  sich  auch  von  seite  der 
übrigen  sprachen  Zeugnisse  dafür  beibringen,  dass  das  gedeckte 
a  der  nomina  das  ursprünglich  auslautende  überdauerte,  näm- 
lich aus  den  stammen  mit  consonant  +  liquida  oder  nasal 
vor  dem  a  und  aus  den  ya- stammen. 

Was  die  ersteren  anlangt,  so  handelt  es  sich  um  formen 
wie  ags.  ncegl,  foetim,  hrcefn  u.  s.  w.  aus  *naglaz,  ^fabniaz, 
*hratnaz  verglichen  mit  solchen  wie  ags.  stapol ,  eoton  etc., 
altn.  nagl,  fätimr,  hrafn :  stgpull,  jgiunn  etc.  Wie  der  erste  teil 
unserer  Untersuchung  gezeigt  hat,  sind  auch  in  den  westger- 
manischen sprachen  die  woi*treihen  fast  ebenso  deutlich  ge- 
schieden wie  in  den  ostgermanischen  sprachen.  Die  begrün- 
dun;; dieses  Unterschiedes  ruht  darin,  dass  in  der  zweiten  reihe 
der  iquida  resp.  dem  nasal  ein  u  vorausgieng,  in  der  ersten 
ein  consonant.  Wäre  nun  z.  b.  in  *fabmaz,  *hräbnaz  das  a 
schon  urgermanisch  ausgefallen,  so  hätte  *fabumz,  *hra^unz 
herauskommen  müssen  (wie  bitum,  bitun  Sius*bitma,  bitfi),  d.  h. 
altn.^/gbmr,  * hrgfii{*hrgfunn?),  SigB,* feaSim,* hr(e)a/'on,  formen, 
welche  solchen  wie  ^stapulz,  ^elunz2M%  '^stapulaz  etc.  auf  ein 
haar  ähnlich  sehen.  Nun  scheint  es  mir  doch  undenkbar,  beide 
sprachen  hätten  alle  die  zahlreichen  formen  mit  secundärem  u,  die 
auf  diese  weise  entstanden,  durch  die  analogie  der  übrigen  casus 
wider  ausgeglichen,  ohne  dabei  jemals  einen  fehlgriff  zu  machen. 
Allenfalls  könnte  man  das  noch  für  das  ags.  zugeben,  in  dessen 


124  SIEVERS 

forn:  eurahmen  ein  System  wie  *  feabutn  gen.  f<ß6fms  etc.  nicht 
passte^  aber  für  das  nordische,  das  abwechselung  von  a  und  ^ 
im  stamme  massenhaft  kennt  und  nicht  im  geringsten  antaste^ 
wäre  die  annähme  doch  zu  wunderbar.  Wir  müssen  also  die 
syucope  des  a  einer  zeit  zuschreiben,  wo  die  m,  n,  l,  r  nicht 
mehr  so  prägnantes  u-timbre  halten,  dass  sie  als  sonanten 
mit  notwendigkeit  ein  u  vor  sich  entwickelten.  Dass  dieses 
facultatiy  dennoch  bisweilen  auftritt,  wie  in  ahd.  buosum,  fadum, 
ätum,  aphul,  snabul  u.  dgl.  neben  entsprechenden  formen  mit  a, 
ist  natürlich  kein  gegenbeweis. 

Dies  widerspricht  nun  freilich  den  ausichten,  welche  Paul, 
Beitr.  IV,  415  über  gewisse  entwickelungen  der  alten  o^-stämme 
aufgestellt  hat.  Es  soll  nämlich  ahd.  sign-  und  ähnliches  durch 
*sigur,  * sigr  auf  älteres  "^sigz  zurückgeführt  werden,  für 
welches  gemeingerm.  ausfall  des  a^  angenommen  wird.  Ich 
halte  dies  für  nicht  richtig.  Wenn  man  von  ags.  alts.  sidu 
absieht,  das  durch  got  sidtis  wie  Paul  selbst  bemerkt,  aus  der 
gemeinschafl  der  übrigen  ausgeschieden  wird,  so  bleiben  nur 
die  ahd.  sign  und  eventuell  hugu  als  ?/- formen  an  stelle  alter 
o^-stämmo  übrig.  Sonst  hat  das  westgerm.,  wo  es  sich  nicht 
der  flexion  der  ra- stamme  zugewant -hat,  nur  i-fomien  an 
deren  stelle  treten  lassen  (alts.  sigi,  seli,  heti,  ags.  sige,  sele, 
bete,  berCf  ege  etc.).  Ein  gemeingerm.  nominativ  *  sigur  Hesse 
doch  auch  für  alts.  ags.  einmal  die  eine  oder  die  andere  u- 
form  erwarten.  Ags.  sigor  beweist  auch  eher  das  gegenteil 
alz  was  es  beweisen  soll.  Wäre  das  o  hier  =  germ.  u,  so 
müste  es  doch  wol  *seogor  heissen,  und  altn.  *sjggr,  wie  ags, 
meoloc,  altn.  mjolk,  mjgbr,  kjglr,  es  heisst  aber  eben  dort  sigor, 
hier  sigr,^)  Dann  bleibt  noch  das  gemeingerm.  ^fah-s-a-^  das 
zu  gr.  jtixog  gestellt  wird  (Zimmer,  nom.-suff.  a  und  ä  s.218); 
aber  der  vocal  stimmt  nicht  ohne  weiteres  {fa?is  steht  vielmehr 
auf  der  stufe  von  jtoxo-g),  und  ich  kann  es  nicht  für  bewiesen 
ansehen,  dass  die  verkürzte  form  notwendig  auf  den  nom.  acc 
sg.  zurückgehen  müsse,  dass  nicht  auch  in  den  flectierten  for- 
men schon  gelegentlich  urgermanisch  eine  syncope  des  mittel- 

*)  Bei  ags.  eofor,  ahd.  ebur,  altn.  jpfurr  zu  lat  apro-t  ksl.  vepn 
denke  ich  an  gemeingerm.  svarabhaktientwickelnng.     Als  sengnis  für 
gemeingerm.  syncope  des  gedeckten  a  wird  man  dies  wort  doch  nicht 
verwenden  können. 


ZUR  ACCENT-  U.  LAUTLEHRE  DER  GERM.  SPRACHEN.   125 

vocals  eintreten  könnte,  wie  sie  bei  der  flexion  der  abstufen- 
den Stämme  auf  -an  und  -ar  sicher  und  in  grösserer  ausdeh- 
nung  vorliegt  In  seiner  Vereinzelung  kann  jedenfalls  fahs 
nicht  viel  beweisen.  —  Wenn  also  ahd.  sign  wirklich  die  von 
Paul  angenommene  entwickelung  haben  sollte,  so  könnte  ich 
doch  darin  nur  eine  speciell  ahd.  bildung  sehen,  vergleichbar 
jenen  vereinzelten  fadum,  ätum  u.  s.  w.  (oben  s.  124),  nur  viel- 
leicht älter  als  diese.  Es  ist  ja  möglicli,  sogar  sehr  wahr- 
scheinlich, dass  die  ausfälle  nach  äinem  consonanten  früher 
eingetreten  sind  als  die  nach  mehreren,  wie  man  z.  b.  im 
litauischen  zwar  pons,  aber  noch  iikras,  nicht  ttkrs  spricht. 

Einen  weiteren  grund  gegen  die  annähme  gemeingerma- 
nischer syncope  des  a  entnehme  ich  der  flexion  Aer  ja- 
stamme.  Um  hier  alles  klar  zu  legen,  muss  ich  aber  etwas 
weiter  ausholen. 

Es  handelt  sich  um  die  erklärung  der  lautgruppen  -ji  und 
-ei  in  harjis,  hairdeis  und  den  entsprechenden  verbalfoiinen 
nasjis,  sokeis]  Über  diese  sind  zu  vergleichen  Scherer,  z.  GDS. 
113  f.,  Zimmer,  zs.  f.  deutsches  altert  XIX,  419.  Amelung, 
ebenda  XXI,  230  f.,  Osthoö;  zs.  f.  vgl.  sprachf.  XXII,  89  f. 

Scherer,  dessen  ansieht  sich  Zimmer  und  Amelung  an- 
schliessen,  lässt  bekanntlich  harjis  und  hairdeis  aus  *harijas 
und  *hairdi/as  durch  syncope  des  a  entstehen;  die  letzteren 
formen  interpretieren  Zimmer  und  Amelung  a.  a.  o.  gewis  im 
sinne  Scherers  als  hdr{/äs,  hairdijas.  Dies  setzt  widerum  die 
göltigkeit  des  mhd.  tieftongesetzes  voraus,  welche  ich  für  die 
germanische  grundsprache  zurückgewiesen  zu  haben  glaube; 
ich  kann  nach  den  Beitr.  IV,  522  ff.  dargelegten  grundsätzen 
nicht  anders  als  annehmen,  das^  jene  formen,  die  dreisilbig- 
keit vorausgesetzt,  gleichmässig  hdrijas,  hairdijas  betont  ge- 
wesen seien.  Warum  sollten  beide  nicht  auch  gleichmässig  zu 
harjis,  *  hairdjis  entwickelt  sein ,  wie  ja  die  lautgruppe  j'i  im 
gen.  sg.  ntr.  in  reikjis,  kunpjis  etc.  oder  in  faimj'in  etc.  unge- 
stört fortbesteht;  oder  warum  sollte  es  nicht  ebensogut  *hareis 
wie  hairdeis  heissen,  nach  analogie  von  naveis  und  gast  eis  aus 
*navijiz  und  *gastyiz^^)    Hierzu  kommt  noch  ein  starkes  phy- 


I)  -  iz  als  endong  ergibt  sich  aus  fLgB.fit,  altn./<B^s=:  *fdtiz,  oben  8.111. 


126  SIEVEßS 

Biologisches  bedenken,  den  angenommenen  ausfall  des  vocales 
a  zwischen  den  consonanten  j  und  s  betreffend,  das  ich  hier 
indessen  nicht  zu  sehr  urgiereu  möchte,  da  die  deshalb  nötige 
ercirterung  doch  wenig  beifall  finden  dürfte. 

Noch  weniger  als  mit  dieser  auffassung,  die  man  wol 
die  vulgatausicht  nennen  könnte,  und  der  man  die  anerken- 
nung  zugestehen  muss,  dass  sie  von  ihrem  Standpunkt  aus 
consequent  und  folgerichtig  vorgegangen  ist,  kann  ich  mich  mit 
der  ansieht  Osthoffs  befreunden.  Eine  entwickelung  von 
*  hairdjas,  *  harjas  durch  *  hairdjs  und  *  harjs  zu  *  hairdjis  und 
harjis  vermöge  der  entwickelung  eines  hülfsvocales  aus  den  j 
lässt  sich  zwar  graphisch  darstellen,  aber  nicht  für  die  ge- 
sprochene spräche  glaubhaft  machen.  Fiel  dies  a  nach  dem 
j  wirklich  aus,  so  muste  dies  nach  den  Lautphys.  §  22  ent- 
wickelten gesetzen  zum  vocal  i  werden,  wir  bekämen  nur 
*halrdis,  *haris.  Wollte  man  zu  der  Zuflucht  greifen,  das  > 
sei  nicht  halb  vocal,  sondern  spirant,  geräuschlaut  gewesen,  so 
begriffe  sich  weder  die  entwickelung  eines  hülfs-i,  noch  dessen 
contraction  mit  einem  durchaus  nicht  homogenen  laute.  Der 
einwand  endlich,  Scherers  hypothese  erfordere  notwendig  die 
dativform  *ha%rdij(i,  hält  nicht  besser  stich,  da  die  entwicke- 
lung eines  inlautenden  ija  zu  ja  durch  sökja  und  consorten 
ausser  zweifei  steht. 

Geben  nun  harjis  und  hairdeis  als  gemeingermauische 
formen  so  vielfachen  anstoss,  so  darf  man  billig  fragen,  ob  sie 
überhaupt  einen  anspruch  auf  dieses  prädicat  haben.  Das 
nordische  spielt  hierbei  keine  entscheidende  rolle ;  seine  formen 
nibr,  hirSir  =  got  7upjis,  hairdeis  verhalten  sich  lautlich 
ebenso  wie  altn.  biör,  scekir  =  got.  bidjis,  sdkeis ;  hiröir,  scekir 
aber  sind  durch  analogieen  wie  ästir,  noemir  =  got  ansieis, 
nSmeis  gerechtfertigt,  deren  J  für  die  germanische  zeit  sicher 
steht  Im  nordischen  hindert  also  kein  lautgesetz,  hirSir  auf 
jenes  got  hairdeis  direct  zurückzuführen. 

Ganz  anders  im  westgermanischen.  Das  ältere  angel- 
sächsische, altsächsische  und  althochdeutsche  weisen  in  den 
kurzsilbigen  schwachen  verbis  statt  des  got  ji  stets  nur  i,  e 
ohne  Verschärfung  des  vorausgehenden  consonanten  auf.  Man 
vgl  z.  b.  aus  dem  alten  kentischen  psalter  (ed.  Stevenson, 
London  und  Edinburgh  1844)    reces  2,  9,  sel^  7,  8  etc..,  seles 


ZUR  ACCENT-  U.  LAUTLEHRE  DER  GERM.  SPRACHEN.    127 

15,  10  etc.,  cweceö  7,  13,  ft^eft  7,  13,  sUes  7,  4  etc.,  swereb 
14,  4,  gesetes  17,  44  etc.,  segeö  18,  2  (vgl.  J.  Grimm,  gr.  I*, 
822  f.);  altsächs.  fremis,  frumid,  habis,  hatid,  hugis,  hugid, 
leiidy  sagis,  sagitS,  telid\  ahd.  beispiele  s.  gr.  I*,  788.^)  Das  j 
ist  hier  überall  iu  sehr  früher  zeit,  nämlich  vor  dem  eintritt 
der  consonantenverschärfung  mit  dem  durch  seine  umlaut- 
Wirkung  beim  starken  verbum  als  gemeingermanisch  erwie- 
senen t  der  verbalendung  zum  einfachen  vocal  verschmolzen. 
Anders  bei  den  nominibus.  Hier  haben  wir  nomiuative  und 
accusative  wie  ags.  hrycg,  mecg,  slecg,  tvecg,  prymm,  neutral 
qp^7^,  webh,  bedd,  nett,  fleit,  altsächs.  hruggi,  ntr.  bed,  flet{ti), 
net(ti),  stukki,  hinni,  tvebbi,  ahd.  hrukki,  ntr.  kunni,  tenni,  sttikki, 
giuuiggij  äuuiggi,  sluppi,  uueppi,  betti,  antlutti,  nezzi,  uuizzi  etc.; 
ferner  adjectiva  wie  ags.  nytt,  gesibb,  alts.  middi,  thriddi,  luggi, 
ahd.  liiggi,  ftuggi,  äuuiggi,  sibbi,  nuzzi,  also  überall  Verschär- 
fung des  cousonanten  vor  der  endung.  Ich  denke,  diese  be- 
weist ihrerseits,  dass  im  westgermanischen  vor  dem  schluss- 
vocal  noch  ein  j  vorhanden  war,  und  da  die  analogie  des 
verbums  uns  eben  gezeigt  hat,  dass  ß  im  westgerm.  sich  nicht 
vertrugen,  so  muss  der  schlussvocal  ein  anderer  als  t  gewesen 
sein.  Woher  soll  dieser  fragliche  vocal  nun  anders  stammen 
als  aus  dem  thematischen  a?  Als  letzte  gemeingermanische 
grundform  der  kurzsilbigen  dUrfen  wir  also  nicht  harjis,  kiini, 
sondern  nur  * harj9z,  *kunj9  ansetzen,  wobei  9  den  nicht  be- 
stimmt zu  fixierenden  vocallaut  bezeichnen  mag,  der  sich  unter 
dem  einfluss  des  j  aus  dem  thematischen  vocale  a^  allmählich 
entwickelte.  Aber  auch  für  die  langsilbigen  müssen  noch  un- 
verkürzte formen  mit  ia  oder  i9  angesetzt  werden.  Denn  hätte 
die  germ.  grundform  der  neutra  z.  b.  riki  oder  selbst  *  n/ri  ge- 
lautet, so  hätte  das  i  im  ags.  und  altnord.  ebenso  abfallen 
müssen  wie  in  den  imperativen  ags.  sec,  altn.  scek  =  got. 
sökei  oder  in  den  femininis  ags.  bend,  hokti,  altn.  heib-r  (mit 
unursprtinglichem  r)    =    got   bandi,    haipi,    worüber    unten 


*)  Im  ahd.  ist  dies  gaset/,  wie  so  manches  andere  früh  durch  die 
lantverBchiebung  durchbrochen.  Die  form  des  Inf.,  des  plor.  und  conj. 
praes.  wird  überall  durchgeführt,  wo  zu  starke  Verschiedenheit  des  lautes 
hervorträte;  also  sezzis,  deckis,  wie  sazta^  xAQ\it*sez,z,%s,  *dechis  etc.  == 
ags.  seies,  peces. 


128  SIE  VERS 

näheres.  ^  —  Durch  aualogiebildung  kann  keine  der  be- 
sprochenen formen  erklärt  werden,  da  nirgends  ein  typus 
ausser  ihnen  selbst  besteht,  an  den  sie  sich  hätten  anlehnen 
können.  Es  besteht  eine  scharfe  dreiteilung:  kurz  gebliebene 
ya-stämme  mit  e  im  nom.  acc,  here  und  das  fremdwort  ele^ 
lang  gewordene  (durch  consonantverschärfung)  ohne  vocalische 
endung,  hryc^y  cynn,  alte  langsilbige  mit  e\  hyrde,  rice. 

Zu  ähnlichen  resultaten  bezüglich  der  unursprtinglichkeit 
der  gotischen  formen  führt  eine  betrachtung  des  genitivus 
sing,  der  /a- stamme.  Denn  man  muss,  um  hairdeis  als  ge- 
meinsame form  festzuhalten,  zunächst  zu  der  sehr  bedenklichen 
annähme  einer  urgermanischen  contraction  von  ie  zu  t  in 
paenultima  greifen  (während  das  e  des  genetivs  sonst  nicht 
zu  i  geworden  ist,  nicht  umlautet),  sodann  aber  wider  sämmt- 
liehe  westgerm.  formen  für  neubilduugen  erklären  {AgB.hyrdes, 
rices,  alts.  hirdies,  rikies,  ahd.  hirtes,  riches).  Nur  das  nord. 
hirbis,  rikls  schliesst  sich  wider  leidlich  an  das  got.  an.  Soll 
man  da  nicht  lieber  zugeben,  dass  das  got.  hairdeis  seine  ent- 
stehung  erst  der  spccifisch  gotischen  abneigung  gegen  den 
laut  e  verdankt ,  mit  welcher  sich  vermutlich  noch  eine  einwir- 
kung  vom  nominativ  aus  verband?  So  kommen  auch  erst  die 
neutra  mit  ihren  tiberwiegenden  genetiven  auf  -Jis,  nämlich 
kunpjis ,  relkjls,  falrgunjis ,  andbahtjis,  valdufiijis,  gavairpjis 
neben  andbahteis,  valdufneis,  gcwairpeis,  trausteis,  fauramapleis 
(s.  die  aufzählung  bei  Heyne,  ülf.  §  23)  zu  ihrem  rechte.    Der 


^)  Einen  weiteren  beweis  für  die  unursprünglichkeit  des  t  im  nom. 
der  neutra  gibt  das  altn.  hey  =  got.  havi.  Wäre  havi  urgermanisch,  so 
hätte  das  i  im  nord.  nach  kurzer  silbe  abfallen  müssen  ohne  umlaut  zu 
erzeugen.  Urgerm.  *naviz  ergab  regelrecht  altn.  wa-r,  wie  *favaz  fdr 
oder  wie,  um  auch  eine  analofi^ie  für  den  inlaut  zu  geben,  den  verbis 
*haujan,  ^  praujan  =  altn.  hey  ja  (ags.  hi^ah),  preyja  die  praeterita 
^havitia,  *pravi^a  d.  h.  altn.  hdtfa,  prätSa  regelrecht  zur  seite  stehen. 
Altn.  hey  kann  also  nur  für  germ.  *hauja,  *hauj9  stehen  (vgl.  läpp. 
avje,  Thomson  131).  Die  analogie  von  mcer,  py  =  urnord.  *mavi'r^ 
*pivi  =  got.  mavi,  pivi  darf  man  dagegen  nicht  anführen,  denn  diesen 
formen  kommt,  wie  sich  später  ergeben  wird,  wirklich  germ.  4  als  endung 
zu.  Aber  die  flexion  mcer,  meyjar  kann  uns  davor  warnen,  vorschnell 
den  nom.  acc.  hey  etwa  als  analogiebildung  zu  den  übrigen  casus  auf- 
zufassen. 


ZUR  ACCENT-  Ü.  LAUTLEHRE  DER  GERM.  SPRACHEN.   f29 

mangel   einer  ähnlich  lautenden  nominativform   half  hier  die 
älteren  formen  erhalten. 

Also:  das  i  in  got.  harßs  ist  ein  rest  des  thematischen  a, 
nicht  aus  dem  ableitenden  i  oder  j  hervorgegangen ,  sondern 
nur  in  seiner  farbung  durch  diese  bedingt.  Derselbe  rest  steckt 
auch  in  hairdeis,  das  wir  zunächst  in  ein  vorausgegangenes 
dreisilbiges  *hert5iiz  oder  *hertiijiz  aufzulösen  haben,  dessen 
behandlung  vollkommen  der  von  naveis,  ansieis  entspricht 
(s.  125).  Got  naveis  ist  besonders  willkommen  als  beleg  da- 
für,  dass  die  contraction  nichts  mit  der  Quantität  oder  einem 
davon  abhängigen  accentgesetz  zu  tun  hat,  was  wir  ja  schon 
oben  ablehnen  musten.  Für  die  spräche  ist  es  ja  auch  ziem- 
lich einerlei,  welcher  von  zwei  gleichen  contrahierten  vocalen 
den  accent  hatte;  ich  brauche  da  wol  nur  an  die  allbekannten 
schulregeln  der  griech.  grammatik  zu  erinnern. 

Der  unterschied  der  kurz-  und  langsilbigen  ya-stämme  be- 
ruht also  lediglich  darauf,  und  das  hat  Scherer  richtig  heraus 
erkannt,  wenn  auch  meiner  ansieht  nach  nicht  richtig  begründet, 
dass  die  ersteren  consonantisches  j,  die  letzteren  vocalisches, 
d.  h.  silbenbildendes^  i  in  ihrem  suffixe  hatten. 

Aber  woher  nun  diese  Unterscheidung,  wenn  sie  nicht  von 
dem  tieftongesetz  abhängen  kann?  Ein  früheres,  gemeingerma- 
nisches bestehen  dieses  gesetzes  in  der  Lachmann'schen  fassung 
und  eine  spätere  völlige  umkehr  speciell  im  westgermanischen 
wird  man  doch  nicht  ohne  weiteres  conjicieren  wollen.  Worauf 
sollte  man  sich  dabei  stützen?  Wir  werden  also  weiter  zurück 
gehen  und  uns  an  die  indogermanische  grundsprache 
halten  müssen. 

Wenn  man  den  Untersuchungen  von  Benfey  (Abhandl.  der 
Götting.  gesellsch.  der  wiss.  XVI  (1871)  91  flF.)  trauen  dürfte, 
so  würde  im  veda  das  sufSx  ia  sowol  ein-  als  zweisilbig  pro- 
miscue  gebraucht  Sieht  man  aber  genauer  zu,  so  ergibt  sich 
als  ganz  bestimmtes  gesetz:  unbetontes  (nicht  svari- 
tiertes).i  oder  u  vor  einem  vocal  ist  consonant  nach 
kurzer,  vocal  nach  langer  silbe  ohne  rücksicht  auf 
die  sonstige  accentlage  des  wertes.  Man  vergleiche 
beispiele  wie: 

Beilrlgo  aar  gMohichte  der  dunUohca  »praohe.  V.  9 


130  SIE  VERS 


ajaryi  :     asürii 
ary&  kävü 

anishavy^  taugriä 
kavyi       pürviä 
gayyä        bhävii 
diYjk        a^sii 


&yya  :      m&rtia 
-büdhya    ayasia 
-avadhya  irdhia 
ibhya        agmäsia 
g&yya       ä^via 
m&dhya    aria 


u.  s.  w.  ^)  Ausgenommen  sind  die  mit  einem  consonanten  an- 
lautenden Suffixe,  wie  -bhyas,  -hhijäm,  -tva,  insofern  diese  (wie 
wortanlautende  consonanten  +  y,  v  überhaupt)  nach  langer  silbe 
promiscue  gebraucht  werden  (nach  kurzer  nur  mit  consonan- 
tischem  y,  Vj  d.h.  einsilbig);  ferner  gewisse  kurzsilbige  ad- 
jectiva,  speciell  verbaladjectiva  (Grassmanns  Part.  IV)  mit 
zweisilbigem  suffix:  gadhia,  guhia,  gopayätia,  carkriia,  tißijia, 
däbhia,  drpia  {mädia,  yujia'i)^  cdsia,  crütia,  hdvia  (während 
z.  b.  das  Suffix  der  sog.  ^/^-classe  oder  des  passivs  der 
regel  folgt). 

Dieselben  gesetze  hat  nun,  wie  ich  mitteilen  darf,  neuer- 
lich Hübschmann  von  anderen  gesichtspunkten  ausgehend 
fbr  das  altbaktrische  constatiert,  so  dass  nun  bereits  drei 
sprachen  gegenseitig  als  zeugen  für  das  hohe  alter  der  er- 
scheinung  aufgerufen  werden  können.  In  den  übrigen  sprachen 
scheint  sieh  der  alte  unterschied  frühzeitig  ausgeglichen  zu 
haben,  wenigstens  zeigt  keine  derselben  eine  derartig  augen- 
fällige durchftthrung  des  gesetzes  wie  die  drei  genannten. 
Aber  es  wird  ohne  zweifei  gelingen,  in  einzelheiten  noch  reste 
der  regel  aufzufinden.  Auf  einen  solchen  möchte  ich  die  auf- 
merksamkeit  noch  hinlenken,  ich  meine  die  griech.  adjectiva 


0  Die  belege  s.  bei  Grassmann.  Ich  muss  es  mir  hier  versagen, 
den  nach  weis  für  obigen  satz  in  extenso  zu  führen  oder  die  vorkommen- 
den regelmässigen  ausnahmen  und  die  Verstösse  gegen  denselben,  welche 
zum  teil  nicht  unwichtige  kriterien  für  die  altersbestimmung  vedischer 
lieder  sind,  zu  erörtern.  Hier  sei  nur  noch  bepuerkt,  dass  jener  satz  nur 
ein  glied  eines  weitgreifenden  rhythmischen  gesetzes  insbesondere  über 
das  Verhältnis  der  vocale  i,  u  und  der  halbvocale  y,  v  im  ältesten  sans- 
krit  resp.  indogermanischen  sind,  für  dessen  darstellung  das  material 
bereits  vor  jähren  von  mir  gesammelt  ist.  Nicht  nur  der  metrik ,  son- 
dern auch  der  Specialgrammatik  erwächst  aus  der  genauem  Verfolgung 
dieser  principien  nutzen.  £s  ergibt  sich  z.  b.  dass  die  dehnungen  vor 
r  -h  cons.  der  lebendigen  vedensprache  noch  fremd  waren,  dass  ür, 
ir  stets  durch  r  hindurchgegangen  sind,  u.  dgl.  mehr. 


ZUR  ACCENT-  ü.  LAUTLEHRE  DER  GERM.  SPRACHEN.    131 

ayiog  und  öTvyiog,  die  sich  zu  a^ofiai  d.  h.  *aY/ofiai  und  ähn- 
lichen genau  so  verhalten  wie  die  skr.  verbaladjectiva  zu  den 
entsprechenden  verbis. 

Am  allgemeinsten  kann  man  das  hier  aufgedeckte  gesetz 
vielleicht  so  formulieren:  der  vocal  einer  ableitungssilbe  ist 
und  bleibt  schwerer  nach  vorausgehender  länge  als  nach  vor-  j 
ausgehender  kürze  (daher  bleiben  ia,  ua  im  ersten  falle  zwei-  i 
silbig  y  im  zweiten  werden  sie  einsilbig).  Man  darf  daraus 
weiterhin  den  satz  ableiten,  dass  andere  vocale  als  v,  i  in  der 
Stellung  nach  kürzen  leichter  der  Schwächung  und  syncope  an- 
heimgefallen sein  werden,  als  in  der  nach  längen.  Man  muss 
dies  im  äuge  behalten,  um  das  deutsche  schwache  verbum  zu 
verstehen.  Ags.  peccan  :  secan  und  die  entsprechenden  formen 
der  übrigen  sprachen  setzen  bereits  gemeingeim.  pakjan, 
*^dA:ia»  voraus.  Die  Vorstufen  -ejan  (aus -a^ya^),  -ijan  müssen 
sich  also  bereits  in  sehr  früher  zeit  im  germanischen  unter 
dem  einfiusse  unseres  gesetzes  zu  -jan  und  -ijan,  -tan  gespalten 
haben.  Dadurch  trat  der  parallelismus  mit  den  altüberlieferten 
sufQxformen  'ja-  und  -ia-  beim  nomen  ein,  und  nun  erfolgt 
natürlich  bei  beiden  gleichartige  entwickelung.  Warum  eine 
analoge  Verkürzung  bei  kurzsilbigen  i- stammen  im  nom.  pl. 
nicht  eingetreten  ist  (got.  iiaveis,  altu.  soUir,  ags.  tvine,  alts.  ahd. 
uuini  am»  *navejez,  *  navi/iz  qIg.),  mag  einstweilen  dahingestellt 
bleiben.  Hält  man  die  imperativi  nasei,  sökei  dsizu,  so  möchte 
man  fast  an  eine  einwirkung  der  ursprünglichen  viersilbigkeit 
der  verbalformen  gegenüber  diesen  dreisilbigen  denken. 

Man  sieht  ohne  weiteres,  dass  unsere  allgemeine  formu- 
lierung  des  gesetzes  im  wesentlichen  mit  dem  syncopierungs- 
gesetze  des  nordischen  übereinstimmt,  aber  dem  westgerma- 
nischen schnurstracks  widerspricht.  Beide  principien  musten 
notwendig  in  widerstreit  treten,  und  in  der  tat  hat  schliesslich 
das  westgerm.  kürzungsprincip  den  sieg  davon  getragen.  Das 
i  des  langsilbigen  st  ^rikia-  ist  im  ags.  ricu,  ricum  etc.  ge- 
schwunden, das  y  des  kurzsilbigen  *fiarja  hat  sich  erhalten 
in  herigea{s),  herigum  etc.;  ebenso  ^ecan*),  beian,  siboT /erigean, 
nerigean  u.  dgl.    Man  darf  aber  daraus  nicht  schliessen,  dass 


^)  In  sicean  und  ähnlichen  formen  bezeichnet  das  e  nur  die  pala- 
tale  ausspräche  des  k,  wie  in  sceolde  a.  s.  w. 

9* 


132  SIEVERS 

nun  etwa  das  got.-nord.  unterscheidungsprincip,  das  wir  eben 
als  ein  gemeinsam  indogermanisches  nachzuweisen  versuchten, 
doch  nur  ein  speciell  ostgermanisches  gewesen  sei,  dass  die 
Westgermanen  ihrerseits  von  anfang  an  unabhängig  von  einem 
noch  undifferenzierten  ja  oder  ia  ausgegangen  seien.  Vielmehr 
lässt  sich  die  relativ  lange  geltung  der  got.-nord.  regel  auch 
im  westgerm.  deutlich  nachweisen,  zwar  nicht  am  ahd.  und 
alts.,  die  bis  auf  wenige  spuren  (alts.  hedy  flet^  net  neben  fletti, 
netti  und  kunni,  uuehbi  u.  s.  w.  u.  ä.)  den  unterschied  zwischen 
beiden  olassen  so  frühzeitig  verwischt  haben,  dass  wir  den  ver- 
lauf der  betreffenden  entwickelung  nicht  mehr  überblicken 
können,  aber  sehr  deutlich  am  angelsächsischen. 

Hier  sind  es  zwei  casus,  welche  uns  den  weg  zeigen, 
nom.  acc.  sg.  der  masc.  und  neutra  und  nom.  acc.  pL  der  neutra. 
Ueber  den  ersteren  ist  bereits  gelegentlich  oben  s.  128  das 
notwendigste  angedeutet  worden.  Ich  widerhole  hier,  dass 
folgende  entwickelungsreihe  anzusetzen  ist: 

urgerm.  *hrugj9z  :  *hrygj9,  *hrycg9,  hrycg 
*ku7y9  :      *kyiy'9,     *kynn9,    cyrm 
*herÖi9z  :  *herdi9,        hyrdi,  -e 

*r%ki9:  *riki9,  riet,  -e. 

Wir  befinden  uns  dabei  in  vollkommener  Übereinstimmung  mit 
den  ags.  auslautsgesetzeu ,  welche  schliesslichen  abfall  des  9 
oder  a  verlangen.  Ein  anderer  weg  der  erklärung  bleibt  zwar 
für  das  masc.  hyrde  offen.  Wenn  man  trotz  allem  was  bisher 
vorgebracht  ist,  an  der  grundforra  *hert5iz  stehen  bleiben 
wollte,  so  könnte  man  sich  auf  die  lautliche  analogie  von 
mahteis  :  ags.  mihte  berufen.  Das  trifft  aber  nicht  zu  fbr  die 
neutra  (und  den  acc.  sg.  m.),  deren  themavocal  nicht  mehr 
durch  einen  consonanten  gedeckt  war.  Für  solche  fälle  lautet 
die  entwickelungsreihe  vielmehr: 

got.- urgerm.  nasei  :  urags.  neri  :  ags.  nere 

sökei :       „     *soeki:     „     sasc,  sie 
urgerm.  bandf:      „     *bendi:    „      bend^) 
(got.  bandi). 
Es  stehen  hier  die  bereits  im  urags.  verkürzten  i  bezflg- 


*)  Ueber  die  Unmöglichkeit,  diese  form  anders  als  ans  bandf  abzu- 
leiten, etwa  aus  *bandja,  *bandju  s.  weiter  unten. 


ZUR  ACCENT-  ü.  LAUTLEHRE  DER  GERM.  SPRACHEN.    133 


lieh  des  spätem  abfalles  unter  genau  demselben  gesetze  wie 
die  ursprünglichen  kürzen,  nicht  minder  die  aus  germ.  d  west- 
germ.  gekürzten  o^  u.  Die  letztere  erscheinung  ist  allgemein 
bekannt,  doch  erfordert  sie  hier  ein  etwas  ausführlicheres  ein- 
gehen ,  da  sie  zu  erklärung  der  plurale  der  langsilbigen  ja- 
neutra  wie  ricu  allein  den  Schlüssel  gibt. 

Es  darf  jetzt  wol  als  allgemein  anerkannt  gelten,  dass 
ursprüngliches  ä  auch  am  wortende  sich  germ.  zu  d  umge- 
staltete. Dieses  d  spaltet  sich  später  in  gekürztes  a  einer-  und 
0,  u  andererseits,  was  die  Vermutung  nahe  legt,  dass  mög- 
licherweise das  urgermanische  zwei  verschiedene  d,  ein  offenes 
d  2  und  ein  geschlossenes  8  ^  (nach  nordischer  bezeichnung  g 
und  6)  unterschied.  Das  got  hat,  wo  überhaupt  gekürzt 
wurde,  den  unterschied  aufgehoben ,  in  den  übrigen  sprachen 
erscheiAit  g  als  a  oder  dessen  Schwächung  6,  aber  6  als  o,  u, 
welches,  wie  bemerkt,  je  nach  der  Quantität  der  Stammsilbe 
verschiedene  spätere  Schicksale  hat  Es  kommen  fbr  ^Mn 
betracht  1)  der  nom.  sg.  f.  der  d-stämme,  2)  der  nom.  acc.  pl. 
der  neutralen  a- stamme,  3)  die  1.  sg.  ind.  praes.  der  verba 
auf  -a  und  ja.  Betrachten  wir  deren  entwickelung  im  ags. 
zunächst  mit  ausschluss  der  /a- stamme,  so  ergibt  sich  fol 
gende  tabelle: 


kurzsilbige : 

langsilbige : 

mehrsilbige  : 

nrags. 

agfl. 

uragB. 

ags. 

arags. 

ags. 

.  1  3e«o 

Xifu 

läro 

lar 

firino 

ftren 

^  1  3lado 

^ladn 

36do 

XÖd 

stren^l'o 
hälejo 

stren^l^a 
haii^n 

rfato 
^  l  Xlado 

fata 

wordo 

Word 

he&^odo 

hedfda 

gladn 

jddo 

XÖd 

hälego 

häli^ 

3     nemo 

nima  0 

binde 

hindu^) 

Hier  haben  wir,  wie  allgemein  bekannt,  erhaltung  des  u  in 
zweiter  silbe  nach  kürze  oder  in  dritter  silbe  ohne  rücksicht 
auf  die  Quantität  der  Stammsilbe,  ausfall  in  zweiter  silbe  nach 
länge.  Nur  das  verbum  bindu  und  die  feminina  wie  firen 
machen  eine  ausnähme;  man  sollte  bind,  firenu  erwarten.  Hier 
liegen  bestimmt  wider  analogiewirkungen  vor;    besonders  im 


*)  Dies  oder  nimo,  bindo  sind  die  einzigen  altags.  formen  im  ken- 
tischen (Stevensons  psalter)  and  northnmbrischen ;  nur  das  westsächsische 
hat  e  eintreten  lassen ,  doch  steht  noch  in  der  Cura  past  397,  27  ic 
ewe9o,  Sweet  XXXIU.    Zar  bearteilang  vgl.  Panl,  Beitr.  IV,  451. 


134  SIE  VERS 

verbuni  können  sie  um  so  weniger  bedenken  erregen,  als  ja 
der  ganze  bau  des  verbums,  in  beziehung  auf  tempusbildung 
wie  flexioDsendungen,  voll  davon  ist.  Auch  das  ahd.  und  alts. 
haben  ja  hier  wie  im  plural  des  praeteritums  das  u  überall 
erhalten,  während  das  nomen  im  alts.  noch  der  regel  folgt 
{fahl :  utiord),  soweit  nicht  andere  einwirkungen  das  u  ver- 
drängt haben  (ersetzung  des  nom.  durch  acc  gef^a  etc.).  Was 
die  mehrsilbigen  feminina  betrifft,  so  haben  bekanntlich  die 
abstracta  auf  -pu  die  der  regel  entsprechende  form  noch 
grossenteils  bewahrt,  formen  wie  strengp  aus  strenipu^)  sind 
wol  sicher  als  anlehnungen  an  die  langsilbigen  zu  betrachten, 
die  nach  der  syncope  des  inneren  i  unausbleiblich  waren  (vgl. 
dazu  Beitr.  I,  500  f.).  Dasselbe  gilt  auch  von  den  übrigen 
femininis  wie  firen  u.  s.  f.  Auch  die  mehrsilbigen  neutra  und 
der  nom.  sg.  f.  der  adjectiva  verlieren  ja  mit  der  zeit,  und 
zwar  eher  als  die  entsprechenden  formen  der  kurzsilbigen,  ihr 
auslautendes  Uj  ein  satz,  den  ich  hier  freilich  nicht  mehr  ins 
einzelne  beweisen  kann,  so  interessant  eine  genauere  ausfüh- 
rung  desselben  sein  würde. 

Als  grund  der  andersartigen  behandlung  des  u  der  mehr- 
silbigen dürfen  wir  wol  die  einwirkung  des  nebentones  an- 
sehen, der  regelmässig  das  u  traf:  sirengipü,  hedf>odü,  mdnigü 
etc.,  s.  Beitr.  IV,  529  ff.  2) 

Bei  den  ya- Stämmen  haben  wir  nun  folgendes  Verhältnis: 

kurzsilbige :  langsilbige. 


got. 

ags. 

got 

ags. 

1  midja 

sibb 

h4iH 

hib\^ 

? 

vil^i 

wilda 

1  kunja 
^  ]  midja 

cynü 

reikja 

rtcu 

? 

viljya 

wilda 

[3     nasja 

neria 

BÖkja 

scecn] 

0  Ich  bemerke  beiläufig,  dass  das  p  hier  phonetisch,  als  tonloser 
Spirant,  gemeint  ist.  Die  tonlosigkeit  des  inlautenden  ags.  p  bis  über 
die  zeit  der  syncope  der  mittelvocale  hinaus  lehren  formen  wie  ^esyntu, 
gesceniUy  ofermittu  etc.  »  ahd.  gasuniida  etc.,  welche  die  stufen  *  gesyn- 
dipUy  ^gesyndpUf  *  gesyntfm  voraussetzen  (vgl.  pcette  aus  p<Bt  pe\  s.  auch 
Beitr.  I,  501,  anm.  2. 

*)  Diese  ansieht  wird  namentlich  auch  durch  eine  ausnähme  von 
der  gewöhnlichen  regel  bekräftigt:  die  mit  -Uc  (und  -sum)  zusammen- 
gesetzten adjectiva  bewahren  bekanntlich  das  u :  dryhtlicuy  lan^sumu  etc., 


ZÜB  ACCENT-  U.  LAUTLEHEIE  DER  GERM.  SPRACHEN,  135 

Das  verbum  ist  aus  dem  bekannten  gründe  wider  auszu- 
schliessen.  Dann  bleibt  die  bekannte  regel,  dass  die  langsilbig 
gewordenen  das  u  abwerfen,  die  von  jeher  langsilbig  gewesenen 
es  behalten.  Das  ist  nun  absolut  nicht  zu  begreifen ,  wenn 
man  nicht  diese  erscheinung  mit  der  zuletzt  besprochenen  und 
dem  früher  für  das  germ.  nachgewiesenen  satz  über  den  ein- 
tritt des  i  nach  langer  silbe  combiniert  und  davon  ausgeht, 
dass  die  formen  mit  erhaltenem  u  zur  zeit  der  Wir- 
kung der  syncopierungsgesetze  noch  dreisilbig 
waren.     Dann    aber    bekommen    wir    die    ganz    parallelen 

reihen : 

*Bibjo,  *8ibba,  sibb  / 

•kynjo,  *kynnu,  cynn        }  *^^^^^»  *^^'d^'  ^«^^ 

Die  entwickelung  von  ricu  aus  *rikiu  ist  weiter  nicht  auf- 
fallend, wenn  man  im  äuge  behält,  dass  4asi»  das  westgerm. 
syncopierungsgesetz  das  i  nach  langer  silbe  bald  zum  j  er- 
leichtem und  dann  ganz  verschwinden  lassen  muste. 

Im  altsächsischen  ist,  um  auch  das  mit  einem  werte 
zu  berühren,  das  ursprüngliche  Verhältnis  nur  noch  bei  den 
substantivischen  neutris  rein  bewahrt,  fatu :  ward]  von  ja- 
Stämmen  findet  sich  nur  vereinzelt  netiiu  HeL  1 1 86  M  (netti  C), 
sonst  nur  i;  von  adjectiven  kommt  vor  managu,  mnu,  bithiu, 
daneben  häufiger  formen  ohne  u  (nur  nicht  bei  bithiu)  oder 
solche  auf  -a,  das  aus  dem  masc-fem.  übertragen  ist,  s.  Heyne, 
alts.  gr.  s.  86.  Der  nom.  sg.  der  feminina  hat  im  adj.  sein  u 
stets  verloren,  im  subst.  ist  er,  wie  allgemein  zugestanden, 
durch  den  acc.  ersetzt.  Das  verbum  endlich  hat  wie  im  ags. 
das  u  auch  bei  langsilbigen  gewahrt.  Im  althochdeutschen 
endlich  ist  auch  der  unterschied  der  zwischen  alts.  fatu  und 
ward  noch  bestand,  ausgeglichen;  es  bleiben  die  u  nur,  ver- 
allgemeinert, im  verbum,  und  hie  und  da  in  der  neutralen  Ja- 
declination,  ebenfalls  ohne  rücksicht  auf  die  Quantität:  bettiu, 
giscuokiu  (s.  MüUenhoflF,  Denkm.^  XV).  Ueber  die  adjectiv- 
formen    blinty   blintu,    bliniiu    s.  Braune,  Beitr.  II,  164.     Ab- 


offenbar weil  man  dryhtlicü  betonte;  vgl.  hierzu  Beitr.  IV,  537,  wo  das 
über  die  neuags.  ambildangen  gesagte  entsprechend  zu  modificieren  ist. 


136  SIEVERS 

weichend  vom  ags.  haben  aber  alts.  und  ahd.  noch  einen  u- 
casus  mit  yerallgemeinertem  u,  den  instrumental,  dem  im  ags. 
eine  form  auf  -e  gegenübersteht,  die  ihm  nicht  lautlich  ent- 
sprechen kann,  zumal  ältere  formen  auf  -a  daneben  vorkommen. 
Ich  hoffe  später  einmal  zeigen  zu  können,  dass  in  dem  west- 
germ.  sogenannten  instrumental  zwei  casus  zusammengefallen 
sind,  der  ablativ  (welchen  Paul  allein  darin  findet,  Beitr.  II, 
339  ff.)  und  ein  instrumental,  der  ursprünglich  mit  dem  m-suffix 
gebildet  war,  dessen  Paul,  Beitr.  IV,  391  erwähnung  tut.  Die 
form  des  letzteren  repräsentiert  das  ags.  -e,  die  des  ersteren 
das  alts.- ahd.  -u, 

2.  Excurs  über  die  feminina  auf  urgerm.  t. 

Der  nachweis  des  vocalischen  i  bei  langsilbigen  /a- Stäm- 
men lässt  sich  nun  noch  zu  einigen  weiteren  folgerungen  be- 
nutzen. Wir  lernen  z.  b.  daraus,  dass  got.  bandi  oder  viel- 
mehr dessen  Vorstufe  *  bandi  auch  für  das  westgermanische 
als  grundform  angesetzt  werden  muss^;  denn  *bandid,  -o  aus 
*bandiä  hätte  zu  *bendu  werden  müssen,  wie  "^rikiä  zu  ricuy 
oder  wie  es  im  weiblichen  adjectiv  heisst  tvildu,  das  gegen- 
über dem  got.  vilpi  jedenfalls  auf  ein  früheres,  sei  es  ur- 
sprüngliches oder  angeglichenes  *vilpid,  -io  zurückgeht 

Ich  bin  hiermit  auf  einen  in  der  letzten  zeit  viel  bestiit-. 
tenen  gegenständ  gekommen,  die  entwickelung  eines  %  im  ger- 
manischen aus  ia  oder  Ja,  Da  die  frage  wie  mir  scheint,  mit 
dem  accent  zusammenhängt,  so  gestatte  ich  mir  hier  excurs- 
weise  auf  einige  punkte  derselben  einzugehen  und  ohne  jetzt 
im  Stande  zu  sein,  eine  definitivere  entscheidung  zu  geben, 
einige  gesichtspunkte  hervorzuheben,  die  man,  wie  ich  glaube, 
nicht  genügend  gewürdigt  hat.  Ich  verweise  dabei,  nament- 
lich auch  hinsichtlich  des  materiales ,  im  allgemeinen  auf  die 
erörterungen  von  Scherer,  z.  GDS.  117  f.  431,  J.Schmidt,  ver- 
wantschaftsverh.    6    f.,    Zs.   f.   vergl.   sprachf.    XIX,    293  ff., 

0  Für  das  nordische  beweist  sie  z.  b.  mcßr  d.  h.  *mafflf  -t  +  r,  in 
seinem  gcgensatz  zu  hey  d.h.  germ.  haujp  etc.,  oben  s.  128  anm.  Das 
r  kann  die  gestalt  des  vocals  nicht  bedingt  haben,  vgl.  peyr  = 
*  paußz  ü.  ä. 


ZUR  ACCENT-  U.  LAUTLEHRE  DER  GERM.  SPRACHEN.   137 

Schlüter,  sufSx  ja  118  fif.,  Zimmer,  ostgerm.  und  westgerm.  26. 
28  fif.,  Leskien,  Decl.  im  slav.-lit.  und  germ.  8 — 12.  93  flf.,  die 
ich  als  bekannt  voraussetze,  um  unnötige  widerholungen  zu 
vermeiden, 

Auszuschliessen  sind  von  der  Untersuchung  die  gemein- 
germanischen %  in  got.  ansieis  aus  *anstejez,  da  in  diesen  auf 
keinen  fall  contraction  aus  -ja  vorliegt;  ebenso  die  der  impe- 
rative got  nasei,  sökeij  von  denen  wol  das  gleiche  gilt;  endlich 
die  von  got.  hairdeis  etc.,  weil  hier  specielle,  abweichende  laut- 
gesetze  in  frage  kommen.  Ich  schliesse  ferner  aus  die  %  in  den 
Suffixen  'iga-,  Ani,  got,  mahteigsj  daupeins,  über  die  ich  nichts 
anderes  vorzubringen  weiss  als  dass  sie  sicher  gemeingerma- 
nisch sind,  und  die  i  der  Optative,  got.  bireis,  beri  etc.,  weil 
über  diese  eine  Untersuchung  von  OsthofiF  zu  erwarten  steht; 
so  beschränkt  sich  die  folgende  darlegung  auf  die  feminin- 
bildungen  mit  i,  d.  h.  solche  wie  got.  bandi  und  managei. 

Es  wird  geraten  sein  die  Untersuchung  nicht  bei  den  germ. 
sptj^ilM^hen  zu  begannen,  wie  man  meist  getan  hat,  sondern  erst 
deii  •:ti^b98^pd  der  j  übrigen  sprachen  zu  constatieren. 

ImisaiTskrit  finden  wir  feminina  9mS -yä  und  4  im  nom. 
neben  einander.  Dje  ersteren  sind  bekanntlich  feminina  zu 
...  .  ^*a-stämmen  (das  suffix^ist  also  nicht  eigentlich  -ja,  -iä)]  das  -i 
'^-^'Äber  bildet  als  selbiÄändiges  suffix  feminina  zu  consonan- 
tischen,  a-,  i-  und  wrelämmen  (Misteli,  Zs.  f.  ve:l.  sprachf.  XVII, 
161  flF.,  wo  auch  weitere  literatur  verzeichnet  ist).  Es  erscheint 
also  vornehmlich,  um  von  einzelnen  Worten  abzusehen,  bei  den 
Stämmen  auf  -as,  -vas,  -ant,  -an,  -tar,  -u  als  regelmässige  be- 
gleiterin ;  so  im  comparativ  ndmyas  :  nämyasi,  beim  participium 
vidvän  :  vidüsfd ,  tuddn  :  tudatx,  bei  den  nom.  agentis  räjan 
:räjf&,  jdnitar  :  jdnitri ,  bei  den  w-adjectivis  svädü  :  svddm  , 
Insbesondere  bildet  es  auch  abstracta  aus  a- stammen,  wie 
drushi  morgenröte,  zu  arushd  rot,  idvishi  stärke,  zu  tavishd  stark, 
tapam  glut,  zu  tdpana  brennend  etc.  Die  singularcasus  haben 
'jd-,  'iä-  je  nach  der  Quantität  der  vorausgehenden  silbe  (gen. 
-ydsy  dat  -ydi  etc.),  nur  der  acc.  hat  -im  analog  dem  nom.  — 
Das  %  hatte  ursprünglich  stets  den  ton;  dies  geht  u.  a.  daraus 
hervor,  dass  abstufende  suffixe  vor  ihm  stets  in  schwacher 
form  erscheinen  (Verner,  Zs.  f.  vgl.  sprachf.  XXIII,  120  flF.). 

Ebenso  liegen  die  Verhältnisse  imzend.    Im  litauischen 


138  SIEVERS 

treffen  wir  -i  als  femininendung  1)  in  den  einzelnen  werten 
paü,  marti,  veszni\  2)  in  den  pronominibus  yi ,  szi,  kuri\  3)  in 
den  participien  äuganti,  äugusi,  4)  in  den  adjectiv.  u-stämmen 
kartus  :  kartt]  ebenso  im  lettischen,  Leskien  s.  11 ;  es  fehlen  also 
von  den  hauptclassen  der  coniparativ,  der  wegen  seiner  ganz 
abweichenden  bildung  {geresräs,  gerisne)  gar  nicht  verglichen 
werden  kann,  und  die  ebenfalls  lit.  ausgestorbenen  moyierten 
feminina  der  nomina  agentis  auf  -an  und  -tar. 

Im  slavi sehen  haben  wir,  von  einzelnen  werten  auf  -(;i 
abgesehen,  die  endung  i  (d.  h.  t)  1 )  im  pron.  si  —  lit.  sz% ;  2)  in 
den  participien  pekcfsti,  peküsi,  3)  im  comparativ  dobrSßii, 
4)  in  den  movierten  femininis,  bogyni]  es  fehlen  die  adjecti- 
vischen  2^- stamme  und  die  feminina  zu  tar,  welches  ganz  zur 
ya-declination  übergetreten  ist  {datelfi  etc.;  feminina  fehlen, 
Leskien  s.  94).  Im  acc.  erscheint  lituslavisch  iäm  als  grund- 
form:  \it  duganczif,  bIsly.  pekqstq. 

Das  lateinische  hat  die  doppelbildung  nicht,  da  es  seine 
consonantischen  stamme  im  femininum  nicht  verändert  und 
die  ^^- Stämme  in  die  f-declination  übergeführt  hat  Abstracta 
auf  ia  wie  gloria,  duritia  u.  s.  w.;  doch  halte  man  st  vic-tri-ci 
zu  viC'ior  etc. 

Das  griechische  kennt  keine  endung  -t,  hat  aber  die 
doppelbildung,  indem  dem  skr.  i  stets  ia  resp.  -ä  mit  modifi- 
cation  vorausgehender  laute  entspricht,  dem  skr.  -yä  aber  iä. 
Wir  finden  das  kurze  a  z.  b.  in  den  participien,  tpigovöa,  sl- 
övUx,  in  den  nominibus  agentis  wie  rixtaiva,  ccoxeiQa,  bei  den 
t<-stämmen  riöela,  ßaaUeiüy  bei  einzelnen  adjectivis  wie  xlcov 
jtleiQa  =  skr.  p%  van,  ptvari,  fiiXag  fiiXaiva]  es  fehlt  der  com- 
parativ, welcher  die  distinction  des  femininums  vom  masc.  auf- 
gegeben hat;  abstracta  auf  -da,  0oq)la  zu  0oq>6g, 

Im  germanischen  endlich  erscheint  ein  i  1)  im  pro- 
nomen  got  si  aus  st^  2)  im  femininum  langsilbiger  /a- stamme, 
got  haipi,  altn.  heiter,  vom  acc.  ban^fa  wie  im  lituslavischen 
unterschieden;  3)  mit  schwacher  flexion  im  comparativ,  blin- 
ddzei^Bltn.  blindri,  und  participium  praes.  got  gibandei,  altn. 
ge/andi,  4)  ebenfalls  in  schwacher  flexion  in  abstractis,  die  zu 
allen  arten  von  adjectivstämmen  gehören,  wie  got  managei. 
Das  part.  perf.  ist  bis  auf  das  uns  gleichgültige  berusjds  ge- 
schwunden;   movierte  feminina  sind  im  got  nicht  belegt,  nur 


ZUR  ACCENT-  ü.  LAUTLEHRE  DER  GERIL  SPRACHEN.  139 

*  frijöndi  ist  aus  frijdndjös  Luc.  15,  9  zu  erschliessen ,  im  nor- 
dischen sind  sie  zur  schwachen  declination  übergetreten,  dsynja, 
apynja  ^)  u,  s.  w.  Ueberhaupt  ist  die  ganze  Unterscheidung  wie 
man  gewöhnlich  annimmt  dem  ostgermanischen  eigentümlich; 
nur  die  abstracta  greifen  deutlich  auch  in  das  westgerma- 
nische hinein,  ahd.  menigi. 

Hiemach  muss  die  doppelheit  der  bildung  als  indogerma- 
nisches eigentum  beansprucht  werden,  und  ich  kann  nicht  um- 
hin dasselbe  auch  für  die  specielle  form  der  zweiten,  den 
nom,  sg.  auf  -i,  zu  tun.  Wäre  das  griechische  nicht,  so  würden 
dieser  behauptung  überhaupt  kaum  ernstlich  schwerwiegende 
gründe  gegenüberstehen.  So  aber  stehen  wir  vor  dem  dilemma: 
entweder  lautete  der  nominativ  indog.  4ä  und  das  griechische 
hat  das  relativ  ursprünglichere  bewahrt:  dann  bleibt  nicht  nur 
die  Verkürzung  des  a  im  griechischen  rätselhaft,  sondern  man 
muss  es  auch  für  einen  zufall  erklären,  dass  fünf  sprach- 
Stämme,  indisch,  iranisch,  slavisch,  litauisch,  deutsch  auf  die- 
selbe contraction  des  iä  zu  t  verfallen  wären,  die  sonst  laut- 
gesetzlich für  jede  einzelne  nicht  begründet  werden  kann  2); 
oder  der  nom.  lautete  indog.  bereits  4,  dann  bleibt  zwar  das 
griech.  ä  ebenso  unerklärt  wie  im  ersten  falle,  aber  die  übri- 
gen Schwierigkeiten  fallen  fort  Kann  es  zweifelhaft  sein,  dass 
man  sich  billiger  weise  für  die  letztere  ansieht  zu  entschei- 
den hat? 

Man  wird  hiergegen  einwenden,  wie  es  schon  Leskien  ge- 
tan hat,  dass  sich  keineswegs  völlige  formengleichheit  finde 
und  dass  sich  auch  die  einzelnen  kategorieen  nicht  völlig 
decken.  So  soll  nach  Leskien  slav.  pekqsti  aus  "^pekqtja  ent- 
standen sein,  wegen  des  st]  ich  sehe  aber  keine  Schwierigkeit 
darin,  das  it  des  nom.  für  übertragen  aus  den  übrigen  casus 
zu  halten;  gegen  Leskiens  deutung  aus  -(;i  spricht  deutlich 
das  lit.  -/i,  für  welches  auch,  wie  flir  das  slavische,  erst  ein 
besonderes  lautgesetz,  nämlich  die  Wandlung  von  -JA  in  4,  an- 
genommen  werden  muss.    Sodann  nimmt  Leskien  daran  an- 


0  Doch  hlötfyn,   sigyn,  foldyn,  Fjgrgyn,  Bjgrgyn  etc.,  J.  Grimm, 
gr.  II*,  167. 

*)  Speciell  ist  dabei  wider  die  scheidnng  des  nom.  und  acc.  im  lit.- 
ßlav.  und  germ.  zu  nrgieron:  paü  päcz^\  pekqsti  peke^iq,  bandi  bandja. 


140  SIEVEBS 

stoss,  dass  im  germ.  der  eintritt  des  t  (natttriich  abgesehen 
von  den  in  schwacher  flexion  erscheinenden  t)  durch  das  ge- 
setz  geregelt  ist,  dass  eine  lange  oder  mehrere  silben  vorher- 
gehen müssen,  woTon  im  slavisch- litauischen  sich  keine  spur 
zeigt  Aber  die  Übereinstimmung  im  pronomen,  participium 
und  comparativ  kann  doch  Leskien  nicht  ableugnen,  und  wir 
werden  später  sehen,  dass  die  Umsetzung  der  alten  regel  in 
die  neue  ihre  guten  erklärungsgründe  hat. 

Andere  Schwierigkeiten  hat  man  aus  dem  formenbestande 
des  deutschen  herbeigezogen,  namentlich  fällt  der  mangel  ohne 
weiteres  ersichtlicher  t-bildungen  im  westgermanischen  auf, 
und  das  einzige  augenfällige  beispiel,  die  abstracta  auf  got 
-ei,  ist  von  Scherer  u.  a.  geradezu  für  eine  Specialbildung  der 
einzelsprachen  erklärt  worden.  Sehen  wir  etwas  genauer  zu 
wie  die  sachen  stehen. 

Zunächst  glaube  ich  für  das  ursprüngliche  Vorhandensein 
der  t- formen  auch  im  westgermanischen  einige  Zeugnisse  bei- 
bringen zu  können.  Voran  steht  ags.  bend,  über  das  s.  136 
gehandelt  ist.  Daf&r  haben  wir  freilich  alts.  sundia,  ahd.  sunt{e)a 
etc.  Da  diese  aber  das  zeichen  ihres  späten  Ursprungs,  das  a 
im  nominativ  statt  des  etwa  zu  erwartenden  u,  an  der  stim 
tragen,  so  können  sie  nicht  gegen  ein  germ.  *bandi,  *sundi 
ins  feld  geführt  werden.  Ich  wüste  auch  nicht,  dass  jemand 
ernstlich  hieran  gezweifelt  hätte  (so  namentlich  nicht  Scherer, 
z.  GDS.  118). 

Dann  ist  femer  unzweifelhaft  alts.  ihiui  =  got  pivij  altn. 
f^^  Hei.  4956  C,  verkürzt  ihm  Hei.  285.  4956  M,  mit  übertritt 
in  die  schwache  declination  ihiutm  285  C. 

Undeutlicher,  aber  doch  im  zusanmienhang  mitbeweisend, 
sind  andere  spuren.  Dazu  rechne  ich  z.  b.  die  abstracta  auf 
ahd.  -nassij  -nessi,  -nissi,  -nussij  -nissa,  alts.  -ne5^/(a),  'nussi{a), 
ags.  -nes  =  got.  -ncissas  (nordisch  fehlen  sie).  Diese  formen 
sind  kaum  anders  zu  vereinigen,  als  wenn  man  von  einer  ge- 
meinsamen westgerm.  nominativform  -ncLs^  nach  dem  muster 
von  *bandi  ausgeht,  welche  an  stelle  der  got  u-torm  getreten 
war.  Dann  bekommen  wir  nämlich  folgende  einfache  ent- 
wickelung: 


ZUR  ACCENT-  ü.  LAUTLEHRE  DER  GERM.  SPRACHEN.    141 

gr und form: 
-nasBt 


-nesBi 


-nassi,  -nusBi 


*-naBBi,  -nussi 


-nes 


-nassi  -nasst 

-nessi*)  -nesst  -nessi  -nesst 

-nissi      -nisst    -nissia     -nissi  -nisst 

-nassi    -nussia  -nusbi  -nusst 
«.           f,           f.           n,  /. 


-nissa 


/■• 


■^ 


alts. 


■   ^* 
ahd. 


Mit  Worten  ausgedrückt,  heisst  dies  so  viel  als  dass  die 
Überführung  in  die  i-form  bereits  gemeinsam  westgermanisch 
war;  für  diese  zeit  ist  noch  langes  4  als  endung  anzusetzen, 
da  die  Verkürzung  erst  den  einzelsprachen  zufällt.  Mit  den 
abstractis  auf  4  sind  damals  wol  noch  keine  berührungen 
eingetreten,  da  das  ags.  vollkommen  reinen  typus  zeigt.  Nach 
der  trennung  der  einzelsprachen  tritt  die  Verkürzung  des  i 
lautgesetzlich  ein,  und  es  beginnt  die  Vernichtung  der  i-form 
bei  Wörtern  wie  bandi  im  alts.  und  ahd.,  sich  bald  auch  auf 
unsere  abstracta  erstreckend;  wir  sehen  die  drei  hauptvertreter 
der  abstracta  an  dieser  Vertilgung  teilnehmen:  die  feminina 
auf  -ä  mit  ihrem  selbst  schon  neugebildeten  nom.  auf  -a  (alts. 
-nissia,  -nussia,  ahd.  -nissa),  die  abstracta  auf  4  (alts.  ahd.  -nessi 
etc.,  endlich  die  starken  neutra  auf  4  (alts.  ahd.  -nesst  etc.). 
Von  der  weiteren  Vermischung  der  ahd.  abstracta  auf  -i  mit 
den  verbalsubstantivis  auf  4ni-,  got.  daupeins,  ahd.  iou/t(n) 
haben  sich  übrigens  die  auf  -nessi  freigehalten ;  was  Schlüter 
s.  137  bei  Isidor  beobachtete,  dass  er  zwar  5,  15  dhiu  he- 
rahinissi  und  23,  23  dhiu  aboha  ubarhiaupnissi  sage  (daneben 
auch  uuootnissa  9,  9,  idalnissa  25,  16,  folnissa  37,  17,  aber 
kein  neutrum),  aber  die  abstracta  stets  auf  4n  bilde,  gilt  auch 
im  weiterem  umfang;  ein  -nessin  etc.  ist  mir  überhaupt  nicht 
bekannt. 

Sodann  glaube  ich  die  movierten  feminina  und  ihre  ver- 
wanten  hierherziehen  zu  dürfen.  Ihre  geschichte  innerhalb 
des  ahd.  hat  erst  Henning,  Sanctgall.  sprachd.  91  ff.  richtig 
dargestellt,  über  die  Vorgeschichte  u.  a.  handelt  Zimmer,  Ostg. 


>)  gilAcnette  dat  Hei.  987  C,  farlegamisse  dal  Hei.  3843  C. 


i 

142  SIEVEBS 

u.  westg.  38  f.  Ich  bemerke,  groBsenteils  im  anschluBs  an 
diese,  nur  das  folgende.  Der  nom.  der  betreffenden  Wörter 
geht  in  der  ältesten  zeit  aus  auf  -in,  -un,  daraus  erwachsen 
allmählich  die  angeglichenen  formen  -imw  und  -in.  Im  alt- 
sächs.  finden  sich  als  casus  obliqui  burthimua,  henginnia, 
fastunnia,  uuostunnia,  für  den  nom.  und  speciell  für  die  mov. 
fem.  fehlen  mir  belege;  das  ags.  hat  gyden,  wyrgen  oder 
byröeriy  fcüsteny  robden  etc.,  gen.  -erme.  Die  ostgerm.  formen 
s.  139.  Die  ags.  foimen  können  allenfalls  auch  auf  ^-inju 
zurückgeführt  werden,  nach  analogie  der  mehrsilbigen  wie 
fireii  aus  *ftrenu,  oder  wenn  man  will  nach  der  von  sihb  aus 
*sibjUy  da  unsere  worte  den  nebenton  auf  der  penultima  hatten 
(Beitr.  IV,  s.  529);  gegen  eine  form  -ini,  -ini  ist  aber  auch 
nichts  einzuwenden.  Ob  aber  ahd.  mägin  ohne  weiteres  aus 
*mäginju  hergeleitet  werden  kann?  der  abfall  des  u  geht  sonst 
dem  schwinden  des  innern  i,  j  voraus,  aus  "^mäginju  sollten 
wir  *mägin7ii  erwarten,  wie  cunni,  rieht  aus  ^cimju,  richiu. 
Da  ist  mir  denn  eine  entwickelungsreihe  "^rnäghn,  *mägim, 
mägin  viel  wahrscheinlicher.  Für  diese  classe  träte  also  wider 
Übereinstimmung  mit  der  indog.  bildungsweise  hervor. 

So  bleiben  noch  diejenigen  woi-tclasseu  übrig,  wriche  ganz 
oder  teilweise  aus  der  t-form  zur  schwachen  declination  über- 
getreten sind.  Was  zunächst  die  participia  anlangt,  so  ist 
die  schwache  flexion  nur  ostgermanisch  (got.  gibandeiy  altn. 
gefandi)\  dagegen  ist  das  ostgerm.  particip  insofern  altertüm- 
licher als  das  westgermanische  ^  als  es  masc  und  neutr.  noch 
von  dem  einflusse  der  yd -formen  des  femininums  frei  gehalten 
hat  (got.  giband-an-  etc.).  Nachdem  das  westgerm.  die  über- 
fUhrung  des  ganzen  particips  zur  ya-declination  vollzogen  hatte, 
wurde  das  fem.  natürlich  wie  die  feminina  der  /a- classe  be- 
handelt; neben  der  uuflectierten  form  -aridi  etc.  entsteht  die 
adjectivische  auf  -iu,  ags.  -o,  -u  (unsnAciendo  Ex.  424,  wuniendo 
Keiml.  26).  Im  gemeingermanischen  muss  die  flexion  der 
participia  praes.  noch  rein  gewesen  sein.  Bei  den  compa- 
rativen  scheint  dagegen  der  eintritt  der  schwachen  flexion 
gemeingermanisch  gewesen  zu  sein;  die  t-form  des  nominativs, 
deren  %  noch  unverkürzt  war,  wurde  auch  in  die  schwach 
flectierten  casus  hinübergenommen.  Das  westgermanische, 
welches  sich  aller  i- formen  im  a^ectivum  entledigte  und    in 


ZUR  ACCENT-  ü.  LAUTLEHRE  DER  GERM.  SPRACHEN.    143 

dem  nach  dem  gesammttl bertritt  der  participia  zur  ya-declina- 
tion  der  parallelismus  ron  t -formen  im  fem.  und  consonanti- 
sehen  formen  ohne  den  charakteristiBchen  t-laut  in  gleichen 
wortkategorieen  verloren  gegangen  war,  Hess  für  die  in -form 
die  gewöhnliche  femininale  ^-form  eintreten. 

Endlich  die  abstracta  wie  got.  managet,  Sie  bilden 
noch  einen  cardinalpunkt  der  frage  wegen  der  vielen  zweifei, 
die  sich  au  ihre  form  geknUpft  haben;  ich  verweise  speciell 
auf  Scherer  s.  431,  Zimmer  s.  33  ff.,  Leskien  s.  95  ff.  Die 
beiden  erst^nanuten  behaupten  getrennte  entstehung  der 
ähnlichen  formen  zur  ostgerm.  einerseits  und  ahd.-alt8.  anderer- 
seits, Leskien  setzt,  hierin  der  früheren  vulgatansicht  folgend, 
der  auch  ich  mich  auschliesse,  gemeingermanischen  Ursprung 
an.  Sehen  wir  zunächst  die  gründe,  welche  für  die  letztei*e 
annähme  sprechen. 

1)  Es  ist  durchaus  wahrscheinlich,  dass  zwischen  den  skr. 
abstractis  auf  -%  zu  adjecti  vi  sehen  a-stämmen,  tävisht  stärke  zu 
iavishd,  und  den  germ.  abstractis  ein  directer  Zusammenhang 
besteht  Ist  dieses  richtig,  so  müssen  die  abstracta  im  deut- 
schen von  jeher  auf  seite  der  i-form  gestanden  haben,  deren 
indogerm.  Ursprung  mindestens  höchst  wahrscheinlich  ist.  Doch 
verkenne  ich  nicht,  dass  die  griech.  abstractbildung  la  wie  in 
öog)la  hiergegen  angeführt  werden  könnte ;  vor  der  band  kann 
ich  diesem  einwurf  aber  keine  unbedingte  gültigkeit  beilegen, 
ehe  die  bildung  der  griech.  feminina  auf  -{i)ä,  -lä  genauer  er- 
foncht  ist. 

2)  Im  ostgerm.  sind  die  abstracta  deutlich  zur  schwachen 
declination  übergetreten;  für  das  nordische  ist  dieser  Vorgang 
aus  der  erhaltung  des  -i  zu  folgern,  das  nur  aus  An  erklärt 
werden  kann  {sokei :  scek) ;  ahd.  haben  wir  sicher  langes  i, 
während  sich  sonst  auslautende  %  verkürzt  haben  (Braune, 
Beitr.  II,  s.  137  ff.),  die  alts.  formen  auf -i  haben  unsichere  Quan- 
tität, aber  doch  wahrscheinlich  ebenfalls  länge.  Es  ist  nicht 
glaublich,  dass  dieser  übertritt  spontaner  akt  der  einzel- 
-sprachen  gewesen  sei ;  deshalb  ist  die  erste  berührung  mit  den 
Verbalsubstantiven  auf  Ani-,  deren  einfluss,  wie  Leskien  für 
mich  überzeugend  bewiesen  hat,  der  übertritt  zur  schwachen 
declination   veranlasste,   als  bereits   gemeingermanisch    auzu- 


144  SIEVERS 

sehen.    Eine  solche  beruh  rung   ist  aber  nur  unter  der  Voraus- 
setzung denkbar,  dass  der  nom.  bereits  auf  -i  ausgieng. 

3)  Wenige  nachher  zu  besprechende  ausnahmen  aus  dem 
alts.  abgerechnet,  sind  die  abstracta  im  westgermanischen  im 
Singular  indecliuabel ,  ohne  dass  wie  im  nordischen  ein  laut- 
gesetz  die  gleichmachung  veranlasste.  Ist  es  wahrscheinlich, 
dass  alle  sprachzweige  des  westgermanischen  dieselbe  Verall- 
gemeinerung einer  nominativform  (darüber  später)  unabhängig 
von  einander  durchgeführt  haben?  Wenn  nicht,  so  darf  nach 
ahd.  alts.  4  auch  für  das  ags.  eine  verloren  gegangene  form 
auf  -t  vorausgesetzt  werden;  man  muss  dabei  allerdings  an- 
nehmen, dass  die  ahd.  -m-form  erst  aus  der  specifisch  ahd. 
Vermischung  mit  den  stammen  auf  -hii-  entstanden  ist,  gegen 
welche  annähme  meines  wissens  kein  anstand  vorliegt 

Die  gegenteilige  ansieht  stützt  sich  auf  eine  anzahl  west- 
germanischer formen,  welche  nicht  die  reine  i-fotm  zeigen. 
Scherer  führt  aus  dem  ahd.  an  einen  nom.  sg.  maneghiu  Isid. 
15,  21  W.,  dazu  fügt  Zimmer  s.  35,  z.  t.  nach  J.Schmidt  und 
Kelle  noch  eine  reihe  anderer  belege.  Von  diesen  ist  das  bei- 
spiel  hrumü'brunnia  brünne,  auszuschliessen,  da  das  wort  gar 
nicht  zu  den  abstractis  gehört,  die  übrigen  sind  helU  dat.  sg. 
neben  gewöhnlichem  hellia,  das  ebenfalls  nicht  hierher  gehört, 
und  ausserdem  den  Diut.  II,  119  fi'.  abgedruckten  homilien  des 
11. — 12.  Jahrhunderts  entnommen  ist;  von  wirklichen  abstractis 
mendislo  exultatio  aus  Cod.  Aug.  111  sec.  X  (wozu  ich  noch 
umgialo  afflictio  ebenda,  füge),  uuassiu  aus  Münchener  Pruden- 
tiusglossen  des  11.  jahrh.  (Steinmeyers  M  *,  zs.  f.  deutsches 
altert.  XVI,  4),  :jiUuuiu  aus  £mmeramer  bibelglossen,  ebenfalls 
11.  jahrh.,  endlich  slaf/iu  aus  den  Augsburger  glossen  vom 
ende  des  10.  jahrh.  nach  dem  Braunschen  abdruck;  aber 
Holder  gibt  Germ.  XXI,  7  h  z.  4  igtmuia  slaffux.  Neben  den 
tausenden  von  formen  auf  -t(/i)  können  diesen  späten  formen^ 
die  übrigens  zum  teil  auch  noch  genauerer  constatierung  be- 
dürfen, wol  keine  besondere  glaub  Würdigkeit  oder  beweiskraft 
beanspruchen.  Nur  das  beispiel  aus  dem  alten  Isidor  und  die 
beiden  auf  -islo  können  in  betracht  kommen.  Aber  ich  glaube, 
auch  sie  müssen  fallen. 

Bei  Isidor  15,  16  wird  per  plwraliiatem  persanarum  durch 
dhurah  dhero  heideo  mcoieghin  übersetzt;    darauf  folgen  15,  21 


ZÜE  ACCENT-  ü.  LAUTLEHRE  DER  GERM.  SPRACHEN.  145 

die  Worte  ipsa  pluralitas  personarum  widergegeben  durch  Mu 
selha  maneghiu  chinomidiu.  Zur  richtigeu  beurteilung  dieser 
Worte  mu88  man  erwägen,  dass  bei  Isidor  17  abstracta  auf -tn 
Yorkommen,  darunter  drei  nominative,  guotlihhin  19,  10,  ddhtn 
25,  15,  resti7i  41,  2,  zusammen  wenn  ich  recht  gezählt  habe 
an  31  stellen,  zu  denen  noch  ein  dat.  pL  anireidim  kommt; 
wichtig  sind  darunter  ghilauUn  und  daufin  =  got.  galaubeins, 
daupelns]  da  duri  acc.  pl.  7,  9,  berahtnissi  und  ubarhlaupnüsi, 
wie  s.  108  und  141  gezeigt  wurde,  nicht  zu  unserer  klasse  ge- 
hören, so  muss  -m  als  die  einzige  isidorische  form  der  ab- 
stracta angesehen  werden.  Dies  beweist,  d'Cnke  ich,  dass  zur 
zeit  Isidors  nicht  nur  die  contraction,  sondern  auch  bereits  die 
rerschmelzung  mit  den  Verbalsubstantiven  vorhanden  war.  Wie 
soll  da  ein  nominativ  auf  -iu  erklärt  werden?  zumal  wenige 
Zeilen  vorher  erst  maneghin  steht.  Die  werte  erlauben  ausser- 
dem noch  eine  ganz  andere  deutung.  Ich  kann  nicht  umhin, 
völlig  zu  unterschreiben  was  Weinhold  s.  120  über  unsere  stelle 
bemerkt:  Mch  halte  maneghiu  für  stark  flectiertes  attribut  (über 
starke  und  schwache  flexion  zweier  vorgestellter  attribute  vgl. 
Grimm  gr.  IV,  537)  und  chinomidiu  verschrieben  für  chinomidin, 
der  schwachen  nebenform  von  "^  chinomida  =  ganemnida  per- 
sona GraflFII,  1086',  nur  wird  chindmidin  (nach  uLnoemen)  zu 
schreiben  und  formell  eher  ahd.  namiti  benenn ung,  Graff  II, 
1082,  zu  vergleichen  sein.  Der  scli reibfehler  nach  dem  vor- 
ausgehenden maneghiu  ist  leicht  erklärlich. 

Mendislo  und  uuegislo  (zu  ahd.  uueigen,  GraflF  I,  703) 
kommen  nur  in  dem  Diut.  I,  289  veröffentlichten  glossar  vor. 
Sie  erregen  nicht  nur  durch  das  o  bedenken,  sondern  schon 
durch  ihr  weibliches  geschlecht,  da  femininbildungeu  auf  -seli 
im  ahd.  sehr  selten  sind,  gr.  11^  103.  Prüfen  wir  daher  unsere 
quelle  etwas  genauer.  Die  glossen  finden  sich  in  -einer  lat. 
'exhortatio  ducum  et  ullatü  exercitus',  in  dem  Cod.  Aug.  111, 
der  von  älterer  band  z.  b.  auch  das  glossar  Ka.  enthält;  die- 
selbe exhortatio  und  ein  teil  dieser  ca.  50  glossen  findet  sich 
wider  im  Cod.  Sangall.  141,  s.  Hattemer  I,  313,  und  einer 
Frankfurter  hs.,  aus  der  Graft*  I,  xxxiv  proben  gibt.  Unsere 
beiden  glossen  stehen  nur  in  R  (Reichenauer  hs.);  ebenso 
fehlen  in  den  andern  die  glossen  kreg  zu  pertinaciae,  gehruafti 
n.  zu  clamor,  gerstl  zu  rancor,  alles  ixjia^  Xtyofieva  im  ahd. 

BeltrÜKfl  sor  geschichte  der  deutbchen  spräche.  V.  10 


146  SIEVERS 

Der  sprachliche  typus  der  glossen  ist  sehr  auffällig:  voll- 
kommene ungeregeltheit  in  den  diphthongeu:  kreg,  uueihmdtt, 
ttnoatscahi,  muaisleuui,  muatplinti,  höhmtiaii,  gehruafti,  hniom] 
neben  den  wie  es  scheint  alem.  tia  steht  unalemannisches  ge- 
dreog  fallacia  (Braune,  Beitr.  IV,  557  fl'.),  der  consonantis- 
mus  ist  im  ganzen  fränkisch,  dann  aber  begegnen  wider  keflos 
neben  ungezunfi,  gehruafti,  gedreog^  ungeuuerida,  ferner  unmez- 
cähx,  cotes]  muatplinti]  dann  aber  gar  un verschobenes  p  in 
gelp  gloria,  unverschobeues  d  in  gedreog  und  über  verschobenes 
t  in  meineiti  periuria.  Rechnet  man  nun  zusammen,  dass  -slo 
eine  im  altsächsischen  öfter  vorkommende  form  ist,  dass  die 
in  den  beiden  andern  hss.  fehlenden  Wörter  zum  teil  nieder- 
deutsches gepräge  tragen  (namentlich  mendislo  selbst,  das  im 
Hei.  vorkommt),  dass  utiegislo  und  kreg  im  e,  uueihmöti  im  6, 
gedreog  in  d  und  gelp  im  p  niederdeutschen  lautstand  zeigen, 
so  darf  man  wol  getrost  behaupten,  dass  mendislo  und  uuegislo 
auf  rechnung  einer  altsächsischen  vorläge  zu  setzen  sind,  aus 
der  sie  als  unverstandene  formen  von  dem  oberdeutschen 
Schreiber  herübergenommen  sind. 

Das  ahd.  kennt  also  keine  andere  beglaubigte 
form  als  -t  oder  -in. 

Im  altsächsischen  begegnen  zunächst  mehrere  formen 
auf  'Slo:  mendislo  Hei.  402,  herdislo  4965  M,  -sH  C,  errislo  gl. 
Prud.  1.  453,  dazu  kommen  die  eben  besprochenen  mendislo, 
uuegislo  und  ein  menigo  Hei.  10  im  Cottonianus,  der  auch  for- 
men wie  drihten,  steorra  u.  dgl.  hat.  Es  wird  also  gestattet 
sein,  diese  form  als  echt  alts.  so  lange  anzuzweifeln,  bis 
andere  belege  als  die  auf  -slo  beigebracht  sein  werden.  Diese 
letzteren  nämlich  beweisen  gar  nichts.  Einmal  ist  an  ihnen 
durchaus  unerklärlich,  warum  hier  das  i,  j  i*egelmässig  ge- 
schwunden sein  sollte,  das  im  alts.  niemals  fehlt  Da  nun  die 
endungen  -sli  n.  und  -sR  f.  unbestritten  auf  ein  ursprüngliches 
'Sla-  zurückgehen,  so  wird  man  auch  -slo  darauf  zurückführen. 
Dann  kann  -slo  natürlich  nur  nom.  sg.  eines  schwachen  masc 
sein,  und  weiter  ist  es  auch  nichts,  wie  uns  die  glücklich  in 
den  Prudentiusglossen  aufbewahrten  pluralformen  rädislon 
aenigmata  152   und  Idnislon  rimas  499  lehren.  >)    Gegen  diese 


*)  Heyne  erklärt  sie,  altn.dkm.^  gloss.fttrdat.pl.  zu /a-st.  gegen  dentext 


ZUR  ACCENT-  ü.  LAUTLEHRE  DER  GERM.  SPRACHEN.  147 

Zeugnisse  kann  die  einzige  stelle,  wo  -slo  als  fem.  belegt  zu 
sein  scheint,  nicht  aufkommen,  nämlich  Hei.  4965,  wo  G  ihiu 
herdisH,  M.  aber  thea  herdislo  schreibt;  man  sieht,  dass  der 
Schreiber  von  M  mit  seinem  ihea  für  thiu  zwischen  herdisR 
f.  und  herdislo  m.  schwankt;  es  sollte  thS  herdislo  heissen.  — 
Wir  haben  also  folgende  Verzweigung  des  suflfixes  -sla:  1)  neu- 
traler a- stamm,  ahd.  -isal,  alts.  in  gurdisla  dat.  sg.  gL  Prud. 
388,  wenn  dies  nicht  für  gurdislea  steht;  2)  männlicher  n- 
stamm,  alts.  mendislo  etc.;  3)  neutraler /a-stamm ,  alts.  ddpisli, 
dat.  'Slea  Hei.  1025  M  (C  fehlt);  4)  fem.  auf  4,  herdisli  HeL 
4965  C,  ahd.  -seit,  gi*.  I^,  103.  Die  Stufenfolge  ist  ganz  wie 
in  ahd.  -id  m.,  -ido  m.,  -idi  n.,  -idi  f.,  wozu  noch  -ida  f.  tritt 

Nach  abzug  dieser  worte  bleiben  an  ausnahmen  von  der 
t-form  im  Hei.  ein  nominativ  megtnstrengiu  4354  M,  der  zwi- 
schen zwei  thiu  in  der  mitte  steht  und  so  den  verdacht  eines 
Schreibfehlers  erweckt,  wie  er  gerade  in  den  Heliandhss.  öfter 
vorkommt,  s.  meine  anmerkung  zu  Hei.  106  verdächtig  ist 
besonders  schon  die  endung  -u,  da  das  alts.  ausser  dem  pro- 
nomen  siu,  thiu  keinen  nom.  sg.  auf  -u  mehr  kennt;  denn  das 
vor  meginstrengiu  stehende  mikilo  wird  man  doch  nicht  mit 
Zimmer  s.  34  als  starke  form  nach  dem  artikel  auffassen :  man 
denke,  welche  absonderlichkeiten  sich  hier  in  den  zwei  werten 
häufen  würden);  ein  nom.  auf  -ia,  blindia  3636  M,  ein  dativ 
an  eldiu  194  M,  also  bisher  alles  nur  in  M,  C  hat  stets  -t; 
gemeinschaftlich  ist  ein  gen.  pl.  huldio  5014,  endlich  steht  ein 
dat.  pl.  huldion  in  der  sächsischen  beichte;  also  in  summa 
4  mal  ein  überschwanken  in  die  >ä-declination  (denn  der  gen. 
pL  huldio  konnte  ja  kaum  anders  gebildet  werden  als  so); 
und  das  wird  man  getrost  als  neubildung  aufifassen  dürfen. 

Unanfechtbar  ist  natürlich  das  bestehen  der  angelsäch- 
sischen abstracta  auf  -u,  -o,  aber  ihre  erklärung  ist  streitig. 
Vor  allem  ist  nicht  richtig  was  Zimmer  s.  33  f.  über  sie  sagt 
Die  vollständige  gleichheit  der  singularcasus  von  ags.  menigu, 
-0  veranlasst  ihn  zu  der  bemerkung:  'in  der  tat  so  regelmässig 
als  man  sich  etwas  denken  kann.  Aus  den  germ.  grundformen 
manag  ja,  managjäs,  manag jäi,  manag jäm  konnten  lautgesetzlich 
die  westgerm.  formen  managja,  managja,  maiiagja,  managja  ent- 
stehen. Wie  nun  westgerm.  geha  durch  ags.  gifu  reflectiert 
wird,  so  kann  der  stamm  managja  im  ganzen  singular  nur  die 

10» 


148  SIE  VERS 

belegten  formen  zeigen.'  Wenn  Zimmer  nur  zugleich  auch  nur 
einen  einzigen  beleg  daflir  gebracht  hätte,  dass  je  anderwärts 
ein  anderes  ä  als  das  des  nom.  sg.  bei  den  ä- stammen  im 
ags.  zu  0,  u  geworden  wäre !  Warum  flectierten  denn  die  nicht 
abstracten  yd -stamme  so  ganz  anders:  befid,  bende,  bende,  bende, 
ganz  entsprechend  den  einfachen  4 -stammen?  Meni^,  oder 
um  bei  den  einfacheren  zweisilbigen  stehen  zu  bleiben,  yldu 
kann  nur  eine  nomiuativform  sein,  die  sich  auf  die  übrigen 
casus  ausdehnte,  wie  bereits  oben  s.  144  bemerkt  wurde.  Für 
die  casus  obliqui  besteht  übrigens  noch  eine  form  auf  -e,  s. 
Beitr.  I,  500  f.  und  unten  s.  151.  Die  grundform  selbst  muss 
nach  den  früher  entwickelten  gesetzen  ursprünglich  dreisilbig, 
*eldiu,  gewesen  sein.  Nun  ist  widerum  nicht  abzusehen, 
warum  die  abstracta,  die  sonst  überall  auf  seite  der  i- formen 
stehen,  sich  allein  hier  der  uucontrahierten  form  bedient  haben 
sollen,  während  die  nicht-abstracta  wie  bend  die  i-form  zeigen. 
Ferner  ist  die  Übertragung  einer  so  deutlich  kennbaren  nomi- 
nativform, wie  die  auf  -u  es  ist,  auf  die  casus  obliqui  durch- 
aus nicht  wahrscheinlich,  ausser  wenn  wir  annehmen,  dass 
bereits  vorher  eine  gleiche  form  aller  casus  bestand,  die 
sonstiger  aualogieen  in  der  flexion  entbehrte;  ist  doch  sonst 
das  u  des  nom.  ganz  sauber  von  allen  casus  obliqui  geschie- 
den geblieben.  Wir  werden  also  immer  wider  auf  das  alts.- 
ahd.  stereotype  -i  des  ganzen  Singulars  zurückgewiesen,  vor- 
ausgesetzt, dass  eine  möglichkeit  besteht,  beide  lautlich  zu 
vereinigen;  diese  ist  gegeben,  sobald  man  dieselbe  Übertragung 
des  fem.  -u  annimmt,  wie  sie  in  westgerm.  siUj  ags.  sed  = 
got.  si,  urgeim.  *si  stattgefunden  hat  (vgl.  die  lit.-slav.  prono- 
mina  oben  s.  138);  aus  *eldi  +  u  erwuchs  *eldiu  und  daraus 
eldu,  yldu^)  wie  ricu  aus  "^rikiu  (s.  135). 

£s  erübrigt  nun  noch  zu  untersuchen,  ob  die  soweit  ich 
sehe  nicht  als  gemeingermanisch  angezweifelte  Scheidung  zwi- 
schen kurzsilbigen  und  langsilbigen  femininis  der  yä-dcclina- 

*)  In  den  grammatiken  pflegen  meist  die  fonuen  auf  -o,  menigo, 
yldo  für  diese  abstracta  angesetzt  zu  werden,  während  man  dalu,  rtcu 
etc.  schreibt.  Die  älteren  quellen  kennen  gar  keinen  unterschied, 
höchstens  überwiegt  in  beiden  fallen  -u;  später  scheint  sich  allerdings 
das  -o  für  die  abstracta  fester  zu  setzen,  aber  auch  bei  den  andern 
wortclassen  ist  es  sehr  häufig. 


ZUR  ACCENT-  U.  LAUTLEHRE  DER  GERM.  SPRACHEN.    149 

tion,  got  sibja  :  bandi,  hvoftuU  sich  der  erklärung  entzieht.  Vor 
allem  kommt  es  wider  auf  genaues  festhalten  am  ifatbestand 
an.  Wir  haben  da  zunächst  zwei  entschieden  kurzsilbige 
fem.  auf  -/,  nämlich  got.  pivi,  mavi,  Ersteres  ist  moviertes 
fem.  zu  pius,  st.  petva-  (vgl.  runisch  petvaR ) ;  daraus  folgt,  dass 
wir  als  Urformen  gerra.  *pewaz  m.  und  "^pem  fem.  ansetzen 
mfissen,  s.  s.  137  ff.;  mavi  steht  ebenso  zu  magus,  es  muss  also 
von  jeher  ebenfalls  zum  i-typus  gehört  haben;  die  formentwick- 
lung  ist  ganz  regelmässig,  urform  "^magüs  m.,  "^magwi  f.  Das 
g  des  letzteren  muste  nach  einem  lautgesetze,  das  ich  ein 
anderes  mal  näher  zu  begründen  gedenke ,  in  unbetonter  silbe 
vor  w  schon  urgermanisch  ausfallen,  wie  in  got.  naus  fär 
*nawis  aus  *nagwis]  altn.  ey,  ags.  e,  eg,  ig  (vgl.  ags.  heg,  hig 
=  altn.  hey,  got.  havi\  ahd.  ouua  d.  i.  *a«^  (oder  *awjä  wegen 
altn.  mcer  ==  *mawi*f  s.  128.  136)  aus  "^agwi ,  "^agtviä,  zu  ähva 
au8*dÄw(2;  got.^/wn^  etc.,  st.*^mw/-  2m^*  sigwni'  (betont  wie  skr. 
agni),  zu  *  sehrvan  (vgl.  Bugge,  Zs.  f.  vgl.  spracht  XIX,  403  f.), 
germ.  grundform  *  hweulä-  rad  aus  *  hwegwld-  =  skr.  cakrd,  gr. 
xvxko-  fär  *xvxX6',  *x/bxX6-]  endlich  die  praet.  und  part. 
alts.  säuum,  giseuuan,  ags.  sdwon,  gesewen  etc.  zu  '^sehrvan 
u.  s.  w.^  —  Von  mehrsilbigen  liegen  im  got.  vor  * frijbndi, 
htilundi,  püsundi,  laühmuni,  *vundu/hi,  */raistubni,  hvdftnU, 
aqizi,  ^jukuzi  und  das  fremdwort  ^mrahi  (aus  gr.  OQyyjKJi, 
J.  Schmidt,  Zs.  f.  vgl.  sprachf.  XIX,  276);  die  besternten  for- 
men sind  im  nom.  nicht  belegt.  Von  diesen  ist  fr'ijbndi  unbe- 
stritten moviertes  fem.  eines  n^- Stammes,   es  gehört   also  von 


0  Nur  nach  conBonanten  bleibt  das  g^  vgl.  got  siggvan,  altn. 
syngva,  westgenn.  singan  und  verwantes;  dass  nicht  nur  der  nasal 
schützte,  zeigen  altn.  ylgr  aus  *  tvolgwi  =  skr.  vrki  (Vemer,  Zs.  f.  vgl. 
sprachf.  XXIII,  121),  got.  fairguni,  altn.  Fjgrgyn{n)  zu  skr.  parjdnya, 
lit.  PerkünaSy  Zimmer,  Zs.  f.  d.  alt.  XIX,  164  ff.  Hierdurch  tritt  bezüg- 
lich einer  von  Vemer  a.  a.  o.  105  noch  unerklärten  '  differenzierungs- 
form '  des  hv  wider  vollkommene  consequenz  zu  tage.  —  Uebrigens 
hängen  noch  verschiedene  andere  auffällige  erscheinungen ,  namentlich 
assimilationen,  mit  ursprünglicher  suffix-  oder  endungsbetonung  zusam- 
men; z.  b.  höchst  wahrscheinlich  die  von  nv  zu  nn  in  verbis  wie  rinnan 
zu  mvdnii  (darüber  zuletzt  Vemer,  Zs.  f.  deutsches  altert  XXI,  417), 
aber'  st.  m^lwa-,  bälwa-  etc. ;  die  von  In  zu  II  in  got.  fults,  vuUa  =  skr. 
pürnä,  ürnä'j  und  manches  andere,  was  ich  hier  nicht  weiter  aus- 
führen kann. 


r  '   V 


|f>0  SIE  VERS 

r(M*htH  wcgou  zur  (classo,  huiundi  und  püsuyidi  tragen  ebeufalls 
ilou  tvpuH  der  participien  ^) ,  aqizi  und  jukuzi  lassen  auf  ab- 
Icituugou  au8  (1^- Stämmen  schliessen,  laähmuni,  /rcusiubni, 
vututu/m  stellen  sich  zu  suff.  -man'^),  hvdftuli  wie  hvilftri  zu 
HUtV,  'tra,  es  kann  also  ebenfalls  dircete  femininbildung  sein, 
d\K*h  ist  darauf  kein  zu  grosses  gewicht  zu  legen,  da  ja  einige 
der  vorhanden  gewesenen  Wörter  sich  immerhin  nach  andern 
boroohtigtcn  mustern  der  t-gruppe  gerichtet  haben  können. 

Uibt  man  mm  zu,  dass  ausser  den  abstractis  auch  eine 
auKahl  anderer  feminina  des  i-typus  bereits  im  germanischen 
existierten,  so  ist  es  wol  denkbar,  dass  sie  allmählich  auch  die 
nicht  übermässig  zahlreichen  ^(2- formen  attrahierten.  Dass 
nur  die  langsilbigen  davon  betroffen  wurden,  hat  seinen  grund 
vermutlich  darin,  dass  sie  im  nom.  silbenbildendes  {  hatten, 
die  kurzsilbigen  aber  consonantisches  y;  man  vgl.  die  voraus- 
zusetzenden grundformen  wie: 

♦si^ja  ♦bandiä  •hvilftrt 

•ei^jöz  ♦bandiöz  ♦hvilftriöz 

*  si^j  ai  *  bandiai  *  h  vilf triai 

•Bi«^jä(in)  •bandia(m)  *  hvilftria(m) 

u,  s.  w. 

Das  resultat  dieser  ])etrachtung  wäre  also  zusammengefasst 
dieses : 


*)  Sie  sind  wol,  wie  andere  ähnliche  bildangen,  wie  nihvundjay  als 
reste  der  seh  wachen  form  des  participialsuf fixes  zu  betrachten:  germ. 
'Und'  «—  skr.  -at-,  indog.  -n^. 

')  So  auch  die  neatra  fastuhni,  valdufni,  vitubni.  Die  Verschieden- 
heit der  saffixform  (-muni  und  bm,  -fni  fUr  -mnt;  -ttüi  und  -tri)  ist 
vielleicht  so  zu  erklären,  dass  -mm ,  -tti ,  -tri  die  eigentlichen  nomina- 
tivformen waren,  da  das  abstufende  suffix  (-man,  -tar)  hier  in  schwacher 
form  erscheinen  muste.  In  vielen  fallen  entwickelte  sich  aus  dem  durch 
seine  lautumfcebung  zu  sonantischer  geltung  gebrachten  m  ein  tim;  dies 
liegt  eventuell  vor  in  vundufni,  fraistubni  etc.;  danach  sollte  man  auch 
*lohumni  erwarten;  hier  aber  scheint  die  form  der  casus  obliqni  mass- 
gebend gewesen  zu  sein ;  aus  einer  form  *  lohmnidz  konnte  durch  rollen- 
tausch des  n  und  t  *lohmnjdz  d.  h.  *lohmunjdz  entstehen  (vgl.  ahd. 
f€tiro  aus  *fat%rjo  flir  *fatrio)y  ebenso  hvdftuljds  aus  *hvdflUdz  u.  s.  f. 
Im  einen  fall  wurde  die  nominativform,  im  andern  die  form  der  casus 
obliqui  verallgemeinert.  Vielleicht  ist  auch  die  doppelform  der  fem.  auf 
-unnia  und  -innia  so  zu  erklären,  die  von  den  movierten  femininis  mit  suffix 
•itl  (vgl.  skr.  rä'Jfü,  takshnX)    ihren  ausgang  genommen  haben  müste. 


ZUR  ACCENT-  U.  LAUTLEHRE  DER  GERM.  SPRACHEN.   151 

1)  Es  gab  ursprünglich  im  geim.  kurzsilbige  feminina  auf 
-jä^  laugsilbigo  auf  -iä,  daneben  solche  auf  A  ohne  rUcksicht 
auf  die  quantität. 

2)  Bereits  gemeingeimanisch  attrahierten  die  letzteren  die 
iä- Stämme. 

3)  Noch  vor  dem  eintritt  einer  Verkürzung  des  -i  geriet 
ein  teil  der  t- formen,  nämlich  die  abstracta,  kraft  ihrer  bedeu- 
tung  unter  den  einfluss  der  verbalsubstantiva  auf  Ani'  und 
wird  dadurch  zu  einer  besonderen  form  der  schwachen 
declination  umgestaltet;  ihnen  schliessen  sich  im  got.  einige 
wenige  nichtabstracta  an  (got  äipei  [sicher  ein  moviertes  fem.]^ 
kilpei,  pramstei,  hvairnei,  marei,  Leskien  s.  95) ;  auch  die  par- 
ticipia  und  comparative  schliessen  sich  im  ostgerm.  an  diese 
neue  form  an. 

4)  Das  nicht  durch  den  übertritt  zur  schwachen  declina- 
tion geschützte  -i  verkürzt  sich  resp.  schwindet  im  got,  altn., 
ags.;  ahd.  und  alts.,  welche  im  allgemeinen  keine  alten  nomi- 
nativformen beim  fem.  subst.  haben,  lassen  neubildungen  auf  -ia, 
-ea,  -a  dafllr  eintreten.  Nur  spuren  des  älteren  zustandes 
zeigen  sich  noch. 

5)  Das  westgerm.  verallgemeinert  bei  den  abstractis  die 
nominativform  -i  für  alle  casus  (ausser  eventuell  gen.  dat  pL). 
Hierzu  tritt  im  ahd.  als  zweite  form  An,  d.  h.  der  regelrechte 
nom.  der  völlig  zu  den  abstractis  übergetretenen  verbalsubstan- 
tiva auf  Ani'.  Das  alts.  macht  ganz  vereinzelte  versuche, 
durch  antritt  der  casusendungen  der  (i- stamme  wider  eine 
flexion  herzustellen.  Das  ags.  hängte  das  nom.  -u  derselben 
^-Stämme  zunächst  wol  an  den  nom.,  dann  aber  an  die  gleich- 
lautenden formen  der  übrigen  casus  an;  gelegentlich  trifft  man 
auch  noch  nominative  ohne  endung  wie  yld,  nach  dem  typus 
von  bend  und  dem  entsprechend  casus  obliqui  auf  -e  an,  die 
nicht  aus  dem  A  direct  erklärt  werden  können  (got.  sokei  = 
ags.  S6SC,  sec).  Diese  sind  wol,  wie  Beitr.  I,  500  ff.  vermutet 
wurde,  als  anlehnungen  an  die  abstracta  auf  ags.  -pu,  got 
Apa  anzusehen,  welche  letzteren  durch  ihre  allmähliche  Ver- 
mischung mit  den  abstractis  auf  A  eine  sehr  schöne  illustra- 
tion  der  Wirkungen  der  analogie  in  zwei  bedeutungsverwanten 
wortclassen  liefern. 


152  SIE  VERS 

3.    Der  auslalit  mehrsilbiger  Wörter. 

Die  vorausgehenden  Untersuchungen  haben  das  uns  eigent- 
lich gesteckte  ziel  mehrfach  überschritten;  es  wurden  gelegent- 
lieh die  Schicksale  ursprünglicher  längen  erörtert,  namentlich 
insofern  sie  in  folge  von  Verkürzungen  später  einer  syncope 
unterlagen.  In  dieser  beziehung  berührte  sich  die  darstellung 
vielfach  mit  den  Untersuchungen  Pauls  über  die  geschichte  der 
langen  endungsvocalo.  Ich  darf  wol  aus  beiden  abhandlungen 
als  resum6  den  satz  ziehen,  dass  alle  indogerm.  längen  sich 
bis  ins  einzelleben  der  germ.  sprachen  erhalten  haben;  dass 
ebenso  wie  Braune  es  für  das  ahd.  nachgewiesen  hat,  in  den 
einzelsprachen  auslautende  längen  früh  verkürzt  (resp.  diph- 
thonge  monophthongisiert)  wurden  und  eventuell  der  syncope 
unterlagen,  während  eonsonantisch  gedeckte  längen  (nasal- 
vocale?)  diese  scliicksale  erst  in  weit  späteren  perioden  er- 
litten. Dies3r  satz  ist  für  die  betrachtung  der  mehrsilbigen 
Wörter  von  fundamentaler  bedeutung. 

Was  diese  letzteren  anbetrifft,  so  wurde  die  Untersuchung 
bereits  au  verscliiedenen  stellen  notwendig  darauf  hingefährt, 
sie  gleiclizeitig  mit  zweisilbigen  zu  besprechen,  namentlich  bei 
der  geschichte  der  ya- stamme  war  dies  wegen  der  verschie- 
denen silbenzahl  dieses  suffixes  unvermeidlich.  Wir  haben 
dabei  gesehen,  dass  die  silbenzahl  eines  wertes  allerdings 
unter  umständen  für  die  Schicksale  seines  auslautes  mass- 
gebend sein  kann,  ich  erinnere  z.  b.  nur  an  ags.  hrycg :  rice, 
pl.  cy7m  :  ricti,  f.  lär  :  stren^pu  u.  dgl.  Eine  einfache  theore- 
tische erwägung  lässt  auch  die  bedingenden  gründe  leicht  er- 
kennen. Drei  und  mehrsilbige  Wörter  haben  stets  einen  neben- 
accent,  nach  dem  germanischen  accentgesetz ,  wie  wir  ßeitr. 
IV,  s.  528  ff.  gesehen  haben ,  in  der  regel  auf  der  sehlusssiibe 
des  Wortes,  Diese  kann  also  nicht  ohne  weiteres  der  unbe- 
tonten Schlusssilbe  eines  zweisilbigen  wertes  gleichgestellt 
werden,  da  ja  das  ganze  auslautsgesetz  vom  accente  bedingt 
ist.  Natürlich  kann  es  daneben  nicht  ausbleiben,  dass  sich 
ausgleichende  analogie Wirkungen  einstellen,  deren  möglichkeiten 
für  jeden   fall    einzeln    zu   erwägen   sind.  >)    Im   allgemeinen 


*)  Doch  darf  dies  schwerlich  in  der  weise  geschehen  wie  Zimmer,  ostg. 
und  westg.  27  es  tut,   welcher  berechnet,   dass   das   got.  50  drei-  und 


ZUR  ACCENT-  ü.  LAUTLEHRE  DER  GERM.  SPRACHEN.  1 53 

darf  man  wol  sagen,  dass  analogiewirkungen  um  so  eher  und 
stärker  auftreten  werden,  je  deutlicher  durch  bestimmte  suffix- 
formen mit  ausgeprägter  bedeutung  (die  vom  sprechenden  als 
lebendige  suffixe  empfunden  werden,  vgl.  Paul,  Beitr.  IV,  413 
anm.  2)  bestimmte  parallelen  zwischen  wortreihen  hervortreten. 
Beim  nomen  trifft  dies  meist  wortbildungssuffixe,  beim  verbum 
hauptsächlich  auch  die  üexionsendungen. 

Es  ist  bekannt,  dass  der  nebenton  die  letzte  silbe  eines 
dreisilbigen  wertes  nicht  vor  vocalsyncope  schützt;  es  heisst 
z.  b.  got.  mikils,  altn.  mikill  etc.,  obschon  gewis  einmal  *miki' 
Ihz  bestand.  Auch  diese  Schwierigkeit  löst  sich  einfach,  wenn 
man  die  gesetze  der  satzaccentuatiou  einer  neueren  spräche 
beobachtet  Die  nebentöne  auf  schlusssilben  treten  wie  über- 
haupt alle  accente  kräftig  in  pausa  hervor,  aber  sobald  das 
wort  aus  der  pause  in  das  innere  des  satzes  tritt,  rückt  ein 
teil  des  accentgewichtes  des  ganzen  wertes  auf  das  nächste 
wort  über,  besonders  aber  wird  der  nebenton  von  einem  fol- 
genden hochton  mehr  oder  weniger  absorbiert.  Man  kann 
diese  erscheinung  überall  am  besten  in  stark  'singenden' 
dialecten  beobachten;  z.  b.  im  thüringischen  besteht  ein  ganz 
bestimmt  ausgeprägter  accentwandel  je  nach  der  Stellung  der 
Wörter  im  satze,  der  besonders  gegen  das  satzende  hin  und 
bei  emphatischer  Sprechweise  für  jeden  unverkennbar  ist,  der 
einmal  darauf  zu  achten  versucht  hat  ^)  Wir  haben  also  in 
Wirklichkeit  für  dreisilbige  Wörter  im  satze  sehr  häufig  die 
accentstellung  ^  :^  ^  |  ^  . . . .  || ,  oder  um  ein  beispiel  zu  geben, 
got  mikils  muss  beurteilt  werden  nach  formein  wie  *mikilaz 
ist  Es  entsprechen  solche  der  accentstellung  v^  ^  ^  w  bei  vier- 
silbigen Wörtern,  die  wir  Beitr.  IV,  530  ff.  kennen  gelernt  und 
deren  syncopierungsverhältnisse  oben  s.  68  ff.  81  ff.  besprochen 
sind.    Wie  dort,    wird   auch    im   Satzzusammenhang  der  un- 


mehrsilbige  feminina  auf  -a  hat  gegen  6ß  zweisilbige.  Von  den  50  bei- 
spielen  fallen  etwa  35  auf  die  abstract«  auf  -ipa,  -pva.  Wie  viele  von 
diesen  werden  zu  der  zeit  wo  sich  die  flexion  des  got.  definitiv  fest- 
stellte, im  lebendigen  gebrauche  gewesen  sein? 

*)  Nur  muss  man  dabei  die  vorsieht  brauchen,  sich  an  leutel'zu 
halten,  die  nicht  zu  sehr  unter  dem  einfluss  des  rhetorischen  accentes 
der  schale  stehen,  der  ganz  besonders  diese  dinge  gefährdet,  und  na- 
mentlich die  circumflexe  auszurotten  bemüht  ist 


1 54  SIEVERS 

mittolbar  vor  einer  betonteren  silbe  stehende  syncopierungR- 
fahige  vocal  syncopiert,  d.  b.  es  tritt  im  allgemeinen  dasselbe 
ein,  was  nach  einer  langen  silbe  gepchieht;  nur  scheint  es 
denkbar ;  dass  nach  dem  principe,  dass  die  spräche  über  die 
einzelnen  silben  eines  wertes  um  so  rascher  hinweggeht,  je 
grösser  seine  silbenzahl  im  Verhältnis  zum  bedeutungsinhalt 
ist  und  dass  daher  bei  mehrsilbigen  Wörtern  leichter  Verstüm- 
melungen eintreten  als  bei  kürzeren,  die  gesetze  der  syncopie- 
rung  bei  den  dreisilbigen  etwas  früher  eingetreten  seien  als  bei 
den  zweisilbigen. 

Im  einzelnen  entzieht  sich  der  auslaut  der  mehrsilbigen 
viel  mehr  der  beobachtung,  da  die  kriterien  des  umlauts 
u.  s.  w.  meistens  wegfallen.  Uebrigens  sind  es  der  in  betracht 
kommenden  fälle  so  sehr  viele  nicht. 

Auslautendes  (ursprünglich  tonloses?)  -a  in  dritter  silbe 
stand  1)  im  gen.  sg.  der  a- stamme;  got.  dagis,  altn.  dags,  ags. 
dwges,  alts.  dages ,  ahd.  tag  es  aus  *dagesja,  *dagessa\  gegen 
die  annähme  gemeingermanischen  Schwundes  lässt  sich  soviel 
ich  sehe  kein  zwingender  grund  geltend  machen;  die  regel 
wäre  wie  bei  der  1.  pl.  praet.  auf  -um  aus  -ma,  s.  119;  — 
2)  nach  eintritt  des  consonantischen  auslautsgesetzes  im  acc. 
sg.  m.  und  nom.  acc.  sg.  n.  mehrsilbiger  a- stamme,  z.  b.  *peu' 
tSanüy  *  heröia,  *  bökaria,  *  mikila  =  got.  piudan,  hcdrdi,  (hdkari), 
mikil\  im  flectierten  nomen  ist  kein  unterschied  von  den  zwei- 
silbigen zu  bemerken,  die  analogie  hält  die  wortformen  zu- 
sammen. Nur  wo  eiue  solclie  directe  analogiewirkung  nicht 
vorliegt,  scheint  auch  dies  a  schon  germanisch  abgefallen  zu 
sein;  das  wäre  der  fall  im  infinit iv,  germ.  neman  aus  •n^- 
manaf  *7iemanwi,  *netnanam]  got.  niman  etc.;  altn.  iiema  ohne 
auslautenden  nasal  (aber  acc.  aptan,  drdtihi,  jotun  etc.);  3)  in 
der  compositiou;  hier  schwindet  das  a  regelmässig  in  den  ia- 
Stämmen,  got  andilaus ,  arhinumjaj  so  auch  püsundifaps  zu  st. 
andia-,  arbia-,  püsimdia-]  ^hev  /rapjamarzeins  etc.  (Ulf.  Altenb. 
ausg.  II,  2,  129);  desgleichen  ohne  a  piudangardi  und  midjunr 
gards  (wenn  letzterem  ein  a- stamm  zu  gründe  liegt),  an  ad- 
jectivcn  aglaUgastalds ,  anparleiks ,  nxanagfalps,  ubilvaürds,  ubil- 
töjis,  mikilpühts\  aber  viele  substantiva  mit  a,  himhiakunds, 
alevdbagms ,  kaisaragild  etc.  Das  letztere  bei  spiel  kann  uns 
warnen,  sämmtliche  hierher  gehörige  formen   als  rein  lautge- 


ZUR  ACCENT-  U.  LAUTLEHRE  DER  GERM.  SPRACHEN.  1 55 

setzlich  entwickelte  zu  betrachten;  4)  unbewiesen  sind  die  von 
Scherer  u.  a.  angenommenen  grundformen  "^tasj^'a,  "^gebäja 
für  got  pizai,  gibai  etc.,  doch  würde  vom  Standpunkt  der  aus- 
lautsgesetze  kaum  etwas  dagegen  einzuwenden  sein. 

Europäisches  unbetontes  -e  in  dritter  resp.  vierter  silbe 
haben  wir  anzusetzen  in  der  2.  plur.  praes.  der  verl)a:  got. 
nimip  für  *nimeÖe,  im  vocativ  der  mehrsilbigen  a-stämme,  got. 
pmdan  fttr  *peübane,  endlich  im  imperativ  der  schwachen 
verba,  got.  s6kei  aus  *sökeje,  *  sökije,  Ueber  erstere  lässt 
sich  nichts  bestimmtes  sagen;  die  imperative  sind  noch  immer 
rätselhaft;  gemeingermanisch  sind  die  got.  formen  nasei,  sokei 
gewesen,  da  sie  den  syncopierungsgesetzen  auslautender  ger- 
manischer längen  unterliegen  (ags.  nere  :  scec).  Sollte  länger 
gebliebene  suffixbeton ung  im  spiele  sein  {*nasi,  *sdki  aus 
*nasiji,  *sdkifi  contrahiert)  ?  Dass  sich  bei  den  starken  verbis 
keine  analoga  (erhaltene  -i)  finden,  wtlrde  sich  daraus  er- 
klären, dass  das  starke  deutsche  verbum  nur  wurzelbetonte 
verba  hat;  got.  bidei  zu  bidjan  mttste  nach  dem  muster  von 
nasjan  :  nasei  gemacht  sein. 

Auslautende  unbetonte  i  stehen  in  der  2.  3.  sg.  und  der 
3.  pl.  ind.  der  verba  got.  nimis,  nimip,  nimand  fttr  "^nimisi, 
*nimibi,  *nemanbi,  Gemeingerm,  abfall  wird  durch  altn.  nema 
3.  pL  für  germ.  *nemanb,  *neman  wahrscheinlich  gemacht, 
wenn  man  nicht  etwa  frühzeitige  beeinflussung  von  seite  des 
conj.  annehmen  will  Auch  lässt  sich  wol  geltend  machen, 
dass  in  den  dritten  personen  (und  das  bezöge  sich  auch  auf 
die  2.  pl.)  das  germ.  b  im  ags.  spirans  blieb,  nimet^,  nimo^, 
während  das  ags.  den  westgerm.  Übergang  von  germ.  (tönen- 
dem) Ö  zu  J  im  in  laute  mit  durchgemacht  hat.  Ueber  -i  als 
casusendung  bei  i-,  u-  und  consonantischen  stammen  {*a)is(aji, 
*sun(wi)  s.  nachher;  vgl.  auch  oben  s.  121. 

Auslautendes  u  steht  nur  im  acc.  von  noniinibus  auf  got. 
'Odus,  -assus  und  fremdwörtern  wie  asilitSy  aggilus,  ulbandus  (?), 
im  got.  überall  erhalten,  sonst  geschwunden  wie  überhaupt  u 
nach  langsilbigen,  doch  sind  die  meisten  dieser  substantiva  zu 
anderen  declinationen  übergetreten. 

Das  res ultat  wäre:  unbetonte  auslautende  a^  e,  i,  die 
nicht  durch  den  systemzwang  gehalten  werden, 
fallen  bereits  gemeingermanisch  in  dritter  silbe  ab. 


1 56  SIEVERS 

Für  u  liegen  keine  entscheidenden  beispiele  vor,  da  die  mehr- 
silbigen nomina  dem  systemzwange  unterliegen. 

Gedecktes  a  lag  vor  1)  im  nom.  (acc.)  sg.  dreisilbiger  a- 
stämme,  welche  Überwiegend  adjectiva  und  participia  praet. 
waren;  das  a  blieb,  zum  teil  vielleicht  unter  dem  einflusse  des 
Systemzwanges ;  als  sicherer  beleg  kann  altn.  holtingan  auf  dem 
goldenen  hom  gelten,  selbst  wenn  man  haitinan  auf  dem  Tannm- 
steine  anfechten  will.  Die  ya -stamme  schliessen  sich  Überall 
an  die  langsilbigen  an,  got  -eis,  altn. -/r,  ags.  -e  etc.;  2)  im 
gen.  sg.  consonantischer  stamme;  es  kommen  in  betracht  die 
substantivierten  pai-ticipia  praesentis  und  die  n-stämme ;  erstere 
haben  im  got.  und  westgerm.  die  form  der  a-declination  an- 
genommen, gen.  7iasjandis ,  ahd.  heilantes  etc.,  altn.  sind  sie  im 
sg.  zur  schwachen  declination  tibergetreten,  altn.  büandi,  gen. 
büanda.  Got.  namiiis ,  ahd.  nemin,  später  namin  verhalten  sich 
so  wie  etwa  got.  aigins  zu  ahd.  eigin  (neben  eigan),  gruudform 
*naminas,  *aiginas,  die  formen  des  alts.  sind  teilweise,  die  des 
ags.  und  nordischen  gar  nicht  direct  vergleichbar,  da  sich  die 
accusativform  in  die  stelle  der  übrigen  casus  eingedrängt  hat 
Für  diesen  muss,  wegen  nord.hana,  got  hanmi  als  bereits  ge- 
meinschaftliche form  aufgefasst  werden.  Die  genetive  der 
stamme  auf  -tar  können  nicht  herbeigezogen  werden,  da  im 
nordischen  die  form  des  accusativs,  im  westgerm.  die  des  nomi- 
nativs  bestimmend  eingewirkt  hat  (altn.  /oftwr,  ags.  feeder,  alts. 
fader y  ahd.  /ater,  aber  got  /'adrs  aus  ^fatSräs  wie  dat.  fadr 
aus  */aÖn);  3)  wird  -as  als  endung  des  gen.  sg.  der  i-  und 
2^-stämme  angesetzt,  z.  b.  von  Scherer ;  got  anstais,  sunaus  aus 
^anstajas,  *sunava$  (so  zuletzt  wider  von  Bechtel,  Anz.  fftr 
deutsches  alt  III ,   222  f.).  i)    Es  ist  wirklich   fast  überflüssig, 


*)  Einen  teil  der  von  Bechtel  dort  gegen  Lcskinn  vorgebrachten 
gründe  gestehe  ich  nicht  zu  begreifen,  wenn  nicht  in  dem  satze  'einem 
gr.  noXiog  kann  daher  nur  germ.  ansiias  parallel  gehen,  daraas  ist  aber 
eben  ahd.  ensti  nicht  abzuleiten,  somit  bleibt  nur  anstajas,  anstijas  zur 
Verfügung'  ein  druckfehler,  anstias  für  ansijas,  anzunehmen  ist  Uebri- 
gens  ist  Bechtels  hauptgrund,  im  germ.  sei  zweisilbige  ausspräche  des 
Suffix  ia  nicht  anzunehmen,  durch  unsere  Untersuchung  wol  bereits  hin- 
länglich widerlegt.  Nicht  die  auslautsgesetze  streiten  gegen  eine  grand- 
form *  anstajas j  sondern  die  gesetze  über  den  inneren  vocalismus.  Wer 
nicht  die  ezistenz  eines  eoropäischen  e  überhaupt  a  limine  abweist,  and 


ZUR  ACCENT-  ü.  LAUTLEHRE  DER  GERM.  SPRACHEN.    1 57 

noch  einmal  darauf  hinzuweisen,  dass  gar  kein  ersichtlicher 
grund  vorliegt  die  got.  formen  (sowie  die  des  loc-dat.  sunau, 
anstai)  von  den  skr.  kavh,  sunös  resp.  sunä'u  {^koüä'i^  dafür 
durch  tlbertragung  kavSfu),  zend.  patöts,  paceus,  khratdo,  vanhäu, 
altpers.  Bäbirauv,  lit.  akes,  äkei,  sunaüs,  ksl.  pqii,  synu  etc.  zu 
trennen,  da  diese  formen,  auch  abgesehen  von  der  vocalquali- 
tat,  in  den  einzelsprachen  nicht  lautgesetzlich  aus  -avas,  -ajas 
erklärt  werden  können.  Dass  germ.  ai  in  schlusssilben  zweisil- 
biger Wörter  nicht  bleiben  könne,  sollte  man  doch  endlich  auf- 
hören zu  behaupten:  denn  einen  andern  grund  dafür  als  die 
hergebrachte  gewohnheit  dieser  behauptung  gibt  es  schwerlich; 
4)  ob  für  die  2.  dual  -as  oder  -es  anzusetzen  ist,  und  wann 
der  vocal  syncopiert  wurde,  lassen  die  got  formen  auf  -is 
nicht  erkennen;    5)  über  den  dat.  pl.  s.  unter  i. 

Gedecktes  europäisches  e  stand  ursprünglich  1)  im  nom. 
pl.  der  I-  und  t^- stamme,  2)  im  nom.  pl.  der  consouantischen 
Stämme,  3)  in  der  1.  pl.  ind.  praes.  der  verba.  Da  europ.  e 
ausserhalb  der  wurzel  stets  umlaut  wirkt,  ausser  wo  es  wie 
im  imp.  wahrscheinlich  bereits  in  germanischer  zeit  syncopiert 
wurde  (vgl.  altn.  fostr,  yxn,  febr,  doeir  =  *ßiiz,  ^ohmiz, 
^fatSriz,  *  dohiriz,  vgl.  dohtriR  auf  dem  stein  von  Tuuc),  so  ist 
auch  hier  überall  bereits  germanisches  i  anzusetzen.^)  Dadurch 
bekommen  wir  für  1)  die  gvwxüMovm^xi*  anstijiz,*  suniviz,  daraus 
entstand  die  germ.  form  *anst%z  (wahrscheinlich  durch  frühe 
contraction  wie  "^nazi,  got.  nasei ,  aus  *naziji)  =  got  ansteis, 
altn.  ästir,  westg.  *ans(i,  ahd.  ensti  etc.  2)  Ob  got  sunjiis  be- 
reits als  germ.  form  anzusetzen  ist,  bleibt  zweifelhaft;  altn. 
synir  lässt  sich  wahrscheinlich  nicht  lautlich  damit  verbinden, 
die  analogie  der  kurzsilbigen  /a- stamme  Hesse  dafür  "^synr 
erwarten,  vgl.  z.  b.  dynr  =  germ.  *duiy9Zy  obwol  sich  wie 
wir   sahen  das   u  im   nordischen    länger  gehalten    zu  haben 


das  wird  ja  auch  doch  B.  nicht  wollen,  kann  logischer  weise  gar  nicht 
eine  germ.  grnndform  -ajaSy  sondern  nur  -ejas,  -ijas  ansetzen. 

0  Ueberhaupt  kann  man  wol  die  regel  aufstellen,  dass  alle  europ.  e 
ausserhalb  der  Wurzelsilbe  germ.  zu  t  geworden  waren. 

<)  Von  einem  schwinden  des  letzten  t  und  nachhcriger  contraction 
des  ersten  t  mit  dem  aus  j  entstehenden  kann  man  physiologisch  nicht 
wol  sprechen,  das  j  als  contractionsfähiger  laut  in  solcher  lautnmgebung 
ist  eine  rein  fictive  grosse. 


158  SIE  VERS 

scheint  als  dasa;  man  müste  ein  Wirkung  der  langsilbigen  wie 
vellir  aus  *velliiiz  annehmen,    oder  glauben   dass  germ.  auch 

*  suniuz  noch  dreisilbig  gewesen  und  im  got  tu  ohne  rücksicht 
auf  die  quantität  zu  ßi  geworden  sei,  wie  in  harja,  hairdja, 
nasja,  sdkja  etc.  ^) 

Hier  muss  also  die  sache  unentschieden  bleiben.  Ein 
sichereres  resultat  gibt  der  zweite  fall ;  got.  hanans  für  *  hana- 
nez,  'iz ;  vergleicht  man  hiermit  alts.  ahd.  hanun,  -on,  ags.  honan 
in  ihrem  gegensatz  zu  got.  piudans,  alts.  thiodan,  ags.  pedden 
für  germ.  * peubanaz ,  so  wird  man  mit  bestimmtheit  auf  eine 
germ.  grundform  *hananz  geführt,  da  wie  es  scheint  nur  in 
germanisch  letzter  silbe  stehendes  an  westgermanisch  zu  -an, 
-im  wird.  Ältn.  hanar  ist  dabei  auszuschliessen  als  neubildung ; 
es  kann  weder  =  germ.  *hananiz  noch  =  germ.  *hananz 
sein,  da  ersteres  *hanann,  letzteres  *hana  ergeben  hätte,  was 
als  accusativform  vorliegt  Die  n^- stamme  müssen  dagegen 
das  /  länger  gehalten  haben,  vgl.  altn.  gefendr  zu  gefaixdi,  aus 

*  geSandiz.  ^) 

Was  den  dritten  fall  anlangt,  so  scheint  die  Übereinstim- 
mung der  germ.  sprachen  in  der  abwerfung  des  -^,  das  doch 
allem  ermessen  nach  einmal  vorhanden  war,  die  gemeinschaft- 
lichkeit  der  gekürzten  form  wie  yiemam  aus  *nemamiz,  ^nemamz 
zu  verbürgen,  die  ebenso  wie  die  dat.  pl.  zu  beurteilen  sein 


0  Der  Übergang  von  iuz  zu  ir  wird  für  das  nordische  als  möglich 
bewiesen  durch  eyrir^  das  doch  wol  =  lat.  aureus  ist  (als  lehnwort). 
Möglicherweise  bestanden  wirklich  einmal  düppelformen  der  u-declina- 
tion^  von  denen  die  kürzeren  gelegentlich  übertritt  zur  cons.  doclination 
veranlassten  (altn.  hendr  =  got.  handjus).  MerkwUidig  stimmt  altn. 
drynr  f.  pl.  zu  got.  drunjus\  steht  es  für  *drunjiviZy  ^drunimz,  *  drun- 
juz,  oder  ist  einfach  die  singularform  fälschlich  als  pl.  gefasst? 

^)  Die  betreftenden  casus  der  verwantschaftsnamcn  gehören  nicht 
hierher,  sondern  zu  den  zweisilbigen,  weil  überall  die  kürzesten  saffix- 
formen  durchgeführt  sind;  so  staht  der  altn.  dat.  sg.  fetSr  für  ^/Vid'rt  (so 
auch   ags.  brSper  etc.   für  ^hrd'Jyri),    der   gleichlautende  nom,  pl.  ftlr 

*  fatSriZy  denn  *fatiiriz  oder  dgl.  hätte  * fehirr  und  ähnliche  formen  er- 
geben;  nur  der  acc.  sg.  zeigt  noch  starke  suffixform;  fotiur  weist  auf 

*  fat5aru{m)  d.  h.  *faMrm  mit  m  sonans  (wie  z.  b.  gpmul  für  *gatnalu 
steht).  Diese  form  hat  allmählich  den  dat.  und  noch  frUher  den  gen. 
(dessen  eigentliche  form  *fat5rs  aus  *fat5räs  wäre)  verdrängt,  vgl.  Wimmer 
§  61.  Die  nebenform  -fotir  wie  in  Allfgtir  geht  möglicherweise  auf  einen 
acc.  mit  schwacher  suffixform,  *  fatirüm  aus  *fatirm  zurück. 


ZUR  ACCENT-  U.  LAUTLEHRE  DER  GERM.  SPRACHEN.  159 

dürfte  (ob  auf  den  abfall  des  s  in  ältester  zeit  die  analogio 
des  opt.  und  praet.  einwirkte,  lasse  ich  dahingestellt),  dabei 
fällt  allerdings  die  abweichende  behaudlung  des  -atn  im  ahd. 
auf  (altn.  nemum  wie  dggum,  aber  ahd.  7iemam  :  taguni). 

Gedecktes  indog.  i  stand  in  den  nom.  sg.  mehrsilbiger  i- 
stämme,  wie  daupini-s,  got.  daupeins  etc.  Die  analogie  der 
mehrsilbigen  a-  und  i^- stumme  macht  es  wahrscheinlich,  dass 
imter  dem  einflusse  des  systemzvvanges  die  /  in  die  einzel- 
sprachen übernommen  wurden.  —  Sodann  gehört  hierher  der 
germanische  dat.  pl.,  den  mau  gemeinhin  wol  dem  skr.  dat. 
auf  'bhyas  gleichstellt  Wenn  die  gleichsetzung  des  hh  und  m 
zuträfe,  so  könnte  doch  die  ganze  endung  -jas  oder  -ias  nicht 
abgefallen  sein;  der  ausfall  desy,  den  man  eventuell  statuieren 
müste,  wäre  schwer  zu  erklären,  er  fände  höchstens  in  der 
behaudlung  der  -asja  im  gen.  sg.  ein  zweifelhaftes  analogen; 
got.  dagam  etc.  ist  mit  Zimmer  9,  ostg.  und  westg.  8  f.  als  Ver- 
treter von  *  dagamiz  zu  betrachten,  der  form  des  Instrumentalis. 
Man  vergleiche  die  1.  pl.  des  verbums,  die  doch  ebenfalls  -miz, 
wenn  auch  mit  secundärem  i,  als  endung  voraussetzt.  Bei  ein- 
silbigem stamm  sollte  freilich  die  endung  -iz  länger  geblieben 
sein,  und  ich  glaube  sie  ist  es,  vgl.  nord.  iveimif),  primr ;  dass 
sie  speciell  i  enthielt,  glaube  ich  aus  den  Sig»,pcem,  ttvcbm  für 
*paimiz,  *twaimiz  folgern  zu  mtlssen,  welche  formen  dem 
älteren  ags.  fast  ausschliesslich  eigen  sind;  erst  später  treten 
unter  dem  einflusse  von  pä,  pära  (d.  h.  beim  artikel  nom.  gen. 
und  acc.  aller  geschlechter  des  plurals)  und  twä  die  nicht  um- 
gelauteten  formen  päm,  twäm  auf.  In  den  übrigen  fällen  muss 
die  masse  der  mehrsilbigen  die  wenigen  zweisilbigen  formen 
überwältigt  haben  (wie  beim  verbum  dorn  =  ahd.  tuom  für 
*dd'miz'i,  doch  fehlen  dafür  entscheidende  belege). 

Was  endlich  die  Vertretung  von  auslautender  nasalis 
sonans  mehrsilbiger  betrifft,  so  ist  darüber  schwer  ein  festes 

0  Vorausgesetzt  Dämlich,  dass  Zimmer  mit  den  Worten  ^dem  dat. 
pl.  mis  entspricht'  etc.  wirklich  die  eigentliche  instrumentulendung,  und 
nicht  ein  nach  Scherers  ansieht,  z.  GDS.  277,  durch  -bjis  aus  dem  dativ- 
Suffix  hei*yorgegangenes  -mis  meint.  Wozu  man  diesen  lautgesetzlich 
höchst  problematischen  um  weg  über  den  dat.  machen  soll,  wenn  die 
lautlich  correct  entsprechende  form  sonst  als  gut  indogermanisch  bezeugt 
ist,  sehe  ich  nicht  ein. 


160  SIEVERS 

urteil  zu  gewinnen:  fobur  etc.,  die  kaum  etwas  anderes  als  die 
eigentlichen  accusativformen  sein  können,  weisen  wie  bemerkt 
wol  auf  /aftdrw(m)  mit  erhaltenem  w,  das  später  getilgt  wurde 
(auch  im  gotischen,  gegen  das  beispiel  der  abstracta  auf  -tdus^ 
-assus).  Aber  für  got.  hanayi  trifft  diese  deutung  nicht  zu 
wegen  altn.  hana,  da  ein  *h(mmium  zu  ^honu(n)  geführt  hätte. 
Darf  man  vielleicht  daran  denken,  dass  sich  aus  *hananm  zu- 
nächst Qm^hanänn  entwickelt  hätte,  dessen  doppel-n  die  syn- 
cope  des  a  verhinderte? 


Das  gesammtresultat  der  Untersuchung  lässt  sich  nun  in 
folgende  sätze  zusammenfassen: 

1)  Ein  vocalisches  auslautsgesetz  in  dem  sinne  und  um- 
fange wie  es  Westphal  und  Scherer  angenommen  haben,  d.  h. 
ein  allgemeines  gesetz  für  gemeingermanische  syncope  kurzer 
vocale  in  schlusssilben,  besteht  nicht 

2)  Wie  es  von  anderer  seite  bereits  nachgewiesen  ist,  dass 
alle  indog.  längen  in  schlusssilben  in  den  germanischen  einzel- 
sprachen noch  bestanden,  so  wurde  oben  zu  zeigen  versucht, 
dass  diese  auch  noch  im  besitze  der  ursprünglichen  kürzen 
gewesen  seien. 

3)  Ausgenommen  hiervon  sind  bei  zweisilbigen  Wörtern 
gewisse  ursprünglich  auslautende  kürzen,  so  das  a  oder  e  der 
1.  pl.  perf.,  des  imperativs,  vielleicht  das  /  der  2.  und  3.  sg. 
ind.  der  wurzeln  dhä  und  as\  bei  drei-  und  mehrsilbigen  Wör- 
tern die  ursprünglich  auslautenden  und  die  durch  nicht  mehr 
als  äinen  consonanten  gedeckten  kürzen,  wo  nicht  die  macht 
der  das  flexionssystem  regulierenden  analogie  längere  conser- 
vierung  veranlasste.  Diese  conservierung  tritt  namentlich  in 
der  declination  der  vocalischen  stamme  hervor,  weil  wesentlich 
auf  den  ^ndvocalen  die  Unterscheidung  der  casus  beruhte;  da- 
gegen trat  bei  einem  teile  der  consonantischen  stamme,  den 
n- Stämmen,  die  Stammabstufung  des  sufSxes  noch  als  ein 
Unterscheidungsmerkmal  der  casus  hervor,  und  die  Wirkung 
der  lautgesetze  überwog.  —  Es  ist  nicht  unwichtig  zu  betonen, 
dass  in  der  tat  die  gemeinschaftliche  syncopierung  in  mehr- 
silbigen Wörtern  weiter  gegangen  ist  als  in  zweisilbigen  (Braune, 
Beitr.  II,  s.  162  ff.;  Zimmer,  ostg.  und  westg.  s.  26  f.). 


ZUR  ACCENT-  U.  LAUTLEHRE  DER  GERM.  SPRACHEN.   161 

4)  An  die  stelle  des  allgemeiuen  syncopierungsgesetzes 
tritt  eine  reihe  von  specialgesetzeu.  Vor  allem  zweigen  sich 
wider  die  westgermanischen  sprachen  von  den  ostgermanischen, 
richtiger  vielleicht  vom  nordischen  ab.  Bei  der  syncopierung 
spielt  die  Quantität  der  Stammsilben  die  wichtigste  rolle,  genau 
entsprechend  dem  einflusse,  den  dieselbe  bei  der  syncope 
innerer  unbetonter  vocale  hat.  Der  gegensatz  zwischen  nor-' 
disch  und  westgermanisch  besteht  darin,  dass  das  erstere  den 
vocal  nach  langer  silbe  länger  bestehen  lässt^  das  zweite  ihn' 
nach  einer  kUrze  besser  consert^iert.  ; 

5)  Das  übereintreffen  der  westgermanischen  sprachen  im' 
factischen  der  syncopierung  beweist  nicht,  dass  diese  gemein- 
schaftlich vollzogen  wurde  (s. HO);  vielmehr  kann  nur  ein  ge- 
meinschaftliches treibendes  princip  angenommen  werden,  das 
aus  gleichen  physiologischen  grundlagen  gleiche  resultate  er- 
zielte. Wir  werden  nicht  fehl  gehen,  wenn  wir  dieses  princip 
in  einer  bestimmten  weise  der  accentnierung  suchen,  da  von 
dem  verschiedenen  accentgewicht  einer  silbe  deren  relative 
neignng  zur  Schwächung  abhängt.  Da  das  westgerm.  princip 
sich  in  widerstreit  befindet  mit  der  als  gemeingermanisch  fest- 
stehenden scheidul}g  des  suftixes  ja  in  ja  und  ia,  so  ergibt 
sich,  dass  dasselbe  gegenüber  dem  durch  das  nordische  ver- 
tretenen als  das  jüngere  betrachtet  werden  muss. 

6)  Zwischen  der  westgerm.  syncope  nach  langer  silbe  und 
der  stärkeren  germ.  neigung  zur  syncope  in  dritter  und  vierter 
silbe  als  in  zweiter  muss  doch  wol  ein  ursächlicher  Zusammen- 
hang angenommen  werden.  Von  diesem  Standpunkt  aus  muss 
die  erklärung  des  phänomens  versucht  werden;  und  hierzu 
will  ich  wenigstens  zum  Schlüsse  noch  eine  andeutung  geben. 
Das  beispiel  vornehmlich  des  ahd.  mit  seiner  diphthongierung 
der  ^,  b  zu  ea,  oa  etc.  zeigt  deutlich  an,  dass  circumflectie- 
rende  betonung  bestand  (Lautphys.  131).  Auf  denselben 
factor  muss  auch  die  westgermanische  gemination 
vory,  TV,  r,  l  zurückgeführt  werden;  bei  einer  positions- 
langen silbe  wie  akja,  alja  kann  eben  circumflectierende  be- 
tonung nur  so  angebracht  werden,  dass  der  zweite  teil  des 
accentes  in  den  eingang  des  auf  den  vocal  folgenden  conso- 
nanten  fällt,  und  diesen  selbst  verlängert;  der  ausgang  des 
consonanten  aber  wird    nach  wie  vor  zur  folgenden  silbe  ge- 

Beitrlf«  lar  getohlohU  der  deotfohen  tpraohe.    V.  \\ 


1 02  SIEVERS 

zogen,  und  ro  entsteht  der  eindruck  der  geminata  (Lautphys. 
98  ff,).  Da  das  ostgermanische  an  diesen  erscheiuungen  keinen 
anteil  hat,  so  dürfen  wir  den  circuniflex  wol  als  einen  wesent- 
lichen bestandteil  der  jüngeren  westgermanischen  accentuierungs- 
weise  betrachten.  Da  der  circumflex  nur  auf  langen  silben 
erscheinen  kann,  so  gewinnen  wir  folgende  parallelen  zwischen 
der  westgermanischen  und  der  germanischen  syucopierung  (ich 
bezeichne  unbetonte  silben  durch  ",  den  eintritt  eines  neuen 
accentes  durch    I ). 

winlz  I  ,  Bunüz  |  =:  Jiizi\Sk, 

fdtiz  I  d.  h.  f6öttz  I        (        ......  K    .,x   Ti^' 

flödüz  I  ,  d.  h.  flöödüz  |}  =  ^^""^1^^  ^-  ^-  ^^^^^\^^' 
nemämiz  |  ,  bindamiz  |  ,  d4gamlz  |  =  ahd.  hnäffazTjta. 

Als  gemeinschaftliches  rcsultat  der  entwickelungsreihe  er- 
gibt sich  dadurch,  dass  der  durch  eine  unbetonte  silbe  oder 
ein  analogon  derselben  vom  hochton  (acut)  getrennte  vocal 
föllt,  der  unmittelber  nach  dem  hochton  (acut)  stehende  bleibt 
Dass  die  syncope  in  zweisilbigen  Wörtern  mit  langer  Stamm- 
silbe (und  ebenso  die  in  ähnlichen  dreisilbigen  Wörtern  mit 
nebenaccent  auf  der  dritten)  erst  später  auftritt  als  die  in  ur- 
sprünglich dreisilbigen,  ist  durch  den  relativ  späten  eintritt  des 
circumflexes  der  Stammsilben  bedingt.  Auch  die  entwickelung 
der  viersilbigen  Wörter  beui-teilt  sich  leicht  von  diesen  gesichts- 
punkten  aus,  die  wenigstens  eine  möglichkeit  andeuten,  die 
masse  der  syncopierungserscheinungen  einem  einheitlichen  prin- 
cip  unterzuordnen,  wenn  ich  auch  gern  zugebe,  dass  die  theo- 
retische erörterung  noch  viel  zweifelhaftes  im  Zusammenhang 
zu  erwägen  haben  wird,  ehe  man  mit  grösserer  Zuversicht 
hierüber  ein  bleibendes  urteil  wird  fällen  können.  Das  factische 
dieser  erscheinungen  aber  hoffe  ich  in  seinen  wesentlichsten 
Zügen  ausser  zweifei  gestellt  zu  haben. 


NACHTRAG. 

Als  ich  die  vorstehenden  ausführungen  niederschrieb,  war 
mir  entgangen,  dass  sich  aus  dem  von  Thomsen  gesammelten 
materiale  germanischer  lehnwörter  in  den  finnisch  -  lappischen 
sprachen  noch  einige  weitere  bestätigungen  für  die  vorgetra- 
genen  aufstellungen   gewinnen    lassen.    So  erweist   sich  z.  b. 


ZUR  ACCENT-  U.  LAUTLEHRE  DER  GERM.  SPRACHEN.    163 

Altn,  styrr  ausser  durch  seiue  lautform  (umlaut,  8.114)  auch  durch 
die  vergleich ung  von  lapp.sturje  als  alter  ya  -  stamm,  Thomsen 
8.  93.  Zu  8.  128  aum.  sind  läpp.  avjCy  duögje  =^  got.  havi,  tdui 
nachzutragen;  auch  diese  sind  nur  auf  eine  germ.  nominativ- 
form *hatga,  *i6{v)fa  zurückzuführen.  Sodann  aber  zeigt  sich 
der  oben  theoretisch  angesetzte  unterschied  der  suffixe  ja  und 
ia  tatsächlich  in  den  lehnwörtem;  vgl.  finn.  agjo  =  altn.  egg, 
finn.  patja  =  altn.  bebr,  finn.  teljo  =  altn.  pilja,  finn,  varjo 
=  altn.  verja,  finn.  viija  =  altn.  viö,  läpp,  sivjug  =  altn.  sif- 
jungr,  läpp,  siurje  =  altn.  siyrr\  aber  finn.  autia  =  got  aups^ 
hariio  =  altn.  herbar,  finn.  kallio  =  altn.  hella,  finn.  kaliio  = 
altn.  kelda,  finn.  kammio  =  altn.  skemma,  finn.  lantio  =  altn. 
iend,  finn.  tunkio  =  altn.  dyngja,  finn.  vartia  ^^  got.  vardja] 
nach  vocalen  erscheint  natürlich  y.-  läpp,  avje  =  altn.  ä^, 
läpp,  dtwgje  =  got,  ^dwi,  läpp,  uvje  ==  altn.  ä^;  freilich  heisst 
es  auch  ausnahmsweise  finn.  akkio  =  altn.  ekja  (von  Thomsen 
8.  129  nicht  als  sichere  vergleich  ung  angesehen),  lattiOy  laattia 
=  altn.  flet,  und  kirkko  =  altn.  kirkja,  Thomsen  folgert 
hieraus  selbst  s.  93  anm.  2  bereits  vermutungsweise,  ^dass 
vielleicht  der  unterschied  im  germanischen  einmal  ein  ähn- 
licher gewesen  sei  wie  im  finnischen,  nämlich  dass  der  stamm- 
auslaut  nur  nach  einer  kurzen  Wurzelsilbe  -ja-  war,  sonst  aber 
-la-.'  Hiernach  scheint  es  allerdings,  als  ob  die  betreffende 
Scheidung  im  finnischen  nicht  volle  beweiskraft  habe,  da  sie 
eventuell  durch  speciell  finnische  lautgesetze  erklärt  werden 
kann;  aber  im  Zusammenhang  wird  man  doch  das  argument 
mit  herbeiziehen  dürfen.  Vielleicht  darf  man  auf  die  aus- 
nähme kirkko  ==  altn.  kirkja  gewicht  legen.  Dies  wort  mnss 
ja  relativ  spät  entlehnt  sein;  damals  war  vielleicht  kir/g'a  be- 
reits zweisilbig ,  und  das  j  fiel  nach  langer  Stammsilbe  resp. 
nach  zwei  consonanten  aus ,  da  das  finnische  ein  j  in  solcher 
Stellung  nicht  duldet  Wenn  diese  Vermutung  richtig  ist,  so 
gewinnen  natürlich  die  wirklich  alten  entlehnungen  erhöhte 
bedeutung. 

JENA.  E.  SIEVERS. 


ir 


ZUR  METRIK  DES  HELIAND. 

Jjie  nachstehenden  bemerkuugen  zur  metrik  des  Heliaud 
sind  ausschnitte  aus  einer  umfönglicheren,  bereits  vor  dem  er- 
scheinen der  Untersuchungen  Kiegers  (alt-  und  angelsächsische 
verskunst,  Halle  1876  =  Zs.  f.  deutsche  phil.  VII,  1  flf.)  unter- 
nommenen arbeit  y  die  im  wesentlichen  in  ihren  resultaten  mit 
denen  Riegers  übereinstimmte,  dessen  grundanschauung  der 
Verfasser  auch  für  die  einzige  das  wesen  der  alliterations- 
diehtung  richtig  erfassende  anerkennen  muss.  Nur  in  einigen 
punkten  glaubte  der  Verfasser  den  aufstellungen  Riegers  oder 
seiner  Vorgänger  nicht  beitreten  oder  sie  erweitem  zu  können, 
und  insofern  mögen  die  folgenden  mitteilungen  aus  der  sonst 
überflüssig  gewordenen  arbeit  gerechtfertigt  sein. 

I.  Abweichungen  vom  grundschema. 

Der  alliterierende  vers  besteht,  wie  jetzt  wol  allgemein 
zugegeben  wird,  aus  vier  stabwörtern  (d.h.  gehobenen  Wör- 
tern, welche  den  logischen  accent  tragen)  und  deren  füllungen. 
Drei  der  stabwörter  werden  gewöhnlich  durch  die  alliteration 
gebunden.  Diese  zahl  kann  nicht  überschritten,  wol  aber  auf 
zwei  verringert  werden  (im  Heliand  habe  ich  z.  b.  auf  die 
5985  Zeilen  der  Heyneschen  Zählung  3621  mit  drei  und  2364 
mit  zwei  reimstäben  gefunden).  Das  dritte  stabwort,  d.  h.  das 
erste  des  zweiten  halbverses,  ist  hauptstab,  als  grundschema 
der  alliterierenden  langzeile  ergibt  sich  also,  wenn  wir  die 
Stabwörter  durch  —  bezeichnen ,  »  <?>  |  «  || .  Die  zur  aus- 
füllung  dieses  Schemas  hinzutretenden  flillsilben  sind,  und  ick 
glaube  diesen  satz  besonders  betonen  zu  müssen^  für  den  vers, 
namentlich  auch  bezüglich  der  alliteration,  absolut  gleichgültig, 


HÖRN  —  ZUK  METRIK  DES  HEU  AND.  165 

nur  dass  ihre  zahl  und  der  oi-t  ihres  erscheinens  gewissen  be- 
schränkenden regeln  unterliegt. 

Rieger  s.  4  flf.  und  Vetter ,  zum  Muspilli  und  zur  germ. 
allitcrationspoesie,  Wien  1872,  s.  52  nehmen  zunächst  eine  Stei- 
gerung des  grundschemas  an,  indem  sie  behaupten,  dass  auch 
die  zweite  hebung  des  zweiten  halbrerses  am  Stabreim  teil- 
nehmen dürfe,  aber  nur  mittelst  eines  zweiten  reimes,  der  in 
der  einen  mit  dem  hauptstab  nicht  reimenden  hebung  des 
ersten  halbverses  widerklingt.  Als  erstes  Schema  dieser  'über- 
schlagenden reime'  finden  wir  ^  1  |  «  1  || ,    z.  b.: 

Beow.  1    hwaet  wd  ^eär^ena  |  in  ^eär^agum 
Hei.  41   himii  endi  ^rtha  |  endi  al  that  sea  biAlidan  ^gun 
58  Aelmgi/rosteon  |  sätoD  iro  heritogou. 

Rieger  will  solcher  beispiele  im  ßeowulf  auf  3183  verse  einige 
sechszig,  in  der  Genesis  auf  2935  verse  einige  dreissig,  in  der 
Judith  auf  350  verse  8  gezählt  haben.  Im  Heliand  habe  ich 
auf  die  nahezu  6000  verse  dieser  fälle  60  gefunden,  also  etwa 
ebensoviel  als  in  dem  fast  um  die  hälfte  kürzeren  Beowulf. 
Es  sind,  ausser  den  beiden  bereits  genannten  die  folgenden ') : 

t63  ^elbo  giMuirkean  |  ef  hie  ^5  uueldi 

182  nahor  mikiln  |  uuas  im  niud  mikil 

227  that  hie  uuord  ^odes  |  tiuendan  biginnc 

335  all  te  ^uldi  ^odes  |  ^§lagna  ^est 

481  ^erno  ^iddean  |  nü  ik  aus  gi^amolod  Mon 

686  muodagna  cnDing  |  thuo  uuarth  morgan  niinan 

756  an  A'gypto  /and  |  erlös  a/8ddun 

1058  farütar  manennnies  uuiht  \  mahtig  uukri 

1068  ni  mugun  eldiu  6arn  |  ^nuualdes  ^rödes 

1079  that  hie  umbi  is  craft  mikil  |  costön  mösti 

1198  ^area  medmos  |  endi  uuart  im  üses  ^rohtines  man 

1379  nnirthit  aWon  (hsLU  \  trmin Miodon 

1697  that  hie  t^nreht  gimet  |  <$5ron  manne 

1725  thia  iuuaa  Aelag  uuord  \  ^örean  ni  t/t/illiat 

1785  an  that  ^uuiga  lif  \  erlös  /ßdie 

1819  an  ^ande  uuili  \  ^elihüs  MMirkean 

1917  thia  aueliiat  allero  ^ago  gi^uilikes  |  te  ^rohtine  ^nigan 

ferner  1929.  2072.  2073.  2099.  2278.  2287.  2388.  2490.  2532. 
2598.  2758.  2829.  2868.  2912.  3150.  3189.  3244.  3260.  3269. 


')  Ich  eitlere  nach  der  ausgäbe  von  Sievers,  deren  aushängebogen 
mir  bereits  während  des  druckcs  zu  geböte  8ta.nden,  und  zwar  um  der 
äusseren  gleichmäs&igkeit  willen  in  der  regel  nach  dem  Cott. 


166  HOBN 

3412.  3422.  3520.  3655.  3692.  3907.  3993.  4085.  4099.  4157. 
4639.   4898.   4905.   5009.   5234.   5236.  5462.  5770.  5821. 

Schon  die  geringe  zahl  der  fälle  legt  die  Vermutung  nahe, 
dass  die  ganze  sache  nur  auf  einem  zufall  beruhe  und  dass 
vom  dichter  diese  form  niemals  mit  bewustsein  angewant 
wurde.  Als  eigentliche  kunstform  kann  sie  zudem  kaum  je- 
mals recht  aufgefasst  worden  sein,  da  sie  vollkommen  gegen 
das  wesen  der  alliteration  verstösst.  Im  alliterierenden  vers 
gibt  das  dritte  stabwort  die  entscheidung,  der  vierte  stab  wird 
ja  daneben  sonst  auch  nie  hervorgehoben,  er  steht  immer  ohne 
alliteration.  Warum  soll  ungleiche  alliteration  aller  vier  stäbe 
gestattet  sein,  aber  niemals  gleiche?  Ausserdem  finden  wir 
an  vierter  stelle  des  verses  vielfach  Wörter,  die  ganz  ohne 
logisches  gewicht  sind.  Man  vgl.  nur  die  oben  gegebenen  bei- 
spiele,  oder  aus  den  beispielen  bei  Vetter: 

Musp.  94  dar  nist  eo  so  fistic  man  |  der  dar  iouuiht  ar^ugan  megi 

Hild.  9  /t>h^m  woTtum  \  haer  sin  /ater  wkn 

7  J^iltibraht  gimahalta  |  her  was  Aeroro  man    , 

24  /ateres  mtnes  |  dat  was  sd  /rinntlaos  man. 

Wir  finden  hier,  wie  man  sieht,  zum  teil  formelhafte  Verbin- 
dungen, die  logisch  und  grammatisch  so  zu  sagen  nur  ein 
wort  bilden  und,  wie  sich  weiter  unten  ergeben  wird,  auch 
metrisch  die  geltung  nur  öines  wertes  haben  (vgl.  z.  b.  an  uuas 
im  anst  godes  |  Hei.  784,  gi^iodan  6arn  godes  |  ib.  895). 

Noch  bedenklicher  erscheint  mir  die  annähme  eines 
Schemas  A  iL  (  _*»_  A  durch  Vetter  und  Rieger.  Letzterer  hat  im 
Beowulf  18  derartige  fälle  gefunden,  z.b.: 

2976    ac  he  Aine  ^ewyrpte  \  peih  pQ  him  wund  hrine 
2982    p'X  w^TOik  monige  |  \>e  his  m^^  writSon, 

Im  Ueliand  sind  es  solcher  falle  im  ganzen  11,  nämlich: 

146  than  f/tiarnn  uuit  nü  at^anine  |  antfibunta  MMintro 

308  so  Auilik  so  thär  an  tinreht  |  tdis  giAtanada 

573  huand  im  Aabda  for^nnan  |  Audio  Acrro 

594  huann  6r  sea  gi^äuuin  t/stana  |  tipp  sithiön 

719  Nidssa  that  sia  im  that  <)rnndi  |  ^ft  ni  titieldun 

1075  thuo  bi^an  oft  ninsön  |  endi  naher  ^cng 

2253  te  Auf  sind  gt  sd  /orhta  |  nis  iu  noh  /ast  hngi 

2573  /aton  it  thär  Aälöian  |  Aeta  /dgna 

2726  utnssun  ina  so  ^nodan  |  endi  ^ode  uuerthan 


ZUR  METRIK  DES  HELIAND.  167 

3815    sia  f/Moldun  that  hie  it  ant^tiäthi  |  than  mohta  hie  thoh 

ant/rennian  uuel 
3827    sia  qmthnn  that  it  uukn  \  t/Merold/resares.*) 

Hier  gilt  noch  in  verstärktem  masse  was  soeben  flber  das 
Schema  ±  *  j  il.  *  bemerkt  wurde.  Es  wird  sich  zudem  zeigen,  dass 
alle  diese  falle  sich  leicht  einer  unten  zu  behandelnden  kate- 
gorie  unterordnen;  man  muss  nämlich  in  diesem  falle  nur  6in 
Stab  wort  im  ersten  halbvers  annehmen;  fällt  somit  das  angeb- 
lich erste  stabwort  aus  der  reihe  der  stab Wörter  aus,  so  ist 
nach  dem  vorangestellten  satze  von  der  gleichgültigkeit  alles 
ausserhalb  derselben  stehenden  für  die  alliteration ,  der  aus- 
schluss  des  Schemas  «»  «  |  «   «»  selbstverständlich. 

Als  weitere  abweichung  von  dem  grundschema  wird  von 
Vetter  und  Rieger  die  erscheinung  aufgefasst,  dass  der  haupt- 
stab  an  letzter  stelle  des  verses  steht.  Rieger  s.  5  for- 
muliert die  regel  so:  'statt  der  ersten  allitericii;  die  zweite 
hebung  des  zweiten  halbverses*,  Vetter  s.  46  sagt:  'hauptstab 
ist  der  dritte  reimstab  des  verspaares,  ausnahmsweise,  wenn 
jener  nicht  reimt,  der  vierte''^).  Im  Beowulf  hat  Rieger  keinen 
solchen  fall  gefunden,  im  Heiland  emendiert  er  einige  stellen, 
andere  sind  bereits  von  Grein,  Germ.  XI,  209  flf.  und  Sievers, 
Haupts  zs.  XIX,  49  flf.  geändert.  Die  hauptmenge  der  schein- 
bar hierher  gehörigen  fälle  aus  dem  Heliand  übergeht  Rieger, 
wol  weil  er  sich  in  bezug  darauf  der  ansieht  von  Schmeller 
und  Sievers  (a.  a.  o.  s.  46  anm.)  anschliesst,  welche  diese  fälle 
bereits  teilweise  erwähnt  haben.  Der  letztere  hat  darauf  hin- 
gewiesen, dass  die  Wörter,  welche  in  der  eigenschaft  von  reim- 
stäben  an  dieser  stelle  des  verses  stehen,  nicht  nur  dreisilbig, 

sondern   von    der   form ^  sein   müssen.    (Zu  seinen  bei- 

spielen  kommen  noch  hinzu  Bethaniu,  -ia  4188.  5972,  gadulingas 
3171,  hedröragan  5510,  löhannes  2774,  säligna  587,  sudröslun 
1215,  herösten  2883,  uuisdstun  4467,  sldpandia  4797,  henginna 
5167.)  Ueberblickt  man  die  stellen  im  zusammenhange,  so  er- 
gibt sich  sehr  häufig  der  fall,  dass  dem  dreisilbigen  stabwort 


*)  Rieger  führt  unter  den  beispielcn  auch  941  an:  sd  mikilu  is  hie 
hetera  than  ik  \  nis  ihes  bodo  gimaco ;  hier  ist  aber  wol  hetera  als  erstes 
und  ik  als  zweites  stabwort  zu  fassen. 

^)  Soll  wol  heissen  '  stab ',  da  von  einem  vierten  reimstab  nicht  die 
rede  sein  kann. 


168  HÖRN 

ganz  gewichtslose  wörtchen,  wie  partikeln  u.  dgl.  vorausgehen, 
die  doch  unmöglich  als  Vertreter  des  hauptstabes  angesehen 
werden  können;  so  that  unirsista  2058,  te  herdsten  2883,  an 
Beihaniu  5972,  oder  auch  thd  iyia  Satmiases  2273,  uuit5  s6  craf- 
tigna  3130,  that  um  so  thurftiges  2304  u.dgl.  Wie  soll  man 
sich  solche  halbverse  vorgetragen  denken?  lieber  die  Schwie- 
rigkeit, ein  wörtchen  wie  that  oder  te  als  stabwort  gebührend 
hervorzuheben,  helfen  gewis  die  discretesten  mittel  des  Vor- 
trages nicht  hinweg.  Hält  man  diese  bedenken  zusammen  mit 
der  consequenz,  welche  der  dichter  in  der  benutzung  nur  drei- 
silbiger Worte  von  bestimmter  form  oder  mehrsilbiger  zeigt, 
so  kann  man  nicht  anders  als  Schmeller  zustimmen,  welcher 
das  dreisilbige  etc.  wort  als  drittes  stabwort,  also  als  regel- 
rechten hauptstab  betrachtete.  Dann  erklärt  sich  auch  jene 
beschränkung  bezüglich  der  länge  der  verwendbaren  Wörter. 
Das  wort  muss  voll  ausklingen,  den  fehlenden  vierten  stab 
durch  längeres  aushalten  ersetzen  können,  damit  dem  verse 
sein  recht  geschehe. 

Ueber  die  stellen,  an  denen  ein  kürzeres  wort  als  einziges 
stabwort  des  zweiten  halbverses  im  Heliand  zu  stehen  scheint, 
gehe  ich  hinweg,  da  ich  zu  dem  was  Grein,  Rieger  und  öievers 
dazu  bemerkt  haben,  nichts  positives  hinzuzufügen  habe,  um 
noch  mit  einem  werte  auf  Vetters  annähme  einzugehen ,  dass 
im  ahd.  alliterierenden  verse  auch  zweisilbiges  'viertes*  stab- 
wort als  hauptstab  genüge.  Wie  wir  unten  öfehen  werden,  ent- 
halten die  ahd.  dichtungen  in  bezug  auf  alliterations-  und  be- 
tonungsgesetze  viele  ausnahmen ,  im  vergleich  zum  ags.  und 
alts.  fehler.  So  gerade  auch  z.  b.  die  beispiele ,  welche  Vetter 
aus  Musp.  und  Uild.  anführt,  so  Musp.  16  thär  tust  neoman 
siuh  II  (was  Müllenhoif  durch  die  Umstellung  zu  siuh  neoman 
ändert,  bei  der  die  ungewöhnlichkeit  der  Wortstellung  anstoss 
erregt);  ebenso  Musp.  58.  59,  wo  allaz  die  alliteration  tragen 
müste;  desgl.  Hild.  40.  60.  Diese  beispiele  können  also  für 
die  beurteilung  des  ursprünglichen  Versbaues  gar  nicht  in  be- 
tracht  kommen,  sie  sind  nur  als  anzeichen  einer  verfallenden 
kunst  zu  betrachten. 

Vetter  bemerkt  ausserdem  s.  49,  dass  in  der  mehrzahl 
der  fälle,  wo  nach  ihm  der  vierte  stab  hauptstab  ist^  der  erste 
halbvers  zwei  reime  habe,    weil   der   mangelnde  anfang  des 


ZUR  METRIK  DES  HELIAND.  169 

zweiten  halbverses  eine  desto  grössere  Vollständigkeit  des 
ersten  hätte  erwtinschen  lassen.  Zwingend  ist  aber  diese  regel, 
wenn  man  sie  überhaupt  so  nennen  darf,  nicht.  Unter  den 
48  fällen,  die  im  Heliand  vorkommen,  habe  ich  12  gefunden, 
welche  dieser  bedingung  nicht  entsprechen. 

Wenn  wir  nun  den  ersten  halbvers  von  den  hier  ge- 
gebenen gesichtspunkten  aus  prüfen,  so  ergibt  sich  eine  reihe 
augenfälliger  Übereinstimmungen,  die  man  bisher  unbeachtet 
gelassen  hat.  Auch  hier  kommt  in  vielen  fällen  der  erste  und 
einzige  reimstab  an  das  ende  des  halbverses  zu  stehen.  Die 
gewöhnliche  ansieht  hierüber  ist  (vgl.  Vetter  s.  30),  dass  in 
diesen  fällen  noch  ein  wenn  auch  untergeordnetes  stabwort 
vorhergehe:  'nicht  nur  hülfsverba,  sondern  auch  blosse  form- 
wörter,  aber  sehr  selten.*  Wie  es  mit  dieser  Seltenheit  steht, 
davon  nachher,  es  liegt  auch  ausserdem  ein  Widerspruch  in 
diesen  werten.  Stabwörter  können  eben  unbetonte  Wörter  nicht 
sein.  Entweder  ist  ein  einem  stabwoi-t  vorausgehendes  wort 
betont,  und  dann  muss  es  nach  der  allgemeinen  regel  allite- 
rieren (Rieger  s.  18  ff.),  oder  es  ist  unbetont,  dann  ist  es  nicht 
Stabwort  und  alliteriert  selbstverständlich  nicht;  ein  drittes 
gibt  es  nicht.  Sollten  nun  erste  halbverse  mit  nur  öinem  stab- 
worte  undenkbar  sein,  wenn  für  den  im  allgemeinen  viel 
strenger  gebauten  zweiten  halbvers  diese  ausnähme  gestattet 
ist?  Ich  glaube,  nein.  Es  wird  dies  urteil  bedeutend  an 
nachdruck  gewinnen,  wenn  man  die  einzelnen  beispicle  von 
Vetter  ins  äuge  fasst.  Da  sollen  ahd.  sea,  enti,  vona,  alts. 
under,jak^  that ,  ihea,  an,  ina,  is,  te  etc.  als  stabwörter  er- 
scheinen an  einer  stelle  des  verses,  die  sonst  dem  höchstbe- 
tonten, notwendig  alliterierenden  ersten  stabwort  vorbehalten 
ist,  und  es  sind  alles  Wörter  ohne  eigenen  accent.^)  Alles  dies 
ist  nicht  glaublich.  Endlich  lassen  sich  auch,  wie  ich  meine, 
zum  beweise  dafür,  dass  wir  es,  wie  beim  zweiten  halbvers 
so  auch  hier,  mit  dem  bewusten  mangel  eines  stabwortes  zu 
tun  haben,  bestimmte  regeln  für  diese  erscheinung  fixieren, 
wenn  dieselben  auch,  wie  an  sich  natürlich  ist,  nicht  dieselbe 
strenge  zeigen  wie  die  für  den  ausgang  der  langzeile. 


*)  Die  einzige  ansnabrae  des  natürlichen  betoniingsgeBetzcs  im  Hei. 
ist  235  thuo  narn  hie  thia  huok  an  hand  \  endi  an  is  huge  thähta. 


170  HÖRN 

1)  Zunächst  sind  viersilbige  Wörter  ohne  weiteres  ge- 
stattet; wir  finden  im  Heiland  z.  b.  that  sia  ina  te  Hierusaiem 
452;  that  thär  te  U.  788;  thär  te  H.  791,  thatmi  fan  H,  893, 
that  hie  an  IL  1081,  fayi  {an)  H,  4016.  4126;  thär  te  Bethania 
951;  Wider  Israheles  2126,  that  uuas  Satanase  5435,  huilik  that 
so  mahtigoro  M  (tnahtigro  C)  2262,  an  farlegarnisse  3843.  3852, 
that  hie  im  thero  costöndero  4741,  an  them  paradyse  5606;  an 
flinfsilbigen  fand  ich  hiet  ök  Bartholomeus{e)  1270^  that  sia  than 
evangelium  12  (oder  evangeljum  zu  lesen?). 

2)  Auch  das  Schema  _  ^  y  ist  sehr  häufig;  ich  hebe  dar- 
aus zunächst  hervor  die  flectierten  Infinitive  mit  te:  te  giful- 
lia)ine  976,  te  githiononne  1188,  te  antfähaime  1467,  ge  te  seg- 
gianne  1838,  te  gihörienne  2377.  4027.  5830,  te  bidenüenne 
2433,  te  githenkeamie  2531,  te  giuuimunDie  1023.  3407,  te  bim- 
danne  3803.  4687,  te  gifrummienne  3903,  te  astatidoftne  4055, 
sd  thik  te  spildeanne  5346,  te  adelianne  4291  (dazu  kommt  mit 
kurzer  erster  silbe  te  githoHanne  5531).  Bei  diesen  wird  man 
am  wenigsten  geneigt  sein,  dem  te  die  geltung  eines  stab- 
wortes  einzuräumen;  man  sieht  deutlich,  dass  es  lediglich  zur 
fiillung  des  verses  dient.  ^)  Von  anderen  halbversausgängen 
führe  ich  noch  an: 

a)  Schema ^  uuarun  so  gihöriga  82,  so  ik  tm&niti  that 

ina  th  gegnungo  213,  scal  thi  fan  them  hohöston  278,  an  them 
höhoston  419,  allero  spAhoston  613,  that  man  is  näistofi  1448, 
that  is  mendislo  402,  aftar  themu  dopislea  1025,  that  siu  bia  so 
heiagna  M  {helagiico  C)  448,  huilic  sia  äruyidi  553,  hiet  that  sia 
that  drundi  638,  mdssa  that  sia  im  that  ärundi  719,  hiet  that 
Hut  im  folgodin  596,  thär  an  Egypti  768,  that  hie  thär  te  Jösepe 
769,  thaji  uuas  im  Johannes  859,  an  thero  uuostinniu  864,  that 


M  EiDcn  interessanten  beleg  für  die  notwendigkeit  solcher  fUllung 
bilden  die  mehrfach  in  ähnlicher  Stellung  erscheinenden  adverbien  auf 
'Iko,  die  als  composita  natürlich  beide  stabsilben  in  sich  vereinigen 
können.  Viersilbige  adverbia  der  art  können  allein  einen  halbvers  bil- 
den: hilagUco  328  (so  nach  Sievcrs).  h^Uy  säligilco  2I5S,  hriuuigüco  3690. 
474S  (ebenso  im  zweiten  halbvers  firiumtUco  815.  2771.  2839.  3553.  5276, 
säligVico  48,  ardidüco  3462),  aber  dreisilbige  bekommen  stets  ein  füllendes 
suUho  :  suUho  spähtico  238,  suUho  niudVtco  353,  suttho  uuärtico  398, 
suUho  uuerthüco  417,  smtho  hardttco  640  etc.  —  Zur  fiillung  dient  wol 
anch  das  gi  der  oben  genannten  Infinitive:  sobald  ausser  te  noch  eine 
zweite  fUlIsilbe  hinzutritt,  fehlt  es. 


ZUR  METRIK  DES  HELIAND.  171 

sia  mid  fastunniu  876,  tm  Sna  iiuostinnea  1026,  an  fasiunnea 
1053,  ihat  gi  so  libbeandi  1013,  uuas  im  ih&r  an  thero  enodi, 
that  ina  higan  hi  thero  menniski  1060,  uuas  im  ambahteo  1193f 
tliat  sia  üses  drohdnes  1229  u.  8.  f. 

b)  Schema  —  ^^  y_  that  sea  habda  giocaria  294,  thia  fan  them 
kisure  351,  so  quathe  that  ostana  589,  huann  er  sea  gisduuin 
ostana  594,  ira  seWaro  877,  iuuar  seWaro  850.  884,  is  engilon 
1087  (zweifelhaft  Elias  920,  Lazarus  3390  il  ä.)  u.  s,  f.  Diese 
form  ist  wie  man  sieht  seltener  als  die  vorige,  ob  durch  zufall 
oder  durch  absieht? 

3)  Das  Schema  ^  ^  ^  ist  abermals  seltener  als  die  bei- 
den vorigen,  doch  findet  es  sich  immerhin  an  einer  ziemlichen 
reihe  von  stellen,  die  ich  diesmal  durch  das  ganze  gedieht  hin 
belege:  undar  theru  menigi  10.  4468,  that  sia  im  thär  an  thero 
m.  1224,  undar  thesaro  m.  5194,  quat  that  hie  thesaro  uueroldes 
585,  samnod  in  an  himile  1647,  uuithar  ihiu  ti  gebanne  1794, 
ni  cumad  thia  älla  te  himile  1915,  siu  uuas  iru  uuiduuua  2187, 
hi  huilicon  bilithon  2415,  them  dt5ron  scal  man  he  hilithon  2438, 
ac  uuerthat  thär  so  farlorana  2450,  l&ton  it  thär  halöian  2573, 
lätit  thia  forgriponun  2639,  so  uuas  it  6c  them  cuninge  2778, 
that  hie  ina  thuo  gineridi  2949,  te  hui  hie  thuo  gituehodi  2953, 
that  hie  than  gimanodi  3189,  habdun  im  farseuuana  5746,  thuo 
uuurthun  thär  giscerida  5763  u.  a,  m. 

4)  Das  Schema  _  ^  und  ^  ^  erscheint  unter  allen  am 
häufigsten,  das  letztere  allerdings  nur  an  einer  verhältnismässig 
kleinen  zahl  von  stellen,  ohne  dass  man  es  aber  deswegen  an- 
zufechten brauchte.    Belege: 

a)  Schema  _  ~  that  sea  fan  Kristes  34,  huand  hie  simhlon 
gemo  11^  so  scolda  hie  at  them  uuihe  90,  hiet  that  ik  thi  (höh 
sagdi  129,  scerida  im  thtco  te  uuitie  164,  hihui  hie  thär  so  lango 
176,  ni  gihu  ik  that  ti  räda  226,  hud  hie  sia  sd  farlieti  303, 
that  iro  an  them  sithe  369,  kiet  that  im  Ihia  uuardos  396,  hehheat 
that  te  tecne  405,  endi  them  te  härme  498,  endi  an  iro  hrioston 
614,  er  than  hie  ina  selho  858,  nü  cumis  (hü  te  minero  döpi 
971,  uuest  thü  that  üs  so  girisid  975,  uuolda  is  thär  lätan  costön 
1030,  mid  thinon  fbion  1090,  endi  all  sulic  odas  1099  u.  s.  f. 

b)  Schema  ^^  "^  nur  that  gi  sd  ni  uurecan  1533,  so  hues 
so  thü  mi  bidis  2756,  that  hie  it  thi  sän  fargibit  4038,  mid  mi 
samat  5605,  hud  sia  eft  te  them  grabe  5745. 


172  HÖRN 

5)  Einsilbige  Wörter  sind  in  dieser  Verwendung  nicht  ge- 
stattet. 

Alles  in  allem  mögen  diese  fälle  sich  auf  etwa  400 — 500 
belaufen,  während  die  zweiten  halbverse  nur  etwa  50  mal  auf 
ein  Stabwort  beschränkt  waren.  Es  stimmt  dies  ganz  zu  der 
allgemeinen  erfahrung  über  den  strengeren  bau  der  zweiten 
vershälfte.  —  Die  beurteilung  der  fälle  im  einzelnen  ist  nicht 
ganz  leicht.  Man  wird  von  vornherein  geneigt  sein,  einem 
verbum  etwa,  das  dem  reimstab  vorausgeht,  wie  hiet  123.  128, 
scerida  164,  gif}u  226  etc.,  geltung  als  stabwort  zuzuschreiben; 
aber  ich  meine,  wenn  einmal  durch  andere  fälle,  z,  b,  die 
flectierten  Infinitive  mit  te,  die  notwendigkeit  gegeben  ist,  verse 
mit  nur  einem  stabworte  anzuerkennen,  so  müssen  coneequenter 
weise  auch  die  übrigen  fälle  nach  diesem  princip  beui-teilt 
werden.  Das  ganze  gebäude  der  alliteration  durchdringt,  wie 
Rieger  gezeigt  hat,  das  gesetz,  den  ersten  stab  der  langzeile 
alliterieren  zu  lassen;  sollte  nun  dies  gesetz  hier  so  gänzlich 
und  in  so  auffälliger  weise  durchbrochen  sein? 

Dieselbe  erscheinung  findet  sich  übrigens  im  angelsächsi- 
schen ungefähr  in  gleicher  häufigkeit  wie  im  Heliand ;  ich  habe 
z.  b.  in  den  ersten  500  versen  des  Beowulf  33  fälle  gefunden ; 
der  gröste  teil  der  betreffenden  Wörter  ist  auch  hier  zweisilbig 
{(ebelin^as  3,  JFylfingvm  461,  ^e/rcetwade  96,  gecytianne  257, 
yldcsta  258,  ofeste  386,  selestan  416,  ^ebcötedon  480,  ^eferede 
361,  ylde  22,  cethcpron  28,  Icessan  43,  dsellon  47,  burgum  53, 
innan  71,  ühtan  126,  wisfe  128,  ^dda  205.  355,  ^ehpre  290, 
/'eran  316,  ^ddne  347,  cüi^e  372,  rvordum  388,  sec^an  391,  ^an^an 
395,  gel(vrdon  415,  forwyme  429,  forhic^e  435,  fechte  ib^^fieder 
262.  459). 

Ueber  einige  noch  zu  erwähnende  abweichungen  vom 
grundschema  können  wir  leicht  hinweggehen ;  so  über  die  von 
Vetter  und  Rieger  (s.  8)  constatierte  anomalie,  dass  die  zwei 
liebungen  des  zweiten  halbverses  mit  einer  des  ersten  allite- 
rieren. Im  Heliand  liegen,  wie  Rieger  bemerkt,  nur  zwei  wirk- 
liche fälle  der  art  vor,  nämlich: 

3020    undar  iro  Aerren  disee  |  Anelpös  /luerel^at 

3691     Mt/e  unarth  tht,  Hierasalcm  |  that  thü  te  titiaron  ni  uu^st 

Rieger  beseitigt  auch  diese,  indem  er  im  ersten  verse  wert/adf 
im  zweiten  kanst  zu  lesen  vorschlägt;    gegen   die  letztere  an- 


ZUR  MEPRIK  DES  HELIAND.  173 

derung  ist  einzuwenden,  dass  te  uuäron  cunnan  c.  acc.  rei  im 
Heliand  nicht  yorkommt,  während  uuitan  ie  uuäron  eine  häufiger 
vorkommende  formel  ist,  die  so  leicht  nicht  angegriflfen  werden 
kann.  Ich  glaube  eher,  dass  diese  verse  so  zu  beurteilen  sind 
wie  z.  b.  manno  harnun  \  endi  so  manag  mahtiglic  2349;  manag 
gehört  hier  zu  den  adjectiven,  welche  ihrem  nomen  vorhergehen 
können  ohne  zu  alliterieren;  so  steht  es  auch  hier  an  einer 
stelle,  die  nicht  den  reim  zu  tragen  hat,  und  der  gleiche  an- 
laut  ist  also  gewis  nur  zufällig.  Auch  uuest  und  hueretat 
stehen  an  einer  versstelle,  die  für  die  alliteration  nicht  in  be- 
tracht  kommt.  Da  diese  stelle  allerdings  mit  zu  den  hervor- 
gehobenen des  Verses  gehört,  so  ist  es  begreiflich,  dass  im  all- 
gemeinen eine  concurrenz  des  anlautes  hier  mehr  gemieden 
wird,  als  bei  den  füllsilben,  aber  für  jene  zwei  verse  wird 
man  doch  unbewuste,  jedenfalls  aber  nicht  als  bestimmte 
kunstform  beabsichtigte,  ausnahmen  von  der  regel  anzunehmen 
haben. 

Ganz  dasselbe  gilt  von  der  letzten  hier  zu  besprechenden 
anomalie:  dass  alle  vier  hebungen  des  verses  zusammen  alli- 
terieren. Hierbei  muss  ich  mich  noch  in  einem  nebenpunkte 
gegen  Rieger  wenden,  der  s.  12  von  unsicheren  fällen  spricht, 
die  bei  anderer  betonung  nicht  unter  diese  anomalie  fallen 
würden  und  dazu  verse  rechnet  wie: 

915    them  2^odoD  2^aldlico  |  ni  ^ium  ik  that  ^am  godes 
1377    ak  uuenkit  thero  uuordo  \  than  Midrthit  im  utialdand  gram. 

Die  andere  betonung  ist  nicht  'ebenso  gut',  sondern  vielmehr 
die  einzig  richtige ;  denn  wie  Rieger  sonst  godes  und  gram  am 
ende  des  zweiten  halb  verses  erklären  will ,  verstehe  ich  nicht. 
Nach  der  gewöhnlichen  regel  mlisten  bium  und  uuirlhit  haui)t- 
stäbe  sein,  eine  berechtigung,  die  man  diesen  unbetonten  wör- 
lern  gewis  nicht  einräumen  wird.  Sie  gehören  vielmehr  zu 
den  füllsilben,  die  eben  für  die  alliteration  gleichgültig  sind, 
und  bei  denen  gelegentlicher  gleicher  anlaut  kaum  zu  vermei- 
den war  (wie  z.  b.  in  dem  von  Rieger  selbst  citierten  verse 
314  /Äenkian  ^Äero  Mingo  |  huo  hie  th\2i  /Äiornun  th\xo).  Sonst 
gibt  es  dieser  unsicheren  fölle  eine  ganze  menge,  z.  b.. 

2071    gitttiald  an  thesaro  t/i/eroldi  |  thao  utiarth  that  so  titiido  cüth 
2074    111/ater  te  UMtne  |  that  t/t/arth  thao  t/t^ndro  drist 
2439    UMordun  utfiäcan  |  nu  uuelliu  ik  iu  te  uuäron  hier 


174  HÖRN 

3179  Ariunig  nmbi  iro  /terta  |  gi^ördnn  iro  /terron  thno 

3509  mannon  te  mieda  |  that  ^/tSnda  mahtig  Krist 

3834  giminsöd  au  them  mahle  |  ni  mahtnn  thie  mSnscathon 

3945  M?iordo  endi  tiuerco  |  nü  Mtielliat  gt  mt  uuftnOn  hier 

3995  ni  titiernian  uu!  im  thes  utiillian  |  ac  utiita  im  Muonian  mid 

4101  an  /treubeddon  bi/telid  |  Aiet  im  Aelpan  thuo 

4208  gaf  im  /angsam  /ön  |  fiet  sia  /ethes  gihues 

u.  a.  m.  Zu  diesen  nur  durch  falsche  betonung  entstandenen 
scheinausnahmep  gehören  auch  die  wenigen  von  Vetter  s.  56 
angeführten  beispiele,  ausser  1110^  wo  mit  Sievers  ihionön  an 
den  schluss  der  langzeile  zu  stellen  ist  Von  'wirklichen' 
fällen  citiert  Rieger  s.  12  dann  noch  314.  3236,  die  sich  durch 
das  s.  173  gesagte  erledigen,  und  3829  ihan  uuelliu  ik  iu  te 
uuäron,  quathie  und  5200  mid  uuäpnon  an  them  umhdage  \  huand 
it  ni  uuäri  iro  giuuono.  Diese  verse  sind  allerdings  bedenk- 
lich, aber  keine  sicheren  Zeugnisse  für  das,  wofür  sie  Rieger 
vorbringt.  Wenn  man  nicht  uuelliu  und  uuAri  für  die  haupt- 
stäbe  erklären  will,  und  das  ist  doch  gewis  unzulässig,  so  be- 
kommt man  für  den  zweiten  halbvers  einen  zweisilbigen  haupt- 
Stab  im  versschluss,  was  gegen  die  metrischen  gesetze  ist 
Beide  stellen  sind  zu  ändern.  Für  3829  ergibt  sich  die  an- 
derung  sehr  leicht,  wenn  wir  stellen  wie  them  seggiu  ik  iu  te 
uuäron  de  1463. 1527  (vgl.1453),  nü  uuelliu  ik  iu  te  uuäron  hier  1439 
vergleichen;  demnach  wird  an  unserer  stelle  hier  zu  ergänzen  sein. 
V.  5200  hat  bereits  Heyne  die  Umstellung  giwono  ni  wäri  vor- 
genommen, durch  welche  der  vers  sich  solchen  wie  314.  3236 
anschliesst  (Sie vers  streicht  huand — giuuono,  indem  er  uuerthan 
zu  5200  zieht).  Einen  wirklichen  fall  hat  dagegen  Rieger 
übersehen,  nämlich  5892  ahebbian  he  than  helagan  drohtin  \  thann 
tmas  eft  gihelid  hugi.  Hier  kann  hugi  nicht  alleiniger  reimstab 
sein,  weil  es  bloss  zweisilbig  ist,  ebensowenig  gihSlidj  weil  ein 
verbum  vor  einem  folgenden  nomen  ohne  alliteration  nicht  ge- 
duldet werden  kann.  Man  wird  hier  wol  einen  Verstoss  gegen 
die  regeln  strenger  metrik  statuieren  müssen,  als  erstes  an- 
zeichen  des  in  den  ahd.  denkmälem  bereits  viel  weiter  fort- 
geschrittenen Verfalles.  Im  ganzen  steht  aber  der  Heiland  mit 
der  alliteration  noch  auf  sehr  ursprünglicher  stufe,  weit  ent- 
fernt von  den  freiheiten,  die  sich  spätere  ags.  und  ahd.  dichter 
erlauben. 


ZUR  METRIK  DES  HELIAND.  175 

n.   Ueber  den  ausgang  der  halbyerse. 

1)    Der  erste  halbvers. 

Ich  beginne  in  diesem  falle  mit  dem  ausgange  des 
ersten  halbrerses.  Die  sache  selbst  ist  von  Vetter  s.  38  flf. 
und  57  ff.  kurz  und  wie  mir  scheint ,  unter  einem  falschen 
gesichtspunkte  berührt,  die  gesetzmässigkeit  ist  durchaus  nicht 
genügend  herrorgehoben  worden. 

Im  allgemeinen  gilt  für  die  mehrzahl  der  fälle  am  ausgang 
des  ersten  halbverses  das  gesetz^  dass  das  zweite  stabwort  zu- 
gleich das  letzte  wort  des  halbverses  ist.  HieiTon  sind  aus- 
geschlossen die  auf  drei  stäbe  gesteigerten  verse  und  eine  an- 
zahl  von  versen,  die  ich  nicht  zu  den  gesteigerten  rechnen 
möchte,  weil  sie  auch  in  der  einfachen  epischen  erzähiung  mit 
einer  gewissen  regelmässigkeit  erscheinen.  Sie  lassen  sich, 
wie  mir  scheint,  sämmtlich  unter  diesen  satz  vereinigen :  durch 
einen  zusatz  determinierte  werte  (nomina  oder  auch  vcrba) 
können  als  6in  begi-iff  betrachtet  werden,  und  solche  Verbin- 
dungen können  daher  im  ausgange  des  verses  den  wert  nur 
iines  Stabwortes  haben,  mag  das  determinierende  wort  vor 
oder  nach  dem  determinierten  stehen.  Es  ergeben  sich  hier- 
bei folgende  fälle: 

1)  Substantiv  and  ein  zugehöriger  genetiv. 

a)  Das  Substantiv  geht  voran,  den  zweiten  stab  bil- 
dend, sei  es  mit,  sei  es  ohne  alliteration;  in  jedem  falle  ist 
es  als  der  betonte  teil  der  formel  anzusehen;  denn  wollte  man 
das  von  Sievers,  Haupts  zs.  XIX,  48  aufgestellte  betonungs- 
schema  gelten  lassen,  wonach  der  genetiv  den  ton  haben 
sollte,  so  wäre  man  gczwun«i:en,  für  diese  formein  betonungs- 
verschiedenheit  anzunehmen,  je  nachdem  sie  mit  alliterieren 
oder  nicht,  und  das  ist  doch  kaum  glaublich.  Man  muss  vielmehr 
sowol  betonen  gibiodan  bdm  godes  895  wie  mähtig  bdm  godes 
u.  dgl.  V.  865  gbdlic  siemna  godes  kann  dagegen  nicht  als 
beweisend  angeführt  werden;  in  diesem  verse  ist  gddRc  als 
einziges  stabwort  zu  betrachten.  —  Die  anzahl  der  hierher 
gehörigen  fölle  ist  übrigens  nicht  sehr  bedeutend,  sie  beschränkt 
sich  fast  ausschliesslich  auf  den  determinierenden  genetiv 
godes  :  mst  godes  784,  bam  godes  798.  895.  1996.  2176.  2298 


176  HÖRN 

2371.  2666.  2975.  5171,  /b/c  godes  412,  hüs  godes  3070,  craft 
godes  49.  276.  598.  648.  5869,  cumhal  godes  657,  mäht  godes 
4089.  4115.  5395.  5894,  stemm  godes  865.  3147,  uuUleoyi  godes 
855;  ferner  fuotun  Cristes  2208,  gistthos  Cristes  2903,  sunu 
Dauides  2991,  thegaii  kesures  5723,  cunni  manno  3506. 

b)  Der  genetiv  geht  voran;  dieser  fall  ißt  viel  häufiger: 
godes  sunu  1282.  1384.  2251.  2269.  2948.  3138.  3248.  4011. 
4062.  4270.  4722.  5089.  5332.  5341.  5584.  5946.  5962,  godes 
harne  2821,  godes  hüs  3734.  4275,  godes  craft  2204.  3478. 
5970,  godes  lerun  696.  1726.  3272,  godes  rikies  1687.  3603. 
4451.  4755,  godes  tecan  11^ y  godes  thanc  1557,  godes  uuang 
1865.  3082.  3150,  godes  uuilleon  5655;  ferner  bitres  uuiht  1748, 
hurges  uual  3685,  dages  Höht  4909  (M  hat  falsch  Höht  dages)j 
dago  gihuilikes  954,  Dauides  sunu  3563,  deruies  uuiht  5140, 
drohtines  sunu  901.  1005.  2284,  endlich  fälle  wie  leiharo  drom 
946,  liohto  mesl  3081,  sundiono  los  IM,  sorgono  ful  2917  etc. 

Die  grössere  häufigkeit  des  falles  unter  b)  erklärt  sich 
einfach  aus  der  grösseren  häufigkeit  der  formelu  mit  voran- 
stehendem genetiv  überhaupt,  und  diese  wider  aus  dem  allge- 
mein deutschen  gesetz,  wie  in  der  composition,  so  auch  in 
der  formelhaften  aggregierung  den  determinierenden,  höher  be- 
tonten teil  vorauszustellen.  Im  Ileliand  habe  ich  etwa  940 
fälle  dieser  art  gefunden,  gegen  etwa  360,  in  denen  das  regie- 
rende nomen  voranstellt.  Die  besondere  classificierung  der 
fälle  unterlasse  ich  hier,  da  mau  den  grösten  teil  der  beispiele 
jetzt  in  Sievers'  formelsammlungen  beisammen  findet 

2)  Substantiv  mit  einem  adjectiv. 

a)  Das  adjectiv  geht  voran.  Dies  ist,  wie  nach  dem 
oben  bemerkten  natürlich,  der  weitaus  häufigste  fall.  Das  ad- 
jectiv trägt  stets  die  alliteration  mit,  das  Substantiv  steht 
regelmässig  ausserhalb  derselben.  Im  Heliand  habe  ich  fol- 
gende fälle  notiert:  alomahtigo?i  gode  ^O'd^  arme  man  1540.  1556, 
bethion  ha)ido7i  3499,  berahto  sunno  3125,  bittran  hugi  4613  M 
(briosthugi  bittran  C),  blindon  mannen  3560,  breda  uueruld  4314, 
giboranero  manno  993,  dernia  uuihti  2989,  dernian  hugi  3005, 
diop  uuater  2937,  diurlic  suet  4751,  drugi  thing  264,  enag  bam 
3083,  euuig  Uf  3325.  3617,  euuig  Höht  3653,  euutnom  rtkie  1796, 
fagaron  palmon  3677,  ficni  uuord  5231,  fecni  cräd  2556,  feruhtun 


ZUR  METRIK  DES  HELIAND.  177 

dädi  1310,  frbdgumo  2832,  gbdaro  spräcun  5927,  guodan  drohtin 
2615,  grimmera  thing  1348,  grimman  döt5  5743,  gröto  sSu  4315, 
gruoni  uuang  4285,  haitun  man  2357,  hardan  sten  4090,  helaga 
harn  385.  5420,  ä^%  ^'ftötf  1826,  helagan  dag  5690,  Äe/a^aw 
^öMn  5892,  hSlago  Crist  1107.  3562,  helagan  sang  414,  Ä^/a^ 
tttiore/  1730.  2348,  he  ton  trahnin  5922,  himilisc  harn  440,  Aiiwi- 
/iffcon  fader  5654,  himilisc  uuord  15,  hohun  hergös  5663,  cra/- 
^i^a  n^i  1603  0,  langerun  huil  5802,  /^/Äa«  ^/rtrf  4267,  //o^e^ 
herren  4986,  HohRcu  hluomen  1683,  lungra  man  5298,  mahtig 
Crist  2576.  2582.  3099 ,  managero  stundu  900,  m^-a  ^ä/w^  3445, 
ödigan  man  3298,  ^ifra^t  ;nan  4819,  ddron  thiodon  557.  559, 
reÄ/aro  Miri^^ö  1688,  ^d/i^  /ö/c  2863,  seWa  riki  1306,  ^eWßc 
/Äm^  5907,  sdr  uuatar  2908,  w^e/o  hom  1745,  uuammun  dädi 
1307,  giuuendidan  stene  5811,  uuidon  rtkeas  560.2)  4396,  ui^tfun 
spräca  3038,  uuostion  lande  2823. 

b)  Das  Substantiv  geht  mit  alliteration  voran. 
Dieser  fall  ist  weit  weniger  häufig;  er  beschränkt  sich  auf  die 
adjectiva  euuig,  gdd,  mikil  (letzteres  steht  überhaupt  fast  regel- 
mässig seinem  nomen  unflectiert  nach),  manag,  dtiar  und  die 
adjecti vischen  pronomina:  cuning  euuig  3059,  cnuosle  guodon 
558,  treuua  guoda  2904,  uuillion  guodan  3971.  5930,  orlohu  guodu 
4211,  kraft  mikil  399.  2355.  4249,  ftrinuuerc  mikil  743,  gelp 
mikil  1084,  leoht  mikil  1400,  fard  mikil  IWd,  gisxthi  mikil  2853, 
folc  mikil  2900,  folc  manag  1163,  thegan  manag  3911,  ^mc  manag 
5882,  /b/A:e  öörow  1271,  uualdand  seif  1285.  1962,  woÄ/i^  ^^»o 
601.  1314,  god  selho  2644,  diuritha  mina  4414,  drohtin  t hinan 
3066,  uuordon  tfA7ion  5925,  uuilleon  sinan  1684,  utullean  sines 
3503,  herren  sines  5928,  uuordon  sinon  5933,  /aJer  mui/an 
1908.  1960.  4441,  mor^an  r//Äwm  663.  Ein  beispiel  fllr  a/ 
würde  sich  v.  26  finden:  uuordo  endi  uuerco  allaro  \  thie  hie 
an  thesaro  uueroldi  giduot,  wenn  hier  nicht  nach  der  abteilung 
von  C  (das  vor  allaro  einen  punkt  setzt),  allaro  zur  zweiten 
vershälfte  zu  ziehen  wäre. 

3.  Es  kommen  ausser  den  oben  angeführten  Verbindungen 
noch  einige  andere  vor,  die  sich  nicht  in  die  bisherigen  kate- 
gorien    einreihen  lassen,   wol   aber    auf   dieselbe  art  erklärt 

*)  Ich  betrachte  diese  zeile  mit  Sievers  als  cSsnrlos. 
')  Hier  folge  ich  der  abteilang  von  Sievers,  welcher  giuuaidan  zu 
unserem  verse  zieht. 

Beltrige  bot  gesohiohte  der  dfiuUohen  tpnu>he.  V.  12 


178  HÖRN 

werden  können.  So  erscheint  viermal  after  ihm  an  dieser 
stelle  des  verses,  243.  630.  1596.  3108,  wobei  der  ton  nach 
ausweis  der  alliterierenden  stellen  auf  after  ruht ;  einmal  findet 
sich  mid  thiu  als  überschuss:  farid  im  /örth  mid  thiu  3482. 
Auch  adverbia  folgen  gelegentlich  einem  nomen  oder  verbum, 
das  als  zweites  stabwort  (mit  oder  ohne  alliteration)  steht, 
namentlich  ortsadverbia :  östar  hinan  571,  te  erthu  hinan  1085, 
diutflos  ihanan  2279,  seli  ot^ana  2313,  uuater  undar  2946,  egison 
tegegnes  5812;  ferner  astayidan  giü  5823,  leohrun  mikilu  1683[; 
ähnlich  verhalten  sicli  auch  tnahtiom  suiih  3349,  a;n  stman  haftan 
5354.  An  zwei  stellen  wird  sogar  durch  ein  mit  endi  ange- 
knüpftes Substantiv  ein  neuer  begriff  hinzugefügt,  nämlich 
Stil  zun  sten  endi  berg  3117  und  uualdand  uuin  endi  brod  \  um- 
hida  bethiu  4633;  ste7i  endi  berg  ist  gewis  eine  alte  epische 
forme!,  die  als  begrifflich  einheitlich  empfunden  wurde,  und 
auch  uuin  endi  brod  durfte  sachlich  nicht  wol  getrennt  werden. 
Auch  der  eigenname  Simon  Petrus  wird,  wie  in  der  flexion  (der 
erste  teil  ist  stets  unflectiert),  so  auch  in  metrischer  beziehung 
als  einheitlich,  gewissermassen  als  compositum,  vom  dichter 
behandelt,  d.  h.  Petrus  folgt  dem  das  stabwort  bildenden  Simon 
einfach  als  überschuss  nach :  selbo  te  Symon  Petruse  4883.  4992 
(doch  kann  Siinon  Petrus  auch  allein  einen  ganzen  halbvors 
bilden,  vgl.  3054.  3093.  3197.  4949).  —  Ganz  vereinzelt  stehen 
endlich  die  verse :  quAmi  te  them  cnuosla  gihue  \  thanan  hie  cun- 
nies  uuas  347,  wo  man  doch  gihue  nicht  zur  zweiton  halb- 
zeile  bringen  kann,  und  thü  sähi  thi  selbo  ihes  5188  nach  der 
lesung  von  M;  es  scheint  also,  dass  die  lesart  von  C  thü  säuui 
thi  thes  seWo  vorzuziehen  ist. 

4.  Unter  denselben  gesichtspuukt  fallen  ausserdem  noch 
einige  halbverse  mit  einem  hül  fsverb  um  als  zusatz,  die  nicht 
als  dreihebige  verse  angesehen  werden  können.  Sicher  sind 
so  zu  beui-teilen  die  verse  gihid  that  hie  god  A  5104  und 
quithit  that  hie  Crist  st  5191 ;  aber  that  hie  scoldi  an  Bethleem 
giboran  uv^than  621,  buotta  them  thär  blinda  uuärun  2358  sind 
doch  trotz  ihrer  Vereinzelung  vielleicht  als  verse  mit  zusatz- 
Stab  aufzufassen;  v.  5144  steht  iro  pascha  haldan  uueldin  nur 
in  C,  in  M  steht  uueldin  am  Schlüsse  des  vorhergehenden 
verses;  endlich  46  aldar  endön  scoldi  j  wo  aber  mit  Sievers 
scoldi  an  den  schluss  von  v.  45  zu  stellen  ist    Es  bleiben  also 


ZUR  METRIK  DES  HELIAND.  179 

eigentlich  nur  zwei  sichere  augnahmen,  die  beiden  erstgenannten 
verse.  Zu  ihnen  gesellt  sich  dann  noch  der  sehr  auffällige 
halbvers  naht  neflu  hruuarp  2910,  an  dessen  durch  beide  hs». 
beglaubigter  form  nicht  gerüttelt  werden  kann.  V.  1537  gmdes 
angegin  duon  erledigt  sich  ebenfalls  durch  die  allgemeine  regel, 
angegin  duon  ist  begrifflich  eins  und  hat  deshalb  nur  den  einen 
rersaccent  Dasselbe  mag  auch  von  giM  hie  3508  gelten*): 
en  himilriki  gitit  hie  \  allon  thiodon  || ,  wenn  hier  giiit  als  zwei- 
tes Stabwort  genommen  werden  darf  und  nicht  vielmehr  vor 
gibit  hie  bereits  die  cäsur  anzunehmen  ist. 

Im  Beowulf  finden  sich  alle  diese  erscheinungen  verhält- 
nismässig seltener  als  im  Heliand.  Ich  lasse  die  beispiele  in 
derselben  Ordnung  wie  dort  folgen: 

1.  a)  nur  heorht  bedcen  godes  570,  sunu  Hretiles  1486. 

1.  b)  pegna  hedp  400.  1628,  eoiena  cynn  421,  Weder a  ntö 
423,  Geäta  ledd  626,  ^t5a  gespring  849,  ßldan  beam  1138, 
wedna  dcbl  1151,  eorla  gehwdbm  1421,  wdkpna  smiö  1453,  pedda 
gehwylce  1706,  mddes  snyttrum  1707,  peödnes  beam  1838,  folces 
cwen  1933,  syl/es  rvillum  2224,  beäga  hord  2285,  sioleöa  bigong 
2368,  folces  weard  2514,  marma  gehwces  2528,  Weder a 
heim  2706. 

2.  a)  blddig  rvcel  448,  sdr  rvered  496,  snotor  guma  1385, 
brdden  mcbl  (?)  1617,  dedp  woeter  1905,  heard  sweord  2639, 
heäh  gesceap  3085,  bräd  gold  3106,  wonna  leg  3116. 

2.  b)  byre  geonge  2019,  pedden  min  2096.  Dies  sind  die 
beiden  einzigen  beispiele,  welche  ich  für  das  nachgestellte  ad- 
jectivische  attribut  gefunden  habe;  häufiger  sind  dagegen 

3)  andere  Verbindungen,  in  denen  ein  adjectiv  durch  einen 
vorausgestellten  casus  eines  Substantivs  (dativ-instrumental  oder 
auch  genetiv)  determiniert  wird  (s.  Sievers  zu  Hei.  3347): 
beadwe  heard  1540,  bldde  fäh  1595,  wintrum  fr  öd  1725,  säle 
f<Bst  1907,  ^Öw/w  cöö  2179,  wundrum  heard  2688,  säre  mmd 
2747.  —  Einmal  bildet  den  überschuss  der  nominale  bestand- 
teil  des  prädicats:  Denum  eallum  wearö  | .  .  .  ||  eorlum  ealu 
scerpen  770.  —  Adverbiale  Verbindungen :  ßrdon  fort5  ponon 
1633,  sigel  süöanfüs  1967.  Die  folgenden  vergleichen  sich  dem 
angegin  duon  des  Heliand:  /redde,  stvä  wit  furbum  sprdkcon 
1708,  holm  heolfre  weoll  2139,  fyrsi  fortS  gew&i  210. 

1)  Damit  Hesse  sich  auch  vergleichen  te  hlü'd  m  düo  ihü  ii  \  1&65. 

12* 


1 80  HÖRN 

Ueberblioken  wir  die  gegebenen  beispiele  noch  einmal,  so 
ergibt  sich,  dass  immer  nur  sachlich  und  foimell  zusammen- 
gehörige, 6inen  (determinierten)  begriflf  bildende  Wörter  in 
dieser  weise  vorkommen.  Dabei  ist  zu  bemerken,  dass  die 
silbenzahl  der  so  vereinigten  Wörter  im  allgemeinen  die  zahl 
4  nicht  übersteigt.  Einen  zusatzstab  darf  man  jedenfalls  in 
allen  bisher  besprochenen  fällen  nicht  suchen,  da  diese,  wie 
bekannt,  nur  in  der  bewegten  rede  berechtigt  auftreten. 

Wirkliche  zusatzstäbe  werden  sehr  gewöhnlich 
durch  verba  gebildet;  ich  habe  mir  aus  dem  Heliand  fol- 
gende fälle  notiert:  '  /rumidun  881,  aduomean  1309,  aduümeaäS 
1311,  sittean  1312,  libbeat  1317,  mieldin  1321,  giuualdid  2211, 
giburida  2213,  uuison  2214,  gisähim  2597,  libdin  2822,  finden 
2825,  giredi  2987,  birwmana  2990,  gicorana  3027,  giutield  3344, 
forsHtit  3495,  iiiolan  3497,  gifrumida  3498,  cümit  3500,  uuerthe 
3501,  giuualdit  3502,  antf&han  3505,  auuerpan  3990,  cuman  4374, 
sindun  4392,  stendit  4393,  sindun  4411,  frumidun  4413,  giblandan 
5916,  /brläian  5918,  mohti  5920,  wj/än  5921,  scoldi  5923,  ^i- 
^or^/j  5924. 

Aus  den  übrigen  Steigerungen  hebe  ich  nur  noch  als 
charakteristisch  hervor:  /araw  an  fern  that  heta  899,  gibrengean 
uppan  enon  berg  therm  hohon  1096,  so  fast  bist  ihü  so  felis  thie 
hardo  3068,  ne  galpo  thü  for  thinori  getan  te  suitho  1561,  ne 
groniot  gi  tanbi  iuuua  gigeruui  te  suitho  1685. 

2.    Der  zweite  halbvers. 

Für  den  ausgang  des  zweiten  halbverses  gilt  teilweise 
dasselbe  wie  für  den  des  ersten,  so  dass  ich  mich  hier  wesent- 
lich kürzer  fassen  kann. 

Vetter  stellt  s.  35  den  satz  auf:  das  letzte  stabwort  des 
zweiten  halbverses  müsse  zugleich  überhaupt  das  letzte  wort 
des  verses  sein,  und  es  dürfen  nur  noch  enklitische  werte  dar- 
auf folgen,  wie  ahd.  ana,  muotti  (Hild.),  altn.  pann,  hön  (Edda), 
ags.  obr,  me,  alts.  min,  thö  (Hei.).  Das  gesetz  ist  richtig,  aber 
das  gebiet  der  als  enklitisch  zu  betrachtenden  Wörter  ist  zu 
erweitern.  Zunächst  gilt  hier  wider  dasselbe  wie  beim  ersten 
halbverse  von  den  nominalverbindungen,  die  wie  wir 
sahen  den  ton  auf  dem  ersten  teile  tragen,  so  z.  b.  that  is  lisu 
Crist  I  godes  egan  bam  326,  ebenso  1135.  1287.  2000;  ähnlieh 


ZUR  METRIK  DES  HELIAND.  181 

sd'lig  hdm  godes  ||  1121,  he  lag  bdm  godes  840;  nur  als  enkli- 
tica  erscheint  in  diesen  fallen  min  in  drohtin  frb  mm  ||  490. 
971.  4765,  und  uualdand  fro  min  \\  4861.  5017.  Sodann  gehört 
hierher  ferid  ünmet  grot  ||  4329  (wobei  unmet  grdt  vielleicht  als 
compositum  angesehen  werden  kann).  Aber  auch  eine  grosse 
zahl  von  verben  fällt  unter  die  kategorie  der  enkliticae,  wenn 
man  bedenkt,  dass  alle  präpositionaladverbien  den  Stabreim 
auf  sich  ziehen,  wenn  sie  dem  verbum  vorausgehen  (Rieger 
s.  27),  also  wenn  sie  auch  nicht  alliterieren  doch  den  ton  haben, 
d«  h.  an  betreffender  stelle  das  vierte  stabwort  der  langzeile 
bilden  müssen.  Zu  den  von  Sievers,  Haupts  zs.  XIX,  47  hier- 
für angeführten  stellen  aus  dem  Heliand  habe  ich  noch  hinzu- 
zufügen: thia  uuerds  aftar  gengun  658,  thiu  müoder  äfter  geng 
2183,  Crist  üp  giuuet  982,  thie  rlnc  üp  asat  2202,  silf  üpp 
ares  2250,  Crist  im  förth  giuuet  1134,  thie  fxond  nä'hor  gieng 
1061.  Merkwürdig  bleiben  thuo  hreop  üpp  te  gode  5633  und 
thia  stidi  uuissa  lüdas  uuell  4815;  dagegen  ist  endi  thie  iuuua 
fritho  huiriM  e/t  \\  1 943  wol  mit  recht  von  Sievers  so  geändert, 
dass  e/i  zum  folgenden  verse  gezogen  ist. 

Für  die  Überschreitung  von  thuo  und  thär  hat  Sievers 
a.  a.  0.  bereits  genügende  beispiele  beigebracht  Ausserdem 
erscheinen  als  überschuss  an  dieser  versstelle  noch  td:  endi 
h&rit  thär  mid  is  ö'roji  tuo  2467,  hdlo  thi  thär  6'bran  tuo  3228 ; 
so:  duan  üs  älla  so  3998;  thanan:  uuenda  im  iß  thanan  3293, 
givu^t  im  thuo  eft  thanan  4796,  ging  im  ift  thanan  4798 ;  auch 
hülfsverba  kommen  so  vor:  sünu  d'dan  uuarth  369,  gihe  thes 
thär  uuä'r  is  1522,  gie  that  Crist  silbo  uuas  {seWo  \\  uuas  Sievere) 
5837,  endlich  ni  mohta  is  an  is  spräkun  man  uuerthan  849  (ein 
sehr  bedenklicher  vers);  einmal  auch  der  genetiv  des  prono- 
mens  der  3.  person:  färthor  ni  uuilda  is  ||  so  bittres  anM- 
tan  5652. 

Femer  gehören  hierher  fälle,  in  welchen  eine  (zweisilbige?) 
Präposition  mit  einem  pronomen  am  ende  des  verses  steht 
Der  Helianddichter  lässt  wenigstens  die  präpositionen  aftar 
und  innan  öfter  die  alliteration  tragen,  so  thann  mäht  thü  äftar 
thiu  II  1709,  bigan  im  äfter  thiu  \\  2395,  hie  gruotta  dfler  thiu  \\  3186, 
nam  hie  thuo  dfter  thiu  \\  4613,  that  um  it  dfter  thi  ||  2425;  innan 
brioston  3294.  Hiemach  wird  es  erlaubt  sein  auch  in  den 
übrigen  fällen,  wo  solche  Verbindungen  ausserhalb  der  allite- 


182  HÖRN 

ration  stehen,  enklise  des  pronomens  anzunehmen,  d.  h.  die 
Präposition  als  viertes  stabwort  anzusetzen;  so  endi  gi/rümid 
äfier  ihiu  43,  bed  äfter  thiu  196,  thuo  gifräng  äfter  ihiu  715, 
ähnlich  1634.  1758.  1763.  1796  (?).  1798.  2054.  2219.  2632. 
3164.  4009.  4545.  4891.  4970.  5041.  5146.  5155.  5659.  5867. 
5906.  5954,  Ob  man  diese  betonungsart  ohne  weiteres  auch 
auf  die  übrigen  präpositionen,  namentlich  die  einsilbigen,  aus- 
dehnen darf?  Von  zweisilbigen  habe  ich  noch  notiert:  thiu> 
thär  f6lc  undar  im  2010,  ac  bigan  that  fölc  undar  im  2667, 
huan  er  thiu  thioda  undar  im  5173,  hie  habit  hiir  riki  ofer  üs 
5376,  fare  is  drd'r  obar  üs  5483, 

Einmal  haben  wir  sog:ar,  wenn  die  abteilung  richtig  ist, 
einen  ttberschuss  von  zwei  Wörtern  nach  dem  vierten  stabwort, 
nämlich:    lüdeon  bisprä'kun  that  thuo  \\  uiu>rdu  gihuiliku  4190  f. 

Auch  um  einen  zusatzstab  vermehrte  verse  finden  sich 
im  Heliand;  dieser  muss  aber  dann  immer  nach  dem  im  ge- 
wöhnlichen verse  vierten  stabwort  stehen;  so  3066  f.: 

diarlico  scalt  thü  thes  Id'n  antfö'han, 
hlü'ttro  ha^is  thü  an  thtnan  hörron  gilö'^on  |  hägiscefti  sind 

thtna  std'na  gilf  ca. 

Vetters  auffassung  einer  ganzen  reihe  von  versen,  welche  als 
zweite  teile  von  langzeilen  erscheinen,  deren  erster  halbvers 
drei  stäbe  aufweist  (s.  38  f.)  scheint  mir  dagegen  verfehlt.  Cs 
ist  richtig,  dass  um  eine  bedeutendere  Ungleichheit  der  beiden 
vershälften  zu  vermeiden,  diese  zweiten  teile  stets  stärkere 
fällungen  vor  dem  hauptstabe  haben;  aus  diesen  f&llungen 
aber  an  sich  unbetonte  Wörter  als  stabwörter  hervorzuheben, 
widerspricht  sowol  dem  allgemeinen  betonungsgesetz  wie  dem 
grundgesetz  der  alliteration ,  welche  den  ersten  stab  jeder 
hf^bzeile  als  reimstab  verlangt 


III.    lieber  die  cäsar. 

Die  oäsur  ist  zwar  schon  von  Rieger  s.  34  ff.  behandelt 
worden,  doch  fehlt  es  noch  an  einer  darlegung  darüber,  welche 
Wortverbindungen  und  Satzteile  überhaupt  durch  die  cäsur,  sei 
es  die  zwischen  zwei  halbversen,  sei  es  durch  die  am  seUusae 
der  langzeile,  getrennt  werden  können,  und  wie  sich  die  Alli- 
teration dazu  stellt 


ZUR  METRIK  DES  HELIAND.  183 

1)    Die  cäsur  in  der  langzeile. 

Diese  kann  alle  möglichen  Satzteile  von  einander  trennen. 

1)  Sie  trennt  das  subject  von  seinem  prädicat.  Das 
subject  alliteriert  immer ,  ausser  wenn  es  durch  ein  pronomen 

gebildet  wird: 

44    huilic  than  lindscepi  |  landes  scoldi  ||  antdost  g^uualdan 
105    haan  dr  thie  fruodo  man  |  giframid  habda 
542    suttho  glaaua  gomon  |  gangan  qoaman 

68    that  im  uuämu  so  gihdriga  |  hildiscalcds 
316    that  im  thär  an  drdme  quam  |  drohtines  engil; 

dagegen : 

13    that  sia  than  evangelium  |  dnan  scoldun 
77    huand  hie  simblon  gerno  |  gode  theondda. 

Besteht  das  prädicat  aus  einem  hUlfsverb  mit  einem  nomen, 
so  können  auch  diese  beiden  teile  getrennt  werden,  aber  nicht 
ohne  dass  der  nominale  bestandteil  reimstab  ist 

155  sind  anca  andbäri  |  ddarlicron 

207  that  it  elcor  so  nuanltk  |  naerthan  ni  mahti 

159  thuo  uuard  that  he^ancuninges  bodon  |  härm  an  is  mnode 

2969  that  hie  nnäri  sel^o    snno  drohtines. 

Ausnahmen:    endi  an  them  felde  sind  \  fruhti  ripia  2566;   than 

is  erlo  gihuem  \   ober  hetera   1486,    uicarth  im  Safanas  \  sero 

hitengi  4624. 

Besteht  das  prädicat  aus  einer  zusammengesetzten  yerbal- 

form   und  werden  beide  bestandteile  getrennt,    so   folgt   das 

eigentliche  verbum  gewöhnlich  ohne  alliteration,  aber  als  stab- 

wort;    der  umgekehrte  fall,   dass   das  hauptverbum  vor,  das 

hülfsverbum  nach  der  cäsur  steht,  kommt  wol  kaum  vor  (über 

einen  fall  s.  weiter  unten). 

410    sd  nuarth  thar  engilo  ti  them  Snon  |  nnrtm  onman 

427    habda  im  thie  engil  godes  |  al  giuntsid 

717    that  nnäran  thia  untsan  man  |  naestan  gihnor^an. 

2)  Sie  trennt  ein  nomen  von  zugehörigen  attributen. 

a)  das  appositionelle  attribut;  beide  teile  reimen: 

444    so  it  thie  godes  engil  |  Gabriel  gisprac 

458    giunitun  im  thno  thin  guodnn  tnd  |  Joseph  endi  Maria 

548    thno  sea  Erodesan  thär  |  rtkkian  fondun. 

b)  den  attributsgenetiv;  beide  teile  reimen  und  sind  nur 
durch  die  cäsur  getrennt;  folgen  zwei  nomina,  so  gelten  wider 
die  allgemeinen  betonungsgesetze : 


184  HÖRN 

34  that  sea  fan  Cristes  |  crafte  them  mikilon 

74  nnas  fan  thdm  liudeon  |  Lenias  cimneB 

402  that  is  mendislo  |  manno  cunnies 

J074  that  fan  nualdandes  |  anorde  gibiudid 

1642  thann  ni  samnöt)  gl  hier  sine  mikil  |  sila^res  ne  goldes; 

c)  das  attributive  adjectiv;  beide  teile  reimen  und  brauehen 
nicht  unmittelbar  neben  einander  zu  stehen.  Im  Heliand  finden 
sich  etwa  20  solcher  fälle  wie: 

1212  than  hg  thar  torhtlic  sd  manag  |  t§kan  ginuarahta 

1612  ac  hilp  üs  noit^ar  allon  |  adilon  dadeon 

1621  than  g!  ni  uaelliat  öt^ron  |  erlon  alatan 

2262  hnillc  that  sd  mahtigro  |  manno  nnäri 

4735  hiet  thuo  thria  mid  im  |  thegnös  gangan 

5216  that  thü  so  bittra  scalt  |  bendi  tholian. 

3)  Sie  trennt  das  object  von  seinem  verbum.  Das  ge- 
wöhnliche ist,  dass  das  object  in  unmittelbarer  nähe  des  ver- 
bums  steht.  Die  enge  Zusammengehörigkeit  der  beiden  Satz- 
teile erfordert  in  der  regel  alliteration  beider,  ausser  wo  das 
object  durch  ein  pronomen  gebildet  wird: 

86  that  sea  er^iuuard  |  dgan  ni  mnostun 

160  that  hie  is  ginaerkes  sd  |  nundrön  scolda 

1629  hnö  gt  Idstean  scnlon  |  ISra  mtna 

1630  thann  gt  iuuna  fastnnnea  |  frummean  auellean 
4722  thär  gmotta  thie  godes  suno  |  iangron  stna, 

aber  auch 

151    habit  nnc  eldi  binoman  |  elleandädi 

und  bei  pronominalem  object: 

2674  hnö  sia  ina  sd  craftigna  |  for  6non  cli^e  uurpin 

2732  that  that  erlo  gihailic  |  uo^ian  scolda 

2755  that  ik  tht  than  after  thia  |  drdn  nnillia 

4850  huena  sia  mid  thia  gisttha  |  sökian  qaämin. 

4)  Sie  trennt  das  adrerbium  vom  verbum.  Das  ad- 
verbium  alliteriert  immer,  mag  es  nun  reines  adverbium  sein 
oder  aus  einem  Substantiv  (mit  präposition)  bestehen;  ausge- 
nommen sind  die  kleinen  partikeln  wie  s8,  ih&r  etc.,  also: 

77  huand  hie  simblon  gemo  |  gode  thionöda 

89  that  ina  torohtltco  |  tidi  gimanddnn 

99  snttho  thioUco  |  thiggean  scoldnn 

24  that  sea  scoldnn  ahebbean  |  hdlagaro  stemnon 

40  endi  thao  all  bifieng  |  mid  dnu  nuordu; 

vgl  noch  417.  2771.  3535.  5276.  5328.  5386. 


ZUR  METRIK  DES  HELIAND.  185 

5)  Sie  trennt  die  relativpartikel  von  einem  voraus- 
gehenden demonstrativurn,  nur  v.  923:  bist  thü  enig  thero  \ 
thi  her  er  utiäri]  an  allen  tlbrigen  stellen  ist  das  demonstra- 
tivum  von  Sievers  richtig  zur  zweiten  vershälfte  gezogen  (es 
kommen  in  betracht  v.  835.  1676.  1825.  1947.  2047.  2786), 
während  Heyne  noch  schwankt.  Doch  scheint  v.  923  nicht 
anzufechten  zu  sein,  vgl.  Sievers*  anmerkung  dazu. 

6)  Sie  trennt  das  hülfsverbum  von  seinem  infinitiv. 
Dieser  fall  kommt  im  ganzen  nicht  häufig  vor.  Gewöhnlich 
ißt  der  infinitiv  dann  viertes  Stabwort: 

509  80  mnosta  sin  mid  iro  brüdigumen  |  bodlo  giaaaldan 

574  that  hie  mohta  fan  erthu  |  npp  gihdrean 

4627  th§  80  nndar  theson  himile  8cal  |  herron  uuehsldn  *) 

3856  uuoldan  ina  thia  unidarsacon  |  unordon  farfähan. 

2.    Die  cäsur  nach  der  langzeile. 

Hier  ergeben  sich  gröstenteils  dieselben  resultate;  ich  be- 
gnüge mich  also  einfach  auf  die  unter  1)  besprochenen  fälle 
zu  verweisen  und  einige  beispiele  anzuführen. 

1)  Wie  oben. 

121    ne  st  that  hie  mt  an  is  ärandi  hnarod  ||  sendean  aaillie 
131    quad  that  hie  im  t^reas  sd  fiiu  || . . .  |  forge^an  uuoldi 
156    BÖ  Unit  giü  8Ö  managan  dag  ||  naärun  an  the8aro  uneroldi ; 

Vgl.  786.  1042.  1065.  1200.  1204.  1219.  1301,  1510  etc. 

Ist  ein  prädicatives  nomen  von  seinem  hülfsverbum  durch 
die  cäsur  getrenn t,  so  scheint  auch  das  letztere  alliterieren  zu 
müssen,  wenn  es  nach  dem  nomen  steht: 

998    theses  anilleo  ik  urkandeo  ||  uuesan  an  thesaro  uneroldi 
1062    unända  that  hie  man  §nuald  ||  nuäri  nnissnngo 
4301    thia  for  im  geginnuarda  ||  8innon  8indon. 

Besteht  das  prädicat  aus  einer  zusammengesetzten  verbal- 
form und  geht  das  hülfsverbum  voraus,  so  folgt  das  participium 
mindestens  als  stabwort,  und  zwar  steht  es  unbedingt  als 
erster  reimstab,  wenn  es  nur  noch  eine  adverbiale  erwei- 
terung  (nicht  aber  etwa  das  subject  oder  dgl.)  bei  sich  hat; 
also  zwar: 


0  Heyne  teilt  fälschlich  vor  scaL 


186  HÖRN 

127    sd  hadit  im  uordgiscapu  ||  m^tod  gim4rcdd 
165    6r  than  tht  magu  uuirdit  || .  .  .  |  6rl  aföodit, 

aber: 

339  ff.    thuo  uuarth  fan  Rümuborg  |  . . .  ||  kuman  fan  them  k^sure 
794       thuo  sia  that  geld  habdun  ||  gilSstid  te  iro  landuatsun 
859       than  uuas  im  Johannes  |  . . .  1  aauahsan  an  enero  nudstinniu 
4393       that  thär  unarth  gumono  barnon  ||  giuuarht  fan  thesaro 

uueruldes  endie. 

Doch  kann  auch  das  subject  nachstehen,  z.b.: 
2665    8Ö  thär  nuas  thie  hdlago  Crist  ||  giboran  that  barn  godes. 

2)   Ganz  wie  oben. 

a)  530    buoki  giuatsdun  ||  hdlagaro  handgiuuerc 
758    thar  dn  aha  fliutid  ||  Nilström  mikil. 

b)  Die    beiden  teile    brauchen    nicht   unmittelbar   neben 

einander  zu  stehen,  sondern  können  namentlich  auch  durch 

verba  getrennt  sein: 

129  that  ik  scoldi  gistth  uuesan  ||  he^ancuninges 

186  that  sia  üses  uualdandes  ||  Idra  Icstin 

264  thü  scalt  üses  drohtines  uuesan  ||  mödor  mid  mannon 

300  ne  uuissa  hie  uualdandes  thuo  noh  ]  bltthi  gibodscipL 

Einzelne  ausnahmen  von  den  hierbei  geltenden  allitera- 
tionsgesetzen  finden  sieh  bei  den  Verbindungen  mit  ftlu,  dar- 
unter auch  eiqe  im  innern  der  langzeile.  Es  steht  nämlich 
ftlu  öfter  vor  der  cäsur  mit  einem  dieser  folgenden  abhängigen 
genetiv,  ohne  dass  es  reimt.  So  in  der  langzeile  selbst  (nach 
Sievers*  abteilung): 

465    thie  ha^da  an  them  uuthe  sd  filo  |  uuintro  endi  sumaro 

am  ende  derselben: 

96    thuo  uuarth  thär  gisamnöd  filo  || ...  |  Indeo  liudeo 
934    thoh  sea  hier  ni  uuelle  forstandan  filo  ||  uuerodes  .  .  . 
3672    quam  im  thär  tegegnes  filo  ||  uuerodes  an  uuilleon. 

Es  stimmt  dies  gut  zu  der  beobachtung  Riegers  s.  23,  dass 

ftlu  nicht  das  volle  recht  eines  substantivischen  neutrums  wahrt, 

sondern  z.  b.  vor  einem  andern  nomen  stehen  kann  ohne  zu 

alliterieren.    Allerdings  folgt  daraus  natQrlich  nicht,  dass  es 

ohne  alliteration  stehen  mttsse,  vgl. 

20S    thie  so  filo  Consta  ||  uutsaro  uuordo 
4242    endi  im  filo  sagda  ||  uuäraro  uuordo, 

rsü  auch  sd  sculwi  gi  undar   iuuua  fioAd  faran  \  ,  wukw  ftlu 


ZUB  METRIK  DES  HELIAND.  187 

thiodo  1875.  Analog  verhalten  sich  auch  diecardinalzahlen 
(Rieger  s.  20.  23),  vgl. 

144  6fno  tad'ntig  ||  uaintro  an  nncro  uueroldi. 
c)  Beide  teile  sind  gewöhnlich  ausser  durch  die  cäsur 
noch  durch  andere  Wörter  getrennt,  da  ja  der  hauptstab, 
welchen  der  erste  teil  der  Verbindung  bildet,  im  allgemeinen 
nicht  an  letzter  stelle  des  verses  stehen  kann.  Es  kann  sogar 
auch  ein  ganzer  halbvers  dazwischen  treten: 

2873    that  sia  thär  mahtigna  ||  herron  habdun. 
2349    endi  sd  manag  mahtigltc  ||  t8can  gitdgda 
3889    thar  nuas  sd  mahtigltc  1  bilithi  gibdcnit 

261    thü  scalt  for  allen  nueban  {|  naiven  giaoihid 

526    manag  fagondda  ||  nuerod  after  them  uuihe 

589    6n  scoldi  aotnan  ||  himiltangal  huit 

863    thär  uuarth  im  mahtig  cuman  ||  an  thero  naöstinniu  i  naord 

fan  himile 
1519    neuan  bö  ik  in  mid  mtnun  hier  ||  suttho  noarltco  |  unordon 

gibindn 

433    huilic  im  thär  bilithi  nuarth  ||  fan  he^anauange  |  hSlag  gitögid. 

Vgl.  ausserdem  495.  937.  1044.  1815.  1958.  2027.  2440.  2829. 
3573.  3765  etc. 

Ausnahmsweise  finden  sich  je  einmal  managa  und  thxnon, 
also  Wörter,  die  auch  ohne  alliteration  einem  nomen  voraus- 
gehen können,  durch  die  cäsur  von  ihrem  nomen  getrennt  ohne 
zu  alliterieren: 

1006    endi  hdlean  managa  ||  manne  m^ndädi 
3813    räd  for  thinon  ||  landmägon  uuel. 

Ganz  abnorm  ist  v.  4329  f. 

fulleaS  mid  iro  ferahu  |  ferid  unmet  gröt 
hungar  hetigrim  |  o^ar  helitho  barn. 

Hier  haben  wir  zwei  Verstösse;  ferid  darf  nicht  alliterieren, 
wenn  nicht  auch  das  folgende  nomen  alliteriert,  und  dieses 
mttste  alliterieren,  weil  es  als  voUadjectivum  von  seinem  sub- 
stantivum  durch  die  cäsur  getrennt  ist 

3)  Wie  oben,  z.  b. 

105    huan  ^r  thie  fmodo  man  |  gifrumid  habdi  ||  uualdandes  unilleon 
131    qaat$  that  hie  im  tyreas  sd  filo  ||  an  godes  rtkea  |  forge^an  uueldi. 

4)  Wie  oben,  z.  b. 

2157    habda  thuo  giärundeöd  |  al  sd  hie  nuelda  ||  säliglico 

3689    sprac  thuo  unordo  filo  |  hriunigltco 

3853    endi  that  sia  than  auurpin  |  nuerös  mid  handon  ||  staroon  st^on. 


188  HÖRN 

5)  Ich  habe  zwei  stellen  gefunden ,  an  denen  beide  teile 
nicht  getrennt  sind,  nämlich  tJiat  uuarth  thär  uundro  irist  \\ 
thero  the  hie  thär  . . .  gitdgdi  2074  und  thd  uuas  endago  \  allaro 
manno  ||  ihes  uuxsösten  \  thero  thie  gie  an  thesa  uuerold  quämi,  \\ 
thero  thie  quena  enig  \  kind  gidruogi  2785  ff.  An  einer  andern 
stelle  trennen  Heyne  und  Sievers,  nämlich  managa  sind  thero  \\ 
thia  uuelliat  allaro  dago  gihuilikes  \  te  drohüne  hmgan  1916  f. 
Ich  trage  kein  bedenken,  auch  hier  thero  zum  folgenden  verse 
zu  ziehen  (doch  vgl.  Siovers  zu  Hei.  923). 

6)  Dieser  fall  erscheint  sehr  häufig^  wie  schon  von  Sie- 
vers, Haupts  zs.  XIX,  51  f.  belegt  worden  ist 

IT.   Die  Stellung  der  ahd.  denkmäler. 

Rieger  berührt  im  eingang  seiner  arbeit  die  wenigen  ahd. 
denkmäler,  die  in  Stabreimen  abgefasst  sind,  nur  kurz  und 
will  sie  an  den  auf  ags.  und  alts.  gebiete  gewonnenen  ergeb- 
nissen  geprüft  wissen.  Das  resultat  dieser  prüfung  sind  einige 
emendationen  im  Hildebrandsliede  und  im  Wessobrunner  gebet; 
das  Muspilli  wird  mit  recht  als  bereits  ganz  zerrüttet  bezeichnet. 
Ich  denke  es  wird  nützlich  sein,  die  Verstösse  dieser  denkmäler 
gegen  die  strengen  versregeln  einmal  zusammenzustellen,  wäre 
es  auch  nur  um  dadurch  zu  zeigen,  dass  durch  die  kritischen 
behandlungen,  die  sie  durch  MüUenhoff  u.  a.  erfahren  haben, 
keineswegs  reguläre  alliterierende  verse  hergestellt  sind,  ja 
dass  manche  änderungen  die  verse  verschlechtem,  statt  sie  zu 
bessern. 

1.  Das  Hildebrandslied.  Dies  steht  mit  seinen  kürzeren 
und  gedrungeneren  versen  der  ags.  dichtung  näher  als  der 
Heliand,  im  übrigen  aber  zeigt  es  bereits  viel  mehr  spuren 
des  Verfalles  als  jener.  Von  68  versen  erscheinen  nur  noch 
22  mit  drei  reimstäben,  im  Heliand  entfällt  auf  ein  gleiches 
stück  im  durchschnitt  mehr  als  die  doppelte  anzahL  Das 
Schema  1+2  (oder  2  +  2)  findet  sich  scheinbar  zweimal: 
dat  Htldibrant  hwtti  min  fdter  \  ih  heittu  Hddubrant  17  und  her 
was  Ö'tachre  \  ümmett  irri  28.  Im  ersteren  falle  ist  aber  Hadu- 
braut  einziges  stabwort,  im  zweiten  kann  man  wnmeit  irri  als 
compositum  fassen,  wie  wir  das  ja  auch  für  den  Heliand  zu 
tun  geneigt  waren  (s.  181). 


ZUR  METRIK  DES  HELTAND.  189 

Beschränkung  des  ersten  halbverses  auf  6m  stabwort 
findet  sich  10  mal,  v.  19.  23.  25.  47  (habes  ist  unbetont).  48. 
51.  58.  62.  63.  67,  also  in  dem  siebenten  teile  der  verse,  wäh- 
rend im  Hei.  etwa  der  elfte  teil  herauskommt.  Für  den  zwei- 
ten halbvers  findet  sich  kein  beispiel  dieser  beschränkung 
(denn  Deotrichhe  26  gehört  als  compositum  nicht  hierher). 

Es  fehlt  die  alliteration  v.  15  dat  sagetun  mi  \  üsere  liuti, 
wo  sie  durch  den  endreim  ersetzt  zu  sein  scheint,  und,  wenn 
man  es  genau  nehmen  will,  auch  v.  60  güdea  gimeinün  \  niuse 
de  mditiy  denn  nur  güdea  könnte  hier  im  ersten  halbverse  alli- 
terieren, im  zweiten  halbrerse  nur  niuse.  Doch  scheinen  die 
beiden  anlautenden  m  von  gimeinün  und  motu  hier  als  aus- 
hülfe dienen  zu  sollen.  Eine  weitere  Verletzung  der  betonungs- 
und  alliterationsgesetze  findet  sich  v.  51  dar  man  mih  eo  sce- 
rita  I  in  folc  sceotantero ,  wo  sceotantero  folc  stehen  oder  folc 
alliterieren  mttste.  Anstössig  ist  auch  wer  dar  sih  dero  hregilo  \ 
hiutu  hrumen  muotti  61 ,  mag  man  nun  hruomen  oder  rümen 
schreiben.  Hiernach  halte  ich  es  nicht  für  zulässig,  mit  Rieger 
s.  2  den  ebenfalls  streng  genommen  unzulässigen  vers  tot  ist 
Mltibrant  \  Heribranies  sünu  durch  Umstellung  (IJiltibra7U  ist  tot) 
zu  bessern.  Es  sind  der  anzeichen  des  Verfalles  genug,  um 
dem  dichter  auch  diesen  lapsus  zutrauen  zu  dürfen. 

2,  Das  Muspilli  befindet  sich  wie  schon  gesagt  in  völliger 
Zerrüttung.  Mir  ist  zunächst  aufgefallen  die  grosse  zahl  der 
ersten  halbverse  mit  nur  6inem  stabwort,  4.  5.  7.  8.  12.  16.  29. 
30.  32.  35.  36.  37.  43.  45.  47.  49  (?).  60.  65.  67.  69.  74.  76. 
78.  79.  84.  85.  87.  89.  93.  98.  99.  102,  d.  h.  32  von  etwa  100, 
ungefähr  der  dritte  teil.  V.  76  müssen  wir  sogar,  wenn  die 
Überlieferung  richtig  ist,  ein  einsilbiges  stabwort  an  dieser 
stelle  constatieren. 

Reimverse  statt  alliterierender  v.  61  f.  diu  marha  ist  far- 
prunnan  \  diu  sela  stet  piduungan :  ni  uueiz  mit  uuiu  puaze :  sär 
uerit  si  za  uuize\  v.  78  f.  dar  uuirdit  diu  suona  \  dia  man  dar  io 
sagita  \  denne  uarant  engilä  \  uper  dio  marhä  (denn  engilä  und 
uper  können  unmöglich  alliterieren);  zweifelhafter  sind  deiine 
stSt  dar  ümpi  \  engilo  menigi  87  und  uuä7iit  sih  kinäda  \  diu 
uuinaga  sela  28,  da  hier  sich  zur  not  alliteration  heraus- 
bringen^lässt. 


1 90  HÖRN 

Fehler  gegen  betonungs-  und  allitcrationsgeBetze  weisen  auf: 

22  pehhes  ptna  |  dar  piutit  der  Satanas  altist 

27  daz  der  man  haret  ze  gote  |  endi  imu  hilfa  ni  quimit 

2S  uuänit  sih  kinäda  |  diu  uuenaga  sela 

53  mnor  uarsuuilihit  sih,  |  soilizöt  lougiu  der  himil 

67  denne  er  mit  d8n  miatOn  |  marrit  daz  rehta 

7 1  daz  er  iz  allaz  kisag^t  |  denne  er  ze  deru  suonu  quimit 

90  so  dar  manno  nihein  |  uuiht  pimidan  ni  mak. 

Hier  alliteriert  stets  ein  verbum  allein  ohne  das  substantivum, 
was  unzulässig  ist  In  22.  53  haben  wir  ausserdem  in  altist, 
der  himil  unerträgliche  Überschüsse  nach  dem  vierten  stabwort, 
die  durchaus  nicht  mit  Müllenhoff  zu  den  folgenden  versen 
gezogen  werden  können ;  denn  ein  vers  der  altisto,  heizzMi  laue 
oder  der  himil,  mäno  uallit  widerspricht  nicht  nur  metrisch 
allen  regeln,  sondern  auch  in  beziehung  auf  die  Verteilung  der 
Satzglieder  auf  die  halbverse.  Zweifelhaft,  ob  hierher  gehörig 
ist  uuechant  deotä  \  tadssant  ze  dinge  80,  da  man  nicht  weiss, 
ob  die  alliteration  auf  uu  oder  auf  d  sein  soll  (im  zweiten 
falle  genügt  das  zweisilbige  dinge  nicht  als  drittes  stabwort). 

13    die  pringent  sia  sär  üf  in  himilo  rthhi 
ist  ganz  ohne  alliteration ;    die  änderung  von  Feussner   üf  in 
paradxsi  ist  ebenso  unzulässig  wie  die  von  Müllenhoff  ü'f  sär  \ 
in  himilo  rthhi]  denn  im  ersten  falle  müste  üf  alliterieren,  im 
zweiten  falle  ist  die  betonung  der  präposition  unerhört 

15  selida  äno  sorgün  |  dar  nist  neoman  siah 
alliteration  des  viei-ten  stabwortes  statt  des  dritten;  Müllenhoffs 

Umstellung  siuh  neoman  verstösst  gegen  die  natürliche  Wortfolge. 

16  denne  der  man  in  pardisu  |  pü  kianinnit 
man  müste  mit  alliterieren. 

18    pidiu  ist  dürft  mihhil  |  allere  manno  unelthhemo 
ist  ohne  alliteration,  da  das  unemphatisch  nachgesetzte  mihhil 
nicht  reimstab  sein  kann;  gegen  Müllenhoffs  ergänzung  dcu  ze 
pidenchanne  ist  natürlich  nichts  einzuwenden. 

30    nuanta  hiar  in  uuerolti  |  after  ni  auerköta 
after  müste  als  adverbialpräposition   den  ton  und  die  allitera- 
tion haben. 

37    daz  hörtih  rahhön  |  dia  uaeroltrehtautson. 
Nach  den  gewöhnlichen  betonungsgesetzen  müste  uuerolt-  allite- 
rieren, doch  hat  vielleicht  Vetter  recht,    wenn  er  s.  49   hier 
lockerere  composition  mit  hauptbetonung  von  riht-  annimmt 
Abnorm  bleibt  aber  der  vers  immerhin. 


ZUB  METRIK  DES  HELIAND.  191 

49    daz  Elias  in  demo  nntge  |  arnuarfcit  naerde 
Elias  mttBte  mit  alliteriereii  (in  der  zweiten  vershälfte  braucht 
nicht  doppelalliteration  angenommen   zu  werden,  ebensowenig 
wie  V.  2  likkan  läzziiy  s.  oben  s.  173). 

58  f.  denne  daz  preita  unasal  |  allaz  uarprennit 
enti  fuir  enti  luft  |  iz  allaz  arfnrpit 
Es  fällt  zunächst  auf,  dass  allaz  in  beiden  versen  nicht  allite- 
riert, was  doch  gewöhnlich  der  fall  ist  wo  es  allein  neben  dem 
verbum  steht,  vgl.  endi  ihm  dll  hifieng  Hei.  40,  dl  antkenda  478, 
hiet  that  sia  iro  drundl  \  dl  U7iderfundin  638  etc.  Aehnlich 
fehlerhafte  betonungen  haben  auch  wahrscheinlich  y.  4.  5  sd 
quimit  ein  heri  \  fona  himilzungalon,  ||  daz  andar  fima  pehhe\ 
denn  die  betonten  gegensätze  ein  —  andar  hätten  notwendig 
durch  die  alliteration  zur  anschauung  gebracht  werden  müssen. 
Aber  auch  sonst  sind  die  verse  tadelhaft,  weil  uarprennit  und 
arfnrpit  als  einzige  stabwörter  der  zweiten  vershälfte  min- 
destens dreisilbig  hätten  sein  müssen  (y^ar-  und  ar-  zählen  ja 
natürlich  nicht  mit).    Ebenso  ist  doppelt  bedenklich 

76    daz  ist  allaz  so  pald  |  daz  imo  nioman  kipägan  ni  mag, 
teils  wegen  des  mangels  an  alliteration  bei  allaz,  teils  weil 
pald  als  einsilbiges  wort  nicht  alleiniger  stab  sein  kann  (vgl. 
auch  71). 

3.  Ueber  das  Wessobrunner  gebet  ist  wegen  der 
kürze  und  unsicheren  Überlieferung  wenig  sicheres  zu  bemerken. 
Anstössig  ist  der  vers  db  dar  nü  niuuiht  ni  uuas  \  enteo  ni 
uuenteo.  Rieger  will  statt  niuuiht  mit  Grein  Germ.  X,  310 
iuwiht  lesen.  Aber  diese  form  für  iowiht,  eowiht  stösst  für  jene 
zeit  auf  schwere  bedenken.  Ich  meine,  dass  niwiht  zu  betonen 
sei  und  in  der  gereimten  formel  enteo  ni  uuenteo  eine  fehler- 
hafte stabreimverbindung  angenommen  werden  müsse,  die  mit 
den  ähnlichen  fehlem  der  Übrigen  ahd.  denkmäler  auf  eine 
stufe  zu  stellen  ist. 

Besultate:  Die  ahd.  denkmäler,  namentlich  Muspilli, 
zeigen  die  alliteration  in  vollem  verfall.  Betonungsgesetze 
werden  verletzt,  die  verse  willkürlich  getrennt,  reimverse 
mischen  sich  bereits  ein.  Die  alliteration  ist  etwas  äusser- 
liches  geworden;  man  gibt  einigen  Wörtern  gleichen  anlaut, 
ihre  Stellung  zu  einander  wird  schon  gleichgültig.  Es  würde 
ein  vergebliches  beginnen  sein,   alle  diese  abweichungen  von 


192  NACHTRAG.  —  NOTIZ. 

der  strengen  norm  der  ags.  und  alts.  dicbtung  bloss  fehlerhafter 
Überlieferung  zuzuschreiben  und  eine  heilung  dieser  schaden 
zu  versuchen.  Sie  sind  vielmehr  marksteine  des  Sinkens  der 
kunstübung,  das  den  eintriti  der  reimpoesie  an  stelle  der 
nationalen  dichtungsforni  vorbereitet,  und  als  solche  haben  wir 
sie  sorgfiiltig  zu  bewahren  und  literargeschichtlich  wie  metrisch 
zu  verwerten. 

RIGA.  CARL  RICHARD  HÖRN. 


NACHTRAG. 

(Zu  IV,  8.  19S  f.). 

Bei  der  ausarbcituug  der  abhaudlung  'zur  Holgisage'  ist 
von  mir  übersehen  worden,  dass  bereits  M.  Rieger  Germ.  III, 
183  die  Verwirrung  angedeutet  hat,  die  in  den  nordischen 
quellen  in  betreff  der  namen  Hiordis  und  Sigriinn  herscht 
Auch  der  versuch,  diese  Verwirrung  durch  eine  gegenseitige 
beeinflussung  der  VölHungensage  und  der  sage  von  Helgi  Higr- 
varRsson  zu  erklären,  ist  dort  gemacht  worden. 

Gelegentlich  dieser  berichtigung  sei  es  mir  gestattet,  nach- 
träglich auf  ein  interessantes  zeugnis  fttr  die  sage  von  Helgi 
Haddingjaskati  hinzuweisen.  In  Hallfreds  erfidräpa  auf  könig 
Olaf  Tryggvason  str.  5  (Foriisögur  s.  208)  wird  Olaf  bezeichnet 
als  Dollr  SkffivaÖar  geima.  Die  Kalfsvisa  TSE  I,  482.  Bugges 
Edda  8.  334")  nennt  SkjevaÖr  als  das  ross  aes  Helgi  Hadding- 
jaskati, und  die  Zuverlässigkeit  dieser  angäbe  zu  bezweifeln, 
ist  um  so  weniger  grund  vorhanden,  als  andere  dort  angeführte 
hestaheiti  anderwärts  ihre  bestätigung  finden.  So  z.  b.  Grani 
als  Sigurds  ross,  Goti  als  das  des  Gunnar  (vgl  SE  I,  360. 
Vols.  s.  c.  27),  Holkvir  als  das  Hognis  (vgl.  Vols.  s.  c.  27). 
Damit  erlangen  wir  ein  zeugnis  für  die  sage  von  Helgi  Had- 
dingjaskati von  der  grenzseheide  des  10.  und  11.  Jahrhunderts. 
Inwiefeni  die  von  Egilsson  (Lex.  poet  725  b)  beigebrachte 
kenning  aus  den  GySiugs  visur  als  zeugnis  für  unsere  sage 
ins  gewicht  fällt,  vermag  ich  nicht  zu  entscheiden. 

28.  7.  77.  B.  SYMONS. 

NOTIZ«  Es  war  mir  entgangen,  dass  von  den  im  dritten 
bände  der  Beitr.  s.  359  ff.  aus  der  Berner  Gregoriushandschrift 
abgedruckten  geistl.  stücken  1.  bereits  von  Kehrein,  Kirchen- 
u.  religiöse  lieder  aus  dem  12.  bis  15.  jahrh.  (Paderborn  1853) 
s.  144  ff.  und  2.  ebendas.  136  ff.  veröffentlicht  sind,  beide  aus 
der  Wiener  hs.  2856,  deren  text  meistens  den  vorzug  verdient 

FREIBURG  i.  Br.  H.  PAUL. 


UNSER  VROUWEN  KLAGE. 


I.  TEXT. 

Jisü,  minnecRcher  Krisi, 
der  sSien  trdst,  der  sünder  vrist: 
du  bist  genant  des  vater  wort! 
der  scelden  schaz,  des  heiles  hört; 
5  du  bist  daz  übervlüzzic  giLOt, 

des  herzen  spil,  der  gnaden  vluot: 
du  bist  diu  süeze  süezikeit, 
unt  aller  wünne  seelikeit. 
du  kamt  von  gilete  niht  versagest; 

10  erhcere,  herre,  mine  clage. 

ich  bitich,  vater,  werder  Krist, 
wan  du  der  gnäde  brunne  bist: 
ensliuz  mir  der  gnaden  schrin, 
daz  mir  din  sileze  werde  schin, 

15  durch  die  mag  et,  diu  dich  gebar, 

s6  lä  mich  werden  gewar 
wer  oder  waz  du  mügest  sin. 
nü  trcßste,  got,  daz  herze  min. 


V eher  Schriften:  Hie  vabet  an  vnser  lieben  |  frawen  klage  die  da 
hat  I  geschriben  sant  lucas  ein  |  besnnder  Capplon  vnser  |  lieben  frauwen. 
rot  A,  Ditz  bvch  heist  ynser  vrowen  |  klage.  Die  sol  man  lesen  alle 
tage  rot  B ,  Unser  vrowen  obläge  C,  fehlt  DI,  Assit  p*ncipio  sancta 
maria  meo  amen  G,  Na  merk  ain  gar  schün  gut  gedieht  von  unser 
fibwen  klag  if.  1 — 56  fehlen  L  1.  Jhesas /^.  2.  sele — sünden  £^.  3.  4. 
vgL  1514.  15.  3.  vaters  B.  4.  sei  .  .  schaides  G,  5.  v'ber  fliv.iek  G. 
6.  gDieden  Mt  G.  9.  Diu  kan  v.  gote  G.  10.  min  klagen  B.  12.  gena- 
den  B.  13.  Entslinze  B.  Vn  e.  m.  got  der  G.  14.  dtn]  der  G.  16.  lan 
—  din  gew.  G.  mich  e  w.  B.  17.  waz]  wa  G.  dft  fehlt  B.  18.  Nun  G 
{und  immer  so  in)  B,    herr  got  G, 

B«*itrlfgc  2U(  getcbloht«  der  d«utsolMU  tpruolie     V.  |3 


194  MILCHSACK 

du  bist  ein  wunder,  ichn  weiz  waz, 
20  nach  dir  ist  mir  rve  unt  tvirt  mir  baz, 

sd  du  dich  in  mich  giuzest 

unt  mich  in  dich  beslitizest: 

so  hat  diu  sele  srvaz  si  wil: 

sie  pfliget  niht  wan  vröuden  spil, 
25  sie  lachet  unde  singet, 

wan  si  diu  vröude  twmget. 

ir  ist  vil  we,  got,  äne  dich, 

ach,  liebez  liep,  nü  trceste  mich: 

des  heilegen  geistes  süezikeit, 
30  diu  alles  tr6stes  kröne  treit, 

die  sende  in  daz  herze  min, 

diu  von  dem  höhen  trotte  din 

vliuzet  in  reiniu  herzen, 

so  Wirt  mr  buoz  des  smerzen, 
35  den  ich,  hirre,  h&n  nach  dir. 

vil  werder  goi,  tiä  gip  dich  mir: 

durch  dine  milte  miltikeit 

s6  sende  mir  diti  wisheit, 

diu  dünen  jungem  wart  gesant 
40  unt  noch  den  guoten  ist  er  kamt; 

wan  du  bist  daz  guote  guot. 

nü  lire,  hirre,  nAnen  muot, 

min  herze  unt  ouch  die  sSle  min, 

daz  ich  den  jcemerHchen  pin, 
45  die  quäl  unt  ouch  den  smerzen, 

den  an  ir  herzen 

Maria  hete,  dd  sie  sach 

von  dir  vliezen  des  bluotes  bach, 

dd  du  Menge  in  grözer  not 
50  mit  smerzen,  wunt  unz  üf  den  tot, 

daz  ich  so  müge  ir  clage 

19.  ich  enwaiss  H,  D.  b.  an  wnder  auch  en  waz  G,  20.  mir 
ist  G,  unt  fehU  —  mir  wirt  H,  23.  min  sei  H.  25.  vfi  G,  fast  immer 
m  dieser  form,  32.  hoche  G,  36.  vil]  o  H,  37.  Absatz  —  diner  E. 
38.  din]  die  ff,  40.  bekant  ff,  41.  dii]diu  G,  Zu  42--45  vgl,  412— 1&. 
44.  D.  icht  üin  iemerliche  bin  G.  Zu  45—50  vgl.  392—96.  45.  oUk  ^» 
Zu  47  vgl.  94.    50.  M.  am.  yfi  biz  an  tot  G. 


UNSER  VBOÜWEN  KLAGE.  195 

kündm,  sehMen  ttnde  raffen, 
daz  dir  $%  lop  wä  Sre 
nnt  sich  nAn  s/eide  mSre 
^5  U7it  mir  dm  reine  tmoter  ^n 

ir  gnäde  t%iO  mt  4riuf»eH  whin. 

Ich  bit  auch  dich,  Maria  guot, 

durch  daz  mirmecHche  bhiot, 

daz  van  dinem  kinde  vldz, 
60  da  ei'  hienc  nackent  tmde  bl6z, 

daz  du  gemedic  wellest  sin 

allen,  die  diz  btiecheHn 

lesen  oder  hceren  lesen: 

die  müezen  immer  seelic  wesen, 
65  swer  ez  liset  od  hcert  mit  zuht, 

dem  teile,  vrouwe,  der  seelden  vruht: 

tuo  im  dine  gnäde  sch&n, 

vertrip  von  im  des  herzen  ptn: 

sin  müezen  gotes  enget  pMegen, 
70  daz  im  werde  der  süeze  segen, 

den  got  den  guoien  geben  sol, 

s6  er  si  machet  vrimden  vol 

an  dem  jungestHchen  tage, 

sd  Wirt  vil  groz  der  sünder  clage: 
75  da  soltü,  mag  et,  gencedic  wesen, 

den  die  din  clage  hoßrent  lesen, 

die  du  hete,  dö  din  kint 


51.  Daz  ich  nüg  es  gesagen  H,  52.  künden  fehU  G,  sage  Gy 
klagen  H,  53.  lop  si  H,  55.  din  rainu  G,  56.  tüge  H.  Ir  gnsede 
din  »Bchin  ^mit  trinwen  ane  maria  sit  dir  lob  vil  e.  G,  Zu  57—60  vgl. 
1620—23.  57.  Kein  dbsatz  H.  bit  dich  oach  (o  1)  HL  60.  hienni'kent 
G,  Zu  61—64  vgl  1636—39.  62.  den  die  i.  den  {am  rande)  die  daz  G. 
64.  Daz  die  iemer  s.  w.  H,  65.  oder  GEL  66.  der  gnaden  HI^  din  G^ 
Zu  67.  8  vgL  1025.  6.  67.  in  /.  68.  in  /.  dez  Gy  eines  H.  Zu  69—72 
vgL  1640—43.  69.  Sin  müezent  Uy  Ir  miessont  /,  Sin  müzze  G.  70.  in 
i.  72.  sie  Gy  sy  /,  sich  H,  Zu  73.  4  vgl,  444.  5.  73.  iüngstliche  dag 
Gy  jongstlichen  tag  Uy  iungsten  tages  schin  i.  74.  klag  Hy  pin  /.  75. 
6.  vgl  .61  —  64.  75.  Den  sOlt  m.  G,  76.  Den  fehlt  G,  gern  herent  1. 
i.     77.   8.  vgl    1253  —  55    und  II.  1070.  1. 


13 


•>  * 


196  .    MILCHSACK 

vor  dir  hienc  nncnt,  blöz  uft^blmi: 
den  hilf  vi!  gncedecRche 
80  in  äines  kindes  riche, 

da  in  ze  löne  goi  wil  geben 
wümie  unt  der  vröuden  leben. 

Ich  saz  aleine  an  einem  tage 
unt  gedähte  an  die  grözen  clage, 

85     an  die  quäle  unt  an  daz  leit 
unt  an  die  swseren  bitterkeit^ 
die  Marien  herze  enphiene^ 
dö  got  an  dem  criuze  hienc. 
ich  nam  yür  mich  ir  herzen  pin: 

90     der  wart  mir  voUecltchen  schln 
an  einem  bttecheUne. 
da  yant  ich  in  latlne, 
waz  diu  reine  maget  sprach 
unt  waz  si  tet,  dö  si  got  sach 

95     gebunden  unt  gevangen 
unt  vor  ir  ougen  hangen 
vil  bleich,  vil  val,  wunt  unt  blöz, 
dö  von  stnem  libe  vlöz 


84— 89  a  unt  naiD  vUr  mich  Märten      93—94     geschriben,  waz  diu  maget 

clage,  sprach 

b  ir  gröze  qn&le  unt  ir  ptn.  unt  was  st  tet ,  dö  si  ir 

kint  sach. 
98    dö  von  stnem  reinen  Itbe  vidi. 


78.  wnt  Gy  fehlt  H.  plos  am  wind  /.  Zu  79—82  vgL  1648—57.  80. 
kindez  Gy  yatters  ewig  B.  81.  Absatz  H.  wOl  1.  D.  i.  got  wil  ze  lone 
g.  H,  82.  frede  /.  Nach  82.  horent  ez  geren  lesen  G,  83.  Kein  absaiz 
H,  allein  ACH,  allain  i,  all  einen  G,  eyme  Z>.  85.  quäle]  clage  A. 
87.  sant  marien  A,  90.  Die  i>,  Daz  BCGHy  fehlt  /.  voUenclicbe  /, 
völliclichein  (ein  ist  undeutlich)  G,  91.  An  eyme  cleynen  buchelin  Z>, 
A.  e.  klain  bfis  biechlin  /.  92.  Daz  C.  in]  ynne  zu  D.  94.  got  fehlt  J). 
Da  sie  got  vor  ir  sach  A.  95.  Ir  kind  geb.  /.  96.  Unt]  nackend  /.  er- 
hangen BG.  97.  Vil  fehlt  D,  L'nd  C,  vil  fehlt  D.  V.  b.  wund  fal  vnd 
bl.  /,  V.  b.  verwunt  und  bl.  B,    Ob.  Daz  />.    sinen  slten  BC. 


84  a.  marie  /.  b.  grossen  i.  quall  By  not  G,  94.  Unt  waz  st  tet 
fehlt  G.  ir  kint  fehlt  /,  vgl.  v,  \W  9S.  Unt  von  B,  libe  reine  G.  siner 
reinen  siteu  B. 


UNSER  VROÜWEN  KLAGE.  197 

sin  vil  minneclichez  bluot. 
100     dd  kam  zehant  in  minen  muot, 

daz  ich  diu  wort,  diu  ich  da  vant, 
in  tiatsche  wolde  tuon  erkant 
allen  reinen  herzen, 
daz  st  der  megede  smerzen 
105     erkennen  möhten  dester  baz. 

ich  sagez  iu  reht  als  ich  ez  las. 

unt  twingt  mich  des  dm  minne 

der  reinen  küniginne. 

als  si  ez  kunte  rehie 
HO         einem  ir  knehte, 

s6  wil  ich  die  rede  sagen 

unt  der  werden  megede  clagen, 

daz  si  tet  bi  dem  kriuze  hSr, 

dar  an  ir  kint  hienc  vil  sSr. 

115  Nu  wil  ich  iuch,  kint,  biien, 

daz  ir  mit  guoten  siten 

iuwer  edel  tagende  zeigent 

tmi  iuweriu  dren  neigent 

ztw  den  warten,  diu  ich  hän 
12^  gediutet  so  ich  beste  kan, 

hcerent  si  mit  guoter  zuht. 


106  ich  sagez  in  rehte  als  ez  was. 


99.   Din  Ij  Daz  BC,    vil  fehlt  D,     minnencliche  By  minnechleich 

C.  101.    da  fehlt  AD,     102.  tütsche  /,  tue^sche  A,   tushe  G,  dutsche 

D,  deutsche  C,  devtschen  B.  wold  ich  C,  bekant  ADE,  104. 
megde  G,  magte  Hl,  meide  D,  maget  BC,  der  meg.]  iren  A.  105. 
Er  kenne  möchte  G,  deste  DH.  106.  ez  fehlt  BCD,  als  iz  was  BC. 
vgl.  IL  107.  twinget  GH,  dez  G,  das  /,  fehlt  H.  108.  raine  G, 
tngentlicbe  /.  110.  irS  G,  ir  lieben  BI.  Itl.  ich  v'ch  die  rode  /.  113- 
1 4.  vgl.  822.  3.  Vnd  das  laid  des  si  by  dem  krütz  enpfieng  Dar  an  ir 
liebes  kttnd  hienk  i.  113.  Die  H,  114.  Da  an  G.  Da  ir  k.  an  h.  v.  s. 
H.  Nath  111.  disce  puer  du  G.  115.  Kein  äbsatz  H.  116.  vil  galten 
G,  117.  edel  fehlt  —  tugent  HI.  erzeig.  H,  118.  iweriu  C,  üwere 
/.  119.  Absatz  H,  120.  Betiuten  U,  Betüttet  I,  121.  2  vgl.  65.  6.  und 
214.  15. 


106.   ez  fehlt  HI.   v'ch  i,  in  H,  fehlt  G.    recht  Gl,  eben  H, 


198  MILCHSACK 

wan  darcai  Ht  der  stßlde  vrmht. 
vertragmt  durch  den  werden  Frist, 
swaz  an  d^i  worin  gebresten  ist, 

125  U7it  länt  ditz  kleine  büechelin 

iuwer  sele  spiegel  «». 
ez  sol  der  SPIEGEL  sin  genant, 
ir  stilt  ez  dicke  nemen  zeJux^it, 
so  mügefit  ir  goies  mhine 

130  er  kernten  wol  dar  mne, 

wie  sir  er  iuch  hat  gnmnet, 
swer  sich  des  wol  persinnet, 
der  muoz  ouch  in  von  ahmen 
tint  ouch  von  herzen  minnen, 

135  da  von  s6  hcert  der  mirme  wort, 

wan  dar  an  Ht  der  seelde  hört. 

E  daz  wir  körnen  zito  der  clage 
Marieti,  so  wil  ich  iu  sagen 
ein  wort,  daz  »prichet  Salomdn 

140  ze  allen  iöhtern  V07i  S^dn 

an  der  mimie  bUtecheÜne. 
ez  sprichet  in  Mine: 
egredimni. 
von  Spöyi  ir  zarten  kmt, 

145  die  tioch  reinfu  megede  sittt, 

unt  ir  ander  kindel  guot, 
die  ze  gote  ir  muot 
gebunden  hänt  mit  stcetikeit, 
mit  minnen  unt  mit  kiuscheit: 

150  iuch  hat  eins  hohen  vürsten  ki)it 


122.  scle  GL  Wan  an  in  lit  der  genaht /T.  124.  den  fehlt  G.  gebFest- 
hafft  //.  127.  Er  G.  128.  zej  in  die  G,  in  ze  H,  130.  Er  kenne  G.  131. 
ge  liebet  i.  132.  wol]  reht  H.  Wers.  dar  in  recht  ycbet /.  133.  och  in 
Gy  in  ouch  /.  D.  m.  sich  vor  wol  bekennen  H,  134.  och  G  fehlt  HL 
minnen]  lieb  ge  winnen  /,  nemen  H,  1 35.  so  fehlt  L  horent  G^  herent  /. 
licbi  L  hOrent  min  w.  H.  136.  bo  lit  H.  Bälden  H,  sele  L  hört  et  c'  G. 
137.  Kein  ahsatz  HL  dem  H^  den  /.  clage  GHL  138.  Maria  H,  Marie 
/.  139.  Salamon  H.  140.  all.]  den  /.  141.  liebin  /.  142.  Ya  HL  143. 
HoheL  3,  11.  144—203  stehen  in  I  nach  204—271.  146.  andern  E, 
andre  L    vrouwen  if/.    149.  liebe  L    150.  ainez  G,  eines  H,  ains  L 


UNSER  VROÜWEN  KLAGE.  199 

mit  ganzen  triuwen  so  gemini, 

daz  er  iuch  m  erweit  hat 

ze  gemahelen  in  der  himelstai. 

er  ist  got,  gotes  kmt  genant, 
155  daz  minnewort  h&t  er  gesant 

den  reinen,  die  in  minnen 

wellen  mit  ganzen  sinnen, 

er  ist  gar  edel  unde  rieh, 

durchsüeze  unde  wünnecHch. 
160  er  ist  ein  miltiu  miltekeit 

unt  aller  tvünne  scelikeit, 

er  ist  vrcelich  alle  zit, 

wan  elliu  vröude  an  im  Ht, 

er  minnt,  wan  er  diu  minne  ist: 
165  er  kan  der  süezen  minne  list: 

sin  minne  diu  ist  reine. 

sin  schcene  ist  niht  kleine: 

er  ist  der  enget  stmne 

unt  aller  wünne  hrurme, 
170  er  ist  ein  süeziu  süezikeit, 

der  aJller  iren  kröne  treit. 

er  wil  der  sSl  gemahel  sin, 

mit  tröste  tuon  der  gnaden  schm; 

er  hat  ir  sinen  gruoz  gesant. 
175  daz  vürsten  kint  ist  er  genant. 

er  geret  diner  minne, 

6  sele,  käniginne, 

erkenne  düne  werdikeit 


15t.  gemaint  /.  152.  im  fehU  1.  in  al  der  weit  H.  153.  gemahel 
iT,  ge  machel  /.  155.  Der  liebi  w.  /,  Ditz  wunne  w.  U.  156.  lieb  ge 
winnen  /.  157.  Und  wönd  mit  ganzem  herzen  s.  H^  Mit  gantzen  vnd  mit 
stäten  B.  /.  159.  Durch  süz  G^  Schön  siesse  1.  minneclich  /.  16(L 
Absatz  H,  161.  tilgende  G.  162.  zu  aller  H.  165.  sieht  vor  164.  /. 
164.  minnet  GH.  Wen  er  allain  die  liebin  ist  /.  165.  minnen  //, 
liebin  /.  166.  liebin  i.  167.  die  ist  G,  Und  ist  niht  ze  kleine  H.  169. 
all  der  weit  H.  Zu  170.  1.  vgl  1632.  3  und  226.  7.  170.  der  stteze  H. 
171.  ere  H,  wunne/.  172—175  fehlen  1.  173.  Unt  wil  ir  tun  gnade  seh. 
H.  174.  ir  fehlt  H ,  aber  von  Mone  conjicierty  vnz  G.  175.  Des  H. 
176.  begert  B,  begeret  L    liebin  /. 


200  MILCHSACK 

unt  dine  höhe  scelikeit, 
180  unt  sich  wie  rieh  unt  wer  er  si, 

wie  edel,  schcene  unde  vri, 

der  ze  einer  brüt  hat  dich  erkorn, 

ach  got,  wie  scelic  ist  gebom, 

der  zuo  der  ire  komen  mac; 
185  dem  ist  erschinen  der  scelde  tac: 

er  sol,  er  mac  mit  vröuden  leben, 

im  ist  der  scelden  tac  geben. 

daz  Sit  ir  herzenlieben  kint, 

die  gotes  briut  mit  triuwen  sint. 
190  da  von,  ir  iöhter  von  Spdn, 

sehent  deti  kOnic  Salomön: 

gänt  üz,  egredimim, 

unt  sehent  wie  schcen  der  künec  si: 

tuont  üf  diu  ougen  schone 
195  unt  sehent  in  mit  der  kröne, 

mit  der  in  gekrcenet  hat 

sin  muoter  in  der  houbetsiat 

ze  JerusalSm  an  dem  tage 

sifie^  herzen  vröude  äne  clage. 
200  sin  muoter  hat  gekramet  in, 

des  herzen  ougen  unt  den  sin 

kirenf  an  den  werdest  Krist: 

sehent,  wie  er  gekrcenet  ist, 
S^on  bediutet  ods  vil, 
205  (swer  ez  in  tiutsche  diuten  wilj 

179.  din  /,  ouch  din  H,  ISO.  Sich  an  wie  /.  wie  er  sig  J7.  181. 
Edel  schön  und  ouch  frig  H,  W.  e.  vnd  wie  rechte  fri  /.  182.  D.  dich 
ze  e.  brüte  h.  e.  ü,  D.  zu  ainem  gemachel  h.  e.  /.  183.  ist  er  geb.  BL 
184.  den  eran  (eren  i)  BL  185.  seiden  i,  sälic  B,  186.  er]  unt  BL 
187.  tac]  zit  BL.  gegeb.  /.  188.  herzel.  Hy  hertzliebe  /.  189.  gmaohel 
I,  190.  Ga«nd  vs  ir  töchtem  /.  191.  kunik  C,  worden  /.  192—203  vgl. 
Bökel.  3,  11.  192.  uz  her  G.  194.  5.  Saiamon  (Salomon  i)  in  dem  trone 
(der  kröne  /)  ist  (Er  ist  i)  gekronet  schone  BL  Zu  196.  7.  vgl,  300.  1. 
196—99.  fehlen  BL  200.  gekroBnet]  ge  (W.  4»)  net  (t.  201.  2.  Tftnt  uf 
diu  o.  u.  d.  8.  sehent  den  niinneclichen  Crist  BL  203.  Wie  schon  er  B. 
204—271  stehen  vor  144—203  L  204.  Swen  man  das  in  tUtsch  vbz  lete 
so  bcdütet  syon  also  vil  (anschliessend  an  v,  144)  i.  betüt  B,  alBO 
B,    205.  ez  fehlt  G,    betiuten  BL 


UNSER  VROÜWEN  KLAGE.  201 


ein  Spiegel  ode  ein  schouwen. 
ir  kint,  ir  reinen  vrauwen, 
ir  mit  der  fugende  spiegel  sin 
uni  gotes  bilde  ein  clärer  schUn. 

210  der  Spiegel  ist  lüter  unde  clär: 

(üsb  Ht  ir,  kint,  daz  ist  war; 
ir  haut  ein  spiegeRchez  leben, 
ir  sult  der  tagende  spiegel  geben 
mit  reiner  uni  mit  g%u>ter  zuht 

215         (dar  an  Rt  der  scelden  vruhij: 
mäze  lachen,  weinen  vil 
unt  vHehen  diu  üppegen  werltspil, 
lüizel  reden  (daz  ist  guotj, 
diu  ougen  twingen  unt  den  muot 

220  guoter  gebcerde  mit  stcetikeit, 

minnen  alle  kiuscheit, 
als  ein  t&be  einvaltic  sin, 
ze  mäze  trinken  starken  win, 
wachen  lange,  beten  gern 

225  (sd  Wirt  der  mensch  ein  lucem, 

ob  er  hat  ouch  bescheidenheit, 
diu  aller  lügende  kröne  treitj, 
mit  ganzer  minne  minnen  goi, 
mit  vRz  behalien  sin  gebot, 

230  ein  vrideHchez  herze  hän 

unt  Idzen  allen  argen  wdn. 
hie  bi  sol  sin  diemüetikeit, 
diu  ist  guot  mit  gedultikeit. 


206.  oder  C/,  und  B.  207.  reine  G.  208  —  211  fehlen  L  208. 
Bont  d.  tngent  ein  sp.  H.  212.  spiegenlichez  H^  spiegelichsez  G.  213. 
tugde  C,  tugent  HL  sp.]  bilde  HL  215.  Wen  d.  /.  sele  HL  Zu 
216.  17  vgl.  256.  7;  II  544.  5;  1128.  9  und  1448.  9.  216.  Ze  maze  H, 
Mit  manse  /.  unt  wein.  J7.  217.  Tanzen  (Tentz)  fl.  unt  der  weite  sp.HL 
220.  6nt  GL  mit  selikait  G,  bis  bereit  H.  221.  Unt  minne  H,  Lieb- 
habent  /.  222.  Alsam  H.  223.  Mit  m.  HL  trinkent  /.  224.  Wache 
Gy  Wachent  L  betten t  I.  226.  7.  vgl.  Vndanc  1,  1.  2.  226.  Ob  er  iht 
(onch  L)  hat  b.  HL  228.  minne  g.  G.  Minnen  nnt  minnent  g.  H,  Lieb 
habend  vnd  fttrehtent  g.  /.  229.  behalte  G^  behalten t  /.  sine  L  231. 
lasse  G.    232.  dttmietikait  /,  div  miltikait  G.    233.  gednlt  amen  G. 


202  MILCHSACK 

.Usus  so  )nüget  ir  spiegel  wesen, 
235  wan  swer  s6  lebet,  der  mac  geneseri 

an  der  sei  so  hie  sS  dort. 

da  von  s6  hceri  der  mimie  wort. 

ez  sprichet  egr edimim: 

gänt  üz,  ir  töhter,  sü}iden  vri, 
240  gänt  üz  der  tverlte  minne, 

tuont  üf  des  herzen  sinne 

unt  sehent  der  merlte  valschen  Im, 

ir  zarteyi  töhter  von  SpSn, 

länt  die  vröude,  diu  iuch  lät, 
245  st  ist  yiiht  visch  biz  an  den  grät: 

st  schinet  vol  der  süezikeit 

unt  ist  doch  vol  der  bitterkeit: 

st  gelobet  lanc  mit  vroelich  leben 

unt  kan  ein  bitter  ende  geben; 
250  tvan  in  ir  süezen  minne 

da  ist  verborgen  infie 

ein  angel  unt  der  galten  tranc, 

nach  vröuden  gäl  des  leides  sanc, 

da  volget  schrien  unde  wS, 
255  ä7i  ende  weinen  mmer  mS: 

vrost,  hunger  unde  durstes  vil, 

viur,  hitze  Ane  vröudeti  spil. 

da  V071  sult  ir  die  vröude  län 

unt  üz  des  Hbes  glüste  gän. 
260  der  iezuo  ah  ein  rose  rot 

gar  blühet,  der  ist  morgen  tot 

unt  Wirt  der  wilrme  spise. 

234.  Kein  absatz  H.  Alsv  Gy  Also  1,  so  fehlt  L  236.  sele  hie 
vnd  d.  /.  237.  Dar  vm  /.  so  fehlt  HL  minnen  H,  licbi  /.  239.  Gound 
1.  tochtrau  von  s.  H.  241  steht  vor  240  C.  240.  liebin  /.  241.  Gand 
uf  1.  242.  valsche  G.  244.  Absatz  H.  lant  C,  ouch  laut  L  245. 
unz  //.  240.  volle  süez.  H.  247.  doch  fehlt  H,  der]  aller  /.  248.  lank 
lepen  vü  Q.  lang  ain  tVelich  /.  241).  Si  kan  bitt.  H.  250.  siizze  G.  W.  i.  der 
weit  liebe  (der  minne  sinne  H)  LH,  251.  ist]  lyt  /.  253.  fröd  L  255. 
Weinen  an  ende  (end  i)  Hl,  2.5<i.  Vrost  tnrst  hiinger  (fr.  h.  dnrst  /), 
ist  da  vil  ///.  25b.  Dar  vm  /.  259.  gelüste  H,  gelust  6^,  wolnust  /.  260. 
izü  Gy  iez  H^  ietz  1,  2bl.  Schon  hinget  //.  blttt  G^  plieet  i.  morn  H^ 
moren  L    262.  wirt  fehU  G. 


UNSER  VBOÜWEN  KLAGE.  209^ 

Joch  ist  nieman  s&  rmse, 

s6  edel,  ^  Marc,  noch  sd  rieh, 
265         sd  schcene,  noch  s6  wüimecHch, 

der  dem  iSde  müf^  engAt, 

da  von  sult  ir  die  vröuden  län, 

die  ir  doch  müezent  läzen, 

ach,  kint,.  ir  sult  iuch  mäzen 
270  der  vröude,  diu  schier  ende  hat, 

des  volgtent  tnir^  daz  ist  min  rät. 
Gdt  üz,  töhter  von  S^6n,. 

unt  sehent  den  werden  Salomdn, 

er  ist  Jesus  der  guote, 
275  der  uns  mit  Einern  bluote 

versüenet  der  gotheit 

unt  mit  der  minne  süezikeit 

uns  vride  hat  gemachet, 

da  von  manic  sele  lachet. 
280  er  ist  der  wise  Salomön, 

der  dem  kOmge  von  Bäbilan 

sinen  gwalt  genomen  hat: 

dem  tievel  ist  gesprochen  mai, 

des  si  gelobt  der  werde  Krist, 
285  der  künic  Mmels  unt  erde  ist. 

Jesum  den  kOnic^  den  siUt  ir  sehen 

mit  herzen  ougn,  so  mügt  ir  iehen^ 

daz  ime  nie  künic  wart  gelich ; 

er  ist  vor  in  allen  wUnnecHch 
290  an  werdekeit,  an  ire. 

Joch  sol  er  immer  mire 


263.  lo  H,  Es  L  ist  fehtt  L  264.  5.  fehle$i  L  266.  mae  H.  267. 
Dar  vm  /.  vrönde  B^  frOde  L  270.  ein  ende  BL  Nach  271.  ane  maria 
am  domimus^6^.  272.  Kein  absatz  —  ir  tochtran  B,  272.  3.  G.  u.  ir  töeh- 
tem  Binden  fry  yfi  s.  wie  schön  der  kffng  sy  /.  274.  der  ies.  G.  276. 
hat  mit  der  BL  277.  Unt  fehlt  i.  mit  fehlt  G.  minne]  liebi  /,  milte  G. 
278.  Hat  er  uns  vri  (frid  i)  g.  BL  281.  dem  fehlt  L  282.  gewalt  GBL 
benomen  /.  283.  naut  /.  284.  Absatz  B.  285.  himel  Gr  des  himels  B,  in 
himel  /.  erden  B.  286.  den  fehlt  L  287.  Mit  dem  herzen  so  (so  fehlt 
I)  a.  i.  j.  BL  288.  küng  nie  /.  289.  in  fehlt  B,  An  schtfni  vnd  an 
wnfienclich  L    290.  1.  fedlenB.    vnd  an  eren  (:meren)/.    291.  Da  s.  i. 


204  MIL(;HSACK 

in  dem  himelriche  leben, 
da  fvil  er  sinen  kinden  geben 
ze  vröuden  unt  ze  löne 
295  des  himelriches  kröne. 

M  sehent,  von  Spdn  ir  kint, 

wie  des  küneges  kröne  sinU 

diu  eine  was  von  dornen  sSr, 

diu  ander  ist  von  wünne  hSr. 
300  sin  muotr,  diu  in  gekroenel  hat 

ze  JerusaUm  in  der  stai 

mit  dornen,  dist  diu  Jüdescheit, 

von  der  er  vil  versmcehe  leit. 

er  wart  von  in  gekrcenet, 
305  gelesteri  unt  gehcenet: 

er  wart  von  in  verteilet, 

gebunden  unt  geseilet: 

rf  krcenten  in  mit  dornen, 

rf  sjntn  in  an  mit  zorne: 
310  sin  kröne  diu  was  JcemerRch, 

diu  afider  diu  ist  wünnecAck, 

diu  er  in  sinem  fröne  treit 

in  götltcher  ewikeit. 

ach,  zarten  töhter  von  Spön, 
315  sehent  den  künic  Salomön 

fiiht  als  einn  künic  gekrcenet, 

sunder  als  einn  diep  gehcenet, 

dö  er  den  galgen  üf  im  truoc, 

292.  An  werdem  himolschlichen  1.  H,  294—325  stehen  nach  326— 
75  +  416—59  C.  294.  frMe  L  fravdo  vll  ero  {hl  6  b)  Si  möchte  selone 
G.  295.  Die  himel schlichen  k.  ü.  kröne  z.  c.  G,  296.  Kein  absaiz  H. 
297.  Wie  erlich  G.  krönen  B.  298.  was  fehlt  G.  Diu  fehlt  I.  Ein  ^u 
ist  von  den  d.  B.  her  G.  299.  ist  verwundet  G,  wnnneklichen  unt  H. 
ser  G.  300.  müter  GBL  diu  fehlt  L  302.  Mit  den  d.  B.  des  G^,  d&z 
was  BL  iudesheit  G^  jüdschheit  B,  iütschait  /.  303.  versmhe  G,  ver- 
smächheit  B,  verschmachte  /.  304.  5.  vgl  316.  17.  und  518.  19.  304.  ir 
BL  306.  ir  B,  ge  vrtailet  /.  308.  9.  fehlen  L  vgl  516—18.  309.  spu- 
wend  B.  zomen  G,  310.  Diu  erste  (aine  /)  diu  ifi.  311.  was  G.  315. 
kunik  Gy  krönten  B,  krenten  /.  316.  ein  BI,  einen  G,  317.  Mer  (Me 
1)  als  ein  BL  einen  G,  318.  19.  vgl  568.  9  und  432.  3.  318.  üf  im] 
selber  B^  selb  /. 


UNSER  VROÜWEN  KLAGE.  205 


dö  leii  sin  Hp  schänden  genuoc. 

320  Idnt  den  künic  niht  eine  gdn: 

gänt  mit  im,  ir  suli  niht  stän: 
tretent  vaste  üf  sin  spar; 
er  hat  ze  briuten  iuch  erkam. 
sehent,  wie  er  vor  iu  gdt 

325  äne  tr6st  unt  dne  rdt. 

tuont  cUs  diu  töhter  täten, 
diu  von  JerusalSm  träten 
nach  im  vil  jcemertichen 
mit  stimme  stuf  ticlichen : 

330  rf  weinten  rf«  vil  gröze  not, 

wan  in  diu  minne  daz  gebot: 
si  liezen  sich  erbarmen 
der  megede  kint  vil  armen, 
also  suit  ir  euch  iin  not 

335  beweinen  sin  vil  bittem  tot. 

Gänt  üz  zuo  der  megde  guot 
unt  erküelent  itupem  muot, 
sprechet  unde  wäget  si, 
ob  si  niht  nähen  wcer  da  bi, 

340  dd  ir  kint  wart  gevangen 

gebunden  unt  erhangen, 
sprechent  zuo  ir  *6  Maria, 
vol  tugent  unt  vol  gräciä, 
wä  wcer  du  zuo  der  selben  zii, 

345  dd  dxn  kint  wart  s6  versjAt?      ^ 


319.  der  scIi.  U,  320.  einic  H,  ainig  L  321.  ir  tOchter  von  Byon 
/.  324.  5  steilen  vor  322.  3.  /.  Zu  322.  3  vgl  590.  I.  322.  vast  G,  im 
i,  fehlt  ü,  sine  HL  sporn  GH.  323.  brüte  H,  gmachel  /.  vss  erk.  /. 
324.  Absatz  H.  325.  wat  H.  326—75  -f  446—59  stehen  vor  294—325  G. 
326.  tünt  (W.  7«)  wol  zerbrechen  {vgl.  v.  460)  G.  Nach  tuont  folgeti  v. 
460—65  G.  327.  Diu  fehlt  G.  328.  9.  Do  si  gieugen  nach  im  (inie  I) 
mit  jämerlicher  stim  (stime  I)  HL  330.  vil  fehlt  H.  330.  1.  Si  klügten 
sine  grossen  not  vnd  sinen  bitterlichen  tod  /.  332—499  fehleti  H.  335. 
stn  vil]  vnd  den  /.  336.  Kein  absatz  L  üz]  onch  z&  /.  338.  9.  vgl, 
426.  7.  339.  nachen  G^  fehlt  L  wer  auch  da  bi  i,  da  bi  wer  G.  340.  1. 
vgl.  95.  6.    341.  Geb.  hin  gefftrt  vfi  G,    342.  zuo  ir  fehlt  L    344—51.  vgl, 

416—20.     345.  Jhesum  xpm  an  dem  vnser  halle  lyt  /. 


206  MILCHSACK 

sage  tms,  vrow»e  wo!  getan, 
soehe  dA  i»  an  der  smle  stän, 
do  er  geslagen  wart  $d  ml, 
daz  äne  mäze  wit  Ane  xü 

350  daz  bluot  m7i  smem  Übe  vldz 

unt  ez  die  erde  gmr  begdz? 
ach,  herzetiliebiu  maget  guot, 
wie  was  cßn  shi  unt  diu  nntot, 
dd  gotes  kint,  >äin  Uebez  üep, 

355  wart  üz  gevüeret  als  ein  diep? 

wcer  da  iht  In  4en  vrottwen, 
diu  dar  kämen  schottwen, 
dd  er  üz  an  die  marter  gie? 
ir  herze  wunder  46  begie: 

360  ir  wangen  nider  tHuzzen 

die  irehen  ir  ougen  guzzen. 
dd  daz  din  Uebez  kint  gesach, 
vil  minneclxch  er  zuo  in  sprach 
"ir  töhter,  diu  ven  Jentealim  »int, 

365  weinunt  iuch  unt  iumerhi  kint. 

laut  daz  weinen  über  mich," 
ach,  reiniu  vrouwe  nrnmeclich, 
woer  du  da,  dS  er  daz  sprach? 
dd  wart  vil  ^tröz  iÜn  ungemach, 

370  so  du,  vrouwe,  da  nnere. 

dd  was  äin  muot  vil  swcere, 
din  leit,  daz  was  niht  kleine, 
nü  weine,  mag  et,  weine, 
weine  dines  kindes  ndt 

375  U7ide  sifien  bittern  tdt.* 


351.  Daz  ez  /.  352.  3.  vgl,  1138.  9.  '^52.  hertz  liebe  L  353.  vil 
ouoh  din  1,  354.  5.  vgl.  456.  7  und  560.  1.  354.  sun  /.  dinez  G. 
356—65.  vgl.  428—36.  356.  (lü  fehlt  G.  WRsest  du  nit  ouch  bi  /.  357. 
Die  in  dar  I.  359.  Ire  bertz  grous  laid  da  enpfieng  I,  360.  wange  G, 
361.  Ir  oug.  träher  g.  /.  362.  min,  darübergeschr.  din  1,  kint  fehlt  G. 
erBach  L  363.  minneclichen  zu  in  er  sp.  G.  367.  zarte  /.  368.  spraeh 
daz  G,  Wa  werd  du  1.  dd  fehlt  1.  Zu  369  vgl,  421.  369.  Din  hertz 
het  grous  vng.  1,  vl70.  Doch  wie  du  da  were  I,  371.  vil]  gar  i,  373. 
magct  raine  1,    375.  bitterlichen  /.    Nach  375  amen  dioat  maria  G, 


UNSER  VBOÜWEN  KLAGE.  207 

Daz  buoch  hebet  8ick  ah  alsd : 

quis  däbit  capiti  med. 

daz  schreip  ein  reiner  heileger  man: 

der  was  ein  bfiuuder  cappelan 
380    der  süezen  ual  der  vrien 

gotes  miioti-  Marien. 

er  hete  sine  sinne 

gekgret  an  ir  minne: 

er  dienete  ir  manic  jär  unt  tac. 
385    mit  triuwen  er  des  lange  pfiac. 

sin  tröst;  sin  yröude  lac  an  ir 

(tuen  wir  also,  s6  werden  wir 

erloeset  üz  aller  not, 

vertriben  wirt  der  sele  tot): 
390    vor  ir  bilde  er  dicke  lac 

die  langen  naht  biz  an  den  tac: 

er  bat  sl  gar  von  herzen, 

daz  st  ir  grözen  smerzen 

unt  die  quäle  taete  kunt, 
395    die  st  leit,  dö  st  sach  wunt 

unt  tot  ir  minnecllchez  kint: 

daz  wart  im  offenbar  sint. 

Er  sprach  *6we,  vrouwe  min, 

wsere  bl  dir  dln  kneht  gestn, 

376—445  fehlen. 


376.  hebt  (hebit  2>)  sich  ADy  vehet  B,  vahet  C,  377.  quis  dabit 
capiti  meo  aqnam  et  oculis  meis  fontem  lacrimarum,  vt 
plangam  interfectionem  vnigeniti  filij  mei  (lacr.  etplorabo 
die  ac  nocte  quia  longe  factus  est  anime  consolator.  Pgmihs, 
d,  Leipziger  universiiätsbihL  no.  368.  cf.  Germ,  17,  232  ff.  et  plorabo 
die  ac  nocte  interfectos  filiae  populi  mei.  Jer,  9,  1).  Schade, 
Interrogaiio  S,  Anshelmi  de  passione  domini  p,  7,  2.  378.  Do  C,  rein' 
heiig'  A,  rein  heilic  BC,  beilger  seiger  D,  379.  ein  fehlt  D,  besiiuder 
Ay  by  sundern  er  D,  svnder  B,  380.  suzze  D,  wisen  A,  unt  der]  svnden 
BC,  vrien]  guder  D,  381.  Marien  godes  mudei*  D,  383.  gar  zu  ir  A, 
384.  gar  manig  A,  385.  das  AD,  3S7.  also]  daz  BC,  werde  B^  werd  C. 
388.  all.  uns'  n.  D.  390.  ofte^6',  stediglicb  D.  391.  lange  CD.  untz  C. 
393.  emo  eren  2>,  den  BC,  394.  die  fehlt  2>,  ir  BC,  klag  A.  395.  Den 
BCD,  397.  Vnder  dem  alle  riebe  (reich  C)  sint  BC,  Daz  vor  er  bing 
toid  und  bliut  D,  398.  Kein  absatz  A,  ö\vg]  liebe  D,  399.  Vnde  mack 
(un  mocht  C)  diu  kint  bi  dir  sin  BCy  Mochte  ich  din  knecht  gewesen 
sin  Df  Wer  by  dir  gewese  der  kneht  din  A. 


208  MILCHSACK 

400    dd  du  ze  himelrlche 
Tüere  wünnecltche, 
da  du  solt  leben  ienier  mS! 
daz  du  gekündet  hsßtest  6 
mir  dtnes  herzen  grözen  pln, 

405    daz  mir  die  zäher  würden  schtn, 
die  dtniu  ougen  guzzen, 
dö  st  dar  nider  vluzzen 
über  dtnes  kindes  not, 
do  er  vor  dir  hienc  wunt  unt  tot! 

410    ich  weiz  wol  dtniu  sSl  was  wunt 
von  smerzen  me  dan  tüsent  stunt 
nü  giuz  mir  in  daz  herze  mtn 
die  bitterlichen  quäle  dtn. 
nü  sage  mir,  vrouwe  mtn, 

415    unt  künde  mir  dtns  herzen  ptn. 
wä  W8ßr  du  zuo  der  selben  ztt, 
do  er  wart  geslagen  unt  versptt 
unt  an  die  sül  gebunden  bldz, 
gevillet  ouch,  daz  von  im  vlöz 

420    des  minnecltchen  bluotes  bach? 
dtn  herze  leit  gröz  ungemach.' 
'Vrouwe^  maget  minneclich, 
dtn  armer  kneht  vräget  dich, 
ich  bin  unwert,  daz  ich  mit  dir 

425    iht  Sülle  reden,  vertrage  mir. 


400.  gen  Ä.  401.  ewikliche  BC»  403.  Alse  du  hast  gekondet 
ee  2).  404.  grözen  fehU  D,  grozen  herzen  ßC.  405.  Laz  (L 
ist  correctur  aus  D)  BC\  mir  fehlt  2>.  trohin  2>.  worden  1>, 
werden  BC.  406.  vz  dinen  BC.  407.  her  nyder  A.  Die  so  gar 
nider  BC.  408.  lieben  kindes  L,  tod  CD.  409.  Da  er  AD,  Der  BC. 
wnnt  hienc  B.  hing  von  binde  roid  D,  410.  wol  fehlt  D.  din  A, 
daz  dir  die  C.  sele  AB  CD.  dir  wüt  ^.  411.  mer  wen  BC.  412.  Doch 
gösse  ich  in  A.  413.  bitterliche  B.  414.  15.  fehlen  D.  414.  übe 
vrowe  BC.  415.  dines  AB.  416.  zuo]  an  A.  417.  wart  fehlt  ABCD. 
418.  Wart  an  der  snlen  bloisz  D.  Wart  vnd  ABC.  sei  C.  gebunden 
fehlt  A.  419.  Gevillet  onoh]  Gebunden  A.  Da  von  syme  übe  floisz  D. 
421.  grozen  B.  422.  Kein  absatz  D.  423.  d'  vraget  C.  424.  nit  wert 
A.    425.  Iht  fehlt  D.    reden  sol  A.    v'drag  ez  mir  D. 


UNSER  VROÜWEN  KLAGE.  209 

gotes  muoter  Sünden  vrt, 

Maria,  wsere  du  däbl, 

waer  du  bt  den  vrouwen  guot, 

den  vil  w6  tet  dln  swaerer  niuot, 
430    dö  s!  nach  Cristo  giengeu 

unt  jämers  vil  enpfiengen, 

do  er  daz  criuze  fif  im  truoc? 

do  weinten  ßl  von  leide  gnuoc. 

er  sach  si  an  unt  sprach  zuo  in 
435    "lazent  iuwer  weinen  über  mich  stn. 

weinent  iuch  unt  iuwer  kint, 

wan  noch  die  tage  kUnftic  sint, 

daz  man  sprichet  sselic  sin 

die  Ube,  die  nie  kindelln 
440    getruogen  noch  gebären 

noch  gebom  wären. 

sl  weiten  sich  verbergen 

in  taln  unt  in  bergen 


427.  Maria  vrowe  (vrow  C)  wer  BC.  Ffrawe  mütt^r  du  A.  428. 
Were  du  D,  wert  A,  fehlt  BC,  429.  vil  fehlt  B.  muot  fehlt  C.  430. 
Das  A.  crist  C.  cristo  nach  B.  431.  Vnde  BB,  iamer  A.  entphingen 
B,  geviengen  BC.  432  —  45.  sequebatnr  antem  illum  multa 
turba  populi  et  mulieres  que  plangebant  et  lamentabantur 
eum.  .  .  .  conuersus  autem  Jhesus  filius  mens  dilectus  ad 
mulieres  [dixit]  'filie  JherusaleiU)  nolite  flere  super  me, 
sed  super  vos  ipsas  fiete  et  super  iilios  vestros,  qui  lutum 
et  lapides  in  me  mittunt  nescientes  quid  faciunti  quoniam 
ecce  dies  veniunt,  in  quibus  dicent:  beati  steriles  ventres, 
qui  non  genuerunt  et  vbera  que  non  lactauerunt.  tunc  in- 
cipient  dicere  montibus:  cadite  super  nos!  [et]  collibus: 
cooperite  nosi  quia  si  in  viridi  ligno,  hoc  est  in  puericia, 
hec  faciunt,  in  arido  i.e.  [inj  etate,  quid  fiet?'  Sch.p.  10,  4—11. 
Vgl.  Luc.  23,  27—30.  432.  3.  fehlen  B,  433.  vor  BC.  434.  Er  karte 
sich  ume  und  B,  435.  Laiszit  B,  Lat  BC.  über  mich  uwer  weynS  B, 
436.  über  iuch  A.  W.  über  iuw.  k.  BC.  437.  die  tag  noch  A.  zukunflf- 
tig  B.  438.  sal  sprechen  B.  439.  übe]  mvter  BC,  frauwen  B.  440—45. 
G.  n.  gemachten  Die  werdin  dyt  wol  achten  Den  komit  noch  wol  die 
zyt  Daz  got  v'hengnis^e  über  slegit  Daz  sie  schrien  unde  clagen  In 
den  jemerlichen  tagen  Dan  spreohin  sie  zu  den  bergen  Fallet  uff  uns 
daz  w'  unsz  v'bergen  Vor  dieser  groiszin  jamerkeit  Her  nach  findet 
sich  die  warheit  B.    441.  geparen  C 

Ueitrlige  zur  geschiohte  der  dentsohcii  spräche.  V.  14 


210  MILCHSACK 

Yor  dem  jsemerltchen  tage^ 

445    da  wirt  vil  groz  der  Bünder  klage." 
sage,  reiniu  maget,  sage, 
sage  unt  künde  dtne  klage. 
sage  ob  du  da  wsßre, 
da  daz  criuze  swsere 

450    üf  dtn  kint  wart  geleit 
ö  jämer  unt  ö  bitterkeit! 
öw§y  Maria  guot^ 
ö  bluome,  küniclichez  bluot, 
gip  allen  reinen  herzen 

455    erkennen  dinen  smerzen, 
den  du  hsete,  d6  dtn  liep 
wart  üz  gevüeret  als  ein  diep. 
wan  wsem  elliu  herzen  steinen, 
st  müesten  sere  weinen, 

460    s!  müesten  gar  zebreohen; 
wan  nieman  kan  gesprechen, 
noch  geschrtben,  noch  gesagen 
daz  vil  jsBmerllche  klagen, 
daz  du  hffite,  yrouwe  mtn, 

465    do  du  ssehe  dtns  kindes  p!n. 
owe,  hertez  herze, 


446. 7   sage,  vronwe,  maget,  sage,  458. 9   wan  wseren  herzen  steinen 
von  dem  jsemerlichen  tage.  b!  müesten  grimme  weinen. 

450  üf  dtnen  herren  wart  geleit.  466— Sl  fehlen, 
452  ö  Maria,  maget  guot. 

444.  Von  —  isemerleihem  C.  445.  stind  A^  svnden  BC.  446.  7. 
fehlen  C.  447.  und  fehlt  B,  Konde  mir  recht  dyne  clage  J>,  450  Vf 
sin  herze  B^  Auff  seinen  rukke  C.  451.  ö  fehlt  G,  0  iemerliche  b.  BC. 
452.  We  we  (Eya  müter  D)  maria  g.  AD^  0  maria  reine  g.  BC,  453. 
plnem  C,  fehlt  B.  künges  A.  455.  Zn  (ze  i)  erk.  BL  456.  Den  da  A, 
Do  dn  C,  457.  üz  fehlt  G,  also  D.  458.  Wan  fehU  B.  weren  alle  (die 
A)  BCBA.  hertze  C.  460  —  05.  schUessen  sich  an  v,  294—325  G,  460. 
fehlt  AC,  Si]  Undei^.  461.  mag^.  462.  Noch  fehlt  />.  Noch  geschri- 
heu  fehlt  A.  scriben  G.  463.  Die  i.  Dyn  jemerlichs  B,  iemerlich^C,  iemer- 
liehen  I.  464.  Die  i.  min]  vmbin^.  465.  dines  ^2>6i^/,  des^.  466.  Absatz  BC. 
hertzea  Ay  iamerigez  BC,  Owe  wie  du  gedechte  Und  onch  dar  zu  spreche  D. 


446.  Absatz  G,    Sage  an  G.     447.  iemerliche  G.    452.  0  ach  mar. 
G,    459.  Si  mOchte  herze  w.  G, 


UNSER  VBOÜWEN  KLAGK  211 

wä  ist  nü  d!n  smerze? 

brich  entzwei,  6  herze  mtn! 

sich  an  der  süezen  maget  ptn: 
470    weine  mit  ir,  weine  vil, 

hab  mit  ir  ungemach  an  zil: 

lä  herze  dich  erbarmen 

Märten  die  vil  armen. 

min  ougen,  ir  solt  vliezen, 
475    ir  sult  die  zäher  giezen. 

ach,  wer  git  dem  houbet  min 

daz  wazzer,  da  von  werde  schln 

mlnes  herzen  bitterkeit, 

der  jämer,  den  min  sele  treit? 
480    wer  glt  mlnn  ougn  der  zäher  regen? 

ich  wil  niht  wan  weinens  pflegen.' 

Zuo  den  werten  sprach  diu  maget 
Wil  lieber  kneht,  dir  st  gesaget: 
ich  was  ze  Jerusalem  inne, 
485    dö  min  liebiu  minne, 

J£su8,  min  kint,  mtn  herze  zart, 


482.  3       Zuo  (lisen  Worten  sprach      480. 7   JSbub,  mtn  kint,  min  zart, 

diu  maget  gevUeret  vür  die  Juden  wart, 

^vil  lieben,  iu  bI  geBaget/ 


468.  B.  an  zwey  mjm  hertze  D.  469.  Daz  ich  icht  Behe  m3mes  kin- 
des  pin  Ob  ich  dez  uberig  mochte  gesin  D,  470.  Wein  m.  i.  vnd  wein 
auch  y,A^  Ir  sollet  schrien  und  weynen  viel  />.  471.  Habet  ung.  ane  z. 
JO,  Ane  maze  vü  ane  zil  BC,  472.  £ya  hertze  lasz  (la  d)  Ld.  473.  der 
d.  474—77  fehlen  D,  474.  Ir  BCd,  ir  fehlt  d.  476.  Ach  fehlt  rf,  Owe 
BC.  nu  den  ougen  d.  477.  Daz  fehlt  d.  werde  fehlt  A,  478.  9.  Den 
jamer  und  bitterkeid  Den  myn  armes  hertze  treid  D,  478.  Sines  A. 
479.  Den  ABCd.  Daz  —  daz  d,  herze  BCd.  480—97.  fehlen  JD.  480. 
minen  aug6  ^^6',  mir  d.  der  fehlt  BC.  481.  dan  Ad.  waines  C.  482. 
J^ein  absatz  BCD.  In  d.  483.  Myn  lieb.  d.  485.  vil  lieb  A.  vil  liebes 
kinde  /.    Da  JhuB  mynes  hertzin  m.  d.    486.  minz  herzen  BC,  fehlt  d. 


482.  spricht  L    483.  liebe  kind  v'ch  i.    486.  min]  vil  I. 


212  MILCHSACK 

gevaugen  von  den  Juden  wart, 

geslagen  unt  gebunden. 

du  wart  mir  we  ze  stunden, 

490    do  mir  daz  msere  wart  geseit: 

ein  swert  m!u  herze  gar  durchsueit. 
swie  we  mir  was,  ich  kam  aldar: 
da  stuont  umb  in  der  Juden  schar: 
st  stiezen  in  unt  spttn  in  an, 

495    da  was  weder  wlp  noch  man, 
der  über  Crist  den  armen 
sich  iht  wolde  erbarmen, 
ich  weinet  sere  unt  schrei, 
du  in  der  Juden  munt  verspei. 


489     si  taten  glich  den  hnnden :  490.  1     dö  ich  daz  leide  msere  ver- 
494—97  st  bizzen  unt  grinen  in  an.  nam, 

dö  was  weder  wfp  noch  man,  vil  s^re  ich  mich  des  er- 

der über  Krist  den  armen  kam. 

sich  kleine  wolt  erbarmen.  492.  3    fehlen. 


487.  Von  den  Judden  gef.  w.  d.  489—91.  Anshelmns.  Die, 
karissima  domina,  quid  fccisti,  cum  hec  andires?  [Maria.] 
GladluB  Symeonis  aniuiam  meam  pertransiuit  Schade  p,l^ 
13—15.  489.  Mir  wart  we  zu  den  st.  d,  490.  die  </.  491.  gar  min 
hertz  A,  Ein  scharp  sw.  myne  sele  d.  d.  492—94.  Maria.  Mane  facto 
eduxerunt  cum  de  domo  Anne  et  duxerunt  ad  Caypham 
pontificem  .  primo  tunc,  postquam  captus  fnit,  vidi  eum  et 
occurrens  quasi  leena  raptis  fetibus  videbam  illam  deside- 
rabilem  faciem  sputis  Judeornm  maculatam.  Schade  p,  7. 
15 — Ib.  492.  Als  ich  nü  kam  also  dar  A.  493.  vmb  stund  in  A.  494. 
in  (das  erste)  fehlt  d,  495 — 97.  ita  fuit  examicabilis  quod  spe- 
rabam  eos  debere  eins  misereri.  Schade  p.  7,  24.  496.  D.  sich 
über  Jhesum  d.  a.  d.  497.  wolden  C.  Icht  wolde  sich  e.  d.  498.  9. 
lacrimabar  et  piorando  dixi  Mieu,  dulcissime  fili,  quam 
miserabilitcr  modo  te  video,  quae  tociens  tno  amantissimo 
aspectu  gaudebam!'    Schade  p.  1,  IS.    19.    49b.  Absatz  B,     Sie  D, 


489.  Si  wasent  /.  495.  weder  fehlt  G.  frow  i.  496.  xpm  L  497. 
Ain  klain  sieh  L  490.  des  laidig  1,  mer  Gl.  491.  V.  s.  laid  mir  dar 
von  kam  1. 


UNSER  VROUWEN  KLAGE.  213 


500    er  stuont  vor  iu  geyangen, 
bleich  wäm  im  stniu  wangen, 
sin  Itp  von  bluotes  sweize  vlöz: 
mtn  sSle  bluotes  zäher  göz. 
ich  sach  die  pln,  die  er  leit: 

505    mtn  herze  was  vol  bitterkeit. 
er  sweie  als  ein  lembelt 
unschuldec,  aller  sttnden  yrl. 
gedultecUchen  er  vertruoc, 
dö  man  in  an  daz  wange  sluoc, 

510    an  sinen  zarten  backen, 
mit  viusten  an  den  nacken. 
st  stiezen  in  nach  ir  gelust 
Yür  die  kein  unt  an  die  brüst, 
einer  stiez,  der  ander  spei, 

515    als  einen  diep  man  in  anschrei 
mit  grimme  unt  mit  zome, 
dö  er  mit  einem  dorne 
stuont  vor  in  gekroenet, 
gelestert  unt  gehcBuet.' 


503    mtn  herze  bluotes  träher  göz. 


500 — 7.  tunc  Btetit  quasi  agnus  mansuetus  et  innocens 
et  non  aperuit  os  sunm.  Schade  p.  7,  23.  4.  500.  ervaugen  (v  ist 
correclur  aus  h)  Q,  501.  im  sin  (die  H)  ACIH,  sinv  G,  wange  G, 
502.  3.  Syn  lip  waz  von  binde  nasz  Myn  hertze  begüde  lamern  daz  d, 
502.  blüt  Ay  binde  D,  pläte  i.  sweizzes  C,  swartz  A,  fehlt  D.  503. 
Syne  D,  pluetig  6',  bludige  D,  Ich  da  heisz  z.  A,  504.  pyne  DH.  505. 
wart  Ad.  voller  H,  Vil  (Da  6')  truren  die  min  herze  kleit  BC,  506.  7. 
Da  en  der  Jndden  grymige  has/.  Mit  slahen  so  geteng  waz  d,  506.  also 
D,  alsam  Bü^  recht  sam  C.  lembelin  BCDG^  schäfli  /,  lemlin  tut  A, 
507.  sinden  1,  siner  H.  G.  was  er  vnd  gut  A,  Der  viel  liebe  herre  myn 
D,  Gednltick  in  den  noten  sin  ßC.  50S.  Gedultiglich  er  ez  (es  alles ^, 
in  i)  \,DAL  509.  D&z  BDI,  sine  (die  ^7)  wangg  (bagken  D)  ADHL 
510—12.  fehlen  D.  510.  sin  Ay  den  BC,  511.  ufS  dH,  513.  An  AG,  kel 
BC,  kelen  ADGHL  unt  fehlt  1,  fvr  BC,  vor  D,  unz  uf  H,  Darauf  für 
den  fehlenden  vers  512:  Noch  eres  hertzen  wiln  und  lust  D,  515. 
Also  D.  Der  dritte  rofft  der  vierd  sehr.  H.  516.  vnd  ouch  mit  DGl, 
517.    eyme  D,  mengem  H, 


503.   plütig  1, 


211 


MILCH8A(.K 


520        'Do  ich  armiu  daz  gesach, 
d6  schrei  ich  öwe  unde  ach! 
des  Itbes  kraft  engienc  mir  gar, 
mtn  herze  wart  yii  wol  gewar, 
daz  mir  des  Itbes  krafk  engienc. 

525    dö  ich  den  smerzen  gar  enpfienc^ 
den  got  an  stnem  Übe  leit, 
vil  vol  wart  ich  der  bitterkeit 
ich  enhäte  kraft,  sin,  noch  wort, 
dö  ich  ei*saoh  den  grözen  mort, 

530    den  sl  an  im  täten, 

e  daz  die  hanen  kräten. 
min  swester  wären  euch  da 
unt  Marjä  Magdalena: 
die  sähen  mlnes  kindes  not: 

535    si  weinten  als  in  wsere  tot 


526  den  mtn  sun  an  im  leit. 
529. 30  dö  ich  ersach  dazgröze  mort, 

daz  im  die  Juden  taten. 
532—34  da  wären  bi  mir  vrouweu  gnot, 


den  tet  vil  w6  mtn  Bw»rer 

muot 
mtn   swester    sähen   ouch 
die  not 


Nach  5t9  folgende  verse:  Sin  wange  minneclich  Vü  sin  hart  ede- 
lich  Ze  czarten  si  im  da  ze  stuut  8i  schftchtun  [V]  gedult  div  wart 
in  kunt  Si  wegeten  mit  grozzem  ark  8in  haupet  wan  er  nit  waz  stark 
Sin  haypet  vil  sin  swarte  Si  im  so  gar  zer  zarten  Mit  der  kröne  si  in 
muten  Von  sharphin  [?]  ez  do  pläte  Daz  im  daz  plüt  ze  tale  floz  Vfi 
im  den  lip  allen  begoz  .  .  .  m.  G.  520.  A'ein  absaiz  ADUL  vil  arme 
BC,  ersach  Hl,  sach  A,  521.  sprach  BC.  vfi  G,  vnd  -^7,  vfi  o  BC. 
522.  3.  fehlen  D,  524.  Da  2>.  525.  ümle  den  D,  527.  ier  der  C,  er  A, 
ich  E,  der  G.  Myn  hertze  w.  vol  b.  D.  52S.  Absatz  H.  hatte  E.  enhet 
weder  kraff  sinne  A*  enhet e|  weder  /.  sin  wis  noch  H,  enhet  sin  noch 
kraft  noch  G,  529.  gesach  E,  530.  mit  eme  2>.  531.  £  dan  (den  £)  DE, 
die  (der^)  hane  ABCH.  kragte  H,  Nach  531.  Vfi  maze  doran  baten  E. 
532.  Myne  E,  swestem  AE.  Ouch  waz  mit  mir  da  2>.  533.  Unt  fehlt 
2>.  maria  ABCBE.  534.  Sie  BC.  Die  sach  D.  535.  als  ob  in  AI. 
weinte  also  er  w.  D. 


526.  kint  H.    529.  des  L    532.  avch  bi  G.    bi  miner  frow  H.    533, 
swere  G,    534.  swestem  HL 


UNSER  VBOUWEN  KLAGE.  215 

ir  eingebornez  liebez  kint, 

s6  liep  was  in  mtn  sun  gemint 

doch  weinet  nieman  so  vil, 

äne  mäze  unt  äne  zil, 
540    als  Maria,  diu  getrinwe 

Magdalena,  yol  riuwe 

was  ir  herze  unt  ir  muot 

als  diu  turteltfibe  tuet, 

diu  ir  gemahel  hat  verlorn, 
545    den  sl  ze  tröste  häte  erkom. 

doch  was  mir  vür  si  alle  we, 

da  von  so  muoste  ich  weinen  m6.' 
'Dö  disiu  rede  was  alsus 

ergangen,  unt  mtn  sun  J6sus 
550    nach  der  Juden  rate 

Yor  dem  armen  Plläte 

waii;  verteilet  in  den  tdt, 

unt  der  bütel  daz  gebot 


538 — 45  in  der  Doete  was  onch  dft  MarieD,  86  vil  bitterltch 

Marta  Magdaldnft:  weinet  st  von  herzen  vil. 

der  angemach  was  so  gr6z  gelegen  was  ir  vröuden  spil. 

daz  st  von  trähen  über  vlöz.  548. 9     Dö  dizze  was  ergangen  sns 
an  weinen  niemen  was  ge-  unt  mtn  lieber  sun  Jdsas. 

Itch  551  vor  dem  rihtser  Ptläte. 


536.  7.  Der  eingebom  godes  son  Mit  jamir  körte  sie  da  von  2>. 
536.  eingebom  BG,  537.  liep]  vil  H.  kint  BCEH.  538.  Do  CE.  Ouch 
weynte  niemäs  alßo  viel  D,  540.  AlsoD^.  diu  fehlt  C\  541.  voller -PC» 
542.  Ir  hercze  trnrete  unt  £,  Ir  was  ir  herze  vD  ovch  i.  m.  BC,  543. 
Also  DE.  544.  5.  Swen  sy  im  gegaten  vorlnzet  Den  sy  czu  tröste  ir- 
kaset  E.  544.  gemehel  D,  gemsehel  C,  gemecheit  B,  545.  Daz  BC.  546. 
vor  in  allen  BCDG.  547.  Dar  vmm  /.  s6  fehlt  BCBH.  mvst  BCGl, 
mÜBz  AH,  Nach  547  noch  ein  vers  beyde  doraoch  vfi  e  E,  548.  Mein 
absatz  ABCDEH,  Maria.  Hec  prolata  sententia.  .  .  Schade  p,% 
31.  Da  die  2>.  549.  und  myn  kint  JO,  vmb  ming  ABC.  550.  Von  BC. 
den  argen  DE.  552.  verteilt  BE^  ver  vrtelt  A^  gevrtailet  L  an  GE, 
zu  A.     553.  gebüttel  AH,  gebvtel  G.    daz]  do  AEH.    U.  daz  der  bvtel 

g.  Ba 

538.  den  nöten  H,  not  /.  540.  ungehab  Hy  traren  /.  also  HL 
541.  zecher  L  über]  nider  HI,  gOs  I.  542.  was  nieman  Hl,  543.  Marie 
/.  544.  st]  so  G,  6i  wainet  ouch  von  /.  545.  ires  herzen  sp.  G,  548. 
sus]  nun  1,    549.  Und  jhs  m.  1.  svn  /. 


216  MILCHSACK 

von  des  rihtsers  gewalt, 

555    st  wseren  junc  oder  alt, 
sl  waern  groz  oder  kleine, 
daz  s!  alle  gemeine 
mit  mtnem  kinde  giengen, 
unz  daz  si  ez  erhiengen: 

560    do  wart  Jesus,  mtn  liebez  liep, 
uz  der  stat  gevüeret  als  ein  diep. 
die  Juden  liefen  alle 
darzuo  mit  grözem  schalle: 
st  lachten  unde  ruoften, 

565    sl  spotten  unde  wuoften, 

sl  würfen  fif  den  werden  Crist 
hör,  steine  unt  unreinen  mist. 
sl  täten  im  schänden  gnuoc, 
dö  er  den  galgen  üf  im  truoc. 

570    si  verbunden  im  diu  ougen  clär, 


557.8  daz  si  volgten  alle  gemeine      560.1  d6  wart govUertmtnliebez liep 
unt  mit  mtnem  kinde  giengen.  üz  der  stat  als  ein  diep. 

567  hör  unt  unreinen  mist. 


554.  richtes  G,  gerichtes  BC£,  555.  rieh  arm  jfig  nfi  a.  A.  ivnk 
rieh  0.  /.  557.  sieht  vor  556.  C.  556.  Sl  w»rn  fehlt  DEG.  arm  (rieh  H) 
groz  GBL  55S.  sone  E.  559.  Biz  BDG,  Vn  EB,  fehlt  A.  d&z  fehlt  I. 
yn  EGBL  560—565.  Maria.  Tota  turba  conenrrebat,  sicnt 
qnando  fnres  educuntnr  ad  suspendendum.  Schade  p,  \0,  3. 
560.  Absatz  BC,  v^&Tt  fehlt  D,  ging  ABC,  zartes  2>,  fehlt  E,  561.  Fflirdie 
stat  glich  als^.  Wart  usz  gefnrt  also  D.  gevüeret  fehlt  BC,  alsam  BC, 
Nach  561  noch  zwei  verse  Eyn  zeyl  vmmen  halz  gebunden  Czu  den 
selben  stunden  E,  562.  Da  gingen  die  Judden  alle  D.  563.  Darzuo  fehlt 
Df  Czu  E.  mit  eyme  groiszen  (groiszen  fehlt  E)  DE,  geschalle  AH, 
564.  5.  fehlen  D,  564.  Die  C,  röuften  E,  würfen  /.  565.  spotteten  1, 
wuffen  C,  ruften  1,  Si  spyten  vii  heuczten  E,  566.  7.  seqnebantur 
autem  eciaro  pueri  proicientes  lutum  et  lapides  in  enm. 
Schade  p,  10,  5.  566.  Unde  w.  D.  üf  ]  an  G,  schöne  A ,  reinen  BCE. 
567.  Hoer  E,  Dreg  D,  unreinen  fehlt  BCE,  56S.  schände  ABB,  den 
schänden  /.  569.  üf  im]  selber  I,  Die  er  gutlich  verdrug  2>.  570.  diu] 
sein  Cj  syne  E.    eme  die  onge  2>. 


557.  nächvolgten  gemain  I,    si  söltü  a.  G.    alle]  der  B,    560.  Absatz 
GH,    liebez]  kint  G,    561.  alsam  G^  reht  als  H.   567.      vn  vü  vnr.  G. 


ÜN8ER  VROUWEN  KLAGE.  217 

diu  im  als  einem  adelar 

stnonden  minnecUchen. 

sl  splten  bitterlichen 

an  sin  antlitze  schöne. 
575    den  da  in  stnem  tröne 

die  höhen  engel  Seraphtn 

unt  die  kcere  Chörabln 

unt  aller  engel  gselleschaft 

sehen  in  einer  magenkrafl 
580    unt  euch  in  stner  gotheit, 

der  leit  der  schänden  bitterkeit.' 
^Alsus  wart  er  hin  gezogen. 

daz  ist  ein  wärheit  ungelogen: 

ich  sach  in  vüeren  vor  mir  hin, 
585    an  dem  aller  min  gewin 

unt  mines  herzen  vröude  lac. 

öwö  jaemerBcher  tac, 

[an  dem  ertcBtet  ist  mtn  kint: 

der  werlde  lieht  ist  worden  blint] 


577.  S  nnt  die  koer  von  Kgnibtn,  583  daz  ist  ein  wärheit  unerlogen, 

unt  der  engel  gselleschaft.  587  ö  ach  ril  jsemerltcher  tac 

581  der  leit  vil  gröze  bitterkeit 


571.  ein  A,  eym  K  eroe  also  eyme  2>.  Die  als  eine  edlen  (ain 
edel  H)  a.  GH.  572.  Im  st.  H,  Si  v^nden  G,  rainnecliche  DI,  minnec- 
lich  G,  573.  sputen  im  A.  bitterliche  DI,  bit'lich  G.  574.  In  B.  ant- 
Ivze  Gf  antlit  HI,  angesihte  ßC,  angesiht  A.  575.  Der  DH,  Dem  £,  Das 
i.  da  fehlt  HL  576.  seraphym  E.  577.  der  chor  A,  Vfi  dy  trone  vD 
cherubym  E.  578.  Mit  ABC.  gcselleschafft  AßC\  geselschaft  D.  579. 
Sten  E,  Hatte  gelobit  D,  mancraft  E,  grousen  kraft  I,  magestat 
krafft  A,  crafft  D.  In  siner  herrcn  magen  kraft  Ze  sehen  hegen  wil  An 
vnder  las  anende  zil  G.  580.  ouch  fehlt  I.  5SI.  der]  allir  E.  schand 
A.  Der  schand.  er  vil  da  leit  ßC,  Darauf  noch  ein  vers  Dez  waren  dy 
iuden  vil  gemeyt  E.  582.  Kein  absatz  ADH,  Also  AI,  Alsus  so  H. 
er]  im  H,  hene  D,  her  E.  5S3.  ein  fehlt  C\  vnbetrogen  E.  Viel  lugen 
wart  uff  in  gesagen  D.  584.  vor  mir  fieren  /.  mir]  mich  E,  58H.  Unde  />, 
Ut  C,  fehlt  I.  587.  Vn  o  we  E.  Ach  wie  so  gar  ein  iem'l.  t.  A.  588.  9. 
fehlen  ADE  und  stehen  m  II  nach  v.  763. 


577.  kerübin  G,  keraphin  H,    578.  geselschaft  HI.    581.  hie  lait  /. 
583.  niht  gelogen  H.    587.   0  fehlt  H.     bitterlicher  HI. 


218  MILCHSACK 

590    ich  gienc  im  nach  fif  glnem  spor, 
der  von  mir  reiner  wart  gebonu 
ouch  giengen  vrouwen  mit  mir  dfi, 
diu  im  von  Galileä 
gedienet  häten  dicke  wol: 

595    sl  wären  mit  mir  leides  vol. 
st  Yuorten  mich  mit  grOzer  not: 
st  brähten  mich  dfi  hin  vür  t6t, 
biz  wir  zno  der  stete  kämen, 
da  si  mir  min  kint  nämen, 

600    diu  mtner  sselekeit  yerdr6z. 
sl  mähten  in  nacket  unt  bl6z: 
sl  zugen  im  abe  diu  kleider: 
dd  stuont  er  nacket  leider 
unt  blöz  vor  miner  angesiht 

605    dö  mohte  ich  im  gehelfen  niht. 
sl  spilten  umbe  stn  gewant: 
also  wart  min  liebez  kint  geschant 


590    ich  gie  nach  im  üf  stnem  spor.  dem  rotn  lieber  hdrre  zart 

BOO    diu  mtner  sselikeit  bedrdz.  zc   schimpf  unt   onch  ze 
6()5— 7    ich  sach  ouch  mangen  Ikp-  spotte  wart 

sewiht, 


590.  nach  im  BC  =  //.  sinen  A^  syu  />,  meinen  C,  sporn  ABCD, 
591.  fehlt  A,  vor  C.  reyne  EG,  rainen  /.  D.  reyne  wart  von  mir  g. 
D.  592.  Aach]  Is  E.  mit  mir  frawen  G.  dar  /.  594.  Hatten  ge- 
dienet 2>.  hcttent  /,  fehlt  G.  dick  hattent  H.  dick  A,  ofte  BC,  harte 
D.  Ofte  gedinet  hatten  wol  E.  595.  Unt  w.  H.  mit  fehlt  G.  mir]  im 
BC.  596. 7.  fehlen  B.  59«.  Absatz  N.  Dy  E,  mit]  in  BL  597.  vcr  tot 
HC.  5U8 — 605.  cnm  venissent  ad  locum  caluarie  .  .  .  nudaue- 
runt  filium  meum  totaliter  vestibus  suis,  et  exanimis  facta 
fui.  Schade  p.  10,  24.  25.  598.  Vntz  AC,  Du  B.  uffe  die  B.  599.  be- 
iiamen  E.  Myn  kint  sie  da  n.  B.  601.  Die  B.  602.  sin  AH.  605.  konde 
B.  606.  7.  Maria.  Postquam  crucifixer unt  filium  menm,  di- 
uiserunt  sibi  vestimenta  sua,  sortem  mittentes  snper 
vestem  inconsutilem.  Schade  p.  11,  3.  4.  606.  vmb  daz  sin  B. 
607.  Susz  B.    liebez  fehU  BC. 

590.  sin  GH,  sinen  /.    600.  ver  drous  /.    605.  ouch  fehlt  1.    menger 
H,  meiuik  G.    606.  Den  1.    607.  Zesphim  G.    ouch  fehlt  L 


UNSER  VROÜWEN  KLAGE.  219 

st  rihten  df  ein  criuze  gröz, 

dar  an  hiengen  8!  in  blöz. 
610    daz  sach  ich  mit  den  ougen  mtn: 

dd  leit  min  herze  gröze  pln. 

an  des  criozes  ende 

wären  siniu  hende 

gespannen  mit  den  nagelen  gröz: 
615    daz  reine  bluot  dar  fiz  vlöz, 

unt  onch  die  reinen  vüeze  stn 

liten  smerzen  unde  ptn 

Yon  den  tiefen  wunden, 

an  daz  criuze  gebunden. 
620    ich  sach  in  an  unt  er  mich: 

daz  sehen  daz  waz  jsemerlich. 

mir  was  we  unt  aber  w6, 


609  dar  an  so  Mengen  st  in  blöz.  622. 3      waz  sol  ich  iu  nü  sagen  mS  : 

616—18  unt  die  sttezen  vtteze  stn       «.  mir  was  wd  unt  aber  wd. 

liten  wdwen  unt  ptn 

mit  den  tiefen  wanden. 


608 — 19.  post  hoc  deposoernnt  crucem  super  terram  et 
enm  desaper  extenderant  et  primo  vnam  claaum  incacie- 
bant  adeo  spissam  qnod  sangais  non  potait  emanare:  ita 
valnas  claao  replebatar  .  postea  accipientes  fanem  traxe- 
rant  aliud  brachiam  .  ,  ,  [z.  35]  post  hoc  erexerunt  eum  cum 
maximo  labore  ...  et  cnm  erectns  faisset,  tanc  propter 
ponderositatem  corporis  omnia  vulnera  lacerata  sunt  et 
aperta,  et  tunc  primo  sangnis  de  manibus  emanauit  et  pe- 
dibus.  Schade  p.  10,  26—37.  608.  crutze  her  D.  609.  Doran  so  iS^,  = 
//.  en  wont  und  sir  2>.  611.  Do  hette  (het  H)  GH.  grosz  A^  grozen 
BC'  hertz  vil  grousse  /.  612.  enden  2>.  crucis  astis  ende  K,  613.  sin 
AG^  im  sin  (sine  B)  CIB,  sin  zarten  B.  Worden  eme  syne  h.  B,  614. 
Grcschlagen  /.  den  fehlt  BC.  dem  negil  E,  615.  im  dar  üz  ^,  da  von 
eme  2>.  gous  /.  617.  Dy  liden  A\  vnd  grosz  piu  ^.  618.  den]  so  E.  619. 
Da  si  en  an  daz  crutze  bonden  B,  620—25.  Stabam  jaxta  crucem 
merore  plcna  quia  ei  solacium  ferre  non  potui,  et  stabant 
mecum  mulieres  a  quibus  vel  demortua  sustentabar.  Unde 
ego  videns  eum  et  ipse  videns  me  plus  dolebat  de  me  quam 
de  se.  Germ,  17,  233,  1—3.  620.  er  auch  mich  AB,  ouch  er  mich  /. 
621.  daz  fehlt  A,  des  /.   622.  Absatz  C.    we  ynde  we  BC.    über  B. 


609.   86  fehlt  H.     si  min  kiude  bloz  H.    616.   zarten  /.    617.  Die 
ieteu  G,    we  we  E,  we  /.    grosse  pin  /.    622.  ttch  sagen  /. 


220  MILCHSACK 

doch  leit  stn  herze  smerzen  me 
von  der  grözen  quäle  min, 

625    dan  im  tet  diu  marter  sin. 
si  täten  an  im  grözen  mort: 
dar  zuo  sprach  er  nie  zomec  wort, 
er  was  gedultec  unt  guot: 
er  sweic  stille  als  tuet 

630    daz  lembeltn,  so  man  ez  schirt 
alle  ungedult  ez  verbirt. 
also  häte  er  gedultikeit 
in  aller  slner  arbeit: 
er  tet  nie  üf  stnen  munt, 

635    swie  sere  er  wsere  wunt, 
dö  er  an  dem  criuze  hienc, 
der  got  der  sünde  nie  begienc' 

'Wer  möhte  gar  gesagen 
mtn  vil  jsemerltchez  clagen, 


624. 5      fehlen,  so  man  ez  schirt,  ez  hat  gednlt 

626      ich  sach  81  taten  an  im  mort.  min  kint  dft  gar  ane  schult 

629—33  er  sweic  alsam  ein  lembltn  stiiontnackent  untblözanegewant, 

tuot:  allen  vriunden  unerkant 


623.  het  A,  Unde  leid  myn  D.  625.  Denne  C,  Denne  ime  tete  B. 
martel  A.  Unde  von  der  bittem  m.  s.  />.  626—40.  Aspiciebam  ego 
infelix  et  misera  dominum  meum  et  filium  menm  in  crnce 
pendentem  et  morte  turpissima  morientem,  tantaqne  tri- 
sticia  et  dolore  vexabar  quod  non  posset  explicari  ser- 
mone.  Germ,  17,  233,  3—6.  626.  eme  an  D,  vil  groszen  A.  627.  ge- 
sprach DL  zorniges  B,  zornes  C,  argez  H,  kain  /.  629.  Er]  Unde  D. 
vil  stille  B,  also  Dy  als  auch  A,  als  noch  BC,  630.  lemlin  A^  lämp  D, 
sd]  als  BC,  iz  By  daz  A,  631.  es  gar  v.  A,  632.  grosz  ged.  A,  633. 
bitterkeid  D.  In  sinen  noten  die  er  leit  BC,  634.  entet  A^  gethet  D, 
syne  D,  den  sinen  G,  635.  was  AI,  doch  w*  G.  verwont  D,  636.  Absatz 
BC,  637.  Der  fehlt  L  nie  sünd  ABC.  638.  Kein  absatz  L  Owe  wer 
BC,  moht  das  gar  A,  gar]  du  2>.  639.  Als  min  A,  Myn  jsemer 
lichs  D. 


626.  tun  /.  ain  mort  L  629.  als  I,  630.  snidet  E,  sticht  /. 
631.  Absatz  H,  da  gar]  vor  in  E,  st&nt  vor  in  /.  632.  Nackent  blos 
vnd  oun  gewand  /.    633.  Aller  fröden  /. 


UNSER  VROÜWEN  KLAGE. 


221 


640    daz  ich  begienc,  dö  ich  sach 
die  zäher  unt  des  bluotes  baeh 
Ton  stnem  Übe  vliezen. 
do  begunde  sich  entsliezen 
der  hört  der  da  verborgen  lac. 

645    dö  ich  erhört  den  hamerslac 
unt  sach  daz  bluot  entspringen 
unt  üz  den  wunden  dringen, 
von  henden  unt  von  vüezen, 
dö  sach  ich  got  den  süezen, 

650    dem  von  menschltcher  art 

an  wünne  gelich  nie  niht  wart, 
der  wart  bleich,  swarz  unt  val. 
siniu  schoene  wart  dö  sal, 


638 — 41       Ö  ach  wer  möhte  gar  ge- 

sagen 
min  yil  bitterltchez  clagen, 
daz  ich  häte,  dö  ich  sach 
die  trähen  unt  des  bluotes 

bach. 


643    unt  die  erde  gar  begiezen. 
644.  5    fehlen. 

646. 7    ich   sach  daz  bluot   ent- 
springen, 
von  sinem  Itbe  dringen. 
649    ich  sach  J^sum  den  süezen. 


641—2.  und  646—59.  Nee  mirum:  discurrebat  enim  sanguis 
ejus  ex  quatnor  partibus  irrigantibus  undis,  iigno  manibus 
et  pedibns  affixis.  De  vultu  illius  pulcritudu  effluxerat 
omnis,  et  qui  fuerat  pre  filiis  hominum  speciosus,  factus 
est  omni  indecorus.  Videbam  quod  implebatur  illud  pro- 
pheticum  in  co  ^Vidimus  cum  et  non  erat  aspectus  et  non 
erat  ei  species  neque  decor\  quia  vultum  ejus  iniquorum 
fedaverat  livor.  Germ,  17,  233,  6 — U.  641.  Dez  myfiiglichen  bl.  b. 
D.  642—71.  fehlen  A,  642.  V.  minem  kiude  fliezze  G,  643—5.  tunc 
impleta  fuit  prophecia  Dauid  i.  e.  ipsius,  dicentis  in  psalmo: 
audi,  filia,  et  vide!  quasi  dicat  filius  mens:  audi,  karissima 
mater,  sonum  malleorum,  et  vide,  qualiter  manus  et  pedes 
meos  crucifixerunt.  Schade  p,  10,  31—33.  644.  geporgen  C.  646. 
ü.  d.  blut  sach  e.  BC,  650.  von]  an  BCHL  minlleclicher  G.  651.  nie 
gelich  wart  BL  An  schonde  nye  glich  enwart  D,  Gelich  an  wunne 
(wundie  [?]  C)  BC,  nicht  übergeschrieben  C,  enwart  B.  652.  bleich 
nnde  fail  D,    653.    Syner  färbe  über  all  D, 


638.  Kein  absaiz  H.    639.  bitteriieh,  iamerlich   /.    640.  Die  G,  Als 
i.    643.  gar  fehlt  H.    646.  zespringen  G.    647.  Unt  von  ü. 


222  MILCHSACK 

diu  e  was  als  ein  sunnenglanz 
655    diu  wart  sich  verkSrend  ganz. 

sin  wünnecltchez  angesiht, 

wart  8Ö  jsemerlichez  iht 

üf  der  erde  ie  gesehen? 

des  mac  ich  wol,  sin  muoter,  jehen.' 
660        4n  der  jsBmerllchen  ndt, 

dö  er  stuont  von  bluote  rdt, 

dö  was  daz  min  grcBstez  leit, 

daz  mir  min  herze  gar  durchsneit, 

daz  ich  mich  scheiden  solde 
665    von  dem^  der  von  mir  wolde 

werden  unt  wart  gebom: 

ze  muoter  häte  er  mich  erkom; 

des  quelte  sich  daz  herze  min. 

ich  muoz  ein  armiu  muoter  sin! 


652 — 55    der    was    bleich,    swarz,  661—63    dö    er    stuont    in    dem 

dürre  unt  val.  bluote  rOt, 

sin  schcBner  Up  was  imsal,  dö  was  daz  ein  min  groestes 

der  6  was  als  ein  sunnen  glänz,  leit, 

der   wart  versrnsBliet  gar  unt  daz  mir  daz  herze  gar  durch- 

gauz.  sneit 


654.  6  felUi  —  also  2>.  sunne  BC,  655.  y'keren  D,  Die  wun- 
nechleiche  wunne  CB.  656.  mynecliches  2>,  minneclich  H,  Vnde  sinem  wun- 
nenklichem  B^  Und  seinen  chlaren  C.  657.  nie  so  £^,  so  daz  1,  do  daz  H. 
iemerlicher  /,  jämerlichest  H.  niht  BCGl^  lieht  H.  Wart  jemerllch  gemacht 
zu  nicht  D.  658.  9.  fehlen  D.  658.  nie  C\  niht  B.  Hie  vf  der  erde  (vf 
erd  i)  wart  g.  Gl,  Er  wart  nie  uf  erd  g.  H,  659.  ich  fehlt  H,  wol  ich 
B,  660—71.  Iste  erat  michi  dolor  maximus  quia  videbam  jne 
derelinqui  ab  oo  quem  genueram  nee  supererat  alius,  et  Ideo 
non  poterat  in  me  capi  dolor  mens.  Germ,  17,  233,  11 — 13.  660. 
Kein  absaiz  D,  II.  An  G.  der]  dieser  B.  661.  stuont]  waz  B.  662.  D. 
w.  leid  über  leyd  B,  664.  Daz  ez  (er  C)  mir  schaden  s.  BC,  665.  von 
mir]  da  B.  606.  Von  mir  werd.  B.  667.  Zu  einer  müter  BL  vs  er 
kom  7.  Vfi  mich  ze  myoter  hat  erkornen  G,  Den  hau  ich  nu  gar  vUom 
B.   668.  Do  C.    Dez  waz  betrubit  daz  2>. 

652.  bleich  fehlt  L  unt  fehlt  H.  653.  der  waz  im  vil  sal  £^,  wm 
von  liden  s.  H,  654.  6]  vor  H,  ein]  der  HL  vnne  gl.  G.  662.  des  min 
ain  7,  an  im  min  H,    groste  G,    663.  Daz  min  hertz  L    versneit  H* 


UNSER  VROÜWEN  KLAGE.  223 

670    min  stimm  was  gar  verdorben 

unt  min  sin  erstorben. 

der  süft  lie  mich  niht  spreeheu: 

min  herze  wolde  brechen. 

so  der  mfleterllch  gedanc 
675    mich  ze  reden  iht  betwanc, 

so  viel  daz  wort  ze  gründe 

unt  zucktez  von  dem  munde 

der  bitterliche  smerze 

hin  wider  an  daz  herze. 
680    gezucket  unt  gebrochen 

niht  ganz  unt  ungesprochen 

sich  ougt  des  herzen  swsere 

als  ich  verstummet  wsBre. 

swenne  ein  wort  ze  der  kein  reiz, 


668—71    des  klaget  sich  daz  herze  waa  ich  was  nach  erstorben. 

mtn,  682    sas   engt    sich  des  herzen 
ouch  leit  min  herze  des  swsere. 

smerzen  ptn. 

mtn  stimme  was  verdorben,  684    ob  ein  wort  zer  kein  reiz. 


670.  stymme  D.  sinne  (sin  C)  ist  BC.  671.  Unde  myne  synne  D, 
Min  herze  ist  (ist  gar  C)  erst  BC.  672—87.  Vox  penitus  perierat 
omnis,  sed  dabam  gemitus  et  saspiria  doloris.  Volebam 
loqni,  sed  dolor  verba  rumpebat  quia  verbum  mente  concep- 
tum  dum  ad  formacionem  oris  pretenderet,  imperfectam  non 
modicns  dolor  cordis  revocabat.  Germ,  17,  233,  13—16.  672.  Die 
sazze  C  süfftz  A^  svftze  B,  sv'tite  G^  sunfft  H^  siesse  /.  Ich  mochte 
nicht  gespiechen  D,  673.  wolde  mir  (in  mir  G)  DG,  zerbrechen  HI, 
Er  wolde  mir  min  herze  br.  BC,  674.  Da  Ay  Wan  D,  675.  red.  jhs  iht 
/.  nit  Ä,  fehlt  BCDG.  676.  Do  A,  gründe  nydder  D.  677.  von  [vz 
BC,  Zu  baut  dar  nach  qwam  ez  widd*  D,  678.  Da  ez  der  D,  smertzen 
A,  679.  Zohe  in  A^  Gienk  G,  Drang  D.  zU  dem  hertzen  A.  680.  I. 
fehlen  D.  680.  V*zvckt  B,  Verzukchet  C,  zerbrochen  A^  unge- 
sprochen  HI,  681.  gebrochen  H,  Nit  gantzee  noch  zerbr.  /.  (>b2.  Do 
wante  (want  C)  des  BC ,  Da  duchte  mynes  D,  683.  Als  ob  A,  liecht 
als  /.  Daz  BCGH,  Wie  D,  ich]  ez  HI,  erstvmmet  ^6',  ver  stocket  7, 
v'snedin  D,    684.  Wan  2>,  So  A,    von  der  D,    kelen  AD,  kele  BC, 


668.  kleget  if,  zer  tailet  /,  fehlt  G,  669.  11p  H.  hertz  vil  grosser 
pin  /.  670.  Absatz  H,  gar  verd.  if,  erstorben  /.  671.  nach]  gar  H,  ver- 
dorben /.  682.  So  /.  av'get  G,  ougte  H,  ttgte  i.  sich  fehlt  B.  der 
(smerze  radiert)  herze  swer  G^  das  hertze  schwär  L 


224  MILCHSACK 

685    daz  was  von  weinen  also  heiz, 

daz  ez  der  munt  niht  künde  gesagen 
von  des  herzen  swa^reni  clagen. 
o  ach,  wä  wart  ie  muoter, 
der  ein  sun  so  gnoter 

690    vor  ir  ougen  stürbe 

unt  si  doch  niht  verdürbe, 
joch  tet  er  üf  diu  ougen  stn 
unt  sach  an  mtnes  herzen  ptn: 
er  sach  an  mir  gröz  ungemach: 

695    ow6  wie  jämmerlich  er  sach 
an  mich  die  vil  armen  maget: 
ich  was  von  leide  gar  verzaget 
er  sach  mich  sSre  weinen: 
swer  wsere  euch  so  steinen^ 

700    der  sich  niht  müeste  erbarmen 
über  Marjam  die  vil  armen.' 


687    von  des  herzen  grdzem  clagen.      701, 1       D6  er  so  jsemerltche  sach 

2   zuo  im  al  weinende  ich  sprach : 


6S5.  wart  D.  so  Ay  als  G,  686.  7.  Daz  myn  mQt  nicht  mochte 
clagen  Myuen  kommer  nicht  gantz  gesagen  D,  686.  munt]  mv^ter  G. 
moht  sagen  A.  6b7.  swere  ABC.  68S — 91.  Videbam  morientem  quem 
diligit  anima  mea,  et  Iota  liquefiebam  pro  doloiis  angustia. 
Germ,  17,  233,  16.  17.  68S.  Absatz  G,  Ach  AD,  0  we  BC.  wft  fehlt 
G,  was  H.  ye  ein  A.  689.  als  G,  also  BCH.  690.  erstvrbe  BC,  691. 
Vnd  das  sie  A.  692—701.  Aspiciebat  et  ipse,  ut  est  benignissi- 
mo  voltu,  me  matrem  plorantem  et  verbis  paucis  voluit  me 
consolari,  set  consolari  non  potui.  Germ.  17,  233,  17.  18.  692. 
la  BCy  lo  H,  Doch  A,  Do  G,  Ouch  /,  Nu  B.  tet  er]  hebe  B.  dyn  2>. 
693.  siech  an  B,  Vnde  sach  die  grozen  swere  min  BC.  694.  vil  groz 
G^  gi'oszes  AHj  grozen  B.    Ich  sach  sin  groisz  ung.  B.    695.  iemerlichen 

A,  iaimerlihe  C.  er  da  sach  H.  sprach  B.  696.  Siech  an  B.  die  feUt 
BCB.    arme  G.    697.    Ich  was  fehlt  A.    vor  leit  G.    V.  1.  waz  ich  g.  v. 

B.  garj  nach  1.  699.  auch  so]  so  gar  B,  Waz  herzen  were  (Wes  herze 
wer  G,  Wa  wart  ie  herz  H)  so  st.  BCGU.  700.  Daz  BCH.  möcht  /, 
fehlt  BC.  701.  Wolde  vber  —  vil  fehU  BC.  Ubir  myn  kint  und  mich 
vil  a.  B. 


687.  dem  herze  grozze  G,  dem  bitterlichen  /.    grozen  H.    701,  I.  2 
fehlt  H. 


UNSER  VROÜWEN  KLAGE.  225 

^Ich  sprach  ''vil  lieber  hgrre  mtn, 

nü  lästd  mich  aleine  Bin. 

du  stirbesty  wie  sol  ich  nü  leben? 
705    du  wilt  mir  bitter  urlop  geben. 

ö  zartez  kint,  vil  minneclich, 

wer  hilfet  mir,  daz  ich  vür  dich 

an  dem  criuze  ersterbe, 

daz  min  kint  iht  verderbe? 
710    6  vater,  herre,  lieber  Crist, 

mins  herzen  tröst  unt  mtn  genist, 

gar  stiezer  unt  vil  guoter, 

ziuch  üf  dlne  muoter, 

ziuch  äf  mich  die  vil  armen 
715    unt  lä  mich  dich  erbarmen, 

ziuch  mich  üf  an  des  criuzes  ast, 


702    ach,  vil  lieber  hdrre  mtn.  712    vil  sUezer  unt  vil  gnoter 

706    d  J8sa  h§rre  minneclich. 


702—9.  Flebam  dicendo  *Fili  mi,  fili  mi,  ve  michi,  ve 
michi,  quis  michi  det  ut  moriar  pro  te?  Omisera  quid  faciam? 
Moritar  filins,  cur  non  moritur  secum  mestissima  mater?* 
Germ,  17,   233,  19  —  21.     70?.   Kein  absaiz  A,     sprich  C.     vil]   ach  A. 

704.  nü  leb.]   geleben  G,   genesin  Ich  musz  alleyne  in  eilende  wesen  2>. 

705.  mir  ein  A.  D.  w.  mir  (ein  H)  biter  ende  nun  (mir  nun  H^  geben 
IH.  Alsdann  noch  ein  vers  Waz  sal  mir  armen  nü  daz  leben  D.  706. 
liebes  —  vil]  trut  D,  708.  ersterben  i>,  sterbe  GB,  709.  E  daz  L 
ikitG,  fehlt  L  710—26.  ^Fili  mi,  fili  mi,  amor  unice,  fili  dulcis- 
sime,  noli  me  derelinquere,  post  te  trahe  me  ad  te  ipsum,  ut 
ego  moriar  tecum:  male  solus  morieris,  tecum  morte  perima- 
tur  ista  tua  genitrix.'  Germ.  17,  233,  21—23.  *0  mors  misera,  non 
parcis  proli,  non  parcas  et  michi,  tu  michi  soll,  o  mors,  esto 
seva:  tunc  summe  gauderem  si  mori  possem  cum  fiiio  meo  ac 
Christo  meo.*  Germ.  17,  234,  9.  10.  710.  herre  ihü  AEIy  lieber  herre 
G.  711.  Mines  BGHI.  unt  fehlt  A.  unt  mtn]  nun  niht  H.  D.ez  waren 
godes  so  du  bist  D.  712.  Gar]  0  D.  vnde  B.  vil  fehlt  BC.  o  D.  713. 
Siech  an  2>.  v£f  mich  AI.  715  steht  vor  714  AC.  714.  iSiech  an  2>. 
mich  fehlt  BC.  die  fehlt  DB.  vil  die  G.  715.  dich  my  i>,  mich  dir  B. 
710.  vf  mich  an  G,  mich  vflf  (an  BCD)  ABCD. 


702.  Keinahsatz  GBL    Ach  (0  achi^)  vfi  o  GB.    706.  Absatz  B. 
Ach  lieber  h.  1. 

neitrHgo  sar  geiohicht«  der  deattohen  ipraohe.  V*  15 


226  MILCHSAOK 

er  ist  80  starc  unt  so  Tast, 
daz  er  uns  wol  getragen  soL 
ich  armiu  maoter,  leides  vol, 

720    wä  sol  ich  nü  hin  k6ren? 
min  quäle  muoz  sich  m6ren. 
ö  J6sü,  liebz  kint  reine, 
du  stirbest  niht  wol  eine, 
tuo  ein  sunder  yröude  mir, 

725    daz  ich  ersterbe,  kint,  mit  dir." 

^ö  grimmer  tot,  du  vliuhest  mich: 
ez  ist  zlt,  nü  ouge  dich, 
ö  tot,  du  wsere  bitter  6, 
nü  ist  mir  nach  dir  s8re  we, 
730    wan  du  mir  sfleze  aleine  bist 
ach  tot,  nü  gip  mir  keine  vrist: 
zebrich  mit  dlnem  smerzen 


722  ö  J6bü,  min  kint  reine.  73  t— 34  dtdt,  nü  gip  mir  keine  vrist: 

zer  mir  mit  dtnem  smerzen 


717.  vn  och  80  G,  stark  stät  vn  vast  L  718.  wol  getr.]  was  tragen 
H,  yns  beide  treit  (treit  beide  D)  wol  BCD.  719.  Mich  BC.  bin  leid. 
A.  720.  nü  fehlt  G.  hin  fehlt  BCD.  721.  iamer  Ay  leid  2>,  klag  die  1. 
wil  AD.  722.  liebes  ABC.  Ach  lieb.  k.  viel  reyne  2>.  723.  allein  A,  alleyne 
DI.  724.  eineDJ?.  besttnder^,  süd'n  D.  fröd  an  mir  I.  725.  ich  fehlt  G. 
mit]  bi  B.  Unde  lasz  mich  st  D.  726—75  fehlen  A.  726—37.  '0  mors 
misera,  noli  michi  parcere,  tu  michi  pre  cunctis  places.  £x- 
trahe  vires,  tracida  matrem,  matrem  simul  cum  filio  perime.' 
Germ.  17,  233,  23.  24.  *Dnlce  est  mori  misere,  set  mors  optata 
recedit  Melius  michi  est  morte  mori,  quam  vitam  dncere 
mortis,  set  fugit  a  me  misera  et  me  infelicem  relinqnit,  cni 
mnltum  nunc  mors  optata  esset'  Germ.  17,234, 11 — 13.  726.  AVm 
absatz  BCDU.  0  fehlt  BC.  grimmiger  H.  121.  gar  (nv  G,  vil  H)  zit 
BCGE.  nü]  mir  G.  Oge  dich  Hl,  chum  an  mich  CB.  728.  0  we  BC, 
Ach  D.  ward  mir  HI.  729.  sor  C,  words  D.  730.  mir]  nit  G.  alleyne 
snsze  D.    731.  Kom  und  gib  D.    732.  Gib  eyu  ende  dez  sm.  D. 


722.  0  JhesuB  H,  Jhs  1.    731.  nü  felüt  G.    732.  Zerre  mir  G,  Zer 
H,  Brich  /.    dincn  U. 


UNSER  VEOÜWEN  KLAGE.  227 

daz  leben  mtnes  herzen. 

du  wsere  S  grim,  nü  bist  verzagt: 
735    du  schönest  einer  aimen  magt. 

tot,  brich  entzwei  daz  herze  min, 

daz  ich  iht  sehe  mlns  kindes  ptn." 
'^ö  süezez  kint,  du  rröudea  kint, 

du  miner  sele  gar  gemint, 
740    erhcere,  hßrre,  min  gebet, 

ich  bitich  als  ich  e  tet: 

daz  stät  dir,  lieber  herre,  wol, 

wan  du  bist  aller  gnaden  vol. 

ziuch  mich  an  die  siten  dtn 
745     unt  trceste  die  armen  muoter  din. 

ach  herzenliep,  erkenne  mich, 


dai  leben  von  dem  herzen.  (742)  dir  stät,  vil  lieber  h§nre,  wol, 

du  wsere  ie  grim,  nü  bist  ver-  (743)  wan  du  bist  aller  gnaden  vol: 

zagt.  (745)  erhoere  die  armen  muoter  dtn: 

736  kom,  brich  enzwei  daz  herze  min.  (744)  zinch  mich  an  die  sIten  dtn. 

739 — 46  der  s^le  leben  mir  gar  ge-  (746)  ach  liebez  liep,  erkenne  mich. 

mint  740.  41  fehlen, 

733.  Und  brich  daz  leid  m.  h.  2>.  734.  6  fehlt  D,  grimme  BCH.  nü] 
dv  B,  und  D.  735.  fehlt  L  reinen  H.  736.  Du  C,  fehlt  D.  an  zwey  o 
hertze  D.  737.  nit  GL  mines  BGBL  Und  lose  mich  von  dirre  pin  JD. 
738.9.  'Fili,  dulcorunice,  singulare  gaudium,  vita  anime  mee 
etomne  solacium.*  Germ.  17,  234, 1.  Jhesus  myn  viel  liebes  kint  Mynes 
hertzin  jamer  entpint  />.  738.  Kein  absatz  DGL  0  süzzo  dv  aller  fravde  k.  G, 
0  siesser  Bun  der  früden  k.  /.  740—46.  *0  fili,  recognosce  mlseram 
et  exaudi  precem  meam,  decet  enim  tilium  exaudire  matrem 
desolatam.  Exaudi  me,  obsecro,  et  in  tuo  me  suscipe  pati- 
bulo.  Germ.  17,  234,  2—4.  742.  3  stehen  vor  740.  41  BCD.  740.  Höre 
BC,  Irhore  diner  muter  gebeth  D.  741.  bite  (bidden  D)  dich  BD,  also 
Z>.  vor  e  C,  vor  B.  742.  Dir  stat  vil  lieb.  BC.  743.  Daz  C.  were  —  lu- 
gende D.  745.  U.  hilff  mir  usz  diesir  pin  D.  747  steht  vor  746  B.  746. 
fehlt  C.    Ach  fehlt  B.    Ach  hertze  liep  erbarme  d.  J). 


733.  dem]  minem  Hl.  734.  fehlt  L  grimme  dv  G.  736.  unt  brich  e. 
mins  herzen  pin  ü.  739.  mich  gar  zwingt  /,  wart  durch  mint  G.  743. 
genade  Gj  tugent  H.  745.  herre  die  Gl.  arme  /.  armen  din  müter 
&,  din  armez  müeterlin  H.  744.  Zivch  vff  mich  /.  hin  an  H.  746.  liep] 
kint  G. 


15 


228  MILCHSACK 

ich  bin  dtn  muoter,  ere  mich, 
min  kint,  uü  gip  mir  keine  vrist, 
wan  ez  reht  unt  billich  ist, 

750    daz  die  ein  Itp  wären  ie 

noch  dehein  minne  nie  verlie, 
daz  die  8ln  in  einer  not 
unt  Itden  samt  den  grimmen  tot" 
"Judei,  vil  grimme  diet, 

755    du  bist,  diu  den  t6t  geriet, 
mtne  mäge,  Juden  liute, 
wes  schönet  ir  min  hiute, 
Sit  daz  ir  mit  grimmer  hant 
mtn  liebez  kint  erhangen  hänt. 

760    tuet  an  mir  den  selben  tot; 


748  d  kint,  gip  mir  deheine  vrist       756  min  gesiebte,  Jaden  iinte. 
754    OJudenvolc,  ein  grimmin  diet,      760  tuont  mir  onch  denselben  tot 


747.  8.  *fac  ut  ego  ipsa  nnne  moriar  tecum,  qne  te  ad 
mortem  genui.'  Germ,  17,  23-J,  I.  2.  747.  fehlt  I,  ere]  erhöre  2>.  dich 
G,  748.  Kint  myncs  gib  2>.  749—53.  *at  qui  nna  vita  yixernnt  et 
uno  se  amore  dilexerunt  una  morte  pereant.*  Germ.  17,234,4.5. 
749.  gar  nnpiileich  CB.  750 — 53.  Daz  ich  sterbe  kint  mit  der  Daz  ist 
myn  sin  und  m>Ti  ger  />.  750,  Dar  B^  Wan  6'.  die]  wir  alle,  751.  Vn 
noch  G,    dhain  C,   kein  BI^  die  G^  die  ein  H,    liebin  verliessen  nie  /. 

752.  die]   dein  C\  dit  G,  si  /.     in   keiner  (k  ist  radiert)  By  meinen  G. 

753.  allentsampt  CB,  samcn  B,  mit  ain  ander  /.  grimmen  fehlt  CI^ 
bitern  G.  754 — 59.  *0  Judei  miseri,  o  Judei  impii,  nolite  michi 
parcere,  ex  quo  natum  meum  unicum  crucifigitis.'  Germ,  17, 
234,  5.  6.  754 — 56.  AVante  die  Juddesche  diet  Ilabin  groiszen  mort  ull 
nyt  An  dir  begangen  hüte  B.  755.  todo  riet  /.  756.  magen  C,  757. 
War  vm  —  min  nit  hüte  i.  ir  Juddeschen  luto  B,  758.  ir  mir  mit 
BC,  grimme  G.  Sint  ir  mit  uwer  grymmigg  taid  (:  haid)  B,  759.  zartes 
BC,  erschlagen  L  760—67.  ^et  me  crucifigite  aut  alia  qnacnm- 
que  seva  morte  perimite,  ut  tantum  cum  filio  meo  simnl 
finiar.'    Germ,  17,  234,  6—8.     760.  So  thut  mir  an  den  B. 


74S.  enkeine  H,  kainen  frist  vm  dich  und  dann  für  den  fehlen- 
den V.  747:  0  kind  du  bist  min  genist  1.  754.  Kein  dbsatz  HI,  0  (^ 
initiale)  fehlt  G,  Juden]  In  dem  H,  volc]  weih  G,  der  grimen  gmiet  /. 
756.  Mit  gesl.  G,    in  den  lüt  H, 


UNSER  VROUWEN  KLAGE.  229 

wan  daz  leit  ist  vor  aller  not, 

daz  ich  sterbe  unt  doch  enmac 

niht  sterben,    öwg,  bitter  tac! 

nd  henket  mich  zuo  im  dar: 
765    ich  bin  diu  muotr,  diu  in  gebar: 

oder  tuont  mir  anders,  swie  ir  weit: 

ich  bin  nach  dem  tode  erquelt 

waz  sol  mir  armen  muoter  vrist, 

stnt  mir  min  kint  erhangen  ist. 
770    er  stirbet  niht  wol  eine: 

nd  toetent  mich  gemeine 

mit  Jesd,  wan  ich  iuch  des  bite, 

unt  rechent  iuch  an  mir  da  mite 

(ich  bin  diu  in  gebar  unt  truoc), 
775    so  hänt  ir  mir  getan  genuoc." 
''0  süezer  sun  yil  guoter, 

sich  an  dtne  muoter, 


763  niht  sterben,  ach,  vil  biter  tac.  775  so  hknt  ir  mir  vergolten  gnuoc." 

a    an  dem  ertoetet  ist  mtn  kint:  776.  7      "0  lieber  sun  vil  gnoter, 
b  siniu  Clären  oogenschtnentblint  Jdsus  über  dtn  mnoter. 

772  mit  mtnem  sun,  wan  ich  des  bit. 


761.  Wan  fehlt  D,  dis  /.  ist  mir  vor  />.  leit  fehU  H.  ttber  alle  /. 
762.  stirbe  BCI,  gern  st,  G,  doch  fehlt  G,  unt  doch  niht  mac  HL  D.  i. 
nicht  gesterbin  mag  D,  763.  Owe  jemerlicher  t.  D,  764.  Höhet  mich 
BC.  al  dar  G.  765.  binz  H,  766.  Ader  2>,  Aid  H.  anders  fehlt  — 
wai  ir  wollet  D.    767.   Wan  ich  /.    dem]  syme  D,    verqaelt  iT,   enquelt 

C,  768.  9.  *Cur  ergo  post  filium  mater  vivit  in  dolore?*  Germ. 
17,  234,  8.    768.  armer  H.    muoter]  magen  1,  keyne  D,    769.  mir  fehlt 

D.  770—75.  *male  enim  solns  moritur.'  GermAI,  234,8.  771.  Nu 
fehU  BCy  Ir  B.  algemaine  C,  alle  gemeine  B,  773  steht  vor  772  2>. 
772.  wan  —  iuch  fehlen  —  daz  D,  773.  amir  G,  fehlen  BC,  mit 
GEL  774.  unt  in  tr.  H.  en  trug  uH  gebar  2>.  775.  ir  uch  gerochin 
gar  2>.  776 — 85.  0  fili  care,  o  benignissime  nate,  miserematris 
snscipe  preces:  desine  nunc  matri  esse  durus,  qui  cunctis 
semper  fuisti  benignus.  Germ,  17,  234,  13.  14.  776.  Kein  absatz 
CD.    6  fehlt  BC.    sun  vil]  und  o  D.     111.  Nu  siech  D. 

763.  Nit  G,  fehlt  HI.  vil]  we  1.  763  a.  b  vgl.  588.  9.  BC.  763  b. 
scl)inent]  die  send  /.  775.  gevolget  H.  genük  GHI.  776.  Kein  absatz 
HI.    [0]  iesv  vil  g.  G.    111.  J^us]  Svn  G.    dino  H. 


230  MILCHSACK 

geruoche  dieh  erbarmen 
ont  trcBste  mich  vil  armen. 

780    wis  mir  niht  so  herte 
ze  dlner  hinyerte, 
wan  du  min  einer  tröst  bist 
Ifi  mich  sterben  äne  vrist^ 
ich  bite  dich,  hSrre  min,  als  £; 

785    wan  mir  ist  we  unt  aber  wß. 

ziuch  an  daz  criuze  mich  zuo  dir: 
ach,  herzenliep,  des  hilf  du  mir. 
ichn  weiz  waz  süezer  möhte  sin, 
dan  sterben  an  der  slten  dtn. 

790    mir  wart  nie,  kint,  so  bitter  not, 
so  überlebe  ich  dlnen  tot 
ö  ach,  min  zart,  war  sei  Ich  gän, 
ach,  wem  sol  ich  dich  län? 


782.  3  wan  du  min  einer  trdst  nü      792.  3  ö  ach,  mtn  liep,  war  sol  ich 

bist  gäO) 

8Ö  1&  mich  sterben  ane  vrist.  wem  sol  ich  dich,  mtn  vröade,  lan 


778.  Ruche  H,  Rieh  A,  Tun  i.  779.  Vn  frawe  G,  Über  AH. 
vil]  die  G.  780.  Bis  AHL  als  B,  also  G,  zu  D,  781.  An  A,  hene- 
ferte  D.  782.  myn  eygen  D,  nu  min  A.  783.  ersterben  BCD,  784. 
bitt  ACH.  dich  fehlt  G.  here  min  H^  her  A^  h>e  aber  D.  min 
lieber  here  /.  785.  aber  fehlt  BC,  Mir  ist  noch  dir  worden 
we  D,  we  vnd  schwere  i.  786.  7.  Suscipe  matrem  tecum  in 
crucem  et  vivam  tecum  post  mortem  semper.  C^erm.  17, 234, 
15.  Zuch  mich  an  daz  crutze  hir  Und  thu  eync  sad*n  frütschafft  mir 
2>.  786.  Ziuch  mich  1.  daz)  dich  G.  mich  fehlt  GL  787.  Ach  fehlt 
BC.  hertzes  liep  A,  lieber  herre  GH.  das  AI.  hilfe  mir  H.  788 — 91. 
Nil  vere  dulcius  est  michi  quam  tc  amplexato  in  cruce  com- 
mori  tecum,  et  nichil  ccrte  amarius  est,  quam  vivere  post 
tuam  mortem.  Germ.  17,  234,  15—17.  7SS.  Ich  enweisz  (waiss  ff) 
ACDGH,  möht  besser  A.  Ich  wais  nichtz  des  bösscr  möcht  sin  /. 
möcht  gesin  H.  789.  Wan  BC,  Denn  HI,  Danne  G.  an]  bi  BGH.  sythe 
D.  790.  enwart  D.  kint  nie  A.  kunt  BCDGH.  so  bitter]  söllich  H. 
791.  SO]  Und  CH,  Vnde  B.  Sol  ich  über  leben  A,  Als  das  ich  ttber  leb 
L  792.  Absatz  BC  0  ach]  Owe  BC  Ach  liebes  kint  D.  kint  BC. 
793.  Ach  kint  mins  (Herzen  lip  BC)  wem  ABC.  Ach  wie  hastu  mich 
gelan  D. 

782.  Sit  1.  ainger  H,  ainiger  /.  nü  fehlt  I.  783.  So  fehlt  ff.  792. 
Owe  ach  H.    han  G.    793.  dieh  fehlt  IT,  nun  1. 


UNSER  YROUWEN  KLAGE.  231 

dfi  W8ßr  mtn  vater  unt  min  maoter, 
795    dfi  W8ßr  min  bruoder,  Jgsfi  guoter, 

dfi  W8ßr  mtn  yriedel  minnecllch 

unt  ouch  min  Spiegel  wünnecltch, 

dfi  w8Br  mtn  kint,  mlns  herzen  tröst: 

nu  beltbe  ich  armiu  ungetröst. 
800    ich  muoz  ein  armer  weise  sin 

so  ich  dich,  rater  min, 

unt  dich  kint  verliure: 

elliu  gnade  ist  mir  tiore. 

ich  mac  niht  sin  muoter  me, 
805    wan  ich  niht  kindes  hän  als  e. 

ich  muoz  ein  armiu  witwe  sin, 

so  ich  dich  verliuse,  yriedel  min. 

wer  sol  mich  troesten,  so  ich  dich 


796—98  dfi  wier  min  briatigam  vil  801 — 4  sd  ich  den  zarten  vater  min 

zart,  unt  muoter  dich  yerliure: 

dem  geltch  an  stteze  nie  niht  elliu  gn&de  wirt  mir  tiore. 

wart  ich  mac  niht  sin  ein  muoter  md. 

dfi  w«r  min  kint  unt  al  min  807  so  ich  verliuBe  den  yriedel  mtn. 

trÖBt. 


794 — 99.  *Ta  micbipater,  tu  michi  sponsns,  tu  michi  filins» 
omnia  tu  mich!.'  Germ.  17,  234,  17.  18.  795.  steht  vor  794  G.  unt] 
du  wert  A.  795.  jhüs  dtt  gttter  A.  796.  freud  A,  fredo  D.  minnenclich' 
ßC.  797.  ouch  fehlt  A.  spieg.]  zart  BC^  kint  D.  wunnenclich*  BC. 
798.  mtn  kint  fehlt  BCD.  mines  BCD.  lost  D.  799.  Nu  bin  D.  Ich 
arme  blibe  nu  vng. ^.  800 — 811.  'nunc  orbor  patre,  viduor  sponso, 
desolor  prole,  omnia  perdo.'  C^^rm.  17,  234,  18.  800.  arm  Ä  801. 
yeriiese  yater  min  BC^  freud  min  A.  Sint  ich  lieber  herre  min  D, 
802.  3  fehlen  D.  802.  Diu  tot  ist  mir  worden  snwer  (sower  C)  BC.  803. 
mir  worden  tiwer  (tewer  C)  BC,  804.  enmag  A.  nit  mutt*  Bin  (heiszen 
mnt*  D)  me  AD,  805.  Sint  D.  han  nit  kindes  A.  806.  eym  arm  weise 
8.  D.  807.  Seit  C,  Sint  ß,  die  freud  ^,  kint  BCD.  808.  swen 
ich  BC. 


796.  7  fehlen  H.  796.  gmachel  zart  /.  797.  Den  nie  g.  an  schöni 
wart  1.  798.  alle  H,  aller  1.  min  fehlt  L  801.  yerliys  den  yater  G. 
8i>2.  dich  yerlorn  han  G.  803.  Aller  gneden  wirt  ich  an  G.  807.  yer- 
livz  G,  yerlüre  H,  verlttr  /.    gmachel  /,  suoe  M. 


232  MILCHSACK 

verliube,  Jcbü  minueclich  ? 

810    an  dir  verliuse  ich,  swaz  ich  hän 
unt  allez,  daz  ich  ie  gewan. 
mir  tuot  not,  daz  ich  trüric  bin 
nach  dir,  wä  sol  ich  kSren  hin? 
wer  hilfet  mir,  wer  gtt  mir  rät, 

815    so  jsBmerlich  als  ez  mir  stät? 
sol  ich  niht  Uden,  kint,  mit  dir 
den  tot,  so  rät  doch,  herre,  mir. 
bedenke,  got,  min  armez  leben: 
wer  sol  mir  nfi  trost  geben?" 

820  ^An  den  selben  zlten 

stuont  ich  bl  stner  slten. 


809. 1 0  yerliuse,  bmoder  minneclich .      81 8—20  dem  elliu  dinc  Bint  miigelioh 
ich  verliase  an  dir,  swaz  ich  hän.  bedenkCi  hdrre,  selbe  dich." 

'Ze  disen  selben  stten. 


809.  J68Ü]  kint  D.  811.  ich  fehlt  G.  812—15.  <0  fili  mi,  ultra 
quid  faciam?  Ve  michi,  ve  michi,  fili  mi!  Quo  vadam,  caris- 
sime,  nbi  me  vertam  dilectissime,  quis  michi  solacinm,  qnis 
michi  consilium  subsidiumque  praestabit,  benignlBsime?' 
Germ.  17,  234,  19—21.  812.  tuot]  ist  D.  813.  kere  i>.  814.  Absatz  E. 
mir  wer]  und  D.  815.  iemerliclien  AG^  kümmerlich  D,  kimerlich  /.  so 
G.  mir]  ume  mich  D.  gat  AI,  816—19.  'Fili  dulcissime,  omnia 
possi  bilia  tibi  sunt:  si  non  vis  ut  moriar  tecum,  michi  sal- 
tem  relinque  aliquod  benigne  consilium.'  Germ.  17,  234,  21.  22. 
Sl(>.  niht  fehlt  G.  trut  H,  den  tot  G,  817.  Nit  so  G,  dich  Ay  fehlt  G. 
817.  Bedenchet  C,  Bedenk  A,  Gedengke  an  my  vil  a.  1.  D.  819.  mir 
armen  tröst  nv  g.  BC.  820.  Kein  ahsatz  ABCD.  820—28.  Maria .  Sta- 
bam  iuxta  crucem  plena  dolore  et  merora,  que  solacium 
ferre  non  poteram  .  et  mecum  stabant  sorores  et  Maria  Mag- 
dalena .  et  cum  [filius  mens]  vidisset  me  et  Johannem  disci- 
pulum  suum,  quem  diligebat . . .  Schade  p.  11,  24—26.  820.  getzy- 
den  D.    821.  bt]  an  D.    seinen  CH,    syte  A, 


809.  Verlüere  HL  810.  verliure  H,  verlür  /.  818.  alle  i.  mftglich 
G,  muglich  iT,  müglich  /.  S19.  Bedenck  i,  Gedenke  B.  selber  /.  selb 
an  mich  G.    820.  Kein  absatz  H.    Zft  den  /. 


UNSER  VROUWEN  KLAGE.  233 

ich  stuont  bl  dem  criuze  her, 

dar  an  hienc  min  kint  vil  sSr, 

unt  onch  Johanns  ewangelist, 
825    als  ez  geschriben  ist. 

wir  wären  beide  erstorben 

unt  yil  nach  rerdorben 

von  leide  unt  von  smerzen, 

der  durchsneit  unser  herzen. 
830    J^sus  tet  äf  diu  ougen  stn: 

dö  wart  sin  ganziu  triuwe  schln. 

mit  weinden  ougen  er  mich  an  sach: 

in  slner  not  er  zuo  mir  sprach 

^sich,  werde  maget,  muoter  min, 
835    Johannes  sol  dtn  sun  sin: 

habe  in  zuo  einem  kinde. 

ach,  muoter  mtn,  erwinde 


823  dar  an  so  hienc  mtn  kint  vil  sdr.      830. 1  mtn  kint  tet  üf  diu  ougen  stn  : 
828  von  leide  nnt  euch  von  smerzen.  dö  wart  stn  ganziu  minne  schln. 

834  sich,  wtbes  kUnne,  muoter  mtn. 


822.  3.  Beneben  deme  crutze  sint  Dar  an  ihesus  hing  my  kint  D, 
822.  here  A,  823.  min  ihesvs  ser  BC,  sere  A,  825  steht  vor  824 
H.  824.  By  mir  ouch  /.  Goyn  mir  stunt  Job.  D,  iohannos  ABCDGl, 
Jobannem  B,  825.  Min  mak  (pfleger  i,  Ich  sach  H)  als  GHL 
Als    ez    gentzlich    geschr.    i.    B,    Als    geschr.    was     und     ist    A. 

826.  waeren   peiden    C.       Wir   beide    waren     gest.  A.      verdorben    /. 

827.  Vfi  gar  (ouch  B)  vil  GB,  Und  in  anmacht  na  D.  nahe  A, 
nache  G,  er  storben  /.  828.  lyden  D.  vnd  ouch  von  BC.  829.  Der  da 
durchsch.  .^.  unsz  2>,  vnsere /.  herzet.  830— 34. 'Tunc  filius  meus 
jam  anxius  in  crace,  oculis  et  vultu  michi  annuens,  de 
Johanne  ait,  qni  patiens  erat  et  multum  tristis  et  semper 
plorans  *Mulier,  ecce  filius  tuus.*  Germ.  17,  234,  22—24.  830. 
Absatz  B.  831.  Dar  D.  sin]  mir  B,  libe  By  lieb  C.  832.  Mit  fehlt  A. 
weinenden  BBI,  weinnnden  C  Mit  wainent  (Weinende  A)  er  HA.  ane 
H,  fehlt  BCBL  833.  syne  noden  B ,  minen  nöten  H.  834.  libe  BC. 
mvter  maget  BGB.  fyn  B.  835.  nn  sin  H.  836.  7.  Und  sal  din  plegen 
vort  als  ich    Werde  mut'  an  den  halt  dich  B, 


823.   so  fehlt  L    sere  B.    828.   avch  fehlt  H.     831.  Und  sach  an 
mines  hertzen  pin  /.    834.  wibe  liebe  /. 


234  MILCHSACK 

unde  lä  dtn  weinen  stn. 
nim  stn  war  reht  als  mtn. 

840    du  weist  wol  ich  bin  darumbe  kamen, 
daz  ich  wil  allen  sßlen  frumen, 
dar  zuo  wart  ich  von  dir  gebom: 
nfi  ist  gestillt  mtns  vater  zom. 
die  sein  wil  ich  behalten: 

845    ich  wil  nieman  verschalten: 
wie  möhte  anders  erfüllet  stn 
diu  Schrift?  da  von  so  Ude  ich  pln 
Yür  allez  menschltch  kOnne. 


836 — 39  a  alsob  erspr»che,muoter,       f     lao  mir  unt  der  miltekeit 

maget,  840  du  weist,  ich  bin  dar   nmbe 
b    von  mtner  marter  wis  nnyer-  kumen. 

zaget.  842  ich  wart  mensch  ze  dir  gebom. 

c    zartiu  muoter,  reiner  l!p,  845  die  vor  mir  warn  verschalten, 
d    du  bist  ze  weinene  als  ein  wtp.       a    mit  mtnem  zarten  blnote^ 
e    du  habt  zo  vil  barmherzikeit  b    Maria,  maget  gnote. 


838.  din  groiszes  w.  Z>.  839.  Dv  nim  BC.  Da  mnst  dich  entraden 
myn  Z>.  840 — 48.  'tu  scis  qnia  ad  hoc  veni  in  mundum,  de  te 
carnem  assnmpsi,  nt  per  crucis  supplicium  salvarem  genus 
humanum  .  quo  modo  igitur  implebuntur  scripture?  Scis 
enim  quia  opportet  me  pati  pro  salute  human!  generis.* 
Germ.  17,  234,  25—28.  843  steht  vor  840  A.  840.  wie  ich  A.  dar  ztt 
gebom  ABC.  Darauf  noch  ein  vers  Swaz  sele  sint  verlom  BC.  841. 
D.  ich  den  wil  allen  fr.  Dar  vmb  bin  ich  (pit  ich  dich  C)  von  himel 
kvme  BCf  D.  ich  wol  manifj^r  sei  sig  fr.  B,  Allen  betrnbeten  seien  zu 
fr.  D.  842 — 15.  Die  von  myn'  pin  sollen  w'den  erloist  Unde  da  von 
haben  gnade  ufi  troist  D.  842.  gebom]  genununen  A.  843.  gestillet  AGB. 
mines  GBL  vatters  BL  844.  selan  B,  sele  B,  sei  CG.  845.  nieman]  im  C. 
846.  änderst  i.  846 — 18.  Wie  mochte  die  schrifft  erfollet  sin  Dan  von 
myn'  martel  und  pin  Die  ich  lyden  vor  menschlich  könne  D,  847.  ge- 
schrifft  ABL    da  von  ich  lid  pin  L    848.  alle  B.    künde  L 


836—39.  'ao  si  diceret  '0  mater  dnlcissima,  mollis  ad 
flendum,  mollis  ad  dolendum.*  Germ.  17,  234,  25.  836a.  ob  fehlt 
G.  vnd  magti.  b.  An  —  bis  /.  c.  maget  B.  e.  erbarmherzikeit  BL 
f.  unt  ouch  der  BL  842.  ze]  von  BL  boren  G.  845.  von  BL  ver- 
salten G. 


UNSER  VROÜWEN  KLAGE.  235 

dar  nach  sol  ich  mit  wHime 
850    erstan  unt  erschlnen 

dir  unt  den  jungern  mtnen: 

daz  geschiht  an  dem  dritten  tage. 

lä  yrouwC;  muoter,  dtne  klage. 

dar  nach  sol  ich  ze  himel  vam 
855    mit  den  engelltchen  scharn 

zuo  mlnes  vater  tröne: 

da  sol  ich  leben  schöne. 

ö  muoter,  lä  dtn  trüren  stän, 

wan  ich  die  seien  runden  hän 
860    unt  mlniu  lieben  schsefelin, 

diu  lange  irre  gewesen  stn. 

der  mensche  lange  was  yerlom: 

dar  zuo  wart  ich  von  dir  geborU; 

daz  ich  aleine  disen  t6t 
865    Ifde  vür  der  werlde  not. 


858 — 62  vrouwe,  lä  dtn  trüren  Btkn,  daz  lange  irre  ist  gesln 

liebiamuoter,wanichyandenhän  unt  lange  wile  was  verlorn, 

mtn  herzeliebez  schsefeltn,  865  Itde  viir  al  der  werlde  not. 


849 — 52.  ^Die  namque  tercia  resiirgara,  tibi  et  discipulis 
meis  patenter  apparcns.'  Germ.  17,  234,  28.  29.  849.  wil  ich  mich 
wünnc  B.  S50.  1.  Hcrsten  vnd  dir  herschin  (erschinen  BCH)  Vnd  auch 
den  Jüngern  min  (minen  ECB)  ABCB.  S50.  vfl  oueh  /.  85t.  ivgcrn  G, 
langer  /.  852.  Da  G,  beschicht  i.  853—57.  ^Desine  flcre,  depone 
dolorem,  quia  ad  patrem  vado  et  ad  gloriam  paterne  maje- 
statis  percipiendam  conscendo.*  C^rm.  17,  233,  29.  30.  853.  vrou- 
we]  zarte  BC.  Dar  umo  lasz  D.  Laus  müter  frow  /.  muoter  fehlt  D. 
din  ABl^  dinev  BC^  diner  G.  855.  engdlischen  BC^  engelschen  AD, 
cngelBchlichen  BL  857  steht  vor  856  BC,  856.  In  BC.  vatters  AL 
857.  saltu  D.  sitzen  DI.  858.  Absatz  BC.  0]  Dar  nme  D.  stan]  sein 
CD.  859.  sele  5,  sei  C.  Ich  rausz  lyden  diese  pin  D.  860.  I  fehlen  D. 
860.  Vnd  auch  myn  liebe  Ay  Min  vil  Üben  BC.  861.  lang  ir  A.  gewaren 
sin  BC.  S62.  Vor  den  menschen  der  was  v.  D.  863--65.  SMoritur 
unns,  ut  inde  reviviscat  totus  mundus.'  Germ,  17,  234, .h*2.  863. 
Dar  ume  —  ich  fehlt  D.  864.  5.  D.  i.  diese  martel  und  noid  Wil  lyden 
vor  dez  menschen  toid  D.    865.  Liden  solt  A.    aller  C,  fehltA. 

858—62.  *Immo  congratulari  mich!  quia  nunc  inveni  ovem 
erroneam  quam  tam  longo  tempore  perdidi.*  Germ.  17,  234,  31. 
32.  858.  Frow  iT,  Frawe  min  C,  MÄter  /.  dln  fehU  G.  trure  B.  859. 
Wan  mitt  miner  marter  ich  /.  vunden]  von  dir  G.  86  t.  ierig  Bl.  ge- 
wesen G.    S62.  i6t  G.    865.  Litte  i,  £nphieng  G^  Enphag  B.    aller  Gl. 


236  MILGHSACK 

war  umbe  missevellet  dir 
der  tot?  ja  hat  der  vater  mir 
geboten,  daz  ich  trinken  sol 
der  martel  tranc,  daz  kumet  wol 

870    den  seien,  die  da  sint  gebunden 
von  den  boBsen  hellehunden: 
den  wil  ich  ze  hilfe  kumen. 
m!n  tot  sol  manger  sSIe  vrumen. 
da  von,  vil  liebe  muoter  mtn, 

875    Maria,  lä  din  trüren  sin. 

ach,  herzenliebe  schoene  maget, 
habe  ein  herze  un verzaget, 
lä  dtn  weinen  über  mich: 
ö  stteze  muoter,  troBste  dich. 

880    wan  swie  der  tot  mir  angesige 
unt  swie  ich  im  underlige, 


867 — 73  a  daz  mtn  vater  hat  gebe-  e    daz  tranc,  daz  er  mir  besohlet, 

ten  mir  f    dö  er  mich  sande  erloesen 

b    unt  daz  im  so  wol  gehaget:  g    mangen  sünder  bceaen. 

ü    daz  lä  dir  liep  sin,  maoter,  874—79  fehlen, 

maget  880—82  folgen  nach  886—91. 
d    wie  wiltü,  daz  ich  trinke  niet 


866—68.  Nit  missevalle  dir  dz  ich  trinken  sol  Ä,  867.  Min  —  ja]  na 
D.  869.  marter  trank  der  BC,  stedt  wol  D.  870.  Die  2>.  871.  Mit  BC. 
bosin  D,  fehlt  BC.  872—75.  Die  wil  ich  losin  muter  myn  Dar  ume  lasz 
frouwe  din  weyne  sin  D,  872.  ze  staten  BC.  873.  allen  seien  BC, 
874— S5.  *Noli  fleremater,  noli  plangere  specioslssima  mater: 
non  te  desero,  non  te  derelinqno,  tecum  snm,  tecum  ero 
omni  tempore,  scilicet  si  socundam  carnem  snbjaceo  impe- 
rio  mortis,  secundum  divinitatem  snm  f  ui  et  ero  Immortalis 
et  impassibilis.  Germ,  17,  234,  35—38.  875.  weinen  BC.  876— 9J 
fehlen  D.  876.  hertzliebe  A,  herzen  lip  (hertzenliep  C)  vil  BC.  879.  6 
fehU  BC.  8S0.  Wan  fehlt  BC,  Vfl  G.  swie  fehlt  A.  an  mir  gesige 
BEI.  angesigt  G.  8S1.  swie  fehlt  AI.  daz  ich  BC,  von  im  HL 
im  avch  vnder  gelieg  C,    in  der  erden  lige  A. 


866—73.  'Quod  placet  deo  patrl,  quomodo  tibi  displicet, 
mater  dilecta?  Calicem  quem  dedit  mich!  pater,  non  vis  nt 
bibam  illnm?*  GJ^w.  17,  334,  33— 35.  \i.  A^^z  fehlt  HI.  ^Aao  H.  behagt 
HI.  c.  muoter]  raine  H,  d.  Wie  fehU  I,  e.  vor  (vs  1)  beschiet  HL  f. 
z&  lösen  /.    g.  Binder  /,  svn  der  G, 


UNSER  VEOÜWEN  KLAGE.  237 

des  soltü  dich  niht  missehaben; 

wan  Bwie  daz  ich  nü  werde  begraben 

doch  wil  ich  niht  vergezzen  dln, 
885     wau  ich  wil  iemer  mit  dir  stn. 

dfi  weist  wol  wie  ich  bin  geborn: 

dfi  bist  erwelet  unt  äzerkorn 

vor  allci-  creatüre. 

min  tot  ist  dir  ze  süre 
890    worden  unt  wiii;  dannoch  me. 

dir  ist  nach  mir  we. 

ez  ist  ztt  daz  ich  kere  wider, 

von  dem  ich  kumen  bin  hernider: 

daz  ist  min  vater  here, 
895    zuo  dem  ich  wider  kere. 

dar  mäht  du  niht  schiere  kumen 


886 — 91a  ö  ssßlec  vor  allen  wtben,  ich  wil  doch  immer  mit  dir  sin, 

b    dtn  weinen  lä  beliben.  noch  enwil  nimmer  vergezzen  dtn. 

c    du  bist  mtns  tdds  ze  8§re  er-  892—95  folgen  hier, 

komen.  896.  7  dar  enmaht  du,  muoter,  noch 
d  du  weistwol  wannen  ich  bin  komen.  niht  komen, 

883 — 85  wan  swie  ich  nü  werde  be-  swie  ich  ein  wil  dir  werde  be- 

graben, nomen. 


882.  dich  des  nit  A,  883.  Vfi  BC.  884.  so  wil  A.  mag  C.  885. 
bi  BC,  886—91.  *Bene  scis  unde  processi  et  unde  veni:  quare 
ergo  contristaris  si  illuc  ascendo  unde  descendi?*  Germ.  \1, 
234,  38.  39.  887.  erkorn  B,  889.  dir  worden  svre  BC.  890.  Worden 
fehlt  BC.  dannoch]  auch  A.  891.  we  vfl  we  BC.  892—95.  *Tempus 
est  ut  revertar  ad  eum  qui  me  misit.'  Germ,  17,  234,  39.  40.  892. 
nü  kere  A.  893.  Absatz  H,  ich  fehlt  G,  ich  bin  kom.  hern.  D.  891.  ist 
fehlt  —  herre  G,  Von  myme  vater  also  du  wol  weist  D,  895—937.  In 
syne  hende  befeien  ich  myen  geist  Rieff  he  mit  luder  stymme  Von 
des  todes  grymme  (vgl  994 — 997)  Da  körte  ich  mich  trurig  dar  Ich  wolde 
mynes  kindes  neme  war  Ich  siech  synB  lip  bleich  und  fall  Min  hertze 
von  dem  jamer  quäl  D.  895.  wil  ich  w.  keren  G.  896-901.  *Et  ego 
quo  vado,  non  potes  modo  venire,  venies  autem  postea.' 
Germ.  17,  234,  40.  41.    896.  Dar  nach  soltü  schier  k.  A. 


886  a.  Absatz  GL     6  fehlt  Gy  weil  die  initialen  von  hier  an  nicht 

mehr  ausgeführt  wurden,     c.  ze  hart  B.    d.   wannan  Gy  war  vm  /,  wie 

B.    883.  Vnd  wie  das  ich  w.  b.  /.    wird  G,    885.  Vnd  wil  (wil  fehlt  H) 

LH,    immer  G,    896.  Dar  (Da  hin  /)  mäht  ül.    897.  enwil  G.    wird  R. 


238  MILCHSACK 

swie  daz  ich  dir  werde  benumen 
ein  wlle;  iedoch  soltü  dar 
kamen  mit  der  engel  schar: 

900    da  soltü  iemer  mit  mir  sin. 
Maria;  lä  dins  herzen  plu. 
die  wlle  sol  Johannes  dln 
mit  triuwen  pflegen,  muoter  min. 
er  Bol  dir  dienen  in  alle  wls, 

905    reht  als  ob  du  sin  muoter  sls. 
er  sol  mich  des  geniezen  län, 
daz  ich  in  ie  geminnet  hän 
unt  euch  von  herzen  minne. 
Johannes,  liebiu  minne, 

910    sich  an  dlne  muoter 

unt  bis  ir  pfleger  guoter: 

dfi  nim  ir  war,  diu  mich  gebar: 


898.  9  doch  soltü  schiere  komen  dar,  a    der  ist ,  dem  ich  getrinwe  wol, 

d  liebiu  muoter,  diu  mich  gebar.  b    der  dtn  mit  triuwen  phlegen  boI. 

900. 1  fehlen.  904  er  sol  dtn  phlegen  in  alle  wts. 

902  die  wtle  sd  sol  phlegen  dtn  909  a  Johannes,  mtn  vil  guoter, 

903  Johannes,  liebiu  muoter  mtn.  9t  1  fehlt. 


897.  wtird  genümg  A.  898.  doch  Ä.  901.  lasz  A^  fehlt  C.  dines  B. 
hertzens^.  902—8.  ^Interim  Johannes,  qui  est  nepos  tuus,  repu- 
tabitur  tibi  filius  et  curam  habebit  tui  et  ipse  erit  tibi 
solacium  fidele.'  Germ.  17,  234,  41.  42.  903.  Phlegen  liebe  m.  m. 
C.  904.  5.  fehlen  BC.  wise  :  syest  A.  905.  Reht  fehlt  1.  ob  fehlt  G. 
»06.  Es  /.  dich  G.  des  fehlt  H.  907.  allwege  ^,  gar  C,  ser  /.  lieb 
gehöbt  /.  908.  Vnde  noch  BC.  von  hertzes  gründe  /.  Gar  mit  gutem 
sinne  U.  909—15.  Iterum  Johannem  intuitus  ait  ^Ecce  mater 
tua:  ei  servias,  curam  illius  habe,  eam  tibi  commeudo.  Sus- 
cipc  matrem  tarn,  immo  magis  suscipe  meam.'  Germ.  17,  ?34, 
42—235,  1.  909.  lieber  A.  lieber  frainde  /.  Darauf  noch  ein  vers 
Johannes  Jvnger  gvter  BC  =  II.  910.  nu  din  A.  Du  pflig  wol  diner 
m.  /.    911.  fehlt  BC  =  //.    912.  Vnd  nym  A. 


898.  Och  G.  899.  0  (0  fefät  1 )  zartiu  magt  HI.  902.  so  pfleg  /. 
903  b.  Er  H,  Das  er  /.  mit  triuw.]  alweg  /.  904.  in  fehlt  G.  allei  /. 
909  a.  mtn]  du  /. 


UNSER  VEOÜWEK  KLAGE.  230 

b!  was  mtn  muoter,  daz  ist  war, 
DU  sol  st  dln  muoter  stn. 
915    pflic  ir  rehte  als  mtiu" 

Der  Worte  was  ein  ende. 

s!  wunden  beide  ir  hende. 

ir  Ungemach  was  also  gröz, 

daz  von  ir  ougen  vlöz 
920    der  zäher  vluz  als  ein  bach. 

st  swigen  beide^  ir  keinez  sprach 

ein  wort;  st  enmohten  niht 

reden  von  der  angesiht, 

diu  st  an  im  sähen, 
925    dö  im  begunde  nähen 

der  swaere  unt  der  bitter  tot. 

da  von  wart  gröz  ir  herzen  ndt: 

st  wurden  bleich,  gel  unt  val. 


913  st  was  mtn  maoter  unz  al  dar.  st  swigen  beide,  irdwederz  sprach 

915  nü  phlic  ir  rehte  als  mtn.  ein  wort;  st  mohten  reden  niht 

920—23  der  träher  vluot,  ein  michel  von  der  swsßren  angesiht 

bach.  927  da  von  was  gröz  ir  herzen  ndt 


914.  Vnde  sie  sol  BC,  sie  wol  A,  si  onch  /.  915.  Dv  solt  ir 
phlegen  reht  a.  m.  BC.  916.  Kein  ahsatz  Aä,  916 — 60.  ^Hec  pauca 
yerba  dixit.  Johannes  autem  et  ego  lacrimas.  fundere  non 
cessabamns :  tacebamns  ambo,  quia  pre  dolore  loqtii  non 
poteramus.  Audiebamus  Christnm  loquentem  voce  rauca 
et  ipsum  videbamns  panlatim  morientem,  nee  ei  poteramus 
respondere  verbum,  qnia  videbamus  enm  jam  quasi  mor- 
tuum.'  Germ,  17,  235,  1—5.  916.  Kein  äbsatz  A.  der  was  BCL  91b. 
nngeliabe  w.  so  BCB,  919.  da  von  Hl.  ier  zarten  (reise  G)  aug.  CBG. 
wasser  flosz  A.  920.  Die  zeh'  waren  grosz  als  e.  b.  A.  922.  Nie  ein  A. 
924.  5.  fehlen  A.  924.  im]  ir  herren  H.  926.  Die  A,  Der  vil  bitterlich 
t.  H,    927.  D.  V.  ir  hertz  leide  n.  A.    928.  gel  fehlt  BC, 


913.  nnz  alle  dar  Hy  bis  hieher  /,  vnze  her  Wan  sie  hat  grozzen 
herze  ser  G,  915.  wol  /,  wol  recht  G.  al  (?,  als  onch  iT,  als  si  /.  920. 
trähen  vluz  H.  vluot]  blftt  /.  921.  beidiv  G,  fehll  H,  weders  7,  ein- 
wederz  U.    927.  swär  irs  H,    herze  GL 


240 


MILCHSACK 


930 


935 


940 


ir  herzenliep  hienc  vor  in  sal: 

b!  sahen  stnen  lip  bleich: 

dö  was  geswigen  ir  vrüudeu  leich. 

ir  quäle  was  so  nianicvalt 

da  von  des  libes  ungewalt, 

s!  beidiu  wären  also  tot 

von  der  bitterlichen  not, 

diu  st  an  ir  herzen 

Uten  von  dem  smerzen, 

als  s!  ein  swert  durchstsBche, 

da  von  ir  herze  braeche. 

s!  wären  beidiu  äne  kraft: 

diu  quäle  häte  si  so  behaft, 

daz  ir  iewederz  durch  daz  mort 

mohte  geleisten  stimm  noch  wort. 

doch  swer  ez  rehte  merken  wil, 


929 — 43  wan  ir  liep  hienc  vor  in  sal 

(930)  Bt  sähen  stnen  itp  vil  bleich, 

(931)  da  von  ir  kraft  vil  gar  bcsweich. 
(933)  von  des  Itbes  ungewalt 

(932)  ir  leit  daz  was  eö  onanecvalt, 

(942)  daz  ir  dwederz  durch  daz  mort 

(943)  mohte  geleisten  stimm  noch 

wort. 


(940)  st  wären  beidin  äne  kraft: 

(941)  der  smerze  häte  si  so  behaft 

(934)  daz  si  wären  also  tdt 

(935)  von  der  biterltchen  ndt, 

(936)  die  si  tniogen  an  ir  herzen. 

(937)  si  wurden  gwar  des  smerzen 

(938)  als  si  ein  swert  durchstseche, 

(939)  da  von  ir  herze  breche. 


929.  lac  BC,  ward  in  A,  931  steht  vor  930  Ä.  930.  ir  liep  gar 
bl.  Ä,  932.  was  fehlt  C,  933.  Do  6^  Daz  B.  935.  Vor  C.  angest  vü 
[von  spätere^'  hand  übergeschrieben)  not  B.  937.  Liden  BC.  93S.  Sam 
BC.  Als  ein  schwert  das  du'ch  sie  stech  A^  Also  ob  mich  ein  swert 
steche  D.  939.  Unde  durch  myn  h.  br.  D.  940—43.  Also  hatte  mich 
die  quäle  behafift  Daz  mir  entging  macht  ufi  crafift  Ich  enmochte  ge- 
leiste stymme  noch  wort  Da  ich  ersach  den  groissen  mort  D.  041.  sich 
also  A.  gemäht  ABC.  942.  ir]  ich  C.  yetweders  nit  bringen  moht  A^ 
keines  mohte  bringen  BC,  943.  Von  dem  munde  das  doht  (munde  wort 
noch  stimme  B,  munt  wart  geswingen  C)  ABC.  944 — 53  fehlen  D. 
944.  Do  C.    erkefie  A. 


929.  Wan  fehlt  U.  sin  lyb  /.  930.  lip  erblichen  /.  931.  vil]  in  Hy 
was  /.  entweich  H,  entwichen  1.  932.  daz  fehlt  H.  so  fehU  1.  942. 
entweders  (weders  moch  I)  von  vorcht  BL  913.  Möchte  gelisten  G, 
Oeben  weder/.  940.  Absatz B.  941.  sd  fehltl.  934.  als  /.  935.  iemer- 
lichen  /.  93(5.  Den  i.  iren  ly  dem  G.  938.  si  fehlt  I.  dftrch  steich  G, 
durch  si  stach  /,  stäche  H.    939.  Unt  da  H.    breich  Gl,  zerbräche  B. 


UNSER  VROUWEN  KLAGE.  241 

945    8Ö  gienc  Marien  näher  vil 

sin  marter,  als  ez  billich  was, 

wan  sl  in  truoc  unt  sin  genas. 

da  von  sd  gienc  ein  scharpfez  swert 

besunder  darch  die  maget  wert 
950    so  vil  so  sl  in  minnet  me, 

85  vil  was  ir  wirs  unt  w6.  — 

waz  sol  ich  iu  nü  m6  sagen 

von  dem  jaemerllchen  klagen, 

daz  diu  werde  maget  leit, 
955    dö  ein  swert  ir  sgle  sneit? 

wan  ir  herze  was  so  wunt, 

daz  diu  zunge  noch  der  munt 

künden  niht  entsliezen, 

noch  fiz  gegiezen 
960    nach  des  herzen  grimme 

mit  Worten  noch  mit  stimme. 


954  daz  diu  maget  an  mäze  leit.  niemer  möhte  entsliezen. 

957.  8  daz  ez  diu  zunge  noch  der  munt 


945.  marie  AI^  Maria  H.  nahe  als  vil  A.  946.  als]  wen  /.  Als  es 
billich  was  die  martel  sin  A,  947.  stn  fehlt  G.  vnd  genasz  sin  A,  948. 
sd  fehlt  BC.  950.  also  Ay  als  /,  nnt  H,  st  fehlt  H,  lieb  het  /,  meinte 
H.  951.  so  was  H,  vli  aber  we  G,  952.  Absatz  GL  Uch  AI,  fehlt  BC. 
nü  fehlt  1,  mer  nu  H.  md  fehlt  BC.  953.  den  C.  954.  5.  Und  smertzS 
den  ich  arme  leid  £yn  scharpes  swert  myne  sele  zu  sneyt  D.  954.  diu] 
si  C.  reine  BC.  955.  ir  ein  G.  durch  ir  A.  ir]  die  G^  ein  C.  sei 
(sele  B)  dvrch  sneit  (ver  schnaid  1)  BCHI.  956—61.  fehlen  D.  956 
Vnd  ir  hertz  w.  s.  sere  w.  /.  957.  diu]  si  C.  958.  Kvnde  -ß,  Chunt  C. 
959.  Noch  künden  (vollen  BCy  kain  hertz  /)  vsz  gegiessen  (giezen 
BCH)  ABCBI.    960.  Von  i. 


954.  Die  Gy  Dan  /.  diu]  si  —  mazen  H.  957.  ez  fehlt  I.  die 
sele  vn  och  den  m.  G.  958.  mag  /.  Nach  961  hat  G  noch  folgende 
verse:  Der  megde  quäle  waz  al  ein  Daz  ir  kint  zartes  vfi  vil  rein  Waz 
zewishen  zwain  morderen  Erhangen  als  er  were  Ein  havpet  aller 
diebe  erkant  Ir  einer  ze  der  vinstem  haut  Begvnde  sin  avch  spotten 
Er  sprach  bistv  gOtes  svn  So  erlöse  vns  mit  dir  von  der  not  Dv  benim 
vnz  den  bitern  tot  Ze  dem  sprach  do  mit  swero  Zc  der  ander  siten 
der  Schacher  Svs  hanget  er .  .  si  in  der  selben  not  Fvrchst  dv  nit  den 
waren  got     Er  bestraft  in  minneclich     Vn  sprach  do  riwedich    Jhvs 

B<*ltri(ge  inr  gwehteht«  der  lUatfohen  ipraolM.   V.  lÖ 


242  MILCHSACE 

Dö  daz  geschach,  dö  sprach  also 
au  dem  criuse  JSsus  'Sitiö'. 
mich  dürstet  spricht  ze  dintsche  daz. 

965    st  buten  im  durch  ir  haz 
ezzich,  mirren,  gallen,  wln: 
dar  an  wart  ir  unsselde  schln. 
er  bot  den  süezen  munt  aldar: 
dö  er  der  gallen  wart  gewar, 

970    dö  wolde  er  sin  niht  trinken  m& 
der  Juden  spot  tet  im  we. 
st  spotten  sin  mit  schalle, 
die  i-tchen  unt  armen  alle, 
st  sungen  unde  ruoften, 

975    si  tanzten  unde  wuoften, 
st  sprächen  Vaer  du  ie  got, 
ganc  herabe  lä  dtnen  spot', 


962.  3     Dd  diz  beschach,  dö  sprach      967.  8  dö  wart  ir  biter  ntt  wol  sohtn. 

also  er  bdt  stnen  munt  aldar. 

der  lebende  bninne  'Sitid*.         970  er  weite  stn  niht  trinken  m6. 

972—92  fehlen. 


962—64.  Post  hec  sciens  Jhesns,  quia  omnia  consummata 
sunt,  dicit  ^Sicio*.  Germ,  17,  235.  962.  Kein  dbsatz  AD.  so  B, 
Damach  sprach  er  aber  da  D.  963.  J^sus  fehlt  D.  964.  dnrst  C.  sprichet 
G,  sprach  C\  ze  dutsche  2>,  zv  düte  BCy  ze  tüten  G,  ze  ttttsch  /,  in 
tütsch  B.  zU  tütsch  sp'chtdas^.  965—70.  erat  autem  yas  positum 
plennm  aceto  et  currens  vnas  [implens  spongiam  aceto  et 
circnmponens  calamo]  dabat  ei  bibere,  vt  cicins  moreretar. 
et  cum  accepisset  acetum,  dixit  ^consummatum  est'.  Schade 
p.  11,  30—32.  966.  gallcn  mirren  /.  nnd  win  B.  968.  den  münt  süsse  dar 
A,  969.  der]  den  C.  ^'ii)—Sb  fehlen  B.  970.  sin  fehlt  BC.  971.  der  tet  ZT. 
tet  fehlt  —  vil  we  G.  973.  Die  armen  Jvden  alle  BC.  974.  5.  wnften 
:  ruften  BC.  976.  würt  A,  wurde  BC.  977.  So  stige  her  (Du  steikch 
herabe  C)  vü  BC.    din  A. 


here  gedenke  min  So  dv  körnest  in  daz  riebe  din  Ach  in  welher  mil- 
tekeit  Got  sprach  für  war  si  dir  gcseit  Daz  dv  mit  mir  frivnt  min 
Solt  hivt  in  dem  paradvse  sin  : : . : : :  oder  gesach.  962.  [P]o  dizze 
waz  ergangen  do  G.  963.  Sprach  also  der  G.  967.  ir]  sin  GB. 
bitter  mit  B.  bitterkalt  /.  968.  sinen  reinen  m.  G.  dar  /.  970.  sin] 
ir  J.    l^'ach  971.   folgen   in  G  noch   diese  verse:    [£]r  sprach   consvm- 


UNSEB  VBOÜWBN  KLAGE.  243 


unt  ander  Scheltwort  genuoc 
sprächen  st,  diu  er  vertruoc 

980    mit  gednltigem  herzen 
in  allem  stnem  smerzen, 
dö  er  sin  bluot  von  im  göz 
unt  daz  wazzer  nider  vlöz 
von  ougen  unt  von  slten. 

985  In  des  j&mers  ztten 

sprach  er  ^nü  sol  ende  stn 
der  vil  bittem  martel  mtn. 
doch,  lieber  vater,  ich  bit  dich, 
an  mlnem  ende  erhoBre  mich, 

990    vergip  den  genzltchen, 
die  mir  jsBmerltchen 
mlnen  lip  hän  benumen. 
min  ende  ist  nü  kumen: 
ich  bevilhe  in  die  heude  dtn 

995    minen  geist,  lieber  vater  miu.' 
dar  nach  ruofte  er  grimme 


993 — 97  a  Dö  der  gotes  sun  der  zart  (994)  er  sprach  '  in  dine  heode 

b    durchmarteret  unt  durchquelet  (995)  bevilhe  ich,  vater,  minen  geist: 

wart  (995  a)    des  beger  ich  allermeist. 

c    als  er  selbe  wolte  (993)  nü  ist  ein  ende  miner  not 

d    vür  uns  unt  sterben  solte:  (993  a)  unt  nähet  mir  der  swsere  tdt* 

e    zeleste  an  sinem  ende  (996)  er  mofte  durch  die  grimme 


980.  gedvltiklichem  BC.  982.  Do  daz  bl.  v.  i.  doz  BC,  985.  Kein 
äbsatz  ABC,  986.  ein  ende  BC,  He  sprach  nu  nymt  ende  myne  pin 
D.  987.  D.  bitterlichen  marter  m.  BC,  Susz  musz  die  schrifift  irfollet  sin 
D,  968—1008  fehlen  D.  988.  bit  ich  B,  990.  V.  in  gar  vil  getrtiweklichen 
A.  991.  mich  C.  992.  haben  B,  genumen  C  993.  end  das  ist  A, 
995.  Min  C.    996.  Absatz  BC    do  (so  C)  rief  BC    mit  gryme  A. 


matum  est  Daz  tvtet  iwers  arges  ist  daz  lest  Nv  koment  vfi  hant 
(hant  am  rande)  voilebracht  Swaz  ir  zem  ir  hetent  gedacht  (vgl  v. 
1052.  3.)  Ir  vindent  nit  me  sachen  Von  der  ir  mir  mvgent  gemachen 
Vber  dizze  voilebracht  wort  Qvalen  pin  vö  schänden  hört  993  a— e. 
fehlen  HL    e.  Zelesten  G, 

16* 


244  MILCHSACK 

mit  einer  grözen  stimme 
in  jüdeschem  ES[%  M\f 
unt  lamasabacthän^. 

1000    daz  sprichet  unt  bediutet  sich: 

min  got,  mtn  got,  wie  hästfi  mich 
Verlan^  den  dfi  unsehuldic  weist? 
sus  ruofende  liez  er  den  geist. 
Zuo  der  grözen  stimme^ 

1005    Ton  des  leides  grimme 

dd  er  so  bitterlichen  schrei, 
dd  reiz  der  umbehanc  enzwei, 
der  da  in  dem  tempel  hienc 
der  sannen  schin  yiI  gar  zergienc, 

1010    der  himel  wart  tunkel  var, 
der  liebte  tac  vinster  gar: 


(997)  des  töds  mit  lüter  stimme.  1008— 13  der  in  dem  vrönen  tempel 

999  UQt  ouch  lamasabactany.  hienc. 

1004.  5  Mit  dirre  grözen  stimmCi  der  olären  sannen  schtn  zer- 

von  des  sdres  grimme.  gienc, 

der  himel  dar  wart  vinster  var, 


998.  ivdesh  G.  heloy  heloy  /.  999.  lamasabathani  Ay  oveh  lamazabany 
(lamazabarany  C)  BC.  1000.  D.  spricht  in  tutsch  sich  H,  100t.  wem  BC. 
war  vmb  lassest  mich  A,  1002.  Geloun  /,  fehlt  A,  1003.  Also^,  fehUH. 
rüfifenden  G^  fehlt  BC,  von  im  den  BC,  Mit  dem  rieffen  gab  er  vff  den  g.  i. 
Dann  noch  zwei  verse  Mit  herzz'  zcher  flute  Svs  endet  ihvs  der  gftte  G. 
1004—21.  tunc  velum  templi  est  scissum  in  duas  partes  a 
summo  nsque  deorsnm,  et  terra  mota  est,  et  petre  scisse 
sunt.  .  .  Schade  p,  11,  36.  37.  1004.  ICein  absatz  ABC.  vil  grözen 
(grozzem  C)  BC,  1006.  so  fehlt  BC,  biterlicb  /.  erschraig  H.  1007. 
sich  der  L  Der  vmb  hanck  spielt  sich  e.  A,  1009.  schin]  sein  C,  vil] 
do  BC,  verging  A,  Du  vMoisz  die  sonne  eren  schin  Von  der  bittem 
martel  sin  D,  1010—15.  fehlen  D,  1010.  der  wart  B,  gar  A,  1011. 
steht  nach  1013.  C  fehlt  A,    Und  der  Hecht  C, 


995.  Enphilh  ich  vater  min  ende  Und  ouch  min  (minen  /}  wer- 
den geist  HI,  995  a.  D.  begert  min  herze  all.  HI,  993.  a.  fehlen  I, 
Vgl  925.  6.  996.  den  grimmne  G,  997.  Gar  mit  Inter  H,  lüter]  mit 
grosser  /.  999.  lamasabaktani  G^  1.  zabachtani  H^  1.  zabatoni  /.  1004. 
Kein  absatz  GBL  Ze  d.  grosse  J?.  1005.  Vnd  von  I.  tode»  BI,  1008. 
dem  fehlt  G.    vrone  C,  vordem  B,    1009.  ver  gieng  /. 


UNSER  VROÜWEN  KLAGE.  245 


der  mäne  unt  die  sternen  dar 
wurden  tunkel,  daz  ist  war, 
dö  st  s&hen  sterben  Grist, 

1015    der  himelrtches  wunne  ist. 

diu  erde  erbidemet  unt  erschrac 
an  dem  jsemerllchen  tac, 
an  dem  gotes  kint  erstarp, 
dö  unser  vröude  gar  verdarp. 

1020    die  steine  rizzen  gar  enzwei, 

dö  got  die  grözen  stimme  schrei. 

Wer  mac  gesagen  daz, 
wie  Marta  dö  genas, 
daz  ir  herze  dö  niht  brach, 

1025    dö  st  mit  ir  ougen  sach, 


(toi 2)  der  mäne  unt  daz  geBtirne  gar  unt  erbidemede  elliu  erde 

(1011. 13}  wart  tnnkel  unt  der  liehte  von  Kristes  töde  werde. 

tac,  1019  fehU. 

1014. 15  fehlen,  1020  die  starken  steine  sprangen 
1016—18  wan  von  stnem  töde  er-  enzwei. 

schraci  1022      0  ach,  wer  mac  gesagen  daz. 


1012.  Sterne  BC,  1013.  tryrick  BC,  Darauf  statt  des  fehlenden 
V.  toll.  Vmb  jhm  auch  der  enget  schar  A,  t015.  des  himels  BC. 
tote.  D.  e.  erbebete  über  all  Da  von  erwegete  sich  berg  nfi  tail  D. 
1017—19  fehlen  2>.  1017.  Als  an  —  vil  iem'l.  A,  1020.  1.  Ely  ely  myn 
kint  schrey  Von  noden  riszen  die  steyne  antzwey  Von  den  selben 
jemerlichs  Sachen  Hatten  die  wissagen  vorgesprochS  Und  in  der  alden 
ee  geschreben  Daz  wart  da  folliglich  getreben  D,  1021.  grosse  /,  grim- 
men G,  Do  got  an  dem  krvce  (chreutz  C)  schrei  BC,  1022.  Kein  ahsatz 
ABCD,  We  wer  BC.  mochte  follen  sagen  2>.  1024.  Daz  er  er  —  en- 
brach  2>.  1025 — 28.  et  ipse  centnrio  glorificauit  deum  dicens 
'vere  filius  dei  erat  iste  homo:  ecce  quomodo  elementa 
Christo  conpaciebantar.*  Schade  p.  12,  4.  5.  1025.  ir  fehlt  G, 
Von  dem  gronssen  vngemach  Vnd  si  sach  mit  iren  ougen  TOchtern  von 
syon  das  söllent  ir  getonben  /. 


1012.  Die  —  daz]  des  /.  I0t3.  fttnster  /.  1016.  Wan  er  H.  Von 
gotes  tod  gar  e.  /.  1017.  elliv  G,  gar  diu  HL  10 IS.  fehlt  H,  Da  dis  laid 
der  werde  L  1020.  stark.]  härten  —  spielten  i.  1022.  Kein  dbsatz  L 
0  ach]  Doch  H,    mac]  möcht  /. 


246  MiLOaSACK 

daz  sich  über  Cristes  tot, 
der  da  bienc  von  bluote  rot, 
erbarmet  himel  unt  erde. 
5  Bchoeniu  maget  werde, 

1030    dö  was  dir  w6  unt  aber  wd, 
dö  von  dir  vlöz  der  zäher  86. 
dinen  jämer  niemii  gesagen  kau, 
er  st  junCy  alt,  wtp  oder  man: 
er  mtieste  gar  an  wortn  verzagen, 

1035    der  dtnen  smerzen  wolde  sagen, 
wer  solde  niht  h&n  ungehabe, 
sd  die  töten  fiz  dem  grabe 
muosten  sich  erbarmen 
über  J6sum  den  ril  armen: 

1040    die  tot  wären  manic  jär, 

die  wurden  lebendec,  daz  ist  war: 


1026— 29  a  die  töten  von  dem  grabe         2    dö  leit  st  gröz  ungemaeh, 

enstän.  1032  daz  niemen  gesagen  kan. 

b    hie  spriehe  ich  vürwär  äne  wan,  1034.  5  er  mtieste  an  werten   gar 
1030  ir  was  vil  wä  unt  aber  wd,  verzagen, 

103  t  wan  st  durch  vlöz  ein  biter  so,  swer  ir  smerzen  wolte  sagen. 

1031,  1  dö  st  dafc  leben  sterben  sacb,  1036—47  fehlen. 


1026.  cristus  AD.  noid  2>.  1027.  28.  Unde  über  synS  bittem  toid 
Unde  über  mich  viel  armen  Niemät  wolde  erbarmen  2).  1027.  da]  vor 
ir  BC.  1029—39  fehlen  D.  lo29.  Vil  BC.  C.  1030.  la  —  aber 
fehlt  BC.  1031.  vloz  dir  BC.  1032.  Sinö  A.  1033.  Ez  BCH.  wer 
G.  junc  alt  fehlen  BC.  alt  fehlt  H.  frow  /.  1035.  iamer  A. 
1036—46.  et  monumenta  aperta  sunt,  et  multa  corpora  mor- 
tuorum  qui  dormierunt  surrexerunt,  et  exeuntes  de  monn- 
mentis  post  resurrectionem  eins  [venerunt]  in  sanctam  ciui- 
tatem  et  apparuernnt  mnltis.  Schade  p,  12,  1—3.  1037.  Do  A. 
1040.  vor  manige  BC. 


1026  a.  grab  erstan  (vff  stan  /)  HI.     1026  b.  sprich  ich  ane  wan 
flir  war  ane  (ich  sun  der  /)  wan  Gly  sprach  vtir  mich  gar  ein  wan  H. 

1030.  Dir  H.    1031.  Wan  fehlt  1.    durch  si  vloz  Hl.     grosser  bitter  H. 

1031.  1.  daz]  des  1.    den  lieben  H.    1031,  2.  st]  ir  hertz  /.    vil  grozH. 

1032.  daz  ges.  G.    1034.  an  fehlt  H. 


UNSER  VEOÜWBN  KLAGE.  247 

st  wolden  des  geziugen  stn, 

daz  diu  wärheit  würde  schlD, 

daz  er  wsere  gotes  kint, 
1045    dem  elliu  crSatiuren  sint 

undertonic  iemer  m6. 

da  mit  was  Marien  w& 

nfi  stuont  e!ij  nfi  riel  sl  nider: 

s!  sprach  'owe  nü  gwint  mir  wider, 
1050    ir  Juden,  min  yil  liebez  kint. 

swie  ir  unbarmic  sint 

ir  hänt  an  im  volbräht, 

des  iu  zuo  im  was  gedäht 

noch  hoerent  mich,  die  muoter  sin, 
1055    unt  sehent  an  mlnes  herzen  ptn, 

minrent  mir  min  ungehabe, 

loesent  in  von  dem  criuze  abe, 


i04B,9  st  BtQont,  st  saz,  si  riel  dft  1051  wanalmtnherKen&chimbrint. 

nider.  1054.  5  noch  hoerent  dasjemerlich 

b1  sprach  'ach,  noch  gebet  mir  gebet, 

wider.  daz  mnoter  durch  ir  kint  ie  tet. 


1043  sieht  vor  1042  2>.  1042.  Dez  sulden  sie  2>.  des]  sin  A.  ge- 
zenck  BC.  1044.  wer  C,  was  A.  1045.  creatare  Bj  creatur  6',  creatner 
A.  1046.  Gehorsam  und  uuderthan  Die  wolden  mit  eme  lyden  hau  2>. 
1047—51  fehlen  2>.  1048.  Si  stvnt  vfl  viel  (viel  und  stunt  C)  dar  nider 
BC.  1049.  ow6  fehlt  BC.  1050.  vil  lieb.]  zartes  G.  1051.  doch  un- 
pannit  C,  Wie  das  ir  nü  vn  erbarm  hertzig  s.  A.  1052.  nu  an  eme 
vollinbr.  D.  1053.  Daz  tich^.  zuo  im]  lange  5,  fehlt  C.  Daz  (Des/) 
ir  zu  eme  hat  g.  2>/.  1054.  Doch  A^  Dez  D,  1055.  Vnde  BD,  fehlt 
A,  an  fehlt  BC,  miner  sele  A,  1056 — 61.  0  karissimi  mei,  nolite 
eum  tarn  cito  tradere  sepulture.  Date  illum  misere  matri 
sue,  ut  habeam  illum  saltem  defunctum.  Germ.  17,  235. 
1056 — 87.  fehlen  BC,  1056.  groz  vngehab  G,  not  7.  Sprach  sie  mit 
leides  ungenach  Da  sie  den  toden  korper  sach  2>.  1057.  8.  fehlen  I, 
1057.  L.  sinen  lip  herab  A,  Darauf  noch  ein  vers  Unde  bestadet  en  zu 
dem  grabe  D. 


1048—9  fehlen  H,  1049.  gient  mir  noch  w.  /.  1051.  al  fehlt  — 
ganz  nach  i.  1054.  Nv  hörent  G^  Ach  hörent  noch  /.  1055.  durch  Gj 
vm  /.    getet  GL 


248  MILCHSACK 

minrent  sd  vil  mtne  not, 
daz  ich  doch  habe  tdt, 

1060    den  ich  anders  niht  enmac 
haben.  öw6  jämers  tac!' 

AlsQB  stuont  diu  maget  hßre 
b!  dem  criuze  sSre: 
s!  stuonty  er  hienc  vil  unbekant 

1065    s!  wolte  in  rüeren  mit  der  hant 
wie  tet  d6  diu  süeze: 
si  ergap  sich  fif  ir  rtteze, 
s!  stuont  vom  fif  den  zShen 
durch  daz  s!  möhte  genehen 

1070    unt  rtteren  ir  kindes  Itp, 

daz  vor  ir  hienc  als  ein  diep. 

si  bot  fif  ir  hende  hSre 

si  wolde  in  rtteren  als6  sSre. 


1059  daz  ich  min  kint  habe  also  tot.  1068  b!  stuont  enbor  üf  den  sdhen. 

1060.  1  den  ich  nie  lebendec  haben  1070—75  unt  gertteren  ir  liebes  kint, 

mac,  daz  vor  ir  hienc  tot  unt  blint 

8Ö  Wirt  geheilt  mtos  herzen  slac.  s!  bot  üf  ir  hende  guot, 

1064  st  sach  ir  kint  tdt  ant  geschaut.  swie  daz  st  were  ungemuot, 


1058.  9  fehlen  D,  1058.  Minnert  G,  min  G,  mir  min  Ä.  1060. 
Des  Äy  Wan  D.  mag  A,  1061.  dwd]  oder  A,  Owe  jemerlicher  t. 
D.  1062.  Kein  ahsatz  ADHl.  Also  ADL  ser  6,  rain  /.  1063. 
Vor  C,  Under  2>.  vrone  cruce  GH,  her  C,  swere  D,  crütz  stund  sie 
sere  A,  krUtz  ir  fröd  was  klain  /.  1064.  Er  waz  er  kint  gar  unerkant 
D,  1065—93.  post  hoc  erexerunt  cum  cam  maximo  labore,  et 
fuit  adeo  alte  suspensus,  qnod  nusquam  eciam  pedes  attin- 
gere  poteram.  Schade  p.  ic,  35.  36.  1065.  be  rieren  /.  1066.  si  da 
1,  si  so  G.  sie  thet  die  2>.  1067.  gab  /.  vff  die  /,  an  die  D^  gar  der 
G,  der  H,  1068.  voran  A.  1069.  Dar  vm  daz  /.  genehem  A,  Ob  si 
mochte  dester  baz  G.  1070. 1.  fehlen  D.  1072.  ir]  die  2>.  sere  A.  1073. 
fehlt  A, 


1059.  hab  min  kint  /.  1060.  Das  /.  nie  fehlt  H,  nit  /.  lebenti- 
gen  Gj  lebent  /,  lebent  niht  H,  gehaben  H,  1061.  ge  hallet  7,  gerin- 
ger t  H,  mines  Gtil.  slac]  klag  /.  1068.  den]  die  B.  Vf  die  zechen 
enbort  si  sich  dvrch  daz  G.  1070.  Unt  fehli  G,  berieren  /.  ir  vil  G, 
res  lieben  /.    1071.  hieng  wund  an  dem  wind  /.    1072.  vf  hohe  die  h.  G, 


UNSER  VROÜWEN  KLAGE.  249 


daz  Bähen  yrouwen  unde  man, 

1075    daz  s!  in  wolde  grifen  an. 
st  umbevienc  des  criuzes  ast, 
daz  uns  truoc  des  heiles  last 
daz  was  ir  ein  gr6z  ungemach, 
daz  st  in  vor  ir  hangen  sach 

1080    unt  doch  Itttzel  sl  vervienc, 
wan  er  ir  ze  höhe  hienc: 
st  mohte  niht  gerüeren  in. 
dö  yiel  st  vor  leide  bin 
in  unmaht  von  gerden 

1085    si  erhuop  sich  von  der  erden, 
swie  si  mohte;  unde  trat 
hin  wider  an  die  selben  stat. 
d6  st  ez  versnobt  genuoc 
unt  st  doch  lützel  vOr  truoc, 

1090    ir  hende  sluzzen  sich  hin  wider 


(1075)  nnt  wolde  in  so  ergrififcn  hän  da  von  viel  st  vol  leide  hin 

(1074)  daz  sahen  vronwen  unde  man.  in  unmaht.    doch  von  gerde 

1077. 8  der  uns  truoc  des  heiles  last.  si  erhuop  sich  von  der  erde. 

daz  was  ir  ein  ungemach.  1807, 1   [ob  noch  dia  muoter  stieze 

1080—85  unt  do'ch  lützel  vervienc,  2  bertteren  möht  stn  vüeze] 

wan  er  ze  hoch  enbor  hienc.  1089.  90  unt  ez  s!  so  lützel  vürtmoc, 

st  mohte  niht  berüeren  in.  des  sluzzen  sich  ir  hende  wider. 


1074.  5  fehlen  D,  1076.  Absatz  H,  ast  felüi  G.  1077.  uns]  da  2>. 
1078—81.  fehlen  D.  1078.  auch  ein  groszes  A,  1082.  3.  Sie  en  mochte 
en  begriffen  nyt  Sie  waz  irstorben  zu  der  zyt  2).  1084.  Sie  viel  in  u. 
zu  d'  erdin  2>.  1085.  S.  hub  sich  widder  uff  die  werde  D.  1086. 
kum  si  macht  H,  si  da  mocht  /.  1088.  Absatz  BCG.  st]  die  C,  ez 
hatte  Dj  das  ABC.  v'svchte  BC,  1Ö89.  doch]  daz  C,  vil  B,  getrvc  B. 
1090.   sluzzen  sich]    boid  sie  2). 


1075.  Vfl  C,  Si  B.  so  ser  H.  1077.  vns  da  G.  1078.  ein] 
ouch  /,  ouch  gar  B,  1080.  Vfi  doch  daz  so  Iv'zel  G,  Unt  si  so  1.  Hy 
Vnt  es  si  1.  I.  daz  verv.  H.  1081.  ze  fehlt  1,  dar  vber  G,  ob  ir  /. 
1082.  Doch  mocht  si  niht  II.  1083.  Dar  umb  v.  s.  von  leit  da  hin 
HL  1084.  doch]  da  /.  gierd  /.  1085.  HÄb  si  sich  L  1087  a.  b  fehlen 
H,  10S7b.  Möcht  gerieren  die  f.  /.  1089.  s6  fehlt  —  wenic  H,  vür 
getrfic  H,  ver  trüg  /.     1090.  Des  (Da  /)  sloz  si  ir  HL 


250 


MILGHSACK 


8t  viel  yon  unmaht  aber  nider. 
also  lac  diu  reine  maget 
von  herzen  leide  gar  verzaget 
st  bot  sich  aber  ze  Criste. 

1095  Ach  got;  wer  rehte  wiste, 

d6  man  den  griultohen  spiez 
ir  kinde  durch  stn  stten  Btiez 
unt  er  im  durch  daz  herze  wuot, 
dö  daz  minnecltche  bluot 

1100    unt  wazzer  von  dem  herzen  vlöz 
unt  allenthalben  nider  göz, 
waz  leides  dö  Maria  sach 
an  ir  kinde  unt  ungemach^ 
wie  w6  ir  ze  muote  was: 

1105    ez  was  wunder,  daz  st  gnas. 
ir  tet  wirs  solhez  leben, 


1092.  3  fehlen. 

1094  unt  rihte  sich  aber  ze  Criste. 

1095  Ach  got,  der  rehte  wiste. 
1098—1100  unt  er  im  in  das  herze 

wuot, 
unt  dd  daz  minnecltche  bluot 
mit  wazzer  von  der  wanden  vlöz. 


1102—6  waz  leides  unt  weih  unge- 

mach 
diu  muoter  an  ir  kinde  saoh: 
wie  wd  unt  ach  wie  wd  ir  was: 
iuch  mttht  wundern  wie  st  gnas. 
ir  tet  vil  wirs  solhez  leben. 


1091.  St]  Vfl  GL  vor  BCly  in  DG,  amacht  C.  aber  fehU 
i,  wid*  C.  1093.  Vnd  (Sie  waz  D)  von  ÄD.  leide  D.  vnv'zaget 
A.  1094—97.  fehlen  D,  1094.  Doch  bot  sie  sich  Ä.  1095.  Kein  ahsatz 
ABC,  Owe  wer  BC.  1096.  Daz  C,  im  den  G,  freiszliche  A.  1097.  stn] 
die  G.  109S.  9.  Da  eme  nsz  deme  hertzen  wut  Sin  myfiecliches  rode 
blut  2>.  1099.  das  vil  m.  A.  1100.  daz  w.  von  eme  fl.  2>.  1101.  Das  es 
all.  A,  anderhalben  BC.  doz  BCD.  1102.  Unde  waz  roaria  leides  sach 
D.  1103.  irem  kind  (ires  kindes  BC)  vng.  ABC.  1104—15.  Da  die  erde 
wart  nasser  Von  binde  und  von  wasser  Da  von  dem  crutze  nedir 
reisz  Daz  waz  eres  kindes  blut  ufi  sweisz  2>.  1104.  Vil  we  BC.  ir  ze 
muote]  nU  ir  A.  1105.  Ein  ygliche  mag  wünd*n  A.  genas  ABC.  1106. 
wirser  solichea  A.    Ir  was  oveh  wirs  BC. 


1094.  aber  fehH  H,  wider  yff  1.  1095.  Kein  absatz  GHL  wer  L 
reht  ebenwistZT.  1098.  in  fehlt  G.  1099.  da  des  /.  menschlich  J7.  1100. 
Untw.  ^.  1102.  unt]  wn  G.  welhes  H,  was  /.  1104.  aoh]  och  H.  wie 
wd  fehlt  L  1105.  Man  G.  Mich  wundert  i.  wol  wundem  H,  ie  genas 
I.    1106.  wdrsser  B.    solichea  /,  söllich  B. 


UNSER  YBOUWEN  KLAGE.  251 


dan  ob  b!  Isdge  gar  ergeben 
des  libes  in  selber  n6t 
Ton  der  Juden  hende  tdt 

1110         Nfi  hoerent,  reiniu  herzen, 
boerent  grdzen  smerzen, 
boerent  von  der  maget  guot 
dö  st  sach  ir  kukies  bluot 
an  des  criuzes  aste 

1115    nider  vliezen  vaste^ 

d6  kuste  st  daz  criuze  b£r. 
ir  berze  was  ir  also  sSr, 
daz  st  die  erde  kuste, 
wan  von  ir  kindes  brüste 

1120    gevlozzen  sd  yil  bluotes  was. 
acb  sebent,  wie  st  ie  genas, 
gedenkent  elliu  herzen 
an  ir  grdzen  smerzen, 
ir  quäle  unt  an  ir  ungemach, 


n08  des  Itbes  in  geltcher  not.  f    mit  blnote  gar  bevangen, 

niO — 18a  80  grdz  was  ir  begerde,  g    dö  st  die  erde  kuste. 

b    daz  st  kuste  die  erde,  1121—24  nü  sehentwiest  ie  genas, 
c    da  stn  blnot  was  gevlozzen.  unt  gedenkent,  reiniu  herzen, 

d    ez  bäte  st  gar  durchgozzen  den  vil  grdzen  smerzen 

e    ir  was  munt  unt  wangen  unt  daz  vil  gröze  ungemach. 


1107.  Denne  BCj  Denn  HL  wer  gelegö—  v*geben  ^.  II 10.  Kein 
absatz  A.  Nü  fehlt  Ä.  IIU.  gröz.]  von  dem  BC,  1117.  ir  fehU  BC. 
UlS—2\  fehlen  D,  1118.  auch  d.  erden  ^.  1119.  Da  i.  vor  iT.  1121. 
Evch  (Auch  C)  mak  wundern  wie  BC.  ie  fehlt  BC.  1122.  her  an 
alle  2>.  1123.  An  dor  maget  (magde  C)  sm.  BC.  xm—tl  fehlen D. 
Vgl.  1102.  3.    1124.  an  fehlt  BC. 


b.  D.  ir  munt  kuste  (kust  i)  HI.  erden  H.  c.  Daz  H.  hin  gefl. 
HI.  d.  Eiz  G.  Ez  hat  so  fUr  si  (Vnd  die  erde  /)  gar  heg.  HI.  e.  Ab- 
satz H.  was  fehlt  HI.  ir  wang.  HL  vn  ach  (ach  ist  übergeschr.)  die 
wange  G.  f.  Waren  mit  bl.  so  gar  b.  H.  g.  die]  der  G^.  1121.  Es 
was  wunder  wie  /.  ie  feMt  I.  1122.  Nun  ged.  /.  1123.  An  den  L 
1124.  an  das  grous  L 


252  MILCHSACK 

1125    daz  s!  an  ir  kinde  sach. 
lät  iuch  die  maget  armen 
unt  onch  ir  kint  erbarmen, 
weinent  mit  ir,  schrtent  ril, 
unt  lät  durch  got  der  vröuden  spil, 

1130    sint  Jesus,  daz  guote  guot, 

durch  iuch  vergozzen  hat  daz  bluot 
s6  weinent  üf  die  wunden  stn: 
sin  minne  ist  iu  worden  schtn. 
habent  mit  Marien  ungehabe 

1135  unt  gänt  mit  ir  zuo  dem  grabe 
unt  hoerent  waz  st  da  begienc, 
dö  st  in  von  dem  criuze  enpfienc. 

0  ach,  Marta,  maget  guot, 
wä  ist  der  sin,  wä  ist  der  muot, 


1127, 1  weinent  mit  ir,  sehent  ir  leit  nnt  onch  stn  milte  herse  entslöz. 

2  UDt  ir  herzen  biterkeit.  1133  unt  ongent  im  der  minne  schtn. 

1 1 28—3 1  weinent  unde  schrtent  vil,  1 1 36.  7  troestent  st,  des  bedarf  st  wol, 

hänt  mit  ir  untrdst  äne  zil,  wan  st  ist  alles  leides  vol. 

stt  er  durch  iach  stn  bluot  vergöz  1139  w&  ist  der  sin  nnt  der  mnot 


1125.  Die  BC,  st]  maria  i.  1126.  Laszcnt  A,  arme  A,  erbarmen 
BCH,  1127.  Vnd  iren  snn  vil  armen  BCH.  112S.  er  eres  hertzen  leid 
2>.  1129.  30.  fehlen  2>.  1129.  laszent  A,  der  fehU  A.  1130.  Sid' jhs 
durch  ach  hat  das  g.  g.  A,  der  svze  (guetC)  got  BC.  1131.  hat  v*gozzen  A. 
v'gozzen  hat  (vergoz  C)  sin  blnt  rot  BC,  Er  kind  vor  ans  den  toid  leid 
2>.  1132.  So  fehlt  L  Sie  weynete  2>.  über  A.  1133.  warden  C.  An 
eme  ist  ans  word.  seh.  Der  troist  der  waz  v'slozzen  gar  Mangen  tac 
unde  manch  jar  2).  1134.  mit  fehlt  G,  maria  1,  Her  ame  habet  mit  er 
u.  2>.  1135.  Unt  fehlt  ABCL  ir  hin  ZT/,  dem  herren  BCj  ir  den  herö 
A.  dem  fehlt  A.  1136.  dsL  fehlt  BC.  1138—49  fefäen  D.  1138.  Kein 
absatz  Hl.  Ach  AH,  0  we  BC,  0  /.  maget  fehlt  BC.  1139.  der  sin 
w&  ist]  nn  C,  fehlt  B. 


1127,  1.  mit  ir]  vnd  /.  1127,  2.  Und  onch  irs  HL  Zu  1130.  1  vgl 
1622.  3.  1130.  Sit  daz  er  sin  biftt  dvrch  vnz  goz  G.  1131.  Uut  dnrch 
iuch  sin  H.  miltin  fehlt  HL  1133.  im  ttwer  liebin  /.  1136.  wan  des 
H.    1139.  der]  din  HL    vfi  onch  (wa  ist  H)  din  m.  IH. 


UNSER  VROUWEN  KLAGE. 


253 


1140    w&  ist  daz  herze  alsd  starc, 

wä  ist  der  Itp,  wä  ist  daz  marc^ 
wä  ist  ieman  so  steinen, 
der  II  fi  niht  müge  weinen, 
swer  rehte  wil  gedenken 

1145    unt  in  sin  herze  senken 
d!ne  quäle  unt  dtne  not 
unt  dtnes  lieben  kindes  tdt, 
der  mtleste  mit  dir  trüren  hän 
unt  euch  der  werlde  vröude  län. 

1150  ö  Jesu,  minne  minnecUch; 


1 141. 2  wa  ist  diu  kraft  unt  daz  marc, 
w&  ist  der  mensch  sd  steinen. 
1144  der  rehte  wil  gedenken. 
1146  dln  weinen  ant  dtne  ndt 
1147, 1  weih  herze  sol  nit  werden 

weich 
Bwenne  ez  gedenkt  wie  dir  ent- 
weich 
dtn  Itp,  dtn  kraft,  din  herzebluot, 
dd  du  vor  dir  daz  guote  gnot 
5  unt  ouch  dtn  herzeliebez  liep 
siehe  vor  dir  hangen  als  ein  diep. 


wir  sint  durch  die  dtn  kint  so 

hienc, 
da  von  dtn  reinez  herze  enphienc 
leit  unt  grözen  smerzen, 

10  der  sol  in  mtnem  herzen 
immer  md  gar  niuwe  stn; 
mir  ist  dtn  minne  worden  schtn, 
der  nie  noch  nimmer  wirt  geltcb, 
6  Jäsü,  minne  minnecltch. 

1148.  9  fehlen. 

1150—52     Ö  JSsu,  got  minnecltch, 


1140.  also  fehlt  H.  1143.  nü]  ietz  7,  fehlt  Ä.  niht  fehlt  —  mocht  C. 
1144.  bedenken  i^i.  1140.  Die  ^C,  Iren  ^.  vfi  die  (ir^)  ^C^.  1147. 
Vmb  C  deins  C,  ires  A.  vil  üben  Bj  liebes  AH^  svzzen  G,  1148.  ir 
A,  vngemach  B^  ungehabc  C.  1150.  Kein  ahsatz  ABCD.  1150 — 57.  0 
süsser  jhus  mynneclich  Wer  hilffet  mir  daz  ich  vor  dich  {vgl.  706.  7) 
Werden  begraben  zu  der  erden  Daz  m3me8  leides  ende  werden  i).  1150. 
Ö  fehlt  H.    0  jhs  min  kint  m.  A. 

1141.  unt]  wa  ist  /.  1142  folgt  nach  1143  G.  1142.  der]  daz  H. 
also  /.  1146.  liden  i,  we  H.  1147,  1.  Wes  HI.  1147,  2.  Wer  ged.  H. 
Der  recht  wil  gedeocken  wie  ir  e.  /.  1147,  3.  hertz  din  blüt  U.  Ir  1. 
ir  kr.  ires  hertzeu  pl.  /.  1147,  4.  du  fehlt  G,  si  /.  dir]  ir  /.  1147,  5. 
ouch  dtn]  ir  I.  1147,  6.  Sach  1.  ir  1.  hange  G.  1147,  7.  Absatz  H. 
Maria  mir  sent  vin  der  wegen  din  /.  so]  ser  H,  er  /.  1147,  8.  Do  din 
GB.  vil  reines  Gy  gut  J7,  fehlt  I.  hercz  ze  laid  H,  hertz  gros  laid  /. 
1147,  9.  Leit  fehlt  HL  vil  (so  H,  ouch  1)  groz.  GHl.  1147,  10.  Daz 
GH.  1147,  11.  AI  wegen  nUwe  s.  /.  1147,  12.  Dir  G.  diu]  din  iT. 
div  minne  G^  der  liebin  /.  1147,  13.  Der  nimer  me  wirt  g.  /.  1147, 
14.  fehlt  I.  minne]  herr  H.  1150.  Kein  ahsatz  HL  got]  Criste  H,  fehlt 
L    minecli  minneclich  G. 


254 


MILCHSACK 


dlner  minne  wart  niht  glich, 
die  dfi  uns  erzeiget  htet: 
st  bant  dich  an  des  criuzes  ast. 
ach,  Yttrsten  kiut,  ö  reiniu  yruht, 

1155    min  herze  muoz  des  jämers  suht 
äno  tröst  mit  smerzen  tragen 
unt  dich  mit  dtner  nmoter  klagen, 
ich  bin  der  sünder,  werder  Crist, 
durch  den  dfi  ermordet  bist 

1160    gotes  kint,  wie  sol  ich  dir 
vergelten?   JSsfi,  sende  mir 


dtn  minne  diu  betwinget  mich, 
die  du  mir  erzeiget  hast. 
1153,  1  6  aoh  bsDte  ich  dich  dö  ge- 
sehen, 
80  müeste  ich  managen  heizen 

trehen 
von  minne  h&n  gegozzen: 
ich  müeste  h&n  entslozzen 
5    mlnes  herzen  hertikeit 
ö  Jesn,  sUeze  8«likeit 
1154  6  yttrsten  art,  6  reiniu  vmht. 
1156  &n  erzenle  mit  smerzen  tragen. 
1160. 1  ei  gotes  kint,  du  gseb  dich  mir. 


wie  Bol  ich  nü  vergelten  dir.' 
1161,  1    du   hangest  bleich,   bl6i 

unt  val. 
gröz  ist  vor  dir  der  Juden  schal : 
st  spotten  dtn,  du  betest  gedult: 
du  bist  erhangen  &ne  schult. 
5  (1 1 58)  ich  bin  der,  vil  werder  Crist, 
(1159)  durch  den  du  ermordet  bist 
ich  sihe  der  engel  sunne 
unt  der  vröuden  brunne, 
ich  sihe  Jdsum  den  guoten 
10    erslagen  mit  den  ruoten: 


1151.  nie  niht  BC.  gelioh  B.  1152.  gezeuget  ^.  1153.  St]  die 
liebin  i.  bant]  haut  dich  herhengt  Ä,  hiengen  dich  BC,  des  fehlt  L 
1154—56.  Vgl.  Wolfr.  Wh,  60,  21—23.  1154.  vttrsten]  min  BC.  6J  vil 
BC,  1155.  Mine  Q,  1157.  dich]  doch  C.  dtn.  muot.]  hertzen  A,  1158. 
Du  bist  Ä,  der]  diu  BC,  werd  Ä^  eyn*  2>.  1159.  ermort  BC^  also  erm. 
A,  gemartelt  2>.    1160—77  fehlen  D.    1160.  £y  gotes  BC, 


1151.  Die  liebin  zwinget  mich  ser  Lob  vnd  danck  sag  ich  dir  her 
L  1152.  Vmm  das  du  /.  mir  eirst  erzeigest  h.  G.  1153,  1.  Vnd  het  /. 
1153,  2.  herzen  tr.  G.  1153,  3.  liebin  /.  1153,  5.  bitterkeit  i7,  erbarm- 
herhertzikait  /.  1053,  6.  siessikait  /.  1154.  art]  ak  ark  G.  ö]  aoh. 
fürst  und  ouch  reiner  H,  1156.  smerz.]  jamer  /.  1160.  0  /,  0  du 
H.  gäbt  Hl,  gib  G,  1101,  1.  Daz  du  —  bleich  fehlt  U,  2.  was  L 
3.  hast  H,  4.  hast  gelitten  /.  5.  ouch  der  H.  ouch  der  herr  ihesu 
crist  L  werde  G.  6.  Vmb  —  wund  geworden  /.  7.  sunnen  (:  brunnen) 
H.  8.  Aller  wunne  br.  L  9.  Ich  sihe/^A//  —  vil  gut  H,  10.  Zersl.  H, 
Geschl.  /.    den  fehlt  L 


UNSEB  VROUWEN  KLAGE.  255 

dtnen  jsemerllchen  smerzen 

unt  Bchribe  in  elliu  herzen 

den  gpot,  die  schände  unt  den  tdt 
1165    unt  die  bitterlichen  nöt^ 

die  dfi  durch  uns  erliten  h&st. 

6  süezer  got,  du  6ren  glast, 

läz  UDS  dich  meinen 

unt  dine  martel  weinen 
1170    unt  dich  von  herzen  minnen, 

daz  wir  mit  dir  gewinnen 

unt  enpfähen  die  kröne, 

die  dd  wilt  geben  ze  löne 

allen  den,  die  hie  minnen  dich. 
1175    dar  an  erhoere,  hSrre,  mich. 

Nu  hoerent  alle,  ob  ir  weit 

dd  sus  Marta  was  erquelt, 

s!  was  noch  b!  dem  criuze  da. 

Joseph  von  Aromathiä, 
1180    ein  edel  Jude  als  wir  lesen, 


er  8t&t  vor  mir  wnnt  unt  sdr,  des  st  gelopt  der  werde  Crist, 

er  neiget  ouch  stn  honbet  h§r  20    der  aller  sdlen  minner  ist 

das  leben  stirbet  nmbe  mich.  1162 —  75  fehlen, 

ö  säle  mhi,  erkenne  dich  1176—78    M  merkent,  kint,  md,  ob 
15    unt  sich  an  dtne  werdikeit,  ir  weit 

die  Jdsns  hat  an  dich  geleit.  dö  sus  ermordet  unt  erqnelt 

er  stirbt,  daz  du  n  iht  sterbest  m6 :  was  diu  arme  Mart&. 

daz  dir  s!  wol,  s6  ist  im  w@. 


1163  steht  vor  1162  BC,  1162.  Den  bitterlichen  BC,  1163.  in  in  A. 
allen  BC,  1165.  bitterlich  Ä,  iemerlichen  ßC,  1167.  svrer  B.  gast 
Ä.  1168  also  meinen  BC,  1169.  marter  BC,  1176.  Kein  absatz  A, 
1177.  Da  M.  also  was  A,  verquelt  BC,  1178.  sasz  2>.  nach  A^  nos  C, 
fehlt  D,  da]  na  2>.  1179.  Vnd  ios.  A.  aramathia^  Armatbia  H,  1180. 
edeler^.   alsoD.    man  hört  1.  C,  wir  hören  1.  B,  wir  sagent  unt  lesen  iT. 

11.  12  fehlen  H.  11.  wnder  G,  vor  ver  wnndet  ser  1,  Nach  12 
Mit  dorn  ward  das  be  krönet  0  got  wes  hat  das  ver  dienet  1,  13. 
Absatz  U,  14.  mich  G,  ib.  Des  ist  dir  w.  G.  D.d.  so  wol  ist  und  im 
so  we  H,  wol  dar  vmm  laid  er  we  /.  19.  20.  vgl.  1  1346.  7,  //  1192  c.  d 
und  1382.  3.  20.  sele  G,  minner]  leben  L  1176.  Kein  absatz  ü.  kint 
fehlt  HI,    wellent  /.    1177.  sas]  sich  L    er  quellet  i,  verquelt  M. 


256  MILGHSACK 

der  undertsenic  was  gewesen 
unsers  harren  rate, 
der  gienc  zuo  P^läte 
nnt  bat  in  vlizecltchen, 

1185    mit  triuwen  jsemerlichen, 
daz  er  im  wolde  geben 
Jesum,  der  da  hienge  an  leben: 
er  wolde  in  Ton  dem  criuze  haben 
unt  in  in  die  erde  begraben, 

1190    daz  er  niht  hienge  also  mS; 
wan  im  was  nach  im  w& 
dö  der  rihter  daz  yernam, 
vil  scre  er  des  erkam: 
in  nam  wunder,  daz  er  was 

1195    so  schiere  tot,  dö  tet  er  daz: 


1182  J§8Ü  vil  tougenltchen,  1190. 1  fehlen. 

1183a    der  gienc  and»hticltcheii  1192— 99  a    dd  wart  er  von  Ptl&te 
b    nach  stnes  herzen  rate  gewert, 

c    ae  dem  rihtter  Ptläte.  b    des  er  von  im  häte  gegert 

1184—87  er  bat  in  vllzecltchen  c     dd  gap  er  im  den  töten  Krist, 

nnt  oach  gensedecitcben  d    der  aller  töten  leben  ist 

umb  JÖ8U8  Itp  des  armen  e    doch  wundert  den  ribtsere, 

er  wolde  sich  erbarmen.  f    ob  er  tot  iezuo  waere. 


1182.  rat  B^  gebode  2>.  1184—86.  Unde  bad  eme  geben  2>.  1184. 
fliszeklich  A.  1185.  vil  iemerlich  Ä,  1186.  Ob  er  BC.  1188—91.  Er 
wolde  en  noch  ere  und  werden  Bestaden  zu  der  erden  (vgL  1382.  3)  2>. 
1188.  von]  ab  /.  Vber  in  vfi  von  G.  1189.  in  fehlt  GB.  erden  Äü,  erd 
/.  1190.  also  hienge  B,  1191.  Wanne  C.  vil  (so  C)  we  BC.  1192.  Do 
daz  pylatus  vem.  BC.  1193.  beqvam  B.  V.  schier  er  sich  dez  bind* 
qwam  D^  V.  sere  in  das  wunder  nam^.  1194.  er  so  bald  D.  1195—99. 
Gestorben  waz  und  sprach  du  salt  Myn  vr*loib  hau  und  en  nach  werde 
Wirdeclich  bestaden  zu  d'  erden  (vgl.  1382.  3.)  2>.    1195.  dö]  doch  BV. 


1182.  tavgeliche  Gy  togendlichen  Hl.  1183  a.  genädenklichen  HL 
b.  herczo  H,  c.  pylato  /.  Hin  herz&P.  i7.  tl>>4.  flizzcclich  GL  1185. 
genedeclich  /.  1186.  vil  dez  G.  den  vil  armen  H^  den  riehen  /.  1187. 
über  in  erb.  H.  Des  niement  ie  sach  geliehen  /.  1192.a.  Absatz  G. 
pilato  GHL  b.  Wes  H.  het  begert  HL  c.  den  fehlt  G.  d.  tot]  selan 
H.    e.  Do  G.    f.  0  H.    ietz  tot  w.  HL 


UNSER  VROÜWEN  KLAGE.  25*;^ 

er  gap  im  urlop,  daz  er  in 

von  dem  criuze  nseme  Iiin 

unt  in  ze  dem  ertrtche 

begrüebe  lobellohe. 
1200    dö  nam  Joseph  NicodSmum, 

als  saget  daz  §wang61jum. 

der  was  ouch  Oristes  undertän; 

doch  durch  der  Juden  boesen  wän 

unt  durch  die  vorhte  unt  ir  haz 
1205    muoste  er  tuon  verholn  daz. 

er  saget  im,  wie  er  waere 

gescheiden  vom  rihtsere. 

des  wart  Nicodemus  vro. 

sl  giengen  zuo  dem  criuze  dö, 
1210    da  sl  got  wisten  hangen. 

sl  brähten  mit  in  zangen 

unde  hemer  Isentn 

üf  stigen  sl  die  leitem  hin. 

sl  weiten  Jesum  loesen  abe 
1215    unt  enpfelhen  dem  grabe. 


1202.3  der  was  ouch  gotes  undertän,  1210—13.  da  si  Crist  wisten  hangen. 

doch  heimlich  durch  der  Juden  wän.  st  körnen  dar  mit  zangen 

1204.  5  fehlen,  unt  ouch  mit  hemem  isentn: 

1207.  8  von  Piläto,  dem  rihtsere,  dar  an  so  wart  ir  minne  schtn. 

gescheiden  .  des  wart  er  vil  vrö.  1215  unt  bevelhen  dem  grabe. 


1 196.  im  fehlt  B,  1200.  nam  fehltG,  nam  im  iT.  1201.  Also  Di,  Als  vns 
A^^oGyDfizBC.  1202.  cristoi>,/ifM^.  1203.  Und  durch  —  argen 2>.  1205. 
sieht  vor  1204  D,  1204.  Unt  fehlt  D,  durch  ir  wort  vü^.  durch  ir  grozen 
(den  ier  grozzer  67)  haz  BC.  1205.  Müsten  sie^^.  Vstolu-ßC,  verborgen 
Ä,  1206.  fragete  ob  er  D.  1207.  von  dem  ABCB,  1208.  was  —  vil  fro 
A.  1210.  iiiesum  />.  1211.  namen  —  hamir  uU  zangen  D,  1212.  13 
fehlen  D,  1212.  Unde]  Sie  brahten^^.  1213.  Mit  leitem  stigen  sie  hin  in 
BC.  1214.  Und  losten  von  dem  crutze  h'abe  D.  1215.  enpf.]  wolden  en 
bestaden  zu  D,    V.  in  legen  in  ein  g.  BC. 


1202.  ouch  fehlt  G.  D.  o.  got  was  u.  I,  1203.  Doch  fehlt  HL 
durch  den  der  G,  1207.  Absatz  B,  1208.  was  H,  vil  fehlt  —  frow  /. 
1210.  Cristum  HL  1211.  Stangen  zangen  G,  1212.  ouch  fehlt  L  hemer 
isnin  /.  mit  gegangen  als  geschmid  und  zangen  isnin  H  1213.  Da  so 
H,    so]  da  /.    Uebin  i.    1215.  Ynd  in  /.    dem]  in  das  H. 

Beiträge  sar  ge«oblobto  der  dentiohen  apraohe.   V.  17 


258  MILCHSACK 

Dö  Maria  daz  vernam, 

ir  herz  von  vröuden  wider  kam. 

geminnert  wart  ir  ungemach, 

dö  diu  guote  daz  ersach, 
1220    daz  st  in  wolten  nider  legen 

unt  in  von  dem  criuze  wegen, 

st  half  in,  daz  er  kseme  nider: 

8l  wolle  in  töten  haben  wider. 

Bwes  8t  mohte  des  half  st  in; 
1225    des  wart  vil  vrö  ir  herze  ir  sin. 

ir  einer  steic  anz  criuze  hSr, 

da  Jesus  hienc  tot  unt  ser, 

unt  zöch  im  üz  der  nagel  baut 

unt  löste  im  abe  die  werden  haut 
1230    unt  euch  die  andern  dran  er  hienc: 

ir  einer  stnen  Itp  enpfienc, 

daz  stn  Itp  der  werde 

iht  viele  zuo  der  erde 

also  s€re  unt  also  wunt. 

t217,  1  st  wart  starc  an  dem  herzen  iht  viele  an  die  erde, 

2  unt  vergaz  ein  teil  ir  smerzen.  wan  er  was  also  sSre  wunt 

1225  wan  dar  an  lac  aller  ir  gewin.  1234,1  der  elliu  herzen  tuotgesunt, 

1 231 — 4  der  ander  stnen  Itp  enphienc,  2    den  namen  si  ab  dem  criuze  h8r 

dar  umbe  daz  der  werde  3    bleich,  tot,  wunt  unt  sdr. 


1216.  ICein  absatz  ADHL  1217.  zekreften  G.  1218.  Gemynret^, 
Gemindrot  H.  1219.  div  reine  G,  gesach  ßCQU,  1220.  Do  C,  Daz 
man  den  werden  degen  2>.  1221.  Unt  in  fehlt  D.  in  fehlt  H.  wolde 
erwegen  D,  1222.  im  C.  1223.  haben  toten  (tot  A)  BGA.  toid  DHL 
1224.  5  fehlen  D.  1224.  Was  A,  das  AH,  1225.  was  ^,  vil  fehlt  C. 
hertz  vn  ir  ^.  1 226.  clam  7,  fehlt  D,  an  daz  alle,  hör]  steig  2>.  1 227. 
Do  an  BC,  an  hienc  H.  Der  ander  sich  oach  hon  zu  neig  D.  122$. 
Sie  zogen  eme  D.  1229.  Er  BC.  loisten  D,  abe  fehlt  —  rechte  h.  D, 
1230.  ouch  fehlt  I.  Dar  nach  die  D.  and.]  arm  H,  fies  /.  dar  an  er 
AGHl,  die  da  BC,  da  er  D,  12;u.  Der  eine  BC.  Maria  in  mit  flisz 
enpf.^.  1232.  Daz  der  heiige  lip  B.  d.  vil  werden  A.  1233.  It  Ay  Nicht 
BC.  vf  die  BC.  erden  AB.  1234.  5.  Nu  bedenket  alle  hertzen  Den 
bitterlichen  smertzin  B.    1234.  also  fehlt  BC* 

1217,  1.  vro  in  H.  dem]  irem  /.  2.  Si  —  ein  teil]  gar  1.  1225. 
Wan  fehU  L  aller  fehlt  H.  1233.  Nit  GHI.  viel  uf  HL  erden  H.  1234. 
So  blfttik  ane  macht  so  (mazenÄ)  wunt  G/T.  1.  mentschen /.  machet  Ä/. 
3.  Vil  bleich  vil  G.    Da  lag  er  /.    tÖt  fehlt  H.  wunt  fehlt  L 


UNSER  VROÜWEN  KLAGE.  259 


1235         Ach  wsere  allen  herzen  kunt, 
waz  Marta  dö  begienc^ 
d6  st  den  reinen  lip  enpfienc. 
wan  dö  diu  maget  reine 
berüeren  mohte  ein  kleine 

1240    ir  kindes  lip  mit  der  hant, 
dö  greif  st  an  den  heilant 
sl  trüte  in  mit  ir  herzen  lust, 
sl  leit  stn  houbet  an  ir  brüst, 
st  kuste  stne  wunden, 

1245    diu  wären  unverbunden. 

sin  Up  wart  gar  vür  sl  geleit: 
sl  viel  üf  in  mit  bitterkeit: 
si  erstabet  als  sl  wsere  tot. 
sl  sprach  'ö  not  ob  aller  not!' 

1250    die  zäher  nider  vluzzen, 


1235—37  fehlen.  1244. 5  sl  trüte  sine  wunden, 
1238 — 41     Do  sin  mnoter  vi!  reine  vil  tief  unt  unverbunden. 

ir  kindes  Up  ein  deine  1249  von  ir  herzen  biter  ndt. 

berüeren  mohte  mit  der  haut,  1249. 1  von  der  minne,  diu  st  twanc, 

mit  girde  greif  si  den  heilant.  2    daz  wazzer  von  ir  ougen  spranc: 

1242  fehlt  1250  die  trähen  s8re  vluzzen. 

1243  b  dd  wart  sin  munt  gar  durch- 

kust 


1235.  Kein  absatz  ABCD.  1236.  Waz]  Den  D,  manen  hercze  do 
E.  1237.  toden  2>.  1238.  9  fehlen  D,  1239.  Rüren  A.  yn  cleyne  E, 
alleine  BC.  1240.  Sie  ragkete  uff  die  werden  hant  2>.  1241.  So  BC, 
Und  D.    gryf  E,    st  fehlt  JD.    1242.  Und  2>.  trückt^,  druchte  2>,  trvtet 

B,  truten  C.  ir]  des  BCE,  nach  erer  lust  2>.  1243.  uf  an  syne  br.  E. 
Mit  groissem  jamere  a.  die  br.2>.  1244.  5  fehlen  i>.  1245.  vngebunden 
BC.  1246.  gar]  do  E,  fehlt  B CD.  gar  uf  geleit  B.  1247.  mit]  vol  />. 
trvrikeit  BC.    1248.  irstarb  DE,  starp  B,  er  schrack  I,  herbleicht  A,  tet 

C.  als  (alsoD)  ob  AD I.  1249.  o  got  A.  owe  noid  über  n.  D.  vor  alle 
E.    1250.  trene  E.    nid.]  von  er  D.    guzzen  E. 

1238.  stn]  die  /.    1239.  liepes  kint  GH.    ein]  al  G.  1241.  begirde 

begreif  (ergr.  /)  BI.     1243  b.  sint  H.    vil  (so  H)  gar  GH.  1244.  Absatz 

H.    triutelt  Ä,  truret  /.    1245.  Vil]  Gar  /.    unt]  noch  H.  1249.   V.  der 

bitterlichen  n.  /.  1.  Vnd  von  —  liebi  /.  st  fehlt  H.  2.  ir]  den  /.  ir 
von  den  oug.  trang  ü.    1250  fehlt  I.    treher  G. 

mm* 
1    I 


260  MILCHSACK 

sin  antlitz  st  beguzzen: 
ir  zäher  vluzzen  über  al: 
er  lac  vor  ir  bleich  unt  val: 
der  werde  got,  ir  süezez  kint, 

1255    lac  vor  ir  tot  unt  blint 
b!  kuste  in  minneclichen 
unt  zartete  in  süezecltchen : 
siniu  wange  unt  slnen  munt 
kust  8l  m6  dan  tüsent  stunt 

1260    st  kuste  euch  stn  ougen  clär: 

Bt  sprach  4ch  bin  diu  dich  gebar', 
die  hende  unt  euch  die  vüeze 
unt  euch  die  stten  süeze. 
sl  sach  in  an  unt  aber  an. 

1265    ich  wsen  nieman  gesagen  kan 
daz  wunder,  daz  s!  da  begienc, 
dö  s!  Jgsum  Tür  sich  enpfienc. 


1253 — 55  ir  kint  lac  vor  ir  ougen  val :  1262.  3  stten,  honde  unt  vüeze 
er  lac  vor  ir  tot  unt  biint:  trüte  si  im  vil  sUeze. 

doch  trüte  si  ir  süezez  kint.  1265  von  wärheit  nieman  gesagen 

1 258  stn  ougen,  wange  unt  den  munt  kan. 

1260. 1  fehlen.  1267  dö  si  ir  kint  vür  sieh  enphienc 


1251.  fehlt  L  antlitze  DE.  st]  eme  2>.  bevlussen  E.  1252—57 
fehlen  D,  1252.  träher  i,  treue  E.  1253.  la  lack  krist  vor  in 
BC.  1254.  Du  werder  got  C,  got  fehU  A.  1255.  Lac  fehlt  Ä.  1256. 
myfieklich^/,  minnecliche  &,  wunnenclichen  i?C  1257.  zarte  i^',  getrntet 
Ay  tet  G,  im  GHL  süsseklich  AI,  svzzecliche  G.  Vfi  ouch  vil  zertlichen 
BC,  1258.  Wangen  ABE.  Sie  koste  en  an  sin.  m.  D.  1259.  Unt  kust 
ü.  Vor  liebe  me  D.  im  me  dame  Gj  mer  wan  C,  me  wenne  B,  K.  si 
zu  der  selben  st.  /.    1260—65  fehlen  D.    1262.  Die  fehlt  BC.    1263.  seit 

C.  1264.  Absatz  G.    1265.   Ir  we  A,  Ich  B.    Giemen  ich  ges.  C.    1266. 
Daz]  Groisz  —  daz  fehlt  D.    da  fehlt  BC.     1267.  So  C.    zv  ir  BC,  fehlt 

D.  geviench  BCE. 


nb3.  fehlt  G.  sal  /.  1254.  vor  ir]  wuntJ^, /*^A/^  G.  tot  vfi  bleich 
vn  bl.  G.  1255.  Dar  vm  C.  truret,  kuste  H.  totez  B,  liebes  /.  1258. 
Siniv  G.  div  wange  G,  fehlt  I.  1262.  Sin  sit.  I.  1263.  Die  trütet  ff. 
im  fehlt  AB. 


UNSER  VROUWEN  KLAGE.  261 


wan  saeze  ich  alle  mtne  tage 
unt  schribe  ir  vil  swsere  dage, 

1270    die  s!  begienc  b!  dem  grabe 
mit  vil  grözer  ungehabe, 
ich  mohte  ez  niht  kttnden, 
noch  daz  herze  ergründen, 
st  nam  stn  hende  in  ir  hant, 

1275    diu  wären  ir  so  wol  erkant: 
st  leit  si  an  ir  wangen. 
ir  sele  was  berangen 
mit  leide  unt  mit  bitterkeit. 
s!  sprach  'Jesu,  min  süezekeit! 

1280    6  edel  kint,  6  vürsten  bluot, 

der  sunnen  glast,  ö  guotez  guot, 
zuo  waz  leides  bistü  mir  gebom? 


1267  a  wan  wser  der  himel  birmit  ich  möhte  ez  niht  geschrtben, 

wtz  ich  müeste  ez  län  beltben. 

b  unt  sazte  ich  allen  mtnen  vliz  1275  diu  wären  ir  vil  wol  erkant 

1268-73  unt  schribe  ich  alle  mtne  tage  1277—81  ir  herze  was  bevangen 
die  vil  biterltchen  klage  mit  weinen  unt  mit  biterkeit 

(1271)  Marien  unt  die  ungehabe^  si  sprach,  d  süezin  süezekeit! 

(1270)  die  si  begie  bt  dem  grabe,  ei  edler  snn,  d  vürsten  bluot, 

ei  bluome  schoen,  ö  guotez  gnot. 


1268—99.  In  solicher  ungehabe  Drugen  sie  en  zu  deme  grabe 
{vgl.  1356.  7)  D.  1268.  Wan]  Vü  £.  1269.  schreib  C.  von  der  grozen 
clage  BC.  1271  steht  vor  1270  BC.  1271.  Vnd  von  der  grozen  vng.  BC, 
1272.  en  mochte  E.  erkvnden  Bj  volkunden  £j  ergunden  C.  1273.  Noch 
fehlt  C.  irs  herczen  ser  £.  nicht  erchunden  C»  Nach  1273  noch  ein 
vers  Ire  mage  noch  ire  vrunde  £,  1275.  bekant  BCE.  1276.  Die  AGL 
1277.  gefangen  ABC,  1278.  vnouchm.  Ä\  trvrikeit  BC.  Vast  mit  grossem 
leit  A.  1279.  Vnd  auch  mit  bitterkeit  A.  1280.  6  fehlt  E.  edels  A. 
6]  du  E.  vlut  C.  1281.  Der]  0  BC,  glancz  der  mynne  glut  E.  1282. 
laide  /,  leit  U,  fehlt  BC, 


1267a.  Wan]  Vnd  1,  bermit  H,  b.  satz  C,  lait  H,  tat  1,  1268. 
min  G,  1271.  Maria  vli  ir  u.  /.  1270.  tet  in  ir  kindes  gr.  U,  1272.  niht 
fehlte.  1275.  bekant  i.  1277.  wart  Ä.  1278.  jamer //.  nr^,  Absatz  H. 
d]  ach  L  1280.  Eya  U,  fehlt  1,  edel  H,  edelr  G.  ö]  ach  H,  nach  G. 
vürste  H,    gut  H,  art  G,    1281.  0  /.    ö]  ach  GH.  I,    gotes  zart  G. 


262  MILCHSACK 

dtn  muoter  hat  an  dir  yeiiorn 

alle  vröude,  wünne  unt  tröst: 
1285     nü  sitze  ich  bt  dir  anerlöst. 

ach,  tot,  wie  dö  verswindest. 

daz  du  mich  niht  verslindest! 

ich  mein  dich,  breitiu  erde; 

daz  ich  bezlte  werde 
1290     zuo  dir,  wan  ich  kam  tou  dir. 

tot,  nd  nim  d!n  teil  an  mir. 

daz  mich  belühte  niemer  tac! 

des  bittern  mers  salzes  smac 

der  müeste  zuckermaezic  stn, 
1295    swie  daz  ein  zäher  ksem  dar  In 

des  bluotes,  daz  gevlozzen  ist 

von  dlnem  llbe,  süezer  Crist.* 

^Din  anblic  was  ein  vröuden  ztt: 

nü  hänt  die  Juden  dich  versptt 


1283—85  min  herze  hat  an  dir  verlorn      1295—97  ob  ein  bluotes  träher  dar  tn 
wünne,  vröude  unde  trOst:  koßme,  der  von  dir,  sun,  vldz. 

nü  sitze  ich  vor  dir  unerldst.  nü  ligestü  wunt,  tdt  unt  bldz. 

1289  daz  ich  enztt  werde.  1299  die  Juden  hänt  dich  gar  ver- 

sptt. 


1284.  vfi  wunne  (wunnen  E)  trost  BCE,  1285.  Sust  byn  ich  iamers 
vn.  E.  vngetröst  ABC,  1286.  0  we  tot  BC,  fehlt  E.  vor  mir  versw.  E. 
1287—91.  vgl  Wolfr.  Wh,  60,  28—61,  2.  1288.  Ich  erman  dich  (Vfi  avch 
div  G)  br.  e.  IG.  J289.  Weö  es  zyt  w.  A,  1290.  Czu  dir  gemischet 
wen  ich  byn  komen  von  dir  E,  Das  ich  kürae  zu  dir  A.  1291.  Nv  (0  i) 
tot  Gl,  fehlt  A.  nü  fehlt  G.  dinen  AB,  shier  diu  G.  an]  ab  C,  1292. 
mich  fehlt  G,  1293.  gesmag  A,  Der  biter  mors  salz  sm.  G,  Des  bittem 
gesaltzen  mores  schro.  1,  1294.  Das  A,  Müsz  mir  /.  zvker  süzze  G, 
1295.  des  C.  zeherl  BC,  trän  E,  dar  In]  diu  A.  1296.  des  B€,  Nach 
1297  noch  ein  vers  Dez  nym  mich  tot  an  alle  vrist  E,  1298— 1323 /<pÄ/«t 
A.  1298.  Kein  absatz  BCGL  vgl.  Wolfr,  Wh,  64,  11,  Winsbeckin  1,  8. 
antlicczc  E,  antiit  /.    fravde  G, 


1284—1494  fehlen  H,  1285.  vnlost  G,  Ich  sitz  von  dir  vn  getrost 
/.  1289.  enzit]  bestatnet  /.  1295.  tropf  /.  1296.  sun  von  dir  1,  1297. 
Diu  lyb  ist  wunt  /. 


UNSER  VßOUWEN  KLAGE.  263 


1300    ach,  mtn  kint,  6  bluome  röt, 
nü  ligestd  hie,  vor  mir  tot. 
von  muoter  wart  nie  Itp  geborn 
BÖ  minnecllch,  du  wsdre  erkorn 
mir  ze  einer  vröude  unt  wünne. 

1305    6  keiserllchez  künne! 
war  sol  ich  nü  keren? 
min  anale  mnoz  sich  m8ren.' 

'0  edel  kint,  nd  sich  mich  an, 
wand  ich  daz  niht  gesehen  kan, 

1310    an  wem  ich  yinden  mttge  tröst. 
des  llbes  würde  ich  gerne  erlöst, 
brich,  tot,  min  herze  enzweü' 
also  saz  diu  maget  unt  schreL 
si  weinete  also  sSre 

1315    bi  dem  grabe  hgre, 

daz  diu  erde  unt  euch  der  stein 
von  zähem  gar  begozzen  schein. 


1300.  1  fehlen,  daz  ich  daz  niht  gar  sagen  wil, 

1302. 3  von  mnoter  Itp  wart  nie  geborn  wan  ich  noch  kan  noch  enmac. 

dtn  geltch.  du  waere  erkorn.  ich  weiz  ez  was  ein  biter  tac 

1305  ach  künicitchez  künne.  der  megde  herze,  daz  ist  war; 

1307  mtn  smerze  muoz  sich  m3ren.  ez  düht  st  manic  hundert  jär. 

1308—13  st  göz  der  träher  also  vil,  1315  vor  dem  grabe  höre. 

1300.  Ach  fehlt  E,  0  liebes  kint  D,  1301.  hie]  herre  E.  Da  swi- 
gest  vn  ligest  (leist  C)  vor  mir  (mein  C)  tot  BC.  1302.  3  fehlen  D, 
1303.  were  du  irk.  E.  1304.  5.  Mit  groiszes  jamers  wonne  Sprach  sie  o 
keyserlichs  könne  stehen  vor  1300. 1  B,  1304.  Zu  minor  G,  fravde  (vreu- 
den  BCEI)  wnne  GBCEL  1306.  WaEI.  nü]  hini.  1307.  M.  leid  daz  wil 
B.  Bar  auf  noch  ein  vers  Daz  kan  d3m  tot  mich  leren  E,  1308.  9  fehlen 
B,  1308.  Gedenke  kynt  noch  sich  E,  1309.  gesagen  E,  1310.  11.  Von 
dem  (dem  fehlt  B)  wem  ich  mag  (möge  B)  werden  erlost  Des  todes 
wser  ich  wol  getrost  CB.  An  weme  sal  ich  na  finden  troist  Daz  ich 
von  jamer  werde  erloist  B.  1312.  13  fehlen  B.  1312.  Daz  er  min  hertze 
preche  entzwei  CB.  1313.  mater  E.  1316—29  fehlen  B.  1316.  Daz 
fehlt  E.  oach  fehlt  L  der]  die  C.  1317.  von  treuen  (trehem  G)  EG, 
fehlt  1.    erschain  /. 


1303.  wer  mir  erk.  G,    1305.  künde  /.    1307.  clag  i.    nv  meren  G. 
1309.  daz]  es  —  gar  fehlt  L    1310.  ich  en  kan  vnd  noch  1.    mak  G. 


264  MILCHSACR 

sin  Itp  ouch  gar  begozzen  was, 
von  zehem  darchvlozzen  naz. 

1320    'sage  mir^  süezez  kint^ 

nä  sage  mir,  du  gar  gemint, 
wem  8ol  ich  clagen  mS, 
daz  mir  daz  herze  tuot  so  we? 
sich  mich  an,  erbarme  dich, 

1325    6  zarter  Jesu,  über  mich.' 

Nu  sage,  swer  ez  muge  gesagen, 
von  dem  jaemerltcheii  clagen, 
daz  st  tet :  ez  was  so  gröz, 
daz  ein  zäher  den  andern  schöz. 
1330    da  warn  ouch  yrouwen  unde  man, 
der  herze  ouch  vil  s6re  erkam: 
s!  weinten  mit  der  süezen  maget, 
sl  wären  mit  ir  gar  rerzaget. 
st  weinten,  dö  st  in  tot 


1318—25  fehlen,  1330. 1  da  wären  vronwen  unde  man, 

1326.  7      In  der  jsemerlichen  clage,  der  herze  Bich  sSre  erkam. 

die  loh  in  von  der  reinen  sage.  1334.  5  st  weinten  Jdsu  Cristi  tdt, 
1328.9  fehlen. 


1318.  bevlozzen  E,    wart  was  B.    1319.  auch  durch  vi.  C,    sat  naz 

B.  Mich  wundirt  daz  sy  ie  genaz  E.    1320.  1  fehlen  E,    1321.   Du  sag 

C.  1322.  nu  clag.  E.  1324.  5  fehlen  BC,  1324.  vnd  erbarm  A.  1325. 
Czartis  kynt  obir  mich  Dir  mac  nymant  geliche  sich  E.  1326.  Kein 
dbsatz  BC,  Her  sagiz  E,  wer  mag  nn  ges.  (sagen  B)  CB,  1.^27.  den  C. 
1328.  Dy  —  ez]  dy  E,  1329.  Daz  ez  ovch  die  enge!  verdroz  BC,  Daz 
dy  engil  nicht  vordroz  E,  1330.  ouch  fehlt  D,  1331.  D.  h.  sere  trüben 
began  A^  Hercze  iamirs  vil  gewan  E^  Und  sahen  den  groissen  jamer  an 

D.  1332.  33  fehlen  E.  1332.  svzze  G,  rainen  /.  1333.  St]  Und  DG. 
alle  mit  ir  verz.  G,  1334.  5  stehen  vor  1330—33  ABCE,  1334—41  fehlen 
D,    1334.  in]  synen  E,    daz  sie  in  sahen  töten  (taten  C)  BC. 


1326.  Kein  ahsatz  I.  iemerliche  G.  1327.  iich  rainen  hertzen  sage 
i.  1330.  Da  fehlt  G.  1331.  D.  hertz  sere  kumer  gewan  /.  1334.  ihs 
xps  /. 


UNSEE  VROÜWEN  KLAGE.  265 


1335    ßähen  unt  Märten  not 

die  engel  waren  euch  da  bt, 
die  alles  leides  sint  gar  vrl: 
der  was  da  manic  tfisent  schar: 
si  wären  alle  kamen  dar. 

1340    sl  sähen  ir  hSrren  ligen, 

den  swseren  tot  im  angesigen: 
si  häten  alle  ungehabe 
unt  wären  trüric  bt  dem  grabe, 
sl  trfireten  alle  geltche, 

1345    unt  weinten  bitterliche, 
dö  si  tot  sähen  Crist, 
der  ir  vröude  was  unt  ist 
unt  iemer  me  wesen  sol: 
si  wären  alle  leides  vol. 

1350    doch  wart  ir  groze  bitterkeit 
geminnert  von  der  sttezikeit 
unt  von  der  grdzen  wünne, 
daz  allez  menschlich  künne 
mit  sinem  töde  wart  erlöst: 


ouch  tet  in  we  der  megede  not.  1338.  9  fehlen, 

1337,  1  Bolten  die  geweinet  hän?  1340.  1  sähen  so  jämmerliche  ligen 

st  weinten,  doch  wil  ich  län  unt  den  tot  im  angesigen. 

den  strlt,  der  da  von  möhte  komen,  1 342—49  fehlen, 

doch  hän  ich  ez  vür  war  vernomen.  1 3  öO.  1  doch  wart  geminret  ir  gröz  leit 
5  sl  weinten  unde  weinten  niht,  mit  tröste  von  der  süezekcit. 

dö  st  ir  hgrren  angesiht.  1353  wan  allez  menschlich  kUnne. 


1335.  Sähen  fehlt  BC,    in  den  nöten  (noten  C)  BC,    1336.  Absatz 
BC.    1341.  angeligen  C.    1343.  Sic  A,    Und  gingen  mit  er  zu  d.  gr.  B, 

1344.  trurten  C,   dienotcn  er  B.    alle]   harte  BC.    glich  (:  bitterlich)  A, 

1345.  Sie  A.  Vnde  klagetten  klegliche  BC.  1340-49  fehlen  B.  134(i. 
sahen  lige  tot  A.  1348.  me]  unser  C,  fehlt  B.  1350.  Doch]  Vn  5,  Ut  C. 
Doch  so  wart  erc  bitterk.  B.  1351.  Geminnet  C,  Gemynret  A.  1352 
folgt  auf  1353  A. 


1337,  2.  Do  weinten  si  doch  G.  es  lan  /.  4.  ez  fehlt  G.  1341.  an 
im  ge&igcn  1.  1350.  ge  mindrot  —  grosses  /.  Gemeget  waz  doch  ir 
G,    1351.  von]  vfi  G.    1353.  kftnne  6?,  künde  i. 


266  MILCHSACK 

1355    daz  was  ir  vröude  unt  ir  tröst 
In  der  grözen  ungehabe 
truoc  in  Joseph  zuo  dem  grabe: 
er  wolde  in  in  die  erde  legen 
unt  einn  stein  üf  daz  grap  wegen. 

1360    daz  moht  Marta  niht  vertragen; 
si  begunde  schrten  unde  clagen. 
er  zöch  in  hin,  si  zöch  in  wider; 
si  zöch  in  üf,  er  zdch  in  nider; 
si  umbevienc  mit  den  armen 

1365    si  sprach  4änt  iuch  erbarmen! 
sehent  minen  smerzen, 
den  ich  hän  an  mtnem  herzen, 
lät  mich  sin  genieten  me, 
mir  ist  nach  im  sere  wS. 

1370    länt  triuten  mich  mtn  herzebluot. 
oder  danket  ez  iu  guot, 


1355, 1  doch  erbarmete  st  Marien  leit  der  dö  niht  mohte  weinen, 

unt  ir  yil  swaBre  biterkeit,  1366  sehent  mtnes  leides  smerzen. 

die  si  an  ir  herze  gnot  1368. 9  unt  länt  mich  genieten  mö 
sähen,  er  waere  äne  mnot  mine8kindes,nächdemistmirwd. 

5  unt  waere  gewesen  steinen,  1371  oder  dnnket  ez  in  harren  g^ot 


1355.  wart  BC,  1356—67.  Uli  ponebant  Christutti  in  tnm- 
bam,  et  illa  trahebat  illnm  ad  se  ipsam:  illa  volebat  eum  re- 
tinere,  et  illi  volebant  eum  tradere  sepulture,  et  sie  erat 
hec  pia  lis  et  contentio  inter  eos.  GermAl,  2'^h,  \Zh^,  Kein 
ahsaiz  ÄBCDL  1358.  Er]  Unde  D.  erde  AD,  1359.  ein  Gl,  einen 
ABCD,  zu  dem  grab  i,  vf  in  BCD,  1360.  1.  Da  begunde  maria 
aber  zu  clagen  Sie  wolde  vor  leide  gar  v'zagen  D.  1361. 
weinen  BC.  1362.  in  —  in  fehlen  D.  hin]  vflf  /.  in  w.]  herwider  Ä. 
1363.  Er  —  sie  D.  in  —  in  fehlen  AD,  in]  hin  /.  1365.  SI]  Und  D. 
nun  lant  /.  evch  in  erb.  BC.  1366.  Sehit  an  D.  1367.  myme  />,  dem 
BCG,  1368—74.  Set  si  illum  deponitis  in  sepulcrum,  memise- 
ram  sepelite  cum  illo,  quia  post  illum  semper  male  babebo. 
Germ,  lly  235.  1368.  Lasz  A.  gnissenl).  1369.  Myme  hertzin  ist  n.  eme  we 
jD.  1370. 1  fehlen  D.  1370.  trüton  C,  treuten  C,  trevtet  B,  trureni.  mich 
trüten^.  mines  hertzen /.  he*tzblüt^,  blvt^C.  1371.  Oder  lieben  d. -5C 


1355,  1.  marie  i.  2.  vil  fehlt  L  3.  het  an  G.  an  irem  hertzen  trüg 
/.  4.  Wan  der  was  ane  m.  /.  5.  Er  wer  /.  waeren  G.  steine  (:  weine) 
G.    6.  dO]  nun  i.    1366.  leides]  hertzen  i.    1368.  be  langen  /. 


UNSER  VROÜWEN  KLAGE. 


267 


BÖ  begrabent  mich  in  die. erde 

mit  im,  daz  ist  min  gerde^ 

wan  ich  äne  in  niht  mae  geleben! 

1375    dö  wart  dem  wunden  Itp  gegeben 
manic  küssen  unde  triuten 
vor  engein  unt  vor  liuten: 
daz  tet  sin  muoter  Marjä 
Joseph  von  Arimathiä 

1380    der  want  in  in  ein  stdin  tuoch 

mit  edelen  würzen^  sagt  daz  buoch, 
unt  begruop  in  in  die  erden 
nach  Sren  unt  nach  werden, 
dö  wart  ein  stein  üf  in  geleit. 

1385    öwe,  waz  grözer  bitterkeit 
Marien  herze  dö  enpfienc. 
daz  yolc  jämers  vil  begienc: 
si  weinten  mit  der  guoten 
gotes  muoter  dgmuoten. 

1390    st  muosten  alle  weinen 


1373, 1  dadurch  liezen  si  ez  niht  sin,  uf  in  wart  ein  grözer  stein  geleit. 


2    swie  gröz  was  Marien  ptn. 
1374—81  fehlen, 

1382—89  si  begrnoben  den  vil  wer- 
den Crist, 
der  aller  töten  leben  ist. 


da  von  enphienc  vil  biterkeit 
der  megede  herze,  daz  ist  war. 
da  bt  was  onch  der  engel  schar, 
da  warn  onch  ander  Hute  genuoc, 
der  herze  swaBien  kumber  truoc. 


1372.  So]  NuD.  begrabend,  begrabet  2>,  grabt  56*.  erdö^.  erde  mit 
im  BC.  1373.  im]  mincm  kint  i.  begirde  A,  begcrde  jD.  Den  tot  ich  gerne 
mit  im  nim  BC,  1374.  Wanne  C^  fehlt  D,  mag  an  en  nicht  2>,  mag  nit 
on  in  A,  1375.  den  C.  d.  doden  korper  D,  ihü  A.  1376.  Manch  D,  Manges 
A,  1377.  Vor  den  —  vor  den  BC,  ouch  vor  D,  1379.  aromathia  BCD, 
1380.  Der  fehlt  A,  1382.  3  fehlen  BC,  1383.  ere  A,  1385.  Owo  der 
groissen  D.  herzcnleit  BC*  1386.  Maria  hertz  Ay  Die  maria  D,  1387. 
vil  da  beg.  A,  Da  sie  von  dome  grabe  ging  D,  1388—1405  fehlen  D, 
1388.  gvter  BC,    1389.  Marien  gotes  mvter  BC, 


1373,  1.  Absatz  L  Dnrch  das  so  1,  ez  fehlt  G,  2.  so  was  G,  1383. 
totten /,  weite  G,  1384.  ein  fehlt  I,  groz  G,  1385.  so  enph.  G,  si  vil 
GL    Zu  1387  vgl  1336—38. 


208  MILCHSACK 

wan  wsern  si  alle  steinen, 
st  müesten  gar  zerrizzen  stn, 
dö  sl  gesähen  ir  pln. 

In  der  grözen  ungehabe, 

1395    dö  st  saz  bt  dem  grabe, 

vor  liebe  kuste  sl  den  stein: 
ir  herzeminne  was  niht  klein, 
si  umbevienc  in  unt  sprach 
'6we  mir  armen  unt  ö  ach!' 

1400    st  wolde  nie  dannen  komen, 
e  daz  si  gar  hsßte  vemomen 
unt  daz  st  mit  ir  ougen 
saehe  äne  lougen 
ir  kint  von  dem  töde  erstän. 

1405    Johannes  kam  dar  zuo  gegän, 
Johannes  der  vil  guote 
kam  mit  swserem  muote. 
swie  er  vor  leide  wsere  verzaget, 
doch  huop  er  df  die  reinen  maget. 


1392— 96  8t  mühten  gar  zerrizzen  sin,  1400—5  dö  sl  vil  lange  da  gesaz 

dö  st  sahn  der  megede  ptn.  unt  sich  von  wärheit  des  vermaz, 

81  sahen  ir  gröz  ungehabc,  daz  st  niht  dannen  wolte  komen 

dö  s!  saz  bt  ir  kindes  grabe.  ö  si  die  msere  üSBte  vemomen, 

sl  kust  daz  grap,  st  hiels  den  stein.  daz  erstüende  ir  liebez  kint, 

1398.  9  fehlen,  dö  trat  zuo  ir  Johanns  gemint 

1407  der  kam  mit  swaerem  muote. 


1391.  Wan  fehlt  —  alle]  gewesen  1.  1392.  gerizzen  C.  1393.  ir] 
marien  B,  marein  C  1394.  Kein  absatz  B,  1395.  saze  Bj  sazzen  C, 
139G.  leit  Ä,  1397.  hcrtzen  minne  C,  hertzen  pin  Ä,  hertzlaid  /.  wart 
nie  kl.  BC,  1399.  ö  fehlt  A.  1400.  nimmer  BC,  danne  C.  1401.  gar 
fehlt  BC.  1402.  Wan  daz  BC.  1405.  kam  zu  gan  A.  1407.  Der  qvam 
B.  1408.  leit  was  AI.  Von  leide  waz  he  ouch  v.  B,  1409.  Uff  hub  he 
die  D,    raine  1. 


1392.  St]  So  G,  gar]  alle  —  zerircn  G.  1394.  an  ir  gr.  vngemach  /. 
139t).  si  hils  G,  vnd  i.  1400.  Absatz  L  1402.  wolten  dannen  /.  1403. 
mer  G,  warhait  /.     1404.  Wie  daz  G.    1405.  goschwint  i. 


UNSEE  VBOÜWEN  KLAGE.  269 

1410    er  huop  fif  gotes  muoter, 

der  nie  gltch  unt  demuoter 

von  muoter  Übe  wart  gebom; 

si  häte  ir  liebez  kint  verlorn. 

er  huop  st  üf,  wan  sl  was  gar 
1415    verdorben,  bleich  unt  t6t  var. 

sl  was  von  leide  also  kranc, 

daz  ir  benomen  was  der  ganc: 

vor  unmaht  mohte  st  niht  gän, 

noch  üf  den  vliezen  stän. 
1420    [ir  meisterliche  sinne, 

die  wisten  vil  der  minne, 

wan  sl  von  gotltcher  art 

slniu  werde  muoter  wart. 

des  was  diu  minne  also  gröz, 
1425    daz  sl  der  clage  niht  verdröz, 

daz  st  Johanns  zuo  im  gevienc 

unt  sl  von  ir  kinde  gienc. 

vil  clegelieh  st  hin  wider  sach. 

mit  vollem  jämer  sl  dö  sprach 
1430    'we  mir  der  schidunge 

unt  ouch  der  sunderunge, 

diu  au  uns  beiden  hiute  geschiht. 

wer  ist,  den  daz  erbarme  niht? 


1410 — 19  a  er  haop  üf  sine  maoter       c  st  was  sd  kranc  gar  ane  wan, 

zart,  d  daz  si  enmohte  gän  noch  stan. 

b  dernie  von  vrouwen  glich  er. wart.      1420—43  fehlen. 


1410.  11  fehlen  D.  1411.  Der  (Die  C)  nie  gl.  wart  so  gvter  BC, 
1412  steht  hinter  1413  2>.  1412.  Daz  reyne  wart  von  er  geb.  i>.  1414. 
15  fehlen  J).  1415.  V.  und  auch  tod  gevar  C  1418.  gesten  2>.  1419. 
den]  iren  BCD.  gesten  A,  gegehin  D.  1420—43  fehlefi  BCD,  1424—34. 
et  cum  me  Johannes  ad  cinitatem  ducere  vellet  et  a  sepul- 
chro  amouere,  miserabiliter  clamaui  ^karissime  Johannes, 
non  facias  hanc  iniuriam  ut  me  separes  a  dulcissimo  filio 
meo!   quia  hie  expectabo  donec  moriar.*    Schade  p.  13,  15—17. 


1410  b.  gelich  von  frawen  wart  /.     c.  so  krank]  vil  schwach  i.    d. 
enmocht  G,  nit  moht  /. 


270  MILCHSACK 

dem  geschach  nie  liep  noch  leit. 
1435    ö  du  sa^lege  Gristenheit, 

sich  an  mit  triuwen  dise  not, 

wen  min  kint  ist  dnrch  dich  tot 

nü  sich,  wie  d!n  kempfer  lit, 

der  versüenet  hat  den  strlt 
1440    zwischen  dir  unt  dem  vater  s!n. 

er  sol  von  reht  din  troester  sin.' 

alsd  schiet  st  von  ir  zart 

jsBmerltchen  unde  hart.] 

ir  lieben  swester  wären  da, 
1445    (ich  meine  die  zwöMarjä): 

die  hülfen  gotes  muoter  zart, 

daz  st  ze  hüse  gevüeret  wart 

daz  ersähen  yrouwen  yil, 

die  liezen  gar  ir  herzen  spiL 
1450    st  sähen  die  vil  armen, 

st  muosten  sich  erbarmen, 

se  begunden  mit  der  reinen 

Märten  herze  weinen. 

st  weinten  äne  niäze, 

1444— 49  a  ir  swester  halfen  ir  ze-  f.  von  weinen  unt  von  krankheit. 

hant,  g  oueh  köinen  g^uoc  vrouwen  dar 

b  wan  st  diu  minne  dar  zuo  bant  h  von  der  stat  unt  namen  war. 

c  st  vuorten  s!  hin  in  die  stat  i   si  sähen  die  vil  guoten 

d  ze  Jerusalem,  ein  dUnnez  blat  k  maget  mit  s wahrem  muote. 

e.  mohte  ir  den  äten  hän  verleit  1451  si  begunden  sich  erbarmen. 


1433.  der  den  .^.  143G.  Sichmittr.an^.  1445.  Ich  meynen/),/'^?^//^.  zwu 
B.  1446.  Sie.'i.  \\\%—b'S  fehlen  D,  144S— 57.  Videbant  matrem  omni 
solacio  vcl  robore  destitutam,  et  super  illam  pqcius  dabant 
planctum  quam  super  dominum  suum  exstinctum:  major 
erat  illis  dolor  de  matris  dolore  quam  de  domini  sui  morte 
Germ,  17,  235.  1449.  Sie  A,  1451.  Vfl  m.  ßC.  1453.  vö  hertzen -ri,  sere 
BC.  Maget  sere  w.  1.  1454.  Absatz  BC\  Si)  Du  //,  üvch  BC. 
maissen  B. 


g.  Ok  G,  Da  /.    frawen  gnüg  /.    k.  muten  i.    1451.  Vfi  begvndc 
si  erb.  G,     1444  b.  liebin  L    f  biterkait  I, 


UNSER  VROUWEN  KLAGE. 


271 


1455 


1460 


1465 


1470 


die  yrouwen  an  der  sträze: 
st  elagten  mg  Marien  nöt^ 
denne  ir  yil  lieben  kindes  tot 
wer  solte  niht  geweinet  h&n, 
er  wsßre  vrouwe  oder  man? 
Dö  diu  maget  als6  zart 
durch  die  stat  gryüeret  wart 
mit  80  swsBrem  muote 
in  sant  Jöhannis  huote, 
vil  vrouwen  mit  ir  giengen, 
die  jämers  yil  enpfiengen. 
dö  tröste  s!  Johannes  guot, 
swie  doch  beswaeret  was  sin  muot 
er  tröste  sl  sSre, 
er  huote  ir  libs  unt  6re, 
mit  ganzen  triuwen  er  ir  pflac 
dö  unt  dar  nach  yil  mangen  tac, 
wan  st  im  yerre  lieber  was, 
den  diu  muoter,  diu  s!n  gnas. 


1456.  7  stehen  vor   1454.  5. 

1456  b1  clageten  me  der  megde  not. 

1457.  1  b!  sähen  Marien  ungemach, 

2  dem  nie  da  vor  geücli  geschach, 

3  noch  nimmer  me  geschehen  sol : 

4  st  wären  mit  ir  leides  vol. 

1458.  59  fehlen, 

1460-77    Mit  dem  leide  wart  sl  hin 


gevüeret  zno  ir  mUemeltn. 
(1462—65  fehlen.) 
(1470)  Johannes  ir  mit  triuwe  phlac 
(1471)d6untdarnuchyilmanegentac. 

(1468)  er  minte  si  so  sSre 

(1469)  mit  triuwen  unt  mit  ere, 

(1472)  daz  si  im  yerre  lieber  was, 

(1473)  den  diu  muoter,  diu  sin  gnas. 


1455.  ufifdeu  straiszin  2>.  1456.  D'iQ  AD.  m§]  alle  D.  1457.  Danne 
C,  Dan  i,  Wan  A,  Unde  D,  vil  fehlt  DL  liebez  C,  1458.  9  fehlen  D. 
1460.  J{ein  ahsalz  ABCD.  1461.  Uin  durcli  BC\  1462.  Da  ging  sie  un- 
gemude  />.  1463.  sante  B,  sancti  D,  1465.  geviengen  B,  viengen  C. 
1466.  7  fehlen  D,  1467.  Wie  swere  daz  were  sin  (seinem  6")  m.  BC. 
1468.  gar  (vil  2>)  sereBCD.  1469.  Er  hatte  synes  1.  e./>.  unt  fehlt  BC. 
1471  steht  vor  1470  D,  1470.  Daz  he  er  mit  tr.  pfl.  D.  1471.  Daz  (He 
D)  Btvnt  darnach  manige  (nacht  uü  D)  tak  BCD.  Er  dienet  ir  vil  A. 
1472—1587  fehlen  D,  1472.  Wan  er  irvil  lA.    1473.  Denne  B,  Danne  C\ 


1457,  1.  vngehab  /.  2.  gelich  da  vor  /.  3.  4  vgl.  1348.  9.  1460. 
£ehi  ahsatz  I.  1461.  zuo]  da  G.  1 168.  Er  het  si  lieb  /.  1470.  trüwen 
/.    1473.  Danne  G. 


272  MILCHSACK 

er  bot  ir  zuht  unt  ere; 

1475    st  was  im  liep  sgre. 

dar  zuo  bäte  er  guot  reht: 

st  was  sin  vrouwe  unt  er  ir  knebt 

in  siner  buote  s!  beleip, 

da  st  yil  der  clage  treip. 

1480    ir  swester  nocb  Jöbannes  guot 
mobten  ir  swseren  muot 
nibt  getrcßsten  eine  stunt; 
ir  berze  was  von  quäle  wunt. 

Johannes  vtl  gtu>ter, 
1485         nü  phlic  tvol  diner  muoter, 

si  hat  niht  kindes  me  wan  din; 
nü  tuo  ir  ganze  triutve  schin. 
ir  edel  kint  hat  si  verlorn, 
daz  äne  tvewen  wart  gehom 
1490         von  ir  in  einer  silezikeit, 

des  hat  si  leit  unt  uberleit. 
ö  Johannes,  gotes  trüt, 
du  lieze  ein  muoter  unt  ein  brüt 
durch  liebes  gotes  minne, 
1495         nü  tuo  üf  dXne  sinne: 

sich,  dir  ist  vergolten  tvol: 
du  hast  die  der  gnaden  vol 


(1474)   er  bot  ir  liebe  nnt  6re  unt  (1467)  swie  daz  er  wsere  ungetrÖBt, 

zuht,  ( 1 466)  doch  gap  er  siner  muoter  tröst 

wan  sl  was  aller  gnaden  vruht:  (1476.  7  folgen  hier.) 

1475, 1  siwas  sin  mnotr  unt  erir  kint  1478—83  fehlen, 
2    unt  ouch  von  herzen  im  gemint 

1474.  pat  C\  1475.  Er  het  sie  lip  gar  s.  BC.  1476.  so  het  G. 
guot]  zwar  i.  1477.  müter  /.  ir]  sein  C,  1479.  Da]  Daz  B,  Untz  daz 
C.  gar  vil  clege  treibe  A,  1482.  eine]  ane  C  1484.  0  Job.  K,  du  vil 
I.  i486,  enhat  K.  1489.  Der  G.  we  /.  1491.  leit]  ser  K,  unt  fehlt  I. 
1493.  eine  —  eine  GA'.  1494.  liebe  got.  IK  1495.  vgl,  241.  Nü  fehlt  L 
1496.  Und  sich  /.  1497.  der  fehlt  HL  di  di  der  K,  gnaude  /.  Dv 
bist  der  gn.  als  vol  G, 


1474.   erbout  ir  ere  /.    1475,  2.   Si  was  von  h.  i.  gemeint  L    1467. 
daz]  doch  G,    war  L    ane  trost  G, 


■M 


\ 


K\  ^■ 


> 

YBODWnf^^CULai.  273 


nü  ist,  ie  was  unt  immer  ist. 
gelobet  si  der  werde  Krist, 

1500        der  dir  s6  vil  der  minne  shi 
erouget  hat,  Jdhaymes  mm. 
wie  sol  er  dir  der  minne  me 
ougen?   lop  s%  im  immer  me. 
0  Johanns  ewangelist, 

1505        nü  sich,  wie  liep  du  gote  bist; 
dar  an,  daz  er  die  muoier  «n 
dir  bevalch,  da  tet  er  schin 
die  minne  unt  der  minne  vltwt: 
dar  an  gedenk,  Johannes  guot. 

1510        nü  lä  st  dir  bevolhen  rfn, 

wan  rf  ist  aller  gnaden  schrtn: 
si  ist  des  heiles  brunne, 
der  werden  enget  sunne: 
si  ist  der  schaz,  der  eren  hört, 

1515        die  dir  bevalch  got,  gotes  wort, 
nü  trcßste  wol  din  müemeHn. 
daz  du  scelic  müezest  sin! 
du  bist  gar  scelic,  daz  ist  war, 
nü  sage,  Johanns,  wer  ist  dir  par, 

1520        der  ie  entslief  üf  gotes  brüst 
mit  sd  minnecRcher  tust, 
als  du  Johannes  minnecHch. 
ja  bist  du  aller  gnaden  rieh; 
dir  ist  diu  gotes  muoter 


1498.  Nn  ist]  Ist  und  IC,  fehlt  HI.  was  fehlt  G.  1499.  Gebet  dir 
snze  er.  IC.  süeze  B,  1500.  1  fehlen  G.  1500.  liebin  I.  stn]  schia  IC. 
1501.  Erzeuget  if,  Erzögt  ifi.  1502.  3  fehlen  I,  1502.  solt  B,  der  fehlt 
B,  minnen  IC.  1503.  Eravgen  G.  im]  dir  G.  im  si  lof  Kf  na  loben t  H. 
1504.  Keinabsatz  B,  Johannes  aüe,  1505.  Nü  fehlt  1,  1506.  er  dir  die  i. 
1507.  da]  daz  B,  1508.  Die  gnad  —  liebi  I.  minnen  if.  plüt  G.  Nach 
1509  folgen  noch  zwei  verse  Er  bevalch  in  din  hüte  Marien  die  vil 
guten  BIC.  1511.  Wan  fehlt  GB.  aller]  gar  der  IC,  der  wnne  GB. 
1513.  Unt  der  BI.  werder  £,  fehlt  I.  1514.  15  vgl.  3.  4.  1514.  ist  ain 
I.  heren  if,  engel  I,  ein  G.  1515.  got]  des  /,  dat  A",  fehlt  B,  1516. 
müeterlin  iTi.  1517.  vil  selich  iT.  1518.  g9x  fehlt  L  1519.  sagen  G, 
Johannes  GBl^  iohan  K,  dir  par]  die  gebar  /,  din  pin  K.  1520.  Wer 
K,  Die  1.  1521.  also  wunderlicher  (wunneclioher  A') /if.  Als  du  mit  minn. 
B.    1522.  wuuneclich  L    1523.  Wan  du  bist  1. 

B««itri(ga  sor  gesohiobte  der  dtiiMoh«n  ■praoüt.    V.  18 


/ 
4 


274  l^LCHSACK 


1525  hevolhn,  Johanns  guoter. 

erhiul  ir  ere  unt  phlic  ir  tvol, 
wan  si  ist  aller  gnaden  vol. 
swer  ir  ere  bieten  kan, 
er  si  junc,  alt,  mp  oder  man, 
1530  der  sol  es  tvol  geniezen, 

wan  d  im  tvil  entsUezen 
der  gnaden  unt  der  scelden  schrtn: 
si  rvil  H  im  nähen  sin 
ze  alleyi  zitn,  in  aller  ndt, 
1535  si  lät  in  niht  biz  an  deii  tot. 

Nu  sulen  wir  wider  kiren 
unt  sulen  iuch  vürbaz  iSren 
von  der  reiner  vil  guoter 
Marien  gotes  muoter. 
1540    s!  was  biz  an  den  dritten  tac, 
daz  b!  vil  grözer  clage  pflac. 
[sl  sprach  *wer  mac  mir  tröst  geben, 
8it  daz  mlnes  herzen  leben 
under  einen  stein  ist  vergraben, 
1545    den  der  himel  niht  mohte  gehaben, 
von  slner  grözen  minne 
da  wart  ich  des  inne, 
do  er  sich  nnder  min  herze  liez, 
daz  in  diu  minn  her  nider  stiez. 
1550    der  minem  herzen  nähe  lac: 

der  ist  der  mich  getrcesten  mac. 
daz  läzet  er  doch  niht  lange  stän: 


1525.  Johannes  GEI,  o  vil  IC.  1526.  Absatz  ü.  Nu  bud  K,  hdt  ü, 
Ir  lip  G.  unt]  nv  G.  1527.  Vil  lieber  du  sigest  gn.  v.  if,.Dat  du  min 
lif  dat  stet  dir  wol  K,  1528.  Wan  vferEJ,  Want  so  we  A\  erbieden  IC. 
1529.  sf  fehlt  G.  junc  alt  fehü  H.  frow  /.  1530.  ez  C,  sin  äl,  fehlt 
K.  1531.  wil  im  (in  /)  Kl,  kan  im  wol  ü.  1532.  Die  gnad  u.  d.  gnaden 
sehr.  /.  In  ii*  gnade  u.  in  der  H.  1533.  im  na  bi  JST,  nach  by  in  /. 
nahe  ü.  1534.  In  aller  not  (ndt  fehlt  /)  unz  (biz  Kl)  an  den  tot  EIK. 
1535.  en  lezt  K.  in  siner  (kainer  /)  not  HIK.  1536.  Kein  absatz  H. 
1537.  sul.  iuch  fehlt  L  1538.  vil  rein-iT.  reinen  HL  vil  fehlt  ÜK,  vnd 
von  der  guten  /.  1540.  untz  BCHK.  1541.  gar  vil  if.  vil  fehlt  K. 
clagcn  K.  1542—53  stehen  nur  in  A.  1547.  innen  ^.  1548.  Do  er]  Das. 
A.    1549.  Daz]  Da  A. 


UNSER  VBqUWENr KLAGE.  275 . 


er  troBStet  uns  schier  sunder  wän.] 

sl  nam  in  ir  gemttete 
1555    des  süezen  Jesu  gäete* 

si  gedähte  in  ir  sinn^ 

an  sin  zarten  mipne: 

wie  er  äne  sttnde  was 

Ton  gebart  dö  si  sin  genas: 
1560    wie  er  ir  von  gote  was  gegeben. 

si  gedähte  an  sin  rlchez  leben 

unt  an  stne  miltikeit: 

wie  Ton  slner  kintheit 

er  was  gehorsam  an  die  zit, 
1565    daz  in  verriet  der  Juden  nlt 

si  gedähte  an  elliu  slniu  wort 

unz  daz  er  gevangen  wart 

unt  erhangen  als  ein  diep: 


1555  alle  ir  kindes  güete.  (1563,  1)  wie  milte  er  was  ont  euch 

1556 — 59  fehlen.  wie  gnot. 

1560-87  si  gedäht,  wie  er  ir  was  W  »^  »a™  vü  gar  in  irmuot, 

gegeben  (^)  ^^®  ^^  ^^^  ^t  fsot,  was  gebom. 

unt  an  Bin  minnecilchez  leben.  W  »1  bdrte  nie  von  im  storn. 

si  gedähte  an  sine  mUtekeit  (^566.  7  folgen  hier.) 

nnt  ouoh  an  sine  gedoltikeit:  (1^^)  ^^  ouoh  erhangen  als  ein 

diep. 


1555.  ihesoB^C.  1557.  groze  BC.  1559.  geb.]  ir  gebom  BC.  1560. 
Vfi  w.  er  V.  g.  ir  w.  gegeben  (geben  C)  BC.  1561.  reinez  BC.  1562. 
Aach  A.  an  alle  sine  BC  1563  fehlt  B.  Und  als  uns  die  schrift 
seit  C,  1564.  Ir  B.  Was  er  ier  C.  vntz  an  BC.  der  zyde  (:nide)  Ä. 
Nach  V,  1565  für  den  fehlenden  vers  1562:  Die  in  v'rieten  vn  v'speit  B. 
1566b  7.  fehlen  K.  Ynd  euch  wie  er  wart  Von  der  besen  iuden  art  /. 
1566.  wort]  vart  BC.  1567.  daz]  tiiz  B.  er  fehlt  —  wart  ir  hort^.  Biz 
daz  or  herre  (ir,  herze  E)  wart  ermort  QE. 


1555.  AI  E.  1560—63,  2  feUen  L  1560.  geben  E.  1561.  minnec- 
liche  Ky  wünneclich  E.  1563.  ouoh  fehU  EK.  sine  groze  K.  1.  was 
fehlt  K.  ouch  fehlt  E.  2.  S.  n.  vür  sich  sinen  m&t  (sine  demut  K) 
EK.  3.  was  fehlt  K.  vor  ir  was  got  J?,  von  got  ir  was  L  4.  hörte] 
hete  6^.  Si  hört  (en  horde  Ky  gehört  E)  von  im]  nie  (nie  engeinen  K^ 
nie   keinen  E)  zom  IKE.    1568.  fehlt  K.    Unt  ouch  fehXt  L 

18  • 


276  MILCHSACK 

wie  er  ir  häte  grözez  liep 

1570    erboteu  manegez  jär  unt  tac 

unt  mit  waz  triuwen  er  ir  pflac. 
si  gedähte  an  alle  sine  not, 
die  er  leit  unz  an  den  tot. 
da  von  mohte  si  niht  haben 

1575    tröstes,  wan  er  was  begraben, 
an  dem  ir  heizen  vröude  lac. 
daz  leit  si  biz  an  den  dritten  tae 
in  jsemerltcher  ungehabe, 
biz  er  erstuont  von  dem  grabe. 

1580    dö  muost  ir  leit  ein  ende  hän; 
wan  niemen  daz  gesagen  kan, 
waz  Bi  vröuden  dö  enpfienc 
unt  waz  ir  scle  dö  begiene 
von  vröuden  unt  von  wUnne; 

1585    wan  al  der  werlde  künne 
mohte  niht  gesaget  hän 
der  vröuden  tröst,  den  si  gewan. 


(1569-71)  si  gedähte  an  menic  aüezez  st  mohte  lUtzel  tröstes  haben, 

liep,  (157(>— 78  fehlen,) 

daz  er  der  werlte  bäte  getan:  (1581— 87  a)  bizdazstgarbevröawet 

s!  mobte  niht  ir  weinen  län.  wart, 

( 1564.5)  wie  er  dar  nmbe  wart  versptt,  (b)    dö  ir  edel  kint  vii  zart 

unt  wie  der  armen  Juden  nit  (1579.  SO)  mit  wUnne  orstuont  von 

(1 57*2-75)  in  verriet  biz  au  an  den  tot;  dem  grabe. 

da  von  was  st  in  grözer  not.  dö  häte  ein  ende  ir  ungehabe. 

st  sacb  ir  kint  vor  ir  begraben: 


1569.  groze  ^C.  1570.  manic  ^6'.  1572.  sin  ^,  fehlt  BC.  1577 
vntz  BC.  1579.  Vntz  BC,  Bitz  das  A,  1580.  ein  fehlt  C.  ein  leit  ir 
ende  B.  1582.  freud  A.  Was  vrevden  sie  BC.  1583.  Unt  fehlt  A. 
1585.  Wanne  C.  aller  A,  alle  der  B.  1587.  Alle  der  (Alder  C)  vr.  die 
sie  g.  BC. 


1569.  menges  H.  manege  suze  K.  1571.  Si  en  mobte  ir  weinen 
nit  Verlan  K.  ir]  von  1.  1564.  verspült  (:nült)  H.  Vud  wie  er  ouch 
w.  V.  /.  1565.  wie  fehlt  K.  armer  A',  bcsen  /.  1572.  verrieten  G^ 
fehlt  I.  unz  HK.  an]  in  L  1573.  Dar  af  K.  was  grous  ires  hertze 
not  /.  1574.  Absatz  —  vergrab.  H.  1581a.  st  fehlt  I.  befrawet  C,  er- 
fröwet  m,  gevrowet  K.    b.  vilj  so  B.    kint  edel  und  zart  K. 


UNSER  VROÜWEN  KLAGE.  277 


ö  yrouwe,  maget  minnecllch, 
muoter  aller  gnaden  rieb, 

1590    des  paradtses  sttezikeit, 
ein  brunne  aller  miltikeit: 
dfl  bist  der  megede  gimme, 
der  Patriarchen  stimme, 
des  bimelriches  wttnne, 

1595    ein  keiserllchez  kttnne. 
werdiu,  höhe  Maria, 
stteziu  muoter  du  piä, 
dfl  rosenrot,  dfl  liljenwlz, 
dfl  zltlöse,  vrouwen  prts, 

1600    6  morgenstem,  6  sunne  klär, 
dfl  minnecllcher  adelar, 
dfl  turteltflbe  lobelich. 


1593  ein  engelltchin  stimme.  d  blaome  schcBne,  d   vrouwen 

1597  saelege,  beilege,  süeze,  pt&,  prts. 

1596  reinia,  milte,  ö  Martä.  1601—6  ö  schoener  mäne,  d  adelar, 

1598—9  6  rosenrot,  d  lilienwiz,  d  turteltübe,  d  gotes  trön. 


1588.  Fein  absatz  AB.  0  fehlt  ABC.  vrouwe]  maria  2>.  vil 
(0  if)  minn.  GK.  1589.  0  müt.  BKL,  Maria  ABC.  rieh  fehlt  K.  1590. 
paradisz^.  1591.  bornei^,  blüm  AC^  cronei^Z.  1592.  grimme  B.  1594 
folgt  auf  1595  D.  1594.  5  fehlen  L.  1594.  baradisliches  B.  1596.  0 
werde  maget  m.  BC^  Bistu  edele  m.  D.  1597.  0  snsze  und  o  pia  D. 
Biernach  schliesst  D  mit  folgenden  versen:  Hilfif  uns  daz  dyne  clage 
Unse  fredescbilt  sie  an  de  jfigeste  tage  Amen.  1598—1657  fehlen  D. 
1598.  rose  r.  —  lilie  w.  F.  1599.  zitelose  C,  zitlozen  B^  zeitlos  F.  du 
frawen  A,  vrevden  BCy  du  frewden  F.  1600.  1.  Dv  morg.  dv  s.  schön 
Dv  mon  weiz  der  maiden  cron  F.  1600.  0  liehter  morgensteme  B. 
margensteme  CKL.    sunnen  L. 


1593.  engellivchv  £^,  engelische  iTZ,  engelscb  B.  1597.  Seilik  heilik 
G,  Selich  selich  K,  0  sälic  B.  1596.  ö  fehlt  B.  mute  ö]  sancta  L. 
1598.  rose  r.  GK.  lilie  w.  K.  1599.  blumen  L.  vrowe  (freuden  L) 
pris  KL.  1601.  0  Bunnenklar  luceme  B.  1602.  Ö]  Du  ^  d]  du  B. 
krön  BL. 


278  MILCHSACK 

du  liehter  mäne  wünneclich, 
der  enget  vröude,  maget  guot, 

1605    der  sttnder  tröst,  dfl  gnaden  yluot, 
du  grüenez  rts,  du  vlolvar, 
dfl  bist  diu  gotes  kint  gebar! 
sapblre  unt  karfunkelstein, 
der  vor  des  vater  tröne  schein, 

1610    Smaragde  unde  gimme. 
Marta,  küniginne, 
gebenedletiu  schone, 
dfl  treist  der  vröuden  kröne; 
da  von  s!  lop  unt  Sre 

1615    nfl  unt  iemer  mere 
dir  muoter  unde  filiä, 
des  werden  gotes  Maria.  — 
ich  bite  dich,  6  reiniu  maget, 
wan  dfl  bist  gnaden  unverzaget: 

1620    ich  mane  dich,  Maria  guot, 
durch  daz  minnecliche  bluot, 
daz  dln  zartez  kint  vergöz, 
dö  er  des  herzen  minne  entslöz, 
gedenke  ouch  an  die  quäle  dtn 


der  engel  vröade  der  söle  Idn.  der  werlte  lieht,  der  wtinne  vlaot. 

des  Sünders  tröst  von  goäden  ö  werdiu  maget,  d  vfolvar. 

guot  1608—24  fehlen. 


1603.  mon  AC,  Vber  alle  menschen  wunnen  deich  F,  1605.  blttt 
Ä.  1606.  rts]  grasz  A.  1607.  kint]  sun  Z.  1608.  Dv  saphir  dv  kar- 
phvngelst  BC,  1609.  erschein  BC,  1610.  vfi  berille  BC.  1611.  Bist  M. 
A.  küng.  A,  maget  stille  BC.  1612.  Gebenedict  A^  Dv  liehte  (liecht 
C)  kristalle  BC.  1613.  trost  A.  1614.  si  dir  lop  A.  1616.  Dtt  A. 
1617.  Du  werde  A.  1618.  Absatz  BC.  ö]  vil  BC.  1620.  Doch  mane 
ich  dich  A.    dich  fehlt  C.    1622.  Ubes  BC.    1623.  er]  sich  A. 


1603.  fravd  GH.    selan  HK.    1604.  von]  der  L.    1605.  weit  Ion  H. 
wannen  KL.    1606.  d  fehlt  L.    van  fiolvat  K. 


UNSER  VROÜWEN  KL  AGE. 


279 


1625    unt  tuo  uds  dtner  gnaden  scbln: 
gedenke  an  unsers  herzen  pln, 
Maria,  himelsche  künegln. 
hilf  uns  üz  aller  not, 
vertrlp  von  uns  der  sSle  t6t. 

1630    unser  not  ist  dir  erkant: 

nü  hilf  uns  von  der  sttnden  baut, 
gedenke  an  dine  miltikeit, 
diu  aller  tugende  kröne  treit.  — 
bl  namen  bit  ich,  vrouwe,  dich 

1635    (du  solt  ez  tuen,  erhcBre  mich), 
du  solt  besunder  gnsedic  sin 
allen,  die  diz  büechelin 
lesent  oder  hoerent  lesen, 
daz  si  ssbUc  mttezen  wesen. 


1625—57  nü  tuo  mir  üf  der  gnaden 

schrln, 
(1625,l)dazmir  dtn  güete  werde  schin, 
der  du,  vronwe  min,  bist  vol. 
du  weist,  daz  ich  bedarf  vil  wol 
diner  helfe,  maget  gnot. 
(5)  vrouwe,  vröuwe  mir  den  mnot, 
(1627)  vröuwe  mir  die  sSle  min, 
( 1626)  vertrtp  vonmir  des  herzen  ptn. 
(1 627,  t)  behüete,  reiniu  muoter,  mich. 
(2)    tuo  üf  diu  ougen  unde  sich: 


(t628~31)  sich  an  mines  herzen  not, 

vertrip  von  mir  der  sSle  tot, 

bint  mir  diner  gnade  haut 

unt  brich  miner  sttnden  baut 

(1644. 5  a)  lip  unt  sSle  bevilbe  ich  dir. 

(b)  ach,  vrouwe,  kum  zehilfe  mir 

fc)  an  minem  ende  unt  alle  tage, 

(d)  daz  ich  iht  in  der.ndt  verzage. 

(e)  sd  min  sSle  von  mir  vam 

(f )  muoz,  so  solt  du  mich  bewam 


1 625.  die  gnade  Ä,  schrein  C.  Darauf  noch  ein  vers  für  den  feh- 
lenden vers  1627:  Dv  bist  der  himel  gnaden  schrin  B.  1627  fehlt  ßC. 
1629.  von  fehlt  Ä.  1631.  Du  ßC.  1632.  diu  BC,  die  Ä.  1633.  Vrtdanc 
1,  2.  tugende  Ä,  tugent  C.  1636—39  vgl  61—64.  1636.  gnaedic]  ge- 
denchen^.  1637.  den  ^eACF,  puch  dein  i^.  1638.  HOrent  oder  lesend  ^. 


1625.  \NÜ  fehlt  KL,  deiner  L.  1.  fehlt  K.  D.  m.  werde  diu  helfe 
Bchin  L,  2.  min]  nun  K,  Wan  du  bist  aller  gnaden  vol  L,  4.  Dinrer 
helpen  K.  5.  Gevrouwe  vrouwe  K,  örfrowe  H,  erfröw  /.  1627.  Er- 
wlSviViQ  HIK.  1626.  v^^  68.  herze  £^.  t.  vrouwe  reine  i^.  muot]  maget 
L  .  2.  diu]  diu  HI.  1628.  9  fehlen  G.  1629.  seien  E,  1630.  gnaden 
HJK,  1631.  Zebriche  E,  Brich  /.  an  (fehlt  H)  mir  der  IKH.  1644a. 
enpfilch  Hl,  Lip  sele  vli  sin  frawe  daz  bevilch  ich  dir  G,  b.  0  K, 
zehilf  Glj  ze  leste  K,  c.  minen  K,  d.  iht  fehU  GL  nit  verz.  GL  e. 
sei  H.  sal  varen  K.  var  /.  f.  Muoz  fehlt  K,  so]  da  G,  vrouwe  mich 
K,    So  bis  maget  mich  b.  /. 


280 


MILGHSACK 


1640    der  soltü  gotes  muoter  pflegen, 
sende  in  diner  gnäde  segen: 
du  solt  8!  machen  gnaden  vol: 
daz  stet  dlnen  6ren  wol. 
vrouwe,  mach  ir  ende  guot, 

1645    daz  ir  sele  si  behuot 
vor  der  helle  banden: 
du  hilf  in  von  den  schänden, 
brinc  sl  zuo  der  kröne, 
die  dln  kint  gar  schöne 

1650    sinen  vriunden  bereit  hat 


(1646. 7)   vor  des  tiefeis  banden 
ant  vor  den  grözen  schänden, 

(1647.  1)  die  alle  sünder  Itdent  da. 

(1656)  des  hilf  mir,  ö  Marta. 

(1632. 3)  gedenke  an  dtne  miltekeit, 
diu  alles  tröstes  kröne  treit, 

( 1 633. 1 ) nn t  hilf  mir  daz  ich  käme  dar 

(2)  mit  vrüaden  in  die  engelschar, 

(3)  da  ich  dtn  kint  sehe  nnt  dich. 
(1634  fehlt.) 

(1635)  erhoore,  werdiu  maget,  mich ! 
(1636—43  fehlen.) 


(1648— 55  a)  du  brinc  mich  ylir  den 

gotes  trön, 

(b)  da  der  kUnic  Salomön 

(c)  in  wünnecltcher  wünne  ist, 

(d)  bt  dem  du  mit  vröuden  bist. 

(e)  dar  hilf  mir,  maget  sUeze, 

(f)  daz  ich  dich  loben  mtteze 

(g)  un  t  ich  von  vrOnden  mtteze  toben : 
(h)  da  wil  ich  dich,  vronwe,  loben, 
(i)  du  bist  des  lobes  ein  kröne, 
(k)  gebenedtetin  schöne. 

(1)  hilf  mir  ze  gotes  tröne 


1640.  1  fehlen  C,  1641.  genaden  B.  1642.  genaden  machen  BC^ 
1643  fehlt  A.  1644.  Mach  (Mache  C)  ir  ende  vrowe  g.  BC,  1646.  Von 
BC.  1647.  denj  alle  A,  1649.  Bi  din  (deinem  C)  BC,  1650.  Mit  wnnnen 
wol  ber.  h.  BC, 


1646.  banden  K,  hande  G,  1647.  der  i7,  des  /.  1656.  Absatz  K. 
So  Hy  Da  K,  du  mir  U^  vnz  G,  ö]  werdiv  G.  1633.  kröne  trostes  H. 
Die  jhs  an  dich  hat  geleit  1,  1.  daz  mich  ihvs  bringt  dar  G,  2.  an  die 
Ky  in  (an  1)  der  Hl,  3.  ich  sihe  din  K.  dtn]  dich  /.  sehe  feMi  K. 
1635.  reine  ÜT.  frow^  BK.  1648.  vür]  uf  H.  den  werden  g.  t  G.  b.  der] 
din  sun  (edel  K)  UIK,  c.  ewiger  M,  wunn  H,  wunnen  KM.  d.  du  da 
(ietz  /)  HL  fravde  GL  Mit  dem  du  maget  vnd  frouwe  bist  M.  e. 
Da  K.  Dar]  Vnd  —  Jungfrö  M.  g.  h.  fehlen  M,  g.  Da  ich  HIK.  von] 
dich  in  /,  fehlt  K.  müz  G,  schowen  /.  h.  wil  fehlt  G.  frawe  G, 
Maria  HL  i.  Wann  du  M,  ein  fehlt  HIM.  k.  Gebenedictä  H,  Ch)bene- 
dictet  G,  Gebenedicieret  7,  Ob  allen  frouwen  gesegent  M^  1.  m.  fehlen 
L    1.  Hil£f  mir  usz  not  du  gottes  kröne  M. 


lAi 


UNSER  VROÜWEN  KLAGE. 


281 


1655 


in  der  wünnecllohen  stat, 
in  dem  himelrtche, 
da  st  ewicllche 
vröude  über  vröude  hänt, 
da  8oI  in  sin  got  erkant. 
dar  hilf  in,  ö  Martä, 
tu  plena  omni  graciä. 


(m)  unt  gip  dich  mir  ze  Idne, 

(n)  ö  maoter  unt  d  filia 

(o)  des  werden  gotes  Martä! 

(p)  dir  st  lop  ant  8re 

(q)  nü  unt  immer  mdre 

(r)  von  allen  edlen  guot  gesagt, 

(s)  vil  reinin  mnoter  unde  magt 

(t)  virtns,  laus  et  glöriä 

(u)  st  dir  gesagt  Martä. 


(1655,  t)    Nü  bite  ich  lach,  kint  von 

S^Ön, 
durch  got  den  wären  Salomdn 
unt  durch  die  werden  mnoter  stn, 
daz  ir  ze  got  gedenkent  mtn. 

(5)  ich  mane  iuch  bt  Märten  klage, 
daz  ir  st  grüezent  alle  tage, 
sprechent  vür  mich  ave  Martä, 

(1657)  wan  st  ist  pldna  grätiä. 


1655.  got  sin  BC.  1656.  Das  A,  Da  C.  dti  in  AF.  6]  daz  F. 
1657.  Tu]  Vol  A,  Gotes  ravter  pia  Dv  dv  vns  deiner  hele  schein  Daz 
wir  dich  immer  lobent  sein  Vnd  hilf  vns  fraw  lobleich  In  daz  fron 
hymelreich  F.  A  schliesst  mit  folgenden  versen:  Amen  das  büchlin  ist 
Yolbraht  Als  vns  saget  vnd  gedaht  Der  gut  sant  lucas  Der  ein  be- 
Sünder  capplon  was  Der  süssen  vnd  der  fryen  Gottes  mutter  sant 
marien    Amen:  1472. 


m.  Unt  fehlt  G.  dich  selber  mir  M.  n.  mater  M.  unt  fehlt  HM. 
o.  Des  waren  gottcs  muotcr  maria  M.  q.  Gegeben  h&t  vnd  M,  r.  mit 
sele  bl.26b  schliesst  G.  s.  0  liebez  liep  o  raine  magt  B.  t.  laus  fehlt 
B.  u.  werde  maria  1.  1655,  1.  Kein  ahsatz  H.  2.  werden  B.  3. 
werde  i,  reinen  B.    4.  ze]  gen  B,    5.  manen  L 


282  MILCHSACK 

n.    DIE  UEBERLIEFERUNG. 

Eine  kritische  ausgäbe  Yon  unser  vrouwen  klage,  des 
spiegeis,  wie  Mone  (Schausp.  d.  mittelalt  1,  210),  dem  y.  123. 
der  Konstanzer  hs.  folgend  das  gedieht  genannt  hat,  wurde 
schon  vor  drei  jähren  von  Ant.  Sohönbach  in  der  abhandlang 
Ueb.  d.  Marienklagcn ,  Graz  1874,  8.46  angekündigt  und  die 
bemerkung  in  der  wenig  späteren  recension  von  Jos.  Haupts 
Schrift  Ueber  d.  mhd.  buch  der  märterer  (Zs.  f.  d.  phiL  6,  250), 
dass  er  mit  der  herausgäbe  des  gedichtes  beschäftigt  sei,  liess 
die  Veröffentlichung  derselben  als  nahe  bevorstehend  erscheinen. 
Bisher  hat  er  jedoch  sein  vorhaben  noch  nicht  zur  ausftthrung 
gebracht  Wol  aber  ist  seitdem  eine  ganze  reihe  grösserer 
und  kleinerer  arbeiten  von  ihm  erschienen  und  erst  jüngst 
noch  eine  ftlr  die  QF  von  ihm  zu  besorgende  ausgäbe  der 
St  Pauler  predigten  *)  angezeigt  worden  (Anz.  f.  d.  a.  2,  227), 
so  dass  die  Vollendung  der  minder  wichtigen  ausgäbe  von 
unser  vrouwen  klage,  jenen  bedeutsameren  forschungen  räum 
gebend,  auf  eine  gelegenere  zeit  verschoben  und  so  bald  noch 
nicht  zu  erwarten  sein  dürfte.  Meine  eingehenden  Unter- 
suchungen über  die  entstehung  und  ausbildung  der  oster-  und 
passionsspiele  des  deutschen  mittelalters ,  in  welchen  das  ge- 
dieht vielfach  benutzt  worden  ist,  machten  indessen  einen  ge- 
sicherteren text,  als  ihn  die  von  Mone  zum  abdruck  gebrachte 
Konstanzer  hs.  darbietet,  in  hohem  grade  wünschenswert  Ist 
es  docli,  von  den  lücken  und  mangeln  dieser  hs.  im  einzelnen 
abgesehen  (vgl.  Schönbach,  Ueber  d.  Marienkl.,  s.  46),  noch  un- 
gewis,  welche  von  den  beiden  handschriftenklassen,  deren  er- 
hebliche ab  weichungen  unter  einander  die  notwendigkeit,  eine 
überarl)eitung  des  Originals,  sei  es  in  der  einen  oder  in  der 
anderen  anzunehmen,  ergeben^),  das  werk  des  dichters  am 
treuesten  bewahre:  eine  frage,  die  sich  mit  mehr  Sicherheit 
wird  entscheiden  lassen,  seitdem  die  lateinische  quelle  des  ge- 
dichtes in  der  von  Schade  herausgegebenen  Interrogatio  Sancti 
Anshelmi   de  passione  domini  erkannt  worden  ist   (vgl  diese 

*)  Dieselben  sind  inzwischen  von  Jeitteles  Altdeatsche  predigten 
aus  dem  Benedictincrstifte  St.  Panl  in  Kärnten,  Innsbrnck  1878,  heraus- 
gegeben worden. 

>)  Vgl.  Mone,  Schausp.  d.  mittelalters  2,  426. 


UNSER  VROÜWEN  KLAGE.  283 

beitrage  III,  366.  anm.).  Ich  darf  daher  daher  wol  hoffen, 
dass  Schönbach  die  gegenwärtige  ausgäbe  nicht  als  einen  ein- 
brach in  seine  rechte  betrachten  werde. 


1.  Die  handsohriften. 

Die  zahl  der  erhaltenen  handschriften  muss  für  ein  gedieht 
Yon  so  massigem  poetischen  werte,  wie  das  von  unser  vroumen 
klage  ist,  ziemlich  gross  genannt  worden,  und  es  würde  mir 
ohne  die  freundliche  Unterstützung  des  herm  prof.  Zarncke, 
der  herren  oberbibliothekare  prof.  Krehl  und  prof.  Zange- 
meister und  besonders  auch  des  herm  stud.  phil.  A.  Schröer 
in  Wien  kaum  möglich  gewesen  sein,  eine  ausgiebige  benutzung 
derselben  für  diese  ausgäbe  zu  erreichen.  Ich  bin  ihnen  allen 
dafür  zu  grossem  danke  verpflichtet.  Femer  will  ich  diese 
gelegenheit  nicht  vorttbergehen  lassen,  ohne  auch  herm  prof. 
Paul  meinen  dank  für  freundliche  ratschlage  öffentlich  ausge- 
sprochen zu  haben. 

Schönbach  kennt  ausser  der  Konstanzer  hs.  noch  neun 
teils  vollständige  handschriften,  teils  bruchstttcke  (vgl.  a.  a.  o. 
s.  46);  mir  sind  deren  im  ganzen  fünfzehn  bekannt  geworden. 
Zwölf  davon  habe  ich  benutzt;  diese  scheiden  sich  zunächst 
in  zwei  hauptgruppen : 

L 

A,  eine  papierhs.  vom  jähre  1472,  12  0,  bestehend  aus 
einem  vorblatt  und  vier  lagen  zu  je  sechs  doppelblättera,  von 
deren  letzter  jedoch  nur  die  ersten  neun  blätter  erhalten  sind. 
Die  einbanddecken  fehlen  und  es  ist  möglich,  dass  das  ge- 
dieht aus  einem  grösseren  codex  ausgeschnitten  worden.  Das 
letzte  blatt  ist  unbeschrieben;  auf  der  rückseite  des  vorblattes 
befindet  sich  nur  die  Inhaltsangabe  ffie  vahet  an  vnser  lieben  \ 
frawen  klage  die  da  hat  \  geschriben  sant  lucas  ein  \  besunder 
Capplon  vnser  \  lieben  fraurven  mit  roter  dinte  von  derselben 
band.  Jede  seite  der  hs.  enthält  12 — 14  abgesetzte  reimzeilen, 
deren  anfangsbuchstaben  rot  durchstrichen  sind;  die  grösseren 
abschnitte  sind  durch  rote  initialen  herausgehoben.  —  Diese 
hs.  ist  ohne  zweifei  dieselbe,  welche  Docen  besass  (vgl.  Miscell. 
1,  94.  2,  147;  v.  d.  Hagen,  Grundriss  s.  456;  Uoffmann, 
Fundgr.  1,  307*  und  Altd.  bl.  1,  389);  denn  die  eingangs- 
verse  stimmen  zu  den  von  Docen  -  a.  a.  0.   nifitgeteilten   (vgl. 


284  MILCHSACK 

V.  85  clage  A,  quäle  BCD  und  v.  87  Die  sant  Marien  A,  Me 
marien  BCD),  das  jähr  der  niedersehrift  ist  in  beiden  dasselbe 
und  die  angäbe,  dass  ein  kaplan  der  Maria,  mit  namen  Lucas, 
die  lateinische  vorläge  verfasst  habe  (ygl.  auch  die  schluss- 
verse  von  A  in  den  lesarten  zu  y.l657),  findet  sich  von  allen 
erhaltenen  hss.  nur  in  A  0*  Die  l^s*  ist  aus  der  im  jähre  1876 
bei  T.  0.  W ei  gel  in  Leipzig  stattgehabten  Versteigerung  der 
bibliothek  des  privatgelehrten  dr.  Herrn.  Lotze  in  meinen 
besitz  übergegangen. 

B,  die  Heidelberger  pergamenths.  cod.  Vat  CCCXLI 
no.  4,  bl.  22a_29a,  aus  dem  14.  jh.  Vgl  Wilken,  Gesch. 
d.  Heidelberger  bttehersamml.  s.  418;  Adelung,  Fortgesetzte 
nachriehten  s.  269;  Docen,  Miscell.  1,  94.  2,  147;  v.  d.  Hagen, 
Grundriss  8.  456;  HoflFmann,  Fundgrub.  1,  307*  und  Altd.  bl. 
1,  389;  Mone,  Schausp.  d.  mittelalt  2,  425. 

C,  die  Wiener  pergamenths.  (no.  2677)  aus  dem  14.  jh. 
Vgl.  Hofimann  v.  F.,  Verz.  der  altd.  hss.  der  k.  k.  hofbibL  zu 
Wien  s.  85.  Eine  abschrift  derselben  danke  ich  herm  stud. 
phil.  A.  Schröer. 

D,  die  Wiener  papierhs.  (no.  3006)  vom  jähre  1474. 
Vgl.  Hoffmanns  Verzeichnis  s.  348.  Die  hs.  ist  im  ganzen  ge- 
nommen die  schlechteste  dieser  gruppe.  Nach  v.  515  werden 
V.  472—515,  von  denen  v.  474—77,  480—97,  510.  11  vorher 
ganz  ausgelassen  waren,  zum  teil  in  besserer  lesung,  zum  teil 
überarbeitet  widcrholt.  Es  fehlen  v.  414.  15,  432.  3,  441—45 
(wofür  die  hs.  neun  eigene  verse  hat) ,  522.  3,  564.  5,  596.  7, 
658.  9,  680.  1,  5Sa  9,  860.  1,  876—91,  895—937,  944—53, 
950—61,  970—84,  988—1008,  1010—15,  1017—19,  1029—39, 
1147—51,  1058.  9,  1070.  1,  1074.  5,  1078—81,  1094—97, 
1004—15,  1118—21,  1124—27,  1129.  30,  1138—49,  1151—57, 
1160—77,  1212.  13,  1224.  5,  1238.  9,  1244.  5,  1252—57, 
1260—65,  1268—99,  1302.  3,  1308.  9,  1312.  13,  1316—29, 
1334—41,  1346—49,  1370.  1,  1388—1405,  1410.  11,  1414.  15, 
1420—43,  1448—53,  1458.  9,  1466.  7,  1472—1587,  1598—1657. 


0  SchOnbach  würde  (Ueb.  d.  Marienkl.  s.  46,  anm.  2)  über  die  her- 
kunft  der  kenntnis  Hoffmanns  von  dem  lateinischen  werke  des  Lucas 
die  gewünschte  anfklärnng  gefunden  haben,  wenn  er  das  von  jenem  an- 
gezogene citat  nachgeschlagen  hätte. 


UNSER  VROÜWEN  KLAGE.  285 

AuBserdem  ist  die  hs.  fast  durchweg  überarbeitet;  doch  hat 
sie  öfter  gegen  ABC  die  ursprüngliche  lesart  bewahrt  und  ist 
darum  ftlr  die  textkritik  nicht  ohne  wert.  Der  Schreiber  der 
hs.  war  ein  Niederdeutscher.  Eine  coUation  derselben  erhielt 
ich  ebenfalls  von  herm  Schröer. 

£,  zwei  pergamentblätter  in  8<^  aus  dem  14.  jh.,  früher  in 
Uoffmanns  besitz,  der  schon  in  denselben  bruchstücke  von  Uvkl. 
vermutete*)  und  sie  in  den  Altd.  bl.  1,384 — 1189  abdrucken 
liess;  sie  umfassen  v.  522—619  und  v.  1236—1335.  Die  hs. 
hat  die  eigentümlichkeit,  die  einzelnen  abschnitte  mit  drei- 
fachem reim  zu  schliesseu;  vgl.  v.  531  f.,  547  f.,  581  f.,  1273  f., 
1297  f.,  1307  f.,  1325  f. 

F,  die  Gothaer  pergamenths.  (Membr.  II,  no.  37),  kl.  A% 
15.  Jh.,  hinter  bruder  Philipps  Marienleben,  im  ganzen  90  Zeilen. 
Vgl.  H.  Rückert,  ßr.  Philipps  des  cai-thäusers  Marienleben, 
s.  280.  1,  wo  anfang  und  ende  angegeben  sind.  V.  1598 — 1603, 
1636 — 39  und  1656  —  schluss  haben  Jacobs  und  Uckert  in 
den  Beiträgen  II,  s.  260  mitgeteilt,  und  sind  widerum  von 
Jos.  Haupt  mit  den  entsprechenden  stellen  aus  G  verglichen 
worden  in  seiner  abhandlung  Über  das  mittelhochd.  buch  der 
märterer  im  märzfaefte  der  Sitzungsberichte  der  phil.-hist.  classe 
der  kaiserl.  akad.  d.  wiss.  zu  Wien  1872  (bd.  LXX,  s.  186), 
und  daraus  besonders  abgedruckt  Wien  1872.  Dieses  bruch- 
stück  umfasst  nur  den  schluss  von  Uriser  vrouwen  klage  von 
V.1588  ab.  Die  20  verse,  welche  es  mehr  hat  als  die  übrigen 
hss.,  sind  gewis  nur  das  product  seines  Schreibers.  Seine  les- 
arten  bieten,  so  weit  dies  die  abgedruckten  stücke  erkennen 
lassen,  nichts  erspriessliches,  nur  Verderbnisse;  ich  habe  darum 
auf  eine  vergleichung  der  ganzen  handschrift  verzichtet 

IL 

G,  die  Regensburger,  jetzt  Münchener  pergamenths. 
(cod.  germ.  no.l07)  in  12  ^  aus  der  zweiten  hälfte 2)  des  14.jh8. 

*)  Die  aus  den  Schaasp.  d.  mittelalt.  2,  425.  6  entnommeDe  angäbe 
Schönbachs  (Ueb.  d.  Marienkl.  s.  46  anm.  1),  dass  erst  Pfeiffer  E  als 
teile  von  Uvkl.  erkannt  habe,  ist  also  unrichtig. 

')  Hofifmann  setzt  diese  hs.  in  den  aufang  des  14.  jahrhs.  Die  alter- 
tümlichkeit der  sprachfornien  unterstützt  allerdiugä  dioso  datierung. 
Der  Schriftcharakter  der  hs.  weist  aber  auf  eine  beträchtlich  spätere  zeit 


286  HILCHSACK 

Vgl.  Aretin,  Beitr.  9,  1207.  8;  Hofimann,  Fundgr.  1,  307*; 
Mone^  Schausp.  d.  mittelalt.  2,  426.  Die  hg.  enthält  zwei  lagen, 
die  erste  zu  14,  die  zweite  zu  12  blättern,  die  seite  zu  20  zeUen; 
die  reimzeilen  sind  nicht  abgesetzt,  die  grösseren  absätze  aber 
beginnen  mit  schwarzen  initialen,  deren  unsaubere  ausftihning 
mit  der  überall  hervortretenden  nachlässigkeit  des  Schreibers 
ganz  in  einklang  steht.  Seine  mechanische  tätigkeit  gibt  sich, 
auch  in  den  zahlreich  vorkommenden  fehlem  zu  erkennen,  die 
offenbar  weit  mehr  durch  fluch tigkeit,  als  aus  der  absieht  zu 
ändern  und  zu  verbessern  entstanden  sind.  V.  326 — 375  + 
446—465  (=  bL  5  b  und  6a)  stehen  vor  v.  294—3251).  Der 
schluss  der  hs.  von  v.  1648,  r  sele  (=  ende  bL  26  b)  an  fehlt 


und  die  erhaltnng  des  altertümlichen  erklärt  sich  aus  der  mechaniach^. 
arbeit  des  Schreibers;  denn  dass  ihm  diese  formen  nicht  mehr  ganz  ge- 
läufig waren,  beweist  die  inconsequenz  und  fehlerhaftigkeit  ihrer  an- 
wendnng. 

^)  Eine  völlig  befriedigende  erklärung  dieses  fehlers  wird  sich 
schwerlich  aus  G  allein  finden  lassen.  Es  Hesse  sich  aber  wol  denken, 
dass  derselbe  auf  folgende  weise  entstanden  wäre.  BL  5«  schliesst  mit 
der  ersten  hälfte  von  v.  294  fravd  vn  ere\  bL  5^  beginnt  mit  v.  326  als 
die  iochter  taten \  bl.  6<^  schliesst  mit  v.  459  Si  möchte  herze  wem€n\ 
bl.  6^  beginnt  mit  v.  294  zweite  hälfte  Si  möchtd  zelone  und  schlieBSt 
mit  V.  325.  0  Ane  trost  vn  ane  rat  tvont'^  bL  7  a  beginnt  mit  v.  460  zweite 
hälfte  wol  zerbrechen.  Die  richtige  folge  ist  also  bL  5«  6^  5^  6*  7* 
und  man  könnte  vermuten,  dass  der  Schreiber,  als  er  auf  bL  5*  unten 
angekommen,  zwei  blätter  statt  eines  umgewendet  und  anstatt  auf  bL 
5^  seine  arbeit  auf  bL  6^  fortgesetzt  habe;  dass  er  aber,  nachdem  er 
diese  seite  beendigt,  seine  Unachtsamkeit  bemerkt  und  nun  die  vorher 
überschlagenen  bll.  5  ^  und  6  &  ausgefüllt  habe  und  erst  auf  bl.  7  «  wider 
ins  richtige  geleise  gekommen  wäre.  Dieser  annähme  widerstreitet  Je- 
doch das  Si  möchtd  der  hs.,  welches  mit  der  zweiten  hälfte  von  v.  294 
ze  lone  den  anfang  von  bl.  6^  bildet.  Dieser  vers,  dessen  erste  hälfte, 
wie  wir  oben  gesehen  haben,  auf  bL  5&  zu  ende  steht,  lautet  in  G 
fravde  vn  ere  Si  möchtd  zelone  {ze  vröuden  unt  ze  löne :  kröne  Hl); 
das  ^t  möchte  ist  also  hier  sinnstörend  und  überflüssig.  Diese  beiden 
wörtchen  fehlen  nun  aber  in  v.  460,  mit  dessen  zweiter  hälfte  wol  zer- 
brechen bl.  7  a  beginnt.  Wollte  man  hier  ein  abermaliges  versehen  des 
Schreibers  annehmen,  so  bliebe  einmal  unerklärt,  weshalb  der  fehler,  da 
er  sogleich  bemerkt  worden  wäre,  unverbessert  blieb  (correcturen  sind 
anderwärts  in  dieser  hs.  nicht  selten);  zum  andern,  warum  die  beiden 
Worte  später  an  der  zugehörigen  stelle  ausfielen.  Um  dieses  hindemis 
zu  beseitigen  ist  es  notwendig,  die  Überlegung  noch  einen  schritt  weiter 
zu  führen.    Man  muas  annehmen  nicht  dem  Schreiber  von  G,.  sondern 


.^u» 


UNSER  VROÜWEN  KLAGE.  287 

Hy  die  papierhs.  des  Eonstanzer  Stadtarchivs  in  folio 
aus  dem  14.  jh.,  in  fortlaufenden  zeilen  geschrieben;  abge- 
druckt von  Mone  in  den  Schausp.  d.  mittelalt.  1,  210 — 50. 
Die  beobachtung  Mones  (Schausp.  d.  mittelalt.  1,  204.  5),  dass 
bei  der  einteilung  dieser  hs.  in  grössere  abschnitte  auf  die 
rahepunkte  in  der  erzählung  häufig  keine  rttcksicht  genommen 
worden  ist  und  sogar  teile  eines  satzes  verschiedenen  kapiteln 
zugewiesen  werden ,  woraus  er  den  tschluss  zog,  dass  der 
dichter  selbst,  Wolfram  von  Eschenbach  nachahmend,  absätze 
von  bestimmter  verszahl  beabsichtigt  habe,  wird  von  den  üb- 
rigen hss.  dieser  gmppe  nicht  bestätigt.  6  und  I  stimmen  in 
dem  auftreten  stärkerer  einschnitte  meistens  ttberein  und  haben 
dieselben  stets  an  stellen,  wo  solche  von  der  erzählung  und 
dem  gedanken  gefordert  werden  oder  diesen  wenigstens  nicht 
unangemessen  sind.  Dasselbe  ist  bei  den  hss.  der  ersten 
gruppe  der  fall  ^).  Ueberdies  ist  in  denjenigen  absätzen,  welche 
I  und  II  gemeinsam  haben,  die  zahl  der  verse  sehr  verschie- 


demjenigen  seiner  vorläge,  die  wir  x  nennen  wollen,  sei  jenes  miBgeschick 
begegnet,  statt  eines  zwei  blätter  an  jener  stelle  von  G  bl.  5&  umzu- 
wenden, und  dieser  habe  den  entstandenen  pergamentverlust  auf  die 
oben  beschriebene  weise  nachher  wider  eingeholt.  Es  muss  ferner  vor- 
ausgesetzt werden,  dass  x  ebenso  wie  G  ohne  absetzung  der  reimzeilen 
geschrieben  gewesen  sei  und  dass  es  auf  den  G  bl.  5^  unten  bis  bl.  7^ 
oben  entsprechenden  blattseiten  einzeln  genau  dieselben  wortmassen  ent- 
halten habe,  ausgenommen  auf  denjenigen,  welche  G  bll.  6  ^  und  6  ^  cor- 
respondieren;  es  müsten  eben  die  G  bl.  6^  beginnenden  worte  Simöchtd 
in  X  noch  auf  der  voraufgohenden  G  bl.  6^  entsprechenden  seito  am 
Schlüsse  gestanden  haben.  Alsdann  wäre  der  text  in  x  vollkommen 
richtig  gestellt,  wenn  man  die  anfänglich  überschlagenen  (G  bll.  5  b  und 
6  «  entsprechenden)  selten  der  vorweg  genommenen  (G  bl.  6  ^  entsprechen- 
den) nachstellte,  und  die  entstehung  des  durch  das  Si  möchtd  in  G  her- 
vorgerufenen fehlers  wäre  leicht  zu  begreifen.  Der  Schreiber  von  G 
schrieb  seine  vorläge  x  gedankenlos  ab.  Absichtlich  oder  zufallig  ge- 
schah es,  dass  die  wortmasse  einer  seite  in  x  genau  eine  derselben  ent- 
sprechende Seite  in  G  füllte,  nur  bei  bl.  6<^  reichte  der  gegebene  räum 
in  G  nicht  aus  und  so  gelangten  die  beiden  wortc  Si  möchte  in  den  an- 
fang  von  bl.  6i>  und  damit  aus  dem  ihnen  zugehörigen  v.  460  mitten  in 
V.  294. 

0  Nur  in  BC  findet  sich  einmal  ein  den  sinn  unterbrechender  ge- 
malter anfangsbuchstabe  in  v.  636.  Da  er  aber  in  U  an  dieser  stelle 
kein  gegensttick  hat,  so  wird  man  ihn  der  Unvorsichtigkeit  eines  ab- 
Schreiber»  za  gute  halten  müssen. 


288  MILCHSACK 

den.  Es  ist  daher  nicht  wahrscheinlich,  dass  der  dichter  selbst 
sein  werkchen  mit  systematischer  einteilung  herausgegeben 
habe  und  eine  nachahmung  Wolframs  liegt  also  in  diesem 
punkte  nicht  vor.  Immerhin  wird  man  nicht  annehmen  dürfen, 
dass  die  auffallende  Verteilung  der  initialen  in  H  zufällig  oder 
in  der  weise,  wie  sie  in  dieser  hs.  vorliegt,  gewollt  sei  Sie 
erklärt  sich  vielleicht  am  einfachsten,  wenn  man  annimmt,  dass 
in  der  vorläge  von  H  die  abteilung  der  verse  wirklich  durch 
zählen  bewirkt  war  und  etwa  vierzig  reimzeilen,  wie  Mone 
angibt,  je  einen  absatz  ausmachten.  Den  Schreiber  von  U 
musten  diese,  dem  sinne  gänzlich  widersprechenden  einschnitte 
befremden,  und  da  ihm  jener  kuustgrüBT  Wolframs  und  seines 
nachahmers  unbekannt  war,  so  verbesserte  er  die  vermeint- 
lichen versehen  zum  teil,  teils  liess  er  sie,  wie  er  sie  vorfand, 
bestehen.  H  hat  mehrere  beträchtliche  Itlcken;  es  fehlen  y. 
290.  1,  332—499,  701,  1.  2,  79ü.  7,  993—97,  1018,  1048—59, 
1161,  11.  12,    1284—1494. 

I,  eine  papierhs.,  angezeigt  in  Lempertz'  125.  catalog 
des  antiquarischen  bücherlagers,  Bonn  1877,  s.  12  als  Planctus 
sanctae  Virginis.  Herr  Lempertz  hatte  die  freundlichkeit,  mir 
dieselbe  auf  einen  tag  zur  ansieht  zu  übersenden  und  ich 
habe  diese  gelegenheit  benutzt,  sie  mit  den  texten  der  übrigen 
handschritten  zu  vergleichen.  Ihr  format  ist  12^,  der  letzte 
einband,  wie  der  erhaltene  hintere  deckel  zeigt,  neueren  da- 
tums.  Sie  besteht  aus  drei  blattlagen,  jede  zu  zwölf  doppel- 
blättern, die  Seite  zu  23  abgesetzten  reimzeilen.  Das  gedieht 
beginnt  auf  bl.  4  b ;  die  zwei  letzten  blätter  sind  leer.  Der 
Schrift  nach  könnte  die  hs.  noch  ziemlich  früh  im  15.  jh.  an- 
gefertigt sein.  Da  ihr  Schreiber  aber  manche  mittelhochdeutsche 
werte  und  besonders  das  wort  minne  mit  peinlicher  Sorgfalt 
vermieden  hat  ^),  ohne  zweifei  weil  sie  der  spräche  seiner  zeit 


0  Z.  b.  ge  liehet :  yehet  statt  geminnet :  versinnet  131.  32;  lieh  ge 
winnen  st.  minnen  134;  lieht  st  minne  135;  ge  vrtailet  st  verteilet  306, 
552;  zwingt  st  gemint  739;  gmiet  st  diet  754;  tun  st  geruoche  778; 
lieh  gehöht  st  geminnet  901-^  gründe :  frainde  st  minn^  ;  minn^  9u8.  9 ; 
frorv  st  wip  1033;  vnl  der  wegen  st  durch  1147,  7;  truret  st  trüte 
1244,  1255,  1370;  er  schrack  st  erstahet  1248;  zu  der  selben  stunt  st 
mi  dan  täsent  stunt  1259;  künde  st  künne  13u5,  1353;  kumer  gewan 
st  er  kam  1331;  he  langen  st.  gemeten  1368;  geschwint  st  gemint  1405} 


UNSEE  VBOÜWEN  KLAGE.  289 

nicht  mehr  geläufig  oder  gar  anstössig  waren  (vgl  Haupt  zu 
Engelhard  977  f.),  so  wird  man  sie  beträchtlich  später,  jeden- 
falls auf  die  scheide  des  15./16.  Jahrhunderts  setzen  müssen. 
V.  1 — 56  fehlen.  Den  beiden  schlussversen  in  II,  in  welchen 
der  Verfasser  die  töchter  Sion  um  fUrbitte  bei  Maria  angeht, 
sind  noch  24  weitere  hinzugefügt: 

sprechent  ain  ave  Maria 

für  mich,  wen  si  ist  vol  gratia, 

wan  si  ist  aller  gnaden  vol:  (1625,  2.  3) 

Das  körnet  üwem  seien  wol. 

Ich  haon  üch,  kint,  daz  buch  gesant:   (127) 

Ir  sond  es  dick  nemen  zehant  (128) 

vnd  sond  üch  sechen  dar  inne  (129) 

vnd  erkennen t  gottes  liebine,  (130) 

so  mügent  ir  wol  genesen.  (235) 

Got  geb  üch  sin  siessen  segen:  (70) 

Grot  mies  üwer  pflegen,  (69) 

Der  da  ist  das  oewig  leben, 

An  lyb  vnd  an  sei. 

Mit  sant  Michel 

Miessint  ir  ze  himel  fam,  (1644,  e.  f.) 

Maria  mies  üch  be  waren 

Alle  zyt  alle  tag  bis  an  den  tod.  (1535) 

Die  helf  yns  vss  aller  not  (1534) 

hie  vnd  in  oewigkeit: 

sye  si  ynser  Seligkeit, 

Die  sy  vns  vs  erkom. 

wan  kain  sinder  wirt  verlorn. 

Der  ir  dienet  hie  im  zyt. 

Got  im  nach  disem  leben  frOde  gyt:   (81.  82) 

Marien  vnd  ir  kind  ze  schowen.  (1633,  3) 

Amen  sprechent  bald  man  yH  frowen. 

Die  rechts  beigefügten  zahlen  beweisen,  dass  dieses  machwerk 
hauptsächlich  aus  versen  des  gedichtes  selbst  zusammen- 
gestoppelt ist. 

E,  die  handschrift  der  Rehdigerschen  bibliothek  zu 
Breslau,  welche  zwischen  dem  Somnium  Scipionis  und  dem 
Gommentar  des  Macrobius  auf  zwei  zur  hälfte  leer  gelassenen 
Seiten  v.  1484—1648,  6  (y.  1566—68  und  1625,  1  fehlen)  von 
Uns.  vrouw.  klage  enthält,  die  Th.  Jacobi  in  der  zschr.  f.  d.  a. 


schwach  st.  kranc  1416;  bitter keit  st  krankheit  1444  f.;  gemeint  st  ge- 
mint  1475,  2. 

BoltrSye  loi  gesohiohte  dar  deutschen  epraobe.    V.  19 


290  MILCHSACK 

3,  130 — 134  als  ^bruchstück  eines  Marieuliedes'  abdrucken 
liess  9. 

L,  die  pergamenthandschrift  des  germanischen  mu- 
seums  zu  Nürnberg  (no.  3908  in  8^)2)  aus  dem  14.  Jahrhun- 
dert, bl.  54  mit  der  Überschrift  Wer  das  Nachgeschrihen  gepett 
vnser  frawen  zu  lob  spricht,  der  hat  XX  Tawsetit  tag  ablas, 
die  gnad  vnd  den  aplas  hat  bestetigt  Babst  Clemens  der  dritt. 
Die  allein  von  mir  benutzten  ersten  23  versc  dieses  bruch- 
stücks  (y.  1588—1625,  2)  hat  Bartsch  mitgeteilt  zur  Erlösung 
zu  V.  2520. 

M,  die  Wiener  handschrift  (no.  3009);  ^in  derselben  stehen 
auf  foL  238»— 239  a  die  verse  84  flF.  der  Breslauer  hs.  (K,  also 
y.  1588  —  schluss)  als  selbständiges  gedieht  oder  reimgebet  ins 
Alemannische  umgeschrieben  mit  wenig  bedeutenden  lesarten.' 
Vgl.  Jos.  Haupt,  Ueb.  d.  mhd.  buch  der  märterer  s.  88.  Auch 
yon  dieser  hs.  habe  ich  ausser  den  yon  Haupt  abgedruckten 
zwölf  Schlussversen  keinen  gebrauch  gemacht. 

Auch  der  Koloczaer  codex  enthält  Unser  frouwen  klage, 
vgl.  Mailäth  u.  Köffinger  s.  XI,  no.  lU.  Schwerlich  würde 
aber  eine  coUation  dieser  hs.  neben  BC  (C  ist  vielleicht  nur 
abschrift  der  Koloczaer,  vgl.  Massmann  in  Haupts  zs.  II,  137 
anm.)  viel  wichtiges  ergeben.  Ebenso  wird  von  den  drei 
anderen  hss.  des  germanischen  museums  cent.  VII.  24  in  %\ 
Cent.  VI.  43.  p.,  pap.  15.  jh.  in  4®  mit  dem  anfang  0  frarv  vnd 
magt  mynnickleichj  und  cent.  VII,  62.,  pap.  15.  jh.  in  16<^  (vgl 
Bartsch,  Erlösung,  einl.  s.  LIX),  welche  sämmtlich  nur  das 
bruchstück  M  darbieten,  kaum  etwas  anderes  als  eine  Ver- 
mehrung des  variautenverzeichnisses  zu  erwarten  sein.  —  End- 
lich ist  noch  zu  berichtigen,  dass  das  im  Münchener  hand- 
schriftenkatalog  Cod.  germ.  no.  353  vom  jähre  1439  bl.  141  ff. 
als  eine  'Marienklage*  verzeichnete  gedieht  vielmehr  'Von  vnszr 
hrn  I  leyden  ain  spruch'  ist,  und  zwar  derselbe,  welchen  A.Lübben 
in  den  Mittelniederdeutscheu  gedichten  s.  55 — 59  (no.  XVII) 
aus  einem   Oldenburger  gebetbuche  herausgegeben   hat     Die 

^)  Schünbach  (Ueber  d.  Marienkl.  s.  46,  anm.  1)  hat  übersehen,  dass 
dieses  bruchstück  Mona  schon  bekannt  war,  vgl.  dessen  Schaosp.  des 
mittelalt  1,  250. 

*)  In  der  einleitung  zur  ErlOs.  s.  LIX  wird  das  forroat  dieser  hs. 
als  12  0  bezeichnet. 


UNSER  VEOÜWEN  KLAGE.  291 

Mttnchener  hs.  ist  nicht  besser  als  die  Oldenburger  und  es  ist 
nicht  der  mühe  wert  ihre  lesarten  anzugeben,  die  zum  teil  sehr 
stark  abweichen.  Als  eine  probe  derselben  mag  der  eingang 
dienen : 

Herczen  lieben  chinder  alle  gemaine, 

sechent  mich  an,  ir  grosse  ynd  ir  claine, 

sechent  mich  an,  ir  armen  vnd  ir  reichen, 

ob  meiner  bein  kain  bein  muge  geleichen. 

sich,  lieber  mensch,  was  han  ich  gellten  vmb  dich  a.  s.  w. 

Der  refrain  der  einzelnen  abschnitte,  von  denen  der  dritte  hier 
dem  zweiten  vorangestellt  ist,  lautet: 

vnd  als  nil  es  ist  an  dir 

so  craczigestu  zu  dem  andermal  (er.  ander  waid)  mich. 

pater  nost*.    aue  m'. 

2.  Die  Uteinisehe  quelle. 

Die  widerholte  bezugnahme  auf  eine  lateinische  quelle, 
welche  in  dem  gedieh te  von  Uvkl.  (=  Unser  vrouwen  klage) 
selbst  stattfindet,  macht  es  unzweifelhaft,  dass  irgend  ein  latei- 
nisches buch  oder  biichlein  sowol  die  anregung  zu  seiner  ab- 
fassung  gegeben,  wie  überhaupt  auch  seinem  Inhalte  nach  als 
unterläge  desselben  gedient  haben  müsse.  Schon  der  eingang 
weist  mit  bestimmtheit  darauf  hin,  in  dem  der  dichter  erzählt, 
dass  der  frommen  betrachtung  über  das  bittere  leiden  der 
Maria  bei  der  passion  Jesu,  in  welches  er  sich  eines  tages 
versenkt  habe,  ein  lateinisches  büchlein  zu  hülfe  gekommen 
sei.    Er  sagt  v.  89—96 : 

ich  nam  vür  mich  ir  herzen  ptn: 
der  wart  mir  vollecltchen  schtn 
an  einem  büecheltne. 
da  vant  ich  in  lattne, 
waz  diu  reine  maget  sprach 
nnt  waz  st  tet,  dö  st  got  sach 
gebunden  nnt  gevangen 
nnt  vor  ir  ougen  hangen  .  .  . 

Und  weiter  v.  100—106: 

dö  kam  zehant  in  mtnen  mnot, 

daz  ich  diu  wort,  diu  ich  da  vant, 

in  tiutsche  wolde  tuon  erkant 

allen  reinen  herzen, 

daz  st  der  megede  smerzen 


292  MILCHSAOK 

erkennen  möhten  dester  baz. 

ich  sagez  in  rehte  als  ich  ez  las. 

Er  gibt  sogar  den  anfang  seines  büchleins  an  y.  376 — 81: 

Daz  buoch  hebet  sich  an  also 
quis  däbit  capiti  med. 
daz  schreip  ein  reiner  heileger  man 
der  was  ein  bsnnder  cappelän 
der  sttezen  ant  der  yrten 
gotes  mnotr  Märten. 

Im  verlaufe  der  erzählung  beruft  er  sieh  noch  einmal  auf  das- 
selbe V.  1379—81: 

Joseph  von  Arimathiä 

der  want  in  (den  leichnam  Jesu)  in  ein  stdtn  tnoch: 

mit  edelen  würzen  sagt  daz  bnoch. 

und  y.  1180  heisst  es  yon  demselben: 
ein  edel  Jude  als  wir  lesen. 

Finden  wir  nun  femer,  dass  in  den  schlussversen  der  hs.  A: 

amen  daz  bUchlin  ist  volbraht, 

als  yns  saget  vnd  gedaht 

der  gut  sant  Incas, 

der  ein  besünder  capplon  was 

der  süssen  vnd  der  fryen 

Gottes  matter  sant  marien 

ein  Lucas  als  der  Verfasser  des  lateinischen  büchleins  ange- 
geben wird,  welcher  im  anfange  des  gedichtes,  in  den  schon 
oben  angeführten  versen  378.  9,  ohne  nennung  des  namens  ein- 
fach als  ein  reiner  heileger  man  und  ein  besünder  cappelän  der 
Maria  bezeichnet  wird,  so  scheint  damit  ein  sicherer  Wegweiser 
für  die  auffindung  der  lateinischen  quelle  gegeben  zu  sein. 
Hoffmann  hat  denn  auch  keinen  anstand  genommen  (vgL 
Fundgr.  1,  307  anm.)  einen  'gewissen  Lucas'  als  den  Verfasser 
derselben  zu  betrachten,  ohne  jedoch  sie  selbst  nachweisen  zu 
können.  An  den  evangelisten  ist  natürlich  nicht  zu  denken; 
denn  nicht  nur  dass  jene  als  eiugang  des  lateinischen  büch- 
leins angefahrten  werte  qids  däbit  capiti  meo  nicht  aus  dem 
evangelium  des  Lucas,  sondern  aus  Jeremias  9,  1  entnommen 
sind  und  v.  1200  ff.  do  nam  Joseph  Nicodimum  als  saget  daz 
ewangelium  u.  s.  w.  auf  Johannes  19,  39  ff.  hinweisen,  auch  im 
übrigen  sind  keine  solchen  engen  beziehungen  zwischen  dem 
deutschen    gedieht    und    dem    Lucasevangelium    aufzufinden, 


UNSER  VBOÜWEN  KLAGE.  293 

welche  die  annähme,  dass  dieses  die  grundlage  des  ersteren 
sei,  zu  rechtfertigen  vermöchten.  Ausserdem  kennt  aber  die 
lateinische  literaturgeschichte  nur  noch  einen  Schriftsteller  mit 
dem  namen  Lucas,  und  auch  von  diesem  ist  keine  schrift  be- 
kannt, die  als  quelle  von  Uvkl.  angesehen  werden  könnte.  — 
Hofimann  kannte  nur  die  hs.  A  und  er  hatte  keinen  grund  an 
der  echtheit  der  aus  ihr  angezogenen  schlussyerse  und  der 
authenticität  des  Lucas  zu  zweifeln.  Für  uns  ist  aber  ein 
solches  misstrauen  wol  gestattet,  wenn  wir  diese  verse  in 
keiner  der  übrigen  hss.  widerfinden  und  erwägen,  dass  es  eine 
fbr  irgend  einen  Schreiber  naheliegende  combination  war,  den 
in  Y.  379  bezeichneten  besundem  cappelän  mit  dem  evangelisten 
Lucas  zu  identifizieren,  welcher  in  der  legende  in  besonders 
nahe  beziehung  zur  Maria  gesetzt  wird  (man  erinnere  sich  nur 
der  sage,  dass  er  das  bild  derselben  gemalt  habe),  und  dass 
daher  sehr  wol  ein  solcher  jene  verse  hinzugefügt  haben  kann. 
Sie  stimmen  zudem  im  Wortlaut  mit  v.  379 — 81  so  sehr  über- 
ein, dass  dadurch  ihre  entstehung  aus  dieser  stelle  noch  wahr- 
scheinlicher wird. 

Eine  andere  Vermutung  hat  Schönbach  (Ueb.  d.  MarienkL 
s.  46.  47)  ausgesprochen  1) ,  nämlich  ^  dass  der  Verfasser  von 
Uvkl.  mehr  die  deutschen  volkstümlichen  Marienklagen,  als 
eine  lateinische  quelle  benutzt  habe,  unter  welcher  vielleicht 
nur  eine  sequenz  oder  homilie  zu  denken  sei.  Allein  eine 
Sequenz  oder  homilie  würde  auch  nach  den  anschauungen  des 
mittelalters  kaum  ein  buch  oder  ein  büchlein  genannt  werden 
dürfen,  wie  es  der  dichter  in  v.  79 — 106  und  v.  376  ff.  gekenn- 
zeichnet hat,  und  die  entscheidung  über  die  priorität  zwischen 
UvkL  und  den  dramatischen  deutschen  Marienklagen  bedarf 
vorerst  noch  einer  eingehenderen  Untersuchung,  welche,  wie 
wir  später  sehen  werden,  zu  Ungunsten  der  letzteren  ausfällt 
Schönbach  hat  diese  frage  nicht  in  den  bereich  seiner  abband- 
lung  gezogen  und  seine  Vermutung  daher  auch  nur  als  eine 
unsichere  und  vorläufige  bezeichnet. 

Es  ist  also  kein  grund  vorhanden  die  andeutungen  des 


0  In  dem  Zwischensätze,  welcher  s.  46  u.  mit  als  er  beginnt,  ist 
wol  durch  ein  versehen  bei  der  oorrector  das  verbum  oder  noch  mehr 
ausgefallen. 


294  MILCHSACK 

dichters  anders  aufzufassen,  als  sie  gegeben  sind.  Wir  be- 
sitzen nun  aber  in  der  tat  eine  schrift,  ein  lateinisches  buch- 
lein,  in  welchem  jene  werte  des  Jeremias  quis  dabit  capiti  meo 
etc.  wenn  auch  nicht  ganz  im  anfange,  so  doch  noch  ziemlich 
Yorne  vorkommen,  nämlich  die  Interrogatio  sancti  Ans- 
helmi  de  passione  domini^),  und  gerade  die  berufene 
stelle  aus  Jeremias  ist  schon  von  Schade  (Geistl.  ged.  s.  XVI  f.) 
und  ebenso  von  Schönbach  (a.  a.  o.  s.  47)  zu  einem  deutschen 
gedichtfragment,  welches  zuerst  Hoffmann  in  den  Altdeutschen 
blättern  2,  200  f.  abgedruckt  hat,  in  beziehung  gesetzt  worden. 
Bei  sorgfältiger  vergleichung  mit  Uvkl.  ergab  sich  denn  auch 
das  erfreuliche  resultat,  dass  es  die  lectüre  dieser  Interrogatio 
gewesen  ist,  welche  auf  unseren  dichter  einen  so  tiefen  ein- 
druck  hervorbrachte,  dass  er  sich  zu  einer  poetisch -deutschen 
bearbeitung  desselben  entschloss,  um  auch  anderen  des  latei- 
nischen unkundigen  gemütern  diesen  quell  frommer  erbauung 
zur  läuterung  ihres  herzens  zugänglich  zu  machen.  Allerdings 
sind  die  beiden  Giessener  hss.,  auf  denen  die  ausgäbe  der 
Interrogatio  von  Oscar  Schade  (Halle  1870)  hauptsächlich  be- 
ruht, in  dem  für  uns  wichtigsten  teile  unvollständig  und 
die  übrigen  dort  sich  darbietenden  vergleichungspunkte  so 
dürftig,  ihre  Übereinstimmung  mit  den  bezüglichen  stellen  des 
deutschen  gedichtes  so  lose,  dass  sich  auf  ihnen  die  eigenschaft 
der  Interrogatio  als  quelle  von  Uvkl.  kaum  mit  Sicherheit 
würde  haben  begründen  lassen.  Es  ist  daher  sehr  willkommen, 
dass  Carl  Schröder  die  wesentlichen  abweichungen  und  die 
Überschüsse  der  pergamenths.  no.  368  in  kl.  4  ^  auf  der  Leip- 
ziger Universitätsbibliothek,  welche  Schade  unbekannt  geblie- 
ben war,  in  seiner  recension  Germania  17,  231 — 35  mitgeteilt 
hat;  denn  gerade  diese  nachtrage  enthalten  den  ergreifenden 
Planctus  Mariae,  welcher  das  herz  des  dichters  so  tief  ei^ 
schütterte  und  den  kern  seines  Werkes  bildet. 

0  AuB  dieser  interrogatio  ist  auch  Sant  AnselmuB  vrage  tzo  marien 
herausg.  von  Schade,  Geistl.  ged.  s.  248—86  hervorgegangen;  vgl.  das. 
einleit.  s.  X.  Eine  wahrscheinlich  ältere  niederdeutsche  abfassnng  hat 
A.  Lttbben  Zeno,  oder  die  legende  von  den  heil,  drei  königen.  Ancel- 
mus,  vom  leiden  Christi.  Bremen  1869,  zum  abdruck  gebracht.  Die  lat. 
int^rrogation  scheint  Lübben  anbekannt  geblieben  zu  sein.  Von  einer 
Züricher  hs.  des  gedichtes  hat  F.  Vetter,  Germ.  22,  356  nachricht  goffiMtu 


UNSER  VROÜWEN  KLAGE.  295 

Im  vorigen  abschnitt  sind  die  handschriften,  welche  das 
gedieht  von  Uvkl.  enthalten,  in  zwei  gruppen  gesondert  worden. 
Diese  beiden  handschriftenclassen  geben  sich  nämlich  schon 
bei  einer  oberflächlichen  vergleichung  als  zwei  in  wesentlichen 
stücken  yerschiedeno  recensionen  unseres  gedichtes  zu  er- 
kennen. Es  wird  also  zunächst  unsere  aufgäbe  sein  müssen,  mit 
herbeiziehung  der  lateinischen  quelle  zu  untersuchen,  welche 
von  ihnen  die  originale  fassung  am  treuesten  bewahrt  hat,  und 
wir  dürfen  hoffen,  damit  zugleich  ein  wichtiges  kriterium  ftir 
die  beurteiluDg  des  handschriftenverhältnisses  zu  gewinnen. 
Hierbei  begegnen  aber  Schwierigkeiten,  welche  teils  aus  dem 
verhalten  der  Interrogatio  zum  gedichte  hervorgehen, 
teils  in  der  beschaffenheit  der  recensionen  selbst  ihren 
grund  haben. 

Zwischen  der  Interrogatio  und  Uvkl.  besteht  nämlich  ein 
bemerkenswerter  gegensatz,  der  schon  durch  die  wähl  dieser 
benennungen  ausgedrückt  wird  und  in  den  entgegengesetzten 
absiebten  ihrer  Verfasser  begründet  ist.  Der  Verfasser  der 
Interrogatio  beschreibt  die  ganze  leidensgeschichte  Christi 
von  dem  gemeinsamen  abendmahle  Jesu,  seiner  mutter  und 
seiner  jünger  im  hause  der  Maria  und  Magdalena  in  Betha- 
nien an  bis  zur  grablegung  und  verfolgt  dabei  den  zweck, 
zweifelnde  gemüter  im  glauben  an  den  erlösertod  des  gottes- 
sohnes  durch  diese  authentische  Offenbarung,  deren  der  heilige 
Anseimus  nach  jahrelangem  brünstigem  gebete  gewürdigt  wor- 
den war,  zu  erhalten  und  zu  befestigen.  Darum  ist  auch  die 
dialogische  form  gewis  nicht  zufällig:  sie  erweckte  bei  den 
lesern  und  hörem  die  Vorstellung,  dass  auch  der  heilige  lange 
zeit  gegen  anfechtungen  des  zweifeis  vergeblich  kämpfte,  aber 
durch  sein  geweihtes  leben  und  sein  inniges  gebet  zulezt  er- 
reichte, für  die  Wahrhaftigkeit  der  evangelischen  berichte  in 
einem  specialverhör  der  Maria  vollkommene  bestätigung  zu 
empfangen^).  —  Einen  davon  ganz  verschiedenen  zweck  ver- 


0  Aus  dieser  auffassung  Hesse  sich  auch  erklären,  dass  der  Planctus 
Mai'iae  in  den  Giessener  hss.,  als  von  dem  eigentlichen  zwecke  der  In- 
terrogatio ableitend,  absichtlich  ausgelassen  wurde.  Oder  sollte  er  etwa 
in  die  Leipziger  lis.  hinein  interpoliert  sein?  Für  die  entscheidung  dieser 
frage  können  vielleicht  die  in  dem  Planctus  vorkommenden  entlehnungen 
aus  lat  hymnen  von  bedeutung  werden.    Einige  davon  sind  schon  von 


296  MILCHSACK 

folgte  der  dichter  von  UvkL  Er  kennt  keine  zweifei  mehr, 
er  ist  durchdrungen  von  der  gewisheit  der  christlichen  glau- 
benslehren  und  in  seinem  glauben  so  sicher,  dass  ihm  die  yer- 
steckte  absieht  der  Interrogatio  yielleicht  gar  nicht  zum  be- 
wustsein  kommt,  daher  auch  die  erzählung  der  leidensgeschichte 
nur  einen  erbaulichen  eindruck  auf  ihn  auszuüben  vermag. 
Aber  die  klage  der  Maria  in  ihren  ausdrücken  des  ergreifend- 
sten und  rührendsten  Schmerzes  erfasst  und  bev^egt  ihn  im 
innersten  und  erweckt  in  ihm  unmittelbar  den  wünsch,  anderen 
dieses  bild  eines  zerrissenen  mutterherzens  vor  äugen  zu  stellen, 
damit  sie,  den  weltlichen  Vergnügungen  entsagend,  eifrig  wer- 
den in  gott  wolgefälligen  werken  und  ein  anrecht  gewinnen, 
zu  füssen  der  gottesmutter  und  ihres  verherrlichten  sohnes  die 
himmlischen  freuden  nach  diesem  leben  zu  geniessen.  Diese 
abweichende  tendenz  des  dichters  bedingt  auch  die  weise,  in 
welcher  er   seine  vorläge  benutzt  hat    Er  spricht  nicht  zu 


Schröder  a.  a.  o.  nachgewiesen  worden.  Drei  andere  weisen  anf  den 
hymDus  Plancius  ante  nescia  bei  Mone,  Schausp.  d.  mittelalt  2,  362  ff., 
nSmlich  Fili,  ditlcor  unice,  singulare  gaudium,  vita  anhne  mee  ei  omne 
solacium,  Genn.  17,  234  z.  1  anf 

Fili,  dnlcor  unice, 
singulare  gandium, 
matrem  flentem  respice 
conferens  solatium. 

Mone,  s.  362  v.  7 — 10;  femer  0  Judei  miseri,  o  Judei  impii,  noUte  miehi 
parcere  ex  quo  natum  meum  unicum  crttcifigitis :  et  me  crudfigiie  aui 
alia  quacumque  seva  morte  perimiie  ut  tantum  cum  filio  meo  simul 
finiar,  male  enim  solus  moritur,  Germ.  17,  234  z.  5—8  anf 

Nato,  qnaeso,  parcite, 
matrem  crncifigite 
ant  in  cmds,  stipite 
nos  simul  i^gite: 
male  solns  moritur. 

Mone,  s.  364  v.  60—64  nnd  drittens  0  mors  misera,  non  parcis  proU, 
non  parcas  et  michi,  tu  michi  soU,  o  mors,  esto  seva,  Germ.  17,  234  z.9. 
10  anf 

Parcito  proli, 

mors!  mihi  noli: 

tunc  mihi  soll 

sola  mederis 
Mone,  s.  363,  v.  47—50. 


- '--' 


UNSER  VROUWEN  KLAGE.  297 

Zweiflern,  sondern  zu  gläubigen  Christen:  darum  braucht  er 
ihnen  auch  nicht  die  ganze  leidensgeschichte  vorzutragen,  die 
sie  kennen  und  glauben,  sondern  nur  die  in  den  evangelien 
nicht  enthaltene  und  ihnen  deshalb  vielleicht  weniger  bekannte 
Marienklage,  damit  sie  bei  betrachtung  dieser  leidensscenen 
in  sich  gehen  und  in  der  erkenntnis  der  eigenen  untüchtigkeit 
die  fbrbitte  der  Maria  zur  erlangung  der  Seligkeit  für  sich  zu 
gewinnen  suchen.  Maria  aber  war  noch  in  Bethanien,  als  sie 
die  gefangennehmung  Jesu  durch  die  jünger  erfuhr.  Als  sie  sich 
nun  nach  Jerusalem  aufmachte,  gelang  es  ihr  doch  nicht  in 
das  haus  des  hohepriesters  Annas  zu  dringen.  Erst  als  Jesus 
am  folgenden  morgen  zu  Kaiphas  gebracht  wird,  sieht  sie  ihn, 
wie  er  von  dem  erregten  volke  gestosoen,  geschlagen  und  ver- 
speit wird.  Auch  bei  den  folgenden  verhören  vor  Kaiphas, 
Pilatus  und  Herodes  war  sie  nicht  zugegen.  Alle  diese  leidens- 
momente,  welche  in  der  darstellung  der  Interrogatio  ungefähr 
schon  die  hälfte  der  ganzen  schrift  einnehmen,  boten  daher 
keine  rechte  gelegenheit  zur  ausmalung  der  Marienklage. 
Dennoch  hat  sie  der  dichter  nicht  ganz  übergangen,  wenn  auch 
der  bericht,  welchen  er  die  Maria  v.  482 — 547  davon  geben 
lässt,  nur  kurz  ist.  Ebenso  tritt  die  Maria  auch  in  der  legende 
bis  zur  kreuztragung  ganz  in  den  hintergrund:  es  wird  nur 
berichtet,  dass  sie,  nach  Jerusalem  gekommen,  mit  Maria 
Magdalena  vor  dem  hause  des  Annas  gestanden  und  dass  sie 
über  die  Verhöhnung  Jesu,  welche  Maria  Magdalena  durch  eine 
Öffnung  erblickte,  geweint  haben.  Als  aber  das  volk,  nachdem 
das  verdict  gefällt  war,  zur  kreuzigung  auszog,  schlössen  sich 
die  Marien  dem  zuge  an  und  damit  beginnt  die  eigentliche 
Marienklage. 

Der  dichter  führt  die  Maria  mit  v.  482  sprechend  ein.  Als 
sie  die  ergreifung  Jesu  erfuhr,  war  sie  schon  in  Jerusalem. 
Sie  begibt  sich  an  oi-t  und  stelle  und  schildert  die  nächsten 
begebenheiten  zwar  kurz,  aber  aus  eigener  anschauung.  Darin 
weicht  das  gedieht  nicht  nur  von  der  legende,  sondern  auch 
von  der  Interrogatio  ab,  in  welcher  die  widerholte  frage  des 
Anseimus,  ob  Maria  da  schon  bei  Jesu  gewesen  sei,  verneint 
wird.  —  Maria  sieht,  wie  Jesus  gestossen,  geschlagen  und  ver- 
speit wird ;  er  erträgt  es  wie  ein  lamm.  Sie  weint  und  schreit 
laut  auf  vor  schmerz  bei  diesem  anblick,    Jesus  wird  verurteilt 


298  MILCHSACK 

und  wie  ein  dieb  zur  kreuzigung  geführt,  beschimpft  und  mit 
kot  und  steinen  beworfen;  Maria  folgt,  geführt  von  den  frauen. 
Auf  Golgata  angekommen ,  wird  er  entkleidet  und  gekreuzigt 
So  weit  behandelt  der  dichter  seine  vorläge  mit  grosser  Selb- 
ständigkeit, nur  wenige  andeutungen  derselben  benutzend.  — 
Nun  aber  setzt  er  voll  ein  und  die  in  v.  620 — 962  folgenden 
ausbriiche  leidenschaftlichen  und  rührenden  Schmerzes  der 
Maria  schliessen  sich  eng,  aber  in  breiterer  ausführung  an  den 
Planctus  der  Leipziger  hs.  an.  Dann  aber  bot  die  quelle  dem 
dichter  wider  nur  weniges,  was  er  für  seinen  zweck  verwen- 
den konnte  und  er  fällt  einigermassen  aus  der  rolle,  wenn  er 
nun  selbst  sowol  die  Schilderung  der  ferneren  ereignisse  als 
auch  des  dabei  sich  kund  gebenden  Bchmerzes  der  Maria  über- 
nimmt Diese  tritt  nur  noch  ein  paarmal  sprechend  auf,  da- 
für werden  aber  zum  öfteren  längere  ermahnungen  an  die 
leser  eingeflochten.  Er  schliesst  mit  einem  lobe  Marias  und 
einem  gebete  um  fürbitte  für  sich  und  die  leser  und  hörer 
seines  gedichtes. 

In  folge  dieses  gegensatzes  zwischen  quelle  und  gedieht 
ist  im  wesentlichen  nur  der  Planctus  oder  etwa  ein  ftinftel  der 
ersteren  im  letzteren  verarbeitet  worden.  Es  bieten  sich  also 
verhältnismässig  wenige  stellen  zur  vergleichung.  Dieselbe 
wird  aber  noch  erschwert  durch  die  breite  ausdichtung  des 
lateinischen  textes,  dessen  einzelne  sätze  gewönlich  in  kürzere 
oder  längere  abschnitte  ausgeführt  worden  sind,  so  dass  es 
manchmal  schwer  ist  zu  sagen,  ob  die  fassung  der  einen  oder 
ob  diejenige  der  anderen  recension  dem  lateinischen  ausdrucke 
verwanter  ist 

Es  entstehen  ferner  aber  noch  besondere  Schwierigkeiten 
aus  der  beschaffenheit  der  beiden  receuBionon  selbst  Gehen 
wir  nämlich,  wie  es  natürlich  ist,  von  der  Voraussetzung  aus, 
dass  die  eine  der  beiden  handschriftenclassen  die  ursprüng- 
liche form  des  gedichtes,  wobei  kleine  mängel  und  Verderbnisse 
selbstverständlich  nicht  in  anschlag  gebracht  werden,  im  gan- 
zen genommen  getreulich  bewahre,  und  dass  die  andere  diese 
originale  form  auf  ihre  weise  in  geringerem  oder  grösserem 
umfange  überarbeitet  darstelle,  so  müssen  wir  erwarten,  dass 
die  erstere  stets  mit  der  lateinischen  quelle  genauer  überein- 
stimmt als  die  letztere.    Wir  finden  nun  aber^  dass  an  meh- 


UNSER  VROÜWEN  KLAGE.  299 

reren  stellen  fc^nz  unzweifelhaft  die  zweite  recension  dem 
lateinischen  texte  näher  steht,  als  die  erste.  Daraus  ergibt 
sich^  dass  keine  von  beiden  handschriftengi-uppcn  original  ist; 
denn  wenn  es  feststeht,  dass  an  einigen  stellen  des  textes  der 
ersten  gruppe  eine  bedeutendere  Umarbeitung  stattgefunden  hat, 
so  darf  man  mit  Sicherheit  annehmen ,  dass  eine  solche  auch 
anderwärts  vor  sich  gegangen  ist,  nur  dass  es  sich  hier,  weil 
die  lateinische  vorläge  sich  nicht  zur  vergleichung  darbietet, 
nicht  mehr  erweisen  lässt.  Wir  müssen  daher  beide  recen- 
sionen  als  bearbeitungen  betrachten. 

Die  stellen,  an  welchen  I  mit  der  quelle  genauer  zusam- 
menstimmt als  II  sind  folgende.  Seh.  (=  Schades  ausgäbe) 
7,  2 :  quis  däbit  capiti  meo  aquam  et  oculis  meis  foniem  lacrma- 
mm  vi  plangam  interfectionem  vnigeniti  fiUj  mei  =  I  v.  377 
und  V.  474 — 81  fehlen  in  II  und  mit  ihnen  der  ganze  abschnitt 
V.  376 — 481,  in  welchem  diese  verse  enthalten  sind,  mit  aus- 
nähme von  V.  446 — 465. 

Vers  490.  1  lauten  in 

I  II 

dd  mir  daz  masre  wart  geseit,  dd  ich  daz  leide  msere  vernam, 

ein    swert    id!d    herze    gar  vil  s6re  ich  mich  des  erkam, 

durchsneit, 

und  bei  Seh.  7,  13:  Anshelmus:  Die,  karissima  domina,  quid  fe- 
cisti,  cum  hec  audires?  [Maria:]  Gladius  Symeonis  animam 
meam  pertransiuit.  Ausserdem  ist  zu  beachten,  dass  diese 
verse  in  II  hinter  v.  494 — 97  hinabgeschoben  und  v.  492.  3, 
in  denen  Maria  ihre  ankunft  bei  ihrem  gefangenen  söhne  be- 
richtet, ausgelassen  sind,  beides  unpassende  Veränderungen 
und  die  orstere  auch  entgegen  der  darstellung  der  Interrogatio. 

V.  494  hat  folgende  fassung  in 

I  II 

st  stiezen  in  unt  spitn  in  an,  st  bizzen  unt  grinen  in  an, 

und  bei  Seh.  7,  17:  videbam  illani  desiderabilem  fadem  sputis 
ludaeorum  maculatam. 

V.  567  fehlt  in  II  lapides,  bei  Seh.  10,  5. 

V.  605 — 7  haben  in  II  form  und  inhalt  der  ursprünglichen 
fassung  vollständig  verloren: 


300  MILCHSACK 

I  II 

dd    mohte    ich    im    geh  elf  en  ich  sach  ouch  mangen  boBsewiht, 

niht.  dem  mtn  lieber  h6rre  zart 

st  spilten  nmbe  stn  gewant:  ze  schimpf  ant  ouch  ze  spotte  wart 
also  wart  mtn  liebez  kint  geschant. 

Seh.  11,  25  ei  exanimis  facta  fui  und  ibid.  11,  3.  4  Maria: 
Postquam  crucifixerunt  fiUiim  meum,  diuiserunt  sibi  vesti- 
menia  sua. 

Ferner  v.  620—25: 

I  II 

ich  sach  in  an  ant  er  mich:  ich  sach  in  an  nnt  er  mich; 

daz  sehen  daz  was  jasmerlich.  daz  sehen  daz  was  jsemerlich. 

mir  was  w6  unt  aber  wd,  waz  sol  ich  in  nü  sagen  m6: 

doch  leit  stn  herze  smerzen  md  mir  was  w§  nnt  aber  wd. 

von  der  grözen  quäle  mtn,  ) 

dan  im  tet  diu  marter  stn.  |    Z^^*^'*- 

und  bei  Schröder,  Germ.  17,  233.  2:  üfide  ego  videns  eum  et 
ipse  videns  me  plus  dolebat  de  me  quam  de  se. 

Die  Umarbeitung  in  II  y.  642 — 46  gibt  sich  in  der  auslasBung 
von  y.  644.  45  zu  erkennen,  deren  echtheit  durch  die  quelle 
bezeugt  wird. 

I  II 

von  stnem  Itbe  vliezen.  von  stnem  Übe  vliezen 

do  begunde  sich  entsliezen  unt  die  erde  gar  begiezen. 

der  hört,  der  da  verborgen  . 

lac.  I    fehlen. 

dd  ich  erhört  den  hamerslac  ' 

unt  sach  daz  bluot  entspringen, ...  ich  sach  daz  blnot  entspringen, . . . 

Seh.  10,  31 — 33  tunc  impleta  fuit  prophecia  Dauid  L  e.  ipsius, 
diceniis  in  psalmo:  audi,  filia,  et  vide!  quasi  dicat  filius  meus: 
audi,  karissima  maier,  sonum  malleorum,  et  vide,  qualiter 
manus  et  pedes  meos  crucifixerunt. 

V.  647  ist  üz  den  wunden  in  I  dem  ex  quatuor  partibus 
Germ.  17,  233,  6  entsprechender  als  die  lesart  von  sinem 
Übe  in  IL 

Mit  einer  Verderbnis  in  beiden  recensionen  yerbunden, 
welche  schon  in  der  vorläge  von  I  und  n  platz  gegriffen 
hatte,  ist  die  änderung  in  II  v.  738—45  und  eben  jene  ältere 
Verderbnis  scheint  zu  dieser  die  veranlassung  gegeben  zu  haben. 
Die  verse  lauten  in 


UNSER  VROÜWEN  KLAOE. 


301 


0  Büezez  kint,  du  vröuden  kint, 
du  mlDer  s61e  gar  gemint: 

[hdrre  wol, 
dir  etat  yil  (Daz  stedt  dir  D)  lieber 
daz  (wanD)  du  bist  aller  gnaden  vol. 
erhoere,  hdrre,  mtn  gebet: 
ich  bit  dich  als  ich  d  tet: 

zinch  mich  an  die  stten  din 


ont  troßste  die  armen  maoter  dtn. 


U 

6  süezez  kint,  du  vröuden  kint, 
der  sdle  leben  mir  gar  ge- 
mint: 
dir  stat,  vil  lieber  hßrre,  wol, 
wan  du  bist  aller  gnaden  vol: 


} 


fehlen. 

erhoere,  hdrre,  (h^rre  fehlt  ü)  die 
armen  muoter  dtn 
(din  armez  müeterltn  B): 
zinch  mich  an  die  stten  dtn. 


Diese  stelle  beruht  auf  folgenden  Sätzen  der  Interrogatio: 
Fili,  dulcor  unice,  singulare  gaudium,  viia  anime  mee  et  ornne 
solaclum  .  .  .  0  fili,  recognosce  miseram  et  exaudi  precem 
meam,  decet  enim  filium  exaudire  mairem  desolat  am.  Exaudi 
me,  obsecro,  et  in  tuo  me  suscipe  patibulo.  Genn.  17,234,  1 — 4. 
Die  vergleiehung  des  gediehtes  mit  der  quelle  zeigt,  dass  aller- 
dings y.  739  und  744.  5  mit  der  letzteren  in  II  genauer  zu- 
sammenstimmen als  in  I,  dagegen  fehlen  in  II  v.  740.  1, 
welchen  das  exaudi  precem  meam  entspricht.  Es  ist  nun  wol 
möglich,  dass  diese  beiden  yerse  durch  abspringen  des  auges 
des  bearbeiters  von  dem  erhcere  hirre  in  v.  740  auf  das 
erhosre  in  v.  744  in  II  ausgelassen  wurden,  wofllr  auch  das 
in  61  den  vers  beschwerende  herre  spricht.  Allein  wenn  man 
erwägt,  dass  v.  742.  3  so  wol  gegen  die  construction,  als  auch 
gegen  die  gedankenordnung  der  quelle,  also  durch  ein  ver- 
sehen des  Schreibers  des  archetypus  von  I  und  II  vor  v.  740.  1 
geraten  sind,  so  erscheint  es  nicht  unwahrscheinlich,  in  der 
auslassung  von  v.  740.  1  eine  absichtliche  correctur  des  be- 
arbeiters von  II  zu  erblicken.  Die  stelle  ist  aber  sogleich  ge- 
bessert, wenn  man,  mit  aufiiahme  der  lesart  von  D  in  v.  742, 
die  platze  von  v.  742.  3  und  von  740.  1  vertauscht,  wie  es  in 
meinem  texte  geschehen  ist 

Wir  dürfen  hier  bei  besprechung  der  mit  der  quelle  über- 
einstimmenden stellen  von  I  auch  v.  886 — 91  herbeiziehen,  ob- 
schon  sie  in  einer  beziehung  zu  denjenigen  gehören,  wo  II  der 
Interrogatio  näher  steht  als  I,  welche  nachher  aufgeführt  wer- 
den sollen.    Sie  haben  folgende  fassung  in 


302  MILCHSACK 

I  ^  U 

du  weist  wol  wie  ich  bin  geborn :  O  ssclec  vor  allen  ¥rtben, 

du  bist  erwelet  unt  üzerkorn  dtn  weinen  1a  beltben: 

vor  aller  creatinre.  du  bist  mins  tOds  ze  sSre  erkomen. 

mtn  tot  ist  dir  ze  siare  du  weist  wol  wannen  ich  bin 

kernen, 
worden  unt  wirt  dannoch  m6. 
dir  ist  nach  mir  wd. 

Du  weist  wol  wannen  ich  bin  komen  in  II  Bchliesst  sich  enger 
an  die  werte  der  Interrogatio  Be7ie  scis  tinde  processi  et  unde 
veni  Germ,  17,  234,  38  als  I  886—88.  Dagegen  folgt  I  gegen- 
über II  der  quelle  nicht  nur  darin,  dass  die  dem  quare  ergo 
contristaris  Germ.  17,  234,  39  entsprechenden  verse  1  889 — 91 
=  II  886c  nach  886  —  88  stehen,  sondern  dass  überhaupt 
diese  ganze  stelle  den  die  Interrogatio  Germ.  17,  234,  35 — 38 
behandelnden  versen  880 — 85  nachgesetzt  ist,  während  sie 
in  II  denselben  to  ran  geht.  Ausserdem  sind  bei  dieser  be- 
arbeitung  I  874 — 79,  welche  auf  den  werten  der  quelle  Noli 
flere  mater,  noli  plangere  speciosissima  mater  Germ.  17,  234,  35. 
36  beruhen,  in  II  entweder  ganz  ausgelassen,  oder  in  den 
beiden  versen  II  886  a.  b.  verarbeitet  worden. 

Es  folgen  nun  einige  verse,  in  denen  A  und  die  quelle 
der  II.  recension  und  BG  gegenübertreten.  Da  sich  aber  auch 
noch  mehrere  andere  stellen  nachweisen  lassen,  welche  eine 
engere  verwautschaft  von  BG  mit  II  wahrscheinlich  machen, 
so  muss  auch  diese  als  beweis  dafür  gelten  und  A  allein  das 
ursprüngliche  bewahrt  haben.    £s  sind  dies  v.  909 — 12: 

A  n  BG 

Johannes,  liebiu  minne,  Johannes,  liebiu  mlnne, 

sich  an  dtne  muoter  Johannes  m!nvil(janger^C)gaoter, 

nnt  bis  ir  pflege r  guoter:  sich  an  dlne  mnoter: 

du  nim  ir  war  diu  mich  gebar.  du  nim  ir  war  diu  mich  gebar. 

Die  vergleichung  mit  der  quelle:  Iterum  Johannem  intuitus  ait 
'Ecce  mater  tua:  ei  servias,  curam  iUii(s  habe  Genn.  17,  234, 
42.  43  zeigt,  dass  in  II  BG  zwischen  v.  909  und  910  Johannes 
min  vil  guoter  eingeschoben  und  dafür  v.  911,  welcher  das  ei 
servias  widergibt,  ausgelassen  wurde.  Die  veranlassung  zu  dieser 
änderung  kann  der  mangel  von  y.  911  in  der  vorläge  von  II 
gewesen  sein ;  ein  Schreiber  der  dasse  BG  nahm  abdann  diese 
lesart  aus  einer  der  IL  bearbeitung  angehörenden  hss.  in  die 


UNSER  VROÜWEN  KLAGE.  303 

seinige  auf.  —  Mit  der  auslassung  von  I  1374 — 81  ist  auch  ein 
stück  der  quelle  in  II  verloren  gegangen.  Denn  I  1374  tvan 
ich  äne  in  niht  mac  geleben  entspricht  quia  posi  illum  semper 
male  habebo  Germ.  17,  235.  Die  verse  I  1374 — 81  sind  also 
original  und  nicht  etwa  von  dem  bearbeiter  von  I  hinzu- 
gedichtet. 

Der  abschnitt  v.  1420—43,  welcher  auf  Seh.  13,  15—17 
beruht,  ist  auch  in  I  nur  in  A  erhalten. 

Die  stellen,  welche  für  die  grössere  Übereinstimmung  zwi- 
schen U  und  der  quelle  in  anspruch  genommen  werden  müssen, 
sind  nicht  so  zahlreich  und  ausser  den  schon  bisher  erwähnten 
folgende.  In  v.  732  entspricht  zerre  dem  extrahe  der  Interro- 
gatio  besser  als  zebrich  in  I.  —  Sehr  bemerkenswert  sind  die 
änderungen,  welche  in  I  bei  v.  506.  7  vorgenommen  worden 
sind.    Hier  liest 

II  I 

er  Bweic  als  ein  lembelt  er  sweic  als  ein  lembelln 

unschuldic  aller  Sünden  vrt.      gedultic  in  den  noeten  stn. 

Die  grössere  treue  der  Übertragung  der  quelle  iunc  stetit  quasi 
agnus  mansueius  et  innocens  et  non  aperuit  os  suum  Seh.  7,  23 
ist  unbedingt  auf  selten  von  II.  Der  grund  der  ändeining  in  I 
war  oiBfenbar  der  alemannische  reim  lembeH :  vrt,  woran  um  so 
weniger  gezweifelt  werden  kann,  wenn  man  sieht,  dass  alle 
hss.  von  I  zur  Vermeidung  desselben  einen  eigenen  ausweg  ge- 
sucht haben.  Die  von  mir  oben  angegebene  lesart  haben  nur 
BC,  welchen,  wie  später  gezeigt  werden  wird,  nur  die  geltung 
öiner  hs.  beizumessen  ist.  Freier  ist  die  Umbildung  von  v.  507 
schon  in  D  Der  viel  liebe  herre  myn  und  A  hat  einen  ganz 
neuen  reim  eingesetzt:  Er  sweig  als  ein  lemlin  tut  Geöuliig 
was  er  vnd  gut.  Diese  auseinandergehenden  Varianten  aller 
hss.  beweisen  aber,  dass  auch  in  I  anfänglich  noch  das  rich- 
tige gestanden  hat 

Ohne  ersichtlichen  grund  ist  die  ander ung  I  818.  19.  Diese 
beiden  verse  sind  überliefert  in 

II  I 

dem  elliu  dinc  sint  mügelich,     bedenke,  got,  mtn  armez  leben: 
bedenke,  hgrre,  selbe  dich,  wer  sei  mir  nü  tröst  geben, 

und  sind  hervorgegangen  aus  Fili  äulcissime,   omnia   possi- 


301  MILCHSACK 

biiia  tibi  sunt  Germ.  17,  234,  21.    Dass  II  die  ursprüngliche 
fassuDg  bewahrt,  ist  deutlich. 

Eine  noch   Btürkere  umdichtung  hat  I  v.  836  —  39   statt- 
gefunden, 

n  I 

als   ob   er  sprseche,    muoter,      habe  in  ze  elDem  kinde. 

maget, 
von  mtner  martr  wis  nnverzaget         ach,  maoter  mtn,  erwinde 
zartiu  maoter,  reiner  11p,  ant  lä  dln  weinen  stn: 

du  bist  ze  weinen  als  ein  wtp.      nim  stn  war  reht  als  mtn. 
du  hast  ze  vil  barmherzikeit 
zno  mir  nnt  der  miltekeit 

welche  folgender  stelle  der  lateinischen  vorläge  nachgebildet 
sind:  ac  si  dicerei  Omaler  dulcissima,  mollis  ad  fletidum,  mollis 
ad  doletidum  Germ.  17,  234,  25.  —  Dagegen  sind  die  abweichen- 
den lesarten  I  v.  840 — 43  nur  durch  verderbte  Überlieferung 
entstanden,  und  wenn  es  auch  sehr  schwer  sein  würde,  aus 
ihnen  ohne  die  zuhülfenahme  von  II  die  in  dieser  recension 
bewahrte  correcte  und  originale  fassung  wider  herzustellen,  so 
zeigen  sie  doch  deutlich,  dass  auch  I  ursprünglich  mit  II  iden- 
tisch war,  also  eine  bearbeitung  in  dem  hier  besprochenen 
sinne  nicht  vorliegt. 

In   die   kategorie  von  v.  506.  7  gehören  auch  v.  860.  1. 
Im  zusammenhange  heisst  es  hier  v.  858 — 61  in 

II  I 

vrouwe,  lä  dtn  trüren  stan,  6  mnoter,  lä  dtn  trüren  st&n, 

liobiu  uiuoter,  wan  ich  vnnden  hän      wan  ich  die  s^len  vunden  h&n 
mtn  herzeliebez  schsßteltn  nnt  mtnin  lieben  schsefeltn, 

daz  lange  irre  ist  gesln.  diu  lange  irre  gewesen  (gewarenfC) 

stn. 

Vergleicht  man  damit  die  Interrogatio  Jmmo  congratulari  michi, 
qxiia  nunc  inveni  ovem  erroneam,  quam  tam  longo  tempore 
perdidi  Germ.  17,  234,  31.  32,  so  gibt  sich  auch  hier  der 
grund  der  änderung  im  reime,  in  dem  specifisch  alemannischen 
participium  gesin  zu  erkennen,  welches  dem  bearbeiter  von  I 
nicht  gelfiufig  gewesen  sein  muss.  Nachdem  aber  dafür  ge- 
wesen sin  gesetzt  worden  war,  wurde  der  plural  anstatt  des 
Singulars  ovem  erroneam  von  selbst  notwendig. 

Ebenso    war  es  auch   der   reim  beschiel :  niet,  welcher  I 
V.  866-^73  die  veranlassung  zur  umdichtung  gegeben: 


UNSER  VEOÜWEN  BXAGE.  305 

II.  I. 

war  umbe  misseyellet  dir,  war  umbe  miBseyellet  dir 

daz  min  vater  hat  geboten  mir  der  tot?  ja  hat  der  vater  mir 

unt  daz  im  so  wol  gehaget:  geboten,  daz  ich  trinken  sol 

daz  lä  dir  liep  stn,  muoter,  maget  der  martel  tranc,  daz  kämet  wol 

wie   wilt  du,  daz  ich  trinke  den  sSien,  die  da  sint  gebunden 

niet 

daz   tranc,    daz   er    mir    be-  von  den  boesen  hellehunden: 

schiet, 

d6  er  mich  sande  erloesen  den  wil  ich  ze  hilfe  kamen, 

mangen  sünder  boesen.  mtn  tot  sol  manger  söIe  vromen. 

Denn  auch  hier  ist  die  grössere  Übereinstimmung  zwischen  II 
und  der  quelle  Quod  placet  deo  pairi,  quomodo  tibi  dispHcei, 
mater  diiecta?  Calicem  quem  dedit  michi  pater ,  non  vis 
ut  bibam  illum?  Germ.  17,  234,  33 — 35  unbestreitbar  und 
nichts  aufzufinden,  was  ausser  dem  angegebenen  reime  die  be- 
arbeitung  in  I  hervorgerufen  haben  könnte. 

Aus  diesen  belegen  ersieht  man,  dass  also  ^uch  in  I  ab- 
sichtliche änderungen  vorgenommen  und  mit  Sorgfalt  und  ge- 
schick  auBgeftihrt  worden  sind.  Allerdings  sind  dieselben,  so- 
weit die  vergleichung  mit  der  quelle  dies  zu  beurteilen  ge- 
stattete, bei  weitem  nicht  so  häufig  als  in  11,  jedoch  immerhin 
solche,  dass  man  ähnliche  auch  an  anderen  stellen  vermuten 
darf  und  jedenfalls  auch  I  nur  als  eine  bearbeitung  des  origi- 
nalen gedichtes  angesehen  werden  kann. 

Die  Überlieferung  würde  indessen  immer  noch  als  eine 
verhältnismässig  günstige  zu  betrachten  sein,  wenn  die  hier 
besprochenen  differenzen  die  einzigen  wären,  welche  in  den 
beiden  recensionen  von  Uvkl.  begegnen.  Das  ist  aber  keines- 
weges  der  fall:  es  lassen  sich  vielmehr  durch  das  ganze  gedieht 
hin  eine  menge  kleinerer  und  grösserer  abweichungen  verfol- 
gen, welche  meistens  ebenfalls  nur  in  mehr  oder  minder  starker 
Überarbeitung  eines  einst  gemeinsamen  textes  bestehen,  zuweilen 
aber  in  völlige  Umgestaltung  desselben  mit  bedeutenden  aus- 
lassungen  oder  Zusätzen  ausgeartet  sind.  Ist  es  nun  nach  den 
bisherigen  erörterungen  schon  nicht  unwahrscheinlich,  dass  die- 
selben weit  mehr  dem  bearbeiter  der  IL  recension,  als  dem- 
jenigen der  ersten  zur  last  gelegt  werden  müssen,  so  ist  es 
doch  recht  erwünscht,  dass  sich  dieses  gerade  für  die  stärkste 
und  wichtigste  Verschiedenheit  beider  nachweisen  lässt 

Beitrüge  inr  geioMohte  der  dentechen  ipraohe.  V.  20 


306  MILCHSACK 

Der  auffallendste  unterschied  zwischen  beiden  recensionen 
erscheint  nämlich  am  eingang  des  gedichtes  und  auch  der 
schluss  desselben  ist  von  dem  bearbeiter  teilweise  in  mitleiden- 
Schaft  gezogen  worden.  Es  wurde  schon  oben  angegeben,  dass 
das  quis  dabit  capiti  meo,  welches  der  dichter  als  den  anfang 
seines  büchleins  bezeichnet,  erst  im  verlaufe  der  Interrogatio 
auftritt.  Sie  beginnt  vielmehr  mit  folgendem  satze:  Sancttis 
Aiuhelmus  longo  tempore  cum  lacrimis  et  orationibus  ac  ieiunijs 
deprecabatur  beatam  Mariam  virginem,  ut  ei  passionem  diiecti 
filij  [perfectius]  reuelare  dignaretur,  tandem  beata  virgo  apparuit 
sibi  et  dixit :  Tanla  et  talia  passtis  est  mens  [filiiis]  dilectus  etc, 
und  diese  wenigen  werte,  mit  welchen  der  Verfasser  der  In- 
terrogatio seine  leser  sogleich  in  medias  res  führt,  sind  es,  auf 
welchen  in  I  die  einleitung  beruht.  I  hebt  v.  83 — 106  damit 
an,  dass  der  dichter  in  aller  kürze  angibt,  was  die  veran- 
lassung zu  seinem  gedichte  gegeben  habe:  wie  er  eines  tages, 
in  betrachtungen  über  die  schmerzen  der  Maria  beim  anblick 
ihres  leidenden  sohnes  versunken,  ein  lateinisches  büchlein  ge- 
funden, welches  dieses  leiden  in  so  eindringlicher  und  ergrei- 
fender weise  geschildert  habe,  dass  dadurch  in  ihm  der  wünsch 
erweckt  worden  wäre,  dasselbe  anderen  frommen  Christen  zur 
erbauung  ins  deutsche  zu  tibertragen.  V.  376 — 97  wird  das 
büchlein  und  sein  Verfasser  etwas  näher  beschrieben,  und  da- 
mit seine  leser  sich  von  der  authenticität  seiner  darstellung 
überzeugen,  gesagt,  dass  es  ein  reiner  und  heiliger  kapplan 
der  Jungfrau  gewesen,  dem  sie  selbst  wegen  seiner  frömmig- 
keit  ihre  klage  geoffenbart  habe.  Dieser  abschnitt  enthält  den 
gedanken  des  vorhin  angeführten  anfangs  der  quelle.  Das 
daran  v.  398—481  angeschlossene  gebet  des  kapplans  ist  nur 
eine  weitere  besondere  ausführung  dieses  gedankens;  es  schliesst 
mit  der  Übertragung  des  quis  dabit  capiti  meo  etc.  und  es  mag 
schon  hier  darauf  aufmerksam  gemacht  werden ,  dass  die  In- 
terrogatio diese  worte  nicht  dem  Anseimus,  sondern  der  Maria 
in  den  mund  legt.  Wir  werden  uns  dessen  später  bei  der  be- 
urteilung  des  von  Hoffmann,  Altd.  blätt  2,  200  abgedruckten 
fragmentes  wider  erinnern  müssen,  welches  in  bezug  auf  diese 
und  einige  andere  stellen  eine  verwantschaft  mit  UvkL  ver- 
rät, die  das  ihm  von  Schade  und  Schönbach  zugeschriebene 
alter  und  damit  seine  vermeintliche  bedeutung  sehr  herabzu- 


UNSER  VROÜWEN  KLAGE.  307 

mindern  geeignet  ist  Mit  v.  482  beginnt  sodann  die  Klage 
unser  vrouwen,  welche  mit  einem  marienlob  v.  1588 — 1617 
und  einem  daran  geschlossenen  gebete  des  dichters  fbr  sich 
nnd  seine  leser  und  hörer  schliesst 

Diese  so  einfache  und  naturgemässe  anläge  des  gedichtes 
ist  in  U  in  einschneidender  und  tendenziöser  weise  umgestaltet 
worden.  11  beginnt  mit  zwei  gebeten.  In  dem  ersten  wendet 
sich  der  bearbeiter  in  y.  1 — 56  an  Jesum  und  bittet  ihn  um 
die  wisheitj  diu  dinen  jungem  wart  gesant  und  noch  den  guoten 
ist  erkant  (v.  38 — 40),  d.  h.  um  erleuchtung  durch  den  heiligen 
geisty  damit  von  seinem  werke,  der  klage  Marias  unter  dem 
kreuze,  dir  (Jesu)  rf  lop  unt  Sre  unt  sich  min  soelde  mire  unt 
mir  diu  reine  muoter  din  ir  gndde  tuo  mit  triuwen  schin 
(v.  53 — 56).  Das  zweite  gebot  v.  57 — 82  ist  an  die  Jungfrau 
selbst  gerichtet  und  entspricht  nach  Inhalt  und  form  jener 
bitte  für  die  leser  von  Uvkl.,  mit  der  I  schliesst:  es  besteht, 
wie  die  in  den  lesarten  gegebenen  hinweisungen  zeigen ,  bei- 
nahe vollständig  aus  versen  jenes,  nur  v.  77.  78  sind  v.  1254. 
55  mit  benutzung  von  v.  87.  88  nachgebildet,  v.  65.  66.  79.  81. 
82  selbständig;  dagegen  hat  der  bearbeiter  v.  73.  74  aus  dem 
nur  in  I  enthaltenen  gebete  des  kapplans  v.  444.  45  entnom- 
men. Nun  erst  folgt  in  übereinstimmung^mit  I  die  darlegung 
des  dichters  über  die  veranlassung  seines  werkchens  =  v.  83 
— 106,  der  aber  unmittelbar  in  weiteren  acht  versen  (107 — 14) 
die  angäbe  der  quelle,  jedoc^h  in  sehr  unbestimmter  weise  an- 
gefügt ist,  die  also  dem  abschnitt  I  376 — 97  entsprechen.  Der 
bearbeiter  sagt  hier  ausdrücklich^  er  wolle  die  klage  der  Maria 

verkünden: 

t09    als  st  {Maria)  ez  kante  rehte 
einem  ir  knehte  .  .  . 

Anstatt  nun  aber  wirklich  mit  der  Marienklage  zu  beginnen, 
schiebt  er  v.  115  —  375  eine  lange  interpretation  ein  über 
Hohelied  3,  11:  egr edimini  et  videie  filiae  Sion  regem  Salomonem 
in  diademate,  quo  coronavit  illum  maier  sua  in  die  desponsationis 
Ulms,  et  in  die  laetitiae  cordis  eius.  Er  bittet  zunächst  v.  115 
— 36  seine  leser  um  gehör  und  wegen  etwaiger  mängel  seiner 
darstellung  um  entschuldigung.  In  dieser  widmung  an  die 
leser  vollzieht  er  zugleich  die  taufe  des  gedichtes  v.  125 — 27, 
in  welcher  ihm  der  name  Spiegel  bei6:elegt  wird. 

20  • 


308  MILCHSACK 

Unter  dieser  bezeiebnong  ist  das  gedieht  von  Mone  in  die 
literaturgesehielite  eingeführt  worden;  bie  erweist  sich  aber 
nun  als  nicht  vom  Verfasser  selbst  herrührend,  und  es  liegt 
daher  kein  grund  vor  dieselbe  auch  femer  noch  beizubehalten, 
besonders  da  die  damit  yerkniipfte  bedeutung,  abgesehen  von 
der  Interpretation  des  bearbeiters,  auf  das  eigentliche  gedieht 
keine  anwendung  findet.  Denn  die  spräche  des  mittelalters 
bezeichnet  mit  spiegel  im  geistlichen  sinne  einerseits  den  gegeu- 
satz  des  hellen,  reinen  Spiegelglases  zu  den  schmutzigen  dingen 
dieser  weit  und  den  unlauteren  gelüsten  der  menschen,  so  in 
der  Tochter  Syon  des  bruders  Lamprecht  von  Kegensbui^  bei 
Weinhold,  Mhd.  leseb.  s.  155  v.  205  ff.: 

S^dn  sprichet  ouch  ein  Spiegel, 
diu  sSle  ist  aber  ein  rower  ziegel, 
diu  sich  mit  irdischer  gelost 
bewillet  in  des  herzen  brüst 

Vgl  die  anmerkung  daselbst  Daraus  entsteht  die  bedeutung 
des  spiegeis  =  vorbild,  muster ;  vgl.  mhd.  Wb.  II,  2,  494  f.  So 
wird  Maria  im  Guten  Gerb.  2239  aller  megde  Spiegel  genannt, 
und  in  diesem  sinne  gebraucht  es  auch  der  bearbeiter  nach 
einer  eigenen  erläuterung  v.  204 — 13: 

S^ön  bedintet  als  vil, 

swer  ez  in  tiatsche  diäten  wil, 

ein  Spiegel  ode  ein  schoawen. 

ir  kint,  ir  reinen  vronwen, 

ir  Salt  der  tagende  spiegel  stn 

ont  gotes  bilde  ein  cl&rer  schtn. 

der  Spiegel  ist  lüter  ande  cl&r: 

also  Sit  ir,  kint,  daz  ist  w&r; 

ir  haut  ein  spiegeltchez  leben: 

ir  Salt  der  tagende  spiegel  geben. 

Endlich  aber  erlangt  spiegel  die  bedeutung  von  speculatio  «== 
geistliche  betrachtung  in  den  Schriften  des  mysticismus,  worauf 
mich  herr  prof.  Zarncke  aufmerksam  machte.  Diese  bedeu- 
tungen  finden  aber  auf  unser  gedieht  nur  in  sehr  beschränkter 
weise  eine  anwendung.  Denn  es  soll  nach  des  dichters  ab- 
sieht (vgl.  V.  83  ff.,  392  ff.,  440.  7)  eine  Marienklage  sein 
und  ist  auch  tatsächlich  nur  dieses.  Auch  der  bearbeiter  von 
II  sieht  es  als  eine  solche  an,  wenn  er  v.  137.  8  sagt:  S  daz 
wir  körnen  zuo  der  clage  Marien.  Ich  habe  darum  auch 
kein  bedenken  getragen,  das  gedieht  umzutaufen  und  ihnii  im 


UNSER  VROÜWEN  KLAGE.  309 

anschluss  an  die  betitelung  in  ABCH,  die  ihm  gebührende  be- 
nennung  Unser  vrouwen  klage  beizulegen. 

Darauf  folgt  in  v.  137 — 335  die  eigentliche  auslegung, 
deren  motiv  der  bearbeiter  alsdann  weiterhin  zur  Überleitung 
in  die  Marienklage  verwertet  hat  v.  336  —  75  +  446 — 65. 
Wie  im  Hohenliede  die  töchter  Syon  hinausgehen ,  um  den 
könig  Salomo  im  hochzeitsschmuck  zu  schauen,  so  sendet  sie 
nun  der  nachdichter  hinaus  zur  Maria  v.  337  ff.: 

Gänt  üz  ZUG  der  megde  gnot 

nnt  erküelent  inwem  muot 

sprechet  unde  vräget  st 

ob  si  niht  nähen  waer  da  bt, 

dd  ir  kint  wart  gevangen 

gebunden  nnt  erhangen  n.  s.  w. 

Dafür  ist  natürlich  die  beschreibung  der  quelle  I  v.  376 — 97 
und  das  gebet  des  kapplans  I  398 — 481  ausgefallen  mit  aus- 
nähme von  V.  446 — 65,  welche  direct  in  v.  475  angeschlossen 
werden.  Wol  aber  sind  diese  beiden  absätze  in  der  hier  be- 
sprochenen Überleitung  fleissig  ausgebeutet  worden,  worüber 
man  die  angaben  in  den  Varianten  vergleichen  möge.  Diese 
stelle,  V.  446 — 65,  enthält  nochmals  die  aufforderung  des  kapp- 
lans (nach  der  Interrogatio  also  des  Anseimus),  dass  ihm  die 
Jungfrau  ihre  schmerzen  offenbaren  möge: 

sage,  reinia  maget,  sage, 

sage  nnt  künde  dtne  klage  n.  s.  w. 

Und  auf  diese  bitte  führt  dann  der  dichter  die  Maria  mit  fol- 
genden Worten  v.  482  ff.  sprechend  ein: 

Zao  den  werten  sprach  diu  maget 

'vil  lieber  kneht,  dir  si  gesaget: 

ich  was  ze  Jerasaldm  inne  u.  s.  w. 

Dieser  Übergang  ist  beim  dichter  und  in  I  durchaus  correct 
und  der  quelle  entsprechend.  Wenn  aber  nun  der  bearbeiter 
von  II  denselben  mit  einer  leisen  änderung  in  v.  483  vil  lieben, 
iu  si  gesaget  auf  die  töchter  von  Syon  anwendet  und  die  Maria 
diesen  ihre  klage  unmittelbar  verkündigen  lässt,  so  gerät  er  in 
Widerspruch  mit  der  in  v.  109.  10  bedeuteten  angäbe,  dass  die 
Maria  einem  ir  knehte  ihre  klage  in  einer  vision  geoffenbart 
habe.  Wollte  man  daher  diese  form  der  einleitung  mit  Schön- 
bach als  eine  sinnreiche  bezeichnen,  so  müste  wenigstens  diese 
incongruenz  vermieden  sein.  Andererseits  ist  aber  auch  das 
mass  einer  einfachen  einleitung  zu  einem  gedichte  vom  um- 


310 


MILGHSACK 


fange  Ton  Uvkl.  darin  so  sehr  überschritten  (sie  umfasst  bei- 
nahe den  vierten  teil  des  ganzen) ,  und  die  töchter  von  Syon 
stehen  mit  der  Marienklage  so  gans  ausser  allem  zu- 
sammenhange, dass  dagegen  die  viel  einfachere  und  näher 
liegende  natürliche  und  mit  der  quelle  übereinstimmende 
einleitung  in  I  derselben  unbedingt  vorzuziehen  ist  — 
II  endigt  mit  einem  gebetC;  in  v^elchem  die  fassung  von  I 
stark  umgearbeitet  und  erweitert  worden  ist.  Der  dichter 
bittet  darin  in  I  ftir  un^,  d.  h.  für  sich  und  seine  mitchristen, 
der  bearbeiter  aber  ist  selbstsüchtig  genug,  über  der  sorge  um 
sein  eigenes  Seelenheil  das  seiner  mitmenschen  zu  vergessen. 
Die  in  dem  gebete  an  die  Maria  v.  57 — 82  schon  vorweg  ge- 
nommene fürbitte  für  seine  leser  hat  er  selbstverständlich 
übergangen.  Zum  Schlüsse  geht  er,  um  den  Zusammenhang 
mit  den  töchtern  von  Syon  aufrecht  zu  erhalten,  auch  noch 
diese  an,  dass  sie  ein  ave  Maria  für  ihn  sprechen  möchten. 

Ich  will  noch,  um  dem  leser  das  soeben  geschilderte  Ver- 
hältnis der  beiden  recensionen  etwas  bequemer  zu  veranschau- 
lichen, die  jeder  von  ihnen  angehörenden  teile  des  gedichtes 
tabellarisch  neben  einander  gestellt  folgen  lassen. 


I. 


V.  83—106  angäbe  des  dichters  über 
die  vcranlaBBung  zu  seinem 
werkehen. 


v.  376-— 397   beschreibnng  der  lat 
quelle  und  ihres  Verfassers, 
des   Kapplans   (Anshelmus). 
Vgl  II  107—114. 
V.  398-  445,      I  gebet  des  Kapplans 
446—465  und?   an  die  Maria  um 
466—48 1         f  offen  barihrer  klage. 
V.  482  ff.  die  Marienklage. 


U. 

V.  1—56   gebet   des  nachdichters 
an  Jesum  um  erlenchtang. 

V.  57—82  fürbitte  bei  Maria  für  die 
leser  und  hürer  des  gedichtes 
mit  benutzung  von  1 1618-57. 

V.  83—106  =»  I. 


+  v.  107—114  angäbe  der  qaelle, 
entsprechend  I  376—397. 

v.  115—136  Widmung  an  die  leser. 

V.  137 — 335    Interpretation    von 
Hobel.  3,  11. 

V.  336-375       \    üijerieitung  ^^ 

Marienklage. 

Gebet  der  tue  hter 

von  8ion 

an  Maria,  am 

+  V.  446—465     Offenbarung  ihrer 

=  1     )  klage. 

V.  4S2  ff.  =  I. 


UNSER  VROÜWEN  KLAGE.  3 1 1 

Dieses  in  der  einleitung  und  am  ende  hervortretende  ver- 
halten der  beiden  reeensionen  zur  lateinischen  quelle  und 
unter  einander  lässt  keinen  zweifei  darüber,  dass  I  hier  die 
originalere  abfassung  repräsentiert,  II  eine  tendenziöse  Über- 
arbeitung. Und  da  auch  im  übrigen  die  vergleichung  mit  der 
quelle  ein  weitaus  günstigeres  resultat  für  I  als  für  II  ergab, 
so  muste  I  der  ausgäbe  des  gedichtes  zu  gründe  gelegt  wer- 
den. Bei  der  ausarbeitung  des  handschriftenverhältnisses  über- 
zeugte ich  mich  aber  bald,  dass  die  herstellung  des  kritischen 
textes  mittelst  combination  beider  recensionen  nicht  nur  äusserst 
schwierig,  sondern  nach  festen  grundsätzen  überhaupt  unaus- 
führbar gewesen  sein  würde,  denn  die  abschätzung  des  wertes 
derselben  hätte  dabei  allzu  oft  dem  subjectiven  ermessen  des 
herausgebers  anheimgestellt  werden  müssen.  Ueberdies  würde 
dadurch  der  Variantenapparat  sehr  schwerfällig  und  eine  leichte 
Übersichtlichkeit  der  beiden  bearbeitungen,  welche  für  die  fer- 
nere wissenschaftliche  benutzung  wünschenswert  sein  muste, 
nicht  erreicht  worden  sein.  Ich  habe  daher  auf  den  rat  des 
herrn  prof.  Paul  das  von  Bartsch  für  seine  ausgäbe  der  Klage 
befolgte  verfahren  als  das  praktischste  zur  anwendung  ge- 
bracht, den  text  von  I  als  haupttext  behandelt  und  die  davon 
abweichenden  stellen  in  II  in  gebesserter  gestalt  unter  den- 
selben gesetzt.  Hierbei  möge  man  beachten,  dass  diejenigen 
abweichungen  in  II,  welche  blosse  bearbeitungen  sind,  wenn 
die  zahl  der  verse  der  correspondierenden  stelle  in  I  nicht  ent- 
spricht, mit  buchstaben,  diejenigen  aber,  welche  in  I  fehlen, 
mit  besonderen  zahlen  gezählt  sind.  Nur  bei  drei  grösseren 
absätzen  von  11  war  die  aufnähme  in  den  haupttext  nicht  zu 
vermeiden,  weil  sie  sich  ihres  bedeutenden  umfanges  wegen 
unter  demselben  nicht  anbringen  liessen,  nämlich  bei  v.  1—82, 
107 — 375  und  1484 — 1539.  Da  sie  aber  in  sich  abgeschlossene 
abschnitte  bilden  und  durch  cursiven  druck  kenntlich  gemacht 
sind,  so  glaube  ich,  dass  daraus  keine  Schwierigkeit  für  den 
leser  entstehen  wird.  Wie  in  der  Klage,  so  sind  auch  hier 
die  lesarten  in  zwei  abteilungen  geschieden.  Die  unter  dem 
durchgehenden  striche  stehenden  gehören  zum  haupttext,  die 
unter  dem  halben  strich  zu  den  abweichungen  von  II.  Dem 
lesarteuverzeichnis  habe  ich  auch,  um  die  vergleichung  zu  er- 
leichtern,   die    entsprechenden   stellen  der   quelle    einverleibt, 


312  MILCHSACK 

welche  sich  durch  den  gesperrten  druck  Bofort  aus  den.  Varian- 
ten herausfinden  lassen.  Ich  habe  unter  ihnen  mehrere  aufge- 
nommen, welche  mit  den  bezüglichen  versen  des  gedichtes  nur 
in  einem  sehr  oberflächlichen  Zusammenhang  stehen,  um  dem 
leser  an  einigen  beispielen  zu  zeigen,  in  wie  freier  weise  der 
dichter  seine  vorläge  zum  teil  behandelt  hat  Darin  bin  ich 
aber  Bartsch  nicht  gefolgt,  in  einer  besonderen  rubrik  zu  ver- 
suchen, die  gemeine  lesart  wider  herzustellen.  Denn  hierbei 
spielt  die  subjectivität  des  widerherstellers  notwendigerweise 
eine  zu  grosse  rolle,  als  dass  meistens  mehr  denn  eine  an- 
nähernde Sicherheit  für  die  ursprtinglichkeit  des  gewonnenen 
erreicht  werden  könnte.  Es  bedarf  dazu  auch  einer  solchen 
kenntnis  und  bewundernswürdigen  gewantheit  in  der  band* 
habung  des  mittelhochdeutschen,  wie  sie  Bartsch  eignet,  in  der 
ich  es  ihm  aber  gleich  zu  tun  nicht  unternehmen  werde. 

Es  erübrigt  nun  noch  nachzuweisen,  wie  der  umdichter 
von  II  dazu  gekommen  ist,  jene  auslegung  des  Hohenliedes 
3,  11  in  seine  bearbeitung  aufzunehmen.  Denn  dass  er  dazu 
eine  äussere  anregung  empfangen  habe,  glaube  ich,  steht  ausser 
aller  frage.  Man  wird  zunächst  an  die  Tohter  S^ön  Lamp- 
rechts von  Regensburg  1)  und  an  das  gleichnamige  etwas 
spätere  gedieht  denken,  welches  früher  dem  mönch  von  Hoils- 
hronn  2)  zugeschrieben  wurde.  Allein  weder  das  gedieht  Lamp- 
rechts bietet  in  dem,  was  bis  jetzt  davon  bekannt  geworden 
ist,  greifbare  beziehungen  zu  der  einleitung  des  zweiten  be- 
arheiters  von  Uvkl.,  noch  auch  das  letztere.  Es  ist  sogar  frag- 
lich, ob  die  zweite  bearbeitung  nicht  schon  stattgefunden  hat^ 
bevor  Lamprecht  sein  gedieht  herausgegeben  hatte.  Denn 
auch  der  nachdichter  von  Uvkl.  war  kein  gewöhnlicher  mann 
und  nicht  ganz  ohne  dichterische  begabunjr.  Seine  behand- 
lung  des  verses  ist  im  ganzen  noch  diejenige  der  besseren 
zeit  und  in  seiner  darstellungsweise  empfindet  man  den  un- 
verkennbaren einfluss  Gotfrieds  von  Strassburg;  Freidank  und 
Walther    von    der   Vogel  weide    waren  ihm,    wie  wir    später 

*)  Ausführliche  mhaltsangabe  in  den  Heidelb.  Jahrb.  (1816)  IX,  2 
8.  7t3— ?•>  nebst  ans/.Ugen.  —  Andere  teile  des  gedichtes  bei  Hoffmann, 
Fundgr.  1,  308  if.  und  Weinhold,  Mhd.  Icseb.  s.  152—56. 

0  I>er  mönch  von  Hcilsbronn,  von  Th.  Merzdorf,  Berlin  1870.  — 
Albr.  Wagner,  üeber  den  mönch  von  Heilbronn.    QF.  XV. 


«1* 


^ 


UNSER  VROUWEN  KLAGE.  3 1 3 

Beben  werden,  bekannt;  die  zahl  der  von  II  erhaltenen  hgg. 
ist  fast  eben  so  gross  als  die  von  I,  und  wie  diese  über  Süd- 
und  Norddeutschland  verbreitet.  Die  entstehung  der  zweiten 
recension  kann  daher  noch  sehr  wol  ins  ende  des  13.  Jahrhun- 
derts gesetzt  werden  und  wird  jedenfalls  nicht  weit  über  den 
anfang  des  14.  hinabgerttckt  werden  dürfen.  Aber  bis  jetzt 
kenne  ich  auch  sonst  nichts,  was  zu  jener  Interpolation  den 
anstoBs  gegeben  haben  kann.  Die  frage  ist  aber  schon  wegen 
der  beiden  oben  genannten  gedichte  nicht  unwichtig,  denn 
auch  Lamprecht  hat  die  mystisch -allegorische  behandlung  der 
Töchter  von  Syon  nicht  erfunden,  sondeni  als  etwas  schon 
bekanntes  und  geläufiges  gefunden  und  verwertet.  Und  da 
die  töchter  Syon  in  Uvkl.  II  noch  bei  weitem  nicht  in  dem 
maasse  wie  dort  zu  allegorischen  figuren  geworden  sind  und 
der  zweite  bearbeiter  noch  direct  an  den  eigentlichen  aüs- 
gangspunkt  HoheL  3,  1 1  anknüpft,  so  steht  er  jedenfalls  noch 
in  einer  älteren  eutwickelungsphase. 

3.   Die  lesarten. 

Von  einem  gedieht,  welches  in  sechszehn  handschriften  auf 
uns  gekommen  ist,  darf  man  wol  annehmen,  dass  die  zahl 
der  einmal  vorhanden  gewesenen  abschriften  weit  grösser, 
vielleicht  zwei  bis  dreimal  so  gross  gewesen  sei.  Sind  nun 
die  erhaltenen  handschriften  aus  so  später  zeit,  wie  bei  Unser 
vrouwen  klage,  so  ist  es  erklärlich,  dass  sich  die  Stellung  der- 
selben zu  einander  nicht  ganz  genau  bestimmen  lässt,  weil 
die  anfangs-  und  ein  teil  der  mittelglieder  verloren  sind.  Es 
restieren  eine  ziemliche  menge  widerhaariger  lesarten,  welche 
den  im  ganzen  deutlich  erkennbaren  verlauf  der  Überlieferung 
durchkreuzen  und  auf  Verwickelungen  schliessen  lassen,  die 
mit  den  vorhandenen  mittein  zu  vollkommener  klarheit  nicht 
mehr  entwirrt  werden  können. 

A.    Die  Stellung  von  I  und  II  zum  original. 

Es  ist  für  die  textkritik  zunächst  von  Wichtigkeit  zu 
untersuchen,  ob  beide  bearbeitungen  unmittelbar  aus  dem  ori- 
ginal, oder  ob  sie  aus  einer  schon  mit  mancherlei  fehlem  be- 
hafteten abschrift  desselben  geflossen  sind.    Ein  anderes  ver- 


314  MILCHSACK 

bältnis  ist  nicht  möglich,  weil  nach  den  bisherigen  erörterungen 
weder  II  aus  I  und  noch  weniger  I  aus  II  hervorgegangen 
sein  kann.  Ihre  directe  abstammung  aus  der  Urschrift  oder 
einem  dieser  an  gute  gleichkommenden  absenker  muss  ange- 
nommen werden,  wenn  beide  keinen  fehler  teilen,  bei  welchem 
eine  zufallige  entstehung  ausgeschlossen  ist.  Dagegen  wird 
als  die  quelle  beider  ein  schon  von  Verderbnissen  entstellter 
archetyi)us  angesetzt  werden  müssen,  wenn  sich  tibereinstim- 
mende fehler  von  solcher  beschaffenheit  nachweisen  lassen, 
dass  sie  nur  iu  der  Voraussetzung  einer  gemeinsamen  vorläge 
eine  erklärung  finden,  d.  h.  überhaupt  oder  doch  wahrschein- 
lich nicht  in  jeder  der  beiden  recensionen  selbständig  und  von 
einander  unabhängig  entstanden  sein  können.  Fehler  dieser 
letzteren  art  sind  nun  allerdings  mehrere  vorhanden.  So  die 
vertauschung  von  v.  740.  1  mit  742.  3,  worüber  schon  bei  der 
lateinischen  quelle  (s.  oben  s.  301)  ausführlich  gesprochen 
worden  ist 

Femer  in  den  versen  749—53,  welche  auf  folgenden  Wor- 
ten der  quelle  beruhen:  ut  f/ui  una  vita  vixerunt  et  wio  se 
amore  dilexenmt  tma  morie  pereant.  Dieselben  sind  mit  über- 
gehuug  der  hier  nebensächlichen  lesarten  wie  folgt  überliefert: 

wan  ez  reht  nnt  billich  ist 
750    (laz  (dar  B^  wan  C)  wir  ein  Itp  wären  ie 

noch  dhain  (kein  BI,  die  ein  H^  die  G)  minne  nie  verlie, 

daz  die  stn  in  einer  not 

unt  Itden  samt  den  grimmen  tot 

Die  Verderbnis  liegt  in  wir  v.  750.  Setzt  man  dafür  dem  qtä 
der  (luelle  entsprechend  die  und  behält  in  v.  751  die  Icsung 
von  G  dehcin  bei,  so  ist  diese  stelle  auf  die  einfachste  weise 
gebessert. 

Ferner  in  v.  656 — 59: 

stn  wUnnecltchox  (myfieclichcs  Z>,  minneclich  H,  Vnde  sinem 

wunnenklichem  D,  Und  seinen  chlaren  C)  angcsiht, 
wart  so  (so  fehlt  />,  nie  so  G,  so  das  /,  do  daz  B)  jiemerlichez 
(jaemerlichest  H,  icmerlicher  B,  jemerlich  gemacht  zu  D) 

niht  (lieht  B) 
üf  (hie  vf  Gl)  der  (fehlt  I)  erden  nie   (niht  B,  wart  Gl,  Er 

wart  nie  uf  erd  H)  gesehen 
des  mac  ich  wol  (ich  fehlt  B,  wol  ich  B)  sin  mnoter  jehen. 

V.  658.  9  fehlen  D.    Die  Verwirrung  ist  hier   stärker  als  in 


UNSER  VROÜ WEN  KLAGE.  3 1 5 

der  vorigen  stelle,  deshalb  haben  auch  die  einzelnen  hand- 
schrifteu  grossere  änderungen  vorgenommen,  ohne  dass  jedoch 
eine  von  ihnen  eine  annähernd  befriedigende  emendation  ge- 
funden hätte.  Diejenige,  welche  ich  in  den  text  aufgenommen 
habe,  ist  noch  wol  die,  Vielehe  sich  aus  den  Varianten  als  die 
einfachste  und  wahrscheinlichste  ergibt 

Eine  merkwürdige  Verderbnis,  welche  nur  in  G  (BCH 
fehlen  an  dieser  stelle)  vermieden  ist,  begegnet  v.  1056 — 59. 
Diese  verse  lauten  nämlich  in  A: 

minrent  mir  min  vngemach, 
Losent  sinen  lip  herab, 
minrent  so  vil  mir  min  not, 
das  ich  doch  habe  tot  .  .  . 

Im  V.  1056  ist  irrtümlich  statt  ungehabe  ungemach  eingedrungen, 
dadurch  sind  dieser  und  der  folgende  vers  reimlos  geworden. 
Diese  Unebenheit  ist  jedoch  nicht  durch  eine  uachlässigkeit 
des  Schreibers  von  A  veranlasst  worden,  denn  der  Schreiber 
von  D  fand  sie  schon  in  seiner  vorläge,  welche  nicht  in  einem 
solchen  Verhältnis  zu  A  steht,  dass  aus  ihr  der  fehler  in 
jene  übertragen  sein  könnte.  Er  suchte  sich  aber  zu  helfen, 
indem  er  flugs  zwei  neue  verse  hinzumachte,  dafür  aber 
V.  1058.  9  ausliess;  er  schrieb: 

1056  sprach  sie  mit  leides  ungemach, 
Da  sie  den  toden  korper  sach, 

1057  Loset  en  von  deme  erntze  abe 
Unde  bestadet  en  zu  dem  grabe. 

Die  Variante  an  dieser  stelle  in  I  macht  es  aber  sehr  wahr- 
scheinlich, dass  der  fehler  noch  älter  ist  und  schon  im  arche- 
typus  von  I  und  II  gestanden  habe,  denn  I  bindet  mit  tiber- 
schlagung  von  v.  1057.  8  und  mit  vertauschung  des  reim  wertes 
not  in  V.  1058  mit  ungemach  in  v.  1056,  diesen  letzteren  mit 
1059.     Also : 

1056    Mindrent  mir  min  ndt, 

1059    daz  ich  hab  min  kint  also  tot 

Nur  6  reimt  richtig  ungehabe  :  abe  und  man  muss  sich  wun- 
dern, dass  nicht  auch  von  den  anderen  handschriften  diese 
besseruug  selbständig  gefunden  und  ein  solcher  umweg  zur  er- 
langung  des  reimes  eingeschlagen  wurde.  Allein  DI  sind  bei- 
des sehr  späte  hss.  und  es  entsteht  die  frage,    ob  sie  nicht 


316  MILCHSACK 

absichtlich  das  wort  ungehabe  entfernt  haben.  Dieselbe  ist 
aber  für  D  unbedingt  zu  bejahen,  welches  nirgends  in  auf- 
fälliger weise  an  einzelnen  der  älteren  spräche  eigentümlichen 
Wörtern  anstoss  nimmt,  und  speciell  der  reim  ungehabe  :  herabe 
.-grabe,  der  in  I  sieben  mal  vorkommt,  ist  nicht  ein  einziges 
mal  von  ihm  beanstandet  worden.  Anders  steht  es  dagegen 
mit  I.  Es  ist  schon  oben  bei  beschreibung  dieser  hs.  des 
näheren  ausgeführt  worden,  dass  dieselbe  eine  ziemliche  an- 
zahl  im  15.  Jahrhundert  nicht  mehr  geläufiger  Wörter  beseitigt 
hat,  und  zwar  einige,  namentlich  minne  und  minnen  mit  aus- 
nahmsloser consequenz.  Davon  ist  fiher  tmgehabe  nicht  eigent- 
lich betroflfen  worden.  Denn  v.  1134.  1271.  1356  und  1580 
findet  sich  dieses  wort  und  ebenso  v.  882  missehaben  unange- 
tastet. Wenn  aber  v.  1394  vngemach  (:  grabe)  in  I  zu  lesen 
ist,  so  kann,  da  das  zweite  reimwort  unverändert  blieb,  diese 
vertauschung  nicht  mit  Überlegung,  absichtlich  geschehen  sein; 
um  so  weniger  weil  v.  1457.  1  migehab  {:  geschach)  steht, 
welches  beweist,  dass  dieses  wort  dem  Schreiber  von  I  noch 
vollkommen  mundgerecht  war.  Daraus  folgt,  dass  der  aus- 
gangspunkt  des  oben  besprochenen  fehlers  nicht  in  der  vor- 
läge von  AD;  sondern  im  archetypus  beider  recensionen  ge- 
sucht werden  muss,  und  dass  die  richtige  lesung  in  G  nur  das 
besondere  verdienst  des  Schreibers  dieser  hs.  ist 

Weniger  sicher  ist  die  annähme  eines  alten  fehlers  in 
V.  1072.  3,  wo  der  ausfall  des  zweiten  verses  in  A  und  die 
verschiedene  fassuug  desselben  in  D  (BC  fehlen)  und  II  auf 
eine  lücke  im  archetypus  schliessen  lassen.  Indessen  kann 
diese  Verschiedenheit  auch  aus  irgend  einem  gründe  von  einem 
der  bearbeiter  bewirkt  worden  sein,  so  dass  die  lUcke  in  A 
lediglich  einer  flttchtigkeit  dieser  hs.  zuzuschreiben  wäre. 

Vielleicht  sind  auch  die  fehlerhaften  lesarten  in  v.  579 
Hatte  gelobit  D,  Sten  E,  aus  einem  Verderbnis  oder  dem  fehlen 
der  richtigen  lesung  sehen  im  archetypus  zu  erklären,  welche 
allerdings  ABC  und  HI  darbieten.  Allein  sowol  ABC  als  HI 
entstammen  je  einer  hs.,  in  welcher  das  ursprüngliche  leicht- 
hin selbständig  verbessert  oder  ergänzt  worden  sein  kann. 
Denn  auch  G  ist  hier  verderbt  und  hat  nach  v.579  zwei  eigene 
verse  eingeschoben,  welche  das  in  diesem  verse  fohlende  sehen 
ersetzen.    Die  stelle  heisst  im  zusammenhange: 


^ 


ÜNSEB  VEOÜWEN  KLAGE.  317 

575    den  da  in  stnem  tröne 

die  höhen  engel  S^aphtn  .  .  . 
579    sehen   {fehlt  G,  Hatte  gelobit  D,  Sten  E) 

in  stner  (herren  G)  magenkraft, 

(ze  sehen  begen  wil 

an  vnder  las  anendo  zil  G), 

Aus  diesem  gesichtspimkte  sind  auch  die  Varianten  zu  y.  775 
zu  betrachten,  wo  BC  getan,  D  gerochin,  Gl  vergolten,  H  ge- 
volget  lesen. 

Endlich  will  ich  noch  eine  stelle  hierher  ziehen,  welche 
wir  bei  der  Untersuchung  des  verwantschaftsverhältnisses  von 
ABC  noch  einmal  näher  ins  äuge  zu  fassen  haben  werden,  ob- 
schon  auch  sie  nicht  ganz  eclatant  ist.  V.  560.  1  sind  im 
wesentlichen  in  drei  verschiedenen  fassungen  überliefert,  näm- 
lich in 
ABC:    dö  gienc  Jdsns  mtn  liebez  liep 

üz  der  (ffür  die  Ä)  stat  alsam  (glich  als  Ä)  ein  diep. 
DE:    da  wart  (wart  fehlt  D)  ihesus  myn  zartes  (zartes  fehlt  £)  liep 

Vz  der  stat  (wart  nsz  D)  gefurt  alz  (also  D)  eyn  diep. 
II:    dd  wart  gevUert  min  liebez  (min  kint  G)  liep 
üz  der  stat  als  (alsam  G,  reht  als  if)  ein  diep. 

Die  Verschiedenheit  des  verbums  und  seine  zweifache  Stellung 
scheint  mir  eher  in  der  auslassung  des  gevüeret  im  archetypus, 
als  in  der  blossen  willkür  der  einzelnen  handschriftenklassen 
begründet  zu  sein.  Denn  gienc,  wie  ABC  lesen,  ist  von  vorn- 
herein falsch,  das  beweist  das  educuntur  der  Interrogatio  und 
wenn  man  die  verse  wider  herstellt,  wie  sie  aller  Wahrschein- 
lichkeit nach  im  original  gestanden  haben: 

dd  wart  Jdsns  mtn  liebez  liep 

nz  der  stat  gevüeret  als  ein  diep, 

so  ersieht  man  nichts  ausser  dem  zweisilbigen  auftakt  in  v. 
561,  woran  die  abschreiber  anstoss  genommen  haben  könnten, 
doch  wird  dieser  schwerlich  allein  den  grund  für  eine  vier- 
fache Umwandlung  gegeben  haben.  Nimmt  man  dagegen  an, 
dass  gevüeret  im  archetypus  fehlte,  so  erklären  sich  dieselben 
am  natürlichsten.  Während  II  das  particip  gleich  hinter  wart 
einsetzte  und  dafür  Jesus,  was  unbeschadet  des  sinnes  weg- 
bleiben konnte,  fallen  liess,  fand  E  die  lücke  richtig  heraus. 
D  zog  auch  wart  mit  in  den  zweiten  vers  herab,  ABC  dagegen 
wüsten  sich  nur  durch  er  Setzung  des  ganzen  verbums  durch 
ein  anderes  zu  helfen« 


318  MILCHSACK 

Sind  auch  nicht  alle  die  hier  vorgefÜhi-te»'l)eiRpiele  für 
die  ableitung  der  beiden  rec^nsionen  von  einem  archetypus 
gleich  beweisend,  so  genügen  doch  schon  die  ersten,  um  die 
annähme,  dass  sie  nicht  direct  aus  dem  original  entstanden 
sein  können,  über  jedes  bedenken  zu  erheben. 

B.   Die  losarten  der  handschriften  der  ersten 

recension. 

Von  gemeinsamen  fehlem  in  I  finde  ich  nur  öinen  von 
bedeutung,  nämlich  die  vertauschung  der  platze  von  v.  1334.  5 
und  1330 — 33  und  die  damit  verbundenen  änderungen  in 
BGB.  Ich  gebe  diese  stelle  in  hergestellter  form  und  mit  den 
hier  in  betracht  kommenden  Varianten  der  drei  zuletzt  ge- 
nannten handschriften: 

1326 — 29         Nu  sage,  swer  ez  muge  gesagen, 
von  dem  j»merltchen  clagen, 
daz  st  tet:  ez  was  so  gröz, 

daz  ein  zäher  den  andern  schöz  (daz  ez  ovch  [ez  ovch 
fehlt  £]  die  engel  verdroz  [nicht  verdroz  E]  BCE). 
1334.  5    st  weinten,  dö  st  in  tot 
sähen  unt  Märten  not. 
1330 — 33    da  warn  euch  vrouwen  ande  man, 
der  herze  euch  vil  sdre  erkam: 
st  weinten  mit  der  sUezen  maget, 
st  wären  mit  ir  gar  verzaget 
1336    die  engel  wären  euch  da  bt  .  .  . 

Mit  V.  1331  bricht  das  bruchstück  £  ab.  Es  muss  dem  leser 
sofort  auffallen,  dass  zu  dem  si  weinten  und  sähen  v.  1334.  5 
in  A  das  subject  fehlt  Von  BCE  ist  das  nicht  unbeachtet 
geblieben  und  um  ein  solches  zu  erhalten,  nehmen  sie  die  engel, 
welche  erst  v.  1336  auftreten  ^  in  v.  1329  hinauf,  der  dadurch 
seine  von  A  bewalirte  ursprüngliche  fassung  ganz  aufgeben 
muste.  Aus  der  vergleichung  mit  II  geht  aber  hervor,  dass 
das  eigentliche  subject  zu  v.  1334.  5  die  vrouwen  unde  man 
V.  1330  sind,  und  dass  deshalb  v.  1330 — 33  den  vorsen  1334.5 
vorangehen  müssen,  wie  es  auch  dort  der  fall  ist  —  Da  in  D 
V.  1316 — 29  und  1334  ff  fehlen,  so  wäre  es  möglich  anzuneh- 
men, dass  D  diesen  fehler  nicht  enthalten  habe;  allein  D  stellt 
sich,  wie  sich  zeigen  wird,  enge  zu  E,  daher  wird  auch  dieser 
hs.  hier  keine  ausnahmsstellnng  zuzuweisen  sein  und  der  ur- 


UNSER  VROÜWEN  KLAGE.  319 

Sprung  des  fehlers  in  der  vorläge  aller  hss,  von  I  gesucht  wer- 
den müssen. 

Steht  diese  stelle  auch  vereinzelt  da,  so  ist  sie  doch  schla- 
gend genug,  um  die  behauptung  zuzulassen,  dass  die  uns  vor- 
liegende Überlieferung  von  I  nicht  direct  aus  dem  mit  II  ge- 
meinsamen archetypus,  sondern  aus  einer  anderen,  davon  ab- 
geleiteten hs.  (b)  entstammt 

Auf  die  engeren  verwantschaftlichen  beziehungen  zwischen 
ABC,  welche  dem  leser  schon  bei  den  bisher  besprochenen 
stellen  nicht  entgangen  sein  werden,  ist  auch  schon  (oben  s. 
317)  bei  der  Verhandlung  über  v.  560.  1  besonders  hingedeutet 
worden.  Dort  hatten  ABC,  der  Überlieferung  von  DE II  und 
dem  educuntvr  der  quelle  entgegen,  gienc  für  wart  gevüeret 
eingesetzt.  Für  die  reconstruierung  des  handschriftenverhält- 
nisses  folgt  daraus,  dass  zwischen  der  vorläge  von  ABCDE  (b) 
und  ABC  eine  durchgangshandschrift  (c)  anzusetzen  ist,  von 
welcher  DE  unabhängig  sind,  da  weder  A  eine  abschriflk  von 
BC  (welche  man  vorläufig  nur  als  repräsentanten  6iner  hs. 
betrachten  wolle),  noch  BC  eine  solche  von  A  ist.  Und  es 
finden  sich  noch  eine  reihe  anderer  und  zum  teil  gewichtigerer 
lesarten,  welche  diese  annähme  vollkommen  bestätigen. 

Zunächst  einige  geringfügigere.  V.  436  über  (fehlt  Dil); 
578  Mit  (Uhde  D,  vn  Ell);  706  zartez  {liebes  D,  lieber  l,  iku 
GH);  551  armen  {argen  DE,  riht(er  II);  1088  daz  {ez  Dil); 
1223  haben  toten  {tot  A)  {toten  haben  DU)]  1277  gevangen  (pe- 
vangen  EU);  1589  Maria  {müter  DG,  o  müter  HKL).  Bewei- 
sender sind  dagegen  schon  die  lesarten  in  v.  574: 

an  sin  angesibt  (angesihte  BC)  schöne  ABCj 
wo  DE  II  besser  antlitze  lesen.  —  Ferner  in  v.  1135: 

ABC:    gänt  mit  ir  den  (mit  dem^C)  hgren  zuo  (zv  dem  BC)  grabe. 
D  II:    unt  gänt  mit  ir  zno  dem  grabe. 

Widerholte  Umstellung  von  werten  in  v.  637: 

der  got  der  nie  Bund  (svnde  B)  begienc  ABCj 
anstatt  des  unzweifelhaft  richtigen  der  sünde  nie  DIL  Vgl.  1034. 
Von  durchschlagender  beweiskraft  sind  aber  folgende 
stellen.  V.  548  lesen  ABC  vmb  minen  für  imt  ndn  DE  II,  was 
offenbar  falsch  ist;  denn  es  werden  dadurch  zwei  durch  unt 
verbundene  sätze  in  6inen    zusammengezogen,   so    dass    das 


320  MILCHSACK 

verbum  des  zweiten  satzes  wart  verteilet  y.  552  sein  subject 
verliert  und  völlig  in  der  luft  steht  —  V.  1102.  3  sind  in 
drei  fassungen  überliefert,  nämlieh  in 

ABC:    waz  leides  dd  Marta  sach 

an  irem  kint  (ires  kindes  BC)  angemach. 
J):    nnde  waz  Maria  leides  sach 

an  ereme  kinde  und  angemach. 
//;    waz  leides  nnt  weih  nngemach 
din  maoter  an  ir  kinde  sach. 

Die  änderung  in  BC  in  v.  1103  deutet  sofort  auf  die  wunde 
stelle  in  der  vorläge  von  ABC.  Es  fehlte  uni,  wie  noch  gegen- 
wärtig in  A.  D  hat  zwar  an  dem  ersten  verse  gemodelt,  den 
zweiten  aber  richtig  erhalten.  Auch  II,  was  zugleich  als  eine 
illustrationsprobe  flir  seine  bearbeitungsweise  dienen  kann, 
weist  auf  die  lesung  von  v.  1103  in  D.  —  Auf  der  auslassung 
eines  wörtchens  in  der  vorläge  von  ABC  beruhen  auch  die 
änderungen  bei  v.  1625.    Es  lesen  hier  v.  1624.  5: 

ABC:    gedenke  onch  an  die  quäle  dln 

ant  tue  uns  die  gnäde  (dtner  gnaden  BC)  schtn 

(schrein  C). 
11:    nü  tue  mir  üf  der  gnaden  schrtn, 
daz  mir  din  giiete  werde  schtn  .  .  . 

Wir  befinden  uns  hier  in  der  Schlusspartie  des  gediehteSi 
welche  II  in  so  ausserordentlich  starker  Umarbeitung  darbietet, 
daher  ist  auf  schin  II  1625,  1  nichts  zu  geben:  dieser  ganze 
vers  gehört  zu  der  eigenen  mache  des  umdichters.  Es  muss 
also  auffallen,  dass  C  in  v.  1625  schrin  statt  schin  AB  dar- 
bietet, was  keinen  sinn  gibt.  Vergleicht  man  aber  II,  so  be- 
weist eben  diese  Variante,  welche  man  sonst  ftir  eine  blosse 
Verderbnis  halten  müste,  dass  in  der  vorläge  von  ABC  üf 
fehlte  und  dass  scfdn  nur  eine  selbständige  correetur  von  A 
und  B  ist 

Eine  der  stärksten  Verderbnisse  in  ABC  hat  v.  940 — 43 
betroffen  und  dieselben  teilweise  bis  zu  vollständiger  Unkennt- 
lichkeit entstellt    Die  Überlieferung  ist  eine  vierfache: 

A:  BC: 

sie  waren  beide  on  krafit:  sie  waren  beide  ane  kraft: 

die  quäle  hett  sich  also  gemäht,  die  qvalehete(het  (7)  siesogemaht, 
das  ir  yetweders  nit  bringe  moht  das  ir  (ich  C)  keines  mohte  bringen 
von  dem  munde  das  doht  von  dem  munde  wort  noch  stimme 

(v.  d.  munt  wart  geswingen  C). 


UNSEE  VROUWEN  KLAGE.  321 

D:  H: 

ir  leit  daz  was  so  manecvalt, 

Also  hatte  mich  die  quäle  behafft,  daz  ir  dwederz  durch  daz  mort 

Daz  mir  entging  macht  ufi  crafft:  mohte  geleisten  stimm  noch  wort 

Ich  enmochte  geleisten  stymme  st  wären  beidiu  äne  kraft: 

noch  wort, 

Da  ich  ersach  den  groissen  mort.  der  smerze  hate  si  so  behaft  .  . 

Y.  929 — 43  Bind  in  II  erheblich  umgearbeitet,  daraus  erklärt 
sich  die  Umstellung  Ton  v.  942.  3  und  940.  1.  Im  übrigen 
bietet  II  höchst  wahrscheinlich  den  ursprünglichen  text.  Die 
enge  verwantschaft  zwischen  A  und  BC  zeigt  sich  zunächst  in 
dem  assonierenden  reimpaar  kraft :  gemäht,  welches  letztere 
wort  unyersehens  oder  auch  weil  ihm  behaft  nicht  so  geläufig 
war,  von  dem  Schreiber  ihrer  vorläge  gesetzt  wurde.  Weiter- 
hin in  der  wendung  nit  briyigen  moht  von  dem  munde  A,  mohte 
bringen  von  dem  munde  BC.  Für  die  erklärung  der  beiden 
bearbeitungen  in  A  und  BC  sehe  ich  nur  die  eine  möglichkeit, 
dass  das  reimwort  mort  in  der  vorläge  von  ABC  gefehlt  habe. 
Denn  wenn  man  erwägt,  dass  ABCU  in  v.  940.  1  und  942 
erste  hälfte  in  allem  wesentlichen  übereinstimmen,  dass  das 
zweite  reimwoi-t  wort  in  BC  und  der  Inhalt  von  v.  943  über- 
haupt noch  in  ABC  erhalten  ist,  dagegen  die  begründung 
durch  daz  mort  gänzlich  fehlt,  so  kann  nur  in  dem  ausfall 
dieser  drei  werte  der  grund  der  änderungen  in  ABC  gefunden 
werden.  Die  Umarbeitung  in  D  findet  ihre  erklärung  in  der 
Verschiedenheit  des  subjectes. 

Eine  noch  grössere  Verwirrung  der  Überlieferung  in  I  ent- 
halten V.  840 — 43.  Die  übereinstimmende  lesart  v.  840  dar 
umbe  kumen  D  II  {dar  zuo  gebom  ABC)  und  die  correcte 
fassung  der  ganzen  stelle  in  II  beweist,  dass  hier  die  ursprüng- 
liche form  gewahrt  ist  (ausgenommen  vielleicht  v.  842),  wäh- 
rend widerum  ABC  durch  den  gleichen  fehler  sich  auszeichnen, 
der  allerdings  durch  ihre  vorläge  begangen  war,  sie  selbst 
aber  zu  neuen  bessernden  änderungen  veranlasste,  welche  das 
nächstliegende  gänzlich  verfehlten. 

A:  BC: 

nü  ist  gestillet  mins  vatter  zom: 

du  weist  wol  wie  ich  bin  dar  zu      Du  weist  wol  ich  bin  dar  zv  gebom, 

gebom, 

Swaz  sele  sint  verlom, 

Beitrüge  zur  gosohiohte  der  deattohun  lyriiohe,  V.  21 


322  MILCHSÄCK 

dfti)  ich  wil  allen  seien  frnmmen:         Daz  ich  den  wil  allen  Yromen: 

Dar  vmb  bin  ich  (pit  ich  dich  C) 
von  himel  kymen: 

darzU  wart  ich  von  dir  gen ummen...      Dar  zy  wart  ich  von  dir  gebom: 

Nv  ist  gestiU  mins  vater  com. 

H: 

du  weist,  ich  bin  dar  nmbe  knmen, 
daz  ich  wil  allen  sSlen  vmmen: 
ich  wart  mensch  von  dir  gebom. 
nü  ist  gestillt  mins  vater  zom. 

Vergleicht  man  diese  texte,  so  ergibt  sich  bald,  was  auch,  wie 
bemerkt,  von  D  bestätigt  wird,  dass  die  Umwandlungen  in  A 
und  BC  dadurch  hervorgerufen  wurden,  dass  in  der  vorläge 
dieser  hss.  für  dar  umhe  kumen  v.  S40  dar  zuo  gebom  ge- 
schrieben war.  Deshalb  versetzte  A,  um  hierzu  einen  reim  zu 
erhalten,  v.  843  vor  840  und  stellte  den  nun  zu  v.  842  ver- 
gebenen reim  wider  her,  indem  es  f&r  gebom  setzte  genumen. 
Viel  weiter  ausgeholt  haben  BC ;  sie  schoben  nach  den  beiden 
reimlos  gewordenen  zeilen  je  eine  ganz  neue  ein. 

So  weit  die  fehler  in  ABC.  Dass  aus  ihnen  die  abstam- 
mung  dieser  handschriften  von  einer  näheren  gemeinsamen 
vorläge  (c)  überzeugend  hervorgeht,  habe  ich  nicht  nötig  noch 
hinzuzufügen. 

Die  weiteren  grenzen  verwantschaftlicher  beziehung,  welche 
im  vorigen  abschnitt  um  ABC  gesteckt  worden  sind,  mtlssen 
für  BC  noch  enger  gezogen  werden.  Denn  die  schon  in  den 
bisher  vorgeführten  stellen  auffallende  Übereinstimmung  dieser 
beiden  handschriften  verfolgt  man  überhaupt  in  sowol  fast  allen 
wesentlichen  und  fehlerhaften,  als  einer  masse  nebensäehlicher 
Varianten  in  solchem  maasse,  dass  BC  nur  als  die  unmittel- 
baren absehriften  derselben  handschrift  (f)  angesehen  werden 
können,  da  weder  C  aus  B  noch  auch  B  aus  C  entstanden 
ist  Die  Unabhängigkeit  von  B  gegenüber  C  eigibt  sich  schon 
daraus^  das»  die  in  B  erhaltenen  verse  446.  7,  460,  746  und 
1040.  1  in  C  fehlen.  Ebenso  werden  die  sogleich  zu  be- 
8{)rechenden  und  mehrere  der  AC  gemeinsamen  lesarten,  auf 
welche  ich  einstweilen  verweise,  dartuu,  dass  auch  C  keine 
copie  von  B  ist  Aber  auch  die  nächste  vorläge  von  BC  (f) 
geht  nicht  direct  auf  c,  die  gemeinsame  quelle  von  ABC  zu- 


UNSER  VROÜWBN  KLAGE.  323 

rück,  es  ist  vielmehr  noch  eine  zweite  durchgangshandschrift 
e  zwischen  c  und  f  anzusetzen,  da  sich  ein  fehler  in  Bü  findet, 
welcher  aus  dem  überlieferungsprocess 

c 

A  B     C 

nicht  aufgeklärt  werden  kann. 

V.  504.  5  sind  überliefert  in 

BC:    ich  sach  die  pin,  die  er  leit: 

vil  (da  C)  txvren,  die  min  herze  kielt 
AD  II:    ich  sach  die  p!n,  die  er  leit: 
min  herze  was  vol  bitterkeit. 

Die  fassung  in  AD  II  ist  ohne  zweifei  die  richtige.  Diejenige 
Ton  BG  muss,  da  diese  beiden  hss.,  wie  angegeben,  unter  ein- 
ander unabhängig  sind,  schon  in  ihrer  vorläge  f  gestanden 
haben.  Da  aber  A  mit  D II  übereinstimmt,  so  kann  der  fehler 
nicht  in  c,  sondern  nur  in  einer  zwischen  c  und  f  stehenden 
hs.  e  liegen.  Nur  wenn  man  annimmt,  dass  in  dieser  v.  505 
ausgelassen  war,  dass  er  von  dem  Schreiber  von  f  ergänzt 
wurde,  wird  die  Übereinstimmung  von  BC  deutlich. 

Von  anderen  gemeinsamen  lesarten  und  fehlem  in  BG 
gebe  ich  noch  folgende  belege.  Es  fehlen  in  BG  v.  904.  5 
(gegen  All);  1056—87  (gegen  AD II);  1324.  5  (gegen  AE); 
1382.  3  (gegen  AD);  1420—43  und  1542—53  (gegen  A).  Die 
beiden  zuletzt  genannten  partien  erregen  allerdings,  da  sie 
ausschliesslich  in  A  vorkommen,  den  verdacht  der  unechtheit 
Indessen  lässt  sich  der  ausfall  der  ersteren  in  den  übrigen  hss. 
doch  bis  zu  einem  gewissen  grade  wahrscheinlich  machen. 
Sie  konnte  wegbleiben,  ohne  den  sinn  und  den  gang  der  dar- 
stellung  wesentlich  zu  schädigen.  E  besteht  überhaupt  nur 
aus  zwei  kleinen  bruchstücken,  von  denen  das  zweite  schon 
mit  V.  1335  endigt  D  ist  zumal  in  seiner  zweiten  hälfte  so 
ausserordentlich  lückenhaft,  dass  auch  dieser  abschnitt  der  Über- 
arbeitung gar  wol  zum  opfer  gefallen  sein  kann.  Und  dass  auch 
in  BG  bedeutendere  mängel  möglich  sind,  zeigen  die  soeben 
angezogenen  stellen:  Ebenso  beginnt  in  II  schon  von  v.  1356 
ab  die  Schlussbearbeitung  des  gedichtes,  welche  ebenso  oft 
einzelne  abschnitte  übergangen,  als  andere  hinzugedichtet  hat. 
Ueberdies   lässt  sich  ein  satz   aus  der  Interrogatio ,   Schade 

21* 


324  MILCHSACK 

p.  13,  z.  15  S.  mit  V.  1424 — 34  in  Verbindung  setzen,  und 
wenn  dieselbe  auch  nicht  so  enge  ist,  als  es  zur  evidenz  des 
beweises  erforderlich  wäre,  so  dient  ihm  als  entschuldigong, 
dass  ihn  darin  mit  den  meisten  anderen  auf  dem  Schadeschen 
texte  beruhenden  stellen  gleiches  Schicksal  trifft.  Ich  bin  da- 
her nicht  abgeneigt,  die  yerse  1420 — 43  für  echt  zu  halten. 
Nicht  aber  y.  1542 — 53.  Dennoch  habe  ich  beide  stellen  in 
den  text  aufgenommen  und  durch  klammem  die  Unsicherheit 
ihrer  Überlieferung  angedeutet 

Umgestellt  sind  in  BC  v.  1162.  3  (gegen  A);  856.  7  (gegen 
ADU);  1270.  1  (gegen  AE  aber  übereinstimmend  mit  II). 
Andere  fehler  sind  v.  404  grozen  herzen  {herzen  grdzen  AD); 
445  svnden  {sünd,  wol  statt  sibitf  A,  sünder  II  v.  74);  664  ez 
{er  C)  mir  schaden  {ich  mich  scheiden  Dil,  A  fehlt)]  1031  da 
von  vloz  dir  {da  von  dir  vloz  A);  1158  din  svnder  {der  Sünder 
AD);  1180  als  wir  hören  {man  hört  C)  lesen  {als  wir  lesen  AD II); 
1230  die  da  hiench  {dran  [däB]  er  hienc  AD  II);  1239  alleine 
{ein  [al  6,  t/nE]  deine  AHl  6E);  1365  lat  evch  in  erbarmen  (m 
fehlt  All);  1397  wart  7iie  {was  niht  AU)]  1646  von  {vor  AH). 

Bedeutender  sind  folgende.    V.  417 — 19: 

BC  A 

Do  er  geslagen  vfi  verspit  da  er  geschlagen  vnd  verspit 

wart  vn  an  die  svle  (sei  C)  gebvnden  wart  vnd  an  die  süle  bloBZ 

bloz, 

gevillet  ovch,  daz  von  im  vloz  . . .  Gebunden,  das  von  im  flosz  .  .  • 

Wahrscheinlich  liegt  hier  ein  fehler  zu  gründe,  der  schon  in 
der  vorläge  von  ABC  eingedrungen  war.  Denn  auch  A  ist 
jedenfalls  verderbt,  da  gevillet  in  v.  419  nicht  wol  entbehrt 
werden  kann.  Nimmt  man  wart  aus  v.  418  in  v.  417  hinauf 
do  er  wart  geslagen  u,  v,  und  behält  im  übrigen  die  Überlie- 
ferung von  BC  bei,  so  sind  die  mängel  der  hss.  gehoben.  Da 
auch  D  überarbeitet  ist,  so  ist  der  fehler  vielleicht  noch  älter. 

In  V.  538 — 43  ist  in  BC  und  E  die  construction  verändert 
Es  heisst  hier:    es  weinte  niemand  so  viel 

540    als  Maria,  diu  getriuwe 
Magdalena  .  vol  riuwe 

was  (ir  was  BC)  ir  herze  (Ir  hercze  trurete  E)  nnt  ir  mnot: 
als  diu  tnrteltübe  tuet  .  .  . 

Das  richtige  geben  oifenbar  AD.    Die  ünderangen  in  BC  und 


UNSER  VROÜWEN  KLAGE.  325 

E  wurden  dadurch  hervorgerufen,  dass  diese  sich  das  punktum 
nach  riutve  dachten  und  erst  mit  y.  542  den  neuen  satz  be- 
ginnen Hessen.  —  Femer  ist  auch  in  v.  672.  3  die  bearbeitung 
auf  Seiten  von  BC: 

BC  ADU 

der  ßvfkze  (Die  suzze  C)  lie  mich  der  BÜft  lie  mich  niht  Bprechen : 

nit  sprechen: 

er  wolde  mir  min  herze  brechen.  mfn  herze  wolde  brechen. 

Ebenso  v.  796.  7,  wo  BC  den  reim  minnecRch :  wünnecitch  AD 
in  minnenclicher  :  rvunnenclicher  erweitert  haben ,  was  aber 
schon  des  verses  wegen  nicht  gestattet  ist.  —  V.  801 — 3 
lauten  in 

BC  An 

so  ich  dich  Verliese  vater  min.  so  ich  dich  (den  zarten  II)  vater  min, 

din  tot  ist  mir  worden  sawer(sowerC)     nnt  dich  kint  (nnt  maoter  dich  i/) 

verlinre: 
alle  genade  ist  mir  worden  tiwer        ellin  gn&de  ist  (wirt  //)  mir  tinre. 

(tewer  C), 

Dass  A II  das  originalere  bieten,  bedarf  keiner  hinweisung.  — 
In  V.  1048  scheint  die  Verderbnis  durch  alle  drei  Überliefe- 
rungen hindurch  zu  gehen: 

BC  A 

si  stvnt  vfi  viel  (viel  und  stnnt  C)     nü  stnont  st,  nü  viel  st  nider. 

dar  nider. 

II:     st  stnont,  st  saz,  st  viel  da  nider. 

Die  fassung  von  A  ist  am  ansprechendsten,  jodoch  nähert  sich 
BC  so  sehr  zu  II,  dass  ihre  ursprünglichkeit  nicht  wahrschein- 
lich erscheint.    Vielleicht  ist  A  stuont.  si  viel  dar  nider  zu  lesen. 

—  Auch  in  v.  1467  ist  die  lesart  von  A  vorzuziehen: 

BC:    dö  tröste  st  Johannes  gnot 

wie  swsere  daz  waer  stnem  muot. 
A:    swie  doch  besw8Bret  was  stn  muot 

—  Ein  misverständnis  in  der  vorläge  veranlasste  die  Ver- 
derbnis in  BC  V.  1648—50: 

ABC:    brinc  st  zuo  der  kröne, 

die  (bi  B)  dtn  (pi  deinem  C)  kint  gar  schöne 
sinen  vriunden  (Mit  wnnnen  wol  BC)  bereit  h&t  .  . . 

Die  lesart  von  A  ist  widerum  untadelig.  —  Mehrmals  ist  die 
Verdorbenheit    des    textes    in    BC    durch    hinübergleiten    des 


326  MILCHSACK 

gleiten  des  auges  des  abschreibers  in  die  folgende  zeile  ent- 
standen. So  in  Y.  1334.  5,  wo  allerdings  D  fehlt  und  II  eine 
stärkere  Überarbeitung  erfahren  hat 

BC:    sie  weinten,  daz  sie  in  tot  sahen  töten 

(in  sahen  taten  C) 

vnde  marien  in  den  nOten  (noten  C). 
ÄE:    st  weinten,  dö  st  in  tot 

sähen  unt  Märten  not 

Indem  sahen  schon  in  v.  1334  voraufgenommen  wurde,  muste 
ein  neues  reimwoii;  zu  1335  gefunden  und  dieser  vers  ergänzt 
werden.  Das  geschah  allerdings  auf  die  roheste  weise.  Und 
ebenso  v.  1372.  3: 

BC:    so  grabt  mich  in  die  erde  mit  im: 
den  tot  ich  gerne  mit  im  nim. 
AD  II :    so  begrabent  mich  in  die  erde 
mit  im,  daz  ist  mtn  gerde. 

Diese  fehler  würden  sich  am  leichtesten  verstehen  lassen, 
wenn  man  annimmt,  dass  die  oder  6ine  vorläge  von  BC  mit 
nicht  abgesetzton  reimzeilen  geschrieben  war,  wie  noch  gegen- 
wärtig 6.  Bemerken  will  ich  noch,  dass  an  eine  ftndening 
des  reimes  wegen  kaum  zu  denken  ist  —  Zweimal  be?riTkte 
auch  die  auslassung  von  versen  in  der  vorläge  abweichungen. 
V.  1624 — 27  durch  das  fehlen  von  1627  in  der  vorläge  von 
BC  allein,  oder  auch  von  A,  denn  es  ist  nicht  zu  entscheiden, 
ob  diese  hs.  das  echte  bietet: 

ABC:    gedenke  ouch  an  die  qualc  dtn 
1625    unt  tuo  uns  die  gnädo  (diner  gnaden  BC)  schtn  (schrein  Q. 
(Dv  bist  der  himel  gnaden  sehrin  B), 
gedenke  an  unsers  herzen  ptn: 
Marta  himelsche  kUnogtn  (fehlt  BC), 

C  hat  den  fehlenden  vers  unersetzt  gelassen,  B  dagegen  das 
in  der  vorläge  vorfindliche  reimwort  sehrin  v.  1625  (vgl.  darüber 
s.  320,  wo  dieser  vers  aus  anderen  gründen  schon  besprochen 
wurde)  durch  schiyi  ersetzt  und  zu  dem  eingeschobenen  verse 
als  reimwort  benutzt.  —  Ferner  v.  1561 — 65: 

ABC:    si  (Maria)  gedähte  an  stn  rtchez  leben 
unt  an  stne  miltikeit: 

wie  von  siner  kintheit  (und  als  uns  die  schrift  seit  C,  fehlt  B) 
er  was  gehörsam  an  die  ztt  (zeit  BC), 
1565    daz  in  verriet  der  Juden  ntt  (neit  BC). 
(Die  in  verrieten  unt  verapeit  B), 


UNSER  VROÜWEN  KLAGE.  327 

A  hat  jedenfalls  das  urtiprttngliche.  Hier  hat  auch  G  die 
Ittcke  und  an  der  richtigen  stelle  ersetzt  In  beiden  fällen  war 
die  Ursache  des  rersehens  die  vierfachen  gleichen  reime  auf 
-m  und  -eit  {4t). 

Ungewis  ist  es,  ob  man  y.  1610.  11  mit  A  gimme 
:  küniginne  oder  mit  BC  berille  {rverille  C) ;  maget  stille  zu 
schreiben  habe.  Es  will  mir  aber  scheinen,  dass  es  wahr- 
scheinlicher sei,  e  oder  f  habe  den  ungenauen  reim  entfernt,  als 
dass  dieser  von  A  statt  des  besseren  eingesetzt  wäre.  Dem 
sinne  ist  die  lesai-t  in  A  gewis  angemessener  {maget  stille  ist 
blosse  reimverhüUung) ,  und  da  assonanzen  auch  noch  an  an- 
deren stellen  yorkommen,  so  habe  ich  dieser  den  yorzug  ge- 
geben. 

Die  stattliche  reihe  dieser  yerderbnisse  und  die  Überzeu- 
gende anschaulichkeit  ihrer  entstehung  liefern  für  die  über  BG 
anfangs  aufgestellte  behauptung  engster  yerwantschaft  den  er- 
wünschtesten beweis.  Für  die  reconstruierung  des  textes  re- 
präsentieren BG  nur  den  wert  6iner  handschrifL 

D  stellte  sich,  wie  wir  gesehen  haben,  durchgängig  zu  E 
oder  zu  IL  Man  yergleiche  nur  noch  einmal  y.  540  alsd  DE 
{cUs  ABG);  549  unt  my  kint  D,  vh  myn  son  E,  unt  min  lieber 
sun  II  {umb  minen  ABG);  574  antlitze  DE II  {angesiht  ABG); 
578  unt  DE II  {mit  ABC)]  ferner  560.  1,  welche  oben  (s.  317) 
weiter  ausgeführt  worden,  was  ich  hier  nicht  widerholen  will; 
436  über  fehlt  DU  (gegen  ABG);  637  sünde  nie  Dil  {nie  sünde 
ABG);  1088  ezDU  {daz  ABG);  1135  unt  gänt  Dil  {unt  fehlt 
ABG);  1589  muoter  DU  {Maria  ABG).  DE  sind  also,  da  sie 
die  in  ABG  erscheinenden  fehler  nicht  teilen,  unabhängig  yon 
der  yorlage  dieser  handschriften  (c)  und  durch  ein  anderes 
mittelglied  d  yon  b  abzuleiten.  —  Eine  engere  verwantschaft 
zwischen  DE  lässt  sich  mit  bestimmtheit  nicht  nachweisen. 
Was  sich  an  eigentümlichen  lesarten  dafür  geltend  machen 
lässt  ist  folgendes.  V.  551  argen  DE  gegen  armen  ABG,  richicer 
U  ist  jedenfalls  nicht  richtig;  denn  nach  den  anschauungen 
des  mittelalters  traf  Pilatus,  yon  der  Unschuld  Jesu  überzeugt, 
nur  insofern  eine  schuld,  als  er,  der  Statthalter  des  allmäch- 
tigen römischen  kaisers  und  oberste  richter,  zu  schwach  war, 
dem  drängen  der  erregten  yolksmassen  zu  wideratehen ,  nnd 


328  MILCHSACK 

nicht  den  mut  hatte,  den  schuldlosen  in  freiheit  zu  setzen. 
Die  arglist  war  auf  selten  der  jüdischen  priesterschaft.  Das 
beiwort  armen  wird  daher  passender  auf  Pilatus  angewant  als 
argen.  563  mit  eyme  groiszen  schalle  D,  czu  mit  eyme  schalle 
E  {dar ZUG  mit  grözem  schalle  ABCU)]  531  dan  D,  den  E  (daz 
ABCn);  540  also  {als  ABC)  und  ebenso  v.  543. 

Ich  habe  mich  zu  einer  so  ausführlichen  darlegung  dieses 
handschriftenverhältnisses  bewogen  gesehen,  weil  es  mir  zu- 
gleich darauf  ankam,  dem  leser  den  zustand  der  Überlieferung 
in  I  etwas  genauer  zu  charakterisieren.  Das  resultat  ist  ein 
wenig  erfreuliches  und  wird  sich  in  folge  der  kreuzungen, 
welche  am  Schlüsse  dieses  capitels  im  zusammenhange  zur 
Verhandlung  kommen  werden,  noch  ungünstiger  gestalten.  E 
besteht  nur  aus  zwei  massigen  bruchstücken  von  zusammen 
ungefähr  200  versen.  D  ist  im  ganzen  genommen  die  schlech- 
teste handschrift:  spät  (sie  gibt  selbst  das  entstehungsjahr  an: 
1474),  lückenhaft,  verwirrt,  verderbt  und  überarbeitet,  und 
kann  so  wie  sie  vorliegt  nur  der  trübe  niederschlag  eines 
öfteren  abschreibeprocesses  sein.  Dennoch  ist  sie,  besonders 
für  die  beurteilung  von  ABC  nicht  ohne  wert,  so  dass  man 
für  ihre  erhaltung  immer  noch  dankbar  sein  muss.  Und  was 
ABC  betrifft,  auf  welchen  die  herstellung  des  textes  von  I 
hauptsächlich  beruht,  so  ergab  sich,  dass  sie  im  gründe  nur 
die  bedeutung  zweier  handschriften  haben,  die  noch  dazu  auf 
äine  und  verhältnismässig  späte  vorläge  zurückweisen,  deren 
eigene  schon  erhebliche  fehler  in  ihren  absenkem  noch  be- 
trächtlich vermehrt  worden  sind.  Dazu  wird  die  beschaffen- 
heit  dieser  Verderbnisse  durch  eine  gedankenlosigkeit  und 
gleichgültigkeit  der  abschreiber  gekennzeichnet,  die  nur  allzu 
sehr  geeignet  ist,  den  kritischen  wert  dieser  handschriften  auf 
ein  sehr  bescheidenes  maass  herabzumindern.  Wer  einmal  mit 
einem  solchen  material  zu  schafTen  gehabt  hat,  der  weiss,  eine 
wie  mühsame  und  unerfreuliche  arbeit  das  ist  Nicht  allein, 
dass  die  ursprüngliche  gestalt  des  gedichtes,  deren  widerher- 
stellung  doch  immer  die  nachhaltigste  freude  und  die  beste 
belohnung  des  aufgewanten  fleisses  ist,  an  vielen  stellen  nicht 
zu  einer  dem  original  nahe  kommenden  Wahrscheinlichkeit  er- 
hoben werden   kann,  an  manchen  ist  sie  völlig  verloren  und 


UNSER  VROÜWEN  KLAGE.  329 

durch  eine  unsaubere  verwilderang  entstellt,   die  als  störende 
flecke  auf  dem  bilde  des  dichters  haften. 


C.   Die  lesarten    der  handschriften  der  zweiten 

recension. 

Die  Untersuchung  der  lesarten  der  ersten  handschriften- 
klasse  gieng  y'on  der  Urschrift  und  dem  archetypus  beider 
recensionen  aus,  gelangte  durch  erschliessung  der  mittelglieder 
hinab  zu  den  erhaltenen  handschriften  und  stellte  danach  den 
grad  ihrer  verwantschaft  fest.  Bei  der  entwickelung  des 
handschriftenverhältnisses  der  zweiten  gruppe  werde  ich  das 
umgekehrte  verfahren  einschlagen.  Ich  werde  zunächst  die 
engeren  beziehungen  einzelner  handschriften  aufsuchen  und 
wenn  solche  in  genüger  zahl  vorhanden  sind  ermitteln,  ob  und 
in  welcher  weise  sich  dieselben  nach  rückwärts  vereinigen 
lassen. 

Entscheidend  für  eine  engere  vei*wantschaft  von  HK  sind 
folgende  stellen.    Nach  v.  1509  schieben  HK  zwei  vei-se  ein: 

er  bevalch  in  dine  hftte 
Marien  die  vil  gftten  (gnde  K), 

die  in  61  fehlen  und  jedenfalls  unecht  sind.  Denn  wenn 
schon  V.  1506 — 8  gesagt  worden  ist  dar  an  daz  er  die  muoter 
sin  dir  bevnlch,  da  tet  er  schin  die  minne  u.  s.  w.  und  wenn 
gleich  darauf  v.  1510  fortgefahren  wird  nü  lä  «  dir  bevolhen 
sitiy  so  sind  jene  beiden  verse  nicht  nur  ganz  überflüssig,  son- 
dern geradezu  ein  störender  pleonasmus.  —  Das  allein  richtige 
bieten  HK  v.  1644  d: 

daz  ich  iht  (iht  fehlt  Gl)  in  der  not  (not  nit  G)  verzage. 

—  Schlagend  ist  aber  noch  die  sinnentstellende  abweichung  in 
HK  V.  1563,  2.  3: 

Bt  nam  vil  gar  in  ir  mnot  (s.  n.  vür  sich  sinen  mnot 

[sine  demnot  K]  HK) 
wie  er  von  ir,  got,  was  gebom. 

Hier  ist  an  einen  zufall  nicht  wol  zu  denken.  —  Andere  HK 
gemeinsame  lesarten  sind  v.  1499  süeze  {werde  Gl);  1563,  4 
nie  keinen  {engeinen  K)  zom  {nie  zom  61);  1635  vrourve 
{maget  Gl). 

Bei  dem   geringen  umfang  von   K    (es  umfasst  nur  139 


330  MILCHSACK 

veiHe)  darf  ch  nicht  wunder  nehmen,  dass  die  zahl  der  ge- 
meinsamen fehler  eine  so  geringe  ist 

Bei  weitem  erheblicher  sind  die  gemeinsamen  lesarten 
und  fehler  von  HL  Sie  weisen  auch  f&r  diese  beiden  hand- 
schriften  auf  einen  höheren  grad  verwantschaftlicher  be- 
ziehungcn.  Unbedeutenderer  art  sind  v.  509  die  wangm  {daz 
wange  Gl);  520  crsach  {gesach  Gl);  575  da  fehlt  (gegen 
Gl);  587  bitterlicher  {jcenierUcher  Gl);  654  der  twme 
glänz  (ein  s,  gl.  Gl);  683  ez  (ich  Gl);  728  ward  mir 
bitter  {mir  fehlt  Gl);  7S2  ainger  H,  ainiger  I  {einer  GBO, 
eygen  D,  AE  fehlen);  807.  809.  810  verliure  {verliuse  Gl);  861 
ierig  HI  {irre  Gl);  919  daz  da  von  ir  oiigen  vloz  {daz  von  ir 
reine  [zarte^i  BC]  avgen  \_aug.  tvasser  A]  floz  GABC);  1005 
todes  {seres  G,  leides  ABC,  DE  fehlen);  1538  guten  {guoter  GK); 
1627,  2  din  {diu  GK);  1644a  enphilch  {bevilhe  GK);  1648  h 
Maria  {vrouwe  GK).  Wenn  solche  Übereinstimmungen  fllr  sich 
nicht  viel  beweisen  können,  so  helfen  sie  doch  die  wagsehale 
zum  sinken  zu  bringen,  sobald  sich  entschiedenere  fehler  zu 
ihnen  gesellen.  Derart  sind  v.  lü  ist  er  geborn  {er  fehlt  G); 
192  uz  her  {her  fehlt  G);  302  daz  was  {dez  =  dSst  G);  304 
ir  {in  G.  Vgl  v.  518.  Derselbe  fehler  widerholt  sich  in  H 
V.  306);  318  selber  H,  selb  I  {üf  im  G.  Vgl.  v.  569,  woher 
der  vers  an  erster  stelle  entnommen  ist  und  H  mit  ABGG  üf 
im  liest,  I  dagegen  selber)]  541  nider  {über  G);  680.  1  unge- 
sprochen :  gebrochen  {zerbr,  I)  {gebrochen  :  ungesprochen  Gl); 
830  e  erbarmherzikeit  {barmh.  G);  S45  vo7i  {vorG)]  881  ich  voti 
im  {von  fohlt  GBO,  A  ist  verdorben);  1516  müeterlin  {müemelin 
GK);  1648  b  din  sun  {der  G,  din  edel  K).  Aus  einer  lücke 
in  ihrer  vorläge  erklärt  sich  der  unechte  zusatz  in  I  v.  228: 

G:    mit  ganzer  minne  minne  (/.  minnen)  got. 
B:    minnon  minnent  got. 
/;    lieb  habend  vnd  fUrchtent  got. 

Es  (chlten  in  ihr  nämlich   mit  ganzer.    Von  H  ist  dafür  kein 

ersatz  gesucht  worden,  I  aber  hat  vnd  furcht ent  eingesetzt  — 

Derselbe  grund   gab  veranlassung  zu  den  änderungen  in  HI 

V.  250: 

G:  wan  in  ir  süezen  minne. 

H:  wan  in  der  minne  sinne. 

/;  ven  in  der  weit  liebe. 


UNSER  VROÜWEN  KLAGE.  331 

Die  töchter  von  Syon  werden  ermahnt  die  vergänglichen  Freu- 
den dieser  weit  zu  meiden,  in  der  süezen  minne  der  weit  (vgl. 
V.  240)  sei  verborgen  ein  angel  unt  der  gällen  tranc  v.  252. 
Dieser  gegensatz  beweist,  dass  6  die  richtige  lesart  bewahrt, 
HI  jedoch  in  ihrer  vorläge  eine  lücke  vorfanden ,  welche  jede 
auf  ihre  weise  ergänzte,  wobei  zu  beachten  ist,  dass  dies  in 
H  nach,  in  I  vor  minne  geschah.  —  Auch  der  zusatz  einer  in 
HI  V.  667  wird  durch  vergleichung  mit  BC  (D  geht  hier  seinen 
eigenen  weg,  AE  fehlen)  und  G  als  unecht  erkennt: 

BCHI:    ze  (zft  einer  HI)  mnoter  h&t  er  mich  erkom. 
G:    vD  mich  ze  mftter  hat  erkomen. 

Das  richtige  geben  BC.  —  Ebenso  v.  705,  nur  dass  hier  I  und 
6  in  dem  echten  übereinstimmen: 

Gl:    du  wilt  mir  bitter  nrlop  geben. 

HI:    du  wilt  ein  (mir  I)  hitter  end  mir  (mir  fehlt  I)  nun  gehen. 

—  Eine  andere  HI  gemeinsame  änderung  zeigen  v.  762.  3: 

HI  GBO 

daz  ich  sterb  (stirb  /)  und  doch  niht      daz  ich  sterbe  unt  doch  enmac 
sterben  .  .  .  [mak         niht  Bterben  .  .  . 

D  ist  wider  umgearbeitet,  AE  fehlen.  —  Nicht  so  sicher  lässt 
sich  die  originale  lesart  bei  v.  801.  2  erkennen,  weil  alle  hss. 
ausser  HI  mehr  oder  weniger  ausweichen  und  auch  die  quelle 
keinen  festen  anhält  darbietet 

HIG:    s6  ich  den  zarten  vater  mtn  (s.  i.  verlivs  den  vater  m.  G) 

unt  mnoter  dich  verlinre  (verlorn  hän  G), 
ABC:    so  ich  dich  vater  (Verliese  vater  BC,  frend  Ä)  mtn 

unt  dich  kint  verliure  (Din  tot  ist  mir  worden  8w«er  BC). 

D  weicht  widemm  aus,  E  fehlt.    Die  werte   der  Interrogatio, 

auf  welchen  v.  80 J — 11    entstanden  sind,  lauten   nuTic   orbor 

patre,  viduor  sponso,  desolor  prole,  omnia  perdo.    Jedenfalls  ist 

der  Zusatz  zarten  in  HI   nicht   richtig.     Die  fassung  von  HI 

V.  802  möchte  ich  aber  fllr  die  wahrscheinlichere  halten.  — 

Unentschieden   bleibt  auch,   ob  v.  1090  6  oder  I  den  echten 

text  enthält    HI  sind  aber  verderbt. 

HI:  des  (Da  T)  sloz  si  ir  hend  wider. 
G:  dez  slivzzen  sich  ir  hende  wider. 
/;    ir  hcnde  sluzzen  sich  (boid  sie  D)  hin  wider. 

—  Ebenso  gewis  ist  die  abweichung  auf  Seiten  von  HI  in  v. 
1497.  8  Verderbnis: 


332  MILCHSACK 

GK:    du  bist  die  der  (dv  bist  der  G)  ^äden  yoI  (als  toI  G) 
nü  ist  (ist  nnd  K)  ie  was  (was  fehlt  G)  UDt  immer  isL 

^/;    dQ  hast  die  genaden  (gnaude  /)  vol 
ie  was  not  iemer  ist 

Das  echte  liegt  zwischen  O  und  E,  aber  auch  hier  nieht  deat* 
lieh  erkennbar.  —  Von  den  plusversen  in  6  halte  ich  nur  zwei 
stellen  fttr  original,  d.  h.  dem  umdichter  von  II  angehörend,  nftm- 
lich  V.  993  ff.  und  1 96—99.  Die  übrigen  sind  dagegen  ersichtlich 
Hputere  einschllbe  und  darum  auch  nicht  in  den  text  von  II 
aufgenommen  worden.  Bei  der  erstgenannten  stelle  hat  zu- 
gleich eine  leise  Überarbeitung  der  folgenden  und  bei  y. 
196 — 99  auch  der  vorangehenden  verse  in  HI  stattgefunden.  Lftsst 
sich  bei  v.  993  ff.  auch  nicht  mit  Sicherheit  eine  entscheidung 
für  G  troffen,  so  doch  um  so  mehr  bei  v.  194 — 203.  Ich  setze 
die  beiden  fassungen,  welche  O  und  HI  zeigen,  neben  einander: 

G  HI 

tiiont  üf  diu  engen  schöne  Salomdn  in  dem  tröne  (der kröne/), 

iint  sohent  in  mit  der  kröne^  ist  (er  ist  1)  gekroenet  sehdne: 

mit  der  in  gok rennet  hat  \ 

stn  muoter  in  der  houbetstat  I 

RC  Jcrusalöm  an  dem  tage  [    '^'^^^^ 

stnos  herzen  vrönde  &n  clage.  I 

Btn  muoter  hat  gckrcrnot  in!  stn  muoter  h&t  gekrcenet  in! 

des  liorzon  oiigcn  unt  den  sin  tftnd  üf  diu  ougen  and  den  sin : 

kSrcnt  an  den  werden  Krist:  sehent  den  minnecltchen  Crist, 

schont,  wie  er  gekrcrnet  ist.  sechent  wie  (Wie  schon  J7)  er  ge- 
krcenet ist 

Diese  zcilen  enthalten  den  grundgedanken ,  gewissermassen 
den  text  zu  der  grossen  erweiterung  der  einleitung  in  IL  Sie 
l>eruhen,  was  schon  von  Schönbach  (Ueb.  d.  Marienkl.  &  46) 
bemerkt  worden  ist,  auf  Hohelied  3,  1  i  egredimini  et  videte  fiUae 
Shn  regem  Salomonem  in  diademaie,  quo  coronavit  illum  mater  sua 
in  die  despo)isationis  illitis,  et  in  die  laetitiae  cordis  ems.  Sie 
sind  hier  angcwant  auf  die  passion  und  besonders  auf  die 
domcnkrone  Christi.  Nun  ermangeln  aber  HI  der  den  werten 
quo  coronavit  illum  mater  stta  in  die  desponsationis  illius,  et  m 
die  laetitiae  eordis  eius  entsprechenden  verse  196 — 99,  nnd  da 
sie  gleichzeitig  in  der  verjlnderung  zusammengehen,  welche  v. 
194.  h,  wo  G  sich  cl>enfall8  dem  tüdete  . . .  m  diademaie  der 
quelle   enger   anschliesst    als  Hl,   und  201.  2  betroffen  hat 


UNSER  VKOÜWEN  KLAGK  333 

(y.  203  stimmt  in  I  noch  zu  O),  so  ist  jeder  zufall  bei  dem 
Wegfall  jener  vier  verse  in  HI  ausgeschlossen. 

Art  und  menge  der  hier  besprochenen  lesarten,  bei  denen 
ganz  nebensächliche  einstimniungen  noch  keine  bcrücksichtigung 
gefunden  haben,  machen  die  annähme  einer  engeren  verwaut- 
schaft  zwischen  HI  notwendig.  Von  welchem  punkte  der 
Überlieferung  dieselbe  ausgegangen  sei,  lässt  sich  nicht  mehr 
bestimmen,  um  so  weniger  als  H,  nach  manchen  kreuzungen 
mit  6  zu  schliessen,  eine  mischhandschrift  zu  sein  scheint  1). 
I  und  E  zeigen  keine  besonderen  bezieh  ungen,  denn  die  eine 
gemeinsame  Variante  v.  1531  wil  in  {im  K)  im  wil  GH)  ist  für 
nichts  anzuschlagen.  Somit  stellen  HIK  einen  ast  {ß)  der 
zweiten  bearbeitung  dar,  von  welchem  HE  als  ein  besonderer 
zweig  (7)  ausgehen,  der  sich  widerum  in  diese  beiden  ästchen 
gespalten  hat.  Dieses  Verhältnis  wird  weiterhin  dui-ch  Ver- 
derbnisse bestätigt,  deren  alle  drei  texte  teilhaft  sind.  So  v. 
1514,  wo  in  den  hss.  gelesen  wird: 

die  dir  bevalch  got  (des  /,  dat  iT,  fehlt  H)  gotes  wort. 

des  I  ist  gleich  daz,  wie  öfter  in  dieser  hs.  Die  Variante  von 
O  got  gotes  wort  ist  das  ursprüngliche  und  spielt  auf  £v.  Job. 
1,  1  an.    Vgl.  auch  v.  3.    Desgleichen  v.  1631: 

nnt  brich  mtner  (an  mir  der  IK,  mir  der  B)  Sünden  bant. 

—  Femer  die  vertauschung  der  Schlüsse  von  v.  1534  und 
1535.  Die  stelle  lautet  mit  übergehung  der  hier  nicht  in  be- 
tracht  kommenden  Varianten: 

HIE  G 

st  wil  bt  im  nahe  stn  st  wil  bt  im  nähen  sin 

in  aller  not  nnz  an  den  tdt:  ze  allen  zttn,  in  aller  not: 

Bt  lät  in  niht  in  stner  (kainer  i)  not.      b!  lät  in  niht  biz  an  den  tot. 

Diese  währende  hülfe  verspricht  der  umdichter  demjenigen, 
welcher  der  Maria  ehre  und  Verehrung  erweist.  Die  bessere 
fassung  in  G  spricht   so  sehr  für  sich  selbst  und  gegen  HIE, 


')  £b  würde  daher  richtiger  gewesen  sein,  die  bachstaben,  mit 
welchen  ich  i^  und  /  bezeichnet  habe,  zu  vertauBchen,  denn  I  ist  un- 
zweifelhaft besser  als  H  und  beruht  auf  älterer  Überlieferung.  Dass  ich 
es  nicht  getan  habe  kam  daher,  weil  ich  I  erst  sehr  spät  kennen  lernte 
und  da  aus  praktischen  gründen  in  bezug  auf  meine  ausarbeitung  diese 
vertauschung  nicht  mehr  vornehmen  mochte.  —  Die  angäbe  Mones,  dass 
B  noch  dem  14.  jahrh.  angehöre,  erscheint  mir  sehr  zweifelhaft. 


334 


HILCHSACK 


das8  man  ihre  Originalität  nicht  bezweifeln  kann.  Man  beachte 
nur  die  widerbolun^  von  ndi  in  v.  1634  und  35  und  daas 
hierdurch  und  durch  die  voraustellung  des  unz  an  den  tdt  v. 
1635  überflüssig  geworden  ist,  während  der  gedanke  in  6  sich 
zu  einem  kräftigen  Schlüsse  erhebt  und  steigert 

Sind  das  auch  nur  wenige  stellen,  so  vergesse  man  nicht, 
dass  K  nur  ein  kleines  bruchstück  ist  Ich  halte  dieselben 
daher  fllr  meine  beweisführung  für  genügend. 

Da  nun  6  an  allen  bisher  besprochenen  lesarten  keinen 
an  teil  hat,  so  kann  es  natürlich  auch  nicht  mit  HIK  aus  der- 
selben quelle  (ß)  geflossen  sein,  sondern  nur  aus  einer  von  ihr 
unabhängigen  handschrift  (a).  Versuchen  wir  nun  das  resultat 
unserer  beweisfährung  in  einem  diagramm  zusammen  zu  fassen, 
so  ergibt  sich  dieses: 

Original 


a  (archetypus) 


a 


c 


D 


£ 


ß 


I 
G 


H 


Der  lescr  übersieht  leicht,  welcher  grundsatz  fbr  die  widerher- 
stoUung  des  textes  sich  aus  diesem  schema  ergeben  würde. 
Ehe  wir  denselben  jedoch  in  bestimmten  werten  aussprechen, 
erübrigt  es  uns  noch,  den  kreuzungen  einen  augenbUck  der 
betrachtung  zu  günnen,  welche  sowol  unter  den  handschriften 
der  einzelnen  gruppeu  als  auch  unter  diesen  selbst  her- 
vortreten. 


D.   Die  kreuzungen. 

Die  gründe,  welche  flir  das  handschriftenverhältnis,  wie  es 
soeben  dargestellt  wurde,  geltend  gemacht  werden  konut^ 
waren  so  zahlreich  und  zum  teil  so  schlagend,  dass  keine 
bedenken  gegen  die  iichtigkeit  desselben  mehr  aufkommen 
können.  Wenn  wir  daher  manche  die  geraden  wege  der  Über- 
lieferung kreuzende  lesarten  finden,  die  durch  zufällige  selb- 


UNSER  VROÜWEN  KLAGE.  335 

ständige  änderungen  der  abschreiber  nicht  entstanden  sein 
können,  so  müssen  dieselben  auch  durch  kreuzung,  d.  h.  durch 
berührung  einzelner  verschiedenen  handschriftenfamilien  ange- 
hörender hss.  erkläii;  werden.  —  Indem  ich  nun  alle  lesarten 
von  einiger  bedeutung,  welche  dem  oben  entwickelten  band- 
schriftenverhältnis  entgegenstehen,  aufzähle,  wird  es  gestattet 
sein,  dieselben  mit  der  üblichen  grösseren  eile  zu  messen, 
welche  dem  zufall  aus  begi*eiflichen  rücksichten  einen  etwas 
weiteren  Spielraum  zuerkennt,  als  es  sonst  wol  erlaubt  wäre. 
Was  die  kreuzungen  in  der  ersten  recension  betrifft,  so 
zeigen  dieselben  sehr  verschiedenartige  handschriftliche  com- 
binationen.  Viermal  treten  AC  B  und  davon  dreimal  zugleich 
auch  anderen  hss.  gegenüber,  so  in  dem  fehlen  von  v.  460  und 
der  Umstellung  von  v.  714.  15  gegeu  BD  IL  Will  auch  die 
auslassung  des  ersteren  in  AG  nicht  viel  bedeuten,  weil  lücken 
in  beiden  hss.  nicht  selten  sind  und  ein  zufälliges  zusammen- 
treffen einer  solchen  gar  wol  denkbar  ist,  so  ist  dagegen  die 
vertauschung  der  zuletzt  genannten  verse  zum  mindesten  auf- 
fallend. Man  könnte  ja  wol  vermuten,  dass  dieser  fehler  in 
c  vorhanden  gewesen  und  von  B  selbsttätig  verbessert  worden 
sei.  Allein  die  bessere  versfolge  in  BD  II  ist  weder  so  in  die 
äugen  springend,  noch  auch  tritt  die  allerdings  grössere  Sorg- 
falt von  B  an  anderen  stellen,  wo  eine  emendation  mehr  am 
platze  und  leichter  zu  bewerkstelligen  gewesen  wäre,  in  dem 
grade  hervor,  dass  diese  auskunft  vollständig  befriedigen 
könnte.    Das  ist  avoI  der  fall  bei  v.  1010 — 13: 

der  sannen  schln  vil  gar  zergienc: 
lolü    der  himel  wart  tunkel  var  (gar  A) 

unt  der  liehte  tac  vinster  gar  (dieser  vers  fehU  AC), 

der  mäne  nnt  die  stemen  clär 

wnrden  tnnkel,  daz  ist  war  (unt  der  liecht  tac  vinster  gar  Cj 

vmb  ihm  auch  der  enge!  schar  A), 
dö  st  sähen  sterben  Crist  .  .  . 

denn  hier  muste  schon  der  zweimalige  reim  -ar :  -är,  den  die 
versfolge  von  (A)C  1010.  12.  13.  11  gibt  und  ohne  zweifei 
auch  die  vorläge  von  BC  darbot,  einen  achtsamen  abschreiber 
befremden,  und  wenn  er  sich  darauf  hin  dieselbe  genauer  an- 
sah, so  konnte  es  ihm  nicht  entgehen,  dass  mit  dem  verschwin- 
den der  sonne  zuerst  auch  der  tag  sich  verdunkelte  und  dann 
der  nunmehr  erst  hervorkommende  mond  und  die  Sterne,  nicht 


336  MILCHSACK 

umgekehrt  der  liehte  tac  nach  mond  und  stemen.  Man  veiv 
gleiche  übrigens  auch  II,  dessen  stärkere  umdichtung  an  dieser 
stelle  die  eutstehung  des  fehlers  schon  im  archetypus  vermuten 
lässt,  zumal  auch  dort  die  Verdunkelung  des  tages  deijenigen 
der  gestirne  folgt.  Bedenklich  ist  dagegen  wider  die  Überein- 
stimmung V.  1591  bluome  AG  gegen  brunneBIl,  cr&neDKf  wo 
in  B  II  offenbar  der  bildliche  ausdruck  Maria  ist  ein  brunne 
aller  miUekeit  am  anschaulichsten  und  daher  gewis  auch  ur- 
sprünglich ist. 

Von  geringerer  bedeutung  sind  die  gemeinsamen  lesarten 
in  AD.  V.  101  fehlt  da  (gegen  BCII);  509  sinen  wangen 
{hagkeil  D)  {daz  wange  BCII);  686  mohte  {künde  BCII);  721 
fvil  {muoz  BC  II);  831  triuwe  {liebe  BC,  minne  II);  1242  druckte 
{trüte  BCE);  1373  begirde  {gerde  Gl).  In  v.  101,  509,  686,  721, 
1242  und  1373  wird  man  geneigt  sein,  das  richtige  oder 
bessere  in  den  von  AD  abweichenden  hss.  zu  suchen  und 
ebenso  in  v.  508  gedültiglich  er  es  alles  {alles  fehlt  D)  vertrüg 
AD  {gedultecHchen  er  vertnioc  BCII),  obschon  auch  die  les- 
arten von  AD  nicht  falsch  sind.  Aber  wie  steht  es  mit  v. 
106,  mit  welchem  der  Verfasser  seine  angaben  Über  veran- 
lassung und  quelle  seines  gedichtes  schliesst,  nämlich  in  AD 
ich  sagez  iu  reht  als  ich  ez  las,  in  BC  11  ich  sage  iu  {ez  G) 
rehte  als  ez  was,  Gewis  wird  jeder  darin  mit  mir  überein- 
stimmen, dass  die  lesung  von  AD  die  ansprechendere  und 
natürlichere  ist  Wie  kommen  dann  aber  BC  zu  der  seltsamen 
Übereinstimmung  mit  II?  Hier  blossen  zufall  anzunehmen  ist 
schwierig  und  bedenklich,  wenn  auch  nicht  gerade  unmöglioh. 
Vielleicht  also  hat  zwischen  BC  und  II  irgend  einmal  eine 
berührung  stattgefunden.  Halten  wir  daher  unsere  entschei- 
duug  zurück,  bis  wir  auch  die  kreuzungen  von  I  und  II  näher 
ins  äuge  gefasst  haben,  ob  sich  etwa  unter  diesen  derartige 
befinden,  dass  sie  eine  solclie  Vermutung  unterstützen  können. 

Auch  BCD  treten  zum  öfteren  A  und  All  in  fehlerhaften 
oder  doch  sehr  bemerkenswerten  lesarten  gegenüber.  Falsoh 
ist  V.  395  den  {die  A)  bezogen  auf  qu&le  v.  394 ;  982  do  wanie 
BC,  do  duckte  D  {sich  äuget  A,  sus  aüget  sich  G,  so  ägte  sick 
I,  sus  ougte  H),  wo  A  allein  das  echte  erhalten  hat;  807  kmi 
{die  freud  A,  fridel  G,  sunt  H,  gmachel  I),  wo  der  vorher- 
gehende vers  ick  muoz  ein  armru  witwe  sin  zeigt,  dass  mit  G 


UNSER  VROÜWEN  KLAGE.  337 

vriedel  zu  lesen  ist,  weil  sich  die  Maria  nach  dem  verlast  ihres 
kindes  nicht  eine  wittwe  nennen  kann.  Dafür  spricht  auch 
gmachel  in  J  und  die  freud  in  A,  welches  gleicherweise  v.  796 
freud  statt  vriedel  gesetzt  hat  V.  798  fehlt  mn  kint  in  BCD 
gegen  A II  und  die  quelle  {tu  michi  filius ,  omnia  tu  michi). 
Sehr  beachtenswert  sind  folgende  abweichungen :  v.  474  ir 
ougen  (nnn  0.  A),  wo  A  unbedingt  vorzuziehen  ist,  weil  man 
sonst  ungewis  ist^  wessen  äugen  die  tränen  vergiessen  sollen, 
da  doch  diejenigen  des  kapplans  gemeint  sind  (vgl.  v.  476  flF.). 
718  beide  treit  rvol  {wol  getragen  sol  AU),  wol  die  mislichste 
unter  den  BGD  eigentümlichen  lesarten.  834  liebe  muoier  mar 
get  min  {werde  maget  [rvibes  künne  II]  muoter  mn  A II) ;  auch 
hier  gibt  A  die  bessere  lesart.  1359  ö/"  in  {üf  daz  grap  AG, 
zu  dem  grab  J),  wo  man  allerdings  eher  flir  die  annähme 
einer  änderung  in  AGJ  als  in  BCD  streiten  möchte.  Endlich 
einige  geringfügigere:  v.  696  die  fehlt  (gegen  AU);  720  hin  fehlt 
(gegen  AU);  783  ersterben  {sterben  AU);  513  vür — vür 
{an  —  an  AG,  für  —  an  J,  vür—üf  H);  1101  döz  {göz 
AU);  1246  gar  fehlt  (gegenAU,  dö  E);  904.  5  fehlen  (gegen 
A II),  worauf  jedoch  kein  gewicht  zu  legen  ist,  weil  dieselben 
in  D  mitten  in  eine  grössere  lücke  fallen. 

Für  ein  paar  so  kleine  bruchstücke  wie  E  sind  der  mit 
BC  vorkommenden  kreuzungen  viele.  V.  554  gerichtes  {rihtcers 
AD  II);  566  reinen  {werden  UUj  schönen  A)]  567  unreinen  fehlt 
(gegen  AD  II);  b9i  ofte  {dicke  All^  harte  D)]  1284  alle  vreude 
vn  wunne  {wunnen  E)  trost  {all  freud  wünne  vnd  trost  A,  wünne 
vröude  unde  tröst  II) ;  538  f.  ist  schon  oben  (s.  324  f.)  besprochen 
worden:  die  auffallende  Übereinstimmung  in  der  verkennung 
der  coustruction  in  BCE,  welche  mit  v.  542  einen  neuen  satz 
beginnen,  wird  in  etwa  gemildert  durch  die  Verschiedenheit 
der  lesarten  in  BC  und  E,  welche  die  möglichkeit  des  zufalls 
annehmbarer  erscheinen  lassen;  1242  trüte  in  nach  des  {druchte 
in  nach  ir  AD)  ist  bei  den  kreuzungen  von  AD  schon  er- 
wähnt. Zu  diesen  im  ganzen  genommen  harmloseren  eigen- 
heiten  gesellt  sich  nun  noch  die  böse  Variante  v.  1329,  in  jener 
stelle,  die  aus  anderen  gründen  oben  s.  318  erörteii;  worden 
ist.  Es  ergab  sich  dort,  dass  für  A  nur  eine  der  versfolge  in 
II  entsprechende  Umstellung  von  v.  1334.  5  und  1330 — 33  er- 
forderlich war,  um  die  in  I  entstandene  Verwirrung  zu  klären 

n<itrXgo  Bur  getohiohte  der  denttohen  •praohe.    V.  22 


338  MILCPISACK 

und  (lass  die  {'inderung  von  v.  1329  in  BCE  nur  vorge- 
nommen worden  sein  konnte,  um  das  durch  die  Versetzung 
von  V.  1334.  5  vor  1330  —  33  für  die  beiden  erBtoren 
verse  verlorene  subject  zu  ersetzen.  Diese  änderung  wurde 
mit  benutzung  von  v.  133ü  bewerkstelligt,  indem  die  eugel 
aus  diesem  schon  in  v.  1329  vorweg  genommen  wurden. 
(Derselbe  vcrs  hat  ebenso  schon  A  bei  der  ergänzung  von  v. 
1011  gute  dicuste  geleistet.)  So  weit  ist  dieser  Vorgang  ganz 
deutlich,  aber  es  bleibt  zu  erklären,  wie  es  möglich  war,  das» 
BC  und  E  auf  dasselbe  auskunftsmittel  verfallen  konnten. 

Ich  weiss  darauf  keine  andere  autwort  zu  geben  als  dass 
diese  und  die  in  AC  und  BOD  aufgewiesenen  kreuzungen 
Schwierigkeiten  sind,  wie  sie  bei  der  eruierung  beinahe  jeder 
haudschriftengenealogio  begegnen.  Die  handschriftlichen  mittel 
reichen  nicht  iiuj-j,  dieselben  mit  wünschenswerter  klarhoit  zu 
enthüllen.  Wenn  aber,  wie  bei  den  hss.  von  Uvkl.,  beweise  von 
solcher  menge  und  tiiftigkeit  für  eine  ganz  bestimmte  gi"up- 
pierung  der  handschriftcn  gegeben  sind,  so  dürfen  dagegen 
vereinzelte,  keinem  s\  stem  sich  fügende  durchki  euzungen  nicht 
in  anschlag  gebracht  werden  und  es  muss  dem  herausgeber 
überlassen  bleiben,  aus  dem  gebotenen  das  beste  zu  wählen. 

Was  sich  an  kreuzenden  lesarten  unter  den  hss.  der  zweiten 
recension  findet,  ist  ganz  unbedeutend.  Zunäcl.st  in  GJ  v.  122 
der  sele  vi-uht  {der  genuht  H)  ist  ohne  einen  vernünftigen  sinn 
und  die  Variante  von  H  ist  wol  eine  änderung,  um  einen 
solchen  zu  erhalten.  Aehulich  steht  v.  06  der  gnaden  (dine  G) 
vruht  und  v.  215  der  sa'Ideu  {sele  III)  vruht  und  wenn,  wie 
mir  scheint,  hier  6  das  richiige  hat,  so  wird  auch  an  den 
übri:i:en  beiden  j-lcllen  so  zu  schreiben  seiij.  V.  083  imerlogen 
{ungerlogen  C,  u:. gelogen  AB  niht  gel,  11,  vnhetrogen  E);  775 
mir  vergolten  {mir  getan  BC,  uch  gerochin  D,  mir  gevoiget  U)] 
913  vme  her  Oj  bis  hiehcr  i  im  reime  auf  gebar  {unz  alle  dar 
H,  daz  ist  war  Ai3C)  scheint  ein  :':lter  sv  hreibfehler  zu  sein; 
920  im  G,  bliit  J  {vluz  BCH,  waren  grosz  A);  1004  mit 
{ze  ABCH). 

Ebenso  ist  als  ganz  zufällig  anzusehen  da»  eine  handen 
GK  {banden  I  HJ)   in  v.  1646. 

GH  werden    aber    darcii    eine    reihe   von   eigen tUmliehen 


UNSER  VROÜWEN  KLAGE.  339 

lesarten  verbunden,  welche  engere  beziehungen  zwischen  diesen 
beiden  hss.  unabweisbar  machen.  Ich  nenne  zuerst  einige  un- 
bedeutendere. V.  600  bedrdz  {verdroz  J  1);  639  hiterliches  G, 
bitterlich  H  (Jcemerlichez  J  1);  663  daz  herze  {min  h.  BCDJ); 
708  sterbe  {ersterbe  J  I);  823  sd  hienc  {so  fehlt  J  I);  957  daz 
ez  diu  {ez  fehlt  ABCJ);  1003  sinen  {den  AJ,  von  im  den  BC); 
1068  üf  die  {üf  den  ADJ);  1095  der  {wer  ABCJ);  1521  min- 
necUcher  {wünnecHcher  JK).  Dazu  kommen  nun  aber  lesarten 
wie  V.  571.  2 

GH  IJ 

die  als  eins  edlen  adelasr  (ain  edel      diu  im  als  einem  adelar 

adler  B) 
im  stünden  (Si  ündeu  G)  minnec-      stuonden  minnecltcben. 

liehen. 

787  lieber  herre  {herzenliep  ABCJ,  D  weicht  aus) ;    858  vrourve 

{o  mtwter  ABC,  dar  ume  muoter  D,  muoier  J) ;  865  enphieng  G, 

enphag  H    {Rde  BC,  litte  J,  Uden  solt  A);    1141   und  daz  mark 

{wä  ist  daz  marc  ABCJ);   1234  sd  blfitik  äne  macht  so  {äne  mazen 

H)    wu7it  {also  sere  unt  also  [also  fehlt  BC]  wunt  ABC,  rvan  er 

was  also  sere  wunt  J);  mit  v.  1566  hat  es  eine  eigene  bewant- 

nis,  alle  hss.  gehen  hier  auseinander  mit  ausnähme  von  GH, 

nämlich 

A  GH 

si  gedäht  an  elliu  siniu  wort  si  gedäht  an  ellin  stnin  wort 
nnz  daz  gefangen  wart  ir  hört  ...      nnz  daz  ir  hSrre  wart  ermort .  .  . 

BC  J 

st  gedäht  an  alle  sine  vart  vnd  euch  wie  er  wart 

nnz  daz  er  gevangen  wart . . .      von  der  besen  luden  art  .  .  . 

unt  {vn  och  GH,  fehlt  J)  erhangen  als  ein  diep  heisst  es  weiter 
V.  1568.  Vergleicht  man  diese  vier  Variationen,  so  bemerkt 
man  erstens,  dass  AGH  in  v.  1565  unter  sich  vollständig  und 
mit  BC  ebenfalls  bis  auf  das  reimwort  übereinstimmen,  und 
dass  zweitens  je  eine  Variation  aus  beiden  recensionen  den 
reim  auf  -ort  (AGH)  und  auf  -art  (BCJ)  gebildet  haben. 
Daraus  geht  ein  zwiefaches  mit  Sicherheit  hervor:  einmal,  dass 
V.  1565  in  AGH  in  seiner  originalen  fassung  erhalten  ist;  zum 
andern,  dass  noch  im  archetypus  hier  ein  reim  mit  den  asso- 
nierenden  vocalen  o  :  a  vorhanden  gewesen  sein  muss.  Ferner 
scheint  es  mir  nicht  imwahrscheinlich,  dass  BC  die  zweite 
reimzeile  unverändert  erhalten  haben,  sowol  weil  dieselbe  in 

22* 


340  MILCHSACK 

A,  wenn  man  den  reim  /r  hört  wegstreicht  und  er  nach  daz 
einsetzt,  wider  zum  Vorschein  kommt,  und  auch  in  J  in 
V.  1566  wart  noch  im  reime  steht,  als  auch  weil  dieselbe  in 
GH  unzweifelbaft  neu  hinzugemacht  wurde;  denn  von  ermort 
findet  sich  in  allen  anderen  Variationen  nicht  nur  nichts,  es 
ist  dazu  auch  völlig  uulogiir^ch  und  unwahr,  den  in  v.  1567  er- 
mordeten in  V.  1568  noch  erhängt  werden  zu  lassen.  Fügt 
man  daher  v.  1566  aus  AGH  mit  1567  aus  BC  zusammen,  so 
ist  alle  Wahrscheinlichkeit  vorhanden,  dass  damit  die  originale 
lesart  wider  hergestellt  ist.  Daraus  ergibt  sich  nun  f&r  die 
verwantschaft  von  GH,  dass  diese  beiden  hss.  eine  unechte  mit 
allen  anderen  sich  kreuzende  lesart  teilen,  die  in  beiden  hss. 
nicht  zufällig  sein  kann,  sondern  notwendig  in  die  eine  von 
ihnen  durch  die  kenntnis  der  anderen  hineingeraten  sein  muss. 
Ausserdem  sind  von  GH  gemeinsamen  lesarten  noch  zu  er- 
wähnen V.  1063  vröiie  criuze  {vrone  fehlt  ADJ);  1240  liehez 
kiyit  {kindes  lip  ABCJ,  D  weicht  aus)  und  ganz  besonders  der 
fehlerhafte  vers  1511  si  ist  der  wünne  gnaden  schrin  {wan  rf 
ist  aller  [gar  der  KJ  gnaden  schrin  JK). 

Von  den  kreuzungen  in  den  handschriften  beider  recen- 
sionen  stelle  ich  die  wichtigsten  voran.  BCH  vereinigen  sich 
gegen  die  übrigen  an  folgenden  stellen:  v.  98  sine^i  siten  ßC, 
siner  reineii  siten  U  {sinem  libe  ADy  sinem  reiften  libc  JG);  591 
reiner  {reyne  DEG,  rainen  J);  791  vyide  {sol  A,  so  DG,  als  J); 
920  vluz  {flüt  G,  blüt  J,  ware7i  grosz  A);  955  durclisneii 
sneit  AG,  zu  sneyt  D,  ver  schiaid  J);  959  giezen  {gegiezen 
AGJ);  1033  ez  si  {jiinc  H)  tvip  oder  man  (er  «  junc  alt  mp 
oder  man  AGJ).  Besonders  hervorzuheben  sind  v.  918  ir  un- 
gehabe  was  sd  gröz  {ir  ungemach  was  also  groz  AGi)  und  1126. 
7,  in  welchen  sich  BCH  und  AGJ  eben  so  scharf  und  genau 
unterscheiden,  wie  bei  der  vorigen  stelle,  nur  dass  die  diffe- 
renzen  selbst  auflallender  sind: 

BCH  AGJ 

lät  lach  die  rnaget  erbarmen  lät  iuch  die  magct  armen 

unt  ir  San  vil  armen.  unt  ouch  ir  kint  erbarmen. 

Natürlich  kann  die  vertauschung  der  rcimwoiiie  an  und  fär 
sich  nicht  viel  bedeuten,  aber  die  begleitenden  umstände,  dass 
in  BCH  ouch  fehlt  und  sun  für  kint  gelesen  wird,   machen  es 


UNSER  VROÜWEN  KLAGE.  341 

fast  unmöglich,  hier  nichts  weiter  als  das  vvalteu  eines  nackten 
Zufalles  anzunehmen.  Wenn  daher  diese  stellen  auch  nicht 
gentigen,  um  eine  intimere  verwantschaft  von  BC  und  H  zu 
begründen,  so  wird  man  immerhin,  wo  auf  BCH  die  entschei- 
dung  gestellt  ist,  lieber  der  entgegenstehenden  Überlieferung 
folgen  dürfen. 

Weit  wichtiger  noch  als  die  möglichkeit  einer  verwant- 
schaft von  BC  und  H  ist  die  eigenartige  Stellung  von  BC  zu 
II  überhaupt.  Einige  der  BC  11  gemeinsamen  lesarten  sind 
schon  in  diesem  abschnitt  unter  AD  angemerkt  worden:  v.  101 
da  (fehlt  A);  106  als  ez  was  {als  ich  ez  las  AD);  686  künde 
{mohte  AD)]  721  muoz  {wil  AD);  831  liehe  BC,  minne  GH,  J 
abweichend  {triuwe  AD),  und  wenn  sich  hier  vollkommen 
gleichberechtigte  handschriften  gegenüberständen,  würde  ich 
überall  (mit  ausnähme  vielleicht  von  v.  101)  AD  den  Vorzug 
geben  und  bei  v.  106  geben  müssen.  Gleichfalls  schon  be- 
sprochen (s.  302)  ist  die  ab  weichung  bei  v.  909.  10,  wo  BCII 
zwischen  v.  909  und  910  den  vers  Johannes ,  min  vil  {junger 
BC)  guoter,  welcher  im  gefolge  des  die  anrede  schon  enthal- 
tenden 999  n  verses  ganz  wie  eine  inhaltslose  reimfüUung  aus- 
sieht, eingeschoben  und  dafür  v.  910  unt  bis  ir  p fleger  guoter 
ausgelassen  haben,  dessen  cchtheit  durch  das  ei  servias  der 
quelle  bezeugt  wird.  Dazu  kommen  nun  aber  noch  mehrere 
andere  Varianten  und  fehler  von  zum  teil  nicht  geringerer  be- 
deutung.  V.  590  nach  im  BC  II  {im  nach  ADE);  650  an 
BCHJ  {von  DG);  959  giezen  BCHI  {gegiezen  AG);  1367  dem 
herzen  BCG  {rnmem  h.  ADJ,  EH  fehlen);  90  daz  wart  BCGH 
{der  [die  D,  fehlt  J]  w.  AD) ,  wo  daz ,  bezogen  auf  quäle  und 
pin,  fehlerhaft  ist.  Ebenso  sind  die  Varianten  von  BCGH  zu 
V.  699  offenbar  Verschlechterung  aus  der  in  ADJ  dargebotenen 
richtigen  fassung.    Man  vergleiche 

G:    wes  herze  wer  so  steinen,  \ 

BC:    was  herzen  were  (wer  C)  BÖ  St.,  . 

H:    wa  wart  ie  herz  so  steinen,  \  ^^'  i^^^BCE)  sich  nihtmüeste 

ADJ:    wer  w»re  euch  so  steinen,  j                              erbarmen  .  .  . 

Die  drei  hss.  ADJ  wiegen  an  wert  die  entgegenstehenden  BCGH 
vollkommen  auf  und  die  von  ihnen  übereinstimmend  gegebene 
lesart  empfiehlt  sich  gegenüber  dem  tasten  der  letzteren  schon 
so  sehr  als  das  ursprüngliche,  dass  es  kaum  noch  notwendig 


342 


AULCUSACK 


ist  darauf  aufmerksam  zu  machon,  dass  G  in  v.  700  m)ch  mit 
ADJ  der  (gegen  daz  IjCH)  liest,  wodurch  an  der  echtheit  von 
ADJ  auch  der  letzte  zweifei  gehoben  wird.  —  Nicht  ganz  un- 
verdächtig ist  mir  auch  die  anuäherung  von  BC  an  II  in  der 
Umstellung  von  v.  1270  und  1271.    Es  lesen  nämlich 


U 
wan  wser  der  himel  birmtt  wiz 
unt  sazre  ich  allen  mtnen  vltz 
unt  schribe  ich  alle  rntne  tage 
die  vil  biterltchen  klage 
Märten  unt  die  ungehabe, 
die  si  begie  bt  dem  grabe, 
ich  mühte  ez  niht  geschriben  .  .  . 


BC 

fehlen  BC  AE, 

wan  Bseze  ich  alle  mine  tage 
unt  schribe  von  der  grözen  clage 
unt  von  der  grözen  ungehabe, 
die  st  begienc  bt  dem  grabe, 
ich  müht  ez  niht  erkunden  .  .  . 


AE 

wan  ssDze  ich  alle  mine  tage 
unt  schribe  ir  vil  swa^re  clage, 
die  si  begienc  bi  dem  grabe 
mit  vil  grdzer  ungehabe, 
ich  muhte  ez  niht  künden  .  .  . 

Denn  wenn  auch  eine  einwirkung  von  II  auf  WO  zur  erklä- 
rung  ihrer  lesart  nicht  gerade  angenommen  werden  muss,  so 
ersieht  man  doch  auch  nicht,  was  für  BC  an  dem  in  AE  über- 
lieferten texte  anstössig  gewesen  wäre.  BC  pflegen  aber  sonst 
grössere  Umgestaltungen  wie  diese  ohne  irgend  einen  erkenn- 
baren grund  nicht  vorzunehmen.  Daher  tritt  auch  diese  vor- 
tauschung  in  den  bereich  der  möglichkeit,  durch  l)eeinflus8ung 
von  II  hervorgerufen  zu  sein,  nachdem  einmal  einzelne  Ver- 
mischungen von  BC  und  II  wahrscheinlich  gemacht  worden 
sind.  —  Und  vielleicht  sind  v.  588.  9  geradezu  eine  entlehnung 
aus  II.  Sie  fehlen  in  ADE  gänzlich  und  stehen  in  II  nach  y. 
763,  wo  sie  jedenfalls  passender  erscheinen.  Ich  habe  sie 
zwar  in  den  tcxt  von  I  aufgenommen,  aber  durch  klammem 
angedeutet,  dass  sie  von  dem  starken  verdacht  einer  Interpo- 
lation nicht  frei  sind.  —  Somit  gilt,  was  von  BCH  gesagt 
wurde,  von  der  Übereinstimmung  von  BC  mit  II  überhaupt: 
wo  ADE  oder  auch  nur  AD  BC  II  gegenüberstehen,  ist  die  ge- 
währ das  richtige  erhalten  zu  haben,  auf  selten  der  ersteren 
mindei^tens  ebenso  gross,  als  diejenige  auf  selten  der  letzteren. 
Der  rest  der  zwischen  I  und  II  vorkommenden  kreuzungen 
ist  für  die   beurteilung  des  handschriftenverhältnisses  bedea- 


UNSER  VBOUWEN  KLAGE.  343 

tuDgsloB.  Ich  zähle  sie  im  folgendeu  auf^  um  das  mateiial 
zur  Prüfung  meiner  beweisführung  auch  nach  dieser  seite  voll- 
ständig zu  machen  und  die  aufmerksamkeit  des  lesers  auf  eine 
reihe  von  stellen  zu  lenken,  wo  bisweilen  die  möglichkeit  einer 
anderen  restituierung  des  textes  als  die  meinige  gegeben  ist. 
In  AJ  findet  sich  v.  528  weder  kraft  {weder  fehlt  BCDEGH); 
535  als  oh  (ob  fehlt  BCDEGH);  617  V7id  grosz  {grosse  J)  pin 
(^rö^z  fehlt  BCDEGH);  713  üf  mich  dm  (Ä/ (/me  ßCDGH); 
790  kint  nie  A,  nie  kind  J  {nie  kunt  BCDGH);  815  gdt  {stäi 
BCDGH);  938  als  ein  schwert  das  {das  fehlt  J)  durch  sie  stech 
{als  [sam  BC]  si  [als  ob  mich  D]  ein  swert  durch  [durch  fehlt 
H]  stäche  BCDGH);  1009  vergienc  {zergienc  BCGH).  —  In  BCJ 
V.  1475  er  het  si  liep  gar  sere  (rf  was  im  liep  [er  miiite  si  so  G] 
sere  AG);  916  der  was  {^ler  fehlt  AGB);  732  zehrich  BC,  brich 
J  {zerre  mir  G,  zer  H,  D  weicht  aus,  AE  fehlen);  1147  lieben 
{liebes  AH,  svzen  G).  —  In  DJ  v.  455  zu  {zeJ)  erkennen  {zu 
fehlt ABCG);  815  komerlich  {jcemerlichABCGU)]  1053  (faz  {desJ) 
ir  zu  eme  hat  gedocht  {daz  tu  zuo  im  was  gedäht  ABCGH).  —  In 
BG  V.  96  erhangoi  {hangen  ACDHJ).  —  In  CH  v.  821  sinen 
siten  {siner  s.  ABDGJ).  —  In  DH  v.  575  der  {den  ABCG,  dem 
E,  das^Jy^  714  die  fehlt  (gegen  ABCGJ);  743  lügende  {gnädeti 
BCGJ);  656  mynecliches  {wünnectichez  GJ,  wünneclichem  B, 
chlaren  C).  —  In  DL  v.  1591  crone  {brunne  BGHK,  bluome 
AC).  —  In  AEH  v.  553  dö  {daz  ÜGJ).  —  In  BGH  v.  789  U 
{an  ACDJ).  —  In  BHJ  v.  880  an  mir  gesige  {mir  an  gesige 
x\CG).  —  In  ABCH  v.  850. 1  erstän  unt  dir  erschinen  unt  euch 
den  jungern  minen  {erstän  unt  [vn  ouch  J]  erschtnen  dir  mit 
den  jungern  minoi  DGJ).  —  In  BCDG  v.  546  vor  in  allen  {vür 
si  alle  AEHJ).  —  In  EGHJ  v.  559  in  {ez  ABCD).  —  In  BCFL 
V.  1599  vrevden  {du  frewden  F)  pris  {b  \du  A]  vrouwen  pris 
AGK). 

Das  ergcbnis  unserer  Untersuchung  Über  das  handschriften- 
vcrhältnis  ist  demnach  folgendes.  Beide  reconsionen  haben 
eine  anzahl  gemeinsamer  fehler:  sie  gehen  also  beide  nicht 
auf  die  Urschrift,  sondern  auf  einen  archetypus  zurück,  der  die- 
selbe schon  nicht  mehr  in  ihrer  ursi)rünglichen  reinheit  be- 
wahrte. Es  ist  daher  zunächst  auch  nur  die  möglichkeit  ge- 
geben, aus  den  erhaltenen  hss.  die  gestalt  des  archetypus 
wider  herzustellen,  welcher  tiberall  da  hervortritt,  wo  die  über- 


344  MILCHSACK 

lieferung  von  I  und  II  sich  deckt.  Wo  aber  YoUkommene 
Übereinstimmung  aller  hss.  nicht  stattfindet,  gibt  die  mehrzahl 
der  gleichberechtigten  f&r  die  aufzunehmende  lesart  den  aus- 
schlag.  Als  gleichwertig  in  bezug  auf  ihre  Stellung  zum  arche- 
typus  gelten  in  der  ersten  bearbeitung  A,  D,  E,  in  der  zwei- 
ten G  und  HJK,  und  J  steht  unter  diesen  wider  HK  im  werte 
gleich.  Dagegen  kann  weder  das  zusammentreffen  vonBG  mit  II, 
noch  dasjenige  von  H  mit  I  in  demselben  maasse  auf  die  ent- 
scheidung  wirken,  wie  die  Übereinstimmung  anderer  hss.  von 
I  mit  II  oder  von  II  mit  I  imd  zumal  sind  begegnungen  von 
BGH  für  die  textkritik  von  zweifelhaftem  werte.  Unter  den 
hss.  der  zweiten  recension  verliert  H  gegenüber  J  noch  beson- 
ders an  bedeutung  durch  ihre  verwantschaft  mit  G. 

Ich  will  dieses  kapitel  nicht  beschliessen,  ohne  einen 
schon  im  jähre  1872  von  Jos.  Haupt  in  seiner  abhandlung 
Ueber  das  mhd.  buch  d.  märterer  (Sitzungsber.  d.  phiL-hist  cL 
d.  kais.  akad.  d.  wiss.  zu  Wien  bd.  LXX,  s.  177  ff.)  gegebenen 
uachwcis  über  die  quelle  und  die  bearbeitungen  von  Uvkl,  der 
von  dem  vorstehenden  in  einigen  nicht  unwesentlichen  punkten 
verschieden  ist,  wenigstens  in  kürze  erwähnt  zu  haben. 

Den  IV.  abschnitt  der  erwähnten  abhandlung  hat  Haupt 
der  Marienklage  gewidmet.  Nicht  etwa  weil  dieselbe  mit  dem 
eigentlichen  zwecke  jener  in  Verbindung  stünde,  es  soll  viel- 
mehr ^die  unter  no.  13  im  buch  der  märterer  enthal- 
tene Marienklage  den  beweis  führen,  dass  man  ihn 
(den  dichter  des  ersteren)  frühzeitig  zu  verbessern  suchte', 
^denn  die  stumpfsinnige  weise  des  mannes  (desselben 
Verfassers  des  buches  d.  märt)  gereichte  schon  den  Zeit- 
genossen zum  anstoss'. 

Haupt  findet  in  der  hs.  2677  der  k.  k.  hotbibliothek  (C 
nach  meiner  bezeichnung)  eine  Marienklage  von  1176  Zeilen, 
Won  denen  folgende  mit  der  klage  im  buch  der  märterer  über^ 
einstimmen'.  Er  setzt  dieselben  auf  s.  178 — 180  zur  ver- 
gleichung  neben  einander.  Ich  will  die  beiden  ersten  von 
Haupt  verglichenen  stellen  hier  folgen  lassen,  um  dem  ieser 
von  der  Verbesserung,  welche  das  buch  der  märt,  in  C  erfah- 
ren hat,  eine  anschauung  zu  geben.    Ich  eitlere  G  nach  vor^ 


UNSER  VROÜWEN  KLAGE. 


345 


stehender  ausgäbe,  gebe  aber  den  text  natürlich  in  der  geFfalt, 
wie  ihn  die  hs.  darbietet. 


C  T.  590—94: 

Ich  gienc  noch  im  auf  meinen   (/. 

stnen)  sporn, 
der  vor  (/.  von)  mier  rainer  wart 

gepom. 
Auch  giengen  yrowen  mit  mier  da, 
die  im  von  galilea 
Gedient  hete  in  (/.  heten)  ofte  wol. . . 

C  V.  629—34  ; 

er  Bwaig  stille,  als  noch  tuet 

Daz  Isembelein,  als  man  ez  schiert : 

alle  vngedult  ez  verbiert: 

Also  het  er  gedulticheit 

in  seinen  noten  di  er  leit: 

£r  tet  nie  au£f  seinen  mvnt  .  .  . 


B.  d.  märt.  v.  113—17: 
Ich  vil  trawrige  mutter  sein, 

Als  ich  mocht,  ich  gie  nach  in 

Mit  andern  weihen,  dye  im  da 
Hettcn  gevolgt  von  Galilea 
Dienende  allez  im  .  .  . 

B.  d.  märt.  v.  1 39—43 

Sein  stimme  wart  gehört  nie: 
Ais  ein  lamp  daz  schray  vnd  erpirt, 
So  man  im  dye  woU  abschirt: 
So  gab  er  chain  stimme  der  stunt 

Und  tet  nie  auf  seinen  munt  .  .  . 


Es  ist  ganz  augenscheinlich  und  trotz  der  mängel  der  hs.  C 
nicht  zu  verkennen,  dass  der  nachdichter  dem  Verfasser  seines 
Vorbildes  an  dichterischem  vermögen  in  jeder  hinsieht  weit 
überlegen  war,  und  man  muss  sich  wundem,  dass  er  nicht 
lieber  aus  eigener  kraft  eine  neue  Marienklage  machte,  für 
einen  manu  von  seiner  begabung  gewis  eine  leichtere  und  er- 
freulichere arbeit  als  diese  Überarbeitung.  Diese  betrachtung 
gehört  indessen  nicht  hierher,  Haupt  hat  wenigstens  vermieden 
sie  anzustellen.  Er  schliesst  seine  vergleichung  mit  der  un- 
mittelbar aus  ihr  gewonnenen  Überzeugung:  'die  Über- 
arbeitung in  C  ist  zweifellos'.  Dennoch  scheint  auch  ihm 
der  abstand  zwischen  dem  elenden  machwerk  im  buch  der 
märterer  und  der  so  wol  gelungenen  Verbesserung  in  C  zu 
gross  gewesen  zu  sein,  als  dass  die  letztere  schon  beim  ersten 
versuch  hätte  erreicht  werden  können.  Er  glaubt  daher  den 
verbesserungsprocess  zu  vereinfachen,  wenn  er  zwischen  die 
Klage  im  buch  d.  märt  und  C  ein  mittelglied,  eine  C  vorher- 
gehende Überarbeitung  der  ersteren  einschiebt,  'von  welcher 
Hoffmann  von  Fallersleben  ein  bruchstück  gefunden  und  be- 
kannt gemacht  hat.  Altd.  bl.  2,  200.  201.'  Er  setzt  aus  die- 
sem und  C  folgende  stellen  in  beziehung: 


346  MILCHSACK 

C  V.  176— 81  AltiL  bl.  2,  20o,  v.  9—13 

O  we,  wer  gibt  dem  hout»et  ineiu  Wer  geit  meinem  kaapt  das 

daz  wa/.ztu\  da  vun  werde  schein  da.:  iz  von  wazer  werd  naz 

kleines  hert/,en  pittercheit,  Und  meinen  angen  der  zeher  regen 

den  iamer.  den  mein  hertze  treit.  daz  ieh  der  immer  mnez  phlegen 

Wer  geit  meinen  äugen  zeher  regen :  Paidev  spot  ynd  vrae  .  .  . 
ich  wil  nicht  wann  waincs  phlegen. . . 

Man  wird  Haupt  zugestelicn  müssen,  dass  das  fragment  in 
den  Altd.  blättern  seiner  fomi  nach  höher  zu  stellen  ist,  als 
das  buch  d.  mfirt.  Hatte  er  ferner  noch  folgende  stellen  ver- 
glichen: C  101—105,  94—96,  392—96,  1102.  3  und  1124.  5, 
532.  3  und  592—94,  446—50  und  4S4— S7,  4S2 ,  489—91, 
461—05  mit  resp.  Altd.  M.  2,  200,  3—6,  7.  S,  13.  14,  15.  16, 
33—35,  36—3^,  39,  10—42,  43,  so  würde  er,  gewis  zu  seiner 
freudc,  gesehen  haben,  dass  das  «ranze  bruchstück  bis  auf  die 
l)artie  v.  19 — 32  mit  Uvkl.  in  zusanmienhang  steht.  Man  ver- 
inisst  bei  seiner  bewoisftlhruu;:  jedocli  die  herbeiziehung  der 
entsj)rcchendon  stelle  aus  der  Klage  im  buche  der  märt,  und 
dass  gewisse  charakteristische  eigentümlichkeiten  der  verschie- 
denen t<'xte  aufgewiesen  waren,  u eiche  diejenige  reihenfolge 
ihrer  cntstehung:  buch  d.  mfirt..  Hofimanns  fragment,  C  dar- 
getan hätten,  die  Haupt  stillschweigend  vorauszusetzen  scheint. 
Auch  liat  er  gcwis  nicht  übersehen,  dnss  HoflFmann  sein  frag- 
ment in  der  autschrift  als  'bruchstück  eines  gedichts  aus  dem 
XII.  jahrh.'  !)czeichnet  und  Schade  (Geistl.  ged.  s.  XVII) 
di(*se  datierung  angenommen  hat.  Haupt  setzt  aber  ja  die 
abfassung  <les  b.  d.  mart.  um  132«» — 40:  ein  wort  zur  berich- 
tigung  des  Irrtums,  in  dem  sich  «also  Hofimann  und  Sehade 
i)efinden,  wäre  daher  w^ol  am  platze  gewesen. 

Wie  C  eine  Umarbeitung  von  der  durch  Hoffmauns  frag- 
ment dargestellten  ersten  bearbeitung  der  Klage  im  b.  d.  märt, 
so  sind  E,  D,  F  nach  Haupt  widerum  einzeln  bearbeitungen 
von  C.  K  und  M  sollen  dagegen  zwei  v(m  C  unabhängige 
bearl)eitungen  darstellen,  von  denen  K.  wie  C,  unmittelbar  auf 
Hofimanns  fragment   zurückzuführen  sei. 

Haupt  schliesöt  alsdann  mit  folgenden  werten:  'Ich  zweifle 
keinen  augenblick,  dass  auch  noch  Jindere  Variationen  dieser 
Trauenklage  |nämlich  im  b.  d.  märt.|  sich  vorfinden.'  ^Diose 
|K|  und  die  in  V  2077  [C]   enthaltene  Marienklage  gehen  auf 


UNSER  VROÜWEN  KLAGE.  347 

eine  gemeinsame  Torlage  zm-ück,  wie  die  Übereinstimmungen 
und  noch  mehr  die  ab  weichungen  [?!]  IIb  erzeugend  dar- 
legen. Diese  gemeinsame  vorläge  scheint  D  [HoflFmauus  frag- 
ment]  gewesen  zu  sein.  Wir  erhalten  somit  folgenden  Stamm- 
baum^ nicht  der  hss.,  sondern  der  texte:' 

Buch  der  märterer 
HoiFmanns  fragment 


C  K 


D  M 

Der  abdruck  der  Konstanzer  hs.  (H)  durch  Mono  in  den 
Schausp.  d.  mittelalt.  s.  210  ff.  ist  Hau])t  gänzlich  unbekannt. 
Er  übersieht,  dass  CDE  in  allem  wesentlichen  doch  nur  hand- 
schriften  eines  gedichtes  sein  können.  Die  cinleitung  von 
Uvkl.,  in  welcher  der  dichter  von  seinem  lateinischen  büchlein 
redet,  scheint  er  gar  nicht  gelesen  zu  haben.  Die  Schwierig- 
keit, welche  die  datierung  von  Hoflfmaiins  fragment  seiner 
aufstellung  entgegensetzt,  welche  in  der  Verwirrung,  die  in  die- 
sem bruchstücko  herscht,  und  in  der  von  Schade  nachgewie- 
senen (iberelnstimmung  der  aus  ihm  verglichenen  stelle  mit  der 
Interrogatio  S.  Anshelmi  liegt,  ist  für  ihn  nicht  vorhanden. 
Den  nachweis  bestimmter  kennzeichen  der  verschiedenen  von 
ihm  ne))en  einander  gestellten  texte,  welche  erkennen  Hessen, 
dass  dieser  auf  jenem  beruhen  und  der  fernere  wider  aus  die- 
sem hervorgegangen  sein  müsse,  sucht  man  bei  ihm  vergebens. 
Worin  aber  beruht  denn  der  beweis  für  den  von  Hau])t  er- 
richteten Stammbaum?  Ich  sehe  von  einem  solchen  wirklich 
nichts,  als  die  s.  177  seiner  abhaudlung  ausgesprochene  be- 
hauptung,  dass  die  stumpfsinnige  weise  dos  dichtcrs  des  b.  d. 
märt,  schon  den  Zeitgenossen  zum  anstoss  gereichte  und  dass 
man  ihn  frühzeitig  zu  verbessern  suchte.  Aber  selbst  diese 
behauptung  muss  bei  einem  manne,  der  wie  Haupt  in  der 
geschichte  der  mhd.  literatur  nicht  iranz  unbewandert  ist,  auf- 
richtig wunder  nehmen.  Oder  ist  denn  die  Verbesserung  stumpf- 
sinniger gedichte  im  14.  Jahrhundert  und  noch  dazu  in  so  ge- 
lungener weise  und  in  doppelter  abstufung  etwas  so  gewöhn- 
liches? H;itte  er  auch  nur  ein  einziges  ähnliches  beispiel  an- 
führen können,  während  ihm,   ich  darf  wol  sagen  hunderte  zu 


348  MILCHSACK 

geböte  Stauden,  welche  den  niedergang  der  litcratur  und  die 
pioductiousunfiibigkeit  dieser  zeit  gerade  durch  ihre  verschlech- 
ternde Überarbeitung  älterer  guter  dichtwerke  beweisen?  Man 
inuss  es  in  der  tat  bedauern,  dass  die  Sitzungsberichte  der 
Wiener  akndemie  von  einem  solchen  dilettantismus  der  ober- 
flächlichsten art  misbraucht  worden  sind. 

Gegen  diese  Hauptsche  ansieht  hat  denn  auch  schon 
Schönbach  in  seiner  recension  (Zschr.  f.  d.  phil.  6,  250)  pro- 
test  erhoben.  Allein  auch  er,  obschon  er  mit  der  herausgäbe 
von  Uvkl.  damals  schon  beschäftigt  war,  erkannte  nicht  das 
tatiJächliche  Verhältnis,  wenn  er  erklärt  'vielmehr  ist  die 
Marieuklage  im  buche  der  märterer,  1176  verse  umfassend  [so 
viel  umfasst  nach  Haupt  richtig  vielmehr  C],  so  gut  wie  jedes  der 
übrigen  v(m  Haupt  beigebrachten  stücke,  nur  eine  verkürzte 
bearbeituug  des  von  Mone  in  den  Schausp.  d.  mittelalt  1, 
210  ff.  aus  einer  unvollständigen  handschrift;  gedruckten 
'spiegeis*.' 

4.  Der  dichter. 

Wer  der  dichter  von  Unser  vrouwen  klage  gewesen,  ist 
nicht  bekannt.  Was  wir  von  ihm  wissen,  beschränkt  sich  auf 
das  wenige,  Avas  sein  gedieht  lehrt.  Dass  er  Latein  verstand 
(v.  90  ff.,  106),  geistliche  betrachtungen  übte  (v.  83—89),  er- 
hellt aus  seinen  eigenen  angaben  und  da  er  jedenfalls  ein  sehr 
frommer  mann  war,  so  gehen  wir  wol  nicht  fehl,  wenn  wir 
ihn  für  einen  angehörigen  des  geistlichen  Standes  halten. 

Ueber  seine  heimat  sollten  wir  aus  den  eigentümlichkeiten 
seiner  spräche  aufsehluss  erwarten,  wie  sie  in  den  reimen  her- 
vorzutreten pflegen.  Allein  die  andeutungen,  welche  in  diesen 
gegeben  sind,  gestatten  nicht  mit  Sicherheit  auf  eine  bestimmte 
gegend  zu  schliessen,  nicht  nur  weil  die  vorkommenden  mund- 
artlichen formen  ihrer  zahl  nach  unverhältnismässig  gering 
sind  und  zum  teil  auf  schwankender  Überlieferung  beruhen, 
sondern  noch  mehr  weil  sie  merkwürdiger  weise  gleichzeitig 
auf  Süd-,  Mittel-  und  Norddeutschland  verweisen.  Von  eigent- 
lich dem  niederdeutschen  Sprachgebiete  angehörigen  reimen 
findet  sich  Meräings  nur  gerden :  erdm  (gerde :  erde  II)  1084.5, 
erde  :  gerde  1372.  3,  aber  in  beiden  recensionen  und  begerde 
:  erde   1110  a.  b   nur   in  IL     An  Interpolation  ist  aber  hier, 


UNSER  TROÜYTEN  KLAGE.  349 

abgesehen  von  dem  übereinstimmenden  zeugnis  aller  hss.,  um 
so  weniger  zu  denken,  als  nur  DK  mittelfränkiscben  bezw. 
niederdeutschen  Ursprunges  sind  und  das  gedieht  also  in  Süd- 
und  Mitteldeutschland  recht  eigentlich  beliebt  und  heimisch  war. 
Die  beiden  mitteldeutschen  reime,  welche  beiden  recen- 
sionen  angehören  und  also  jedenfalls  vom  dichter  selbst  her- 
rühren, sind  zeheti :  geriehen  1068.  9  und  weinen :  steinen  458.  9, 
698.  9,  1142.  3,  1390.  1  und  II  1355,  5.  6.  Der  letztere 
kommt  jedoch  später,  als  das  i  in  steinin  seine  tönende  kraft 
schon  zum  teil  verloren  hatte,  auch  in  oberdeutschen  gedichten 
vor.  Auf  diesen  reim  würde  daher  kein  allzu  grosses  gewicht 
zu  legen  sein,  wenn  man  die  entstehung  von  Uvkl.  ins  endo 
des  13.  jahrh.  hinabrückte.  —  Ausserdem  findet  sich  in  I 
noch  der  mitteldeutsche  reim  Hp  :  diep  {kint :  blint  II)  1070.  1. 
Vergleicht  man  hier  die  abwcichungen  von  I  und  II 

unt  rüeren  (gerüeren  //)  ir  kindes  Itp  (ir  liebez  kint  //), 
daz  vor  ir  hienc  als  ein  diep  (tot  unt  blint  II)  j 

so  bleibt  kaum  ein  zweifei  übrig,  dass  es  nur  die  empfindung 
der  reimungenauigkeit ,  welche  Hp  :  diep  im  obre  eines  nicht- 
mitteldeutschen erweckte,  gewesen  sein  kann,  welche  dieselben 
hervorgerufen  hat,  denn  kint :  blint  bietet  für  keinen  dialect 
etwas  anstössiges.  Die  änderung  ergab  sich  überdies  iür  den 
bearbeiter  von  II  um  so  leichter ,  als  er  den  reim  kint :  blint 
schon  in  v.  1254.  5  vorfand  und  in  seiner  einleitung  v.  77.  8 
schon  einmal  angewant  hatte. 

Endlich  begegnen  auch  eine  anzahl  specifisch  aleman- 
nischer reime.  Aber  auch  bei  ihnen  stossen  wir  auf  die  Schwie- 
rigkeiten schwankender  Überlieferung.  Nur  hant :  hänt  758.  9 
ist  durch  die  hss.  beider  recensionen  bezeugt.  Die  reime  lern- 
bell :  vrt  506.  7,  niet :  beschiet  867,  d.  e  und  schcefelin  :  geAn 
860.  1  enthält  dagegen  nur  II,  ihre  ursprünglichkeit  erhebt 
sich  ledoch  fast  zur  gewisheit  durch  die  oben  (s.  303  flF.) 
gegebenen  beweise,  dass  II  in  allen  diesen  stellen  mit  den 
Worten  der  Interrogatio  genauer  übereinstimmt  als  I,  also  die 
originale  fassung  jedenfalls  richtiger  bewahrt,  und  dass  gerade 
die  alemannischen  formen  dieser  reime  die  Veränderungen  in  I 
bewirkt  haben.  Drei  andere  hierher  gehörige  reime  bietet 
allein  die  erste  recension  kint :  sint  (estis)  (:  brint  II)  1050.  1, 
hänt  :  erkant  1654.  5   and  min  :  gesin  398.  9.     Bei  dem  ersten 


3:a)  mtlchsack 

ist  es  walirscheinliclier  dass  II,  als  dass  I  geündert  habe. 
Die  beiden  stellen,  welche  die  andern  enthalten,  fehlen  in  II, 
sind  aber,  wie  wir  früher  gesehen  ha))en,  ohne  zweifei  echt: 
die  innn  gewi  v.  390  konnte  jedoch  auch  in  I  nur  aus  den  al>- 
weichungen  der  verschiedenen  hs^'.  erhcldossen  werden.  Eben- 
so beruht  der  alemannisclie  reim  tvort.wart  v.  1566.  7  auf  einer 
conjectur,  die  indessen  alle  Wahrscheinlichkeit  fdr  sich  hat 

Die  <riosse  verschiedenlieit  der  niundarten,  welche  durch 
diese  reiinformen  vertreten  sind,  bereitet  für  die  heimats- 
bestimmuug  des  dichters  von  Uvkl.  ein  hindernis,  dass  sich 
ohne  hinzutretende  andere  gründe  vollständig  nicht  beseitigen 
lägst  Mir  stehen  solche  gegenwärtig  nicht  zu  geböte.  So 
lange  aber  diese  nicht  beigebracht  w^erden  können,  ist  bei  der 
numerisch  und  formell  überlegenen  beweiskraft  der  alemanni- 
schen reime  die  berech tiguug,  sich  für  die  alemannische  hcr- 
kunft  des  dichters  zu  entscheiden,  am  grössten.  Auch  würde 
es  nicht  so  selir  schwer  sein,  die  einmischung  mitteldeutscher 
formen  dahin  zu  erkhiren,  dass  diese  dem  Verfasser  von  Uvkl. 
entweder  durch  die  lectüre  mitteldeutscher  gedichte,  oder 
durch  die  persönliche  bekanutschaft  mitteldeutscher  gegenden 
und  spräche  geläufig  geworden  seien. 

Art  und  zahl  der  reimfreiheiten  in  Uvkl.  ist  nicht  sehr 
gross,  wenn  der  dichter,  wie  es  die  billigkeit  erfordert,  zu- 
nächst nur  für  diejenigen  verantwortlich  befunden  wird,  welche 
beide  recensionen  gemeinschaftlich  bewähren. 

Daliin  sind  von  reimen  mit  vocalischer  assonanz  zu  rech- 
nen erstens  solche  mit  a  :  «.  dar  :  adelar  570.  1,  1600.  l; 
:  {/ebar  1260.  1;  hani :  hdnt  75S.  9;  hau  :  gewan  810.  11;  hast 
:  ast  1152.  3;  :  glast  1166.  7.  Ferner  gewis  auch  einige  von 
denen,  welche  nur  in  I  vorkommen:  man  :  cappelän  378.  9; 
gebar  :  rvar  {idar  II)  912.  13;  hän  :  man  1458.  9;  :  kan  1580.  1; 
:  gewan  1586.  7;  hat  :  s tat  1650.  1;  hänt  :  erkant  1654.  5,  und 
vielleicht  alle  mit  ausnähme  von  912.  13.  Von  den  allein  in 
II  erscheinenden  wol  kaum  ein  einziger.  Denn  unbedingt  aus- 
zusehli<  sseu  sind  diejenigen  aus  den  vom  bearbeiter  notorisch 
hinzugedichteten  partien  hän  :  kan  119.20;  hat :  himelstat  152. 
3;  :honhetstat  196.  7;  :  mat  2s2.  3;  :  stat  300.  1;  war  :  par 
1518.  19,  und  auch  bei  den  drei  übrigen  hän  :  man  {man :  an 
I)    und    1075.  4;    när :  schar    {enpfienc :  hegienc  I)    1386.   7 


UNSER  VROÜWEN  KLAGE.  351 

ist  nicht  abzusehen,  warum  nicht  auch  hier  I,  wie  im 
ganzen,  die  altere  Fassung  bewahre.  —  Mit  i :  i  zwei- 
tens findet  sich  kein  von  beiden  recensioncn  bezeugter  reim, 
m  :  dn  I  434.  5  mag  jedoch  ursprünglich  sein,  in  keinem  falle 
aber  islnin  :  h'm  {:schtn  U)  1  1212.  13  und  hin  :  müeimtin  {zart 
:  wart  I)  II  14(30.  1.  —  Wir  erhalten  also  von  vocalischen 
assonanzcn  als  minimum  7,  als  maximum  15  reime. 

Die  reime  mit  consonantischer  assonanz  sind  begreiflicher 
weise  viel  weniger  häufig,  üreimal  begegnet  z  :  s  in  beiden 
recensionen  baz  :  las  (:  was  BCII)  105.  6;  daz  :  genas  1022.  3; 
liijenmz  : pris  1598.  9  und  noch  an  zwei  stellen  in  I  was: daz 
{rihtcere  :  wcere  II)  1194.  5  und  was  :  naz  {genas  E)  1318.  19, 
wo  AD  II   fehlen.  —  Ferner  m  :  n  nur  man  :  er  kam  1330.  1  in 

I  und  II  und  gimme  :  küniginne   {herille  :  maget  stille  ßC)  lüli). 

II  allein  in  A.  —  Ueberschlagendcs  n  erscheint  590.  1  spar 
:  gebom  in  I  und  II,  vgl.  II  322.  23,  dagegen  51.  2  clage:  sa- 
gen und  ebenso  137.  8  nur  in  II. 

Der  rührenden  reime,  die  wegen  der  Übereinstimmung 
beider  bearbeitungen  der  ursprünglichen  gestalt  des  gedichtes 
zuerkannt  werden  müssen,  sind  im  ganzen  elf.  Davon  sind 
aber  nur  vier  der  höfischen  kunst  nicht  gemäss  (vgl.  Lachm. 
zu  den  Nil).  70,  Sommer  zu  Flore  3),  nämlich  din :  dUn 
744.  5;  mich  :  mich  746.  7;  minneclichen  :  süezecHchen  1256.  7 
und  süezikeit :  miltikeit  1590.  1.  Wol  aberfolgende:  alsus  {sus 
II)  :  Jesus  bAS.  9;  min7ieclichen  :  bitterlichen  572.  3;  hant :  hänt 
758.  9;  tröst :  ungetröst  798.  9;  min7ie  :  minne  (als  kosewort) 
908.9;  biiterkeit : süezekeit  1278.9;  wort: wart  1566.7.  Ausser 
diesen  finden  sich  von  unerlaubten  rührenden  reimen  in  I 
noch  minyieclich  :  wünneclich  {zart :  rvart  II)  796.  7,  in  II  süe- 
zikeit :  scelikeit  7.  8 ;  miltekcit :  scelikeit  1 60.  1 ;  werdikeit :  sceli- 
keit  178.  9;  dicmüetikeit :  geduHikeit  232.  3;  barmherzikelt  :  mit- 
tekeit  836  e.  f.;  hertikeit :  sa^likeit  1153,  5.6;  me  :  me  1502.  3; 
miltekeit :  gedaltikeit  {:  kintheit  I)  1562.  3;  von  erlaubten  in  I 
verbergen  :  bergen  442.  W ;  genzlichen  :  jceinerlxchen  990.  1 ; 
minneclich  :  glich  {:  mich  li)  1150.  1;  vlizeclichen  :  jcemerlichen 
{gucedeclichen  II)  1184.  5;  getiche  :  bitterliche  1344.  5;  bitter- 
keit  {leit  II)  :  süezikeit  1350.  1;  muoter  :  demuoter  {zart :  en- 
wart  II)  1410.  11 ;  siti  (pron.)  ;  sin  (esse)  1440.  1 ;  lobelich  :  min- 
neclich  {trön  :  Ion  II)  1602.  3;   in  II  gelich  :  wüniieclich  288.  9; 


352  MILGHSACR 

jcemerlich  :  rvümiecUch  310.  11;  Jcemerlichen  :  siu/HicRchen  328. 
9;  gie  :  begie  358.  9;  geRch  :  biierlich  542.  3;  erkamen  :  kometi 
886,  c.  d;  weich  :  entweich  1147,  1.  2;  gelich  :  mirmecHch  1147, 
13.  14;  tougenHchen  :  andeehticRchen  1182.  S3a;  ungetrösl :  tröst 
{guot :  trmot  I)  1467.  6.  Mögen  auch  von  den  rührenden  rei- 
men in  I  einige  noch  auf  rechnung  des  dichter»  gesetzt  wer- 
den müssen,  so  ist  die  zahl  derselben  immer  noch  nicht  so 
gross,  um  die  annähme,  dass  das  gedieht  in  der  zweiten  hälfte 
des  13.  Jahrhunderts  entstanden  sei,  bedenklich  erscheinen  zu 
lassen.  Für  diese  zeit  spricht  auch,  dass  der  dichter  von  den 
gröberen  reimfreiheiten  der  späteren  zeit  noch  keinen  gebrauch 
gemacht,  die  verse  noch  ganz  nach  der  älteren  weise  gebaut, 
schwere  auftakte  vermieden  hat  und  die  Senkungen  öfter  fehlen 
lässt,  was  gewis  noch  häufiger  zum  Vorschein  kommen  würde, 
wenn  wir  eine  ältere  handschrift  besässen,  welche  nicht  so 
sehr,  wie  die  erhaltenen,  bemüht  gewesen  wäre  dieselben  aus- 
zufüllen. Dafür  spricht  endlich  auch  die  bekanntschaft  des 
dichters  mit  den  meisterwerken  der  mittelhochdeutschen  blute- 
periode. 

Mone  hat  schon  darauf  aufmerksam  gemacht^),  dass  der 
dichter  Wolfram,  Hartman  und  Freidank  gekannt  haben 
müsse.  Er  folgerte  dies  für  den  ersteren  aus  der  einleilung 
der  Konstanzer  hs.,  welche  Mone  zum  abdruck  braclite.  Dieses 
argument  erweist  sich  aber,  weil  die  anderen  hss.  von  einer 
solchen  einteilung  in  kürzere  abschnitte  von  bestimmter  Zeilen- 
zahl nichts  wissen,  als  nicht  stichhaltig.  Wahrscheinlich  ist 
nur,  dass  eine  vorläge  von  II  soleiie  regelmässige  abschnitte 
herstellte,  die  vom  Schreiber  von  H  in  ihrer  bedeutung  ver- 
kannt und  zum  teil  beseitigt,  zum  teil  belassen  wurden.  Die  be- 
kanntschaft des  dichters  mit  Hartmans  werken  begründete  Mone 
auf  einige  beobachtungen  des  Sprachgebrauchs  und  aus  Frei- 
dank wies  er  die  entlehnung  von  v.  226.  7  nach.  Schönbach 
widerholte  diese  behauptung  ^) ,  indem  er  den  genannten  Vor- 
bildern Walther  von  der  Vogelwoide  hinzufügte,  ohne  je- 
doch für  eines  von  ihnen  nachweise  gegeben  zu  haben. 

Unter  den  belegen,  welche  eine  benutzung  Walthers  bei 


1)  Schausp.  d.  mittelalt  1,  204  ff. 
')  Ueber  d.  Marienklagen  s.  4G. 


UNSER  VBOUWEN  KLAGE.  353 

dem  dichter  von  UykL  könnten  vermuten  lassen,  ist  keiner  der 

dafür  einen   sicheren    anhält  böte.     Denn  die  wenduug  Uvkl. 

665—67 

der  von  mir  wolde 

werden  unt  wart  geborn: 

ze  mnoter  häte  er  mich  erkom. 

Walther,  Lachm.  19,  5—7 

Ez  gienc,  eins  tages  als  unser  hdrre  wart  geborn 
von  einer  maget  dier  im  ze  mnoter  bat  erkom, 
ze  Megdebnrc  der  künec  Pbilippes  schöne. 

war  schon  zu  Walthers  zeit  zur  formel  erhärtet  und  braucht 
deshalb  aus  ihm  nicht  entnommen  zu  sein.  Diese  und  andere 
vorkommende  formelhafte  ausdrucksweisen  sollen  im  HI.  teile 
dieser  arbeit  nach  ihrer  entstehung  und  Verbreitung  untersucht 
werden.  Das  früheste  vorkommen  vorliegender  phrase,  welches 
ich  kenne,  habe  ich  schon  in  diesen  Beiträgen  3,  367  zu  v.  43 
der  aus  der  Spiezer  Gregoriushs.  abgedruckten  Marienklage  im 
loblied  auf  Maria,  Diemer  s.  296,  7.  8 

zeiner  mflter  er  dich  nam 
nzzer  allen  wtben 

nachgewiesen. 

Für  den  reim  tüsentstuni :  muni  Uvkl.  1258.  9 

stnin  wange  unt  stnen  mnnt 

(stn  ongen,  wange  unt  den  munt  II) 

knst  st  md  dan  tüsent  stunt 

ist  allerdings  Walth.  Lm.  39,  26—28 

kuster  mich?  wol  tüsentstnnt: 
tandaradei, 

seht  wie  rdt  mir  ist  der  mnnt 

das  bekannteste  beispiel.    Wie  häufig  und  für  ähnliehe  gele- 

gonheiten  beliebt  aber  auch  er  schon  um  die  wende  des  12./ 13. 

Jahrhunderts  gewesen,  mögen  folgende  stellen  zeigen: 

Iwein  7503.  4     st  nnderknsten  tüsentstnnt 

ongen  wangen  nnde  mnnt 

Iwein  7976 — 78     von  grözen  vrenden  knster  d6 

stner  jnncvroawen  mnnt 
hende  and  ongen  tüsentstnnt 

Tristan  34,   31.  2     and  leite  ir  mnnt  an  3tnen  mnnt 

und  koste  in  hundert  tüsent  stnnt. 

Tristan  38,  5.  6       nnd  knste  ie  ze  etltcher  stnnt 

ir  wange  ir  ongen  nnde  ir  munt 

ncltrttt;e  sor  freiohlohte  der  dentMlien  tpnohe.  V.  2J 


354  MILCHSAGK 

Tristan  325,  15.  16  nnd  kuste  ir  wangen  nnde  ir  munt 

zeiner  nnt  ze  maneger  stunt. 
Vgl  noch  Bartsch,  Partonop.  3179.  80;   Cl.Hätzl.  s.  LXXIII  53. 
Mit  Iw.  7503.  4  und  Trist.  38,  5.  6  verglichen  Hesse  sich  noch 
am  ehesten  eine  anlehnung  von  Uvkl.  an  Hartman  oder  Got- 
fried  vermuten. 

Auch  Uvkl.  244,  5 

länt  die  vröudOi  diu  lach  lat, 
8t  ist  niht  visch  biz  an  den  grät 

Walth.  67,  28—31   l!p,  lä  die  minne  diu  dich  lat, 

und  habe  die  stseten  minne  wert: 
mich  dunket,  der  du  hast  gegert, 
diu  8t  niht  visch  unz  an  den  grät 

ist  Walther  nicht  eigentümlich,  sondern  findet  sich  auch  Renner 

3079,  Teichner  234  und  Martina  276,  92.  3   (vgl.  Lexer,  Mhd. 

wb.  1,  1073)  u.  a.    Zudem  stehen  diese  verse  in  der  vom  be- 

arbeiter  von  II  erweiterten  einleitung  und  können  daher  f&r 

den  dichter  selbst  nicht  einmal  in  anspruch  genommen  werden. 

Dem    bearbeiter   von    II  wird  jedoch  Walther   vorgeschwebt 

haben. 

Dagegen  gibt    es  aber    mehrere  andere   stellen,    welche 

Hartmannische  ein  Wirkung  verraten.    So  UvkL  1105 

ez  was  wunder,  daz  st  gnas  (:  wasX 

und  1121     ach  sehent,  wie  st  ie  genas  (:was). 

Iw.  3664     ez  was  wunder,  daz  ich  gnas  (:  was). 

Er.  5559.  60     daz  uns  wol  wundem  mac, 

daz  £)rec  vor  im  genas  (:  was). 
Er.  6075.  6     daz  ir  herze  niht  zerbrach 

vun  leide,  daz  was  wunder. 

Und  ebenso  wird  man,  glaube  ich,  auch  in  UvkL  672 — 87  eine 
nachbildung  Uai-tmans  erkennen  müssen: 

A.  Heinr.  378—81 

der  süft  lie  mich  niht  sprechen:  dd  holte  der  arme  Heinrich 

min  herze  wolde  brechen.  tiefen  süft  von  herzen 

so  der  müeterltch  gedanc  mit  liittcrltchem  smerzen: 

mich  zc  reden  iht  betwanc,  mit  solher  riuwe  er  dö  sprach, 

sO  viel  liaz  wort  ze  gründe  daz  ime  der  süfc  daz  wort  zerbrach. 
unt  zucktez  von  dem  munde  y^A    Erec  5348.  9 

der  bitterliche  smerze  .    ,  \^    ,  '      »^      ,. 

hin  wider  an  daz  herze.  "  »»«"«l.  »^*  ^*  ^""^  Mfbraoh, 

gezuclcet  unt  gebrochen  ^az  st  vil  kflme  gesprach, 
niht  ganz  unt  ungesprochen 


UNSEB  YBOUWEN  KLAGE. 


355 


sich  ongt  des  herzen  swsre, 
als  ich  verstammet  wsre. 
swenne  ein  wort  ze  der  kein  reiz, 
daz  was  von  weinen  also  heiz, 
daz  ez  der  mont  nibt  künde  gesagen 
von  des  herzen  swaßrem  klagen. 

Mit  grösserer  Sicherheit  als  bei  Hartman  von  Aue  ist 
die  benutzung  Wolframs  von  Eschenbach  durch  den  dichter 
von  UvkL  nachweisbar.  Unter  den  belegen,  welche  fUr  eine 
bekanntschaft  mit  dem  Parzival  angeführt  werden  könnten, 
finde  ich  nur  öinen  mit  beweisender  kraft: 


Parz.  57,  9—14 
der  j&mer  gap  ir  herzen  wtc. 
ir  frende  yant  den  dürren  zwtc, 
als  noch  diu  tnrteltübe  tnot 
diu  het  ie  denselben  mnot: 
swenne  ir  an  trütscheft  gebrast, 
ir  triwe  kOs  den  dürren  ast 


'      ÜTkL  538—45 
doch  weinet  nieman  so  yil, 
&ne  m&ze  unt  äne  zil, 
als  Marta,  diu  getrinwe 
Magdaldna.  yol  riuwe 
was  ir  herze  unt  ir  mnot: 
als  diu  tnrteltübe  tnot, 
diu  ir  gemahel  h&t  yerlom, 
den  st  ze  tröste  h&te  erkom. 

Dasselbe   bild   ehelicher  treue  kommt  auch  anderwärts  vor^ 
eine  Sammlung  gibt  schon  J.  Grimm,  Altd.  wälder  3,  34  ff. 

Aus  dem  Willehalm  sind  dagegen  mehrere  stellen  beinahe 
wörtlich  in  UvkL  aufgenommen,  so  aus  der  klage  Markes  über 
Vivlanzes  tod  im  2.  buche: 


Wh.  60,  20—61,  2 
mit  nazzen  ongen  er  dö  sprach 
*ey  fUrsten  art,  reinin  fruht, 

mtn  herze  mnoz  die  jftmers  suht 
an  frende  erzente  tragen. 

wffire  ich  doch  mit  dir  erslagen! 

BÖ  t»te  ich  gein  der  mowe  kdr. 
j&mer,  ich  mnoz  immer  mdr 

wesen  dtns  gesindes. 

daz  dn  mich  niht  verslindes! 

ich  mein  dich,  breitia  erde; 

daz  ich  beztte  werde 

Dir  geltch:   ich  kom  von  dir. 

tot,  nn  nim  dtn  teil  an  mir 


UvkL  1154—57 

ach,  YÜrsten  kint  (art  II),  ö  reinin 

Trnht, 

mtn  herze  mnoz  des  jftmers  saht 

&ne  tröst  (erzente  //)  mit  smerzen 

tragen 

nnt  dich  mit  dtner  mnoter  klagen. 

Uvkl.  1306—7 
war  Bol  ich  nü  kdren? 
mtn  qn&le  mnoz  sich  mdren. 

Uvkl.  1286—97 
ach,  tot,  wie  du  yerswindest 
daz  du  mich  niht  yerslindest! 
ich  mein  dich,  breitia  erde, 
daz  ich  beztte  werde 
zn  dir,  wan  ich  kam  von  dir. 
tot,  nü  nim  dtn  teil  an  mir. 

23  • 


356 


MILGHSACE 


Wh.  61,  9 
daz  mich  belühte  nimmer  tac! 


daz  mich  belühte  niemer  tac! 


Wh.  62,  11—14 
Bölh  BÜeze  an  dtme  Itbe  lac: 
dos  breiten  mers  salzes  smac 
müeso  al  zukermsezic  sin, 
der  din  ein  zdhen  wtlrfe  drin. 


des  bittern  mero  Balzes  smac 
der  miieste  zuckermiBzic  sin, 
swie  daz  ein  zäher  ksm  dar  tn 
des  bluotes,  daz  gevlozzen  iat 
von  dtnem  Itbe,  süezer  Criat. 

Im  höchsten  übermaBse  des   Schmerzes  ausgestossene  an- 

rufuDgeu  des  todes  fiuden  sich  auch  im  Erec  5875 — 5907  und 

Flore  2302 — 54,   von  welchen  die  letzt-ere  eine  bekanntschaft 

der  ersteren  voraussetzt.     Siehe   Sommer   zu    Flore    2302  ff. 

Aus  ihnen  vergleicht   sich  aber   nur  Erec  5886  vil  lieber  Tot, 

nü  meine  ich  dich  mit  Wh.  60,  29   und   UvkL  1288   ich   mein 

dich,   breitiu   erde.    Zu  demselben   und  dem  folgenden  verae 

lässt  sich  auch  Erec  6416.  17 

d  erwele  ich  deich  der  erde 
mit  im  bevolhen  werde 

in  vergleichung  setzen. 

In  demselben  ausbruch  den  Schmerzes  der  Maria  findet  sich: 
Uvkl.  1298     Din  anblic  was  ein  vröuden  ztt 

din  blic  wffire  ein  meien  ztt. 
si  was  im  reht  ein  meien  ztt 
din  anblic  st  ein  meien  ztt 


Wh,  64,  11 

und  Parz.  531,  24 

Winsbekin  1,  8 


Femer  UvkL  1302—4 

von  muoter  wart  nie  Itp  geborn 
BÖ  minnecltch,  du  wffire  er  körn 
mir  ze  einer  vrOnde  unt  wünne. 


Wh.  63,  2—4 
mir  wart  dtn  tngenthafter  Itp 
ze  frende  an  dise  werlt  erborn: 
da  han  ich  sinften  für  er  körn. 


Aehnlich  Tristan  208,  24—26 

daz  kint  noch  maget  von  wibe 

als  lustec  unde  aU  üzerkom 

nie  wart  noch  niemer  wirt  geborn. 

Femer  Uvkl.  1620—22 

ich  mane  dich,  Maria  guot, 
durch  daz  minnecliche  bluot, 
daz  din  zartez  kint  vergOz 

Vgl,  auch  Wh.  322,  9. 


Wh.  166,  22—25 
die  Terramdr  retGBtet  h&t, 
die  ergebt  an  gotes  banne  grOc 
unt  mant  indazerdnrch  nna  gOi 
üf  d'  erde  üz  einen  wanden  blaot 


ÜN8EE  VROÜWEN  KLAGE.  357 

Ferner  Uvkl.  1244.  45 

Wh.  303,  17.  18 
sl  kuste  stne  wunden,  daz  wir  schowen  fümf  wunden, 

diu  wären  nnverbunden.  die  noch  sint  unverbunden. 

Ferner  Uvkl.  480.  1 

Wh.  51,  18 
wer  gtt  mtnn  ongn  der  zäher  regen  ?      des  maoz  ich  immer  jämers  pflegen 

Wh.  456,  25.  26 
dd  der  fluz  stnr  engen  regen 
ich  wil  nilit  wan  weinens  pflegen,     het  der  zäher  sd  vil  gephlegen. 

Wir  kennen  nicht  den  namcn  des  dichters  von  Unser 
vrouwen  klage  und  nichts  von  seinen  näheren  lebensumständen. 
Wir  sehen  aber,  dass  er  ein  mann  war,  der,  selbst  nicht 
fremd  in  gelehrter  bildung  und  vertraut  mit  den  werken  der 
besten  vaterländischen  dichter,  sein  bescheidenes  aber  immer 
noch  für  seine  zeit  achtbares  talent  der  emporstrebenden  neuen 
geistlichen  dichtung  in  dienst  stellte.  Diese  hatte  kaum  erst  ihre 
schwingen  zu  regen  begonnen,  als  sie,  durch  die  zeitverhält- 
nisse  begünstigt,  auch  schon  mit  mächtigen  fliigelschlägen  sich 
erhob  und  ihre  Wirkungen  weit  hinaus  bis  in  die  kleinste 
hütte  verwehte.  Der  dichter  von  UvkL  ist  einer  unter  den 
ersten,  welche  ihre  fesseln  lösten  und  weit  entfernt  der  ge- 
ringste. Es  war  ein  glücklicher  griff,  dass  er  einer  zeit,  in 
welcher  die  Marienverehrung  zur  höchsten  blttte  gedieh,  eine 
Marienklage  voraufschickte.  Wie  klein  und  unscheinbar  sein 
werkchen  sein  mochte,  seine  einfachheit  und  die  wärme  wahr- 
haft religiöser  empfindung  öfiueten  ihm  alle  herzen  und  der 
tiefgreifende  einfluss,  welchen  es  auf  einen  Zeitraum  von  mehr 
als  zwei  Jahrhunderten  ausgeübt  hat,  offenbart  sich  nicht  allein 
darin,  dass  es  schon  früh  der  Überarbeitung  gewürdigt  und 
bis  hinein  ins  16.  Jahrhundert  wider  und  wider  abgeschrieben 
wurde,  sondern  noch  weit  mehr  darin,  dass  sich  ihm  beinahe 
kein  dichter,  der  einen  geistlichen  stoff  behandelte,  zu  ent- 
ziehen vermocht  hat.  Es  erhält  dadurch  zugleich  für  die 
cultur-  und  literaturgeschichte  eine  bedeutung,  welche  man  bis- 
her in  ihm  nicht  vermutet  hat  und  die  manches  grössere  und 
anspruchsvoller  auftretende  dichtwerk  des  14.  Jahrhunderts 
weit  überragt. 

GUSTAV  MILCHSACK. 


CONJUNCTIONEN  MIT  MEHRFACHER 

BEDEUTUNG. 

Ein  beitrag  zur  lehre  vom  satigeftige. 

VV  eun  die  spräche  überhaupt  nicht  yermag,  die  gedanken 
wirklich  auszudrücken,  sondern  nur  sie  anzudeuten ^  so  gilt 
dies  vom  Satzgefüge  in  nicht  geringerem  maasse  als  von  ein- 
fachen Wörtern  und  Sätzen,  und  wenn  die  ältere  grammatik 
lehrte,  das  Satzgefüge  beruhe  (neben  dem  pronomen  Telativurn) 
wesentlich  auf  den  conjunctionen,  in  dem  sinne  und  grade, 
dass  dieselben  das  verbum  in  seinen  modis  'regieren',  so  war 
dies  gewis  eine  Überschätzung  des  Vermögens  der  conjunctionen. 
Aber  wichtige  und  unentbehrliche  hülfsmittel  der  satzbildung 
sind  dieselben  im  laufe  der  zeit  allerdings  geworden;  sie  zei- 
gen das  Verhältnis  der  sätze  schneller,  sicherer  und  schärfer 
au,  als  es  sonst  erkannt  würde,  und  wenn  man  sie  nicht  als 
selbständige  art  von  redeteilen  gelten  lassen  will  —  weil  viele 
von  ihnen  ursprünglich,  und  zum  teil  noch  neben  ihrem  ge- 
brauch als  conjunctionen,  adverbia  sind  — ,  so  kann  dadurch 
ihre  wirkliche  bedeutung  keinen  abbruch  erleiden. 

Wie  die  conjunctionen  zu  dieser  geltung  gelangt  sind,  ist 
auf  historischem  wege  zu  erforschen  und  dies  kann  nur  ge- 
schehen im  Zusammenhang  mit  der  lehre  von  der  entstehung 
des  Satzgefüges  überhaupt,  welches  jedesfalls  schon  bestand, 
bevor  conjunctionen  als  ausdrückliche  nähere  bezeichnung  ein- 
zelner formen  desselben  aufkamen.  Dass  die  coqjunctionen 
der  beiordnung  zum  teil  andern  Ursprung  und  Charakter  haben 
als  die  der  Unterordnung,  ist  natürlich;  doch  besteht  ja  ein 
teil  der  letzteren  nur  in  relativischer  anwendung  der  ersteren, 
und  der  unterschied  zwischen  beiden  wird  auch  dadurch  ver- 


TOBLER  -  CONJUNCTIONEN.  359 

mindert,  dass  einige  unterordnende  sich  bei  näherer  betrach- 
tung  als  ursprünglich  dem  hauptsatz  angehörige  adverbia  er- 
weisen, welche  mit  weglassung  eines  ihnen  entsprechenden 
relativums  selbst  an  dessen  stelle  getreten  sind;  so  im  deut- 
schen seit,  ehe  XL  ^y  vgl.  Koch  in  Herrigs  archiv  XIV,  290. 
Erdmann,  Syntax  Otfrids  I,  p.  46—47.1) 

Wenn  die  bedeutung  der  conjunctionen  allerdings  nur  im 
Zusammenhang  mit  dem  ganzen  der  satzfUgung  zu  erkennen 
ist,  so  empfängt  doch  auch  umgekehrt  die  geschichte  der  letz- 
teren manches  licht  aus  der  etymologie  und  bedeutungsent- 
wicklung  der  conjunctionen.  Wie  bei  den  andern  Wortarten 
ist  bei  den  conjunctionen  die  mehrfache  bedeutung  einzelner 
(resp.  die  anwendung  derselben  in  verschiedenen  arten  von 
Sätzen)  entweder  unmittelbar  aus  einer  einfachen  grundbedeu- 
tung,  oder  mittelbar  aus  einer  bereits  abgeleiteten  zu  erklären. 
Der  letztere  fall  ist  aber  bei  den  conjunctionen,  wegen  ihres 
abstract  formalen  wesens,  seltener  als  bei  materiellen  begriffs- 
wörtem;  es  muss  öfter  gleichzeitige  entfaltung  mehrerer 
Specialbedeutungen  unmittelbar  aus  einer  grundbedeutung 
angenommen  werden,  wie  bei  den  präpositionen  und  präfixen, 
welche  dem  abstracten  wesen  der  conjunctionen  am  nächsten 
kommen.  Daraus  folgt,  dass  Sätze,  die  mit  derselben  con- 
junction  eingeleitet  werden,  sonst  aber  von  verschiedener  art 
sind,  nicht  etwa  gewaltsam  auf  einander  zurtlckgeflihrt  oder 
in  einander  umgesetzt  werden  dürfen,  als  ob  die  ihnen  gemein- 
same conjunction  ohne  weiteres  einen  genetischen  Zusammen- 
hang unter  ihnen  selbst  bewiese. 

Ich  gehe  aber  hier  nicht  auf  etymologie  der  conjunctionen 
und  auf  historische  entwicklung  des  Satzgefüges  aus,  weil  die 


*)  In  den  alten  sprachen  kommt  nichts  genau  entsprechendes  vor; 
denn  in  inel,  iav,  iameisi^  simulaCj  priusquanty  welche  Cartins,  Erläut. 
z.  griech.  gramm.  2.  aufl.  p.  191  erklärt,  ist  zwar  ebenfalls  ein  adver- 
bium  aus  dem  hauptsatz  an  die  spitze  des  nebensatzes  verschoben,  aber 
ohne  Unterdrückung  der  conjunction  des  letzteren,  der  es  vielmehr  nur 
vorgesetzt  wird.  Dem  tametsi  würde  unser  obgleich  entsprechen  (nur 
mit  umgekehrter  Stellung),  wenn  gleich  =  dennoch  zu  nehmen  wäre, 
wie  es  allerdings  in  der  schweizerischen  Volkssprache  vorkommt;  aber 
das  synonyme  obschon  weist  auf  die  nhd.  zeitliche  bedeutung  von 
gleich \  wenn  schon  noch  als  adverbium  von  schön  zu  nehmen  ist,  so 
entspricht  ihm  das  tvol  in  obrvol. 


360  TOBLER 

erstere  selten  mit  geottgender  Sicherheit  über  jene  allgemeine 
grundbedeutung  hinausreicht,  und  weil  die  entstehung  des  Satz- 
gefüges auch  in  den  ältesten  Sprachdenkmälern  nicht  mehr 
Yollständig  zu  erkennen  ist:  ich  möchte  vielmehr  die  syntakti- 
schen Verhältnisse  zunächst  einmal  abgesehen  von  ihrer  all- 
mählichen genesis  m  überschauen,  wie  sie  sich  in  der  späteren 
spräche  fertig  ausgebildet  in  einem  System  der  conjunctionen 
darstellen  lassen.  Eine  solche  Übersicht  fährt  allerdings  auf 
verwantschaflen  und  Übergänge  zwischen  Satzarten,  die  sonst 
einander  ferne  liegen ,  überhaupt  aber  auf  eine  tief  und  weit 
reichende,  mannigfach  vermittelte  berührung  fast  aller  arten 
von  Satzverbindung  unter  einander.  Dass  die  hypotaxis  im 
allgemeinen  aus  parataxis  entstand,  ist  in  neuester  zeit  viel- 
fach nachgewiesen  worden:  aber  die  Übergänge  zwischen  den 
einzelneu  arten  hypotaktischer  und  parataktischer  satzord- 
nung  sind  meines  wissens  noch  nirgends  zusammengestellt 
Der  conjunctionen  bediene  ich  mich  dabei  nur  als  des  ein- 
fachsten mittels,  eine  Übersicht  möglichst  vieler  satzverhält- 
nisse,  als  deren  exponenten  die  conjunctionen  gelten  können. 
Überhaupt  herzustellen.  Da  endlich  die  aufgäbe  gross  und 
noch  wenig  angebahnt  ist,  so  ist  es  doppelt  notwendig,  sie  zu- 
nächst auf  äine  spräche  zu  beschränken ,  in  welcher  vielleicht 
etAvas  daftir  vorgearbeitet  ist  Zu  den  notwendigen  vorarbeiten 
gehört  nämlich 

1.  ein  Verzeichnis  der  conjunctionen  nach  begriffen. 
Ein  solches  hat  Grimm,  gr.  III,  270 — 87  geliefert,  indem  er 
die  begriffe  in  lateinischer  spräche  zu  gründe  legt  und  unter 
jedem  angibt,  wie  derselbe  in  den  einzelnen  germanischen 
sprachen  ausgedrückt  werde.  Die  Übersicht  ist  zwar  nicht  für 
den  zweck,  den  wir  hier  im  äuge  haben,  angelegt  und  auch 
nicht  ganz  vollständig;    doch  mag  sie  vorläufig  genügen. 

2.  ein  Verzeichnis  der  einzelnen  conjunctionen,  welche 
mehrfache  bedeutung  (resp.  anwendung  in  verschiedenen  Satz- 
arten) zeigen.  Ein  solches  Verzeichnis  für  das  germanische 
gebiet,  mit  gelegentlicher  vergleichung  verwanter  sprachen, 
bildet  den  hauptinhalt  der  vorliegenden  arbeit;  es  ist  jedoch 
eben  nur  fUr  den  angegebenen  zweck  bestimmt,  so  dass  es 
im  übrigen  auf  lexicalische  Vollständigkeit  keinen  ansproch 
macht 


CONJÜNCnONEN.  361 

Ans  combination  dieser  beiden  Verzeichnisse ,  im  gründe 
aber  aus  dem  zweiten  allein  schon;  ergibt  sich  dann 

3.  ein  Verzeichnis  der  arten  oder  logischen  Verhältnisse 
von  Sätzen,  welche  durch  dieselben  conjunctionen  eingeleitet 
oder  angedeutet  werden.  In  diesem  Verzeichnis  können  frei- 
lich diejenigen  sätze  keine  Vertretung  finden,  welche  ohne 
conjunctionen  gebildet  werden  (sowie  es  ja  auch  relativsätze 
ohne  ausdrückliche  bezeichnung  der  relation  gibt);  aber  ihrer 
sind  nicht  viele,  und  da  die  meisten  auch  mit  conjunetion  ge- 
bildet werden  können,  so  wird  die  lücke  ziemlich  ausgefüllt. 
Eine  grössere  würde  entstehen,  wenn  die  relativsätze,  welche 
jedenfalls  die  älteste  art  der  Unterordnung  ausmachen,  ganz 
tibergangen  würden.  Dies  wird  aber  darum  nicht  geschehen, 
weil  mehrere  conjunctionen  auch  statt  des  pron.  relat  ge- 
braucht werden.  Wenn  also  rein  adjectivische  relativsätze 
mit  dem  flectierten  pronomen  allerdings  in  unser  Verzeichnis 
nicht  hinein  gehören,  so  muss  doch  der  allgemeine  begrifi^  der 
relation  und  müssen  die  adverbialen  formen  derselben  mit 
den  conjunctionalsätzen  zusammengestellt  werden. 

Für  das  folgende  Verzeichnis  ist  noch  zu  bemerken,  dass 
von  den  mehrfachen  bedeutungen  einer  conjunetion  zunächst 
(1.)  diejenigen  in  betracht  kommen,  welche  innerhalb  6iner 
spräche  gleichzeitig  vorkommen,  sodann  (2.)  diejenigen  (a), 
welche  eine  conjunetion  successive  in  verschiedenen  Perio- 
den einer  spräche  und  (b)  diejenigen,  welche  sie,  neben  oder 
nach  einander,  in  verschiedenen  verwanten  sprachen  oder 
dialecten  zeigt  Betreflfend  1.  und  2.  a)  gilt  für  den  Zusammen- 
hang der  bedeutungen  das  oben  gesagte,  nämlich  dass  es 
schwer  ist,  die  besonderen  bedeutungen  aus  einander  historisch 
sicher  zu  entwickeln,  obwol  ich  versucht  habe,  einzelne  andeu- 
tungen  darüber  einzuflechten ;  bei  2.b)  kann  der  Zusammen- 
hang natürlich  nur  auf  eine  gemeinsame  grundbedeutung  zu- 
rückgeftthrt  werden. 

Endlich  schicke  ich  noch  voraus,  dass  in  dem  Verzeichnis 
die  conjunctionen,  da  wo  das  wort  im  neuhochdeutschen  fort- 
lebt, meistens  in  nhd.  form  angesetzt  sind,  die  anderen  in  der 
gestalt  der  älteren  dialecte,]^ denen  sie  ausschliesslich  oder  ge- 
meinsam angehören;  im  letzteren  fall  sind  unter  der  ange- 
setzten  form  öines  dialectes  auch  die  bedeutungen  2u  suchen, 


362  TOBLER 

welche  die  conjunction  in  anderen  hat  Kleine  yerschieden- 
heiteu  der  form  wie  z.  b.  zwischen  got  pan  und  nhd.  dann 
(aus  danne)  sind  absichtlich  durchweg  nicht  in  anschlag  ge- 
bracht, wo  ihnen  keine  nachweisliche  modification  der  bedea- 
tung  entspricht. 

1.    Alphabetisches  Verzeichnis  der  conjunctionen 

mit  mehrfacher  bedeutung. 

1.  aber,  ahd.  1)  wie  nhd.,  2)  ergo,  Gr.  HI,  277.  282;  be- 
lege für  2)  bieten  die  hymnen  und  Isidor;  vgl  auch  und  denn. 
Eigentümlich  und  vielleicht  nur  lautlich  (durch  die  mittelform 
oder)  zu  erklären  ist  3)  das  appenzellische  und  bairische  aber, 
oder;  doch  findet  sich  auch  umgekehrt  landschaftlich  oder,  aber; 
vgl.  autem:  aut,  und  die  häufige  Verbindung  'oder  aber'  im 
zweiten  gliede  einer  alternative. 

got.  aippau  s.  oder, 

2.  all,  got  allis,  yog,  fikvj  entsprechend  einem  fol- 
genden ip,  6i,  beides  wie  auk]  ftir  die  zweite  bedeutung 
vgl.  ühd.  'a//^dings'  im  sinne  von  'zwar'  vor  'aber'.  — 
altn.  alls,  da  (causal).  —  mhd.  al,  auch  aleine,  nnl.  al,  obgleich, 
engl,  all  though.  Vgl.  franz.  /öw/-que;  schwed.  fast,  obgleich, 
eig.  fest;  die  begriffe  'all,  ein,  gleich,  fest'  haben  in  dieser 
Verbindung  offenbar  alle  denselben  sinn  der  fcsthaltung  an 
einer  behauptung  trotz  einem  gegensatz,  oder  der  gleichstellung 
beider. 

nhd.  als  s.  s6, 

3.  at,  altnord.  dass ;  auch  für  das  pron.  reL  =  er,  welches 
umgekehrt  mit  dieser  bedeutung  auch  die  der  conjunctionen 
'als  (zeitlich),  wenn,  dass'  verbindet  Das  zusanmientreffen 
jener  beiden  bedeutungen  von  at  erklärt  sich  im  allgemeinen 
aus  dem  pronominalen  Ursprung  der  meisten  conjunctionen; 
das  zusammentreffen  der  beiden  partikeln  in  jener  doppel- 
bedeutung  erklärt  sich  überdies  aus  dem  gemeinsamen  Ursprung 
derselben,  als  adverbialer  casus  des  pron.  Stammes /a;  vgl. 
Hildebrand,  Die  conditionalsätze  und  ihre  conjunctionen  in  der 
älteren  Edda,  Leipzig  1871  p.  38  ff.  Klinghard,  Die  syntax 
des  gotischen  ei,  Zeitschr.  f.  d.  phiL  8,  133.  Die  erklärung 
von  at  aus  jat  ist  ohne  zweifei  richtig  und  jedenfalls  laatUoh 


Aä 


CONJÜNCnONEN.  363 

unanfechtbar,  wenn  auch  den  pron.  stamm  ja  keine  andere 
germanische  spräche  kennt  Dagegen  gehört  hierher  noch  das 
färöische  i&  (aus  /rY),  welches  als  relatives  adverbium  und 
pronomen  gebraucht  wird  wie  altn.  er.  Vgl.  Eölbing,  Germ. 
21y  39.  Vogler,  SjArÖar  EvseÖi  1,  99.  Am  nächsten  kommt 
dem  ai  das  griech.  ort  und  das  aus  dem  abl.  j&t  desselben 
pronomens  gebildete  coq.  Merkwürdig  ist  freilich  auch  das  zu- 
sammentreffen der  nord.  präposition  al^  zu,  mit  dem  attischen 
09^  r=  nQtxi,  ftir  welches  ich  keine  erklärung  weiss  als  den 
begriff  der  vergleichung,  in  welchem  das  adverbium  co^  mit 
einer  bedeutung  von  nqo^  sich  berührt  Man  yergleiche  auch 
dänisch  schwed.  om^  wenn,  ob,  welches  mit  der  präposition 
am,  um,  identisch  scheint,  und  dazu  die  etymologie  von  \ba%y 
ibu.  Der  nordischen  präposition  at  entspricht  allzu  genau  lat 
ady  ahd.  az,  als  dass  sie  mit  der  conjunction  identisch  sein 
könnte,  obwol  auch  dafür  unser  zu,  engl,  io,  dem  inf.  oft  im 
sinne  eines  satzes  mit  'dass'  vorgesetzt  (vgl.  die  neugriech. 
Umschreibung  des  Infinitivs  durch  va  {ivä)  mit  conjunctiy)  eine 
analogie  gewährte.  Für  die  erklärung  der  nordischen  con- 
junction at  aus  ihat  durch  abstossung  des  anlautes  liesse  sich 
das  schweizerische  ass  ftlr  dass  anführen,  was  aber  schon 
darum  nichts  beweisen  kann,  weil  die  volle  form  daneben 
besteht 

4.  auch,  got  auk,  yaQ;  entsprechend  einem  folgenden  ip 
oder  pan  »=  fihv  (öh)]  in  der  Verbindung  auh  jahy  dfe  xal  = 
6e  ahd.  1)  wie  nhd.,  2)  nämlich,  einschränkend:  Otfr.  1, 14. 15  (?) 
erklärend:  Otfr.  1,  8,  5?  3)  vero  und  sed  (sondern),  mhd.  oiich 
1)  wie  nhd.  2)  jedoch,  doch  auch.  3)  demnach ,  denn  auch, 
als  folge  aus  einem  vorigen  sich  erklärend  und  dieses  bestä- 
tigend, wie  auch  nhd.;  vgl.  auch  altengl.  eke^  ergo.  Mätzner, 
AltengL  sprachprob.  195.  4)  denn,  in  verwunderter  frage. 
Ortnit  5,  58  (so  vielleicht  schon  bei  Otfr.  2,  12.  50  und  noch 
schweizerisch  häufig,  neben  au  =  doch,  iu  ungeduldiger  auf- 
forderung.  Die  bedeutungen  etiam  und  enim  vereinigte  auch 
das  ahd.  sär.    Gr.  III,  281. 

5.  da,  nhd.  temporal  und  causal,  aus  amhd.  dö,  welches 
nur  die  erstero  bedeutung  hat,  aus  der  sich  aber  die  zweite 
leicht  entwickelt;  vgl.  weil.  Wenn  dö,  welches  übrigens  auch 
für  autem  gilt,   ursprünglich   acc.  sg.  f.  des  pron.  Stammes  ta 


364  TOBLER 

ist  (Gr.  III,  169),  so  entspricht  ihm  lautlich  das  altn:  thä, 
welches  Ma,  dann'  auch  in  nach^^ätzen,  und  (nach  Grimm 
a.  a.  0.  282)  igitur  bedeutet;  diese  letztere  bedeutung  ergibt 
sich  leicht  aus  der  eines  folgernden  'dann'. 

6.  denn,  nhd.  1)  in  der  älteren  spräche:  quam,  als,  nach 
comparativen.  2)  vorangestellt:  nam,  amhd.  relatiy:  weil. 
3)  nachgestellt:  also,  in  folgernder  bedeutung.  amhd.  auch  = 
daher,  deshalb;  4)  in  ungeduldiger  frage  verstärkendi 
wie  lat.  nam  an  fragewörter  angehängt  Die  bedeutung  4)  ist 
der  älteren  spräche  fremd,  lässt  sich  aber  aus  3)  oder  aus 
der  grundbedeutung ,  die  jetzt  mit  der  form  dmm  verbunden 
ist,  leicht  ableiten,  wie  die  entsprechende  des  franz.  danc  alt- 
frz.  adonc  aus  (a)tunc.  Mhd.  danne,  denne  gilt  auch  relativ 
=  wann,  wenn,  als  (zeitlich).  Die  bedeutung  nam  ist  aus  der 
von  iiun  schwieriger  abzuleiten  als  die  von  quam  und  der 
daran  sich  schliessende  gebrauch  von  mhd.  denne  mit  (später 
auch  ohne  wie  nhd.)  negation  und  conjunctiv  des  verbums 
(es  sei  denn  dass  — ,  wenn  nicht).  ^  Das  ahd.  denne,  danne 
hat  neben  den  bedeutungen  ivm^  relat  quvmj  auch  noch  die 
von  ergo  (Gr.  III,  282)  und  die  damit  schwer  vereinbare  von 
vero,  auiem,  (ebd.  167),  vgl.  jedoch  aber,  auchy  dd,  gimisso,  ip. 
Das  ags.  pon,  ponne  hat  die  bedeutungen  tian  (qtmm)^  autem, 
vero  und  quam,  welche  sich  im  englischen  in  die  foimen  then 
und  thofi  ges])alten  haben.  Das  got.  pan  übersetzt:  rote  (ore); 
ovv ;  yoQ ;  6h,  vereinigt  also  fast  alle  angeführten  bedeutungen^ 
ausgenommen  die  von  ^\  wofür  got  pau  gilt 

7.  dass.  Diese  hauptconjunction ,  neben  ujid,  erscheint  in 
der  älteren  spräche  oft  elliptisch  und  pleonastisch ,  auch  ana- 
koluthiseh  gebraucht,  was  nicht  hierher  gehört,  wo  nur  die 
wirklichen  und  klaren  bedeutungen  aufgezählt  werden  sollen. 
Nicht  überflüssig,  doch  auch  nicht  unentbehrlich  war  die  oon- 


1)  Das  nhd.  denn,  nam,  will  Grimm  (a.  a.  o.  281)  eher  auf  ahd. 
danta,  qnia,  als  auf  danne,  denne  zarückführen ;  aber  dazu  fehlen  doeh 
die  lantlicbcn  übergangsformen.  Das  denn  nach  negation  =  nisi,  prae- 
ter, erklärt  Grimm  (a.  a.  n.  184)  ans  Vermischung  mit  dem  aus  m  wan 
verkürzten  mhd.  man  (s.  nnten  no.  33),  was  aber  ebenso  nnnötig  scheint 
wie  die  p.  725  angenommene  Vermischung  des  wan  (nisi)  mit  wan,  qnia, 
nam,  zur  erklärang  des  dan  {denne)  bei  Jostinger  (b.  die  neue  ausgäbe 
von  Studer  p.  491). 


..-^ 


CONJUNCTIONEN.  365 

junction  in  allgemein  Felatirem  sinn,  und  ursprünglich  noch 
pronominal^  nach  präpositionen  mit  demonstrativ  (indem,  nach- 
dem, seitdem),  adyerbien  (ehe)  oder  Substantiven  (dieweil)^ 
vgl.  meine  ausfuhrungen  (rermania  17,  262  ff.  Unterscheidung 
der  yerschiedemn  sätze  mit  dass  (subject-  und  object-,  attribut- 
und  adverbialsätze)  in  älterer  und  neuerer  zeit  gehört  eben- 
falls nicht  hierher.  Dagegen  anflihrung  einiger  älterer  ge- 
brauchsweisen  von  daz^  die  dem  nhd.  dass  nicht  mehr  zustehen. 
1)  mhd.  daz  *»  so  dass,  mit  negation  =»  ohne  dass;  2)  = 
damit  In  beiden  fällen  (welche  in  der  Schweiz.  Volkssprache 
noch  vorkommen),  konnte  dem  daz  ein  und  vorgesetzt  werden : 
Wolfr.  Wh.  9,  29.  49.  20.  3)  =  weil,  z.  b.  nach  diu,  desto; 
4)  =  wenn.  Dieser  gebrauch  findet  sich  schon  bei  Otfrid  2, 
6,  29,  mhd.  z.  b.  Engelh.  1392;  auch  in  der  Verbindung  wie 
daz  =  wie  wenn  M.  v.  Craon  806.  dai,  wenn,  auch  mnl.  (hör. 
belg.  2,  116).  5)  daz  als  fortsetzung  von  dö  (wie  franz.  que 
als  fortsetzung  von  quand\  z.  b.  Amis  655.  Keith.  91,  29;  6)  in 
gewissen  Verbindungen  vertritt  die  conjunction  daz  das  pron. 
reL  oder  ein  relatives  adverb.  Letzteres  ist  der  fall  in:  dar 
dazy  dahin  wo  Frtd.  125,  8;  erateres  (wenn  man  daz  nicht  als 
conjunction  nehmen  will)  in  den  Verbindungen  ahd.  nichein 
ihaZf  keiner  der  — ,  mhd.  niemen  daz  —  z.  b.  Gerh.  2853 ,  doch 
auch  ohne  negation:  Roth.  997;  vgl  noch  die  Germ.  17,  292 
angeführten  fälle.  Pleonastisch  relativ  steht  endlich  daz  in 
der  Verbindung:  nie  so  schiere,  so  daz  —  =  nhd.  kaum  — ,  so  — 
oder  als  — .  Erec  2551  (s.  Haupts  anmerkung  dazu)  und  in 
einigen  der  Germ.  17,  263.  264  zusammengestellten  fälle. 

8.  doch  bedeutet  ahd.  und  mhd.  nicht  bloss  tarnen,  sondern 
öfter  quamquamf  licet]  in  der  letzteren  bedeutung  kommt  ahd. 
auch  dohdoh  vor;  vgl.  dän.  enddog ,  obgleich  (s.  enn)j  engl. 
SiVLthough,  Das  ags.  peäh  und  das  altn.  pö  haben  dieselben 
bedeutungen,  in  der  relativen  wird  aber  dem />d  meistens  noch 
at  zugesetzt,  woraus  die  zusammenziehung  pmt  entsteht  Das 
einfache  pü  kommt  auch  im  sinne  von  ^wenn  denn,  wenn 
doch '  vor  (Dietr.  Leseb.  ^  Glossar),  neben  alls  pö,  da  doch  (s. 
all),  —  Das  nhd.  doch  in  aufforderung  und  frage  nähert  sich 
dem  gleichbedeutenden  denn  (s.  d.),  das  begründende  und  be- 
stätigende dem  ja  (s.  d.).    Das  got  pauh  steht  nur  demonstra- 


366  TOBLEB 

tiy,  verstärkt  durch  vorgesetztes  sve-]   für  den  relativen  Binn 
gilt  die  Verbindung  pauk  jabai  und  svethauh  ei. 

9.  eck/,  mhd.  ehty  zunächst  verkürzt  aus  echertj  dieses  aus 
ahd.  ekkorodo.  Die  weitgreifende  und  schwierige  etymologie 
dieses  wertes  kann  hier  nicht  erörtert  ^  aber  es  muss  gegen- 
über Grimm  (Wtb.  in,  20)  und  den  allzu  unbestimmten  Zusam- 
menstellungen von  Schmeller  (I^,  173)  die  abstammung  der 
form  echt  von  ecfiert  u.  s.  w.  festgehalten  werden,  da  auch  die 
bedeutung,  in  welcher  echt  jetzt  noch  in  der  Schweiz  lebt,  näm- 
lich 'wol,  etwa'  in  fragesätzen,  mit  der  älteren  noch  zu  ver- 
mitteln ist  Diese  war  ursprünglich  1)  ^nur';  als  conjunction 
mit  conjunctiv:  wenn  nur.  2)  in  einer  glosse  bei  Heyne  kL 
altn.  denkm.  =  vero.  3)  doch  (hoU.  echter,  dennoch),  meist 
im  leichteren  sinne  =^  nun,  einmal,  eben,  oft  schwer  übersetz- 
bar und  nur  einzelne  Wörter  hervorhebend;  vgl  auch  die  von 
Haupt  (zu  Erec  p.  405)  besprochene  Verbindung  et  aber  — ■ 
nun  einmal,  eben  doch.  4)  'als'  nach  comparativen.  Diese 
bedeutung,  welche  Grimm  auffallend  fand,  hat  Schmeller  dureh 
vergleich ung  des  schwedischen  an,  dän.  end  (s.  enn)  richtig  be- 
leuchtet; vgl.  unten  halt  und  weder  und  oben  denn, 

10.  eL  Bei  dieser  dem  gotischen  eigenen  vielseitigen  Par- 
tikel niuss  zunächst  die  relative  bedeutung  von  der  conjunctio- 
nalen  unterschieden  werden,  obwol  beide  auch  wider  zusam- 
menhängen, wie  bei  altn.  at  und  er.  Als  conjunction  hat  ri 
die  bedeutungen  'dass'  und  'damit';  zuweilen  streift  es  an 
die  von  'ob',  wie  das  (etymologisch  verschiedene)  griech.  bI, 
wenn,  ob,  zuweilen  an  die  von  'dass'.  In  der  Verbindung 
svepauh  e/,  obgleich,  kann  ei  nur  die  allgemein  relative  be- 
deutung haben  (vgl.  doch)]  ei  pan,  daher,  erklärt  Bernhardt 
(zu  Joh.  9,  41 :  so  dass  somit  ei  pau  Luc  14,  32  soll  ver- 
schreibung  für  aippau  sein.  Ich  verweise  nachträglich  auf 
die  oben  unter  at  angeführte  treffliche  abhandlung  von  Klinge 
hardt,  welche  auch  eine  allgemeine  theorie  der  relativs&tze 
enthält,  dagegen  über  eipan  und  eipau  nur  die  bemerkung, 
dass  sie  als  Verstärkungen  von  ei  zu  betrachten  seien  (p.  302), 
was  auch  von  ibai  ei  (p.  150)  wird  gelten  müssen. 

11.  Altn.  enn,  noch,  nach  comparativen  'als',  auch  ^als 
dass',  wird  von  en,  aber,  schwed.  an,  dän.  end,  altengL  ant^ 
schwerlich  zu  trennen  sein,  da  auch  die  Schreibung  den  unter- 


v4h 


CONJÜNCTIONEN.  367 

schied  nicht  festhält  Das  schwed.  im  hat  neben  den  bedeu- 
tungen  ^noch\  auch  'nur  noch'  und  'als'  (dän.  end)  die  von 
'auch'  nach  prou.  interr.  (lat.  -cunque)  und  die  von  'wenn, 
wenn  auch'.  Hierher  zu  ziehen  ist  auch  noch  altn.  enda,  uud^ 
auch;  endr,  wider;  dän.  endda,  dennoch,  enddoch,  obgleich; 
hoU.  endde,  en^  und.  Die  lautliche  Zusammengehörigkeit  aller 
dieser  Wörter  mit  dem  deutschen  und  (ahd.  enti,  engl  and)  ist 
schwerlich  abzuweisen,  dann  aber  werden  auch  die  bedeu- 
tungen  nach  den  bei  imd  vorliegenden  Übergängen  zu  vermit- 
teln sein. 

12.  er.  Die  bedeutungen  dieser  altnordischen,  am  nächsten 
mit  got.  ei  und  altn.  at  verwanten  partikel  sind  schon  oben 
unter  dem  letzteren  angegeben. 

13.  Ahd.  girvisso ,  in  anderen  altgermanischen  dialecten 
nicht  nachzuweisen  und  auch  im  hochdeutschen  früh  erloschen, 
vereinigt  eine  auffallende  menge  verschiedener  coiy  unctionaler 
anwendungen.  Aus  der  adverbialen  bedeutung  des  wertes  = 
lat  certe  oder  certo  konnte  sich  zunächst  die  von  quidem  er- 
geben, die  ja  auch  dem  lat  certe  zukommt  und  dem  uhd. zwar  aus 
ze  wäre  entspricht;  daneben  erscheint  giwisso  noch  1)  =^  etiam, 
quoque;  2)  ergo,  itaque,  igitur;  3)  nam,  namque,  nempe;  enim, 
etenim,  quippe,  scilicet;  4)  autem,  vero,  atqui,  ast  (Im  Weis* 
senb.  kat.,  bei  M.  Seh.  denkm.  p.  161,  entspricht  es  einmal 
einem  ornnino  (vgl.  nhd.  allerdings  =  zwar)  des  lat  textes, 
aber  in  einem  Zusammenhang,  wo  unmittelbar  vorher  parallel 
avur  —>  autem  steht;  p.  160  steht  es  zweimal  =  ergo.)  Dass 
die  bedeutungen  'denn'  und  'aber'  nicht  unvereinbar  sind, 
zeigt  das  got  pan  (s.  oben  denn)y  welches  de  und  yaQ  über- 
setzt (wie  im  Griech.  selbst  6h  nicht  selten  =  yog  steht),  und 
ip.  Die  bedeutung  enim  lebt  noch  im  niederdeutschen  wisse 
(vgl.  frz.  savoir  nämlich).  Das  angelsächsische  bietet  wenigstens 
einige  realparalielen :  eomostlice  ist  von  der  bedeutung  studiose, 
serio  zu  der  von  ergo ,  igitur,  itaque  gelangt,  ebenso  södltce 
und  vere  zu  igitur]  vitödlice,  nam,  enim,  entspricht  lautlich 
dem  ahd.  wizddHhho,  welches  quidem  bedeutet.  In  der  bedeu- 
tuDg  'aber'  entspricht  giwisso  dem  lat  vero,  verum  neben  vere. 

14.  halt  ist  verkürzter  comparativ  =  got.  haldis,  altn.  heldr 
und  bedeutet  eigentlich  wie  diese  'mehr,  vielmehr';  daher 
später  auch  'sogar'.    Daraus  entwickelte  i^ich  leicht  (vgl.  frz. 


308  TOBLER 

mais  aus  magis)  die  bedeutung  sed,  welche  dem  altn.  heldr  und 
dem  abd.  halt  zukommt.  Mittelbocbdeutscb  stebt  hait  erklä- 
rend uud  bekräftigend  im  sinne  von  'eben,  ja,  wol',  besonders 
nach  swer,  stvie  u.  s.  \v.  die  allgemeinbeit  noeb  verstärkend 
=  aucb,  immer  naeb  ob  =  scbon,  gleicb  (vgl.  mnl.  boud,  sta- 
tim,  cito);  in  der  oberdeutscben  und  scbweizeriscben  volks- 
spracbe  bat  es,  wie  scbweiz.  drum,  die  bedeutung  eines  erklä- 
i*eudeu  (oft  entscbuldigeudeu)  'eben',  welcbe  allerdings  aus 
eiucm  eingeschalteten  verbalen  halt  (ich),  opinor,  sich  erklären 
lässt  uud  uur  zufallig  mit  dem  adverbialen  halt  zusammen- 
getroffen sein  könnte  (vgl.  Lexer,  Mbd.  wtb.  1,  1159  und 
Schmeller  1  \  1097—1099).  Aber  die  ebenfalls  volkst&mliohe 
comparativform  halter  weist  auf  die  ältere  comparative  natur 
des  Wortes  zurück,  oder  weun  sie  dem  echter  ==  echt  (s.  ob.) 
nachgebildet  ist,  so  wird  auch  die  bedeutung  aus  diesem  sa 
erklären  sein. 

15.  Got.  ibai  (iba)  entspricht  dem  griech.  ftri  sowol  in 
dessen  fragender  (lat.  num)  als  in  der  verneinend  coqjunctio- 
nalen  bedeutung  (lat  ne\  und  diese  beiden  werden  zu  vennit- 
teln  sein  wie  überhaupt  die  ausdrücke  für  frage  nnd  Vernei- 
nung auch  in  anderen  sprachen,  nämlich  von  der  gnmdlage 
der  Verneinung  aus,  welche  leicht  in  frage  (in  erwartung  be- 
jahender oder  verneinender  antwort)  umgewant  werden  kann; 
auch  die  lat.  fragpartikeln  num  und  -ne  werden  von  der  ein- 
fachen negation  ausgegangen  sein,  wie  das  fragende  infj  von 
der  bedeutung  'doch  nicht  etwa'?  zu  dem  einfach  fragen- 
den ^etrva^  gelaugt  zu  sein  scheint  Die  dritte  bedeutung, 
welche  dem  got  ibai  zugeschrieben  wird,  bI  ob  fiij,  Mare.  2, 
21.  22,  lässt  sich  auf  die  zweite  von  fii]  zurückführen,  indem 
der  Übersetzer  an  jener  stelle,  vom  griech.  abweichend,  das 
was  dort  als  folge  des  gegenteils  ausgedrückt  ist,  als  grund 
auffasste  'niemand  giesst  neuen  wein  in  alte  sohläuche,  damit 
nicht  etwa  der  wein  die  schlauche  zerreisse'  (vgl.  Bernhardt 
zu  der  stelle).  Um  zu  erklären,  wie  das  got  ibai,  das  in  seinem 
lautbestand  kein  Clement  der  negation  enthält,  doch  zu  nega- 
tiver bedeutUDg  gelangen  konnte,  während  umgekehrt  nriba 
auch  in  bloss  fragender  bedeutung  vorkommt  (wie  ovxavv  in 
bloss  folgernder),  muss  man  annehmen,  die  correlation  zwischen 
frage  und  Verneinung    und   die   Umsetzung  der  einen  in  die 


CONJÜNCnONEN.  369 

andere  habe  auch  (allerdings  etwas  schwerer)  von  der  frage 
ausgehen  können.  Dies  (also  das  gegenteil  des  für  das  Griech. 
und  Lat.  oben  angenommenen)  ist  im  got  ibai  geschehen, 
dessen  herkunft  von  einem  subst  iba,  das  im  ahd.  mit  der  be- 
deutung  'dubium^  conditio'  und  im  altnord.  ify  dubitatio,  noch 
lebendig  erhalten  ist,  keinem  zweifei  unterliegt  (vgl.  schwed. 
man,  Verhältnis :  männ^,  ob,  und  dän.  schwed.  om^  um:  ob, 
wenn,  s.  unter  at).  Wie  nahe  der  begriff  des  zweifeis  und 
der  bedingung  dem  der  frage  liegt,  bedarf  keiner  erörterung, 
höchstens  der  hinweisung  auf  das  griech,  sl,  'wenn'  und  'ob' 
franz.  si  und  unser  oft,  welches  aus  ahd.  oba ,  ibu  ==  got  ibcU 
entstanden,  früher  eben  auch  'wenn'  ausdrückte.  Im  gotischen 
gilt  für  'ob'  meistens  ei,  vielleicht  durch  einfluss  des  griech. 
sly  das  freilich  anderen  lautwert  und  Ursprung  hat  (aus  dem 
stamme  sva)  und  lautlich  dem  lat  si  entspricht,  dem  aber  die 
bedeutung  'ob'  in  eigentlichen  Fragesätzen  nur  ausnahmsweise 
zukam  ^  wie  sie  auch  dem  ags.  gi/'  und  dem  altn.  e/*  fehlt, 
während  dem  nhd.  ob  umgekehrt  die  von  'wenn'  fast  ganz 
entzogen  worden  ist,  im  engl,  if  hinwider  beide  vereinigt  sind. 
Das  got  j'cLbai  (welches  freilich  nach  neueren  ansichten  nicht 
mit  ibai  zusammengesetzt  sein  soll,  s.  Bernhardt  z.  Joh.  1 1,  25, 
Elinghardt  a.  a.  o.  p.  328)  vertritt  meist  die  bedeutung 
'wenn',  die  dem  einfachen  ibai  fehlt;  doch  kommt  es  (nach 
ni  vitan)  auch  für  'ob'  vor  und  seine  bedeutung  'entweder' 
(in  correlation  mit  aippau  'oder')  liegt  davon  nicht  weit 
ab,  so  wie  dem  ahd.  ibu  ein  iph-iph,  et -et,  aut-aut  zur  seite 
steht  Das  mnL  of  galt  für  si  und  num,  das  nnL  dagegen  ver- 
bindet mit  der  letzteren  bedeutung  die  von  'oder',  welche  aber 
der  volleren  älteren  form  oft ,  o/te  =  alts.  eflhö ,  afr.  jeftha 
zuzuschreiben  sein  wird,  während  die  von  'als  wenn'  und  'ob- 
gleich' sich  aus  dem  einfachen  'ob'  ableiten  lassen  (wie  mhd. 
also  auch  für  sich  allein  =>  als  ob  vorkommt).  Daneben  findet 
sich  auch  die  Verbindung  of-of  entweder  —  oder;  besonders 
bemerkenswert  ist  aber  noch  der  gebrauch  von  of  nach  nega- 
tivem hauptsatz  im  sinne  von  'es  sei  denn  dass,  ohne  dass, 
ausser  dass',  lat.  quin,  ein  gebrauch,  der  auch  im  nieder- 
deutschen vorkommt,  z.  b.  in  Sprichwörtern  wie  die  in  From- 
manns Zeitschr.  f.  d.  mundarten  2,  535  no.  74.  75  angeführten 

B«itrlir«  ■tu:  gMOhiohte  d«r  d«ntaoh«D  ipnoh«.   V.  24 


370  TOBLER 

und  dem  das  Schweiz,  oder  in  ähnlichen  Verbindungen  am 
nächsten  kommt.  Ueberhaupt  ist  für  ob  das  correlate  oder 
(s.  u.)  zu  vergleichen,  da  das  alts.  efthö  auch  lautlich  dem 
got.  aippau  gleichgesetzt  worden  kann.  Dem  got  mbai  ent- 
spricht lautlich  das  B]id.nibu,  nube,noba,  9Xi%.nebu,nebo,neba\ 
jenes  bedeutet  d  (itJj  dieses  w/^i,  woraus  sich  aber  weiter  einer- 
seits der  sinn  von  sed,  andererseits  der  von  quin,  quommus,  ne 
entwickelt  hat;  M.  Seh.  Denkm.  ^  p.  295;  s.  auch  Erdmann, 
Syntax  Otfrids  I,  p.  152  und  meine  bemerkungen  dazu  in  der 
Zeitschr.  f.  d.  phiL  VI,  248. 

IG.  nn].  Indien,  wenn,  entspricht  in  der  bedeutung  dem  nhd. 
insofern,  der  form  nach  ist  es  =  indem,  welches  ursprünglieh 
gleichzeitigkeit ,  dann  art  und  weise,  zuletzt  auch  grund  be- 
zeichnet. Das  ahd.  in  ihiu  kommt  mit  seiner  bedeutung  'wenn; 
so  lange'  dem  nnl.  indien  näher  als  unserm  indem\  unmittel- 
baren historischen  Zusammenhang  hat  es  auch  mit  dem  letz- 
teren nicht. 

17.  Got.  ip  vereinigt  die  bedeutungen:  aber,  denn,  nun, 
also,  wenn.  Zur  erkläruug  dienen  teilweise  parallelen  bei 
da  und  denn\  die  am  weitesten  auseinander  liegenden  bedeu- 
tungen 'aber'  und  'wenn'  können  einigermassen  durch  die 
betrachtung  vermittelt  werden,  dass  die  bedingung  sich  als 
gegensatz  d.  h.  einschränkung  auffassen  lässt,  etwa  in  der 
weise:  das  und  das  ist  wahr,  aber  dmin  muss  etwas  anderes 
(vorher  schon)  wahr  sein  oder  (nachher)  wahr  werden  «=  das 
ist  wahr,  wenn  das  andere  wahr  ist  oder  wird.  Damit  ist 
auch  eine  Verbindung  zwischen  nhd.  dann  und  wenn  (ahd. 
danne,  den.ie)  und  zuletzt  sogar  zwischen  nhd.  denn  und  wenn 
hergestellt,  da  ja  die  bedingung  immer  nur  eine  art  oder  ein 
teil  des  grundes  (der  Ursache)  ist 

18.  yö.  Das  Verhältnis  der  bejahungspartikel /ö  (got>ai) 
zu  der  gleichlautenden  ahd.  conjunction  ist  nicht  ganz  klar; 
die  möglichkeit,  dass  beide  dasselbe  wort  seien,  wird  jeden- 
falls dadurch  nicht  aufgehoben,  dass  das  ahd.  ja  auch  für  num 
(numquid)  vorkommt,  da  noch  heute  'ja'  fragend  gebraucht 
wird,  wahrscheinlich  durch  anticipatiou  einer  bejahenden  ant- 
wort,  wie  die  Verneinungspartikel,  s.  oben  über  ibai.  Die  con- 
junctionale  bedeutung,   welche  ebenfalls  noch  dem  nhd.  ja  su- 


CONJÜNCTIONEN.  37  t 

kommt,  nämlich  hin  Weisung  oder  berufiing  auf  etwas  bereits 
zugestandenes  oder  bekanntes  als  grund  oder  folge,  ergibt 
sich  ohne  Schwierigkeit  aus  der  bejahenden  grundbedeutung 
und  findet  sich  schon  im  ahd.,  wo  ja  zwar  nur  in  hauptsätzen 
steht,  aber  dem  sinne  nach  dem  'da  ja'  eines  causalen  oder 
dem  'da  doch,  obgleich*  eines  concessiven  nebensatzes  ent- 
spricht ;  vgl.  Erdmann  a.  a.  o.  p.  86.  92  und  doch  (oben  no.  8). 
Auch  der  ahd.  formel  ja- ja,  et- et,  alts.  ja- ja,  gie-gie,  ge-ge 
wird  wol  eher  die  bejahungspartikel  als  das  von  ihr  zu  unter- 
scheidende copulative  got. /öä,  dem  ahd. /öä  entspricht,  zu 
gründe  liegen.  —  Vgl.  noch  Klinghardt  a.  a.  o.  p.  128 — 132. 

Ahd.  nitvan,  altn.  nema,  ags.  nefne,  s.  wan, 

19.  Got.  nu,  ovv,  ahd.  nü,  ergo.  Im  mhd.  und  zum  teil 
noch  im  nhd.  (nun)  ist  die  conjunction  auch  relativ  geworden, 
und  zwar  steht  das  mhd.  nff  teils  temporal  =  als,  während, 
teils  causal  =  da,  wie  das  nhd.  nuuy  immerhin  auf  temporaler 
grundlage  (*nun  da'  oder  'da  nun').  Das  letztere  gilt  auch 
von  dem  ahd.  nü,  wo  es,  an  der  spitze  eines  nachsatzes  einem 
ja  (allerdings,  zwar)  des  Vordersatzes  entsprechend,  den  sinn 
von  'nun  doch,  nun  aber,  und  doch'  hat;  vgl.  Erdmann  a.  a.  o. 
p.  92.    Altn.  nü,  gesetzt  dass,  wenn,  aber. 

nubi  s.  ibaL    ob,  of  s.  ibaU     om  s.  unter  at. 

20.  Ahd.  oh ,  lautlich  dem  got.  ak  entsprechend  wie  joh 
dem  jah,  vereint  die  bedeutungen  'aber'  und 'sondern',  die  im 
gotischen  durch  die  formen  akei  und  ak  unterschieden  sind. 
Dazu  kommt  noch,  einmal  bei  Isidor  (3,  7,  27  Weinhold)  die 
bedeutung  tarnen,  nach  einem  vorangegangenen  dhoh^  obgleich. 

21.  oder.  Diese  form,  erst  später  neben  mhd.  ode  aufge- 
kommen, ist  eine  erweiterung  des  letzteren  mit  demselben  -r, 
das  auch  in  ander  und  in  den  correlativen  ortsadverbien  (Prä- 
positionen) unter,  über  etc.  einen  comparativen  nebenbegriflF 
mit  sich  fuhrt  Dagegen  könnte  von  den  ebenfalls  'oder'  be- 
deutenden formen  aide  und  alder  (schwed.  dän.  eller  aus  eider, 
wie  heller  aus  altn.  heldr)  die  letztere  älter  sein,  ein  ursprüng- 
licher comparativ,  genau  entsprechend  dem  lat  alter  \  die  be- 
griflfliche  berührung  von  'oder'  und '  ander'  ist  offenbar,  obwol 
das  altengl.  other  (neuengl.  or)   sowol  von  other  (ander)   als 

24  • 


372  TOBLER 

von  unserem  oder  verBchieden  ist;  b.  Haupts  zeitschr.  XI,  308. 
Die  kürzere  form  ode  geht  zurück  auf  ahd.  odo,  welches  wahr- 
scheinlich erst  durch  assimilation  aus  edo,  eddo  (altn.  ^a,  ags. 
otte)  entstanden  ist;  die  nebenform  erdo  entstand  aus  dem 
letzteren  durch  Übergang  eines  d  in  r  oder  aus  edo  durch  ein- 
Schiebung  eines  r  wie  in  ahd.  tvirdar  neben  widar,  huerdar 
(Hildebr.)  für  huedar  (?),  hessisch  ertlich  für  etlich  (Gr.  3,  60. 
260).  Nehmen  wir  eddo  als  grundform  an,  so  spricht  fllr  die 
von  Grimm  versuchte  zurückführung  derselben  auf  got  aippau, 
obwol  sie  nicht  ohne  bedenken  gelten  kann,  jedenfalls  zunächst 
die  Übereinstimmung  der  bedeutung,  da  got  aippau  auch  'oder* 
heisst.  Das  aip-  selbst  nun,  in  welchem  ai  jedenfalls  den 
lautwert  eines  kurzen  e  haben  muss,  kann  man  dann  immer 
noch  mit  dem  ahd.  prouominalsuffix  eddes-,  ete-  zusammen- 
stellen; das  f  in  alts.  efthö,  Sifr».  ye/tha  verhielte  sich  inlautend 
zu  got.  p  wie  anlautend  in  alts.  frötra,  ags.  früfor,  trost  neben 
got.  praf-st-jarij  trösten.  Aber  es  könnte  ja  auch  das  ^  in 
got.  aip'  erst  aus  assimilation  an  das  folgende  oder  selbst  erst 
aus  f  entstanden  sein  wie  in  got  pliuhan,  fliehen,  plaihan  »* 
flehen  (?).  Das  so  herauskommende  got  aif  wäre  freilich  mit 
ibai  (s.  d.)  von  seite  des  vocals  schwer  in  einklang  zu  bringeUi 
wol  aber  die  bedeutung  mit  dem  dort  besprochenen  nl.  und  nd. 
of  und  auch  mit  unserem  ob  als  coiTClativ  von  oder,  welches 
letztere  ja  auch  durch  ein  widerholtes  ob  vertreten  werden 
kann,  wie  umgekehrt  lat  an,  ursprünglich  'oder',  später  aueh 
für  'ob'  gebraucht  wurde.  Uebrigens  sind  die  etymologischen 
fragen  hier  so  wenig  entscheidend  wie  bei  anderen  conjuno- 
tionen,  und  die  bedeutungen  der  fraglichen  Wörter  können  viel 
kürzer  angegeben  werden.  Wie  das  got.  aippau  neben  ^  (oder) 
auch  sl  6s  (ifj  vertritt  (seine  dritte  bedeutung  av  kommt  hier 
nicht  in  betracht),  so  steht  nhd.  oder  (oft  in  drohungen)  für 
'sonst'  d.  h.  andernfalls,  'wenn  nicht,  so' —  und  die  eigenttlm- 
liche  bedeutung,  welche  oben  dem  nd.  of  zugeschrieben  wurde, 
kommt  auch  dem  Schweiz,  oder  zu,  z.  b.  in  Sätzen  wie:  er 
kommt  nie  nach  hause  oder  er  bringt  etwas  mit  ==  ohne  dasB 
er  — ;  er  geht  nie  aus  oder  er  habe  geschäfte  ==  es  sei  denn 
dass  er  — ,  ausser  wenn  er  — .  Ebenfalls  nur  landschaftlich 
ist  der  gebrauch  des  oder  im  sinne  von  aber^  so  wie  wir  um- 


CONJUNCTIONEN.  373 

gekehrt  anderswo  aber  =  oder  fanden.  Vielleicht  beruht  bei- 
des nur  auf  lautlicher  Verwechslung,  die  durch  die  (md.  und 
auch  Schweiz.)  nebenform  ader  für  oder  nahe  gelegt  war. 

22.  Altu.  ok,  und,  auch;  als  zeichen  des  nachsatzes  = 
nhd.  $0  oder  da-^  in  vergleichungen  =  wie;  auch  statt  des 
pron.  relat.  und  bisweilen  an  die  bedeutungen  ^dass'  und 
'wenn'  streifend.  Alle  diese  Wendungen  des  ok  finden  paral- 
lelen im  mhd.  unde]  s.  meine  angaben  in  der  Germ.  13^  99. 
101.  17,  259. 

23.  Ahd.  sär,  ursprünglich  =  dar  d.  h.  auf  der  stelle, 
dann  von  der  zeit  =  alsbald,  kommt  auch,  mit  oder  ohne  sli, 
relativ  vor  =  sobald  (als).  Die  bedeutung  etiantj  die  dem  sär 
einmal  zukommt,  ist  aus  der  ursprünglichen  leichter  zu  er- 
klären als  die  von  enim,  welche  dagegen  aus  der  von 
etiam  sich  ergeben  konnte  wie  bei  aiich.  Beide  sind  belegt 
Gr.  3,  196. 

24.  Altn.  sem  =  got.  ahd.  sama  u.  s.  w.  vereinigt  mit  der 
bedeutung  'wie'  die  fähigkeit,  das  pron.  rel.  zu  vertreten, 
welche  auch  auf  das  dän.  schwed.  som  übergegangen  ist  Vgl. 
das  folgende. 

25.  so.  Diese  partikel  hat  in  älterer  zeit  eine  menge  von 
bedeutungen  entwickelt,  welche  später  wider  abgegangen  sind. 
Dass  *so'  auch  relativ  =  'wie'  gebraucht  werden  konnte,  ver- 
steht sich  zunächst;  daran  schlössen  sich  die  bedeutungen  'als' 
(zeitlich),  'wann'  und  'wenn',  die  letztere  noch  ins  ältere  nhd. 
hineinragend ;  afrs.  sa  vergleichend  nach  comparativen  wie  nhd. 
wie  =  als  (quam).  Aber  auch  die  demonstrative  kraft  des 
wörtchens  nahm  früher  Wendungen,  die  nunmehr  ihm  versagt 
sind:  sü  findet  sich  mhd.  nicht  selten  für 'dagegen,  aber',  wel- 
ches auf 'eben  so  sehr'  zurückzuführen  sein  wird  (vgl  lat.  tamen 
:  tam),  aber  fast  das  gegen  teil  von  'deshalb,  dann'  ist.  Diese 
letztere  bedeutung  ergibt  sich  aus  der  ursprünglichen  einfacher 
und  ist  auch  jetzt  noch  lebendig,  so  wie  das  zur  eröflfhung 
des  nachsatzes  nach  conditionalem  .  Vordersatz  dienende  so ; 
(nach  temporalem  Vordersatz  folgte  mhd.  dl^,  wie  auch  nhd. 
etwas  nachdrücklicher  da  gesetzt  werden  kann.)  Der  älteren 
spräche  eigen  ist  hinwider  so  »s  go  dass  (ebenso  isl.  sväy  dän. 
saa)y  besonders  in  der  Verbindung  ^ö  —  n^  =  ohne  dass;  femer 


374  lOBLER 

so  =  80  wahr  als  — ,  und  dem  demonstrativen  'dagegen'  ('und 
doch'  Otfr.  4,  22,  8)  entsprechend  das  relative  'während  doch, 
obgleich';  endlich  noch,  aus  den  bedeutungen  'wie'  und  'wenn' 
gleichsam  zusammengesetzt  'wie  wenn,  als  ob'.  Otfr.  5,  8,  53. 
9;  15.  Heliand  v.  4843.  Innerhalb  der  älteren  spräche  selbst 
eigentümlich  ist  die  mhd.  formel  wellen  söne  wellen,  wollen 
oder  nicht  wollen:  s.  Lachnt.  Iwein^  p.  467.  Der  gebrauch 
des  so  statt  des  pron.  rel.,  wie  die  bedeutung  'wenn'  bis  in 
die  neuere  zeit  herein  reichend,  entspricht  am  nächsten  dem 
vorhin  erwähnten  nord.  ^^m,  som]  auch  das  altn.  ags.  ^ t;ä  neigt 
sich  dazu.  —  Zu  so  gehört  natürlich  auch  das  aus  al-sö  ver- 
kürzte nhd.  als,  dessen  bedeutungen:  quum  (zeitlich),  quam 
(vergleichend  nach  comparativen)  als  ob,  wie  wenn,  quasi  (mit 
conj.)  wir  sämmtlich  dem  einfachen  so  der  älteren  spräche  zu- 
kommend fanden,  während  das  folgernde  also  (ergo)  ihr  fremd 
ist.  Das  mild,  alse,  als  hatte  neben  den  bedeutungen  'wann, 
als'  noch  die  von 'weil';  auch  streift  es,  wie  engl,  (w,  zuweilen 
an  Vertretung  des  pron.  rel.;   s.  Germ.  17,  291.  264. 

26.  Ahd.  suntar  gilt  nicht  bloss  =  nhd.  sondern,  sondern 
auch  =  lat.  quin]  den  Übergang  zwischen  beiden  bedeutungen 
zeigen  stellen  wie  Otfr.  5,  7,  31 ;  s.  meine  bemerkungen  zu 
Erdmann  a.  a.  o.  Hei  Otfr.  ad  mon.  45  hat  suntar  die  bedeu- 
tung ^dagegen,  aber',  die  auch  im  15.  Jahrhundert  auftaucht, 
aber  bald  wider  erloschen  ist. 

Altn.  pä,  s.  da,    Got.  pan,  ags.  payine  s.  denn. 

27.  Gotpande  vereinigt  die  bedeutungen  fi  ( — yop, —  de)\ 
oxi,  ijcel,  weil,  da  (cf.  si  —  quidem  und  gr.  el,  auch  'dass'); 
iojCj  so  lange  als;  in  der  letzten  entspricht  ihm  das  s^petir 
den,  dum  (vgl.  tandem),  in  der  form  freilich  so  wenig  genau 
wie  das  ahd.  danta,  quia.  Uebrigens  ist  die  got  form  selbet 
nicht  klar ;  das  d  derselben  kann  nicht  dem  in  jaind,  päd  ent- 
sprechen, und  auch  ob  in  der  nebenform  pandei  das  ei  nur 
graphisch  von  e  verschieden  und  dann  also  ein  alter  casus  wie 
das  e  in  sve,  pe  oder  ob  es  das  angehängte  relative  ei  sei, 
bleibt  fraglich;  wahrscheinlich  wird  das  P  dasselbe  sein  wie 
in  unitl,  welches  auch  die  doppelbedeutung  ort,  tox:  mit  pandi 
gemein  hat. 


CONJÜNCTIONEN.  375 

28.  Alts,  ihar,  da ,  räumlich  und  zeitlich,  demonstrativ  und 
relativ,  also  in  letzterer  an  Wendung  =  *wo*  und  'als';  aber 
auch  conditional  =  wenn  (wofern);  ebenso  ags.  par  =  si; 
ealle  präge,  par  =  quam  diu.  Diese  Verbindung  entspricht 
dem  Germ.  17, 289  besprochenen  gebrauch  des  altfrs.  altschwed. 
und  altdän.  ther  (=  thar^  ihär)  statt  des  pron.  relat.,  gleich 
dem  wo  deutscher  mundarten:  dass  alts.  ihar  nur  zur  Verstär- 
kung, nicht  aber  zur  Vertretung  des  pron.  rel.  diene,  s.  Germ. 
18,  244. 

29.  Gotpau  übersetzt  das  griech.  tj  in  dessen  beiden  be- 
deutungen:  'als'  (nach  comparativen)  und  'oder';  in  der  letz- 
teren kann  es  aus  aippau  (s.  oben  15.  gegen  ende)  verkürzt 
sein,  wie  auch  altfrs.  neben  jeftha  einfaches  tha  vorkommt, 
ags.  pe  verkürzt  aus  ot5t5e.  Die  Verbindung  ei  pau,  tl  dh  fiTJ  yt 
(Luc.  14,  32)  ist  schwer  zu  erklären  und  fast  möchte  man  ver- 
muten, sie  sei  verschrieben  für  aippau]  s.  Bernhardt  zu  der 
stelle.  Das  soeben  angeführte  ags.  pe  ist  zu  unterscheiden 
von  dem  pe,  welches  teils  als  allgemeine  relativpartikel,  teils 
als  conjunction  auch  im  altsächsischen  erscheint.  Als  con- 
junction  bedeutet  es  im  ags.  'dass,  weil',  nach  päs  und  an- 
deren casus  des  pron.  dem.  erzeugt  es  mit  diesen  zusammen 
mehrere  speciellere  bedeutungen;  im  alts.  ist  die  bedeutung 
etwas  eingeschränkter.  —  Ags.  pe  in  der  bedeutung  quam  nach 
comparativen  wird  aber  mit  be  =  obbe  got.  aippau  zusammen- 
gehören. 

30.  und,  Ueber  diese  vielseitigste  und  vieldeutigste  von 
allen  conjunctionen  der  älteren  spräche  habe  ich  in  der  Germ. 
13,  91 — 104  (mit  einigen  nachtragen  17,  257)  ausführlich  ge- 
handelt; indem  ich  auf  die  dortige  behandlung  vei-weiso,  gebe 
ich  hier  nur  ganz  kurz  eine  Übersicht  der  bedeutungen,  soweit 
diese  überhaupt  durch  einzelne  Wörter  vertreten  werden  können, 
mit  weglassung  fraglicher  fälle  und  feiner  Übergänge,  welche 
a.  a.  0.  beigezogeu  sind. 

und  steht  besondere  im  mhd.  (einzelne  bedeutungen  kom- 
men schon  dem  ahd.  inti  etc.,  den  entsprechenden  formen  der 
anderen  gormanischen  sprachen  und  auch  noch  dem  nhd.  und 
zu)  neben  seiner  einfach  copulativen  anwendung  1.  in  haupt- 
sätzen:  a)  «»  jedoch,  aber;  so  auch  alts.  endi,  und  doch,  alt- 


376  TOBLEE 

engl,  ant,  b)  nachsätze  einfUhrend  =  nhd.  'so'  —  (Schweiz, 
'und  so'  — ).  c)  neue  sätze,  auch  fragesätze,  einleitend,  fiber- 
baupt  einen  fortschritt  in  der  rede  anzeigend,  oft  pleonastisch, 
aucb  vor  pron.  demonstr.;  ähnlich  mnl.  ende^  altengL  and]  2. 
in  neben  Sätzen.  1)  pleonastisch  nach  pron.  relat;  2)  pleo- 
nastisch  vor  pron.  relat,  vor  daz  und  Tor  relativen  adrerbien; 
3)  statt  pron.  rel.;  4)  als  vergleichungspartikel  =  als,  wie; 
ebenso  altfr.  ags.  and,  altn.  enn,  dän.  endy  schwed.  an  (s.  oben 
11  und  vgl.  ok,  oben  22);  5)  ==:  wenn;  diese  bedeutung  ist 
zwar  in  den  betreffenden  mhd.  stellen  nicht  mit  Sicherheit  an- 
zunehmen, da  dieselben  meist  eine  freiere  zeugmatische  Ver- 
bindung zeigen,  aber  der  mhd.  gebrauch  von  imde  als  expo- 
nent  von  conditionalsätzen  in  frageform  ist  bekannt,  und  alt- 
schwed.  en,  engl.  a7ifdj  kommen  wirklich  =  'wenn'  vor;  vgL 
auch  die  pleonastische  Verbindung:  altengL  fandjif,  mhd. 
fundj  ob,  verschieden  von  dem  auch  im  nhd.  vorkommenden 
U7id  =  sogar,  auch,  vor  conditionalsätzen  mit  wenn  oder  in 
frageform;  6)  =  obgleich;  ebenso  mnl.  ende;  7)  =  als,  da 
(zeitlich);  S)  =  dass,  in  subject-  und  objectsätzen  (auch  pleo- 
nastisch und  daz)  und  =  damit. 

31.  Got  unte  vereint  die  bedeutungen  yoQ,  ort]  ?cd§  (vgl. 
pande  oben  27);  in  der  bedeutung  'bis'  entspricht  dem  got. 
unie  das  ags.  öby  ob  pät,  das  alts.  ant  hat,  unihat  (auch  aniai, 
untat  geschrieben)  ahd.  U7izi  thaz,  unze\  das  einfache  um  be- 
deutet ahd.  und  mhd.  auch  *so  lange  (als)'  und  'während'. 

32.  Ahd.  üzan  bedeutet  als  conjunction  nisi  (nach  nega- 
tion)  und  sed,  das  ags.  b-ütan  bloss  nisi,  das  engl,  but  beides. 
Wenig  verschieden  ist  das  ahd.  üzar,  welches  ebenfalls  für 
nisi  und  für  sed  in  den  bedeutungen  'sondern'  und 'aber'  vor- 
kommt; s.  MSch.  Denkm.^  452;  vgl  sondern  (oben  26)  und 
tmbe,  nihu  unter  ibai  (oben  15,  gegen  ende). 

33.  Mhd.  wan.  Von  den  vier  wan,  welche  Grimm,  Gr.  3, 
183  unterscheidet,  können  zunächst  2  und  3  füglich  zusammen- 
gefasst  werden,  da  Grimm  selbst  (4,  762)  eine  Vereinigung  des 
fragenden  und  wünschenden  wan  'leicht  gedenkbar'  findet  und 
eine  erklärung  des  ersteren  aus  waz  ne  lautliche  Schwierig- 
keiten hat,  die  für  das  mnl.  wan,  dan  aus  wat  en,  dat  en 
wegen  der  von  z  verschiedenen  natur  des  /  nicht  bestehen. 


^>' 


CONJÜNCTIONEN.  377 

Ueberdies  hat  Lachmann  (zu  den  Nib.  p.  64)  für  das  fragende 
und  wünschende  wtm  (resp.  waney  wanne)  die  älteren  formen 
wandne,  wante  ne  nachgewiesen  und  damit  2  und  3  zugleich 
auf  1  zurückgefilhrt  Dagegen  mttssen  1  und  4  auseinander 
gehalten  bleiben,  obwol  auch  hier  die  formen  später  sich  ge- 
mischt haben  (6r.  3,  184)  und  auch  die  bedeutungen  sich  ver- 
mitteln lassen.  Lachmann  hat  zwar  die  zu  Walther  77,  19 
angenommene  zurttckfUhrung  des  wünschenden  und  befehlenden 
wan  auf  die  bedeutung  ^nur'  später  (z.  d.  Nib.  a.  a.  o.)  auf- 
gegeben, aber  heute  brauchen  wir  doch  ^nur '  auch  in  dringen- 
den frage-  und  Wunschsätzen  «=  'denn,  doch'  (s.  diese).  Den 
Ursprung  des  wan  in  dieser  bedeutung  aus  ahd.  huanta  m- 
(warum  nicht  — )  nimmt  mit  Lachmann  übereinstimmend 
Wackemagel  an ;  das  von  Grimm  dagegen  erhobene  bedenken 
betreffend  die  weglassung  des  ne  erledigt  sich  durch  annähme 
allmählicher  Übertragung  von  negativen  auf  positive  Wunsch- 
sätze. Die  anderweitige  entwickelung  des  ahd.  wanta  aus  der 
bedeutung  qiiare  zu  der  von  quia  (wofür  auch  ahd.  danta  vor- 
kommt) und  die  umkehrung  davon  in  das  demonstrative  nam, 
mhd.  wände  'denn'  und  'weil'  hat  keine  Schwierigkeit  und 
findet  parallelen.  Das  franz.  cor  stammt  aus  lat.  qiiare]  pro- 
venzalisch  car  bedeutete  auch  'weil'  und  daneben  wie  das 
afr.  auch  'doch',  in  der  aufforderung,  wofür  nfr.  donc  (aus 
a  tunc)  gilt  (s.  oben  denn,  doch).  Noch  näher  liegt  aber  der 
schweizerische  gebrauch  von  warum,  mit  einer  kurzen  pause 
dahinter,  zur  einführung  eines  grundangebenden  hauptsatzes, 
sowie  auch  drum  nicht  bloss  zur  folgerung,  sondern  auch  zur 
begründung  oder  erklärung  im  sinne  von  'eben  und  'halt'  (s. 
oben  14)  dient. 

Das  andere  wan  (4)  hat  zuletzt  E.  Hildebrand  in  seiner 
dissertation  über  die  conditionalsätze  und  ihre  conjunctionen 
in  der  älteren  Edda  p.  15  so  gründlich  behandelt,  dass  ich 
nur  darauf  vei-weisen  kann.  Aus  der  nominalen  grundbedeu- 
tung  des  mangels  oder  der  leere  hat  sich  (wie  schon  Lach- 
mann, z.  d.  Nib.  p.  243  zeigte)  in  dem  ursprünglichen  adver- 
bium  wane  die  bedeutung  'bloss,  nur'  entwickelt,  welche  nach 
negation  und  comparativ  in  'als',  in  anderem  Zusammenhang 
auch  in  'sondern,  aber'  übergehen  konnte.    Zu  der  anwendung 


37S  TOBLER 

des  wall  nach  comparativen ,  welche  auch  im  mnd.  und  noch 
in  der  Schweiz.  Volkssprache  (s.  Zschr.  f.  d.  mundart  6,  408) 
Yorkommt,  ist  beizufügen,  dass  Wolir.  im  Wilh.  29,  21.  36,  6 
wan  auch  nach  einem  positiy  setzt,  im  sinne  von  4m  vergleich 
mit  — '.  Die  bedeutung  'aber'  hat  auch  das  schwed.  dftn. 
men,  nd.  man,  wo  w  in  m  übergegangen  ist  Aus  vorsetzung 
der  ncgation  vor  tvan  erwuchs  die  Verschmelzung  niwan,  nm- 
wan,  welche  vom  einfachen  tvan  nicht  wesentlich  verschieden, 
je  nach  dem  Zusammenhang  bald  negative  beschränkung  einer 
Position  ('nur  nicht'),  bald  positive  beschränkung  einer  nega- 
tion  ('nur')  ausdrückt,  beidemal  eine  ausschliessung  ('ausser, 
ausgenommen').  Alts,  gilt  nouan  (nowan  aus  newan^  welehe 
Schreibung  ebenfalls  vorkommt)  für  nisi,  prceier  und  sed,  ähn- 
lich dem  neta  ahd.  mibe  (s.  oben  unter  ibaS) ,  aber  von  diesem 
doch  deutlich  verschieden  schon  durch  das  auslautende  n. 
Dieses  mangelt  dagegen  nach  bekanntem  lautgesetz  im  alüL 
nema,  wahrend  in  der  mitte  der  schon  bei  man  erwähnte  Über- 
gang anzunehmen  ist;  die  bedeutung  ist  ^wenn  nicht,  ausser 
dass'.  Das  altschwed.  num,  nisi  und  sed,  kommt  lautlich  am 
nächsten  dem  Schweiz,  numme,  nur,  aus  mhd.  nmwan  ebenfalls 
mit  Übergang  von  w  in  m  entstanden,  während  das  daneben 
geltende  7iu  unmittelbar  aus  der  zusammengezogenen  form  nhm, 
nwij  nicht  etwa  aus  nur  (ni  wäri)  zu  erklären  ist.  Das  aga. 
nefne  und  nymbe,  beide  nisi  ausdrückend,  erklärt  HUdebrand 
(a.  a.  0.  p.  19)  ohne  zweifei  richtig  aus  got.  nibai  (s.  oben  15), 
das  erstere  mit  pleonastischer  Verdoppelung  der  negation  (ne 
ef — ne),  das  letztere  mit  anhängung  wahrscheinlich  desselben 
be  wie  in  obÖe  =  got  aippau, 

34.  weder.  Dieses  pronomen  hat  conjunctionale  anwen- 
dungen  erfahren,  die  nicht  leicht  zu  erklären  sind.  Im  ahd. 
erscheint  diu  huuiduru,  thiu  witharu  in  der  bedeutung  quate- 
nus]  daneben  thuwidaro,  nebst  anderen  lautformen  (s.  Gr.  3, 
1 87) ,  mit  vorgesetztem  t?ioh  und  ohne  dieses,  in  der  bedeutung 
tarnen,  welche  auch  dem  ags.  hvädre  zukommt  Mätzner,  Alt- 
engl.  sprachproben  p.  376  gibt  altschott  quheihir  (engl.  wether\ 
auch  mit  vorgesetztem  ihey  in  der  bedeutung:  although,  not- 
withstanding.  Der  Weissenburger  katechismus  (bei  M.  Seh. 
Denknu^  p.  160  hat  in  concessivem  Vordersatz  tho  timtuidero, 


CONJUNCTIONEN.  379 

licet,  mit  conjunctiv,  im  nachsatz  thiuuideru,  tarnen.  Am 
nächsten  schliesst  sich  an  diese  altertümlichen ,  im  mhd.  uner- 
hörten formein  Schweiz,  weder  in  der  bedeutung  eines  ein- 
schränkenden 'nur,  jedoch,  aber*;  bei  Geiler  v.  K.  findet  sich 
auch  weder  =  sondern.  Auffallend  ist  schon  die  in  den  ahd. 
formen  yorherschende ,  sonst  aber  unerhöi*te  Schreibung  wider 
für  weder,  da  doch  die  anderen  belege  nicht  zweifeln  lassen, 
dass  das  fragende  pronomen  (nicht  etwa  die  präposition  wider, 
vgl  nhd.  'dagegen')  zu  gründe  liege.  Wie  soll  aber  vollends 
dessen  construction  und  bedeutung  verstanden  werden?  Auf 
erklärung  der  bedeutung  quatenus  muss  ich  geradezu  verzich- 
ten, auch  auf  vermittelung  derselben  mit  der  von  iamen\  die 
letztere  lässt  sich  notdürftig  begreifen,  wenn  man  annimmt, 
das  doh  sei  ursprünglich  der  hauptbestandteil  der  formel,  der 
erst  später  allmählich  abgestreift  wurde,  nachdem  der  sinn  des 
ganzen  hinlänglich  fest  geworden  war.  thiu  widaru  ist  natür- 
lich der  alte  instrumeutalis  wie  thiu,  huiu  in  Verbindung  mit 
den  Präpositionen  in,  zi\  aber  der  zusaite  des  thiu  vor  widaru 
bleibt  dem  sinne  nach  unklar,  wedaru  allein  konnte  heissen: 
n  welchem  von  den  zwei  (möglichen  oder  fraglichen)  fällen. 
Vor  dem  ahd.  weder  als  correlat  zu  7ioch  ist  die  negation  hin- 
zuzudenken, während  das  englische  wkether-or  dem  lat  utrum-an 
entsprechend  geblieben  ist. 

Ebenso  schwierig  und  weder  aus  der  ursprünglichen  noch 
aus  der  vorigen  bedeutung  unmittelbar  abzuleiten  ist  eine 
zweite  bedeutung  des  weder,  nämlich  die  von  'als'  nach  einem 
nichts,  ander  oder  comparativ.  So  findet  es  sich  im  älteren 
nhd.  bei  Keisersberg ,  Luther,  H.  Sachs  und  noch  heute  in  der 
Schweiz.  Volkssprache.  Die  erklärung,  welche  ich  in  der  zschr. 
f.  d.  mundart.  6,  410  versucht  habe,  ist  durch  ein  versehen  ent- 
stellt, indem  nicht  nur  die  bedeutung  'aber,  nur',  sondern  auch 
die  von  'als'  aus  correlation  (resp.  Verwechselung)  des  weder 
mit  oder  entstehen  konnte;  ich  kann  dazu  nur  noch  nach- 
tragen, dass  nach  Mätzner  (a.  a.  o.  p.  362)  im  altschottischen 
nor  für  ihan  vorkommt,  wie  umgekehrt  im  altengl.  than  für  nor. 
Dass  das  weder  =  als  aus  ursprünglich  hinzugefügter  oder 
gedachter  negation  {ne  weder)  sich  erklären  soll  (Schmeller  2^, 
857),  verstehe  ich  nicht;    dagegen  verweise  ich  noch  auf  die 


380  TOBLER 

bei  denn  und  got  pau   zusammentreffenden  bedeutungen,  auch 
auf  die  Übergänge  zwischen  ciber  und  oder. 

35.  Nhd.  weil,  ursprünglich  adverbialer  acc»  des  Bubet 
weile  in  der  mhd.  formel  die  wtle  daz  — ,  ist  aus  der  tempo- 
ralen bedeutung  'während,  so  lange'  in  die  causale  überge- 
gangen, die  in  der  heutigen  spräche  einzig  noch  herscht;  pa- 
rallelen zu  diesem  Übergang  bieten  da  und  indem.  (Alter  nhd. 
findet  sich  in  bemerkenswerter  weise  unterschieden  derweil 
(während)  von  die  weil,  verstärkt  durch  vorgesetztes  all,  im 
sinne  von  quia,  quoniam.) 

36.  wie  als  conjunction  hat  in  der  älteren  spräche  niehts 
besonderes,  als  dass  es  gelegentlich  an  die  bedeutung  ^wie 
wenn'  (Gotfr.  v.  N.  7,  24  und  'wenn'  (Wolfr.  Wh.  58,  24; 
Boner  11,  28.  30)  streift  und  mit  vorgesetztem  so  (swie)  in  die 
von  'wiewol,  obgleich,  wie  sehr  auch'  übergeht,  welche  übri- 
gens auch  dem  einfachen  wie  zukommen  kann  (Wolfd.  v.  Holts- 
mann  921.  1429.  1852).  Im  nhd.  ist  der  gebrauch  von  *wie* 
nach  nichts  und  nach'comparativ  =  'als'  aufgekommen,  doch 
nicht  zu  regelmässiger  geltung.  Das  lat  quam  heisst  ja  eben- 
falls 'wie'  und  'als'  und  griech.  cog,  i^re  kommen  auch  ftr  ij 
vor.  Neu  ist  auch  der  gebrauch  des 'wie'  von  gleichzeitigkeit 
(=  sobald  als).  Anführung  verdient  noch,  dass  die  Schweiz. 
Volkssprache  und  auch  andere  deutsche  mundarten  (s.  Schmeller 
2^,  828)  wie  —  wie  =  'je  —  desto'  setzen,  also  das  zweite  wie 
statt  so ;  vgl.  Je  —  Je  für  Je  —  desto ;  weder  —  weder  für  weder 

37.  wo  wird  1)  in  schweizerischer  und  anderen  mundarten 
für  zeitliches  'als'  gebraucht,  wie  lat.  ubi  auf  die  zeit  über- 
tragen wurde;  die  Vermutung  Schmellers  (a.  a.  o.),  es  könnte 
dem  wo  in  dieser  bedeutung  ein  altes  wuo  entsprechend  dem 
duo,  du  (s.  da)  zu  gründe  liegen,  ist  also  nicht  nötig,  vielleicht 
auch  nicht  richtig,  da  ahd.  alts.  wuo  für  wie  vorkommt  2)  in 
der  älteren  schriflspracho  für  'wenn',  vgl.  wo-fem\  3)  in  den 
mundarten  für  das  pron.  rel.;  vgl.  sJi ,  und]  ebenso  neu- 
griech.  ojtov. 


CONJÜNCnONEN.  381 

Schlussbemerkung. 

Da  es  nicht  meine  absieht  war^  bei  dieser  arbeit  sprach- 
vergleichend  zu  werke  zu  gehen,  sondern  mich  auf  den  um- 
kreis der  germanischen  sprachen  zu  beschränken ,  so  habe  ich 
nur  weniges  aus  anderen  sprachen  gelegentlich  beigebracht 
Die  mehrfache  bedeutung  von  conjunctionen  anderer  sprachen, 
z.  b.  von  lat  ut,  quod,  griech.  (hq,  ori  ist  Übrigens  bekannt 
genug;  ich  erinnere  daher  nur  noch  an  einige  fälle ,  die  als 
parallelen  zu  germanischen  gelten  können.  Auf  dem  obigen 
und  dem  folgenden  Verzeichnis  mag  besonders  auffallen,  dass 
dieselbe  conjunction  sowol  begründung  oder  folger  ung  als  auch 
gegensatz  anzeigen  kann  (vgl.  denn,  ip) ;  aber  auch  das  griech. 
6i  steht  zuweilen  erklärend  fast  =  /ap,  überdies  «=  also  (zu- 
rückgreifend) und  =  so  (nachsatz  einführend,  vgl.  do,  tmd). 
Pott  (bei  Kuhn,  Zschr.  12,  174 — 179)  weist  nach,  dass  in  den 
langobardischen  geselzeu  nisi  nach  non  =  ^sondern  nur,  viel- 
mehr nur'  vorkommt  {vgl.  nube,  unt  ibai^  altschwed.  num,  unt 
tvan),  enim  =  auiem,nam  =  ^jedoch'.  —  qiumdo,  auch  ohne  nach- 
gesetztes -que  oder  quidem  =  'weil'  gebraucht,  ist  von  tempo- 
raler zu  causaler  bedeutung  übergegangen  wie  da,  weil  und 
sintemal.  Wahrscheinlich  erklärt  sich  so  auch  das  provenza- 
lische  mais,  mas,  dessen  bedeutungen  'aber,  sondern  nur,  ausser' 
direct  aus  magis  im  sinne  von  'vielmehr'  fliessen,  während  die 
von  'seit,  wann,  da,  weil'  aus  zeitlicher  bedeutung  von  magis 
=  'weiterhin,  foi-tan'  (vgl.  iLunmehr,  immer  (aus  ie-mer)  mit 
ergänzung  von  que  sich  ableiten  lassen ;  vgl  franz.  puisque  aus 
posiquam  oder  post  quod  und  Sintemal  —  Prov.  pero  (per  hoc) 
heisst  'darum'  und  'dennoch'  (franz.  pour  cela  :  pourtant), 
span.  pero,  aber;  der  mittelbegriff  ist  'darum  doch\  Prov.  cor 
bedeutet  auch  'dass',  wie  mlat.  quia;  vgl.  quod. 

2.    Verzeichnis  der  satzverhältnisse, 
welche  durch  eine  und  dieselbe  conjunction  eingeführt  werden. 

In  diesem  Verzeichnis  werden  je  zwei  satzverhältnisse 
zusammengestellt,  welche  durch  6ine  conjunction  vertreten  wer- 
den können,  und  es  wird  unter  diesem  gesichtspunkt  der  in- 
halt  des  vorigen  Verzeichnisses  noch  einmal  dargestellt^  soweit 


382  TOBLER 

die  mehrfachen  bedeutungen  der  einzelnen  conjunctionen  in 
die  etwas  abstracto  und  starre  form  von  allgemeinen  begriflen 
gebracht  werden  können.  Jene  paare  von  solchen  begriffen 
werden  nur  je  einmal,  unter  dem  ersten  glied,  angesetzt  und 
es  wird  bei  jedem  paare  derjenige  begriff  vorangestellt,  wel- 
chem die  (offenbare  oder  mutmassliche)  ursprüngliche  bedeu- 
tung  einer  conjunction  am  nächsten  kommt;  es  werden  also 
auch  im  allgemeinen  parataktische  anwendungen  den  hypo- 
taktischen, einfachere  den  complicierteren  vorangestellte  Schon 
diese  Unterscheidungen  haben  jedoch  ihre  Schwierigkeiten,  und 
noch  schwerer  ist  die  frage  zu  entscheiden,  ob  in  jene  paar- 
weise aufzählung  ohne  weiteres  alle  bedeutungen  einer  con- 
junction aufgenommen  werden  dürfen,  sowol  diejenigen,  welche 
sich  als  von  einander  unabhängige  Spaltungen  ans  einer 
grundbedeutung,  als  die,  welche  sich  aus  anderen  speoial- 
bedeutungen  ableiten  lassen.  Ich  neige  mich  zur  beschränkung 
auf  das  letztere,  bin  mir  aber  bei  den  ausätzen  im  einzelnen 
der  schon  oben  erkannten  Schwierigkeiten  betreffend  die  ent- 
Wicklung  der  bedeutungen  stets  bewust  und  behaupte  jeden- 
falls keinen  causalen  Zusammenhang  zwischen  allen  zusammen- 
gestellten gliedern.  —  Die  angaben  über  die  conjunctionen 
werden  hier  nur  kurz  gehalten,  mit  beziehung  auf  das  vorher- 
gehende Verzeichnis;  auch  mögen  einzelne  Wörter  oder  bedeu- 
tungen, die  dort  vorkommen,  hier  übergangen,  dagegen  andere 
nachgetragen  sein. 

I.   Gemeinschaft  zwischen  parataktischen  satzverhältnissen. 

t  a.  Ansschlicssender  und  einschränkender  gegensats :  ahd.  üzar,  son- 
(lern,  aber;  ebenso  oh,  ahd.  spät  mhd.  sunder,  mhd.  wan, 
Schweiz,  nnd  älter  nhd.  weder, 

b.  Gegensatz  nnd  alternative:  mundartlich  aber  =  oder,  wie  umge- 

kehrt oder  =a  aber. 

c.  Gegensatz  und  begrün dnng:  ahd.  gimsso,MLtem\  nam.  Kita,  heldr, 

ahd.  halt,  sed;  mhd.  halt,  eben;    got  ipj  aber;   denn;  ebeuBo 
pan  und  ahd.  danne  :  nhd.  denn. 

d.  Gegensatz  nnd  folgernng:   ahd.  aber,  denne ,  gimisso  vereinigen 

die  bedeutangen  antem  nnd  ergo. 

2a.    Hinznfüg^ng  und  gegensatz:   ahd.  auh,  mhd.  auch,  und,  jedoch, 
aber;  zhd, giwisso,  qnoque;  antem. 


CONJÜNCnONEN.  383 

b.  HinzufÜgang  nnd  einräumung :    got   auk,    filvy   gegenttber   ip^ 

c.  ^  „    begründung  oder  erklämng:   got.  aukj  anch; 

denn;  ebenso  ahd.  girvisso,  ahd.  auh,  mhd. 
otichj  nhd.  auch,  ahd.  sär  (s.  auch)  etiaro; 
enim. 

d.  „  „    folgerung:   inhd.  auch,  nhd.  auch,  denn  anch, 

demnach  (altengl.  ekcj  ergo);  in  verwundern- 
der frage  =  nhd.  denn,  Schweiz,  anch  in  un- 
geduldiger aufforderung  =  nhd.  doch.  ahd. 
giwissOj  etiam;   ergo. 

3.    Einräumung  und  begründung:  got.  auk,  allis,  fziv,  yag, 

4  a.    Fortschritt   (zeitlich)  und  gegensatz:   got.  pan,  x6xe\  <f^;   ahd. 
danne,  dö,  tum;  autem.    nü^  nun  aber,  und  doch. 

b.  Fortschritt  (zeitlich)  und  folge  (causal):  got.  pan,  x6xs\  ovv\  ahd. 

danne,  tum;  ergo;  altn.  pä,  tum;  igitur;  nhd.  dann  auch  fol- 
gernd, denn  (nachgesetzt)  =  also,  auch  in  lebhafter  frage ;  ahd. 
nüj  nunc;   ergo. 

c.  Fortschritt  und  begründung:    nhd.  denn,   urspr.  =  dann,  tum: 

nam.  got.  pan,  x6xe\  yaQ. 

5.  Begründung  und  folgerung:  nhd.  denn,  nam;    (nachgesetzt)  ergo; 

ahd.  girvisso,  nam;  ergo;  got  ip,  yaQ\  ovv\  Schweiz,  drum^ 
darum;  eben  (s.  halt,  wan), 

6.  Alternative  und  folge:    holl.  of,  oder,   Schweiz,  oder^  nach  nega- 

tivem ersten  glied  =  quin«  ohne  dass  (insofern  zu  III  c.  gehörig). 

7a.    Einweisung  und  gegensatz:  amhd.  so,  auch:  hingegen,  aber. 

b.  „  „     folgerung:   amhd»  so,  nhd.  also^  ergo.    Vgl.  das 

so  vor  nachsStzen. 

8.    Einschränkung  und  erklämng:  nhd.  doch  auch  =  ja  (nachgesetzt) 

II.  Gemeinschaft  zwischen  hypotaktischen  satzverhältnissen. 

A.   Gemeinschaft  zwischen  allgemeiner  relation 
und  einzelnen  arten    hypotaktischer  conjunction. 

altn.  a/,  dass;   auch  statt  des  pron.  relat 
y,     er  allgemeine  relativpartikei ;  auch  conjunction :  dabs ;  als ;  wenn. 

got.  ei  relativa  bildend  oder  vertretend,  als  conjunction:   dass,  da- 
mit; ob  (?). 
altn.  sem,  dän.  schwed.  som^  wie;  auch  statt  pron.  rel. 

ahd.  mhd.  älter  nhd.  sö^  wie;  auch  statt  pron.  rel.;  auch  ags.  altn.  svä 
neigen  sich  zu  diesem  gebrauch. 

altfries.  schwed.  dän.  iher  (aus  ihar)  wo;  auch  statt  pron.  rel. 
munda];^!.  wo  auch  statt  pron.  rel. 


384  TOBLER 

mhd.  daz  in  gewissen  Verbindungen  allgemein  relativ:  dar  daz  dahin 
wo  — ;  Die  wMe  daz-,  während;  d  daz,  ehe.  Daran  achlieast 
sich  der  ältere  nhd.  gebrauch  von  dass  nach:  indem,  nachdem, 
seitdem,  wo  die  neuere  spräche  es  weglässt,  vielleicht  weil  das 
dem  selbst  relativ  aufgefasst werden  kann;  vgL  darüber  und  über 
ähnlichen  gebrauch  von  that  im  älteren  englisch  Gorm.  17, 
262.  264.  Uebrigens  vertritt  (hat  im  englischen  bekanntlich 
geradezu  das  pron.  relat.  auch  in  beziehung  auf  personen. 
Auch  das  sächsische  the  ist  teils  allgemeine  relativpartikel  teila 
conjunction  im  sinne  von  'dass*;  s.  im  ersten  verzeiohnia 
unter  pau, 

B.   Gemeinschaft  zwischen  hypotaktischen  conjunctionen. 

la.    Ort  und  zeit:  alts.  tAdr,  wo;  als;  ebenso  Schweiz,  n^o. 
b.      „      «     bedingung:  alts. /Aar  auch:  wenn;  ebenso  älter  nhd.  iro ; 

ahd.  in  thiü,  holl.  indien,  wenn. 
2a.    Zeitraum  und  Zeitpunkt:  mhd.  wa,  so  lang  als  — ,  während,  bia; 

ebenso  got  unid, 

b.  Zeit  und  grund:   nhd.  da,  als  (zeitlich);   weil.     mhd.  auf,  wann; 

weil.    nhd.  indem  zuweilen  «a  da  (cansal). 
r,      n         n        nhd.  tveil ,   urspr.  und   älter  dym\  jetzt  ^uta; 

vgl.  das  veraltete  sintemal  aus  mhd.  sU  dem 
male,  seit 
got.  untS]  ^'ai$  (bis);  oti  (weil). 

pandeif  ^wq  (so  lang  als);  on,  insL 

c.  Zeit  u.  bedingung:  „         i.  »  »  bL 

3a.    Art  und  zeit:  nhd.  n^t^  auch  von  gleichzeitigkeit    amhd.  # d,  wie; 

wann,  als. 

b.  «      n      bedingung:   mhd.  wie  auch  'wenn*. 

c.  Vergleichung,  directe  und  bedingte:  mhd.  so,  also,  'wie'  und 

'wie  wenn*;  ebenso  mhd.  wie  auch  ^wie  wenn\ 

d.  r,  und  folge:  amhd.  so,  so,  wie;  auch;  so  dass, 

e.  ,,  „    einräumung:   amhd.  so,  wie;  auch:  während 

doch,  obgleich. 

4  a.    Bedingung  und  begründung:   got  pandei,  ei\  inel  (weil). 

b.  „  „     einräumung:    nhd.  unde  (wenn);  obgleich;   altn. 

pöj  pö  at,  obgleich;    wenn  denn.    holl.  of 
auch  'obgleich'. 

c.  „  n    folge  (beide  negativ):  ahd. nt^,  nube,  nisi;  quin« 

d.  Grund  „    einräumung:  altn.  alls,  da  (causal);  mhd.  holL  al, 

obgleich. 

5a.    Substantivsatz  und  finalsatz:   got  ei,  dass;  damit;  auch  nhd. 

dass  =  damit 
b.  n  „      frage-  oder   bedingungssatz :    got  ei  auch 

'ob*  (?)   mhd.  daz  anoh  'wenn*. 


»  »  »  » 


CONJÜNCnONEN.  385 

c.  SnbBtantivsatz  und  folgesatz :       mhd.  daz  auch  »  so  dass. 

d.  „  »    causalsatz:       ,        „       „      =  weil. 

e.  ,  ,    zeitsatz:  „       ,       ^      m^  da  (als   fort- 

setznng  von  dö), 

III.     Gemeinschaft    zwischen    parataktischen    und    hypo- 
taktischen satz Verhältnissen   unter  einander, 

A.  Gemeinschaft  zwischen  demonstrativer  (parataktischer)  nnd  relativer 
(hypotaktischer)  bedeutnng  von  conjunctionen. 

Der  Übergang  demonstrativer  pronomina  in  relative  anwendung  ist 
bekannt  genng,  wenn  auch  die  erklärang  der  tatsache  gerade  in  nenester 
zeit  streitig  geworden  ist.  Da  nun  von  einzelnen  casus  demonstrativer 
pronomina  eine  reihe  pronominaler  adverbia  abgeleitet  und  mehrere  von 
diesen  zu  den  gebräuchlichsten  conjunctionen  geworden  sind,  so  ver- 
steht es  sich  eigentlich  von  selbst,  dass  jene  doppelte  anwendang  des 
pronomens  auch  auf  diese  conjunctionen  übergehen  konnte  oder  sogar 
muste.  Doch  wird  es  nicht  ganz  überflüssig  sein,  auch  diese  erschei- 
nungen  hier  ausdrücklich  zusammenzustellen.  Vgl.  dazuKölbing,  Germ. 
21,  p.  33 — 35  und  die  bemerkung  über  das  dem  in  indem,  nachdem,  seit- 
dem, oben  II.  A. 

t.    Conjunctionen  vom  pronominalstamm  ia, 

amhd.  dö,  da  (tum);  als  (quum);  ebenso  nhd.  da,  welches  aber 

in  relativer  anwendung  auch  causale  bedeutnng  hat. 
amhd.  danne,  denne,  got.  pan,  tum;    quum  (temporal)  amhd. 

denne,  quia,  nhd.  denn,  nam. 
amhd.  doh,  ags.  peak,  altn.  pö,  tamen:    quamqnam;   für  die 

letztere  bedeutnng  wird  dem  ags.  peak  oft  pe,  dem  altn. 

pö  meistens  at  nachgesetzt, 
alts.  fhär,  da;  wo,  wenn,  als  (quum).    isl.  par  für  par  er,  wie 

pä  für  pa  er,  pvi  für  pvt  at 

2.  Vom  pron.  stamm  sva, 

amhd.  älter  ahd.  sd,  sie.  ita;  sicut,  quando;  amhd.  so,  nord.  svä, 

auch:   so  dass, 
ahd.  sär,  sogleich;  so  bald  als. 

3.  Vom  pron.  stamm  na,  an  (?). 

mhd.  nü,  älter  nhd.  nun,  nunc ;  quum  (causal). 
got.  unid,  yag,  Sri  (weil). 

mhd.  und,  Vordersätze  und  nachsätze  einleitend,  ungefähr  im 
sinne  von  'wenn  — ,  so  — *  oder  'als  — ,  da  — *. 

4.  Vom  pron.  stamm  ka,  der  ursprünglich  vielleicht  ebenfalls  demon- 

strativ war  (vgl.  lat.  -ce,  gr.  (i)xeivoq),   dann   aber  interro- 
gativ wurde: 
ahd.  huanta  (eig.  warum),  mhd.  wände,  man,  denn;  weil.    An- 
nen rxge  lur  geschlohte  der  d«atMh«n  tpraohe.  V.  25 


386  TOBLER 

hangsweise  kann  hierher  noch  das  nicht  pronominale  all 
gezogen  werden,  dessen  genetiv  adverbial  zur  begrttndnng 
gebraucht  wird:  got  allis,  ytxQj  parataktisch,  altn.  aus,  da 
(causal),  hypotaktisch. 

B.   Gemeinschaft  zwischen  parataxis  nnd  allgemeiner  relation. 

Diese  gruppe  izt  natürlich  am  wenigsten  zahlreich  vertreten,  weil 
die  in  der  Überschrift  genannten  zwei  Verhältnisse  einander  am  fernsten 
stehen.  (Parataxis  ist  im  allgemeinen  eine  freie  oder  wenigstens  lockere, 
relation  dagegen  die  engste  Verbindung,  enger  auch  als  hypotaxis  durch 
conjunctionen);  dennoch  ist  auch  diese  gemeinschaft  nicht  unerhört, 
und  der  Vollständigkeit  wegen  müssen  die  wenigen  fölle  derselben  hier 
angeführt  werden. 

Es  sind  die  beiden  allgemeinen  copulativpartikeln,  das  altn.  oh  nnd 
das  amhd.  und,  welchen  neben  ihrer  copulativen  bedeutung  auch  eine 
relative  zukommt. 

Dass  altn.  ok  neben  der  bedeutung  'und,  auch*  zuweilen  die  func- 
tion  hat,  einen  nachsatz  einzuleiten,  im  sinne  eines  nhd.  'so*  oder  bei 
zeitsätzen  'da*,  gibt  ihm  eine  art  von  correlativer  bedeutung;  einfach 
relativ  erscheint  es  als  Vertretung  des  pron.  rel.  und  im  sinne  von 'wie* 
bei  vergleichungen,  obwol  diese  dann  nicht  die  form  eines  vollständigen 
Satzes  annehmen. 

Das  deutsche  und,  welches  statt  der  nebenbedeutung  'auch*  die 
von  'aber'  besass,  fand  daneben  anwendung  als  allgemeine  relativpartikel 
in  noch  weiterem  umfang  als  ok. 

Die  eigentlich  conjunctionale  bedeutung  beider  Wörter,  beson- 
ders die  sichere  und  vielseitige  von  und,  gehört  zur  folgenden  gmppe, 
wird  aber  eher  auf  der  allgemein  relativen  als  directe  auf  der  paratak- 
tisch copulativen  beruhen,  aus  welcher  letzteren  dagegen  die  erstere 
sich  zur  not  begreifen  lässt,  wenn  und  soweit  relation  auf  gleichsetzung, 
also  paarweise  Verbindung  zurückgeführt  werden  kann. 

C.   Gemeinschaft  zwischen  einzelnen  arten  parataktischer 
und  hypotaktischer  conjunction. 

Diese  gruppe  ist  wol  die  wichtigste ,  sie  ist  auch  ziemlich  zahlreich 
vertreten,  ich  ziehe  aber  hierher  nur  die  falle,  wo  eine  conjnnction 
logisch  verschiedene  Verhältnisse  bezeichnet,  da  das  zusammen- 
treffen parataktischer  und  hypotaktischer  s  a  t  z  f  o  r  m  bei  logisch  gleichem 
Verhältnis  bereits  unter  A.  augefUlirt  worden  ist:  doch  konnte  anch  das 
folgende  la.  b.  noch  dorthin  gezogen  werden.  lil.  C.  entspricht  also  in 
materieller  hinsieht  dem  L;  darum  ist  freilich  auch  die  Zusammen- 
stellung der  einzelnen  paare  von  kategorien  hier  zum  teil  so  fraglich 
wie  dort 

1.  a.    Einschränkung  und  einräumung:   got  altis,   fiiv\  mhd.  al,  ob- 
gleich;  auch  altn.  aus  findet  sich  =  da  doch. 


CONJÜNCTIONEN.  387 

b.  EinschrSnkaDg  and  negative   beding^ng:    amhd.   niwan,   wan^ 

nur ;  altn.  nema,  wenn  nicht,  ausser  dass. 

c.  „  ,      vergleichung :  m\i^,eht,  nur;  als  (nachcom- 

paratiy);  mhd,  wan^  nur;  als  (auch  nach 
negation);   Schweiz,  weder ^  jedoch;  als; 
engl,  hut  nur;  als  (nach  negation). 
2.  a.    Alternative  und  vergleichung :  got.  pau^    oder :  als  (quam)  vgl. 

Schweiz,  weder y  als,  nach  negation  und 
comp.,  und  altscnott.  nor  fttr  than. 
b.  ,  •     negative  folge:  holl.  o/,  Schweiz,  oder,  aut,  vel; 

quin  (s.  ihai). 
3. a.    HinzufUgung  und  vergleichung:    altn.  enn,    schwed.  an,  noch; 

als,  nach  comparativ;  altn.  ok  und,  auch; 
wie ;  mhd.  und  auch  ^  wie '. 

b.  „  „     bedingung:  altn.  o/:  auch  *wenn'(?);  mhd.ti7u^ 

*wenn'  oder  exponent  von  bedingungssätzen. 

c.  ,  „     gleichzeitigkeit :  mhd.  und  auch  ^als'  (quum). 

d.  «  „     Substantivsatz:        n        »        »     ^dass\ 

e.  „  „     finalsatz:  »        »        »     'damit*. 

4.  Fortschritt  und  vergleichung  (oder  gleichzeitigkeit): 

mhd.  danne,  denne,  älter  nhd.  dann,  tum; 
quam  (nach  compar.  und  negation),  nisi 
(nach  negativem  verbum  des  hauptsatzes) ; 
ags.  ponne,  tum;  quam;  und  so  noch  engl. 
then :  than, 

5.  a.    Gegensatz  und  vergleichung :   altn.  en,  aber  =  enn,  als  (?). 

b.  „  „      bedingung:    got.  ip,  aber;  wenn. 

c.  n  »      negativer  folgesatz:    nhd.  suntar,    sed;    quin; 

engl,  but 
„  ,      negativer  bedingungssatz:    ahd.  üzan,  sed;  nisi; 

engl,  but 

6.  Negative  bedingung  und  gegensatz:    ahd.  nibu,  nisi;  sed;   ebenso 

alts.  nouan,  altschwed.  num. 

7.  Bedingung  und  alternative:   got,  jabai,   wenn;   entweder  —  (vor 

einem  folgenden  aippau,  oder) 
ahd.  ibu,  wenn;  iph-iph,  aut  aut  (5tt;^-sive); 
holl.  of,  ob,  als  wenn;  of-of,  entweder  —  oder. 

Im  letztgenannten  fall  ist  es  fraglich,  ob  mit  recht  bei  ibu,  of  'be- 
dingung' als  grundbedeutung  vorangestellt  sei,  da  die  et3anologischen 
Verhältnisse  nicht  recht  klar  sind.  Sicher  aber  und  bekannt  genug  ist 
die  tatsache,  dass  conjunctionen  der  bedingung  auch  zur  einleitung  ab- 
hängiger fragesätze  dienen,  sowie  bedingungssätze  oft  die  form  der 
frage  annehmen  und  ursprüngliche  fragowörter  auch  als  conjunctionen 
vorkommen.  Diese  erscheinungen  mügen  also  hier  wenigstens  noch  als 
an  hang  eine  stelle  finden. 

25* 


388  TOBLER  —  CONJÜNC'I  IONEN. 

8.  Indirecte  frage  und  bedingung:  mnl.  of,  schwed.  om^  engl,  i/*,  ob; 

wenn  (auch  *imV  wenn*). 

9.  Directe  frage  und  begrttndung:   mhd.  wände,  tvan,  denn,  weil  aus 

ahd.  huantüy  warum?   vgl.  Schweiz,  warum 
=  denn,  franz.  cor  aus  guare. 

10.        „  n        1.     gegensatz :  ahd.  ^An/nnYAaru^  ags.  Avd^r^,  tarnen ; 

Schweiz.  7t;^^^r,  nur,  aber;  bei  G.  v.  Keisersberg  auch:  sondern. 
Die  grundbedeutnng,  welche  im  ags.  hvädre  noch  besteht, 
ist:    utrnm. 

ZÜRICH,  sept,  1877.  LUDWIG  TOBLER. 


DAS  MÄRCHEN  VOM  SCHLARAFFENLANDE. 


Die  Übertragung  indischer  märchen  nach  Europa  durch 
Perser  und  Araber  einerseits  und  durch  die  buddhistischen 
Mongolen  andererseits  ist  von  Benfey  ^)  an  zahlreichen  bei- 
spielen  nachgewiesen  worden,  und  nach  ihm  haben  einzelne 
derselben  auch  specielle  behandlung  erfahren,  wie  z.  b.  das 
von  dem  brahmaneu  Svabhäkripana  und  seinem  reistopfe, 
dessen  Wanderung  und  allmähliche  Umgestaltung  bis  zu  La 
Fontaines  magd  Perette  und  ihrem  milchtopfe  Max  Müller^) 
verfolgt  hat. 

Während  nun  allerdings  die  mehrzahl  der  märchen  —  so 
weit  man  sie  überhaupt  als  eingewandert  betrachten  darf  — 
in  Indien  ihre  heimat  hat  und  auf  den  von  Benfey  gezeigten 
wegen  nach  Europa  gelangt  ist,  fehlt  es  doch  auch  nicht  an 
solchen,  die  nach  Ursprung  und  Wanderung  von  jenen  ver- 
schieden sind;  und  die  geschichte  eines  märchens  dieser  aii; 
darzustellen,  soll  unsere  aufgäbe  im  folgenden  sein. 

Das  märchen  vom  schlaraffenlande  verdient  eine  beson- 
dere beachtung  auch  deswegen,  weil  es  bei  seiner  schwank- 
ähnlichen natur  wie  kaum  ein  anderes  geeignet  war,  sich  im 
munde  des  volkes  zu  erhalten  und  zu  verpflanzen,  und  weil 
in  folge  dessen  seine  Verbreitung  eine  fast  ausschliesslich 
mündliche  gewesen  ist,  so  dass  es  da,  wo  wir  ihm  in  der 
literatur  begegnen,  meist  aus  dem  volksmunde  geschöpft  zu 
sein  scheint.  Aber  freilich  ist  es  auch  gerade  dieser  umstand, 
der  es  zur  Unmöglichkeit  macht,  wirkliche  beweise  dafUr  bei- 
zubringen, dass  das  märchen,  wenn  es,  oft  nach  langer  pause 

1)  Pantschatantra,  im  einleitenden  ersten  bände. 
>)  Essays,  deutsch  von  F.  Liebrecht.    III,  s.  303  £f. 


390  POESCHEL 

und  in  veränderter  gestalt,  anderswo  wider  anftaucht,  nicht 
ein  neues  selbständiges  gebilde,  sondern  nur  eine  äusserung 
des  fortlebenden  alten  ist;  doch  vermag  die  unwahrscheinlich- 
keit  des  gegenteils  dieselben  wol  zu  ersetzen. 

Wir  beobachten  das  märchen  am  geeignetsten  der  reihe 
nach  auf  drei  gebieten ,  im  griechischen ,  romanischen  und  deut- 
schen ;  vereinzelte  spuren  desselben  aus  der  lateinischen  literatur 
denken  wir  im  anfange  des  zweiten  teiles  anzufahren.  Die  er- 
wähnung  ernsthafter  darstellungen  von  wunschzeiten  und 
wunschländem  /  wie  sie  bei  allen  Völkern  vorhanden ,  wird 
unvermeidlich  sein,  da  in  ihnen  die  eigentlichen  ausgangs-  und 
widerholte  anknttpfungspunkte  für  unser  märchen  liegen;  ein 
genaueres  eingehen  auf  dieselben  wäre  jedoch  bei  dieser 
engeren  fassung  des  themas  unstatthaft  Dies  ist  zugleich  der 
grund,  weshalb  wir  dem  indischen,  dessen  einfluss  hier  eben- 
falls nicht  zu  verkennen  ist,  keinen  besonderen  abschnitt  wid- 
men, sondern  es  nur  gelegentlich  im  ersten  teile  mit  berück- 
sichtigen :  die  komische  färbung,  die  ja  doch  die  haupteigentdm- 
lichkeit  dieses  märchens  ausmacht,  findet  sich  eben  erst  im 
griechischen. 

Auf  Vollständigkeit  können  unsere  Zusammenstellungen 
natürlich  keinen  anspruch  erheben,  da  sich  bei  der  ungemeinen 
beliebtheit  des  Stoffes  allenthalben  noch  weitere  belege  daf&r 
ausfindig  machen  lassen;  für  das  deutsche  würden  sich  aus 
handschriften  vom  ende  des  mittelalters  und  aus  drucken  bis 
ins  vorige  Jahrhundert  gewis  manche  beitrage  ergeben.  Vor- 
liegendes ist  vielmehr  nur  eine  Vorarbeit  für  eine  grössere 
Untersuchung  über  diesen  gegenständ,  welche  ich  mir  für 
später  vorbehalte;  dieselbe  wird,  bei  umfassenderer  material- 
sammlung  überhaupt,  besonders  auch  bemüht  sein,  aus  dem 
märchenschatze  anderer  Völker  analoges  nachzuweisen,  worauf 
ich  gegenwärtig  verzichten  muste. 

Einige  notizen  sind  mir  in  liebenswürdiger  weise  von 
herrn  dr.  Reinhold  Köhler  in  Weimar  zugänglich  gemacht 
worden,  woftlr  ich  ihm  hiermit  herzlich  danke. 


;^inU 


SCHLARAFFENLAND.  39 1 

I. 

Das  märchen  im  griechischen. 

Für  die  phantasie  war  es  jederzeit  etwas  äusserst  nahe- 
liegendes, sich  im  gegensatz  zu  den  leiden  und  mühseligkeiten 
des  täglichen  lebens  gelegentlich  in  Vorstellungen  zu  ergehen 
von  einem  dasein  der  reinsten  glückseligkeit,  frei  von  sorgen 
und  arbeit,  in  dem  von  selbst  sich  alle  materiellen  wünsche 
erfüllen,  und  die  ganze  tätigkeit  in  nichtstun  besteht;  und  ein 
feld,  das  man  reichlich  mit  solchen  Vorstellungen  ausstatten 
konnte,  war  in  der  alten  sage  von  einer  seligen  urzeit,  oder 
wie  es  sich  uns  im  griechischen  darstellt,  von  dem  goldenen 
Zeitalter  unter  der  herschaft  des  Kronos,  gegeben.  Damals 
führten  ja  die  menschen  ein  glückliches,  schmerz-  und  sorgen- 
loses leben,  im  genusse  aller  guter,  ohne  zu  altern  und  schliess- 
lich wie  vom  schlafe  dahingenommen,  und  von  selbst  trug  das 
land  ihnen  reichliche  fruchte).  Wie  ungemein  verbreitet  diese 
sage  durch  ganz  Griechenland  war,  ist  aus  erwähnungen  und 
anspielungen  bei  schriftsteilem  aller  zeiten  zu  ersehen  2) ,  aus 
denen  wir  auch  ein  bild  von  ihrer  allmählichen  erweiterung 
und  ausgestaltung  gewinnen  können.  Als  beispiel  hierfür  sei 
nur  6ine  stelle  aus  Plato  angeführt.  Politicus  p.  272  a:  xap- 
Jtovg  ag)d'6vovq  slxov  ajco  re  öivÖQmv  xal  JtoXX^g  vXrjq  aXXrjg, 
ovx  vjto  yecoQylaq  g)vo(iivovq,  aXX'  avTOfidrrjg  dvaöiöovöfjg 
rfjg  yfjg  xrX. 

Dass  die  phantasie  des  griechischen  Volkes  aber  in  der 
tat  auch  bei  darstcUung  eines  Wunschdaseins  im  obgedachten 
mehr  scherzhaften  sinne  hier  anknüpfte,  das  beweisen  einige 
fragmente  von  dichtem  der  altattischen  komödie,  welche  Athe- 
naeus  in  seiner  gelehrten  tischgesellschaft  überliefert  hat  3). 
Unter  den  acht  stücken,  welche  daselbst  aufgezählt  werden, 
enthalten  drei  eine  derartige  ins  spasshafte  übertriebene  Schil- 
derung des  lebens  unter  Kronos,  nämlich  Cratinus  in  den 
nXoxrtOL  (Mein.  fr.  c.  gr.  II,  1  p.  108),  Grates  in  den  OriQla 
(M.  II,  1  p.  237)  und  Teleclides  in  ^qh  kutpixtvorsg  (M,  II, 


*)  Hesiod,  tQya  xal  rjfzsQai  109  flf. 

3)  Zusammengestellt  bei  Bergk,  Comm.  de  rel.  com.  Att.  p.  188—202. 
^)  deinvoao<piaxaiYl   p.  267  e— 270  a-,   hier  citiert  nach  Meineke, 
Fragm.  com.  graec.  II,  t  n.  2,  Berlin  1848. 


392  POESCHEL 

1  p.  361).  Aue  drei  gehören  der  mitte  und  zweiten  hälfte 
des  5.  Jahrhunderts  an,  also  war  die  sage  bereits  vor  der 
blute  Athens  unter  Pericles  auch  in  dieser  märchengestalt 
unter  dem  griechischen  volke  verbreitet  Denn  die  alte  ko- 
mödie  entlehnte  ihre  Stoffe  mit  Vorliebe  der  volkssäge,  wie  dies 
z.  b.  auch  die  häufige  benutzung  der  spukmärchen  beweist^). 
Freilich  war  hier  der  Individualität  des  erzählers  ausserordent- 
lich grosser  Spielraum  gegeben,  und  so  finden  wir  bei  der 
darstellung  der  einzelneu  komiker  noch  hie  und  da  be- 
sondere Züge  hinzugetan,  in  der  hauptsache  aber  ist  sie  bei 
allen  dieselbe. 

Am  ausführlichsten  unter  diesen  dreien  schildert  Telecli- 
des:  Friedlich,  von  furcht  und  krankheit  frei,  lebten  die  sterb- 
lichen, und  von  selbst  bot  sich  ihnen  dar,  was  sie  bedurften. 
Von  wein  floss  der  giessbach,  weizen-  und  gerstenbrote  kämpf- 
ten mit  einander  vor  dem  munde  der  leute  um  die  gunst,  ver- 
schluckt zu  werden,  die  fische  kamen  ins  haus,  brieten  sich 
selbst  und  trugen  sich  selbst  auf,  ein  suppenstrom  fUhrte  warme 
fleischstücken  in  seinen  wogen,  und  für  den  liebhaber  flössen 
in  kanälen  daneben  pikante  saucen,  gebratene  vögel  und 
allerlei  feines  backwerk  flogen  einem  in  den  mund  oder  dräng- 
ten sich  um  das  kinn,  und  das  Spielzeug  der  kinder  bestand 
aus  den  ausgesuchtesten  delicatessen.  Dabei  waren  die  men- 
schen dick  und  erreichten  mehr  als  gigantengrösse : 

Ol  6"  avd-QtojtOL  Jtlovsg  ^jöav  tots  xal  fiiya  XQW^ 

riydwmv. 

In  den  OtjQla  werden    die  gerate  belebt   gedacht,    man 

braucht  nur  zu  rufen,   so  stehen  sie  zu  diensten.    Zum  tische 

sagt  man:    komm  und  decke  dich,  zum  backtroge:  knete  den 

teig,  zum  kruge:  schenk  ein,  zum  becher:  geh  und  wasch  dich 

u.  s,  w. 

jtQoöeiöiv  ar^'  ixaörov 

Tc5v  öxevaQlcov,  oxav  xaXfi  xi.  jraQorld-ov  zQOJtB^a. 

avT7j,  jtaQaöx€va^t  öavTtjp'  fidrrt  d-vXaxlöxe. 

lyX^''  ^t^a^f:  .  JtovöO^  fj  xvXi§;  didvi^  lovöa  öavtijv 

xrX.  2) 

')  Karl  Schenk!  in  Pfeiffers  Germania  VII,  b.  193  f. 
')  Belebter,  sogar  redender  hausrat  ist  ein  in  griechischen  märchen, 
wie  es  scheint,  sehr  beliebter  zng.    von  Hahn,  Griechische  and  albane- 


SGHLABAFFEia.AND.  393 

Auf  diese  gestalt  der  sage,  wie  wir  sie  eben  bei  den 
drei  komikem  gefunden  haben ,  spielt  auch  Lucian  an,  wenn 
er  Saturn.  7  an  dem  feste  der  KQovia  den  gott  selbst  im  ge- 
spräche  mit  seinem  priester  erzählen  lässt,  wie  glücklich  einst 
die  menschen  unter  seiner  regierung  gelebt  hätten ,  ojt&tB 
aöxoQa  xal  avrjQora  jiavra  iqyvsto  avtoZg,  ov  ötdxvsg,  dXX^ 
iroifiog  aQTog,  xal  xgia  iöxevaö(iiva,  xal  o  olvog  iQQSi  ütora- 
fifjöov  xal  jtrjyal  fieXitog  xal  yäkaxrog;  und  ebenso  in  einem 
briefe  an  Eronos  (ep.  Sat.  20)^  wo  Lucian  mit  ziemlich  den- 
selben Worten  jene  zeit  rühmt  und  sich  über  das  gegenwärtige 
leben  in  armut  und  dürftigkeit  beklagt. 

Man  begnügte  sich  nun  aber  nicht  damit,  sich  an  dem 
glücke  längst  entschwundener  geschlechter  zu  freuen  und  sich 
dasselbe  mit  den  lebhaftesten  färben  auszumalen:  alle  diese 
Vorstellungen  gewannen  einen  weit  grösseren  reiz^  sobald  eine, 
wenn  auch  nur  eingebildete  und  von  niemandem  geglaubte, 
möglichkeit  vorlag,  dass  man  selbst  noch  einmal  solchen 
glückes  teilhaftig  werde,  und  so  (fbertrug  man  sie  auch  auf 
das  leben  nach  dem  tode.  Um  so  näher  lag  dies,  als  auch 
die  von  dem  ^XvCiov  jteölov  und  den  v^öot  tcov  (ioxaQmv 
überlieferten  sagen  mit  der  vom  goldenen  Zeitalter  ziemlich 
übereinstimmten,  und  diese  Übereinstimmung  selbst  im  gründe 
bereits  nichts  anderes  als  eine  solche  Übertragung  der  zustände 
aus  der  urzeit  war;  denn  auch  hier  dachte  man  sich  meist 
Eronos  als  herscher.    So  leben   z.  b.    bei  Hesiod  die  heroen 


Bische  märchen,  teilt  anter  no.  2,  8  and  48  drei  dieser  art  ans  verschie- 
denen gegenden  von  Epirus  mit  (za  no.  8  vgl.  Übrigens  märchen  des 
Straparola,  dentsch  von  Fr.  Wilh.  Val.  Schmidt,  Berlin  1817,  no.  15 
8.  231  ff.).  Gewöhnlich  wird  einer  von  neidischen  Schwestern  etc.  za- 
rtickgesetzten  person,  also  einer  art  Aschenputtel,  durch  ein  wolwollen- 
des  höheres  wesen  die  gäbe  verliehen,  dass  ihr  alle  wünsche  in  erfUllung 
gehen.  In  dem  nun  herbeigewünschten  schlösse  oder  hause  gehorchen 
alle  gerate  den  befehlen  ihrer  herrin  von  selbst  und  beantworten  ihre 
fragen;  auf  diese  weise  ist  leicht  zu  ermitteln,  ob  jemand  von  den 
tischgästen  etwas  gestohlen  hat,  und  als  der  königssohn  einen  löffel  in 
seinen  Stiefel  steckt,  antwortet  derselbe  von  dort  her  nnd  verrät  ihn. 
Das  tischchendeckdich ,  welches  natürlich  auch  hier  nirgends  fehlt,  ist 
aus  deutschen  märchen  bekannt  (vgl.  gebr.  Grimm,  Kinder-  und  haus- 
märchen  no.  36  und  130),  nnd  Grimm  K.  nnd  H.  III,  s.  65  f.  führt  aus 
den  märchensammlungen  anderer  nationen  weitere  beispiele  dazu  an. 


391  POESCHEL 

auf  den  inseln  der  seligen  und  bei  Pindar,  Olymp.  II,  129  ff. 
die  Seelen  der  frommen  unter  Kronos  fort 

In  den  MeraXk^g  des  Pherecrates  ^) ,  einem  vierten  der 
von  Athenaeus  angeführten  stücke,  erzählt  eine  aus  der  unter- 
weit zurückkehrende  frau  fast  dasselbe,  zum  teil  sogar  mit 
den  nämlichen  werten,  was  wir  aus  den  Amphiktyonen  kennen, 
nur  noch  etwas  weiter  übertrieben:  die  in  ihrem  bett  dahin- 
murmelnden  suppenströme  führen  hier  sogar  gleich  die  löfiel 
mit  sich,  die  leckereien  sind  noch  zahlreicher  und  ausgesuch- 
ter, herrliches  obst  hängt  über  den  häuptem,  ohne  dass  es 
irgendwo  angewachsen  wäre,  blühende,  mit  allen  reizen  aus- 
gestattete Jungfrauen  leeren  becher  voll  köstlichen  weines  durch 
trichter  in  den  mund  der  trinkenden,  und  das  wunderbarste 
von  allem  iBt,  wovon  man  isst  oder  trinkt,  das  verdoppelt 
sich  sogleich: 

xal  rcopö'  ixaörog  el  (payoi  rig  tj  Jtloi, 

Auch  hier  begegnen  \vir  nicht  einer  erfindung  des  komikers, 
sondern  es  ist  eine  wirklich  echt  volkstümliche  erzählung, 
welche  Pherecrates  in  seinem  stücke  verwandte.*) 

Noch  eine  dritte  beziehung,  in  welche  diese  Vorstellungen 
gebracht  wurden,  findet  sich  in  den  von  Athenaeus  zusammen- 
gestellten fragmenten,  nämlich  bei  beschreibung  ferner  oder 
sagenhafter  länder.  So  in  den  unter  dem  namen  des  Phere- 
crates überlieferten  IleQöat^),  wo  zu  zu  den  bekannten  nur 
wenig  neue  züge  hinzukommen :  es  regnet  dort  wein,  die  dach- 
rinnen  spenden  trauben,  käsekuchen  und  brei,  während  auf 
den  bäumen  im  gebirge  bratwürste  wachsen.  In  den  ßovQto- 
jtBQöac  des  Metagenes  ^) ,  vielleicht  einer  parodie  auf  das  eben 
erwähnte  stück,  berichten  die  den  Persern  nachäffenden  Thurier 

1)  Meineke,  Fragm.  II,  1  p.  299. 

>)  Dahin  spricht  sich  auch  Bergk,  Comm.  de  rel.  com.  Att  p.  140 
aas:  Plane  persnasnm  habeo  non  ipsos  poetas  comicos  vennBtam  hano 
imaginem  finxisBe,  sed  popnlum  Atticum  fabalam  qoandam  de  fatora 
felicitate  anreoque  saecnlo  reversaro  a  patribus  traditam  diu  fovisae  et 
hac  spe  in  anrnmis  calamitatibnB  se  consolatos  esse:  commode  igitnr 
poetae  hanc  fabnlam  lepide  exomaverant. 

3)  Meineke,  Fragm.  II,  1  p.  315. 

«)  Meineke,  Fragm.  II,  2  p.  753. 


SCHLARAFFENLAND.  395 

von  den  unteritalischen  flttssen  Crathis  und  Sybaris  dieselben 
Wunderdinge  y  wie  sie  dort  persischen  Aussen  angedichtet  sind. 
Schliesslich  sind  noch  die  üeiQifvsg  des  Nicophon  ^)  zu  nennen, 
in  denen  es  mehl  schneit,  brote  tröpfelt  und  brei  regnet. 

Worauf  sich  die  fabelhaften  dinge  in  den  verlorenen 
Tayaviöral  des  Aristophanes  *)  bezogen  haben ,  ist  aus  der 
kurzen  andeutung  bei  Athenaeus  nicht  zu  ersehen. 

Eine  zweite  quelle  ähnlicher  utopischer  Vorstellungen 
unter  dem  griechischen  volke  waren  die  wunderbaren  berichte 
der  geographen.  Länder  aller  himmelsricthtungen ,  soweit  sie 
über  die  grenzen  einer  genaueren  kenntnis  hinauslagen,  wur- 
den mit  den  seltsamsten  gebilden  der  phantasie  ausgeschmückt, 
und  vor  allem  war  es  ^das  fabelhafte  land  im  Südosten,  das 
land  der  Inder,  wo  die  üppigste  bildungskraft  der  natur  die 
menschliche  einbildungskraft  selbst  zur  wetteifernden  fort- 
Setzung  ihrer  wunderschöpfungen  aufzufordern  schien' 3).  Vieles, 
was  der  Grieche  früher  fllr  fabel  und  lüge  erklärt  haben 
würde,  konnte  er  hier  mit  eigenen  äugen  sehen,  und  in  folge 
dessen  war  er  geneigt,  nun  auch  manches  andere  unglaubliche, 
das  ihm  von  den  Indem  erzählt  wurde,  fllr  wahr  zu  halten. 

Unter  den  ältesten  geographen  Indiens  sind  namentlich 
drei  zu  nennen:  Scylax,  Ctesias  und  Megasthenes,  von  denen 
für  uns  Ctesias  von  besonderem  Interesse  ist.  Derselbe,  ein 
Zeitgenosse  Xenophons  und  leibarzt  des  Perserkönigs,  war 
nach  dem  einstimmigen  Zeugnisse  der  alten  in  seinem  buche 
^Tv6ixd^)y  das  wir  aus  einem  auszuge  des  Byzantiners  Photius*) 
kennen,  weniger  bestrebt,  eine  beschreibung  Indiens  zu  liefern, 
als  vielmehr  eine  menge  der  unglaublichsten  Wunderdinge 
aufzuhäufen.  Wenn  nun  auch  neuere  forschungen  gezeigt 
haben,  dass  dieses  urteil  des  altertums  wesentlich  zu  be- 
schränken sei,  dass  das  werk  des  Ctesias  in  seiner  ursprüng- 
lichen gestalt  auch  sehr  wertvolle  notizen  über  das  alte  Indien 


0  Meineke,  Fragm.  II,  2  p.  851. 

3)  Meineke,  Fragm.  II,  2  p.  1158. 

3)  Erwin  Rohde,  Der  griechische  roman  und  seine  Vorläufer,  Leipz. 
1876,  8.  176. 

*)  398  V.  Chr.  verfasst,  8.  Lassen,  Ind.  altertnmskunde  II,  s.  637. 

^)  Photii  bibliotheca  ed.  J.  Bekker,  Berlin  1824.  —  Ctesiae  frag 
menta  illastr.  a  C.  Maellero  in  Herod.  ed.  Dindorf,  Paris  1844. 


396  POESCHEL 

enthielt  ^ ,  so  sind  uns  doch  in  dem  exoerpte  des  gramma- 
tikers,  sowie  in  den  übrigen  fragmenten  hauptsftchlieh  nur  die 
Seltsamkeiten  aus  seiner  darstellung  eben  wegen  ihres  beson- 
deren reizes  überliefert 

Da  Gtesias  selbst  nie  in  Indien  gewesen,  so  war  seine 
einzige  quelle  das,  was  er  aus  dem  munde  der  Perser  erfahr; 
diese  aber  hatten  eine  klare  Vorstellung  nur  von  den  ihnen 
zunächst  liegenden  gegenden  Indiens,  wogegen  über  das  femer 
liegende  die  ungeheuerlichsten  erzählungen  im  umlaufe  waren. 
Zum  teil  lag  denselben  wirklich  etwas  wahres  zu  gründe,  das 
aber  durch  die  Überlieferung  von  mund  zu  munde  bis  ins  fabel- 
hafte übertrieben  war.  Wenn  z.  b.  Gtesias  eine  quelle  flüssi- 
gen goldes  erwähnt,  aus  welcher  jährlich  100  irdene  krfige, 
jeder  ein  talent  fassend,  gefüllt  werden,  in  denen  das  gold 
dann  erstarrt,  während  aus  der  tiefe  des  brunnens  wander- 
kräftiges eisen  geschöpft  wird  2):  so  ist  der  sinn  dieser  dar- 
stellung nach  Lassen ')  der,  dass  goldhaltige  erze  geschmolzen 
und  das  von  ihnen  a])gelöste  gold  ausgeschöpft  wurde.  Zum 
teil  waren  es  auch  indische  mythen  und  märchen,  die  man  für 
tatsachen  hinnahm  und  nun  als  solche  in  die  ernsthafte  be- 
schreibung  des  landes  einreihte.  Schwanbeck  ^)  hat  nachge- 
wiesen, dass  die  cixvjtoöeg,  xwoxig)aXoi,  fiovdfifioroi  eto, 
welche  Gtesias  und  Megasthenes,  letzterer  eingestandenormassen 
der  autorität  der  brahmanen  folgend,  unter  den  bewohnern 
Indiens  mit  aufführten,  geschöpfe  der  phantasie  aus  indischen 
epen,  namentlich  dem  Mahäbh&rata  und  R&mäyana  sind. 
Ebenso  konnte  man  die  auch  in  Indien  umgehenden  sagen 
von  einem  goldenen  Zeitalter,  wie  z.  b.  Onesicritos^)  eine  solche 
berichtet,  für  Wirklichkeit  halten  und  jenes  land  selbst  in  ein 
gegenwärtiges  Utopien  verwandelu.  Onesicritos  erfahr  nämlich, 
als  er  von  Alexander  dem  grossen  mit  einer  gesant«chaft  an 
die  indischen  brahmanen  {YVfiPoöoq)iöral)  beauftragt  worden 
war,  im  gespräch  mit  dem  berühmten  Calanus:  vor  alters  sei 
alles  bedeckt  gewesen  mit  gersten-  und  Weizenmehl,  wie  jetzt 

*)  Lassen  a.  a.  o.  II,  s.  659  f. 

>)  Photii  bibl.  ed.  Bekker  p.  45a,  4t;   Müller,  Fragin.  $  4. 

3)  a.  a.  o.  II,  8.  639. 

*)  De  Megasthene,  Bonn  1845,  p.  64  sq. 

»)  Strabo  XV,  64. 


SCHLARAFFENLAND.  397 

mit  staub,  die  quellen  flössen  ausser  von  wasser  auch  von 
milch,  honi^y  wein  und  öl;  als  aber  die  menschen  in  folge  des 
Überflusses  gottlos  wurden,  entzog  ihnen  Zeus  all  diese  wol- 
taten,  und  unter  mühe  und  arbeit  musten  sie  nun  ihr  leben 
liinbringen.  Solche  erzähluugen  waren  vielleicht  die  Ursache, 
wenn  Ctesias  von  einem  mächtigen  see  berichtet,  dessen  ober- 
flache  von  öl  gebildet  wird,  an  gute  dem  sesam-  und  nussöl 
weit  überlegen^),  oder  wenn  er  einen  honigfluss  aus  einem 
felsen  entspringen  lässt^).  Von  einer  weinquelle  in  Indien 
lesen  wir  nichts,  dagegen  erwähnt  Ctesias  eine  solche  auf 
Naxos^). 

Vor  allem  aber  waren  hierbei  die  indischen  sagen  von 
dem  lande  der  nördlichen  (Uttara)  Kurus  von  einfluss.  Dieses 
land,  für  welches  ursprünglich  eine  wirkliche  geographische 
grundlage  vorhanden  war,  fiel  sehr  früh  der  poesie  anheim, 
und  man  dachte  sich  in  ihm  die  zustände  des  ersten  der  vier 
iuga,  des  goldenen  weltalters,  als  foi-tbestehend.  Aus  einer 
langen  beschreibung  in  Rämäyana  gibt  Lassen^)  die  haupt- 
punkte  an :  '  Das  Uttara  Euru  ist  das  land  ungestörter  schöner 
genUsse,  nicht  zu  kalt,  nicht  zu  warm,  von  tod  und  krankheit 
frei,  kummer  und  sorgen  sind  dort  unbekannt,  die  erde  ist 
staublos  und  wolriechend,  die  flüsse  strömen  im  goldenen 
bett  und  rollen  statt  des  kiesels  perlen  und  edelsteine;  die 
bäume  tragen  nicht  nur  immer  fruchte,  auch  stofle  und  kleider 
aller  färben  wachsen  auf  ihnen,  und  jeden  morgen  hangen  ihre 
zweige  voll  der  schönsten  frauen,  die  durch  einen  fluch  des 
Indra  jeden  abend  wider  sterben  müssen.  Dort  wohnen  ausser 
den  nördlichen  Kurus  die  halbgötter  aller  art  in  ewiger  freude, 
auch  die  sieben  grossen  heiligen  der  vorweit  etc.'  Eine  er- 
zählung  von  diesem  lande,  aus  dem  indischen  übersetzt,  fand 
Stanislas  Julien^)  auch  in  einer  chinesischen  encyclopädie  des 
16.  Jahrhunderts:    Wohin  das  äuge  nur  blickt,  tausende  der 


')  Bekker  p.  46b,  18;   Müller  §11. 

»)  Bekker  p.  46  b,  41;   Müller  $  13. 

3)  Bekker  p.  46  a,  33;  Müller  §  10:  xal  iv  NaS(p  xQfivriv  (elval 
(prjaiv),  il^  7jg  olvog  ivloxs  ^et  xal  fxa)M  ijSvg. 

*)  Zeitschr.  f.  d.  k.  d.  Morgenlandes  U,  s.  63  f. 

B)  Avadänas,  Contes  et  apologues  Indiens,  trad.  de  St  Julien, 
Paris  1862,  II,  p.  120  no.  CXIL 


398  POESCHEL 

kostbarsten  dinge  von  einer  bezaubernden  Schönheit,  reiche  ge- 
wänder  und  glänzende  Schmucksachen  auf  den  bäumen,  lust- 
wandelnde schöne  frauen,  die  ihre  reize  unverhtillt  zur  Behau 
tragen.  Die  einwoimer  gemessen  von  allem  nach  herzenslust 
aber  ohne  leidenschaft ,  und  ohne  bedauern  scheiden  sie  nach 
dem  genusse.^) 

Lange  bevor  man  den  namen  Indiens  in  Griechenland 
kannte,  war  unter  anderen  sagen  auch  die  von  den  Uttara 
Kurus  nach  dem  occident  gewandert.  Den  Indem  folgend, 
dachten  sich  die  Griechen  im  fernen  norden  das  glückselige 
volk  der  Hyperboreer  jenseits  der  rhipäischen  berge,  wie  die 
Uttara  Kurus  jenseits  des  Himalaya  wohnten.^)  Zur  zeit  des 
Megasthenes  wurde  der  indische  Ursprung  der  sage  längst 
nicht  mehr  gefühlt,  und  so  war  es  eine  unbewuste  rückkehr 
zum  ausgangspunkte,  wenn  dieser^)  die  Uttara  Eurus  mit  den 
Hyperboreern  identificierte,  indem  er  von  Hyperboreern  in  In- 
dien berichtete^  welche  1000  jähre  alt  würden,  wie  auch  jenen 
im  Mahäbhärata  ein  alter  von  1000  und  10000  jähren  beige- 
legt wird.  Auch  Gtesias  waren  diese  sagen  bereits  wol  be- 
kannty  wie  aus  der  erwähnung  des  wunderbaren  flnsses  Silaa, 
entsprechend  ind.  Qila  oder  Qailodä,  der  in  dem  Uttara  Kam 
fliessen  soll,  hervorgeht.-^)  Sie  schwebten  ihm  auch  vor  bei 
den  400  jähre  lebenden  Macrobiem,  oder  wenn  er  von  den 
Indern  überhaupt  erzählt,  dass  sie  frei  von  köpf-  und  zahn- 
weh,  von  augenkrankheiten,  geschwüren  u.  s.  w.  leben  und  ein 
alter  von  120 — 200  jähren  erreichen.*) 

Von  den  übrigen  Wunderdingen  des  Gtesias  sei  nur  noeh 
hervorgehoben,  dass  nach  ihm  in  Indien  auch  eine  art  Wün- 
schelrute existiert,  nämlich  die  wurzel  des  Parebusbaumes:  ein 
stück  davon,  nur  eine  spanne  lang,  zieht  alles  an  sich,  in 
dessen  nähe  es  gebracht  wird,  gold,  silber,  erz,  edelsteine  u.  s.  w.. 


*)  Liebrecht  in  Orient  und  occident  I,  b.  135  findet  geradezu  hierin 
'eine  art  Schlaraffenland'  geschildert 

^)   Schwanbeck,  De  Megasthene  p.  63. 

3)  Strabo  XV,  p.  701. 

*)  Vgl  Lassen  a.  a.  o.  II,  s.  652  f. 

B)  Bekker  p.  47  a,  11;  Müller  S  t5.  —  Wie  auch  der  name  Uttara 
Kum  sich  in  mancherlei  entstellongen  bei  Griechen  and  Rümem  findet, 
darüber  vgl  Schwanbeck,  de  Meg.  p.  70  nota  64. 


«,«j 


SCHLARAFFENLAND.  399 

eine  eile  davon  zieht  sogar  widder  und  vögel    an,    für    die 
Yogeljagd  besonders  eine  wesentliche  erleichterung.^ 

Wie  in  folge  dieser  geographischen  fabeleien  Indien  all- 
mählich geradezu  zu  einem  märchenhaften  lande  des  Über- 
flusses und  müssigganges ,  also  zum  vollständigen  schlaraffen- 
lande  wurde ,  dafür  kann  eine  rede  des  Dio  Ghrysostomus 
(gegen  ende  des  ersten  Jahrhunderts  nach  Chr.)  an  die  ein- 
wohner  der  Stadt  Gelaenae  in  Phrygien  zum  beweise  dienen. 
Chrystomus^)  preist  die  Vorzüge  der  Stadt  Gelaenae:  nirgends 
führten  menschen  ein  so  glückliches  leben  als  sie,  mit  aus- 
nähme freilich  der  Inder.  Denn  dort  flössen  bekanntlich  die 
ströme  nicht  wie  bei  ihnen  von  wasser,  sondern  von  milch, 
krystallhellem  weine,  honig  und  öl,  und  zwar  einen  monat  für 
den  könig  —  darin  bestehen  die  ihm  gewährten  abgaben  — , 
die  übrige  zeit  aber  für  das  volk.  Die  pflanzen  dieses  frucht- 
barsten aller  länder  sind  köstlicher  und  grösser  als  anderswo, 
ein  massiger  lufthauch  weht  beständig,  und  die  temperatur 
(räv  cLBQcov  Tj  xQäoig)  ist  immer  dieselbe,  am  ehesten  dem  be- 
ginnenden Sommer  vergleichbar;  dazu  ist  der  himmel  dort 
klarer  und  die  gestirne  zahlreicher  und  glänzender.  Unbe- 
kannt mit  krankheit  und  armut,  in  stets  blühender  Jugend  und 
Schönheit  leben  die  menschen  über  400  jähre,  arbeit  ist  ihnen 
fremd,  aber  auch  gewalt  und  list  Spielend  und  lachend  wan- 
deln sie  täglich  mit  weib  und  kind  zu  strömen  und  quellen, 
erquicken  sich  nach  belieben  an  warmen  und  kalten  bädern, 
und  liegen  dann  singend  auf  blumenreichen  wiesen  unter  schat- 
tigen bäumen;  wollen  sie  von  deren  fruchten  gemessen,  so 
neigen  sich  die  äste  zu  ihnen  hernieder,  und  zahllose  vögel 
lassen  von  den  zweigen  liebliche  weisen  herabtönen.  Allein 
trotz  all  dieser  herrlichkeit  ist  es  ein  verachtetes  volk,  das  der 
Inder,  und  gemieden  von  den  übrigen:  rovro  dh  ari/iov  iotiv 
^IvöcQV  x6  yevog,  ot  rt  aXXoc  (phvyovöiv  avrovg. 

In  ähnlicher  weise  wie  Indien  galt  den  Griechen  auch 
das  nach  Herodot  den  südwestrand  der  erdscheibe  bildende 
land  der  AlMoneg  /laxgoßioi  für  eine  art  Schlaraffenland. 
Selbst  die  götter  begaben  sich  bisweilen,  wie  Homer  erzählt  5), 

»)  Becker  p.  47  a;   Müller  §  18. 

«)  Or.  35  p.  70  E  —  72  R. 

>)  II.  a  423.    V'  205.    Od.  a  22. 


400  POESGHEL 

zu  den  fernwohnenden  untadlichen  Aethiopen,  um  sich  an  den 
ihnen  dort  reichlicher  als  anderswo  dargebrachten  hekatomben 
zu  erfreuen;  und  für  den  ermüdeten  und  der  Stärkung  bedflrf- 
tigeu  Helios  entstieg  daselbst  allnächtlich  ein  reiches  mahl  dem 
schoosse  der  erde.^)  Das  land  ist  an  gold,  wildwachsenden 
fruchtbäumen  und  anderen  den  wolstand  mehrenden  dingen 
gesegnet  y  seine  bewohner  sind  die  grössten  und  schönsten 
unter  allen  menschen,  und  durch  den  gebrauch  einer  wol- 
tätigen  quelle,  von  der  ein  geruch  wie  von  yeilchen  ausströmt^ 
wurden  sie  120  jähr  alt  und  darüber.  Der  weg  zu  ihnen  aber 
führt  durch  die  unwirtlichsten  gegenden,  und  es  rächte  sich 
bitter,  als  der  eroberungslustige  Gambyses  sich  in  frevelhaftem 
übermute  auch  dieses  land  zu  unterwerfen  suchte.^) 

In  weiter,  rätselhafter  ferne  also  flössen  dem  Oriechen 
sage  und  geographie  in  einander,  und  dadurch  war  es  ihm  ein 
leichtes,  auch  all  seine  träume  von  vollendeter  tugend  und 
glUckseligkeit  aus  dem  bereiche  der  blossen  luftgebilde  herab- 
zuziehen und  in  jene  entlegenen,  aber  doch  anscheinend  nicht 
unerreichbaren  gegenden  zu  localisieren.  So  dachte  sieh 
Theopomp  ^)  seine  MeQoniq  y^  als  ein  unermessliches  festland 
jenseits  des  oceans,  der  die  bekannten  erdteile  nur  als  inseln 
umschliesst;  so  erzählte  Jambulus^)  von  einer  glückseligen 
insel  mit  wol wollenden,  gottesftirchtigen  bewohnem  fem  im 
Süden  Aethiopiens,  und  vieles  derartige  mehr.^) 

Zu  Lucians  zeit  lag  somit  eine  reiche  fülle  ntopiaeher 
Züge  vor,  in  der  literatur  wie  im  munde  des  Volkes ,  und  die 
in  seiner  'Wahren  gescbichte'  beschriebene  insel  der  seligen 
ist  nichts  anderes  als  eine  parodie  auf  allbekanntes  wie 
das  ganze  schriftchen  selbst,  das  insofern  auf  Originalität 
keinen  anspruch  erhebt.     Gleich  im  anfang  stellt  es  Lneian 

0  Diese  ijXlov  t^ane^^a,  welche  'ein  nUchtemes  Zeitalter  zu  einer 
fleischbedeckten  wiese  nmdeatete,  auf  der  die  Aethiopen,  dank  einem 
frommen  (von  der  jedesmaligen  obrigkeit  verübten)  betrüge,  tlg^eh 
offene  tafel  hielten,  ward  bei  den  Hellenen  sprichwörtlich  zur  beieloh- 
nung  eines  kostbaren  besitzes*.    Vgl.  H.Stein  zu  Hdt  III,  18. 

')  lieber  die  Ald-loneg  fjiaxQoßtoi  und  die  expedition  des  CambysM 
vgl.  Hdt  17—25  und  114. 

»)  Strabo  VII,  p.  299. 

*)  Diodor  II,  55—60. 

^)  Vgl.  £.  Rohde,  Der  griech.  roman  s.  167—287. 


SCHLARAFFENLAND.  401 

als  seine  aufgäbe  hin,  dass  alles ,  was  er  vorbringen  werde, 
eine  komische  anspielung  enthalten  solle  auf  den  oder  jenen 
der  alten  dichter,  geschichtschreiber  oder  philosophen,  die  eine 
menge  wunderbarer  dinge  tiberliefert  hätten;  besonders  nam- 
haft macht  er  im  anfange  nur  Gtesias  von  Gnidus  und  Jambu- 
lus,  und  erwähnt  gelegentlich  noch  Homer,  Herodot  und  Ari- 
stophanes,  da  der  leser  bei  der  allgemeinen  bekanntheit  dieser 
Sachen  all  die  anspielungen  leicht  herausfinden  werde.^ 

Auf  welche  weise  Lucian  auch  bei  Schilderung  seiner 
v^öog  T<3v  fiaxaQoov^)  diese  aufgäbe  durchgeführt  hat,  wird 
ein  näheres  eingehen  auf  dieselbe  zeigen.  Darum  versuchen 
wir  jetzt  als  abschluss  und  gewissermassen  Zusammenfassung 
der  uns  aus  dem  griechischen  altertume  bekannten  märchen- 
Züge  eine  Schilderung  dieser  insel,  wie  sie  sich  uns,  aus  dem 
rahmen  der  handlung  herausgelöst,  ungefähr  darstellt: 

Die  insel  ist  breit  und  flach,  mit  zahlreichen  grossen  und 
gegen  die  fluten  geschtitzten  buchten.  Klare  ströme  gleiten 
sanft  dem  meere  zu,  eine  leichte,  stissatmige  luft  ist  tiber  das 
land  ausgegossen,  und  ein  wunderbar  köstlicher  duft^)  verrät 
den  Schiffern  schon  weithin  die  nähe  der  inseL  Das  gestade 
mit  seinen  blumigen  gefilden  und  der  hain  hallen  wider  von 
dem  gesange  der  vögel.  Liebliche  lüfte  durchsäuseln  den 
wald  mit  sanftem  hauche,  so  dass  von  den  bewegten  zweigen 
fortwährend  ein  anmutiges  klingen  ertönt,  wie  von  flöten  an 
einsamem  orte  hervorgebracht.  Die  Stadt  der  seligen  ist  von 
lauter  gold,  von  smaragden  sind  ihre  mauern  ringsum,  ihre 
sieben  tore  jedes  aus  äinem  zimmetbaume  gearbeitet  Der 
boden  der  stadt  ist  von  elfenbein,  die  tempel  sind  von  beryll, 
und  die  gewaltigen  altäre  in  ihnen  von  einem  einzigen  ame- 
thyst.  Die  bäder  sind  grosse  glaspaläste,  die  mit  zimmet  ge- 
heizt werden,  und  statt  mit  wasser  ftlUt  man  die  wannen  mit 


*)  Ver.  bist.  I,  2:  xc5v  laTOQov/uivwv  %xaaxov  ovx  axw/Lupd^ttog 
TiQog  rivag  yvixtai  xdiv  naXaiotv  7ioii]Tm'  re  xal  avyyQa<piü)v  xal  <piXo- 
aoipmVf  noXXa  TS^aaria  xal  fjtv&wdrj  avyy6yQa(p6twv  ovg  xal  ovof/aatl 
av  eyQUifov,  ei  //^  xal  avxtp  aoi  ix  xrjg  dvayvojaetog  (pavelad-ai  efjifXXe. 

2)  Ver.  bist.  II,  5—29. 

')  Ver.  bist.  II,  5:  ^cfv/iaarjj  rig  arga,  olav  (prjalv  6  avyyQaipsvg 
HQoöozog  anot^eiv  rtjg  svöalfiovog  k^aßlag  xtX.  vgl.  Herod.  111,  Uli. 

Jiciträtrt!  eiir  goschiohte  der  deiitnohen  spraclic.    V.  26 


402  POESCHEL 

warmem  tau.  ^)  Auf  der  insel  wird  es  uiclit  nacht,  aber  auch 
das  volle  tageslicht  blendet  nicht,  sondern  eine  beleuchtung 
ähnlich  dem  Zwielicht  des  morgens  umfängt  das  land;  aueh 
kennt  man  dort  nur  6me  Jahreszeit,  ewigen  frühling,  und  nur 
6inen  wind,  den  zephyr.  Die  weinstöcke  tragen  12  mal  im 
jähre,  die  übrigen  Obstbäume  sogar  13  mal 2),  und  die  halme 
treiben  statt  der  weizenkörner  fertige  brode.  365  wasser- 
quellen umgeben  die  stadt,  ebenso  viel  honigquellen  ^  und  500 
quellen  wolriechenden  Öles,  wovon  auch  ein  breiter  ström  die 
Stadt  umfliesst,  der  tief  genug  ist,  dass  man  bequem  darin 
schwimmen  kann,  ausserdem  7  milch-  und  8  weinströme.  Die 
seligen  selbst  sind  unkörperlich,  haben  aber  den  schein  and 
alle  eigenschaften  von  körpem,  niemand  wird  älter,  sondern 
jeder  bleibt  so  alt  als  er  beim  betreten  der  insel  war.  Ihre 
kleidung  besteht  aus  feinen  purpurnen  spinnweben.  Der 
herscher  (Rhadamanthys)  entscheidet  mit  gerechtem  urteile 
ihre  zwistigkeiten  und  straft  bei  schweren  vergehen  mit  geisse- 
lung  durch  malven  und  verstossung  an  den  ort  der  gottlosen; 
sonst  sind  rosenketten  {qoöivoi  öTiq>avoi)  ihre  stärksten 
fesseln.  Ihr  verkehr  unter  einander  entbehrt  jeder  schranke: 
vor  aller  äugen  fröhnen  sie  der  leidenschaft,  ohne  dadurch 
anstoss  zu  erregen,  die  weiber  sind  ihnen  gemein,  und  es  wird 
darum  keiner  auf  den  andern  eifersüchtig.  Die  gelage- werden 
ausserhalb  der  stadt  auf  dem  elysischen  gefilde  abgehalten, 
einer  herrlichen  wiese,  rings  umgeben  von  dichten  Waldungen 
aller  art,  welche  den  speisenden  schatten  gewähren.  Da  liegen 
sie  nun  auf  blumenteppichen ,  und  zephyre  bedienen  sie  mit 
allem,  nur  mit  dem  weineinschenken  nicht  Doch  bedürfen  sie 
dabei  auch  keiner  hilfe,  da  um  die  tafehi  herum  bäume  von 
krystallhellem  glase  stehen,  die  als  fruchte  trinkgefässe  von 
allen  gestalten  und  grossen  trafen,  ein  jeder  pflückt  sich  ein 
oder  zwei  gläser  ab,  und  diese  füllen  sich  sofort  mit  wein. 
Nachtigallen  und  andere  gefiederte  Sänger  sammeln  in  ihren 


0  Die  schon  vom  scholiasten  bemerkte  ähnlichkeit  der  goldenen 
Stadt  mit  dem  himmlischen  Jerusalem  (Apocal.  21,  10  ff.)  wird  jetst  all- 
gemein als  zufällig  bezeichnet. 

>)  Auch  hierfür  etwas  analoges  Apocal.  22,  2;  frAov  ^oi^c»  noiovv 
xui^novq  öwösxa,  xaxa  fiijva  ^Ixaaxov  unoöiöovv  rov  xuQnov 
airov. 


SCHLARAFFENLAND.  403 

schnäbeln  blumen  ron  den  umliegenden  wiesen  und  lassen  sie 
dann  auf  die  zecher  herabschneien,  indem  sie  mit  gesang 
über  ihren  häuptem  dahinfliegen.  Dichte  wölken  saugen  duf- 
tendes 61  aus  jenen  quellen  und  dem  ströme ,  und  über  dem 
gelage  schwebend,  lassen  sie  unter  dem  leichten  drucke  der 
lüfte  einen  feinen  tau  herabrieseln.  Chöre  von  knaben  und 
Jungfrauen y  sowie  von  schwanen,  schwalben  und  nachtigallen 
sorgen  durch  ihren  gesang,  und  der  hain  durch  sein  flöten  ftir 
musik  beim  mahle.  Was  aber  am  meisten  ihren  frohsinn  er- 
höht, das  sind  zwei  quellen,  welche  den  ort  des  gelages  um- 
fliessen,  die  quellen  des  lachens  und  der  lust;  aus  beiden 
trinken  sie  alle  bei  beginn  der  mahlzeit,  und  bringen  dann 
die  ganze  übrige  zeit  fröhlich  und  lachend  hin. 

Auch  im  heutigen  Griechenland  sind  solche  erzählungen 
noch  lebendig,  vor  allem  wird  die  Seligkeit  des  paradieses 
vom  Yolke  durchaus  sinnlich  vorgestellt  und  nähert  sich  somit 
dem  paradiese  des  koran.  N.  G.  Polites,  welcher  in  seiner 
MeXirrj  ijtl  rov  ßlov  rcov  vsooreQcov  ^EXX^vcov,  fiegog  K ,  hv 
"A^vaic,  1874,  s.  407—412  hierüber  handelt,  führt  als  belege 
hierfür  ein  kyprisches  Volkslied  und  ein  naxisches  märchen 
an.  Schon  die  kirchenräter  sahen  sich  genötigt  dieser  volks- 
auffassung  ein  gewisses  Zugeständnis  zu  machen  ^  indem  sie, 
wie  z.  b.  Johannes  Damascenus,  das  paradies  ex  analogia 
hominis  sinnlich  und  geistig  zugleich  {alö&rjrov  xal  vorjftov) 
darstellten.  Völlig  materiell  ist  Basileios  des  grossen  (f  379) 
Schilderung,  jibqX  jtaQaödöov  II,  348 :  xal  ^  yij  6h  ixelvtj  nlov 
xal  (laXaxfj,  xal  oXcog  gsovoa  fisXi  xal  yaXa,  xal  jtQog  jtaöav 
xaQJtoyovlav  ijtiTfjöela '  vöaoc  yovifiairdTocg  xara^^vrog'  JtsQi- 
xaXXi] ,  xal  tjöea  rä  vöara,  xal  CipoÖQa  Xsjträ  xal  6iag)av?j, 
ütoXv  fihv  l^  6y)ea>g  sxovra  ro  tsqjcvov,  jtXsov  6h  rov  regjtvov 
To  (Dq)6Xi(iov  jcaQsxo/ieva. 

Wenn  das  volk  von  einer  insel  der  seligen  (ro  ptjöl  rcov 
/laxoQcov)  spricht,  so  geschieht  dies  mit  bezug  auf  die  Alexan- 
dersage, welche  noch  jetzt  im  volksmunde  ist;  und  zwar 
scheinen  diese  erzählungen  auf  eine  oder  mehrere  vulgär- 
griechische bearbeitungen  des  Pseudocallisthenes  zurückzu- 
gehen.^) 

*)  Letztere  notiz  verdanke  ich  gütiger  mitteilung  des  herm  prof. 

26* 


404  POESdHEL 

IL 

Das  märchen  im  romanischen. 

Wann  und  wie  die  Verpflanzung  jener  märchenhaften  Vor- 
stellungen eines  wunschdaseins  auf  italischen  boden  und  von 
da  in  die  übrigen  romanischen  länder  stattgefunden  hat^  ent- 
zieht sich  der  controUe.  Vereinzelte  spuren  von  ihnen  finden 
sich  schon  bei  römischen  dichtem.  Die  werte  Ovids  bei  seiner 
Schilderung  des  goldenen  Zeitalters  Met.  I,  111  ff.: 

Flumina  iam  lactis^  iam  flamina  nectaris  ibant, 
Flavaque  de  viridi  stillabant  ilice  mella. 

sind  sicher  nicht   mit   einigen  interpreten   als  bloss  bildliche 

bezeichnungen    materiellen    Überflusses    schlechthin ,    sondern 

wirklich  als  das  zu  fassen,  was  sie  besagen. 

Fast  genau  dasselbe  lesen  wir  bei  Horaz  in   dem  Hede 

auf  Bacchus,  Garm.  II,  19,  9 — 12: 

Fas  pervicacis  est  mihi  thyiadas 
Vinique  fontem  lactis  et  nberes 
Gantare  rivos  atque  tranclB 
Lapsa  cavis  iterare  mella. 

Ein  weiterer  beweis  dafür,  in  wie  verschiedenen  bezügen  diese 
Vorstellungen  Verwendung  fanden. 

Selbständig  sehen  wir  das  märchen  Jahrhunderte  lang 
nicht  wider  auftreten,  einzelne  züge  flüchten  sich  in  grössere 
sagen  wie  in  die  Alexandersage,  die  sage  vom  priester  Johan- 
nes u.  a.;  sie  dort  zu  verfolgen,  würde  uns  zu  weit  führen. 

Dem  folgenden  schicken  wir  ein  wort  über  die  etymolo- 
gie  des  in  den  romanischen  sprachen  als  bezeichnung  fttr 
Schlaraffenland  besonders  üblichen  namens  voraus:  lat  Cuca- 
nia,  ital.  Guccagna  (span.  Gucana),  franz.  Goquaigne,  später 
Gocagne,  altengl.  Gokaygne,  wozu  dann  auch  niederL  Gockaen- 
gheu  und  das  deutsche  adjectiv  kokanisch  (gewant  bei  Helb- 
ling  VIII,  738)  kommen. 

Mannigfache   ableitungen  dieses  wertes    sind    aufgestellt 

Bernhardt  Schmidt  in  Freibarg.  —  Belege  fQr  das  Vorhandensein  komi- 
scher darstellnngen  eines  wunschlandes  vermag  ich  leider  nicht  bdsa- 
bringen,  doch  ist  mir  von  hier  lebenden  griechen,  den  berren  dr.  Pro- 
todikos  aus  Faros  und  Kyroponlos  aus  Kastoria  in  Macedonien  auf  das 
glaubhafteste  versichert  worden,  dass  man  sich  im  volke  mit  grosser 
Vorliebe  von  einem  solchen  erzähle. 


SCHLARAFFENLAND.  405 

worden.    Der  Vocabularlo  universale  della  lingua  italiana  hält 
dasselbe  ftlr  illyrischen  Ursprungs,  entstanden  aus  kücha,  auf- 
enfhalt,  wohnung,    und  göjan,  reich,  lustig,  friedlich   (ricco, 
allegro,  tranquillo),  es  bedeute  demnach  aufenthalt  glücklicher 
leute!  Jac.  Grimm,  Gedichte  des  mittelalters  auf  Friedrich  I.^) 
führt  den  namen  zurück  auf  das  deutsche  kuchen,  ahd.  chuocho, 
weil  in  diesem  lande  die  häuser  mit  kuchen  und  fladen  ge- 
deckt seien.    Hiermit  erklärt  sich  Diez,  Etymologisches  Wörter- 
buch der  romanischen  sprachen,  einverstanden,  leitet  aber  das 
wort  aus  romanischer  quelle  ab:    kuchen   heisst   nämlich  cat. 
coca,    churwälsch    cocca,    langued'oc  coco,    pic.  couque,    von 
coquere,  also  gebackenes;  auch  sei  das  italienische  kinderwort 
cucco,  ei,  hier  in  anschlag  zu  bringen,  weil  es  an  gesottenen  eiern 
im  schlaraflFenlande  gewis  nicht  fehle.  Dieser  etymologie  widerum 
gibt  Littrö,  Dict.  de  la  langue  frangalse,  seinen  beifall  (wobei  er 
jedoch  den  von  Diez  aufgefUhiiien  Wörtern  die  bedeutung  cui- 
sine  beilegt!),    und  mit  ihr  berührt  sich   auch  Mones  Vermu- 
tung 2),  welcher  Coquaigne  mit  coquin  zusammenstellt    Coquin 
ist  nämlich  nach  Litträ  identisch  mit  spätlatein.  coquinus,  einer 
Weiterbildung  von  coquus,  bedeutete  also  wahrscheinlich  Weich- 
ling (vgl.  engl,  cockuey,  das  verzärtelte  Stadtkind)  und  sank 
erst  allmählich  zu  seiner  heutigen  bedeutung    'celui  qui  a  un 
caract^re  bas  et  fripon',  d.  i.  schuft,  herab.    Cucania  wäre  da- 
nach das  land  der  Weichlinge,   des  erschlaffenden  Überflusses. 
Alle  diese  ableitungen  gehen  im  letzten  gründe  auf  lat.  coquere 
zurück,  und  es  hindert  nichts,  dass  man  mit  M^sangöre,  Dict. 
des  proverbes,  das  wort  auch   in   seiner  bedeutung  direct  auf 
jenes  verbum  zurückführe,  weil  ja  doch  gekochtes,  gebratenes 
und  backwerk  in  dem  lande  eine  hauptroUe  spielen.  —  End- 
lich hat  man  cocagne  auch  mit  einer  pflanze  gleichen  namens 
zusammenbringen  wollen  als  eine  anspielung  auf  den  wolstand, 
welchen  der  handel  mit  dieser  pflanze  mit  sich  bringe  (Mazon, 
Dict.  frang.). 

Die  erste  selbständige  darstellung  eines  wunschlandes  im 
mittelalter  enthält  ein  französisches  gedieht  des  13.  jahrhun- 


•)  Jacob  Grimm,  Kleinere  schritten  III,  b.  7b. 
^)  Uebersicht  der  niederl.  volkslit.  no.  480,  s.  3oa. 


406  POESCHEL 

derts,  das  Fabliau  de  Goquaigne^),  und  hier  nun  wider  mit 
dem  vollen  humor,  den  wir  bei  den  griechischen  komikem 
entfaltet  sahen.  Was  aber  alles  früher  beigebrachte  dagegen 
nur  als  Vorstufen  erscheinen  lässt,  das  ist,  dass  für  all  die 
Wunderdinge  nun  auch  ein  eigenes  Wunderland  erdichtet  ist, 
dessen  name  nach  obiger  erklärung  sein  wesen  schon  hin- 
länglich charakterisiert  Dieser  fortschritt  in  der  entwicklung 
des  märchens  war  jedoch  schon  weit  früher  erfolgt,  wie  aas 
einer  anspielung  in  einem  lateinischen  gedichte  auf  Fried- 
rich L^)  hervorgeht,  einer  anspielung,  die  um  so  mehr  beweist^ 
je  versteckter  sie  ist.  Das  gedieht,  der  poesie  der  vaganten 
oder  goliarden  angehörend,  deren  schaaren  von  der  mitte  des 
12.  Jahrhunderts  über  das  ganze  abendland  nachweisbar  sind, 
führt  in  englischen  handschriften  den  titel  Gonfessio  Goliae 
und  wurde  nach  Giesebrecht  ^)  um  die  zeit  von  1162 — 64  zu 
Pavia  von  einem  fahrenden  kleriker  an  erzbischof  Reinald 
von  Göln  gedichtet.  Es  gibt  eine  lebendige  Schilderung  von 
dem  lustigen  leben  in  dem  ordo  vagorum,  wobei  der  Verfasser 
sich  selbst  als  primas  dieser  fröhlichen  gesellen  mit  den  werten 
vorstellt:  Ego  sum  abbas  Gucaniensis  et  consilium  meum 
est  cum  bibulis  et  in  secta  Decii  voluntas  mea  est  Wenn 
dies  nun  auch  in  der  tat  die  früheste  uns  erhaltene  spur 
dieses  namens  ist,  so  scheint  es  doch  kaum  zweifelhaft, 
dass  seine  entstehung  noch  weiter  zurückliegt,  und  dass  der 
dichter  auf  eine  allgemein  geläufige  Vorstellung  anspielte,  in- 
dem er  die  eigenschaften  jenes  fabelhaften  landes  auf  seinen 
Orden  übertrug,  der  ja  dieselben,  so  weit  es  überhaupt  mög- 
lich, zu  realisieren  bestrebt  war.  Vielleicht  verdankte  auch 
der  name  Gucania,  wie  dies  Giesebrecht  ^)  vom  namen  Golias 
vermutet,  seinen  Ursprung  dem  Jargon  der  französischen  Stu- 
denten, welche  die  bisher  wie  im  griechischen  unter  wechseln- 
den bezeichnungen  umgehenden  märchenzüge  unter  ihm  ver- 
einigten. Doch  lassen  sich  darüber  eben  nur  Vermutungen 
aufstellen. 


*)  Fabliaax  et  Gontes,  publ.  par  Barbazan,  nouv.   M.  par  M^n. 
Paris  1808,  IV,  p.  175. 

*)  Jacob  Grimm,  Abhandl.  d.  Berl.  akad.  1S43,  s.  236. 
3)  Allgemeine  monatsschrift  1853,  s.  364. 
*)  a.  a.  o.  8.  30. 


SCHLABAFFENLAND.  407 

Um  uns  ein  bild  vod  dem  schlaraffenlande  der  damaligen 
zeit  zu  entwerfen,  wird  es  am  besten  sein,  wenn  wir  uns  mit 
dem  inhalte  des  oben  erwähnten  fabliau  etwas  bekannt 
machen,  wodurch  wir  auch  die  offenbaren  Übereinstimmungen 
mit  dem  im  vorigen  abschnitte  angeführten  am  leichtesten  be- 
urteilen können: 

Goquaigne  ist  das  erklärte  land  der  faulenzer, 

Li  paYs  a  k  nom  Coquaigne, 
Qui  plas  i  dort,  plus  i  gaaigne; 

wer  bis  mittag  schläft,  bekommt  5V2  sou.  Die  mauern  der 
häuser  sind  von  barben,  lachs  (saumons)  and  anderen  fischen, 
die  dachsparren  von  stören,  die  ziegel  von  speck,  und  das 
lattenwerk  von  wursten.  Gebratene  gänse  wackeln  durch  die 
gassen,  von  einer  leckeren  brühe  gefolgt.  Ueberall  findet  man 
sauber  gedeckte  tafeln,  an  denen  man  zu  jeder  zeit  unentgelt- 
lich essen  und  trinken  kann,  was  man  sich  nur  herbeiwünscht 
Dort  läuft  ein  fluss,  von  dem  einen  ufer  bis  zur  mitte  mit 
rotem,  auf  der  anderen  seite  mit  weissem  weine,  so  dass  man 
ihn  gemischt,  aber  auch  jeden  für  sich  trinken  kann;  trink- 
gefasse  von  silber  und  gold  führt  der  ström  selbst  mit  sich. 
Sechs  Wochen  zählt  in  diesem  lande  der  monat,  die  woche 
selbst  aber  lauter  sonntage,  die  kirchlichen  feste  werden  4  mal 
im  jähre  gefeiert,  auch  4  carnevale  (quaresmiaux-prenant) 
gibt  es  dort,  dagegen  nur  eine  fastenzeit  (quaresme)  in  20 
Jahren,  in  der  erst  recht  alle  nur  erdenklichen  genüsse  sich 
darbieten.  Dreimal  in  der  woche  regnet  es  frischbackene 
toi-ten  und  gefüllte  borsen  holt  man  sich  vom  felde.  Die  men- 
schen sind  nicht  habgierig,  sondern  freundlich  und  zuvorkom- 
mend gegen  einander,  dies  zeigt  sich  namentlich  auch  in  ihrem 
verkehr  mit  frauen  und  Jungfrauen,  welche  alle  wunderschön 
sind.  Ganz  ähnlich  wie  bei  Lucian  braucht  man  auch  hier 
nicht  zorn  oder  tadel  zu  befürchten,  vielmehr  trägt  ein  leichtes 
leben    noch  ganz  besondere  ehre  ein.    Aber  auch  den  frauen 

ist  dieselbe  freiheit  gestattet: 

Et  B*il  avient  par  ayentare 
QQ*une  dame  mete  sa  care 
A  un  home  que  ele  voie, 
Ele  le  prent  en  mi  la  voie, 
Et  Bi  en  fet  sa  volonte. 
Ainsi  fet  Puds  l'autre  bont6. 


408  POESCHEL 

Tuchhändler  verteilen  monatlich  die  feinuten  Btoffe  und  ge- 
wänder  nach  jedes  belieben  unter  die  einwohner,  ebenso  die 
schuster  Schuhwerk  aller  art,  und  wenn  einer  300  paar  und 
darüber  verlangte,  er  würde  sie  bekommen.  Um  die  men- 
schen bei  fortwährender  Jugend  zu  erhalten,  wird  die  sage 
vom  Jungbrunnen  (la  fontaine  dejovent)*)  zu  hilfe  genommen, 
kein  mann  oder  weib  ist  so  alt  und  grau,  die  darin  nicht 
zum  alter  von  30  jähren  vei jungt  würden.  Ueber  die  läge  des 
landes  bemerkt  der  dichter  nur,  dass  kein  weg  noch  steg  zu 
demselben  führe,  er  schilt  sich  einen  toren,  dass  er  es  je  ver- 
lassen habe,  um  seine  freunde  zu  demselben  glücke  zu  führen, 
und  zieht  aus  dem  ganzen  die  moral: 

Qui  bien  est,  qa*il  De  se  remueve. 

Wie  er  selbst  aber  nach  Goquaigne  gekommen,  als  der  apostel 
von  Rom  ihn  zur  sühnung  einer  schuld  dorthin  gesnnt,  davon 
erfährt  man  nichts.  Dieser  einkleidung  nach  scheint  das  ge- 
dieht eine  Verspottung  lügenhafter  pilgermärchen  beabsiehtigt 
zu  haben,  was  auch  vielfach  der  zweck  deutscher  lügen- 
lieder  war,  2) 

Eine  zweite,  allerdings  nur  sehr  beiläufige  ausführung  des 
märchens  lesen  wir  um  die  mitte  des  nächsten  Jahrhunderts 
im  italienischen  und  zwar  bei  Boccaccio,  Decameron  gionu  8 
nov.  3.  Hier  wäre  eine  beziehung  zu  dem  voraufgehenden 
sehr  wol  möglich,  da  Boccaccio  bekanntlich  die  Stoffe  zu  seinen 
novellen  vielfach  den  contes  et  fabliaux  entlehnte.  Wahr- 
scheinlicher ist  es  indessen,  dass  Boccaccio  die  beschreibung 
seiner  contrada  di  Bengodi  (d.  i.  ubi  bene  gaudetur)  im  lande 
der  Basken  dem  munde  seines  volkes  entnahm.  Mindestens 
hätte  er  es  sonst  vortrefflich  verstanden,  derselben  ein  durch- 


*)  Sparen  der  sage  vom  jangbrannen  findet  Rohde,  D.  griech. 
roman  s.  206  f.  schon  in  der  Megoniq  des  Theopomp,  woselbst  der  genuss 
von  fruchten  stafenweise  verjüngt  bis  zum  kleinen  kinde  und  bis  zum 
endlichen  verlöschen  in  nichts.  Zu  dem  von  Rohde  und  an  den  von 
ihm  citierten  stellen  beigebrachten  wäre  hinzuzufügen  ep.  Johannis  regia 
Indiae  c.  28:  Si  quis  de  tonte  illo  ter  ieiunus  gustaverit,  nullum  ex  illa 
die  infiimitatem  patietur,  semperque  erit  quasi  in^aetate  XXX 
duorum  annorum,  quamdiu  vixorit  (s.  Zamcke,  Leipziger  nniversi- 
tatsprogramm  iS74,  s.  37). 

')  Vgl.  Uhland,  Schritten  zur  geschichte  der  dichtung  und  sage, 
111,  s.  228. 


^~  — 


SCHLARAFFENLAND.  409 

aus  national -italienisches  gepräge  zu  verleihen:  ein  berg  ron 
geriebenem  parmesankäse,  auf  dessen  gipfel  leute  unablässig 
damit  beschäftigt  sind,  Maccaroni  und  mehlklösse  (raviuoli)  in 
kapaunbrühe  zu  kochen  und  sie  dann  den  berg  herabzurollen, 
die  weinstöcke  werden  mit  bratwürsten  gebunden  etc. 

Während  Boccaccio  einen  eigenen  namen  ftlr  das  land  er- 
fand, drang  später  die  bezeichnung  Guccagna  auch  in  Italien 
allgemein  durch,  wie  dies  gedichte  aus  dem  17.  Jahrhundert 
und  der  noch  jetzt  ganz  geläufige  ausdruek  beweisen.  Auf 
ein  gedieht  aus  dem  anfange  des  17.  Jahrhunderts  macht  Mone, 
Anzeiger  VII,  s.  406  aufmerksam,  dasselbe  trägt  den  titel: 
Historia  nuora  della  cittä  di  Gucagna.  Data  in  luce  da  Ales- 
sandro  da  Siena  e  Bartolamio  suo  compagno.  In  Vinetia  et 
in  Vicenza.  Per  Fr.  Qrossi  1625  (4  bl.  in  kl.  8®).  Leider 
druckte  Mone  nur  den  anfang  ab:  7  mal  4  monate  zu  meer 
und  3  monate  zu  lande  muss  man  reisen,  um  nach  Gucagna 
zu  gelangen.  Ein  bewaffneter  hält  am  eingange  wache  und 
macht  die  ankommenden  mit  den  brauchen  des  landes  be- 
kannt: nie  dürfe  man  von  arbeit  sprechen,  nur  von  essen, 
trinken,  schlafen  u.  s.  w. 

Wie  volkstümlich  der  name  Guccagna  in  Italien  geworden 
war,  beweist,  dass  man  in  Neapel  auch  eine  alljährliche  öffent- 
liche Volksbelustigung  damit  bezeichnete,  deren  alter  ich  zwar 
nicht  genau  zu  bestimmen  vermag,  die  aber  doch  mindestens 
bis  in  den  anfang  des  16.  Jahrhunderts  zurückgeht,  da  Hans 
Sachs  dieselbe  kannte  (s.  unten).  Am  letzten  donnerstag 
vor  fastnacht  wird  eine  mit  federvieh,  wursten  und  ess- 
waaren  aller  art  beladene  pyramide  feierlich  durch  die  Strassen 
geführt  und  endlich  auf  dem  grossen  markte  dem  pObel  preis- 
gegeben, der  sich  nun  darum  prügelt.^)  Deshalb  nimmt  auch 
G6nin,  R6cr6at.  II,  89 2)  an,  das  wort  cuccagna  käme  von 
franz.  coq  und  bedeute  gleichsam  hahnengefecht ,  indes  nicht 
*die  balgerei,  sondern  der  freigebige  borg  ist  die  hauptsache 
dabei'  (Diez).  Liesse  sich  beweisen,  dass  dieser  scherz  bis 
wenigstens  in  den  anfang  des  12.  Jahrhunderts  zurückgehe,  so 


>)  IMlippi,  Dizionai'io  Italiano-'i'edesco;  Nie.  di  Castelli,  nuovo  diz. 
ital.-tcdesco,  b.  v. 

2)  Mir  ist  das  citat  nur  aus  Diez  s.  v.  Cuccagna  bekannt. 


410  POESCHEL 

wäre  Gäiiins  Vermutung  nicht  unmöglich,  wenn  auch  immer- 
hin sehr  unwahrscheinlich.  Hierauf  nun  bezieht  sich  eine  bur- 
leske im  siciiischen  dialect,  welche  Giuseppe  di  Montagna  aus 
Palermo  unter  Basiles  namen  verfasste,  gedruckt  zu  Palermo 
1674.  Fr.  Wilh.  Val  Schmidt,  Beitr.  zur  gesch.  der  romant 
poesie,  Berlin  1818  s.  84  f.,  teilt  nur  drei  zeilen  aus  derselben 
mit,  die  aber  genügen,  um  den  Zusammenhang  dieses  festes 
mit  der  Gittä  di  cuccagna  unzweifelhaft  zu  machen.^) 

Auch  in  Spanien  existiert  eine  sehr  ähnliche  yolksbelosti- 
gung  unter  dem  namen  Gucana:  an  der  äussersten  spitze  eines 
hoch  aufgerichteten,  mit  seife  bestrichenen  pfahles  werden 
cBswaaren  und  andere  dinge  befestigt,  und  nach  diesen  findet 
ein  sehr  komisches  wettklettern  statt.^)  Die  prioritftt  unter 
diesen  beiden  belustigungen  wird  man  wol  der  neapolitani- 
schen zusprechen  müssen  3),  da  Gucaüa  als  bczeichnung  fttr 
schlaraifenland  im  spanischen  nicht  vorkommt,  und  auch  der 
übertragene  gebrauch  dieses  wertes,  sowie  das  davon  abge- 
leitete cucafiero  in  ihrer  bedeutung  von  jenem  öffentlichen 
spiele  ausgehen.  Ausdrücke  für  Schlaraffenland  sollen  im  spar 
nischen  vielmehr  Tierra  del  Pipirip&o  oder  Dorado  sein,  doch 
ist  es  mir  nicht  gelungen,  erzählungen  unter  diesem  titel  aus- 
findig zu  macheu.  Dagegen  gehört  hierher  ein  anonymes  ge- 
dieht mit  der  aufschrift  La  isla  de  Jauja,  bei  Duran,  Roman- 
cero  no.  1347. 


0  An  die  neapolitanische  Cuccagna  erinnert  R.  Hildebnnd  In 
Grimms  wörterbach  s.  v.  Krales.  Bei  einem  ans  Niederdentsohland,  be- 
sonders aus  Magdeburg ,  seit  dem  13.  Jahrhundert  bekannten  feste, 
welches  den  namen  Krales  führte,  bildete  den  mittelpunkt  'ein  auf  einer 
Eibinsel  errichteter  bau,  der  gral,  in  dem  beiden  hausten  und  zum 
kämpf  daraus  hervorkamen,  eine  darstellung  des  graltempels,  gedacht 
als  inbegriff  aller  herrlichkeit'.  Bei  Fischart  wird  der  gral 
oder  Venusberg  sogar  in  Italien  gedacht 

')  Dictionario  de  la  lengua  Gastellana  por  la  Academia  Espafiola 
8.  y.  —  Dass  auch  die  spanische  (.'Ucana  als  fastnachtssoherz  gebräuch- 
lich, ist  mir  nicht  bekannt,  dagegen  weiss  ich,  dass  dieselbe  in  den 
nördlichen  provinzen  Viscaya,  Guipuzcoa,  S.  Sebastian  etc.  bei  Volks- 
festen im  Sommer  sehr  üblich  ist 

3)  Im  Dicc.  de  la  leng.  Cast  vom  iahre  1729  findet  sich  sogar  die 
notix:  Cucana  —  es  tomado  del  Italiano,  welche  in  den  neueren  aus- 
gaben weggeblieben  ist 


SCHLARAFFENLAND.  411 

In  Spanien  begegnen  wir,  wie  zu  erwarten,  einem  der 
grossen  Benfey sehen  märchenströme ,  welcher  sich  von  Indien 
aus  über  die  islamitischen  länder  nach  Europa  ergiesst.  Die 
beschreibung  der  insel  Jauja  trägt  nämlich  einen  entschieden 
orientalischen  Charakter  und  enthält  züge,  die  dem  muhame- 
danischen  paradiese  entlehnt  sind,  in  welchem  ja  auch  alle 
wünsche  der  Sinnlichkeit  vollkommene  befriedigung  finden. 
Letzteres  aber  verrät  widerum  ganz  unverkennbare  verwant- 
schaft  mit  dem  lande  Uttara  Euru.  Eine  ausführliche  Schil- 
derung davon  gibt  von  ^Hammer,  Rosenöl  I,  s.  322  flf.  *),  woraus 
wir  das  ftir  uns  wesentliche  kurz  hervorheben: 

Die  erde  des  paradieses  ist  weiss  und  wolriechend  und 
mit  rubinen  besät,  die  wasser  fliessen  nicht  in  betten,  sondern 
wie  krystallhelle  bänder  über  die  erde  hin  und  richten  ihren 
lauf  nach  dem  belieben  der  auserwählten.  Vier  seen  gibts  im 
paradiese  von  wasser,  honig,  milch  und  wein,  ausserdem  ist 
dort  das  grosse  Wasserbecken  Eewsser,  aus  dem  ein  fluss 
gleichen  namens  entspringt,  dessen  ufer  gold,  dessen  sand 
perlen,  dessen  wasser  duftender  als  moschus,  süsser  als  honig 
und  weisser  als  schnee  ist.  Die  bewohner  des  paradieses  sind 
jugendlich  und  schön  wie  mond  und  steme,  ein  jeder  besitzt 
70  paläste  von  gold  und  edelsteinen  erbaut,  auch  der  geringste 
hat  80  schöne  Sklaven  und  mindestens  72  gemahlinnen  von  un- 
vergleichlichen eigenschaften,  doch  steigert  sich  diese  zahl  nach 
den  verschiedenen  graden  der  tugend  und  des  Verdienstes  bis 
auf  500  und  darüber.  Der  bäum  des  paradieses  heisst  Tuba, 
gott  allein  kennt  seine  ausdehnung :  unter  6inem  seiner  zweige 
könnte  ein  reiter  70  jähre  lang  in  gestrecktem  galopp  reiten, 
die  blätter  sind  gewänder  von  gold  und  Seidenstoff,  welche  der 
bäum  für  die  seligen  abschüttelt.  Wenn  der  wind  durch  die 
blätter  rauscht,  so  ertönen  liebliche  harmonieen,  die  tafel-  und 
nachtmusik  der  auserwählten,  auch  die  chöre  der  vögel  sind 
stets  bereit,  auf  ihren  wink  die  schönsten  concerte  aufzuführen. 
Wie  in  Goquaigne  die  fastenzeit  allem  die  kröne  aufsetzte,  so 
ist  es  hier  das  fest  der  anschauung  von  angesicht  zu  ange- 
sicht,   welches   die  höchsten   genüsse  übertreflfen  wird.    Gott 


^)  Nach  einem   setir  geschätzten   dogmatischen  werke:    Feraidal- 
fevaid  fi  bejan  al  akaid  von  Casisade  Istamboli  Achmed  Efifendi. 


412  POESCHEL 

versammelt  dazu  die  seligen  in  dem  himmlischen  Jerusalem, 
dessen  maueiii  aus  diamanten  etc.  Dort  bei  einem  glänzenden 
gelage  werden  sie  von  engein  geschmückt,  von  den  paradieses- 
vögeln  unter  gesang  mit  wolriechenden  essenzen  beträufelt 
und  kehren  noch  einmal  so  schön  von  dort  zurück  als  sie  zu- 
vor schon  waren. 

Mit  morgenländischer  pracht  ist  denn  nun  auch  die  insel 
Jauja  ausgestattet,  welche  ein  schiff  des  generals  Don  Fer- 
nando entdeckt  haben  soll.  Die  Stadt  mit  ihren  palästen  und 
kirchen  glänzt  von  gold,  perlen  und  diamanten,  ebenso  wie 
die  einrichtungen  der  einzelnen  gebäude.  Kostbare  speisen, 
reiche  Stoffe  und  kleider  auf  feldem  und  bäumen,  seen,  flüsse 
von  Malvasia  und  anderen  weinen,  branntweinbrunnen ,  limo- 
nadenpftttzen,  ein  berg  von  käse,  ein  anderer  von  schnee,  der 
im  Sommer  kühlt  und  im  winter  wärmt  etc.  Arbeit  ist  auf 
der  insel  verpönt,  wer  bei  ihr  betroffen  wird,  bekommt  200 
schlage  und  wird  mit  abgeschnittenen  obren  verbannt  In  ge- 
sundheit  und  frohsinn  lebt  man  mindestens  600  jähre  und 
stirbt  endlich  am  lachen.  An  jedem  der  12  Stadttore  stehen 
zwei  aufmerksame  wachen,  welche  schmerzen,  kummer  und 
tränen  den  eintritt  wehren;  alle  fremden  dagegen,  welche  ein- 
lass  wünschen,  passieren  ohne  weiteres.  Jeder  eintretende 
wird  von  10  Jungfrauen,  ebenso  prächtig  gei^hmückt  als  von 
natur  schön,  empfangen  und  in  ihrer  mitte  unter  instrumenten- 
klange  nach  dem  ihm  bestimmten  palaste  geführt  Die  mädchen 
bleiben  zu  seinem  dienste  da,  und  von  14  zu  14  tagen  ge- 
sollen sich  10  andere  nicht  minder  liebliche  zu  ihnen.  Die 
aufzählung  der  delicatessen ,  Stoffe  u.  s.  w.,  von  zeit  zu  zeit 
durch  ein  monotones  hay  (il  y  a)  unterbrochen,  übertrifft  an 
breite  alle  übrigen  darstellungen  des  märchenlandes. 

Noch  müssen  wir  hier  ein  niederländisches  und  ein  alt- 
englisches gedieht  zur  besprechung  bringen,  weil  dieselben  auf 
französische  quelle,  das  erstere  wahrscheinlich  direct  auf  oben 
betrachtetes  fabliau,  zurückgehen.^) 

Das  niederländische  gedieht  steht  auf  einem  stark  be- 
schädigten papier  —  folioblatt  aus  dem  15.  Jahrhundert,   mit 


*)  Beide  gedruckt  bei  Hoffmann  u.  Haupt,   Altdeutsche  blätter  I, 
165  ff.  und  396  ff. 


SCHLARAFFENLAND.  4 1 3 

zwei  lücken  von  18  und  11  versen,  und  trägt  die  Überschrift: 

Dit  is  van  dat  edele  laut  van  Gockaenghen.    Seine  abhängig- 

keit  von  dem  französischen  original  wird  durch  folgende  verse 

sofort  offenbar  (s.  0.  s.  407) : 

Dit  ist  lant  van  den  heilighen  gheest; 

Wie  daer  lancst  slaept,  de  wint  meest, 

Daer  en  darf  niemant  doen  werc, 

Out,  Jone,  crane  of  sterc. 

Daer  en  maeh  niemant  iet  gheborsten. 

Die  wanden  sijn  daer  ghemaect  van  worsten, 

Daer  sijn  die  veinsteren  ende  doren 

Ghemaect  van  salmen  ende  van  stören. 

Aber  nicht  bloss  die  häuser,  auch  alles  hausgerät,  bänke, 
sttihle,  Spinnrocken  sind  ebenfalls  geniessbar,  es  regnet  fladen 
und  Pfannkuchen.  Bäche  laufen  von  hier  und  wein.  Fast  wört- 
lich stimmen  die  verse: 

So  wat  man  daer  int  lant  vint  legghen, 
Dat  neemt  man  sonder  weddersegghen, 

zu  den  französischen: 

Sans  contredit  et  sanz  defifence 

Prent  chascnns  qoanque  son  euer  pense. 

Man  lebt  ohne  hass  und  neid  in  fröhlichem  spiele,  allzeit  milde 
frtthlingsluft  und  vogelgesang.  Der  monat  hat  nicht  6,  aber  doch 
5  Wochen,  und  aus  dem  Jungbrunnen  ist  ein  zu  20  jähren  ver- 
jüngender Jordan  geworden.  Die  läge  des  landes  wird  auch 
hier  verschwiegen. 

Das  zweite:  the  english  poem  of  Gokaygne,  welches  auf 
der  grenze  zwischen  alt-  und  mittelenglisch  steht,  ist  zuletzt 
mit  anmerkungen  gedruckt  bei  Mätzner,  Altenglische  sprach- 
proben I,  s.  147  fif.  Mätzner  ist  geneigt,  französische  quelle 
hierbei  vollständig  in  abrede  zu  stellen,  wenigstens  sei  das 
fabliau  nicht  als  solche  anzunehmen;  doch  führt  er  selbst 
einige  stellen  wegen  ihrer  offenbaren  ähnlichkeit  daraus  an, 
so  die  oben  citierten  verse:  Sans  contredit  etc.  zu  den 
englischen : 

Man  mai  ther  —  of  et  inog 

AI  with  right,  and  nogt  witb  wog  u.  a.  m. 

Wahrscheinlich  war  die  unmittelbare  quelle  zwar  nicht  das 
fabliau  selbst,  aber  doch  ein  auf  diesem  basierendes  französi- 
sches oder  bereits  englisches  gedieht,  das  uns  nicht  erhalten. 


414  POESGHEL 

Die  hauptaufgabe  des  gedichtes  ist,  die  unsittlichkeit  der 
englischen  klöster  zu  geissein,  über  welche  bereits  seit  Jahrhun- 
derten klage  geführt  wurde  ^): 

Für  in  see  bi  west  Spaygne 

Is  a  lond  i-hote  Cokayne, 
so  beginnt  das  gedieht,  und  nun  folgt  eine  beschreibung  des 
landes,  welches  die  herrlichkeit  des  paradieses  weit  hinter 
sich  lässt,  in  ganz  ähnlicher  weise,  wie  wir  dies  oft  genug  ge- 
sehen haben,  bisweilen  noch  mehr  ins  lächerliche  gezogen ,  so 
z.  b.  wenn  dort  nicht  nur  raubtiere  und  Ungeziefer,  sondern 
auch  die  unschuldigen  haustiere  fehlen,  während  gebratene 
gänse  in  menge  herumfliegen.  Dort  gibt  es  nun  zwei  abteien 
mit  allen  möglichen  und  unmöglichen  kostbarkeiten  und  ge- 
nüssen  ausgestattet,  die  eine  von  mönchen,  die  andere  von 
nennen  bewohnt.  An  heissen  sommertagen  rudern  die  nennen 
in  den  an  ihrem  kloster  vorbeifliessenden  milchstrom  hinaus, 
und  die  mönche  kommen  zu  ihnen  geflogen  (sie!)  u.  s.  w. 
Faulheit  wird  nattirlich  auch  hier  belohnt,   wer  am  längsten 

schläft,  wird  abt: 

And  thilk  monk,  that  clepith  best 
And  doth  is  likam  al  to  rest, 
Of  him  is  hoppe,  6ot  hit  wote, 
To  be  sone  oadir  abbot 

Um  jedoch  in  dieses  land  zu  gelangen,  muss  man  sieben  jähre 
lang  bis  zum  kinn  in  schweinemist  waten  und  des  gtttigen 
gottes  nicht  gedenken.  Diese  bedingung  ist,  wie  schon  Haupt ^) 
bemerkt  hat,  der  sehr  ähnlich,  unter  welcher  der  bärenhäuter 
im  deutschen  märchen^)  vom  teufel  in  den  besitz  unaufzehr- 
baren  reichtums  gesetzt  ward:  er  durfte  sich  sieben  jähre 
nicht  waschen ,  hart  und  haare  nicht  kämmen  und  kein  Vater- 
unser beten. 

Erhalten  hat  sich  meines  Wissens  weder  der  name  Coe- 
kaenghen  im  holländischen,  noch  im  englischen.  Im  vlftmi* 
sehen  soll  das  märchen  von  einem  Luilekkerlande  erzählt 
werden*). 


0  Vgl.  Briefe  des  Bonifacius,  Jaff^  bibl.  rer.  Germ.  III. 
s)  Altdeutsche  blätter  I,  s.  401. 

^)  Grimm,  K.  u.  H.  no.  101.   Vgl.  auch  H.  Kon  zu  Grimmelshaasens 
Simplicianischen  Schriften,  Deutsche  bibl.  bd.  H,  s.  XX  n.  303. 
*)  Hoffmann,  üor.  belg.  I,  s.  94. 


SCHLARAFFENLAND.  415 

III. 

Das  märchen  im  deutschen. 

Auch  auf  deutschem  gebiete  waren,  wie  unter  allen  yöl- 
kern,  die  gleichen  Vorstellungen  ursprünglich  vorhanden,  von 
denen  im  griechischen  unser  märchen  ausgieng:  die  erinnerung 
an  eine  selige  urzeit  und  die  hofinung  auf  widerkehr  derselben 
glückseligkeit  im  jenseits;  und  dieselbe  neigung  der  phantasie, 
welche  wir  dort  wirken  sahen,  hatte  auch  hier  einige  ver- 
suche gemacht  Göttern  wie  menschen  hatte  einst  ein  goldenes 
Zeitalter  geblüht:  jenen,  da  sie  noch  frei  von  habgier  Asgard 
bewohnten  und  sich  in  Unschuld  am  brettspiel  mit  goldenen 
täfeichen  ergötzten;  diesen  unter  konig  FriÖfroÖis  regierung, 
da  war  gutes  jähr  und  frieden,  keine  furcht  vor  dieben  und 
räubern,  so  dass  ein  goldring  lange  unberührt  auf  Jalangurs- 
heide  liegen  mochte,  eine  mächtige  kufe  voll  metes  stand  in 
FroÖis  hause  u.  s.  w.^  Andererseits  war  der  aufenthalt  der 
gefallenen  beiden  die  rauschende,  goldglänzende  Walhalla,  von 
dem  goldbelaubten  haine  Glasir  umgeben;  dort  sitzen  die  un- 
sterblichen einherier  friedlich  beim  mahle,  ihre  speise  ist  das 
fleisch  des  ebers  Ssehrimnir,  welcher  jeden  tag  von  neuem  ge- 
sotten wird,  und  ihr  getränk  ist  met,  der  in  unerschöpflicher 
menge  aus  dem  euter  der  ziege  Heidrun  fliesst  Besonders  in 
betracht  aber  kommt  die  prosaische  einleitung  der  Oegisdrekka, 
vgl  mit  Skaldsk.  c.  33:  die  halle  des  riesen  Oegir  wird  von 
leuchtendem  golde  wie  feuer  durchstrahlt;  bei  einem  gast- 
mahle,  welches  er  den  Äsen  gibt,  tragen  die  speisen  und  das 
sei  sich  selber  auf,  und  alles,  was  zur  bedienung  gehört,  ge- 
schieht von  selbst 

So  hat  es  denn  auch  an  solchen  nicht  gefehlt,  welche  dem 
märchen  vom  schlaraffenlande  germanischen  Ursprung  zu- 
sprachen und  dasselbe  aus  diesen  und  ähnlichen  mythen  her- 
vorgegangen sein  Hessen.  Allein  dieser  weg  der  entwickelung 
wäre  ein  weiter  und  äusserst  zweifelhafter,  da  uns  alle  Zwi- 
schenglieder fehlen,  und  wenn  wir  in  der  benachbarten  nation, 
aus  welcher  so  viele  sagensto£fe  nach  Deutschland  eingeführt 


«)  üeber  FritJfrotJi  vgl.  besonders  Uhland,  Schritten  VII,  b.  99  ff.; 
Simrock,  Mythologie  s.  364  f^ 


416  POESCHEL 

wurden,  das  märehen  vollkommen  ausgebildet  sehen,  ehe  wir 
bei  uns  auch  nur  eine  spur  davon  nachzuweisen  vermögen, 
so  dürfen  wir  unbedenklich  entlehnung  aus  dem  französischen 
annehmen,  wenn  wir  auch  nicht  im  stände  sind,  die  brQcke 
selbst  ausfindig  zu  machen. 

Ganz  verkehrt  aber  ist  es,  wenn  man  sich  durch  den 
namen,  welchen  das  märchenland  im  deutschen  f&hrt,  zu 
Schlüssen  berechtigt  glaubt,  wie  sie  Mone,  Anz.  VIII,  s.  615 
gewagt  hat:  das  Schlaraffenland  enthalte  eine  erinnerung  an 
ein  tropenland,  wo  die  natur  alles  in  fülle  hervorbringe  und 
der  mensch  für  seine  erhaltung  weder  zu  arbeiten  noch  zu 
denken  brauche,  weil  das  wort  äffe  ohne  griechische  oder 
römische  vermittelung  direct  auf  skr.  kapi  zurückgehe,  und 
die  idee  des  Schlaraffenlandes  zeige  eine  deutliche  Verachtung 
der  Südländer,  die  nicht  einmal  als  menschen,  sondern  als 
äffen  mit  gedankenloser  genusssucht  vorgestellt  seien.  Wenn 
auch  wirklich  das  einfache  äffe  direct  auf  das  indische,  resp. 
indogermanische,  zurückweisen  sollte,  so  hatte  man  zu  der 
zeit,  als  die  Zusammensetzung  schlaur-affe  entstand,  schwerlich 
noch  tropische  erinnerungen.  Dies  fährt  uns  auf  die  erklärung 
des  Wortes  selbst 

lieber  den  zweiten  bestandteil  desselben  dürfte  man  kaum 
in  zweifei  sein  können.  Nur  Menzel,  Odin  s.  1 57,  schlägt  eine 
andere  als  die  zunächstliegende  erklärung  vor:  es  sei  unter 
dem  äffe  ein  gebäck  zu  verstehen,  wie  ja  auch  ein  thüringi- 
sches fastnachtsgebäck  den  namen  homaffe  führe.  Einer  Wider- 
legung bedarf  diese  Vermutung  gar  nicht.  —  In  dem  schlaur 
erkennt  Grimm,  K.  u.  H.  HP,  239  schlau,  klug.  Allein  dem 
widersprechen  die  älteren  formen  des  wertes  schluderaffe 
(Braut,  Narrenschiff  103,  118)  und  slftraffe,  die  sich  genau  zu 
einander  verhalten  wie  slftdem  zu  ilftren,  schlendern,  nach- 
lässig arbeiten,  wozu  das  wort  etymologisch  gehört  Vgl  auch 
der  slür,  ein  faules  geschöpf,  oberrhein.  schluri,  schweizerisch 
schlauri,  Schlendrian.  Schlauraffe  ist  also  ein  gedankenloser 
müssiggänger.  Die  Schwächung  des  diphthongs  zu  a  (Schlar- 
affenland) findet  sieh  bereits  im  17.  jh.  bei  Schuppius  (f  1661).^) 


*)  Nach  Zamcke,  Narrenschiff  s.  455;   Mhd.  Wörterbuch;  Weigand, 
Deutsches  Wörterbuch  s.  v.  n.  a. 


ÖCHLAEAFFENLAND.  417 

Mundartlich  kommt  —  falls  die  quelle  zuverlässig  ist  — 
auch  schloraflfe  vor,  vgl  freih.  v.  Ditfurth,  52  ungedruckte 
bailaden  des  16.  bis  18.  jahrh.,  Stuttgart  1874  no.  35  s.  125, 
woselbst  die  Käthel  zum  Hansel  sagt,  als  dieser  nicht  mit  ihr 
tanzen  will: 

Es  brancht'8  nit  dein  albers,  dein  albers  Ramsch wanzen 
Und  Schloraffenfeilhalten,  schlankelter  Bu! 

Entstellungen  sind  öst-schles.  Schnädäffland  (s.u.  s.423  f.)  und 
schwäbisch  Araffcnland.  Vgl.  Ernst  Meier,  Deutsche  Volks- 
märchen aus  Schwaben,  Stuttg.  1852  no.  64:  nachdem  die 
erdwichtel  die  ganze  nacht  beim  backen  geholfen  haben,  wird 
ihnen  zugerufen:  flieht  ins  Araffenland!  es  wird  dies  dem- 
nach als  die  heimat  jener  woltätigen  geister  gedacht,  welche 
den  menschen  ihre  arbeit  abnehmen. 

Nachzuweisen  ist  das  wort  erst  seit  dem  14.  Jahrhundert: 
in  einem  zinsbuch  des  klosters  Aller  Heiligen  von  1347  im 
Karlsruher  archive  steht  Sluraffe  als  geschlechtsname.^)  Aber 
gerade  diese  Verwendung  bezeugt,  dass  das  wort  selbst  um 
ein  bedeutendes  älter  ist  Besonders  häufig  lesen  wir  es  in 
den  an  Schimpfwörtern  '^überreichen  fastnachtssp^elen  des  15. 
Jahrhunderts,  z.  b.  s.  610  (Keller): 

So  gefeilt  es  mir  von  in  peden  nit  wol 
Und  halt  sie  für  recht  Schlanraffen. 

Meist  aber  mit  zahlreichen  anderen  Schimpfnamen  zusammen- 
gestellt, so  259,  287  und  372.  In  demselben  gebrauche  auch 
später  Zimmerische    chronik,   herausgegeben   von  Barack  II, 

7   V.  26: 

Sühlnraff,  wie  wilt  henken 

Din  köpf  so  ganz  üf  die  erden? 

Schlauraffe  war  somit  ein  sehr  gebräuchliches  wort,  und 
als  sich  das  französische  märchen  vom  lande  Goquaigne  in 
Deutschland  einbürgerte  und  sich  nun  auch  ein  deutscher  name 
dafür  nötig  machte,  erschien  die  bezeichnung  als  schlauraffen- 
land,  als  land  gedankenloser  müssiggänger,  sehr  geeignet 
Sie  ist  in  der  tat  auch  äusserst  charakteristisch  fllr  die  ten- 
denziöse färbung,  welche  das  märchen  im  deutschen  erfuhr: 
menschliche  schwächen,  besonders  unfleiss  und  trägheit  zu  ver- 


*)  Mone,  Anzeiger  VIII,  s.  615. 

B«itrKge  snr  gesohloht«  der  denUchan  •praoh«.    V.  27 


418  POESCUEL 

spotten  und  dadurch  zugleich  vor  ihnen  zu  warnen,  eine  ten- 
denz,  die  auch  zahlreichen  anderen  märchen  eigen  ist 

Die  erste  uns  bekannte  erwähnung  eines  Schlaraffenlandes 
findet  sich  in  den  fastnachtsspielcn  an  zwei  stellen,  aus  denen 
aber  nicht  zu  ersehen,  was  man  sich  eigentlich  darunter  vor- 
stellte. Es  wird  einfach  genannt,  um  ein  fernes  unbestimmtes 
land  damit  zu  bezeichnen,  ähnlich  dem  Narragonia,  auf  welches 
Brants  narrenschiff  zusteuert,  z.  b.  s.  58  (Keller): 

Der  ist  kumen  aus  fremden  landen  her, 
Ferre  aus  Schlauraffon; 

ebenso  Narrenschiff  c.  108,  5: 

Wir  faren  vmb  durch  alle  landt 
Von  Narbon  jnn  Schluraffen  landt 

Um  dem  lande  grössere  glaubwürdigkeit  zu  verleihen,  gibt 
man  ihm  bisweilen  auch  eine  geographische  bestimmuug  und 
verlegt  es  wunderbarer  weise  in  ziemliche  nähe,  in  den  Süden 
des  reiches,  so  in  der  zweiten  stelle  der  fastnachtsspiele,  s.  721 : 

Der  vint  vns  zwischen  Wien  vnd  Prag 
Bei  ainander  in  der  Schlanraffen  lant 
In  der  stat  Pomperltfrel  genant  etc. 

und  eine  ähnliche  bestimmuug  enthält  der  Vocabularius  ex 
quo  von  Ettenheim  -  Münster  zu  Karlsruhe:  Alphie,  diltsche 
berge  zwiischent  den  Diitschen  und  den  Walhen,  proprio  der 
Shluraffen  land.^) 

Dass  die  ursprtlnglich  mit  diesem  namen  verknüpften 
Vorstellungen  wirklich  die  von  einem  lande  des  müssigganges 
und  wollebens  waren,  unterliegt  nach  der  bedeutung  des 
Wortes  keinem  zweifcl,  und  es  ist  daher  erst  eine  secundftre, 
freilich  äusserst  naheliegende  Verwendung,  wenn  man  sich  eine 
verkehrte  weit  überhaupt  darunter  dachte  und  in  den  so  be- 
liebten lügenmären  gelegentlich  das  schlauraffenland  zum  sitze 
aller  nur  erdenklichen  Unmöglichkeiten  machte;  doch  passte  es 
eben  dazu  ganz  besonders,  weil  ja  die  ersoheinungen  der 
Itigenwelt  gewöhnlich  in  eine  zeit  oder  ein  land  verlegt  wur- 
den, welche  selbst  in  fabel  und  Widerspruch  aufgehen.  So 
wird  schon  1548  bei  Alber us,  Dialogus  vom  Interim,  das  sehlau- 


')  Mone,  Anz.  VIII,  s.  615. 


SCHLARAFFENLAND.  419 

raffenland  als  das  land  bezeichnet,  wo  man  den,  der  die 
gröBte  lüge  sagen  kann,  zum  könige  macht ^) 

Das  märchem  vom  schlaraffenlande  der  Grimmschen 
Sammlung  no.  158  führt  diesen  namen  mit  unrecht,  es  ist  nach 
einem  gedichte  aus  dem  14.  Jahrhundert:  so  ist  diz  von  lüge- 
nen^)  erzählt  und  bietet  weiter  nichts  als  eine  aufzählung  er- 
logener dinge: 

Ich  sach  eins  mftles  in  der  afifen  ztt 
An  einem  kleinen  stden  vaden 
Röme  und  Läträne  tragen, 
Und  einen  fnozelösen  man 
Laufen  für  ein  snellez  pfert  etc. 

Von  dem  schlaraffenlande  ist  darin  gar  nicht  die  rede,  nur 

eine  linde  mit  heissen  fladen  und  ein  honigfluss,  der  vom  tale 

den  berg  hinauiläuft,   erinnern   ein  wenig   an  dasselbe,   und 

jene  angäbe  'in  der  äffen  ztt',  wofür  Grimm  ohne  weiteres  'in 

der  schlauraffenzeit '  einsetzt,  ist  zu  vergleichen  mit  solchen  in 

anderen   lügenliedem,   wie  z.  b.  zu  Weihnachten   im  sommer, 

zu  pfingsten  auf  dem  eise  u.  a. 

Mehr   anklänge    bietet  das  land  Eurrel  murre    in  dem 

Wahtelm»re  ^),  wo 

Die  huser  sind  gedaokt  mit  fladen 
Und  gezeunet  mit  wursten.  — 
Do  get  die  gans  gebraten 
Und  treit  vil  wol  beraten 
Daz  messer  in  dem  snabele 
Den  pfeffer  in  dem  nabele, 
Unde  ist  die  weide  so  gesnnt, 
Als  gebraten  in  den  munt 
Varen  einem  die  swalwen. 

Doch  sind  diese  dinge  auch  hier  nur  beiläufig  erwähnt,  weil 
sie  zu  den  übrigen  lügen  sehr  gut  passen,  ebenso  wie  im 
Finkenritter,  einem  kleinen  lügonromane  aus  der  zweiten  hälfte 
des  16.  Jahrhunderts,  die  fleischdächer  und  bratwurstzäune. 
In  einem  liode  auf  einem  fliegenden  blatte  aus  dem  anfange 
des   17.  Jahrhunderts:    Das  now  Schlauraffenland^)  weist  ein 


0  Weigand,  Deutsches  Wörterbuch  s.  v.  Schlaraffenland. 

>)  Altdeutsche  blätter  I,  s.  163. 

')  Massmann,  Denkmäler  I,  s.  105. 

*)  Uhland,  Volkslieder  no.  240  a.  s.  632;  zuletzt  bei  Franz  M.BOhme, 

27  • 


420  POESCHEL 

blinder  den  weg,  ein  lahmer  läuft  voran  und  bestellt  herbergo, 
auf  einem  schifte,  das  nicht  da  ist,  fährt  man  über  u.  8.  w. 
Jedoch  für  uns  ist  dieses  lügenschlaraffenland  hier  von  ge- 
ringerem Interesse. 

Das  älteste  gedieht,  in  welchem  das  Schlaraffenland  in 
dem  ursprünglichen  und  noch  uns  geläufigen  sinne  des  wertes 
dargestellt  wird,  scheint  das  von  Zamcke^)  aus  einer  Wiener 
handschrift  mitgeteilte  zu  sein:  Ein  hubscher  Spruch  vonoi 
schlauraffenlandt,  welches  nicht  allzulange  nach  dem  erscheinen 
von  Brants  Narrenschiff  entstanden  sein  muss,  da  es  gleich  in 
den  anfangsversen  direct  an  dasselbe  anknüpft: 

Es  ist  in  khartz  vergangen  Jaren 
Das  narrenschifif  vom  landt  gefaren. 

Wer  zu  faul  ist  etwas  zu  lernen,  gott  und  eitern  verachtet, 
wer  tag  und  nacht  beim  spiele  verprasst  und  um  weib  und 
kind  sich  nicht  kümmert,  wem  eigenlob  gefallt  u.s.w.,  die  alle 
sin<l  gut  für  schlauraffenland ,  dort  finden  sie  die  gebührende 
anerkennung.    Auch  liegt  das  land 

nit  im  paradeis, 
Da  was  verpottn  etlich  speys, 

hier  kann  mau  ungestraft  von  den  fladendächern  und  wurst- 
zäunen essen,  da  die  lücke  sich  immer  wider  von  selbst  aus- 
füllt; gebratene  tauben,  brunnen  von  hier  und  wein  fehlen 
natürlich  nicht. 

£ine  anspielung  findet  sich  auch  im  anfange  jenes  jahr^ 
hundcrts  in  Geilers  von  Keisersherg  predigten  über  das  narren- 
sciiift'^),  er  nennt  das  land  terram  promissionis  ridiculosam  et 
fabulosam,  ubi  tecta  ex  laganis  sunt  confecta,  montes  incaseati, 
lapides  zuccarei,  fontes  lacte  et  fiuvii  melle  fluentes,  ubi  albi 
panes  triticei  in  arboribus  pendent  cum  phialis  vino  optimo 
pleuis,.  sepesque  ex  farciminibus  texti  et  assatae  columbae  in 
ora  Volant  hominum.  Ua  Keisersherg  die  sage  f&r  seine 
geistlichen  zwecke  verwenden  wollte,  so  konnte  er  nur  die 
eine  seite  davon  hervorkehren,  nämlich  die  ftlle  aller  mate- 

Altdentsehes  liederb.  Leipzig,  Breitkopf  n.  H&rtel  1877,  s,  :i6l.  —  Zu  dem 
titel:   Das  new  Sohl.  vgl.  Uhland,  Schriften  III,  s.  326  anm.  208. 

«)  Narrenschiff  s.  OXXIl. 

*)  S.  Zarncke,  Narrenschiff  s.  457. 


SCHLARAFFENLAND.  421 

riellen  guter,  welche  dann  leicht  umzudeuten  waren,  während 
er  die  in  diesem  lande  privilegierte  Faulheit  und  unsittlichkeit 
verschweigen  muste. 

Ausfllhrlich  wird  Schlauraffenland  zum  ersten  male  ge- 
schildert in  dem  bekannten  prächtigen  schwanke  Hans  Sachsens 
vom  jähre  1530.^)  Bei  ihm  liegt  es  drey  meil  hinter  weynachten, 
eine  witzige  Ortsbestimmung,  wie  ähnlich  in  dem  Wahtel- 
msere  das  Numer  dume  amen  'jensit  mantages'  gelegen  ist. 
Die  aufgäbe,  die  man  erfüllen  muss,  um  dorthin  zu  gelangen, 
ist  ganz  dem  Charakter  des  landes  entsprechend:  es  gilt,  sich 
durch  einen  berg  hirsebrei  von  drei  meilen  durchzuessen.*) 
Nicht  nur  faulheit,  sondern  auch  alle  übrigen  laster  und  Un- 
anständigkeiten werden  mit  gut  und  würden  belohnt,  während 
man  sich  durch  verstand  und  ehrbarkeit  unmöglich  macht. 
Deutlich  an  das  land  Goquaigue  erinnert  noch  der  junckbrunn, 
andererseits  aber  finden  sich  hier  originelle  volkswitzige  züge, 
wie  wir  sie  in  keiner  romanischen  darstellung  lesen,  so  z.  b. 
dass  die  pfcrde  ganze  körbe  voll  eier  legen  und  die  esel  feigen 
schütten,  sodann  der  spasshafte  zug  von  den  bauern,  welcher 
sich  in  der  Zimmerischen  chronik  III,  155  widerfindet:  —  wie 
man  sprucht  von  den  pauren  in  Schlauraflbniandt,  die  uf  den 
paumen  wachsen,  und  da  sie  zeitig,  fallen  sie  hemuder  mit 
den  fuesen  geradt  in  die  stifi*el,  die  inen  gereht  und  unter  den 
paumen  auch  gewachsen  sein.  Hans  Sachs  schliesst  mit  einer 
uutzanwendung  für  die  Jugend  seiner  zeit,  für  welche  das 
schlaraflfenland  von  den  alten  zur  strafe  erdichtet  worden  sei. 

Weniger  bekannt  ist  der  oben  angedeutete  schwank: 
Der  Sturm  des  vollen  berges  (12.  december  1534),  zu  welchem 
Hans  Sachs  durch  die  kenntnis  der  italienischen  fastnachts- 
belustigung  Guccagna  angeregt  wurde.  Mit  köstlichem  hunior 
schildert  er,  wie  in  dem  schlauraffenlande,  wohin  er  die  ganze 
erzählung  verlegt,  ein  gewaltiges  trunkenes  beer  unter  führung 
Epicurs  das  schloss,  genannt  zum  vollen  berg,  bestürmt,  das 
aus  hirsbrei,  wursten  etc.  gemauert  ist.    Ihre  schanzkörbe  sind 


0  Gedruckt  z.  B.  in  Goedeke  u.  Tittmanns  deutschen  dichtem  des 
16.  jahrh.  V,  s.  30  ff. 

^)  Vgl.  Arndts  uiäruhen  no.  5:    Clab  Avestaken  trisst  aich  durch 
einen  ungeheuren  pfannkuchenherg  ein  jähr  lang  hindurch. 


422  POESCHEL 

weinßLsser,  ihre  geschUtze  von  grossen  kandelu^),  und  mit 
bratwürsteu  werden  sie  augezündet  Die  gegner  kämpfen 
unter  Bacchus,  von  mittag  bis  mitternacht  fliegen  die  esswaaren 
herüber  und  hinüber  und  richten  grossen  schaden  an.  Beson- 
ders treffend  sind  die  traurigen  folgen  dieser  grossen  prOgelei 
beschrieben : 

Mannicher  seckel  het  den  grim, 

Sein  rock  liesz  mancher  hinter  im  etc. 

Da  ward  iedem  ein  toller  köpf, 

Ein  lärer  säckel,  ein  voller  kröpf, 

Auch  gantze  schuld,  zerriszne  kleyder. 

Das  war  die  beut  der  parthey  beydor, 

Damach  ward  ein  anstand  gemacht 

Bisz  auf  die  nechste  Fassenacht, 

Da  Werdens  wider  zu  feld  ligen, 

Vnd  wer  lust  het  mit  in  zu  kriegen, 

Der  füg  sich  ins  Schlauraflfenland. 
Alle  späteren  gedichte  und  anspielungen  verraten  mehr 
oder  weniger  bekanntschaft  mit  den  schwanken  von  Hans 
Sachs.  Meist  wird  in  ihnen  das,  was  dieser  wolweislioh  nur 
kurz  andeutet,  unsauberkeit  und  laster,  in  grosser  breite  aus- 
geführt, so  z.  1).  in  einem  von  Zamcke^)  abgedruckten  aus 
einem  fl.  bl.  noch  des  IG.  jahrhuudei*ts:  Ein  abentheuriseh  lied, 
in  dem  Roten  Zwingerthou  etc.  Die  läge  des  landes  drei 
meyl  hinter  Weihnachten  wird  noch  etwas  näher  angegeben: 

zur  lincken  handt 
nahent  beym  Paradeyse 
daselben  loyt  Schlawraffenland, 

und  durch  schneo  und  eis  muss  man   zu  ihm  gelangen.    An 

den  anfang  des  liodes: 

In  disem  land  kann  jch  nymmer  beleyben, 
Meyn  lange  zeyt  vnd  weil  also  vertreiben, 

klingt  die  erwähnuug  des  schlauraffenlandes  in  Fischarts  Gö- 
sch ichtklitterung  c.  8  ausserordentlich  an: 

In  dem  Land  kann  ich  nit  mehr  bleiben, 
der  lufft  thut  mich  in  Schlauraffen  treiben, 

*)  Vielleicht  ist  es  kein  blosser  zufall,  dass  auch  B6ranger  in  seinem 
gedichte  'Yoyage  au  pays  de  Cocagne'  erzählt: 

Les  canons  mdme 
De  Sucre  sont  faits. 
*)  Narrenschiflf  s.  455. 


SCHLARAFFENLAND.  4  23 

uud  auch  der  milchramregeD,  zuckcrerbscnliagel ,  spoysold  n.  a., 
die  bei  Hans  Sachs  nicht  vorkommen,  macheu  eine  bezieliuug 
zu  diesem  Hede  sehr  wahrscheinlich,  wogegen  die  weinheldten 
bei  der  stürmung  des  vollen  bergs  natürlich  auf  Hans  Sachs 
zurückgehen. 

Durchgehende,  zum  teil  sogar  wörtliche  Übereinstimmungen 
mit  Hans  Sachsens  schwank  zeigt  ein  in  zwei  redactionen  auf 
fliegenden  blättern  aus  dem  anfange  des  17.  Jahrhunderts  er- 
haltenes gedieht  im  Lindenschmidtsthon,  nach  welchem  das 
märchen  vom  schlauraffenlande  in  Bechsteins  Sammlung  er- 
zählt ist  Die  ohne  zweifei  ursprünglichere  gestalt  gibt  die  in 
Haupts  zeitschr.  U,  s.  564  ff.  gedruckte  redaction  von  34 
Strophen^),  während  die  von  37  strophon,  welche  Hoffmann, 
Altd.  bl.  1,  8.  168  abdruckte,  sich  durch  eine  nichtstrophiscbe 
einleitung,  zahlreiche  zusammenziehungen  und  einschiebsei  als 
eine  Überarbeitung  erweist.  Mit  dem  früher  genannten  liede 
vom  neuen  (lügen-)  schlauraffenlande  berührt  sich  dieses  gedieht 
insofern,  als  auch  hier  empfohlen  wird,  sich  bei  einem  blinden 
oder  stummen  nach  dem  wege  zu  erkundigen. 

Zwei  lieder,  die  mir  nicht  zugänglich  waren,  führt  Goedeke, 
Gnindriss  s.  232  unter  no.  28  an :  Zwey  Newr  schöner  Lieder 
ins  Schillers  hoff  thon  (Zwen  Brüder  waren  aus  schlauraffen 
laut)  vnd  ins  Saxen  kurtzen  thon.  Hans  Guldenmundt  4  bl.  8  ^, 
und  ausserdem  s.  282  unter  no.  46  a  eine  prosa  aus  dem  16. 
Jahrhundert:  Vom  Schlauraffen  Landt.  Eyn  vast  kurtz weilige 
vnd  lustige  Historie  zu  lesen.  Wormbs  Seb.  Wagner  1541. 
12  bl.  40. 

Schliesslich  verdient  auch  ein  Volkslied  in  österreichicher 
mundart  über  das  Schnädäfiland  genannt  zu  werden,  welches 
Anton  Peter,  Volkstümliches  aus  Oestreich-Schlesien  I,  s.  73  f. 
no.  198  aus  der  gegend  von  Odrau  und  Wagstadt  mitteilt. 
Das  lied  ist  aus  verschiedenen  lügenliedern  zusammen  geflossen, 
besonders  ist  das  vom  neuen  schlauraffenlande  benutzt,  wie 
aus  den  versen  23 — 26,  vgl.  mit  str.  15  (Böhme)  deutlich  er- 
kennbar: 


>)  Jetzt  auch  bei  BOhme,  Altd.  Ifederb.  no.278a,  s.  362  ff. 


424  POESCHEL 

Dnet  hoot  a  Bleind*r  an  Haas  Der  blind  hat  ein  eiohhorn  geiehen, 

gpsaan, 

A  Kronmm'r  hootn  d'rlauft,  Der  lamerliefs  mit  sein  grossen  sehen 

25    A  Nackig*r  hoot-n  aen  Baosum  Der  nacket  hats  in  busem  gesoho- 

g*t&än,  ben  etc. 

A  SchtoummT  hoot'n  f'rkauft 

Ebenso  ist  das  offene  geständnis  im  eingange:  s'is  äch  h&ub 
d'rlooge  dasselbe  wie  dort  str.  12  und  15:  es  ist  wol  halb  er- 
logen. Daneben  war  aber  auch  irgend  eine  auf  Hans  Sachs 
zurückgehende  dichtung,  vielleicht  sogar  dessen  schwank  selbst, 
von  entschiedenem  einflu^s,  man  vergleiche  nur  die  verse 
9 — 20  des  Peterschen  gedichtes,  worin  sogar  die  reime  teilweis 
mit  denen  von  Hans  Sachs  übereinstimmen: 

Hans  Sachs  v.  25—32 

D.  Meilch  di  lääft  of  a  Gasse,  Auf  weidenkoppen  semmel  stehn, 

10    D*  Saamin  di  m  äx'n  an  Waide,  Darunter  bäch  mit  millioh  gehn^ 

War  suppe  wiu,  läät  sich  äkhiin  Die  fallen  denn  in  bach  herab, 

An  suppt  for  äue  Laite.  Dasz  jedermann  zu  essen  hab. 

D*  Feischl'n  schweimm-n  aem  Auch  gehn  die  visch  in  den  lachen, 

Taichle  Gsotten,  braten,  gsulzt  vnd  paehen, 
G'soote  an  g'broote 

15    War  s'  saar  gaan  asse  tuut,  Vnd  gehn  bey  dem  gestatt  gar  nahen. 

Dam  sain  s*  ni  f-rboote.  Lassen  sich  mit  den  bänden  fahen. 

V.  37—40 

D'  Schwain  di  1auf*n  gbroote  Die  säw  all  jar  gar  wol  geraten, 

reim, 

8'  h&än  a  MassT  aem  Reick,  Laufen  im  land  vmb,  sind  gebraten. 

An  war  doo  an  Houngor  hoot,  Jede  ein  messor  hat  im  rück, 

20    Dar    k&än    sich    schnaide    a  Darmit  ein  jeder  schneid  eins  tttok. 

8chteik 

Einer  kui*zen  erwilhnung  bedarf  noch  der  seit  dem  16. 
Jahrhundert  auch  fUr  das  8chlar<aflenlan<l  häufig  gebrauchte 
name  Utopia. 

Zum  ersten  male  bedient  sich  desselben  Thomas  Monis 
in  seinem  berühmten  buche:  Do  optimo  reipublieae  statu  de- 
que  nova  insula  Utopia,  worin  er  von  einem  fingierten  Raphael 
Hythlodaeus,  einem  >ie]gereisten  portugiesischen  gelehrteni 
einen  idealstaat  schildern  iasst  auf  einer  inscl  in  dem  eben 
durch  entdeckungen  erschlossenen  fernen  westen,  zugleich  als 
eine  feine  satire  auf  die  Ubebtande  in  staat  und  kirche  der 
heimat.    Zu  seiner  zeit   bemerkten   dies   freilich   nur  wenige. 


SCHLARAFFENLAND.  425 

während  die  mehrzabl  Feine  darstelluDg  fllr  baaren  ernst  anf- 
nabm.  ^) 

Utopia,  von  More  selbst  aucb  mit  Nasquamma  {ov-roxla), 
von  Budaeus  in  einem  briefe  an  More  mit  Udepotia  umschrie- 
ben, ist  dann  als  bezeichnung  fbr  Nirgendheime  aller  art  adop- 
tiert worden;  um  nur  zwei  namhaft  zu  machen,  von  Rabelais 
in  Gargantua  und  Pantagruel,  und  nach  dessen  Vorgänge  von 
Fischart,  der  noch  mehrere  Synonyma  dazu  erfand:  Nienen- 
reich,  Nichilburg,  NuUibingen  und  Nullenstein. 

Der  von  mir  benutzten  ausgäbe  des  Moreschen  werkest) 
ist  eine  äusserst  kunstvoll  gezeichnete  karte  der  insel  von 
Abraham  Ortelius  beigefügt ,  auf  welcher  ausser  der  von  More 
selbst  benannten  hauptstadt  Amaurotum  zahlreiche  städte, 
flüsse  etc.  mit  utopischen  namen  verzeichnet  sind,  wie:  Non- 
dumia,  Eeinstadt,  Guccagnola,  Nuneville,  oder  Senzzaqua  fl., 
Bettlos  fl.,  Onwaeter  fl.  etc.  Auf  eine  ähnliche  karte  bezieht 
sich  vielleicht  die  von  Goedeke,  Gruudriss  s.  282  unter  no,  46  b 
erwähnte:  Erklärung  der  Wunder-seltzamen  Land-Charten  Uto- 
piae,  Das  ist  das  neu  entdeckte  Schlaraffenland  (prosa  um 
1600).  Wahrscheinlicher  aber  ist,  dass  wir  hier  die  erste 
spur  humoristisch -allegorischer  karten  vom  schlaraffenlande 
haben,  wie  eine  solche  z.  b.  der  Homann-Hübnersche  atlas') 
als  komischen  auhang  enthält:  Accurata  Utopiae  tabula,  das 
ist  der  neu  entdeckten  Schalck-Welt  oder  des  so  offt  benann- 
ten, und  doch  nie  erkannten  Schlarraffeulandes,  neu  erfundene 
lächerliche  Land-tabelle,  worinuen  alle  und  jede  Laster  in  be- 
sondere Königreiche,  Provintzen  und  Herrschaften  abgetheilet 
werden  etc.,  durch  Author  anonynius.*)  Die  himmelsrichtungen 
werden  hier  bezeichnet  durch  den  zeitlichen  auf-  und  unter- 
gang  des  wollebens,  den  ewigen  mittag  der  auserwählten  und 


0  Vgl.  Kudhart,  Thomas  Morut»,  München  1829. 

2)  Basileae  apud  Jo.  Frobenium  MDXVIII. 

3)  Cum  priv.  Sac.  Caes.  Maj.  Noribergao  1732. 

*)  Vermutlich  ist  diese  in  den  Hübnerschen  atlas  autgenommene 
karte  identisch  mit  einer  bereits  gegen  ende  des  17.  Jahrhunderts  ver- 
öffentlichten, welche  zu  ihrer  zeit  viel  aufsehen  gemacht  haben  soll; 
obiger  Author  anonymus  wäre  demnach  der  österreichische  General 
Schrebelin. 


.|2()  POKSCHEL 

die  cwi^c  mittenmcht  der  gottlosen*),  die  l)eideii  pole  durch 
das  neue  Jerusalem  und  den  höllcnpfuhl;  der  zugaug:  zu 
erRteroni  wird  dureb  die  Virtutis  Ardua,  das  rauhe  Tugent- 
GebUrg,  iin^enioin  erschwert,  weshalb  auch  die  ganze  nördliche 
zone  Terra  Sancta  incognita  geblieben  ist,  zum  höllenpfuhl 
dagegen  (tihren  bequeme  niederungen,  und  auch  der  allenfalls 
hinderliche  Nothfluss  wird  durch  die  Teufifelspruck  leicht 
pjissierbar.  Vom  luventae  regnum  im  nordosten  ftlhrt  der 
Krebsgang  der  fleissigen  und  frommen  Jugend  durch  das 
Magni  Stomachi  Imperium,  Mammonia  und  Prodigalia  nach 
der  nordwcstlicli  gelegenen  Scnectae  regio,  wo  er  selbst  zum 
Krebsgang  des  sdilarafiischen  wollebens  wird.  Im  centrum 
des  fcstlandcs  am  Truncken-See,  in  welchem  der  Uel)er-Flu88 
und  ein  arm  des  weitverzweigten  Bier -Flusses  münden,  liegt 
die  hauptstadt  Schlaraftcnburg.  Weiter  südlich  sind  die  reiche 
Hibonia,  Respublica  Yenerea,  Stultorum  regnum,  Litigonia,  Lu- 
soria  u.  s.  w.,  und  der  ganze  gewaltige  continent  wird  vom 
Doli  und  vollen,  dem  Luder-Meer  mit  der  Tobago  insula,  und 
im  nordwesteu  von  dem  Traurigeu  Meer  bespült  Dieses 
wenige  mag  genügen;  die  ganze  grosse  karte  ist  mit  unbe- 
schroiblichcr  Sorgfalt  und  trefflichem  witze  bis  ins  kleinste 
ausgeführt. 

Kurzer  rückblick. 

Was  uns(;rem  märchcn  ursprünglich  zu  gründe  liegt,  die 
sage  von  einer  glücklichen,  sorgenlosen  kindheit  des  menschen- 
geschlechtes,  ist  gemcingut  aller  volker.  An  der  entwicklung 
dieser  sage  bis  zu  der  märchengestalt,  wie  sie  noch  uns 
lebendig  vorliegt,  hat  ein  jedes  der  drei  von  uns  betrachteten 
gebiete  seinen  ganz  besonderen  anteil  gehabt.  Von  den 
Griechen  erfuhren  jene  Vorstellungen  eine  eigentümlich  ko- 
mische ausbildung,  und  schon  hier  begann  die  i)an)die  selb- 
ständig zu  werden,  indem  man  zeitlich  weit  zurückliegendes 
auf  raumlich  entferntes,  namentlich  auf  das  land  Indien,  Aber- 

*)  Dabei  bezeichnet  merkwürdiger  weise  mittag  den  norden  nnd 
mitternacht  den  süden,  jedeutalls  weil  sich  der  antor  Bcheate,  die  hOlle 
nacli  oben  und  den  himniel  nach  unten  auf  der  karte  zu  verlegen,  wo- 
gegen er  fiir  onten  und  westen  die  übliche  läge  beibehielt 


SCHLARAFFENLAND.  427 

trug.  Auf  romaniBchcm  gebiete  ward  diese  treunuiig  völlig 
durchgeflihrt  und  ein  eigenes  land  als  sitz  jener  läcberlicheu 
Vollkommenheit  erfunden.  Im  deutschen  endlich  gesellte  sich 
die  moral  dazu  und  verlieh  dem  märchen  zu  dem  unterhalten- 
den auch  noch  einen  gewissen  pädagogischen  wert  Mit  recht 
dürfen  wir  daher  den  schwank  von  Hans  Sachs  als  gipfelpunkt 
in  der  entwicklung  des  märchens  bezeichnen. 

LEIPZIG.  JOHANNES  POESCHEL. 


NIBELUNGENFRAGE  UND  PHILOLOGISCHE 

METHODE. 


Im  Anzeiger  der  Zsehr.  f.  d.  alt.  IV,  46  ff.  hat  Henning 
meine  jibliaiuUun^  zur  Nibelungenfra^e  besprochen.  So  wenig 
ich  im  all«remeiuen  eine  erwiderun^  auf  derartige  besprechungen 
für  angezeigt  halte  ^  so  sehe  ich  mich  doch  in  diesem  falle 
veranlasst  eine  ausnähme  zu  machen;  einerseits,  weil  es  viel- 
leicht von  allgemeinem  nutzen  sein  kann  einmal  gründlich  die 
groben  Verdrehungen  und  Verwechslungen  der  einfachsten  be- 
gritle  bloss  zu  legen,  die  sich  hier  wie  öfter  hinter  vornehm 
a!)sprechendcr  nianier  verbergen;  andererseits,  weil  es  sich 
dabei  um  cardinalfragen  handelt,  nicht  bloss  der  deutschen 
Philologie,  sondern  der  historischen  Wissenschaften  überhaupt 

Mein  kritiker  tadelt  zunächst,  dass  ich  es  nicht  noch  ein- 
mal mit  A  versucht,  sondern  diese  hs.  mit  Holtzm.inn,  Zamcke 
und  Bartsch  als  abgetan  betrachtet  hatte.  Ich  habe  mich  dazu 
um  so  eher  ftir  berechtigt  gehalten,  als  seit  Bartschs  Unter- 
suchungen keine  einzige  wirklich  eingehende  Widerlegung  seiner 
argumente  gegen  A  versucht  war.  Das  wenige  aber,  was  seit- 
dem in  dieser  richtung  geschehen,  sowie  alles,  was  sonst  zu 
gunsten  von  A  vorgebracht  war,  ist  von  mir  berücksichtigt 
und,  wie  ich  glaube,  mit  überzeugenden  gründen  zurück- 
gewiesen. Man  sollte  nun  erwarten,  dass  Henning  von  seinem 
Standpunkte  aus  gerade  diese  Zurückweisungen  zu  entkräften 
versucht  hätte.    Aber  nichts  davon.  *)    Nur  ein    paar  bemer- 

M  Eben  SD  weni^  läHbt  »ich  ScliünbHch,  Zschr.  f.  d.  Ostr.gymn.  1877, 
3Si  IT.  (liii.'iuf  ein.  lUeoer  teil  meiner  schrift  wäre  doch  für  ihn  disca- 
tierbar  gewesen.    Im  übrigen  uinaa  ich  bei  Scbünbach  im  g^egensatze  za 


PAUL  —  NIBELÜNGENFRAGE.  429 

kungen  beziehen  sich  darauf.  Es  wird  von  'Scherers  berech- 
nung  über  die  einrichtung  der  Originalhandschrift'  gesprochen, 
die  'an  sich  für  niemanden  einen  entscheidenden,  sondern  nur 
einen  bestätigenden  wert  haben  kann\  Dem  gegenüber  er- 
kläre ich,  dass  ich  jedem,  der  nach  meinen  bemerkungen  über 
diese  berechnung  (s.  376  flf.)  in  derselben  noch  irgend  welchen 
Wahrscheinlichkeitsgrund  findet,  entweder  die  Urteilsfähigkeit 
oder  die  aufrichtigkeit  absprechen  muss.  Wenn  sie  aber  für 
sich  nichts  beweist,  so  beweist  sie  auch  nichts  im  zusammen* 
hange  mit  anderen  gründen,  zu  denen  sie  in  keinem  causal- 
nexus  steht.  Ich  empfehle  Henning  die  werte  Schönbachs  in 
demselben  hefte  s.  13  zur  beherzigung:  'addiert  man  noch  so 
viele  nullen,  so  wird  keine  ganze  zahl  daraus.' 

S.  385  habe  ich  das  gewöhnliche  verfahren  bei  der  Ver- 
teidigung der  einzelnen  lesarten  von  A  zu  charakterisieren 
versucht  Henning  beschuldigt  mich  deshalb  einer  jesuitischen 
praxis:  ich  müsse  doch  wissen,  dass  dies  verfahren  das  ein- 
zige sei,  welches  bei  allen  ähnlichen  wissenschaftlichen  fragen 
überhaupt  in  an  Wendung  kommen  könne.  Ich  weiss  aller- 
dings, dass  dieses  verfahren  nicht  selten  angewendet  wird, 
aber  ich  weiss  auch,  dass  es  keine  bohne  wert  ist.  Denn  mit 
hülfe  desselben  kann  man  sich  anheischig  machen  die  ur- 
sprünglichkeit  einer  jeden  beliebigen  hs.  zu  erweisen.  Es  ist 
ein  vortreffliches  hülfsmittel  in  der  band  eines  jeden,  dem  es 
darauf  ankommt,  irgend  eine  behauptung  zu  verfechten,  aber 
wertlos  für  denjenigen,  dem  daran  gelegen  ist  die  Wahrheit  zu 
ermitteln.  Meine  Charakteristik  der  methode  ist  auch  keines- 
wegs eine  carricatur,  als  welche  sie  H.  bezeichnet.  Er  hat  ja 
auch  selbst  nichts  angegeben,  wodurch  sich  ihre  wahre  gestalt 
davon  unterscheidet.  Aber  allerdings  ist  das  wirklich  ange- 
wendete verfahren  die  carricatur  einer  unter  umständen  gebo- 
tenen methode.  Ich  will  nämlich  keineswegs  leugnen,  dass  die 
entwicklung  eines  textes  sowol  den  weg  zum  bessern  als  den 
zum  schlechtem  nehmen  kann,  auch  nicht,  dass  beides  zusam- 
men sich  in  einer  einzigen  hs.  zeigen  kann;  denn  das  letztere 
kann  begreiflich  werden   durch   die   annähme  verlorener   zwi- 


Henning  anerkennen,   dasa   er  ein  correctes  referat  Über  meine  schrift 
gibt  und  meiner  argumentation  ein  richtiges  Verständnis  entgegenbringt 


4H()  PAUL 

sohenglieder.  Was  ich  aber  tadle,  ist  dieses ,  dass  eine  solche 
allgemeine  möglichkeit  ohne  weiteres  als  Wirklichkeit  behan- 
delt und  willkürlich  für  einen  bestimmten  zweck  ausgebeutet 
wirdy  während  die  berechtigung  einer  solchen  annähme  erst 
für  einen  jeden  einzelnen  fall  durch  eine  besondere  Unter- 
suchung festzustellen  ist.  Es  steht  erfahr ungsmässig  fest,  dass 
bei  weitem  der  gewöhnliche  weg,  den  namentlich  vom  13.  Jahr- 
hundert an  die  mittelhochdeutschen  texte,  speciell  die.  gedichte 
der  deutschen  heldensage  und  noch  specieller  das  Nibelungen- 
lied eingeschlagen  haben,  der  vom  bessern  zum  sehleohtem 
ist.  Für  das  gogenteil  muss  man  also  einen  zwingenden  be- 
weis verlangen,  und  diesen  ist  man  uns  bisher  noch  schuldig 
geblieben.  Für  die  annähme,  dass  das  schlechtere  eine  ent- 
stellung  sei,  verlangt  man  unter  gewöhnlichen  umständen  gar 
keinen  beweis.  Nützlich  ist  es  jedenfalls  ihn  womöglich  doeh 
zu  liefern,  und  es  ist  eben  ein  besonderes  verdienst  von 
Bartsch,  dies  für  die  lesarten  von  A  getan  zu  haben. 

H.  führt  nun  ein  sonderbares  argument  zu  felde,  wodurch 
den  ausführungen  von  Bartsch  (Untersuchungen  64  £)  ihre 
beweiskraft  entzogen  werden  soll  Er  tadelt  Bartsch,  dass  er 
A  einseitig  angeschwärzt  habe;  es  wäre  seine  pflicht  gewesen 
uns  darüber  aufzuklären,  um  wie  viel  unsorgfältiger  denn  die 
textaufzeichnung  von  A  wäre  als  diejenige  von  B.  Diese  ver^ 
Säumnis  sucht  er  nachzuholen,  indem  er  für  str.  800 — 1400 
Bartschs  fehlerverzeichnisse  aus  A  ein  entsprechendes  aus  B 
gegenüberstellt  (s.  49  ff.),  und  er  kommt  zu  dem  resultate, 
dass  B  ungefUhr  eben  so  viele  nachlässigkeiten  enthalte  als  A. 

Ein  jeder,  der  die  beiden  hss.  kennt,  wird  von  diesem 
resultate  zunächst  betroffen  sein.  Denn  der  allgemeine  ein- 
druck  sagt  ihm  jedenfalls,  dass  A  nachlässiger  sei  als  B.  In- 
dessen den  zahlen  muss  man  wol  glauben.  Es  verhält  sieh 
aber  damit  eigentümlich.  Zunächst  kommt  es  nicht  bloss  auf 
die  zahl,  sondern  auch  auf  die  stärke  der  entstellungen  an, 
und  man  kann  sich  leicht  überzeugen,  dass  unter  den  von 
Bartsch  angeführten  stärkere  sind,  aLs  unter  denen,  die  EL 
beigebracht  hat.  Das  ist  aber  nebensache.  Es  kommt  auf  den 
maassstab  an,  der  bei  der  fehlerliste  angelegt  vnrd.  Es  sind 
hier  zwei  möglich.  Entweder  beurteilt  man  die  einzelnen  hss. 
rein  aus  sich  heraus,  indem  man  nur  das  als  fehler  anrechneti 


NIBELUNGKNFRAGK  431 

was  aus  innoren  gründen  nicht  richtig  sein  kann.  Oder  man 
beurteilt  sie  nach  maassgabe  der  übrigen  hss.,  indem  man  alle 
ab  weichungen  von  demjenigen  texte  zusammenstellt,  der  sich 
aus  einer  vergleichung  der  letzteren  als  der  ursprüngliche 
ergibt. 

Was  tut  nun  H.?  Er  wählt  den  ersten  für  A,  den  zweiten 
für  B^  und  daraus  folgt,  dass  seine  vergleichung  grundfalsch 
ist  Bartsch  will  im  wesentlichen  nur  diejenigen  fälle  zusam- 
menstellen, in  denen  selbst  Lachmann  A  aus  den  übrigen  hss. 
berichtigt  hat  Eine  unbefangene  kritik  hätte  sich  noch  viel 
öfter  dazu  genötigt  gesehen.  Lachmann  hat  sich  nach  mög- 
lichkeit  dagegen  gesträubt  und  hat  auch  eine  menge  solcher 
ab  weichungen  aufrecht  gehalten,  resp.  durch  conjectur  gebessert, 
die  sich  auf  das  einfachste  als  entstellung  des  textes  der  re- 
cension  B  erklären,  zum  teil  nur  aus  dem  gründe,  um  darauf 
hin  die  betrefifende  Strophe  verwerfen  zu  können.  Bartsch  fügt 
dann  allerdings  zur  vergleichung  auch  einige  von  Lachmann 
nicht  verworfene  abweichungeu  bei,  die  IL  wenigstens  meistens 
mitgezählt  zu  haben  scheint  Doch  ist  die  zahl  derselben 
ausser  bei  den  Wortumstellungen  nicht  sehr  bedeutend.  Da- 
gegen hat  Bartsch  in  seiner  ausgäbe,  von  welcher  H.  ausgeht, 
zwar  die  hs.  B  ein  wenig  zu  sehr  bevorzugt,  er  nimmt  aber 
doch  zu  derselben  einen  ganz  anderen  Standpunkt  ein  als 
Lachmann  zu  A.  Er  verwirft  nicht  bloss,  wie  es  der  letztere 
noch  nicht  einmal  getan  hat,  alle  sinn  und  vers  entstellenden 
abweichungeu,  sondern  fast  durchweg  auch  die  an  sich  un- 
tadeligen lesarten,  welche  sich  durch  die  autorität  der  übrigen 
hss.  der  gruppe  als  unursprünglich  ausweisen.  Uebrigens  wird 
weiter  die  Zuverlässigkeit  der  vergleichung  dadurch  in  ft'age 
gestellt,  dass  weder  Bartschs  noch  Hennings  Verzeichnis  ganz 
vollständig  ist  Allerdings  wirkt  die  beiderseitige  unvoUstän- 
digkeit  ausgleichend. 

Uni  ein  ungefähres  bild  von  den  Verhältnissen  zu  geben, 
verzeichne  ich  die  abweichungeu  beider  hss.  von  Bartschs  texte 
in  den  ersten  50  von  H.  verglichenen  Strophen. 

A.  Von  Bartsch  angeführt:  806,  3  fuorte  =  ruorte\  810,  3 
zurzervile  =  kurzemle\  811,  2  manigem  =  maniger]  818,  2 
fehlt  =  swie]  820,  2  niht  die  rede  =  die  rede  ruht]  826,  4 
genuoch  (auch  b)  =  niht]   828,  4  fehlt  =  diwe\  829,  3  her  ie 


432  PAUL 

=  ie  her]  833,  1  fehlt  =  die]  835,  4  kiemhiit  =  Kriemhilt\ 
838,  4  wip  (Ja)  =  diu]  840,  4  wem  =  wen\  846,  3  mich  «»= 
mn]  also  15  fälle. —  Von  Bartsch  nicht  angeführt,  aber  auch 
von  Lachmann  verworfen:  801,  1  zwo  =  6z«;  802,4  weriicher 
=  wcetRcher]  807,  1  rvol  =  vol]  807,  2  zweimal  geschrieben; 
814,  2  gesach^)  =  gescach]  820,  4  gesach  (b)  =  geschach]  824, 
2  danmer  =  dannc]  826,  1  kunige  =  kütieges]  834,  1  moii  = 
waw ;  gesach  (B)  =  geschach  ]  also  1 0  fölle.  —  Von  Bartsch 
nicht  augeführt  und  von  Lachmaun  beibehalten:  801,4  meman 
da  =  da  nienien]  806,  4  fohlt  (DJd)  =  vil\  807,  1  fohlt  = 
daz]  808,  1  manic  pusune  luie  vil  kreftecUch  erdoz  =  vil  kref- 
tecltche  lüte  manic  piisün  erdoz]  808,  2  der  schal  wart  »=  wart 
der  schal]  810,  3  (b)  manigen  =  manigtfn]  812,  2  fehlt  »>  t;//; 
814,  4  fehlt  (Jb)  =  vil]  816,  2  din,  mide  sin  (Db)  =  sin  unde- 
din]  816,  4  wile  daz  (Jd)  =  wile]  817,  1  fehlt  =  «u;  817,  3 
sam  =  alsmn]  818,  2  soUu  =  muost  tu]  819,  1  fehlt  »i  jro/; 
820,  3  fehlt  (Dbd)  =  aller]  821,  2  fehlt  =  des  selbe]  821,  3 
ich  im  =  ihs  in]  822,  4  last  die  rede  =  die  rede  läzest]  823, 
4  daz  =  vil]  825,  2  fehlt  (J)  =  daz]  825,  4  fehlt  (Jd)  =  der] 
826,  1  sprach  do  (Db)  =  sprach]  827,  2  geiehen  (fc)  =  wer^ 
y^Äen;  827,  3  so  =  7iu]  829,  2  fehlt  =  ^«/6^;  830,  4  triwen  = 
entriuweti]  831,  3  fehlt  =  a7id]  ir  iht  (I)  —  ir]  835,  1  fehlt 
«B  ^az;  835,  4  schostie  =  vrou^^e  (aus  schämen  z.  3);  836,  3 
kuniges  (D)  =  künige]  837,  4  prunhilde  ze  leide  =  z«  /eiilf 
Prütüülde]  838,  3  fehlt  =  ^(/V/^;  839,  2  ^ir/^m  (J)  =  geswigm] 
lihte  guot  (J)  =  guot]  839,  3  fohlt  =  seihe]  fehlt  (Jad)  = 
de^i]  840,  2  fehlt  =  den]  840,  4  d/;t^/i  =  dlrden\  fehlt  —  an; 
841,  3  fehlt  =  alle]  841,  4  triwen  =  entriuwen]  842,  3  o»  <= 
m;  843,  4  £?a  (a)  =  des]  fehlt  =  t;i7;  844,  1  diende  =  ^^ 
diefide]  saiic  (a)  =  gesanc]  845,  1  ?mc/  =  m//;  845,  2  diaAl^ 
=  gedahte]  846,  2  erf^/  =  vrouwe  {edel  aus  846,  1);  847,  1 
vro  ==  rf/w  vrouwe]  847,  2  enhende  =  an  der  hende]  847,  3 
fehlt  =  erste]  848,  1  £?az  (J)  =  diz]  848,  2  fehlt  =  vil\ 
849,  2  fehlt  =  wol]  fehlt  =  und]  849,  3  fehlt  (b)  =  hie\ 
849,  4  fehlt  (b)  =  min]  also  59  fälle.  15  +  10  +  59=  84.  — 
Ausserdem  hat  A  in  dieser  partie  noch  einige  zum  teil  etwas 
bedeutendere  abweichuugen,  welche  sich  nicht  wol  unter  die 

*)  Diese  Schreibung  wird  von  Bartsch  s.  64  besprochen. 


.'fk^ 


NIBELUNGENFRAGE.  433 

von    Bartsch    aufgestellten   kategorieen    unterbringen    lassen: 

831,  4.    836,  4.    840,  2.   841,  2.    845,  4.    847,  3. 

B.  Von  H.  angeführt  800,  3  fehlt  =  er;  SOi^  A  der  was 
(D)  =  was]  804,  3  si  =  die]  807,  1  fehlt  =  ez]  807,  2  der  shal 
=  schal]  809,  2  guotem  =  gtwten\  809,  A  da  =  der]  810,  1 
herlichiu  =  her  liehen]  813,  2  fehlt  =  */;  814,  1  hovp  =  huop] 
821,  4  div  (i  ausradiert)  =  do]  822,  3  friuntliche  =  friuni- 
liehen]  825,  2  fehlt  =  du]  827,  3  beide  (d,  nicht  leide)  = 
beider]    828,  1    da  =  daz]    829,  1    bürgenden  «=■  Burgonden] 

832,  4  wi  =  ßjy;  834,  4  war  =^  iraW;  840,  2  fehlt  =  dicA; 
843,  4  ir  liehtiu  (d)  =  liehtiu]  846,  3  ar  mich  =  /r;  also  21 
fälle,  wovon  einer  3  mal  geltend  gemacht  wird.  —  Von  H.  nicht 
angeführt:  802,  3  het  e  (J)  =  e  hete]  808,  1  crepfteliche  = 
kreftecJkhe]  810,  4  fehlt  (Db)  =  da]  811,  4  den  volgeie  (d) 
=  volgeie]  818,  4  wizesi  (d)  =  wizze]  819,  1  do  vrou  =  die 
vrouwe  Dbd  (aber  AJ  Bartsch);  821,  2  £?a  (b)  =  dd\  821,  3 
Ää?re  =  horte]  823,  1  /awe  =  ich]  824,  3  d^  »ww  =  min] 
827,  4  c«w  (Jd)  =  ze]  gan  (J)  =  gegän]  831,  1  chleidete 
=  kleidet]  834,  1  gesach  (A)  *=  geschach]  839,  4  werden  immer 
=  iwmer  werden]  840,  1  sprach  do  (d)  =  sprach]  843,  1 
weinende  (d)  =  weinde]  845,  1  ^i  miY  ir  vrowen  (J)  -«  miY  ir 
vrouwen  gie]  847,  3  m/r  durchstrichen  =  m;  849,  2  gedaht 
(Ca)  =  gedaget]  20  fälle.  —  21  +  20  =  41.  Sonst  finden  sich 
nur  noch  zwei  abweichungen  von  Bartschs  texte,  welche  B  mit 
mehreren  anderen  teilt,  so  dass  die  echte  lesart  zweifelhaft 
bleibt:  829,  4  des  grozen  BDJbd  =  grdzen]  839,  1  schäme 
ABJd  =  frouwe. 

Wir  sehen,  wie  sehr,  von  dieser  seite  her  betrachtet,  die 
vergleich ung  zu  Ungunsten  von  A  ausfällt,  wobei  noch  gar 
nicht  berücksichtigt  ist,  dass  die  entstellungen  in  A  meist  be- 
deutender sind.  Indessen  Henning  wird  von  seinem  Stand- 
punkte aus  diese  art  der  vergleichung  nicht  berechtigt  finden. 
Sehen  wir  daher,  wie  sich  die  sache  bei  der  anderen  mög- 
lichen verfahrungsweise  etwa  stellen  wird.  Es  ist  ganz  klar, 
dass,  wenn  wir  B  ohne  rttcksicht  auf  die  übrigen  hss.  be- 
urteilen, ein  grosser  teil  von  der  fehlerliste  Hennings  zu 
streichen  ist.  Sind  doch  darin  sogar  nicht  wenige  orthogra- 
phische und  dialectische  abweichungen  aufgenommen.  So  selt- 
samer weise  wnschen,   da   es  doch   in  unseren  hss.  ganz  ge- 

Deltrüfro  mvu  gesohlohte  der  (tontMhen  ipraoh«.    V  2S 


434  PAUL 

wohnlich  ist  das  u  neben  rv  zu  sparen,  weshalb  auch  gerwen 
für  geruowen  kaum  als  ein  versehen  angesehen  werden  kann. 
Femer  mettene  =  metAne,  jämerges,  Burgenden,  berechtigte 
nebenform  fllr  Burgonden,  5  mal  m  für  n  im  auslaut  vor  la- 
bial, wo  wahrscheinlich  im  Zusammenhang  der  rede  immer 
m  gesprochen,  nur  nicht  immer  geschrieben  wurde.  Und  noch 
manches  andere  hätte  als  ungenauigkeit  der  Orthographie,  wie 
sie  in  den  besten  hss.  vorkommt,  kaum  angeführt  werden 
dürfen.  Dazu  kommen  eine  reihe  an  sich  ganz  un verwerflicher 
lesarten.  Unter  den  von  mir  aufgeführten  ist  höchstens  die 
hälfte  unzulässig;  und  wenn  wir  uns  wie  die  Verteidiger  von 
A  nicht  scheuen,  auch  das  schlechtere  zu  wählen  oder  durch 
coi\jectur  nachzuhelfen,  so  können  wir  noch  mehr  davon  retten. 
Aber  zugegeben,  H.  hätte  bemesen,  dass  B  gerade  so 
nachlässig  geschrieben  sei  wie  A,  was  folgt  daraus?  Weiter 
nichts,  als  dass  eine  einseitige  bevorzugung  von  B  gegenQber 
den  anderen  hss.  eben  so  wenig  berechtigt  ist  als  eine  der- 
artige bevorzugung  von  A.  Will  denn  aber  überhaupt  jemand 
B  auf  diese  weise  bevorzugen,  wie  es  Lachmann  mit  A  ge- 
macht hat?  Komisch  ist  Hennings  Vorwurf  gegen  Bartsch,  dass 
er  nicht  auch  die  fehler  von  B  aufgezählt  hat  Er  hätte  ihm 
eben  so  gut  vorwerfen  können,  dass  er  nicht  die  fehler  von 
D,  J,  d  etc.  aufgezählt  hat.  Wozu  hätte  er  sich  die  unnütze 
mühe  machen  sollen  etwas  zu  widerlegen,  was  niemandem  ein- 
fällt zu  behaupten  ?  Wenn  aber  H.  mit  seinem  feldzuge  gegen 
die  handschrift  B  irgend  etwas  gegen  die  recension  B 
ausgerichtet  zu  haben  glaubt,  so  verwechselt  er  die  elementar- 
sten begrifife  in  einer  weise,  wie  es  niemandem  begegnen  dürfte, 
der  es  unternimmt  sich  mit  philologischer  kritik  zu  bemengen. 
Der  nachweis  der  unzuverlässigkeit,  den  Bartsch  fttr  A  geführt 
hat,  ist  in  seiner  gUltigkeit,  was  H.  nicht  begriffen  zu  haben 
scheint,  vollkommen  unabhängig  von  jeder  beziehung  auf  an- 
dere hss.  Will  man  ihn  entkräften,  so  muss  man  entweder 
zeigen,  dass  die  von  Bartsch  aufgeführten  nachlässigkeiten 
keine  sind,  oder  man  muss  uns  endlich  einmal  den  gnmd 
klar  machen,  warum  nur  gerade  so  viel,  wie  Lachmann  aner- 
kannt hat,  als  nachlässigkeit  gelten,  und  warum  anderes,  was 
genau  ebenso  aussieht,  mit  einem  anderen  maassstabe  gemessen 
werden  soll. 


NBBELÜNGENFRAGE.  435 

Zu  dem  excurse  über  Bailschs  fehlerverzeichnis  habe  ich 
durch  meiue  abhandlung  keine  Veranlassung  gegeben.  Wol 
aber  habe  ich  Bartschs  beweis  für  die  Strophenauslassungen  in 
A  gegen  Scherers  angriflfe  zu  sichern  versucht.  Hiervon,  wie- 
wol  es  einen  cardinalpunkt  betrifft,  und  damit  über  Lachmanns 
kritik  der  stab  gebrochen  ist,  schweigt  Henning,  doch  wol, 
weil  sich  nichts  gegen  meine  argumentation  einwenden  lässt, 
wenn  überhaupt  noch  die  ersten  grundlagen  aller  historisohen 
Wahrscheinlichkeit  etwas  gelten  sollen. 

Ich  habe  es  s.  390  im  falle,  dass  zwei  recensionen  eines 
Werkes  vorliegen,  für  ebenso  möglich  erklärt,  dass  beide  un- 
abhängig von  einander  aus  derselben  quelle  geflossen  sind,  als 
dass  eine  aus  der  anderen  entstanden  ist  Deswegen  werde 
ich  von  H.  s.  51  getadelt,  welcher  es  natürlich  findet,  wenn 
man  zusieht,  wie  man  mit  äiner  recension  auskommt.  Dass 
die  zweite  von  den  beiden  möglichkeiten  das  gewöhnliche  sein 
soll,  widerspricht  durchaus  der  erfahrung.  In  den  seltensten 
fällen  ist  von  mehreren  erhaltenen  hss.  eine  aus  einer  anderen 
abgeschrieben.  Mit  handschriftengruppen  ist  es  nicht  anders. 
Sie  entsprechen  ja  verlorenen  handschriften.  Ob  die  einzelnen 
gruppen  stärker  oder  schwächer  von  einander  abweichen,  ob 
man  sie  geradezu  als  verschiedene  recensionen  bezeichnen 
will,  macht  dabei  keinen  unterschied.  Beispiele  anzuführen  ist 
unnötig,  da  sie  massenhaft  vorliegen.  Ein  besonders  lehr- 
reiches beispiel  liefert  die  in  diesem  hefte  abgedruckte  Marien- 
klage. Allerdings  wird  in  der  regel  die  eine  recension  dem 
originale  näher  stehen  als  die  andere.  Das  nehme  ich  ja  aber 
auch  von  B  an.  Ich  vermute  für  dieselbe  gar  keine  derartig 
durchgreifende  Umgestaltung,  wie  sie  zu  den  ausnahmen  gehört, 
sondern  nur  eine  solche,  wie  sie  bei  den  mittelhochdeutschen 
texten,  insbesondere  den  gedichten  aus  der  deutschen  helden- 
sage  ganz  gewöhnlich  ist. 

Wenn  nun  aber  H.  behauptet,  ich  hätte  mich,  ohne  auf 
die  erste  möglichkeit  rücksicht  zu  nehmen,  von  vornherein  für 
die  zweite  entschieden,  so  beruht  diese  behauptung  widerum 
nur  auf  einem  mangel  an  unterscheidungsvermögen  seinerseits. 
Wo  habe  ich  denn  etwas  von  vornherein  vorausgesetzt?  Be- 
schäftigt sich  doch  der  grösste  teil  meiner  arbeit  damit,  erst 
zu  untersuchen,  ob  irgend  ein  zwingender  grund  vorliegt,  sich 

28  ♦ 


436  PAUL 

für  die  annähme  der  zweiten  möglichkeit  zu  entscheiden. 
Wenn  man  aber  beweist ,  dass  von  zwei  möglichkeiten  die 
eine  geltung  hat,  so  ist  damit  eo  ipso  die  andere  ausge- 
schlossen. Dass  ich  bei  der  Fragestellung  die  zweite  in  den 
Vordergrund  stellen  muste,  liegt  in  der  natur  der  sache.  Um 
sich  zu  überzeugen,  dass  ich  die  erste  dabei  nicht  vergessen 
habe,  möge  sich  H.  s.  412  fif.  ansehen.  Eine  ganz  andere 
frage  ist,  ob  meine  argumente  stichhaltig  sind.  Hätte  ich  da- 
gegen getan,  was  H.  empfiehlt,  dann  würde  ich  eben  den 
fehler  begangen  haben,  den  er  falschlich  an  mir  tadelt,  von 
zwei  möglichkeiten  die  eine  nicht  berücksichtigt  zu  haben. 

S.  53  macht  es  mir  H.  zum  Vorwurf,  dass  ich  einen  un- 
terschied zwischen  den  verschiedenen  arten  und  graden  der 
reimungenauigkeit  gemacht  habe.  Gewis  wäre  nur  das  ent- 
gegengesetzte zn  tadeln  gewesen,  wenn  ich  die  fast  allgemein 
üblichen  leichteren  ungenauigkeiten  mit  den  bedeutenderen  zu- 
sammengeworfen hätte,  welche  sich  nur  wenige  dichter  gestat- 
ten, die  in  bezug  auf  die  formale  technik  hinter  ihrer  zeit 
zurückgeblieben  sind.  H.  fragt:  'was  berechtigt  uns  einen 
unterschied  zu  machen  zwischen  fruo :  d6  und  Gem6t :  tuot,  zwi- 
schen in  :  mi  und  tiaht :  bedähi,  zwischen  sim  :  (tum  und  sun 
:  frumV  Hierauf  antworte  ich  folgendes.  Auf  den  reim  naht 
:  bedäht  habe  ich  ausdrücklich  kein  gewicht  gelegt  (vgl.  s.  410); 
fruo :  do  ist  kein  ungenauer  reim ,  sondern  es  ist  die  vollbe- 
rechtigte nebenform  duo^)  einzusetzen,  die  schon  Isidor  hat 
und  die  sehr  häufig  im  reime  gebraucht  wird;  die  reime  9un 
:  tuon  und  sun :  frum  aber  sind  doch  absolut  versehiedener 
natur.  Und  wo  sind  die  parallelen  zu  Hagene :  hdbeney  :  gor 
deme,  :  zesamefie  etc.,  von  denen  H.  an  dieser  stelle  wol weis- 
lich schweigt?  Die  reime  fiiht :  lieht,  in  :  sin,  bräht :  maM  und 
hört :  gehört  hätte  ich  anführen  sollen.  Sie  gehören  aber 
natürlich  unter  die  classe  der  beinahe  allgemein  gestatteten 
reimfreiheiten,  und  tun  gar  nichts  zur  sache.  Wir  können  den 
unterschied  der  nur  in  äiner  recension  und  der  in  beiden  vor- 
kommenden ungenauigkeiten  sehr  bestimmt  dadurch  charakte- 
risieren, dass  die  letzteren  niemals  die  consonanten  betreffen. 
Ist  das  nicht  unterschied  genug? 

*)  duo  ist  ursprünglich  die  vollbetonte,  dd  die  proklitische  oder 
enklitische  form. 


NIBELÜNGICNFRAGE.  437 

In  bezug  auf  die  tod  mir  angestellten  rechnungen  bemerkt 
H.  8.  54:  Mch  denke  sehr  hoch  von  der  Verdeutlichung  durch 
Zahlenstatistik,  nuc  muss  man  sehr  darauf  bedacht  sein,  nicht 
alle  fälle ;  die  nur  äusserlich  und  rein  formell  sich  zusammen- 
fassen lassen,  die  aber  innerlich  einen  ganz  verschiedenen 
wert  haben  können,  über  einen  kämm  zu  scheeren;  es  bedarf 
unter  umständen  dazu  einer  sehr  feinen  band.'  Diese  allge- 
meinen phrasen  zeigen,  dass,  wenn  H.  sich  auch  des  vermisten 
Vorzuges  einer  sehr  feinen  band  erfreuen  mag,  er  doch  eine 
Verfeinerung  seines  kopfes  noch  rocht  gut  brauchen  könnte. 
Denn  es  geht  daraus  hervor,  dass  er  den  zweck  meiner  rech- 
nungen absolut  nicht  begrififen  hat. 

Die  auf  s.  427  angestellte  rechnung  betriflft  die  reim- 
abweichungen.  Allerdings  sind  die  dabei  von  mir  zusammen- 
gefassten  fälle  verschiedener  natur.  Aber  das  wollte  ich  ja 
eben  damit  beweisen.  Nach  Bartschs  aufifassung  sollten  die 
fälle  alle  unter  dieselbe  kategorie  (die  beseitigung  ungenauer 
reime)  gehören.  Meine  rechnung  stellt  fest,  was  unter  dieser 
Voraussetzung  der  gleichen  natur  aller  fälle,  nach  den  gesetzeu 
der  Wahrscheinlichkeit  hätte  eintreten  müssen.  Aus  dem  Wider- 
spruche des  resultates  mit  den  wirklichen  Verhältnissen  schliesse 
ich  dann,  dass  die  fälle  nicht  alle  unter  die  äine  bewuste 
kategorie  gebracht  werden  können.  In  ganz  analoger  weise 
habe  ich  durch  die  letzte  rechnung  festgestellt,  was  für  Ver- 
hältnisse zu  erwarten  wären,  wenn  wirklich  alle  von  Bartsch 
aufgeführten  fälle  der  abweichung  auf  die  tendenz  zur  aus- 
fllUung  der  Senkungen  zurückzuführen  wären.  Und  die  folge- 
rung,  die  ich  aus  meiner  rechnung  ziehe,  ist  widerum,  dass 
die  fälle  ^  nicht  alle  über  einen  kämm  geschoren  werden 
dürfen '. 

Eben  so  wenig  falsch  ist  der  ansatz  bei  den  rechnungen 
auf  8.  421.  2.  Es  wird  darin  nichts  anderes  festgestellt,  als 
was  bei  blossem  walten  des  Zufalles  zu  erwarten  wäre,  und 
der  schluss,  der  aus  dem  resultate  der  rechnung  gezogen  wer- 
den kann,  ist  kein  anderer,  als  dass  die  annähme  des  blossen 
Zufalls  zur  erklärung  der  wirklichen  Verhältnisse  nicht  aus- 
reicht, und  dass  daher  noch  irgend  ein  moment  für  die  erklä- 
rung gesucht  werden  muss.  Worin  dies  besteht,  darüber  gibt 
die  rechnung  keinen  aufschluss,  und  das  ist  eine  von  derselben 


438  PAUL 

ganz  unabhängige  frage.  H.  sieht  sich  ja  auch  selbst  reran- 
lasst  nach  einem  solchen  momente  zu  suchen.  Dasjenige^ 
welches  er  dem  von  mir  geltend  gemachten  gegenüberstollty 
verdient  allerdings  geprüft  zu  werden.  Diese  prilfung  ist  aber 
erst  auf  gruud  erfahrungsmässiger  beobachtungen  möglich|  die 
ich  noch  vermisse.  Sollte  II.  im  stände  sein  diesell)en  beizu- 
bringen, so  wird  er  mich  l)ereit  finden  seinen  gesichtspunkt 
anzuerkennen.  Irgend  ein  notwendiges  glied  in  meiner  schluss- 
kette  wird  übrigens  dadurdi  nicht  zerstört. 

Wenn  es  H.  als  ergebnis  seiner  kritik  ausspricht,  dass 
meine  arbeit  nicht  gar  viel  neues  enthalte,  so  habe  ich  dies 
schon  selbst  bekannt.  Aber  eben  so  nützlich  und  mitunter 
viel  nützlicher  als  etwas  neues  aufzustellen  dünkt  es  mich 
etwas  bestrittenes  mr)glichst  sicher  und  allgemein  übei*zeugend 
als  richtig  zu  erweisen.  Zugleich  aber  kam  es  mir  auf  einen 
allgemeineren  gesichtspunkt  an.  Ich  wollte  die  milngel  des  ge- 
wöhnlichen Verfahrens  1)ei  derartigen  Untersuchungen  und  die 
notwendigkeit  der  berücksichtigung  gewisser  factoren  einmal 
an  einem  hervorragenden  l)eispiele  so  genau  wie  möglich  ver- 
anschauli(;hen.  Aber  trotz  der  ausführlichkeit  meiner  darstel- 
lung  scheint  es,  dass  das  wesen  des  von  mir  angewendeten 
Verfahrens  von  verschiedenen  seiten  gänzlich  verkannt  wird. 

Hierher  gehört  wol  auch  die  bemerkung,  womit  Scherer 
im  Anz.  der  Zschr.  f.  d.  altert.  IV,  105  den  zustand  der  deut- 
schen Philologie  schildert:  'Man  sucht  die  methoden  zu 
mechanisieren  und  was  sich  nicht  mechanisch  behandeln 
lusst,  das  wird  für  unwichtig  ausgegeben,  oder  die  beschäfti- 
gung  damit  soll  inexacte  tendenzen  oder  —  den  schrecklich- 
sten der  schrecken  —  journalistische  ncigungen  verraten;  es 
wäre  in  der  tat  sehr  schön,  wenn  wir  die  methoden  so  aus- 
bilden könnten,  dass  sie  wie  maschinen  wirkten  und  dass  es 
ganz  gleichgültig  wäre,  ob  sie  ein  csel  oder  ein  gescheiter 
mensch  handhabt  ctcJ  Ich  glaube  nicht  zu  irren,  wenn  ich 
vermute,  dass  diese  auslassung  ausser  gegen  Zaincke  wesent- 
lich gegen  mich,  und  speciell  gegen  meine  Nibelungenarbeit 
gerichtet  ist. 

lieber  die  'journalistischen  tendenzen'  habe  ich  mich  in 
der  Jen.  literaturztg.  1S77  no.  27  klar  genug  ausgesprochen, 
so  dass  CS  keines  wertes  mehr  bedarf.    Es  ist  schlimm ,  wenn 


NIBELÜNGENFRAGE.  439 

Scherer  darauf  nicht  anders  zu  erwidern  yermag  als  mit  der- 
artigen, die  Sachlage  verdrehenden  anspielungen,  die  freilich 
wol  dazu  dienen  mögen,  ihm  die  bundesgenossenschaft  alier 
Journalisten  zu  gewinnen ,  die  er  ja  sehr  wol  zu  schätzen 
weiss. 

Was  aber  das  ^mechanisieren  der  methode'  betrijQFt,  so 
steckt  dahinter  wider  eine  kleine  Verschiebung  der  begrififei 
wie  wir  sie  in  der  poleraik  Scherers  gewohnt  sind.  Wenig- 
stens was  ich  unter  ^mechanisieren  der  methode'  verstehen 
würde,  ist  etwas  ^anz  anderes,  als  was  Scherer  hier'meinen 
kann,  es  ist  etwas,  worin  gerade  die  schule,  die  sich  mit  dem 
nauieu  Lachmann  schmückt,  grosses  geleistet  hat.  Man  ver- 
gleiche die  art,  wie  verschiedene  gedichte  aus  dem  kreise  der 
deutschen  heldensage  genau  nach  der  Schablone  von  Lach- 
manns Nibeluugenkritik  tractiert  sind,  wie  die  Lachmannsche 
Vierhebungstheorie  für  die  gesammte  alliterierende  dichtung 
verallgemeinert  ist,  wie  die  metrischen  regeln  Lachmanns  un- 
geprüft die  basis  für  die  mittelhochdeutsche  textkritik  und 
vielfach  auch  für  die  höhere  kritik  abgegeben  haben,  wie  die 
Lachmannsche  zahlenmystik  gespukt  hat.  War  doch  jede 
Selbstbesinnung,  jedes  nachdenken  über  die  berechtigung  der 
überliefeiiien  methodo  von  jeher  verpönt.  Das  ist  allerdings 
eine  manier,  wodurch  auch  dem  mittelmässigsten  köpfe  ein 
recept  in  die  band  gegeben  wird,  mit  hülfe  dessen  er  auf  alle 
fälle  etwas  zurecht  braut.  Auch  in  Scherers  arbeiten  blickt 
vielfach  die  Schablone  durch.  Ich  will  damit  keineswegs 
leugnen,  dass  in  ihnen  auch  noch  etwas  ganz  anderes  steckt. 
Aber  gerade  diese  alte  Schablone  ist  es,  wodurch  er  fast  allein 
mit  der  älteren  Lachmannschen  schule  zusammenhängt.  Und 
dass  seine  schüler  sich  widerum  bemühen,  seine  art  zur  Scha- 
blone für  ihre  arbeiten  zu  machen,  kann  ein  jeder  leicht  sehen. 
Das  nenne  ich  mechanisieren  der  methode,  und  stelle  dem 
gegenüber  dasjenige  verfahren,  welches  in  jedem  einzelnen 
falle  unmittelbar  auf  die  natur  der  Vorgänge  zurückgeht,  um 
die  es  sich  handelt,  und  keine  anderen  gesetze  anerkennt,  als 
die,  welche  daraus  fliessen. 

Was  aber  Scherer  hier  meint,  kann  doch  wol  nur  eine 
methode  sein,  die  sich  nur  mit  der  mechanischen  seite 
der  historischen  Vorgänge  beschäftigt,  nicht  mit  den  da- 


440  PAUL 

bei  tätigen  seelenkräften.  Das  mechanische  liegt  also  gar 
nicht  in  der  methodo,  sondern  im  gegenstände.  Zur  beurtei- 
lung  mechanischer  yorgäng:e  gehört  aber  keineswegs  bloss 
mechanische  geistestätigkeit.  Oder  meint  Scherer ,  dass  zu 
einem  guten  mathematiker,  physiker  oder  Statistiker  sich  auch 
ein  esel  schicke?  Was  speciell  meine  Untersuchungen  betrifft, 
so  sind  sie  ja  selbst  fttr  seinen  schüler  Henning  nioht  einmal 
recht  fassbar  gewesen. 

Wenn  ferner  Scherer  die  riehtung,  der  er  sich  gegenüber- 
stellt, dadurch  charakterisiert,  dass  sie  überhaupt  die  Vertie- 
fung in  das  Seelenleben  vergangener  geschlechter  von  der 
Philologie  auszuschliessen  sucht,  so  ist  dies  ein  Vorwurf,  der 
mich  jedenfalls  nicht  treffen  kann.  Ich  habe  mich  darüber 
ebenfalls  deutlich  an  der  angeführten  stelle  der  Litcraturztg 
ausgesprochen.  Und  ich  weiss  nicht,  ob  er  überhaupt  jemand 
trifft.  Wärmt  nicht  Scherer  trotz  meines  protcstes  nur  die  alte 
Verwechselung  wider  auf,  die  an  stelle  des  Widerspruchs  gegen 
seine  psychologie  den  Widerspruch  gegen  die  psychologie  über- 
hau])t  einsetzt?  Oder  hält  er  es  schon  für  verwerflich,  dass 
man  auf  das  so^^enanntc  '  mechanische '  überhaupt  gewicht  legt, 
dass  mau  es  psychologischen  combinationen  als  etwas  gleich- 
notwendiges an  die  seile  zu  setzen  wagt  ?  Dann  allerdings  bin 
ich  seinem  tadel  unterworfen,  und  mit  mir  alle  philologen,  die 
den  namen  vordienen.  Wer  es  für  keinen  gewinn  hält  luft- 
Schlösser  zu  I)auen,  die  vor  dem  ersten  windstoss  einer  nüch- 
ternen kritik  in  trümmer  zerfallen ,  wem  es  darauf  ankommt 
auf  festem  gründe  solide ,  wenn  auch  unscheinbarere  bäuser 
aufzuführen,  der  darf  nicht  fo  geringschätzig  von  der  'mecha- 
nischen methode'  sprechen. 

Es  ist  nun  eine  speciiische  eigentümlichkeit  in  meiner 
Nibelungenschrift,  die  Scherer  vorzugsweise  bei  seinem  vor- 
würfe des  mechanisierens  der  methode  im  äuge  gehabt  zu 
haben  scheint,  nämlich  die  möglichst  exact  durchgeführte  be- 
rechnung  des  zufalls.  Dies  ist  eben  der  punkt,  auf  den  ich 
bei  meiner  arbeit  das  meiste  gewicht  gelegt  habe,  eben  weil 
er  so  gewöhnlich  veinachlässigt  wird.  Ich  sehe  wol,  dass 
noch  mancher  darüber  aufgeklärt  werden  muss,  welche  stelle 
denn  eigentlich  die  berücksichtigung  des  zufalls  bei  philologi-» 
sehen  und  historischen  Untersuchungen  einzunehmen  bat 


NIBELÜNGENFRAGB.  441 

Jede  positive  ergänzung  der  geschichtlichen  Überlieferung 
durch  combination  besteht  darin,  dass  zwei  oder  mehr  über- 
lieferte (resp.  schon  durch  anderweitige  combinationen  ermit- 
telte) tatsachen  durch  die  ansetzung  einer  weiteren  nicht  über- 
lieferten in  einen  causalnexus  mit  einander  gebracht  werden. 
Eben  auf  der  durch  sie  bewirkten  herstellung  des  causalnexus, 
und  auf  nichts  anderem  beruht  die  berechtigung  einer  jeden 
historischen  combination.  Eine  vereinzelte  tatsache  berechtigt 
natürlich  zu  gar  keiner  combination.  Das  ist  ein  einfaches 
logisches  gesetz,  welches  aber,  so  selbstverständlich  es  ist,  doch 
oft  genug  übertreten  wird,  unter  andern  von  Scherer;  vgl. 
Beitr.  IH,  s.  376. 

Soll  nun  die  hypothetische  tatsache  für  uns  annähernd 
den  wert  einer  überlieferten  erlangen,  so  muss  eine  logische 
nötigung  zu  der  hypothese  nachgewiesen  werden.  Und  da 
muss  die  erste  frage  sein,  ob  wir  überhaupt  veranlassung 
haben  irgend  einen  causalnexus  zwischen  den  überlieferten 
tatsachen,  um  die  es  sich  handelt,  zu  vermuten;  oder  mit  an- 
deren Worten,  ob  dieselben  in  bezug  auf  einander  zu- 
fällig sein  können  oder  nicht  Diese  frage  ist  es,  die  so 
häufig  übersprungen  oder  nicht  mit  der  nötigen  Unbefangenheit 
beantwortet  wird,  und  die  doch  so  überaus  wichtig  ist,  beson- 
ders bei  metrischen  und  stilistischen  Untersuchungen  und  bei 
der  beurteilung  von  handschriftenverhältnissen.  Die  Versäum- 
nis nach  dieser  richtung  hin  nachzuholen  und  dabei  so  exact 
wie  möglich  zu  verfahren,  war  die  eigentliche  tendenz  meiner 
Schrift.  Das  resultat  einer  derartigen  unterscheidungsmethode 
kann  ein  negatives  oder  ein  positives  sein.  Entweder  ergibt 
sich,  dass  das  zusammentreffen  gewisser  umstände  nach  den 
gesetzen  der  Wahrscheinlichkeit  ein  zufälliges  sein  kann,  und 
dann  folgt  daraus,  dass  man  nach  keiner  Ursache  dafür  suchen 
darf;  oder  es  ergibt  sich,  dass  die  annähme  des  zufalls  gegen 
die  Wahrscheinlichkeit  verstösst,  und  dann  sind  wir  berechtigt 
und  verpflichtet,  eine  Ursache  zu  statuieren.  Für  beides  habe 
ich  die  beispiele  gegeben. 

Die  bedeutung  des  zufalls  für  die  geschichtsforschung  er- 
kennt auch  Scherer  an,  vgl.  Deutsche  stud.  I,  s.  305,  nur  zeigt 
er  ebenda,  dass  es  ihm  flir  eine  richtige  Verwertung  desselben 
an  klarheit  über  die  einfachsten  grundbegriffe  fehlt  (vgl.  Beitr, 


442  PAUL 

III^  s.  376).  Wio  hatte  er  auch  sonst  dem  'mechaniBieren  der 
metliode'  dasjenige  verfahren  als  das  alleinberechtigte  eut- 
gegeustellen  können ,  welches  er  mit  den  woi-ten  charakteri- 
siert: Svir  sind  immer  noch  darauf  angewiesen,  mit  htllfe  der 
wenigen  erfalirnngcn,  welche  uns  eigenes  und  genauer  ge- 
kanntes fremdes  Seelenleben  an  die  hand  ge1)en,  die  im  histo- 
rischen loben  sichtbar  gewordenen  Vorgänge  in  den  seelen 
längst  abgeschiedener  menschen  zu  erraten.'  Als  ob  es  jemand 
eingefallen  wäre  zu  behaupten,  dass  das  letztere  durch  das 
crstere  irgend  ersetzt,  überflüssig  gemacht  werden  könnte;  als 
ob  nicht  viclnrehr  das  eine  nur  die  notwendige  Vorbedingung 
des  anderen  wäre.  In  gewissem  sinne  treten  allerdings  beide 
in  gegeiisatz  zu  einander,  nur  dass  dieser  gegensatz  von  Scherer 
zu  seinen  eigenen  gunsten  in  ein  schiefes  licht  gestellt  ist 
Wenn  nändich  die  Untersuchung  über  den  zufall  zu  einem  ne- 
gativen resultate  führt,  dann  sind  alle  derartigen  combinationen, 
wie  sie  von  Scherer  gewünscht  werden,  ausgeschlossen,  und 
zwar  deshalb  ausgeschlossen ,  weil  sie  für  denjenigen ,  dem  es 
um  die  gesrhichtliohe  Wahrheit  zu  tun  ist,  gar  keinen  wert 
halben.  Führen  wir  daher  den  gegensatz,  um  den  es  sich  han- 
delt, von  Schorers  Verdrehung  auf  seine  wahre  natur  zurflck, 
so  besteht  er  darin,  dass  wir  (die  Vertreter  der '  mechanischen' 
methode)  diese  schranke  der  historischen  combinationen  aner- 
kennen. Scherer  nicht. 

Dannt  ist  aber  der  volle  umfang  des  gegensatzes  nicht 
erschöpft.  Mit  dem  nachweise,  dass  eine  ergänzung  der  über- 
liefernng  gesueht  werden  nuiss,  ist  noch  gar  nichts  über  den 
inhalt  dieser  ergänzung  ermittelt.  Jetzt  beginnt  auch  ftlr  uns 
die  tätigkeit,  von  der  Scheror  wie  von  der  einzig  erforderlichen 
spricht.  Ich  billige  vollkommen  die  forderungen,  die  er  stellt 
Nur  genügt  nicht  die  ausschliessliche  l>erücksichtigung  der 
l>sychologis(*hen  factoren,  von  denen  Scherer  allein  spricht 
Gewis  müssen  sie  im  mittolpunkte  unseres  Interesses  stehen. 
Wer  bezweifelt  das  auch?  Aber  etwas  anderes  ist  das  ziel  un- 
seres strebens,  etwas  anderes  sind  die  mittel.  Und  es  rftoht 
sich,  wenn  irgend  eines  verschmäht  wird,  das  zur  erkenntnis 
der  Wahrheit  dienen  kann.  Wer  einen  historischen  proeess 
constrniert,  der,  mag  er  psychologisch  noch  so  folgerichtig  sein, 
phybisch  nnniöglich  ist,  der  <larf  uns  nicht  verargen,  wenn  wir 


NIBELUNGENFRAGE.  443 

seine  coustructiou  verwerfen.  Es  gilt  überhaupt  alle  einzelnen 
umstände,  die  bei  einem  Vorgänge  in  betracht  kommen ,  sich 
mögliebst  lebendig  zu  vergegenwärtigen,  mögen  sie  an  und 
für  sich  bedeutend  sein  oder  nicht;  es  gilt  die  trivialsten  Wahr- 
heiten so  gut  zu  respectieren,  wie  die  ergcbnisse  der  geist- 
reichsten combinationen. 

Die  gestaltende  tätigkeit  der  phantasie  zu  bekämpfen  ist 
mir  niemals  in  den  sinn  gekommen.  Aber  ich  behaupte,  dass 
sie  zu  wisenschaftlicher  Verwendung  erst  gelangen  kann  durch 
die  engste  Verbindung  mit  einer  negativen  kritik.  Die  auf- 
gäbe derselben  wird  erstens  sein  zu  verhindern,  dass  unstatt- 
hafte liypothesen  geltend  gemacht  werden.  Als  unstatthaft 
aber  bezeichne  ich  nicht  bloss  solche,  welche  den  dienst  nicht 
leisten,  für  den  sie  zu  hülfe  gezogen  sind,  sondern  auch  alle 
diejenigen,  die  in  sich  oder  mit  anderen  feststehenden  tatsachen 
zusammengestellt ,  Widersprüche  und  un Wahrscheinlichkeiten 
enthalten.  Wie  viel  gegen  diesen,  doch  selbstverständlichen 
gruudsatz  in  der  Lachmannschen  schule  gesündigt  ist,  wie  oft 
kleine  Schwierigkeiten  beseitigt  sind,  um  grössere  an  ihre 
stelle  zu  setzen,  kann  ich  hier  nicht  im  einzelnen  ausführen. 
Nur  das  bemerke  ich,  dass  bei  der  prüfung  einer  hypothese 
nach  dieser  ricbtung  hin  häufig  eine  ganz  ähnliche  methode 
angewendet  werden  kann  wie  für  die  entscheidung  über  die 
Wahrscheinlichkeit  des  Zufalls.  Beispiele  dafür  habe  ich  in 
der  prüfung  von  IJartschs  hypothesen  über  die  reimabweichungen 
und  über  die  ausfüllung  der  Senkungen  gegeben. 

Aber  noch  ein  anderer  zweck  ist  es,  dem  diese  negative 
kritik  dient.  Was  uns  die  positiv  gestaltende  tätigkeit  der 
phantasie  an  die  band  gibt,  ist  nichts  anderes  als  eine  gi-össere 
oder  geringere  zahl  von  eventualitäten,  unter  denen  die  gefor- 
derte Verknüpfung  der  überlieferten  tatsachen  möglich  wird. 
Es  kann  sein,  dass  von  diesen  eine  durch  die  sonst  bekannten 
analogieen  der  entwickelung  den  entschiedenen  Vorzug  vor 
allen  übrigen  behauptet  £s  kann  aber  auch  sein,  dass  meh- 
rere in  völlig  oder  annähernd  gleichem  maasse  durch  analo- 
gieen gestützt  werden  können.  Und  dann  kann  uns  nichts 
berechtigen,  einer  von  ihnen  den  Vorzug  zu  geben,  ausser 
wenn  wir  alle  übrigen  als  auf  Widersprüche  und  unwahrschein- 
lichkeiten  führend   ausschliessen  können.    Wo  dies  nicht  mög- 


444  PAUL 

lieh  ist,  stehen  wir  an  der  grenze  unseres  könnens.  Je  all- 
seitiger sich  die  phantasie  die  eventualitäten  des  geschehens 
vorstellt,  um  so  entschiedener  wird  sie  zu  ihrer  ergänzung  die 
hülfe  jener  ausschliessenden  kritik  fordern.  Und  je  klarer  die 
aufga)>e  der  letzteren  erkannt  wird,  um  so  deutlicher  springt 
in  die  au^en,  dass  sie  nur  zum  ziele  führen  kann,  wenn  die 
erstere  ihre  Schuldigkeit  vollständig  getan  hat  Et  ist  eine 
eitle  anniassung,  wenn  jemand  auf  die  kraft  seiner  gestaltungs 
gäbe  ])ochend  jene  ausschliessende  kritik  untergeordneten 
geistern  überlassen  zu  dürfen  glaubt,  wenn  er  denen,  welche 
dieser  kritik  bei  ihrem  eigenen  und  der  beurteilung  fremden 
Schaffens  nicht  entraten  wollen,  ohne  weiteres  den  mangel 
oder  die  nichtachtung  solcher  gestaltungsgabe  vorwirft.  Ist  es 
doch  häufig  nur  die  einseitigkeit  der  phantasie,  was  den  einen 
zu  scheinbar  sicheren  und  imponierenden  resultaten  fährt,  wo 
der  andere  gerade  in  folge  der  grösseren  Vielseitigkeit  seiner 
combinationeu  auf  bestimmte  resultate  verzichtet 

£t)en  diese  einsoitigkeit  des  combinierens  ist  das  haupt- 
charakteristicum  der  heutigen  Lachmannschen  und  Scherer- 
sehen  schule.  Ich  berufe  mich  zum  beweise  dafür  auf  das  zeugnis 
eines  gelehi-ten,  der  ihr  selbst  angehört  Schönbach  sagt  in 
der  Zschr.  f.  d.  österr.  gymn.  1877,  s.  386:  'man  wird  dem 
buche  Pauls  die  anerkennung  nicht  versagen  dürfen,  daas  es 
ein  mit  bedeutendem  fleisse  gesammeltes  material  sorgfältig 
verwertet,  wenngleich  das  in  der  schule,  welcher  Paul 
angehört,  überlieferte  schwankende  erwügen  von 
möglichkeiten  die  resultate  beeinträchtigt'  Denselben 
Vorwurf  erhebt  er  in  seiner  recension  von  Zamckes  Oraltempel 
(Auz.  der  Zschr.  f.  d.  alt  3,  167  ff.)  gegen  Zamcke  und  gegen 
die  meisten  arbeiten,  die  bisher  in  unseren  Beiträgen  erschienen 
sind,  und  empfiehlt  ausdrücklich  ein  eklektisches  verfahreDy 
zunächst  für  die  bestimmung  von  handschriftenverhältnissen. 
Damit  ist  in  der  tat  der  gegensatz  sehr  gut  charakterisiert 
Auf  der  äinen  seite^)  wird  verlangt,  dass  man   nur  genau  so 

0  Wenn  Schünbach  von  einer  schule  spricht,  die  diese  riehtmig 
vertritt,  BD  kommt  dies  wol  nur  daher,  dass  er  e»  sich  nach  eigener  er- 
fahrung  nicht  anders  vorstellen  kann,  als  dass  man  einer  schale  ange- 
hört. Ich  muss  gegen  diesen  ausdruck  protestieren,  wenn  damit  der  In- 
begriff gewisser  Ichrmeinungen  verknüpft  sein  soll.    Oewis  bekennen  wir 


NIB£LUNG£NFBA6£.  445 

weit  gehen  soll,  wie  die  mittel  der  historiBchen  kritik,  die  ich 
oben  zu  charakterisieren  versucht  habe,  ausführen.  Auf  der 
anderen  seite  will  man  darüberhinaus:  'resultat  um  jeden 
preis'  ist  das  losungswort;  und  das  mittel,  wodurch  dies 
resultat  gewonnen  werden  kann,  wenn  die  methodischen  mittel 
versagen,  kann  nichts  anderes  sein  als  ein  willkürlicher 
gewaltact 

Dass  ein  auf  solche  weise  gewonnenes  resultat  seinem  Ur- 
heber und  selbst  seinen  fachgenossen  eine  gewisse  befriedi- 
gung  zu  gewähren  vermag,  ist  psychologisch  sehr  begreiflich. 
Ein  jeder  mag  gern  dem  schmerzlichen  bewustsein  und  dem 
für  manchen  noch  schmerzlicheren  geständnisse  entgehen,  dass 
er  das  ziel,  um  welches  er  sich  gemüht,  nicht  erreicht  hat 
Kein  wunder,  wenn  dieser  wünsch  mit  in  die  wagschale  fällt 
und  den  mangel  am  gewicht  der  gründe  ersetzt.  So  täuscht 
man  sich  nicht  nur  gar  zu  leicht  über  die  tragweite  seiner 
eigenen  forschungen,  sondern  lässt  sich  auch  wUlig  fremde 
resultate  gefallen,  ohne  sie  auf  ihre  letzten  gründe  zu  unter- 
suchen, weil  sie  die  notwendige  unterläge  für  den  eigenen 
auibau  bilden.  Hierin  liegt  ja  eben  die  stärkste  stütze  für 
den  autoritätsglauben  einer  schule.  Das  ist,  so  lange  sich 
jemand  sein  verfahren  nicht  vollkommen  klar  gemacht  haty 
eine  verzeihliche  schwäche.  Und  wer  könnte  sich  rühmen 
derselben  niemals  unterlegen  zu  sein?  Aber  ein  starkes  stück 
ist  es,  wenn  aus  dieser  schwäche  eine  tugeud  gemacht  wer- 
den soll,  wenn  mit  bewustsein  das  überspringen  der  natür- 
lichen schranken  unserer  erkenntnis  gefordert  wird.  Hat  doch 
Scherer  einmal  ausdrücklich  den  mut  des  fehlens  angeprie- 
sen, und  dass  er  ihn  selbst  in  ausserordentlichem  maasse  be- 
sitzt, hat  er  durch  grandiose  leistungen  gezeigt  Immerhin 
wollte  ich  mir  das  noch  gefallen  lassen,   hätte  er  ausserdem 


uns  gern  als  dankoare  schüler  Zamckes,  aber  eben  deshalb,  weil  er  nie- 
mals etwas  anderes  erstrebt  hat,  als  unser  urteil  zu  Unbefangenheit  und 
Selbständigkeit  heranzubilden,  und  nichts  sorgfältiger  von  uns  abgehal- 
ten hat,  als  blinde  Unterwerfung  unter  irgend  eine  autoritSt  Wir  haben 
nichts  specielles,  was  uns  von  unseren  mitforschem  trennen  könnte,  so- 
weit diese  nicht  sich  selbst  absondern,  um  eine  clique  zn  bilden,  die 
noch  andere  normen  anerkennt  als  die,  welche  aus  den  gesetzen  des 
denkens  und  der  natur  der  dinge  fliessen. 


446  PAUL 

noch  den  mut^  einen  begangenen  fehler,  den  er  selbst  eins:e- 
sehen  hat  oder  der  ihm  von  anderen  nachgewiesen  ist,  unum- 
\7unden  zu  bekennen.  Aber  von  diesem  zweiten,  meiner  tlber- 
zeugung  nach  weit  schätzbarerem  mute  habe  ich  leider  bisher 
noch  wenig  an  ihm  verspürt  Und  so  lange  das  nicht  anders 
wird,  wie  soll  man  sich  davon  überzeugen,  dass  ihm  das 
fehlen  nur  als  eine  Vorstufe  zur  Wahrheit  lieb  ist,  dass  über- 
haupt die  Wahrheit  das  ziel  seines  strebens  ist? 

Meiner  Überzeugung  nach  dient  ein  überschreiten  der 
grenzen  methodischer  erkenntnis  nur  dem  persönlichen  ehrgeiz 
und  dem  parteiinteresso.  Für  die  Wissenschaft  ist  es  nicht 
bloss  nutzlos,  sondern  auch  höchst  schädlich.  Zwar  wird 
immer  viel  von  der  anregung  geredet,  die  damit  ausgestreut 
werde.  Und  gewis,  niemand  wird  läugnen,  dass  auch  un- 
fertige und  selbst  falsche  hypothesen  dadurch,  dass  sie  zur 
Untersuchung  herausfordern,  fruchtbar  werden  können.  Aber 
dazu  gehört  immer,  dass  derjenige,  welcher  durch  sie  geför- 
dert wird,  sie  als  das,  was  sie  sind,  als  problematisch  erkennt 
Wäre  es  nicht  besser,  wenn  sie  gleich  ihr  Urheber  als  nichts 
anderes  überlieferte,  wenn  er  uns  nichts  von  den  schwierige 
keiten,  die  noch  ungelöst  sind,  nichts  von  den  anderweitigen 
möglichkeiten  verschwiege?  Wäre  damit  etwas  von  der  an- 
regenden Wirkung  eingebüsst?  So  aber  ist  zu  befürchten,  dass 
die  anregung,  die  von  ihm  ausgeht,  darin  besteht,  dass  man 
sich  bei  seinen  hypothesen  beruhigt  und  darauf  weiter  baut, 
dass  man  sicli  in  eine  einseitige  richtung  hinein  verbohrt,  aus 
der  schwer  wider  herauszukommen  ist,  in  der  vielleicht  gene- 
rationen  hindurch  viele  schöne  arbeitskraft  vergeudet  wird,  ehe 
sich  mühsam  die  Überzeugung  durchkämpft,  dass  man  die 
fäden  wider  anknüpfen  muss,  die  man  vorlängst  der  willkür- 
lichen mache  zu  liebe  hat  fallen  lassen.  Schlimme  erfahrungen 
haben  wir  nach  dieser  seite  hin  in  unserer  Wissenschaft  schon 
gemacht  und  ich  ftlrchte,  schlimmere  stehen  uns  noch  bevor. 
Mögen  diejenigen  die  Verantwortung  tragen,  die  daran  schuld 
sind.  Ich  fUr  meine  person  und,  gott  sei  dank,  ich  nicht  allein 
werde  um  so  mehr  trotz  Schönbachs  tadel  es  ftlr  meine  pflioht 
halten,  nach  bestem  wissen  und  vermögen  dafür  zu  sorgen, 
dass  in  den  fragen,  die  ich  behandle,  einem  jeden  der  blick 
nach  allen  selten  für  das,  was  noch  nicht  abgetan  ist,  ojQfon 


NIBELÜNGENFRAGE.  447 

erhalten  bleibe,  dass  kein  problem,  welches  noch  nicht  wirk- 
lich gelöst  ist,  durch  voreilige  entscheidung  dem  nachdenken 
der  mit-  und  nachweit  entzogen  werde.  Es  ist  meine  feste 
Überzeugung,  nur  wenn  dieser  grundsatz  allgemeine  anerken- 
nung  findet,  wird  ein  boden  geschaffen,  auf  dem  eine  ruhige, 
gedeihliche  entwickelung  unserer  Wissenschaft,  ein  harmoni- 
sches zusammenwirken  aller  kräfte  möglich  wird.  Nur  unter 
dieser  Voraussetzung  gibt  es  einen  ausweg  aus  der  rechthaberei, 
dem  Cliquenwesen,  den  unseligen  Zerwürfnissen,  die  seit  decen- 
nien  der  krebsschaden  der  deutschen  philologie  sind.  Dies  ist 
die  einzige  basis,  auf  der  ein  dauernder  friede  geschlossen 
werden  kann.  Wenn  man  dieselbe  so  perhorresciert ,  so  zeigt 
man  eben  damit,  dass  man  die  clique  will.  Im  bewustsein, 
dass  das  ziel,  für  das  ich  kämpfe,  nichts  anderes  ist,  als  dieser 
einzig  gerechte  und  sichere  friede,  kann  ich  es  mit  ruhigem 
gewissen  hinnehmen,  wenn  ich  von  jener  seite  her  als  frieden- 
störer  bezeichnet  werde.  Denn  die  firiedensbedingung,  die  von 
dorther  verlangt  wird  und  die  ich  zurückweise,  ist  die  Unter- 
werfung unter  die  cliquenherschaft,  ist  der  tod  der  wahren 
Wissenschaft. 

FREIBURG  i.  Br.,  april  1878.  H.  PAUL. 


ZU  WALTHER  VON  DER  VOGEL  WEIDE. 


in  dem  tone  Walthers  31,  13  —  36,  10  ist  von  Lach- 
mann die  letzte  zeile  mit  7  hebungen  angesetzt,  und  darin 
sind  ihm  die  späteren  herausgeber  gefolgt,  wenn  sie  auch  in 
der  construction  des  textes  mehrfach  abweichen.  Man  kommt 
aber  viel  besser  aus,  wenn  man  8  hebungen  annimmt,  wie 
gerade  diejenigen  Strophen  beweisen,  die  auch  in  A  überliefert 
sind,  deren  text  also  am  meisten  gesichert  ist.  32,  30  hat  L. 
selbst  im  texte  8  hebungen  beibehalten:  fr&ge  rvaz  ich  habe 
gesungen,  und  ervar  uns  tverz  verkere  (so  AC),  in  der  anm. 
vermutet  er  waz  ich  sunge,  was  Wilmans  aufnimmt,  während 
Wackernagel  und  Pfeiffer  andere  wenig  glückliche  conjecturen 
machen    {und  war  umb   erz  verkere  —   daz  er  mirz  verkere). 


448  PAUL  -  ZU  WALTHER. 

32,  34  schreiben  alle:  wem  aber  ndn  guoier  cldserujere  klage 
U7id  sere  weifie ;  AG  haben  ich  woene,  35,  36  mit  AG  zu  lesen 
wi  wie  wiz  der  biderbeii  herze  sint,  der  si  wH  umbe  kiren 
(L.  Wilm.   Wie  wiz  der  biderben,    Wack.  P.   we  wie  wiz  der). 

33,  10  lüiser  alter  frbiie  der  stet  utider  einer  übelen  traufe 
(L.  fr  071  der  st   under,    Wack,   P.  Wilm.   frdn  der  stet  undr). 

32,  26  dirre  zoni  ist  äne  alle  schulde  weiz  got  unser  beider 
{an  alle  AG,  äne  die  ausgaben).  31,  32  ist  nach  der  besBera, 
auch  im  übrigen  von  den  herausgebern  bevorzugten  ttberliefe- 
rung  BG  zu  lesen :  herre,  büezet  mir  des  gastes,  daz  iu  got  des 
Schaches  büeze\  Wack.  und  P.  schreiben  mit  unzulilssiger  kfli^ 
zung  her  —  herr\  während  L.  und  Wilm.  aus  der  schlechteren 
Überlieferung  A  nü  aufnehmen.  Andere  zeilen  können  beliebig 
mit  7  oder  8  hebungen  gelesen  werden.  Man  ändere  daher 
nur  ein  wenig  die  Schreibweise:  31,  22  du  enbist]  32,  6  M 
anwendest \  32,  16  vinde  ich]  33,  30  ze  einem]  35,  6  mir  ist] 
35,  16  sumer  unde.  32,  23  ist  toerlnnen  zu  betonen,  vgL  dar- 
über Wilm.  8.  38.  36,  10  kann  das  von  L.  wol  mit  recht 
conjicierte  siyi  auch  si  efi  gelesen  werden.  35,  26  lesen  L. 
und  Wilm.  nach  G  wis  du  von  ddn,  Wack.  und  P.  nach  A  wt$ 
du  von  m;  durch  combination  beider  lesarten  ergibt  sich  wis 
du  V071  m  dan,  34,  14  ist  lückenhaft  und  kommt  nicht  in  be- 
tracht  Es  bleiben  nur  noch  2  zeilen,  in  denen  die  Überliefe- 
rung nur  7  hebungen  ergibt  Diese  sind  aber  nur  in  B  über- 
liefert, so  dass  eine  abhülfe  durch  conjectur  viel  statthafter  er- 
scheint  als  in   den  von  den  herausgebern  geänderten  zeilen. 

33,  20  kann  man  alsu^  statt  sus  lesen;  34,  3  vielleicht  dU6 
statt  so, 

FREIBURG  i.  Br.,  juni  1878.  H.  PAUL. 


BEITRÄGE  ZUR  SELALDENMETRIK. 


Jüie  bestimmungen  über  deu  metriscfaen  bau  skaldischer 
verse,  welche  die  jüngere  Edda  in  den  erläuterungen  zu  Snorris 
Hittatal  überliefert,  leiden  trotz  ihrer  überfülle  an  detailvor- 
schriften  über  künstlichere  Strophen-  oder  versformen  an  dem 
fühlbaren  mangel,  dass  genauere  gesetze  über  den  bau  der 
regelmässigen  drottkvsettstrophe,  wie  sie  bei  den  älteren  skal- 
den  vorzugsweise  üblich  war,  aus  ihnen  vielfach  sich  nicht  ab- 
leiten lassen.  So  ist  z.  b.  von  dem  wichtigen  erst  durch  £. 
Jessen  aufgedeckten  gesetze  über  den  trochaischen  resp. 
spondaischen  ausgang  aller  drottkvsettverse  (vgl.  zs.  f.  deutsche 
phil.  II,  1870,  140  f.)  dort  nirgends  die  rede.  Insbesondere 
aber  fehlt  es  durchaus  an  fassbaren  angaben  über  die  grenzen 
der  zulässigkeit  überschüssiger  silben:  eine  frage,  welche, 
ausser  ihrem  metrischen  Interesse,  auch  für  grammatische  dinge 
in  den  vielfältigsten  richtungen  von  bedeutung  ist.  Ich  ei^ 
innere  in  dieser  hinsieht  nur  an  die  fragen,  die  sich  an  die 
auffassung  des  sog.  bragarmdl,  d.  h.  die  Verschmelzung  enkli- 
tischer wörtchen  mit  vorausgehenden  vollwörtem,  anknüpfen. 
In  folge  dieses  mangels  fehlt  es  denn  auch  in  den  ausgaben 
skaldischer  verse  durchaus  an  einer  einheitlichen  praxis  in 
der  textconstitution.  Nirgends  fast  findet  man  die  consequen- 
zen,  welche  die  als  bragarmdl  bezeichneten  kürzungen  von 
wortgruppen  wie  em  ek,  par  es  zu  em-k,  pars  notwendig  im 
gefolge  haben  müssen,  gezogen  und  zu  klarer  anschauung  ge- 
bracht. Erst  Wim m er  hat  allerneuestens  in  der  zweiten  aus- 
gäbe seines  altnordischen  lesebuches  (Kopenhagen  1878)  mit 
entschiedenheit  das  princip  verfolgt,  den  dröttkvaettvers  auf 
sein  eigentliches  mass  von  6  silben  zurückzuführen.  Vollständig 

Beitrüge  sar  geiohlobto  der  deutaeheu  ipntohe.    V.  29 


450  SIEVEBS 

frei  von  Schwankungen  ist  aber  selbst  er  nicht;  so  wenn  er 
z.  b.,  im  anschluBs  an  den  schreibgebrauch  der  ältesten  hand- 
schriften,  zwar  pöt,  svat  statt  der  späterhin  üblichen  p6  at, 
svd  at  durchflihrt,  aber  pvi  at  beibehält  (s.  94.  97 ;  vgl.  darUber 
sein  Vorwort  s.  XXI  ff.,  bes.  XXIII).  So  wird  es  denn  nicht 
unangemessen  erscheinen,  wenn  im  folgenden  der  versuch  ge- 
macht wird,  aus  den  quellen  heraus  die  notwendigsten  fehlen- 
den regeln  zu  ergänzen.  Meine  Untersuchungen  erstrecken 
sich  aber  einstweilen  nur  auf  die  fragen,  welche  die  sil ben- 
zahl dos  drottkvajttverses  betreffen,  indem  ich  die  an- 
wendung  der  au  diesem  dargelegten  metrischen  principien  auf 
andere  skaldische  vcrsformeu  und  insbesondere  auch  auf  die 
eddischen  lieder  für  eiue  andere  gelegenheit  mir  vorbehalte. 

Zwei  fehler  waren  bei  der  Untersuchung  von  vornherein 
zu  vermeiden.  Einerseits  durfte  das  zu  sichtende  material 
nicht  zu  eingeschränkt  sein,  damit  nicht  voreilig  vielleicht  all- 
gemeinere regeln  aufgestellt  wUrden,  wo  nur  einzelbestim- 
mungeu  für  gewisse  zeiten  oder  persönlichkeiten  berechtigt  ge- 
wesen wären.  Andererseits  hätte  aber  zu  grosse  ausdehuung 
des  arbeitsfeldos  die  gefahr  nahe  gebracht,  etwaige  entartungen 
späterer  perioden  als  solche  nicht  zu  erkennen,  wodurch  der 
einblick  in  die  älteren  gesetze  bedeutend  hätte  erschwert 
werden  müssen.  Um  diesen  beiden  Schwierigkeiten  zu  ent- 
gehen, habe  ich  ein  in  sich  ziemlich  abgegrenztes  material  be- 
nutzt, das  jedoch  widerum  in  bezug  auf  mannigfaltigkeit  nichts 
zu  wünschen  übrig  liess.  Es  sind  nämlich,  soweit  menschliche 
Schwachheit  dies  zuliess,  sämmtliche  dröttkvsettstrophen  der 
üeimskringla  ed.  Unger  (H.),  Morkinskinna  ed.  Unger 
(M.),  Fagrskinna  edd.  Munch  und  Unger  (F.),  Olafs  saga 
Tryggvasonar  edd.  Munch  und  Unger  (OT.)  und  Olafs 
saga  Helga  edd.  Munch  und  Unger  (OH.)  vollständig  aus- 
gezogen und  verarbeitet  worden.  Hinzugefllgt  sind  die  in  den- 
selben werken  überlieferten  achtsilbigen  hryuhentstrophen  des 
Aruorr  jarlaskäld  und  die  eigenen  Strophen  HallfreSs  aus  der 
HallfrcÖar  saga  (Fornsögur  edd.  GuÖbr.  Vigfüsson  und  Th. 
Möbius,  Leipzig  1860,  s.  83  ff.;  im  folgenden  mit  Ha.  be- 
zeichnet). Die  Heimskringla  allein  bot  circa  3750  verszeilen 
dar,  zu  denen  aus  den  übrigen  quellen  noch  ein  ziemliches 
quantum  neuer  verae  hinzukommt,  wenn  auch  ein  grosser  teil 


SKALDENMETBIK.  451 

des  matcriales  dort  dasselbe  ist  wie  in  Heimskringla.  Zeit- 
licli  umfasst  dies  material  etwa  drei  Jahrhunderte,  vom  zehn- 
ten bis  zwölften  einschliesslich,  wenn  man  von  der  vereinzelten 
Strophe  H.7  absieht,  welche  dem  alten  Bragi  zugeschrieben 
wird.  Von  dichtem  haben  —  vorausgesetzt  dass  die  Über- 
lieferungen ttber  die  Verfasser  der  mitgeteilten  Strophen  richtig 
sind,  was  hier  nicht  untersucht,  oder  wenigstens  nicht  entschie- 
den werden  kann,  da  die  ganze  masse  sich  als  metrisch 
gleichartig  ausweist  —  an  der  Sammlung  anteil  Amörr  jar- 
lask&ld,  A'su)>6r8r,  Borsi  Torfiison,  ßjami  gullbrärsk^ld,  Björn 
krepphendi,  Bolverkr  Arnorssou,  Bragi  gamli,  Einarr  jarl, 
Einarr  Skilaglam,  Einarr  Skülason,  Eldjärn,  Eyjölfr  d&Öa- 
skald,  Eyvindr  skäldaspillir,  Gizurr  Gullbrärskäld,  Glümr  Gei- 
rason,  Graui,  Guthormr  sindri.  Halldorr  skvaldri,  Halldorr 
okristni,  HallfreÖr  vandraeÖask&ld,  Haraldr  harÖräSi,  Haraldr 
härfagri,  Hirekr  1  Djottu,  Hildr,  HofgarÖarefr,  Hornklofi,  Illugi 
Bryndoßlaskäld,  JokuU,  Jorunn  skäldma^r,  Kolli  prüSi,  Kormakr 
Ogmundarson,  Magnus  konungr  berfoetti,  Oddr  Eikinaskäld, 
Ottarr  svarti,  Sigvatr  PorÖarson,  Sküli  Porsteinsson ,  Sneglu- 
Halli,  Stefnir  Porgilsson,  Steinn  Herdlsarson,  Stüfr  blindi,  Tindr 
Hallkelsson,  PjöÖolfr  inn  hvinverski,  t>6rarinn  stuttfeldr,  Por- 
bjorn  Skakkaskäld,  I)6r8r  Kolbeinsson,  DörÖr  Sjireksson,  Dor- 
finnr  munnr,  DorkcU  hamarskäld,  Porkeil  Skallason,  Porleifr 
RauÖfcldarson,  Porlcikr  fagri,  Dormoftr  Kolbrünarskäld,  U'lfr 
stallari,  ValgarÖr  k  Velli  und  Vigfüss  Vlgaglümsson.  Bei 
weitem  am  stärksten  ist  Sigvatr  vertreten,  demnächst  PjoSolfr. 
Doch  zur  Sache. 


Aus  den  commentarangaben  der  Snorra-Edda  ist  zunächst 
nur  der  bekannte  satz  zu  verwerten:  hverju  vlsuor&i  fylgja 
VI  samstqfur  (SE  I,  596  AM).  Die  nächste  bestimmung  zu 
Ilättatal  Str.  7  (SE  I,  608)  trifft  bereits  flir  unser  gebiet  nicht 
zu:  pat  er  leyfi  hdttanna,  at  hafa  samstofur  seinar  etia  skjdtar, 
svä  at  dragist  fram  etia  aptr  dr  rSttri  tnlu  setningar,  ok  megu 
finnast  svd  seinar,  at  fimm  samstofur  se  i  oöru  ok  enu  fjdrba 
visuor&i.  Die  hier  vom  commentator  vorgeschriebene  kunstform*), 


*)  Snorri  solb»t  hat  an  jener,  lediglich  aus  der  vorliegenden  atrophe 

29* 


452  SIEVERS 

welche  Zeilen  von  6  und  5  silbcn  abwechseln  läsBt,  habe  ich 
nicht  gefunden.  Das  minimum  der  sill>enzahl  im  druttkvsett 
bleibt  stets  6;  die  scheinbaren  abweichungen  davon  entstehen 
zum  teil  nur  durch  falsche  Schreibung  von  Wörtern  mit  schwan- 
kender silbenzahl,  teils  müssen  sie  —  darauf  weist  ihre  ge- 
ringe anzahl  hin  —  auf  falscher  Überlieferung  beruhen.  Dar- 
über später  unter  C.  genaueres. 

Wenig  besser  unterrichtet  zeigt  sich  der  commentator  in 
seinen  angaben  über  überschüssige  silbeu.  Er  sagt  a.  a.  o. 
zu  Ilattatal  str.  8:  7iü  skal  st/tia  svd  skjdtar  sanistofiir  ok  svä 
seltar  yicer  hverja  annarri,  at  af  pvi  eykr  lengö  orösöis  (sc* 
visuoriishis) : 

klofinn  sp}T  ck  hjalm  fyrir  hilinis 

hjarar  eg^;  dugar  seggir; 

\f\i  cru  hehlr  \>av  er  skokr  skjolthi 

skafin  svertJ  litut^  tertiär; 

bila  muna  gramr,  \>6  at  guinna 

gnlar  ritr  n&i  Uta; 

draga  t'orir  hann  yfir  lireinna 

hvatan  hrand  pryiuu  randa. 

I/cr  er  i  fyrsta  ok  /^rifija  vLs*fwrfii  niu  smnstofury  eti  i  otiru 
ok  i  fjörtSa  VII;  her  er  pal  synt,  hversu  flestnr  sanistofur  megu 
vera  i  visuor^i  meii  drotikvfrfiutn  h<Ptli,  ok  af  pessit  ma  pat  vitu 
at  IUI  eba  l'II  megu  vel  hUffia  I  fyrsta  ok  pribja  visuortii. 
t  pcssi  visu  eru  ailar  frnmhemihigar  hlutheiidur,  ok  dregr  pat 
tu  at  lengja  md  oröin  (sc.  visNorÖin),  at  sein  flestar  samstofur 
standi  fyrir  hendiiigar.    Die   angeführte  Strophe  fügt  sich   mit 


gezogenen  fonnulierung  der  regel  gcwis  keinen  anteil,  da  er  ja  Über- 
haupt, wie  mir  herr  prof.  MüMiis  freundlichst  bemerkt,  ^deui  didaktischen 
zwecke  ricines  Werkes  entd])rechend,  dasjenige  was  in  den  wirklichen 
ha'ttir  als  vereinzeUe  ziorat  oder  licenz  erscheint^  lediglich  der  grösseren 
veranschanlicliung  halber,  an  ganzen  Strophen  oxemplificiert,  die  da- 
durch .als  hosondcre  ha^ttir  erseheinen.  Nicht  allein  dass  man  bei  allum 
reichtum  der  übeiiiet'erten  skaldenl'ragmente  nach  derartigen  atrophen 
(geschweige  denn  ganzen  gcdichten,  die  Strophe  tiir  strophc  in  dem  be- 
trelFenden  hattr  gedichtet  wären)  ganz  vergeblich  sucht,  findet  obige 
aut'fassung  ihre  volle  bestätigung  in  den  Worten  des  commcntars  SE  I, 
Olo  AM,  wonach  die  zw^eite  licenz  (leyfi)  darin  besteht,  dass  ein  oder 
zwei  verse  der  Strophe  alog  oder  detthent  oder  skjalthent  zeigen  dflrfen, 
Snorri  .aber  alle  diese  drei  durch  bestmdere  Strophen  exemplificiert :  aiog 
Str.  27,  detthent  str.  29,  skjalthent  str.  3b.' 


SKALDENMETRIK.  453 

öiner  ausnähme,  nämlicli  der  dritten  zeile*),  noch  yollkommen 
dem  unten  zu  entwickelnden  schema  des  alten  drottkysett; 
nach  diesem  gelesen  haben  aber,  wie  sich  unten  ergeben  wird, 
die  erste  und  dritte  zeile  nur  7,  die  fünfte  und  siebente  nur 
8  Silben  statt  der  vom  commentator  gezählten  9,  indem  statt 
spyr  ek,  fyrir,  jjar  er,  p6  at,  yftr  suceessive  spyr-k,  fyr,  pars, 
p6-t,  0/ gelesen  werden  muss.  Da  nun  auch  in  allen  tlbrigen 
Strophen  die  ausnahmen  im  HMtatal  genau  dieselben  wie  die 
im  alten  dr6ttkva3tt  sind,  Snorri  selbst  aber  offenbar  mit  ge- 
nauer kcnntnis  der  alten  gesetze  gearbeitet  hat,  so  muss  der 
commentator  augenscheinlich  seine  zähl  regeln  aus  einer  ihm 
vorliegenden  abschrift  construiert  haben,  welche  jene  ktlrzungen 
der  alten  ausspräche  wie  alle  jüngeren  nordischen  hand- 
schriften  ignorierte.  Auch  die  bestimmung  über  die  Stellung 
der  überschüssigen  silbcn  vor  der  frumhending,  welche  hier- 
nach stets  als  hluthendiug  erscheint,  kann  sich  lediglich  auf  die 
gerade  vorliegende  strophe  beziehen ,  nicht  eine  durch  diese 
beispielsstrophc  vergegenwärtigte  allgemeine  regel  darstellen. 
Denn  gleich  darauf  zeigt  die  SE  I,  612  angeführte  halbstrophe 
des  Refr  den  vers  titi  erximk  vitnis  vd&a  mit  oddhending,  und 
solche  verse  sind  ausserordentlich  häufig ;  s.  unten  unter  A.  II. 
Soll  aber  etwa  die  regel  nur  so  zu  verstehen  sein,  dass  bei 
überschüssiger  silbc  an  erster  stelle  des  verses  die  frumhending 
nicht  oddhending  sein  dürfe,  so  trifft  auch  das  auf  das  alte 
drottkvaett  nicht  zu.    Man  vergleiche  folgende  verse: 

a)   aÖalhending: 

iÖula  rög  d  miölum  —  Bjarni  II.  520  (OII.  238) ») 
hofutJ  sitt  fromurn  jofri  —  Einarr  Skül.  IL  742  (M.  225) 
siöar  ok  jarl  cnn  J^riÖJa  —  Hallfr.  F.  62 
foöur  (?)  einn  ok  guÖ  kvetJJa  —  Ha.  95 
hnigu  fjorvanir  sigri  —  Uornkl.  II.  56  (F.  9) 

*)  Auch  diese  zeile  kommt  noch  iu  wogtall,  wenu  man,  wie  mir 
hcrr  prof.  Möbiua  vorbchlägt,  'mit  W  pvi  er  liest  (aing.  am  anfang  für 
plural,  wie  leikr  S7,  5  für  leika)\ 

')  In  klammern  gesetzt  werden  die  citate,  welche  auf  denselben 
vers  verweisen,  welcher  aus  einer  andern  quelle  unmittelbar  vorher  aut- 
geführt ist.  —  Ich  8chrci])e  im  übrigen  die  verse  stets  gleich  so  wie  sie 
correct  zu  lauten  haben,  um  von  vornherein  den  eindruck  derselben 
möglichst  deutlich  zu  machen,  doch  in  der  gewöhnlichen  späteren  Or- 
thographie. 


454  SIEVERS 

beni  t6-k  viÖ  prek  venjask  —  Jokull  11.  455  (OH.  191) 
sotit  hef-k  opt  vitJ  betra  —  Jokull  H.  455  (OH.  191) 
biungul  er  dstar  fuglar  —  Sigvatr  H.  522 
ekln  düt^isk  ra  snekkju  —  tjöÖölfr  II.  516 
orum  blduianna  fjorvi  —  l>orgils  M.  102 

stotium  kvaddi  liÖ  boÖvar  -  torm^Ör  Kolbr.  IL  477  (OH.  222) 
(Irifu  }?eii--8  eptir  liföu  —  ValgartJr  H.  5ti0  (M.  18.  F.  114) 
vili  girnc^ar  {'vi  skiljask  —  anonym  H.  603. 

b)   skothonding: 

]7egi  seimbrotar  segja  —  Arnörr  H.  515  (OH.  234) 

Harald r  vissi  sik  liverjum  —  Arnörr  M.  120 

hafa  IcÄt  iinga  jofra  —  Bjami  H.  519  (F.  95.  OH.  236) 

c8-at  um  allvalds  risnu  —  Ein.  Skül.  U.  667 

gofug  let  Uoni  6t  hoföi  —  ^        r      H.  696  (Oh.  24S) 

hafa  muna  hoiSir  jofrar  —  ^        »      M.  192 

geta  {jykkjask  J^oas  gotnar  —  Hallfr.  IL  217  (F.  67) 

rana  hofr  seggr  a  svini  —  Ilalli  M.  96 

jjora  mun-k  j?ann  arm  verja  —  Ilaraldr  H.  479  (F.  »ü.  OH.  209) 

uni-k  J>vi-t  eigi  synjar  —  Magnus  M,  154  (F.  15^) 

hafa  lezt  heiöska  J9fra  —  Ottarr  H.  284  (OH.  63) 

tala  minst  es  )>at  telja  —  Sigvatr  IL  22s  (OH.  22) 

hafa  allframir  jofrar  ,        H.  378  (OH.  132) 

mikill  varS  a  sta5  Stikla        .       IL  490  (OH.  216) 

sumir  trüt^u  ä  gucü  gumnar      «       H.  510  (OH.  233) 

forum  i  vdpn  ok  verjum  «        IL  527  (OH.  239) 

verit  meö  oss  unz  veröi  —  tjodoifr  IL  75 

skotit  fnl-k  Hkepti  Üettum        ^     IL  538 

stat^ar  hcfr  stafn  i  mityu  ..      H.  539 

mun-a  fyr  Magnus  synja  ,      11.542 

togu  matt  tekna  segja  «     H.  550  (F.  108) 

rofizk  hafa  opt  fyr  jofri  «      H.  555 

hamalt  syndusk  mer  homlu      «      11.594 

Haralds  eru  haukar  görvir       „      IL  620  (M.  116.  F.  140) 

vosa  matt  af  J>vi  visi  —  l>orlcifr  Riuit^f.  H.  170 

rckiu  bitu  stAl  k  Stikla  —  bormt^tür  H.  197  (OH.  22) 

Haraldr  görva  16zt  herjat  —  ValgarÖr  IL  560  (M.  17.  F.  114) 

bitu  fikula  tjotrar  ..  H.  560  (M.  Ib.  F.  114) 

dreki  f6r  dagleiö  mikla  .,         M.  19  (F.  115) 

dugir  siklingum  segja  —  anou.  IL  603 

Onundr  kvatJsk  eigi  mundu    „      H.  781 

sumir  i  but$  met$  humrum     ^      M.  101 

Man  Hiebt,  diese  erschcinung  ist  nieht  gar  so  selten;  es  sind 
nahezu  1  procent  aller  verRe,  die  sie  aufweisen  (11  l)ei8piele 
von  al^alhenSing  und  24  von  skothendiug  gegen  die  3750  verae 


SKALDENMETBIK.  455 

von  H.;  es  ist  im  übrigen  auf  die  grössere  freiheit  zu  achten, 
mit  der  auch  in  dieser  beziehung  die  zcilen  mit  skothending 
gebaut  sind,  welche  auch  sonst  weniger  strengen  gesetzen 
unterliegen;  als  die  zeilen  mit  aÖalhending).  Der  grund  aber, 
warum  die  erscheinung  nicht  noch  häufiger  auftritt,  ist  ein 
sehr  natürlicher,  dass  es  nämlich  schwer  fällt,  Wortpaare  von 
der  hier,  wie  man  sieht,  erforderlichen  form  ^  ;^  und  —  ^  zu 
finden,  deren  erste  silben  auf  einander  reimen  können,  ohne 
das  allgemeine  gesetz  von  der  gleichheit  der  silbenauslauten- 
den consonanten  zu  verletzen.  Aus  diesen  und  zahlreichen 
anderen  fällen,  die  ich  unterlasse  durch  beispiele  zu  illustrie- 
ren, da  sie  nicht  in  unser  gebiet  direct  einschlagen,  steht  wol 
das  fest,  dass  die  regeln  des  commentars,  als  stets  (oder  doch 
fast  stets)  nur  aus  einer  gerade  vorliegenden  beispielstrophe 
Snorris  generalisiert  und  zwar  oft  falsch  generalisiert,  mit 
äusserster  vorsieht  zu  behandeln  sind,  eben  weil  sie  auf  die 
tatsächliche  praxis  der  skaldendichtung  keine  rücksicht  nehmen. 
Unsere  weitere  Untersuchung  hat  daher  das  recht,  ausschliess- 
lich an  die  letztere  anzuknüpfen  und  aus  ihr  allein  ihre  resul- 
tate  zu  suchen. 

Dieselbe  zerfällt  naturgemäss  in  drei  abschnitte,  deren 
erster  die  regeln  über  gestattete  Überschüsse  entwickelt,  wäh- 
rend der  zweite  diejenigen  fälle  bespricht,  in  welchen  unge- 
setzliche Überschüsse  entfernt  worden  müssen;  der  dritte  han- 
delt von  der  ergänzung  fehlender  silben. 

A.   Das  gesetz  der  sUbenverschlelfang. 

Es  gelten  für  das  regelmässige  drottkvsett  folgende  haupt- 
regeln: 

Jede  zeile  besteht  aus  6  silben,  d.  h.  drei  takten 
zu  je  zwei  silben,  deren  erste  den  ton  trägt,  hebung 
ist.  Doch  wird  die  wortbotonung  im  innern  des 
verses  oft  vernachlässigt 

IL 
Takt  1  und  3  haben  notwendig  die  form  jl  ^,  nur 
für  takt2  ist  auch  ^  ^  zugelassen.    (Einsilbige  Wör- 
ter können  dabei  für  lang  gelten?) 


456  SIEVERS 

m. 

Im  erBten  takt,  selten  im  zweiten,  kann  je  eine 
der  beiden  ȟben  nach  dem  princip  der  deutnchen 
silbenverschleifung  in  zwei  silben  von  der  form  6^ 
aufgelöst  werden.  Die  zweite  dieser  silben  darf 
keinen  oder  nur  schwachen  wortton  haben.  Die 
auflöBung  ist  obligatorisch  (zum  teil  nach  II),  wenn 
überhaupt  ein  zweisilbiges  wort  von  dieser  form  ^  y 
im  ersten  takte  gebraucht  werden  soll. 


Der  erste  punkt,  die  einteilung  der  sechssilbigen  reihe  in 
takte,  ergibt  sich  von  selbst  aus  allgemeinen  metrischen  prin* 
eipien,  sowie  insbesondere  daraus,  dass  (worauf  mich  herr 
prof.  Möbius  aufmerksam  macht)  das  letzte  silbenpaar  stets 
durch  ein  selbständiges  wort  (sei  es  frei  oder  Schlussteil  eines 
compositums)  gebildet  wird,  das  nach  dem  germanischen 
acccntgesetz  nur  ein  paroxytonon  sein  kann.  Aber  auch  die 
dritte  und  vierte  silbe  werden  als  zusammengehörig  dadurch 
erwiesen,  dass  die  licenzen  für  sie  weit  geringer  sind  als  die 
für  die  erste  und  zweite  silbe  gestatteten  (s.  unten). 

Ebenso  ist  es  an  sich  natürlich ,  dass  der  erate  teil  jedes 
taktes  die  hebung  trage.  Es  wird  aber  diese  annähme  spe- 
ciell  noch  durch  das  eben  angefühi*te  gesetz  des  versausganges 
auf  ein  paroxytonon  bestätigt,  welches  dem  letzten  takte  die 
betonung  '  ^  sichert,  und  was  für  diesen  gilt,  hat  natürlich 
bei  rhythmischer  gliederuug  einer  zeile  auch  auf  die  übrigen 
silbenpaare  im  allgemeinen  anweudung.^)  Doch  wird  aller- 
dings das  natürliche  gesetz,  dass  wortaccent  und  ictus  zusam- 
menfallen müsse,  nur  im  letzten  takte  mit  strenge  gehandhabt, 
wie  bereits  oben  bemerkt  ist. 

Der  zweite  punkt  ist  zu  einem  teile,  nämlich  bezüglich 
des  dritten  taktes,  bereits  von  Jessen  a.  a.  o.  erkannt  wor- 
den ;  dass  jemand  eine  ausdehnung  der  regel  Jessens  auf  den 
ersten  takt  gelehii;  und  deren  zusanmienhang  mit  der  licenz 
überschüssiger  silben  erkannt  habe,   ist  mir  nicht  bekannt  ge- 

')  Man  vergleiche  auch  das  untou  unter  A,  II,  A  als  einloitang 
bemerkte. 


SKALDENMETRIK.  457 

worden.    Ich  halte  daher  diese  regeln  für  neu  und  suche  sie 

deswegen  mit  ausführlichem  materiale  zu  erhärten. 

Dass  zur  ausfüllung  des  zweiten  taktes  2  kurze  silben 

genügen,  erfordert  keinen  eingehenderen  beweis,  da  fast  jede 

Strophe  dafür  beispiele  gewahrt    Ich  führe  nur,  um  überhaupt 

einige  beispiele  zu  geben,  die  einschlagenden  verse  Horuklofis 

aus  der  Haralds  saga  härfagra  an  (aus  keinem  andern  gründe 

übrigens,  als  weil  diese  die  ersten  in  der  Heimskringla  sind, 

von  der  einzelstrophe  Bragis  abgesehen). 

hjaldrskit^s  |  ]7ramu  |  galdra 
4t$r  gnap-  |  salar  |  grimnis  ] 

riöviggs  I  lagar  |  skiöum  I 

giiyj7r6ttr  |  J9ru  |  dröttar  (      "*  ^^• 

mannskoßt^r  |  lagar  |  tanna 
rodd  dyn   |  skotum  |  kv9ddu8k 
retJ  egg-  \  litutJr  |  seggir  ) 

hnigu  59r-  |  vanir  I  sigri  j      "*  ^*'- 

ok  hjdlm-  I  tamit5r  |  hilmir  | 

BvartfikygtJ  |  bitu  |  seggi  \ 

överö  }y6Ö-  |  konungs  |  feröar    '     ^'  ^^' 


H.  Ü4. 


hlaut  and-  |  skoti  |  Gauta 

margspakr  |  iiit5ar  |  varga 
allr  herr  |  skota  |  ]7verri 

Das  sind  14  beispiele  auf  G4  textzeileu,  allerdings  zufällig  wol 
ein  etwas  stärkerer  procentsatz  als  der  durchschnitt  der  ge- 
sammtmasse  ihn  als  resultat  ergeben  würde. 

Ebenso  wenig  bedarf  ein  anderer,  an  sich  zwar  auflallig 
genug  dastehender  satz  eines  weitereu  beweises,  dass  nämlich 
eine  au  sich  silbenbildende  liquida  oder  nasalis 
nach  einem  consonanten  geringerer  schallstärke 
(also  namentlich  verschluss-  und  rei belauten)  ^)  niemals  als 
silbe  im  verse  mitzählt.  Aus  den  letztaugeflihrten  versen 
gehören  hierher  die  worte  hjäldrsklbs,  rför,  gnjjpröttT ,  mann- 
skreör,  egglitubr,  hjdlmtamibr,  margspakr  und  allr,  und  solche 
beispiele    Hessen   sich   zu  tausendeu   anführen;    am  häufigsten 

*)  Ich  kann  hierüber  auf  meine  Grundzüge  der  lauti)h.  §  22  ver- 
weisen, will  aber  doch  hier  wenigstens  die  frage  nicht  unterdrücken,  ob 
dieser  satz  nicht  schliesslich  darin  seine  erklärung  finden  könne ,  dass 
jene  laute  zu  einer  zeit  einmal  tonlos  gesprochen  worden  sind  (über 
tonlose  nasale  s.  J.  Hoffory,  zs.  f.  vergl.  sprachf.  XXIII,  544  ff.  als  er- 
gänzung  und  berichtigong  zu  Lautphys.  s.  57). 


458  SIEVEBS 

nattlrlich  erscheint  so  das  r  wegen  der  bedeutenden  rolle,  die 
es  in  der  flexion  spielt,  während  /  und  n  als  bloss  der  ab- 
leitung  dienend  etwas  zurücktreten. 

Dagegen  gebe  ich  das  ohne  weiteres  sichere  material 
fttr  die  auflösungen  im  ersten  takt,  soweit  ich  kann,  yoUstiln- 
dig,  ohne  jedoch  die  oben  s.  453  f.  angeführten  beispiele  m 
widerholen. 

I.  Auflösung  der  ersten  silbe. 

A)    Regelmässige   auflösungen. 

Es  können  alle  Wortarten  von  der  form  ^  ^  zur  auf- 
lösung  verwendet  werden,  doch  erscheinen  meist  nur  nomina 
und  verba,  seltener  adverbia. 

1)  aOalhending: 

a)  nomina: 
hngi  minn  es  ]7at  sinni  —  Arn.  H.  596  (M.  80) 
Haralds  brötJurson  g(St$an  —  Bjarni  H.  526  (OH.  238) 
Danir  v4ru  }>ä  b4ru  —  Bolv.  H.  570  (M.  51.  F.  121) 
Syni  MaddatJar  staddir  —  Ein.  Skül.  M.  225 
jofurr  dyrr  en  y±  fyrri  —  Eyv.  H.  HO  (F.  28) 
liugins  j61  viiS  nea  )>jiSlar  —  Grani  M.  53 
sakar  legf^t  }?it  beggja  —  Sigvatr  H.  310  (OH.  82) 
jofurr  sighvatastr  digri  „        H.  516 

jofur  magnar  gut)  fagna  «        H.  523  (OH.  235) 

At$a Isteins  buendr  seinir  „        H.  527  (OH.  239) 

f9t5arleifS  konungs  greifum      ^        H.  527  (OH.  239) 
kilir  ristn  haf  lista  „        OH.  55 

Haralds  ond  ofar  londum  —  Stüfr  H.  572  (M.  11.  55.  F.  HO.  124) 
Visnndr  hnei^t^i  |?rom  sveigffan  —  |?jöÖölfr  H.  529 
Haralds  bröt^urson  M^n  «        H.  535  (F.  1 03.  OH.  24 1 ) 

Haralds  skeitJ  und  vef  breit$am  „       H.  539 

J9furr  yi  aigr  ens  digra  «       H.  539 

Solnnds  0  n^^r  hverr  v6  baeri  „       H.  539 

Sikiloyju  gekk  heyja  ,        H.  550 

gotu  illa  f6r  stillir  „        H.  557  (M.  14) 

logt  )>ingat$i  Hringum  „        EL  606  (M.  66.  F.  133) 

Haraldr  sannar  )7at  manna  „       H.  626 

skipnn  9II  vas  ]>i  snjollum  ,       F.  130 

*)  Vgl.  Selund  nätfi  fid  si9an  Guth.  sindri  H.  88  in  einer  skothent- 
zeilo;  diese  auflösungen  bieten  einen  neuen  beweis  fttr  die  von  S.  Bngge» 
Tolkning  af  Rnneindskriften  pä  Röksteuen,  Stockh.  1877,  57  ft.  daige- 
tane  lursprttngliche  kürze  des  e  von  Selund. 


—  Halld.  6kr.  H.  212  (F.  64.  0  F.  57) 


SKALDENMETRIK.  459 

FJ9ru8keifr  k  her  veifat  —  Mrarinn  H.  687  (M.  189) 

0  1  u  m  teitan  mi  sveita  —  I>orfinnr  H.  47«  (OH.  207) 
Bvit5akveld  vas  )>at  eldi  —  I>ork.  Sk.  H.  624 
frami  neitiak  J>6r  beiti  —  Valg.  H.  559  (F.  113) 
h9fut$  ögurlig  pöga  «     M.  19 
Ilaraldr  ok  Sveinn  vit5  meinum  —  anon.  H.  603 
ofanreiÖ  enn  }y6breiÖi  ,      H.  650  (F.  156) 
Sigart$r  jarl  met$  hüskarla  „      H.  781. 

b)  verba  (einschliesslich  inf.  und  pari): 

svarat  annum  v^r  gumnar  —  Bersi  H.  254  (OH.  41) 

bitu  bengils  son  ongan  I       „.     ^,  ,,   „ 

1  '  fi  ^      u  Z      I  —  Ein.  SkÄl.  F.  143 
dugir  088  f9t5ur  hefna    '  *.  i-«« 

bugu8k  dlmar  geö  fdlma  —  Eyv.  H.  110  (F.  28) 

segi  vän  HeÖins  kvdnar  —  Gizurr  H.  475  (OH.  207) 

hnitu  reyr  saman  dre3nra 

slita  drengir  frit$  lengi 

muni  maör  strfÖ  of  biöa  —  Hallfr.  OT.  61 

hofum  gram  kera  framt^an        »        Ha.  94 

erumk  leit$  sonar  reiÖi  n        Ha.  95 

sofa  karms  met^al  arma  „       Ha.  t07 

muni  enn  )>innig  nenna  —  Haraldr  H.  558  (M.  15.  F.  12) 

eru  merki  )7ar  verka  »        M.  16 

fara  apt  vali  krapta  —  Hdrckr  H.  428  (F.  83.  OH.  171) 

hofum  rdöit  vel  bdtJir  —  Sigvatr  H.  248  (OH.  36) 

koma  herr  i  stat$  verra  .       H.  252  (OH.  39) 

hafa  drött  p&-B  fram  8Öttu       „       H.  255  (F.  76.  OH.  42) 

er  um  heitJnir  v6r  reiöi  ^       H.  308  (OH.  bO) 

ävara  [^öttumk  ek  drottinn     „       H.  430  (OH.  172) 

eru  v6r  um  svik  8kirir  „       H.  431  (OH.  173) 

erut  um  sp9rt$  ör  G9rt5um      .       H.  522 

hofum  litinn  dag  8litan  ;,       OH.  55 

erumk  leiÖ  f9Öur  reitJi  —  Stefnir  OT.  50 

hafi  rik8  })ar-8  vel  Mkar  —  Stüfr  H.  555 

segi-k  eina  8p4  fleini  —  t>j6t$6ifr  H.  570  (F.  121 ;  Haraldr  M.  51) 

una  Ukar  vel  8liku  —  törör  K.  H.  217 

hafizk  hefr  runnr  af  gunni  —  I>orloifr  R.  H.  170 

borinu  varÖ  und  miögaröi  —  I>orleikr  H.  573  (F.  124-,  tjöÖ.  M.  57) 

eru  Vaeringjar  fseri  —  ValgartJr  F.  Hl 

vas-at  hann  kominn  )>angat  —  anon.  H.  651  (M.  148) 

blakir  m6r  \ffin  of  hnakka  «      M.  101. 

c)  adverbia: 
saman  föru  vit  8t<Srar  —  Bersi  H.  254  (OH.  41) 
saman  bundusk  skip  fundi  —  Sigv.  H.  252  (OH.  39) 
saman  störhugaör  törir  —  I>orkell  h.  H.  639  (M.  132.  F.  152) 
saman  tengja  ba5  drengi  —  anon.  IL  5 13  (Oh.  233). 


400  SIEVERS 

2)    skothending. 

a)  uomina: 
Haralds  hcf-k  skart^  1  skildi  —  Ein.  jarl  H.  71 
hohl  bäru  ristr  hlyrum  —  Ein.  SkAl.  M.  228 
fila  dröttinn  rak  flötta  —  Grani  H.  571    (M.  53.   F.   122) 
fira  drötrtnn  rak  flötta  —  St^inn  H.  615  (M.  113) 
Sei  und  ndöi  pi  sit$an  —  Guth.  IL  88 

Ncreit^  16t  gramr  a  grimman  —  Halld.  skv.  H.  707 

SigurÖr  eggjaöi  sleggju —  Halli  M.  94 

Harald  frirk  Halfdan  spyija  —  Jörunn  H.  77  (OH.  6) 

konungs  daut5a  mun  kvit^a  —  Sigv.  H.  416  (F.  84.  OH.  161) 

snarir  borÖumk  }?ar  vertJum  „      H.  444  (OH.  183) 

jofurr  kreisti  sd  austan  ^      H.  488  (OH.  215) 

snarir  fundusk  )7ar  troonda  „      H.  490  (OH.  217) 

fatJir  minn  vas  }>ar  J?enna  „      H.  520  (OH.  236) 

jofurs  hylli  yart$-k  alla  ^      H.  521 

Haralds  arfi  let  haldask  „      U.  527  (OH.  239) 

konangs  pryt$a  l'au  kltecJi  -   Steinn  H.  635  (M.  130) 

nofa  Knuts  vas  pk  nytum  —  l>j6Ö61fr  H.  540 

SU  mar  annat  skal-k  sunnar  „        H.  570  (M.  51.  F.  121) 

Haraldr  )>eysti  nü  hraustla  „        H.  593 

Haraldr  skipti  svd  heiptum         ^        H.  626 

Don  um  väru  got5  geira  .        M.  102 

jofur  vildu  }?ann  eldask  —  törÖr  S.  H.  107  (F.  25) 

syni  A'leifs  bautJ  sic$an  —  anon.  H.  636. 

b)  verba  (eiiiscliliesslich  Inf.  und  pari): 

vas-at  ollifu  allra  —  Arnörr  H.  515  (F.  95.  OH.  234) 
cru  til  mins  Qors  margir  —  Einarr  jarl  H.  71 
rokit  hof-k  Rögnvalds  dauöa    ,      H.  71.  F.  143 
vas-at  üfbyrjar  orva  —   Einarr  skdl.  11.  116 
vas-at  i  gegn  J^öt  gert^i         „       H.  144 
bar-a  mac^r  lyngs  en  Icngra  „      H.  146  (M.  40) 
gofit  hefr  guÖ  sjalfr  jofri  —  Einarr  Skül.  H.  744 
hnigu  monn  i  gny  gunnar  „       M.  235  (F.  173) 

samir-a  NjorÖr  en  nort$ar  —  Eyv.  H.  103  (F.  21) 
bat^-at  valgrindar  vinda  „      H.  106  (F.  24) 

vita  ef  aknnurur  jokla  »      H.  123 

8kal-at  uglat^an  ifa  (?)  —  (4izurr  H.  475  (OH.  207) 
verum  i  41a  61i  „       H.  475  (OH.  207) 

ro?^in  fra-k  rauÖra  bonja  —  Glümr  H.  110  (F.  27) 
mun-a  vansvertliat  ver^a  —  Hallfr.  H.  194  (Ha.  97) 
gota  skal  mdl  J?ess-s  ma>la  „      H.  210  (F.  63.  OT.  53) 

baÖ-a  hertrj'gÖar  hyggya  .      H.  210  (F.  63.  OT.  53) 

vesa  kveör  old  ör  eli  „      H.  216  (F.  67) 

mun-a  üipYegin  eira  „      Ha.  114 


SKALDENMETBIE.  461 

logit  hefr  Baldr  at  Baldri  —  Haraldr  M.  55  (F.  123) 

mun-a  vit5  hilmis  hjaröir  —  Hildr  H.  66  (OH.  23) 

hafi-t  mat^r  ask  u6  eski  —  Eormdkr  H.  93 

viti  menn  at  hykk  hennar  —  Magnus  H.  654  (M.  152) 

vas-a  Sigmdna  sveini  —  Sigvatr  H.  252  (OH.  39) 

taki  hloBgiskip  hauga         )    ^.  „ 

vas-a  fyst  es  rann-k  rastir  |    Sigvatr  H.  307  (OH.  80) 

hvotutJ  tSBldi  )7at  hildar  „        H.  488  (OH.  215) 

hafa  14ti  mik  heitan  «        H.  521  (OH.  236) 

skulnt  rät$monnum  reit^ask         ^        H.  527  (OH.  239) 

slegit  hefr  Jj'ogn  i  j^egna  „        H.  527  (F.  98.  OH.  239) 

hrutJusk  ritJmarar  rötJa  —  Tindr  H.  157 

fariÖ-a  6r  äör  flegja  —  I>j6ö61fr.  H.  75 

verum  meÖ  fylktu  fylki        „         H.  540 

vas-at  Affrika  J9fri  „         F.  109 

lofa-k  fasta  Ty  flestir  —  I>6rÖr  K.  H.  217  (F.  69) 

es-at  geirl^ingi  gongum  —  tormöÖr  H.  476  (OH.  207) 

es-at  stallorum  stilUs  —  U'lfr  H.  612  (M.  XU) 

vas-a  sunnudag  svanni  —  anon.  H.  513  (OH.  233). 

c)   adverbia: 
ofan  keyröum  v6r  orÖum  —  I>jöt$61fr  H.  539. 

B)  Seiteuere  auflösungen. 

1)  Statt  eines  zweisilbigen  wertes  können  zwei  ein- 
silbige gebraucht  werden,  wenn  das  erste  kurzsilbig, 
das  zweite  aber  ein  wort  ohne  satzton  ist;  h  im  an- 
laut  des  zweiten  Wortes  gilt  nicht  als  position  bildend  mit  vor- 
hergehendem auslautenden  consonanten.  Die  beispiele  sind 
ziemlich  selten  und  vielleicht  teilweise  zu  ändern: 

a)  aSalhending: 

ek  hef  själfr  krafit  hdlfa  —  Sigvatr  H.  249  (OH.  36) 

}?ar  a  bald  und  Rögnvaldi  .        H.  310  (F.  78.   OH.  82). 

b)  skothending: 

Var  hykk  viss  til  mjok  mistii  —  HallfreÖr  H.  211  (OT.  53) 

l^ar  liykk  ungau  gram  gongu  —  Sigvatr  U.  253  (OH.  40) 

|?ar  a  Val}?iÖurr  velja  —  anon.  M.  112 

hvat  üf  dylöi  J^ess  holöar  —  Halltr.  U.  142  (K  56) 

l>at  of  angraöi  l'engill  —  anon.  M.  52 

vel  üf  hrösar  pvi  visi  ^      M.  219. 

Besonders  zweifelhaft  ist  mir  der  vers 

hon  hofr  sva  komit  sinum  —  Sigvatr  H.  416, 

in  welchem   vielleicht  das  pronomen  hon  zu  streichen  ist^    s. 
unten. 


462  SIEVEBS 

2)  Zweisilbige  Wörter  von  der  form  ^  ^  können 
stehen,  wenn  ihre  erste  silbe  auf  langen  vocal 
schliesst,  die  zweite  vocaliseh  anlautet;  es  kommt 
also  hierbei  die  l)ekanute  rcgel  'vocalis  ante  vocaleni  corripi- 
tur'  7Air  anwendung.    Die  beispiele  sind 

a)  aSalhending: 

bfiin  fengusk  skip  ^engu  —  Sigvatr  H.  253 
l^röask  ekki  m^r  rekka  „        II.  521. 

b)  skothending: 

büum  ölitinn  4ta  —  Borsi  H.  254 

büinii  16zk  valdr  ef  vildi  —  Einarr  Skal.  F.  38 

büumk  vit^  Jrong  a  l'iiigi  —  Gizurr  H.  475  (OH.  207) 

büa  hilmis  Barhjdlmum  —  Sigvatr  H.  310  (011.  S2) 

büumk  viÖ  sökn  en  sloekni  —  I>orm6Ör  IL  476 

Svium  hnektir  J?ü  sökkva  —  Ottarr  IL  422  (F.  82.  OU.  165) 

Sviar  ta;Öu  J?er  siÖau  —  tjottölfr  IL  559 

fair  skyldu  svd  fcldar  —  Sigvatr  H.  44G  (OU.  184) 

Jöan  mun  eigi  fryja  —  anon.  IL  610  (M.  135). 

Hierher  könnte  man  auch  folgende  verse  (sämmtlich  mit 
skothendingar)  zu  ziehen  geneigt  sein,  bei  denen  die  beiden 
Silben  auf  yerschiedene  werter  verteilt  sind,  zum  teil  auch  an- 
lautendes h  ignoriert  wird: 

nü  em-k  ellifu  allra  —  Haraldr  IL  5S6 

)7vi  em-k  scm  bast  i  brjösti  —  Sigvatr  H.  521 

nü  hefr  fölkstriöir  FröÖa  —  Eyvindr  IL  111  (F.  29) 

8vd  hefr  oUungis  illa  —  Olafr  kgr.  H.  446  (F.  8S.   011.  1S5) 

}?ü  hefr  di'rum  J^rek  dreyra  —  Ottarr  IL  220  (OH.  16) 

nü  hef-k  orrostur  austan  —  Sigvatr  U.  227  (F.  71.  OH.  21) 

sjd  hefr  mjotinannan  manni         «        H.  309  (OU.  8t) 

}?ü  hefr  ()tJlinga  O'Öni  —  torleifr  H.  170 

nü  hykk*rj6t5anda  rööu  —  Arnörr  U.  515  (F.  95.  OU.  234). 

Diese  annähme  scheint  aber  durch  die  beiden  verse 

sva  hef-k  hermila  harma  —  Uallfr.  IIa.  102 

hv6  hefr  til  HeiÖaboejar  —  I>orleikr  H.  572  (M.  56.  F.  124) 

verboten  zu  werden.  Diese  würden  dreifache  alliteration  auf  h 
aufweisen,  wenn  man  nicht  kürzung  zu  svä'fk  und  hoe'fr  an- 
nimmt. Hiernach  dünkt  es  mich  wahrscheinlich,  dass  man 
auch  oben  niCmk,  pvi*mk,  ww/r,  svdyr,  pü'fr,  ixi^fk,  sjä'fr  zu 
lesen  habe;  diese  formen  werden  demnach  später  nochmals 
bei  der  besprechung  der  gekürzten  formen  in  erwägung  zu 
ziehen  sein,  bei  denen  allein  ich  auch  die  zahlreichen  einsilbi- 


SEALDENMETRIK.  468 

gen  formen  wie  nü  es  etc.  aufführe.  Nur  nü  hykk  in  dem 
verse  Arnors  scheint  bestehen  zu  bleiben  oder  fbr  die  abge- 
lehnte fasßuug  der  licenz  zu  sprechen,  da  man  eine  gekfirzte 
einsilbige  form  hierfür  nicht  vrahrscheinlich  finden  wird.  Doch 
möchte  ich  eher  als  zu  dieser  annähme  zu  dem  expediens 
greifen,  das  überflüssige  nü  vor  hykk  zu  streichen.  Vielleicht 
gilt  dies  auch  von  par  in  den  bereits  oben  s.  461  citierten 
versen  des  HallfreÖr  und  Sigvatr  mit  par  hykk  als  erster 
hebung. 

Diese  berichtigung  wird  sehr  nahe  gelegt  durch  F.  62, 
wo  der  eingangsvers  einer  stropho  HallfreSs  aus  der  eigent- 
lichen Fagi-skinna  als  hygg  ek  (zu  lesen  hykk)  vüi  til  mjok 
mistu  überliefert  i^t,  während  die  andere  alte  abschrift  des 
textes  (vertreten  durch  die  papierhss.  AM.  51  fol.  und  302  qv.) 
par  hygg  ek  (d.  h.  par  hykk)  bot.  Mit  einfachem  hykk  be- 
ginnt auch  eine  Strophe  PjoSolfs  H.  535  (F.  103.  OH.  241)  und 
eine  Porarins  H.  6S6  (M.  188),  sowie  eine  zweite  halbstrophe 
des  Bjßru  krepphendi  H.  641  und  des  Sigvatr  H.  307  (OH. 
80).  Auf  die  fälle  von  etn  und  hefr  aber  lässt  sich  diese 
Streichung  nicht  ausdehnen,  da  in  einigen  fällen  wenigstens 
die  vorangehende  pai-tikel  für  den  Zusammenhang  unentbehr- 
lich ist. 

C)  Wirkliche  ausnahmen  von  der  regel,  dass  versanlau- 
tendes zweisilbiges  wort  von  der  form  ^  ^  verschleift  werden 
müsse,  sind  mir  nicht  begegnet.  Scheinbare  filUe  beruhen  auf 
fehlerhafter  Überlieferung;  so  svara  pdttumk  drdttinn  Sigv.  OH. 
172,  wo  H.  430  richtig  pdttumk  ek  bietet,  oder  Gipart5r  pars 
Hb  barbisk  H.  651 ,  während  M.  148  (wie  auch  sonst  immer) 
den  namen  seinem  Ursprünge  gemäss  richtiger  Giffarpr  schreibt 

IL   Auflösung  der  zweiten  silbe. 

A)    Regelmässige    auflösungen. 

Da  die  zweite  silbe  des  verses  die  Senkung  des  ersten  taktes 
ausmacht;  so  dürfen  betreffende  werte  mit  starkem  satzaccent  in 
dieser  stelle  nicht  aufgelöst  werden,  also  überhaupt  hier  nicht 
vorkommen.  Es  erscheinen  also  hier  nur  verba  finita,  die  ja 
bekanntlich  auch  in  den  germanischen  sprachen  schwächeren 
satzton  haben,   und  bei  weitem   seltener   unbetonte  adverbien 


464  SIEVEBS 

und  pai-tikcln.  Das  auftreten  dieser  auflö^ungsforni  ist  über- 
dies flir  die  zeilen  mit  at$alliending  ziemlieh  besehränkt,  wslh- 
rend  diejenigen  mit  skotliending  sie  sehr  reiehlieh  aufweisen. 
Beispiele: 

1)  aSalhending: 

a)  verba  finita: 

8va  hofum  inn  aem  Finnar  —  Eyv.  H.  123  (F.  29) 

hvi  erut  aefar  margir  —  llar.  harf.  II.  68 

Uli  rckit  gand  ör  landi  —  Ilildr  II.  60  (OH.  2:j) 

fong  eru  stör  vit^  gongur  —  Sigvatr  II.  309  (OH.  81) 

ä'tt  hafa  )>eira  sättir  —  tjöt^olfr  11.  532  (F.  102) 

jortJ  inun-a  Svoinn  um  varÖa  —  I>j6^61f^  H.  539 

fljöt^s  dagir  väpn  at  rjöt^a  „        H.  540 

hvat  BCgir  hinus  J'at  fegrir  ^        11.  605  (M.  91) 

}7eim  brutu  troll  es  ollu  «        M.  65  (F.  133) 

seggr  skyli  orÖ  um  tbrÖask  —  l>()rm6Ör  H.  476  (OII.  207) 

hreiu  skulu  tveir  fyr  einum  —  Ultr  H.  612  (M.  lll) 

vi^^  l'olir  naut5  li  lautJri  —  anon.  M.  152 

yÖr  myni  feigÖ  of  byi-juö         „      OII.  245. 

Einmal  bilden  die  zwei  letzten  silben  eines  dreisilbigen  wortes 
die  auüösung: 

varum-a  )?Ä  til  margir  —  l>jöÖ61fr  H.  6b. 

b)  Partikeln  u.  dgl.: 

toigr  eÖa  Danmork  eiga  —  Arnorr  II.  529  (F.  99) 
suuu"  eÖa  brott  of  komnum  —  llallfr.  U.  217  (F.  67) 
Hoy  meÖal  tveggja  oyja  ^       IIa.  HO 

klif  meÖan  A'lcifr  lüM  —  Sigvatr  II.  521. 

2)  skothending: 

a)    verba  finita: 

rott  segi-k  )>iü^  hverr  J^otti  —  Arn6rr  II.  335  (011.  100) 

l'jots  röri»)  |?eirar  titinv  ^       II.  541  (F.  I05) 

lieldr  kuru  mcir  ens  milda  „       M.  119  (F.  141) 

hitt  liot'um  iioyrt  at  hciti  „       F.  105 
morg  »kritüu  bcit  at  borgar  —  Holverkr  II.  547 

hvar  viti  old  und  einum     )         ,.    „ 

Vatskyli'herrofhugsa     (  t^"».  Skal.  IL  163 

uieör  vitu^  oMing  (i'Öra    -  Ein.  Skiil.  11.  667 

fogr  rutJußk  8vert>  eu  sigri  „        ,      11.  66^ 
morg  flu  tu  auö  d  urga    j 

rau^  flugu  stal  i  Strien   )  "        "      "•  "^**** 


')  Also  nicht  reri! 


SKALDENMETBIK.  465 

hverr  spyri  satt  fri  snerra 

boÖ  gat-at  Btillir  sto^vat        ,  _   . 

broetSr  hafa  barzk  4  yiSri        }    Ein.  Skül.  M.  235  (F.  173) 

spjöt  f  Inga  langt  i  Ijötri 

hvi  samir  hitt  at  düsa  —  Eldjtoi  H.  652  (M.  148) 

088  gerask  hnept  ens  hvassa  )  .   ,    „ 

vir  getum  bili  at  b9lva         j    Eyvindr  H.  103  (F.  21) 

rdö  eru  rammrar  jTjötJar  „        H.  111  (F.  29) 

fraeg  hafa  görzk  fyr  g^gjar  —  Halld.  skv.  H.  665  (M.  162.  F.  161) 

peBB  lifa  }7j6Öar  sessa  —  Hallfr.  H.  210  (F.  63.  OT.  53) 

menn  geta  mili  sonnn  „       H.  216  (F.  67) 

enn  segir  ant$ar  kenni  «       H.  217  (F.  67) 

norör  ern  9II  of  ortJin  „       OT.  61  (Ha.  112) 

mör  skyli  Freyr  ok  Freyja  „       Ha.  95 

baugs  ernm  svipt  at  sveigi  ^       Ha.  102 

hann  mun-at  aura  eyrar       „       Ha.  106 

hvat  kvet^a  vitrn  vifi  «       Ha.  106 

hverr  taki  seggr  yit$  snarra»       Ha.  107 

heim  koma  hir^in  aumnr       „       Ha.  107 

mjok  tegask  sveina  sökkvir  „       Ha.  108 

y^r  mnnum  dag  hvern  dyrra  „       Ha.  108 

y&n  ernmk  slik  at  sleikja     „       Ha.  109 

088  mnn-at  ekkja  kenna  —  Har.  harter.  M.  16 

8pj6t  flugn  lif  at  Uta  „        „        M.  114 

mjök  ern  minar  rekkar  —  Har.  hiirf.  H.  68 

v&n  ernmk  hregg8  at  hreini  —  J9kull  H.  454  (F.  88.  OH.  191) 

hverr  mnni  v68  viÖ  valdi  —  Kormäkr  H.  93 

BverS  bitn  Hogna  hnrt5ir  —  Magnus  H.  654  (M.  151) 

hvat  sknlnm  heimf9r  kvitta      ^        M.  154 

haett  hafiÖ  6t  i  6ttfk  —  Ottarr  H.  234  (OH.  26) 

breiÖ  ern  austr  til  EitJa      „      H.  284  (er  OH.  63) 

brant  hafiö  boövar  J^reyti  „      H.  284  (OH.  63) 

gegn  ern  }?6r  at  J^egnnm     „      H.  334  (F.  79.  OH.  99) 

8vert5  bitn  V9l8k  en  vertJa  —  Sigvatr  H.  226  (F.  71.  OH.  21) 

}?at  ernmk  knnt  hv6  kennir  „        H.  252  (F.  74.  OH.  39) 

v6r  drifnm  hvatt  J?ar-8  heyra  ) 

r9nd  klnfu  roönir  brandar        )      "       ^'  ^^^  ^^^-  ^^' 

fold  rntJnm  skers  ef  skyldi  „        H.  255  (F.  76.  OH.  42) 

g6t$8  megnt  gott  of  t&Ösl  ,        H.  274  (OH.  55) 

üt  munn  ekkjnr  Uta  «        H.  275  (OH.  66) 

nü  ern  mSßlt  en  msela  „        H.  307  (OH.  80) 

nü  hafa  hnekt  )>eir-8  hnakka  ,        H.  308  (OH.  80) 

4tt  hafa  86r  J^eir-s  söttn    (  -  ^'  ^^^  ^^^  ^^^ 

bergr  h9fnm  minzk  hvS  margan  „  H.  416  (OH.  160) 

orr  tegask  A'leif  görva  „  H.  416  (F.  84.  OH.  161) 

i^eir  hafa  fyrr  af  f4ri  ,  H.  417  (OH.  161) 

ii«ttrVye  aar  getohlobte  dtr  deotMbtii  tpraobe.  V.  3U 


466  8IEVEBS 

heim  erum  hingat  komnir       )    ^.  „  ^^„ 

«.n««  «nw««  «,Äi  a^«  5««,-  ir     }    SigvatT  H.  429  (OH.  171) 
menn  nemi  mal  Bern  mni-K    )  ' 

g9r  ern  gumna  hverjnm  „        H.  430  (OH.  172) 

hirt5  es-at  hans  at  yert5a  «        H.  431  (OH.  173) 

T&ti  eru  Ijöt  ef  I4ta  .       H.  437  (OH.  178) 

frffindr  skyli  hrsdU  bindask  ,        H.  446  (OH.  184) 

gull  büöu  opt  J^eir-B  ollu    |  ^        ^  ^^^  ^^  ^^^^ 

raus  didu  rekkar  syna        | 

mart  segi-k  bert  i  bjarta  ,        H.  480  (OH.  210) 

6Imr  erumk  barmr  sd-s  bilmis         «        H.  489  (OH.  215) 

&5r  vitu  eigi  meitJar  ,        H.  499  (OH.  223) 

brein  getum  h&la  laana  ) 

ortJ  geri-k  drös  til  d^röar       }        -        °-  ^^^ 

088  du  gl r  A'leifs  messa  „        H.  521  (OH.  235) 

l^inn  8tot$a-k  mdtt  8eni  monnum     «        H.  522 

erm  eru  af  l'vi  minni  «        H.  527 

barör  skyli  drengr  a  dyrÖir  —  Stefnir  OT.  50 

menn  brutu  upp  of  annan  —  Steinn  H.  593  (M.  79.  F.  128) 

h9rÖ  ]7rifu8k  borÖ  }?ar-8  b9r7$u8k  —  I>jö961fr  H.  538 

gser  flugu  mold  ok  myrar  | 

mist  hafa  Sveins  at  8ynu    |  " 

boßr  logar  hälfu  haera  «        H.  540 

v6r  h  Int  um  sigr  en  aarir  . 

upp  fara  m9rg  i  morgin     J  „        H.  542 

nü  taka  Nort^menn  gnyja   | 

drygt  h9fnm  \is  fyr  visa  «        H.  543 

dyr  klufu  tlöt$  t^ar-s  förut  ,        H.  562 

gegn  8kyli  herr  sem  hugnar  „        H.  577 

rendr  bitu  stdl  fyr  strondu  „        H.  607  (M.  88.  F.  133) 

heldr  kuru  meir  eus  milda  ,        H.  621 

8vert$s  hafa  slikar  byrSar  „        H.  626 

en  samir  m6r  at  minnask  —  törarinn  H.  686 

trauter  es-at  tenn  at  rj6t$a  —  i»orbj.  Sk.  H.  781 

h9ll  bilar  h&ra  Qalla  —  I>ör5r  K.  H.  214 

f4tt  bilar  flestra  yta  ,  H.  217 

Sveins  vas-at  sonr  at  reyna  —  t>6rt$r  S.  H.  422  (F.  82.  OH.  165) 

i>r»nc!r  drifu  rikt  und  randir  —  torgils  M.  102 

hr9nn  brutu  hlyr  enn  stinnu  —  I>orkell  harn.  M.  143 

Y&n  erumk  visa  koennm  —  I>orieikr  M.  54  (er  at  H.  572.  F.  123) 

s«tt  bnt$u  seggja  dröttni  ,         H.  574  (M.  59.  F.  126) 

braut  komumk  Ht  p6-t  veitim  —  I>orm6t$r  H.  478  (OH.  208) 

l9nd  tegask  herr  metJ  l\J9rvi  j 

ys  hafa  allir  hiisa  }  -        ^^'  ^^^ 

skipt  hafitJ  6r  svd-t  eptir  —  ValgarÖr  F.  111 

tr9ll8  gefrt^  fdkum  fyllar  —  anon.  H.  613  (M.  112.  F.  135.  OH.  245) 

v^r  ruQum  v&pn  i  dreyra         „      H.  651  (M.  148) 

mJ9k  fara  Magnus  rekkar        ,      U.  781 


SKALDENMETHIE.  467 

8vert$  bitn  snarpa  tyrti^  -^  anon.  M.  134 
vestr  bifask  rengr  i  ranstnm  „  M.  152 
borÖ  ruöu  frsegir  fyrÖar  „      M.  219. 

b)    adTerblen  und  partikeln: 

ber-k  fyrir  hefnd  t^i-s  hrafna  —  Ein.  Sk&l.  H.  116 
088  nema  Einarr  kyssi  —  Haraldr  H.  578  (F.  127) 
lyg-k  nema  A'leifr  eigi  —  Sigv.  H.  508  (OH.  230) 
nndr-B  nema  allvaldr  Lundar  —  t>j6Mlfr  H.  539 
land  etJa  lengra  stundu  —  törör  K.  H.  217  (F.  68). 

B)    Seltenere  auflösungen. 

1)  Verschleifung  zweier  monosyllaba  ist  nur  durch  sehr 
zweifelhafte  beispiele  zu  belegen;  4  mal  erscheint  das  prono- 
men  kann  als  ttberschuss,  nämlich 

]76r  gaf  hann  mork  et^a  meira  —  Sigvatr  H.  377  (OH.  131) 
]?&  gaf  hann  Tr^skegg  tr9llam  —  anon.  H.  69 
hoegr  ef  hann  renn  tU  skögar  —  Hildr  H.  66  (OH.  23) 
naer  sem  hann  rdt$inn  vseri  —  I>j6t5ölfr  H.  540. 

Der  zweite  dieser  verse  ist  besonders  unsicher ,  da  er  einer 
isolierten  anonymen  viertelstrophe  angehört,  auch  der  hendin- 
gar  ganz  entbehrt.  Aber  auch  für  die  übrigen  drei  beispiele 
wird  sich  weiter  unten  die  tilgung  des  hann  als  gerechtfertigt 
nachweisen  lassen.    Ebenso  zweifelhaft  ist  der  vers 

helt  t^vi  nnz  hann  of  spilti  —  Bjami  H.  526  (OH.  238), 

weil  hier  ebenfalls  der  verdacht  nahe  liegt,  es  sei  of  oder  das 
pronomen  hann  wie  in  den  vorigen  fällen  eingeschoben« 
Ferner  liegen  vor  die  verse: 

s^kat  ek  Hrölfs  ör  hendi  —  Einarr  jarl  (skäl.?)  H.  70  (F.  143) 
hykkat  ek  vaegÖ  at  vigi  —  Halld.  6kr.  F.  64  (OT.  57) 
veitkat  ek  hitt  hvat  heita  —  Hallfr.  H.  216  (OT.  60,  vgl.  F.  66) 
veitkat  ek  hitt  hvat  vert5a         „       Ha.  107 
m&kkat  ek  1^88  of  lj68a  „       Ha.  107. 

So  schreibt  auch  Wimmer,  LsBsebog  s.  87  in  einer  strophe 
Gunnlaugs: 

hverfkat  ek  aptr  &6r  arfi. 
Ferner  treffen  wir  einen  analogen  fall  in  der  hebung  des  zwei- 
ten verstaktes: 

herr  84kat  ek  far  verra  —  Sigvatr  H.  307  (OH.  80). 
Letzterer  vers  ist  unbedingt  zu  ändern,  da,  wie  sich  alsbald 
ergeben  wird,  die  verschleifung  an  jener  versstelle  nicht  ge- 

30  • 


468  SIEVERS 

stattet  ist.  Die  gleichartigkeit  aller  fälle  legt  dann  aber  auch 
eine  gemeinschaftliche  heilung  nahe,  und  diese  ist  sehr  ein- 
fach, indem  man  die  auch  nach  den  weiter  unten  zu  ent- 
wickelnden regeln  über  das  bragarm&l  gebotenen  ktlrzungen 
sikak,  hykkak,  veitkak,  mäkkak,  hverfkak,  säkak  einführt 

2)  Correptiou  einer  länge  vor  vocalisch  beginnender  silbo 
innerhalb  eines  wortes  {{jvi  unz  s.  oben  unter  1)  ist  nur  durch 
zwei  beispiele  vertreten: 

hverr  8»i  Hunds  verk  stcerri  —  Sigvatr  H.  492  (OH.  218) 
orms  glöar  fax  of  farmi  —  t>jöc$61fr  H.  592. 

G)  Ausnahmen  der  art,  dass  die  erste  kurze  silbe  eines 
zweisilbigen  wortes  allein  die  Senkung  des  ersten  taktes 
bildete,  fehlen  auch  hier;  vgl.  oben  s.  463.  Ein  zweifelhafter 
fall  wird  im  zweiten  abschnitt  unter  II,  4  zur  besprechung 
kommen. 

■IL    Auflösung  beider  Silben 

des  ersten  taktes  ist  ausserordentlich  selten;  ich  finde  nur  die 
wenigen  beispiele: 

hafa  munn  heiöir  jofrar  —  Ei  narr  Skül.  M.  192 

hafa  kvetJask  log  neina  Ijügi  —  Sigvatr  H.  527  (F.  98.  OH.  239) 

rufizk  hafa  opt  fyr  jofri  —  l>jöÖölfr  H.  555 

Haralds  eru  haukar  gorvir         „        U.  620 

rekln  bitu  stdl  d  Stikl'ar  —  I)ürmöt5r  U.  497  (OH.  22). 

Alle  diese  gehören,  wie  man  sieht,  verseu  mit  skothending  an, 
ebenso  die  oben  s.  452  mit  aufgeführten  Zeilen  5  und  7  von 
Hattat.  t^tr.  8.  Vollständige  durchführung  dieser  art  der  auf- 
lüsung  zeigt,  wie  mir  herr  prof.  Möbius  anmerkt|  str.  38  des 
HattataL 

iV.  Auflösungen  im  zweiten  takt 

Diese  sind,  wie  bereits  oben  s.  456  angedeutet  wurde,  viel 
seltener  als  die  des  ersten  taktes.  Es  steht  dieses  ofTenbar  im 
Zusammenhang  mit  der  für  diesen  takt  gestatteten  licenz,  pyr- 
rhichische  oder  iambischc  Wörter  den  ganzen  takt  ausfüllen  zu 
lassen  (oben  s.  456).  Wie  schon  diese  licenz  darauf  schliessen 
lässt,  dass  der  zweite  takt  der  schwächstbetonte  des  ganzen 
Verses  gewesen  sei,  so  zeigt  auch  die  einschränkung,  welche 
das  verschleifungsgesetz  hier  erfährt,  geringes  tongewicht 
dieses  taktes  au.    Yerschleifung  scheint  nämlich  eigentlich  nur 


SKALDENMETRIK.  469 

gestattet  zu  sein  bei  ganz  tonlosen  Wörtern,  nämlich  den  Par- 
tikeln yienia,  eba,  und  seltener  den  zweisilbigen  formen  der 
hülfsverba,  vesa,  hafa,  skuhi,    Beispiele: 

A)  nema. 

1)  in  der  bebung: 

annars  nema  8j4  l^enna  —  I>jö?$61fr  H.  543 

JdlfaÖB  nema  gram  sjdlfum  —  tormöÖr  H.  497  (OH.  222). 

2)  in  der  Senkung: 

hver  8^  if  nema  J9fra  —  Einarr  SkÄl.  H.  146 

aettnm  göÖr  nema  FröÖi  „  F.  37 

]7eygi  dyl-k  nema  }?ykki  „  F.  143 

daut$r  vert$r  hrerr  nema  hrset^omk  —  Hallfr.  Ha.  114 

hafa  kvetJask  log  nema  Ijügi  —  Sigvatr  H.  527  (F.  98.  OH.  239) 

fätt  es  til  nema  jdtta  —  bjöööifr  H.  577  (M.  66.  F.  123) 

hrafni  skyldr  nema  haldi      „        H.  593. 

B)  eöa. 

1)  in  der  hebung: 

heit5mildr  et$a  )7a  leicJnmk  —  Bersi  H.  254  (OH.  4) 
dyrbliks  eöa  J^ö  kvikvan  Hallfr.  H.  216  (F.  67.  OT.  60) 
viggruör  eöa  h6r  liggjum  —  tormöÖr  H.  478  (OH.  208) 
mm  laak  et^a  9I  baeri  —  anon.  H.  513  (OH.  233). 

2)  in  der  Senkung: 

J?6r  gaf  (bann)  mork  eÖa  meira  —  Sigvatr  H.  377  (OH.  131) 
oudu  na3mdi'  ctia  londum  —  i>orleikr  H.  572  (M.  54.   F.  122). 

Hierzu  vergleiche  man  die  gleichgebauten  achtsilbler  Arnörs: 

fengins  guUs  et^a  foedit  ella  —  M.  31 
hlenna  dölgr  etJa  vitar  brenni  —  M.  32. 

C)  hülfsverba: 

siÖr  at  blöt  eru  kvityuÖ  —  Hallfr.  Ha.  95 
soem  ef  J^ess  eru  doemi  —  Stüfr  M.  118  (verderbt  F.  140) 
}7oir  dör  mik  hafi  feldan  —  Einarr  jarl  H.  71  (hending?) 
segöu  hvar  sess  hafiÖ  hugt^an  —  Sigvatr  H.  429  (OH.  171) 
fcr-k  ef  }76  skulum  berjask  „        H.  527  (OH.  239) 

veldr  ef  verr  akulu  h9ldar  —  anon.  H.  603. 

Nicht  mit  Sicherheit  hierher  zu  stellen  sind  die  yerse 

snjalls  at  v6r  erum  allir  —  tjöCölfr  H.  621  (M.  119.  F.  141) 
eik  hvi  v6r  er  um  bleikir  —  tormöör  H.  498  (OH.  223), 

weil  hier  wahrscheinlich  ver  'rom  gelesen  werden  muss 
(s.  unten  im  zweiten  abschnitt  II,  4,  2,  d). 


470  SIEVERS 

Ausserdem    erscheint  noch  zweimal  mefSai    und    einmal 

(zweimal?)  meban  als  auflösung  der  Senkung: 

Bpakr  let  U'lfr  meSal  ykkar  —  Sigvatr  H.  310  (OH.  82) 
fcßr'ÖT  vas  fleinn  met$al  hert$a  —  ^rbJ9ni  H.  795 
Idtum  vor  med  an  litlar  —  Haraldr  H.  570  (M.  51.  F.  t21) 
en  i  kvold  met5an  knyjam  —  Einarr  Sk41.  F.  143. 

Im  letzten  yerse  hat  aber  H.  70  pars  statt  metftm. 

Eine  besondere  licenz  scheint  für  mehrsilbige  composita 

zu  bestehen^  welche  eventuell  schwer  anders  als  mit  auflösung 

einer  silbe  des  zweiten  taktes  im  verse  unterzubringen  waren« 

Von  5  föUen,   die  mir   begegnet  sind,    fallen  zwei   auf  die 

hebung,  drei  auf  die  Senkung: 

svin  ok  aligäs  eina  —  Haraldr  M.  68 

sneiö  fyr  Sikiley  viöa       „        H.  558  (M.  15.  F.  U2) 

vita  ef  akrmarnr  J9kla  —  Eyvindr  H.  123 

hlifa  landreki  drifa  —  tjööölfr  H.  595  (F.  129) 

virum  fölagar  görir  —  törir  H.  640  (M.  135.  F.  153). 

Nur  ein  einziges  nichtcomponiertes  Substantiv  ist  mir  als  auf- 
lösung der  Senkung  des  zweiten  taktes  einmal  vorgekommen: 

herskiptir  J9furr  giptu  —  Kolli  M.  208. 

Ich  halte  diesen  vers  für  sehr  bedenklich  und  möchte  glaubeOi 
dass  ein  einsilbiges  synonymum  von  jg/urr,  wie  etwa  bragr, 
einzusetzen  sei. 

V.   AuflSsungen  im  dritten  tald 

finden  begreiflicherweise  niemals  statt 

Hiermit  sind  alle  möglichkeiten  gesetzlich  gestatteter 
Uberschusssilben  erschöpft.  Statistische  Ordnung  der  sicheren 
fälle  gäbe  etwa  folgendes  bild^): 


0  Die  zahlen  in  (— )  geben  die  anzahl  der  beispiele  ans  H.,  naoh 
denen  man  leicht  die  procentsätze  berechnen  kann;  die  geBtmmtsahl  der 
betreffenden  verse  in  H.  ist  ca.  3750. 


SKALDENMETßlK. 


471 


1.  takt: 


Hebung 


nomina 


sk. 


composita  *) 

^«'^»  i  Jk! 

httlfsverba  >) 
adverbia  a.  j    at$. 
Partikeln    |    sk. 

tonloee  partikeln*) 
2  monosyll.  j      . ' 

correption     J    ^ 


Senkung 


nomina 


composita 
verba    |    ^ 
httlfsverba  •) 

2  monosyllaba 
correption 

Hebung  und  Senkung 


37  (30) 
37  (30) 

36  (25) 
52  (46) 

6(6) 
2(2) 

2(2) 
5(2) 

2(2) 
9(8) 


192  (153) 


2.  takt: 


2(1) 


14  (11) 
108  (79) 

[1?] 
3(3) 

4(3) 
5(5) 

•    139 

(106) 

6(4) 
15(9) 

[6  (6)?] 
5(4)          J 



5(4) 



I- 


6(6) 


zusammen    331  (259)    |    32  (23) 

Hiemach  finden,  nach  den  yerhältnissen  der  Heimskringla  be- 
rechnet, silbenverschleifungen  im  ersten  takte  des  dröttkvsBtt 
etwa  in  6,9  ^/q  der  gesammtzahl  der  verse  statt,  Ton  denen 
etwa  4,1  %  auf  die  hebung,  2,8  %  auf  die  Senkung  entfallen, 
der  zweite  takt  hat  kaum  0,6  Vo  verschleifungen  aufzu- 
weisen, welche  noch  dazu  ihrer  art  nach  sehr  bedingt  sind; 
der  dritte  takt  endlieh  ist  ganz  frei  von  ihnen. 


0  sind  für  den  ersten  takt  anter  der  vorhergehenden  nummer  mit 
eingerechnet 


472  SIEVEES 

B.  TUgnng  fiberschflsslger  Silben. 

Als  ergänzung  zu  den  bisher  erörterten  regeln  ist  nun  der 
satz  aufzustellen:    alle  überschüssigen  silben  der  hand- 
schriftlichen Überlieferung,  welche  nicht  unter  eine 
der  besprochenen  kategorien  fallen,  sind  durch  me- 
trische correctur    aus    dem   verse   zu  entfernen.     Der 
beweis  hierfür   ist  ohne  weiteres  gegeben,   wenn  zwei  silben, 
deren  erste  lang  ist,   scheinbar  zu  verschleifen  wären,   oder 
wenn  verschleifungen  von  Wortklassen,  deren  verschleifung  nur 
im  ersten  takte  gestattet  ist,  im  zweiten  takte  Yorzunehmen 
wären.    Mit  der  Unterdrückung  der  metrisch  unzulässigen  Sil- 
ben aber  allein    ist  die  sache  noch  nicht  abgetan.    Es  wird 
sich  zeigen,  dass  die  zu  tilgenden  Überschüsse  sich  stets  unter 
besondere  kategorien  unterordnen  lassen.    Tritt  nun  der  fall 
ein,   dass  für  eine  solche  kategorie  die  tilgung  einer  silbe  f&r 
den  zweiten  takt  als  notwendig  nachgewiesen  ist,  so   ist  for- 
mell die  möglichkeit  nicht  ausgeschlossen,  dass  doch  im  ersten 
takt  dieselbe  durch  verschleifung  untergebracht  werden  könne; 
wenn  also  z.  b.  hefir  kann  für  den  zweiten  takt  zu  schwer  ist 
und  dafür  hefr  kann  eingesetzt  werden  muss,    so  könnte  doch 
an  sich  hefir  kann  oder  hanji  hefir  für  den  ersten  takt  genügen. 
Hier  sind  es  denn  grammatische  gründe,  welche  uns  veran- 
lassen in  solchen  dingen    consequenz  herzustellen,  d.  h.    die 
durch  sichere  Zeugnisse  als  tatsächlich  vorkommend  erwiesene 
form  überall  durchzuführen,  wo  nicht  metrische  gründe  gegen 
dies  verfahren  sprechen.    Wenn  also,  um  ein  anderes  beispiel 
zu  geben,  alle  langsilbigen  1.  personen  sg.  ind.  mit  nachfolgen- 
dem pronomen  ek  mit  Verkürzung  des  letzteren  zu  -Ar  gelesen 
werden  müssen  {veit-k,  hykk  u.  dgl.),  so  gebietet  die  rücksieht 
auf  die  normalen  entwickelungsgesetze  der  spräche,   welche 
gleichartigen  fortschritt  aller  lautlichen  Wandlung  anzunehmen 
nötigt,  den  schluss  zuziehen,  dass  auch  bei  kurz  silbigen  ver- 
bis  die  entsprechende  kürzung  sprachlich  durchgeführt  gewesen 
und  daher  auch  in  den  stellen  zur  anschauung  zu  bringen  sei, 
wo  die  metrik  allein  sie  nicht  notwendig  erfordert,  wol  aber 
gestattet. 

Der  mittel   zur   herstellung  correcter  verse  durch  tilgung 
nicht  verschleifbarer  überschüssiger  silben  gibt  es  nun  folgende: 


SKALDENMETRIK.  473 

I.  Elision. 

Diese  muss  am  häufigsten  im  zweiten  takte  angewant 
werden.  Ich  habe  kein  beispiel  gefunden,  welches  mit  Sicher- 
heit der  regel  widerspricht:  wo  der  zweite  takt  drei, 
nicht  durch  einsetzung  kürzerer  formen  auf  zwei 
reducierbare  silben  enthält,  ist  jedesmal  die  mitt- 
lere silbe  durch  elision  zu  tilgen,  es  sei  denn  dass 
eine  der  oben  s.  468  f.  besprochenen  gestatteten  ver- 
schleifungen  vorläge.  Uebrigens  sind  die  hiatusbildenden 
Silben  in  der  regel  beide  tonlos. 

Beispiele : 

hefr  afreksk^ens  öfra  —  Aroörr  M.  121 

J9r?5  r6tt  vigi^at  vartJa  —  Bjarni  H.  493  (OH.  219) 

svanglyjatJiwat  fryja  —  Einarr  Sk4L  H.  116 

bldess  61rekiv^f  dsi  —  Einarr  Skül.  M.  228 

v6r  getum  bili^at  b9lva  —  Eyvindr  H.  103  (F.  21) 

austr  bragningiwat  trausti  —  Gizurr  H.  475  (OH.  207) 

ferr  sjörokawat  knerri  —  Hallfr.  Ha.  92 

hnau^  vit$  hjarta^ok  sit$a  „        Ha.  113 

veit-k  at  vekki^x)f  8;^ri-k    „        Ha.  1 14 

fesaeranda^at  fcera  —  Kormdkr  H.  93 

borg  Kantara^of  morgin  —  Ottarr  H.  226  (OH.  21) 

Finnlendingawat  fandi  —  Sigvatr  H.  223 

latJJ?verrandiwaf  snerri         „        H.  249  (OH.  36) 

hüsbünaöiwat  balda  „        H.  310  (OH.  82) 

mildr  i  menskuwat  gjalda  „        H.  516 

fölkorrostuv^at  freist»  .        H.  527  (OH.  239) 

bot  skjoldungiwat  möti        „        H.  527  (F.  98.  OH.  239) 

aldr  fullara^at  halda  „        OH.  184 

skemr  landrekiwenn  fremri  „        OH.  232 

virk  Jörsaliwör  Girkjum  —  Stüfr  H.  555  (M.  II.  F.  110) 

Bölryrandiwenn  dyri  —  tjööölfr  H.  538 

ck  bef-k  ekkiwat  drekka  „        H.  543 

byastM-kHaagiwitnffisto^        H.  546  (OH.  221) 

tor  üfrhagiwen  öfri  „        H.  555 

g]2ßst  sjautigiwit  faesta      „        H.  596  (M.  79.  F.  130) 

haglfaldinni^at  halda        „        F.  109 

laetsamr  ara^ens  gamla  —  I>6rarinii  H.  687  (M.  189) 

lindböls  gjafi^at  flinni  —  A'suförOr  M.  172 

bot  Sigvaldav^d  möti  —  törtJr  K.  H.  156  (F.  48) 

skyldr  16zk  bendi^at  halda  »       H.  217 

angr  makligra^at  hanga  —  torkell  harn.  H.  641  (M.  135.  F.  153) 

hvast  beit  bjartas^it  n»sta  —  IbormötJr  H.  498  (OH.  223) 


474  SIEVEBS 

gaus  hir  logiwör  hüsum  —  anon.  H.  572  (F.  124) 
mal  oll  yegawi  skälum  „    H.  603 

blakir  mör  )'ari^yof  hnakka      „    M.  101. 

£l)enso  im  dritten  takte  von  achtsilblern  : 

hraßddir  urtJu  fJ9rviwat  fort$a  —  Arnörr  H.  517 
grcßt^i  lostins  gutJiwit  nsesta  „     M.  32. 

Seltener  ist  die  elision  am  Schlüsse  des  eraten  taktes: 

skrükviwat  skilnat)  ykkarn  —  Bjarni  H.  456   (F.  89.  OH.  192) 

voktuwofundmenn  ykkar  „     H.  526 

kömk  eigiv^ostr  1  hausti  —  Magnus  M.  154  (F.  158)0 

fryr  eigiv^ss  i  4ri  —  Sigvatr  H.  255  (F.  76.  OH.  42)*) 

lit$  faerav^k  skip  sm»ri   „     H.  437 

samir  trut$a^  gut$  gumnar  —  Sigvatr  H.  520  (OH.  233) 

reynduv^ss  jofarr  hnossir  —  anon.  M.  152. 

Innerhalb  des  ersten  taktes  ist  mir  nur  äin  sehr  auffSHiges 
beispicl  begegnet  in  dem  verse 

l'au  eru  enn  sva  at  ek  man  manna  —  llaraldr  H.  586, 

welcher  ohne  zweifei  zu  lesen  ist 

]7au'niwenn  |  svdt  man-k  |  manna. 

Ebenso  habe  ich  nur  äin  beispiel  flir  die  elision  vor  dem 
dritten  takt: 

seggr  at  gram  bitUv^eggjar  —  Einarr  Skül.  M.  235  (F.  173). 

Da  CS  sich  in  allen  diesen  fällen  um  das  zusammentreffen 
einer  kurzen  silbe  mit  folgender  anceps  handelt,  so  könnte 
man,  die  annähme  der  elision  verwerfend,  auch  hier  verschlei- 
fung  behaupten  wollen.  Diese  annähme  aber  widerlegt  sich 
sofort  durch  einen  blick  auf  die  art  der  fälle  selbst  Wir 
niüsten  dann  im  zweiten  takt  vielfach  verschleifungen  bei  ein- 
fachen nominibus  und  verbis  annehmen ,  welche  sonst,  ohne 
vom  hiatus  begleitet  zu  sein,  nicht  vorliegen.  Und  wollte  man 
darauf  gewicht  legen,  dass  in  den  fällen  der  verschleifung,  die 
wir  oben  als  normal  hingestellt  haben,  es  stets  auf  eine  yer- 
schleifung  der  Stammsilbe  mit  einer  andern  ankomme,  hier 
aber  nur  unbetonte  ableitungssilben  vorliegen,  die  bezüglich 
ihrer  verschleifbarkeit  im  zweiten  takte  doch  mindestens  mit 
den  Partikeln  7iema,  et5a  u.  dgL  auf  eine  stufe  zu  stellen 
seien,  so   bliebe  wider  das  auffällige  hervortreten  des  hiatuB 

<)  Diese  beiden  verse  sind  nicht  ganz  sicher,  da  mOgUcherwalBe 
ursprünglich  kömkaky  fryrat  stand. 


SKALDENMETBIK.  475 

im  zweiten  takt  unerklärt  Auf  die  31  oben  aufgezählten  ver- 
Schleifungen  ohne  hiatus  kämen  nämlich  37  verse  mithiatus; 
unter  den  331  beispielen  ftir  verschleifung  im  ersten  takt  sind 
nur  17  mit  hiatus,  und  zwar  natürlich  hiatus  nach  der  zwei- 
ten verschleifbaren  silbe,  z.  b.  hafa^allframir  J2frar  Sigv.  H.  378 
(OH.  32).  In  diesen  fällen  kann  aber  eine  elision  nicht  vor- 
genommen werden,  weil  sonst  die  hebung  (resp.  Senkung)  nur 
aus  einer  kurzen  silbe  bestünde ,  und  das  ist  nicht  zulässig 
(s.  oben  s.  455.  463).  Die  consequenz  hiervon  ist  klärlich  diese : 
weil  man  im  ersten  takte  in  der  verschleifbarkeit  grosser  wort- 
gruppen  ein  vortreffliches  mittel  zur  Unterbringung  metrisch 
schwieriger  Wörter  hatte,  brauchte  man  elision  nicht  so  häufig 
anzuwenden:  wirklich  haben  wir  oben  ja  auch  nur  7  oder  8 
beispiele  daftlr  aufweisen  können.  Im  zweiten  takt  aber,  wo 
die  licenz  der  verschleifung  weit  geringer  war,  muste  sich  der 
gebrauch  der  licenz  der  elision  sich  als  natürliches  auskunfts- 
mittel  von  selbst  an  die  band  geben. 

Ueber  elision  vor  h  s.  unten  unter  II,  8,  c,  3. 

II.    Einsetzung  kürzerer  wortformen. 

1.  Adjectivadverbia  auf  -/a. 

allfritJUga  i  milli  —  B9lverkr  H.  565  (M.  21.  F.  117) 
alldrengiliga  fengit  —  Hallfret$r  Ha.  tll. 

Diese  beiden  verse  enthalten  scheinbar  verschleifungen  im 
zweiten  takt;  man  könnte  beide  mit  den  compositis  s.  470  zu- 
sammenbringen wollen,  ftir  den  ersten  vers  auch  elision  an- 
nehmen; doch  dünkt  es  mich  wahrscheinlicher,  dass  hier  die 
kürzeren  formen  auf  -la,  allfritSla  und  alldrmgila  einzusetzen 
seien.  An  beispielen  für  solche  formen  fehlt  es  keineswegs. 
Ich  habe  aus  dem  sonst  benutzten  material  folgende  notiert: 
fulldrmgila  Sigvatr  H.  309  (OH.  81),  hermila  HallfreÖr  Ha.  102, 
skundila  Halldorr  skv.  M.  162,  flkula,  rikula  ValgarÖr  H.  560 
(M.  18.  F.  114),  ibula  Bjami  H.  526  (OH.  238).  PjoSolfr  H. 
544,  oUlsnütiula  Sigvatr  OH.  56,  drla  Amörr  F.  99,  görla  Stefnir 
OT.  50,  smrla  Arnorr  M.  31.  Bjami  OH.  244.  Sigvatr  H.  228 
(OH.  22),  varla  Einarr  Sköl.  M.  228.  HallfreÖr  Ha.  113.  Oddr 
H.  568  (F.  120).  Sigvatr  H.  416  (OH.  161).  PjöSolfr  M.  65 
(F.  132),  smnarla  Sigvatr  H.  228  (Oa  22),    hvatla  anon.  M. 


47G  SIEVEES 

134,  njtla  Arnörr  M.  120,  skrmtla  Bglverkr  H.  547,  hraustla 
PjüÖülfr  H.  593,  fagrla  Sigvatr  H.  480  (OH.  210),  zusammen 
23  belege.  Ja,  diese  formen  sind  in  den  hier  benutzten  partien 
skaldischer  dichtung  sogar  häufiger  als  die  volleren  formen 
auf  'liga,  deren  ich  nur  folgende  gefunden  habe:  ärliga  Sigvatr 
H.  490  (OH.  216),  varliga  Porarinn  H.  687  (M.  189),  skrautliga 
Sigvatr  H.  377,  sannliga  HallfreÖr  H.  216.  PorÖr  K.  H.  154, 
rakkliga  Einarr  Skiil.  H.  116,  roskliga  PjoRölfr  H.  538,  haröliga 
Sigvatr  H.  253  (F.  76.  OH.  40).  PjoSolfr  H.  539,  im  ganzen 
nur  9  belege. 

Ich  füge  hier  einige  beroerkungen  grammatischer  natar 
an,  welche  auch  als  grundlage  für  die  beurteilung  weiter 
unten  zur  spräche  zu  bringender  tatsachen  eine  gewisse  be- 
dcutung  haben. 

Wir  sind  gewöhnt,  von  doppel formen  desselben  wertes 
odei'  derselben  woi-tgruppe  im  allgemeinen  die  vollere  form 
ftlr  die  ursprünglichere  zu  halten.  Im  allgemeinen  trifft  diese 
ans(^hauung  gewis  das  richtige,  es  ist  aber  auch  die  möglich- 
koit  nicht  ausgeschlossen,  dass  vollere  formen  erst  wider  als 
secundärbildungcn  an  stelle  kürzerer  auftreten.  Einen  solchen 
fall  haben  wir  meines  erachtens  bei  unsern  adverbien  auf  -/a. 
Der  gebrauch  diesor  formen  ist  zum  grossen  teil,  wie  eine 
durchsieht  der  gegebenen  belege  zeigt,  auf  die  ältere  dichtung 
beschränkt.  Das  spätere  und  moderne  isländische  hat  nur 
noch  wenige  formen  der  art  erhalten,  wie  varla,  vaiia  'hardly, 
scarcely*  u.  dgl.  Sonst  werden  die  adverbia  regelrecht  auf 
-lega  gebildet  (vgl.  Vigfüsson  XXVII).  Das  beispiel  von  varla 
:  varlegüy  haröla  :  harbliga  zeigt  deutlich  an,  wie  diese  bildung 
die  Oberhand  gewonnen  hat;  varla  'kaum',  harip)la  'sehr' 
werden  nicht  mehr  als  adverbia  zu  den  adjectivis  varr,  hartir 
empfunden ;  in  ihrer  isolierung  erhalten  sie  sieh  unversehrt  bis 
in  die  neuzeit.  Soll  dagegen  von  einem  adj.  ein  zugehöriges 
adverb  gebildet  werden,  so  bietet  sich  unter  dem  einfiusse  der 
adjectiva  auf  -Ugr  die  form  -liga  wie  von  selbst  dar;  *hart', 
*  vorsichtig*  heisst  also  jetzt  nur  hartSlega,  varlega,  während 
ursprünglich  eine  sonderung  nach  form  und  bedeutung  nicht 
vorlag  (vgl.  Vigfüsson  a.  a.  o.  und  s.  v.  varliga).  Ich  halte 
hiernach  -la  für  die  eigentliche,  lautgesetzlich  entwickelte  form 
der  altn.  adjectivadverbia,    -liga   dagegen   durchaus  filr   eine 


SEALDENMETRIK.  477 

jüngere  bildung  in  anlehnung  an  die  adjectiva  auf -/i^r.  Diese 
annähme  wird  durch  das  ganz  analoge  verfahren  des  schwe- 
dischen und  dänischen  bestärkt.  Das  altschwedischc  bietet 
noch  zahlreiche  adverbia  auf-/a  dar,  im  neuschwedischen  sind 
sie  sänimtlich  verschwunden  bis  auf  die  archaisch -poetischen 
formen  arla  und  serla  (Rydqvist  IV,  419.  V,  151  flf.),  das  neu- 
dänische hat  ebenfalls  nur  noch  ärle  und  silde  =  isl.  ärla, 
sibla  (J.  Grimm,  gr.  III,  104),  die  gewöhnlichen  adverbia 
lauten  in  beiden  sprachen  auf  -ligen  aus. 

Die  Verkürzung  von  -lig-  (in  folge  seiner  accentlosigkeit, 
s.  Beiträge  IV,  538)  war  aber  nicht  auf  die  adverbia  auf  -la 
beschränkt,  sondern  erstreckte  sich  auch  auf  die  comparative 
und  Superlative  von  adjectiven  auf  -ligr,  die  demnach  einmal 
auf  'lari,  -lastr  ausgiengen.  Diese  formen  sind  aber  durch 
analogische  neubildungen  noch  weit  vollständiger  und  früher 
verdrängt  worden  als  jene  adverbien,  weil  sie  unter  viel  direc- 
terem  einflusse  der  adjectiva  stehen.  Aus  dem  isländischen 
kann  ich  bis  jetzt  nur  ein  beispiel  für  den  alten  Superlativ 
eines  solchen  adjectivums  aufbringen,  in  dem  verse 

böl  l?at-s  ek  veit  gölast  —  anoB.  H.  640  (M.  135), 

in  welchem  F.  153  bereits  modernisierend  gdligst  setzt  (für 
*  gdöligast ,  *g6bligst)]  aber  aus  dem  altschwedischen  führt 
Rydqvist  V,  152  die  adverbia  piklar,  -are  (belege  bei  Schlyter 
XIII,  744)  und  nylast  (Gutalag  §  62)  an.  Aus  dem  isländi- 
schen gehört  sodann  ohne  zweifei  das  adverb  ella,  altnord.  ellar 
neben  ellegar  (modern  nach  Vigfüsson,  doch  auch  schon  im 
Stockh.  homilienbuche  14,  30.  77,  19.  96,  18.  104,  19.  167,  7, 
vgl.  Rydqvist  V,  129)  hierher,  altschwedisch  cellar  und  ellighcer 
(Rydqvist  a.  a.  o.),  welche  schon  J.  Grimm,  gr.  III,  188  mit 
ags.  ellicor,  alts.  elcor  zusammengestellt  hat  (ags.  ellor  'anders- 
wohin' kann  der  bedeutung  wegen  nicht  verglichen  werden). 

2.    Die  Partikeln  svdi,  p6t,  pvit. 

Die  formen  svät,  pdt  sind  in  der  handschriftlichen  übor- 
licfcruii«i;  des  norwegisch  -  isländischen  die  regelmässigen  Vor- 
läufer von  svä  at,  pö  at]  ein  entsprechendes  pvU  für  das  her- 
schende  pvi  at  ist  mir  nicht  in  erinnerung;  doch  liegt  alt- 
schwedich  pyt  neben  py  at  vor,  ebenso  pdt  neben  pi  at,   svdt 


478  SIEVEBS 

neben  svd  ai  (Rydqvist  V,  175  flF.  Schlyter  XIII,  618).  Das 
verschwinden  der  einsilbigen  formen  beruht  sichtlich  auf  einer 
grammatischen  analyse  derselben,  welche  das  bestreben  nach 
etymologischer  Schreibung  und  demnächst  entsprechender  aus- 
spräche hervomef.  So  erklärt  es  sich,  warum  ptAt  so  voll- 
ständig geschwunden  ist:  in  ihm  wurde  der  selbständige,  oft 
noch  von  präpositionen  regierte  pronominale  teil  (fyr  pvi  ai, 
af  pvi  at  etc.)  zu  lebendig  gefUhlt,  als  dass  nicht  die  aufiösung 
in  pvi  at  natürlich  gewesen  wäre;  demnächst  folgt  svdt,  das 
sich  ebenfalls  begrifflich  leicht  sondern  liess;  am  längsten 
scheint  sich  pdi  gehalten  zu  haben,  weil  in  diesem  werte  am 
ersten  begriffliche  einholt  vorhanden  war. 

In  den  von  mir  untersuchten  skaldeuversen  habe  ich  nun 

nicht    einen    einzigen  gefunden,    welcher   zweisilbiges  9vä  ai, 

pb  ai,  pvi  ai  verlangte.    Man  hat  demnach  (wie  auch  Wimmer 

im  lesebuch  tut)  zu  schreiben: 

BY^t  BJ9m  H.  641.  Bragi  H.  7.  Einarr  Sk&l.  H.  144  (F.  39).  Einarr 
Skül.  M.  181.  Hallfret$r  Ha.  HO.  Haraldr  H.  586.  M.  15.  Homklofi  H. 
54  (F.  9).  Oddr  H.  568  (F.  120).  Sigvatr  OH.  27  (2  mal).  56.  Steinn 
IL  635  (M.  130).  M.  130.  I>j6Öölfr  H.  537.  538.  594.  607.  ValgarBr  F. 
111.    Anon.  H.  628   (H.  633.  M.  127). 

t^öt  Einarr  Sk41.  H.  144.  Einarr  SkdI.  M.  205  (F.  173).  Eldjirn  H. 
652.  M.  148.  Gizurr  H.  475.  HallfretJr  U.  213  (F.  65.  OT.  58).  Ha.  91. 
106.  ildrekr  F.  83.  Magnus  H.  655  (M.  152).  Sigvatr  H.  248.  255  (F. 
76.  OH.  42).  416  (OH.  161).  437  (OH.  178).  444  (OH.  183).  522  (2  mal). 
I)jöÖöifr  H.  620  (M.  116.  F.  140).    tormöÖr  H.  478  (OH.  208). 

Ebenso  muss  aber  auch  pvit  gesetzt  werden.  Ich  gebe 
hier  die  citate  ausfuhrlich,  weil  sich  Wimmer  a.  a.  o.  gegen 
die  anerkennuug  der  form  zu  sträuben  scheint.  Die  anord- 
nung  ist  die  nach  den  takten  des  verses,  in  denen  die  bei- 
spiele  erscheinen;  insbesondere  sind  natürlich  die  beispiele  im 
zweiten  takt  wichtig: 

}?vit  sigri  v6r  rdöum  —  Einarr  Skdl.  F.  143 
l^vit  Älgrnndar  endist  —  Hallfre7$r  Ha.  91 
t'vit  fürrOgnir  fagna  —  Eormdkr  H.  93 
)?vit  kvistingar  kostu  —  Sigvatr  H.  252  (OH.  39) 
j'vit  ungr  konangr  engi        „        H.  310  (OH.  82) 
fj^n  ]7Yit  Kristi  ^jönum  —  Hallfrot^r  Ha.  94 
•uni-k  l?vit  eigi  synjar  —  Magnus  M.  154  (F.  158) 
sinn  l'vit  fyrst  gekk  innan  —  Sigvatr  H.  231  (OH.  27) 
on  t'vit  jarla  froinda  ,        H.  310  (OH.  82) 


SKALDENMETBIE.  479 

•af  |?vit  eignum  lofiJa  —  Sigvatr  H.  527  Qfyi-B  OH.  239) 

vartJ  )?vit  visi  gört5i  —  Steinn  H.  595 
•af  )?vit  ytar  h9fÖu  —  tjötJölfr  H.  529 

en  J?vit  illa  reyndisk  ,        H.  605  (M.  91) 

hlaut-k  }?vit  heima  sdtum  —  anon.  H.  613  (F.  135.  OH.  245) 

en  trauter  )?vit  vel  viÖria  —  HallfreÖr  Ha.  94 

gnnnrjötJr  )?vit  vel  kunnutJ  —  Sigratr  OH.  55 

le  man-k  glat$r  )'yit  geirar  —  Einarr  Sk4l.  F.  143 

cerskan  veld-k  ^vit  irskam  —  Magnus  M.  154 

afli  vex  }?vit  efla  —  Sigvatr  H.  255  (OH.  42) 

vist  hef-k  }?ann  |?vit  }?mnar  —  Sigvatr  H.  307    (OH.  80) 

Ut-k  ül  EiÖs  }?vit  ötJumk  ,        H.  307   (OH.  80) 

•olU  hon  )?vit  allri  ,        H.  516 

foerak  vist  )?vit  virnm  „       H.  522 

harmar  üngr  ]7vit  Ingi  —  anon.  M.  219. 

Ich  mache  besonders  auf  die  besternten  verse  aufmerksam, 
welche  dartun,  dass  selbst  da  die  einsilbige  form  eintreten 
muste,  wo  pvi  von  einem  vorausgehenden  werte  direct  und 
deutlich  regiert  wurde.  ^)  Der  zuerst  angeführte  vers  der  F. 
143,  welcher  dem  Einarr  Sk&laglam  beigelegt  wird,  scheint 
ausserdem  bereits  die  form  pviti  zu  bezeugen,  durch  die  hen- 
ding  auf  rdbum]  ebenso  würde  af  pviö  par  hoftiu  (PjöÖölfr), 
hlaut'k  pvib  heima  sdtum  (anon.)  besser  sein  als  pvit,  weil 
dadurch  doppelreim  vermieden  würde;  umgekehrt  wäre  en 
traubr  pvit  vel  vibris  ein  zeugnis  für  die  form  pvit]  es  scheint 
aber  auf  diese  letzteren  argumente  nicht  viel  zu  geben  zu  sein, 
da  man  z.  b.  in  dem  verse  let-k  Hl  Eibs  pvit  dbumk  correcter 
weise  weder  mit  pvit  noch  mit  pvib  auskommt^) 

3.    Praepositionen  und  adverbia. 

Es  kommen  hier  in  betracht  die  formenpaare  eptir  —  ept, 
undir  —  und,  fyrir  —  fyr,  yfir  —  of.  Das  spätere  isländische 
hat  widerum  nur  die  zweisilbigen  formen  bewahrt:  ein  neues 
beispiel  fQr  den  oben  s.  476  ausgesprochenen  satz.  Das  rich- 
tige über  das  ursprüngUche  Verhältnis  dieser  doppelformen  ist 


*)  Vgl.  dazu  pars  (da  ist)  svdt  gramr  metS  gumnum  |  gartf  yrpjö- 
tSum  vartSi  Einarr  Skdl.  H.  144  (F.  39). 

')  Sehr  beachtenswert  ist  die  form  suap  auf  dem  Rökstein  and 
dem  Forsa-ring  (Baggo,  Tolkn.  af  runeindskr.  pä  R.  s.  28.  116.  Rane- 
indskriften  paa  Ringen  i  Forsa  Kirke,  Christiania  1877  s.  19  (dort  auch 
ein  weiterer  reimbeleg  für  IbI.  pmtT^ 


480  SIEVEBS 

schon  gelegentlich  angedeutet:  so  von  Wimmer,  lesebuch* 
XXIII,  no.  4,  und  von  Bugge,  Tolkning  af  runeindskriften  p4 
Röksteuon  5.  32.  38,  bes.  71.  117;  doch  glaube  ich,  dass  noch 
nirgends  mit  bestimnitheit  der  vatz  ausgesprochen  ist,  daes 
alle  germanischen  sprachen  einst  eine  proklitisehe 
form  als  präposition,  eine  andere  betonte  (oft  oxyto- 
nierte,  daher  den  auslautsgesetzen  widerstehende)  form  al» 
adverbium  brauchten;  letztere  trat  auch  ein,  wenn 
die  Präposition  hinter  ihrem  nomen  stand.  Diese  ur- 
sprüngliche Scheidung  ist  noch  gewahrt  im  ahd.  mit :  miti,  alts. 
mid :  midi]  im  (got.  und)  ags.  ist  die  proklitisehe  pronominal- 
form (m//>),  mid  allein  übrig  geblieben.  Hiemach  dürfen  wir, 
wie  ich  bereits  Beitr.  IV,  81  f.  kurz  ausgeführt  habe,  in  ähn- 
licher weise  lautlich  unterschiedene  formen  verschiedener 
sprachen  paarweise  gruppieren,  wenn  auch  ein  bedeutungs- 
unterschied  nicht  mehr  vorhanden  ist ;  so  müssen  got  ahd.  ana 
als  adverbialform  gegenüber  altn.  d,  ags.  ofi,  alts.  an  aufgefasst 
werden;  die  letzteren  sind  die  eigentlichen  präpositionalformen. 
Bei  diesen  handelt  es  sich  nur  um  einen  auslautenden  yocal; 
aber  auch  stärkere  differenzen  treten  auf.  So  ist  ags.  wiber 
nur  adverb  (man  vgl.  die  zahlreichen  nominalcomposita  mit 
betonter  partikcl  bei  Grein  etc.),  w/Ö  ist  enklitische  form  und 
wird  nur  als  präposition  und  in  der  Verbalcomposition  ge- 
braucht, welche  den  hochton  der  Stammsilbe  des  verbums  gibt 
(vgl.  etwa  Wortpaare  wie  wibersccc  und  witSsdcan).  Im  alt- 
sächsischen drängt  sich  bereits  die  adverbialform  uuithar  be- 
deutend vor,  das  althochdeutsche  hat  sie  zur  alleinherschaft 
gelangen  lassen  (wie  and). 

Diesen  doppelformen  entsprechen  nun  augenscheinlich  diß 
altnord.  parallelen  vitSr  und  vit5 ,  welche  freilich  in  unsem 
texten  sehr  promiscue  gebraucht  werden,  zum  teil  vielleicht 
weniger  wegen  mangelnder  Unterscheidung  in  der  lebendigen 
spräche,  als  wegen  der  gcwohnheit,  vit5  wie  andere  Präposi- 
tionen, namentlich  fyrir,  abzukürzen  (Vigfösson  s.  v.).  Jetzt 
herscht  in  Island  viti,  selten  steht  vibr-  in  compositis,  ähnlich 
ist  es  im  schwedischen  und  dänischen.  Aber  das  altschwed. 
zeigt  noch  eine  spur  der  alten  Unterscheidung.  Unter  den  von 
Rydqvist  V,  106  f.  aufgezählten  compositis  mit  vip,  viper  sind 
20  substantivcomposita  mit  viper-  gegen  eines  mit  der  neben- 


SKALDENMETBIE.  481 

form  vip,  während  in  der  Zusammenstellung  mit  dem  verbum 
die  form  vip  statt  viper  häufig  erscheint  (weil  verbum  und 
Präposition  im  satze  zu  oft  zusammen  gehen),  wie  denn  auch 
nun  umgekehrt  als  präposition  oft  viper  gebraucht  wird.^) 

Man  wird  hiernach  von  vornherein  geneigt  sein,  das  Ver- 
hältnis von  eftir  —  eft,  undir  —  und,  fyrir  —  fyr,  yfir  —  of 
ebenso  zu  beurteilen.  Entsprechende  altschwedische  und  alt- 
dänische formen  stehen  den  genannten  norwegisch-isländischen 
zur  Seite.  Schon  inschriftlich  ist  aft,  ift  häufig  (s.  u.  a.  Bugge 
a.  a.  0.  1 16  f.),  üb  und  für  =  isl.  of,  fyr  hat  der  schwedische 
Rökstein  (Bugge  38.  32),  mit  steht  bei  Liljegr.  870  (Rydqvist 
V,  189).  Die  coexistenz  der  beiden  formgruppeu  im  gemein- 
nordischen  muss  man  danach  wol  ohne  weiteres  zugeben,  aber 
auch  ihre  Scheidung  in  syntaktischer  beziehung  hat  Bugge  be- 
reits nachgewiesen.  Der  praep.  für  auf  dem  Bökstein  ent- 
spricht das  adverb  furin  auf  dem  Forsaring,  aft  als  präposition 
und  (a)ftir  als  adverb  begegnen  sich  auf  dem  Rökstein  selbst 
(Bugge  117);  nachgesetzte  adverbialform  (s.  oben  s.  480)  hat 
z.  b.  der  Kolundastein  (Södermanland ;  fapur  auk  mupur  ifti{R), 
Bugge  s.  53). 

Was  mir  nun  noch  nicht  genügend  beobachtet  und  hervor- 
gehoben scheint  (doch  vgl.  Wimmer  a.  a.  o.),  ist,  dass  der 
syntaktische  unterschied  der  doppelformen  bei  den  skalden 
fast  durchaus  noch  gewahrt  ist,  dergestalt  dass  die  präposi- 
tionen  stets  einsilbig,  die  adverbien  stets  zweisilbig  sind.  Nur 
über  die  eigentliche  sprachform  können  zweifei  herschen,  denn 
das  was  schliesslich  als  vulgatform  sich  aus  dem  streite  der 
doppelbildungen  gerettet  hat,  lässt  lautliche  congruenz  sehr 
stark  vermissen.    Warum  entbehrt  undir  des  umlautes,  welchen 

*)  Auch  das  formenpaar  ör,  yr  und  ör,  später  ür  erklärt  sich  wol 
auf  diese  weise.  Wie  die  nominalcomposita  zeigen,  denen  mit  ausnähme 
moderner  bildungen  mit  ör,  ür,  nur  Ör-,  er-  zukommt  (Vigfüsson  s.  472 
8.  y.  ör)y  war  ör,  yr  ursprünglich  betonte  form,  or  die  enklitische.  Nur 
durch  diese  annähme  fällt  zugleich  licht  auf  das  schwanken  im  umlaut; 
auch  der  norwegisch-isländische  r-umlaut  trifft,  wie  die  übrigen  umlaute, 
eigentlich  nur  Stammsilben,  d.  h.  betonte  silben,  also  auch  adverbiales 
ör  aus  betontem  *uz\  enklitisches  *uz  aber  entzog  sich  der  einwirk ung 
des  r  -  Umlautes.  —  Die  dehnung  gerade  der  enklitischen  form  ör,  ür 
vermag  ich  nicht  zu  erklären;  sie  steht  aber  fUr  sehr  alte  zeit  schon 
durch  die  Schreibung  z.  b.  des  Stockh.  homilienbuches  fest 

neitrttgo  «ür  gesohlolito  der  dciiUchen  spräche    V.  3I 


482  SIEVERS 

eftir,  fyrir,  yfir  stets  zeigen ,  oder  wie  kommt  es,  dass  dem 
yfir  ein  of,  dem  eftir  aber  gleichfalls  umgelautetes  efi  zur 
Seite  steht?  Hier  kann,  meine  ich,  die  geschichte  des  paares 
fyrir  —  fyr  den  weg  zur  erklärung  zeigen«  Altisländisch 
findet  sich  nicht  selten  /"wr,  auch  furer,  altschwedisch  /or  neben 
fyri(r)y  ftri{r)  (Rydqvist  II,  81  f.).  In  diesem  für,  for  haben 
wir  meines  erachtens  die  vermisste  parallelform  zu  üb,  of  zu 
constatieren.  Die  Wahrscheinlichkeit  dieser  annähme  wird  ver- 
mehrt durch  die  erwägung,  dass  ursprüngliches  i  eine  kurze 
Stammsilbe  im  nordischen  nicht  umlautet  (Beitr.  V,  111  ff.). 
Anderseits  widerspricht  ein  furir  neben  eftir  ebenso  den  um- 
lautgesetzen  wie  undir,  während  umlautsloses  ufid  erklärlieh 
ist  Fasst  man  diese  erwägungen  zusammen,  so  wird  man  zu 
dem  resultat  geführt,  dass  das  ursprüngliche  Verhältnis  dieses 
war,  dass  den  umgelauteten  adverbialfornien  eftir,  *  yndirf  fyrir, 
yfir  die  umlautslosen  präpositionalformen  aft,  und,  für,  of  zur 
Seite  standen.  Aus  der  Wechselwirkung  dieser  ergaben  sich 
dann  schliesslich  die  gewöhnlichen  formen  auf  dem  woge  des 
compromisses.  i) 


*)  Die  kategorie  der  ^  compromissformcn  *  ist  bisher  in  der  vor- 
gleichenden  grammatik  wol  kaum  sehr  beachtet  worden,  doch  gibt  es 
eine  anzahl,  wie  mir  scheint,  sicherer  fälle  solcher  analogiebildungcn, 
die  auf  halbem  wege  stehen  geblieben  sind.  Ein  boispiel  führt  Wimmer, 
laesebog'  XI  an,  das  gewöhnliche  nord.  oss  als  dat.  acc.  pl.,  welches  er, 
gewis  richtig,  darch  Wechselwirkung  von  •05  =  got  wi$  und  Öss  = 
got.  unsxs  (häafig  im  Stockh.  homilienbach)  erklärt.  Noch  schlagender 
ist  vielleicht  folgendes.  Wie  Jon  torkelsson,  Athagasemdir  um  islenskar 
mdlmyndar,  Reykjavik  1874,  t2  f.  nachgewiesen  hat,  flectierte  das  pos- 
sessivum  vdrr  ursprünglich  so,  dass  in  den  formen  mit  einfachem  cons.  stets 
6  statt  vd  erscheint:  also  zwar  värr^  vdrty  vdrs,  vdrrar,  vdrre,  vom, 
vdrra,  aber  ör  (für  *  oru),  öro7n,  öro,  öra,  örer,  örar,  ör,  örom,  öra. 
Dieses  (wie  ich  beiläufig  bemerke  durch  den  übereinstimmenden  gebrauch 
des  Gutalag  als  urnordisch  bezeugte)  Verhältnis  ist  z.  b.  im  Stockholmer 
homilienbuch  streng  durchgeführt.  Zuerst  hat  das  norwegische^  wie  es 
scheint,  den  alten  unterschied  durch  ausgleichung  aufgehoben,  zum  teil 
aber  in  sehr  merkwürdiger  weise.  Das  norwegische  homilienbuch  (ed. 
Unger)  hat  regelmässig  die  alten  formen  vdr  (nom.  sg.  m.,  für  värr),  k.  b. 
13,  5.  41,  5.  45,  14.  62,  18  etc.,  vdrs  S5,  31.  96,  7.  97,  7.  9S,  11  etc.,  väm 
54,  12.  SO,  29.  81,  8.  88,  11  etc.,  vdrre  34,  15.  S5,  9,  vdrra  86,  13  und 
daneben  mit  voller  Vertilgung  des  ö  die  formen  vdrum  dat.  sg.  12,  3.  4. 
22,  5.  34,  11.  62,  12.  64,  15.  91,  23  etc.,  dat.  pl.  62,  14.  76,  31  etc.,  vära 
acc.  sg.  f.  86,  13,   vdrar   nom.  aco.  pl.  f.   10,  18.    62,  31.    76,  30.    80,  3. 


SKALDENMETRIK.  483 

Ich  lasse  nun  die  belege  folgen: 

1)  ept  —  epiir. 

a)  Präposition: 

settisk  snarr  ept  )>etta  -—  Bjarni  F.  95 
bann  ept  hervig  }?rennin  —  tjööölfr  H.  544 
en  ept  vig  frä  Veigu  —  frörör  K  H.  217. 

b)  adverb: 

enn  sem  eptir  renn!  —  Haraldr  M.  113 
heptutJ  6r  en  eptir  —  Ottarr  H.  284  (OH.  63) 
drifu  )?eir-ß  eptir  liftJu  —  ValgarÖr  H.  560  (F.  114) 
skipt  hafitJ  ^r  svit  eptir         „         F.  111. 

Letztere  form  steht  auch  für  die  präposition,   wenn  diese  in 

einer  andern  zeile  steht  als  das  abhängige  nomen: 

keypt  es  ist  ef  eptir 

ofldtinn  skal  grdta  —  Sigvatr  EL  521  (OH.  236). 

2)  und  —  undir. 

Die  beispiele  fQr  die  präposition  sind  so  zahlreich ,  dass 
ich  nur  die  citate  gebe,  und  zwar  der  ktlrze  halber  ohne  rtlck- 
sicht  auf  die  taktteilung  des  verses,  da  an  keiner  stelle  ver- 
Schleifung  von  undir  möglich  wäre.  Die  Überlieferung  hat 
hier  oft  das  richtige  und  bewahrt. 

a)    präposition: 

und  Amörr  H.  323  (OH.  92).  529  (F.  99).  M.  31  (2  mal).  80.  120 
(2  mal).  Bjarni  H.  447  (OH.  185).  BJ9rn  H.  647.  M.  145.  Einarr  SkÜ. 
H.  116.  136.  138.  144.  146.  163.  F.  38.  41.  Einarr  Skül.  H.  622.  667. 
717  (M.  200.  F.  168).  738.  Eyjölfr  H.  199.  200.  Guthormr  H.  88.  Hall- 
dörr 6kr.  F.  64  (OT.  57).  HallfreÖr  F.  67.  Ha.  93.  HallvartJr  H.  442 
(OH.  181).  Haraldr  H.  558  (M.  15.  F.  112).  Homklofi  H.  60.  lUugi  F. 
108.    Kolli  H.  726  (M.  208).    Magnus  M.  152.     Ottarr  H.  220   (OH.  16). 


81,  8  etc.,  vdr  acc.  pl.  ntr.  88,  10,  endlich  aber  mit  mischang  von  vä 
and  ö  zn  vp'  ip  in  Vertretung  des  verschleiften  ao)  die  formen  vprom 
dat.  sg.  57,  5.  61,  5  etc.,  dat.pl.  52,  6.  81,  6.  86,  11,  vpra  acc.  sg.  f.  86, 
8,  acc.  pl.  m.  88,  17,  vp'rar  acc.  pl.  f.  52,  5.  80,  28,  vp'r  acc.  pl.  n.  80, 
28.  88,  7.  18.  An  einen  u-nmlant  ist  wenigstens  bei  vp'ra,  vprar  nicht 
zu  denken,  anch  nicht  an  ein  übergreifen  des  u-omlantes  ans  denjenigen 
casus,  welchen  er  eigentlich  zukommt;  denn  wie  sollte  es  sonst  zu  er- 
klären sein,  dass  nur  die  formen  mit  ursprünglichem  6^  niemals  die  mit 
altem  vä  diesem  übergreifen  erlegen  wären?  Die  genaue  einhaltung  des 
alten  systemes  lässt  keine  andere  wähl,  als  eben  eine  partielle  analogie- 
biidung  anzunehmen. 

31* 


484  SIEVEBS 

284  (OH.  63).  F.  79  (OH.  99).  Sigvatr  H.  252  (OH.  39).  263  (F.  76. 
OH.  40).  310  (F.  78).  420  (OH.  216).  490.  Stüfr  H.  555  (M.  II.  F.  HO, 
zweimal).  M.  118  (F.  140).  tjrtÖölfr  H.  540.  550  (F.  108).  559.  M.  57 
(=  I>orleikr  F.  124).  I>öi^r  E.  H.  157  (2  mal),  torn^ls  M.  102.  I>orkell 
Skall.  H.  624.  i>orkell  harn.  M.  149.  torleifr  H.  170.  l>orleikr  H.  573. 
ValgartJr  H.  559  (M.  16  f.  F.  113,  zweimal).  M.  19  (F.  115)  Vigfüs»  F. 
49.  anon.  H.  513  (OH.  233).  731.    F.  38.  40;   zusammen  62  belege. 

b)    adverb: 

Es  finden  sich  nur  beispielo  ftir  den  gebrauch  der  adver- 
bialform an  stelle  der  ihrem  nomen  nachgesetzten  oder  von 
ihm  durch  die  verscäsur  getrennten  präposition: 

hverr  ill'onia  aniar 

undir  hlytr  at  lÄta  —  Einarr  jarl  H.  71 

an8trl9ndiim  försk  undir  .  .  . 

gunnhorga  819g  m9rgum  —  GlÄmr  H.  89 

nü*s  autSsendir  undir 

allr  Nöregr  ^k  fallinn  —  Halldörr  sky.  M.  199 

gjoflund  borinn  undir  —  Steinn  M.  130. 

3)   fi/r  (furl)  —  fyrir, 

a)  präposition: 

Einsilbige  form  ist  metrisch  zulässig  an  folgenden  stellen: 

Amörr  H.  536.  543.  621  (M.  11*«.  F.  140).  M.  114.  F.  96*.  OH. 
10'»  •.  Bjami  H.  493.  F.  87*.  Bolverkr  H.  547  (2  mal).  570  (M.  51. 
F.  121).  Bragi  H.  7'.  Einarr  Skal.  H.  136  (F.  41).  138*.  138.  144*. 
F.  38.  Einarr  Skül.  H.  766.  M.  235»  (F.  173).  F.  173.  Eyjölfr  H.  !99. 
Eyvindr  F.  22*.  Glümr  H.  110  (F.  27).  121.  Guthormr  H.  98.  102*. 
Halldörr  ökr.  H.  215'.  Halldörr  skv.  H.  664  (M.  161).  F.  166*.  Hall- 
fretJr  H.  146  (F.  56).  147  (F.  56).  194*  (Ha.  97).  Ha.  89  (2  mal).  94. 
95.  106.  108.  109.  111.  OT.  61.  Halli  M.  96.  101.  Haraldr  H.  479  (F.  90. 
OH.  209).  588*  (M.  15.  F.  112).  620  (M.  118.  F.  139).  Hdrekr  H.  428 
(F.  83.  OH.  171).  Hornklofi  H.  56  (F.  9).  60  (2  mal).  64*.  F.  9.  Kolli 
H.  726  (M.  208).  Magnus  M.  33.  Oddr  H.  543  •  (3  mal).  Ottarr  H.  226  • 
(OH.  21).  235  (OH.  28).  284  (OH.  63).  422  (OH.  165).  Sigvatr  H.  220 
(OH.  17).  223.  228  (OH.  22).  229*  (OH.  23).  252  (F.  76.  OH.  39). 
253*  (OH.  40,  2  mal).  274*  (OH.  55).  308.  309  (OH.  81).  416  (OH. 
160).  431  (OH.  173).  439.  442  (OH.  183).  444*  (F.  86.  OH.  183).  480 
(OH.  210).  490  (OH.  217).  499  (OH.  223).  521.  OH.  55'.  55.  SkAH 
H.  211»  (F.  63.  OT.  54).  Skümr  F.  53.  Steinn  H.  595 •.  595.  6I6* 
(M.  113.  F.  137).  M.  79*  (F.  129).  124*  (F.  148).  124.  125.  St6fr  H. 
555*  (F.  110).  tjöÖölfr  H.  537.  541.  542*.  543*.  543.  555.  56«.  692. 
593*.  594*.  607  (M.  88.  F.  133).  626.  M.  8.  102*.  102.  F.  109. 
I>örtJr  K.  H.  155  (F.  48).  217*  (F.  69).  232  (OH.  25).  I>orgils  M.  101 
(zweimal).  102*.  102  (zweimal).  I>orleikr  H.  572  (M.  55.  F.  123). 
F.  123.     ]>ormöt$r  H.  474  (OH.   205;  zweimal).     U'ifr  H.  612  (M.  111). 


SKALDENMETRIK.  .485 

ValgartJr  H.  559.  560*  (M.  18.  (F.  114).  560  (M.  18.  F.  114).  Vigf6fl8 
F.  49.  anon.  H.  572  (M.  56.  F.  124).  602*.  602  (zweimal),  li.  12*. 
17  (F.  113).    219.    222*. 

Zusammen  sind  es  134  belege,  yon  denen  nur  die  40  be- 
sternten dem  ersten  takte  zufallen.  Da  für  die  übrigen  94 
des  zweiten  taktes  verschleifung  auf  keinen  fall  zuzulassen 
ist,  so  stösst  die  annähme,  dass  auch  im  ersten  takt  regel- 
mässig die  einsilbige  form  zu  setzen  sei,  gewis  nicht  auf  Wider- 
spruch. Nur  viermal  habe  ich  zweisilbiges  fyrlr  durch  den 
zweiten  takt  bezeugt  gefunden,  nämlich  in  den  versen 

nitJrlütt  fyrir  ütan  —  Sigvatr  H.  308  (OH.  80) 
gein  haasB  fyrir  stein!  —  I>j6t561fr  H.  539 
örikr  fyrir  liki  —  anon.  H.  151 
landgar75r  fyrir  bart$i  —  anon.  M.  152. 

b)    adverb: 

stalum  biftJusk  fyrir  4lar  —  Amörr  H.  529  (achtsilbler) 

andres  nema  allvaldr  Lnndar 

aldrprüÖr  fyrir  haldi  —  tjötJölfr  H.  539 

v6r  hlnttun  sigr  en  särir 

Sveins  menn  fyrir  renna        „       H.  542 

.  .  .  si-B  land  k  sunnan, 

iJiÖbrjötr,  fyrir  r4?Ja  „       M.  55  (F.  123). 

Ebenso  steht  itan  . . .  fyrir  statt  des  üblichen  fyr  ütan  in  der 

Strophe 

Ätan  vart$-k,  i^r  J6ta 

andspilli  fekk-k  stillis, 

(meld  sd-k  b6r  fyr  holdi 

hüsdyrr)  fyrir  spyrjask  —  Sigvatr  H.  416  (OH.  160), 

welche  beide  formen  neben  einander  zeigt^ 


1)  Nar  scheinbare  ausnahmen  von  der  regel,  dass  die  adverbialform 
stehe,  wenn  der  versschlass  präposition  und  nomen  trennt,  bieten  die 
Zeilen : 

botJstyrkir,  16zt  barka 
(bragnings  verk  i  Serkjnm 
fraeg  hafa  görzk)  fyr  gygjar 

gagnstig  ofan  siga  —  Halldörr  skv.  H.  665  (M.  162.    F.  161) 
und 

fjandr  ganga  ]7ar  ]7engil8 

(J>jöÖ  byör  opt)  me?5  sjötJa 

(hofgan  mdlm  fyr  hilmis 

haus  öfalan)  lansa  —  Sigvatr  H.  431  (OH.  172), 


4S6  SIEYERS 

Für  einsilbiges  adverb  babe  icb  keinen  sicher  beweisenden 
l)eleg  gefunden,  denn 

fyrir  16t  IIAkon  horva  —  I'j6Ö61fr  H.  605  (M.91) 

iHt  natürlich  unanstössig.     Nur  eine  Strophe  Sigvats,  H.  308 

(OII.  81)  scheint  bedenklich: 

BSLÖT  vas  üng^  fyr  'pSLÖrs, 
(dt  vart$-k  eitt  kveld  heitinn) 
innan  (Qörum  sinnam), 

wo  nach  der  auilösung,  welche  zu  OH.  s.  273  gegeben  ist^  fyr 
mit  i7ma7i  zu  verbinden  wäre:  'darin  war  keine  büligkeit.' 
Aber  abgesehen  davon,  dass  hier  eigentlich  im  gründe  doch 
präpositionalform  erwartet  wird,  und  wir  also  nur  eine  auf- 
nähme von  dem  mehrfach  berührten  Stellungsgesetz  anzuneh- 
men hätten,  so  bleibt  noch,  wie  sich  weiter  unten  ergeben 
wird,  die  müglichkeit,  saör  vas  zu  einsilbigem  sabr  tfs  zu  kürzen 
und  fyrir  dann  zweisilbig  zu  lesen. 

Jedenfalls  bleibt  aber  das  resultat  sicher,  dass  die  spätere 
Verwirrung  im  gebrauche  von  fyr  und  fyrir  bei  den  älteren 
skalden  erst  in  sehr  bescheidenem  maasse  beginnt 

4)   of  =  yfir. 

Die  beispiele  für  of  habe  ich  nicht  gesammelt,  was  bei 
der  überall  begegnenden  Verwechselung  von  of  mit  um  ent- 
schuldbar sein  mag.  Ein  wirkliches  adverb  ist  mir  nur  ein- 
mal begegnet,  in  nicht  entscheidender  Stellung: 

yfir  um  Bk6g  at  spröga  —  I>j6tJ6lfr  IL  539, 

nachgestellte  präposition  in  adverbialform  ebenfalls  nur  ein- 
mal, aber  sicher: 

Skdney.yfir  sldni  —  tjööölfr  H.  542. 

Danach  wird 

liann  yfir  Nöregs  monnam  —  I)6rt$r  K.    H.  217 

in  of  zu  bessern  sein.^) 

denn  hier  ist  durch  den  vorausgeschickten  und  mit  dem  regierenden 
nomen  begrifflich  eng  verbundenen  genitiv  die  Verbindung  swisohen 
präposition  und  nomen  hergestellt. 

*)  Anmerkungsweise  teile  ich  noch  mit,  dass  auch  die  alten  isUta- 
disclieu  hss.  zum  teil  das  ursprüngliche  Verhältnis  in  ziemlichem  um- 
fange gewahrt  haben,  namentlich  was  fyr  —  fyrir  betrifft.  So  hat  der 
Elucidarius  fw  als  präposition  41  mal,  nur  einmal  forer  pisl  40;  ebenso 


SKALDENMETRIK.  4^7 

4)  Kürzung  von  yerbalformen. 

1.  hafa. 

In  betracht  kommen  die  formonpaare  hefr  —  hefir  für  die 
2.  und  3.  sg.,  hef  —  hefi  und  hef-k  —  hefi-k  für  die  1.  sg. 
Die  zweisilbigen  formen  sind  bekanntlich  die  später  allein  üb- 
lichen. Bei  den  skalden  überwiegt  die  zahl  der  für  die  kür- 
zeren beweisenden  stellen  die  derjenigen,  welche  die  existenz 
der  längeren  sichern.  Es  ist  nämlich  mit  Sicherheit  hefr  resp. 
hef'k  zu  lesen ,  wo  die  betreflfenden  woii;e  nur  die  hälfte  des 
zweiten  taktes  ausfüllen: 

borÖ  es  gramr  hefr  Qor?5a  —  Gunnhildr  F.  15 
mannkynn  hefr  at  minnum  —  Haraldr  M.  114 


heisst  es  stets  fvr-  in  der  verbalcomposition  entsprechend  unserm  ver-: 
fvrdömasc  1.  39.  40.  41,  fvrleit  12.  33.  34  (2),  fvrkt  13,  fvrlete  34,  fvr- 
farasc  38  (2).  43,  fvrgefa  57,  fvrgefasc  57;  aber  mit  betontem  fyrir 
stets  filier  ser  (praevidet)  6,  fvrei'^tlon  subst.  7,  visse  kann  fvrer  13,  kann 
visse  fvrer  16,  ä  fvrerqtlafyre  tip  26;  die  alten  homilienfragmente  AM. 
237  (Mübius  Analeeta«  235  flf.)  haben  nur  ein  fyrer  238, 10  gegen  20  /yr, 
adverbia  fehlen.  Im  Stockholmer  homilienbnche  hat  sich  zwar  fyrer  als 
Präposition  bereits  stark  eingedrängt,  aber  fyr-  =  deutschem  ver-  ist 
noch  fast  ganz  rein  erhalten;  aus  den  ersten  100  selten  habe  ich  fol- 
gende beispiele  notiert:  fyrgefa  (in  verschiedenen  formen)  31,  20.  21  (2). 

22.  32,  25.  26.     34,  17.  18.    24.  26.  28.  29.  30.  31.    35,  2.    42,  14.   44,  10. 

23.  45,  29.  51,  10  (2).  52,  12.  27.  53,  18.  63,  9.  64,  12.  68,  3.  73, 
17  (2).  18  (2).  84,  12.  94,  22;  fyrlitom  38,  19,  fyrUtit  51,  34,  fyrliir 
69,  4.  93,  22;  fyrdeömper  5,  14;  fyrdeöm  51,  23,  fyrd(fme  60,  7, 
fyr domer  77,  22;  fyr farasc  54,  32,  fyrfara  75,  32,  fyrfaresc  78, 
15,  fyrförsc  68,  30.  34.  69,  10;  fyrUßtr  61,  33,  fyrldte  71,  10, 
fyrldia  12,  19.  85,  17;  fyrhopet  85,  2;  in  nominalableitungen  fyr- 
dumingar  58,  6.  21,  fyrgefningar  78,  3.  94,  26,  aber  hier  auch  fyrerdö*- 
mingo  68,  23,  fyrergefning  63,  5,  fyrcrgefningar  84,  11.  Als  adverbium 
erscheint  ausschliesslich  fyrer :  fyrerrennare  14,  16,  fyrerheits  26,  10. 
27,  4,  fyrerheiia  49,  23,  fyrerhurp  52,  32,  fyrertglor  56,  10;  verbal  sS 
fyrer  6,  37,  par  ero  , . ,  fyrer  90,  13,  peir  es  kann  fyrer  verpr  88,  10, 
es  kann  pöiiisc  fyrer  verpa  96,  16,  tekr  . . .  fyrii'  21 ,  34,  sagpa  fyrer 
23,  27,  sagpe  fyrer  40,  24,  fyrer  saogpo  40,  23,  fyrer  sagt  46,  14, 
sidmc  fyrer  42,  24,  sg  fyrer  42,  36,  fyrer  sdr  77,  19  (?),  bipiomsc  fyrer 
03,  36,  bap  fyrer  68,' 6,  geck  fyrer  67,  21,  fyrer  sianda  52,  27,  fyrer- 
herasc  66 ,  4,  veit  fyrer  97,  38 ,  vissi  fyrer  98 ,  2.  5.  Zweifelhaft  ist 
allenfalls  fyrer  hetiit  1,  16.  73,  28,  aber  wol  eher  *  vorher  verheissen'  als 
einfaches  *verheissen*.  —  Aehnlich  erscheinen  im  St.  h.  zwar  noch  ge- 
legentlich und  und  of  als  präpositionen,  aber  nie  als  adverbia;  für  diese 
heisst  es  nur  undir  und  yuer,  yfer. 


488  SIEVERS 

lytandi  hefr  lj6tu  —  Ottarr  H.  2S4  (OH.  63) 

Sigvatr  hefr  gram  lattan  —  Sigvatr  H.  527  (OH.  2H9) 

ollungis  hefr  illa  —  Skümr  F.  53 

fj6Ö  veit  at  hefr  haöar  —  l>j6Ö61fr  H.  555 

fullviöa  hefr  froeöurn  —  l*6rarinn  H.  6S7  (M.  1S9) 

Sveins  raunir  hef-k  B^nar  —  Bersi  H.  254  (OH.  41) 

einn  dröttinn  hef-k  attan  —  Eyvindr  H.  112  (F.  28) 

jydlfrteigs  ok  hef-k  eigi  —  HallfreÖr  Ha.  lU 

raöit  hef-k  at  riöa  —  Oarekr  H.  427  (F.  b2.   OH.  170) 

vatna?rin  hof-k  vitni  —  Sigvatr  H.  521  (OH.  236). 

Metrische   griiiide    sprechen    sodann    ebenfalls    für   eiuBÜbigo 

form,  wenn  das  verbum  nach   aufgelöster  erster  hebung  dos 

verses  steht: 

gefit  hefr  gut^  sjalfr  jofri  —  Einarr  Skül.  H.  744 

rana  hefr  seggr  a  svini  —  Halli  M.  96 

logit  hefr  Baklr  at  Baldri  —  Haraldr  M.  55  (F.  123) 

ölegit  hefr  pugu  a  pegiia  —  Sigvatr  H.  527  (F.  9>.   OH.  2:J9) 

st;i?ar  hefr  stufr  i  miöju  —  hjoÖölfr  H.  539 

rekit  lief-k  Rögnvalds  dauöa  —  Einarr  jarl  U.  71  (F.  143) 

Haralds  hef-k  skarti  i  »kildi  ^       H.  71. 

Hier  würde  sonst  die  grosse  häufigkeit  des  vorkommenB  von 
hefir,  hefi'k  bei  aiiti()sung  beider  silben  des  ersten  taktos  unor- 
klfirlich  sein,  welche  ausserdem  überhaupt  nur  durch  5  bei- 
spiclo  zu  belegen  war  (s.  46S).  —  Metrisch  sicher  ist  ferner  hef 
in  dem  vcrse 

ek  hef  sjalfr  krafit  halfa  —  Sigvatr  H.  219  (OH.  36), 

da  drei  silben  im  ersten  takte,  wie  überhaupt,  nicht  verschleif- 
bar  sind.  Ebenso  sind  die  oben  s.  462  angeführten  hve,  nu, 
sjn,  svä,  fm  hefr,  m,  svä  hef-k  in  der  hebung  des  ersten 
taktes  sichere  zeugen  für  die  kürzere  form,  auch  wenn  man 
die  weitere  kürzung  zu  hve  fr  etc.  ablehnt.  Alles  zusammen- 
gerechnet, finden  wir  29  belege  für  hefr,  hef,  hef-k\  dem 
gegenüber  stehen   \  für  hefir,  hefi-k: 

crlendr  hefir  undan  —  Einarr  Skül.  M.  192 
Aslakr  hefir  aukit  —  Sigvatr  H.  446  (OH.  IM) 
dolgljösö  hefir  dasi  —  l>j6Öolfr  F.  109 
vitt  hefi-k  sizt  yttom  —  Haraldr  M.  16. 

Das  letzte  beispiel  ist  noch  dazu  zweifelhaft,  da  hefi-k  als 
zweisilbiges  wort  an  dieser  stelle  gegen  die  auilösungsrQgeln 
verstösst  (s.  450  no.  III).  Es  ist  also  wol  Jief  ek  zu  lesen  (vgl 
weiter  unten  unter  '  bragarmäl '  s.  508). 


SKALDENMETRIK.  489 

Die  belege  für  den  auflösungsfähigen  ersten  takt  zu  no- 
tieren unterlasse  ich.  Es  wird  nach  dem  gesagten  aber  nicht 
zweifelhaft  sein,  dass  auch  da  überall  die  kürzeren  formen 
einzusetzen  sind. 

2.  ves<u 

Die  kttrzungen  betreffen  die  einsilbigen  singularformen 
em,  est,  es  (eventuell  auch  im  praet.  vas)  und  die  zweisilbigen 
pluralformen  erum,  eruö,  eru.  Gemeinschaftlich  ist  denselben 
die  einbusse  des  anlautenden  vocales  (in  vas  die  des  innern). 
Diese  kürzungen  treten  aber  nur  im  anschlusse  au  voraus- 
gehende betontere  Wörter  auf,  bilden  also  eine  Überleitung  zu 
dem  nachher  zu  besprechenden  bragarmäL  Durch  diese  Stel- 
lung unterscheidet  sich  die  copula  vesa  beträchtlich  von  hafa\ 
bei  diesem  handelte  es  sich  im  allgemeinen  nur  um  die  her- 
stellung  einer  in  allen  satzstellungen  allein  üblichen,  früher 
einmal  feststehenden  einsilbigen  normalform;  nur  jene  hve*fr 
und  genossen  (s.  468)  bilden  eine  parallele  zu  den  kürzungen 
der  copula,  indem  auch  sie  eine  unter  gewissen  bedingungen 
in  der  spräche  eintretende  und  daher  auch  metrisch  verwend- 
bare Verstümmelung  der  normalform  zur  anschauung  bringen. 
Es  kann  sich  also  hierbei  nicht  mehr  darum  handeln,  eine 
überall  durchzuführende  normalform  zu  ermitteln^  sondern 
diejenigen  fälle  zu  bestimmen,  in  welchen  die  kürzung  über- 
haupt eintritt. 

Im  übrigen  gibt  die  betfachtung  solcher  falle  wider  zu 
ganz  ähnlichen  erwägungen  anlass,  wie  wir  sie  oben  s.  476  f. 
angestellt  haben.  Auch  hier  kann  die  vollere  form  nicht  ohne 
weiteres  den  anspruch  auf  höheres  alter  erheben.  Gerade  bei 
tonlosen  Satzteilen  pflegt  die  Verkehrssprache,  die  uns  doch 
immer  der  normale  ausgangspunkt  bleiben  muss,  da  auch  alle 
literarische  spräche  in  erster  linie  aus  ihr  schöpft,  sich  sehr  früh- 
zeitig ein  bestimmtes  kürzungssystem  zu  bilden,  das  wie  alle 
gesctze  der  lebenden  spräche  durchaus  streng  durchgefilhrt 
wird.  Man  erinnere  sich  z.  b.  der  consequenten  kürzung  der 
englischen  hülfsverba  am,  is,  are,  have,  had,  was,  will,  would, 
shall,  should  zu  -'m,  -'s,  -'re,  -ve,  -d,  -ws,  -11  {-wll,  d.  h.  -//  mit 
labialisierung  des  vorausgehenden  lautes,  ebenso  bei  -ws  für 
was  und)   -wd,  -shll,  -shd  u.  dgl.,  die  in  der  Verkehrssprache 


490  SIEYERS 

nur  durch  einige  euphonische  regeln  (namentlich  über  Vermei- 
dung zu  schwerer  consonantgruppen)  und  syntaktische  gesetze 
(insbesondere  im  bctonungsfalle)  eingeschränkt  wird.  Es  ist 
ferner  älteren  Sprachperioden  durchaus  angemessen^  den  ge- 
sprochenen satz  in  naiverer  weise  als  ein  ganzes  aufzufassen. 
Viele  alte  schriftsystcme  weisen  daher  auch  nur  eine  satz- 
schiift  auf,  welche  den  satz  so  wie  er  gesprochen  wurde, 
fixieren  soll,  mit  allen  Wandlungen,  welche  etwa  das  einzelne 
wort  im  zusanmicnhange  des  satzes  durchmachen  kann.  Ein 
klassisches  beispiel  hierfür  ist  die  devanägart  des  sanskrit, 
insbesondere  in  ihrer  anwendmig  auf  die  doppelte  über- 
lieferungsform  der  veden  in  samhitä-  und  padapätha,  aber 
auch  die  älteren  griechischen  inschriften  setzen  mit  Vorliebe 
der  ausspräche  gemäss  die  später  verpönten  ifi  jroXei,  ly 
KvjrQO),  und  deiglcichcn  in  vielen  andern  fällen.  Wortschrift, 
d.  h.  auKSchcidung  des  einzelnen  wertes  und  damit  die  auf- 
gäbe, demselben  eine  normalform  zu  geben,  ist  erst  die  folge 
einer  weitgehenden  spcculation,  die  sich  erst  bei  bereits  länger 
ausgeübtem  schriftgebrauch  einzustellen  pflegt.  An  die  schrift 
knüpfen  aber  dann  wider  die  höheren  literatursprachen  und 
an  diese  evcnluell  die  Umgangssprachen  der  'gebildeten*  an, 
welche  selten  oder  nie  den  ursprünglichen  naiven  Charakter 
der  spräche  bewaliren.  In  ihrer  natur  muss  es  liegen,  die 
von  der  naiven  Verkehrssprache  unter  gewissen  bedingungen 
geschaflcnen  kürzungen  zu  gunsten  einer  allgemeinen  (insbe- 
sondere aber  auch  an  sich  scllViftlich  fixierbaren)  normalform 
zu  ignorieren.  So  kennt  denn  die  Orthographie  des  späteren 
isländischen  nur  ein  em,  ert,  er  oder  Wortpaare  wie  em  ek, 
hefi  ek,  da  ein  'm,  V,  'k  für  sich  nicht  als  Wortzeichen  genüg- 
ten: selten  dass  sich  da  die  satzform  eines  wertes  statt  der 
abstrahierten  nornuilform  länger  hält,  wo  sie  stärkere  laut- 
veränderungen  erfahren  hat,  z.  b.  in  fällen  wie  ertü,  skaltä, 
die  aber  doch  auch  schliesslich  der  auilösung  in  eri  pü,  skcUt 
Im  anheimfallen.  Wie  weit  solche  graphische  auflösung  nun 
auch  auf  die  ausspräche  und  die  technische  Verwendung  der 
spräche  einfluss  hat,  ist  im  einzelnen  falle  genauer  zu  untersuchen. 
Jedenfalls  muss  sie  nicht  die  auflösung  im  gesprochenen 
satze  nach  sich  ziehen.  So  ist  z.  b.  die  anwendung  des 
bragarmäl  beim  pronomen  ek^  die  aus  der  isländischen  Ortho- 


SKALDENMETRIK.  491 

graphie  seit  Jahrhunderten  geschwunden  ist,    noch   heutzutage 
auf  Island  allgemein  üblich  ( Vigflisson  zu  Eyrbyggja  s.  XL VIII). 

Ist  nun  auch  in  solchen  fällen,  wo  sich  für  eine  ältere 
Sprachperiode  die  existenz  von  kürzungsformen  unter  gewissen 
bediugungen  des  satzaccentes  nachweisen  lässt,  die  kttrzungs- 
form  an  satzstellen,  welche  diesen  bedingungen  unterliegen, 
durchaus  als  das  normale  anzusehen,  so  darf  man  dennoch 
nicht  die  forderung  erheben,  dass  sie  nun  überall  an  diesen 
stellen  in  der  lit er atur  jener  zeit  sich  finden  müsse.  Gerade 
bei  einer  so  künstlichen  dichtungsform  wie  der  skaldischen, 
welche  das  wägen  und  zählen  der  silben  mit  ängstlicher  Sorg- 
falt reflectierend  überwacht,  ist  es  sehr  natürlich,  wenn  der 
dichter  gelegentlich  jenen  auflösungsprocess  zweier  durch  kür- 
zung  verschmolzener  werte,  deren  einzelne  elemente  ihm  ja 
aus  anderen  fUgungcn  bekannt  waren,  vollzieht,  sobald  es  ihm 
bequemer  sein  mag,  zwei  silben  statt  einer  einzigen  in  einem 
vcrse  zu  verwenden.  Aber  je  ursprünglicher  noch  eine  solche 
dichtung  ausgeübt  wird,  je  weniger  sie  von  einer  durch  schrift- 
liche fixicrung  geregelten  literatursprache  begleitet  und  beein- 
flusst  wird,  um  so  seltener  wird  ein  dichter  von  jener  auf- 
lösung  gebrauch  machen:  ein  satz,  der  insbesondere  durch 
die  behandlung  des  bragarmäl  seine  bestätigung  finden  wird.  — 
Doch  lassen  wir  nun  die  belege  selbst  sprechen. 

a)    erste  person  singularis. 

Die  kttrzungen  sind  aus  leicht  begreiflichen  gründen  sehr 
spärlich.  Kürzungen  der  copula  treten  überhaupt  nur  nach 
einem  höher  betonten  und  syntaktisch  nahestehenden  werte 
ein;  fUr  die  erste  person  bieten  sich  darnach  nur  das  prono- 
men  ek  und  Stark  betonte  partikeln  u.  dgl.  Das  erstere  fällt 
fllr  das  nordische  fort,  weil  der  alte  Sprachgebrauch  nach- 
setzung  desselben  fordert;  es  heisst  ja  bekanntlich  meist  nicht 
ek  em  wie  etwa  engl.  /  am,  vulgo  Fm,  sondern  em-k ,  wofür 
die  belege  unten  folgen.  Die  auswahl  unter  den  partikeln  etc. 
wird  aber  wider  dadurch  geschmälert,  dass  nur  vocalisch  aus- 
lautende wol  im  Stande  sind  noch  ein  -m'k  zu  sich  zu  nehmen, 
ohne  ihre  einsilbigkeit  aufzugeben.  So  habe  ich  denn  nur  zwei 
belege  für  -mk  gefunden: 


492  SIEVERS 

nü'mk  ollifu  allra  —  Haraldr  H.  586 
l^vi'ink  sein  bast  i  brjösti  —  Sigvatr  II.  521, 

über  die  bereits  oben  s.  462  das  nähere  gegeben  isL 

b)  zweite  person  singularis. 
Ebenfalls  nur  zwei  beispiele: 

nü  'Bt  rikr  af  hvot  slikri  —  Ottarr  IL  220  (OH.  16) 
]>ü'Bt  ti\  borinn  \ilja  —  Sigvatr  IL  307  (OH.  80). 

Die  not  wendigkeit  der  form  est,  'st,  nicht  ert,  'rt,  ergibt  sich 
aus  der  behandlung  der  dritten  person. 

c)  dritte  person  singularis. 

Die  form  er  ist  fltr  unsere  zeit  noch  ausgeschlossen;  sie 
erscheint  erst  um  die  mitte  des  12.  Jahrhunderts  in  Norwegen 
(im  Hättalykill  des  Rögnvaldr  jarl,  um  1145,  s.  Vigfüsson  & 
V.  vera)y  auf  Island  tritt  sie  gar  erst  im  13.  Jahrhundert,  in 
Snorris  Uä,ttatal,  auf  (die  beispiele  s.  im  Vorwort  zur  lithogr. 
ausgäbe  des  Elucidarius).  An  direct  beweisenden  reimen  fin- 
den sich  in  meinem  materiale  nur 

cs-at  um  allvalds  risnu  —  Einarr  Skül.  II.  667 
sva's  ef  Rauma  rsesir  „       II.  744 

nü's  um  vcrk  ]?au-8  visi  —  tjötJölfr  H.  607, 

weitere  s.  bei  Vigfüsson  a,  a.  o. 

Die  belege  für  die  kürzung  ordne  ich  nach  dem  yoraus- 
gehenden,  zum  teil  auch  nach  dem  folgenden  werte,  da  deren 
quaiititiitsverhältnisse  natürlich  bei  der  bestimmung  der  silben- 
zahl  des  verses  mit  in  betracht  kommen. 

a)    nach  vocalisch   auslautendem  werte 
(Partikeln  und  pronomina): 

nü's  folkstuöill  fallinn  —  Einarr  jarl  H.  71  (Sk&L  F.  143) 

nü's  afrendra  jofra  —  Einarr  Skdl.  F.  37 

nii'B  )>at-B  rek/a  rakna  —  Eyvindr  H.  103  (F.  21) 

mV  8  dlfroöull  elfar  „         H.  111  (F.  29) 

nü's  aut5scndir  undir  —  Ilalldörr  skv.  M.  199 

nü's  l'cngill  fram  genginn  —  Hallfret$r  F.  67 

nü's  sannf regit  sunnan  «         H.  217  (F.  67) 

nü's  l>at-8  blakkr  of  bekW  —  Sigvatr  H.  274  (OH.  55) 

nü's  um  verk  pau-s  visi  —  I>jöt561fr  II.  607 

nü's  valmeiÖum  viÖis  —  ValgartJr  H.  560 

svd's  ef  llauma  rsesir  —  Einarr  Skül.  IL  744 


SEALDENMETRIE.  493 

8  4 's  minn  vili  )>inu  —  Sigvatr  H.  248  (OH.  36) 
l9St  ef  sjd'B  enn  basti        „       H.  308  (OH.  81) 
daella's  fyrst  d  bjalli         ,       H.  431  (OH.  173) 
daella'B  oss  ef  allir  ,       H.  416  (F.  84.  OH.  161) 

eigi's  Tvarr  bauga  —  Einarr  Skül.  M.  181 
cigi*B  jarni  bjügu  —  l>jöÖölfr  H.  592. 

ß)    nach  consonantisch  auslautendem  werte. 

1)    praedicatives  adjectivum  (participium): 

harÖr'B  i  heimi  oröinn  I     a     a     if 

myrkt'B  hverr  meira  orkar     |    Arnörr  M.  120 

gött'B  vinna  prek  manni  —  Einarr  Skal.  F.  143 

fraegr*8  til  BlikB  ok  segja  —  HallfreÖr  H.  211  (OT.  53;  fraegfs  F.  62) 

haett's  til  hanB  at  fr6tta  ,        H.  216  (F.  67) 

skipt's  i  gumna  giptu  „        Ha.  94 

illt's  viö  lilf  at  ylfaBk  -  Hildr  H.  66  (OH.  23) 

framt's  Eiriks  kyn  meira  —  Sigvatr  H.  417  (OH.  16J) 

IcyfÖr's  (at  hilmiB  hoföi)  „        H.  493  (OH.  219) 

hort5*B  Biz  hermenn  görtJu  «        H.  499  (OH.  223) 

gört'B  )>eim-B  gott  bar  hjarta      „        H.  523  (OH.  235) 

greypt*B  }?at  h9fÖum  hnepta 

haett'B  )>at-B  allir  heitaBk  L        H.  527  (F.  98.  OH.  239) 

IjÖBt'B  lysu  at  gista  ' 

reitir'B  herr,  konungr,  leit$aBk  —  anon.  M.  101. 

Hiernach  wird  auch  zu  schreiben  sein: 

frött's  at  fyrtJar  kndttu  —  borkell  Skall.  H.  624 

rött's  at  sökn  en  Betta  —  Sigvatr  H.  226  (F.  70.  OH.  21) 

satt's  at  sökn  of  veittir  —  Bjami  H.  493 

Batt's  at  sitja  kndtti  ,       H.  519  (OH.  236) 

Batt's  at  Sveini  moettum  —  Sigvatr  H.  255  (OH.  42) 

satt'B  at  Bvd  m9rg  dtti  —  l>j6Ö61fr  H.  539 

satt'B  at  8it$  mun  16tta  —  borkell  Skall.  H.  624 

V ist's  at  allvaldr  anstan  —  anon.  H.  612  (M.  112), 

obwol  hier  überall  es  at  nach  den   verschleifungsgesetzen  an 
sich  zulässig  wäre. 

2)  pronomina  der  dritten  person  als  subject. 

hann's  rikr  J9furr  banna  —  Steinn  H.  628  (M.  124.  F.  148) 

bann' 8  fremstr  konungmanna     „      M.  130 

hann's  baztr  alinn  manna  —  anon.  H.  636 

hitt's  satt  at  byt5-k  byttu  —  Eldjdm  H.  652  (J^at's  M.  148)»), 


»)  Diese  lesart  ist  wol  besser,  weil  dadurch  dreifacher  reim  ver- 
mieden wird;  dann  wäre  der  vers  erst  zur  nächsten  beispielgruppe  zu 
stellen;   doch  vgl.  s.  479. 


494  SIEVEBS 

darnach  zu  urteilen  auch 

\f2LVa  ekkju  munr  nekkvat  —  Haraldr  H.  474  (F.  90.  OH.  209) 
hvat'B  i  helmi  betra  —  Magnds  11.  654  (M.  152). 

3)  adverbia. 

austr^s  til  har  i  hesti  —  Eldjdm  H.  652  (M.  14S) 
üt'8  sem  innan  liti  —  t>j6t$61fr  H.  592 
hvr's  skark  i  Danmorku    ^       H.  542 

und  so  auch 

par*B  8v4t  gramr  met$  gumnum  —  Einarr  Skdl.  H.  144 
hvar'8  Akkerisfrakki  —  HallfretJr  Ha.  92 
mjok's  verr  en  sva  ferri        „         H.  216  (F.  67) 
injok's  langr  bä-s  dvelr  drengi  —  Magnus  H.  654  (M.  152). 

4)  substantiva. 

hugr'B  minn  i  Dyflinni  —  Magnus  M.  154  (F.  158) 
undr's  noma  allvaldr  Lundar  —  I>j6t$61fr  H.  539 
old'B  BÜ*B  jarli  skyldi  —  Magnus  H.  605  (M.  91) 
hrong's  j'atrS  hdvan  ]7ongal  —  anon.  M.  101 

und  so  auch 

und*B  k  OBS  sü-s  spraBndi  —  J9kull  H.  455  (OH.  191) 

raun's  at  riki  ymn  —  Kolli  H.  726  (a  M.  209) 

undr's  ef  eigi  reyndu  —  Steinn  F.  129  (M.  79) 

van*s  at  visa  koenan  —  I>orleikr  H.  572  (vän  erumk  F.  122) 

vdn's  at  vinnim  Sveini  —  anon.  U.  572  (M.  56.  F.  124) 

syn's  at  sit-k  at  llÄnar         „      M.  101 

vin*s  sa-s  varmra  benja  —  Sigvatr  H.  527  (OH.  239). 

b)  die  praeteritalformen. 

Zweimal  erscheint  das  praeteritum  vas  mit  Sicherheit  als 

ül)erschüssige  silbe,  nämlich 

sa  vas  dt5r  biiinn  riiöa  —  Sigvatr  H.  445  (OH.  183) 
t'at  vas  tlötta  bol  dröttinn     „        H.  228  (OH.  22). 

Hier  wird  man  kaum  umhin  können,  eine  z.  b.  der  modernen 
englischen  kürzung  von  he,  she,  that  weis  zu  he'ws,  sMws, 
thaCws  entsprechende  syncope  des  a  anzunehmen.  Als  drittes 
heispiel  kann  man  sodann  den  schon  s.  486  besprochenen  yers 

saör  vas  (Jngr  |  fyrir  |  l^atJra  —  Sigvatr  H.  308 

hierher  ziehen  (zu  beachten  ist^  dass  alle  drei  beispiele  dem 
Sigvatr  zugehören.)  Dagegen  möchte  ich  nicht  eine  bestimmte 
meinung  aussprechen  ttber  den  vers 


SKALDENMETBIE.  495 

satt  vas  at  |  allvaldr  |  dtti  —  anon.  M.  152, 

welcher    doch    vielleicht    mit    verschleifung    von    vas   at    zu 
lesen  ist. 

d)  die  zweisilbigen  pluralformen. 

Bekannt  ist  schon  aus  der  handschriftlichen  Überlieferung 
die  ktirzung  von  eriim  etc.  nach  r.  Von  dieser  sind  in  unsem 
texten  zwei  beispiele  im  zweiten  takte  metrisch  sicher  gestellt: 

snjalls  at  vor  'rem  allir  —  I>j6t561fr  H.  621  (M.  119.  F.  141) 
eik  hvi  v6r  'rom  bleikir  —  tormötJr  H.  498  (OH.  223). 

Kürzung   von  ero   zu  einfachem  o^)    ist    anzusetzen   in   dem 
verse 

margar  'o  manua  v61ar  —  anon.  M.  68, 

in  welchem  die  zweite  und  dritte  silbe  verschleifungsfähig  sein 
müssen,  positionslänge  der  ersten,  wie  sie  margar  Wo  bieten 
würde,  also  nicht  gestattet  ist.  In  6inem  fall  scheint  die  kür- 
zung  auch  nach  einem  vocale  sicher  belegt  zu  sein;  sie  wird 
dadurch  noch  auffälliger,  dass  der  schlussvocal  von  -ro  noch 
durch  elision  getilgt  werden  muss  (s.  474): 
t^au'rowenn  svdt  man-k  manna  —  Haraldr  H.  586. 

5.    Negation. 

Es  ist  bekannt,  dass  die  ältere  spräche  oft  die  Verneinung, 
statt  durch  eine  selbständige  partikel,  durch  ein  dem  ycrbum 
angehängtes  -a,  -at,  bei  vocalischem  auslaut  einfaches  -t  aus- 
zudrücken pflegt.  Beispiele  für  -a,  -at  hier  den  reichen  Samm- 
lungen von  Egilsson  1  fil,  Vigfüsson  XXVI  f.  2  f.  hinzuzufügen, 
halte  ich  für  überflüssig;  ich  habe  etwa  40  belege  notiert,  ohne 
bei  der  Sammlung  auf  Vollständigkeit  auszugehen.  Nur 
värum-a  I>j  6861fr  H.  68,  fariöa  ir  Dj 6861fr  H.  75  seien  ihrer 
Seltenheit  wegen  (Vigf.  a.  a.  o.)  besonders  angemerkt.  Da- 
gegen scheint  mir  die  regel  noch  besonderer  begründung  zu 
bedürfen,  dass  bei  vocalischem  auslaut  nur  -t  antrete;  denn 
soweit  ich  sehe,  ist  noch  nicht  bemerkt  worden,  dass  überall, 
wo   durch   anfügung  von  -a,  -at  hiatus  entstehen  würde,    der 

*)  Vgl.  z.  b.  im  Stockh.  hoinilienbuche  pesser  ö  16,  30,  aller  6  19, 
7,  andmarkar  ö  61,  25,  östyrker  ö  65,37,  bundner  o  71,  2  etc.  neben  bünar 
rö  53,  10,  fylder  ro  54,  7,  pesser  ro  54,  10,  bopnar  rö  61,  35,  peckiar 
ro  63,  23  etc. 


496  SIEVERS 

vers  zugleich  eine  überzählige  silbe  enthalten  würde  (Vigftsson 
a.  a.  0.  bemerkt  das  übelklingende  des  hiatus^  nimmt  aber 
sonst  keinen  anstoss  daran).  Einfaches  -t  ist  oft  genug  belegt: 
ich  führe  aus  unsern  texten  an  (ohne  auf  Vollständigkeit  aus- 
zugehen) :  3.  sg.  ind.  praet.  fyldH  Kolli  H.  726  (M.  209),  haföi-t 
ArnoiT  M.  118  (F.  140),  mdttH  Sigvatr  H.  230.  491  (OH.  218). 
516,  7idÖi"t  Sigvatr  H.  491  (OH.  218),  vcegbi-t  Einarr  Sk&L  F. 
38.  I)jü861fr  H.  516,  vildi-t  PjoÖolfr  H.  596  (M.  80.  F.  130); 
3.  sg.  conj.  praes.  hafi-t  Kormäkr  H.  93;  3.  sg.  conj.  praet 
skyldi't  Sigvatr  H.  309  (OH.  81);  3.  pl.  ind.  praes.  skulu-t 
Sigvatr  H.  527  (OH.  239);  3.  pl.  ind.  praet  bdbu-t  Sigvatr  H. 
227  (OH.  22),  fwidu-l  Sigvatr  H.  255,  geröu-t  HallfreÖr  H.  213 
(F.  65.  OT.  58),  gicldu't  Ottarr  H.  227  (OH.  22),  hli/t^u-t  Am6rr 
M.  119  (F.  141),  fndttU't  Sigvatr  H.  227  (OH.  20),  muntSu-t 
HallfreÖr  H.  217  (F.  67),  väru-t  DorkcU  harn.  H.  639  (M.  132; 
vdru  F.  152),  pöröti-t  Sigvatr  H.  491  (OH.  217),  vildu-t  Amorr 
H.  364.    Man  wird  also  ohne  anstoss  in  den  versen 

myndi-at  seima  sendir  —  Einarr  Skül.  F.  173 
mdtti-at  old  )>d-s  ötta  ^  Halldörr  skv.  F.  166 
gramr  flyÖi-at  sä  siÖan  —  Stiifr  F.  140 

myndi'ty  fnälti-t,  fliföi-t  einsetzen,  wie  auch  M.  118  im  letzt- 
angeführten verse  bietet  Die  formen  mit  hiatus  in  der  spä- 
tem Orthographie  sind  offenbar  auch  nur  späte  auflösungen 
dem  lebendigen  sprachbewustseiu  bereits  fernstehender  formen. 

Nicht  selten  erzeugt  auch  die  negationspailikel  eigi  einen 
silbenüberschuss.    Man  vergleiche: 

bit^-k  eigi  mer  ens  }?ritya  —  Eyvindr  H.  112  (F.  28) 

veit-k  e  i  gi  hitt  hvdrt  heita  —  Hallfr.  F.  66  (OT.  60,  veitkat  ek  H.  216) 

kann-k  eigi  mart  vit$  manna         „         H.  217  (oi  F.  67) 

deyr  eigi  mildingr  mterri  —  torkell  Skall.  H.  624 

vartJ  eigi  vel  viÖ  styrjii  —  anon.  H.  729 

myndi  eigi  seima  sendir  —  Einarr  Skül.  M.  235  (myndi-at  F.  173) 

skyldu  eigi  skelknir  holOar  —  l>ormöÖr  11.  476  (OII.  207) 

köm-k  eigi  austr  i  haust!  —  Magnus  M.  154  (F.  158) 

fryr  eigi  oss  i  ari  —  Sigvatr  H.  255  (OH.  42). 

In  den  beiden  letzten  versen  käme  man  zur  not  mit  elision 
des  /  aus  (s.474);  aber  die  gleichartigkeit  der  beispiele  erfordert 
meines  bedünkens  auch  wider  gleiche  beurteilung.  DassF.G? 
in  einem  verse  HallfreSs  ei  steht,  wird  man  bei  dem  fehlen 
alter  Überlieferung  dieses  textes  nicht  hoch  genug  anschlagen 


SKALDENMETRIK.  497 

wollen,  um  jene  zweifelhafte  form  (s.  Egilsson  und  VigfüsBon 
8.  V.)  in  allen  neun  versen  einzusetzen.  Vielmehr  wird  man,  eich 
an  die  durch  H.  216  zu  einem  Terse  HallfreÖs  und  durch  F.  173 
zu  einem  verse  Einars  gegebenen  winke  haltend,  lieber,  und 
mit  grösserem  rechte,  bibkak,  veitkak,  kannkak,  deyrai,  varbat, 
myndit ,  skyldut ,  kömkak,  fryrat  schreiben,  um  dem  verse  ge- 
recht zu  werden.  Auch  hier  hat  die  spätere  Überlieferung 
offenbar  die  moderne  negation  eigi  erst  eingesetzt 

lieber  den  ganz  corrupten  vers  vill  kann  eigi  flokk  väm 
fylla  H.  651  (M.  148)  möchte  ich  eine  bestimmte  ansieht  nicht 
aussprechen;   am  nächsten  liegt  auch  hier  vill-at. 

Hieran  möge  sich  schliessen  eine  kurze  besprechung  des 
hragarmäl,  und  zwar  behandle  ich  zunächst 

6.  Die  relativpartikel  es. 

Zur  form  bemerke  ich  im  allgemeinen,  dass  es,  welches  ja 

überhaupt  für  das   12.  jahrhundeii;  noch   fest   steht,    überdies 

durch  folgende,  zugleich  für  die  völlige  Verschmelzung  mit  dem 

vorangehenden  werte  zeugende,  reime  bewiesen  wird: 

b4-8  metJ  Sygna  raesi —  HallfretJr  Ha.  95 

I^ar-B  til  }?engilB  hersa  —  Arnörr  H.  621  (M.  118.  F.  140). 

Dagegen  finden  wir  er  in  einem  F.  53  dem  Skümr  beigelegten  verse 

}pk-t  k  seima  saeri 
und  vielleicht,  wenn  man  nicht  eine  metrische  incorrectheit  an- 
nehmen will,  auch  in  den  beiden  fast  gleichlautenden  versen 

l'd-r  4  rausn  fyr  raesi  —  Homklofi  H.  56  (F.  9) 
)>ä-r  viÖ  rausn  at  raeslB  —  Sigvatr  H.  223. 

Im  letzten  verse  hat  aber  OH.  19  par  er  statt  pA  er,  und  das 
in  beiden  stellen  einzusetzen,  halte  ich  für  durchaus  unbedenk- 
lich, da  die  handschriftliche  Überlieferung  ziemlich  oft  zwischen 
pa  er  und  par  er  schwankt,  und,  ich  weiss  nicht  aus  welchem 
gründe,  gerade  an  erster  stelle  des  verses  ganz  überwiegend 
pa  er  geschrieben  wird. 

Am  festesten  ist  die  Verbindung  der  partikel  es  mit  den 
adverbien  par  und  pA.  Bei  diesen  verlangt  oder  gestattet  der 
vers  ausnahmslos  einsilbige  form.  Für  pars  habe  ich  ca.  80, 
für  pä'S  ca.  55  belege  gefunden,  darunter  folgende  für  den 
zweiten  takt: 

HcitrKge  rar  geaohichte  dor  deutaohen  sprach«.    V.  32 


498  SIEVERS 

}?ar-8  Arnörr  U.  511  (F.  105).  Björn  H.  047  (M.  144).  M.  145. 
Bragi  H.  7.  Einarr  jarl  H.  70  (Skal.  F.  143).  Einarr  Skal.  H.  138.  144. 
146.  Eyjölfr  H.  200.  Halldörr  skv.  H.  003  (M.  159).  664  (M.  161).  Ha- 
raldr  H.  479  (F.  90.  011.  209).  620  (M.  1  IS.  F.  140).  M.  16.  17.  Horn- 
klofi  56  (F.  9).  Sigvatr  II.  227  (F.  71.  OH.  21).  228  (OH.  22).  252  (OH. 
39,  droiuial).  253  (OH.  40,  dreimal,  einmal  auch  F.  76).  274.  431.  490 
(OII.  217).  Steinn  iM.  121.  StütV  H.  55.-S.  l»jüÖ61tr  H.  53.S.  562.  b6r?Sr  K. 
H.  232  (OH.  24).  232  (011.  25).  WSrtiT  S.  II.  107  (F.  25).  l'orkoll  1mm. 
M.  149.  l>ürleikr  F.  123.  Val«?ar^^  H.  559.  Aiion.  II.  602.  651  (M.  1 4S). 
M.  113.  141.  219.    F.  113  (zusammen  42  bele^^e). 

}>a-8  Björn  ii.  647.  Kinarr  Skäl.  H.  116.  Glümr  IL  136.  Halhlörr 
ßkv.  F.  166.  Ilaraldr  M.  15.  16.  Otldr  H.  5Gü  (F.  12o).  Ottarr  H.  2S4 
(OH.  63).  Sij^vatr  II.  255  (F.  76.  OII.  42).  274  (OII.  55).  Steinn  H.  594 
(M.  7S.  F.  129).  595.  M.  121.  Stufr  H.  559  (F.  112).  VigfüsB  F.  51  (im 
ganzen  15  belege).*) 

Zwei  scheinbare  ausnahmen  beseitigten  sich  von  selbst: 

hoddbrjöt  j'ar  vs  heitir  —  Einarr  Skul.  IL  696 
l>ji  es  hrin^lVim  Han^a  —  Tindr  H.  .157. 

Im  ersten  verse  ist  mit  011.  24S   zu   lesen  ?iodda  brjdfs  par-s^ 
im  zweiten  ist  hring/am  \\\  hrinyfanm  aufzulösen  (s,  515). 

Es  folji:en  nun  die  belehre  flir  die  verbindunj^  mit  <len 
demonstrativpronominibus.  Bei  den  im  ersten  takte  verschleif- 
baren  ^ebe  icli  nur  die  beispiele  für  den  zweiten  takt,  fü«re 
aber  am  sclilusse  in  | — |  auch  die  ^esanimtzahl  hinzu. 

a)  verschleifbare. 

}^at-s  Arnorr  IL  361.  iM.  116.  Björn  IL  647  (M.  144).  Eyvindr  H. 
112.  llalldorr  skv.  AI.  162.  Halltre^r'lL  191  (IL  96).  Sigvatr  H.  453 
(OH.  190).  527  (OII.  239).  OII.  236.  Steinn  IL  629  (M.  125.  F.  149). 
I>(Mr  S.  IL  107  (F.  25)    |ll  :  16]. 

sa-8  Kinarr  Skal.  F.  37  (zweimal),  ülnmr  H.  S9.  112.  F.  35. 
Ilalldörr  skv.  IL  707.  Ilaraldr  M.  55.  Magnus  H.  654  (M.  152).  Ottarr 
IL  226  (OlL  20;  J'ar-s  F.  71).  Sigvatr  IL  255  (OH.  41).  416  (F.  84. 
OH.  161).  453  (OH.  190).  ls9  (OII.  215).  521  (OIL  236).  OlL  183. 
Steinn  IL  635  (M.  13o).  Stufr  M.  HS  (F.  140).  torkell  SkalL  IL  624 
(l'ürkell  l>6rÖars.  F.  144).  l'orleikr  11.572  (M.  55.  F.  122).  anon.  U.  602 
[22:41]. 

H-s  Einarr  Skal.  H.  116.  Ilalldörr  skv.  H.  6(>3  (M.  160).  M.  162 
[3  :  3]. 

sü-s  Arnörr  II.  529  (F.  99).  Einarr  Skäl.  F.  37.  J9kull  IL  455 
(OIL  191).    Sigvatr  H.  30S  (011.  sO).    hjoÖölfr  H.  53b.    F.  130  [6:9]. 

*)  Dass  von  ]?ar-8  über  die  hälfte  der  bele^^e,  von  }»i-8  nnr  wenig 
über  ein  vierteil  im  zweiten  takt  steht,  hängt  mit  der  erwähnten  grossen 
häufigkeit  der  pd-s  im  ersten  takt  zusammen. 


SKALDENMETRIK.  499 

l?vi-s  Arnörr  H.  529  (F.  99).  Bjarni  H.  519.  Magnus  M.  154  (P. 
158).  öigvatr  H.  309  (OH.  81).  l>j6Öölfr  H.  626.  l>orkell  harn.  H.  639 
(M.  132.  F.  152)   [6  :  8]. 

l?au-s  Halldörr  skv.  H.  663.  Ottarr  H.  235  (OH.  28).  Sigvatr  H. 
307  (OH.  80;   }?4.B  M.  76).    tormöÖr  H.  474  (OH.  205  [4:6].») 

Wie  diese  zahlen  ergeben,  würde  man  dem  zweiten  takte 
durch  zweisilbige  iesuug  dieser  formen  110  fälle  von  verschlei- 
fung  aufbürden,  darunter  41,  in  denen  auslautender  langer 
vocal  mit  correi)tion  der  verschleifung  unterläge,  die  sich  in 
dieser  art  für  den  zweiten  takt  durch  kein  sicheres  beispiel 
nachweisen  lässt,  und  auch  im  ersten  takt  selten  ist  (s.  462. 468). 

b)  nicht  verschleifbare. 

Hierher  gehören  alle  langsilbigen  consonantisch  ausgehen- 
den formen  des  pronomens,  sobald  nicht  etwa  eine  mit  voraus- 
gehendem es  verschleifbare,  tonlose  silbe  folgt.  Da  dieser 
letztere  fall  aber  faktisch  nicht  vorkommt,  so  sind  einfach  alle 
jene  formen  hier  anzuführen: 

l'ess-s  Arnörr  H.  364.  Einarr  Sk41.  H.  144.  Einarr  Skül.  H.  667. 
744.  Eyjölfr  F.  51.  Hallfre?5r  H.  210  (F.  63.  OT.  53).  Ha.  95.  Ottarr 
OH.  63.  Sigvatr  H.  523  (OH.  235).  I>6rt5r  K.  H.  170.  torleikr  H.  572 
(M.  55.  F.  123)   [11]. 

l?ann-B  Eyvindr  H.  123.  HallfreÖr  H.211  (F.  62.  OT.  50)  Ha.  93. 
Haraldr  H.  578  (F.  127).  Sigvatr  H.  258  (OH.  42).  308  (OH.  81).  508 
(OH.  230).  520  (l»ar-8  OH.  236)  OH.  236.  bör-Ör  S.  H.  422  (F.  82.  OH. 
165)  [10]. 

peiT-B  Sigvatr  H.  222  (OH.  18).  308  (OH.  80).  310  (OH.  210). 
417  (OH.  161).  480  (OH.  210).  521.  M.  76.  Steinn  M.  79.  I>j6t5ölfr  H. 
542.  M.  8.  börör  K.  H.  156  (F.  48).  torloikr  H.  574  (M.  59.  F.  126).  Val- 
garÖr  H.  560  (M.  18.  F.  114>    anon.  H.  603  [14]. 

psdT'S  Eyvindr  H.  123  [1]. 

i'eim-s  Halldörr  skv.  M.  160.  Kolli  H.  726  (M.  209).  Sigvatr  H. 
223  (OH.  19).  508  (OH.  230).  523  (OH.  235).  527  (F.  98.  OH.  239).  F. 
75.  76  [8]. 

Diesen  154  Zeugnissen  für  einsilbige  form  stehen  folgende 
6  ausnahmen  gegenüber,  welche  sämmtlich  consonantisch  aus- 
lautende casusformen  betreffen: 

]7ann  er  &6t  frd  Tram  —  Gathormr  H.  89 

l>eir  es  heim  k  himnum  —  Sigvatr  H.  431  (OH.  173) 


0  Ich  habe  nicht  bedenken  getragen,  pau-s  hierher  zu  stellen,  ob- 
Bchon  verschleifung  eines  auslautenden  diphthongs  mit  correption  sonst 
gerade  nicht  nachgewiesen  ist 

32* 


500  SIEVERS 

Idta  l'eir  es  j^raBta  —  anon.  11.  602 

psdT  es  jarl  und  drum  —  I>örör  K.  H.  157 

)?eim  es  hann  gaf  soima  —  Oddr  H.  56S  (F.  120) 

sex  )>eim  es  hvot  vexa  —  bjööölfr  H.  596  (M.  80.  F.  130). 

Dor  erste  dieser  verse  erregt  übrigens  durch  den  in  seiner  art 
ganz  unerhörten  binnenreim  er :  irum  und  die  fUr  die  zeit 
Guthorms  (X.  jahrh.)  undenkbare  form  er  den  verdacht  spslter 
fälschung  oder  Verderbnis.  Die  Übrigen  5  formen  aber  wird 
man  nun  natürlich  nicht  als  die  Vertreter  der  normalformen 
der  gesprochenen  spräche  ansehen,  sondern  als  producte  gele- 
gentlicher grammatischer  analysen,  wie  sie  ein  dichter  unter 
dem  dränge  der  versnot  wol  eben  so  gut  vornehmen  konnte, 
wie  dies  die  späteren  orthograpbiker  consequent  getan  haben. 

Auch   mit    anderen  pronominibus   verschmilzt  es  meist  zu 
einsilbigen  formen.    Ich  habe  folgende  beispiele  vorgefunden: 

hinn-s  a  hei  fyr  monnum  —  Amörr  M.  114 

kit^ling  hinn-s  siser  fit$ln  —  Einarr  Skül.  M.  227 

hinn-s  yfrinn  gat  J9tra  —  Guthormr  H.  102 

oddbragös  hinn-s  {^at  sagöi  —  HallfreÖr  IL  210  (F.  67) 

pT6tir  hinn-8  fram  of  sotti  —  Sigvatr  H.  402  (OU.  218) 

r4n  mun  seggr  hinn-s  sina  n         011.  239 

hinn-8  mec$  halft  beit5  annat  —  Steinn  U.  594  (M.  7S.  F.  129) 

hvat  segir  hinn-s  l^at  fegrir  —  I>j6Ö61fr  H.  605  (M.  91) 

fylkis  sveit  hinn-s  veitat  —  torleikr  H.  572  (M.  56) 

hv^gi-s  let  enn  Ijoti  —  anon.  M.  152 

üt  hverr-s  Oivir  heitir  —  Sigvatr  H.  308  (OH.  80) 

enn  hyorr-s  austr  vill  sinna  ,        U.  310  (F.  78.  OH.  82). 

Doch  sind  diese  binduugeu  nicht  so  fest  als  die  des  einfachen 
demonstrativpronomens,  wenn  man  überhaupt  daraus  einen 
schluss  ziehen  darf,  dass  auf  diese  12  beispiele  3  ausnahmen 
entfallen  y  also  gerade  halb  so  viele  als  auf  die  zahlreichen 
demoustrativpronomiua.    Diese  ausnahmen  sind: 

hinn  es  haf  skar  sunnan  —  I>orkcll  I»6rt$.  F.  144 
hinn  es  hvem  vdg  sunnan  —  anon.  H.  602 
hvern  es  hingat  arnar  —  Sigvatr  H.  310  (OH.  82). 

Dagegen  gehören  die  verse 

sagt^a  hitty  es  hugtSi  —  Steinn  H.  593  (iM.  77) 
p6  man-k  hitt,  es  hrotta  —  borgils  M.  101 

nicht  hierher  y  weil  nicht  eigeutlicbe  relativbildungen  in  ihnen 
vorliegen. 


SK  ALDENMETRTK.  50 1 

7.  Das  pronomen  ek. 

Es  wurde  boreits  oben  s.  490  f.  gelegentlich  bemerkt,  dass 
nach  der  aussage  Vigfüssons  noch  heutzutage  die  Verschmel- 
zung des  nachgesetzten  pronomens  ek  mit  der  zugehörigen 
vcrbalform  durchaus  üblich  ist  Die  alten  handschriften  zeigen 
oft  dieselbe  verschmolzung  auch  in  der  schrift  durchgeführt; 
später  begegnen  aber  ganz  ausschliesslich  aufgelöste  formen 
in  der  schrift.  Wir  haben  also  abermals  einen  Übergang  von 
der  satzschrift  zur  wortschrift  zu  constatieren. 

Metrische  gründe  stützen  diese  lediglich  aus  der  Verfol- 
gung der  handschriftlichen  darstellung  der  wortformen  abzu- 
leitende anschauung  durchaus.  Der  stellen,  wo  dem  pronomen 
ek  notwendig  eine  metrische  gültigkeit  zukommt,  gibt  es  nur 
sehr  wenige,  deren  wo  es  mindestens  überflüssig,  oder  aber 
geradezu  fehlerhaft  wäre,  eine  grosse  menge.  Es  gilt  genau 
dasselbe  hiervon,  was  oben  s.  500  über  die  verschleifungen 
der  relativpartikel  bemerkt  wurde.  Die  sache  ist  so  bekannt, 
dass  ich  nur  um  durchgehende  controle  zu  ermöglichen  auch 
hier  das  volle  bowcismaterial  gebe,  aber  diesmal  ohne  rück- 
sicht  auf  die  takteiuteilung  und  die  ohne  weiteres  ersichtliche 
Quantität  der  Wurzelsilbe. 

I. 

a)  Verschmelzung  bei  vocalisch  ausgehender 

verbalform, 

ä-k  Halli  M.  101;  dtta-k  turgils  M.  tOt;  drö-k  torgils  M.  101; 
deiUia-k  Sigvatr  H.  310  (OH.  82);  foe-k  Sigvatr  H.  248  (OH.  35).  ülfr 
H.  G12  (fecc  ec  M.  111);  flö-k  HallfretJr  Ha.  107;  frd-k  Amörr  H.  532. 
OII.  235.  Bjami  H.  526  (OH.  236)  OH.  185.  Einarr  Skül.  H.  662.  668. 
Eldjdrn  H.  652  (M.  148).  Eyjölfr  H.  200.  Glümr  H.  110  (F.  27).  Hall- 
döiT  skv.  H.  664  (M.  161).  664.  HallfretJr  H.  143  (F.  55).  217  (F.  67). 
F.  55.  Ottarr  H.  220  (OH.  16).  222  (OH.  16).  226  (OH.  21,  zweimal). 
227  (OII.  22).  Sigvatr  H.  223  (OH.  19).  228  (OH.  22).  480  (OH.  210). 
488  (On.  216).  490  (OH.  217)  491  (OH,  218).  493  (OH.  219).  I>jöt5ölfr 
II.  519.  538.  546  (OH.  221).  I>orbJ9m  skakk.  H.  781.  l>örÖr  K.  H.  232. 
I>ürken  hiim.  H.  639  (M.  132.  F.  152).  641  (M.  135.  F.  153).  torleikr  H. 
574  (M.  59.  F.  126).  tormöÖr  H.  497  (OH.  222);  finna-k  Magnus  H.  655 
(M.  152);  fcvra-k,  fretti-k  Sigvatr  H.  522;  fylgtSa-k  Sküli  H.  2U  (F.  63. 
Or.  54);  fylgi-k  anon.  H.  612  (M.  112);  fylli-k  Eyvindr  H.  112  (F.  28); 
ger75a-k  Sigvatr  H.  310  (OH.  82);  geri-k  Amörr  H.  544.    Sigvatr  H.  516; 


502  SIEVERS 

großtii'k  Sigvatr  H.  50S  (OH.  230);  hiita-k  Sigvatr  H.  310;  hrösa-k  Arnörr 
M.  32.  Sigvatr  H.  523  (OH.  235);  hugtSa-k  Sigvatr  H.  255  (F.  76.  OH. 
42);  kenda-k  ülfr  H.  612  (M.  111);  kunna-k  Bersi  H.  254  (OH.  41); 
lagna-k  HallfreÖr  H.  102;  leyni-k  Sigvatr  H.  521  (OH.  236);  lofa-k  törÖr 
K.  H.  217  (F.  69);  reitii-k  Sigvatr  H.  308  (OH.  81);  roe-k  Haraldr  M.  15; 
sd'k  Glümr  H.  121.  Sigvatr  H.  252  (OH.  39).  416  (OH.  160  sk  er). 
I>jötJölfr  H.  539.  592;  sagtfa-k  l>j6Ö61fr  H.  542;  se-k  Haraldr  H.  578  (F. 
127).  Sigvatr  H.  310  (OH.  82).  437  (OH.  178).  521;  segi-k  Amörr  H. 
335  (segi  OH.  100).  Haraldr  H.  570  (M.  51.  F.  121).  Sigvatr  H.  480 
(OH.  210).  522;  setla-k  Sigvatr  H.  308  (OH.  80);  skylda-k  Eyvindr  EL 
112  (F.  30);  sta^ri-k  HallfretJr  Ha.  89;  5^'ri-Ar  HallfretJr  Ha.  114;  ttf-ArJ9kull 
H.  455  (OH.  191).  Sigvatr  H.  274  (OH.  55);  polda-k  Sigvatr  H.  310  (OH. 
S2);  ugyi-k  Magnus  M.  33.  anon.  H.  613  (F.  135).  M.  112  (OH.  245); 
uni'k  Magnus  M.  154  (F.  158);  voetta-k  Sigvatr  H.  30S  (OH.  81);  WEtd-k 
Haraldr  H.  558  (M.  15.  F.  112);  vert5a-k  HallfretJr  Ha.  106;  vüda-k  Hall- 
freSr  Ha.  101.  Sigvatr  OH.  236;  vissa-k  Hallfret$r  Ha.  114.  Sigvatr  H. 
252  (OH.  39).    343  (OH.  106).    Stüfr  H.  630  [96]. 

b)    YerBchmelzung  boi  consonantisch  ausgebender 

verbalform. 

ann-k  Magnus  H.  655  (M.  152).  M.  154  (F.  158).  hati-k  Sigvatr  H. 
308  (OH.  SO);  har-k  SigurÖr  M.  189.  fcjötJölfr  H.  542;  her-k  Magnus  H. 
654  (M.  152).  Sigvatr  H.  416  (OH.  160);  hiti-k  Sigvatr  H.  249  (OH.  36). 
310  (OH.  82).  510;  dyl-k  Einarr  Skdl.  F.  143;  em-k  HallfreÖr  H.  194 
(Ha.  97).  Ha.  91.  95.  106.  113.  Haraldr  M.  15.  Sigvatr  H.  521  (ec  em 
OH.  236).  523  (OH.  235);  weitere  beispiele  s.  oben  s.  462);  f ann-k  I>or- 
mötJr  H.  498  (OH.  223);  fekki-k)  Sigvatr  OH.  160.  Sküli  H.  211  (F.  63. 
OT.  54).  I)jöt5ölfr  H.  542;  felt-k  Sigvatr  F.  76;  fer-k  Sigvatr  H.  527 
(ferr  OH.  239);  fei-k  Haraldr  M.  15;  finn-k  Haraldr  H.  578  (F.  127); 
för-k  Sigvatr  H.  30S  (OH.  81);  fregn-k  Arnörr  M.  32.  Sigvatr  H.  527 
(OH.  239);  gat-k  HallfretJr  Ha.  94.  Sigvatr  H.  308  (OH.  80).  I>j6Ö61fr  H. 
542;  get-k  Einarr  Skül.  H.  667.  Sigvatr  H.  255  (gecc  ec  OH.  41);  hef-k 
8.  oben  8.  488  und  Einarr  SküL  M.  181.  HallfreQr  Ha.  Hl.  Haraldr  M. 
15.  Jokull  H.  455  (OH.  191).  Magnus  M.  152.  SigurtJr  M.  189.  Sigvatr 
H.  274  (OH.  55).  307  (OH.  80).  M.  76.  fcjöÖölfr  H.  541.  törariiin  H. 
686  (M.  188).  törtJr  K.  H.  232  (OH.  24);  het-k  Amörr  M.  126  (Steinn  F. 
150);  hlaut-k  HallfreQr  Ha.  93.  Haraldr  M.  102.  J9kull  H.  454  (F.  88. 
OH.  191).  anon.  H.  613  (F.  135.  OH.  245);  hley^k  Halli  M.  95;  Uyi-k 
Sigvatr  OH.  55;  hykk  (für  hygg  ek)  b.  507;  kann-k  HallfreÖr  H.  217 
(F.  67).  Haraldr  M.  15  (dreimal).  Sigvatr  H.  220  (OH.  17).  248  (OH. 
35).  F.  75;  kom-k  Sigvatr  H.  309  (köm-k  OH.  81);  köm-k  Magnus  M. 
154  (F.  158);  kryp-k  Bersi  H.  254  (OH.  41);  kvatS-k  Sigvatr  H.  430  (OH. 
172);  kvetS'k  Bjami  H.  493  (OH.  219).  Einarr  Sk4l.  H.  146.  Halli  M.95. 
Sigvatr  H.  310  (OH.  82).  343  (OH.  106).  453  (OH.  190).  tj6t$6lfr  H.  621 
(M.  119.  F.  141).    Vigfius  F.  49;  loit-k  Haraldr  H.  546  (ver}'  ec  OH.  221); 


.^ 


SKALDENMETRIK.  503 

fjarmoet-k  Hallfrct^r  Ha.  95;  Uk-k  Eyvindr  H.  112  (F.  28);  let-k  HallfretJr 
IIa.  102.  Uaraldr  M.  16.  Magnüa  M.  152.  Sigv:itr  H.  307  (OH.  80,  zwei- 
mal). 310  (On.  82).  416  (OH.  160).  OH.  236;  lyk-k  Sigvatr  H.  307  (OH. 
SO);  mun-k  Arnörr  H.  529.  Bersi  H.  254  (OH.  41).  Einarr  Skal.  F.  143. 
UallfreÖr  Ha.  94.  Haraldr  H.  479  (OH.  209;  man  F.  90).  Kolli  H. 
726  (:mont  M.  209).  Stciun  M.  121  (F.  149).  124  (F.  149).  A'suJ^örör 
M.  172.  Porgilö  M.  101.  lH)rm6(5r  IL  478  (OH.  208);  öl-k  HallfretJr  Ha. 
101;  raui5-k  HalifrcÖr  Ha.  103.  Haraldr  M.  101;  retS-k  Halli  M.  96. 
Magnus  M.  152.  Sigvatr  H.  308  (OH.  80);  sel-k  HallfretJr  Ha.  107;  sit-k 
anon.  M.  101  (zweimal);  skal-k  Halldorr  skv.  H.  663  («  ec  M.  160). 
HallfreÖr  H.  216  (F.  66.  OT.  60).  Ha.  111.  Haraldr  H.  570  (M.  51.  F.  121); 
skil-k  börör  K.  H.  232  (OH.  24);  skyt-k  Haraldr  M.  15;  spyr-k  Magnus 
IL  654  (M.  153);  stdb-k  «igvatr  H.  520  (OH.  236);  svaf-k  Sigvatr  H.  310 
(OH.  S2);  parf-k  Sigvatr  OH.  173,  vann-k  Hallt'reÖr  Ha.  101.  torgils  M. 
101;  varb-k  Sigvatr  H.  521.  F.  76;  vas-k  Eyvindr  H.  112  (F.  28).  Ilall- 
tVeÖr  Ha.  114  (zweimal).  Sigvatr  H.  274  (OH.  55).  308  (OH.  81).  310 
(OH.  b2).  431.  521  (OH.  236).  521;  veU-k  Arn6rr  H.  515  (F.  95;  veit-k 
OlL  234).  Eyvindr  IL  106  (F.  24).  Hallt'reÖr  Ha.  91.  114.  Sigvatr  H. 
227  (F.  71.  OH.  21).  311  (OH.  83).  446  (OH.  184).  492.  Steinn  M.  124. 
I>ürÖr  K.  H.  217  (F.  (;9);  vel-k  Einarr  jarl  H.  71  (E.  Skal.  F.  143).  HttSx 
K.  H.  217  (F.  68);  verti-k  HallfreÖr  Ha.  108.  Sigvatr  H.  437  (OH.  178); 
vilrk  HallfreÖr  Ha.  95.    Stefnir  OT.  50.»)    [152] 

Neben  dieser  grossen  hauptmasse  sind  nun  noch  einige 
kleinere  griippen  von  fällen  gesondert  aufzuflibren,  bei  denen 
etwas  stärkere  abweiehungen  von  der  Überlieferung  nötig  sind, 
um  das  bragarmäl  und  damit  den  vers  correet  herzustellen. 
Diese  sind 

II.   Bragarmäl  mit  anwendung  des  negativen  -a,  -aU 

Die  übliche  art,  eine  erste  person  durch  anfttgung  der  Par- 
tikel -üy  -at  zu  verneinen,  ist  die,  dass  die  partikel  an  das 
pronomen  ek  tritt,  welches  bereits  nach  art  des  bragarmäl  mit 
der  verbalform  verschmolzen  ist:  also  em-k-a^  em-k-at.  Oft 
wird  aber  das  pronomen  nochmals  widerholt;  so  trefien  wir 
in  der  handschriftlichen  Überlieferung  auf  gebilde  wie  emka  eky 
emkat  ek ,  daneben,  doch  nicht  in  den  hier  benutzten  texten, 
auch    solche    wie  vildi-g-a-k   mit  vollständiger  Verschmelzung 


')  Die  beiden  verse  lauten  krisi  vil-k  allrar  ästar  und  eldr  vil-k 
vid  sto^a  stand a.  Ich  führe  dieselben  deswegen  an,  weil  sie  das  von 
Wimmer,  Lajsebog'*  XXIII  bezweifelte  alter  der  form  vil-k  für  älteres 
vUja-k  (daö  hier  nicht  in  den  vers  passt)  dartun  würden  —  falls  sich 
nämlich  ihre  authenticität  sicher  nachweisen  liesse. 


504  SIEVERS 

(£gilsson  und  VigfttsBon  8.  y.  a,  at).  An  sich  sind  die  beiden 
ersten  arten  gleichwertig,  da  die  handschriften  auch  hier,  wie 
flberhaupt  bei  der  anweudung  des  -a,  -at  zwischen  der  voca- 
lisch  und  der  consonantisch  ausgehenden  form  schwanken;  so 
steht  Hkr.  428  in  einem  verse  des  Härekr  Icekka  ek,  F.  83 
icetka  ek,  aber  OH.  171  leccab  ec\  H.  620.  M.  116  in  einem 
verse  PjoSulfs  skalka  ek,  aber  F.  140  skalkat  ek.  Wir  werden 
demnach  uns  von  der  Überlieferung  ohne  bedenken  so  weit 
emancipieren  dürfen,  dass  wir  überall  diejenige  form  setzen, 
welche  der  vers  verlangt,  und  diese  hat,  da  alle  beispiele 
wider  überschüssiges  ck  zeigen,  den  typus  emkuk.  Diesen 
typus  halte  ich  neben  etnka,  emkat  auch  für  den  einzigen  in 
der  lebendigen  spräche  üblich  gewesenen;  emka  ek,  emkcU  ek 
sind  nur  orthographische  auflösungen. 

Die  beispiele  sind  a)  -a  ek  überliefert:  berka-k  tjötkSlfr  H.  542 
emka-k  Bjami  U.  456  (F.  89.  OH.  192).  tormöt^r  H.  497  (OH.  222) 
fannka-k  Sigvatr  H.  308  (OH.  81);  Icckka-k  Hdrekr  H.  428  (F.  83 
lecca^  ec  OH.  171);  skalka-k  tjoöölfr  H.  020  (M.  116;  skalkat  ek  F.  140). 

b)  -at  ek  überliefert:  hykka-k,  tnäkka-k,  säka-k,  se'ka-k,  veUka-k, 
8.  467.    [12] 

III.   Bragarmäl  nach  vorausgehender  conjunotion  etc. 

Hierher  gehören  folgende   in   der  Überlieferung  anomale 
verse: 

at  ek  herstefnir  hafna  —  Bersi  H.  254  (OH.  41) 

*bitt*B  satt  at  ek  byt$  byttu  —  Eldjdrn  H.  652  (M.  148) 
J9rÖ  at  ek  eigi  )>örtJa  —  Hirekr  H.  42S  (F.  83;  J?ör}>ac  OH.  171) 

*viti  menn  at  ek  hygg  hennar  —  Magnus  H.  651  (M.  152) 
mat$r  um  veit  at  ek  mcctta  —  Sigvatr  H.  307  (at  mc^ttom  OH.  80) 

*nü  fit$r  old  at  ek  eldumk  —  Sküli  OT.  54 

^syn^B  at  ek  sitk  at  Rdnar  —  anon.  M.  101 

*of  ek  najtJa  sif  slajöu  ■—  HallfretJr  Ha.  107 
milclr  ef  ek  hönum  vilda  —  Sigvatr  H.  430  (OH.  172) 
cid  ef  ek  A'Ieif  vildak  „        OH.  236 

Vengill  ef  ek  stef  fenga  —  I>6rarinii  II.  6S6  (M.  188) 
e  n  e  k  at  ungs  i  eyjum  |  . . .  falli  ||  Einarr  jarl  H.  7 1 
heldr  es  vant  en  ek  vilda  —  Eyvindr  H.  103  (F.  21) 

♦en  ek  veit  at  hefr  heitit  —  Glürar  H.  136 

^optsinn  en  ek  {'ess  minnumk  —  Guthormr  H.  98 
hffirt  försk  betr  en  ek  vaetta  —  Sigvatr  H.  307  (OH.  80) 
vatJa  gertJr  en  ek  vertJa  —  Stefnir  OT.  50 
heimil  var9  es  ek  heyrt$a  —  B9lverkr  H.  565  (M.  21) 


SKALDENMETRIK.  505 

J>ä  vas  harör  es  ek  heyrtJa  —  Eldjdrn  H.  652  (M.  1 19) 
t'ykki  m6r  es  ek  )>ekki  —  HallfretJr  Ha.  HO 
*r9nd  es  ek  i  hlyt  standa  —  Haraldr  H.  479  (F.  90.  OH.  209) 
^^ann  härm  es  ek  skal  svanna  —  Magnus  H.  654  (M.  152) 
♦vasa  fyst  es  ek  rann  rastir  —  Sigvatr  H.  307  (en  ek  OH.  80) 
asta  büs  es  ek  aesta       „  H.  308  (OH.  81) 

bÄrirmenn  es  ek  heyri  „  H.  527  (F.  98.  (OH.  239) 

sylg  es  ek  jofri  fylgi  —  tjötJölfr  H.  543 
haettligt  jdrn  es  ek  vaetti  —  fcormöör  H.  498  (OH.  223) 
heimil  vartJ  es  ek  hoyrt$a  —  ValgartJr  F.  117 
hraustligt  bragt)  es  ek  hngt^a  —  anon.  H.  572  (M.  56.  F.  124) 
knarrar  hapts  sem  ek  keypta  —  Bersl  H.  254  (OH.  41) 
♦A'leifr  sem  ek  fer  m4li  —  Sigvatr  H.  226  (OH.  21) 
menn  nemi  mdl  sem  ek  inni     „        H.  429  (OH.  171) 
♦en  gramr  n6  ek  frd  fremra  —  B9lverkr  H.  547  (F.  106.  OH.  221) 
ek  tök  lystr  n6  ek  lasta  —  Sigvatr  H.  248  (OH.  36) 
hart$a  m9rg  nS  ek  heyrt$a  ,        H.  310  (heyrt^ac  OH.  82) 

*paL\i  'ru^enn  svdt  ek  man  manna  —  Haraldr  H.  586 
f  heit5mildr  et5a  ek  ^  leiQumk  —  Bersi  H.  254  (OH.  41) 
hverr  veit  nema  ek  vertJa  —  Haraldr  H.  546  (OH.  221).   [38] 

Diese  verse  haben  das  gememschaftliche ,  dass  hier  nach  mo- 
dernerem Sprachgebrauch  das  pronomen  ek  allerdings  zwischen 
conjunction  resp.  partikel  und  dem  verbum  finitum  stehen 
müste  (ausser  nach  n^j  wenn  es  überhaupt  in  dem  satze  eine 
stelle  haben  soll.  Metrisch  ist  aber  diese  Stellung  in  den 
meisten  der  angeführten  verse  unzulässig,  insbesondere  widerum 
weil  dadurch  dem  zweiten  takte  verschleifungen  aufgebürdet 
würden,  die  er  nicht  verträgt.  Verschmelzung  mit  der  par- 
tikel, etwa  at'k  u.  dgl,  ist  nirgends  handschriftlich  belegt,  wäh- 
rend sich  die  sonstigen  Verschmelzungen  doch  stets  auch  hand- 
schriftlich belegen  Hessen.  Völlige  tilgung  des  pronomens  wäre 
aber  offenbar  auch  unstatthaft.  Der  richtige  weg  ist  ohne 
zweifei  der,  welchen  Wimmer  in  der  zweiten  ausgäbe  des 
lesebuchs  eingeschlagen  hat,  nämlich  das  pronomen  von  der 
])artikel  zu  trennen  und  es  nach  art  des  bragarmäl  mit  dem 
verbum  zu  verschmelzen:  was  um  so  leichter  angeht,  als  in 
der  mehrzahl  der  fälle  (hier  in  den  nicht  besternten  versen) 
ein  vocalisch  auslautendes  wort  am  Schlüsse  der  zeile  steht. 
Die  richtigkeit  des  Verfahrens  wird  schon  durch  einige  der 
angeführten  verse  angedeutet,  welche  doppeltes  pronomen 
setzen,   wo  natürlich  nur  eines  erforderlich  ist;    es  fehlt  aber 


506  SIEVERS 

auch  nicht  an  vollständig  reinen  mustern  der  von  Wimmer 
gewählten  satzforni : 

veit-k  at  vaßkki^^f  syti-k  —  HallfreÖr  Ha.  114 

cid  ef  nu  biÖ-k  folda  —  .Sif<vatr  11.  249  (OH.  36) 

rett  0  8  rikan  hitta-k  —  Si^vatr  H.  310 

vijjfßfs  l^üt  vcrÖa-k  hogffinii  -  -  llallfreiSr  IIa.  106 

aini-k  )>üt  eigi  fiiina-k  —  Maj^nüs  H.  (5.55  (|>(Stt  ec  M.  152) 

ro^ons  pvit  veit-k  görva  —  Arnörr  II.  516  (F. 95;  voit  OlL  2*i4) 

inyrkblas  f7vit  kan-k  yrkja  —  Sigvatr  H.  248  (OH.  35). 

Nach  diesen  mustern  sind  die  obigen  verse  durchgängig  abzu- 
ändern. AVo  eine  medialforni  auf  -umk  am  Schlüsse  steht 
{eldnmk,  mbinumk,  leAiSnmk),  nuiss  natürlich  das  ])ronomeu  ein- 
fach gestri(»lien  werden;  ob  diese  Streichung  aber  auch  viel- 
leicht bei  einem  teile  der  im  innern  des  verses  stellenden  und 
consonantisch  ausgehenden  verbalformen  zulässig  oder  geboten 
sei,  vermag  ich  nicht  zu  entscheiden,  da  hier  nur  sehr  um- 
fängliche handschriftliche  Studien  etwas  mehr  gewisheit  geben 
könnten.  Doch  will  ich  nicht  unterlassen  auf  einige  punkte 
aufmerksam  zu  machen,  welche  es  jedenfalls  nahe  legen,  die 
frage  nach  der  ausdehnung  ernstlich  zu  erwjlgen,  in  welcher 
bei  der  ersten  person  des  verbums   das  pronomen  fehlen  darf. 

IV.    Fehlen  des  pronomens? 

Da  es  durch  die  anwendung  des  bragarmäls  möglieb  ist, 
das  pronomen  mit  jeder  verbalform  zu  verschmelzen,  so  sieht 
man  leicht,  dass  durch  einfache  sili)enzähluug  eine  antwort  auf 
diese  frage  nicht  erlangt  werden  kann.  Wir  müssen  uns  viel- 
mehr an  die  reime  wenden,  freilich,  wie  ich  gleich  bemerke, 
ohne  auch  da  einer  unzweifelhaften  entscheidung  sicher  zu 
sein.  Denn  die  durch  Verschmelzung  entstandenen  formen  ent- 
halten doch  nach  dem  sprachgefllhl  des  redenden  meist  noch 
zwei  unterscheidbare  bestaudteile ,  die  nicht  so  mit  einander 
zu  einer  einheit  verkettet  sind,  dass  sie  gehörigen  falles  not- 
wendig beide  in  den  reim  hineingezogen  werden  mtlsten. 
Vielmehr  ist  es  dem  dichter  durchaus  freigestellt,  ob  er  bloss 
den  ersten  teil  in  der  form,  die  er  in  seiner  Isolierung  haben 
würde,  reimen  lassen  will,  oder  ob  er  den  durch  die  Verschmel- 
zung entstandenen  compliciertcren  auslaut  an  dem  reime  teil- 
nehmen lässt.    Die  reime  svä*s  :  rcesir,  ?iü's  :  visi   oben  s.  497 


SKAI.DENMETRIK.  507 

sind  ebenso  berechtigt  als  hann's  :  banna,  manna  s.  493 ,  rau7i's 
:  pinu,  vdn's  :  koman,  spn's  :  Ränar ,  vin's  :  betija  s.  494.  Dies 
zeigt  sich  nun  auch  beim  verbum ;  wir  finden  die  reime  fann-k 
:  svanni  PornioÖr  H.  498  (OH.  223),  finn-k  :  minna  Haraldr  H. 
578  (F.  127),  vann-k  :  grenni  Hallfi-eÖr  Ha.  101,  :  hmnar  Porgils 
M.  101,  fdr-k:häru  Sigvatr  H.  308  (OH.  81)  {retS-k  :  kvceiSi 
Halli  M.  96,  skyi-k  :  nytir  Haraldr  M.  15);  aber  auf  der  an- 
dern >eite  vas-k  :  häska  Sigvatr  H.  521  (OH.  236)  und  hykk 
:  flekkum  Sigvatr  H.  307  (OH.  80),  :  flokki  PjoÖolfr  H.  535  (F. 
103.  OH.  241),  :rekkar  ders.  H.  626,  :  pekkja  Porarinn  H.  6S6 
(M.  188).  Aber  gerade  dies  letzte  beispiel  gibt  anlass  zu  be- 
denken: denn  es  reimt  auch  einsilbiges  hygg^ek  auf  tveggja 
Björn  H.  641,  iTryggva  PorÖr  K.  H.  170  (F.  55);  bei  Sigvatr 
H.^527  (F.  98.  OH.  239)  würde  die  Schreibung-  hykk  doppel- 
reim hervorbringen  {^an  hykk  rekkum  pinum),  ^)  Ebenso  reimt 
(ich  schreibe  einstweilen  mit  einfacher  addition  beide  teile  zu- 
sammen) geng-k  :  pengils  Sigvatr  H,  521,  legg-k  :  Friggjar  Hall- 
freÖr  Ha.  94,  %-A: ;  eigi  Sigvatr  H.  508  (OH.  230),  syg-k  :  cegi 
PjoÖülfr  H.  543.2)  Hier,  beim  zusammentreffen  der  gutturalen 
media  und  spirans  mit  der  entsprechenden  tenuis,  hätten  doch 
Veränderungen  des  wurzelauslautes  eintreten  müssen,  welche 
die  möglichkcit  des  reimes  mit  g  vernichtet  hätten,  wie  dies 
ja  tatsächlich  auch  bei  hykk  zum  teil  geschehen  ist;  denn  es 
i^t  nicht  glaublich,  dass  die  phantasie  eines  dichters  oder 
lesers  so  lebhaft  gewesen  sei,  um  bei  einem  reime  wie  *genk 
:  pengils,  *lykk^)  :  eigi  alsbald  die  zu  gründe  liegende  form  geyig, 
lyg  herauszufinden  und  darnach  den  reim  zu  beurteilen.  Ein- 
silbige form  erfordert  aber,  wie  wir  wissen,  das  luetrum.  Kann 
nun  weder  geng  ek  noch  *genk,  weder  hygg  ek  noch  hykk  ge- 
standen haben,  so  bleibt  nur  einfaches  geng,  hygg  als  letzte 
möglichkeit  übrig;  und  hiermit  ist  die  aussieht  eröffnet,  dass 
auch    ein    teil    der    sonst  überliefei-ten  pronomina  der  ersten 


*)  Unentschieden  bleibt  die  frage  bei  Arnörr  H.  515  (F.  95.  OH. 
2;U).  Grani  M.  53.  HallfreÖr  F.  62.  «7.  Haraldr  M.  114.  Magnus  IL 
654.  Sigvatr  H.  253  (OH.  40).  491  (OH.  217).  I>jöÖölfr  H.  606  (M.  66. 
F.  133). 

2)  Auch  fregn-k :  Sygnum  Sigvatr  H.  527  (OH.  239)  fällt  auf. 

3)  Oder  ist  zwar  *genk  aus  *  ^eng-k^  hykk  aus  ^hygg-k,  aber  ly}K^k 
a\iü*iyg-k  anzusetzen? 


508  SlEVEEtö 

person  möglicher weiso  auf  interpolation  bemhe:  eine  aussieht» 
wciclie  durch  die  gleich  uuten  folgenden  ausfUhruugen  über 
iuterpolatiouen  von  pü  und  kann  erheblich  vergrössert  wird. 
Docli  zuvor  siud  noch  die  ansprUche  auf  selbständige  metrische 
geltung,  welche  das  pronomen  ek  zu  erheben  hat^  zu  er- 
ledigen. 

In  allem  fanden  wir,  dass  das  metrum  an  ca.  295  stellen 

einsilbige  oder  zweisilbige  form  für  zweisilbige  resp.  dreisilbige 

form  der  Überlieferung  verlange   oder  gestatte,  und  dass  die 

ei-stere  demnach  auf  alle  fälle   als  normalform  anzusehen  sei; 

dagegen    treffen    wir    selbständiges  ek  nur    in    folgenden    12 

verseu : 

mest  selda  ek  minar  —  Eyvindr  H.  123  (hending?) 

litt  hirÖa  ek  lautar  —  HallfreÖr  IIa.  106 

iiiiäta  c  k  fyr  austan  —  Sigvatr  H.  308  (OH.  81) 

\\tS  tojkja  ek  vika  „       H.  431  (OH.  173) 

mundaek  pann-s  und!  ^       H.  520  (OH.  236) 

hrösa  ek  J?vi-8  herskip  glajsir  —  Arnörr  M.  32  (achtsilblcr) 

luanngi  veit  ek  fremra  annan  „        M.  31  (desgl.) 

vitt  hef  ek  sizt  yttom  —  Haraldr  M.  16  (ö.  oben  8.488) 

fa^ddr  vas  ek  |7ar-s  alma        „        M.  16 

gekk  ek  reiör  of  skeitJar  —  O'lafr  F.  8S 

görbcenn  inon  ek  gunnar  —  Sigvatr  H.  249  (OH.  36) 

Aber 

kveÖ  ek  um  hlut  )7Ciina  —  HallfreÖr  Ha.  106 

gehört  nicht  hierher,  denn  es  ist  mit  Gislason,  om  helrim 
(Kopenh.  1S77)  s.  19  kveb-k  mn  zu  lesen  (Möbius). 

8.    Das  pronomen  pü. 

Man  wird  am  besten  tun,  die  fälle,  in  welchen  über- 
schiissiges  pü  erscheint,  in  zwei  gruppen  zu  zerlegen,  je  nach- 
dem da8sell)e  in  begleitung  eines  imperativs  oder  einer  belie- 
bigen andern  zweiten  i>erson  ersclieint.  Die  letzteren  stelle 
ich  hier  zuerst  zusammen,  und  zwar  wie  sonst  nach  den  Ver- 
fassern der  betreifenden  verse  geordnet,  dergestalt  jedoch,  dass 
die  bcispielo  der  2.  sg.  ind.  des  starken  praeteritums  ein- 
schliesslich der  praoteritopraescntia  und  est  vorangehen  und 
die  verse  mit  einem  stern  versehen  werden,  in  welchen  eine 
entfernung  des  Überschusses  durch  elision  denkbar  wäre. 


SEALD£NM£TRIK.  509 

a)  pü  bei  der  2.  sg,  ind.  praet.  der  starken  verba: 

austan  komtu«)  metJ  allri  haestan  — -  Aniörr  H.  517  (OH.  235) 
♦stirÖum  heiz  tu  um  Stafangr  nortSan        ,       U.  529 
*Skjolduiigr  für  tu  um  6J?j6Ö  eldi 
*heppinn  dröttu  af  hlunni  sl^ttum    |      ^       H.  532 

heyra  skaltn  hv6  herskjold  bdrutJ   * 

hjalmiru  l^ztu  heyra  „       M.  79 

hröt^rs  bat^tu  heilan  litJa  —  Bersi  H.  254 

vastu  }?ar-8  vigs  baö  kosta  —  Bjami  H.  446  (F.  87,  OH.  185) 

keiidr  vastu  fyrstr  i  fundi  „      H.  446  (OH.  185) 

skjiStt  16ztu  Knut  um  söttan         „      H.  456  (OH.  192) 

brauztu  viÖ  bragning  n^ztan  j 

♦fyrr  gekktu  i  staö  Stikla        |    "      ^-  ^^'^  ^^^'  ^^^) 
♦hafa  16z tu  unga  jofra  „      H.  519  (F.  95.  OH.  236) 

'''ok  I6ztu  d  sjä  snekkjur  | 

♦ärffiöi  vattu  eyöa  j    »      ^^'  ^^^ 

trat  tu  hv6  fylkir  mitti  —  BJ9rn  H.  641 

♦austr  vastu  dr  it  naesta  —  B9lverkr  H.  547  (F.  106.  OH.  221)«) 
♦mildingr  strauktu  um  maeris    «         H.  547(OH.  221 ;  strauktF.  106) 

gjälfrstoöum  reis  tu  groeöi       j 

*leiÖangr  bjöttu  af  lat5i  |    ^        °'  ^'^  (^^-  ^^-  ^-  ^"^') 

"ötryggjum  16z tu  eggjar  —  Einarr  Skül.  H.  717  (F.  168) 

er  tu  svat  eigi  skortir  „       M.  181 

logreifis  brdttu  lifi  —  Eyjölfr  H.  140 

boöstyrkir  I6ztu  barka  —  Halldörr  skv.  H.  665 

borg  heitJna  töktu  braeöir        „         H.  668  (vant  F.  161) 

kvattu  skjoldungi  gjalda  |    ^^»1^^^  M.  68 

graut  mundu  görva  Idta  „        M.  95 

'''brauztu  und  Mikjäl  mestau  —  Illugi  F.  108 

*ungr  hrattu  4  Vit  vengis  —  Ottarr  H.  220  (OH.  16) 

BvanbraiÖir  namtu  sitJan  „      H.  220  (OH.  17) 

♦gildir  komtu  at  gjaldi  ,      H.  222  (OH.  18) 

*enn  brauztu  61a  kennir  „      H.  225  (OH.  20) 

♦koratu  i  land  ok  lendir  „      H.  225  (OH.  20.  F.  71) 

bliÖr  hilmir  töktu  breiÖa  . 

♦atgongu  vantu  yngvi  |        „      H.  226  (OH.  21) 

rettu  bragna  konr  gagui  ' 

valfasta  bjöttu  vestan  „      H.  234  (OH.  26) 

blagjöt5a  töktu  braeöir  ,      H.  235  (OH.  28) 


^)  Ich  setze  ohne  rUcksicht  auf  die  Überlieferung  hier  gleichmässig 
stets  die  ältere  form  komtu  etc.  statt  des  späteren  aufgelösten  kamt 
Im  etc. 

'^)  Es  ist  wol  variu  zu  lesen,  wie  hernach  eriu  bei  Einarr  Skul.  und 
dem  anonymen  verse  F.  123. 


510  SIEVEBS 

hafa  16ztn  heitJska  J9fra  —  Ottarr  H.  2S4  (OH.  63) 
helztu  )7ar-s  hrafn  nö  svalta     «      H.  422  (OH.  165) 
Yig  yanta  hlenna  hnoigir  —    Sigvatr  H.  223  (OH.  19) 

A'leifr  van  tu  J^ar-s  jofrar       '     "        ^'  ^^®  ^^^'  ^^^ 
♦alltiginn  mdttu  eigi  '  „        H.  248  (OH.  35) 

|7ollr  gazta  hüskarl  hollan  „        H.  248  (fektn  OH.  36) 

♦Björn  faztu  opt  at  arna  „        H.  274  (OH.  55) 

fast  skaltu  rikr  viÖ  rikan  ,        H.  311  (F.  78.  OH.  83) 

Vindbysna  skaltu  visi  —  tjöÖ61fr  ü.  75 
*ut  rettu  alvaldr  njötn  ,        H.  516 

illa  sdttu  i  milli  .        H.  535 

rond  leztu  rapsir  I>rocnda    ) 

hüs  namtu  hvert  ok  eisu   |     " 

hoss  arnar  rauttu  hvassar       «        H.  555 

vatn  16z tu  visi  slitna  „        II.  562 

gramr  es  tu  frcrkn  ok  fremri    „        M.  .'>5 
♦leztu  at  Hakon  heti  —  I>6rarinn  H.  6S6  (M.  18S) 

skeifr  bar  tu  Hogna  hufu      ^        H.  687  (M.  189) 
♦ok  van  tu  eina  krdku  „        H.  687 

♦vesa  mattu  af  }>vi  visi  —  borleifr  H.  170 
♦skauztu  und  farm  enn  frizta  —  Valgart^r  H.  559  (M.  16.  F.  113) 

sattu  t'ars  sjedrif  letti  „         H.  559  (F.  113) 

Ilaraldr  görva  leztu  lierjat  «         H.  560  (M.  17.  F.  114) 

hclmingi  bauttu  hanga  «         F.  111 

gramr  es  tu  flestum  fremri  —  anon.  F.  123 

4t  tu  rät^a  vel  1451  „      M.  219. 

6)   pü  nach  don  übrigen  2.  persoDen: 

far'Öir  }?ü  gull  or  Gort^um  —  ValgarÖr  H.  559 
♦hnyggr  pü  andskotum  tiggi  „         H.  560  (F.  114) 

♦neÖr  |mi  en  rajsir  cetJri  ,         H.  119  (F.  115) 

hlytr  pA  ef  heima  sa^tir  —  anon.  M.  112. 

bom  ok  all  ^^at-s  pü  arnar  —  Haraldr  M.  68 
eldr  ok  reykr  at  J?ü  beldir  —  Ottarr  H.  226  (OH.  21) 
elds  efpü  eitthvert  vildir  —  Sigvatr  H.  431  (OH.  173) 
donskur  h9ll  hvat  }?ü  mselir  —  JStefnir  OT.  50.«) 

Hier  ist  das  tlberschüssige  -u,  pü  mindestens  da  überaU  za 
streichen,  wo  nicht  die  möglichkeit  einer  eUsion  geboten  ist; 
aber  auch  im  letzteren  falle  wird  man,  denke  loh,  conse- 
quenter  weise  die  Streichung  der  elidierung  vorziehen  mfiBsen, 


0  pnnur  en  pu  h^zt  mpnnum  Sigvatr  H.  527   (OH.  239.  F.  98)  iflt 
vielieicht  mit  verschleifang  von  -ur  en  zu  lesen. 


SKALDENMETBIK.  511 

zumal  die  letztere  bei  allen  auf  -/  endigenden  zweiten  per- 
sonen  ja  doch  das  gleiche  resultat  ergäbe,  i)  Dass  man  sich 
durch  die  Streichung  des  pronomens  keines  unerlaubten  an- 
^^rifl's  auf  si)rachliche  gcsetzc  schuldig  macht,  beweisen  zahl- 
reiche beispiele  von  stellen,  an  denen  auch  die  Überlieferung 
den  alten  freiereu  gebrauch  der  verbal  form  ohne  pronomen  er- 
halten hat;  ich  führe  von  solchen  stellen  an  vant  Bolverkr  H. 
547  (F.  lOG;  vanntu  011.  24),  hault  ders.  H.  5G5  (M.  21.  F. 
117);  viU  Eyvindr  F.  24,  gafl  Halldorr  skv.  H.  668  (F.  161), 
vant  ders.  M.  160,  tökl  Ottarr  H.  227  (OH.  22),  matt  Sigvatr 
11.  522,  skalt  Skümr  F.  53,  matt  Djoöolfr  H.  550  (F.  108),  lezt 
I^orleikr  H.  573,  anon.  M.  113  etc. 

Es  ist  wol  kaum  noch  nötig  darauf  aufmerksam  zu 
machen,  dass  die  meisten  der  angeführten  beispiele  mit  ange- 
hän«5^tem  f}ü  ausser  dem  metrischen  kriterium  auch  noch  ein 
anderes  kenuzeichen  der  Interpolation  an  sich  tragen:  ich 
meine  die  fast  durchgehende  beschriinkung  der  suffigierung  des 
pronomens  auf  die  vcrbalformen  auf  -/.  Weil  hier  verbuni 
und  pronomen  mit  Vernichtung  des  anlautenden  p  des  letz- 
tern zu  einer  untrennbaren  form  verschmolzen,  in  welcher  das 
pronomen  nicht  so  aufdringlich  hervortrat  wie  nach  einer  an- 
dern verbalform,  so  schien  den  spätem  Schreibern  die  anfügung 
dieses  -u  offenbar  weniger  versstörend  als  die  einfügung  eines 
vollen  pronomens. 

Die  unter  b)  zuletzt  angeführten  verse  entsprechen  übri- 
gens den  oben  s.  504  ff.  besprochenen,  nur  dass  hier  das  pro- 
nomen ganz  getilgt  werden  muss. 

c)  pü  beim  imperativ. 

cn  Sit  tu  kyrr  hj4  henni  —  Einarr  Skül.  M.  181 

t'ram  haltu  nj6tr  at  nytum  —  Eyvindr  II.  106  (F.  24) 

landaura  veittu  lüru  —  Sigvatr  H.  249  (011.  3G) 

nü  sittu  heill  en  hallar         „        H.  307  (OH.  SO) 
*A'striÖi  lattu  oeÖri  „        H.  522 

gjaltu  varhuga  veltir  „        H.  527  (F.  98.  OH.  239) 

•gakkattu  inn  kvaÖ  ekkja     „        H.  308  (OH.  bü) 

Zunächst  haben  wir  hier  wider  7  imperative  auf-/  (einschliess- 


0   Ich   befinde  mich  bierin  abermals  in  Übereinstimmung  mit  der 
von  Wimmer  in  der  zweiton  aufläge  des  lesebnches  befolgten  praxis. 


512  SIEVERS 

lieh  eines  negierten);  der  übrigen  beispiele  sind  es  nur  6,  doch 
vorlangen  diese  gesonderte  erwägung. 

1)  Unei-traglich  ist  das  ^u  in  dem  verse 

Magnus  hlyt$-t$a  til  mdttigs  6t$ar  —  Amörr  M.  31. 

2)  In  einem  falle  liegt  biatus  vor,  das  pronomen  kann 
also  geduldet  werden: 

hygg  }>ü  at  jofurr  skatna  —  Sigvatr  IL  429  (OH.  171). 

3)  In  den  4  übrigen  versen  scheint  die  beibehaltung  des 
])ronomens  durch  den  reim  geboten  zu  sein: 

seg-t$u  hvar  sess  hafitJ*  hugt^an  —  Sigvatr  H.  429  (OH.  171) 
se-t5u  hverr  slikt  f6  reiöir  —  Steinn  U.  635  (M.  129) 
kenn- du  hvar  liggr  fyr  landi  —  tjöÖölfr  H.  592 
heyr-tJu  k  uprcist  orÖa  —  torgils  M.  102. 

Der  letzte  dieser  verse  wird  durch  den  hiatus  ohne  weiteres 
gerechtfertigt,  aber  auch  die  drei  ersten  brauchen,  meine  ich, 
nicht  geändert  zu  werden.  In  allen  dreien  folgt  ein  mit  At;, 
d.  h.  hu  anlautendes  fragewort  auf  das  /»ti,  und  so  ist  es  nicht 
undenkbar,  dass,  durch  ausfall  des  h  zwischen  den  gleichen 
^ocalen,  aussprachen  wie  *segbtc^./ir  u.  dgl.  entstanden ,  in 
denen  die  beiden  letzten  silben  verschleift  werden  konnten« 
Hierfür  spricht  auch  ein  ganz  analoger  fall  bei  einer  3.  pL 
praeteriti,  nämlich  in  dem  verse 

spurtJuwhverr  glikt  mun  görva  —  Steinn  M.  130. 

9.  Das  pronomen  Jiann. 

a)  nach  dem  verbum: 

vcl  r\j6ü  bann  ^^ess  jutn  —  Grani  M.  53 

uiargs  gengis  naut  hann  lengri  —  Halldörr  skv.  H.  705 

villir  hann  ™d6m  allan  —  SigurtJr  H.  686  (M.  ISS) 

l>er  gjif  hann  niork  eÖa  meira  —  Sigvatr  H.  377  (OH.  130 

ge^mdi  hann  lystr  n^  lamt$isk  „        H.  445  (OH.  183) 

a^ttvigi  m4  hann  eigi  ,        H.  446  (OH.  184) 

pi  gaf  hann  Treskegg  tr9llum  —  anon.  H.  69. 

b)  nach  einer  partikel: 

}?ar-8  hann  skriör  met$  litJ  lytJa  —  HallfreSr  H.  213  (F.  65) 
hcegr  ef  hann  renn  til  skögar  —  Hildr  H.  66  (OH.  2:0 
na»r  sem  hann  rat$inn  vjeri  —  I|jöÖ61fr  H.  540. 

Nach  allem  bereits  gesagten  wird  man  nicht  mehr  bedenken 
tragen  düifen,  alle  diese  harin  zu  streichen,  da  die  analogien 


SRÄLDENMETRIK.  513 

zu  den  früher  behandelten  tVillen  der  pronomina  elc  und  pä  so- 
fort einleuchten.  ZuV  not  könnte  man  allerdings  in  einigen' 
fällen  an  verschleifung  denken,  insofern  das  h  des  pronomens 
mit  dem  auslautenden  consonanten  des  verbutns  nicht  positiob' 
zu  bilden  braucht:  die^e  ansieht  Hesse  sich  aber  eben  nur 
durcli  prUfung  eines  weit  umfänglicheren  materiales  stützen' 
oder  zurückweisen.  So  bleibe  ich  denn  bei  der  wie  mir 
scheint  consequenteren  annähme  der  tilgung  einstweilen  be- 
stehen. 

10.  Reste. 

Unter  dieser  nummer  fasse  ich  die  zu  keiner  der  bisher 
besprochenen  abteiiungen  gehörenden  fillle  zusammen,  in  denen 
regelwidrig  überschüssige  silben  erscheinen;  auch  hier  wird 
regelmässig  Verderbnis  in  der  Überlieferung  anzuerkennen  sein. 

a)  suffigierter  artikel: 

veldr  J?vi  karl  i  feldinom  —  SigurtJr  H.  686.    M.  188 
6t'or  konnungBins  görva  —  anon.  F.  136. 

Es  leuchtet  von  selbst  ein,  dass  der  artikel  gestrichen  werden 
rauss,  der  in  unserem  material  überhaupt  durch  kein  authen- 
tisches beispiel  zu  belegen  ist.  Im  zweiten  verse  haben  über- 
dies H.  613.  M.  112  richtig  konuyigs, 

b)  überschüssiges  en,  gleichfalls  zu  streichen,  da  ätSr 
allein  syntaktisch  genügt: 

hvarfat  aptr  iÖr  en  erf^an  —  EiDarr  Skdl.  F.  36 
aör  en  hjaldr}?orinn  heidi  —  HallfreÖr  F.  66   (en  fehlt  H.  216) 
ögndjarfr  dör  en  l?6r  n4öum  —  Ottarr  F.79  (en  fehlt  B  und  OH.  99) 
ütau  varö-k  dtJr  en  Jota  —  Sigvatr  H.  416  (OH.  160). 

Auch  die  Constitution  des  letzten  verses  ist  sicher,  denn  es 
kann  nicht  etwa  ^tan  verschleift  werden ;  diese  neuere  form  ist 
in  unserer  zeit  noch  nirgends  zu  belegen;  dagegen  sprechen 
zahlreiche  stellen  für  üian,  z.  b.  Amörr  H.  529.  Eyvindr  H. 
123.  Härekr  H.  428  (F.  83.  OH.  171).  Sigvatr  H.  308  (OH.  80). 
Steinn  H.  595.  M.  124.  PjoÖölfr  H.  594.  PorÖr  H.  155  (F.  48), 
wo  überall  ütan  den  schluss  eines  dröttkvsettverses  bildet. 

c)  Vereinzelte  beispiele;  meiner  ansieht  nach  zu  til- 
gendes ist  in  ( — )  gesetzt: 

BeitrKg^  sur  gesohichte  der  deutschen  spräche.  V.  33 


514  SIE  VERS 

vistu  (nü)  J?öt  kJ9l  kosti  —  Eldjdrn  H.  652 

hvat*8  (h6r)  i  heimi  betra  —  MagDÜs  H.  654   (h6r  fehlt  M.  152) 

J?er  (er)  hverr  konungr  fern  —  Ottarr  OH.  63  (er  fehlt  H.  284) 

fundr  ef  hann  (sjdlfr)  k«msk  undan  —  Sigvatr  H.  416  (F.  S4.  011. 161) 

brööir  ISigurÖar  oeÖri  —  Eyjolfr  F.  54  A,  broetJr  B ' 

sva  gajta  menn  til  hcunar  —  Hjillfret^r  Ha.  SO* 

rudna  sitJur  lit-k  rauöar  —  Ualli  M.  96* 

Sinnig  ha'gjnmk  for  fljügi  —  Sigvatr  H.  522* 

svert^  dyrt  p&t  er  vtöir  }?vert5an     „       OH.  236*. 

Lies  1  brrrÖr  mit  B,  da  der  vers  aRalhending  enthalten  hiurb; 
2  getaf  3  runa  slt^ur  oder  rumlbur,  EgilsRon  p.  675.  710; 
4  parl\  der  fehler  steckt  jedenfalls  in  pinnig \  5  der  vers  ist 
ganz  verdorben;  OH.  s.  300  wird  vorgeschlagen  sverödynviöir 
pverbu.  Noch  unsicherer  ist  nur  die  losung  in  dem  anoDymen 
verse 

sviptir  i  sveiflankjapta  —  H.  613 
svift  hefir  sveifland  gajfta  —  F.  136 
svipt  er  i  svar}?ar  kjapta —  M.  112, 

wo  die  Überlieferung  derartig  auseinander  geht,  dass  heiluDgft- 
versuehe  kaum  auf  sichern  erfolg  rechnen  dürften. 

C.  Ergänzung  fehlender  Silben. 

Es  wurde  schon  oben  s.  451  f.  bemerkt,  dass  die  einmiscbung 
fünfsil])iger  verse  als  eine  besondere  kunstform  entgegen  den 
angaben  des  commentares  zum  Hättatal  für  den  hier  behan- 
delten Strophenkreis  nicht  anzunehmen  sei.  Es  ist  nun  hier 
der  ort,  diejenigen  verse  zu  prüfen,  welche  in  der  Überlieferung 
nur  jenes  maass  von  5  silben  erreichen. 

Die  zahl  dieser  verse  ist  bei  weitem  geringer  als  die  der 
verse  mit  überschiessenden  silben;  wie  aber  die  hauptmasse 
der  letzteren  durch  den  gebrauch  solcher  Wörter  oder  wort- 
gruppen  entstanden,  bei  welchen  die  spräche  zu  verschiedenen 
Zeiten  um  eine  silbe  schwankte,  für  die  ältere  zeit  aber  die 
kürzere  form  als  die  normale  anzusehen  war,  so  bilden  die 
grössere  zahl  der  scheinbaren  fünfsilbler  verse  mit  Wörtern, 
die  in  älterer  zeit  eine  silbe  mehr  zählten  oder  zählen  konnten 
als  späterhin.  Es  unterliegt  wol  keinem  zweifei,  dass  zur  cor- 
rectur  des  verses  überall  die  älteren  längeren  formen  herzu- 
stellen sind. 


SEALDENMBTBIK.  515 

Das  einzelne  anlangend,  so  besteht  widerum  die  mehrzahl 

dei  hierher  fallenden  werter  aus  soleheu  mit  innerem  hiatus, 

der  später  durch  contraction   oder  'umspringen  der  Quantität' 

getilgt  wurde.    Hier  haben  die  herausgeber  zum  teil  schon  die 

alten  formen  hergestellt    An  beispielen  führe  ich  auf: 

büendr  BJ9rn  H.  646  (M.  143).  Sigvatr  H.  222.  2&3  (=  fcörör  S.  H. 
107.  F.  25).  417.  490.  527  (F.  98).  527.  Stüfr  F.  122.  tjötJölfr  H.  606 
(M.  66.  F.  133).  börtJr  K.  H.  154.  torleikr  H.  574  (M.  59.  F.  126.) 
anon.  H.  602.  M.  113;  büand-manna  Sigvatr  H.  499;  sceing  Tindr 
H.  157. 

Femer 

jafn]>arfr  bUum  hrafni  —  Amörr  H.  543  (F.  105) 
barmfogr  hdum  armi  —  B9lverkr  H.  547 
^-8  bring f4um  Hanga  —  Tindr  U.  157 
graius  y9r  bl^um  hjorvi  —  t>6rt$r  K.  H.  214 
eyöendr  säu  ytJrar  —  I>orbJ9rn  Sk.  H.  740, 

WO  später  bläm,  häm,  -fäm,  sä  üblich  wurde.    Femer 

öfiU  B^a  kn&tti  —  £inarr  Sk6l.  M.  200 
ormfrdn  s6a  h4nnm  —  Sigvatr  H.  491  (OH.  217) 
iÖlikt  8  6a  mitJjan  —  ValgarÖr  M.  19  (F.  114) 
vinbeims  fiandr  sina  —  Einarr  SkAl.  H.  122 
Iandmen8  klar  sanda  —  Eyjölfr  H.  140 
vefgefn  J^riar  stefnur  —  tfööölfr  H.  540 

für  späteres  sjä,  fjandr ,  kjdr ,    prjdrA)    Am  nächsten  hierzu 
stehen  beispiele  wie 

^unn  gälkD  iBarnmuiinam  —  Halldörr  ökr.  H.  216 
ok  at  isarnleiki  —  Sigvatr  H.  491  (OH.  217), 

doch  vgl.  auch  schon 

gunnt'inga  jarnhringa  —  Ottarr  H.  225 
jarnstükar  vel  lüka  —  Sigvatr  H.  416. 

Ferner 

Bunds  I>orketill  undaii  —  Hallfre^  H.  216 
U'lfketill  bl4r  skulfu  —  l>örÖr  K.  H.  232»), 

neben 

Steinkels  gefin  beljn  —  Ij6t561fr  H.  605. 

Es  sind  das  alles  so  bekannte  doppelformen,    dass  ich   wol 

<)  Sviar  und  kvij  kviar  sind  aucb  im  späteren  islSodischen  wegen 
des  vorausgebenden  v  geblieben,  wie  aucb  nach  v  die  alte  brechang  ia 
ver&cbwindet  {verk :  bjarga).    Näheres  hierüber  an  einem  anderea  orte. 

»)  Oder  irifkeli  bldar  skulfu  wegen  s.  456  regel  III? 

33* 


516  SIEV£RS 

darauf  verzichten  darf,  weitere  beispiele  daftlr  aus  den  allge- 
mein zugänglichen  lexicalischen  htüfsmitteln  hier  zusammen- 
zustellen. 

Von  flexionsänderungen  mache  ich  zunächst  namhaft  die 
einfuhrung  von  formen  der  schwachen  declination  statt  starker. 
So  ist  z.  b.  gewis  zu  lesen 

allvaldi  tv4  ßnjalla  —  HallfretJr  H.  211  (F.  62.  OT.  53) 

statt  des  überlieferten  allvaldr,  obschon  diese  schwache  form 
sonst  meines  wisseus  nicht  bezeugt  ist  (doch  vgl.  übereinstim- 
mend ags.  ealwealda,  alts.  alouualdo,  ahd.  alauuaiio).  Eigen- 
tümlich sind  die  Verstümmelungen,  welche  der  name  O'Sins  er- 
fahren hat    Wir  lesen  nämlich 

lifk9ld  H&rs  drifu  —  Einarr  Sk&l.  H.  116 

Berkrjö^r  H&rs  (H&lfs  MF)  merk!  —  Einarr  SkiU.  H.  717   (M.  200. 
gall  hü  Hars  stila  —  Refr  H.  491  [F.  IftS) 

vertJung  Hirs  gert^ar  (Hilfs  H)  —  Steinn  M.  130  (H.  635). 

Für  die  junge  analogiebildung  Bars,  welche  das  nominativ-r 
zum  stamme  gezogen  hat,  ist  ohne  zweifei  älteres  Hdva  einzu- 
setzen, eine  form,  die  ja  zur  genüge  bekannt  ist  Wie  man 
dazu  gekommen  ist,  in  einigen  handschriften  Bäifs  daf&r  zu 
substituieren,  weiss  ich  nicht  zu  sagen,  aber  ich  glaube,  wir 
dürfen  es  wagen,  auf  diese  Verwechselung  gestützt,  auch  noch 
einen  andern  vers  durch  einsetzung  von  Hdva  gegen  das  Bälfs 
aller  handschriften  zu  heilen,  nämlich 

niMall  Half 8  galla  —  I>j6t$61fr  H.  606  (M.  66.  F.  133). 

Sachlich  passt  diese  änderung  vollständig,  denn  die  kenning 
Hdva  galii  'der  schaden  O'Sins'  kann  sehr  wol  die  erforder- 
liche bedeutung  'feuer'  haben:  man  braucht  sich  nur  an  die 
in  Grlmnismäl  geschilderte  Situation  O'Sins  zu  erinnern. 

Leicht  heilbar  sind  femer  die  verse 

limsorg  nser  himni  —  Björn  H.  646  0 

\fegnB  gnött  mölregni  —  Einarr  Sk&l.  H.  116 

fallsöl  brivallar  —  Eyvindr  H.  111  (fallsölar  falsch  F.  29) 

fölkrakkr  vann  fylkir  —  Glümr  F.  27  im  text  (A  falsch  fölkrakkar, 

B  desgl.  föUcrakkum) 
ü'lfs  vas  J?at  atJra  —  Sigvatr  OH.  27  >) 
hauklitrs  en  hvita  —  I>orm6t$r  OU.  222. 


*)  Die  heilung  dieser  beiden  verse  verdanke  ich  freundlicher  mit- 
teilung  des  herm  prof.  MObius. 


SKALDENMETRIK.  517 

Man  lese  im  ersten  verse  mit  Fms.  VII,  41  Umsorg  6b  ncer 
himniy  im  zweiten  pegna  (die  kenning  ist  auka  l>undi  pegns 
gnött  'numerum  eivium  Odinis  augere,  caesos  ad  Valhallam 
raittere*  Egilss.  927);  im  dritten  mit  der  Frissbök  (Egilss.  76) 
hräa  vallar ,  im  vierten  mit  H.  110  um  (oder  of)  vann,  im 
fünften  mit  H.  230  iflfs  fetSr  vas  (vgl  die  abweichenden  les- 
arten  Fms.  IV,  69),  im  sechsten  mit  H.  497  hauka  setrs. 

Nur  zwei  verse  bleiben   dann   noch  übrig,  welche  einem 
einfacheren  beilungsversuche  widerstehen: 

veÖr9rr  tvd  knorru  —  Ottarr  H.  234  (OH.  26) 
regndjarfr  tv4  ^egna  —  Refr  H.  491  (OH.  218) 

und  diese  darf  ich  wol  der  fürsorge  einer  geschickteren  band 
überlassen,  ohne  fürchten  zu  müssen,  dass  die  Sicherheit  der 
aufgestellten  regel  unter  diesen  ausnahmen  leide. 


Inhaltsfibersicht. 

Seite 

Einleitung   (Bestimmangen  der  S.  E.    451) 449 

A.  Das  gesetz  der  silbenverschleifung  455 

I.  Auflösungen  der  ersten  silbe. 

A.  Regelmässige  (1.  atSaihending:  nomina  458,  verba, 

adverbia   459;   —    2.   skothending:    nomina, 
verba  460,  adverbia  461) 458 

B.  Seltenere  (zwei  monosyllaba  461,  correption  vor 

vocalen  462) 461 

C.  Ausnahmen 463 

IL  Auflösungen  der  zweiten  silbe. 

A.  Regelmässige     (1.    atSalhending:    verba    finita, 

Partikeln  464;  —  2.  skothending:  verba  finita 

464,  adverbia  und  partikeln  467) 463 

B.  Seltenere  (zwei  monosyllaba  467,  correption  468)  467 

C.  Ausnahmen 468 

III.  Auflösungen   der  beiden  silben   des  ersten 

takte  s 468 

IV.  Auflösungen    im    zweiten   takt     {nema,   etSa, 

httlfsverba  469,  metSal,  me^an,  composita  470)      468 

y.  Auflösungen  im  dritten  takt 470 

üebersichtstabelle  über  I— V 471 


518  SIEVEBS  -  SKALD£NMETEIK. 

B.  Tilgung  überschüssiger  sllben.  g^^^^ 

I.  Elision 473 

II.  Einsetzung  kürzerer  wortformen  (nnd  strei- 

chnngen) 475 

1.  adjectivadverbia  auf  -la  475;  —  2.  die  partikeln  tvM, 
pot,  pvit  477;  —  \S,  praepositionen  und  adverbia  479 
{ept  —  epiir ,  und  —  undir  483,  fyr  —  fyrir  484, 
of  —  yftr  486);  —  4.  verbalformen  487  {hef,  hefk,  he  fr 
487,  emk,  -st,  -s,  -vs,  erum,  erutS,  eru  489);  —  5.  nega- 
tion  {-a,  -at,  -t  495,  eigi  496);  —  6.  die  relativpartikel  €S 
497;  —  7.  das  prononien  ek  501  (gewöhnliches  -/r  501,  bei 
negation  503,  nach  conjnnctionen  504;  fehlen  desselben 
506;  selbständiges  ek  508);  —  8.  das  pronomen  fni  508; 
—  9.  das  pronomen  hann  512;  10.  reste  (suffigierter  ar- 
tikel,  en  etc.)  513. 

C.  Ergänzung  fehlender  süben 5i4 

JENA,  29.  mai  1878.  E.  SIEVERS. 


KLEINE  BEITRÄGE  ZUR  DEUTSCHEN 

GRAMMATIK. 


IV.    Das  nominalsnfflx  tra  im  germanischen. 

in  der  umfassenden  Untersuchung,  welche  H.  Osthoff 
neuerdings  einigen  europäischen  Vertretern  des  Suffixes  ira  ge- 
widmet hat  (s.  desselben  Forschungen  im  gebiete  der  nominalen 
Stammbildung  I.  Jena  1875),  sind  die  germanischen  ausläufer 
dieses  suffixes  nur  mehr  gelegentlich  herangezogen  worden,  da 
es  dem  Verfasser  weniger  auf  einen  tiberblick  des  im  germa- 
nischen erhaltenen  materiales  als  auf  die  anführung  einzelner 
charakteristischer  beispiele  zur  erläuterung  insbesondere  latei- 
nischer formbildungen  ankam.  Aber  auch  in  älteren  werken 
sucht  man  vergeblich  nach  einer  bequemen  Zusammenstellung 
der  einschlagenden  bildungs weisen.  In  J.  Grimms  deutscher 
grammatik  sind  die  ableitungen  von  tra  noch  mit  denen  auf 
-ra,  'la  vermischt ;  erst  der  neudruck  des  zweiten  bandes  bringt 
s.  348  die  aufstellung  einer  ableitungsform  -/>r,  belegt  durch 
smair-pr  und  maür-pr.  Die  erste  Sammlung  etymologisch  klarer 
beispiele  gab  ßopp,  gr.  IIP  199  ff.  (§  817).  Fortgeführt 
wurde  die  Untersuchung  sodann  besonders  durch  Lottner, 
KZ.  XI,  194  f.,  A.  Kuhn,  ebenda  XIV,  215  ff.,  Leo  Meyer, 
got.  spräche  §  275.  289  (enthaltend  eine  aufzählung  der  goti- 
schen belege,  wobei  jedoch  mehreres  zweifelhafte  mit  unter- 
läuft), A.  Bezzenberger,  KZ.  XXII,  276  ff.  und  Osthoff 
a.  a.  0.  und  KZ.  XXIII,  313  ff.  —  Wenn  ich  nun  hier  auf 
grund  dieser  vorarbeiten  an  eine  übersichtliche  Zusammen- 
stellung der  typen  gehe,  in  welchen  das  suffix  tra  und  seine 
ableitungen  im  germanischen  erscheinen,   so  geschieht  das  in 


520  SIEVERS 

der  zweifachen  holiiiung,  dasB  es  einerseits  manchem  leser 
dieser  beitrage  willkommen  sein  werde,  das  bereits  bekannte 
an  Einern  orte  vereinigt  za  finden,  und  dass  es  mir  anderer- 
seits gelingen  werde,  einige  bisher  nicht  beachtete  oder  ab- 
weichend erklärte  typen  als  angehörige  unseres  sufßxes  zu  er- 
weisen. 

A.   Die  r- formen. 

Am  augenfälligsten  geben  sieh  überall  diejenigen  abkömm- 
linge  des  Suffixes  tra  im  germanischen  zu  erkennen,  welche 
das  r  des  suffixes  gewahrt  haben.  Die  durch  die  lautverschie- 
bung  entstandenen  lautgruppen  -pr-  resp.  -ftr-  (nach  Verners 
grsetz),  got.  'pr-  und  -</r-,  ahd.  -dr-  und  -tr-  bieten  keinen 
anlass  zu  ungewöhnlielien  Veränderungen  irgendwelcher  art; 
noch  weniger  natürlich  die  unverschobenen  -tr-  nach  wurzeln, 
die  auf  muta  oder  tonlose  spirans  auslauten  (z.  b.  altn.  aus^fr 
das  schöpfen,  hlas-tr  das  blasen  etc.).  Sobald  also  die  wursel- 
gestalt  feststeht,  welcher  ein  bestimmtes  wort  zugehört,  kann 
hier  auch  über  das  ableitende  suffix  kein  zweifei  sein. 

Die  in  dieser  weise  auftretenden  formen,  in  denen  das 
suffix  tra  erscheint,  sind: 

1)  germ.  -pro-,  nach  betonter  silbe  auf  Sonorlaut, 
got.  altn. -/>r-,  ags. -9r-*),  alts.  -thr-,  -9r-,  dr-,  ahd.  -dr-.  Hier- 
her fallen  folgende  sichere  beispiele: 

germ.  *eprd(ny  ader,  altsw.  aper,  apra  Rydqv.  II,  69  (nor- 
rönes  cep-r.  gen.  rep-ar  liegt  ab),  ags.  f^dre  (mit  unregelniftssi- 


0  Ich  laspo  hier  die  p:anz  willkürliche  scheidnng  fallen,  welche  die 
hcraiisgeber  altn.  und  ags.  texte  auf  ^rund  der  ortbofin^aphie  Bpäter 
handschrifren  zwischen  />  und  tf  zu  machen  ptlcgen;  schreibe  vielmehr 
mit  den  ältesten  handschriften  altn.  nur  /»,  a^s.  nur  ts.  Im  altn.  amfasst 
das  Zeichen  />  natürlich  sowol  die  tonloi>e  als  die  tönende  spirans  der 
interdentalreihe  (urgerm.  />  und  tf,  got.  p  und  (f),  aber  die  Scheidung 
dieser  beiden  lautwerte  darf  gewis  nicht  von  dem  schrei bgebraach  der 
späteren  zeit  abhängig  gemacht  werden.  Im  ags.  dagegen  kann  9,  so- 
wie das  spätere  />,  ursprünglich  nur  die  tonlose  spirans  bezeichnet 
haben,  da  die  entsprechende  t^incnde  spirans  bereits  westgermanlBch  sur 
media  d  geworden  war.  Erst  durch  spätere  'erweichung*  erscheint  im 
ags.  resj).  englischen  auch  wider  ein  tönendes  &  (vgl.  Beitr.  I,  501  ♦♦.  V, 
134*^,  gegen  Sweet,  Pastoral  (;arc4%t!.,  History  of  english  sounda  '6  ff. 


DAS  NOMINALSÜFFIX  TRA.  521 

gern  d),  altK  mra,  ahd.  ädra  Fick  I,  15.  486.   11,  300.   III,  15. 
J.  Schmidt,  Voc.  II,  469. 

germ.  ^  flu-pro-,  "^  flo-pro-^  ahd.  fhidar  rates,  fluodar  fluor 
Graff  III,  754.    Bopp  III  \  202. 

germ.  *  hro-pro-  rubm,   an.  hrdpr^  ags.  hrobor,  KZ.  VIII, 

61.  XIV,  295.    Fiek  III,  85. 

germ.  *  rö-pro-  rüder,  ags.  r6bor,  ahd,  ruodar,  vgl.  an.  rdpr 
das  rudern ;  Bopp  III  \  202.  KZ.  II,  478.  III,  353.  VIII,  267. 
XI,  195.  XX,  139.  XXIII,  119.  Curtius*  345.  Fiek  I,  21. 
495.  II,  304.  III,  22.  259.  J.  Schmidt,  Voc.  II,  455.  —  Hier- 
nach ist  auch  anzusetzen 

germ.  * ^ro-pro-  wuchs,  an.  gröpr^  bezüglich  dessen  das 
an.  p  allein  nicht  über  die  suffixform  entscheidet. 

germ.  *md'pro-]  ^hd.muodar  mieder,  Fick  I,  705. 

germ.  ^hleu-pro-  sonitus,  ags.  hledbor,  alid.  hliodar  Fick  I, 

62.  553.     II,  338.    III,  89.    KZ.  XXIII,  119. 

germ.  *  lau-pro-,  an.  laupr  seife,  schäum,  ags.  ledSor  nitrum 
Lye.  KZ.  XX,  13. 

germ.  ^hU-prö-j  got  hleipra  hütte,  Bopp  IIP  203.  KZ. 
VII,  128.    Gurtius  *  150.    J.  Schmidt,  Voc.  II,  252. 

germ.  ^ha-pro-  lumpen,  ahd.  hadara  Graflf  IV,  812.  Fick 
I,  518. 

germ.  *ber'pro-  geburt,  im  ags.  hyse-beorSor  Puerperium, 
Fick  I,  093. 

germ.  ^her-pro-  eingeweide,  got  halrpra  pL,  ahd.  herdar 
Pa.  gl.  K.  I,  170,  8  (der  ahd.  glossen  von  Steinmeyer  und 
Sievers).    Fick  III,  68. 

germ.  *mor-pror  mord,  got.  maürpr,  ags.  mortfor,  vgl.  ahd. 
murdreo  mörder,  murdren  morden,  gramm.  IP,  348.  KZ.  XI, 
195.     XIV,  311.    Fick  I,  172.  716.    Curtius*  333. 

germ.  *kwar-pro-  heerde;  ags.  cortior,  ahd.  chortar  mit 
abweichendem  f,    Fick  I,  73.  566.     II,  347. 

germ.  *  smer-pro  schmeer,  got,  smairpr,  gramm.  IP,  348. 
Fick  II,  502.     III,  356. 

germ.  ^sper-pro-  ^das  spornen*,  in  s,\\A,  spirdren  niti,  Graff 
VI,  363,  vgl.  Fick  I,  631   f. 

germ.  *wtil-pro-  rühm,  got.  vulpr  Gal.  2,  6  (neben  häufi- 
gerem 'mlpHs  =^  an.  ullr),   ags.  wuldor,  ahd.  rvoldar,  wültar  in 


522  SlEVEßS 

eigeunainen,  Graff  I^  54S.  Förstemann,  namenbuch  I,  1338  f. 
liopp  IIP-,  202.     KZ.  I,  154.    III,  354. 

Zweifelhaft  wegen  des  wurzelauslautes  sind  nur  ahd. 
querdar  esca,  alts.  querthar  lyehnuH  gL  Prud.  33  (eigentlich 
Lockspeise*,  zu  got  qairru^'i)^  ahd.  mardar  marder  (verhält 
sich  zu  an.  morpr,  ags.  mcarti  wie  got.  vulpr  zu  vulpus^  vgl. 
KZ.  VII,  18i»),  ahd.  skerdar  neben  skerdo  cardo  GraffVI,  543. 
Fick  I,  810;  ferner  au.  hrüpr  'a  crust,  scab  on  a  sore',  vgl. 
ahd.  hrüda  räude  Graff  II,  490;  und  an.  lüpr  trompete  (zu 
Ijdp,  ahd.  //Od/?;  an.  lepr,  ags.  leSer,  ahd,  ledar  leder,  Fick 
III,  278 ;  ahd.  /ledar-  in  fledar-müs.  Hier  könnte  überall  Buffix 
ra  vorliegen,  wie  z.  b.  im  germ.  *feprd  feder,  an.  /jgprj  ags. 
feber,  as.  /-ethara,  ahd.  fedara  KZ.  XVI,  55.  XVIII,  2S.  XXUI, 
119.  Fick  I,  134.  059.  II,  399.  Curtius*  210.  699.  Osthoff, 
Forsch.  I,  179.  Wahrscheinlich  hierher  aber  fallen  noch  an. 
arpr  'das  pflügen'  KZ.  VIl,  22.  XI,  195.  XX,  138.  Fick  I, 
496.  II,  306.  III,  24.  Curtius*  344.  J.  Schmidt,  Voc  II, 
145  (vgl.  oben  an.  gröpr,  hrdpr,  ropr)  und  an.  flypra  flunder 
KZ.  II,  50,  bei  denen  formell  nicht  sicher  zu  entscheiden  ist, 
ob  urgerm.  suffix  -pro-  oder  -Sro-  anzusetzen  ist.  —  Dagegen 
enthält  as.  luthara  gl.  Prud.  356,  ahd.  ludara  cunabulum  wol 
sccundiirsuffix  ra  (zu  Inda,  loda  loden,  Fick  III,  273). 

£s  fällt  auf,  dass  mit  öincr  ausnähme  nur  vocalisch  oder 
auf  r  ausgehende  wurzeln  mit  der  suflSxform  -pro-  verbunden 
erscheinen ;  und  in  dieser  ausnähme  selbst  (yulpr  :  ags.  tvuldor) 
besteht  ein  schwanken  zwischen  p  und  d.  Es  ist  darnach 
zweifelhaft,  ob  nicht  auch  consonantische  einflltsso  unabhängig 
vom  accent  die  Überführung  von  p  in  b  resp.  d  veranlasst 
haben  können.  Dieses  vorausgesetzt,  würde  eine  reihe  der 
alsbald  unter  2)  anzuführenden  formen  eventuell  unter  1)  sa 
stellen  sein, 

2)  germ.  -bro-,  nach  unbetonter  silbe  auf  sonor- 
laut,  got.  -dr-,  an.  -dr-  {'pr-)j  ags.  alts.  -dr-,  ahd.  -/r-,  Hier- 
lier  gehören: 

germ.  *  ble-broiii)-  blatter,  an.  blapra,  ags.  blcedre,  as.  blädra 
gl.  Prud.  308,  ahd.  bläira,  KZ.  VIII,  256.  XIV,  219.  Fick 
III,  219.    Curtius*  301. 

germ.  7}edrd{n)-,  an.  fiapr,  ags.  n^dre,  as.  nädra,  ahd.  ndtra 
Fick  I,  643.    III,  156. 


DAS  N0MINAL8ÜFFIX  TRA.  523 

germ.  * ß-bro-  futter,  scheide,  ao.  fdpr  (modern),  agg, 
föt5or,  ahd.  fuotar  =  skr.  patra  gefäss ,  Bopp  III  ^,  202.  KZ. 
XIV,  W6.  221.  Das  gleichlautende  wort  für  pdbulum  wird 
von  einigen  als  mit  suffix  -ra-  aus  einer  wurzelform  "^pa-i, 
germ.  */8Ö-  (vgl.  got.  /8e(;*an  etc.)  gebildet  angesehen,  s.  OsthoflF, 
Forschungen  I,  146  f. 

germ.  "^hn-brö-  sieb,  ags.  hrider,  ahd.  hritra,  KZ.  XIV, 
216  f.    J.  Schmidt,  Voc.  II,  459,  vgl.  366.  371. 

germ.  *  hiai-tSro-  leiter,  ag&.  M^der,  ahd.  Meitra  Bopp  IIP, 
203.    Fick  I,  62.    J.  Schmidt,  Voc.  II,  251. 

germ.  ^tve-bro"  wetter,  an.  vepr,  ags.  rveber ,  as.  uuedar, 
ahd.  uuetar  Bopp  IIP,  201.  KZ.  XI,  195.  XVI,  267.  XVII, 
17.    XXIII,  99.     Fick  II,  474.     III,  307. 

germ.  *  cU-Öro-  alter,  an.  aldr,  ags,  eaidor,  as.  aldar,  ahd. 
altar  Fick  III,  27. 

germ.  *gal'bro-  zaubergesang,  an.  gaidr,  ags.  gealdor,  KZ. 
XI,  195.  XXIII,  315;  ähnlich  an.  hjaldr  lärm,  zu  kjala,  Vig- 
füsson  265  b. 

germ.  *mal-ÖrO'  malter,  as.  maldar,  ahd.  malter  Graflf  II, 
737.    Mhd.  wb.  H,  1,  29. 

germ.  *m6l't5rd'  mulde?,  ahd.  muoltra,  m\\d.muolter,  Grafif 
II,  727.    Mhd.  wb.  II,  1,  232  f.    Schade  wb.2  628. 

germ.  *fi/b!-brd'  Schmetterling,  an.  verstümmelt  ßfrildi, 
fiSrildi,  ahd.  /ifolira  KZ.  XVII,  32.  XXIII,  380.    Fick  III,  182. 

germ.  * spaikol-brö-,  as.  spScaldra  gl.  Prud.  632,  ahd. 
speicholtra  Graflf  VII,  365.  gramm.  IP,  315.  Wie  sich  hierzu 
neben  ahd.  speichilla  das  got.  spaiskuldr  stellt,,  vermag  ich 
nicht  sicher  anzugeben.  Mit  Leo  Meyer,  Got.  spräche  299  an 
composition  zu  denken,  halte  ich  nicht  für  richtig. 

Hier  sind  ferner  ohne  zweifei  anzuschliessen  die  germani- 
schen baumnamen  auf  -dr-,  -tr-,  die  nach  dem  vorgange 
von  gramm.  II,  332.  530  gewöhnlich  als  verstümmelte  compo- 
sita  mit  triu  bäum  gefasst  werden.  Es  sind  dies  (s.  Grimm 
a.  a.  0.)  an.  apaldr,  ags.  apuldre,  ahd.  affoUra  apfelbaum  (KZ. 
XI,  197.  Fick  III,  18),  ags.  mapuldre  acer,  ahd.  mazoltra  desgl., 
ahd.  uuehhoUra  juniperns,  hiofeltra  tribus  und  as.  holondar  gl. 
Prud.  126,  ahd.  holuntar  sambucus.  Von  einer  composition 
mit  st.  trewo'  kann  schon  wegen  des  d^  wie  man  sieht,  keine 
rede  bciu   (was  Lottner,  KZ.  XI,  197   zur  erklärung   anführt 


524  SIEVERS 

ist  hinföllig).  Auf  dem  richtigen  wege  zur  erkiftrung  war  Graff 
I,  174  f.,  der,  zwar  selbst  noch  der  annähme  einer  composition 
huldigend,  doch  über  ahd.  affolira  bemerkt;  'auffallend  bleibt 
aber  die  nochmalige  Zusammensetzung  mit  bäum  in  affalter- 
baum,  sowie  die  bedeutung  des  adjectivs  aphultirin  .  .  . 
Eine  ähnliche  endung  erscheint  auch  in  speihhaltra  Spu- 
tum^ bei  welcher  an  treo  nicht  zu  denken  ist'.  Das  ge- 
meinsame aller  dieser  bildungen  ist  offenbar  antritt  des  Suf- 
fixes ira  an  einen  stamm  auf  /a,  das,  in  unbetonter  silbe  sein 
a  verlierend,  bereits  gemeingermanisch  durch  /  sonans  hindurch 
sich  zu  ul,  Ol  entwickelt  hatte. i)  So  steht  an.  apdldr  zu  st 
aplo-,  ags.  mapuldre  zu  st  maplo-  (engl,  maple),  ist  ebenso  wie 
speicholtra  zu  einem  stamme  spai-klo-  (vgl.  got.  aina-kla  /isiiO' 
va)fiiv7j  1.  Tim.  5,  5).  Die  entwicklung  ist  *  opte-Örrf-,  apl-tfrö, 
*dpul-SrO'  u.  s.  w.  Die  bedeutungsentwicklung  ist  etwa  wie 
bei  candelabrum  Michtträger',  so  *  apulSro-  'apfeltrftger'  u.  s.  f. 
—  Bei  holundar  haben  wir  natürlich  einen  entsprechenden 
stamm  auf  -na-  anzusetzen. 

An  zweifelhaften  formen  führe  ich  noch  an:  an.  japarr^  ags. 
eodor^  as.  edar,  ahd.  eiar  KZ.  IX,  73.  Fick  III,  37;  ^otsaldra 
spott,  L.  Meyer,  got.  spr.  299;  ahd.  fultar  Graff  III,  517;  ags. 
sculdre,  ahd.  sculfra  schulter,  KZ.  VIII,  399.  XI,  200;  ahd. 
zeotar  dcichsel,  Graff  V,  640;  an.  undr,  ags.  wundor,  ahd.  uim/OTi 
Bopp  IIP,  202;  an.  haldr,  ags.  bealdor.  Nicht  zu  suffix  tra 
gehören  got.  *mu7idrs  in  mundrei,  ahd.  muntctr,  vgl  Fick  I, 
180.  Curtius  ^312  gegen  L.  Meyer  got.  spr.  299.  Zu  ahd. 
shitar  vergleicht  Schade  wb.  767  ksl.  ^f^ra  Xdxiöfjuxy  O-gofißag. 
Auch  ahd.  zantro  und  zuntra  zu  zünden  sind  natürlich  auszu- 
schliessen.    Ahd.  zatre,  zature  meretrix   stellt  sich  wol  zu  an. 


^)  Dies  folgt  aus  den  ags.  formen  apuldre,  mapuldre,  für  welche 
man  sonst  *(sppeldre  etc.  hätte  erwarten  müssen,  wäre  die  n&chBtvor- 
ausgehcnde  form  noch  *aplatfro  gewesen.  Ahd.  ist  affolira  die  einzige 
lantgesetzlich  entwickelte  form,  apfoltra  mit  pf  ist  erst  unter  dem  ein- 
fluss  von  apfol  ans  *  aplo-  entstanden ,  bei  welchem  das  p  vor  /  natür- 
lich westgerm.  gemination  erfahren  mnste.  —  Es  ist  übrigens  nicht  not- 
wendig, für  alle  diese  banmnamen  einfachere  stamme  auf  -la-  vorauB- 
zusetzen:  die  cxistenz  einzelner  alter  formen  wie  *  apultfro-  genttgte 
völlig,  um  eine  reihe  analoger  neubildungen  (durch  falsche  suffixabtren- 
nung)  hervorzurufen. 


DAS  NOMIMALSIJFFIX  TRA.  525 

toturr  lumpen,  totrugr  zerlumpt  Ueber  ahd,  lotar  vgl.  Bechtel, 
Haupts  zs.  XXI,  215  (gegen  Gurtius^  365).  Ganz  fern  liegt 
natürlich  auch  an.  heipr,  ags.  hädor  =  skr.  cetas. 

3)  germ.  -tro-  nach  indog.  verschlusslaut  oder  s. 
Hierher  gehören: 

germ.  *half'trd'  halfter,  ags.  hcelftre,  ahd.  hcUftra  GraflF 
IV,  925.    Schade  366.    KZ.  I,  39. 

germ.  ^kUf-irb-  klafter,  ahd.  kUftra,  Fick  II,  352. 

germ.  '^hwilf-triö-,  got.  hvilftrjds  pl.  öoqoI\  Fick  I,  543. 
n,  333. 

germ.  *hlah'trO'  gelächter,  an.  hldir,  ags.  hleähtor,  ahd. 
hlahtar  KZ.  XI,  195.  XIV,  292.  Fick  I,  42.  540.  II,  331. 
III,  87. 

germ.  *  lah-iro-  lager  (zu  got  ligan)^  an.  lätr^  Fick  I,  749. 
II,  450.     III,  262. 

germ.  *  lah-tro-  tadel  (zu  as.  lahan)^  ags  kahior,  KZ. 
VIII,  253. 

germ.  *leh-trO'  matrix,  secundae,  B,hd.lehtar  Graffll,  162. 

germ.  *  meih-tro-  in  ahd.  chü-melhtra  multra,  GraflF  II,  722 
=  Docen  Mise.  I,  206  b. 

germ.  *  slah-irO'  das  schlagen,  B,Ji.sldir,  engl,  slaughter  KZ. 
XI,  195.    Fick  m,  358. 

germ.  *blds-irO'  Opfer,  got  *bldstr  in  gupbldstreis ,  an. 
hlöstr,  ahd.  hluostar,  KZ.  XI,  195.    XXIU,  315.    Fick  III,  223. 

germ.  *fds'tro'  nahrung,  an.  /dsir^  ags.  fdstor  (lehnwort?) 
KZ.  XI,  195.    XIV,  221.    XXIII,  315.    Fick  II,  398. 

germ.  ^reus-iro-  pflugschar,  ahd.  riostar  GraflF  H,  553,  zu 
ahd.  riutjan  reuten,  GraflF  II,  489,  s.  Schade  wb.^  717. 

germ.  *gels-irO'  opfer,  got  gilstr,  ahd.  gelstar,  KZ.  XI, 
195.    XXIU,  315  f.    Fick  II,  358.    III,  105. 

germ.  *aus'ir(h  das  schöpfen,  au.  ou^/r,  KZ.  III,  171.  450. 
Fick  II,  293.    UI,  8. 

germ.  *bles'irO'  das  blasen,  an.  bldstr,  KZ.  XXIII,  315. 
J.  Schmidt,  Voc.  II,  472. 

germ.  *les'trO'  das  lesen,  an.  lestr. 

germ.  * hwes-tro-'i  das  zischen,  in  ags.  hwäsirian,  hrv^siran 
murmurare  Lye,  vgl.  an.  hvcesa  'to  hiss',  KZ.  XV,  318. 

Während  flir  die  vier  letztgenannten  werte  ihre  bedeutung 
das  Suffix  tra  einigermassen  sicher  stellt   (sie  sind  sSmmtlich 


526  SIEVEBS 

verbalsubstantiva  wie  grdpr,  arpr  etc.),  ist  yielmehr  suflKx  ra 
anzusetzen  iu  folgenden  Wörtern: 

irenn.  ^aus-t-rd-  'ostern',  an,  austr,  ags,  edstoTy  ag.  abd. 
dstra,  vgl.  lit.  auszra  morgonröto  und  verwantes  (lat  ausler, 
deutsch  östar  'osten'  Bind  wol  fern  zu  halten) ,  KZ.  III,  171. 
450.     Fick  II,  293.     III,  8.     Curtius*  402. 

i^erni.  ^pins-t-ro-  dunkel,  ags.  pedstre,  preöstre,  a«.  (hiusiri, 
ühd,  finsiar,  KZ.  XI,  166.  XIII,  311.  XV,  239.  XIX,  80 
[Fick  I,  90.    594.    II,  368.   371],    J.  Schmidt,  Voc.  I,  168. 

Das  gleiche  gilt  auch  wol  von  ahd.  fledar-müs-t-ro  vesper- 
tilio  Gratf  II,  873,  und  ahd.  ustri  industria,  Fick  I,  512.  III, 
35,  abgeleitet  von  dem  adjectivum  ustar  gierig,  guloBus,  Graff 
I,  500,  aus  *?/5-rö-;  vgl.  us-ii-ndn  Graff  I,  500.  (Die  Zweifel, 
welche  Bechtel,  Haupt  XXI,  225*  gegen  den  deutBchen  Ur- 
sprung des  Wortes  erhebt,  erledigen  sich  durch  den  hinweis 
auf  das  betreffende  a(\jectiv.) 

In  allen  diesen  fällen  muste  t  eingeschoben  werden,  da 
das  germanische  bekanntlich  die  lautgruppe  9r  nicht  duldet 
{s't-raum  zu  indog.  ^srau-ma  zu  sru,  got  svis-t-rs  aus  europ. 
*sves'rds  u.  dgl.j. 

4)  germ.  -s-tro  mit  einschiebung  eines  s.  Hierüber  han- 
delt ausführlich  Osthoff,  KZ.  XXIII,  313  ff.    Ich  fllhre  an: 

an.  hak'S-tr  das  backen,  KZ.  XXUI,  315.    Fick  III,  197. 

an.  blum-s-fr  blume. 

an.  hdl'S-tr,  ags.  bolster,  ahd.  boUstar  poIster,  Fick  III,  209. 

ahd.  gal'S'iar  zaubergesang,  KZ.  XXIII,  315.  Fick  I1I| 
104;    vgl.  oben  galdr  s.  523. 

ags.  geol'S'tor  sanies  Lye,  gillestre,  giliester  pituita  Lye, 
vgl.  uiscum  quod  est  rhiblood  siue  gillistr  gl.  Marb.,  rindbiood 
siue  biilistr  gl.  Erf.  bei  Haupt  III,  122,  pituita  giUistrae  gL 
Epinal.  678  (Mone,  Anz.  VII,  148);  auch  ahd.  gils  cerebrum 
Graff  VI,  197. 

ags.  heol'S'tor  versteck,  KZ.  XXIII,  316. 

got.  huli'Str  versteck,  an.  hulstr  KZ.  VIII,  253.  XI,  195. 
XVI,  197.    XXII,  266  f.     XXUI,  315. 

as.  ahd.  la-^-tar  tadel,  für  *lah'S'tra'  zu  lahan  (vgL  ahd. 
mist  zu  got.  inaihstuSj  abd.  uuastum  zu  tmahsa^i)^  KZ.  VIII,  253 
|Fick  I,  747.    II,  453.    HI,  267 1. 

an.  lem-s-tr  das  lähmen,  KZ.  XXIII,  316. 


DAS  NOMINALSÜFFIX  TRA,  527 

an.  rak'S'tr  das  vertreiben,  ib. 

ahd.  gana-S'tra  (voc.  S.  Galli),  ganei-s-ira,  granim.  IP, 
351.    KZ.  XXI,  1.     Fick  II,  329.    III,  80. 

an.  i-s-tra  fett,  altpreuss.  instran,  KZ.  XIX,  355  (aus  *ih- 
S'trd'U'  für  *  inh'S'trdn-  zu  w.  anj  salben). 

got.  avi'S-tr  schafstall  (ags.  edtvestre  KZ.  XXII,  276  flf. 
Fick  I,  502.  II,  309.  Curtius  *54.  90.  393)  und  ^navi-s-tr 
^grab'  in  ganavistron  begraben  (KZ.  XXII,  276  fif.)  will  Osthoflf 
KZ.  XXIII,  316  als  Verkürzungen  aus  *avi'Vis-tr  und  *navi' 
vis-ir  fassen.    Sie  gehörten  dann  zur  vorigen  abteilung. 


Zu  diesen  r-bildungen  des  suffixes  tra  stellen  sich,  abge- 
sehen von  den  got.  adverbialbildungen  auf  -pro,  -dre  und  verwan- 
ten,  die  ich  hier  übergehe,  formell  am  nächsten  die  ableituugeu 
von  den  nominibus  agentis  auf  -tar,  welche  abgesehen  von 
den  verwantschaftsnamen ,  ihr  femininum  auf  -irla-,  nom.  -irt 
bilden.  Im  germanischen  ist  diese  gruppe  sehr  zusammen- 
geschmolzen. Nur  die  verwantschaftsnamen  sind  unverändert 
geblieben.  Die  übrigen  sind  durchaus  zur  schwachen  declina- 
tion  übergetreten.  Fürs  masculinum  haben  wir  zudem  nur 
noch  mit  eingeschobenem  s  ahd.  hamastro,  as.  hamstra  hamster 
^der  Schädiger,  fresser'  (vgl.  got.  hamfs,  ahd.  ham-al  und  ab- 
leltuugcn  Graflf  IV,  945;  andere  bedeutungsentwicklung  setzt 
J.  Grimm  zweifelnd  an  2  GDS.  I  ^  337)  \  flirs  femininum  ahd. 
ägalastra,  as.  ägaslria  (für  ägalsiria)  pica,  KZ.  XVI,  45  f., 
und  wol  auch  ramesdra  lupina  (pflanzenname,  Diut.  III; 
244  aus  dem  Summ.  Hoiurici,  vgl.  gramm.  11*^,  350)-,  ausser- 
dem aber  eine  grosse  anzahl  weiblicher  uomina  agentis  auf 
ags.  -estre^  nnl.  -ster,  s.  gramm.  IP,  128  f. 

B.    Die  /-formen. 

Von  den  /-formen  des  suffixes /ra  und  seiner  ableitungen 
sind  bisher  weit  weniger  erkannt  und  besprochen  worden,  als 
von  den  entsprechenden  r- formen.  Der  grund  hierfür  liegt 
deutlich  in  dem  umstände,  dass  nur  einige  solche  formen  sich 


»)  Gehört  hierher  auch  as.  do-dro,  ahd.  io-ioro  dotter? 


528  SIEVEKS 

durchaus  rein  erhalten  haben.  In  vielen  ßlllen  hat  nAmlichy 
und  gerade  in  denjenigen  sprachen,  welche  die  meisten  bei- 
spiele  uns  aufbewahrt  haben ,  die  lautgruppe  -/>/-  resp.  -d/- 
eine  Veränderung  erfahren  ^  welche  die  Zusammengehörigkeit 
ganzer  formreihen  nicht  sofort  mehr  erkennen  lässt  Es  wird 
sich  dies  alsbald  aus  einer  aufzühlung  der  einzelnen  fälle  er- 
geben. 

I.    Unveränderte  formen.' 

1)  germ.  -plo-  nach  betonter  silbe  auf  sonorlaat 
erhalten,  got.  -/>/-,  an.  -[ä]/-,  ags.  -pl-,  -dl-,  as.  'thl-,  -d/-, 
-hl-,  ahd.  -dl-,  -hl-.     Beispiele: 

germ.  *7ie-pld'  nadel,  got.  nepla,  an.  710 1  {^r*nghltij  ags, 
7i(jedl,  as.  näthla  (gl.  Prud.  404),  ahd.  tiädla  {mlda  Tat.  etc.) 
Bopp  IIP,  203  KZ.  VIII,  260.  XI,  195.  Fiek  II,  392. 
III,  156. 

germ.  *  ma-plo-  rede,  got  mapl  ayoQcc,  an.  mdl  (Wv  ^ma-hh-j 
ags.  nuet^l,  as.  ahd.  mahal,  in  composition  ahd.  madai-  gramm. 
112  95.  KZ.  XIV,  220.  XXIIl,  119.  Fiek  I,  166.  713. 
HI,  229. 

germ.  *sta-plo-,  an.  stdl  (bei  Vigfüsson  confundiert  mit 
sidl  acies),  ags.  siabol  fundamentum,  ahd.  slatlal  stadel  Oraff 
VI,  653.  KZ.  XIV,  220.  Fiek  III,  340.  (Dazu  Bhd.  stedii 
fundamentum,  acc.  pl.  stedila  Is.  3,  4  W.?) 

germ.  *  sto-plo-,  ahd.  -siuodal  fundamentum,  Graff  VI,  653  f. 

germ.  *  stu-plio-  in  as.  tan-stuthlia  pectine  gL  Prud.  373 
(oder  ist  *  stup-lio  abzuteilen,  vgl.  an.  stop  a  post,  stypja  stützen, 
stut5-ill  stütze  ?)  0 

germ.  *  wa-plo-  wedel,  ahd.  uuadal  flabellum,  Graff  I,  622. 
Das  gleichlautende  uuadal  penuria,  ags.  woedl  f.  desgl.,  wesdla 
pauper,  zu  dem  Graff  VI,  776  auch  ags.  watiol  vagabuuduB 
vergleicht,  liegt  jedenfalls  fern. 

germ.  *  haimö-plo-  heimat,  in  got  haimöplja  u.  pl.  dyQol, 
nach  Grimm,  gr.  II,  100  gewöhnlich  als  compositum  mit  *6pl 
=  ahd.  tiodal  gefasst,  richtig  als  ableitung  von  *haomo^  er- 
kannt von  Leo  Meyer  KZ.  VII,   285.    Got  spr.  317.    Hierzu 


*)  An  slubill  steht  zu  *slu-plo-  ähnlich  wie  das  oben  angaflihrle 
ahd.  wedil  zu  *  wa-plo-. 


DAS  NOMINALSÜFFIX  TRA.  529 

an.  heimold  {heimill) ,  heimoll  (heimill)  nebst  ableitungen,   Vig- 
füsson  250  f.   (vgl.  Beiträge  V,  68). 

2)  germ.  -blo-  nach  unbetonter  silbe  auf  sonor- 
laut,  an.  'Id-,  as.  -dl-,  ags.  -tl-,  -Id-,  ahd.  -//-. 

germ.  *  bo-blo-  wohnung,  as.  bodlds  pl.,  ahd.  Botal-unc 
Förstemann  namenb.  I,  290;  ags.  botl  mit  Verhärtung  (wie  in 
botm  zu  ahd.  bodam)  oder  bold  mit  metathese;  KZ.  XX,  138. 
Tidskr.  for  phil.  VIII,  291. 

germ.  spai-tHo-  Speichel,  ags.  späil  mit  Verhärtung. 

germ.  se-blo-  sieb,  am  besten  erhalten  in  karelisch  siekla, 
an.  Said  für  *W&/,  Bugge  KZ.  XX,  139  f. 

3)  germ.  -tlo-  nach  geräuschlaut  ist,  so  weit  ich  sehe, 
nur  in  Einern  sichern  beispiele  erhalten,  nämlich  got  hvöftuü, 
stamm  *hv6f'tlid-,  über  dessen  form  ich  einstweilen  auf  Beitr. 
V,  8.  150  anm.  2  verweise,  üeber  an.  basil  turmoil,  bustl 
bustle  und  dtcstl  desgl.  (Vigfüsson  hat  nur  ein  verbum  dusla 
to  bustle)  vermag  ich  keine  sichere  aufklärung  zu  geben. 
Ags.  bristl  KZ.  XI,  379  gehört  zu  ags.  byrst  börste,  ags.  Örostle 
neben  brösle  (KZ.  IV,  177)  hat  eingeschobenes  t. 

II.    Veränderte  formen. 

1)    an.  ags.  -W-. 

Bereits  unter  I.  haben  wir  für  das  an.  und  ags.  die  nei- 
gung  feststellen  können,  die  gruppe  dl  in  Id  umzuwandeln. 
So  steht  ags.  bold  für  ''bodl,  an.  sdld  für  *sdbl]  analog  ist 
die  Umsetzung  von  -pl-  in  -Ip-,  d.  h.  //,  in  an.  heimoll  zu  got 
heimöpli  (die  obliquen  casus  vereinfachen  das  //  in  unbetonter 
silbe),  dem  gegenüber  heimold  wol  auf  eine  form  mit  germ.  -Ö/- 
zurückweist.  Es  stimmt  dies  gut  zu  der  sonstigen  neigung 
dieser  sprachen,  Umstellungen  von  lautgruppen  eintreten  zu 
lassen,  deren  zweites  glied  ein  Sonorlaut  ist;  man  vergleiche 
namentlich  die  bekannte  Umgestaltung  des  Suffixes  -slio-j  nom. 
-sli  zu  -Isi,  gramm.  IP,  317  ff.  und  das  unten  nochmals  zu 
erwähnende  an.  innylfi,  ags.  innilfe  neben  an.  innyflL  Wir 
werden  hiernach  berechtigt  sein,  ags.  und  an.  ableitendes  -Id- 
überhaupt  als  Umstellung  von  dl  zu  fassen,  da  eine  suffixgruppe 
-al'ta-  oder  -al-dha-  sich  schwerlich  wird  wahrscheinlich 
machen  lassen.  —  Hierher  gehören  dann: 

Beitrüge  sur  geticbicbtc  der  deutfchen  spraobe.     V.  ^4 


530  SIEVERS 

germ.  *fari-tilo  weg,  ags.  fosreld  nebst  infcereld,  iUfmreld^ 
8.  Lye  8.  vv.  Grein  I,  271 ;  au.  mit  a  in  ursprünglicher  penul- 
tima  farald  n.  a  journey  (daneben  faraldr  m.  und  farald  n. 
pestileuce,  f^.  Vigfüssou  8.  vv.;  gr.  11*^,  316,  wo  das  wort  als 
compositum  gcfasst  wird,  gibt  nur  das  m.  an). 

germ.  ^hafi-blo-,  ags.  hefeid  lieiuni  (Lye  und  Steinmeyer- 
Sie  vers,  alid.  glossen  I,  382,  anni.  15),  an.  hafald  Hhe  perpen- 
dicular  thrums  tliat  hold  the  reft*. 

germ.  *lafi'blO'  ebene  im  ags.  adjectivum  Icefelde  eben, 
engl,  kvel,  vgl.  got.  löfa,  an.  löfi  flache  liand,  ahd.  Ic^a  palma, 
palmula  Graff*  II,  205.  Das  wort  ist  nur  einmal  bei  Lye  aus 
einer  hs.  Aelfricscber  glossen  belegt;  Icefeldre  f<et  erscheint 
dort  als  glosse  zu  planum  iias ,  patinum,  paropsis,  caümis. 
Gramm.  II  ^,  316  wird  kefeldre  als  noniinativ  eines  adjeetivs 
im  positiv  gefasst;  richtiger  bemerkt  EttmüUer,  Lex.  anglosax. 
71  Ucefeldre  .  .  .,  quod  aut  gen.  dat.  fem.  aut  comparativus 
esse  vidctur'.  Das  letztere  ist  ohne  zweifei  das  einzig  mög- 
liche. Nach  Ettmüller  setzt  auch  Leo  216,  31.  655,  53  einen 
nominativ  Icefeld  an,  man  wird  aber  eher  als  y^-stamm  Icefelde 
schreiben  nulsscn,  das  sich  zu  dem  vorausgesetzten  *l€efeld  = 
*  la/itSlo-  ebenso  verhält  wie  ags.  infcerelde  (pl.  infcereldu  pe- 
netralia  Lye)   zu  fcereld. 

germ.  * presko-tülo-  schwelle,  an.  preskoldr,  ags.  tfrescoM, 
berscold  gr.  11,  232.  KZ.  XXIII,  381.  Fick  III,  341.  Das 
misA  erstandene  wort  ist  in  verschiedener  weise  volksetymolo- 
gisch umgestaltet  worden,  so  an.  preskjgldr,  neuisL  prepsl^öldr, 
ags.  Öerscwold,  berscwald  etc. 

An  an.  farald,  hafald  schliessen  sich  noch  mehrere  an. 
neutra  ^nf-ald,  welche  granim.  II  ^,  316  und  Vigfüsson  XXXIII* 
aufgezählt  werden:  gimald  Öffnung  (modern  neben ^i-ma) ;  kafald 
a  thick  fall  of  snow,  \'^\,  kafa  to  dive,  swim  under  watcr; 
rekald  wreck,  a  thiug  drifted  ashore,  zu  reka\  von  uomiuibus 
abgeleitet  kerald  gefäss,  folald  füllen.  Hierher  auch  wol  eiskgld 
und  eiskolär  herz  (Egilsson  128),  vj;l.  eiskra  fremere. 

Von  ähnlichen  neutris  auf  -ald ,  welche  als  abstracta  zu- 
nächst zu  adjectivis  aufzufassen  sind,  sind  dann  die  zahlreichen 
sithwachen  masculina  auf  -aldi  abgeleitet,  die  meist  als  Spott- 
namen gebraucht,  werden,  wie  digr-aldi,  glopaldi,  pwnbaldi  eto, 
s.  gram  in.  11'^,  316;  und  diesen  stehen  endlich  moderne  abRtraot- 


DAS  N0MINAL8ÜFFIX  TRA,  631 

bilduQgen  auf  -ildi  n.  zur  seite:  punnildi  the  thin  edge  of  a 
cut-ui)  codüsh,  pykkildi  a  lump,  tliickuess,  kuglldi  a  toagh  sub- 
stance,  zu  den  adjectivis  punnr,  pykkr,  kügr.  Dieselbe  enduug 
zei^t  auch  fifrddl  (modern  fibrildi  mit  aulelinung  an  fiiiri,  8. 
Vigiüsson  ö.  V.  gegen  gramm.  11*^,  3 IG),  das  aber  au»  */lfildri 
entstellt  ibt  (s.  oben  ^'.  523);  für  skripildi  monstrum,  gramm.  IP, 
316,   kennt  Vigfüsson  nur  die  form  skripindL 

2)    Ahd.  'ß,  'fili  und  verwantes. 

Die  wenigen  ahd.  Wörter  auf  -fli,  -fili  bilden  schon  lauge 
eine  crux  der  erklären  Es  sind  driscufli  schwelle  (nebenformen 
driscufili  und  driscubili,  Graff  V,  260,  Schmeller  P,  570); 
mndvili  einge weide  (nebenformen  'mnuouili,  inniuoli,  innupli, 
Graif  1,  298  f.)  und  zweifelhaftes  mtöftli  spatium  (Haupt  X, 
370  =  XVI,  32  (Graff  1,71.  771,  nebenform  mtuobili).  Dem 
zweiten  dieser  worte  steht  an.  innyfliy  innylfi,  ags.  innelfe,  m- 
nilfe  (Lye  und  Ettmüller  8)  zur  seite.  Das  nordische  weist 
ausserdem  noch  daupy/U  'a  careaise,  lifeles»  thing*  auf;  mit 
diesem  ist  widerum  das  got.  adjectiv  daupubleis  hotid-avaxioq 
aufs  nächste  verwant.  Diese  Wörter  sind  schon  gr.  IP,  178. 
111 7  431  Hämmtlich  zusammengestellt,  am  letzteren  orte  ist 
auch  bereits  richtig  für  den  Charakter  der  enduug  -uofili  als 
blosser  ableitungsendung  entschieden  worden,  während  Graff 
1,  71.  771  und  Holtzmann  ad.  gr.  1,  245  mt-uobili  (ersterer 
zweifelnd)  als  compositum  ansetzen;  dasselbe  tun  auch  Cleasby- 
Vigfüsson  für  an.  innyfll,  daupyfli  und  Ettmüller  für  ags.  innilfe. 

Um  die  ursprüngliche  form  dieser  ableitungsendung  fest- 
stellen zu  können,  hat  man  vor  allem  auf  die  weiteren  ver- 
wanten  der  angeführten  worte  rücksicht  zu  nehmen.  So  ge- 
hört zu  driscufli  das  an.  oben  s.  530  erwähnte  preskoldr,  ags. 
^erscold,  neben  inndvili  steht  gleichbedeutend  ahd.  innödili 
mit  den  ne])cufornien  innddUy  inyiadoli,  innidoli  Graff  I,  298, 
welche  klärlich  die  annähme  einer  composition  mit  subst.  ödil 
verbieten;  ferner  alts.  innathri  in  vtgeinyiathridimo  euiscerata 
gl.  Prud.  399,  ahd.  innadri,  innadiri,  von  Graff  I,  157  und  J. 
Schmidt,  Voc.  11,  469  als  compositum  mit  ädra  gefasst,  wo- 
gegen alsbald  die  alte  form  iymuadri  Ja.  Nyerup  184  Wider- 
spruch erhebt ,  die  das  wort  vielmehr  mit  innSdli,  inmwfili  auf 

34* 


532  SIEVERS 

dne  stufe  stellt:  dasselbe  ist  identisch  mit  altir.  inathar,  s. 
Curtius*  309. 

Das  ergebnis  dieser  vergleich uDg  ist,  dass  wir  sowol  bei 
preskoldr  —  driscufli,  wie  bei  innödili  —  hmdvili  ein  iiebenein- 
ander  der  lautgruppeu  dl  und  fl  resp.  germanisch  pl  und  fl  zu 
constatieren  haben ,  welche  auf  jeden  fall  iu  directe  lautliche 
beziehung  zu  bringen  sind.  Welche  von  diesen  forpen  die 
filtere  ist,  kann  nicht  schwer  fallen  zu  entscheiden.  Ein  suflix 
'plO'  oder  -bhlo-y  das  für  die  bildungen  mit  -//-  augesetzt  wer- 
den m liste,  existiert  bekanntlich  nicht,  ausser  iu  den  zahlbil- 
dungen  wie  lat.  du-plo,  tri-plo  etc.,  zu  denen  sich  aus  dem 
germanischen  got.  tvei-fl  etc.  stellen  (s.  darüber  ausf&hrlich  J. 
Schmidt  KZ.  XVI,  430  ff^O?  andererseits  ist  nichts  bekannter 
als  die  Vertretung  der  anlautenden  gotischen  pl  durch  fl  in 
den  übrigen  germanischen  sprachen.  Ich  wüste  nicht,  was 
uns  hindern  könnte,  die  möglichkeit  desselben  lautwandels 
auch  fUr  den  inlaut  zu  statuieren,  und  damit  rücken  die  an- 
geführten werte  ohne  weiteres  in  den  kreis  der  -ila-  bildungen 
ein;  innöfili  und  mlöfiU  haben  ihr  genaues  vorbild  in  got  hat- 
möpli]  innuadri  und  verwante  repräsentieren  eine  nebenform 
des  Suffixes  mit  -tro-. 

Allerdings  ist  diese  erklärung  noch  mit  einigen  formellen 
Schwierigkeiten  verknüpft. 

Zunächst  got  daupubieis]  dies  setzt  einen  substantivstamm 
*danpu-UO'  'tod'  voraus,  mit  dem  labiallaut  des  suffixes  im 
gotischen ,  das  sonst  von  der  labialen  affection  der  pl  frei  ist 
Darf  man  hier  nicht  vielleicht  an  eine  dissimilation  denken? 

Sodann  die  verschiedene  lautverschiebungsstufe,  mit  der 
das  sufGx  erscheint:  got  haimöpli  und  daupubleis  für  "^daupu- 
Sieis,  an.  heimoll  und  heimold  etc.  Diese  Schwierigkeit  lOst 
sich  durch  die  erwägung,  dass  auch  bei  mehrsilbigen  werten 
das  sufGx  ursprünglich  bald  nach  betonter,  bald  nach  unbe- 
tonter silbe  stehen,  also  nach  Verners  gesetz  die  formen  -pla- 
und  'blO'  entfalten  muste.    Nach  dem  eintritt  der  germanisohen 


*)  Auch  in  -ufni,  -übni  kann  das  ^  h  schwerlich  als  Vertreter  eines 
alten  labialverschlnsslantes  gefasst  werden,  s.  Beiträge  V,  s.  150  anm.  2« 
gegen  Bugge,  KZ.  XXII,  437.  Got  sÜubr  etc.  ist  klärlich  fremdwort,  vgL 
Ilehn,  KulturpÜ.  und  haustiere^  s.  4tfU. 


DAS  NOMINALSUFFIX  TRÄ.  533 

BtammsilbenbetonuDg  aber  entstand  ein  schwanken,  das  sogar 
zu  doppelformen  innerhalb  desselben  wertes  führen  konnte. 
Wegen  der  ahd.  formen  -fili  und  'hili  vergleiche  man  das  Ver- 
hältnis von  miur  und  äbur.  Drittens  muss  die  unregelmässige 
behandlung  der  lautgruppen  pl,  dl  in  den  einzelsprachen  auf- 
fallen. Im  nordischen  scheint  pl  nach  betonter  silbe  überall 
zunächst  zu  hl,  dann  zu  /  mit  dehnung  des  vorausgehenden 
vocales  geworden  zu  sein:  mal  aus  *mahl  für  *maplo,  stäl 
aus  *  stahl  Air  "^slaplo,  nol  aus  *7whlu  fWr  *nSpld^)]  dagegen 
erlitt  vorauszusetzendes  9/  nach  der  Stammsilbe  metathese  in 
säld  für  *set^lo.  Weiter  ab  von  der  Stammsilbe  erfolgt  meta- 
these in  heimold  und  heimoll,  farald,  preskoldr  etc.  (s.  oben), 
daneben  aber  auch  Übergang  in  /7,  z.  t.  mit  nachfolgender 
metathese,  vgl.  daupypi  und  inmjfli,  innylfi.  Es  scheint  mir 
nicht  undenkbar,  dass  bei  den  letztern  vielleicht  eine  art  volks- 
etymologische sonderung  des  wertes  in  zwei  compositionsglieder 
die  Ursache  der  conservierung  des  spirans  gewesen  ist,  wie  im 
deutschen  gewis  Innädri  (neben  innuadri)  als  mit  ädra  verwant 
gefühlt  wurde. 

Im  angelsächsischen  begegnet  nach  betonter  Stammsilbe 
ein  Wechsel  von  Ö  und  d,  wo  wir  p  als  gemeingermanischen 
grundlaut  ansetzen  müssen:  mcet5el,  stabol  nebst  ableitungen, 
aber  7i(cdl,  wcedl]  weder/*  noch  h  unmittelbar  nach  der  wurzel- 


^)  Diese  art  des  Übergangs  ist  mir  wahrscheinlicher  als  der  von 
Bugge,  ROksten  s.  41  angesetzte  directe  ansfall  des  p,  wie  er  beson- 
ders in  der  composition  vorr,/  oft  eintritt:  Hrs'rekr,  pjörekr,  Gorspr, 
gölegr,  ölega  flir  *Uröfyrikr^  *  pjöprikr,  Gopr0pr,  *göplegr,  öplega. 
Vielleicht  sind  selbst  diese  ebenso  zn  beurteilen ;  man  vergleiche  nament- 
lich die  dehnung  in  Gör&pr  (;  störan  bei  tjötJölfr,  Bugge  a.  a.  c).  Man 
wird  vermutlich  zwei  verschiedene  perioden  der  tilgung  der  gruppen  pl 
anzusetzen  haben,  eine  ältere  mit  dehnung  des  vorhergehenden  vocals 
(durch  hl  hindurch?)  und  eine  spätere  mit  assimilation  des  (durch  syn- 
cope  entstandenen)  pl  zu  II  ohne  dehnung,  z.  b.  in  frilla  zu  fripül, 
i  inille  neben  i  miple,  hrapalligr  zu  hrapapr  (Gislason,  forml.  43),  brälla, 
traulla  (Vigfüsson  s.  v.  und  Stockh.  h.  22,  32.  24,  4)  zu  hrdpr,  traupr. 
Zu  den  letzteren  gehört  auch  brullaup,  altschw.  hrullöp,  gotl.  bryllaup 
Rydqvistll,  106.  Schlyter  XIII,  93  f.  Ich  halte  brullaup  oder  bryllaup 
für  die  gemeinnordische  form,  die  formen  mit  pl,  dl  etc.,  welche  sowol 
west-  wie  ostnordisch  vorkommen,  fasse  ich  als  etymologisierende  recon- 
structionen,  ebenso  wie  die  formen  miple,  miplom  u.  a.  (vgl.  dazu  Bei- 
träge V,  489  flf.). 


534  SIEVEBS 

silbe,  wol  aber  f  nach  unbetonter  silbe  in  itmilfe,  Dae  aus 
pl  entstandene  dl  bleibt,  altes  dl  aber  wird  in  boil,  spätl  zu 
/  oder  erfährt  metathese,  in  })old\  des^^leichen  nach  unbetonter 
silbe  in  fcereld,  hefeld  etc. 

Altsächsisch  ist  pl  erhalten  in  näthla  und  tanstuthlia,  zu 
hl  geworden  regelmässig  in  mahal  und  ableitungen ;  dl  bleibt 
in  hodlds.    Alles  übrige  ist  unbelegt. 

Die  grösten  Unregelmässigkeiten  aber  treten  im  althoch- 
deutschen auf.  Im  allgemeinen  bleibt  pl  nach  der  Wurzelsilbe 
als  dlf  dal  erhalten:  stadal,  stödal,  wadal,  7iädla\  einmal  dia- 
lectisch  raetathese  in  nälda  (Lexer  II,  14.  Weinhold,  mhd.  gr. 
§  194);  hl  nur  in  mdhal  und  dessen  ableitungen,  wie  im  alt- 
sächsischen,  daneben  aber  in  der  composition  madal-  in  zahl- 
reichen eigennamen:  auch  in  der  koseform  Madala  und  im 
zweiten  gliede  in  Cunimadal  und  Rimadal  (?),  s.  Förstemann, 
namenbuoh  I,  920  flf.  315.  1049.  Eine  genügende  erklärung 
hierfür  weiss  ich  nicht  zu  geben.  In  anschluss  daran,  dass 
madal  eben  nur  in  der  com])osition  erscheint,  und  zwar  eigent- 
lich nur  als  erstes  glied  (denn  Cunimadal  und  I^{c)madal  sind 
offenbar  erst  späte  bildun;i:en  nach  dem  Modal-  des  ersten 
gliedos),  d.  h.  also  in  einer  form,  welche  wie  der  nom.  acc 
sg.  das  stammauslautende  o  nach  langer  silbe  frühzeitig  syn- 
copieren  muste,  könnte  man  annehmen,  dass  dl  der  regelrechte 
Vertreter  des  pl  mit  sonantischem  /  gewesen  sei,  hl  der  Ver- 
treter des  pl  mit  consonantiscliem  /;  mit  andern  werten,  dass 
man  ursprünglich  flectiert  habe  *mapl,  *mapi(l  (vgl.  apfiil  eiCj 
aucli  ol>en  s.  524),  mahles,  verbal  *mahlien^)  (praet.  *mapulda 
oder  mahlida?)  Dann  hätte  in  mahal ,  vielleicht  unter  dem 
einflussc  des  verbums  "^mahlten,  die  form  der  casus  mit  erhal- 
tener vocalischer  endung  überwogen,  in  stadal,  stodal,  wadal 
al)er  hätten  wir  die  alten  formen  des  nom.  ace.  sg.  Aber 
diese  rochnung  wird,  scheint  mir,  durch  nädla  ungültig  ge- 
macht^ falls  für  dieses  nicht  eine  besondere  erklärung  gegeben 
werden  kann.  Sollte  der  Wechsel  von  pl  und  hl  vielleicht 
nur  auf  worte  mit  kurzem  vocal  beschränkt  gewesen  sein? 
—   Einen    grund  für   diese   beschränkung   wüste    ich    freilieh 


0  Dreisilbig,  mit  BÜbenbildendem  t,  vgl.  Beitr.  V,  b.  125  fL 


DAS  NOMINALSÜFFIX  TRA.  535 

uiclit  anzugeben;    ich   muss   mich  also  mit  einem  non  liquet 
begnügen. 

Nach  unbetonter  silbe  widerholen  sich  dieselben  Schwie- 
rigkeiten mit  den  lautgruppen  dl  und  fl  in  driscufli,  mtdfili, 
innöftli  einerseits  und  irinödUi  andererseits;  doch  glaube  ich 
hier  mit  mehr  Zuversicht  eine  der  obigen  analoge  erklärung 
aufstellen  zu  können.  Dazu  muss  ich  aber  zuvörderst,  da  wir 
es  überall  hier  mit  Verbindungen  einer  liquida  mit  nachfolgen- 
dem suffixalen  /  zu  tun  haben  (stamm  driscuflio-  etc.),  noch- 
mals auf  die  behandlung  solcher  gruppen  im  ahd.  zurück- 
kommen, über  die  ich  bereits  Beiträge  V,  s.  93  und  s.  150  anm. 
2  einige  bemerkungen  gemacht  habe. 

Ich  habe  in  jenen  stellen  von  einer  möglichkeit  gesprochen, 
dass  sich  im  ahd.  gruppen  von  der  form  /i,  ri  -f-  vocal  in 
silbenbildendes  /,  r  -f-  y  +  vocal  umsetzen,  woraus  weiterhin 
{ul,  iir  oder)  il,  ir  +  j  +  vocal  sich  entwickelt.  Ueber  den 
Wechsel  der  vocale  vor  dem  Sonorlaut  gehe  ich  hier  hinweg, 
da  darüber  eine  Untersuchung  von  Paul  demnächst  neues  licht 
verbreiten  wird ;  ich  glaube  aber  mit  beziehung  auf  die  be- 
sprochene erscheinung  jetzt  den  satz  aufstellen  zu  können, 
dass  jene  gruppen  die  Umsetzung  zu  (uij)  iJJ  etc.  im 
ahd.  erleiden  müssen,  dass  ausnahmen  sich  nur  durch  ein- 
wirkungen  von  solchen  formen  erklären,  in  welchen  jene  be- 
dingungen  nicht  vorhanden  waren.  Der  beweis  hierfür  liegt 
darin,  dass  Schwankungen  so  gut  wie  nicht  vorkommen,  wo 
in  allen  flexionsformen  eines  Wortes  oder  einer  wortgruppe, 
vor  allem  aber  im  nom.  acc.  der  nomina,  jene  bedingungen 
vorhanden  sind ;  dahin  gehören  namentlich  die  ableitungen  auf 
-ion  m.  und  -id(n)  f.  von  stammen  auf  -r(ö)-,  -/ö-,  -n(o)-  etc. 
Man  vergleiche  in  dieser  richtung  z.  b.  ahd.  kilstirro  GrafflV, 
194  opferer,  st.  gilstrmi-  zu  st.  gelstro-  opfer;  fuotirra  nutrix 
Graff  III,  380 ,  st.  fbdribn-  zu  st.  fbdro-  futter ;  zimbirra  struc- 
tura  Graff  V,  670,  st.  timridti'  zu  st.  timro-]  lidirra  plecta 
Graff  II,  204,  st.  liprion-  zu  st.  lepro-  leder;  faiureo,  fatirro 
vetter  Graff  III,  377,  st  fabrion-  zu  st.  /aöar  (yg\AB,tpatrhis)] 
sidillo  {ein-,  lant-sidillo)  sitzer  Graff  VI ,  340 ,  st.  siplion-  zu 
st.  seplO'  sitz;  duahilla  mappa  Graff  V,  268,  st.  pwahlidn-  zu 
st.  prvahlO'  bad;    speichilla    Speichel  Graff  VI,    365,  st  spair 


536  SIEVERS 

kli6n'  zu  st.  spaiklo-j  vgl.  ahd.  speicholtra  aus  *spaikladro 
oben  B.  523;  mit  n  gehören  hierher  vielleicht  die  movierten 
feminina*)  auf  'Un{na\  -in{na),  soweit  diese  ihrem  typus  nach 
auf  arz-stämme  mit  schwacher  suffixform  im  femininum,  noooi. 
-ni',  zurückgehen  2)  (iu  allen  diesen  gruppen  aber  mögen  sich 
ursprüngliche  bildungen  auf -ß,  -n,  -rA  mit  solchen  auf  -oÄ, 
-ari,  -ani  vielfach  gemischt  haben).  Eine  seltene  ausnähme 
bildet  das  subst.  murdreo  latro  Graff  II,  856  zu  st  morpro- 
mord,  ohne  zweifei  veranlasst  durch  die  einwirkung  des  ver- 
bums murdren,  worüber  unten  mehr. 

Ziemlich  constant  sind  sodann  die  Umsetzungen  auch  noch 
bei  den  neutris  auf  -i.  So  haben  wir  ahd.  fugili,  st  fuglio- 
zu  st  fo^lO'  vogel;  negili,  st  naglio-  zu  st.  naglo-\  epftli, 
st  ap{p)UO'  zu  st  ap{p)lO'  apfel;  fingiri,  st  ftngrio-  zu 
st  finyro-  finger,  ga-rvitiri,  st  rviSrio-  zu  st  rvetiro-  wetter. 
Anderwärts  haben  wir  schwanken,  so  in  gazimbri  und  gazim- 
hiri  Graif  V,  670,  wo  die  kürzere  form  abermals  durch  den 
einfluHS  des  verbums  zimhren,  zimbron  und  des  nomens  zimbar, 
zimbres  bedingt  zu  sein  scheint  (vgl.  oben  murdreo).    Zu    den 


*)  Die  nnverfälBchteste  form  der  movierten  feminina  anf  -I  liegt 
vor  in  den  eigennamen  auf  -hvrn ,  -hirin  zn  den  mascnlinis  anf  -bim, 
altn.  'hjgrn  (M.  Arnesen  KZ.  XXII,  93  f.);  zu  st.  bemo-  gehOrte  regel- 
recht f.  *'b%rniy  daraus  durch  einfachen  abfaU  des  t  (s.  Beiträge  V,  8. 142 
über  mägin)  nom.  -bim  (mit  erhaltung  der  consonantischen  geltang  des 
n  nach  Sonorlaut,  vgl.  Osthoif  in  seinen  und  Brugmans  morphol.  Unter- 
suchungen I,  227  anm.  1 ;  die  form  -hirn  ist  von  Förstemann  mehrfach 
aus  dem  9.  jahrh.  belegt).  Aus  den  casibus  obliquis  ^-birniöz,  *-birmäm 
etc.  ergaben  sich  gen.  ahd.  ^-birinja,  acc.  *'birine ,  daraus  wider  ange- 
glichen an  den  endungslosen  nominativ  die  form  -birin  (vgl.  daza  Hen- 
ning, QF.  III,  91  ff.). 

')  Auf  das  n  im  allgemeinen  die  für  r,  l  gegebene  regel  aassn- 
dehnen,  geht  nicht  an,  weil  verba  wie  hnnhnen,  zeihnen,  fougneHf  wäfnen 
in  derselben  zeit  ahd.  nur  -nen,  -nan  haben,  wo  verba  mit  r  (/)  vielmehr 
-arren  aufweisen ;  nur  das  kurzsilbige  kagannen  Beitr.  V,  93  macht  eine 
ausnähme;  hier  aber  fällt  das  a  der  mittelsilbe  unter  ein  anderes  geseta, 
es  ist  aus  kagan  eingeschleppt;  ebenso  erklären  sich  die  jüngeren  /oif- 
genen,  rväfenen  etc.  Es  ist  ans  diesem  gründe  die  Wahrscheinlichkeit, 
dass  dem  typus  der  ahd.  movierten  feminina  auf  'Un{na),  'in{nd)  der 
typus  movierter  -an -stamme  zu  gründe  liege  (Beitr.  \',  s.  t&O  anm.  2) 
eine  sehr  geringe. 


DAS  NOMINALSÜFFIX  TRA.  537 

schwankenden    gehören    auch     die  Wörter    mit  flij   fili  sowie 
innadri,  innuadri,  s.  die  belege  bei  Graflf. 

Das  hauptgebiet  der  Schwankungen  aber  liefern  die 
schwachen  verba,  wie  finstaren,  fluobaren,  heitaren,  hlütaren, 
hungaren,  nidaren,  spirdaren,  sübaren,  widarm,  zimharen,  zota- 
ren^  mahalen,  nagalen:,  neben  diesen  gewöhnlichen  formen  liegen 
teils  solche  ohne  mittelvocal,  teils  solche  mit  mittelvocal  /,  wie 
ftuobirerij  sübireti  etc.  (Tatiau  s.  31  etc.).  Diese  drei  typen 
weisen  auf  dreierlei  verschiedenen  Ursprung  hin.  Die  formen 
ohne  mittelvocal  entspringen  dem  typus  der  formen,  welche 
nach  dem  r,  l  einfachen  vocal  i  hatten  (2.  3.  sg.  ind.  praes., 
2.  sg.  imperat. ,  praet.  auf  -ita ,  part.  praet.  auf  -It) ;  die  for- 
men mit  ir,  il  weisen,  wie  die  oben  besprochenen  ableitungen 
auf  -irro,  -illa,  -ili,  deren  i  kein  a  parallel  geht  %  auf  die  for- 
men mit  /  -f  vocal  (inf.,  1.  sg.  ind.  und  plural  und  conj.  praes., 
2.  pl.  imperat.,  part.  praes.);  die  formen  mit  a  endlich  weisen 
teils  zurück  auf  das  praeteritum  ohne  /,  teils  insbesondere  auf 
einen  modificierenden  einfluss  der  zu  gründe  liegenden  nomina, 
wie  ftnstar,  heitar  etc.  Der  eigentliche  typus  eines  hierher  ge- 
hörigen verbums  wäre  also  gewesen  etwa  inf.  *sübirjen,  praes. 
"^sübirju,  sübris,  sübrit,  * sübirjem  etc.,  conj.  *sübirje,  imp. 
sübri,  praet.  sübarta  und  sübrita,  part.  praet.  gasübrit,  pl. 
gasübarte. 

Um  nun  auf  den  Wechsel  des  d  und  /*  in  mnddili  und 
innoftli  zurückzukommen,  so  handelt  es  sich  dabei  wesentlich 
um  die  frage,  ob  die  Umsetzung  des  //  zu  ij  bereits  vor  dem 
eintritt  des  ahd.  vocalischen  auslautsgesetzes  eingetreten  sei. 
Diese  frage  muss  im  hinblick  auf  die  Schwankungen  wie  dri- 
scufli  driscuftU,  innodli  innödili  etc.  verneint  werden.  Denn, 
hätten  wir  noch  auf  die  Stammform  -lio,  -lid  zu  recurrieren, 
so  hätten  nur  die  formen  mit  innerem  i,  also  driscuftii,  aus 
*dnscufli9  etc.,  entstehen  können.  Verlegen  wir  aber  jene 
Umsetzung  in  die  zeit   nach   dem  abfall  des  themavocales,  so 


')  Die  einzige  ausnähme  bildet  fataro,  fatnreo  neben  fetiro,,  aber 
hier  scheint  sich  faiaro  an  den  alten  accusativ  *  fatar^  *fatureo  an  den 
alten  gen.  dat.  sg.  *  fatur,  -ar  (aus  */ö/r)  angelehnt  zu  haben,  oder  man 
mu88  mit  Fick  111,  s.  16«  direcf  fatureo  aus  *faturrvjo  =  skr.  pitrvya 
hervorgehen  lassen. 


53b  SIEVERS  —  DAS  NOMINALSUFFIX  TRA. 

erlangeu  wir  als  älteste  ahd.  formeu  nom.  acc.  *00i6pli,  gen. 
*inndpiljesy  pl.  uom.  acc.  *  innopilju  etc.  Hieraus  erwachsen 
dann  nom.  i7md/U,  pl.  inn6dU{i)u  und  mit  weiterer  gegenseitiger 
beeiuflussung  inndfili  und  innodli,  dergestalt  dass  jede  form 
sich  zu  einem  vollständigen  paradigma  ergänzt  oder  ergänzen 
kann,  ähnlich  wie  wir  das  eben  bei  den  schwachen  verbis 
gesehen  haben. 

JENA,  6.  august  1878.  E.  SIEVERS. 


zu  FRIEDRICH  VON  SONNENBURG. 


I 


n  Oswald  Zingerles  neuer  ausgäbe  der  lieder  Friedrichs 
von  Sonnenburg  beiiiht,  wie  der  giöste  teil  des  literarhisto- 
rischen abschnittes  der  einleitung »),  so  der  ganze  text  wie  es 
scheint  ausschliesslich  auf  dem  in  HMS.  gebotenen  materiale. 
Eine  erneute  prtifung  der  handschriften  hat  nicht  stattgefunden, 
aber  selbst  bekannte  ältere  und  neuere  textabdrücke  sind,  wie 
die  genaue  Übereinstimmung  mit  v.  d.  Hagens  Variantenapparat 
lehrt,  nicht  berücksichtigt  worden.  Selbst  Pfeiffers  abdruck  der 
Heidelberger  hs.  D  (von  Zingerle  s.  45  auch  so  bezeichnet, 
im  apparat  aber  nach  v.  d.  Hagen  irreleitend  durch  H  ange- 
deutet!), der  von  nahezu  einer  ganzen  strophe  (IV,  1 — 8)  ein 
facsimile  beigegeben  ist,  ist  nicht  einmal  erwähnt  oder  benutzt 

*)  Im  übrigen  ist  die  ganze  einleitung  eine  oft  bis  zu  wörtlicher 
entsprechung,  jedenfallß  bis  in  alle  erheblicheren  details  hinein  sich  er- 
streckende nachbildung  der  einleitung  zu  Strauchs  Marner.  Eine  ver- 
gleichiing  dieser  beiden  stücke  (insbesondere  des  dritten  abschnittes  beiZ. 
*  spräche  und  stil'  s.  28  ff.  mit  Strauchs  viertem  ^Mamers  spräche  und 
Stil'  s.  46  ff.  sowie  des  folgenden  *kunst'  (Zingerle  39  ff.)  und  *Marners 
kunst'  (Strauch  59  ff.)  bietet  eine  sehr  lehrreiche  illustration  zu  dem 
was  Paul  neulich  in  diesen  beitragen  V,  438  f.  über  das  *  mechanisieren 
der  niethoden'  bemerkt  hat.  Lüsst  sich  doch  Zingerle  durch  seinen 
nachahmungstrieb  geradezu  zum  begehen  arger  Sprachfehler  verführen. 
Strauch  s.  70  heisst  es:  *Die  Wörter  auf  -cere  werden  im  reime  nie  ge- 
kürzt: zw'ivelcere  :  fröudehcere  XIV,  202,  wol  aber  im  innem  verse,  so- 
gar in  der  letzten  Senkung  (II,  15.  48.  III,  1.  14)'.  Die  letzten  beispiele 
sind  ganz  richtig,  nämlich  merker  und  wahier.  Bei  Zingerle  aber  lesen 
wir  s.  44:  'Die  Wörter  auf -cpr^  sind  im  reime  unverkürzt:  liigencere :  un- 
mccre  II,  17  ...  u.  a.  Kürzung  findet  sich  aber  im  innern  verse  (II, 
69),  auch  in  der  letzten  Senkung:  meister  tobe  11,  60,  meister  niht  IV, 
252.'  II,  69  steht  ebenfalls  meister.  Was  hat  denn  aber  meister  mit 
den  nominibus  auf  -cere  zu  tun? 


540  SIEVERS 

worden.  Da  dieser  abdruck  in  aller  bänden  ist,  so  hegrnOge 
ich  mich  hier,  <iie  abhfin^ijLrkeit  der  angaben  Zingerles  (Z)  von 
V.  d.  Hjigen  (H)  durch  die  mitteilunj?  der  gemeinBchaftlichen 
fehler  resj).  Kicken  im  ap])arate  der  ersten  drei  Strophen  von 
1)  (IV,  1 — 36)  zu  erweisen. 

l  wundertverc  HZ  ohne  Variante]  miäer  wert  D.  2  a/- 
machticheit  HZ]  almehtlkeit  D.  \  geschopfede  HZ]  geschophede 
D.  5  schulte  Z  nach  H.s  tcxt]  Schulte  D.  6  schulte  Z  desgl.] 
sult  D.  höhten  HZ]  ho*h(en  I).  12.  wan  schwo  der  HZJ  wand 
schfro  d'  I).  10  wer  HZ]  w'  D  (Zingerle  gibt  sonst  die  bei  H. 
nicht  aufgelösten  abkürzungen  genau  an).  22  gehuweti  HZ] 
gehufven  D  t'mre  wnndei'sät  HZ  ohne  Variante]  wnö^  tvre  sat 
D.  21  al  Z  durch  misverständnis  des  al[le]  in  H.s  text]  alle 
1)  Chore  HZ]  cho're  D.  27  daz  ist  HZ]  das  ist  D  in  not  Z 
nach  H.s  tcxt]   in  fehlt  D.    35  sine  Z  nach  H.s  text]   si  D. 

In  zwei  fällen  weicht  allerdings  Zingerle  hier  von  v.  d 
Hagen  ab,  indem  er  fllr  IV,  31  ein  hrot  und  fl!r  36  vor  weit 
als  lesart  der  hs.  angibt.  Da  aber  Hagens  angaben  sin  brat 
und  WT  weit  zu  IMcirt'ers  abdruck  stimmen,  so  darf  man  diese 
abweichungen  sicher  einem  versehen  des  herausgebers  zu- 
schreiben. 

Ks  ist  sehr  zu  beklagen,  dass  der  herausgeber  nun  auch 
bei  der  jenaischen  handschrift,  welche  die  mebrzahl  der  Stro- 
phen des  dichter»  überliefert,  allzu  gläubig  dem  abdrucke  und 
api)arate  v.  d.  Hagens  gefolgt  ist,  dessen  bekannte  unzuver- 
lässigkcit  durch  die  eben  gegebenen  beispiele  nur  aufs  neue 
widor  belegt  wird.  Und  selbst  v.  d.  Hagen  wird  nicht  völlig 
ausgenutzt.  Ks  wird  schwer  sein,  den  herausgeber  von  dem 
Vorwurf  zu  grosser  bequemlichkeit  bei  seiner  arbeit  freizu- 
sprechen, wenn  man  sieht,  wie  er  in  den  Strophen  I,  3  und 
11,  \  falsche  lesarten  aus  H.s  Variantenapparat  aufftlhrt,  offen- 
bar ohne  die  von  H.  im  vierten  teile  mit  den  singweisen  ge- 
gebenen l)uchstäblichen  nachbildungen  dieser  Strophen  (und 
IV,  '))  zu  berllcksichtigen,  also  wenn  er  nach  H.  I,  35  umh, 
II,  54  wurd,  56  do  angibt;  während  die  nachbildungen  ebenso 
richtig  hier  r/w,  jvord ,  da  darbieten,  wie  die  von  H.  im  texte 
verworfene  und  in  den  Varianten  nicht  angemerkte  form  Bai- 
dnchone  11,  50,  die  besser  zu  dem  Baldichone  von  0  passt  als 
das  willkürlich  von  H.  eingesetzte  Baldaköne. 


zu  FRIEDRICH  VON  SONNENBÜRG.  541 

Um  nun  meinerseits  einen  kleinen  beitrag  zur  besserung  des 
in  dieser  ausgäbe  versäumten  zu  geben,  lasse  ieh  eine  collation 
der  in  der  jenaischen  handschrift  erhaltenen  Strophen  folgen, 
halte  mich  jedoch  dabei  innerhalb  der  schranken,  welche  sich 
der  herausgeber  in  nachahmung  v.  d.  Hagens  seinerzeit  selbst 
gesteckt  hat,  d.  h.  orthographische  und  dialectische  abweichun- 
gen  gebe  ich  im  allgemeinen  nur  da,  wo  direct  eine  als  hand- 
schriftlich angegebene  form  im  Z.schen  apparate  von  der  Schrei- 
bung von  J  abweicht^);  sonst  verzeichne  ich  meist  nur  solche 
abweichungen  vom  texte,  welche  mindestens  in  metrischer  be- 
ziehung  auf  die  textconstitution  von  einfluss  sind ,  d.  h.  min- 
destens eine  silbe  mehr  oder  weniger  enthalten  als  Z.s  text. 
Den  benutzer  von  Zingerles  apparat  muss  ich  aber  vorher 
noch  darauf  warnend  hinweisen,  dass,  den  dringendsten  notfall 
abgerechnet,  alle  im  apparat  angeführten  worte  einzeln  zu 
nehmen  sind.  Wenn  es  also  z.  b.  zu  IV,  25  Ir  lobt  gar  im 
apparat  heisst  ^  lohet  gar  fehlt  J '  (ohne  grösseres  spatium  zwi- 
schen den  beiden  werten),  so  lasse  man  sich  nicht  verleiten 
an  ein  fehlen  von  lohet  zu  denken;  nur  gar  fehlt,  und  lohet 
ist  wegen  seines  plus  -e  angeführt.  Dass  mau  in  vielen  fällen 
hierbei  trotz  aller  vorsieht  im  dunkel  bleibt  und  deshalb  auf 
die  älteren  drucke  recurrieren  muss,  ist  nicht  zu  verwundern, 
aber  nun  einmal  nicht  mehr  zu  ändern. 

I,  33  und\  mid  und  so  immer  mit  anlautendem  v  (yh,  vnde) 
J,   das  im  wortanfang  überhaupt  nur  v   schreibt;    diese   (und 

0  Dass  die  anzahl  der  hier  notwendigen  correcturen  eine  ziemlich 
bedeutende  ist,  erklärt  sich  aus  der  eigentümlichen  Vorstellung,  welche 
sich  Z.  über  das  Verhältnis  der  texte  H.s  zu  den  hss.,  hier  also  speciell 
auch  zu  J,  gemacht  zu  haben  scheint.  Wenn  er  viele  Varianten  vou  J 
statt  in  ihrer  handschriftlichen  gestalt  vielmehr 'in  der  gibt,  welche  sie 
bei  H.  im  texte  haben,  so  ist  das  zwar  in  vielen  fällen  durch  den  mangel 
einer  neuen  collation  erklärlich ;  wenn  darunter  aber  auch  solche  dinge 
wie  krvam  statt  quam  angemerkt  werden ,  das  wie  jeder  weiss  nur  der 
Il.schen  textnormalisierung  angehört,  handschriftlich  aber  eben  so 
wenig  in  J  vorkommt  wie  solche  aus  H.8  text  eingeschleppte  umlauts- 
formen  wie  hoeren  etc.,  so  muss  man  notwendig  annehmen,  der  heraus- 
geber habe  es  abermals  versäumt,  sich  zur  richtigen  zeit  durch  eine  ver- 
gleichung  der  nachbildungen  mit  den  singweisen  in  HMS  IV,  sowie  des 
Myllerschen  abdruckes  über  die  Umgestaltungen  der  handschriftlichen 
Orthographie  von  J  zu  orientieren,  welche  H.  durchgehends  vorgenom- 
men hat. 


542  SIEVERS 

{lueli  die  iiilauteuden)  v  fllr  u  merke  ich  weiterhin  nicht  an, 
ebenso  nicht  die  zahlreichen  abweichungeu  von  wid,  dessen 
g-e/vvnlinlichöte  form  vnde  ist.  i55  vm  alle  dinc.  39  vär  brauchte 
nicht  anp:emerkt  zu  werden;  es  ist  die  einzige  form,  welche  J 
für  mhd.  inlr  und  vor  icehraucht.  67  vnde  vlüchen  ohne  in  J; 
Z.s  Variante  ist  niisverständlich.  69  i;ör|  by,  wol]  ho,  71  aiso 
(wird  sonst  von  Z.  bemerkt).  72  yn  doch  nemofi  kaiu  73  He- 
schelten,  das  //  blau  (es  liegt  ein  versehen  des  rubricatorB  vor, 
das  H  gebührte  erst  dem  Her  von  v.  75).  76  geviunynmt  vnde 
immer  en.  W  so  er  lest  er  liehen,  98  der  mtfchtez,  104  s6  fehlt 
(ist  bei  Z.  unverständlich).  107  tzv^  und  so  immer.  112  wJr 
Cdrnckfehler).  kehi  (ivhel  (desgl.).  120  nemene  (bei  Z.  doppel- 
angäbe  nemende  und  nemene).  122  hymele.  124  daz  ist.  127 
streiche  die  worte  7ieman  den,  die  aus  der  Variante  zu  128 
hierher  geraten  sind.  142  ez]  daz.  143  daz]  syn,  148  kegen 
und  so  inmier.  151  deme.  do  ne,  157  myt  eren  vnde  myt, 
lb9  hette.    kegeiu     191  hette  got  vil  woL 

II ,  I  Tzvnde,  2  gesender,  4  spe  \  besieh.  8  vntzvndeL 
17  erenschuwe  diz  merke.  20  machet.  25  d}f  aller  guten  tat 
viir  kivs,  21  dienebloz  (7j,  misverstandlich).  43  kvnific  und  so 
immer;  desgl.  kvninges  etc.  oder  kvnynges  etc.;  wird  nicht 
weiter  berücksichtigt,  wo  nicht  Z.  direct  falscheR  gibt  49 
Salat  yn.  50  haldachone,  53  geb.  55  tvord.  56  da.  59  gyn. 
64  /zy**.  72  so]  io.  74  viirtragen.  76  tilge  das  erste  /r  scande, 
1.  vn^/e  a/  /r  ere.  91  rf/^  übergeschrieben,  r/cÄ?  wol  corrigicrt 
aus  riche.  92  gar  übergeschrieben.  96  mv'^tnnUefi.  98  der\ 
her.     101  ,9flr^e  w^re*.     111  syme. 

V\\  1  to///.  2  maniye.  3  /e  fehlt  (Z.  mis verständlich).  5 
VWd.  v/i/Ze  sine  werc  vnde  sine  wort.  1 1  schelten  (sonst  wird  das 
fehlen  des  /  der  3.  pl.  praes.  ind.  augemerkt,  obwol  dies  f&r 
J  ül)erhaupt  die  rege!  ist).  13  meyne.  IS  were  du  (Z.  misver- 
ständlich).  21  wunder  wunder  (bei  Z.  steht  aussenlem  durch 
druck  fehler  Tl  statt  21).  "l'l  vnde  irbuwet.  manige.  25  kvninc. 
26  wvrlt  und  so  immer;  i>ei  Z.  nur  teilweise  angegeben  (wird 
nicht  weiter  berücksichtigt).  27  in  fehlt.  29  werlt.  bescichi, 
30  hymele.  33  hymel.  34  alsiilher.  37  Genifge  livte  sprechen 
auf  rasur.  3^  werlde  und  so  immer  (wird  nicht  weiter  berttek- 
sichtigt,  wo  nicht  Z.  direct  falsches  angiiit).  doch\  noch.  40 
nymmer  keyne.     42  ane  beidemal.    I.  'fehlen  *  (es  steht  also  wirk* 


zu  FRIEDRICH  VON  SONNENBURG.  543 

lioh  kvHe  werme  rverme  vnde  ir  labe,  45  iz^  der  rverlde,  47 
m]  an.  59  sfile: ,  n  ausradiert.  60  syn,  62  a//er  engele  (der 
fehlt,  bei  Z.  niisverstflndlich).  69  trtzalt  73  vn.  74  {/yw.  77 
miizelUcher,  82  dt/7ier,  83  t^w«?e  ä<w  ^/>.  gehohet.  hymelen.  89 
a//^.  90  brachte,  93  vreude,  9S  geweset  e\  100  /zv**.  102 
iscbliesßt  Äer  //^t//  ^ö^e  m  ^mer  gotheit  was  (bei  Z.  misver- 
ständlich).  104  ho,  105  my^.  106  geeret  vnde  geseizet  ho 
vber  alle  syne,  110  hoeste  (d.  h.  hdeste,  dreisilbig).  111  vn 
vnder,  ?7i</^r  auf  rnsur.  113  :ovch,  w  ausradiei*!.  115  aldo]  do. 
ze]  tzv*^  eyn\  117  vmine  hegrifen,  J^  ausgestrichen.  \\%  aleyne. 
vüller.  119  syn.  120  tugent,  kristeiiheyt,  121  worL  kegen, 
122  ^?i  &?^r/]  die  bort.  \T1  dyne,  \1%  kviüngin,  W^  vrloüben, 
vr  auf  rasur.  148  ja  büezent']  io  bosent.  149  wen,  150  wib, 
152  Äo/jf  7nynneii^  das  ä^  auch  noch  durchstrichen.  154  kref- 
tich.  156  ^we«  ich  iaht  lobete.  158  w/cÄ<  wil.  164  kegen, 
166  wew.  168  vürlorn.  169  werlde.  170  tf/e  vursten.  175 
lautet  also  ^ö^  t;n  ^«We  kvnste  nicht  negan,  180  nymmer.  190 
a?Mihergeschrieben.  193  5cÄöne.  \91  maniger.  2()2vuze.  203 
/zi;*^  ^".  208  j/;/im'.  210  Äöre.  211  t;".  216  ^n  iamerlichez, 
218  tzierenl,  eynen,  220  werlde.  werdicheit,  222  twrfe  tf^ 
riehen.  225  /m]  m.  228  wynnent.  230  ^/«w.  Äor^.  manigen, 
23 1  w;^re.  236  r//ww^r.  237.  238  /lir]  v?/r  beidemal,  wie  über- 
haupt stets.  239  md,  werlde.  242  wirdichliche.  243  worde. 
249  5/?i^n  ^ö^e/i  tzv^berwin.  251  kegen.  253  werlde,  254  ^rwöz] 
^02:/  ^  auf  rasui'.  258  ww.  265  ^yne*  kvninges,  manigen, 
111  horte.  282  were  dv  kvnync.  quam,  hohen.  290  divtschen. 
wyden.  293  a//^  beidemal.  297  «//m  /zy**  herren  ymmer.  303 
Ä'  übergcschriel)en.  311  ze  einem]  vns  tztf  eynem,  324  secht 
so,  ymmer.  325  vreuwet,  330  geeret.  331  werlde,  334  ^?- 
w^ere  (Z.  misverständlich).  335  rfaz  tibergeschrieben.  342  ^zv®. 
343  iu]  vch.  346  tzwyer,  347  t;n  maze.  349  ^^e;  ir^e  steht 
eist  von  351  an.  362  werdichliche.  367  iu]  vch.  369  tzv^ 
(f.  68^»)  7/öre^  371  menye.  sunder,  378  5/  Ä/*]  ,v/e  o/".  385 
vfdlestu,  395  öz/cä  übergeschrieben.  397  ^i/n.  407  werlde, 
40S  lazent.  4\2  volzieret]  wo/ /z/ere/ (Z.  misverständlich).  416 
quam,  417  genaden.  419  hie  vür  vür.  433  tzeyme.  435  ^ö//e. 
43s  /rtj*»  et/we.  441  wen.  442  /zw;/.  443  rife.  445  stindich- 
lichez.  448  ^f/w.  453  ruoches  du.  wynt,  t  auf  rasur  für  we/. 
454  bri7it  \  netj  net  durchstrichen  und  dfiflir  /  am  Schlüsse  der 


544  SIEVERS 

vorliergeliendeii  zeile  Daclig:etrageD.  456  tivhels,  461  werben. 
41)2  tztf  vnrechte,  463  gldicheii.  466  caie  keyser.  467  eynen 
beidemal.  468  nymtner,  469  vniruwe  immer.  470  ie  und  ie\ 
e.  vn  e*\  All  izlich.  478  manige,  480  nymmer  werdet,  481 
tvmme  vrye.  489  loben.  497  nemen  in  kerken,  502  tz^.  503 
dytie  alemose. 

Anhan,ii:  IV,  5  a — e.  6  schone,  9  tete,  11  eyme  engele. 
13  garte,  14  /o;"^;  zwischen  dem  o  und  fe  war  erst  ein  grosses 
V  übergeschrieben,  dieses  ist  aber  ausradiert  und  durch  ein 
kleineres  ersetzt.     16  hymelriche,    36  oiLch,     50  myt,   53  hymele, 

IV,  IIa.  b  da:  (n  ausradiert)  übergeschrieben,  zini]  tztf 
yme,  5  schänden,  dir  fehlt.  6  deyi  hosen,  tztfn  besten,  9 
prube,     10  Ey  biderber,     11  du  übergeschrieben. 

IV,  34  a.     12  hymele, 

IV,  42  a.    2  nem^.     3  hispil,     11  /ez^/.     12  reyne, 

JENA,  4.  august  1878.  E.  SIEVERS. 


MHD.  SELPWEGE. 


JJie  vei-teidiger  der  ansieht,  dass  der  Erec  nach  der 
teilnähme  Hai-tmanns  an  einem  kreuzzuge  gedichtet  sei,  beru- 
fen sich  unter  andern  argumenten  auch  auf  die  bekannte  er- 
zählung  von  der  selpwege  im  ersten  büchlein  352  ff.,  das  nach 
allgemeiner  annähme  nach  dem  Erec  entstanden  sein  soll: 

rehte  als  des  meres  flnot; 

b6  daz  der  ober  wlnt  verlät 

nnd  ez  mit  ganzen  ruowen  stut 

und  dar  üf  guot  ze  wesen  ist, 

SU  knmet  ez  Ithte  in  kurzer  vrist 

daz  sich  beweget  der  grünt 

(daz  ist  allen  den  wol  kunt 

die  da  mite  gewesen  sint) 

nnd  hebet  sieb  üf  von  gründe  ein  wint: 

daz  heizent  si  selpwege 

nnd  machet  gröze  iindeslege 

und  hat  vil  manne  den  tot  gegeben 

ze  boe.sem  wehsei  für  daz  leben 

und  vil  manegen  vesten  kiel 

versenket  in  des  meres  giel. 


MHD.  SELPWEGE.  545 

Nun  ist  schou  mehrfach  richtig  bemerkt  worden  (von  Schreyer, 
Leben  Hartmanns  s.  14,  E.  Naumann,  Zs.  f.  d.  alt.  XXII,  51), 
dass  diese  worte  durchaus  nicht  für  autopsie  si)rechen.  Es 
ist  ja  doch  schon  von  sprachlicher  seite  natürlicher,  die  die  da 
mite  gewesen  sint  als  gcwährsleute,  denn  als  versteckte  bezeich- 
nung  der  eigenen  person  des  dichters  zu  fassen,  ganz  abge- 
sehen von  der  absurdität,  die  wir  llartmann  aufbürden  wür- 
den, wenn  wir  ihm  zumuteten,  dass  er  ein  solches  mürchen 
als  eigenes  erlebnis  vorgetragen  habe.  Wenn  nun  aber 
Schreyer  a.  a.  0.  fortfährt,  die  erzählung  schmecke  nach  über- 
triebenen und  fabelhaften  berichten  heimkehrender  kreuzfahrcr, 
so  scheint  damit  die  eigentliche  quelle  der  sage  nicht  getroffen 
zu  sein.  Diese  hat  vielmehr  wie  es  scheint  schon  längst  im 
abendlande  bestanden,  ehe  jemand  an  kreuzzüge  dachte. 

Alle  diejenigen,  welche  unsere  stelle  bisher  besprochen 
haben,  haben,  soweit  ich  sehe,  unberücksichtigt  gelassen,  dass 
das  wort  selpwege  bereits  ahd.  zweimal  belegt  ist  (Graff  1, 
660).  Der  eine  beleg  aque  motum  sjlpuufgk  (d.  h.  selpiiuegi) 
stammt  aus  den  Xanthener  bibelglossen  (Mone,  Quellen  und 
forschungen  I,  279  h)  und  gehört  zu  Job.  5,  3,  d.  h.  der  er- 
zählung yon  der  wunderbaren  bewegung  des  wassers  im  teiche 
Bethcsda.  Wichtiger  ist  die  zweite  stelle,  aus  den  Mainzer 
glossen,  Diut.  II,  284:  terram  gennesar  greco  uocabulo  quasi 
generans  sibi  anram  selbuuegi.  Die  glosse  gehört  zu  Matth.  14, 
34,  d.  h.  dem  Schlüsse  der  erzählung  vom  wandeln  Christi  und 
Petri  auf  dem  stürmisch  erregten  meere.  Die  erklärung  des 
Wortes  gennesar  mag  der  glossator  wol  zunächst  aus  Isidors 
Orig.  XIII,  19,  6  geschöpft  haben,  welcher  berichtet:  Genesar 
lacus  ainplissimiLS  ,  .  .  crispantibus  aquis,  auram  non  ventis 
sed  ipso  sibimet  excreans.  Unde  et  Genesar  dicitur  graeco  voca- 
bido  quasi  generans  sibi  auram:  denique  per  diß'usiora  spacia 
lacus  frequentibus  auris  spiranlibus  agitatur.  Der  Urheber  dieser 
hier  so  widerspruchsvollen  erklärung  ist  aber  weiter  rückwärts 
zu  suchen;  wie  schon  Huet,  Notae  in  Origenem  (Rothom.  1668 
=  Colon.  1685)  p.  34  bemerkt  (widerholt  von  Delarue,  Orig. 
(Paris  1740)  III,  483  und  von  Vallarsi  zu  Hieron.  VII,  109 
anm.  a.,  ed.  Venet.  1769),  ist  es  der  Pseudohegesippus.  Bei 
Josephus  (de  hello  Jud.  III,  10,  7,  cd.  J.  Bckker  V,  p.  280  f.) 
ist  natürlich  von  ihr   noch   keine  rede,   da   sie  einen  lateiner 

Uoitrüge  zur  gesuhichte  der  üeutaoheu  hpraohe.    V.  35 


546  SIEVERS 

als  erfinder  voraussetzt:  tj  öh  Xlfivtj  FswijöäQ  fikp  axo  r^ 
jtQooexovg  X^Q^^  xakstrai  .  .  .  yXvxsla  rs  ofia^q  h6x\  xal 
jroTifKDTOTr),  .  .  .  jcorafiov  (isv  ?}  xQijvfjg  jrQoöfjvsöriQa,  fl>vxQO' 
riga  6*  ?}  xarä  Xlnv7]q  öicqyCiv  ael  (livovöa.  In  der  lateiuischen 
bearbeitung  des  Heges.  III,  26  (ed.  Weber)  finden  wir  die  stelle 
so  erweitert :  Namque  locus  ipsiiis  .  .  .  crlspaniibus  aquis  auram 
de  se  ipso  sibi  excitans.  Uixde  et  Genesar  dicitur  graeco  voca- 
hulo  quasi  generans  sibi  auram,  aquae  dulcis  et  ad  potandum 
hdbilis  .  .  .  Et  temperatior  est  fluviali  aut  fontis  rigare,  frigidior 
tarnen  placidae  paludis  aequore  eo  ipso  quod  non  stagni  more 
sierniiur  aqua,  sed  per  diffusiora  spatia  lacus  frequentibus  auris 
spirantibus  agitatur. 

Die  stelle  hat  dann  weiter  ihren  weg  durch  die  süttel- 
alterliehe  commentarliteratur  gemacht.  Mit  einigen  abändenm- 
gen  und  Umstellungen  ist  sie  abgeschrieben  von  Beda  zu  Luc 
5,  1  (ed.  Colon.  1688,  V,  270),  aus  diesem  von  Hraban  zu 
Matth.  14,  34  (ed.  Colon.  1626,  V,  92  b),  dem  sie  dann  wider 
Thomas  von  Aquino  (Opus  aureum  super  quatuor  evangelia^ 
Yenet.  1506,  fol.  62  d)  entlieh.  Nicht  minder  bemerkt  Pascha- 
sius  Radbert  zur  angeführten  Matthäusstelle:  et  dicitur  Genesch 
reth  quod  ipse  sibi  generat  auras  (Opera  ed.  Sirmond,  Paris. 
1618  p.  632)  und  die  glossa  interlinearis  des  Anselmus  Lau- 
dunensis:  Genesar  generans  auram  ex  crispantibus  undis,  und 
wahrscheinlich  wird  sich  bei  weiterer  umschau  noch  ein  häu- 
figeres vorkommen  dieser  stelle  im  kreise  der  eigentlichen 
kirchenschriftsteller  ergeben.  Dagegen  habe  ich  nur  bei  einem 
der  mir  zugänglichen  mittelalterlichen  orientfahrer  eine  ein- 
schlagende notiz  gefunden.  Jacobus  de  Vitriaco  (gest.  1240) 
berichtet  nämlich  in  seiner  Historia  Hierosolymitana  bei  Bon- 
garsius,  Gesta  Dei  per  Francos,  Hanov.  1611,  p.  1075  (citiort 
bei  Robinson,  Palaestina,  Halle  1842,  III,  2,  572):  Dicitur 
praeter ea  quandoque  stagnum  Genesar eth,  quod  tnierpretatur 
auram  generans  eo  quod  ex  foniibus  montium  circumstantium 
frequenter  ventum  colUgit  validum,  ex  quo  facta  m  stagno  per- 
turbatione  et  invalescente  tempestate  undis  fluctuantibus  naviculae 
plerwnque  submergwitur.  Wie  man  sieht,  haben  wir  hier  auch 
nur  wider  eine  Umgestaltung  unserer  alten  stelle,  die  noch 
dazu  in  einer  weise  geschehen  ist,  dass  die  alte  wunderbare 
erkläruug  des  generare  auras  kaum   noch   erkenntlich  durch- 


MHD.  SELPWEGE.  547 

schimmert.  Die  gesammte  Überlieferung  über  die  wunderbaren 
stürme  auf  dem  tiberischen  meere  trägt  somit  occidentalisches 
gepräge. 

Aber  was  hat  alles  dieses  mit  Hartmanns  büchlein  zu 
tun?  Ich  meine  einfach  dies.  Wenn  wir  in  Deutschland  be- 
reits im  9.  oder  10.  jahrh.  nach  aus  weis  der  glossenbelege 
dasselbe  technische  wort  flir  die  eigentümliche  von  Hartmann 
geschilderte  meeresbewegung  antreffen  und  dieses  wort  an 
einer  stelle  wenigstens  mit  jener  hegesippischen  deutung  des 
namens  Genezareth  in  Verbindung  gesetzt  sehen,  so  dürfen  wir 
daraus  unbedenklich  schliessen,  dass  bereits  damals  volkstüm- 
liche sagen  über  derlei  naturereignisse  in  Deutschland  existier- 
ten; und  es  liegt  weiterhin  nicht  allzu  fem  anzunehmen,  dass 
jener  weitverbreitete  bericht  des  Hegesippus  in  letzter  Instanz 
den  anstoss  zu  der  betreffenden  sagenbildung  gegeben  habe. 
Zu  einer  Zeitbestimmung  irgend  welcher  art  kann  demnach 
Hartmanns  selprvege  nicht  verwant  werden. 

JENA,  16.  sept  1878.  E.  SIEVEBS. 


35* 


DEll  SKLE  CRANZ. 

Swer  sich  zu  gote  wil  kercn, 
einen  list  wil  ich  in  leren, 
wi  er  s!n  dinc  suUe  ane  van, 
daz  her  gotis  hulde  muge  hän: 
5    \vi  er  daz  sulle  beginne, 

daz  her  daz  himelrlche  gewinne. 

Der  erste  unt  der  beste  rät, 

den  man  an  der  schrift  hat, 

der  ist  gchcizen  also: 
10     vcra  cordis  contricio. 

daz  sal  man  also  verstän: 

man  sal  ganzce  rfiwe  hän 

unde  bitterliche  smerzcen 

tragen  in  dcme  herzcen 
15    umb  die  sunde  unt  umb  die  missetät, 

die  der  lip  begangen  hat. 


JJ eh  er  Schriften:  Ditz  bvchel  heizet  der  tvget  kratz  Daz  machvns  ander 
sele  glantz  {rot)  D,  Der  krantz  der  gütlicher  lieffden  C,    1—4  fehlen  C. 

I .  2.  IS  wer  zv  gut  sich  kereu  wil  Einen  list  ich  in  leren  wil  B,  2.  Eine  A. 
3.  dinc  sin  mit  den  getvöhnlicken  zeichen  der  Umstellung  A,  an  Ä  4.  er 
daz  hiiiielrich  B.  5.  G  fehlen  B.  liier  beginnet  der  kränz  der  minnen 
wie  man  dat  hemelrich  sal  -gewinnen  C.  7.  Kein  ahsatz  ABC,  und  euch 
der  lestc  C,  Den  ersten  uö  den  l)esten  r.  A.  s.  inder  B,  Ala  men  in 
der  heiigen  s.  li.  C.  9.  Der  fehlt  C,  11.  sol  B,  12.  ganzen  rawen  ۥ 
Daz   man  gantze  riwe  so  han  B,     13.   Vnd   bitter   C,     bitterlichen  B, 

II.  fc^al  men  dra^.  C.  dem  BC.  15.  Vmbe  B,  die  swaren  sundcn  C.  nfi 
A,  vnde  B,  und  6'.    umb  die  fehlt  BC.     lü.  lip]  miusche  C. 


^ 


MILCHSACK  —  DER  SÄLE  CRANZ.  549 

swenne  s6  daz  ist  gesch^D, 

so  sal  man  der  sunde  voijSn: 

mit  weinen  unt  mit  grözer  clage 
20    sal  man  sie  deme  prlstere  sage: 

herzce  unt  ougen  suUen  weinen. 

sus  sal  sich  der  mensche  reinen. 

dar  nach  sal  die  büze  gän. 

die  sal  man  vröllchen  entfän 
25    unt  sal  sie  tragen  an  die  zeit, 

daz  der  mensche  tot  11t. 

wirt  her  an  der  büze  vunden, 

wol  in  der  lieben  stunden, 

daz  in  sin  müter  ie  getrüc; 
30     got  gibt  imo  aller  wunne  gnüc, 

der  sin  herzce  kiesen  wil 

beide  äne  ende  unt  äne  zcil. 

swer  zu  der  vroude  wirt  erkorn: 

wol  ime,  daz  er  ie  wart  gebom. 

35        Wilch  dise  büze  sulle  sin, 
daz  wlset  uns  diz  büchelln. 
die  ougen  sullen  vllzen 
unde  heize  trcne  glzen 
unt  gote  innecUchen  clagen, 


17.  Wenne  A^  Wanne  C.  so  fehlt  C.  geschehen  B,  also  geschein 
C.  18.  So  svile  wir  ß,  der  sunden  v'iehen  i?,  die  sunden  verghein  6'. 
19.  schreien  C.  groizen  C,  fehlt  A,  ciagß  BC.  20.  Sei  B.  si  B, 
fehlt  C.  dem  B,  den  C.  prister  B,  preistor  C.  sagen  BC.  22.  Also  B, 
Alsus  C.  sich  fehlt  C\  rainsch  C.  von  (syn)  sundö  reynö  AC, 
2:\.  crgan  B.  D.  n.  s.  men  zo  der  bicht  gain  C.  24.  vrolich  B,  Und 
vur  die  sunden  penitentie  entfain  C.  25.  sal  sie  fehlt  C.  biz  an 
BC\  2G.  Biz  daz  A.  Als  he  den  doit  leit  C.  27.  Un  wirt  A.  in  peni- 
tencie  C.  erfvnden  B,  gefunden  C.  28.  So  wol  A.  im  zv  den  st.  By  im 
dan  der  vroelicher  st.  C.  29.  ym  C.  30.  im  BC.  allerj  dan  C,  vrevden 
BC.  31— :U  fehlen  C.  32.  Ane  zal  vnd  B.  33.  Wer  ^Ä  den 
vrevden  B.  34.  im  ß,  35.  Kein  absatz  BC.  Welch  (sonst  stets  wilch) 
A.  Wie  aver  die  penitentie  sal  sin  6',  Wie  aber  die  sei  gestalt  B.  30. 
boechelgin  6'.  Daz  svlt  ir  prvfen  manicvalt  ß.  37.  sleissen  C.  3«.  Und 
daz  herze  Bj  Und  van  C.  tränen  C.  giezen  BC.  39.  got  B.  myn- 
neclichen  Af  innenklichen  B,  innichlichen  C, 


550  MILCHSAGK 

40    daz  die  sele  in  sunden  I!t  erslagen. 
weinen  ist  so  ein  gut  dinc, 
daz  Jhesum,  der  meide  kint, 
niemant  so  wol  erbiten  mac, 
so  der  da  weinet  nacht  unt  tae. 

45    an  deme  bftche  geschreben  ist 
von  unseme  herren  JhSsd  Grist^ 
daz  s!n  reiner  kftseher  munt 
gelachte  nie  zu  keiner  stunt 
wir  vinden  euch  geschriben^  daz 

50    sine  ougen  worden  dicke  naz 
unt  sin  vil  schönen  wangen 
niit  heizen  treuen  bevangen. 
6wt  unde  owS 
unde  owe,  hüte  unt  iemer  m6! 

55    wilch  rät  wirt  unser  danne, 
daz  wir  s6  gerne  zäune 
unde  also  gerne  lachen 
unt  deme  tüvele  vroude  machen? 
der  vil  süze  geweinete  trän 

1)0    der  get  vor  Jhesum  Gristum  stän 
unde  vei-süuet  den  sunder 
vor  deme  zornigen  richten 
daz  tut  aliiz  des  sunders  tr&n: 
so  wol  ime,  der  in  mac  gehän. 


40.  die]  sin  B,  in  don  sund.  ^^.  mit  sunden  si  gesl.  C.  41.  Want 
w.  6'.  Bd  fehlt  BC\  svze  dinch  By  soez  dink  C.  42.  leBom  christvm  B, 
Diit  Jesus  Cliristus  Marien  k.  C.  4'\,  Nieman  B,  Ghein  man  C.  gebidden 
C,  4 1.  da  fehlt  B.  schriet  C,  unde  A,  vD  B,  und  C,  45.  In  den  boichen 
C.  In  der  schrift  mau  list  B.  46.  unserm  B,  ansen  C,  ihesvm  B,  47. 
reine  wäre  mont  C.  4S.  Nie  gelachte  By  Nie  anlachten  C.  cheiner 
Aj  einiger  C.    49.  50  fehlen  C.    50.  Daz  sin  o.  wurden  nai  B,    51.  sine 

A.  vil  schonen]  minnenclichen  B,  sueze  C.    52.  heizen  fehlt  C.    trehen 

B,  trauen  6'.  vmbe  vangen  By  al  umbhangen  C,  53—108  fehlen  C.  53. 
Owe  vnd  o.  B,  54.  Wafen  geschreit  sei  immer  me  B,  55.  Welch  r.  sol 
u.  werden  daunc  B,  56.  zäunen  AB,  57.  Vnd  —  gern  B.  68.  Uli  Ä^ 
Vndo  B,  dem  tevfel  B,  59.  vilj  klare  B,  geweinte  (ge  ist  van 
alter  hand  ühergeschriehen)  B,  61  fehlt  B.  62.  Zv  dem  Eomigem  ge- 
richte  vfi  fvrchtet  sich  vor  nihte  B,  63.  Ditz  tvn  aliez  d.  8.  trelieii  B. 
64.  Su  fehlt  B.    ime  A,    in]  dich  B.    gehän]  sehen  B. 


DER  S&LE  CRANZ.  551 


65    unde  6w6  herre  Jh6sft  Grist, 

daz  mir  der  trän  so  solsen  ist: 

daz  st  dir  herre  got  geclait 

unde  Marien,  der  kuschen  mait 

yil  sundigen  ougen  mtn, 
70    wt  lange  wolt  ir  trocken  sin? 

ir  beitit  al  zu  lange. 

begtzet  mir  die  wange. 

von  weinen  sult  ir  wesen  rot; 

die  sele  Itt  in  sunden  tot. 
75    swer  sus  kan  gebären, 

der  sele  s6  wol  mite  gevaren, 

daz  ist  der  bfizen  eine, 

die  dl  sele  machit  reine. 

Die  andere  bftze  ist  so  gestalt, 
80    daz  du  tegellch  gedenken  salt 
an  die  marter  unt  an  die  not 
unde  an  den  jemerllchen  tot 
unde  an  die  grözen  arbeit, 
dl  her  durch  dtnen  willen  leit. 
85    dlne  sundo  wolde  her  tragen, 

do  her  an  daz  crfizce  wart  geslagen. 
dar  an  stfint  her  nackit  unde  blöz: 
daz  blüt  von  slner  slten  vlöz, 
von  vüzen  unt  von  henden 
90    üf  die  erde  allen  enden; 

sin  Itp  was  allenthalben  wunt, 
euch  was  sin  rösen  röter  munt 


65.   Eya  svze  B.    herre  fehlt  B,    66.   daz  weinen  B,  so  fehlt  B. 

seltzen  B,     67.  68.    D.  sei  d.  svzes  kint  gekleit     vnd  dir  mvter   reine 

meit  Marien  der  kvnegin     aller    sünder   ein    trösterin  B,  70.    weit  B, 

trvcken    B.     71.    alze    B,     langen   Ä,     72.    wangen    A,  73.    werden 

B.     74.   die  leit   B.     in    den   ß.  AB,     75.   76  feh'en  B,  77.   bvze  B. 

79.    ander   B.      80.   teglich    B.     82.    bitterlichen  B.     84.  her   got  B. 

85.   wolt  er  B,    86.  Da  AB,    er  wart  an  d.   c.  g.  B,    87.  hiench  er  B, 

88.    sinen  B,     Oo.   erden  B.      91.    wart   allen   enden  A.  92.    wart  B. 
rosen  varber  B. 


552  MILCHSACK 

beide  varwelös  unt  blech: 

(laz   houbit  ime  üf  die  erden  w6ch. 
95    ezic  wart  ime  geschenket, 

mit  gallen  wart  he  getrenket: 

an  allen  leden  glich 

wart  her  gemartert  durch  dich. 

daz  tet  her  alliz  umbe  daz, 
100     daz  du  dine  sunde  deste  baz 

woldest  keren  an  sine  ere. 

Maria,  kuneginne  hgre, 

wie  was  deme  herzcen  dln, 

do  dfi  dln  libez  kindelln, 
105     unsen  herren  Jhcsum  Cristum, 

dinen  eingoborncn  sun, 

an  deme  crüczo  sehe  hangen 

mit  blute  gar  bevangen? 

vil  reine  kuneginne, 
110    wilch  wären  dlne  sinne 

in  deme  gr5zen  herzceleide 

unt  in  des  jamers  ougen  weide? 

kh  spreche  daz  mit  wärheit, 

daz  nie  möter  geleit 
115     also  groze  smerzc^n 

an  Ilbe  noeli  an  herze<3n, 

also  du  tetc  an  den  stunden 

unib  diiies  üben  kindes  wunden. 

icli  vil  sundiger  mensche,  waz  sal  ich? 


{)X  ]>eiile  fc'/fit  /?.  undo  AB.  bleich :  weich  B,  94.  Sin  houbt  im 
ut'  »in  nclisel  w.  B.  9i>.  er  />.  97.  Helen  pelich  B.  «9.  allez  dvch  das 
B,  too.  (liiie  t«uiHle|  in  B.  doster  B.  tot.  Soldes  halden  vnde  keren 
an  »in  lup  vnd  an  sin  eren  B.  t02.  X  M.  svze  kvnegin  Sag  mir  wie  w. 
dem  h.  d.  />.  tot.  Du  A.  lol.  t()5.  Da  du  ihesmu  xpm.  106.  einen  geb. ^. 
Den  lielten  dinen  einen  sun  B.     107.  dem  i9.    sehest^.     ]{)\} -\\2  fehlen 

B.  109.  O  edel  koeninjcinne  6'.  1 10.  Wat  deden  C.  1 1 1 .  dem  gr.  bitteren 
lyde  ('.     112.  der  iemerlichon  (jamerlicher  C)  AC.  113.  sprechen  C.  mit  der 

C,  ))i  der  />.  111.  nie  kein  B.  dar  enicit  C.  115.  110  sind  m  C  umge- 
stellt.  tir>.  AI  äulehen  C.  ^rozeu  B,  smerzcc :  hcrcze  A,  am  —  am  C* 
117.  AUoe  C,  Als  B,  dedest  C.  an]  zv  B.  IIb.  Umbe  AB.  119.  fehU 
B,    vil  fehlt  C.    sündige  6'.    mensche  fehlt  C, 


DER  SÄLE  CRANZ.  553 


120    war  sal  ich  vorbergen  mich 
an  deme  tage,  so  JhSsus  Crist 
an  daz  uii;eil  zu  kunftic  ist 
unde  her  urteil  wil  geben 
über  mtnen  11p  unt  min  leben? 

125    so  lezt  her  mich  stn  wunden  sen. 
eiä,  waz  sal  ich  denne  jen? 
waz  mac  ich  sprechen  zfi  der  zit, 
s6  iz  vor  mir  geschriben  Ut, 
daz  ich  sunder  habe  getan? 

130    vor  deme  tage  müz  ich  angest  hän. 
swer  dise  wort  unt  diso  dinc, 
die  hie  nü  geschriben  sint, 
dicke  in  dem  munde  treit 
und  in  slme  herzen  uberleit, 

135    daz  ist  der  seien  groz  heil 
unt  löschet  sunden  ein  teil. 


120.  Wasol^.  verbergende.  121—122.  Als  got  an  daz  ge- 
rillte sich  wil  mit  sinen  heiligen  kvmen  als  ich  han  ander  schrift 
v'nvme  B.  121—124.  In  dem  dage  Jeans  Christus  unse  here  dan  mit 
groizer  maiestait  und  ere  wirt  komen  zo  ordelon  over  min  lif  nnd 
over  alle  man  nnd  wif  und  heischet  rede  van  unser  dait  so  wie  sich 
der  ergangen  halt  ein  iglich  vur  dat  sin  alein  he  si  daegroiz  of  dein 
he  si  arm  of  rieh  dat  ordel  galt  dair  gelich  C.  122.  künftic-*^.  123. 
Ynd  u.  wirt  gegeben  B,  124.  min  B.  vfi  vber  min  B,  125.  126  fehlen 
B,  125.  AI  dae  C,  laizt  C,  lezet  A,  uns  C.  sine  A.  126.  waz  A,  0 
WC  wes  suUen  wir  dan  beghein  C.  127.  mac]  sei  B,  ander  zit  B,  128. 
Wen  B.  iz  alliz  A,  127.  28.  Alsoe  vur  uns  stait  geschreven  die 
SUD  de  die  wir  begangen  haint  mit  haut  und  monde  C.  129.  D.  i.  ze 
svndcn  ie  gctet  B^  Und  wie  sie  sint  gedain  C.  130.  Vur  den  dage 
aullen  wir  sorch  hain  6',  Mich  enhelfe  denne  din  gebet  Svxe  kvneginno 
So  sol  ich  vbel  gedingene  So  bin  ich  vMorn  immer  mer  Gonade  svze 
iiiaget  her  ^.  131—136  fehlen  A.  131.  2.  Soe  wer  dese  dink  und  dese 
wort  die  ir  hie  vur  hain  gehoirt  C.  131.  dincli  vint  B,  133.  Ducke  C. 
dem]  sinem  B.  134.  wail  overlecht  C.  Vnde  si  in  sin  herze  leit  B. 
135.  Daz  ist  dir  ein  michel  heil  B,  136.  Vnde  lest/;,  der  sund.  C,  ein 
michel  t.  B. 

NOcli  sintovch  ander  gvte  werk,  5  Swen  si  von  dem  übe  scheidet 
Da  mit  man  zv  himel  vert.  vnd  des  letsten  vrteils  bcitet. 

Die  sele  wol  ovch  singen  mak  Daz  ist  zvht  vnde  kevscheit 

Swenne  so  kvmet  der  letzte  tack  vnde  des  libes  reinikeit: 


554 


MILCHSACK 


Switch  mensche  sich  wü  l&ze 
üf  die  himelischen  str&ze, 
der  yindet  b!  deme  wege  stän 

140    edele  blfimen  wol  getan, 
die  ime  den  wec  gebreiten 
unde  in  wol  geleiten, 
ir  smac  der  ist  so  gut, 
daz  her  Jhesft  Gristö  samfte  tdt 

145    swer  einen  crancz  bricht 

von  den  blfimen  unde  vlicht 
unt  in  vor  JhSsum  bringet, 
eiä,  wie  wol  deme  gelinget 
die  blfimen,  die  man  da  siht, 

150    die  wahsen  in  dem  himel  niht, 
tdoch  sint  st  da  harte  wert, 
want  man  ir  da  sere  gert. 
swer  fif  den  wec  zu  himelrlch 
kumen  wil,  der  vllze  sich. 


Daz  ist  der  reine  magetym, 
10  an  hühvart  vnd  ane  rvm. 

Swen  wo  die  zwei  volgen  nach, 

Dazistdersele  ein  michel  schach. 

Beten,  vasten,  wachen, 

Daz  tvt  die  heiligen  engel  lache 
15  Yü  twinget  si  dar  zv, 

Daz  si  spat  vü  frü 

vmbe  den  menschen  mvzen  varn, 


Daz  si  liep  vnde  sele  bewam. 
Swer  gerne  höret  gotes  wort 

20  Da  von  wirt  er  dvrch  bort, 
Daz  er  die  kevsheit  enphet, 
Die  vor  gotes  antivtze  get 
Daz  ist  daz  vrone  himelrlch 
Do  (l  daz)  geit  got  einem  ietslich, 

25  Der  gerne  höret  von  got  ssgen 
vndiz  in  sinem  herzen  wil  trage. ^. 

137.  kein  ahsatz  C,  Wilch  AC,  WElch  B.  minsch  sich  na  C. 
lazen  BC.  KiS.  Hin  vf  B,  himelische  A,  rechten  hemelschen  Cy  himel 
B.  strazen  BC,  139.  dem  BC.  140.  Zwelf  ^,  Menich  edel  C.  bloem- 
gin  6\  141.  im  B,  eme  einen  sachten  wech  C,  bespreiten  BC.  142. 
Vnd  senften  wck  (einen  soe/.en  gank  C)  bereiten  BC.  143.  4.  Ir 
smach  und  roich  is  wunnenclich  dat  gelust  gode  van  hemelrich  C. 
1 15— US  fehlen  C.  145.  kränz  da  von  dringet  B.  146  fehUB.  147.  inj 
den  B.  ihm  xpm  B.  148.  Der  sol  im  wiliekomen  sin  vnde  der  Üben 
mvtcr  sin  Marien  der  himel  kvnegin  vnd  allen  sinen  engelin  vli  heiligl 
B.  140—152  fehlen  A.  149.  da  entsprlgen  siht  B^  heir  snicht  C.  150. 
Si  cnwassen  im  hemelrich  nicht  C.  151.  do  ^.  Dair  sint  si  wert  C. 
152.  Wen  B.  si  ser  begert  C.  153.  4.  Dar  vmbe  so  vleize  sich  Ein 
ictslich  vf  den  weck  zv  himelrlch  B^  Soe  vlize  sich  dairzo  ein  iglioh 
der  dair  begert  den  wech  zom  hemelrich  C.    153.  Wer  A. 


DER  s£lE  GRANZ.  555 


155    daz  her  dt  blümen  breche 
unt  sich  da  mite  besteche 
unt  mache  d&  von  einen  krancz, 
den  her  trage  an  der  engel  tancz, 
so  sint  sie  ime  alle  dinsthaft 

160    durch  der  edelen  blftmen  craft 
unde  durch  ire  wirdekeit: 
wol  ime,  der  in  da  treu 

Disse  blümen  wil  ich  ü  nenne, 
daz  ir  sie  moget  erkenne. 

165    ein  Küschcr  lip  mit  demfttikeit, 
daz  ist  ein  blftme  so  gemeit, 
die  harte  werdis  lobis  ist 
vor  unsen  herren  Jhesü  Crist 
unt  vor  der  süzen  kunegin 

170    Marien,  der  müter  stn  — 
daz  wizzet  endellche  — 
zu  vorderst  in  himelrlche. 

Noch  stSt  ein  edele  bläme  da, 
die  heizet  obedienciä. 
175     Gehorsam  heizt  daz  blfimelln, 


155.  dese  soeze  blomen  C.  Da  er  d.  bl.  br.  vn  allez  leit  im  da  yon 
ze  breche  B,  156.  sich  selves  dair  mit  C.  bestecke  vfi  sine  sele  er 
wecke  B,  157.  dair  C,  158.  engele  Äj  megede  C,  159.  im  aber  alle 
(alle  ist  übergeschrieben)  B^    im   al  C     160.    AI  durch  die  C,    161.  Vn 

B,  Und  C.  ire]  des  kranzes  BC.  162.  Wol  im  B,  Wail  dem  C. 
d.  desen  kränz  dreit  C  da  uflfe  A.  163.  Dje  B,  Nu  wil  ich  uch 
dese  bloemen  C,    nennen  BC,    164.   Up   dat   C,    mvget  B^  recht  leren 

C,  erkennen  B^  kennen  C,  165.  Ein  kuscher  munt  Äy  Eine 
heizet  lop  By  Kuische  liefde  C.  mit]  und  C.  demuticheit  Äy  Die- 
mvtikeit  By  oitmocdicheit  C.  166.  sd  gemeitj  daz  si  evch  geseit  B. 
Dese  blomen  sint  angeseit  C,  167—172  fehlen  C*  167.  here  werdis  A, 
harte  grozez  B.  168.  ihih  A,  In  der  kamer  ihfi  k.  B,  169.  vor  fehlt  B. 
170.  Sente  marien  B.  171.  2.  Die  blvme  ist  so  schone  In  dem  himel- 
riche  vroue  B,  173.  ^ein  absatz  AC.  Noch  soe  steit  C,  edeie  fehU 
BC,  aldae  C.  174.  Und  heyscht  C.  175.  Gehorsam  heizet  By  Gehor- 
samekeit  heizit  Äy  Dat  is  gehoirsamheit  heyscht  C.    bloemgin  (7, 


556  MILCHSACK 

iz  müz  euch  an  deme  krancze  sin. 
sin  ruch  der  ist  so  süzUch, 
iz  gelüstet  got  von  himelrlch. 

Zwü  bifimen  ir  noch  merkdii  sult: 
180    EiNVALDiKEiT  unde  Gedult. 

sie  sint  mit  den  krenksten  niet; 

got  sie  selber  gerne  siet 

vor  sime  antlitze  stän. 

man  mfiz  sie  an  deme  kränze  hän. 

185        Ein  edel  blüme  noch  da  st6t, 

die  heizet  Barmherzik^.t, 

ir  gespil  stet  dar  bie: 

ich  wene  ez  Miltikkit  sie. 

läzet  sie  ü  nicht  vorsmän, 
190    got  wil  sie  mit  den  besten  hän. 

So  man  beginnet  vorbaz  gän 
zwü  blümen  vindet  man  da  stän: 
KastIgen  unde  Mazk: 
man  sal  sie  nicht  da  läze. 


170.  Daz  B,  Si  6'.  ouch  fehlt  B.  dem  BC,  kränz  C.  177.  78.  Si 
gift  vur  godc  liebten  gelanz  nnd  ziret  wail  der  megede  kränz  C,  177. 
Ir  ruch  A,  Siu  sniiick  B.  178.  Daz  sin  gel.  B.  179.  Kein  äbsaiz 
AC.  Noch  zwei  bloirogin  ir  mirken  s.  C  1^0.  Dat  is  einveldicheit  C 
ufi  AB,  und  goit  6\  Darauf  folgen  noch:  Daz  sint  zwu  edele  blv- 
men  Si  smeckoii  vns  an  dem  gvmen  B.  181.  ensint  C»  bi  den  C, 
beide  die  B.  krcnkisten  B,  krenken  C.  182.  Got  selbe  si  vil  gerne  siht 
B^  Als  dat  got  81  gerne  van  herzen  sieht  C,  183.  sinem  B^  einen  C. 
antivtze  B^  angesichtc  C.  Is4.  an]  ouch  zo  C.  dem  BC.  kränz  C.  185. 
Kein  absatz  AC,  Ein  vrisehe  bloeme  noch  dair  steit  C,  Ein  ander  bl. 
stet  do  uoeli  gemeit  B,  isG.  Und  heyscht  die  C,  barmeherzekeit  A^ 
barnihcrzikeit  BC.  1S7.  da  B,  nae  dair  C.  bi  ABC.  188.  meine  C. 
daz  ez  B,  dat  it  die  C.  demuticheit  A.  si  BC.  189—192  fehlen  C. 
1S9.  Nu  lazot  B.  vch  A,  evch  B.  v'smähen  (hen  ist  durchstrichen) 
B.  190.  den  werdestcn  B.  191.  Kein  absatz  AB.  gdn:8t6n  ß.  193. 
Absatz  B.  Kastigvnge  B,  Castigeren  C.  vD  B,  zo  C  m&zen  B^ 
malzen  C.  194.  M.  sol  si  doch  niht  lazen  By  Sal  men  niet  hinder 
laizeu  6'. 


DER  SÄLE  CRANZ.  557 

195    sie  sint  ouch  an  deme  kränze  gut, 
ob  in  der  mensche  rechte  tut 

Noch  ist  der  krancz  nicht  volbracht. 
süze  Gebet  unt  reine  Andacht, 
daz  sint  zwfi  edele  blfimen, 
200    die  da  wol  smecken  an  deme  »^fimen; 
so  man  si  leget  in  den  munt, 
die  sele  wirt  da  von  gesunt. 

Eine  schone  blüme  stßt  noch  doi-t, 
die  heizt  Hör  gerne  gotes  wort. 
205     sie  gibt  vor  gote  lichten  glänz 
unt  zlret  wol  der  cngel  tancz. 
wir  suln  sl  an  der  sträzen 
zu  himele  nicht  läzen. 

Noch  sint  zwü  blümen  wol  gestalt, 
210    die  bie  den  besten  sint  gezalt. 

von  einer  lese  wir  also, 

die  heizet  Mansuetüdö, 

die  andere  Taciturnitas, 

die  gote  in  deme  munde  was. 
215    die  eine  heizet  Senftikeit, 

die  ander  heizet  Stillekeit. 


195.  Sie  is  C,  ouch  fehlt  B,  zv  dem  By  kränz  C,  196. 
Als  6'.  im  BC.  minsch  recht  C.  197—218  folgen  in  C  nach  219— 
228.  197.  Kein  absaiz  AC.  Dese  kränz  en  is  noch  neit  C,  vollen 
braht  BC\  198.  Innich  C.  rein  C.  199.  200  fehlen  C.  200.  Si  sm.  vns 
an  dem  B.  201.  202  fehlen  A.  Wer  die  draget  in  sinen  mont  der 
macht  siu  sele  gesunt  C.  203.  Kein  absaiz  AC.  Noch  soe  stcit  ein 
blome  dort  C.  Ein  seh.  bl.  stet  dort  verre  B.  204.  Und  heyscht  C. 
heizet  AB.  höre  A.  gotes  wort  höre  ich  gerne  B.  205.  206  sind 
in  B  umgesleUt,  205.  Si  gibet  B,  got  B,  schein  C,  206.  Di  B, 
engele  A.  kränz  B.  Ind  nioiz  ouch  an  dem  kränz  sin  C  207.  208 
fehlen  C.  207.  sullen  AB,  208.  Niht  hinderstellich  1.  B,  209.  Kein  ab- 
saiz C.  Doch  sin  A.  sint  fehlt  C,  Zwu  edele  bl.  B.  *il0.  Die  zv  dem 
B,  Mit  den  C,  sin  A.  si  gez.  C,  211.  Von  der  einen  B,  Ich  lese  van 
der  einen  a.  C.  212.  Dat  si  heyscht  C.  213.  ander  BC,  214.  got  ie 
minncnde  B.  Die  nnse  here  lief  havendo  was  C.  215.  senftichcit  A^ 
sachtmoedicheit  6'.    216.  stilleheit  Ay  stillicheit  Cy  stetikeit  B. 


558  MILCHSACK 

ir  8ult  st  gerne  brechen 

unt  den  kränz  dar  mite  bestechen. 

Noch  hän  ich  eine  bidme  ersen, 
220    der  müz  ich  alles  gutes  jgn. 
die  heizet  Sunde  weine 
unde  ist  der  besten  eine; 
wan  got  durcli  iren  willen  tftt 
alliz,  daz  st  dunket  gfit 

225        Noch  stet  da,  als  ich  wene, 
ein  blüme,  die  ist  seltsene: 
Trüwe  heizt  daz  blftmelin. 
iz  müz  euch  an  deme  kranzce  stn. 

Nu  tret  wir  vroltchen  vor 
230    in  daz  himelische  tor. 

da  sten  zwü  blümen  hgre, 
der  bedarf  man  harte  sere, 
daz  man  sie  lege  an  den  kranz^ 
so  ist  her  yil  nach  worden  ganz. 

235    HoFFNUNOB  unde  Geloube, 

an  dise  zwü  sint  d'  andern  toube. 


217.  Man  sol  B,  Men  aal  C.  si  onch  C.  218.  Unde  J,  fehlt  B,  Und 
C.  da  mit  bestecken  B,  219.  Kein  absatz  AC,  have  C.  ein  C.  blmne 
A.  er  sen  Ay  ersein  C,  gesehen  B,  220.  D.  wil  i.  vil  nahen  des  beatan 
iehen  B,  Gerne  weinen  van  den  besten  ein  C.  221.  22  fehlen  C,  221. 
sunde]  gerne  B.  222.  Si  ist  B,  223.  Want  Cj  Wenne  B.  iren]  der  blo- 
men  C,  224.  AUet  wat  der  minsch  begert  nnd  d.  g.  C.  225.  ICem  «6- 
saiz  AC.  da  fehlt  A,  do  B,  Noch  so  stait  dair  eine  C.  226.  Ein  bloem 
as  ich  meine  C.  227.  Triwe  B.  heizit  Ay  heizet  B^  so  heyscht  C.  dat 
fin  bloeimegin  C,  228.  Si  moiz  onch  mit  an  desem  kränz  sin  C, 
Iz  mach  wol  der  besten  eine  sin  B,  229.  Kein  absatz  AB,  Nu  tretit 
her  Ay  Nu  gain  wir  C.  vroelicher  C  230.  Zv  der  himellBchen  tvr  J?, 
AI  entegen  des  hemels  dner  C,  231.  Dair  C.  here]  ain  gevere  (7.  232. 
bedarfft  C,  wail  harde  C.  233.  si  stecke  (steche  C)  BC.  234.  bie  ß, 
he  C.  nae  C.  235.  Daz  ist  hoff.  A,  Hoffen  C.  \m  Aj  ynde  B,  und  C. 
gelouve  sonder  do  C  236.  dise]  die  B,  so  sint  A.  die  AB.  Dese 
synt  die  a.  alle  toube  B.  anderen  due  C\ 


DEB  S£l£  CBANZ.  559 

swer  diser  zweier  blümen  entpirt, 
gotis  kint  her  nummer  wirt. 

Nu  wol  bin  an  daz  himelstor. 
240    da  stet  ein  edele  blüme  vor, 

die  selbe  ist  die  leste 

unde  ist  die  alier  beste. 

swer  zu  der  pforteu  sal  in  gän, 

der  vint  s!  bl  deme  wege  stän 
245    halp  fizeu  unt  halp  inne: 

daz  ist  die  wäre  Minne. 

niekein  blüme  ist  ir  glich: 

sie  breitit  sich  in  himelrlch, 

ouch  guten  smac  und  edelen  ruch 
250    hat  die  blüme  äne  allen  bruch. 

swie  ez  den  andern  ergg, 

dise  ervalwet  nummer  m§. 

sie  gebot  gote  von  himelrtch, 

daz  her  durch  uns  Itz  martern  sich; 
255    wan  in  die  minne  dar  zu  twanc, 

daz  he  verkös  stnes  vater  lant 

unde  durch  uns  leit  den  bittern  tot, 

als  ime  die  wäre  minne  gebot 


237.   See  wer  C,  Wer  A,    dirre  B,    238.  (Jodes  vrunt  C.    nimmer 

B.  enwirt  C.  239.  Kein  absaiz  A,  himelische  tor  A^  ander  tor  B.  Na 
gain  wir  vroelichen  in  die  doir  C*    240.  Ind  dair  C,    edele  fehlt  Bj  riche 

C.  vur  C.  241.  Die  blvme  By  Dese  bloeme  C.  die  ist  A.  letst  By 
beste  A,  242.  ist  fehlt  B,  Und  aller  blomen  b.  C,  best  By  leste  A. 
243—246  folgen  in  C  nach  247—250.  243.  Und  wer  C.  sal]  wil  C.  in 
sei  gen  B,  244.  vindet  ABC,  inder  tvr  sten  By  in  der  doeren  staen 
C.  245.  dair  buizen  C,  nnde  A,  halbe  B.  dair  inne  C,  246.  w.  godes 
minne  C,  247.  Nirchein  Ay  Kein  B,  Gbein  C,  enis  C.  gelich  By  ge- 
lijche  C.  24S.  Wani  sie  spreidet  C,  sich]  sie  A.  in  daz  himelrich  By 
in  dem  hemclriiche  C,  249.  50.  Und  gift  uns  up  erden  ouch  soeze 
smach  und  guido  rouch  C,  Si  gibet  vns  vil  svzen  smak  vnd  svzen  rvch 
als  si  wol  mack  B.  251.  252  fehlen  C.  251.  Wie  A,  andern  blvmen  e. 
B.  252.  versalwet  A.  nimmer  B.  253.  Die  blvme  By  Deser  bloemen  C. 
gelvt  (?)  Ay  entboet  C.  got  BC.  254.  durch  si  liez  B.  Als  doe  he 
neder  quam  np  ertrich  C.  255.  256  fehlet^  C.  255.  Avch  in  B,  twanch 
B.  256.  verlos  A,  257.  Und  B,  Ind  leit  vnr  u.  d.  bitteren  d.  C.  258. 
8oe  C,    im  B.    entboit  C. 


560  MILCHSACK 

swer  an  sinen  schatchüt 
200    diso  schönen  blümen  tfit 

zu  der  andeni  blümen  schar, 

80  ist  der  kränz  bereitet  gar. 

swer  also  hie  geringet, 

daz  her  den  kränz  vor  gote  bringet, 
205     der  ist  säliclich  geborn 

uude  hat  daz  beste  teil  erkoni. 

Eiä,  milde  Karitas, 
hilf  uns  in  daz  palas, 
daz  wir  uns  da  gevrow^en 

270     unde  got  dar  inne  bcschowen 
unde  <lie  Üben  müter  sin, 
die  himelischen  kunegin, 
die  ist  schone  unt  wunnenclich, 
daz  mac  nü  wol  sprechen  ich. 

275     swer  eine  stunde  solt  da  sin, 
unde  were  die  werlt  rot  guldin, 
die  nemo  ich  vor  die  vroude  nicht 
noch  vor  daz  wunnecllche  licht 
eiä,  milde  Jhesü  Crist, 

280    wi  sälic  der  geborn  ist, 

der  iemer  bi  dir  wesen  sol; 


259—262  fehlen  A.  259.  Bchaten  hvt  B.  Absatz  C.  See  wer  an 
desen  eilcln  kränz  unt  hoet  C.  200.  Alle  dcde  schono  bl.  doet  C.  261. 
Und  tzo  den  C.  262.  Dan  is  C.  gemachet.  C.  263.  alBvst  B.  hir  A^ 
fehlt  B.  Soe  wer  nae  deocn  bloeiiien  ringet  6'.  264.  Und  Bulchen  k.  C. 
vor  gote  bringet]  vol  bringet  B.  265.  ind  der  (7.  selick  B^  wall  selich 
C.  266.  Und  6',  Er  B.  bezzer  B.  uizerkoren  C.  267.  milde]  du  vil 
Boeze  C.  26S.  daz  Bcbone  (vroeliche  C)  p.  ^.  269.  Da  w.  v.  inne 
vrewen  B.  Dat  w.  u.  dair  inne  moegen  ervreuwen  C.  270.  goto  A. 
Vnde  got  mvzen  bescho^wen  Bj  Ind  godc  van  hemelrich  moizen  bo- 
sehouwen  6\  271—331  fehlen  C\  271.  72.  Vnde  Bine  mvter  sente  Ma- 
rien Die  kvneginue  vrien  B.  273.  so  schone  B.  unde  Ay  vfi  Ä 
wüneuclichj  iiht  B.  274.  Man  mag  da  von  geBprechen  niht  B.  275.  ein 
B.  Bulde  A,  fehlt  B.  da  mohte  Bin  B.  276.  Wer  dise  B.  röt  fehlt  ß. 
277.  nem  er  fvr  B,  278.  fvr  des  himelrichcß  B,  279.  milde]  avzc  B, 
280.  öclick  er  B.    281.  Der  bi  dir  immer  w.  b.  B, 


DER  Sl&LE  CRANZ.  561 

deme  ist  äne  mäze  wol. 
swer  dln  antlicze  sohowen  müz, 
deme  ist  aller  sorgen  büz; 
285     der  mac  vro  sin  ummer  me, 
want  ime  wirt  da  niemer  we. 
sin  herzce  müz  in  vrouden  wesen, 
du  bist  sin  lip,  du  bist  stn  genesen, 
swaz  her  gert  von  dlner  hant, 
290    daz  gibestü  ime  alzuhant; 

wan  du  himels  unde  erde  gewaldie  bist 
unde  allis,  daz  dar  inne  ist. 
da  schowet  man  die  kunegin 
sente  Marien,  die  müter  sin, 
295    unde  mangen  engel  schönen 

mit  guldtnen  krönen 

unde  ander  heiligen  gar  vil, 

äne  zcal  unde  äne  zil. 

sne  noch  rlfe  da  gelit; 
300    da  ist  Summer  zaller  zlt, 

da  hat  der  winter  keine  gewalt. 

vil  manic  sfize  brunne  kalt 

in  der  wisen  entspringet. 

die  nachtegal  da  singet 
305    unde  ander  deine  vogelln. 

set,  da  wolle  wir  gerne  sin. 

swen  wir  sulche  mere  hören  lesen, 

so  wolle  wir  gerne  zu  himele  wesen. 

doch  so  kome  wir  so  gähs  nicht  dar, 


282.  Dem  B.  ane  zwivel  B,  283.  antlvtz  ß.  284.  Dem  ß.  285.  D. 
mag  sin  vro  imm.  m.  B.  286.  Wen  Ä,  Sine  übe  wert  immer  ane  we 
B,  287.  wirt  inden  vrevden  sweben  B.  288.  genesen]  leben  B,  289. 
Swes  B.  290.  im  B.  291.  Wenne  B,  erden  Aß.  gewaldie  bis  A^  wal- 
des  B.  292.  alliz  A,  Und  allez  richez  haldes  B,  293.  Daz  seh.  an  A, 
294.  die]  der  A.  295.  Die  macht  die  engele  schone  A,  296.  Mit  der  g. 
crone  A.  297.  U.  a.  engel  harte  v.  ß,  299.  300  sind  umgestellt  B.  299. 
da  nimmer  lit  B.  300.  zu  aller  A,  D.  1.  ovch  summer  allezit  B.  301. 
Der  Winter  hat  da  kein  g.  B.  302.  Ivter  B.  304.  da  Ivte  s.  B.  305. 
and'e^.  deine]  manich^.  306.  En  trvwen  da  wolte  Ä  307.  Swenne^ 
30«i.  wolde  B.  himel  B.  309.  D.  kvmt  nieman  so  B.  nahes  A,  nicht 
fehlt  B. 

Beiträge  znr  geschichte  der  deatsohen  gprache.   V.  36 


562  MILCHSACK 

310    daz  wir  beschowen  der  engel  schar, 
wirn  haben  ez  hie  eramet 
got  hat  uns  gewarnet 
iz  st  man  oder  wtp, 
iz  sal  kasttgen  slnen  Itp 

315    unt  nach  guten  werken  ringen, 
80  mae  ime  wol  gelingen, 
swer  aber  in  den  sunden  Itt 
unde  werltlicher  ere  phllt, 
daz  her  daz  vieisch  mestet 

320    unde  edel  gwant  an  sich  bestet: 

swer  nach  des  vleisches  willen  lebet 
unde  nicht  nach  gotes  hulden  strebet, 
der  müz  zur  helle,  des  dunket  mich, 
des  mac  her  nicht  entsagen  sich: 

325    da  müz  her  inne 

beide  braten  unde  brinne, 
in  deme  hellischen  vüre: 
da  wirt  ime  alliz  daz  zu  sflre, 
daz  her  ie  begangen  hat. 

330    da  hüt  fich  vor,  daz  ist  mtn  rät, 
unde  vor  allen  dingen, 
die  üch  zur  helle  kunnen  bringen, 
unde  dtnet  umbe  daz  ewige  leben, 
ich  wil  der  rede  ein  ende  geben. 

335        Gotes  müter,  der  sunder  tröst, 
hilf  uns,  daz  wir  werden  erlöst 


310.  er  besehe we  B.  eogele  A,  311.  Wir  A,  Em  B,  habe  es 
niht  e.  ^.  ez  fehUA,  312.  Da  bi  sei  ein  ieglich  g.  B,  313.  weip  oder 
man  B.  314.  Si  svllen  nach  gyten  werken  stan  B.  315.  Dar  n.  svUe 
wir  r.  Ä  316.  So  Wirt  vns  ^.  317.  Wer  ^.  318.  6re]  vrevden  ^.  319. 
Swer  daz  B,  320.  gewant  A.  Vfi  riche  kleider  B,  321.  Wer  aber  A. 
lebt :  strebt  B,  322.  nach  dem  tode  B.  323.  zu  d'  helle  AB.  des  fehU 
B.  325.  er  immer  innen  B,  326.  beide  fehlt  B.  brinnen  B.  327.  dem 
B,  fiwre  B.  328.  im  B,  savre  B,  329.  30.  Des  er  hie  was  gewon 
hie  hvte  sich  ein  ielich  von  B.  330.  hütet  A,  de<^z  A.  331.  Vnde  hvte 
sich  von  a.  B,  allen  den  d.  A.  332.  uch]  in  B,  zu  der  helle  AB. 
mvgen  B.    333.  Unde  fehlt  B.    334.  Hie  wil  ich  der  ^.    335.  sunden  A. 


DER  S£:LE  CRANZ.  563 


von  Bunden  unt  von  schände, 
daz  wir  heim  zu  lande 
komen  alle  yröliehe 
340    in  daz  schöne  himelrtche. 
daz  uns  daz  müze  gesehen, 
so  sprechit  alle  amen. 


335—542.  Des  laz  vns  got  mit  seiden  leben  vnde  gebe  vns  dort  daz 
immer  lebe  B,  Dit  is  uiz  ich  enhain  is  neit  me  beschreven  got 
brenge  vns  allen  in  dat  ewige  leven  dat  wir  moizen  aldae  werden 
bekant  mit  allen  heiigen  in  dat  hemelsche  lant  des  moiz  nns 
gnnnen  der  heiige  geist  und  der  vader  mit  dem  sone  allermeist  ind 
dat  dit  geschei  alzosamen     zo  ewigen  ziden  so  sprecht  alle  amen  C. 


Aus  der  Sammlung  '  Geistliche  gedichte  des  XIV.  und  XV. 
jahrh.  vom  niederrhein',  welche  Schade  nach  drucken  aus 
dem  beginnenden  16.  jahrh.  herausgegeben  hat,  sind  zwei 
stücke*)  schon  von  Lübben  in  älteren  hss.  aufgefunden  und 
zum  abdruck  gebracht  worden.  Ein  drittes,  Der  krantz  der 
gotlicher  Ueffden  Schade  a.  a.  o.  s.  229 — 35,  ist  ausser  in  die- 
sem Kölner  drucke  noch  in  zwei  handschriften  erhalten,  mit 
deren  zuhülfenahme  in  vorstehender  ausgäbe  eine  kritische  her- 
stellung  des  textes  versucht  werden  konnte.    Es  bezeichnet 

A    die    Leipziger    pergamenths.    des    Sachsenspiegels 
(no.  946)  in  folio  aus  der  zweiten  hälfte^)  des  14.  jahrh.,   in 


*)  Van  dem  begyngyn  van  parisz  Schade  a.  a.  o.  s.  337 — 56  und 
bei  LUbben,  Mittelniederdeutsche  gedichte  (Oldenburg  1868)  bo.  I,  s.  1—17 
nach  einer  Oldenburger  papierhs.  des  15.  jahrh.  Zweitens  Sent  Ansei- 
mus  vrage  tzo  marien  Schade  a.  a.  o.  s.  248 — 86  und  in  Lübbens  Zeno, 
oder  die  legende  von  den  heiligen  drei  kOnigen.  Ancelmus,  vom  leiden 
Ciiristi  (Bremen  1876)  s.  103—44  nach  einer  Oldenbarger  papierhs.  des 
14.  jahrh. 

^)  lieber  das  alter  der  hs.  bemerkt  v.  d.  Hagen  im  Grnndriss 
s.  399,  dass  sie  ^gewis  noch  aus  dem  14.  jahrh.'  stamme.  Ebenso  hat 
sie  Moriz  Haupt,  der  sich  zwar  einer  abschrift  Ho£fmanns  bediente 
(vgl.  die  folgende  anm.),  ohne  zweifei  aber  auch  die  hs.  selbst  gekannt 
haben  wird,  ohne  genauere  angäbe  des  früher  oder  später  in  dieses 
Jahrhundert  verwiesen,  Altd.  blätter  I,  s.  104.  R.  Hildebrand  dagegen 
vindiziert  sie  schon  in  der  dritten  aufläge  des  Sachsenspiegels  s.  XI  anm. 
'(\(^-n  Bchriftzügen  und  der  ganzen  haltung  nach'  mit  bestimmtheit  dem 
an  fang   des    14.  jahrh.  (und  ihm  folgend  Weinhold ,  Mhd.  grammatik 

36* 


564  MILCHSACK 

welcher  das  gedieht  auf  bl.  60  vw.  sp.  a  bis  bl.  62  vw.  sp.  b 
gelesen  wird.  Eine  umfängliche  beschreibung  derselben  hat 
schon  von  der  Hagen,  im  Grundriss  s.  399 — 406,  nebst  angäbe 
des  einganges  und  Schlusses  der  angehängten  gedichtet)  ge- 
geben, die  indessen  von  Schade  übersehen  worden  ist  Aber 
auch  von  den  auf  s.  227  von  letzterem  zum  beweise  f&r  die 
niederrheinische  herkunft  des  gedichtes  aus  dem  druck  ange- 
zogenen reimen  würde  nur  der  eine  ersein  {erseheii)  :  ein  v.  123. 
24  geltung  haben,  wenn  er  nicht  einem  niederrheinischen  ab- 
schreiber  zur  last  gelegt  werden  mtiste,  vgl.  oben  v.  219.  20; 
denn  leit  v.  26  ist  jacety  nicht  patiehatur,  dinc  :  kmt  v.  41.  42 
ist  nicht  specifisch  niederrheinisch  und  gevSre  Qdre  AB)  :  sire 
V.  231.  32  ein  guter  mitteldeutscher  reim.  Eine  sorgfältige 
und  genaue  copie  dieser  handschrift  danke  ich  herm  gymna- 
siallehrer  T.  Hayner; 

B  die  Heidelberger  pergamenths.  no.  341  in  folio,  eben- 
falls dem  14.  jahrh.  angehörig,  bl.  78c— bl.  80d; 

C   den  Kölner  druck    vom   jähre    1513.     Vgl.   Schade 
a.  a.  0.   s.  225  f. 

Die  mundarten,  in  denen  diese  drei  texte  niedergeschrie- 
ben wurden,  sind  nach  der  hcimat  ihrer  Schreiber  verschieden. 


8.  482)  und  bemerkt  zur  vierten  aufläge  ebenda,  dass  eine'verglelchimg 
der  sprachfonnen  mit  denen  in  den  Urkunden  der  Stadt  und  des  Stiftes 
Meisscn  deutlich  noch  für  das  13.  spräche.  Allein  wenn  sehon  die 
Leipziger  Sacbsenspiegelhs.  no.  946  noch  eine  recht  hübsche  genannt 
werden  darf,  so  ist  sie  doch  in  bezug  auf  feines  pergament,  eleganz  und 
Sauberkeit  der  schrift  und  künstlerische  ausstattung  keineswegs  so 
prächtig,  dass  ihr  nicht  eine  ziemliche  anzahl  zum  teil  schönerer  aus 
dem  14.  jahrh.  an  die  seite  gestellt  werden  könnte.  Auch  seigen  Ihre 
Schriftzüge  schon  nicht  mehr  die  scharfe  fraktur,  welche  das  besondere 
kennzeichen  der  hss.  des  13.  jahrh.  ist,  sondern  die  stumpferen  und  brei- 
teren Züge  des  14.  Den  sichersten  terminus  a  quo  der  entstehung  dieser 
hs.  ergibt  aber  die  schon  von  Homeyer  gemachte  beobachtong,  dass 
sie  zur  Buchschen  recension  gehört,  der  zufolge  sie  denn  auch  von  die- 
sem den  dieser  gattung  angehörenden  sämmtlich  in  die  zweite  hälfte 
des  14.  jahrh.  fallenden  texten  beigesellt  worden  ist. 

*)  Von  den  fünf  gedichteu  der  hs.  sind  meines  Wissens  bisher  nur 
zwei  veröffentlicht,  das  fünfte  Der  spüer  durch  Ho£fmann  v.  F.  in  den 
Altd.  blättern  I,  s.  H3— 65  und  das  erste  Spiegel  der  fügende  durch 
Haupt  mit  herbeiziehung  der  Dresdener  papierhs.  M,  6b  in  folio  vom 
jähre  1447,  ebenda  I,  s.  88—104. 


TA 


DER  SÄLE  CRANZ.  565 

Aß  geben  nämlich  die  mitteldeutsche,  jedoch  A  das  nördliche 
nächst  der  niederdeutschen  grenze  gesprochene  idiom,  B  ein 
mehr  südliches :  C  ist  dagegen  aus  der  feder  eines  niederrhein- 
länders  geflossen.  Die  reime  beweisen,  dass  auch  der  Ver- 
fasser des  gedichtes  ein  mitteldeutscher  war  und  dass  die 
spräche  der  hs.  A  der  seinigen  sehr  nahe  steht  Man  ver- 
gleiche vän  :  hän  3.  4 ;  gestalt :  salt  79.  80 ;  hlech  :  rvech  93. 
94;  breche  :  besteche  155.  56;  niel :  siet  181.  82;  bie  :  sie  187. 
^b]  brechen  :  bestechen  217.  18;  vor  :  tor  229.  30  und  239.  40; 
nicht :  licht  211.  78;  vüre  :  süre  327,  28.  Eine  eigentlimlich- 
kcit  des  Mitteldeutschen  sind  auch  die  apokopierten  Infinitive 
beginne  :  gewinyie  5.  6;  {clage:)sage  19.  20;  {danne  i)  zanne  56. 
57;  läze  {:sträze)  137.  38;  7ien7ie  :  erkenne  163.  64;  {Mäze:)läze 
193.  94;  weine  {:  eine)  221.22  und  {inne  :)  brinne  325.  26. 
Unter  den  reimen  sind  ausserdem  noch  folgende  assonanzen 
zu  beachten :  erstens  vocalische  gebären  :  gevaren  75.  76  (vor- 
ausgesetzt, dass  diese  beiden  nur  in  A  erhaltenen  verse  echt 
sind);  glich  :  dich  97,  98;  himelrich  :  sich  153.54  und  253. 
54;  zweitens  consonantische :  Cristum  :  sun  105.  6;  dinc  :  kint 
41.  42;   ;  sint  131.  32;    tfvanc  :  lernt  255.  56. 

Die  Unabhängigkeit  der  drei  handschriften  unter  einander 
ergil)t  sich  schon  aus  dem  bestände  ihrer  texte.  Es  fehlen 
nämlich  in  A  v.  131—36,  149—52,  259—62;  in  B  v.  5.  6 
109—112,  119,  125.  26;  in  C  v.  1—4,  31—34,  49.  50; 
53—108,  145,  147,  167—72,  189—92,  199.  200,  207.  8,  221. 
22,  251.  52,  255.  56,  271—334.  Zwischen  BC  bestehen  jedoch 
engere  verwantschaftliche  beziehungen,  das  beweist  die  grosse 
auzahl  ihnen  gemeinsamer  und  zum  teil  fehlerhafter  lesarten, 
von  denen  i"h  die  wichtigsten  anführe.  V.  18  sunden  {sunde 
A);  42  ihesum  Christum  B,  Jesus  Christus  C  {Christ,  fehlt  A);  113 
mit  {bi  B)  der  rvarheit  {der  fehlt  A).  In  allen  drei  fällen  wird 
die  lesart  von  A  durch  den  vers  gefordert.  Bedeutender  ist 
das  fehlen  des  vcrbums  {sint  A)  v.  209.  10;  v.  166,  wo  B 
daz  ist  ein  blvme  daz  si  evch  geseit  und  C  dese  blomen  sint  an- 
geseit  lesen,  aber  A  daz  ist  ein  blüme  s6  gemeit  gewis  die  echte 
lesart  bewahrt.    V.  140 — 42,  wo  BC  lesen 

Edcle  blvmen  (menich  edel  bloemgin  C)  wol  getan, 

die  im  den  weck  (eme  einen  sachten  wech  C)  bespreiten 

vnd  senften  wek  (einen  soezen  gank  C)  bereiten, 


566  MILCHSACK 

dagegen  A 

zwelf  blumen  wol  getan , 
die  ime  den  weg  gebreiten 
unde  in  wol  geleiten, 

und  man  Bich  un])edenklich  für  die  Überlieferung  in  A  ent- 
scheiden wird,  obschon  gebreiteti  in  dieser  bedeutung  nicht 
gerade  sehr  häufig  ist.    V.  220  lautet  in  B 

der  wil  ich  vil  nahen  des  besten  iehen, 
mit  stärkerer  änderung  in  C 

gerne  weinen  van  den  besten  ein 

und  in  A 

der  mfiz  ich  alles  gutes  jen, 

wodurch  der  pleonasmus  mit  v.  222  vermieden  ist    Vgl.  auch 

V,  228,  wo  sich  derselbe  ausdruck  in  B  widerholt.    Ferner  v. 

153 — 55,  die  in  A  folgende  fassung  haben 

swer  üf  den  wec  zu  himelrlch 
kumen  wil,  der  vltze  sich, 
daz  her  dl  blümen  breche, 

in  B  in  C 

Dar  vmbe  so  vleize  sich  soe  vlize  sich  dairzo  ein  iglich, 

Ein  ietslich  vf  den  weck  zv  himel-  der  dair  begert   den  wech   Eom 

rieh  u.  s.  w.  hemelrich  u.  s.  w. 

und  endlich  v.  249.  50,  wo  der  Wortlaut  in  A 

ouch  guten  smac  unde  edelen  ruch 
hat  die  bldme  äne  allen  bruch 

widerum  zweifach  umgewandelt  wurde,  nämlich 

in  B  in  C 

Si  gibet  vns  vil  svzen  smak  und  gift  uns  up  erden  ouch 

vnd  svzen  rvch  als  si  wol  mack,         soozc  smach  und  guide  rouch. 

In  beiden  stellen  ist  die  Übereinstimmung  in  BC  in  die  äugen 
fallend  und  besonders  bei  der  zweiten  die  lesart  von  A  un- 
verkennbar die  ursprüngliche.  Was  zu  den  änderungen  in  BC 
rcsp.  deren  vorläge  Veranlassung  gegeben,  ist  nicht  recht  zu 
ersehen;  bei  v.  249.  50  war  es  vielleicht  der  ausdruck  äne 
allen  bruch,  welcher  dem  abschrciber  anstoss  erregte,  da  bruch 
in  beiden  handschriften  beseitigt  ist. 

Allerdings  finden  auch  zwischen  AG  mehrmals  bemerkens- 
werte Übereinstimmungen  statt.  So  v.  22  vo7i  (sy7i  C)  swiden 
(fehlt  B);  40  m  den  sunden  {den  fehlt  B);  112  iemer liehen  A, 
jamerlicher   C    (v.   111.    12   fehlen  B);     175    gehorsamekeit  A> 


DER  s£lE  CRANZ.  567 

gehoirsamheit  C  {gehorsam  Vi)\  dieselben  sind  jedoch  nicht  der 
art,  dasB  eine  specielle  verwantschaft  von  AC  aus  ihnen  ge- 
folgert werden  dürfte. 

Obsclion  A  der  zeit  und  dem  orte  der  entstehung  des  ge- 
dichtes  ohne  zweifei  sehr  nahe  steht ,  ist  es  doch  nicht  wahr- 
scheinlich, dass  sie  unmittelbar  aus  dem  original  entstanden 
ist.  Von  geringfügigeren,  ABC  gemeinsamen  fehlem  absehend, 
hebe  icli  nur  die  tiefere  Verderbnis  in  v.  165  hervor,  wo  weder 
A  ein  kuscher  mimt,  noch  C  kuische  lief  de  das  richtige  haben 
und  die  lesart  von  B  Eine  heizet  lop  völlig  nichtssagend  ist. 
Gemeint  ist  o£fenbar  'keuschheit  des  leibes'  und  auf  Up  weist 
sowol  lop  B,  als  liefde  C,  so  dass  sich  eiii  küscher  Rp  mit 
sieherlieit  als  das  echte  erkennen  lässt 

Demnach  ist  das  handschriftenverhältnis  so  zu  construieren: 

Original 


i 


B  C 

Zur  Charakteristik  der  einzelnen  hss.  bemerke  ich  noch 
folgendes.  C  ist  nicht  nur  sehr  lückenhaft,  sondern  auch 
durchweg  so  stark  überarbeitet,  dass  die  vergleichung  einer 
beliebigen  stelle  mit  AB  genügt,  um  sich  von  dem  geringen 
kritischen  werte  dieser  hs.  zu  überzeugen.  Ebenso  ist  auch  B 
von  willkürlichen  und  den  originalen  text  wesentlich  umgestal- 
tenden iinderungen  nicht  frei.  Ersichtlich  ist  dies  schon  in  v. 
4,  wo  für  golis  hulde  aus  v.  6  daz  himelrich  eingesetzt  wurde, 
um  dann  v.  5.  6  als  überflüssig  auszulassen.  Ganz  eclatant 
ht  aber  die  beseitigung  von  reimen,  welche  der  mundart  des 
Schreibers  nicht  gemäss  waren  und  die  er,  um  sie  dieser  anzu- 
bequemen, entweder  durch  andere  reimwörter  ersetzte,  wie  in 
V.  63.  64  trän  :  gehän  A,  trehen :  sehen  B  und  185.  86  stSt 
:  barmherzeket  AC ,  gemeit :  barmherzikeit  B ,  oder  durch  ein- 
fügung  ganz  neuer  verse  aus  dem  wege  räumte,  wie  mit  aus- 
lassung  von  v.  61  nach  62,  um  sunder  :  richtSr  und  nach  155 
und  156,  um  breche :  besteche  zu  entfernen,  während  er  den 
letzteren  reim  in  v.  217.  18  unbeanstandet  gelassen  hat  Andere 
gründe,   die  vielleicht  bloss  in  seinem  besonderen  geschmack 


568  MILCHSACK 

zu  suchen  sind,  bewogen  ihn  bei  v.  35.  36,  54,  101 — 105, 
119—22,  129.  30,  145—48,  171.  72,  203.  4,  271.  72,  286, 
291.  92,  313—15,  329.  30  und  335—42  von  seiner  vorläge  ab- 
zugehen. Die  Umstellungen  von  205  und  206,  299  und  300 
sind  dagegen  wol  als  blosse  versehen  zu  betrachten.  Hiernach 
macht  es  keine  Schwierigkeit,  die  allein  in  B  vorkommenden 
verse,  deren  zwei  nach  OS,  je  vier  nach  130  und  148,  zwei 
(=  199.  200)  nach  180  und  26  nach  136  sich  finden,  aha  selb- 
ständige Zusätze  desselben  Schreibers  zu  nehmen.  Die  hinter 
V.  148  eingeschobenen  vier  verse  sind  ersichtlich  in  folge  der 
unmittelbar  voraufgehenden  umdichtung  von  v.  145 — 48  ent- 
standen, und  die  grössere  Interpolation  nach  v.  136  hat  haupt- 
sächlich später  auftretende  dinge  vorweg  genommen. 

In  A  lassen  sich  dagegen  eigene  Veränderungen  von 
einiger  bedeutung  nicht  nachweisen.  Die  mängel  dieser  hs. 
bestehen  meist  in  flüchtigkeiten  des  abschreibers  (vgl.  Hilde- 
brand, Sachsensp.  s.  XI  f.)  und  konnten  daher  gewöhnlieh 
durch  einfache  mittel  gebessert  werden. 

Bei  der  reconstruierung  des  textes  war  mithin  A  zu  gründe 
zu  legen,  BC  aber  erst  in  zweiter  linie  herbeizuziehen. 

Zum  Schlüsse  will  ich  noch  auf  einige  anklänge  an  ältere 
oder  ungefähr  gleichzeitige  gcdichte  hinweisen,  die  indessen 
wol  mehr  als  einzelne  im  gedächtnisse  des  Verfassers  haftende 
reminiscenzen  aus  seiner  lectllre,  denn  als  directe  entlehnungen 
anzusehen  sein  mögen.  V.  67  steht  ebenso  im  Leben  d.  heiL 
Franciscus  (vgl.  PfeifiFer,  Altd.  ttbungsb.  s.  60  ff.)  v.  59  daz  si 
dir  herre  got  geklcelt.  Ferner  ist  zu  vergleichen  v.  15.  16  mit 
Francisc.  76 — 78  daz  ich  mich  bekere  mit  ritve  von  der  misse- 
tat  die  min  lip  begayigoi  hat]  v.  321.  22  findet  sich  schon  bei 
Reinmar  (Wackernagel  leseb.  I*  s.  506)  Vil  mayxeger  nach  der 
Tverlte  strebet,  dem  si  doch  baesez  ende  gehet,  und  meman 
weiz ,  wie  lange  er  lebet,  und  dann  öfter,  z.  b.  im  Helmbrecht 
(Haupt  in  seiner  zschr.  IV,  s.  321  ff.)  519 — 26  sun,  vil  schemer 
jungeliyiCj  du  soll  sagen  mir  ein  dinc  {ob  dir  tvonent  rvitze  M), 
welher  baz  lebender  st,  dem  man  fluochet  unde  schiltet  und 
des  al  diu  weit  engiltet  und  mit  der  Hute  schaden  lebet  und 
wider  gotes  hulde  strebet,  und  daselbst  v.  973  ff.  der  ist  nü  der 
wise,    der  losen  unde  liegen  kan, .  .  .  leider  michels  mSre    dtmne 


DER  S£lE  CRANZ.  569 

ein  man  der  rehie  lebet  und  nach  gotes  hulden  strebet  \  vgl. 
noch  Warnung  (Haupt  in  seiner  zscbr.  I,  s.  438  flF.)  v.  2269. 
70  und  Francisc.  177.  78.  Mit  br.  Philipps  Marienl.  v.  8678. 
79  da  Jesus  Christus  vüert  den  tanz  und  treit  von  bluomen 
einen  kränz  sind  zu  vergleichen  v.  157.  58  und  mit  br.  Phil. 
V.  8697 — 99  diu  spise  ist  ouch  s6  gestalt,  srvem  rf  kamt  in  sinen 
munt,    der  bUbet  immer  mir  gesunt  v.  201.  2  unseres  gedichtes. 

WOLFENBÜTTEL.  GUSTAV  MILCHSACK. 


DTE  SKALDLSCHEN  VERSMASSE  UND  IHR 
VERHÄLTNIS  ZUR  KELTISCHEN  (IRISCHEN) 

VERSKUNST. 


jjass  die  wunderlich  gezierten  und  überküustlichen, 
reim  überladenen  versniasse  der  skaldendichtung  ohne  fremden 
einfluss  jjicli  entwickelt  hätten*),  ist  mir  —  und  wol  jedem, 
der  sich  mit  diesem  gegenstände  beschäftigt  hat  2)  —  von  an- 
fang  an  nicht  recht  glaubhaft  erschienen:  stehen  doeh  die 
Nordmänner  mit  dieser  kunstform  völlig  vereinzelt  da  unter 
allen  germanischen  stammen.  Und  in  der  tat  hat  sie  sich 
nicht  selbständig  aus  der  altgermanischen  verskunst  heraus  ent- 
wickelt, sondern  die  anregung  ist  von  der  keltischen  dichtung 
ausgegangen,  die  in  vielen  punkten  offenbar  das  Vorbild  der 
skaldischen  kunstformen  war.  —  Diese  tatsjiche  wird,  wenn- 
schon die  bemcrkung  nicht  ganz  neu  ist  3),  den  meisten  doch 
wol  unbekannt  geblieben  sein  —  erörtert  ist  sie  meines 
Wissens  nirgends  — ,  und  da  sie  von  ungemeiner  Wichtigkeit 
ist,  möclite  ich  einige  vorläufige  bemerkungen  dartlber 
nicht  so  lange  zurückhalten,  bis  ich  durch  genauere  kenntnis 
von  keltischer  spräche  und  metrik  in  die  läge  gesetzt  sein 
werde,  die  frage  gründlicher  zu  behandeln. 

Es  bedarf  zunächst  einer  kurzen  skizze  der  entwicke- 
lungsgeschiclite  der  altnordischen  versniasse,   die  in- 

*)  Wie  Olafsen  (Nordens  gamlc  digtekonst  b.  45)  meinte. 

«)  S.  iMöbius,  IslendingJidr.  25;  midebrand,  Z.  Z.  Ergbd.  8.  78; 
VVilkeii,  üiiters.  zur  Sii.  E.  s.  *2;{3. 

3)  nildebraiid  bat  a.  a.  o.  p.  78,  anm.  l  darauf  beiläufig  hin- 
gewicßen. 


EDZARDI  —  DIE  SKALDISCHEN  VERSMASSE.  571 

dessen  liier  ganz  allgemein  zu  halten  ist   und  nur  in  grossen 
Zügen  entworfen  werden  kann. 

Die  beiden  skaldiscben  versmasse,  drottkvsßtt  und  run- 
henda,  haben  bekanntlich  zwei  kennzeichnende  eigenheiten  ge- 
mein, den  regelmässigen  *)  Stabreim  und  das  princip  der  silben- 
Zählung.  Im  übrigen  gehen  beide  ihre  eigenen  wege,  indem 
l)  drottkv.  den  biunenreim,  runh.  hingegen  den  endreim  (und 
zwar  stumpfen  neben  klingendem)  einführt,  2)  aber  drottkv. 
die  silbenzahl  —  zunächst  und  hauptsächlich  —  auf  (5  fest- 
setzt (später  auch  4;  toglag,  und  8:  hrynheuda)  mit  stets 
stumpfem  ausgange^);  während  die  runh.  vom  viersilbigen 
verse  ausgeht,  dann  aber  auch  vereinzelt  mit  6  silben  auf- 
tritt 3).  Indessen  die  zurückführung  beider  auf  ein  einfacheres 
veranlass,  das  sich  von  dem  älteren  eddischen  fornyrSalag  nur 
durch  geregeltere  Stellung  der  reimstäbe  sowie  durch  durchge- 
führte silbciizählung  unterschied,  scheint  mir  zweifellos,  wenn 
wir  die  entwickelung  des  drottkv.  (und  der  runhenda)  in  um- 
gekehrter richtung  verfolgen.  Wir  kommen  dann,  wie  wir 
sehen  werden,  von  den  verschiedenen  formen  des  regelrechten 
drottkv.  durch  verschiedene  Zwischenstufen  mit  in  aufsteigender 
linie  immer  ungenaueren  und  selteneren  binnenrcimen  auf  die 
hättlausa  (Hättatal  no.  68,  Hättalykill  no.  26,  Olafsen  s.  57  f.) 
vollständiges  diottkva^tt  ohne  biunenreim*);   mälahattr   (Hätt- 

•)  Stets  drei  stäbe  an  bestimmten  stellen. 

*)  Genaueres  über  den  bau  dieses  verses  s.  bei  Sievers,  Skalden- 
raetrik  in  diesem  bände  s.  455  flf.  [Ich  benutze  diesen  gediegenen  auf- 
satz  in  einem  vom  verf.  mir  gütigst  zugesanten  Separatabdruck.] 

^)  Nach  Ildttatal  s.231,  28  (ich  citiere  gewöhnlich  nach  Jonsson)  wäre 
diese  form  dem  di'öttkv.  nachgebildet.  Da  übrigeus  runh.-strophen  ver- 
hältnismässig sehr  selten  erhalten  sind,  lassen  sich  regeln  und  entwicke- 
lungsgang  dieses  versmasses  lange  nicht  so  sicher  beurteilen  wie  beim 
drottkv.  Dreisilbige  sowie  sieben-  (hezw.  acht-)  silbige  runh.-strophen, 
wie  sie  in  Sn.  K.  (Hattatal  no.  83  und  IM))  wol  nur  als  beispiele  princi- 
piell  angenommener  versarten  stehen,  sind  mir  tatsächlich  vor  Snorre 
nicht  begegnet  —  abgesehen  von  dem  Hdttalykill  des  jarl  Rögnvald  (Sn. 
E.,  Reykjaviker  ausg.  s.  239  flf.)  no.  7  (Rekit)  und  den  MdlshdttakvaeÖi 
(des  Bjarne  Kolbeinsson?).  —  Später  wird  dies  versmass  bekanntlich 
die  grundform  der  rfmur-dichtung. 

^)  Die  hättlausa  findet  sich  z.  b.  in  Egilssaga  (Reykjavik  1856), 
s.  17^/179  (besondere  anklänge  an  keltische  zwischenreime:  sendi :  fun- 
dar\   bera  :  varir\  gestir :  nest)\  183>;  205/206,  1—4;  HallfretJars.  (Fs.)  s. 


572  EDZARDI 

atal  no.  93),  bei  dem  die  fllnfsilbigkeit  (genauer  wol  der  ein- 
Schub  eines  meist  langen,  jedenfalls  al)er  tonfähigen  wortos*) 
zwischen  den  ersten  und  zweiten  takt)  wesentlich  zu  sein 
seheint-),  und  das  balkarla^^^)  (Hättatal  no.  95,  Uättalykill 
no.  19)  mit  vier  ȟben  und  zuweilen  einem  auftakt  (wie  ok, 
i,  af  u.  dgl.).**)  Die  beiden  letzteren  scheinen  sich  aus  den 
länireren  und  kürzeren  versen  des  alten  fornyröalag  (kviSuh&ttr) 
entwickelt  zu  haben,  wol  unter  einfluss  der  keltischen  vers- 
kunst  ^),  der  die  hattlausa  Überhaupt  euluommen  zu  sein  scheint 
(s.  unten).  Malahattr  findet  sich  schon  in  den  Atlamjd  vor- 
hersehend, ebenso  in  den  jüngeren  teilen  der  AtlakviSa  und 
den  IlamÖismal  (Uugge,  Z.  Z.  Vli,  386) ;  balkarlag  findet  sich, 
wenn  auch  nicht  immer  streng  durchgeführt,  in  manchen  Edda- 
liedern.^)     Andererseits    kommen    in    manchen    Eddaliedern 


s() ;  [Sverrissa^a  ( üng^er)  p.  :U0  V]  Eine  abart  findet  sich  in  Egilss.  8. 7S 
und  90*.  —  Mit  dem  auftreten  der  h«AttIauBa  in  den  Kr&kumdl  hat  es 
eine  andere  bewantni»  (s.  IStonu,  Ilii^ar  Lodbrok  s.  118  f.). 

*)  Ferner  drei  reimstäbe,  deren  Stellung  jedoch  noch  nicht  fest  ge- 
regelt ist  —  soweit  man  nach  dem  beispiel  in  Hättatal  urteilen  kann. 

2)  Bugge  (Z.  Z.  YII,  3S6)  fasst  diese  eigentUmlichkeit  als  <  erweite- 
runi?  der  verszeile  um  eine  hebung*  auf. 

3)  Starkat^arlag  (Hatttital  no.  90)  scheint  damit  im  wesentlichen 
identisch  zu  sein. 

*)  Eine  abart  des  balkarlag  bespricht  Olafscn  s.  50.  Sie  hat  im 
ersten  halbvorse  fast  durchweg  drei  silbeu  neben  vier  silben  (event  mit 
auftakt)  im  zweiten  halbvcrtiie  des  verspaars.  Ziemlich  durchgeführt  ist 
dies  im  Yn^lingatal  und  UaleygjatAl,  in  Egils  Sonartorrek  und  Arinbjar- 
nardrapa,  in  Tliorarios  Gla'Iognskvic^a,  Sturla  Tliordarsons  Il&konarkvitte 
u.  s.  w.  Dagegen  in  dem  regelrechten  balkarlag  sind  z.  b.  verfasst 
Gisl  Illugasons  lied  auf  Magnus  Barfuss,  Ivars  Sigurt^arbalkr,  2  Strophen- 
paare  in  der  Bjamarsaga  Hitd.  (1S47)  s.  23  f.  und  2S  f.  u.  s.  w. 

''*)  Für  den  mdlalidttr  beachte  man  das  tlinfsilbige  versmass  bei 
Zeuss,  Gr.  Celt.»,  904.  900. 

^)  Z.  b.  in  der  ganzen  Hymiskvit^a,  wie  ich  schon  Germ.  XXIII, 
s.  439  andeutete,  wenn  man  die  von  Sievers,  Beitr.  V,  s.  455  flf.  be> 
sprochenen  ])unkte  berücksichtigt.  Natürlich  muss  Überall  ^s  statt  er 
stehen,  femer  bragarmal  (3,7;  32,  t.3:  kannkak  32,0  fSievers  s.  467  f.], 
pvi's'k  32,  ^;  svät  25,  3;  —  verschleifung :  munum  16,  5;  skulu  39,  6; 
Ci)la  20,  5;  nema  2S,  s;  ;u),  1.  5  (?)•,  3S,  5  (?);  —  elision,  bozw.  verschlei- 
fung: 3.  2;  0,  1  ;  7,  7;  20,  8;  20,  l  *,  37,  7.  S;  —  pronomen  su  streichen: 
/>M  nacligestellt  11,  1;  12,  1;  17,  5;   vor  dem  verb:   26,  3;    17,  6;  19,     8 


DIE  SKALDISCHEN  VERSMASSE.  573 

mehr  als  vereinzelte  —  ja  in  Atlamil  recht  zahlreiche*)  — 
binnenreime  vor,  und  die  zahl  derselben  wird  noch  grösser, 
wenn  wir  die  wahrscheinlich  ältesten  fälle  dieser  art  —  nach- 
ahniungen  der  keltischen  'zwischenreime',  s.  unten  —  auch  in 
den  zwischenreimen  der  Eddalieder  zu  finden  uns  gewöhnen. 
Ich  meine  reime  wie  hrretiask  halir  \  a  helvegum,  drepr  kann 
af  mötii  I  Mibgarbs  viurr,  oder  rijbr  ragna  siot  \  rauöum 
dreyra,  sal  sä  hon  standa  sölu  fiarri  u.  s.  w.,  worüber  unten 
mehr.  —  Dass  auch  der  endroim  in  den  Eddaliedern  schon 
gelegentlich  2)  —  und  in  den  meisten  fällen  nicht  ohne  ab- 
sieht 3),  jedenfalls  nicht  ohne  Wirkung  (vgl.  H.  H.  I.   13,  7  f.; 


(in  den  beiden  letzteren  fällen  könnte  man  anch  auftakt  von  ef  en  anneh- 
men);   er  38,  1;    kann  nachgestellt  3,  5;    7,  5;    25,  5;  27,  7-,  29,  5  (?); 

35,  5;  36,  l  ;  38,  7;  pär  1,  7  (25,  2?)-,  —  Veorr,  veurr  (11,  10;  17,  1; 
21,  7)  und  ve'ar  werden  nach  Sievers  s.  462  einsilbig  gebraucht.  —  So- 
dann müssen  wir,  wie  in  den  beispielstrophen  des  balkarlag,  einsilbigen 
auftakt  unbetonter  Wörter  zugestehen:  0/  4,  4;  at  5,  4;  und  9,  4;  12,  2; 
i  11,  2;  Ol  U,  4;  af  11,  6;  fyr  29,  8;  ör  32,  4;  metS  3^  6;  ferner  ef 
33,  2;  fl&r  15,  6;  er  7,  8;  25,  2  (?);  29,  2.  Es  ist  zu  beachten,  dass 
dies,  wie  in  den  beispielen  des  balkarlag,  nur  im  zweiten  halbverse 
vorkommt.  Unregelmässig  bleibt  demnach  14,  5  {väru  statt  6inersilbe); 
29,  7  (bdru  ebenso);  7,  4  (unz  Hl  im  auftakt);  ferner  22,  6,  wo  fia  zu 
lesen  sein  wird  (Sievers  s.  515),  darnach  auch  32,  4  kne'am  und  ör  als 
auftakt;  27,  6  wird  me^  zu  streichen  sein,  ebenso  28,  5  mann,  was  hier 
auch  die  regeln  des  Stabreims  erfordern;  in  den  parallelversen  34,  5  und 

36,  1  ist  zunächst  upp  (34,  5)  und  kann  (36,  1)  zu  streichen,  dann  aber 
möglicherweise  auch  ser  in  beiden  versen;  29,  6  und  34,  3  wird  gögnum 
statt  i  gögnum  zu  lesen  sein.  —  Ich  gehe  auf  diesen  punkt  nicht  weiter 
ein,  um  der  von  Sievers  (s.  450)  angekündigten  Untersuchung  nicht  vor- 
zugreifen. 

^)  Vgl.Grundtvig,  hist.tidskr.IV,  bd.  I,  s.  78  f.  Ausserdem  nenne  ich 
noch  in  Atlam.  6,  2  (9,  2?);  11,  7  (13,  6?);  21,  4;  25,  5;  28,  5;  29,  5; 
33,5;  35,3;  3S,  1;  39,  2;  43,2;  47,  5.  6;  51,6;  53,  1;  54,2;  54,8;  61, 
2;  67,  6;  68,  3;  74,  2  (?);  76,  3;  77,  7;  78,  6;  79,  8;  83,  11;  84,  6;  89, 
3;  90,  2;  91,  5;  93,  8;  95,  6;  96,  5;  99,  2;  101,  2;  101,  5;  in  Vsp.  10, 
6;  20,  4;  20,  5;  23,  9  ('23,  12?);  24,  7;  33,  3  (36,  4?):  53,  4;  53,  5; 
53,  7:    56,  6;    57,  2;   5S,  8;   64,  3  (?);   64,  7;  68,  1  (?);   68,  3  u.  s.w. 

2)  Vgl.  Wenzel,  Die  ältere  Edda  s.  XXI  und  übrigens  unten  s.  574 
anmerk.   1. 

3)  An  allen  stellen  finden  sich  4  silben  und  fast  tiberall  3  reim- 
stäbe,  also  vollständige  runhenda. 


574  EDZARDI 

28,  1  f.;    Hym,  24,  1  f.  A;  Vsp.  53,  5  f.    Drkv.  24,  5  f.  0  — 
sich  findet,  ist  bekannt 

Das  balkarlag  seheint  nun  der  ausgangspunkt  geworden 
zu  sein  für  die  viersilbige  (grund-)  form  der  runhenda,  sowie 
flu*  die  kürzere  viersilbige  form  des  drottkvaett,  das  toglag, 
die  ungefähr  ein  Jahrhundert^)  nach  der  runhenda  zuerst 
auftritt,  weshalb  die  silbenzahl  desselben  auch  durch  nacb- 
ahmung  der  runhenda  bestimmt  sein  könnte."*)  Etwa  gleich- 
zeitig^) mit  dem  toglag  tritt  auch  eine  verlängerte  form  des 
drottkv.,  die  achtsilbij^c  hrynhenda  auf,  auf  deren  —  schwer- 
lich von  aussen  her  unbeeinflusste  —  entstehung  ich  noch  zu- 
rückkomme. —  Eine  regelmässig  füufsilbige  form  des  mä,lah&ttr 
findet  sich  vereinzelt^)  bei  Skalden,  daraus  entwickelte  sich 
das  fttnfsilbige  drottkvsett  (HaÖarlag,  H&ttatal  no.  80,  H&tta- 
lykill  no.  27). 


0  oxa :  laxa,  dena  auch  ungenaue  reime  gehören  hierher,  wie 
ifyggvar  -.  hyggja  Vsp.  (iO,  5;  hyggja  :  tveggja  Vsp.  C5,  5;  sagtSak  :  pegja 
Vgtkv.  u.  s.  w. 

2)  Toglag,  in  dem  Übrigens  die  xweisilbigkeit  des  endwortes  auf- 
gegeben ist,  tritt  zuerst  bei  Thorarin  loftunga  (erste  hälfte  des  11.  jh.) 
in  der  togdrapa  auf,  nach  welcher  das  versmass  seinen  namen  erhalten 
zu  haben  scheint,  ^ighvat  dichtete  »eine  Knütsdrdpa  (ed.  TemstrOm,  Om 
Skalden  Sighvat  Thordssun,  Lund  1S71,  s.  :{0  ff.)  in  diesem  versmasse, 
welches  ausserdem  selten  crsclieint,  z.  b.  haben  wir  aus  dem  !2.  jahrh. 
2  Strophen  von  Thorvald  blonduskald  (Msk.  157),  l  strophe  vun  Thorarin 
stuttfeld  (Ilkr.  602,  Msk.  157),  beide  mit  mehreren  reimlosen  versen; 
2  Strophen  vonUalldor  [skvaldre],  12  jh.  anfg.,  Msk.  200;  eine  halbstr. 
von  Kinar  Skulason  ebenda,  eine  anonyme  halbstrophe  in  Sn.  E.  137, 
21  u.  s.  w. 

'')  Anders,  aber  schwerlich  richtig,  Sn.  E.  231,7.  Andererseits 
scheint  das  achtsiibige  drottkvictt  (hrynhenda)  in  der  7 — 8 silbigen  run- 
henda (die  der  rimur-strophc  />u  gründe  liegt)  nacligebildet  zu  sein.  So 
auch  Möbius,  Z.  Z.  Ergbd.  s.  22 ;  vgl.  aber  die  unten  besprochenen  Bieben- 
silbigcn  irischen  verse. 

-^)  Meines  wissens  das  erste  überlieferte,  und  wol  auch  das  erste 
übrrliaiipt  in  hrynhenda  YOrfasäte  gedieht  ist  Amor  jarlaskalds  Magnus- 
drapa  l(.'4t>.  Eine  andere  hrynhenda  dichtete  viel  später  Stnrla  Thord«)r- 
son  (gedruckt  bei  VViscn,  U  rval  s.  75  ff.).  Inzwischen  haben  wir  wenige 
spuren  (z.  b.  Strophen  des  iMarkus  [^keggjason]  um  llOO,  Sn.  £.  106, 
IS;    17(),  20)  dieses  später  beliebt  gewordenen  versmasses,  s.  u.  s.  584*. 

^)  Z.  b.  in  den  Ilrafusmal  des  Thormod  Treffilsson  (£yrb.  s.  43 
[122].  ü^[192J.  b'6  [232].  lOh  [28bJ.  113  [312j)  mit  noch  nicht  streng  durch- 


DIE  SKALDISCHEN  VERSMASSE.  575 

Die  entstehung  des  sechssilbigen  dröttkvsett  können  wir 
nicht  mehr  völlig  verfolgen,  und  wenn  die  dem  Brage  sowie 
Harald  Harschöns  hofskalden  (besonders  Thiodolf  und  Horn- 
klofi)  zugeschriebenen  Strophen  und  gedichte  wirklich  um  820 
(?)  bezw.  900  gedichtet  sind^),  so  verlieren  sich  die  anfange 
in  vorhistorische  zeit.  Doch  können  wir  eine  stufenweise  fort- 
schreitende Vervollkommnung  in  der  reimtechnik  beim  dröttkv. 
verfolgen.  Die  versmasse,  welche  in  Hättatal  als  solche  be- 
zeichnet sind,  er  fornskald  hafa  kvebit  (Egilshättr  uo.  57  [55], 
Torf-Einarshittr  no.  56  2);  Ragnarshattr  LoÖbrokar  no.  55) 
stehen  tatsächlich  auf  einer  primitiveren  entwickelungsstufe 
als  die  meisten  andern.^)  Die  von  Torf-Einar  (um  900)  in 
Hkr.  citierten  Strophen  entsprechen  tatsächlich  dem  Torf-Einars- 
hättr  im  wesentlichen;  auch  in  jenen  ist  je  der  erste  halbvers 
vorwiegend  reimlos,  je  der  zweite  meist  gereimt,  und  zwar 
meist  in  skothenda.  Ueberhaupt  tritt  eine  grundsätzliche 
Unterscheidung  zwischen  skothending  und  aöalhending  erst  mit 
der  zeit  hervor  und  wird  erst  allmählich  durchgeführt;  ofiFen- 
bar  war  sie  zunächst  nicht  beabsichtigt:  man  reimte  so  gut  es 
gieng,  genau  oder  ungenau,  und  erst  die  späteren  skalden 
Hessen  sich  diese  gelegenheit,  ihr  metrisches  System  noch 
künstlicher  zu  gestalten,  nicht  entgehen.  Insofern  nähert  sich 
auch  der  skothendr  hättr  (Hättatal  no.  53)  den  reimverhält- 
nissen  der  ältesten  drottkvaßttstrophen.  —  Zu  bemerken  ist, 
dass  der  vierte  halbvers  stets  am  genauesten  reimt,  dass  hier 
am  seltensten  der  reim  fehlt,  hier  am  häufigsten  aSalhending 
steht.    Es  hängt  das  mit   dem    allgemein  bekannten  streben 


geführten  binnen-  (übrigens  auch  mehreren  end-)  reimen;  also  tibergang 
zum  Hafiarlag,  welches  vollständig  vorliegt  in  Sturla  Thordarsons  (wol 
nach  diesem  liede)  ebenfalls  ^Hrafnsmär  genannten  gedichte.  Vielfache 
anklänge  zeigen  die  Haraldsmdl  des  Uornklofe.  Dies  versmass  behält 
den  klingenden  ausgang  bei  und  ii^t  nicht  zu  verwechseln  mit  dem  ver- 
kürzten dröttkva'tr  mit  stumpfem  ausgange,  welches  ebenfalls  fUnfasilbige 
vorse  hat,  z.  b.  bei  Ottar  (Ön.  E.  165,  1—4;  168,  33  ff.;  172,  3  ff.;  174, 
5  iT.)  und  Orm  Stein thorsson  (Sn.  E.  138,  19  ff.). 

')  Vgl.  Germ.  XXIII,  s.  431  f.  und  unten  s.  576,  anm.  1). 

2)  Vgl.  munnvorp  no.  67  (fast  identisch  damit),  in  welchem  versmasse 
die  J6m svikingadräpa  abgefasst  ist,  s.  Möbius,  Islendingadr.  s.  26  [Hdtt- 
alykill  no.  8,  fehlt]. 

^)  Nur  dass  hier  eine  ktinstliche  regelmässigkeit  hergestellt  ist. 


576  EDZABDI 

zusammeu,  gegen  das  ende  zu  das  versmass  am  reinsten  und 
deutlichsten  hervortreten  zu  lassen.  Ein  solches  ende  lag  aber 
bei  dein  Schlüsse  jeder  halbstrophe  vor,  denn  die  halbstropbe 
bildet  bei  den  skalden  so  gut  wie  durchweg  eine  einheit  fttr 
sich;  weshalb  uns  auch  bei  citaten  in  Sn.  £.  fast  nur  halb- 
Strophen  überliefert  sind  (vgl.  unten  s.  583). 

Wir  können  nun  in  der  tat  eine  zunehmende  regelmässig- 
keit  der  reim  Verhältnisse  beobachten,  die  der  chronologischen 
folge  —  die  riehtigkeit  der  Überlieferung  der  verfassernamen 
im  allgemeinen  hier  zunächst  vorausgesetzt —  entspricht,  von 
Torf-Einar  und  Brage  (Kagnarsdr&pa)  zur  Haustlong  [Thio- 
dolf?*)]  und  weiter  zu  Egil  [und  Eyvind],  zur  Hüsdräpa  (Ulf 
Uggasou),  t>(>rsdrapa  (Eilif  Gudrunarson),  zu  Hallfred  u.  s.  w., 
endlich  zu  Sighvat  (Aruor)  u.  s.  w.  Auf  eine  weitere  ausflih- 
ruug  und  begriindung  dieses  Satzes,  die  massenhafte  belege  er- 
fordern würde,  muss  ich  eben  deshalb  vorläufig  verzichten  und 
beschränke  mich  daher  darauf,  den  allmählichen  (Ibergang 
durch  eine  tabellarische  Zusammenstellung  zu  veranschaulichen, 
deren  Zahlenverhältnisse  —  wenn  auch  im  einzelnen  yielleicht 
noch  zu  berichtigen  2)  —  in  der  hauptsache  doch  zuverlässig 
sein  werden;  und  darauf  kommt  es  hier  ja  nur  an.  Als  bei- 
spiele  habe  ich  gewählt:  I.  die  einzelstrophen,  die  unter  Torf- 
Eiuars  und  Brages^)  namen  citiert  sind  —  8 Vi  Strophen; 
IL  die  (Brageu  zugeschriebene)  Haustlong  —  20  Strophen; 
ni.  die  letzten  20  drottkvaettstrr.  in  der  Egilssaga.  Diese  sind 
allerdings  nur  mit  vorsieht  zu  benutzen,  weil  ein  teil  derselben 
wahrscheinlich  nicht  von  Egil  herrührt,  andererseits  aber  in  den 


0  Der  reimtechDik  nach  wtirde  diie  HaustloDg  eher  in  die  zweite 
hiUt'te  des  lo.  jh.  zu  setzen  sein. 

')  Die  noch  nicht  gcnU<j^end  untersuchten  reim  Verhältnisse  hinsicht- 
lich (los  M- Umlautes  o  [meiuü  bemcikungen  in  Beitr.  IV,  8.  141  anm. 
halte  ich  nicht  mehr  alle  aufrecht],  sowie  des  mitreimens  der  ableitungs- 
consuiianten,  ferner  der  rcimtahigkeit  einzelner  Wörter  u.  8.  w.  lassen  in 
maucher  hinsieht  verschiedene  beurteilungen  zu  [b.  u.  b.  590].  Ich  habe 
solche  fraglichen  falle,  die  von  der  hauptzahl  in  abrechnung  kommen 
könnten,  in  |  ]  hinter  diese  gesetzt.  —  Dass  in  manchen  fUUen  nnregel- 
mässigkeiteu  unserer  Überlieferung,  oder  auch  nur  unseren  texten  zur 
last  fallen  können,  ist  natürlich  auch  mit  in  anschlag  zu  bringen. 

3)  Ohne  die  von  mir  zur  Husdrapa  gezogenen,  vgl.  Germ.  XXIII, 
B.  431  f. 


DIE  SKALDISCHEN  VERSMASSE.  577 

Unregelmässigkeiten  manchmal  doch  wider  eine  gewisse  regel- 
mässigkeit berscht,  so  dass  beabsichtigte  kuustformen  vorliegen 
können  —  20  strr. ;  V.  die  Dorsdräpa  des  Eilif  Gudrunarson  — 
19  strr.;  VI.  die  Hüsdräpa  des  Ulf  Uggasou,  wie  ich  sie  teil- 
weise in  Germ.  XXIII,  s.  426  flf.  versucht  habe  herzustellen 
(um  985)  —  113/4  strr.;  VII.  Hallfreds  O'lafsdiäpa  von  1001/2 
—  25  strr.;  VIII.  Sighvats  Austrfararvisur  (ed.  Ternström 
a.  a.  0.  s.  12  flf.)  nebst  der  (p,  10)  dort  vorhergehenden 
Strophe  —  20  Strophen: 

vers    reimlos    skoth.    at^alh.  vers    reimloB    skoth.    aSalh. 

I.        l.  15  2         —  2.  3  10  4 

3.  9  6  [2]    2  [1]  4.  2  9  [t]     6 


t   +  3.       24  8  [2]    2  [t]  2  +  4.        5  19  [l]    10 


IL         t.  13  [1]     7  [l]     —  ?.  1  12  7») 

3.  8  11  [2]       1  4.  1  5  14 


14-3.       21  [1]    18  [2]      l  2  +  4.       2  17  21 


III. 

1. 

3. 

11  [1] 

5  [2] 

25  [2] 
29  [2] 

4 
6 

2. 
4. 

2[1] 

38  [3] 

40  [6] 

1 

4-  3. 

16  [3] 

54  [4] 

10 

2  +  4. 

2[1] 

78  [9] 

IV. 

1. 

3. 

8[1] 
8  [1] 

27 

28 

5 
4 

2. 
4. 

20 

20  [1] 

1 

+  3. 

16  [2] 

55 

9 

2  +  4. 

— 



40  [1] 

V. 

1. 
3. 

3  [1] 
1 

32  [1] 
28 

3 
9 

[1] 

2. 
4. 

_- 

3(1] 

35  [4] 
38 

1 

+  3. 

4[1] 

60  [1] 

12 

[t] 

2  +  4. 

— 

3[1] 

73  [4] 

VI. 

l 

1. 
3. 

2 
4 

18 
16 

2 
3 

2. 
4. 

— 

2 
1 

20  [2] 
22 

+  3. 

6^) 

34 

5 

2  +  4. 

3 

42  [2] 

VII. 

1. 
3. 

4 

38 
44 

8 
6 

2. 
4. 

^.^ 

1 

60  [1] 
49 

1 

+  3. 

4 

82 

14 

2  +  4. 

— 

1 

99  [1] 

0  Sn.  £.  146,  32  f.  wird  vermutlich  zu  lesen  sein:  svd  yt  sem 
orrosiu  \  leiii  ce  pöit  etti\  der  vers  (mit  endreim)  ist  ofifenbar  entstellt 
überliefert. 

^)  Davon  kommen  vielleicht  zwei  (8,  1  und  3)  auf  fehlerhafte  über- 

Beitrüge  xur  gesohiohte  der  deatfohen  spräche.  V.  37 


578  EDZAEDI 

vers    reimlos    skoth.    aSalh.  vers    reimlos    skoth.    attelh. 

YIII.       l.  2  34  4  2.         —  1  89 

3.        —  36  4  [1]  4.         —  —         40  [1] 

1  +  3.      2  ~7Ö  sllf      2  +  4.     —  1  79  [1] 

Um  das  Verhältnis  der  reimtechnik  der  einzelnen  dichter, 
bezw.  gedichte  zu  einander  besser  zu  veranschaulichen,  stelle 
ich  die  verhältniszahlen,  fbr  je  20  Strophen  berechnet,  neben 
einander.    Es  kommen  auf  je  20  Strophen  im  ganzen  in 

gereimt 


reimlos 

skoth. 

at$alh. 

regelm. 

nnregelm. 

I.  (8V2  :  20) 

GS 

64 

28 

42 

50 

IL   (10:20) 

46 

70 

44 

76 

36 

TTT. 

16 

56 

88 

132 

12 

IV. 

16 

55 

89 

135 

9 

V.  (10  :  20) 

4 

66 

90 

140 

16 

VI.  (II3/4 :  20) 

10(7?) 

66(69?)    84 

135(138) 

15 

VII.  (25  :  20) 

3 

67 

90 

145 

12 

VIIL 

2 

71 

87 

149 

9 

Als  regelmässig  oder  unregelmässig  bezeichne  ich  hier  die 
reime,  je  nachdem  skoth.  und  at^alh.  nach  den  regeln  des  aus- 
gebildeten druttkvsßtt  au  rechter  stelle  steht  oder  nicht  Man 
sieht  hier  deutlich  den  entwickelungsgang  des  dröttkvflett: 
das  allmähliche  verschwinden  ungereimter  verse,  die  sich  doch 
im  anfange  der  hall)strophcn  am  längsten  halten,  während 
der  zweite  und  namentlich  der  vierte  vers  bald  ziemlich  regel- 
mässig adalhending  zeigen.  Die  zweite  hälfte  der  halbstrophe 
ist  also  im  ganzen  regelmässiger  gebaut  als  die  erste.  Im 
dritten  (und  auch  im  ernten)  verse  steht  nicht  selten  adalh^ 
und  diese  unregelmäsRigkcit  bleibt  am  längsten. 

Können  wir  so,  zwar  nicht  die  entstehung,  aber  doch  den. 
entwickelungsgang  des  drottkva^tt  verfolgen,  so  liegt  die  sache 
anders  bei  der  runhcnda  [vgl.  Möbius,  Z.  Z.  Ergbd.  s.  22  f.]. 
Die  erste  in  diesem  versniasse  vorkommende  dichtung  —  ab- 
gesehen von  einer  dem  iSkaIlap;rim  zugeschriebenen  Strophe  in 
der  Egilssaga^)  —    ist   die  HofuSlausn   des    Egil,    ein    lied, 

Hoferung.  —  Für  Ulfs  reimtechnik  kommt  auch  noch  die  atrophe  Fidb. 
II,  230  in  betracht 

1)   Rey kj.  Ib56  s.  54.    Diese  [um  878  (?)  angesetzt,  8.  s.  286]   tbiv 


DIE  SKALDISCHEN  VERSMASSE.  579 

welches  dem  Egil  abzusprechen  kein  grund  vorliegt  —  wol 
aber  spricht  vieles  für  die  echtheit  Dies  gedieht  wird  also  in 
der  ersten  hälfte  des  10.  jahrh.  gedichtet  sein.  Von  da  ab 
folgen  mehrere  lieder  und  Strophen  in  dieser  versform,  die 
vielleicht  nachahmungen  jener  berühmten  dräpa  waren,  so 
Gunnlaugs  drapa  auf  Adalrad  (aufang  des  11.  jahrh.),  Thord 
Kolbeinssons  spottlied  (3  Strophen)  in  der  Bjamarsaga  Hitd. 
1847  8.  42  f.,  Thjodolf  des  Jüngern  dripa  auf  Harald  harÖriÖe, 
Sn.  E.  155,  16—30,  Fsk.  106,  Hkr.  (Unger)  547;  eine  Strophe 
des  Berse  (um  985^?),  der  in  nahen  beziehungen  zu  Olaf  Pfau^) 
stand,  citiert  die  Laxd.  (Akureyri  1867)  s.  71.  In  Sn.  E., 
Hkr.,  Fsk.,  Msk.  finden  sich  sehr  wenige  runhendastrophen. 
Ausser  den  angeführten  habe  ich  nur  folgende  notiert:  eine 
Strophe  des  Thord  Sjareksson  in  Sn.  E.  88,  12  ff.  vom  anfange 
des  11.  jahrh.,  desgl.  eine  strophe  des  Porgils  Hglluson  (um 
1010)  in  Laxd.  (1867)  s.  189  f.;  aus  dem  12.  jahrh.  sind 
atrophen  (auf  Eystein)  von  Einar  Skulason  überliefert  in  Sn. 
E.  169,  8;  170,  21;  175,25;  ferner  in  Msk.  223,  5;  225,  1—8. 
23—24.  27—30;  226,  1—4.  8—11.  13—16;  Hkr.  s.  741  f. 
(7  Strophen).  In  der  Sverrissaga  (Unger  s.  73,  16  ff.)  ist  eine 
Strophe  des  Bjarne  Ealfsson  citiert,  diese  hat  aber  schon 
seehssilbige  verse,  wie  auch  die  strophe  des  Thorgils  in  der 
Laxd.  Wir  kommen  damit  auf  eine  Verbindung  der  runhenda 
mit  der  grundform  des  drottkvsBtt  (über  die  Übergangsformen 
s.  unten).  Anonyme  runhenda  verse  finden  sich  in  Hkr.  729 
(2  verse)  und  im  vierten  grammatischen  traktat  der  Sn.  E.,  AM. 
II,  200.  224.  240.  Diese  Zusammenstellung  macht  keineswegs 
anspruch  auf  Vollständigkeit,  zeigt  aber  mindestens  so  viel, 
dass  die  runhenda  überhaupt  selten  angewant  ist,  und  däss 
vor  der  HofuSlausn  Egils,  ausser  der  zweifelhaften  strophe 
Skallagrims,  vorkommen  der  runhenda  nicht  nachweisbar  ist 
—  Siebensilbigc  runhenda,  die  üborgangsform  zu  der  rlmur- 
vcrsform ,  findet  sich ,  wie  erwähnt,  in  den  M&lsh&ttakvsBÖi 
(Z.  Z.  Ergbd.  1  ff.). 

Es  erübrigt  nun   noch,    einiger  künstlicherer  formen  des 

anlasste  wol  Keysers  angäbe  (s.  83),  dass  runhenda  schon  im  9.  jahrh. 
sich  finde. 

<)   Dem   Schwiegersohn   Egils.     Vgl.   hierzu    auch   Germ.   XXIII, 
s.  429  anm. 

37* 


r>80  EDZARDI 

drottkviett  zu  crwrihncn,  in  der  das  wesentliche  der  runhenday 
der  endreiui  oder  zwisehenreim  noch  hinzugetreten  ist  £s  sind 
dies  zunächst  die  liÖhendur  (HattatuI  no.  42.  54  [vgl.  59]  und 
dunhenda  (Hattatal  m.  25,  llattalykill  no.  33,  Olafsen  s.  62 
und  s.  108  f.).  Das  wesentliche  dabei  ist,  das»  die  skothend. 
des  ersten  mit  der  adalli.  des  zweiten  hall)verse8  unter  einan- 
der durch  reim  oder  assonanz  gebunden  werden,  so  dass  am 
ende  der  lialbverse  zwisclien  halbvors  1  und  2,  H  und  4  skoth. 
oder  adalh.,  unter  umstünden  auch  vollständiger  endreim  ent- 
steht. Dies  scheint  man  im  allgemeinen  mehr  als  einen  er- 
wünschten schmuck  denn  als  eine  consequent  durchgeführte 
kunsttorm  i)ctrachtet  zu  liaben.  weshalb  denn  auch  die  liShenda 
oft  nur  1  mal,  seltener  2  mal,  sehr  selten  3 — 4  mal  in  einer 
Strophe  auftritt.  Manche  dichter  zeigen  eine  besondere  ver- 
liebe für  dies  künstliche  versmass,  so  namentlich  Egil  (z.  b.  in 
der  Keykj.  ausg.  einmal  s.  119»,  5  f.;  165/166,  7  f.,  180*,  1  f.; 
206/207,  1  f.;  —  zweimal  116,  3  f.  5  f.;  160 1,  1  f.  7  £; 
160'^,  3  f.;  209,  1  f.  3  f.;  226,  5  f.  7  f.;  —  dreimal  125,  1  f. 
3  f.  7  f.;  127,  1  f.  3  f.  7  f.;  136,  3  f.  5  f.  7  f.  u.  ß.  w.), 
ferner  Ulf  Uggason  (s.  Germ.  XXIIl,  s.  433).  In  der  Sn.  E. 
tritt  diese  neiguug  namentlich  bei  Einar  skAlaglam^)  hervor: 
82,  30;  136,  11;  137,  10;  142,6  und  8;  164,  3  und  5«);  auch 
bei  Arnor  jarlaskald:  105,  22;  153,  1,  und  sonst  noch  reich- 
lich 20  mal  in  einzelstrophen  der  Sn.  E.  Besonders  häufig 
tritt  auch  liMiending  auf  in  den  Strophen,  w^elche  die  Hkr.  dem 
Hornklofe  zuschreibt,  nämlich  s.  54»,  1  f.;  60 ^  1  f.  5  f.  7  f.; 
64,  1  f.  3  f.  7  f.  —  Eine  andere,  auf  dem  gleichen  princip 
—  Verbindung  der  beiden  lialbverse  durch  silbenreim,  bezw. 
assonanz  —  beruhende  kunstforni  habe  ich  Genn.  XXIII,  & 
433  bei  Ulf  l)esprochen.  Sie  besteht  in  dem  reime  eines  nicht 
von  der  skoth.  (oder  adalli.)  getroffenen  wertes  mit  der  adalh. 
(oder  skoth.)  des  andern  verses,  z.  b.  Sn.  E.  155,  3  (Amorr): 
[pessj  penqils  [sessa]  \  :  pung  :  ung/r,  ebenso  z.  b.  Sn.  E.  155, 
11  (Kormakr);  Ilkr.  207,  3  f.;  206,  1  f.;  —  oder  Sn.  E.  154, 
29  (Sntebjorn):  vWjar  :  slff^/a  \  :  (stäls)  bntSlunga  {tndii)y  ebenso 

*)  Aus  den  in  Hkr.  citierteu  Btrophen  der  Vell-ekla  habe  ich  12 
fälle  notiert.    -   [Vgl.  Ubrigona  z.  b.  Hkr.  651*  l  f.   3  f.j 

*)  Ausserdem  mehrere  unter  dem  namen  Einarr  [Skülason?  vgl. 
Sn.  £.  115,  29.     104,  S  und  lOj :    82,  14;   164,  29;   168,  21. 


DIE  SKALDISCHEN  VERSMASSE.  581 

z.  b.  Sn.  E.  100,  3  (Dörsdr.);  101,  23  (ebenda);  Hkr.  206,  7; 
2742,  3  f.;  —  oder  82,  30  (Eiiiarr  sk&laglam):  vottS :  f^fttSa  \  : 
fjBTt5-{leggjar  :  dreggjar),  ebenso  97,  17  (Porsdr.):  98,  17  (eben- 
da): 138,  19  (Ormr  Stein J^örsson) :  164,31  (Einarr);  Egilssaga 
137,  3  f.;  180  2,  \  f..  1832,  1  f.;  Hkr.  206,  3  f.  —  oder  Sn. 
E.  101,  11  (Dörsdr.):  itr  {gulU  :  Ullar)  \  :  jötr^-; /»rjötf,  ebenso 
Egilss.  1612,  5  (?),  Endlich  kann  auch,  wenn  die  skoth.  fehlt, 
ein  wort,  das  eigentlich  skoth,  tragen  sollte,  mit  der  adalh. 
reimen,  z.  b.  Sn.  E.  101,  25  (Porsdr.);  140,  32  (Bersi);  Egilss. 
158*,  1;   208,  3  und  7;  225,  7. 

Ferner  findet  sich  ziemlich  häufig  reim  zwischen  dem 
ersten  und  dritten,  seltener  zwischen  dem  zweiten  und  vierten 
halbverse.  Wenn  hierbei  auch  manchmal  der  zufall  walten 
mag*),  so  kommt  doch  auch  diese  form  vorwiegend  bei  ein- 
zelnen dichtem,  bei  andern  selten  oder  gar  nicht  vor.  Unter 
denen,  die  auf  diese  art  einen  reim  zwischen  vers  1  und  3 
(2  und  4)  herzustellen  lieben,  ist  besonders  wider  Einar  skä- 
Uglam  zu  nennen,  auch  Ulf  Uggason  u.  s.  w.2)  Als  beispiele 
können  dienen  Hkr.  s.  56  (Hornklofi);  Sn.  E.  s.  159,  6  flF.  (Ha- 
rald r);  Hkr.  134*  (Glümr  Geirason).  Hier  also  verbindet  der 
binnenreim  die  beiden  langverse,  wie  in  den  keltischen  (irischen) 
Strophen,  zu  deren  besprechung  ich  nach  dieser  orientierenden 
Übersicht  über  die  nordischen  versmasso  und  ihre  entwickelung 
nunmehr  übergehe. 

Hinsichtlich  der  keltischen  (irischen)  verskunst  bin  ich 
vorläufig  allerdings  auf  die  benutzung  dessen  angewiesen,  was 
sich  darüber  bei  Zeuss,  Gr.  Celtica  s.  913 — 963  (2.  aufl.  s. 
936 — 977)  und  bei  O'Donovan,  gramm.  of  the  irish  language 
s.  412 — 427  findet,  sowie  auf  gütige  mitteilungen  des  herm 
prot.  Windisch  3);  wenn  ich  aber  trotzdem  eine  vergleichung 
der  irischen  mit  der  nordischen  verskunst  versuche,  so  hoffe 
ich  aus  den   im   anfange   angedeuteten  gründen   auf  nachsieht 

^)  Wie  denn  auch  vereinzelt  dergleichen  zwischen  vers  1  und  4,  ja 
auch  zwischen  vers  2  und  3  sich  findet. 

2)  Z.  b.  Sn.  E.  145,  5;  142,  31;  175,  9;  132,  3;  136,  16;  81,  11; 
86,  15;    134,  19;    137,  16;    138,  3;    142,  1;    109,  29;    116,  8  u.  s.  w. 

^)  Der  mich  auch  die  metrischen  bemerkungen  seines  demnächst  er- 
scheinenden Werkes  ^Irische  texte'  gütigst  benutzen  Hess. 


582  EDZARDI 

rechucD  zu  dürfen.    DaH   für    diese  vergleiehnng  wesentliche 
lässt  sich  etwa  so  zusamnicufasscn : 

Die  ül)lichftte  form  (Zeuss^,  s.  956)  ist  diese  ^):  die  atrophe 
besteht  aus  je  zwei  laugverseu  oder  vier  kurzversen,  deren 
jeder  siebcnsilbig  ist'^).  Dazu  kommt  der  eudreim,  wobei  aber 
die  consouanten,  auch  beim  vollrcim,  nur  ähnlich  zu  sein 
brauchen  (».  Windisch  s.  1 55-— 157).  Entweder  (no.  I)  sind 
nun  die  langverse  unter  sich  durch  endreini  (consonantia  copu- 
lativa)  verbunden  oder  (no.  II)  je  die  beiden  halbverse  (con- 
sonantia coutraposita),  so  dass  jeder  langvers  seinen  endreini 
für  »"ich  hat.  Ob  dabei  auch  binnenreim  innerhalb  desselben 
lialbverses  (cntsprecliend  der  uordis^cheu  skothendiug  und  adal- 
liendin^)  vorkommt,  wage  ich  nicht  zu  entscheiden.')  In  I 
verbindet  innerer  reim  (binnenreim)  die  beiden  halbverse  eines 
jeden  langvcrses  unter  sich;  besonders  gern  lilsst  man  das 
letzte  wort  des  ersten  halbverses  mit  dem  vorletzten  Worte  des 
zweiten  reimen.  Endlich  kommt  dazu  die  alliteration,  die  aber 
in  der  re<cel  innerlialb  des  lialbverses  (nicht  beide  halbverse 
verbindend)  und  besonders  gern  in  den  letzten  drei  Wörtern 
gebraucht  wird.  Eine  solche  Strophe  sieht  also  beispielsweise 
so  aus: 

I  mit  consonantia  copulativa  (bei  Windisch  s.  158): 

OguiJi  il-lia,  lia  u:i8  locht,      bali  i  teigti»  focht  fir, 
iniic  ri^h  Erend  ro  g;iot  and      do  gao  gand  oh  gabur  gil. 

')  8.  Wiiidiöch,  IriHcho  tcxto  s.  155  ff. 

*)  DioKC  ont^prechoii  dou  vorsen  (nach  dor  Üblichen  bezoichnung, 
oif^cntHch  halbveräon)  im  nordischen. 

**)  Ks  will  mir  Bchoinen,  als  wenn  man  in  manchen  Strophen  solche 
anorkonnon  miis'c.  Wenn  aber  überhaupt,  so  kommen  solcho  reime  doch 
im  irischen  höchstens  verein/.elt  vor.  Dass  indessen  dieser  (dem  nordi- 
schen entsprech(nide)  binnenreim  dem  keltischen  überhaupt  nicht  fremd 
ist,  dafür  darf  ich  mich  wol  auf  Schuchardts  scherzhafte  nachalimang 
neu-kymrischer  verse  (A.  A.Zt^.  1*<78  no.  171  s.  2555^)  berufen,  wo  die 
reime  landcd  :  London,  sight :  quHe,  mermaid  :  Mormon,  nigger  :  nugged, 
view :  nrw  u.  s.  w.  vorkommen.  Man  vergleiche  auch  was  Zeuss*,  e.  9(i6 
über  die  ncuuMilbigcn  kyntrischon  verse  (mit  *  consonantia  lateralis  in 
eodem  vcrsiculo')  und  s.  971  (*in  singulis  versibus  binae  sylhibae,  tertia 
lere  et  sexta,  sibi  rci<pondent*)  sagt,  und  die  daselbst  gegebenen  bei- 
spiele,  z.  b.  hcnoid  inWvlu  n\\  gunnaur  \  mi  am/Van^-  ^am  anca/atir  (963) 
oder  och  oe  /eith  maur  a  ^eith  y  deuth  an  \  .  .  .  i  hid  atUA  y  daeth 
rad  kyidauan  (971)  u.  s.  w. 


DIE  SKALDISCHEN  VERSMASSE.  583 

II  mit  cousonantia  coutrapositiva  (bei  O'Donovan  s.  423): 

Puirt  riogh  achaidh  fhionnlogha,    Siodh  Chathail  a  g-comhladha, 
D'a  ghoin  d*arm  1  UghaFne,      Do  mharbh  soin  an  siodhuigho. 

Vergleichen  wir  diese  form  mit  den  skaldischen  versformen,  so 
fallen  sofort  au  (lallende  ähnlichkeiten  neben  nicht  unwesent- 
lichen abweichungen  in  die  äugen.  Wir  haben  auch  hier  silben- 
zählung,  auch  hier  neben  dem  Stabreim  den  endreim  (der  run- 
henda),  namentlich  aber  auch  den  binnenreim  (des  drottkvsßtt). 
Endlich  besteht  auch  hier  die  strophe  aus  vier  halb-  oder 
kurzversen ,  wie  die  selbständige  (s.  oben  s.  576)  halbstrophe 
bei  den  skalden.^)  Dagegen  sind  folgende  unterschiede  zu  be- 
tonen: 1)  die  silbenzalil  ist  in  dem  üblichen  versmasse  nicht 
6,  sondern  7  —  aber  es  gibt  auch  versmasse  mit  anderer 
silbenzahl,  namentlich  mit  6,  8  und  4  silben  (s.  unten);  —  2) 
der  Stabreim  verbindet  nicht  die  beiden  halbverse  des  lang- 
verses  (verspaares) ,  sondern  ist  meist  nur  ein  schmuck  des 
einzelnen  verspaars  für  sich  —  hierin  ist  also  die  skaldische 
versform  dem  germanischen  princip  treu  geblieben;  —  3) 
der  endreim  verbindet  in  I,  d,  h.  wol  in  den  meisten  fällen, 
nicht  die  halbverse,  sondeni  die  langverse  unter  einander; 
ebenso  regelmässig  der  binnenreim  —  aber  es  gibt  auch  eine 
grosse  zahl  von  fällen,  in  denen  (der  runhenda  entsprechend) 
die  halbverse  durch  endreim  verbunden  sind,  nämlich  in  II 
[und  in  viersilbigen  (Zeuss^,  s.  971  f.  975  f.)  und  fünfsilbigen 
versen  (ibid.  s.  964)] ;  ob  in  diesen  auch  binnenreim,  und  zwar 
innerhalb  der  halbverse,  stehen  kann,  darüber  s.  s.  582  anm.  3. 

—  4)  im  [endreim  und]  binnenreim  ist  der  voeal  das  wesent- 
liche, nicht  wie  im  nordischen  (in  skothending)  der  consonant. 

—  Besonders  zu  betonen  ist  noch,  dass  es  ein  versmass 
(^Rionnard',  O'Üonovan  s.  424)  gibt,  welches  sechssilbige  verse 
hat,  die  auf  ein  zweisilbiges  wort  ausgehen  müssen,  z.  b. 

O'Donovan  s.  424:     Lasair  greine  aine, 

Apstol  Eirenn  oigho, 
Patraic  coimet  mile, 
Rop  ditia  diar  trolgho. 


<)  Schon  im  kyit5uh4ttr  föUt  die  stärkste  Interpunktion  zwischen  die 
Strophenhälften,  in  der  skaldischen  atrophe  sind  beide  hälften,  wol  unter 
cinfluss  der  keltischen  strophe,  ganz  auseinander  gefallen. 


584  EDZARDI 

Dies  yersmass  scheint  das  vorbild  des  dröttkv.,  sunftchst  der 
h&ttlausa  gewesen  zu  sein.^) 

Es  scheint  hiernach  so  viel  einleuchtend,  dass  das  prinoip 
der  Silbenzählung  der  keltischen  verskunst  entlehnt  ist;  auch 
die  seclissilbigen  verse  des  drottkv.  und  die  zweisilbigkeit  des 
letzten  wertes  scheinen  im  'Rionnard'  ihr  Vorbild  gehabt  zu 
liaben,  während  die  kürzeren,  viersilbigen  verse  des  balkarlag, 
der  ininhenda  und  des  toglag  in  den  ktlrzeren  keltischen') 
versen  (s.  oben  s.  583)  ihre  entsprechung  finden.')  Daneben 
hat  die  skaldendichtung  das  germanische  princip  des  Stab- 
reims behalten,  während  die  keltische  Verwendung  desselben, 
wie  oben  gesagt,  eine  ganz  andere  ist  —  So  denke  ich  mir 
den  silbenzählenden  vers  entstanden,  auf  den  runhenda  und 
druttkvsett  zurtlckgehen  (m&lahättr,  balkarlag;    h&ttlausa). 

Schon  die  Eddalieder  zeigen  zum  teil  ziemlich  durchge- 
führte viersilbigkeit  (bezw.  fünfsilbigkeit)  der  verse ,  wie  ich 
das  oben  hinsichtlich  der  Hfmiskvit^a  ausgeführt  habe.  Sie 
sind  aber  auch  vom  zweiten  princip  nicht  unbeeinflusst^  welches 
die  skaldendichtung  der  keltischen  verskunst  entlehnt^^  d.  h. 
vom  silbenreim,  sowol  als  binuenreim  wie  als  endreim. 

Den  letzteren  könnte  man  sich  allenfalls  wol  auch  anders- 
woher entlehnt  denken;  da  aber  endreim  und  binnenreim  sieh 
sehr  nahe  berühren,  letzterer  aber  ziemlich  sicher  aus  dem 
keltischen  stammt^),  wird  man  das  auftreten  des  endreims  im 
nordischen  wol  ebenso  erklären  müssen. 

Ist  es  nun  aber  richtig,  dass  der  nordische  silbenreim 
überhaupt  keltischen  Vorbildern  nachgebildet  ist,  so  haben  wir 
zunächst  nicht  so  sehr  auf  die  im   drottkv.  ausgebildete  form 


')  Die  verse  no.  II  entsprechen  mit  binnenreim  im  halb  verse  einer 
lit$henda  bei  den  skalden,  s.  oben  s.  5S0. 

*)  Viersilbige  verse  konnten  übrigeos,  wenn  das  princip  der  silben- 
zUhlung  einmal  angenommen  war,  am  leichtesten  und  natürlichsten  sich 
aus  dem  tbrnyröalag  entwickeln,  so  dass  vielleicht  dem  balkarlag  hin- 
sichtlich der  Silbenzahl  kein  fremdes  versmass  als  vorbild  diente. 

3)  Ob  die  hrynhenda  direet  keltischem  vorbilde  nachgebildet  ist 
oder  der  lateinischen  hymnenpoesie,  mag  hier  unerOrtert  bleiben. 

*)  Der  binnenreim,  namentlich  neben  dem  Stabreim,  ist  etwas  so 
eigentümliches,  germanischer  dichtungsform  so  fremdes,  dass  wir  schwer- 
lich anstehen  dürfen,  ihn  auf  keltischen  einflnss  zorttckznführen. 


DIE  SKALDISCHEN  VERSMASSE.  585 

desselben  (binnenreim  im  balbyorse)  zu  achten  als  vielmehr 
auf  solche  fälle,  die  der  im  irischen  üblichen  form  (reim  zwi- 
schen zwei  halbversen,  'zwischenroim')  entsprechen,  sowie  auf 
den  cndreim  zwischen  zwei  langversen  ('überschlagenden  reim*). 
Darauf  haben  wir  wol  die  mancherlei  künstlichen  formen  des 
drottkvaett,  die  liöhendur  und  andere  oben  s.  579 — 581  be- 
sprochene künsteleien  zurückzuführen. 

Derartiges  ist  nun  auch  in  den  Eddaliedern  zu  beachten, 
was  bisher  noch  nicht  geschehen  ist.  Von  dem  neu  gewon- 
nenen gesichtspunkte  aus  werden  wir  manche  ungenauen  end- 
reime  *)  nicht  für  unbeabsichtigt  halten  und  namentlich  werden 
wir  in  den  reimen    —  [^-  bezeichnet  das  reimwort]  — : 

_  ^ ,  z.  b.  (jnd  gaf  O'&inn, 
^  _  o&  gaf  H(Bnir.2) 


')  8.  oben  s.  574  anm.  1;  aacb  endreime  nach  den  gesetzen  des 
WnnenreimB  wie  Löt^ur  :  götia  Vsp.  21,  7,  ritüa  :  pjöt5ar  Vsp.  31 ,  5 
II.  i.  w.  —  Im  priucip  dieselben  sind  natürlich  auch  reime  wie  Vsp.  36, 
hA^v  sitr  Sigyn  |  l?eygi  um  smum;  Vgt.  7,  7  ff.  u.  ö.  nautJug  sa^tJak  |  nü 
man'k  f^^^ja;  8,  l  u.  ö.;  j^^^iattu,  volva  |  \\\i  vil'k  fr^^a;  14,  1  heim 
xitS  }7Ü,  O'Ö^inn,  ok  ver  hxöt5\gv\  H>hmkv.  19,  5  verk  ^ykk]9.  ]?in  |  verri 
mtXrlu;  6,  1  veiztü,  ef  l?wjum  |  j^ann  lö^velli(?);  38,  2  gotJmö/ugra  |  g9rr 
at  sktTja;  Rigs]?.  mit^ra  fl^/ja  |  meir  s^^dsk  h6n*,  31,  1  fram  ^etii 
hön  I  fulla  skw/la;  47,  3  kolfi  fl^^^Öi,  |  kyrt5i  fw^la  (?);  Hyndl.  15,  2  en 
bann  slö  S/^tiygg  |  meÖ  svolum  e^^jum  (?);  49,3  ]7Öttu  brüÖr  iöftms  |  bolvi 
\ieit\T  u.  8.  w.    Dazu  etwa  noch  ^rkv.  20,  1:  Hym.  ^7,  3  u.  s.  w. 

2)  Vsp.  21,  5.  Ferner  Vsp.  8,  1  s61  varp  (?)  ^nnan  |  sinni  m4na, 
21,8  \k  nö  Iceü.  n6  litvL  g6t$a;  47,  3  at  inu  gallK  \  £!ta//arhomi ;  48,  5 
brc^tJask  haüx  \  ä  A^/vegum;  58,  5  drepr  bann  af  motu  \  mt^gartSs  y^urr; 
58,  11  neppr  frd  natSxi  \  ni75&  ökviÖnum;  68,  3  naör  frinn  n^^an  |  ixk 
iVj^rafioIlum;  Vgtkv.  8,  3  unz  alktinna  |  vilk  enn  vita;  trkv.  9,  7  ok 
/«^^jandi  |  lygi  um  bellir;  17,  3  l?egi  l?ti,  pörx  \  />e«ra  orÖa;  26,  5  4t  vcetx 
Freyja  |  ättd.  nöii\xxsi\  Hym.  3,  7  Joanne  ek  p//um  yÖr  |  gl  of  heita;  5,  5 
4  minn  fa^ir  |  md^ugr  ketil;  7,  l  föru  dnu^um  |  diog  J'ann  fram;  8,  7 
brwnbvit  herdk  |  &fdrveig  syni,  10,  3  hartJraÖfr  Hymix  \  heim  af  v^töfum; 
14,  5  par  vdru  piördkX  \  prir  of  teknir;  15,  3  ok  k  seytfi  \  «Öan  b4ru; 
17,  3  ef  ballr  igtunn  \  heitJix  gaefi;  30,  1  unz  J^at  in  friTSdk  |  ^nöla  (?) 
kendi;  33,  7  stötJ  at  hväru  \  hverr  kyrr  fyrir;  37,  5  var  skaer  skgk- 
uls  I  skakx  i  bcini;  38,  5  hver  af  bratinbüa  |  bann  \aun  um  fekk;  RigsJ?. 
11,  3  sat  bjd  b^nni  |  s<9nr  büss;  21,  5  rati^an  ok  riötfan  |  n9ut$u  anga; 
22,  7  karta  at  görys,  |  ok  keyra  plög;  37,  7  b61ag  figll  \  unz  at  hgliu.  kom; 
40,  1  öku  cerix  |  tirgar  brautir;  44^  5  meir  kunni  bann  |  mpnnum  biarga ; 
46,  3  br9g9um  beiiti  \  ok  betx  kunni;  49,  5  ]7eir  konnu  yW  |  kiöl  at  rit$a; 


586  EDZARDI 

oder    f   -  z,  b.  rj^Ör  ragna  sigt 
*-  raubum  dreyra.*), 

auch  wol    *  _  z.  b.  raub  hann  1  n;^u 
_  X  nauta  bWÖi  *) 

vielfach  absichtliche  nachbildungeu  keltischer  reimarten  sehen, 
zumal  derartiges  keineswegs  gleich  massig,  sondern  hier  häufi- 
ger, dort  seltener  sich  findet.*)  —  (Vgl.  noch  den  anhang.) 


Hyndl  3,  5  byri  gefr  hann  brpgnum  \  on  brag  skaldum;  4,  5  p6*ti  hinnm 
6tiitj  I  vii)  iotxma  brüt^ir;  5,  3  h\t  hann  retitisk  \  met$  run&  mmam;  9,  5 
skylt'ä  at  v^//a  |  svat  »katl  ungi;    15,  7   61u  l'an  ok  äitn  \  ättUn  sona; 

16,  9  u.  ö.  ait's  j^at  wit  ]nn  \  O'tivLrr  hcimski;  17,  1  var  Hildigtmii  |  h^iuiar 
mötiir;  21,  7  um  lond  ok  log  \  sem  logi  fa?ri;  44, 1  }^&  kömr  onnarr  |  enn 
matkari;  M\y  7  skutiisk  ]>&r  fLeir'i  \  und  fyrirskyrtu  u.  8.  w.  Zu  diesen 
/Jomlich  sicheren  fallen  in  den  mythol.  kviÖuhdttr-Iiedem  kommen  hier 
wie  in  den  anderen  reiniverzeichnissen  eine  grosse  zahl  mehr  oder  minder 
zweifelhafter,  wo  nämlich  der  reim  sehr  ungenau  ist  oder  ein  unbetontes 
wort  im  reim  stehen  würde,  wie  Vsp.  7,  1;  46,  5;  Vgt.  7,  3;  I^rkv.  24, 
5;  Ilym.  35,  3  u.  s.  w.    |l>rkv.  29,  3;   31,  5?;    Hyndl.  19,  3.] 

*)  Vsp.  42,  3.  Ferner  Vsp.  7,  3  perr's  miögar^  |  mter^n  sköpu ;  7^.  5 
861  sk^m  sunnan  |  (i,  salsiv  stet/ta;  11,  7  dmä^kar  miok  |  6t  toAinheimum; 
27,  7  etSa  skyldi  (?)  got$  oll  |  gildi  eiga;  3S,  2  Mtf  fyr  nort$an  |  4  Nt9t- 
vollum;  39,  l  sal  ser  h6n  standa  |  söln  fiarri;  66,  1  sal  s6r  h6n  stsnda  | 
sohl  fegra;  Vgtkv.  9,  1  Botfr  berr  hdvan  |  hr ötirh&tim  Jnnnig;  Hym.  13, 
7  siönxim  leiddi  |  sinn  andskota;    15,  5   at  Sißtn  verr  |  ^r  sofa  gi'ngi^ 

17,  7  briötr  bergdana  |  beUnr  soekja;  20,  3  ättTvmn  apa  |  fi/ar  fosra;  29,  3 
brätt  let  bresta  |  brattstein  gulli ;  Rigs]?.  4,  3  pung&n  ok  l^ykkan  |  pnmg- 
inn  sdt5um;  23,  1  heim  ökn  ]fi  \  hanginltiMa;  23,  7  btuggu  hiön  \haugK 
deildu  (?);  40,  7  hvitw  ok  horska  |  heiM  Erna;  44,  1  en  koni  ungr  j  Artfnni 
runar;  Ilyndl.  20,  3  var  mogv  hennar  |  mdgv  l'ins  f9t$ur!  25,  3  S^xMw 
miigi  I  tilyti  (J^u)  sogu  minni;  48.  5  ber  ]7Ü  O'ttari  |  biör  at  hendi  u.  s.  w. 
Dazu  zweifelhafte  talle  wie  Hym.  36,  5;  Rig8j?.44,  7;  Hyndl.  6,  3;  49,7, 
femer  Vsp.  40,  9;  Hym.  14,  7;  RigsJ?.  4,  1;  30,  1;   Hyndl.  19,  5  u.  s.  w. 

^)  Hyndl.  10,  5.  Ferner  Vgtkv.  3,  7  hann  kom  at  hivu  |  Heljar 
tanm\  1,  7  unx  n/zti^ig  reis  |  nds-ort^  um  kva9  (?);  kkv.  10,  7 
nema  ha/ium  fasri  j  Freyju  at  kv/i/i;  26,  5  at  vaetr  Freyja  |  itta  nöttnm; 
Hym.  5,  3  \\und\\%%  Hytmv  \  at  Atmins  end2k\  9,  5  er  mtiui  fri  |  m9rg^ 
smni;  9,  7  g\pggT  vi5  gesti  |  g9rr  ills  hif^ar;  33,  5  Tgr  leita5i  |  tysvar 
hrora;  Rigs]?.  i,  7  sod  var  i  bolla,  setti  &  bto9;  öfter  Ri^r  knnni  ^im  | 
rat$  at  s^^ja;  Hyndl.  1,  7  til  Va/hallar  |  ok  til  v^s  h^ibgs;  30,  9  skatil- 
giarn  ipiunn  |  hans  var  Skac$i  döiär  u.  s.  w.  Dazu  noch  an  unsicheren 
fällen  Vsp.  45,  7  u.  ö.;  Rigs)*.  41,  7;  Vsp.  43,  3  u.  s.  w. 

3)  Vollständige  lit^henda  haben  wir  in  Vsp.  4,  5  vii^  at  ek  Va^|p8r, 
vel  fyr  te\ja  und  eine  abart  davon  tritt  hervor  z.  b.  in  Vsp.  58,  1 1  neppr 


DIE  SKALDISCHEN  VERSMASSE.  587 

Solche  einwirkung  keltischer*)  verskunst  auf  die  nor- 
dische, speciell  isländische  [und  norwegische]  erklärt  sich  nun 
aber  sehr  wol,  denn  wir  wissen  nicht  nur,  dass  Island  vor  der 
norwegischen  bebauung  schon  von  einigen  Kelten  besiedelt 
war  (s.  Islendingabök ;  Maurer,  Island  s.  2),  sondern  auch, 
dass  ein  nicht  unwesentlicher  teil  (der  zweite  hauptzuzug)  der 
einwanderer  sich  vorher  längere  zeit  an  den  keltischen  küsten 
(in  Irlaud,  Schottland  und  auf  den  inseln)  aufgehalten  hatte, 
wo  *  gegen  die  mitte  des  9.  Jahrhunderts,  und  von  da  ab  immer 
häufiger,  norwegische  nicderlassungen  bleibender  art*,  kleine 
nordische  i'eiche  'sich  bildeten*  (Maurer,  Island  s.  25).  'Es 
konnte  aber  nicht  fehlen ,  dass  die  vielfachen  Verbindungen, 
welche  hier  von  den  nordischen  heerleutcn  mit  den  einheimi- 
schen fürsten  und  deren  Untertanen  augckniipft  worden  waren, 
auf  die  von  hier  aus  nach  Island  hinüberwandernden  colonisten 
gar  mancherlei  einfluss  gewannen'  (Maurer  s.  27).  Endlich 
witsen  wir  von  verschiedenen  skalden,  dass  sie  sich  in  kelti- 
»tjhen  landen  aufgehalten  haben,  z.  b.  von  Gunnlaug  und 
r^amcntlicli  von  Egil,  in  dessen  Strophen  und  liedem  sich  be- 
sonders anklänge  an  keltische  kunstformen  zeigen  —  hat  er 
doch  wahrscheinlich  in  der  HofuÖlausn  zuerst  die  runhenda 
eingeführt. 

Ein  Seitenstück  zu  der  hier  angenommenen  einwirkung 
keltischer  dichtkunst  auf  die  nordische  2)  bietet  die  lateinische 
der  Iren,  die  ebenfalls  deutlich  einwirkung  der  nationalen 
verskunst  zeigt.  Darüber  hat  schon  Zeuss,  Gr.  celt^  p.  938 — 48 
so  ausführlich  gehandelt,  dass  ich  mich  hier  auf  kurze  hin- 
weise beschränken  kann.  Silbeuzählung  und  endreim  findet 
sich  bekanntlich  in  der  lateinischen  hymnenpoesie  wie  in  der 
keltischen  nationalpoesie.  Ob  in  dieser  hinsieht  ein  innerer  Zusam- 
menhang zwischen  beiden  besteht,  diese  schmerige  frage  lasse  ich 


frä  uA'dri  \  7i{bs  6kv{^num\  ebenso  I>rkv.  26,  5;  Hyin.  33,  7;  der  iimge- 
kelirte  fall  liegt  vor  in  Vsp.  (»8,  3  na5r  fränn  neJan  |  frd  Mtiafjpllum, 
und  ebenso  in  Vgtkv.  U,  l;   Hyiu.  14,  5;    Hyndl.  30,  9  u.  s.  w. 

0  Ueber  *  keltische  wOrter  im  nordischen  Sprachschatz,  vorzüglich 
der  skalden poesic*  vgl.  die  literaturzusamnienstellung  bei  Hildebrand, 
Z.  Z.  Ergbd.  s.  78  amn.  1  [Olafsen  s.  87  f.]. 

^)  Vgl.  auch  was  Maurer  (Island  s.  452)  über  mögliche  entlehnung 
der  harte  von  den  Kelten  seitens  der  nordleute  sagt 


58S  EDZARDI 

hier  aus  dein  spiele.  Es  ist  aber  von  Wichtigkeit,  dass  da- 
iieheii  der  Stabreim  vorkommt,  und  zwar  vorwiegend  nicht  in 
der  germanischen,  sondern  in  der  keltisclien  Verwendung  (a. 
oben  s.  583).  Dass  der  Stabreim  der  lateinischen  hymnenpoesie 
in  erster  linie  auf  den  keltischen  Stabreim  zurQckgeht|  wird 
auch  dadurch  wahrsclieinlicli,  dass  daneben  deutliche  spuren  des 
binnenrcims  sich  finden,  z.  b.  Columban  (bei  Zeuss'  b.  945): 
pliirima  discenli  semper  sapientia  crescit;  sit  tibi  cura  ttioe  tota 
t;/rtut^  saluiis  (p.  »)4G),  Virluietn  Wiulis  vWam  qui  quaerit  ho- 
7icstam;  fei  tnoTum  meritis  caelestia  regyia  merm;  — ^Anony- 
mus ad  Anonymum :  (947)  Mihi  cara  magnopere  \  xUque  ^nara 
in  opere]  —  Bonifhcius  (il)id.):  Qua  martyres  in  eüneo  regem 
CMoil  aethereo  u.  dgl. 

Nach  allem  anj^eführten  wird,  denke  ich,  der  einfluss  der 
keltischen  vcrskunst  auf  die  cntwickelung  der  nordischen  mehr 
als  wahrscheinlich,  zumal  auch  die  sagaschreibung  in  mancher 
hinsieht  einfluss  des  keltischen  sageustils  zu  verraten  scheirit; 
ich  denke  namentlich  an  die  eingestreuten  verse*),  die  auff»* 
frihrlichcn  «^cspräclie ,  die  eingehende  Schilderung  der  pcr- 
soueu'^).  Ich  muss  mir  vorläufig  versagen,  auf  diesen  pankt 
weiter  einzu';:chen ,  wie  überhaupt  diese  bemerkungen  nur 
vorläufige  sein  wollen,  die  nur  eben  andeuten ^  was  ich 
in  nicht  zu  langer  zeit  hoffe  ausfahren  und  begründen  su 
können. 

Anhang.  Das  eindringen  von  zwischen -silbeureimen  in 
die  Eddadichtung,  das  oben  mit  beis])ielen  aus  den  mythisch- 
mythologischen  liedern  in  kvifiuhattr  belegt  ist,  zeigt  sich  sehr 
deutlich  auch  in  dem  liede,  welches  überhaupt  in  seiner  form 
sich  der  skaldischon  am  meisten  nähert,  in  den  Atlamä.1.  — 
Ich  stelle  anhangsweise  hier  die  bctreflfenden  beispiele  zu- 
sammen : 

*)  Die  als  quellen  bcuutzteu  uud  als  Zeugnisse  citierten  verse  sind 
hier  natürlich  nicht  gemeint.  Ucbrigens  kommen  auch  solche  in  der 
keltischen  sage  vor. 

^)  Dagegen  ist  die  Übereinstimmung,  dass  beide  lange  stammbäame 
einschieben,  wol  eine  zufällige. 


DIE  SKALDISCHEN  VERSMASSE.  589 

Zu  8.  585  anm.  1:  10,  3  dröttldta  :  Ycelki]  *14,  1  ganga 
:  )>angat;  18,  5  heitnm  :  Atlsi]  29,  1  \ysi\ :  füsir]  *36,  5  8l/7wu8ii 
:  hrotnu^xx]  *46,  7  rd'6'usk  :  kvdöu;  51,  5  tigir  \  pegnixr  yigliffir] 
*61,  5  niiuiia  :  ^enua;  *65,  3  sagÖi :  bregÖa ;  *69,  9  ekki 
:  )>ykki;  71,  1  grunnyö'gi :  trwöi ;  89,  3  veiSL  \  j^ann's  p6Y  vel 
trüir;  91,  5  uaut  väru  ceriu  \  nutiim  af  sWrum;  94,  1  Atli:  Uli 
rcekja;  101,  3  i/rboriuu  :  h^/7a  (?);  102,  1  siÖan  :  foeÖa;  102,3 
afr^Xri :  Giük\\  —  ferner  etwa  14,  5;  49,  5;  57,  1;  100,  5  [*  mit 
endreiiii). 

Zu  8.  585  anm.  2:  1,  7  ok  it  sama  sonxxm  Giüka  |  er 
vä,ru  sarmikhmY]  2,  1  skioldww^2^  \  skyld\i'Sit\  2,  3  AÜsl:  dtti] 
10,  7  Hogm  :  hygg'6M\  17,  3  Äw^Öir :  )>ar  luun  \\xegg\  19,  5 
M\2i  I  hva^ki;  25,  3  \>iöst\  \  ^eyst\fik\  28,  3  for  p6  |  alls  po's 
/ara  letlat;  43,  1  oÖir  \>k  wröu  |  er  )?at  orö  bet/röu;  43,  3 
farÖuÖu  ßigwxm  \  ok  /en^u  i  snoeri;  49,  3  anwat  |  er  U7in\x\ 
51,  1  rö?&a  :  rWÖr  vaeri;  70,  5  hni^a  :  td^  undan;  80,  7  t/Ö- 
Uga  I  tniöir;  83,  11  storan  |  ^eri\  93,  1  I>yMja  |  sem  ekki 
T^i;  —  ferner  etwa  noch  35,  1;    39,  1;  44,  3;    52,  5;   61,  7; 

Zu  8.  586  anm.  1:  7,  3  syn :  sin  gaeÖi;  9,  1  kenA. :  kunxÄ\ 
10,  5  sa^Öi :  p^^ars;  10,9  f&r:  far;  25,  7  g^Öi-at:v^a; 
29,  1  lit\w  :  läusk  ;  29,  5  foru  :  fleiri  (:  väru) ;  30,  5  bliÖr  :  bro- 
8ir;  30,  9  Igttn  :  ietu-Ri]  32,  1  sor  :  s6r  (:eira);  33,  3  ^f^liÖ 
:  sigY]  34,  1  Nggui  :  hugt5i  (?);  41,  7  fyrr  :  firra;  49,  9  högysi 
:  hugr  {dygt5i)\  52,  1  brä?Ör  :  BwÖla;  58,  1  beitiibryti-,  67,  7 
silfxi  snaebvitu  |  8em  pü  sialf  vilir;  71,  3  =  7,  3  syn  sin 
gaeÖi;  83,  7  A^/m8ku  .  .  .  |  i  heim\\  86,  1  hug  i  Hggii9,{^)\  87, 
3  kendi :  band8;  90,  1  heidAx  :  biöja  (?);  91,  5  naut :  nw/um; 
98,  3  ^ok :  8b/fÖir ;   ferner  noch  etwa  2,  5 ;   99,  7. 

Zu  8.  562  anm.  2:  40,  3  exarrhixti;  56^  3  skeriÖ  :  gör- 
vir ;  59,  7  sinn :  svinum  ;  60,  9  feginn :  )>aBgi ;  64,  3  16tu :  i]>r6tta; 
68,  7  hr^fÖailifÖi;  74,  1  lokkaÖi :  (16k :)  stokki;  80,  1  tök 
ek  :  steiktak ;  85,  3  hendusk  :  unÖi  (?) ;  85,  7  gat :  Atla ;  90,  5 
van  :  reyndum;  94,  9  hroldi :  8kyldi;  102,  7  )>eira  :heyrir;  — 
ferner  noch  etwa  9,  1;    35,  3;   96,  7. 

LEIPZIG,  im  8eptember  1878.  A.  EÜZARDL