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BEITEÄGE
ZUR
OPERATIVEN CHIRURGIE.
BEITRÄGE
ZUR
OPERATIVEN CHIRURGIE.
HERRN HOFRATH PROFESSOR
W THEODOE BILLEOTH IN WIEN
Zü SEINEM FÜNFÜNDZWANZIGJÄHRIGEN DOCTOR - JUBILÄUM
GEWIDMET UND HERAUSGEGEBEN
vox
PROF. DR V. CZERNY,
GROSSH. BAD. HOFRATH UND DIRECTOR DER CHIRURGISCHEN KLINIK
IN HEIDELBERG.
MIT ZWEI LITHOGR. TAFELN UND HOLZSCHNITTEN.
^wxaec^
STUTTGART.
VERLAG VON FERDINAND ENKE.
1878.
3Z
Druck von (ieliriider Kröner in Stuttgart.
Hocliverelirter Lelirer iind Freimd
xleute sind 25 Jahre verflossen, seitdem Sie an der Berliner
Universität mit der Dissertation: »De natura et causa pulmonum
affectionis, quae nervo utroque vago dissecto cxoritur« in die Reihe
der wissenschaftlichen Arbeiter eingetreten sind.
Durch die lange Reihe Epoche machender Arbeiten, welche
seitdem Ihren Namen berühmt gemacht haben, sind Sie immer dem
Grundsatze treu geblieben, welchen Sie in der Vorrede Ihrer Dis-
sertation ausgesprochen haben : Manches mag zweifelhaft oder selbst
falsch sein in meiner Arbeit, allein das weiss ich gewiss, dass die
strengste Liebe zur Wahrheit und die glühendste Begierde, sie zu
finden stets meine Leitsterne gewesen sind und auch immer sein
werden. Unsere Wissenschaft hat desshalb guten Grund, diesen
Tag zu feiern.
Zehn Jahre sind es her, seitdem Sie Ihr wissenschaftliches
Banner auf österreichischem Boden entfaltet haben und in Wien
zahlreiche Schüler aus aller Herren Länder um dasselbe versammeln.
Möge es Ihnen noch lange Jahre vergönnt sein, daselbst ebenso
segensreich und anregend zu wirken wie bisher.
VI
Sie haben mit Recht hervorgehoben, von welcher Bedeutung
die continuirliche Fortpflanzung der Lehre vom Lehrer auf den
Schüler für unseren Fortschritt ist. Möchte Ihnen diese kleine Gabe
den Beweis liefern, dass der Zweig, welcher von Ihrem wissen-
schaftlichen Stammbaume auf deutschen Boden verpflanzt worden
ist, kräftige Wurzeln gefasst hat und reife Früchte zu tragen
beginnt.
In aufrichtiger Verehrung und treuer Freundschaft
Ihr
dankbar ergebener Schüler
Dr. Y. Czerny.
Heidelberg, geschrieben am 30. September 1877.
Inhalt.
Seite
Widmung,
I. Beiträge zur Radikaloperalion der Hernien von Prot'. Dr. V. Gzerny 1
1. Die Radikaloperation bei Kindern und Greisen 14
2. Die Radikaloperation bei eingeklemmten Brüchen 20
3. Die Radikaloperation bei Gegenwart von Kothfisteln im Bruchsacke 23
II. Beiträge zur Chirurgie des Schlundrohrs von Dr. H. Braun ... 39
1. Resection des Oesophagus 41
2. Exstirpation einer Struma accessoria posterior 52
3. Exstirpation eines Lymphosarcoms der Tonsille und des weichen
Gaumens mit temporärer Resection des Unterkiefers ... 60
4. Oesophagotomia interna 70
III. Beiträge zu den Operationen am Magen von Dr. F. F. Kaiser . . 93
Hierzu Tafel I.
IV. lieber die Plastik mit granulirenden Hautlappen von Prof. Dr.
V. Gzerny 161
Hierzu Tafel II.
1. Heilung eines durchbohrenden Fusssohlengeschwüres .... 165
2. Heilung eines varicösen Fussgeschwüres durch einen Lappen vom
anderen Unterschenkel 168
3. Verschluss des Scheideneinganges bei einem unheilbaren Blasen-
defect 174
V. Beiträge zu der Statistik und den Endresultaten der Gelenkresectionen
von Dr. W. Stark 181
1. Resection des Schultergelenks 195
2. Resection des Ellenbogen gelenks 222
3. Resection der Fingergelenke 272
4. Resection des Hüftgelenks 278
5. Resection des Kniegelenks 317
6. Resection des Fussgelenks 358
I.
Beiträge zur Radikaloperatioii der Hernien
von
Professor Dr. Czerny.
Czerny, Beiträg:e zur operativen Chirurgie.
Ubvvohl es schon A. G. Richter bekannt war, dass zur
Radikalkur der Unterleibsbrüche nicht nur der Bruchsack verödet,
sondern auch die Bruchpforte verengert werden müsse, so waren
doch die bisher angewendeten Kurmethoden immer blos auf die
Erreichung entweder des einen oder des anderen Zieles gerichtet.
Sie konnten desshalb blos in seltenen Fällen sichere Erfolge auf-
weisen. Ich habe es vor Kurzem versucht ') , eine Methode der
Radikalbehandlung in die Praxis einzuführen, welche, unter Benützung
der antiseptischen Behandlungsmethode und der carbolisirten Darin-
^) Studien zur Radikalbehandlung der Hernien von Prof.
Dr. Gz er ny. Wiener med. Wochenschrift Nr. 21 bis 24, 1877. Durch eine
freundliche Zusendung (Correspondenzblatt des Vereins der Aerzte im Reg.-Bez.
Merseburg etc. Oktober 1876) erfuhr ich, dass, ausser den schon 1. c. erwähnten
Vorgängern meiner Operation auch Herr Dr. Risel in Halle sich seit zwei Jahren
mit der Radikalbehandlung der Hernien beschäftigt. Die Hernien , an denen
Risel eine Radikalheilung versuchte, waren „freie Skrotalhernien geringen
Umfangs bei jüngeren Individuen". Anfangs stülpte er den Fundus des isolirten
Bruchsackes möglichst weit in den Bruchsackhals ein und befestigte ihn daselbst
mit 4 Catgutnähten. Da er aber mit dem Erfolg dieser Operation nicht zu-
frieden war, eröffnete er in drei weiteren Fällen den Bruchsack, um sich von der
Leerheit desselben Gewissheit zu verschaffen und legte um den Bruchsack-
hals eine Catgutligatur. Der Bruchsack wurde dann mit ö'/o Garbolsäure irrigirl,
mit einem Drainrohr versehen, und die Wunde durch die Naht geschlossen.
Ich glaube wohl, dass diese (mit der v. Nu ssba um 'sehen gleich werthige)
Methode bei reponiblen kleinen Hernien jugendlicher Individuen Erfolge aufzu-
weisen haben wird, wie ich selbst den Schwalbe 'sehen Alkohohnjectionen
(Deutsche med. Wochenschrift Nr. 38, 1876) in solchen Fällen nicht jeden Erfolg
absprechen möchte. Wusste ja doch schon Richter, dass bei diesen Patienten
manchmal eine oberflächliche Aetzung in der Gegend der Bruchpforte zum Ziele
führt. Allein es ist immer dem Zufall mehr weniger anbeim gegeben, ob sich
die Bruchpforte nach der Ligatur des Bruch sackhalses spontan verengern wird.
Ich halte desshalb meine Gombination der Ligatur des Bruchsackhalses mit der
Naht der Bruchpforte für ein sehr wesentliches Erforderniss der Radikalbehand-
lung, welche wohl den Namen einer eigenen Methode verdient.
4 Dr. Czerny.
Saiten, zu gleicher Zeit die Verödung des Bruehsackes und die Ver-
engerung der Bruchpforte zu erzielen sucht, und bin schon jetzt im
Stande, weitere Erfahrungen über solche Operationen zur allgemeinen
Kenntniss zu bringen. Im Wesentlichen besteht meine Operations-
methode in folgendem Verfahren:
Zuerst wird das ganze Operationsfeld rasirt, gesäubert und
desinficirt, dann wird der Bruchsack durch einen 6 — 10 Gtm.
langen Hautschnitt, nach der Durchtrennung der aufgelagerten
Schichten , biosgelegt und sein Hals nur so weit aus seiner Um-
gebung gelöst, dass mit der Aneurysmennadel ein dicker Gatgut-
faden um denselben gelegt werden kann. Wenn der Bruchinhalt
leicht reponirbar ist und durch das Gefühl, ja vielleicht selbst durch
das Gesicht die Leerheit des Bruchsackes sicher festgestellt werden
kann, dann kann man die Ligatur des Bruchsackhalses zuschnüren,
ohne vorher den Bruchsack zu eröffnen. Ist die Hernie nicht reponibel,
so muss vorher der Bruchsack eröffnet und die angewachsenen
Darmschlingen und Netzpartien aus ihren Verbindungen gelöst wer-
den. Bei der Lösung der Därme muss man besonders vorsichtig
sein. Frische Adhäsionen lassen sich in der Regel leicht mit den
Fingern lösen. Aber auch bei älteren Adhäsionen ist oft blos die
Ansatzlinie der freien Bruchsackwand auf die Darmschlinge von
festerer Structur und muss vorsichtig mit dem Messer oder der
stumpfen Scheere durchtrennt werden. Wenn das geschehen ist,
lassen sich die übrigen Adhäsionen oft stumpf trennen. Derbere
Adhäsionen enthalten meistens blutende Gefässe, welche nach der
Durchschneidung mit einem feinen Gatgutfaden unterbunden werden
müssen. Wenn die Darmschlinge seitlich geknickt oder halb um
die Achse gedreht und in dieser Stellung durch Verklebungen fixirt
ist, muss man durch leichten Zug an den Schenkeln der Schlinge
die Adhäsionen zu lösen suchen. Wenn das Netz verdickt und ver-
längert oder angewachsen ist, wird es in der Höhe der Bruchpforte
in einer oder mehreren Portionen mit Gatgutligaturen fest umschnürt,
dann abgeschnitten und reponirt. Erst wenn auf diese Weise der
Gesammtinhalt des Bruchsackes in die Bauchhöhle zurückgebracht
worden ist, wird die Ligatur des Bruchsackhalses möglichst hoch oben
Beiträge zur Radikaloperation der Hernien. 5
in der Nähe der Bruchpforte fest zugeschnürt und mit einem drei-
fachen Knoten gesichert. Die Fadenenden werden kurz abgeschnitten.
Nun folgt die directe Naht der Bruchpforte. Da ich die
Operation bisher immer blos bei Leistenbrüchen auszuführen Gelegen-
heit hatte, obwohl ich schon in meiner ersten Arbeit darauf hin-
gewiesen habe, dass sie sich mit einigen Modifikationen auch für
andere Brüche eignen würde, werde ich die Verhältnisse so schildern,
wie sie beim Leistenbruche liegen. Während ein Assistent den
Hautschnitt möglichst nach aussen und oben verzieht, um die
Bruchpforte recht zugänglich zu machen, dringe ich mit dem linken
Zeigfinger dicht an dem Bruchsackhalse in die erweiterte Bruch-
pforte ein und suche mir die beiden Schenkel des Leistenringes auf
dem Fingerballen möglichst hervorzuheben. Nun wird zunächst
dem oberen äusseren Winkel des Leistenringes durch jeden Schenkel
desselben je eine kurze starkgekrümmte Nadel von innen nach
aussen durchgeführt und die in die Nadeln eingefädelten zwei Enden
eines dicken Catgutfadens (Nr. 2 oder 3) nachgezogen. Bei meinen
früheren Operationen benutzte ich die Enden desselben Fadens, um
durch die fortlaufende, gekreuzte Miedernaht, indem ich die beiden
Fadenenden, nachdem sie sich gekreuzt hatten, noch 3 bis 4 mal
durch die beiden Schenkel des Leistenrings führte, den Leistenring
so weit zu verengern, dass man kaum mit der Spitze des kleinen
Fingers einzudringen im Stande war. Bei den letzten Operationen
habe ich gefunden, dass 3 bis 4 isolirte Knopfnähte den Verschluss
der Bruchpforte ebenso sicher herbeiführen, wie die Miedernaht.
Da ausserdem zu fürchten ist , dass bei der Miedernaht die ganze
Vereinigung auseinandergeht, wenn an irgend einer Stelle der
Gatgutfaden nachgiebt, während bei 3 bis 4 Knopfnähten jede für
sich eine gewisse Garantie der Festigkeit bietet, so bin ich zur
Knopfnaht zurückgekehrt. Das Durchführen der Nadeln durch die
Schenkel des Leistenringes ist der difficilste Akt der ganzen Operation.
Das Poupartische Band ist in der Regel deutlich sichtbar zu machen
und es ist nur die Vorsicht zu gebrauchen, dass die Nadel nicht etwa
die wichtigen unter dem Bande liegenden Gebilde verletze. Der
innere Schenkel des Leistenringes ist bei vielen Individuen weniger
6 Dr. Czerny.
deutlich als wulstiger Rand zu fühlen. Ich umgreife dann mit der
Nadel nicht bloss den unteren Rand der Sehne des äusseren schiefen
Bauchnmskels , sondern auch die Muskelfasern der beiden inneren,
breiten Bauchmuskeln , die quer über den Bruchsackhals ziehen.
Da in der Regel der innere Schenkel des Leistenringes länger ist
als der äussere, so liegen die Ausstichspunkte der Nadeln bei dem
ersteren ein klein wenig weiter auseinander, als bei letzterem. Auch
die Grenze , bis zu welcher der Leistenring verengt werden soll,
kann erst durch Uebung und Erfahrung festgestellt werden, und
dieser Umstand bedingt wohl zum grössten Theil die grössere oder
geringere Sicherheit des Resultates. Eine Abtragung der Ränder des
Leistenringes behufs der Anfrischung halte ich mindestens für überflüssig,
wenn nicht schädlich, da die sehnigen Ränder mit lockerem, gefässreichem
Zellgewebe überkleidet sind, welches sich gut zur Verwachsung eignet.
Nachdem die Nähte der Bruchpforte, welche gleichsam die
zweite Etage bilden, ebenfalls kurz abgeschnitten und versenkt sind,
wird die Höhle des Bruchsackes (die entweder schon eröffnet ist,
oder erst jetzt eröffnet wird) mit einer concentrirten Garbollösung
(ich habe meistens 5"/o wässerige, nur selten 50°/o alkoholische
verwendet) ausgewaschen und ein dickes Drainrohr eingelegt. Darüber
wird in der dritten Etage die Hautwunde vernäht, so dass bloss das
Drainrohr herausmündet, Gefässligaturen werden ebenfalls kurz
geschnitten und versenkt. Darüber kommt ein grosser Lister'scher
Verband, der, durch Salicylwattepolsterung und Bindentouren ver-
vollständigt, die ganze Umgebung: das Skrotum, die untere Bauch-
gegend und Kreuzbeingegend umfasst, und nur das Glied und den
After frei lässt. Die ganze Operation wird im Garbolnebel gemacht,
welcher am besten durch einen Dampfspray, dem 5°/o Garbollösung
vorgesetzt ist, erzeugt wird. Diess sind im Wesentlichen die Akte
meiner Operation , welche allerdings in manchen Fällen kleine Ab-
änderungen erlitten haben.
Zu den ersten Operationen dieser Art wurde ich durch irreponible
Hernien veranlasst, welche ihren Trägern grosse Beschwerden ver-
ursachten, die weder durch wiederholte Repositionsversuche, noch
durch Bandagen gemildert werden konnten. Obwohl ich weiter
Beiträge zur Radikaloperation der Hernien. 7
unten abermals Beiträge zu dem inductiven Beweise liefern werde
für meine Behauptung, dass unter strenger Beobachtung der anti-
septischen Methode die Operation ungefährlich ist, so ist doch nicht
zu leugnen, dass durch eine unglückliche Verquickung von Umständen
auch zu dieser Operation einmal unglückliche Zufälle hinzutreten
können. Ich möchte dieselbe vorläufig blos dann für angezeigt
halten , wenn die Hernie nicht durch Bandagen zurückgehalten
werden kann. Hernien , die durch Bandagen gut zurückgehalten
werden können , sind nach meiner festen Ueberzeugung nach wie
vor Object der palliativen Therapie. Man wird vielleicht bei solchen
Kranken einfachere oben ^) angedeutete Methoden versuchen dürfen ;
ich hatte dazu aber keine Gelegenheit, da solche Kranke nur äusserst
selten die Hilfe des Klinikers in Anspruch nehmen.
Da meine erste Schrift über die Radikaloperation der Hernien
nicht allen Lesern dieser Zeilen zugänglich sein dürfte, will ich ein
kurzes Resume der dort mitgetheilten Fälle geben:
Erster Fall. Johann Geiser, 36 Jahre alt, Taglöhner , litt
seit 30 Jahren an einer linksseitigen Hernia inguinalis directa, ohne
je ein Bruchband zu tragen. Seit zwei Jahren hatte er öfter
Schmerzen in der" zwei Faust grossen Geschwulst, die bis auf einen
fingerdicken, empfindlichen Strang leicht reponirbar war. Die Bruch-
pforte war bequem für drei Finger durchgängig. Rechts Hernia
inguinalis incipiens. Nach mehrtägiger Vorbereitung durch Sup-
pendiät, Klystiere und Ricinusöl schritt ich zur Operation am
12. Januar 1877. 8 Gtm. langer Hautschnitt. Der im Grunde des
Bruchsackes festgewachsene Netzstrang w^urde mit Catgut unter-
bunden, abgeschnitten und ebenso wie die Därme reponirt. Dann
folgte die sehr mühsame blutige Lösung des mit einem Divertikel
versehenen Bruchsackes aus seiner Umgebung, der am Halse abge-
schnitten und mit einer fortlaufenden Catgut-Kürschnernaht zugenäht
wurde. Verschluss der Bruchpforte durch die 3fach gekreuzte Mieder-
naht mit Catgut. Heilung nach 47 Tagen mit 17 Verbänden. Ein
phlegmonöser Abscess im Skrotum verursachte Fieber und musste
^) Siehe Anmerkung.
g Dr. Czerny.
incidirt werden. Bei der Entlassung am 26. März war weder beim
Stehen noch beim Husten eine Spur von der Hernie zu sehen.
ZAveiter Fall. Karl Götz, 45 Jahre alt, Bierbrauer, früher
Gavallerist, bemerkte vor 25 Jahren einen rechtsseitigen Leisten-
bruch, der von 1866 an nicht mehr durch ein Bruchband zurück-
gehalten werden konnte. Die Bruchgeschwulst war 18 Ctm. lang,
9 Ctm. breit und Hess sich durch Druck auf die Hälfte verkleinern.
Die Bruchpforte war 4 Ctm. breit und 3 Ctm. hoch. Operation
am 8. Februar 1877. Hautschnitt 10 Ctm. lang. Eine Dünndarm-
schlinge Hess sich leicht stumpf lösen und reponiren, dagegen musste
eine Dickdarmschlinge mühsam und blutig gelöst werden. Etwa
6 Catgutligaturen mussten an der mit Pseudomembranen bedeckten
Darmoberfläche angelegt werden. Bei der Reposition fühlte man,
dass die Adhäsionen der Darmschlinge sich bis in die Bauchhöhle
fortsetzten. Aus dem verdickten Bruchsacke wurde bloss dem
Schnittrande entsprechend ein elliptisches Stück excidirt, dann der
Bruchsackhals mit einer dicken Catgutligatm- zugeschnürt. Die
Bruchpforte wurde mit 3 Knopfnähten aus Catgut vereinigt. Höchste
Temperatur am dritten Tage war 38,5 '^ G. Am vierten Tage spon-
taner Stuhlabgang. Heilung in 27 Tagen mit 11 Verbänden. Am
15. April war der Anprall in der Leistengegend normal.
Dritter Fall. Karl Heuberger , 10 Jahre alt, aus Freiburg,
hatte (wie ich aus nachträglich gefundenen Notizen ersehe), beider-
seits einen angeborenen Skrotalbruch, wegen dessen er schon zweimal
durch mehrere Wochen in der Freiburger Klinik behandelt wurde.
Durch Bettlage, schmale Diät war wohl die linke Hernie geheilt,
dagegen blieb die rechtsseitige bloss so lange zurück, als der Kranke
lag. Beim Versuche aufzustehen, schlüpfte sie unter dem Bruch-
bande sogleich hervor. Die Geschwulst war 11 Ctm. lang, 8 Ctm.
breit und liess sich scheinbar vollständig reduciren. Im Bruchsacke
fanden sich bei der Operation am 21. Februar 1877 zwei Darm-
schlingen, von denen eine — das unterste Stück des Ileum — den
Blinddarm sammt Wurmfortsatz mit herabgezogen hatte. Erst nach
vieler Mühe, nachdem die Bruchpforle nach oben aussen erweitert
war, gelang es, den Blinddarm sammt seinem Peritonaealüberzuge
Beiträge zur Radikaloperation der Hernien. 9
in die Bauchhöhle zurückzuschieben. Nun wurde der schon isolirte,
aussen liegende Theil des Bruchsackes am Halse abgeschnitten und
mit einer Kürschnernaht aus Gatgut zugenäht, worauf sich die
Nahtlinie hinter die Bruchpforte zurückzog. Die Bruchpforte wurde
mit der Miedernaht, die Hautwunde mit 7 Knopfnähten vereinigt.
Die Temperatur stieg am dritten Tage bis 39.5*^ G. Am fünften
Tage kam nach einer Eingiessung Stuhl und Erleichterung. An
demselben Tage musste eine Incision in die Skrotalhaut gemacht
werden. Heilung bis Anfang April. Im August 1877 wurde der
Knabe von Herrn Dr. Kaiser untersucht. Eine Hernie war nicht
nachweisbar, ob zwar das Bruchband schon längst zerbrochen war.
Vierter Fall. Doppelseitige Radikaloperation.
Jacob Kautz , 28 Jahre alt, Bäcker, hatte schon als Kind eine
linksseitige Hernie, zu der sich vor etwa 10 Jahren auch rechts ein
Leistenbruch gesellte. Beide Brüche Hessen sich durch ein doppel-
seitiges Bruchband zurückhalten , welches jedoch in letzter Zeit zer-
brochen war. Nach einem groben Diätfehler trat 8 Stunden vor
der Aufnahme in die Freiburger Klinik am 5. März 1877 eine Ein-
klemmung mit heftigen Symptomen ein. Nach einem warmen Bade
liess sich der eingeklemmte linksseitige Bruch in der Narkose repo-
niren. Da der Kranke schon wiederholt an Kotheinklemmung und
Schmerzen im Bruche gelitten haben soll und das Bruchband die
linksseitige Hernie angeblich in der letzten Zeit nicht ganz zurück-
hielt, wurde er am 9. März beiderseits in einer Sitzung operirt.
Beiderseits waren Leistenhernien vorhanden; die Bruchpforte war
links bequem für zwei, rechts für einen Finger durchgängig. Links
wurde durch einen 10 Gtm. langen Hautschnitt der Bruchsack bios-
gelegt, sein Inhalt reponirt und dann der nur wenig verwachsene
Bruchsack aus seiner Umgebung gelöst, mit in ö^/o Garbollösung
gekochter Seide am Halse doppelt unterbunden und unterhalb der
Ligatur abgeschnitten. Dann folgte die Verschliessung der Bruch-
pforte durch die dreimal gekreuzte Miedernaht, wozu ebenfalls Gar-
bolseide verwendet wurde. Vier Gefässligaturen mit Garbolseide
wurden kurz geschnitten , versenkt und darüber die Haut mit der-
selben Seide vernäht, nachdem zwei Drainröhrchen eingelegt waren.
10 Dr. Gzerny.
Der rechtsseitige Bruch wurde genau in derselben Weise un-
mittelbar darauf operirt. Nur war der Hautschnitt etwas kürzer
und es war blos nöthig, zwei Gcfässligaturen zu versenken. Die
herausgeschnittenen ßruchsäcke fassten links 460, rechts 140 Cc.
Wasser. Der Verlauf war bis zum 16. aseptisch und fast fieberlos.
Nach einer Gabe Ricinusöl besudelte der Kranke seinen Verband
so sehr, dass der aseptische Verlauf unterbrochen wurde. Es trat
starke Eiterung und am 10. eine Temperatur von 39.3 ein. In
Folge dessen stiessen sich am 20. und 24. März die Nahtfäden der
beiden Bruchpforten ab. Am 11. April musste noch ein Abscess
im rechten Hodensacke eröffnet werden und am 20. April waren
die Wunden geschlossen. Bei einer Untersuchung am 8. Mai 1877
war rechts kein Bruch nachweisbar. Links trat beim Husten eine
taubeneiergrosse Geschwulst vor, die sich durch ein Bruchband leicht
zurückhalten liess. —
Wenn wir einen kurzen Rückblick auf diese zuerst mitgetheilten
vier Fälle werfen, so muss uns zunächst auffallen, dass trotz schwerer
Gomplicationen Erscheinungen von Peritonitis fast ganz fehlten. In
der Regel fühlten sich die Patienten so lange unbehaglich, bis der
erste Stuhl erfolgte. Ueber Schmerzen haben sie fast nie geklagt.
Dasselbe konnten wir auch bei allen folgenden Operationen sehen.
Wenn kein Stuhl spontan erfolgt war, haben wir desshalb in der
Regel schon am dritten Tage durch (eventuell wiederholte) Ein-
giessungen die Darmentleerung herbeigeführt, worauf augenblickliche
Erleichterung und oft von da an spontane geregelte Stuhlentleerung
erfolgte.
Abscesse im Skrotum traten in drei Fällen ein, bei welchen
der Bruchsack exstirpirt worden war, während der zweite Fall ganz
glatt verlief. Ich hatte bei diesem den Bruchsack zurückgelassen
und ihn blos am Halse mit Gatgut zugebunden, wesshalb ich schon
in meiner ersten Arbeit dafür plaidirte, den Bruchsack niemals zu
exstirpiren, sondern ihn blos am Halse abzubinden und, nachdem
er mit Carbolsäure an der Innenfläche bestrichen ist, zu drainiren.
Allerdings muss erst eine längere Erfahrung ergeben, ob durch die
Zurücklassung des Bruchsackes dem Kranken nicht neue Gefahren,
Beiträge zur Radikaloperation der Hernien. j^j^
etwa von Gystenbildung erwachsen. Allein sowohl die Erfahrungen
von Dr. Risel, als auch meine weiter unten niitgetheilten sprechen
durchaus für diese Praxis,
Als Materiale für die Nahl und Ligatur benützte ich in den
ersten drei Fällen Catgut, im vierten dagegen in fünfprocentiger
Garbolsäure gekochte Seide. In den ersten Fällen handelte es sich
mir wesentlich darum, nach der Operation eine gut passende Ban-
dage anlegen zu können. Dazu musste wohl die Naht der Bruch-
pforte und die Ligatur des Bruchsackes mit Catgut ausreichen.
Die guten Erfolge machten mich jedoch kühner und ich wollte dess-
halb auch bei dem vierten Falle die Heilung versuchen , bei dem
vielleicht ohne Operation eine gute Bandage genügt hätte. Das Ziel
der Operation war hier also wo möglich eine dauernde Radikal-
heilung. Da Catgut erfahrungsgemäss im menschlichen Körper wohl
einheilt, aber mit der Zeit resorbirt wird, so war mir die Dauer
meiner Heilungen , die mittelst Gatgutnähten erzielt worden sind,
etwas zweifelhaft. Ich musste desshalb nach einem Nähmateriale
suchen, welches ebenso sicher einheilt wie Catgut, ohne mit dem-
selben die Eigenschaft der Resorbirbarkeit zu theilen. Ich wusste
recht gut , dass dieses Desiderat schon längst von den Chirurgen
empfunden und seit Decennien vergeblich gesucht worden ist, allein
die guten Erfolge mit carbolisirten Darmsaiten durften wohl von
Neuem zu solchen Versuchen ermuthigen. Die oft gemachte Er-
fahrung, dass auch Catgut losgestossen wird, wenn der Wundver-
lauf nicht aseptisch ist, zusammengehalten mit der Erfahrung, dass
auch Seide oder Hanffäden, die zur Ligatur des Ovarienstleles benützt
und versenkt worden waren, manchmal, aber nicht immer einheilen,
führte mich zu der Vermuthung, dass ein chemisch und mechanisch
indifferentes Materiale wie Seide blos gründlich desinficirt zu werden
braucht, um bei aseptischem Wundverlaufe ebenso einzuheilen, wie
Catgut. Diese Desinfection erzielte ich am einfachsten auf die Weise,
dass chinesische Seide 10 Minuten hindurch in 57o Carbolwasser
gekocht und dann in 2"/o Carbolwasser bis zum Gebrauche auf-
gehoben wurde. Versuche, welche mit dieser Seide in Paste ur-
Bergmann'scher Nährflüssigkeit angestellt worden waren, ergaben,
12 Dl- Czerny.
dass sie keine Fäulniss- und Zersetzungserreger mehr enthalte. Der
Versuch, einen grösseren Knäuel dieser Seide in die Bauchhöhle
eines Hundes einzuheilen, gelang vollständig. Die Untersuchung des
30 Tage später getödteten Thieres ergab, dass die Seide im Netz
vollständig abgekapselt lag. Die Seidenfäden waren mit dem zellig-
infiltrirten Netz vollständig verfilzt, von Eiterung in der Umgebung
keine Spur. Dieselbe zellige Infiltration sieht man übrigens auch
um eingeheilte Catgutfäden.
Ebenso günstige Resultate wie bei Thieren ergab die Ver-
wendung dieser präparirten Seide zur Gefässunterbindung und Naht
bei Operationen am Menschen. Die versenkten Seidenligaturen
störten nicht im geringsten die Heilung per primam. Noch in diesem
Sommersemester beobachtete ich mehrere Amputationen (zwei der
Brustdrüse, zwei des Unterschenkels, eine nach Chopart) die per
primam heilten, obwohl zahlreiche Seidenligaturen versenkt worden
waren. Aber selbst wenn die Heilung durch Eiterung erfolgte, sahen
wir nur äusserst selten eine Losstossung der Seidenligaturen, so
lange der Verlauf aseptisch war. Kurzum ich glaube, dass diese
carbolisirte Seide wohl ebenso sicher einheilt und ebensowenig reizt
wie carbolisirte Darmsaiten und zweifle nicht, dass sie besonders
bei der Operation intra-abdomineller Tumoren eine grosse Zukunft
haben wird. Ob für diese carbolisirte Seide nicht noch ein besseres
Materiale substituirt werden kann , muss die Zukunft entscheiden.
Wir wissen, dass fremde Körper oft Jahre lang ruhig im Körper
verweilen , dann plötzlich durch Entzündung und Eiterung aus-
gestossen werden. Wie ich oben erwähnte, war um die in die
Bauchhöhle eingeheilte Seide am 30. Tage eine plastische Infiltration
vorhanden. Es wird sich wahrscheinlich in späterer Zeit ein schlecht
vascularisirtes derbes Narbengewebe um den fremden Körper finden.
Wenn dann irgend ein entzündung- oder fiebererregender Stoff in's
Blut kommt, wird er sich an solchen Punkten mangelhafter Circu-
lation so sehr anhäufen können , dass er hier Eiterung verursacht.
Bei einem resorptionsfähigen Körper wie Gatgut stehen die Verhält-
nisse allerdings günstiger, und es ist möglich, dass auch ein Körper,
der weniger porös ist als gedrehte Seide, vielleicht günstiger
Beiträge zur Radikaloperation der Hernien. ;1^3
ist. Darüber kann jedoch erst eine langjährige Erfahrung ent-
scheiden.
Wenn gleich der erste Versuch, die in Carbolvvasser gekochte
Seide zur Bruchoperation zu verwenden, im vierten Fall missglückt
war, so lag doch die Ursache des Missglückens — die Kothinfiltration
unter dem Verband — so auf der Hand, dass ich noch weitere
Versuche mit demselben Materiale wagen wollte, obzwar mir auf
Grund meiner ersten Publikation von verschiedenen Seiten anderes
Nähmateriale empfohlen worden war. So machte mich Dr. Mural t
aus Zürich auf die jüngst von List er mit Ghromsäure präparirten
Darmsaiten aufmerksam , die ebenso sicher einheilen sollen wie
gewöhnliches Catgut, ohne resorbirt zu werden, und Herr Dr. Passa-
vant aus Frankfurt überschickte mir eine Probe des von ihm mit
Recht protegirten chinesischen sogenannten Seegrases (Fil de
Florence). Ich theile unten vier Bruchoperationen, die bei drei
Kranken (Fall 5, 6 [doppelseitig] und 7) vorgenommen worden sind,
mit, bei welchen carbolisirte Seide in Verwendung kam. Von diesen
trat bei dreien Heilung per primam ein, so dass damit die Verwend-
barkeit der carbolisirten Seide für die Radikaloperation bewiesen ist.
Die Billroth'sche Forderung: »Könnten wir Gewebe von der
Festigkeit und Derbheit der Fascien und Sehnen künstlich erzeugen,
so wäre das Geheimniss der Radikalheilung der Hernien gefunden,«
ist somit, wenn auch in etwas modificirter Form erfüllt und da-
mit überhaupt die Radikalheilung der Hernien gefunden.
Von ganz besonderem Interesse war der Fall 6. Bei dem
l'/ä jährigen Knaben war beiderseits gleichzeitig die Radikaloperation
vorgenommen worden. Trotz grosser Mühe und Sorgfalt im Wechseln
und Anlegen des Verbandes, die besonders Herr Dr. Kaiser auf das
Kind verwendete, war es doch unmöglich, die Durchtränkung des-
selben mit Urin ganz zu verhindern. Wahrscheinlich weil das Kind
anfangs meist auf der rechten Seite lag, wurde hier der aseptische
Verlauf unterbrochen. Es trat auf dieser Seite eine phlegmonöse
Eiterung hinzu, welche die Ausstossung der carbolisirten Seiden-
ligaturen veranlasste. Links erfolgte Heilung per primam, die Seide
heilte ein. Einen besseren Beweis für die Behauptung, dass gut
j^^ Dr. Gzerny.
desinficirte Seide bei aseptischem Verlauf einheilt, bei loealer Sepsis aber
ausgestossen wird, dürfte man kaum beizubringen im Stande sein.
Ich zweifle nicht, dass in kurzer Zeit eine Generation junger
Chirurgen heranwachsen wird, die es gar nicht mehr verstehen
wird , warum man an der so einfachen Radikaloperation der Her-
nien jemals verzweifeln konnte. Dem ist jedoch noch nicht so.
Wiederholt musste ich noch in jüngster Zeit die Erfahrung machen,
dass Kranke mit grossen Bruchbeschwerden, die durch Bandagen
nicht beseitigt werden konnten , bei mir Rath suchten , aber vor
der Operation, die ihnen sichere Hülfe bringen konnte, zurück-
schreckten, weil ihr Hausarzt im guten Glauben an die alten Lehren
seiner Bücher dringend von der Operation abgerathen hatte. Da
mir aber an der allgemeinen Verbreitung und weiteren Ausbildung
dieser, wie ich fest überzeugt bin, guten Methode der Radikaloperation
gelegen ist, so theile ich die Erfahrungen dieses Sommersemesters,
welche ich auf diesem Felde in Heidelberg zu machen Gelegenheit
hatte, schon jetzt mit. Durch den Umstand, dass die Operationen
auch in anderer Richtung Licht verbreiten, mag ihre geringe Zahl ent-
schuldigt werden. Ich werde dieselben nicht chronologisch, sondern nach
dem Interesse, welches sie in verschiedener Richtung bieten, ordnen.
1. Die Radikaloperation bei Kindern und Greisen.
Bei der Frage nach den Gontraindikationen der Radikaloperation
selbst innerhalb der Grenzen, welche ich für dieselbe gezogen habe,
wird unzweifelhaft das Alter der Patienten eine grosse Rolle spielen.
Da zum gefahrlosen Gelingen der Operation der aseptische Verlauf
nahezu Conditio sine qua non ist, so werden sich Kinder, die
noch Kotli und Urin unter sich lassen, nur schlecht zu der Operation
eignen. Ausserdem wird das Schreien und Pressen der Kinder
beim Verbandwechsel sehr gefürchtet, und man findet desshalb
ziemlich allgemein die Regel angegeben, man solle wo möglich bei
eingeklemmten Brüchen der Kinder die Hernotomia externa ohne
Eröffnung des Bruchsackes nach J. L. Petit vornehmen, um das
Ilervorstürzcn der Gedärme ohne Bauclifellbedeckung zu verhindern.
Beiträge zur Radikaloperation der Hernien, j^5
Vor der Imbibition des Verbandes mit Koth und Urin hoffte ich
mich dadurch zu schützen, dass ich über den Lister'schen Verband
mehrere Schichten von Salicylwatte und Guttaperchapapier ab-
wechselnd legte. Wie wir sehen werden, ist es uns aber trotz
vieler Mühe nur auf einer Seite gelungen, Uebrigens war ich auf
das Misslingen dieses Versuches vorbereitet, hoffte aber doch Radi-
kalheilung zu erzielen, da bei Kindern bekanntlich jeder anhaltende
Reiz genügt, um die Bruchpforte zu verengern, wenn während
längerer Zeit der Bruchinhalt dauernd zurückgehalten wird. Leider
ist diese Hoffnung nicht erfüllt worden.
Da die Brüche der Kinder fast immer reponibel sind, so wird
es meist möglich sein , den Bruchsackhals bloszulegen und zuzu-
schnüren, ohne dass vorher der Bruchsack und damit die Bauch-
höhle eröffnet wird. Dadurch wird jedenfalls die Gefahr der Operation
bei Kindern wesentlich vermindert, selbst wenn der Verlauf nicht
aseptisch ist.
Was die Ungeberdigkeit der Kinder beim Verbandweclisel
betrifft, so hatte ich beim Falle 3 die Erfahrung gemacht, dass
selbst unartige Kinder nach der Herniotomie beim Verbandwechsel
ganz ruhig sein können. In dem folgenden Falle erregte die stoische
Ruhe des 1^2 jährigen Knaben bei dem langwierigen, oft wieder-
holten und lästigen Verbandwechsel geradezu die Bewunderung der
ganzen Umgebung,
Fünft er F a 11, J. Ehret aus Sulzbach , 1 V2 Jahre alt, der Jüngste
einer kinderreichen Familie, soll bei der Geburt ganz gesund gewesen
sein. Erst am 4. oder 5. Tage später bemerkten die Angehörigen
das Hervortreten von Geschwülsten in beiden Leistengegenden. An-
fangs Hessen sich dieselben leicht in die Bauchhöhle zurückbringen;
da jedoch der Knabe viel schrie, wuchsen sie, und als nach einigen
Monaten ein Bruchband und dann, da es zu schwach zu sein schien,
ein stärkeres angelegt wurde, gelang es nicht mehr, die Brüche für
längere Zeit zurückzuhalten, ob zwar sich der behandelnde Arzt
viel Mühe gab und wochenlang das Band selbst täglich anlegte.
Die Geschwülste wuchsen immer mehr und hatten bei der Aufnahme
in die Heidelberger Klinik am 23. Juli 1877 eine Länge von 13 Gtm.
\Q Dr. Czerny.
Der Penis kam zwischen den zwei Geschwülsten kaum mehr zum
Vorschein. Im Schlafe Hessen sich beide Brüche zurückbringen,
nicht aber im wachen Zustande. Die Bruchpforte war rechts für
drei, links für zwei Finger passirbar. Der Knabe wurde auf reine
Milchdiät gesetzt und nach der üblichen Vorbereitung am 26. Juli
zuerst der rechte Bruchsackhals durch einen 5 Ctm. langen Haut-
schnitt blosgelegt. Unmittelbar nach dem ersten Ansatz des Messers
bekam der Knabe einen Anfall von Synkope und musste durch
Hängen des Kopfes und künstliche Respiration zu sich gebracht
werden. Dann erfolgte Stuhlgang, der eine sorgfältige Ausspülung
des Mastdarmes erforderte. Erst jetzt konnte die Operation weiter
fortgesetzt werden. Der Bruchsack war äusserst zart und dehnbar,
die Isolirung des sehr weiten und faltigen Bruchsackhalses, welche
versucht wurde, nachdem die Eingeweide reponirt worden waren,
sehr schwierig. An seinem hinteren Rande fühlte ich einen gänse-
kieldicken Strang, den ich für verdickten Samenstrang hielt. Die
Aneurysmennadel wurde desshalb vor diesem Strange um die isolirten
Theile des Bruchsackhalses herumgeführt und dann derselbe mit
carbolisirter Seide Nr, 2 zugeschnürt. Hierauf nähte ich die beiden
Schenkel des Leistenringes mit 4 Knopfnähten aus carbolisirter Seide
so weit zu , dass eben noch die Fingerspitze eindringen konnte.
Als ich nun den Bruchsack in grösserer Ausdehnung eröffnete, um
ihn mit 5 o/o Garbolwasser auszuwaschen, entpuppte sich der oben
erwähnte Strang als fingerlanger Wurmfortsatz , der noch nicht
reponirt worden war. Er Hess sich ziemlich leicht reponiren , wo-
durch der Beweis geliefert war, dass die Ligatur den Bruchsack-
hals nicht ganz umfasste, sondern durch die Höhlung desselben
geführt wurde. Da ich übrigens durch den Reiz des Fadens
adhäsive Verklebung des Bruchsackes zu erzielen hoffte, und die
Bruchpforte genügend verengert zu sein schien, drainirte ich den
ßruchsack, nähte die H^autwunde mit 3 Knopfnähten zu und bedeckte
die ganze Leistengegend provisorisch mit einem desinficirten Schwamm.
Vier bis sechs kurz geschnittene Gefässligaturen aus Seide wurden
versenkt.
Nun schritt ich zur Operation des linken Bruches. Die Operation
Beiträge zur Radikaloperation der Hernien. j[7
verlief glatter als rechts. Der Bruchsackhals liess sich, während die
Eingeweide noch in demselben lagen, viel leichter vollständig isoliren
und wurde, nachdem sein Inhalt reponirt war, mit Garbolseide
abgebunden. Zwei kurz geschnittene Gefässligaturen wurden ver-
senkt. Die Bruchpforte wurde durch 3 Knopfnähte fast vollständig
verschlossen. Drainage des Bruchsackes und Hautnaht wie rechts.
Dann wurde über beiden Operationswunden ein Lister'scher Verband
angelegt, wie oben angegeben und darüber noch 3 bis 4 Lagen
Salicylwatte durch Guttaperchapapier und Carbolbinden geschichtet.
Die Operation hatte IV* Stunde gedauert. Der Knabe erwachte
bald aus der Narkose und war nicht im geringsten collabirt. Nur
am ersten Abend erbrach er sich einigemale, nahm aber schon in
der folgenden Nacht seine Milch wie gewöhnlich. Durch den Urin
wurden die carbolisirten und gestärkten Gazebinden dunkel violett
gefärbt (Garbol-Urin) und mussten sehr oft, der ganze Verband jedoch
2 — 3mal im Tage gewechselt werden. Die erste Stuhlentleerung
erfolgte am 28. Juli nach einem Einlauf. Die Nähte wurden am
4., die Drainröhrchen am 6. Tage entfernt. Links erfolgte Heilung
per primam, nahezu ohne Eiterung. Die Nähte und Ligaturen heilten
ein. Rechts dagegen entstand eine subcutane phlegmonöse Eiterung,
die sich unter der Haut etwa 8 Gtm. weit nach hinten oben er-
streckte und am 10. August eine Incision erforderte. Die Nähte
der rechten Bruchpforte fanden sich am 31. Juli, die Ligatur des
Bruchsackes am 12. August im Verband. Vom 10. Tage an wurde
blos ein einfacher Salicylwatteverband mit Protektiv angelegt und
vom 10. August an wurde der Knabe täglich gebadet. Die im
Rectum gemessene Temperatur schwankte in ziemlich steilen Curven
um 38° C. und erreichte ihren Höhepunkt (38.6) am 1. August.
Am 25. August wurde der Knabe geheilt und ohne Bruch-
band entlassen. In den ersten Tagen des September wurde er mit
einem kleinen Abscesse an der linken Narbe wieder gebracht, welcher
eröffnet wurde. Eine Ligatur kam nicht zum Vorschein. Am 8. Sept.
stellte er sich wieder vor. In der Mitte der linken Narbe wucherten
einige oberflächliche Granulationen. Die linke Bruchpforte ganz klein,
Anprall deutlich, aber kein Vortreten von Eingeweiden. Rechts
Czeiny, Beiträge zur operativen Chirurgie. 2
j^y Dr. Czerny.
trat beim Schreien deutlich Darm heraus, der aber in der Ruhe
wieder zurückging. Am 25. September wurde der Knabe wieder
aufgenommen , da die Geschwulst rechts zunahm. Beim Schreien
war sie hühnereiergross , Hess sich sehr leicht reponiren, allein es
blieb ein Strang zurück, der nach dem Befunde bei der Operation
wohl als Wurmfortsatz aufzufassen ist. Es ist die Frage, ob trotz-
dem ein Bruchband, welches zunächst angelegt wurde, vertragen
werden wird. Jedenfalls ist es von hohem Interesse, dass auf der
rechten Seite , wo die Nähte und Ligaturen auseiterten , wo der
Bruchsackhals nicht ganz abgebunden wurde, trotz der heftigen
entzündlichen Reizung so bald ein Recidiv auftrat , während links
die Heilung nach der Operation stabil blieb. Freilich macht mich
das Wiederauftreten der Fistel um das Schicksal der Seidenligaturen
besorgt, dennoch glaube ich den Schluss ziehen zu müssen, dass man
auch bei Kindern für die Radikalheilung der Brüche Bruchsack und
Bruchpforte mit einem versenkbaren Materiale schliessen müsse,
und dass man auch hier wenigstens in der ersten Zeit das Tragen
eines Bruchbandes empfehlen solle.
Marantische Greise galten bei allen früheren Versuchen
der Radikaloperation so ziemlich als Noli me tangere. Unter dem
Lister'schen Verfahren habe ich wiederholt bei ganz decrepiden Indivi-
duen ebenso rasche Heilungen gesehen, als bei jugendlichen Patienten.
Ja es schien mir sogar manchmal, als ob die trockenen, saftlosen
Gewebe leichter ohne Eiterung per priraam heilten, als jene voll-
saftiger Individuen. Es war mir desshalb von ganz besonderem
Interesse , eine Radikaloperation bei einem 70jährigen Manne zu
beobachten, der noch durch heftigen Husten, welcher von Lungen-
emphyscm abhing, eine der für die Herniotomie unangenehmsten
Gomplicationen darbot. Lange sträubte ich mich, die Operation zu
machen. Da jedoch eine intensive Gruralneuralgie wahrscheinlich
mit dem grossen Skrotalbruche zusammenhing, Bruchbänder nichts
mehr halfen und der Kranke bestimmt erklärte, so' nicht weiter
existiren zu können, so entschloss ich mich dazu. Auch im Fall 7
handelte es sich um einen 63jährigen Mann, der jedoch lange nicht
so greisenhaft aussah, wie jener im Fall 6.
Beiträge zur Radikaloperation der Hernien. 19
Sechster Fall. Fr. Rachel, 70 Jahre alt, verheirathet, Tag-
löhner aus Wiesloch, war bis auf verschiedene Verletzungen (unter
anderen eine Luxatio capituli radii nach vorne, die noch besteht,
ohne die Function des Armes zu stören) in irüheren Zeiten immer
gesund. Vor 10 Jahren entwickelte sich durch schwere Arbeit ein
rechtsseitiger Leistenbruch, der anfangs durch ein Band zurück-
gehalten wurde, was in letzter Zeit nicht mehr gelang. Seit einem
Jahre leidet er an Husten, in Folge dessen nicht blos die rechte
Bruchgeschwulst rasch wuchs, sondern auch links ein apfelgrosser
Leistenbruch entstanden war.
Der Kranke sah bis auf sein starkes Emphysem und starke
Varicen noch verhältnissmässig kräftig aus. Haarwuchs und Zähne
noch ziemlich vorhanden, Arterien rigide. Im rechten Oberschenkel
klagte er über ziehende Schmerzen. Die rechtsseitige Hernie war
weit über 2 Faust gross und hatte die Penishaut fast ganz zu ihrer
Bedeckung herangezogen. Der Bruch Hess sich im Liegen ganz
reponiren; der Leistenring für 3 Finger durchgängig. Nachdem der
Darm gründlich entleert war, wurde am 2. August die Operation
gemacht. Hautschnitt 7 Ctm. lang. 3 Gefässligaturen von Seide
kurz abgeschnitten. Währenddem die Eingeweide noch im Bruch-
sacke lagen, wurde sein Hals mit dem Finger isolirt und mit der
Aneurysmennadel ein dicker Seidenfaden herumgeführt. Dann
wurden die Eingeweide reponirt und die Seidcnligatur festgeschnürt.
Nun folgte die Naht der Bruchpforte mit 3 Knopfnähten von Seide,
worauf der Bruchsack eröffnet und mit 5> Garbolwasser aus-
gewaschen wurde. Ein Drainrohr wurde nach oben und ein bedeu-
tend längeres nach unten eingelegt und dann die Hautwunde mit
7 seidenen Knopfnähten verschlossen. Lister'scher Verband. Wegen
des Hustens bekam der Kranke Abends 1 Gtgrm. Morphium. Der
Verlauf war ganz merkwürdig glatt. Schon am folgenden Tage
behauptete der Kranke sich viel wohler als sonst zu fühlen.
Schmerzen traten nie ein. Die Wunde heilte bis auf eine kleine
Fistel per primam. Temperatur, Puls und Respiration blieben voll-
kommen normal. Die Nähte und Drainröhren wurden am 5. August
entfernt. Der Stuhl kam regelmässig spontan jeden Tag. Der
OQ Dr. Czerny.
Verband musste jeden zweiten Tag gewechselt werden, da der Kranke
sehr unruhig war und wurde schon vom 10. August an^ wegen
eines Garboleczems durch einen Salicylwatteverband ersetzt. Vom
14. Tage an war Patient regelmässig tagüber ausser Bett. Bei der
dringend verlangten Entlassung am 12. September wurde ihm ein
doppelseitiges Bruchband mitgegeben, ob zwar an der operirten
Seite von einem Bruche nichts zu merken war. Bei den senilen
Bauchmuskeln war der Anstoss beim Husten nach aussen von der
Narbe stärker als normal. Noch immer zeigte sich in der kleinen
Fistel ein Zellgewebsfetzchen, welches sich nicht lösen wollte.
2. Die Radikaloperation bei eingeklemmten Brüchen.
Es war für mich als Lehrer der Chirurgie immer ein beäng-
stigendes Gefühl, dass oft ein Semester verging, ohne dass meine
Schüler in den klinischen Stunden eine Herniotomie zu sehen Ge-
legenheit hatten. Das ist nicht nur ein Uebelstand der kleinen
Schulen. Ich kenne fleissige Schüler grosser Kliniken, die während
ihrer ganzen Studien keine Operation eines eingeklemmten Bruches
gesehen haben. Es gehört ein ganz ungewöhnliches Talent dazu,
wenn ein solcher Arzt nach dem blossen Hörensagen mit der erfor-
derlichen Ruhe an eine oft so dringende und wichtige Operation
herangehen soll. Die Radikaloperationen hatten desshalb für mich
ungeheuren didaktischen Werth. Ich konnte nun mit Müsse am
Lebenden während der Operation meinen Zuhörern die Blosslegung
und Erkennung des Bruchsackes, die Eröffnung desselben und die
Manipulationen am Darm und Netz demonstriren und in den letzten
zwei Semestern wird kein befähigter Zuhörer von der Klinik ab-
gegangen sein ohne das Bewusstsein, er werde bei einem ein-
geklemmten Bruche machen können, was dabei überhaupt gemacht
werden kann.
Aber auch für die Operation der eingeklemmten Brüche wird
diese Methode der Radikaloperation von Werth sein. Wenn sich
erst die Erfahrung mehr einbürgert, dass die Eröffnung des Bruch-
sackes unter den Cautolen der antiseptischen Methode ganz gefahr-
Beiträge zur Rudikaloperatioii der Hernien. 21
los ist, so wild die Meinung, welche schon alte, glückliche Hernio-
tomisten aufgestellt haben, dass die vorsichtig ausgeführte Operation
weniger gefährlich sei, als eine lange fortgesetzte, gewaltsame Taxis,
immer mehr Boden gewinnen. Wenn die Taxis nicht bald zum
Ziele führt, wird man um so eher zur Operation zureden dürfen,
da man um so sicherer eine Radikalkur versprechen kann, je früher
man zur Operation gelangt. Zwar ist von manchen Operateuren
behauptet worden, dass auch nach der gewöhnlichen Operation eines
eingeklemmten Bruches in der Regel eine Radikalheilung zu Stande
komme. Allein diese Meinung ist so oft Lügen gestraft worden,
dass man nach der allgemeinen Erfahrung ein solches Resultat
wohl blos bei jugendlichen Individuen unter den schon oft erwähnten
Umständen erwarten kann. Aber selbst in solchen Fällen wird
man wo möglich die sichere Methode der vielleicht eintretenden
Naturheilung vorziehen müssen. Ich möchte also bei der Operation
einer eingeklemmten Hernie die nachfolgende Ligatur des Bruch-
sackhalses und die Naht der Bruchpforte dann für angezeigt halten,
wenn aus dem ganzen Verlaufe der Operation hervorgeht, dass nach
der Lösung der Einklemmung keine Störungen in der Blut- und
Kothcirculation des Darmes zu erwarten sind. Wenn schon heftige
Symptome von Entzündung und Stase vorhanden sind, wird man
von dem Versuche der Radikaloperation lieber abstehen.
Von Anfang April bis Mitte August 1877 hatten wir in der
Heidelberger Klinik 5 eingeklemmte Brüche zu beobachten Gelegen-
heit. Von diesen wurden 4 operirt und endeten mit Genesung.
Durch die Taxis wurde einer wieder hergestellt. Einen Unglücksfall
hatten wir nicht zu beklagen. Von den Operirten fand sich bei
einer Frau ein sehr verdickter und entzündeter aber leerer Schenkel-
bruchsack vor. Merkwürdiger Weise kam bald darauf ein 42jähriger
Mann mit eben solchem Leistenbruchsacke zur Operation. Bei einem
Manne von 28 Jahren waren die Darmschlingen schon bei der Er-
öffnung des Bruchsackes sugillirt und die Taxis bot so viele Schwierig-
keiten und erforderte so viel Zeit, dass wir von dem Versuche der
Radikalkur lieber abstanden. Der Verlauf, der allerdings schliess-
lich in Genesung ausging, war so sehr durch Erscheinungen von
22 Dr. Gzerny.
gestörter Kothcirculation unterbrochen, dass wir mit dieser Unter-
lassungssünde sehr zufrieden sein durften.
Bios in folgendem Falle, der durch seinen ausserordentlich
günstigen Verlauf sicher bemerkenswerth ist, haben wir der Be-
seitigung der Einklemmung sogleich die Radikaloperation nach-
folgen lassen.
Siebenter Fall. Martin Walbauer, 63 Jahre alt, aus Leimen,
kam am 8. August in die Klinik. Er trug seit 12 Jahren ein Bruch-
band, welches den rechtsseitigen Leistenbruch angeblich ganz zurück-
gehalten haben soll. Bei der Operation wurde festgestellt, dass diese
Angabe auf einer Täuschung beruhte, indem das Netz im Bruch-
sacke festgewachsen war. Am 6. Abends hatte er den letzten
Stuhlgang gehabt, am 7. Morgens war er ohne Bruchband aufgestan-
den , um das Vieh zu füttern und dabei war der Bruch plötzlich
unter Schmerzen ausgetreten und konnte nicht mehr zurückgebracht
werden.
Der Puls war ruhig, kräftig, Erbrechen von dünnen, gelb gefärb-
ten Massen sehr häufig. Der Unterleib nicht besonders schmerzhaft.
Die Geschwulst ganseigross, hart gespannt, empfindlich, gab gedämpft
tympanitischen Schall. Von einem Arzte waren draussen einige
Repositionsversuche gemacht worden und da uns die Reposition in
der Narkose nach 5 Minuten ebenfalls nicht gelang, schritten wir
am 8. um 11 Uhr Morgens zur Operation. Die Einklemmung
war durch den verdickten Bruchsackhals bedingt, welcher nach
Eröffnung des Bruchsackes eingeschnitten wurde. Das Bruchwasser
war hämorrhagisch gefärbt und enthielt Faserstoffgerinnsel. Die ein-
geklemmte Darmschlinge war stark hyperämisch und zeigte einen
blaurothen Einschnürungsring. Sie Hess sich leicht reponiren. Vor
derselben lag stark injicirtes Netz, welches am Fundus angewachsen
war und sich durch zwei rosenkranzförmige Divertikel des Bruch-
sackes, welche es vollständig ausfüllte, nach abwärts erstreckte. Das
Netz wurde in der Höhe der Bruchpforte in zwei Portionen mit
dicken Catgutfäden abgebunden, darunter abgeschnitten und reponirt.
Der im Bruchsack befindliche Theil des Netzes wurde entfernt.
Einige kleine Gefässe in der Wunde wurden mit Carbolseide unter-
Beiträge zur Radikaloperation der Hernien. 03
bunden und die Ligaturen versenkt. Nun wurde der Bruchsackhals
mit einer dicken Seidenligatur abgebunden; seine Höhle mit 5 proc.
Carbolsäure ausgewischt und drainirt. Dann folgte die Naht der
Bruchpforte mit 3 seidenen starken Knopfnähten, so dass kaum
die Klippe des Fingers eindringen konnte. Darüber wurde die Haut-
wunde mit Knopfncähten von Seide geschlossen. Lister's Verband,
Eisblase auf die Wunde und 10 Tropfen Opiumtinktur innerlich.
Der Verlauf nach der Operation war ausserordentlich günstig. Die
Temperatur, welche am Tage der Aufnahme 38" G. betrug, überstieg
diese Grenze nicht mehr und war vom zweiten Tage an vollkommen
normal. Ebenso zeigten der Puls und die Respiration keine Ab-
normitäten. Ein leichtes Unbehagen und Gefühl von Völle, welches
in den ersten Tagen nach der Operation vorhanden war, verlor
sich, nachdem vom 9. an durch täglich wiederholte Wasserein-
giessungen bis zu 1000 Cc. regelmässiger Stuhlgang erzielt worden
war. Vom 14. an spontaner Stuhlgang. Die Nähte und das Drain-
rohr wurden am 12. entfernt, und da am 14. August — 6 Tage
nach der Operation — die ganze Wunde per primam geheilt war,
wurde von diesem Tage an beim dritten Verbandwechsel nur ein
leichter Salicylwatte verband angelegt.
Der Kranke stand zuerst am 24. August auf und wurde am
28. August entlassen. Bei der Entlassung war die Wunde solid
vernarbt, nicht empfindlich. Beim Stehen und Drängen war von
einer Hernie keine Spur vorhanden.
3. Die Radikaloperation bei Gegenwart von Kothfisteln
im Bruchsacke. Heilung der Kothfisteln durch die
Enteroraphie.
Unsere jetzt üblichen Methoden der Behandlung des widernatür-
lichen Afters ruhen wesentlich auf den Schultern Scarpa's und
Dupuytren 's. So glänzend auch die Erfolge bei einem früher unheil-
baren Leiden genannt werden müssen, so ist doch nicht zu läugnen,
dass die Resultate ziemlich theuer erkauft wurden. Ganz abgesehen
24 Dr» Gzerny.
von der nicht abzuläugnenden Gefahr der Operation, die für den ver-
antwortlichen Chirurgen um so unangenehmer ist, weil er die Wir-
kung der in der Tiefe der Darnihöhle verborgenen Darmscheere
nicht controliren kann, ist die lange Dauer der Behandlung und
das so häufige Zurückbleiben von Kothfisteln ein sehr grosser Uebel-
stand, welcher dieser Operation anhaftet.
Wenn der rücklaufende Schenkel der eröffneten Darmschlinge
sehr verengt, oder ganz verschlossen ist, so lässt sich die Dupuy-
tren'sehe Darmscheere gar nicht verwenden. In solchen Fällen
und vielleicht auch in jenen, wo der Darm nicht direct nach Aussen,
sondern in andere Leibeshöhlen z. B. in die Blase mündet, die bis-
her ihrem traurigen Schicksale überlassen werden mussten^ möchte
ich vorschlagen, unter antiseptischen Gautelen die Bauchhöhle zu
eröffnen, die Darmschlinge von der Bauchwand zu lösen, die Oeff-
nung des Darmes zuzunähen und dann die Bauchwunde zu schliessen.
Da das Uebel nicht nur jeden Lebensgenuss stört, sondern in der
Regel auch über kurz oder lang zum Tode führt, dürfte ein solcher
Vorschlag, den ich auf Grund der unten folgenden zwei Beobach-
tungen (Fall 8 und 9) zu machen wage , wohl gerechtfertigt sein ^).
Wenn schon die Behandlung des falschen Afters unter gewöhn-
lichen Umständen eine langwierige und lästige Operation ist, so
gehört »die Heilung des falschen Afters in einem Bruche zu den
»schwierigsten Unternehmungen. Wenigstens ist sie bei weitem
»schwieriger als die des gewöhnlichen«^). Dieffenbach, der
diesem Thema ein eigenes Kapitel widmete, stellte die Aufgabe des
Chirurgen je nach der Verschiedenheit des Zustandes als verschieden
hin: 1) Heilung des widernatürlichen Afters des Bruches; 2) Hei-
lung des widernatürlichen Afters und des Bruches.
Die Heilung des falschen Afters ohne Beseitigung des Bruches
') Es ist vielleicht nicht uninteressant, dass fast zur selben Zeit, als ich
die erste Enteroiapliie bei einer Kothfistel machte, Hofrath Billroth die Gastro-
raphie zur Heilung,' der Magenfistel ausführte, ohne dass einer von den Inten-
tionen des anderen Kenntniss hatte. Es liegt also auch obiger Vorschlag wohl
schon in der Luft.
') Dieffenbach. Die operative Chirurgie I. Bd. p. 723.
Beiträge zur Radikaloperation der Hernien. 25
sei angezeigt, wenn der Skrotalbruch sehr gross und an vielen Stellen
verwachsen ist; wenn nur eine Darmwand perforirt, der Darm nicht
verengert und die Bruchpforte so weit ist, dass nach der Schliessung
der äusseren Oeffnung die gewisse Aussicht vorhanden ist, dass die
C'ontenta des Darmes keine Störung in ihrem Laufe erleiden werden.
Die Heilung suchte er besonders durch Cauterisation und die Schnür-
naht zu erzielen.
Die Heilung des widernatürlichen Afters des Bruches und des
letzteren könne nur dann in Erwägung gezogen werden, 1) wenn
der Skrotalbruch massig gross ist , 2) \venn er eine einfache Darm-
schlinge enthält, 3) wenn die Bruchpforte eng ist.
Wenn die Darmschlinge bis auf die Fistelöffnung reponibel
oder doch beweglich ist, so suchte er sie, eventuell nach blutiger
Erweiterung der Bruchpforte, ohne jedoch dabei den Bruchsack zu
eröffnen, durch sanfte Manipulationen in die Bauchhöhle zu bringen,
dann die Oeffnung des Darmes durch Cauterisation zu schliessen.
Der Bruch wurde dann durch ein Band zurückgehalten.
In einem Falle , wo die Darmschlinge theilweise oder ganz
verwachsen Avar, verdickte kailöse Wandungen zeigte und unterhalb
des falschen Afters zu einem engen kailösen Kanal zusammengezogen
war, eröffnete er den Bruchsack wie bei dem Bruchschnitte und löste
die Verbindungen der Schlinge mit dem Bruchsacke, ohne die Adhäsio-
nen in der Bruchpforte zu trennen. Dann wurde die vor der Bruch-
pforte liegende Schlinge, welche den widernatürlichen After enthielt,
abgeschnitten und auf diese Weise ein gewöhnlicher widernatür-
licher After erzeugt, der nach den üblichen Methoden geheilt wurde.
Ich habe in einem Falle von widernatürlichem After ^) , bei
dem die vorliegende Schlinge des S romanum durch drei Oeffnungen
nach aussen communicirte , die Heilung in der Weise herbeigeführt,
dass ich durch eine modificirte Darmscheere das Colon descendens
mit dem" Rectum direct in Verbindung setzte und dann die vor-
liegende Darmschlinge mit dem Glüheisen zerstörte. Allein daneben
*) Czerny. Widernatürliclier After mit Vorfall der Flexura sigmoidea.
Heilung etc. von Langenbeck's Archiv, XXI. Bd. I. Heft.
26 Dl'- Gzerny.
blieb ein Brucli bestehen und die sehr lange Dauer der nicht un-
gefährlichen Operationen befriedigte mich keineswegs.
Da ich zwei Kothfisteln im Bruchsacke, welche schon Hofrath
Simon Iheils zu wissenschaftlichen Untersuchungen, theils zu opera-
tiven Eingriffen Veranlassung gegeben hatten , zur Beobachtung
bekam, glaubte ich auf Grund der Erfahrung, dass die Eröffnung
des Bruchsackes unter anti septischen Cautelen gefahrlos sei und auf
Grund von zahlreichen Experimenten über die Darmnaht bei Thieren,
welche theilweise Herr Dr. Kaiser unten publiciren wird, wohl
berechtigt zu sein , die Kothfisteln auf andere Weise direct anzu-
greifen.
Zunächst möchte ich bei dieser Gelegenheit erwähnen, dass
beide Patienten Herrn Hofrath Simon zu seinen Wassereingiessungs-
versuchen dienten. In beiden Fällen kam, wenn man in aufrechter
Stellung des Patienten bei circa 1 Meter Druckhöhe Wasser in das
Rectum einlaufen liess, schon nach einem Einlauf von 2000 Gctm.
das Wasser im Strahle zur Fistel heraus. Bekanntlich hatte Simon
an Cadavern gefunden ^) , dass unter 9 Fällen das Wasser sieben-
mal bis über die Valvula Bauhini drang. Nichtsdestoweniger wurden
auf Grund obiger Versuche, welche scheinbar durch die mikro-
skopische Untersuchung der Schleimhaut und durch die Lage der
Fisteln unterstützt wurden, beide Fälle nach der Versicherung der
Hrn. DD. Ha dl ich und Braun, welche bei den Experimenten assistirt
hatten, für Gökalfisteln gehalten. Ich konnte mich nicht dieser An-
sicht anschliessen , da die Kothentleerungen aus denselben verhält-
nissmässig rasch nach der Nahrungsaufnahme erfolgten, da der ent-
leerte Darminhalt stets dünnflüssig war, kaum fäkulent roch und
da in beiden Fällen der Bruchinhalt relativ frei beweglich war. Ich
hoifte somit Dünndarmfisteln vor mir zu haben, und diese Hoffnung
bestätigte sich bei der Operation. Jedenfalls wäre dieselbe viel
^) (i. Simon. Ut'her die Einiülirung langer elastischer Rohre etc. Langen-
beck Arch. f. kiin. Chirurgie XV. Bd. p. 122. Von dem 9. Falle (K. Kraus aus
Neulussheim) existirt noch aus dem Nachlasse Simon's eine Photographie, welche
den Kranken in aufrechter Stellung darstellt, während ein Wassereinlauf gemacht
wird und gleichzeitig Wasser im Strahle aus der Kothfistel herausläuft.
Beiträge zur Iliidikaloperalion der Hernien. 27
schwieriger aiiszufütiren gewesen, wenn festverwachsenes Cökiun im
Bruchsack gelegen hätte. Nach der Eröffnung des Bruchsackes
konnte man in beiden Fällen durch die fehlenden muskulösen Längs-
streifen, durch den Mangel der Haustra, endlich durch den Umstand,
dass die beiden Schenkel der Schlinge frei zurückliefen, den Dickdarm
und besonders das Cökum sicher ausschliessen. Es ist dadurch meines
Wissens zuerst am lebenden Menschen direct nachgewiesen worden,
dass Wassereinglessungen weit über die Valvula Bauhini hinauf
vordringen können.
Wenn wir uns fragen, warum die Kothfisteln im Bruchsacke
so schwer heilen, so dürfte die Antwort nicht schwer fallen. Da
das Darmlumen unter solchen Verhältnissen mehrfach winklig geknickt
und stellenweise verengt ist, so müssen manchmal Stauungen der
Kothcirculation eintreten. Dazu kommt noch , dass die Peristaltik
in der vorliegenden Darmschlinge vermindert oder aufgehoben ist.
Wenigstens habe ich an flächenhaft angewachsenen und bei der
Radikaloperation gelösten Darmschlingen niemals peristaltische Be-
wegungen gesehen. Auch bei der Operation eingeklemmter Darm-
schlingen sieht man oft eine solche locale Darmparalyse, wenn die
Girculation längere Zeit gestört war. Wahrscheinlich ist im ersten
Falle Verfettung der Muskelfasern durch Nichtgebrauch, im zweiten
dagegen temporäre Lähmung durch Oedem und mangelhafte Er-
nährung eingetreten. Die temporären Kothstauungen , welche ich
nach der Operation angewachsener und mitunter auch eingeklemmter
Plernien eintreten sah, sind wahrscheinlich häufiger die Folge einer
solchen localen Lähmung, als einer eigentlichen Stenose des Darmes.
Wenn auch die Kothfistel zeitweilig vernarbt, so wird bei der ersten
Kothstauung, die durch irgend eine Gelegenheitsursache hervor-
gerufen wird, die Narbe, wie ein Sicherheitsventil, zuerst aufbrechen.
Durch den begleitenden Reiz werden die Adhäsionen immer aus-
gedehnter. Zugleich wird der Bruch immer voluminöser und so-
mit werden die Bedingungen für die Ausheilung immer ungünstiger.
Diese Betrachtung führte mich zu dem Schlüsse, dass man in
solchen Fällen die Darmschlinge von ihren Adhäsionen befreien
müsse, wenn man dauernde Heilung erzielen will. In diesem Sinne
28 Dr. Czerny.
habe ich die l'olgenden zwei Operationen und zwar mit dem besten
Erfolge ausgeführt.
Achter Fall, Georg Kinzinger, 48 Jahre alt, aus Schönau.
Im Jahre 1867 trat bei einer heftigen Anstrengung plötzlich eine
Hernie im rechten Leistenkanale auf, die sehr starke Einklemmungs-
erscheinungen hervorrief. Als er fünf Tage später in die Klinik zu
Prof. G. 0. Weber gebracht wurde, musste ein langer Schnitt in
die Geschwulst gemacht werden, wobei viel Koth und Eiter hervor-
quoll. Es trat wohl bedeutende Erleichterung ein, allein der Koth
entleerte sich von da an ganz aus der Wunde. Durch wiederholte
Anlegung der Darmscheere und durch Aetzungen wurde nach
22 Wochen die Heilung des widernatürlichen Afters erzielt. Bis
zum Januar 1875 blieb Alles in Ordnung. Wahrscheinlich unter
gleichzeitiger Vergrösserung der Hernie trat um diese Zeit ein neuer
Kothabscess auf. Nachdem dieser gespalten war, konnte der Finger
einen vorspringenden Sporn fühlen und zu beiden Seiten desselben
in die beiden Darmenden vordringen. Es ging wieder fast der ganze
Koth durch die Fistel ab, und beim Umhergehen stülpte sich die
Darmschleimhaut mehrere Zoll weit vor.
Zur Heilung der Fistel wurden von Hofrath Simon ihre
Ränder etwa 1 Ctm. breit angefrischt, die vorquellende Schleimhaut
theils abgelöst, theils weggeschnitten und mit 11 tiefen und ober-
flächlichen Nähten vereinigt. Zu beiden Seiten der Fistel wurden
Entspannungsschnitte durch die Haut geführt. Der grösste Theil
heilte per primam bis auf 2 Fisteln , von denen eine bald spontan
heilte, während die andere erbsengrosse erst nach wiederholten
Aetzungen zum Verschluss gebracht war de. Die Stuhlentleerungen
wurden anfangs durch Eingiessungen bewerkstelligt, erfolgten aber
später regelmässig von selbst. Der Bruch Hess sich durch ein Bruch-
band zurückhalten, und der Patient vi'urde am 25. Februar 1876
nacli 13monatlichem Aufenthalte im Krankenhaus geheilt entlassen.
Schon im November öffnete sich die Wunde ohne besondere Ver-
anlassung von Neuem, wesshalb Kinzinger am 3. Dezember 1876
abermals Hilfe in der Klinik suchte.
Rechts war eine zwei Faust grosse Skrotalhernie vorhanden.
Beiträge zur Radikaloperation der Hernien. 29
an deren yoiderfläche zwei weisse derbe Narben von ca. 8 Clm. Länge
verliefen. Zwischen denselben, von kallösem Gewebe und excoriirler
Haut umgeben, befand sich eine federkieldicke Fistel, die im unteren
Drittel des Skrotums lag und aus der sich 20 bis 40 Minuten nach
der Nahrungseinnahme eine massige Menge einer gelbweissen, theils
rahmigen , theils schaumigen Flüssigkeit entleerte. Der Bruch liess
sich bis auf einen zur Fistel verlaufenden Strang reponiren, die
Bruchpforte war für zwei Finger durchgängig.
Nachdem vielfache Aetzungen mit dem Lapis und dem Glüh-
eisen Iheils bei ruhiger Bettlage, theils mit Abwechslung in der Diät
keine Heilung herbeigeführt hatten, schritt ich nach der üblichen
Vorbereitung des Patienten durch Diät und Darmentleerung am
14. Mai zur Operation. Nachdem die ganze Umgebung des Skro-
tums rasirt, gewaschen und desinficirt war, wurde in der Ghloro-
formnarkose zunächst die Kothfistel mit einer provisorischen Kürsch-
nernaht verschlossen, um das Herausfliessen von Darminhalt während
der Operation zu verhindern. Dann wurde ein 8—10 Gtm. langer
Schnitt durch die äussere Narbe geführt, weil an dieser Stelle die
Darmschlingen mit dem Bruchsacke nicht verwachsen zu sein schienen,
und der Bruchsack eröffnet. In demselben befand sich ein feder-
kieldicker Netzstrang, der im Grunde des Bruchsackes festgewachsen
war, und eine Dünndarmschlinge, die überall frei war bis auf eine
fünfmarkgrosse Stelle in der Umgebung der Fistel. Diese feste Ver-
wachsung musste blutig mit dem Messer und der Scheere gelöst
werden, wobei drei spritzende Gefässe am Darme mit Gatgut unter-
bunden wurden. Da ich mich möglichst weit vom Darmlumen zu
halten suchte, blieben ziemlich dicke Schwarten am Darme hängen.
Zuletzt wurde der Fistelrand abgetrennt und die Darmschlinge vom
Assistenten comprimirt, um den Kothaustritt zu verhindern. Nun
wurden die Fistelränder geglättet und mit drei Knopfnähten aus
Gatgut zugenäht. Die Fäden wurden 3—4 Millimeter weit vom
Rande der Fistel von Seite der Serosa eingestochen und dicht vor der
Schleimhaut herausgeführt. Ueber dieser ersten Nahtreihe wurden
die benachbarten Pseudomembranen gleichsam in zweiter Reihe
noch durch fünf Gatgutnähte vereinigt. Diese wurden durch die
30 Dr. Czerny.
Serosaseite des Darmes nach Art der Lembert'schen Darmnähte
geführt, ohne dass jedoch ihre Fadenschlingen bis in das Darni-
lumen eingedrungen wären.
Nachdem die Darmschlinge gründlich gesäubert und mit 5>
Garbolwasser desinficirt war, wurde sie in die Bauchhöhle zurück-
gebracht. An der Stelle der Verwachsung war sie zu einem flachen
Divertikel ausgezogen, so dass in diesem Falle durch die zweireihige
Naht keine wesentliche Verengerung des Darmlumens herbeigeführt
wurde. Der Netzstrang wurde ebenfalls mit Gatgut abgebunden,
dann abgeschnitten und reponirt. Nun wurde der Bruchsackhals
mit einem dicken Gatgutfaden umgeben und abgebunden, die Wan-
dungen des Bruchsackes mit 5% Garbolwasser gewaschen und ein
Drainrohr eingelegt. Die Bruchpforte wurde mit einer vierfach
gekreuzten Miedernaht aus dickem Gatgut verschlossen und darüber
die Hautwunde mit 10 Nähten vereinigt. Etwa 4 Gefässligaturen
wurden in der Skrotalwunde nöthig. Lister'scher Verband, Eisblase
und einige Tropfen Opiumtinktur in den ersten zwei Tagen.
In der Nacht und am folgenden Tage musste sich der Kranke
fünfmal erbrechen. Da aber Puls, Temperatur und Respiration, wie
aus der Fiebercurve S. 31 ersichtlich ist, kaum eine wesentliche Schwan-
kung zeigten, da der Unterleib nicht empfindlich und keine Dämpfung
nachweisbar war, kann man dasselbe sicher nicht auf peritonitische
Reizung beziehen. Vielleicht stand es mehr mit dem Gebrauche
der Opiumtinktur in Zusammenhang. Der erste Verbandwechsel
fand erst am 16. Juni statt, nachdem eine durchaus normale Stuhl-
entleerung spontan erfolgt war. Von da an stellte sich vollständige
Euphorie ein. Am 19., 21. und 23. Juni wurde noch Stuhlgang
durch Eingiessungen erzielt, während von da an täglich regelmässige
Entleerungen spontan auftraten.
Beim zweiten und dritten Verbandwechsel am 20. und 25. Juni
wurden die Nähte und Drainröhrchen entfernt. Beim vierten Ver-
bandwechsel am 30. Juni — IG Tage nach der Operation — war
die Wunde vollkommen geheilt, so dass blos ein leichter Salicyl-
dcckverband applicirt wurde. Von da an wurden dem Kranken
auch feste Speisen erlaubt. Am 9. Juli durfte er zuerst aufstehen
Beiträge zur Radikaloperation der Hernien.
31
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32 Dr. Gzerny.
und wurde Mitte Juli entlassen. Am 7. August stellte er sich wieder
vor und sah sehr vergnügt und wohlgenährt aus. Die Operationswunde
und die Fistelnarbe waren solid verheilt, von einer Hernie keine
Spur nachweisbar. Das Tragen des Bruchbandes wurde noch ferner-
hin empfohlen.
Neunter Fall. Konrad Kraus, 40 Jahre alt, aus Neuluss-
heim, soll im 18. Lebensjahre durch Tragen schwerer Lasten einen
rechtsseitigen Leistenbruch erworben haben. Dieser Hess sich zwar
anfangs durch ein Bruchband zurückhalten, bei Anstrengungen der
Bauchpresse jedoch traten Eingeweide unter der Pelotte hervor.
Seit etwa 10 Jahren wiederholte sich dieser Vorfall immer häufiger,
so dass das Band seinen Dienst nicht mehr that. Am 30. Sep-
tember 1875 Morgens 5 Uhr trat der Bruch plötzlich mit heftigen
Schmerzen hervor und konnte weder von dem Patienten selbst,
noch von dem behandelnden Arzte in W, während der Narkose
zurückgebracht werden. Mit Einwilligung des Kranken wurde hier
der Bruchschnitt gemacht, worauf anfangs Erleichterung eintrat.
Jedoch schon am 2. Oktober traten wieder heftige Einklemmungs-
erscheinungen und Kotherbrechen ein, welche den Arzt veranlassten,
nochmals zu operiren. Seitdem ging durch 6 Wochen der sämmt-
liche Koth durch die Wunde ab. Der Kranke fühlte sich immer
elender. Sein Arzt in W. versuchte vergebens die Heilung durch
die Naht der Wunde zu erzielen, ätzte dann wiederholt die Fistel-
ränder, wodurch sich der widernatürliche After allmählig zu einer
engen Kothfistel gestaltete, aus der blos ein kleiner Theil des Darm-
inhaltes abging. Mit diesem Zustande entlassen, fing er wieder
leichte Arbeit zu leisten an. Nach 3 Wochen bekam er wieder
heftigen Kopfschmerz und Fieber, die Leistengegend schwoll stark
an, und nach einem neuen Durchbruche kam fast der ganze Darin-
inhalt aus der nunmehr vergrösserten Fistel , aus der sich jetzt die
Darmschleimhaut hervorstülpte. Da er durch das Fieber und die
mangelhafte Verdauung, wozu sich Athembeklemmungen gesellten,
sehr heruntergekommen war, trat er am 18. April 1876 in das
klinische Hospital in Heidelberg ein. Die Fistel war bei der Auf-
nahme etwa markgross. Hier verkleinerte sie sich allmählig unter
Beiträge zur Radikaloperation der TTernien. 33
geeigneter Behandlung so weit, dass der meiste Koth auf natür-
lichem Wege abging, wenn er die Fistel durch einen Charpieballen
zustopfte. Da ich den Kranken einmal im Ambulatorium gesehen
hatte, Hess ich ihn am 27. Juni kommen, nachdem wir bei dem
vorhergehenden Falle einen so schnellen Erfolg erzielt hatten. Ich
schlug ihm die Operation vor, auf welche er bereitwilligst einging,
da er sich und seiner Gemeinde eine Last war und in diesem Zu-
stande für seine Familie nur wenig thun konnte.
Im rechten Hodensacke befand sich eine Geschwulst, deren
Länge vom Leistenringe bis zum unteren Ende des Scrotum 25 Gtm.
betrug. Der Umfang derselben (sammt Wurzel des Penis) war
32 Gtm. Neun Gtm. unterhalb des äusseren Leistenringes fand ich
eine für den Daumen bequem durchgängige Oeffnung, aus welcher
ein 5 Gtm. langes, deutliche peristaltische Bewegungen zeigendes
Darmstück prolabirte. Die Schleimhaut desselben zeigte quer gerun-
zelte Falten und eine etwas chagrinirte Oberfläche. Die Geschwulst
Hess sich bei horizontaler Rückenlage sehr bedeutend verkleinern,
so dass blos ein derber Strang von dem Leistenkanale zu der äusseren
Oeffnung zog. Der Leistenring war ca. 3 Gtm. lang, 2 Gtm. breit.
Operation am 2. Juli. Nachdem der Kranke schon zwei
Tage vorher auf flüssige Diät gesetzt und sein Darm gründlich aus-
gespült worden war, wurde nach der localen Reinigung und Des-
infection die Fistel wieder provisorisch durch eine Kürschnernaht
verschlossen. Durch einen über 10 Gtm. langen Hautschnitt, der
nach aussen von der Fistel lag, wurde der Bruchsack blosgelegt.
Schon vor der Eröffnung desselben mussten 10 Gefässe — theil-
weise erweiterte Venen — mit Gatgut unterbunden werden. Um
an den freien Darmtheil zu gelangen, musste der Schnitt im
Bruchsacke bis dicht an die Bruchpforte verlängert und dann
auch bis an den Grund des Hodensackes herabgeführt werden,
um bei der Lösung der an der Vorderfläche angewachsenen Dünn-
darmschlinge Ueberblick zu gewähren. Zum Glück Hess sich die
Darmschlinge bis in die Nähe des Fistelrandes stumpf vom Bruch-
sack ablösen, nachdem der Anheftungsrand blutig durchtrennt
worden war. Auch bei diesem Geschäfte mussten sowohl am Darme,
C z e r n y , Beiträge zur operativen Chirurgie. ''
34 Dr. Czerny.
als am Bruchsacke Ligaturen angelegt werden. Die Darmschlinge
war jedoch seitlich geknickt und ihre beiden Schenkel unter sich
verwachsen. Auch diese Adhäsionen mussten theilweise blutig
gelöst werden, wobei die Darmwandung an einer kleinen Stelle so
dünn erschien, dass zur Sicherung an derselben 3 Gatgutnähte an-
gebracht werden mussten. Nun wurde die Darmschlinge vom Fistel-
rande abgeschnitten, und obwohl sie vom Assistenten so gut als
möglich comprimirt wurde, floss dabei doch eine kleine Menge grün-
lich gelben Darmschleimes in den Bruchsack. Die Fistel im Darme
war jetzt 3—4 Gtm. lang, wurde sorgfältig geglättet und mit 7 Gat-
gutknopfnähten vereinigt. Darüber folgte noch eine zweite Reihe
von 7 Knopfnähten, über welchen an einigen weniger dichten Stellen
sogar noch in einer dritten Reihe 3 Nähte angelegt wurden. Da-
durch war das Darmlumen allerdings um die Hälfte seines Durch-
messers verengert, allein ich glaubte doch eine solche Stenose
lieber in den Kauf nehmen zu sollen, als die Ausschaltung des
ganzen angewachsenen Darmstückes, obgleich ich für den schlimmsten
Fall auch auf diesen Schritt gefasst war. Jedenfalls würden die
zahlreichen Arkaden der Mesenterialgefässe zahlreiche Ligaturen
nöthig machen. Nach der vollständigen Reinigung und Desinfection
der Darmschlinge und des Bruchsackes wurde die erste reponirt.
Vom letzteren und der Skrotalhaut schnitt ich ein elliptisches Stück,
welches die infiltrirten Hautränder der alten Fistel enthielt, weg,
um die Vereinigung der Wunde in einer Linie vollziehen zu können.
Auch dabei waren mehrere Gefässligaturen nöthig. Eine unan-
genehme Erscheinung war die hartnäckige Flächenblutung von der
gelösten Darmschlinge. Nachdem sie schon reponirt war, kamen
Bauchschwämme, welche durch die noch offene Peritonealwunde in
die Bauchhöhle getaucht wurden, noch lange Zeit blutig heraus.
Die nun folgende Ligatur des Bruchsackhalses schloss die
Bauchhöhle nicht vollkommen ab, da der Schnitt noch höher hinauf
ging, als die Ligatur angelegt werden konnte. Auch beim Ver-
schluss der Bruchpforto, welcher durch eine fünfmal gekreuzte Gat-
gut-Miedernaht erzielt wurde, waren Schwierigkeiten vorhanden, da
der innere Schenkel des Leistenringes nicht gut ausgeprägt war.
Beiträge zur Radikaloperation der Hernien.
35
Nachdem der Bruchsack drainirt war, wurde die Hautwunde mit
circa 15 Knopfnähten vereinigt und darüber ein gut comprimirender
Verband angelegt. Täglicli 10 Tropfen Opiumtinktur. Die Operation
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hatte 2'/* «Stunden gedauert und wurde in Gegenwart der Herren
Geh. Hofrath Dr. Tenner, Prof. Dr. Lossen, mehrerer auskändischer
Aerzte und des ganzen Gollegiums ausgeführt. Obgleich auch in
36 D^"« Czerny.
diesem, Falle, wie schon aus der beigegebenen Fiebercurve hervor-
geht, der Verlauf ganz ausserordentlich günstig war, so war doch
in den ersten 3—4 Tagen der durchaus nicht empfindliche Leib
etwas aufgetrieben, der Kranke klagte über Unbehagen und Kollern
im Leib und musste sich sogar 4 — 5mal erbrechen. Vom 4. Juli
an wurden täglich Wassereingiessungen bis zu 1500 Gctm. gemacht,
welche Blähungen und Stuhl zur grossen Erleichterung des Patienten
zu Tage förderten. Vom 12. an erfolgte regelmässig täglich Stuhl
ohne Kunsthilfe. Die Nähte und zwei Drainröhrchen wurden beim
1. und 2. Verbandwechsel am 4. und 7, Juli entfernt. Eine massige
Eiterung machte alle 3 Tage den Verbandwechsel nöthig. Einmal
wurde auch eine Gatgutligatur im Eiter gefunden. Erst beim
7. Verbandwechsel am 23. Juli wurde die Carbolgaze gegen Sali-
cylwatte vertauscht, da die Eiterung fast ganz aufgehört hatte.
Vom 14. an erhielt der Kranke Fleischspeisen und durfte am 16.
zuerst mit Bruchband und Suspensorium aufstehen. Bei der Ent-
lassung am 7. August war die Wunde geheilt, der Anstoss in der
Leistengegend etwas stärker als normal , aber keine Hernie nach-
weisbar. Aus seiner Heimath erhielten wir von dem sehr dank-
baren Patienten fortlaufend gute Nachrichten.
Diese zwei Krankengeschichten lassen sicher die directe Entero-
raphie bei Kothfisteln im Bruchsacke gerechtfertigt erscheinen,
sobald die gewöhnlichen Methoden der Behandlung nicht zum Ziele
führen, oder bald vom Wiederaufbruch der Fistel gefolgt sind. Für
die leichte oder schwere Ausführbarkeit wird ganz besonders die
Ausdehnung der Verwachsungen massgebend sein. Je mehr sich
die Bruchgeschwulst durch Druck in der Rückenlage verkleinern
lässt, um so geringer sind die Adhäsionen. Ein bedeutender Pro-
laps eines Darmrohres lässt darauf schliessen, dass es nicht an-
gewachsen ist. Ob die Fistel ihren Sitz im Dünndarm oder Dick-
darm hat, wird man aus der Schnelligkoil des Kothaustrittes nach
der Nahrungsaufnahme und aus der Beschaffenheit des Darminhaltes
mit einiger Wahrscheinlichkeit schliessen können. Die mikroskopische
Untersuchung der Schleimhaut liess im zweiten Falle fälschlich auf
Beiträge zur Radikaloperation der Hernien. 37
Dickdarm schliessen , obgleich sie von compelenten Ilistologen vor-
genommen wurde. Am schlimmsten wäre es, wenn sich Cöcum im
Bruchsacke vorfände. Ich habe es bei angeborenen Hernien zwei-
mal (Fall 3 und 5) getroffen und sollte wohl meinen, dass man
selbst bei Gegenwart einer Fistel die Schwierigkeit ungestraft über-
winden könnte. Wenn die Darmwand in der Umgebung der Fistel
soweit zerstört oder verwachsen wäre, dass man sie nicht mehr
durch die Naht zu einem geschlossenen Kanäle umgestalten könnte,
müsste dieses Stück aus der Continuität des Darmrohres ausgeschaltet
werden. Es wird sich jedoch wohl nicht empfehlen, nach Dieffen-
b ach 's Vorgange einen widernatürlichen After in der Bruchpforte
herzustellen, sondern man wird besser thun, die beiden getrennten
Enden des Darmrohres direct zusammenzunähen, wie das schon
Brasdor bei gangränösen Darmschlingen empfohlen hat. In dem
letzten Falle sind die günstigen Erfolge allerdings selten, weil man
es immer schon mit localer Fäulniss und Entzündung zu thun hat.
Bezüglich der Darmnaht verweise ich auf die oben geschilderten
Operationen und die Versuche, welche von Herrn Dr. Kaiser weiter
unten mitgetheilt werden.
Wenn man die mitgetheilten Radikaloperationen überblickt, so
kann man sich der Erfahrung nicht verschliessen, dass es bei der
antiseptischen Wundbehandlung in der That möglich ist, in längstens
3 — 4 Wochen die Heilung eines Leistenbruches zu erzielen und zwar
bei Fällen, welche früher nur ausnahmsweise ein Object der Radi-
kalbehandlung bildeten. Reponible Hernien, welche durch Bruch-
bänder zurückgehalten werden können, bilden zunächst wenigstens
kein Object meiner Behandlungsmethode. Nichtsdestoweniger werden
vorsichtige Chirurgen Auskunft über die Dauer der Heilungen,
über die Nothwendigkeit auch nach der Operation eine Bandage zu
tragen, verlangen, und ich möchte mich selbst am wenigsten der
Beantwortung dieser wichtigen Fragen entziehen. Allein so lange
mein Material noch so klein ist , genügt es mir , das Interesse an
der Frage wieder in weiteren Kreisen angeregt zu haben, und ich
38 Dr- Czerny.
werde nicht verfehlen, auch über die weiteren Schicksale meiner
Patienten gelegentlich zu berichten.
Nachschrift.
In den ersten Novembertagen 1877 Hess ich mir die Patienten Rachel
(sechster Fall), Walbauer (siebenter Fall), Kinzinger (achter Fall) und Kraus
(neunter Fall) zur Untersuchung kommen. Der Befund in der Leistengegend
war bei allen Vier derselbe, wie bei der Entlassung. — Der äussere Leistenring
war entweder gar nicht oder höchstens für die Spitze des kleinen Fingers pas-
sirbar. Nur bei Kraus und noch mehr bei Rachel war der Anprall entsprechend
der äusseren Leistengrube beim Husten etwas stärker, als normal. Bei Rachel,
der übrigens sein doppelseitiges Bruchband mit einem linksseitigen, dem nicht
operirten Bruche entsprechenden vertauscht hatte, schien auf der operirten Seite
eine Hernia incipiens, welche jedoch die Sehne des äusseren schiefen Bauch-
muskels noch nicht überschritten hatte, in Bildung begriffen zu sein. Allen 4 Pa-
tienten habe ich noch fernerhin das Tragen des Bruchbandes empfohlen. Die
Narben waren bei Allen durchaus unempfindlich, der zurückgelassene Bruchsack
bis auf einen höchstens kleinfingerdicken Strang geschrumpft.
Erst während des Druckes dieser Schrift kamen mir die Arbeiten von
Dr. Otto R i s e 1 (Versuche zur Radikalheilung freier Hernien , Deutsch, med.
Wochenschr. Nr. 38 u. 39, 1877) und von Dr. Max Schede (Zur Frage von der
Radikal-Operation der Unterleibsbrüche, Gentr.-Rl. f. Chirurgie, Nr. 44, 1877) in
die Hände , weshalb ich blos ganz kurz auf dieselben eingehen möchte. R i s e 1
hat bisher blos freie Hernien operirt, welche ich ebenso wie Schede noch
von diesen Versuchen so lange ausschliessen möchte, bis uns über ihre Resul-
tate bei denjenigen Brüchen, welche durch Bandagen nicht zurückgehalten werden
können, mehrjährige Erfahrungen vorliegen. Auf seine zwei letzten Operationen
war offenbar meine erste Arbeit (Studien etc. 1. c.) nicht ohne Einfluss , indem
er hier ebenfalls die äussere Bruchpforte durch eine versenkte Katgutnaht ver-
schloss. Jedoch halte ich die Abtragung der Ränder und des äusseren Leisten-
ringes zu diesem Zwecke mindestens für überflüssig. Ich stülpe, nach der Ab-
bin düng des Bruchsackhalses, die Reste der von der Bauchwand auf den Bruchsack
sich fortsetzenden Schichten (Fascia Cooperi, Cremaster und Tunica vaginalis
communis) mit dem linken Zeigefinger in den Leistenkanal ein und dränge nun
die beiden Schenkel des Leistenringes, welche sich jetzt als rundliche dicke
Ränder präsentiren, mit dem Fingerballen so weit heraus, dass sie mit der Naht
vereinigt werden können. Dadurch gewinne ich den Vortheil, dass nicht scharfe
Schnittränder einer dünnen Fascie, sondern breite Flächen derselben, welche
mit einer gefässreichen Bindegewebsschichte überzogen sind, in Berührung kom-
men. Ferner wird durch die eingestülpten Bedeckungen des Bruchsackes dem
Verschlusse des Leistenkanales auf ähnliche Weise , wie es ja auch die älteren
Invaginationsmethoden anstrebten, grössere Sicherheit gewährt.
Schede hat die seltene Gelegenheit benutzt, seine Versuche der Radikal-
heilung auch auf Schenkel- und Bauchbrüche zu übertragen. Im wesentlichen
setzte er die älteren Versuche fort, die Radikal heilung durch blosse Obliteration
des Bruchsackes zu erzielen. Da diese Methoden schon einmal wegen ihrer Un-
sicherheit verlassen worden sind , so ist nicht zu erwarten , dass er auf diesem
Wege sichere Resultate erzielen wird. Ausserdem gibt er wohl selbst zu, dass
zur Radikalheilung auch der Verschluss der BruchpfoiLe gehört, und es ist dann
doch rationeller , diesen Verschluss gleich bei der Operation herbeizuführen , als
ihn dem Zufalle zu überlassen. Ausserdem beweisen meine Krankengeschichten,
dass durch die Naht der Bruchpforte die Gefahr der Operation nicht erhöht
wird, und es sind deshalb wohl theils theoretische Gründe, theils die eigenthüm-
lichen Verhältnisse seiner bisher operirten interessanten Fälle gewesen, welche
ihn von diesen Versuchen abgehalten haben.
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Beiträge zur Chirurgie des Schlundrohrs
von
Dr. Heinrich Braun,
Privatdocent und Assistenzarzt der chirurgischen Klinik in Heidelberg.
1) Resection des Oesopliagus. S. 41.
2) Exstirpation einer Struma accessoria posterior. S. 52.
3) Exstirpation eines Lymphosarcoms der Tonsille und des weichen
Gaumens mit temporärer Resectiou des Unterkiefers. S. 60.
4) Oesophagotomia interna. S. 70.
Unter diesen Beiträgen zur Chirurgie des Schlund-
rohrs sollen einige casuistische Mittheilungen vereinigt werden,
Fälle betreffend, die sämmtlich im Laufe des verflossenen Sommer-
Semesters in der chirurgischen Klinik zu Heidelberg zur Beobachtung
gelangten.
In den drei ersten Fällen handelte es sich um verschiedene
Geschwülste, von denen eine in der Wandung des Oesophagus selbst
ihren Sitz hatte, während die anderen in der Nähe derselben gelegen
waren und mit diesem in naher Beziehung standen. Bei zweien
wurde mit dem vorzüglichsten Erfolge die Zugängigkeit zur voll-
ständigen Exstirpation derselben gewonnen durch den bei der Oeso-
phagotomia externa gewöhnlich ausgeführten Schnitt längs des
vorderen Randes des M. sternocleidomastoideus , bei dem dritten
durch temporäre Resection des Unterkiefers. Die vierte Mittheilung
enthält Betrachtungen über die Oesophagotomia interna.
1. Resection des Oesophagus ^).
Zu Anfang Mai dieses Jahres kam auf unsere chirurgische
Klinik eine 51 Jahre alte Frau, die mager, aber nicht gerade elend
aussehend, über Schluckbeschwerden klagte. Dieselben sollten schon
1) Nach einem bei der Versammlung mittelrheinischer Aerzte in Frank-
furt a. M. am 23. Mai 1877 gehaltenen Vortrage.
Gzerny: Neue Operationen Nr. 1 Resection des Oesophagus. Centralblatt
für Chirurgie 1877 Nr. 28, S. 433.
42 Dr- Heinrich Braun.
im Jahre 1875 einmal vorübergehend bestanden haben, darauf völlig
verschwunden, zuletzt im December 1876 mit erneuter Heftigkeit
wiedergekehrt sein. Feste Speisen konnten damals gar nicht, weiche
nur mit Mühe geschluckt werden, während flüssige noch leicht
hinunter gingen. In der letzten Zeit verursachten aber auch diese
öfters eine gewisse Schwierigkeit.
Aussen am Halse konnte nichts abnormes gefühlt werden,
geschwellte Lymphdrüsen waren keine zu finden. Bei der Inspection
des Mundes war ebenfalls nichts Besonderes wahrzunehmen, während
man mit dem tief eingeführten Finger auf eine weiche, leicht blutende
Anschwellung kam. Die Einführung der Schlundsonde war ganz
unmöglich, auch mit dem feinsten Katheter konnte man selbst in
der Narkose und mit Leitung des Fingers an keinem Punkte weiter
in die Tiefe vordringen. Mit Hülfe des Kehlkopfspiegels war auch
kein genauerer Aufschluss über den Sitz und die Beschaffenheit des
Tumors zu erhalten, kaum konnte man das oberste Ende desselben
erkennen. Auf keine Weise war es also möglich eine Vorstellung
darüber zu bekommen, wie weit der Tumor nach unten sich
erstreckte.
Aus der Anamnese, dem Alter, dem Aussehen der Patientin
und dem localen Befunde konnte man mit ziemlicher Sicherheit die
Diagnose auf ein Garcinom des oberen Theiles des Oesophagus
stellen. Es handelte sich darum zu entscheiden, was geschehen sollte.
Man konnte, wie dies meistens geschieht, die Kranke ihrem
Schicksale, d. h. im vorliegenden Falle ihrem baldigen Tode überlassen,
höchstens vielleicht durch ernährende Klystiere ihre Lebensdauer auf
kurze Zeit hinausschieben, allenfalls auftretende Schmerzen durch
Narcotica besänftigen. Nach dem Allgemeinbefinden der Kranken
zu urtheilen, war dieselbe jedoch noch im Stande, eine eingreifende
Operation auszuhalten , so dass desshalb von dieser einfachsten
Behandlung Abstand genommen und ein operatives Vorgehen in's
Auge gefasst wurde. t
Hier hatte man die Wahl, entweder die Oesophagotomia interna
auszuführen, oder einen neuen Weg für den Zugang der Speisen in den
Magen anzulegen durch eine Oesophagus- oder Magenfistel, oder
Beiträge zur Chirurgie des Schlundrohrs. 43
man konnte viertens nach dem von Billroth gemachten Vorschlage
die Exstirpation der Geschwulst auszuführen versuchen.
Von der Oesophagotomia interna»), die bei Garcinomen
des Oesophagus, soweit bekannt, von Maisonneuve und Schütz
versucht wurde, ist wohl nicht viel zu erwarten; möglicherweise wird
für geringe Zeit die Fähigkeit zu schlucken gebessert werden können.
Schütz war fünf Mal zu schneiden genöthigt und erzielte jedesmal
geringe Besserung, wodurch seine Kranke noch einige Zeit am
Leben erhalten wurde.
Die Erfolge der Oesophagotomia externa innerhalb und
unterhalb der carcinomatösen Stelle sind bis jetzt äusserst ungünstig,
wohl meistens desshalb, weil immer nur in den extremsten Ver-
hältnissen bei ganz herabgekommenen Individuen die Operation aus-
geführt wurde. Nach den Zusammenstellungen von Terrier^) und
König 3) wurde diese Operation bei Garcinomen des Oesophagus
nur 3mal ausgeführt. Die Patientin von Monod*) starb allerdings
erst 3 Monate nach der Operation, dagegen die 47 Jahre alte Frau
von Willet^) nach 18 Tagen an Erschöpfung und Billroth's^)
Kranker schon am folgenden Tage. Bei den anderen dort auf-
geführten Fällen ist es zweifelhaft, ob es sich um carcinomatöse
oder anderartige Verengerungen handelte, so bei Tar enget ') (Pa-
tientin starb 16 Monate später), Watson») (Mann, starb zwei Mo-
nate nachher) und De Lavacherie^) (Tod des Mannes nach
14 Tagen). —
') S. unten Oesophagotomia interna Beobachtung 5 und 11.
2) Terrier, L. F.: De l'oesophagotomie externe. These de Paris 1873.
P. 118.
3j König: Die Krankheiten des unteren Theiles des Schlundes und der
Speiseröhre. Handbuch der allgem. und spec. Chirurgie von Pitha-Billroth.
Bd. III. Abth. I. Lieferung 4, 1872, S. 70.
*) F ollin: Des retrecissements de l'oesophage. These d'agregation en
Chirurgie 1853. P. 116. Terier 1. c. P. 118.
"5) St. Bartholomew's Hosp. Reports Vol. IV, 1868, P. 204.
*) Menzel, A.: Zwei Oesophagotomien. Wien. med, Wochenschr. 1870Nr.56.
') Journal de med. chirurg. et pharm. T. 68. 1786. P. 2,50.
8) Dublin Journal XXVII. 1845, P. 260. Terrier 1. c. P. 118.
ä) Bull, de l'academie royale de med. de Belgique 1844—45. T. IV. P. 758.
44 Dr. Heinrich Braun.
Seit der Ziisainnienstellung dieser Tabellen wurde der äussere
Schlundschnitt bei Carcinom, soweit mir bekannt, noch in folgenden
Fällen ausgeführt.
Von Evans ^) im Jahre 1866 bei einer 43 Jahre alten Patientin
wegen eines im oberen Drittel des Oesophagus sitzenden Garcinoms.
Tod nach 50 Stunden.
Von Podrazki^) 1873 bei einem 40 Jahre alten Manne, der
nach zwei Tagen starb.
Von Kappeier 3) zum ersten Male bei einem 42jährigen,
zum zweiten Male bei einem 65jährigen Manne, der eine starb 4,
der andere 2 Tage nach der Operation.
Von Simon im Jahre 1875. Die Krankengeschichte dieser
Patientin, die seiner Zeit auf meiner Abtheilung lag, möchte ich,
da sie noch nicht mitgetheilt ist, hier kurz einschalten.
Es wurde im Februar 1875 die 40 Jahre alte, etwa im 7. Mo-
nate schwangere Frau K. aufgenommen. Ihre Schluckbeschwerden
die sie seit dem Sommer 1874 datirte, hatten sich in letzterer Zeit
zu einem Grade gesteigert, dass das Schlucken von Flüssigkeit fast
unmöglich war; eine Schlundsonde einzuführen gelang nicht. Bei
der localen Untersuchung fand man an der hinteren Wand des
Kehlkopfs, gegen die Pharynxhöhle vorragend, eine gerade eben noch
mit dem Finger erreichbare Geschwulst. Am 20. Februar wurde die
Oesophagotomie ausgeführt, sie verlief gut ohne jeglichen Zwischen-
fall; der Oesophagus wurde unterhalb des Hindernisses incidirt und
durch 7 Nähte mit der äusseren Haut vereinigt, beiderseits wurden,
um die entstandene starke Spannung der Haut etwas zu vermindern,
Entspannungsschnitte gemacht. Durch die eingelegte Schlundsonde
wurden Eier, Milch und Bouillon eingegossen. Am 21. Februar
fühlte sich die Operirte äusserst schwach, spürte Nachmittags Kinds-
*) Mackenzie, M.: Lectures on Cancer of the Oesophagus, based on
100 fatal cases. Med. Times and Gaz. 1876. Vol. II. P. 137.
') Weich sei bäum, Dr. A. : Strictura oesophagi. Oesophagotomie. Tod.
Wien, medic. Wochenschrift 1873, S. 774.
') K a p p e 1 e r: Zwei Oesophagotomien. Deutsche Zeitschrift für Chirurgie.
Bd. VII. S. 879.
Beiträge zur Chirurgie des Schlundrohrs. 45
bewegungen, aborlirte Abends um 8 Uhr und starb um 10 Uhr an
Erschöpfung; 34 Stunden nach Ausiüiirung der Operation.
Zieht man das Facit aus diesen 8 Fällen, bei denen wegen
sicher constatirten Garcinoms die Oesophagotomia externa ausgeführt
worden war, so ergibt sich, dass die Operation überlebte ein Patient
3 Monate, einer 18 Tage, einer 4 Tage und fünf nur 1 bis 2 Tage.
Wohl ebenso schlechte oder noch schlechtere Resultate gaben
die wegen Oesophaguscarcinom ausgeführten Gastrotomien, keine
war im Stande längere Zeit den Kranken das Leben zu erhalten,
meist desshalb weil auch sie in einem zu weit vorgerückten Stadium
der Krankheit, die schon alle Kräfte erschöpft hatte, vorgenommen
worden waren ^). Wird man sich entschliessen können, die Gastro-
tomie sowohl als die Oesophagotomie früher zu machen, nicht erst
dann, wenn längere Zeit nur sehr wenig oder gar nichts mehr
geschluckt werden konnte , so werden wohl auch bessere Resultate
mit diesen Methoden, die man immer wieder wird versuchen müssen,
zu erzielen sein. Ist doch die Möglichkeit, die Ernährung sowohl
durch Magen- als Oesophagusfisteln zu unterhalten, genügend erwiesen.
Die dritte noch in Betracht kommende Methode der Behand-
^) In einer Anzahl von Gastrotomien war aber auch die Art der Anlegung
der Fistel selbst an dem schlechten Ausgange schuld, und man wird desshalb
nach Methoden suchen müssen, wenigstens diese Fälle zu eliminiren. Gewöhnlich
wurden die Fisteln in der Weise angelegt, dass man in den bald in der Linea
alba, bald nach links davon angelegten Baucbschnitt den Magen einnähte und
sogleich incidirte. Bei dieser Methode ist das Einfliessen von Mageninhalt in
die Bauchhöhle, sowohl bei der Operation, als in der ersten Zeit nachher mög-
lich. Sicherer würde man diese Misserfolge vermeiden, wenn man die Mageufistehi
anlegt, wie es von manchen Physiologen geschieht, und wie ich es bei früheren
Ihitersuchungen über den Modus der Magensaftsecretion bei Hunden (Eckhard's
Beiträge zur Anatomie und Physiologie Bd. VII. S. 34) ebenfalls in mehr als 20 Fällen
ausführte , ohne jemals ein Thier in Folge der Operation zu verlieren oder ein
Ausbleiben von Adhäsionen zwischen Magen und Bauchwand zu beobachten.
Die Anlegung der Fistel geschah in der Weise, dass die Bauchhöhle in
der Linea alba geöffnet wurde, dann die vordere Fläche des Magens, an welcher
nur kleinere Gefässe verlaufen, mit zwei Fingern gepackt, aus der Wunde her-
vorgezogen und mit einem dicken seidenen Faden fest umschnürt wurde. Dieses
abgebundene Divertikel wurde dann in die Bauchwand mit mehreren Knopfnähten
so befestigt, dass der Peritoneal Überzug des Magens unterhalb der Ligatui* mit dem-
jenigen der Bauchwaud in innigen Contact gebracht wurde. Die Bauchwunde selbst
wurde dann bis dicht an die Magenhernie heran mit tiefen, das Peritoneum mit um-
46 Dr. Heinrich Braun.
limg unseres hochgelegenen Oesophaguscarcinoms war die totale
Exstirpation desselben durch Resection des Oesophagus oder,
wie Hüter ^) diese Operation bezeichnet haben möchte, die Oeso-
phago-ectomie. Bekanntlich wurde dieser Vorschlag von Billroth 2) im
Jahre 1870 gemacht. Die Ausführbarkeit der Methode wurde da-
mals durch Experimente an Hunden bewiesen, die theils von Bill-
roth, theils von Gzerny und Menzel ausgeführt worden sind.
Das erste Versuchsthier überstand die Operation nicht, da ihm durch
Unvorsichtigkeit eines Wärters mit der Schlundsonde der Oesophagus
durchstossen und Milch statt in den Magen in das vordere Media-
stinum hineingegossen worden war. Bei dem zweiten Hunde, dem
ein IV2 Zoll langes Stück des Oesophagus resecirt war, kam da-
gegen die Heilung schnell zu Stande, schon nach wenigen Wochen
war dieselbe eine vollständige und definitive, so dass man mit einer
dicken Schlundsonde vom Munde aus in den Magen passiren konnte.
greifenden Knopfnäljten geschlossen. Nach 3 Tagen, zu einer Zeit, in welcher
sich schon feste Adhäsionen ausgebildet hatten, war fast jedesmal die Etab-
Jirang der Fistel zu Stande gekommen , nur ausnahmsweise am vierten Tage.
Bei der Anlegung von Magenfisteln nach dieser Methode muss man vor Allem
wissen , wieviel man abbinden muss, um eine Fistel zu erhalten, durch einige
Uebung lernt man beurtheilen , wie viel man fassen muss , damit eine passende
Oeffnung im Magen zu Stande kommt.
Bei dieser Methode hätte man ausserdem noch den Vortheil einen Lister-
schen Verband in der ersten, gefährlichsten Zeit anlegen zu können, was bei
den anderen Methoden nicht möglich ist. Mit dieser Modifikation versuchte ich
in der letzten Zeit einigemale Magenfisteln an Hunden anzulegen; einmal blieb
dabei die Bildung einer Fistel aus, obgleich der Magen so fest umschnürt worden
war, wie in den anderen Fällen; es hatte sich das abgeschnürte Magenstück so
innig an die Baucli Wandungen angelegt, dass es durch Adhäsionen, die von
diesen ausgingen, ernährt wurde; ein Stückchen Protectiv, das man zwischen
Magen und Bauchwand hineinlegte, würde diesen Zufall verhindern. — Diese
Methode würde wünschenswerth machen, den Patienten womöglich bis zum zu
Stande kommen der Fistel durch ernährende Klystiere zu erhalten; selbstver-
ständlich würde sie- auch nicht bei der äussersten Erschöpfung des Kranken
ausführbar sein," da 3—4 Tage zu ihrer Ausführung nothwendig sind ; in diesem
Zustande wird aber auch jede andere Methode zur Anlegung einer Magenfistel
keine guten Resultate zu liefern vermögen.
1) Jahresbericht über die Leistungen und Fortschritte in der gesammten
Medicin vpn Virchow und Hirsch 1871. IL S. 427.
*) Billroth, Th.: lieber die Resection des Oesophagus, Archiv für khn.
Chirurgie von Langenbeck Bd. XIIL S. 65.
Beiträge zur Chirurgie des Schlundrohrs. 47
Am Menschen die Operation auszuführen hatte Bill rot h keine
Gelegenheit, und ist auch bis jetzt noch keine nach dieser Methode
ausgeführte Operation bekannt gemacht worden. Schuld mag sein, dass
dieser jedenfalls höchst rationelle Vorschlag, besonders beim Mangel
jeder anderen , bis jetzt empfehlenswertheren Operationsmethode,
noch nicht zur Ausführung gelangt ist, zum Theil das ablehnende
Urtheil einzelner Chirurgen, die es von vornherein für zweifelhaft
hielten, ob auf diesem Wege jemals Erfolge zu erzielen seien. Ob
die Seltenheit der zu einer solchen Operation geeigneten Fälle mit
Schuld trägt, mag zweifelhaft erscheinen. Man könnte diess nach
einem Theile der pathologisch-anatomischen Untersuchungen aller-
dings vermuthen. Nach der Zusammenstellung von Förster^) haben
die Oesophaguscarcinome nämlich ihren Sitz in der Hälfte der Fälle
am unteren Ende des Schlundes vor der Gardia , in einem Viertel
der Fälle am oberen Ende und in einem Viertel in der Mitte. Nach
den Untersuchungen von Petri^) befällt das Garcinom in der Hälfte
der Fälle das untere , nächstdem das mittlere , am seltensten das
obere Drittel. Jedoch gestalten sich die Verhältnisszahlen nach
anderen Untersuchungen etwas anders, zum Theil vielleicht, weil
unter Garcinomen am oberen Ende des Oesophagus noch solche
mitgezählt werden, die etwas auf den unteren Abschnitt des Pharynx
übergegriffen haben. Sind diese Ausbreitungen nicht zu bedeutend,
so werden solche Garcinome immer noch der Exstirpation zugängig
sein. Unter 100 von Macken zie 3) von diesem Gesichtspunkte aus
gesammelten Fällen von Oesophagustumoren sassen 44 (37 Epi-
theliome, 3 Scirrhus, 4 Encephaloid) im oberen Drittel, 28 (21 Ep.,
3 Sc, 4 En.) im mittleren, 22 (8 Ep., 10 Sc, 4 En.) im unteren
Drittel und 6 (je 2 von jeder Art) in der unteren Hälfte. — Unter
14 Präparaten der hiesigen pathol. anat. Sammlung, die mir durch
^) Förster, A. : Handbuch der speciellen pathologischen Anatomie.
2. Auflage 1863. S. 59.
*) Petri: Ueber 44 im pathol. Institute zu Berlin in der Zeit von 1859
bis zum März 1868 vorgekommene Fälle von Krebs der Speiseröhre. Dissert.
Berlin 1868.
^) L. c. Med. Times and Gaz. 1876 Vol. II. p. 82.
48 Dr- Heinrich Braun.
die Güte des Herrn Professor Arnold zur Einsicht standen, fan-
den sich 2, die für eine Operation günstige Objecte abgegeben
hätten.
Im Allgemeinen bieten aber gerade die Garcinome des Oeso-
phagus für die Exstirpation günstigere Verhältnisse, als diejenigen
der meisten übrigen Organe. Meist sind dieselben ringförmig, cir-
cumscript von geringer Längenausdehnung ; nur ganz ausnahmsweise
kommen sie in doppelter Anzahl am Oesophagus, hoch oben und
weit unten, dicht über der Cardia vor, wie in einem Präparate der
hiesigen pathol. anatom. Sammlung. Sie greifen oft nicht über die
Mucosa hinaus, inficiren, weil sie am häufigsten Epitheliome sind
(bei Mackenzie unter 100 Oesophagusgeschwülsten 68mal) nicht
constant oder erst spät die Lymphdrüsen, und verursachen seltener
Metastasen in andere Organe.
Auf solche Reflexionen gestützt wurde bei unserer Patientin
beschlossen , die Geschwulst zu exstirpiren, oder wenn diess wegen
allzu grosser Ausdehnung derselben nicht möglich sei, eine Fistel
unterhalb der Neubildung anzulegen.
Am 2. Mai wurde die Operation von Herrn Professor Gzerny
in der Klinik ausgeführt. In tiefer Narkose der Patientin wurde
am vorderen Rande des linken M. sternocleidomastoideus von der
Höhe des Zungenbeins, bis gegen die Incisura sterni hinab ein, etwa
8 Gtra. langer, Schnitt geführt. Der M. omohyoideus, welcher in
denselben fiel, wurde in der Mitte, ebenso wie die VV. thyreoideae
mediae, welche mit ziemlicher Gonstanz an dieser Stelle quer über den
Hals verlaufen, nach ihrer doppelten Unterbindung durchschnit-
ten. Die Schilddrüse, wenig entwickelt, konnte nach oben und innen,
die A. thyreoidea superior nach unten gezogen und vor Verletzung
bewahrt werden. Erst jetzt war es möglich in der Wand des
Oesophagus eine Verdickung zu fühlen, die hinter dem Kehlkopf lag,
aber nicht mit ihm verwachsen war, sondern leicht hin- und her-
geschoben werden konnte. Zugleich vermochte man jetzt die infiltrirte
Partie des Oesophagus nach oben und unten deutlich von dem
weichen Gewebe der anliegenden Theile abzugränzen, und damit
war die Möglichkeit der totalen Entfernung der carcinomatösen De-
Beiträge zur Chirurgie des Schlundrohrs. 49
generation gegeben. Die Neubildung wurde von der Seite gelöst, die blu-
tenden Gefösse gefasst und unterbunden, der Oesophagus oben etwa in
der Gegend seines Ueberganges in den Pharynx abgeschnitten, von der
Wirbelsäule getrennt, und zuletzt unterhalb des Kehlkopfs quer abge-
schnitten, wobei eine Anzahl in der Wand des Oesophagus verlaufender
Gofässe ziemlich stark bluteten und (mit Catgut) unterbunden werden
mussten.
Das Magenende des Oesophagus wurde mit 8 Nähten an die äussere
Haut befestigt, da es leider wegen der Spannung unmöglich war, dasselbe
mit dem untern Theile des Pharynx zu vereinigen. Ein Nelaton' scher Ka-
theter mit möglichst weitem Lumen, durch den die Nahrungsmittel ein-
gegossen werden sollten, wurde eingelegt, die Wunde zuerst mitö^/o Ghlor-
zinklösung ausgeätzt, dann mit Knopfnähten geschlossen, nachdem
2 Drain röhren, die eine nach oben, die andere nach unten eingeführt
waren, und zuletzt mit Salicylwatte und Gompressionsbinde bedeckt.
Die Länge des exstirpirten Stückes betrug 6 Ctm. ; die Neu-
bildung, welche circulär die Wand des Oesophagus eingenommen,
durch ihre Wucherungen die Lichtung desselben ganz verlegt hatte
und theilweise oberflächlich ulcerirt war, erwies sich bei der mikro-
skopischen Untersuchung als ein Epithelialcarcinom.
Von der Nachbehandlung ist wenig und nur günstiges mitzutheilen.
Die Wunde eiterte minimal, nur war eine starke Vermehrung
der Schleim- und Speichelsecretion im Munde wahrnehmbar. Die
Umgebung der Wunde schwoll niemals an, war niemals geröthet
oder schmerzhaft. Temperaturerhöhung stellte sich kaum ein, nur
am 4. und 5. Tage stieg dieselbe Abends auf 38,2° und 38,4^ G.,
sonst war sie immer normal; im Verhältniss dazu stand die Puls-
frequenz. Die Nähte aus der Hautwunde wurden vom 2. Tage ab
weggenommen, die anderen, welche den Oesophagus an die äussere
Haut befestigten, am 4. Tage, beide Theile waren fest mit einander
verwachsen. Die Ernährung ging von der Wunde aus sehr gut von
Statten , besonders nachdem bald der Katheter durch eine weite
Schlundsonde ersetzt worden war. Nach acht Tagen wurde letztere,
die bis dahin ohne Unannehmlichkeiten zu veranlassen permanent
gelegen hatte, entfernt und nur bei der Nahrungsaufnahme eingeführt.
Czerny, Beiträge zur operativen Cliirurgie. ^
50 Dr. Heinrich Braun,
Im weiteren Verlaufe handelte es sich um die Entscheidung
der Frage, ob man die Fistel am Halse bestehen lassen sollte, um
für das ganze übrige Leben der Patientin, die Ernährung von dort
aus fortzuführen, oder ob man versuchen sollte, eine Gommunication
zwischen dem Munde und dem Oesophagus wieder herzustellen. Die
letztere Möglichkeit war vorhanden; Hess man nämlich die Patientin
schlucken, so floss die geschluckte Flüssigkeit seitlich aus der Fistel ab,
hielt man dieselbe zu, so gelangte die Flüssigkeit durch die am Halse
vorhandene Vertiefung aus dem Munde in den Oesophagus, ebenso
auch, wenn man eine Kautschuckröhre mit dem einen Ende in den
Pharynx, mit dem andern in den Oesophagus steckte, wobei je-
doch die obere Oeffnung sich nicht ganz dicht abschliessen Hess.
Von weiteren Versuchen, die natürliche Gommunication wäeder
herzustellen, hielt uns Anfangs die Gefahr des Recidivs, welche durch
die damit verbundene Reizung wohl erhöht worden wäre, in späterer
Zeit der Umstand ab, dass die Patientin mit ihrem Zustande voll-
kommen zufrieden war. Die Kranke ist jetzt allerdings genöthigt,
sich mit Milch, Suppen, Brei, fein gehacktem Fleisch und Eiern zu
erhalten, sie genügen aber auch hinlänglich zur vollständigen Ernährung.
Ich machte auch Versuche grössere Stücke fester Nahrungsmittel
schlucken zu lassen, indem ich sie in die Oesophagusfistel hinein-
steckte ; sie blieben jedoch jedesmal liegen und wurden nicht in den
Magen hinabbefördert. Besondere auf diesen Punkt gerichtete Versuche
zeigten, dass Schwammstücke, die an Fäden gebunden in die Fistel
gelegt wurden, nicht durch peristaltische Bewegungen des Oesophagus
in den Magen hinabgeführt wurden. Nur wenige Male sah man,
wenn die Schwämme sehr tief in den Oesophagus hineingesteckt
waren , an dem schnell nachfolgenden Faden , dass sie nach
dem Magen hinunter rückten. Diese Beobachtungen stimmen voll-
ständig mit den bei Experimenten an Hunden gewonnenen Re-
sultaten von Wild'), der vom oberen Theil des Oesophagus nie
') Wild: Ueber die peristaltische Bewegung des Oesophagus, nebst einigen
Bemerkungen über diejenigen des Darmes. Zeitschrift für rationelle Medicin von
Henle und Pfeuffer, Bd. V. S. 76.
Beiträge zur Chirurgie des Schlundrohrs. 5 j^
oder nur höchst schwierig Reflexe auslösen konnte, während dies
von der Schleimhaut des Brusttheils des Oesophagus aus leichter
möglich war. Dass eine willkürliche Schluckbewegung des Pharynx
eine Weiterbewegung des unten in den Oesophagus hineingesteckten
Bissens besorgt hätte, wie man es nach den Versuchen von Mos so*)
vermuthen sollte, war nicht zu beobachten.
Am 6. Juni wurde die Kranke nach Hause entlassen; sie war
im Stande sich eine ziemlich weite Canüle, mit der durch einen
kleinen Kautschukschlauch ein Trichter verbunden werden konnte,
in den Oesophagus einzuführen und ihre Nahrungsmittel, von denen
sie sogar Geschmack zu haben versicherte, sich einzugiessen.
Am 2. October, also genau 5 Monate nach der Exstirpation des
Tumors, besuchte uns die Patientin wieder, sie fühlte sich vollständig
gesund, und arbeitete wie früher im Hause und auf dem Felde. Die Er-
nährung geschieht durch den Trichter und die Canüle. Local war
kein Recidiv nachweisbar. Die Fistel am Halse war lippenförmig über-
häutet. Die Gommunication nach oben war durch ein etwa ^2 Gtm.
dickes Septum verschlossen. Die Ganüle, welche mit einem dicken
Kautschukschlauch überzogen war, um die 0 Ösophagusschleimhaut
vor Verletzungen zu bewahren, hatte einen Kanal von 2 Gtm. Durch-
messer unterhalten.
Durch diesen einzigen Fall ist der unumstössliche Beweis geliefert,
dass die Resection des Oesophagus bei hochgelegenen Garcinomen
ohne allzugrosse Lebensgefahr ausführbar ist und gute Resultate
geben kann, jedenfalls bessere, als die Oesophagotomia externa und
die Gastrotomie sie bis jetzt bei diesem Leiden zu geben im Stande
waren. —
') Mos so, A. : Movimenti dell esofago. Giornale della R. academica di
Medicina di Torino 1873. Centralblatt für die med. Wissenschaften 1874 S. 263.
52 Dr. Heinrich Braun.
2. Exstirpation einer Struma accessoria posterior 0-
Wie in dem soeben mitgetheilten Falle der gewöhnlich zur
Ausführung der Oesophagotomia externa geübte Schnitt am vorderen
Rande des linken M. sterno-cleidomastoideus eine äusserst gute
Zugängigkeit zur Exstirpation eines Carcinoma oesophagi verschafft
hatte, so wurde uns bald Gelegenheit geboten, ihn wiederum aus-
zuführen zur Entfernung einer etwas höher oben am unteren Theile
des Pharynx und am oberen des Schlundes sitzenden Geschwulst.
Auch hier war es möglich , die localen Verhältnisse vollständig zu
übersehen und die Exstirpation mit aller Sicherheit und Genauigkeit
vorzunehmen.
Es handelte sich um eine 30 Jahre alte Frau, die am Abend
des 26. Mai 1877 in unsere chirurgische Klinik aufgenommen wurde
mit der hochgradigsten Erstickungsnoth. Als Ursache für dieselbe
erkannte man einen Tumor, dessen oberer Abschnitt vom Munde
aus sichtbar, dife hintere und linke Wand des Pharynx vorwölbte, dessen
unterer Abschnitt aber von der Epigloltis und den Gartilagines arytae-
noideae verdeckt wurde. Die Geschwulst fühlte sich weich, elastisch,
wie fluctuirend an, war kaum verschieblich und hatte eine glatte, von
unveränderter Schleimhaut überzogene Oberfläche. Bei der sogleich
vorgenommenen Probepunction entleerte sich jedoch keine Flüssigkeit.
Zur Beseitigung der bestehenden Erstickungsgefahr wurde von Herrn
Professor Czerny die Eröffnung der Luftwege im Ligamentum
conicum vorgenommen; worauf unmittelbar die Athmung eine voll-
kommen freie wurde.
Die laryngoskopische Untersuchung ergab eine Verengerung des
Kehlkopfeinganges durch einen Tumor, der die linke Cartilago arytae-
noidea um einige Millimeter nach vorn und innen verdrängt hatte und
die Stimmbänder vollkommen überdeckte. Aussen am Halse konnte
man ausser einem geringen Grade von Struma, wie er hier zu Lande
') Czerny: Neue Operationen Nr. 2. Exstirpation eines retrooosoi)li;i^ealen
Kropfes. C:enlrall)latt für flliiriirs^io 1877 Nr. 28. S. 433.
Beiträge zur Chirurgie des Schlundruhrs. 53
häufig gefunden wird , in der Tiefe unbestimmt eine vermehrte
Resistenz bemerken. Mit einiger Vorsicht gelang es, den Sclilund-
stösser neben der Geschwulst vorbei in den Oesophagus einzuführen.
Beim Zurückziehen merkte man, dass die Schlundsonde zuerst circa
7 Ctm. unterhalb des Zungenbeines festgehalten wurde, wodurch
sich die Ausdehnung der Geschwulst nach abwärts annähernd
bestimmen Hess.
Die Anamnese ergab, dass die Patientin früher immer gesund
war, bis vor 4 Jahren, zu welchem Termin sie eine Pleuritis durch-
gemacht hatte, während deren sie auch mit einem, etwa erst 5 Monate
alten Kinde nieder kam. Die vorhin erwähnte Struma bestand schon
lange Zeit, ohne irgend welche Beschwerden zu veranlassen. Ueber
das Entstehen der Geschwulst im Halse konnten keine Angaben
gemacht werden. Dieselbe schien zum ersten Male vor wenigen
Wochen Erscheinungen , als Schmerzen beim Schlucken , im Kopfe
und im linken Ohr verursacht zu haben, die sich jedoch alle wieder
verloren, bis zu dem plötzlichen Erstickungsanfalle der Kranken, der
ohne nachweisbare Veranlassung auftrat, aber die Kranke bestimmte,
das Spital aufzusuchen. Man muss wohl annehmen, dass entweder
damals plötzlich die linke Gartilago arytaenoidea mehr nach vorn
verschoben wurde, oder dass eine ödematöse Schwellung der Stimm-
bänder oder der Schleimhaut des Kehlkopfs hinzutrat. Lungen, Herz,
Unterleibsorgane völlig gesund; Urin klar, sauer reagirend, ohne
Eiweiss. —
In den Tagen nach Ausführung der Tracheotomie Hess die
Athemnoth völlig nach, die Kranke gewöhnte sich, mit der Canüle
zu athmen.
Mit ziemlicher Sicherheit konnte man den Tumor im Halse,
welcher mit der grössten Wahrscheinlichkeit für ein Sarcom gehalten
werden musste, als Ursache für die Athemnoth ansehen; es musste
desshalb jedenfalls der Versuch gemacht werden, denselben zuexstirpiren,
selbst auf die Gefahr hin, schon so bedeutende secundäre Veränderungen
der Kehlkopfmuskulatur und der Kehlkopfknorpel zu finden, dass eine
vollkommene Wiederherstellung der normalen Functionen des Kehl-
kopfs unmöglich sei.
54 Dr» Heinrich Braun.
Die Entfernung der Geschwulst wurde von Herrn Professor
Gzerny am 5. Juni 1877 vorgenommen. Vor der Ghloroform-
narkose wurde eine subcutane Inj ection von 0,015 Morph, hydrochlor.
gemacht.
Der Hautschnitt wurde entsprechend dem vorderen Rande des
linken m. sterno-cleidomastoideus von der Höhe des Zungenbeins
bis in die Nähe der Glavicula geführt. Die grossen Gefässe mit dem
Kopfnicker nach aussen , die vergrösserte Schilddrüse nach innen
gezogen ; der M. omohyoideus wurde ebenso wie die Vv. thyreoideae
mediae durchtrennt, während die Art. thyreoidea superior intakt blieb.
Darauf erschien in der Tiefe der Wunde der völlig abgekapselte
Tumor, der von dem Munde aus bequem sich vordrängen und nun
leicht ohne bedeutende Blutung aus seinen Verbindungen lösen
liess; nur einige kleine Gefässe wurden mit gekochter Seide unter-
bunden, die Ligaturen kurz abgeschnitten. Die Geschwulst blieb
zuletzt an einem Stiele hängen, der die Gefässe enthielt , welche mit
der Art. und V. thyreoid. sup. in direkter Verbindung standen und
in toto abgebunden wurde.
Die ganze Wundhöhle wurde darauf mit 5°/o Ghlorzinklösung
ausgepinselt und mit 2^2^/0 Garbollösung ausgespült; nach oben und
unten wurde eine Drainage eingelegt und bis auf diese Stellen die
ganze Wunde mit Nähten vereinigt, über die dann ein Gompressions-
verband mit Garbolwatte angelegt wurde. Die Trachealcanüle blieb
unverändert liegen.
Am folgenden Tage war das Schlucken unbehindert, Athraung
frei, Patientin fühlte sich bedeutend erleichtert. Wunde in ihrer
Umgebung nicht geröthet oder geschwellt. Beim Zuhalten oder Ent-
fernen der Trachealcanüle war die Respiration äusserst behindert
und bald völlig unmöglich.
8. Juni: Die Wunde ist in ihrer Umgebung nach oben zu
ein wenig geschwellt, sie wird, da eine kleine Eiterverhaltung an-
genommen wird, mit dem Finger etwas dilatirt, worauf sich auch
eine kleine Menge Eiter entleert. Am Nachmittag ist geringe Athem-
noth vorhanden, wie es scheint in Folge einer etwas engen Ganüle,
sie bessert sich schnell, nachdem diese Ganüle mit einer weiteren
Beiträge zur Chirurgie des Schlundrohrs. 55
vertauscht worden ist. Alle 2 Stunden werden Inhalationen einer
Lösung von Natr. bicarb. gemacht. Die Temperatur stieg am Abend
der 3 letzten Tage auf 38—38,4" C. Ab. Morphiumpulver 0,015
zur Beruhigung der äusserst unruhigen und ängstlichen Patientin.
9. Juni: Nacht gut geschlafen. Die Wunde secernirt wenig,
die Drainagen werden gereinigt und wieder eingefi^ihrt. Zweimal
täglich Verbandwechsel. Die Schwellung nimmt nicht mehr den
ganzen Hals, sondern mehr die Gegend der Glandula thyreoidea ein.
Beim Zuhalten der nach oben gefensterten Canüle ist die Sprache
ziemlich laut und deutlich, die Athmung immer schlecht. Die
Inhalationen von Natr. bicarb. werden fortgesetzt. Ab. Morphium
0,015. Temperatur normal.
10. Juni: Die Nahtlinie ist vollständig per I geheilt, nur ent-
sprechend der Mitte der Wunde kommt aus einem Stichkanal ein
wenig Eiter.
11. Juni: Befinden befriedigend. Sowohl aus den Drainagen,
wie aus dem Stichkanale kommt etwas Eiter. Die Inhalationen
werden immer noch fortgesetzt.
12. Juni: Der seither eiternde Stichkanal hat sich vollkommen
geschlossen. Patientin kann ohne irgend welche Beschwerden feste
Speisen geniessen. Fieber besteht nicht mehr.
13. Juni: Die Athmung mit Canüle ist leicht, ohne dieselbe
immer nur wenige Minuten möglich, indem Patientin sogleich ängstlich
wird und ungestüm nach ihrer Canüle verlangt. Die Stimme hat
ziemlich viel Klang.
15. Juni: Die Schwellung des Halses hat jetzt fast vollständig
aufgehört.
Bei der laryngoskopischen Untersuchung, die heute wieder vor-
genommen wird, zeigt sich die linke Cartilago arytaenoidea inmier
noch in derselben Weise verlagert, wie früher, das linke Lig. ary-
epiglotticum ist immer noch etwas entzündlich verdickt; jedoch
ist jetzt von dem vorderen Theile der Stimmbänder ein kleines
Stückchen sichtbar.
17. Juni: Die Eiterung lässt bedeutend nach, die nach oben
gehende Drainage wird verkürzt und 2 Tage später völlig entfernt.
56 Dr. Heinrich Braun.
Aus der unteren Wunde kommt immer noch etwas Eiter, es dauert
diess bis zum 25. Juni , an welchem Tage auch die letzte Drainage
entfernt werden kann.
Am 1. Juli ist die Schnittwunde vor dem linken M, sterno-
cleidomastoideus vollständig geheilt. Die Athmung ohne Caniile
immer noch so schlecht, wie früher.
Die laryngoskopische Untersuchung, die Herr Dr. Jurasz
vorzunehmen die Güte hatte, zeigte immer noch dieselbe Verlagerung
der Gartilago arytaenoidea sinistra, wie früher ; der Stellknorpel konnte
mit einer Sonde leicht nach hinten geschoben werden, wich aber im
Augenblicke des Nachlassens des Druckes sogleich wieder nach vorn
aus. Eine wesentliche Verengerung der Glottis konnte nicht constatirt
werden. Vom 7. Juli ab electrisirte Herr Dr. Jurasz täglich die
Kehlkopfmuskulatur, besonders den M. crico-arytaenoideus posticus.
Nach der ersten Sitzung war die linke Gartilago arytaenoidea etwas
nach hinten gerückt.
Bis zum 15. Juli war aussen am Halse alles geheilt. Die
Electricität war die ganze Zeit über beständig angewendet worden,
an einigen Tagen ein-, an den meisten aber zweimal. Die Stellung
des linken Aryknorpels wurde wenig besser, jedoch konnte man jetzt
das rechte Stimmband vollkommen, das linke in seinem vorderen
Abschnitt deutlich sehen, während man vorher immer Mühe hatte
nur die vordere Commissur zu erblicken. Trotz aller dieser Fort-
schritte konnte aber die Kranke immer noch nicht ohne Canüle
athmen.
Die Anwendung der Electricität wurde bis zum 25. Juli täglich
fortgesetzt, ohne eine weitere Besserung in der Stellung des linken
Aryknorpels zu erzielen; bei der Phonation sah man ihn allerdings
kleine Bewegungen ausführen.
In der Annahme, dass nicht nur die Stellungsanomalie der
Gartilago arytaenoidea und eine Lähmung des M. crico-arytaenoideus
posticus Schuld an der schlechten Athmung der Patientin trage,
sondern vielleicht ein Oedem, oder eine entzündliche Schwellung der
Stimmbänder und der übrigen Schleimhaut des Kehlkopfes, bedingt
und unterhalten durch den fortwährenden Reiz der im Lig. conicum
Beiträge zur Chirurgie des Schlundrohrs.
57
liegenden Canüle, wurde von Herrn Professor Czerny am
1. August dicht oberhalb der Incisura sterni eine zweite Tracheo-
tomie ohne besondere Schwierigkeit ausgeführt und die obere Canüle
entfernt.
In der Nacht vom 2. auf 3. August fiel durch eine plötzliche,
ungeschickte Bewegung der Patientin die Trachealcanüle heraus,
wodurch eine bedeutende Erstickungsnoth herbeigeführt wurde. Die
obere Trachealwunde heilte rasch vollkommen zu; auch die untere
schloss sich fest um die Canüle an. Eiterung in dem subcutanen
Zellgewebe trat keine auf. Der laryngoskopische Befund hatte sich
in der Folge nicht geändert und Patientin wurde auf ihren Wunsch
einstweilen mit Canüle nach Hause entlassen, um später wieder zu
kommen, damit man auf irgend welche Art versucht, eine Dis-
lokation der Gartilago arytaenoidea nach hinten künstlich zu erzeugen,
etwa durch die Naht oder Aetzungen.
Die exstirpirte Geschwulst hatte etwa die Grösse und das Aussehen
eines Gänseeies; auf ihrer glatten Oberfläche sassen einzelne kleine,
Iheilweise cystisch entartete Geschwulstpartien auf (die beigegebene
Abbildung wurde in natürlicher Grösse von Herrn stud. Halla aus
Prag gleich nach der Operation gütigst gezeichnet). Auf dem
Durchschnitte sah man ebenfalls wieder cystische Partieen zwischen
denen coUoides und theilweise hämorrhagisches Gewebe lag. Wenn
58 Dr. Heinrich Braun.
man schon während der Operation die exstirpirte Geschwulst für
eine Struma hielt, so wurde diese Meinung durch den makroskopi-
schen Befund des Querschnittes wahrscheinlich gemacht und durch
die mikroskopische Untersuchung zur Gewissheit erhoben.
Ausser diesem eben mitgetheilten Falle von Struma retro-
oesophagealis fhidet sich nur noch eine analoge Beobachtung von
Schnilzler ^), bei welcher jedoch keine Operation versucht wurde.
Auffallend erscheint es , dass in der gesammten Literatur bis jetzt
keine ähnlichen Fälle verzeichnet waren und nun in kurzer Zeit
hintereinander zwei zur Beobachtung kommen. Manchmal mag
gewiss schon eine solche Geschwulst bestanden haben und für ein
retro-oesophageales oder retro-pharyngeales Sarcom oder Fibrom
gehalten, nicht exstirpirt, oder nach dem Tode des Trägers nicht
genau untersucht worden sein.
Durchaus dürfen diese seltenen Fälle nicht verwechselt werden
mit jenen, in welchen ebenfalls Athem- und Schluckbeschwerden
entstehen dadurch, dass eine Struma zwischen Trachea und Oeso-
phagus sich entwickelt, oder dass die hintersten Partien der Schild-
drüse selbst anschwellen und dann zwingenförmig den Oesophagus
einschliessen , wie es von Hub er 2) und Lotzbeck^) beschrieben
worden ist. Bei dem Schnitzler'schen und dem unsrigen Falle
handelt es sich um hypertrophirtes und entartetes Schilddrüsen-
gewebe, das unabhängig von der eigentlichen Schilddrüse lag und
entweder für sich oder im Zusammenhang mit einer allgemeinen
Struma sich entwickelte; es .sind dieses Fälle von Hypertrophie
accidenleller Schilddrüsen. Genaue anatomische Untersuchungen
über solche Schilddrüsen sind von W. Gruber*) angestellt wor-
den. Er beschreibt als glandula thyreoidea accessoria posterior,
') Sc Im 11 zier, Job.: Zur Diagnose und Therapie der Laryngo- und
Tracheoslenosen. Wiener KHnik III. Jahrgang, Heft 1, Januar 1877.
') Huher: Dysphagia strurnosa. Deutsches Arch. für klin. Medicia 1869.
Bd. VI. S. 106.
') Lotzbeck: Verengerungen der Speiseröhre durch Druck von Seite der
hinteren Schilddrüsen-Partien. Deutsche Klinik 1859. S. 58.
*) Gruber, Wenzel: lieber die glandula thyreoidea accessoria. Archiv
für pathol. Anatomie von R. Virchow Bd. 66. S, 447.
Beiträge zur Chirurgie des Schlundrohrs. 59
Drüsengewebe, das hinter den lobi laterales im Bereiche des Ueber-
gangs von Pharynx zu Oesophagus gelegen, durch Ablösung von
dem Körper der Glandula thyreoidea zu selbständigen Drüsen werde.
Unter 100 auf diese Drüsen untersuchten Leichen fand Gruber die
Glandula thyreoidea accessoria posterior nur 5mal; bei 1 beider-
seits, bei 1 rechtsseitig, bei 3 linksseitig einfach, Imal links doppelt.'
Sie hingen an kurzen Stielen mit Gefässen, die mit den anderen
Schilddrüsengefässen in Verbindung standen, die einen förmlichen
Balg hatten, aus dem sie sich ausschälen liesen, die rund oder läng-
lich rund 5—9 Mm. lang, 5— G Mm. breit und 3,5 — 4 Mm. dick
waren.
Denkt man sich nun dieses Drüsengewebe hyperplaslisch ; so
erhält man eine Geschwulst, eine Struma retro-oesophagealis,
retro-pharyngealis oder meiner Ansicht nach allgemeiner und
bezeichnender genannt, eine Struma accessoria posterior von
der Lage und der Beschaffenheit der beiden mitgetheilten Geschwülste.
Die Seltenheit der Beobachtung mag einen ganz kurzen Ver-
gleich mit dem einzigen analögen Schnitzler'schen Falle rechtfertigen.
Die von Schnitzler gegebenen Zeichnungen von der Lage des
Tumors stimmen so genau mit den von uns gefundenen Verhält-
nissen überein, dass man glauben könnte, wenn sie auf der linken
Seite lägen, sie wären nach diesen angefertigt ; ich möchte desshalb
auf jene Abbildungen verweisen. Der laryngoskopische Befund bei
Schnitz 1er war ebenfalls genau, wie in unserem Falle; die Sec-
tion ergab ihm eine Verwachsung der Articulatio crico-arytaenoidea
und eine Verengerung der Glottis; bei unserer Patientin kann man
eine solche Verwachsung ausschliessen , indem es gelingt , die linke
Cartilago arytaenoidea leicht von vorn nach hinten an ihren nor-
malen Platz^ ja selbst über denselben hinaus nach hinten zu ver-
schieben. Wahrscheinlich ist bei uns eine Lähmung des M. crico-
arytaenoideus posticus Ursache der Dislocation; dieselbe mag wohl
mehr bedingt sein durch eine Atrophie der Muskelfasern in Folge des
continuirlichen Druckes der Geschwulst, als durch den Druck auf
die End Verzweigungen des N. recurrens. Von Schnitzler wurde
d?e Atrophie der Muskulatur in seinem Falle anatomisch nachgewiesen.
gQ Dr. Heinrich Braun.
Zum Schlüsse möchte ich noch bemerken, dass die Exstirpation
einer solchen Struma vom Munde her, wie sie Schnitz 1er für
möglich hielt, kaum ausführbar sein dürfte. Wenn sie ein solches
Volum erreicht hat, dass sie heftige Athemnoth und Erstickungs-
anlälle hervorruft, wird sie auch so weit nach unten gehen , dass
eine bei der Operation eintretende Blutung nicht mit genügender
Sicherheit gestillt werden könnte. Wegen des bedeutenden Volums
der Geschwulst wird auch nicht die Ausführung der Pharyngotomia
subhyoidea indicirt sein, sondern nur der seitliche Schnitt am vor-
.deren Rande des M. sternocleidomastoideus , rechts oder links, je
nach dem Sitze der Geschwulst, man wird sicher sein, ihre ganze
Basis, mag sie sich auch weit nach unten oder hinten hin erstrecken,
mit aller Genauigkeit zu übersehen und mit Sicherheit zu entfernen.
3. Exstirpation eines Lymphosarcoms der Tonsille und
des weichen Gaumens mit temporärer Resection des
Unterkiefers.
Die nachfolgende Krankengeschichte soll zur Vermehrung des
casuistischen Materiales über den Werth der seitlichen Durchsägung
des Unterkiefers zur Exstirpation von Geschwülsten der Ton-
sillen und der nächst gelegenen Partien dienen. Sind der-
artige Geschwülste schon sehr ausgedehnt, oder beabsichtigt man
keine vollständige Entfernung derselben, so mag es genügen, die-
selben mit Hilfe von Gauterien zu zerstören, Stücke derselben mit
dem Messer, dem Tonsillotom, dem Ecraseur, dem scharfen Löffel,
der Ligatur oder der Glühschlinge mit oder ohne Spaltung des wei-
chen Gaumens zu entfernen. Mit mehr Aussicht auf Heilung wird man
aber in diesen Fällen nach den Erfahrungen von Billroth, Czerny
u. Win i warter die innerliche und parenchymatöse Anwendung von
Liquor arsenicalis Fowleri ver.suchen. Hofft man aber noch eine
totale Entfernung der Geschwulst vornehmen zu können, so wird man
Beiträge zur Chirurgie des Schlundrohrs. gl
mit diesen erwähnten Operationsmethoden nicht ausreichen, sondern
wird sich dann von aussen her einen Zugang bahnen müssen. Von
Gheevcr^) geschah es bei einem Garcinom der Tonsille in der
Weise, dass er einen Winkelschnitt führte, dessen einer, etwa
8 1/2 Zoll langer Schenkel, vor dem M. sterno-cleidomastoideus von
der Höhe des Ohres aus nach unten über die Geschwulst, dessen
anderer Schenkel von demselben Punkte nach vorn längs des hori-
zontalen Unterkieferastes verlief. Es mag möglich sein, wie es in
dem vorliegenden Falle war , von dieser Wunde aus eine völlig ab-
gekapselte Geschwulst ausschälen zu können , nicht aber wird diese
Schnittführung genügen für einen Tumor, der schon weiter auf die
Gaumenbögen, die Zungenbasis oder die Pharynxschleinihaut über-
gegangen ist. Geht die Geschwulst von der Tonsille aus mehr nach
oben auf den weichen Gaumen und nach hinten in die Fossa pte-
rygo-palatina , so wird man gute Zugängigkeit erhalten durch tem-
poräre Resektion des ganzen Oberkiefers und des Jochbeines, wie
es neulich durch Herrn Prof. Gzerny ausgeführt wurde bei einem
Neoplasma, das den weichen Gaumen und die Gegend der Choanen
bis zur Schädelbasis hinauf eingenommen hatte. Bei diesem Pa-
tienten wurde, nach Spaltung der Nase und Oberlippe in der Mittel-
linie, der untere Orbitalrand durch einen horizontalen Schnitt, der
mit dem ersteren rechtwinkelig zusammenstiess und nach aussen
über den Processus frontalis des Jochbeines sich erstreckte, bloss-
gelegt. Mit der Kettensäge wurde der Processus frontalis des Joch-
beines durchsägt und mit der Stichsäge der Boden der Orbita
und der Nasenfortsatz des Oberkiefers durchtrennt. Nachdem der
rechte mediale Schneidezahn extrahirt und die Weichtheile des harten
und weichen Gaumens etwas nach rechts von der MitteUinie ge-
spalten waren, wurde der Gaumenfortsatz des rechten Oberkiefers
dicht neben dem Vomer mit der Stichsäge durchtrennt und in dieser
Sägespalte ein festes Elevatorium eingesetzt. Durch einen kräftigen
') G li e e V e r : Encephaloid Tumour of tonsil. Removed by externa! dissec-
tion. Boston med. and surg. Journ. 1869. — Ausführlich erwähnt bei A. Poland:
On Cancer of the tonsil glands. British and foreign niedico-chirurgical Review.
April 1872 Vol. 49, p. 492.
62 Dr. Heinrich Braun.
Druck desselben gelang es, mit einiger Nachhülfe von aussen, den
Jochbogen einzuknicken und den rechten Oberkiefer und das Joch-
bein so weit nach aussen umzulegen, dass man bequem mit 2 Fin-
gern und Instrumenten die hintere Wand des Schlundkopfes er-
reichen konnte. Nachdem der Vomer mit einer kräftigen Scheere
weggeschnitten war, konnte auch die linke Nasenhöhle übersehen,
die linke Highmorshöhle mit dem Finger abgetastet werden. Durch
keine andere Methode der temporären Resektion wird der Schlund-
kopf mit allen Nebenräumen so gut blossgelegt, wenn auch die
Seitwärtslagerung des ganzen Oberkiefers ziemliche Gewaltanwendung
nothwendig macht.
Unser Patient hat die Operation sehr gut überstanden, die
äussere Wunde ist vollkommen per primam geheilt, und selbst der
Spalt des harten Gaumens, der wegen drohenden Gollapses des Pa-
tienten nur mangelhaft vereinigt wurde, scheint sich spontan voll-
kommen zu schliessen.
Verbreitet sich dagegen die Geschwulst der Tonsille mehr
nach unten, sind vielleicht auch Lymphdrüsen am Kieferwinkel
schon geschwellt, so wird man zur Exstirpation nur genügen-
den Raum erhalten können durch Entfernung des Unterkiefers,
oder was dasselbe leisten wird, wenn der Knochen nicht schon
afficirt ist, durch temporäre, osteoplastische Resection desselben.
Der Kiefer wird dabei zwischen dem Eckzahn und ersten Backzahn
oder, was besser ist, zwischen den Backzähnen durchtrennt, das
hintere Stück nach aussen gezogen oder selbst luxirt. Nach dieser
Vorarbeit kann man die Tonsillargegend , die Zungenbasis , den
Pharynx vollständig gut übersehen. Nach der Exstirpation des
Tumors wird der Unterkiefer reponirt und seine Sägeflächen mit
einer Knochennaht vereinigt. Die feste Vereinigung kommt meist
nach mehreren Wochen, allerdings manchmal erst nach Necrose der
Sägeflächen zu Stande, aber selbst, wenn sich nur ein fibröser Callus
ausbildet, ist diese Verbindung so straff, dass ziemlich feste Nahrung
mit dem Kiefer zerkleinert werden kann.
Die erste Mittheilung eines auf diese Weise entfernten Lympho-
sarcoms, das schon weit um sich gegriffen hatte, stammt von Bill-
Beiträge zur Chirurgie des Sclilundrohrs. 63
roth^) aus dem Jahre 1861. Er mu=;sle die A. carotis ext. und
int. unterbinden , Stücke aus dem N. hypoglossus , lingualis und
vagus, der in dem Tumor verlief, excidiren. Der Ausgang war kein
glücklicher, indem 3 Tage später der Tod an Lungenödem erfolgte.
Nach einer neueren Mittheilung war schon 1859 durch v. Langen-
beck^) ein Garcinom der Tonsille, das mit der Zunge und den
Gaumenbögen verwachsen war, nach derselben Methode entfernt
worden. Zum 3. Male wurde dann diese Operation 1865 von
Lange nbeck wegen Fibroms der Tonsille mit ebenso günstigem
Verlaufe , wie im vorigen Falle , ausgeführt. In dem nämlichen
Jahre auch noch von Hüter^) wegen Sarcoms der Tonsille und
ihrer nächsten Umgebung jedoch mit tödtlichem Ausgange durch
Pneumonie in der 3. Woche nach der Operation 1868 von Blll-
roth*) nochmals zur Entfernung eines malignen Lymphoms. Bei der
Operation wurde die Carotis auf 3 Zoll blossgelegt und am Nacli-
mittag musste wegen Nachblutung die A. carotis communis unter-
bunden werden; der exitus letalis folgte am 3. Tag. Ausserdem
wurde noch in ähnlicher Weise operirt von Weber 5) wegen eines
colossnlen Lymphosarcoms, von Watson^) wegen einer histologisch
nicht näher bezeichneten Tonsillargeschwulst mit glücklichem Aus-
gange, und von King^) wegen eines fibrösen Tumors. Im letzteren
Falle erfolgte bald nach der Operation der Tod durch Erysipel.
') Billroth, Th. : Osteoplastische Resectionen des Unterkiefers nach
eigener Methode. Arch. für klinische Chirurgie 1861, Bd. II. S. 651.
^) Langenbeck, B. v.: lieber Totalexslirpationen der Zunge mittelst seif-
licher Durchsägung des Unterkiefers. Verhandknigen der deutsch. Gesellsch. f.
Chirurgie 4. Congress. Bedin 1876, S. 111.
^) Referat der chirurgischen Krankheiten des Kopfes etc. in dem Jahres-
bericht von Virchow und Hirsch 1869. II. S. 435.
*) A. Wini warter: üeber das maligne Lymphom und Lymphosarkom,
Archiv für klin. Chirurgie, Bd. XVIII, S. 123 und 145.
^) Weber, C. 0.: Die Krankheiten des Gesichtes. Handbuch der allgem.
und speciell. Chirurgie von Pitha und Biilroth. Bd. III. Abth. 1. Hft. 2. S. 314.
^) Watson: Gase of tumour originating in the pterygoid fossa and de-
veloping towards the buccal cavity, successfully removed. Jahresbericht von
Virchow und Hirsch 1869. II. S. 435.
') King, Kelburne: Gase of tumour originating in the soft palate and
protuding into the isthmus of the fauces, removed by Operation. Lancet. 1871. Feb.
ß4 Dl"' Heinrich Braun.
Wir lassen hier die von uns gemachte Beobachtung folgen:
T. J,, 34 Jahre alt, von R. , ein kräftig aussehender Bahn-
wart, war früher niemals krank. Den Beginn seines jetzigen Lei-
dens wollte er nach seiner Angabe zuerst vor 12 Wochen bemerkt
haben, es entstanden damals ziehende Schmerzen am Kieferwinkel,
welche beim Schlucken zunahmen, die er aber sonst wenig beachtete.
Erst vor 3 Wochen suchte er wegen Zunahme dieser Beschwerden
den Arzt in seiner Heimath auf, der eine wunde Fläche im Halse
gefunden haben wollte, die er mit Argent. nitr. ätzte und gegen
die er ausserdem ein Gurgelwasser anwenden liess. Da die Beschwer-
den nicht besser wurden , im Gegentheil dieselben beim Schlingen
mehr zunahmen, auch Athemnoth hinzutrat, suchte er unsere Klinik
auf und wurde in dieselbe am 10. Juni 1877 aufgenommen.
Status präsens: Aeusserlich flndet man am linken Kieferwinkel
eine Härte und eine etwa nussgrosse Anschwellung, die von nor-
maler Haut bedeckt ist. Im Munde sieht man eine an ihrer Ober-
fläche ulcerirte und vorspringende Geschwulstmasse, welche die linke
Hälfte des. weichen Gaumens bis zur Mitte der Uvula, den linken
Arcus pharyngo-palatinus , die linke Tonsille und einen Theil der
linken Pharynxwand einnimmt, während die Zungenbasis und der
linke Arcus glosso-palatinus gesund sind. Bei der Untersuchung
mit zwei Fingern kann man nicht vollständig bis an das untere
Ende der Neubildung kommen, immer fühlt man noch leicht blutende,
geschwürige Massen. Einige Verschieblichkeit besitzt die Geschwulst.
Geschwellte Lymphdrüsen sind aussen am Halse nicht zu fühlen.
Aller Wahrscheinlichkeit nach hatte man es mit einem Lympho-
sarcom zu thun, das von der linken Tonsille ausgegangen, dann
aber auf die angrenzenden Theile des Pharynx und des weichen
Gaumens übergegangen war. Die Exstirpation der ziemlich circum-
script erscheinenden Geschwulst wurde besclilossen und von Herrn
Professor Gzerny am 15. Juni 1877 in der folgenden Weise
ausgeführt.
Zunächst wurde, um den Patienten tief chloroformiren zu
können und das Hinabfliessen von Blut in die Trachea mit Sicher-
heit zu vermeiden, die prophylactische Tracheotomie ausgeführt.
Beiträge zur Chirurgie des Schlundrohrs. ß5
Von der Einführung der Trendelenburg' sehen Tamponcanüle musste
abgesehen werden, da ihr Ballon einriss, sie ausserdem auch etwas
voluminös war; es wurde dagegen die Rachenhöhle mit an Seiden-
fäden befestigten Schwämmen fest ausgestopft, nachdem eine gewöhn-
liche Canüle in die Trachea eingeführt war.
Nach diesen Vorbereitungen wurde ein Schnitt geführt, der
vom linken Mundwinkel ausging, schräg nach unten und aussen,
am vorderen Rande des M. masseter vorbei, bis hinab in die Höhe
des Zungenbeins reichte. Die Gefässe , welche bluteten , wurden
immer sogleich gefasst und mit Garbolseide unterbunden. Man kam
hierauf am Kieferwinkel auf die äussere und untere Abtheilung der
Geschwulst, die nur theilweise eine Art Kapsel besass, grösstentheils
dagegen mit der Umgebung innig verwachsen, auf sie übergegangen
war. Um mehr Zugängigkeit zu dem oberen Abschnitt der Ge-
schwulst zu erhalten, wurde der Unterkiefer etwas schräg von oben
und innen, nach unten und aussen zwischen dem 2. und 3. Back-
zahn durchsägt, und die beiden Stücke auseinander geklappt. Nun
konnte man den ganzen Tumor deutlich übersehen und exstirpiren ;
es wurden dabei die Mm. digastricus, stylohyoideus und styloglossus
durchtrennt, die Nn. hypoglossus, glossopharyngeus und lingualis
ebenso wie die A. lingualis und einige andere stärkere Gefäss-
stämme durchschnitten. Aussergewöhnlich stark war die Blutung
nicht. Die Geschwulst wurde entfernt bis auf einige kleine, ver-
dächtig aussehende Gewebstheile nach der Fossa pterygo-palatina hin,
die mit dem Thermocauter von Paquelin betupft wurden. Blut floss
während der ganzen Operation nicht in die Trachea hinein, die
Narkose war einigemale schlecht, indem Patient cyanotisch und
ohne Respiration war, so dass mehrmals künstliche Athmung aus-
geführt werden musste. Ausnahmsweise hatte in diesem Falle die
gemischte Ghloroformnarkose mit vorhergehender subcutaner Mor-
phiuminjection ihren Dienst nicht gethan.
Die ganze grosse Wundhöhle wurde nun mit einer b^/o Ghlor-
zinklösung ausgeätzt; darauf zunächst die Sägeflächen des Unter-
kiefers durch eine in seiner Mitte angelegte Silberdrahtnaht und dann
noch mit einem um den 2. und 3. Backzahn geschlungenen Silber-
Czerny, Beiträge zur operativen Cliirurgie. 5
66
Dr. Heinrich Braun.
draht vereinigt; hierauf die Wunde mit Suturen geschlossen bis auf
die Stellen, aus denen die nach oben und unten eingeführten Drain-
röhren aus derselben hervorragen. Ebenso konnte innen die Mund-
schleimhaut vorn mit Suturen vereinigt werden, auch hinten die
Schleimhautränder etwas vernäht werden, wodurch die Wundhöhle
im Munde ein wenig verkleinert wurde. Ueber das ganze wurde
ein Salicylverband angelegt. Die Trachealcanüle blieb liegen.
Am Abend des Operationstages sass Patient schon aufrecht
im Bett, hatte den Nachmittag über nur ganz wenig Blut ausgehustet.
Die Schmerzen waren unbedeutend. Temp. 37.4. Puls 88.
16. Juni: Patient hat gut geschlafen, klagt wenig; nur wird
er etwas gequält durch den Auswurf von zähem Schleim, dem
jedoch kein Blut beigemischt ist. Täglich zweimal Verbandwechsel.
17. Juni: Entfernung oberflächlicher Nähte, am 18. werden
alle weggenommen.
19. Juni: Die Ganüle wird heute, nachdem die Schleim-
secretion bedeutend abgenommen hat, entfernt. Aus den nächsten
Tagen ist kaum etwas zu erwähnen. Das Schlucken flüssiger
Speisen ging immer leicht. Die Hautwunde war in ganzer Aus-
dehnung per I. geheilt; die Trachealwunde am 22. Juni bis auf eine
kleine oberflächliche, gut granulirende Wunde geschlossen. Die
Bronchitis Hess nach, ebenso die Speichelsecretion, die anfangs be-
deutend vermehrt war. Fieber war vom 21. Juni ab nie wieder
aufgetreten, bis dahin war es einmal am zweiten Abend auf 39.5
gestiegen, dann aber nie höher als 38.5 gekommen. Der Unter-
kiefer war ziemlich fest vereinigt, Hess sich aber an der Sägefläche
noch verschieben, das hintere Ende stand etwas über dem vorderen.
Die linke Zungenhälfte, die vollkommen anästhetisch war, sah etwas
schmäler als die rechte aus, die Zungenspitze wich etwas nach der
linken Seite beim Herausstrecken ab, konnte aber nach rechts und
links bewegt werden. Am 1. Juli wurde der um die Zähne gelegte
Draht entfernt, die andere Knochennaht blieb liegen ; an ihrer Stelle
hatte sich eine kleine Fistel, die wenig secernirte, gebildet. Die
Wunde am Halse verkleinerte sich rasch, die Speichelsecretion Hess
ebenso wie die Bronchitis immer mehr und mehr nach.
Beiträge zur Chirurgie des Schlundrohrs. 67
Bei der Entlassung des Kranken am 21. Juli sah man im Munde
nur noch eine kleine Wundfläche; die linke Zungenhälfte sah etwas
gerunzelt und dünner aus, als die rechte; an der linken Seite sah
man geringe zuckende Bewegungen, während an der rechten Seite
diese Flimmerbewegungen bedeutend stärker waren, besonders wenn
die Zunge aus dem Munde heraus gestreckt wurde. Die Kieferstücke
Hessen sich immer noch etwas an einander hin und herschieben,
trotzdem ging das Kauen von Brod und weichem Fleisch ziemlich gut.
Acht Tage später stellte sich der Kranke wieder vor; der
Unterkiefer federte noch etwas. Die linke Zungenhälfte sah mehr
atrophirt aus , sie zeigte immer noch die in Folge der Hypoglossus-
durchschneidung aufgetretenen Flimmerbewegungen, am stärksten
merkwürdiger Weise auf der rechten Seite. Hinten im Halse be-
merkte man an der Stelle der Geschwürsfläclie eine kleine Hervor-
ragung. Innerlich erhielt Patient täglich 5 gtt. Liquor arsenicalis
Fowleri.
In der nächsten Zeit stellte sich der Kranke öfters vor, und
man konnte eine stete Zunahme der Geschwulst constatiren, trotzdem
fortwährend Liquor Fowleri genommen worden war. Die Geschwulst
hatte zuletzt im Munde die Grösse eines Hühnereis erlangt, legte sich
über den Eingang zum Kehlkopf und Oesophagus weg, so dass sie
anfing wieder Athem- und Schluckbeschwerden zu veranlassen. Es
wurde dem Kranken desshalb gerathen sich einer nochmaligen Ope-
ration zu unterziehen, die in Abwesenheit von Herrn Prof. Gzerny
am 1. September von mir ausgeführt wurde.
Zunächst wurde wieder die Tracheotomie in der alten Narbe
gemacht, die wegen starker Blutung, welche in dem starren Gewebe
immer nur durch Umstechung der Gefässe gestillt werden konnte,
ziemlich schwierig war. Darauf die alte Hautnarbe gespalten und
der Kiefer, der nur durch fibrösen Gallus an der Sägefläche vereinigt
war, mit einem starken Knochenmesser getrennt; die nicht abge-
grenzte Geschwulst wurde hierauf wieder entfernt, man war genöthigt,
um in gesunde Partien zu kommen, einen Theil der Zungenbasis und
der Pharynxwand mit weg zu nehmen. Die Blutung, die nur einmal
etwas stärker war, wurde überall durch Unterbindung mit Seide gestillt.
ßg Dr, Heinrich Braun.
Die Wunde wurde mit 5V Chlorzinklösung ausgeätzt, der Kiefer durch
eine um die dem Schnitt zunächst stehenden Zähne gelegte Draht-
schlinge vereinigt. Die Narkose war dieses Mal vollkommen gut, es war
zu Anfang 0.03 Morphium subcutan injicirt worden. Auch dieses Mal
ging unmittelbar nach der Operation alles gut, die Schleim- und Spei-
chelsecretion, die wieder etwas stärker auftrat, war nicht so reichlich
wie früher, Blutung kam keine. Temp. am 3. Tage Abends 39.0",
Morgens 38.4°, vom 4. September ab war sie Morgens normal, Abends
höchstens 38° C. Die Naht heilte wieder bis auf eine kleine Stelle
am unteren Ende, die der früheren Fistel entsprach und in der nun
eine Drainage lag. Am 7. September, 7 Tage nach der Operation,
wurde nach mir geschickt, da der Kranke Blut aushustete, bei
meiner Ankunft, die rasch erfolgte, stand eine ganze Schüssel voll
Blut am Bett; die Respiration hatte aufgehört, der Puls war noch
zu fühlen. Es wurde sogleich die linke Carotis communis comprimirt,
Blut mit elastischem Katheter aus den Lungen gezogen, künstliche
Respiration eingeleitet, aber ohne damit irgend etwas zu erreichen,
der Tod erfolgte Mittags ^2 4 Uhr.
Die am nächsten Morgen von Herrn Professor Dr. Thoma
vorgenommene Section ergab folgendes, was für uns an dieser Stelle
von Interesse ist:
Die linke Lunge durch ausgedehnte Bindegewebsmassen an die
Costalwand adhärent, sehr gross, leicht, in den Bronchien stark blutig
gefärbte Flüssigkeit, Bronchialschleimhaut blutig imbibirt. Im Bron-
chus des oberen Lappens ein grösseres Blutgerinnsel, das sich
forterstreckt bis in den mittleren Bronchus, Art. pulmonalis frei.
Das Gewebe des oberen Lappens ist sehr luftreich , enthält aber im
unteren Abschnitte derbe, dunkelrothe Flecken, die luftleer sind und
auf der Schnittfläche prominiren; im Uebrigen ist das Lungengewebe
massig feucht, das Gewebe des unteren Lappens ist stärker durch-
feuchtet, blutreicher und enthält in seiner ganzen Ausdehnung eine
grössere Anzahl ebensolcher dunkelrother , blutleerer Heerde. Die
rechte Lunge ergibt im Ganzen denselben Befund, nur sind nahezu
sämmtliche Bronchien mit Blut erfüllt, dagegen die dunkelrothen
Heerde fast ausschliesslich auf den unteren Lappen beschränkt.
Beiträge zur Chirurgie des Schlundrohrs. 69
Im Magen viel blutig gefärbte Flüssigkeit, die Magenschleimhaut
blutig imbibirt, zeigt nichts Abnormes. Im Duodenum galliger Inhalt,
an seinem Ende finden sich einige markige Geschwülste, über welche
die Mucosa und Serosa scheinbar unverändert hinweg gehen, welche
jedoch auf dem Durchschnitt sowohl die Mucosa als Serosa umfassen.
Im Dünn- und Dickdarm schwach gallig gefärbter, grösstentheils
flüssiger Inhalt, Schleimhaut unverändert. Im Ileum in der Submucosa
ein erbsengrosses nach allen Seiten frei bewegliches Knötchen von
markiger Beschaffenheit. An der Grenze zwischen Ileum und Jejunum
eine markige, flache Geschwulst mit deprimirtem Gentrum, 3 Ctm.
im längsten Durchmesser, 1 Ctm. dick. In der Serosa des kleinen
Beckens zwei kleinere, flache, ebenso beschaffene Geschwülste. Die
grössere Geschwulst des Dünndarms hat dieselben Beziehungen zur
Mucosa und Serosa, wie diejenige des Duodenum.
Im Mesenterium sind zahlreiche Drüsen vergrössert und in eine
weisse hirnmarkähnliche Masse verwandelt; Milz stark vergrössert.
An der linken Seite des Halses eine Schnittwunde, welche vom
linken Mundwinkel etwa 5 Ctm. weit nach unten und aussen reicht;
im oberen Abschnitt ist diese Wunde linear verklebt, im unteren
führt sie direct in die Mundhöhle. In letzterer findet sich zur linken
Seite ein ausgedehnter Substanzverlust; es fehlt der linke Abschnitt
der Zungenwurzel, der linke Gaumenbogen, ein beschränkter Theil
der linken Pharynxwand, eine beträchtliche Masse Gewebe an der
Innenfläche des aufsteigenden Kieferastes, ferner die linke Tonsille.
Die Wundflächen sind mit Granulationen bedeckt, welche an der
Innenfläche des Unterkiefers und an seinem hinteren Umfang an ein
derbes, markiges Gewebe anstossen, während der übrige Theil der
Granulationen an gesundes Gewebe grenzt. Am Boden dieses Substanz-
verlustes findet sich eine 3 Mm. weite Oeffnung, welche das Lumen
der Art. lingualis darstellt, aus dem sich in dickem Strahle Wasser
ergiesst, welches in die A. carotis communis eingespritzt wird. Die
Mundhöhle selbst, die Rachenhöhle sind mit dicken Blutgerinnseln erfüllt,
welche sich auch in Kehlkopf und Trachea hinein erstrecken. Der
linke Unterkieferast ist entsprechend der Grenze zwischen 2. und 3.
Backzahn und entsprechend der äusseren Hautwunde quer durchtrennt.
70 Dr. Heinrich Braun,
Die Schleimliaut des Mundes, Rachens, Kehlkopfs und Trachea zeigt
im Uebrigen diffuse Röthung und Blutimbibition. An der Vorderseite
der Trachea eine nach aussen führende Operationswunde. Im retro-
pharyngealen Zellgewebe und zu den beiden Seiten des Halses
vergrösserte, markig aussehende Lymphdrüsen.
War auch in unserem Falle der schliessliche Ausgang ein un-
günstiger, so wird doch auch durch diese Beobachtung erwiesen,
dass man sich völlig genügenden Zugang zur Exstirpation von Ton-
sillengeschwülsten ohne allzu bedeutende Nebenverletzungen durch
die osteoplastische Resection des Unterkiefers verschaffen kann.
Bessere Erfolge wird man allerdings mit dieser Operation bei den
melir abgekapselten Tumoren der Tonsillen erhalten, als bei diesen
meist bald diffus auf ihre Umgebung übergehenden malignen Lym-
phomen, bei denen man überhaupt zweifeln kann, ob man ihre Ex-
stirpation versuchen soll.
4. Oesophagotomia interna.
Unter den verschiedenen Behandlungsmethoden der narbigen
Verengerungen des Schlundes, wie sie am häufigsten nach Einwirkung
ätzender Substanzen entstehen, ist die Oesophagotomia interna
bis jetzt, besonders bei uns in Deutschland nur in äusserst seltenen
Fällen ausgeführt worden. Aber auch die Zahl der übrigen, besonders
französischen Beobachtungen, ist eine so geringe, dass eine ganz
bestimmte Ansicht über die Vor- und Nachtheile dieser Methode,
gegenüber von anderen noch nicht gefällt werden kann. Gasuistische
Mittheilungen, mögen sie gute oder schlimme Erfahrungen bringen,
sind desshalb unbedingt erforderlich ; und von diesem Gesichtspunkte
aus erlaube ich mir die folgende Krankengeschichte mit epikritischen
Bemerkungen zu geben.
Luise Seh. 8 Jahre alt von L. wurde am 20. Februar 1877
in unsere chirurgische Klinik aufgenommen wegen bedeutender
Beiträge zur Chirurgie des Schlundrohrs, 7I
Schluckbeschwerden, welche vor etwa 10 Monaten in Folge von
Verätzung des Schlundes durch Laugenessenz (enthielt hauptsächlich
Aelznatron), die das Kind aus Versehen statt Wasser getrunken hatte,
entstanden waren. Ueber die heftigen Erscheinungen der Oesophagitis
und Gastritis, die nach der Beschreibung der Mutter des Mädchens
damals aufgetreten waren, konnten keine genauen Angaben erhalten
werden ; nur soviel ist gewiss, dass die Schwierigkeit beim Schlucken
itnmer mehr und mehr zunahm, so dass zuletzt nur noch Flüssig-
keiten langsam und in kleinen Quantitäten m den Magen gebracht
werden konnten.
Bei der Aufnahme sah die kleine Kranke mager und blass aus ;
das Schlucken ging nur in der eben beschriebenen Weise.
Die Inspection des Mundes und Pharynx ergab keine Verände-
rungen, ebenso wenig die Untersuchung mit dem Kehlkopfspiegel. Bei
Einführung der Schlundsonde fand man 18 Gtm. vom Zahnbogen
entfernt, etwa in der Höhe der hicisura slerni, eine Verengerung des
Oesophagus, in die man schwierig mit einem elastischen Katheter
von 4 Mm. Durchmesser eindringen konnte, beim weiteren Vorschieben
des histrumentes wurde dasselbe fest engagirt, so dass eine zuver-
lässige Ansicht über die Ausdehnung der Strictur nach unten nicht
gewonnen werden konnte.
Alle übrigen Organe des Kindes waren gesund.
Vom Tage der Aufnahme an wurden täglich Versuche gemacht,
mit conischen Bougies die Strictur allmählig zu erweitern; dieselben
hatten anfangs auch einigen Effekt, indem man bis zum 5. März
mit einem Katheter von 6 Mm. Durchmesser durch die Strictur
hindurchkommen konnte. Die Einführung geschah in der Weise,
dass jeder Katheter , der in die verengerte Partie des Schlundes ein-
gedrungen war, wenige Minuten liegen blieb und dann mit der nächst-
folgenden dickeren Nummer vertauscht wurde. In Folge dieser
Erweiterungen, die sich ohne Schmerzen und ohne jemals die geringste
Blutung zu veranlassen, ausführen Hessen, ging das Schlucken leichter
und schneller von Statten; ausser Flüssigkeiten konnten um diese
Zeit Mehlspeisen und weiches Brod ganz gut geschluckt werden.
Am 25. März gelang es ohne besondere Mühe einen Katheter
'j'2 • Dr. Heinrich Braun.
von 7 Mm. Durchmesser einzuführen. Das Schlucken von fein
zerschnittenem Fleisch war möglich ; die Ernährung der Kleinen hob
sich wesentlich.
Am 8. April wurde das Kind auf Wunsch seiner Eltern entlassen,
da die Ernährung trotz dieses geringen Lumens des Schlundes eine
vollständig gute war. Ein Fortschritt in der Erweiterung des Oeso-
phagus war in der letzten Zeit trotz aller Mühe und Ausdauer nicht
zu erreichen.
Den 16. Mai wurde aber die Kleine schon wieder in das
Krankenhaus gebracht, weil die Schwierigkeit beim Schlucken sich
wieder einstellte und ein fortgesetztes Einführen der Schlundsonde
in der Heimath nicht möglich war. Bei der Untersuchung konnte
man eine Wiederverengerung des Oesophagus constatiren; nur mit
Mühe vermochte man ein Bougie von 5 Mm. Durchmesser einzuführen,
man fühlte bei dieser Gelegenheit jetzt verschiedene dicht hinter
einander liegende Hindernisse von denen das letzte am schwierigsten
zu überwinden war. Auch mit den von Billroth zur Dilatation von
Oesophagusstricturen angewendeten Zinnsonden konnte nicht mehr
erreicht werden; manchmal blieb eine dünnere Nummer, als der
erwähnte Katheter war, auf einem elastischen Wiederstande stehen
und konnte oft erst nach mehrmaligen vergeblichen Versuchen weiter
vorgeschoben werden. Jedenfalls waren verschiedene Leisten oder
Membranen vorhanden, die gegen das Lumen vorsprangen und alle
Instrumente aufliielten. Die Zinnsonden hatten ausserdem die kleine
Unannehmlichkeit, dass man sie nicht lange konnte liegen lassen,
indem sie bald Dyspnoe erzeugten, wohl hauptsächlich durch Vor-
drängen des Kehlkopfs und gleichzeitige Ueberlagerung des Aditus
laryngis. Bei den jetzt vorgenommenen Bougierungsversuchen klagte
das Mädchen mehrmals über Schmerzen im Hals; Blut an der Sonde
oder im Auswurf war aber niemals zu bemerken. Auch dieses Mal
besserte sich anfangs wieder der Zustand etwas, aber bald kam man
mit der Erweiterung nicht nur nicht vorwärts, sondern im Gegentheil
die Strictur schien immer enger zu werden, das Kind immer empfindlicher
und elender.
Am 29. Mai gelang es überhaupt nicht mehr die dünnste
Beiträge zur Chirurgie des Schlundrohrs. »J'g
Zinnsonde einzuführen, man mochte sie drehen wie man wollte, sie
wurde festgehalten, nur ein elastischer Katheter von 4.8 Mm. Durch-
messer liess sich noch mit vieler Mühe engagiren, auch in der Narkose
konnte man absolut kein Weiterwerden der Stenose beobachten,
kein dickeres Bougie hineinbewegen.
Den 9. Juni wurde wegen der immer gleich bleibenden schlechten
Ernährungsverhältnisse zunächst versucht, mit einem Jameson'schen
Diktator ^), dessen Sonde etwa 2 Mm. Durchmesser hatte, die Strictur
zu erweitern; man musste jedoch von diesen Versuchen abstehen,
da es nicht gelang, den etwas dickeren Knopf in die stenosirte Stelle
hineinzuschieben. Es wurde desshalb, nachdem alle Versuche einer
allmähligen Dilatation fehlgeschlagen waren, an dem nämlichen Tage
von Herrn Professor Gzerny die Oesophagotomia interna in
Narkose der Kranken ausgeführt. Das hierzu verwendete Oesophagotom
war dem Ivanchich'schen Urethrotom in seinem Mechanismus
nachgebildet, nur bedeutend länger, als dieses gearbeitet. Es wurde
damit die Strictur beim Ausziehen des gedeckt eingeführten Listrumentes
von unten nach oben einmal nach rechts und einmal nach hinten
gespalten , die Schneide des Messers mochte dabei jedesmal etwa
2 Mm. über ihre Deckung hervorragen. Blutung folgte den Schnitten
fast gar keine, nur eine Spur wurde an dem mit dem Oesophagotom
ausgezogenen Schleime gefunden. Unmittelbar nach dem Schnitte
konnte man mit Leichtigkeit einen elastischen Katheter von 8 und
10 Mm. Durchmesser durch die Strictur hindurch führen.
Nach dem Erwachen aus der Narkose wurde wenig Schmerz
im Halse geklagt. Nur stellte sich einigemale heftiges Erbrechen
ein. Am Abend fiel eine Anschwellung des Halses von der Glavicula
an bis in die Gegend des Kehlkopfes auf, für die sich die Ursache
zunächst nicht genau bestimmen liess, man konnte zweifelhaft sein,
ob man es mit einem Blutergusse oder mit Luft in den tief ge-
legenen Zellgewebslagen des Halses zu thun hatte. Am folgenden
Morgen erst wurde die Natur dieser Schwellung sicher, indem man
^) König, F.: Die Krankheiten des unteren Theiles des Schlundes und
der Speiseröhre, Handbuch der allgem. und spec. Chirurgie. 1872, Bd. III. Ab-
thlg, I. Liefr, 4 S, 30 gibt eine Abbildung dieses Instrumentes.
74 Dr. Heinrich Braun.
jetzt in den beiden Fossae supraclaviculares und in der Furche vor
den Mm. sternocleidoniastoidei beiderseits deutlich Emphyseniknistern
nachweisen konnte.
In den nächsten Tagen wurde das Emphysem immer deutlicher,
es breitete sich auch auf die Gegenden hinter den Mm. sternoclei-
domastoidei aus; der ganze Hals vom Unterkiefer bis zur Glavicula
hinab zeigte hellen tympanitischen Ton. Druck auf den Hals wurde
empfindlich, das Schlucken beschwerlich. Die Temperatur stieg
bis zu 38.6 und- 39.0° G.
Vom 17. Juni an nahm das Emphysem allmählig ab, am
längsten hielt es sich über der rechten Glavicula und vor dem
rechten Sternocleidomastoideus, am 19. war es vollständig ver-
schwunden. Die kleine Kranke hatte nur Flüssigkeiten und täglich
2 rohe Eier genommen. Die physikalische Untersuchung der Brust
ergab niemals Anhaltspunkte für irgend welche pathologische Ver-
änderungen der Lungen oder der Pleurae.
Am 21. Juni fand man auf der linken Tonsille und auf der
linken Hälfte des weichen Gaumens einen deutlichen diphtherischen
Belag, die cervicalen Lymphdrüsen geschwellt. Kali chloricum wird
innerlich und local applicirt.
In der folgenden Zeit blieben die Schmerzen im Halse immer
bedeutend, der Belag gewann aber keine weitere Verbreitung. Die
Kranke stöhnte beständig und athmete vielleicht etwas schwerer wie
seither; eine deutliche Einziehung der Intercostalräume, der Fossae
supraclaviculares, des Scrobiculum cordis konnte aber nicht bemerkt
werden. Ohne ein Weitergreifen des diphtherischen Processes zu
beobachten und ohne das Hinzutreten irgend welcher besonderer
Erscheinungen verfiel das Kind immer mehr, bis am 24. Juni
Morgens 4 Uhr der Tod eintrat.
Aus dem von Herrn Professor Arnold bei der Section dictirlen
Protocolle lasse ich die uns hier interessirenden Angaben über den
Befund des Halses, des Oesophagus und der Lungen folgen:
»Die Untersuchung der Weichtheile des Halses ergibt eine be-
trächtliche Schwellung der Drüsen des Halses und zwar auf der
linken Seite stärker, als auf der rechten. Das Gaumensegel, die
Beiträge zur Chirurgie des Schlundrohrs. ^5
Uvula zeigen in ihrer Schleinihaulbekleidiing starke Röthe und be-
trächtliche Inliltration des submucösen Gewebes. Beide Tonsillen
gleichfalls grösser, auf der linken ein weisslicher Schorf, der ziem-
lich tief ins Tonsillargewebe eingreift.
Zellgewebe zwischen Oesophagus und Wirbelsäule zeigt vom
3. Halswirbel an eitrige Infiltration und findet sich daselbst ein
Abscess, der sich in der Richtung nach unten bis in die Höhe
des 3. Brustwirbels erstreckt. In der Höhe des Manubrium sterni
dehnt der Abscess sich ziemlich stark nach links und rechts aus
und auf der rechten Seite ist derselbe in die Pleurahöhle durch-
gebrochen. Auch links scheint eine Gommunication der Höhle des
Abscesses mit der Pleurahöhle zu bestehen. In der Höhe des 5.
und 6. Halswirbels findet sich an der hinteren Oesophagealwand
eine circa 2 Ctm. lange, glattrandige Wunde, deren Ränder etwas
infiltrirt sind. Das periösophageale Zellgewebe zeigt in der ganzen
Ausdehnung des Oesophagus bis beinahe zur Einmündungssteile in
den Magen ausser der bereits geschilderten eitrigen Infiltration den
Zustand der Schwellung und Infiltration. Muscularis beträchtlich
verdickt und zwar gleichfalls in der Ausdehnung von ^/a des Oeso-
phagus. 'Im unteren Drittheil ist die Schleimhaut in grosser Aus-
dehnung defect und durch narbige Massen ersetzt, es springen
einzelne starke Leisten an mehreren Stellen vor. Ebendaselbst be-
steht eine ziemlich ausgedehnte Gommunication zwischen dem Oeso-
phaguslumen und dem periösophagealen Abscess. In beiden Pleura-
höhlen jauchiger Eiter. Pleurablätter getrübt und in den oberen
Abschnitten mit jauchigem Eiter belegt.
Beide Lungen hochgradig comprimirt.
Ausser trüber Schwellung in Nieren und Leber wird keine
pathologische Veränderung gefunden.«
Die Todesursache in diesem Falle ist jedenfalls zu suchen in
der Durchtrennung der ganzen Dicke des Oesophagus, der in Folge
davon entstandenen Abscessbildung im hinteren Mediastinum mit
dem kurz vor dem Tode entstandenen Durchbruch in beide Pleura-
höhlen. Vielleicht wurde der Exitus letalis etwas beschleunigt durch
die in den letzten Tagen hinzugekommene Diphtherie.
Yg Dr. Heinrich Braun.
Im Anschluss an die soeben mitgetheilte Krankengeschichte
möchte ich etwas näher eingehen auf die verschiedenen Methoden
der Behandlung der Narben-Stricturen des Oesophagus, wie sie am
häufigsten nach Verletzung dieses Organes durch ätzende Flüssig-
keiten entstehen, in specie auf die Oesophagotomia interna.
Gewiss ist nach der Ansicht aller Autoren die allmählige
Dilatation mit Sonden, oder eigens construirten Dilatationsinstrumenten
die einfachste, sicherste und ungefährlichste Behandlungsmethode der
eben angegebenen Schlundverengerungen, die ausserdem noch den
grossen Vortheil hat, bei einem jeden beliebigen Sitze der Strictur an-
wendbar zu sein. Ausnahmsweise gibt es jedoch Stricturen, in denen
man mit diesen einfachen Mitteln nicht ausreicht, in denen trotz
lange fortgesetzter Behandlung, trotz aller aufgewandten Mühe und
Ausdauer die Verengerung nicht weiter, sondern im Gegentheil immer
enger wird, Fälle, bei denen man dann zu anderen, energischeren
und damit auch gefährlicheren Mitteln greifen muss. Mir scheint
wenigstens dies aus der oben ausgeführten Krankengeschichte und
einer Anzahl anderer, ganz ähnlicher Beobachtungen hervorzugehen,
entgegen der Behauptung Hüter'si), wonach jede Strictur, durch
welche eine Sonde respective ein Oesophagotom hindurchgeht, auch
durch Dilatation geheilt werden kann. Ausdrücklich möchte ich aber
gleich an dieser Stelle mich dagegen verwahren, als wenn diesen
anderen energischeren Mitteln das Wort geredet werden sollte. Im
Gegentheil, man wird sich, meiner Ansicht nach, dazu erst ent-
schliessen dürfen, wenn die allmählige Dilatation auf alle mögliche
Art und Weise, mit der grössten Geduld vergeblich versucht worden
ist. Man wird in dieser Beziehung zu der äussersten Vorsicht in der
Stellung der Indicationen zu eingreifenden Operationen gemahnt durch
Beobachtungen, wie sie z. B. von Ashurst^) und Hutchinson^)
') Jahresbericht über die Leistungen und Fortschritte in der gesammten
Medicin von Virchow und Hirsch 1873. Bd. II. S. 485.
2) As hurst, Sam.: Stricture of the Oesophagus from swallowing lye,
Americ. Journ, of med, scienc. 1870, p. 393.
ä) Hutchinson, Jonathan: Gase of stricture of the Oesophagus after
swallowing caustic potash. Gastrotomy proposed but not performed. London
Hosp. Rep. IV. p. 56, Jahresbericht von Virchow-Hirsch 1869. IL S. 125.
Beiträge zur Chirurgie des Schlundrohrs. 'J'^
mitgetheilt worden sind. In dem Falle des ersteren hatte sich
bei einem 4^2 Jahre alten Kinde zweimal eine enge Strictur des
Oesophagus von selbst wieder gelöst. Bei Hutchinsons Patien-
tin, die eine Strictur nach Verschlucken einer kaustischen Kali-
lösung acquirirt hatte", war, da nur noch Flüssigkeiten geschluckt
werden konnten, die Gastrotomie vorgeschlagen und angenommen
worden , als sich auch wiederum die Strictur löste und später
vollständige Heilung durch Dilatation ohne jegliche Operation zu
Stande kam.
Diejenigen Methoden, die gewählt werden können zur Heilung,
wenn man mit der allmähligen Dilatation keine Fortschritte mehr
macht, sind verschieden je nach der Höhe des Sitzes der Strictur.
Am besten unterscheidet man vom therapeutischen Standpunkte aus
zwei Abschnitte am Oesophagus, von denen der eine oberhalb einer
Horizontalebene liegt, die man sich in der Höhe der Incisura sterni
gelegen denkt, die vom Halse aus zugängig ist und einen unterhalb
dieser Ebene gelegenen, der hier gewöhnlich nicht mehr vom Halse
aus erreicht werden kann. Die Methoden unterscheiden sich dem-
gemäss in solche, die nur bei hochgelegenen Stricturen (oberhalb der
genannten Horizontalebene) und solche, die bei einem jeden Sitze
und besonders bei tiefgelegenen Stricturen in Anwendung gezogen
werden. Methoden, die nur bei tiefgelegenen Verengerungen, nicht
aber auch bei höher oben gelegenen Anwendung finden könnten,
wären wohl nicht zu erwähnen.
Ausschliesslich anwendbar bei den hoch gelegenen Stricturen
des Oesophagus sind: die Excision der Strictur, die directe
Incision der Strictur und die Oesophagotomia externa unter-
halb des Hindernisses, um für die Nahrungsmittel einen neuen Weg
herzustellen und um vielleicht gleichzeitig mit mehr Aussicht auf
Erfolg die Strictur von unten nach oben dilatiren zu können.
Die Excision der Strictur, die von Billroth i) vorge-
schlagen, meines Wissens aber bis jetzt noch nicht in Anwendung
*) Billroth, Th.: Ueher die Resertion des Oesophagus. Arch. f. klin.
Chirurgie. Bd. XIIT. S. 66.
78 Dr. Heinrich Braun.
gebracht worden ist, wird nach Analogie der Exstirpation von Gar-
cinomen des Oesophagus ausführbar sein in Fällen, in welchen
die Strictur circulär ist und nur höchstens eine Strecke von 5
bis 6 Gtm. Länge umfasst; es wird dann wohl möghch sein, die
Enden des Oesophagus wieder direct mit der Naht zu vereinigen.
Geht die Strictur über die angegebenen Zahlen hinaus, so wird
man die directe Incision mit folgender Sondirung auszuführen
haben, eine Methode, die noch kürzlich von Gilles p^) mit dem
besten Erfolge in Anwendung gezogen wurde. Die Oesopha-
gotomia externa unterhalb der verengten Stelle würde ausgeführt
werden, wenn man glaubte, wegen allzu grosser Ausdehnung der
Strictur nach der directen Incision die Dilatation nicht genügend
ausführen zu können.
Ob sich die Ausführung einer Oesophagotomia externa empfiehlt
bei einer innerhalb der Brusthöhle gelegenen Stenose, um von dieser
Wunde aus die Dilatation besser als durch die Mundhöhle vornehmen
zu können, muss als zweifelhaft dahin gestellt bleiben. Der Patient
von Horsey2), bei dem die Strictur IV2 Zoll abwärts von der
Glavicula lag , starb bald darauf und B r y k ^) konnte von der
Oesophagotomiewunde aus nur mit Hilfe von Beleuchtungsapparaten
durch die tief gelegene Strictur hindurchkommen.
Für die tiefgelegenen Stricturen vorwiegend zu verwerthen,
aber auch bei höher gelegenen anwendbar ist die Aetzung, die
gewaltsame Durchstossung, die Oesophagotomia interna
und die Gastrotomie zur Anlegung einer permanenten Magen-
fi s tel.
Die Aetzung wird in Fällen, in denen es sich nicht um die
Beseitigung geschwüriger Vorgänge, sondern melir um derbe Narben-
stricturen handelt, wohl kaum einen günstigen Einfluss haben können ;
mag sie vielleicht momentan auch eine kleine Besserung herbei-
') Gillesp, W. A. : Gonstriction of the Oesophagus. Boston med. and
surg. Journ. Decemhr. 1869. Virchow-Hirscdrs Jahresbericht 1870. II. S. 146.
') H or s e y : Strictiire of tlie Oesophagus from the action of caustic potash ;
oesophagotomy ; death , post mortem. Americ. Journ. of med. scienc. July 1876.
^) ]j r .y k : Narbige .Strictur des Oesophagus. Oesophagotomie. Wiener
medicin. Wochenschrift 1877, Nr. 40 sqq.
Beitrcage zur Chirurgie des Schlund rohi-s. >^g
führen, so wird sie nachlier nur zu einer um so stärkeren Zusammen-
ziehung Veranlassung geben. Man wird von ihr als einer zu
unsicheren Methode gänzlich Abstand nehmen müssen. Derselbe
Vorwurf trifft aber auch die gewaltsame Durchstossung der
Strictur, die ausserdem noch wegen der möglichen Nebenver-
letzungen als zu gefährlich von der Hand zu weisen ist.
Es bleibt demnach zunächst zu untersuchen die Anwendbarkeit
der Oesophagotomia Interna, die von Maisonneuve zuerst bei
diesem Leiden in Anwendung gezogen worden ist. Um einen bes-
seren Ueberblick zu erhalten und dem Leser die Möglichkeit zu geben,
sich selbst eine eigene Anschauung zu bilden, möchte ich die
anderen Publikationen von innerem Schlundschnitt, soweit mir die-
selben bekannt geworden sind, einschalten. Die wenigen Fälle
der Ausführung dieser Methode bei carcinomatöser Verengerung habe
ich geglaubt der Vollständigkeit wegen mit aufführen zu sollen,
obwohl sonst in dieser Abhandlung von diesem Leiden abgesehen
wurde.
Beobachtung I. Maisonneuve^) führte zuerst die
Oesophagotomia interna bei einer jungen Frau aus, die aus Ver-
zweiflung eine grosse Dosis Schwefelsäure getrunken hatte und in
Folge davon eine etwa 3 Gtm. lange, dicht über der Cardia sitzende
Verengerung des Oesophagus acquirirt hatte. Trotzdem die Kranke
mehrere Monate lang von ihrem Arzte durch die Schlundsonde er-
nährt wurde, zog sich die Strictur immer mehr zusammen, so dass
nur noch Flüssigkeiten passiren konnten. Am 16. Juli 1861 wurde
die Operation ausgeführt mit einem Oesophagotom % das dem be-
kannten Urethrotom von Maisonneuve nachgebildet, nur etwas stärker
und länger ist; es wurde damit von oben nach unten geschnitten,
ohne irgend welchen Zwischenfall. Unmittelbar nachher konnte
Suppe geschluckt werden, am folgenden Tag Brod, Eier und Wein.
Beobachtung IL Maiso nneu v e^) führte zum zweiten
'} Maisonneuve, J. G.: Clinique cbirurgicale 1864, Tome II. p. 409.
'^j Albert: Lehrbuch der Chirurgie. Bd. I. S. 601 gibt eine Abbildung
des Instrumentes.
'J Maisonneuve 1. c. p. 411,
30 Dr. Heinrich Braun.
Mal dieselbe Operation aus bei einer jungen Frau, die seit 3 Tagen
nichts in ihren Magen hinunterbringen konnte und fast sterbend war.
Ihre Strictur lag unterhalb der Cartilago thyreoidea, war nach
tuberculöser Entartung des Oesophagus entstanden und liess kaum
noch eine dünne Sonde hindurchdringen. Nach der am 20. Juli 1861
ausgeführten Operation konnte eine dicke Sonde eingeführt werden
und die Kranke vollkommen gut schlucken.
Die beiden Patientinnen, obwohl 8 Tage von einander operirt,
wurden an einem Tage von akuter Peritonitis befallen und starben
die eine am 31. Juli, die andere am 1. August.
Bei der Section der ersten fand sich das die Strictur umgebende
Bindegewebe intakt, das kranke Gewebe nur zum Theil durchtrennt,
ohne Spur von Entzündung. Weder am Oesophagus noch am
Magen war irgend eine Verletzung zu entdecken ; nur am Peritoneum
die Folgen einer heftigen Entzündung, für welche aber die Ursache
im kleinen Becken zu hegen schien.
Auch bei der zweiten Patientin fand sich Oesophagus und
Magen nicht verletzt, dagegen Exsudat in der Bauchhöhle.
Beobachtung III. Mai sonn enive ^) sah im April 1862
einen 58 Jahre alten Mann wegen einer Oesophagusstrictur, die vor
2 Jahren begonnen und allmählig sich so gesteigert hatte, dass zuletzt
nur Suppe und dünner Brei geschluckt werden konnte; sie lag, wie die
Sondenuntersuchung ergab, am Uebergang des oberen in das mittlere
Drittel des Schlundes. Am 3. April wurden 2 Schnitte innerlich durch die
Strictur geführt, eine Elfenbeinkugel von 1 ^2 Ctm. Durchmesser liess
sich sogleich danach ohne Schwierigkeit einführen. Die Incision
hatte einen leicht zu ertragenden Schmerz gemacht; nur ein klein
wenig Blut kam nach. Abends schon ass der Kranke wieder Fleisch
und konnte 8 Tage später, ohne dass irgend ein Zwischenfall ein-
getreten wäre, nach Hause entlassen werden.
Beobachtung IV. Lanelongue^) führte 1864, ohne die
') Mai sonne u ve 1. c. p. 413 und Rousselot-Beauiieu: Des
Retrecissements de l'oesophage. These. Paris 1864, p. 34.
') Lanelongue: ObseiTation avec quelques consideralions pom* servir
k l'hisloire de i'oesophagotomie interne. IMemoires de la societö de Chirurgie
de Paris. 1865. T. VI. p. U7.
Beiträge zur Chirurgie des SchlunJrohrp. Q\
Maisonneuve'schen Fälle zu kennen, ebenfalls eine Oesophagotomia
interna aus. Sein 23 Jahre alter Patient, der im November 1853
Schwefelsäure statt Wein getrunken hatte, wurde am 22. Oktober 1864
in das Hospital aufgenommen. Unmittelbar nach der Verätzung
seines Schlundes hatte er heftige Schluckbeschwerden, die bald nach-
liessen, aber nach 2 Jahren sich von Neuem einstellten, der Zustand
wurde damals durch Einführung von Bougies gebessert. Anfangs
setzte er zu Hause das Bougiren noch fort, vernachlässigte es dann
aber wieder vollständig und die Schluckbeschwerden nahmen auch
im Laufe der Jahre immer mehr und mehr überhand.
Bei der Untersuchung fand man 25 Gtm. vom Zahnbogen
entfernt, etwa in der Höhe der Cartilago cricoidea die Schlundsonde
beim Einführen angehalten; mit einer Sonde von 1 Mm. im Durch-
messer konnte man aber durch die verengte Stelle kommen und
ihre Länge auf 2 Ctm. bestimmen, sie lag etwas nach links, während
rechts der Oesophagus obliterirt war. Nach der Sondirung war der
Kranke unfähig etwas zu schlucken und bekam Fieber, ein am
zweiten Tag darauf vorgenommener Sondirungsversuch hatte den-
selben Effekt.
Am 8. November 1864 wurde desshalb die Oesophagotomia
interna mit einem von Lanelongue angegebenen Instrument aus-
geführt, es wurde damit nach vorn, nach hinten und nach rechts ge-
schnitten; es folgte darauf weder Schmerz noch Blutung, noch später
irgend eine Reaction. Nach 8 Tagen konnte man eine Sonde von
15 Mm. Durchmesser einführen. Nach einem Jahre konnte die
Heilung der Strictur noch constatirt werden.
Beobachtung V. Maisonneuve i) nahm in sein Hospital
am 1. Mai 1865 einen 57 Jahre alten Mann wegen einer dicht über
der Cardia sitzenden carcinomatösen Strictur auf, die so eng war,
dass alle genossenen Speisen sofort regurgitirten. Mehrfach, aber
immer vergebens, wurden Versuche angestellt, ein Oesophagotom
') Lanelongue 1. c. p. 555. Obgleich in diesem Falle der innere Schlund-
schnitt gar nicht zur Ausführung kam, nahm ich doch denselben in meine Zu-
sammenstellung auf, da er überall als die 4. Oesophagotomia interna von M a i-
s o n n e u V e cilirt wird.
Czcrny, Beiträge zur operativen Chirurgie. 6
32 Dr- Heinrich Braun.
einzuführen, um damit die Strictur zu incidiren. Am 20. Mai wurde
eine mit Mandrin versehene Schlundsonde eingeführt und Bouillon
durch dieselbe eingeschüttet; unmittelbar nachher bekam der Kranke
Angstgefühl, heftige Schmerzen im Rücken, kalte Schweisse, kleinen
Puls und starb am folgenden Tage.
Die Section ergab Emphysem und Flüssigkeit im hinteren
Mediastinum, Perforation des Oesophagus 4 — 5 Ctm. oberhalb der
Gardia.
Beobachtung VI wurde von Dolbeau^) in der Sitzung der
Academie vom 16. März 1870 mitgetheilt. Bei einem jungen Mädchen
hatte sich die Verengerung ausgebildet, nachdem sie sich 18 Monate vor-
her mit Schwefelsäure hatte tödten wollen. Zuletzt konnte nur Milch
und Bouillon geschluckt werden; 8 Tage wurde vergebens versucht,
durch Katheterismus die Strictur zu erweitern; Dolbeau konnte nur
die kleinste Olive der Charriere' sehen rosenkranzförmigen Sonde ein-
führen und auf 5 — 6 Mm. erweitern. Da die Sonde immer nur mit
Mühe aus der verengerten Stelle herausgezogen werden konnte , so
wurde die Incision mit einem von Robert und Gollin nach Dolbeau's
Angaben gefertigten Oesophagotom ausgeführt, ohne dass dabei
Schmerz entstand oder ein Tropfen Blut floss. Die Dilatation konnte
bald auf 1 Ctm. gebracht werden.
Beobachtung VII. Dolbeau hatte dann im Jahre 1869
zum 2. Male Gelegenheit im Hospital Beaujon eine Oesophagotomia
interna auszuführen bei einer Patientin, die 2 Jahre vorher Sch^vefel-
säure geschluckt hatte. Nachdem hier ebenfalls die Strictur bis auf
5 oder 6 Mm. erweitert war, gelang es nicht mehr, mit der Dilatation
vorwärts zu kommen, es würde die Incision auch hier ohne Schmerz
und Blutung gemacht. Nachdem die Verengerung bis auf 1 Gtm.
erweitert war, wurde die Kranke mit der Weisung entlassen, sich
täglich noch zu sondiren.
Beobachtung VIII. T r e 1 a 1 2) theilte diesen Fall in der
') Dolbeau: Gazette des höpitaux 1870. p. 159.
*) Tr61at, M. : Sur l'oesophagotomie interne dans les retrecissements
cicatriciels de Toesophage Bullet, gener. de therapeut. med. et chirurg. 1870,
Tome 78 p. 252, dann Gazette des höpitaux 1870 |). 115 (in beiden Abband-
Beiträge zur Chirurgie des Schlundrohrs. g3
Sitzung der Academie vom 8. März 1870 mit, es handelte sich um
einen 31 Jahre alten Mann, der Ende Oktober 1869 aufgenommen
wurde. Er hatte am 26. Mai 1867 ein Glas verdünnter Salpetersäure
(verre d'eau seconde) getrunken, worauf sogleich lästige Schmerzen
und Erbrechen von schwarzer Flüssigkeit und reinem Blute folgte.
Feste Speisen konnten wochenlang nicht geschluckt werden. Im
Oktober 1867 kam Patient zu Verneuil, wurde 8 Monate lang mit
Sonden behandelt und verliess dann in guter Gesundheit das Kranken-
haus. Einige Zeit sondirte er sich selbst zu Hause, unterliess es
dann aber bald. Im Juli 1869 kam er wieder nach dem Hospital.
Man fand eine Strictur am untern Ende des Oesophagus von etwa
8 Mm. Durchmesser. Anfangs wurden mit der Dilatation Fortschritte
gemacht, später aber nicht mehr, so dass sich Trelat entschloss,
die innere Oesophagotomie auszuführen mit einem Instrumente, das
nach eigener Angabe von Robert und Collin gefertigt war. Am
2. Dezember wurde die erste Incision gemacht, der nur wenig Blut
und Schmerzen in der Höhe des Proc. xiphoideus folgten. Am
6. Tage konnte eine Olive von 9 Mm. und am 7. eine solche von
10 Mm. die verengerte Stelle passiren; von da ab war keine
Besserung mehr zu erreichen. Am 16. December wurde eine zweite
Incision gemacht, der kein unangenehmer Zufall, aber auch keine
wesentliche Besserung folgte; einmal konnte eine Olive von 11 Mm.
Durchmesser eingeführt Averden, dann aber nicht mehr. Am 31. Dec.
wurde desshalb eine 3. Incision, mit 2 Gtm. weit schneidendem Instru-
mente, leicht und ohne Schmerzen ausgeführt. Bald darauf wurde
aber ein Glas Blut ausgeworfen und am nächsten Tag durch Blut
schwarz gefärbter Stuhlgang entleert. Etwas Schmerz hinterblieb
in der Höhe des Processus xiphoideus beim Passiren von Speisen,
besonders von Wein. Am 11. Januar trat, während der Kranke bei
einer Defäcation sich stark anstrengte, eine neue Blutung ein, die
sich am folgenden Tage wiederholte und deren Menge auf 400 Grm.
geschätzt wurde. Schmerzen dauerten fort. Am 17. Januar erfolgte
nochmals eine, allerdings weniger abundante Blutung, beim Versuche
lungen auch Zeichnung und Beschreibung des angewandten Oesophagotoms) und
Bullet, de l'academie imperiale de medicine. 1870. Tome 35 p. 241.
g4 Dr. Heinrich Braun.
ZU schlucken heftige HustenbewegungeU; wodurch die Speisen wieder
ausgestossen wurden; Zeichen von Oesophagitis. Bis zum 15. Februar
werden die Sondirungen ausgesetzt, dann wieder zuerst eine Sonde von
11, dann von 12 Ctm. eingeführt, die man deuthch über eine etwa
3 Ctm. lange Rauhigkeit hingleiten fühlte. Vom 28. Februar an
regurgitirten weder Speisen noch Schleim. Am 25. März wurde con-
statirt, dass noch eine Olive von 13 Mm. Durchmesser passirte.
Beobachtung IX. T i 1 1 a u x ^) heilte durch die innere
Oesophagotomie einen 48 Jahre alten Sattler, der am 15. Okt. 1872
im Hospital St. Louis aufgenommen wurde. Er hatte 10 Jahre
zuvor statt Branntwein eine ihm nicht näher bekannte kaustische
Flüssigkeit geschluckt. Ausser Brennen hinter dem Sternum folgte
anfangs keine Reaction, aber allmählig bildete sich seit jener Zeit
eine Dysphagie aus, die manchmal jedes Schlingen unmöglich machte.
Zuletzt konnte nur noch Flüssigkeit geschluckt werden, so dass
Patient schwach wurde und bedeutend abmagerte. Die Verengerung
sass am Uebergang des Pharynx in den Oesophagus und liess nur
die kleinste Olive passiren. Bis zum 5. November wurden die
Dilatationsversuche fortgesetzt, dann aber als erfolglos aufgegeben
und an diesem Tage der innere Schlundschnitt mit dem Oesopha-
gotom von Trelat ausgeführt. Derselbe verursachte kaum etwas
Schmerz und war nur von einigen Blutstreifchen gefolgt. Nach
einigen Tagen konnten feste Speisen genommen werden. Am
3. December wurde der Kranke geheilt entlassen, mit dem Auftrage,
sich manchmal noch einen Katheter einzuführen.
Beobachtung X. Studsgaard's 2) Beobachtung bezieht sich
auf ein 8 jähriges Mädchen, das 3 Jahre früher eine Mischung von
Kalk und Pottasche geschluckt und in Folge davon mehrere cica-
tricielle Stricturen erlitten hatte, von denen die tiefste in der Nähe
der Cardia, 21 Ctm. von den Schneidezähnen entfernt lag und eine
Sonde Nr. 10—11 der Gharriere'schen Scala passiren liess. Am
*) Ti 1 1 a u X : Contribution k Thistoire de Toesophagotomie interne. Bullet.
g6n6ral. de thf;rapeut. nned. et Chirurgie. 1873. Tome 84. p. 14.
*) S t u d s g a a r d , C: Oesophagotomie int. ved. cicatriciel Stricture. Hosp.
Tid. 16. März S. 17.S, mir bekannt geworden durch Canstatt's Jahresbericht 1873.
IL S. 487. und 1875, Vol. II, Ahth. 2, S. 297.
Beiträge zur Chirurgie des Schlundrohrs, 35
16. September 1873 wurde die Oesophagotomia interna mit einem
durch Nyrop jun. construirten anterograden Oesopliagotom ausge-
führt; es folgte ihr am ersten Tage manchmal Athembeschwerden,
vielleicht in Folge einer Verletzung von Vaguszweigen. Drei Wochen
nach der Incision wurde die Kranke entlassen. Trotz der Einfüh-
rung von Bougies nahm später die Narbencontraction wieder über-
hand, so dass am 5. Juni 1874 mit demselben Instrumente ohne
irgend welchen schlimmen Zwischenfall die Oesophagotomie wieder-
holt wurde ; es konnten darauf Bougies, die 2 Mm. mehr im Umfang
hatten als Nr. 28, eingeführt werden.
Schlitz^) theilte in der Sitzung des Vereins der Aerzte des
Regierungsbezirkes* Köln vom 12. December 1876 zwei Fälle von
Oesophagotomia interna mit, die er vor einigen Jahren ausgeführt
hatte. Es wurde dazu ein Instrument benutzt, welches einem
von Schlitz selbst angegebenen und gearbeiteten Urethrotom nach-
gebildet ist; leider ist aber letzteres noch nicht veröffentlicht wor-
den, sondern soll erst nach Einführung des deutschen Patentgesetzes
mitgetheilt werden.
Die Beobachtung XI betrifft eine carcinomatöse Oesophagus-
strictar bei einer seit Monaten an Schluckbeschwerden leidenden Frau,
bei der durch Schlitz, da die Sondenbehandlung nichts nützte, der
innere Schlundschnitt zur Ausführung kam, Schmerz uud Blutung waren
dabei unbedeutend. Die Kranke war wieder im Stande Fleisch und
Brod zu schlucken, mit einer dicken Sonde konnte man bis in den
Magen gelangen. Allmählig verengerte sich die Strictur wieder, so
dass nach einigen Wochen die Incision wiederholt werden musste,
sie hatte denselben Erfolg und Verlauf. Im Ganzen wurden die
Ineisionen 5 mal wiederholt ohne Blutung und Schmerz, aber immer
nur mit vorübergehendem Erfolge. Eine schon lange bestehende
Tuberculose machte dem Leben, das bis zuletzt durch die Sonde
erhhlten wurde, schliesslich ein Ende. Section wurde keine ausgeführt.
Beobachtung XII. Der zweite Patient von Schlitz hatte
') Schütz: Gorrespondenzblatt der ärztlichen Vereine in Rheinland,
Westphalen und Lothringen 1877. April Nr. 19. S. 19.
36 Dr. Heinrich Braun.
eine Oesophagusstrictur wahrscheinlich in Folge eines vernarbenden
Geschwüres, das durch Genuss von scharfem Branntwein hervor-
gerufen war, auch hier folgte, als die Sondenbehandlung keine
Fortschritte mehr machte, die Oesophagotomie. Nach der Operation,
die nicht ganz unbedeutenden Schmerz verursachte, konnte eine dicke
Sonde etwas mehr wie einen Zoll tiefer, jedoch nicht in den Magen
eingeführt werden; eine dünne Sonde gelangte hinein und constatirte
eine zweite, tiefer gelegene Strictur. Da Patient nach der Operation
eine 5 Stunden lang andauernde Nachblutung hatte, die weder durch
.Eisenchlorid, noch durch liegenbleibende Sonden gestillt werden konnte,
verweigerte er die Incision der zweiten Strictur. Acht Tage später
trat unter zunehmender Entkräftung der Tod ein. Bei der Section
zeigte sich die Incisionswunde vernarbt, dicht darunter eine enge
den Gardiatheil einnehmende Strictur, durch die ein dünner Bleistift
massig leicht eingeführt werden konnte.
Schlitz bedauert nicht früher die beiden Stricturen erkannt
und in einer Sitzung incidirt zu haben, indem seiner Meinung nach
dieser Fall durch die Operation wäre geheilt worden. —
Sehen wir von der wegen carcinomatöser Strictur vorgenommenen,
günstig verlaufenen Oesophagotomie von Schütz^) ab, so bleiben
11 Fälle, von denen 8 g ehe ilt oder gebessert wurden (M a i s o n-
neuve, Lanelongue, Dolbeau2mal, Trelat, Tillaux,
Studsgaard, Schütz), 3 tödtlich endeten (Maisonneuve
2 mal, Gzerny). Der Tod war zweimal (Maisonneuve) durch
eine akute Poritonitis, die aber in keine direkte Beziehung zu der
im Schlünde vorgenommenen Operation gebracht werden konnte ^), und
nur einmal (Gzerny) durch die vorhergegangene Operation bedingt.
') Der 4. Fall von Maisonneuve (Beobachtung V.) ist aus der Liste
von Fällen der Oesophagotomia interna auszuschliesseu , indem dieselbe nur
versucht, aber nienmals wirklich ausgeführt wurde. .
*) Möglicher Weise war die Peritonitis bei diesen zwei in ganz ähnlicher
Weise letal verlaufenen Fällen der Effect einer durch die dünne Leitsonde des
Oesophagotorns veranlassten Perforation des Magens, die nur wegen ihrer Klein-
heit bei der Section nicht aufgefunden werden konnte. Aber auch in diesem
Falle wäre der Tod nicht der Oesophagotomia interna als solcher, sondern nur
dem dabei angewendeten unzweckmässigen Instrumente zur Last zu legen.
Beiträge zur Chirurgie des Sclilundrohrs. 87
Bei dem 2. Falle von Schütz trat 8 Tage nach der Incision der
Tod ein , er ist jedoch auch nicht auf die Operation zu beziehen,
sondern abhängig von der fortdauernd mangelhaften Ernährung in
Folge einer gleichzeitig vorhandenen tiefer gelegenen Strictur, die
nicht mit in Behandlung genommen worden war. Die durch die Oeso-
phagotomie gesetzte Incisionswunde fand sich bei der Section geheilt.
Bevor man jedoch , auf die nicht ungünstigen Erfolge dieser
Zusammenstellung gestützt, die Oesophagotomia interna als berechtigte
Operationsmethode empfiehlt, müssen doch noch verschiedene Punkte
eine nähere Prüfung erfahren.
Was zunächst die Ausführung der Operation anlangt, so würde
zunächst die Frage zu entscheiden sein, welches Instrument angewendet
werden soll, und wie tief man ohne Gefahr die Incision der Strictur
vornehmen darf. Leider lässt sich bis jetzt aus den mit den verschie-
denen Instrumenten gemachten geringen Erfahrungen noch nicht ab-
leiten, welches Instrument die meiste Empfehlung verdient, welches zu
verwerfen ist. Im Allgemeinen werden jedenfalls am wenigsten Neben-
verletzungen anrichten diejenigen Instrumente, bei denen die Schneide
gedeckt durch die Strictur hindurch geführt und dann durch einen
besonderen Mechanismus auf ein genau zu bestimmendes Maass
hervorgedrückt werden kann. Durch Instrumente, die beim Einführen
von oben nach unten schneiden, wird leichter eine weitergehende Ver-
letzung möglich sein; ohne Leitungssonde dürfte man jedenfalls nie
solche Oesophagotome anwenden.
Um genau angeben zu können, wie tief ohne Gefahr geschnitten
werden darf, muss man die topographisch-anatomische Lage des
Oesophagus, besonders in der Brusthöhle berücksichtigen; eine ganz
bestimmte Antwort wird man jedoch auch dadurch nicht erhalten,
indem die Lagerungsverhältnisse des Schlundes, die Dicke seiner
Wandung durch die vorausgegangenen Verletzungen mit ätzenden
Flüssigkeiten öfters andere werden. Schwierig ist es, so genau die
Lage anzugeben, wie es für Ausführung der Operation nothwendig
wäre; die Lagebeziehungen zu den verschiedenen Avichtigen Organen
der Brusthöhle sind zu wechselnd. Am ehesten wird man nach
der rechten Seite zu tiefer schneiden dürfen. Will man desshalb
88 Dr. Heinrich Braun.
sicher sein vor bedeutenden Nebenverletzungen , so wird man nach
keiner Seite hin tiefe Incisionen machen dürfen, sondern es wird
sicherer und ebenso vortheilhaft sein, mehrere kleine Incisionen nach
verschiedenen Seiten hin auszuführen. Als Nachbehandlung wird
dann der Incision immer eine Bougirung etwa vom 2. oder 3. Tage
an folgen. Vielleicht dürfte es sich empfehlen den Kranken in den
ersten Tagen, bis die Schni'ttwunden ein wenig übernarbt sind, mit
der Schlundsonde zu ernähren, um die Nahrungsmittel von den
Wundflächen möglichst abzuhalten; auf der anderen Seite liegt aber
die Gefahr auch wieder nahe, mit der Sonde Verletzungen des Oeso-
phagus zu machen, wenn man etwa in der Wunde mit der Spitze
des Instrumentes sich fängt. Als üble Ereignisse während und nach
der Operation sind zu erwähnen der Schmerz, die Athem-
beschwerden, die Blutungen und das Emphysem.
Der Schmerz war in allen Fällen, die ohne Narkose operirt
wurden, höchst unbedeutend, so dass dieselbe bei Erwachsenen
wohl überflüssig sein dürfte.
Die Athembeschwerden wurden nur einmal von Studs-
gaard beobachtet; ob sie abhängig waren von Verletzungen der
Verzweigungen des N. vagus, muss als zweifelhaft dahingestellt
bleiben.
Mehr Berücksichtigung verdiefien die Blutungen. Sie können
Folge sein einer Verletzung grösserer benachbarter Gefässstämme oder
der in dem Oesophagus selbst verlaufenden Arterien, die schon zu einer
ganz beträchtlichen Blutung Veranlassung geben können, wie wir in
unserem Falle von Resectio oesophagi ') zu sehen Gelegenheit hatten,
in den meisten Fällen findet man keine Blutung bei Ausführung der
Oesophagotomia interna erwähnt, in einzelnen Fällen blutete es ganz
wenig. Stärkere Blutverluste sind nur erwähnt in dem einen Falle
von Schütz, wo dieselbe 5 Stunden anhielt, dann aber stand
und nicht mehr wiederkehrte und bei dem geheilten Patienten
von Trelat. Zwei Incisionen waren bei diesem Kranken schon
ohne Blutungen ausgeführt worden, erst bei dem drittenmale trat sie
') Vgl. S. 41».
Beilräye zur C.hirui'y' e des Scliluudrolirs. g9
oin, als mit einer Doppelklinge, die 2 Ctm. im Durclimesser hatte,
gesclmitten wurde. Gleich bei der Operation wurde etwa ein Glas
voll Blut und an dem folgenden Tage auch blutiger Stuhl entleert;
am 11. Tage trat nochmals eine Blutung ein, ebenso am 12.; die
damit abgegangene Blutmenge wurde auf 400 Gramm geschätzt;
weniger abundant wiederholte sie sich nochmals am 6. Tage danach.
Sicherlich war in diesem Falle weiter geschnitten als unbedingt
nöthig. Man sollte glauben, wenn man mit Luschka die Weite
des Oesophagus auf 10—12 Mm. und seine überhaupt mögliche
Erweiterungsfähigkeit auf 20—23 Mm. annimmt, dass die Ernährung
des Kranken durch ein Lumen des Oesophagus von 10—11 Mm.
Durchmesser, wie es vor der 3. Incision vorhanden war, hätte voll-
kommen genügend ausgeführt werden können.
Das Emphysem wurde nur in dem hier operirten Falle
beobachtet. Bei seinem Auftreten konnte man zweifelhaft sein, ob
die Luft in das Zellgewebe des Halses gekommen sei allein in Folge
eines die ganze Dicke des Oesophagus durchdringenden Schnittes,
oder einer gleichzeitigen Lungen Verletzung.
Emphysem in Folge von Oesophagusverletzung allein ist mehrfach
beobachtet; so wird z.B. ein durch die Section bewiesenerFall mitgetheilt
aus Demarquay's ^) Klinik. Es handelte sich um einen 5 Jahre alten
Knaben, dem ein Sou beim Schlucken im Halse stecken geblieben war.
Versuche, das Geldstück am Tage nach dem Unfall auszuziehen,
misslangen , aber auch von einer Oesophagotomie wurde wegen
Unsicherheit der Diagnose abgesehen. 4—5 Stunden nach diesen
Extractionsversuchen sah man eine Schwellung des Halses, für die
ein Emphysem als Ursache sich nachweisen Hess. Bei der Section
fand sich am Uebergang des Pharynx in den Oesophagus die hintere
Wand durchbohrt, und ein grosser Abscess, der in die Pleurahöhle
durchgebrochen war.
Auch bei Perforationen des Oesophagus, wie sie manchmal durch
heftiges Erbrechen herbeigeführt werden, kommt Emphysem als ein
^) G r e q u y : Observations de corps etrangers arretes dans loesophage ;
Oesophagotomie; opportunite de cette Operation. Gazette hebdomadaire de med.
et de Chirurgie 1861. p. 700.
90 Dr. Heinrich Braun.
häufiges Symptom vor, häufiger als bei den Perforationen durch
fremde Körper. Bei dem Erbrechen mögen die heftigen Würg-
bewegungen wohl das Eintreiben von Luft in das benachbarte Zell-
gewebe begünstigen ; auch in unserem Falle ist wohl derselbe Mecha-
nismus zu beschuldigen, da einigemale heftiges Erbrechen eintrat,
nachdem das Kind aus seiner Chloroformnarkose erwacht war.
Fremde in der Oesophaguswand steckende Körper werden leichter
die Perforationsöffmmg decken und ein Eindringen von Luft ver-
hindern können ; letztere wird erst dann eindringen, wenn der fremde
Körper ganz in das lose Zellgewebe an der hinteren Fläche des
Oesophagus getreten ist, wie es in dem oben angeführten Falle
von Demarquay wohl in Folge der Extractionsversuche ge-
schehen ist,
Dass aber in unserem Falle das Emphysem wohl auch nur
durch eine einfache Verletzung des Oesophagus entstanden sei,
konnte man vermuthen aus dem Ausbleiben jeglicher entzündhcher
Erscheinungen von Seite der Pleurae oder der Lungen unmittelbar
nach der Operation. Weder pleuritisches Reiben, noch Dämpfung,
noch Bronchialathmen , noch blutiges Sputum war nachweisbar.
Zur Sicherheit wurde aber diese Vermuthung erhoben durch Unter-
suchung des anatomischen Präparates; an der Stelle der deutlich
noch erkennbaren Oesophagusverletzung lag die vollkommen gesunde
und unverletzte Lunge so weit vom Schnitte entfernt, dass sie un-
möglich durch die Schneide des Messers konnte lädirt worden sein.
Die Luft drang durch den nach hinten gelegenen Schnitt in das
hintere Mediastinum, von da in die Höhe und wahrscheinlich um
die Art. thyreoidea inf. nach vorn über die Clavicula und an den
Mm. sternocleidomastoidei in die Höhe ; wahrscheinlich folgend
denselben Spalträumen des Bindegewebes, in denen sich nach den
Untersuchungen von Henke und König die Abscesse der Hals-
wirbelsäule von oben nach unten vertheilen.
Wohl nur die Verletzung der hinteren Wand des Oesophagus
wird zu einem solchen Emphysem Veranlassung bieten, da nach
den andern Seiten zu der Schlund nur durch geringe Bindegewebs-
massen mit den benachbarten Theilen in Verbindung gebracht ist.
Beiträge zur Chirurgie des Schlundrohrs, 9>[
Aus diesen mitgetheilten Beobachtungen und Betrachtungen er-
gibt sich wohl, dass die Oesophagotomia interna trotz möglicher
Nebenverletzungen in der Reihe der Behandlungsmethoden der Narben-
stricturen ihre Berechtigung hat *). Ihre Ausführung wird indiclrt
sein besonders bei tiefgelegenen, nur einen kleinen Abschnitt des
Oesophagus einnehmenden Stricturen, die vom Halse aus nicht mehr
erreichbar sind. Ausführen wird man sie mit einem von unten
nach oben schneidenden Instrumente, dessen Klinge in einer genau
zu bestimmenden Weise verschieden gestellt werden kann, indem
man damit kleine Incisionen nach verschiedenen Seiten hin macht.
Bei tief gelegenen Narbenstricturen, die einen grossen Abschnitt
des Oesophagus einnehmen, bei Stricturen, bei denen die Oesophago-
tomia interna zu keinem genügenden Resultate geführt hat, oder
bei denen absolut keine Sonde, auch nicht in der Narkose mehr
durch den Oesophagus in den Magen eingeführt werden kann, wird
die Gastrotomie am Platze sein.
*) Diese Meinung steht allerdings, wie mir wohl hekannt ist, in direktem
Gegensatze zu den in unseren Lehrbüchern vertretenen Ansichten. Es sagt, um
nur ein Beispiel zu erwähnen , A 1 b e r t in dem neusten Lehrbuche der Chi-
rurgie, 1877, Bd. L S. 601 über diese Operation: „Die innere Oesophagotomie
ist ein Verfahren, welches auch ein der Anatomie vollkommen Unkundiger ver-
werfen müsste. Maisonneuve hatte unter 4 Fällen drei tödtliche Aus-
gänge , den ersten kann ihm die Chirurgie verzeihen, die
anderen nur Gott!" Mit einem solchen bon mot kann man doch wohl
nicht die Frage über die Zulässigkeit oder Verwerflichkeit einer Operations-
methode entscheiden. Warum werden nur diese Fälle von Maisonneuve,
von denen der eine überhaupt keine Oesophagotomia interna ist , allein ange-
führt und der übrigen günstig verlaufenen Fälle keine Erwähnung gethan?
III.
Beiträge zu den Operationen am Magen.
Von
Dr. F. F. Kaiser,
Assistenzarzt an der chirurgischen Klinik in Heidelberg.
Hiezu Tafel I.
Als Carl Theodor Merrem in seiner Inauguraldissertation ^)
J 810 auf einige Thierexperimente gestützt den Vorschlag der Exstir-
pation des carcinomatös entarteten Pylorus machte, wurde derselbe als
kühner Jugendtraum betrachtet, und als Guriosum noch von einigen
Autoren referirt, von der Mehrzahl aber vollständig ignorirt. Die
alte hippokratische Ansicht von der absoluten Tödtlichkeit der Magen-
wunden ") war zwar schon längst durch zahlreiche Beobachtungen
widerlegt, allein die Aerzte jener Zeit waren noch zu sehr in der
Furcht des Peritoneum aufgewachsen, als dass der kühne Vorschlag
Anklang gefunden hätte.
Es fehlten noch die reichen Erfahrungen der letzten Jahrzehnte
über die relative Gefahrlosigkeit der Eröffnung der Bauchhöhle.
Noch waren keine Hunderte von glücklich verlaufenen Ovariotomieen
bekannt. An die Exstirpation von Uterus, Milz und Nieren wagten
sich die Chirurgen jener Zeit kaum heran. Der Magen war noch
wie in der Fabel des Menenius Agrippa das Centrum der Ver-
dauung und für den Chirurgen ein noli me tangere.
Jetzt kaum ein halbes Jahrhundert später ist es ein so er-
fahrener und bedeutender Chirurg wie Billroth, der mit seinen
Schülern Merrem's Vorschlag neuerdings aufnimmt, nachdem er
selbst zum ersten Mal und mit dem besten Erfolge zur Heilung
einer allen andern Heilmethoden hartnäckig Trotz bietenden Magen-
^) Animadversiones quaedam chirurgicae exjierimentis in animalibus factis
illustr. Gissae 1810.
^) Aphorismata, Sect. VI., 18.
96 Dr. F. F. Kaiser.
iistel den Magen direkt in Angriff genommen und durch die Gastror-
rhaphie geschlossen hat. Er schliesst seinen Artikel ^) mit den Wor-
ten: »Es ist von dieser Operation zur Resection eines Stückes
carcinomatös degenerirten Magens nur noch ein kühner Schritt zu
machen, wie ihn jüngst Czerny von der Oesophagotomie zur Resec-
tion eines carcinomatös degenerirten Stückes Oesophagus mit glück-
lichstem Erfolge gemacht hat.«
Die Operationen von Labbe und Verneuil haben neuerdings
ein weit über die chirurgischen Fachkreise hinausgehendes Aufsehen
erregt. In den Kreisen zeitunglesender Laien wird noch das Schick-
sal des jungen Florentiners, der im Januar 1872 eine Gabel ver-
schluckt haben soll, besprochen, zum Theil die Thatsache bezweifelt
und über dessen weiteres Schicksal die verschiedensten Muthmassungen
aufgestellt. Eine Reihe von Aerzten verhält sich diesem Falle gegen-
über ebenso skeptisch, als hätte die Literatur nicht eine Reihe von
solchen Fällen aufzuweisen. Durch diese Facta ist die Frage von
der Zugänglichkeit des Magens für chirurgische Eingriffe wieder in
den Vordergrund gerückt und wird vielfach ventilirt. Auf dem
letzten deutschen Ghirurgencongress wurde sie besprochen. Leider
sind dessen Verhandlungen noch nicht veröffentlicht und es fehlen
auch in allen unsern medicinischen Blättern Referate darüber, indem
die begonnenen Berichte wieder abgebrochen wurden , bevor sie an
unser Thema gelangten.
Gussenbauer und v. Winiwarter 2) haben den Weg des
Thierexperimentes betreten und auf dieses gestützt die Resection
des carcinomatösen Pylorus beim Menschen befürwortet.
Bei dem Studium der einschlägigen Frage fand ich , dass das
zu Grund liegende Material nicht genügend bekannt ist. König 2)
z. ß. erwähnt als bekannt 11 Fälle von Gastrotomie zur Anlegung
von künstlichen Magenfisteln, Verneuil deren 15, und so beschloss
*) Th. Billroth, Zur Diskussion über einige chirurgische Zeit- und Tages-
fragen. Ein Beitrag zu den Opei'ationen am Magen. Gastrorrhaphie. Wiener
med. Wochenschrift Nr. 38. 1877.
2) Die partielle Magenresection, Arch. f. klin. Chir. XIX. Bd„ S, 347.
') K ö n i g , Lehrbuch der spec. Chirurgie. Berlin 1876. Bd. II, S. 90.
Beiträge zu den Operationen am Magen. 97
ich der Mittheilung von eigenen Experimenten über Magenresection
eine Zusammenstellung der bereits am Menschen ausgefülirten Er-
öffnungen des Magens vorauszuschicken.
Was die Bezeichnung der Operationen am Magen betrifft , so
werde ich alle Fälle, in welchen eine bleibende Magenfistel zur künst-
lichen Ernährung angelegt wurde, nach Sedillot's Vorschlag als
Gastrostom ieen bezeichnen. Die Eröffnung des Magens zur Ent-
fernung von Fremdkörpern werde ich als Gastrotomie und die
Exstirpation von Stücken aus dem Magen als Gastrektomie oder
Magenresection anführen. Es ist sehr zu wünschen, dass die Be-
zeichnung Gastrotomie für die Eröffnung der Bauchliöhle zu anderen
Zwecken aufgegeben und dafür der Name Laparotomie resp. Laparo-
enterotomie etc. angewendet wird.
Die Literatur über die Gastrostomieen , nur aus den 3 letzten
Jahrzehnten stammend, lässt sich genau verfolgen und verwerthen,
während die grösstentheils alten Angaben über Gastrotomieen meist
sehr lückenhaft und ungenau sind. Der Vollständigkeit halber werde
ich sie auch anführen.
Die älteren Fälle von Gastrotomie sind schon öfters zusammen-
gestellt worden; Günther i) zählt 6 auf, ebenso viele Sedillot^),
Holmes^) deren 7 und Adelmann*) 9.
Eine Uebersicht über 15 Gastrostomieen findet sich bei Jacobi^);
bei Holmes finden sich 9 und bei Günther deren 5 aufgezählt.
Es folgen nun zunächst die Fälle von Gastrotomie, die ich
auffinden konnte:
') Günther, Lelire von den blutigen Operationen, Leipzig und Heidel-
berg 1860, IV. Abth. 2. Unterabth. S. 26.
2) Sedillot. Gontributions ä la Chirurgie. Paris 1868. Tome II. p.456.
') Holmes, A., System of surgery. London 1870. Vol. II., p. 549.
*) Adelraann, Beiträge zur chirurg. Pathologie und Therapie der Er-
nährungsorgane. Prager Vierteljahrschrift 1863. Bd. 78, S. 47.
*) The New- York Medical Journal. 1874. Vol. XX, p. 142.
Cze^ny, Beiträge zur operativen Chirurgie.
93 Dr. F. F, Kaiser.
I. Fl. Mathis 1602.
Günther, Lehre von den blutigen Operationen, Heidelberg und Leipzig 1860.
IV. Abth., 2. Unterabtheilung. Die Operationen am Bauche. S. 26. J. N. Rust,
Handbuch der Chirurgie. Berhn und Wien 1831. Bd. V. S. 416.
Der Prager Messerschlucker. Ein 36jähriger böhmischer Bauer
Mathäus schluckte beim Vorzeigen von Taschenspielerkünsten ein Messer von
9';2 Zoll Länge. Nach Anwendung von Pflaster etc. habe nach 7 W^ochen die
Spitze angefangen durchzudringen. Auf seine dringenden Bitten hat Florian
Mathis aus Brandenburg am Donnerstag nach Ostern auf dasselbe eingeschnitten
und es herausgeholt. Nach wenig V\''ochen war der Kranke vollständig hergestellt.
II. D. Schwabe 1635.
De Cultivoro Prussiaco a Daniele Beckher o. Regiomonti 1636. J. N. Rust,
a. a. 0. S. 416.
Der Königsberger Messerschlucker. Ein 22jähriger Bauer
Namens Grunheide Avollte sich am 29. Mai 1635 mit dem in den Schlund ein-
geführten Messergriff Erbrechen erregen. Da entglitt das Messer seinen Fingern
und wurde mit Landsberger Bier gar in den Magen gespült. Am 25. Juni
wurde von dem Consilium der Königsberger Facultät und anderer Aerzte die
Ausführung der Gastrotomie beschlossen und diese am 9, Juli von Daniel
Schwabe^) ausgeführt in Gegenwart der Königsberger medicinischen Fa-
cultät und der Studirenden. Nach Anrufung von Gottes Segen und Beistand
wurde der Patient auf ein Brett gebunden und die Einschnittslinie mit Kohle
vorgezeichnet. 2 Querfinger breit links von der linea alba wurde unter den
falschen Rippen ein Längsschnitt durch Haut, Muskeln und Bauchfell gemacht.
Der Magen sank etwas ein und wich vor den eingeführten Fingern zurück. Er
wurde mit einem spitzen Hacken vorgezogen ; das Messer wurde sogleich ent-
deckt nach oben gezogen und über demselben der Magen etwas eingeschnitten
und das Messer unter dem Beifall der Umstehenden herausgezogen, worauf die
Wunde des Magens sofort zusammensank. Die Bauch wunde wurde gereinigt vRiä
mit 5 Nähten geschlossen ; in die Zwischenräume wurde warmer Balsam ge-
träufelt und Kataplasmen auf die Wunde gelegt.
Am 10, und 11. wurden je 2 Nähte entfernt. An den ersten Tagen war
der Urin blutig; der erste Stuhlgang war schwarz gefärbt. Bis zum 14. Tage
nach der Operation wurde strfjnge Diät beobachtet. Dann war der Kranke voll-
ständig geheilt.
Der von Poland^) citirte Fall von Shoval's Onkel scheint mit dem
eben angegebenen Fall identisch zu sein.
Auch Holmes zählt diesen Fall 2 mal, einmal wird er unter dem Namen
Shoval, das zweitemal als Fall von Schwaben angeführt, wenn auch mit
einigen Abweichungen.
') In Froriep's Notizen, Erfurt 1825, Bd. IX, S. 14, wird der Operateur
Shoval genannt.
*) Guy's Hospital Reports. III. Series. Vol. IX. p. 300.
Beiträge zu den Operationen am Magen. oa
III. Wisener (?). 1692.
J. N. Rust, Handbuch der Chirurgie, Bd. V, S. 417. Ephemeridum n a-
turae curiosorum Decur. II. Ann. X. p. 1 und 419. Norimbergae 1692.
Am 3. Januar 1691 brachte sich ein 16jähriger Bauernknabe, Namens Rud-
luff ein Messer, das er aus einer Bank ausziehen wollte und mit den Zähnen
gefasst hatte , beim Spielen in den Rachen. Die Gespielen vermochten es nicht
auszuziehen und beförderten es mit Bier und Oel, das sie dem Patienten gaben,
ganz in den Magen. Da die Beschwerden nicht besonders gross waren, sah
Dr. W i s e n e r, kursächsischer Physikus, von einer Operation ab. Etwa 3 Finger-
breit unter der Herzgrube entstand eine Yorwölbung, die, als sie reif geworden
war, am 11. August (aus dem Text ist nicht mit Bestimmtheit ersichthch, ob
desselben oder des folgenden Jahres) mit einer Lancette eröffnet wurde. Mit
dem Eiter kam auch die Spitze des Messers zum Vorschein; letztere wurde an-
gebunden, die Wunde etwas erweitert, das stark verrostete und zerfressene
Messer ausgezogen. Vollkommene Heilung stand in Aussicht.
IV. Hübner 1720.
Günther, a. a. 0., S. 26.
Eine Frau wollte 1720 dadurch Brechen erregen, dass sie den Stiel eines
7 Zoll langen Messers in den Schlund brachte. Es entschlüpfte ihren Fingern und
glitt in den Magen, wo es drei Tage blieb, ohne Schmerz zu verursachen. Dann
aber empfand die Kranke einen stechenden Schmerz und kurze Zeit darauf konnte
man die Messerspitze in der hnken Seite fühlen. Dr. Hübner machte am 11.
Tag einen Einschnitt in dem linken Hypochondrium auf das Messer, an einer
Stelle, an welcher sich leichte Eiterung zeigte, da die Messerspitze die Magen-
wandung bereits durchstochen hatte. Es wurde mit einer kleinen Zange entfernt.
Die Kranke genas in kurzer Zeit.
V. Fritz ak 1786.
Larrey, Medicin.-chirurg. Denkwürdigkeiten. Leipzig 1813. Bd. I. S. 480.
»Ich erinnere mich jedoch, dass als ich noch ein Schüler des F r i t z a k,
eines der geschicktesten Wundärzte in Toulouse war, ich ihn bei einem Last-
träger emen Einschnitt in's Epigastrium, mit der weissen Linie parallel, machen
sah, wodurch er die Spitze der Klinge eines Messers fühlte, das bereits die
Wände des Magens durchbohrt hatte. Er fasste sie mit einer Pincette, erweiterte
die Oeffnung mit einem gekrümmten Bistouri und erhielt augenblicklich dieses
Messerstück, das ungefähr 2 Zoll Länge hatte. Er machte nun 2 sogenannte
verlorene Hefte in die Magenlefzen und eine Zapfennaht in die Unterleibswunde.
Der Kranke genas. Den 3. Tag war die Heilung, wahrscheinlich durch Adhäsion
an das Bauchfell und die Vereinigung bewirkt.«
VL Cayroche 1819.
SediUot, Contributions ä la Chirurgie, Paris 1868. Vol. II. p. 457. Rust's
Magazin Bd. VHI. S. 124.
Eine 24jährige Frau suchte den 18. Sept. 1818 dadurch Erbrechen zu er-
regen, dass sie den Stiel einer silbernen Gabel in den Schlund brachte, wobei
100 Dr. F. F. Kaiser.
ihr derselbe entschlüpfte. Man konnte die Gabel deutlich im Magen fühlen.
Der Stiel lag in der rechten Seite des Epigastrium 2 Querfinger über und seitlich
vom Nabel , die Spitzen lagen links. Im 5. Monat erbrach Patientin nach einer
Indigestion, wobei die Gabel ihre Lage veränderte. Von da an heftige Schmerzen.
Am Ende des 6. Monats trat noch einmal Erbrechen ein und es entstand
in wenigen Tagen eine stark vorspringende hühnereigrosse Geschwulst, in welcher
die Gabelzinken zu fühlen waren. Die Haut nicht geröthet. Am 1. Mai 1819
machte Dr. Gayroche die Operation. 2 Zoll langer, von oben nach unten
verlaufen'Jer Schnitt über die Convexität der Geschwulst durch die Fasern des
linken geraden Bauchmuskels. 2 Gefässligaturen. Nachdem er sich vom Bestehen
von Adhäsionen des Magens mit dem Peritoneum der Bauchwand überzeugt hatte,
wurde die Gabel vorgedrängt und der Magen eröffnet. Die Zinken der Gabel
wurden durch mehrere kleine Einschnitte frei gemacht und dann die 7 Zoll lange
Gabel leicht extrahirt.
Keine Blutung. Charpieverband. Nach der Operation ein Aderlass, der am
nächsten Tage wiederholt wurde. Etwas Wundfieber, Klystiere von Fleischbrühe.
Am Abend des 3. hörte der Ausfluss aus der Wunde auf. Am 6. nimmt
Patientin feste Nahrung zu sich. Den 20. Mai ist die Wunde vollständig vernarbt.
► VII. Reynaud vor 1822.
F r 0 r i e p ' s Notizen 1822. Th. II. S. 223, A d e 1 m a n n , Beiträge zur chirurg.
Pathologie und Therapie der Ernährungsorgane. Viertel] ahrschrift für
die praktische Heilkunde. Prag 1876. Bd. 131, S. 78.
Ein, Taschenspieler Lajarisse verschluckte eine Gabel während seiner
Produktionen. Diese gelangte in den Magen, wo sie 31 Tage verblieb. Die
Operation wurde von Dr. Reynaud in dem Hospital zu Romans, an der rechten
Seite des Unterleibs, wo man den Fremdkörper fühlte, ausgeführt und hatte
einen glücklichen Erfolg. Der Operirte lebte im Jahre 1875 noch.
VIII. Dr. L. 1823.
Sedillot, a. a. 0. S. 456.
Ein Cavallerist, der seit einigen Wochen Magenschmerzen hatte, bekam
im Jahr 1823 eine Geschwulst im Epigastrium, welche allmähhg weicher wurde.
Dr. L. machte eine Explorativpunction und kam dabei auf einen harten,
resonirenden Körper. Nach Erweiterung des Schnittes, um einen Finger einzu-
führen, fasste der Operateur mit einer Pincette den Fremdkörper und zog ihn
ohne Mühe aus. Es war ein silberner Kaffeelöffel, welchen der Soldat vor einigen
Wochen gestohlen und bei einer unerwarteten Visitation auf diese Weise ver-
borgen hatte. Die Magenwand überall mit der Bauchwand fest verwachsen.
Einfacher Verband. Rasche und vollständige Heilung.
IX. Fedeli 1835.
Medicinisch- chirurgische Zeitung, fortgesetzt durch Job. Nep. Erhart, Edeln
von Ehrhartstein. III. Bd. 1836. S. 142. Merkwürdige Krankengeschichte,
mitgetheilt von Dr. F. Fedeli, Gemeindephysikus in Riva am Gardasee.
Eine 50jährige Frau, Domenica Borselti Chiacarini, früher hysterisch,
wurde nach dem Tode ihres Sohnes wahnsinnig und machte einen Selbstmord-
Beiträge zu den Operationen am Magen. 101
versuch, indem sie eine Handvoll Glasscherben und 2 Nägel und später erst
das Heft einer Essgabel und dann die 10 Ctm. lange Gabel selbst verschluckte.
Heftige Schmerzen bis zur Entfernung des Fremdkörpers, so oft sie Speise
und Trank zu sich nahm. Vor 15 Monaten entstand im rechten Hypochon-
drium eine Geschwulst, die mit erweichenden Umschlägen behandelt wurde;
nach 2 Monaten entleerte sich eine grosse Menge Eiter durch den Mund und
1 Monat später öffnete sich der Abscess auch nach aussen. Die Geschwulst
schloss sich wieder und brach noch 2mal auf. Das letztemal kam das in das
Heft gehörige spitze Gabelende in der Abscessöffnung zum Vorschein. 11 Monate
blieb der Zustand nahezu unverändert ; dann entscbloss sich Patientin nach einer
Vision zur Operation. Auf der Hohlsonde wurde die Fistel erweitert (1835) und
die Gabel mit leichter Mühe ausgezogen. Geringe Blutung. 30 Stunden lang lloss
die Nahrung, die Patientin zu sich nahm, durch die Wunde ab.
Nach 14 Tagen war die Wunde vollständig geheilt.
X. Tilanus 1848.
Adelmann, Prager Vierteljahrschrift, Bd. 131, S. 80.
Ein geisteskrankes, 32jähriges Mädchen, das schon 2 Selbstmordversuche
gemacht hatte, schluckte am 14. Januar 1848 eine silberne Essgabel. Mit der
Schlundsonde fühlte man die Gabel im Magen der Patientin. Die Manualunter-
suchung der Bauchdecken ergab am äusseren Rande des linksseitigen geraden
Bauchmuskels eine längliche Härte in verticaler Richtung. Am dritten Tage
wurde das Schlingen sehr schmerzhaft.
Am 17. Januar wurde in der Aethernarkose von Professor Tilanus die
Gastrotomie ausgeführt. Bauchschnitt in der linea alba 3 Ctm. unterhalb des
Schwertfortsatzes, 8 Ctm. lang. Der linke Leberlappen im oberen, Därme im
unteren Theil der Wunde. Mit Zeige- und Mittelfinger wurde der Magen unter
dem hnken Wundrande erkannt, sanft in die Bauch wunde vorgezogen, mit Pin-
cetten fixirt und schliesslich die vordere Wand angestochen und die Oeffnung mit
der Scheere auf 21/2 Ctm. erweitert. Ziemlich starke Blutung aus der vorquellenden
Schleimhaut. Die 21 Ctm. lange Gabel wurde links von der Wirbelsäule gefunden
und ausgezogen. Darauf wurde noch ein 2 Ctm. langes Thonstück aus dem Fundus
mit der Polypenzange ausgezogen. Die Magenwunde wurde mit 5 Lembert'schen
Darmnähten geschlossen und die Fäden zum unteren Wundwinkel herausgeleitet;
die Wunde der Bauchdecken wurde durch einfache Naht geschlossen und mit
Heftpflaster bedeckt. Am 17. und 18. bisweilen Erbrechen gelbgrüner Flüssig-
keit, Unterleib etwas schmerzhaft. Am 19. Morgens 7V2 Uhr starb Patientin.
Die 30 Stunden nach dem Tode ausgeführte S e c t i 0 n ergab : Plastisches Ex-
sudat in der Umgehung der Wunde, Verlöthung der Bauchwand mit der Leber.
Die Magenwunde vollständig von dem Fibrinbelag bedeckt und geschlossen. Der
Magen füllt allein fast die ganze Unterleibshöhle aus. Die Operationswunde im
oberen Drittel gleich weit von der grossen und kleinen Gurvatur entfernt. Gulden-
grosser rother Fleck in der Schleimhaut da, wo der Griff der Gabel gelegen
hatte. Die Wundränder der Schleimhaut runzelig geschwellt. Das obere Dritt-
theil des Oesophagus ist bedeutend verwundet und in der Nähe des Larynx per-
forirt; Eitergang bis neben die Schilddrüse,
j^02 Dr. F. F. Kaiser.
XI. Bell 1855.
The american Journal of the medical sciences, 1855, July, p. 272.
Dr. Bell von Walpello, Iowa, wurde an Weihnaclit 1854 zu einem Mann
gerufen, der eben ein Bleistück, mit dem er Gauklerkunststücke machte, ge-
schluckt haben sollte. Der Mann hatte keine Beschwerden.
Eine genaue Untersuchung am 1. Januar 1855 ergab ein negatives Besultat.
Am nächsten Tag Erbrechen und Prostration. Am 3. Januar Gastrotomie in der
Chloroformnarkose. Schnitt von der Spitze der zweiten falschen Rippe zum Nabel.
Die eingeführte Hand fühlte den, den Bleibarren enthaltenden Magen.
Der Barren lag von rechts nach links. Das obere Ende rechts von der Cardia
an die Magenwand gestützt, das untere Ende an der grossen Curvatur links und
unterhalb vom Pylorus. Bell fasste das untere Ende, zog es auf- und rück-
wärts, schnitt unter Leitung des eingeführten Zeigefingers den Magen auf dem-
selben ein parallel seinen Muskelzügen. Das 10^8 Zoll lange, QVz Unzen schwere
Bieistück wurde mit einer Zange ausgezogen.
Die Operation dauerte 20 Minuten und wurde verzögert durch die Repo-
sition vorgefallener Eingeweide. Die äussere Wunde wurde mit Knopfnähten und
Heftpflasterstreifen geschlossen.
Die Nachbehandlung bestand in Morphiuminjectionen , 2 Venäsectionen
und einzelnen Klystieren. Am 8. war die äussere Wunde geheilt und am 17.
ging Patient weit umher.
XII. Glück 1856.
Günther a. a. 0. S. 27.
Ein Katheter, welcher zu Einspritzungen in die Trachea benutzt werden
sollte, gerieth durch den Oesophagus in den Magen. Gastrotomie. Tod.
Nähere Angaben fehlen. Keine Quelle angegeben.
XIII. Labbe 1876.
Gazette medicale'de Paris 1876, 29. Avril, p. 214.
Am 30. März 1874 verschluckte ein ISjähriger Commis, Namens Lausseur,
bei der Ausführung von Taschenspielerkunststücken eine Gabel. Der Versuch,
dieselbe noch aus dem Pharynx auszuziehen, misslang. In den ersten sechs
Monaten hatte der Patient wenig Beschwerden. Von da an wechselte sein Be-
finden häufig. Eine Untersuchung gegen Ende von 1875 ergab, dass die Spitzen
der Gabel fest in der Magenwand sassen. Vor der blutigen Operation wollte man
durch Anwendung von Aetzmitteln Adhäsionen zwischen Bauchwand und Magen
herbeizuführen suchen. Trotz vielfacher Anwendung von Wiener Aetzpaste und
Canquoin'scher Paste entstanden keine Adhäsionen. Zuerst ätzte er an der Stelle,
wo die Gabelspitzen bisweilen gefühlt werden konnten. Dann liess er die Stelle
vernarben und wählte eine neue Stelle für Aetzungen.
Endlich am 9. April 1876 wurde von Dr. Leon Labbe die Gastrotomie
gemacht. Bauchschnitt 1 Ctm. einwärts von den linken falschen Rippen und
parallel mit denselben , 4 Ctm. lang , dessen unteres FJnde die Verbindungslinie
der Knorpel der 9. Rippen erreichte. Lage für Lage wurde durchtrennt; zwischen
Magen und Bauchwand keine Adhäsionen. Der Magen wurde mit einer Hacken-
Beiträge zu den Operationen am Magen. j^Qg
pincette stark vorgezogen und vor der Eröffnung mit 8 starken Nähten an die
Bauchwunde fixirt und dann eröffnet. Die Gabel wurde unter Führung eines
Fingers mit einer Polypenzange gefasst, aus den umgebenden fungösen Wuche-
rungen mobil gemacht und ausgezogen.
Es wurde auf den Bauch ein Collodiumpanzer angelegt. Vom fünften Tage
an erhielt der Patient feste Nahrung. Am 24. April war nur noch eine kleine
Magenflstel übrig.
Schliesslich sind noch zwei Fälle anzuführen, bei denen aber alle Details
fehlen :
XIV.
Adelmann citirt, Prager Vierteljahrschrifl, Bd. 131, S. 78, als Fall VII.
einen Fall, in welchem Bouchet in Lyon einer Frau einen silbernen Löffel
aus dem Magen durch Gastrotomie entfernt haben soll.
XV.
Sedillot berichtet a. a. 0. S. 463, dass vor beiläufig 12 Jahren ein junger
Mediciner sich in Montpellier immatriculiren Hess, bei dem früher eine Gabel
aus dem Magen ausgeschnitten worden sein soll; zur Bekräftigung seiner Er-
zählung \vies derselbe die Narbe in der Magengegend vor.
Sedillot verdankt die Nachricht darüber dem Dr. Bouisson.
Die beiden letzten Fälle nehme ich nicht mit in die Tabelle auf, da im
ersten Falle nicht einmal das Resultat der Operation angegeben ist und auch im
zweiten Fall die Nachricht nur auf Angaben des Patienten beruhen.
104
Dr. F. F. Kaiser.
I. Zusammenstellung der Gastrotomieen.
6
Operateur
Patient
Fremd-
körper
Ausge-
schnitten
nach
Erfolg
Be-
merkungen.
1
1602
Florian
Mathis
aus Bran-
denburg
36 jähriger
Mann
9\'2"
langes
Messer
7 Wochen
Heilung
nach
wenig
Wochen
—
2
1635
Daniel
Schwabe
V. Königs-
berg
22jähriger
Mann
5y
langes
Messer
41 Tagen
Heilung in
14 Tagen
Magen nicht
adhärent.
3
1692
Wisener?
von Halle .
16 jähriger
Knabe
Messer im
Magen
7 Monate?
Heilung in
Aussicht
Abscess im
Epigastrium.
4
1720
Hübner v.
Rasten-
burg
Frau
7" langes
Messer
11 Tagen
Heilung
rasch
Magenwand
bereits per-
forirt.
5
6
1786
•p
1819
Fritzak
in
Toulouse
Cayroche
in Mendes
Last-
träger
24jähriö'e
Frau
2" lange
Messer-
klinge
Silberne
Gabel
229 Tagen
Heilung
nach
5 Tagen
Heilung in
20 Tagen
Magenwand
etwas durch-
bohrt,
2 Magennähte.
Magen
adhärent.
7
vor
1822
Reynaud
von
Grenoble
Junger
Mann
Gabel
31 Tagen
Heilung
—
8
1823
Dr. L.
Soldat
Silberner
Kaffee-
löffel
einigen
Wochen
Heilung
Magen fest-
verwachsen.
9
1835
Fedeli
in Riva
50jährige
Frau
Gabel
10 Ctm.
lang
ca. 2^2
Jahren
Heilung in
14 Tagen
Abscess.
10
1848
Tilanus
von
Amster-
dam
32jähriges
Mädchen
Silberne
Essgabel
3 Tagen
Tod nach
2 Tagen
Keine
Adhäsionen;
isolirte Naht
des Magens.
11
1855
Bell
von
Walpello
Mann
10 Vs"
lang. Blei-
stück von
9'/2 Unzen
Gewicht
11 Tagen
Heilung in
5 Tagen
Magen nicht
adhärent.
12
1856
Glück
—
Katheter
—
Tod
13
1876
Leon
Labbe
in Paris
20jähriger
Mann
Gabel
2 Jahren
und
10 Tagen
Heilung
Magen nicht
adhärent.
Beiträge zu den Operationen am Magen. 105
Die Zusammenstellung ergiebt 13 Fälle, in welchen die Gastro-
tomie wegen Fremdkörpern ausgeführt worden ist.
Je 5mal gaben verschluckte Messer, resp. Gabeln Anlass zur
Operation, Imal ein Löflel, Imal ein Bleistück und Imal ein
Katheter.
Der Zeitraum vom Verschlucken derselben bis zur Entfernung
durch die Operation wechselt von 3 Tagen bis zu 2^2 Jahren.
Das Resultat ist in 11 Fällen Heilung und nur in 2 Fällen
erfolgte ein ungünstiger Ausgang. In dem ersten Fall ist der Tod
wohl die Folge der umschriebenen Peritonitis. Woran der Patient
Glück's starb, lässt sich bei dem Mangel aller näheren Angaben
nicht beurtheilen.
Wie aus den Krankengeschichten hervorgeht, haben wir es
offenbar mit Fällen von sehr verschiedener Dignität zu thun, denn
wenn die Magenwand an der Bauchwand adhärent ist, oder der
Fremdkörper dieselbe schon perforirt und zu einem Abscess Veran-
lassung gegeben hat, so ist einerseits die Operation viel leichter aus-
zuführen, andererseits deren Gefahren viel geringer, besonders der
Austritt von Mageninhalt in die Bauchhöhle nicht zu befürchten.
Je länger der Fremdkörper im Magen verweilt und je voluminöser
er ist, je näher er sich der vorderen Magenwand anlegt, also auch
je deutlicher er zu fühlen ist, um so wahrscheinlicher erscheint es,
dass sich Adhäsionen zwischen Magen- und Bauchwand gebildet
haben. So war es auch in Fall 6, wo nach 229 Tagen die Gastro-
tomie gemacht und der Magen adhärent gefunden wurde. Im vier-
ten Fall war bereits nach 11 Tagen die Magenwand vom ver-
schluckten Messer perforirt und im Fall 8 nach einigen Wochen
sehr solide Verwachsungen des Magens mit den Bauchdecken ein-
getreten. Andererseits beweist der Fall von Labbe (13), dass
auch nach 2 Jahren und trotz Anwendung von Aetzmitteln auf die
Bauchdecken die Adhäsionen fehlen können.
Es sind Fälle genug bekannt, in welchen grosse verschluckte
Gegenstände auf dem natürlichen Wege durch den Darmkanal wieder
aus dem Körper herausbefördert, oder lange Zeit ohne gefährliche
Symptome zu erregen im Magen ertragen wurden. iMan darf des-
106 Dl". F. F. Kaiser.
halb keineswegs gleich, nachdem ein ungewöhnlicher Fremdkörper
verschluckt worden ist, an die Operation gehen. Erst wenn derselbe
auf dem natürlichen Wege nicht eliminirt wird und wenn durch
denselben erhebliche Beschwerden verursacht werden, ist man zum
operativen Eingriff berechtigt. Ebenso wenn in der Magengegend
sich eine Vorwölbung zu bilden beginnt oder gar schon Fluktuation
zu fühlen ist. In den letzteren Fällen sind wohl stets Adhäsionen
zwischen Bauchwand und Magen vorhanden und der operative Ein-
griff einerseits ungefährlich, und andererseits doch im Stande, den
Eliminationsprozess wesentlich abzukürzen und den Patienten viel
früher von seinen Beschwerden zu befreien.
In den Fällen, wo eine Vorwölbung der Magengegend oder ein
Abscess der Bauchdecken vorhanden ist, wird man über den Ort
der Operationsstelle nicht im Zweifel sein. Man wird sich nur hüten
müssen, den Einschnitt weiter zu machen, als absolut nothwendig
ist, um dem Fremdkörper Ausgang zu verschaffen, um nicht über
den Bereich der vorhandenen Adhäsionen hinauszukommen.
Fühlt man den Fremdkörper durch die Bauchdecken und kann
man ihn sich entgegendrücken, so ist der Ort für den Einschnitt
ebenfalls gegeben.
Günther kritisirt eine Reihe der von verschiedenen Autoren
gemachten Vorschläge zur Ausführung der Gastrotomie und räth
seinerseits den Magen folgendermassen aufzusuchen: Man macht
einen Schnitt in der linea alba, welcher vom processus xiphoideus
anfängt und 1^2 Zoll, unter Umständen weiter herabgeführt wird
und dann einen zweiten nach links, welcher parallel der unteren
Rippe läuft durch den musculus rectus. Ferner räth er den Magen
nach Entfernung des fremden Körpers durch mehrere aneinander-
liegende Nähte an die Bauchwand zu befestigen und er zieht dieses
Verfahren der isolirten Naht der Magen- und Bauchwunde vor.
Labbe's Argimientation ist folgende: Der Magen ist für
chirurgische Eingriffe an seiner Vorderwand zugänglich in einem
Dreiecke mit nach unten gerichteter Basis, dessen Seiten gebildet
werden durch den Rand des linken Leberlappens und durch den
linken Rippenbogen. Die Basis entspricht der grossen Gurvatur.
Beiträge zu den Operationen am Magen. j^QY
Nach zahlreichen Untersuchungen am Cadaver steht die grosse
Curvatur nie höher als die Verbindungslinie der Basis der Knorpel
der beiden neunten Rippen. Man mache also 1 Gtm. einwärts
von den linken falschen Rippen und mit denselben parallel einen
Einschnitt von 4 Ctm. Länge, dessen unteres Ende die Verbindungs-
linie der Knorpel der neunten Rippen erreicht. Dabei werden die
Fasern des musculus rectus abdominis geschont. So trifft man auf
die Vorderfläche des Magens an dem Uebergang von Pylorus- und
Fundustheil.
Der Schnitt in der weissen Linie, wie er von Tilanus (Fall 10)
geführt wurde, erwies sich nicht als besonders günstig. Im oberen
Theil der Wunde erschien die Leber, im unteren Darm und der
Magen musste erst unter dem linken Wundrande aus der Tiefe
herausgezogen werden trotz oder vielleicht wegen seiner ungewöhn-
lichen Grösse.
Hat man vollständig die freie Wahl der Incisionsstelle , so ist
nach den unten bei der Gastrostomie zu gebenden Regeln vorzugehen,
weshalb ich, um Wiederholungen zu vermeiden, auf den nächsten
Abschnitt verweise.
Ist der Magen glücklich blosgelegt und nicht adhärent, so muss
er durch einige durchgeführte Fadenschlingen fixirt, vorgezogen und
erst dann eröffnet werden. Nach der Entfernung des Fremdkörpers
wurde in den citirten Fällen verschieden vorgegangen.
Schwabe (2) hat offenbar die Magen wunde nicht genäht,
denn sonst hätte Beckher us in seinem sorgfältigen Bericht darüber
nicht versäumt es zu erwähnen und einige Positiones über die
Zweckmässigkeit dieses Verfahrens hinzuzufügen. Auch bin ich ge-
neigt in diesem Falle entgegen Günther den Passus: licet ventriculus
alicjuo modo subsideret, digitorumque apices fugiendo non ita statim
apprehensionem admitteret etc. als Beweis für das Fehlen von Ad-
häsionen zwischen Magen- und Bauchwand aufzufassen.
Larrey berichtet, dass in Fall 5 zwei verlorene Hefte in die
Magenwand gelegt wurden.
Tilanus schloss die Magenwunde mit Lembert 'sehen
Darmnähten und leitete die Fäden zum unteren Wundwinkel heraus.
108 Dr- F. F. Kaiser.
Bell, der den Magen unter Leitung des Zeigefingers, wie es
scheint, ohne denselben zu Gesicht bekommen zu haben, eröffnete,
überliess die Magenwunde mit gutem Erfolg ihrem Schicksal.
Labbe endlich fixirte den Magen vor der Eröffnung mit
8 Näliten an die Bauchwand. Nach 3 Wochen bestand noch eine
Magenfistel.
In den Fällen, wo die Magen wand bereits verlöthet war, heilten,
wie es scheint die entstandenen Magenfisteln sämmtlich spontan.
Um aber der eventuellen Bildung einer bleibenden Magenfistel aus-
zuweichen und den Status quo ante möglichst herbeizuführen
empfiehlt es sich sicher, den Magen direct durch Nähte zu schliessen
und dieselben kurz abgeschnitten in die Tiefe zu versenken. Am
besten eignet sich hiezu die modificirte Lembert'sche Daimnaht,
die wir bei unseren Thierexperimenten nach Gussenbauer's
Angabe stets verwendeten oder eine zweireihige Etagennaht.
Die Nachbehandlung muss selbstverständlich eine sehr sorg-
fältige sein. In den ersten Tagen nur Eispillen und Wasser und in
jedem Fall erst nach 14 Tagen wieder gewöhnliche Kost, wie es auch
Billroth bei seiner Patientin nach der Gastrorrhaphie mit gutem
Erfolg ausgeführt hat.
Ich wende mich nun zu den Fällen von Gastrostomie und
lasse zunächst die einzelnen Krankengeschichten in chronologischer
Anordnung folgen:
I. Sedillot 1849.
Gazette medicale de Strasbourg, 1849. Nr. 11, p. 366.
Sedillot, Conlributions k la Chirurgie. Paris 1868. Vol. II. p. 484.
Jean-Pierre Monthavon, 52jähriger Metzger, wurde im Jahre 1849
auf der Strasshurger Khnik aufgenommen. Früher ganz gesund; vor einem Jahre
empfand er zum ersten Mal Schlingbeschwerden, wenn er die Speisen nicht voll-
ständig zerkaute, seil 3 Monaten ernährte er sich nur noch mit Flüssigkeiten und
seit 5 Wochen war er nur noch von Zeit zu Zeit im Stande einige Löffel voll
dünnen Getränkes zu schlucken, welches er häufig wieder ausbrach. Grosse
Beiträge zu den Operationen am Magen. J09
Abmagerung; sein Körpergewicht hatte in Jahresfrist um 54 Kilo abgenommen.
Die Strictur, 33 Ctm. hinter den Schneidezähnen, war für die feinsten Sonden
undurchgängig.
Am 13. Nov. 1849 wurde von Sedillot die Gastrostomie ausgeführt.
Operation in der Chloroformnarkose. 4 Ctm. langer Kreuzschnitt über dem
musc. rectus, 6 Ctm. nach unten und links vom Schwertfortsatz. Der Muskel
selbst wurde durchschnitten. Nach Eröffnung des Bauchfells kam in der Tiefe
das ausgebreitete grosse Netz zum Vorschein. Dasselbe wurde vorgezogen und
der Quergrimmdarm zur Wunde herausgezogen , aber wegen grosser Spannung
wieder zurückgebracht. Mit Hülfe des Netzes wurde die grosse Curvatur des
Magens in die Wunde gezogen. Nach Reposition des Netzes machte er eine
Function in die Magenwand am Uebergang des Pylorustheiles in den Fundus
und führte eine Doppelcanüle ein, durch welche der Magen an die Bauchwunde
angedrückt erhalten werden sollte. Magen und Canüle wurden sofort stark zu-
rückgezogen. Lauwarme Umschläge auf den Leib. Zuckerwasser und Hühner-
suppe wurden mehrmals durch ein Gummirohr in den Magen eingespritzt. Wenn
man den Stöpsel der Canüle wegnahm , floss grünliche Galle aus ; etwas floss
auch neben der Canüle ab. Keine peritonitischen Erscheinungen. Der Tod er-
folgte 21 Stunden nach der Operation.
Die S e c t i 0 n ergab : Links unterhalb des Magens im grossen Netz ein
Einriss von 5 Ctm. Länge; Netz etwas geröthet, einzelne kleine Ecchymosen,
da und dort an die Magenwand angelötbet ; etwas blutiges Serum im Unken
Hypochondrium. Die Bauchfellwunde hat 2,5 Ctm. Durchmesser, ist von einem
leicht ecchymotischen Ring umgeben. Magenwunde ziemlich in der Mitte der
vorderen Wand, etwas näher der grossen Curvatur. Die Canüle passirt 1,2 bis
1,5 Ctm. weit frei die Bauchhöhle , nur links ein wenig vom Netz bedeckt. Die
Magenwand zeigt in der Nähe der Wunde ebenfalls Ecchymosen. Epithehom
des Oesophagus am Ursprung der 6. Rippe ; Tumor 3,5 Ctm. hoch , 2,8 breit
umgiebt den linken nerv, vagus. Die Wände des Oesophagus nicht wesentlich
verändert.
Sedillot beschliesst 1) in andei'en Fällen den Magen an die Bauch-
wand zu fixiren und 2) in den ersten Tagen keine Nahrung in den Magen
einzuführen.
IL Sedillot 1853.
Gazette medicale de Strasbourg, 1853. Nr. 3. p. 65.
Sedillot a. a. 0. S. 494.
Benoit Petit, 58iäbriger Fuhrmann, litt seit 9 Monaten an Schling-
beschwerden; seit 272 Monaten konnte er nur noch flüssige Nahrung zu sich
nehmen. Aus Furcht zu verhungern Hess sich der sehr schwache Kranke am
21. Januar 1853 ^) in das Spital aufnehmen. Die unter dem Larynx befindliche
Strictur des Oesophagus war für keine Sonde durchgängig.
Am 20. Januar 1853 wurde von Sedillot die Gastrostomie in folgender
Weise ausgeführt : Kreuzschnitt mit kürzerem horizontalem Schenkel, 2 Querfinger
') Das Datum der Aufnahme ist offenbar im Original falsch angegeben,
man vergleiche das Datum der Operation.
110 Dr. F. F. Kaiser.
links von der linea alba, 2 Gtm. unter dem Rand der linken falschen Rippen.
Geringe Blutung. Nach Eröffnung des Bauchfells wurde der Magen unter Füh-
rung des Zeigefingers mit einer gefensterten Zange gefasst und vorgezogen und
sofort mit 5 oder 6 Nähten, welche nur die Serosa und Muscularis des Magens
lassten, an die Bauchhaut befestigt. Die Eröffnung des Magens wurde bis zur
Bildung von Adhäsionen mit der Bauchwand verschoben. Warme Umschläge
auf die Wunde.
Nach einer Stunde zog sich nach einem heftigen Hustenanfall das vor-
gelagerte Magenstück wieder in die Bauchhöhle zurück, hi nochmaliger Narkose
gelang es, da nicht alle Nähte ausgerissen waren, leicht den Magen wieder vor-
zuziehen. Die Nähte wurden ausgezogen und ein kleines Stück des Magens wurde
mit einer Assalini'schen Pincette gefasst, um es langsam zur Gangrän zu bringen,
■während sich Adhäsionen in der Umgebung ausbilden würden.
Am 23. wurde die Pincette entfernt und eine Ligatur um das vorliegende
Magenstück gelegt; es waren bereits Adhäsionen vorhanden.
Am 25. wurde die gangränöse Partie der vorderen Magenwand mit einigen
Scheerenschnitten entfernt. Die Ränder im ganzen Umfang adhärent. Von da
an sofort Ernährung durch die Fistel. Patient litt an Durchfall und Husten. Die
eingeführte silberne Canüle wurde bald wieder entfernt.
Am 26. und 27. kam etwas Blut aus der Wunde. Fieber. Um den Aus-
fluss von Mageninhalt zu verhüten, wurde nach dem Einspritzen von Nahrung
die Fistel zeitweilig mit den Fingern zugehalten, nachdem verschiedene Pelotten
und Tampons sich nicht bewährt hatten.
Am 30. Januar, 10 Tage nach der Operation, starb der Patient.
Die Autopsie ergab : Allgemeine, eitrige Bauchfellentzündung, Die
Magenwunde liegt in der Mitte zwischen Pylorus und Fundus und gleichweit von
beiden Gurvaturen entfernt. Es finden sich dünne Adhäsionen im ganzen Um-
kreis der Magenwunde mit Ausnahme einer kleinen Stelle links oben , wo sie
ganz fehlen. In der Speiseröhre finden sich zwei enge ulceröse krebsige Stric-
turen; die obere ist 11 Gtm. unterhalb der Giessbeckenknorpel.
Sedillot glaubt die Peritonitis der Infection durch die damals in seiner
Abiheilung herrschende Nosocomialgangrän zuschreiben zu müssen.
III. F eng er 1853.
E. Fenger, Ueber Anlegung einer künstlichen Magenöffnung am Menschen
durch Gastrotomie. Virchow's Archiv, VI. Bd. 1854. S. 350.
Mathias Mort, 55 Jahre alt, wurde am 10. Jan. 1853 in das Friedrichs-
Hospital in Kopenhagen aufgenommen. Er litt vor mehreren Jahren wiederholt
an blutigem Erbrechen. 14 Tage vor der Aufnahme Schmerz beim Schlucken
oberhalb der Herzgrube. Seit 5 Tagen konnte er nur noch Flüssigkeiten schlucken.
Die Sonde kam 13 Zoll hinter den Schneidezähnen auf ehien harten Wider-
sland, der nicht zu passiren war. Die Schlingbeschwerden nahmen zu. Patient
magerte sichtlich ab. Der Versuch die Strictur zu dilatiren scheiterte. Nach
sorgfältigen Vorstudien an der Leiche wurde am 23. März von E. Fenger die
Gastrostomie ausgeführt. Schnitt von der Spitze des Brustbeins schräg nach
unten, aussen und links bis an den äusseren Rand des musc. rect. abdominis.
Stillung der Blutung. Der linke Leberlappen wurde durch das Bauchfell durch-
gesehen und dieses längs der Rippenknorpel eröffnet und mittelst Zeige- und
Beiträge zu den Operationen am Magen. j^H
Mittelfinger die vordere Magenwand in die Wunde gezogen. Durch die Falte
wurden 2 Seidentäden durchgezogen. Der innere Theil der Bauchwunde wurde
mit umschlungenen Nähten geschlossen, dann der Magen mit dem Bistouri
eröffnet, die Fäden in der Mitte durchschnitten und geknotet. Mit weiteren
8 Nähten wurde die Schleimhaut an den Rand der Hautwunde festgeheftet.
Nach dem Erwachen des Patienten aus der Narkose wurde durch einen
Glastrichter V2 Tasse Haferschleim in den Magen gebracht, was öfters wieder-
holt wurde ; dabei floss meist etwas klare, sauere Flüssigkeit ab, bisweilen auch
ein Theil der eingeführten Nahrung.
Den 25. etwas Schmerz in der Umgebung der Wunde. Unterleib weich,
eingesunken ; ziemlich starker Ausfluss aus der Fistel. Der Tod erfolgte 58 Stun-
den nach der Operation.
Sectionsbefund: Die Oeffnung im Magen 2^2 Zoll nach rechts von
der Cardiaöffnung und nahe der grossen Curvatur. Die Magenwunde lag der
Bauchwunde genau an. Von der Gardia aufwärts 2 Zoll langes, nicht exulcerirtes
Carcinom, das Lumen der Speiseröhre fast ganz verschliessend. In der Umgebung
der Milz eine spärliche Menge dickflüssiger, pflaumensaftfarbiger Flüssigkeit.
Zwerchfellflberzug links stark ecchymosirt. Keine Krebsmetastasen.
Der Tod erfolgte durch partielle Peritonitis bei dem sehr herabgekommenen
Individuum.
IV. Gooper-Forster 1858.
S. O. Habers hon, Gase of epithelial cancer of Oesophagus. Guy's Hospilal
Reports. III. Series. Vol. IV. 1858, p. 1.
Gooper-Forster, Description of the Operation of Gastrotomy. Ebendaselbst
S. 13.
Bei einem 47jährigen Mann, der im October 1857 Schlingbeschwerden
bekam, wurde hn folgenden Februar ein Tumor im Anfangstheil des Oesophagus
diagnosticirt. Wegen hochgradiger Dyspnoe wurde am 2. März die Tracheotomie
gemacht. Hochgradige Schwäche und Abmagerung. Ernährende Klystiere wurden
schliesslich nicht mehr ertragen.
Von Dr. Habershon zur Gonsultation beigezogen , fährte Gooper-
Forster am 26. März die Gastrostomie aus. Keine Narkose.
Schnitt 3^2 Zoll lang, vom Rippenknorpel zwischen 8. und 9. Rippe
beginnend nach abwärts über der linea semilunaris. Der äussere Piand des
musc. rectus wurde freigelegt, die Sehne der schrägen Bauchmuskeln durchschnitten
und 1 Gefäss hgirt. Das Bauchfell wurde der ganzen Länge der Wunde ent-
sprechend auf der Hohlsonde eingeschnitten. Im oberen Winkel wurde der linke
Leberlappen sichtbar und darunter der Magen , durch seine rahmig weissen,
dicken Wandungen erkenntlich. Derselbe wurde mit einem Haken möglichst
weit links gefasst und vorgezogen. Eine krumme Nadel mit Seide wurde durch
die vordere Magenwand gestochen und dieselbe durch eine fortlaufende Naht an
die vordere Bauchwand befestigt. Nach den ersten 2 Nähten wurde der Magen
durch einen Einschnitt eröffnet und dann die Wundränder sorgfältig mit der
Bauchwunde vernäht. Der übrige Theil der Bauchwunde wurde mit einer fort-
laufenden Naht geschlossen, ohne das eröffnete Peritoneum mit zu fassen. Viele
Mühe machte die Vernähung der Magenschleimhaut mit der äusseren Haut. Es
blieb eine Oeffnung, um einen kleinen Finger einzuführen.
^\2 Dr. F. F. Kaiser.
Unmittelbar nachher wurden 2 Unzen warmer Milch und l Ei eingegossen;
*/2stündlich Einführung von 2 Unzen Milch mit Ei oder Rum. Beim Husten wurde
Mageninhalt durch die Wunde ausgetrieben. Patient fühlte sich sehr erleichtert.
Vom Abend des 27. an Schwäche und Collaps. Tod 44 Stunden nach der
Operation.
Die S e c t i o n ergiebt : Carcinom im Halstheil des Oesophagus , welches
in die Trachea perforirt war. Hochgradigste Verengerung in der Höhe des
manubrium sterni. Eine Drüse im Nacken infiltrirt. Lobuläre pneumonische
Heerde in der linken Lunge.
Peritoneum gesund; keine Entzündung nachweisbar. Leichte Adhäsionen
der serösen Blätter an der Wunde, Dünndarm sehr eng.
Gooper-Forster glaubt, dass die Operation zu spät gemacht wurde
und der Tod ohne diese gleich schnell erfolgt wäre.
V. Gooper-Forster 1859.
J. Coop er-Forster , Gontraction of Oesophagus from corrosive poison.Gastrotomy
Guy's Hospital Reports, IIL Series. Vol. V, p. 1.
James G. 4 Jahre und 4 Monate alt, wurde am 2. Februar 1859 auf-
genommen. Er hatte vor 17 Wochen Aetzkalilauge geschluckt, worauf heftiges
Erbrechen und Auswurf einiger Theelöffel voll Blut erfolgte; einige Zeit bestanden
Schlingbeschwerden, dann Besserung. Vor 14 Tagen traten wieder, seitdem zu-
nehmende Schlingbeschwerden auf. Bei der Aufnahme kann der ausserordentlich
abgemagerte Patient nichts schlucken. Er erhält alle 4 Stunden ein ernährendes
Klystier. Später vorübergehend Besserung.
Den 12. März. Patient hat seit 2 Tagen nichts geschluckt, ist sehr er-
schöpft.
Den 13. März machte Gooper-Forster die Gastrostomie in der Narkose.
2 Zoll langer Schnitt dem äusseren Rand des linken musc. rectus entsprechend,
vom 7. Intercostalraume beginnend; mehrere Gefässe wurden unterbunden. Das
Bauchfell wurde auf der Hohlsonde eröffnet. Dünndarmschlingen wurden zur
Seite geschoben, während 2 Finger gegen das Zwerchfell vordrangen, um den
Magen zu fassen, der an seiner Dicke und den sammtartigen Wandungen leicht
erkannt wurde. Die grosse Gurvatur wurde vorgezogen und eröffnet. Ein blu-
tendes grosses Gefäss musste doppelt unterbunden werden. Die Wundränder
wurden sehr sorgfältig mit einer Kürschnernaht mit der Bauchwand vereinigt
und die übrige Bauchwunde genäht. Alle '/4 Stunden, später stündlich wurde
abwechselnd Milch und Ei oder Ei mit Wein durch ein Rohr in den Magen ein-
geflösst. Gleichzeitig 4stündhch ernährende Klystiere, die behalten wurden.
Zwei Tage nach der Operation keine Peritonitis. Die Wunde sieht gut aus.
Pat. am 3. Tage anfänglich munter; nach der Einführung von Nahrung
plötzlich Schmerzen im Bauch, Collaps; der Tod erfolgte 2 Uhr Nachmittags.
Die S e c t i 0 n ergiebt : Hochgradige Abmagerung. Verdickung und Ver-
härtung der Submucosa des Oesophagus bedingte eine bedeutende Verengerung.
Frische allgemeine Bauchfellentzündung durch die Lockerung der Nähte, denn
es \vurde Mageninhalt im Bauch gefunden. Die Oeffnung im Magen fand sich
an dem unteren Theil der vorderen Fläche. Fast keine Adhäsionen an der
Wunde.
Beiträge zu den Operationen am Magen. j^h q
VI. Sydney Jones 1859.
Transactions of the pathological Society, XI, p. 101,
Eine 44jährige Frau klagte erstmals im Juli 1858 über Schmerzen im
Schlund mit Heiserkeit und etwas Husten. Die Beschwerden nahmen rasch zu,
so dass im Februar 1859 die Tracheotomie ausgeführt werden musste; von da
an keine Athemnoth mehr. Die Schlingbeschwerden steigerten sich fortwährend.
Im Mai konnte ein elastischer Katheter Nro. 9 nicht mehr in den Oesophagus
eingeführt werden. Im Juni gelangte keine Nahrung mehr in den Magen; Er-
nährung durch Klystiere. Kleiner und schwacher Puls; Patientin, von Hunger
und Durst gequält, droht zu verhungern.
Den 14. Juli 1859 wird von Sydney Jones die Gastrostomie gemacht.
3'/2 Zoll langer Schnitt vom 8. linken Intercostalraum abwärts, dem äusseren
Rand des musc. rectus entsprechend. Nach Eröffnung der Bauchhöhle macht
das Vorziehen des Fundustheiles des Magens wegen einiger Netzadhäsionen etwas
Schwierigkeit. In die vordere Magenwand wird ein Einschnitt von '/4 Zoll Länge
gemacht. Die Ränder der Magenwunde werden mit 5—6 Nähten von doppelter
Seide an die Bauchwand fixirt. Eine Doppelcanüle wird eingelegt und gut er-
tragen. Durch dieselbe wird mehrmals Milch mit Brandy eingegossen. Patientin
fühlt sich erleichtert. Hunger und Durst haben nachgelassen. Stündlich wird
Nahrung zugeführt, daneben ernährende Klystiere. Tod 36 Stunden nach der
Operation. Magenfistel in der Mitte zwischen Cardia und Pylorus und in der
Mitte zwischen grosser und kleiner Gurvatur. Der Magen in der unmittelbaren
Nachbarschaft der Wunde durch Fibrinauflagerungen mit der Bauchwand ver-
klebt. Keine Peritonitis. Im Pharynx ulcerirtes Carcinom von der Epiglottis
bis zum Ringknorpel.
VII. V. T h a d e n 1865.
Scharffenberg, Gastrotomiae propter oesophagi stenosin institutae historia.
Dissert. inaug. Kiliae 1867.
A nna Vossbeck , 54 Jahre alt, wird im März 1865 in das Spital in
Altena aufgenommen; zunehmende Schlingbeschwerden seit Sommer 1864. Sie
konnte in den letzten 4 Tagen keine Nahrung mehr zu sich nehmen. Nur am
ersten Tag gelang es die Schlundsonde einzuführen, bei allen späteren Versuchen
wurden die Bougies von einem unüberwindlichen Hinderniss hinter dem Sternum
aufgehalten. Die Speisen werden unverändert ausgeworfen. Ernährende Klystiere
werden behalten. Vorübergehende Besserung; bald aber kann der quälende
Hunger und Durst nicht mehr gestillt werden.
Am 24. Mai 1865 wird von v. Thaden in der Narkose die Gastrostomie
ausgeführt. Schräger Schnitt von dem Schwertfortsatz neben dem linken Rippen-
rand durch den geraden Bauchmuskel; mehrere Arterien werden unterbunden.
Im oberen Theil der Wunde sieht man den linken Leberlappen durchscheinen.
Nach Eröffnung des Bauchfells wird mit Zeige- und Mittelfinger der zusammen-
gefallene Magen, der an seiner Farbe leicht erkannt wird, hervorgezogen. An
dem unteren Theil der Wunde wird die vordere Magenwand mit 4 Nähten be-
festigt. Der obere Theil der Bauchvvunde wird mit 9 Knopfnähten geschlossen.
C z e r ti y , Beiträge zur operativen Chiriir{?ie. 8
j^j[4 Dr. F. F. Kaiser.
Die Luft wird möglichst aus der Bauchhöhle ausgedrückt. Die Wunde wird mit
Geratläppchen verbunden. Anfänglich Schmerzen im Magen und Brechreiz, Am
folgenden Tage klagt Patientin über Durst und Hitze und Brennen an der
Operationswunde. Der Magen hatte die Bauchwand trichterförmig eingezogen.
Die Magenwand wird durch die Suturen gespannt und jetzt in der Ausdehnung der
äusseren Wunde gespalten und darauf die Schleimhaut mit 2 Nähten mit der Haut
des unteren Wundwinkels vernäht. Bei Eröffnung des Magens Austritt von Luft
und sauerer Flüssigkeit. Durch einen Nelaton'schen Katheter werden 150 Gramm
Fleischbrühe mit Ei eingeflösst, was öfters wiederholt wird. Meist fliesst dabei
etwas Mageninhalt aus. Patientin fühlt sich erleichtert. Tod nach 47 Stunden.
Die S e c t i o n ergiebt : Circumscripte Peritonitis in der Umgebung der
Wunde und am linken Leberlappen. Die Fistel befindet sich näher dem Pylorus
als der Gardia. Die Schleimhaut nicht vollständig mit der Haut vereinigt. Die
Magenserosa ist vollständig mit der Haut verklebt. 2 Zoll oberhalb der Gardia
ein exulcerirtes Epitheliom; die beiden Vagi von der Neubildung umschlossen.
Lymphdrüsen infiltrirt.
Vm. Gurling 1866.
The London Hospital Reports lll, p. 218.
William G., 57 Jahre alt, wurde am 31. Jan. 1866 in das London Hospital
aufgenommen. Seit 4 Wochen Schlingbeschwerden, rascher Verfall der Kräfte.
Bei der Aufnahme klagt der äusserst abgemagerte Patient über lebhaftes Hunger-
und Durstgefühl. In den letzten 4 Wochen hatte er alle feste Nahrung, die er
zu sich zu nehmen versuchte, erbrochen ; Zunge dick belegt, Athem übelriechend.
Patient kann nur mit grossen Schwierigkeiten und Schmerz Flüssigkeiten schlucken.
Sonden treffen ca. 10 Zoll hinter den Zähnen auf ein unüberwindbares Hinderniss.
Patient erhält einige Zeit ernährende Klystiere. Da die Schwäche des
Patienten zunahm und Tod durch Erschöpfung drohte, so wurde bei aussetzendem
Puls am 16. März 1866 unter localer Aethernarkose von Gurling die Gastro-
stomie ausgeführt.
3 Zoll langer Schnitt vom vorderen Ende der 7. Rippe, vertical nach ab-
wärts, dem äusseren Rande des m. rectus entsprechend. Geringe Blutung. Nach
Eröffnung der Bauchhöhle wurde der blasse und zusammengefallene Magen so-
fort erkannt und mit Pincetten in die Wunde gezogen. In die Magenwand wird
mit der Scheere ein ^ji Zoll langer Schnitt gemacht und mit 5 dicken Seiden-
nähten die Magenwunde mit der Bauchwunde vernäht. Die Bauchwunde ober-
halb und unterhalb wird mit Metallnähten geschlossen. Dauer der Operation
20 Minuten. Alle ^jz Stunde wird ein Katheter durch die Fistel eingeführt und
abwechselnd einige Esslöffel Milch, Wein, Fleischbrühe und Eier eingeflösst.
Jedesmal nach der Herausnahme fliesst sauerer Magensaft ab. Die Wunde stark
eingezogen. Nachts 1 ernährendes Klystier, die Einspritzungen in den Magen
werden fortgesetzt. Patient fühlt sich besser; Hunger und Durst liaben nach-
gelassen. Der Magen schien nicht gereizt durch die Injectionen.
Den 17. fortschreitende Abnahme der Kräfte, Tod durch Erschöpfung, 32
Stunden nach der Operation.
S e c t i 0 n s befund : Bedeutendes Atherom der Aorta und grösseren
Arterien. — Oeffnung in der Magenwand zwischen den Knorpeln der 8. und
Beiträge zu den Operationen am Magen. H5
9. Rippe. Alle Gewebe um den Einschnitt herum missfarbig und von Blut-
extravasaten durchsetzt. Eine der oberen Nähte hatte durchgeeitert. Die Oeff-
nung im Magen an der grossen Curvatur nahe dem Fundus. Keine Anzeichen
von Peritonitis. 4'/2 Zoll oberhalb des Magens im Oesophagus ein exulcerirtes
Epitheliom, welches bereits in den rechten Bronchus durchgebrochen war.
IX. Sydney Jones 1866.
The Lancet 1866. II. Dec. 15, p, 665. Gastrotomy for stricture of the Oeso-
phagus. Death from pneumonia on the twelfth day. Under the care of
Mr. Sydney Jones.
Am 24. August 1866 wurde ein 6 Ij ähriger Mann mit Schlingbeschwerden
in das St. Thomas Hospital aufgenommen, die seit Mitte Mai bestanden. Der
Patient ist nur im Stande kleine Mengen Flüssigkeit zu sich zu nehmen. Viel-
fache Versuche, den Oesophagus zu bougiren , waren stets ohne Erfolg ; in der
Höhe des Sternum befindet sich ein derber Widerstand.
Da die Dysphagie immer zunahm, Patient von Hunger und Durst gequält
und aufs Aeusserste abgemagert war, so wird am 22. September von Sydney
Jones die Gastrostomie vorgenommen.
Unter localer Aethernarkose 3'/2 Zoll langer, verticaler Schnitt vom
Knorpel der 9. Rippe abwärts dem äusseren Rand des M. rectus sin. ent-
sprechend. Das Bauchfell wird auf der Hohlsonde eröffnet, der Magen unter dem
linken Leberlappen gefasst, vorgezogen, mit 2 Seidennähten an die Bauchwand
fixirt und nach der Eröffnung werden seine Wundränder mit 5 — 6 Seidennähten
mit der Haut vereinigt ; 2 Gefässligaturen, 1 in der Bauchwand, 1 in der Magen-
wunde. Keine Ganüle eingelegt; 2stündlich, vom 5. Tage an seltener, wird ein
Rohr eingeführt und durch einen Trichter Nahrung in den Magen eingegossen.
Bisweilen entleert sich wieder ein Theil dm'ch die Fistel. Der locale Befund
stets günstig. Der Tod erfolgt an Pneumonie am 12. Tag.
Bei der S e c t i o n findet sich in der Höhe des 1, und 2. Brustwirbels
eine carcinomatöse Geschwulst, welche den Oesophagus fast ganz verschloss.
Metastatische Geschwulst in der hnken Niere. — Keine Spur von Peritonitis;
Magen- und Bauchwunde vollständig verheilt. In beiden unteren Lungenlappen
croupöse Pneumonie, links rothe, rechts graue Hepatisation.
X. Bryant 1866.
The Lancet 1877, II. July 7, Nr. I. Gases of dysphagia. Under the care of
Mr. Bryant.
Thomas G., 48 Jahre alt, wurde am 1. Oct. 1866 auf der Abtheilung von
Dr. Habershon in Guy's Hospital aufgenommen. Patient war mit 20 Jahren
syphilitisch gewesen, hatte aber seitdem keine Erscheinungen von Syphilis mehr
gehabt. Seit 4 Monaten rasch zunehmende Schlingbeschwerden, so dass er bald
nur noch flüssige Kost zu sich nehmen konnte ; seit 3 Monaten Schmerz an der
rechten Seite des Halses; seit 3 Wochen Husten. Bei der Aufnahme ist Patient
sehr abgemagert und blass ; Stimme schwach. Jeder Versuch zu schlucken sehr
schmerzhaft. Die Nahrung wird durch Mund und Nase ausgeworfen. Mit dem
Finger ist eine Geschwulst hinter dem Larynx zu fühlen. Ernährende Klystiere
j^lQ Dr. F. F. Kaiser.
Den 24. November 1866 wird vonBryant die Gastrostomie in der Chloro-
formnarkose ausgeführt. Schräger Schnitt , 3 Zoll lang unter dem Rande der
linken Rippen. Der Magen wird leicht mit dem Daumen und Zeigfinger gefasst,
dann eröffnet und mit Zapfennähten an die Wundränder befestigt.
In den ersten 24 Stunden nur ernährende Klystiere. Am nächsten Tage
wird Milch und Eier durch die Fistel in den Magen gebracht. Der Patient scheint
sich zu erholen. Am 4. Tag bekam er Delirien und am 6. Tag starb er, 130
Stunden nach der Operation.
Bei der S e c t i o n findet man die Fistel gut aussehend , mit der Bauch-
wunde verwachsen. Keine Anzeichen von Peritonitis.
Am hinteren Theil des Pharynx ovales torpides, fast den ganzen Ganal
umgebendes Geschwür von 2 Zoll Länge, mit hartem Grunde. Im Larynx auf
einer Infiltration hnks ein Geschwür (syph. Natur). In der rechten Lungenspitze
Cavernen mit käsigen Massen. Die unteren Abschnitte im Stadium der rothen
und grauen Hepatisation. Links 2 erweichte Heerde.
XI. M a c k e n z i e 1867.
Mackenzie, Lectures on the Cancer of Oesophagus. Medical Times and Gazette.
1876. II, p. 137.
Elise L., 42 Jahre alt, kam wegen hochgradiger Dysphagie im October
1867 in das Spital. Es wurde die Diagnose auf Skirrhus des unteren Endes des
Oesophagus gestellt.
Zunehmende Abmagerung, hochgradige Schwäche, wachsende Schüng-
beschwerden : Patientin konnte seit einigen Tagen auch keine Flüssigkeiten mehr
schlucken. Zu Ende November 1867 wurde von Mackenzie in gewohnter Weise
eine künstliche Magenfistel angelegt.
Tod erfolgt 36 Stunden nach der Operation.
Xn. Troup 1867.
F. Troup, Gase of Gastrotomy. The Edinburgh medicalJournal, July 1872, p. 36.
Ein Mann von 50 Jahren hat seit ca. 1 Jahr nagenden Schmerz im Epi-
gastrium und erbricht nun blutige Flüssigkeit. Das Schhngen geht nur langsam
von Statten. Im unteren Theil des Oesophagus finden sich 2 Stricturen, die aber
passirt werden können. Diese werden allmählig enger. Ernährende Klystiere.
Der Oesophagus schliesst sich endlich ganz und Patient lebt einen Monat nur
von Klystieren; erst lebhafter Hunger, später Durstgefühl vorherrschend.
Troup macht 1867 die Gastrostomie. Gerader, 3 Zoll langer Schnitt, hnks
von der Mittellinie, in der Mitte zwischen dieser und den Rippenknorpeln. Die
Aufsuchung des geschrumpften Magens ist etwas schwierig; herabgezogen und
mit der Pincette fixirt, wurde er eröffnet, die Ränder an die Bauchwunde genäht
und eine mittelgrosse Trachealcanüle eingelegt. Milch und Stimulanlien wei'den
mit Leichtigkeit eingeflösst und 3 Tage lang befindet sich Patient in vcrliältniss-
mässigem Wohlbefinden.
Der Tod erfolgt am 4. Tag.
Das untere Ende des Oesophagus ist von einer undurchgängigen epithe-
liomatösen Geschwulst eingenommen. Der Magen sein' klein, ungefähr in der
Beiträge zu den Operationen am Magen. J^j^'y
Mitte eröffnet. Die seröse Fläche der Magen- und Bauchwunde zum Theil ver-
wachsen. Der Einschnitt in seiner ganzen Länge in Heilung. Keine Spur von
Peritonitis.
XIII. Durham 1868.
A. E. Durham, case of epithelioma of the Oesophagus in which gastrotomy was
performed; with remarks, Guy's Hospital Reports, III. Series; Vol. XFV, p. 194.
London 1869.
Am 19. August 1868 wurde A. T., ein TOjähriger Mann, der seit Monaten
an Schlingbeschwerden litt, aufgenommen. Seit Juü konnte er kein Fleisch mehr
schlucken; in den letzten Tagen hatte er nur noch etwas Wein zu sich genommen.
Er ist verfallen und hochgradig abgemagert. Ein dünnes Bougie wird 3 Zoll
unterhalb des Ringknorpels durch einen festen Widerstand festgehalten. —
Ernährende Klystiere Averden nicht behalten.
Am 10. September 1868 führt Arthur E. Durham die Gastrostomie
aus. 3—4 Zoll langer Schnitt vom Knorpel der 8. und 9. Rippe abwärts. Der
äussere Rand des musc. rectus sin. wird freigelegt, das Bauchfell 2 — 3 Zoll weit
eröffnet, worauf das Netz zu Gesicht kömmt. Durch leichten Zug an demselben
wurde der Magen sichtbar. Zwei starke Seidenligaturen wurden durch die vor-
dere Magenwand geführt in einer Entfernung von 1 Zoll von einander; dieselbe
wird vorgezogen und ca. 1 Zoll weit eingeschnitten. Die Seidenfäden werden
in der Mitte durchschnitten und damit der Magen an die Rauchwand fixirt.
Ausserdem zahlreiche andere Nähte. Die Schnittränder der Schleimhaut werden
sorgfältig mit der Haut vernäht. Die Bauchwunde wird , um Spannung zu ver-
meiden, nach oben verlängert und das untere Ende mit mehreren Nähten
geschlossen.
Bei Eröffnung des Magens fliesst etwas braune Flüssigkeit bei einer Brech-
bewegung aus, ohne dass etwas davon in die Bauchhöhle kommt. Durch ein
elastisches Rohr wird etwas warme Milch eingeflösst, aber sofort wieder aus-
gestossen. Ein Schwamm wird mit Heftpflaster auf die Wunde befestigt. Der
Patient erholt sich vollständig von der Operation ; vorübergehend Schmerz im
Epigastrium. Sechszehn Stunden nach der Operation erfolgt der Tod, scheinbar
blos aus Erschöpfung.
Die S e c t i 0 n ergiebt ein ulcerirtes Carcinom des Oesophagus in der
Höhe der Bifurcation mit 1 Zoll langer schlitzförmiger Perforation in die Trachea.
Keine Spur von Peritonitis. Der Magen liegt vollständig an der Bauchwand an.
Oeffnung im Magen nahe dem Fundus, etwas näher der grossen als der kleinen
Curvatur.
XIV. Maury 1869.
F. F. Maury, Case of stricture of the Oesophagus in which Gastrotomy was per-
formed. The American Journal of medical sciences. April 1870, p. 365.
Ein 25jähriger Mann, der vor 8 Jahren an Syphilis gelitten hatte, win-de
im Mai 1868 plötzlich von Schlingbeschwerden befallen, die anfallsweise öfters
wiederkehrten. Rasche Abmagerung. Im Juli gelang es nur ein einziges Mal,
eine Sonde bis in den Magen zu führen. Jodkalium und Subhmat blieben ohne
Erfolg. Im April 1869 war Patient auf's Aeusserste heruntergekommen und
j^lg Dr. F. F. Kaiser.
musste vor Schwäche das Bett hüten. Vorübergehend erholte er sich etwas
durch ernährende Klystiere, mit denen er 6 Wochen lang ausschliesslich ernährt
wurde.
Am 25. Juni 1869 machte Maury die Gastrostomie in der Ghloroform-
narkose. Vier Zoll langer, mit der Convexität nach der MitteUinie gerichteter
Bogenschnitt, dessen oberes Ende in der Höhe des 7. Intercostalraumes beginnt.
Das Peritoneum auf der Hohlsonde eröffnet. Der Magen ragt unter dem Leber-
rande vor. Er wird mit der Pincette gefasst, eine krumme Nadel mit Silberdraht
von oben nach unten, 2 von" rechts nach links durchgeführt. Die Magenwand
wird ca. 2 Zoll links vom Pylorus eröffnet. Die Drähte werden vorgezogen und in
der Mitte durchtrennt. Zahlreiche Silbernähte fixiren den Magen an die Bauch-
wunde. In die Fistel wird eine Ganüle eingelegt. Alle ^ji Stunden soll etwas
Nahrung in den Magen eingeflösst, alle V2 Stunden ein Glysma mit Brandy
gegeben werden. Patient erholt sich von der Narkose.
Abends nach einer Fütterung entleert sich dicke, dunkle Flüssigkeit aus
dem Magen. Tod 14 Stunden nach der Operation.
S e c t i 0 n s befund : Das Peritoneum zeigt keine Entzündung. Am cardialen
Ende des Oesophagus eine fast vollständige Obliteration durch eine derbe, nicht
ulcerirte Geschwulst (nicht carcinomatöser Natur).
XV. Love 1869.
J. Love: On Gastrotomy, with case. The Lancet, 1871; 22. July, p. 119.
Eine 51jährige Frau, die seit 2 Jahren geringe Schlingbeschwerden hat
und bei der seit 9 Monaten eine schmerzhafte Geschwulst am Hals aufgetreten
ist, kann seit 7 Monaten keine feste Nahrung mehr schlucken. Bei der
Aufnahme in das West Norfolk and Linn Hospital ist die Patientin sehr ab-
gemagert.
Am 24. September 1869 wird von Love die Gastrostomie ausgeführt.
Die Ghloroformnarkose Avird ausgesetzt und locale Aethernarkose dafür
substituirt. Links von der Unea alba und bis 2 Querfinger an die linken Rippen
wird ein Kreuzschnitt angelegt, dessen Schenkel 1^/2 Zoll lang sind. Nach Stil-
lung der Blutung Eröffnung der Bauchhöhle. Der Leberrand ist sichtbar. Unter
Führung des linken Zeigfingers wird der Magen mit einer Pincette gefasst und
in die Wunde gezogen, darauf eröffnet und mit 4 Silbernähten, welche das
parietale Bauchfell nicht mitfassen, an die Bauchwand genäht und eine
Silbercanüle eingelegt (weite Trachealcanüle, IV2 Zoll lang, mit abgerundeten
Rändern).
Alle 4 Stund.en ein ernährendes Klystier. An den 2 nächsten Tagen ist
das subjective Befinden viel erleichtert. Patient fühlt sich wohler als seit
9 Monaten. Am 3. Tag stirbt Patient unerwartet rasch.
Die Section ergiebt : Wunde geheilt, Bauchdecken- und Magenwunde
verklebt; keine Spur von Peritonitis. Der Pharynx durch skirrhöse Massen,
welche sich bis an die Basis des Nackens erstrecken, ganz verschlossen. Der
Oesophagus kaum für eine gewöhnliche Sonde durchgängig. — In der Aorta ein
grosses farbloses Gerinnsel , dem der Verfasser den Tod zuschreiben zu müssen
glaubt.
Beiträge zu den Operationen am Magen. HQ
XVI. Tosias Smith 1872.
The Lancet 1872, 1. p. 862. CHnical society of London. Friday May 24th.
A. B., 38jähriger Mann, leidet seit 8 Monaten an Schhngbeschwerden.
Seit 14 Tagen angeblich keine feste Nahrung, in den letzten 8 Tagen ganz ohne
Nahrung. Strictur mit Bougies nicht zu passiren. Er wurde in Bartholomew
Hospital aufgenommen.
Am 21. März 1872 wird die Gastrostomie von Tosias Smith gemacht.
Es wird eine Kautschukcanüle zur Ernährung eingelegt. Vier Tage lang günstiger
Verlauf; dann wird der Patient von Husten gequält, welcher eine Peritonitis zu
veranlassen schien, an der er nach einer Woche starb.
Die Section ergiebt ein ringförmiges Epithelialcarcinom des Oesophagus
in der Höhe der Bifurcation, welches das Lumen vollständig verstopft und beide
Vagi einschliesst. Magen fest adhärent an die Haut und das Peritoneum parietale.
Tod in Folge von Peritonitis.
XVIL Mac Cormac 1872.
The Lancet 1872. L p. 862.
H. S. , 40jähriger Mann, bemerkte vor 12 Monaten eines Tages plötzlich
erschwertes Schlucken. Bei der Aufnahme in St. Thomas Hospital ist er abge-
magert, kaum im Stande etwas Flüssigkeit zu schlucken. Bei Schlingversuchen
Schmerz, Würgen und Husten. Die Strictur kann nicht passirt werden.
Den 19. März 1872 öffnete Mac G o r m a c den Magen und vereinigte die
Magenwundränder mittelst Knopfnähten mit der Bauchwunde. Der Patient ertrug
die Operation gut; weder Schock noch Erbrechen.
Der Husten verschwand, was den Patienten sehr erleichterte. Nahrung
wurde in den Magen durch ein Gummirohr mit einem Trichter eingeführt.
Patient wurde schwächer und starb am 21. März, 45 Stunden nach der Operation.
Die Section ergab im unteren Theil der Speiseröhre eine krebsige
Strictur. Die Erkrankung griff auf die Lunge über, wo eine gangränöse Abscess-
höhle gefunden wurde. Die Wundränder des Magens durch plastisches Exsudat
mit der Bauchwand verklebt. Keine Spur von Peritonitis.
XVm. Le Gros Glark 1872.
The Lancet 1872. L p. 862.
Bei einem Mann, der in Folge von rasch zunehmender Dysphagie schliess-
lich gar nichts mehr schlucken konnte und bei dem der Versuch zu bougiren
erfolglos war, machte Le Gros Glark in St. Thomas Hospital am 7. Mai 1872
die Gastrostomie. Nahrung wurde erst 30 Stunden nach der Operation in den
Magen eingeführt.
Vier Tage lang grosse Erleichterung des Patienten, indem das Würgen und
Husten aufhörte; darauf kam der Husten wieder. Die Adhäsionen gaben zum
Theil nach und Patient starb 6 Tage nach der Operation.
Die Section ergiebt ausgedehntes Epitheliom des Oesophagus und eine
ulceröse Communication mit dem unteren Theil der Trachea. Etwas Peritonitis,
aber nur in der Umgebung der Wunde.
120 Dr. F. F. Kaiser.
XIX. B r y a n t (?) 1872.
The Lancet, 1877 ; July 7 , Guy's Hospital. Gases of Dysphagia. Rep, by
Mr. Giblin.
Joseph C, 53 Jahre alt, wird am 10. October 1872 aufgenommen.
Vor 1 Jahr erstmals SchlingJDeschwerden. Der Arzt versuchte vergeblich eine
Sonde einzuführen. Seitdem bedeutende Abmagerung. Seit 40 Wochen hat er
keine feste Nahrung mehr genossen; sieht abgemagert und blass aus. Unter
der Schilddrüse an der hnken Seite der Luftröhre eine bei Druck schmerzhafte
Geschwulst. Husten mit reichlichem Auswurf. Alle 4 Stunden verabreichte er-
nähi'ende Klystiere werden nur einige Tage lang ertragen.
Trotz grosser Schwäche wird am 17. September in der Narkose die
Gastrostomie gemacht (wohl von B r y a n t). 4 Zoll langer dem Rippenbogen
paralleler Schnitt, ^/2 Zoll unterhalb desselben verlaufend. Nach Eröffnung der
Bauchhöhle wölbt sich ein ausgedehnter Darm in die Wunde, nach dessen
Reposition der Magen an seinem cardialen Ende gefasst wird. Zwei doppelte
Suturen werden von unten nach oben durch Haut, Peritoneum und Magen ein-
und durch Peritoneum und Haut ausgestochen, dann der Magen eröffnet, der
Finger eingeführt, die Nähte vorgezogen, durchschnitten und über 2 Stücken
eines elastischen Katheters als Zapfennaht geknüpft, so dass das eine in den
Magen, das andere nach aussen zu Hegen kam. Haut, Peritoneum und Magen
wurden auf jeder Seite genau vereinigt. Die Suturen werden lang gelassen,
um die Fistel bequem öffnen zu können. Sehr geringe Blutung.
Der Patient erholte sich gar nicht vollständig. Er starb am folgenden
Tag an Bronchitis, da er zu schwach war zu expectoriren.
Die S e c t i 0 n ergiebt : Bronchopneumonie in beiden Lungen , besonders
im rechten Unterlappen. Im Oesophagus unterhalb des Larynx ein 3 Zoll
langes ulcerirendes Carcinom, das Lumen sehr verengernd, so dass eben noch
eine Hohlsonde passiren kann. 4 Zoll oberhalb der Cardia ein secundäres, den
Oesophagus ganz verschliessendes Carcinom. Keine Peritonitis, Magenwunde 4 Zoll
vom Pylorus. Geringe Adhäsionen.
XX.
In St. Thomas's Hospital Reports New Series, Vol. IV, 1873 finden sich im
Surgical Report 1872 by G. E. Saunders, Seite 324 in der tabellarischen
Zusammenstellung der Operationen und später Seite 340 3 Fälle von Gastrosto-
mie wegen Oesophagusstrictur durch maligne Tumoren verzeichnet, die alle
3 lOdtlich endigten.
Der erste ist wohl mit dem von Le Gros Clark (vgl. Nr. 18) und der
dritte mit dem von Mac Cormac (vgl. Nr. 17) identisch.
Es bleibt also noch zu erwähnen ein Fall von einem 58jährigen Mann
mit einem malignen Gewächs im oberen Theil der Speiseröhre.
Gastrostomie. Tod nach einem Tag.
XXL Jacobi 1874.
The New York Medical Journal 1874, Aug. u. Sept. Gastrotomy in Slricturo
of Oesophagus. By A. Jacobi.
Jacobi 's Patientin bietet eine interessante Anamnese. Eine 52jährige
Frau, Mutter von 7 Kindern, war gesund bis zum 40. Jahr, wo sie viel an
Beiträge zu den Operationen am Magen. •1^21
hysterischen Anfällen litt. Im Jahre 1861 hemerkte sie einen kleinen, harten,
schmerzlosen Knoten in der linken Brust, welcher ziemlich rasch wuchs und
etAva 1 Jahr später die Wegnahme der Brust nothwendig machte; rasche
Heilung; 4 Monate später Recidiv in der Narbe, das auch exstirpirt wurde und
6 Monate später entstand ein skii-rhöser Knoten in der rechten Brust, die auch
amputirt wurde. Ein Jahr später wurde durch eine 4. Operation das Recidiv
der linken Narbe und geschwellte Achsel drüsen entfernt. Bald trat eine neue
grosse Reihe von tlieilweise exulcerirenden Knoten in der ganzen Ausdehnung
der Narbe auf, von denen öfters Erysipel ausging. Zweimonatliche Behandlung
mit dem constanten Strom bewirkte vollständige Vernarbung und Schwund der
hifiltrationen (Dr. H. Guleke). Im Oktober 1873 etwas SchUngbeschwerden,
die durch Sondiren gebessert wurden. Im Februar 1874 war die Strictur, die
sich ca. 8 Zoll hinter den Vorderzähnen in der Höhe des Ringknorpels und
etwas tiefer befand, enger und verhinderte das Schlucken fester Nahrung voll-
ständig. Urethralbougies Nr. 18—24 passirten gut. Im April wurde Schwellung
der Lymphdrüsen der Achsel und der Oberschlüsselbeingegend constatirt. Den
18. April vollständige Unfähigkeit zu schlucken.
Den 24. April 1874 Gastrostomie. 2'/2 Zoll langer Schnitt vertical nach
unten, zwischen den Knorpeln der 7. und 8. Rippe beginnend. Nach Eröffnung
des Bauchfells lag das Omentum vor. Um den Magen zu suchen, wurde erst
Lösung von doppelkohlensauerem Natron und dann von Weinsteinsäure in den
Magen eingespritzt, aber ohne befriedigenden Erfolg. Durch das untere Ende
der l*/2 Zoll langen Peritonealwunde wurde eine krumme Nadel ein und durch
die vordere Magenwand durchgeführt , diese vor- und an die Bauchwand ange-
zogen. 1^4 Zoll höher Avurde dasselbe Verfahren wiederholt und zwischen diesen
beiden Seidenligaturen der Magen 1 Zoll weit eröffnet ; eine Arterie musste ligirt
werden. 8 Seidennähte wurden zur Befestigung des Magens durch die ganze Dicke
des Magens und der Bauchwand, 7^ — V* 2oll von der Incision entfernt, durch-
geführt. Die äussere Wunde wurde noch durch eine umschlungene und 2 Knopf-
nähte geschlossen. Eine Gompresse auf die Wunde.
Alle Nahrung und Chinin wurde durch Klystiere zugeführt. Morphium
subcutan. Alle 2 Stunden erhielt Patientin 2 Unzen Fleischbrühe oder Milch
mit Brandy. Abends Puls 96, Temperatur 38,5.
Am 3. Tag trockene Zunge. Infiltration der Bauchwand, leichte erysipelatöse
Röthe, Tympanites.
Am 4. Tag werden 5 Magennähte und die Bauchnähte entfernt. Etwas
Eiter aus dem unteren Theil der Bauchwunde.
Den 5. Tag nach dünner Stuhlentleerung Erleichterung. Der Magen wird
mit Lösung von doppelkohlensauerem Natron ausgewaschen und etwas Le übe 'sehe
Fleischsolution eingeführt.
Den 6. Tag Erysipel am Rücken , an der linken Seite und am linken
Oberschenkel. Temperatur 89,3°.
Den 7. Tag. Undeutliche Fluctuation an der linken Seite des Bauches.
2 Explorativpunctionen ohne Erfolg. Abends 4 Zoll langer Einschnitt links von
der Fistel durch Haut und Muskulatur, worauf sich Eiter entleert; deutlicher
Zusammenhang dieses Einschnittes mit der wieder aufgebrochenen Bauch wunde.
Den 8. Tag trotz Abfall der Temperatur und obgleich die ernähreiulen
Klystiere alle behalten werden, Verfall der Patientin. Transfusion von 4—5 Unzen
122 Dr. F. F. Kaiser.
defibrinirten Blutes in die vena mediana ohne wesentlichen Erfolg. Tempera-
tur 41,8",
Den 9. Tag werden die Klystiere erstmals nicht mehr behalten. Bewusst-
sein frei, grosse Dyspnoe.
Den 3. Mai Morgens 6 Uhr tritt der Tod ein.
Die S e c t i 0 n evgiebt ^) : Kein Erguss und keine Adhäsionen in der
Peritonealhöhle ausser an der Magenfistel. Der Magen war IV2 Zoll vom Pylorus,
in der Mitte zwischen grosser und kleiner Curvatur eröffnet; ganz adhärent an
der Bauchwand V* — V2 Zoll im Umkreis. Zwei Gänge von der Operations-
wunde nach links in das Unterhautzellgewebe und zwischen die Muskeln und
fascia transversa.
XXII. Hjort 1874.
Norsk Mag. 3 R, IV, 12 1874 S. 204 referirt in Schmidt's Jahrbücher
1875, Bd. 166, S. 39.
Eine 52jährige Frau, die schon vor 12 Jahren Schwierigkeiten beim
Schlingen bemerkt hatte, wurde am 1. Juni 1874 aufgenommen. Seit ^ji Jahren
plötzliche Verschlimmerung, so dass sie bald nur flüssige Nahrung zu sich
nehmen konnte. Seit 2 Tagen ist das Schhngen fast unmöglich. Schmerzen
heftiger; hochgradige Abmagerung und Schwäche. Impermeables Hinderniss
im unteren Drittel des Oesophagus.
Am 9. Juni macht Hjort die Gastrostomie. 1^2 Zoll langer Schnitt
einen Finger breit unterhalb des linken Rippenbogens und parallel mit dem-
selben. Fascia transversa und Peritoneum werden mit der Pincette aufgehoben
und eingeschnitten. Nachdem die Leber mit stumpfen Hacken bei Seite geschoben
war, sah man den zusammengefallenen Magen oben unter dem Rippenbogen
liegen ; er wurde an einer Stelle der grossen Curvatur vorgezogen und in der
Richtung des Schnittes eine Fadenschlinge durch die Wandungen und 3 tiefe
Silberdrahtnähte durch die Wundränder, das Peritoneum und die Magenwandungen
geführt und nun längs der zuerst eingeführten Fadenschlinge eingeschnitten;
ein Paar spritzende Arterien wurden torquirt. Nun wurden die Silberdrähte in
der Mitte hervorgezogen, getrennt und an den Seiten zusammengedreht, so dass
6 tiefe Suturen die Wundränder im Magen und den darüberliegenden Bedeckungen
zusammenhielten. In jedem der beiden Wundwinkel wurde eine gleich tiefe
und ausserdem in den Zwischenräumen noch 8 oberflächliche Nähte gelegt.
Die Operation, bei der die Narkose halb mit Chloroform, halb mit Aether erzielt
worden war, dauerte gegen eine Stunde.
Gleich nach dem Ervvachen wird etwas Portwein mit Wasser mit
einem Trichter in den Magen eingegossen. Nur geringe Mengen konnten wäh-
rend der Inspiration eingegossen werden ; bei der Exspiration floss ein Theil
wieder ab. Patientin coUabirt immer mehr und stirbt am 10. Juni Abends 6 Uhr,
ca. 24 Stunden nach der Operation.
Bei der S e c t i 0 n findet man ein wohlbegrenztes Epitheliom den Oeso-
phagus verschliessend; alle anderen Organe gesund. Ziemlich feste Agglutination
zwischen Magen und Bauchwunde. Keine Zeichen von Peritonitis. Tod durch
Erschöpfung.
') Es durfte nur die Bauchhöhle eröffnet werden.
Beiträge zu den Operationen am Magen. 123
XXIII. Küster 1875.
Küster, 5 Jahre Augustahospital, Berlin 1877, S. 114.
August Neumann, 55 Jahre alt, leidet seit October 1874 an Schling-
beschwerden, dabei rasche Abmagerung; seit dem 12. Februar 1875 kann er
keine Flüssigkeiten mehr schlucken. Die Strictur kann selbst mit den fein-
sten Sonden nicht passirt werden. Patient mager, noch in leidlichem Kräfte-
zustand.
Den 22. Februar 1875 macht Küster die Gastrostomie. Sehr schlechte
Narkose, Synkope, der grössere Theil der Operation ohne Narkose.
2 "2 — 0 Zoll langer Schnitt vom processus ensiformis in der Mittellinie
nach abwärts. In der Wunde erschien der linke Leberlappen, welcher den
Magen völlig überdeckte. Er wurde nach oben gehoben, 2 Silberdrahtnähte
rechtwinklig auf einander durch Bauchwand und Magen gelegt und dann an-
gezogen. Die Magenwand kam so in das Niveau der Haut und wurde dann
zwischen 2 Pincetten l'/z Ctm, weit eingeschnitten; geringe Blutung. Die Drähte
wurden in der Mitte vorgezogen, durchschnitten und geknotet; weitere Umsäumung
im ganzen Umfang mit feinen Seidennähten. Im Magen findet sich etwas von
der zuletzt genommenen Nahrung. In die Fistel wird eine Trachealcanüle ein-
gelegt und sofort etwas Milch und Ei eingeflösst. Neben der Ganüle fliesst fort-
während etwas Mageninhalt ab. Eine grössere passende Doppelcanüle mit ge-
ringer Krümmung bewährte sich sehr gut. Keine Erscheinungen von Peritonitis ;
Temperatur stets normal oder subnormal. Alle 2 Stunden Nahrungszufuhr. Hart-
näckige Obstipation, hochgradige Abmagerung nach ein paar Tagen.
Den 5. März erfolgt der Tod aus Erschöpfung, 14 Tage nach der
Operation,
Die S e c t i 0 n ergiebt hochgradige Anämie ; 2 Zoll hohe , ringförmige
krebsige Striktur des Oesophagus 1^/4 Zoll oberhalb der Cardia. Magen wände
in der Umgebung der Wunde hyperämisch, sonst normal. Fistel nahe der grossen
Curvatur, 2^2 Ctm. vom Pylorus entfernt.
XXIV. Sydney Jones 1875.
The L a n c e t 1875. I. p. 678.
Sydney Jones führte am 3. März 1875 in St. Thomas's Hospital die
Gastrostomie aus bei einem 67jährigen Manne, der seit 10 Monaten an Schhng-
beschwerden litt; seit 7 Monaten Unfähigkeit feste Nahrung zu schlucken, seit
4 Monaten Verlust der Stimme. Impermeable Strictur im Anfang des Oesophagus.
Bei nach vorn gebeugtem Kopfe kann man links von der Trachea hinter dem
Slernalende des Schlüsselbeins eine harte Geschwulst fühlen. Hochgradige Ab-
magerung. Bauch stark eingesunken. Viel Hungergefühl und Schmerzen in der
Magengrube. Die Beschwerden beim Schlingen in Zunahme. Puls 96, bisweilen
aussetzend.
Sydney Jones empfiehlt den Einschnitt in einer Linie , welche vom
äusseren Rand der linken Brustwarze zum äusseren Rand der linken spina ossis
pubis gezogen wird. Schnitt ca. 372 Zoll lang, 1 Zoll unter den Rippenknorpeln
beginnend, verläuft am äusseren Rand des musc. rectus. Geringe Blutung. Der
Magen wird leicht gefasst, mit Zeigefinger und Daumen herausgezogen. Die Mageu-
wunde wird mit Nähten an die Bauch wunde fixirt; die Bauch wunde oben und
124 Dl"- F« F- Kaiser.
unten vernäht. Gleich nach der Operation Klystier von Milch , Brandy und ^jz
Drachme Opiumtinktur. Alle 4 Stunden ein Clysma.
Den 5. März : Patient hat keine Schmerzen ; von Zeit zu Zeit Krämpfe
der Bauchmuskeln. Patient raucht Tabak.
Den 6. Euphorie ; Entfernung der Nadeln ; etwas Röthung der Wunde.
Entleerung klarer, neutral reagirender Flüssigkeit aus der Fistel heim Husten.
Den 8. Erstmals Ernährung durch die Fistel (1 Unze Milch mit Brandy).
Nähte durchgeeitert.
Den 10. Keine Spannung des Bauches; Patient erhält Nahrung in den
Mund; Ernährung durch die Fistel und Klystiere (zu je 6 Unzen Milch und
1 Unze Brandy), dabei raucht Patient sehr viel.
Den 14. werden 2 und den 15. die übrigen Nähte entfernt.
Den 23. Täglich zweimal Nahrung durch die Fistel ; Clysmata werden
fortgesetzt; Eis, Milch und Gele in den Mund.
Den 26. steht Patient auf.
Den 4. April Avirft Patient etwas Blut aus; reichliche Expectoratiön.
Den 12. April. Seit gestern hat die Expectoratiön plötzhch aufgehört.
Der Tod erfolgt heute 1 Ulu" Mittags; 40 Tage nach der Operation.
Bei der Section findet sich: Krebs vom oberen Rand des Ringknorpels
3^2 Zoll abwärts; der linke Schilddrüsenlappen infiltrirt. Viel Schleim in den
Lungen. Vereinigung zwischen Magen und Bauchwand solid. Tod durch Bronchitis.
XXV. Waren Tay 1875.
The Lancet 1875, II. p. 527. Gastrotomy for Cancer of the Oesophagus.
Sara B., 34 Jahre alt, gesund bis vor 9 Monaten, wo plötzlich Schling-
beschwerden auftraten ; drei Monate später heftige Schmerzen bei der Aufnahme
fester Nahrung , welche an der Magengrube einem Hinderniss begegnete und
wieder ausgeworfen wurde ; Flüssigkeiten werden ohne Schmerz geschluckt.
Bei der Aufnahme im London Hospital am 16. April 1875 ist Patientin
hochgradig abgemagert und anämisch; sie klagt über Hunger und noch mehr
über Durst. Die eingeführten Bougies werden 15^2 Zoll hinter den Zähnen
angehalten. Bauch eingesunken. Unmittelbar unter dem Schwertfortsatz werden
kleine Knoten wie geschwollene Lymphdrüsen gefühlt. Milch wird sofort wieder
erbrochen. Die Ernährung geschieht hauptsächlich durch Klystiere, die aber nur
mit Brandy- und später mit Pepsinzusatz ertragen werden. Im Juni gelingt es
vorübergehend die Sonde einzuführen und dadurch Nahrung einzuflössen.
Den 30. August 1875 wird von Waren Tay die Gastrostomie ausgeführt.
Zwei Zoll langer Längsschnitt am äussern Rand des hnken musc. rectus, am
Rippenbogen anfangend. Der Magen wird ohne Schwierigkeit gefunden und an
die Bauchwand befestigt wie der Darm bei der Golotomie. Erhebliche Blutung
bei der Eröffnung des Magens, 2 Ligatui'en. Eine Gummicanüle wird in die
Fistel eingelegt. Nach der Operation Klystiere.
Abends 10 Uhr wird Eis und 1 Unze Milch in den Magen eingeführt,
ohne Schmerz.
Den 31. wird warme verdünnte Milch eingeführt; eine grosse Menge Magen-
saft fliesst aus. Die Ganüle wird zugestopft und der Patient in rechte Seitenlage
gebracht. Abends Coma ; Puls 144. Der Leib erscheint stark aufgetrieben. Der
Tod erfolgt 10 Uhr Abends.
Beiträge zu den Operationen am Magen. j^25
Die Section ergiebt : Magenvvinule ungefähr in der Mitte der Vorder-
vvand ; das untere Ende nahe der grossen Curvatur. Die Ränder der Bauchwunde
adhärent. Peritoneum in der Umgebung congestionirt ; frisches Exsudat auf dem
rechten (?) Leberlappen und dem Magen. Adhäsionen zwischen Leber und Magen.
Am unteren Ende der Speiseröhre ein Medullarcarcinom ungefähr 2 Zoll
dick, 1^2 Zoll über dem Magen; das Lumen durch weiche saftige Gewebstrümmer
verlegt. — Beginnende Phthise.
XXVL Heath 1875.
The Medical Times and Gazette, 1876, IL p. 137.
J. L., 47jähriger Mann, hat erst seit 6 Wochen Erscheinungen von Dys-
phagie, die sich trotz allgemeiner und localer Behandlung rasch steigerten.
Nachdem der Patient 9 Tage lang gar nichts mehr geschluckt hatte, machte
Heath 1875 die Gastrostomie. Der Ernährungszustand war noch gut; noch
reichliches Fettgewebe vorhanden, aber schwache Herzaction. Die Operation
wurde ohne Schwierigkeiten ausgeführt. Der Magen wurde vor seiner Eröffnung
mit der Bauchwunde vernäht. Der Patient erholte sich nicht.
Der Tod erfolgte 20 Stunden nach der Operation an Erschöpfung.
Keine Spur von Peritonitis bei der Section.
XXVn. Verneuil 1876.
Gazette medicale de Paris, 1876, Nr. 44, p. 524.
Ein 17jähriger junger Mann verschluckte am 4. Februar 1876 Aetzkalilauge,
worauf eine acute Oesophagitis auftrat, deren Erscheinungen nach 14 Tagen
wieder ziemlich verschwanden; es blieben aber erhebliche Schlingbeschwerden,
die sich rasch steigerten.
Am 31. März wurde der Patient in das Höpital de la Pitie aufgenommen.
Im Brusttheil der Speiseröhre befindet sich eine Strictur, die sich bei mehrfachen
Sondirungsversuchen als vollständig impermeabel erweist.
Den 24. Mai bei der Transferirung des Patienten auf Verneuil's Abthei-
lung hochgradige Abmagerung, subnormale Temperaturen ; der Patient kann fast
nichts schlucken; was er zu sich nimmt, erbricht er; Ernährung durch Klystiere.
Vorübergehend gelingt es nach Einführung der Sonde in der Narkose (8,0 Chloral-
hydrat) den Oesophagus zu katheterisiren. Nach 14 Tagen war die Strictur
wieder so eng wie früher. Rascher Verfall der Kräfte: der Patient droht aus
Schwäche zu sterben.
Den 26. Juli 1876 wird unter Lister'schem Verfahren von Verneuil
die Gastrostomie ausgeführt. 5 Gtm. langer, schräg nach aussen und unten ver-
laufender Schnitt, parallel dem linken knorpeligen Rippenrand. Ligaturen mit
Catgut. Das Bauchfell wird mit einer Hackenpincette emporgehoben und mit der
Scheere eröffnet, worauf der Magen zu Gesicht kommt. Er wird in die Wunde
vorgezogen, mit 2 Acupuncturnadeln befestigt. Die Ränder des Bauchfells werden
mit kleinen Kornzangen gefasst und darauf der Magen mit 14 Metallnähten an
die Bauchwand befestigt und die Acupuncturnadeln wieder entfernt. Hierauf
wird der Magen eröffnet und ein dicker Kautschukkatheter 7 Gtm. tief eingelegt
und mit einer Metallnaht an die Wunde befestigt.
Die massige Blutung wird durch Anlegung von Pinces hemostatiques gestillt
126 Dl"' F« F- Kaiser.
lind darauf wird der Unterleib mit Collodium bestrichen. Nach einer Stunde
werden 200,0 Gramm Milch eingespritzt; es läuft nichts neben dem Katheter aus.
Beim Versuch, die Pinces hemostatiques wegzunehmen Blutung; sie müssen wieder
angelegt werden. Verband mit Lister-Gaze. Von Zeit zu Zeit Garbolspray auf die
Wunde. Abends : Entfernung der Pinces ; Einspritzung von 100,0 Gramm Milch
mit 1 Eigelb. Patient klagt über Schmerzen im linken Hypochondrium.
In den nächsten Tagen immer Nahrungszufuhr durch die Sonde. Carbol-
eczem in der Umgebung der Wunde, Garbolurin.
In den ersten 8 Tagen icterische Färbung der Gonjunctiva. Das durch
die Nähte abgeschnürte Magenstück ist gangränös abgestossen.
Den 20. August steht Patient erstmals auf. Vom 10. September an ist
er immer auf und Patient kann als geheilt betrachtet werden. Das Körper-
gewicht nimmt rasch zu. Patient führt sich die Speisen durch die Fistel ein.
Den Speichel wirft er aus. Die Strictur ist nicht durchgängig.
XXVIII. Lannelongue 1876.
Gazette hebdomadaire 1877, Avril 13; Nr. 15, p. 236. Academie de
medecine; Seance du 10 Avril 1877.
Ein 59jähriger Mann bemerkte plötzhch Schlingbeschwerden. Innerhalb
6 Monaten nahmen dieselben so rasch zu, dass er kaum mehr einige Löffel
Milch schlucken konnte. Das Hinderniss lag in der Mitte des Brusttheils der
Speiseröhre. Ausserordentliche Abmagerung, keine cachektische Farbe.
Lannelongue von Bordeaux macht die Gastrostomie. Diese wird leicht
ausgeführt und Patient durch die Fistel regelmässig gefüttert.
Tod am 26. Tag an Asphyxie in Folge der Perforation des Oesophagus-
carcinomes in einen Bronchus. Der Magen an die Bauchwand adhärent. Der
Operationserfolg war vollständig.
XXIX. Gallen der 1876.
The american Journal ofmedical seien ces, July 1877, p. 258.
The Lancet, 1877, April 14.
Bobert B., 39 Jahre alt, litt erstmals im Februar 1876 an Schlingbeschwer-
den, Seit dem 12. August kann er keine feste Nahrung mehr schlucken. Auf-
nahme in St. Bartholomew's Hospital den 16. October. Patient sehr abgemagert,
hat über V« seines Körpergewichtes verloren. Bei den letzten Bougirungen kam
etwas Blut. — Tumor nicht nachweisbar ; bis zum 26. October kann ein dünnes
Bougie eingeführt werden. Den 28. Blut im Auswurf; Palpation des Magens
schmerzhaft; viel Husten.
Nachdem Patient 7 Tage lang nur mit Klystieren ernährt worden war,
macht Gallender am 6. November 1876 die Gastrostomie. Der Magen wird
leicht gefasst und vorgezogen, mit einigen Silbernähten an die vordere Bauchwand
angeheftet und erst dann eröffnet. Vernähung der Magenwunde mit der Bauch-
wunde mit 8 Silbernähten. Eine Kautschukcanüle von 3 Zoll Länge und ^2 '^""
Dicke wird in den Magen eingelegt, aber nach 7 Stunden entfernt. Dauer der
Anästhesie 80 Minuten. Carbolöl verband. Abends 11 Uhr Entleerung reichlicher
dunkel gallig gefärbter und dünner röthlicher Flüssigkeit.
Den 7. quälender Husten; sonst fühlt sich der Patient sehr wohl.
Beiträge zu den Operationen am Magen. j^27
Den 8. Gestern und heute Einspritzung von Nahrung in den Magen. Ex-
coriationen am unteren Wundwinkel. Bauch nicht gespannt.
Am 9. Schwäche. Schmerzen im ganzen Bauch, Husten, Delirien. Aus-
waschung des Magens mit warmem Carbolwasser (1:70), darauf wird wieder
Nahrung in den Magen gebracht und grösstentheils zurückbehalten.
Den 10,, 91 Stunden nach der Operation, erfolgte der Tod.
Bei der Section findet man eine etwas über 2 Zoll lange ulcerirte Strictur
im unteren Theil der Speiseröhre. Die Infiltration war auf den Herzbeutel über-
gegangen. Allgemeine Peritonitis, am intensivsten in den oberen Abschnitten.
Leber verfettet und cirrhotisch,
XXX. Trendelenburg 1877.
Nach einer gütigen Notiz von Herren Professor Czerny über den von Trendelen-
burg am 19. Sept. 1877 auf der Naturforscher-Versammlung zu München
gehaltenen Vortrag.
Ein Knabe von 8 Jahren hatte sich vor einem Jahre durch Schwefelsäure
verätzt und eine impermeable Strictur über dem Magen acquirirt. Am 28. März
1877 wurde die Bauchhöhle geöffnet, der Magen vorgezogen und mit 15 Seiden-
nähten kranzförmig in die Hautwunde genäht, dann eröffnet und ein Kautschuk-
rohr eingelegt. Es erfolgte kein Erbrechen , obzwar von demselben wegen der
dichten Naht keine Ruptur zu besorgen war.
In den ersten Tagen wurde die Ernährung durch Clysmata besorgt, dann
erst durch die Fistel. Wegen Durchfalls, der bis Mitte Juni dauerte, erholte sich
der Kranke anfangs nur langsam, hat aber bis jetzt um ein Viertel seines Ge-
wichtes zugenommen.
Trendelenburg zieht entgegen Schönborn eine kleine Oeffnung vor,
welche durch ein Kaulschukrohr ganz verschlossen wird. Die Ernährung wird
so bewerkstelligt, dass der Kranke seine Nahrung selbst kaut und dann mit Hülfe
eines Kautschukrohres, an welchem ein Reagensglas als Mundstück sich befindet,
die Speisen selbst in den Magen würgt.
XXXI. Schönborn 1877,
The London Medical Record 1877, Aug, 15, p. 338.
Schönborn machte im Frühjahr 1877 wegen Garcinom des Oesophagus
die Gastrostomie. Vor der Operation wurde der Magen nach Dr. Schreiber's
Vorschlag mit einem Gummiballon ausgedehnt.
Schönborn vernähte die Magenwundränder mit der Bauchwunde; machte
einen Verband mit antiseptischer Gaze,
Am 4. Tag etwas Collaps, kein Fieber. Am Ende des 4. Tages entfernte
er die Nadeln und gab dem Patient wegen der Schwäche mehr Nahrung, Am
10. Tag entfernte er alle Nähte.
Es besteht eine 4 — 5 Ctm. lange Fistel für die Nahrungsaufnahme.
Der Patient lebt noch 3 Monate nach der Operation; ass täglich 3 Beef-
steaks , die er erst kaut und dann mit dem Löffel durch die Fistel einschüttet.
Patient ist immer durstig.
Die beste Methode ist nahe der Mittellinie parallel zum linken Rippenbogen
einzuschneiden.
128 Dr. F. F. Kaiser.
II. Zusammenstellung der Gastrostomieen.
Operateur
Krankheit
Operation
und Nachbehandlung
Sedillot 1819
Cooper
Forster
Cooper
Forster
Sydney
Jones
Curling
Sydney
Jones
Bryant
Mackenzic
Troup
Haury
18C7
1867
Epitheliom des unteren
Theiles des Oesophagus ;
Strictur impermeabel. —
Dauer : 1 Jahr.
Carcinom des mittleren
Theiles des Oesophagus ;
Strictur impermeabel, —
Dauer : 9 Monate.
Carcinom des unteren
Theiles des Oesophagus ;
Strictur impermeabel. —
Dauer : einige Jahre.
Carcinom im Halstheil
des Oesophagus ; Strictur
impermeabel. — Dauer :
6 Monate.
Narbenstrictur des Oeso-
phagus ; besteht seit 51^2
Carcinom im oberen
Theile des Oesophagus ;
Strictur impermeabel. —
Dauer: 1 Jahr.
Epitheliom des unteren
Theiles des Oesophagus ;
Strictur impermeabel. —
Dauer: ca. 10 Monate.
Carcinom des Brust-
theils ; Strictur imper-
meabel. — Dauer : 2 lA
Carcinom im mittleren
Theil ; Strictur impermea-
bel. — Dauer : 4 Monate.
Syphilit.(?) Geschwür im
oberen Theil. — Dauer ;
6 Monate.
Skirrhus des unteren
Theiles des Oesophagus.
Epitheliom des unteren
Theils; Strictur imper-
meabel. — Dauer : circa
1 Jahr.
Carcinom im mittleren
Theil ; Strictur imper-
meabel. — Dauer ; mehrere
Monate.
Syphilitische (?) Strictur
der Cardia ; Strictur im-
permeabel. - Dauer; 13
Monate.
Carcinom des oberen
Abschnittes; Strictur im-
permeabel. - Dauer : 9 Mo-
nate.
Kreuzschnitt ; Magen nicht
angenäht. Canüle eingelegt.
Nahrung wird durch die Ca-
nüle eingeführt.
Kreuzschnitt ; oberfiäcliliche
Nähte; Magen In die Pincette
gefasst. Am Bten Tag Brand-
schorf entfernt und Ernährung
durch die Fistel.
Schräger Schnitt ; Magen
■wird angenäht. Sofort Ernäh-
rung durch die Fistel.
Schnitt am äusseren Rectus-
rand ; Magen erst angenäht,
dann eröffnet. Sofort Ernäh-
rung durch die Fistel.
Schnitt dem äusseren Rand
des musc. rectus entsprechend.
Sofort Ernährung durch die
Fistel u. ernährende Klystiere.
Schnitt am äusseren Rectus-
rand ; Vernähung des Magens
nach der Eröffnung. Canüle
eingelegt. Sofort Ernährung
durch dieselbe.
Schräger Schnitt ; Magen mit
der Bauchwand vernäht. Er-
öffnung des Magens am folgen-
den Tag, und sofort Einführung
von Nahrung.
Schnitt am äusseren Rectus-
rand ; Magen eröffnet , dann
angenäht ; sofort Ernährung
durch die Fistel.
Schnitt am äusseren Rectus-
rand ; Magen durch 2 Nähte
fixirt, dann eröffnet und um-
säumt. Sofort Ernährung durch
die Fistel.
Schräger Schnitt ; Magen mit
Zapfennaht an dieBauchwand
befestigt.
Gerader Längsschnitt links
von der linea alba Aufsuchung
des Magens schwierig. Magen-
wunde an die Bauchwunde ge-
näht. Trachealcanüle einge-
legt; sofort Ernährung durch
die Fistel.
Schnitt am äusseren Rectus-
rand. Magenwunde mit der
Bauchwunde sorgfältig ver-
näht: sofort Ernährung durch
die Fistel.
Nach innen convexer Bogen-
schnitt. Zahlreiche Silberdraht-
nähte fixiren die Magenwunde
an die Bauchwunde. Canüle
eingelegt; sofort Ernährung
durch die Fistel
Kreuzschnitt; Magen mit 4
Silberdrahtnähten an d. Bauch-
wunde fixirt. Canüle einge-
legt; ernährende Klystiere.
Tod nach 21 Stunden (an
Erschöpfung?). Keine Perito-
nitis.
Tod am lOten Tag nach der
Operation. Allgemeine eitrige
Peritonitis (infectiüs?).
Tod ü8 Stunden nach der
Operation. Partielle Peritoni-
tis; noch keine Adhäsionen.
Keine Metastasen.
Tod 4t Stunden nach der
Operation. Keine Peritonitis ;
leichte Adhäsionen an der
Wunde. Linksseitige Pneumo-
Tod am 4ten Tag. Allge-
meine Peritonitis (durch Aus-
tritt von Mageninhalt). Wenig
Adhäsionen.
Tod 36 Stunden nach der
Operation. Keine Peritonitis.
Verklebungen zwischen Magen-
und Bauchwunde.
Tod 47 Stunden nach der
Operation. Circumscripte Pe-
ritonitis in der Umgebung der
Wunde. Magenserosa vollstän-
dig mit der Haut verklebt.
Tod 32 Stunden nach der
Operation an Erschöpfung.
Keine Peritonitis. Carcinom
in den rechten Bronchus durch-
gebrochen.
Tod am 12ten Tag nach der
Operation an Pneumonie. —
Keine Spur von Peritonitis ;
Magen- und Bauchwunde voll-
ständig gebeilt. — Krebsmeta-
stase in der linken Niere.
Tod am 6ten Tag (130 Stun-
den) nach der Operation. Keine
Peritonitis. Magen- u. Bauch-
wunde verwachsen. — Rechts
croupöse Pneumonie und Ca-
vernen.
Tod 36 Stunden nach der
Operation, an Erschöpfung.
Tod am 4ten Tag nach der
Operation. Keine Peritonitis.
Adhäsionen an der Fistel.
Tod 16 Stunden nach der
Operation an Erschöpfung.
Keine Peritonitis. Oesophagus-
carcinom in die Trachea per-
forirt.
Tod 14 Stunden nach der
Operation an Erschöpfung. —
Keine Peritonitis.
Tod am Sten Tag. Keine Spur
von Peritonitis, Gerinn.'el in
der Aorta.
Beiträge zu Jen Operationen am Magen.
129
II. Zusammenstellung der Gastrostomieen.
Operateur Jahr
Krankheit
Operation
und Nachbehandlung
Aus gang
Tosias
Smith
Mao
Cormac
Le Gros
Clark
Bryant (?)
Saunders
ref.
Hjort
Sydney
Jones
Waren
Tay
Lanne-
longue
Callender 1876
Trendelen-
burg
Schön-
born
Carcinom im mittleren
Abschnitt ; Strictur im-
permeabel. — Dauer : 8
Monate.
j unteren
Abschnitt ; Strictur im-
permeabel. - Dauer : 12
Monate.
Epitheliom im mittle-
ren Theil ; Strictur imper-
meabel.
Carcinom im oberen und
unteren Abschnitt : Stric-
tur impermeabel. — Dauer:
1 Jahr.
Carcinom des oberen
Abschnittes.
Skirrhus im oberen Ab-
schnitt. Permeabel für ca.
Nr. 18 — Dauer ; 5 M«nate.
Epitheliom im unteren
Abschnitt: Strictur im-
permeabel. — Dauer : 3/^
Jahre.
Carcinom im unteren
Abschnitt; Strictur im-
permeabel. - Dauer der
Krankheit : 5 Monate.
Carcinom im oberen
Abschnitt. - Dauer: 10
Monate.
Carcinom des unteren
Abschnittes ; Strictur im-
permeabel. - Dauer : 14
Monate.
Epitheliom.
Impermeable Narben-
strictur. - Dauer : 5 l/a
Monate.
Carcinom des mittleren
Theils. - Dauer : 6 Monate.
Carcinom des unteren
Abschnittes ; Strictur im-
permeabel. — Dauer : 10
Monate.
Impermeable Narben-
strlctur; besteht 1 Jahr.
Kautschukcanüle eingelegt.
(Viel Husten.)
Magen- und Bauchwunde ver-
näht ; sofort Nahrung durch
die Fistel eingeführt.
Nahrung erst 30 Stunden
nach der Operation eingeführt.
(Viel Husten.)
Schnitt dem Rippenbogen
parallel. Zapfennaht und sorg-
fältige Umsäumung der Magen-
wunde an die Haut.
Schnitt am äusseren Rectus-
rand. Magenwunde mit 8
Seidennähten an die Bauch-
wand befestigt. Erste Nahrung
durch die Fistel am .5ten Tag.
Schnitt parallel dem Rippen-
bogen : 6 tiefe und 8 ober-
flächliche Nähte zur Vereini-
gung des Magens mit den
Bauchdecken ; sofort Ernäh-
rung durch die Fistel.
Schnitt in der linea alba.
4 Draht-, sonst Seidennähte zur
Vernähung von Magen an die
Bauchwunde. Canüle einge-
legt : sofort Ernährung durch
die Fistel.
Schnitt am äusseren Rectus-
rand ; Magenwunde wird an
die Bauchwunde befestigt. Er-
nährende Klystiere. Den 6ten
Tag erstmals Ernährung durch
die Fistel.
Schnitt am äusseren Rectns-
rand ; Magen mit der Bauch-
wand vernäht. Canüle einge-
legt. Am gleichen Tag Ein-
führung von Nahrung durch
die Fistel.
Der Magen wird vor der
Eröffnung mit der Bauchwand
vernäht.
Schnitt parallel dem Rippen-
bogen : Magen mit 14 Metall-
nähten an die Bauchwand
fixirt. Gummikatheter bleibt
liegen ; sofort Ernährung durch
die Fistel.
Nahrungsaufnahme durch die
Fistel.
Silbernähte, Canüle einge-
legt. Ernährung durch die
Fistel. (Husten).
Tod nach 11 (?) Tagen an
Peritonitis. Magen adhärent an
der Bauchwand.
Tod 4-5 Stunden nach der
Operation. Keine Spur von
Peritonitis. Verklebungen in
der Umgebung der Fistel.
Tod 6 Tage nach der Ope-
ration. Etwas Peritonitis in
der Umgebung der Wunde. —
Perforation in die Trachea.
Tod am folgenden Tag an
Pneumonie. Keine Peritonitis.
Geringe Adhäsionen an der
Wunde. Bronchopneumonie
beider Lungen.
Tod nach einem Tag.
Tod am lOten Tag an Septi-
cämie nach Erysipel. Keine
Peritonitis. Adhäsionen an der
Fistel.
Tod 24 Stunden nach der
Operation an Erschöpfung. —
Keine Peritonitis. Verklebun-
gen um die Wunde.
Tod 14 Tage nach der Ope-
ration an Erschöpfung.
Tod 40 Tage nach der Ope-
ration an Bronchitis. Keine
Peritonitis. Solide Vereinigung
von Magen- und Bauchwand.
Tod 2 Tage nach der Ope-
ration. Partielle Peritonitis in
der Umgebung der Wunde.
Verklebungen an der Wunde.
Tod 20 Stunden nach der
Operation an Erschöpfung. —
Keine Peritonitis.
Heilung in einigen Wochen.
Tod am 26ten Tag in Folge
von Perforation des Carcinoms
in einen Bronchus. Opera-
tionserfolg war vollständig.
Tod 91 Stunden nach der
Operation. Allgemeine Peri-
tonitis. Metastase (?) in der
rechten Nebenniere.
Magen erst kranzförmig mit
der Bauchwand vernäht, dann
eröffnet.
Magen durch einen Gummi-
ballon markirt.
Heilung.
Heilung. Lebt noch nach 3
Monaten.
Czerny, Beiträge zur operativen Chirurgie.
130 r^i'- F. F. Kaiser. ^
Die gegebene Zusammenstellung umfasst 31 Fälle von Gastro-
stomie. Dieselbe wurde 23 mal an Männern und 7 mal an Weibern
ausgeführt. Die Indication zur Operation wurde 26 mal durch Gar-
cinom , 2 mal durch Syphilis und 3 mal durch Narbenstrictur des
Oesophagus gegeben.
Ueberblicken wir die Tabelle, so finden wir 28 mal als Erfolg
der Operation den tödtlichen Ausgang verzeichnet und nur 3 mal
ist Heilung erfolgt. Bei näherer Betrachtung der Todesursachen
ist aber der Erfolg doch nicht so entmuthigend, als es auf den ersten
Blick erscheint, denn in der Mehrzahl der tödtlich verlaufenen Fälle
ist der Tod dem Zustande äusserster Erschöpfung, der Inanition
der Patienten und nicht dem chirurgischen Eingriffe zuzuschreiben.
Von den 3 Patienten mit Narbenstrictur wurden 2 geheilt;
allerdings ist nur in einem Falle von Gastrostomie bei Oesophagus-
carcinom Heilung verzeichnet, allein die von manchen Seiten für
unausbleiblich gehaltene allgemeine Peritonitis ist nur in 3 Fällen
(2, 5, 29) wirklich eingetreten. Partielle Peritonitis fand sich im 3.,
7., 16. und 25. Fall. In den anderen Fällen ist meist ausdrücklich
verzeichnet, dass keine Peritonitis vorhanden war.
Ohne zu sanguinisch vorgehen zu wollen, glaube ich doch
folgende Fälle, bei denen der Tod durch Complicationen veranlasst
wurde , trotz des erfolgten tödtlichen Ausganges als gelungene
Operationsresultate ansehen zu müssen: den 2. und 3. Fall von
Sydney Jones (Fall 6 und 24), wo am 12. beziehungsweise 40.
Tage nach der Operation der Tod an Pneumonie resp. Bronchitis
erfolgte; ferner den Fall 10 (Bryant), wo der Patient am 6. Tage
an croupöser Pneumonie starb, und den Fall 28 (Lannelongue),
wo der Tod am 26. Tage an Asphyxie durch Perforation des Gar-
cinoms in einen Bronchus bedingt war.
Sedillot war der erste, der den schon von früheren Autoren
gemachten Vorschlag der Anlegung einer Magenfistel zur künstlichen
Ernährung ausführte. In einer sehr gründlichen Abhandlung^), die
*) Gazette medicale de Paris 1847, Nr. 1 etc. Des cas auxquels l'operation
de la gastrostoniie est applicable par le professeur Sedillot.
S e d i 11 0 t , Gontributions ä la Chirurgie, Paris 1868, II, p. 398.
Beiträge zu den Operationen am Magen. 131
er im Jahre 1846 der Academie der Wissenschaften in Paris vorlegte,
hatte er die Berechtigung und Ausführbarkeit dieser Operation und
ihre Indicationen ausführlich erörtert und er machte im Jahre 1849
und 1853 2mal die Gastrostomie, leider beide Male ohne günstigen
Erfolg.
In seiner operativen Chirurgie ^) erwähnt er noch kurz einen
dritten Fall von exulcerirtem Epitheliom, der 2 Tage nach der
Operation an beginnender Peritonitis starb. Näheres über diesen
Fall konnte ich nirgends finden.
Unabhängig von Sedillot hat F enger nach sorgfältigen
Vorstudien im Jahre 1853 die Gastrostomie ausgeführt, ebenfalls mit
ungünstigem Ausgang. Seitdem ist sie noch 28mal , meist von eng-
lischen Chirurgen wiederholt worden. Die meisten Operateure führten
sie ohne alle Schwierigkeit aus. Die Operation erwies sich als über-
raschend leicht.
Es ist somit heut zu Tage nicht mehr nöthig, die Ausführbar-
keit der Gastrostomie oder die Möglichkeit der Ernährung durch eine
Magenfistel zu beweisen, nachdem darüber schon genügend Erfah-
rungen vorliegen.
Die Indication zur Gastrostomie wird gegeben durch die
Unfähigkeit zu schlucken in Folge von Verschluss des Oesophagus,
wenn das Hinderniss sich nicht durch eine Operation vom Halse
aus erreichen und entfernen lässt, wenn also in Folge der Dysphagie
der Tod durch Inanition in Aussicht steht.
Die Verengerung resp. der Verschluss des Oesophagus kann
bedingt sein:
1) durch angeborenen Defect,
2) durch Narben nach Verwundungen und Entzündungen,
3) durch Neubildungen im Oesophagus selbst oder in seiner
Umgebung,
4) durch festgekeilte Fremdkörper.
Wenn bei Neugeborenen der, wie es scheint, sehr selten vor-
kommende Defect eines Theiles der Speiseröhre constatirt werden
^) Sedillot, Traite de medecine opöratoire, Paris 1866, Tome II, p. 307.
132 Dr. F, F. Kaiser.
kann , so wird man immerhin versuchen müssen, durch Bildung
einer bleibenden Magenfistel das Kind vor dem Hungertode zu
retten. Es sind ja mehrere Fälle bekannt, wo bei Neugeborenen
die Colotomie bei Verschluss des Afters mit Erfolg ausgeführt
wurde, warum sollte nicht auch die Gastrostomie in einem dringenden
Falle versucht werden?
Narbenstricturen nach dem Verschlucken von kaustischen Al-
kalien oder Mineralsäuren sind nicht gerade selten. In hochgradigen
Fällen wird trotz Katheterismus die Strictur immer enger und
schliesslich impermeabel, so dass das einzige bei tiefer gelegenen
Stricturen in Erwägung kommende Mittel, die Oesophagotomia interna,
nicht mehr ausführbar ist ^).
Es bleibt somit, wenn man die Patienten vor dem Hungertode
retten will, als einziges Mittel die Gastrostomie, die hier bleibende
Hülfe schaffen kann und gerade bei diesen Fällen wird sich die
Gastrostomie, wenn auch jetzt noch vielfach bekämpft, unzweifelhaft
bewähren. Die Exstirpation einer narbig verengerten Stelle ist nur am
oberen Theile der Speiseröhre ausführbar und nur dann anzurathen,
wenn man sicher wäre, dass keine weiteren Stricturen sich unter-
halb befinden.
Bei weitem die grösste Zahl der Operirten litt an carcinoma-
töser Strictur des Oesophagus und nur 2mal waren es anderweitige
Tumoren (syphilitischer Natur?), welche zur Gastrostomie Veran-
lassung gaben.
Die Frage nach der Zulässigkeit der Operation bei Carcinom
wird von den meisten deutschen Autoren, die sie ja nicht einmal
bei Narbenstricturen empfehlen, verneint. Vergl. Günther a. a. 0.
• Auch G a 1 1 a r d ^) erblickt in den carcinomatösen Stricturen
eine formale Gontraindication gegen die Operation.
Bei Carcinom bringt allerdings die Operation keine radicale,
sondern nur eine temporäre Hülfe. Sie sichert den Patienten we-
nigstens vor dem schrecklichsten Tode, dem durch Verhungern und
*) Vergl. oben Dr. Braun. Oesophagotomia interna, S. 70.
2) Gallard, Sur le retrecissement de l'oesophage. L'union medicale,
Paris 1869, p. 209.
Beiträge zu den Operationen am Magen. 133
Verdursten. Und so berichten auch die meisten Operateure, dass
die von ihren Tantalusqualen durch die Operation befreiten Patien-
ten sich nachher in einem Zustande relativer Euphorie befanden, wie
sie ihn schon lange nicht mehr gekannt hatten.
Hat denn die Colotomie bei Mastdarmcarcinom eine andere
Bedeutung als vorübergehend den Fäcalmassen einen Ausweg zu
verschaffen und vielleicht das Wachsthum und den Zerfall der Neu-
bildung zu verzögern, indem die mechanische Reizung durch die
vorbeigehenden Fäces wegfällt? Genau dieselben Erwägungen gelten
mutatis mutandis auch für die Oesophaguscarcinome. Ganz abge-
sehen von der Unmöglichkeit, immer mit Bestimmtheit die Malignität
des eine Strictur bedingenden Uebels zu diagnosticiren , darf man
auch annehmen, dass nach Wegfall der mechanischen Insulte durch
die qualvollen und doch immer wiederholten Schlingversuche und der
chemischen Reizung durch die stagnirenden, sich zersetzenden Spei-
sen, auch das fernere Wachsthum des Neoplasma ein langsameres
sein wird.
Die Garcinome des Oesophagus bestehen häufig ohne alle
Metastasen und sind lange Zeit nur als locales Leiden aufzufassen,
das nur durch die mechanische Verhinderung der Nahrungsaufnahme
eine so verhängnissvolle und rasche Rückwirkung auf den ganzen
Organismus ausübt.
Ernährende Klystiere nach Leube's^) oder Gzerny und
Latschenberger's^) Angabe sind immerhin zur ausschliess-
lichen Erhaltung eines Individuums ein unvollkommenerer Ausweg
als die Ernährung durch eine Magenfistel und können vor Allem bei
Narbenstricturen nur vorübergehend in Frage kommen. Bei der Nach-
behandlung der Operirten sind sie ein unentbehrliches Hülfsmittel.
Die neben der Gastrostomie noch in Frage kommenden Ope-
rationen sind die Oesophagotomia interna und externa und die
Oesophagektomie ^). Letztere wäre hier wohl nur bei Fall 6 (und
^) Deutsches Archiv für klinische Medicin, 1872, S. 1.
^) Czerny und Latschenberger, Physiologische Untersuchungen etc.,
Virchow's Archiv, 59. Band.
^) Vergl, oben Dr. Braun, Resection des Oesophagus. S. 43.
j^34 Dr. F. F, Kaiser.
vielleicht bei 10) ausführbar gewesen. Im Fall 15 und 24 erstreckte
sich die Neubildung zu tief nach unten und in Fall 21 war schon
Drüsenschwellung in der Nachbarschaft vorhanden.
Als formelle Gontraindication wäre der äusserste Zustand der
Inanition, welchen die meisten Operateure abwarteten, bis sie sich
zur Ausführung der Operation entschlossen, aufzustellen. Zum Theil
hatten die Kranken schon einige Tage keine Nahrung mehr zu sich
nehmen können und doch sollten sie noch die Kraft besitzen sich
wieder von der Operation zu erholen.
Gewiss mit allem Recht schreiben die Autoren in vielen Fällen
den tödtlichen Ausgang ganz einfach der Erschöpfung der Patienten
zu. Es ist klar, dass man mit um so mehr Aussicht auf guten
Erfolg operirt, je früher man sich, dazu entschliesst. Man soll ope-
riren, sobald sich die Behandlung mit der Schlundsonde als unzu-
länglich beweist und bevor vollständige Aphagie eintritt, damit man
nicht schon in den ersten Tagen gezwungen ist, die Nahrung durch
die Fistel einzuführen.
Schönborn hat offenbar früh genug operirt, denn sonst
hätte er keine mit Gummiballon armirte Schlundsonde einführen
können und er hat auch einen guten Erfolg aufzuweisen.
Sind schon Metastasen nachweisbar, so gestaltet sich die
Prognose viel schlimmer und man wird gut thun, nunmehr die er-
nährenden Klystiere allein ihre Rolle spielen zu lassen.
Der Erörterung der Operationsmethoden schicke ich einige
Bemerkungen über die Lage des Magens nach den Angaben von
Luschka*) voraus, welche in den meisten Punkten mit den von
Braune 2) und Wagner 3) gewonnenen Resultaten übereinstimmen.
• Bei allem Wechsel seines Volumens ist der Magen in der Art
auf den Raum der Oberbauchgegend vertheilt, dass etwa ^k des-
selben im linken Hypochondrium enthalten, also vom Brustkorbe
umschlossen sind, während nur V* J™ Epigastrium d. h. hinter der
^) V. Luschka, Die Lage der Baucheingeweide des Menschen. Karls-
ruhe 1873.
') Braune, Topographisch-anatom. Atlas. Leipzig 1872.
') Wagner, Ueber die Perlcussion des Magens, Inaug.-Diss. Marburg 1869.
Beiträge zu den Operationen am Magen. 135
zwischen den beiden Rippenbogen befindlichen Bauchwand seine
Lage hat. Die Erhebung des Magens aus der bald mehr, bald
weniger steil von links, hinten und oben, nach rechts, vorn und
unten abfallenden, beim weiblichen Geschlecht häufig genug nahezu
verticalen Richtung, beginnt gewöhnlich erst in der Mittellinie des
Epigastrium, in welcher dann auch das Organ am weitesten nach
abwärts reicht, so dass es sich bei massiger Füllung hier bis zur
Mitte des Abstandes zwischen der Spitze des Schwertfortsatzes und
dem Nabel erstreckt.
Wagner verlegt die untere Grenze in der Mittellinie durch-
schnittlich 2V2 Gtm. über den Nabel oder in das untere Ende des
sechsten Siebentels der Entfernung zwischen der Basis des Proc.
xiphoideus und Nabel.
Bei normalem Baue des Brustkorbes erreicht das Pylorusende
des Magens kaum den rechten Rippenbogen. Meist entspricht eine
zwischen Sternallinie und rechter ParaSternallinie gezogene Verticale
seinem Gentrum. In sehr vielen Fällen, namentlich beim weiblichen
Geschlechte, überschreitet der Magen die Medianebene des Bauches
nicht, so dass sich das Pylorusende meist genau in der Mittellinie
befindet, aber dann merklich weiter als sonst nach abwärts verlegt
zu sein pflegt.
Der leere Magen ist nicht schlaff und hängend, sondern so
stark in sich zusammengezogen, dass sein Volumen sehr reducirt
ist, er sich fest anfühlt, und auf Durchschnitten eine spaltenartig
enge Höhle zeigt. Die Wand ist dann auffallend dick.
Durch Einschnitt in der linea alba findet man also nach dem
Angegebenen, wie auch Küster 's Fall (23) beweist, den Pylorus-
theil des Magens. Ohne mehr weniger Zerrung lässt sich kein
anderer Magenabschnitt dort befestigen. Zur Ausführung der Gastro-
tomie bietet er den Vortheil, dass man dabei die dünnste Stelle der
Bauchwand eröffnet und keine Muskeln verletzt, auch keine Blutung
zu befürchten hat.
Zur Gastrostomie aber eignet sich besser eine Stelle, an welcher
der Magen ohne alle Spannung und möglichst nahe dem Fundus an
die Bauchwand befestigt werden kann. Je näher dem cardialen Ende
-|3ß Dr. F. F. Kaiser.
die Magenfistel angelegt wird, um so weniger ist das Ausströmen
von Mageninhalt zu befürchten. Ist die Fistel am Pylorustheil, so
wird ein Theil der eingeführten Nahrung in den Fundustheil ab-
fliessen und muss die Gegend der Fistel nochmals passiren auf dem
Weg zum Duodenum.
Sedillot's Kreuzschnitt 6 Gtm. unterhalb des Schwertfort-
satzes und links von demselben wurde ausser von ihm nur noch von
L o V e (15) angewandt. Derselbe ist zur Vernähung mit dem Magen
sehr ungeeignet, weil er 4 Wundlappen schafft und ist daher all-
gemein zu Gunsten eines linearen Schnittes verlassen worden.
Der von F enger vorgeschlagene Schnitt parallel dem linken
Rippenbogen, fingerbreit nach innen von demselben, schräg durch
den musc. rectus, wobei die Blutung nicht bedeutend ist, wurde
noch von Thaden, Bryant, Hj ort, Verneuil und wohl auch
von Lannelongue benützt.
Mit verticalem Schnitt am äusseren Rectusrand, oder über dem
oberen Theil der Semilunarlinie , wie auch Durham^) empfiehlt,
operirten noch Coop er-Forster, Sydney Jones, Curling,
Jacob i und Waren Tay.
Sydney Jones giebt als Linie zum Einschnitt an eine Linie,
die vom äusseren Rand der linken Brustwarze zum äusseren Rande
der Spina ossis pubis sin. gezogen wird. Diese Linie fällt auf
Luschka's Tafel I einen Gtm. unterhalb der grossen Gurvatur
und schneidet die Spitze des Knorpels der zehnten Rippe.
Maury bediente sich eines nach innen convexen Bogen-
schnittes.
Nach den Versuchen an Leichen muss ich dem von F eng er
ausgeführten Schnitt den Vorzug geben, da man von ihm aus auch
den Contrahirten Magen leicht unter dem Rippenbogen vorziehen
kann und weil dort der Dickdarm viel weniger leicht in die Wunde
vorfällt und die Fistel einer geringeren Spannung ausgesetzt ist als
bei dem von Sydney Jones angegebenen Schnitt. Die Fistel darf
nicht zu nahe am Rippenbogen angelegt werden und um Zerrung
') Holmes, A System of surgery. London 1870, Vol. 11, p. 544.
Beiträge zu den Operationen am Magen. 137
der Ränder zu vermeiden, soll sie auf allen Seiten mit nachgiebigen
Weichtheilen umgeben sein.
Bei allen Modificationen der Schnittführung wurde doch von
sämmtlichen Chirurgen der Magen und zwar meist ohne alle Schwie-
rigkeiten gefunden und in die Bauch wunde vorgebracht. Nur Se-
dillot (1) und Troup (12) hatten etwas Mühe beim Vorziehen
des Magens.
Die weitere Behandlung des vorgezogenen Magens war eine
verschiedene. Seit Sedillot's erstem Fall (1) wurde der Magen
nie mehr freigelassen. Er selbst fixirte den Magen in seinem zweiten
Fall (2) durch oberflächliche Nähte, welche nur die Serosa und
Muscularis fassten und wie der Erfolg zeigte, bei den Hustenan-
fällen des Patienten in den ersten Stunden nach der Operation
ausrissen. Die späteren Chirurgen haben deshalb durch diese Er-
fahrungen belehrt nicht unterlassen, den Magen bald mit den gan-
zen Bauchdecken, bald nur mit der Bauchhaut mittelst Nähten zu
vereinigen, welche die ganze Dicke der Magen wand fassten. Meist
wurden einige Sicherheitsligaturen durch die noch uneröffnete Magen-
wand durchgeführt, welche nach der Eröffnung vorgezogen und in der
Mitte durchschnitten wurden und sich gleich als tiefe Nähte benützen
Hessen. Darauf folgte eine mehr oder weniger sorgfältige Umsäu-
mung der Fistelränder mit der Bauchwand, wozu Draht und Seide,
Knopf- und Zapfennähte und auch die Kürschnernaht in Anwendung
kamen. Die Blutung aus der Magenwand war fast nie nennenswerth.
Das grosse und gefürchtete Ereigniss von Austritt von Mageninhalt
in die Bauchhöhle Hess sich bei den Operationen stets vermeiden,
wofern diese ausgehungerten Mägen überhaupt etwas enthielten.
Der schon von E g e b e r g ^) gegebene Rath, den Magen un-
verletzt in die Bauchwunde hereinzuziehen und mit mehreren Su-
turen an die innere Fläche der Bauchdecken anzuheften und erst
nach Verfluss von 1 oder 2 Tagen, wenn er mit der Bauchwand
verwachsen ist, zu öffnen, veranlasste Sedillot in seinem zweiten
Fall, sein Verfahren zu modificiren. Nach dem Ausreissen der Nähte
*) Ganstatt's Jahresberichte, 1842, II. Jahrgang, 2. Bd. Rösch, Be-
richt über die Krankheiten des- chylopoet. Systems, S. 114.
138 Dr. F. F. Kaiser.
versuchte er, ein Stück der vordem Magenwand durch Compression
mit einer Zange zum Absterben zu bringen, während sich in der
Umgebung Adhäsionen bilden sollten. Dieses Verfahren hatte aber
auch verschiedene Nachtheile, so dass Sedillot schliesslich den
Vorschlag machte, die vorgezogene vordere Magenwand mit einem
zugespitzten Elfenbeinstift quer zu durchbohren und vorgezogen zu
erhalten. Ein Vorschlag, der aber nie ausgeführt wurde.
V. Thaden (7) eröffnete die Magen wand erst am Tage nach der
Operation.
G a 1 1 a r d ^) räth vor der Operation mit Acupuncturnadeln oder
noch besser mit dem Gausticum Adhäsionen zwischen Magen- und
Bauch wand zu erzeugen, unterlässt aber vorsichtiger Weise die
Stelle anzugeben, wo dies geschehen soll.
Labbe ätzte an verschiedenen Stellen mit Wiener Aetzpaste
und Ganquoin'scher Paste, aber ohne Adhäsionen zu erhalten, was
bei der Dicke der Bauch decken und dem Grössen- und Lagewechsel
des Magens nicht Wunder nehmen darf.
Als Curiosum ist der glücklicher Weise noch nie in Anwendung
gebrachte Vorschlag von Bar^) zu erwähnen. Er räth nach einer
tiefen Inspiration des Patienten am Rande des musc. rectus 2 Ctm.
vom unteren Rande der falschen Rippen entfernt einen Trokar ein-
zustossen und dann durch die Ganüle einen Stift, der an seinem
Ende 4 aus einander federnde spitze Stahl-Lamellen trägt, einzu-
führen und damit die Magenwand an die vordere Bauchwand zu
fixiren; nach 24 — 48 Stunden sollen Adhäsionen gebildet sein und
man schneide auf die Häckchen, die man durchfühlt, ein. Daraus,
dass man leicht das Golon anstechen und so einen widernatürlichen
After erzeugen kann, macht sich der Erfinder gar nichts.
Der Vorschlag von Schreiber 3), den Magen vor der Ope-
ration durch einen an einer Schlundsonde eingeführten und im
Magen aufgeblasenen Gummiballon für die Palpation zugänglich zu
') A. a. 0.
") A. Bar, De la Gastrostomie. Th^se de Strasbourg 1865. 2. Serie, Nr. 877.
') Schreiber, Eine neue Methode zum Nachweis der Lage des Magens.
Deutsches Archiv für kUnische Medicin 1877, S. 616.
Beiträge zu den Operationen am Magen. 139
machen, ist vonSchönborn bei der Gastrostomie benützt worden.
Er setzt zu seiner Ausführung noch eine ziemliche Weite der Speise-
röhre voraus. In den übrigen aufgezählten Fällen hätte sie wohl nie
Verwendung finden können.
Jacobi's Versuch, den Magen durch Brausepulver auszudeh-
nen, gelang zwar bei einer früheren Probe gut ; bei der Ausführung
der Operation Hess ihn die Methode im Stich. Diese setzt ebenfalls
Permeabilität der Strictur voraus.
Die Vorschläge, das gefasste Stück des Magens abzuklemmen i)
oder erst nach Bildung der Adhäsionen zu eröffnen, haben sich kei-
ner Beliebtheit erfreut und mit Recht, denn eine glatte und gut
vernähte Schnittwunde giebt uns die grösste Aussicht auf Heilung
per primam intentionem. Wir haben es in der Hand, die Nähte
mehr oder weniger tief zu legen, wir können dadurch Adhäsionen in
geringerem oder grösserem Umkreis herbeiführen. Die Grösse der
Schnittwunde im JNIagen steht vollständig in unserer Hand. Hat
man aber ein Stück der vorderen Magenwand abgeschnürt, oder
den Magen kranzförmig mit der Bauchwunde vernäht und überlässt
man das abgeschnürte Stück sich selbst, so geht es viel länger, bis
man eine gut benarbte Fistel bekommt, hii abgeschnürten Stück
entsteht zunächst venöse Stase und für weitere chirurgische Eingriffe
ist dieses Gewebe nicht mehr geeignet. Wartet man die spontane
Abstossung ab, so geht es ungleich länger, bis sich die Ränder des
Substanzverlustes gereinigt haben, als wenn man gleich genäht hat.
Die Furcht vor dem Austritt von Mageninhalt in die Bauch-
höhle, die zu all diesen Vorschlägen geführt hat, ist sehr übertrie-
ben. In keinem der angeführten Fälle kam dieses unliebsame
Ereigniss vor. Man darf nur den von den älteren Autoren gegebe-
nen Rath, den Magen vor der Operation durch schleimige Getränke
auszudehnen, nicht befolgen. Will man den Magen ausdehnen, so
gebe man die Ingredienzien des Brausepulvers getrennt, oder man
wende nach Schreiber 's Vorschlag die Ausdehnung durch einen
Gummiballon an.
Der erste und oberste Grundsatz für die Wundbehandlung,
') Vergl. oben Dr. Braun, S. 46.
140 Dr. F. F. Kaiser,
wenn man erste Vereinigimg erzielen will, das Fernhalten von Rei-
zen von der Wunde und Ruhe der vereinigten Theile, gilt auch hier
bei der Nachbehandlung in erster Linie, nur ist er nicht so leicht
zu erfüllen. Schon die Athembewegungen und die peristaltischen
Bewegungen des Magens und der Därme zerren an den Wundrändern
und wenn gar noch Hustenstösse sich dazu gesellen, so hat die Naht
die Probe ihrer Solidität zu bestehen.
Alle ferneren mechanischen Störungen an der Wunde sind
sorgfältig zu vermeiden und die Operateure sind sämmtlich darüber
einig, dass die Einfuhr der Nahrung durch die Fistel, wenn möglich,
in den ersten Tagen unterbleiben soll. Leider erlaubte der herab-
gekommene Zustand vieler Patienten nicht, diese goldene Regel zu
befolgen und zum Reiz der häufigen Einführung eines Katheters
durch die Fistel kam noch der des Auslaufens der eingeführten
Nahrung. Im 5. Fall rührte die Peritonitis von einer mechani-
schen Zerreissung der jungen Adhäsion bei der Nahrungszufuhr her
und so veranlasste diese den Tod des Patienten. Im 2. Fall wurde
erst am 5. Tag, im 7. schon am nächsten Tag, im 18. Fall 30
Stunden nach der Operation, im 21. Fall am 5., und im 24. Fall am
6. Tag nach der Operation Nahrung durch die Fistel eingeflösst.
Verneuil ernährte seinen Patienten gleich durch die Fistel,
Trend elenburg erst nach einigen Tagen.
Wenn es der Kräftezustand des Patienten irgend erlaubt, so
muss man ihn in den ersten Tagen nur mit ernährenden Klystieren
erhalten und erst möglichst spät, nicht vor dem 5. Tage durch
die Fistel ernähren und auch dann im Anfang nur kleine Quanti-
täten, 50—100 Gc. flüssiger Nahrung einführen.
Das Liegenlassen einer passenden, verschliessbaren Canüle, wie
es in den Fällen 1, 6, 12, 14, 15, 16, 23, 25, 27 und 29 geschah,
erleichtert die in den ersten Tagen etwa nöthige Nahrungszufuhr, ver-
hütet die Reizung, die durch das öftere Einführen eines Gummirohrs
in die Fistel erzeugt wird und verhütet gleichzeitig auch das Aus-
fliessen von Mageninhalt. Je kleiner die Fistel, um so weniger ist
Ausfluss von Nahrung zu befürchten und um so geringer sind die
Beschwerden, die der Patient von seiner Fistel hat.
Beiträge zu den Operationen am Magen. ^^\
Es ist erfreulich zu sehen, dass gerade die neuesten Fälle von
Gastrostomie in Heilung ausgingen und es steht zu hoffen, dass die
Fortschritte in der rechtzeitigen Stellung der Indication und in der
Operationstechnik fernerhin bessere Erfolge erzielen werden, als die
bisherige Statistik sie ergeben hat, so dass die Gastrostomie die
verdiente Anerkennung finden wird und ihre auch jetzt noch be-
strittene Berechtigung ausser allen Zweifel kommen wird.
Nachdem ich in den vorhergehenden Abschnitten gezeigt habe,
welche Operationen am menschlichen Magen schon ausgeführt wor-
den sind, wende ich mich jetzt zu einer Reihe von Thierexperimenten,
welche von uns gemacht worden sind.
Ich weiss wohl, dass man sich sehr hüten niuss, die am ge-
sunden Hunde gemachten Erfahrungen direct auf den kranken
Menschen zu übertragen. Aber über gewisse Cardinalpunkte kann
uns das Thierexperiment doch eine bestimmte Antwort geben ; eine
Reihe von wohlberechtigten und eingebürgerten Operationen ist erst
nach gelungenen Hundeexperimenten am Menschen ausgeführt wor-
den. Ich erinnere an die Exstirpation von Larynx und Niere.
Es war die Arbeit von C. Gussenbauer und A. v. Wini-
warter^) »lieber die partielle Magenresection ,« welche für uns
den Anstoss gab, die dort erhaltenen Resultate zu prüfen und fort-
zuführen. Herr Professor Czerny veranlasste seine Assistenten,
Herrn Dr. J. Scriba und mich, eine Reihe von Experimenten mit
ihm anzustellen, die er grösstentheils mit ausführen half und bei denen
wir einander abwechselnd assistirten.
Die Versuche sind folgende:
1. Versuch. Am 31. März 1876 operirten wir einen grossen Hülineriiund
unter Carbolspray, mit Beobachtung aller Li st er 'sehen Cautelen.
Bauchschnitt vom processus xiphoideus bis 2 Ctm. über dem Nabel,
8 Ctm. lang. Dicke präperitoneale Fettschicht. Das adhärente Netz wird mit
») Archiv für klinische Chirurgie. XIX. Bd., 1876, S. 347.
142 Dr. F. F. Kaiser.
den Fingern zerrissen, worauf die Eingeweide frei liegen. Der Magen wird unter
dem Leberrand hervorgezogen und ein ringförmiges Stück mit dem Pylorus von
3'/2 Ctm. Länge resecirt.
Beim Ablösen des Mesenteriums müssen 4 spritzende Gefässe unterbunden
werden (Catgutligaturen). Zur Vereinigung des Duodenum und Magens wird an
letzterem erst ein Zwickel gebildet und hierauf die beiden Lumina durch 17 Seiden-
nähle vereinigt. Die Nadeln werden 0,5 Ctm. vom Schnittrand der Serosa ent-
fernt eingestochen und hart am Wundrand der Schleimhaut ausgestochen und
in entgegengesetzter Folge weiter geführt, dann geknotet und kurz abgeschnitten.
Die Bauchwunde wird durch 4 tiefe und 4 oberflächliche Nähte ge-
schlossen. Li st er -Verband. Dauer der Operation 2 Stunden. Zur vollständigen
Narkose waren 0,12 Morphium subcutan erforderlich.
20 Stunden nach der Operation erhielt der Hund zum ersten Mal etwas
Milch. Leib nicht aufgetrieben, nicht schmerzhaft.
Am 3. Tage erhielt er durch eine geisteskranke Patientin eine Schüssel
voll Suppe mit Fleisch und Gemüse, die er gierig leerte, was vorübergehend
etwas Fieber veranlasste. Weitere Störungen in der Reconvalescenz erfolgten
nicht. Am 5. Tage werden die oberflächlichen, am 8. die tiefen Bauchnähte
entfernt. In der nächsten Zeit erhält der Hund nur fein gehacktes Fleisch
und Milch.
Später wurde der Hund noch mehrfach zu Geschwulstimplantationen, zum
Einnähen von Catgut und Seide und zuletzt zu Beinhautinjectionen in die Lunge
benützt. Am 3. April 1877 wird er durch Curare vergiftet. Der Sectionsbefund
ergiebt :
Mesenterium und Netz vollkommen frei. An der Nahtlinie schöne lineare
Narbe, vor welcher die Magenschleimhaut als flacher, ringförmiger Wulst vor-
springt. Oben vorn eine Seidennaht in das Lumen vorragend, um welche herum
eine kleine linsenförmige Vertiefung sich findet. An der Aussenseite weisse
Bindegewebsauflagerungen ; viele Nähte von aussen zu erkennen, vielleicht von
einem dünnen Endothelhäutchen überkleidet, andere eingekapselt.
2. Versuch. Am 4. April wird ein mittelgrosser Seidenhase, nachdem
er 0,015 Morphium erhalten hatte, unter Garbolspray operirt.
Bauchschnitt 5 Ctm. lang, in der linea alba. Im unteren Wundwinkel
kommt der Magen in Sicht. Prolaps des Netzes. Der Magen stark gefüllt, das
Duodenum nur von der Dicke eines kleinen Fingers. Es wird nun das Duodenum
hart hinter dem Pylorus durchtrennt und ein Stück des Pylorustheiles, im Ganzen
3 Ctm., abgeschnitten und darauf das Duodenum mit dem Magenlumen vernäht;
die AVände des ersteren sind ausserordentlich viel dünner als die des letztei'en.
Das Kaninchen erholte sich nicht von der Operation und starb ^/a Stunde
später.
3. Versuch. Am 27. April wurde ein weisser Pudel von mittlerer Grösse
vorgenommen; er erhielt 0,1 Morphium subcutan.
Der Bauchschnitt wurde 5 Gtm. lang gemacht. Der Magen wurde dicht
hinter dem Pylorus durchschnitten und ein 5^2 Gtm. langer Ring abgetragen ;
7 Gefässligaluren. Ein grosser Zwickel am Magen mit 19 Nähten; zur Ver-
einigung des Darmlumens mit dem Magen werden 17 Nähte angelegt; 4 tiefe
und 4 oberflächliche Bauchnähte. Lister 'scher Verband.
Beiträge zu den Operationen am Magen. 143
Nach 36 Stunden erhält der Hund etwas Milch, am 3. Tage schon '/2 Liter
und in den nächsten Tagen noch eingeweichtes Brod ohne allen Schaden.
Die Nähte werden theils am 8. Tag, theils erst 3 Wochen später entfernt.
Im Juni und Juli wurde der Hund, der sich in sehr gutem Ernährungs-
zustand befindet, mehrfach zu Transfusionen benutzt und verunglückte hei einem
dieser Experimente.
Am Magen erkennt man innen die Narbe deutlich als flachen Wulst.
Am Duodenum hart an der Narbe noch 2 Seidenligaturen, welche in 2 kleine
Gruben führen, die vollständig von Adhäsionen umgeben sind, l'/z Ctm. von
der ringförmigen Narbe finden sich noch 2 Seidennähte vom Zwickel. An der
Aussenseite ist die Ringnarbe kaum zu erkennen. An einigen Stellen derbe
weisse Auflagerungen ; Nähte von aussen nicht zu sehen. Einige strangförmige
Adhäsionen ziehen zur Leber.
4. Versuch. Am 25. September wird bei einem schwarzen, kräftigen
Pintscher der Bauch in der linea alba eröffnet. Reichliches präperitoneales Fett.
Der Magen lässt sich leicht vorziehen. Es wird aus der vorderen Magenwand
ein querelliptisches Stück mit der Scheere ausgeschnitten. Gefässe sind keine zu
unterbinden. Die Magenwunde wird mit 27 Seidennähten geschlossen ; 4 tiefe,
5 oberflächliche Bauchnähte. Dauer der Operation l'/4 Stunde; 0,1 Morphium.
Carbolspray.
Am ausgeschnittenen Stück misst die Serosa 4 Ctm. Länge und 2'/2 Gtm.
Breite, die Schleimhaut 6 Gtm. Länge und 4 Gtm. Breite.
Am 27. ist der Bauch bei Druck empfindlich ; der Hund läuft herum.
Am 6. Oclober werden die Nähte entfernt, der Hund ist völlig munter
und frisst wieder wie früher.
Später wird eine Magenexstirpation an demselben vorgenommen, vgl. Nr. 14.
5. Versuch. Am 6. October wird bei einer 8 Wochen alten, 1,5 Kilo
schweren Katze in der gemischten Narkose (0,02 Morphium) unter Spray operirt.
Nach Eröffnung der Bauchhöhle kommt die halbe Leber, das Netz und Dünn-
darmschhngen zu Gesicht. Die Reposition der letzteren macht viele Mühe. Aus
dem kleinen Magen wird ein längselliptisches Stück von 1^2 Gtm. Länge und
1 Gtm. Breite herausgeschnitten, wobei ziemlich starke Blutung eintritt, die aber
nach Anlegung von 7 Magennähten vollständig steht; 4 tiefe und 5 oberfläch-
liche Bauchnähte.
In der nächsten Nacht trinkt die Katze ziemlich viel Milch. Den Lister-
schen Verband entfernt sie mit den Krallen. Das Allgemeinbefinden erscheint
gut; der Leib etwas empfindhch.
Am 12. werden alle Bauchnähte entfernt. Heilung per primam intent.
Das weitere Befinden der Katze war ganz gut. Sie behielt nur eine kleine
Bauchhernie. Im Frühjahr 1877 warf sie Junge.
6. Versuch. Den 16. Mai. Das Versuchsthier ist ein schwarzer', glatt-
haariger Hund, bei dem im Winter vergeblich Garcinomimplantationen in die
Bauchhöhle versucht worden waren.
Vor 3 Wochen sollte der Pylorus exstirpirt werden, allein nach Eröffnung
der Bauchhöhle prolabirte der ganze Magen und das Duodenum und der Hund
war so unruhig, dass die Operation aufgegeben wurde. Die Eingeweide wurden
reponirt und die Bauchwunde zugenäht ; es erfolgte rasche Heilung,
j^44 Dl'- F. F. Kaiser.
Heute erhält der Hund 0,12 Morphium subcutan und Chloroform nach
Bedürfniss, Nach sorgfältiger Desinfection des Operationsfeldes wird mit allen
Li st er 'sehen Cautelen operirt. Aus Rücksicht für die Hände des Operateurs
wird nur l'/o Carbolwasser zerstäubt,
4 Gtm. langer Bauchschnitt in der früheren Narbe vom Schwertfortsatz
nach abwärts. Keine Blutung. Der Magen kommt nach Eröffnung der Bauch-
höhle gleich zum Vorschein und wird ganz herausgezogen, ebenso das Duodenum,
Mit dem Magen wird die Milz und ein Theil des Netzes herausgenommen.
Erst doppelte Unterbindung eines grossen Gefässstammes an der kleinen
Curvatur; dann werden die Gefässe im Netz unterbunden.
Darauf wird das Duodenum nahe dem Pylorus durchschnitten, ohne dass
Blutung erfolgt; der Magen wird nach links herübergeklappt, das Pylorusende
wird zugebunden, um den Austritt von Mageninhalt in die Bauchhöhle zu ver-
hüten. Das Netz wird langsam durchtrennt; die Milz bleibt mit dem Magen in
Verbindung, Endlich wird der Magen auch im Gardiatheil möglichst hoch durch-
trennt. Letzterer lässt sich nur mit Mühe vorziehen und bietet starke Spannung.
Das Duodenum lässt sich bequem so weit nach links ziehen, als zur Vernähung
desselben mit dem Magenrest nothwendig ist. Bei dem grossen Unterschied der
zu vereinigenden Lumina wird erst am hinteren Umfang des Cardiatheiles ein
Zwickel gebildet und dann mit der Vereinigung angefangen. Erst werden die
hinteren Nähte angelegt. Als das Lumen des Duodenum fast ganz mit dem
Magenrest vernäht war, stellte sich die Nothwendigkeit heraus, einen zweiten
Zwickel an letzterem anzulegen, da sein Lumen durch den ersten nicht genügend
verkleinert worden war. Im Ganzen wurden 28 Nähte von carbolisirter Seide
angelegt.
Zum Schluss wird noch ein spritzendes Gefäss im Omentum unterbunden;
die vorhegenden Eingeweide werden gewaschen und reponirt. Ferner 4 tiefe
und 4 oberflächliche Bauchnähte. Lister' scher Verband. Dauer der Operation
Vjz Stunde.
Am Abend hat sich der Hund den Verband schon abgerissen.
Am 17, säuft der Hund die angebotene Milch nicht, Bauch nicht auf-
getrieben.
Den 18, Temperatur Morgens 38,2 °C, Der Hund munter, trinkt etwas Milch,
Am 19, anscheinend munter. Frisst gierig gereichtes kleingeschnittenes
Fleisch, erbricht es jedoch sofort wieder und verschlingt es von Neuem ; stürmische
Brechbewegungen. Abends 39,4o.
Den 20, Die Nähte werden entfernt; Bauchwunde fast ganz durch erste
Vereinigung geheilt. Der Hund geberdet sich hungrig, säuft Wasser ohne zu
erbrechen, frisst gierig Hache.
In der nächsten Zeit wird er nur mit kleinen Portionen von Milch, Brod
und gehacktem Fleisch aber öfters gefüttert und befindet sich dabei anscheinend
ganz wohl. Leib nicht empfindlich. Nur ausnahmsweise erbricht er, besonders
wenn er zu gierig frass, oder wenn er eine grössere Portion erhielt. Fäces meist
fest und geformt.
Den 27. Der Hund ist munter, springt herum, frisst langsam, kaut Brod-
rindenstückchen sehr sorgfältig; er frisst Brod viel lieber als Hache.
Täglich vorgenommene W^ägungen ergeben nur geringe Schwankungen
des Gewichtes, vorübergehend eine geringe Gewichtszunahme von 5490 auf 5520
(einmal 5660) Gramm.
Beiträge zu den Operationen am Magen. ^AK
Am 6. Juni erscheint der Hund weniger munter, er läuft nur wenig
herum; Fäces halbflüssig, Leib etwas aufgetrieben; er nimmt nur Brodstückchen
zu sich, berührt sein Fressen nicht.
Abends 6 Uhr wird er todt gefunden.
Die 2 Stunden nach dem Tod angestellte Section ergiebt: In der Bauch-
höhle ca. V* Liter penetrant stinkender, blutig gefärbter Flüssigkeit; Netz livid
roth. Das Peritoneum parietale sehr hyperämisch und missfarbig, zum Theil
mit feinen Ecchymosirungen durchsetzt. Darmserosa wenig injicirt. Im Mastdarm
fester Koth, in den oberen Darmabschnitten kein Inhalt.
Netz und Leber mit einander verwachsen. Von vorn kein Einbhck auf
das Operationsfeld.
Nach Herausnahme von Leber, Zwerchfell, Oesophagus und Duodenum
wird der Oesophagoduodenaltractus von hinten eröffnet. (Vgl. Tafel I, Fig. 1).
Die Nahtlinie eben noch zu erkennen. Vom Cardiatheil des Magens
1,5 Ctm. übrig. Das Pankreas ist mit dem Duodenum hinaufgezogen. An der
vorderen Wand der Narbenlinie ein kleiner erbsengrosser Divertikel, welcher für
die eingeführte Knopfsonde bhnd endigend erscheint; daselbst Leber, Netz und
Duodenum durch Adhäsionen so verklebt, dass man von vorn keinen Einblick
in diese Gegend hat. Die Leber hyperämisch. Die mittlere Partie derselben
missfarbig, enthält in der Tiefe stinkenden Eiter.
7. Versuch. Am 19. Juni wurde an einem 9890 Gramm schweren,
weissen Pudel operirt.
Bauchschnitt in der linea alba 6 Ctm. lang; geringe Blutung. Der Magen
ist rasch gefunden und wird mit den Fingern vorgezogen und vollständig mit
Milz und Netz entwickelt. Mit der Aneurysmennadel werden an der kleinen €ur-
vatur möghchst hoch ol^en 2 grosse Gefässstämme doppelt unterbunden und
durchschnitten; dann werden die Gefässstämme nach innen vom Pylorus und
schliesslich , nachdem der Magen nach oben geklappt worden war , die mäch-
tigen Milzgefässe unterbunden. Im Ganzen wurden etwa 10 Seidenligaturen
angelegt. Nach Sicherung der Gefässe wird der Magen 1,5 Ctm. nach innen vom
Pylorus mit einem Scheeronschlag durchtrennt und dann ebenfalls am cardialen
Theil möglichst hoch abgeschnitten. Der Magen reichlich mit Speise gefüllt.
Beide Lumina werden sorgfältig gereinigt. Vereinigungsnaht erst an der Vorder-
seite und dann mit etwas mehr Mühe an der Hinterseite angelegt.
Das submucöse Gewebe der Schnittränder suffundirt blutig, zum Theil
quillt es ödematös vor (Carbolreiz?). Zwickel braucht diesmal nicht gemacht zu
werden. Das grössere Cardialumen wird dem Pylorustheil angepasst; Toilette
der Peritonealhöhle. 30 Magennähte; 3 tiefe und 8 oberflächliche Bauchnähte,
Lister'scher Verband. Dauer der Operation 1^/4 Stunden.
Während der Operation, bei der Unterbindung der Gefösse schwoll die
anfangs ziemlich normale Milz auf 21 Ctm. Länge und 10 resp. 5,0 Breite an,
so dass sie durch die Bauchwunde nicht mehr reponibel gewesen wäre.
Am ausgeschnittenen Magen mass das Cardialumen 20, das Pyloruslumen
10 Ctm, Umfang und doch hatten sich diese beiden Ostien ohne Lücke zu-
sammen nähen lassen.
Am folgenden Morgen misst der Hund 38,2"; er ist sehr matt, liegt auf
der Seite. Mittags wird er todt gefunden.
Section 8 Stunden nach dem Tod; Bauchwunde verklebt. Darmserosa
Czerny, Beiti'üg'e 7A\r opev.ativen Cliiriiropie. 10
j^46 Dr. F. F. Kaiser.
an einigen Schlingen etwas ecchymosirt; in der Bauchhöhle geringe Mengen
blutigen Serums. Das Zwerchfell am centrum tendineum an seiner oberen Fläche
ecchymosirt. Im Mediastinum an der Seite des Herzbeutels, dicht vor dem
Oesophagus ein 20 Pfennigstück grosses Loch. Die Nahtlinie 2 Gtm. unterhalb
des Zwerchfells und 1,5 Gtm. nach oben vom Pylorus. Der Gardiatheil stark
blauroth verfärbt. Die Naht schliesst von aussen und innen angesehen, überall
gut. Der Gardiatheil zeigt einige Längsfalten. Die Darmschleimhaut im Duodenum
und Ileum sehr hyperämisch und mit über linsengrossen Geschwüren besetzt.
8. Versuch. Den 26. Juni wird ein kleiner schwarzer Hund unter Spray
und in gemischter Narkose operirt; Magen mit Milz und Netz lässt sich leicht
entwickeln. Nach Unterbindung der Hauptgefässstämme wird ein Schnitt im
Pylorus und dann möglichst hoch am Fundustheil geführt, wobei einige Speise-
theile in die Bauchhöhle gelangen. Das Pankreas musste erst vom Pylorus etwas
abgelöst werden.
Erst Naht an der Hinterseite und dann an der Vorderseite. Das über-
flüssige Cardialumen wird durch 14 Nähte geschlossen; ausserdem 22 Nähte zur
Ringsnaht. 4 tiefe, 6 oberflächliche Bauchnähte. Lister'scher Verband.
Am ausgeschnittenen Magen misst die grosse Curvatur 13,5, die kleine
6,5 Gtm.; das Gardialumen hat 12 Gtm., das Pyloruslumen 3 Gtm. Umfang. —
Milz 13 Gtm. lang, 4 resp, 3 breit.
Am Abend misst der Hund 35" G. Er hält den Kopf frei.
Den 27. Juni Morgens 38°, Abends 38,5° G. Der Hund läuft herum, nimmt
aber noch keine Nahrung zu sich.
Den 28. Morgens wird der Hund todt gefunden.
Die S e c t i 0 n kann erst am 29. Abends 4 Uhr vorgenommen werden.
Bauchwunde verklebt. In der oberen Hälfte des Bauches eine frische eitrige
Peritonitis mit fibrinösen Auflagerungen auf die Leber und die benachbarten
Därme. Etwas Exsudat um die Nahtlinie herum. Von innen gesehen, liegen
die Wundränder gut.
9. Versuch. Am 28. Juni wird ein grosser brauner Pudel von 15,4 Kilo
Gewicht ebenfalls unter Spray und in gemischter Narkose (0,09 Morphium) operirt.
Magen, Netz und Milz werden leicht vorgezogen. Die Unterbindung der
starken Gefässe nimmt 1 Stunde in Anspruch; auch die peripheren Enden
spritzen. Endlich wird jenseits des Pylorus durchschnitten und am Gardiatheil
so hoch wie möglich; das Lumen an letzterer Schnittfläche ist so gross, dass
es gar nicht mit 2 Fingern in der Bauchwunde gehalten werden kann, son-
dern zum grössten Theil frei in die Bauchhöhle ragt, wobei die Schnittränder
stark bluten.
Die Naht nimmt 2 volle Stunden in Anspruch. Erst Naht an der Hinter-
seite, dann am unteren Piand, Es werden 2 lange Zwickel formirt. Im Ganzen
über 60 Nähte und 20 Gefässligaturen. Blutung nicht ganz gestillt. Vier tiefe
und 8 oberflächliche Bauchnähte.
Am 29. Juni Morgens 7 Uhr wird der Hund todt gefunden.
Section Nachmittags 4 Uhr ergiebt: Wundränder etwas verklebt. Die
enorm ausgedehnte Harnblase reicht bis in den unteren Wundwinkel. Im Bauch
ca. ^ji Liter braunrothen dünnflüssigen Exsudates. Peritoneum parietale und
viscerale stark hyperämiscli; ziemlich reichlich kleine Ecchymosirungen. Gardia-
Beiträge zu den Operationen am Magen. 147
theil stark hyperämisch, blauroth. Die vielen Nähte liegen gut. Auch die Schleim-
haut des Darmes stark hyperämisch und geschwellt.
10. Versuch. Am 24, October wird ein mittelgrosser weisser Pudel operirt.
Es wird wieder der Magen mit der Milz und einem Theil des Netzes ex-
stirpirt. Etwa 16 Gefässligaturen. Es wird ein 2hörniger Zwickel gemacht, in
der Art, dass die Mitte der überschüssigen Gardiawunde mit der noch übrigen
Duodenalwunde vereinigt wird und dann die noch übrigen beiden Spalten in
dem Cardiatheil genäht werden; für jeden Zwickel 7 Nähte, für die Ringsnaht
13 Nähte. Bei der Operation war die Spannung des Magenstumpfes so stark, dass
derselbe einmal aus der Hand glitt, nur mit Mühe wieder gefunden und nachher
mit einer Hackenpincette gehalten wurde.
Am 25. Morgens läuft der Hund etwas herum. Um 12 Uhr Mittags wird
er todt gefunden.
S e c t i o n s befund : In der Bauchhöhle etwas nahezu klare Flüssigkeit.
Das Peritoneum viscerale ist an der Operationsstelle etwas geröthet. An einem
Zwickelhorn eine gangränöse Perforationsstelle von der Grösse eines Sonden-
knopfes, wohl von der Quetschung durch die Pincette herrührend. Die Umgebung
der Wundränder und Nähte in 1,5 Ctm. Breite rosarothgefärbt. Die Gefässe er-
weitert, zum Theil mit blaurothen Flecken. Die Nähte liegen gut.
11. Versuch. Den 19. Juli wird ein kleiner, brauner Hund operirt in
gemischter Narkose (0,07 Morphium) und unter Salicylspray. Bauchschnitt 2,5 Ctm.
lang in der linea alba. Der Magen wird leicht gefunden. Erst wird der Pylorus-
theil herausgezogen und aus dem Omentum herausgeschält; dann wird die grosse
Curvatur hart am Magen frei präparirt. Ca. 3 grössere Gefässe werden vor der
Durchschneidung unterbunden und die centrale Ligatur kurz abgeschnitten. Von
der Milz kommt nur ein kleiner Theil zu Gesicht, der nach Durchtrennung und
Unterbindung eines Gefässes gleich reponirt wird.
Darauf wird die kleine Curvatur frei präparirt und 4 Aeste der art. coro-
naria sin. unterbunden. Nun wird erst der Zwölffingerdarm 0,5 Ctm. hinter dem
Pylorus durchschnitten, die art. pancreatico-duodenalis unterbunden. Endlich
wird der Cardiatheil mit der Scheere durchschnitten.
Naht wie früher, erst am hinteren, dann am vorderen Umfang. Vorn am
Cardiatheil Zwickel von 7 Nähten. Am Uebergang des Zwickels in die Rings-
naht eine Kreuznaht. In die Bauchhöhle war keine Speise und nur wenig Blut
eingedrungen. 2 tiefe und 6 oberflächliche Bauchnähte. Der Hund läuft gleich
nach der Operation etwas herum.
Den 20. Juli. Der Hund ziemlich munter, säuft Mittags etwas Wasser.
Nachmittags 5 Uhr wird er todt gefunden.
Section 20 Stunden nach dem Tod ergiebt: Wunde verklebt. In der
Bauchhöhle etwas dünne eitrige Flüssigkeit. Därme nicht hyperämisch. Im oberen
Abschnitt des Bauches eitrige Entzündung. Leber besonders an der unteren
Fläche mit eitrigem Belag bedeckt. Die Milz und Umgebung der Wunde eben-
falls mit dickem gelbem Eiter belegt. Die Naht hegt exact. Mucosa und Sub-
mucosa an der Nahtlinie gequollen und zum Theil blutig suffündirt.
12. Versuch. Den 26. Juli wird eine 4 Wochen alte weibliche Katze
gut chloroformirt unter Garbolspray operirt. Leichte Entwickelung des Magens.
j^^g Dr. F. F. Kaiser.
Die Milz kommt nur vorübergehend zu Gesicht. Der Magen wird dicht hinter
dem Pylorus abgetragen, der Cardiatheil etwas länger gelassen als bisher übhch.
Zwickelbildung mit 20, circuläre Naht mit 15 Nähten von carbolisirter Seide. Nur
sehr geringe Blutung. Alle Gefässe wurden bei der Ausschäl ung des Magens
sorgfältig unterbunden. Drei tiefe, 5 oberflächliche Bauchnähte.
Den 27. Morgens wird die Katze todt gefunden.
Das Präparat des Magens bietet nichts Besonderes.
13. Versuch. Den 22, Dezember wird ein kleiner, männlicher, glatt-
haariger schwarzer Hund von 5850 Gramm Gewicht vorgenommen.
In gemischter Narkose (0,12 Morphium) und unter Carbolspray wird operirt.
Bauchschnitt 4 Ctm, lang, in der hnea alba; 3 Catgutligaturen. Der Magen
lässt sich leicht vorziehen; der vordere Leberlappen kommt mehrmals in Sicht;
die Milz nur einmal bei starkem Vorziehen des Magens. Erst wird das Netz an
der grossen Gurvatur abgelöst und dann an der kleinen; 5 Gefässe müssen
unterbunden werden. Dann wird der vorgezogene Magen fast vollständig exstirpirt.
Das ausgeschnittene Stück misst an der kleinen Gurvatur 5, an der grossen
15 Ctm. Länge. Das Lumen am Pylorustheile 15, am Fundus 30 Ctm.
Dann wird die Naht, diesmal mit Catgut Nr. 0 am hinteren Winkel be-
gonnen, erst die Hinterseite und schliesslich die Vorderfläche genäht und mit
6 Nähten aus dem zu weiten Fundusabschnitt ein Zwickel gebildet, der mit einer
schrägen Naht mit der aus 31 Nähten bestehenden Ringsnaht vereinigt wird.
Drei tiefe und 6 oberflächliche Bauchnähte. Wenig Blut in der Bauchhöhle.
Lister- Verband.
Den 23. Dezember. Der Hund massig munter, erhält Abends 2 Esslöffel
voll Milch.
Den 27. Der Hund erhält Milch und gehacktes Fleisch in kleinen Portionen.
Fäces gelbbraun, dünn. Die Wunde heilte gut.
Am 23. Januar 1877 wurde der Hund aus seinem Behälter im Garten, in
dem er der kalten Temperatur preisgegeben war, heraufgebracht ; er war äusserst
heruntergekommen, konnte vor Schwäche und Inanition nicht stehen. Am vor-
deren Wundwinkel noch eine kleine granulirende Fläche. Bei sorgfältiger Pflege,
Aufenthalt im warmen Zimmer und 2 — 3 stündlichem Darreichen von Nahrung
erholt sich der Hund rasch ; er wog nur noch 4490 Gramm. An beiden Ohr-
lappen und am Gesäss stossen sich noch ziemlich grosse erfrorene Hautstücke ab.
Bald braucht der Hund keine besondere Pflege mehr. Er machte den
Umzug nach Heidelberg mit und frisst mit den anderen Hunden gemischte
Nahrung ohne zu erbrechen. Am 10. September betrug sein Gewicht 7000 Gramm.
14. Versuch. Den 9. März 1877 wird derselbe Hund, der zu Versuch
4 gedient hatte, nochmals opeiirt. Unter Spray und in gemischter Narkose wird
1 Ctm. nach rechts von der früheren Narbe der Bauchschnitt gemacht. In der
linea alba eine haselnussgrosse Bauchhernie. Reichhches Fett zu durchdringen.
An dem stark ausgedehnten Magen findet sich eine querverlaufende blasse Narbe.
Der Fundus ist stark abgesetzt. Der Magen lässt sich leicht vorziehen. Die Milz
kommt nur einmal zu Gesicht. Doppelte Unterbindung der Gefässe an der kleinen
Gurvatur, dann Ablösung des grossen Netzes.
Der Magen wird 1,5 Ctm. vor dem Pylorus abgeschnitten, der Inhalt ent-
leert und dann der Cardiatheil durchtrennt. Die beiden Enden werden ohne
Beiträge zu den Operationen am Magen. ^^49
Spannung zusammengebracht und vernäht. Am Cardiatheil Zwickel mit 16 Cat-
gutnähten; Ringsnaht mit 33 Nähten. Einfügung des Zwickels durch 2 sich
kreuzende Nähte. 12 Bauchnähte; Lister- Verband.
Am 10. wird der Hund todt gefunden.
Secionsbericht fehlt.
15. Versuch. Am 9. Juni wird ein junger, weiblicher Hund unter
Spray operirt.
1 Gtm. vor dem Pylorus wird der Magen abgeschnitten, nachdem erst an
der grossen und dann an der kleinen Gurvatur das Netz abgelöst und die Ge-
fässe unterbunden waren. Vom Fundustheil blieben etwa 3 Gtm. zurück. Liga-
turen und Nähte von Gatgut Nr. 2. Die Milz kam nicht zu Gesicht, aber die
Leber und Gallenblase. Toilette des Peritoneum mit Ghlorwasser. Der Magen
war mit Speise angefüllt. 21 Magennähte. Vereinigung der beiden Lumina ohne
Zwickel. Die meisten Nähte gehen durch die Schleimhaut durch. 6 tiefe
Bauchnähte.
Am ausgeschnittenen Magen misst das Lumen des Pylorustheils 7,0 , das
des Fundustheiles 15 Gtm.
20 Stunden nach der Operation ist der Hund gestorben.
Bei der Section findet sich kein Exsudat und keine Hämorrhagie in der
Bauchhöhle. Etwas Verfärbung des Netzes.
Uebersehen wir die angestellten Versuche, so lassen sie sich
in folgende Reihen eintheilen:
I. Resection des Magens und zwar
ringförmig (1, 2 und 3), und oval (4 und 5).
II. Exstirpation von Magen, Milz und einem Theil des Netzes
(6.— 10. Versuch).
Ilt. Exstirpation des Magens allein (11. — 15. Versuch.)
Die erste Versuchsreihe, die Exstirpation von ringförmigen und
ovalen Stücken aus dem Magen lieferte sehr gute Resultate. Von
den 5 Versuchsthieren starb nur das zweite, ein Kaninchen.
Die übrigen, 3 Hunde und 1 Katze, wurden geheilt. Es ist
bekannt, wie wenig resistent Kaninchen gegen Eingriffe in die Bauch-
höhle sind. Die Operation dauerte ziemlich lang; die Bloslegung der
Eingeweide, die Abkühlung durch den Spray im Verein mit der
toxischen Wirkung der Garbolsäure genügt wohl zur Erklärung des
einen tödtlichen Ausganges. Wir haben auch fernerhin von der Ver-
wendung von Kaninchen zu den Experimenten am Magen abgesehen.
-[50 Dr. F. F. Kaiser.
Die Versuchsanordnung und der Verlauf entsprach im Wesent-
lichen den Angaben von Gussenbauer und v. WiniAvarter.
Wir operirten unter Garbolspray und unter Anwendung der
übrigen Lister 'sehen Gautelen. Der Bauchschnitt wurde in der weissen
Linie gemacht. Vor der Eröffnung der Bauchhöhle musste oft eine
dicke präperitoneale Fettlage durchtrennt werden. Die Auffindung
des Magens machte nie Schwierigkeiten. Vor der Exstirpation eines
ringförmigen Stückes wurde der Magen gut vom Assistenten fixirt,
nach der Durchschneidung die Lumina gut gereinigt, Sie Hessen
sich jeweils leicht zusammen bringen und wurden mittelst der von
Gussenbauer und v. Wini warter angewendeten modificirten
Lembert'schen Darmnaht so vernäht, dass die Wundflächen der
Submucosa und ein Theil der Serosa von jeder Seite auf einander
zu liegen kamen. Das überschüssige Stück des weiteren Magentheils
wurde nicht in die circuläre Naht aufgenommen, sondern als Zwickel
für sich vernäht. Die Bauchwunde wurde mit tiefen, das Peritoneum
mitfassenden und oberflächlichen Nähten geschlossen. Nahrung er-
hielten die Thiere in den ersten 24 Stunden nicht.
Die Präparate des Magens von 1 und 3 weisen lineare Narben
auf und gleichen vollständig den von Gussenbauer und v. Wini-
warter^) abgebildeten, weshalb ich dieselben nicht besonders zeichnen
Hess. An der Nahtlinie war bei 1 eine Seidennaht, bei 3 deren
mehrere von innen sichtbar, die ziemlich frei aus kleinen Grübchen
in das Lumen herein ragten. Geschwüre um die Nähte herum waren
nicht zu er-kennen: auch scheint die Gefahr der Perforation an die-
sen Stellen nicht gross gewesen zu sein, da gerade den Vertiefungen,
in welchen die Nähte lagen, entsprechend an der Aussenseite starke
bindegewebige Auflagerungen sich befanden, lieber das weitere
Schicksal der Seidennähte lässt sich nur sagen, dass unsere desin-
ficirte Seide anscheinend fast keinen Reiz auf die Gewebe ausübt,
da beim ersten Versuchsthier noch nach einem Jahr viele Nähte frei
an der Aussenseite zu sehen waren. Die Möglichkeit, dass von
(schlecht desinficirten resp. unreinen) Seidennähten aus Geschwüre
») A. a. 0. Tal'. VI, Fig. 1-4.
Beiträge zu den Operationen am Magen. I5I
entstehen können, ist nicht zu leugnen. Der 5. Versuch Gussen-
bauer's spricht dafür. Wir nahmen deshalb auch bei einigen
späteren Versuchen Catgut.
Durch den glücklichen Erfolg der partiellen Magenresection er-
nuithigt, wurde eine neue Versuchsreihe unternommen. Wir wollten
sehen, ob nicht der ganze Magen exstirpirt werden könne und
welche Grösse das exstirpirte Stück besitzen dürfe, ohne das Leben
des Versuchsthieres zu gefährden.
Es ist klar, von welch hohem physiologischen Interesse auch
das Gelingen dieses Versuches wäre. Der Magen hat zwar schon
lange von seinem Nimbus verloren. Er hat die dominirende Stel-
lung im Verdauungsschlauch aufgeben müssen. Seine Arbeit ist
nur ein Glied in der langen Kette des ganzen Verdauungsprocesses.
Mit der Einspeichelung beginnt die chemische Veränderung der
eingeführten Nahrung, der Magen setzt sie fort und was er übrig
lässt, und das ist noch recht viel, wird von der Galle und dem
Darmsafte, vor Allem von dem wunderbar vielseitigen Pankreassaft
weiter verdaut. Selbst der Dickdarm, diese partie honteuse des
Verdauungsschlauches , hat eine active Rolle zugetheilt erhal-
ten, und im Nothfall kann er selbst vicariirend für den Magen
eintreten. Welch ein Triumph wäre es, den Magen ganz auszu-
schalten und doch die Verdauung ungestört vor sich gehen zu sehen.
Die neue Versuchsanordnung (6 — 10) war mit erheblich
grösseren Schwierigkeiten auszuführen. Die Entwicklung von Magen,
Milz und dem dazwischenliegenden Netz war jeweils leicht. Beim
ersten Versuche (6) kam die Milz gleich mit dem Magengrund vor
die Bauchwunde, so dass wir beschlossen, sie mit zu exstirpiren.
Die Goaptation des Duodenum und des Cardiastumpfes machte
grosse Mühe. Am Cardiatheil war ein ungleich grösseres Lumen
als am Pylorustheil resp. Duodenum, so dass meist 2 Zwickel ge-
bildet werden mussten, um nicht einen allzugrossen Zwickel zu
erhalten. Nur beim 7. Versuche liess sich das 20 Ctm. Umfang
messende Cardiastück mit dem halb so weiten Pylorustheil ohne
Zwickel vereinigen. Das Duodenum liess sich unschwer nach links
herüber ziehen. Am Cardiatheil war aber stets grosse Spannung.
152 Dl. F. F. Kaiser.
Derselbe musste vom Assistenten kräftig mit Daumen und Zeigefinger
vorgezogen und so in der Bauchwunde erhalten werden.
Im 10. Versuch glitt derselbe einmal vollständig in die Bauch-
höhle. Dabei besteht dann die grosse Gefahr, dass sich Speisetheile
oder Speichel in die Bauchhöhle ergiesst, wie es im 8. Versuch der
Fall war. Es wird der Gardiatheil wohl auch stark gequetscht.
Bei der Lostrennung des Pylorus kam mehrfach das Pankreas,
das ihm dicht anlag, in Mitleidenschaft und musste losgetrennt
werden.
Grosse Aufmerksamkeit erforderte die Vermeidung resp. Stil-
, lung der Blutung. Nach einem Injectionspräparate, das ich herstellte,
verhält sich die Gefassvertheilung an Magen und Milz ziemlich wie
beim Menschen. Die arteria coeliaca spaltet sich auch in die 3 be-
kannten Aeste.
Meistens gelang es bei den Versuchen nicht den Stamm der
art. coronaria ventric. sin. vorzuziehen und abzubinden; es mussten
dann die Aeste einzeln und meist doppelt unterbunden werden.
Dann wurden die Milzgefässe mit Massenligaturen abgebunden, wo-
bei sich bisweilen rasch durch venöse Stauung ein starker Milztumor
entwickelte und endlich wurden die Gefässe am Pylorus ligirt. War
die Blutung erledigt, dann wurde der Magen resp. Darm im Pylorus,
knapp dies- oder jenseits davon abgeschnitten und das Netz, soweit
es vorlag, durchtrennt und mit der Milz nach links geschlagen. Nun
musste der Assistent den Gardiatheil möglichst hoch oben fassen,
vorziehen und so eine lange Zeit, nämlich bis die Naht angelegt
war, halten. Die Serosa zog sich an den Schnitträndern stets etwas
zurück, die Mucosa stülpte sich aus. Jetzt kam noch die schwie-
rige Vereinigung der beide Stümpfe durch die Naht. Es wurde wie
früher mit carbolisirter Seide genäht und die modificirte L em bert 'sehe
Naht angewandt, so dass nicht nur die serösen Blätter, sondern
auch die Wundränder der Submucosa auf einander zu liegen
kamen.
Die Naht wurde meist zuerst an der schwierigsten Stelle, näm-
lich im hinteren obern Umfang angelegt, dann die Hinterwand und
schliesslich der vordere Umfang genäht und dabei nach Bedürfniss
Beiträge zu den Operationen am Magen. ^53
1 oder 2 Zwickel gemacht, deren Einfügung in die Ringsnaht be-
sondere Aufmerksamkeit erforderte. Schliesslich kam noch die Toi-
lette des Bauchfells und die Bauchnaht.
Diese Operationen dauerten etwa 2 Stunden, somit bedeutend
länger als die früheren und es ist schon darin eine wesentliche Be-
dingung des schlechteren Erfolges zu sehen, da nach den Versuchen
von Wegner*) die starke Abkühlung der Versuchsthiere, welcher
sie bei lange dauernder Eröffnung der Bauchhöhle und durch
die Anwendung des Spray ausgesetzt waren, allein schon tödtlich
sein kann. Abgesehen von dem in die Bauchhöhle strömenden
Sprühregen troffen die Thiere nach der Operation von dem höchstens
Zimmertemperatur besitzenden Carbolwasser.
Durch die Zerrung und Compression des Gardiatheiles entstand
venöse Stase, Tendenz zur Mortification oder gar wie im 7. Versuch
ein Loch im Herzbeutel.
Was die Nahtanlegung betrifft, so Hessen wir uns die Mühe
nicht verdriessen und haben im Ganzen des Guten eher etwas zu
viel gethan als zu wenig. Die Zahl der angelegten Nähte und das
Aussehen der Präparate, an denen die Wundflächen stets sehr exact
lagen, beweist das.
Die Erfolge dieser Experimente waren im 7. Versuch Tod an
Peritonitis ; zugleich findet sich bei der Section ein Loch im Herzbeutel
und Geschwüre im Darm. In wie weit letztere das Versuchsthier
weniger resistent gemacht haben, lasse ich dahingestellt.
Beim 8. Versuch kam Mageninhalt in den Bauch und erzeugte
Peritonitis und Tod. No. 9, bei dem der Cardiatheil einmal in
die Bauchhöhle zurückglitt, theilte das Schicksal seines Vorgängers.
Beim 10. Versuche ergab die Section eine Perforationsstelle am
Zwickel, die vermuthlich vom Drucke einer Pincette herrührte, welche
die ermüdeten Finger des Assistenten unterstützen sollte.
Es bleibt noch zu betrachten das Schicksal des 6. Versuches.
Als nach Entfernung der Bauchnähte am 4. Tage die Bauch-
') Wegner, Chirurgische Bemerkungen über die Peritonealhöhle mit
besonderer Berücksichtigung der Ovariotomie. Archiv f. klinische Chirurgie 1877,
ö. 61.
154 Dr- F. F. Kaiser.
Aviinde geheilt und der Hund munter war, glaubten wir seine de-
finitive Heilung hoffen zu dürfen, um so mehr, da er in der näch-
sten Zeit wie in gesunden Tagen umherlief, der Leib weder schmerz-
haft noch aufgetrieben war, die Fäces regelmässig und von normaler
Beschaffenheit erfolgten. Im Anfang frass der Hund gierig, erbrach
jedoch häufig; bald adaptirte er sich seinem Zustand und nahm
spontan nur kleine Mengen von Nahrung auf einmal. Sein Gewicht
nahm selbst um etwas zu. Unerwartet starb er nach 21 Tagen,
wie die Section nachwies, an eitrig-hämorrhagischer Peritonitis, die
zweifelsohne durch Perforation des vorderen Zwickels und Austritt
von Speise in die Bauchhöhle bedingt war. Wahrscheinlich war zu-
erst ein Abscess an der die Wundlinie deckenden und mit dieser
verwachsenen unteren Leberfläche entstanden, durch dessen Berstung
erst die diffuse Peritonitis veranlasst wurde. Mit Bestimmtheit lässt
sich die Perforationsstelle nicht nachweisen. Es kann eine Naht
ausgerissen oder zu einem Geschwür Veranlassung gegeben haben.
Vielleicht hat auch das Versuchsthier bei der ungenügenden Aufsicht,
der es unterlag, von einem unverständigen oder übelwollenden Patien-
ten ungeeignete Nahrung erhalten, welche eine Perforation erzeugte.
Die Nahtlinie war sehr schön verheilt, kaum mehr kenntlich.
Es ist immerhin von grossem Interesse zu sehen^ dass ein
Hund ohne Magen und Milz 3 Wochen lang, und eine Zeit in vol-
lem Wohlsein leben und dabei gut verdauen konnte. Der Tod
war gewiss keine nothwendige, sondern nur eine zufällige Folge der
Operation.
Tafel I, Fig. 2 zeigt den ausgeschnittenen Magen mit Milz und
Netz in natürlicher Grösse.
Fig. 1 zeigt den von hinten aufgeschnittenen Oesophagoduo-
denaltractus. Die Nahtlinie a b ist auf der Zeichnung viel deutlicher
markirt als an dem Präparat selbst. Die Grenze des Oesophagus c
und des Cardiatheiles des Magens ist durch den Uebergang des
Pflaster- zum Cylinderepithel sehr scharf zu erkennen. Am Gardia-
theil sind reichliche Längsfalten und die trichterförmige Innenseite
des vorderen Zwickels leicht zu sehen. Die circuläre Narbe ist sehr
solid; sie befindet sich 2 Gtm. unterhalb der unteren Oesophagus-
Beiträge zur den Operationen am Magen. |55
grenze, nur an einer Stelle springt eine Seidennaht in das Lumen
vor. Am Duodenum d keine Abnormitäten.
Um zu prüfen, ob die Exstirpation des Magens allein günstigere
Resultate aufweise, wm'de bei einer 3. Versuchsanordnung Milz und
Netz zurückgelassen. Unter Spray wurde wieder in der linea alba
incidirt, der Magen vorgezogen, erst das Netz an der grossen Cur-
vatur vom Pylorus anfangend sorgfältig abgelöst und die Gefässe
womöglich vorher unterbunden. Dann wurden die Gefässe an der
kleinen Curvatur gesichert und hierauf in der Pylorusgegend der
Magen abgeschnitten und dann auch am Cardiatheil durchtrennt, wobei
diesmal eine allzu grosse Spannung des letzteren vermieden wurde.
Eine so operirte Katze starb nach 12 Stunden. Von 4 Hun-
den starben 3, der eine an eitriger Peritonitis; von den andern
beiden fehlen genügende Sectionsberichte. Nur der Hund, an wel-
chem der 13. Versuch gemacht wurde, lebt noch heute und hat sich
von den Complicationen, die ihn während seiner Reconvalescenz
trafen, längst vollständig erholt. Bei dem ziemlich kleinen, 5850 Gramm
wiegenden Hunde wurde fast der ganze Magen entfernt (15 Ctm.
grosse und 5 Ctm. kleine Cairvatur) und die Wunde mit Catgut
genäht. Als er einen Monat nach der Operation fast erfroren und
verhungert war, wog er nur noch 4480 Gramm und im September
dieses Jahres betrug sein Gewicht 7000 Gramm. Er frisst genau
dasselbe Futter wie die übrigen Hunde und befindet sich ganz wohl
dabei, wie seine Gewichtszunahme evident beweist.
Stellen wir nochmals die Resultate unserer Vivisectionen zu-
sammen, so haben mit Ausnahme eines Kaninchens sämmtliche
Versuchsthiere (3 Hunde und 1 Katze) die partielle Magenresection
(Gastrektomia partialis) überstanden.
Von 5 Hunden, bei denen Magen, Milz und Netz exstirpirt
wurde (Splenogastrektomie), lebte ein Hund 21 Tage, die übrigen
starben im Verlauf der nächsten 2 Tage.
Von 5 Versuchsthieren, bei welchen der Magen allein exstirpirt
wurde (Gastrektomia totalis), lebt ein Hund jetzt noch (10 Monate
nach der Operation); die übrigen gingen innerhalb 24 Stunden zu
Grunde.
156 Dr- F- F. Kaiser.
Wie verhalten sich diese Resultate zu denen anderer Experi-
mentatoren ?
Von den 3 Hunden, an denen Merrem ^) experimentirte,
starb einer am Tage nach der Operation, ein zweiter ging trotz
sorgfältiger Nachbehandlung am 22. Tag zu Grunde, und ein dritter
wurde anscheinend im besten Wohlbefinden am 27. Tage nach der
Operation gestohlen. Merrem hatte bei allen den Pylorus exstirpirt
und den Magen in das Duodenum invaginirt.
James Reoch^) spricht der Gastrostomie beim Menschen das
Wort auf Grund folgender Experimente:
Eine Katze, der er ein kleines Stück aus dem Magen exstirpirte
(er fixirte die Magenwunde an die Bauchwand und verstopfte die
Wunde mit einem Stückchen Schwamm), starb am 10. Tag an
Erschöpfung; eine andere Katze starb am 2. Tage nach der Ope-
ration. Ein Hund , den er ähnlich operirte, lebte 3 Tage und ein
zweiter blieb mehrere Monate lang gesund.
Noch ungünstiger sind die Resultate der Versuche von Klemen-
siewicz^), die er zur Gewinnung von Sekret des Pylorustheils an
Hunden anstellte. Er schaltete den Pylorustheil des Magens aus dem
Verdauungskanal aus. Er durchschnitt die pars pylorica knapp vor
dem Pylorus und dann trennte er den Magen an der vorderen Grenze
des Pylorustheils, vernähte die untere Oeffnung vollständig mit Gat-
gut, die vordere nur zum Theil und bildete so einen Pylorussack,
dessen freie Oeffnung in die Bauchwand eingenäht wurde. Das
Duodenum wurde mit dem Fundus vereinigt, nachdem das Schnitt-
ende des letztern entsprechend durch Darmnaht verkleinert worden
war. Die ersten 3 Hunde gingen innerhalb 6 Tagen an einer hef-
tigen Peritonitis, welche regelmässig auftrat, zu Grunde. Die Naht-
stellen waren immer gut verheilt, Verbindung zwischen Magen und
Duodenum frei. Bei 7 andern Hunden erfolgte der Tod spätestens
') A. a. 0.
») Lancet 1874 II, July 11.
') Klemensiewicz, lieber den succus pyloricus. Sitzungsberichte der
kaiserlichen Akademie der Wissenschaften, Mathematisch - naturwissenschaftliche
Klasse. Wien 1875. März, S. 249.
Beiträge zu den Operationen am Magen. j^57
nach 53 Stunden. Es wurde nun die Operation modificirt und der
Pylorus nur abgebunden und in die pars pylorica und pars cardiaca
eine Ganüle eingebunden. Sechs auf diese Weise operirte Hunde
gingen ebenfalls innerhalb längstens 89 Stunden zu Grunde.
Gussenbauer und von Winiwarter haben von ihren
8 Versuchsthieren, an welchen sie die partielle Magenresection aus-
führten nur 2 längere Zeit am Leben erhalten (2 und 5), während
1, 3, 6, 8 an septischer Peritonitis, 4 und 7 an Peritonitis durch
Austritt von Mageninhalt innerhalb der ersten 5 Tage zu Grunde
gingen, aber auch in den ungünstig verlaufenen Fällen war der
locale Befund an der Magenwunde ein überraschend günstiger.
Nachdem Gussenbauer und von Winiwarter durch ihre
Thierexperimente die Möglichkeit der Pylorusexstirpation nachgewiesen
hatten, was durch unsere günstigeren Resultate vollkommen bestätigt
wird, unterzogen sie sich der grossen Mühe, die Fälle von Magen-
carcinom, die während 56 Jahren in den Sectionsprotokollen des
Wiener pathologisch-anatomischen Institutes verzeichnet waren, zu-
sammen zu stellen und einer genauen Analyse zu unterwerfen.
Es stellte sich dabei heraus, dass unter 903 Fällen von Magen-
carcinom in 542 Fällen der Pylorus erkrankt war und dass von
diesen Fällen 223 ohne Secundärcarcinom und 172 ohne Verwach-
sungen mit der Umgebung bestanden hatten, ein Ergebniss, das
vollständig mit den Angaben von Brinton^) übereinstimmt, der in
60*^/0 der von ihm zusammengestellten Fälle von Magenkrebs eben-
falls Pyloruscarcinom fand, während Lebert^) den Procentsatz
desselben nur auf 51*^/o angibt.
An der Vorder- und Hinterwand und an den Gurvaturen ist
der Sitz der Magencarcinome ungleich viel seltener. *
In den Fällen, wo noch keine Secundärerkrankungen vorhan-
den sind, ist der Pyloruskrebs ein locales Leiden, welches zunächst
durch die mechanische Behinderung der Fortbewegung der Inges! a
^) Ziemssen, Handbuch der speciellen Pathologie und Therapie, Bd. VIT, 2.
Leube, Magen und Darm. S. 122.
2j Lebert, Ueber Magenkrebs. Deutsches Archiv f. klin. Medicin, 1877.
158 Dr. F. F. Kaiser.
aus dem Magen die Ernährung schwer stört und den Organismus
zu Grunde richtet.
Die interne Medicin hat sich den Magen- wie den andern Gar-
cinomen gegenüber bis jetzt machtlos erwiesen. Diese Kranken bieten
dem internen Kliniker Interesse bis die Diagnose gemacht ist. Dann
wird die Prognose absolut ungünstig gestellt, vielleicht mit der
Magen pumpe noch vorübergehende Erleichterung geschaffen, aber
bald bei diesen Todescandidaten die Euthanasie mit Morphium ein-
geleitet. Bei der klinischen Autopsie wird die Richtigkeit der Diagnose
bestätigt.
Bei der offen anerkannten Unmöglichkeit, diese schreckliche
und häufige Krankheit mit inneren Mitteln zu bekämpfen, muss
jeder andere irgend Aussicht auf Erfolg bietende Vorschlag mit
Dank aufgenommen werden und als einziges Mittel erscheint bis jetzt
die Exstirpation der erkrankten Parthie, wie sie zuerst von Merrem
und jetzt wieder von Gussenbauer und v. Winiwarter und
von Billroth befürwortet wurde.
Der Erfolg einer gelungenen Gastrektomie kommt einer Radical-
heilung gleich und diese Operation bietet somit ein viel günstigeres Re-
sultat als die Gastrostomie bei Oesophaguscarcinom, die ja leider nur
für einige Zeit den tödtlichen Ausgang des Uebels verschieben kann, da
die erkrankte Stelle bei letzterer gar nicht angegriffen werden kann.
Die Furcht vor dem Recidiv darf uns nicht abhalten zu operiren,
denn sonst wären auch bei vielen andern äusserlich zugänglichen
Carcinomen die Hände des Chirurgen gebunden.
Wenn auch der Patient Reybard's, an dem er ein carci-
nomatöses Stück Darm exstirpirte (1844), nach 6 Monaten an Recidiv
zu Grunde ging, so war das gewiss keine Nothwendigkeit und wir
mij^sen das kühne Vorgehen dieses Chirurgen nur bewundern.
Es kommt für die Stellung der Indication für die Gastrektomie
zunächst die Schwierigkeit der Diagnose der Magen- resp. Pylorus-
carcinome in Betracht. Selbstverständlich darf nur nach deren
Sicherstellung operirt werden, wenn auch eine anderwärts nicht
gefürchtete probatorische Incision auch hier nicht gefährlicher ist.
Fixer Schmerz in der Magengegend, Erbrechen nach dem Essen,
Beiträge zu den Operationen am Magen. j^59
Abmagerung, Dilatation des Magens bedingen wohl den Verdacht
auf Magencarcinom , der aber erst dadurch nahezu zur Gewissheit
erhoben wird, dass es gelingt, in der oberen Bauchgegend eine
Geschwulst zu fühlen. Verwechselung mit schwieligen, nicht malignen
Verdickungen der Pylorusgegend, festem abgesacktem peritonitischem
Exsudat, Geschwülsten des Pankreas, der Leber und des Netzes
könnte immer noch geschehen. Gelingt es nicht im Erbrochenen
Krebselemente nachzuweisen, so bietet die von Gussenbauer und
V. Winiwarter vorgeschlagene Harpunirung des Tumors ein neues
differentialdiagnostisches Auskunftsmittel. Würde man sich bei su-
specten Fällen der Untersuchung in der Narkose bedienen , die bis
jetzt dazu nicht angewandt wurde, so würde es sicher oft gelingen,
viel frühzeitiger die Anwesenheit eines Tumors und seine Beziehungen
zur Umgebung zu diagnosticiren und rechtzeitig zum operativen
Eingriffe zu schreiten.
Dass hochgradige narbige , nicht krebsige Pylorusstenosen , die
sicher zum Tode führen, ein viel geeigneteres und günstigeres Object
für die Gastrektomie abgeben, als Pyloruscarcinom hat mit Recht
Gussenbauer schon betont.
Als Gegenanzeigen gelten selbstverständlich Altermarasmus, zu
weit vorgeschrittene Kachexie der Patienten, und der Nachweis von
Metastasen ebenso gut als bei der Gastrostomie.
Die Ausführung der Gastrektomie bietet keine allzugrossen
Schwierigkeiten. Durch einen Schnitt in der linea alba oberhalb
des Nabels findet man sicher den Pylorustheil des Magens oder den
Pylorus selbst und wird denselben, wie bei den Thierexperimenten
ausführlich beschrieben, loslösen und nach Stillung etwaiger Blutung
im Gesunden exstirpiren.
Die Wundflächen werden je nach Bedürfniss mit oder ohne
Zwickelbildung vereinigt. Zur Naht entspricht allen Anforderungen
die oben angewandte modificirte Lembert'sche Darmnaht oder,
wenn man breitere Streifen der Serosa in Berührung bringen will,
eine zweireihige Etagennaht (s. oben S. 29) welche vor der Gussen-
bauer'schen Darmachternaht den Vorzug leichterer Ausführbarkeit
besitzen dürfte und »doch genügende Sicherheit bietet.
160 Dr- F. F. Kaiser.
Vorbereitung des Operateurs durch Thierexperimente und am
Cadaver ist unerlässlich , wenn man seiner Sache sicher sein will,
indem dadurch der Verlauf der Operation wesentlich abgekürzt und
die Chance des Gelingens erhöht wird.
Ich zweifle nicht, dass Billroth's prophetisches Wort über
die Exstirpation eines carcinomatös degenerirten Magenstückes bald
in Erfüllung gehen wird, wie auch wenige Jahre nach seinem auf
Vivisectionen gegründeten Vorschlag der Resection des Oesophagus
(Oesophagektomie) die glückliche Ausführung durch Professor Czerny
gefolgt ist.
IV.
lieber die Plastik mit granulirenden
Hautlappen.
Von
Prof. Dr. Czerny.
Hiezu Tafel II.
Czerny, Beiträge zur operativen Chirurgie. 11
Gräfe, der Wiederentdecker der Tagliacozza'schen Rhino-
plastik, hat so früh die italienische Methode, bei welcher bekanntlich
ein seit längerer Zeit vorbereiteter Armhautlappen zur Nasenbildung
benützt wird, verlassen, dass man sich nicht wundern darf, wenn
nur selten vorbereitete, granulirende Lappen zur Plastik verwendet
worden sind. Erst Thiersch und Billroth haben bei ihren Opera-
tionen der Blasenspalte und Epispadie wieder auf den Werth der
Methode hingewiesen, und Letzterer hat ihr noch neuen Boden bei
der Deckung eines Ulcus prominens der Ferse ^) und bei dem Ver-
schlusse einer Magenbauchwandfistel 2) verschafft. Durch briefliche
Mittheilungen erfuhr ich sogar, dass Billroth auch den Scheiden-
verschluss mit einem vorbereiteten Lappen ähnlich wie in meinem
dritten Falle ausgeführt habe.
Der wichtigste Vortheil granulirender Hautlappen liegt darin,
dass sie, wie granulirende Wunden überhaupt, w^eniger dem Einflüsse
schädlicher Flüssigkeiten, wie alkalischer Harn, Darminhalt, Jauche etc.
ausgesetzt sind, als frischgeschnittene Wunden. Der Gefahr, dass
der in der Nähe einer Harn oder Koth entleerenden Oeffnung aus-
geschnittene Lappen doch inficirt werden kann, bevor er zu granu-
liren anfängt, kann man dadurch entgehen, dass man die frische
Wunde mit einer 8°/o Ghlorzinklösung oberflächlich ätzt. Wegen
dieser Eigenschaft werden sich granulirende Lappen ganz besonders
^) Güssen bau er. Zur Casuistik plastischer Operationen an den Ex.
treniitäten. Deutsche med. Wochenschrift 25. Dez. 1875.
^) A. Wölfler. Die Magenbauchwandfistel und ihre operative Heilung.
Arch. für klinische Chirurgie XX. Bd. 3, Heft.
j^ß4 D"^« Gzerny.
zur Deckung ausgedehnter Defecte an den Harnorganen, am Darm-
tractus, vielleicht auch an der Trachea eignen.
Ferner sollte man erwarten, dass ein granulirender Lappen, bei
dem die Gefässe in lebhafter Neubildung begriffen sind, sich leichter
mit seinem neuen Nährboden in Gefässverbindung setzen wird, dass
er somit schneller anheilt, und dass die Ernährungsbrücke früher
durch trennt werden kann. Gussenbauer konnte in seinem Falle
17 Tage nach der Einpflanzung, ich 14 Tage nach derselben die
Ernährungsbrücke lösen , während man diese Operation bei der
gewöhnlichen Rhinoplastik aus der Stirne meistens erst in der
4. Woche vornimmt. Allein Gräfe wagte dasselbe bei seinen frisch
übertragenen Armhautlappen schon am 6. bis 10. Tage! ^) Man
muss also noch mehr Erfahrungen sammeln, um diese Vermuthung
zu bestätigen. Sie würde ganz besonders werthvoll sein in den
Fällen , wo der Lappen von einem entfernten Körpertheile , der bis
zur Anheilung in erzwungener Stellung gehalten werden muss, her-
genommen worden ist, wie bei der Deckung von Fussgeschwüren
durch die Haut des anderen Fusses.
Schon von den Nachfolgern Gräfe's wurde seiner Methode vor-
geworfen, dass die Secretion eines frisch geschnittenen Nasenlappens
sehr stark sei und vor dem Eintritt der vollständigen Wundreini-
gung übel rieche. Granulirende Lappen zeigen diesen Uebelstand
allerdings nicht in so hohem Grade, allein sie sind dafür wieder so
starr, dass sie sehr lang geschnitten werden müssten, wenn sie eine
grössere seitliche Drehung erlauben sollen, und wegen ihrer Starrheit
lassen sie eine so feine Modellirung nicht zu, wie sie für Plastiken
am Mund und an der Nase erwünscht ist.
Als fernere Beispiele von der Brauchbarkeit dieser Methode
mögen folgende 3 Fälle dienen.
^) Zeis, plastische Chirurgie, ßprliii, 1838, S. 89.
Ueber die Plastik mit granulirendea Hautlappen. j^ß5
1. Heilung eines durchbohrenden Fusssohlen-
geschwüres durch Resection und Plastik.
Philipp Banwarth, 44 Jahre alt, Taglöhner, war schon im
Jahre 1872 wegen einer Circulärsägenverletzung beider Hände, die
blos geringe Narbenspuren hinterlassen hat, in Behandlung. Andere
Krankheiten soll er nicht durchgemacht haben. Im Jahr 1875 be-
kam er, angeblich durch Stiefeldruck, eine eiternde Blase an der
Sohle des rechten Fusses, entsprechend dem Köpfchen des 1. Mittel-
fussknochens , die aufbrach. Da die Wunde nicht sehr schmerzte,
arbeitete er weiter, bis sich ein Geschwür von Thalergrösse gebildet
hatte. Am 18. Juni 1875 trat er in Säckingen in das Spital. Da
jedoch das Geschwür nicht heilte, trat er am 8. Sept. wieder aus und
kam am 28. Sept. 1875 in die Freiburger Klinik. Bei dem kräftigen,
gesund aussehenden Manne war weder durch die Anamnese noch durch
die genaueste Untersuchung eine Spur von syphilitischer Infection
nachweisbar. Am Ballen der rechten grossen Zehe war ein mehr als
Mark-grosses, missfarbiges, stinkendes, trichterförmig sich vertiefendes
Geschwür, welches dünnflüssige Jauche secernirte. Die Umgebung
desselben war stark geröthet und infiltrirt. Die Sonde kam nicht
auf Knochen, obzwar angeblich schon in Säckingen ein Knochen-
splitter abgegangen sein sollte. Das Metatarsophalangealgelenk war
nachweisbar erkrankt. Das Geschwür war wenig empfindlich, da-
gegen wurde in der ganzen Umgebung so gut wie auf der linken
Seite lokalisirt und es waren keine anästhetischen Stellen nachweis-
bar. Das Geschwür wurde mit dem scharfen Löffel ausgekratzt und
mit Chlorzinklösung geätzt. Ruhige horizontale Lage und wieder-
holte Aetzungen mit Höllenstein führten bis zum 15. Oktober die
Heilung herbei.
Obgleich der Kranke angewiesen wurde, den Fuss möglichst zu
schonen und sich sogleich wieder zu legen, falls die Narbe wieder
aufbrechen sollte, kam er doch erst am 8. Dezember und berichtete,
dass kaum 4 Tage nach seiner Entlassung schon wieder ein Ge-
schwür entstanden sei.
IQQ Dr. Czerny.
Dasselbe war wieder sehr verwahrlost, wohl von der Grösse
eines Fünfmarkstückes, und vertiefte sich bis auf das Köpfchen des
Mittelfussknochens , das man mit der Sonde entblösst fand. Nach-
dem das Geschwür durch Chlorkalküberschläge und ruhige Lage ge-
reinigt war, wurde es am 4. Dezember mit dem scharfen Löffel
ausgekratzt und dabei der grösste Theil des cariösen Capitulum
metatarsi primi entfernt. Die Wunde granulirte bald gut und heilte
im Februar 1876 zu. Zur Schonung der Narbe wurde der Kranke
noch bis zum 31. März im Spitale behalten und der Fuss mit Bädern
und Glycerineinreibungen behandelt.
Obzwar die Heilung diesmal etwas längeren Bestand hatte,
kam der Kranke doch schon wieder am 23. Mai mit einem Fünf-
mark-grossen Geschwür an der alten Stelle ins Spital. Der übrige
Befund wie früher. Die Sonde stiess auf entblössten Knochen, das
Metatarsophalangealgelenk war fest ankylosirt, die Zehe nach auf-
wärts gerichtet.
Da man sich gestehen musste, dass selbst eine wiederholte
Ausheilung nur kurzen Bestand haben würde, weil die Narbe an einer
mechanischen Insulten sehr ausgesetzten Stelle lag und fest dem
Knochen adhärirte, so wurde schon die Frage einer Amputation in
Erwägung gezogen, und der Kranke erklärte sich zu Allem bereit,
um nur die Heilung zu erzielen.
Wegen des grossen Substanzverlustes an der Fusssohle wäre
jedoch blos für den Chopart'schen Stumpf genügendes Material für
eine derbe Bedeckung vorhanden gewesen. Indessen konnte ich mich
dazu noch nicht entschlicssen und schlug dem Kranken die noch-
malige Resection des kranken Knochens mit Bedeckung des Sub-
sanzverlustes durch einen Hautlappen der anderen Wade
vor. Am 30. Mai wurde der Geschwürsgrund durch einen Längsschnitt,
der bis auf den Knochen drang, gespalten, die Weichtheile mit dem
Raspatorium vom Knochen gelöst und mit einer starken Weiss'schen
Knochenzange ein 3 Gtm. langes, dem knöchern verwachsenen
ersten Metatarsophalangealgelenke entsprechendes Knochenstück ent-
fernt. Lister'scher Verband. Die Zehe wurde durch Salicyljutte
aus ihrer hyperextendirten Stellung in die normale herabgedrängt.
lieber die Plastik mit granulirenden Haullappen. 167
Die Wundreaction war sehr gering, jedoch wurde wohl durch ein
Versehen das Secret am 8. Juni übelriechend. Nichts desto weniger
reinigte sich die Wunde bald und verkleinerte sich wesentlich.
Am 28. Juni wurde aus der linken Wade, derjenigen Stelle
entsprechend, die am bequemsten mit der rechten Fusssohle in Ver-
bindung gebracht werden konnte, ein querer, brückenförmiger Haut-
lappen von 9 Ctm. Länge, 5 Gtm. Breite losgelöst, seine wunde
Fläche mit Ghlorzinklösung bestrichen, mit Kautschukslreifen unter-
legt und dann mit Garbolcompressen verbunden.
Am 29. Juli wurde die (bei horizontaler Lage des Kranken)
untere Brücke des Lappens mit dem Messer durchschnitten. Dann
wurde jeder Fuss bis zur Mitte des Oberschenkels in der für die
Vereinigung geeignetsten Stellung mit einem gefensterten Gypsver-
bande versehen, dann der den Zehen zunächst hegende Saum des
Geschwüres angefrischt und mit dem ebenfalls angefrischten, unteren
Lappenrande durch 7 Seidennähte vereinigt, nachdem die beiden
Gypsverbände durch eine kräftige Gypsbindenspange unbeweglich
mit einander verbunden waren (Taf. IL Fig. 1.)
Ein starker Holzstab, der in der Gegend der Kniekehlen eben-
falls an beiden Verbänden durch Gypsbinden befestigt wurde, ver-
stärkte noch die Verbindung und diente zugleich, je nach dem
Wunsche des Kranken, zur Suspension der Extremitäten. Der
granulirende Hautlappen brauchte nicht seitlich gedreht, sondern
blos umgeschlagen und auf die Sohlenwunde emporgehoben zu wer-
den, was wegen seiner Starrheit sich als ein grosser Vortheil er-
wies. Der Lappenrand passte genau und ohne Zerrung in den
Geschwürsrand und wurde durch einen leichten Druckverband mit
Garbolwatte auf seine neue Unterlage angedrückt. Die Nähte wurden
am 3. und 4. Tag entfernt. Vierzehn Tage nach dieser Operation
wurde die Ernährungsbrücke des Lappens an der linken Wade ganz
abgetrennt, nachdem sie schon an den zwei vorhergehenden Tagen
durch seitliche Einschnitte verschmälert worden war. Dann wurden
die Gypsverbände entfernt und der etwas bläulich verfärbte Lappen mit
Heftpflaster leicht an die granulirende Wunde angedrückt. Es trat
eine ganz geringe Randgangrän ein , nach deren Abstossung jedoch
168 Dl'- Czerny.
der Lappen noch immer 1 Ctm. breit die wunde Fläche des Fuss-
ballens am äusseren und hinteren Rande überragte. Am 22. August
wurde desshalb der unter dem Lappen liegende Narbenrand ab-
getragen, so dass der Lappen ganz genau in den Defect passte. Die
vollständige Heilung beider Wunden, sowohl der an der Fusssohle,
wie jener an der Wade, erfolgte anfangs September. Der deutlich
abgegrenzte, weiche, mit spärlichen Haaren besetzte Lappen an der
Fusssohle war noch 4 Ctm. lang und breit und von der Umgebung
deutlich abgegrenzt (Taf. IL Fig. 2). Die Narbe an der Wade war
2 Ctm. breit und lang, jedoch mit dünnen, den Seitenincisionen ent-
sprechenden Narbenstreifen besetzt.
Am 8. Januar 1877 stellte sich der Kranke wieder in der
Klinik vor. Der Lappen auf der Fusssohle war gesund gefärbt, mit
spärlichen Haaren besetzt, derb und auf der Unterlage mit der um-
gebenden Narbe beweglich. Auch die Narbe an der Wade war viel
schmäler geworden und mit gesunder Epidermis bedeckt. Der
Kranke muss in einer Fabrik bei der Arbeit fast den ganzen Tag
stehen und kann längere Märsche machen, hn Anfange sei einmal der
Narbenrand aufgebrochen, aber nach kurzer Zeit wieder zugeheilt.
Er trägt in seinem Stiefel eine Filzsohle, welche dem Lappen ent-
sprechend einen Ausschnitt hat, so dass der Lappen möglichst vor
Druck geschützt ist.
2. Heilung eines varicösen Fussgeschwüres durch
einen Lappen vom anderen Unterschenkel.
Stroh Philipp, 23 J. alt, Mechaniker. Im Jahr 1874 soll er
während des Militärdienstes an acutem Gelenkrheumatismus und einem
pockenähnlichen Ausschlag, der sich besonders um die Gelenke der
Beine fixirte, gelitten haben. Bald darauf wurde er entlassen. Einige
dieser Pusteln am linken Unterschenkel confluirten und wandelten
sich, da er dabei immer herumging, in ein Geschwür um.
Am 31. August 1875 kam er zum ersten Male ins Hospital
und als er am 25. Juni 1876 zum 4. Älale eintrat, berichtete er,
dass er jetzt im Ganzen über 30 Wochen mit seinem Fussgeschwür
Ueber die Plastik mit granulirenden Hautlappen. j^ßQ
im Spital zugebraclit habe, dass die Heilung nie länger als 4 Wochen
angehalten habe, obzwar er jedesmal nach vollendeter Heilung noch
durch 8 bis 10 Tage zur Consolidirung der Narbe zurückgehalten
Avorden war. Bei seiner letzten Aufnahme sah der recht in-
telligente Kranke sehr herabgekommen aus und fieberte heftig.
Das Geschwür war an der Vorderfläche der linken Tibia festsitzend,
10 Ctm, lang und wohl 6 Ctm. breit mit scharfgeschnittenen Rändern,
gangränös. Die Umgebung desselben war blau verfärbt, stark in-
filtrirt, entzündet, der Unterschenkel etwas ödematös. Da der Patient
sich jeder Cur unterziehen wollte, um nur endlich dauernd seinem
lohnenden Geschäfte nachgehen zu können, schlug ich ihm die
Transplantation eines Hautlappens von der rechten Wade auf das
linksseitige Fussgeschwür vor. Da sich durch Ghlorkalküberschläge
der Geschwürsgrund bald reinigte, schnitt ich aus der rechten Wade,
der Längsrichtung des Schenkels entsprechend, einen brückenförmigen
Hautlappen von 11 1/2 Ctm. Länge und 8V2 Ctm. Breite aus, der
sich nach unten verschmälerte und oben handbreit unter der Knie-
kehle endigte. Er wurde von der Fascie gelöst und mit einer
Kautschukplatte unterlegt. Die Granulationen entwickelten sich nur
sehr langsam, wesshalb erst am 29. Mi die untere Hautbrücke
durchtrennt wurde. Dann folgte wieder die Anlegung gefensterter
Gypsverbände an beiden Beinen, dann die Anfrischung, dann die
Verbindung beider Gypsverbände in ähnlicher Weise wie im vorigen
Falle und endlich die Vereinigung des Lappenrandes mit dem an-
gefrischten Rande des mittlerweile auf die Hälfte verkleinerten Ge-
schwüres.
Der Lappen musste etwas seitlich gedreht werden und löste
sich desshalb an der Ecke, wo die Spannung am grössten war, ein
wenig, als am 3. Tage die Nähte entfernt wurden. Die Wunden
zwischen den Unterschenkeln Hessen sich nur schwer reinigen und
am 13. August sahen die Wunden missfarbig, zerfallen aus, wie
bei flachem Hospitalbrand. Eine genaue Untersuchung der Verbände
mit Erweiterung der Fenster ergab, dass sich Fliegenmaden ein-
genistet hatten. Nach deren Entfernung reinigte sich die Wunde
bald wieder und der Lappen verklebte der ganzen Fläche nach mit
170 Dr. Czerny.
der Wimdfläche. Am 16. und 19. August wurde die Ernährungs-
brücke durch seitliche Einschnitte verschmälert, am 21. ganz ab-
getrennt, der Lappen auf die Geschwürsfläche mit Seifenpflaster
angedrückt und dann die Gypsverbände entfernt. Am 29. August
wurde die untere Peripherie des Lappens, die theil weise den Be-
narbungsrand des mittlerweile verkleinerten Geschwüres überragte,
angefrischt und dem ebenfalls wund gemachten Geschwürsrande mit
Silberdrähten genau adaptirt. Die Wunde an der rechten Wade
vernarbte durch wiederholte Pfropfung von Hautstückchen bis zum
10. Oktober. Der überpflanzte Hautlappen war weich, auf der
Unterlage verschiebbar und contrastirte durch seine normale Haut-
farbe sehr stark von der lividrothen Umgebung. Seine Länge betrug
6 Ctni., seine Breite A^J2 Ctm. Der Kranke stellte sich im November
nochmals vor, nachdem er einige Tage herumgegangen war. Der
Lappen sah ganz gut aus und auch seine Umgebung schien so solid
zu sein, als ob eine dauernde Heilung zu gewärtigen wäre.
Der Kranke ist am 8. Aug. 1877 in die Heidelberger Klinik mit
folgendem Status eingetreten: Der Hautlappen ödematös, 1 Ctm. dick,
von normaler Farbe und vollkommen wohl erhalten. In der nächsten
Umgebung desselben, welche livid braun verfärbt war, befanden sich
an 5 Stellen erbsen- bis kirschengrosse oberflächliche Geschwüre, welche
durch Rückenlage und Transplantationen in 4 Wochen geheilt wurden.
Nach Aussage des Patienten soll er bis vor 4 Wochen gesund ge-
wesen, und sollen erst seitdem die Geschwüre entstanden sein.
Während die älteren Versuche von Wutzer und Szyma-
nowski^), Unterschenkelgeschwüre durch Plastiken mit Benutzung
der Haut des anderen Fusses zu heilen, bisher erfolglos waren und
desshalb wohl nur selten nachgeahmt worden sind, waren die Ope-
rationen von Gussenbauer und die meinigen vom besten Erfolge
gekrönt. Ich möchte denselben nicht so sehr der Benützung granu-
lirender Lappen zuschreiben, als vielmehr der besseren Technik des
*J S z y m a n o \v s k i , Handbuch der operativen Chirurgie , deutsch von
Uhde. BraunschAveig 1870. p, 165.
Ueber die Plastik mit granulirenden Hautlappen. j^7l
Gypsverbandes, wodurch die beiden Beine bequemer für den Patienten
in unverrückbarer Stellung erhalten wurden. Nichts desto weniger
würde ich in einem nächsten Falle wieder vorbereitete Lappen be-
nützen, da sie sich so gut bewährt haben.
üebrigens hoffe ich, dass wir in kurzer Zeit darüber spotten
werden, dass wir uns zur Heilung chronischer Fussgeschwüre noch
so complicirter und mühsamer Operationsmethoden bedient haben.
Denn die Erfahrungen mit Reverdin's Transplantationen berechtigen
zu der Hoffnung, dass eine consequent durchgeführte Experimental-
reihe recht bald zur Wiederentdeckung der alten indischen Plastik
mit ganz getrennten Hautlappen führen wird. Schon jetzt gelingt
es oft genug, markgrosse Hautstücke zu transplantiren, so dass die
Erwartung wohl nicht übertrieben ist, dass die Bedingungen, unter
welchen noch grössere Hautstücke mit Sicherheit methodisch über-
tragen werden können, bald festgestellt werden dürften. Ja selbst
die einstige Benützung von Thierhaut gehört nach den Erfahrungen
der Augenärzte bei Uebertragung von Kaninchenbindehaut auf den
Menschen nicht zu den Unmöglichkeiten.
So lange diese Entdeckungen noch ausstehen, werden obige
Versuche wohl noch öfter Nachahmung finden. Ein grosser Nach-
theil dieser Methode liegt darin, dass am gesunden Unterschenkel
eine Narbe mit ihren bekannten Gefahren zurückbleibt. Wenn auch
die Wahrscheinlichkeit nicht gross ist, dass eine Narbe an der
weichen Wade, wo Geschwüre nur selten vorkommen, sich zu einem
solchen umwandeln sollte, und obwohl bisher diese Befürchtung nicht
eingetroffen ist, so wäre es doch erwünscht, von einer anderen
Körperstelle den Ersatz hernehmen zu können. Da jedoch dabei
eine für die Dauer von 14 Tagen unerträgliche Stellung eingehalten
werden müsste, weiss ich keinen andern Rath, als auf den alten,
von Delpech^) erneuerten Vorschlag zurückzukommen, nämlich die
Haut eines anderen hidividuums zu benützen, beziehungsweise die
beiden Individuen durch Hautlappen temporär zusammenzuheilen,
obgleich auf demselben der Vorwurf der Albernheit ruht ^). Schon
*) S z y m a n 0 w s k i , I. c. p. 443.
2) Holmes, System of Surgery. X871. vol. V. p. 563.
172 Dr. Gzerny.
in Wien machte ich in diesem Sinne mit meinem Freunde Gersuny
eine Reihe von Versuchen, 2 durch Gypsverbände vereinigte Kaninchen
durch gegenseitig ausgetauschte, gestielte Hautlappen zu vereinigen.
Allein die beweglichen, weichen Thiere sind sehr schwer zu fixiren,
durch Kotli und Urin bekommen sie Druckgangrän und die Kanin-
chenhaut eignet sich nur schlecht zu plastischen Operationen, so
dass wir blos einmal eine Heilung durch 10 Tage erzielten. Am
11. starb das eine der beiden Kaninchen.
In grossen Krankenhäusern, wo Fussgeschwüre oft dutzendweise
liegen, sollten sich wohl leicht passende Individuen finden, die
gegenseitig ihre Haut austauschen würden, um für diesen Preis
dauernde Gesundheit zu erlangen. Wenn man die Beine in ge-
streckter Stellung neben einander durch Gypsverbände befestigen
würde, wäre die Lage viel bequemer als in der oben inne gehaltenen
gekreuzten Stellung beider Beine desselben Individuums. Man würde
die beiden Patienten am besten in ein breites Bett so legen, dass
sie sich gegenseitig in's Gesicht sehen, und könnte bei passender
Lage der Geschwüre zu gleicher Zeit die Oberschenkelhaut des einen
auf das Unterschenkelgeschwür des andern übertragen. Die derbere
Oberschenkelhaut eignet sich besser zu Plastiken und die Narben
wären hier nicht so gefährlich wie am Unterschenkel.
Wenden wir uns von dieser Zukunftschirurgie wieder zu
unseren Fällen, so habe ich mich zunächst zu rechtfertigen, dass ich
den ersten Fall als ein durchbohrendes Fusssohlengeschwür
bezeichnet habe, nachdem fast alle neuern Arbeiten darin überein-
stimmen, dass unter diesem Namen syphilitische, neuroparalytische
und andere Geschwüre zusammengeworfen worden sind. Wenn man
sich auf die Anamnese verlassen könnte, wäre die Annahme wohl
gerechtfertigt, dass es sich hier um eine primäre Schleimbeutel-
entzündung gehandelt habe, die secundär auf das Gelenk übergegriffen
hat. Bekanntlich hat Gössel in diese Entstehung des Mal perforant
du pied angenommen. Es scheint mir jedoch, dass von den Autoren
zu wenig Gewicht auf die sehr ungünstigen mechanischen und circu-
latorischen Bedingungen gelegt wird, unter denen die Fusssohlen-
narben besonders an den Druckpunkten stehen. Dieselben müssen
Ueber die Plastik mit granulirenden Hautlappen. ^73
hier doch mindestens eben so wirksam sein, wie bei den chronischen
Unterschenkelgesfhwüren und ihren Narben, über deren ewigen Zer-
fall sich Niemand wundert. Unter Berücksichtigung dieses Um-
stündes wird es sofort klar, warum diese Geschwüre fast immer an
der Ferse oder an dem Ballen der grossen Zehe vorkommen. Es
fällt mir nicht ein, das Vorkommen von neuroparalytischen oder gar
syphilitischen Geschwüren an der Fusssohle läugnen zu wollen, da
darüber genügend beweisende Thatsachen vorliegen; allein da ich
in meinem Falle weder das eine, noch das andere ätiologische Moment
nachweisen konnte, lag es wohl am nächsten, gerade die mechani-
schen Verhältnisse als Hauptursache des Wiederaufbruches der Narbe
anzusehen. Aus dieser Ueberzeugung schöpfte ich die Hoffnung,
durch den Ersatz der Narbe mittelst eines gesunden Hautlappens
definitive Heilung zu erzielen.
Es scheint mir nicht unpassend, für solche Fälle den Ausdruck
durchbohrendes Fusssohlengeschwür beizubehalten, wenn ich auch
damit nichts anderes ausdrücken will, als dass ich weder eine dys-
krasische noch neuroparalytische Ursache auffinden konnte, und dass
die Ulceration sich auf tiefere Gebilde erstreckte, als auf die Haut.
Ich brauche mich wohl kaum zu rechtfertigen, warum ich in
meinem zweiten Falle nicht noch wiederholte Versuche mit R e v e r-
din's Transplantation oder mit v. Nussbaum's Gircumcision
gemacht habe, denn diese Methoden können wohl eine schnellere
Heilung herbeiführen, ja selbst noch solche Geschwüre zur Vernarbung
bringen , welche auf andere Weise nicht mehr zuheilen würden.
Die so erzielten Narben sind jedoch nach meiner Erfahrung, die
wohl mit jener der meisten Chirurgen übereinstimmen dürfte, durch-
aus nicht dauerhafter, als jene, welche mit den alten Methoden
gewonnen werden.
Nicht zu alte Individuen , bei denen das Fussgeschwür nach
wiederholter Benarbung immer wieder aufbricht, werden sich am
besten zu den Ueberpflanzungen granulirender Hautlappen eignen.
Bei kleinen Defecten wird man sich natürlich nicht leicht, zu einer
so mühsamen Operation entschliessen und die grossen circulären
Fussgeschwüre , bei denen schon die Ernährung des ganzen Fusses
^^74 Dr. Gzerny.
Noth gelitten hat, erfordern so grosse Ersatzlappen, dass nicht ein-
mal die Oberschenkelhaut dieselben zu liefern im Stande wäre. Diese
Fälle bleiben nach wie vor der Amputation verfallen.
3. Verschluss des Scheideneinganges bei einem un-
heilbaren Blasendefect.
Meliert Cäcilie, 45 Jahre alt, aus Schnellingen gebürtig, wurde
vor 15 Jahren zuerst entbunden. Nachdem die Wehen 3 Tage
gedauert hatten, wurde die Embryotomie vorgenommen. Seit der
Entbindung floss der ganze Harn durch die Scheide unwillkürlich
ab. Bei der Aufnahme am 28. Okt. 1873 verbreitete sie einen
intensiv urinösen Geruch; die Innenfläche der Oberschenkel, Scham
und Aftergegend excoriirt. Die kleine, halb idiotische Kranke litt
an einer Nabelhernie und einem Mastdarmvorfall. Bei längerem
Stehen senkte sich die etwas anteflectirte Gebärmutter bis zum
Scheideneingange. Als ein Scheidenspiegel eingeführt wurde, stürzte
sofort eine ziemliche Menge trüben, etwas amoniakalisch riechenden
Urins hervor. Das Perinaeum war hoch, der Scheideneingang eng.
1^2 Ctm. hinter der Harnröhrenmündung begann ein Defect der
Blasenharnröhren-Scheidenwand, der sich bis dicht vor die Gebär-
mutter erstreckte. Die Form desselben war im Allgemeinen oval,
die Ränder hart, narbig, besonders der rechte Rand gegen die
Beckenwand hinaufgezogen. Die Blasenschleimhaut wulstig vor-
gefallen. In die Oeffnung der Blase konnten bequem 3 Finger ein-
geführt worden. Bei der bedeutenden Grösse des Defectes, welcher
sich über einen grossen Theil des Scheidengewölbes besonders nach
rechts hin erstreckte und, wie gesagt, blos l*/2 Ctm. der Harnröhre
intact Hess, war eine vollkommene Wiederherstellung des Septum
vesico-vaginale und ein genügender Verschluss der Harnröhre nur
schwer zu erwarten. Indessen wollte sich die Kranke jeder Opera-
tion unterziehen und überstand auch die grosse Zahl von operativen
Eingriffen mit grosser Geduld. Nur kurz will ich die Operationen
anführen, welche die Wiederherstellung des Septum vesico-vaginale
zum Ziele liattcn.
Ueber die Plastik mit granulirenden Hautlappen. 175
1. Operation. Am 3. November 1873 quere Vereinigung der
Fistel in einem flaclien, nach vorne convexen Bogen durch 13 Seiden-
nähte. Der Katheter wurde alle zwei Stunden gesetzt , der Urin
jedoch mindestens jede halbe Stunde durch die Urethra heraus-
geschleudert. Am 8. Nov. wurde zuerst Urinabgang durch die
Scheide bemerkt. Der Unterleib war schmerzhaft , rechts unten
leichte Dämpfung, die Wunde diphtheritisch belegt. Die Kranke
fieberte heftig bis Ende November und hatte sogar 3 Schüttelfröste.
Opium und Eisbeutel auf den Unterleib waren die wesentlichsten
Heilmittel.
Die 2. Operation am JO. Dezember bestand in einer Tförraigen
Vereinigung der angefrischten Fistelränder mit 13 Seidennähten,
wovon 5 die Harnröhre nach hinten verlängerten, während 8 die
vordere Muttermundlippe mit dem übrig gebliebenen Fistelrande in
der Quere vereinigten. Der Katheter wurde alle 2 Stunden an-
gelegt. Am 13. Dez. zuerst unwillkürlicher Harnabgang.
3. Am 27. Januar 1874 wurden blos die vorderen vier Fünftel
der Oeffnung angefrischt und in der Längsrichtung durch 9 Nähte
vereinigt. Wieder ohne Erfolg.
4. Da die Patientin nach jeder Operation sehr heftiges und
lang dauerndes Erbrechen bekam, wurde von nun an ohne Chloro-
form , blos nach einer subcutanen Morphiumeinspritzung operirt.
Uebrigens machte ihr Morphium ebenfalls manchmal Erbrechen.
Am 2. März wurde die Harnröhre durch 2 Nähte nach hinten ver-
längert, dann der rechte Rand der vorgefallenen Blasenschleimhaut
in Form eines Lappens gelöst , umgeschlagen , so dass die Schleim-
hautfläche gegen die Höhlung der Blase zu sah, und unter den ab-
gelösten linken Rand der Blasenscheidenöffnung durch 2 Matratzen-
nähte geschoben. Die Wundränder der Vaginalschleimhaut wurden
darüber noch mit 4 Knopfnähten vereinigt. Die Operation war
somit analog den gedoppelten Lappen von Thiersch bei Epi-
spadie, jedoch war der Verschluss von vorne herein kein vollstän-
diger und führte auch zu keiner Verkleinerung der Fistel.
5. Nach mehrwöchentlichem Aufenthalt in ihrer Heimath
176 Dr. Gzerny.
wurde am 21. Mai nochmals eine Anfrischung und Naht in der
Längsrichtung ohne Erfolg versucht.
6. Am 26. Juli sehr breite Anfrischung und Naht der vorderen
Hälfte. Bei der Entfernung der Nähte am 5. August war die Harn-
röhre um fast 2 Ctm. nach hinten verlängert. Die Kranke ver-
langte dringend nach Hause und bei ihrer Rückkehr war, wahr-
scheinlich durch den Druck der durch die Bauchpresse im Stehen
fast umgestülpten hinteren Blasenwand, die Vereinigungslinie wieder
auseinandergewichen, der Zustand wie vor der letzten Operation.
Bei der 7. und 8. Operation wurde zuerst die Vereinigung der
hinteren, dann jene der vorderen Hälfte versucht. Besonders nach
der 8. Operation trat wieder heftige peritonitische Reizung auf. Es
blieb in der Gegend des ßlasenhalses eine 6 Millimeter breite Brücke,
wodurch die Fistelöffnung in eine vordere grössere und hintere
kleinere Oeffnung abgetheilt wurde.
9. Am 29. Januar 1875 wurde die vordere Fistel mit 6 tiefen
und oberflächlichen Nähten in der Längsrichtung vereinigt. Heftiges
Erbrechen. Die Kranke musste von der Vagina aus durch die hintere
Oeffnung katheterisirt werden. Kein Erfolg.
Eben so erfolglos blieb die 10. und 11. Operation, bei welcher
der Verschluss der hinteren Fistel versucht wurde. Da besonders
der rechte Fistelrand so stark gegen den horizontalen Schambeinast
verzogen war, dass an einen definitiven Verschluss nicht zu denken
war, da ferner die Aviederholten peritonitischen Erscheinungen auf
die grosse Nähe des Bauchfelles hindeuteten , glaubte ich die Ver-
suche, ein Septum vesico- vaginale wieder herzustellen, aufgeben zu
müssen. Die quere Obliteration der Scheide hätte wegen der Kürze
der Harnröhre so weit nach vorne liegen müssen, dass der Erfolg
schon bezüglich des Gelingens, vollends aber bezüglich der Möglichkeit,
den Harn zu halten, zweifelhaft schien. Ich glaubte desshalb die
noch immer ziemlich derbe Hautbrücke, welche von der 8. Opera-
tion zurückgeblieben war, benützen zu sollen und frischte von hier
aus die Seitenwände der Scheide bis gegen das hintere Scheiden-
gewölbe in einem 1 Ctm. breiten Ringe an und nähte mit etwa
12 Seidennähten in der Längsrichtung. Es blieb nach dieser
Ueber die Plastik mit granulirenden Hautlappen. 177
(12. Operation) Längsobliteration der Scheide ein Sporn in der
hinteren Vaginalwand zurück, während die vordere Hälfte wieder
auseinander ging. Auch die quere Hautbrücke, die von der
8. Operation herstammte, war so dünn geworden, dass auf sie
nicht weiter gezählt werden konnte. So blieb denn nichts übrig,
als doch die Querobliteration der Scheide ganz vorne zu
versuchen.
13. Operation. Sie wurde am 26. August dicht am Eingange
der Scheide, entsprechend der kaum 1 Ctm. langen Harnröhre
gemacht. Die Heilung kam an den beiden Seitentheilen zu Stande.
Allein die untere Wand des Harnröhrenrestes war durch die vielen
Operationen so mit Narbengewebe durchsetzt, dass der mittlere
Theil der Querobliteration auch den folgenden Versuchen der
Vereinigung (14. und 15. Operation) im Oktober 1875 und am
3. Januar 1876 widerstand. Ausserdem wurde durch den Zug der
hinteren Scheiden wand die kurze Harnröhre fast klaffend erhalten,
so dass auch bei gelungenem Verschlusse keine Continenz zu hoffen
war. Die Scheidenöffnung war noch bequem für den kleinen Finger
durchgängig. Um diese Oeffnung zu schllessen und um vielleicht
durch einen compacten Hautlappen einen durch elastischen Druck
wirkenden Verschluss zu erzielen, beschloss ich einen vorbereiteten,
granulirenden Lappen wie einen organischen Pfropf in die Oeffnung
einzuheilen.
Die 16. Operation am 3. Febr. 1876 bestand in der Bildung
eines brückenförmigen Hautlappens, der seine Basis links von der
Harnröhrenöffnung hatte, 1^2 Zoll breit, 2 Zoll lang war und über
die linke grosse Schamlippe bis zur Schenkelbeuge reichte. Seine
wunde Fläche wurde mit 8°/o Chlorzinklösung bestrichen und eine
Kautschukplatte untergelegt, um die Wiederanheilung zu verhindern.
Nachdem der Lappen gut granulirte und sich schon einzurollen
begann, wurde am 21. Febr. (17. Operation) die untere Ernährungs-
brücke des Lappens durchtrennt und dann der Lappen um seinen
oberen neben der Harnröhrenöffnung liegenden Stiel seitlich nach
rechts gedreht, so dass der rechte Fiand des Lappens durch 6 Silber-
drahtnähte genau in den ebenfalls angefrischten rechten und unteren
Czerny, Beiträge zur operativen Cliirurgie. 12
178 l^r- Gzerny.
Rand der noch vorhandenen Scheidenöffnung eingepasst werden
konnte. Der linke Rand des Lappens wurde nicht vernäht, um
dem Urin freien Ausfluss zu gestatten. Die Heilung erfolgte in der
ganzen Ausdehnung der Nähte. Als am 26. März (18. Operation)
auch der linke Rand des Lappens in den Fistelrand eingenäht werden
sollte, war derselbe durch Schrumpfung so schmal geworden, dass
er nicht ohne Spannung mit dem Fistelrande hätte vernäht werden
können. Ich löste desshalb noch einen zweiten dreieckigen Lappen
mit oberer Basis ab und drehte ihn seitlich nach rechts, so dass er
beciuem an den angefrischten linken Rand des ersten ' Lappens
befestigt werden konnte. Dieser zweite Lappen deckte vorhangartig
den kleinen Defect und wurde, nachdem er vernäht war, noch mit
Ghlorzinklösung bepinselt und dann mit einem Drainröhrchen unterlegt,
welches für den Urinabgang Sorge tragen musste. Es wurde somit
nach dem Dieffenbach 'sehen Principe die Lochfistel in eine Gang-
fistel verwandelt, welche auch bis auf eine kleine Haarfistel zuheilte,
nachdem das Drainröhrchen am dritten Tage nach der Operation
entfernt worden war. Auch die Haarfistel heilte nach einmaliger
Aetzung mit dem Glühdrahte vollkommen.
Nun war der Scheideneingang vollständig verschlossen und
die Scheide bildete ein mit der Blase durch den grossen Defect zu-
sammenhängendes Harnreservoir , welches blos durch die Harn-
röhrenmündung nach Aussen communicirte. Leider war die Harnröhre
zu kurz , um bei aufrechter Stellung den Harn zurückzuhalten. In
horizontaler Lage blieb die Patientin längere Zeit trocken. Aller-
dings gelanges, durch einen Tarnier'schen Katheter, dessen Kugel
innerhalb der Vagina aufgeblasen wurde und der mit einem Quetsch-
hahn verschlossen getragen wurde, auch im Stehen das Harnträufeln
für eine halbe Stunde zu verhindern. Ja selbst durch eine T förmige
Bandage mit elastischem Einsätze und einer Kautschukpelotte, welche
das neugebildete Vaginalseptum gegen die Schamfuge drückte, liess
sich der Urin für einige Zeit zurückhalten, allein die Patientin ist
viel zu wenig intelligent, um diese Apparate auch nur sauber zu
halten, geschweige denn sich den Tarnier'schen Katheter selbst ein-
zuführen und aufzublasen. Ausserdem würde durch die oft nöthige
Ueber die Plastik mit granulirenden Hautlappen. 179
Erneuerung des Apparates diese künstliche Prothese der Patientin
für die Dauer zu theuer werden. Ich habe desshalb versucht, durch
wiederholte strichförmige Cauterisation der Harnröhrenschleimhaut
mit dem Glüheisen unter Benützung eines eigens zu dem Zwecke
construirten rinnenförmigen Harnröhrenspeculums die Harnröhre so
zu verengern, dass sie wenigstens bei geringerem Wasserdruck durch
elastische Kräfte schlussfähig wäre. Allein auch diese Versuche
führten nicht das gewünschte Resultat herbei.
Den Vorschlag Rutenberg's i), oberhalb der Symphyse zu
punktiren und die Harnröhre ganz zu verschliessen , halte ich dess-
halb für unpractisch, weil nach meiner wiederholt gemachten Er-
fahrung durch keinen Apparat ein ganz wasserdichter Verschluss
nach der Punctio vesicae suprapubica erzielt werden kann.
Der andere Vorschlag, die Scheide mit dem Rectum in Ver-
bindung zu setzen und dann die Harnröhre zu verschliessen, wobei
der Sphincter ani den Urin für einige Zeit zurückhalten soll, ist bei
unserer Patientin ganz zu verwerfen, weil sie ohnehin an Prolapsus
recti leidet, so dass der Sphincter ani den Harn nicht zurückhalten
könnte. Rose hat eine solche Operation in der Münchener Natur-
forscherversammlung 1877 mitgetheilt ^).
Der eigentliche Zweck der zahlreichen Operationen, den un-
freiwilligen Harnabgang zu beseitigen, ist somit vorläufig nicht
erreicht worden, allein der Fall scheint mir nichts desto weniger
der Erwähnung werth zu sein. Nicht wegen der zahlreichen
Operationen, indem die Wiederherstellung des Septum vesico- vagi-
nale durch Verschluss in der queren und in der Längsrichtung
ebenso wie mit der T förmigen Vereinigungslinie vergebens versucht
wurde, indem auch der Versuch eines gedoppelten Lappens, ebenso
wie die Längsobliteration der Scheide im Stiche Hess, sondern weil
er beweist, wie auch unter den ungünstigsten Verhältnissen die
Anheilung granulirender Lappen an den Harnorganen leicht gelingt.
^) Wiener Med. Wochenschrift 1875. Nr. 37.
') Rose, Ueber den plastischen Ersatz der weiblichen Harnröhre. Deutsche
Z. f. Chirurgie. IX. Bd., S. 122.
j^30 ^^" Czerny.
Der Verschluss des Scheideneinganges ist zwar seit Vi dal de
Cassis oft versucht worden, allein wie es scheint, erst in der
Neuzeit von Schuppert mit vollem Erfolge erzielt worden
(Hegar und Kaltenbach, operative Gynäkologie p. 352).
Ich machte bei diesem Falle noch die mir sehr werthvolle
Erfahrung, dass bei Operationen an den Harnorganen die Metall-
nähte den Seidenfäden bei weitem vorzuziehen sind und habe es
wohl zum grossen Theile den zahlreichen Operationen bei dieser
Patientin zu verdanken, dass ich bei drei anderen Blasenscheiden-
fisteln, die ich zu operiren Gelegenheit hatte (die letzte in Heidel-
berg mit 12 Nähten), die Heilung auf den ersten Sitz erzielt habe.
Erklärnng von Taf. 11.
Fig. 1. Die beiden Unterextremitäten von Philipp Bannwarth, durch Gyps-
verbände vereinigt.
Fig. 2. Die Fusssohle desselben Kranken nach der Heilung, circa auf die
Hälfte verkleinert.
a. Der transplantirte Lappen.
V.
Beiträge
zu der Statistik und den Endresultaten
der
Gelenkresectionen.
Von
Dr. W. Stark,
zur Zeit Assistenzarzt am Julius- Hospital in Würzburg.
Öobald die Resectionen festen Fuss unter den chirurgischen
Operationen gefasst hatten, gab sich bei den Anhängern derselben
das Bestreben kund, an der Hand der Statistik einerseits deren
Berechtigung andern Verfahren gegenüber in Bezug auf Mortalität
zu beleuchten, ferner deren Vortheile betreffs der hierbei zu erzielen-
den Leistungsfähigkeit der erhaltenen Extremität klarzulegen, anderer-
seits die Massregeln festzustellen, welche vor, während und nach
dem Eingriffe zu befolgen sind.
Denselben Weg schlugen Stromeyer^) und Heyfelder 2) in
ihren grössern Werken ein , indem ersterer in seinen »Maximen der
Kriegsheilkunst« das Kapitel über Gelenkresectionen auf der Basis der
einschlägigen Statistik der Kriegsjahre aufbaute, während letzterer
auch von der den Friedenszeiten entstammenden, allumfassenden
Gebrauch machte.
In der Folge wuchs der für dieses Gebiet erwachte casuistische
Sammeltrieb, welcher hauptsächlich durch den dänischen Krieg, die
Enthüllungen H a n n 0 v e r ' s (s. u.) und dessen Streit mit L ö ffler ^)
Anmerkung. Die Grundlage dieser Arbeit bilden sämmtliche Gelenk-
resectionen, die während meines Aufenthaltes in Freiburg in der Klinik beobachtet
worden sind. Nur 2 Fälle stammen aus der Privatpraxis. Wie sehr das Mortalitäts
procent durch die Einführung der Lister'schen Wundbehandlung abgenommen
hat, zeigt die am Schlüsse der Arbeit beflndhche Tabelle. Bei der Kritik der Re-
sultate habe ich Hen-n Dr. Stark vollkommen freie Hand gelassen. Czerny.
') Stromeyer, Maximen der Kriegsheilkunst, 2. Auflage. Hannover 1861.
^) Dr. Oscar Hey f eider, Lehrbuch der Resectionen. W'ien 1863.
^) Dr. Löffler, die Enthüllungen des Hrn. Prof. Di*. A. Hannover über
das Endresultat der Resectionen d. Schulter- und Ellenbogengelenks. Archiv für
kl. Ghir., 12. B., S. 305—320, Berlin 1871. — Dr. A. Hannover , Professor in
Kopenhagen: Die dänischen Invaliden aus dem Kriege 1864 in ärztl. Be-
ziehung, Arch. f. kl. Chir., 12. B. S. 412—424, 1871.
184 Dr. W. Stark.
aufgestachelt wurde, derart, dass bereits im Jahre 1871 Neudörfer*)
sich berufen fühlte, ihm Einhalt zu gebieten: »Die Gasuistik ist
gegenwärtig schon so gross , dass sie sich nur schwer übersehen
lässt; sie vergrössern hiesse die Zahl der rohen Bausteine vermehren.
Was uns jetzt noththut, ist die Verarbeitung dieses riesigen Materials
zu einem organischen Ganzen durch die chirurgische Forschung«.
Und wirklich stieg der Eifer der letzteren zugleich mit der
Menge des zu überwältigenden Stoffes. Solcher sprosste , wie von
jeher, so auch in neuester Zeit in überwiegendem Masse auf dem
Schlachtfelde empor und hatte in Fischer^), Socin^), v. Langen-
beck ') etc. tüchtige Bearbeiter gefunden.
Um aber, so zu sagen, einigermassen das Gleichgewicht im
Beobachtungsmateriale herbeizuführen, welches besonders durch den
letzten Feldzug (1870 — 71) zu Gunsten der durch Verletzungen
indicirten Resectionen allzusehr in's Schwanken gerathen war, lenkten
Billroth^), Bryk^), Hugelshofer i*^) u. A. ihr Augenmerk auf die
Errungenschaften der Friedenspraxis in dieser Richtung. So wurde
aus den »rohen Bausteinen« ein Gebäude errichtet, das, wenn auch
im Einzelnen noch unvollendet und in der Art der Ausführung
strittig, in seinen Grundmauern unerschütterlich feststeht.
Besichtigt man dasselbe genauer, ausgehend von den Mark-
steinen, welche durch die vorerwähnten Werke von Stromeyer und
Hey felder gesetzt sind, so halten gerade die unvollkommenen Parthieen
das wissenschaftliche Interesse am Meisten rege, wesshalb die ver-
schiedenen hierauf bezüglichen Entwürfe kurz verzeichnet werden
*) Neudörfer: Die Endresultate der Gelenkresectionen. Wiener medic.
Presse 1871.
*) Fischer, H.: Kriegschirurg. Erfahrungen, I. Theil. Erlangen 1872.
') S 0 c i n : Kriegschirurg. Erfahrungen. Leipzig 1872.
'j B. V. Langenbeck: Ueber die Endresultate der Gelenkresectionen
im Kriege. Arch. f. kl. Chir., 16. B. Berlin 1874.
®) B i 11 r 0 1 h : Ueber die Endresultate der Gelenkresectionen. Wiener med.
Woch. 1871, Nr. 1—7.
') Dr. A. Bryk: Beiträge zu den Resectionen. Archiv f. kl. Chir. 15. Bd.
S. 191—282 u. 487—556.
") Dr. A. Hugelshofor: Ueber die Endresultate der Ellenbogengelenk-
resectionen. D. Zeitschrift für Chirurgie. III. Band, S. 1—34, Leipzig 1873.
Beiträge zu der Statistik und den Endresultaten der Gelenkresectionen. 185
sollen. Solche existiren nun sowohl für allgemeine als für specielle
Gesichtspunkte. Ersteren gebührt der Vortritt.
Sie erstrecken sich auf Differenzen im Urtheile über die Digni-
tät, Indicationen , Zeit der Ausführung, Methode und Erfolg der
Resectionen.
Dass der Werth der Gelenkexcisionen , welcher ja an und für
sich nunmehr unangefochten bleibt, ungleich beurtheilt wird, ist
nach V. Langenbeck bedingt durch die Auswahl der Fälle, durch
die Art der Ausführung der Resection und die der Nachbehandlung.
Was die Indicationen der Operation hinsichtlich der Art der
Erkrankung resp. Verletzung betrifft, so sind diese in ihrer All-
gemeinheit nicht hinreichend zu fixiren, weil je nach dem leitenden
Principe die Grenze der ersteren von den Einen selbst bei grössern
Gelenken weit in das Gebiet der functionellen Anzeigen hineinver-
legt"), von Andern 12) der Bill roth' sehen Regel gehuldigt wird:
»Bei allen Gelenkresectionen kann nicht die Frage über die spätere
Gebrauchsfähigkeit der Extremität die Nothwendigkeit der Operation
entscheiden, sondern der Grad von Gefahr, welcher bei Vergleichung
der Behandlung ohne Operation mit der Amputation resp. Exarti-
culation und endlich mit der Resection für das Leben des Er-
krankten oder Verletzten zu erwarten ist.«
Eng damit hängt die Frage über die Zeit der Ausführung zu-
") Hüter, ein Hauptvertreter dieser Richtung, hält bei Synovitis supp. die
Gelenkresection für das sicherste Mittel, freilich am Hüft-, Knie- und Handgelenk
nur in sonst unheilbaren Fällen oder bei äusserst gefahrdrohendem Verlaufe an-
wendbar; bei besser situirten Gelenken aber auch zum Zwecke der Herstellung
der Function. Bei Ostitis hyperpl. granul. empfiehlt er sie nur nach starker
'Knochenaffection. Ferner räth er sie an bei complicirter Luxation oder Gelenk-
vereiterung nach nicht complicirter. Speciell als functionelle Indicationen wer-
den von ihm (für Schulter- und Ellenbogengelenk) Contracturen und Ankylosen, irre-
ponible Luxationen mit deletären Druckerscheinungen auf Gefässe und Nerven,
endlich habituelle, ja sogar einfache Luxationen , welche mit grosser Functions-
beeinträchtigung verbunden sind, aufgeführt. — Auch Volkmann hielt, obgleich
er bezüglich der Angabe von Indicationen reservirter war, manche der functio-
nellen (z. B. bei Luxation mit Druckparalyse) für berechtigt.
**) Neudörfer sagt : »Von der Indication der Lebensgefahr ausgehend, kann
man der Frühresection nicht das Wort sprechen, weil im Beginne der Verletzung
noch kein Zeichen von Bedrohung des Lebens vorhanden ist.«
136 Dr. W. Stark.
sammen, und da diese für die Kriegschirurgie ^ ^^ von hoher Wichtigkeit
ist, so mögen einzelne Ansichten von Specialisten hierüber citirt werden.
Stromeyer (1861) sagt: »Uebrigens gilt von den Resectionen
dasselbe wie von den Amputationen; je früher sie gemacht wer-
den, desto besser. Die Heilung erfolgt dann in wenig mehr Zeit
als nach einer Amputation und es ist desto mehr Aussicht auf ein
bewegliches Gelenk vorhanden.«
Fischer (1872)^*) tritt nur für das Schulter- und Ellenbogen-
gelenk als Apologet der primären Resection auf ^ ^). Er schenkt auch
der secundären Beachtung, wenngleich er zugibt, »dass das Ab-
warten seine Gefahren hat«. Die intermediäre Resection dagegen
ist, seiner Angabe gemäss, »wegen ihrer grössern Gefahr überall ^^)
zurückgedrängt, obwohl nicht alle Operirte starben.«
Mit solcher Hintansetzung der letztgenannten Operation erklärt
sich So ein (1872) ^'') nicht einverstanden, wesshalb dessen ziemlich
isolirt dastehende Deductionen an dieser Stelle wiedergegeben werden
sollen: »Ist diese (d. h. die Resection) primär versäumt worden
oder nicht indicirt gewesen, so wird die conservative Behandlung
fortgesetzt bis zum Eintritte der Reaction d. h. der beginnenden
Gelenkeiterung; nimmt diese einen bedrohlichen Character an, oder
handelt es sich um ein Gelenk, in welchem die Resection eine bessere
functionelle Prognose gibt, als die aus der suppurativen Synovitis
im besten Falle resultirende Ankylose, so ist die Operation sofort
vorzunehmen, hi solchen Fällen wartet man also geradezu die
1') Für die Friedensprcixis möge das Wort Heyfelde rs genügen: »An
denjenigen Gelenken, wo die Resection für Leben und Brauchbarkeit des Gliedes
entschieden günstige Erfolge gibt, avo die Erfolge besser sind als die spätem
Ausgänge der chronischen Entzündungen derselben Gelenke, da darf, ja da muss
früh unbedenklich resectirt werden.«
") Dr. Georg Fischer: Dorf Floing und Schloss Versailles. Kriegschirur-
gische Erinnerungen. Deutsche Zeitschrift für Chirurgie, I. Band 1872.
'^) Er erklärt: »Was die allgemeinen Fragen bei Gelenkresectionen betrifft,
so stehe ich beim Schulter- und Ellenbogengelenk auf Seite der primären Resection.«
**) Hüter bemerkt hierüber : »Dass in der intermediären Periode zwischen
dem 2. und 7. Tage nur in Fällen der äusserslen Noth resecirt werden darf,
darüber ist man wohl ebenso einig, wie über die relative Vei'werflichkeit der
Amputation in diesem Zeitraum.«
") S. No. 6.
Beiträge zu der Statistik und den Endresultaten der Gelenkresectionen. 187
intermediäre Periode ab, um den operativen Eingriff auszuführen.
Der weitere Verlauf wird meist eine solche Handlungsweise voll-
ständig rechtfertigen. Es ist ganz irrthümlich zu glauben, dass eine
subperiostale Resection eine bedeutende Verwundung darstelle, die
nothwendig ein hohes traumatisches Fieber zum Gefolge habe. Die
Beobachtung lehrt im Gegentheil, dass ganz gewöhnlich die Operation
alle bedenklichen Erscheinungen , deren Ursache die Retention der
Secrete war, wie mit einem Schlag zum Verschwinden bringt und
speziell in Bezug auf das Fieber eine entschieden antipyretische
Wirkung entfaltet. Mit der Operation in solchen Fällen zu zögern
Aväre ebenso irrationell, als wenn man bei einem Abscess mit der
Eröffnung bis zum Abfall des Fiebers warten wollte. In den sel-
teneren Fällen aber, in welchen trotz der Resection die lebens-
gefährdenden Erscheinungen der Verjauchung und des Fiebers fort-
dauern, muss man zur Einsicht kommen, dass die Operation nicht
zu fi'üh, sondern zu spät unternommen wurde. Sie hat nichts ver-
schlimmert, sondern sie hat den eingeleiteten schlimmen Verlauf
eben nicht auflialten können.«
Auf gleichen Fuss bezüglich der von Socin betonten »anti-
pyretischen Wirkung« der Resection stellt sich Hugelshofer (1873),
wenn er sagt: »Die einfach logische Erwägung der Verhältnisse
führt zu einer bejahenden Antwort, dass nämlich die Resection,
wenn primär gemacht, ein Mittel ist, mangelhaften Abfluss, Stag-
nation der Secrete, Spannung im Gelenke mit Ernährungsstörung
nicht zum Ausbruch kommen zu lassen, und wenn secundär an-
gewendet , die Entzündungserscheinungen abzusetzen , ihre Compli-
cationen zu vermeiden und den Heilungsprozess zu vereinfachen.«
Hüter hatte bereits im Jahre 1870 aus denselben Gründen i^)
'^) Er sagt: »Die antiphlogistische Wirkung der Gelenkresection ist ent-
weder in der Beseitigung der erkrankten Theile oder in der mechanischen Re-
gulation der entzündlichen Vorgänge oder endlich in der Concurrenz dieser beiden
Effecte begründet. Die Resection beseitigt den Druck, unter welchem die Pro-
ducte der Entzündung, die gewucherten Gewebe und der Eiter stehen; sie sistirt
also das Weiterschreiten der Entzündung und das begleitende Fieber, welche
beide durch Fortleiten der phlogogenen Substanzen und durch Aufnahme der py-
rogenen Substanzen in die Circulation geschehen.«
188 Dr. W. Stark.
die Gelcnkexcision als »das mächtigste und sicherste Antiphlogisticum
für die Behandlung der Gelenkentzündung« empfohlen.
V. Langenbeck (1874) fühlt sich, ob schon blos nothgedrungen,
ebenfalls veranlasst , die Berechtigung der intermediären Resection
einzugestehen ^^). Seinen anderweitigen Gelenksexcisionen fügt er
folgende, den Zeitpunkt betreffende, Erklärung bei: »Die secundären
und Spätresectionen haben mir günstigere Resultate gegeben als die
primären. — Ich glaube, dass primäre Resectionen meist durch die
schwersten Zerstörungen veranlasst werden, während bei den leichten
Verletzungen, bei denen die Diagnose oft zweifelhaft ist, bis zur
Eiterungsperiode gewartet wird.«
Aus dieser Blüthenlese von Erfahrungssätzen geht hervor, dass
in jeder der drei Wundperioden die Resection ihre Berechtigung
haben kann, dass dieselbe in jedem der drei fraglichen Zeitabschnitte
ihre Vor- und Nachtheile ^o) hat, in jedem durch sie das Leben in
verschiedenem Grade gefährdet erscheint; bei der primären und
sekundären weniger als bei der intermediären, x^uf die spezielle
Frage, welche von den beiden ersteren den Vorzug verdiene, muss
man jedoch immer noch die Hüter'sche allgemeine Antwort auf-
tischen: »Trotz der Erfahrungen, zu welchen die letzten Feldzüge
ein reiches Material liefern konnten , ist diese Frage nicht bestimmt
zu lösen und wird wahrscheinlich auch prinzipiell weder zu abso-
luten Gunsten der primären noch zu absoluten Gunsten der secun-
dären Resection entschieden werden.«
'®) »Es muss auch in dieser Wundperiode die Resection gemacht werden,
weil die Operation doch hin und wieder ein Menschenleben erhalten kann.«
^°) Hüter sagt: »Nach grossen Gefechten und Schlachten fehlt meistens
dem ärztlichen Personal die zur Ausführung primärer Resectionen nöthige Ruhe
und Bequemlichkeit, und über ihre Erfolge liegen nur spärliche Beobachtungen
vor. — Die secundäre Resection bietet den Vortheil, dass die Ablösung und Er-
haltung des entzündlich aufgelockerten Periosts leichter und in grösserem Um-
fange geschehen kann. Trotzdem gibt es Fälle, in welchen der primären Re-
section der Vorzug gegeben werden muss. Bei ausgedehnter Zertrümmerung der
Knochen , wenn in wenigen Stunden die phlegmonös-septische Infiltration der
Weichtheile die Schwellung der Extremität zum Doppelten des Volums treibt
und das primär septicämische Wundfieber zu der Temperatur von 40—41"
emporschnellt, dann ist die primäre Resection unvermeidlich. Sie vermag noch
Beiträge zu der Statistik und den Endresultaten der Gelenkresectionen. 189
Prof. Gzerny vertritt in seinen Vorlesungen und in der Praxis
den Satz, dass die primäre Resection dann angezeigt sei, wenn eine
solche Splitterung der knöchernen Gelenkkörper vorhanden ist, dass
die Ausheilung im besten Falle blos durch langwierige Eiterung und
Abstossung nekrotischer Knochen erfolgen könnte. Durch die pri-
märe, subperiostale Resection werden die Wundverhältnisse verein-
facht, die Ausheilungsbedingungen günstiger. Auch das Zurück-
bleiben von Fremdkörpern, z. B. von Kugeln im Gelenke, erfordert
die primäre Resection. Es ist wahrscheinlich, dass in Zukunft unter
Beobachtung der antiseptischen Behandlungsmethode in diesen Fällen
die Incision in die Gelenke mit einfacher Entfernung der gelösten
Knochensplitter und der eingedrungenen Fremdkörper theilweise die
primäre Resection ersetzen wird. Allein darüber fehlt uns noch
vorläufig jede Erfahrung.
Hinsichtlich der Methode der subperiostalen Resection, unter der
V. Langenbeck, der eigentliche Begründer derselben, nichts Anderes
versteht, »als die vollständige Erhaltung aller in der Nähe des Ge-
lenks sich festsetzenden Sehnen und Muskeln , in Verbindung mit
dem Periost der Diaphyse«, genügt es, weil sie sich ja bereits einer
so allgemeinen Anerkennung erfreut, Fischer's^*) kurze doch klare
Bemerkungen darüber zu notiren: Sie »ist bei primärer Resection
schwierig, gelingt auch nicht immer vollständig, sollte aber doch
soviel als möglich versucht werden; bei sekundärer ist sie leichter,
wenn auch immer etwas mühevoll. Die fast fehlende Blutung, die
möglichst vermiedenen Eiterungen zwischen Muskeln und Sehnen,
die Knochenproduction sind ihre bekannten Vorzüge.«
In gleichem Sinne reden Hüter^^) und Billroth^^) — ^4^^
eine Extremität und ein Lelien zu retten, welches 24 Stunden später auch durch
das Amputationsmesser niclit mehr hätte erhalten werden können.
") S. No. 16.
^*) C. Hüter, Klinik der Gelenkkrankheiten. Leipzig, 1870—71.
2ä) S. No. 8.
^*) Da die Urtheile über totale und partielle Resectionen, sowie über die
Beziehungen zwischen Grösse des entfernten Stückes und nachherigem Längen-
wachsthume des resecirten Gliedes u. s. w, vorwiegend mit Rücksicht auf die ein-
zelnen Gelenke von den betreffenden Autoren gegeben wurden, so finden diese
Fragen ausschliesslich in dem speciellen Theile ihre Erörterung.
190 Dr. W. Stark.
Da über die Resultate der Resectionen erst in jüngster Zeit
wieder genauere Nachforschungen eingeleitet wurden und man auf
Grund derselben Thesen aufstellte, die selbst in ihrer Allgemeinheit
nicht hinlänglich feststehen , so scheint es geboten , auch hierüber
die Ansichten verschiedener Autoren vorzuführen :
In allgemeinen Umrissen zeichnet Heyfelder (1863)^^) den
Standpunkt, von dem aus die Erfolge in Bezug auf Lebensgefahr
und auf örtliche Leistungsfähigkeit betrachtet werden müssen: »Das
Leben ist in geringerem Grade gefährdet als bei den entsprechenden
Amputationen und Exarticulationen. Die Gefährlichkeit ist im Ganzen
bei den kleinern und mehr peripherisch liegenden geringer als bei
den grössern, dem Gentrum näher liegenden; bei den oberen Extremi-
täten geringer als bei den unteren. — Der örtliche Erfolg kann ein
vollständiger, ein theilweiser sein oder gänzlich ausbleiben. Voll-
ständig ist der Erfolg bei allen Gelenken, das Knie ausgenommen,
wenn sich volle Beweglichkeit und uneingeschränkte Gebrauchs-
fahigkeit des Gliedes einstellt.« Ausser der Beweglichkeit und Un-
beweglichkeit bedingen — nach seiner Aussage — Stellung und
Mass der Verkürzung den Grad der Gebrauchsfähigkeit; ferner
sind Recidive des Leidens, nekrotisches Absterben der Knochen-
enden und unregelmässige Narbenbildung im Stande, den Erfolg zu
beeinträchtigen.
Eine stricte Unterscheidung zwischen »provisorischen« und
»definitiven« Endresultaten fand erst statt, als Hannover im
Jahre 1869 mit dem Endresultate der Resectionen 2^) aus dem
dänischen Kriege an's Tageshcht trat und durch sein Heer von
Jammerbildern der Herrschaft derselben, welche sie sich seit Kurzem
erst auch in der Kriegspraxis errungen, einen empfindlichen Stoss
zu versetzen drohte.
Wer sollte auch nicht bedenklich den Kopf schütteln und die
''») S. No. 2.
*•) Das Endresultat der Resectionen im Kriege 1864 in den Unterklassen
der dänischen Armee. Von Prof. Dr. A. Hannover in Kopenhagen. Med.
Jahrbücher, XVIII, Wien 1869.
Beiträge zu der Statistik und den Endresultaten der Gelenkresectionen. 191
eigenen Ergebnisse dieser »verzweifelten Operation«, aus der man
»zu viel Wesens gemacht zu liaben« schien, sorgßlltig revidiren,
wenn er sich die Fälle aus dem erwähnten Feldzuge vergegenwärtigte,
welche zum Theil »Triumphe der Resection« zu werden versprachen
und von denen später sich herausstellte, dass z. B. »der Arm todt
und unbeweglich wie ein schlaffer Fleischklumpen, wie ein todter
Klotz« herabhing, zur »grössern Beschwerde als wenn er amputirt
wäre«, da »fortwährend Schmerzen vorhanden waren und die Auf-
merksamkeit des Invaliden auf den Schutz des Arms gerichtet sein
musste, weil er nicht die geringste Bewegung und den geringsten
Druck ertrug«; dass der »Unterarm in Watte und Pelz gehüllt werden«
musste, »um die Wärme zu erhalten«; dass »keine active Bewegung
in der schlaffen und feuchten Hand und den gefühllosen und kriebeln-
den, kalten, bläulichen und leichenartigen« Fingern möglich war.
Obschon alsbald Löffler-''), den Berichten Hannover 's ent-
gegentretend, deren verschiedene Unzulänglichkeiten aufdeckte, so war
trotzdem ein gewisser Rückschlag erfolgt, welcher selbst Billroth in
seinen Anforderungen an die Endresultate der Resection herabstimmte.
Gleicher Meinung hinsichtlich der Letzteren ist Socin-^), wie aus
seinem Ausspruche zu schliessen, dass »Billroth in manchen Punkten
sich auf Seite Hanno ver's neigt und die functionelle Prognose selcher
Operationen in ein wenig günstiges Licht stellt«. Denn So ein ver-
mochte bei der Untersuchung seiner Resecirten nach Verfluss mehi'erer
Jahre nicht, »die theoretische Betrachtung Billroth 's practisch be-
stätigt zu finden und die nachträgliche Entwicklung eines Schlotter-
gelenks mit Parese der Muskeln als ein häufiges und nothwendiges
Vorkommniss zu erkennen«. Auch die zweite von Billroth ange-
gebene Ursache der Verschlechterung durch Laxerwerden der Pseudo-
gelenke und Längerwerden der Bandverbindungen wurde, und zwar
von Neudörfer ^^) bestritten, welcher behauptete, jener habe in
seiner Darstellung nur einzelne Formen des Schlottergelenks im
") S. No. 3.
") S. No. 6. Hüter äussert sich gelegentlich in ähnlichem Sinne.
") S, No. 4.
192 Dr. W. Stark.
Auge gehabt und keinen Unterschied zwischen Flächennarben und
linearen gemacht,
V. Langenbeck ^0) hält ferner dafür, dass der Billroth'sche
Satz: »Es ist nach allen Gelenkresectionen als ein im Allgemeinen
günstiges Resultat zu betrachten, wenn sich Ankylose bildet« keines-
wegs so ausnahmslos gültig sei.
Unangefochten dagegen blieben die Erfahrungen des mehr-
erwähnten Autors (Billroth) bezüglich des Werthes verschiedener
Beweglichkeitsgrade und der zu erzielenden Verbesserung derselben
durch zweckmässige Behandlung ^ ^).
Ebensowenig haben dessen Reflexionen über die Verdienste
der Resectionen betreffs Erhaltung des Lebens und die Vorzüge ihrer
Erfolge denjenigen anderer Verfahren gegenüber irgend welchen
Widerspruch erlitten.
Hinsichtlich der ersteren glaubt er die Frage, ob durch diese
Operation Menschenleben erhalten werden können, welche bei nicht
operativer Behandlung oder bei Amputation resp. Exarticulation
wahrscheinlich zu Grunde gegangen sein würden, trotz der geringen
Zahl des statistischen Materials und der unvollkommenen Kritik der-
selben nach den vorliegenden Erfahrungen wenigstens theilweise be-
jahen zu können. Letztere anlangend, findet er, dass die Amputirten
viel häufiger Beschwerden von ihren Stümpfen haben, als die Re-
secirten von ihren operirten Extremitäten und dass die mit Ankylose
'») S. No. 7.
^*) Diese Sätze lauten: »Eine geringe Beweglichkeit bei kraftvoller Mus-
kulatur kann die Gebrauchsfähigkeit der Glieder nach Resection — erhöhen.« —
»Die Glieder mit activ beweglichem Schlottergelenk können durch mechanische
Vorrichtungen, methodische Uebungen und electrische Behandlung in manchen
Fällen ziemlich brauchbar gemacht werden , stehen aber den ankylotischen und
wenig beweglichen in Gebrauchsfähigkeit erheblich nach.« — »Die Glieder mit
activ nicht beweglichem Schlottergelenke sind in Betreff der Function wohl als
unglückliche Resultate zu betrachten, sie haben keinen oder nur sehr geringen,
zuweilen nur kosmetischen Werth.« — »Um eine möglichst straffe Verbindung
zwischen den resecirten Knochenenden herbeizuführen, soll man: 1) so wenig
als möglich Knochen entfernen« ; denn »je mehr vom Knochen entfernt wird,
um so näher rücken die Muskelansätze und werden insufficient« ; 2) »vom Periost
so viel wie möglich erhalten, um dadurch vielleicht eine theilweise Neubildung
von Knochenmasse in den resecirten Enden zu erzielen.«
Beiträge zu der Slalislik iiiid den Endresultaten der Gelenkresectionen. ^93
Behafteten von Recidiventzündungen mindestens ebenso oft zu leiden
haben als die Resecirten.
Neudörfer 3^) jedoch gebührt die Ein-e, zuerst (1871) gegen
die Endresultate Hanno ver's eine Reihe von gut constatirten und
wahrhaft glänzenden eigenen, definitiven Erfolgen ins Feld geführt
und so mit gleichen Waffen dessen Angriffe auf die Resection ab-
gewiesen zu haben. Mit Rücksicht auf das jeweils zu beanspruchende
Ergebniss derselben gibt er nachstehende Erklärung ab:
»So lange man blos wegen Lebensgefahr resecirt, muss man
mit jedem Endresultate zufrieden sein, wenn der Operirte am Leben
geblieben. Anders verhält sich die Sache, wenn man nicht wegen
Lebensgefahr, sondern aus anderen Motiven resecirt, dann kommt das
Endresultat der gelungenen Resection sehr wohl in Betracht.«
Socin (1872)^^) nimmt auf Grund seiner Resultate in dieser
Frage eine Mittelstellung zwischen letzterem und Hannover ein. —
»Im Ganzen constatire ich, dass von meinen Operirten mehr mit zu
geringer als mit zu ausgedehnter Beweglichkeit zur Heilung ge-
kommen sind.«
Hugelshofer (1873) scheint es desshalb »nicht ungerechtfertigt
zu sein, die Ursache des Unterschiedes in den definitiven Ergebnissen
zum grossen Theil in dem Verhalten der Operirten nach der
Entlassung aus der ärztlichen Behandlung zu suchen.« Diesem
Ausspruche gibt v. Langen beck (1874) noch präcisere Fassung in
seinem Urtheile über die Resultate Hanno ver's, das endgültig
gegen letzteren entschied:
Ursache der schlechten von Hannover berichteten Resultate
ist der Einschluss der resecirten Extremität in einer Tragkapsel
4 Jahre hindurch, durch welche Quiescirung nicht nur eine Rigidität
und Empfindlichkeit der verletzt gewesenen, sondern auch aller übrigen
Gelenke derselben Extremität herbeigeführt wird. — »Die Vorstellung
Hanno ver's, dass progressive Muskelatrophie nach der Gelenk-
resection auftrete und die mit den Jahren sich steigernde Gebrauchs-
unfähigkeit bedinge, ist eine irrthümliche. Ich habe niemals Derartiges
32) S. No. 4.
") S. No. 6.
Czerny, Beiträge zur operativen Chirurgie. 13
-194 Dr. W. Stark.
beobachtet und behaupte, dass alle so aufgefassten Muskelzustände
einfache Inactivitätsparalysen waren.«
Darauf fussend, bezeichnet er als Ursache der schlechten Re-
sectionsresultate im Kriege einerseits mangelhafte Nachbehandlung,
andererseits geringe Sorgfalt von Seite des Patienten für Kräftigung
und Uebung der Glieder.
Denn er (v. Langenbeck) hat, so wie Socin, Ȋhnliche Er-
fahrungen bei den wegen Schussverletzung Resecirten niemals
gemacht, wohl aber Schlottergelenke bei fleissigem Gebrauche der
Extremität, auch ohne alle ärztliche Behandlung, allmählig sich con-
solidiren und mit der Zeit vollkommen brauchbar werden gesehen.«
Diese Zusammenstellung lehrt, von welch' grosser Bedeutung
der Bericht Hanno ver's war als Weckstimme für die exacte Ent-
wicklung der Fragen, wieviel von der resecirten Extremität gefordert
werden könne und auf welchem Wege das erstreben sw^erthe Ziel zu
erreichen sei. Stufe um Stufe stiegen mit der klareren Erkenntniss
der letzteren, für welche sich besonders Billroth (was man schon
aus dem Vorhergehenden sieht) verdient gemacht hat, auch die An-
sprüche an erstere, bis endlich v. Langenbeck die Hauptschuld an
dem Misserfolge der Operation von dieser selbst weg und auf den
Operateur 2*) und Patienten wälzte: Beachtet jener die Vorschriften
Billroth's und v. Langenbeck's über Ausführung der Resection und
Nachbehandlung und unterstützt dieser ersteren durch genaue Be-
folgung seiner Rathschläge, so wird nur in Ausnahmsfällen das Er-
gebniss ein relativ ^^j unbefriedigendes sein.
^*) U. A. kann folgendes Gitat aus seiner schon öfters erwähnten Arbeit
als Beleg hierfür gelten: »Regeneration wahrer Gelenke nach Resection darf nur
dann erwartet werden , w^enn die resecirten Knochenenden unter mehr oder
weniger vollständiger Knochenneubildung mit einander in beweglichen Contact
gebracht und durch Uebung und Gebrauch des Gliedes in demselben erlialten
werden. — Da dieses nur möghch ist, wenn die über das Gelenke gehenden
Muskeln in Verbindung mit der Gelenkkapsel und dem Periost der Diaphyse er-
halten werden, so liegt es auf der Hand, dass ein gutes Resultat nur durch sub-
periostale Resection erreicht werden kann."
^^) Dass bei denjenigen Fällen, welche an das Gebiet der Amputation hin-
slreifen (z. B. ausgedehntere Garies, intensivere Schuss Verletzungen etc.), die An-
forderungen an die Functionsherstellung nacli der Resection nicht zu hoch ge-
griffen werden dürfen, versteht sich wohl von selbst.
Beiträge zu der Statistik und den Endresultaten der Gelenkresectionen. |95
I. Resection des Schultergelenks.
Bis in die neueste Zeit fanden sich Chirurgen, welche den
Werth und die Aufgabe dieser Operation verkannten. Seit ihrer
Einführung machte hinsichtlich der Mortalitätsfrage die Exarticulation
derselben den Vorrang strittig. Lange dauerte es, ehe letztere siegte.
Wie behutsam lautet noch die im Jahre 1847 von Dr. F. Ried ^6)
auf die angeführte Frage gegebene Antwort: »Aus einer unpar-
theiischen Vergleichung der Resultate beider Operationen ergibt sich,
dass die Resection, wenn nicht günstigere, doch jedenfalls ebenso
günstige Verhältnisse zeige als die Exarticulation.«
Selbst im .Jahre 1863 fühlt Hey fei der sich verpflichtet, seinen
ganzen statistischen Schatz zu durchmustern, um nach strenger
Prüfung des Erfolgs die bessere Prognosis quoad vitam jener gegen-
über dieser recht einleuchtend hinzustellen; denn »trotz aller gün-
stigen Erfolge hat die Schultergelenkresection wie die Resection
überhaupt noch immer Gegner. Velpeau behauptet, die Schulter-
gelenkresection exponire den Operirten fast denselben Gefahren, wie
die Exarticulation. Marjolin erklärt jene für gefährlicher als diese
und neuerdings hat sich Paul in seinem oft erwähnten, vortreff-
lichen Werke wenigstens gegen einzelne Kategorien der Schulter-
resection ausgesprochen.«
Doch 9 Jahre später konnte Fischer 3-) frischweg sagen:
»Wenn heutzutage noch Sedillot bei Verletzungen des Schulter-
gelenks die Exarticulation für das beste Mittel hält, die conservative
Methode in zweiter Reihe befürwortet und zuletzt erst die Resection
empfiehlt, so steht diese Ansicht isolirt.« Er (Fischer) gibt aber
'*) Dr. Franz Ried, die Resectionen der Knochen mit besonderer Be-
rücksichtigung der von Michael Jäger ausgeführten derartigen Operationen.
Nürnberg 1847.
^'j S. No. 16.
196 Dr. W. Stark.
ZU, dass man sich allmählig daran gewöhnen müsse, »die resectio
humeri als eine sehr schwere und lebensgefährliche Operation zu
betrachten.«
Volkmann^^) und Hüter ^^) taxirten dagegen die Lebens-
gefahr blos für geringgradig.
Weniger vortheilhaft für die Schulterresection fiel die Beurthei-
lung ihrer Leistungen mit Rücksicht auf die der conservativen
Methode aus, indem v. Langenbeck (1874) constatirte: »In Bezug
auf den Werth der Schultergelenkresection im Vergleich mit der
conservirenden Behandlung gelangen die Aerzte, welche Revisionen
von Invaliden gemacht haben, alle so ziemlich zu demselben Resul-
tate, nämlich dass durch conservirende Behandlung günstigere Ver-
hältnisse erzielt worden seien als durch die Resection.«
Solche Erkenntniss beeinträchtigt indessen keineswegs den Wir-
kungskreis der ebenerwähnten Operation, weil deren Indication
bekanntlich (siehe übrigens unten) eine viel in- oder extensivere
Erkrankung, resp. Verletzung voraussetzt, mithin auch blos ein weniger
gutes Resultat beansprucht werden darf.
Dessenungeachtet stellt v. Langenbeck an beide Verfahren die
gleichen Anforderungen: »Es muss bei der conservirenden Behand-
lung der Schussverletzungen des Schultergelenks wie nach der Re-
section desselben unser ganzes Bestreben dahin gerichtet sein, ein
bewegliches Gelenk herzustellen,« da »die Annahme, dass Ankylose
nach Schultergelenkresection oder nach conservativer Behandlung
eine bessere Gebrauchsfähigkeit des Arms bedinge als ein wenngleich
unvollkommen bewegliches Schultergelenk, auf einer Täuschung be-
ruht.«
Desshalb ist in Zukunft »bei der Nachbehandlung auf die
Erhaltung beweglicher**^) Schultergelenke grössere Sorgfalt zu
^^) S. No. 84. Er beliauplet z. B. bei Resection nach Schussfractur :
»Die Resultate sind, sowohl was die Mortalitätsziffer als was die spätere
Brauchbarkeit des Gliedes anbelangt, vortrefflich.«
*^) S. No. 83. Nach ihm hegt »das Hauptargument in der äusserst
geringen Lebensgefahr des operativen Eingriffs« etc.
*°) Hüter stellt die >Aussicht auf Wiederherstellung einer gut beweg-
lichen Verbindung an der Resectionsstelle« als eine »bestimmte« hin.
Beiträge zu der Statistik und den Endresultaten der Gelenkresectionen, 197
verwenden«, um so der Resection derselben zu der gegenwärtig von
ihr verlangten Lösung ihrer Aufgabe beizustehen. —
Obzwar, wie schon oben angedeutet, nunmehr die Indica-
t i o n s grenzen der resectio humeri im Allgemeinen gezogen sind und
bezüglich der traumatischen die Str omey er'sche Ansicht, nach
der »jede gut constatirte Knochenverletzung mit Eröffnung des
Schultergelenks die Resection desselben indicirt *^), welche allein den
drohenden Gefahren einer jauchenden Entzündung vorzubeugen im
Stande ist (die um so leichter verderblich wird, weil das verletzte
Schultergelenk nicht wie andere Gelenke reagirt, oder vielmehr, weil
die Reaction sich nicht auf ähnliche Weise darstellt)« — zur Geltung
gekommen und nach Lücke's (1872) ^^) Ausspruch zum anerkannten
Grundsatz erhoben ist, so differiren doch noch die Meinungen ein-
zelner Autoren.
Als Beispiel mögen folgende sich so schroff einander gegen-
überstehende Thesen von Neu dörfer einer-, So ein andererseits
dienen: Neudörfer (1871) sagt nämlich: »Für Schulter- (Knie-
und Hand-) Gelenk bleibt die Lebensgefahr die einzig berechtigte
Resectionsinclication, da die Brauchbarkeit der Extremität bei exspec-
tativer Behandlung viel grösser als nach der gelungensten Resection
dieses Gelenkes ist.« So ein (1872) dagegen hält »es für einen
Fehler bei einmal etablirter Gelenkeiterung zu warten mit der Re-
section; bis lebensgefährliche Erscheinungen sich einstellen.«
Schon im Jahre 1865 hatte Volkmann gleichfalls Gelenk-
eiterung, ausserdem Arthritis cleformans, Ankylose, angeborene,
inveterirte und complicirte Luxationen mit mehr oder weniger Em-
■**) V. Langenbeck spezificirt genauer das Verhältniss der Indicationen
gegenüber dem Grade der Verletzung: 1) Alle leichtern Schussverletzungen des
Schultergelenks rechtfertigen den Versuch der conservirenden Behandlung unter
der Voraussetzung, dass in vielen dieser Fälle die secundäre Resection noth-
wendig sein wird. 2) Alle ausgedehnten Schussfracturen des Schultergelenks
indiciren die primäre Resection. 3) Zerschmetterung des Schultergelenks mit
Abreissung der Weichtheile indiciren an sich die Exarticulation nicht, sondern
die sekundäre Resection.
*^) Lücke: Bericht über die bisher aus dem deutsch-französischen Kriege
1870—71 hervorgegangene kriegs-chirurgische Literatur. Deutsche Zeitschrift
für Chirurgie I. Band 1872. IL Band 1873.
-[98 L)r. W. stark.
pfehlung unter die Anzeigen der Resection rubricirt ■^^). — Hüter's ^^)
(1870—71) nnd V. Langenbeck's^5) (1374) Angaben harmonirten
im grossen Ganzen mit den seinigen.
Ueber die mit der eben abgehandelten Frage innig verwandte
des Zeitpunktes der Resectionsvornahme sollen nun — hieran
anknüpfend — die in der literarischen Fundgrube verborgenen, darauf
hinzielenden, divergenten Urtheile ans Tageslicht gefördert werden:
Stromeyer (1861) befürwortet unbedingt die primäre Re-
section der articulalio humeri und characterisirt besonders treffend
die anscheinend günstige Prognose der secundären: »Resectionen
des Schultergelenks in der Zeit der entzündlichen Reaction geben
eine sehr schlechte Prognose ; nach vollständig eingetretener Eiterung
wird sie freilich besser, aber dieses lässt sich gar nicht immer ab-
warten, weil die Zufälle zu drohend sind. Es ist desshalb immer
besser, bei gut constatirten Schussverletzungen des Schultergelenks
innerhalb der ersten 24 Stunden die Resection vorzunehmen und
nicht erst den Kranken der Probe unterstehen zu lassen, ob er etwa
an acuter Pyämie zu Grunde gehen werde; denn dadurch gerade
scheint mir die Prognose der späten Resection besser zu werden,
dass diejenigen vorweg starben, welche zur Pyämie besonders ge-
neigt sind.«
'^^) Ueber dessen Bemerkungen bezüglich der Resection \m Scliussfrac-
turen war schon früher (s. No. 39) die Rede und werden solche auch späterhin
nochmals zur Sprache kommen.
**} Er lehrt : „Die Resectio capitis humeri wird durch die eitrige Schulter-
gelenkentzüudung jeder Art in jedem Falle und durch die hyperplasirenden
Formen der Synovitis dann indicirt, wenn durch dieselben die Function des Ge-
lenks sehr gefährdet wird, und endlich auch indirect durch ausgebildete, hoch-
gradige Contracturen und Ankylosen des Gelenks.
*^) Seine Worte hierüber lauten: „In Fällen, wo bei conservirender Be-
handlung Ankylose entstanden und der Verwundete für seinen Beruf untauglich
geworden ist, kann die nachträgliche Resection indicirt sein, weil die Erfahrung
zeigt, dass eine zu der grössten Kraftäusserung wie zu der feinsten Bewegung
fähige Extremität dadurch wiederhergestellt werden kann." — Die Länge des
resecirten Stücks soll jedoch , um Solches zu erreichen, 6—8 Gtm. nicht über-
steigen. — „Bei veralteten irreponiblen Luxationen empfehle ich die Resection,
sobald Druckparalyse oder durch Druck des Kopfs bedingte neuralgische Zu-
stände vorhanden sind.
Beiträge zu der Statistik und den Endresultaten der Gelenkresectionen. ^99
Heyfelder (1863)'*^) wiegt das pro und contra beider Re-
sectionsarten genau ab, pflichtet übrigens den auf die Mortalität der
Spätoperationen sich beziehenden Deductionen Stromeycr's bei.
Volkmann (1865)'*^) findet bei Schussfracturen »nach der
Ansicht der Mehrzahl der competenten Autoren« — wo möglich —
die primäre Resection indicirt.
Auch Lücke (1872) plaidirt bei Splitterschüssen des Schulter-
gelenks ohne Vorbehalt dafür , »dass hier die primäre Resection
indicirt scheine, da weder die conservative Behandlung, noch die
Secundärresection sichere Resultate gäbe.«
Fischer (1872)*^) berührt die Wechselbeziehungen zwischen
Anzeige und Zeitpunkt nicht näher, sondern referirt blos über seine
Erfahrungen in der vorliegenden Sache und findet »die secundären
Resultate in jeder Hinsicht am günstigsten , die primären standen
ihnen aber auch nur wenig nach , wenn man die ungünstigen Be-
dingungen der Verletzungen bei den Verstorbenen billig mit in Be-
tracht zieht; ganz ungünstig erscheinen aber die intermediären.«
Bergmann (1874) spricht sich für die Frühresection aus*^).
V, Langenbeck (1874) hat, der Richtschnur seiner vorhin dar-
gethanen Maxime (s. Nr. 41) folgend, meist spät resecirt: »Primäre
*^) Er sagt: Sind bei einer complicirten Fractur die Anzeigen deutlicii
vorhanden und ist der Operateur zeitig bei der Hand, so resecirt er primär
d. h. vor Eintritt der Entzündung. Waren die Indikationen entweder nicht
klar oder aufgewogen durch Gegenanzeigen , oder kamen die Verletzten zu
spät d. h. nach Eintritt von Fieber und Entzündung in die Hände des Opera-
teurs, so enthält dieser sich am Besten der Resection bis zum Eintritt der
Eiterung oder Necrose oder Caries. Eine solche secundäre Resection fällt
wieder theilweise in die Kategorie der wegen organischen Leiden gemachten
Resectionen und ist in ihren Resultaten um so viel günstiger denn die primären,
als die Chancen der nothgedrungen Unoperirten bis zur Erreichung dieses Sta-
diums zu sterl)en, gross ist.
*^) S. Nr. 38.
") S. Nr. 5.
^^) Bergmann, Die Resultate der Gelenkresection im Kriege. Giessen 1874.
Er sagt: Mir fehlt es an eigenen Erfahrungen, um den protrahirten Verlauf der
secundären Resectionen mit dem Ablauf der primären zu vergleichen. Das Wenige,
was ich hinsichtlich des letztem weiss, ermuthigt allerdings zur Empfehlung einer
frühzeitigen, womöglich unmittelbar an die Verletzung sich anschliessenden
Operation.
200 Dr. W. Stark.
Resectioii habe ich nur dann gemacht, oder angeralhen, wenn die
Nothwendigkeit der Entfernung des zerstörten Gelenks unzweifelhaft
vorlag. Daher kommt es, dass meine Beobachtungen sich zunächst
auf secundäre und intermediäre Resectionen beziehen, welche fast
ohne Ausnahme durch Vitalindication geboten waren.«
Sein Standpunkt stimmt mit dem Heyfelder's überein, er
ist der vermittelnde und Avohl auch der richtigste, indem er von
einer grundsätzlichen Hinneigung zu der einen oder andern Periode
abstrahirt und lediglich die Indication des Einzelfalles im Auge
behält.
Ebenso hat dieser Grossmeister der Resection die Vortheile
des Längsschnitts und der subperiostalen Methode der Schulter-
gel enkexcision mit Kennerblick erläutert^") und gezeigt, wie durch
letztere allein das verunstaltende Hervorragen des Acromion bei
eingesunkener Schulterwölbung (die unverletzt erhaltenen Muskeln
der Scapula lassen das Ausweichen des Humerus nach Innen nicht
zu) vermieden und bei sorgfältiger Nachbehandlung eine neue, activ
bewegliche Gelenkverbindung gewonnen werden kann. —
Wie eine correcte Auffassung der Resectionsindication (und
des günstigsten Momentes zum Eingreifen) von hoher Wichtigkeit
für den Erfolg quoad vitam, so ist für den quoad functionem die
exacte (subperiostale) Ausführung der Operation nebst zweckmässiger
Weiter Verpflegung von wesentlichem Belange. Die Beschaffenheit
der Resultate rauss darum jetzt besprochen werden.
Weil aber die ausführliche Darstellung der Mortalitäts-
^") Aber auch Hüter hatte im Jahre 1870 die Vortheile der suhperio-
rftalen Resection des Pchulterijelenks folgendermassen gekennzeichnet: »Es
hängt der Periostcyhnder überall mit den Kapselresten zusammen und wird
iladurch an der cavitas glenoidalis fixirt. Die Muskeln , deren Sehnen an dem
l'eriostcylinder festhalten, können sich nicht zurückziehen, und der humerus
wird nicht von den Thoraxmuskeln nach innen unter den pi'oc. corac. gezogen.
Einsenkungen werden schwieriger zu Stande kommen können als ohne Erhaltung
des Periosts, weil das Periost gegen die VVeichtheile und vor Allem gegen das
perimuskuläre Gewebe eine fesle Barriere bildet. Die Knochenproduction erfolgt
sehr vollkommen und der einzige Nachtheil , welcher dieser, wie allen übrigen
subperiostalen Resectionen eigenthümlich ist , ist die Gefahr subperiostaler Eite-
rung, welche ich übrigens doch nur in wenigen Fällen eintreten sah."
Beiträge zu der Statistik uiul den Endresultaten der Gelenkresectionen. 201
Statistik 5^) zu weit führen würde, so möge die Angabe dos Prozent-
verhältnisses, wie es sich nach den Aufzeichnungen einiger Chirurgen
gestaltet, genügen. Es beträgt bei Strome yer (1861) (19 Fälle
aus den Jahren 1848, 49 und 50 mit 7 tödtlichen Ausgängen) 36,8 7o.
Heyfelder erhält (1863) aus einer Zusammenstellung der Fälle
von Jäger, Paul, Baudens, Esmarch, Ritter, Heyfelder,
Beith, Blackmann und G. Meyer (169 mit 30 Todesfällen)
eine Sterblichkeitsziffer von nur 17,7%. Billroth (1871) berechnet
aus 10 verschiedenen Berichten (s. Socin) aus dem deutsch-fran-
zösischen Kriege auf 35,1 °/o; Socin auf 42,8% (7 mit 3 lethalen
Ausgängen); Lücke nach einer Sammlung der Resultate von
'Rupprecht, Lücke, M. Gormac, Frank, Bill roth, Czerny,
Socin, Schüller, Vaslin, Heyfelder, Fischer, Koch
(Summe = 48, worunter 18 lethal endigende) auf 37,5%, Lossen52)
erhielt sogar (7 mit 5 Todten) 71,4%, v. Lange nbeck findet aus
15 eigenen Erfolgen (mit 2 Gestorbenen) und 65 von Esmarch,
Baudens, Longmore und Demme kundgegebenen Resultaten
(wobei 19 starben) einen Prozentsatz von 23,7 >. Bergmann
hatte unter 15 = 3 Todesfälle oder 20 >.
Addirt man die vorgeführten Fälle, so belaufen sie sich auf
345 mit 85 lethalen Ausgängen, was einer Durchschnittsprozentzahl
von 24,6 °/o entspricht.
Nach den Notizen einzelner der erwähnten Autoren sind von
259 Exarticulirten 117 oder 45,1% mit Tod abgegangen (und zwar
verlor Stromeyer 10 = 3; Heyfelder von 30 = 17. Paul
berichtet von 192 mit 84, v. Langenbeck von 6 mit 4, Demme
von 21 mit 9 Todesfällen).
Die conservative Behandlung bietet nach den Veröffentlichungen
von Stromeyer (8 = 5), Esmarch (6 = 5), Demme (43 = 29),
*^) Obzwar es angezeigt wäre, die Statistik der Friedens- und Kriegs-
praxis auseinanderzuhalten, so scheitert doch solch' ein Versuch an den unzu-
reichenden Angaben der beigezogenen Autoren.
^^) Lossen: Kriegschirurgische Erfahrungen aus den Barackenlazarethen
zu Mannheim, Heidelberg und Karlsruhe 1870—71. Spezieller Theil. D. Zeitschrift
für Chirurgie Band II.
OQO Dr. W. Stark.
Langenbeck (2 = 1), Lossen (3 = 0) noch schlechtere Resultate,
da von diesen 61 = 40 starben, somit 65,5 "/o.
Mag auch wegen der Unvollständigkeit der in Betracht gezogenen
Beispiele das Verhältniss der Mortalität zwischen Resection, Exarti-
culation und conservativer Behandlung sich in Wirklichkeit erheblich
anders formiren, soviel geht hieraus zur Genüge hervor, dass die
beiden letzteren der Resection in dieser Beziehung weit hintanstehen.
Die functionellen Resultate haben je nach ihrer Güte ver-
schiedenartige Beurtheilung erfahren ^ 3). Auffallend ist, wie früher
Ankylose nach Schultergelenkresection als eine seltenere, Schlotter-
gelenk ^•^) als eine häufigere Erscheinung beobachtet wurde, während
in neuester Zeit das umgekehrte Verhalten vorherrscht.
Wohl darf dies in Zusammenhang gebracht werden mit der
erst jüngst erfolgten Einführung des Längsschnitts und der sub-
periostalen Methode. Ersterer liess jede unnöthige Weichtheil Ver-
letzung leicht vermeiden. Die Gonservirung des Periostes aber
^^) Vorausgeschickt sei der ungemein günstige Urtheilssprucli Hüter's:
„Die Ertahi'ungen , welche wir durch die neue (i. e. subperiostale) Methode in
dieser Beziehung (d. h. Sicherung der functionellen Resultate) gewonnen
haben, sind so ermuthigend, dass man neben den Resectionen des Talo-Crural-
und des Ellenhogengelenks diejenigen des Schultergelenks als Resectionen von
bester functioneller Prognose nennen muss."
'"*} Uebrigens sagt Hüter hierauf bezüglich p"'olgendes : „Die Misserfolge,
welche man früher bei nicht subperiostaler Technik der Operation beobachtete,
bezogen sich weniger auf Schlotterverbindungen und noch weniger auf anky-
lotische Verschmelzung , welche liier so wenig wie am Hüftgelenk nach der
Resection beobachtet wird, als vielmehr auf eine eigenthümliche Verstellung des
humerus, welcho sich schon während der Heilung der Resectionswunde heraus-
stellte. Es wurden die Sehnen der Scapularmuskeln , welche die Gelenkkapsel
tangiren und an die beiden tubercula sich inseriren, einfach durchschnitten, um
den Kopf zu isoliren. Nun sank nach der Operation der Oberarm zum Theil
seiner Schwere nach, zum Theil unter dem Zug des musc. pectoral. major und
des uiusc. latissimus dorsi gegen die seitliche Thoraxvvand und der geheilte
Oberarm befand sich ungefähr in der Lage eines luxirten Arms und in allen
den Bewegungsstörungen, welche hieraus hervorgehen." — Bergmann jedoch,
welcher auch nach subperiostalei' Resection derartige Luxationen beobachtete,
bemerkt hierzu : Es darf nicht vergessen \verden , dass nach Resection des
Oberarmkopfs die scapula nach vorn und abwärts gleitet und ihr unterer Winkel
sich der Wirbelsäule nähert und daher trotz sichtbarer Prominenz der obern
Humerusepiphyse deren Conlact mit den Punkten der verödeten cavitas glenoi-
dalis nicht aufgehoben zu sein braucht."
Beiträge zu der Statistik und den Endresultaten der Gelenkresectionen. 203
sicherte den Schulterniuskeln einen Haltpunkt für ihre Insertionen
und leistete der Knochenreproduction wesentlichen Vorschub. War
durch diese Momente auf der einen Seite das Zustandekommen einer
Schlotterverbindung in den Hintergrund gedrängt, so mussten eben-
dieselben auf der anderen Seite Ankylosenbildung (wenn auch keine
vollständig knöcherne: solche sind nach v. Langenbeck unerklär-
lich) bevorzugen.
Das factische Bestehen der genannten Umänderung beweisen
nachkommende Citate. Ried (1847): »der ungünstigste Fall ist
gegeben , wenn nach beträchtlichem Substanzverlust des hunierus
derselbe mit dem naheliegenden Knochen in keine Berührung tritt,
sondern isolirt und von den an sein oberes Ende sich ansetzenden
Muskeln getragen hängen bleibt. Unter solchen Umständen gehen
die Bewegungen des Oberarms verloren. Derselbe kann nur durch
schleudernde Schwingungen bewegt werden; nichtsdestoweniger ist
der Vorderarm und die Hand zu allerlei Verrichtungen tauglich.
Der bei anderen Gelenkresectionen bisweilen beobachtete Ausgang
in Ankylose ^^) ist meines Wissens am Schultergelenk noch nicht
vorgekommen, auch bei der geringen Ausdehnung der beiderseitigen
Berührungsflächen unwahrscheinlich. «
H e y f e 1 d e r (1863) beschreibt genau die Vor- und Nach-
theile jedes einzelnen Ausgangs. Er unterscheidet zunächst Un-
geheilte, d. h. solche, die Fisteln oder Recidiven halber neuen
Operationen unterzogen werden müssen — und Geheilte. Bei
letzteren schildert er ausführlich (nebst Angabe der etwa sie be-
günstigenden Momente) die Kategorien der Schlotterverbindung ^^),
^^) Uebrigens scheint man frülier unter ,, Ankylose" ganz stricte ein voll-
ständig unbewegliches (verknöchertes) Gelenk verstanden zu haben, während
jetzt der Begriff in erweitertem Sinne blos sehr erhebliche Beschränkung der
Excursionsfähigkeit bedeutet.
^^) Etwa folgende Erörterungen liefert er hierüber: Es vermag der Ober-
arm, welcher ohne oder mit geringer Beweglichkeit an der Schulter herabhängt,
nur mittelst Beihülfe der gesunden Extremität oder durch Schleudern zu grössern
Beweguiigen gebracht zu werden , wogegen in gestreckter Richtung der Arm
schwere Lasten heben, bei Fixation desselben am Ellenbogen und Handgelenk
völlig naturgemäss funetioniren kann. (Zur möglichsten Vervollkommnung dieser
Leistungen dienen mechanische Vorrichtungen u. s. vv.) Doch kommt ein solcher
204 Dr. VV. Stark.
des activ frei^^) oder beschränkte^) beweglichen Gelenks und der
Ankylose 5^).
Wie absonderlich schlecht die Resultate bei unzureichender
oder ganz fehlender Nachbehandlung und völliger Verzichtleistung
auf den Gebrauch des resecirten Arms werden können, erhellt aus
den Beschreibungen Hannovers^"), die, weil einzig in ihrer Art,
wörtlich hier verzeichnet sind:
»Von den 15 Resecirten des Schultergelenks sind zwei später
gestorben. Unter den Uebrigen sind nur 3 , von denen man sagen
kann, dass das Resultat ziemlich günstig ist. Der Erste hat zwar
keinen Nutzen von dem Oberarm, aber wenn der Ellenbogen unter-
stützt ist, kann er verschiedene Gegenstände, die nicht zu klein sind,
fassen und halten. Der Zweite fühlt zwar bedeutende Schwierigkeit
beim Heben des Oberarms-, hat aber doch guten Nutzen vom Arm
bei jeder Arbeit, welche mit herabhängendem Oberarm ausgeführt
werden kann und die Hand scheint sehr brauchbar. Der Dritte
kann den Unterarm und die Hand einigermassen gebrauchen, aber
nur mit geringem Vortheil, weil der Oberarm nicht bewegt werden
kann. Alle übrigen Resecirten können nur die Hand unter der
Bedingung gebrauchen , dass der Oberarm und Ellenbogen gegen
Zustand nur bei grossen Knochensubstanzverlusten , umfangreichen Verletzungen
der Muskeln oder profuser Eiterung vor , die eine Organisation des Exsudates
verhindert.
*^) Er sagt: „Unter Neubildung eines Gelenkes zwischen Oberarm und
Schulterblatt gewinnt die Extremität freie Beweglichkeit und Gebrauchsfähigkeit,
welche der normalen nahekommt." Der an Stelle der Arthrodie wegen Verlustes
der Rotaloren tretende Ginglymus wird um so leistungsfähiger, je mehr der
Humerus mit der Gelenkfläcbe der Scapula in Gontact bleibt, wozu ein möglichst
geringer Knochen- und Muskeldefect beihilft. ,, Dieser Erfolg ist der allergünstigste
und glückliclierweise auch der häufigste."
^*) Beschränkung der Beweglichkeit und zwar besonders der Adductioii
tritt — nach Heyfelder — ein bei Bildung eines neuen Gelenkes am Thorax
nach grössern Knochensubstanzverlusten , bei straffer Verbindung des humerus
mit der scapula, bei osteophy tischen Wucherungen, endlich bei allzu langer
Immobilisirung resp. zu spät vorgenommenen passiven Bewegungen des Arms.
**) „T'nbeweglichkeit des Oberarms im Schultergelenk gehört zu den aller-
seltensten Folgezuständen dieser Resection." . „Sie setzt einen Ausschluss aller
Bewegungen in den ersten Monaten nach der Operation voraus,"
«'') S. Nr. 3.
Beiträge zu der Statistik und den Endresultaten der Gelenkresectionen. 205
den Körper fixirt sind, oder wenn der Unterarm in einer Bandage
oder auf einer Unterlage horizontal fixirt ist. Aber der Gebrauch,
den sie von der Hand machen können, ist höchst unbedeutend; denn
wenn sie auch die Finger bewegen können, ist doch entweder gar
keine Kraft oder nur eine äusserst geringe vorhanden. Dies ist
Alles, was von den Schukerresectionen an günstigen Resultaten
hervorgehoben werden kann; denn in jeder andern Beziehung ist
das Endresultat unglücklich. Bei einem Invaliden sind die Finger
krumm. Die Hand ist kalt bei 3 Invaliden und muss immer be-
schützt werden; bei einem gefühllos. Man findet Atrophie an dem
ganzen Arm und der Hand bei 4 Invaliden, am Oberarm und den
Brustmuskeln gleichfalls bei 4 ^^). In dem Ellenbogengelenke ist
active Beweglichkeit entweder gar nicht vorhanden oder nur gering.
Im Allgemeinen kann der Invalide das Ellenbogengelenk nur dann
biegen, wenn der Unterarm längs der Vorderfläche der Brust sich
bewegt, nachdem der Oberarm stark fixirt ist; aber diese Beweg-
lichkeit ist fast ganz ohne Werth, weil die Brauchbarkeit der Hand
so überaus gering ist. Es findet sich kein einziger Invalide,
der irgend eine active Beweglichkeit im Schultergelenke
besitzt. Bei 7 oder 8 Invaliden ist nach einem Verlaufe von
5 — 6 Jahren nicht einmal Gonsolidation des Schultergelenks ein-
getreten, während es bei 4 Invaliden unbeweglich und ankylosirt ist.
Bei 2 Invaliden ist der Oberarm verkürzt; bei 3 finden sich noch
Fistelötfnungen. Es ist sicher, dass der resecirte Arm dem Invaliden
oft ein Hinderniss ist; doch wird dies ausdrücklich nur von einem
bemerkt, dem mit einer Amputation besser gedient wäre; auch bei
einem Andern ist der Arm bei vielen Gelegenheiten ein Hinderniss,
aber sowohl er als noch ein Anderer haben sich doch mit dem
jetzigen Zustande zufrieden erklärt.«
BillroLh (1871), der unter 11 Fällen 3 Ankylosen, 2 unvoll-
kommen brauchbare Extremitäten und 6 provisorisch gute Besultate
®^) Zur Beurtheiiung dieses Factums vrgl. v.LaiigenJjeck: „Eine mit dei'
Zeit zunehmende Verschlechterung etwa durch fortschreitende Muskelalrophie
kommt nach der Resection des Oberarmkopfs nicht vor. Der sogenannte läh-
mungsartige Zustand ist nichts anderes als eine Inactivitätspaialyse."
206 l^i'- ^^' stark.
hatte, betont , dass nach Schussverletzungen des Schultergelenks die
Entfernung eines zu kleinen Stückes des humems oft wegen zurück-
bleibender weitgreifender Fissuren Osteomyelitis mit Pyämie, die
Hinwegnahme eines grossen häufig Schlottergelenk zur Folge habe,
mithin ein in jeder Hinsicht befriedigender Ausgang selten sei.
Neudörfer (1871) gibt die Grenze an, wie hoch man seine
Ansprüche an die Leistungsfähigkeit spannen dürfe: Der grösste
Erfolg besteht in der Erhebung der ungeschwächt gebliebenen Ex-
tremität bis zur Horizontalen; eine höhere Erhebung verhindert das
Fehlen des Gelenkkopfs, dessen Drehung um die Längsachse hierzu
nöthig ist.
Fischer (1872)^^) bezeichnet seine Endresultate aus dem
Feldzuge 1870 — 71 als »sehr erfreulicher Natur« (2 Ankylosen,
5 activ und 3 passiv bewegliche Schlottergelenke); sie sind jedoch
selbstverständlich blos provisorische.
Ferner erhielt Mossakowsky^^) bei seiner flüchtigen Musterung
der durch Basel transportirten französischen Livaliden den Eindruck,
»dass die conservativ behandelten und mit Ankylose geheilten Schul-
tergelenkwunden zur Zeit der Durchreise bessere functionelle Resul-
tate als die Resecirten aufzuweisen hatten«.
Bergmann (1874) ist »im Hinblick auf die Notizen der deut-
schen militär ärztlichen Zeitung über die Gebrauchsfähigkeit der im
Schultergelenk resecirten Arme« mit seinen Endresultaten^^)
zufrieden: »Der sogenannte lähmungsartige Zustand des Arms findet
sich nur in einem Falle. In den andern 10 Fällen ist 9mal die
volle Kraft der Hand und der Bewegungen im Ellenbogengelenk
«2) S. Nr. 5.
'^) Dr. Paul Mos sakovvsky: Statistischer Bericht über 1415 französische
Invaliden des deutsch-französischen Krieges 1870—71. Deutsche Zeitschrift für
Chirurgie, I. Band.
^*) Als „Endresultate" lassen sich von seinen Fällen eigentlich blos
2 passiv bewegliche Schlottergelenke und 7 activ bewegliche Schlottergelenke
bezeichnen, da von 2 in die erstere Kategorie gehörigen Patienten einer —
3 .lahre nach der Operation — an Tuberkulose starb, ein zweiter noch — zur
Zeit der V'eröffentlichung des Berichtes — ungeheilt war.
Beiträge zu der Statistik und den Endresultaten der Gelenkresektionen. 207
wieder gewonnen worden«; — aber — »nur in einem Falle die
active Beweglichkeit im Schultergelenk nach allen Seiten«.
V. Langenbeck eröffnete die Perspective auf das, was diese
Operation bei gutem Heilverlaufe zu bewirken vermag: »Es kann
der ganze Oberarmknochen mitsammt dem Ellenbogengelenke entfernt
werden müssen und darnach ein sehr brauchbarer Arm erhalten
werden, vorausgesetzt, dass eine ausgedehnte Knochenneubildung
stattfindet« ^°). Ueberdies hat er »so schlimme Inactivitätsparalysen
nach Resection des Oberarmkopfs, wie die Invalidenberichte so viel-
fach schildern überhaupt nicht gesehen und kann auf das Bestimmteste
versichern, dass eine Unbrauchbarkeit der Hand nach Resection
wegen Schuss Verletzungen von ihm niemals beobachtet ist.«
Erwägt man nun unparteiisch das Ergebniss dieses Kapitels,
so wird man zu dem Bekenntnisse gelangen, die Resection des
Schultergelenks stehe — wenn richtig gehandhabt — hinsichtlich
ihrer Leistungsfähigkeit den Excisionen der andern, grössern Gelenke
ebenbürtig zur Seite ^'^).
In der Freiburger Klinik bot sich vom Jahre 1872—76 viermal
die Gelegenheit dar, den Verlauf und das Resultat der Schulter-
st) Deii Beleg bildet Fall 25 seiner Krankengeschichten, in welchem der
Schultergelenkresection wegen Vereiterung des Giibitalgelenks, dessen Excision
nebst Entfernung des durch Osteomyehtis necrotisch gewordenen Humerusrestes
folgte, mit nachträglich sehr guter Gebrauchsfähigkeit.
6«) Der Statistiker dagegen, „der nach den ihm vorliegenden Zahlen ur-
theilt und auf die Nebenumstände, unter welchen diese Zahlen entstanden, keine
Rücksicht nehmen kann, wird" — wie v. Langenbeck bemerkt — „stets zu dem
Facit gelangen, dass die Schultergelenkresection zu verwerfen sei, weil die Inva-
lidenberichte eine so grosse Anzahl von Fällen geliefert haben, in welchen die
Extremität ganz unbrauchbar, ja für den Invaliden so lästig erschienen, dass
eine Exarticulation im Schultergelenk vorzuziehen gewesen wäre." — Wie ganz
anders lauteten die begeisterten Worte Senftlebens (s. Nr. 117), die hoffent-
lich sich noch bewahrheiten werden: „Die Resection im Schultergelenk gehr.rt
zu den brillantesten Leistungen der operativen Chirurgie. Von allen Reseclionen
gibt sie die besten Resultate, indem sie nicht blos das Glied erhält, sondern
auch immer eine annähernd normale Function."
208 Dr. W. Stark.
resection genauer zu beobachten. Die Veranlassung der (subperiostal
ausgeführten) Operation bildeten Imal ein Trauma , 3mal Garies,
Im erstem Falle war durch einen Schiefbruch die Gelenkkapsel er-
öffnet; die Heilung erfolgte ohne Gomplication binnen 2 Monaten.
Einer der übrigen 3 kam bereits resecirt wegen fortschreitender
Phthisls in's Spital, wo er, 2 Jahre nach der Operation , ohne dass
während dieser Frist je eine Ausheilung des excidirten Gelenkes
bestanden, einem sehr in- und extensiven Erysipel erlag. Beim
zweiten, welcher erst nach Ablauf des acuten Entzündungsstadiums
wegen der zurückgebliebenen Ankylose sich besagtem Eingriffe unter-
zog, sind bis zur Zeit, ein Jahr nach Vornahme der letztern, Fistel-
gänge vorhanden. Der dritte , ein kräftiger Bauernbursche , steht
gegenwärtig — 3 Monate nach der Resection — dem Abschlüsse
seines örtlichen Leidens sehr nahe.
Die nähern Umstände können aus den nun folgenden Schil-
derungen des jeweiligen Krankheitsverlaufes entnommen werden :
Fall 1.
Carl Bühler, 8 Jahre alt, aus Opfingen, wurde beim Spielen an einem
Haufen Telegraphenstangen von einer derselben , welche herabrulschte , am
15. April 1872 so von hinten an der rechten Schulter getroffen , dass unter
grossen Schmerzen der Humerus hoch oben abbrach und sich vorn aus der
Haut herausdrängte.
Eine Stunde später kam der Verletzte in das Spital.
Es ergab sich folgender Status :
, Das schief abgebrochene, untere, dem Humerusschafte angehörige Frag-
menlende steht etwa 2 Ctm. aus der kleinen, knöpf lochförmigen Hautwunde an
der vordem Fläche des Arms hervor , ungefähr 4 Finger breit unterhalb des
Gelenks , noch im Bereich des Deltoideus. Der Knochen ist zum Theil von
seinem Periost abgelöst, ein circa 1 Ctm. langes und einige Mm. breites Stück-
chen der Gorticalis fehlt ganz. Blutung gering.
In der Narcose verlängerte man zunächst mit dem Bistouri die enge Haut-
wunde nach oben, weil sie durch Strangulation des hervorstehenden Fragments
jeden Repositionsversuch vereitelte. Das vom Periost entblösste Knochenende
ward mit der Kettensäge abgetragen und so die weitere Untersuchung mit dem
Finger ermöglicht: Die gerade unterhalb des Gelenkes ])eginnende, schief von
aussen nach innen gehende Fractur hat zugleich die Gelenkkapsel eröffnet. Die
nach innen gerichtete Fläche des obern Bruchstücks ist sehr scharfkantig, zu-
gespitzt und droht bei jeder Bewegung die grossen Gefässe und Nervenstämme
der Achsel zu zerreissen. Der oben erwähnte abgerissene Splitter flottirt in der
Wunde, noch einigen Periost- und Muskel fetzen adhärirend.
Beiträge zu der Statistik und den Endresultaten der Gelenkresectionen. 209
Es wurde die primäre Resection ausgeführt: Verlängerung der schon be-
stehenden Incision zum Robert'schen Längsschnitte, Zurückschieben der Weich-
theile und des Periostes mit dem Raspatoriuni, — Fassen und Enucleiren des al)-
gebrochenen Gelenkkopfes mit der Knochenzange, — Stillung der Blutung din-cli
Einspritzen von carbolisirtem , kaltem Wasser, — Naht des oberen Theiles der
Wunde und Einlegen eines kleinen Drainröhrchens in den untern Winkel, —
endlich ein gewöhnlicher Oelcharpieverband nebst Mitella bildeten die einzelnen
Akte der Operation. Die Länge dos excidirten Stückes betrug, wenn man an
den Humerus-Kopf den abgesägten Diaphysentheil anfügte, 7 Gtm., die Säge-
fläche des letztern verlief etwas schief nach innen und unten. — Die Heilung
erfolgte schnell. Die Reaction unmittelbar nach der Operation war unbedeutend,
das Fieber während des ganzen Krankheitsverlaufs massig, die Wunde schloss
sich zum Theile primär (18. April Nahtentfernung), der übrige verkleinerte sich
ziemlich rasch unter bald mehr, bald minder reichlicher Eiterung. Sie wurde,
als das Secret einige Tage nach der Operation übel roch , offen behandelt und
täglich wiederholt beim Verbandwechsel mit Carbolwasser ausgespritzt. Eine
Indigestion Anfangs Mai hatte keine weitere Folgen. Auch eine kleine, ober-
flächliche, unbewegliche Necrose des freien Humerusrandes, welche man zu der-
selben Zeit beim Touchiren fand, bedeckte sich mit Granulationen und hemmte
so kaum den Fortschritt zur Besserung; nur einmal sah die Wundfläche schlaff
und belegt aus — starke Carbollösung brachte sie schnell wieder in Ordnung.
Anfangs Juni war jede Temperaturerhöhung geschwunden, die Wunde fast ganz
vernarbt, die Narbe aber ein wenig schief zusammengezogen, wesshalb.eine
Gypscuirasse nach Analogie des V e 1 p e a u'schen Bindenverbandes applicirt
und 14 Tage getragen wurde. Das Zugehen einer kleinen Fistel — befördert
durch öfteres Touchiren — markirte am 15. Juni den vollständigen Abschluss
des Heilungsprozesses. Am 25. VI. nahm man Morgens und Abends zum ersten
Male passive Bewegungen vor , die activen zeigten sich , hauptsächlich Avegen
des Mangels einer Stütze für den Deltoideus, sehr gering. Am 1. Juli erhielt
Patient eine neue Cuirasse mit Freilassung der Schulter, die bis zum 24. ange-
gelegt blieb. Nach deren Abnahme konnte, obgleich der Arm während dieser
Zeit Tag für Tag electrisirt und die Muskelerregbarkeit sehr gut befunden wor-
den war, keine erhebliche Besserung der Excursionsfähigkeit constatirt werden •'
„Bewegungen des Arms von vorn nach hinten möglich, das Heben aber, beson-
ders in abducirter Stellung, nur in sehr geringem Maasse." Von jetzt an ward
täglich electrisirt und manipulirt, trotzdem hatte die Functionsfähigkeit bis zur
Entlassung am 29. Juli keine bedeutenden Fortschritte gemacht, wesshalb auch
noch nach derselben das Electrisiren und die Uebungen in gleicher Weise einige
Wochen hindurch fortgesetzt wurden, bis sich Patient der weitern Behandlung
gänzlich entzog.
Er stellte sich wieder am 2. Febr. 1875. Das Untersuchungsresultat war
sehr günstig:
Activ : Freie Bewegung des Arms bis zur Horizontalen ; Hinterkopf kann
mit der Hand betastet werden. Passiv : Bei Fixation der Scapula Erhebung
bis zu einem rechten Winkel , ohne dieselbe beinahe zur Vertikalen. — Ac-
tive Rotation in geringem Maasse vorhanden, passive etwas über die Norm,
Passive Längsverschiebung des Humerus kaum da. Hebvermögen: Bei hängen-
dem Arm mehr als 10 Kilo; bis zur Brustwarze Krug im Gewicht von 1500 Gr.;
bei horizontaler Streckung eine leere Schale.
Czeruy, Beitrüge zur operativen Chirurgie. 14
18 Ctm.
25 Ctm.
19 Ctm.
19 Ctm.
17 Ctm.
17 Ctm.
210 Dr. W. Stark.
r. 1.
Länge vom Acrom. bis Epicond. ext. 18 Ctm. 24 Ctm.
Epicond. ext. bis Process. styloid. 20 Ctm. 19 Ctm.
Grösster Umfang 18,5 Ctm. 17 Ctm.
Anfangs Juli wurde der Knabe abermals genauer untersucht:
Active Erhebung des Arms nach vorn bis zum Winkel von 70°, nach
hinten bis zu 50". Streckung des Arms bis zu 50". Adduction normal. Ro-
tation nach innen normal, nach aussen bis zur Hälfte möglich.
Passive Erhebung normal , Rotation wie die active. Hebt eine Last von
2 Pfd., bei gestrecktem Arm im Schultergelenk bis zum Winkel von 50", bei
Belastung mit 5 Pfd. bis zu 20", 10 Pfd. gar nicht. Links hebt er bei Be-
lastung mit 10 Pfd. bis zum Winkel von 50". Der rechte Arm ist 5^2 Ctm.
kürzer als der linke.
r. 1.
Umfang des Oberarms 17,5 Ctm. 17,5 Ctm.
„ „ Vorderarms lt3,5 Ctm. 18 Ctm.
Im October dieses Jahres fanden sich folgende Maasse vor:
r. 1.
Acrom. bis Cond. ext.
Cond. ext. J3is Proc. styl.
Umfang des Oberarms
Status vom 9. XL 76:
Hat Nichts zu klagen, besucht die Schule, schreibt mit der rechten Hand
und empfindet erst nach zweistündiger Arbeit Schmerz im rechten Ellenbogen-
gelenk.
Die Schultercontouren sind rechterseits leidlich wiederhergestellt, nur
das Acrornion zeichnet sich noch sehr prägnant von den übrigen Parthien ab.
Die Narbe der Resectionsstelle ist ziemlich verstrichen.
Länge vom Acrom. — Cond. ext.
,, „ Cond. ext. — Proc. styl. rad.
„ „ Acrom. — Proc. styl. rad.
„ „ Proc. cor. — Cond. int. *)
Länge vom Cond. int. — Pr. styl. uln.
„ „ Proc. corac. — Pr. styl. uln.
Umfang v. Achselhöhle über Pr. cor. nach dem Acrom
d. Oberarms in d. Höhe d. Axilla
„ „ Mitte
,, Ellenbogens
„ Vorderarms
,, Handgelenks
Rechte Hand kleiner als die linke.
r.
1.
19 Ctm
25 Ctm.
21
21 V2
40
46^2
Diff.
6V2
18
25
r.
1.
21 Ctm.
19^2
Ctm.
39
44 V2
Diff.
5^2.
r.
1.
Acrom.
24 Ctm
28 Ctm
IG
17
16^2
17V2
19
21V2
14
16
12 '/2
13
*) Dieser ragt rechts auffallend hervor und sitzt ziemlich hoch,
Beiträge zu der Statistik und den Endresultaten der Gelenkresectionen. 211
Active Erhebung bis zum rechten Winkel mit Beihülfe der leicht beweg-
lichen Scapula, passiv bis 128"; ohne Mitbewegung des Schulterblatts (activ und
passiv) ungefähr bis 47°.
Streckung bis zu einem nach hinten offenen Winkel von 54°, passiv bis
81" ; Rotation normal ; ebenso Adduction ; Abduction activ bis 48°, passiv bis 78°.
Händedruck beiderseits gleich. Hebt rechts 35 Pfd. vom Boden auf; bei ge-
strecktem Arm 5 Pfd. bis zu einem nach vorn offenen Winkel (zwischen Rumpf
und Arm) von circa 48°; bei am Thorax angelegtem Oberarm und Beugung im
Cubitalgelenke das letztgenannte Gewicht bis zu einem spitzen Winkel.
Fall. 2.
Johann Mayer, 62 Jahre alt, aus Riedern, erkrankte Anfang des Jahres
1871 rechterseits an einer Schultergelenkentzündung. Es kam zur Eiterung; der
Eiter wurde durch Incision entleert, der Humeruskopf im Juli desselben Jahres
in Schaffhausen resecirt. Mehrere Fisteln — die Ueberreste nachträglich ent-
standener und eröffneter Abscesse des Oberarms — secernirten noch bei seiner
Aufnahme am 19. April 1873. Patient war sehr abgemagert, hatte Husten und
Fieber. Links oben fand sich Percussionsdämpfung und verschärftes Athmen.
Local constatirte man stärkere Wölbung, doch geringere Breite der afficirten
Schulter ; an der Vorderseite zwei grosse Granulationstlächen , von denen aus
Fisteln in die Tiefe führten; in der Supraclaviculargegend eine weissliche Narbe;
endlich am Oberarm drei unter einander communicirende Hohlgänge. Nirgends
gelangte die Sonde auf nekrotischen Knochen. Active Bewegungsfähigkeit fehlte
vollständig. Auf Ruhe und Drainage folgte ein Fieberabfall bis zur Norm (von
39,5 herab). Schüttelfrost am 30. VI., verbunden mit einer Temperatursteigerung
bis 40,3, ging einem Erysipel voraus , dessen erste Spuren (Röthung) sich noch
selbigen Tages am untern Humerustheile einstellten. Von da wanderte es, wäh-
rend der Frost sich (2. VII.) wiederholte und hohes, remittirendes Fieber bestand,
auf Vorderarm , Schulter , Brust und Rücken bis zur Lendengegend , ergriff
sogar die linke obere und untere Extremität. Decubitus trat am Kreuzbein auf
(15. Juli), Patient collabirte und starb am 20. VIL
Das ObductionsprotokoU lautet :
»Am Oberarm rechts an der Schulter fistulöse geschwürige Oeffnungen,
welche bis auf den Knochen fähren, der am Periost chronisch entzündliche Zu-
stände mit speckiger Veitiickung zeigt, und das Gelenk bietet die Veränderung
clironisch deformirender Prozesse. Pachymeningitis interna haemorrhagica
beiderseits ; seröse Infiltration der Pia ; Hydrocephalus internus. Käsige Bron-
chitis und Peribronchitis an den Lungenspitzen; beginnende Pneumonie mit
kleinen Verkäsungsheerden in den untern Abschnitten, Fettenlartung des Herz-
fieisches; Erweiterung des rechten Herzens. Atrophische Muskatnussleber.
Atrophie der Milz. Chronischer Magen-Darmcatarrh. Miliare Tuberkulose der
Lungen, Leber, Nieren.«
Fall 3.
Karl Erdi n, 14 Jahre alt, von Buchheim, dessen einer Bruder und
Grossvater an Luiigenkrankheiten gestorben , hatte früher an Drüsenaffectioiien
212 Dr. W. Stark.
gelitten. Im Herbste 1874 fiel er auf den rechten Arm , konnte jedoch nach
3 Tagen wieder arbeiten. Erst im Frühjahr 75 bekam er heftigen Schmerz in
die rechte Schulter. Zugleich magerte die Extremität ab und es entstand nach
und nach Steifigkeit des betreffenden Gelenkes. Am 11. October 1876 liess sich
der Junge ins Spital aufnehmen. Er sah mager und blass aus, Hals und Wangen
zeigten beiderseits als Residuen der durchgemachten Lymphdrüsenvereiterungen
zackige, rothe Narben von unebener Oberfläche. Rechter Arm und Schulter
waren atrophisch, das Gelenk der letztern ankylotisch und alle Bewegungen wur-
den mit Hülfe der sehr geübten Scapula ausgeführt. Da weder brisement
force (17. X.) noch methodische Behandlung mit dem constanten Strome und
Massage (28. X. — 16. XI.) die Excursionsfähigkeit des Oberarms wieder her-
zustellen vermochten, verliess Patient die Klinik, kehrte aber nach wenigen
Tagen zurück , um sich das unbrauchbare Gelenk herausschneiden zu lassen.
Am 23. November führte man dies unter Li st er aus. Das Periost wurde von
dem durch chron. Ostitis erweichten und mit dem Schulterblatte fest verbunde-
nen Oberarmkopfe losgelöst; hierauf derselbe am chirurgischen Halse mit der
Kettensäge abgetrennt. Die cavitas gleuoid. musste, weil sie sich an einigen
Stellen eitrig infiltrirt erwies , mit dem Simon 'sehen Löffel ausgekratzt
werden. — Das 5 Gm. lange (obere) Hmnerusende trug an der äussern Seite
der Schnittfläche eine l'J2 Cm. grosse Zacke. Der Knorpel des Gelenkkopfs war
grössteutheils verloren gegangen, der dadurch aufgedeckte Knochen allenthalben
cariös zerfressen (ebenso die Tubercula) und erweicht. Ein beinahe 3 Cm.
umfassendes Stück hatte sich von der Vorderseite des Caput abgelöst.
Die parenchymatöse Blutung wurde durch einige in die Wunde gestopfte
und mehrere Tage darin gelassene Schwämme gestillt. Das Fieber dauerte
12 Tage, überschritt aber nicht die Grenze von 39°. Die Wunde sah in der
ersten Zeit schlecht aus, doch besserte sich dies bald, sowie auch der All-
gemeinzustand des Operirten. Sie secernirte so reichlich Eiter, dass es rathsam
schien, den Ausweg stets durch ein Protectivstreifchen offen zu halten. Am
13. Dezember war in der Tiefe bereits Verschluss eingetreten und verkleinerte
sich der Substanzverlust zusehends. Dieser Vorgang wurde durch Aetzungen
unterstützt. Anfangs Januar nahm man täglich passive Bewegungen vor, um
der wiederum drohenden Ankylose vorzubeugen. In Folge dessen konnte am
21. 1. 76 der Arm bei Fixation der Scapula sowohl erhoben als rotirt werden.
Die Wunde hatte sich fast vollständig vereinigt. Im Februar entwickelte sich
unter Fieberschwankungen eine Anschwellung in der Fossa supraspinata.
Ein Einschnitt daselbst am 7. März legte keine Eiteransammlung, sondern nur
Granulationen blos , ohne dass nach deren Auslöfflung Caries zu Tage trat.
Dessenungeachtet wuchs die Gebrauchsfähigkeit des Arms mehr und mehr
(8—20. 111.) Am 3. April verliess der Reconvalescent die Klinik, kam aber noch
jeden dritten Tag zum Verbände herein.
25. X. 76:
Sieht nicht gesund aus, behauptet jedoch, dass er seit seinem Austritte
aus dem Spitale mit Ausnahme seines Localieidens nie über Etwas zu klagen
gehabt habe.
Die resecirte rechte Schultergegend soll nicht empfindlich, die Wunde
aber zu keiner Zeit völlig zugeheilt gewesen sein. Die Secretion ist nach seiner
Angabe unbedeutend. Zwischen Acromion und Proc. corac. findet sich
rechlerseits eine G'/« Cm. lange, stark eingezogene Narbe. In der Mitte dersel-
Beiträge zu der Statistik und den Endresultaten der Gelenkresectionen. 213
ben sitzt eine Borke, nach deren Entfernung man mit der Sonde in die Tiefe —
doch nicht auf Knochen — dringt. Eine zweite Narbe , etwas nach aussen von
der Mitte der Spina scapulae, haftet daselbst auf dem Knochen fest. Proc.
corac. und acrom. treten sehr deutlich hervor, doch hat sich der Knochen
schon so bedeutend regenerirt, dass die Schultercontouren einigermassen ersetzt sind,
r. 1.
Umfang von der Achselhöhle über das Acromion . . 30 — 32 ^a
des Oberarms in der Höhe der Achselhöhle . 17 — 22
des Obei'arms etwa 4 Gm. über der Ellenbeuge 19 — 22
des Ellenbogens 22—23
des Vorderarms 18^2— 20^2
des Handgelenks 14V2 — 14^2
Rechte Hand etwas kleiner als die linke.
Länge vom Process. Gorac. bis cond. ext. . . 23 — 26
„ Cond. ext. bis Pr. styl. rad. . . , 23—23
„ Pr. corac. bis Pr. styl rad. . . . 46—49 Diff. 3 Cm.
Die rechte obere Extremität kann activ ohne Theilnahme des Schulter-
blatts bis zu einem Winkel von 44" elevirt werden. Passiv bringt man den
Winkel zwischen Scapula und erhobenem Arme beiläufig bis 53"; gestattet man
Mitbewegung der Scapula und macht alsdann forcirte Hebversuche, so steigt die
Weite des Winkels zwischen Rumpf und Arm bis 85°. Streckung nach rück-
wärts nur bis zu einem nach hinten offenen Winkel von 23" möglich (activ und
passiv). Die Abduction vermag sowohl activ als passiv in nur geringem Maasse
erzielt zu werden. Adduction und Rotationen sind annähernd normal.
Schon bei leichtem Manövriren lässt sich zuweilen ein Knarren verspüren,
das auch subjectiv empfunden wird.
Bei Beugung im Ellenbogen ist Patient im Stande, bis zum Munde zu
reichen, nach hinten bis zu der Kreuzbeinbasis. Mit dem kranken Arme hebt
er ohne Anstrengung 35 Pfd. vom Boden empor. 10 Pfd. bringt er bei ge-
strecktem Gliede etwa so weit nach vorn wie ohne Belastung (also bis 44°).
Das gleiche Gewicht wird, obzwar mit Mühe, bis zum stumpfen Whikel erhoben
bei Flexion im Ellenbogen, während man den herabgesenkten Oberarm festhält.
Er kann alle ihm als Landwirth obliegenden Beschäftigungen verrichten, drischt
z. B. den ganzen Tag, ohne zu ermüden.
Fall 4.
Franz Josef Kaiser, 18 Jahre alt, bemerkte 1872 eine allmählig
abnehmende Gebrauchsfähigkeit des rechten Schultergelenkes, indem unter
Schmerzen hauptsächlich das Hebvermögen Noth litt. Er sah sich binnen
Jahresfrist gezwungen, zu seinem Handwerke als Schmied vorzugsweise den
linken Arm zu verwenden. So stieg der Schmerz und sank die Beweglichkeit
des Gelenkes, bis Anfangs Mai 1876 eine Exacerbation des entzündlichen Prozesses
eintrat, welche den Patienten nöthigte, am 8. Juni das Spital aufzusuchen. Die
rechte Schulter war geröthet und sehr stark geschwollen, Bewegungen nur in
geringem Grade, doch ohne Schmerz und Grepitation möglich. Da Fluctuation
nachgewiesen werden konnte, wurden sofort unter Li st er 's Spray an der
214 Dr. W. stark.
Vorderseite der Articulation durch Incision Eiter und käsige Massen entleert.
Bei Touchirversuchen vermochte der Finger nicht in's Gelenk einzudringen. Am
19. Juni fieberte der Kranke zum ersten Male, wesshalb man die Abscess-
öffnung erweiterte und dadurch bei gleichzeitigem Drucke viel käsige Massen
herausbeförderte. Die Temperatursteigerung blieb — mit mehrtägiger Inter-
mission. Wegen ihrer Fortdauer bei gleichzeitig starker Suppuration wurde das
Gelenk am 8. Juli resecirt, der Humeruskopf im Collum chirurg. abgetragen.
Die Länge des excidirten Stückes betrug 5^4 Gm. Am Caput hum. und der
Planne fanden sich ausgedehnte Zerstörungen des Gelenkknorpels; besonders
die Hinterseite des erstem war durch Beinfrass verwüstet. Caries hatte die
äussere Fläche des Tuberc. maj. durchlöchert, ferner die Basis des Tub. minus
an der äussern und innern Grenze unterminirt, auch den Sulcus intertub. er-
griffen. Ferner existirten Eitersenkungen nach der Brustwand, der Achselhöhle,
dem Schulterblatt und Oberarm. Die sie umkleidenden Membranen wurden ent-
fernt, die Hohlräume mit Chlorzink ausgeätzt und drainirt, schUesslich ein Ver-
band nach Lister angelegt. Das Fieber fiel noch am Operationstage bis zum
normalen Temperaturstande herab, erhob sich nur die drei folgenden Abende über
denselben, um ihn alsdann nicht mehr zu verlassen.
Am 14. nahm man die Drainage der Axilla hinweg, am 19. die beiden
sich nach Scapula und Pectoralis erstreckenden. Der Verlauf war ausgezeichnet.
Die Fisteln in der Achselhöhle und über dem Pectoralis schlössen sich schon bis
27. Juh. Einen neugebildeten Eiterheerd neben der Scapula-Fistel eröffnete man
um dieselbe Zeit und entfernte die letzte Drainage des Gelenkes. Bis 19. VIII.
konnte der Ax-m bereits wieder gebraucht werden und erhielt Patient auf seinen
Wunsch die Erlaubniss zum Austritte: die Gelenkfistel secernirte noch etwas;
die Regeneration des Kopfes erschien zur Zeit gering; die Beweghchkeit activ
und passiv relativ gut: der Arm vermochte rotirt und unter Mitbewegung des
Schulterblatts bis gegen die Horizontale erhoben zu werden.
21.x. 1876: Hat keine Schmerzen mehr. Das Aci-omion ragt sehr augen-
fällig über die eingesunkene Schultergegend hervor. Eine 10 Vz Ctm. lange, livid
gefärbte und auf dem Knochen theilweise festhaftende Narbe, in welcher eine
überkrustete Fistel sitzt, zieht an der vordem Seite des Gelenks herab. Eine
eben solche, doch kleinere (etwa 2V2 Ctm. lang) liegt etwas nach aussen vom
untern Theile der erstem. An der Rückenfläche des Schulterblatts, unterhalb
und etwas nach aussen von der Mitte der Spina, befindet sich die noch mit
Borken bedeckte Mündung eines Hohlgangs.
• Umfang von der Achselhöhle über d. Acromion
» des Oberarms in der Axillargegend . .
» der Mitte des Oberarms 24
» » » » Vorderarms 23
Weiter nach abwärts keine Differenz.
Länge des Arms vom Acromion — Proc. styl. rad.
und zwar: vom Acromion — Cond. ext. . .
vom Cond. ext. — Proc. styl, rad,
Länge von Proc. corac. — Cond. int
Active Erhebung des Ai'ms bis 52°;
passive Erhebung des Arms bis 66°.
r.
1.
38
42
23
27
24
26
23
26
r.
1.
54
59 Diff. 5 Ctm,
28
32
26
27
27
31
Beiträge zu der Statistik und den Endresultaten der Gelenkresectionen. 215
Streckung bis zu einem nach hinten offenen Winkel von 43**;
passiv bis zu einem nach hinten offenen Winkel von 93 ".
Rotationsbewegungen normal; Abduction beschränkt; Adduction nicht.
Bei diesen Versuchen bewegte sich das Schulterblatt mehr weniger mit.
Der junge Mann langt mit der rechten Hand bis zum Hinterkopf. — Händedruck
beiderseits ziemlich gleich stark. Er hebt bei hängendem (rechtem) Arme 55 Pfund
mit Leichtigkeit vom Boden auf. Soll er ein Gewicht so in die Höhe heben,
dass er dabei den Arm aus seiner gesenkten Haltung in eine im Ellenbogen
gebeugte überführt, so gehngt ihm dies mit 10 Pfund nur mit Mühe und zwar
nicht bis zur rechtwinkeligen Flexion. Bleibt aber der Arm gestreckt und wird
der Resecirte nun aufgefordert, in dieser Stellung ebenbesagte Belastung nach
vorn zu eleviren, so ist dies blos in äusserst geringem Grade zu bewerkstelligen.
Er treibt das Schmiedehandwerk und arbeitet rechterseits bereits mit einem
Haudhammer.
Ad Fall: Bühl er. Dieser Fall ist von besonderem Interesse,
da aus den wiederholten Aufzeichnungen des Status die stete Wen-
dung des Gebrauchsvermögens zum Bessern ersichtlich wird:
216
Dr. W. Stark.
9,
XI,
1876.
2,
VII,
1875.
5""
25,
VI,
1872.
0
3
Ctl
3
Zeit
der
verschie-
denen
Mensura-
Oi
1
1
1
Differenz in
der Länge des
Oberarms.
p:
crq
■^ 1
1
1
zu Gun-
sten der
rechten
Seite.
1
Differenz in
der Länge des
Vorderarms.
5 j 1 j
Ci
o»
1
Differenz in 1
der Länge des
Arms (in toto).
f'
1
1
IV2
zu Gun-
sten der
rechten
Seite.
1
Differenz am
Oberarm.
3
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3
CfQ
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H- '
1
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Differenz am
Vorderarm.
bis
zum
recht.
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bis
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Hori-
zon-
talen,
active Bewegung sehr beschränkt.
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nach
innen
norm.;
nach
auss.
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hy-
per-
nor-
mal.
35
Pfund.
mehr
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20 Pfund.
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Heb-
vermö-
gen bei
hängen-
dem
Arm.
CD
tn
3
OQ
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CB
•-S
3
crq
CD
3
5 Pfund
bis zu
einem
spitzen
Winkel.
3 Pfund
bis zur
Brust-
warze.
1
Bei
im Ellen-
bogen
gebeug-
ten
Arm.
5 Pfund
bis
48».
1
2 Pfund
bis
50».
leere
Schaale
bis zur
Horizon-
talen.
'
3
Bei mög-
lichst
horizon-
taler
Streck-
Beiträge zu der Statistik und den Endresultaten der Gelenkresectionen. 217
Auf Grund der Mensurationen erscheinen, obgleich offenbar
bei den frühern Messungsfehler unterliefen, folgende Schlüsse plausibel
1) Die Längendifferenz der beiden Arme nahm mit fortschrei-
tendem Wachsthum zu Ungunsten der Operationsseite zu.
2) Der Umfang der resecirten Extremität blieb mehr und mehr
hinter jenem der gesunden zurück.
Fernerhin lässt sich constatiren:
3) Bei den activen Functionsprüfungen tritt sehr deutlich das
stufenweise Fortschreiten zu ausgiebigeren Bewegungen hervor.
4) Die passiven Excursionsversuche gingen von hohen (ja
'hypernormalen) Graden zu niedrigeren herunter.
5) hl gleichem Maasse wie die active Functionsfähigkeit besserte
sich auch das Leistungsvermögen hinsichtlich der Muskelthätigkeit.
Man erkennt aus den dargestellten Krankheits Journalen zu-
nächst, wie auch in diesen Fällen sich die schon im Jahre 1841
von Schierlinger ^') angeführte Behauptung bestätigt, »dass die
Operationen, wo sie wegen Garies ausgeführt werden, seltener sich
eines guten Ausgangs erfreuen, als wo sie durch traumatische Mo-
mente bedingt sind,« indem bei dem in letztere Kategorie Gehörigen
sehr rasch Vernarbung eintrat, von den erstem 3 dagegen einer
ungeheilt starb, bei einem sich die Heilung ungewöhnlich lang hin-
auszögert, beim dritten dieselbe wenigstens noch nicht abgeschlos-
sen ist.
Mit Rücksicht auf die neuesten Untersuchungsergebnisse mögen
zum Vergleiche folgende, auf die 3 Ueberlebenden sich beziehende
Daten zusammengestellt werden:
^') Dr. Schierlinger Beitrag zur Gasuistik der Resectionen. Diss. Würz-
burg 1841.
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Dr. W. Stark.
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Beiträge zu der Statistik und den Endresultaten der Gelenkresectionen. OJQ
Daraus lässt sich — freilich nur mit Vorbehalt — Nachstehen-
des constatiren:
1) Es beträgt die Längendifferenz bei Nr. 1 = 6 Ctm. , bei
Nr. 2 = 3 Ctm., bei Nr. 3 = 4 Ctm.; scheinbar sind mithin im
ersten Falle nach 4^2 jähriger Dauer blos ICtm., im zweiten binnen
Jahresfrist bereits 2 Ctm. und im dritten nach einem Vierteljahre
schon 1 V2 Ctm. wiederersetzt ^^). Doch darf nicht ausser Acht
gelassen werden, dass mit zunehmender Grösse des Zeitintervalls
zwischen Resection und Revision bei jugendlichen Individuen das
Epiphysenwachsthum der Operationsseite (wegen des Mangels eines
epiphysären Knorpels etc.) mit jener der gesunden nicht gleichen
Schritt halten kann, also eine Steigerung des Längenunterschiedes
zu Ungunsten der resecirten Extremität eintreten muss (siehe S. 216).
Ueberdies sollte vielleicht noch folgende Erwägung nicht ganz
ohne W^erth sein:
Im ersten Beispiele resecirte man wegen Trauma primär d. h.
vor Eintritt der Entzündung ; in den beiden übrigen boten chronisch
entzündliche Zustände den Grund zur Excision, welche somit einer
Secundärresection entsprach. Letztere (i. e. inflammationes chron.)
halten aber in Folge des auf ihre Umgebung stets einwirkenden
Reizes, die Neubildungsthätigkeit (sit venia verbo) der Umgebung
in erhöhtem Maasse rege, werden also, wenn hauptsächlich der Kno-
chen davon befallen ist, vorwiegend an dessen Mark und Periost
jene Eigenschaft erhöhen, kurz — die Knochenreproduction Avird
darnach eine raschere und ausgiebigere sein , wie Nr. 2 und 3 der
vorliegenden Beispiele (selbst nach Rücksichtnahme auf die obigen
Expositionen) zu bestätigen scheinen. Diese Deduction stimmt auch
mit den von anderer Seite gemachten Erfahrungen überein.
2) Ein nennenswerthes Zm-ückbleiben des betreffenden Vorder-
arms im Wachsthum fand nicht statt. (Die Differenzen überschrei-
ten keineswegs die Grenzen der Messungsfehler.)
*^) Indem bereits vor der Operation wegen der vorliandenen Ernährungs-
störungen ein Zurückbleiben im Wachsthum der beiden letztgenannten Extremi-
täten eingetreten gewesen sein könnte (Messungen hierüber fehlen leider), ist
dieser Ausschlag um so höher anzurechnen.
220 Dr. W. stark.
3) Dem mangelhaften Nachwuchs entsprechend beläuft sich die
Differenz des Umfangs zwischen Achselgrube und Acromion bei
Nr. 1 trotz des Missverhältnisses im Zeitintervalle eben so hoch wie
bei Nr. 3, während im zweiten Falle (in welchem aber auch am
wenigsten entfernt wurde) sie sich schon mehr ausgeglichen hat.
4) Aus dem Unterschied in der Circumferenzdifferenz der Arme
lässt sich kein auf die Resection bezüglicher Schluss ziehen, da in
den beiden letzten Fällen durch die vorhergegangenen krankhaften
Prozesse schon vor derselben Atrophie der fraglichen Extremität
bestand.
5) In functioneller Hinsicht litt in allen 3 Fällen das Hebver-
mögen und die Abduction am meisten, weniger die Streckung nach
hinten Noth ^^). Am Besten restituirt sind sie in Fall 1, Nr. 3
kömmt diesem Resultate betreffs der Erhebung und Streckung nach
hinten zunächst, in Fall 2 ist deren Ausführung beschränkter. Die
Abduction sfähigkeit bleibt in den beiden letzteren beträchtlich hinter
der des ersten zurück.
Nicht ohne Einfluss hierauf dürfte die verschiedene Länge der
Resectionsstücke^*') und des Zeitzwischenraumes sein, weil, — wie
früher auseinandergesetzt — mit der Ausdehnung jener und dieses
bei fortwährend zweckmässigem Gebrauche des Arms das Excur-
sionsvermögen zunimmt.
6) Bei den Producten der mechanischen Arbeit möge man sich
nicht wundern, dass Kaiser, der jüngst Resecirte, bei hängendem
®®) Hüter schreibt: „Von activen Bewegungen lernt der Reconvalescent
zunächst die Beuge- und Streckbewegung in der neuen Verbindung ausführen,
weil er hierbei die Pendelbewegung des Oberarms ähnlich wie nach Res. cub.
bei abducirtem Oberarm für die Beugungen und Streckungen des neuen Ellen-
bogengelenks benützen kann. Am meisten Mühe macht die Wiederherstellung
der Abductionsbewogungen durch passive und active Bewegungen, insbesondere
tritt die wichtigste Abductionsbewegung des Muse, deltoid. , welcher durch die
Resection in zwei seitliche Hälften zerlegt wurde , etwas spät und schwer in
Action. — Doch darf man auf eine Abductionsbewegung von wenigstens 45° und
auf mindestens die gleiche Beugebewegung auch bei -weniger sorgfältig nach-
behandelten Fällen rechnen."
^'*) Man vergleiche das merkwürdige Uebereinstimmen der Scala über die
Grösse der Resectionsstücke mit der über die der Gebrauchsfähigkeit (Nr. 1 = 7 Cm.,
Nr. 3 = 5> Cm., Nr. 2 = 5 Cm.).
Beiträge zu der Statistik und den Endresultaten der Gelenkresectionen. 221
Arm Bedeutenderes vermag als die Andern, indem er als sehr kräftig
gebauter Mensch bei dieser vorwiegend der Muskelthätigkeit zukom-
menden Anforderung den Uebrigen weit überlegen ist; denn — zielen
die Leistungsprüfungen mehr auf die Festigkeit der neugebildeten
Gelenkverbindung ab, wie dies bei den Annäherungsversuchen an
die Horizontale seitens der belasteten und gestreckt gehaltenen Ex-
tremität der Fall, so überbietet ihn der viel schwächere Erden,
welcher hierin selbst den Bühl er in den Hintergrund stellt.
Ueberblickt man zum Schlüsse nochmals das Gesammtergebniss
der 4 Resectionen, so zeigt sich eine Mortalitätsziffer von 25%, also
etwas über die oben berechnete Durchschnittszahl (24,6°/o); sie ist
aber immerhin noch sehr günstig, wenn man bedenkt, in welch'
desperatem Zustande der später Gestorbene längst nach der Operation
in's Spital aufgenommen wurde, somit nur mit halbem Rechte bei-
gezogen werden kann.
Die functionellen Resultate sind, nach dem seither angelegten
Maassstabe gemessen, ausgezeichnet. Freilich handelt es sich auch
um 3 jugendliche Individuen.
Ueberdies dient Fall 1 zum Zeugniss, dass, wenn nicht gleich
Anfangs Neigung zum Schlottergelenk, sondern eher zur Ankylose
vorhanden ist, die Gebrauchsfähigkeit, — wird sie nur einigermassen
benützt, — allmälig sich bessert, nicht verschlechtert. Im Hinblick
darauf lässt sich selbst in dem neuesten Falle ein gleicher Ausgang
mit Sicherheit erwarten.
222 Dr. W. stark.
IL Resection des Ellenbogengelenks.
Ohne grosse Differenzen in den Ansichten der Chirurgen voll-
zog sich die Scheidung der Gebiete, welche der Amputation oder
der Resection zufielen. Desshalb genügt, zu erwähnen, dass das
übereinstimmende Urtheil von Schierlinger (1841)^'), Stromeyer
(1861) ''^) und Fischer (1872)^^), welches jeweils in verschiedenen
Jahrzehnten ausgesprochen wurde, dahin lautete, es dürfe die Am-
putation des Oberarms nur dann unternommen werden, wenn »die
grossen Gefässe und Nerven« zerstört seien, andernfalls trete die
Resection in ihre Rechte. Wie wünschenswerth die Ausführung der
letzteren gegenüber der Amputation und conservativen Methode sei,
zeigte Hugelshofer'*), denn er war auf Grund seiner Sammlung
statistischer Rerichte zu dem Ausspruche berechtigt: »Mögen die
functionellen Resultate der EUenbogenresection sein, wie sie wollen,
gut oder schlecht, die Erhaltung einer Anzahl von Menschenleben,
die der Oberarmamputation oder der rein conservativen Behandlung
zum Opfer gefallen wären, räumt dieser Operation den ersten Platz
unter den Behandlungsmethoden der Ellenbogengelenkverletzungen
ein.« Im folgenden Jahre gab hinsichtlich der Oberarmamputation
Bidder^^), hinsichtlich der conservativen Methode v. Lange n-
") S. No. 67. »Die Amputation des Oberarms wegen Leiden des Ellen-
bogengelenks sollte daher nur Platz greifen, wo sich die Verderbniss des Knochens
zu weit in seine Masse fortsetzt, oder wo die Weichtheile im Gelenke allzusehr
zerstört sind.«
"J S. No. 1. »Bei allen mit Verletzungen der Brachialis verbundenen
Schussfracturen des Humerus und Ellenbogengelenks halte ich die Amputation
für indicirt.«
'^j S. No. 14. Die Resection ist die Regel und" dürfen gleichzeitige aus-
gedehnte Verletzungen der Weichtheile, sobald nur die grossen Gefässe und
Nerven erhallen sind, nicht zur Amputation verleiten.
'*) S. No. 10.
^^) Dr. A. Bi dder »Ein neuer Schienenapparat zur Correction der Schlotter-
verbindung am Ellenbogengelenke nebst einem Beitrag ^ui" Beurtheilung und
Casuistik der Resection dieses Gelenks.« Langenbeck's Archiv Bd. 17, 1874.
»Diese Arbeiten (zahlreiche Statistiken und Baobacbtungen) haben uns darüber
Beiträge zu der Statistik und den Endresultaten der Gelenkresectionen. 223
beck^^) die gleiche Ansicht kund. Doch verlangte Hugelshofer'''),
und wohl mit Recht, eine Ausnahme gemacht bei decrepiden Individuen,
bei welchen er der Vereinfachung der Wundverhältnisse wegen der
Amputation die grössere Möglichkeit einer Ausheilung zugestand und
sich dadurch in directen Widerspruch setzte mit einer früheren An-
gabe Lücke's (1862)^^), der auch in diesem speziellen Falle der
Resection dieselben Chancen quo ad vitam (wie der Amputation)
zuschrieb, folgerichtig ihr den Vorzug ertheilte ''^).
Weniger günstig für die Resection erscheint eine Parallele
zwischen den functionellen Resultaten dieser und jenen der con-
servativen Behandlung, indem v. Langenbeck ^") die Angaben dreier
Aerzte (Mos sako wsky. Berthold und Seggel) citirt, deren
gemäss die Gebrauchsfähigkeit des Arms nach letzterer früher und
vollkommener wiederhergestellt gewesen sei als bei der Resection.
Aber er sagt (ganz abgesehen von der grössern In- und Extensität
der die Gelenksexcision indicirenden Verletzungen) dann selbst:
»Wenn also bei oberflächlicher Betrachtung und bei alleiniger
Berücksichtigung der Zahlen die Wagschaale zu Gunsten der con-
servirenden Behandlung auszuschlagen scheint, so finden wir doch
bei genauerer Prüfung sofort, dass es mit den Endresultaten der
Ellenbogenresection nicht so schlimm steht.«
Diese nüchternen Erfahrungssätze, frei von allen Vorurtheilen,
reichen hin, den hohen Werth der Ellenbogenresection gegenüber
ihren beiden ehemaligen Rivalen ins wahre Licht zu stellen. Weniger
einträchtig verhalten sich die Stimmen der Literatur bezüglich der
belehrt, dass die Ellenbogenresection das Leben weniger gefährdet, als die Am-
putation des Oberarms, dass sie also schon aus diesem Grunde allein gemacht
werden muss, wenn man die Wahl zwischen beiden Operationen hat.«
^«) S. No. 7. »Eine Reihe von JVIenschenleben ist durch dieselbe (Re-
section) erhalten worden, welche bei weiter geführter conservativer Behandlung
verloren gewesen wäre.«
") S. No. 10.
'^) Dr. Ar. Lücke: »Beiträge zur Lehre von den Resectionen«. Lan^pn-
beck's Archiv Band IIL 1862. S. 354.
'9) Auch Hüter (1871) kennt keinen Ausnahmezustand: »Wenn die Wahl
zwischen diesen beiden Operationen gestellt ist, soll der Arzt immer der Re-
section den Vorzug geben.«
8") S. No. 7.
224 Df. W. stark.
functionellen Aufgabe der Resection. Lücke^^) hielt im Jahre 1862
für »ganz unberechtigt — die noch heut zu Tage weit verbreitete
Ansicht, dass die Ankylose das Endziel der EUenbogenresection sein
müsse«, während 12 Jahre später sein eigener Lehrer v. Langen-
beck^^) die Frage, ob man bestrebt sein solle, nach Resection des
Ellenbogengelenks Ankylose herbeizuführen oder ein bewegliches Ge-
lenk zu erreichen, »für noch nicht endgültig entschieden« erklärt, ja
unter dem Vorbehalte einer geeigneten Winkelstellung dem Dafür-
halten Löffler's und ßillroth's beitritt, welch' letztere Ankylose
»als ein (unter Umständen) erstrebenswerthes Resultat« bezeichnen.
Dass dies jedoch keineswegs als Musterbild dem Operateur vor-
schweben soll, nach dessen Erreichung er befriedigt auf seiner
Hände Werk zurückschauen darf, hat am besten Hüter ^^) heraus-
gefunden, dessen Aufmunterung einer stricten ßefolgung würdig ist.
Er schreibt (1871): »Nicht das Fallenlassen der Operationen, wäe
Hannover will, nicht das Erstreben der ankylotischen Verbindung
an der Resectionsstelle, wie Eillroth befürwortet, sondern die weitere
Ausbildung unserer Methodik und Indication, Technik und Nach-
behandlung ist unsere Aufgabe. Wir müssen uns die guten functio-
nellen Resultate, welche wir notorisch in vielen Fällen erzielen
können und erzielt haben, für die Gesammtheit aller Fälle zu sichern
suchen.«
Je besser letztere im Laufe der Zeit sich gestalten, desto weiter wer-
den selbstverständlich von den Autoren, welche solche Erfolge erringen,
die Grenzen der Indicationen gesteckt. So haben Volkmann (1865)^^),
81) S. No. 71.
") S. No. 7.
8') Dr. 0. Hüter: »Klinik der Gelenkkrankheiten mit Einschluss der
Orthopädie.« 2 Bände. Leipzig 1870—71,
8'*) Volk mann: »Die Krankheiten der Gelenke.« Pit ha -Billroth,
II. B. 2. Abth. S. 49 ff. : »Die totale Resection des ankylotischen Gelenkes eignet
sich nur für die obere Extremität und findet ihre hauptsächliche Anwendung am
Ellenbogen, wenn derselbe in Folge entzündlicher Prozesse, oder was vielleicht
noch häufiger der Fall ist, in Folge einer schlecht geheilten Gelenkfractur in
nahezu gestreckter Stellung versteift und der Arm dadurch für die meisten Vor-
richtungen unbrauchbar geworden ist. Die Resection gibt hier oft die brillantesten
Resultate, indem nicht blos die Stellung gebessert, sondern oin mehr oder
Beiträge zu der Statistik und den Endresultaten der Gelenicresektionen. 225
Neudörfer (1871)85), Hüter (1871)««), Langenbeck
(1874) «') u, s. w. ^^) Ankylose des Ellenbogengelenks in un-
günstiger Winkelstellung zur Anzeige der Reseclion erhoben. Ja
Neudörfer «'') und Hüter ä*') empfahlen dieselbe sogar bei Ankylose
unter einem spitzen Winkel, also zur Gorrection desjenigen Zu-
standes, welchen sich Andere als Ziel setzten. Endlich will Neu-
d ö r f e r , gestützt auf 2 günstig verlaufene Fälle, keinen Anstand
nehmen, die Nachresection in allen Fällen auszuführen, wo sie die
Brauchbarkelt der Extremität erhöhen kann. Solchen Extremen
gegenüber ist es nicht zu verwundern, dass Socin (1872)^^) die
übrigen Anzeigen , entsprechend dem schon im Jahre zuvor von
Hut er 9^) skizzirten, operativen Verhalten gegenüber den Gelenk-
entzündungen, folgendermassen zusammenfasst : »Die Resection des
weniger, zuweilen nahezu normal bewegliches, kräftiges, neues Gelenk gewonnen
wird.«
^^) S. No. 4. »Wenn das res. Ellenbogengelenk so vollkommene Resultate
zu geben vermag, dass es sich functionell vom gesunden nicht unterscheidet,
weil der operative Eingriff nur gering und die Wahrscheinlichkeit der Genesung
gross ist, so ist es gestattet, auch die Ankylose oder die unvollkommene Beweg-
lichkeit des Ellenbogengelenks als Resectionsindication hinzustellen und zwar
nicht nur für die Ankylose unter einem geraden, sondern auch unter einem
rechten oder spitzen Winkel.«
^^) »Man darf desshalb auch wohl die Ankylose des Ellenbogengelenks in
gestreckter Stellung als Indication zur Resection betrachten. Wenigstens habe
ich in meiner Praxis so gehandelt und diejenigen, welche ich nach dieser In-
dication resecirte, sind immer mit dem Erfolge zufrieden gewesen." S. No. 83.
^^) S< No. 7. »Bei Ankylose im Ellenbogengelenk nach Schussfractm-en
und irreponiblen Luxationen habe ich in einer Reihe von Fällen die Resection
gemacht und bewegliche Gelenke hergestellt.«
*^) Dominik 1876: »Die Resection ist indicirt, wenn bei conservativer
Behandlung ein unbrauchbares, steifes, in einem störenden Winkel geheiltes Ge-
lenk entstanden, behufs dessen Verbesserung die Operation nöthig erscheint.«
89) S. No. 4 und No. 85.
^°) S. No. 83. »Ich habe sogar in einigen Fällen bei Ankylose im spitzen
Winkel, also im günstigsten Verhältnisse, auf Wunsch der Kranken resecirt, um
dem Arme eine freie Beweglichkeit zu geben; in keinem Falle hatte ich das
Missgeschick, ein Schlottergelenk und eine neue Ankylose zu erzielen.«
") S. No. 6.
^^) S. No. 83. »Im Hinweis auf die functionellen und vitalen Gefahren
einer jeden Synov. hyper. granul. und einer jeden Synov. supp. des Ellenbogen-
gelenks wage ich die These aufzustellen, dass in allen hierher gehöi-igen Fällen
die Res. cub. ausgeführt werden darf und am besten auch ausgeführt wird.«
Czerny, Beiträge zur operativen Chirurgie. 15
226 Dr. W. Stark.
Ellenbogengelenks ist indicirt bei jeder suppurativen oder jauchigen,
diffusen Synovitis. sei diese traumatischen oder nicht traumatischen
Ursprungs, mit Fracturen coraplicirt oder nicht; ebenso halte ich
sie für angezeigt bei jeder chronischen, nieht suppurativen Gelenk-
entzündung; bei welcher die Knorpel zu Grunde gegangen sind, so
dass ohne Operation im besten Falle nur Ankylose zu erwarten
ist.« Ob aber die weitgehendsten dieser hidicationen volle Be-
rechtigung verdienen im Vergleiche zu den doch nicht ganz zu über-
sehenden Gefahren für Leben und Function, kann erst dann mit
Sicherheit constatirt werden, wenn die Resultate einer grössern
Zahl von aus solchen Gründen unternommenen Operationen zu Ge-
bote stehen.
Die bei jedem einzelnen Gelenke auftretende und. wie wieder-
holt erwähnt, kriegschirurgisch hochwichtige Frage über den zweck-
mässigsten Zeitpunkt des Eingriffes ist beim Ellenbogen gelenk von
den meisten Autoren, so z. B. Hüter (1871)^^), Lücke (1872)9*),
V. Langenbeck (1874;^^), Bergmann (±81^)J^), Dominik
(1876j9^), dahin beantwortet worden, dass wenigstens mit Rücksicht
auf Mortalität der primären Resection entschieden der Vorzug ge-
bühre. Lücke 9^) fügt noch ausdrücklich bei, er könne Billroth
nicht beistimmen, der sich auch nach den sorgföltigen, von ihm ge-
sammelten statistischen ZusammenstellunRen noch nicht völhgr für
") S. Xo, 83. i'In dieser Beziehung möchte ich die Frühresection und
die partielle Extraction der Knochensplitter als wichtige kriegschirurg. Prinzipien
bezeichnen.«
^*j S. No. 42. Zu den Ellenbogengelenkschüssen übergehend, hat der Be-
richterstatter zu envähnen, dass er sich bedingungslos für die Resection und
zwar womöglich die primäre ausgesprochen hat, da durch dieselbe gewöhnlich
ein brauchbares Glied erzielt wird.
^') S. >'o. 7, Er meint: >Dass die primäre Resection bei den Wunden
des Ellenbogengelenks in den Vordergrund treten muss und dass nach Schuss-
verletzungen wenigstens durch dieselbe mehr Menschenleben erhalten wurden.
als durch exspectative Behandlung. <
*') Die Resultate der Gelenkresection im Kriege. Nach eigenen Erfahrungen
von E. Bergmann, Giessen 1874.
*'') Stabsarzt Dr. Dominik in einem Referate von O.-St.-Arzt Dr. Asche:
Schmidt's Jahrbücher B. 171, .J. 1876 Xo. 7.
»*) S. No. 42.
Beiträge zu der Statistik und den Endresultaten der Gelenkresectionen. 227
die Zweckmässigkeit der primären Resectio cubili entscheiden mag.«
Ausserdem schreibt derselbe Autor der primären Resection bessere
functionelle Erfolge zu , als der secundären , was auch schon
Hüter ^^) durch die Bemerkung andeutete, »dass die Frühresection
bei bedeutender Knochenzertrümmerung dem abgelösten Periost die
oft eigenen Eigenschaften erhält, welche ihm ohne Resection durch
die Eiterung verloren gehen.« Hüter ist es ferner hauptsächlich,
welcher in der richtigen Erkenntniss, das eben behandelte von den
meisten Chirurgen gebilligte Princip der primären Resection werde
mehr theoretisch aufgestellt als practisch — aus leicht zu errathen-
den Gründen — im Felde durchgeführt, sich die weitere Frage vor-
legt : »Sollen wir nun, zwischen die Unmöglichkeit der primären und
zwischen das Verbot der intermediären Resection gestellt, am Ellen-
bogengelenk nur secundäre Resectionen ausführen? Ich beantworte
diese Frage mit einem entschiedenen Nein. Das Verbot der inter-
mediären Resectionen im Allgemeinen und der intermediären Res.
cub. im Besondern erkenne ich nach meinen heutigen Erfahrungen
nicht mehr an. Vielmehr trete ich folgendem Satze bei: Die inter-
mediäre Resection des Ellenbogengelenks bei Schusswunden ist nicht
nur gestattet, sondern sogar geboten, um den Wundverlauf günstig'
zu gestalten und nur gute functionelle Resultate zu erzielen.« Der
häufige tödtliche Ausgang der intermediären Resection in früherer
Zeit (den übrigens v. Langenbeck noch bestätigt) erklärt sich nach
Hüter aus der Vermehrung des schon bestehenden Wundfiebers und
neuer Reizung der schon entzündlich infiltrirten Weichtheile durch
den operativen Schnitt. Seitdem durch subperiostale Technik, durch
methodische Desinfection der Wundfläche, durch richtige Führung
der Schnitte und der Drainage die Resectionen der verletzten Ge-
lenke aus »fiebererregenden Operationen in antipyretische« über-
geführt wurden, ist das Recht für diese Revolution begründet.
Um diesen Worten die thatsächliche Basis zu geben, fährt er
also fort: »Ich habe die meisten Ellenbogenresectionen im vorigen
Kriege zwischen dem vierten Tage nach der Verwundung und
»») S. No. 83.
223 Dr. W. stark.
zwischen dem Ende der dritten Woche ausgeführt. Die beginnende
Phlegmone um das Gelenk und zwischen den Muskeln waren für
mich kein Grund gegen die Resection, sondern sie gerade bestimmten
mich, sofort mit der Resection vorzugehen. Der antipyretische Effect
der Operation trat ebenso glänzend hervor, wie der antiphlogistische.
Das Fieber sank und die phlegmonösen Schwellungen bildeten sich
zurück. Die Knochenneubildung war in allen Fällen in der 3. bis
4. Woche in bedeutendem Maassstabe zu constatiren.« Sollten sich
diese bis jetzt vereinzelt dastehenden Erfolge, nebst den aus ihnen
hervorgegangenen, der seitherigen Ansicht so sehr widerstrebenden
und gerade desshalb hier wörtlich vorgeführten Grundsätze bei
späterer Gelegenheit auch von anderer Seite bewahrheiten, so wäre
hierdurch der unschätzbare Vortheil gewonnen , der drohenden Ge-
fahr statt des bisherigen rath- und thatlosen Hinüberzögerns des
operativen Eingriffs in die secundäre Periode, das so viele Opfer
schon forderte, alsbald wirksam entgegenzusteuern und so manches
Leben, welches ohne denselben verloren gewesen wäre, zu erhalten.
Jedenfalls ist es dringend anzurathen, nach solchem Vorgange mit
der Ueberlieferung wenigstens versuchsweise zu brechen und die ge-
wonnenen Ergebnisse unpartheiisch zur Rechenschaft zu ziehen.
Bei der Ausführung der Operation erfreuen sich (als Haut-
muskelschnitte) die Längsincisionen jetzt einer allgemeinen An-
erkennung und Hüter 100) gagt kategorisch:
»Jede andere Incision als der Längsschnitt ist für die Res. cub.
verwerflich, weil nur der Längsschnitt die functionell wichtigen Theile
schonen kann.« Die Bedeutung des von ihm angegebenen radialen
Längsschnitts beurtheilt Bidder i^^j wie folgt: »Was die Operations-
methoden anlangt, so wird wohl auch der neuerdings von Hüter
vorgeschlagene radiale Längsschnitt die Tendenz der Knochenenden
zu ankylotischer Verwachsung nicht verhüten, wenn er vielleicht auch
wegen recht guter Schonung des Triceps zur kräftigen Function des
Arms beitragen mag, vorausgesetzt, dass ausgiebige Beweglichkeit
""j S. No. 83.
"'j S. No. 75.
Beiträge zu der Statistik und den Endresultaten der Gelenkresectionen. 229
vorhanden ist.« — Trotzdem dürfen die Leistungen der früher überall
verbreiteten Querschnitte nicht unterschätzt werden und Bryk^^^)
z. ß. führt »3 mit vollständiger Beweglichkeit geheilte Fälle« an, in
denen er eine Beeinträchtigung der Streckung des Vorderarms —
nicht beobachtete zum Beweise, dass die Verwachsung des Triceps
mit der resecirten Ulna auch beim Querschnitt auf dem Gelenk-
rücken erfolgen kann ^'^^).
Wie sich das Verhältniss zwischen partiellen und totalen Re-
sectionen in Zukunft gestalten wird, ist nach dem gegenwärtigen
Stande der Erfahrungen nicht mit Bestimmtheit vorauszusehen, doch
scheinen die erstem durch ihre guten Resultate immer mehr An-
hänger zu gewinnen ungeachtet des Bannes, den Hüter ^°*) über
dieselben verhängt hat. Seine Bedenken wegen der durch sie
begünstigten Eiterretention oder der Heilverzögerung durch Necrose
der Gelenkknorpel und der hieraus resultirenden Vermehrung der
Lebensgefahr oder Verminderung der endgültigen Gebrauchsfähigkeit
(Ankylose) stehen übrigens nicht isolirt da, sondern wurden schon
10 Jahre zuvor ganz in der gleichen Weise von Ludwig Seh illb ach ^<'^)
geäussert. Aber wie damals der Widerspruch durch Strom eyer^'^^)
^°^) s. No. 9.
"') Gleiches bestätigten schon die Angaben Schierlinger's im Jahre 1841
(s. Xo. 67) und Dr. A. Maier's im .Jahre 1856 (Historisch statistische Notizen
über 12 von Dr. A. Maier in Würzburg gemachte Resectionen. Deutsche Klinik
1856). Ersterer fügt ausdrücklich bei: »In 3 Fällen ist sie (Extension) be-
stimmt die Folge der Thätigkeit des Triceps. Dass dieser Muskel wieder zu seiner
Funktion gelangen kann, war bei Wiederholung der Operation in einem Falle
deutlich zu sehen, indem man hier an Stelle seiner Sehne ein starkes Ligament
vorfand.«
^''*) S. No. 83: »Die partiellen Resectionen des Ellenbogengelenks sind
verwerflich.«
'"*) Ludwig Schillbach: Beiträge zu den Resectionen der Knochen.
Jena 1861: »So empfehlenswerth auch der Grundsatz der conservativen Chirurgen
ist, nur so viel wegzunehmen, als zur Beseitigung des die Resection indicirenden
Uebels noth wendig ist, so hat doch bei der partiellen Resection des Ellenbogen -
gelenks das Princip des Erhaltens nicht den Erwartungen entsprochen, die man
davon hegte und dies aus natürlichen Gründen«: Die nothwendige Folge der
partiellen Resection ist eitrige Gelenksentzündung im zurückgebliebenen Theile,
der günstigste Ausgang Ankylosis, hohe Gefährdung der Erhaltung des Gliedes
oder des Lebens.
"®) S. No. 1 : »Ich habe es absichtlich vermieden, die Totalresection der
articulirenden Enden vornehmen zu lassen, wo sie durch die Veranlassung selbst
230 Dr. W. Stark.
und Hey fei der^°^) auf der Ferse folgte, so erging es auch
Hüter. Die aus dem Feldzuge 1870—71 heimkehrenden Chirur-
gen: ß illro t h ^<'^) , Socin^^^), Fisch er ^^"^ hatten gegen-
theilige Erfahrungen zurückgebracht. Ihnen schloss sich Berg-
mann (1874)^^^) an. Besonders aber vermochte Dominik^^^^
(1876) in seiner ausführlichen Statistik mathematisch nachzuweisen,
dass die partiellen Resectionen im letzten Kriege bessere Resultate
in jeder Hinsicht ergaben als die totalen. Er konnte nämlich 144
partielle und 286 totale Resectionen zusammenstellen. Für die
erstere ergab sich eine Mortalität von 20,7> für die letztere 25,1 >.
Auffallend niedrig fand er die Sterblichkeit in den Fällen von par-
tiellen Resectionen, in welchen die Epiphysen des Vorderarms unter
Zurücklassung der des Humerus resecirt worden waren.
nicht geboten war, weil ich keinen unbrauchbaren Arm erhalten wollte;« das ist
glücklich erreicht worden. Seine partiellen Resectionen haben 7,4'/o mehr An-
kylosen zur Folge gehabt, als die totalen.
*"^j S. No. 2 : »Die partiellen Resectionen des Ellenbogengelenks machen
im Ganzen die Summe von 79. Bei ihnen stellt sich das Verhältniss der Ge-
storbenen zur Gesammtzahl günstiger heraus, als bei den Totalresectionen, indem
bei letztern die Mortalität ^9, bei erstem '/lo beträgt. Es findet sich beschränkte
Beweglichkeit und Ankylose in überwiegendem Maasse bei den partiellen, wo jene
wie diese je Ve der Gesammtsumme betragen, indess bei der Totalresection jene
nur ^/4o, diese ^20 ausmachen. Da aber beschränkte Beweglichkeit oder recht-
winkliche Ankylose den Gebrauch der Extremität keineswegs aufheben, ja oft
kaum merklich alteriren, so ist man, den vorstehenden Resultaten gemäss,
keineswegs berechtigt, die partiellen Resectionen zu Gunsten der totalen gänzlich
aufzugeben.«
'"^j S. No. 8 : »Ist es möglich, das untere Ende des Humerus zu erhalten,
während die zerschmetterten oberen Enden der Vorderarmknochen entfernt
werden müssen, so werde ich auch dies der totalen Resection vorziehen, obgleich
in einem solchen Falle die Nachbehandlung schwierig werden kann, weil das
Humerusende dann grosse Neigung hat, aus der Wunde hervorzutreten.«
^"^j S. No. 6: »Die functionelle Prognose ist um so besser, je weniger
lange Stücke von den Knochen entfernt werden. Daher sind im Allgemeinen
partielle Resectionen, da wo sie möglich sind, den totalen vorzuziehen.«
^"') S. No. 5: »Somit haben die partiellen Resectionen des Ellenbogen-
gelenks nach unserer Erfahrung in jeder Hinsicht den Vorzug, sie sind ein ge-
fahrloserer Eingriff und geben die bessern Resultate.«
"'j S. No. 96: »Der Verlauf der Verletzung gestaltete sich nach der
partiellen Resection in derselben günstigen Weise wie nach der totalen.«
^"j S. No. 97: Nach dem Referate von Asch 6: »Beitrag zur Casuistik
der Verletzungen.«
Beiträge zu der Statistik und den Endresultaten der Gelenkresectionen. 231
Auch bezüglich des funclionellen Werthes überboten die par-
tiellen Resectionen die totalen, obgleich, wie sich ja immer heraus-
stellte, die Ankylosen bei jenen um 9% (55% bei den partiellen,
460/0 bei den totalen) häufiger vorkamen als bei diesen; denn Do-
minik berechnete ausserdem für erstere 58% günstige Erfolge und
17,5"/o Schlottergelenke, für letztere 50,47o günstige Erfolge und
28% Schlottergelenke.
Die günstigsten functionellen Resultate ergaben die Resection
der Epiphysen der Vorderarmknochen mit Erhaltung der Humerus-
epiphyse; den höchsten Prozentsatz an Ankylosen und den geringsten
an Schlottergelenken ergaben die Resectionen eines einzelnen Vorder-
armknochens; die meisten Schlottergelenke endlich kamen bei Re-
section der Humerusepiphyse zu Stande. Diese speciellen Functions-
ergebnisse rechtfertigen vermöge der verhältnissmässigen Häufigkeit
eines vollkommen befriedigenden Ausgangs So eins ^^^) Meinung,
der »die Erhaltung des Humerus beziehungsweise seiner beiden Gon-
dylen mit ihren vielen Muskelansätzen für vortheilhaft« erachtet,
während die entgegengesetzte Behauptung Billroths ^^*): »Man
weiss bereits, dass die Resection der untern Epiphyse des Humerus
allein gute Resultate gibt,« hierdurch an Werth verliert, Dass
ferner in der Friedenspraxis die partielle Resection ebenfalls eine
geringere Mortalität aufweist als die totale, geht aus den statistischen
Untersuchungen von Dr. L. Maier ^^^) hervor. Man sieht hieraus klar,
wie trotz der augenscheinlich so triftigen, theoretischen Auseinander-
setzungen zu Gunsten der Totalresection , die partielle einzig und
allein durch die Macht der Thatsachen sich Bahn bricht.
Der Nutzen der passiven Bewegungen im Verlaufe der Nach-
behandlung zur Erhaltung der Beweglichkeit wurde jederzeit aner-
kannt, zugleich aber auch vor zu frühem Beginne (vor der 3.
Woche) derselben gewarnt. Im Uebertretungsfalle befürchtete Stro-
meyer^^^) Störung der Wundheilung oder neue Anschwellung, »die
"3) S. No. 6.
»*) S. No. 8.
"») Citirt bei Bidder s. No. 75.
»") S. No. 1.
232 Dr. W. stark.
möglicherweise eine grössere Verdichtung des Narbengewebes zur
Folge haben könne«. Senftleben (1862)^^^) meinte, durch ver-
frühte Manipulationen fördere man die Osteophy tenbildung , analog
dem Hervorrufen von Gallusproduction durch Reiben unvereinigter
Knochenenden nach Fractur. Heyfelder '^®) glaubte, zu frühe
und zu energische, allseitige Bewegung verhindere die Gonsolidation.
Auf letztern Grund führte Löffler*'^) die unerfreulichen Resultate
des dänischen Krieges zurück. Erfahrungsgemäss entstehen nach
solchen vorzeitigen Excursionsversuchen eher Schlottergelenke als
Ankylosen,
Eine weitere, schon frühe gewürdigte, wichtige Massregel der
Nachbehandlung des resecirten Ellenbogengelenks besteht in der Art
der Lagerung des Arms.
Am meisten von den jetzt gebräuchlichen Methoden wichen
die Angaben von Stromeyer ^^oj ^^^^^^ Senftleben ^^i) ab, indem
Beide zur Vermeidung des von ihnen beobachteten krampfhaften
Anstemmens des Vorderarms an die Gircumferenz des Humerus von
einer Fixation der Extremität im rechten Winkel abstanden. Jener
befestigte das resecirte Glied zunächst in einem stumpfen Winkel,
den er erst nach mehreren Wochen zum rechten umgestaltete.
Dieser empfahl, um die erwähnte Dislocation durch Muskelzug zu
umgehen, die völlige Extension, welche er nur bei drohender Anky-
lose mit einer spitzwinkeligen Stellung vertauscht wissen wollte.
Aber die schwer zu überwachende Gefahr einer Ankylosirung in
solch' für den spätem Gebrauch untauglicher Situation verschafften
einer gleich Anfangs hierauf Bedacht nehmenden Lagerung allseitigen
Beifall. Nur über die Grösse des Winkels, in welchem der Arm
immobilisirt werden sollte, differirten die Ansichten etwas. Hey-
"'J Dr. H. Senftleben: Beobachtungen und Bemerkungen über die
Indicationen , den Heilungsprozess und die Nachbehandlung der Resectionen
grösserer Gelenke, v. Langenbeck's Archiv B. III. 1862.
"8) S. No. 2.
"") Cilirt hei Hugelshofer s. No. 10.
"") S. No. 1.
'^') S. No. 117: Nach ihm empfahl auch Esmarch eine Position im
Winkel von 140».
Beiträge zu der Statistik und den Endresultaten der Gelenkresectionen. 233
felder^^^) rieth die Fixirung in einem stumpfen Winkel (100—130«)
V. Langenbeck'2 3) dagegen erklärte olTen: »Die Gebrauchsfähigkeit
der Extremität beginnt genau genommen mit der Ankylose im rechten
Winkel«; und Hüter^24^ endlich spricht für »spitzwinklige Beugung
des Vorderarms, welche jedoch dem rechten Winkel zwischen Vor-
derarm und Oberarm ziemlich nahe steht , so dass der Winkel
79—80° beträgt«.
Diese Stellung ist auch wohl die für die Hantirungen des
Alltaglebens, im Falle Ankylose einträte, unzweifelhaft zweckmässigste.
Wie einflussreich die sorgfältige Leitung der Nachbehandlung
bei der Gubitalresection ist, erhellt aus dem Missverhältnisse, welches
zwischen ihren Resultaten im Kriege und Frieden obwaltet. Die
Unmöglichkeit einer genauen Ueberwachung der resecirten Patienten
liefert sicher den meisten Beitrag zu dieser Thatsache, die u. A.
Hüter 125)^ Hugelshofer ^^^), v. Langenbeck ^^'^), Bergmann i^»)
ausdrücklich erwähnen. Erst in zweiter Reihe kömmt die Eigenart
der Schussverletzungen in Betracht, welche v. Langenbeck^^sj speziell
für diese Articulation einer genauem Prüfung unterzieht. Gegen
eine zu hohe Veranschlagung ihres Einflusses auf den Erfolg oppo-
nirt mit Recht Bergmann ^^o) ^nd sagt: »Auch in der Privat-
'") s. No. 2.
»23) S. No. 7.
>24) S. No. 83,
'") S. No. 83. »Die functionellen Misserfolge der Res. cub. sind in der
kriegschirurgischen Praxis nach allen vorliegenden Erfahrungen entschieden
häufiger als in der Praxis des Friedens.
'26j S. No. 10: Im Allgemeinen scheint die Ansicht jetzt die herrschende
zu sein, dass die Resection des Ellenbogengelenks nach Schussverletzungen nicht
so günstige Resultate gebe, wie die Operation in der Givilpraxis.
'") S. No. 7: Ursachen der schlechten Erfolge der Ellenbogenresection
im Kriege. 1. Bei Schussverletzungen des Ellenbogengelenks nicht selten Neben-
verletzungen. 2. Unmöglichkeit der "Wiederherstellung der Muskelfunction wegen
ausgedehnter "Verletzung. 3. Actives und passives Schlottergelenk.
»") S. No. 96 : »"Weil für die Nachbehandlung in der Civil- und Friedens-
praxis immer viel geschehen kann, sind die Resultate bei diesen Patienten soviel
besser. Von der Sorgfalt der Nachbehandlung hängt an erster Stelle der Aus-
gang ab und das Endresultat.«
"») S. No. 127.
"") S. No. 96.
234 Dr. W. stark.
praxis des Friedens operirt man mitunter unter misslichen Verhält-
nissen und sehr schlimmen Complicationen , ohne in der Hoffnung
auf Herstelhmg der wichtigsten Functionen des Gelenks getäuscht zu
werden.«
So wünschenswerth es desshalb wäre, die Producte dieser
beiden Gebiete (domi bellique) der Resection möglichst auseinander-
zuhalten, um die eben genannten Erfahrungssätze mit statistischen
Zahlenbelegen zu erhärten und einen genauen Ueberblick über die
Mortalitätsverhällnisse der einschlägigen Kriegs- und Friedenspraxis
zu gewinnen, scheitert doch solch' ein Versuch, weil gerade in den
grössern derartigen Zusammenstellungen hierauf keine Rücksicht ge-
nommen, sondern alle Resectionen insgesammt nach andern Ge-
sichtspunkten eingepfercht wurden.
Von solchen Massensammlungen hat die von Heyfelder ^^^)
unstreitig die grösste Bedeutung, da er s am mt liehe vor dem
Jahre 1863 näher bekannt gewordenen Cubitalresectionen, 286 an
der Zahl mit 32 lethalen Ausgängen (also ll,2°/o) zusammengruppirte.
Seit jener Zeit ist eine derartige, umfassende Arbeit nicht mehr ge-
liefert worden. Einigermassen ersetzt Hugelshofer's ^^^) ver-
gleichende Zusammenstellung der vorhandenen grössern Statistiken
über Ellenbogenresection und Amputation einen Ueberblick des Mor-
talitätsstandes ersterer Operation bis auf die Gegenwart. Doch kann
hieraus schon desshalb kein endgültiger Schluss auf die in Wirk-
lichkeit bestehende Gestaltung des Procentverhältnisses gezogen
werden, weil die einzelnen Berechnungen nicht vollständig unab-
hängig von einander stattfanden, mithin keine Sicherheit dafür ge-
boten wird, dass sich nicht bald diese, bald jene Reihe von Fällen
in mehreren der vorliegenden Berichte wiederholt und so verschieden,
je nach ihrer Beschaffenheit und Grösse auf das betreffende End-
ergebniss einwirkt. Die von Hugelshofer citirten Statistikisn von
Esmarch, aus The Lancet, von Demme, Saltzmann, Doutre-
lepont, Otis schwanken hinsichtlich der Sterblichkeitsziffer für
"») S. No. 2.
"«) S. No. 10.
Beiträge zu der Statistik und den Endresultaten der Gelenkresectionen. 235
die Resection innerhalb der Grenzen von 12— 22%, für die Ampu-
tation zwischen 21,24 %— 35,2%. Aus diesen Resultaten schliesst
Hügel shof er »mit grösster Wahrscheinlichkeit« auf eine geringere
Mortalität der Ellen bogenresection gegenüber der Oberarmamputation.
Die conservative Methode hatte nach seiner aus Demme's und
Saltz m an n's Berichten geschöpften Angabe in 60, 16>— 62<^/o der
Fälle den Tod zur Folge. Wie sehr aber die hierher gehörigen
Resectionsergebnisse einzelner Chirurgen von einander abweichen,
bezeugen folgende SpezialStatistiken : Bickersteth '^s) ö«/« (40, ge-
storben: 2), V. Langenbeck 16,9% 59, gest.: 10), Giesker 20%
(25, gest.: 5), Billroth ^34) 20,8% (24, gest.: 5), Neudörfer
20,9°/o 135) (43, gest.: 9). Der Krieg von 1864 ergab auf preussischer
Seite (Löffler) einen Prozentsatz von 27,7 "/o (18, gest.: 5), däni-
scher Seits (Hannover 13 6) 32 o/« (22, gest.: 6). Letztere Mortalitäts-
ziffer steht dem höchsten, oben angeführten Procentverhältnisse der
Amputation nur wenig nach. Trotzdem zeigte eine Gesammtstatistik
derjenigen Cubitalresectionen, welche in den verschiedenen, vor dem
Jahre 1870 stattgehabten Feldzügen ausgeführt wurden (428) nach
Dominik 137) blos 21,1 7o Todesfälle, während die durch denselben
Eingriff bedingten Verluste im letzten deutsch-französischen Kriege
deutscher Seits, ungeachtet der erheblichen Verbesserung des Sani-
tätswesens und der Operationsteehnik 23,8 "/o (400 Fälle mit 95
Gestorbenen), auf französischer Seite sogar 37,3 7o (somit mehr als
bei der ungünstigsten früher angegebenen Amputationsstatistik) aus-
machten. Die conservirende Behandlung wies nur 9,8 7o (51, gest.: 5)
tödtlicher Ausgänge auf, hatte dagegen in den früheren Kriegen nach
demselben Autor durchschnittlich 46,8 7o Todesfälle, die Amputation
33,3 %.
Daraus ersieht man, wie sehr sich je nach den Nebenumstän-
den das Procentverhältniss der Verluste dieser 3 Methoden gegen-
»33) Citirt bei Hugelshofer; ebenso Giesker s. No. 10.
'") S. No. 8.
'") s. No. 4.
»36) S. No. 26.
'") S. No. 97.
236 Dr. W. stark.
seitig ändert, selten aber, selbst gegenüber der conservativen Be-
handlung, zum Nachtheile der Resection ausfällt.
»In Beziehung auf die spätere Brauchbarkeit des Arms
stehen die Erfolge des Ellenbogengelenks unter allen Gelenken obenan,«
sagt Ried ^2^) im Jahre 1847, und er spricht wahr. Bei dieser
Resection ist am ehesten eine vollkommene Heilung, d, h. — um
mit Neudörfer ^^^) zu reden — »Erhaltung der Form und Function
der resecirten Extremität« möglich. Heyfelder i*") berechnete aus
199 Fällen die Zahl der völlig Hergestellten auf ^/e , die der mehr
oder weniger Hergestellten auf ^/t , die Grösse des Misserfolges auf ^/t .
An die gewöhnlichen von ihm aufgezählten und eingehend erörterten
Kategorien der Gebrauchsfähigkeit (Schlottergelenk, active Beweglich-
keit, beschränkte Beweglichkeit, wahre Ankylose) schliesst er eine
fünfte an, nämlich Unbrauchbarkeit wegen »Functionsstörung der
Nerven«, ein Misserfolg, der mit der fortschreitenden Ausbildung
der so vielseitigen Resectionstechnik immer seltener wird, aber noch
in den von Hannover ^*i) (1869 und 71) beschriebenen End-
resultaten des dänischen Krieges eine grosse Rolle spielte. Letzterer
nennt unter anderem 6 Invaliden , die an spontanen Schmerzen
litten, von denen ausserdem 2 über Gefühllosigkeit und Kälte in
den Fingern klagten. Im Ganzen trugen von den 29 überlebenden
Resecirten nach seiner Angabe 24 Schlottergelenke, 3 beschränkte
active Beweglichkeit, 2 Ankylosen davon. Darf man sich wundern,
wenn er darauf hin am Schlüsse seiner Arbeit klagte: »Die Ellen-
bogenresectionen haben ein im höchsten Grade trauriges Endresultat
geliefert?«
Doch kurz darnach konnte Billroth ^*^) seinen Resultaten das
Zeugniss geben: »In keinem Falle ist vollständige Ankylose einge-
treten, in keinem Falle ist das Gelenk so lax geworden, dass die
Brauchbarkeit der Finger wesentlich beeinträchtifft wäre.« Immer-
'"«) S. No. 36.
"8} S. No. 4.
'") S. No. 2.
"«) S. No. 3 und 26.
'") S. No. 8.
Beiträge zu der Statistik und den Endresultaten der Gelenkresectionen. 237
hin bezeichnet er noch diejenigen Fälle als die günstigsten, »in
welchen die Bewegungen des Ellenbogengelenks etwa auf Vs der
normalen Excursion reducirt war« und zwar desshalb , weil »die
Laxität der Gelenke 2—3 Jahre nach der Resection viel grösser ist,
als man erwarten sollte, wenn man diese Patienten 6—8 Monate
nach der Resection entlässt, in welcher Zeit das Resultat der Re-
section am günstigsten zu sein pflegt.« Solche Verschlechterung
der Erfolge, welche er überdies an einem prägnanten Beispiele de-
monstrirt, muss aber nach den Erfahrungen Hüter's ^^^) einzig und
allein dem Operateur oder dem Operirten zugeschrieben werden,
denn: »Wenn — behauptet er — die Operirten , wie die Nach-
forschungen H a n n 0 V e r's und B i 1 1 r o t h's nachweisen, nach Jahren
Vieles oder Alles von den Functionen des Arms nach der Res. cub.
verloren haben, so kann die Schuld nicht der Operation als solcher,
sondern nur dem Mangel der gewählten Methode, dem Mangel der
geeigneten Nachbehandlung und dem Mangel der Energie der Ope-
rirten zugeschrieben werden.« Fehlen diese Momente, so hält er es
geradezu für unmöglich, »dass das Maass der activen und passiven
Beweglichkeit ganz oder theilweise« verloren geht, welches »im Ver-
laufe des ersten halben oder ganzen Jahres« errungen wurde. In
gleichem Sinne spricht 3 Jahre später Bergmann ^^■^).
Was für Erwartungen man nach den bisherigen Errungen-
schaften von dem vorerwähnten Maasse der Beweglichkeit hegen darf,
fand Hugelshofer ^*^) nach einem ausführlichen Referate über
die Ergebnisse von Esmarch, Scholz, Doutrelepont , Neu-
dörfer, Birkersteth, Giesker, Löffler: »In der Mehrzahl der
Fälle resultirt eine beschränkte, active Beweglichkeit im Ellenbogen-
gelenk, die in ganz günstigen Fällen nahezu der normalen gleich-
"3) s. No. 83.
"*) S. No. 96: »Nicht Momente, die in der Operation selbst oder in der
Narbenmasse liegen, welche an Stelle des herausgenommenen Gelenkkörpers tritt,
tragen Schuld an den mangelhaften Resultaten bei anfänglicher, d. h. bald nacli
der Heilung deutlicher Beweglichkeit. Geht diese später verloren, so ist es der
Mangel an ärztlicher Aufsicht, die Ruhe im Tragkorb, welche den Muskelschwund
besorgt und die Functionen lahmlegt.«
'' 1") No. 10.
238 Dr. W. stark.
kommt und der Arm entspricht in seiner Brauchbarkeit nicht allzu
hoch gestellten Anforderungen.« Aehnlich lauten die Erfahrungen
V. Langenbecks ^^^).
Zum Schlüsse verdient noch der von Asche ^•^^) über die
Arbeit Dominiks abgefasste Bericht Erwähnung, dem gemäss »unter
263 Fällen aus dem letzten Kriege, in denen das Resultat genau
ermittelt werden konnte, dasselbe in 28 Fällen (10;6 >) eine gute
active Beweglichkeit mit mehr oder weniger brauchbarer Hand —
129 Mal (49 » Ankylose (dabei 31 Mal ünbrauchbarkeit der
Hand ausdrücklich erwähnt), in 24 Fällen actives Schlottergelenk
mit mehr oder weniger brauchbarer Hand, in 41 Fällen passives
Schlottergelenk, im Ganzen also 65 Mal Schlottergelenk (24,4 "/o) und
in 6 Fällen (2,3 ''/o) unvollkommene Ankylose mit unbrauchbarer
Hand« war. Diese Erfolge sind, trotz des Fortschritts in der operativen
Behandlung (selbst für kriegschirurgische) noch sehr bescheiden.
Von den 10 Fällen, welche innerhalb der Jahre 1872 bis 1876
in der Freiburger chirurgischen Klinik zur Operation gelangten, gaben
einer in Folge von Synovitis granulosa (Nr. 7), 9 durch Garies (dar-
unter Nr. 6 Garies traumatica) Veranlassung zu derselben. Bei 6
Patienten (Nr. 6, 7, 8, 11, 12, 14) befand sich der Krankheitsheerd
rechterseits. Bei 8 wurde das Gelenk mit v. Langenbeck'scher, bei 2
(Fall 8 und 14) mittelst Hüter 'scher Schnittführung eröffnet. Ein
lethaler Ausgang kam nur einmal (in Nr. 5) vor (10 °/o) und war
hauptsächlich herbeigeführt durch schwere anderweitige Gomplicationen
(Garies der Wirbelsäule mit consecutiver Erkrankung des Rücken-
marks und Gehirns).
Der antiphlogistische Effect trat mit einer einzigen Aus-
nahme (Nr. 10) in allen Fällen sogleich ein. — Die in 3 Fällen schon
vor der Operation normale Temperatur wurde in einem (Nr. 11) nicht,
""j S. No. 7. Wir erreichen in der grösseren Mehrzahl der Fälle ein activ
bewegliches Gelenk mit so bedeutender Kraftentwicklung des Arms , dass er in
der Gebrauchsfähigkeit dem gesunden nur wenig nachsteht.
'*') S, No. 97.
Beiträge zu der Statistik und den Endresultaten der Gelenkresectionen. 239
in zwei (Nr. 13 und 14) nur auf kurze Zeit durch die Resection erliöht.
Die antipyretische \A^irkung des Eingriffs erfolgte in einem Falle (Nr. 12)
sofort, hielt in 2 Fällen (Nr. 8 und 9) nur wenige Tage an, machte
sich in 3 weitern (Nr. 5, 6 und 10) erst nach mehreren Tagen geltend
und blieb endlich in einem Falle (Nr. 7) ganz aus (das Fieber stieg).
Der Heilverlauf dauerte in Fall 6 etwas über 2 Monate, in
Nr. 8 und 11 etwa V*? in Nr. 7 und 9 circa V2 Jahr. In Nr. 14 war
derselbe nach einem halben Jahre, in Nr. 13 nach 10 Monaten, in
Nr. 10 nach 1 V2 Jahren und endlich in Nr. 12 nach 2jähriger Frist
noch nicht beendigt.
Locale Gomplicationen , bestehend in nachträglichen Absce-
dirungen, wiesen Fall 6, 7, 8, 12 und 13 auf.
Anderweitige Erkrankungen hatten sich im Fall 6 (Glossitis),
Fall 12 (Garies der Fusswurzelknochen) und Fall 9 (Syphilis) beigesellt.
Eine permanente, erhebliche Beeinträchtigung des Allgemein-
zustandes zeigte sich nur bei Nr. 12, verursacht durch die ausge-
prägte Scrophulose.
Die Erfolge bei den Ueberlebenden rubriciren sich der Zeit
nach in 3 definitive Endresultate (Nr. 6, 7 und 8) und 2 provisorische
Nr. 9 und 11. In den übrigen 4 Fällen (Nr. 10, 12, 13, 14) sind
noch offene Fisteln vorhanden.
Hinsichtlich der Bewegungsfähigkeit ergaben sich 7 activ be-
wegliche (6, 7, 8, 10, 11, 12, 14), 1 sehr beschränkt activ bewegliches
(9) Gelenk und 1 activ bewegliches Schlottergelenk (Nr. 13). Die der
vorstehenden Uebersicht zu Grunde liegenden Krankengeschichten
lauten :
Fall 5.
Josephine Froehlin, 19 Jahre alt, ledig, gebürtig von Adelhausen,
bemerkte im Anfange des Jahres 1869 Anschwellung und Schmerzhaftigkeit des
linken Ellenbogengelenkes, die bis zum Herbste bezeichneten Jahres andauerten
und im folgenden Frühjahre wiederkehrten. Nun trat Perforation der Haut ein,
es entleerte sich Eiter, die Fistelöffnung wurde erweitert, die Secretion blieb
constant unter Fiebererscheinungen bis zur Aufnahme der Patientin, welche am
13. II. 72 erfolgte. Schon 6 Tage datnach schritt man zur Resection und legte
alsdann einen Gypsverband im rechten Winkel an (Präparat fehlt). Es bestand
von da an bis Anfangs April immer etwas Temperaturerhöhung, hierauf war bis
Ende Mai stets Apyrexie vorhanden. Zugleich zeigten sich Appetit und Gesund-
240 Dl'- W. Stark.
heitszustand gut, der Ann, trotz dreier Fisteln, schmerzlos passiv beweglich.
Wiederholte Sondirungen erwiesen kein Biosliegen oder Rauhigkeiten des Knochens.
Ende Mai stellte sich bei massiger Schwellung, Schmefthaftigkeit der Gelenk-
gegend und vermehrter Eitersecretion abermals Fieber ein und es lösten sich
wiederholt Stückchen spongiöser Knochensubstanz. Bei Bewegung der nunmehr
eingeführten Knopfsonde konnte man rauhen Knochen fühlen. Eine neue
Oeffnung bildete sich am Oberarm, eine weitere ward daselbst an einer fluc-
tuirenden Stelle durch Incision angelegt. Mitte Juli wurden die beiden grössten
Wunden durch einen Querschnitt vereinigt, von dessen Enden Längsschnitte
nach oben gemacht und von dem cariös erweichten Knochen ziemlich bedeu-
tende Stücke resecirt. Der Blutverlust gering, theilweise Nahtvereinigung der
Wunde, Gypsverband. Einige Tage hindurch währte die Temperaturerhöhung
wie vor der Operation fort, aber die Schmerzen hörten auf, die Anschwellung
nahm ab, die Wunde, aus der etwas eitriges Secret sich ergoss, hatte ein gutes
Aussehen und begann nach Entfernung der Naht lebhaft zu granuliren.
Ein Rückschritt in dem beinahe 3 Wochen fieberlos verlaufenden Hei-
lungsprocess fand am 12. VIII. statt, weil sich von diesem Termine an neuer-
dings Fieber zeigte, sich die Wundverkleinerung — bei öfters ödematöser Be-
schaffenheit der Granulationen — verlangsamte, sich Schwellung und Schmerz-
haftigkeit ab und zu beigesellte. Die Sondirung ergab keine positiven Resultate
das Einlegen von Laminariastiften zur Erweiterung der Fistelöffnungen nebst
Erneuerung des Gypsverbandes blieben ohne Erfolg. Im October bildete sich
wieder ein Abscess in der Ellenbogenbeuge, der eröffnet werden musste. Ferner
ging ein nekrotisches Knochenstückchen ab, endlich wurde einige Tage hindurch
blaue Eiterung beobaclätet und mit Garbolverband bekämpft. Eine Cauterisation
der Fislelgänge, sowie einer durch Sondirung constatirten Wundhöhle mit Ferrum
candens fand Anfangs December in der Narcose statt, ohne bedeutende Reaction
oder bleibende Besserung des Local- und Allgemeinzustandes zu veranlassen.
Ihre Wiederholung Mitte Januar hatte zwar bedeutende Reizerscheinungen (höheres
Fieber, Schmerzen, Schwellung), doch ebenso wenig nachhaltige Wirkung zur
Folge. Nebenbei war ein Versuch mit Galvanisation des Armes gemacht und
die Muskelerregbarkeit bei gleicher Stromstärke auf der kranken Seite bedeutend
schwächer als auf der andern gefunden v?orden. Während auch in den folgen-
den Monaten der Befund an der erkrankten Extremität das Bild eines langsam
fortschreitenden cariösen Processes bot, unter bald abnehmender, bald zunehmen-
der Eiterung sich kleine nekrotische Knochenstücke abstiessen resp. entfernt
wurden und schliesslich Crepitation im Gelenke deutlich nachgewiesen werden
konnte — traten Complicationen hinzu, deren Folgen für die Patientin verhäng-
nissvoll werden sollten. Unter stetem Steigen der Temperatur wurde besonders
bei Bewegungen über Schmerzen auf der rechten Seite des Hinterkopfs geklagt,
gegen welche man mit Nutzen eine Extension der Wirbelsäule anwendete. Aber
Mitte März kamen hierzu — verbunden mit zeitweisem Coma, nächtlichen De-
lirien und Collaps der Kranken — sowohl an der rechten Seite des Halses hinter
dem Sternocleidomastoideus, als auch an der hintern Rachenwand je eine
fluctuirende Anschwellung, von denen zuerst die letztere, später auch die erstere
incidirt und aus beiden etwas Eiter von guter Beschaffenheit entleert wurde. So
eiterten die Fisteln am Halse, Rachen und Arme noch einige Tage und raubten
dadurch der Patientin ihre letzten Kräfte, bis dieselbe endlich am 6. IV., nach-
dem kurz zuvor unstillbares Erbrechen eingetreten, Nachts 11 Uhr starb.
Beiträge zu der Statistik und den Endresultaten der Gelenkresectionen. 241
Aus dem. ObductionsprotokoU wäre liier eigentlicii nur der das erkrankte
Gelenk betreffende Abschnitt mitzutheilen, doch griffen die zuletzt beschriebenen
Erscheinungen so ominös in den Krankheitsverlauf ein, dass zur Vervollstän-
digung des ganzen Bildes wenigstens die hierauf bezüglichen Hauptergebnisse
angeführt werden müssen.
„Unteres Ende des Humerus 5^2 Ctm. breit, die beiden Condylen in guter
Entwicklung stehen etwa ^jz Ctm. über einer der Trochlea ähnlichen Vertiefung
zwischen derselben, welche durch sulziges Gewebe mit der entsprechenden Fläche
der Ulna und des Radius verwachsen war, hervor. An der äussern Fläche des
Humerus sitzt ein scharfkantiges , vom Periost entblösstes , der Stelle des ehe-
maligen Olecranon entsprechendes Knochenstück fest. An den Vorderarmknochen
ist sowohl das obere Ende der Ulna als der Radius missfarbig, von Granula-
tionen durchwachsen, von Periost entblösst.«
Im Uebrigen stellte sich folgendes Wichtige heraus :
Gehirn: »Auf der Höhe der Unken Hemisphäre, der Mitte des Seiten-
wandbeins entsprechend, findet sich eine guldengrosse Stelle, auf welcher eitrig
infiltrirte, etwas käsig gewordene Granulationen aufsitzen. Dieselben bewirken
einerseits einen Druck auf die Gehirnrinde mit leichter Depression, andererseits
stehen sie mit der Tabula vitrea des Schädels in Verbindung. Diese ist in glei-
chem Umfange weich, entfärbt und zeigt an der Peripherie einen kleinen osteo-
phytischen Wall." Gehirnödem.
Rückenmark: „Beim Eröffnen der Halswirbelsäule von hinten liegt
zwischen Wirbelbogen und Aussenfläche der Dura eine hämorrhagische Pseudo-
membran. Die Dura mater in ihrer ganzen vordem Fläche bis zum 3. Hals-
wirbel herunter durch eitrige Granulationen von der Wirbelsäule abgedrängt. In
der Gegend des Durchtrittes des 2. rechten Halsnerven ist die ganze Dicke
der Dura mater von Granulationen umwuchert und leicht mit einem stumpfen
Instrument zu durchbohren. Arachnoidea und Pia des Halsmarkes scheinbar
nicht verändert. Halsmark selbst weich, über die Schnittränder vorquellend,
graue Substanz sehr anämisch. Die Hinterfläche des 2. Wirbelkörpers und die
rechte Hälfte des 3. vom Periost entblösst, mit Eiter durchsetzt. Apparatus ligam.
zwischen Epistropheus und Hinterhaupt durch Granulationen zerstört. Ligam.
transvers. hält den Process. odontoideus noch zurück. Die erste Zwischenwirbel-
scheibe ganz zerstört ; man kommt zwischen den beiden Wirbeln in den Abscess
an der Vorderfläche der Wirbelsäule."
Fall 6.
Josef Zimmermann, 36 Jahre alt, lediger Taglöhner aus Nordrach
(Gengenbach) stach sich Ende October 1872 ungeschickter Weise mit einer Sichel
in den rechten Arm, etwa zwischen Olecranon und Condyl. intern. Die Spitze
derselben soll ungefähr ^jz Finger lang eingedrungen sein, die Wunde stark
geblutet haben. Patient beachtete die Verletzung so wenig, dass er noch 8 Tage
weiter arbeitete und erst nach Ablauf dieser Frist durch die mittlerweile sehr
bedeutend gewordenen Schmerzen und Anschwellung genöthigt war, ärztliche
Hülfe aufzusuchen. Nachdem man Ausfluss von Synovia constatirt hatte, wurde
ein Gypsverband angelegt, vier Wochen später Jod eingepinselt. Am 7. December
trat Patient in ziemlich angegriffenem und heruntergekommenem Gesund heits-
Czerny, Beiträge zur operativen Chirurgie. 16
242 Dr. W. Stark.
zustande in das Spital ein. Der rechte Arm war bis gegen die Achsel hin enorm
angeschwollen, in halber Ellenbogenflexion und konnte nicht ganz gestreckt
werden. Jede Bewegung erregte Schmerzen. An der oben erwähnten Stelle fand
sich eine mit wuchernden Granulationen besetzte, fingerdicke, wenig eiternde
Wunde, welche die Sonde der Richtung und Tiefe nach bis in's Gelenk dringen
liess, ohne dass dieselbe auf unbedeckten oder rauhen Knochen kam. Nach
einer voi-läufigen Compressiveinwickelung mit nassen Binden nebst Fixation auf
gepolsterter Armschiene und erhöhter Lagerung resecirte man am 12. December
auf folgende Weise:
Der V. L a n g e n b e c k 'sehe Längsschnitt wurde wegen der colossalen
Rigidität und Verdickung der Haut combinirt mit einem Querschnitt bis zu dem
Condyl. extern., Ablösung der Weichtbeile und des Periostes mit dem Raspatorium
und geknöpften Resectionsmesser; Entfernung der Gelenkenden der 3 Knochen,
die im Zustande der subchondralen Ostitis, bereits mit partieller Ablösung der
Knorpelflächen sich befanden. Nähen der 2 Schnitte bis auf die mittlere Par-
thie, wo Drainageröhren eingelegt wurden. Carbolwatte- und Gypsverband mit
grossem Fenster; Morphiumeinspritzung, — Das Humerusstück (des getrockneten
Präparats) mass zwischen der ebenen, horizontal geführten Sägefläche und dem
entferntesten Punkte der Trochlea 3 Gtm.; der Durchmesser der ersteren von
rechts nach links 6 Gtm. Die Eminentia capitata präsentirte am äusseren Ende
einen cariösen Defect. Olecranon und der zugleich abgetragene Proc. coronoid.
waren 4 Gtm. lang; der Knorpel besonders oben an der Gavitas sigm. maj.
abgelöst, der dadurch denudirte Knochen rauh. Das Radiusköpfchen 1 Gtm. dick,
zeigte auch den Knorpel theilweise defect, den Knochen an einer Stelle arrodirt.
Die Länge des Humerus- und Ulnarstücks zusammen, bei ineinander gepassten
Gelenkflächen, behef sich auf 4 Gtm. Das Fieber, welches schon vor der Operation
hoch gewesen, doch 40 ° nicht erreicht hatte, ging am Tage nach derselben auf
40,3°, sank aber dann bis zum Schlüsse des Monats auf 38,5 <> herab. Bei der
ruhigen Suspension im Gypsverbande, welche arrangirt worden, klagte Patient
nicht über Schmerzen. Die Schwellung nahm ab. Nach Entfernung der Nähte
zeigten sich die tieferen Wundparthien verklebt. Der Absonderung röthlicher
Flüssigkeit folgte am 15. Dezember gute Eiterung aus schön aufspriessenden
Granulationen in massiger Menge. Die Drainagen wurden mehrmals gewechselt,
am 2. L ein kleiner Abscess in der Nähe des Gondyl. extern., welcher die Tempe-
ratur plötzlich auf 40,2 ° getrieben , incidirt und der Gypsverband erneuert. Das
Fieber defervescirte bis auf 38° und Avich, nachdem noch 2mal Exacerbation auf
39,3° stattgefunden, den 30. L der normalen Temperatur. Die Heilung machte
rasche Fortschritte ~ kaum gestört durch mehrtägige stärkere Intumescenz und
Eitersecretion nach dem erstmaligen Aufstehen des Patienten am 22. L Am
1. Februar waren blos 2 FistelöfTnungen an den Stellen der Drainagirung übrig
geblieben, den 5. der Arm im Ganzen abgeschwollen, aber die Haut noch indu-
rirt. Die Extremität konnte, weil keine knöcherne Vereinigung im resecirten
Gelenke vorhanden, etwas über den geraden Winkel gestreckt werden. Seitliche
Beweglichkeit liess sich, wenn auch nur in sehr geringem Masse, nachweisen.
Von nun an bestand die Behandlung in Bindeneinwickelung und Mitella, morgen-
und abendlichen Armbädern, seit 3. März Electrisiren. Darauf hin nahm die
Anschwellung ab, die Wunden schlössen sich (28.11.) vollständig. Am 9. März
trat unter 3tägiger Temperaturerhöhung (bis 40,3 o) heftige Glossitis auf, die
jedoch bei Aufenthalt im Bett verbunden mit kalten Halsumschlägen nnd Schlucken
Beiträge zu der Statistik und den Endresultaten der Gelenkresectionen. 243
von Eis in Zertheilung ohne Abscedirung endigte. Während dieser Zeit wurden
bis zum 17. III. Bäder und Electricität ausgesetzt.
Am 31. langte der Reconvalescent mit der Hand bis zum behaarten Kopf-
theile.
Im Juli 1875 constatirte man :
Active und passive Beugung bis zum Winkel von 60 o
„ » „ Streckung bis zum Winkel von 150 o
» n » Pronation bis Handrücken genau nach oben
„ ,1 ,, Supination bis zur Mittelstellung
r. 1.
Länge des Oberarms vom Acrom. bis Gond. ext. 33 Ctm. 33 Gtm.
„ „ Radius 25 27
Umfang des Oberarms 25,5 30
„ „ Vorderarms 26 29
Hebt 10 Pfund mit Leichtigkeit im rechten Ellenbogengelenk , angeblich
ohne bedeutend grössere Anstrengung als links.
Fall 7.
Adolf N üb ling, 11 Jahre alt, aus Denzlingen , der anno 1870 vier-
zehn Tage lang die Masern hatte, sonst stets gesund war, beobachtete kurz vor
Weihnachten 1872 eine allmählige Beschränkung der Extensionsfähigkeit des
rechten Arms. Später kamen Schmerz und Anschwellung hinzu. Bei der nach
seiner Ankunft im Spitale am 16. IV. 73 angestellten Untersuchung fanden sich :
Der Arm in einer Mittelstellung zwischen Pro- und Supination ; die Rotationsfähig-
keit beschränkt; passive Beugung und Streckung nur möglich innerhalb der Grenze
von 70—150°; der Umfang über das Olecranon 3 Ctm. grösser (22) als auf der
gesunden Seite (19); zwischen den Knochen vorsprüngen fluctuirende Stellen.
Als sich nach Application eines Gypsverbandes der Zustand binnen Monatsfrist
nicht besserte, wurde zur subperiostalen Resection sämmtlicher Knochenenden
des Ellenbogengelenkes mittelst der v.Langenbeck'schen Schnittführung geschritten.
Die Knochenstücke unterschieden sich nur durch weichere Gonsistenz vom nor-
malen Gefüge, der Knorpel zeigte sich intact (blos an der Innenseite der Gelenk-
fläche der Ulna fand sich ein kleiner Defect). Die Synovialmembran dagegen
mit dicken Granulationsschwarten durchsetzt, die man sorgfältig mit Scheere und
Kratzlöffel entfernte. Es folgte Vereinigung der Schnittenden durch die Naht.
Berieselung mit Garbolwasser , Einführung eines Leinwandstreifens, gefensterter
Gypsverband in fast rechtwinkliger Beugung und Mittelstellung des Arms. —
Der Humerusantheil betrug in der Längsrichtung am inneren Ende der Trochlea
274 Gtm., der Durchmesser seiner Sägefläche von rechts nach links 5 Ctm. Die
Länge der Ulnarparthie (Olecranon und Proc. coronoid.) mass 2^/2 Gtm. Eine
Ineinanderfügung beider (hum, et uln.) ergab eine Ausdehnung von 2V2 Gtm.,
Radiusscheibe 3 Mm. dick. Das Wundfleber, welches seinen Höhepunkt 40,3«
am 30. Mai Abends erreichte, währte ununterbrochen mit bedeutenden morgent-
lichen Remissionen bis zum 9. Juni, von welcher Zeit an Morgens mit geringer
Ausnahme Apyrexie bestand, während Abends bis 24. Juni Exacerbationen vor-
kamen. Die am 23. V. noch etwas fibrinös belegte Wundfläche wies schon nach
einigen Tagen überall Granulationsbildungen auf. Anfangs Juni wurde der
244: Dl"- W. stark.
Gypsverband erneuert, ferner zwei in der den condyl. extern, humeri überdecken-
den Hautfläche befindliche, circa ^/i Ctm, auseinanderstehende Fistelöffnungen
von Stecknadelskopfgrösse, aus denen sich reichlich Eiter ausdrücken liess, mit-
telst Incision verbunden und dadurch dem Secrete freier Ausweg verschafft.
Der Allgemeinzustand des Operirten besserte sich dabei , trotz reichlicher doch
gutartiger Eiterproduction so rasch, dass er am 5. VI. bereits ins Freie gefahren
werden konnte, was sichthch wohlthuend auf ihn einwirkte. Nächst der vorhin
geschilderten Incisionswunde fand am 12. VI. ein feiner Hautdurchbruch statt
unter geringer Eiterentleerung, aber verbunden mit Oedem der Umgebung und
Fluctuation in der Tiefe, welch' letztere Complicationen bald wieder verschwanden.
Nach Abnahme des Gypsverbandes lagerte man den Arm blos in eine Mitella,
gab dem Reconvalescenten täglich 2 Armbäder, incidirte einen haselnussgrossen
Abscess in der Gegend des äussern, untern Humerusendes. Aus der Eröffnung
floss etwas seröser Eiter aus und wucherten später daselbst schwammige Gra-
nulationen empor, welche — sowie auch die früheren — touchirt wurden.
Sämmtliche Wunden waren bei dem am 4. August (auf sein Verlangen hin) er-
folgten Austritte nur zum Theil vernarbt. Die Functionsfähigkeit hatte bei der
zuvor angestellten Prüfung folgende Ergebnisse geliefert : Vl'^ährend am 3. VIL,
bei dem erstmaligen Versuche der Excursionsausgiebigkeit sich die Beweglichkeit
im Ellenbogengelenke als gering, Rotation des Vorderarms nur als passiv mög-
lich erwies, vermochte der Genesende bei seinem Weggange selbst activ massige
Beugungen auszuführen, die Rotation dagegen konnte blos passiv bewerkstelligt
werden und geschah dann nicht in normaler Weise mit dem Radius allein,
sondern mit dem ganzen Vorderarme. Als sich der Junge am 15. October
wieder einstellte, constatirte man noch eine kleine, etwas Eiter secernirende
Fistel am resecirten Gelenke. Der Winkel zwischen Humerus und Vorderarm
betrug 60". Vom 3. XI. an wurden täglich Uebungen vorgenommen, wobei sich
der betreffende Winkel bis 65" vergi'össerte, Drehbewegungen jedoch immer be-
schwerlich blieben, indem Ulna und Radius stets zusammen agirten. Am 7. XI.
fand sich :
Passive Beugung vom Ellenbogengelenk = 80°
Active „ ,. „ = 89"
Passive Streckung „ „ = 115°
Active „ „ „ = 109°
Länge des Radius vom Gapit. bis Proc. styl,> =: 17^2 Ctm.
Länge des Humerus vom Acrom. bis Cond. ext. = 21*,'2 „
Bis Juli 1875 hatte sich dies Resultat folgendermassen verändert:
Active Beugung rechterseits vom rechten Winkel bis zu einem Winkel
von 45°. — Streckung nicht über den rechten Winkel möglich. — Der Vorder-
arm steht in der Mitte zwischen Pro- und Supination; Rotation sehr beschi'änkt,
das Köpfchen des Radius bewegt sich dabei nicht. — Passive Beweglichkeit wie
die active. — Die Leistungsfähigkeit ist in beiden Armen gleich.
Humerus v. der Spitze des Acromion bis zur Basis des r. 1.
Condyl. extern 2r',7 Ctm. '25,7 Ctm,
Länge des Radius , . . 20,7 » 22 »
Umfang des Ellenbogengelenks 24 » 23 »
Am 3. XI. 76 verhielt sich der Status wie folgt:
Der Resecirte war seither stets wohl und bemerkte keinerlei abnorme
Erscheinungen an dem operirten Arme. Er konnte denselben bei all' seinen
Beiträge zu der Statistik und den Endresultaten der Gelenkresectionen. 245
Verrichtungen als Bauernknecht ebenso gut wie den linken verwenden und ver-
spürte darin nicht etwa eine raschere Abnahme der Leistungsfähigkeit wie auf
der gesunden Seite.
Das betreffende Glied befindet sich bei Ruhelage rechtwinkelig gebeugt,
der Vorderarm in Mittelstellung. Die Narben in der Gegend des Gond. int. und
ext., welche theilweise am Knochen festhaften, sind solide. Die Oberarmknorren
selbst zeigen sich in hinreichendem Masse regenerirt; desgleichen das Radius-
köpfchen, dessen neugebildete Knochenmasse über den Gond. ext. hervorragt und
Rotationsbewegungen (bes. passive) — deutlich fühlbar — mitmacht. Der Wieder-
ersatz des Olecranon, welches mit sammt dem oberen Ulnarande dem Gond. int.
näher gerückt erscheint, ist bis jetzt unvollkommen geblieben:
Länge: r. 1.
Acrom. — Gond, ext 28 28
Gond. ext. — Proc. styl, rad 23 23
Acrom. — Proc. styl, rad 51 5i
Proc. coracoid, — Gond. int 28 28
Gond. int. — Proc. styl, uln 23 23
Proc. coracoid. — bis Gond. ext. ... 27 27
Umfang :
Oberarmmitte 18 23
Ellenbogen 26 26
Durchmesser zwischen den Gondylen . . 6 G'/*
„ von vorn nach hinten ... 7 7*/2
Vorderarm im obern Drittel 19 22
Vorderarm mitte 17 19
Handgelenk 16 17
Rechte Hand etwas kleiner als linke.
Active Flexion bis 61°
Active Extension bis 85°
„ Pronation bis Volarfläche nach unten,
„ Supination bis Volarfläche nach oben.
Passive Bewegungen erzielen kein ausgiebigeres Resultat.
Die activen Excursionen im Handgelenke sind beiderseits gleich ; im
Schultergelenk ist die Erhebung des Arms rechterseits mit etwas Schwierigkeit
verknüpft, doch nicht wesentlich beeinträchtigt. Händedruck auf beiden Seiten
ziemlich derselbe. Der Operirte hebt mit Leichtigkeit 45 Pfd. vom Boden auf.
Er bringt 25 Pfd., obgleich wegen der starren Verbindung im Ellenbogengelenk
die Beugung etwa rechtwinkelig bleibt, so weit, dass Handwurzel und Schulter
in einer horizontalen Ebene liegen.
10 Pfd. elevirt er bis über den Kopf.
Fall 8.
Katharina Erb, 16 Jahre alt, aus Friesenheim, fiel vor 8 Jahren auf den
rechten Ellenbogen. Seither bemerkte sie fortwährend Schmerzen und ver-
ringerte Bewegungsfähigkeit. Bei ihrer erstmaligen Aufnahme in's Spital am
20. October 73 betrug das Maximum der activen Flexion 101, das der Extension
130". Es schmerzten nur forcirte Excursionsversuche. Durch täglich zweimal
vorgenommenes warmes Baden, active und passive Bewegungen besserten sich
246 Dr. W. stark.
diese einzigen SjTuptome der Gelenkaffection zusehends, so dass nach einer weitern
Behandlung mit dem constanten Strome (vom 20. XL an) die Streckung des
Arms bis zu einem Winkel von 127**, die Beugung bis 97" möglich war (den
12, I.). Auf ihren Wunsch entlassen, kehrte Patientin schon arn 27. Januar in
bedeutend verschlechtertem Zustande in die chirurgische Klinik zurück. Der
kranke Arm, den sie zur Arbeit verwendet hatte , konnte wegen heftiger — be-
reits 2 Tage nach ihrem Austritte entstandener — Schmerzen nicht mehr bewegt
werden. Er wurde auf eine Schiene gelagert, zwei Tage darnach in der Nar-
oose in einem AVinkel von 118° eingegypst und durch mehrmalige Wiederholung
des Verbandes in jeweils vermehrter Winkelstellung bis zur rechtwinkeligen
Beugung gebracht. Vom 28. März an folgte ambulatorische Behandlung. Sie
bekam verschiedene Gypsverbände im rechten Winkel angelegt, musste aber
wegen Tag und Nacht fortdauernder Schmerzen Ende April wieder ständigen
Aufenthalt im Spitale nehmen. Ihr Aussehen hatte nicht wesenthch Nolh gelitten.
Nur mit Mühe vermochte sie den rechten Arm zu heben, mit den Fingern
blos schwachen Druck auszuüben. Die Muskulatur der erstem zeigte sich weniger
entwickelt als links (Volumsabnahme bis 1 Ctm,). Die Contouren des afficirten
Gelenkes erschienen rechts verwischt, der Umfang war jedoch beiderseits gleich.
Indirekter Druck schmerzte nicht, um so mehr direkter auf die Condyl. hum.,
sowie Pro- und Supination. Die Temperatur belief sich auf 38,2. Weitere
äusserlich erkennbare Entzündungserscheinungen fehlten. Vorläufig erhielt die
Kranke eine Mitella zur Fixation der Extremität. Da jedoch die bisherige conser-
vative Behandlung keinen Erfolg gehabt, eine Fortsetzung derselben die äusseren
Verhältnisse der Patientin nicht gestatten, so führte man trotz der geringen
pathologischen Veränderung des Gelenkes selbst die Resection am 6. Mai aus
mittelst des Hüter'schen Radialschnittes. Die Länge des äusseren Schnittes
betrug 10, die des inneren 6 Gtm. Scalpell und Raspatorium trennten Weichtheile
und Periost von den betreffenden Gondylen und Vorderarmknochen. Das Radius-
köpfchen wurde mit der Knochenzange, der Humerus (in einer Ausdehnung von
6 Gtm.) und das Olecranon mit der Kettensäge resecirt, die Blutung durch 4 Liga-
turen gestillt, das resecirte Gelenk drainirt und ein zweifensteriger Gypsverband
in rechtwinkeliger Stellung angelegt.
Die Besichtigung des Präparates ergab eine Hyperämie der Knochen der
excidirten Gelenkenden ; ferner stellenweise Erweichung des Knorpels an der Troch-
lea, wo er sich leicht abziehen liess, völlige Ablösung mit Freiliegen der rauhen
Knochenfläche in der Nähe der Eminentia capit., welche einen circa 1 Gtm.
langen und tiefen Substanzverlust zeigte. Den erstem ähnliche Veränderungen
fanden sich an der Gelenk fläche des Olecranon; überdies ragten an dem vordem
Rande des mitentfernlen Proc. coronoid. stalaktitenartige Osteophyten hervor. Die
Sägefläche stieg etwas schief von hinten und unten nach vorn und oben ; die des
Radius von innen und unten nach aussen und oben. Die Länge des Humerus-
Endes betrug 6 Gtm.; der frontale Durchmesser seiner Sägefläche 2 Ctm. Das
Gelenkende der Ulna war in einer Ausdehnung von 4^/4 Gtm., das des Radius
in einer solchen von 1 '/z Gtm. resecirt. Humerus- und Ulnarstück massen, wenn
coaptirt, zusammen 8'/4 Gtm. Eine starke Nachblutung, die der Eisbehandlung
widerstand, konnte erst nach einstündiger Gompression der Axillaris gestillt
werden. Man suspendirte den Arm und leitete offene Wundbehandlung ein. Einem
Zustande völliger Fieberlosigkeit und des besten subjectiven Befindens folgte schon
am dritten Tage heftiges Fieber und Schmerzhaftigkeit, welche bis Anfangs Juni
Beiträge zu der Statistik, und den Endresultaten dor Gelenkresectionen. O47
zwar mit erheblichen Remissionen aber fast ohne Unterbrechung anhielten. Die
Wunde secernirte in der ersten Zeit nach der Resection dünnen und etwas übel-
riechenden Eiter, der jedoch bald bessere Beschaffenheit annahm. Ihr übriges
Aussehen blieb von Anfang an gut, sie producirte rasch kräftige Granulationen.
Vom 16. Mai an wurde Patientin zu fleissiger Fingerübung angehalten. Seit
1. Juni brachte sie den ganzen Tag ausser Bett und im Freien zu, was ihren
Gesundheitszustand in erfreulicher Weise beeinflusste. Bei Abnahme der Gyps-
kapsel am 8. Juni standen die Knochen insofern fehlerhaft, als der Humerus
bedeutend nach vorn und oben sich erheben Hess, während Ulna und Radius
nach hinten und unten sahen. Den Arm trug die Resecirte beinahe einen Monat
in der Mitella, wobei die Benarbung der Wunde rüstig voranschritt, bevor man
(am 1. Juli) einen gefensterten Wasserglasverband applicirte. Bei dessen Ab-
nahme am 21. zeigte sich die Gelenkverbindung sehr locker. Die Operirte ver-
mochte nicht den Vorderarm activ zu beugen, doch zu rotiren. Die Finger
bewegte sie vollkommen. Nun wurde sie täglich mit dem unterbrochenen Strome
bis zum 6. August, an dem sie mit dem v. L a n g e n b e c k'schen Stützapparat
versehen austrat, electrisirt. Aber auch dieses Resultat hielt nicht an. Am 12. VIII.
veranlassten neue Schwellung und Schmerzhaftigkeit, verbunden mit Fieber, ihre
Unterkunft in der chirurg. Klinik, nachdem sie versucht, in ihrem Apparate in
der Fabrik zu arbeiten. Es eröffnete sich alsbald nach aussen von dem resec.
Condyl. extern, ein kleiner subcutaner Eiterheerd. Einen grösseren kalten Abscess
in der Gegend des Olecranon incidirte man unter Beobachtung der Lister'schen
Methode der Wundbehandlung ; aus ihm flössen etwa 50 Gctm. dünnen Eiters ab.
Der Arm lag zuerst in einer Drahtschiene, dann, weil bequemer, in einem Trag-
tuche. Am 17. brach abermals ein Abscess am inneren Gelenkende auf. Selbst
genaue Sondirung liess nirgends unbedeckten Knochen erkennen ; weder Bewegung
noch Druck erregten dort Schmerzen. Alle Höhlen füllten sich rasch mit Granu-
lationen und benarbten. Das Fieber verschwand. Die frühere Schlotterverbindung
functionirt seit 22. August normal. Die vier letzten Tage (3.-7. IX.) vor Ent-
lassung der Reconvalescentin wurde sie faradisirt und trug wieder ihren alten
Apparat.
Abermals vorgestellt am 14. Juni 1875:
Gut genährt.
r. 1.
Umfang des Oberarms 21,5 Ctm. 24,5 Ctm.
,, „ Ellenbogengelenks ... 24 „ 24,5 „
„ ,, Vorderarms in der Mitte . 18 ,; 22 „
Länge des Arms vom Acrom. bis pr, styloid. 47 „ 50,5 „
Condylen und Olecranon scheinen völlig regenerirt.
r. ].
Breite derselben .... 6,5 Ctm. 6 Ctm.
Passive Bewegung: Beugung bis Maximum möglich, Streckung bis 180°.
Letztere schmerzhaft, dabei zugleich etwas seitliche Verschiebbarkeit und Pieibung
zu fühlen. Supination für den Radius allein halb, mit der Ulna völlig ausführbar.
Active Beweglichkeit:
Ohne Belastung Erhebung des Armes frei, Beugung und Streckung normal.
Pro- und Supination zur Hälfte möglich.
Mit 5 Pfund Belastung Erhebung vom Boden bis zum Kopf.
248
Dr. W. Stark.
Den 24. Oktober 1876 unterzog sich die Resecirte einer neuen Prüfung
ihres Zustandes:
Wiederholt hatten sich Abscedirungen um das rechte Ellenbogengelenk
unter Fieberschwankungen und Schmerzhaftigkeit gebildet, die sie jeweils ins
Spital zurückführten. Dieselben waren aber immer ohne weitere Beeinträch-
tigung des Allgemeinbefindens vorübergegangen.
Schmerzen sind auch in jüngster Zeit wieder in verstärktem Masse be-
sonders in der Gegend des Cond. int. aufgetreten. Zur Schonung des Gelenkes
trägt Patientin noch fortwährend einen Verband.
Gegenwärtig erscheinen die Narben der Operationswunde und Fistelgänge
vollkommen solide geschlossen. Druck ist hauptsächlich am Innern Humerus-
knorren empfindlich.
Die Knochenreproduktion ersetzte Olecranon sowie die Gondyli zur Genüge.
Sucht man die Knochenstümpfe (d. Hum. und d. Ulna) in seitlicher Richtung
an einander zu verschieben, so gelingt dies blos in minimalem Grade.
r. 1.
Umfang des Oberarms 21^2 Ctm. 25 Ctm..
» » Ellenbogens 22 » 24 »
Durchmesser des » zwisch, d. Gondylen . 5^/2 » 6 »
» » » zw, Beugefläche u. Olecr. 5V4 » 6 »
Umfang des Vorderarms ........ 20 » 24 »
» » Handgelenks 16 » 16 »
Länge von Process. corac. bis Cond. ext. . 25 » 29 »
» » Cond. ext. bis Proc. styl, radii .21 » 23 »
» » Proc. corac. bis Pr. styl, radii . 46 » 52 »
Diff. 6
Länge von Cond. int. bis Proc. styl, ulnae .23 » 26 »
Active Flexion bis zum Winkel von 94**
Passive » » » » »55°
Active Streckung » >; » »165°
Passive » » » » » 168°(=nachvornoffenerW.)
Pronation bis der Daumen nach abwärts sieht; passiv nur wenig mehr.
Active Supination bis der Daumen nach oben steht ; passiv bis die Volar-
fläche nach oben schaut.
Die Operirte ist im Stande, mit der rechten Hand bis zum Kinn zu
reichen. Der Händedruck erweist sich rechts kaum schwächer als links. Sie
hebt 30 Pfund vom Boden in die Höhe bei gestreckt hängendem Arme. Soll sie
jedoch die derart situirte Extremität der Horizontalen nähern, so vermag sie
5 Pfund nur um Weniges nach vorn zu bringen. Fixirt man den herabgesenkten
Oberarm, so können bei Beugung im resecirten Gelenke 3 Pfund bis zu einem
stumpfen Winkel gebracht werden.
Das Mädchen wickelt in der Fabrik Gigarren, wobei ihr der rechte Arm
sehr gute Dienste leistet.
Fall 9.
Fridolin Ganter, 28jähriger lediger Holzfäller aus Faulenfürst, Htt
seit 1867 an spontan entstandenen Schmerzen des linken Ellenbogengelenks.
Er nahm nie ärztlichen Rath in Anspruch, trotzdem dass der Arm seit 1873
Beiträge zu der Statistik und den Endresultaten der Gelenkresectionen. 249
wegen ihrer stets wachsenden Intensität nicht mehr bewegt werden konnte.
Ende Oktolier 1874 trat unter Röthung der betreffenden Hautparthie eine Ge-
schwulst in der Gelenkgegend auf, nach deren Eröffnung sich reichlich Eiter
entleerte. Am 25. November kam Patient in's Spital. Ausser den Symptomen
von Syphilis, die durch Roseola (seit 6 Wochen), indurirte Geschwüre der Vorhaut,
Drüsenschwellungen (in der Leisten- , Gubital- und Nackengegend) , Papeln der
Mundwinkel, Substanzverlust der linken Tonsille und Rachenröthung sich be-
kundete und in der Folgezeit mit Sublimatinjectionen erfolgreich bekämpft wurde,
fand man: Anschwellung der Ellenbogengegend, schmerzhaft bei directem und
indirectem Drucke; eine Fistel mit blau unterminirten Rändern dem Condyl. extern,
entsprechend, ihr Secret dünn und trübe. Eingeführte Sonde stösst nirgends
auf cariösen Knochen. Arm in fast vollständiger Streckung fixirt, nur wenig
passiv beweglich. Rotation des Vorderarms sehr empfindlich. Zur Verbesserung
der Stellung ward am 3. Dezember die fragliche Extremität in der Narkose ge-
beugt und im rechten Winkel eingegypst. (Gefensterter Verband.)
Heftiges remittirendes Fieber am folgenden Tage (40,5''j, das in mehr oder
weniger erheblichem Grade bis zum 19. bestand, leitete ein Erysipel ein, welches
am Vorderarm begann, alsdann auf Oberarm (Schwellung der Axillardrüsen),
Schulter, Supra- und Infraclaviculargegend , hnke Thoraxseite, sogar den Rücken
weiter wanderte, bis es am 17. Dezember erlosch. Zugleich waren an den
afficirten Stellen ziehende und brennende Schmerzen vorhanden. Die Rehandlung
bestand, nachdem der Gypsverband (den 7. Dez.) aufgeschnitten, in Bepinselungen
der jeweils befallenen Parthieen mit Carbolöl. Ein Recidiv, das von der Fistel
am Cond. extern, unter abermaliger Temperaturexacerbation ausging (4. Febr.),
ergriff blos den Vorderarm und verschwand schon nach 4 Tagen wieder. Den
8. Februar bildete sich an der Ulnarseite der fraglichen Extremität, 3 Zoll unter-
halb des Olecranon, ein oberflächlicher Abscess aus, den man durch Einschnitt
seines Inhaltes entledigte. Gegen Schmerzhaftigkeit am Proc. styloid. ulnae wurden
mit Erfolg Jodeinpinselungen angewendet. Die Eiterung der Incisionswunde ver-
mehrte sich am 19. Febr., die Gelenkgegend schwoll stärker, Patient fieberte (40°),
der ganze Arm schmerzte. An der Streck- und Radialseite des Ellenbogens fand
neue Eiteransammlung statt, der man am 27. durch Aufschneiden einen Ausweg
verschaffte.
Den 2. März 1875 wurde resecirt: Esmarch's blutsparender Verband ging
voraus. Ein Längsschnitt unter Carbolspray nach Li st er verschaffte den Zu-
gang zu den Knochenenden des Humerus und der Ulna, deren Durchsägungs-
stellen intact waren. Die Länge des excidirten Gelenktheils in toto betrug 3 Gtm.
Das in der Mitte der Trochlea in zwei ungefähr gleich grosse Stücke auseinander
gebrochene Humerusende war 2 Gtm. lang, seine Sägefläche mass im Quer-
durchmesser 6^4 Gtm. Osteophy tische Auflagerungen nebst einzelnen cariösen
Defecten missstalteten besonders die Rotula. Das am Processus coronoid. abge-
trennte Olecranon hatte 4 Gtm. Länge und verbreiterte sich in Folge von knöchernen
Wucherungen, welche zugleich seine Umrandung unregelmässig machten. Radius-
köpfchen 1 Gtm. dick. Die hierauf normale Temperatur erhob sich am dritten
Tage nach der Operation zu 3^°, fiel jedoch bald zur Norm wieder herab. Der
Heilverlauf erwies sich äusserst günstig, die Granulationen kräftig bei spärlicher
Secretion. Die Wunde verkleinerte sich rasch. Patient ging mit dem in einem
Gypsverbande (28. März) eingekapselten Arme umher. Touchiren sollte den Be-
narbungsprozess beschleunigen. Aber der Reconvalescent entwich noch vor dessen
250 Dl- W. Stark.
Beendigung am 10, April. Er kam ^/2 Jahr später wieder mit geschlossenen Fisteln
und wenig beweglichem Arme *).
20. Dez. 1876. Das Allgemeinbefinden war seither günstig. Schmerzen
am resecirten Gliede fehlten. Die Operationswunde heilte erst vergangenen
Sommer vollständig zu. Ein Fistelgang über dem Cond. extern, eiterte bis An-
fangs September. Trotzdem konnte Patient bei seinen ländlichen Arbeiten auch
den linken Arm benützen ; freilich stand derselbe an Leistungsfähigkeit dem
rechten erheblich nach. Der Mann gibt aber zu, dass letztere im Laufe der Zeit
gewachsen sei. Die linke obere Extremität befindet sich bei Ruhelage in ge-
streckter Haltung, der Vorderarm verharrt beinahe in Mittelstellung (leicht pronirt).
Die Resectionsnarbe erscheint noch geröthet, dünn, in der Mitte auf ihrer Unter-
lage festsitzend. Eine Borke überdeckt die Fistelapertur am Cond. ext. Letzterer
sowie der Internus sind annähernd regenerirt, etwas weniger das Olecranon.
Das Radiusköpfchen, welches dicht unter dem Cond. ext. steht, hat sich gleich-
falls (obschon etwas unförmlich) wieder ersetzt.
Die neue Gelenkverbindung ist eine ziemlich feste; doch lässt sich eine
minimale seitliche Verschiebbarkeit bewerkstelligen.
1. r.
Länge vom Acrom. — Cond. ext 29 Ctm. 30 Gtm.
„ Cond. ext. — Proc. styl. rad. . 24^2 ., 25
„ Acrom. — Proc. styl. rad. . . 53^2 .. 55 „ Diff. 1^/2
Umfang der Oberarmmitte 18,5 ,. 25,5 ;,
,, des Ellenbogengelenks 23^/2 „ 25^/2 „
Durchmesser d. Ellenbogens v. rechts n. links 6V2 ., 7^/2 ,,
,, ,, ., v. vorn n. hinten 5^/2 ,. 7^2 „
Umfang der Vorderarmmitte 22 „ 26^/2 „
des Handgelenks 16 ,, I7V2 „
Die rechte Hand ist stärker entwickelt als die linke, ihr Druck überbietet
den gleichfalls kräftigen der andern.
Das Excursionsvermögen im Schultergelenk erweist sich vermindert (Hub-
höhe bis 123"), weniger das im Handgelenk, aber auch hier werden Beugung
und Streckung nur mit grösserer Anstrengung ausgeführt.
Active Flexionsversuche bewirken eine Winkelstellung von nur 130" zwischen
Ober- und Vorderarm; passiv lässt sich die Beugung im Cubitalgelenke bis zu 80"
bringen, wobei zugleich eine Stellungsveränderung des Radius merkliche Pro-
nationsbewegung hervorruft. Ueberstreckung findet nicht statt.
Bei der activen Pronation, ebenso bei der Supination, von denen letztere
jedoch sehr beschränkt, betheiligt sich der Radius nicht isolirt, sondern der
Vorderarm als Ganzes. Passiv vermag man in geringem Grade seibstständige
Rotationsbewegungen des Radius zu erzielen. Auch können so Supinations-
bewegungen bis fast zur gewöhnlichen Grenze forcirt werden. Das Hebvermögen
des operirten Arms beläuft sich auf bh U, h U werden bei gestreckter Extremität
bis zu einem Winkel von 70° nach vorn elevirt.
*) Der interessante Einfluss des Erysipels auf die Syphilis in diesem Falle
ist von Dr. A. De ah na in der Vierteljahrschrift für Dermatologie und Syphilis
1876 beschrieben worden.
Beiträge zu der Statistik und den Endresultaten der Gelenkresectionen. 25 L
Fall 10.
Sarah Wollier, 17 Jahre alt, ledige Dienstmagd aus Schenkenzeil fiel
in ihrem 11. Lehensjahre auf den linken EUenhogen. In Folge hiervon konnte
sie wegen starker Schmerzhaftigkeit das Gelenk einige Zeit gar nicht bewegen
und es blieb durch Schmerz beschränkte Excursionsfähigkeit zurück. Nach etwa
2 Jahren wurde die Haut oberhalb des Olecranon von zwei Fistelgängen durch-
brochen, welche unbedeutend Eiter secernirten; sie heilten nach längerm Bestehen
von selbst zu. Doch nach einem weitern Jahre bildeten sich zwei frische ; dies-
mal am Vorderarm. Ein Arzt stellte die kranke Extremität in einen rechten
Winkel und es gelang ihm , die Fisteln durch wiederholtes Cauterisiren zum
Verschlusse zu bringen. Als das Mädchen Anfangs 1874 in einen Dienst eintrat,
verschlimmerte sich der Zustand abermals; die Schmerzen recidivirten und mit
dem Beginne des Jahres 1875 öffneten sich die Fisteln des Vorderarms von
Neuem. Bei der am 15. März 1875 erfolgten Aufnahme Hess der rechtwinkelig
fixirte linke Arm der sonst kräftig und gesund aussehenden Patientin active
Bewegungen gar nicht, passive nur in geringem Grade zu. Letztere schmerzten,
desgleichen indirecter Druck. Die Gircumferenz des Gelenkes überstieg die der
rechten Seite um 2 Ctm. 4 Gtm. unterhalb einer strahlenförmigen, mit dem
Knochen nicht verwachsenen Narbe, deren Sitz dem Gond. internus entsprach,
befanden sich an der Ulnarseite des Vorderarms 2 kleine Fisteln, welche nur
wenig dünne Flüssigkeit absonderten. Die eingeführte Sonde glitt in der Richtung
des Gelenks, ohne jedoch auf Knochen zu stossen. Die Fisteln wurden mit
Arg. nitr. touchirt und ein gefensterter Gypsverband applicirt, worauf sich die
Schmerzen besserten. Derselbe musste nach Monatsfrist wegen Recrudescenz
der Entzündungserscheinungen (heftiger Schmerz, hohe Temperatur, starke
Schwellung, reichliche Eitersecretion) abgenommen und nach Lagerung des Arms
auf eine Schiene eine Eisblase aufgelegt werden. Eine Incision am Gond. intern.,
wo deutliche Fluctuation vorhanden schien, förderte keinen Eiter zu Tage. In-
dessen brach kurz darauf die alte Narbe am Gond. intern, spontan auf und ent-
leerte Eiter. Da eine nochmalige genaue Untersuchung am 30. April neben den
bisherigen Resultaten bedeutende seitliche Verschiebbarkeit des Vorderarms ergab,
insbesondere aber die Sonde hierbei durch sämmtliche Fisteln nach dem Gelenke
und auf rauhen Knochen kam , schritt man sofort zur totalen Resection unter
Lister, mit Esmarch'scher Einwickelung und v. Langenbeck'scbem Längs-
schnitte. Am Humerus war das Mark der Operationsgrenze noch sehr hyperämisch.
Der Knorpel der resecirten Knochenstücke zeigte sich theils stark injicirt, theils
abgelöst. Es bestand subchondrale Ostitis. Massenhafte Granulationen füllten
das Gelenk und dessen Umgebung aus. Die Wunde wurde theilweise vernäht
und Drainage eingeleitet. Nur an einzelnen Stellen noch anhaftende Knorpel-
fetzen bedeckten die zerfressene Gelenkfläche des Humerusendes, das in toto
l'/4 Gtm. mass und dessen Sägeflächedurchmesser der Quere nach 5'/4 Gtm. be-
trug. An der Innern Hälfte der Trochlea, etwa in der Mitte des Innern Wulstes,
verlief von rechts nach links eine tiefe Spalte; eine eben solche an der unteren
Grenze des letzteren. Die die Eminentia capitata überziehende Knorpelschichte
hatte ihren Glanz verloren. Die Sägeebene des 3V2 Gtm. langen Ulnarstückes
stieg von hinten und unten nach vorn und oben. Der obere innere Rand des
Olecranon trug durch den destruirenden Prozess einen rundlichen, 1^2 t^^m.
252 Dr. W. stark,
grossen Defect davon. Auch an dessen Innenseite zeugte ein etwa 1 Ctm. tiefer,
halbmondförmiger Ausschnitt, von oben her durch osteophytische Wucherungen
überragt, von den theils regressiven, theils progressiven pathologischen Vorgängen.
An der äussern Parthie wurde durch eine isolirte Knochenspange an dem dort
ausgebuchteten Olecranon ein ovaläres, 7 Mm. umfassendes Loch formirt. Der
erweichte Knorpel umhüllte lose den cariösen Knochen, dessen scharfe Umrandung
am Process. coron. verschwunden war. Vom Radius entfernte man Vj* Ctm.
Auch hier liess der abgedeckte Knorpel eine degenerirte Knochenoberfläche er-
blicken. — Humerus- und Ulnarparthie nach Herstellung der Articulation o Ctm.
lang. Des andern Tages machten heftige Schmerzen Entfernung der Nähte und
Eisüberschläge nothwendig. Im Uebrigen ging die Heilung äusserst rasch von
Statten. Die Schmerzen Hessen nach; das Fieber währte mit Unterbrechung
bis zum 11. Mai in massigem Grade. Die Wunde war schon am 25. Mai fast
vollständig geschlossen.
Nach ihrer Entlassung stellte sich die (sonst gesunde und kräftige) Patientin
am 24. Okt. 1876 zum ersten Male wieder zur genauem Ermittlung des Zustandes
ihres kranken Armes. Sie hatte bis zur Zeit Schmerzen in der Ellenbogengegend
bei Bewegungen.
Sowohl in der Resectionswunde , etwa zwischen dem unvollständig repro-
ducirten Cond. int. und Olecranon, als auch zwischen letzterem und dem ebenfalls
unvollkommenen Cond. ext. münden zwei Fistelgänge, durch die die Sonde etwa
2^2 Cm. in die Tiefe, doch nicht auf rauhen Knochen kömmt. Dieselben secer-
niren massig, sollen aber nie völlig geschlossen gewesen sein. Im Uebrigen sind
die Wunden vernarbt und sitzt der untere Theil der Operationsnarbe auf dem
Knochen fest.
I. r.
Umfang des Oberarms 22^2 Ctm. 22 Ctm.
„ Ellenbogens 22 „ 23 „
Durchmesser zwischen Cond. int. und ext. .6 ,, 6 ,,
„ ,, Beuge und Olecranon 5^2 ,. 5 ,,
Umfang des Vorderarms 18 „ 22 „
„ Handgelenks 14 ., 141/2,,
Länge vom Proc, corac. — Cond. ext. . . 26 ,, 31 ,,
„ Cond. ext. — Proc. styl. rad. . 21 „ 24 „
„ „ Proc. corac. — Proc. styl. rad. . 47 ,, 55 ,, Diff. 8 Ctm.
„ „ Cond. int, — Proc. styl. uln. . 21 „ 24 ,,
activ passiv
Beugung bis 85" bis 41°
Streckung „ 180° nicht weiter.
Einwärtsrotation activ bis Volarfläche nach abwärts;
„ pas.siv bis Daumen nach unten.
Auswärtsrotation activ bis Volarfläche nach oben;
„ passiv etwas weiter (also bis zur normalen Grenze).
Bei passiven Bewegungen fühlt man im neuen Gelenke Crepitation, was
auch subjectiv empfunden wird.
Händedruck ist auf beiden Seiten ziemHch gleich. Sie hebt bei hängendem
Arme 35 tt vom Boden. 1 U bringt .sie bis über den Kopf; 3 U nur mit Mühe
bis zur Brust; 3 8 bei Fixation des herabgesenkten Humerus bis zu einem
stumpfen Winkel.
Beiträge zu der Statistik und den Endresultaten der Gelenkreseclionen. 253
Fall 11.
Casimir L a m b e r t i n , 21 Jahre alt, ledig, aus Grafenhausen, hatte
mehrmals das Unglück, sich durch Fall zu beschädigen: Zuerst in seinem
7. Lebensjahre, als er von einem Pferde herab mit dem Rücken auf eine Wagen-
achse stürzte, wesswegen er 5 Wochen das Bett hüten musste. Hierauf anno
1871 fiel er zum ersten Male auf den rechten Ellenbogen, der von da an stets
etwas angeschwollen, doch sonst vollkommen gebrauchsfähig blieb. 4 Jahre spä-
ter, im Juni 1875, verletzte er sich abermals den Ellenbogen durch einen Sturz
in einen Graben. Seitdem bestanden Schmerzen und Arbeits^unfähigkeit. Am
11. November 1875 suchte Patient Abhülfe im Spitale. Er sah schwächlich aus,
und hatte angeblicli in Folge des ersten Falles eine spitzwinkelige Kyphose.
Man fand Schwellung des rechten Ellenbogengelenks, Beschränkung der activen,
Schmerzhaftigkeit der passiven Bewegungen (besonders der Rotation), Druck
massig empfindlich. Der Kranke wurde mit einem Gypsverbande am 18. Novem-
ber versuchsweise entlassen, um zu sehen, ob Ruhe zur Besserung ausreiche.
Weil aber bei seiner Rückkehr am 12. Dezember der Zustand sich nicht ver-
ändert hatte, auch eine nun wiederholt (4mal je ^2 Grm.) vorgenommene Garbol-
einspritzung zu keinem Ziele führte, wurde das Gelenk am 10. Januar 1876 re-
secirt. Auf Esm ar c h'sche Einwickelung folgte der Hautmuskelschnitt, nach
dessen Vollendung sich bräunlich-gelbliche, eitrige Flüssigkeit ergoss. Beim wei-
teren Präpariren zeigte sich die Synovialhaut überall gallertartig infiltrirt. Der
Knorpel war geschwunden und der Knochen an verschiedenen Stellen rauh. Alle
3 Gelenkenden mussten abgesägt werden und zwar von dem des Humerus 3 Ctm.,
von der Ulna 31/2 Ctm., vom Radius '/z Ctm. Die Grösse des herausgenomme-
nen Gelenktheils im Ganzen belief sich auf 4 Ctm. Der Sägeflächendurchmesser
des Humerus betrug in frontaler Richtung 6 Ctm. Die Contouron der Trochlea
erschienen intact, weniger die der Eminentia capitata; der Knorpel an der Vor-
derseite beider losgelöst, der Knochen cariös. Der Cond. int. und externus waren
gleichfalls zernagt. Der cliondrale Ueberzug des Olecranon erwies sich malacisch,
der Proc. coronoid. in seiner Umgrenzung schadhaft, die Rindensubstanz der
Olecranonrückenfläche porös. Auch das Radiusstück hatte eine erweichte
Knorpeldecke.
Die Nachblutung war ziemlich stark und musste durch Ligaturen und
Compressivverband gestillt werden. Dieser schwere chirurg. Eingriff verursachte gar
keine Reaktion. Die Tempera turcurve bewegte sich fast ausnahmslos iimerhalb
normaler Grenzen. Das subjective Befinden liess nichts zu wünschen übrig.
Die Heilung verlief auffallend rasch, so dass Patient schon am 7. März, nach-
dem der Arm eingegypst, mit beinahe geschlossener Wunde entlassen wurde.
Als er sich am 30. Mai wieder einstellte, vermochte er mit der Hand bis
auf den Kopf zu greifen. Die darauf folgende Woche wurde er täglich elektrisirt.
12. November 1876:
Der Resecirte konnte wegen rascher Ermüdung, Unsicherheit und Unzu-
länglichkeit der Bewegungen (besonders der Rotationen) im rechten Arme sein
früheres Gewerbe als Barbier nicht wieder aufnehmen, — beschäftigt sich dess-
halb gegenwärtig mit dem Einrollen von Cigarren.
Schmerzen sind noch im Oberarm bei Bewegungen vorhanden. Sonst
weiss er über Nichts zu klagen.
254
Dr. W. Stark.
Die betreffende Extremität fülilt sich kälter an als die linke, was auch
subjectiv empfunden wird. Der Vorderarm befindet sich in Mittelstellung. Die
Resectionsnarbe ist geröthet, doch solide. Condyl. ext. und Olecran. haben sich
hinreichend regenerirt, weniger der Cond. internus.
r.
27
25
52
30
23
53
Ctm.
1.
30
25
55
33
27
CO
24
25
22 V2
16
Ctm.
Diff.SG.
Diff.7a
Länge vom Acrom. — Cond. ext. . . .
» » Cond. ext. — Proc. styl. rad.
» » Acrom. — Proc. styl, rad.
)s- » Proc. corac. — Cond. int.
» » Cond. int. — Proc. styl. uln.
» » Proc. corac. — Proc. styl. uln.
Umfang des Oberarms 17
» » Ellenbogens 21
Durchmesser des » zwischen den Gondylen 4^/4
» » » V.Beuge zum Olecranon 5
Umfang des Vorderarms 17
„ „ Handgelenks 15
Hände ziemlich gleich gross.
Im Schultergelenk der rechten Seite kann der Arm nur bis 100** aktiv,
passiv bis 126° erhoben werden (Theilnahme der Scapula); im Handgelenk er-
weist sich das Beugungsvermögen, etwas weniger auch das der Streckung beein-
trächtigt. Drehversuche des Vorderarms führen blos zu minimalen Excursionen.
Lässt man aber bei massiger Beugung desselben die ganze Extremität zu solchen
Manövern verwenden, so wird durch die Rotationsmuskeln des Oberarms dieser
Funktionsverlust derart supplirt, dass activ die Pronation (also miter Beihülfe
des Teres major und Subscapularis) von der Mittelstellung aus bis zu einer
Viertelsdrehung von Statten geht. Supinationsbemülmngen ergeben aber auch
trotz der Mitwirkung von Supra- und Infraspinatus nebst Teres minor nur einen
sehr geringen Erfolg. Passiv erwirkt man eine Einwärtsdrehung bis die Volar-
fläche nach aussen sieht, eine Auswärtswendung bis zur Norm.
Die active Flexion im Gubitalgelenke geschieht gleichfalls bis zur normalen
Grenze, doch scheint der Vorderarm, sobald er den rechtwinkeligen Stand zum
Humerus überschritten hat, nicht durch Muskelzug demselben noch näher ge-
bracht zu werden, sondern fällt vielmehr von selbst in die extreme Spitzwinkel-
stellung. Die aktive Extension gelingt bis zu 143", passiv bis 163". — Seitliche
Verschiebbarkeit der Resectionsstümpfe aneinander fehlt.
Der Händedruck zeigt, ob zwar auch der rechtsseitige kräftig ist, eine sehr
erhebliche Differenz zu Ungunsten der afficirten Extremität.
Der junge Mann hebt mit dem operirten Arme 35 Pfund vom Boden auf.
Bei gebogenem Gliede bringt er mit Mühe eine leere Schale etwa bis zur Höhe
der Schulter. Jede weitere Anforderung an die Leistungsfähigkeit des Armes
bleibt fruclitlos.
Fall 12.
Conrad Baumann, 17 Jahre alt, lediger Fabrikarbeiter aus Hornberg,
bemerkte zuerst 1865 eine allmählig entstehende Anschwellung an der Aussenseite
des rechten Fusses, welche nach bedeutender Vergrösserung im Jahre 1868 auf-
brach und fortwährend dünnen Eiter entleerte. Wachsthum des Tumor und
Beiträge zu der Statistik und den Endresultaten der Gelenkresectionen. 255
Vermehrung der Fisteln veranlasste den Patienten seit Ende Februar 1873 das
Bett zu hüten, obgleich weder die Beeinträchtigung der Gebrauchsfähigkeit noch
die Schmerzen sehr stark waren. Der herbeigerufene Arzt verband 2 der vor-
handenen Fistehi durch Schnitt und entfernte zwei nekrotische Knochenstückchen.
Darauf hin wucherten die Granulationen durch die Incisionsöffnung rasch nach.
Am 15. April 1873 liess sich der Kranke in's hiesige Spital verbringen. Er
fieberte und sah anämisch aus. Auf dem afflcirten Fusse konnte er noch stehen
und gehen. Der äussere Rand desselben zeigte eine Geschwulst, die den ganzen
Rauin von der Mitte der Ferse über den Malleol. extern, und die Mitte des
Fussrückens bis zur Basis der Metatarsalknochen einnahm. Im Centrum jener
befand sich ein Hautdefekt von der Grösse eines Fünfmarkstücks, woraus dicke,
schwammige Granulationen, umgrenzt von mehreren kleinen, in die Tiefe führenden
Fisteln, pilzförmig hervorragten. Weitere zwei Fisteln durchbohrten die hintere
Fersenhaut; ihre Gänge hatten die Richtung zum Galcaneus. Die Sondirung
stellte ausserdem fest, dass das Os. cuboid. fast völlig geschmolzen und durch
Granulationsmassen ersetzt war, in welchen noch einige nekrotische Knochen-
partikelchen Stacken; dass sich ferner der Galcaneus und die Köpfe des 4. und
5. Metatarsus entblösst, rauh und weich anfühlten. Passive Bewegung im G h o-
parfschen Gelenke schmerzte. Roborirende Diät, Fussbäder, Carbolwattever-
band und ruhige Lage bildeten die einleitende Behandlung. Zwei kleine Nekro-
sen des Os. cuboid. mussten schon am 16. und 17. mit der Kornzange extrahirt
werden. Den 30. schritt man zur Resection. Auskratzen der oben beschriebenen,
hervorquellenden Granulationen mit dem scharfen Löffel und Spaltung der Haut-
brücke, welche diese Fistel von der an der Ferse befindlichen trennte, legte den
(ausgehöhlten) Galcaneus blos. der nun vollständig aus dem Periost herausgeschält
wurde. An dem hintern Abschnitte von dessen Aussenfläche war eine 3^/4 Gtm.
lange und über 2 Gtm. tiefe, cariöse Caverne; der Knochen an der vordem
Parthie der erstem rareficirt und mit Granulis bedeckt, auch die Substanz der
Hinter- und Innenseite mit grossen Poren durchsetzt. In der Wunde trat als-
dann die untere Gelenkfläche des Talus zu Tage, überdies klaffte das Talona-
viculargelenk. Man applicirte hierauf einen gefensterten Gypsverband und sus-
pendirte die Extremität. Die Temperaturhöhe betrug in den ersten Tagen
durchschnittlich 39,50 y^j gjj^g dann nach und nach zur Norm herab. Da die
Ränder der Weichtheilspalte fest zusammen verklebten, sollte eine alsbald ein-
gezogene Drainage die Anstauung des Sekretes in dem zurückgebliebenen Hohl-
räume verhüten. Weil aber trotzdem die reichliche Eitermasse (4, Y.) übel roch,
wurde der an eine paraffinirte Gypsschiene befestigte Unterschenkel in das per-
manente Wasserbad gebracht, was Besserung der Absonderungsverhältnisse und
gute Granulationsbildung bewirkte (7, V.) Ueber dem Malleol. internus machte
sich am 14. Mai eine prominirende, schmerzhafte Stelle bemerkhch, aus der auf
Incision am 23. dunkler Eiter kam. Sofort schwand die Fieberexacerbation,
welche damit verbunden gewesen. Das Wasserbad liess man nun weg. (Draht-
rinne.) Die beiden bei der Resection eingeschnittenen Fistelgänge communicirten
nicht mehr mit einander. Ihr Lumen hatte sich verkleinert. Der zuletzt ge-
öffnete Abscess granulirle rasch. Die Anschwellung verlor an Umfang. Bewe-
gungen des Tibiotarsalgelenkes waren nicht empfindlich; das Allgemeinbefinden
gut. Den 29, Mai gelangte die obere Fistel der Aussenseite zum Verschlusse.
Den 3. Juni wurde das Drainagerohr aus der unteren vorübergehend weggenommen
imd kurz darnach ein gefensterter Gypsverband mit eiserner Dorsalschiene an-
256 Dr- ^V. Stark.
gelegt. Wegen weitgehender Unterminirun g der Haut durch Eitersenkungen
(trotz Drainage) musste am 8. August am äussern Fussrande incidirt werden.
Den 9. September entfernte man den Gypsverband und touchirte zur Beförderung
des Benarbungsprozesses die Fisteln mit Ferrum candens. Die so hervorgerufene
Fieberreaction (bei 39,4'') verlor sich allmähhg und die Eitermenge minderte
sich. Obgleich das Gesammtbefinden dem Patienten erlaubte, jetzt täghch einige
Stunden im Rollstuhle zuzubringen, war doch der locale Heiltrieb derart gering,
dass am 8. November eine neue Gauterisation angezeigt schien. Die Wundhöhle
wurde nach derselben mit Carbolcharpie ausgefüllt. Unbedeutende Fieber-
schwankung folgte. Nach Abstossung der Schorfe sprossten aus dem beinahe
4 Ctm. tiefen Substanzverluste, in welchem an einer Stelle unterhalb des Malleol.
extern, unbedeckter Knochen sich präsentirte , gesunde Granulationen (27, XI).
Als auch diese wieder zerfielen (12, XII), touchirte man sie energisch jeden zweiten
Tag mit Lapis und beseitigte (21, XIF) ein paar kleine, nekrotische Knochen-
stückchen, Daran schlössen sich Jodbepinselungen (Ende December und Anfangs
Januar). Zu derselben Zeit litt der Kranke an einer leichten Conjunctivitis, die
bald curirt wurde, aber im Mai 1874 recidivirte.
Aufenthalt in frischer Luft hob sichtlich den Kräftezustand. Fussbäder
mit Kalilauge und methodisch durchgeführte Aetzungen sollten im Vereine damit
den localen Befund bessern. Trotzdem half dies vorderhand nicht wesentheh.
Es öffnete sich sogar Mitte Januar 1874 ein neuer Abscess; dessgleichen einer
den 15. Februar am inneren Fussrande, correspondirend dem Sprunggelenke. Erst
Mitte März, nachdem schon im Februar ein frischer Eingriff mit Ferrum candens
stattgefunden, vernarbte die Oeffnung an der Ferse fast gänzlich und überkleideten
sich die beiden seitlichen mit kräftigen Granulationen. Der Reconvalescent,
welcher seit 5. März bereits dann und wann aufstand, versuchte erfolgreich mit
dem operirten Fusse Schritte zu machen, trug aber durch einen Fall hierbei eine
nicht unerhebhche Kopfverletzung davon. Die erste Hälfte des Aprils brachte
er zu Hause zu. Nach seiner Rückkehr fuhr man fort, die Granulationen durch
Höllensteintouchirungen und AppHcation des Cauterium actuale (29. Mai und
25. .Juni) zu stärken. Leider verursachte eine neue, schwere Gomplication, deren
Auftreten Patient verheimlicht hatte, einen bedeutenden Rückschlag auf die bisher
gewonnenen Resultate. Schon seit längerer Zeit wurden leichte Erhebungen der
Temperaturcurve wahrgenommen, deren plötzliches Emporschnellen bis zu 40,2°
in den letzten Tagen des Juli und Anfangs August eine genaue Untersuchung
des Patienten am 4. August veranlasste. Dabei stellte sich heraus, dass sich am
rechten Vorderarm ein Eiterheerd gebildet hatte, der bereits durchgebrochen und
an dessen Stelle, 2 Zoll unterhalb der Spitze des Olecranon eine thalergrosse,
granuhrende leichtblutende Wundfläche getreten war, durch welche die Sonde
in einen langen Fistelgang und auf entblössten, rauhen Knochen gelangte. Oedem
umgab das Gelenk, das freie Bewegungen gestattete. Die Extremität erhielt einen
Gypsverband. Das Morgens ausgiebig remittirende Fieber blieb bis zum 20. August
hoch. Die Beschaffenheit des spärlich ausfliessenden Secretes sprach für Synovia,
obgleich das Gelenk selbst der Sonde keinen Zugang gestattete. Am 2. September
resecirte man , bewogen durch die in Folge der Eiterverluste und Temperatur-
steigerungen eingetretene Enlkräftung des Kranken, das Gelenk mit Esmarch'-
scher Einwickelung und Langenbeck'scher Schnittführung. Eiter und Granu-
lationswucherungen füllten dessen Raum und die Umgebung aus. Das cariöse
Olecranon wurde abgelöst und herauspräparirt, von dem weniger afficirten Humerus
Beiträge zu der Statistik und den Endresultaten der Gelenkresectionen. 257
und dem Radius nur kleinere Parthien abgetragen, die zottigen Granulationen der
zurückgebliebenen Höhle weggeschnitten. Letztere mit Wattetampons vollgestopft
und nach Lister'scher Vorschrift verbunden.
Das seit der Operation niedrige Fieber erlosch bald vollständig, flackerte
aber von Zeit zu Zeit wieder auf. Subjectiv herrschte ein längst nicht mehr
empfundenes Wohlgefühl. Ungeachtet der profusen Eiterung gypste man am 8.
das Glied ein und schickte den Kranken in die frische Luft. Schlaffheit der
Granulationen behandelte man hier ebenso wie am Fusse , der ihm ganz gute
Dienste leistete, mit Lapis und Ferrum candens (letzteres 5. Nov.). Die Ver-
bindung zwischen Ober- und Vorderarm war bis Anfangs November noch sehr
locker, die Knochenenden lagen frei zu Tage. Unter Beeinträchtigung des Ge-
sammtbefindens und Fiebererscheinungen entstand Mitte November ein Abscess an
der inneren Ellenbogengegend, der sich spontan öffnete. Ein eingeführtes Streif-
ehtn Protectiv beförderte den Abfluss des Secretes, Nichts desto weniger stagnirte
dasselbe am 28. Nov., verursachte dadurch Recrudescenz der Entzündung und
nöthigte desswegen zur gründlichen Entleerung nebst Drainage. Im Januar 1875
wurden die schlaffen Granulationen mit dem Löffel ausgekratzt, einige Hautbrücken
mit der Scheere durchtrennt, zum Schlüsse cauterisirt. Eine Morphiumeinspritzung
linderte die heftigen Schmerzen. Daraufhin erschienen gute Granulationen und
verkleinerten die Wunde. Die des Fusses hatte sich endlich den 28. Februar
bis auf 2 schmale Löcher geschlossen. Festigkeit des neugebildeten Gewebes
verhinderte daselbst das noch vor Kurzem (31. Dez.) mögliche tiefere Eindringen
der Sonde. Bei einer galvanokaustischen Behandlung aber war Knochen fühlbar.
Am Ellenbogen spaltete man den 8. April einen kleinen Abscess, 2 querfingerbreit
oberhalb der Plica cubiti ; schabte Mitte Juli den ersteren abermals gründlich mit
scharfen Löffeln aus und legte Drainröhren ein. Zu gleicher Zeit fand eine
Gauterisation der Fisteln am Fusse statt. An beiden Extremitäten wurde bei
diesen Eingriffen auf bedeckten , harten Knochen gestossen. Die Wundfläche
trieb darnach an dem oberen Gliede rascher Granulationen als am unteren. Eine
genauere Untersuchung im August ergab : Ellenbogen wunde fast geheilt ; keine
tiefgehenden Fisteln. Arm activ, beinahe normal functionirend ; nur die Rotation
vermindert, obzwar auch der Radius isolirt beweglich. Hand noch schwach. —
Fuss gebrauchsfähig trotz zweier Fisteln, die auf cariösen Knochen der Artic. talo-
navicul. führen. Sprunggelenk frei beweglich. Doch musste Patient auf Verlangen
am 20. September mit noch offenen Fisteln sowohl am Fuss als Ai-m entlassen
werden.
Als er sich im Dezember wieder .vorstellte , berichtete derselbe, dass er
ohne Beschwerden je nach Belieben gehen und den ganzen Tag arbeiten könne.
Er fühlte sich leidlich wohl. Die Fussfisteln eiterten noch etwas.
Als sich der Operirte im Herbste 1876 abermals in der chirurgischen Klinik
aufhielt, constatirte man am 6. October Folgendes : Auf Befragen erzählt Patient,
dass er bis Mitte Juni, von welcher Zeit an er wegen Schmerzen in der linken
Hüfte das Bett hüten musste, das gleiche Leistungsvermögen in den resecirten
Gliedern besessen habe, wie am Schlüsse des vorigen Jahres. Spontane Schmerzen
sollen zu keiner Zeit an denselben vorhanden gewesen sein. Ohne Stock will er
eine Viertelstunde gehen können. Geringer Appetit ist — das Localleiden ab-
gerechnet — gegenwärtig seine einzige Klage. Er sieht anämisch und mager
aus. Ein kalter Abscess neben dem Process. styloid. ulnae rechterseits spricht
für die Fortdauer einer scrophulösen Diathese. — Am Ellenbogen befindet sich
Czerny, Beiträge zur operativen Chirurgie. 17
258 Dr. W. stark.
in der Gegend des Gondyl. extern, ein kleiner Fistelgang, durch den man nicht
auf Knochen kömmt. Ein etwa 7 Gtm. langer und 3 Ctm. breiter Hautdefect
entspricht der Lage nach dem ehemaligen Resectionsschnitte (zwischen Olecranon
und Cond. int.), ist mit lividen, wenig secernirenden Granulationen bedeckt und
gewährt der Sonde Zugang zu der weithin cariösen Ulna. Knochenneubildungen
haben den Cond. extern, und das Olecranon in ausgiebigem Maasse ersetzt. Zwischen
beiden präsentirt sich eine (etwa 3 Gtm. lange) eingezogene, wenig verschieb-
liche Narbe. Der Umfang beträgt :
r. 1.
In der Mitte des Oberarms 15 Gtm. 19 Ctm.
Am Ellenbogen 23 „ 22,5 „
In der Mitte des Vorderarms 13 „ 17 „
Länge vom Proc. corac. bis Cond, extern. . 25 „ 29 „
„ „ Cond, ext, bis Proc, styl, radii . . 20 „ 27 „
„ „ Cond. int, bis Proc, styl, ulnae . 19 „ 26 „
Durclimesser von rechts nach Hnks 5'/4 „ 6^/4 „
„ „ vorn nach hinten 6'/2 „ 6 „
Das Maximum der activen Beugung des in der Ruhelage in einem Winkel
von 126" flectirten Armes geschieht bis 70°
Active Streckung bis 136"
Active Einwärtsrotation bis die Volarfläche direct nach abwärts sieht;
Active Rotation nach aussen nicht ganz bis zur Mittelstellung.
Passive Beugung ist möghch bis 450 (doch mit Schmerz verbunden),
„ Streckung „ „ „ 160"
„ Pronation „ „ bis Daumen gerade nach unten steht.
„ Supination „ „ bis Mittelstellung (aber empfindlich).
Er hebt bei hängendem Arme 20 Pfund bis zum Knie; 3 Pfund bringt
er bis über die Horizontale, 1 Pfund bei Fixation des herabgesenkten Oberarms
bis zu einem massig stumpfen Winkel. Der Händedruck ist auf beiden Seiten
ziemlich gleich. Die rechte Hand kann nicht (weder activ noch passiv) gestreckt
werden.
Am Fusse sieht man über dem Malleol. intern, eine etwa zweipfennigstück-
grosse, granulirende Stelle, durch welche die Sonde in der Richtung des Cho-
part'schen Gelenkes etwa 1^2 Zoll in die Tiefe und in cariösen Knochen ein-
dringt. Die Fersengegend ist eingezogen und mit Narben bedeckt.
r. 1.
Umfang des Fussgelenkes von der Beuge nach der Ferse 28 Gtm. 28'/2Ctm.
Frontaler Durchmesser , . . . , 7'/4 „ 7^4 „
Sagittaler „ 31/2 „ 10 „
Länge des Fusses vom Fersenrande bis zur Spitze d. Hallux. 21 „ 23V2 „
Bewegung und Streckung, sowie Rotation sind am rechten Fusse in be-
schränktem Maasse möglich. Beim Gehen ohne Stock, das mit kaum merklichem
Hinken geschieht, hält Patient den resecirten Fuss steif in rechtwinkeliger
Stellung.
Fall 13.
Waldburga Martin, 44 Jahre alt, verheirathet, aus Kirchhöfen, will
im Anfange des Jahres 1875 in einer Nacht plötzlich von ziehenden und hob-
Beiträge zu der Statistik und den Endresultaten der Gelenkresectionen. 259
renden Schmerzen im linken Arme aufgeweckt worden sein. Daran reihten
sich des andern Morgens Schwellung und Bewegungsunfähigkeit. Diese Symptome
nahmen mit der Zeit mehr und mehr zu , wesswegen Patientin am 23. Januar
1876 in die chirurgische Klinik eintrat. Sie sah für ihr Alter marantisch aus
und hatte einen Kropf von Kopfgrösse. Die etwas gebeugte linke obere Ex-
tremität konnte activ nicht, passiv nur unter sehr starken Schmerzen bewegt
werden. Zugleich waren seitliche Excursionen in hohem Grade möglich, wobei
deutlich Crepitation hervortrat. Der indirecte Druck schmerzte intensiv. Die
Haut über dem Ellenbogen zeigte sich an mehreren Stellen geröthet, heiss und
gespannt. Die weiche Geschwulst um denselben mass 23 Ctm. der Länge, 31 Ctm.
dem grössten Umfange nach und fluctuirte hin und wieder. Alsbald fand die
Resection mittelst des v. Lang en be ck'schen Schnittes und unter Lister's
Spray statt. Eiter füllte das Gelenk aus, Granulationen hatten seine Knorpel
zerstört , Caries die Epiphysen ergriffen. Drei periarticuläre Abscesse communi-
cirten mit dem Synovialsacke. Man drainirte sie. Das Humerusstück war 2'/2 Ctm.
lang, sein querer Sägeflächedurchmesser 4^/4 Ctm. An der Eminentia capitata
liaftete der Knorpel nur noch an einzelnen Stellen fest, an der mittleren Region
derselben fehlte er völlig und liess cariösen Knochen zu Tage treten. Der Knorpel
der Rotula wies an dem oberen Theile der Vorderfläche zwei , durch eine
Einkerbung verbundene, kleine Vertiefungen auf. Die Hinterseite des Cond. int.
und die Fossa supratrochl. post. waren zernagt. Die Grösse des abgesägten
Olecranon nebst Proc. coron. betrug 3 Ctm. Die Spitze des erstem und letzterer
zeigten sich durch den destruirenden Prozess beschädigt. Der Knorpel erschien
von der Innenseite der Cavit. sigm. maj. abgeschält. Der Radiusantheil belief
sich auf V2 Ctm. An einer Stelle w^ar der Knorpel verfärbt, an einer defect.
Das excidirte Gelenk als solches hatte 3V2 Ctm. Länge.
Bios am Abende nach der Operation bestand Fieber (39"). Die Operirte
fühlte sich sehr wohl. Schon am zweiten Tage blieb der spärlichen Eiterung
Avegen die Drainage weg. Den 10. Februar stand Patientin auf, nachdem sie
zur Fixirung des resecirten Ghedes eine Gypsschiene erhalten hatte. Die Be-
narbung , welche bis zum 12. März rasch voranschritt und deren Zustand am
22. ausgiebige passive Bewegungen ohne Schmerz gestattete, wurde noch am 28.
durch einen Abscess an der Streck- und Radialseite des Vorderarms, welcher
zur Incision nöthigte, gestört. Diese Schnittwunde secernirte bis Mitte April, als
die übrigen bereits, eine kleine Fistel an der Innenfläche ausgenommen, ge-
schlossen waren. Letztere sonderte noch am 18. April gelblichen Eiter ab. Nach
Entfernung einiger cariöser Knochenpartikelchen aus den beiden ebenerwähnten
Fisteln (22. April) schickte sich der Prozess zur vollständigen Heilung an. Dess-
halb wurde die Reconvalescentin den 14. Mai mit einer dorsalen Gypsschiene
entlassen. Bei einer ambulatorischen Untersuchung den 8. Juli fanden sich alle
Fisteln verheilt. Es bestand etwas Schlottergelenk mit massiger, passiver, seit-
licher Verschiebbarkeit (keine Hyperextension über die Gerade möglich). Ein
solcher Befund liess einen Gypsverband vortheilhaft erscheinen.
Revision vom 10. November 1876:
Seit der Eröffnung eines Abscesses an der Ellenbeuge, welche vor 3 Wochen
vorgenommen worden sein soll, hat Patientin blos wenig Schmerzen mehr. Sie
benützt den Arm zum Ankleiden, Waschen etc., doch macht sich dessen Kraft-
losigkeit sehr bemei'klich. — Die Wunden und Fisteln sind alle nur theilweise
vernarbt, in ihrer Mitte noch mit Krusten überdeckt, sondern aber angeblich
260 Dr. W. Stark.
spärlich und meist serös ah. Der Coiid. extern, erscheint regenerirt, an Stelle
der übrigen resecirten Parthien des Cubitalgelenks ist eine elastische Zwischen-
substanz getreten, die der neugebildeten Articulation die Merkmale einer activ
beweglichen Schlotterverbindung verleiht.
1. r.
Länge vom Acrom, — coiid. ext 27 Ctm. 28^2 Ctm.
„ „ C4ond. ext. — proc. styl, rad, . . 19 „24 „
„ „ Acrom. — proc. styl. rad. ... 46 „ 521/2 „ Diff. 6V2 Ctm.
„ „ Proc. corac. — cond. int. . . . 25^2 „ 27 „
„ „ Cond. int. — proc. styl. uln. . . 20 „ 25 „
,, „ Proc. corac. — pr. styl. uln. . . 45 72 „ 52 „ Diffi 6^2 Ctm.
Umfang der Oberarmmitte 20 „ 18 „
., des Ellenbogens 23 20
Durchmesser d. „ zwisch. Beuge u. Olecr. 5^2 „ h'^h ,,
), ), „ „ Cond. int. u. ext. 572,, 5^2 „
Umfang des Vorderarms I872 „ 19^2 „
„ „ Handgelenks I372 „ 14 „
Functionsprüfung :
Die Excursionsfähigkeit des Schultergelenkes hat Noth gelitten, indem der
Arm activ in demselben nicht ganz bis zur Horizontalen elevirt werden kann ;
auch im Handgelenk der betreffenden Seite zeigen sich ^sowohl Extension als
Flexion beschränkt.
Die activen Bewegungen im resecirten Gelenke sind alle (Beugung, Stre-
ckung und Drehungen) bis zur normalen Grenze raöghch, doch wird beim Flec-
tiren der Vorderarm mehr weniger ruckweise dem Oberarme genähert und
schwankt, wenn erhoben, unsicher hin und her.
Die Frau reicht mit der Hand des operirten Gliedes u. A. nach oben und
hinten bis zum Occiput, nach unten und hinten bis zur Fiückenfläche des Thorax.
Fixirt man den Humerus und sucht nun die beiden Resectionsstümpfe in
seitlicher Richtung an einander zu verschieben, so gelingt dies in erheblichem
Grade; ferner vermag man die Längsaxe zwischen Vorderarm und Humerus bis
zu einem nach aussen klaffenden Winkel von 146° zu knicken; forcirte Ad-
ductionsbewegungen des Vorderarms bei Festhalten des Humerus bringen nur
geringe, nach innen offene Winkelstellung zu Stande. Ueberstreckung ist passiv
bis zu einem (bei herabhängender Extremität) nach hinten offenen Winkel von
174° zu bewirken. Weiterhin ergibt sich bei gewaltsamen Rotationsmanövern
am Antibrachium , Avährend der Oberarm immobilisirt wird, eine Verdrehungs-
möglichkeit des ersteren nach aussen (supinatio), bis die Volarfläche der Hand
nach oben schaut, nach innen (pronatio) bis zur Auswärts wendung jener. Dabei
wendet sich die elastische Zwischensubstanz des res. Gelenks nach Art eines
Schraubenganges.
Der Händedruck erweist sich linkerseits merklich schwächer als rechts.
Mit dem herabgesenkten kranken Arm hebt die Operirle 15 Pfund vom
Boden auf. Die anderweitigen Versuche, ein Gewicht, sei es bei gestrecktem
oder im Ellenbogen gebeugtem Ghede nach vorn und oben zu verbringen, schlugen
sämmtlich fehl.
Beiträge zu der Statistik und den Endresultaten der Geleukresectionen. 261
Fall 14.
E m i 1 i e Moser von Auggen, 14 Jahre alt, bekam in ihrem achten Lebens-
jahre eine Anschwellung des rechten Ellenbogens. Die Erscheinungen schwanden
nach 6 Monaten, während welcher Zeit sie den kranken Arm in einem Gyps-
verbande trug. Steifigkeit des Gelenkes blieb zurück. Recrudescenzen der Ent-
zündung gingen mit massenhafter Bildung von Eiter einher, dem bald spontan
bald künstlich ein Ausweg verschafft wurde. So entstanden mehrere Fisteln,
welche hauptsächlich seit Weihnachten 1875 viel Secret entleerten und Schnierzen
verursachten. Die Intensität letzterer Symptome trieb Patientin am 26. April 1876
in's Spital. Ihre Ernährung hatte — die anämische Gesichtsfarbe abgerechnet —
dem Aussehen nach nicht Noth gelitten. Die rechtsseitigen Supraclavicular- und
Achseldrüsen waren vergrössert. Der Arm zeigte sich nahezu rechtwinkelig
anchylosirt, das Ellenbogengelenk bedeutend aufgetrieben mit besonders präg-
nanten Schwellungen an der Dorsalfläche und dem Olecranon, von denen erstere
bei Druck sehr schmerzte und undeutlich fluctuirte. Zwei von livider, unter-
minirter Haut eingerahmte Fisteln mündeten in der Mitte der Streckseite und
am Ulnarrande des Gelenkes. Ueber der Beugefläche des Ellenbogens präsentirte
sich eine dritte , kleinere mit callöser Umgebung , während das Gentrum jener
eine eingezogene Narbe aufwies. Passiv Hess sich der Arm ohne Schmerz etwas
(ausgiebiger in der Narkose) strecken , beugen und supiniren. Indirecter Druck
war sehr empfindlich.
r. 1.
Umfang des Oberarms in der Mitte ... 16 Gtm. 18,5 Ctm.
Umfang der plica cubiti 23 ,, '20 „
Umfang des Vorderarms in der Mitte . . 12,5 ,, 14 ,,
Da nach der in der Narkose am 29. April vorgenommenen Spaltung und
Sondirung der Fistelgänge das Gelenk selbst Erkrankung zeigte, schritt man
sofort zur Resection mit Hüter'scher Schnittführung und Anwendung der Es-
march'schen Blutleere. Auf Loslösung des Periosts folgte die Abtragung des
Oberarmknochens (472 Ctm.), des Radius (2 Ctm.) und der Ulna (4V2 Ctm. bestehend
aus Olecranon, proc. coron. und Diaphysenende). Die Länge der entfernten Arti-
culation (als Ganzes) betrug 6 Ctm. , der frontale Sägeflächendurchmesser des
Humerus 2 Ctm. Am Gond. extern, bemerkte man circumscripte Rareficirung
des Knochengewebes. Die Eminentia capitata besass noch ihre Knorpeldecke,
doch schimmerte es an einer Stelle aus der Tiefe dunkelbläulich empor. Die
innere Portion derselben trug an verschiedenen Stellen statt des Knorpels
cariösen Knochen zur Schau. Zwischen ihr, und dem Cond. int. hatte sich eine
Incisur gebildet, in die fungöses Gewebe eingebettet war, Knochenfrass excavirte
die äussere ebenso wie die innere untere Parthie der Cavit. sigmoid. major, von
welch' letzterer der Knorpelüberzug losgetrennt war. An Stelle der Cavitas sigm.
minor breitete sich ein ebenfalls von Wucherungen ausgefüllter Substanz Verlust
aus. Die Umrandung hatte allenthalben durch den gleichen Prozess Noth ge-
litten. An der Rückenfläche fand man in der Mitte eine querverlaufende , der
Sutura squamosa ähnliche Spalte. Die spongiöse Substanz der Schnittebene
wurde in dem hintern Abschnitte bräunlich und weich. Das Radiusstück, welches
wie das der Ulna aus zwei Theilen bestand, während das des Humerus sich
aus drei zusammensetzte, zeigte an dem äusseren Gelenktheile den Knorpel eine
262 Dr. W. Stark.
Strecke weit abgehoben. Die Marksubstanz der untersten Sägefläche war breiig.
Die ganze Wunde, hauptsächlich aber ein theils mit schwammigen Wucherungen
»efüUter Abscess der Yolarfläche, wird mit scharfen Löffeln ausgekratzt, alsdann
mit 2°/o Carbollösung gereinigt. Einige Ligaturen, Vernähung der Wundwinkel,
Drainac^eeinlegung und Lister'scher Verband vollendeten den chirurgischen Ein-
<'Yiff. Die Temperaturcurve reagirte darauf unbedeutend und schwankte stets
mit grossen Intermissionen um die Norm herum , in die sie Ende Mai endgültig
überging. Desshalb gestaltete sich das subjective Befinden sehr günstig. Die
Wunde blutete in den ersten Tagen ausserordentlich leicht, ohne dass dies Jedoch
gefährlichere Er?cheinungen veranlasste. Die Granulationen sahen hyperämisch
aus, sonderten nichts desto weniger regelrecht ab. Die Drainageröhren konnten
darum bald beseitigt, mussten aber wieder eingelegt werden, als am 23. Mai
unter Schwellung Eiterverhaltung im obern Wundtheile eintrat. Ein Versuch,
der trotzdem fortbestehenden Auftreibung durch Incision (am 29. Juni) entgegen.
zu arbeiten, förderte keinen Eiter zu Tage. Nur consequente Lapisätzungen und
Salicyl- später Höllensteinsalben trugen langsam , doch stetig zur Heilung bei,
ob<Tleich die Granulationen der noch nicht vernarbten Wundparthien bis Ende
August keinen erfreulichen Anblick (10. August blass, schmutzig) gewährten.
Dessenungeachtet versuchte man schon am 19. Juli passive Bewegungen, wobei
Beugung und Streckung, weniger die Rotation ziemhch ausgiebig war. Dieselben
wurden in der Folgezeit öfters wiederholt, die angegebene Ordination zum Zwecke
der Bessergestaltung der Granulationen fortgesetzt. So verkleinerten sich die
restirenden Fisteln und erlaubten bei einem Sondirungsversuche am 18. November
kein Eindringen in die Tiefe mehr. Einige Zeit zuvor, am 21. October, hatte
eine eingehendere Untersuchung folgende Ergebnisse geliefert:
Patientin v?ill besonders Nachts noch Schmerzen im rechten Ellenbogen
haben. Daselbst befinden sich über dem Cond. extern, eine S'/a Gtm, lange
geröthete Narbe, eine kleinere am Cond. int. An beiden sind mit Krusten be-
deckte Fisteln, die nur wenig mehr absondern. Die Knochenneubildung ist bis
jetzt schwach, doch die Verbindung eine feste. Der Sägestumpf über dem Cond.
ext. drängt gegen die Hautdecke.
r. 1.
Umfang des Überarms in der Mitte . . . 17 ','2 Ctm, 19 Ctm.
„ ,, Ellenbogens 22
Querer Durchmesser des Ellenbogens
Durchmesser zwischen Beuge und Olecranon 6
Umfang der Vorderarmmitte .....
„ des Handgelenks 12
Rechte Hand kleiner als linke;
Länge vom Acrom. — Cond. extern. . . .
Proc. corac. — Cond. extern. .
Cond, extern. — Proc. styl. rad.
Proc. corac. — Cond. intern. .
Cond. int. — Proc. styl. uln. .
Acromion — Proc. styl. rad. .
Proc. corac. — Proc. styl. uln.
Functionsprüfung :
Der Arm, welcher zur Zeit noch in einer Mitella bei etwa rechtwinkliger
Flexion und Mittelstellung des Vorderarms ruht, kann activ bis zu einem Winkel
22
„ 20
5^2
6
„ 51/4
14
„ 16
12
„ 13
22
„ 24
23
„ 23
15
„ 19
23
„ 25
17
„ 19
37
„ 43
Diff. 6 Ctm.
40
„ 44
Diff. 4 Ctm.
Beiträge zu der Statistik und den Endresultaten der Gelenkresectionen, 263
von 68", passiv bis 57° gebeugt werden. Extremere Versuche verursachen
Schmerz. Active Streckung bis 134°, passive bis 139° möglich (dann Schmerz).
Pronation activ, bis Daumen gerade nach abwärts sieht, Supination etwas
über Mittelstellung, stärkere passive empfindlich.
Die rechte Hand ist frei beweglich, aber das Kind vermag nicht, die
Finger völlig einzuschlagen. Der Druck der linken Hand überbietet den der
rechten an Kraft.
Das Mädchen hebt 10 Pfund bei hängendem Arme vom Boden auf. Die
active Elevation des Armes aus der eben erwähnten Stellung bei möglichster
Streckung geschieht nicht ganz bis zur Horizontalen, doch etwa eben so weit bei
1 Pfund Belastung. Letztere bringt es auch bei Fixation des herabgesenkten
Oberarms durch Beugung im Ellenbogen bis etwa zum rechten Winkel, ohne
Fixirung bis über den Kopf,
Wegen periostaler Reizerscheinungen Ende November erschien Immobilisirung
der betreffenden Extremität in einem Wasserglasverbande rathsam, welcher den
5. December bei rechtwinkelig gebeugtem Arme nebst Mittelstellung des Vorderarms
angelegt und Schmerzen halber nachträglich (10. Decbr.) gefenstert wurde. Nach
dessen Erneuerung trat Patientin am 13. Januar 1877 aus. Die Fisteln waren noch
nicht geschlossen, secernirten aber spärhch. Der Ernährungszustand befriedigte.
Fall 15.
Durch ein Versehen wurde folgender Fall , welcher in der Privatpraxis
vorkam, in der Arbeit nicht berücksichtigt.
Fräulein L. N. , 17 Jahre alt, stammt von gesunden Eltern. Eine ältere
Schwester starb vor einigen Jahren an Phthisis. Seit dem Herbste 1871 fing am
linken Ellenbogen eine Schwellung an, welche zur Eiterung des Gelenkes führte.
Obzwar das Mädchen blühend aussah, litt sie doch seit 1872 ausserdem an einer
Entzündung am rechten Schienbein, welche nach der Eröffnung eines Abscesses
im Laufe von 2 Jahren ausheilte.
Am Tage der Operation (6. V, 74) waren 5 Fisteln vorhanden, welche auf
cariösen Knochen führten und viel Eiter entleerten. Der Arm war in 150° ge-
beugt, nur wenig und mit Schmerzen passiv beweglich. Der Umfang des Gelenkes
betrug 33 Gtm. gegen 24 Gtm. der rechten Seite. Bei der Resection, die nach
V. Langenbeck ausgeführt wurde, wurden etwa 5 Gtm. der cariös erweichten
Gelenkenden entfernt. Der Verlauf war ganz ohne Fieber. In der 3. Woche stand
die Patientin auf. Obzwar der Arm bald zum Stricken und Nähen verwendet
werden konnte, so wollten doch die Fisteln trotz vieler Mühe nicht zuheilen,
noch zweimal wurden Ausschabungen und häufig Aetzungen vorgenommen.
Am 11. November 1876 wurde folgender Befund iiotirt:
Aus 2 oder 3 Fisteln entleerte sich noch ziemlich viel Eiter, Durch eine
derselben gelangt die Sonde noch auf cariösen Knochen. Der Umfang beträgt :
r. 1.
Mitte des Oberarms 27 Gtm. 26 Gtm.
„ ,, Vorderarms 21 „ 19 „
Am Ellenbogen 26^2 „ 33 „
Länge vom Acrom. bis Gond. ext 33 „ 31 „
„ „ „ „ Proc, styl, ulnae . . , 57 „ 54 ,,
Durchmesser vom Gond, int, und ext. . . . 6^/2 „ 9^2 ;;
264 Dl'- ^^'- stark.
Die ative und passive Beugung war von 80 bis 140° leicht und ohne
Schmerzen möglich, Pro- und Supination normal. Bei gestrecktem Arm trägt
sie etwa 15 Pfund. Beugung des Ellenbogengelenkes ist blos noch bei 5 Pfund
Belastung in geringem Grade möglich.
Obzwar somit das functionelle Resultat nicht schlecht genannt werden
konnte, wünschte doch die Kranke definitive Heilung der Fisteln. Es wurde
desshalb, nachdem alle möglichen äusseren und inneren Mittel vergeblich ange-
wendet worden waren, im März 1877 eine neue Resection des noch erkrankten
Knochens versucht. Die Reaetion nach diesem Eingriffe war gering.
Nach brieflichem Berichte (14. I. 1878) sollen vier Fisteln noch ganz un-
bedeutend nässen. Die Beweglichkeit sei bedeutend besser. 20 Pfund werden
gehoben.
Nr. 7 und 8 wurden wiederholt in verschiedenen Zwischen-
räumen untersucht und konnten mithin bei ihnen über den Fortgang
der Wachsthums- und Functionsverhältnisse genauere Daten auf-
genommen werden. (Vgl. die Tabellen auf S. 265 und 266.)
Der Ersatz betrug somit bei Nübling vom November 1873 bis
Juli 1875, also innerhalb beinahe 1^/4 Jahren, am resecirten Oberarm
4,2 Gtm., am Vorderarme 3,2 Ctm. Nach Ablauf dieser Frist bestand
zwischen der Länge der beiden Oberarme keine Differenz mehr, die
der Vorderarme zählte noch 1,3 Gtm. 1^2 Jahre später war auch letz-
tere ausgeglichen und das Wachsthum, resp. die Regeneration auf
beiden Seiten am Oberarme um 2,3 Ctm., am Vorderarme rechts
ebenfalls mn 2,3 Ctm., links um 1 Ctm. fortgeschritten. Der bei der
vorletzten Untersuchung vorhandene Mehrumfang (1 Ctm.) des rechten
Gelenkes fand sich bei der letzten nicht wieder. Das active Beu-
gungsvermögen besserte sich vom 7, XL 73 bis Juli 1875 um 44^,
ging aber bis 3, XL 76 wiederum 16° zurück; ähnlich verhielt sich
das passive. Die Streckung wurde bei jeder der 3 Untersuchungen
vermindert gefunden, der Rückschritt machte schliesslich 24° aus.
Die Rotationsbewegungen erwiesen sich, mit Ausnahme der Supination
bei der letztmaligen Untersuchung, jeweils beschränkt. Ueber weitere
Vergleichungspunkte existiren keine früheren Aufzeichnungen.
Diese Tabelle (Nr. 8) lehrt zunächst, dass im Verlaufe von 1 Vs
Jähren die Regeneration am resecirten Arme keine Fortschritte machte
(das Minus von 1 Gtm. stammt daher, weil als Ausgangspunkt der
Messung ein Mal das Acromion, das andere Mal der processus cora-
Beiträge zu der Statistik und den Endresultaten der Gelenkresectionen. 265
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Beiträge zu der Statistik und den Endresultaten der Gelenkresectionen. 267
coideus gewählt wurde), während sein Paarung um 1,5 an Länge
zunahm, folglich die beim vorletzten Untersuchungstermine bestehende
Differenz um ebensoviel wuchs.
Der Umfang des Oberarms, welcher am 14. VI. 75 rechterseits
21,5, linkerseits 24,5 zählte, blieb sich auf ersterer Seite ebenfalls
gleich, wurde links um ^,2 Ctm. grösser, wodurch die Differenz auf
3^2 Ctm. stieg. Die Vorderarmcircumferenz verbreiterte sich beider-
seits um 2 Ctm. mit einer constanten Differenz vcn 4 Ctm. Umfang
und Durchmesser des Ellenbogengelenks verminderten sich rechts,
wenn nicht auch hier Messungsfehler das Untersuclumgsresultat trüben.
Die Verringerung belief sich für den Umfang auf 1 V2, für den Durch-
messer auf 1 Ctm. Das active Beugungsvermögen sank beträchtlich,
die Streckungsmöglichkeit um 15°. Die active Pronation stieg in diesem
Zeitzwischenraum von der Hälfte der Leistungsfähigkeit bis zur Norm,
die selbstständige Supination dagegen blieb auf dem halben Wege
stehen und konnte nur passiv gänzlich vollzogen werden. Das Heb-
vermögen wuchs; die ehemals schlotterige Verbindung wurde fest.
Betrachtet man das Resultat beider Fälle nebeneinander, so
fällt sofort der Unterschied in der Grössenausgleichung auf, welch'
letztere beim zweiten Beispiele innerhalb 1^3 Jahren gänzlich stille
stand, während sie in demselben Zeitintervalle (v. 7. XL 73— VII, 74)
bei Nr. 7 so bedeutend war. Die vielfältigen Abscedirungen bei
Nr. 8 tragen, wie bereits angedeutet, wohl die Hauptschuld an
diesem Zurückbleiben. Uebermässige Auftreibungen des resec. Ge-
lenkes verschwanden in beiden Fällen. Beugung und Streckung
fanden sich bei Beiden, im Gegensatz zu den Wahrnehmungen
Billroth's, im Laufe der Zeit beschränkt. Im ersten Falle erreichte
schliesslich die Supination, im zweiten die Pronation die Norm.
Eine tabellarische Zusammenstellung der 9 mit dem Leben
davongekommenen Patienten, chronologisch nach der Zeit ihres Ein-
trittes in's Spital geordnet und vorwiegend auf Grund der neuesten
Untersuchung rubricirt, gestaltet sich folgen derma ssen :
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Heilung End-
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Heilung End-
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21, X, 76
10, XI, 76
6, X, 76
12, XI, 76
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20, XII, 76
21,X,76
3, XI, 76 ■
VII, 75 1
Zeit der letzten
Untersuchung
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Differenz in der
Länge des Ober-
arms
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Differenz in der
Länge d.Vorder-
arms
6 Cm.
6^2 Cm.
11 Cm.
3 Cm.
8 Cm.
1V2 Cm.
6 Cm.
1
2 Cm.
Differenz in der
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Beiträge zu der Statistik und den Endresultaten der Gelenkresectionen. 269
Ausgehend von den jüngsten Notizen über die L an gen-
unter sc liiede beider Arme lässt sich für die 5 geheilten Fälle
folgende Scala aufstellen, bei der die Länge des Zeitintervalles
zwischen Resection und letzter Untersuchung als natürliches Ein-
theilungsprinzip fungirt:
Intervall. Betrag der Regeneration. Länge des Resectionsstücks. Fall.
31/2 J- 2V4 2V4 •'7
ri2 J. 2V<t 8V4 8
2V2 J. 2 4 6
13/4 J. VI2 3 9
10 M. i 4 11
Dass hier die Grösse der resecirten Parthie einflusslos war
auf die des Wiederersatzes, zeigt besonders Fall 8, der dem Mass-
stabe der Zeit entsprechend an zweiter Stelle sich einreiht, wenn-
gleich 8V4 Ctm. vom Gelenke entfernt wurden und wiederholte Ab-
scedirungen den Regenerationsprozess im späteren Verlaufe beein-
trächtigten.
Ob neben der Wucherung seitens des erhaltenen Periostes
auch das Epiphysenwachsthum in Anschlag zu bringen ist, dürfte,
eben weil die Differenz nach der Zeitdauer sich abstuft, wahr-
scheinlich sein.
Ein direct entgegengesetztes Verhalten präsentirt die Reihen-
folge der noch nicht geheilten Fälle, d. h. je länger die Frist zwischen
Resection und letztmaligem Refunde, desto dürftiger die Regeneration,
ja es wird sogar ein viel bedeutenderes Deficit constatirt, als durch
die Entfernung der excidirten Stücke bedingt war.
Den Beleg dafür bildet folgende Tabelle:
Intervall. Differenz der Armlänge. Länge des Resectionsstücks Fall.
1/2 J- 6 Ctm. 6 14
10 M. 6V2 Ctm. 3^2 13
IV2 J. 8 Ctm. 3 11
2 J. 11 Ctm. — 12
Fall 10 kann eigentlich wegen der kurzen Pause, welche seit
der Operation erst verfloss, nicht in Betracht kommen. Aber die
übrigen Fälle beweisen hinreichend, wie misslich es bei langwieriger
270 Dl'- ^^- stark.
Eiterung nach der Resection mit dem Knochenersatze von Seiten
des Periostes steht, selbst Avenn der cariöse Prozess nicht fortdauert
(nur im Falle 3 gelangte man auf rauhen Knochen), Es ist dies
eine thatsächliche Beglaubigung für den von Billroth ^***) ausge-
sprochenen Erfahrungssatz: »Die periostale Neubildung kann selbst,
wenn sie üppig war, durch profuse Eiterung wieder vollständig ver-
gehen.« Doch »warum bereits neugebildete Knochenmassen bei
wiederholter Fistelbildung und accidentellen Entzündungen während
des Heilungsprozesses häufig wieder resorbirt werden, kann man
sich nicht ausreichend erklären«, — sagt Bidder^^^), »zumal unter
ähnlichen Verhältnissen wiederholte Reize gerade nur anregend
wirken und stärkere reactive Knochenwucherung erzeugen.«
Zieht man eine Parallele zwischen der Länge der Resections-
stücke von humerus und ulna einerseits und des betreffenden Ober-
und Vorderarms jeweiliger Grössendifferenz von seinem Paarling an-
dererseits, so ergibt sich daraus mit einiger Wahrscheinlichkeit, in
welchem Verhältniss sich humerus oder ulna am Regenerations-
prozesse betheiligten. In 3 Fällen (7, 8 und 6) steuerten beide
Knochen etwa gleichviel hierzu bei, in einem (14) ging der Ersatz
überwiegend vom humerus, in 2 (9 und 11) fast ausschliesslich von
der ulna aus ; bei Nr. 13 hatte nur der humerus , bei Nr. 10 blos
die ulna etwas dazu beigetragen. (Fall 12 ist wegen Fehlens des
Präparates nicht beigezählt.) Der Grund, warum im ersteren der
eben angegebenen Fälle die ulna, im letzteren der humerus ganz
passiv sich verhielt, dürfte gleichfalls der langwierigen Eiterung zur
Last gelegt werden, indem in jenem gerade am oberen Ende des
Vorder-, in diesem am unteren Ende des Oberarms noch Fistel bildungen
restiren. In den übrigen Fällen bleibt die Ursache der vorliegen-
den Gestaltung der Längenverhältnisse unerforschlich , da sich kein
gravirender Unterschied in Operation, Verlauf oder Nachbehandlung etc.
auffinden lässt, der hierauf von Einfluss hätte sein können.
Der Umfang war in den Fällen mit längerer Suppm^ation
"«) S. No. 8.
»9) S. No. 75.
Beiträge zu der Statistik und den Endresultaten der Gelenkresectionen. 271
(10, 13, 14) oder wiederholter Abscedirung (8) am Vorderarme (um
V2 — 4 Gtm.) mehr hinter jenem der gesunden Seite zurückgeblieben
als am Oberarm. Nr. 12 zeigte am Ober- und Vorderarm gleich-
massige Abmagerung (4 Gtm.). In den restirenden Fällen herrschte
die Atrophie des Oberarms vor.
Aus einer Zusammenstellung der Querdurchmesser der
Humerussägefläche des Präparates und derjenigen des resecirten Ge-
lenkes lässt sich nichts von Bedeutung folgern. Der Unterschied
zwischen beiden war in den meisten Fällen gering, ja geringer als
man gemäss der Palpation der restituirten Knochenvorsprünge hätte
erwarten sollen (V — i Gtm. und weniger). Im Falle 14 machte
die Auftreibung der Gelenkgegend das Resultat unklar; im Falle 8,
wo 6 Gtm. resecirt wurden und der Sägeflächequerschnitt nur 2 Gtm.
betrug, ging die Reproduction im Hinblick hierauf merkwürdig gut
von Statten, da der frontale Durchmesser sich auf öV« Gtm. belief,
mithin nur ^12 Gtm. hinter dem des anderen Arms zurückblieb.
Weil bei den in Rede stehenden Patienten die grössere oder
geringere Rotationsmöglichkeit weniger von Wichtigkeit ist, mit Aus-
nahme von Fall 11, der wegen ihrer Unzulänglichkeit seinem Barbier-
geschäfte entsagen musste, so wird bei Beurtheilung der Gebrauchs-
fähigkeit des einzelnen Gliedes auf den Beugungsgrad und die
Excursionsgrösse zwischen Flexion und Extension der Hauptwerth
zu legen sein. Am besten functionirte das active Schlottergelenk
(Nr. 13), indem Patientin im Stande war, alle Bewegungen bis zur
Grenze der Norm selbstständig auszuführen. Dem folgte Fall 11, der,
abgesehen von der geringen Rotation, normales Beugungsvermögen
und Streckungsfähigkeit bis IHö" besass. Fall 6 beugte bis 60", streckte
bis 150", gebot mithin über ein Bewegungsterrain von 90°. Nr. 14
erreichte einen Flexionswinkel von 48°, einen Streckungswinkel von
134°, disponirte darum über 86° Mobilität. Nr. 10 flectirte bis 85°,
streckte dagegen bis 180", folglich standen seinen Excursionen 95°
zu Gebote. Nr. 12 konnte bis 70" flectiren, bis 136" extendiren,
somit über 66° Bewegungsmöglichkeit verfügen. Fall 8 besass einen
Beugungswinkel von 94°, eine Extensionsgrenze bis 165°, hatte dess-
halb ein Mobilitätsgebiet von 71°. Nr. 7 beugte bis 61°, streckte
272 Dr. W. stark.
bis 85°, bewegte folglich den Vorderarm in einer Bahn von 24°
gegen den Oberarm. Nr. 9 flectirte nur bis 130°, streckte bis 180"
und vermochte somit 50° zu Excursionen zu verwenden.
hl keinem Falle also blieb völlige Ankylose zurück.
Die Prüfungen der Leistungsfähigkeit bei Belastung er-
gaben für das Hebvermögen mit Rücksicht auf die jeweilige. Con-
stitution des Individuums, Fall 13 ausgenommen, gute Resultate.
Bei den Elevationsmanövern des mit Gewichten beschwerten und ge-
streckt gehaltenen Arms leistete Fall 7 sehr viel, Fall 11 ganz wenig
und Nr. 13 natürlich gar nichts. Den geringsten Erfolg wiesen Beu-
gungsversuche der belasteten Extremität im Ellenbogengelenke auf,
da in 4 Fällen (7, 9, 11, 13) jede derartige Anstrengung fehlschlug.
In 5 Fällen wurden Proben auf die Grösse der Beweglichkeit
im Schultergelenk des operirten Gliedes angestellt (bei 7, 9, 11, 13,
14) und jedesmal eine gewisse Beeinträchtigung derselben constatirt.
Bei Nr. 6, 7, 9, 11, 13, 14 hatte eine genauere Beobachtung
der Excursionen im betreffenden Handgelenk nur bei Nr. 7 keine
Beschränkung derselben nachweisen können.
Von den 8 letzten Fällen zeigten 5 (8, 9, 11, 13, 14) Schwächung
des Händedrucks der resecirten Seite.
Sowohl hinsichtlich der Mortalität als des functionellen Werthes
liefern die vorliegenden Beispiele in Anbetracht der seitherigen Er-
gebnisse befriedigende Resultate.
III. Resection der Fingergelenke.
Die oben bezeichneten Resectionen haben in der Literatur bis
jetzt wenig Berücksichtigung gefunden, obwohl auch hier für gewisse
Fälle ein statistischer Anhaltspunkt erwünscht wäre.
Dieser Mangel macht sich besonders merklich bei Feststellung
der Indicationen, welche zwar von Hüter in ausgedehntem Mass-
stabe vorgenommen wurde, zu deren Beglaubigung jedoch noch die
Beiträge zu der Statistik und den Endresultaten der Gelenkresectionen. 273
thatsächlichen Belege theilweise fehlen. — Dass bei frischen Gelenk-
verletzungen mit beginnender Phlegmone und drohendem Eiterdurch-
bruch in die Sehnenscheiden die Excision der fraglichen Articulation
angezeigt ist, wird wohl Niemand obigem Autor bestreiten. Ob ledig-
lich die Absicht, den Verlauf einer Gelenkeiterung ohne Gomplication
abzukürzen, die Resection erlaubt, erscheint schon viel fraglicher.
Zu weitgehend dürfte wenigstens hinsichtlich der einfachen Ankylose
die von Hüter vorgeschlagene allgemeine functionelle Anzeige sein,
wenngleich seine Erfahrungen lehren, »dass man bei richtiger Wahl
der Methode der Resection nicht nur eine schnelle Heilung, sondern
auch die Wiederherstellung einer beweglichen Verbindung zwischen
den resecirten Knochenenden und bei sorgfältiger Nachbehandlung
sogar die Retablirung einer fast normalen Beweglichkeit hoffen darf.«
Dasselbe Verhalten, so behauptet er, soll den partiellen Resectionen
zukommen. Zu solch' hohen Ansprüchen passten schlecht die Resul-
tate zweier von Billroth wegen Garies und dreier von Szyma-
nowski vorgenommener Phalangealresectionen, von welch' letzteren
eine ebenfalls wegen Garies, eine wegen Ankylose nach inveterirter
Luxation, eine wegen Pseudarthrose der Gelenkgegend stattfand. Es
wurde nämlich eine derselben der Exarticulation wegen Recidivs un-
terzogen, in den 3 Szymanowski' sehen Beispielen kam Ankylose
und nur in dem zweiten Billroth' sehen leichte Beugung zu Stande.
Freilich konnte hierbei die Art der Krankheit, der Operation und
Nachbehandlung nicht dem Vorbilde entsprochen haben, welches
Hüter bei seinen Indicationsproblemen vorschwebte.
Indessen müssen die vorhin ausgesprochenen Zweifel so lange
aufrecht erhalten werden, bis eine hinreichende Anzahl gut consta-
tirter Erfolge von derartiger Mustergültigkeit, dass sie den Anforde-
rungen Hüter' s genügen, jene verscheucht.
Von den 6 in hiesiger Klinik (1872 — 76) zur Ausführung und
Beobachtung gelangten Fällen sind bis jetzt 4 in ihren Endresultaten
näher bekannt:
Czerliy, Beiträge zur operativen Chirurgie. jg
274 Dr. W. stark.
Fall 16.
Johann Schmitt, 68 Jahre alt , verheiratheter Landwirth aus Ibach
(St. Blasien) , trat wegen Caries phalangis II. digiti indic. in das Spital am
12. Februar 1872 ein, worauf 3 Tage nach seiner Aufnahme die Resection des
Gelenkes zwischen erstem und zweitem Fingergliede vorgenommen wurde. Die
Fieberreaction war massig (höchste Temperatur 39,2) und sank, nachdem am
19. Februar eine Incision in die Vola manus gemacht worden war, bald bis zur
Norm herab. Weitere und genauere Angaben fehlen vollständig, nur die Zeit
des Austritts des Patienten am 14. März notirte man. Brieflicher Mittheilung
vom 6. November 1876 zufolge ist derselbe völhg gesund. Die Gebrauchsfähig-
keit der Hand soll, trotzdem dass beide Phalangealgelenke des Zeigefingers steif
sind, nur wenig beeinträchtigt sein.
Fall 17.
Mathias Kreidt, 15 Jahre alt, lediger Blechnerlehrling aus Zähringen,
hieb sich mit einem Beile in den linken Daumen. Nachdem bei conservativen,
ambulanten Behandlung Vereiterung des Gelenkes zwischen der ersten und zwei-
ten Phalanx eingetreten war, wurde am 30. April 1873 dasselbe resecirt. Der
Heilungsprozess dauerte bis 1. Juni und hatte einen brauchbaren Daumen von
geringer Beweglichkeit zum provisorischen Resultate.
Brieflicher Nachricht vom 24. Januar 1877 gemäss waren an dem im
Interphalangealgelenke resecirten Daumen weder abnorme Sensationen noch
Sensibilitätsstörungen vorhanden. Derselbe hatte normale Gestalt und kam an
Länge und Umfang dem der anderen Seite gleich. Es bestand zwar Beein-
trächtigung der Beweglichkeit des Pollex sin., die aber die Gebrauchsfähigkeit
der linken Hand nicht verminderte.
Fall 18.
Marie Noth, 15 Jahre alt, aus Rothweil litt an Caries und Necrose des
Gapitulum des rechten Zeigefingermetacarpus. Desswegen wurde am 30. Au-
gust 1873 die totale Resection des betreffenden Metacarpophalangealgelenkes vor-
genommen. Nach Monatsfrist musste ein fast die ganze, Gprticalschicht umfassender
Sequester extrahirt werden, so dass sich ihre Entlassung bis 26. October hinaus-
zögerte.
Fall 19.
Wilhelm Beck, 18 Jahre alt, lediger Zimmermann aus Balingen, ge-
rieth mit der linken Hand am 7. August 1874 unter eine Gircularsäge. Dadurch
wurden dem sonst sehr gesunden jungen Manne mehrere Verletzungen beige-
bracht. Die zu einander gehörigen Gelenkenden der beiden Daumenphalangen
waren theilweise abgeschnitten, in der grossen Wunde Knochen und Knorpel-
stückchen zurückgeblieben. Etliche Nähte, nach Entfernung der letztern, be-
zweckten die Erhaltung der beiden, durch eine breite Haut- und theilweise
Fleischbrücke an der Rückseite zusammengehaltenen Daumenglieder. Aber auch
Beiträge zu der Statistik und den Endresultaten der Gelenkresectionen. 275
Zeige- und Mittelfinger hatte die Säge im untern Theile der Phalanx , jedoch
ohne Eröffnung des Gelenkes, der Art resecirt, dass mit der Knochenscheere blos
einige Correctionen vorgenommen werden mussten. Je eine Karlsbader Nadel
diente zur Wundvereinigung, Am Tage darauf entzog sich Patient der weitern
klinischen Beobachtung.
Fall 20.
Josef Lückert, 18 Jahre alt, gebürtig von Güntersthal, ei'lilt Ende
November 1874 durch Fall eine Luxation des linken Daumens dossalwärts im
Metacarpo-Phalangealgelenke. Bis zu seiner Aufnahme in die Klinik Anfangs
Januar 1875 war blos unzweckmässige Behandlung mit Salben eingeleitet wor-
den. Bei seinem Eintritte wurden verschiedene vergebliche Repositionsversuche
mit der Luer'schen Zange gemacht und ebenso erfolglos Schienenverbändchen
angelegt. Desshalb nahm man am 2. Februar die Resection vor. Ein bei
Hyperextensionsstellung geführter volarer Einschnitt in der Längsrichtung des
ersten Metacarpusknochens, legte dessen Köpfchen frei , das mit der Knochen-
zange abgekneipt und hierauf die Kapsel mit dem Messer so lange durch-
schnitten ward, bis die Stellung der Norm entsprach. Dies geschah unter
strenger Beobachtung der Lister'schen Methode, welche man auch bei der ferneren
Wundbehandlung einhielt. Einige Suturen , Einführung eines Sti'eifchens Px'o-
tectiv und Verband mit Dorsalschiene beendigten die Operation, nach der der
Patient nur einmal (am 15. Februar) fieberte , als nämlich ein rasch vorüber-
gehendes Erysipel die linke Hand befiel. Am 22. Februar war die Wunde ge-
heilt, am 28. erfolgte der Austritt.
24. October 76.
Die Resectionsnarbe ist kaum mehr bemerklich; Verkürzung nicht vor-
handen. Die Stellung der Phalanx I relativ zu der des Metacarpus entspricht
der Norm. An der Volarfläche hat sich zwischen beiden ein Knochenwulst ge-
bildet, durch welchen die Gelenkgegend dieser Seite die betreffende der andern
um 1 Gtm. an Umfang überbietet. Trotz der eben besagten Auflagerung sind
die Bewegungen der Artic. metacarpo-phalang. alle (bes. Flexion) , wenn auch
in beschränktem Masse, selbständig möglich. Das etwa Fehlende wird durch
ausgiebigere Excursion im Carpo - metacarp. - Gelenke ausgeglichen. Dasselbe
Verhältniss waltet bei passiven Bewegungen ob. Der Druck der Hand erscheint
beiderseits gleich. Bei seinen Feldarbeiten bemerkt Patient keine Beeinträch-
tigung der Functionsfähigkeit seiner linken Hand.
Fall 21.
Johann Wächter, 25 Jahre alt, kam am 31. Mai 1876 ins Spital.
Er hatte seine hnke Hand zwischen zwei Walzen gebracht und hierbei den
Zeigefinger derart zerquetscht, dass nicht nur die beiden ersten Gelenke eröffnet
und nach aussen luxirt waren, sondern auch das Periost des oberen ersten und
des unteren zweiten Phalanxendes von der Dorsalseite sich losgelöst zeigte. Die
Haut der Innenseite und Volarfläche des Fingers fand man theils zerfetzt, theils
fehlend, die Flexorensehne stellenweise blosliegend. Trotz dieser hochgradigen
Verletzung wurde die conservative Methode mit Schiene und List er'schem Ver-
276 r^r- w. stark.
bände eingeschlagen. Die Eiterung trat sehr reichlich auf. Eine Untersuchung
am 1. Juli ergab Caries des I. Interphalangealgelenkes , wesshalb unter Lister'-
schen Desinfectionsmassregeln die Resection desselben stattfand. Besserung
stellte sich bei Fortbeslehen der seitherigen Apyrexie so rasch ein, dass Patient
schon am 5. August mit beweglichem Gelenke entlassen werden konnte.
Am 17. Januar 1877 wurde Folgendes an ihm über das seitherige Verhalten
seines Fingers und den jetzigen Befund ermittelt :
Noch 14 Tage nach seiner Entlassung (bis 19, August 1876) soll die Resec-
tionswunde theilweise offen gewesen sein. Dessenungeachtet nahm er seine
Arbeit als Maschinenheizer wieder auf, wobei der Finger einfach verbunden war.
Nach Vollendung des Benarbungsprozesses versteifte sich derselbe in den beiden
untersten Gelenken allmählig bis zu dem jetzt vorhandenen Grade von Ankylose,
obzwar Patient angibt, an ihm passive Bewegungsmanöver von Zeit zu Zeit vor-
genommen zu haben. In demselben Maasse stellten sich die beiden untersten
Phalangen zu der obern in einen ulnarwärts offenen stumpfen Winkel , dessen
beide Arme von dem resecirten Gelenke ausgingen.
Ausserdem empfand Patient zuweilen, besonders bei kälterer Witterung
ein subjectiv ungewöhnlich starkes Frostgefühl an dem afficirten Theile. Ob-
jectiv machte sich eine stellenweise Unempfindlichkeit desselben bemerklich.
Der in der oben beschriebenen Dislocation befindliche Finger kann activ
in den beiden untersten Articulationen gar nicht, passiv im ersten Interphalangeal-
gelenke nur wenig bewegt werden.
Die Sensibilitätsstörung ist im Bereiche der Nervi digitales volares an den
beiden Endphalangen eine beträchtliche ; ähnlich verhält sich das Leitungsver-
mögen der Handrückenäste des Radialis.
Die Benarbung erweist sich solide, Knochenneubildung hat rings um die
betreffende Gelenkgegend stattgefunden, so dass der Umfang nicht hinter jenem
der rechten zurücksteht
1. r.
Umfang der Phalanx I 6 Gtm. G'/z Ctm.
II 41/2 Gtm. 5V2 „
„ „ „ III Beiderseits gleich.
Länge des Fingers 8 Gtm. 9 Gtm.
Trotz dieser Abnormitäten will Patient seit einiger Zeit keine erhebliche
Beeinträchtigung der Gebrauchsfähigkeit der linken Hand bei seinen Verrich-
tungen bemerkt haben.
Beiträge zu der Statistik und den EndresuUalL'ii der Geleukresectionen. 277
cö
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Ge-
brauchs-
fähigkeit
der betreff.
Hand
nicht
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nicht
beein-
trächtigt
nicht
beein-
trächtigt
nicht
beein-
trächtigt
Beweglich-
keit der
übrigen Ge-
lenke des
fraglichen
Fingers
Ankylose
auch des
zweiten
Phalangeal-
gelenks.
beschränkt
cc
3
O
Ankylose
auch des
untersten
Phalangeal-
gelenks
Art der
Verbin-
dung des
neuen
Gelenks
1
Ankylose
Be-
schränkte
Beweg-
lichkeit.
Activ und
passiv be-
schränkte
Beweg-
lichkeit.
Bios pas-
siv etwas
beweglich
Gestalt
des Fingers
und
Gelenks
'
normal
Knochen-
wulst an der
Volarseite des
res. Gelenks
Nach aussen
offene Winkel-
stellungder bei-
den untersten
Phalangen.
Knochenneu-
bildung rings
um das res.
Gelenk
Differenz
im Umfang
der entspre-
chenden
Finger oder
Gelenke
'
keine
Am
resecirten
Gelenk
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1876
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5,
VllI,
1876
Gompli-
cationen des
Heilverlaufs
Massige Fie-
berreaction,
sistirend nach
einer Incision
a. d.Volama-
nus am 19, II
1
15.11.
Erysipel der
hnken Hand
und Fieber
1
uoi'jBjado
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30,
IV,
1873
<mH 00
1,
VII,
1876
Krankheit
resp.
Verletzung
Garies basis
phalangis II.
indicis sin.
Synovitis
suppur. trau-
matica artic.
interphalang.
poUic. sin.
Luxatio inve-
terata articuli
metacarp.
phalang. pol-
licis sin.
Garies trau-
matica articu-
lationis inter-
phalang. I.
indicis sin.
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278 D'"- W. stark.
Von diesen 4 Resectionen wurden also eine wegen einfacher
(Schmitt), eine wegen traumatischer Garies (Wächter), eine
wegen Vereiterung des Gelenks nach Verletzung desselben (Kr ei dt)
und eine wegen veralteter Luxation (Lückert) unternommen. Die
Affectionen betrafen jeweils die linke Seite. Vorübergehende Gompli-
cationen kamen bei Schmitt (Eiterverhaltung) und Lückert
(Erysipel) vor. Die Dauer des Heilverlaufs betrug durchschnittlich
einen Monat.
Bei Kr ei dt blieb die Beweglichkeit, welche er beim proviso-
rischen Resultate erhalten hatte, bei Wächter dagegen verlor sich
die active vollständig. Bei ihm allein constatirte man Sensibilitäts-
störungen, abnorme Stellung, Atrophie und Verkürzung des betreffenden
Fingers — Anomalien, die wohl zum Theil auf die Intensität der ur-
sprünglichen Verletzung zurückzuführen sind. Bei ihm und Lückert
fanden sich Knochenablagerungen im Bereiche des excidirten Krankheits-
heerdes. Nur Letzterer und Kreidt besassen active Beweglichkeit
an der neuen Ariiculation; trotzdem blieb der Gebrauch der Hand
in allen Fällen, selbst in jenen, wo auch die Funktionirung anderer
Gelenke des fraglichen Fingers Noth gelitten hatte, eine gute. —
IV. Resection des Hüftgelenks.
Bei Beurtheilung des Werthes der Hüftgelenkresection scheint
es nach dem seitherigen Stande der durch sie erzielten Resultate
geboten, die Errungenschaften der Friedens- und Kriegspraxis streng
auseinander zu halten.
Dort rivalisirt mit ihr vorwiegend die conservative, hier höch-
stens die privative Behandlung.
Aber selbst hinsichtlich der gewöhnlichen Erkrankungen dieses
Gelenkes ist eine endgültige Vereinbarung über die Anwendung der
fraglichen Operation noch nicht bewerkstelligt.
Beiträge zu der Statistik uiul den Eiidresultiiteu der ({eleiikreHectioiieii. 079
Eulenburg ^5") konnte desshalb im Jahre 1866 mit vollem
Rechte sagen: »Es ist ein bei dem heutigen universalen Charakter
der Wissenschaft selten gewordenes und daher um so beachtens-
wertheres Schauspiel, dass die Meinungen über Werth und Zulässig-
keit einer Operation innerhalb so weiter Grenzen divergiren, — wie
es bei der Hüftgelenkresection wegen Caries der Fall ist.« Doch
meint 5 Jahre später Leisrink^^^): »Die einfache Behandlung
der Goxitis wird und kann niemals ganz die Resection verdrängen,
wenn es auch zu hofien ist, dass sie mit den jetzigen guten und
bessern Methoden dieselbe einschränken wird.« Er nennt letztere
darum »eine lebensfähige Operation« , »eine direct lebensrettende
Operation«, wobei er freilich nur auf die vorerwähnte Krankheit
Bezug nimmt. Wie richtig aber seine Behauptungen sind, beweisen
die Ergebnisse einer in neuster Zeit (1874) von Jacobsen^^^) auf-
gestellten, vergleichenden Statistik über Resections- und conservativ
behandelte Fälle von suppurativer Coxitis, wobei diese eine Mortali-
tät von 73,02% (von 63 starben 46), jene eine solche von 48,51%
(von 167 starben 81) repräsentirten.
Auf dem Schlachtfelde hat sich die conservative Methode der
Hüftgelenksverletzungen bis zur Gegenwart kein Bürgerrecht erworben.
Otis (1869)^^^) hält dafür, dass dorten die exspectative Behandlung
})ei klarer Diagnose der Gelenkentzündung ganz zu verwerfen sei.
Hüter (1871).'^'^) geht mit den Worten darüber weg: »Meines
Wissens ist ein zweifelloser Fall von Heilung einer Schussverletzung
des Hüftgelenks ohne Operation überhaupt bisher noch nicht be-
obachtet worden« ^^^),
^*°) Dr. A. Eulenburg, Beiträge zur Statistik und Würdigung der
Hüftgelenkresection bei Caries. v. Langenbeck's Archiv. Bd. III, 1866.
^^^) Dr. H. Leisrink, Zur Statistik der Hüftgelenkresection bei Caries
und Ankylose, v. Langenbeck's Archiv, Bd. XII, 1871.
'^^) Nach einem Referate von D räch mann in Schmidt's Jahrbücher
der in- und ausländischen gesammten Medicin. B. 169.
^**) G. Otis, assistant Surgeon and Brevet Lieutenant Golonel U. S. Army.
Circular No. 2, 1869.
15") S. No. 83.
^^^) Otis dagegen bezeichnet für die einfach conservative Behandlung die
Procentzahl 93,6"/o.
280 t)r. W. stark.
Gegenüber der betreffenden Exarticulation bietet die Re-
section im Allgemeinen gleichfalls eine bessere vitale Prognose.
So berechnet schon Ried (1847)^^'^) den glücklichen Verlauf
bei der erstem 1:5, bei der letztern 1:3. Hey fei der ^^t-j fmdet
ebenso für die Resecirten ein bei weitem günstigeres Verhältniss als
für die Exarticulirten.
Weil nun im Frieden die Hüftgelenkexarticulation selten aus-
geführt wird und in der Regel nur an Patienten, bei denen die
Resection gar nicht in Betracht kömmt (z. B. bei Geschwülsten,
Zerschmetterungen); so soll das gegenseitige Verhalten dieser zwei
Operationen im Kriege allein Berücksichtigung erfahren. Langen-
beck'si58j Statistik ergibt für die Resection 89,79> (44 Gestor-
bene, 5 Geheilte), für die Exarticulation 89,8V (141 Gestorbene,
16 Geheilte). Nach Otis' ^^^) Zusammenstellung starben nach Re-
section 90,6 V) nach Exarticulation 90 "/o der Verwundeten. — Die
Ergebnisse beider Eingriffe halten sich somit ziemlich das Gleich-
gewicht''"'). Beiden aber weist auch hier die gewichtige, auf ein
ausgedehntes statistisches Material sich stützende Stimme von Otis^^^)
ganz gesonderte Bahnen an ^*^^). Nach ihm erheischen Hüftgelenks-
schüsse mit schweren, coraplicirenden Verletzungen der betreffenden
Extremität die Exarticulation, ohne solche die Resection. Die vitalen
Erfolge jener und dieser sind jedoch sehr trauriger Natur. Hierüber
stimmen sämmtliche Berichte überein. Schon Heyfelder ^^^) con-
statirt: »Die Frage ob die Resection des Hüftgelenks im Felde
i^ß) S. No. 36.
>") s. No. 2.
158) S. bei Hüte r No. 83,
1^') Gitirt bei Fischer No. 5.
1^") Auch von den Resultaten des deutsch-französ. Krieges 187U — 71 sagt
Lücke: »Die expectative Methode, die Exarticulation, sowie die Resection er-
wiesen sich gleich verderblich,« s. N, 42,
'«') S. No. 153.
'®^j Die Exarticulation soll ausgeführt werden : a) bei Abreissungen der
Extremität oder bedeutender Zerreissung der Weichtheile. b) Wenn gleichzeitig
mit dem Knochen die grossen Schenkelgefässe getroffen werden, c) Wenn
ausser der Hüftgelenkverletzung der Knochen weiter unten in bedeutender Aus-
dehnung verletzt oder gleichzeitig das Kniegelenk verletzt wurde.
1«») S. No. 2,
Beiträge zu der Statistik iiml den Endresultaten der Gelenkreseclionen. 281
anwendbar sei, wird durch die Statistik ungünstig beantwortet.«
Trotzdem ist er der Ansicht: »Da man von Exarticulationen und
Oberschenkelamputationen im Felde höchst ungünstige Resultate
hat , so verdient die Resection im Hüftgelenke jedenfalls nicht bei
Seite gelegt zu werden.« Aehnlich lautet bezüglich solch' schlechter
Resectionserfolge das Urtheil von Heine^^*), Hüter ^^^j etc. (Fhn-
reichenden Beleg liefert die später erörterte Statistik.)
Darum muss das Hauptaugenmerk für die Zukunft darauf
gerichtet sein, bei dieser Resection »eine Verminderung ihrer Ge-
fahren« ^'^^) zu erzielen. Den Weg der Besserung zeigt Hüter ^*''')
an; ersterer führt seiner Angabe gemäss zu derselben durch die
bessere Wahl der Fälle, »durch die Methodik der Resection und
ihre Nachbehandlung.«
Auf die Art der letzteren legt Eulenburg ^^^) Hauptgewicht
zur Erreichung des nach ihm »allein anzustrebenden« functio-
n eilen Resultates, nämlich der »Herstellung einer beweglichen Ver-
bindung«; »denn«, fügt er bei, »wenn auch bei eintretender Anky-
lose das Sacroiliacalgelenk bald eine grössere, vikariirende Beweg-
lichkeit einnimmt, so erlangt der Gang doch schwerlich dieselbe
Leichtigkeit, wie bei vollkommen freier Bewegung in dem neugebil-
deten Gelenke zwischen Femur und Pfanne«. Uebrigens ist, wie er
selbst eingesteht, »bei den Patienten, die am Leben bleiben, der
Ausgang in Heilung mit guter Gebrauch sfähigkeit der Extremität
überwiegend häufig.« (Vgl. d. Resultate.)
Dessen ungeachtet bleibt die Berechtigung der Aufnahme einer
functionellen Indication in das Bereich der Anzeigen der eigentlichen
^^^J Dr. C. H e i n e , Die Schussverletzungen der unteren Extremitäten
nach eigenen Erfahrungen aus dem letzten Schleswig - holstein'schen Kriege.
V. Langenbeck's Archiv, Bd. VII (1856): Die operative Hülfe, welche wir von
der Resection an andern Gelenken mit so grossem Vortheile ziehen , erscheint
am Hüftgelenke noch immer von sehr dubiösem Werthe. Die Resultate der
Hüftgelenkresection im Kriege sind bisher — höchst wenig aufmunternder Art.
^^^) S. No. 83 : »Leider steht es mit den bisher erzielten Erfolgen dieser
Operation in der kriegschirurgischen Praxis nichts weniger als glänzend.«
18«) S. bei Eulenburg No. 150.
1") S. No. 83.
"8J S. No. 150.
282 l^i"- "^V* stark.
Gelenkresection (nicht zu verwechseln mit der Keilexcision von
Rhea Bar ton) immerhin sehr zweifelhaft. Unter den von Leis-
rink ^^^) aufgezählten 15 Fällen, die wegen Ankylose operirt wurden,
befanden sich 3, hei denen man den Gelenkkopf wirklich entfernte.
Von ihnen büssten 2 diese Herstellungsversuche des Gebrauchsver-
mögens mit dem Leben, einer blieb im Ausgange unbestimmt ^'°).
Solchen Erfahrungen gegenüber fällt das absprechende Urtheil
Neudörfer's ^'^^): »Beim Hüftgelenk ist wegen der grossen Ge-
fahr des operativen Eingriffs diese Indication absolut nicht gestattet«
— schwer in die Wagschale. Er stellt consequenter Weise, »weil
die Heilungsdauer in allen bekannt gewordenen Fällen eine so pro-
trahirte ^var und mehrere Jahre in Anspruch nahm, weil ferner die
Heilung so selten, der operative Eingriff so gefährlich ist, — für die
Resection die Lebensgefahr als die einzig berechtigte Indication«
auf^^^). Letztere kommt, abgesehen von Verletzungen, vorwiegend
bei Caries des Hüftgelenks in Betracht; es wird das Auftreten ihrer
Symptome ^ ^ ^) allgemein als Anzeige der Operation anerkannt
(s. Fock^^^), Eulenburg ^75)^ Leisrink^^e) etc.). Hüter^^T)
163) S. No. 151.
'^*') Hüter erweitert das Gebiet der functionelien Indication noch da-
durch , dass er einen gewiss seltenen Folgezustand der Luxation , nämlich die
consecutive Lähmung der ganzen untern Extremität, welche durch Druck des
Kopfs auf den Plexus ischiadicus an seiner Austrittsstelle aus dem Becken an
die Incisura isch. entstehen kann, als Anzeige der obigen hinzufügte.
i^ij S. No. 4.
1^^) Volk mann (s. No. 86) hält hier auch „die Resection - nur dann
indicirt, wenn es sich zeigt, dass eine Heilung auf anderem Wege nicht zu er-
zielen ist."
*") Sie sind: Abscess, Fieber, das Resultat der Function, manchmal
Crepitation (s. Eulenburg, Leisrink).
"*) Fock, Bemerkungen und Erfahrungen über die Resection im Hüft-
gelenk. V. Langenbeck's Archiv, Bd. L 1860.
"*) S. 150: „Am Klarsten und Richtigsten hat meines Erachtens Fock
sich über die in Rede stehende Frage ausgesprochen, indem er die Caries sans
phrase als Indication hinstellt und die Operation ohne weiteres Abwarten vor-
nehmen will, „sobald Caries des Gelenks man mit Sicherheit diagnosticirt hat."
1'*) S. No. 151: „Man muss reseciren, sowie sich Abscesse bilden, resp.
sowie sich Caries des Hüftgelenks diagnosticiren lässt.
"') S. No. 83.
Beiträge zu der Statistik und den Endresultaten der Gelenkresectionen. 283
schiebt hier gleichfalls die Grenze möglichst hinaus und hält: »die
Resection des Hüftgelenks bei Coxitis für indicirt, sobald eine aus-
gedehnte Eiterung des Gelenks sich manifestirt oder sobald der Ver-
lauf lehrt, dass der Ausgang in Eiterung nicht mehr verhütet wer-
den kann.« Die zweite Bestimmung dürfte sieh wegen ihrer Dehn-
barkeit kaum als Richtschnur eignen.
Sie spielt eben schon mehr in das Gebiet über Angabe des
Zeitpunktes der Ausführung hinüber, bei der es hinsichtlich dieser
Krankheit überhaupt schwer fällt, correcte Vorschriften zu bieten.
Während z. B. auch von Eulenburg ^^s) blos empfohlen wird, in
einem möglichst frühen Stadium des Leidens zu operiren, dienen
die bündigen Aufschlüsse Leisrinks ^^9) eher als brauchbare Weg-
weiser. Er sagt: »Man operire sobald sich Abscesse bilden, noch
ehe sich Fisteln gebildet haben. Man operire, so lange das Be-
finden des Kranken noch ein relativ kräftiges ist.«
Genauer kann bei Verletzungen (resp. für die Kriegspraxis)
der günstigste Moment zur Ausführung der Operation fixirt werden.
Volkmann^8<>) und H e i n e ^^i) sprechen für Spätresectionen,
ersterer wegen der Schwierigkeit der Feststellung einer sichern
Diagnose derartiger Verletzungen und ihrer etwaigen Gomplicationen.
Hüter ^^2) zieht die Frühresection vor, hauptsächlich weil ein vom
Wundfieber bereits erschöpfter Patient den mit einem solchen Ein-
griff verbundenen Blutverlust schwerer überstehe als ein frisch Ver-
wundeter.
Die Statistik gewährt bis jetzt nicht hinreichende Sicherheit,
um hier ein entscheidendes Wort zu sprechen. Denn die grösste
Sammlung der Hüftgelenksresectionen wegen Verletzung von Otis^^^j,
85 Fälle umfassend, bestand:
1) Aus 63 im amerikanischen Kriege Operirten, von denen
"8) S. No. 150.
"9) S. No. 151.
"») S. No. 84.
^^^) S. No. 164: „Der seicundäre Zeitpunkt zu ihrer Vornahme ist wohl
allein zu empfehlen."
^«2) S. No. 83.
"^) S. No. 153.
2ö4 t)r. W. Stark,
32 primär resecirt waren mit 30 Todesfällen (93,75 >), 22 inter-
mediär, Avorunter 20 Todte (90,9%) und 9 sel<;imdär, wovon Alle
starben (lOOV).
2) Aus 22 anderweitigen wegen Verwundungen (im Kriege)
vorgenommenen Hüftgelenkresectionen , die sich auf 7 primäre mit
1 Heilung (85,7 %), 11 intermediäre, wobei ebenfalls eine Heilung
(90,9"/o) und 4 sekundäre mit 2 Heilungen vertheilten.
Man sieht daraus , wie in der ersten Gategorie die Statistik
zu Gunsten der Spät- in der zweiten zum Vortheile der Früh-
Resection ausfällt (das Verhalten der intermediären Resection bleibt
sich constant). Eine Vereinigung beider Resultate gäbe den Aus-
schlag für Spätoperation (primär: 92,3''/o, sekundär: 84,67« .)
Immerhin gelten bis zur Gegenwart die hieran sich knüpfen-
den Vorschriften von 0 t i s , denen zufolge bei einfachen Fracturen
des Schenkelkopfes und -halses die primäre, bei späterer Feststellung
der Gelenkverletzung die intermediäre, bei Caries des Gelenkkopfes
und ganz späten suppurativen Synovitiden die sekundäre Resection
gemacht werden soll.
Bemerkenswerth ist ferner, dass gemäss der statistischen Er-
hebungen von Heyfelde r ^^*), Fock^^^) und Eulenburg ^^^),
»die Totalresectionen keineswegs ein schlechteres, sondern eher ein
etwas besseres Resultat geben als die partiellen.« Heyfelder
fand unter 5 Fällen 3 Heilungen , eine Besserung , einen lethalen
Ausgang; Fock unter 35 17 Heilungen, 7 ungewisse, 11 lethale;
Eulenburg unter 19 7 Todesfälle. Auch L e i s r i n k ^^ '') bemerkt:
»In 50 Fällen wurde die Pfanne resecirt resp. ausgebrannt, davon
sind 21 = 42 7o geheilt«: Es starben mithin 587o, folglich 5,6 7o
weniger als bei seinem Gesammtcrgebniss (63,67o s. u.). Trotzdem
muss das verwerfende Wort Volkmann' s ^8^) gebilligt werden,
welches er der totalen Resection »zum Zwecke der Her-
"•») S. No. 2.
"ä*) S. No. 174.
"«) S. No. 150 (das folgende Gitat sind seine Worte).
'") S. No. 151.
"8j S. No. 84.
Beiträge zu der Statistik und den Endresultaten der Gelenkresectionen. 285
Stellung einer beweglichen Verbindung« widmet und
zwar besonders desswegen, »weil man zur Zeit noch nicht im Stande
ist, mit der Beweglichkeit gleichzeitig diejenige Festigkeit zu erzielen,
die das Gelenk braucht, um den grössern Ansprüchen der Locomo-
tion zu genügen.«
Wohl aus gleichem Grunde sprachen sich Hüter '^^) und
B i 1 1 r o t h ^^^) gegen die von M a 1 g a i g n e (behufs bessern Ab-
flusses der Wundsecrete) angerathene, prinzipielle Entfernung des
Trochanter major aus.
Die Angaben über die Dauer der Heilung differiren innerhalb
der Grenzen von IV Monaten bis zu 2 Jahren (s. Hey fei der '^^)
Eulenburg ^^2), Leis rink) ^^^).
Eine genauere statistische Betrachtung der geheilten Fälle selbst
gegenüber der der Gestorbenen ergibt für jene ein, wie schon früher
angeführt, wenig erfreuliches Resultat.
Unter den 71 von Heyfelder ^^*) gesammelten Resectionen
waren 63 statistisch verwerthbar mit einer Mortalität von 47,6*'/o
(33 Geheilte , 30 Gestorbene). Er selbst sondert , eingedenk der
grossen Verschiedenheit auf dem Friedens- oder Kriegsfelde dieselben
in 55 wegen Goxitis und Garies Operirte, von denen 23 starben,
somit 41,8*'/o und 9 wegen frischer Schussverletzungen Resecirte mit
8 Todesfällen, folglich 88,87o.
'8«) S. No. 83.
"«) S. No. 8.
^'*) S. No. 2: „Textors Kranker konnte nach 2 Monaten auftreten, wenn
man ilin unterstützte, fing aber erst nach mehr als einem Jahre an zu gehen.
Die Kranke von Sayre ging mit 6 Monaten, wenn auch vorläufig erst an Krücken.
Der Operirte von Hey fei der nach ^,'4 Jahren, aber stets nur mit Krücken
Dagegen konnte Fergusson's erster Kranker schon nach 2 Monaten an Krücken
gehen und war die Wunde geschlossen. Ure's Operirter konnte nach 8 Wochen
an Krücken gehen und bei fixirtem Becken die Extremität erheben. Der von
Hancock unter sehr günstigen Verhältnissen operirte Knabe konnte ebenfalls nach
6 Wochen im Hause herumgehen, bei fast völlig geschlossener Operationswunde."
^*^) 3. No. 150 : „Die mittlere Heilungszeit düi-fte im Allgemeinen auf
4 — 6 Monate zu veranschlagen sein."
"^) S. No. 151 : „In 31 Malen ist die Dauer bis zur Heilung angegeben
und liegt zwischen 1^2 Monaten und 2 Jahren."
"*) S. No. 2.
23g Dr. W, Stark.
Später verfertigte Leisrinki^^) eine sorgfältige tabellarische
Uebersichl aller bis zum Jahre 1871 bekannter Hüftgelenkresectionen
wegen Garies , 176 an der Zahl, und berechnete daraus eine Mor-
talität von QS^Q^jo 1^6), dem höchsten, von keinem seiner Vorarbeiter
erreichten Prozentsatz. Von jenen fanden, nach Lei srinks eigener
Aufzeichnung :
Fock 36,30"/o Le Fort 41,00"/o Hodges 47,747o
Barwell 36,377o Lyon 43,907« Good 52,297«
Eulenburgj , Geraides 45,137o Leisrink s. 63,67« '^«)
Sayre ) -* Heyfelder47,627o.
Viel kleiner ist das statistische Material, viel grösser aber die
Mortalität in den kriegs-chirurgischen Mittheilungen, wie schon aus
Heyfelde rs Angaben hervorgeht. Von den bereits erwähnten
85 Operirten des Otis starben 77, also beinahe 90,597o ^^^). Aus
dem deutsch-französischen Kriege (1870— 71) wurde, nach Lücke^""):
"5) S. No. 153.
"^) Von 105 Todten starben 24 = 22,8% an accidentellen Wundkrank-
heiten, 23 =: 21,8 7o an Erschöpfung, 12 = 11,5 > an Phthisis, 3 = 2,8 "jo an
Durchfällen, 8 = 7,5 "/o an Amyloid, 4 = 3,6 "lo an fortschreitender Caries.
1") S. No. 152: Eulenburg bespricht 56 Fälle (22 geh., 24 leth., 10 un-
geheilte); Sayre 109 Fälle (71 geh., 36 leth., 2 ungünstige). Eine Combination
beider ergibt 164 Fälle (60 leth., 92 geh., 5 ungeheilte und 7 ungewisse) =
36,60o/o.
^^^) Hüter (No. 83) bemerkt dazu: »Man erkennt ohne Mühe, zu welchen
Irrthümern unsere noch in den Windeln liegende chirurgische Statistik führen
kann.« Uebrigens ist die von Leisrink gewonnene, hohe Mortalitätsziffer
vorzugsweise wohl dem Umstände zuzuschreiben, dass er durch Correspondenz
auch nicht publicirte also — wie wahrscheinlich — meist ungünstig verlaufene,
Fälle sammelte und seiner Statistik einreihte.
'^^) v.Langenbeck fand, wie Hüter (1871) meldet, von 49 Resecirten
(seit 1829) 5 Geheilte (89,79». — Neudörfer (1871) erklärt: »Ich habe die
Resection im Hüftgelenk nur nach Schussverletzungen und niemals bei Krank-
heiten ausgeführt, habe aber leider kein Glück mit dieser Operation gehabt; ich
habe die Hüftgelenkresection 7 Mal ausgeführt; von diesen sind 6 in den ersten
8 bis 10 Tagen gestorben und den 7. musste ich in wenigen Tagen wegen eitriger
Infiltration des resecirten Beins im Hüftgelenk exarticuliren (kam mit dem Leben
davon),«
^°°) S. 42. Dieselben sind Rupprecht, Lücke, M. Gormac, Frank,
Billroth, Socin, Schüller, Vaslin, Hey fei der, Koch, Beck,
Eckart, Burkhardt, Fischer, Letzterer sagt: »Wir verloren sämmtliche
Patienten mit Schussfracluren am Hüftgelenk. Auch Biihoth's 12 Patienten
Beiträge zu der Statistik und den Endresultaten der Gelenkresectionen. 287
»Unter sämmtlichen Fällen von Hüftgelenkschüssen (wie viel Resec-
tionen ist nicht bemerkt) von den angezogenen Autoren nur ein
Fall von Heilung berichtet.« Es war dieselbe nach Spätresection
erfolgt.
Das Ergebniss einer der neuesten allgemeinen Zusammen-
stellungen von 250 Fällen durch Jacobsen^oi) möge den Abschluss
bilden, besonders da es tröstlicher lautet als die meisten der vor-
hergehenden: Die Heilung kam nach ihm in 41,60"/o zu Stande,
der Tod trat ein in 58,407o.
Die beste Aufmunterung jedoch, die Hände keineswegs in den
Schoss zu legen »gegenüber diesen nackten Zahlen, welche unwider-
leglich beweisen, dass die (vitalen) Erfolge der Resection recht
dürftig sind« 202) bieten deren functionelle Resultate.
Sogar die frühern Nachrichten über dieselben sind so befrie-
digend, dass der Anstoss, den bereits Leisrink^^^-) ^n dem Satze
B i 1 1 r 0 1 h ' s nahm : »Die Hüftgelenkresection leistet aber functionell
wenig, der Gang bleibt schliesslich sehr mangelhaft« wohl begründet
ist. Schon Ried (1847) ^<''*) konnte sagen: »Selbst nach Wegnahme
eines oder beider Trochanteren stellte sich meistens die Beweglich-
keit des Gliedes wieder her und es hängt dies vorzugsweise von
der geringern oder beträchtlicheren Länge der neuen Verbindung
zwischen den Hüftknochen und den Schenkelknochen ab, die um so
günstiger erscheint, je straffer die neugebildete, ligamentöse Zwischen-
masse ist.«
Hey fei der 205) zählt eine Reihe von Fällen auf, in denen
die Beweglichkeit eine exquisite war, »in allen andern wenigstens
eine hinreichende.« Ebenso vortheilhaft lauten die Erfahrungen
starben. Von unsern Patienten wurden 3 einfach conservativ behandelt, 1 sekun-
där resecirt.«
'-ä") S. No. .152.
202) S. Hüter No. 83.
''«ä) S. No. 151.
2°*) S. No. 36.
205\
') S. No. 2: Fälle von Fergusson, White, Textor, Ure, Heisse,
Sayr e . He y fei d er.
288 Dr. W. stark.
von E u 1 e n b u r g - " 6) und L e i s r i n k '-^ ^ 7-)^ Letzterer gibt folgende
Einzelheiten: »Ankylose ist 2 Mal eingetreten, in den übrigen
Fällen mehr oder weniger Beweglichkeit in dem neuen Gelenke.
16 Mal gehen die Patienten ganz ohne Unterstützung, 3 Mal
mit dicker Sohle, 1 Mal mit einem Stocke, 1 Mal mit 2 Stöcken,
1 Mal mit Krücke« ^o»). Desshalb muss man Neudörfer ^o^) bei-
stimmen, der das Hüftgelenk zu denjenigen Articulationen rechnet,
bei denen durch die Resection gänzliche Herstellung erwirkt werden
kann; ebenso Hüter ^") — welcher wenigstens »in dieser Beziehung
(d. h. rücksichtlich der functionellen Resultate) den Werth der
Operation nicht mehr angezweifelt« haben möchte.
Während der 5 letzten Jahre (1872—76) wurde im Freiburger
Spitale in 11 Fällen die Hüftgelenkresectlon nothwendig.
Veranlassung dazu gab bei sämmtlichen Patienten Coxitis nebst
consecutiver Caries. In 8 Fällen hatte das Leiden die linke Seite
ergriffen. Den Zugang zu dem erkrankten Gelenke verschafften 5 Mal
ein V, Langenbeck'scher Längsschnitt, 4 Mal ein hinterer Bogen-
schnitt, 2 Mal war die Schnittführung atypisch. Der Tod trat in
4 Fällen ein.
Fall 22.
Therese Buchholz, 12 Jahre alt, aus Steinach wurde am 4. Dez. 1871
in die hiesige KUnik aufgenommen. Sie soll vor 2 Jahren an einer nicht näher
zu eruirenden Krankheit gelitten haben. Ihre jetzigen Beschwerden begannen
vor einem Jahre im linken Hüftgelenk, indem dasselbe schmerzhaft und das
Gehen durch allmälig eintretende Beuge- und Adductionsstellung der Extremität
2»«) S. No. 150.
'"''') S. No. 151.
^°^) Allbekannt ist ja der von Otis beschriebene Fall (H. Wright), in
dem die Last des Körpers auf die resecirte Seite übertragen werden und daselbst
ruhen konnte. Patient hatte mit seinem resecirten Bein eine Zeit lang als
Taglöhner beim Bau gearbeitet und bei dieser Gelegenheit die schwersten Kübel
mit Mörtel und mit Ziegeln über hohe Leitern auf das Gerüste getragen.
2"9) S. No. 4.
2'°) S. No. 83 sagt dies besonders bezüglich der Hesection bei Coxitis.
Beiträge zu der Statistik und den Endresultaten der Gelenkresectionen. 289
unmöglich wird. Man diagnosticirte eine chronische Hüftgelenkentzündung der
linken Seite und applicirte den Volkmann'schen Extensioneapparat. Von der
Zeit ihrer Aufnahme an bis zum 4. April zeigten sich bei der Patientin fort-
während leichte Fieberbewegungen, doch wurde ausser ruhiger Lagerung und
mehrmaliger Erneuerung des oben erwähnten Verbandes nichts angewendet. Zu
der angeführten Frist nun brach ein Abscess zwischen Troch. maj. und Spina
ilei superior, etwas unterhalb der Mitte einer Verbindungshnie derselben Punkte
auf und es entleerten sich 3 Schalen Eiters. Trotzdem blieb die Temperatur
etwas hypernormal; das Allgemeinbefinden war aber gut. Die Stellung des
Beins besserte sich (d. h. es nahm eine gestrecktere Haltung an) ; passive Be-
wegungen desselben machte das Becken (dessen Schiefstellung unter 13. Juli
ausdrücklich notirt ist) mit. Die Abscessfistel secernirte geringe Mengen Eiters.
Die Behandlung blieb dieselbe bis zum 8. August, wo ein Wasserglasverband
mit Beckengürtel angelegt wurde. Vom 23. August an trat Verschlimmerung
des Zustandes ein, indem Lymphdrüsenschwellungen am Halse sich bildeten, die
man mit Jodtiuctur bepinselte. Es gesellten sich Schmerzen und höheres Fieber
hinzu, aus der Fistel am Hüftgelenke, welche ein dünnes, mit Flocken gemischtes
Secret entleerte, quollen schlaffe Granulationen hervor; die Umgebung war ge-
schwollen. Dies Verhalten, das keine Aussicht mehr auf Heilung bei fortgesetzt
conservativer Behandlung bot, insbesondere das rapide Ansteigen der Temperatur-
curve (am 31. Juli Abends 40,lo) indicirten die Resection, die auch am 1. August
ausgeführt wurde. Ein von der Fistel ausgehender Längsschnitt, an dessen
oberes Ende sich ein Querschnitt nach hinten anschloss , legte den cariösen
Schenkelkopf bloss, der unter dem Trochanter mit der Stichsäge abgetrennt und
mit der Kornzange in Stücken entfernt wurde. Die gleichfals rauhe Gelenkpfanne
ward mit einem scharfen Löffel theilweise abgekratzt.
Durch Anlegung einer Gegenöffnung an einem etwas nach abwärts führenden
Gange und durch Einführen von Drainageröhren sorgte man für freies Abfliessen
des Secrets hinlänglich und applicirte einen Heftpflasterextensionsverband. Das
Präparat des Schenkelkopfes bestand, nachdem es getrocknet, aus einzelnen
Stücken (grösstes 3 Gtm. lang und 2'/^ Gtm. breit) und Partikelchen von leicht
zerbröckelndem, spongiösem Gewebe.
Der apyretische Einfluss der Operation war gering und nicht von Dauer ;
die vorher schon vorhandenen Schmerzen verloren sich nur allmählig. Die offen
behandelte Wunde sonderte einen mit käsigen Massen gemengten Eiter ab, dessen
Entleerung öfters durch Druck von aussen unterstützt wurde. Der Oberschenkel
war hin und wieder ödematös geschwellt. Die Drainage ward öfters erneuert,
ausserdem am 8. August in der Narkose der an der Aussenseite des Oberschenkels
nach abwärts führende Kanal geschlitzt, wobei sich herausstellte, dass mehrere
Gänge von oben her in denselben mündeten. Aus dem oberen Theil der Wunde
entfernte man einige nekrotische Knochensplitter. Weder durch diese Incision
mit nachfolgender Drainirung , noch durch Verordnung von Chininum sulfur.
konnte das Fieber unterdrückt werden. Nur die Beschaffenheit des Eiters besserte
sich und die Menge desselben nahm zu. Doch der Appetit und die Kräfte der
Patientin schwanden, sie ertrug sogar einige Zeit hindurch nicht mehr den
Extensionsverband. Auch die Drainage musste entfernt werden, da die Wunden,
deren. Granulationen bald schlaff und geschwollen, bald gesund aussahen, sich
zu schliessen begannen. Dieser Vorgang der Wundvereinigung wurde durch
Heftpflasterverband unterstützt. Jetzt sank die Eitermenge, zugleich auch die
Ciierny, Beiträge zur operativen Chirurgie. 19
290 Dr. W. Stark,
Fiebercurve, es hoben sich das Allgemeinbefinden und die Kräfte (Volk mann 'scher
Extensionsverband wird wieder ertragen) — kurz es scbien Alles auf dem Wege
der Besserimg. Eine neue Incision, veranlasst durch einen kalten Abscess an
der Vorderfläche des Oberschenkels, that, nachdem durch sie einige Unzen guten
Eiters entleert waren, den erfreulichen Fortschritten keinen Eintrag, sondern
beförderte nur den Abfluss des Secretes. Auch nach Weglassen des Chinins
ging das Fieber nicht über die in letzter Zeit eingeschlagene Bahn (37,6—39,5).
Da stellte sich nach vorhergegangenem Kopfschmerz und unter bedeutender
Exacerbation der Temperatur (bis 40,5) am linken Oberschenkel ein Erysipel ein
und alsbald verschlechterte sich das Aussehen der Wunde (ödematös), des Eiters
(dunkel) und der Gesundheitszustand. Bei der am 25. September in der Narkose
vorgenommenen Sondirung der Fistelgänge und Operationswunden fanden sich
nach oben cariöse Knochenparthien. Trotz der nun folgenden Dilatation der
Oeffnungen mit der Kornzange, trotz Drainage, trat keine Besserung ein: die
Wunden wurden missfarbig und belegt, das Erysipel breitete sich sowohl auf
den Unterschenkel (Entfernung des Gypsverbandes) als nach der rechten Hüfte
und Thoraxseite, ja bis zur Achselhöhle hin fort, die Temperatur blieb hoch,
der Puls ward schwach, die Patientin collabirte. In der Nacht vom 29. auf
30. September traten plötzlich heftige Schmerzen im rechten Oberschenkel, der
gleichfalls erysipelatös gefärbt war, auf. Bald darnach, Morgens gegen 10 Uhr,
erfolgte exitus lethalis.
Der hierauf bezüghche Theil des Sectionsprotokolls lautet folgendermassen :
»In der Vena femor. dextr. von 1" oberhalb der Lig. Poupartii bis 5" nach
abwärts ein im Gentrum zerfallener Thrombus. Links die Gefässe frei. Linke
Iliopsoas bildet einen Abscess mit dünnem Eiter, der durch die durchbohrte Darm-
beinpfanne und oberhalb des vom Periost entblössten Ramus horizont. ossis pubis
bis gegen den kleinen Trochanter nach unten sich erstreckt. An der hinteren
Fläche des Oberschenkels befindet sich ein circa 4" langer, isohrter periostaler
Abscess ; das blasenförmig abgehobene Periost verknöchert. Die Resectionswunde
am Schenkelhals ist durch junges, rothes Bindegewebe am oberen Rand des
Acetabulum befestigt.«
Die vollständige Leichendiagnose ist gestellt auf: Caries pelvis, Thrombosis
venae femoralis dextr., Lipomatosis hepatis et renum, Degeneratio lienis, Tuber-
culosis pulmonum incip.
Fall 23.
Jakob Bauknecht, 20 Jahre alt, lediger Zimmermaim aus Rohr (A.
Waldshut) halte Ende des Jahres 1871 eine 6 Wochen dauernde Nierenkrankheit,
wobei das linke Bein anschwoll. Von dieser Zeit an trat Herzklopfen auf, das
besonders bei grössern Anstrengungen fühlbar war. Seit August 1872 datirte
das Leiden , wegen dessen er in die chirurgische Klinik aufgenommen wurde.
Auch im vorliegenden Falle bildeten Schwäche und schnelles Ermüden des linken
Beins bei schwerer Arbeit, Stechen an der Innern Schenkelfläche vom Knie auf-
wärts bis zur Inguinalregion hauptsächlich bei Bewegungen, die Anfangssymptome.
Sie hinderten ihn beim Arbeiten so sehr, dass er dasselbe aufgab und 3 Wochen
zu Bette lag. Als sich hierdurch seine Beschwerden besserten, versuchte er
wieder seinem Handwerk nachzugehen, musste jedoch bald wegen abermaliger
Beiträge zu der Statistik und den Endresultaten der Geleniiresectionen. 291
Verschlimmerung des Zustandes die Arbeit einstellen. Vollständige Ruhe gönnte
er sich eigentlich ei'st in den letzten 8 Tagen vor seinem Eintritte in's Spital.
Der Status zu dieser Zeit lieferte folgende Ergebnisse: Geht etwas hinkend am
Stocke, steht vorwiegend auf dem rechten Fusse, indem der linke, leicht am Knie
gebeugt, in Ruhestellung verweilt. Ganze linke Hüfte hervorgevvölbt ; linke In-
guinal- und Anal-Falte verstrichen ; scheinbare Verlängerung der linken Extremität
bei horizontaler Lage, geringe Adductionsstellung. Becken unbedeutend nach
links gesenkt, bei activen und passiven Bewegungen auf dieser Seite mehr oder
weniger fixirt resp. sich mitbewegend. Wirbelsäule krümmt sich mehr bei
Flexionen des linken als bei solchen des rechten Oberschenkels. Rotations-
bewegungen ziemlich schmerzhaft, weniger der directe oder indirecte Druck auf
die Hüftgegend.
Die Ordination bestand in kalten Umschlägen, später Eisblasen und in einer
mit Contraextension verbundenen Heftpflasterextension (8 Pfund), welche die Be-
schwerden so sehr milderte, dass Patient ohne denselben stets über Vermehrung
der Schmerzen klagte. Während der seitherige Krankheitsverlauf vollständig
fieberlos gewesen, fand am 7. Januar 1873 ohne bekannte Ursache eine plötz-
liche Temperatursteigerung (40,1) statt unter starkem Unwohlseingefühl, Kopfweh,
Brechbewegungen nebst Vergrösserung der Hüft- und Kreuzbeinschmerzen. Local
war höchstens an den schmerzhaften Stellen etwas abnorme Röthung bemerkbar,
deren Weiterentwicklung zum Erysipel jedoch nicht erfolgte. Brechmittel und
feuchte Umschläge reichten hin, das Fieber herabzudrücken, nicht aber, es
gänzlich zu vertreiben. Ferner vermochte weder Eisblase noch Extension den
anhaltend zunehmenden Schmerz und das Wachsen der Anschwellung in Schranken
zu halten. Im Vereine mit neuem Emporgehen der Fiebercurve wurde Mitte
März an der Vorderseite des Oberschenkels, unter dem Lig. Poupartii und längs
des Troch. minor Fluctuation in der Tiefe constatirt. Alle angeführten Symptome
steigerten sich langsam bis Anfangs Mai, ohne dass der Kranke von Kräften
kam. Chinin verabreichte man vom 21. März bis 2. Mai; es wirkte blos in ge-
ringem Grade antifebril. Am letzterwähnten Tage endlich wurde das vereiterte
Gelenk durch Resection beseitigt: Nach Einleitung der Narkose eröffnete ein
v. Langenbeck 'scher Schnitt die Kapsel , worauf sich reichlich Eiter entleert.
Der Schenkelkopf und ein Stück des Halses (2V2 Ctm. lang) mussten mit der
Stichsäge abgetrennt, die Pfanne, welche zwar nicht perforirt, doch rauh war,
mit dem scharfen Löffel ausgeschabt werden. 5 Ligaturen stillten die schwache
Blutung, Ein bleiernes Drainagerohr sorgte für freien Abfluss der Secrete, 4
Nähte verkleinerten die Wunde. Ein frischer Heftpflasterextensionsverband (3 Pfund)
beschloss die Reihe der chirurg. Eingriffe dieses Tages. Die Länge der resecirten
Parthie betrug 4 Ctm. Der Knorpel war theils gänzlich zerstört (oben und aussen),
theils abgehoben; nur nach unten und innen von der Foveola noch festsitzend.
Der Knochen gut erhalten. Die Sägefläche neigte sich von hinten oben und
aussen nach vorn, innen und unten. Miliare Tuberkel durchsetzten die Syno-
vialmembran. An eine Remission der Temperatur von 37,6 am 3. Mai schlössen
sich Exacerbationen bis 40,4. Die Wunde, deren Verhalten vor dem 8. Mai
ausser mangelhafter Granulationslnklung nichts Bemerkenswerthes bot, begann
sich von dem eben genannten Datum an weisslich zu belegen (Kali hypermang.
blieb wirkungslos). Der bisher normale Eiter wurde den 10. übelriechend,
den 13. missfarbig. Am Kreuzbein kündigte eine bläuliche Stelle (ebenfalls an
dem 10.) Decubitus an, welcher trotz Wasserkissen drei Tage später sich ein-
292 Ol"- W. Stark.
stellte. Am 11. beobachtete man Oedem des seit der Operation schmerzfreien
linken Oberschenkels, am 12. leichtes Frösteln (Ord. : 0,5 Chinin), dem am 14.
ein heftiger Schüttelfrost folgte. Unter Collapserscheinungen — vergebens be-
kämpft durch Campher — und Coma starb Patient schon in der nächsten Nacht
11^/4 Uhr.
Die einschlägigen Stellen des Sectionsbefundes lauten:
»In der linken Hüfte ist eine grosse Operationswunde mit schlechter Eite-
rung zum Theil in Verjauchung begriffen. Dieselbe führt zu einer umfängUchen,
zwischen den Muskeln des Oberschenkels sich verbreitenden eitrig -jauchigen
Abscedirung. Der Kopf des Femur ist nicht mehr in der Pfanne, die Pfanne
selbst zeigt cariöse Zerstörung, ebenso die Bänder des Gelenkes. Die nächste
Umgebung weist theils fibröse Verdickung auf, von einzelnen Fistelgängen durch-
zogen, theils stärkere eitrige und jauchige Einschmelzung, die mit dem grossen
Abscess von der Wunde her in Verbindung steht. Kopf und ein Theil des Halses
vom Femur ist resecirt; der Femur selbst zeigt Verdickung des Periosts an den
unteren Portionen, der obere Theil dagegen von der Resectionsstelle an bis' gegen
die Mitte des Femur Loslösung des Periosts. Die Oberfläche des Femur ist in
Folge davon weisslich gefärbt, mit beginnender superficieller Nekrotisirung. Das
Knochenmark ist in gleicher Ausdehnung mit der Oberfläche des oberen Theiles
des Femur missfarbig, mit herdweisen, eitrigen Ablagerungen durchsetzt. Die Re-
sectionsstelle des Femur, ebenfalls stark missfarbig, steht mit dem Knochenmark
in directer Verbindung.« — »Die Vena saphena magna ist an ihrer Einmündungs-
stelle in die Vena femor. mit älteren, adhärenten Thromben versehen, die nach
abwärts sich fortsetzen bis gegen die Mitte des Oberschenkels. An dieser Stelle
sind die Thromben wieder feucht und roth, an der Einmündungssteile dagegen
trocken und weich. Von letzterem Orte aus setzt sich das Gerinnsel in die Vena
femoralis fort und erstreckt sich in dieser ungefähr einen Zoll nach aufwärts und
abwärts : In letzterer Richtung bis zur nächsten Klappe als schwärzliches feuchtes,
in ersterer wieder als älteres trockeneres, entfärbteres. Die Arterie ist frei.« —
»Unter dem Muse, ileo-psoas ist der Schleimbeutel durch eitrige Infiltration ver-
ändert, steht mit den erwähnten Abscessen des Oberschenkels in Verbindung,
erstreckt sich aber nach innen nur in geringer Ausdehnung und steht mit dem
etwas speckig, verdickten Periost der betreffenden Beckenwand in Verbindung.
Die Pfanne ist nicht perforirt, wohl aber stark cariös. Das Lig. teres ragt noch
als rundlicher, fast nussgrosser Zapfen hervor, der an der Oberfläche mit nekro-
tisirtem Gewebe bedeckt ist , auf Durchschnitten . ein sehr stark serös durch-
feuchtetes, lockeres, fibröses Gewebe zeigt.«
»Die Pyämie kennzeichnete sich ferner durch metastatische Abscesse in
beiden Lungen; käsige, lobuläre Pneumonien mit miharen Knötchen in der Um-
gebung; Endocarditis.«
Fall 24.
Theodor Hausin, 13 Jahre alt, von Obersäckingen , spürte im Sep-
tember 1871 zum ersten Male Schmerzen im rechten Hüftgelenke zugleich mit
dem Gefühle des Längerwerdens der rechten untern Extremität. Desswegen
war er, obgleich erst einige Monate vor dem den 18. Februar 1873 stattfindenden
Eintritte in die chirurg. Abtheilung Anschwellung der betreffenden Hüfte ent-
stand, seit Jahresfrist bereits genöthigt, an Krücken zu gehen.
Beiträge zu der Statistik und den Endresultaten der Gelenkresectionen. 293
Sein bleiches Aussehen bei sonst gutem Ernährungszustande fiel am
18. Februar gleich auf. Das Bein zeigte sich an Knie und Hüfte stark gebeugt
nebst Fixation in dieser Stellung bei Versuchen passiver Bewegungen, welche
heftige Schmerzensäusserungen hervorriefen. An der Aussenseite des im Uebrigen
abgemagerten rechten Oberschenkels konnte eine fluctuirende Geschwulst con-
statirt werden, — die Haut darüber gerade unterhalb des Trochanter major sehr
verdünnt.
Das Anlegen eines Heftpflasterextensionsverbandes machte wegen der
starken und starren Flexionen manche Schwierigkeilen (er rutschte leicht ab).
Schon 3 Tage nachher brach der Abscess an der oben bezeichneten Stelle auf
und entleerte einen dünnen, mit Blut gemengten Eiter. Das Eindringen von
Luft in die grosse Abscesshöhle liess sich nicht vermeiden. Dadurch wurde
eine Jauchung veranlasst, welche das Steigen der vorher normalen Temperatur
(bis 40,1°) zur Folge hatte. Patient collabirte, Delirien traten in der Nacht vom
5. auf 6. März ein, so dass unter solchen Verhältnissen, welche überdies die
Symptome einer Osteomyelitis fem. complicirten (am 6. März), als letztes Hüifs-
mittel die Resection versucht wurde.
Man spaltete in der Narkose vom Fistelgange aus die Abscessdecke nach
auf- und abwärts, combinirte damit, als nach Abfluss der theils oberflächlich,
theils tief gelegenen Eiteransammlungen die Freilegung des Schenkelkopfes für
unzulänglich befunden worden, einen Horizontalschnitt nach hinten in der Höhe
des grossen Trochanters. Nun wurde der cariöse Schenkelkopf am Halse mit
der Kettensäge umgangen und entfernt, hierauf, weil das spongiöse Gewebe des
Schaftes erweicht und an einigen Stellen eitrig infiltrirt war, auch davon noch
einige Centimeter — bis zur Grenze der osteomyelitischen Herde — abgesägt.
Die Blutung des daselbst noch hyperämischen Markes stand auf Einspritzen von
kaltem Carbolwasser in die Höhle. Nähte durch den oberen Theil des Längs-
schnittes, desgleichen eine an das unterste Ende desselben beschlossen die
Operation.
Es folgte einfache Lagerung des Kranken mit Unterstützung der aufge-
stellten Kniee durch Kissen, da wegen mangelhafter Streckfähigkeit derselben
auf Extension verzichtet werden musste. — Fügte man das (getrocknete) Prä-
parat, welches aus mehreren Stücken bestand, zusammen, so mass es 7^2 Ctm.
der Länge nach und umfasste ausser Kopf und Hals (4^/4 Ctm.) noch das obere
Diaphysenende. Der Knorpel war zerstört, der Knochen durch Caries in seiner
Gestalt verändert (die Trochanteren sehr defect).
Das Fieber dauerte in gleicher Weise fort, Patient deUrirte in der Nacht
vom 7. auf 8. März. Die Schmerzen schwanden auf eine Morphiumgabe von
0,005. Die Wunde sah am Tage nach der Operation blass und etwas miss-
farbig aus, sie secernirte einen dünnen, schwach röthlichen Eiter in reichlicher
Menge. Verklebung derselben nach Entfernung der Hefte bestand nicht. Neben
einzelnen Fetzen nekrotisirten Gewebes konnte man stellenweise hellrothe Gra-
nulationen wahrnehmen, mehrere nekrotische Knochenstücke an der Gelenkpfanne
am 10. März beseitigen. Der bestehenden Stuhlverstopfung wurde (am 9. u. 12.)
durch Glysma, der mangelhaften Urinentleerung durch wiederholtes Katheterisiren
abgeholfen. Doch die Verhältnisse verschlimmerten sich zusehends. Oedem der
Augenlider und Füsse machte sich bemerklich, ebenso ein dunkelrother Fleck
am 1. Trochanter, später (15. März) an den Sitzhöckern ; auf Incision des ersteren
ergoss sich etwas Blut. Lagerung auf Wasserkissen hielt das Fortschreiten dieses
294 Dr« W. Stark.
Decubitus ziemlich hintan. Die gut drainirte Wunde Ijewahrte mit geringer
Ausnahme ihr übles Aussehen; die Jauchung nahm zu, das Secret gewann eine
grau-grüne Färbung. Der Resecirte klagte vom 12. März an über Schmerzen in
der rechten Schulter von wechselnder Intensität; seine Kräfte verliessen ihn
mehr und mehr. Es wuchs das Oedem der Beine, dem sich eine Anschwellung
der Nase und des Handrückens beigesellte, welch' letztere, als sie deutliche
Fluctuation darbot, aufgeschnitten wurde (15. März) und einen an Vibrionen
reichen Eiter entleerte.
Am Tage vor dem Tode , der am 16. März Abends 5 Uhr unter den
Zeichen des äussersten Collapses eintrat, zeigte sich bei dem halb soporösen
Kranken, dessen schon seit 9. März dicroter Puls bereits vöUig unzählbar ge-
worden, Icterus.
Neben den Merkmalen der Pyämie an verschiedenen Organen , ergab die
Autopsie bezüglich des primär afficirten Ortes:
»Periost von der ganzen Diaphyse bis zum unteren Epiphysenknorpel leicht
abstreifbar. Auf der Sägefläche die Markhöhle gefüllt mit chocoladebraun
breiigem Marke , aus welchem das Fett verschwunden zu sein scheint, bloss in
den untern 2 Dritteln ist noch Fett deutlich vorhanden, die Farbe röthlich-gelb.
Die Innenfläche des Sägerandes ist ^2 Zoll nach abwärts vom Eiter raacerirt.«
Fall 25.
Friedrich Bürkin, 12 Jahre alt, aus Balingen, war Waise und stammte
aus einer scrophulösen Familie. Im Herbste 1874 traten die ersten Schmerzen
am Hüftgelenke auf und beeinträchtigten die Gebrauchsfähigkeit der Extremität
mehr und mehr, bis sie den Knaben im Dezember vollständig an's Bett fesselten.
Der in diesem Monate consultirte Arzt fand eine Hüftgelenksentzündung vor>
welche bereits zur Abscessbildung in der Inguinalgegend geführt hatte. Er
incidirte daselbst und entleerte eine Masse Eiters. Dieselbe Operation musste
einige Tage später an der Hinterseite des Femur vorgenommen werden. Die
übrige Behandlung bestand in Bädern, Chinin und roborirender Diät. Als die
Verpflegung zu Hause unmöglich wurde, schickte man den Jungen in's Spital,
am 5. April 1875. Er sah schwächlich und bleich aus. Das kranke Bein zeigte
eine scheinbare, durch Beckensenkung bedingte Verlängerung von 2^2 Ctm.
Der Winkel zwischen Oberschenkel und Wirbelsäule betrug circa 139°. Abduction
und Auswärtsrotation war in geringem Grade vorhanden. Passive Excursions-
versuche Hessen deutlich die Mitbewegung des Beckens erkennen. Der schwächste
Druck auf Trochanter maj. und Umgebung, besonders solcher in der Richtung
der Pfanne, schmerzte sehr. An der Vorderseite des Femur, 1^2 Ctm. unter
dem Lig. Poup. befand sich ein 10 Ctm. langer und 5 Ctm. breiter Substanz-
verlust, der die Vena saphena, ebenso die Muse, sartor. und rectus theilweise
biossiegte. Den Spalt zwischen diesen Muskeln und den Adductoren füllte Eiter
aus. Zwei Sonden, von denen je eine in die eben beschriebene vordere und
die dieser direct gegenüberliegende, noch grössere hintere Oeffnung eingeführt
wurde, berührten sich gegenseitig, ohne auf unbedeckten Knochen zu stossen.
Die hintere Sonde liess sich auch nach oben vorschieben.
Die Wunden eiterten in den nächsten Tagen massig. Das remittirende
Fieber beschränkte sich auf Exacerbationen von 38,2°— 39,2". Am 9. April
Beiträge zu der Statistik und den Endresultaten der Gelenkresectionea. 295
resecirte Dr. Berns mittelst des semicirculären Lappenschnittes. Der völlig er-
weichte und gefässreiche Kopf, Hals und Trochanter wurde direct unter letzterem
abgesägt. Die Pfanne, weiche zum grössten Theile mit Granulationen besetzt
war, deren Wucherungen den Knorpelbelag stellenweise zerstört hatten, musste
mit einem Simon 'sehen Löffel ausgekratzt werden. Drainage und Nähte bildeten
den Schluss der Operation. Das Fieber hielt mit mehrtägiger Tntermission
(vom 21.— 24. April) bis ersten Mai an. Am 13. April zog man die Hefte
heraus. Den 14. bekam der Resecirte einen Volkmann'schen Extensionsverband.
Das Aussehen des Patienten und speciell der Wunden besserte sich. Eine Eiter-
ansammlung unterhalb der Spina ant. sup. erheischte einen Einschnitt, worauf
sich ansehnliche Massen stinkenden Secretes ergossen. Die Vermuthung, dass
diese Höhle in Verbindung stehe mit der Oeffnung an der Vorderfläche des
Femur und sich nur wegen mangelhafter Drainage nicht habe entleeren können,
bestärkte eine bald darauf unternommene Sondirung. Nun hob sich bei massiger
Absonderung der Ernährungszustand des Kranken — aber bloss momentan.
Vorübergehende Albuminurie, reichliche Diarrhöen (bekämpft durch Opium
Ratanhia), neue Eiterverhaltung im kleinen Becken, die indess durch eine zwischen
den beiden (vorderen) früheren angelegte Incision aufgehoben wurde, zehrten im
Vereine mit hartnäckiger Appetitlosigkeit und zeitweiligem Erbrechen die -letzten
Kräfte des Operirten auf. Dem entsprach die Schlaffheit der Granulationen.
Anfangs Mai gesellte sich hierzu noch, trotz der seit der Resection eingehaltenen
Lagerung auf einer ausgeschnittenen Matratze, Decubitus. Am 17, Mai machte
der Tod dem trostlosen Dasein ein Ende.
Die Section constatirte neben Destructionsprozessen in der Lunge (Cavemen
und Tuberkeln linkerseits), der Leber (Girrhose und Fettentartung) und Milz
(Amyloiddegeneration) , an dem primär afficirten Orte: »An der Spina ilei ant.
sup. sin. führt eine Fistel mit erbsengrosser Oeffnung in eine Abscesshöhle, die
von der Innenwand des Darmbeins und von der abgehobenen Fascia ihaca be-
deckt ist. Die Muskeln sind abgehoben, das Periost ist aber erhalten. Die vom
Periost entblösste Stelle liegt etwas oberhalb des oberen Randes, des Acetabulum.
Das Acetabulum ist durch Granulationen ausgefüllt, weich, eindrückbar, aber
noch nicht perforirt. Die tiefste Stelle entspricht nicht dem Beckenabscess. Die
Sägefläche des Oberschenkels mit Granulationen bedeckt; das etwas zurück-
geschobene Periost ist mit einein Osteophytenwall durchsetzt.«
Nr. 22 erlag hauptsächlich den Folgen eines intensiven Erysipels,
Nr. 23 und 24 der Pyämie*), Nr. 25 der Amyloiddegeneration.
Sie bilden nachstehende Verlustliste:
*) Nach Jacobsen's (s. No. 152) Erhebungen war die häufigste Todes-
ursache Entkräftung (59 Fälle), danach Phthisis und Pyämie (je 17 Fälle).
296
Dr. W. Stark.
25) Bürkin,
Friederich
24) Hausin,
Theodor
23) Bau-
knecht, Jacob
22) Buchbolz,
Therese
Namen j
03
o
1— '
Alter
Coxitis supp.
sin. et
Caries.
Coxitis supp.
dextra
et
Caries
Coxitis supp.
sin. et
Caries
Coxitis chron.
suppur. sin.
et Caries
1
er
CD_
5, IV,
1875
9, IV,
1875
1,11,
1873
6,
III,
1873
VIII,
1872
2, V,
1873
4,
xni,
1871
1,
VIII,
1872
Zeit des
Eintritts und
derResection
Semicircula-
rer Schnitt
Grosser
Trochanter
entfernt
Nicht typisch
7^2 Gm. (gros-
ser Trochan-
ter mit-
entfernt)
V. Langen-
beck'scher
Schnitt
4 Gm.
Atypisch
Zerbröckelt;
grosser Tro-
chanter mit-
entfernt
Resections-
schnitt
und Länge
desresecirten
Stücks
Keiner
2
5'
CD
i-i
Vorüber-
gehender
antifebriler
Effect; ebenso
der anti-
phlogistische
Antiphlogisti-
scher u. anti-
pyretischer
Einfluss ge-
ring und ohne
Dauer
Un- !
mittelbarer Comphcationen
Einfluss der 1 des Wundverlaufs.
Resection i
Incision einer Abscedirung unter-
halb der Spina ant. sup. Albumi-
nurie. Diarrhöen. Incision wegen
Eiterverhaltung im kleinen Becken.
Appetitlosigkeit. Erbrechen.
Decubitus
10. III. Entfernung nekrotischer
Knochenstücke der Gelenkpfanne.
15, III. Decubitus; jauchiges Secret;
Oedem der Beine; Abscedirung am
Handrücken; Collaps; Coma;
Icterus
3. V. hohes Fieber, 10. V. Eiter
übelriechend, Decubitus, 11. V, Oe-
dem des linken Oberschenkels,
14. V. Schüttelfrost; Collaps
8. VIII. Incision u. Entfernung von
Nekrosen. Erstere wiederholt wegen
ein. kalt. Abscesses a. Oberschenk eh
Erysipel. 25. IX. Dilatation der
Wunde bei fortschreit. Caries. Wei-
tere Ausdehnung des Erysipels.
Collaps.
<i M cri
03" "
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30,
IX,
1872
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Cß
Destructionsprozesse in den
Lungen.
Amyloidentartung der
Leber und Milz.
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3 CL
tn'
Thrombosen der Ven. sa-
phen. sin. und fem. sin.
Pyämische Abscesse
in den Lungen. Endocar-
ditis.
Thrombosis vente fem. dextr.
Caries pelvis. Lipomatosis
hepatis et renum. Degener.
lienis. Tuberculosis pul-
monum incipiens.
Sectionsbefund
Beiträge zu der Statistik und den Endresultaten der Gelenkresectionen. 297
In den beiden Pyämiefällen belief sich das Zeitintervall zwischen
Resection und exitus lethalis bei Nr. 24 auf 10, bei Nr. 23 auf 12 Tage.
Bios bei Nr. 23 ist der Tod als Folge der Operation zu betrachten,
nicht so bei den übrigen, welche an den complicirenden Erkrankungen,
der Amyloiddegeneration (Nr. 25 1 Monat und 8 Tage nach Voll-
zug des chirurgischen Eingriffes), und dem Erysipel (Nr. 22 2 Monate
nach der Operation) zu Grunde gingen, Nr. 24 war schon vor der
Operation septisch.
Bei 3 von diesen 4 Exempeln war der grosse Trochanter mit-
entfernt worden. Malgaigne's Erfahrungen zuwider hatte trotz-
dem Fall 25 Eiterverhaltung aufzuweisen. — Zwei derselben (Nr. 22
und 23) zeigten unmittelbar nach der Excision transitorisch einen
ihr zuzuschreibenden antiphlogistischen und antifebrilen Effect, die
übrigen beiden nicht.
In 2 Fällen (22 und 25) constatirte man neben den ander-
weitigen pathologischen Prozessen tuberculöse Erkrankungen der
Lungen.
Die hieraus resultirende Mortalitätszififer von 36,36'/o; welche
der geringsten von den in der vorhergegangenen Liste verzeichneten
(Fock = 36,307o) beinahe gleich kömmt, ist wohl desshalb so
relativ klein, weil die meisten der Patienten dem kindlichen Alter
angehörten. Das Alter aber hat — nach Jacobs en (1874) —
eine grosse Bedeutung für die Sterblichkeitsverhältnisse und Holmes
behauptet — Eulenburg's Worten gemäss — geradezu, dass
die Operation nur in der Kindheit ein günstiges Resultat gebe,
während die nach der Pubertät vorgenommenen Resectionen meist
tödtlich verliefen. iEulenburg (No. 150) selbst schreibt der
Schwierigkeit der Nachbehandlung zum Theile die im Allgemeinen
ungünstigeren Resultate bei Erwachsenen zu.
Von den 7 überlebenden Patienten stellten sich bis jetzt 6
zum Zwecke der Ermittlung ihres gegenwärtigen Zustandes zur
Disposition.
Die Krankheitsjournale der Sieben lauten folgendermassen :
298 Dr. W. stark.
Fall 26.
Franz Durst, 11 Jahre alt, aus Dillendorf, will früher ganz gesund
gewesen sein bis November 1871 , seit welcher Zeit sich die Gebrauchsfähigkeit
des linken Beines beständig verschlechterte, so dass von Ostern 1872 an Patient
das Bett nicht mehr zu verlassen vermochte. Die Extremität stellte sich in
Adduction, Flexion und Einwärtsrotation. Beim Eintreffen des Knaben (9. Mi)
im Spitale fand sich derselbe kräftig entwickelt, Temperaturerhöhung gering,
Trochant. major, auf- und rückwärts von der Nelaton'schen Linie. Ein von
der frühern Behandlung herrührendes Eczem musste erst durch Aqua Goulardi
geheilt werden , ehe ein Extensionsverband möglich war. Derselbe wurde am
19. Juli angelegt, 4 Pfund angehängt, vom Kranken sehr gut ertragen; man
musste ihn aber wegen Blasenbildung gegen einen Gypsverband (am 6. August)
vertauschen, nachdem zuvor die Schenkelstellung in der Narkose corrigirt worden.
Dessen Entfernung ward gleichfalls nothwendig, weil er linksseitigen Decubitus
am Becken verursachte. Daraufhin nahm das Fieber, welches auf 39,2 gestiegen,
wieder seinen milden Charakter an. Neue Effervescenz erfolgte, als sich, unter
den bekannten Klagen über Knieschmerz, eine neben dem grossen Trochanter
gelegene, bei Druck sehr empfindliche, fluctuirende Stelle zeigte. Volkmann-
sche Extension brachte Linderung. Da Jedoch die Temperaturerhöhung, die
Schmerzen und Fluctuation am Hüftgelenke nicht schwanden und aus diesen
Symptomen auf Vereiterung desselben geschlossen wurde, so schritt man am
14. November zur Besection: Semicirculärer Schnitt zwischen Spina ant. sup. und
Trochanter um diesen letztern herum, worauf reichlicher Eiterausfluss. Abtra-
gung des mit einander verschmolzenen Schenkelkopfs und -Halses nebst der
vom Knorpel bedeckten Trochanterspitze. Entfernung 2 kleiner, abgelöster Ne-
krosen des Acetabulum mit der Kornzange; nachher Perforation der Pfanne in
das Becken (für eine Fingerspitze durchgängig) nachweisbar.
Einige Nähte an den Wundwinkeln, Drainage bis gegen die Beckenper-
foration, Volkmann'sche Extension, StheiHge Matratze mit Ausschnitt für die
Wunde. Offene Behandlung derselben. — Der von Garies ganz zerfressene
Fenmrkopf mass zwischen den in der Längsrichtung von einander entferntesten,
besterhaltenen Stellen 2 Glm. An den noch zu unterscheidenden obern Parthien
hingen Kapselreste. Das Uebrige entstellte die Destruction bis zur Unkenntlich-
keit. Die Fiebercurve ging nach der Operation bedeutend in die Höhe bis auf
40,3 und lenkte erst am 11. Dezember wieder in gewohntere Bahnen ein. Doch
thaten diese hohen Temperaturen dem örtlichen Prozesse keinen Eintrag. Die
Wunde reinigte sich nach Entfernung der Nähte, Granulationen und Eiterung
waren gut. Anfangs Dezember litt Patient an Diarrhöen, welche durch Stopf-
diät, Rothwein, Tannin und Opium gestillt wurden. Etwas Frösteln (1. Dez.),
hierauf Schmerzen über dem Lig. Poupartii, Dämpfung daselbst, geringe Schwel-
lung des Oberschenkels verbunden mit Venectasien, erregten den Verdacht auf
Beckenabscess , ohne dass derselbe durch Rectal Untersuchung bestätigt werden
konnte. Eine kleine Nekrose, die die Beschaffenheit des Eiters vorübergehend
verschlechtert hatte, zog man am 7. Dezember aus. Am 14. erhielt der Kranke
ein Vollbad und neuen Extensionsverband (5 Pfund). Gegen einen leichten
Decubitus wurden Wasserkissen und Seifenpflaster verordnet, ein isolirter Abscess
im oberen, bereits vernarbten Wundwinkel incidirt. Von jetzt ab (1. Januar 1873)
Beiträge zu der Statistik und den Endresultaten der Gelenkresectionen. 299
nahm bei nur schwachen Fieberbewegungen die Wundheilung ihren ungehinderten
Verlauf: Der Gang nach dem Becken wurde enger, die Pfannenperforationsslelle
nach und nach unbetastbar, ebenso zog sich die Wunde von der Peripherie lier
zusammen. Die schlaffen Granulationen wurden öfters touchirt und die Becken-
verschiebung durch Contraextension mittelst Gummischlauch auf der gesunden
Seite beseitigt. Am 15. Januar vermochte Patient schon das Bein ohne Schmerzen
etwas zu adduciren. Vom 21. Februar an wurde Drainage und Verband weg-
gelassen, der Reconvalescent zweimal wöchentlich mit Erfolg gebadet , im März
4 Mal electrisirt und am 24. d. M. zum ersten Male ausgefahren.
Von nun an (24. März) stand er täglich auf und konnte, trotz bedeutender
Verkürzung des linken Beins mit starker Beckenverschiebung, an Krücken lang-
sam herumgehen. Im April blieb das Fieber ganz aus, Aussehen und Appetit
waren sehr gut , die Wunde fingerbreit und fingerlang , an 2 Stellen kam man
mit dem Lapisstifte noch etwas in die Tiefe. Das Gehen an den Krücken bes-
serte sich zusehends , auch vermochte der Knabe jetzt auf dem linken Fusse zu
stehen. Im Mai bekam er einen Stützapparat , der die kranke Extremität , das
Becken nnd den gesunden Oberschenkel umgriff, in welchem er mit Hülfe zweier
Stöcke zu gehen im Stande war.
Entlassung 13. Juni 1873.
Untersuchung im Dezember 1876 (durch Dr. H.Kaiser).
Fisteln sollen zeitweise aufbrechen.
1. r.
Distanz von Spina a. s. bis Cond. ext. fem. ... 38 Ctm. 43 Ctm.
,. Spina a. s. „ Mall, ext 73,25 „ 79,25 „
„ Nabel bis Cond. int. fem 47 „ 52 „
„ Mall, int 80,5 „ 87,5 „
„ „ Trochanterspitze bis Fusssohle ... 81 ,, 81 ,,
Länge des Fusses (Ferse bis Spitze des hallux) . 20 „ 22 „
Umfang des Oberschenkels in der Mitte .... 32 ,, 37,5 „
Umfang der Wade 24,5 „ 28 „
activ passiv
Flexion (bei fixirtem Becken) 90 Grad 90 Grad
Ab- und Adduction (bei fixirtem Becken) .... 30 „ 30 ,,
Rotation „ „ „ .... 45 ,, 45 „
activ
Erhebung des Beins 90 Grad.
Der Kranke kann ohne jede künstliche Unterstützung gehen, trägt jedoch
für gewöhnlich einen Stock und am linken Fusse einen Schuh mit 1 Ctm. Sohlen-
erhöhung. So vermag er eine Stunde weit zu marschiren.
Ueberdies ist er im Stande eine Leiter zu ersteigen und Lasten bis zu
50 Pfund zu tragen.
Fall 27.
Paul Haberstroh, 11 Jahre alt, aus Altsimonswald, fühlte im Herbste
1871 ohne bekannte Ursache eine eigentbümliche Schwäche im linken Bein,
verbunden mit dumpfen Schmerzen und Ziehen in der Hüfte. Diesen Symptomen
300 Dl'« W. stark.
folgte eine allmählig zunehmende , empfindliche Anschwellung der betreffenden
Hüftgegend, mit der er aber mehr oder weniger gut noch bis Frühling 1872
umhergehen konnte. Erst jetzt musste er das Bett hüten.
Bei der Aufnahme, welche am 1. August stattfand, zeigte sich eine so
gleichmässige und beträchtliche Schwellung der ganzen linken Hüftregion, dass
die Haut daselbst gespannt und die Knochenvorsprünge weniger deutlich waren.
Jede Bewegung des Gelenks und jeder Druck, hauptsächlich der auf die Plica
inguin. und den grossen Trochanter, verursachten dem Patienten heftige Schmer-
zen ; desgleichen die Streckung des Knies. Man vermochte nicht Fluctuation,
doch leichte Adductionsstellung der etwas atrophischen Extremität wahrzunehmen.
Es wurde mit minderndem Einfluss auf Schmerzen und Schwellung ein Heft-
pflasterextensionsverband (4 Pfd. +2 + 2) nebst Contraextension, Eisblase
und Bäder angewendet und öfters erneuert resp. wiederholt. Fieber stellte sich
nur zeitweise ein. Anfangs November machte sich an der äusseren Seite des
Oberschenkels, ungefähr handbreit unterhalb des Gelenks, eine fluctuirende, em-
pfindliche, etwa fünfmarkstückgrosse Geschwulst bemerklich, welche mit der
Zeit umfänglicher wurde; die Schmerzhaftigkeit steigerte sich gleichfalls. Die
Fluctuation markirte sich trotz der Gespanntheit des Tumors sehr deutlich, als
derselbe über Handgrösse betrug. Eine Mitte Februar (1873) auftretende Gesichts-
rose trieb während ihres Bestehens das Fieber in die Höhe (40,5), verschwand
aber nach 3 Tagen wieder. Am 23. d. M. war die fluctuirende Anschwellung
nach stetigem Wachsthum so oberflächlich geworden, dass sie gegen die Mitte
der äusseren Schenkelseite, 4 Fingerbreit unterhalb des Trochanters spontan auf-
brach und dünnen , flockigen , bröckligen Eiter entleerte. Den 27. nahm man
die Resection vor.
Auf die Incision eines Abscesses, der vor dem Collum femoris in die Höhe
führte, folgte der gewöhnliche semicirculäre Schnitt um den Trochanter: Das
Caput fem. war zerstört , das Collum sehr weich , Hess sich mit dem Messer
schneiden (Trochanter blieb stehen). Die in der Gegend des Lig. teres rauhe
und vertiefte, aber nicht perforirte Pfanne wurde etwas ausgelöffelt. Ihre vor-
dere Fläche trug Osteophytenbildungen.
Drainage gegen die Pfanne hin, einige Nähte, Stheilige Matratze, Extension
sollten den Heilprozfess unterstützen. Offene Wundbehandlung. — Schenkelkopf
difform durch Caries. Grösste Länge des vorhandenen Präparats 2^2 Ctm.
Abtrennungsfläche uneben, porös. Knochengewebe weich.
Das Fieber blieb auch nach der Operation (unter ausgiebigen Remissionen)
bei den kurz zuvor erreichten Temperaturgraden von 40 und darüber, kehrte
aber schon am 7. März auf 39" und weniger für die Dauer zurück. Zu diesem
Verweilen auf hoher Temperatur mochte ein Erysipel mitwirken , das am Tage
nach der Resection sich durch Kopfweh und Brechen ankündigte, am darauf-
folgenden um die Incisionsstelle des Abscesses auftauchte, sich alsdann bis auf
das Kreuzbein ausbreitete, um endlich am 7. März unter dem vorhin angeführten
Fieberabfalle zu verschwinden. Nichtsdestoweniger fühlte sich Patient wohl,
hatte guten Appetit, wenig Schmerzen, Wunden und Eiter sahen günstig aus.
Selbst Bewegungen des Beins waren am 7. März nicht mehr empfindlich, ja am
15. konnte er beim Verbinden seine 1. Extremität schmerzlos hängen lassen und
war am 20. .schon im Stande, dieselbe zu adduciren, nur die Rotation that noch
ein wenig wehe. Der Abscess und sein Kanal verkleinerte sich, die Operations-
wunde zog sich ebenfalls zusammen, mit der Irrigateurspitze kam man gegen
Beiträge zu der Statistik und den Endresultaten der Gelenkresectionen. 301
die Pfanne zu blos in einen kleinen Hohlgang. Ende dieses Monats begannen
die normalen Temperaturen. Den 4. April wurde der Verband abgenommen und
der Knabe frei im Bett gelagert; ferner bekam er zweimal wöchentlich ein Voll-
bad. Den 10. fuhr er auf dem Rollwagen, am 15. ging er etwas an der Krücke,
stand, obgleich nicht ohne allen Schmerz, auf dem 1. Fuss und lief am 30. besser
umher als Durst (Fall 26) , wenn schon die Resection im gegenwärtigen Falle
über ^/4 Jahr später gemacht worden war. Geringere Stellungsanomalien des
Beins und Beckens, sowie die nicht so weit fortgeschrittene Zerstörung zur Zeit
der Operation veranlassten solchen erfreulichen Unterschied. Die halbhandteller-
grosse, oberflächliche Wunde, welche nur wenig secernirte, complicirte sich im
Mai mit empfindlichen Leistendrüsenanschwellungen , deren Existenz noch im
October nachgewiesen zu werden vermochte. Ende letzterwähnten Monats brach
die bereits vernarbte Wunde an 3 Stellen vorübergehend wieder auf und eiterte
dorten unter allgemeinen Reizerscheinungen (Fieber, Schmerz). Die definitive
Ausheilung wurde durch Aetzungen beschleunigt, der Genesene am 29. Januar
1874 entlassen.
Eine spätere Untersuchung, im JuU 1875, zeigte :
Active und passive Beweglichkeit gleich und zwar: Beugung bis zum
rechten Winkel. Streckung normal. Pro- und Supination gering; erstere etwas
ausgiebiger als letztere. Adduction normal. Abduction bis zu 20°. Der linke
Hüftbeinrand steht '/2 Zoll höher als der rechte. Entfernung von der linken
Spina ant. sup. bis zum Mall. ext. 76,5 Ctm., rechts 81 Ctm. Länge des linken
Oberschenkels vom Trochanter bis Cond. ext. 38,5 Ctm,, des rechten Oberschenkels
39,5 Ctm. Länge des linken Unterschenkels vom Condyl. ext. bis Mall. ext.
34,5 Ctm. gegen 36 Ctm. rechts.
1. r.
Umfang des Oberschenkels in der Höhe der Analfalte 28,5 Ctm. 38,5 Ctm.
Umfang des Unterschenkels in der Mitte der Wade 23,3 „ 26 „
Patient wurde am 17. October 1876 abermals untersucht:
Vergangenen Sommer soll die Narbe hinter dem Troch. major aufgebrochen
und 7* Jahr lang offen geblieben sein. Im Anfang habe sich stinkender Eiter
in Menge entleert. Erst allmählig Hess die Secretion nach. Dabei waren
Schmerzen vorhanden. Im Uebrigen litt das Allgemeinbefinden nicht Noth und
traten nach Ablauf dieser Periode keinerlei Beschwerden mehr ein.
Der Operirte will mit Hülfe des Stockes 4 Stunden Wegs zurücklegen
können , ohne dass die resecirte Extremität ermüdet. Ohne Stütze vermag er
nur wenige Schritte zu machen, indem die neugebildete Gelenkverbindung nicht
die hinreichende Festigkeit besitzt, um das Körpergewicht auf die Dauer zu
tragen.
Längs der äusseren Seite des oberen Femurendes ist eine eingezogene,
derbe Narbe. Hinter dem Troch. major befindet sich eine zweite , längere , in
deren Mitte eine kleine Kruste haftet. — An Stelle des Troch. major hat
Knochenwucherung einen massigen Knorren formirt, der die Nelaton 'sehe Linie
um 3 Ctm. überragt.
Die Mensuration ergibt:
Länge vom Troch. maj. bis Cond. ext. .
„ „ Cond. ext. bis Mall. ext. . .
„ „ Troch. maj. bis Mall. ext. .
„ „ Spina a. s. bis Cond. int. .
1.
r.
40 Ctm.
38 Ctm.
36 „
41 „
76 „
79 „
42 „
47 „
302 Dl'. W. stark.
1. r.
Länge vom Cond. int. bis Mall. int. ... 35 Ctm. 39 Ctm.
„ „ Spina a. s. bis Mall. int. . . 77 „ 86 „
„ „ Spina a. s. bis Cond. ext. . . 42 „ 44 „
Die Verkürzung von 9 Ctm. wird durch eine linksseitige Sohlenerhöhung
um 3 Ctm. derart supplirt, dass das Hinken bei gleichzeitigem Gebrauche eines
Stalles nicht sehr bedeutend ist. Nach Ablegung des Schuhes gleicht Spitzfuss-
stellung besagte Differenz in hinreichendem Masse aus, Anomalien der Becken-
stellung fehlen sowohl beim Liegen als beim Stehen.
1. r.
Umfang in der Höhe des Trochanter . . 32 Ctm. 43 Ctm.
„ „ „ Mitte des Schenkels ... 31 „ 40 „
„ „ „ der Wade .... 28^2 „ 29V2 „
„ d.Fussgelenks (zw. Fussbeuge U.Ferse) 26 V2 „ 29 „
Länge des Fusses (Halluxspitze bis Fer-
senrand) 21V2 „ 241/2 „
Functionsprüfang :
Active Beugung bis zu einem nach vorn offenen W. v. 100 ; passive wegen
Schmerzen nicht weiter möglich. Streckung (active und passive) bis zu einem
nach hinten offenen Winkel (zw. Rumpf und gestrecktem Bein) von 177°. Ro-
tation nach aussen und innen etwas beschränkt. Adduction normal.
Abduction bis zu einem nach aussen offenen Winkel von 163°, passiv bis
zu 158°.
Bei all' diesen Versuchen, besonders aber bei den letztgenannten, bewegt
sich mehr weniger das Becken mit.
Während der passiven Excursionsmanöver (hauptsächHch der Flexion)
lässt sich in dem regenerirten Gelenke sehr deutlich ein Knacken fühlen, das
auch der Resecirte selbst empfindet.
Fall 28.
Karl Burgert, 7 Jahre alt, aus Oberprechthal , soll früher an Augen-
entzündungen und Drüsenschwellungen gelitten haben. Mitte des Jahres 1874
bekam er Fieber und typhöse Erscheinungen von etwa dreiwöchentlicher Dauer.
Nachher bemerkten die Eltern, dass das Kind mit dem rechten Fusse hinkte,
wobei es über Schmerzen im Knie klagte. Bald zeigte sich auch eine Geschwulst
in der Trochanterengegend , die ungefähr um Weihnachten 1874 aufbrach und
sich zur eiternden Fistel gestaltete. Seit Mai konnte der Knabe nicht mehr
gehen, nachdem eine neue Fistel sich etwas nach aussen von der Mitte der
vorderen Schenkelseite, handbreit unter dem Lig. Poupartii einen Ausweg gebahnt
hatte. Am 22. Juni 1875 wurde Patient in's Spital gebracht. Er sah bleich
und mittelmässig genährt aus. An der rechten Hüfte befanden sich die oben
erwähnten Fisteln. Das Bein war sehr abgemagert, im Winkel von 45° flectirt,
nach innen rotirt, ankylotisch. Die eingeführte Sonde gelangte in der Richtung
des Schenkelhalses auf cariösen Knochen. Ein solcher Befund berechtigte zur
Resection, welche am 30. zur Ausführung (unter Lister's Spray) kam. Mittelst
eines Längsschnittes gerade nach abwärts entfernte man den Kopf und Hals,
während der Trochanter major stehen blieb. Drainage und Extensionsverband
Beiträge zu der Statistik und den Endresultaten der Gelenkresectionen. 303
folgten nach. Das excidirte obere Femurende mass 2^4 Ctm., der Gelenk-
knorpel war bis auf einen kleinen in der mittleren Gegend befindlichen Distrikt
verschwunden , der Knochen am Caput und an der äusseren Seite des Collum
cariös. Ein IV2 Ctm. grosses vom vorderen Theile der Aussenseite abgelöstes
und inwendig ausgebuchtetes Stück bildete, wenn dem üebrigen angepasst, mit
der gegenüberliegenden, ebenfalls concaven Wand des Kopfes eine geräumige
Höhle (von P/2 Ctm. Tiefe). Die Sägefläche zog von aussen und unten nach
innen und oben. Das Fieber erschien als ein allmorgendlich remittirendes, welches
mit zeitweiser Intermission in verschiedener, doch nach und nach abnehmender
Intensität bis Ende October anhielt (Akme desselben 39,6 am 17. August). Die
Wundbeschaffenheit hatte nichts Nachtheiliges aufzuweisen; guter Eiter wurde
in massiger Menge secernirt (daher Herausnahme der Drainage am 17. August).
Vorübergehend bloss (23,-28. August) wucherte die Granulationsfläche stärker
unter Röthung und Schwellung der Leistengegend, Vergrösserung der Leisten-
drüsen und dünner Eitersecretion. Dadurch trat Verlangsamung des Heilverlaufs
ein (Lapis). Dessenungeachtet blieb das Allgemeinbefinden gut. Im September
versuchte der Resecirte erstmals in einem Taylor'schen Apparate zu gehen,
was keine Schmerzen verursachte. Recrudescenz der Entzündung in der Um-
gebung der Fisteln nöthigte Anfangs November zu neuem Bettaufenthalte. Bei
einer am 20. November staltgehabten Ausschabung der Wunde mit dem Simon-
schen Löffel traf man an einer Stelle auf rauhen Knochen. Die zu starke Aus-
wärtsrotation verbesserte ein Volk mann 'scher Zugverband. Dem folgten Ende
Dezember — viermal wöchentlich — Bäder. Einem dadurch veranlassten Auf-
quellen der Fisteln wirkte fortgesetztes Touchiren entgegen. Zu derselben Zeit
wurden die Geiiversuche wieder angefangen trotz geringer Schwellung des Knie-
gelenks, doch die Besserung der Gebrauchsfähigkeit durch einen schlechten
Stützapparat hintangehalten. Dagegen verkleinerten sich die regelmässig geätzten
Fisteln; ferner hoben gute Nahrung, viel Aufenthalt in frischer Luft und regel-
mässiges Baden die Kräfte des Reconvalescenten , den man am 13. Juni 1876
in ein Salzbad entliess, um dort durch eine zweckmässige Fortsetzung der
beobachteten Kurmethode in Bälde eine vollkommene Ausheilung zu erzielen.
Fall 29.
Johann Volmer, 9 Jahre alt, von Wolfach, wurde im Herbste 1874
vom Schulmeister gegen den linken Trochanter getreten , machte hierauf einen
Typhus durch und fing nach Ablauf desselben an, über Schmerzen in der linken
Hüfte zu klagen. Er begann mehr und mehr zu hinken, bis er schliesslich das
Gehen ganz aufgab und einen Arzt zu Rathe zog, der ihm 6 Wochen vor seiner
Aufnahme in's Spital, welche am 26. October 1875 erfolgte, das Bein eingypste.
Das kranke Glied war 2 Ctm. kürzer als das gesunde. Selbstständige
Excursionsfähigkeit der Extremität ohne Mitbewegung des Beckens fehlte voll-
ständig. Sowohl directer als indirecter Druck schmerzte sehr. Patient erhielt
einen Extensionsapparat im Bette. Fieber bestand sogar dann nicht, als am
9. November deutliche Fluctuation in der Tiefe Vereiterung des Gelenkes bewies.
Am 27. November trat eine phlyctänuläre Conjunctivitis auf, die man mit Borax-
lösungen und Atropin behandelte. Sie besserte sich ra^ch nach Beseitigung des
afficirten Gelenkes, welche am S.Dezember (1875) stattfand. Letzterer ging eine
304 Dr- W. Stark.
Incision voraus an der Vorderseite des Oberschenkels — wo die Fluctuation am
ausgesprocliensten — um zunächst die grosse Eiterhöhle von ihrem käsigen
Inhalte zu befreien. Die Resection selbst begann unter Lister'schem Spray mit
einem hintern, linearen Schnitte. Der weiche Kopf wurde mit der Stichsäge
oberhalb des Trochanters vom Schafte abgetrennt, das Acetabulum mit dem
Simon'schen Löffel ausgekratzt, darauf 2 Drainageröhren eingeführt und der
Extensionsverband (mit nachträglicher [9. Dezember] Contraextension) wieder
angelegt. Nach der Operation collabirte der Kranke (Garbolurin) und erbrach
häufig. Dagegen Champagner. Die Temperatur sank auf 35 ". Bald aber
hob sich der Zustand und mit ihm die Curve , welche nur wenige Tage hyper-
normale Höhe erreichte. Am 14. Dezember schon sahen die öfters geätzten
Wunden ausgezeichnet aus, desgleichen der Patient. Den 19. Januar bheb die
Extension weg, den 21. Januar fingen die passiven Bewegungen und Bäder an.
Die Wunden hatten sich fast vollständig geschlossen. Wegen zunehmender Becken-
verschiebung musste, nachdem ein kleiner Druckdecubitus ausgeheilt, der Exten-
sionsverband nochmals für einige Zeit appiicirt werden. Später verliess der Junge
das Bett, machte Gehversuche, ging an Krücken, im Mai 1876 am Stocke,
schliesslich ohne Stock. Das Touchiren zweier übrig gebliebenen Fisteln und
die Bäder setzte man fort. Am 6. Juni trat der Reconvalescent aus.
22. November 1876:
Der Junge sieht blass aus, leidet an Conjunctivitis, behauptet aber, im
Uebrigen seither gesund gewesen zu sein. Schmerzhaftigkeit der resecirten Ge-
lenkgegend fehlt. Er geht ohne Beschwerden in der Maschine mit Hülfe eines
Stocks , wobei eine Sohlenerhöhung von 3 Gtm. das Hinken möglichst beseitigt.
Auch nach Entfernung jeglichen Unterstützungsmittels vermag er Schritte zu
machen und einige Zeit zu stehen , während die Verkürzung durch Spitzfuss-
stellung ersetzt wird. Das Bein ist stark adducirt, was bewirkt hat, dass nun
durch Beckenverschiebung die linke Spina ant. sup. 3 Ctm. höher liegt als
rechterseits. Abscess- und Resectionswunde zeigen solide Benarbung ohne Re-
siduen der noch lange bestandenen Hohlgänge. Der neugebildete Trochanter
stellt einen massigen Knorren dar, welcher 2 Ctm. über die Nelaton'sche
Linie emporragt.
1. r.
Länge vom Troch. — Gond. ext 31 Ctm. 29 Ctm.
„ „ Cond. ext. — Mall, ext 30 „ 30 „
„ Troch. — Mall, ext 61 „ 59 „ Diff. 2
„ „ Spina a. s. — Cond. int. ... 34 „ 36 ,,
„ „ Cond. int. — Mall, int 29 „ 29 „
„ „ Spina a. s. — Mall. int. ... 63 „ 65 „ Diff. 2
Nabel bis Mall int 63 ßS 3 Ctm- betragend
i^aoei Dis man. mi oö „ dö „ Beckenverschie
üiff. 5 wegen der
. Tjetr
3nve:
bun"
Umfang d. Oberschenkels in d.Trochantergegend 28 „ 32 „
,, ■ „ „ „ Mitte .... 25 „ 28 „
„ des Kniees 25 „ 25 „
„ der Wade 21 „ 22 „
Keine weitern Differenzen.
Es besteht ein durch Lendenwirbelsäulen-Lordose ausgeglichener Flexions-
winkel (des Femur) von ca. 145**. Freie Beweglichkeit (Flexion, Extension,
Beiträge zu der Statistik und den Endresultaten der Gelenkresectionen. 305
Rotationen, Ab- und Adduction), ohne Beihülfe des Beckens etc. ist bei der
Starrheit der neuformirten Gelenkverbindung nur in geringem Grade möglich.
Unter Theilnahme des Beckens und der Lendenwirbelsäule kann eine active
(ebenso passive) Flexion bis 117° erzielt werden, wobei das Knie sich bis zum
Winkel von 93" biegt. Das vollständig gestreckte Bein wird bis zu 140» erhoben.
Die selbstständig ausgeführten Streckungsversuche, desgleichen die Ab-, Adduction
und Rotationen bleiben, wenn Becken und Wirbelsäule mithelfen, nur wenig
hinter dem normalen Maasse zurück.
Fall 30.
Therese Flach, 13 Jahre alt, aus Seilbach (Amt Lahr) empfand Ende
November 1875 erstmals beim Gebrauche des linken Beins Schmerzen von der
Hüfte zum Knie und bis in die Ferse. Unter stetiger Zunahme derselben ent-
wickelte sich allmählig an der linken Kreuzgegend eine Geschwulst, welche ein
Arzt Ende Februar aufschnitt und dadurch beträchtliche Eitermengen heraus-
beförderte. Sofortige Gegenöffnung und Durchziehen eines Drainagerohrs, welches
5 Wochen iiegen blieb, bezweckten freien Abfluss des Eiters. Dieser wurde erst
reichlich, später in geringerer Quantität producirt. Patientin hütete nach der
Incision nur 2 Tage das Bett. Die Schmerzen verminderten sich , so lange das
Drainrohr Stagnation des Secretes verhinderte, exacerbirten aber nach dessen
Herausnahme in solchem Grade wieder, dass die Kranke seit Mitte April ständig
bettlägerig war. Dabei litt glücklicherweise das Allgemeinbefinden wenig Noth.
Nach ihrer Ankunft im Spitale am 8. Mai wurde eine Heftpflasterextension an-
gelegt, musste aber der Schmerzen wegen schon am 20. entfernt werden. Die
Fisteln secernirten zuerst dünnen, dann blutigen Eiter. Am 24. nahm man die
Resection vor nach einer genauen Untersuchung, die nachstehende Ergebnisse
lieferte: Aussehen der Patientin blass, Ernährung ziemlich gut. Hinter dem
linken Troch. major Schwellung. Der Spina post. inf, sin. entsprechend Fistel
mit scharfen Rändern; Gegenöffnung über dem Troch. maj. Eingezogene Narbe
unter und hinter dem Troch. major. Flexionswinkel des Beins von 150 *•,
Adduction = 165°. Bei Rückenlage anscheinend linksseitig Verkürzung der
untern Extremität um 1 Ctm. ; Spina ant. sup. 1 Gtm. höher als rechts. Ober-
schenkel etwas atrophisch ; Umfang im untern Drittel 24,5 Ctm. ; rechts 27 Gtm.
Linke Leistendrüsen geschwellt. Stehen auf dem kranken Fuss unmöglich ; ebenso
das active Erheben der Ferse von der Unterlage. Bei passiven Excursions-
versuchen Mitbewegung des Beckens und grosse Empfindhchkeit. Directer und
indirecter Druck schmerzhaft. In der Narkose nahezu vollständige Flexions-
fähigkeit des Gliedes, weniger Rotation, gar nicht Adduction. Rauhigkeiten bei
Bewegungen fühlbar. Fistel führt hinter dem Trochanter major in's Hüftgelenk.
Letzteres wurde nun durch einen hinter dem Troch. maj. gemachten, 10 Gtm.
langen Bogenschnitt biosgelegt, das Periost vom Knochen abgelöst. Das Gelenk
und seine Umgebung waren mit fungösen Granulationen besetzt. Dieselben
trennte man mit Hohlscheere und scharfem Löffel ab und kratzte das theilweise
miterkrankte Acetabulum aus, nachdem die Stichsäge durch Abtragen des oberen
Femurendes unterhalb des Troch. Raum geschafft hatte. Die Höhle wurde mit
5°/o Carbolwasser gewaschen ; dessgleichen das die Fistelgegend umgrenzende
Unterhautzellgewebe , welches zuvor von schlaffen , granulösen Wucherungen
Czerny, Beiträge zur operativen Chirurgie. 20
306 Dr. W. stark.
mittelst des Schablöffels befreit worden war. Die Haut daselbst zeigte aus-
gedehnte Unterminirung. Drainageröhren, Vernähung der untern Wundparthie,
desinficirender Verband und Heftpflasterextension (1 Kilo) markirten das Ende
der Operation, bei der streng das Li st er 'sehe Verfahren beobachtet worden.
Das resecirte Knochenstück mass 6 Gtm. Es erschien sehr hyperämisch. Ein
Streifen des Gelenkknorpels von 3 Gtm. Länge und 1,5 Gtm. Breite fehlte (in
der Mitte) , der dem Defecte zunächst gelegene erwies sich verdünnt und ver-
färbt, der an der Aussenseite abgehoben. Den Schenkelkopf umgab ein Kranz
schwammiger Granulationen. Die Rindensubstanz der vordem Gegend trug
Erosionen. Der Trochanter fühlte sich weich an. Das Fieber, welches — die
ersten Tage ausgenommen — ein Morgens bis zur Norm remittirendes war,
culminirte in 39,5°, bewegte sich jedoch durchschnittlich bis Ende Juni um 38,5"
herum. Die W^unde sah schön aus , secernirte massig , wesshalb schon am
25. Mai ein Drainagerohr entfernt und ein zweites nur bis 8. Juni darin gelassen
wurde. An Stelle der anfänglichen Schmerzen trat bald subjectives Wohlbefinden,
das selbst durch vorübergehende Garbolintoxication (2. Juni Garbolurin) nicht
abnahm. Eine stärkere Belastung des Extensionsapparates, welche (27. Mai) die
übermässige Abduction des Beins beseitigen sollte, wirkte so ausgiebig, dass
zur Correction der hierdurch herbeigeführten gegentheiligen Stellungsanomalie
(12. Juni) ein Heftpflasterzugverband (3 Pfund) rechterseits applicirt und zugleich
daselbst Gontraextension (3 Pfimd) angebracht werden musste. Alsbald besserte
sich die fehlerhafte Haltung des Gliedes. Schwellung der Umgebung, croupöser
und speckiger Belag (12. Juni bis 10. August) Schlaffheit der Granulationen
thaten ab und zu dem Benarbungsprozess Eintrag, so dass er trotz des guten
Allgemeinzustandes (seit Juli nur noch geringe Fieberschwankungen) blos
langsam seinem Ziele näher rückte. Lapisätzungen bezweckten desshalb dessen
Beschleunigung. Vom 19. Juli an machte man passive Bewegungsversuche, die
nicht schmerzten, aber nach Kurzem (29. Juli) wieder eingestellt wurden, weil
sie (am 26. und 27. Juli) Temperatursteigerung bis 38,5o verursachten. Seit
8. August bestand dauernd Apyrexie. Erst vom 30. September an erlaubte der
Zustand der Patientin das Umhergehen in einem Stützapparate. Am 20. October
stellte man Folgendes fest:
Die Patientin klagt weder über eine Störung des Gesammtbefindens, noch
über Schmerzen im operirten Beine. Die Eiterung ist ziemlich reichlich. Die
Resectionswunde klafft in einer Länge von 9 Gtm. Ihre Umgebung ist livide
gefärbt. Ausserdem sitzt eine rothe Narbe von 3 Gtm. Ausdehnung in der linken
Sacralgegend. Ein erheblicher VViederersatz der excidirten Knochentheile hat
sich bis jetzt nicht eingestellt. Die Sonde stösst nicht auf blossliegenden Knochen.
Die Messung constatirt: 1. r.
Umfang des Oberschenkels in der Trochantergegend 42 Gtm. 42 Gtm.
„ „ Mitte 30 „ 33 „
der V^ade 22V2 „ 231/2 „
Weiter nach abwärts keine Differenz;
Länge von Spina a. s. bis Gond. int 39 „ 43 „
Cond. int. bis Mall, int 29 „ 29 „
Spina a. s. bis Mall, int 68 „ 72 „
Troch. maj. bis Gond. ext 29 „ 34 „
Cond. ext. bis Mall ext 31 „ 31 „
Troch. major bis Mail, ext 60 „ 65 „
Beiträge zu der Statistik und den Endresultaten der Gelenkresectionen. 307
Also Verkürzung linkerseits von 5 Gtm.
Das Becken steht auf beiden Seiten (in Ruhelage und aufrechter Stellung)
gleich hoch.
Die active Beugung geschieht bis zu einem Winkel von 115°, ohne Mit-
hülfe des Beckens, passiv bis llio. Lästiges Gefühl von Spannung im Knie,
woselbst eine active Flexion von 110°, eine passive von 63° effectuirt zu werden
vermag, verbietet ausgiebigere Excursionen. — Die Resecirte ist im Stande, Ein-
und Auswärtsrotationen in beschränktem Maasse zu bewerkstelligen, bei forcirten
Manipulationen bewegt sich das Becken mit. Die Abduction kann bis zur
normalen Grenze (activ) ausgeführt werden, doch nur dann, wenn dem Kinde
die Möglichkeit zu Gebote steht, mittelst Anstemmen und Rotationsbewegungen
des betreffenden Fusses die mangelhafte Muskelthätigkeit zu unterstützen. Gleich-
zeitige Veränderung der Beckenstellung beeinflusst auch hierbei die gewonnenen
Resultate, welche, sobald eine solche vermieden wird, nur gering ausfallen. Die
Adductionsfähigkeit hat, aber gleichfalls blos bei Nichtrücksichtnahme auf Mit-
thätigkeit des Beckens, wenig Noth gelitten. Ebenso lassen Streckversuche (nach
hinten) Beeinträchtigung der Functionirung in dieser Richtung festsetzen.
Das Mädchen steht kurze Zeit ohne Unterstützung, wobei die Fusssohle
auf dem Boden aufruht und die Verkürzung durch Flexion im gesunden Knie
sich ausgleicht. Das Gehen ist nur im Stützapparate möglich; dabei hinkt
Patientin sehr stark und vermag ohne Beihülfe eines Stockes blos wenige
Schritte zu machen.
Die Resectionswunde hatte sich, wenn gleich zögernd, bei Fortsetzung der
Behandlung mit Lapis und Salicylsalbeverband verkleinert, so dass am Tage der
Entlassung, den 7. Dezember, in der Narbe nur eine oberflächhche Fistel, eine
zweite am obern Ende der erstem restirte. Ausserdem existirte noch der früher
erwähnte Hohlgang an der Hinterseite des Darmbeins, welcher etwa 5 Gtm. weit
hinter der Hautdecke hin, doch nicht auf entblössten Knochen führte.
Folgende, ehedem nicht vorgenommenen Messungen ergaben :
1. r.
Nabel bis Mall, extern 76 Gtm. 78,5 Gtm.
,. „ „ intern 74 „ 77,5 „
Spina oss. ilei ant. s. bis Mall, extern 68 „ 72,5 „
Die Functionsprüfungen zeigten gegen den frühern grössere Beeinträchtigung
der Beweglichkeit: Active Flexion bis 115°, passive — ohne Betheiligung des
Beckens — nahezu 90°; Rotation activ nicht möglich, passiv nur mit Theilnahme
des Beckens.
Fall 31.
Caroline Strittmatter, 14 Jahre alt, von Bergelingen, stand in
ihrem achten Lebensjahre wegen Drüsenschwellungen im Unterleibe in Behand-
lung eines Arztes, der Leberthran und Soolbäder ordinirte.
Im Herbste 1875 wurde das linke Hüftgelenk spontan empfindlich , was
die Gebrauchsfähigkeit des fraglichen Beins derart beschränkte, dass Patientin
beim Gehen eines Stockes bedurfte und jede grössere Anstrengung gänzhch ver-
mied. Nach und nach strahlten die Schmerzen an die Innenseite des Femur,
bis zum Knie herab , aus. Mitte April 1876 entwickelte sich eine Geschwulst
308 Dr. W. stark.
an der Aussenfläche des linken Oberschenkels , die stetig wuchs. Schon vorher
war die Extremität nach innen rotirt und gebeugt. Trotzdem von nun an das
betreffende Glied besonders der Schmerzen halber völlig functionsuntüchtig ge-
worden, vermochte das Mädchen doch, sich mittelst Krücke und Stock fortzu-
bewegen. Eine Beeinträchtigung des Allgemeinbefindens hatte dieses Localleiden
nicht zur Folge. Der Anfangs Juni herbeigerufene Arzt diagnosticirte linksseitige
Hüftgelenksluxation , und Patientin wurde den 27. Juni 1876 in's hiesige Spital
verbracht. Sie war gut genährt. Bei möghchst gerader Rückenlage stand die
linke Spina 3 Ctm. , die linke Ferse 5,5 höher als die rechte. Der Adductions-
winkel umfasste SO**, die Flexion 25°, Rotation 60". Die Haut über dem grossen,
üuctuirenden Tumor, welcher 3 Ctm. unter der Crista ilei anfing und bis zur
Oberschenkelmitte reichte, erschien geröthet und gespannt. Der Umfang des
Oberschenkels dicht unter der Leistenfalte mass hnks 39, rechts 36,5 Ctm.; die
grösste Länge der Geschwulst betrug 27 Ctm. Auf sofortige Spaltung des Ab-
scesses unter Carbolspray Mef viel geruchloser Eiter heraus. Drainröhre, Lister'-
scher Verband und Salicyljute leitete die fernere örtliche Behandlung ein. Am
30. Juni wurde ein Heftpflasterextensionsverband angelegt (1,5 später 2,5 Kilo).
Das Secret trat reichlich hervor, roch schlecht. Die Wunde wies (5. Juli) crou-
pösen Belag auf. Fieber bestand seit 2. Juli und erreichte am 6. Juli die Höhe
von 39,8. Diese Erscheinungen complicirten noch Herpeseruption am linken
Mundwinkel und Wange , Carboleczem in der primär afficirten Gegend , dess-
gleichen Carbolurin und weitere Carbolintoxicationserscheinungen (Kopfschmerz,
Erbrechen). Man verordnete desshalb sowohl innerlich als äusserlich ausschliess-
hch Salicylpräparate und wendete aus demselben Grunde hei der am 10. Juli
vorgenommenen, subperiostalen Resection den Salicylspray an. Ein Schnitt über
dem Trochanter verschaffte Zugang zu dem nach aussen und oben abgewichenen
Schenkelkopfe, der dort in einer zwar neugebildeten, aber ebenso wie die alte
mit Granulationen durchwucherten und cariösen Pfanne articulirte. Wegen
Erweichung des Caput, Trochanter und obern Femur-Theils mussten etwa 2 Ctm.
von letzterm mit abgesägt werden. Das excidirte Stück in tote belief sich auf
5 Ctm. Die Schnittfläche stieg von aussen und unten nach innen und oben.
Am Caput femoris fehlte der Knorpel der Vorderregion; der übrige hatte eine
lockere Consistenz. Das Knochengewebe der Rückseite des Kopfes und Halses
erwies sich morsch; ebenso am Trochant. major. Das Collum zeigte die hintere
Rindenschicht theilweise zerstört. Das Knochenmark war weich und granu-
lirend. Ausserdem fanden sich 3 Abscesse; einer in der Tiefe des Gelenks, ein
zweiter oberhalb, der dritte unterhalb des Glutaeus, von welchen letzterer die
Haut weit abwärts unterminirte. Diese Eiterhöhlen wurden ausgekratzt, drei
Drainröhren durchgezogen, eine Ligatur angelegt.
Collapszustand am Abend der Operation verbunden mit heftigem Er-
brechen (trotz Champagner und Eispillen) drückte die Temperatur auf 36,5° herab.
Die Körperwärme erhob sich am folgenden Tage wieder bis zu 39° und ge-
staltete sich nach einer Woche schon normal. Dem entsprechend besserte sich
das subjective Befinden bereits am 11. Juh. Der Carbolurin verschwand. Die
Wunde sah gut aus und secernirte massig Eiter, wesshalb die Drainagen bald
(16. Juli) entfernt werden konnten. Eine fehlerhafte Stellung des Beins (am
15. Juli) glich sich nach Anlegung einer Heftpflasterextension sofort aus. Am
8. September war der Benarbungsprozess, dem man nur zweimal (10. u. 17. Au-
gust) mit Lapis nachhalf, vollendet. Bereits am 20. August hatten die ersten
Beiträge zu der Statistik und den Endresultaten der Gelenkresectionen. 309
passiven Bewegungsversuche Statt gehabt. Den 20. September brachen neben
der ursprüngHchen Wunde 2 kleine Abscesse auf, deren fistulöse Oeffnungen
mehrmals mit Höllenstein geätzt wurden.
Eine Prüfung des vorläufig errungenen Resultates am 20. October 1876
ergab :
Die sehr gesund aussehende Resecü-te weiss auf Befragen über Nichts zu
klagen. Die in der Richtung des Femur verlaufende Narbe ist 8 Gtm. lang, ge-
röthet, selbst bei Druck nicht schmerzhaft. 2^2 Gtm. hinter derselben mündet
ein Fistelgang, der spärüch eitert, doch nicht bis auf denudirten Knochen führt.
Regeneration der entfernten Theile hat bis zur Zeit nicht reichlich stattgefunden.
1. r.
Umfang des Oberschenkels in der Trochanterhöhe . 45 Gtm. 45 Gtm.
„ der Oberschenkelmitte 36 „ 38 V2 „
„ Wade 23'/2„ 23V2 „
1. r,
Länge von Spina a. s. — Cond. int 36 Gtm. 40 Gtm.
„ Gond. int. — Mall, int 31 „ 32 „
„ Spina a. s. — Mall, int 67 „ 72 „ Diff. 5
„ Troch. — Gond. ext 28 „ 36 „
", „ Gond. ext. - Mall, ext 32 „ 32 „
„ Troch. — Mall, ext 60 „ 68 „ Diff. 8
'[ „ Nabel bis Gond. int 37 „ 42 „
„ „ Mall, int 70 „ 75 „ Diff. 5
„ „ Spina a. s. — Gond. ext 35 „ 40 „
„ „ „ — Mall, ext 69 „ 75 „
„ des Fusses 20 „ 21 „
Active Flexion bis zum Winkel von 110° (ohne Beckenmitbewegung).
Schmerz und Spannung im Knie, das activ bis 105", passiv bis 85» ge-
beugt werden kann, verwehren stärkere passive Versuche in dieser Richtung.
Rotationsbewegungen sind beschränkt, an ausgiebigeren nimmt das Becken Theil;
passive schmerzend Auch Ab- und Adduction werden in geringerem Maasse selbst-
ständig, in grösserem mit Zuhülfenahme des Beckens (ebenso bei passiven)
ausgeführt. Bei Streckversuchen (activen und passiven) hindert die Klage über
Spannung im Knie weitere Excursionen.
Stehen ohne Stütze ist möglich (auf Augenblicke), indem die Verkürzung
(8 Gtm.) durch Spitzfussstellung ausgeglichen wird. Sie geht nur an der Krücke
und hinkt sehr. Beckensenkung kann man nicht nachweisen.
Den 29. October ging Patientin zum ersten Male mit der Maschine herum.
Am 1. Dezember öffnete sich der unterste Hohlgang, welcher einige Zeit hindurch
geschlossen war, abermals. Er gestattete der Sonde ein Eindringen bis zu 5 Gtm.
schräg nach innen und oben, ohne auf Knochen zu führen. Der noch bestehende
obere Fistelgang führt 4 Gtm. direct nach einwärts , gleichfalls nicht bis auf
Knochen. Ersterer verklebte wieder am 19, Dezember, nachdem man Ruhe und
Lapisätzungen verordnet hatte. Doch am 10. Januar 1877 erfolgte neuerdings
ein Durchbruch desselben nebst etwas Eitersecretion. Vorübergehend Heft-
pflasterextension. Dieser Zustand, der jedoch das Allgemeinbefinden keineswegs
beeinträchtigte, blieb sich bis ziu- Entlassung (3. Februar 1877) ziemhch gleich.
Die Beweglichkeit war geringer wie früher:
Active Erhebung des gestreckt gehaltenen linken Beins nicht möglich, des
310 Dr. W. Stark.
Beins bei gebogenem Knie bis zu 30", passiv bis 80°. — Rotation activ ohne
Betheiligung des Beckens nahezu in der Ausdehnung eines recliten Winkels. —
Adduction und Abduction nur in geringem Maasse. Das hnke Bein etwas in
Adductionsstellung. Unter Beihülfe von Krücke und Stock geht Patientin mit
der Maschine.
Fall 32.
Otto Pröttel, 9 Jahre alt, aus Waghäusel, begann in seinem 5. Lebens-
jahre über Schmerzen im rechten Knie zu klagen. Die Beschwerden stiegen;
er fing an zu hinken und musste schhesslich Krücken zu Hülfe nehmen, nach-
dem sich exquisite Adduction s- und Flexionsstellung, welche seit 2 Jahren selbst
gewaltsam nicht mehr corrigirt werden konnte , ausgebildet hatte. Vor Jahres-
frist trat deutlich eine wachsende Anschwellung der betreffenden Hüftgegend zu
Tage, wurde weich, wölbte sich am Trochanter mehr und mehr hervor, brach
Anfangs Juli 1876 auf und entleerte massenhaft Eiter. Dieser Vorgang verlief
vollständig schmerzlos und unter so geringer Affection des Allgemeinbefindens,
dass Patient bis zu seiner Aufnahme, welche am 19. Juli 1873 erfolgte, mit
Krücken herumhumpelte.
Man constatirte eine Flexion des Hüftgelenks von 80°, Adduction von 50°,
Einwärtsrotation von etwa 20°. Die rechte Ferse stand, wenn beim Aufsitzen
der Oberschenkel auf der horizontalen Unterlage auflag, 11 Ctm. über der linken.
Beim Stehen blieb der Fuss der kranken Extremität beinahe in der Höhe des
Kniees der gesunden Seite.
Das Mass von
r. 1.
der Spitze des Trochanter — Condyl. ext. betrug . 34,5 Ctm. 35,5 Ctm.
Condyl. ext. — Malleol. ext 28 „ 29 „
Umfang des Oberschenkels in der Mitte .... 26 „ 33 „
Grösstem Wadenumfang 20*/2 „ 25 „
Die rechte Trochanterspitze befand sich in der Nelat on'schen Linie.
Active Beweglichkeit existirte nicht , passive in geringem Grade ; bei grösserer
bewegte sich das Becken mit. Weil man am 25. Juli nach Dilatation der be-
stehenden Fistelöffnung mit dem Finger eine rauhe Stelle des Schenkelkopfes zu
betasten vermochte, eine gewaltsame Streckung überdies bei vorhandener Fistel
gefährhch erschien, wurde unter Lister's Desinfectionsmassregeln mittelst des
V. Lange nbeck'schen Schnittes der Zugang zum Kopfe und Trochanter ermög-
licht und beide — letzterer erst dann, als er die völlige Geradrichtung ver-
hinderte — resecirt. Drei Unterbindungen, 6 Nähte und Drainage waren er-
forderlich. Ein Heftpflasterextensionsverband (5 Pfund) folgte. Der Gelenkkopf
des Präparates, welch letzteres aus 2 Stücken bestand und 5'/4 Ctm. lang war, hatte
seinen Knorpelüberzug eingebüsst und präsentirte so hüllenlos seine theils durch
regressive (Vertiefungen besonders an der Hinterseite), theils durch progressive
(Erhabenheiten) pathologische Vorgänge bedingte Missstaltung. Die übrigen
Parthien erwiesen sich hart und gesund. Die vor der Operation normale Tem-
peratur stieg am zweiten Tage nach derselben und erreichte alsdann die Höhe
von 39°, in deren Nähe sie einige Zeit Abends verbheb, während morgenthche
Remissionen bis zur Norm erfolgten. Die Nähte blieben theils 2, theils 4 Tage
liegen. Dem subjectiv ausgezeichneten Zustande entsprach vollkommen der ob-
Beiträge zu der Statistik und den Endresultaten der Gelenkresectionen. 311
jective Befund. Der Fuss stellte sich rasch besser. Trotzdem der Resecirte die
Extension Anfangs schlecht ertrug, konnte doch schon am zweiten Tage eine
Gontraextension von 3 Pfund auf der gesunden Seite angebracht, die Extensions-
last vermehrt werden (allmählig um 3 Pfund). Die Wunden eiterten massig.
Am 6. VIII. war noch eine Incision nöthig, jedoch vom 30. d.M. an das Einlegen
von Drainageröhren überflüssig. Aetzungen — seit 15. September — sollten den
Heilverlauf noch beschleunigen. Etwas Decubitus am Knie und Fussgelenke
nöthigten vorübergehend zur Abnahme des Heftpflasterverbandes. AUmähhg
ging das Fieber zurück, exacerbirte aber nochmals Anfangs Oetober und November.
Status vom 11. November 1876:
Die Heftpflasterextension ist seit etwa 3 Wochen ausgesetzt. Das Fieber
hat sich fast völlig verloren. Der Appetit soll gut, Schmerz gänzlich verschwun-
den sein. Ausser der Resectionsnarbe befindet sich eine etwa 6 Ctm. lange,
gleichfalls geröthete an der Vorderfläche des Oberschenkels. Beide haben (erstere
in der Mitte, letztere am obern Ende) noch Mündungen eiternder Hohlgänge, die
jedoch nur massig secerniren. Durch die der erstem kommt man 7^2 , durch
den der letztern 7 Ctm. in die Tiefe nach dem Gelenk zu, aber nicht auf Knochen.
Am 20. Dezember trat Patient aus, nachdem er einen Stützapparat er-
halten und in demselben zum Gehen sich eingeübt hatte. Die Fisteln der Re-
sections- und Incisionsnarbe secernirten noch etwas.
r. 1.
Länge von Spina a. s. — Cond. int 35 Ctm, 38 Gtm.
„ Gond. int. — Mall, int 28 „ 29 „
„ „ Spina a. s. — Mall, int 63 „ 67 „
„ „ Troch. — Gond. ext 27 „ 30 „
„ „ Gond. ext. — Mall, ext 29 „ 32 „
„ „ Troch. — Mall, ext 56 „ 62 „
Umfang d. Oberschenkels in der Trochantergegend 34 „ 38 „
„ „ Mitte .... 25 „ 32 „
„ „ Kniegelenks 26 „ 28 „
„ der Wade 19 „ 21 „
„ des Fussgelenks (Fussbeuge bis Fersenrand) 23 ','2,, 25 „
Länge des Fusses (Spitze d. Hallux bis Fersenrand) 21 ,, 22 „
Durchmesser des Kniees zwischen d. Gondylen . 7 „ 772,,
„ „ „ von vorn nach hinten . 6^2 „ 7Y2 „
Rechte Spina a. s. steht ungefähr 2 Gtm. höher als linke.
Funclionsprüfung :
Active Flexion des Oberschenkels bis 123°, passiv bis 76°. Beugung im
Knie bis 98°; passiv wegen Spannung nicht weiter. Erhebung des gestreckten
Beins ist selbstständig nicht möglich. Ab- und Adduction werden nur mit grosser
Mühe und unvollkommen ausgeführt. Besonders sind letztere kaum merklich
activ zu erzielen. Rotationen nach aussen und innen bis zur Norm , ebenso
Streckung des Beins nach hinten.
Bei allen diesen Versuchen , sowohl activen als (hauptsächlich) passiven,
bewegt sich das Becken mit. Ohne Beihülfe desselben resp. der Wirbelsäule
lassen sich selbst passiv nur kleine Excursionen (jedoch nach allen Richtungen)
des in einer Winkelstellung von 130° zum Rumpfe befindüchen Oberschenkels
erzielen.
312 Dr. W. Stark.
Patient kann frei auf beiden Füssen stehen, wobei die Verkürzung durch
Beugung im linken Knie ausgeglichen wird. Gewährt man dem Kranken Unter-
stützung, so ist er bereits im Stande, Schritte zu machen.
Der Kranke stellte sich im Mai 1877 in Heidelberg ein. Er kann mit
Stock ausdauernd gehen. Eine Fistel eitert noch immer ein wenig. Die Sonde
stösst jedoch nirgends auf Knochen.
Im Juli 1877 musste nochmals ein Abscess geöffnet werden. Die Wunde
schloss sich rasch, als etwa 4 Wochen später ein neuer Abscess in der Gegend
des rechten Sitzknorrens aufgebrochen war. An dieser Stelle war am 6. Januar
1878, wo sich der Kranke zuletzt vorstellte, noch eine wenig secernirende Fistel
vorhanden. Alle sonstigen Wunden waren vernarbt. Der Kranke sah blühend
aus und hatte seine Maschine abgelegt, da sie zerbrochen war. Mit einfachem
Stock und um 3 Ctm. erhöhtem Absatz kann er, ohne sehr zu ermüden, eine
Stunde weit gehen. Der Oberschenkel steht etwa bis 125° gebeugt. Rotation,
Ah- und Adduction, active und passive Flexion sind in 5— lö** ohne Mitbewegung
des Beckens möglich. Werden in horizontaler Lage beide Oberschenkel parallel
nebeneinander gelegt, so entsteht eine starke Lordose der Lendenwirbelsäule und
die rechte Ferse steht 5^2 Ctm. höher als die hnke.
r. 1.
Umfang d. Oberschenkels in der Trochantergegend 34^/2 Ctm. 41 Ctm.
„ der Wade 2372 „ 28 „
Länge von Spina a. s. — Mall, ext 66 „ 71^2 „
„ vom unteren Patellarrand — Mall. ext. .31 „ 33 „
Der Umfang und die Länge haben somit, soweit sich aus den verschiedenen
Distanzen schliessen lässt, zugenommen, jedoch scheinen die Differenzen zu
Ungunsten des resecirten Beines zu wachsen.
Die in diesen Krankengeschichten enthaltenen Daten lassen
sich in nachstehender Weise rubriciren:
Beiträge zu der Statistik und den Endresultaten der Gelenkresectionen. 313
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Compli-
cationen
des
Heilverlaufs
Diarrhöen.
7, XIL
Necrosen-
extraction.
Abscedirung,
Decubitus
Erysipel nach
d. Operation bis
7, III. - Im Mai
Leistendrüsen-
schwellung. -
AViederaufbr.
der Wunde
Baldige
Erholung und
rasche
Besserung
Schwellungen
der Wunde (12,
VI u. 10, VIII.)
Seit 30, IX. Um-
hergehen mit
Stützapparate
8, IX, Benar-
bung vollendet;
doch Wieder-
aufbruch am
20, IX. 1, XII,
10, I, 1877
Vorübergehen-
der Druck,
Decubitus im
Knie u. Fussge-
lenke. Fieber-
exacerbation
Anfangs. Oct.u.
Nov.{6,VIII,In.
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Unmit-
telbarer
Effect
der
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ration
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stieg ;
doch anti-
phlogisti-
scher
Effect
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febriler
oder anti-
phlogisti-
scher
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314 Dr. W. Stark.
Bei diesen 7 Resecirten machte sich also kein antipyre-
tischer Effect unmittelbar nach der Operation geltend, indem
No. 26, 27, 28, 30 fortfieberten, bei 29 und 31 Collaps erfolgte und
32 erst nach der Excision Temperaturerhöhung zeigte. Eine anti-
phlogistische Wirkung trat in 3 Fällen (26, 28, 30) hervor.
Den Heilverlauf complicirten local 2mal (No. 26 und 28) Garies
oder Nekrose, 2mal (26 und 32) Abscedirungen und Decubitus^
imal (27, 28, 30, 31) Recrudescenzen der Entzündung oder Wieder-
aufbruch der Narben.
Allgemeinere Gomplicationen bildeten bei No. 26 Diarrhöen,
bei No. 27 Erysipel.
Fall 29 allein hatte keine bemerkensw^erthe Störung des Repa-
rationsprozesses aufzuweisen.
Bios 2 Beispiele (27 und 29) kann man als geheilt, den Erfolg
jedoch noch nicht als »definitiv« bezeichnen, da bei beiden kurz
vor der letzten Untersuchung erst ein bis zu dieser Frist dauernder
Wundverschluss sich einstellte. Bei No. 27 waren bereits 3 Jahre
und 8 Monate, bei No, 29 1 Jahr seit der Resection verflossen. Die
übrigen Patienten laboriren noch an Fisteln, welche zeitweise wieder
durchbrechen oder bis jetzt permanent blieben. Bei Fall 26 beträgt
der Zeitintervall zwischen Excision und jüngster Untersuchung 4
Jahre; No. 28 wurde 1 Jahr, No. 30 6V2 Monate, No. 31 7 Monate,
Nr. 32 5 Monate nach der Operation entlassen.
Von den 6 Resecirten, die einstweilen untersucht werden
konnten, präsentirte sich blos No. 27 schon früher einmal zu dem-
selben Zwecke, wesshalb nur bei ihm einigermassen eine Gontrole
über den Fortgang des Wachsthums und der Function besteht.
Beifolgende Tabelle lehrt, dass die ungleiche Beckenstellung
binnen 1^4 Jahr verschwand.
Die Längendifferenz zwischen Spina ant. sup. und Malleol. ext.
jeder Seite steigerte sich um 2,5 Gtm., der Unterschied in der Distanz
von Gond. ext. bis Mall. ext. nahm um 3^2 Gtm. zu. Diese Zunahme
reducirte sich aber bei der Messung jeweils des ganzen Beins vom
Trochanter an scheinbar auf 0,5 Gtm., da ehedem (VII, 75)
die linke Extremität bei Mensuration von Trochanter bis Gond. ext.
Beiträge zu der Statistik und den Endresultaten der Gelenkresectionen. 31 5
1 CLm. kürzer war als die rechte, jüngst (17, X, 76) jedoch der frag-
liche Abstand an der afficirten Seite ein Mehrmaass von 2 Ctm. auf-
wies, ein Resultat, das unzweifelhaft durch Wucherung des neuen
Rollhügels vorwiegend in der Längsrichtung zu Stande kam.
No. 27. Haberstroh.
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Linker
Hüft-
4,5
1 Cm
1,5
2,5
Gering.
bein-
Cm.
1 .
Cm.
Cm.
Pronation
Juli
rand
1.:
38,5.
1.:
1.:
10
2,7
bis
nor-
nor-
160»
etwas aus-
1«75
1,3 Gm.
76,5.
34,5.
73.
Cm.
Cm.
90»
mal
mal
giebiger
höher
r.:
39,5
r.:
r. :
als Supi-
als
81
36
75,5
nation
rechter
7 Cm.
2 Cm.
z. Gl.
1.:
40.
5 Cm. 3 Cm.
163»
17,
Beider-
1.:
1.:
1.:
11
Cm.
1
Cm.
act.
Etwas
X,
1876
seits
gleich
78.
r.:
36.
r. :
76.
r.:
100»
177»
nor-
mal
158»
pas-
be-
schränkt
85
38
41
79
siv
Die Differenz des Oberschenkelumfangs änderte sich kaum, die
der Waden minderte sich (um 1,7 Ctm.), Flexion, Extension und
Abduction verloren etwas an Ausgiebigkeit, die Adduction blieb sich
gleich, der Beweglichkeitsgrad der Rotation stieg.
Im Allgemeinen also wuchs die Längendifferenz *), ging zurück
die Excursionsfähigkeit.
Das Resultat der obigen Uebersicht lässt sich bei gleichzeitiger
Berücksichtigung der betreffenden Krankengeschichten in folgende
Sätze zusammenfassen :
1) Die Differenzen in den Dimensionen der fraglichen Extremi-
*) Auch Hüter (s. No. 83) sagt : »Die Verkürzung wird nie ausbleiben
und wird, wenn man bei Kindern operirt, noch durch das mangelhafte Wachs-
thum an dem oberen Ende des Femur im Laufe der Jahre sich steigern können.«
316 Dr- W. Stark.
täten dürfen nicht lediglich auf die Resection und deren etwaigen
Einfluss zurückgeführt werden, da man solche schon vor letzterer
in mehreren Fällen constatirte: Von 4 kurz vor der Excision ge-
messenen Gliedern (bei No. 29, 30, 31, 32) zeigten 3 gegenüber den
gesunden wirkliche Verkürzung (No. 29, 31, 32).
2) Die Grösse des eben erwähnten Längendeficits ante resec-
tion e m stand in keinem Verhältniss zu der Länge der Zeit, welche
seit Beginn der Erkrankung verflossen war. Denn Fall 30, der
V2 Jahr nach dem Auftreten seines Leidens operirt wurde, wies keine
Deminution auf, bei No. 31 belief sich dieselbe nach ^/^ Jahresfrist
auf 21/2 Gtm., bei No. 32 nach 4 Jahren bloss auf 2 Ctm., gerade
wie bei No. 29 nach einem Jahre.
Dass sich ferner die Verkürzung gleichmässig auf Ober- und
Unterschenkel vertheilen kann, beweist Fall 32, der an jedem je
1 Gtm. Mindermass hatte.
3) Der Umfang des afficirten Beins zeigte sich gleichfalls schon
durch die Krankheit reducirt, wie die Daten über Fall 30 und
32 belehren. Bei ersterem betrug die Oberschenkeldifferenz 2V2 Gtm.,
bei letzterem 7 Gtm., die der Wade 4^2 Gtm.
4) Eine Betrachtung der Scala über den Längenunterschied der
vorigen 4 Beispiele nach der Resection, bei denen auf Grund
früherer Aufzeichnungen der vor derselben bereits vorhandene sub-
trahirt, somit der alleinige Effect der Operation zur Darstellung
gebracht zu werden vermag*), macht es wahrscheinlich, dass die Grösse
des Zeitintervalls zwischen Resection und jüngster Untersuchung im
Vereine mit der des excidirten Stücks insofern in Beziehung mit dem
Wachsthume zu setzen ist, als letzteres an dem operirten Beine
um so beeinträchtigter erscheint, je länger das Resectionspräparat
und je kürzer**) die angegebene Frist war.
No.:
Differenz:
Präparat :
Zeitintervall :
30
4
6
6*/2 Monat
31
2V2
5
7 „
32
2
51/4
5
29 0 ohne Trochanter 1 Jahr.
**) Verallgemeinert gilt dies natürlich nur innerhalb gewisser Grenzen,
Beiträge zu der Statistik und den Endresultaten der Gelenkresektionen. 317
5) Die Differenz vertheilte sich in allen Fällen (abgesehen von
der ante resectionem) derart, dass sie entweder ganz (bei No. 29 und
No. 30 [Spina a. s. bis Mall. int. resp. Cond. int. gerechnet]), oder
grösstentheils (bei No. 26 = 5 von 7, bei No. 27 = 5 von 9, bei
No. 31 = 4 von 5, bei No. 32 = 3 von 4) dem Feraur zufiel.
6) In 4Exempeln (No. 26, 27, 31, 32) blieb auch die Fuss-
länge der afficirten Extremität hinter jener der andern Seite zurück.
Wieviel man davon der Zeit vor oder nach der Resection zu-
schreiben muss, ist nicht zu ermitteln.
7) Den Längenverhältnissen der Schenkel ähnlich verhielt sich
die Circumferenz d. h. hier war in einem Falle (No. 31) blos der
betreffende Oberschenkel abgemagert, in den übrigen insgesammt nahm
in geringerem Grade auch der Unterschenkel an der Atrophie Theil.
8) Bei Allen fand sich in beschränktem Maasse active Beweg-
lichkeit im Gelenke vor. Durchgängig am besten restituirt erschien
die Flexion, besonders bei No. 26 und 27.
9) In sämmtlichen Fällen war die Function insoweit con-
servirt, als sie das Gehen in der Maschine nebst anderweitiger Un-
terstützung ohne Beschwerden gestattete.
V. Resection des Kniegelenks.
Ein Einblick in die Geschichte des allmähligen Werdens und
Wachsens vorliegender Resection lehrt, dass sie lange nur ein küm-
merliches Dasein gefristet hat, dass ihre Existenz mehr als einmal
durch gewichtige Stimmen angefeindet, ja verdammt wurde und
dass sie endlich bis heute auf dem Kriegsfelde noch keine feste
Wurzeln gefasst hat. Die Ansicht v. Nussbaums — des »be-
denn bei weiteren wird die bei der Schulterresection (siebe daselbst sub. No. I)
gemachte Reflexion in Kraft treten.
318 Dr. W. Stark.
sondern Lobredners der Resection«, wie ihn As che 2^^) zu nennen
beliebt, — dass die fragliche Operation im Krieg und Frieden un-
gefährlicher und in ihren schlechtesten Resultaten besser erscheint
als die Amputation, stimmt zwar mit den seitherigen Erfahrungen
nicht ganz überein, wird aber vielleicht in nicht allzu ferner Zeit
von denselben eingeholt und so glänzend bewahrheitet werden.
Bis jetzt bewährte sich dieselbe erst in der Friedenspraxis und
hier wiederum allgemein und unwiderleglich blos im jugendlichen
Alter. Mit Bezugnahme darauf ist König 2^^) bereit, sie »bei rich-
tiger Ausführung den besten Leistungen der Chirurgen auf operativem
Gebiete beizuzählen.« Sowohl im Hinblick auf die bei zu weit ge-
triebener Conservirung entstehende Lebensgefahr als auch rücksicht-
lich der mangelhaften hieraus resultirenden functionellen Erfolge fühlt
er sich genöthigt, die Berechtigung der Resection für eine Reihe
von Fällen dieser Art zuzugestehen. Hüter^i^) dehnt ihre Herr-
schaft auf die Knieentzündungen ohne Unterschied des Alters aus.
Schwankend bleibt zur Zeit deren Anwendung im Kriege.
Interesse erregt das aus der Literatur ersichtliche Fortschreiten
vom Verwerfen und Verzweifeln^^*) an dieser Operation zu vagen
oder leise gehegten Wünschen und Hoffnungen auf etwaige Fest-
setzung derselben auch in diesem Gebiete, schliesslich bis zur directen
Aufmunterung und Empfehlung ihrer Ausführung daselbst, hervor-
gehend wohl zum Theile aus der Unzufriedenheit mit allen im Felde
versuchten Methoden:
Heine (1866)^^^) heisst »die Kniegelenks-Schussverletzungen
den wunden Fleck der Kriegschirurgie«. Er bedauert desshalb, die
2'^) S. No. 97. Er theilt die Meinung v. Nussbaum's mit bei einer Be-
sprechung der Arbeit von Stabsarzt Dr. H e i n z e 1 : »Ueber die conservirende
Behandlung der Kniegelenkschüsse, sowie über die Indicationen zu primärer
Amputation und die Diagnose der Knochenverletzungen bei penetrirenden Schuss-
wunden des Kniegelenks.« Deutsche mihtärärztliche Zeitung IV. 6, S. 305, 1875.
*^^) Dr. König: »Beiträge zur Resection des Kniegelenks.« v. Langen-
b e c k's Archiv Bd. IX. 1867.
2") S. No. 83.
^^*) Der officielle Berichterstatter aus dem Krimmkriege bezweifelt die An-
wendbarkeit der Kniegelenkresection in der Kriegsheilkunst. S. Hey fei der No. 2.
2") S. No. 164.
Beiträge zu der Statistik und den Endresultaten der Gelenkresectionen. 319
wichtige Frage der Resection »in ungewisse Ferne gerückt« zu sehen,
kömmt aber doch zu dem Schlusssatze: »Es verräth eine grosse Ein-
seitigkeit, wenn man vielfach von Mihtärärzten bereits verwerfende
Urtheile über diese Operation aussprechen hört, noch ehe eine ge-
nügende Erprobung derselben stattgefunden hat; wir müssen im
Gegentheil die zuversichtliche Erwartung aussprechen, dass in
einem künftigen Feldzuge die Hoffnung auf eine Entscheidung auch
in dieser noch offenen Frage nicht wiederum werde getäuscht wer-
den.« Aehnlich hatten sich in demselben Jahre Lücke ^icj^ jj^ ^^^^
darauf folgenden K ö n i g 2 ^ '') und schon vor ihnen Stromeyer^^^),
Senftleben^i^) Heyfelder ''^2^), Pirogoff ^^'), etc. geäussert.
Leider sollten jedoch die gehegten Erwartungen nicht in Er-
füllung gehen, denn die Erfahrungen, welche Hüter ^^2) aus dem
deutsch-französischen Feldzuge mit nach Hause nahm, waren in
^^®) Dr. A. Lücke: »Kriegschirurgische Aphorismen aus dem zweiten
schleswig-holstein'schen Kriege im Jahre 1864.« (1866) : »So ist vor Allem be-
dauerlich , dass bei den so äusserst günstigen sanitätlichen und so bequemen
Verhältnissen die Kniegelenkresectionen so selten gemacht worden sind und meist,
wo sie gemacht wurden, unter solchen Umständen, dass man weder für Resection
noch Amputation eine günstige Prognose stellen konnte.«
^^') S. No. 212: »Die Frage der Zulässigkeit der Resection und Conser-
vation bei den Schussverletzungen des Kniegelenks ist durch die Erfahrung bis
jetzt noch nicht entschieden.«
^^^) S. No. 1: »Meine wenigen Versuche, die Erhaltung des Gliedes durch
vollständige Durchschneidung der Seitenbänder oder durch Resection zu erzielen,
betrafen Fälle, in denen die Amputation den Umständen nach nicht rathsam war;
sie haben das Leben nicht gerettet, aber in Betreff des örtüchen Verlaufes gaben
sie Aufmunterung und ich würde keinen Anstand nehmen, dieselben wieder auf-
zunehmen unter Verhältnissen, wo die Pyämie nicht in Betracht gezogen zu
werden braucht.«
^^') S. No. 117: »Die Einführung der Kniegelenksresection in die Kriegs-
heilkunde bleibt eine Aufgabe der Zukunft.«
^'^'') S. No, 2: »Besonders wünschenswerth wäre es, könnte dieselbe im
Felde Eingang finden, wofür E s m a r c h und B i 11 r 0 t h unbedingt sind, wäh-
rend Adelmann die Möglichkeit absolut verwirft.«
^^') Pirogoff: Grundziige der allgemeinen Kriegschirurgie 1864: »Da ich
in der Behandlung der Schussfracturen des Kniegelenks sowohl gegen eine starke
Antiphlogose als gegen die exspectativ conservirende Methode und Amputation
ein grosses Misstrauen hege , so muss ich mich nolens volens für die Resection
des Kniegelenks erklären.« (Citat bei König).
"2) S. No. 83.
320 Dr. W. Stark.
dieser Hinsicht das getreue Spiegelbild dessen, was Heine ^^^) nach
dem schleswig-holsteinischen Kriege über die Anwendbarkeit der Knie-
resection gesagt. Sie lauten nämlich: »Ich betrachte die ganze
Frage, in wie weit die Resection des Kniegelenks bei der Therapie
der Kniegelenkschusswunden zulässig ist, vorläufig als eine offene
und, dass sie das auch ist, liegt in den eigenthümlichen Verhält-
nissen des Kriegs auf der einen und der Kniegelenksresection auf
der andern Seite begründet. Mit Freuden würde ich mich durch
die Erfahrungen Anderer belehren -lassen, dass die Resection des
Kniegelenks in allen oder in vielen Fällen von schweren Gelenk-
schüssen die Amputation vertreten darf«. Ein solcher Lehrer war,
wie bereits erwähnt, v. Nussbaum, der, sich stützend auf seine
auf dem Schlachtfelde vorgenommenen Operationen, sie selbst »unter
den schwierigsten Umständen« empfiehlt und bestreitet, »dass die
Resection mehr Pflege als die Amputation erheische« ^^*). Dem ent-
gegen befriedigten auch diesmal wieder (1870/71) die Behandlungs-
resultate der in Rede stehenden Schusswunden wohl die wenigsten
der Kriegschirurgen. So findet — um nur ein Beispiel anzuführen —
Billroth ^^5), dass »bei den Knieschüssen wie bei den Hüftgelenk-
schüssen die Art der Behandlung noch keinen wesentlichen Einfluss
auf den Verlauf nach diesen Verletzungen geübt habe«. Socin^-^),
welcher die volle Berechtigung Billroth's zu einem solch' »un-
brauchbaren Schlüsse« anficht, gibt blos zu, »dass bisher die Behand-
lung der Knieschüsse im Allgemeinen keine glückliche war« und
knüpft desshalb hieran die Ermahnung, künftighin noch mehr Sorg-
falt auf die Erhaltung des Lebens von Amputirten, Resecirten und
gänzlich conservativ Behandelten zu verwenden. Auf ähnliche Weise
hatte schon nach dem schleswig-holstein'schen Kriege König "^) mit
Bezug auf die Resection die Chirurgen vor deren Vernachlässigung
im Felde gewarnt, »indem wenigstens als Lazarethoperation der
Resection noch eine bessere Zukunft bevorsteht.«
«") S. oben No. 215.
*") S. No. 211.
•") Citirt bei S o c i n.
«6) S. No. 6.
«") S. No. 212.
Beiträge zu der Statistik und den Endresultaten der Gelenkresectionen. 321
Ersichtlich ist hieraus, wie wenig der deutsch-französische Feldzug
zur Einbürgerung der besprochenen Operation in der Kriegspraxis bei-
trug, wie nichtssagend die Antwort ausfiel, welche die Gesammtsumme
seiner Resectionsresultate auf die in der Literatur so oft wiederholte
Frage nach dem Werthe derselben in diesem Gebiete gaben.
Desshalb muss man behufs Bessergestaltung der Mortalitäts-
verhältnisse einstweilen folgende allgemeine Momente besonders ins
Auge fassen:
1) Sind die verschiedenen Arten von Gelenkverletzungen (resp.
Erkrankungen) genau diagnostisch auseinanderzuhalten, was haupt-
sächlich von Socin^^^) betont wird.
2) Sind — hierauf basirend — möglichst präcis die Indicationen
und der Zeitpunkt der Ausführung der Operation zu fixiren.
Auch Asche ^-^) sagt: »In Bezug auf die. Entscheidung werden die
Individualität des Falles, die zu berücksichtigenden Nebenumstände
und die Erfahrung der Chirurgen von grösster Wichtigkeit sein.«
3) Ist die dem Einzelfalle zweckentsprechendste Operations-
methode sorgfältig durchzuführen.
4) Sind die Principien der antiseptischen Wundbehandlung
streng einzuhalten.
5) Müssen bei der Nachbehandlung guter Abfluss der Wundsecrete
und »das Princip der absoluten Ruhe«, welchem namentlich König 23*^)
das Wort redet, hauptsächlich zur Geltung gelangen.
Das Ziel der functionellen Erfolge besteht nach dem Da-
fürhalten von Ried^^'), Heyfelder ^^2^^ Hüter ^^^), N e u-
"8) s. No. 6.
"9) S. No. 211.
230) S. No. 212.
23^) S. No. 36: »Das operirte Glied zeigt sich zu seinen Verrichtungen nur
dann vollständig fähig, wenn dasselbe gerade und an der Stelle des Kniees
unbeweglich ist.«
232) S, No. 2: »Wirklich vollkommener Erfolg ist nur vorhanden, wenn
der Knochen des Oberschenkels mit denen des Unterschenkels im Knie unbe-
weglich verbunden ist. Dies geschieht entweder durch knöcherne Vereinigung
der Sägeflächen oder durch brückenförmige Knochenfortsätze von einem Knochen
zum andern, oder durch straffe fibröse Zwischenmassen und seitliche Stränge.«
233) S. No. 83: »Eine knöcherne oder fest fibröse Vereinigung der Knochen-
Czerny, Beiträge zur operativen Chirurgie. 21
322 Dr. W. stark.
dörfer234), Metzler ^^^) bis jetzt nicht, wie Heine ^^'^) auch bei die-
sem Gelenke proponirt, in der Herstellung einer beweglichen Ver-
bindung, sondern im Zustandekommen von Ankylose. Denn — sagt
Metzler ^") — »Sollen Theile, welche die gefährlichen Entzündungen
unterhalten, weggenommen werden, so fällt an und für sich schon
die Möglichkeit der Erzielung eines neuen Gelenkes weg und so schön
auch dieser Gedanke sein mag, er ist doch nachzusetzen den
Bestrebungen, ein gutes passendes Verwachsen der Knochenflächen
zu liefern.«
Letztere Bestrebungen werden von den angeführten Autoren
mit Recht dess wegen gebilligt, weil »zuviel Beweglichkeit in Form
einer schlotternden Verbindung zwischen beiden Knochen die Functio-
nen des erhaltenen Beins sehr beeinträchtigen« ^^^), ja den Erfolg
der Operation — um mit Heyfelder^^^) zu sprechen — para-
lysiren würde. Nach den Argumenten Neudörfer's^**') dürfte wohl
überhaupt nie eine der normalen gleichkommende Leistungsfähigkeit
zu erreichen sein, »da für das Stützen oder Tragen der Körperlast
in rechter oder gar spitzwinkliger Stellung des resecirten Kniegelenks
und für das Aufrichten des Körpers aus der gebeugten in die verti-
kale Stellung die Mächtigkeit der Muskeln, sowie ihre Lage und An-
ordnung am resecirten Gelenke nicht angethan und auch die neuge-
bildete Narbe für diese Arbeit zu schwach ist.«
lieber die Auswahl des Materials zur Resection gegenüber jenem
der Amputation und Gonservirung nach dem Massstabe der jeweils
sägeflächen ist bei günstigem Ausgang das gewöhnliche Resultat der Knieresection
und mit ihm können wir wohl zufrieden sein.«
^^*) S. No. 4: »Man wird sich vorläufig bei den gelungenen Kniegelenk-
reseclionen mit der Ankylose oder mit einer sehr geringen wenig Grade nicht
übersteigenden Beweglichkeit in diesem Gelenke begnügen müssen.«
"5) Dr. Metzler: „Ueber Resection des Kniegelenks.« A. f. kl. Gh. 1873.
^'*J S. No. 164: »Nicht die Ankylose, sondern die Herstellung eines ge-
wissen Grades von Beweglichkeit in dem neuen Gelenke bildet heut zu Tage
das anzustrebende Ziel der Resection.«
2") S. No. 235.
"8) S. H ü t e r No. 83.
"") S. No. 2.
"») S. No. 4.
Beiträge zu der Statistik und den Endresultaten der Gelenkresectionen. 323
vorliegenden Verletzung resp. Erkrankung sind besonders für die
Kriegspraxis mancherlei Winke in der Literatur verzeichnet, Sie
beziehen sich nicht blos auf eine Beschreibung der für die einzelnen
Categorien geeigneten Fälle, sondern machen auch da, wo operative
Hülfe angezeigt ist, aufmerksam auf den passenden Moment zum
Eingreifen.
Zur leichten Orientirung des Standpunktes, von dem aus die
Indicationen der Resection zu beurtheilen sind, sei vorausgeschickt,
dass dabei die Lebensgefahr, wie Neudörfer^^^) will, wirklich bis
jetzt die einzig berechtigte Indication bildet. Diese kommt einerseits
bei grosser Ausdehnung der Eiterung nebst Störung des Allgemein-
befindens^*^), andererseits bei weitgehenden Knochenverletzungen und
geringgradiger Septicämie^*^) in Betracht.
Allein selbst »die schwersten, die Function des Gliedes im
höchsten Grade behindernden und anderweitig nicht zu bessernden
Fälle« dürften, entgegen der Ansicht Volkmanns^'^'^), zur Zeit
noch nicht — einzig um der gestörten Funktion willen — einen all-
gemein gültigen Beweggrund zur Resection abgeben.
Nach solchen Voraussetzungen lassen sich ohne Schwierigkeit
die Amputation und die conservativ-exspectatlve Methode von der
conservativ-operatlven abgrenzen. Nicht zu billigen ist dabei das
Vorgehen, wie es Fischer^"^^) und Sarazin ^'^'^) beobachteten,
bei jeder Knochenverletzung rückhaltlos die sofortige Amputation zu
empfehlen oder vorzuziehen. Den besten Bescheid weiss hierüber
König ^*^): »Der primären Amputation würde ich nur die Verletzten
zuweisen, deren Verletzung so ausgedehnt ist, dass sie auf der einen
Seite eine Heilung überhaupt, selbst mit Resection, nicht möglich
erscheinen lässt, während sie auf der andern Seite mit Wahrschein-
lichkeit, den baldigen Eintritt — von localer Verjauchung mit Septi-
«*^) S. No. 4.
242) S. H ü t e r No. 83.
2*») S. K ö n 1 g No. 212.
2*4) s. No. 84.
2«) S. No. 14.
2«) S. F i s c h e r No. 14.
24^) S. No. 212.
324 Dr. W. stark.
cämie herbeiführt.« Auch Hüter '^*^), Schüller^*") und Mossa-
kowsky -^'^) erkennen nur die intensiven Knochenverletzungen (Split-
terfracturen) als Anzeigen der primären Amputation an.
Die sekundäre Amputation wird nach König ^^^) meist blos
beim Eintritte der acuten Septicämie nöthig. — Für die Friedenspraxis
hat er noch folgende specielle Indication festgestellt : »Absolut indicirt
erscheint die Amputation nur bei so weit reichender Erkrankung
des Knochens im Kindesalter, dass man Stücke von grosser Aus-
dehnung reseciren müsste.« — In manchen Fällen verdient ferner,
den Andeutungen Heyfelders ^°^) entsprechend, die Amputation
den Vorzug vor der Resection, nämlich bei dyskrasischen Individuen,
die voraussichtlich langwierige Eiterungen nicht überstehen würden.
»Immerhin bemerkt man — sagt König^°^) mit Bezugnahme
auf das Urtheil der Kriegs Chirurgen — in den neueren Arbeiten eine
grosse Neigung zu den nicht amputirenden (d. h. rein exspectativen)
Methoden.« Er selbst stimmt diesem Verhalten vollkommen bei und
glaubt, dass derartige Versuche »in einem den jetzigen therapeu-
tischen Ansprüchen genügenden Maasse — bis jetzt noch nicht
gemacht« sind. Hauptsächlich die leichteren Knochenverletzungen ^^*)
mit Kapseleröffnungen und einfache Kapselverletzungen (vrgl. die
S i m 0 n'schen Experimente) bilden nach ihm das Terrain für solche
Behandlung. Dazu passen die Principien der Behandlung, welche
Hüter ^^^), Schüller 256), Simon 2^^) in dem deutsch-französischen
Kriege befolgten und die M o s s a k o w s k y ^5^) billigte.
Jedoch warnt Asche -5^) vor Ausschreitungen in dieser Rich-
"8) Citat bei Fischer, s. No. 14.
249) Citat bei Fischer, s. No. 14.
"°j S. No. 63.
"1) S. No. 212.
"^ S. No. 2.
"3) S. No. 212.
"*) Nach Asche (s. No. 211) sind darunter Streifungen der Epiphysen
und Patellarschüsse zu verstehen.
"*) S. No. 248.
"«) S. No. 249.
2") S. bei Fischer No. 5.
«8) S. No. 63.
"») S. No. 211.
Beiträge zu der SUilistik und den Endresultaten der Gelenkresectionen. 325
tung, indem sonst (besonders bei Betheiligung des Femur und der
Tibia an der Läsion), selbst »wenn die Heilung gelingt, leicht ein
unbrauchbares, verkrüppeltes Glied zurückbleiben kann, das für den
Operirten eine lebenslängliche Last, abgibt« ^*^°).
Uebergehend zu der so belangreichen und desshalb getrennt
von dem Uebrigen zu erörternden Frage des richtigen Zeitpunktes
zur Vornahme der Resection muss zunächst Asche^^^) zugestan-
den virerden: Es ist nicht möglich, die Indicationen für die primäre
Resection genau zu präcisiren und man kann wohl am richtigsten
sagen , dass sie solche Fälle betreffen wird , die die conservirend-
exspectative Behandlung verbieten und von der Frühamputation ab-
rathen. « Somit etwa dann , wenn das Projectil im Gelenke sitzt
oder massige Knochensplitterung daselbst vorliegt.
Uebrigens tritt nach König^^^J die Gelegenheit zu ihrer Aus-
führung »der äussern Verhältnisse halber im Kriege nur selten« ein,
obgleich sie schon Stromeyer, Esmarch^^^-j qIq^ empfehlen.
Doch darf man die hauptsächlich von So ein 2^*) ausgesprochene
Hoffnung nicht aufgeben, dass die primäre Resection in der Kriegs-
chirurgie ihre Stellung behaupten wird. Hinsichtlich der Secundär-
resection — veranlasst durch erneute Eiterung, Jauchung mit
Reactionserscheinungen (vorwiegend nach Zuwarten bei schwereren
Knochenverletzungen) — behauptet König ^ß^), sie würde ganz
besonders günstige Chancen bieten. Indessen hatte sie, dem Berichte
Asche's^ßß) gemäss, »während des deutsch-französischen Krieges
eine sehr starke Mortalität« aufzuweisen.
Bei der Technik der Operation soll der von letzterem Chirurgen
angegebene Grundsatz beherziget werden: »Die Schnittrichtung bei
der Resection ist von dem zu erstrebenden Ziele abhängig.« Da
2^°) Nur Rupprecht und M. Cormao verwerfen die Conservirung durch-
aus. S. Fischer No. 14.
261) S. No. 211.
2«2) S. No. 212.
263) s. Asche No. 214.
264) S. No. 6,
265) s. No. 212.
266) s. No. 211.
326 Dr. W. stark.
dieses zur Zeit, wie früher auseinandergesetzt, im Zustandekommen
von Ankylose besteht, so fällt hiermit jegliche Sorge um Erhaltung
der Patella, — für die besonders Senftleben^") und v. Langen-
beck^esj plaidiren, — hinweg, zugleich verliert also auch die Gon-
servirung des Streckapparates des M. extensor quadriceps seine
Bedeutung, obgleich Hüter 2^^) eine solche für einen Vorzug in
functioneller Beziehung bezeichnet. Folgerichtig hat auch die sub-
periostale Methode, welche überhaupt nach demselben Autor hierbei
nur sehr unvollkommen ausgeführt werden kann , blos geringen
Werth.
Es kommen mithin die Vortheile, welche Bryk^'^*') seiner
Operationsweise nachrühmt , nämlich : Geringe Verwundung, rasche
Ausführung , Vermeidung von Zerrung und Möglichkeit der Ver-
einigung der horizontalen Wundspalte per primam — ganz beson-
ders in Betracht.
Von diesem Standpunkte aus lassen sich die in der Literatur
vorhandenen Meinungen folgendermassen beurtheilen:
1) Die innere Semilunarincision , deren functionelle Vortheile
Heine^''^) so sehr anpreist, befriedigt die eben verlangten An-
sprüche lange nicht in dem Maasse wie der Bogenschnitt am unteren
Rande der Patella (von Textor angegeben),
2) Die Exstirpation der Synovialis, für die Flüter keine Ver-
anlassung finden kann , muss aus den gleichen Gründen vollzogen
^") S. No. 117: »Die Erhaltung der Kniescheibe gibt einen unschätzbaren
Vortheil.«
^*^) Nach Lücke (s. No. 78) hält v. Langenbeck darauf, in allen Fällen,
wo es möglich ist, die Kniescheibe und ihre Befestigungsbänder zu erhalten.
"3) S. No. 83.
"") S. No. 9.
*^') S. No. 16 1 : »Wenn wir vorzüglich auf Grund der Resultate in Civil-
hospitälern die beiden heut zu Tage fast allein üblichen Methoden des vorderen
queren und des innern halbmondförmigen Schnittes miteinander vergleichen, so
erscheint die Vermeidung der bei ersteren in der Flexion nothwendig eintretenden
Spannung der Narbe, sowie die Erhaltung der Conünuität des Streckmuskel-
apparates des Unterschenkels bei gleichzeitigem gutem Abflüsse des Eiters als
unverkennbare Vorzüge der v. Langenbeck'schen Schnittführung,, welche ihr
zunehmende Geltung verschaffen müssen.
Beiträge zu der Statistik und den Endresultaten der Gelenkresectionen. 327
werden (vrgl. Metzler^'^^), Bryk)^''^). Dies gilt auch für den
Schleimbeutel des Extensor cruris.
3) Eben desshalb ist eine partielle Resection , welche Senft-
leben ^^*) und Roser ^^5) empfehlen und der sich auch König ^^g'j
geneigt zeigt, unstatthaft. Heyfelder"'), Volkmann 2'®), Hüter^^^)
und Socin^^") sind zu derselben Erkenntniss gelangt.
Die Statistik spricht gleichfalls zu ihren Gunsten ^^^).
4) Die Regel K ö n i g's ^^^) , beim Sägeschnitte möglichst alles
^") S. No. 233. Er legt grosses Gewicht auf »die Hinwegnahme aller
gefährlichen Adnexa des Kniegelenks«.
^'^) S. No. 9. Er bespricht die Hinwegnahme der fungösen Gelenkkapsel,
»deren Reste mit dem quadriceps cruris und in der fossa poplitaea nachträglich
noch exstirpirt werden müssen«.
^'*) S. No. 117. Er empfiehlt wenigstens hei traumatischen Verletzungen
einer Epiphyse partielle Resection.
"5) S. König No. 276.
^''^) S. No. 212: »Man muss, glaube ich, die wieder neuerdings für die
Resection im Allgemeinen von R o s e r empfohlenen Partialresectionen mehr in
Aufnahme bringen. «
*^^) S. No. 2: »Den Resultaten nach sind die partiellen Kniegelenkresectionen
zu verwerfen.«
2 '8) S. No. 84.
^'^) S. No. 83: »Die partielle Resection verdient am Kniegelenk verworfen
zu werden.«
^^") S. No. 6: »Partielle Resectionen sind gewiss hier nicht am Platze,
weil durch dieselben eine möglichst schnelle und möglichst innige Verwachsung
beider Knochen, was ja das erwünschteste Resultat ist, verzögert wird.«
^^^) S. No. 2. Ueber partielle Resectionen sagt Heyfelder: >Es ergibt icsh
ein bei weitem ungünstigerer Erfolg als bei den totalen Resectionen, indem von 6
Operirten 5 starben, 1 eine theilweise Herstellung erlebte. Der Tod erfolgte
3 mal durch Pyämie , 1 mal durch brandige Infection , 1 mal durch andauernde
Eiterung, in allen Fällen also in Folge der Operation. — Bei den eigenthchen
partiellen Resectionen verhalten sich die Todesfälle, wie 8 : 18 = 1 : 2, Die Miss-
erfolge zu der Gesammtzahl wie 12 : 18 oder wie 2 : 3, Allerdings ist die durch
die partielle Resection gesetzte Wunde ungünstiger als die nach der Exstirpation
des Gelenkes. Denn während man hier 2 einfache Knochenwundflächen erhält,
die unter ähnlichen Verhältnissen stehen wie bei complicirter Fractur, so haben
wir bei Res. cond. fem. einerseits eine Knochenwundfläche , daneben aber eine
Gelenkwunde und ein entblösstes Gelenkende, dessen Knorpelüberzug erst durch
Eiterung abgestossen werden muss, ehe es zu einer Vereinigung kommen kann.«
— Im amerikanischen Circular No. 6 werden 7 partielle Reseetionen des Knie-
gelenks angeführt, die alle tödtlich verliefen. S. Billroth, No. 8 (Gitat).
"2) S. No. 212.
328 Dr. W. stark.
Gesunde zu erhalten, steht mit den obigen Principien nicht in Wider-
spruch. Darum vermag der vielfach z. B. auch von Billroth ^^^)
geforderten Gonservirung der Epiphysenknorpel bei jugendlichen
Individuen gegebenen Falls Rechnung getragen und so nach
Gutdünken ^*^) ihre planmässige Entfernung umgangen werden,
deren Berechtigung selbst Bryk^ss^^ tj^otz aller Widerlegung der
seine Keilexcision betreffenden Einwürfe, nicht völlig darzuthun im
Stande ist.
Für die Nachbehandlung lehrt die Erfahrung, dass »die gefähr-
lichste Klippe, welche dem Gelingen der Operation entgegensteht,
in der bedeutenden Eiterung und in den Eitersenkungen« ^se^^ ^[q
Hauptbedingung eines günstigen Verlaufes im freien Abflüsse der
Wundsecrete bestehe (s. oben). Bei ihr muss man desshalb hierauf
ganz besonders achten. Mit der Vermeidung der Stagnation fällt
eine der von Hüter ^s 7) angegebenen Hauptgefahren dieser Opera-
tion: denn erstere bildet unzweifelhaft die vornehmlichste Ursache
sowohl für das so häufige Auftreten von Pyämie, welche nach
Heyfelder ^^*) Vs aller Operirten hin wegrafft, als auch der Septi-
cämie, von der König ^^') sagt: »der klinische Verlauf der Knie-
verletzungen ergibt, dass die Verletzten an einem durch locale Zer-
283) S. No. 8.
2^*) S. Metzler No. 235. Wie weit man in der Abtragung gehen darf,
sieht man aus seiner Angabe: »Ich kann versichern, dass ich in mehreren Fällen
zwischen 14 und 15 Ctm. Knochenlänge entfernt habe und dass gerade diese
Fälle mit zu den besten Heilungen gehören, die ich aufzuweisen habe.«
285) s. No. 9. Er behauptet u. A.: »Die Alteration gestattet nicht ein
genaues Abschätzen der Entfernung des epiphysären Knorpels an der Gelenk-
oberüäche während der Operation, obgleich nicht geläugnet werden kann, dass
sie Jenen Verfahren, nach denen die Resection erst nach Freilegung der Gelenk-
höhle vorgenommen wird, in manchen jedoch nicht in allen Fällen zu Statten
kommen werden.«
28«J S. Schierlinger No. 67.
28^) S, No. 83: »Die Gefahr liegt offenbar bei dem Verlauf der Resections-
wunde des Kaiegelenks: 1) In der Grösse der Wundhöhle , welche die Resection
zurücklässt. 2) In dem mangelhaften Abflüsse der Wundsecrete. 3) In der Er-
öffnung der intermuskulären Räume durch die Operation und in den tiefen
Phlegmonen, welche hierdurch entstehen.«
288) S. No. 2.
"9) S. No. 212.
Beiträge zu der Statistik und den Endresultaten der Gelenkresectionen. 329
Setzung des Exsudates bedingten, theils sehr acut und öfters tödtlich
verlaufenden, theils weniger heftigen Resorptionsfieber leiden.«
Ueberschaut man die Zahl der geforderten Opfer, so erregt
ihre Grösse vor allem das Interesse, einen Ueberblick von dem Ver-
hältnisse zu gewinnen, in welchem sie zu jener der Amputation
und conservativen Methode steht, wenngleich Socin"") behauptet,
»dass das Material ziu- richtigen statistischen Combination uns noch
gänzlich fehlt, und dass die aus dem Vorhandenen mit grosser
Mühe herauscalculirten Sclilüsse practisch nicht können verwerthet
werden.«
Was " zunächst die Amputation des Oberschenkels nach
Kniegelenkerkrankungen betrifft, so betrug ihre Sterblichkeit nach
den Gitaten von König-^-) in den Londoner Hospitälern 22,2 **/o,
in den Provinzialhospitälern 25'',o, nach Bryanfs Statistik 14,28''./o,
Hüter ^^^) berechnet sie nach englischen Berichten (749 Fälle mit
156 Gestorbenen) auf 197o.
Allgemeine Statistiken von He y fei der 293) . Trelat, Mal-
gaigne geben sie je auf ö07o, 527o, 627o an.
Im Kriege endlich starben von 128 in dem ersten sclileswig-
holstein' sehen Feldzuge Amputirten 77, mithin 60,157o ^^"^j; ferner
in dem nordamerikanischen von 1597 Amputirten 1029, somit
64,437 0 2 9 5), Die Mortalität des letzten deutsch-französischen Feld-
zugs belief sich auf 77,9''./o (254 Amputirte) ^^e).
Die Zusammenstellungen der Sterblichkeit nach der Resection
bei Kniegelenkerkrankungen weisen nach Holmes (95 Fälle) 2S,47o,
nach Price (291 Fälle) 277o, nach König 29-) bei Kindern 19,67o
(Heyfelder: bei Erwachsenen 39°/oj auf.
29'') s. No. 6.
■''") S. No. 212 (auch Bryant ist dort citirt).
"2) s. No. 83, auch Trelat, Malgaigne daselhst.
293j s. No. 2.
29^) u. 295) s. König No. 212.
296) S. Asche No. 214.
29') S. No. 212. Dort auch die Statistik von Erwachsenen nach Hey-
felder.
33Q Dr. W. stark.
Allgemeine Berechnungen von Heyfelder ^®^) und Ho d g es
zeigten eine Mortalität von 30,77o und 33,1 7o. Zählt man die
neuern Resectionsergebnisse von B i 1 1 r o t h '^^) , M e t z 1 e r ^**") und
N u s s b a u m ^'") zusammen (61 Fälle mit 30 Todten), so steigt das
Procentverhältniss auf 49,1 7o.
Viel schlimmer noch ist es bei den im Kriege ausgeführten
Resectionen. Bis 1867 waren 30 aufgezeichnet, von denen nur 6
zur Heilung gelangten = 807o ^"^). Etwas besser gestaltete sich
das Ergebniss des jüngsten Feldzugs 1870/71, indem von 85 = 66
das Leben einbüssten, also 77,6"/o ^''^). Scheidet man ferner letztere
Summe in die jeweils der primären und secundären Resection zu-
gefallenen Verletzten, so heilten von 41 primären 16, starben folg-
lich 69,97o, von 44 secundär Operirten blos 3 , gingen also 93,170
zu Grunde. Dies rechtfertigt zur Genüge die, wie früher erwähnt,
auf die primäre Resection gesetzten Hoffnungen.
Die conservative Methode schliesslich hatte nach Bill-
roth ^°*) in der Friedenspraxis eine Mortalität von 22*'/o (von 77
Erkrankten verloren 17 das Leben). Hüter bemerkt jedoch hierzu,
»dass in der Gesammtsumme der Billroth' sehen Fälle auch alle die-
jenigen enthalten sind, welche von ganz günstigem Verlaufe waren.«
— Aus dem Kriege werden von Surgeon Bär 103 im nordameri-
kanischen Feldzuge conservativ behandelte Kniegelenkverletzte auf-
gezählt, von denen 53 starben, also 51,470^**^). Lücke'"*) ver-
zeichnet in seinem Berichte über 1870/71 50 expectativ behandelte
Fälle mit 24 tödtlichen Ausgängen = 48*'/o.
Eine Vergleichung der gefundenen Procente ergibt, dass die
Resultate speciell der Friedenspraxis bei allen 3 Methoden durch-
298) S. No. 2. — Hodges s. b. Koni;
299) S. No. 8.
30») S. No. 235.
»»') S. b. Asche Nr. 211.
»02) s. Billroth No. 8.
"") S. Asche No. 211.
ä"*) S. Cital bei Hüter No. 83.
'"*) S. König No. 212.
308) S. No. 42.
Beiträge zu der Statistik und den Endresultaten der Gelenkresectionen. 331
schnittlich nur um wenige Nummern ^**') differiren, dass eine Gegen-
überstellung der allgemeinen Statistiken über Amputation und Re-
section entschieden zu Gunsten der letztern ausfällt, dass endlich im
Kriege conservirende Behandlung weitaus die besten, die Amputation
schlechte, noch schlechtere Ergebnisse, die Resection vor 1870/71, in
diesem Feldzuge aber wenigstens bessere als die Amputationen des-
selben Krieges geliefert hat.
Von grossem wissenschaftlichen und practischen Werthe sind
ferner die Untersuchungen über die Wachsthumsverhältnisse der
resecirten Glieder. Die ersten gingen hauptsächlich von englischen
Chirurgen aus 3"^). Sie entbehrten einer genaueren Angabe, wie
viel von jedem der beiden Knochen entfernt worden war, wesswegen
auch die Ursache , warum sie bei jugendlichen Individuen bald ein
bedeutendes Zurückbleiben im Wachsthum, bald ein proportionales
Mitwachsen des resecirten Gliedes im Laufe der Jahre constatirten,
dunkel bleibt. Solche Differenzen führt auch H ey f el der'"^) an
und fügt überdies noch bei : »die Verkürzung der operirten Extremi-
tät beträgt manchmal sogar weniger als der durch die Operation
gesetzte Substanzverlust betrug.« Mehr Klarheit brachten König's
genaue Erhebungen. Er analysirte die von George, Murray,
3«') Im Frieden Amputatio = 22,2 o/o ; 25 o/o ; 14,28 o/o ; 19 o/o. — Resectio:
28,4 o/o; 27 o/o; 19,6o/o. — Gonservatio 22 o/o. — Im Kriege Amputatio: 60,15o/o;
64,43 o/o; 77,9 o/o. — Resectio 80 o/o ; 77,6 o/o. — Gonservatio : 51,4 o/o; 48 o/o.
— Allgemein Amputatio : 50 o/o ; 52 o/o ; 62 o/o. — Resectio : 30,7 o/o ; 38 o/o ;
49,1 o/o.
^°^) S. Gurlt's Jahresbericht über 1860—61 in v. Langenbeck's Ar-
chiv, Bd. III, 1862, Beschreibung von jugendlichen Resecirten mit fortschrei-
tender Längendifferenz durch Henry Smith (Medical Times and Gaz. 1861,
Vol. I, p. 11), von Frith (Ibid. 1861, Vol. II, p. 58). — A. M. Edwards (zu
Edinburg, Ibid. Vol. I. p. 182) theilte jedoch mehrere gegentheilige Fälle (d. h.
solche, wo die resecirte Extremität gleichmässig mitwuchs) mit.
^''^) S. No. 2: »Butcher hat das Verdienst, durch seine unermüdlichen
Forschungen an einigen Fällen von Jones, Brotherton, Keith und Page
nach 4 — 5 Jahren constatirt zu haben, dass die bei Kindern operirte Extremität
nicht im Wachsthume zui'ückblieb, Mackenzie bestätigt die Beobachtung nach
eigener Erfahrung. Dagegen habe ich bei Larrey und in der chirurg. Klinik
zu Erlangen Fälle beobachtet, wie bei noch nicht ausgewachsenen Individuen die
Abtragung irgend einer Epiphyse der untern Extremität deren Zurückbleiben im
Wachsthum bedingte.«
332 Dr. W. stark.
Humphry zu Cambridge veröffentlichten (18) Fälle und fand, dass
in allen jenen Beispielen (8), welche die Epiphysenlinie ganz oder
wenigstens zum Theile behalten hatten, die operirte Extremität mit-
wuchs ; dass ferner in den übrigen (10) , bei denen mit grosser
Wahrscheinlichkeit entweder an beiden oder wenigstens an einem
Knochen die Epiphysenlinie mit entfernt wurde, das Wachsthum
geslört war. Daraus ging somit hervor, »dass die Gefahr des Zu-
rückbleibens im Wachsthum mit der Grösse der entfernten Stücke,
also mit der Entfernung der Epiphysenfläche oder der dieser benach-
barten Parthien -wächst« ^^°). Wie wichtig dies für die Operations-
praxis ist, wusste König wohl zu würdigen, indem er bei Kindern
unter 10 Jahren, bei welchen die ganze Epiphysenlinie geopfert
werden musste, die Amputation aus dem Grunde vorzog, weil doch
nur ein wenig brauchbares Glied erreicht würde.
ß j, y ]j 3 1 1 j will , obgleich auch er ein fortschreitendes Zurück-
bleiben des Wachsthums der resecirten Extremität im jugendlichen
Alter mit Ausnahme eines Falles (bei dem der excidirte Keil blos
klein war) bestätigte, die Abhängigkeit desselben vom Entfernen
der Epiphysenknorpel nur theilweise gelten lassen. Er hebt hervor,
was bereits König 3^^) angegeben, dass schon vor dem operativen
Eingriffe eine Differenz in dem Längenmasse zum Nachtheile des
afficirten Gliedes constatirt werden kann. Daraus folgert er, die
normalen Knochenwachsthumsverhältnisse existirten nicht für patho-
logisch veränderte Kniegelenke ^^ 3) (z. B. durch Ostitis). Auch
etwaigen Entzündungsvorgängen in der Resectionswunde selbst
schreibt er einen gewissen Einfluss auf die spätere Gestaltung der
Dimensionen zu. Seine Behauptung: »In den Malleolarepiphysen
beider Knochen sind die Ersatzmittel für das fernere Wachsthum«
"») S. König No. 212.
"') S. No. 9.
"*) S. No. 212.
*") König glaubt gleichfalls : »Die einzelnen Fälle, in welchen, trotzdem
dass wenig resecirt wurde, das Wachsthum doch zurückbleibt, lassen sich Avohl
mit Wahrscheinlichkeit darauf zurückführen, dass die Epiphysenlinie selbst durch
Ossification, durch Atrophie und Bindegewebsneubildung so entartet war, dass das
Wachsthum von diesem entarteten Gewebe nicht mehr vermittelt werden konnte.«
Beiträge zu der Statistik und den Endresultaten der Gelenkresectionen. 333
lässt Zweifel über ihre Richtigkeit aufkommen. Sie stützt sich ledig-
lich auf nachträgliche Messungen seiner vor Jahren resecirten Patien-
ten, welche in 4 Fällen einen verhältnissmässig viel geringern Grössen-
unterschied der Unterschenkel gegenüber jenem der Oberschenkel
aufwiesen"*). Nun zeigen aber seine Angaben hinsichtlich der Länge
der excidirten Keile bei einer Vergleichung mit der von König ^i^)
aufgestellten Tabelle über den Abstand zwischen der Epiphysenlinie
und der Gelenkfläche, dass wohl nur das Femur durch Bryk's
Operation grösstentheils seines epiphysären Knorpels verlustig ging,
der der Tibia jedoch vollständig oder wenigstens theilweise erhalten
blieb. Schon Letzteres genügt nach König's^^^) Erfahrungen
dazu, »dass das Glied mitwächst.« Ferner bewies Hüter aus den
Messungen dieses Autors (König)^!^), ^ie Wachsthumsintensität
an der obern Epiphysengrenze der Tibia sei etwas bedeutender als
an der untern des Femur. Er ertheilte desshalb den Rath, »bei
äi4) In 3 Fällen erstreckte sich dieses Verhältniss auch auf den Umfang,
indem bei ihnen Atrophie des betreffenden Oberschenkels ohne Mitbetheiligung
der Wade constatirt werden konnte.
»") S. No. 212.
2^*) S. No. 212: »Uebrigens fand ich bei manchen Gliedern ein fort-
schreitendes Wachsthum oder wenigstens ein nur geringes Zurückbleiben ver-
zeichnet, bei welchen man nach den Angaben zu der Annahme berechtigt war,
dass wenigstens ein Theil der Epiphysenlinie aufgeopfert wurde, so dass also
meine Behauptung darin eine Stütze findet, dass das GHed mitwächst, wenn nur
ein Theil der Epiphysenlinie erhalten bleibt.«
^'^) Hüter sagt von den Messungen König's: »Er mass in 3 Fällen von
abgelaufener Knieentzündung bei Erwachsenen, welche in ihrer Jugend erkrankt
aber nicht resecirt worden waren, je zwischen 7 und 9 Ctm. Verkürzung, von
denen je 4 Ctm. auf das Zurückbleiben des Wachsthums der Tibia, je zwischen
2 und 3 Ctm. auf das Zurückbleiben des Wachsthums des Femur und der Rest
auf die Verschiebung der Knochen zu berechnen war.« König selbst war nicht
zu dem im Texte vorgeführten Schlüsse Hüter's, sondern zu folgendem gelangt:
»Es scheint nach meinen Messungen, dass die Tibia besonders stark im Wachs-
thum zurückbleibt. Bedenkt man, dass im Ganzen die Epiphysenlinie der Tibia
der Oberfläche näher liegt, als die des Oberschenkels und dass bei gebogenem
Knie die ganze Gelenkfläche derselben weit mehr dem Drucke ausgesetzt ist, als
die des Oberschenkels, von welchem nur der hintere kleinere Theil mit der
allmähUg rückwärts sinkenden Fläche der Tibia in Berührung kommt, so er-
scheint es wahrscheinUch , dass die Oberfläche der letztern und die an den
meisten Stellen nahe liegende Epiphysenlinie auch mehr der Zerstörung aus-
gesetzt ist.«
334 Dl". W. stark.
der Resection des Kniegelenks die obere Epiphysenlinie der Tibia
zu schonen.« Es brauchen also die Messungsresultate Bryks ledig-
lich als factische Bestätigung der Richtigkeit von Hut er 's Schlüssen
betrachtet, mithin an der obern, nicht an der untern Epiphyse der
Tibia der Grund des überwiegenden Wachsthums des Unterschenkels
nach Knieresectionen gesucht zu werden.
Auf die Besprechung dieses, die endgültige Gestaltung der
functionellen Resultate wesentlich beeinflussenden Momentes soll
noch eine kurze Erörterunug letzterer selbst folgen.
Schon Ried (1847) ^^®) berichtet über einen Fall, bei dem nach
Ablauf eines Jahres das Gehen ohne alle weitere Unterstützung
ausser hohem Absatz möglich. Hinken kaum bemerkbar und der
Gebrauch des Gliedes so vollständig, ja noch besser war, als der
jedes im Kniegelenk gestreckt und steif gehaltenen. Mehrstündige
Märsche vermochten sowohl auf ebenem als bergigem Wege gemacht.
Treppen und Leitern erstiegen zu werden. Auch Schillbach ^^^)
beschreibt gleich günstige Ergebnisse und fügt bei: »Aber auch in
jenen Fällen, wo keine knöcherne Verbindung erfolgt war, ist das
Resultat noch nicht als verfehlt anzusehen, da man die mangelnde
Festigkeit in dem resecirten Kniegelenke durch eine passend an-
gelegte Blechschiene ziemlich vollkommen bewirken kann.« Hey-
felder^'") dagegen zählt 13 Patienten auf, welche wegen Mangel
an Vereinigung und consecutiver Unbrauchbarkeit der Glieder am-
putirt werden mussten. Von den guten Erfolgen, die der obigen
Schilderung Ried 's entsprechen, weiss er anzugeben, dass die Dauer-
haftigkeit'^') derselben nach Jahren erprobt befunden wurde. Wie
3 18) S. No. 36.
3'«) S. No. 105.
»20) S. No. 2.
»2') König gibt folgende Beispiele von Endresultaten: »Ein erwachsener
Mann, welchen ich vor mehreren Jahren resecirte, arbeitet an der Landstrasse
und geht den 3 Stunden weiten Weg von seinem Orte bis hierher und zurück
in einem Tage, ohne sehr ermüdet zu werden; ein vor mehreren Jahren rese-
cirter Knabe gibt seinen Commilitonen weder in der Schnelligkeit noch in der
Ausdauer der Bewegungen viel nach und das zuletzt vor Jahresfrist operirte
kleine Mädchen ist ebenfalls den ganzen Tag auf den Beinen.«
Beiträge zu der Statistik und den Endresultaten der Gelenkresectionen. 335
sehr der Altersunterschied das Endresultat beeinflusst, beweisen die
aus seiner Statistik von König ^^-) zusammengestellten Resectionen
Erwachsener, welche 56"/o Misserfolge zählen, während die von
letzter m gegebene Uebersicht von Resectionen bei Kindern deren
blos 37,5 7o also 18,5 "/o weniger enthält. Die günstigen Resultate
bestanden auch bei diesen jugendlichen Patienten meist in fester
Vereinigung der Knochen des Ober- und Unterschenkels; nur in
zwei Fällen war sogar ein mobiles Gelenk entstanden.
Zum Zwecke einer rascheren Orientirung über den etwaigen
Stand der functionell gelungenen und misslungenen Operationen
möge noch die übrige von König erwähnte allgemeine Statistik
angeführt werden, demgemäss nach Heyfelder die Zahl der Er-
folge sich auf 60°/o, nachHodges auf 44°/o, nach Price auf 56,3''/o
und nach Holmes die Misserfolge auf 38,9 > beziffern. In neuester
Zeit hat Metzler ^2^) 7 vollständige Heilungen (die übrigen 4 seiner
11 Fälle starben) mit Ankylose erreicht. Bryk^ä*), der gleichfalls
bei seinen geheilten Fällen eine straffe Verbindung erzielte, beschreibt
genau deren functionelles Verhalten: »Zwei dem erwachsenen Alter
angehörige Operirte gehen herum , ohne dass man die geringste
Spur von Hinken an ihnen bemerken würde. Was 3 jüngere hidivi-
duen anbelangt, so ist der Gang in Folge der Beckenneigung ^^^j
etwas hinkend, jedoch ohne Beschwerde und selbst das Laufen nicht
gehindert.« Ja sogar in einem Falle, wo er bei einem 9jährigen
Mädchen an (um 2V^ Gtm.) verkürzter und atrophischer Extremität die
Resection vorgenommen hatte, zeigte sich 6 Jahre nachher das Bein
trotz einer Längen differenz von 17 Gtm., welche aber eine Becken-
neigung von 5 Gtm. auf 12 Gtm. reducirte und Spitzfussstellung
möglichst ausglich, zum Gehen brauchbar.
Ungünstiger erwiesen sich die Erfolge des Feldzugs 1870/71.
322j S. No. 212.
3") s. No. 235.
ä24j S. No. 9.
*^^) Diese war in all seinen nachträglich untersuchten Fällen mehr weniger
vorhanden und verringerte so die meist bedeutenden Längenunterschiede beider
Beine.
336 Dr. W. stark.
lieber sie berichtet Asche ^2^): »Von 9 geheilten Resecirten gingen
3 mit Hülfe eines Stockes und einer erhöhten Sohle, 2 mit Hülfe
zweier Krücken, 1 mit Hülfe einer Krücke und einer Stützmaschine,
1 mit einer Stützmaschine, 1 musste wegen Difformität nachträglich
am Oberschenkel amputirt werden, bei 1 war wegen beträchtlicher
Fissuren der Tibia nachträglich die Unterschenkelamputation nöthig.«
Die Eigenart der Schussverletzungen und die Schwierigkeit einer
sorgsamen Nachbehandlung im Kriege dürften hieran die Haupt-
schuld tragen.
Aus diesem Allem erhellt, dass die functionell günstigen Er-
folge bis jetzt weder an Zahl noch an Vollkommenheit den An-
sprüchen der Gegenwart genügen.
Beachtung sämmtlicher im Vorhergehenden besprochenen Mass-
regeln müssen nothwendiger Weise auch zu ihrer Vermehrung und
Verbesserung führen.
Von Jalire 1872 bis zu Ende 1876 sind 8 totale Resectio-
nen des Kniegelenks im Freiburger Krankenhause vorgenommen
worden.
In 7 Fällen geboten Caries , in einem Synovitis granulosa
(Fall 38: anderweitige Complicationen s. u.) die Operation. — 6 mal
sass die Affection am linken, 2 mal am rechten Beine.
In zwei Fällen — No. 36 und 38 — waren noch, seit lange
schon, Symptome einer allgemeinen scrophulösen Diathese vorhan-
den. In dem letzteren der beiden machte später ein der erwähnten
Gonitis analoger Prozess am linken Ellenbogen, der jedoch bereits
zur Zeit der Kniegelenksexcision bestand , ebenfalls die Resection
nothwendig.
Bei allen Fällen ist als Hautschnitt der vordere bogenförmige,
nur bei (Nr. 33) ein nicht typischer aasgeführt worden.
»26) s. No. 211.
Beiträge zu der Statistik und den Endresultaten der Gelenkresectionen. 337
Es starben von den 8 Operirten 6, mithin 75°/o, eine Mortali-
tät, deren aussergewöhnliche Hölie ihre Erklärung wohl theilweise
darin findet, dass die Hälfte der Patienten (34, 35, 36, 40) das
jugendliche Alter bereits überschritten hatten; denn auch Bryk^^'^)
hält bis zum Termine des 20. Jahres den günstigen Ausgang für
Regel, nach dieser Zeit die Genesung für Ausnahme. Ueberdies
befinden sich unter den Gestorbenen die beiden oben genannten
dyskrasischen Individuen :
Fall 33.
Euphrosine Jehle, 6 Jahre alt, aus Hartschwand, deren Mutter später
wegen Tuberkulose gleichfalls hier im Spitale Hülfe suchte , liess sich den
12. Mai 1872 in die hiesige Klinik auf Grund einer seit mehreren Wochen unter
Schmerzen sich bildenden Anschwellung des linken Knies aufnehmen. Bei der
Untersuchung fand man über dec linken Patella , nach unten und seitlich die
Grenzen derselben überschreitend, einen prallen, fluctuirenden Tumor, an einer
lateralwärts gelegenen Stelle die Haut so dünn, dass sie während der Constatirung
der schmerzlosen Bewegungsfähigkeit der Extremität durchbrach. Eine mikro-
skopische Betrachtung der heraussickernden, dünnen Flüssigkeit wies neben
wenig veränderten rothen eine grosse Anzahl weisser Blutkörperchen nach. —
Als sich trotz der nun angewendeten Immobilisirung des Gelenks durch Compressiv-
verband nebst Schiene, unter starken Fieberbewegungen (bis 40,5) Ansammlungen
von Eiter, Fibrin- und Blutcoagulis im Gelenke einstellten, suchte man am 18. Mai
durch Erweitern der vorhandenen lateralen und Anlegen einer neuen, medialen
Oeffnung, verbunden mit zweckmässiger Drainage, denselben entgegenzuarbeiten,
freilich ohne durchschlagenden und nachhaltigen Erfolg auf das Allgemein-
befinden. In kurzer Zeit (3. Juni) erforderten Schlaffheit der bereits vorhandenen
Granulationen, bedeutende Schwellung, Oedem und Schmerzhaftigkeit des Kniees
bei abermaUgem Emporschnellen der Temperaturcurve auf 40,8 einen weiteren
chirurgischen Eingriff: Vereinigung der beiden Fisteln durch einen Schnitt,
hierauf Ausschälen der Patella wegen einer zwar blos kupferkreuzergrossen,
aber die ganze Dicke derselben durchsetzenden , centralen Nekrose. Die Garies
hatte die innere Umrandung fast völlig aufgezehrt und einen Theil des oberen
äussern Quadranten ergriffen. Nur eine Parthie der unteren Hälfte und der
obere Rand war verschont geblieben. Die Knorpelflächen des nunmehr weit
eröffneten Kniegelenks waren intact. Ein Gypsverband, in Verbindung mit der
Watson'schen Schiene, Compression der Femoralis wegen einer leichten Blutung
und Morphiuminjection zur Milderung der Schmerzen bildeten die unmittelbare
Nachbehandlung, die man nach den Principien der offenen Wundbehandlung
weiter führte. Obschon die Wundfläche sich bald reinigte und unter wechselnder
'") S. No. 9. König gibt Aehnliches an: »Das Kind scheint einen so
beträchtlichen Eingriff leichter zu ertragen wie die Erwachsenen.«
Czerny, Beiträge zur operativen Chirurgie. 22
338 JJr. W. stark.
Schwellung gute Eiterung nebst Granulationsbildung zeigte , so brachte doch
diese Operation gleichfalls keine erhebliche Wendung zum Bessern. Wurden
auch am 17. Juni nach Almahme der oberen Verbandhälfte und Touchirung des
Gelenks keine Knorpeldefecte , nur an der Innenseite ein Abscess gefunden, bei
dessen Spaltung man auf den Oberschenkelknochen kam, so schien dessen-
ungeachtet wegen Eiterverhaltung trotz Drainage, hauptsächlich aber der hohen
Temperatur halber (41,3 am 18.) die Totalresection indicirt. Man nahm sie am
19. Juni vor: Von einer Stelle aus, wo mitten in der Granulationswucherung
der Eiter aus der Tiefe quoll , ward jene nach beiden Seiten incidirt. Die
Knorpel und Bänder des mit Eiter gefüllten Gelenks waren fast unversehrt. Es
folgte nun die Freilegung des Femur, dann die Abtragung der ganzen Epiphyse
bis zu ihrem Knorpel mit dem Messer. Ebenso verfuhr man mit der Tibia,
deren Epiphyse osteomyelitische Eiterheerde zeigte. Eine abgekapselte Eiterhöhle
unter dem Quadriceps femoris wurde gespalten, zwei Nähte an die Innen-
seite angelegt, ein Gummirohr quer durch's Gelenk gezogen und das Bein in
schwacher Beugung eingegypst. — Die horizontal verlaufende, ebene Schnitt-
fläche des zweimal durchsägten Femurstückes, dessen Höhe 2 Ctm., dessen Durch-
messer (an der Sägefläche) von rechts nach links 6 Ctm., von vorn nach hinten
2^2 Ctm. betrug, liess in der Mitte und nach aussen davon Spuren des Epiphysen-
knorpels erkennen. Die Epiphyse selbst durchzogen Eiterheerde , welche wahr-
scheinlich vereiterten Venen entsprachen. Die Knorpel der Gelenkfläche waren
intact. Am inneren Knorren der Tibia legte ein 1 Ctm. langer und 0,5 Ctm. breiter
cartilaginöser Defect die Knochensubstanz blos. Die abgetragene Schichte hatte
eine Dicke von mehr als ^2 Ctm. und bestand aus vier Stücken, von denen
jedoch nur das der Gelenkfläche angehörige die ganze Circumferenz der Tibia
umfasste. Der Knochen war mit dem Resectionsmesser in Scheiben excidirt
worden , bis keine Eiterheerde mehr in der Schnittfläche sich zeigten. Der
unterste Schnitt nahm an seinem inneren Theile Epiphysenknorpel mit. Merk-
würdig war die bis zum 1. Juh zu beobachtende Umkehrung des Fiebertypus
mit morgendlicher Exacerbation; die Intensität desselben ward weder durch die
Operation noch durch Chininverordnung abgeschwächt. Darum stellte sich,
während Eiterung und Aussehen der Wunde ausser vorübergehender Schlaffheit
der Granulationen und Ausbleiben der Knochenverwachsung nichts zu wünschen
übrig Hessen, allmählig CoUaps und zeitweise Somnolenz ein. Ersterer wurde
noch befördert durch Diarrhöen, Decubitus am Tub. ischii und der Achillessehne.
Endlich trat, nachdem noch Abscedirung der rechten Parotis (Eiterentleerung
durch Incision), Oedem der Augenlider und des Fusses hinzugekommen, am
7. .Juli Morgens 11 Uhr der Tod ein.
»Die beiden Knochenstümpfe missfarbig, das anstossende Knochenmark
ebenso. Von hier aus ziehen sich in Form zusammenhängender lacunärer Räume
eitrige Infiltrationen gegen 2" aufwärts im Femur und abwärts in der Tibia in
die Marksubstanz hin,« heisst es im Sectionsprotokoll. Ferner fanden sich in
der Lunge, der Milz und den Nieren Abscessbildungen (Pyämia multiplex).
Fall. 34.
*
Hermann Schiele, 24 .Jahre alt, lediger Knecht aus Worndorf, bemerkte
anno 1870 zum ersten Male rasches Ermüden des linken Beins und Anschwellung
Beiträge zu der Statistik und den Endresultaten der Gelenkresectionen. 339
des Kniees; Schmerzen waren hierbei gering. Die Tags über während des Ge-
brauchs der Extremität sicli vergrössernde Intumescenz verschwand meist wieder
durch die Nachtruhe. Langsames al)er stetes Zunehmen der Schwäche, Schwellung
und Schmerzhaftigkeit beeinträchtigten allmählig die Functionsfähigkeit des be-
treffenden Beins so sehr, dass ungefähr 2 Jahre nach Beginn der Erki-ankung
Patient das Knie nicht mehr vollständig strecken, nur mit grösster Mühe am
Stocke gehen, schliesslich kaum mehr aufstehen konnte. In diesem Zustande kam
er am 13. Juni 1872 in's Spital. Daselbst wurde nach eingehender Untersuchung
eine chronische, granulös -fungöse Kniegelenksentzündung (Tumor albus) mit
wenig Exsudation diagnosticirt. Das Knie war ohne Crepitation aber unter
vielen Schmerzen in geringem Maasse passiv beweglich. Es wurden nun der
Reihe nach angewendet : Lagerungsschienen nebst Eisblase, Lagerung auf Kissen
verbunden mit kalten Umschlägen, Gypsverbände vom Fuss bis hoch zum Ober-
schenkel , Bepinselung mit Jodcollodium , Emplastr. hydrarg. ein. , Vesicatoires
Volants, aber alle diese Mittel — abwechselnd gebraucht bis Mitte De'zemi)er —
hatten so wenig Erfolg, dass Patient nach Ablauf dieses halben Jahres dringend
einen energischen Eingriff verlangte, um endlich von seinem Leiden befreit zu
werden.
Man entschloss sich (am 19. Dezember) zur Resection. Kurz vor derselben
war der Status, welcher sich seit der Aufnahme kaum verändert hatte, folgender :
Linker Oberschenkel adducirt; Unterschenkel nach aussen rotirt, in starker
Valgusstellung. Kniegelenk im Winkel von 150" gebeugt. Starkes Hervortreten
der Condylen ; Subluxation der Tibia nach hinten. Die Circumferenz des Ober-
schenkels, 8 Gtm. oberhalb der Patella gemessen, ergibt 36 Gtm. rechts, 30 Gtm.
links, in der Mitte der Patella rechts 36 Gtm., links 39 V2. Der Querdurchmesser
durch das Gelenk beträgt 9 Gtm. rechts, links 11. Druck überall über das Gelenk
hin schmerzhaft, hauptsächlich der auf die Condylen, die Kniescheibe und Knie-
kehle. Bewegung, auch die geringste, äusserst empfindlich. Die Untersuchung
in der Chloroformnarkose weist Reiben im Gelenke nach.
Resection. Gypsverband. Erwachen aus der Narkose mit Krämpfen,
Brechen. Das Präparat fehlt. Namittags Fenster und Lagerungsschiene. War
seither nur geringes, intermittirendes Fieber vorhanden, so nahm sofort nach der
Operation die Temperatur einen unaufhaltsam (bis 41°) steigenden, remittirenden
Charakter an. Schon am 23. Dezember bezeichneten 2 Schüttelfröste den An-
fang der Pyämie , zu ihr gesellte sich am 25. Icterus. Das subjective Verhalten
des Patienten hatte alsbald nach der Resection etwas Unruhiges , Aengstliches ;
sein Aussehen war gedunsen. Obschon sich local nach Entfernung der Nähte
theil weise Verwachsung zeigte, die Wunde gut aussah und reichlich Eiter secer-
nirte, so roch doch letzterer sogleich schlecht. Incision gegen das Gap. fibulae
hin und Drainage leisteten keine Abhülfe. Gegen den eingetretenen Übeln All-
gemeinzustand war Opium, Ghinin und Säuren verordnet worden. Je mehr sich
die Verhältnisse verschhmraerten , desto deutlicher schlug die frühere Gemüths-
stimmung des Kranken in Euphorie um , die mithin in starkem Contraste zu
dem objectiven Befunde stand: denn es complicirte sich derselbe mit Diarrhöen
nebst meteoristischer Auftreibung des Leibes, Puls und Respiration wurden
frequent , das Fieber — wie schon erwähnt — sehr hoch, die Wunde collabirte
und stank cadaverös — bis der Tod dem hoffnungslosen Zustande am 30. Dez.
Nachts 11 Uhr ein Ende machte.
Die Section des resecirten Gliedes lieferte folgende Ergebnisse :
340 Dr. W. Stark.
»Der linke Psoas in einen von der gesunden Wirbelsäule bis zur Mitte
des Oberschenkels reichenden Abscess umgewandelt. Die Sägeflächen berühren
sich ziemlich dicht, die Knochenenden etwa bis 172 Zoll weit vom Periost ent-
blösst und ebenso weit mit grün - gelbhchem Eiter durchsetzt. Keine weiteren
Senkungen, keine Thromben in den Venen. Im rechten Knie Eiter.« Ausserdem
constatii'te man Eiter in den Pleurahöhlen, Abscesse in den Lungen (Pyämia
multiplex), Schwellung der Leber, Ausdehnung ihrer Gallengänge, der Gallenblase
und des undurchgängigen Ductus choledochus durch Anstauung schleimiger Galle;
Vergrösserung der Milz; Schwellung der Nierenrindensubstanz.
Fall 35.
Christian W e r n e r , 24 Jahre alt, lediger Knecht aus Denzlingen,
bekam 1872 Schmerz am Gondyl. extern, tibiae rechterseits und consecutive
Schwellung des Kniegelenkes. Er arbeitete beständig bis Anfang des Jahres 1873,
zu welcher Zeit er sich einer mehrwöchentlichen Behandlung in der chirurg.
Klinik (Bettruhe und Gypsverbände) unterzog, die im Vereine mit einer nach-
träglichen Badekur von 6 Wochen vorübergehend Besserung bewirkte. Becrudes-
cenz der erwähnten Entzündungserscheinungen bewogen ihn, seine wieder auf-
genommene Beschäftigung abermals aufzugeben und am 13. Februar 1874 Hülfe
im Spitale zu suchen. Patient sah gut genährt und gesund aus. Das rechte
Bein war atrophisch , Erheben desselben im Liegen nur mit Nachhülfe beider
Hände möghch. Die beträchthche Geschwulst des Kniees liess deutlich Fluctuation
wahrnehmen. Massiger Druck auf den Gond. ext. tibiae erzeugte lebhaftes
Schmerzgefühl. Nach vorläufiger Ruhe erhielt er am 25. Februar einen Gyps-
verband, welcher die untere Extremität umschloss. Doch die (spontane) Schmerz-
haftigkeit nahm zu trotz der stets ruhigen Lage, sie griff aber auf das ganze
Gelenk, schhesslich auf das ganze Bein. Das Aussehen des Kranken verschlech-
terte sich. Der Urin enthielt Spuren von Eiweiss. Unter solchen Umständen
verdiente die Resection den Vorzug vor weiterem Zuwarten. Am 15. Mai incidirte
man (nachdem Esmarch'sche Einwickelung vorhergegangen) mit dem vorderen
halbmondförmigen Schnitte das Kniegelenk, aus welchem sich sofort 300—400 Gr.
blutig tingirten Eiters ergossen. Das Periost des Femur löste sich spontan; er
selbst musste zweimal durchsägt werden (Scheibe von ^/4 Gtm. Dicke das 2. Mal),
da nach Abtragung des Gelenkendes die Sägefläche noch cariös entartet erschien.
Bei Entfernung der erkrankten Tibiaparthie wurde das Tibiofibulargelenk eröffnet
und ein Theil vom Capitulum fibulae resecirt. Patella sammt Bursa präparirte
man heraus, vereinigte die Haut theilweise durch Nähte, legte Drainageröhren ein
und umgab endhch das Bein mit einem vorne gefensterten Gypsverbände, den
eine Eisenschiene verstärkte. Das Abends remittirende Fieber, welches schon kurz
vor der Operation bestanden, überstieg auch nach der Operation bis zum 24. Juni
39° höchstens um einige Zehntel. Der Schmerz nahm ab. Die Albuminurie hörte
auf. Die Granulationen zeigten sich schlaff. Die Eiterung bot nichts Bemerkens-
werthes; den Secretabfluss unterstützte zweckmässiger Wechsel der Drainage-
röhren, ferner als dies nicht ausreichte, Incision an der Aussenseite des Gelenkes,
wo deutlich Fluctuation. Dieser folgte ebendaselbst nach Abnahme des Verbandes
eine zweite tiefere am 24. Juni, die reichlich Eiter entleerte. Dessen ungeachtet
blieb die Temperatur, welche an diesem Tage 40° erreicht hatte, die nächste
Beiträge zu der Statistik und den Endresultaten der Gelenkresectionen. 341
Woche sehr hoch, wozu ein am 28. Juni auftretendes Erysipel Jedenfalls beitrug.
Dieses dehnte sich über den Schenkel ans, .erreichte abwärts schliesslich die
Fusssohle und Zehen, erhlasste allmählig unter Fieberabfall (bis 7. Juli). Zur
nämlichen Zeit waren ferner Digestionsslörungen, hartnäckige Diarrhöen, die
trotz Diät und Opium mit geringen Unterbrechungen auch in Zukunft anhielten,
und Albuminurie vorhanden. Letztere stellte sich zum letzten Male am 15. Juli
ein. Die Wundsecretion stand bald vollständig still (7. Juli), bald begannen alte
Fisteln (am 17. Juli und 13. August) wieder beträchtlicher abzusondern. Am
8. Juli gypste man die Extremität frisch ein. Drei Tage darauf unterbrach unter
Temperatursteigerung bis 40,8" eine Pneumonie der linken, später auch der
rechten Seite den Benarbungsprozess. Nach Ablauf einer Woche minderte sich
die Intensität ihrer Symptome. Aber am 6. August wölbte sich die Dämpfungs-
region der linken hintern Thoraxseite deutlich hervor. Es wurde eine Aus-
pumpung des daselbst vermutheten Eiters versucht (mit Dieulaf oy'schem
Apparat) , jedoch nur ein kleines Quantum einer leicht getrübten , stark luft-
haltigen Flüssigkeit mit miskroskopisch nachweisbaren Blut- und Eiterkörperchen
herausbefördert. Das Fieber hielt sich, abgesehen von bedeutenderen Remissionen,
annähernd auf demselben Niveau. Dazu kam noch Decubitus am Kreuzbein
(27. Juli), ebenso in der Nähe der Wunde durch drückende Verbandstücke. Eiter-
stauung verursachte am 6. August enorme Schmerzen und entzündliche Röthung
in der Umgebung des Gelenkes. Die Sonde vermochte, ohne auf entblössten
Knochen zu stossen, den ziemlich ansehnlichen Secretmassen Ausweg zu ver-
schaffen. Eitrige ünterminirung der Operation.«narbe nöthigte am 5. September
zu einer Incision und nachträglich (11. September) zur Beseitigung des Gyps-
verbandes. Seit 15. September beobachtete man wachsendes Oedem des linken
Schenkels, binnen Kurzem auch solches der rechten unteren Extremität. Prost-
ration der Kräfte beschleunigte den tödtlichen Ausgang, der am 1. October eintrat.
Neben den Folgeerscheinungen der diagnosticirten Pneumonie , neben Ca-
vernen und Tuberkeln der Lungen, Residuen von Entzündungen der Milz, Nieren
und des Darms ergab die Section:
»An der Innenseite des rechten Oberschenkels bis zur Mitte einen dem
Periost aufsitzenden Abscess. Die Sägefläche des Oberschenkels ist an der hinteren
Hälfte usurirt, schief abgeflacht, so dass die Sägefläche die Hälfte der ursprüng-
lichen betragen mag. Sägefläche missfarbig, Knochenmark des Oberschenkels
gelbroth, keine Zeichen von Entzündung. Osteophytenbildung sehr spärlich. In
der rechten Vena femoralis frische Gerinnsel, in der linken ein derber, in der
Mitte gelbbrauner, der Wand fest anhaftender Thrombus.«
Fall 36.
Marie Gassenschmidt, 23 Jahre alt, aus Brandenberg, litt von Jugend
auf an Lymphdrüsenvereiterungen (des Halses). Anfangs Januar 1874 bemerkte
sie Schmerzen, Röthung und Schwellung an der linken Wade, woselbst von
einem consultirten Arzte eine Incision gemacht und viel Eiter entleert wurde.
Nichts destoweniger traten schon nach 14 Tagen sehr starke Schmerzen und
Anschwellung des linken Kniees auf, so dass es nicht mehr bewegt werden
konnte. Bei der Aufnahme am 9. März 1874 constatirte man — abgesehen von
342 Dr- W. stark.
breiten, lividen Narben und dünnes Secret absondernden Fisteln an der rechten
Clavicula, am Halse und zu beiden Seiten des Unterkiefers, — Auftreibung
des linken Kniegelenkes, dessen grösster Umfang 37 Ctm. (gegen 35 rechts)
betrug, ferner Empfindlichkeit der Condylen des Oberschenkels und der Tibia
auf Druck. Das Kniegelenk schien unbeweglich, in einem Winkel von 117"
fixirt. Im oberen Drittel des Unterschenkels fand sich eine kleine, mit Granu-
lationen überwucherte Oeffnung, durch welche die Sonde 6 Ctm. weit nach innen
und oben eindrang. Patientin erhielt einen Extensionsverband (5 + 2 Kilo).
Aber schon 3 Tage nachher nöthigte ein an der äusseren Seite des Unterschenkels
entstandener, lufthaltiger (Succussionsgeräusch und tymp. Schall) Abscess von
6 Ctm. Länge, für dessen Eröffnung und freien Abfluss seines dicklichen Inhaltes
durch 2 Incisionen nebst durchgeführter Drainage gesorgt worden war, zur An-
legung eines gefensterten Gypsverbandes. Die Wundbedeckung geschah durch
Carbolcompressen. In den nächsten Tagen traten Röthung, Intumescenz und
Schmerzhaftigkeit der Incisionsstelle , begleitet von leichten Fiebererscheinungen
auf. Am 7. April wurde der Gypsverband wegen starker Schmerzen am Cond.
extern, tibiae, wo zugleich etwas Schwellung sich vorfand, abgenommen. Eine
Drahthose diente vorderhand als Fixationsmittel.
Den 10. April entleerten 3 weitere Einschnitte eine erhebliche Menge
von ziemlich übelriechendem, hämorrhagischem Eiter. Trotz mehrfacher Drai-
nirung fieberte Patientin an diesem und den nächsten Tagen sehr bedeutend
(bis 40°) , bis am 14, nach einem lang anhaltenden Schüttelfroste die Tempe-
ratur wieder zur Norm herabsank. Die ödematöse Schwellung und Röthung
verloren sich alsdann vollständig sammt einer kurz zuvor bemerkten Lymphan-
goitis. Die in letzter Zeit (seit 10. April) massenhafte, übelriechende Eiterung
wurde massig und gut; Schmerzhaftigkeit der Condylen bestand jedoch fort,
am äusseren war undeutlich Fluctuation erkenntlich (22. April). Bei einer am
1. Mai angestellten genauen Untersuchung, — bei der neben den bisherigen Er-
gebnissen besonders noch active Erhebungsfähigkeit des hnken Beins in geringer
Entfernung von der Unterlage, Schmerzlosigkeit bei indirectem Drucke, dagegen
lebhafte Schmerzen bei Rotationsbewegungen festgestellt wurden, — traf eine
dicke Sonde von der zunächst unterhalb des Kniees gelegenen Incisionsöffnung
aus nach oben und innen am Ende des Fistelgangs eine rauhe Stelle, welche
dem Cond. extern, femoris angehörte. Man schritt desshalb ungesäumt zur
Resection. Sie verlief folgendermassen : Blutstillende Einwickelung nach Es-
march. Vorderer Querschnitt, Loslösung des leicht abhebbaren Periostes.
Absägung der erkrankten Femur- und Tibiaenden, deren Knorpel vaskularisirt,
weich, an der Gelenkfläche des tbnd. extern, in geringer Ausdehnung usurirt.
Das Knochenmark hyperämisch ; an der hinteren Fläche der Tibia finden sich
2 vom Knochen ausgehende Abscesse. Entfernung der Patella und der Bursa,
des M. quadriceps; an ihr, sowie an der Synovialhaut Tuberkelknoten sichtbar.
— Gefensterter Gypsverband mit Beckengürtel. Die äusserste Temperaturgrenze
war durch längere Zeit nach der Operation 39°. Offene Wundbehandlung trat von
jetzt ab anstelle der bisher gebrauchten Carbolcompressen. Eine Billroth'sche
Lagerungsschiene unterstützte die resecirte Extremität. Drainage verschaffte dem
reichlichen, aber guten Eiter freien Abfluss. Das Allgemeinbefinden wurde
hauptsächlich durch anhaltende Schmerzen und Appetitlosigkeit beeinträchtigt.
Granulationen wucherten ziemlich üppig empor. Verschiebungen der betreffenden
Knochenstümpfe aneinander. Decubitus am Kreuzbein und an verschiedenen
Beiträge zu der Statistik und den Endresultaten der Gelenkresectionen. 343
durch die Gypshülse gedrückten Stellen, machten mehrmaliges Wechseln des
Verbandes mit zweckentsprechenden Abänderungen desselben (zweitheiliger, durch
Eisen- und Watson'sche Schienen zusammengehalten) nebst dem Gebrauche
eines Wasserkissens nothwendig.
Vom 20. Mai an gingen die Fieberwellen Abends sehr hoch (Temperatur-
stand durchschnittlich 40", einmal sogar 41,1°). Zunehmendes Oedem des rechten
Beins konnte seit 19. Mai wieder constatirt werden. Eine fluctuirende Stelle auf
der Mitte des Femur, etwa 1 Zoll von der Sägefläche entfernt, wurde durch eine
hicision ihres eitrigen Inhaltes entledigt. Den 22. bekundete icterische Färbung
der Conjunctiva und Gallenreaction des Urins das Auftreten eines Icterus. Die
Leber vergrösserte sich. Der Decubitus, welcher am 18. Mai bereits begonnen
hatte, ein schwärzliches Colorit anzunehmen, reinigte sich unter Anwendung von
Kataplasmen. Letztere wendete man auch gegen eine Druckgangrän (27. Mai)
am rechten Schenkel, welche hervorgerufen worden war, durch das hervorragende
Ende einer Schiene an. Die Granulationen der Operationswunde sahen seit 24. Mai
schlaff aus. Das Secret, welches zuvor nur einmal (am 13. Mai) übel roch,
bot diese schlimme Eigenschaft von nun an in stets intensiverem Grade. In
grellem Widerspruch mit dieser Verschlechterung der objectiven Beobachtungs-
resultate stand das subjective Wohlbefinden. Es war das erste Zeichen der
Trübung des Sensoriums, bis am 4. Juni vollständiges Coma eintrat. Zwei Tage
früher war die Kranke von 4 Schüttelfrösten befallen worden.
Sie starb am 5. Juni Abends 5 Uhr in Folge der Septo-Pyämie. Ihre
Angehörigen verweigerten die Obduction.
Fall 37.
Johann Vogelbacher, 16 Jahre alter Fabrikarbeiter aus Buch (Walds-
hut), kam am 9. November 1874 in's Spital. Er Utt an einer chronischen Ent-
zündung des linken Kniegelenks (Tumor albus), die bereits auf Knorpel und
Knochen übergegriffen hatte. Patient fieberte schon bei seiner Aufnahme. Weil
nach zweimaliger Carboleinspritzung (am 13. und 15. November) die Affection
in gleicher Weise fortschritt, fand am 30. unter Lister's Spray die Resection
statt. Die Patella Stack in einer dicken Schale speckigen Gewebes, war an der
Hinterfläche ihres Knorpelüberzuges beraubt, der Knochen daselbst, sowie an
dem unteren abtastbaren Theile der Vorderseite rauh ; der übrige schien gut er-
halten. Die grösste Länge des Femurendes, welches sich aus 3 Stücken zu-
sammensetzte, betrug 4*/4 Ctm. (am Gond. int.), der Durchmesser seiner Sägefläche
von rechts nach links 7 Ctm., von vorn nach hinten 3^2 Ctm. Der aufge-
lockerte Knorpel hing lose den Knorren des Oberschenkelbeins an und hatte
an verschiedenen Stellen Lücken, durch welche arrodirter Knochen durchblickte.
Allenthalben (vorwiegend in der Fossa poplitaea) fand man theils krümehge,
theils schwartige Excrescenzen. Die Tibiascheibe war 1 Ctm. dick. An der
vorderen Seite sassen verdickte Kapselreste. Besonders an der inneren, weniger
an der äusseren Gelenkfläche war der Knochen denudirt. Von der Eminentia
breiteten sich hauptsächlich auf die letztere, in geringerem Maasse auf erstere,
* granulöse Wucherungen aus.
Einem vorübergehenden Sinken der Temperatur bis zu 36,4° folgte schon
am dritten Tage nach der Operation Ansteigen der Curve, die am 5. Dezember
344 DJ"- W. stark.
mit 40,5° ihren Höhepunkt erreichte. Die Remissionen des Morgens bewegten
sich meistens in den Grenzen des Normalen. Ende Dezember und Anfangs Januar
nSthigte das Auftreten von Abscessen theils in der Tiefe der Wundhöhle, theils
unterhalb des Periostes mehrmals zu Incisionen. Die zurückgebliebenen Hohl-
räume und fistulösen Gänge musste man am 4. Februar mit dem S i m o n'schen
Löffel auskratzen. Dies wurde am 12. März wegen Exacerbation des Fiebers (bis
39,5°), ödematösem Aussehen der Fisteln und sehr reichlicher Eitersecretion in
der Chloroformnarkose wiederholt, ferner eine an der Innenseite des unteren Unter-
schenkeldrittels befindliche Oeffnung, die suprafascial sowohl nach oben als nach
unten weiter führte, in grosser Ausdehnung gespalten. Mit Liquor ferri getränkte
Gharpie stillte die Blutung. Daran schloss sich eine Untersuchung der nach
Aussen gelegenen Fisteln, wobei die eingeführte Zinnsonde a.uf die Sägefläche
des Femur gelangte, welche bioslag. Uebler Geruch des Eiters am 14. März
verrieth, dass auch durch diesen Eingriff keine Besserung des localen Zustandes
erzielt worden war, wesshalb am 16. Galvanocaustik zur Anwendung kam. Die
Temperatursteigerung aber hatte schon vor letzterer einer Apyrexie Platz ge-
macht, die mit zeitweiser Unterbrechung mehrere Monate anhielt. Auch die
Eiterung wurde massig, doch bläulich gefärbt und behielt den Gestank bei. Mit
Blut vermischte Diarrhöen (Mitte März) deuteten auf ulceröse Prozesse im Darm.
Der Kranke sah sehr schlecht aus; dessgleichen die Granulationen, welche, ob-
gleich mit Lapis geätzt, wieder aufzuquellen begannen. Desshalb nahm man
am 16. April aufs Neue ein Evidement mit dem Simon'schen Löffel in der
Narkose vor mit nachfolgendem Touchiren mittelst des Ferrum candens. Daran
schloss sich eine roborirende Behandlung (frische Luft, Bäder etc.), welche so-
wohl den Kräftezüstand , als den örtlichen Prozess so günstig beeinflusste, dass
Patient von Anfang Juni bis Mitte Juli mit einem Schienenverbande versehen,
an Krücken umhergehen konnte. Bald nach einer abermaligen Ausschabung
nebst Cauterisation der Fisteln und cariösen Knochenparthien (16. Juli) stellte
sich eine Temperaturerhöhung bis 40,6° (am 25. Juli) ein, mit welcher den 3. Au-
gust ein Erisypel sich complicirte, das unter bedeutender Affection des Allgemein-
befindens (Schmerzen, Mattigkeit, Appetitlosigkeit, Erbrechen, Diarrhöen, Icterus)
vom Fusse an bis zum Lig. Poupartii weiter kroch, ja sogar den Hodensack er-
griff. Am Malleol. externus des linken Beins und dem Scrotum bemerkte man
am 9. August Hautgangrän , die an ersterer Stelle bald granulirte , an letzterer
aber rasch an Ausdehnung gewann, so dass die ganze Haut bis zur Wurzel des
Penis abstarb, das Unterliautzellgewebe in Fetzen heraushing und am 13. beide
Hoden bloslagen. Auch Kopf- und Gesichtsrose kamen hinzu. Die Mund- und
Rachenschleimhaut war sehr empfindlich und in Blasen abgehoben. (Arg. nitr.
5°/8 zum Pinseln.) Damit verbanden sich Abscedirungen am Kreuzbein (14, Aug.)
und nach aussen vom linken Sitzbeinhöcker (18. August), von denen jene spontan,
diese künstlich ihres eitrigen Inhaltes entledigt wurden. Eine Untersuchung der
inneren Organe am 18. August ergab Dämpfung beider Lungenspitzen und stark
vergrösserte, brettharte Leber. Ferner Eiweiss im Urin. Unter stetiger Zunahme
des Collapses starb der Kranke am Morgen des 19. September 1875.
Die einschlägige Stelle des Sectionsberichtes lautet:
»Am linken Oberschenkel zeigen sich mehrere Fistelöffnungen. Mit der
Sonde kommt man auf cariösen Knochen, der dem Oberschenkel zugehört, ebenso
entsprechend der hintern Seite der Tibia. Starker Decubitus am Kreuzbein. An
der hintern Seite des linken Ober- und Unterschenkels etwa handlange Ge-
Beiträge zu der Statistik, und den Endresultaten der Gelenkresectionen. 345
schwürsflächen mit theils unterminirten Hauträndern und mit grüngelbem Eiter
bedeckt.«
Ausserdem waren die Zeichen von Tuberculosis pulmonum , pleurae,
diaphragmatis , Peritonitis tuberculosa, Degeneratio amyloidea hepatis et lienis
und Morbus Brightii vorhanden.
Fall 38.
Maximilian Thoma, 12 Jahre alt, aus Attenthal, der längere Zeit an
Drüsenvereiterungen in der Halsgegend litt, bemerkte gegen Herbst 1874
Schwellung und Schmerzhaftigkeit des linken Kniegelenkes, das sich zugleich zu
krümmen begann. Seit Anfang des Jahres 1875 war die Gebrauchsfähigkeit des
linken Beins vollständig aufgehoben. Die nämlichen Symptome stellten sich am
linken Ellenbogen ein, nur dass die Bewegungen des schon lange in einem
stumpfen Winkel fixirten Armes vom Februar an durch Schmerzhaftigkeit bloss
beeinträchtigt wurden. An ihm fanden sich bei dem Eintritte des Patienten
den 22. Februar 1875 zwei wenig secernirende Fisteln vor.
Beide Extremitäten erhielten je einen Gypsverband, das Bein jedoch erst,
nachdem durch allmählige Extension fast yölhge Streckung erzielt worden. "^
Dieselben blieben bis 19. April liegen. Bei ihrer Entfernung zeigte sich der
krankhafte Prozess (Synovitis granulosa) an beiden Gliedern im Fortschreiten
begriffen, was besonders am Knie die sehr vermehrte Schwellung und Schmerz-
haftigkeit zur Genüge bewies. Man ging desshalb am 3. Mai zur operativen
Thätigkeit über, trotzdem dass — ungeachtet des stets vorhandenen, massigen
Fiebers — das Aussehen und der Appetit des Kranken nicht Noth gelitten hatte ;
doch ergab eine mikroskopische Blutuntersuchung eine ziemlich hochgradige
Leukämie.
Am Ellenbogengelenke musste zunächst, weil von den zwei Fisteln der
Badialseite die Haut daselbst weithin unterminirt worden war, ein mehr als
3 Thaler grosses Stück weggeschnitten werden. Hierauf folgte Auskratzen der
das Gelenk durchsetzenden Fistelgänge mit einem kleinen Simon'schen Löffel,
schliesslich Einlegen zweier Drainageröhren. Das Kniegelenk wurde resecirt,
von Tibia und Femur aber nur massig dicke Scheiben abgetragen. Nachher kam
die Exstirpation der Patella, Entleerung einer bis zur Hälfte des Oberschenkels
hinauf sich erstreckenden Eiteransammlung in der Bursa des Muse, quadriceps,
endlich Drainirung der letzteren durch verschiedene vorausgegangene Einschnitte,
ebenso Drainage des Gelenkes. Esmarch'sche Einwickelung und Lister'sche
Methode hatte man bei beiden Operationen eingehalten. Die Patella war in
beinahe 2 Ctm. dicke, schwartige Massen (infiltrirte Kapselreste etc.) eingelagert.
Die Hinterfläche erschien intact, an der vordem bemerkte man bloss central
röthlichbi aune Verfärbung. Die Länge der abgesägten Femurepiphyse betrug
2 Ctm.; der Durchmesser ihrer Sägefläche frontal 7 Ctm., sagittal 3 Glm. Am
inneren Gelenkknorren war in einer Ausdehnung von 3^2 Ctm, der bräunlich
tingirte Knorpel zerstört. Am Cond. ext. schimmerte es grünlich aus den
tiefern Schichten des an der Oberfläche noch glatten und glänzenden Knorpels.
Die Superficies articularis interna der 1 Ctm. dicken Tibiascheibe trug in der
Mitte Decubitus zur Schau. Ausserdem überzogen dieselbe von der Seite her
synoviale Wucherungen. Vorn und aussen hingen der im Uebrigen intacteu
346 Dr. W. stark.
Gelenkfläche Ueberreste der verdickten , speckigen Kapsel an. Am Abende
trat durch den Collaps eine Temperaturerniedrigung von 34,5" ein, die in
vermindertem Maasse auch den folgenden Tag noch fortdauerte. Dann erhob
sich die Curve wieder bis zu 39", welcher Fieberstand mit sehr ausgiebigen
morgendlichen Remissionen bis gegen Mitte Juni annähernd derselbe blieb.
Ueber Schmerzen klagte der Operirte stets , wenn auch in wechselndem Maasse.
Einen beginnenden Decubitus (12. bis 17. Mai) behandelte man erfolgreich mit
Alkoholwaschungen. Die Wunden fingen an, reichlich zu eitern. Im Knie-
gelenke bildete sich Subluxation und Auswärtsrotation (des Femur) aus, die allen
Versuchen, durch zweckmässige Lagerung oder Verbände (Blechschiene, Seiten-
schienen, Compressivverband) eine dauernde Stellungsverbesserung zu erzielen,
Widerstand leisteten, Uebrigens nahm daselbst die Eitersecretion der Haupt-
wunde ab, nur die der Incisionswunden in die Bursa währte in gleicher Weise
fort. Die Granulationen sahen ziemlich gut aus. Noch weniger günstig war das
Resultat am Ellenbogengelenke. Auf eine Verringerung der Eiterung folgte
massenhafte Production bei blasiger Erhebung der schlaffen Granulationen.
Indirecter Druck steigerte die spontane Schmerzhaftigkeit des Gelenkes. Kleine
Rotationsbewegungen Hess der Resecirte zu. Dieser Status verschlechterte sich
mehr und mehr. Es wurde desshalb, tiotzdem dass die Temperatur in den
letzten Tagen etwas gesunken (38,5°), am 20. Juni das afficirte Gelenk durch
Resection beseitigt (Hüter'scher Radialschnitt). Der Hümerustheil hatte 3 Gtm.
Länge; sein Durchmesser von rechts nach links belief sich auf 4 Gtm. Der
Gelenkknorpel erwies sich an der vorderen Parthie in einer Querausdehnung von
3 Gtm. zerstört und liess so cariöses Knochengewebe zu Tage treten. Die Fossa
supratrochlearis war durch den eben erwähnten Prozess in ein Foramen um-
gewandelt. Der aus zwei Stücken bestehende Gelenktheil der Ulna (Olecranon
und Proc. coron) hatte 3'/2 Gtm. Länge. Der Knorpel zeigte sich mit Ausnahme
desjenigen der abgebrochenen Olecranonspitze aufgezehrt und hatte cariösem
Knochengewebe seinen Platz eingeräumt. Die Sägefläche zog von hinten und.
unten -nach vorn und oben. Gelenktheil des Humerus und der Ulna betrugen
nach der Goaptation 4 Gtm. Die Radiusparthie, welche sich gleichfalls aus zwei
Stücken zusammensetzte, war 1 Gtm. dick, des Knorpels verlustig und durch Garies
zerstört. Das Fieber betrug bis Anfangs August durchschnitthch 39,5° mit sehr
erheblichen Remissionen am Morgen. Der immer schwächer werdende Kranke
hatte ein Erysipel des Armes durchzumachen, das vom 26. JuU bis 3. August
anhielt. Mitunter stellten sich Erbrechen und Diarrhöen ein, gegen welche
man Opium und Tannin anwendete.
Den vollständigen Verfall der Kräfte beschleunigte neben der fortbestehenden
hohen Temperatur hauptsächlich Degeneration der Leber und Milz, — diagnosticirt
aus der zunehmenden Vergrösserung und Verhärtung derselben — welche sich
mit Ascites und Oedem der Bauchdecken complicirte. Auf der linken Seite der
letzteren entwickelte sich acht Tage vor dem Tode, der den Patienten am 17. No-
vember Morgens hinwegraffte, eine Anschwellung, nach deren spontanem Auf-
brechen kolossale Mengen Eiters sich entleerten.
Die Section ergab etwas Compression beider Lungen durch röthlich ge-
färbtes Exsudat; Oedem derselben; in beiden Miliartuberkel. Geringe Pericarditis,
Ascites. Verkäsung in den Lymphdrüsen des Mesenteriums. Subperitoneale
Abscessbil düng über dem linken Psoas mit Senkung nach
dem linken Schenkel (bis zum unteren Drittel) , Garies des Ellenbogen-
Beiträge zu der Statistik und den Endresultaten der Gelenkresectionen. 347
und Kniegelenkes linkerseits, Amyloiddegeneration von Leber, Milz. Verkäsung
in Nieren und Nebennieren.
Die Verlustliste auf Seite 348 lässt folgende Schlüsse zu :
In keinem der mit Tod endigenden Falle erzeugte die Resec-
tion einen anhaltend antifebrilen Effect, indem auch bei Nr. 37, wo
ein solcher constatirt wurde, schon am dritten Tage wieder sich
Fieber einstellte. In 3 Fällen (33, 34, 36) — also der Hälfte der
Gestorbenen — erschien Pyämie, der (wie früher erwähnt) ge-
fährlichste Feind dieser Resection , als Todesursache. Der Exitus
erfolgte bei Nr. 33 = 18 Tage, bei Nr. 33 = 11 Tage, bei Nr. 36
= 1 Monat und 4 Tage nach der Operation.
In den 3 übrigen Beispielen trugen bei Nr. 35 Tuberkulose,
bei Nr. 37 das complicirende Erysipel, bei Nr. 38 Amyloidentartung
die Hauptschuld am Tode. Er ereignete sich bei 35 nach beinahe
5 Monaten , bei 37 nach fast 10 Monaten und bei 38 nach etw^a
^'2 Jahre.
Nur die drei zuerst angeführten Todesfälle können also direct
der Operation zur Last gelegt werden.
348
Dr. W. Stark.
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Beiträge zu der Statistik und den Endresultaten der Gelenkresectionen. 349
Die Krankengeschichten der Genesenen gestalteten sich wie folgt:
Fall 39.
Severina Grieshaber, 14 Jahre alt, aus Grimmeisbach, stammt aus
einer gesunden aber armen Familie und wohnte seit 1866 in einem feuchten
Hause. Obschon ihr ein Jahr zuvor das Gehen durch eine spontan entstandene
Schwellung des rechten Kniegelenks beschwerlich und schmerzhaft geworden
war, ging sie dessen ungeachtet noch 2 volle Jahre herum, ohne ärztliche
Hülfe zu Rathe zu ziehen. Alsdann erst (1867) ging das Kind auf 8 Tage in
das hiesige Spital, wo sich zwar durch Einreibungen und Schienen verbände die
Schmerzen dauernd milderten , nach dem Aussetzen derselben jedoch die An-
schwellung des rechten Knies zu-, die Beweglichkeit dagegen abnahm. Eine
5 Jahre später (Herbst 1872) im Mutterhause dahier eingeleitete, 12wöchent-
liche Behandlung mit Jodbepinselungen und Gypsverband hatte bezüglich der
Verminderung der Geschwulst und Vermehrung der Excursionsfähigkeit aus-
giebigeren Erfolg. Leider vernichtete ein um Weihnachten dieses Jahres bei
nasskalter Witterung zurückgelegter weiter Marsch das zuletzt gewonnene Re-
sultat. Es exacerbirte der seither chronisch verlaufende Krankheitsprozess : Unter
Fieber und Abmagerung der hierdurch beständig bettlägerigen Patientin wurde das
Gelenk äusserst schmerzhaft , die Haut darüber heiss und intensiv geröthet. So
währte das Leiden 4 Monate, bis sich an der äusseren Seite des Knies 2 weiche
Beulen hervorwölbten, welche, — nachdem sie gänseeigross geworden, — der
herbeigerufene Arzt am 15. Mai 1873 incidirte, wodurch V2 Maas gelbröthlichen
Eiters entleert wurde. Zehn Tage darnach liess sich das Mädchen in's hiesige
Hospital verbringen. Der alsbald aufgenommene Status ergab :
Die schwächlich gebaute, sehr magere Kranke klagt über bedeutende
Steigerung der bestehenden Schmerzen bei den leichtesten actlven oder passiven
Bewegungen des massig abducirten und nach aussen rotirten rechten Beins. Der
Unterschenkel ist etwas nach hinten subluxirt, die ganze Unterextremität atro-
phischer und kürzer als die gesunde; Umfang des Oberschenkels 10 Ctm. ober-
halb der oberen Patellargrenze 21 rechts gegen 25 links; Umfang der Wade
11^2 Ctm. unterhalb des oberen Endes der Tuberositas tibiae 18 Ctm. rechts,
19,5 links. Distanz von der oberen seitlichen Grenze des Cond. int. tibiae zum
unteren Rand des Mall, intern. 30 rechts, links 31^/4: vom unteren Patellarrande
zum untern Ende des Mall. ext. 33 rechts gegen 34 links. Das in einem Winkel
von circa 145" flectirte Kniegelenk zeigt spindelförmige Auftreibung , die Haut
darüber Röthung nur in der Umgebung der erwähnten (etwa 2 Ctm. langen)
Schnittwunde. Aus letzterer ergiesst sich bei Druck oberhalb der Condyli femoris
reichlich rahmiger, gelber Eiter mit etwas Blut vermischt. Die Anschwellung
bietet deutlich Fluctuation; die Patella schwappt und gibt bei Berührung mit
ihrer Unterlage rauhe Crepitation. Circumferenz des Kniees bei pathologischer
Stellung über der Mitte der Patella ^31 Ctm. rechts, 25 links; grösste Quer-
achse der Femurcondylen 9^/4 Ctm. rechts (besonders wegen Schwellung des Cond.
int.), links 8 Ctm. — Ausserdem schwache Dämpfung vorn an der rechten
Lungenspitze, ihr entsprechend unbestimmtes In-, verlängertes Exspirium, hie
und da Pfeifen. Respiration flach und beschleunigt ; Temperatur stark erhöht.
Puls frequent. — Wegen der erheblichen Allgemeinaffection neben der Intensität
350 Dr. W. Stark.
des localen Prozesses wurde die Amputation, welche eine minder complicirte
Wunde setzt und kürzere Heilungsdauer beansprucht als die im vorliegenden
Falle geeignetere Operation empfohlen. Da Patientin sie energisch verweigerte,
bot die Resection die einzige Möglichkeit der Rettung.
Man führte sie am 29. Mai mit vorderem Bogenschnitt aus. Nach Ent-
fernung der cariösen Patella und der weichen, schwammig aufgetriebenen Ober-
schenk elepiphyse ward von der beinahe intacten. Tibia blos eine dünne Scheibe
weggenommen, die eine sklerosirte Knochenfläche überzog; hierauf ein in letzterer
befindlicher, eitrig erweichter, ostitischer Heerd von mehr als 2 Ctm. Tiefe aus-
gekratzt, dessen Lage der Insertionsstelle der Quadricepssehne entsprach. Ein
vom Gelenke ausgehender, subcutaner Senkungsabscess von ungefähr 3'/« Ctm.
Länge, welcher sich längs der Aussenseite des Unterschenkels zwischen Tibia
und Fibula erstreckte, musste an seinem untern Ende durchstochen und nach
Entleerung des Eiters drainirt werden. Es folgte Reinigung der Wunde, ihre
theilweise Vereinigung durch Nähte nebst Drainage, endlich das Eingypsen des
ganzen Schenkels in leichter Flexionsstellung, verbunden mit massiger Ab-
duction und Rotation nach aussen.
Ein dorsal eingefügter Eisendraht unterstützte den vorn gefensterten Ver-
band, der an eine Billroth - Ris'sche Lagerungsschiene mittelst Gypsbinden
befestigt wurde. Die Patella hatte an ihrer Hinterseite den Knorpelüberzug ein-
gebüsst und wies daselbst eine zernagte mit Knochengries bedeckte Fläche auf.
Die Contouren der Vorderseite blieben, soweit es durch das sie umhüllende
schwammige Gewebe durchzufühlen, noch erhalten. Die Höhe des excidirten
Femurendes betrug 3^4 Ctm. Die oberen Parthien beider Gondyli waren zerstört
imd gingen in eine gemeinsame Höhle von circa 5 Gtm. Länge und 2^/4 Ctm,
Breite über. Der untere Theil des äusseren Oberschenkelknorrens fühlte sich
morsch an und zeigte Excavationen ; der des inneren noch hart. Die Gelenk-
fläche der Tibia präsentirte am Cond. ext. (entsprechend dem des Femur) Decubitus
des Knorpels und rauhen Knochen freihegend ; am Cond. int. eine 1 Ctm. lange
Vertiefung die in einen 2'/2 Ctm. nach abwärts sich erstreckenden oberfläch-
lichen Defect überging. Die Länge des Tibiastücks belief sich auf */4 Ctm., der
Sägeflächedurchmesser des Femur auf 7 Ctm. von rechts nach links, auf 3^4 Ctm.
von vorn nach hinten. Die Fiebercurven gewannen nach der Operation bald
ein günstigeres Aussehen, einmal nur kam in den nächsten Tagen eine Erhebung
bis 40,5" vor, sonst überschritten sie die Grenze von 40" nicht mehr, während
die morgendlichen Remissionen öfters an das normale Niveau hinstreiften; dem
entsprach das auffallend gute Allgemeinbefinden. Die Schmerzen Hessen nach.
Die Wundreinigung und Eitersecretion begann in der gewöhnlichen Weise. Die
Granulationen wucherten binnen Kurzem so mächtig empor, dass sie den sich
schliessenden Hautlappenschnitt bis auf zwei schmale, dünne Narbenbrücken
auseinanderdrängten, ferner den nach der Resection zurückgebliebenen Hohlraum
ausfüllten (21. Juni); der eröffnete Senkungsabscess störte nicht den vollkommenen
Eiterabfluss. Die therapeutischen Massregeln beschränkten sich in dieser Zeit
auf Entfernung der Nähte und unnöthig gewordener Drainröhrchen. Umschläge
und Salben an durch Druck afficirte Stellen nebst Beseitigung der ihn verur-
sachenden Verbandstücke; Vergrösserung des Gypsfensters; schliesslich Erneuerung
des ganzen Verbandes in mehr gestreckter Stellung mit nachfolgender Suspension
an einem Schwebebalken. Die hierzu erforderlichen Manipulationen riefen eine
einmalige abendliche Temperaturerhöhung von 39,9° hervor (21. Juni). Einigen
Beiträge zu der Statistik und den Endresultaten der Gelenkresectionen. 35 j^
Unbequemlichkeiten in Anliegen und Lagerung der Gypshülse konnte man mit
leichter IVIühe abhelfen. Ein bläulicher, dünnhäutiger, circa Y< Gtm. breiter
Narbensaum umrahmte die sich verkleinernde Resectionsvvunde , deren stellen-
weise blasig aufgetriebenen Granulationsknöpfe geätzt werden mussten. Steigerung
der Temperatur, Schmerzhaftigkeit am obern äusseren Theile des Unterschenkels
verbunden mit Hautröthung daselbst kündigte (10. Juli) eine weitere Complication
an, die sich beim Toucbiren als Garies des äusseren Tibiaendes herausstellte.
Nachdem eine massige Menge bräunlichen , serösen, etwas übelriechenden Eiters
herausbefördert war, schwiegen die alarmirenden Symptome. Ein neuer, mit
Schusterspähnen verstärkter, gefensterter Gypsverband wurde in völlig gestreckter
Stellung Ende Juli angelegt, zuvor aber die allseitige, schmerzlose Verschieblich-
keit zwischen Ober- und Unterschenkel und das Weiterschreiten der Vernarbung
an den mittleren Parthien constatirt, das ganze Bein endlich in geringer Abduction
auf Spreusäcke gelagert. Cauterisation der noch bestehenden Höhlen mit Ferrum
candens am 9. September erhöhte momentan d^s Fieber, welches hierauf erst
nach Monatsfrist wieder exacerlnrte wegen eines Abscesses an der Innenseite
der Resectionswunde. Auf die spontane Entleerung übelriechenden Secrets
folgte Remission bis zur Norm. Ausspritzung der Eiterhöhle und Bäder des
Beins bildeten nach Abnahme der Gypskapsel die Hauptbehandlung. Nekrose
der obern Stümpfe der Unterschenkelknochen brachten im November Recrudes-
cenz der Eutzündungserscheinungen hervor. Das lockere, nekrotische Knochen-
stück der Fibula, welches nach einem Schnitte in die Narbe dieser Seite gefühlt
zu werden vermochte, wurde mit der Knochenscheere entfernt (29. November).
Einwärts von ihm gelangte man in einen grossen, mit weichen Granulationen
angefüllten Raum. Die Tibianekrose konnte von der oben gescliilderten (an dem
innern Ende des Horizontalschnittes befindlichen) Abscessüstel aus erreicht wer-
den. Auskratzen der Knochencavernen und Application des Gauterium actuale
bezweckten möglichste Beseitigung alles Krankhaften. Patientin reagirte auf
diesen Eingriff bedeutend bezüglich des Fiebers und der Schmerzen (trotz Mor-
phium und Eisblase). Es schwoll auch die Umgebung des Operationsfeldes. Die
Extremität wurde ödematös, das Secret vorübergehend übelriechend. Reichlicher
Abfluss gutartigen Eiters nach Einschnitt an der Tibiainneuseite bewirkte rasch
Milderung sämmtlicher Erscheinungen. Als der Brandschorf abgestossen, kleidete
sich die Cauterisationshöhle so schnell mit kräftigen Granulationen aus, dass
Ende dieses Jahres dieselbe geschlossen war. Die letzterwähnte Incisionswunde
sonderte gleichfalls nichts mehr ab. Dies hielt nur wenige Tage an; dann reci-
divirte die Eiterung und Schmerzhaftigkeit der Resectionsstelle ungeachtet der
stets sorgfältigen Erneuerung des Gypsverbandes. Veranlassung dazu gab aber-
mtxls Garies, zu deren Beseitigung man nach halbjährigem Zuwarten (am 19. Juni)
schritt. Von der dilatirten Fistelöffnung an der Tibiadiaphyse ausgehend , ge-
langte man durch fungöse Wucherungen auf einen cariösen Heerd der letzteren,
welcher in schräger Richtung nach innen und oben den ganzen Knochen durch-
setzte, so dass nach Ausschabung desselben ein Drainagerohr hindurchgeführt
werden konnte. Ausserdem fand sich Nekrose des oberen Fibulaendes vor und
ein kleiner Abscess in der Nähe des intacten unteren Femurrandes. Ausstopfen
der Wundhöhle mit Eisenchlorid - Gharpie beendete die Operation, die ausser
einer einzigen Temperatursteigerung den übrigens stark angegriffenen Gesundheits-
zustand nicht weiter beeinträchtigte. Die neugebildeten Granulationen erschienen
aber blass, die Secretion reichlich und übelriechend. Zur allseitigen Kräftigung
352 Dr. W. stark.
wurde Patientin am 10. Juli in ein Salzbad (Dürrheim) geschickt. Nach ihrer
Rückkehr am 11. November 1874 hatte sich das Aussehen gebessert. Sie war
im Stande, mit Hülfe des schon vor der Entlassmig erhaltenen Stützapparates
und Krücke zu gehen. Das Knie bildete jedoch ein vollständiges Schlottergelenk.
Die vordere obere Fläche der Tibia schmerzte etwas. Das Drainagerohr stack
noch in ihrem quer verlaufenden Fistelgange. Abgesehen von dem engen Lumen
des letztern, traf man überall festes Narbengewebe. Nach einigen Tagen mussten
wegen vermehrter Eiterung und Schmerzhaftigkeit die bestehenden Fistelöffnungen
erweitert und die seither weggelassene Drainage wieder von Neuem eingeführt
werden: Reichliche Granulationsbildung in der iVIitte des Ganges verwehrte das
Durchziehen blos eines Rohrs. Mitte November ward ein Versuch mit der
Hüter'schen Carbolinjection (2 "/o) gemacht und mehrmals 4 Ctm. unterhalb
des Gelenkes an verschiedenen Stellen eingespritzt. Die Reaction blieb unbe-
deutend mit Ausnahme eines Abscesses, der am 19. November unter einmaliger
Temperaturexacerbation (39,7°) an der Innenseite des Kniees auftrat. Incision
entfernte ihn und das Fieber. Die Reconvalescentin verliess vom 25. Dezember
täglich das Bett und lief mittelst ihrer Maschine nebst Krücke umher, doch
bestanden selbst bis zum Austritte aus dem Spitale, am 28. Februar 1875, kleine
eiternde Fisteln und Empfindlichkeit der Resectionsstelle. Mit der Sonde kam
man nirgends auf 'Knochen.
Eine gelegenthche Untersuchung am 22, September 1876 Hess Folgendes
feststellen :
Patientin hatte seither über die immer noch paroxysmenweise auftretenden
Schmerzen an der Vorderseite des oberen Tibiaendes zu klagen. Auch zwei
Fisteln, die eine an der Tibiainnenfläche, die andere an der äusseren Kniegegend,
sollen von Zeit zu Zeit noch etwas Eiter secerniren.
Mit der resecirten Extremität geht das gesund und wohlgenährt aus-
sehende Mädchen im Stützapparate, wobei es beträchtlich hinkt, doch er-
müdet nach seiner Aussage das betreffende Glied nur nach grösseren Märschen
schneller.
Activ kann, da Schlottergelenk mit elastischer Zwischensubstanz besteht,
das Bein ohne Maschine nur auf den beiden Knochenstümpfen beim Stehen
balancirt werden, während die Verkürzung theils durch Beckensenkung, theils
durch Beugung des andern Beins im Knie sich ausgleicht. Beim Liegen vermag
die Operirte durch Beugung im Hüftgelenk den obern Theil des Unterschenkels
etwa 8 Ctm. hoch von der horizontalen Unterlage zu erheben. Rotation ist
gleichfalls in geringem Grade activ möghch. Der Fuss kann adducirt und ab-
ducirt, femer in beschränktem Maasse gebeugt und gestreckt werden.
Passive Beugung des Unterschenkels bei Fixation des Femur möglich bis
zum rechten Winkel ; passive Streckung bis zu einem nach vorn offenen Winkel
von 154", passive Adduction bis 161°, passive Abduction bis 137°.
Die Messung ergibt:
r. 1.
Länge von Spina a. s. — Cond. int 36 Htm. 44 Ctm.
„ ., Trochanter — Cond. ext 31 „ 38 „
„ „ Cond. int. — Mall, int 30 „ 35 „
„ „ Cond. ext. — Mall, ext 32 „ 36 „
Mithin beträgt die Differenz auf beiden Seiten zwischen :
Beiträge zu der Statistik und den Endresultaten der Gelenkresectionen. 353
Spina a. sup. und Mall, int 13 Ctm.
Trochanter und Mall, ext 11 »
r. 1.
Umfang des Oberschenkels in der Trochantergegend 42 Ctm. 45 Ctm.
„ der Oberschenkelmitte 37 „ 42 „
„ ,; Kniegegend 29 „ 34 „
Grösster Umfang der Wade 29 „ 33 „
Querdurchmesser des Knies , ^V^ » ^V^ »>
Sagittaler „ „ „ 7 „ 10 „
Länge des Fusses 20 „ 24 „
Umfang des Fusses 22 „ 23 „
Das entblösste kranke Bein, welches bei ruhiger Lage einwärts rotirt ist,
erkaltet rascher als das gesunde. Zur Zeit sind alle Fisteln geschlossen, die
erwähnten zwei mit Borken bedeckt; die Narben im Uebrigen derb, die der
Tibiainnenseite eingezogen und mit dem Knochen verwachsen.
Das Mädchen erhielt einen neuen Stützapparat nebst Schuh mit 4 Ctm.
höherem Absatz als linkerseits, worin es mit kaum merklichem Hinken geht.
Fall 40.
Stephan Föhrenbach, 25 Jahre alt, von Seibach (bei Lahr), spürte
schon anno 1866 leicht Miidigkeit im Hnken Knie. Dasselbe schwoll nach einiger
Frist plötzlich aber ohne Schmerz, so dass Patient dessenungeachtet seiner Arbeit
als Schreinergeselle obliegen konnte. Nur im Herbste vorei'wähnten Jahres hütete
er desswegen 6 Wochen das Bett, nach deren Ablauf er sich mit Salben weiter
behandelte. In der darauf folgenden Zeit arbeitete derselbe, soweit es die nun
auftretenden Schmerzen erlaubten und gebrauchte blos vorübergehend die Salz-
bäder zu Dürrheim. Die Jahre 1871—74 brachte er zum Theil im hiesigen
Spitale zu, wo man gegen sein Leiden abwechselnd Gypsverbände , Binden-
einwickelungen, Jodbepinselung und Bäder anwendete. Nach Hause zurück-
gekehrt nahm er sein Handwerk wieder auf, musste indessen der recidivirenden
Schmerzen halber am 27. Februar 1876 abermals Abhülfe in der chirurg. Klinik
suchen. Das Knie war beträchtlich angeschwollen, die Flexion wenig und blos
mit Schmerzen möglieh. Als eine mehrmonatliche Behandlung theils mit
Wasserglas- theils mit Gypsverbänden keine Besserung des Zustandes herbei-
führte, ging man am 29. Mai zur operativen Thätigkeit über. Nach Esmarch-
scher Einwickelung und unter Lister'schem Garbolspray wurde das Kniegelenk
unterhalb der Patella mit halbmondförmigem Schnitte eröffnet, sowohl das Femur
über den Condylen schief von vorn nach hinten und unten, als auch eine Scheibe
von der Tibia abgesägt, zwei in die zurückbleibende Schnittfläche der letztern
fallende Abscesse mit dem scharfen Löffel bis auf den gesunden Knochen aus-
geschabt und die Patella nebst dem Schleimbeutel exstirpirt. Drainage, Nähte
und Lister'scher Verband schlössen die Operation ab. Die Kniescheibe Avar
fest in das massige, speckige Gewebe der Ligamente eingesenkt. Ihre Vorder-
seite erschien etwas verfärbt, doch, soviel sich durchfühlen liess, nicht cariös
entartet, die Hinterfläche intact. Das Präparat des Femur bestand aus zwei
Scheiben, da der erste Sägeschnitt noch in erweichtes, krankhaftes Gewebe
gefallen war. Die Dicke des ganzen entfernten Stückes betrug 4V2 Ctm. Die
Czerny, Beiträge zur operativen Chirurgie. ■^^
354 Dl"- W. stark.
Sägeebene, deren Durchmesser von rechts nach Unks 8 Ctm., von vorn nach
hinten 4 Ctm. betrug, verlief so, dass die Höhe vorn zwischen den CondyU 3,
hinten in der Fossa poplitnea l'/4 Ctm. mass. Der Knorpel der Oberschenkel-
beinknorren sah gelbbraun und verschrumpft aus , fehlte an der einen der
gegenüberliegenden innern Seiten. Dort fand man ferner zerfressene Knochen-
parthien. Durch diese Vorgänge hatten die Condylen ihre normale Gestalt
mehr weniger eingebüsst; an der hinteren oberen Grenze des Cond. int. ragte
ein bohnengrosser Knochenauswuchs hervor; über dem äusseren Rande des
Cond. ext. befand sich ein etwa eben so grosser, cariöser Defect. Auch der
innere zeigte eine einpfennigstückgrosse , von vorn nach hinten hin sich er-
streckende rauhe Stelle, welche mit einer ebensolchen an der Fläche der Tibia
correspondirte. Die 1^2 Ctm. dicke Scheibe der letztern durchsetzten 2 Abscesse.
ein kleinerer, innerer, etwa haselnussgrosser, und ein nach aussen zu gelegener,
von der Grösse eines Taubeneies , der mit dem Kniegelenk in Verbindung stand
und die Superficies articul. ext. in ein Loch mit VJ2 Ctm. breitem Saume um-
gewandelt hatte. Die durch beide gebildeten, von erweichtem Knochen um-
grenzten Höhlen füllten zerfallene Granulationen, Eiter und käsige Massen aus.
Der chondrale Ueberzug der Tibiagelenkfläche war völlig zu Grunde gegangen, der
dem inneren Knorren zugehörige Meniscus theilweise erhalten. Man stiess daselbst
(nach einwärts zu) auf porösen Knochen. Von der Eminentia her bedeckten
Schwarten die ihr zunächst gelegenen Parthien. Das Fieber wurde in den ersten
Tagen bekämpft durch mehrere grosse Dosen Acid. salicyl. und dauerte mit wechseln-
der Intensität (bis 40") und anfangs remittirendem, später intermittirendem Typus
bis 13. Juli. Der Resecirte schlief die ersten 3 Nächte schlecht und erhielt Morphium.
Der sonstige Zustand befriedigte. Die Wunde sah gut aus und secernirte normal.
Die Drainageröhren konnten bald entfernt werden. Der Verbandwechsel fand
alle 2 Tage, (später zweimal wöchentlich) statt; eine Druckstelle der Schiene
wurde mit Ung. zinci (8 Juni) bestrichen und letztere daselbst gepolstert; ein
kleiner Entzündungsheerd am Oberschenkel den 28. Juni incidirt. Den 18. Juli
erhielt Patient einen gefensterten Gypsverband, worin er an Krücken umherging.
Wegen eines vom 4. August an sich entwickelnden Erysipels musste man am
10. den Verband abnehmen (,7tägige Temperaturexacerbation bis 39,8°). Eine
Abortivkur (Tart. emet, und Ipecac.) linderte rasch die Symptome. Den 30. August
ergab die Prüfung der Excursionsfähigkeit eine massige Reweglichkeit im Knie-
gelenke, die Wunde war bis auf eine kleine, granulirende Parthie an der Innen-
seite, welche mit Lapis geätzt wurde, geheilt. Desshalb erhielt der Reconvalescent
am 12. September einen starken Gypsverband , um darin die kranke Extremität
zu gebrauchen. Am ersten Tage der wiederbegonnenen Gehversuche fieberte er
etwas (38,8°) und klagte auch in der Folge dann und wann über Schmerz in
der Tibia. Die Gypshülse blieb einen Monat angelegt und der Mann hinkte in
derselben umher. Nach ihrer Entfernung inspicirte man seinen Zustand am
21. October 1876 genauer und ermittelte Folgendes:
Patient klagt noch über Schmerzen in der linken Kniegegend. Die
Operationswunde ist völlig solide vernarbt; dessgleichen die Fistel am unteren
Theile des Oberschenkels.
r. 1.
Länge von Spina a. s. bis Cond. int. . . 47 Ctm. 50 Ctm.
„ „ Cond, int. bis Mall, int. ... 38 „ 40 „
„ Spina a, s. bis Mall int. ... 85 „ 90 „ Diff. 5 Ctm.
r.
1
40 Ctm.
41
ctm.
38
42
78
83
„ Diff. 5Ctm.
51
55
39 „
48
33
37
29 „
31 Va
31^2 „
32
27
27
9V2 .,
9 72
8V4 »
10
Beiträge zu der Statistik, und den Endresultaten der Gelenkresectionen. 355
Länge von Trochanter bis Cond. ext. . .
„ „ Cond. ext. bis Mall ext. . . .
„ „ Troch. maj. bis Mall. ext. . .
Umfang des Oberschenkels in der Trochanter-
gegend 51
Umfang der Oberschenkelmitte 39
„ des Knie's
der Wade 29
„ des Fussgelenks (Beuge bis Fersen-
rand)
Länge des Fusses
Querer Durchmesser des Knie's ....
Durchmesser des Knie's von vorn nach hinten
Die Knochenstümpfe des Femur und der Tibia sind derart mit einander
verbunden, dass ersterer etwas nach aussen, letzterer mehr nach innen gedreht
erscheint, somit eine Dislocatio ad peripheriam besteht. Daher rührt auch die
Rotation des Unterschenkels nach einwärts bei Ruhelage. Die Verbindung selbst
ist keine vollständig feste, indem passiv eine Knickung der vorerwähnten Knochen
(ad axin) bis zu einem nach aussen offenen Winkel von 169° bewerkstelligt
werden kann. Fordrte Adduction des Unterschenkels bei Fixation des Femur
(bis zu einem nach innen offenen Winkel) und Ueberstreckung sind nicht mög-
lich. Passive Flexion existirt bis zu einem Winkel von 163° und tritt jedesmal
dann hervor, wenn Patient das Bein frei emporhebt, was nur mit grosser Mühe
geschieht. Eine vollkommene Extension bis zur Geraden vermag er activ nicht
auszuführen. Adduction und Abduction, sowie Rotationsbewegungen des ganzen
Beins werden, obzwar mit Anstrengung, doch in annähernd normalem Grade zu
Stande gebracht. Im Stützapparat nebst Schuh mit 3 Ctm. Sohlenerhöhung geht
der Resecirte — blos wenig hinkend — am Stocke , aber nicht ohne denselben,
Beckensenkung fehlt.
Schon am 4. November konnte er sich in einer Maschine ohne weitere
Stütze fortbewegen. Seine Entlassung erfolgte erst am 13. Januar 1877.
Leider fehlen bei Nr. 39 Aufzeichnungen über die Grössever-
hältnisse der unteren Extremitäten zur Zeit der Entlassung und ist
man somit nicht im Stande, über die Art des Fortgangs im Wachs-
thura derselben zu berichten.
In diesem Falle war nach l^/i Jahren die Heilung noch nicht
erfolgt. Der Grund hierzu lag vorwiegend in dem Weiterschreiten
des cariösen Prozesses, welcher auch, trotz der geringen Grösse des
ursprünglichen Resectionsstückes (4 Ctm.), durch den daraus resul-
tirenden Substanzverlust die Bildung eines Schlottergelenkes ver-
anlasste.
356
Dr. W. Stark.
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Beiträge zu der Statistik und den Endresultaten der Gelenkresectionen. 357
Bei der neuern Untersuchung ^^ 8) — 1 Jahr und 7 Monate
nach dem Austritte — zeigte sich die Differenz in der Länge der
Unterschenkel erheblich geringer (um 3 Gtm.) als die der Ober-
schenkel. Der Unterschied im Umfang der Waden betrug gleich-
falls (1 Gtm.) weniger als der der Oberschenkep2 9j_ Der Fuss war
im Wachsthum bedeutend zurückgeblieben.
Trotz aller Symptome eines passiven Schlottergelenks (vrgl, die
abnorme Beweglichkeitsgrösse), trotz einer Verkürzung des resecirten
Beins um 13 Gtm. (resp. 11) ging Patientin doch sehr gut in der
Maschine, ohne weitere Beihülfe als einen um 4 Gtm. erhöhten
Absatz. Die restirende Differenz wurde zum Theile durch Becken-
senkung ausgeglichen.
Als Endresultat darf dieses bis jetzt nicht gelten, weil zeit-
weise die Fisteln wieder aufbrechen.
Bei Fall 40, dessen Heilverlauf wenig Gomplicationen bot und
binnen 8 Monaten ^^^'j seinen Abschluss fand, vermag bezüglich der
Regenerationsverhältnisse noch nichts von Bedeutung angegeben
^^^) Zur Zeit der Aufnahme hatte man gefunden, dass der Unterschenkel
der afficirten Seite 1^/9 Ctm. hinter dem der gesunden in der Länge, der Umfang
des betreffenden Oberschenkels 4 Ctm., der der Wade 1^2 Gtm. zurückgeblieben
war. Auch Bryk z.B. fand solche Differenzen. Sie müssen bei spätem Unter-
suchungen natürlich berücksichtigt werden.
'*') Es war bei der Resection nur die Epiphysenlinie der Tibia entfernt
worden. Doch braucht, da der destruirende Prozess viel weiter und zwar be-
sonders an der Tibia fortschritt, hierauf keine Rücksicht genommen zu werden,
weil, wenn auch Anfangs der epiphysäre Knorpel der Tibia erhalten worden
war, später derselbe sicherlich entartete und so für das fernere Wachsthum
bedeutungslos wurde. Immerhin stimmt der Befand eines geringeren Zurück-
bleibens des Unterschenkels im Wachsthum gegenüber jenem des Oberschenkels
mit den Besultaten Bryk's überein.
''°) Hinsichtlich der Heildauer sagt Heyfelder: »Die Gegner der Knie-
gelenkresection haben ihr die Langwierigkeit der Reconvalescenz vorgeworfen.
Wenn dieselbe bis zu ihrem vollständigen Abschluss auch durchschnittlich länger
dauert als nach der Amputation, so ist doch die Zeit bis zu den ersten Geh-
versuchen mit 8 — 9 Wochen keineswegs übermässig lang und darf die Erhaltung
des Gliedes durch eine etwas längere Reconvalescenz wohl erkauft werden.«
Metzler; »Die Zeit, welche zur Heilung, also bis zum Gebrauche der Extremität
verstrich, war sehr verschieden, in den günstigsten Fällen 8, in den ungünstigsten
14 Wochen.« Bryk: »Am längsten zog sich die Behandlung bei Knieresectionen
hinaus, sie betrug im Mittel circa 6 Monate.«
358 Dr. W. stark.
ZU werden, da die letzte Untersuchung während der Genesung statt-
hatte. Die Längendifferenz der Beine belief sich auf 5 Gtm. (6 Gtm.
waren resecirt worden); der Unterschied in der Gircumferenz der
Oberschenkel auf 9 Gtm. und der der Waden auf 2^2 Gtm,; also
auch hier erschien letzterer geringer als ersterer.
Vollständige Ankylose fehlte noch: es konnte aber Patient im
Stützapparate nebst 3 Gtm. hohem Absatz ohne auffälliges Hinken
am Stocke gehen ^^i).
Die functionellen Erfolge sind in beiden Fällen befriedigend;
im ersteren hauptsächlich im Hinblick darauf, dass hier ursprünglich
die Amputation projectirt imd erst bei Verweigerung derselben von
Seiten der Patientin die Resection ausgeführt worden war.
VI. Resection des Fussgelenks.
Während aus der Friedenspraxis Heyfelder 1863 ^^^) schon
eine grosse Anzahl (174) von Resectionen obiger Art verzeichnete,
fand dieselbe in die Literatur der Kriegschirurgie im Jahre 1866
zum ersten Male ihre Aufnahme. »Wir erkennen — in ihr eine
der schönsten Früchte des zweiten schleswig-holstein' sehen Krieges«
sagt Heine ^^^). Auf beiden Gebieten erwuchsen auch ihr Gegner:
Petrequins^^*) z. B. sprach ihr jegliche Existenzberechtigung ab.
Stromeyer^^^) verwarf sie bei Fussgelenkschüssen.
"^) Eine Vergleichung beider Fälle ist schon wegen des Unterschiedes
im Alter und im Zeitintervalle, welcher zwischen Operation und Untersuchung
liegt, unzulässig.
"2j s. No. 2.
8"j S. No. 164.
"*j Gitirt bei Heyfelder s. No. 2.
*'*j Gitirt bei v. Langenbeck s. No. 7.
Beiträge zu der Statistik und den Endresultaten der Gelenkresectionen, 359
Die Angriffe des Ersteren wies bereits Heyfelder ^^^) zurück.
Trotzdem scheint von gewisser Seite eine Einschränkung ihrer An-
Avendung bei Erkrankungen für geboten erachtet zu werden. Hüter ^^^)
hatte zwar im Jahre 1871 mit Rücksicht auf die functionellen Re-
sultate geäussert: »Es kann nach dem was v. Langenbeck und ich
beobachteten, keinem Zweifel unterliegen, dass die Resection des
Talo-Gruralgelenks normale Form und fast normale — wenigstens
für das Gehen genügende Function erzielen und für die Dauer er-
halten kann«. Derartige Beobachtungen erstreckten sich jedoch bei
V. Langenbeck ^^^) keineswegs über das ganze der Resection zuge-
fallene Terrain, sondern in einem gerade sehr häufig zur operativen
Behandlung kommenden Theile desselben, nämlich nach Garies,
vermochte er, seinem eigenen Geständniss zufolge, im Jahre J874
noch keine einzige Heilung aufzuweisen und meint desshalb, (obwohl
er die Fussgelenkresectionen bei Garies vorläufig nicht ganz auf-
geben will): »Diese Resultate sind so entmuthigend ^^^), dass bei
cariöser Erkrankung des Fussgelenks möglicherweise die Amputation
die einzige Hülfe bleiben dürfte«. Demgemäss ist der Vorzug, den
Hey fei der bei Vergleichung beider Operationen ^*°) der Resection
einräumt ^*^), in seiner Allgemeinheit nicht unantastbar.
*^^) S. No. 2: »Solchen Zahlen und Resultaten gegenüber ist Petrequin's
Ausspruch nicht gerechtfertigt , dass die Tibiotarsalresectionen selten seien und
nicht gemacht zu werden verdienen.«
3") S. No. 83.
'^*) Hüter selbst spricht sich im Hinblick auf die seitherigen Errungen-
schaften in ähnhchem Sinne aus.
''^) Aehnliche trübe Erfahrungen machten Richard Volkmann und
Neudörfer. Letzterer hatte unter 12 path. Resectionen 2 Heilungen und 6 Todes-
fälle. — Nach Heyfeder starben von 37 wegen Garies Resecirten 5, wurden 4
amputirt. Die Mortahtät betrug also 13,5 "/o , während die bei Verletzten (137,
gestorben 11) = 8,03 °/o; die Misserfolge dort 10,8 7o, hier 5,8 >. »Der Erfolg
ist — sagt er — bei den wegen Garies Operirten ungünstiger, als bei den wegen
Verletzung Resecirten.«
'*") Bei der Apnputation .betrug nach ihm die Sterblichkeit 8,53 "/o (82
mit 7 Todesfällen) bei der Resection 9,2 *'/o. — Im Kriege 1870/71 behef sich die
Mortalität bei der Amputation um 2,9 "/o höher als bei der Resection (Asche).
^*^) S. No. 2, »Da also die Resectio tibiotarsalis der gleichnamigen Am-
putation in Bezug auf Gefährlichkeit gleichsteht ( — nicht ganz — ) und in Bezug
auf Erhaltung der normalen Länge der Extremität ihr überlegen ist, so verdient
360 Dl- W. stark.
Letzterer Aator empfahl ferner, auch im Kriege die Resection
zu versuchen ^^-), während Volkmann sie bei Besprechung der auf
dem Schlachtfelde an diesem Gelenke anzuwendenden Methode ganz
ausser Acht liess^*^),
Heine •'*^) aber verhiess ihr (1866) auf Grund der aus dem
zweiten dänischen Kriege (s. oben) geschöpften Erfahrungen »für spä-
tere Kriegskliniken eine bedeutungsvolle Zukunft«.
Seine Verheissung bewahrheitete sich im deutsch-französischen
Feldzuge. Hüter ^*^) konnte nach demselben »dem günstigen Ur-
theile, welches v, Langenbeck^*^) über die Operation fällt, nur
beipflichten«. Lücke ^*^) gibt an, dass man sie daselbst vielfach
mit gutem Erfolge ausführte.
Ihr macht bei Schussverletzungen die conservative Methode
am ehesten Goncurrenz ^^^). So hat z. B. auch der eben citirte
Berichterstatter die »Ansicht gewonnen, dass in den meisten Fällen
die rein zuwartende Behandlung — sehr gute Resultate gäbe«.
V. Langenbeck's^*^) Urtheil geht gleichfalls dahin, die conser-
virende Behandlung müsse dabei in grösster Ausdehnung befolgt
sie, wo immer möglich, vorgezogen zu werden, um so mehr, weil sie das Glied
erhält, während die Amputation verstümmelt.«
^*^) S. No. 3. Im Kriege wäre die Resection ebenfalls zu versuchen, wird
aber auf grossen Schlachtfeldern der leichter und schneller durchführbaren
osteoplastischen Operation häufig weichen müssen, wo man unter anderen Ver-
hältnissen noch reseciren würde.
'**) S. No. 84: »Am Fussgelenke ist meist eine conservative Theorie zu-
lässig. Man beschränkt sich daher zunächst auf eine sorgfältige Extraction aller
vollständig gelösten Knochensplitter und etwa eingedrungener Fremdkörper. Ob
sich die Extremität erhalten lässt oder später eine Amputation nothwendig werden
wird, muss der weitere Verlauf lehren.«
"*) S. No. 164.
»«) S. No. 83.
'*') Indessen lautet das Votum, welches v. Langenbeck speziell über
die Erfolge des Krieges 1870/71 abgibt, keineswegs befriedigend. »Die Resultate
der Fussgelenkresectionen des letzten Krieges dürfen im Ganzen wohl nicht er-
freuliche genannt werden.«
'*') S. No. 42.
'*') Nach Asche starben von 38 conservativ Behandelten 11,1 "/o (Res.
= 36,56 °/o).
"9) S. No. 7.
Beiträge zu der Statistik und den Endresultaten der Gelenkresectionen, 361
werden. Doch gedenkt er auch der Resection, der er eine nicht
kleine Reihe von schweren Verletzungen zuweist, in der sie stellver-
tretend die Amputation verdrängt habe. — Mit Recht hebt Asche 35*^)
in dieser Beziehung hervor, dass jene desshalb sowohl hinsichtlich
der Lebensrettung, als insbesondere der functionellen Resultate ein
Fortschritt ^^ *) zu nennen sei.
Betreffs des Zieles, welches bei der Resection erreicht werden
soll, differiren die Meinungen der Autoren. H e i n e ^s 2) stellt folgenden
Satz auf: »Durch die Resection, vor allem wenn sie subperiostal
ausgeführt wird, sehen wir uns in Stand gesetzt, ohne erhebliche
Verkürzung der Extremität, ein bewegliches neues Fussgelenk herzu-
stellen und ist dies selbst in den Fällen noch möglich, in welchen
die Splitterung so weit reicht, dass bis zu 4" von der Länge der
Tibia oder von Tibia und Talus zusammen entfernt werden müssen. «
Das billigt Neudörfer ^^^), wenn er das Tibiotarsalgelenk
zu jenen Articulationen rechnet, bei denen durch die Resection eine
vollkommene Heilung erzielt werden soll. v.Langenbeck 3^") strebt
blos darnach, ein »solides, wenngleich unbewegliches Gelenk zu er-
halten«; denn: »die Resection des Sprunggelenks hat meiner Ansicht
'S") S. No. 97. Anlässlich der Arbeit von Stabsarzt Dr. G r o s s h e i m
Ueber die Schuasverletzungen des Fussgelenks während des letzten Krieges und
die Resultate ihrer Behandlung. Deutsche militärische Zeitschr. V, 4 und 5,
S. 217. 1876.
"1) Dass man jedoch diesen Fortschritt nicht überschätzen darf, geht aus
den speziellen Erfahrungen einzelner Chirurgen hervor. So z. B. sagt Berg-
mann mit Rücksicht auf seine Resultate: »Was die Resection des Fussgelenks
anbetrifft, so haben sie den Erwartungen, welche ich an meine ersten Beobach-
tungen knüpfte, nicht entsprochen. Ich hoffte durch die Resection die Dauer
des Wundprozesses abzukürzen und dadurch der gefürchteten Verkrüpplung des
Fusses vorzubeugen. Ich darf wohl behaupten, dass in 6 Fällen die Heilung
mit weniger Störung und rascher zu Stande gekommen ist, als bei einer nicht
operativen Therapie. Allein in den übrigen 4 Beobachtungen habe ich mich
überzeugen müssen, dass auch bei den Kriegsresectionen des Fussgelenkes die
Eitersenkungen und selbst die Garies der Fusswurzel dem Arzte viele Mühe
machen und dem Kranken viele Kräfte kosten kann.«
352) S. No. 164.
258) s. No. 4.
35*) S. No. 7.
362 D*"- W. stark.
nach die ebenso wichtige als leicht zu lösende Aufgabe, knöcherne
Ankylose bei rechtwinkliger Stellung des Fusses herbeizuführen.«
Ihm stimmt Asche ^^^) bei.
Obwohl ersterer Standpunkt unstreitig der vollkommenere ist^^^)
und gewiss in manchen Fällen, wo es darauf ankömmt, die Function
möglichst zu wahren, eingenommen werden muss, so bleibt es zur
Zeit noch angezeigt, im grossen Ganzen den letzteren, zwar weniger
versprechenden, aber um so sichereren Weg einzuschlagen und be-
sonders in Feldlazarethen (schon wegen der grössern Einfachheit
der Nachbehandlung) eher Ankylose zu bezwecken. Volkmann ^^^)
huldigt dem Streben nach Mobilität der resecirten Articulation und
will desshalb unter Bezugnahme auf die Indication für diese Ope-
ration bei Gelenkvereiterungen, dass man sich bald zu ihrer Aus-
führung an dem fraglichen Orte entschliesse, da durch sie mehr
erreicht werden könne, als bei einer spontanen Heilung je möglich
wäre. Dies verdient hauptsächlich aus dem Grunde Berücksichtigung,
weil, wie er mit der früher angeführten Angabe v. Langenbeck's
übereinstimmend erklärt, die grosse Ausdehnung von Garies viel
häufiger eine totale oder partielle Amputation benöthige. In frühen
Stadien solche chronische Entzündungsprozesse vermittelst der Excision
zu beseitigen, ist darum jedenfalls die beste Massregel, um die rein
privative Methode durch die consersativ-operative immer mehr zu
vertreiben.
Zur Festhaltung dieses Grundsatzes hat wohl Hüter ^^^), sein
energischster Vertheidiger, den besten Leitfaden an die Hand ge-
geben, obzwar er fast zu weit ausgesponnen erscheint : »Angespornt
durch die Ueberzeugung, dass die Indication für Resection des Talo-
cruralgelenks gekommen ist , wenn bei einer Synovitis granulosa der
"^j S. No. 350. »Es sind, da Ankylose erstrebt werden muss, die Be-
wegungsversuche im Gelenke zu unterlassen.«
'^*j Bergmann sagt: »Dass die active Beweglichkeit des resecirten Fuss-
gelenks ein für den Gang sehr günstiges Resultat abgibt, falls nur das Gelenk
nicht schlotterte, sondern eine gewisse Festigkeit besitzt, habe ich in der Privat-
praxis erfahren.« (s. No. 96.)
8") S. No. 84.
"8) S. No. 83.
Beiträge zu der Statistik und den Endresultaten der Gelenk resectionen 3ß3
Ausgang des Prozesses in Eiterung declarirt«, hält er die Resection
bei dieser Art von Entzündung auch dann indicirt, »wenn längere
Gehunfähigkeit besteht und die nicht operative Behandlung erfolglos
bleibt« ^^^). Freilich fordern nach Socin »die glänzenden Resections-
erfolge V. Langen beck's auf, die Indicationsgrenzen dieser Operation
etwas weiter zu stecken«, wesswegen selbst functionelle Indicationen
gestattet sein dürften.
In diese Gategorie gehören ausser der ebenerwähnten noch
zwei weitere Anzeigen, von denen die eine gleichfalls von Hüter,
die andere von Neudörfer aufgestellt wurde. Letzterer bezeichnet
nämlich Ankylose in starker Beugung oder Streckung als vollständig
berechtigte Indication zur Resection ; ersterer will sie sogar bei schlecht
geheilten Malleolarfracturen vornehmen, was jedoch, vorausgesetzt
dass hierdurch die Funktionsbeeinträchtigung nicht allzu störend
wirkt, et welches Bedenken erregt ^ *'*').
Allgemein anerkannt dagegen sind die von ihm wegen Ver-
letzungen bestimmten Fälle, welche der Excision anheimfallen, indem
er als solche Hieb-, Stichwunden und complicirte Malleolarbrüche mit
consecutiver Jauchung bezeichnet; ferner complicirte Luxationen, bei
denen die Unterschenkelknochen die Haut perforiren ; endlich Schuss-
fracturen mit Knochensplitterung, Letztere Läsionen überhaupt be-
dürfen, weil fast ausschliesslich der Kriegsheil künde zugehörig, von
diesem Standpunkte aus einer eingehenderen Würdigung. Sie ver-
dienen nach Fischer's^*^^) Erfahrungen eine conservative Behand-
S59^ Wohl im Hinblick auf die schlechten Resultate einer verspäteten
Operation bei Caries, deren charakteristisches, von ihm gezeichnetes Bild, nach-
her enthüllt wird, fühlt er sich zu dieser extremen Indication veranlasst.
*®**) Als seltene derartige Indicationen werden angegeben 1) von Volk-
mann: Angeborene Luxation : »Am Fussgelenke kann bei beträchtlicher functio-
neller Störung wohl der Versuch gemacht werden, durch die Resection des
Gelenks die Brauchbarkeit des Gliedes zu bessern. — 2) Von Hüter: »Freie
Gelenkkörper, wenn sie den Gang stören und auf andere Weise nicht entfernt
werden können.« (?)
'^') S, No. 14. Indessen sagt Fischer: »Wir können uns Lücke nicht
anschliessen, welcher behauptet, dass in den allermeisten Fällen die Fussschuss-
verletzungen die völlig conservative Methode am besten zum Ziele führe; es
scheint uns vielmehr dringend geboten, dass man bei den Fussgelenkschuss-
364 Dr. W. Stark.
lung »bei einfacher Eröffnung des Gelenks und Gelenkschüssen mit
Fraclur des Malleolus externus oder internus nebst Streifung des
Talus«. Uebrigens wird das exspectative Verfahren, wie Socin
dafürhält, unter günstigen äussern Verhältnissen noch in vielen Fäl-
len am Platze sein. Sein Plan hierbei geht dahin, »zunächst die
reine Conservation zu versuchen und sich erst dann zur Resection
zu entschliessen, wenn starke Eiterung oder Jauchung sich ent-
wickelt«.
Aehnliche Lehren gibt v.Langenbeck ^^^) bei Zertrümmerungen
des Fussgelenks durch Geschosse schweren Kalibers und motivirt
dieselben in ausführlicherer Weise, als es Hey fei der ^^^) schon
anno 1863 gethan hat: »Man würde durch Ausführung der primären
Resection Gefahr laufen, an Theilen operirt zu haben, welchen
Nekrose in Folge der Verletzung bevorsteht und man hat bei der
secundären Resection ein weit sichereres Urtheil über den Zustand
der Knochentheile des Gelenks, welche erhalten werden können.«
Dies stimmt zu den Auseinandersetzungen Fischer' s ^^*), der bei
intensiver Splitterung gleichfalls die sekundäre Resection für indicirt
erklärt und noch die Ermahnung daran knüpft, sie bei profuser
Suppuration nicht zu lange hinauszuschieben, damit sie nicht schliess-
lich unmöglich werde, oder Pyämie Alles vereitelte.
Wie ersichtlich, ist in den angeführten Aussprüchen ausschliess-
lich der sekundären Resection gedacht. Trotzdem bleibt die Neu-
fracluren nicht viel Zeit mit der einfach conservativen Methode verliere, sondern
möglichst frühzeitig und möglichst partiell reseciren soll.« Lücke nennt dies
einen »voreiligen Schluss« in Anbetracht der schwachen Basis (5 Resecirte), auf
welcher diese Ansicht ruht.
^®^) S. No. 7. Er räth dabei, zunächst exspectativ zu verfahren und nicht
etwa primär zu reseciren, sondern unter sorgfältiger Immobilisirung des Gelenks
und offener Wundbehandlung die rechtzeitige secundäre Resection in Aussicht
zu nehmen. — Die exspectative Behandlung ist hier zunächst geboten, weil
unmittelbar nach der Verwundung sich niemals bemessen lässt, wie bedeutend
die erschütternde und quetschende Einwirkung des Geschosses auf die ganze
Extremität gewesen sein mag.
^") S. No. 2. Indication der secundären Resection : »Wenn im Anfang
die Ausdehnung der Verletzung nicht nachweisbar war, oder wenn bei der con-
servativen Methode nachträglich Nekrose oder Garies eingetreten.«
8") S. No. 14.
Beiträge zu der Statistik und den Endresultaten der Gelenkresektionen. 365
dörfer'sche^''^) Behauptung: »Im Tibiotarsalgelenke wurde noch
niemals die Frühresection empfohlen«, unrichtig.
Denn schon Heyfelder ^^''^) stellt den allgerpeinen Satz auf:
»Die primäre Resection ist indicirt, wo die erhaltende Methode
keine Aussicht auf Erfolg bietet.«
Freilich kommt, Hüter's^^^) Worten gemäss, eine practische
Verwirklichung derselben im Kriege kaum in Frage. Dessenunge-
achtet lebt Socin 3^^) auch hier der Ueberzeugung, »dass die primäre
Resection sich in die Kriegschirurgie Eingang verschaffen wird«.
Sie scheint ihm in allen Fällen erforderlich, »in welcher bei weiter
Eröffnung des Gelenks — Complicationen von Seiten des Knochens — ■
(d. h. bis ins Gelenk reichende Fissuren, Zertrümmerung des Astra-
galus) — sich gleich anfangs mit Sicherheit nachweisen lassen«.
Von einer Berechtigung der Intermediärresection spricht, — wenn
man von der durch Neudörfer ^ß^) aufgebrachten Immediatextraction
der Gelenksplitter absieht — von den angezogenen Autoren nur
Hüter^^^) und dies blos »nach Analogieen«. —
Die Amputation tritt erst : »Bei starker Zerschmetterung beider
Knochen, unter ungünstigen Umständen selbst bei einer Fractur des
Malleolus externus« in ihre Rechte, wenn nämlich hierbei »die con-
servative Behandlung durch Gangrän oder Pyämie vereitelt wird«.
Dies ist den Deductionen Fischer's zu entnehmen, die durch
einen allgemeinen Ausspruch v. Langenbeck's ^''^) ihre Bestätigung
erhalten haben.
Rückkehrend zur Resection soll in Anbetracht ihrer Ausfüh-
rung Erwähnung finden, wie ungemein von allen Seiten gerade an
diesem Orte der subperiostalen Methode Lob gespendet wird und
3") S. No. 4.
^««) S. No. 2.
3<") S. Xo. 83.
*«8) s. No. 6.
369) S. No. 4.
*'") S. No. 83 : »Nach Analogieen würde ich mich aber jetzt für berechtigt
halten, zu jeder Zeit auch in der intermediären Periode bei bedrohlichen Ent-
zündungserscheinungen zu reseciren.«
3^') S. No. 7. Bei ungünstigen äusseren Verhältnissen wird es das Rath-
samste sein, sofort zu amputiren.
366 Dr. W. stark.
zwar hauptsächlich desshalb, weil »das Periost der unteren Epiphyse
der Tibia, welches für den Knochenneubildungsprozess vorzugsweise
in Betracht kommt — in besonders hohem Grade die Eigenschaft
der Reproduction von Knochensubstanz besitzt. Die subperiostale
Resection des Fussgelenks erhält« — so fährt Heine^^a^ jj^[\^ Bezug-
nahme auf die kriegs-chirurgischen Fälle fort — »dadurch auch der
zerstörenden Wirkung der neuen Geschosse gegenüber eine Trag-
weite, wie sie dieser Operation am Ellenbogen und Schultergelenke
nicht zuzukommen scheint.« In gleicher Weise heben Hüter"'),
Bryk^^'), v. Langenbeck ^7*) »die eminent osteogene Eigenschaft
des Periosts am untern Ende der Tibia« ^'^) hervor.
Hüter liefert über die Art des Nachwuchses eine eingehendere
Notiz, wenn er sagt: »Sie (d. h. Knochenneubildung) reproducirt
die Formen der Malleolen oft überraschend genau, nur zuerst in
etwas gigantischen Umrissen und es bedarf zuweilen mehrerer Mo-
nate, bis durch allmählige Schrumpfung die neuen Malleolen ihre
normalen Formen gewinnen«^'''').
Ein zweiter Punkt, der an dieser Stelle Berücksichtigung ver-
dient, handelt über die Entscheidung, ob neben der totalen Resection
auch die partielle erlaubt sei. Geht man lediglich von dem Grund-
satze aus — den Billroth''') und v. Langenbeck"') anrathen, — ,
möglichst wenig Knochen zu entfernen, so können consequenter
Weise über die Zweckmässigkeit der Verwerthung auch der par-
tiellen Resection keine Zweifel entstehen. Solche wurden jedoch
von Hüter nach verschiedener Richtung hin erhoben. Der Grund
"«) S. No. 164.
"') S. No. 83. Die Knochennexibildung erfolgt nach dieser Resection,
wenn sie in der angegebenen Weise subperiostal ausgeführt wurde, mit grosser
Sicherheit und oft mit überraschender Schnelligkeit und in fast erschreckender
Intensität.
"*) S. No. 9.
"*) S. No. 7.
"*) Worte von Bryk.
*'^) Die regenerirten Malleoli zeigen in der Regel ein grösseres Volumen
wie an der Norm, das später wieder sich mindert — sagt auch v. Langenbeck.
»'») S. No. 8.
"») S. No. 7.
Beiträge zu der Statistik und den Endresultaten der Gelenkresectionen. 367
ZU seiner ausgesprochenen Abneigung"") gegen partielle Resectionen
des Sprunggelenks liegt einerseits in befürchteten Eiterstauungen mit
consecutiven Phlegmonen bei Zurücklassung eines Malleolus, anderer-
seits in der Besorgniss vor Verzögerung einer festen Vereinigung
zwischen Talus und Tibia oder gar vor allzu lockerer Verbindung
beider bei restirender Sprungbeinrolle. Derartige Bedenken bestimm-
ten ihn zu dem Schlüsse: »Man sollte nach meiner Ueberzeugung
die partielle Resection des Talo-crural-Gelenks unterlassen.«
Wie selten jedoch diese Reflexionen eintreffend®^) oder wie
wenig sie den weiteren Verlauf beeinflussen, geht aus der nachher
folgenden Vergleichung der Mortalität und der Resultate beider Metho-
den hervor, welche sowohl hinsichtlich der Minorität der ersteren
als der Majorität der letzteren zum Vortheile der partiellen ausfällt.
Daraus erklärt es sich, warum dieselbe trotz des ungünstigen
Urtheils Hüter' s mehr und mehr in Aufnahme kommt "^).
Es entsprach desshalb vollständig den bisherigen Erfahrungen,
dass V. Langenbeck die Indicationen der totalen und partiellen
Resection von einander absonderte : Jene empfahl er bei Garies ^*') und
bei Schussfracturen mit ausgedehnter Splitterung der Malleoli und
des Talus, diese bei Schussfracturen eines einzelnen der das Gelenk
zusammensetzenden Knochen 3®*) oder bei Verletzung aller drei, aber
'^"j Ohne die partielle Resection und besonders das Zurücklassen der
Talusrolle als einen absoluten Kunstfehler bezeichnen zu wollen, muss ich doch
hier meiner Abneigung gegen die partielle Resection dieses Gelenkes Ausdruck
geben.
'^^) Asche berichtet bei den Partialresectionen der Tibia und Fibula (aus
dem deutsch-französischen Kriege) u. A.: »Nach dieser Operation ist auch der
einzige Fall von Schlottergelenk beobachtet.«
^'*) Indessen lautet z. B. Bergmann's Empfehlung derselben (für die
Kriegspraxis) noch sehr schüchtern : »Vielleicht ist es erlaubt , die partielle Re-
section, sofern sie in der Exstirpation blos des äussern Knöchels !>esteht, das
Wort zu reden.«
'^') S. No. 7 : »Bei Garies des Fussgelenks habe ich mit wenigen Aus-
nahmen stets beide Malleoli und die obere Gelenkfläche des Talus resecirt, oder
wenn letztere erkrankt schien, ihn mit Hohlmeissel oder scharfem Löffel nahezu
ganz entfernt.«
'^*) »Bei Schussfracturen des Malleolus internus allein habe ich nur das
untere Ende der Tibia resecirt , die anderen beiden Knochen zurückgelassen. —
Bei Schussfracturen der Fibula habe ich mit einer Ausnahme stets den Malleolus
368 Dr- W. stark,
blos einfachem Bruche (ohne Sphtterung) eines der Malleolen, getreu
seiner Regel: »Findet man bei Schussfracturen den einen der ver-
letzten Unterschenkelknochen nur einfach fracturirt, nicht zersplittert,
so kann man ihn zurücklassen.«
Im Folgenden sind die statistischen Belege zusammengestellt,
welche die Richtigkeit des im Vorhergehenden eingenommenen Stand-
punktes darthun. Für die eben erörterten partiellen Resectionen
AYurden von Heyfelder ^^5) aus der Friedens-, von Asche^^^) aus
der Kriegspraxis (1870/71) genauere Tabellen angefertigt. Eine ver-
gleichende Uebersicht über beide gestaltet sich in nachstehender
Weise :
Decapitation beider Malleoli:
Heyfelder = 25 — gest. 5 = 207o
Asche = 18 — gest, 5 = 287o.
Decapitation derTibia:
Heyfelder = 35 — gest. 1 = 2,8670^«')
Asche = 6 — gest. 1 = 16,67o.
Decapitation der Fibula:
Heyfelder = 16 — gest. 2 = 12,570^8^)
Asche = 5 — gest. 2 = 40 7o.
Resection des Talus:
Heyfelder = 75 — gest. 5 = 6,667o
Asche = 3 — gest. 1 = 33,37o
Summa: Heyfelder = 151 — gest. 13 = 8,607«
Asche = 32 — gest. 9 = 28,17o389).
externus mit der oberen Gelenkfläche des Talus entfernt, wenngleich dieser letztere
gesund war. Bei ausgedehnten Schussverlelzungen des Talus habe ich den
ganzen Talus exstirpirt, den unverletzten Malleolus zurückgelassen.«
«") S. No. 2.
388) S. No. 350.
'8') Zu dieser Art von Partialresection bemerkt er : »Die Decapitation der
Tibia mit Erhaltung des Wadenbeins verwirft Linhart gänzhch, weil das Gelenk
in diesem Falle keine hinreichende Stütze erhalte. Das Bedenken hat die Er-
fahrung vollständig widerlegt.«
'**) In Bezug auf die vorige Partialresection meint er zu dieser: >Die
Resection der Fibula ist eine noch weniger eingreifende Operation und hat noch
seltener als jene Gelenksteifigkeit zur Folge.«
'8*) Ausser den hier angeführten zählt Aschö 15 weitere partiell Rese-
Beiträge zu der Statistik und den Endresultaten der Gelenkresectionen. 369
Eclatant ist die auch hier durchgängig hervortretende hohe
Sterblichkeit der im Kriege Operirten gegenüber jener in der Frie-
denspraxis. Genauere Schlüsse gestattet die Ungleichheit der Zah-
lenverhältnisse nicht.
Heyfelder hat auf Grund seiner obigen Tabelle die einzelnen
Arten von Partialresection der Mortalitätsgrösse nach in aufsteigen-
der Reihe also geordnet : Decapitatio tibiae; Res. tali; Decap. fibulae;
Decap. ossium cruris.
Diesen vitalen Erfolgen gegenüber stehen die der totalen
Resection in den analogen Aufzeichnungen derselben Autoren hintan :
Hey fei der kannte 22 Totaloperationen mit 3 Todesfällen = 13,6%,
Asche » 46 » »20 » = 43,5>.
Summirt man die jeweiligen Resultate der totalen und partiellen,
so ergibt sich:
bei Heyfelder 174 — gest. 16 = 9,2>,
bei Asche 78 — gest. 29 = 37,2 >.
Das statistische Ergebniss der Arbeit Heyfelder's rechtfertigt die
Worte Neudörfer's: »Die Resection des Tibiotarsalgelenks ist mit
keiner besondern Gefahr verbunden.«
Dessenungeachtet ist Hüter mit diesen überlieferten Resul-
taten^^*') keineswegs zufrieden: »Auf der neuen Grundlage, welche
wir für Indication, Methodik und Technik gewonnen haben, muss
auch eine neue Statistik begründet werden; ich zweifle nicht daran,
dass sie gegenüber der hohen Mortalität der Entzündungen des Talo-
cruralgelenks ein glänzendes Zeugniss für die Berechtigung der Früh-
resection dieses Gelenkes ablegen wird.« Er selbst hatte von »12
Friedensresectionen ^ ^ ^) einen Todesfall zu beklagen« = 8,33 7o, eine
Sterblichkeit, die trotz der von ihm betonten, also wohl auch be-
cirte aus dem deutsch-französischen Kriege auf, von denen 5 starben; somit in
toto 47 Resecirte mit 14 Todesfällen oder 29,8 70.
3««) 13,5»;o nach Heyfelder bei Caries, s. No. 339.
^'^) Leider veröffentlichte er die Fälle nicht, trotz v. Langen beck's
directer Aufforderung. Rechnet man als Friedensresectiotien blos die patholo-
gischen, nicht aber traumatische Fälle, dann hat er allerdings gegenüber der
Heyfelder'schen Statistik bei Caries einen Vorsprung von 5,2% erlangt.
Czerny, Beiträg-e zur operativen Chirurgie. 24
370 Dl- ^^'- stark.
folgten, »richtigen Auswahl der Fälle« nur wenig hinter der vorigen
(von Heyfelder berechneten) zurückbleibt ^^^).
Im Feldzuge 1870—1871 stachen seine Erfolge mehr gegen die
der Gesammtstatistik A sehe's ab, indem er von 15 nur 3 verlor,
also 20 7o ^^^). üebrigens lieferten frühere Kriegsresectionen noch
bessere vitale Resultate. In den Feldzügen 1864 und 1866 starben,
V. Langenbeck's 3^*) Aufzeichnungen gemäss, von 11 = 2 folglich
18,l*^/o. Die Erklärung zu diesem wechselvollen Verhalten ist wohl
am besten und bündigsten in dem v. Langenbeck'schen ^^^) Aus-
spruche niedergelegt: »Art und Ausdehnung der Verletzung und
äussere Verhältnisse bestimmen wesentlich die Gefahr der Fuss-
gelenkschüsse. «
Zur allgemeinen Orientirung über den bisherigen Stand des
Leistungsvermögens der resecirten Glieder dient Hüter's ^^^) Er-
fahrungssatz: »Eine geringe Beweglichkeit pflegt ohne unser Zuthun
zurückzubleiben; aber auch die ankylotische Verbindung ist nicht
unerwünscht; denn auch sie gestattet einen normalen Gehact. Die
Genesenen zeigten theils keine , theils geringe Verkürzung der Ex-
tremität und die Nachrichten, welche nach langer Zeit über ihre
Gehfähigkeit einliefen, waren sehr befriedigend.«
Beispiele für diese Worte finden sich sowohl bei den partiellen
als totalen Resectionen, sowohl bei denen der Friedens- als auch
der Kriegspraxis ^^'^).
Schon Ried 398) führt z. B. einen Splitterbruch an, bei welchem,
nachdem 2^ß Zoll von der Tibia und 4^/4 von der Fibula entfernt
worden waren, Beweglichkeit bei wenig veränderter Form des Ge-
*''') Doch lässt das Zahlenmissverhältniss zwischen beiden kaum einen
Vergleich zu.
*^') Socin und Bergmann erzielten in demselben Kriege noch bessere
Resultate: Ersterer 16,6 > (von 6 gest. = 1); letzterer 18,1 "/o (von 11 gest. = 2).
»9^) Citirt bei Hüter s. No. 83.
89^) S. No. 7.
«98J S. No. 83.
^9^) Es sind solche ausgewählt, bei denen auch die Beweglichkeit des
Gelenks wenig zu wünschen übrig liess.
'»'») S. No. 36.
Beiträge zu der Statistik und den Endresultaten der Gelenkresectionen. 37^
lenks resultirte und der Kranke mit Vj2 Zoll hohem Absatz im
Stiefel ohne Beschwerden gehen konnte.
Heyfelder erzählt unter derselben Kategorie von Partial-
resectionen einen FalP^^) von erlittener Luxation nebst Fractura
compl. cruris, in dem 3 Monate nach der Resection die Heilung sich
vollzogen hatte: »Der Astragalus bildete mit Tibia und Fibula ein
neues Gelenk, welches dem Kranken schon nach einem Jahre weite
Spaziergänge ohne Ermüdung zu machen gestattete.«
Die einzelnen Arten von partieller Resection werden von letz-
terem Chirurgen nach der stufenweise ansteigenden Höhe ihrer Miss-
erfolge so rangirt: Decap. tibiae 5,88 °/o; Res. tah 11,1 7o ; Decap.
fibulae 20 7o ; Decap. ossium cruris 25 "lo Misserfolge.
V. Langenbeck*'''^) erwähnt aus seiner Kriegspraxis (1864
und 1866) 6 Heilungen nach partieller Resection und bemerkt bei 2,
dass Ankylose, bei einem, dass geringe Beweglichkeit im Sprung-
gelenke vorhanden sei.
Asche *<^^) beschreibt aus dem letzten Feldzuge eine partielle
Resection von Hüter, bei welcher dieser das untere Ende der
Tibia und Fibula abgesägt hatte: »Der Operirte vermag stunden-
lang auf die Jagd zu gehen und Treppen zu steigen und höchstens
im tiefen Sande nimmt er ein geringes Mindermass der frühern
Leistungsfähigkeit wahr. Das Gelenk ist activ beweglich etwas in
Valgus-Stellung und verdickt ; eine Verkürzung von 4 Gtm. ist vor-
handen, ohne den Operirten zu behindern.« Durch die Vollkommen-
heit der Ergebnisse derartiger Partialresectionen sieht er sich ver-
anlasst, sie eine heilbringende Operation zu nennen. Die anderen
Nüancirungen ^"2) derselben fielen in ihren Erfolgen ebenfalls meist
zur Zufriedenheit des Berichterstatters aus*"^), indem vorwiegend
399^ Von Moreau d. V.
"»j S. No. 7.
*»') S. No. 350.
^■'^J Bergmann hebt daraus hervor: »Die functionellen Resultate scheinen,
wenn man Mayer's Zusammenwürfelungen partieller Fussgelenkresectionen durch-
blättert , nach Wegnahme blos des äusseren Knöchels nicht ungünstig gewesen
zu sein.«
*°^j Ueber die functionellen Erfolge gibt er bei den Partialresectionen noch
372 Dr. W. stark.
Ankylose in zweckdienlicher Stellung, einigemale auch Beweglichkeit
eintrat und nur 2mal amputirt werden musste. Wie weit man hier
die Resectionsgrenzen stecken und doch noch auf gutes Leistungs-
vermögen hoffen darf, zeigt eine von ihm (Aschd) citirte Operation, ,
bei welcher Talus, Calcaneus, Os naviculare und Os cuboideum ent-
fernt, dessen ungeachtet ein zum Gehen taugliches GHed erhalten
worden war.
Hinsichtlich der Totalresectionen führen Ried und Hey f eider
gleich günstige Erfolge vor, wie bei den partiellen. Letzterer gibt
die Zahl der schlechten Erfolge der ersteren auf 25 > an; es sind
mithin solche, seinen Notizen gemäss, durchschnittlich hier häufiger
als bei Einzeldecapitationen (vergl. oben). Die Uebrigen (16) er-
freuten sich vollkommener Gebrauchsfähigkeit der Extremität. In
4 Fällen war Ankylose, nichts desto weniger freier Gebrauch des
Fusses eingetreten. — In 5 Fällen ist die wiedergewonnene Fähigkeit
der Extension und der Flexion besonders erwähnt ^^^).
Von diesen Friedensoperationen bedürfen die nach Garies be-
treffs ihrer Endergebnisse speziell einer näheren Beleuchtung.
folgende Einzelheiten: Tibia und Fibula: »Es folgte 7 mal Heilung mit Anky-
lose: 2mal im stumpfen Winkel, Imal mit Subluxation nacii aussen. Die
Verkürzung der Extremität betrug von 2—10 Ctm. Ausser dem eben erwähnten
Patienten war keiner, der ganz ohne Stock ging. 5 bedienen sich eines solchen,
2 gebrauchen Krücken.« Tibia: »In einem Falle trat Beweghchkeit im Gelenke
ein, so dass dasselbe bis zu 75" flectirt werden konnte ; in den 3 übrigen Fällen
erfolgte Ankylose.« Fibula: »In den 3 Fällen war das Resultat 2 mal ein
recht gutes, 1 mal ein ungenügendes.« Tibia und Talus zugleich wurden
2 mal resecirt. — In einem Falle war das Resultat eine Verkürzung von 8 Ctm.
und eine gute Stellung des Fusses, im andern trat Ankylose und Spitzfussstellung
ein.« Fibula und Talus: »Der einzige am Leben Gebliebene hat eine Ver-
kürzung von 3 Gtm., geht aber mit erhöhter Sohle am Stock.« Talus: »1 mit
Ankylose und Spitzfussstellung geheilt.« In einem Falle wurden Fibula, Talus,
Os cuboideum und ein Theil des Calcaneus von v. Langenbeck ent-
fernt; das Resultat war ein sehr gutes.« Talus und Calcaneus oder Theile
dieser Knochen wurden 3mal mit recht gutem Erfolge entfernt.
'"'*) Seine Gesammtstatistik der Resultate (von totalen und partiellen Re-
sectionen) lautet: »Von 158 totalen und partiellen Resectionen des Fussgelenks
endeten 9 bei Erhaltung des Lebens ohne Erfolg; 149 mit Herstellung der
Kranken und des operirten Gliedes. Die missglückten Operationen zusammen
aber betragen '/? (= 14,28 %) der Totalsumme der Resectionen im Tibiotar-
salgelenke.«
Beiträge zu der Statistik und den Endresultaten der Gelenkresectionen. 373
Hüter unterzieht ihre seitherige Stellung und Errungenschaf-
ten einer wenig vortheilhaften Kritik: Man pflegte »früher in der
Friedenspraxis nur diejenigen Fälle zu reseciren, in welchen durch
lange dauernde Eiterung die Constitution der Kranken zerrüttet,
durch zahlreiche Fisteln die Gewebe zerstört und die osteogene Eigen-
schaft des Periosts, wenn dasselbe überhaupt geschont wurde, ver-
nichtet war. Dann brachte man wohl auch die Kranken in eine
Art von Reconvalescenz, aber die Fisteln schlössen sich nicht, son-
dern leiteten die Sonden nach Monaten wieder auf rauhen Knochen,
bis man sich endlich zur Amputation des Unterschenkels entschloss,
welche am besten gleich statt der Spätresection ausgeführt worden
wäre und nur durch eine Frühresection zur Zeit der ersten Eiterung
hätte vermieden werden können.«
Auch V. Langenbeck^'^5) räumt ihnen mit Rücksicht auf deren
Resultate die letzte Stelle unter ihren gleichnamigen Genossinnen ein.
Indessen beträgt die Zahl der Misserfolge nach Heyfelder's Sta-
tistik nicht mehr als das Doppelte der bei Verletzungen Resecirten
(hier 12,5>, dort 25 "/o) und linden sich auch nach derartigen
Operationen sehr gute Resultate verzeichnet. Ried nennt z. B.
einen Fall, wo Beugung und Streckung normal blieben, Stehen und
Gehen mehrere Stunden ohne Beschwerden möglich war.
Die Erfolge der Excisionen nach Verletzungen im Kriege
blieben nicht hinter jenen des Friedens zurück. Neudörf er ^'^e)
und Socin*<>^) erzählen sogar Fälle, wo wegen der ausgezeichneten
Wiederherstellung der Form und Function selbst von Sachverstän-
digen die Operation einer Tolalresection in Zweifel gezogen wurde.
^"^J S. No. 7 : »Die wegen Caries unternommenen Resectionen liefern weit
weniger günstige Piesultate.«
*'®) Die einschlägige Stelle der Krankengeschichte lautet : »Im Jahre 1863
konnte der Mann eine Reise nach Prag zu Fuss und ohne Stock machen. Im
Doctor-Collegium zu Prag wurde die Operation als so vollständig gelungen be-
trachtet, dass von einer Seite die Möglichkeit, als sei in dem demonstrirten
Gelenke eine Resection ausgeführt worden, in Zweifel gezogen wurde.
^"^) Er sagt (s. No. 6) : »In einem Falle stellte sich die Form und Function
des Gelenks in einer so vollständigen Weise wieder her, wie ich es kaum für mög-
lich gehalten hätte. Ich bin überzeugt, dass bei der Untersuchung der geheilten
Extremität mancher College an der geschehenen totalen Resection zweifeln würde.«
374 Dl'- ^V. Stark.
Ueber die Resultate der letzteren aus dem jüngsten Kriege ins-
gesammt berichtet Asche: »Der grösste Theil der Operirten konnte
mit dem betreffenden Fusse, wenn auch mit Hülfe eines Stockes
oder einer Krücke gehen. In einzelnen Fällen war allerdings die
Stellung des Fusses eine so fehlerhafte, dass ein Aufsetzen des Fusses
nicht möglich war. Die Heilung erfolgte mit Ankylose, die als gutes
Resultat zu bezeichnen ist, wenn sie im rechten Winkel erfolgt.«
Einen nicht unwichtigen Beitrag dazu, dass, wie eben Asche
erwähnt und früheren Miltheilungen zufolge andere Autoren bestä-
tigen, Ankylose bezüglich der Gebrauchsfähigkeit befriedigt, liefert
eine consecutive Vermehrung der Beweglichkeit der untern Fuss-
gelenke, »namentlich zwischen Astragalus und Naviculare« *°^), welche
die Steifigkeit einigermassen compensirt.
Dies betonen hauptsächlich Hey fei der ^o'-*), Neudörfer ^i^),
Bergmann *^^). Nicht aber vermag solche vicariirende Mobilität
erhebliche Stellungsanomalien unschädlich zu machen, wie ja zur
Genüge aus den vorhergegangenen Gitaten erhellt. Diese zu ver-
meiden, ist eine der wesentlichsten Aufgaben der Nachbehandlung
und wegen des grossen Einflusses, den letztere auf die endgültige
Gestaltung des Erfolges besitzt, sollen ihr zum Schlüsse noch einige
Worte gewidmet sein. Sagt doch Bergmann, der am meisten
seine Resultate durch ungünstige Fussstellungen beeinträchtigt sah ^'2):
»Unstreitig fällt bei der Fussgelenkresection, der totalen wie partiellen,
die Hauptsache der Nachbehandlung zu.« Seine Erfahrungen lehren,
dass bei den Verbänden auf Correction etwa vorhandener fehlerhafter
Stellung des Fusses besonders geachtet werden muss. Dies ist vor
Allem denen zu empfehlen, welche Ankylose anstreben. Denn
v. Langenbeck fand: »Weit mangelhafter ist der Gang, wenn der Fuss
des mit Ankylose Geheilten nicht vollkommen rechtwinklig steht, oder
*°^) Nach der Erfahrung von Bergmann s. No. 06.
"») S. x\o. 2.
^'0) S. No. 4.
*") S. No. 96.
412\
^) »Leider sind fast bei allen meinen Operirten ungünstige Stellungen des
Fusses zu Stande gekommen und daher keine vollkommenen Resultate erzielt
worden.«
Beiträge zu der Statistik und den Endresultaten der Gelenkresectionen. 375
gar in Pro- oder Supination gestellt ist.« (Pes equinovarus ; Berg-
mann) *^3). — Will man möglichst normale Beweglichkeit erzielen,
so dürfte es nach Billroth's *^*) Rathe zweckmässig sein, »nicht
zu früh Bewegungen zu machen, oder in Fällen, in welchen die
Bewegungen schon früh (9 — 10 Wochen nach der Operation) sehr
frei sind, dieselben durch einen Schienenapparat mit Gharniergelenk
zu hemmen.«
Ist das beabsichtigte Resultat erreicht, so kann der Operateur
mit ziemlicher Sicherheit darauf rechnen, dass es erhalten bleibt:
Hüter's Beobachtungen, welche über Jahre sich erstrecken, be-
weisen, dass jedenfalls diese Resection nicht zu denjenigen gehört,
deren Resultate nur so die erste Zeit genügen und durch den Ver-
lauf einiger Jahre wieder vernichtet werden. —
Von 7 Fussgelenkresecirten, bei denen die Operation in den
mehrerwähnten Zeitraum fiel, starben 2 (Trimminger und Scherer).
Einer (Hirsch) musste nachträglich amputirt werden. Eine (Herrn)
ist, nachdem mehr als ein Jahr seit der Resection verflossen, un-
geheilt. Einer (Schmutz) wurde nach Ablauf von 4 Monaten, noch
ehe seine Localaffection völlig beseitigt war, in ein Salzbad entlassen.
Einer (Nopper) war nach ^ji Jahren, eine (W. v. H.) sogar schon
nach 6 Wochen hergestellt,
Ursache der Operation bildete 3mal Trauma (bei Trimminger,
*^^) Er sagt über diese Stellung : »Das ist die Stellung, die den Erfolg am
meisten beeinträchtigt. Die Unsicherheit im Gange, das Bedürfniss nach einer
Unterstützung durch Krücken und- Krückenstöcke, sowie die Ermüdung und die
Schmerzen beim Stehen und Aufstützen sind alle wohl Folgen dieser Verstellung
des Fusses. In der langen Dauer der Heilung, während welcher der am Fuss
Verwundete entweder im Bette liegt oder auf Krücken durch die Krankensäle
humpelt, ist der Grund der Varusformation' zu suchen. Der bewegungslose
Fuss bleibt sich selbst überlassen und begibt sich daher in die Stellung, in
welche ihn seine Schwere zwingt. Die schliesslich bleibend gewordene Difformität
ist derselbe pes equinus mit leichter Varusstellung, der uns nach so vielen
Krankenlagern begegnet.
*") S. x\o. 8.
376 Dr. W. stark.
Schmutz und W. v. H.), 4mal Garies. Bei Schmutz und Hirsch befand
sich der Krankheitsheerd rechterseits. Bei Trimminger und Schmutz
wurde blos partiell resecirt; ersterer entfernte man das untere Ende
der Tibia, letzterem das der Fibula. In dem ersten der mit Tod ab-
gegangenen Fälle, bei der 47 Jahre alten Verunglückten, in welchem
blos die Tibia decapitirt, das zersplitterte Bruchende der Fibula dagegen
zurückgelassen worden war, machten Phlegmone und Jauchung bei
hochgradigem Fieber — 11 Tage nach der Resection — die trans-
condyläre Amputation nothwendig, die jedoch das Auftreten der
Pyämie (J2. Nov.) nicht zu verhindern vermochte. Der Exitus erfolgte
einen Monat nach der Verletzung. Der zweite lethal endigende Fall,
ein 23jähriger Maurer (Scherer), erlag 10 Tage nach der Operation
der Septicämie.
Bei dem 14jährigen Jungen, welcher nachträglich zur Ampu-
tation kam, wurde dieselbe durch recidivirende Garies, ein halb Jahr
nach der Excision indicirt.
Rechnet man ausser diesem noch Herm, bei der eine end-
gültige Ausheilung höchst unwahrscheinlich, zu den Misserfolgen, so
betragen sie sowohl wie die Todesfälle 28,6%.
Von den restirenden Fällen kann bei Schmutz wegen allzu
kurzer Beobachtungsdauer das Resultat kaum provisorisch als ein
leidliches bezeichnet werden; bei Nopper ist dasselbe gut, bei W.
V. H. ausgezeichnet. Das sofortige conservativ-operative Eingreifen
rechtfertigte sich mithin auch hier (bei W. v. H.) glänzend und würde
wohl, wenn bei Schmutz früher gehandhabt, gleichfalls in kürzerer
Frist besseren Erfolg zu Stande gebracht resp. die Ausbreitung der
Garies verhütet haben. Immerhin steht wenigstens das erste dieser
beiden Exempel für die allgemeine Annahme einer günstigeren Pro-
gnose der Resectionsergebnisse nach Traumen ein.
Besonders instructiv bleibt aber ein Vergleich der Resultate bei
Herm und Nopper: Bei letzterem vollführte man die Resection,
bevor noch ganz ein Jahr seit dem Auftreten der ersten Symptome
fraglichen Leidens verstrichen, indessen Herm bereits 3^/4 Jahre vor
der Operation mit der Gelenkaffection behaftet war und schon bei
ihrem Eintritte in's Spital (1 Jahr, 2 Monate vor derselben) Garies
Beiträge zu der Statistik und den Endresultaten der Gelenkresectionen, 377
constatirt wurde. Beide Fälle bieten also eine treffliche Illustration
zu den besprochenen Lehren Hüter's, indem im ersten die recht-
zeitige Excision der erkrankten Theile das Weiterschreiten des
Beinfrasses hemmte, während das allzulange Zuwarten bei letz-
terem, demselben keinen Einhalt mehr zu gebieten vermochte. Es
wird desshalb wohl bei ihm auch die oben citirte Hüter'sche Nutz-
anwendung zur Geltung kommen, nämlich eine Amputation, »welche
am besten gleich statt der Spätresection ausgeführt worden wäre
und nur durch eine Frühresection hätte vermieden werden können« *).
Die Basis vorerwähnter Berichte bilden nachstehende Kranken-
geschichten :
Fall 41.
Mathilde T r i m m i n g e r, 47 Jahre alt, gehürtig aus Engen , verlor,
als sie am 20. October 1873 ein gefülltes Fass die Kellertreppe hinabtragen
wollte, das Gleichgewicht und stürzte, obgleich sie das Fass gleiten Hess,
14 Stufen weit herunter. Sie versuchte aufzustehen, brach aber sofort wieder
zusammen. Unmittelbar darauf in die Chirurg. Klinik verbracht, bot sie folgen-
den Status praesens. Der linke Fuss war derart um seine Längsachse gedreht,
dass die Sohle gerade nach Aussen sah. Von den Knöcheln, welche sich beide
fracturirt zeigten, hatte jener der Tibia die Haut des Fusses auf eine Länge von
10^/2 Ctm. zerrissen und lag frei zu Tage. Eine artei'ielle Blutung — wahr-
scheinlich vom Ramus anterior arter. peroneae stand nach sofortiger Unterbindung.
Da die Art. dorsal, pedis deutlich pulsirte und die Sensibilität des Fusses sich
intact erwies, beschloss man die conservative Behandlungsmethode. Das untere
Ende der Tibia wurde in der Höhe von 1 '/2 Zoll resecirt, auf die Entfernung des
Bruchendes der Fibula, welches in mehrere Stücke zersplittert war, wegen seines
festen Zusammenhanges mit dem Perioste verzichtet. Es folgte das Einführen
eines geölten Läppchens und Anlegen eines gefensterten Gyps- nebst Carbolwatte-
Yerbandes.
Die Temperaturcurve erhob sich mit schwachen Remissionen in der
nächsten Zeit allmählig bis 40,5 ° (am 30. October). Nur bis zum 4. Tage nach
der Resection blieb, so lange die Reinigung der Wunde keine Störung erfahren,
das subjective Befinden gut. Schon in der Nacht vom 22. auf 23. schlief
Patientin trotz Morphiumgabe schlecht wegen der entstandenen, lebhaften
Schmerzen. Angesammelter, übelriechender Eiter musste durch Eingehen mit
dem Finger entleert, die Wundhöhle täglich ausgespritzt, das Leinwandstreifchen
erneuert werden. Aber das Bein schwoll; das Secret vermehrte sich, ohne
seinen Geruch zu bessern, so sehr, dass das Auffangen desselben in einer Schüssel
*) Leider musste Nopper später amputirt werden, während Herrn durch
eine wiederholte ausgedehnte Resection genas. (S. unten.)
378 Dl'- W. stark.
nölhig ward. Von jetzt an offene Wundbehandlung. Wegen der unerträglich ge-
wordenen Schmerzen musste der Gypsverband am 28. October aufgeschnitten
werden. Es zeigte sich dabei Röthung an der äusseren Seite der Extremität,
besonders am äussern Knöchel, wo auch durch Druck, der jedoch äusserst
schmerzhaft war, reichücher Ausfluss jauchiger Flüssigkeit bewirkt wurde. Der
eingeführte Finger konnte keine Loslösung der spitzen Fibulasplitter nachweisen.
Weil am 29. October sich am äusseren Knöchel Fluctuation vorfand, incidirte
man, worauf Jauche sich ergoss. Eine in der Narkose vorgenommene Digital-
untersuchung constatirte den extrafascialen Sitz der weithin verbreiteten Phleg-
mone. Vergrösserung der Schnittwunde (auf 11 Gtm.) und Drainagerohr sollten
jeder weiteren Secretverhaltung vorbeugen. Fortschreitende Röthung und Schwel-
lung, heftige Schmerzen (besonders an der Tibia) trotz wiederholter Mor-
phiumdosen, massenhafte Jaucheproduction bei hoher Temperatur und kleinem,
frequenten Pulse (130) veranlassten am 31. October die transcondyläre Amputation
des Femur, ausgeführt mit vorderem Lappenschnitt nach vorhergegangener E s-
m a r c h'scher Einwickelung. Einem momentanen Sinken des Fiebers schlössen
sich trotz häufiger Ghininverabreichung, das die Kranke übrigens schlecht ertrug
(Erbrechen) , Steigerungen bis über 40 " an. Ebenso wenig besserten sich nach
der Operation auf die Dauer die Pulsbeschaffenheit, Schmerzhaftigkeit, Secretion.
Wegen Entzündung des am Rande bläulich gefärbten Amputationlappens ent-
fernte man die Nähte und legte die Wunde frei. Sie reinigte sich, nachdem
nekrotische Gewebsfetzen mittelst der Scheere abgetragen wurden, und bildete
gesunde Granulationen. Doch der Stumpf schwoll mehr und mehr ödematös an
ungeachtet einer Einreibung mit Ung. cinereum und Bedeckung mit kalten
Umschlägen; ferner erwies er sich, hauptsächUch dem Verlaufe der Vena fem.
entsprechend, empfindlich. Dazu kam, obgleich die Kranke seit dem 24. October
auf einem Wasserkissen lag, ein stetig wachsender Decubitus zu beiden Seiten
des Kreuzbeins, der schliesslich (17. November), als er handtellergross geworden,
gangränescirte und zugleich an den Schultern auftrat. Die Operirte musste sich
desshalb auf die Seite legen. Das Sensorium wurde benommen, die Zunge
trocken. Am 12. November hatte Patientin den ersten Schüttelfrost, der sich
von nun an täglich (am 18. 2 mal) wiederholte. Das Fieber wechselte in Folge
dessen sehr in seiner Intensität (36,6° — 40,3°).
Linkerseits unterhalb der Scapulaspitze ergab die Untersuchung der Brust
ein leichtes, pleuritisches Reiben und Dämpfung des Percussionsschalls. Die fünf
letzten Tage vor dem Tode bestand Collaps bei völligem Verlust des Bewusst-
seins (unwillkürlicher Abgang von Urin und Koth) und aussetzendem Pulse,
auch local erkennbar an der Muskelretraction mit consecutiver Knochenentblösung
in der Länge von IV2 Gtm. Der Exitus lethaHs erfolgte am 21. November Nach-
mittags 474, nachdem die Kranke zuvor ganz aphonisch geworden war. Hinten
unten am Thorax tympanit. Schall bis zur Spitze des Schulterblatts und pfeifende
Rasselgeräusche bei einer Respirationsfrequenz von 40°.
Bei der Section fand man eitrige, lobuläre Pneumonie beiderseits nebst
eitriger Pleuritis; jauchige Erweichung der Thromben in den Venen des Stumpfes,
an letzterem das Periost des Knochenendes an der Innenseite etwa 1 Zoll hoch
losgelöst, missfarbig grau, den Knochen an dieser Stelle weiss, glatt, trocken
an der Oberfläche der Rinde; die Weichtheile im Ganzen infiltrirt, derb und nur
von vereinzelten, kleinen Eiterheerden durchsetzt.
Beiträge zu der Statistik und den Endresultaten der Gelenk resectionen. 379
Fall 42.
Stephan Scherer, lediger Maurer, 23 Jahre alt, aus Umkirch, hatte seit
1872 Schmerzen am linken Fusse, deren Sitz dem Talus entsprach. Nach
längerem Bestehen derselben durchbrach ein Abscess einwärts von der Achilles-
sehne die Haut, entleerte ziemlich viel Eiter und schloss sich später spontan.
Die Gebrauchsfähigkeit des Fusses schwand jedoch mehr und mehr bis zum Ein-
tritte des Patienten in's Spital am 14. Februar 1874, Dabei erschienen die
Bewegungen im Chopart'schen Gelenke nicht schmerzhaft, wohl aber das Sprung-
gelenk bei Druck auf die Sohle, ferner directer Druck in der Gegend des
Sustentaculum tali und an der Innenseite des Fusses. Als auf eine Behandlung
mit Ruhe, Fussbädern und Einwickelungen der frühere Sitz der Eiteransammlung
wiederum zum fluctuirenden Tumor heranwuchs , wurde ein gefensterter Gyps-
verband angelegt (am 5. März) und der Kranke so entlassen. Bei seiner Wieder-
kehr am 14. März war die Geschwulst bereits aufgegangen und gestattete die
betreffende Oeffnung einer dünnen Sonde auf circa 13 Gtm. Länge Eintritt in
der Richtung des Tibiotarsalgelenkes , in welches dieselbe jedenfalls eindrang,
ohne jedoch auf Knochen zu kommen. Als Aetzungen neben der bisherigen
conservativen Behandlung nichts ausrichteten, wurde das Fussgelenk total resecirt
(22. Mai). Nachdem der Esmarch'sche Gummischlauch angelegt, machte man
2 seitliche Einschnitte, nahm mit Hülfe der Stichsäge 2 Gtm. der Fibula hinweg,
etwa ebensoviel von der Tibia, sägte die Oberfläche des Talus ab und gypste
dann den Fuss ein. Compression und hohe Lagerung bekämpften eine Nach-
blutung. Sehr starkes Fieber (bis 40, 5o), grosse Schmerzhaftigkeit (trotz Morphium-
injection) und Schwellung stellten sich bald nach der Operation ein. Das Secret
sah schlecht aus. Am 30. Mai trat Oppression auf der Brust auf mit den Zeichen
eines Bronchialcatarrhs. Das Allgemeinbefinden verschlimmerte sich. Am 31.
ward Osteomyelitis diagnosticirt und der Gypsverband entfernt. Es fand sich
erysipelatöse Röthung des Unterschenkels (1. .Juni) ; Schwellung des Fusses ;
ein kleiner Eiterheerd im Verlaufe der Sehne des Flexor hallucis long. ; intensive
Osteomyelitis der Tibia, Fibula und des Talus. Diesem hoffnungslosen Zustande
machte am 2. Juni 12^/2 Nachmittags der Tod ein Ende, nachdem zuvor noch
Oedem beider Lungen sich ausgebildet, — Septicämie verursachte diesen miss-
lichen Ausgang. (Sectionsbericht fehlt.)
Fall 43.
Anna Herm, 4 Jahre alt, aus Freiburg, wurde am 17. JuU 1874 ins
Spital gebracht. Der Vater starb an Phthisis, die Mutter ist geisteskrank. Von
den vier Geschwistern leidet das älteste an Husten und Ohrenfluss. Vor 2^2
Jahren soll Patientin den linken Fuss übertreten haben, worauf Entzündungs-
erscheinungen in der Gegend des Sprunggelenks eingetreten seien, die wiederholt
zur Incision nöthigten. Bei der Aufnahme verhielt sich der Status folgender-
massen : Aussehen blass. Husten ohne Auswurf. Am Thorax links hinten oben
Dämpfung; daselbst rauhes Vesiculärathmen und kleinblasiges Rasseln.
Linker Fuss in Spitzfussstellung mit Streckungswinkel von 147°, Ab-
ductionswinkel 139° (dabei steht der äussere Fussrand höher als der innere).
380 Dl-- ^V. stark.
Schwellung in der Gegend des Talus und Os navicul, wodurch dorten der Fuss
um 4^2 Ctm. umfangreicher als rechterseits. Mall, intern, stark hervorragend,
Mall. ext. nach innen verschoben. An der inneren Seite des Talus mündet in-
mitten kräftiger Granulationen und von diffuser Röthung umgeben ein Fistelgang,
dessen Secret dünnflüssig. Keine active Beweglichkeit im Sprunggelenk; passive
beschränkt, empiindlich. Druck auf den ersLen Metatarsusknochen in der Richtung
der Längsachse des Fusses schmerzhaft. Die Sonde stösst auf rauhen, morschen
Knochen und einzelne, bewegliche, kleine Fragmente. Das Allgemeinbefinden
besserte sich zusehends bei geordnete)' Pflege, die Lungenaffection sistirte. Ende
Juli extrahirte man ein nekrotisches Knochenstück nach vorher vollzogener Er-
Aveiterung des Hohlgangs. Der letztere, welcher fortwährend Eiter producirte
und auf glatten, festen Knochen führte, verkleinerte sich bei regelmässig vor-
genommenen Lapisätzungen. Das Weitergreifen der Caries verhinderte dessen
völlige Schliessung und veranlasste ein Evidement mit nachfolgender Gauterisation
am IL November. Das Reactionsstadium verlief fieberlos; die Secretion mehrte sich,
behielt jedoch ihre dünne Gonsistenz. Den 10. Dezember wurde nach möglichster
Gorrection der abnormen Stellung des Fusses ein gefenslei'ter Gypsverband ange-
legt, der bis 2. IIl. 76 liegen blieb. Im Juni wiederholte man die Auslöffelung und
touchirte hierauf mit Ghlorzink. Vermehrung der Eiterung nebst Besserung der
Granulationsbildung war der Erfolg, dessen Fortschreiten Lapisätzungen unter-
stützen sollten. Aber der immer mehr sich ausbreitende Knochenfrass am Talus
indicirte im September nochmals das Auskratzen desselben, wobei das Talona-
viculargelenk sich afficirt zeigte. Eine Gegenöffnung unterhalb des Mall, extern,
und Durchziehen eines Drainagerohrs (Enfernung desselben am 24. October) be-
zweckten freien Abfluss des Secretes. Es trat keine erhebliche Veränderung des
Localbefindens darnach ein.
Dieses stete Beharren auf dem Status quo ante im Verein mit dem, wenn
auch ziemlich stillstehenden, destruirenden Prozesse an der Lunge Hessen einen
radicalern Eingriff für rathsam erscheinen und man entschied sich nach genauer
Untersuchung in der Narkose am 11. November 1875, wobei sowohl das Os tali
und navicul., als auch das Os cuboid., sowie Tibia und Fibula sich cariös fanden,
für die Resection der erkrankten Theile. Die Knochen waren sehr weich , die
Tibia auffallend hyperämisch. Unter Lister wurde mit zwei Schwämmen tamponirt,
die Wunde genäht, das Bein alsdann in einen Petit'schen Stiefel gelagert.
Hefte und Schwämme nahm man in den nächsten Tagen weg und drainirte.
Die Unbändigkeit des Kindes beim Verbandwechsel rief wiederholt Blutungen
hervor und nöthigte desshalb am 20. November zur Application eines Gyps-
verbandes mit Ausschnitt.
An Stelle der Lister'schen Methode trat von nun an offene Wund-
behandlung. Jetzt reinigte sich die Wunde rasch; ward kleiner, eiterte immer
weniger; die Schmerzen schwanden. Den 1. Januar 1876 fand Entfernung der
Drainage statt, am 15. die des immobilisirenden Verbandes. Lagerung im Pe tit-
schen Stiefel und warme Fussbäder bildeten nun einige Zeit die einzigen Heil-
mittel. Dazu gesellten sich am 25. Februar Touchirungen mit der Höllenstein-
sonde. Nur der innere Fistelgang hatte noch beti'ächtliche Tiefe, verkürzte sich
jedoch bis 8. März sehr erheblich, unter welchem Datum der untere äussere
circa VJ2 Gtm. zählte. Trotz etwas zurückbleibender Spitzfussstellung erlaubte
am 11. März der Localbefund Gehversuche an 2 Krücken und in einem an der
Innen- und Aussenseite mit je einer bis zum Knie reichenden Schiene versehenen
Beiträge zu der Statistik und den Endresultaten der Gelenkresectionen. 381
Schuhe. Vorübergehende Recrudescenz der Entzündung veranlasste eine Sondirung
in der Narkose am 4. April, wobei die Sonde quer durch den Fuss gleitete und
zur jeweils entgegengesetzten Fistelöffnung herauskam. Ungeachtet mehrfacher
Isxnipunctur (am 4. April, 17. Juli, 2. August, 13. August, 21. August, 29. August,
10. September), täglichem Verbandwechsel (Garbolcompressen), zweckentsprechen-
der Lagerung und regelmässigen Höllensteinätzungen änderte sich die Beschaffen-
heit der Fisteln nicht wesentlich.
Am 2. Dezember 1876 verhielt sich der Status, wie folgt:
Das Kind sieht blass aus. Es hat spontan keine Schmerzen am linken
Fusse, dessen Stellung der normalen etwa entspricht. Die Tibiotarsalgegend
ist ringsum aufgetrieben, die Haut der Knöchelregion geröthet und an der Innen-
seite von einer , an der äusseren von 2 übereinander liegenden Fistelmündungen
durchbrochen , welche etwas eitriges Secret liefern und auf rauhen Knochen
führen. Der Mall. int. ist nicht ersetzt, am externus hat eine kleine Knochen-
ablagerung staltgefunden; Druck ist daselbst empfindlich.
1. r.
Länge von Spina a. s. bis Cond. int 29 27 '/a
„ „ Cond. int. bis Mall, int 25 26
„ „ Spina a. s. bis Mall, int 54 53 ^2
Die linke Spina a. s. steht l'/2 Gtm. höher als die rechte.
Länge vom Xabel bis Mall, int 51 53
„ ,, Troch. bis Cond. ext 25 24
„ „ Cond. ext. bis Mall, ext 26 27
„ Troch. bis Mall, ext 51 51
Umfang des Oberschenkels in der Mitte 24 28
„ „ Kniees 21 22
der Wade 16 18
,, der Malleolengegend 22 16
Durchmesser der Malleolengegend von rechts nach links 6 4^2
„ ., ,, von vorn nach hinten 6 5
Umfang von Ferse nach Fussbeuge 23V2 20
„ der Fussmitte 13 14
Länge des Fusses 14^/2 16
Active Bewegung des in einem Winkel von 115" stehenden Fusses un-
möglich, passive minimal. Keine seitliche Beweglichkeit.
Excursionsfähigkeit im Knie- und Hüftgelenke vollkommen.
Steht — jedoch nur sachte — auch auf dem linken Fusse.
Anmerk. Bei der Patientin wurde im Sommer 1877 eine Nachresection
gemacht.
Fall 44.
Julius Schmutz, 28 Jahre alt, wurde am 8. Januar 1876 in das Spital
gebracht : es war ihm ein leeres aber grosses , etwa 3 Centner schweres Fass
auf die Gegend des rechten Fussgelenks gefallen. — Eine oberflächliche Unter-
suchung constatirte eine Längsfractur des betreffenden Malleolus externus. Die
vorläufige ärztliche Behandlung beschränkte sich auf Stillung der arteriellen
Blutung durch Unterbindungen einiger Seitenäste der Tibialis postica nebst Ver-
382 Dr- W. stark.
Jjand; doch fand, als dies nicht ausreichte, Erweiterung der Wunde mit dem
Messer, abermalige Ligatur und Tamponade statt.
Ein Fieberfastigium von 40,2° am 10. Hess, da Patient sich als Potator
quahficirte, Delirium tremens befürchten, wesswegen er seit diesem Tage Opium
(0,09, später 0,03) erhielt, dem man vom 12. an, weil die Temperaturcurven in
der nächsten Zeit durchschnittlich zwischen 38° (Morgens) und 39,5° (Abends)
schwankten, 3 abendliche Dosen Chinin (ä 0,5) zugesellte. Local existirten fort-
wälirend Schmerzen, die besonders beim jeweiligen Verbinden exacerbirten. Bei
letzterem wurde der erste Befund allniählig dahin vervollständigt, dass ausser
der oben diagnosticirten Knochenverletzung eine Querfractur des Mall. ext. und
ein Bruch des Mall. int. vorlag. Den 15. nahm man ein Knochenstückchen vom
Mall. ext. weg. Branderscheimmgen, die schon am 12. aufträten, beschränkten
sich auf die unmittelbare Wundumgebung. Die heftigen, an der Tibia weit
hinaufsteigenden Schmerzen nebst Böthung Hessen (d. IG.) nach. Das Bein wurde
vorübergebend auf Gypsschienen gelagert (d. 18.) und, da trotz Lister'schen
Verbandes die Eiterung copiös, von schlechter Beschaffenheit und übelriechend
war, letzterer durch einen einfachen (täglichen) ersetzt. Vom 21. Januar an
defervescirte die Temperatur bedeutend und zeigte nur noch Abends hypernormale
Grade. Auch die Secretion minderte sich nach und nach und sah besser aus.
Doch Hessen die geringsten Bewegungen Grepitation im Gelenke wahrnehmen.
Den 1. Februar leitete man offene Wundbehandlung ein und hing die auf eine
Gypsschiene befestigte Extremität in eine Schwebe. Darauf hin schwanden in
den nächsten Tagen das Fieber und die Schmerzen fast vöHig; die Wunde
reinigte sich. Seit 9. ordinirte man bloss noch Morphium (0,02 pro dosi) des
Abends. — Den 10. Februar waren folgende chirurgische Eingriffe indicirt:
Eröffnung eines Abscesses an der Achillessehne nebst Drainage der zurück-
bleibenden Höhle von der Wunde über dem Mall. int. aus; Besection des zum
Theile nekrotischen, zum Theile stärker vaskularisirten Mall. ext. in der Aus-
dehnung von beiläufig 4 Ctm. Dabei erwies sich das Gelenk schon ziemlich
ankylotisch. Die hierauf eintretetenden abendlichen Temperatureffervescenzen
überstiegen nicht 39°. Den 13. fand die Incision eines Eiterheerdes an der
Innenseite der Gelenkgegend statt; doch blieb an der genannten Stelle noch
einige Zeit Röthung und SchAvellung zurück. Am 10. März erfolgte Lagerung
des Beins, dessen Tibiotarsalarticulation sich jetzt nahezu vollständig ankylosirt
zeigte, in einen Petit'schen Stiefel. Die Temperaturcurven bewegten sich von
nun an innerhalb normaler Grenzen. Unter Bädern und Oelverbänden besserte
sich der Localzustand mehr und mehr, die Wunden heilten mit Ausnahme eines
Hohlgangs an der Aussenseite, der mit dem Gelenke communicirte.
Binnen Monatsfrist brach am Mall. int. eine Fistel wieder auf und führte
in der Tiefe von etwa 4 Ctm. auf entblössten Knochen, so dass man am 9. Mai
sich genöthigt sah, nach Esmarch'scher Einwickelung und blutiger Dilatation
des Hohlgangs nach abwärts bis auf den Knochen — das spongiöse, zum Theile
mit üppigen Granulationen durchsetzte Gewebe des Tibiaendes mit dem scharfen
Löffel zu entfernen. Auch den Talus bedeckten granulöse Wucherungen.
Es resullirten flüchtige Fieberbewegung und geringe Suppuration.
Ende Mai vermochte Patient an einer Krücke umherzugehen. Anfangs
Juni bekam er einen Zügel behufs Rectification der vorhandenen Spitzfussstellung
durch zweckmässige, eigenhändig zu vollführende Manöver und zur etwaigen
Beiträge zu der Statistik und den Endresultaten der Gelenkresectionen. 383
Verbesserung der restirenden, minimalen Excursionsfähigkeit der Talocrural-
articulation.
Nach einer letztmaligen Sondirung (9. Juni) , welche noch einige rauhe
Knoclienstellen nachwies, entliess man den Reconvalescenten in ein Salzbad
(11. Juni) nach Dürrheim.
Fall 45.
Carl Nopper, 18 Jahre alt, Schuster zu Haslach (Simonswald) bekam im
Sommer 1875 eine kleine Anschwellung an der äusseren Seite des linken Fusses,
Er suchte desswegen das hiesige Spital auf. Obwohl er daselbst von Ende Juli
bis Mitte September behandelt worden, kehrte er doch mit noch bestehenden
Fisteln , die von einer Eröffnung der Geschwulst übrig geblieben , nach Hause
zurück. Dort schlössen sie sich nach vierwöchenllichem Gebrauche von Kamillen-
bädern. Den Rest dieses Jahres verrichtete er ungestört sein Handwerk. Dann
fmg das Fussgelenk von Neuem zu schwellen an. Die Fisteln brachen im Februar
wieder auf und secernirten klebrige, gelbliche Flüssigkeit. Das Gehen, welches
in der letzten Zeit gar keine Beschwerden verursacht hatte, wurde an dem be-
treffenden Fuss bis April so schmerzhaft, dass die Gebrauchsfähigkeit völlig
aufgehoben und Patient am 8. Mai genöthigt war, abermals sich in die hiesige
Klinik verbringen zu lassen. Er sah abgemagert und elend aus. Jede Berührung
des Fusses und Unterschenkels erregte Schmerzen. An der Aussenseite befand
sich etwa 4 Gtm. über dem Malleol. ext. eine Fistel, eine zweite über der äusseren
Talusfläche. Die in die erstere eingeführte Sonde drang nach unten und innen
vor und stiess auf die rauhe Fibula, ohne aber in das Gelenk zu gerathen.
Durch die zweite Oeffnung konnten nur das Sprungbein bedeckende Granulationen
mit der Sonde betastet werden. Die totale Resection des Fussgelenkes geschah
am 17. Mai bei Esmarch'scher Einwickelung und Lister'scher Methode der
Wundbehandlung. Die Grösse des Tibiastückes betrug an der äusseren Seite 4.
an der inneren 2 Gtm. Der Malleol. int. besass eine poröse Beschaffenheit. Die
Rindensubstanz der oberen Parthie war stellenweise abgeschilfert, der Knorpel-
belag im Bereiche des inneren Knöchels abgehoben , rauher Knochen lag frei.
Am vorderen äusseren Rande sass eine kleine Exostose, an der hinteren Fläche
schuppenförmige Auflagerungen. Das 4^/2 Gtm. betragende Fibularende bildete
gewissermassen die durchlöcherte Hülse einer Höhle, zu welcher ein 2^/4 Gtm. langer
und 1 Gtm. breiter Substanzverlust an der äussern Seite weiten Zugang gewährte;
an der vorderen Region klaffte eine zweite, minder umfängliche Oeffnung. Der
Knorpel der 1^/4 Gtm. dicken Talusscheibe hatte eine dunkle Färbung und sass
nur lose auf seiner Unterlage auf. Das Fieber, welches schon vor der Operation
in geringem Masse bestand, hielt nach derselben bis zum Schlüsse dieses Monats
an, ohne jedoch 39" zu übersteigen. Damit war eine Pulsbeschleunigung bis zu
140 Schlägen verbunden. Der Heilungsverlauf nahm seinen normalen Gang. Der
Allgemeinzustand machte erfreuliche Fortschritte. Am 22. Juli stand Patient
nach Anlegung eines Gypsverbandes auf. Den 20. August und 3. September
cauterisirte man die Fisteln, welche nur wenig noch absonderten. Die Gyps-
hülse wurde am 9. September erneuert und bis 20. November liegen gelassen.
Nach deren Abnahme ruhte das Bein in einem Petit'schen Stiefel. Da nun
auch das Localbefinden wieder genau beobachtet zu werden vermochte, constatirte
eine Revision vom 25. November Folgendes:
334 r^'- ^V. Stark.
Patient fülilt sich wohl; es bestehen weder Fieber noch spontane Schmerz-
haftigkeit. Die Stellung des Fusses weicht kaum von der normalen ab ; er bildet
mit dem Unterschenkel einen Winkel von 110". Die Configuration der Gelenk-
gegend ist wegen des geringeren Hervorspringens der Knöchel schlanker als die
der gesunden Seite. Die Haut über den Malleolen (links) erscheint geröthet und
von 3 — 4 Fisteln durclibrochen, welche jedoch nur wenig mehr secerniren und
nicht auf (rauhen) Knochen führen.
Leichter Druck ruft keine Schmerzensäusserung hervor. Die Knöchel sind
bis jetzt nicht genügend wiederersetzt.
Bäder und Aetzungen der kaum noch 1 Gtm. tiefen Fisteln unterstützten
den Keparationsprozess. Derselbe hatte bis zum Tage der Entlassung des Recon-
valescenten, den 17. Februar 1877 seinen Abschluss erreicht.
Folgende Notizen verdeutlichen den damaligen Zustand :
1. r.
Länge des Unterschenkels von Gap. fib. bis Sohle . . 38 Gtm. 39 Gtm.
„ „ „ Gond. int. „ „ . . 39 „ 40 „
„ „ Fusses von der grossen Zehe bis Fersenhöcker 22,2 „ 23 „
Active und passive Beugung bis 90° 73°
Streckung bis 115° 133°
Das Gehvermögen mit einer Stützmaschine ist wegen noch vorhandener
Schmerzen beim Auftreten des resecirten Fusses etwas beeinträchtigt.
1. r.
Umfang des Beins in der Oberschenkelmitte . . 42 Gtm. 47 Gtm.
„ „ „ am Knie 33 ,, 34 „
„ „ „ an der Wade 26 „ 32 „
., ,, „ in der Malleolengegend ... 23 „ 24 ,,
Durchmesser der Malleolargegend von rechts nach
links 6 „ 6^2,,
Durchmesser der Malleolargegend von vorn nach
hinten 7^4,, 7^/4,,
Umfang des Beins von der Ferse nach der Beuge 29^2,, 30 „
der Fussmitte 22 „ 24 „
Länge vom Trochanter bis Gond. ext 39 „ 39 „
„ „ Gond. ext. bis Mall, ext 34 „ 38 „
„ Trochanter bis Mall, ext 73 „ 77 „ Diff.4G.
„ „ Spina a. sup. bis Gond. int. ... 46 „ 46 „
„ „ Gond. int. bis Mall, int 33 „ 36 „
„ „ Spina a. sup. bis Mall, int 79 „ 82 „ Diff.SG.
„ des Fusses 21 „ 24 ,,
Beckenstellung normal.
Die funclionellen Verrichtungen im Knie- und Hüftgelenke haben nicht
Noth gelitten. Active Bewegungen im Fussgelenke sind unmöglich, passive imr
in dem obenerwähnten Grade zu erzielen.
Die neue Verbindung ist schon ziemlich eine feste. Keine seitliche Be-
weglichkeit.
Der Kranke kann der Schmerzen halber nicht auf dem Fusse stehen*).
*) Nach Mittheilung von Herrn Prof. Maas wurde am 21. Juli 1877 bei
dem Patienten der Unterschenkel (Amp, malleoloris nach Lenoir) amputirt.
Beiträge zu der Statistik und den Endresultaten der Gelenkresectionen. 385
Fall 46.
Carl Hirsch, 14 Jahre alt, aus Wagensladt, verstauchte sich im
Sommer 1875 den rechten Fuss, was Anschwellung des Gelenkes zur Folge hatte.
Ein desswegen angelegter Gypsverband wurde nur 14 Tage lang getragen. Trotzdem
die Geschwulst nicht vollständig geschwunden, ging der Junge von da an immer
umher, bis die allmälig auftretenden Schmerzen Anfangs Januar 1876 so beträcht-
lich geworden waren, dass sie ihn zwangen, das Bett ununterbrochen zu hüten.
Ende April incidirte ein Arzt die wieder zunehmende Schwellung, worauf reich-
lich gelbe, klare Flüssigkeit herauskam. Am 6. Juni fand die Aufnahme des
Knaben in's Spital statt. Eine genaue Untersuchung vom 14. Hess Folgendes
feststellen : Die rechte Fussgelenkgegend ist ringsum stark aufgetrieben, die Haut
mit erweiterten Venen durchzogen, vor dem Mall. ext. eine markgrosse, speckige
Fistel, hinter dem Mall, intern, eine ebensolche, doch Fünfmarkstück gross. Der
Fuss kann noch etwas activ gehoben werden. Die passive Bewegung im Sprung-
gelenke, bei der man zugleich geringe seitliche Verschiebbarkeit wahrnimmt,
schmerzte sehr; dessgleichen der indirecte Druck.
r. 1.
Oberschenkelumfang = 25 Gtm. 29 Ctm.
Gircumferenz der Wade = keine Differenz
Spitzfussstellung von 120".
Rechtsseitige Inguinaldrüsen geschwollen.
Dieser Befund gab Veranlassung zur Resection mittelst zweier seitlichen
Schnitte. Der Knorpel zeigte sich theil weise zerstört, der Knochen weich und
hyperämisch, das Sprunggelenk von schwammigen Granulationen durchwuchert,
die Articulatio talo - navicularis ebenfalls erkrankt. Die Tibiascheibe hatte
2^4 Gtm. Dicke (am Mall. int. 3 Gtm). An der Rückenfläche, sowie am untersten
Ende des inneren Knöchels entdeckte man Destructionsheerde. Die Fibula,
deren Gelenkknorpel intact, wurde in einer Ausdehnung von 4 Ctm. abgesägt.
An der hinteren Region der Innenseite und an der Aussenfläche lagen cariöse
Vertiefungen. Am Talus war noch der cartilaginöse Ueberzug erkenntlich. Die
resecirte Extremität wurde in einen Petit'schen Stiefel gelagert. Es stellte sich
unter extensiver Schwellung und mehrtägigem Herzklopfen (dagegen Digit. und
Chinhi) ein heftiges, remittirendes Fieber (bis 40°) ein, das in allmählig ab-
nehmendem Grade bis Anfangs Juli fortdauerte. Die Wundfläche secernirte in
der ersten Zeit dünnflüssigen, später reichlichen Eiter verbunden mit ausgiebiger
Wucherung torpider Granulationen. Das Uebermaass dieser Erscheinungen for-
derte zu einer neuen Operation auf. Bei der Spaltung einer Weichtheilbrücke
wurde Art, tib. post, und Nervus tibialis durchschnitten. Die Tibia und Fibula
wurden, so weit sie erkrankt waren, ausgeschabt, der Rest des Caput tali ent-
fernt. Daraufhin besserte sich die Granulationsbildung und füllte die Wundhöhle
aus. Consolidation trat jedoch noch nicht ein. Anfangs September und Mitte
Die Resectionswunde war vollständig ausgeheilt. Es hatten sich Fisteln an der
Ferse und dem Fussrücken gebildet, welche auf das cariöse Os naviculare und den
Calcaneus führten. Ferner hatte er eine fungöse Tendinitis mit Fistelbildung an
der rechten Hand. Der Kranke ist jetzt gesund und geht mit einem Stelzfuss
umher.
Czern y , Beiträge zur operativen Chirurgie. 25
386 Dl'. W. stark.
October wurden Temperaturexacerbationen bemerkt. Lapis infernal. (20, Sept.)
und Ferrum candens (5, October) vermochten einen abermaligen Stillstand des
Reparationsprozesses nicht auf die Dauer hintanzuhalten.
Als hauptsächliche Ursache solch schleppenden Verlaufs erwies sich bei
einer gründlichen Untersuchung am 1. Dezember eine so weit nach aufwärts
reichende Caries der Tibia und Fibula, dass, da der ganze Calcaneus gleichfalls
sich cariös zeigte, von der bereits begonnenen Nachresection Abstand genommen
und sofort die Amputation im unteren Drittel vollzogen wurde. Einen Abscess
längs der Beugemuskulatur, welcher hierbei zu Tage trat und sich 3 Ctm. jenseits
der Amputationsstelle nach oben erstreckte, musste man auslöffeln. Desinfection
der Wunde, Vereinigung derselben und Einschieben zweier Drainröhrchen be-
endeten die Operation. Die Heilung verlief afebril, ohne besondere Gomplicationen ;
fast überall war Heilung durch prima inten tio eingetreten.
Fall 47.
Frau W. v. H., 40 Jahre alt, stürzte den 16. October 1876 Nachmittags
4V2 Uhr beim Schrittreiten vom Pferde, weil letzteres strauchelte und in die Kniee
fiel. Durch diesen Sturz zog sie sich erhebliche Läsionen am linken Fusse und
Arme zu. Die eine halbe Stunde später vorgenommene Untersuchung lieferte
über die wahrscheinliche Entstehungsweise, sowie hinsichtlich der Art und Grösse
der Verletzungen folgende Resultate :
Schon die Stellung des linken Fusses in so starker Supination, dass die
Plantarfläche fast nach einwärts sah, berechtigte zu der Annahme, die fragliche
Verwundung sei durch einen Fall der ganzen Körperlast auf den äusseren Fuss-
rand veranlasst.
Durch einen der Gegend des äusseren Knöchels entsprechenden schief ver-
laufenden Weichtheilschlitz von circa 8 Ctm. Länge stand die Fibula und der
Körper des Talus, welcher an seinem Halse vom Kopfe abgebrochen und aus
seinen Verbindungen mit den übrigen Fusswurzelknochen völlig losgelöst Avar,
4 Ctm. weit heraus. Die untere Gelenkfläche des Talus lag frei zu Tage. Wurde
der untere Wundrand .weiter gelüftet, so präsentirte sich auch die Tibia; zu-
gleich erkannte man alsdann , dass das abgebrochene Corpus tali zwischen den
Maileolen noch durch die Seitenbänder festhaftete, während die Gelenkkapsel
vorne und hinten eröffnet war. Die beiden Unterschenkelknochen hatten keine
Continuitätstrennung erfahren, ihre Periostdecke unversehrt behalten; dagegen
vermochten leichte Drehungen des Fusses den Nachweis einer etwa 5 Ctm. weit
sich erstreckenden totalen Isolirung ihrer untern Enden von den Weichtheilen
zu liefern. Es handelte sich also um die sehr seltene Luxatio pedis sub
talo nach einwärts, complicirt mit Hautwunde und Frac-
tur des Taluskopfes, der in seiner Verbindung mit dem Os naviculare
verblieben war. Unter gewöhnlichen Verhältnissen wird durch einen Sturz auf
den äusseren Fussrand in der Regel der eine oder beide Knöchel brechen. In
unserem Falle leisteten jedoch die merkwürdig festen und compacten Unter-
schenkelknochen, von deren Härte man sich bei der Resection überzeugen konnte,
Widerstanfl, so dass eher das Lig. talocalcaneum interosseum und der Hals des
Talus nachgab und desshalb der gelöste Taluskörper in Verbindung mit den
Unterschenkelknochen die Weichtheile durchbohrte.
Beiträge zu der Statistik und den Endresultaten der Gelenkresectionen. 387
Diesen Zustand complicirte ein subcutanes Emphysem an der Innenseite
des Unterschenkels bis über dessen Mitte, Blut floss blos spärHch.
Eine einfache Vorderarmfractur linkerseits — muthmasslich verursacht
durch den Druck des auf die Verunglückte nachstürzenden Pferdes — befand
sich im unteren Drittel und zwar am Radius etwas tiefer als an der Ulna. Die
beiden Bruchstücke bildeten einen radialwärls offenen Winkel.
Nach einer Berathung mit Prof. Schinzinger wurde die Excision der
hervorstehenden Knochentheile beschlossen und von Prof. Gzerny mit der Stich-
säge vorgenommen , nachdem eine etwa 1 Ctm. breite Periostmanchette und
die Beinhaut vom Mall. int. zurückgeschoben war.
Auswaschen der Wunde mit S'/o Carbolwasser, Unterbindung einer spritzen-
den Arterie, Reduction des Fusses, Lister'scher, hierauf immobilisirender Gyps-
verband bildeten den Abschluss dieser Operation, an die sich alsbald die Ein-
richtung und Eingypsung des gebrochenen Armes reihte.
Die Höhe des excidirten Stückes in toto, zwischen den entferntesten Punkten
der Tibiasägefläche und des Talusfragmentes betrug 3'/2 Ctm., zwischen der
Mitte der Bruch- und Sägefläche 3 Ctm.
Länge der Tibiaparthie am Mall, int 2 Ctm.
„ „ ,, in der Mitte 1 ,,
„ „ Fibularparthie 2^/4 „
„ des Corpus tali 2^2 „
Durchmesser an den Malleolen (frontaler) 6 „
„ der Tibiasägefläche von vorn nach hinten . 3'/2 „
Der Sägeschnitt durch die Tibia und Fibula verlief vollständig horizontal
und eben. Sämmtliche Knorpelflächen erwiesen sich intact. Der vordere Rand
des Taluskörpers etwas zerfetzt, da von ihm beginnend die Bruchfläche schief
nach hinten und unteu zog bis dahin, wo die Articulation des Sprungbeins mit
dem Fersenbeine anfängt.
Trotz dieses Eingriffes stieg die Temperatur nie über 38°, der Puls schwankte
zwischen 70 und 85, Die Schmerzen blieben relativ gering, selbst als 6 Tage
nach der Verletzung die Bettstelle mit der Patientin in der Nacht zusammen-
brach ; ebenso gering war die Secretion.
Am Tage nach der Operation wurde ein grosses Fenster in die Gypshülse
geschnitten, mit Carbolwatte umsäumt, und um Secretverhaltung zu verhüten, ein
Drainrohr eingeführt. Unter Carbolspray wurde der Lister'sche Verband ge-
wechselt. Die gequetschte Haut sah besser aus.
Der häufige Wechsel des desinficirenden Verbandes (bis 24. October täglich)
brachte den Vortheil, dass die gleiche Gypskapsel bis zum Abschlüsse der
Wundheilung, welche nicht ganz 6 Wochen (28, November) in Anspruch nahm,
liegen bleiben konnte. Etwa 8 Tage später wurde der Gypsverband entfernt,
das Bein durch eine einfache Blechschiene fixirt und Fussbäder verordnet.
Gehversuche wurden durch den langsamen Heilverlauf der Vorderarmfractur, die
überhaupt der Patientin mehr Beschwerden verursachte, als die ungleich
schwerere Fussverletzung, verzögert. Schon am 10. Tage nach Anlegung der be-
treffenden Gypshülse hatten neuralgische Schmerzen im Verlaufe des Nervus
ulnaris zur Abnahme derselben genöthigt. Da man nichts Abnormes fand,
wurde ein Wasserglasverband angelegt, der sich jedoch, ungeachtet einer Stütz-
schiene, vor seiner völligen Erhärtung etwas verbog, was nachtheilig auf die
388 Dl'. W. stark.
gegenseitige Stellung der Fragmente einwirkte. Die Gonsolidirung war erst nach
einem Vierteljahre beendigt.
Erst im Januar 1877 konnten Gehversuche mit einem einfachen Stütz-
apparate begonnen werden. Ende März vermochte die Kranke schon mit Hülfe
eines Stockes sich ziemlich gewandt fortzubewegen. Die Excursionen des Sprung-
gelenks der afficirten Seite erschienen nur wenig reduzirt gegenüber jenen der
gesunden. Die Verkürzung des Beins betrug laut Messung höchstens 1 Ctm. Die
Configuration des Fusses glich — mit Ausnahme der eingezogenen Narbe und
der etwas geringeren Prominenz der Knöchel — der des andern.
Nach brieflichen Nachrichten soll Fr. v. H. schon im Sommer selbst auf
bergigem Terrain über eine halbe Stunde, ohne auszuruhen, gegangen sein. Jetzt
(27. Januar 1878) geht sie nur bei weiteren Ausflügen mit einem Schienenschuh.
Sonst kann sie denselben Schuh tragen , den sie vor der Operation gebrauchte.
Das Gelenk soll gut beweglich sein.
Die tabellarische Uebersicht zeigt (siehe S. 389), dass bei
Herrn und Nopper am Oberschenkel der afficirten Seite mehr
Atrophie besteht als an der betreffenden Wade, ferner, dass bei
Herm grössere Länge des linken Femur die Differenz der Unter-
schenkel ausgleicht. — Die übrigen, noch nicht verwertheten No-
tizen verdienen, weil bei keinem Falle das Ergebniss ein endgültiges
ist, an und für sich auch keine weitere Betrachtung*).
*) Die Arbeit wurde von Herrn Dr. Stark schon im März 1877 abge-
schlossen, so dass ich blos einzelne weitere Berichte in die Correctur einschieben
konnte. Im Wesentlichen stimmen meine traurigen Erfahrungen über die Re-
sectionen bei chronischen Erkrankungen des Sprunggelenkes mit denjenigen
B. V. Langen beck's überein.
C z e r n y.
Beitrage zu der Statistik und den Endresultaten der Gelenkresectionen. 389
Functions-
prüfung
•g 1
.S 3
auch aul dem
linken Fusse
Gehnihigkeit
bei gleichzei-
tigerBenutzung
einer Krücke
Kann noch
nicht auf dem
Fusse stehen,
der Schmerzen
halber
Art der
Verbin-
dung
Ziemlich
unbeweg-
lich im
Winkel v.
115 Grad
stehend
Geringe
Beweglich-
keit dos
Gelenks
Ziemlich
unbeweg-
lich im
Winkel
vonllOGr.
17,lI,77Ex-
cursions-
fähigkeit
innerhalb
25 Grad
sassnj c> .
sap auBjraQ i; S
•n aSnsT ni -jia
ä
i
8
na^niq u ujoa * j.,.,
uoA usioauBKlj 1 1
•p jasBaraqoJna'i "" ""
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§
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■AaSusini-Bta
l'/a
Cm.
z.G.l.
II
znaj9j}!a 1
Jap ;
Jap amrang
II
e
'3
•jxa -iiBm
stq '^xa 'paoa 1
■AaSUB-i ai flta
5
i
c
1
•»xa i
■pnoa siq qaoJ}
■i aanB-i ni -jjta
■ ii
1
11
Zustand der
afflcirten Gelenk-
gegend
Tibiotarsalgegend
aufgetrieben, an der
Innenseite eine, an
der äussern zwei Fi-
steln, durch die man
noch auf rauhen Kno-
chen kommt. Nur am
Mall. ext. Knochen-
ablagerung
Es restirten Fisteln,
die noch auf rauhen
Knochen führten
Noch mehrere ober-
fliichliche, wenig se-
ccrnirendo Fisteln ;
Regeneration der
Knöchel schwach
■3 3
sla
'S c H
ä| ß
1^
(Sansssnaa
dsaj)
gunqonsjajafl
uajzjai jap }iaz
•S
-s
3 3
B_a
"a >
l«
3
«i2
><
c-
OffeneWundbehandlung.
AUmBlige Verflachung der
Fisteln. - 11,111, 78 Geh-
versuche an zwei Krücken
und im Scarpa'schen
Schuhe. - 4,1V llecrudes-
cenz der Entzündung und
Fortschreiten der Caries
Kein sofortiger afebriler
Effect. - 13, II Abscess-
oröffnung am mall. int.
- AUiniilige Heilung -
10, IV Neuer Fisteldurch-
bruch. — 9, V Evidement.
- Endo Mai Gehversuche
an der Krücke
Nicht sofort antil'ebriler
Einfluss. Heilung ohne
Complication bis 17, II, 77
abgeschlossen
Blos schwache Fieber-
schwankungen. - Heil-
dauer von nur 6 AVochen.
- Gehversuche 1,77, ver-
zögert durch die compli-
cirende Armfractur
a
1
Fibula-
Stück
etwa 4 Cm.
lang
Tibia-
Stück
4 Cm. lang,
Fibula-
Stück
4'/a Cm.
lang,
Talus
1 'A Cm.
Sei ^^3 5°="
'Zeit des
Eintritts
und der
Resection
so
>- >
Krank-
heit
Caries
sinistra
Fractura
compli-
cata mal-
Icolorum
dextra
^1
Fractuiii
compli-
catacoUi
tall slni-
stri
Il «1IT
1
^ —
Namen
<
3 3
Z
■5
^
390
Dr. W. Stark.
Uebersicht.
Beliaudlung nicht nacli Lister.
Beliandlung nacli Lister.
Samen
1
<
Krankheit'if/3^',fi;; Resultat
Bemerkungen
Namen
<
Krankheit
Zeit der
Resection
Resultat
Bemerkungen
1) Maier,
Johann
62
I.
Caries d.
Schalters
vn,7i
'elenk.
gestorben
2U, Vir, 73 an
Erysipel
Kam bereits
resecirt wegen
fortschrei ten-
derPhthisisin's
Spital
1) Erdin,
Karl
14
I. Scilultergelenk.
Caries d. 2.3, XI, 7.j (Entl. 3, IV, 76.)
Nach einem
Jahr noch
Fisteln
Gebrauchs-
fähigkeit sehr
gut
2) Bahler,
Carl
8
Trauma d.
5, IV, 72 i(Entl.29,Vn,72)
l Binnen 2 Mo-
naten geheilt
Endresultat :
Gebrauchs-
fiihigkeit sehr
gut
2) Kaiser,
Josef
18
Caries d.
8, VII, 76
(Entl.l9,VIIl,76)' _ ,
Nach drei Mo-i f..^'f\'^."/'^=:
naten fast ge-l «»higkeit sehr
heilt S"t
19
Leben Gestrb.
25 Proc.
4
1) Bau-
mann,
Conrad
17
Leben
Gestrb.
1 1
2
0
1) Froeh-
lin, Jo-
sephine ;
II. E
Caries s.
llenboge
13,11,72
Dgeleuk.
gestorben
C,1V,73 haupts.
an Kücken-
marksaffection
etc. in Folge v.
Wirbelsäulen-
Mortalitä
1
II. I
Caries d,
Uenliogengelenk.
2, IX, 74 Nach zweijäh-
riger Frist
ungeheilt
Leidet an Sero
phulose, Caries
der Fusswurzel-
knochen. -Pro-
vis. Resultat :
gute Gebrauchs-
fähigkeit
2) Zimmer- 36
mann, {
Josef '
Caries
träum, d.
12, XII, 72
(Entl. 31,111,73.)
Geheilt nach
etwas über zwei
Monaten
Definit. End-
resultat :
active
Beweglichkeit
2) Ganter,
Fridolin
28
Caries s.
2, III, 75
(Entw.l0,IV,75.)
Geheilt binnen
einem halben
Jahr
Prov. Resultat :
beschränkt
activ beweglich
3)NübIing,
Adolf
11
Synov.
gran. d.
16,V, 73
(EntI.4,VIII,73.)
Geheilt binnen
einem halben
Jahr
Definit. End-
resultat :
active
Beweglichkeit
3) VColber,
Sarah
17
Caries s.
30, IV, 75
(Entl. 25, V, 75.)
Nach andert-
halb Jahren
noch nicht ge-
heilt
Prov. Resultat :
active
Beweglichkeit
4) Erb, Ka-
tharina
161 Caries ä.
6, V, 74 (Entl. 7, IX, 74.)
Geheilt binnen
einem Viertel-
jahr
Endresultat :
active
Beweglichkeit
4) Lamber-
tin, Casi-
mir
21
Caries d.
10,1,76
(Entl. 7, III, 76.) Prov. Resultat:
Geheilt binnen active
einem Viertel- Beweglichkeit
jähre
5) Martin, 1 44
Walburga
Caries s.
23, 1, 76
(Entl. 14,V,76.)
Nach zehn Mo-
naten noch
nicht geheilt
Prov. Resultat
activ bewegl.
Schlotter-
gelenk
68
6) Moser,
Emilie
14
18
Caries d.
29, IV, 76
(Entl. 13,1,77.)
Nach einem
halben Jahre
noch nicht
geheilt
Prov. Resultat :
active
Beweglichkeit
Leben
Gestrb.
10 Proc.
10
l)Lückert,
Josef
Leben | Gestrb.
3
1
6 1 0
DSchmitt,
Johann
IIl
Caries s.
. Fingergelenk.
15, II, 72 (Entl. 14,111,72.)
Geheilt
Mortalität
1:
Ankylose. Gute
Gebrauchs-
fiihigkeit
ni
Trauma s.
. Finger
12,11,75
»elenk.
(Entl. 22, 11, 75.)
Heilung nach
20 Tagen
Endresultat :
active
Beweglichkeit
2) Kreidt,
Mathias
15 Trauma s.
30, IV, 73
(Entl. 1, V, 73.)
Nach einem
Monat geheilt
Endresultat ;
Geringe Beweg-
lichkeit
2)Wachter,
Johann
25
Trauma s.
1, VII, 76
(Entl.5,VlII,76.)
Nach einem
Monat Heilung
mit Beweglich-
keit
Endresultat :
Ankylose.
3) Noth,
Marie
IS
Cariea 8,
30,Vni,73
(Entl. 26, X, 73)
—
4) Beck,
Wilhelm
18
Trauma s
7,VIII,74 (Entl.8,Vin,74)
—
, Leben Oestrb.
1 Leben | Gestrb.
0 0
__L_
1 0
Hortalitat : 0
Beiträge zu der Statistik und den Endresultaten der Geleni^resectionen. 39 [
Behandlung nicht nach Lister.
Behandlung
nach Listei
•.
Namen S
„ , , .. 1 Zeit der
Krankheit! Resection
Resultat
Bemerkungen
Namen
<
Krankheit
Zeit der
Resection Resultat
Bemerkungen
1) Buch-
hoU, The-
rese
12
I
Caries e.
V. Hüftgelenk.
1, VIII, 72 gcstorben30,IX, _
72 an Erysipel
(und Tubercu-
lose)
1) Bürkin
Friedrich
12
IV. Hüftgelenk.
Caries s. 9, IV, 75 gestorben am
17, V, 75 an
Amyloid-
degeneration
-
2) Durst,
Franz
11
Caries s.
14, XI, 72
fPnti iivt 7<!i ^^"^ * Jahren
f^°VVM '! ^' noch Fisteln.
NachJMonaten GuteGebrauchs.
noch Fisteln 1 fähigkeit
2) Burgert
Karl
7
Caries d.
, (Entl. 1.3,VI,76 j
20, \ 1, 7a jj^^,^ ^.^^^ _
Jahr noch
Fisteln
3) Haber-
stroh,
Paul
11
Caries s. 27,11,73
(Entl, 29,1,74.)
Nach 11 Mo-
naten geheilt
Nach 3 Jahren
8 Monaten gute
Gebrauchs-
fähigkeit
3) Volmer,! 9
Johann
Caries s.
3, XII, 75 '(Entl. 6, VI, 76 ,'Nach 'inem Jahr
!Nach7Monaten, H" ""?• «"t^
1 noch Fisteln | ^^^
4) Hausin,
Theodor
13
Caries d.
6, HI, 73
gestorben am
16, 111, 73 an
Pyämie
—
4) Flach, 13
Therese |
Caries s.
24, V, 76
(Entl.7,XlI,76.j
Nach einem
halben Jahr
noch Fisteln
Gute
Gebrauchs-
fähigkeit
5) Bau-
knecht,
Jacob
20
Caries s.
2, V, 73
gestorben am
15, V, 73 an
Pyämie
-
5) Stritt-
matter,
Caroline
14
Caries s
10, VII, 76
(Entl. 3,11,77.)
Nach 7 Monaten
noch Fisteln
Gute
Gebrauchs-
fähigkeit
1
6)Froettel,
Otto
9
Caries d.
25, VII, 76
Entl.20,XII,76.)
Nach 5 Monaten
noch Fisteln
Gate
Gebrauchs-
fähigkeit
6
Leben jGestrb.
6,3G Proc.
1
1) Vogel-
bacher,
Johann
16
Leben
Gestrb.
2 1 3
5
1
1) Jehle,
Euphro-
sine
Caries s.
. Kniege
19, VI, 72
lenk.
gestorben
7, VII, 72 an
Pyämie
Mortalität 3
4:1
1
Caries s.
h Kniege
30, XI, 74
lenk.
gestorben
19, IX, 75 an
Erysipel
-
2) Schiele,
Hermann
24
Synovitis
granul. s.
19, XII, 72
gestorben
30, XII, 72 an
Pyämie
—
2) Thema,
Maximi-
lian
12
Synovitis
granul. s.
3, V, 75
gestorben
17, XI, 75 an
Amyloiddeg.
—
3) Gries-
haber,
Severina
14
Caries s.
29,V,73
(Entl. 28,11, 75.)
Nach einem
Dritteljahr
noch Fisteln
Resultat : 3 Vs
Jahre nach Res
Schlottergelenk
dochGebrauchs-
fähigkeit
3} Fehren-
bach,
Stephan
25
Caries s.
29,V,76
(Entl. 13,1,77.)
Nach jiebenMo-
naten geheilt
Gute
Gebrauchs-
fähigkeit
4) Gassen- 23
Schmidt,
Marie
Caries s.
1,V,74
gestorben
5, VI, 74 an
Pyämie
—
5) Werner,
Christian
24
Caries d.
15, V, 74
gestorben
1, X, 74 an Tu-
berkulose
-
47
Leben
Gestrb.
Leben j Gestrb.
1
4
75 Proc.
1) Herrn,
Anna
4
1 1 2
1) Trim-
rainger,
Mathilde
T
Trauma s.
[. Fussge
20, X, 73
lenk.
gestorben
21, XI, 73 an
Pyämie
Mortalität
6 :
V
Caries s.
[. Fassgc
11, XI, 75
lenk.
Nach mehr als
einem Jahre
noch ungeheilt
-
2) Scherer,
Stephan
23
Caries s.
22, V, 74
gestorben
2, VI an Septi-
cämie
-
2)Sohmutz,'28 Trauma d.
Julius
10, II, 76
(Entl. 11,VI,76.)
Nach vier Mo-
naten noch
Fisteln
Gebrauchs-
fähigkeit
vorhanden
■1
3) Nopper,
Carl
18
Caries s.
15, V, 76
(Entl. 17,11,77.)
Nach drei
Vierteljahren
fast geheilt
Gebrauchs-
fähigkeit
vorhanden
4) Hirsch,
Carl
U Caries d.
4, VI, 76
Nach einem
halben Jahre
Amput. vpegen
Cariesrecidiv
-
r
5) W. V. H.
40
Trauma s.
16, X, 76
„ , , ,„ 1 Nach fünf Mo-
Nach sechs Wo- 1 „aten sehr gute
chen geheilt Gebraufchs-
1 fähigkeit
Leben
Gestrb.
•
Leben Gestrb.
0
2
5
0
Mortalität 28,6 Proc.
Gestorben bei Behandlung nicht nach Lister: 50 "/o {= 11 : 22)
nach „ 12,5 «/o (= 3 : 24)
, Summa : Gestorben 30,43 "/o (14 : 46).
392 Dr. W. stark.
Aus dieser Zusammenstellung erhellt, dass seit Einführung des
Lister'schen Verfahrens bei der Wundbehandlung in der Freiburger
Klinik sich das Mortalitätsverhältniss um 37,5 % günstiger gestaltete.
Es wäre ein voreiliger Schluss, die Besserung einzig und allein jener
Methode zuzuschreiben. Maniehfaltige , zufällige Momente, welche
alterirend auf das jeweilige Resultat einwirkten (z, B. Ort, In- oder
Extensität und Zeitdauer der Erkrankung resp. Verletzung, Alter,
Constitution, Complicationen etc.), fallen bei einer derartigen Er-
wägung schwer in's Gewicht. Trotz alledem bleibt es auffallend und
darf wohl der antiseptischen Behandlung zu Gute gehalten werden,
dass seit ihrer Anwendung kein Fall an Pyämie oder Septicämie
zu Grunde ging, vor derselben nicht weniger als sieben (am Hüft-,
Knie- und Fussgelenk Erkrankte) daran starben.
Von einem Versuche, den Einfluss der Lister'schen Verband-
methode auf die Heildauer und Ausgiebigkeit des Gebrauchsvermögens
auf Grund der vorliegenden Erhebungen zu constatiren, kann schon
wegen der Ungleichheit der Fälle und ihrer Beobachtungsdauer nicht
die Rede sein.
Taf. I
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Fi^.l.
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COLUMBIA UNIVERSITY LIBRARIES (hsl.stx)
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Beitr aqe zur operativen Chirurgie
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