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Bem’s
Leldzug in Siebenbürgen
in den Jabren 1848 und 1849.
Bei Hoffmann und Campe in Hamburg iſt erſchienen:
Thlr. Sgr.
Benningſen, General von, Feldzug der 1 Armee
von Polen, im Jahre 1813 und 14 110
Bekenntniſſe eines preußiſchen Officiers 4
Briefe aus Italien und Frankreich. Von einem Ruſſen .1— |
Bücher, Sibylliniſche, aus Oeſterreich. 2 Bde. 3 —
Centralſtaat, der, und der Föderativſtaat Oeſterreich — 15 |
Depping, die Heerfahrten der Normannen bis zu Re |
feſten Niederlaffung in Frankreich. 2 Thle. .. 3 —
Enthüllungen aus Oeſterreichs jüngſter Vergangenheit.
1849. a: „„
Glocken ruf zum Fürſten Congreß 4 . — 10
Horväth, Graf Ludwig Batthyäny, ein politiſcher März .
tyrer aus Ungarns e e und der 6. Oc⸗ |
tober 1849 in Ungarn. „ |
Kampf, der, bei Eckernförde am * April 1849 . 2
Kriegslieder aus Schleswig-Holſtein . — 7 /⁰ |
Landwehrſyſtem, Neues. 2. Aufl. . 20 |
La pinski, Th., Feldzug der ungarifchen Hauptarmee im
Jahn id, 1 —
Martens, G. L., Tagebuch eines Freiwilligen des v. d.
Tann'ſchen Corps. Mit 4 Plänen und v. d. Tann's |
Portrait. „
O eſterreich und deſſen Zukunft. 2 Thle. „
Polenlieder Un — 7a
Prinzhaufen, Fr., der Scheinkrieg mit Dänemark im
Jahre 1848. Ein Zeitbild . . wu:
Reifinger, politifche Bilder aus Ungarns Neuzeit . — 25
Röding, Dr. C. N., der Freiheitskampf in Süd-Amerika. 1 15
Schattenſeiten der öſterreichiſchen Staatsverwaltung und
geſellſchaftlichen Zuſtände A g — 25
S chuſel ka, Franz, Deutſchland, Polen und Rußland 115
— — die deutſche Volkspolitik J. 4 „
— — öſterreichſſche Vor- und Rückſchritte u
Seiler, S., das Complot vom 13. Juni 1849, oder der
letzte Sieg der Bourgeoiſie in Frankreich .. — 10
Strodtmann, A., Gottfried Kinkel. Wahrheit ohne Sich⸗ —
tung. Biographiſches Skizzenbuch J. Bd.. 1 15
Struve Amalie, Erinnerungen aus den badiſchen Freiheits⸗
kämpfen .. — 20
Teleki, Graf Ladislaus, die ruſſiſche Intervention in Ungarn — 7 ½
Tſcherkeſſenlieder . „
Vom andern Ufer. Von einem Ruſſen 5 1 18 »
Wiebke, J. H L., Syſtem einer nn in unobpängl
gen Werken. Mit 2 Plänen. 3 — 15
— en
Zem's
Feldzug in Siebenbürgen
in
den Jahren 1848 und 1849.
Herausgegeben
von
Johann Czetz,
vormals ungarifchem General und Chef des Generalſtabes der ungarifchen
Armee in Siebenbürgen
Mit einem Facſimile Dem's.
Hamburg.
Hoffmann und Campe.
1850.
Boigt’s Buchdruckeret in Wandsbeck.
*
Vorwort.
Motto: „Vor Allem Wahrheit.“
Is will Euch das Wunder erklären.
Bem's Feldzug in Siebenbürgen ſteht wahrlich ſo einzig
da in der Kriegsgeſchichte; das Verhältniß der ange—
wandten Mittel zum erreichten Zwecke iſt ſo ungleich; die
Ereigniſſe ſelbſt unterliegen ſo mannichfachem Wechſel;
Bem's Genie erſcheint in den vielfältig wechſelnden
Epochen von Glück und Unglück ſo glänzend; ſein
Charakter als Menſch und als Freiheitskämpfer tritt
ſo prägnant hervor, daß man ſich bei Leſung ſolcher
Ereigniſſe unbewußt in eine andere Zeit, in die Zeit
der Heroen verſetzt fühlt und mit immer lebhafterem
5
il
Intereſſe das Thun des Mannes verfolgt, der aus
Nichts Armeen ſchuf, der, wie der Phönix aus der
Aſche, aus jeder Niederlage nur um ſo furchtbarer
hervorging und der gerade in demſelben Augenblicke
den Gegner vernichtete, als dieſer ihn zu erdrücken
wähnte; wir glauben in einer Zeit der Wunder zu
leben, und ſuchen eifrig nach dem Schlüſſel, um die
Pforte zu dem Räthſel der Ereigniſſe zu öffnen. Einen
ſolchen Schlüſſel nun will ich dem Publicum in dem
vorliegenden Werkchen darbieten, und ohne Oſtenta—
tion kann ich verſichern, daß er von Niemand Ande—
rem, außer Bem ſelbſt, ebenſo vollſtändig, klar, ſo wahr
gegeben werden kann. Denn wer immer die Ereig⸗
niſſe miterlebte, wer auch den Feldzug ſelbſt mitgemacht
hat, er ſah nur die äußeren Zeichen, er empfand die
Wirkung, aber er kannte nicht die Urſachen; unkundig
der geheimen, das Spiel in Bewegung ſetzenden Trieb—
federn konnte er ſie höchſtens ahnen, nie aber, bei
Bems bekannter Schweigſamkeit und ſelbſtſtändiger
Handlungsweiſe, ſie vollſtändig errathen.
*
Ich habe den Feldzug ſelbſt, an Bems Seite, mit
gemacht und hatte das Glück, ſein Vertrauen zu beſitzen.
Bem geftattete mir, als dem Chef feines General—
ſtabes, wenn auch nicht immer, doch ſehr oft, Ein—
ſicht in die Karten, auf dem Kampfplatze, ſowie
auf den Märſchen hatte ich die Truppen zu disponi—
ren, während Bem die ſtrategiſchen Vortheile dem
Augenblicke ablauſchte und dann mit der Artillerie die
Entſcheidung berbeifübrte,
Was ich erzähle, habe ich größtentheils perſön—
lich erlebt, wo ich nicht ſein konnte, habe ich die
Erzählungen geprüfter ehrenhafter Kameraden wieder—
gegeben. Wahrheit aber wollte ich vor Allem berichten
und in dieſer Beziehung, glaube ich, meinen Vorſatz
treulich ausgeführt zu haben.
Ich bin kein Schriftſteller, mein Werk wird viel—
leicht der Eleganz des Styls und der Abrundung
entbehren, aber ich hoffe, der geehrte Leſer wird über
die Maſſe der Thatſachen, über das von ihnen an—
geregte Intereſſe, ſo wie über die, aus der Darſtellung
8 | *
IV
entſpringendes, beruhigende Ueberzeugung: „Dies mußte
ſo und nicht anders kommen“, jene Mängel in den
Hintergrund ſtellen. So darf ich hoffen, daß über
den Kern die Schale vergeſſen, und mein Werk mit
freundlichem Wohlwollen begrüßt werden wird.
Hamburg am 1. Juni 1850.
Johann Czetz.
Einleitung.
Allgemeine Ueberſicht Siebenbürgens in politiſcher Beziehung. —
Bewohner. Politiſche Inſtitutionen. — Der Landtag in
Ungarn und Siebenbürgen 1897/48. — Landtagsbeſchlüſſe in
Ungarn zur Zeit der Wiener Revolution. — Union Sieben-
bürgens mit Ungarn. — Die Camarilla bearbeitet die Sachſen
und Wallachen. — Demonſtrationen der Sachſen in Her—
mannſtadt. — Bildung des wallachiſchen Comités. — Wal⸗
lachifche Nationalverfammlung in Baläsfalva. — 12 Be-
titions-Punkte der wallachiſchen Nation durch Nopeſa nach
Innsbruck an den König überbracht. — Antwort des Kö—
nigs. — Beginn des wallachiſchen Aufſtandes im Juni 1848.
Siebenbürgen, gleich Ungarn eine terra incog-
nita mitten im civiliſirten Europa, gehört zu den
ſchönſten und fruchtbarſten Theilen des öſterreichiſchen
Länder-Complexes und erhebt ſich wie eine feſte Burg
zwiſchen den beiden großen Thalebenen der Moldau
einerſeits und der Theiß andererſeits. Nur wenige
Päſſe führen aus den öſtlich gelegenen Tiefländern
in Siebenbürgen hinein und geben die großen Han—
1
2
delsſtraßen ab, auf denen die Kunſt- und Induſtrie⸗
producte des weſtlichen Europa's auf die Märkte
von Bukareſt und Jaſſy geſchafft werden. Im Oſten,
Norden und Süden umringen das Land die letzten
Zweige des karpathiſchen Gebirgs mit hohen, him—
melanſteigenden Gipfeln, auf denen hie und da,
wie auf dein Budczeſt, dem Königsſtein, Szurul
u. a., der Schnee ſelbſt im höchſten Sommer liegen
bleibt, mit langgedehnten, von dichtem Urwald be⸗
deckten Rücken, in denen noch vor wenig Decennien
der Auerochs hauste und wo jetzt der grimmige Bär,
der Wolf und der Luchs ihre Heimath finden, mit
weit in das Land reichenden Zweigen, die dem Lieb—
haber der hohen Jagd die herrlichſte Auswahl
an Hochwild geſtatten, während ihre Eingeweide
Salz, Kupfer, allerlei Kohle und die koſtbarſten
Steine bergen. Im Weſten vereinigen ſich die Ab—
zweigungen der Karpathen mit den Ausläufern der
pannoniſchen Alpen und hegen in ihrem Schooße
den Reichthum des Landes, denn aus den hier
vorhandenen Bergwerken wird die Hälfte des Goldes
genommen, welches alljährlich in Oeſterreich verar—
beitet wird; außerdem viel Silber, e und andere
werthvolle Metalle.
Dieſe Gebirge durchziehen das Land nach allen
Richtungen und machen es zu einem ſchönen Gebirgs—
lande, in welchem zahlreiche, obſchon nicht ſehr breite
Thäler, von großer Fruchtbarkeit, mit Laub und
Nadelwaldungen wechſeln. Dieſe Thäler werden
theils durch die Hauptflüſſe Maros, Szamos und
Alt gebildet, auf deren Rücken mittelſt Floͤſſe Salz
und Bauholz nach Ungarn geführt wird, theils von
zahlreichen aber unbedeutenderen Flüſſen und Torren—
ten, welche größtentbeils, wie der Aranyvos, aus
Goldſand jährlich in großen Quantitäten Gold lie—
fern. Die reichhaltigen Lager von Steinſalz,
welche ſich in Déſakna, Thorda, Parajd, Maros
Ujvär finden, verſehen nicht nur Siebenbürgen, fon
dern auch das Banat, Slavonien und Südungarn
mit Salz.
Getreide aller Art gedeiht im Ueberfluſſe, Wein
wird im mittleren und weſtlichen Theile des Landes
reichlich gebaut und unter ſeinen Arten iſt der
Räzſamaler weit und breit berühmt; im beſten und
wohlverdienten Rufe ſteht die Pferdezucht, und die
Geſtüte der Grafen Bethlen, Teleky, Haller, der
Barone Bänffy und Weſſelényi liefern ebenſo ſtatt—
liche als gute und dauerhafte Reit- und Zugpferde,
während die kleinen Cſiker-Pferde, eine eigenthümliche
Gebirgs-Race, an Ausdauer und Leiſtungsfähigkeit
alle andern übertreffen.
Siebenbürgen hat Alles was es braucht und
wollte man es mit einer chineſiſchen Mauer umſchlie—
ßen, ſo würden die Bewohner an keinem Pro—
ducte Mangel empfinden. Selbſt für die Herſtellung
des koſtbarſten Gutes, der Geſundheit, bieten die
1*
4
zahlreichen Mineralwäſſer, worunter das Borſzéker,
Elöpataker, Zaizoner, ſo wie die bewährten Bade—
orte: Al⸗Gyögy, Baͤszna, Koväszna, Tusnad, die
willkommenſte Gelegenheit. Das Klima Sieben—
bürgens iſt milde und ſehr geſund — der Winter
jedoch wegen der Hochgebirgsmaſſen im Süden und
der vielen Wälder ſtrenger, als in anderen Ländern
gleicher Breite.
In dieſem Lande voll Naturſchönheiten —
nun ſeit Jahrhunderten:
Die Ungarn an 4—500,000 Seelen.
Die Szekler „ 300,000 w
Die Sachſen „ 250,000 *
Die Wallache „ 1,000,000 1
außerdem noch Armenier, Griechen und Juden in
nicht bedeutender Zahl. Die ganze Bevölkerung
beläuft ſich auf zwei Millionen und ein Paar Tau—
ſend Köpfe. Die älteſten Bewohner Siebenbürgens
ſind die Wallachen, oder wie ſie ſelbſt ſich nennen
Romanen oder Rumunyi, ein eigentlich flaviſcher
Volksſtamm, der ſich zur Zeit der römiſchen Herr—
ſchaft in Dacien latiniſirte und aus dieſem Grunde,
ſowie durch eine entfernte Aehnlichkeit der Sprache,
in lächerlichem Eigendünkel ſeine Abſtammung von
den Römern behauptend, in dem Traume eines großen,
romaniſchen Daciens feine ſchönſte Zukunft erblicket.
Sie bewohnen den ganzen Südweſten und Nord—
often des Landes und zwar vorzugsweiſe die dort
>
belegenen Thäler, während die Szekler die Berge be
ſetzen, treiben Agrikultur und Viehzucht und ſind die
nächſten Stammverwandten der Bewohner Südruß—
lands, der Moldau und der Wallachei. Seit langen
Jahrhunderten unter dem geiſtesknechtenden Einfluſſe
ihrer Popen ſtehend, haben ſie allen politiſchen und
moraliſchen Halt verloren, ſind feige, ſchlaff, faul und
babſüchtig: kurz, moraliſch ſo verderbt geworden, wie
wenig andre Volksſtämme. Auch die Beſtrebungen
von politiſchen Flüchtlingen, welche aus der eigent—
lichen Wallachei durch die Maiereigniſſe vertrieben
wurden, vermochten die Nationalitätsidee nur in den
Köpfen weniger Gebildeter zu wecken. Der Traum
eines großen Daco-Romanien entſtand wahrſcheinlich
in den Köpfen einiger in Paris gebildeter Bukareſter
Edelleute, welche im Mai 1848, wiewohl vergeblich,
ihr Ideal durch Proklamirung einer republikaniſch—
demokratiſchen Verfaſſung in ihrer Vaterſtadt zu ver
wirklichen ſuchten.
Das Szeklerland umfaßt den öſtlichen Theil
Siebenbürgen's zwiſchen dem 45. und 47. Grad der
Breite und dem 42. bis 44. Grad der Länge, mit
einem Flächeninhalt von ungefähr 222 [Meilen. Es
iſt ringsum von den letzten Zweigen des Karpathenge—
birges eingeſchloſſen und wird nach allen Richtungen
von denſelben durchſchnitten. Die Gebirge enthalten
an den Gränzen der Moldau, Wallachei und Bus
kowina die größten Urwälder — durch ihre ſchauer—
6
liche Melancholie nicht ohne Einfluß auf den Geiſt
des Menſchen — in dem Bergwerke zu Szent Do—
mokos findet ſich ein großes Lager von gediegnem
Kupfer und die Salzgruben von Parazd bilden einen
bedeutenden Reichthum für das Land. Ohne Zweifel
liegen noch viele Schätze im Grunde dieſer ſpärlich
bewohnten Berge: hat man doch während der Revo—
lution bei Kovaszna ſogar Platina und an vielen
Orten reiche Kohlenlager entdeckt; aber alle dieſe
natürlichen Schätze können nur vermöge des wohlthä—
tigen Einfluſſes einer freien Bewegung zu Tage ge—
fördert und zum Nutzen der Bewohner verwendet
werden, was nun wohl durch das traurige, auf
lange Zeit alles geiſtige Leben ertödtende Ende der
ungariſchen Revolution für Jahrzehnte hinausgeſcho—
ben iſt. An den zahlreichen Mineralquellen der Ge—
birge, wie bei Borszék, Korond, Elöpatak, Tasnad
und Tusnad finden alljährlich Hunderte von Kranken
und Siechen Troſt und Linderung in ſelbſt verjähr—
ten Leiden und der Wallachiſche Adel, die reichen
Bojaren ermangeln nicht, alljährlich einen geſtärkten,
lebensfriſchen Körper an dieſen Mineralwäſſern gegen
ihr Gold einzutauſchen. Das Szeklerland iſt ganz
gebirgig; nur die Haromſzeker Hochfläche bildet eine
theilweiſe auch von Landhöhen durchſchnittne, vier
Meilen im Quadrat große Ebene, in welcher ſchöner
Weizen in Fülle gedeiht. Die beiden größten Flüſſe
Siebenbürgens, die Alt und die Maros, haben in
1 »,
dieſen Gebirgen ihre Quellen und befördern in ihrem
Laufe Salz, Bretter und Brennholz auf Floſſen ins
Land der Sachſen und nach Ungarn. In dieſen
Gebirgen wohnen die Szekler, jetzt über eine
halbe Million Seelen ftarf, früher unter eignen Für—
ſten, dann den Siebenbürgiſchen Fürſten und end—
lich ſpäter der öſterreichiſchen Dynaſtie unterworfen,
immer aber mit ausſchließlichen Privilegien und eigen—
thümlichen Inſtitutionen begabt, in urſprünglicher,
unvermiſchter Racenreinheit und in einfacher Sitte.
Die Szekler ſind ein ungariſcher Stamm, welcher
ſich in jener Zeit, als die Magparen Pannonien be
ſetzten, von dem Hauptſtamme trennte, in den von
ihnen bewohnten Wäldern Daciens ſich bleibende
Sitze erkämpfte und gegen die Aufgabe, die Reichs—
gränze vor auswärtigen Feinden zu ſchirmen, ſchon
von Altersber mit mannichfachen Privilegien ausge:
ſtaͤttet wurde. Sie ſprechen die ungariſche Sprache
und haben dieſe, ſo wie die ungariſchen Sitten und
Gebräuche vermöge der Abgeſchloſſenheit ihres Terri—
torium's rein und unverfälſcht bewahrt. Der Szekler
iſt in ſeiner äußern Erſcheinung von mittlerer aber
gedrungener Statur, die blühende Friſche ſeiner Wan—
gen, die eiſernen Muskeln ſeiner Arme verrathen den
ächten Naturſohn, die Biederkeit ſeines Geſichtes, die
Geradbeit ſeines Wandels bezeichnen den Bewohner
des Gebirges, der mit einer einfachen Lebensan—
ſchauung, natürlichen Verſtand und ein gutes Herz
paaret; ſeine Gaſtfreundſchaft, die den letzten Biſſen
* 8
Brod mit dem Fremden theilt, verräth den ungari—
ſchen Urſprung, ſo wie ein gewiſſer trotziger Stolz
als Zeichen ſelbſtbewußter Stärke und Unabhängigkeit.
gilt. Der Charakter der Szekler iſt gutmüthig, aber
entſchloſſen und feſt, feine Stimmung ernſt und zurück-
haltend, an Rührigkeit und Betriebſamkeit gleicht er
dem Tiroler. Neben dieſen glänzenden Eigenſchaften,
wozu ſich noch der gewöhnliche, kalte Muth der Ge-
birgsbewohner, die Geſchicklichkeit in der Handhabung
der Feuerwaffe und die Ausdauer in Beſchwerden
geſellt — beſitzt der Szekler auch ſeine Schattenſeite.
Der Mangel an Schulbildung macht ihn bornirt, aber—
gläubiſch und in den katholiſchen Theilen des Landes
bigott, in dem proteſtantiſchen zügellos, ſelbſtſüchtig;
der auf ihm ſeit Maria Thereſta laſtende Druck ewi—
ger Militairpflichtigkeit macht ihn ſtützig und erweckt
in ihm die Schlauheit, ſeine Lage durch was immer
für Mittel zu verbeſſern — die ungariſchen Sprich—
wörter buta szekly (dummer Szekler) vasejü szekely
(harter Schädel) charakteriſiren ganz dieſe Richtung
des Szekler Geiſtes. — Der Szekler iſt vor Allem
Militair und als ſolcher ſchweigſam, ausharrend,
mißtrauiſch gegen feinen Führer, fo lange er ihn
nicht kennt, aber blind ergeben und gehoͤrſam, todes—
verachtend und kühn bis zur Tollheit, wenn er feinen
Mann gefunden. Er iſt im Siege unerſchütterlich
und unüberwindlich, grauſam und plünderungs—
luſtig, aber die Niederlage erſchüttert ihn und der
9 *
Mangel an Kenntniſſen läßt ihn in mißlicher Lage
leicht ungeboriam, indisciplinirt und ſelbſt meuteriſch
werden.
Dieſer hervorſtechende Zug des Szekler-Charak—
ters erklärt auch einzig und allein die ſpäteren Er—
eigniſſe beim zweiten Einbruche der Ruſſen und den
ſchnellen Verfall der ruhmbedeckten Bem'ſchen Armee.
Die Inſtitutionen der Szekler waren jenen der
Ungarn analog, nur daß das Feudalweſen, da wo
es herrſchte, noch viel drückender und härter war,
als bei den Ungarn. Dagegen war aber ein Diſtrikt
von ganz freien Szeklern bewohnt, die Alle gleiche Rechte
und Freiheiten hatten, ohne ungariſche Edelleute zu
ſein, von Steuern befreit waren, und ſich ſelbſt sza—
bad nemesek (freie Edle) nennend, das eben fo ſelt—
ſame, wie ſonderbare Recht beſaßen, Jedem ſich unter
ihnen anſiedalnden, wenn er ihre Sympathien zu ge—
winnen verſtand, durch Volksbeſchluß gleichfalls zum
Edlen zu erheben. Ein anderer, der größte, Theil
der Szekler verlor unter Maria Thereſia (17660 feine
Rechte und Freiheiten und wurde durch Waffengewalt
gezwungen, das Gränzſyſtem anzunehmen und ſich
dadurch zum ewigen, erblichen Militairdienſt zu ver—
pflichten. Der Keim zur Unzufriedenheit wurde alſo
ſchon damals durch die Parteilichkeit und Grauſam—
keit gelegt, mit der man in jener Zeit Tauſende der
militairiſchen Zwangsruthe unterwarf, während Hun—
* 10
derte und Einzelne, man weiß nicht, aus welchen
Gründen, hiervon befreit blieben. Dadurch wurde
ein bis dahin unbekannter Ständeunterſchied bei einem
Volke eingeführt, welche ſich von Altersher als eine
gleichberechtigte Genoſſenſchaft von lauter Edelen zu
betrachten gewohnt war. Was Wunder alſo, wenn
der Ausbruch der ungariſchen Revolution im Szekler—
lande um ſo mehr mit Jubel begrüßt wurde, als
durch die Beſchlüſſe des ungariſchen Landtages vom
Jahr 1848, wo, wie früher, Baron Miklos Weſſelényi
die Szekler kräftig vertrat, und durch die vom Kö—
nige hierauf ertheilte Ratification, die Leiden der
Szekler mit einem Male, wie durch Zauberſchlag,
geſtillt und die offne Wunde der Ständeungleichheit
durch die wohlthätige Wirkung der Geſetze geheilt
werden ſollte. Mußte nicht natürlich der Szekler mit
dankbarer Freude die Bruderhand ergreifen, welche
ihn vom ewigen Militairjoch befreiete, die alte Gleich—
heit Aller vor dem Geſetze wiederherſtellte, dem Szek—
ler die Ausſicht auf ein beſſeres Loos in jeder Be—
ziehung eröffnete, den armen Gränzer der quälenden
Unterordnung unter einen ausländiſchen Officier ent—
hob und ihn ſelbſt das Aufſchwingen zu höherer mili—
tairiſcher und Civilcharge ermöglichte? Ueber das
Verhältniß des Szeklers zu dem ſeine alten Sitten
ſchonungslos knechtenden öſterreichiſchen Syſteme iſt
namentlich Gerando, la Transylvanie et ses habitants
Tom. II. p. 160 ff. zu vergleichen. Da nun die Bes
11
ſchlüſſe des 1848ger ungarischen Reichstages und die
Union Siebenbürgens mit Ungarn die Erfüllung
aller jener langgenaͤhrten Wünſche ſicherte, fo läßt
ſich erklaͤren, mit welchem Enthuſiasmus der Szekler
die Gelegenbeit ergriff, für ſich ſelbſt, die Ehre und
das Glück ſeines Vaterlandes, dem eine ſo ſchoͤne
Zukunft winkte, Gut und Blut einzuſetzen. Und
doch haben gewiſſe ſchwarzgelbe Blätter, namentlich
ſachſiſche, ſich nicht geſcheuet, die Szekler des ſchwär—
zeſten Undankes gegen Oeſterreich zu zeihen, weil ſie,
das Beiſpiel der übrigen Gränzer verſchmähend, nicht
gegen den Leib ihrer Mutter das Schwert erhoben!
Die Ungarn nahmen im Jahre 1002 unter ihrem
Könige Stephan Beſitz von dem Lande, aus welchem
ſie die Petſchenegen, einen tartariſchen Stamm, ver—
jagten und occupiren ſeit der Zeit den Nordweſten
und die Marmoroſcher Gränze Siebenbürgens, das
bis auf die neuere Zeit die ungariſchen Geſetze
als gültige Landesverordnungen anerkannte. Seit
Stephan J. wurde das Land durch vom König er—
nannte Woiwoden regiert. Als mit dem Tode des
1526 bei Mohaes gebliebenen letzten ungariſchen
Königs Ludwigs II. Ungarn an das Haus Oeſterreich
kam, wählte eine Minderzabl der Ungarn den Sie
benbürgiſchen Woiwoden Johann v. Zapolya (Grafen
von Zips) zum Könige, worauf zwiſchen ihm und
dem von der Mehrheit gewählten Ferdinand J. ein
blutiger Krieg entſtand, der erſt 1538 durch den Frie—
12
den von Wardein beigelegt und darin Johann als
Fürſt von Siebenbürgen und des von ihm beſeſſe—
nen Ungariſchen Landestheiles auf Lebenszeit und,
unter gewiſſen Bedingungen, für ſeine männlichen Nach—
kommen anerkannt wurden. Nach ſeinem 1540 erfolg⸗
ten Tode behauptete ſich ſein Sohn Johann Sigismund
als Fürſt mit Hülfe der Türken. Nach ihm wurde
der auch zum Polniſchen König erkorne Stephan Ba—
thory gewählt, dem 1576 fein zu Oeſterreich ſich hin—
neigender Bruder Chriſtoph Bathory folgt. 1581 kam
deſſen Sohn Sigismund Bathory auf den Thron,
welcher das Land der ungariſchen Hoheit untergab,
1596 gegen Oppeln und Ratibor an Oeſterreich ab—
trat, dann aber wieder ſeinen Entſchluß bereute, Hülfe
bei den Türken ſuchte und 1602 abgeſetzt wurde.
Das hierauf folgende tyranniſche und grauſame Regi—
ment des öſterreichiſchen Generals Baſta veranlaßte die
Siebenbürger, den ſich gegen Oeſterreich mit Hülfe
der Pforte und des inſurgirten Ungarn behauptenden
Stephan Botskay zum Fürſten zu wählen. Ihm
folgte Sigismund Ragoczy (1607-8), Gabriel Ba—
thory (1608— 13) und Bethlen Gabor (1613-29),
welcher faſt ganz Ungarn bis auf ſieben Comitate
eroberte. Sein Nachfolger Georg Ragoczy (der Sohn
Sigismund R. v. 1630 — 48) behauptete ſich mit
Hülfe der Türken und war der Erretter der ungari—
ſchen Proteſtanten von dem Joch der Jeſuiten. Ihm
folgte fein Sohn Georg Ragoczy (1648 60), wel⸗
13
cher, gegen den Willen der Pforte mit Carl XII. ge
gen Polen verbündet, in einer Schlacht gegen die
Türken fiel. Ihm folgte Michael Apaffy der ältere
(166190), welcher feinen Nebenbuhler Joh. Kemény
befiegte, mit Töföly gegen Oeſterreich kämpfte, und
zuletzt ein erblicher Vaſall dieſes Kaiſerthumes wurde.
Sein Sohn und Nachfolger Michael Apaffy der Jün—
gere (1690 — 99) reſignirte gegen Ertheilung einer
Penſion. Später nahm Siebenbürgen Antheil an
der glorreichen Erhebung des jüngern Ragoczy, nach
deſſen Beſiegung, von 1711 Siebenbürgen, welches
1765 von Maria Thereſia zu einem Großfürſtenthume
erboben wurde, als Nebenland Ungarns den Habs—
burgern gehorchte. An der Spitze der Landesver—
waltung ſtand der königliche Gouverneur von Sie—
ben bürgen, welcher von der in Wien befindlichen
ſiebenbürgiſchen Hofkanzelei feine Befehle erhielt. Neben
ihm ſtand als Landesvertretung der vereinigte ſieben—
bürgiſche Landtag, zu welchem die Ungarn 46, die
Szekler 28 und die Sachſen 22 Abgeordnete wählten.
Außer dieſen wählte die Regierung noch eine beliebige
Zabl von Regaliſten aus den höchſten Beamten des
Landes, fo im Jahre 1841 nicht weniger als 219.
Die Wallachen waren gar nicht vertreten und beſaßen
bis zum März 1848 gar keine politiſchen Rechte.
Unter dem Landtage ſtanden, für die inneren Ange—
legenheiten: 1) die Nationaluniverſität der Sachſen
oder die Tagsſatzung der neun ſächſiſchen Stühle und
14
zwei Kreiſe, welche fich jährlich einmal in Hermanns⸗
ſtadt verſammelten, zu welcher jeder Stuhl oder Be—
zirk zwei Abgeordnete ſendete, unter Vorſitz des vom
Kaiſer ernannten Sachſengrafen; 2) die ungariſche
Marſchallcongregation, beſtehend aus den Vertretern
der elf ungariſchen Comitate oder zwei ungariſchen
Kreiſe, der 10 privilegirten Stühle und der 15 pri
vilegirten Ortſchaften; 3) aus der Stuhlcongregation
der Szekler, beſtehend aus den Repräſentanten der
5 Szekler-Stühle und der privilegirten Ortſchaften
des Szeklerlandes. Die untern Glieder dieſer Na—
tionalcongregationen bildeten die publica (Stuhlver⸗
ſammlungen der Sachſen), die Szeklerſtuhlverſamm⸗
lungen und die ungariſchen Comitatscongregationen,
welche ſowohl die Deputirten zu den Nationalcongre—
gationen, mit beſtimmten Mandaten, als die Ver—
waltungsbeamten wählten.
Die Sachſen im Innern des Landes, in einer
ununterbrochenen Kette von Thälern, bisweilen auch
vafenartig zwiſchen den übrigen Volksſtämmen, woh—
nend, wurden 1146 unter König Geyſa II. nach Sies
benbürgen berufen und erhielten zur Anſiedlung koͤ—
nigliche Landſtriche (Fundus Regius) und nebenbei
ausgedehnte Municipalrechte und Freiheiten, welche
durch die ungariſchen Könige der Reihe nach und
insbeſondere durch die Bulle des Königs Andreas
beſtätigt und geſichert wurden. Eingewandert aus
den Gegenden des rheiniſchen Siebengebirges, (woher
15
ſo wie nach den von ihnen im Lande gebauten ſieben
Burgen der Name des neuen Vaterlandes) ſind ſie
ein nüchternes, wohlbabendes Vöͤlkchen, welches Acker—
bau und Induſtrie treibt, aber, wie faſt alle Kolo—
niſten, durch und durch materielle Egoiſten, die weder
einer politiſchen Begeiſterung fähig ſind, noch poli—
tiſche Begriffe haben, welche über ihre alten Privi—
legien hinausgehen. Schlafmützige Gemüthlichkeit,
hausbackne Bornirtheit, Mangel an Energie und
Selbſtbewußtſein, ehrlicher Fleiß und ehrliche Dumm—
beit ſind Grundzüge des ſächſiſchen Charakters. Sie
find achte Bureaukraten und Spießbürger.
Die Wallachen wurden als unterjochte Nation
betrachtet und zu Leibeigenen gemacht, aus welchem
Zuſtande ſie ſich nur in ſeltenen Ausnahmen durch
ausgezeichnete, dem Vaterland geleiſtete Dienſte zu
Edelleuten (ſogenannte Bojeronen), eigentlich freien
Inſaſſen, erhoben. Im Jogaraſer und Haͤtszeger
Diſtrikt waren die Meiſten derſelben.
Die Verfaſſung war vordem die ungariſche, eine
durch den Adel repräſentirte, conſtitutionelle Verwal—
tungsform, an welcher ſeit dem Jahre 1545 auch
die Sachſen, bei denen kein Adel exiſtirt, durch Ab—
geordnete vollen Antheil nahmen.
Im Jahre 1545, den 25. April, ſchloſſen näm⸗
lich die Ungarn, Szekler und Sachſen zu Thorda
eine Convention, vermöge welcher fie ſich als die al—
lein im Lande berechtigten Nationen erkannten und
die gemeinſamen Landesangelegenbeiten auf den ge—
16
meinſchaftlichen Landtagen durch Deputirte jeder der
drei Nationen zu entſcheiden beſchloſſen. Die inneren
Angelegenheiten jeder Nation ſollten durch die Na—
tionalcongregationen geleitet und geregelt werden.
Die urſprünglich demokratiſche Verfaſſung der Sach—
ſen, welche aus dem Freibriefe des König Andreas
(1224) herdatirt, geſtaltete ſich allmählich in eine
Patricierherrſchaft um. Jene Verfaſſung enthielt
folgende Punkte: 1) Die Sachſen ſtehen unter dem
ſächſiſchen Grafen von Hermannſtadt, welcher nur
Grundbeſitzer und vom Volk Gewählte als Be—
amte anſtellen darf. 2) Sie zahlen jährlich 500 Mark
Silber als Reichsſteuer, zu der Alle beitragen und
deren Umlage ſie unter ſich ſelbſt machen. 3) Zu
Kriegszügen im Lande ſtellen ſie 500 Mann, außer—
halb des Landes 100 Mann, wenn der König ſelbſt
in's Feld zieht, ſonſt nur 50 Mann. 4) Sie wäh—
len ihre Prieſter. 5) Sie können nur nach ihrem
alten Rechte vom Hermannſtädter Grafen oder vom
Könige gerichtet werden. 6) Sie führen ein eignes
Siegel und in Wechſelprozeſſen ſind nur Grundbe—
ſitzer als Zeugen zuläſſig. 7) Wälder und Flüſſe im
Lande ſind ihr gemeinſames Eigenthum. 8) Keiner
von des Königs Vaſallen darf ſich ohne Zuſtimmung
der ſächſiſchen Nation auf deren Gebiete anſiedeln.
9) Die ſächſiſchen Kaufleute ſind im ganzen Reiche
zoll⸗ und abgabenfrei. Bis ins funfzehnte Jahrhun—
dert beſtanden dieſe Einrichtungen; in dieſer Zeit
17
wurden an die Stelle der directen Wahl und Vertre—
tung durch Vertrauensmänner und ſtatt der jährlich
gewählten Beamte, Senatoren auf Lebenszeit einge—
fuhrt, wodurch die Rechte der ganzen Nation in die
Hände weniger bevorzugter Familien geriethen und
ſich ein wahres ſächſiſches Patricierthum bildete,
welches, in der ungariſchen Verfaſſung von 18/8,
ſeinen Untergang ſehend, aus dieſem Grunde ſchon
der Union mit Ungarn entgegenarbeitete.
Die übrigen Nationen erhielten nach Maaßgabe,
als ſie ſich bei den Ungarn, Szeklern oder Sachſen
niederließen und ſich um das Vaterland verdient
machten, jenen ähnliche Rechte und Freiheiten.
Seit der Zeit, daß Siebenbürgen unter ſelbſt—
ſtaͤndig regierende Fürſten ſtand, ward der Landtag
vom ungariſchen Reichstage getrennt und blieb es bis
zum Jahre 1848.
Die Landtage der drei Nationen wiederholten ſich
nach der durch Zeit und Umſtände bedingten Reihen—
folge auf den Aufruf der Fürſten oder der ungari—
ſchen Könige und bemerkenswerth erſcheint nur, daß
die Sachſen ſelbſt auf den Landtagen und in den
Kämpfen der vaterländiſchen Fürſten gegen die kai—
ſerlichen Invaſions-Schaaren immer die Sache des
Vaterlandes verließen und zum Danke für den er—
haltenen Boden und die erlangten Privilegien, ent—
weder offen, häufiger aber heimlich, mit dem Feinde
hielten. Die ſogenannten Nachkommen der Rö—
2
18
mer hingegen gaben gar kein Zeichen des Lebens von
ſich. Sie lebten in halbwildem Zuſtande auf den
Gebirgen als Hirten und Aelpler oder bebauten un—
ter der Zucht der Ungarn und Sachſen als Leibei—
gene den Boden.
Dieſer Zuſtand dauerte bis zum Jahre 1765,
als Maria Thereſia Siebenbürgen zum Großfürſten—
thum erhob und mehrere wichtige Geſetzveränderun—
gen vornahm, vorzüglich die, daß ſie die freien Szek—
ler an den Grenzen und die freien Wallachen mit
bewaffneter Macht zwang, die Grenzinſtitutionen an—
zunehmen, ſo wie daß ſie die Wiederkehr des Land—
tages von drei zu drei Jahren feſtſetzte. Die Sach—
ſen wußten ſich auch um dieſe Zeit durch Geld und
andere erſprießliche Dienſte von der Grenzpflich—
tigkeit zu befreien.
So ging es zwar durch eine Reihe von Jah—
ren, aber zur Zeit Kaiſer Joſephs II. wurden die
ungariſchen Inſtitutionen bedeutend geändert und die
Rechte des Landtags geſchmälert — die ſiebenbürgiſche
Hofkanzlei in Wien entſtand damals, wodurch die
Leitung der Landtagsangelegenheiten und die höchſten
Stellen außerhalb des Landes verlegt wurden und
dem Lande ein unberechenbarer Schaden erwuchs —
ja es wurden in der Folgezeit ſogar die Landtage
ſuspendirt. Nach dem Tode des Kaiſer Joſeph
erhielt Siebenbürgen zugleich mit Ungarn ſeine vor—
malige Conſtitution zurück und Kaiſer Leopold räumte
19
dem fönigl. Gubernium als der oberiten Landesſtelle
einen größeren Wirkungskreis ein, als es bis dahin
der Fall war. Seit dieſer Zeit bis zum Jahre 1825
geſchah zwar nichts Erhebliches im Lande, aber es
bildete ſich ein gewiſſes politiſches Syſtem aus, ver—
möge deſſen bei der ſiebenbürgiſchen Hofkanzlei in
Wien die Sachſen immer mehr an Einfluß und An—
ſehen gewannen, während das Gubernium in Klau—
ſenburg und die königl. Gerichtstafel zu Maros Va—
ſarhely größtentbeils mit Männern der national-un⸗
gariſchen Partei beſetzt wurden. Noch ſchroffer ge—
ſtalteten ſich dieſe Gegenbeſtrebungen nach dem be—
rühmten ungariſchen Reichstag von 1825, wo der
große Stephan Szechenyi das Banner der nationa—
len Beſtrebungen entfaltete und das ungariſche Volk
aus 800 jährigem Schlafe zum raſchen Fortſchritt in
der Civiliſation aufrüttelte. Seit dieſer Zeit wurde
auch in Ungarn die Idee der Wiedervereinigung
Siebenbürgens mit Ungarn rege, die alten Geſetze
ſuchte man hervor und begann den parlamentariſchen
Kampf wegen der Reimcorporirung der Landestheile,
ohne daß jedoch ein practiſches Reſultat erzielt wurde.
Die Ungarn fühlten recht gut, daß ſie an den Sie—
benbürger-Ungarn und Szeklern mächtige Verbündete
gewannen, der Hof aber fürchtete eben ſo ſehr dieſe
Vermehrung der ungariſchen Nationalkraft und legte
der Entwicklung derſelben alle nur möglichen Hinder—
niſſe in den Weg.
20
Bei ſolcher Geſtaltung der Dinge kam das Jahr
1847 heran und der ſiebenbürgiſche letzte Landtag
ward gerade geſchloſſen, als der ungariſche Reichstag
eröffnet wurde. Alles war auf die kommenden Er⸗
eigniſſe geſpannt, denn die vorangegangenen Zei—
tungs⸗Debatten, die Bildung des ungariſchen Schutz—
vereins und deſſen Verbot abſeiten der Regie—
rung, die neu auftauchenden Ideen der Beſteue—
rung des Adels und der Aufhebung der Aviticität
waren ſo wichtige und ſo in's Mark der Landes—
Verhältniſſe eingreifende Punkte, und der Löſung der
Aufgabe der liberalen Partei ſtanden ſo viele Schwie—
rigkeiten entgegen, daß man mit banger Erwartung
der Entſcheidung aller dieſer Fragen entgegenſah.
Daß dieſe auf eine oder die andere Art erfolgen
mußte, fühlte man wohl. Der ungariſche Reichstag
zog ſich indeß wie gewöhnlich in die Länge und die
Kräfte erlahmten in den langwierigen Debatten.
Da brach am 13. März 1848 die Wiener Ne
volution aus, dieſe Parodie aller Revolutionen, und
während der Hof und die öſterreichiſchen Erbländer
verblüfft und rathlos dem Zufalle ſich überließen,
erfaßte die Oppoſitionspartei Ungarns den günſtigen
Zeitpunkt und handelte. In Peſth wurden am
15. März die bekannten 12 Punkte in einer Volks-
verſammlung aufgeſetzt und durch eine Volksdeputa—
tion dem Reichstage nach Preßburg zur Effectuirung
21
überbradht. Der letzte Punkt enthielt: Union Sieben;
bürgens mit Ungarn.
Man weiß, was ſeither geſchehen, die Peti—
tionspunkte wurden alle bewilligt und das erſte un—
abhängige ungariſche Miniſterium unter königlicher
Sanction gebildet.
Auch Siebenbürgen durchzitterte die große poli—
tiſche Bewegung, die Gemüther waren aufgeregt und
erſebnten das Eintreten näher liegender Ereigniſſe,
um eine beſtimmte Richtung zu gewinnen. Dieſe ward
gegeben einerſeits durch die ungariſche Unionsidee,
andererſeits durch die Erhebung der liberalen walla—
chiſchen Partei in Bukareſt und durch das plötzliche
Erwachen des dakoroumaniſchen Freiheitsideals. Das
Feldgeſchrei der Ungarn wurde Eljen az Unio (es
lebe die Union), das der freiheitträumenden Walla—
chen, es lebe die nationale Freiheit. Die Sachſen,
zwiſchen beiden Parteien ſtehend, verhielten ſich an—
fangs theilnahmlos; ſie dachten nur an ihre Privile—
gien und glaubten ſehr klug zu handeln, wenn ſie
mit allen Parteien Fofettirten, vor allen Dingen aber
ſich um das Zeichen der Militärgewalt, das ſchwarz—
gelbe Banner der Habsburger, ſchaarten. Aber ihre
rührigen Nachbarn überflutheten ſie bald: ſchon Ende
März wehete die ungariſche Trikolore auf allen öffent—
lichen Gebäuden, der Landesgouverneur ſelbſt, der
edle gelehrte Graf Joſeph Teleky erklärte ſich offen
der ſächſiſchen Nationsuniverſität und dem Hermann—
22
ſtädter Magiſtrat gegenüber für die Union. Auch die
Wallachen waren Anfangs derſelben nicht abgeneigt.
Der Landesgouverneur rief den Landtag, wel—
cher in Klauſenburg am 1. Juni eröffnet wurde, zu—
ſammen. Hier waren bereits die Wallachen vertre—
ten und gerade, weil ſie die Entſcheidung gaben, wurde
die Union mit großer Majorität beſchloſſen und als—
bald eine entſprechende Anzahl von Deputirten zum
gemeinſamen Reichstage nach Peſth geſandt. Dort
ſtimmten auch die ſächſiſchen Deputirten für die auch
da zum Beſchluß erhobne Union und eine an den
Kaiſer nach Innsbruck entſendete Deputation erhielt
deſſen Sanction. Dieſe erfolgte in einer dem Mini—
ſter Batthyanyi überreichten, vom Kaiſer unterzeich—
neten Urkunde, welche vom ungariſchen Reichstage
und dem Palatin Erzherzog Stephan regiſtrirt wurde.
Puchner verkündete ſie als k. k. Commiſſair in Sie—
benbürgen.
Zugleich begannen aber die Machinationen der
Camarilla. Die bedeutendſten Capacitäten der Sach—
ſen und Wallachen wurden nach Wien berufen und
erhielten geheime Inſtructionen, wie ſie auf die Auf—
löſung der Union hinzuwirken hätten. Der Haß
der Nationalitäten wurde geweckt und geſtachelt, und
ſo hoffte man, auf gleißneriſchem Wege das wieder
zurückzuerlangen, was man in einem Augenblick der
Schwäche obſchon nur einem Jahrhunderte alten
N
2»
Rechte buldigend, den Händen hatte entichlüpfen
laſſen.
Man batte ſeine Leute gut gewählt — denn die
Sachſen fürchteten, vielleicht nicht mit Unrecht, die
einträglichen Stellen der aufgelösten ſiebenbürgiſchen
Hofkanzlei und des Theſaurariats zu verlieren, die
ſächſiſchen Pfarrer konnten ihre fetten Pfründen und
den verlorenen Zehent nicht verſchmerzen, die Su—
prematie der Magyaren war aber dem ganzen ſäch—
ſiſchen Volke ein Gräuel. Sie wollten lieber öſter—
reichiſche Selaven, als freie Bürger Ungarns fein,
und bemäntelten ihre niedrigen Umtriebe mit dem
vomphaften Titel der Erhaltung ihres Deutſchthumes.
Die Wallachen ihrerſeits erwachten aus Jahr—
hunderte langem Schlummer und erhoben das Rache—
ſchwert gegen jene Ungarn, die ſie zwar früher ge—
drückt, aber durch das Geſetz des Jahres 1848 alle
Schulden mit reichlichen Zinſen abgetragen hatten.
Einzelne Ehrgeizige ſuchten die Dummheit des walla—
chiſchen Volkes für ihre eigene Rechnung auszubeu—
ten und ſtrebten, auf die Mehrheit der Volkszahl ge—
ſtützt, aus Siebenbürgen das geträumte romaniſche
Dacien zu machen, das ſie dann ſelbſt regieren könn—
ten. Sie wurden in dieſer Anſicht von den Sachſen
beſtärkt, die im Bewußtſein ihrer höheren Bildung
ſchon bereit ſtanden, die Früchte für die Wallachen
einzuſarnmeln.
*
24
Die Wallachen wurden auf alle mögliche Weiſe
bearbeitet und in dem Kampfe mit der Reaction in
den Vordergrund geſtellt. Der wallachiſche Biſchof
Saguna erließ Rundſchreiben an alle wallachiſchen
Popen, das Volk zum Widerſtande gegen die unga—
riſchen Beamten und gegen die Verfügungen der
ungariſchen Regierung aufzufordern und anzueifern;
in Hermannſtadt bildete ſich unter dem Vorſitze des
genannten Biſchofs und ſpäter eines gewiſſen Laureani
ein wallachiſches Comité, welches die Intereſſen der
wallachiſchen Nation überwachen und deren Bewe—
gungen leiten ſollte.
Vor Allem agitirten die ſächſiſchen Patrieier und
Bureaukraten gegen die Union. Jene mußten durch
die Einführung der freien ungariſchen Comitatsver—
faffung, durch das an einen kleinen Cenſus geknüpfte
allgemeine Wahlrecht, das Ende ihrer Herrſchaft
herannahen ſehen; Privilegien und Gewohnheiten
mußten verſchwinden, an denen ſie mit ganzer Seele
hingen. Sie konnten nicht begreifen, daß der allge—
meinen Volksfreiheit alle kleine Freiheiten kleinlicher
Nationalitäten zum Opfer fallen müßten. Die Bu—
reaufraten, welche ihren Sitz in Hermannſtadt hatten,
aber nicht eher hervorzutreten wagten, als die öſter—
reichiſche Hofpartei durch die Flucht des Kaiſers nach
Innsbruck conſolidirt erſchien, verbündete ſich mit den
Patriciern und ihnen ſchloß ſich, mit der Soldatenge—
walt, der Militairgouverneur und kaiſerliche Com-
25
miſſair Puchner an. Die Wallachen wurden bear:
beitet, ihnen als einer zur Herrſchaft berechtigten
Maſorität geſchmeichelt; der ſiebenbürgiſche Bote, das
Organ der ſächſiſchen Partei, nannte fie die hochher—
zige wallachiſche Nation und wies auf die gefährliche
Nachbarſchaft Rußlands hin, welches nicht ſäumen
werde, den Magyaren Hülfe zu leiſten “).
So erließen auch die Sachſen um dieſe Zeit eine
Proklamation an die Wallachen, in welcher nach all—
gemeinen Phraſen der Gleichberechtigungs-Anſprüche
aller Nationen, der Erwähnung von dem Streben
der Ungarn, ein eigenes, ſelbſtſtändiges, unabhängiges
Reich zu bilden, und die Dynaſtie des Thrones zu
berauben u. dgl., folgende merkwürdige und bezeich-
nende Stelle vorkömmt:
„Brüder Wallachen! Laſſet uns gegenſeitig die
„Hand reichen, und feſt ſchließen den Bund, vor dem
„der übermüthige Stolz der Magyaren ſich beugen,
„und gar bald jeder Magyare oder Szekler von un—
„ſerem gemeinſamen Vaterlande vertilgt werden ſoll
„— denn Siebenbürgen gehört nicht den Ungarn (8);
„dieſes ſchoͤne Land iſt Euer Erbe und unſer zugleich,
„die wir auf ewig mit Euch vereint ſind und bleiben
„wollen. Vertreiben wir dieſe frechen Eindring—
„linge (dies ſagten die Sachſen!); ihr ſeid an Zahl
) So ſtanden damals noch die Dinge!
26
„unendlich, wir ſchließen uns Euch an, und die Trup—
„pen des „Kaiſers“ werden gegen Uns nicht nur
„nicht auftreten, ſie werden vielmehr mit Uns fech—
„ten zur Erreichung des gemeinſamen Zieles.“ —
Dies wagten die Sachſen in Hermannſtadt zu publi—
ciren — während ein vom König zur Ueberwachung
der Intereſſen der Krone und der geſetzlichen Regie—
rung beſtallter königl. Commiſſair mit ausgedehnten,
unbeſchränkten Vollmachten in Klauſenburg reſidirte.
Man ſieht, wie weit die Camarilla es bereits gebracht
hatte. —
Die Volksverſammlung der Wallachen hatte in—
zwiſchen am 15. Mai bei Baläsfalva ſtatt gehabt.
Dieſe wurde auf Antrieb der wallachiſchen Popen
und Procuratoren (Advocaten) in Gegenwart von
12,000 Reitern abgehalten; vielleicht die ſonderbarſte
Volksverſammlung, welche je in Europa ſtatt fand.
Wallachiſche Procuratoren in ihrem Advocatengewande
und Popen mit hohen Mützen und langen Bärten,
orientaliſch ausſehende Bojaren, (Sachſen in ihren
bis an die Knöchel reichenden Nationalcaputröcken)
hielten Reden vor der ſtürmiſchen Menge. Es wurde
endlich als Beſchluß eine Petition in 12 Punkten
aufgeſetzt, worin der Kaiſer Ferdinand gebeten
ward, die Wallachen als vierte politiſch berechtigte
Nation in Siebenbürgen anzuerkennen und ihnen
bürgerliche, politiſche und religiöſe Selbſtſtändig—
keit zu garantiren — wogegen ſie der Union bei—
7 2
27
traten. Eine Deputation ſollte dieſe Petition an
den Kaiſer in Innsbruck überbringen. An der Spitze
dieſer Deputation befand ſich nebſt dem Biſchof Sa—
gung der ungarische Graf Nopéſa, der Obergeſpann
des Hunvader Comitats, früher durch feine Erpreſ—
ſungen und unrechtmäßige, betrügeriſche Aquiſition
von Gütern unbemittelter Edelleute und ſeiner eige—
nen Unterthanen bekannt — dem es aber nun plötz⸗
lich in den Sinn kam, daß er wallachiſcher Abſtam—
mung ſei, von jener Race, die er früher fo ſehr
verachtet hatte.
Die hierin geforderte Anerkennung der walla—
chiſchen Nationalität als der vierten gleichberechtigten
Nation in Siebenbürgen, bedeutet nichts — denn
durch den Beſchluß des ungariſchen Reichstags vom
Jahr 1848 waren alle Staatsbürger ohne Ausnahme
vor dem Geſetze gleich, allen Nationen war der freie
Gebrauch ihrer Sprache in Kirche und Schule ga—
rantirt — was wollten alſo die Wallachen mehr? —
Ebenſo unſtichhaltig waren die übrigen Punkte jener
Petition.
Der König empfing zwar die Deputation —
verwies ſie aber, wie das Recht es verlangte, an
feinen konigl. Stellvertreter in Ungarn und an die
ungariſche Regierung.
Dies war für die Camarilla das Signal zum
Ausbruche. Der wallachiſche Aufſtand wurde förmlich
organiſirt. Emiſſaire, wie Mifäs, Pap Alexander, Bar⸗
28
nucz, Janku u. dgl. wurden in alle wallachiſchen
Ortſchaften entſendet, und predigten Mord und Ver—
derben den Magyaren, verſprachen dabei die Hülfe
der kaiſerlichen Truppen und Subſidien-Gelder aus
der ſächſiſchen Nations-Caſſe, welche für die Zwecke
der Camarilla offen ſtand (ſie hatte dafür den Erſatz
verſprochen), für ihre Leiſtungen verſicherte man ſie
des Dankes und der Zufriedenheit des guten Kaiſers
und ſpiegelte dem Volke vor, nach glücklich beendig—
tem Kampfe wolle der Kaiſer den Titel eines Woj—
woden der öſterreichiſchen Wallachei annehmen und
Siebenbürgen durch wallachiſche Miniſter regieren
laſſen.
Man wird ſehen, welche Früchte dieſe Lehren
getragen.
Die Sachſen ihrerſeits blieben vor der Hand
mehr paſſiv, konnten es freilich nicht verhindern, daß
bei Empfang des Miniſterialbefehls auf den öffent—
lichen Gebäuden die ungariſche Tricolore aufgeſteckt
ward, ſtatt jener großen ſchwarzgelben Fahne, welche
auf allen Dächern wehte, aber im Theater zu Her—
mannſtadt ertheilten ſie mit einer lächerlichen Komödie
dem Schwarzgelbthum gleichſam die Weihe. Dies
trug ſich im Monat Juli zu.
So war es gelungen, das Land in zwei feind—
liche Lager zu trennen; der ganze Süden, vom Hu—
nyader Comitat beginnend, mit Innbegriff Carlsburgs
bis zu der Häromszek, fo wie die nordöftlichen Par—
_»
tien des wallachiſchen Grenzgebiet und der biftriger
Diſtrict ſtanden bald, unterſtützt von den öſterreichiſchen
Militairgewalthabern, gegen die Partei der Union
unter Waffen.
Die Elemente waren im Gähren — der Knoten
hatte ſich zu ſehr verwirrt, als daß eine andere Lö—
fung, als durch das Schwert moglich war. Wir
werden in dem Folgenden dem Leſer dieſe Ereigniſſe
in ihrer Reihenfolge getreu und wahr, für beide
Theile gleich ſtrenge im Urtheil, vorlegen. Der Leſer
ſelbſt wird ſich dann orientiren und über den Schul—
digen den Stab brechen — die Gefallenen aber wenig—
ſtens bemitleiden.
30
Erſtes Capitel.
Geheime Vorbereitungen der Camarilla zum Ausbruche des wal—
lachiſchen und ſächſiſchen Aufſtandes gegen die ungariſche
Regierung. — Organiſation der Wallachen, des romani—
ſchen Landſturmes, der ſächſiſchen Nationalgarde. — Ma⸗
chinationen des Oberſtlieut. Urban vom zweiten wallachi—
ſchen Grenzregiment Pazſuras oder Freibriefe zu Raub
und Mord. — Die zweite wallachifche Volksverſammlung
in Baläsfalva. — Folgen derſelben. — Ereigniſſe im Unter:
Albenſer Comitat. — Dispofitionen des bevollmächtigten
königlichen Commiſſairs Baron Niklas Vay. — Sendung des
Regierungs-Commiſſairs Ladislaus Berzenczei in's Szekler—
land zur Organiſirung des Koſſuth- oder Mätyäs-Huſaren—
Regiments. — Die Volksverſammlung der Szekler in Agyag—
falva. — Die Camarilla wirft die Maske ab. — Die
Proclamation des F. M. L. Puchner, kaiſerl. öfterreichifchen
commandirenden Generals in Siebenbürgen als Signal zum
Ausbruche des Kampfes.
Wir haben in der Einleitung geſehen, wie weit
es bereits die Sophie-Jellaéick-Saguna'ſche reactio—
naire Camarilla in den Monaten Mai, Juni und
Juli mit ihren jeſuitiſchen Wühlereien unter den
1
31
Sachſen und Wallachen gebracht hatte und wie ihr fein
Mittel unheilig und ſchlecht genug war, ihren Zweck:
den Sturz der geſetzmäßigen ungariſchen Regierung
und hierdurch die Auflöfung der Union zwiſchen Sie
benbürgen und Ungarn, zu erreichen. Der Plan
war aber noch nicht zur Ausführung reif, es mußte
die operirende Macht erſt organiſirt werden, ehe
man es zum offenen Aufruhr kommen ließ. Zudem
konnte man auch jetzt die Unverſchämtheit noch nicht
ſo weit treiben, um das Spiel mit Königseiden und
der Königstreue den ſtaunenden Augen der Welt
offen aufzudecken.
Während die diplomatiſche Fehde mit der unga—
riſchen Regierung auf dem Papiere geführt wurde,
organiſirte man in den ſächſiſchen Städten und ſelbſt
auf dem Lande die Nationalgarde und leerte die
kaiſerlichen Zeughäuſer in Carlsburg und Hermann—
ſtadt, um die Sachſen und Wallachen mit guten
Feuergewehren zu verſehen. Die wallachiſchen Grenz—
Regimenter wurden nicht nur completirt, ſondern
auch bei jedem Regiment zwei neue Reſervebataillons
formirt, die nur der Waffen bedurften, um vollkom—
men einerereirt auf dem Kampfplatz zu erſcheinen.
Zudem regelte man mit Hülfe kaiſerlicher Officiere
und unter Vorſitz des wallachiſchen Comités im gan—
zen Lande Siebenbürgen, wo Wallachen wohnten,
alſo nur das Szeklerland ausgenommen, den walla—
chiſchen Landſturm in lächerlichem Eigendünkel nach
>
32
dem Beiſpiele der Römer. Es wurden Präfecturen,
Tribunate errichtet und jedem Präfecten (Comitats—
vorſtand) mehrere Tribunen (Diſtritscommandanten)
und dieſen wieder Centurionen (Bezirkscommandan—
ten) untergeordnet. Die Präfecten erhielten ihre
Berichte von den Tribunen, welche ſolche von den
Centurionen bekamen und berichteten ſodann an das
wallachiſche Comité, welches ſeinerſeits dem kaiſer—
lichen Generalcommando, als der Centralſtelle der
Reaction, ſeine Relationen abſtattete und von dieſem
die ſtrategiſchen und taktiſchen Dispoſitionen erhielt.
So wurde denn der Landſturm en gros organiſirt
und aus den kaiſerlichen Zeughäuſern mit Feuerwaffen,
von Hermannſtadt und Vajda Hunyad aber, auf
Koſten der Sachſen mit Lanzen, Spießen und Piken
verſehen. Der eigene Erfindungsgeiſt gab den Wal—
lachen hölzerne Kanonen an, ausgebohrte Holzblöcke
mit eiſernen Ringen zuſammengeheftet, woraus ſie
Steine, mitunter auch Eiſenkugeln zu ſchleudern ſuch—
ten. (M. Schleſinger in ſeiner Schrift: „Aus Ungarn“
ſchreibt die Erfindung hölzerner Kanonen Bem zu
und liefert darüber ſehr amüſante Details, natürlich
nur für Nichtmilitairs. Allein dieſe geniale Erfin—
dung kommt den Wallachen allein zu und Bem hat
nie den lächerlichen Einfall gehabt, ſich ſolcher Dinge
zu bedienen. Die Ungarn nahmen ſie den Wallachen
ab und bewahrten fie als Curioſa; die Ruſſen erober:
ten ſie von den Ungarn und führten die Rarität
33
als angebliche Siegstrophae mit nach Petersburg).
Dies geſchah vorzüglich im ſüdlichen und weſtlichen
Theile Siebenbürgens. Im nördlichen Theile über—
nahm der Oberſtlieutnant Urban vom 2ten Wal—
lachen Grenz-Regiment das Amt eines Schildknap—
ven der Camarilla. Er reiſete im Monate Juli
nach Wien und kehrte mit den von Latour erhaltenen
Inſtructionen bald zurück. Gleich nach ſeiner Rück—
kehr beſchied er alle treuen Anhänger des Kaiſers zu
ſich, um denſelben als getreuen Unterthanen ſoge—
nannte Schutzbriefe (Pazſuras) zu ertheilen gegen
allenfallſige Reeriminationen von Seiten der Ungarn
oder Szekler oder reſpective der ungariſchen Regie—
rung. Eigentlich waren dieſe Pazſuras Freibriefe
zur Uebertretung und Verachtung des neuen Landes—
geſetzes, zu Raub, Mord und Plünderung. Man,
ſieht dies ſchon aus dem Hergange bei Ertheilung
dieſer Schutzbriefe. Alle Bewohner eines Ortes
mußten vor dem neuen wallachiſchen Meſſias erſchei—
nen und nach einer gewiſſen Formel dem Kaiſer
Ferdinand dem Erſten (alſo nicht dem ungariſchen
König Ferdinand V.) ewige unverbrüchliche Treue
und ſeinen kaiſerlichen Stellvertretern, den öſterreichi—
ſchen Generälen (alſo nicht der geſetzmäßigen Regie—
rung) unbedingten Gehorſam und Bereitwilligfeit
ſchwören, die Feinde des Kaiſers und der Dynaſtie, wo
und wie ſie ſich zeigen ſollten, mit Feuer und Schwert
zu vertilgen. — Die bei ſolcher Gelegenheit gehalte—
3
34
nen Reden gegen die ungeſetzliche, revolutionaire uns
gariſche Regierung und gegen die ſtolzen, herrſch—
ſüchtigen Ungarn, die den Kaiſer vom Throne ſtoßen
wollten, lieferten den Commentar zu obiger Formel und
wieſen leicht faßlich auf die Feinde des Kaiſers hin.
Hierauf bekam jede Gemeinde, die den Eid abgelegt,
ein Billet, mit dem kaiſerlichen Doppeladler geſiegelt,
welches den Act der Eidesleiſtung beſtätigte und die
Gemeinde von allem Gehorſam gegen die ungariſche
Regierung entband und gegen jedweden Angriff die
Hülfe kaiſerlicher Truppen zuſicherte.
Mittlerweile thaten auch die wallachiſchen Popen
das Ihrige, um das Volk gegen die Ungarn zu fa—
natiſiren und zur Ausrottung alles deſſen, was un—
gariſch war anzuſpornen, wobei es in Folge des auf
den Wallachen Jahrhunderte lang gelaſteten Drucks
und des daraus entkeimten, glühenden Haſſes, nur
des zündenden Funkens bedurfte, um die verheerende
Flamme emporlodern zu machen.
Der ungariſche Commiſſair Baron Niklas Vay
ſah alle dieſe Vorgänge und berichtete ſie dem unga—
riſchen Miniſterium. Dieſes wollte aber à tout prix
auf dem geſetzlichen Boden verbleiben und ließ jenes
Treiben nur durch Verbote und Aufrufe von brüder—
licher Einheit u. dgl. unterſagen, höchſtens bereitete
man ſich nothgedrungen im Stillen zur Abwehr des
Angriffs vor. Es iſt in der That merkwürdig, welche
Stellung der commandirende General von Sieben—
35
bürgen F. M. L. Puchner um dieſe Zeit einnahm.
Dem Anſcheine nach herrſchte zwiſchen ihm und dem
Baron Bay die beſte Eintracht, er gab fein Ehrenwort,
allen Anordnungen deſſelben ſich willig zu fügen und
die Wallachen in Zaum zu halten, er ließ die unga—
riſche Nationalgarde von Carlsburg aus mit Waffen
verfeben, freilich mit den ſchlechteſten die ſich vor—
fanden und in möglichſt kleiner Zahl; er ließ auf
Vay's Befehl zwei Szekler- Bataillons und eine Di—
viſion Szekler-Huſaren in's ungariſche Lager nach
Verbäͤſz gegen die Raizen abmarſchiren und auch
ſechs Kanonen in Carlsburg für Klauſenburg aus—
rüſten, welche nur durch Ungeſchicklichkeit oder viel—
mehr durch den Glauben an Puchners Loyalität und
Ehrenhaftigkeit von Seiten des ungariſchen Regierungs—
Commiſſairs nicht an den Ort ihrer Beſtimmung kamen,
und doch war es anderſeits wieder F. M. L. Puchner,
der die Bewegungen der Wallachen und Sachſen
leitete. — „Sonderbar — aber doch wahr!“ —
Die Wallachen ſchrieben nun eine zweite Volks—
verſammlung nach Baläsfalva aus und Baron Vay
vräſidirte derſelben. Die Petitions-Punkte der erſten
wurden wiederholt und es fiel hierbei nichts Bemer—
fenswertbes vor, als daß das hiezu commandirte
kaiſerliche Militair zu Ehren der Wallachen wieder—
holte Salven abfeuerte und während der Meſſe, ſo
wie während der Debatten nur des Kaiſers von
Oeſterreich, nie des Königs von Ungarn Erwähnung
3*
36
geſchah. Unter den erwähnten Petitionspunften ber.
fand ſich auch „die Abſchaffung der gezwungenen
Union und ſelbſtſtändige Verwaltung Siebenbürgens;“
was damit gemeint ſei, werden wir unten aus den
beim wallachiſchen Comité gelegentlich der Einnahme
Hermannftadts vorgefundenen Papieren berichten.
In Ungarn hatte ſich indeſſen der Kampf mit
den Raizen entſponnen und Selladie betrieb emſig
ſeine Rüſtungen. Die Wallachen wollten hinter
einem ſo erbaulichen Beiſpiele nicht zurückbleiben und
nun begann jene traurige Epoche barbariſcher Wild—
heit und entfeſſelter Leidenſchaft, welche der wallachi—
ſchen Nation und ihren Führern direct, der Cama—
villa indireet für ewige Zeiten das Brandmal der
Schande und der Unwiſſenheit aufdrückt und von
welcher der Dichter ſo ahnungsvoll ſagt: „Doch
furchtbar iſt die wilde Kraft, wenn ſie der Feſſel
ſich entrafft.“
Der wallachiſche Landſturm verſammelte ſich an
30 — 40,000 Mann ſtark, auf allerlei Art bewaffnet,
im Unter-Albenſer Comitat und begann unter den
Präfecten: Axentie Severus, Prodan, Moga, Gre—
gorio und Janku in Haufen von ſechs bis acht Tauſend
feinen Vandalenzug. Die Ortſchaften Magyar-Lapaͤd,
Tſchombord, Gald, Buzas Botſchard wurden nächt—
licher Weiſe überrumpelt, die Edelböfe geplündert
und dann den Flammen preisgegeben, alle ungari—
ſchen Bewohner, Männer, Weiber, Kinder, Greiſe
37
unter den qualvollſten Martern gemordet, entweder
erſchlagen, geſpießt, verbrannt, lebendig in die
Erde gegraben, Müttern die Säuglinge von der
Bruſt geriſſen und vor ihren Augen geviertheilt oder
lebendig gebraten; adelige Jungfrauen zu Tode ge—
ſchändet; ſchwangeren Weibern die Bäuche aufge—
ſchlitzt und der Embryo zu Golyasfleiſch zuſammen—
gehauen, Männer bei den Füßen erhängt oder bis
an den halben Leib in die Erde gegraben und mit
Piken zu Tode gemartert oder dem Hungertode über—
laſſen, kurz alle Scheußlichkeiten begangen, welche
man in den Annalen der Völkerwanderung oder in
den Denkbüchern der Folter des Mittelalters je mit
Entſetzen zu leſen gewohnt iſt. Die Wallachen trie—
ben ihre Barbarei fo weit, daß fie in den Evelböfen
ſelbſt den Fußboden und das Getäfel aufriſſen und
in Stücke zerhieben, die Bücherſammlungen, Manu—
ſcripte, alterthümliche Urkunden u. dgl. bändeweiſe
zerriſſen und in alle Winde zerſtreuten.
Dieſer Verheerungszug traf im October die
Bergſtadt Zalathna, wo über 2000 Ungarn gemor—
det und die Goldgruben zerſtört wurden, hierauf
N. Enyed, den Sitz alles geiſtigen Lebens von Sie—
benbürgen, wo Siebenbürgens hiſtoriſche Denkmale,
das Nationalmuſeum, die ſehr werthvolle Bibliothek
ein Raub der Zerſtörung dieſer wilden Horden wur—
den, ſpäter endlich Fel-Vincz, welche ungariſche
Stadt dem Erdboden gleich gemacht ward. Und alle
33
dieſe Verwüſtungen und Scheußlichfeiten, fo arg wie
fie nur das Raffinement entmenſchter Unholde erſinnen
und die Feder kaum vor Grauen und Ekel beſchrei—
ben mag, geſchahen nach dem Ausdrucke der Walla—
chen im Namen und auf Befehl des gütigen Kai-
ſers Ferdinand des Erſten Cporunka Imperatu
nuostru Ferdinandu J.)! Dies fagte zu jener Zeit
der gemeinſte Wallache!
Die allwaltende Nemeſis, welche den Seufzer
der Unglücklichen und Gequälten, jede drückende
Qual des Unſchuldigen wägt und vergilt; ſie wird
dereinſt nicht ſäumen, das Rache- und Sühnegericht
einzuſetzen über die Urheber ſolcher, die Menſchheit
entehrenden Scheußlichkeiten. Möge das Gewiſſen
Ferdinands und ſeiner Rathgeber auch von dienſt—
willigen Pfaffen zeitweilig eingelullt werden; es wird
eine Stunde kommen, wo das von ihnen angehäufte
Meer von Blut und Brand vernichtend auch zu ihnen
dringt, die höhere Hand der gerechten Vergeltung
kündend“)!
Den größten Schaden richteten aber die Walla—
chen dadurch an, daß ſie alle Pferde der edlen Ge—
ſtüte, z. B. jene, der Barone Kemény, Baͤnffy,
) Man leſe die in jener Epoche erſchienenen ungarischen
oder nur einige Blätter des Siebenbürger Boten oder das Kron—
ftädter Wochenblatt und man wird in jeder ihrer Spalten für
das hier Geſagte eine Fulle von Belegen finden.
39
des Gaal zc. ſtahlen und die edlen Thiere durch ſchlechte
Wartung meiſtens umkommen ließen. Nur äußerst
wenige dieſer edlen Hengſte ſah man ſpäter vor dem
Wagen des Präſidenten des wallachiſchen Comités
Laureani, dann bei Janku, einigen ſächſiſchen Nota—
bilitäten und kaiſerl. Officieren paradiren.
Um dieſen Gräuelſcenen und Verwüſtungen Ein—
halt zu thun, publicirte der königliche Bevollmächtigte
Baron Vay im ganzen Lande das Standrecht und
beorderte einige Szekler-Compagnien nach N. Enyed
und dem Küküllöer-Comitat. Die Szekler ihrerſeits
baufeten auf ihrem Durchzuge durch wallachiſche Ort—
ſchaften ſoldatiſch, d. i. ſie ſtahlen und tranken den
Wein aus, wo ſie ihn nur fanden. Sie wurden
daher auch bald nach Ungarn beordert, ohne durch
andere Truppen erſetzt zu werden. Auch verſäumte
Baron Vay, die Feſtung Carlsburg durch ungariſche
Beſatzung bewachen zu laſſen, was ihm im Juli oder
Auguſt möglich geweſen wäre, was er aber, durch
die diplomatiſche Schlauheit Puchner's getäuſcht, zum
großen Nachtheile der ungariſchen Sache unterließ.
Im Unter-Albenſer Comitat blieben ſonach nur eine
Diviſion neuerrichteter Mätväs » Hufaren*) und ein
*) Die Yoyalität des erſten ungariſchen Miniſteriums ging
ſo weit, daß man den durch Berzenczei im Namen Koſſuths ge—
worbenen Huſaren dieſen Namen nicht beizubehalten erlaubte,
fondern fie lieber in Mätyäs- Huſaren umtaufte, obſchon fie im
Lauf der Ereigniſſe den erſteren Namen immer beibehielten.
40
Paar Compagnien des neuorganifirten eilften Ba—
taillons Honvéd; erſtere unter Commando des Ma—
jors, ſpäter Oberſten Graf Mikes Kelemen und des
Rittmeiſters Graf Bethlen Gergely; letztere unter
Anführung des Majors Baron Johann Baänffy, dann
die ungariſche Abtheilung der Szekler-Huſaren unter
Rittmeiſter Joſeph Baumgarten und Oberlieutnant
Cſutak. Dieſe geringen Truppen-Abtheilungen hatten
den ganzen Zeitraum vom Auguſt bis Anfang No—
vember mit den wallachiſchen Horden zu thun und
beſtanden bei Magyar-Cſesztoe, Bogät, Tövis, Nagy—
Lak u. a. Orten glänzende Scharmützel und kleine
Gefechte, wo die Wallachen ungeachtet der drei,
vier- und achtfachen Ueberzahl immer auseinanderge—
jagt wurden, denn dieſe Nachkommen der Römer
hatten vor dem Pfeifen der Kugeln und dem Pulver—
geruch einen eigenthümlichen Widerwillen, den ſie nie
beſiegen konnten und die Erſcheinung der Huſaren war
ihnen fo läſtig, daß ſie mit zugehaltenen Augen ſchon
flohen, ſobald ſie derſelben anſichtig wurden.
Das ausgezeichnetſte dieſer kleinen Gefechte war
jenes bei Nagy-Lak, wo Rittmeiſter Graf Bethlen
Gergely mit feiner Escadron über die Maros feste
und, ohne einen Mann Infanterie, an 6000 Wallachen,
die ſich am anderen Ufer aufgeſtellt hatten nach einer
glänzenden, kühnen Attaque auseinander und in die
Flucht jagte, nachdem früher an 100 derſelben nie—
dergeſäbelt worden waren. Rittmeiſter Bethlen wurde
4
für dieſe That zum Major befördert und der Land—
tag zollte ihm volle Anerkennung.
Einen ähnlichen geſchickten Coup führte Rittmei—
ſter Baumgarten bei Cſesztve aus, wo auch 4— 5900
Wallachen durch Ueberfall in die Wälder geſprengt
wurden.
Mittlerweile organiſirte Ladislaus Berzenczei als
Commiſſair der Regierung das Mätyas-Huſaren-Re—
giment in Maros-Vaäſärbely und berief die Szekler
Volksverſammlung nach Agyagfalva.
Der koͤnigliche Commiſſair Baron Bay hatte
nach vielem Widerſtreben, das ſeinen Grund in der
tranſigirenden Politik der Miniſter hatte, in die Ver—
ſammlung des Szekler Volkes bei Agyagfalva gewil—
ligt. Es ſollte jedoch dieſelbe unbewaffnet und unter
dem Vorſitze des Grafen Emerich Miko Statt finden.
Ein Freund ſeines Vaterlandes, ein glühender
Patriot, wenn auch nicht ganz frei von Egoismus,
erhob ſich im Namen der nationalen Regierung und
berief ſeine Landsleute zu einer Verſammlung, um
mit ihnen nach altem Brauch über die wichtigſten
Intereſſen des Vaterlandes, über die Erhaltung ihrer
mit Ausrottung bedrohten Nationalität, ihrer ererb—
ten Sitten und Gebräuche, ſeiner einheimiſchen Ge—
ſetze und über die dazu anzuwendenden, vom Könige
und von der Natur der Dinge vorgezeichneten Wege
zu berathen. Er beruft ſie, um ihnen die Bedeutung
jener großen Errungenſchaften, der Freiheit und
42
Gleichheit, der nationalen Selbſtſtändigkeit zu erflä-
ren. Was Wunder alſo, daß Jung und Alt, Reiche
und Arme auf ſolchen Ruf herbeiſtrömen, um an
ſolcher Berathung Theil zu nehmen? Bedarf es da
noch der Proſelytenmacherei, der Hetzerei? Zumal
da ein der Dynaſtie nur zu ſehr ergebener und in
dieſer Eigenſchaft nicht eben allzurühmlich bekannter
Magnat, Graf Miko Imre den Vorſitz haben wird.
Die Szekler erſchienen, bereits kundig der Gräuel
und Frevelthaten, welche die Wallachen im Zarander
und Unter-Albenfer Comitat verübt hatten, kundig der
Abſicht des zum Spielwerk des wallachiſchen Comités
und der ſächſiſchen Nationsuniverſität gewordnen öſter—
reichiſchen Generalcommando's, die Verſammlung mit
Gewalt zu ſprengen. Sie kamen mit Waffen wohl
verſehen, mit Schießbedarf für den Augenblick und
mit Lebensmitteln für einige Tage. Aber auch ihre
Officiere brachten ſie mit, von denen viele der alten
öſterreichiſchen Politik zugethan, der nationalen Sache
aber nicht gewogen waren. So kam es denn auch,
daß die Verſammlung ein trauriges Conglomerat von
Reaction, Unordnung, Ungehorſam, Thorbeit und
Ueberſchwenglichkeit bildete, wie ſie der Militair am
wenigſten liebt, indem es ſolche Erſcheinungen als
Vorboten höchſt betrübender Ereigniſſe betrachten muß.
Freilich wußte der Regierungscommiſſair Berzenezei
wohl zu peroriren und ließ ſich auch völlig gehen.
Andere überflutheten die Menge mit gehaltvollen und
43
gehaltloſen Theorien, Alles lag in einem geiſtigen
Eljen- und einem phyſiſchen Weinrauſche; aber an
den Feind vor den Thoren, an Urban und Gedeon
dachte Keiner. Gab es Einzelne, welche das von
dem Augenblicke Geforderte richtig ermaßen, wie der
durch ſein Talent und ſeine Energie ſpäter ſo ausge—
zeichnete Oberſt Alexander Sal, fo beſaß er zu ge
ringen, durch den Einfluß der höhern Officiere,
welche von Thaten nichts hören wollten, noch über—
dies neutraliſirten Einfluß. Doch bildete ſich aus
dieſem wirren Treiben das erſte Szekler Armeecorps,
wohl im Stande, Urban's ungeordnete feige Schaaren
auseinander zu jagen, aber unfähig, den wohlgeord—
neten und disciplinirten Streitkräften Gedeon's nach—
haltigen Widerſtand zu leiſten. Denn es fehlte an
Ordnung und an Disciplin und vor Allem an einem
definitiven Oberbefeblshaber. Alexander Zſombory,
Oberſt von den Szeklerhuſaren, zum Oberbefehlshaber
ausgerufen, wie der Oberſtlieutenant Betzmann, hat—
ten jeder ihre Partei, die untergeordneten Geiſter abge—
rechnet, von denen Jeder den General ſpielen wollte;
an Einigung war kaum zu denken. Was aber der
Uebel größtes war, man hatte keine Kanone und
keinen Kreuzer Geld! Da wird denn jeder Militair
zugeben müſſen, daß mit ſolchen Elementen, auf die
Dauer wenigſtens, nichts auszurichten iſt und die
Oeſterreicher leichtes Spiel finden mußten, ihre erſten,
ſo bald verwelkenden Lorbeern zu ſammeln.
En...
Dazu hatte die Reaction denn tüchtig vorgear—
beitet. In der Mitte des September reiften die
Plane der reactionairen Centraliſationspartei in Wien,
mit Hülfe von Latours Intriguen und dem Einfluſſe
der Camarilla. Das ſelbſtſtändige Ungarn wurde
trotz der feierlich gegebenen Zuſicherung des Kaiſers
Ferdinand verurtheilt und die ſächſiſchen Deputirten
verließen, weil man ihre ſeparatiſtiſchen Forderungen
zurückwies, den Peſther Reichstag, gebrandmarkt mit
dem Namen Szökevény (Ausreißer). Da trat Puch—
ner, in der Gewißheit einer genügenden Militairge—
walt, jo wie des Beiſtandes des engherzigen ſächſiſchen
Patriciats und der blutlechzenden wallachiſchen Agita⸗
tion mit ſeinen bereits früher erhaltenen Inſtrutionen
heraus und erklärte ſpäter durch das berüchtigte Ma—
nifeſt vom 18. November die von ſeinem Kaiſer an—
gelobte und verkündete ungariſche Union für aufge—
löſt und zwar auf Geheiß des Wiener Kriegsminiſters
und in Folge des von dem improviſirten Miniſter
Regjey gegengezeichneten Manifeſtes vom 6. October.
Eignes Ehrenwort, wie eigne Amtspflicht vergeſſend,
erklärte Puchner alle Anordnungen des königlichen
Commiſſarius für annullirt, alle Anhänger der unga—
riſchen Conſtitution für Rebellen und Hochverräther,
bedrohte er alle, der nationalen Sache treugebliebenen
Szeklerofficiere mit der Acht und ſtellte ſich jo an
die Spitze der reactionaiven Bewegung. Gleich einem
Caraffa und Baſta, fluchwürdigen Andenkens, drückte
45
er dem Morde, dem Sengen, dem Brennen, dem
Raube, dem Verrathe, der Niederträchtigfeit und der
entſetzensvollen thieriſchen Barbarei, welche von da
ab das arme Land heimſuchten, den Stempel ſoldati—
ſcher Treue und der Geſetzlichkeit auf. Damit war
das Signal zu einem graͤuelvollen Bürgerkriege ge—
geben, welcher in den Annalen der Geſchichte ſchwer—
lich ſeinesgleichen aufzuweiſen hat, und in welchem
bei den Ungarn die Führer, tiefſte Einſicht beurkun—
dend, die angeborne Kraft, den nie ermattenden
Muth, die heroiſche Hingebung an die gerechte Sache
ihres edlen Volkes zu den ſchönſten Erfolgen benutzten.
Oberſt Urban zog nun mit den Naszoder Be—
ſatzungen nach Szaͤsz-Régen, Maros-Väſaͤrhely,
den Hauptort des Szeklerlandes, bedrohend.
46
Zweites Capitel.
Beſchreibung Siebenbürgens in militairiſcher Beziehung. — Auf—
zählung der gegenſeitigen Streitkräfte beim Beginn des Kam—
pfes. — Ereigniſſe bei Szäsz-Regen und Maros-Vaſär⸗
hely. — Deren Folgen. — Zuſtand Klauſenburgs im An⸗
fang November 1848. — Baron Bay. — General Bal⸗
dacei. — Affaire bei Szamos-Ujvar und deren Folgen. —
Gährung in Klauſenburg. — Affaire bei Szamos-Falva. —
Räumung Klauſenburgs. — Rückzug der Ungarn nach Banffy-
Hunyad. — Zuſtand der ungariſchen Armee daſelbſt. —
Rückzug nach Cſuͤcſa. — Maßregeln des Regierungscom—
miſſairs Hodoſſy in Großwardein. — Maßregeln des Gene—
ralſtabschefs. — Baldacci nach Peſth eitirt. — Major Czetz
übernimmt das Commando der Armee. — Deſſen Verfü—
gungen zur Herſtellung der Disciplin und zur Reorganiſi—
rung der Armee. — Hülfsmittel hierzu. — Katona Miflös
und ſeine Nationalgarden. — Deren Schickſal. — Urban
zieht in Klauſenburg ein. — Benehmen der öſterreichiſchen
Officiere hier und in andern eroberten ungariſchen Städten.
Siebenbürgen iſt von allen Seiten mit Gebir—
gen umgeben, theils vom Hochgebirge im Nord-Oſt,
Oſt und Süden, theils vom Mittelgebirg in Weſt
47
und Nordweſt. Außerdem durchſchneidet das Land
nach allen Richtungen höheres und niederes, meiſt
waldbedecktes Mittel- und Yandgebirge. Jene das
Land umringenden Gebirge geftalten es zu einer na
türlichen Feſtung, deren Baſtionen unwegſame, zu—
meiſt mit Urwald bedeckte Hochgebirge, deren Cour—
tinen gewiſſermaßen die dieſe verbündenden Mittel—
gebirgs-Joche und Päſſe bilden. Auffallend iſt es
daher, daß der Angreifer, von welcher Seite er auch
kommen mag, gerade auf jene Courtinen losgehen
muß, um in das Land zu gelangen; ein Schritt,
der bei vorhandener Einigkeit der Landesbevoͤlkerung,
bei zweckmäßigen Vertheidigungs-Anſtalten des Feld—
berrn, bei Muth und Entſchloſſenheit der einzelnen
Führer beinahe zur Unmöglichkeit wird. Denn wie
kann es der Feind wagen, ſich in die ſchmalen Eng—
päſſe der Courtinen hinein zu begeben, wenn ringsum
ihn die Baſtionen von landes- und terrainkundigen,
mit Raketenbatterien oder Gebirgsgeſchützen verſehe—
nen Abtheilungen regulairer Truppen beſetzt ſind, die
überdies noch von Guerillas unterſtützt werden, und
er an der Courtine ſelbſt einen mit proviſoriſchen oder
permanenten Befeſtigungen verſehenen Wall findet,
deren Erſtürmung ihm im beſten Falle die Hälfte
ſeiner Leute koſten, im ungünſtigen Falle aber ſein
ganzes Corps aufreiben würde? Zudem iſt jede aus
Nord, Oſt oder Süd vorrückende Armee gezwungen,
auf mehreren Operationslinien zugleich zu agiren,
48
und es darf nur eines der Operationscorps geſchla—
gen werden, ſo ſind die beiden neben demſelben agi—
renden von der Flanke und im Rücken bedroht, um
ſo mehr, als eine Vereinigung des geſchlagenen Corps
mit einem anderen nebenſtehenden der Zeit und Ent—
fernung wegen dann unmöglich iſt, wenn der Ver—
theidiger den errungenen Vortheil zu benutzen ver—
ſteht. Man werfe einen Blick auf die Karte und
betrachte die Lage und Entfernung der Päſſe Vulkan,
Rothen-Thurm, (Vöröstorony), Törzburg, Tömös
im Süden; dann Ojtosz, Gyimes, Tölgyes, Borgo
im Oſten, Radna, Romuluj und Strimbo im Nord—
Oſten und Norden, ferner das eiſerne Thor im We—
ſten; der kleineren Päſſe, wie Breaza, Bodza im
Süden; Almas-Mezö im Oſten; der engen Haupt—
Communicationsſtraßen bei Dobra und dem Kiräly-
häge im Weſten (die eben jo gut wie das Szamos—
Thal im Norden als Päſſe, wenigſtens theilweiſe
an den engſten Stellen angeſehen werden können),
gar nicht zu gedenken, und man wird obige Be—
hauptungen gewiß beſtätigt finden.
Rückt man dann nach großen Opfern wirklich in
das Land ein, fo finden ſich im Süden und Oſten
der Feketeügy und die Alt (Aluta), in der Mitte des
Landes die beiden Kokel, die Maros und im Nor—
den und Welten die Szamos, alſo die Hauptflüſſe des
Landes als eben ſo viele wieder zu erobernde Feſtungs—
Fronten oder wenn man will, befeſtigte Abſchnitte mit
19
ungeheuren Hülfsmitteln der Vertheidigung verfeben.
Denn die ſächſiſchen Städte des ſüdlichen und mitt—
leren Theils des Landes, als: Kronſtadt, Hermann—
ſtadt, Mühlenbach, Broos (Szäszvaros), Reps (Kö—
balom), Mediaſch, Schaßburg, Reißmarkt find alle
vermöge ihrer mittelalterlichen Bauart von Umfas—
ſungsmauern, die durch Rondelen flankirt werden,
umgeben und können ſehr leicht und ohne viel Auf—
wand an Zeit und Mitteln zu proviſoriſchen, befe—
ſtigten Punkten (places du moment) umgeſtaltet
werden. Ebenſo hat man als bereits befeſtigte und
im guten Stand erhaltenen Feſtungen: die Feſtung
Carlsburg, ein Vauban'ſches Fünfeck im beſten Zu—
ſtande, das Schloß Deva, erft vor wenigen Jahren
neu hergeſtellt, das Rothenthurmer Schloß, das Kron—
ſtädter Schloß, das Fogaraſer Schloß, die Schlöffer
von Törzburg, Roſenau, Cſik-Szereda, Maros-Vä—
farbely, endlich Biſtritz mit feinen Ringmauern. Ueber:
dies bieten die Mittelgebirge, welche das Land meiſt
parallel mit den Flüſſen von Oſten gegen Weſten
durchſchneiden, auf ihren höchſten Rücken Ort und
Material zu ausgedehnten provylſoriſchen verſchanzten
Linien oder eben jo vielen woblbefeſtigten Feſtungs—
Abſchnitten dar. Auch der Sitz der Wallachen oder
das Bergland zwiſchen Carlsburg, Klauſenburg, Brad,
Vas-Köh und dem Kirälphägs bildet mit dem groß—
artigen Vorwerk Carlsburg eine Citadelle, wo eine
feindliche Armee, die bereits das ganze Land rings
4
50
um eroberte, ihre Arbeiten von Neuem und mit noch
bedeutenderen Verluſten und Anftrengungen beginnen
kann. Ein ähnliches Reduit, wie der Sitz der Wal—
lachen im Weſten, bietet das Szeklerland dem Oſten
des Landes dar; für den Fall nämlich, als man es
nur mit einem von Ungarn operirenden Feinde zu
thun hat. Wir ſehen mithin, daß Siebenbürgen ein
Land iſt, ganz zur Vertheidigung geſchaffen, umſo—
mehr, als die Zahl der Bewohner noch viel zu ge—
ring iſt, als daß ſie ſelbſt bei einer 100,000 Mann
ſtarken Armee, die das Land zu vertheidigen hätte,
nur den geringſten Mangel an Lebensmitteln oder
Fourage oder Munition fühlen könnte. Die zahlrei—
chen Gebirge bedingen den Gebirgskrieg, aber auch
dieſen im eigentlichen Sinne nur in den Hochgebir—
gen der Grenzen. Im Innern des Landes machen
ſich wieder die für die Kriegsführung im Mittelge—
birge und Thälern beſtehenden Grundſätze geltend.
Thäler, d. i. bemerkenswerthe, hat Siebenbürgen ei—
gentlich nur drei, nämlich das Thal der Szamos im
Norden; das Thal der Maros in der Mitte des
Landes; und das Thal der Aluta im Süden. Min:
der bemerkenswerth find die Ebenen: im Haͤtszeger—
Diſtrikt, das Burzenland, die Häromſzsker- und die
Thordaer-Ebene (Sôs-mez6). Dieſe Thäler, in
welchen zugleich die Hauptſtraßen führen, bilden die
Hauptoperationslinien der Armeen. Außerdem ſind
bemerkenswerth: das Thal des Körös (bei Cſücſa),
a
das Thal der großen und kleinen Kokel, die ſich be—
Baläsfalva vereinigen und dann der Maros zu—
ſtroͤmen, das Thal des Feketeügy im Däromfzefer-
Stuhl, welches ſeine Gewäſſer der Alt zuführt; end—
lich das Thal der ſchwarzen und weißen Körös bei
Brad und Belénpes im Zarander Comitat und das
Thal der Cibin bei Hermannſtadt. Dieſe Thäler
bilden die Verbindungen der Hauptoperationslinien
mit den Nebenzweigen und den zwiſchen den fortifi—
catoriſchen Hauptfronten gelegenen Abſchnitten, ſind
folglich für den Feldherrn von hoher Wichtigkeit.
Insgeſammt aber haben fie den Charakter der Längen—
thäler: ſchmale Thalſohle, geringe Entfernung der Thal—
wände, dieſe ſelbſt zumeiſt von parallel ſtreichenden
Bergrücken oder ſenkrecht auf ſie ſtürzenden Bergab—
hängen gebildet und von unzähligen Berg- und Wild—
bächen (Torrenten) durchfurcht mit oder ohne Wald—
decke, dagegen von meilenweiten Erſtreckungen in die
Länge bis zur Mündung. Dieſe Geſtaltung bietet
dann die jo vortrefflichen Arrieregarde- Stellungen,
welche in dieſem Feldzuge eine ſo große Rolle ſpielten.
Die Flüſſe frieren alle im Winter feſt zu, ſo daß
man darüber fahren und reiten kann, ſchwellen im
Frühjahr bedeutend an, verurſachen bei großem Schnee—
fall Ueberſchwemmungen und werden im Sommer mit
Flößen oder Holzſchiffen von geringem Tonnengehalt
befahren. Alle ſind an vielen Stellen im hohen
8 *
52
Sommer zu durchwaten und entbehren der Regulirung
ganz. So viel über die Operationslinien.
Die Operationsbaſen wechſeln je nach der Lage der
Dinge. Kommt der Feind aus der Wallachei, ſo haben
wir: Kronſtadt, Fogaras, Hermannſtadt, Szaͤszväros,
Deva zur erſten; Schäßburg, Mediaſch, Carlsburg
zur zweiten; Maros-Väſärhely, Klauſenburg zur
dritten; Biſtritz, Nagy-Bänya, Szilägy-Somlyo zur
vierten Baſis. Denn alle genannten Plätze können
als Depots und Concentrirungsorte der Armee be
nutzt werden. Einem aus der Moldau und Buko—
vina kommenden Feinde entſprechen folgende Opera—
tionsbaſen: Biſtritz, Maros-Väſärhely, Udharvely,
Kronſtadt in erſter Linie; Klauſenburg, Carlsburg,
Hermannſtadt in zweiter Linie. Kommt der Feind
von beiden Seiten, ſo nimmt man am beſten die
Baſis gleich von Hermannſtadt über Mediaſch, Mas
ros⸗Vaͤſärhely nach Klauſenburg und betrachtet Carls—
burg als letztes Reduit.
Es iſt nicht unſere Abſicht mit weiteren Details
über den theoretiſchen Krieg in Siebenbürgen den
Leſer zu ermüden, wir wollen ihn gleich auf das
Feld der That verſetzen; denn nur die That iſt güls
tig und aus der That ſchöpft der praktiſche Kriegs—
mann ſeine Theoreme.
Am 25. oder 26. October langte die erſte drei—
pfündige Batterie von 6 Geſchützen, unbeſpannt
5
und in Begleitung von Honvedrecrüten, aus Ungarn
nach Klauſenburg, wo ſich als Regierungscommiſſair
Baron Niklas Vay und als Commandant Oberſt
Baldacci, ſpäter ungar. General, befanden, an, unter
Leitung des Major Johann Czetz, Chef des Gene—
ralſtabes. Was die beiderſeitigen Streitkräfte in die—
ſer Zeit betrifft, ſo iſt ihr Verhältniß das folgende.
Die ungariſche Macht beſtand aus nachſtehenden
Truppen-Abtheilungen:
2 Compagnien des 11. Honvedbataillons, unter
Hauptmann Baron Bänffy Janos;
1 Escadron Koſſuth- oder Mätyäs-Huſaren, unter
Oberſt Graf Mikes Kelemen und Major Graf
Bethlen Gergely;
Nationalgarden an 5000 M. mit ca. 50 Reitern.
Gegen die Wallachen waren vorgeſchoben: 4Com—
pagnien des 11. Honvedbataillons in Thorda und
Nagy-Enyed, nebſt einer Escadron Mätyäs-Huſarenz die
Szekler hatten einen Landſturm organiſirt, in welchem
ſich die 4 regulairen Szeklerbataillons auflöſten und
bildeten 8 Bataillons Infanterie nebſt 4 Escadron
Szekler-Puſaren, (denn 2 Escadrons ftanden bei den
Wallachen). Außerdem formirte ſich in Maros-Väͤſar⸗
hely das 12. Honvedbataillon, aus 4 Compagnien
beſtehend, nebſt 2 Diviſionen Mätyäs-Huſaren, welche
aber erſt ſpät complet wurden. Dazu kamen noch
Nationalgarden in Nagy Enyed, Thorda, Szamos—
54
Ujvär, Dées, Kolos und Nagy Banya, alle in der
Formation begriffen.
Die unter dem Befehle von F. M. L. Puchner
ſtehenden öſterreichiſchen Truppen waren folgende.
Infanterie: Carl Ferdinand 3 Bataillons, Sioko—
vich 3 Bataillons, Bianchi 3 Bataillons, Leiningen
1 Bataillon, Turszky 1 Bataillon, ein Grenadier—
bataillon; Cavallerie: Wernhard Chevauxlegers
4 Diviſionen, Savoyen-Dragoner 3 Divifionen, Szek—
ler-Huſaren 2 Escadron, wallachiſche Lanzenreiter
1 Escadron. Außerdem befehligte Oberſtlieutenant
Urban ein Corps, welches, ſpäter unter Commando
des General Wardener, aus 4 Bataillons des
2. wallachiſchen Grenzregimentes, 3 Bataillons Parma—
Infanterie (unter Jablonowsky), 1 Bataillon Sioko—
vich-Infanterie und 1 Reſerve-Escadron Wernhard
Chevauxlegers beſtand. Dazu kamen noch unter
Oberſt Rübel 4 Bataillons des 1. wallachiſchen
Grenzregimentes ſo wie das ſich erſt ſpäter bildende
ſächſiſche Jägerbataillon. Endlich befehligte der Oberſt—
lieutenant Haydte von Savoyen-Dragoner ein Par—
teigängereorps, welches aus einem regulairen Infan—
teriebataillon, 1 Escadron wallachiſche Lanciers und
einer Maſſe von 4--5000 M. permanenten walla—
chiſchen und ſächſiſchen Landſturmes zuſammengeſetzt
war. Mithin eine regulaire Truppenmacht von
15— 20,000 M. An Artillerie beſaßen die Oeſterrei—
cher im Felde acht ſechspfündige und 2 zwoͤlfpfündige +
55
Batterien zu 6 Geſchützen. Sie hatten Carlsburg,
eine ſehr gut mit Geſchütz und Munition verſehene
Feſtung, das zu einem place de moment improvi⸗
ſirte Hermannſtadt, das Schloß Diva, das befeſtigte
Kronſtadt nebſt Schloß, die mittelſt ihrer hinläng—
lich erhaltenen Umfaſſungsmauern geſchützten Städte
Biſtritz, Mühlenbach, Szasz Regen, Mediaſch, Schäß-
burg mit ſeinem Schloß, das Fogaraſer Schloß und
den durch ein Fort geſchützten Rothenthurmpaß in
ihrer Gewalt. Bon Bedeutung waren überdies für
die Oeſterreicher die in ihrem ſtrategiſchen Bereich
liegenden Urwälder des Unter-Albenſer- und des
Zarander-Comitats und des ſüdlichen Landestheiles.
Nimmt man zu dieſen mehr oder weniger regulairen
Streitkräften noch eine Maſſe von 200,000, minde—
ſtens zur Hälfte mit Feuergewehren, zur andern Hälfte
mit Lanzen oder Hellebarden bewaffneten, barbariſchen
wallachiſchen Landſturmes und an 40,000 ſächſiſche,
zum Theil mobile Nationalgarden, ſo kann man
die öfterreichiiche Macht wahrlich eine imponirende
nennen. )
) Faſt komiſch ſcheint hier die dreiſte Lüge des ſchwarz⸗gel—
ben Verfaſſers von Esquisse de la guerre en Hongrie en 1848
à 1849. Wien bei Gerold 1850, p. 26, wo den Generallieut.
Puchner nur die Hälfte der hier aufgeführten Truppen zugetheilt
wird, nämlich 1 Grenadierbataillon Uracca, 2 Bat. Bianchi,
4 Comp. Leiningen, 1 Bat. Turszky, 3 Comp. ſächſ. ſiebenb.
56
Der erfte entſcheidende Schritt wurde von den
kaiſerlichen Truppen am 4. November 1848 gethan,
indem fie ſich von Mediaſch gegen Maros-Väſarhely
und die daſelbſt befindlichen Szekler Streitkräfte in
Bewegung ſetzten. Letztere waren nämlich von der
Agyagfalver Verſammlung, wohin ſie durch den Re—
gierungscommiſſair Ladislaus Berzenczei unter Anru—
fung des Andenkens ihrer Landesgeſchichte in Waffen
berufen wurden, gegen die bei Szaͤsz-Régen verſam—
melten ſächſiſch-wallachiſchen Streitkräfte Urbans auf—
gebrochen, und hatten dieſe bei Gernyeszeg und Rad—
notfalva auseinandergejagt, hierauf Szaͤsz- Negen
mit Sturm genommen, geplündert und verbrannt.
Am 31. October wurde Urban bei Szent Ivany von
den Szeklern tüchtig geſchlagen und mußte ſich nach
Wallendorf am 1. Nov. zurückziehen, um dort die
aus Gallizien anrückende Brigade Wardeners zu er—
warten. Urban floh gegen Wallendorf und Biſtritz,
unverfolgt von den Szeklern, welche, auf die Kunde
vom Anmarſch des General Gedeon, eines abtrünni—
gen Ungarn, gegen Maros-Vaͤſaͤrhely, zum Schutze
dieſer ungariſchen und vorzugsweiſe ſzekleriſchen Stadt,
bei welcher ſie überdies Verſtärkungen erwarten woll—
Jäger, 2 Bat. des 1. wallachiſchen Regiments und 3 Eskcadron
Cavallerie. Bem wird dort eine Armee von 30,000 M. regulai⸗
rer Truppen, mit Artillerie und jeder Art von Munition vollſtän—
dig verſehen (2?) zugetheilt. Oh, hätte er fie doch gehabt.
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ten, berbeieilten. Nach ein paar Tagen, am 5. No—
vember, wurden fie dort von Gedeon angegriffen und
dermaßen geſchlagen, daß von ihrer 10,000 M.
ſtarken Macht nicht eine einzige kriegsfertige Abthei—
lung beiſammen blieb. Und dies beinahe ohne eine
ernſthafte Schlacht, denn nach aller Augenzeugen
Bericht, war es, nach ungefähr ſechs Kanonenſchüſ—
ſen und einem mißlungenen Bajonetangriff des 12.
Honvedbataillons auf die am Abhange des Gebirges
gegenüber Megyesfalva ſtationirte öſterreichiſche Bat—
terie, dermaßen mit dem Gefechte zu Ende, daß die
Szekler in wilder Flucht nach allen Richtungen aus—
einanderſtäubten und Gedeon mit ungefähr 56000 M.
und 2 Batterien, unter klingendem Spiele und we—
benden Fahnen, ſeinen freilich unwillkommen und von
keinem Vivatruf begrüßten Einzug in Maros-Väſär⸗
hely vornehmen konnte. Billig mag man über ein
ſolches Ereigniß ſtaunen, wenn damals eine ſo ge—
ringe, wenn auch wohlgeübte Macht im Stande ſein
konnte, den Szeklern eine ſolche Niederlage beizu—
bringen, und mittelſt eines verhältnißmäßig unbedeu—
tenden Schlages über das Geſchick des Landes für
eine längere Zeit zu entſcheiden, und doch gewahrt,
mit welcher Energie, welchem Muthe und welcher
Aufopferung und Ausdauer die urkräftige Nation der
Szekler den Kampf für die Unabhängigkeit ſpäter führte.
Dies Erſtaunen wird ſich aber mindern, ſobald man
an den Fluch der Halbheit denkt, den Ausſpruch be—
58
herzigend, „ſei was du willſt, Engel oder Teufel,
nur ſei es ganz“; ja man wird bei Erwägung der
richtigen Urſachen der Ereigniſſe und ihrer naturge—
mäßen Entwicklung einſehen, daß es ſo und nicht
anders kommen mußte, ohne daß man nöthig hätte,
nach der Gewohnheit einiger Ultras an Verrath und
Schurkerei zu denken.
Die Einnahme Maros-Väſärhely's ſtellte die
Verbindung zwiſchen der kaiſerlichen Südarmee unter
Gedeon und Wardener und Urban wieder her, von
denen erſterer fortan Chef der Nordarmee hieß. Die
Kaiſerlichen hatten die Einnahme Klauſenburgs auf
den 16. Nov. feſtgeſetzt und demzufolge nahm Urban
bei Szamos-Ujvär, Wardener bei Dees Stellung;
aber am 17. November erſt wurde Klauſenburg über—
geben, wovon weiter unten.
Der 5. November hatte die Kraft der Szekler
gelähmt; enttäuſcht, niedergeſchlagen, unter ſich un—
einig, kehrten die Meiſten nach Hauſe zurück, und
nur der Häromſzéker Stuhl blieb der gerechten Sache
unverbrüchlich treu. Die Bewohner deſſelben, wäh⸗
rend der Dauer des Krieges von allen Seiten an—
gefeindet, haben ſich ſtandhaft gehalten, eine ſo heroiſche
Ausdauer, ſolche Alles umfaſſende, Alles geſtaltende
Energie, eine ſolche wahrhaft roͤmiſche Tugend und
Feſtigkeit bewährt, daß ihr Name in der vaterlän—
diſchen Geſchichte als ein glänzendes Meteor ſtrahlen,
die Muſe der Geſchichte ihre Thaten mit goldnen
59
Buchſtaben in das Buch der Heroen aller Jahrhun—
derte verzeichnen wird! Wir werden ſpäterhin die
Belege zu dem hier Geſagten liefern. Jetzt wenden
wir einmal die Blicke nach dem nördlichen Sieben—
bürgen und auf Klauſenburg und ſeine Umgebungen.
Unbegreiflich bleibt es hier, daß weder der Ge—
neral Baldacci noch der Regierungsceommiffetr Vay
von der Niederſage und der Auflöſung der Szekler—
macht, noch von dem Heranzuge Urban’s und War—
deners aus der Gegend von Biſtritz gegen Dees
etwas wußten, ja, daß ſie in demſelben Augenblick ſich
gezwungen ſahen, dem Feinde bei Szamos Ujvär ent—
gegenzurücken, als fie dieſen mit dem in Nagy-Baͤnya
unter Katona Miklos und Graf Teleky Sandor ge
bildeten Corps engagirt und dieſes Corps ſelbſt im
Anmarſch auf Klauſenburg begriffen glaubten. Denn
die Regierung hatte ſchon im Anfang November dem
Baron Vay Nachricht von der Exiſtenz dieſes Corps
gegeben und ihm daſſelbe zur Verfügung geſtellt. Auch
Baldacei wußte dies, und doch war bis zum 11. No—
vember weder von ihm, noch von Katona Miklos ein
Schritt gethan, um ihre Streitkräfte zu vereinigen,
oder doch mit einander in Verbindung zu treten! Es
liegt hier ein Beweis vor, einerſeits von gänzlicher
Unkenntniß militairiſcher Operationen, andererſeits
von tadelnswürdiger, ſtrafbarer Nachläſſigkeit und ade—
liger Unbekümmertheit, und der Verfaſſer, Augenzeuge
des hier Erzählten, würde nicht anſtehen, jenes Ver—
60
fahren mit der Bezeichnung eines am Vaterlande be—
gangenen Verrathes zu brandmarken, wenn er nicht
ebenſo ſehr von der aufrichtigen Geſinnung und
dem redlichen Willen des Regierungscommiſſairs, wie
von der militairiſchen, auf dem Schlachtfelde bewieſe—
nen, Unfähigkeit Baldacci's überzeugt wäre. Mag
die Wahrheit vielleicht in einer dritten Möglichkeit
verborgen liegen, ſoviel iſt gewiß, Baldacci und die
Klauſenburger erſtaunten, als am 12. November
Abends von den bei Apahida aufgeſtellten Vorpoſten
die Meldung gemacht wurde, Oberſt Urban habe
Szamos-Ujvär beſetzt und feine Vorpoſten ſtänden
in Dengeleg und Iklöd, woraus fein Anmarſch auf
Klauſenburg in den nächſten Tagen mit unumſtößli—
cher Gewißheit zu folgern war. Der Schleier war
alſo zerriſſen, und die nächſten Tage mußten über
Klauſenburgs Schickſal entſcheiden.
In dieſer Stadt war ſchon in der Frühe des
13. Novembers die ganze Bevölkerung auf den
Beinen, Alles glühte vor Freude und Verlangen,
daß man ſich endlich mit dem verhaßten Feinde
meſſen werde; Muth und männlicher Ernſt des
Entſchluſſes traten an die Stelle der bis dahin vor—
handenen drückenden Ungewißheit. Denn es galt
der Freiheit und Unabhängigkeit des lieben Vater—
landes, der Erhaltung einer ſo theuren Nationali—
tät! Man konnte die ſo lange mit Ungeduld getragene
Maske endlich abwerfen, und ſich freien Angeſichts,
wie es dem feſten freien Manne geziemt, in den
61
— —
Strom der Bewegung ſtürzen. Das thaten dann
auch Vay und Baldacci.
Ein kurzer Kriegsrath wurde gehalten, an wel—
chem der Generalſtabschef Honvedmajor Czetz, Oberſt
Mikes Kelemen, Major Graf Bethlen Gergely und
der Commandant der Klauſenburger Nationalgarde,
Graf Mikes Janos, Theil nahmen, und beſchloſſen
dem Feinde bis Szamos-Ujvär entgegenzurücken. Dort
ſollte die Schlacht geſchlagen werden, welche Klauſen—
burg vor dem Einbruch der Urban'ſchen Truppen
und Horden ſchützen, dieſen Theil Siebenbürgens der
ungariſchen Sache erhalten ſollte. Die Dispoſitionen
ordnete Baldacci an. Am Morgen des 13. Novem—
ber zogen folgende Truppen gegen Szamos-Ujvär ):
Das 11. Honvedbataillon (incomplet
und nicht eingeübt) .. . an 700 Mann
2 Compagnien Jäger, Nationalgarde » 300
2 Bataillons Infanterie, Nationalgarde „2000 „
1 Diviſion Mätys-Huſaren . „ 300 „
1 ordinaire 3pfündige Fußbatterie.
Summa: 3300 Mann.
Die freilich ungeübten Truppen waren mit Feuerge—
wehren und Munition verſehen, ihre Artillerie war
ſo ſehr im Entſtehen, daß ſie aller energiſchen An—
ſtrengungen des Chefs vom Generalſtab unerachtet,
») Die Detachements aus N.-Enyed, Thorda ꝛc. waren näm—
lich eingezogen worden.
62
nicht einmal zum Probeſchießen hatte gelangen können.
Von den ganzen Truppen, denen man die nöthigen
Lebensmittel nachführte, hatte außer einigen Volontairs
aus dem ungariſchen Lager von Szt Tamäs, noch
Keiner Pulver gerochen. Uebrigens herrſchte bei Allen
hohe Begeiſterung für die vaterländiſche Sache, und
neben dem angebornen Muthe und der gewohnten
Entſchloſſenheit fand ſich leider jene Beimiſchung na—
tionalen Uebermuthes, welcher, wie auch im vorlie—
genden Falle, bei einem etwaigen Rückſchlage, leicht
in Muthloſigkeit, paniſchen Schrecken, Zweifelſucht
und Verrathwittern umſchlägt. Auch die zur Unter—
ſtützung beorderte Széker Nationalgarde an 2000 M.
ſtark, konnte bei ihrer ſchlechten Bewaffnung und
wegen ihres Mangels an Uebung, nicht überhoch
angeſchlagen werden. Das Bataillon Carl Ferdinand,
großentheils aus Wallachen beſtehend, hatte man, im
Zweifel gegen deſſen politiſche Geſinnung, als Gar—
niſon in Klauſenburg zurückgelaſſen.
Der Kriegsſchauplatz war das Thal der Szamos,
bis Szamos-Ujvär an vielen Stellen durchwatbar
und nicht ſehr reißend. Die Thalſohle ſelbſt hat ab—
wechſelnd eine Breite von 1500 — 20900 Schritten und
wird links und rechts von Höhen begleitet, welche,
einerſeits vom Dialu Krutſt andererſeits vom Babi
abfallend, hier großentheils kahl und mit Mais
bebauet ſind, oder als Weide benutzt werden, mit—
unter von in die Szamos eilenden Wildbächen durch—
623
furcht. Die bis Apahida am rechten, von da über
Szamos-Ufvar bis Dees am linken Flußufer ſich
binziehende Straße, iſt wohlerhalten und bildet eine
für alle Waffengattungen vollkommen praktikable Poſt—
ſtraßſe. Die alte Straße lief über die ſogenannte
Tartſa, eine lange Wieſenfläche am nördlichen Ab—
bange ver das linke Szamos-Ufer begleitenden Anhöhen
bin. Von Szamos-Ujvär bis Klauſenburg beträgt
die Entfernung zwei Poſtſtationen oder beinahe vier
deutſche Meilen.
Die obenaufgezählten Truppen bewegten ſich in
tactiſcher Ordnung, Morgens des angeführten Tages
gegen Szamos-Ujvar, und langten gegen 2 Uhr
Nachmittags in Dengeleg an. Der Ort wurde mili—
tairiſch durchſucht, ohne daß man etwas feindliches
antraf, und man zog weiter gen Szamos-Ujvär.
Zwiſchen dieſem Orte und Dengeleg ergießt ſich ein
Wildbach in den Fluß, über den auf der Hauptſtraße
eine hölzerne Brücke führt. Am Rande dieſes Baches
ſtanden die Vorpoſten Urbans, eine halbe Escadron
Wernhard Chevaurlegers, während das Gros des
Feindes Szamos-Ujvär beſetzt hielt. Das unerwar—
tete Erſcheinen unſerer Avantgarde, zuſammentreffend
mit dem Ausbleiben der Brigade des G.-M. War:
dener, welche zu Dées poſtirt, erſt am folgenden
Tage erwartet wurde, veranlaßte Urban, ſich vor der
Hand nur defenſiv zu benehmen, dagegen aber die
Ungarn nach Szamos-Ujvär hinein zu locken, um fie
64
dort am nächſten Tage mit ganzer geſammelter Macht
um ſo ſicherer und vollſtändiger zu ſchlagen. Deshalb
zog er ſich, auch an Zahl ſchwächer als ſeine Gegner,
auf die hinter Szamos-Ujvär liegenden Höhen zurück,
über welche ſich die Hauptſtraße hinzieht, und nahm
daſelbſt eine beherrſchende Poſition ein, während ſeine
Vortruppen dieſe rückgängige Bewegung zu maskiren
ſuchten. General Baldacci rückte mit feinen Truppen
über die erwähnte Brücke, ließ auf die auf der Haupt⸗
ſtraße poſtirte halbe Escadron Chevaurxlegers ein Paar
Kanonenſchüſſe abfeuern, und detachirte Ladislaus
Makrai, Major bei den Mätyäs-Huſaren mit wenig
Infanterie und einer Cavallerieabtheilung, über die
nordweſtlich gelegenen Höhen, um, wenn möglich,
Urban von dieſer Seite zu umgehen und ihm den
Rückzug nach Dées abzuſchneiden. Die Szaͤker Na—
tionalgarde zog auf dem Rücken des Gebirgs, welches
das rechte Ufer der Szamos begrenzt, daher und
cotoyirte die rechte Flanke der Hauptcolonne. Die
Vorhut Urbans ging nach den erſten Paar Schüſſen
fliehend zurück, und die Ungarn drangen unter tau—
ſendſtimmigen Eljenruf ihnen nach, indem ſie einen
Theil ihrer Truppen nach Szamos-Ujvär entſendeten,
mit dem andern aber auf der Hauptſtraße gegen das
feindliche Centrum vorrückten. Allein jetzt trat ein
Fall ein, welcher ſich im Anfange von kriegeriſchen
Unternehmungen immer dann zu ereignen pflegt, wenn
ungeübte Truppen mit einer regulairen Macht zuſam—
65
mengerathen. Urbans Leute hatten ſich geſammelt
und erwarteten unterſtützt, von dem eilends herbeige—
kommenen Bataillon Sivkovich, in guter Ordnung
die feine Vortruppen haſtig verfolgenden Nationalgarden
und Honveds. Ein Paar gutgezielte Kanonenſchüſſe,
einige gefallene Honveds, einige verwundete Pferde
füblten den Enthuſiasmus ſchnell ab, lähmten den
Muth der Ungarn und alle Anſtrengungen, ſelbſt die
größte perſönliche Bravour der Führer vermochte nicht
die erſchrocknen, an ſolche Scenen nicht gewöhnten
Nationalgarden zum Standhalten, noch weniger zu
einem Bajonetangriff zu bringen. Nach einem Mo—
ment des Stillſtandes und des Schreckens warf ſich
im nächſten Alles auf die Flucht. Die gegen Szamos—
Ujvar vorgefandte Kolonne, konnte das Treffen auch
nicht wieder herſtellen; Honveds und Nationalgarden,
Infanterie, Cavallerie und Artillerie ſtoben nach allen
Richtungen auseinander, wobei nur zu bewundern
iſt, daß Urban die gute Gelegenheit verabſäumte, um
mit den Flüchtigen zugleich in Klauſenburg anzulangen.
Denn obgleich Letztere den ganzen Tag noch nichts
genoſſen hatten, ſo waren ſie doch noch kräftig genug
an demſelben Tage nach Klauſenburg zurückzulaufen,
dort Verwirrung und Schrecken verbreitend. Wahr—
ſcheinlich hatte Urban anderweitige gemeſſene Ordre,
und wagte wohl keinen Dienftfebler zu machen, ſelbſt
wenn dieſer ihm die Erlangung eines wohlfeilen mi—
litairiſchen Ruhmes in Ausſicht ſtellte. Er nahm daher
-
5
66
lediglich feine frühere Stellung wieder ein *). Gene⸗
ral Baldacci hatte den Kopf ganz verloren und ge—
langte auf ſeinem Wagen als einer der Erſten nach
Klauſenburg. Dagegen gebührt allein dem Oberſten
Grafen Mikes Kelemen und dem Chef des General—
ſtabs das Verdienſt, durch energiſche Maßregeln die
Truppen vor gänzlicher Desorganiſation bewahrt und
das über Klauſenburg verhängte Schickſal um einige
Tage noch verzögert zu haben. Dieſe beiden Officiere
ſammelten nämlich von den Mätyaͤs-Huſaren und
den Honveds fo viele als ſie vermochten, ungefähr
eine Escadron und zwei bis vier Compagnien, be—
festen damit während der Nacht Balaszut, und reti—
rirten am andern Morgen nach Klauſenburg, ihre
Vorpoſten bei Apahida zurücklaſſend. Nach einigen
Tagen, am 1ö5ten rückte Urban mit der Avantgarde
des Wardener'ſchen Corps über Välaszut gegen Apa—
hida vor, von wo ſich unſere Vortruppen auf Szamos—
falva zurückzogen und dort in Gemeinſchaft mit dem
bereits dahin vorgerückten 11. Honvedbataillon, einer
Diviſion Mätyls-Huſaren und der Dreipfünderbatterie
Stellung nahmen. Von den Klauſenburgern war Nie—
mand mitgezogen, denn in der Stadt herrſchte all—
*) Kaiſerliche Schriftſteller behaupten, Urban ſei von War-
dener, welcher ihm eine halbe Batterie und anderweitige Hülfe
zu ſenden verfprochen, im Stich gelaſſen worden. Vgl. Esquisse
de la guerre en Hongrie p. 28.
2
gemeine Niedergeſchlagenheit, und dieſe wußten die
Gegner der ungariſchen Bewegung ſehr wohl zu be—
nutzen, indem ſie die Frage zur Berathung brachten,
ob man Klauſenburg vertheidigen ſolle und konne
oder nicht. Der Tag ward mit Hin- und Herreden
verbracht, und als der Abend herannahte, Urban auch
bereits mit unſern Truppen bei Szamosfalva die
erſten Kanonenſchüſſe, wechſelte, war man noch zu
keinem Entſchluſſe gekommen. Die Verwirrung er—
reichte den böchiten Grad, als die Extremſten bei—
der Parteien, der Reactionaire wie der Radicalen.
durch die Gaſſen liefen, das Volk vor öffentlichen
Gebäuden und auf den Plätzen im verſchiedenſten
Sinn haranguirten, hier zur ſchleunigen Waffen—
ſtreckung, dort zum kräftigen Widerſtand ermahnend,
ohne daß irgend Jemand die Lage der Dinge zu wür—
digen verſtanden hätte. Das Bataillon Carl Ferdi
nand conſignirte ſich ſelbſt in dem Hofe des Rädai—
ſchen Gebäudes, ein Schwarm Szabolſer National—
garden und Hafduken, auf wiederholte dringende
Vorſtellungen des Commiſſair Baron Vay eben in
dieſen Tagen in die Stadt gerückt, campirte theils
auf dem Schloßberge, theils in zweiter Linie hinter
Szamosfalva, ohne daß für ihren Unterhalt geſorgt
wurde. Der freilich verſammelte Stadtrath hielt ſich,
wie ſein Präſident, Bürgermeiſter Grois, in feiner
Ratbloſigkeit, ganz paſſiv. Baron Bay wurde in
feiner Wohnung von einem Schwarm fanatifirter Vor—
68
ſtädter angegriffen, und gerieth zwei Mal in Gefahr,
ſein Leben einzubüßen, woraus ihm nur die Gegen—
wart des Generalſtabchefs, als eines Honvedofficiers,
rettete. Den General Baldacci hielt man auf dem
Rathhauſe gefangen, als angeblichen Landesverräther.
Zu dem von demſelben aus unbegreiflicher Sorgloſig—
keit und Nachläſſigkeit auf 7 Uhr Abends berufenen
Kriegsrath erſchienen alle höheren Offiziere, außer
dem Oberſtlieut. Joh. Bänffy und Major Gregor
Bethlen, welche bei den Truppen blieben.
So ſtanden die Sachen, als von Szamosfalva
die Meldung anlangte, Urban ſei durch einen Bajo—
netangriff des eilften Bataillons in die Flucht ge—
trieben. In der That hatten ſich die bei Szamosfalva
poſtirten Truppen auf den Rath des Generalquar—
tiermeiſters hinter dieſen Ort zurückgezogen und er—
warteten dort, auf einigen Terrainwellen poſtirt,
einerſeits an die Szamos, andererſeits an den öſtlich
vom Orte belegnen Sumpf gelehnt, das Herannahen
der Urban'ſchen Truppen. Dieſe mußten auf der
nicht ſehr breiten Hauptſtraße durch den Ort, welcher
überdies beim Rückzuge zum Theil durch feindliche
Granaten in Brand gerathen war, defiliren und ka—
men gleich beim Debouchiren aus dem Orte in ein
Kreuzfeuer von Flinten- und Kartätſchenſchüſſen.
Was Wunder, daß ſie beim erſten Anlauf die Flucht
ergriffen. Daher jene Freudennachricht, welches
übrigens keine nachhaltige Wirkung äußerte. Mit
69
anbrechender Nacht legte ſich die Unruhe in der Stadt
und der verſammelte Kriegsrath beſchloß, in Betracht
der zerſtreuten und undisciplinirten Truppen, welche
ſich mit den regulairen der Feinde damals ſchwerlich
meſſen konnten, ſo wie in Rückſicht auf das Klauſenburg,
welches allein von allen ungariſchen Städten, bis
dahin der Verwüſtung noch entgangen war, den
Rückzug auf Großwardein anzutreten. Dieſer Be—
ſchluß wurde noch in derſelben Nacht in Ausführung
gebracht. Klauſenburg ergab ſich den 17., am 18.
rückte Wardener und am 20. Kalliany mit ſeiner
Diviſion dort ein.
Man glaube aber ja nicht, daß bei dieſem
Rückzug eine Ordnung beobachtet worden wäre, ob—
gleich man aus zwei Umſtänden auf das Vorhanden—
ſein der letztern hätte ſchließen mögen. Der Rückzug
war nämlich kein ſehr dringlicher und ſodann hielt
Urban ſich wirklich für ſo ſehr geſchlagen, daß er bis
Valaszut zurückwich, von wo ihm erſt am dritten
Tage die Klauſenburger Friedensdeputation in das
Weichbild der Stadt bereinbolte. Bei unſerm Rück—
zuge ging Alles bunt durcheinander, über Hals und
Kopf nach Gyalu und nach kurzem Luftſchöpfen
weiter über Kapus, Gyerö-Väſärhely nach Bänffy—
Hunpad, wo ſich erſt der Schrecken allmählig verlor
und die Ordnung einiger Maßen wieder hergeſtellt
wurde. Sogar die Kaſſe würde in Klauſenburg zu—
rückgeblieben ſein, wäre ſie nicht durch die Geiſtesge—
70
genwart des Generalſtabschefs im Beiſtande feines
Adjutanten und einiger patriotiſch geſinnter Bürger
den Klauen des reactionairen Kaſſenperſonals noch
entriſſen und fortgebracht worden.
General Baldacci, der unglückliche Mann, wel—
cher in ruhigen Zeiten viele ſchöne und richtige Dinge
zu ſagen wußte, gegen deren Wahrheit ſich eben nicht
viel einwenden ließ, welcher aber regelmäßig den
Kopf verlor, ſobald die Umſtände Thaten verlangten,
ergriff wieder das Ruder und leitete die Truppenbe—
wegungen. Nutzlos wurden acht Tage in Baänffp—
Hunyad verbracht und am 25. November, als ſchon
der Feind gegen den Ort anrückte, hatte man noch
keinen Entſchluß gefaßt, ob man ſich ſchlagen wolle
oder nicht. Unglückſelige Unentſchloſſenheit, welche
im Kriege ſelbſt beim beſten Willen und mit den
loyalſten Geſinnungen ſtets nur Halbheiten und folg—
lich Schlechtes zu Tage fördert und darum am Mei—
ſten bei einem Anführer zu bedauern iſt! Welch' ein
Contraſt gegen Bem's Operationen!
Die nunmehr angeordneten Truppendislocationen
waren folgende: Die Hajduken marſchirten über
Korniczel nach Barod, die Szabolſer, deren Dienſt—
zeit ohnehin abgelaufen war, wurden nach Hauſe
entlaſſen, und die Biharer Nationalgarden nahmen
deren Stellung in Feketetö und Cſuecſa ein. Am
letztgenannte Orte befand ſich auch das Cadre des
künftigen fünfundfunfzigſten Honvedbataillon nebſt der
7 3
übergetretenen Abtheilung von Kreß Chevauxlegers,
die Pereczi'ſchen Lanciers genannt. In Baänffy⸗
Hunyad blieben das eilfte Honvedbataillon, die
Klauſenburger Freiwilligen d. h. diejenigen National—
garden, welche aus Klauſenburg und den umliegen—
den ungariſchen Städten und Dörfern an dem Rück—
zuge ſich betheiligt hatten, ferner die dreipfündige
Feldbatterie und endlich die Szekler Huſarenabtheilung
unter Cſutak und Baumgarten. Von ihnen wurden
Vorpoſten in Gyeréö-Vaſärhely und Körösfö vorge:
ſchoben, ſo wie eine Compagnie des fünfundfunfzig—
ſten Bataillons gemeinſchaftlich mit einigen Hundert
Biharer Nationalgarden unter Major Riezko Gyalu
beſetzt hielt. Eine Diviſion Mätyäs-Huſaren deckte
durch Beſetzung von Nagy Almas die linke Flanke
der Unſrigen.
Nachdem Urban ſich in Klauſenburg feſtgeſetzt
hatte, wo er an der Spitze einiger Tauſend walla—
chiſcher Räuber und Mordbrenner unter Sang und
Klang ſeinen Einzug feierte, eine Seene, an welcher
ſich nur wenige öſterreichiſche Officiere betheiligten
und über welchen ſich unter Andern der ebenſo hu—
mane wie ritterliche Oberſt Koppet von Savoyen
Dragoner mit feinem ganzen Officiercorps höchſt ent—
rüſtet zeigte, ſchob er feine Vorpoſten gegen Gyalu
vor. Zwiſchen ihnen und den Biharer Honveds un—
ter ihrem Major Riezko entſpann ſich dort ein unbe—
deutendes Gefecht, wobei die Letzteren den Kürzern
72
zogen und nach Bänffy-Hunyad weichen mußten.
Die Urſache dieſer Retirade maß Riczkö, welcher hier
unvergängliche Lorbeern zu ernten ſich einbildete, ei—
ner Vernachläſſigung des mit ein Paar Compagnien
des eilften Bataillons in Kiskapus aufgeſtellten Major
Inczédy Samu zu, weil dieſer ihm nicht zeitig genug
zu Hülfe geeilt ſei. Allein zu des letzteren Genug—
thuung muß die Geſchichte erwähnen, daß er keine
Ordre hatte, Riczkö im Fall derſelbe angegriffen
würde zu unterſtützen, ſondern lediglich ihn alsdann
aufzunehmen, und daß die Affaire bei Gyalu nichts
weiter, als ein von Riczké aus Eitelkeit und ohne
alle militairiſche Berechnung ausgeführter Huſaren—
ſtreich geweſen iſt. Riczkö bildete ſich nämlich ein,
allein Klauſenburg wieder nehmen zu können. Weiter
unten werden wir übrigens ſehen, ob er der Mann
war, eine ſolche Aufgabe zu löſen und haben dieſe
Begebenheit nur erwähnt, um die gränzenloſe Unord—
nung zu veranſchaulichen, welche in den vom General
Baldacci getroffnen Maßregeln lag. Nach der Ein—
nahme Klauſenburgs wollte Urban unmittelbar nach
Cſüeſa marſchiren, um dort die Unſrigen anzugreifen,
allein Puchner befahl die Brigade Hurter, früher
Kalliany, in der Eile nach Süden gegen die Szekler
zu detaſchiren. Urban ſchlug nun vor, die ganze
kaiſerliche Macht auf die Szekler zu werfen, aber die
kaiſerlichen Officiere wußten in ihrer Unſchlüſſigkeit
nicht, was zu thun ſei. Endlich wollte man die
73
Ungarn bei Cſücſa angreifen und dies geſchah auch
wie wir gleich ſehen werden.
Von einem bei Bänft» Hunyad zu leiſtenden
Widerſtande konnte unter den damaligen Umſtänden
keine Rede ſein, weshalb der Kriegsrath den Beſchluß
faßte, das Hauptquartier am 24. oder 25. November
nach Cſücſa zu verlegen, einem Gebirgspaſſe, welcher
in der Geſchichte dieſes Feldzuges von zu großer
Wichtigkeit iſt, um nicht einer ausführlichen Schil—
derung gewürdigt zu werden. Alle Truppen, mit
Inbegriff der Diviſion MätyassHufaren aus Almas
marſchirten nach Cſücſa, während in Bänfi-Hunyad
nur die nöthigen Vorpoſten zurückblieben.
Der Gebirgspaß von Cſuücſa wird von den
ſchroffen, bewaldeten und felſigen Abhängen des
Tunger Gebirgs im Süden und das Dombrei-Heimare
im Norden gebildet, welche das Körösthal eine halbe
Stunde binter der Einmündung des Sebes in den
Körös dergeſtalt verengen, daß ſtellenweiſe auf der
von Klauſenburg nach Großwardein führenden
Hauptſtraße, welche ſich am rechten Flußufer hinzieht,
höchſtens zwei leichte Wagen neben einander fahren
können. Die größte Breite des Paſſes an der Aus—
mündung des Szekulouluj Gießbaches in die Körös
beträgt an 600 Schritte, dann verengert ſich das
Thal immer mehr bis zum Cſucſapaß, und erweitert
ſich erſt bei Feketets bis zu einer Breite von
1000 — 1500 Schritten. Später verengt es ſich wie—
74
der, ohne dann eine militairifche Bedeutung zu haben,
indem die Operationslinie ſich mit der erwähnten
Hauptſtraße gegen den Kiralyhbago zuwendet. Der
Ort Cſüeſa ſelbſt liegt auf halbem Wege mitten in
dieſem Gebirgspaſſe, da wo ſich mit der erwähnten
Hauptſtraße die alte über Almas führende Fahrſtraße
und der Nebenweg von Kraszna vereinigen. Der
Ort, der Schlüſſel zu der gedachten Poſition, iſt ein
elendes wallachiſches Neſt, mit etlichen SO armſeligen
Strohhütten, in dem es kaum ein einziges zum Haupt—
quartier paſſendes Gebäude, noch weniger alſo Raum
für Mannſchaft und Pferde und gar keine Lebens—
mittel gab. |
Hier befand ſich nun der Kern der ſpäter ſo be
rühmt gewordnen Siebenbürger Armee, ohne Schuhe,
ſchlecht gekleidet, meiſt in Lumpen, bei einer Kälte
von 15 — 20 Grad, und ohne kriegeriſchen Muth,
nur erfüllt von dem Bewußtſein, den Geboten der
Vaterlandsliebe und der Ehre bis zum letzten Athem—
zuge treu bleiben zu wollen. Und was that die
Landesregierung für dieſe Truppen? Fernere
4 — 6090 Mann Biharer Nationalgarden wurden
uns auf den Hals geſchickt; der Regierungscommiſſair
Hodoſſy in Großwardein verbot allen ungariſchen
Ortſchaften, der ſiebenbürgiſchen Armee Lebensmittel
zuzuführen und brandmarkte alle Bewohner dieſes
Landes als Verräther, während es doch nicht ſchwer
fiel, die wirklich Schuldigen herauszuſcheiden. Aber
75
eben darin offenbarte ſich die Große der gemeinen
Honved, zeigte ſich die geiſtige Kraft einiger tüchtiger
Officiere, daß ſie ſelbſt unter ſo mißlichen Umſtänden
die Hoffnung nicht fahren ließen, vielmehr ſo lange
an der Ausbildung und dem Unterricht der jungen
Mannſchaft arbeiteten, bis eben das zur Einreibung
in andre Cadres beſtimmte Bataillon, an Kübnbeit,
Ausdauer, Heldenmuth und Patriotismus das erſte
unter allen ſiebenbürgiſchen und vielleicht allen unga—
riſchen Bataillons wurde. Dies war das eilfte von
den wackern Männern Inczedy Samu und Johann
Banffy geführte Honvedbataillon.
Hodoſſy ſchleuderte nicht bloß fein Anathem auf
die Klauſenburger Flüchtlinge und auf die Armee,
ſondern er ließ ſelbſt alle nach Großwardein fliehen—
den Privaten, unter ihnen den Grafen Mikes Janos
verhaften und jagte andere nach Cſueſa zurück. Er
befahl auch die Verhaftung des Baron Vay, ernannte
den Major Riczk aus eigner Machtvollkommenheit
zum Oberſten und Armee-Commandanten und hieß ihn
General Baldacci arretiren und die etwa widerſpen—
ſtigen Officiere zu Pulver und Blei verurtheilen.
Es war dies eine nicht einmal durch die Umſtände
gerechtfertigte Eigenmacht, zumal ſie nach dem einſei—
tigen Bericht Riczkö's und feines getreuen Leporello,
des Civilcommiſſair Tar, ausgeübt wurde. Was
Vay anbetrifft, ſo hat er bis zum letzten Augenblicke
alle von der Regierung angeordnete Maßregeln ge—
76
treu vollzogen und als es zum Schlagen kam, wurde
Baldacci der allein verantwortliche Träger des Gan—
zen, und auf ihn iſt alle Schuld zu werfen, wenn
hier in Wirklichkeit von einer ſolchen die Rede ſein
kann. Zum Glück ſah der Chef des Generalſtabs
die Dinge in ihrem rechten Lichte und ſchickte ſeinen
Adjutanten als Courier nach Peſth, woſelbſt dieſer
zeitig genug eintraf, um den Präſidenten Koſſuth zur
Ergreifung richtiger Maßregeln zu veranlaſſen.
In Folge derſelben wurde Vay in Freiheit geſetzt
und blieb Regierungscommiſſair bei der Armee, das
Obercommando erhielt aber der Chef des General—
ſtabs, Major Czetz: freilich eine auffallende, aber
durch die Umſtände vollkommen gerechtfertigte Ernen—
nung, durch welche ein Major über Oberſten zum
Chef eingeſetzt ward. Denn die bei den Truppen
befindlichen Magnaten, Oberſt Mikes und andre, hat—
ten, obwohl unverdientermaßen, das Vertrauen einge—
büßt, Oberſt Riezko war offenbar ein zu geringes
Talent, als daß man ihm die Leitung militairiſcher
Operationen anvertrauen konnte und in Peſth fand
ſich Niemand dazu bereit, die Führung ſo demorali—
ſirter Truppen zu übernehmen. Es blieb mithin keine
andere Wahl übrig und Major Czetz bewies in der
Folge, daß er den an ihn geſtellten Anforderungen
gewachſen war.
Kaum hatte er die Zügel des Commandos, eine
Stunde ſpäter als Baldacci dieſe in Riezko's Hände
me
niedergelegt, ergriffen, als er dem blinden Ungefähr
ein Ende machte, indem er die Operationen auf ihre
moraliſche Baſis, auf Strategie, Tactik, Reorgani—
ſation der zerſtreuten Streitkräfte und auf die Her—
ſtelung der Mannszucht zurückführte. Die Armee
wurde in den rechten Flügel bei Cſücſa, das Cen—
trum bei Zilab und Sibo, den linken Flügel bei Nagy
Banya getheilt, während ihr Hauptquartier nach
Szillagy Somlyc verlegt ward. Denn die Strategie
zeigte klar, daß nur durch das harmoniſche Zuſam—
menwirken dieſer drei Theile der momentane Zweck,
nämlich die Behauptung der beſetzten Punkte und ſo—
mit die Abwehr einer etwa in Ungarn beabſichtigten
Invaſion, ſo wie der Hauptzweck, die Wiedererobe—
rung Siebenbürgens, zugleich erreicht werden konnte.
Die müſſigen und überdies weniger brauchbaren Na—
tionalgarden wurden von Cſueſa weiter rückwärts
nach Barod, Korniczel, Elesd verlegt, und in Cſücſa
ſelbſt nur die brauchbaren Nationalgarden nebſt den
Honveds behalten; die Mätyis-Hufaren nebſt einer
halben Batterie Dreipfünder marſchirten nach Szillagy
Somlyô, das 31. Bataillon unter Major Täth Agoſton
kam nach Sibs, der Reſt vom zerſprengten Corps
des Katona Miklôs nach Nagy Bänya. Für Lebensmittel
und Fourage ward geſorgt, ſo wie die Regierung
um regelmäßige Auszahlung des Soldes vielfach und
mit Erfolg angegangen. Am Ausgange des Gebirgs—
paſſes errichtete man vortheilhaft eine Poſitionsbat—
78
terie, am Kirälybago ward ein Blockhaus gebaut, den
wegen Mangel an Truppen nicht zu beſetzenden Almaſer
Weg machte man durch Verhaue auf eine halbe Meile
unfahrbar, in Nagy Bänya traf man Vertheidigungs—
anſtalten und gab Befehl zur Pulvererzeugung in
Maſſe. So gewann in wenigen Tagen das Ganze
Form und Leben: aus dem Chaos entwickelte ſich
militairiſche Ordnung und die Armee konnte erſt jetzt
in Wahrheit eine operationsfähige genannt werden.
Dieſe Erfolge werden ſtets der Stolz des ehemaligen
Chefs vom Generalſtabe bleiben, welcher in ſeinem
Werke auf das Eifrigſte unterſtützt wurde durch die
unermüdlichen Beſtrebungen des alle Parteianſichten
dem gemeinſamen Wohle freudig opfernden, wahrhaft
adligen Oberſten Grafen Mikes Kelemen, des raſtlos
thätigen Majors Bethlen Gergely und des Major
Auguſt Töth. Dies waren auch die Männer, welche
in dieſem Feldzuge die glänzendſten Rollen ſpielten
und neben dem ritterlichen Oberſten Baron Johann
Bänffy, dem ſachkundigen und talentvollen, militai—
riſch hochgebildeten Oberſtlieutenant Baumgarten und
dem kühnen Dobay den erſten Rang in den Denk—
würdigkeiten dieſer Epoche verdienen. Weiter unten
werden wir Gelegenheit finden ihre einzelnen Leiſtun—
gen hervorzuheben. Auch den Bewohnern Bihar's,
Szathmär's und Debreczin's gebührt das Lob, ihrer—
ſeits theils durch die pünktlichſte alle Anforderungen
weit übertreffenden Rekrutenſtellung, durch Werbung
79
von Freiwilligen für die Dauer des Feldzuges, und
ins Feld ſchicken der eignen Nattonalgarden, theils
durch Beiſteuern an Geld, Monturen, Lebensmitteln,
theils endlich durch Vorſpanndienſte und Pferdelie—
ferungen für die Beſpannungen, Alles und noch
mehr gethan zu haben, was man von wahrhaften
Söhnen des Vaterlandes nur verlangen konnte. Bem
war es vorbehalten, das ſo Vorbereitete zu glänzenden
Erfolgen zu benutzen. Zum Schluſſe dieſes den
eigentlichen Feldzug mehr einleitenden Capitels ein
Paar intereſſante, die Epoche genau Hence vende
Thatſachen.
Die erſte derſelben iſt die Bildung einer Natio—
nalgardenarmee durch den General Katong Miklos
im October und November 1848. Dieſe hatte die
Beſtimmung, im Verein mit den Klauſenburger Trup—
pen das nördliche Siebenbürgen auf der Linie von
Thorda bis Nagy Bänya zu beſetzen, den Einfall
des Feindes innerhalb dieſer Linie zu verhindern,
auch die Wallachen im Koloſer, Belſö Szolnoker
Comitate und in den partes (Kraſzna, Közep
Szolnok, Kövar) im Zaume zu halten. Die Walla—
chen hatten nämlich alle dem Oberſt Urban auf den
Doppeladler Treue gelobt und waren von ihm mit
ſogenannten Pazſuras verſehen worden.
Gegen dieſe Aufſtändiſchen ſollte nun ein Natio—
nalgendarmeriecorps gebildet werden. Der eigentliche
80
Schöpfer deſſelben, Graf Teleky Sändor gab ſich
auch alle erdenkliche Mühe und ſcheute ſelbſt nicht die
größten Opfer, um in kürzeſter Friſt obige Einrich—
tung in's Leben zu rufen. Allein er war nicht Mi—
litair und ſeine Gehülfen Jeney Joſef und Katona
Miklos hatten von militairiſcher Bildung nichts erwor—
ben, als die Fähigkeit „halbrechts“ „halblinks “ und „rette
ſich wer kann,“ zu ſchreien. Daher kam es denn, daß
dieſes Corps erſt dann organiſirt war, als unſere
Truppen Klauſenburg ſchon geräumt hatten und der
öſterreichiſche General Wardener dort ſchon eingerückt
war. Es zählte im Ganzen ungefähr 10,000 Mann,
nämlich meiſtens Nationalgarden aus Szathmär,
Bihar, Szabols, Marmoros, die Wiener Legion,
600 und einige Mann ſtark, eine Diviſion Koburg—
Huſaren und das im Werden begriffene vierte Honved—
bataillon. Die Truppen waren von gutem Geiſte,
beſeelt und hätten manchen Nutzen leiſten können,
wenn nur ihrem eitlen Führer Katona Miklös nicht
Einſicht und Beſonnenbeit ganz unbekannte Dinge
geweſen wären. Da ihm außerdem alle militairiſchen
Eigenſchaften, den phyſiſchen Muth ausgenommen,
fehlten, ſo kann es uns nicht befremden, wenn wir
den phantaſtiſchen Helden Katona Miflös, in feinen
Ruhmesträumen, unbekümmert wie er war, um das,
was neben ihm, und noch unbekümmerter um das,
was in Klauſenburg geſchah oder geſchehen konnte,
1
in der größten Selbſtüberzeugung und vollkommner
Sicherheit gegen Dees vorrüden ſehen, wo er zu
ſeinem Staunen erfährt, daß die Kaiſerlichen Klau—
ſenburg bereits occupirt haben. Aber zurück konnte
die Lawine nicht wieder und Katona Mikläs nahm
ſich vor, die Feinde in Dées zu erwarten. Es dauerte
nicht allzulange, und es wurde Urban mit einer Bri—
gade gegen ihn detachirt. Katona hatte ſchlechte oder
vielmehr gar keine Vorkehrungen zur kräftigen Ver—
theidigung des Ortes getroffen; wie konnte er auch
denken, daß eine einzige Urban'ſche regulaire Brigade
im Stande ſei, es mit ſeiner großen Uebermacht
aufzunehmen, oder ſie wohl gar zu vernichten. Aber
wie immer im Kriege, rächte ſich hier die Gering—
ſchätzung des Feindes. Urban griff Dees jo wirk—
ſam von zwei Seiten an, daß Katona kaum Zeit
batte, ein Paar Kanonen loszubrennen, als ſchon eine
Abtheilung Chevauxlegers, von der Oſtſeite in die
Stadt rückend, eine ſolche Verwirrung anrichtete,
daß Alles bunt durcheinander davonlief. Nur das
4, Honvedbataillon und die Wiener Legion mit den
Koburg-Huſaren retteten, wie Löwen kämpfend, Ka—
nonen nebſt Munition und den patriotiſchen Bürgern
der Stadt hat Katona es zu verdanken, daß nicht
im Straßenkampfe die Hälfte ſeiner ganzen Mann—
ſchaft zuſammengehauen wurde. Katona, in den
Armen ſeiner Maitreſſe von Unſterblichkeit träumend,
6
82
mußte am nächſten Tage fopf- und ſinnlos, wie ein
gehetztes Wild, über Berg und Thal davon laufen
und weder von ihm noch von ſeinem Corps ſah man
etwas wieder bei ſpätern ernſtlichen Kämpfen. Frei—
lich hat er durch ſchlaue Lügen ſich in Debreezin von
der Schuld weiß gewaſchen, aber nichts deſto weni—
ger iſt er als Soldat immer ein Mohr geblieben *).
Hätten die Deefer Bürger durch eine inſtinctmäßige,
meiſterhafte und heldenmüthige Häuſervertheidigung
nicht den Kaiſerlichen viel zu ſchaffen gemacht, ſo
wäre die Zahl der Verwundeten, Gefangenen und
Todten im Katona'ſchen Corps ſehr groß geworden.
So aber nahmen ſie die günſtige Gelegenheit wahr und
liefen ſo raſch davon, daß Manche erſt in Nagy
Bänya, beiläufig ſieben deutſche Meilen davon, zum
Stehen kamen. Urban verfolgte ſie bis Remete,
kehrte aber von da wieder nach Klauſenburg und
Szamos Ujvär zurück; ſpäter werden wir ſehen,
welche Gründe ihn zu dieſem unvermutheten Rückzuge
wahrſcheinlich veranlaßt haben. Uebrigens bildete ſich
ſpäter aus den regulairen Ueberreſten jenes Corps der
linke Flüge! der Siebenbürger Armee, welcher Ge—
legenheit fand, dieſe Schmach blutig zu rächen.
„) Ueber die gegen Katona Miklos erhobene, gerichtliche Ders
folgung, fo wie deren Reſultat, ſiehe Közlöny Nro. 94 vom
2. Mal 1849. 0
83
Eine zweite, die gegenwärtige Zeit darafterifi-
rende Thatſache iſt das Benehmen der öſterreichiſchen
Officiere in den von ihnen beſetzten ungariſchen
Städten und Ortſchaften, ihre Wirthſchaft in Kein:
desland und ihr Benehmen gegen Gefangene und
Verwundete. Man war vor der Revolution von
1848 daran gewohnt, den öſterreichiſchen Officier als
einen gebildeten, höflichen und beſonders gegen Da—
men zuvorkommenden, meiſtentheils rüſtigen jungen
Mann ſich zu denken; als einen Mann, deſſen weiße
Uniform keinen Flecken verträgt und der auf das
Entſchiedenſte Alles von ſich weiſt, was ſeiner Ehre
nur im Mindeſten zu nahe treten könnte. Man
dachte ſich unter dem öſterreichiſchen Officier einen
aufgeklärten Ehrenmann. Fragen wir nun, wie er
ſich in Siebenbürgen benahm und n darüber
der Welt das Urtheil.
Oberſtlieutenant Urban, in den Dienſt der Cama—
rilla getreten, trieb mit ſeinem Pazſuras das Proſely—
ten machen à la grosso, predigte mit offnem Viſir das
Romanenthum, obſchon er recht gut wußte, daß deſſen
erſtes und letztes Ziel die Vertilgung einer edlen
Nation war, mit welcher ſeine Vorfahren und Brü—
der Jahrhunderte lang in Eintracht und Frieden lebten,
ſowie daß deſſen Mittel beſtanden in Raub, Mord,
Plünderung, Nothzucht, Mädchenraub, Schändung,
Zeritörung Alles deſſen, was irgend einen Werth,
6 *
84
ſei es moraliſchen, phyſiſchen, hiſtoriſchen oder künſt—
leriſchen, beſaß, daß endlich das Romanenthum mit
Scheußlichkeiten aller Art ſchwanger ging, wie ſie
nur die zügelloſe Phantaſie eines Huronen gebären
mochte! Solche Horden zählten Urban und ſein Offi—
ciercorps zu ihren Waffenbrüdern; ſie zechten mit
ihnen, theilten ſich mitunter in den geraubten Schmuck,
die geſtohlenen Pferde und Effecten, Alles unter
Vivats für den gütigen Ferdinandu imperatu nostru!
— Der öſterreichiſche Major K. . . . .... n drang bei der
Einnahme Maros-Väſärhelys in das Schlafzimmer
der Gräfin Läzär Möricz, welche krank im Bette
lag, riß ihr die Decke ab und zog ihr die Brillant—
ringe vom Finger, mit dem noblen Ausrufe: Wozu
ſoll Dir das bleiben, Du Koſſuthſche H. . .!
Ein öſterreichiſcher Hauptmann von Parma-In⸗
fanterie lag, bei der Einnahme Klauſenburgs durch
Bem, krank im Bette und bat flehentlich den Grafen
Teleky, ihn vor der Gefangenſchaft zu ſchützen und
ihm einen Wagen bis Thorda zu leihen, welchen er
auf Ehrenwort ſogleich zurückzuſenden verſprach. Graf
Teleky ſchickte ihn mit ſeiner eigenen Equipage fort
und „Roß und Wagen ſah man niemals wieder.“
Später wurde der Capitain gefangen und trat zu den
Honveds über!
Bei Baron Huszaͤrs in Klauſenburg machten ſich
mehre Cavallerieofficiere breit, zertrümmerten die vor—
5
gefundnen Möbel und andere Gegenſtände, und
ſtahlen aus den Damen- Etuis die brillantnen
Steck- und Buſennadeln, Ohrringe u. dgl. für ihre
Liebchen zum Geſchenk. |
In Does führte ein Officier einem Bürger ein
Reitpferd weg und gab es ihm auf Befehl feines
Majors erſt dann zurück, als man ihm 10 fl., ſage
zehn Gulden Conventionsmünze, Tauſchgeld dage—
gen bot.
Das Haus des Oberſten Mikes Kelemen wurde
beim Einzuge Urbans in Klauſenburg rein ausge
plündert; einen großen Theil der dort geraubten
Effecten, ſogar Porzellan, Reitpeitſchen u. dgl. fand
man bei Thorda in dem einem Lieutenant Schuſter
abgenommenen Gepäcke wieder.
Nach der zweiten Affaire von Hermannſtadt
wurde ein Lieutenant von Sivkovich-Infanterie ger
fangen genommen; ich glaube er hieß Luxem; auf
fein Ehrenwort ließ man ihn ohne Wache. In der
Nacht ging er durch und flüchtete ſich zu den Walla—
chen. Oeſterreichiſche Officiere, von denen ich mich
eines Oberlieutenants Winter oder Winkler entſinne,
commandirten die wallachiſchen Horden bei ihren
gräulichen Expeditionen gegen Zalathna, Nagy-Enyed,
Felvinez und andere Orte. In Bezug auf Oberſt
Auguſt, Schloß-Commandanten in Maros-Bäfarbely
und deſſen Filouterie, als er beim Einzuge Gedeons
86
den Schmuck und das Gold der Bewohner zu ſich
nahm, um es vor Plünderung zu bewahren, eigent—
lich aber, um es nie wieder zurückzuſtellen, verweiſe
ich auf die Berichte aus Maros-Vaſärhely im Hon⸗
ved- und Közlöny. .
Solche Dinge trugen ſich in Siebenbürgen zu:
wie mögen die Oeſterreicher ſich erſt in Ungarn be—
nommen haben? In Ungarn, wo der Gouverneur
der Feſtung Temesvar F. M. L. Rukawina dem
Oberſten Koppet ſagte: Den Rebellen gegenüber
braucht man ſein Ehrenwort nicht zu halten. Dieſer
Officier, einer der ritterlichſten und als Cavaleriſt
einer der gediegenſten Führer in der öſterreichiſch—
ſiebenbürgiſchen Armee, wurde, als er krank ſeiner
Armee folgte, vom Oberſt Bethlen nach dem Ein—
marſche in Hermannſtadt und auf dem Marſche gegen
Leſchkirch zum Gefangenen gemacht und gegen ſein
Ehrenwort entlaſſen. General Bem gab ihm einen Paß
nach Temesvar und Rukawina ließ ihn dort verhaften.
Doch genug der Thatſachen zur Charakteriſtik
der öſterreichiſchen Officiere; wir würden mit Freu—
den Beiſpiele des Gegentheils angeführt haben; au—
ßer dem vom beregten Oberſt Koppet in Klauſen—
burg gegebenen, wo er die Brutalität Urbans nach
Kräften zu mildern ſuchte, findet ſich in dieſer Kriegs—
geſchichte kein einziges. Mithin bleibt uns nur die
traurige Aufgabe, die wahrſcheinlichen Urſachen eines
7
ſolchen Mangels an Zartgefüthl, Redlichkeit und
Ebre, die größten Zierden des Kriegers einem be
ſiegten Feinde gegenüber, aufzuſuchen. Hier findet
ſich vor allen Dingen eine paſſende Anwendung des
alten Sprichwortes: exempla sunt odiosa. Geſchick—
tere Federn als die unſrige haben der Welt das Ge—
webe jener Doppelzüngigkeit, jener niederträchtigen
Diplomatie enthüllt, welches die Camarilla ſpann,
um den ungariſchen Löwen ſo zu umgarnen, wie er
es jetzt iſt. Jede Wiederholung wäre mithin über:
flüſſig. Die Verderbniß und die Entſittlichung drang
von den böͤchſten Regionen, aus der unmittelbaren
Umgebung des Kaiſers, bis in die unterſten Sphären
und es konnte Niemand Wunder nehmen, wenn die
ebrloſe Heimtücke der Hofdiplomatie bei dem ſchlichten
Soldaten in einer brutalen Härte und beim rohen
Wallachen in einer maßloſen Grauſamkeit ihr Echo
fanden. Der Diplomat war doppelzüngig, der Sol—
dat unterdrückte das Gefühl der Ehre: Raizen, Wal—
lachen, Croaten und Slovaken wurden zu wilden
Beſtien. Die Genoſſenſchaft eines ſolchen Geſindels
übte natürlich ihre Rückwirkung auf den Gebildeteren,
das wüſte Kriegsleben trug das Seinige zur Ver—
ſchlimmerung des Uebels bei, die Blüthe des kaiſer—
lichen Officiercorps fiel in den Schlachten und jo
kam es, daß jetzt die alten öſterreichiſchen Officiere,
das Geſchehene verwünſchend, mit Befremden gewahr
werden, in welche Kameradſchaft ſie hineingerathen;
88
für den Geſchichtsſchreiber wird es ſtets ein erheben—
der Troſt bleiben, für die ungariſche Nation auf
ewige Zeiten ein Hochgefühl, daß die „Koſſuthſchen
Hunde,“ wie öſterreichiſchen Officiere die Honveds zu
nennen beliebten, Brutalität mit edler Gefälligkeit
und kleinmüthige Rache mit Großmuth vergalten.
89
Drittes Gapitel.
Czetz ſtrategiſche Disvofitionen behufs Wiederaufnahme der Ope—
rationen gegen Klauſenburg. — Bem's Ankunft bei der
Armee. — Sein erſtes Auftreten. — Ueberſicht der Armee.
— Stellung derſelben. — Stellung des Feindes. — Bem
billigte den von Czetz entworfnen Operationsplan und be:
ginnt auf Grundlage deſſelben die Operationen auf dem
linken Flügel von Nagy Banya aus. — Pläne der Kaiſer⸗
lichen. — Treffen bei Cſücſa am 18. und 19. December 1848.
— Treffen bei Sibo und Szurdok am 20. December. —
Affaire bei Dees am 23. December. — Ruͤckzug der Oeſter—
reicher. — Empfang der Bem’fchen Truppen in Dees und
Szamos⸗Ujvar. — Einrücken in Klauſenburg am 25. De-
cember. — Dispoſitionen zur Verfolgung der fliehenden
Oeſterreicher. — Klauſenburgs Freudentage. — Wie Bem
den Sieg zu benutzen verſtand. — Bem's Organiſations—
talent in feinem fchöniten Lichte. — Rückblick.
Unſere Armee erhielt auf wiederholte Vorſtellun—
gen ihres Obercommandanten bei der Regierung, in
der Zeit vom 1. bis zum 15. December 1848 nam⸗
baften Zuwachs. Zuvörderſt das zweite Szekler-Ba—
taillon. Daſſelbe hatte die zweimalige Belagerung
von St. Tamäs im Auguſt und October, die Schlach—
ten bei Schwechat und Trentſin mitgemacht, von
April bis November faſt ganz Ungarn nach allen
Richtungen durchzogen und wurde ſchließlich zum
90
Cernirungscorps von Arad commandirt. Als es dort
von den Ereigniſſen im Szeklerlande Kunde erhielt,
lehnte es ſich gegen ſeine Beſtimmung auf und wurde
in das Lager von Cſücſa geſandt, wo es in den
erſten Tagen des December nebſt der im raiziſch en
Lager verwendet geweſenen Diviſion Szeklerhuſaren
eintraf. Das dritte Bataillon Alexander-Infanterie
ſetzte ſich nach Nagy Bänya in Marſch und reerutirte
ſich unterwegs. Ferner ward von Peſth nach Nagy
Bänya eine Batterie Sechspfünder und von Groß—
wardein nach Cſücſa eine zweite desgleichen beordert,
wozu ſich aber die Siebenbürger Armee ſelbſt die
Beſpannungen verſchaffen mußte. Zu derſelben Zeit
rückten in Szillagy Somlyo 4—600 Mann National:
garde-Infanterie, an 200 Mann Nationalgarde-Ca—
valerie mit 4 ſehr gut beſpannten und bemannten
Sechspfündern aus Debreczin ein. Am 15. Decem—
ber 1848 war demnach der Beſtand der ganzen un—
gariſchen Siebenbürger Armee folgender:
1) Rechter Flügel bei Cſucſa unter Oberſt Riezko
Das 11. Honvedbataillon unter Ma—
jor Johann Banff n... 700 Mann
Das 55. Honvedbataillon unter
Hauptmann Frater 700 „
Kreß Chevauxlegers unter Rittmei—
ſter Pererg i nn. u an bi 719 »
Biharer Nationalgarden ..... 3000 „
1175 Mann
Dazu eine ſechspfündige Batterie.
9
Generalſtabsofficiere: Major Joſef Baumgarten
von Szeklerhuſaren und Hauptmann Dobay vom
116. Honvedbataillon.
2) Centrum unter dem Armee-Commandanten Major
Johann Czetz
Truppen-Commandant Oberſt Graf Mikes Kelemen
Das 31. Honvedbataillon unter Mas
jor Töth Agoſto gn 850 Mann
Das 2. Szeklerbataillon unter Ma-
jor Szilag r ii um 800 „
Debrecziner Infanterie. 500 „
Siebenbürger Nationalgarde unter
Major Kemény Farkas 100 —
Drei Escadron Mätyäs-Huſaren
unter Graf Bethlen Gergely .. 400
Zwei Escadron Szeklerhuſaren un—
ter Major Kis Sändoer . 300 „
Debrecziner Cavalerie 200 „
Kraſznaer und Szolnoker National—
garden unter Major Egloffsſtein
m 1000 „
1150 Mann
Dazu eine dreipfündige Batterie von 6 Geſchützen
und 4 Sechspfünder aus Debreczin
Chef des Generalſtabs: Major Forrô Alexius
von Szeklerhuſaren.“
3) inker Flügel unter Major Zſurmay (für ihn hätte
das Commando Oberſtl. Banffy übernehmen ſollen)
92
Das 4. Honvedbataillon unter Ma⸗
jor Mesz ena 1000 Mann
Das 3. Bataillon Alexander unter
Major Keller UT 900 „
Die Wiener Ban. 7 . ie, 400 „
Szathmarer freiwillige Infanterie . 400
1 Diviſion Koburg-Huſaren .. 200»
1 Escadron Wilhelm-Huſaren .. 160 „
Freiwillige Cavalerie aus Szatbmar 50 „
Verſchiedene Nationalgardeninfan-
M.. ene 500 „
3610 Mann
Dazu eine Batterie Sechspfünder von 8 Ge—
ſchützen.
Major Meszena verfah zugleich die Geſchäfte des
Generalquartiermeiſters.
Mithin war der Beſtand der ganzen Armee
11,150 Mann Infanterie, 1385 Mann Cava—
lerie, mit 24 Geſchützen.
Erwägt man indeſſen, daß die angegebenen Na—
tionalgarden, außer den Debreczinern und Siebenbür—
gern faſt durchgehends nur mit Lanzen bewaffnet,
mithin zum Kampf im offnen Felde nicht tauglich
waren; erwägt man ferner, daß die geſammte Ar—
tilleriemannſchaft, aus Recruten beſtehend, kaum das
Laden der Geſchütze verſtand, daß folglich von einem
ſchnellen und genauen Schießen, von Evolutionen
keine Rede, und daß man zufrieden ſein mußte, wenn
93
die Artillerie an einem beſtimmten Puncte raſch genug
abprotzte; bedenkt man ferner, daß die ganze Infan—
terie, die Szekler wegen ihres Mangels an Disciplin
nicht ausgenommen, aus meiſtentheils feuerſcheuen,
unerercirten, ſchlecht gerüſteten und ſchlecht bekleideten
Recruten beſtand, welche durch die damals herrſchende
ungewoͤhnlich ſtarke Kälte in ſchlechten Quartieren
bei unregelmäßiger Koſt in phyſiſcher Beziehung ſehr
heruntergekommen waren; erwägt man endlich, daß
ſelbſt die Cavalerie theils aus ungeübten Reeruten,
theils aus einer Mannſchaft beſtand, unter denen
durch die jüngſten Ereigniſſe die Bande der Disciplin
ſehr gelockert waren — ſo muß man erſt die Ener—
gie, den Scharfblick, das Talent und die Seelen—
ſtärke Bem's wie feiner höhern Officiere ſchätzen
lernen und nicht umhin können, dem kriegeriſchen
Genie des Obergenerals denſelben gerechten Tribut zu
zollen, wie dem patriotiſchen Heldenmuth ſeiner Of—
ficiere. Bem bekam die ſchlechteſten Truppen, welche
ſonſt Niemand haben wollte; er war von denſelben
nicht einmal gekannt und es bedurfte einer eignen
abſeiten des Regierungspräſidenten erlaſſnen Procla—
mation, in welcher ſeine Leiſtungen im polniſchen
Revolutionskriege aufgezählt wurden, um das gegen
einen fremden General natürliche Mißtrauen aus
den Truppen und Officieren zu verbannen. Aber
nach drei Monaten ſchon hatte Bem ganz Sieben—
bürgen wieder erobert, ſeine Armee war die erſte
94
aller ungariſchen und er ſelbſt der Abgott ſeiner Sol—
daten wie Officiere, welche vom erſten bis zum letz—
ten in ihm ihren Vater und Meiſter verehrten.
Dies iſt das Werk einer bewundernswürdigen Kraft
und des feſten Willens, der gediegenen Einſicht,
welche vom Unglücke geſchlagen, ſich ſtets wieder er—
hebt und die den Mann gerade dann in ſeiner ganzen
Größe zeigt, wenn die Welt geneigt iſt, ihn für im—
mer verloren zu geben. Unbewußt denkt man an Na—
poleon bei Marengo, nur daß hier kein Defair das
fliehende Glück wieder erhaſchte, ſondern der einzige
Bem Alles that. Wohl gehören auch dazu die
Männer des Wiſſens und jene der That, wie Oberſt
Mikes, Major Bethlen, Oberſt Kis und andere.
Doch laſſen wir jetzt ſtatt der Worte Thaten reden.
Der Genauigkeit wegen müſſen wir den cam—
pagnefähigen Beſtand der Siebenbürger Armee an—
geben, welcher ſich auf 5800 Mann Infanterie,
1335 Mann Cavalerie, 2½ Batterien Sechspfündern
und 1 Batterie von 6 Dreipfündern, mithin 24 Ges
ſchütze, belief.
Am 15. December erhielt der ſich in Zilah behufs
einer Recognoſeirung befindende Armeecommandant
durch eine Regierungsdepeſche von Großwardein
officielle Kunde von der Ernennung Bem's zum
Obercommandanten der Armee. Zugleich kam die Nach—
richt, derſelbe ſei bereits in Großwardein angelangt,
habe dort großartige Anordnungen in Bezug auf die
05
Equipirung, Montirung und Verpflegung der Trup—
pen getroffen, ferner die Errichtung eines Reſerve—
artillerieparks angeordnet, und ſei gleich nach Cſücſa
aufgebrochen. Major Czetz eilte ſofort nach Szillagy
Somlyo, war aber kaum dort, als einige Stunden
ſpäter ſchon Bem mit 3 Adjutanten eintraf. Er
äußerte feine völlige Zufriedenheit, was ſehr ſelten
war, über die Wahl der ſtrategiſchen Punkte, inſon—
derbeit des Hauptquartieres, ernannte Major Czetz
zum Oberſtlieutenant und Chef ſeines Generalſtabes,
Rittmeiſter Alexius Forrò zum Major und Director
der Operationscanzelei, machte an demſelben Tage
durch einen Tagsbefehl ſeine Ankunft bekannt und
bedeutete zugleich ſeinen Officieren, daß er jeden In—
ſubordinationsfall, ſowohl bei Soldaten als bei Of—
ficieren, mit dem Tode ſtrafen werde. Am nächſten
Morgen hielt Zem Revue und ſagte dem verſammel—
ten Officiercorps bei ihrer Vorſtellung nur die weni⸗
gen Worte: „Meine Herren! Die Regierung bat
„mich zum Obercommandanten dieſer Armee mit
„plein pouvoir ernannt. Ich fordere von Ihnen
„unbedingten Gehorſam. Wer nicht gehorcht, wird
„erſchoſſen. Ich werde aber auch zu belohnen wiſſen.“
Dieſe wenigen Worte bezeichnen in der That den
ganzen Charakter des greifen Feldherrn, wie er ſich
gegen Untergebne kundgab: Unerbittliche Strenge,
Unparteilichkeit, Schärfe im Strafen, aber Groß—
muth im Belohnen des Verdienſtes, Freiheit von
96
jeder Rachſucht, ohne den mindeſten Schatten von
Egoismus.
Bem war mit dem Auftrage und der Idee ge—
kommen, aus der Defenfive ſofort in die Offenſive
überzugehn und Siebenbürgen wieder zu erobern,
eine Lieblingsidee Koſſuth's, welche indeß ihren
Grund auch in höheren militairiſche Combinationen
fand. Koſſuth hatte es Major Czetz zur ſtrengſten
Pflicht gemacht, Klauſenburg innerhalb 8 Tagen
wieder zu nehmen, wie er in einer vom 1. December
datirten Depeſche ſchrieb. Allein die Sache war
leichter befohlen, als ausgeführt. Czetz ſah nämlich
wohl ein, daß dieſe Aufgabe keinenfalls auf der Ope—
rationslinie des rechten Flügels, von Cſuͤcſa aus,
mit Erfolg verſucht werden könne, ſondern dazu das
Zuſammenwirken der ganzen Armee auf drei Opera—
tionslinien, nämlich von Cſücſa aus gegen Baäͤnfi
Hunyad, von Sibé und Zilah gegen Galgo und
Hid Almäs und von Nagy Bänya aus gegen Dees
erforderlich ſei. Der rechte Flügel mußte ſich ſo lange
defenſiv verhalten, bis der linke Flügel bis Dees
und das Centrum bis Hid Almas vorgerückt wäre
und ſich mit demſelben in Verbindung geſetzt hätten.
Dann erſt ſollte der Vormarſch nach Klauſenburg
auf allen drei Linien zugleich vor ſich gehen. Der
linke Flügel hätte freilich eigentlich Biſtritz zum
Operationsobjecte wählen ſollen, allein die Armee
war zu Schwach, um jetzt ſchon eine ſolche Theilung
97
des linken Flügels zu geftatten, und dem Centrum
mit dem rechten Flügel allein die Gewinnung des
Hauptobjectes, Klauſenburg, zu überlaſſen.
Bem billigte dieſem vom Chef des Generalſtabes
entworfnen Plan vollkommen, übergab dieſem das
Commando des Centrums und eilte ſelbſt nach Nagy
Baänya, um von dort aus die Operationen zu leiten.
Die Pläne der Kaiſerlichen förderten weſentlich
die Ausführung unſerer ſtrategiſchen Dispoſitionen.
Fürſt Windiſchgrätz hatte nämlich angeordnet, daß
am berüchtigten 18. December, an welchem Tage das
arme Ungarn mit großen Maſſen von neun Seiten zu—
gleich angegriffen werden ſollte, die Siebenbürger
Armee gegen Großwardein operiren, durch Beſetzung
dieſes Ortes die Reichsverſammlung unmöglich machen,
nach der Einnahme Peſth's aber in Debreezin oder
auch Großwardein ſich concentriren und ſo der ganzen
Inſurrection mit einem Schlage ein Ende machen
ſollte. Das war allerdings ein großartiger Plan,
welcher dem Lande im Fall des Gelingens viel Blut
erſpart haben würde, ohne ihm aber in dem Elende,
in welches es jedenfalls gerathen wäre, den Troſt zu
laſſen, daß feine Sohne, gleich Helden, ihrer Ahnen
würdig, das gute Recht, jo lange als möglich, ver:
theidigt und den Ungarruhm mit blutigen Lettern in
das Buch der Geſchichte geſchrieben hatten.
Cſucſa ſollte das Grab dieſes Planes werden.
General Wardener rückte am 17. December mit einer
7
98
Brigade von 4 — 5000 Mann und zwei Batterien
nach Bänfi Hunyad und unternahm in zwei Colon—
nen, deren eine unter Urban auf der Almaſer Straße
vorging, während die Hauptcolonne die Hauptſtraße
verfolgte, den Angriff auf die feſte Poſition bei Cſuͤcſa.
Oberſt Riczkö hatte ſeine Truppen in drei Theile
getheilt: Der rechte Flügel beſetzte K. Sebes und
die Höhen an der Mündung des Paſſes unter Dobay,
der linke Flügel das Görgeny Thal unter Baum—
garten nebſt den anliegenden Höhen, das Centrum
und die Reſerve blieben in und hinter Cſuͤcſa,
4 Kanonen im Sebes-, 2 im Görgeny-Thale. Der
Almaſer Weg war, wie wir wiſſen, auf eine halbe
deutſche Meile verhauen. Als aber die Wallachen in
Szienna, Alma Lalta, Baläshaza erfuhren, daß Urban
ſich näherte, rotteten fie fich zuſammen, räumten in einer
Nacht unſern auf dem Almaſer Weg gemachten
Verhau hinweg und ſtellten die Brücken und Wege wie—
der her“). Der Kampf bei Cſuücſa dauerte von Mor:
gens bis in die ſinkende Nacht; die Kaiſerlichen konnten
keinen Schritt Raum gewinnen. Die junge unga—
riſche Artillerie, geleitet vom Oberſten Baumgarten,
) Es war überhaupt eine der größten Schwierigkeiten dieſes
Feldzugs, daß die Ungarn überall in Feindes Land kämpften,
überall nur mit größter Mühe ſich Lebensmittel verſchaffen und
zuverläffige Kundſchafter oft für die größten Summen nicht auf-
treiben konnten.
99
wies alle Bajonetangreffe mit ſeltner Kaltblütigkeit
und erſtaunlicher Gewandheit zurück; die Infanterie
bielt durch geſchickte Stellung an den Thalrändern
bei K. Sebes den Tirailleurs und Colonnen wacker
Stand. Im Anfange freilich wichen die unge—
übten Honveds des eilften Bataillons und der Feind
rückte ihnen unter lautem Hurrahruf bis K. Sebes
nach; aber da ſtellte ſich Major Dobay mit ſeltner
Bravour und Geiſtesgegenwart an die Spitze einiger
Braven vom eilften Bataillon und chargirte die an—
ſtürmende feindliche Infanteriecolonne mit ſolcher Hef—
tigkeit, daß ſie die Flucht ergriff und ihre im ſchma—
len Thale nachrückenden Gefährten mit ſich fortriß.
Gleiches Schickſal traf Urban im Görgény-Thale,
indeſſen behielt er hier ſo viel Terrain, daß er in der
Nacht auf den Höhen campiren konnte.
Oberſt Riegfö, welcher bei Cſucſa commandirte,
hatte den Kopf verloren und wollte ungeachtet der
errungenen Vortheile die Poſition aufgeben; allein
Oberſtlieutenant Baumgarten und Mafor Dobay
waren nicht dieſer Anſicht und dazu kam noch vom Chef
des Generalſtabs und von Bem die gemeſſne Ordre,
bei Strafe des Erſchießens die Stellung bis auf
den letzten Mann zu behaupten. Die Wahl war
alſo nicht ſchwer. Am nächſten Morgen erneuerten
die Kaiſerlichen ihren Angriff, begingen aber den un—
begreiflichen Fehler, in dem ſchmalen Thale durch
ihre Chevauxlegers die erhöht ſtehende, und durch
7 *
100
flüchtige Verſchanzung gedeckte Batterie der Ungarn
bei K. Sebes angreifen zu laſſen. Dies hatte zur
Folge, daß der Führer der Chevauxlegers, Major
St. Quentin, mit vielen ſeiner Leute blieb und ſpäter
weder die Infanterie noch die Cavalerie zur Wieder—
holung dieſer Attaque zu bewegen war. Ein gleiches
Schickſal traf auf der andern Seite den Oberſt Urban
und die Kaiſerlichen mußten ſich ſchmachbedeckt nach
Bänfi⸗Hunyad und von da nach Klauſenburg zu—
rückziehen. Riczkö, welcher am 24. Bänfi-Hunyad
beſetzte, verfolgte ſie nur läſſig, woran einerſeits die
gänzliche Erſchöpfung ſeiner Truppen, andererſeits
mißverſtandne Ordres die Schuld trugen. Der Ver—
luft auf Seiten der Kaiſerlichen belief ſich wohl auf
einige Hundert Mann, der unſrige auf 20 Mann
nebſt einigen Pferden. Außerdem hatten wir den Verluſt
des Oberſtlieutenant Baumgarten zu beklagen, dem
durch eine Kartätſchenkugel die Knieſcheibe zerſchmettert
wurde und welcher dadurch, zum Bedauern der gan—
zen Armee, denn er wäre unzweifelhaft einer der
erſten ſelbſtſtändigen Führer geworden, für dieſen
Feldzug untauglich gemacht ward.
Dieſer Sieg hatte an ſich nur eine geringe tak—
tiſche Bedeutung, aber gewährte doch einige erheb—
liche ſtrategiſche Vortheile. Der Plan der Kaiſerlichen
auf Großwardein war geſcheitert, die kaiſerliche Ars
mee in Siebenbürgen auf ſich ſelbſt beſchraͤnkt und
fortan iſolirt, das Aſyl des Reichstages geſichert und
m
der große Windiſchgrätz'ſche Plan zerriſſen. Außerdem
batten die jungen Honveds den Sieg gekoſtet, Ver—
trauen zu ſich ſelbſt und zu ihren Führern gewonnen,
die Notbwendigfeit der Disciplin einſehen gelernt
und waren mit einem Schlage zu Soldaten gewor—
den: was Alles bald die ſchönſten Früchte tragen
ſollte. |
Während der Affaire bei Cſuücſa hatte Oberſt—
lieutenant Czetz fein erſtes Probeſtück bei Sibo und
Szurdok zu machen. Am 18. December nämlich bes
richtete Major Kemény Farkas aus Sibo, daß fih
bei Szurdok die Avantgarde einer kaiſerlichen Trup—
penabtheilung zeige, welche von 10—15,000 Walla⸗
chiſchen Landſtürmlern unterſtützt, Sibo bedrohten.
Offenbar war dies Detachement, aus zwei Linieninfan—
teriebataillons beſtehend, in der Abſicht über Dees und
Galgo entſendet worden, um mit Hülfe des berittenen
und bewaffneten wallachiſchen Landſturmes aus dem
Belſö Szolnoker Comitat, und dem Köväarer Diſtrict, ſich
Sibos und damit des Schlüſſels zum obern Szamos—
thale, zu bemächtigen, und im glücklichen Falle bis
Nagy Bänya vorzudringen. Major Kemeny Farkas
fügte ſeiner Meldung die Bemerkung hinzu, daß, da
Major Toth mit feinem Bataillon durch General
Bem nach K. Nyires beordert und dahin auch ſchon
abmarſchirt ſei, er ſich allein in Sibo nicht halten
koͤnne. Glücklicherweiſe befand ſich gerade an dieſem
Tage die in die Marmaros, zur Reorganiſation be—
102
ſtimmte Diviſion Mätyas-Hufaren in Stbö und ihr
Major Bethlen Gergely errieth mit gutem militairiſchen
Tacte, daß die Umſtände ihn beſtimmten, trotz
der früher erhaltenen beſtimmten Ordre, am Orte der
Gefahr zu verweilen. Sogleich ſtellte er ſich dem
Stationscommandanten zur Verfügung, und unter—
nahm unverzüglich eine forcirte Recognoſcirung, welche
ihm die Lage der Dinge und die Sib6 bedrohende
Gefahr klar machte. Die erwähnten beiden Bataillons
mit ihrem wallachiſchen Landſturme hatten Szurdok,
Tiho und Ormezö, beſetzt und drohten jeden Augenblick
Sibo anzugreifen, um es nach ihrer Weiſe in einen
Schutthaufen zu verwandeln. Auch Major Bethlen
Gergely ſandte einen Courier an den Oberſtlieut.
Czetz. Auf die erſte Nachricht von jenen Ereigniſſen
war dieſer ſchon mit dem zweiten Szeklerbataillon
nach Sibo abmarſchirt, und hatte die um Somlyöo
auf den Dörfern zerſtreut in Quartier liegenden Szek—
lerhuſaren zum Nachrücken am folgenden Tage beor—
dert. Oberſtlieut. Czetz und Oberſt Mikes langten in
dem Augenblicke, am 19. December Nachmittags, an,
als der Feind über die abgetragne Brücke bei Almas
rückte, um ſich der Verſchanzungen bei Sibö zu be—
mächtigen. Die Beſtürzung Keménys war groß, als
Oberſt Mikes gewahr wurde, daß man von einem
am linken Szamosufer belegnen Bergrücken aus, mit
Erfolg Geſchütze gegen die wallachiſchen Landſtürmler
verwenden könne. Augenblicklich wurden zwei Drei—
105
pfünder aus den Verſchanzungen auf die Höhe ge
bracht und nach dem dritten wohlgezielten Kanonen—
ſchuß war der ganze Haufe Wallachen, von denen
der gegenüberliegende Ormezöer Berg, wie ein Amei—
ſenbaufen wimmelte, verſchwunden, und nach Ormezö,
Tibo, Szurdok oder in die Wälder entflohen. Die
regulairen Truppen, auch aus Wallachen beſtehend
und das Jahr vorher auf dem Wege der Recrutirung
geſtellt, wurden mit fortgeriſſen und retirirten auf
Szurdok.
Mittlerweile langte das zweite Szeklerbataillon
an und bezog mit Sonnenuntergang die Vorpoſten.
Der nächſte Tag (20. December) war dazu ber
ſtimmt, den Landſturm zu ſprengen und die mit ihm
gekommenen Linientruppen über Galgò auf Dees oder
Klauſenburg zurückzuwerfen, um hiedurch die Ver—
bindung mit dem bereits nach K. Nyires vorgerückten
General Bem wiederherzuſtellen.
Am Morgen dieſes Tages rückten das zweite
Szeklerbataillon, die Diviſion Matyas-Huſaren und
zwei Dreipfünder über den Almäſer Wildbach gegen
Szurdok vor und griffen den die Höben von Szurdok
beſetzt haltenden Feind lebhaft an, während eine kleine
Abtheilung unter Hauptmann Szabo Ferdinand über
Örmezö auf Tibo detachirt wurde, um die rechte
Flanke zu decken; die linke war durch die Szamos
und den Räköczpberg geſchützt. Die Siebenbürger
Nationalgarden, unter Major Kemény, blieben mit
104
4 Geſchützen als Reſerve in den Verſchanzungen bei
Sibo zurück. Das Ganze ſah aus wie ein ſchönes
Manöver, nur daß die Folgen ernſt und wichtig ge—
nug waren. Die Szekler attaquirten muthig, allein der
Feind hielt die Höhen feſt, und ihre weittragenden Jäger—
ſtutzen hielten die Angreifer lange Zeit in Schach. Außer—
dem wurde auch Oberſtlieutenant Czetz durch eine Kugel
leicht geſtreift und der Angriff kam auf einen Augen—
blick in's Stocken. Nun ließ Oberſt Mikes die Szekler
einen fingirten Rückzug antreten und alle unſere Trup—
pen gingen über den Almäſer Bach zurück. Der
Feind ging ſogleich in die ihm gelegte Falle, und
rückte, ſeine gute Poſition auf den Anhöhen verlaſſend,
zur Verfolgung in das Thal hinab. Da ließ der mittler—
weile leicht verbundene Oberſtlieutenant Czetz auf dem
höher liegenden linken Ufer des Almäfer Baches vier
Dreipfünder auffahren und detachirte eine Szekler—
abtheilung über die Szamos in den Rücken des Fein—
des. Die Kanonen- und Kartätſchenſchüſſe fügten den
Wallachen erheblichen Schaden zu, jo daß fie bald
nach allen Richtungen davonliefen, die Mätyas-Hufaren
griffen mit ſeltner Bravour die Linieninfanterie an
und trieben ſie ebenfalls in die Flucht, während jene
Umgehungsabtheilung ſich bereits Szurdok näherte.
Der Feind entfloh über Galgd nach Does, bei ſin—
kendem Tage von einer Abtheilung Maͤtyas-Huſaren
verfolgt. Die Uebrigen rückten wieder in die Ver—
ſchanzungen von Sibo ein.
105
Während alſo auch hier das Glück den ungari—
Waffen lächelte, war General Bem mit dem linken
Flügel unſerer Armee bis Kis Nyires vorgerückt und
marſchirte von da, nachdem er dem Centrum befohlen,
ihm im Szamosthale zu folgen, ohne Anfenthalt
auf Dees zu, vor welcher Stadt ihn die kaiſer—
liche Brigade“) Jablonowsky, hinter der die nörd—
liche Stadtſeite beſpülenden Szamos, mit bei—
den Flügeln an dominirende Hügel gelehnt, das Cen—
trum am Rande der Stadt, in Schlachtordnung er—
wartete. Am 23. December griff Bem, nach ſeiner
gewohnten Weiſe, ohne ſeinen Truppen auch nur
eine Minute Raſt zu gönnen, den Feind an, war
überall der Erſte und leitete das Kanonenfeuer ſo
wirkſam, daß die Oeſterreicher nach einem vierſtün—
digen Artillerie- und Infanterie-Gefechte zu wanken
anfingen. Das war einer jener Momente, welche
der geſchickte Feldherr mit unglaublichem Erfolge zu
benutzen verſtand. Beim erſten Schwanken des Fein—
des drang die Infanterie unter Oberſtlieutenant Toth
ungeſtüm mit dem Bajonet auf ihn ein, warf ihn
über den Haufen und überließ ihn der nachſetzenden
Cavalerie zur nimmer ruhenden Verfolgung. Die
Arrieregarde Jablonowskys verſuchte noch an der
Brücke einen Widerſtand, der jedoch durch den Un—
*) Eine oͤſterreichiſche Brigade beſteht bekanntlich aus 3000
bis 4000 Mann.
106
geftüm des ten Honved-Bataillons bald gebrochen
wurde. Jablonowsky retirirte mit ſeinen betäubten
Truppen in einem Athem nach Bethlen, ein Theil
nach Biſtritz, und blieb dort ſo lange unthätig ſtehen,
bis ihn Bem wieder aufſuchte. Das Verdienſt der
taktiſchen Leitung dieſes Gefechtes gebührt dem Oberſtl.
Töth, ein Krieger ebenſo geſchickt im Entwerfen von
Plänen, wie klug und beſonnen in deren Ausführung.
General Bem ſetzte feinen Marſch auf Klauſenburg
über Szamos Ujvär, Välaszut und Apahida mit einer
ſolchen Schnelligkeit fort, daß ſelbſt nach gewonnener
Schlacht die Truppen kaum zum Abkochen Zeit ge—
wannen, und Oberſtl. Czetz, welcher dem General
von Sibo aus mit dem Centrum folgte, ihn erſt vor
Klauſenburg erreichen konnte, ungeachtet er am 22ften
früh von Sib aufgebrochen und Tag und Nacht
ununterbrochen marſchirt war. Hier verdient ein Um—
ſtand beſonders hervorgehoben zu werden, da er be—
weiſt, welcher Grad des Patriotismus die ungariſchen
Bewohner Siebenbürgens beſeelte und wie ſehr alle
Gutgeſinnten den Sieg der vaterländiſchen Sache
wünſchten. Die Truppen des Centrums nämlich waren
denen des linken Flügels auf dem Fuße gefolgt und
überall erwartete man ſie mit zubereiteten Speiſen und
Getränk, warmen Stuben und allen dem müden Krieger
beſonders bei einer Kälte von 15—20 Grad fo W
thuenden Annehmlichkeiten. So ging es z. B.
Dees. Unbeſchreiblich aber war der in Szamos 45
107
einer armeniſchen Stadt, berrichende Enthuſiasmus. Die
ſpat Abends von Dees anrückenden Truppen wurden
von den braven Armeniern mit Fackeln erwartet, die
Frauen erſchienen im Ballanzuge, Blumen und Bän—
der ſtreuend, die Bewohner riſſen ſich um die Hon—
veds, mit denen ſie den Weihnachtskuchen verzehren
wollten, tauſendfaches Eljen erſchallte, für den wie vom
Himmel geſandten Retter Bem, für Ungarns Wohl
und für die gelungene Befreiung aus dem ſoldatiſchen
Joche der kaiſerlichen Metzgerknechte. Und doch hat
man ſich in Ungarn nicht geſcheut, die Siebenbürger
reactiongir zu ſchelten!
Das Centrum holte den General Bem erſt am
Adventſonntag den 25. December ein, grade in dem
Augenblicke, als er ſich anſchickte, die ihm gegenüber—
ſtehenden Kaiſerlichen anzugreifen. Wir erwarteten
einen harten Strauß, aber unſere Erwartungen wur—
den getäuſcht. Die Kaiſerlichen waren durch das
plötzliche Erſcheinen Bems, gleich eines deus ex
machina, vor Klauſenburg, fo verblüfft, daß fie in
der That nicht wußten, was anzufangen ſei. Außer—
dem war die moraliſche Stärke ihrer Truppen durch
die Gefechte bei Cſuͤcſa, Sibd und Dees ſehr tief
geſunken, und General Wardener beſaß Klugheit ge—
nug, mit einer feindlich geſinnten Stadt im Rücken
und einem ſiegreichen Feinde vor ſich, kein zweifel—
baftes Spiel zu wagen, das zu feinem gänzlichen
Verderben ausſchlagen konnte. Nachdem alſo bei
108
Szamosfalva kaum einige Kanonenſchüſſe gewechſelt
waren, traten die Kaiſerlichen mit einer Einbuße
von ein Paar hundert Gefangenen und von einem
bedeutenden Theile ihres Gepäckes, ihren Rückzug
über den Fenes, einen Klauſenburg im Süden domi—
nirenden an 1000 Fuß hohen Berg, gegen Thorda
an. Die nachſetzenden Mätyäs-Huſaren erbeuteten noch
ein Paar Bataillonskaſſen, Montur- und Munitions-
wagen, nebſt Gewehren, und Bems Armee zog in
Klauſenburg, den Hauptſitz der Ungarn in Sieben—
bürgen, unter großem Jubel der Bewohner ein. Wohl
nie hat Klauſenburg freudigere Weihnachtstage ge—
feiert, als die, an welchen es durch Bems Armee
von dem unerträglichen wallachiſchen Joche befreit
wurde. Tauſend und aber Tauſend Herzen dankten
Gott, Segen von ihm erflehend für Bem und ſeine
Braven.
Selten, vielleicht nie, hat ſich in der Kriegs—
geſchichte das ſtrategiſche Ariom „man muß den Feind
mit den Füßen ſchlagen“ glänzender bewieſen und
nie hat ein Erfolg erlittene Strapazen und Entbeh—
rungen höher belohnt, als dieſe eben jo gefürchtete
wie heißerſehnte Wiedereroberung Klauſenburgs. Nir—
gends hat ſich das Genie des Feldherrn deutlicher
gezeigt, als in dieſer Epiſode des Feldzuges, wo ſtra—
tegiſche Combination, taktiſche Gewandtheit und ei—
ferne Beharrlichkeit jo harmoniſch zur Erlangung
deſſelben Objectes zuſammenwirkten und nur in der
Unverdroſſenheit, dem Heldenmuthe und dem Thaten—
109
durfte der jungen Truppen ihre Nebenbuhler fanden.
Acht Tage vorher kannte man beinahe keine Sieben—
bürger Armee und nur drei elende Dörfer gehörten
ihr; da wurden drei, zwar nicht großartige, aber
folgenreiche und darum glänzende Gefechte geliefert
und nach ununterbrochenem achttägigen Marſchiren
war man plötzlich Herr von Klauſenburg und vom
nordweſtlichen Landestheile. Die kaiſerliche Nord:
armee geſprengt, die Wiedereroberung des ganzen
nördlichen Siebenbürgens angebahnt, die Baſis für
die Operationen im Süden gewonnen, der Hauptwaf—
fenplatz und der Platz für die Reſerven in unſerer
Hand, der Name Bem's allein beinahe hinreichend,
um die kaiſerlichen Schaaren mit Entmuthigung,
Schrecken und Rathloſigkeit zu erfüllen, ſo daß er
gleich Cäſar nur zu erſcheinen brauchte, um zu ſiegen!
Und Bem, der greiſe Feldherr, verſtand zu ſiegen,
aber auch Anderer richtige Anſichten zu würdigen
und zu benutzen. Niemand aber wußte, wie er,
den Sieg zu benutzen, und wahrlich, hätte Ungarn
noch einen Bem beſeſſen, nie würde es, trotz aller
ruſſiſchen Intervention, die Sklavenkette verunzie—
ren. Denn Bem's Hauptcharakterzug beſteht grade
darin, daß ihn der glänzendſte Sieg nur dann ruhen
läßt, wenn demſelben keine Erfolge mehr abzu—
gewinnen ſind. So geſchah es auch jetzt. Schon
am nächſten Morgen nach dem Einmarſche in
Klauſenburg detaſchirte Bem den Obriſtlieutenant
110
Czetz, mit einer aus Infanterie, Cavalerie und Ar—
tillerie beſtehenden Brigade, gegen Kis-Kapus und
Bänfi Hunyad, um die von Riczko geſchlagenen
Kaiſerlichen, welche er ſich noch dort dachte, anzu—
greifen und fie Riczkö zuzuwerfen, wodurch fie noth—
wendiger Weiſe zwiſchen zwei Feuer gerathen und
kapituliren mußten. Da ereignete ſich aber ein in
dieſem Kriege ſehr oft eingetretner Fall: ſtatt der
Feinde erſchien um 12 Uhr Mitternachts die Avant:
garde Riezkös in Kis Kapus und bewirkte jo ihre
Vereinigung mit der Hauptarmee. Der Feind war
nämlich auf die Nachricht vom Heranrücken Bem's
über Hals und Kopf auf dem unwegſamſten Theile
des Fenes nach Thorda entflohen, Urban dagegen
hatte ſich des Nachts von N. Almäͤs über Egeres,
Darocz, Mera und die Tartſa den ihn verfolgenden
Truppen Riezkö's und Bem's entzogen und rettete
ſich über Apahida und Zfuf, Szek, Veresegyhaͤza und Le—
fenge nach Biſtritz. Es war ein wohlgelungener
Parteigängerſtreich, ſich auf dieſe Weiſe zwiſchen dem
Gros des Bem'ſchen Corps und den noch immer von
Szamos Ujvär nachrückenden Reſerven durchzuſchlei—
chen. Das Gelingen deſſelben erklärt ſich jedoch ein—
fach genug durch die Mattigkeit der ungariſchen Ca—
valerie, wodurch ſie beim beſten Willen den Pa—
trouillendienſt auf ſo weite Strecken nicht mit der ihr
ſonſt eigenthümlichen Genauigkeit zu leiſten vermochte,
ſo wie durch das zu ſchleunige Vorrücken des Ober—
—
ſten Kis Sändor, welcher erſt am nächſten Morgen
in Klauſenburg einrücken ſollte und ſchon um Mit—
ternacht des 25. Decembers daſelbſt eintraf. Denn
im erſteren Falle würde er gewiß bei Apahida auf
Urbans Truppen geſtoßen ſein, und hätte ſie, zu
deren ſicherem Verderben, nach Klauſenburg zurück—
drängen können. So entkam Urban durch ein Spiel
des Zufalls glücklich zwiſchen unſeren Bagagen hin—
durch, welche ſich nicht genug wundern konnten, einer
ganzen feindlichen Brigade zu begegnen, und von
ihr, ungeachtet ihrer 5 Geſchütze, nicht beläſtigt
werden. Urbans Arrieregarde, aus 4 Compagnien
Infanterie und ½ Escadron Wernhard Chevaur-
legers beſtehend, fiel ganz in Bems Hände, und zwar
auf eine ſehr komiſche Weiſe. Am Morgen nach
unſerem Einzuge in Klauſenburg erſchienen ein paar
betrunkene Ghevaurlegers als Quartiermacher von
Urbans Arrieregarde in der Stadt und glaubten ihre
Brigade ſicher dort zu finden. Wie groß mußte ihr
Erſtaunen ſein, als ſie, ſtatt ihrer Kameraden, Koſ—
ſutb⸗Huſaren auf Vorpoſten fanden und von denſel—
ben ſofort zu Gefangenen gemacht wurden. Sie er—
zählten (in vino veritas) daß fie für den in Pap—
falva befindlichen Nachtrab Urbans Quartier hätten
machen ſollen. Das kam General Bem recht gele—
gen. Er detachirte ſofort den Oberſt Mikes mit dem
zweiten Szeklerbataillon und einer Divifion Mätyas-
Huſaren nebſt einigen Kanonen, um jene kaiſerlichen
112
Truppen zu entwaffnen, wobei die unglücklichen
Quartiermacher natürlich den Weg zeigen mußten.
Als unſere Truppen Papfalva erreichten, ſchickten
ſich die Kaiſerlichen eben zum Abmarſch an, und als
Oberſt Mikes ihnen durch einen Parlamentair die
Lage der Dinge ſagen ließ, ſtreckten ſie alle die
Waffen.
Nach dem auf dieſe Weiſe beendeten erſten Auf—
zuge des Kriegsdramas ſchritt unſer nimmer ruhende
Feldherr unvorzüglich zur weiteren Löſung ſeiner
Aufgabe. |
Er ernannte den Oberſtlieutenant Töth zum
Militair-Gouverneur Klauſenburgs und des eroberten
Theiles von Siebenbürgen, traf Anſtalten zur An—
fertigung von Montur- und Rüſtungsgegenſtänden
im Großen, ordnete die Anlage von Munitions- und
Geſchützrequiſiten-Depots an und bot Alles auf, um die
ſeiner Armee ſo unentbehrliche Verſtärkung mittelſt
Werbung, Reorganiſirung und theilweiſer Mobiliſi—
rung der Nationalgarden zu verſchaffen. Auch ſuchte
er die erhitzten und fanatiſirten Wallachen durch
Verkündigung allgemeiner Amneſtie für das Ver—
gangene zu beruhigen und ſie auf dieſe Weiſe, wenn
nicht zu gewinnen, doch von der Fortſetzung ihrer
Grauſamkeiten und Verwüſtungen abzuhalten. Seine
Truppen belohnte er durch Ertheilung von Soldzu—
lage und durch unerwartete zahlreiche Avaneements;
kurz er wußte, die Eigenſchaften eines Feldherrn mit
113
denen eines Staatsmannes verbindend, die Liebe
ſeiner Anhänger wie die Achtung ſeiner Feinde im
gleichen Grade zu gewinnen und zugleich die Maͤn—
ner der That mit unauflösbaren Banden an ſich zu
feſſeln. Alles aber organiſirte er auf militairiſchem
Fuße, wenig oder gar nicht auf die Regierungscom—
miſſaire achtend, welche in Folge ihrer doppelſinnigen
pleins pouvoirs in Alles hineinpfuſchten und dadurch
ſowohl nichts gut machten, als auch das Gutgemachte
noch obendrein verdarben. Bems Geſchichtskenntniß
ſagte ihm, daß in Revolutionszeiten, wo Alles aus
ſeinen Fugen geriſſen iſt, nur eine militairiſche Dikta—
tur im Stande iſt, die einzelnen Theile des Staats—
organismus zuſammenzuhalten und ſo der künftigen
bürgerlichen Verwaltung Bahn zu brechen. Darin
liegt auch der Grund von Bems Abneigung gegen
alles Commiſſariatsweſen und weshalb er nie einen
Regierungscommiſſair in ſeiner Nähe duldete. Zu—
gleich erreichte er auf dieſe Weiſe einen anderweiti—
gen Zweck, indem er das Contagium eines unnützen
Politiſirens von ſeinen Truppen fern hielt und ſie
ſo zu wahren Soldaten heranbildete.
114
Viertes Capitel.
Disponirung des Obriſtlieutenant Czetz mit einer Brigade nach
Thorda. — Zweck derſelben. — Organiſirung des Klaufen-
burger Militairdiſtrictes. — Bem verfolgt die Oeſterreicher
gen Biſtritz. — Affaire bei Bethlen am 29. December. — An⸗
gabe der hierzu verwendeten Truppen. — Affaire bei Biſtritz
und Nas zod am 31. December. — Bems Verfügungen in Biſtritz,
allgemeine Amneſtie. — Raſt und Bekleidung der Trup-
pen. — Schlacht bei Tihutza am 4 und 5. Januar 1849. —
Rückzugsgefecht und Abzug der Oeſterreicher nach Gallizien
über den Borgo-Paß. — Bem verfolgt fie bis Vatra
Dorna. — Schilderung des Rückzuges. — Die Früchte
dieſer Ereigniſſe in ſtrategiſcher Hinſicht. — Rückblick und
Schluß des Feldzuges im nördlichen Theile Siebenbürgens. —
Am 26. December waren die Truppen, wie
dies täglich zu geſchehen pflegte, zur Revüe ausge—
rückt, als General Bem erſchien und dem Oberſtlieute—
nant Czetz befahl, mit dem 11. Honvedbataillon, der
Diviſion Mätyäs-Huſaren, welche in Klauſenburg eom—
115
pletirt werden follte, und ſechs Sechspfündern nach
Thorda zu marſchiren, wo er bis auf weitere Ordre
ſtehen bleiben ſolle. Durch dieſe Dispoſition wurde
erſtens Klauſenburg gegen die wallachiſchen Ueberfälle
geſichert und dort eine förmliche Garniſon entbebrlich;
zweitens der Schlüſſel des Aranyosthales und damit das
ganze Thal ſelbſt geſichert, auch den dortigen Szeklern
die Gelegenheit eröffnet, in die Armee einzutreten,
drittens die Verbindung mit Enyed, Tövis, Maros
liver und allen ungariſchen Oertern bis an die
Maros, mit Karlsburg und den Toroczkoer Alpen
hergeſtellt; viertens endlich, was die Hauptſache war,
die Aufmerkſamkeit des Feindes auf die Feſtung
Karlsburg gelenkt, welche einerſeits durch obige Ent—
ſendung mit Cernirung bedroht war, ſo wie anderer—
ſeits die Bewegung der Wallachen in Baläsfalva und
auf den Karlsburg umgebenden Gebirgen thunlichſt
behindert. Bem flößte hierdurch unſern Feinden den
Glauben ein, als beabſichtige er, auf dieſer Linie gegen
Karlsburg, ſo wie weiter gegen Hermannſtadt zu
operiren und gewann zugleich gegen Urban und
Jablonowsky im Norden freie Hand. Auch machte
dies ſtrategiſche Manöver den Häromszeker Szeklern
Luft. 4
Nach Czetz's Abmarſch trat Bem feinen Marſch
über Szamos Ujvär und Dees gegen Biſtritz mit
nachſtehend aufgezählten Truppen an:
ge
116
Das zweite Szekler-Bataillon . 800 Mann
„ vierte Honved⸗ „ 1000 „
„ Bataillon Keméenyaçs . 600 „
„ dritte Bataillon Alexander—
Infanterie 800 „
Die Wiener Legion 600 „
Infanterie 3800 Mann
Eine Divifion Mätyäs-Huſaren . 240 Mann
„ ” Koburg⸗ „ . 220 „
„ Escadron Wilhelm „ 120 „
„ Diviſion Szekler- „ „528
Cavalerie 860 Mann.
Zwei Batterien Sechspfünder . 12 Geſchützen
Eine Batterie Dreipfünder . 6 „
aus 18 Geſchützen.
In Klauſenburg blieben als Beſatzung:
Das 55. Honved-Bataillon .. 900 Mann
„ 31. „ nd Saal naar
Später kamen hiezu Biharer
und Közép Szolnoker Natio—
nalgar den 3000 „
(1000 Mann davon kommen
nach Thorda.)
15 Infanterie 1800 Mann
Eine Reſerve-Escad. Mätyäs-Huſ. 80 Mann
Klauſenburger Cavalerie . . . 50 „
Eine Reſerve-Escad. Szekler-Huſ. 100 1
Cavalerie 230 Mann
117
Debrecziner Artillerie 1 Sechspfünder
Geſchütze 1.
In Szamos Uljvär und Does blieben:
Debrecziner Mobilgarde 600 Mann Infanterie,
200 Mann Cavalerie, zwei dreipfündige Kanonen,
eine Feldſchlange und einige Wallflinten.
Cſucſa, Sibö und Nagy Bäanya wurden mit
Szatbmärer, Onkentes und Biharer Nationalgarden
beſetzt, in Bänfi Hunyad, Kolos, Szamos Ijvär,
Deées und Szaͤk die ungariſche Nationalgarde reor—
ganiſirt und zum Garniſondienſt verwendet. Das
32. Honvedbataillon recrutirte ſich aus dem Aranyo—
ſer Stubl. General Bem traf alſo mit den obener—
wähnten Truppen am 27. December in Sza—
mos Ujvär ein und nahm von dort den Oberſten
Mikes Kelemen als Truppencommandanten mit, wäh—
rend ihn Oberſt Riczké als Truppenbrigadier beglei—
tete. Denn Bem pflegte während der Schlacht ſeine
Hauptaufmerkſamkeit der Artillerie und dem Gange des
Gefechtes im Allgemeinen zuzuwenden, dagegen die
Truppenbewegungen durch die Unterbefehlshaber leiten
zu laſſen. Am 28. December erſchien er vor Beth—
len, deſſen ſtrategiſche Lage das Augenmerk Jablo—
nowsky's und Urban's mit Recht ſich gezogen und
ſie vermocht hatte, dort ihre Truppen zu concentriren
und nur unbedeutende Reſerven in Biſtritz zurückzu—
laſſen. Der Ort liegt nämlich am linken Ufer der
Szamos gerade in dem Winkel, welchen der Fluß
Bethlen bei feiner Einmündung in die Szamos bildet.
118
Rechts und links erheben ſich beide Thäler dominirende
Höhen. Die Poſition war alſo ſehr gut und günſtig
gewählt und mit einer 4000 Mann ſtarken Macht
beſetzt. Es gehörte auch Bems ganze Energie dazu,
um die Kaiſerlichen daraus zu vertreiben. Am
29. December in der Frühe ſetzte er unter ſtarkem Feuer
der feindlichen Artillerie über den bis auf den
Grund zugefrornen Fluß, ſo daß die Brücke ohne
Noth zerſtört worden war. Bems Artillerie entwik—
kelte ein ſo heftiges concentriſches Feuer, daß die
feindliche nach vierſtündigem harten Kampfe zum
Schweigen gebracht ward und durch einen darauf
folgenden kräftigen Bajonetangriff der Unſern die
Feinde zum Rückzug genöthigt wurden, welcher aber
vermöge der kühnen Verfolgung Bems mit der kampf—
luſtigen Cavalerie bald in eine regelloſe Flucht bis
unter die Thore von Biſtritz und Naszod ausartete.
Bei Bethlen theilt ſich nämlich die Straße und führt
nördlich im Szamosthale nach Naszöd, ſüdlich aber
über Somkerék, Magyarés oder Somkerék und Zip—
pendorf nach Biſtritz und von da weiter im Thale
der Biſtritz nach der Bukowina. Bei Lekencze gab
es noch eine kleine Affaire am 30. December.
Urban hatte ſich auf Naszöd, Jablonowsky auf
Biſtritz zurückgezogen. Letzteren verfolgte Bem ſelbſt
auf beiden Zweigen der Biſtritzer Straße, während
er die Verfolgung Urbans dem Oberſt Riczko über
ließ. Tag und Nacht wurde marſchirt und den
19
Truppen kaum einige Stunden Naft gegönnt. Am
31. December Morgens langten Bem und Ricgzk⸗,
jener vor Biſtritz, dieſer vor Naszäd, an. Sie nahmen
beide Orte nach kurzem Kampfe, die Kaiſerlichen
batten ſich vor beiden Orten in Schlachtordnung
formirt und ihre Truppen dem Terrain gemäß ver
theilt; ihre Artillerie verſuchte durch wohlgezieltes
und gut erhaltenes Feuer Bems und Riczkös Truppen
zu erſchüttern. Dieſe aber gaben ſich nicht lange
mit unnützem Hin- und Hermarſchiren ab, ſondern
ſtießen mit gefälltem Bajonet auf die feindlichen
Maſſen, während ihre Artillerie furchtbar wirthſchaf—
tete. Bald war der Gegner geworfen, indem wir
den Kaiſerlichen keine Zeit ließen, ſich zu ſammeln und
ihren demoraliſirten Truppen neuen Muth und neue
Kraft einzuflößen. Der wallachiſche und ſächſiſche Land—
ſturm hatte ſich der Folge der häufigen die Kaiſerlichen
treffenden Niederlagen aufgelöſt und ſo waren die
ſchlimmſten Gegner Bems, die ungeheure Kälte und die
Abmattung feiner Truppen. Naszod, dieſer Hauptſitz
der wallachiſchen Reaction, ward geplündert und zum
Theil verbrannt: keine irdiſche Macht hätte es vor
dieſem Schickſal zu bewahren vermocht, denn die Er—
bitterung gegen dies Neſt, wo jener Mann reſidirte,
der ſich prahleriſch den erſten Helden der Pecsovisce
(Reactionaire) nannte und welcher ſo viel Unheil über
ſein Vaterland gebracht batte, kannte keine Gränzen.
Biſtritz wurde nur durch Bem's Gegenwart vor
120
einem ähnlichen Schickſal bewahrt, indem der weiſe
Feldherr auch hier durch Verkündung einer allge—
meinen Amneſtie und durch humane Verfügungen
die verblendeten Gemüther für die Sache der Freiheit
und des Rechtes zu gewinnen ſuchte, wiewohl leider
vergebens. Hier, wie überall, erwies ſich Bem als
ein wahrer Held der Freiheit: keine Rache kennend,
appellirte er an die Intelligenz, wurde aber leider
mit Undank dafür belohnt und mußte es erleben,
daß man ihm ſogar aus ſolcher Milde einen Vorwurf
machte.
Unſere Truppen waren zu ſehr erſchöpft, um
die Verfolgung des Feindes ſogleich wieder aufneh—
men zu können, was ihnen die Lieferung einer zwei—
ten Schlacht wohl erſpart haben würde. Allein ſie
waren von Klauſenburg bis Biſtritz und Naszoͤd in
einem Athem marſchirt, hatten höchſtens ein Mal
am Tage warme Speiſen genoſſen, hatten bei 20 Grad
Kälte zweimal auf freiem Felde campirt und zwei
Schlachten geſchlagen. Dazu war Bem der größte
Theil feiner Munition ausgegangen und die Nach—
ſendung derſelben aus Nagy Bänya war noch nicht
erfolgt. Er mußte alſo den Seinigen in Biſtritz und
Naszod eine kurze Ruhe gönnen. Aber auch dieſe
Paar Tage wurden benutzt, um die Truppen zu
kleiden, ihre Armatur auszubeſſern, in Biſtritz und
Umgegend alle vorhandenen Waffen einzuſammeln
und zugleich den Feind durch ſtarke Recognoſcirungs—
121
patrouillen, fortwährend zu beunruhigen: kurz, es
war eine geſchäftige Ruhe. Kaum war aber die
beißerſehnte Munition eingetroffen, ſo wurde Oberſt
Riczko zum Commandanten von Biſtritz und Naszad
ernannt und da gelaſſen, während es mit der
Uebrigen ohne weiteres vorwärtsging gegen Tihutza,
wo ſich die kaiſerlichen Truppen mit dem Entſchluß
geſammelt hatten, dieſen letzten auf ſiebenbürgiſchem
Boden von ibnen beſetzten Punkt verzweifelt zu ver—
theidigen.
Tihutza liegt im Biſtritztbale, welches ſich bier
bis zu einer Breite von einigen hundert Schritten
verengt und durch die mehrere Tauſend Fuß hohen
noͤrdlichen und ſüdlichen Gebirge zu einem Gebirgs—
paſſe geſtaltet wird, welcher vorzüglich in dieſer Jah—
reszeit von keiner Seite umgangen werden kann und
die ſchmale in die Bukowina führende Straße voll—
kommen beherrſcht. Es fehlen dieſem Orte, um ein
zweites Bard zu ſein, nur die Feſtungswerke. Tihutza
mußte alſo um jeden Preis genommen werden, wollte
man das nördliche Siebenbürgen behaupten. Der
3. Januar war Zeuge eines Kampfes, welcher faſt
von früh Morgens bis zum Abend dauerte, nur nach
mehrmaligen energiſchen Bajonetangriffen den Un—
garn Sieg gewährte und die Kaiſerlichen zum unor—
dentlichſten Rückzuge nach der Bukowina nötbigte.
Sie hatten bier, mit der letzten Anſtrengung der
Verzweiflung, nicht mehr für den Beſitz des Landes,
122
ſondern für ihre militairiſche Ehre kämpfend, Alles
aufgeboten, um ihre Stellung zu behaupten, allein
ihre Anſtrengungen ſcheiterten ſämmtlich an dem fel—
ſenfeſten Willen Bems und dem Heldenmuthe ſeiner
Truppen, welche kein Zurückweichen mehr kannten. Die
feindlichen Poſitionen wurden erſtürmt und der letzten
Kraft der Verzweiflung folgte auf Seiten der Kai—
ſerlichen bald jene Apathie, welche in ſolchen Kriſen
nie ausbleibt. Die Feinde warfen Gewehre und
Torniſter fort, flohen einzeln oder haufenweiſe in die
Wälder, aus welchen ſie Hunger und Kälte bald zur
Ergebung an die ſiegreichen Ungarn trieben, alle
Bande der Disciplin löſ'ten ſich, und die ohne Ge
wehre, ohne Patrontaſchen und ohne Torniſter, baar—
fuß und mit erfrornen Gliedern in Czernowicz ein—
rückenden Kaiſerlichen, für deren Bekleidung ſogar
in der Bukowina Sammlungen veranſtaltet werden
mußten, konnte man nicht füglich mehr eine Ar—
mee nennen. Es gab mithin keine öſterreichiſch—
ſiebenbürgenſche Nordarmee mehr und Bem war folg⸗
lich Herr des ganzen nördlichen Landestheiles. Die
Reſte des Urbanſchen Corps verfolgte er noch wei—
ter hinaus bis Vatradorna, wo er am 4. Januar
ankam; aber unſere Truppen waren ſo erſchöpft, daß
Bem, aller Avancements und Geldbelohnungen uner—
achtet, nur mit einigen Hundert Freiwilligen in dieſen
Ort einzurücken vermochte, wo er von den überraſchten
Bewohnern auf das freundlichſte empfangen wurde.
123
Wardener hatte ſich am 25. December durch Thorda
nach Alba Carolina (Karlsburg) zurückgezogen. Bems
Zweck war erreicht; in drei Schlachten und einigen weni—
ger bedeutenden Gefechten hatte er die kaiſerliche ſieben—
bürgiſche Nordarmee gänzlich vernichtet, den ganzen
nördlichen Theil des Landes erobert und dem Feinde das
Wiederauftreten auf dieſem Kriegsſchauplatze für meh—
rere Wochen unmöglich gemacht. Er brauchte nur eine
geringe Beſatzung in Borge Prund, Jaad, Biſtritz und
Naszod zurückzulaſſen und konnte nunmehr ungehin—
dert mit ſeiner ganzen übrigen Heeresmacht gegen die
kaiſerliche ſiebenbürgiſche Hauptarmee unter F. M. L.
Puchner operiren, was er dann auch ſofort ins
Werk ſetzte.
Bevor wir indeſſen zur Schilderung der nun
kommenden Ereigniſſe übergeben, welche zugleich die
dritte Epoche dieſes intereſſanten Feldzuges bilden,
wollen wir einen Augenblick bei dem Eindrucke ver—
weilen, den dieſe Thaten auf die Gemüther der Ein—
wohner Ungarns und Siebenbürgens hervorbringen
mußten.
Die Siegesnachrichten folgten Schlag auf Schlag;
man konnte ſich vor dem Staunen über ein Ereigniß
kaum erholen, als ſchon die Kunde von einer andern
glänzenden That der Phantaſie und dem Verſtande
des Hörers neue Nahrung gaben. Freund und
Feind betrachteten wie einen geheimnißvollen Zauber
das Wirken des großen Meiſters und Alles wurde
124
mit Bewunderung für ihn erfüllt, der Feind begann
ihn zu fürchten und zu achten, feine Armee betete
ihn an und die Herzen aller Ungarn wandten ſich
ihm zu, als ihrem Retter und Befreier. Bems Name
war auf allen Lippen, Bem und Sieg wurden gleich—
bedeutend. Die kaiſerliche Hauptarmee ſah mit Zagen
dem Augenblick entgegen, wo ſie ſich mit dem großen
Gegner meſſen ſollte, die Sachſen und Wallachen im
Norden Siebenbürgens beugten ihr Haupt und ver—
bargen ſich in ihre Hütten uud Städte, die Szekler
aber jubelten laut und harrten ſehnſüchtig der Gele—
genheit, wo ſie zu Bems Truppen ſtoßen konnten;
auch die übrige ungariſche Bevölkerung Siebenbür—
gens eilte kampfluſtig zu den ruhmgekrönten Fahnen
der Honveds!
Das Alles war das Werk von kurzen acht
Tagen. Und doch will man noch behaupten, Bem
ſei nur Artilleriegeneral und unfähig große Armeen
zu commandiren!? Bem hat ſolche nahezu an Wun—
der grenzende Thaten, unter den ungünſtigſten Ver—
hältniſſen, in der kürzeſten Zeit, meiſtens durch ſtra—
tegiſche Combinationen und mittelſt ſeiner eiſernen
Willenskraft vollbracht, gegen welche alle Thaten
Görgei's in den Hintergrund treten müſſen. Und doch
will man Dieſen über Bem erheben? Diklleile est
saliram non seribere! |
—
12
—
Fünftes Capitel.
Rem marſchirt nach Mares Vaſarhely. Seine Ankunft am
18. Januar. Ereigniſſe in Nagy⸗Enyed, Thorda, Jara,
während Bems Zuge gegen Biſtritz. — Dispoſitionen des
Oberſtlieutenant Geb. Neue Greuelſcenen, durch die
Wallachen verübt. — Bems Armeebeſtand in Maros - Ba:
farhely. — Er hatte ſich an der Szekler Hülfe ver⸗
rechnet.
Nach Ertheilung vieler Avancements und ein—
oder anderthalbmonatlicher Soldzulage, ließ Bem den
Oberſten Riczkö mit dem Bataillon Alexander-Infan—
terie und der Diviſion Koburg-Huſaren in Biſtritz und
Umgebung zurück und marſchirte mit den übrigen
Truppen nach Maros-Väſärhely, von wo die geringe
kaiſerliche Beſatzung bereits auf die Nachricht von
der Einnahme Biſtritzs abgezogen war und wo ihn
die Liebe und die Kriegsluſt der Szekler mit allem
dieſer Nation eigenen Enthuſiasmus erwarteten. Am
13. Januar 1849 traf er dort ein, nachdem er durch
eine zweideutige Nachricht über ſein Eintreffen allen
ihm zugedachten Ovationen vorgebeugt hatte.
Ehe wir indeſſen zur Darſtellung des nun fol—
genden intereſſanteſten Theiles unſerer Kriegsgeſchichte
126
ſchreiten, müſſen wir einige Ereigniſſe mittheilen,
welche theils auf die Art der Kriegführung, theils
auf den Charakter der Bewegung in Siebenbürgen
ein zu helles Licht werfen, als daß ſie hier über—
gangen werden dürften.
Wie ſchon erwähnt, war in Thorda Oberſtlieu—
tenant Czetz mit dem 11. Honvedbataillon, einer un⸗—
completen Diviſion Mätyäs-Huſaren, der Abtheilung
Kreß Chevauxlegers unter Pereczy und vier Ge—
ſchützen zurückgeblieben, um die Umgegend gegen die
Ueberfälle wallachiſcher Horden zu ſchützen und Carls—
burg zu beobachten. Die Oeſterreicher waren nach
Nagy-Enyed, Tövis und ſpäter nach der Feſtung
Carlsburg zurückgegangen (wo ihr Anführer, der edle
General Wardener, am Schlagfluſſe ſtarb) indem ſie
auf die Offenſive auf dieſer ganzen Linie verzichteten.
Dieſe Unthätigkeit hinderte indeſſen die Kaiſerlichen
nicht, die Mozen (Wallachen, Alpenbewohner) durch
allerlei Mittel, wie politiſchen Fanatismus, Geldſpen—
den, Erlaubniß zu plündern, zum Aufſtande zu rei—
zen und ihnen ſogar öſterreichiſche Officiere beizuge—
ben, welche die Verheerungszüge nach ſyſtematiſchen
Grundſätzen organiſiren und leiten ſollten. Ein Land—
ſturm von wenigſtens 10—50,000 Wallachen, zum
Theil mit Feuergewehren und Munition aus der Fe—
ſtung Carlsburg wohl verſehen, beſetzte den ganzen
Landſtrich von Baläsfalva längs der Maros bis
Carlsburg und jenſeits der Alpen bis oberhalb To—
127
roczko, während eine zweite Abtheilung Landſturm
das ganze Gebirge von Toroczko bis an die Linie
von Bänfi Hunyad im Thale der Aranvos und
Heév⸗ und Hideg⸗Szamos occupirte. Fanatiſche Popen
regten die Gemüther auf, Haß und Rache gegen die
Ungarn predigend. Es muß einleuchten, daß unter
ſolchen Verhältniſſen die ſchwache Garniſon von
Thorda nur als vorgeſchobener Poſten angeſehen wer
den konnte, kaum genügend, die Stadt Thorda und
deren Bezirk auf ein paar Stunden im Umkreiſe ge⸗
gen die Ueberfälle der Wallachen zu ſchützen. Es
gebörte einerſeits alle Energie des Führers und die
raſtloſeſte Thätigkeit der Truppen, andererſeits die
vollkommene Feigheit der Wallachen dazu, um nicht
nur den angegebenen Zweck zu erreichen, ſon—
dern auch die Wallachen der Mezöseg um Cſaäny
(bergige kahle Strecken Landes von großer Ausdeh—
nung mit meiſt wallachiſchen Bewohnern) und das
Thal der Aranyos von Borrev bis zur Einmündung
des Aranyos in die Szamos vor Verwüſtungen zu
bewahren. Es kann daher nicht Wunder nebmen,
daß die Garniſon Thorda's nicht hinreichte, Nagy—
Enyed vor dem über daſſelbe verhängten traurigen
Schickſal zu bewahren. Dieſe Stadt war nämlich
ſchon im November des Jahres 1845 Zeuge von
der Barbarei der Wallachen geweſen, welche, nach
dem Abzuge der ungariſchen Garniſon, in Gemein—
ſchaft mit einigen kaiſerlichen Truppen und einer
128
ſtarken Schaar ſächſiſcher Nationalgarden, dort ein—
gerückt waren, alle hiſtoriſchen Denkmäler Sieben—
bürgens zerſtört, die Bibliotheken verbrannt oder ſie
Bändeweis zerriſſen und vernichtet, das Montani—
ſtiſche Muſeum, die Münzſammlungen geplündert und
verſchleppt, das Univerſitätsgebäude niedergebrannt,
zahlreiche Männer und Kinder gemordet, Frauen und
Mädchen geſchändet hatten, und an der gänzlichen
Zerſtörung des Ortes nur durch die kaiſerlichen Trup—
pen gehindert wurden, die freilich dies ihrer Ehre
halber nicht zugeben wollten, obſchon ſie als unthä—
tige Zeugen die eben geſchilderten Gräuel mit an—
ſahen. |
Die Bewohner Nagy-Enyeds waren fpäter, von
Noth und Hunger getrieben und im Vertrauen auf
den von den Kaiſerlichen mit großer Prahlerei ange—
botenen Schutz, zum väterlichen Heerde zurückgekehrt
und friſteten fortan ein kummervolles Daſein. Als
aber die Ungarn in Thorda erſchienen, glaubten
die Bewohner Nagy-Enyeds, auch für ſie habe nun
die Stunde der Erlöſung geſchlagen und eilten un—
mittelbar, nachdem ſich die Kaiſerlichen aus Thorda
entfernt hatten, dahin, um dem dortigen Comman—
danten zu dem Waffenglück der Ungarn Glück zu
wünſchen. Oberſtlieutenant Czetz entließ ſie mit der
Zuſicherung, daß er zu ihrer Beſchützung Alles auf—
bieten werde, was in ſeiner Macht ſtände und mit
den Anordnungen des Oberfeldherrn in Einklang zu
129
bringen wäre. Er hatte auch die ernſte Abſicht, ſelbſt
ohne böberen Befehl nach Nagy-Enyed vorzurücken,
und ſchrieb zu dieſem Zwecke dem Commandanten von
Klauſenburg, er möge Thorda beſetzen laſſen, weil
ſonſt dieſe Stadt mit ihrer Beſatzung ein Opfer des
Entſchluſſes werden könnte, Nagy-Enyed zu retten.
Auch verſprach er die ganze Verantwortlichkeit dieſes
Schrittes auf ſich zu nehmen. Oberſtlieutenant Totb
aber ſowie der Regierungscommiſſair Beoͤthy wollten
in die Ausführung des Planes nicht willigen, weil
ſie für dieſen Fall, vielleicht nicht ohne Grund, für
das Schickſal Klauſenburgs fürchteten. Nagy-Enyed
war alſo ſich ſelbſt überlaſſen und verloren. Der
wallachiſche Anführer Prodan zog mit ſeiner Räuber—
ſchaar und einigen Compagnien wallachiſcher Gren—
zer aus dem Lager von Muſina am 9. Januar gegen
Nagy-Enyed und forderte die Stadt zur Ueber—
gabe auf. Dieſe wurde ihm unter der alleinigen
Bedingung zugeſtanden, daß er keinen Mord und
Todtſchlag geſtatten ſolle. Er ſchwor dies und nun legte
die nicht zahlreiche Enyeder Nationalgarde die Waffen
nieder. Kaum aber war Prodan in die Stadt eingerückt,
als ſchon das Rauben, Plündern und Morden ohne alle
Barmherzigkeit begann und Nagy-Enyed an allen
vier Ecken brannte. Nur wenige Einwohner entka—
men durch die Flucht in die Wälder dem grauſamen
Schwerte des meineidigen Wallachen und ſeiner kai—
ſerlichen Helfersbelfer und langten drei oder vier
9
130
Tage fpäter mit erfrornen Gliedern und halb ver—
hungert in Thorda an. Es war eine herzzerreißende
Scene, die Unglücklichen, meiſtens Frauen, welche
an ein bequemes, wohlhäbiges Leben gewöhnt waren,
in bloßem Hemde, ohne Schuhe, mit erfrorenen
Gliedmaßen, um ihre Gatten, Kinder, Brüder jam—
mernd und händeringend anlangen zu ſehen! Schwe—
ſtern erkannten ihre Brüder, Mütter ihre Kinder nicht
wieder, welche einige Tageſpäter halbtodt auf den Land—
ſtraßen und in den Wäldern der Umgegend gefunden
wurden. Schmerz und Verzweiflung hatten alle ed—
leren Gefühle erſtickt. Nur der Selbſterhaltungstrieb
gab Kunde von dem noch nicht erloſchenen Leben.
Das Gräßlichſte war jedoch in Nagy-Enyed ſelbſt
geſchehen. An funfzig ſchwangere und ältliche Frauen
hatten ſich in die Kirche geflüchtet, in dieſer heiligen
Behauſung Schutz ſuchend; der Geiſtliche ging in
ſeinem Ornate, mit der Monſtranz in der Hand, den
nacheilenden Tigern entgegen, um das Leben der
Armen zu bitten. Das Scheuſal Prodan ließ den
Geiſtlichen auf der Stelle viertheilen, den Frauen die
Bäuche aufſchlitzen, die ungebornen Kinder an Spie—
ßen braten und dann die Frauen theils bei den Bei—
nen aufhängen, theils lebendig in die Erde graben.
Und das Alles geſchah im 19. Jahrhundert, von den
Waffenbrüdern des ritterlichen öſterreichiſchen Heeres,
auf Anordnung und unter dem Schutze der Vertrau—
ten der Camarilla Ferdinands des Gütigen! Beim
181
Anblick ſolcher Thaten, welche man kaum als Mär⸗
chen der Vorzeit in Ritterbüchern oder in den Anna—
len der ſpaniſchen Inquiſition ähnlich findet, beim
Miterleben folder Greuelſcenen; wer ſollte da als
Gebildeter, als Chriſt, ſich nicht zu den ſogenannten
Rebellen geſchlagen haben?
Einige Tage ſpäter wiederholte ſich daſſelbe Er—
eigniß in Zara, wo alle ungarischen Bewohner auf
jede erdenkliche Weiſe gemordet und die Erzgruben
zerſtoͤrt wurden. An 800 Ungarn fanden hier den
ſchmerzlichſten Tod.
Während dieſer Zeit ſammelte Bem in andern
Gegenden des Landes unverwelkliche Lorbeeren und
legte den Grund zur künftigen Befreiung Sieben—
bürgens; ein großes, viele Opfer forderndes Ziel.
Aber leider ſollte es nicht für die Dauer erreicht
werden.
Der Truppenbeſtand, mit welchem Bem am 13. Ja-
nuar in Maros-Viſärhely einrückte, war folgender:
Infanterie.
Das zweite Szeklerbataillon ... 750 Mann
„ vierte Honvedbataillon ... 900 „
Keménys Bataillon 600 „
i, egen .o mciu sine 600 „
Szathmarer Önfentes .. 2... 600 „
2850 Mann.
Cavalerie.
Eine Diviſion Mätyas-Huſaren . 240 Mann.
9 *
132
Eine Escadron Wilhelm-Huſaren 120 Mann
„ Diviſion Szekler-Huſaren 280 „
640 Mann.
Artillerie.
Zwei Batterien Sechspfünder . 12 Geſchütze
Eine Batterie Dreipfünder .. 6 1
8 Geſchütze.
Bem hoffte ſeine im Verhältniß zu den über—
ſtandenen Strapazen nur wenig verminderte Armee
mit Hülfe der Szekler ergänzen zu könnnen; hatte
ſich aber, unkundig der dortigen Ereigniſſe, verrech—
net. Doch hierüber im folgenden Capitel.
1:33
Sechſtes Capitel.
Freigniſſe im Szeklerlande ſeit der Affaire von Maros - Väfär-
hely. — Haäromszét's heldenmuthige Vertheidigung während
drei voller Monate. — Gabor Aron, der Kanonengießer. —
Das zwoͤlfte Honvedbataillon.
Wir haben in einem vorhergehenden Capitel der
Szekler Nationalverſammlung auf der Agyagfalver
Heide erwähnt; zur Vollſtändigkeit unſerer Darſtellung
dürfte es gehoren, auch die in jener Verſammlung
gefaßten Beſchlüſſe mitzutheilen. Die durch Berzenczei
am 16. October 1818 in Agyagfalva verſammelten
60,000 Szekler faßten, als Nationalcongreß, folgende
Reſolutionen:
1) Schwor die geſammte Volksmaſſe, ſammt
dem in Waffen erſchienenen Szeklermilitair, mit In—
begriff ihrer Officiere den Eid auf die ungariſche
Conſtitution.
2) Die geſammte Szeflerbevölferung ſolle in
einen National-Honved (Landwehr) verwandelt wer—
den, mit deſſen proviſoriſcher Leitung, da die bis—
herige Militairorganiſation bis zu einer neuen vom
ungariſchen Miniſterium vorzunehmenden Creirung
134
eines Obercommandanten aufgehoben ift, unter Lei—
tung des Regierungscommiſſairs Baron Bay Miklos,
die andern in den Szeklerſtühlen wirkenden Commiſ—
ſaire und der Szekler Huſarenoberſt Sombory Sändor
betraut werden.
3) Iſt der Baron Vay Miklés aufzufordern,
die Entfernung alles fremden Militairs aus Sie—
benbürgen zu bewerkſtelligen und die Feſtungen des
Landes, namentlich Carlsburg, mit zuverläſſiger
Szekler-Garniſon zu beſetzen. |
Wir wiſſen bereits, was hierauf erfolgte; daß
Urban bei Szent-Jväny geſchlagen, Szaͤsz-Régen er—
obert und geplündert, Maros-Väſärhely beſetzt und
verloren wurde. Nach der unglücklichen Affaire bei
Maros-Väſärhely war die Kraft der Szekler auf
lange Zeit gelähmt, denn es entſtand unter ihnen
jene unglückliche Spaltung, die den Söldnern der
Könige den Sieg über die Vertheidiger der Freiheit
ſtets ſehr erleichtert und im Voraus ſichert. Die
Szekler gingen nach Hauſe, kündigten allen Militair—
und Civilbehörden den Gehorſam auf und handelten
alle nach Gutdünken. So kam es denn, daß die
bigotten, pathetiſchen Cſiker ſich durch kaiſerliche
Söldner, wie Oberſt Dorsner u. dgl., ſowie durch
heuchleriſche Pfaffen bethören ließen und die ange—
maßten Rechte des neuen Kaiſers nicht nur anerkann—
ten, ſondern auch das Verſprechen leiſteten, gegen
die übrigen aufrühreriſchen Szekler zu Felde ziehen
135
zu wollen, falls dieſe ſich nicht eines Beſſeren beſän—
nen. Der ÜUdvarbélyer Stuhl wurde von dem Par—
teigänger Hapdte in die Kreuz und Quere durchzogen
und verwüſtet, das Volk entwaffnet und durch blei—
bende Beſatzungen im Zaum gehalten. Hapdte ver:
ſuchte es hier ſogar, die militairpflichtigen und ärme—
ren Klaſſen der Szekler gegen den Adel und die
reichere Klaſſe in wahrhaft communiſtiſchem Sinne
aufzuhetzen und die Theilung des Bodens in Ausſicht
zu ſtellen und es gelang ihm, eine große Zahl der
Udvarhélyer Szekler an ſich beranzuziehen, die dann
vereint mit dem wallachiſchen Landſturm die Edel—
böfe plünderten, Geſtüte wegtrieben und furchtbar
bauſten. Wohl geſellte ſich bei ſehr vielen dieſer
verleiteten Szekler zur Beuteluſt auch noch perſön—
liche Rache und längſt im Geheim genährter Groll.
Miklösvär, N. Alta, Bölön wurden geplündert.
Dies dauerte jedoch nur ſo lange, als die Szekler
ſahen, wie Haydte nach der Beſetzung von Köpecz in
Erdoͤvidék nicht nur die Edelhöfe, ſondern alle Häuſer
und Scheunen und Ställe, ſelbſt jene der armen
Grenzbewohner plündern und dann in Brand ſtecken
ließ, wodurch Hunderte ihrer Brüder zu Bettlern
wurden. Die Illuſion war nun verſchwunden und
die Szekler kehrten in ihre Dörfer zurück, die Gele—
genheit zur Rache erwartend.
Im Maroſcher und Aranvyoſcher Stuhl hauſte
Gedeon mit ſächſiſchen und wallachiſchen Landſtürmern
136
und hinterließ da ein fluchwürdiges Andenken: denn
aus Kirchen Pferdeſtälle zu machen, zu hochgebildeten
oder ſonſt ehrenhaften Leuten ekle Mordbrenner von
Wallachen wochenlang einzuquartieren, Alles, was
gefiel, mit Gewalt wegnehmen zu laſſen und dabei
das Auge zuzuhalten, war wohl nicht die Art, für
den jungen Kaiſer Proſelyten zu machen.
Es war alſo nur noch das kleine Häromſzék mit
ſeinen 50 bis 60,000 Einwohnern zu beſiegen. Dieſe
aber ließen den Muth nicht ſinken. In Köézdy-Väſärhely
ward eine große Volksverſammlung gehalten und die
braven, fleißigen Bürger Kézdy-Väaͤſärhely's, der ſpä—
tere Oberſt Alexander Gäl, ein junger, kühner Of
ficier voll Talent und glühendem Patriotismus, der
proteftantifche Pfarrer aus Réty, ein Demokrat vom
derbſten Schlage, begeiſterten ihre Brüder zum Kampfe
auf Leben und Tod. Ihr Vorſchlag ward mit tau—
ſendfachen Eljens angenommen und man ſchritt zur
Ausführung, denn bei dieſen praktiſchen Soldaten
half das Debattiren Nichts, fie ließen nur die That
reden. Die ganze männliche Bevölkerung des Stuh—
les griff zu den Waffen und die es nicht vermochten,
wie Kinder und Greiſe, mußten in den Laboratorien
arbeiten, Proviant-Lieferungen u. dgl. beſorgen, alle
Frauen und Jungfrauen, von der Gräfin bis zur
Lumpenſammlerin herab, bereiteten Wäſche für die
Krieger, richteten Spitäler in Privathäuſern ein,
zupften Charpie und bedienten die Kranken und Ver—
137
wundeten. Manche derſelben zogen ſogar in Männer—
kleidern mit in den Kampf und zeichneten ſich durch
verwegene Bravour aus. Ueberhaupt war die Be—
geiſterung der Frauen ſo hoch geſtiegen, daß oft ge—
nug manche gute Hausfrau den Herrn Gemahl oder
Herrn Sohn mit einem Topfe ſiedenden Waſſers oder
mit dem Bratſpieße wieder in das Lager zurüdjagte,
wenn dieſe ſich unterſtanden hatten, daſſelbe aus Be—
quemlichkeit oder Feigheit zu verlaſſen. Dieſer En—
thuſiasmus kennt vielleicht nur in der Erhebung der
Spanier gegen Napoleon ſeines Gleichen, und wäre
ganz Ungarn von ſolchem Geiſte beſeelt geweſen, es
hätte nimmer ſo traurig ſeine ſtaatliche Laufbahn be—
ſchloſſen.
Begeiſterung war da, Feuer- Hau- und Stich—
waffen waren da, aber es fehlte an Munition, an
Zündkapſeln, an Geſchützen. „Ja Kanonen, wenn wir
nur Kanonen hätten, ſprachen die Szekler, dann
würden wir mit dieſen ſchwarzgelben Knechten ſchon
fertig werden, dann brauchen wir Niemands Hülfe.
Ohne Kanonen fechten wir vergebens und liefern uns
ohne Reſultat auf die Schlachtbank.“ Und der Szek—
ler Muth begann zu ſinken. Da tritt ein ſchlichter
Handwerker aus dem Volke, der früher Grenz-Ar—
tilleriſt geweſen, dann jubilirt (d. i. in den Invali—
denetat verſetzt) in der Feſtung Carlsburg Kanonen
geſehen und das Artillerie-Exercitium erlernt hatte,
auch wegen ſeiner vielfachen, meiſtens verunglückten
138
mechanischen Verſuche zum Gelächter feiner Nachbaren
geworden war, auf, verſpricht den Leuten Kanonen
zu machen und ſetzt ſein ganzes Vermögen als
Pfand des Gelingens ein, bittend, man ſolle ihm nur
Material liefern. Die Menge lacht, aber ein Kreis
von vernünftigen Männern greift ihm unter die
Arme. Die Kirchenglocke Väſärhelys wird als pa—
triotiſches Opfer dargeboten. Gabor Aron, ſo hieß
dieſer geniale Naturſohn, errichtet ſich eine Werk—
ſtätte, nimmt ein paar Gehülfen, verfertigt das höl—
zerne Modell und gießt in einer Woche über dieſe
Form im Lehm-Ofen die erſte ſechspfündige Kanone.
Das Geſchütz wird mit doppelter Ladung probirt und
es zerſpringt nicht, ja Gabor Aron trifft dreimal
nacheinander das Ziel auf Kernſchuß Diſtanz. — Die
Metall-Lieferungen aus den Szeklerſtühlen betrugen
vom December 18418 bis April 1849 nach dem Közlöny:
der Maroſcher Stuhl lieferte 93 Glocken, 2 große Keſſel,
1 Centner und 43 Pfund Kupfer, außerdem Kleinig—
keiten an Erz, Blei, Kupfer ꝛc. und im Monate
April lediglich zur Ausrüſtung der Geſchütze
914 fl. 6 kr. Der Udvarbelyer Stuhl 55 Centner
Kanonenmetall (44 Glocken), eine anſehnliche Geld—
ſumme zur Ausrüſtung, ſtellte im Jahre 1848
300 Koſſuth-Huſaren, von Februar bis März 1849
4500 Recruten, am 22. März 1000 Recruten, und
equipirte 120 Reiter und 300 Infanteriſten. Der
Aranyoſer Stuhl lieferte 25 Glocken von über
139
30 Gentner und 4 Centner Kupfer, Blei und Eiſen.
Im Häromfzefer jeder Ort eine Glocke, zuſammen
125 Stück (hier blieb fait kein Stück Blei oder Zinn—
geſchirr zurück). Der Cſiker ebenfalls 56 Glocken.
Außerdem von allen Ortſchaften Geld und Zugpferde
und ſpäter kamen noch Glocken aus den wallachiſchen
und ſächſiſchen Ortſchaften dazu. — Der Jubel in
Häromſzéz iſt grenzenlos. Arme und Reiche ſteuern
zur Laffetirung ihr Scherflein bei, die adligen Da—
men kaufen die Pferde an und ſiehe, nach 14 Tagen
begegnen die Szekler bei Földvar zum erſten Male
den Kaiſerlichen mit Kanonen, welche ſich nicht
genug darüber wundern können und ſie für in der
Moldau gekaufte halten. Der gemeine Szekler
aber wartet den erſten Schuß ab und als dieſer
trifft, ſtürzt er unter dem Rufe: Ee nagyobbat szöl
mint a nemete (dieſe krachen ja ſtärker als die feind—
lichen) mit wildem Muthe dem Feinde entgegen.
Gabor Aron gießt nun raſtlos Kanonen und
richtet eine ganze Werkſtätte ein, wo die ungebildeten
Kinder der Berge mit größter Präciſion die ihnen
übertragenen Arbeiten verrichten und ganz brauchbare
Batterien für den Feldbedarf ausrüſten. Da gibt
es Drechsler, Wagner, Schloſſer und Alles arbeitet
nach feſtgeſetzten Modellen, ganz unter militairiſcher
Disciplin. Eine Batterie von 6 Geſchützen kam
ohne Beſpannung auf 4000 fl. Conv. Münze.
140
Ein Apotheker analyſirt chemiſch ein Paar öfter
reichiſche Zünder und ſchnell wächſt eine Zünderanſtalt
aus der Erde, wo Kinder und Mädchen, anfangs
100, dann 1000, endlich 10,000 und 100,000 Zünder
des Tags anfertigen.
Auch für Pulver legen Sachkundige eine trockene
Pulverſtampfe an und bereiten mit dem Schwefel
von Koväszna, dem Salpeter von Torja und den
Kohlen aus K. Väſärhelys Umgebung fo viel Pulver,
als der Bedarf erheiſcht.
Unglücksfälle geſchehen ein paar Mal in dieſen
improviſirten Werkſtätten, aber das ſtählt nur den
Muth und die Beharrlichkeit: die Fabrikation geht
immer raſcher und in größeren Quantitäten von
Statten; denn was der Menſch will, kann er auch,
und die Freiheit macht jedes Opfer leicht.
Während dieſe Kriegsrüſtungen in Kezdy Vaͤſar⸗
hely betrieben werden, iſt die Wehrmacht an der
Grenze des Stuhles gleichfalls thätig. Die ganze
Wehrkraft, ohngefähr 10,000 Mann, größtentheils
Landſturm, in Brigaden und Bataillons geordnet,
beſetzt die Grenze Häͤromszeks, vom Bodzaer Paß,
entlang des Tatrang-Baches über Bodola, längs
dem Fekete Igy über Kökös, Al-Doboly, Erösd
Aräpataka, Hidveg, Bölön, Köpeez und Barôt. Die
Reſerven ſtehen in Sepſi St. György und Uzon.
Beinahe tagtäglich fallen zwiſchen den Szeklern
und den Kaiſerlichen unter Haydte auf der Linie von
11 j
Hidveg bis Barot und den Szeklern und ſächſiſchen
Nationalgarden auf der Strecke von Föͤldvär bis
Prasmaär und Türfös Scharmützel und Gefechte vor,
wo bald dieſe, bald jene das Feld behaupten. So
verſtreicht der Monat November. Im December
werden die Szekler des Bewachens der Grenze über—
drüſſig, ſie langweilen ſich auf den ewigen Vorpoſten—
und Patrouillengängen. Sie zwingen mittelſt einer
Militair-Emeute ihren Commandanten, den Szekler—
Infanterie-Oberſten Dobay, die Grenze zu über—
ſchreiten und ins Burzenland, das Land der Sachſen,
einzufallen. Der heiße Wunſch, den Sachſen eine
Lection zu geben, der Durſt nach Rache und die Luſt
nach Beute reizt zu ſehr und der Einfall wird be—
ſchloſſen. In wenigen Tagen haben auch die Szek—
ler ſich der ſäſiſchen Orte Präsmär, Hermäny, Sit.
Peter, Botfalva bemächtigt und Haydte bei Földvaär
bedroht, fie haben ſich mit Beute beladen, die ſie
ſorgſam nach Hauſe ſchaffen, und thun ſich in Fein—
desland gütlich. Dieſe Erfolge ſtacheln ihre Kühn—
beit und fie wollen ſich Kronſtadts bemächtigen. Es
wird lange darüber debattirt, aber der Obercomman—
dant, der wohl wußte, daß bereits F. M. L. Gedeon mit
einer Brigade zur Verſtärkung Kronſtadts angekom—
men, daß Kronſtadt überdies ſtark befeſtigt war und
ſeine Eroberung viel Blut koſten würde, der überdies
im glücklichſten Falle das fürchterliche Hauſen der
Szekler in dieſem verbaßten Sachſenneſte und deſſen
r 142
Folgen wohl erwog, zudem auch bei dieſer Gelegen—
heit leicht durch Haydte umgangen werden konnte,
der Földvär inzwiſchen wieder beſetzt hatte, war
unerſchütterlich und wollte lieber dem Commando ent—
ſagen, als ſich zu dem Unternehmen hergeben.
Wohl möglich, daß der kaiſerliche Oberſt auch
auf ſein eigenes Geſchick zu viel Rückſicht nahm, im
Falle er einem kaiſerlichen F. M. L. entgegenzöge und
den Ruhm des Freiheitskämpfers der eignen perſön—
lichen Sicherheit aufopferte. Beſſer Unterrichtete
werden ſeiner Zeit dieſe Verhältniſſe umfangreicher
aufklären, der Verfaſſer beſchränkt ſich auf die Wie—
dererzählung deſſen, was er aus glaubwürdigen Quel—
len entnommen und enthält ſich jedes weiteren Ur—
theils. Dies gilt auch über die Gefangennehmung des
Oberſten Sombory von Szekler-Huſaren durch feine
eignen Leute, worüber mir die näheren Details ent—
fallen ſind. Ueberhaupt war durch überflüſſiges Pe—
roriren unberufener Volkstribune der moraliſche Boden
der Armee, die Disciplin, ſehr gelockert worden und
es fielen viele Exceſſe vor. So wurde auch z. B. der
Major des 12. Honvedbataillons, Baläs Emanuel,
der zwar mit Grund für einen Schwarzgelben gehalten
wurde, durch Volksjuſtiz als Verräther in Sepſi
Szt. György gehängt. |
Kronftadts Eroberung unterblieb denn und die
Szekler zogen ſich nach ein Paar unglücklichen Ge—
fechten bei Szt. Péter, Hermäͤny und Präsmäͤr wie—
der über die Grenze des Burzenlandes zurück.
1103
Bei einem dieſer Rückzugsgefechte geichab es, daß
ein Paar Compagnien des 12. Honvedbataillons,
das überhaupt mit den Koſſuth-Huſaren den Kern
und die Zierde dieſer Szekler-Armee bildete, einen
in der Kriegsgeſchichte unerhörten Streich ausführte,
an dem ich ſelbſt zweifeln würde, wenn ich den Be—
richt nicht von dem Major des Bataillons, einem
mir als ehrenhaft bekannten Manne, erhalten hätte.
Das Gefecht, ich glaube bei Szt. Péter war verloren,
die Szekler Nationalgarden und der Szekler Land—
ſturm flohen nach allen Richtungen und nur zwei
Compagnien des 12. Bataillons blieben zur Deckung
des Rückzuges in geſchloſſener Ordnung zurück. Da
brauſten mit einem Male die kaiſerlichen Dragoner,
eine Escadron, heran und fingen an in die retiri—
rende Infanterie einzuhauen, die keine Zeit gehabt
hatte, auch zu wenig geübt war, um Maſſen zu for—
miren. Die Infanterie beginnt alſo zu laufen. Sie
fiebt aber ſehr wohl ein, daß fie fo gewiß verloren
ſei. Da fällt es einigen Leuten der linksſtebenden
Compagnie ein, ſich auf die Erde zu werfen und die
Reiter über ſich wegreiten zu laſſen, indem das dreſſirte
Pferd bekanntlich den am Boden liegenden Menſchen
zu treten vermeidet. Die ganze Compagnie legt ſich
wie ein Blitz auf die Erde, die Dragoner reiten über
ſie hinweg, der fliehenden rechtsſtehenden Compagnie
nach. Kaum ſind die Reiter vorübergeflogen, ſo er—
bebt ſich die Compagnie und ſchickt den Reitern eine
144
Salve in den Rücken, die fliehende Compagnie macht
halt und ſchickt ihnen eine Salve in die Front. An
75 Reiter und viele Pferde ſtürzen und die Verfol—
gung hat ein Ende. Die Szekler aber marſchiren
unbeläſtigt über die Grenze nach Al Doboly.
Die Szekler verloren durch dieſe wiederholten
Unglücksfälle die Hoffnung auf einen glücklichen Aus—
gang, ihr Muth ſank, die kaiſerlichen Officiere der
Szekler-Regimenter bearbeiteten ſie, Puchners lügne—
riſche Proclamationen und in Hermannſtadt gedruckte
falſche Közlöny verkündigten ihnen die Auflöſung
des ungariſchen Reichstags, die Gefangennehmung
Koſſuths und der übrigen Leiter der Bewegung, fie
waren von aller Welt, von ihren eigenen Landsleuten
verlaſſen; es blieb ihnen alſo nichts übrig, als zu
capituliren. F. M. L. Gedeon ſtellte harte Bedin—
gungen: alle Waffen, Kanonen, Munition und ſelbſt
die Honveds- und Koſſuth-Huſaren mußten ausge—
liefert werden und die Szekler zum kaiſerlichen Heere
Recruten ſtellen. Die Commandanten unterſchrieben
Alles, aber das Volk war klug genug, nicht zu
trauen und übergab wohl die unbrauchbaren Ge—
wehre und ein Paar vernagelte Geſchütze, hielt
aber das Beſte verſteckt und beſchützte die Honveds
und Koſſuth-Huſaren, ſo daß nur wenige das Un—
glück traf, den Kaiſerlichen in die Hände zu fallen.
Der Waffenſtillſtand war eine natürliche Folge bei—
derſeitiger Schwäche, denn Gedeon mußte Puchner
145
zur Hülfe eilen und die Szekler mußten ſich erſt organiſi—
ren. Dies thaten ſie denn auch, nach dem der energiſche
Oberſt Alexander Gal die Leitung der Szekler An—
gelegenbeiten übernommen hatte, redlich und emſig,
und erwarteten ſo im Monat Januar Bems Opera—
tionen und deſſen Aufruf zum Anſchluſſe.
Wir werden fpäter ſehen, welch' impoſante Kraft
ſich während dieſer Zeit im Szeklerlande geſammelt
batte, und fahren in der chronologiſchen Folge unſe—
rer Erzählung fort.
Erwäbnenswertb it noch, daß im Februar
und März im Szeklerlande keine Glocke mehr die
Gläubigen zur Andacht rief; denn die Glocken waren
zu Kanonen umgeſchmolzen und das Kriegsvolk er—
kannte in ihrem Donner den Retter der Allmacht und
ſegnete ihn, wenn er ihren Kindern Glück ſpendeten;
der Donner des Geſchützes war ihnen ein religiöſer
Ruf, denn die Religion war damals Eins mit der
Befreiung des Vaterlandes!
Die Szekler hatten alſo capitulirt, gerade damals,
als Bem ibre ganze Kraft hätte gebrauchen können,
und ſo war er wieder auf ſeine geringe Truppen—
macht beſchränkt.
10
Siebentes Capitel.
Schlacht bei Gälfalva am 17. Januar 1849. — Bem ſiegt und
verfolgt die Defterreicher über Mediaſch, Nagy Selyk, Stol-
zenburg. — Ein Tag Raſt. — Oberſtlieut. Czetz bricht am
17. Jan. von Thorda auf, occupirt am 18ten Baläsfalva
und marſchirt über Nagy Selyk nach Salzourg (Viz Akna),
wo er am 20ſten nach Mitternacht eintrifft. Am 21. Jan.
1849 erſte Schlacht bei Hermannſtadt. — Schilderung von Her:
mannſtadt und Umgebung. — Bem verliert die Schlacht und
retirirt nach Stolzenburg. — Poſition von Stolzenburg. —
Warum Bem dort blieb. — Bems Anſtalten. — Er ſchickt
die Szekler in ihre Heimath. — Die Schlacht bei Stolzen—
burg am 30. Jan. 1849. — Die Oeſterreicher erklaren Stol—
zenburg für eine uneinehmbare Poſition. — Bems Dispo-
fitionen nach der Schlacht. — Oberſtl. Kemeny wird mit
einer Brigade dem Hülfscorps aus Ungarn entgegengeſchickt.
— Die Operationslinie wird geändert. — Oberſtl. Czetz
demonftrirt gegen Groß Scheuern, während die Armee nach
Salzburg marſchirt.
F. M. L. Puchner war, als Bem gegen Maros
Väſärhely heranzog, mit feiner ganzen disponiblen
Macht, nämlich zwei Infanterie- und einer Cavalerie—
brigade nebſt 2430 Geſchützen von Hermannſtadt
aufgebrochen, um über Mediaſch gegen Maros Bär
117
farbelv vorzurücken, wo er die ganze ungarische Armee
zu vernichten dachte. Man ſiebt alſo wohl, daß, trotz
der bisber errungenen Vortheile, Bems Lage weder
in taktiſcher, noch in ſtrategiſcher Beziehung beneit ens—
wertb genannt werden konnte, und gerade jetzt Alles auf
dem Spiele ſtand. Puchner dürfte nur einen entſchei—
denden Sieg gewinnen und das ſchnell Gewonnene
ging ebenſo raſch wieder verloren. Bem ſah dies recht
gut ein, und rüftete ſich, wie feine Energie und fein
Genius ibn leiteten, den geführten Schlag zu parıren.
Es galt ihm, den Enthuſiasmus der Seinigen, wie
den Schreck der Gegner zu benutzen und dem Feinde
angreifend entgegenzuzieben, wenn er anders ſich und
das eroberte Land behaupten wollte. Zudem war
auch bereits am 15. Januar Puchner in Mediaſch
eingetroffen und hatte am folgenden Tage ſeinen Zug
gegen Maros-Väſärbely weiter fortgeſetzt. Zu ander:
weitigen Dispoſitionen blieb nicht viel Zeit übrig.
Dem verließ daher Maros-Väſärhely auch am 16. Ja⸗
nuar, rückte über Nyärädtö, Cſerged nach Héderfaja,
das Thal der kleinen Kokel entlang, während Puch—
ner über Bogäcs, Harangläb vorging und den letztern
Ort beſetzte. Die kleine Kokel war bis auf den
Grund gefroren, und Bem benutzte den Abend des
16ten, um auf den Abhängen der auf dem rechten
Kofelufer liegenden Gebirge, Gälfalva gegenüber,
Poſition zu nehmen, woſelbſt ſeine Truppen bei zwan—
zig Grad Kälte bivouaquirten.
10 *
148
Die kaiſerliche Avantgarde beſetzte Galfalva,
wohin auch ihr Centrum bald nachrückte, ihr rechter
Flügel ſtand in Désfalva, ihr linker bei Szökefalva.
An eine ſtarke Reſerve konnte keine der Parteien den—
ken, doch bedienten ſich die Kaiſerlichen des Regimen—
tes Savoyen-Dragoner als einer ſolchen. In Bems
Armee commandirte Oberſt Mikes Kelemen das Cen—
trum, Major Meffena den rechten, Major Bethlen
Gergely den linken Flügel; Major Alexander Kiß
bildete mit der Diviſion Szekler-Huſaren die ſehr un—
bedeutende Reſerve. Die Kaiſerlichen, welche an
6000 Mann zählen mochten, mithin noch einmal ſo
viel als die Unſern, begannen am 17ten Morgens
den Angriff, indem fie wiederholt die bei Pocafalva
aufgeſtellten Szekler und den vor Abosfalva ſtehenden
linken Flügel durch Infanterie und Cavalerieattaquen
zu werfen verſuchten, aber lange vergebens. Die
Szekler und die Honveds hielten ſtandhaft ihre Po—
ſitionen, und die Artillerie Bems, von ihm ſelbſt
dirigirt, bediente die Sturmeolonnen der Feinde fo
gut, daß ſie in Unordnung ſich zurückziehen mußten.
Die kaiſerliche Infanterie war zu keinem neuen An—
griff zu bewegen, und ſelbſt ein vom wallachiſchen
Grenadierbataillon verſuchter Sturm, von dem man
die Entſcheidung erwartete, wurde mit ſolchem Ver—
luſte abgeſchlagen, daß die Kaiſerlichen zu ſchwanken
und in Unordnung zu gerathen anfingen. In dieſem
Augenblicke lenkte Major Bethlen den rechten Flügel
100
in der rechten Richtung auf Küküllsvär und umging
den linken feindlichen Flügel. Dies Manöver entſchied
das Treffen: die Kaiſerlichen, als ſie die Kanonade
vom Weiten her aus Szoͤkefalva vernahmen, waren
nicht mehr zum Stehen zu bewegen, und ihr Rückzug
artete in eine Flucht aus. Die Generäle voran, die
Officiere ihnen nach, die Mannſchaft hintendrein,
floben fie regellos über das Feld nach Mediaſch und
von da unaufgehalten nach Hermannſtadt. Zwar
batte noch eine Abtheilung Savoyen-Dragoner einen
letzten Angriff auf die Batterie unſeres rechten Flügels
verſucht; ihr Commandant, Oberl. Hepperger, ſuchte
mit ſeltener Bravour den General Bem im Hand—
gemenge auf und ſtand im Begriff ihn niederzuhauen,
als Major Kiß von den Szekler-Huſaren und Graf
Teleky Sandor heranſtürmten, dem kühnen Gegner
den Helm ſpalteten, und ihn gefangen nahmen, wäh—
rend die Maätyas-Huſaren die übrigen Dragoner nieder:
machten oder in die Flucht jagten. Das war in der
That die einzige Bravour, welche wir in dieſem
Feldzuge auf Seiten der Oeſterreicher ſahen, und es
gereicht dem Verfaſſer zur Beruhigung, ſie hier rüh—
mend erwähnen zu konnen.
Bem wußte den errungenen Vortheil, wie immer,
gehörig zu benutzen. Er überließ die Gefangennahme
der einzelnen führerloſen feindlichen Abtheilungen ſei—
nen Nachzüglern, jagte die Kaiſerlichen unaufhaltſam
über Bogaes nach Mediaſch, wo er am 1Sten Abends
150
eintraf, nach Nagy Selyt, wo er am A9ten war,
und nach Stolzenburg, wo er dieſes Mal übernach—
tete. Während dieſes Marſches beſetzte er Mediaſch
mit dem Bataillon Keménys, ernannte zum dortigen
Commandanten den Oberſtl. Szilagi, ſchickte nach
Klauſenburg, um Munition kommen zu laſſen, und
beorderte den Oberſtl. Czetz mit ſeiner Brigade, ihm
in Eilmärſchen nach Hermannſtadt zu folgen, von
wo Stolzenburg nur 2 Stunden entfernt iſt.
Oberſtl. Czetz erhielt den erwähnten Befehl am
16ten Abends und trat feinen Marſch am 17ten
10 Uhr Vormittags an. Dies war einer jener ſeltnen
Züge, wie ſie die Kriegsgeſchichte nicht häufig auf—
zuweiſen hat. Man denke ſich eine von Mittelgebirgen
durchſchnittene Gegend, in welcher kein Weg, keine
Spur einer Straße ſich findet, die Berge mit klafter—
hohem Schnee bedeckt, die Bergabhänge ſteil und
ſchlüpfrig find, fo daß die Pferde nicht vermögen,
Kanonen und Munitionswagen vorwärts zu bringen,
dazu die Ortſchaften 3— 4 Stunden von einander
entfernt, deren Bewohner feindlich geſinnt und mit
ihrem Vieh und ihrer Habe in die Wälder geflüchtet,
ſo daß man weder Lebensmittel noch Zugvieh zum
Transportiren der Geſchütze und Wagen findet, füge
hiezu noch eine Kälte von 20—24 Graden und nur
leidlich gekleidete Mannſchaft, ununterbrochen beun—
ruhigt vom wallachiſchen Landſturm, fortwährend ohne
Raſt, Tag und Nacht marſchirend; fo muß man über
en
die Kühnbeit einer ſolchen Unternehmung ftaunen und
dem Muthe ſowie der Ausdauer der Truppen ſeine
bhöchſte Bewunderung zollen.
Oberſtl. Czetz marſchirte am 17. Januar von
10 Uhr Morgens bis 3 Uhr Nachts von Thorda
bis Eleker, wo die Truppen 5 Stunden lang bi—
vouaquirten, von da am 1Sten nach Balaäsfalva, das
von wallachiſchem Landſturm beſetzt war, weshalb
fie die Nacht in Szancſal zubringen mußten, um
Tags darauf den Angriff mit friſchen Kräften unter—
nehmen zu können. Allein ein Paar Kanonenſchüſſe
und die wahrſcheinlich zu ihnen gelangten Kunde von
Bems Erfolgen reichten hin, die Landſtürmer zu zer—
ſtreuen. Denn am 19ten Morgens erſchienen ſchon
Abgeordnete mit der Friedensfahne, den Ort zu über—
liefern, nachdem in der Nacht derſelbe von allen
Wallachen mit ihrem öſterreichiſchen Commandanten
verlaſſen worden war. Als Oberſtl. Czetz ohne An—
ſtand einrückte, war es ein Wunder, daß es ihm ge—
lang, ſeine Truppen vom Niederbrennen und Plün—
dern dieſes Hauptſitzes der wallachiſchen Faction
zurückzuhalten, da faſt jeder einzelne Soldat einen
gemordeten oder geſchändeten Verwandten, oder ein
geraubtes oder zeritörtes Gut an den Söldlingen des
Biſchof Saguna, dieſes Haupträdelsführers der Ca—
marilla, oder den Trabanten des wallachiſchen Comite,
dieſes Centralorgans des ſyſtematiſch angeregten Na—
tionalbaffes, zu rächen hatte. Die energiſchſten Ans
152
ftalten des Commandirenden ſchützten Baläsfalva und
es wurden ſogar zwei Compagnien des 31. Batail-
lons zu ſeinem Schutze zurückgelaſſen. Hieher brachte
auch ein Courier, mit einer Escorte von ſechs Wil—
helm-Huſaren den weiteren Befehl Bems, ohne Auf—
enthalt nach Viz Akna zu marſchiren und jedenfalls
am 20ſten dort einzutreffen.
Die Truppen hatten alſo kaum Zeit, abzueſſen
und weiter wurde marſchirt, wieder querfeldein,
ohne Weg noch Steg, am linken Ufer der Kokel
bis Holdviläg, wo eine ſechsſtündige Ruhe geſtattet
war. Am A19ten in der folgenden Nacht, und am
20ſten ging der Marſch über Kiß Selyk und Nagy
Selyk, wo die Truppen Mittagsraſt hielten, nach
Viz Akna über ungeheure wüſte Bergrücken uud ſteile
unwegſame Abhänge. Am 20ſten endlich, um 2 Uhr
Nachts, gelangte Oberſtl. Czetz mit ſeiner Colonne
nach Viz Akna. Bem hatte ihm mittelſt ein Paar nach
Nagy Selyk geſandter Worte andeuten laſſen, daß er
ſeinen Truppen am 20ſten in Stolzenburg Ruhe gönnen
und am 21ſten vor Hermannſtadt die Schlacht liefern
wolle, welche ihn in den Beſitz dieſes Hauptopera—
tionsobjectes ſetzen ſolle.
Bevor wir jedoch zur Schilderung dieſer erſten,
im Kleinen großartigen Schlacht übergehen, iſt es
nöthig, den Leſer mit der Lage der Stadt und ihrer
Umgebung, ſowie mit ihren Vertheidigungsanſtalten
bekannt zu machen.
153
Hermannſtadt liegt im Thale der Cibin, auf
den letzten Abhängen des nördlichen Zweiges der
Keérbunär Cſova- und Gupäri-Berge. Die Stadt
iſt, wie alle ſächſiſchen Städte Siebenbürgens, von
einer Ringmauer umgeben, deren in gewiſſen Ent—
ſernungen bervoſpringende Thürme die Linie der
Courtinen, wie bei regelmäßigen Befeſtigungen be—
ſtreichen, und großentbeils gut erhalten, nur auf der
einen gegen Schellenberg offnen Seite der Stadt
durch proviſoriſche Befeſtigungen erſetzt waren. Auf
der Südſeite fließt die Cibin, und dient folglich dort
als Wallgraben. Was aber Natur und Nachlaſſen—
ſchaft des Mittelalters verſäumt hatten, das erſetzte
die Kunſt der Neuzeit und man muß geſtehen, daß
die öſterreichiſchen Ingenieure, unterſtützt von den
fanatiſirten Sachſen, aus dieſem zum Theil offnen
Orte, eine ſo ſtarke proviſoriſche Feſtung gemacht
batten, daß nur die Kühnheit und der raſche ſtrate—
giſche Ueberblick des General Bem es unternehmen
konnte, dieſen wohlbefeſtigten place de moment ohne
förmliche Belagerung nehmen zu wollen. Alle Vor—
ſtädte, welche jenſeit der Cibin liegen, zum Theil
durch Sumpf und naſſe Gründe gedeckt, waren mit
Feldmarken umgeben, welche nicht nur alle Commu—
nicationslinien und Eingänge beherrſchten, ſondern
ſich auch gegenſeitig beſtrichen und nur einen Zugang
von jeder Seite, unter wohl angebrachtem Kreuzfeuer
geſtatteten. Außerdem wurden dieſe Schanzen von
154
den auf den Wällen und Thürmen poſtirten Geſchützen
vertheidigt. Ein Kranz von Redouten, Kronwerken
und geſchulterten Flechen umgab Hermannſtadt von
Schellenberg über Hammersdorf bis Neppendorf;
alle Gaſſen der Stadt waren verpalliſadirt oder durch
Verhaue, Tambours, welche an manchen Stellen
doppelt und dreifach hintereinanderlagen, geſchloſſen;
die Plattform der alten Thürme hatte man in Stand
geſetzt, neue errichtet und alle mit 18 und 24 Pfün-
dern bepflanzt, die Bruſtwehr auf den Ringmauern
zur Vertheidigung hergerichtet und Bankets, Schieß—
ſcharten u. ſ. w. gemacht; kurz Hermannſtadt war
ganz paſſend zu einem wohlbefeſtigten Hauptmunitions—,
Adjuſtirungs- und Armirungsdepot der kaiſerlichen
Südarmee eingerichtet worden. Auf der Nordweſtſeite
der Stadt erſtreckt ſich auf Kanonenſchußweite eine
kleine Ebene, welche, nach allen Richtungen von Ab—
zugsgräben durchſchnitten, mit Weiden und Geſtrüpp
bepflanzt iſt. Dieſe Ebene wird von den Gebirgs—
abhängen bei Kis Cſür, Nagy Cſür und Hammers—
dorf vollkommen beherrſcht. Die Hauptſtraße zieht
ſich von Stolzenburg über Großſcheuern (N. Efür) nach
Hermannſtadt, eine Vieinalſtraße von Viz Akna über
Kis Cſür eben dahin.
Es fehlte nicht viel daran, daß dieſer wohlbefe—
ſtigte, mit allen Vertheidigungsmitteln wohl verſehene
den größten Tbeil der kaiſerlichen Südarmee beher—
bergende place de moment, von General Bem mit
155
feiner Handvoll Leute erobert worden wäre. Es iſt
aber die moraliſche Nachwirkung wohlbenutzter Siege,
daßt geſchlagene Truppen ſelbſt in der Ueberzahl und
von Mauern und Erdbefeſtigungen geſchützt, dem
muthigen Angreifer keinen großen Widerſtand entge—
genzuſetzen vermögen. Die geiſtige Abſpannung, die
Auflöfung der Bande des Gehorſams war in Folge
der nimmer raltenden Verfolgung Bems unter der
Garniſon Hermannſtadts bis zu einem ſolchen Grade
geſteigert worden, daß die kaiſerlichen Officiere am
20. Januar eine Verſammlung hielten, in welcher
ſie, Puchner für einen Verräther erklärend, den Ge—
neralmajor Kalliany aufforderten, das Commando zu
übernehmen, indem F. M. L. Caſtiglioni ſich deſſen
geweigert hatte. Und doch war es diesmal Puchner,
welcher Hermannſtadt vor einer ſchmählichen Capitu—
lation bewahrte.
Aus dem Geſagten ergiebt ſich, daß Bem den
moraliſchen Calcul richtig gemacht hatte, daß aber ſeine
Berechnung an der Unzulänglichkeit ſeiner Mittel
ſcheitern mußte. Um dies anſchaulicher zu machen,
müſſen wir den Beſtand beider Armeen vergleichen
und wir werden daraus die Ueberzeugung entnehmen,
daß das Reſultat, den Fall einer ſchmählichen Flucht
des Feindes ausgenommen, eben kein anderes ſein
konnte, als das wirklich erlangte: nämlich ein ebren-
voller Rückzug Bems von den Mauern Hermann—
156
ſtadts. Bems Armee beſtand am 21. Januar 1849
aus:
Infanterie.
4. Honvedbataillon .. 900 Mann
Wiener Legiin dg 400 „
2. Szeklerbataillon ... 750 „
55. Honvedbataillon .. . 40 „
44 „ 4 „ el unt. Oberſt
91. 1 „ (4. Comp.) 400 „ \lieut. Czetz.
3750 Mann.
Cavalerie.
1 Diviſion Mätyas-Huſaren 240 Mann
ingen Szekler 300 „
1 Escadron Wilhelm-Huſaren 100 —
1 Escadron Maͤtyas-Huſaren 160 „unt. Oberſt⸗
Kreß Chevaurlegers .... 75 „ flieut. Geb.
575 Mann.
Artillerie.
2 Batterien Sechspfünder . 12 Geſchütze
½ Batterie „Debrecziner 6 u
1 1 Dreipfünder .. 6 „ unt. Oberſt—
1 „ Sechspfünder . 6 „ Bun Getz.
28 Geſchütze.
Die kaiſerliche Südarmee in Hermannſtadt zählte:
Zwei Brigaden Infanterie, mindeſtens 6000 M.
Eine Brigade Cavalerie ..... 1000 „
Seldgeſchüg : at ed „ene 30 Kanonen
Poſitionsgeſchütz .... .... 24 15
Dazu läßt ſich rechnen die mobile Hermann
ſtädter Nationalgarde mit 4000 Mann, welche ins
Feld rückten und ſich an der Schlacht betheiligten,
wogegen wir ein paar Tauſend wallachiſche Natio—
nalgarden, ſowie 150 wallachiſche Lanciers, als ohne—
dies unbrauchbare Soldaten, gar nicht mitrechnen.
Dies iſt die geringſte Zahl der kaiſerlichen Streiter,
welche ſich vielleicht noch um ½ böber belief; aber
auch obige, der ungariſchen doppelt überlegene, auf
einen woblbefeſtigten Platz geſtützte Macht reicht hin,
um die Kühnheit Bems, fo wie die Bravour feiner
Armee zu veranfchaulichen. “)
General Bem war ſchon in der Nacht des
20. Januar nach Großſcheuern vorgerückt und
hatte die kaiſerlichen Vorpoſten herausgefordert,
zugleich aber einen Ordonnanzofficier an den Oberſt—
lieutenant Czetz geſandt, um ihn von dem am folgen—
den Tage vorzunehmenden Angriffe in Kenntniß zu
ſetzen. Dieſer Officier war aber in der Nacht, ehe
die Colonne von Czetz dort anlangte, in Viz Akna
eingetroffen, hatte in den erſten Häuſern des Ortes
erfahren, daß ſich noch eine kaiſerliche Salzwache
dort befände und war unverrichteter Sache wieder
*) Die Esquisse ete. p. 50 giebt Puchners Streitkräfte auf
4000 Mann und 18 Kanonen von kleinem Kaliber an, Bems
Macht aber auf 12000 Mann mit 24 ſchweren Kanonen. Frei⸗
lich müſſen die Oeſterreicher in der Umwahrbeit ihre Entichulvi-
gung ſuchen!
158
umgekehrt. So kam es, daß Bem ſchon am 21.
früh Morgens das Gefecht begann, ohne daß Czetz
genaue Nachricht davon hatte. Der tapfere Oberſt
Mikes Kelemen befehligte das Centrum, der ritter—
liche Graf Bethlen Gergely den linken Flügel, zu
welchen die Czetz'ſche Brigade den rechten Flügel bil—
den ſollte. Das Wetter war etwas ruhiger gewor—
den und Hermannſtadt lag in dichtem Nebel gehüllt
vor den kampfluſtigen ungariſchen Kriegern da; nur
die Thürme erhoben ſich gleich drohenden Rieſen aus
dem geſtaltungsloſen Nebelgebilde. Bem ſchlug die
Entmuthigung des Feindes ſo hoch an, daß er jeden
Augenblick das Erſcheinen eines Parlamentairs mit
der weißen Fahne erwartete. Auch die Stadt glaubte
an eine Uebergabe und der größte Theil der Hauptreagec—
tionairs hatte ſich bereits mit allem Gepäcke, jo wie
den Kriegs- und ſächſiſchen Univerſitätskaſſen nach
dem Rothenthurmpaſſe geflüchtet. Als aber drei Me—
diaſcher Einwohner, welche ihre Landsleute in Her—
mannſtadt zur Uebergabe auffordern ſollten, indem ſie
ihnen die humane, verſöhnliche Handlungsweiſe Bems in
Mediaſch mittheilten, unverrichteter Sache zurückkehr—
ten, da war die Schlacht beſchloſſen. Oberſt Mikes
marſchirte mit der Avantgarde und leitete die Auf—
ſtellung des Centrums, während Major Bethlen mit
der Cavalerie gegen Hammersdorf in die Ebene de—
ployirte. Die Kaiſerlichen hielten ſich in den vor
den Vorſtädten belegenen Gräben und Verſchanzun—
— — —
159
gen verborgen, ihre Cavalerie ſtand regungslos in
der Ebene nach Hammersdorf zu. Feierliche Stille
berrſchte. Den linken Flügel bildete die Brigade
Loſenau, den rechten die Brigade Kalliany, das Cen—
trum führte Puchner. Oberſt Mikes rückte langſam
mit dem Centrum immer weiter vor, bis an eine
ungefahr 1500 Schritt vor der Vorſtadt auf der
Strafe nach Großſcheuern belegene Brücke, wo die
Kaiſerlichen eben ihre Kernſchußweite markirt hatten
und wollte im Verein mit General Bem die Batte—
rien placiren; da fällt ein Kanonenſchuß und Oberſt
Mikes liegt todt auf der Erde, ein zweiter Schuß
ſtreckt Bems Adjutanten Térey nieder und verwun—
det einige Pferde von ſeinem Gefolge, ein dritter
Schuß tödter das Pferd des Gallopins, Grafen Teleky
Sandor. Die ungariſchen Truppen machten Halt und
ſtutzten. Da eröffnete Bem, ein Paar Hundert
Schritte rückwärts weichend, ein wohlgezieltes und
gut unterhaltenes Artilleriefeuer. Die Kanonade
dauerte von 7 Uhr Morgens bis 11 Uhr Mittags. In—
zwiſchen verſuchten die Szekler und die Wiener Legion
zu ſtürmen, mußten aber dem furchtbaren Kleinge—
webr- und Kartätſchenfeuer der Kaiſerlichen weichen,
wie auch einige von der Cavalerie auf die in freiem Felde
poſtirte Batterie gemachten Angriffe zurückgewieſen
wurden. Die Ungarn fochten wie Löwen, von der
Wiener Legion blieben nur 90 Mann übrig, die Mä-
tyas⸗ und Wilhelm-Huſaren ſtanden ſechs Stunden
regungslos im ſtärkſten Artilleriefeuer. Mebrere hö—
160
here Officiere waren gefallen oder verwundet, die
vier Debrecziner Kanonen demontirt, die Pferde der
6pfündigen Cavaleriebatterie großentheils erſchoſſen,
die Munition fing an zu mangeln und doch hielt ſich
Bem ſo feſt am Abhange des Berges bei Groß—
ſcheuern, daß die Kaiſerlichen nur mit der Artillerie
gegen ihn kämpften, ohne einen Sturm zu wagen.
Da erſchien um 11 Uhr Vormittags die Colonne
des Oberſtlieutenant Czetz an dem Bergrande, wel—
cher in der Richtung auf Viz Akna die Hermann—
ſtädter Ebene begränzt. Ein tauſendfaches Eljen er—
ſcholl von den Truppen Bems uud das Centrum
rüſtete ſich ſofort zum erneuerten Sturm mit dem
Bajonet. Die Sonne hatte den Nebel durchbrochen
und das Ziel ſo vieler Mühſal und Anſtrengung
zeigte ſich, entkleidet vom düſteren Gewande, deutlich
unſern Blicken. Es war ein wahrhaft großartiges
Schauſpiel und der von ihm hervorgebrachte Eindruck
wird für alle damals Anweſenden ein unvergeßlicher
bleiben. Oberſtlieutenant Czetz beabſichtigte eigentlich
die bei Neppendorf angelegten Schanzen zu ſtürmen
und von dieſer Seite in die Stadt eindringend, dem
Feinde den Rückzug gegen Carlsburg unmöglich zu
machen, und ihn zum Rothenthurmpaſſe zu treiben.
Dieſe Abſicht ward indeß durch die Ungeſchicklichkeit
des Avantgardenführers, Major Palffy vereitelt, wel—
cher ſich von Großſcheuern gegen den Viz Aknaer Weg
nördlich wandte, ſtatt den eingeſchlagenen Weg zu
—
verfolgen. Deshalb erſchien auch jene Colonne
ein Paar Stunden ſpäter auf dem Kampfplatze. Kaum
aber defilirte fie in die Ebene, als auch das 31. Ba:
taillon unter dem wadern Dobay, das 11. Bataillon
unter Inczedy, dem Unerſchrocknen, und die Artillerie
unter der geſchickten Leitung des Artilleriehaupt—
manns Bohm Wunder der Tapferkeit verrichteten. Sie
ſchritten, alle Hinderniſſe beſiegend, gegen die Vor—
ſtadt jenſeits der Ziegelöfen vor und waren nahe
daran, ſich derſelben zu bemeiſtern. Da wird der
Colonnencommandant gewahr, daß der Sturm des
Centrums mißlungen iſt und Bems Truppen in Auf—
löfung gegen Großſcheuern fliehen, wozu die kaiſer—
lichen Muſikbanden in bosbafter Freude ein ſolennes
„Gott erhalte“ ꝛc. ſpielen. Das Glück hatte ſich
gewendet und es blieb dem Oberſtlieutenant Czetz
nichts weiter übrig, als gleichfalls den Rückzug anzu—
treten, welcher, ohne vom Feinde auch nur durch eine
Patrouille beläſtigt zu werden, in größter Ordnung
nach Ladamos, wo man die Nacht zubrachte, ausge—
führt wurde. Bem aber machte ſeinen Rückmarſch
auf die ihm eigenthümliche Weiſe. Die Infanterie
und die regelloſe Cavalerie ließ er flieben, die de—
montirten Debrecziner Geſchütze auf dem Wahlplatze,
ſammelte aber die noch übrige kampffaͤhige Artillerie,
ſowie die Diviſion Maätyas-Huſaren und nahm bis
10 Ubr Abends beſtändig Poſition, wodurch er die
feindliche Verfolgung nicht nur lähmte, ſondern auch
11
162
den Sieg ſchwächte. Freilich war er geſchlagen, feine
Munition fo verſchoſſen, daß ihm kaum 20 Schuß
übrig blieben; dennoch konnten die Kaiſerlichen keine
Gefangenen machen und Bem blieb zwei Stunden
von Hermannſtadt ſtehen, ſo zu ſagen vor den Tho—
ren, immer mit erneuertem Angriff drohend. So
konnte man beinahe eher von einem unbenutzten Siege,
als von einer Niederlage reden und nie hat Bem
ſich jo groß gezeigt, als in dieſem gefahrvollen Au?
genblicke, wo Alles auf dem Spiele ſtand und wo
von ſeinen Entſchlüſſen, wie ſeiner Feſtigkeit, der mo—
raliſche Einfluß ſeines Namens und alle bis dahin
errungenen Vortheile abhingen. Bem handelte hier,
wie einem großen Feldherrn zukommt: Alles um ihn
her brach zuſammen, nur er blieb feſt, kaltblütig
überlegend; er wußte, daß, Stolzenburg verlaſſen, ſo
viel bedeute, wie Siebenbürgen aufgeben. Daher
war er überall, wählte die Poſitionen für feine Geſchütze
ſelbſt, ließ den verfolgenden Feind bis auf Schuß—
weite herankommen und fügte ihm dann mit ein Paar
wohlgezielten Salven mehr Schaden zu, als viel—
leicht während der Schlacht ſelbſt. In Stolzenburg
angelangt, placirte er ſelbſt die Kanonen auf einem
Bergabhange am Ausgange des Ortes, ließ mit
Kartätſchen laden und feuerte eigenhändig jedes Ge—
ſchütz auf die heranſtürmenden Infanterieabtheilungen
ab da wurde es Nacht und der Feind bekam wieder
Reſpect vor dem geſchlagenen Bem. Die Oeſterrei—
163
cher ließen von ihrer Verfolgung ab, begnügten ſich
damit, lediglich Vorpoſten in Großſcheuern zurückzu—
laſſen und concentrirten ſich insgeſammt wieder in
Hermannſtadt, wo am 22. das Corps Gedeons noch
zu ihnen ſtießt.
In Verein mit den Patriciern Kronſtadts und
Hermannſtadts ſuchte jetzt Puchner eigenmächtig die
Hülfe der Ruſſen zu erlangen. Muchner verſicherte,
weil er die Verantworlichkeit dieſes Schrittes nicht
allein auf ſeine Schultern nehmen wollte, wiederholt
den Bürgern beider Städte, daß er zu ſchwach ſei,
ſie vor den Rebellen zu ſchützen; zugleich ließ
er Subſcriptionsbögen vertheilen, auf welchen die
Unterzeichneten den Commandirenden, alſo Puchner
ſelbſt, erſuchten, um jeden Preis für das hartbedrängte
Sachſenland gegen die Greuelthaten der Inſurgenten
ruſſiſche Hülfe herbeizurufen. Dies geſchah. Der
Befehlshaber der ruſſiſchen Truppen in der Wal—
lachei, General Lüders, willfabrte dem Geſuch, ſandte
zwei Abtheilungen ſeiner Truppen über die Grenze
und ſie zogen am 1. Februar unter Engelhardt in
Kronſtadt, am 1. Februar unter Sfariatin in Her—
mannſtadt ein. Nun erſt wagte ſich Puchner gegen
Stolzenburg. “)
) Bei der Einnahme Hermannſtadts fand ſich unter Puchners
Papieren ein in den letzten Tagen des Januar aus Bukareſt datirtes
Schreiben des dort angeitellten öſterreich. General-Conſuls, Herrn
a8.”
u) 7
164
—
Acht volle Tage vergingen, ehe der Feind gegen
den geſchlagenen, ja für vernichtet erklärten Bem
wieder einen Angriff zu unternehmen wagte. Aber
dieſe acht Tage reichten für Bem vollkommen hin,
um ſeine zerſprengten Kräfte zu ſammeln, die des—
organiſirten Elemente zu regeln, die Disciplin herzu—
ſtellen und ſich mit Munition zu verſehen, um friſch—
gerüſtet frohen Muthes den Gegner empfangen zu
können. |
General Bem war nur mit einer Escadron
Wilhelm-Huſaren, 1 Diviſion Mätyas- Hufaren und
ein Paar Compagnien des vierten Honvedbataillons
Timoni an den commandirenden kaiſerlichen F. M. L. vor, aus
welchem wir, als auf die ruſſiſche Intervention bezüglich, folgende
Punkte herausheben wollen:
1) Die Hermannſtädter und Kronſtädter Bürger bitten um
ruſſiſche Hülfe, aber General Lüders verſagt dieſelbe den genann—
ten Bürgern.
2) Die ruſſiſche Regierung heißt Lüders negirende Antwort
gut; ermächtigt ihn jedoch, die Hülfe alſogleich zu leiſten, ſobald
dieſe durch die Regierungsgewalt tin Siebenbürgen beanſprucht
würde.
3) Lüders zieht ein mobiles Obſervatlons-Corps an der
Siebenbürger Grenze zuſammen, da mit dieſes für den Fall, wenn
Beiftand verlangt werden würde, ſogleich zum Einmarſch bereit fei.
4) Alle dieſe Notenwechſel werden dem commandirenden Ge—
neral durch Herrn Timoni mitgetheilt. Hierauf ward (nach der
esquisse de la guerre de Hongrie), im Kriegsrathe zu Her—
mannſtadt die Hülfe-Anrufung beſchloſſen und nach dem 21. Ja-
nuar effectulrt. Siehe den Anhang.
165
in Stolzenburg fteben geblieben. Am 22. beorderte
er ſofort alle nach Nagy Selyk entflobenen Truppen,
die Colonnen des Oberſtlieutenants Czetz, ſo wie
das Bataillon Kemenys aus Mediaſch, zu ſich, ſchrieb
nach Maros-Vaſärhely und Klauſenburg, um Verſtär—
kungen und Munition zu erhalten, ordnete ein Paar
eremplariiche Beſtrafungen an, welche jedoch meiſtens
Officiere trafen, und ſetzte ſich überhaupt in Stol—
zenburg feſt. Zugleich ſchrieb er an die Landes—
Regierung, auf Verſtärkungen dringend, da er ſich
mit den Szeklern noch nicht hatte in Verbindung
ſetzen konnen. Major Kemény war in Folge der
erhaltenen Ordre von Mediaſch in Eilmärſchen als
er Erſte mit ſeinem Bataillon in Stolzenburg er—
ſchienen und erwarb ſich dadurch in Bems Augen
ein großes Verdienſt, welcher ihn ſogleich zum Oberſt—
lieutenant und Chef des conseil seeret ernannte.
Dem Oberſtlieutenant Czetz konnte Bem ſein ver—
ſpätetes Eintreffen zur Schlacht bei Hermannſtadt lange
nicht verzeihen, ließ ihm aber die Gerechtigkeit wider—
fahren, daß er den Urbeber des Fehlmarſches, Major
Palffy verabſchiedete und ſpäter ſelbſt eingeſtand, daß
dieſes Mal Hermannſtadt ſchwerlich hätte behauptet
werden können. Das iſt ſehr wahr und dies Einge—
ſtändniß ſpricht für Bems tiefe Einſicht in die Lage
der Dinge. Czetz ſeinerſeits beging darin jedenfalls
einen Febler, daß er ſich von Ladamos nicht direct
166
auf Stolzenburg zurückzog, ſondern erſt den Umweg
über N. Selyk machte.
Wir ſind jetzt bei der Schilderung einer Zeit
angelangt, wo das Glück Bem und ſeine Armee zu
fliehen begann und die Verhältniſſe ſich ſehr zu deren
Nachtheil geſtalteten; wie es faſt ſcheinen möchte, nur
zu dem Zwecke, um Bems Genie, die Unerſchrocken—
heit ſeiner Officiere, und den durch nichts zu beugen—
den Muth ſeiner Truppen in ein deſto helleres Licht
zu ſetzen. Bem befand ſich nach der Hermannſtädter
Schlacht wahrlich in keiner glänzenden Lage. Er
hatte ſich von ſeiner Operationsbaſis, deren Endpuncte
Klauſenburg und Maros-Väſärhely bildeten, zu weit
entfernt, um die ſo nöthige Munition ſicher und
zeitig genug erhalten zu können; Truppenverſtärkun—
gen konnte er von dort nicht erwarten, denn dieſe
Städte waren ſelbſt nicht mit zureichender Garniſon
verſehen. Die Regierung konnte ihm Succurs nur
auf der Maroslinie vom Arader Cernirungscorps
ſenden, und mußte ihn obendrein erſt durch ein De—
tachement aufſuchen laſſen, welches ſowohl von
Carlsburg als vom Bannat aus bedroht worden
wäre. Um mit den Szeklern in Verbindung treten
und fie für die ungariſche Sache wieder zu gewinnen,
mußte zu einem verzweifelten Mittel gegriffen werden,
nämlich das zweite Szekler Infanteriebataillon und
die Szekler Huſarendiviſion nach Hauſe zu ent—
laſſen, damit fie ihre Landsleute von dem Stande
167
der Dinge unterrichten und ſie zum maſſeweiſen An—
ſchluß an Bems Armee veranlaſſen könnten. Uleber—
dies mußte man ihnen das vorhandne wenige Geld
mitgeben. Und nach allem Dieſen ſtand man mitten
in Feindes Land, zwei Stunden vom Hauptopera—
tiensobjecte entfernt, einem doppelt und dreifach
überlegnen, mit Munition, Geld und allem Erforder—
lichen reichlich verſehenen Feinde gegenüber, welcher
zum Ueberfluß noch die zum Einmarſch aus der Wal—
lachei bereitwilligen Ruſſen als Reſerve hatte! Wenn
man alles Das erwägt, ſo wird man erſt den wahren
Maßſtab für die nun folgenden Begebenheiten ge
funden baben; man wird gezwungen fein, über die
Untbätigfeit und Unfähigkeit der Kaiſerlichen Gene—
räle zu ſtaunen und Bems Talente zu bewundern.
Der erſte Act dieſes intereſſanten Dramas war
die Schlacht bei Stolzenburg am 30. Januar 1819.
Dieſer Ort liegt auf der Poſtſtraße von Hermannſtadt
nach Mediaſch in einem Bergkeſſel, auf allen Seiten
von Höhen ſo umgeben, daß er in jeder Richtung
umgangen oder dominirt werden kann, und die dort
befindlichen Truppen im wahren Sinn des Wortes
in einem Mauſeloch ſtecken, welches keine andere
Wahl läßt, als zu ſiegen oder zu ſterben. Denn der
einzige Ausweg gegen Ladamos zu, im Thale eines
Gießbaches, iſt ſo ſchmal, daß er mittelſt eines einzi—
gen Infanteriebataillons geſperrt werden kann. In
dieſem Bergkeſſel ſtand Bem mit ſeiner Armee und
168
hatte nur ſehr ſchwache Detachements nach Nagy
Selyk und Mediaſch zur Erhaltung der Communica—
tion entſendet. Er hatte ſelbſt dieſe Poſition für die
unglücklichſte von der Welt erkannt und harrte dort
nur deshalb aus, um ſeiner Armee und dem Lande
durch ſein Verweilen in der Nähe Hermannsſtadts,
ſelbſt nach dem Bekanntwerden der verlornen Schlacht,
moraliſch noch zu imponiren. In dieſer ſchlechteſten
aller Poſitionen beſtand ſeine Macht aus 3200 Mann
Infanterie, 600 Mann Cavalerie und 25 Geſchützen,
wogegen der Feind wenigſten 6000 Mann Infanterie,
1000 Mann Cavalerie, 70 Geſchütze, 6000 Mann
zu Fuß dienende und 200 Mann reitende ſächſiſche
und wallachiſche Nationalgarden beſaß. Der Feind
war mithin drei Mal ſtärker als Bem, deſſen Armee
überdies durch unabläſſigen Vorpoſten- und Patrouil—
len-Dienſt phyſiſch faſt ganz erſchöpft und mit Mu—
nition höchſtens noch auf zwei Schlachten verſehen
war. Die Szekler waren am 29. nach Mediaſch
abmarſchirt. N
Am 30. Januar rückte Puchner mit ſeiner ge—
ſammelten Macht — er hatte nämlich die Truppen
Gedeons aus Kronſtadt und ſeiner Umgebung inzwi—
ſchen an ſich gezogen — gegen Stolzenburg vor. Zwei
Brigaden mit zwölf- und achtzehnpfündigem Feldge—
ſchütz marſchirten auf der Hauptſtraße zum Front⸗
angriff, eine Brigade mit der großen Maſſe von
Nationalgarden rückte von Viz Akna im Thal des
100
erwähnten Gießbaches von Ladamos in der rechten
Flanke, eine halbe Brigade von Kakasſalva +) über die
Gebirge in der linken Flanke vor und eine halbe
Brigade war vom letztgenannten Orte nach Rüsz )
marſchirt und hatte die gleichnamigen Höhen im
Rücken Bems beſetzt. Gegen 1 Uhr Nachmittags
meldeten die ausgeſandten Patrouillen dem General
das Herannaben des Feindes. Er ſetzte, ohne Notiz
davon zu nehmen, ruhig fein Diner weiter fort.
Seine Officiere ließen ſich's im Pfarrhauſe bei Wein
und fröhlicher Muſik wohl ſchmecken; denn die Klau—
ſenburger Zigeuner waren mit der Colonne des Oberſt—
lieutenant Czetz gezogen. Als die wieder ausgeſand—
ten Patrouillen die Nachricht vom Nahen des Feindes
beſtätigten und Bem eine flüchtige Recognoscirung
vornahm, begannen ſofort die Kanonen von den Rüszer
Höben zu ſpielen und das Artilleriegefecht nahm in
der Front wie auf beiden Flanken zugleich ſeinen
Anfang. Die Kaiſerlichen mußten glauben, Bem im
Orte überraſcht zu haben, allein dieſe Täuſchung
dauerte nur eine kurze Weile. Bems Truppen waren
auf den erſten Allarmſchuß in Reihe und Glied und
wurden von ihm auf das Zweckmäßigſte vertheilt.
Das vierte Honvedbataillon beſetzte die Höhen vor
der Front, das 55. Bataillon erhielt die Aufgabe, den
Feind auf der rechten, das Keményſche ihn auf der
1) Hanenbach.
) Reuſſen.
170
linken Flanke zurückzuweiſen, das 11. und 31. Bas
taillon mit einer Escadron Mätyäs-Huſaren und
6 Kanonen hatten unter Oberſtlieutenant Czetz gegen
Rüsz zu operiren, während die übrige Cavalerie
als Reſerve im Orte ſtehen blieb. Um 2 Uhr Nach⸗
mittags begann von beiden Seiten eine fürchterliche
Kanonade. General Bem, welcher gegen das feind—
liche Centrum operirte, fügte mit ſeinen Geſchützen
demſelben nach und nach ſolchen Schaden zu, daß
die kaiſerliche Artillerie zeitweilig ſchweigen mußte,
jo lange nämlich, bis die demontirten Geſchütze durch
andere erſetzt waren. Vergebens ſtrebte der Feind,
mit Granaten den Ort anzuzünden, oder die Reihen
der Cavalerie in den Gaſſen zu lichten, oder durch
Bajonetangriffe die Infanterie von ihren Höhen
herabzuwerfen; denn Bem ſtand unerſchüttert, wie
der Gott des Krieges und ſeine Truppen folgten
dieſem Beiſpiele. Keiner wich vom Platze, mochten
auch Flammen den Ort und die Kleidung der Sol—
daten beſchädigen und der Kugelregen überall hin
Tod und Verderben ſäen. Bis 4 Uhr Nachmittags
hatte der Feind nicht einen Zoll breit Terrain gewon—
nen; im Gegentheil war es Czetz gelungen, durch
ein wohlgerichtetes Feuer die Geſchütze der Ruszer
Halbbrigade zu demontiren: freiwillige Compagnien
des eilften Bataillons hatten, auf Händen und Füßen
kriechend, den ſteilen Berg, auf welchem jene Batte—
rien ſtanden, erklommen und ſich dieſer Geſchütze bei—
|
171
nabe bemädstigt; aber der Feind hielt für geratben,
vor dieſen jungen Helden Reißaus zu nehmen und
ſich in die Wälder zu ziehen. Kaum gewahrte das
Bataillon Kemény auf der linken Flanke, daß der im
Rücken ſtebende Feind geworfen ſei, ſo ging es aus
der Defenſive zur Offenſive über und griff den ihm
gegenüberftebenden Feind, welcher nach Kakasfalva
kampfend zurückwich, mit dem Bajonet an. Das
55. Bataillon bielt auf der rechten Flanke die An—
greifenden der Art in Schach, daß ſie, trotz ihrer
großen Ueberzahl ſich nicht einen Schritt vorwärts
wagten und ſogar bei einbrechender Nacht ihren
Rückzug antraten. Auch die Nationalgarden batten
genug von der Sache. Im Centrum kämpfte der
Feind hartnäckig fort; aber alle ſeine Anſtrengungen,
durch ein überlegnes furchtbares Artilleriefeuer den
Eingang in den Ort zu erzwingen, ſcheiterten an der
Kaltblütigkeit Bems und der Ruhe feiner Braven-
Um 6 Ubr war das Treffen zu unſern Gunſten ent—
ſchieden und wenn noch bis 8 Uhr fortgekämpft
wurde, fo geſchab es von Seiten der Kaiſerlichen
aus Eitelkeit, von Seiten Bems, um ſich den Erfolg
zu ſichern und nebenbei ſeinen Truppen das herrliche
Schauſpiel eines Nachtgefechtes zu goͤnnen. Endlich,
gegen 8 Uhr Abends zog ſich auch im Centrum der
Feind zurück und erklärte Bems Stellung für unein—
nebmbar! Unſere Truppen tbaten ſich in den war:
men Behauſungen Stolzenburgs gütlich, während die
172
Kaiſerlichen in den Waldungen bei Großſcheuern!)
bivouaquirten. Bem dachte indeß an die Benutzung
des errungenen Vortheiles. Am Morgen des 31.
ließ er alle ſeine Truppen ausrücken und ſchickte den
Oberſtlieutenant Kemény mit der ganzen Infanterie
auf der Hauptſtraße gegen Großſcheuern, während
er ſelbſt mit der Cavalerie und Artillerie ſich im Lada—
mos-Thale gegen Viz Akna wandte und nach einem
halbſtündigen Marſche, die Höhen erklimmend, den
Kaiſerlichen auf halbem Wege zwiſchen Großſcheuern
und Stolzenburg, auf gleicher Linie mit Viz Akna
in der Flanke erſchien. Durch dies Manöver ſahen
ſich die Kaiſerlichen genöthigt, auf alle etwanige Ab—
ſichten zur Erneuerung ihres Angriffes zu verzichten
und ſich ſchleunigſt nach Hermannſtadt zurückzuziehen,
wohin ihnen ſonſt der Weg abgeſchnitten werden
konnte. Bem ſah dem Rückzuge des Feindes lächelnd
zu und ging wieder nach Stolzenburg, um ſeinen
Truppen einige Ruhe zu gönnen.
Bem hatte indeſſen während des letzten Treffens
eingeſehn, daß er in der That zu ſchwach ſei, um
einer ſo bedeutenden Uebermacht auf längere Zeit
die Spitze bieten oder, ſelbſt in dieſem Falle, etwas
Erhebliches unternehmen zu können. Deshalb ent—
ſchloß er ſich, jenen Verſtärkungen, welche ihm die Re—
gierung über Arad zu ſenden verſprochen hatte und
1) N. Cſuͤr.
170
die er jetzt in Deva vermuthete, entgegen zu ſenden,
ſich ſelbſt aber ſo lange in der Gegend um Hermann—
ſtadt defenſiv zu halten, bis die Ankunft Jener ihn
zu größeren Unternehmungen befähigte. Aus dieſem
Grunde befahl er der erprobten Colonne des Oberſt—
lieutenant Czetz, unter Anführung Keménys, am
1. Februar über Viz Aknat), Szerdäbely?), Szasz Sebes
und Szäszvaros?) nach Deva zu marſchiren, dort ſich
mit den aus Ungarn anlangenden Verſtärkungen zu
vereinigen und mit ihnen ſogleich in Eilmärſchen zurück—
zufebren oder ihr Eintreffen dort zu erwarten. Er
ſelbſt wollte Viz Akna einſtweilen beſetzen und es zu
behaupten verſuchen. Dieſe Bewegung mußte jedoch
masfirt werden, wenn man anders die Verbindung
mit Mediaſch noch auf einige Zeit erhalten wollte.
Daber marſchirte Kemeny am 1. Februar mit dem
11., dem 55. Honved- Bataillon, einer Diviſion
Matyäs-Huſaren und 6 Sechspfündern über Viz
Akna nach Szerdäbely, die Avantgarde Bems, der
ihr in kurzem Zwiſchenraume folgte, bildend. Czetz
war ſchon früher mit dem vierten Honved-Bataillon,
der Abtheilung Kreß Chevauxlegers und 6 Kanonen
gegen Großſcheuern vorgerückt, hatte die feindlichen
Vorpoſten hinausgeworfen, die kaiſerlichen Vortruppen
alarmirt und dermaßen in Unordnung gebracht, daß
er, ohne einen Schuß zu thun, in Großſcheuern
1) Salzburg. 2) Reißmarkt. 3) Mühlenbach.
174
einrückte, an 40 Gefangene machte, mehre Munitions-
wagen und Gewehrverſchläge erbeutete, und nach Alar—
mirung der Hermannſtädter Garniſon und nachdem
er mit einer ganzen Brigade ein Gefecht angeſponnen,
ſich fechtend bis zu dem Punkte zurückzog, wo der
Viz Aknaer Weg ſich von der Chauſſee trennt. Als—
dann entzog er ſich durch eine raſche Seitenbewegung
dem Auge des Feindes in den Wald, und marſchirte,
da ſeine Aufgabe erfüllt war, nach Viz Akna. Ge—
neneral Bem war unterdeſſen mit ſeinem kleinen
Corps, aller Artillerie und Munition in dieſen Ort
eingerückt und hatte ſeine Vorpoſten ausgeſtellt; der
verblüffte Feind aber ſetzte ſich in Großſcheuern feſt.
175
Achtes Capitel.
Stand der Bemſchen Armee in Viz Akna (Salzburg). — Bems
Anſtalten. Die Schlacht bei Viz Akna am 4. Februar
1849. — Beginn ven Bems glorreichem Rückzuge. — Die
Ereigniſſe in der Nacht vom 4. auf den 5. Februar in
Mühlenbach. — Am 6. Fertſetzung des Rückzuges nach
Abweiſung des Parlementalrs unter fortwaͤhrendem Kam⸗
vfe. — Erſtürmung von Szaszvaros, Abends, um ein Nacht⸗
lager zu haben. — Nachrichten von Oberſtl. Kemeény.
Am 7. Treſſen bei Szäszvaros. — Bem verliert den Mittel⸗
finger der rechten Hand durch eine Flintenkugel. — Die
Armee zieht ſich hinter die Brücke von Piski zurück. —
Oberſtl. Kemény vertheidigt dieſelbe. — Bem zieht in Deva
das Hülfscorps aus Ungarn an ſich. — Weitere Dispoſitio—
nen. — Rückblick.
General Bems erſte Sorge war nun, in Viz
Akna eine ſolche Poſition zu ſuchen, in welcher er
den Angriff des überlegnen Feindes ruhig erwarten,
und ſich jo lange wie möglich halten könnte. Er fand
dieſe vermöge der ihm eignen Terrainkunde ſehr bald
in Viz Aknas nächſter Umgebung. Dieſer Ort, der
reiche Salzquellen und ein Salinenbad enthält, liegt
gleich Stolzenburg in einem Bergkeſſel; nur beſtebt
der taktiſche Unterſchied zwiſchen der Situation beider
176
Orte darin, daß Viz Akna von Bergen umgeben
iſt, welche nach der Richtung auf Kleinſcheuern und
Hermannſtadt ſich in der Weite eines Kanonenſchuſſes
öffnen. Mit dieſer weiten Thalöffnung beginnt die
Hermannſtädter Ebene, auf welcher ſich als einzige
Erhebung, auf der Mitte des Weges nach Hermann—
ſtadt, ein die ganze Plaine dominirender Berg findet.
An der Ausmündung jenes Thales vor Viz Akna
liegen Salzgruben und das erwähnte Salinenbad,
durch welche das Terrain mit kraterartigen Vertie—
fungen verſehen wird, in denen ganze Infante—
riebataillons und ein bis zwei Cavalerieescadrons
aufgeſtellt Platz finden können, ohne von einem auf
der Ebene heranrückenden Feinde geſehen zu werden.
Die Seiten dieſer Vertiefungen werden durch Berge
begrenzt, von denen aus man die ganze Ebene be—
ſtreichen kann. Vor den Salzgruben war ein breiter
Fahrweg gelaſſen, welcher an der Feldſeite von einem
tiefen Graben begrenzt und auf der Hermannſtädter
Straße mit einem Erdaufwurf verſehen war. Man
brauchte nur den Graben etwas zu erweitern und zu
vertiefen, um aus ihm einen für Tirailleurs brauch-
baren Jägergraben zu machen und es bedurfte nur
geringer Arbeit, um ihn zu einer Deckung für hinter
ihn poſtirte Kanonen umzuwandeln. Das geſchah
denn auch am 2. Februar unter perfünlicher Leitung
Bems, welcher auf geniale Weiſe das Vorhandne
zu benutzen, das Ungenügende durch Kunſt in
etwas Zweckmäßigeres umzuändern verſtand. Noch
177
an demſelben Tage wurden die Truppen in ihre
Stellungen vertheilt; ein Theil bivouaquirte an die—
ſem, der andre am folgende Tage dort. Bem hatte
die Gewohnheit, ſeine Truppe täglich früh Morgens
mit Sack und Pack ausrücken zu laſſen, als ob es zur
Schlacht oder auf den Marſch gehen ſollte und er—
theilte ſeine Befehle gewohnlich erſt bei dieſer Gele—
genheit: ein vortrefflicher Grundſatz, vermöge deſſen
nicht nur Officiere und Mannſchaft ſtets ſchlagfertig
bleiben, ſondern auch das Vorhaben vor Verrath
geſichert bleibt. Am 3. ward eine forcirte Recog—
noscirung gegen Hermannſtadt unternommen und die
Zeit mit ſolchen Vorbereitungen zugebracht, als ob
es zum Angriff gehen ſolle; obſchon Niemand ernſt—
haft an die Möglichkeit eines ſolchen dachte. Denn
Bems Truppen waren nach Keménys Abmarſch auf
eine ſehr ſchwache Brigade reducirt. Sie beſtanden
aus: Infanterie
Dem vierten Honvedbataillon .. 800 Mann
Keménys Bataillon 600 „
Vier Comp. des 31. Bataillons. 500 „
Wiener Legion 30: ıı%
1930 Mann.
Cavalerie
Eine Diviſion Mätyas-Huſaren .. 200 Mann
Eine Escadron Wilhelm-Huſaren . 100 „
Kreß⸗Chevaurleger ss. 75 „
375 Mann.
12
178
Dazu 24 Geſchütze, unter denen ſich eine Cava—
leriebatterie befand. Zieht man von obigem Be—
ſtande die Kranken und Verwundeten ab, ſo wird
man mit Staunen gewahr, daß Bem am Tage der
Schlacht bei Viz Akna kaum 2000 Mann zu ſeiner
Verfügung hatte, und doch mit dieſer geringen Zahl,
ſowohl in der Schlacht, als auf dem folgenden ruhm—
vollen Rückzuge, die merkwürdigſten Thaten voll—
brachte.
Am 4. Februar Morgens griff Puchner mit we—
nigſtens 12,000 Mann und 30 Geſchützen den Ge—
neral Bem in ſeiner flüchtig befeſtigten Stellung an.
Dieſer hatte den Major Zſurmay mit vier Kanonen,
der Escadron Wilhelm-Huſaren und den Kreß-Che—
vauxlegers, dann zwei Compagnien des vierten Hon—
vedbataillons auf den linken, den Major Bethlen
Gergely mit der Diviſion Mätyas-Hufaren, dem 31.
Honvedbataillon und vier Kanonen auf den rech—
ten Flügel poſtirt und war ſelbſt mit dem übrigen
Geſchütz, dem Bataillon Kemény, den vier Com—
pagnien des vierten Honvedbataillons, und der
Wiener Legion unter Oberſtlieutenant Czetz im Cen—
trum geblieben. Auch hatte er dem Chef ſeiner Kan—
zelei, Major Bauer, befohlen, die Bagagewagen im
Falle eines Rückzuges nicht eher in Bewegung ſetzen
zu laſſen, als er hiezu einen vom Bem ſelbſt aus—
gefertigten ſchriftlichen Befehl erhalten würde. Die
Kaiſerlichen rückten bis auf Kernſchußweite an unſere
179
Poſition beran, ohne daß von Bems Seite ein Schuß
fiel. Erſt als dieſe Diſtanz erreicht war, begann
unſere Artillerie nebſt unſerer ganz in Tirailleurs
aufgelöften Infanterie das Feuer; dies dauerte vier
Stunden lang, bis endlich die Kaiſerlichen an den
einzelnen, wie vorhin erwähnt, die Fläche beherrſchen—
den Berg zurückwichen, nicht ohne eine ziemliche
Anzahl Todter und Verwundeter, wie auch ein Paar
Geſchütze demontirt und zwei Munitionskarren einge—
büßt zu haben. Der rechte Flügel der Kaiſerlichen
wollte unſeren linken tourniren, aber Zſurmays Trup—
pen vereitelten dies durch ſtandhafte Bravour und
indem ſie dem Feinde ſich kühn entgegenwarfen.
Dieſer feindliche Flügel wich zuerſt und wurde vom
vierten Honvedbataillon verfolgt, jo wie von den
Kreß⸗Chevaurlegers, die bier auf eine an der Höhe
poſtirte feindliche Infanteriemaſſe eine zwar erfolg—
loſe, aber kühne Attaque machten. Erſt einige Zeit
bierauf retirirte die feindliche Mitte. Am rechten
Flügel behielten beide Theile ihre urſprünglichen Auf—
ſtellungen. Auch unſere Truppen hatten Verluſte er—
litten, im Verhältniß zu unſerer geringen Streit—
macht bedeutend genug, und mehre unſerer Beſpan—
nungspferde, damals nicht ſo leicht zu erſetzen, waren
getödtet worden. Nichtsdeſtoweniger, und unge—
achtet der Bitten und Beſchwörungen feiner Oberoffi—
ciere, verließ Bem mit gewobntem Umgeſtüm feine
vortbeilbafte Stellung, ſich zur Verfolgung des Fein—
12*
180
des anſchickend. Dieſer aber hatte feine geſammte
Artillerie auf der erwähnten Höhe concentrirt und
Bems an Zahl zu ſchwache Infanterie konnte von
ihrem Bajonet keinen erfolgreichen Gebrauch machen.
Auch erlitt unſere nunmehr demaskirte Artillerie eine
bedeutende Einbuße an Mannſchaft und Pferden.
Deſſenungeachtet hielt ſich Bem eine Stunde lang im
furchtbarſten Feuer, feine Truppen fortwährend zum
Sturme animirend. Als aber die Cavalerie des
rechten kaiſerlichen Flügels einen Choc auf die zer
ſtreuten Plänkler des Bemſchen linken Flügels ma—
chend, welche wegen ihrer mangelhaften taktiſchen
Ausbildung nicht raſch genug Klumpen zu formiren
wußte, ſie niederzuhauen und in die Flucht zu trei—
ben begann; da fing auch die Infanterie des Cen—
trums an, ſſch zurückzuziehen und die verlaſſne Artil—
lerie mußte folgen. Auf ſeinem linken Flügel konnte
jedoch der Feind, ungeachtet er beinahe ſeine ganze
Cavalerie dort concentrirte und mehrmals angriff,
noch immer kein Terrain gewinnen. Der rechte
Flügel aber und das Centrum des Feindes benutzten
ſogleich den errungenen Vortheil und warfen, unſern
linken Flügel vom Centrum trennend, ſich auf letzteres
mit ſolcher Wucht, daß es in wenig Augenblicken in
ſeine frühere Poſition und bald auch aus dieſer delo—
girt wurde. Eine Abtheilung kaiſerlicher Chevaurle—
gers langte mit Bem zugleich bei der erſten Poſition
an und ihr Dffieier nebſt einigen Gemeinen hatten
*
181
den Feldherrn ſo umringt, daß er ihr Gefangener
geworden wäre, wenn nicht in dieſem Augenblick
Czetz's Adjutant, Simonyi Simon , berbeigeiprengt
wäre, zwei Gemeine mit den Piſtolen getödtet, dem
Officier den Helm geſpalten und durch dieſe Contu—
ſion betäubt hätte und wenn nicht die Coryphäen der
Wiener Legion aus einem kleinen ſchnell formirten
Klumpen die übrigen Chevaurlegers erlegt, verwun—
det oder in die Flucht gejagt hätten. Zugleich mit
den Gbevaurlegers waren auch die Grenadiere Puch—
ners von der Höhe berabgeſtürmt und hatten ſich vor
den Salzgruben feſtgeſetzt. Puchner ſoll dieſe ſelbſt
zum Sturme geführt haben. Dies Alles hatte natür—
lich zur Folge, daß Bems Truppen über Hals und
Kopf aus Viz Akna nach Reismarkt flohen, Bagagen,
Gepäck, Verwundete und Gefangene zurücklaſſend.
Der Feind eroberte 16 Geſchütze, darunter die ſehr
gut beſpannte Cavaleriebatterie, Bems ganzes Ge—
paͤck und ſeinen Wagen. Es leidet keinen Zweifel,
daß dieſe Geſchütze hätten gerettet werden können,
wenn nicht die Bagagewagen, Gaſſen und Platz in
Viz Akna mit Schreck und Verwirrung erfüllend, jede
freie Paſſage gehemmt hätten und den Truppen die
Rückzugslinie bekannt geweſen wäre. So aber lehrte
eignes Mitgeſchick, daß zu ängſtliches Geheimhalten
und zu großes Selbſtvertrauen oft mehr ſchaden, als
nützen, und daß höhere Officiere in ſolchen entſchei—
denden Augenblicken den erhaltenen Weiſungen eben
+ a
ea
* |
182 a
nicht maſchinenmäßig zu gehorchen, ſondern den Um h
ſtänden gemäß zum allgemeinen Beſten zu handeln
haben. An dieſen großen Verlüſten trägt unſtreitig
Major Bauers paſſiver Gehorſam die meiſte Schuld.
Bems Armee war in einem verzweifelten Zuſtande
und hätte von den Kaiſerlichen, falls dieſe rastlos
ihre Verfolgung fortſetzten, entweder gefangen *
nommen oder gänzlich aufgerieben werden können.
Doch zum Glück dachten ſie daran erſt am folgenden
Tage; ſie mochten wohl kaum an die Größe ihres
Sieges glauben, freueten ſich deſſen, begnügten ſich * |
damit, unfere in Viz Akna zurückgebliebenen Kranken
und Verwundeten niederzumetzeln und mit einigen ge—
fangenen Zigeunern ihren Triumpheinzug in Hermann—
ſtadt zu verherrlichen. Dieſe Säumniß rettete Bem
und ſeine tapfere Schaar. Für dieſe handelte es ſich
nämlich darum, ungefährdet Szerdahely zu erreichen,
wohin ihnen feindliche Cavalerie über Groß Apöld
nicht zuvorkommen konnte. Gewann man dieſen Vor—
ſprung, ſo war die Wahrſcheinlichkeit des Entkom—
mens oder vielmehr der Vereinigung mit Kemeny
und den Hülfstruppen aus Ungarn nähergerückt und
die Wiederaufnahme der Operationen möglich gemacht.
Es gelang, Bem erreichte noch an demſelben Tage
Szerdahely und hielt dort ſein Nachtlager. Die
Kaiſerlichen ſandten ihm eine Cavalerieabtheilung bis
Toporefa ') nach, welche er indeß durch wiederholte
1) Tſchappartſch.
183
Gefhünftellungen, 0 ſeinen Rückzug zu unterbre—
—* chen, hinlänglich aufzuhalten und von der Verfolgung
zurückzuſchrecken wußte.
Die Armee Bems war auf 1500 Mann zuſam⸗
mengeſchmolzen; er hatte nur acht Geſchütze übrig
behalten und ſelbſt von dieſen waren zwei demontirt,
die Munition der Infanterie ſo gut wie verſchoſſen,
die der Artillerie bis auf zwanzig Schüſſe per Ge—
ſchütz wahrhaftig keine beneidenswerthe Lage!
General Bem hatte ungefährdet Szerdahely frei—
lich erreicht, aber er ſah wohl ein, daß die Rettung
ſeines geringen Corps einzig und allein von deſſen
ſchleunigſter Vereinigung mit Keménys Brigade ab—
bing, von welcher er nichts weiter wußte, als daß
fie über Szäsz Sebes und Szaͤſzväͤros nach Deva
gezogen war. Außerdem erlaubten ſich die Kaiſerli—
chen, das Gerücht auszuſprengen, daß Kemény bei
Deva durch General Leiningen gänzlich geſchlagen
und mit ſeinem ganzen Corps gefangen genommen
ſei, weil ſie dadurch Bems Armee zu demoraliſiren
hofften. Bems Truppen lagerten in Szerdahely auf
dem Platze und den Gaſſen; die Gewehre in Pyra—
miden zuſammengeſtellt, ſchlief das wackere, aber phy—
ſiſch und moraliſch erſchöpfte Corps einen harten kum—
mervollen Schlaf, ohne warme Speiſen genoſſen zu
baben. Denn die feindlich geſinnten Sachſen hatten
ihre Hausthüren geſperrt und nur mit Gewalt konnte
man von ibnen ein Paar Bröte und etwas Speck
erpreſſen. Die noch vorbandne Bagage mußte mit
184
den Verwundeten und Kranken noch in derſelben
Nacht nach Mühlenbach ziehen, theils um ſich dort
bis zum Anlangen unſerer Truppen zu erholen, theils
um die Bewegungen der letztern nicht zu hindern.
Sie trafen auch in der Nacht zwiſchen 11 und 12 Uhr
in Mühlenbach ein, wurden von den durchweg ſäch—
ſiſchen Einwohnern ſo freundlich empfangen, daß
man ſich um die Beherbergung der Unglücklichen
förmlich ſtritt. Da geſchah eine That, welche den
Charakter der Sachſen in der Geſchichte für ewig
brandmarken wird und wofür nicht einmal die in
dieſem Kriege herrſchende fanatiſche Wuth eine Ent—
ſchuldigung abgeben kann. Kaum waren nämlich die
erſten Wagen mit Verwundeten angekommen, als
voraus beſtellte Couriere der Carlsburger Garniſon
und dem wallachiſchen Landſturm in Lamkerék !) Kunde
hiervon zu geben und deren Marſch auf Mühlbach
zu beſchleunigen eilten. Die Feinde waren übrigens
ſchon in Bewegung, um Bem den Rückzug auf Müh—
lenbach abzuſchneiden und warteten nur auf die ſichere
Kunde von feiner Annäherung. „In dem Orte war
mittlerweile Alles ſtill gewordnen und man hatte den
armen Kranken und Verwundeten, wie ihrer Escorte,
reichlich Wein gegeben, um ihren vermöge der Er—
ſchöpfung ohnehin tiefen Schlaf noch feſter zu machen.
Da erſchallt plötzlich um zwei Uhr Nachts vom Carls—
burger Thor her ein ſtarker Lärm, ein Kanonen—
I) vangendorf.
*
*
155
ſchuß ſprengt das Thor, die dort poſtirte ſchwache
Wache wird niedergemacht und ein Haufen Land—
ſtürmer, Sachſen und Wallachen, dringen unter wil—
dem Geſchrei, von den Kaiſerlichen gefolgt, in die
Stadt. Hier zogen die Hausbewohner die verborgnen
Waffen eiligſt hervor und nun ging das Niedermetzeln
der Escorte, der Verwundeten und Kranken, vor ſich.
Was dieſen Furien unter die Hände kam und Ungar
war, oder zur braven Wiener Legion gehörte, wurde
ohne Erbarmen gemordet, ſeiner Kleider beraubt;
die ſcheußlich entſtellten Leichname warf man auf die
Gaſſe; die Bagagewagen wurden geplündert, die
Pferde theils geſtohlen, theils in blinder Wuth er—
ſtochen, kurz es wurde eine wahre Bartholomäus—
nacht gefeiert. Nur ein Kutſcher und eine Köchin
entkamen der Raubrotte dadurch, daß ſie ſich für ge—
fangene Wallachen ausgaben. Gegen Morgen war
Alles ruhig und die Kaiſerlichen hatten bei Mühl—
bach Stellung genommen, um Bem zwiſchen zwei
Feuer zu bringen. Kaum hatte der Letztere durch
jenen glücklich dem Blutbade entronnenen Kutſcher
Nachricht von jener Schandthat bekommen, als er
ſich anſchickte, die Mühlenbacher dafür zu züchtigen.
Mit Tagesanbruch langte er vor Mühlenbach an,
nahm auf den die Stadt öſtlich beherrſchenden Höhen
Stellung und ſo fort begann das Gefecht. Die erſten
Schüſſe demontirten eine Kanone und einen Muni—
tionswagen der Kaiſerlichen; aber unſere Infanterie,
zu erbittert, um die Wirkung des Artilleriefeuers ab—
186
zuwarten, ſtürmte, wüthend vor Rache, mit dem Ba—
jonet heran, warf Alles nieder, was ſich ihr entgegen—
ſtellte und ſäuberte in einer halben Stunde die Stadt
von den Kaiſerlichen. Dieſe verloren außer mehreren
Todten und Bleſſirten auch einen vollen Munitionswa—
gen, für Bem eine unſchätzbare Erwerbung, und zogen
ſich ſo eilfertig nach Carlsburg zurück, daß unſere etwas
verſpätete Cavalerie ſie nicht mehr einzuholen vermochte.
Unſere Honveds hatten in ihrer erſten Wuth die Apo—
theke im Orte zerſtört und ein Paar Gewölbe geplündert,
ohne indeß von den niederträchtigen Sachſen auch nur
einen niederzumachen. Aber kaum betrat Bem die Stadt,
ſo mußten die genommenen Gegenſtände wiedergegeben
werden und der Schaden des Apothekers ward taxirt,
um ſpäter wieder erſetzt werden zu können. So ver—
ſtand es Bem, ſelbſt in den mißlichſten Verhältniſſen
Ordnung und Disciplin aufrecht zu erhalten und
unſere Truppen achteten ihren General ſo ſehr, daß
ſelbſt beim Anblick ihrer ſchmählich gemeuchelten Brü—
der die Stimme der Rache vor dem Gebot des ge—
liebten Führers ſchweigen mußte.
Es war hohe Zeit für Bem, daß er Mühlenbach
in Beſitz nahm, denn auf freiem Felde hätte ſeine
ſchwache Streitkraft es mit einem in der Front und
im Rücken ſtehenden Feinde nicht aufnehmen können,
und ihr wäre nichts Anders übrig geblieben, als die
Waffen zu ſtrecken, oder ſich bis auf den letzten Mann
zu vertheldigen. Hinter Mühlenbachs Mauern konnten
187
aber die erſchöpften Truppen ausruhen, ſich ſtärken
und den verfolgenden Feind wenigſtens für kurze Zeit
aufhalten. Ben ließ auch ſeinen Truppen vollkommen
Nube zu ihrer Erholung und arbeitete lediglich mit
ſeinen Adjutanten und ſeinem Stabe an der möglichſt
ſchleunigen Inſtandſetzung der Mauern Mühlbachs,
behufs deren Vertheidigung. Die Thore und Ein—
gänge wurden verrammelt und verbarrikadirt, die
Geſchütze an den Eingängen vortheilhaft aufgeſtellt,
und die Truppen hinter der Vertheidigungslinie mög—
lichſt zweckmäßig vertheilt. Die ſpärlichen Reſte der
Wiener Legion, ungefähr 20 Mann, verrichteten die
letztere Arbeit meiſtens bis zur Mittagszeit. Da ent—
ließ ſie Bem, ihnen freundlich dankend, mit den Wor—
ten: „Nun können Sie ruhig ihr Mittagbrod ver—
zehren.“ Und dies war in der That ſo. Denn die
Feinde rückten erſt um 2 Uhr vor die Stadt, ihren
Angriff zu beginnen. Bem erwartete ſie ruhig hinter
ſeinen feſten Mauern, die Schüſſe nur erwidernd,
wenn er ſeines Zieles gewiß war. Zwar wurden
ihm ein Paar Kanonen demontirt, auch die Stadt
durch Granaten an mehreren Orten in Brand geſteckt;
aber Bem hielt ruhig die fünfſtündige Beſchießung
aus und machte erſt dann einen Ausfall, als der
Feind, beim Einbruch der Nacht ſeinen Angriff auf—
gebend, ſich gegen Szerdahely und Szaäsz Piän zurück—
zog. Ueberdies ſicherte ihm dieſer Ausfall eine ruhige
Nacht, und wieder war ein Tag gewonnen: zwei
188
Vortheile hatten wir über den Feind erfochten
und der moraliſche Muth unſerer Truppen, welche
ſich ſchon verloren gaben, belebte ſich wieder, indem
ſie den feſten Willen und das ſichere Wirken des
greiſen Feldherrn mit immer ſteigender Bewunderung
betrachteten. Von Kemény war indeſſen immer noch
keine Nachricht da, an Munition blieb uns nur die
in dem eroberten Wagen gefundene, das Gros des
Feindes war mittlerweile auch in Szerdahely ange—
langt; und dennoch traf Bem am nächſten Morgen
eher Anſtalten zur Vertheidigung, als zum Abmarſche.
Ein in der Nacht vom Sten auf den ten nach Szaͤsz—
varos abgegangner Transport Verwundeter, unter
ihnen ſogar der Artilleriechef und mehrere Officiere,
war theils von den Wallachen erſchlagen, theils nach
Carlsburg geſchleppt worden; unſere Truppen murr—
ten laut, und ſelbſt höhere Dffieiere ſprachen von
Tollkühnheit, unnützer Aufopferung u. dergl. Zum
Ueberfluß erſchien noch am Eten um 9½ Uhr Morgens
ein öſterreichiſcher Chevauxlegersofficier als Parla—
mentair, ein Pole, und forderte Bem auf, die Waffen
zu ſtrecken, unter dem Vorgeben, daß er von allen
Seiten umringt und Widerſtand deshalb nutzlos fer.
Bem antwortete ihm, daß er mit Truppen, welche
feindliche Parlamentaire gefangen nähmen (Anſpie—
lung auf das Loos Ivanka's bei Schwechat“)
) Man wird aus anderen hiſtoriſchen Darſtellungen wiſſen,
daß Oberſt Ivanka vor der Schlacht bei Schwechat noch zu
189
niemals in Unterbandlung treten werde, und Jener
es nur feiner Großmuth zu danken habe, wenn er
nicht erſchoſſen würde. Der Umſtand, daß der Unter—
händler ein Pole war, machte Bem nur um ſo un—
gehaltener. Inzwiſchen hatte Oberſtl. Czetz recognos—
eirt und gefunden, daß unſer Häuflein es heute
allerdings mit Puchners ganzer Armee zu thun haben
werde. Auf dieſen Bericht ordnete Dem den Rückzug
an. Der Parlamentair ward durch Major Bethlen
jo lange hingehalten, bis unſere Truppen die Stadt
geräumt hatten. Die Höhen zwiſchen Oläh Pian
und Tartaria waren allerdings von einer Escadron
Chevaurlegers beſetzt, jedoch die Straße nach Szäsz—
väros noch frei, indem die Carlsburger Garniſon,
deren Aufgabe es war, dieſe Linie zu beſetzen, ſich
verſpätet hatte.
Doch hatte man es wieder mit einem doppelten
Feinde zu thun. Vorwärts in Sibot, Benczencz, Gyal—
mär und Szäszväros hatten ſich mehre Tauſend be—
waffnete wallachiſche Landſtürmer geſammelt, und im
Rücken drängte Puchner mit ſeiner ganzen Macht.
Dennoch ließ Bem den Muth nicht ſinken. Er über—
ließ es dein Oberſtl. Czetz, die Straße nach Szaͤszvaros
Windiſchgraͤtz geſchickt wurde, um den letzten Verſuch zu friedlicher
Ausgleichung zu machen. Er ward von dieſem als treubrüchi⸗
ger (?) kaiſerlicher Officier zum Gefangenen erklart und nach der
Feſtung Königgrätz abgeführt.
190
vom wallachiſchen Landſturm zu ſäubern, und hielt
durch Artilleriemanöver, gutgewählte Aufſtellungen,
richtiges Zielen und Ausharren bis zum Moment der
höchſten Gefahr, den übermächtigen Gegner ſo in
Schach, daß Oberſtl. Czetz Zeit gewann, ſich bis
Szaͤszväros vorzuſchieben. Das Rückzugsgefecht dauerte
den ganzen Tag, und die Kaiſerlichen mußten jeden
Fußbreit Erde theuer erkaufen. Auf dem aus Bas
thoris Zeit“) berühmten Brotfelde (Kenyérmezö)
wußte Major Bethlen den Feind noch dazu durch
einen wohlgelungenen Spaß zu täuſchen. Er ſammelte
nämlich die zerſtreut vagabundirenden Reiter, wie
Aerzte, Marketender, Marketenderinnen, Privatdiener
u. dergl., in eine Reiterabtheilung, und ließ ſie ſich
plötzlich in einem Gliede als Escadron entwickeln.
Die Täuſchung war ſo vollſtändig, daß ſelbſt Bems
Arrieregarde die Vortruppen Keménys darin zu er—
blicken wähnte, und deſto mehr wurde der Feind durch
dieſe improviſirte Cavalerie getäuſcht, welche übrigens
*) Das Brotfeld bildet ein geraͤumiges Amphitheater, und iſt
wie geſchaffen zum Schlachtfelde. Hügelreihen, welche gewiſſermaßen
Stufen bilden, umkränzen es im Kreiſe, ein Bach theilt es in zwei
Theile, und die Maros beſpült es. Dort ſchlug der Woiwode Ste—
phan Bathori 1479, unterſtützt von dem berühmten Paul Kiniſi, Ban
von Temesvar, ein großes türkiſches Heer von 100,000 Mann, wel—
ches unter Ali Bey Siebenbürgen überzogen hatte, bis zur Bernich-
tung. S. Cérando La Transylvanie et ses habitans Tom. I p. 269
ff. Die Bäthorifäule verewigt das Andenken an dieſen Sieg.
191
beim erſten Kanonenſchußt auseinanderfagte. Unter—
deſſen wurde es Abend, und die Arrieregarde Bems
batte Balamir angezündet, um den Feind an der
Verfolgung zu bindern, welcher aber aus Erſchöpfung
den Kampf für dieſen Tag aufgab. Damit war aber
nicht Alles gethan; die Wallachen hielten mit ſeltner
Kübnbeit, und ein Paar hölzernen Kanonen “), den
Eingang von Szäszvaros beſetzt, und gedachten den
ungariſchen Truppen zu widerſtebhen. Es galt alſo,
das Nachtquartier erſt mit dem Bajonet zu erobern,
was auch nach kräftigem aber kurzem Sturm gelang.
So hatte Bem wieder einen Tag gewonnen, aber
um ſo mehr Terrain verloren, welches er wieder
nehmen mußte, falls er Siebenbürgen zu halten ge—
dachte. Doch Kemény mußte in der Nähe oder doch,
nur 3 Stunden entfernt, in Déva, ſein. Wer ſollte
es nun wagen, in finſterer Nacht, mitten unter wal—
lachiſchen Landſtürmern, nach ſo vielen Strapazen,
Kemény aufzuſuchen? Dazu erbot ſich freiwillig der
) Dieſe hölzernen Kanonen waren nicht aus einem Stücke
gebohrt, ſondern beitanden, wie die Faſſer, aus Dauben, welche
durch eiſerne Reife zuſammengehalten wurden. Innen ſteckte eine
einfache Blechfuͤtterung, welche leicht erſetzt werden konnte, wenn
ſie verdarb. (Die Ruſſen haben eine Menge ſolcher Raritäten
als Siegstrophaäen nach St. Petersburg geſendet.) Die Lafette
beſtand aus 1 Holzböden, welche zu zweien in ein ſchiefes be—
wegliches Kreuz verbunden waren, ähnlich dem Geſtelle, deſſen man
ſich gewöhnlich zum Zerfägen des Brennholzes zu bedienen pflegt.
192
nimmerruhende, ebenſo einſichtsvolle, als kühne Ca—
valerieofficier und ächte Patriot, Major Graf Bethlen
Gergely. Ohne ſich auch nur einen Augenblick Ruhe
zu gönnen, ſchwang ſich der ritterliche Graf auf ein
friſches Pferd und ritt mit ſeinem Reitknecht und
ein Paar Huſaren über Päd und Piski gegen Déva.
Schon um 12 Uhr Nachts hatte Bem die Meldung,
daß Keménys Avantgarde in Piskt ſtehe, und daß
die Hülfe aus Ungarn theils ſchon angelangt ſei,
theils am andern Tage erwartet werde. Zugleich
war die Avantgarde Keménys von Piski nach Szaͤsz—
väros beordert worden und der Reſt der Truppen
ſollte bis 4 Uhr Morgens nachkommen. Es gereichte
dem greiſen Feldherrn zu hoher Freude, das Ziel ſo
außerordentlicher Anſtrengungen und ſo großer Ge—
fahren doch endlich erreicht zu haben. Zur ſelben
Stunde ließ er noch feinen Generalquartbermeiſter,
Czetz, kommen und theilte ihm, der ſo redlich geholfen
in dieſen ſchweren Tagen, die frohe Botſchaft mit.
Beide ſchliefen zum erſten Male wieder in ihrer trau—
rigen Lage getröſtet ein. Am 7. Februar Morgens
rückten auch wirklich 2 Compagnien des 55. Honved—
bataillons und eine Diviſion Biharer reitender Na—
tionalgarde in Szaͤszväͤros ein, welche vorher unter
Major Beke im Zaͤrander Comitat gegen die Wallachen
gefochten hatten, und Bem durfte nach Bethblens
Bericht den Reſt des Kemsͤnyſchen Corps baldigſt
erwarten. In dieſer Ueberzeugung nahm er auch,
193
ungeachtet er nur 4 fampffäbige Geſchütze, und gar
keine Munition für ſeine Infanterie beſaß, das Ge—
fecht an, welches in der Frühe die verfolgenden Oeſter—
reicher engagirten. Bem hielt ſich in gewohnter Art
wacker und um ſo hartnäckiger, als er feſt auf Ke—
meénys Ankunft rechnete. Bald aber war feine Mu—
nition verſchoſſen und die Biharer Reiter, in deren
Mitte eine Granate zerplatzt war, nahmen Reißaus,
alle Uebrigen mit in die Flucht ziehend. Deſſen un—
geachtet hielt ſich Bem noch immer vor der Stadt,
mit einigen Adjutanten, dem Major Dobay vom
31. Bataillon, und einer Handvoll ſeiner Braven.
Aber immer näher rückten die Feinde, und ihre Plänkler
waren bis an die beiden Kanonen herangekommen,
welche Bem durchaus nicht fahren laſſen wollte. Bei
dieſer Gelegenheit, war es, wo er mit feiner Reitgerte
einem feindlichen Plänkler ins Geſicht hieb, und rief:
„Canaille, meine Kanonen will ich haben!“ Einer dieſer
Plänkler ſchoß ihm aber den Mittelfinger der rechten
Hand ab, und da außer Major Dobay Alles ihn
verlaſſen hatte, mußte Bem die Kanonen in Feindes—
hand laſſen und ſich ſelbſt entfernen. Er übergab
Czetz das Commando, und ging nach Piski voraus.
Hier hatte ſich bereits Kemeny mit dem Gros auf
den Rath Bethlens hinter der Strehlbrücke zwiſchen
Bäumen und Geſtrüpp vortheilhaft aufgeſtellt. Un—
geachtet aller Bemühungen war es ihm nicht möglich
geweſen, ſich zwiſchen den Tauſenden von Wagen,
18
194
welche die Straße von Piski bis Deva bedeckten,
mit Truppen und Geſchütz ſchneller durchzuwinden
und hatte daher den Ort erſt um 10 Uhr erreichen
können. Man muß nämlich wiſſen, daß zu jener Zeit
aus allen Orten gemiſchter Bevölkerung die unga—
riſchen Einwohner ſich jederzeit zur Sicherung ihres
Lebens an die ungariſchen Truppen anſchloſſen, und
auf dieſe Weiſe nicht nur der Armee auf Märſchen,
und in ihrer Verpflegung ſehr läſtig fielen, ſondern
auch dem Feldzuge das Anſehen einer wahren Völker—
wanderung gaben, und natürlich die Handhabung der
Disciplin äußerſt erſchwerten. So hatten ſich auch
aus dem Zarander und Hunyader Comitat einige
Hundert ungariſche Familien in Déva geſammelt und
brachten obenangeführte Stockung hervor. Bem konnte
dieſen Unfall lange nicht vergeſſen, trug ihn Bethlen
und dem Major Dobay, welcher ſein Bataillon nicht
zuſammenzuhalten vermochte, lange nach, und maß
ihnen den Verluſt ſeines Fingers bei. Bei Abnahme
deſſelben benahm er ſich übrigens ganz ſtoiſch: kaum
in Piski angelangt, fragte er nach einem Arzte und
ließ ſich von ihm den Finger, ohne eine Miene zu
verziehen, abnehmen. Nach dem Verbande ſagte er
zu den, ihm ihr Beileid bezeugenden Officieren: „Was
für Komödie! Ich habe jetzt einen überflüſſigen Finger
weniger. Machen Sie nur, daß der Feind Sie nicht
aus der Stellung wirft, welche Sie jetzt inne haben!“
und ritt ganz ruhig nach Déva. Oberſtlieutnant Czetz
195
war mittlerweile auch kämpfend zur Brücke gelangt,
überließ es dem Oberſtlieutnant Kemény, die Feinde
weiter aufzuhalten, und führte ſeine ausgehungerten,
ermüdeten und bis auf 1200 Mann deeimirten Trup—
ven nach Deva.
So endete dieſer in der Kriegsgeſchichte faſt bei—
ſpielloſe Rückzug, auf dem die Reſignation, das Ver—
trauen, die Unverdroſſenheit und der nicht zu vertil—
gende Muth der Soldaten einzig und allein in
der eiſernen Willenskraft, dem ununterbrochenen
Sichblosſtellen, dem Aufſuchen der höchſten Gefahren
und der genialen Kunſt, Alles, auch das Unbedeu—
tendſte im Terrain zum Vortheil zu benutzen, in dem
Talente des Feldherrn, ſo wie in der aufopfernden
umſichtigen und raſtloſen Mitwirkung der Unterbe—
fehlshaber, ſeines Gleichen findet. Dies war, unge—
geachtet oder vielleicht wegen unſerer mißlichen Lage,
die glänzendſte und fruchtbarſte Epiſode des ganzen
Feldzuges; denn ſie bildeten Führer, welche ihrem
Meiſter ſpäterhin Ehre machten und wies an Bem
jenen Stempel hoher kriegeriſcher Begabtbeit nach,
ohne welche feine ſpäteren Triumphe wohl ſchwerlich
ſolche Bedeutung und ſolche Folgen erlangt haben
würden. Sie lieferte nämlich den Beweis, daß Bem
nicht nur Siege zu benutzen, ſondern auch Niederla—
gen auszugleichen verſteht; mit einem Worte, daß
Bem ein Feldherr im wahren Sinne des
Wortes iſt.
13 *
196
Die Kaiſerlichen ftellten für dieſen Tag ihre
weiteren Verfolgungen ein, indem ſich ihre Avant—
garde in Pad feſtſetzte und begnügten ſich damit, durch
ſtarke Patrouillen Keménys Truppen bei der Piskier
Brücke zu recognosciren. Bem ſchickte am 8. Februar
von Deva aus die Kranken, Verwundeten und
Schlechtbewaffneten nebſt vielen Marodeurs über Brad
und Körösbänya nach Großwardein und machte es
den flüchtigen ungariſchen Familien zur Pflicht, ſich
dieſer Escorte anzuſchließen. Eine große Karawane,
meiſtens Frauen, machte ſich, geleitet von einer
halben Escadron Lehel-Huſaren, auf die Reiſe. Zur
großen Betrübniß wurden ſie aber auf dem zweiten
Nachtquartier von einer wallachiſchen Horde überfal—
len und ſämmtlich nieder gemacht. Die Keckheit die—
ſer Banditen ging ſo weit, daß ſie in der Nacht vom
6. auf den 7. ſogar Kemény in Déva überrumpelten,
mehre Officiere niedermachten, und nur das glückliche
Eintreffen Bethlens, welcher die Beſatzung zeitig al—
larmirte, rettete die Truppen vor einem ſchmäblichen
Ende. Die Verhältniſſe aber erheiſchten durchgreifende
Maßregeln und ſo konnte man nicht aller Orten
große Schutzdetaſchements abgeben. Noch an dem—
ſelben Tage, am 8. Februar Mittags, langte die
ſo ſehnſüchtig und ſo lange erwartete eilfte Armee—
Diviſion unter Major Hrabovsky in Deva an,
nachdem Bem wiederholt Streif-Commandos zu deren
Aufſuchung und ſchleuniger Herbeiziehung entſendet
— —
* — —
197
hatte. Nun beſaß Bem wieder eine Armee und konnte
ſeine Operationen in Siebenbürgen von Neuem be—
ginnen. Ihr Beſtand war folgender:
Infanterie.
11. Honvedbatailloon 800 Mann
4. „ 15 1 Compag. 700 „
84. „ 9 " " 400 „
1. Szekler⸗ Bataillon 900 „
3. Mariaſſy⸗ Bataillon 800 „
Torontaler Garde „1000 „
55. Honvedbataillon, 1 Compag. 600 „
Aradi⸗Mozgoör r 200 „
Kemény⸗ Bataillon 200 „,
24. Honvedbataillon, oder die Weiß—
„ 900 „
6500 Mann
Cavalerie.
1 Diviſion Würtemberg-Huſaren . 300 Mann
3 Escadron Maͤtyaäs-Huſaren . 300 „
1 Diviſion Biharer Garde... 400 „
1000 Mann
Artillerie.
28 Geſchütze verſchiednen Kalibers.
Man kann alſo die geſammte Streitmacht Bems
auf 7000 Mann mit 28 Geſchützen anſchlagen. Die
Escadron Wilhelm-Huſaren, die Kreß-Chevaurlegers—
Abtheilung und ein Paar Compagnien des vierten
Honved⸗ und des Kemény-Bataillons nebſt 2 Ge—
198
ſchützen waren bei Viz Akna von uns getrennt wor—
den und hatten ſich über Nagy Selyk und Mediaſch
nach Maros-Väſärhely zurückgezogen. Die Escadron
Lehel-Huſaren, ohnehin ſchlecht beritten und mangel—
haft bewaffnet, wurde nach Großwardein zurückge—
ſchickt. Das Schloß Deva war vom Feinde beſetzt
und der Commandant wollte ſich auf erſte Aufforde—
rung nicht ergeben. Da Bem aber weder Zeit noch
Willen hatte, ſich dieſes Platzes zu bemächtigen, ſo
wurde auch kein Angriff auf denſelben unternommen,
zumal der Schloßcommandant ſich, wie wenn eine
Uebereinkunft getroffen worden wäre, ganz ruhig
verhielt.
199
— — nn
Neuntes Capitel.
Die Schlacht bei Piski am 9. Februar 1849. — Felgen. —
Bem zieht am 10. Nachts in Alvincz ein. — Kühner Marſch
unter den Kanonen Carlsburg's über das unwegſame Ge⸗
birge nach Szaz Ceanad und Mediaſch. — Strategiſche
Betrachtungen. — Die Szekler vereinigen ſich in Segesvar
mit Bem. Concentrirung der Armee - Abtheilungen. —
Zſurmays Parteigängerſtreiche. — Urban bricht im Norden
Siebenbürgens wieder hervor. — Bem zieht gegen ihn. —
Schlacht bei Biſtritz und Jad. — Urban flieht über die
Grenze.
Die Kaiſerlichen waren einſtweilen mit dem
Gros in Szaͤszvaros eingerückt und rüſteten ſich zu
einem Hauptſchlage gegen Bem. Ibre Streitkräfte
beſtanden zum wenigſten aus drei vollſtändigen In—
fanteriebrigaden und einer Cavaleriebrigade von
2 Regimentern, mithin aus 11,000 Mann mit
40 Geſchützen. Die Nationalgarden waren in Her—
mannſtadt geblieben und den wallachiſchen Landſturm
auf ihren Flanken und im Rücken wollen wir unge—
achtet ſeiner Hinterliſt und ſeiner großen Zahl nicht
einmal mit in Rechnung bringen. Demnach waren
die Kaiſerlichen uns um ein Drittheil ungefähr über—
legen. Ehe wir jedoch zur Beſchreibung der nun
200
folgenden, theils in Bezug auf die Zahl der Strei—
tenden, theils durch ihre Folgen großartigſten
Schlacht des ganzen Feldzuges ſchreiten, müſſen wir
den Leſer möglichſt genau mit dem Schauplatz dieſer
Begebenheiten bekannt machen.
Wenn man von Szäszväros über Pad auf den
letzten Abfällen der Magura im Marosthale nach
Piski reiſet, ſo wird man beim letzgenannten Orte
einen Fluß finden, welcher unter dem Namen Stryg
oder Strehl das Thal von Norden nach Süden durch—
ſchneidet, mit einer Breite von 30 bis 40 Klaftern
eine reißende Schnelligkeit und eine nur im Frühjahr
bei Piski durchwatbare Untiefe verbindet und ſich eine
halbe Stunde von dem Orte in die Marsos ergießt.
Die Poſtſtraße zieht ſich grade auf den letzten Ab—
hängen hin und vor ihr, nördlich gegen die Maros
zu, iſt auf eine halbe Stunde weit das Terrain voll—
kommen eben. Der Abfall des Gebirges gegen die
Maros verläuft ſich in ſanften Berglehnen, gegen
die Stryg zu hingegen iſt er ſteil und mit Wald
bedeckt. Piski ſelbſt liegt auf dem ſteilen Abhange
des rechten Strehl-Ufers und dehnt ſich mit ſeinen
Häuſern bis an die Stryg aus. Ueber dieſen Fluß
führte eine ſolide hölzerne Brücke mit zwei Fahrge—
leiſen, welche nebſt ihrer Umgebung von den Piskier
Höhen aus gänzlich dominirt wird. Am rechten
Strygufer unweit Piski ſtand ein geräumiges ſtei—
nernes Mauth- und Wirthshaus. Jenſeits erſtreckt ſich
4 201
eine Ebene ununterbrochen längs der Maros bin,
welche, von Waſſergräben durchſchnitten und hin und
wieder mit Mühlen und Meiereien beſetzt, nur zwi—
ſchen Szemeria und Dedäacs von einer ſich ſanft gegen
die Maros abflachenden Hügelreihe durchzogen wird.
Zwiſchen der Stryg und jener Hügelkette ergießt
ſich noch ein Wildbach in die Maros. Die erwähnte
Ebene iſt bei der Brücke mit einem regelmäßigen
Walde von Erlen und Weiden bis auf mehrere hun—
dert Schritte rechts und links von der Brücke be—
pflanzt und gegen die Maros zu, wie bei Devacs,
mit Waldung gekrönt. In dem bei der Brücke lie—
gendem Gehölz ſtand rechts und links von der Straße
eine Meierei, die Straße ſelbſt aber zog in einer
Baumallee fort über eine den erwähnten Gießbach
überführende hölzerne Brücke gegen Szemeria und
Deva, von welchem letzteren Orte fie 1½ Stunden
entfernt war.
Oberſtlieutenant Kemeny hatte am 7. Mittags
mit Major Bethlen das Terrain recognoscirt und
auf den Rath des letzteren in dem Walde hinter der
Brücke von Piski Stellung genommen, wo er ſogar
ſeine Artillerie dem Auge des Feindes verbergen und
ihn gut beſtreichen konnte, grade als er hinter den
letzten Berglehnen hervor gegen die Brücke, welche
Kemeny auf der einen Seite hatte abtragen laſſen,
avaneirte. Die Infanterie und Cavalerie ſtanden
ebenfalls gedeckt und die gewaltigen Eisſchollen der
202
eben im Aufthauen begriffenen Stryg ließen keine
Ueberflügelung durch Ueberreiten oder Ueberſchwim—
men des Fluſſes vermuthen. Kemény hatte das
eilfte Honvedbataillon, die vier Compagnien des
55. Honvedbataillon, 1 Escadron Maätyäs-Huſaren
und 10 Kanonen am linken Strygufer poſtirt. Am
8. Februar rückte eine ſtarke Avantgarde der Kaiſer—
lichen gegen die Piskier Brücke vor und griff
Kemény an. Dieſer ſandte einen Rapport an Bem,
daß er ſich gegen die Uebermacht nicht werde behaup—
ten können. General Bem lag im Wundfieber zu
Bette, ließ Oberſtlieutenant Czetz rufen und ſagte
ihm, Keménys Meldung vorzeigend: „Gehen Sie und
machen Sie, was Sie können; die Brücke verloren,
Siebenbürgen verloren.“ Czetz begriff ſehr wohl den
ſchmerzlichen Sinn dieſer Worte und nachdem er in
der Eile eine Batterie und was er an Infanterie
und Cavalerie zuſammen raffen konnte, um ſich ge—
ſammelt hatte, rückte er Kemény zu Hülfe. Infanterie
und Cavalerie waren aber durch die langen Märſche
und vielen Entbehrungen ſo abgemattet, daß man
kaum ein Bataillon und eine Eseadron zuſammen
raffen konnte. In Szent Andras kam Czetz ſchon
die Meldung zu, daß der Feind durch die Geſchick—
lichkeit unſerer Artillerie und die Bravour des eilften
Bataillons doch zum Stehen gebracht ſei und ſeine
vorige Stellung vis-a-vis der Brücke wieder eingenom—
men habe, daß aber Keménys Truppen erſchoͤpft
203
ſeien, und er eine Ueberflügelung befürchten müſſe.
Czetz ließ demgemäß ſeine Cavalerie und eine halbe
Batterie in St. Andres Poſition nehmen und
detachirte ein Paar Compagnien Szekler mit 2 Ka—
nonen nach Dedäcs zur Sicherung der linken Flanke
Kemenyvs. Ueberdies ſtellte ſich heraus, daß die
Kaiſerlichen nur eine forecirte Recognoscirung unter—
nommen hatten und lediglich der wallachiſche Land—
ſturm vom erhöhten rechten Marosufer mit Ueber⸗
flügelung drohe. Den Truppen Keménys, welche
bereits den dritten Tag und die dritte Nacht auf
Vorpoſten ſtanden, wurden aus Deya Lebensmittel
und Wein zugeführt und die Nacht verging ohne
bedeutendes Ereigniß. Alles war übrigens auf den
folgenden Tag gefaßt, welcher über das Geſchick
Siebenburgens entſcheiden mußte. Dieſer brach denn
mit einem ſchönen Frühlingsmorgen an und ſchon
um 6 Uhr weckte die lebhafte Kanonade an der
Piskier Brücke die müden Krieger in Doͤva aus ih—
rem Schlummer. Czetz hatte raſch die Marſch- und
Angriffs-Dispoſitionen getroffen und marſchirte in der
Stille mit dem Gros gegen Piski; Bem ſollte mit
der Arrieregarde folgen.
Die Oeſterreicher hatten ſich gleich beim Beginn
des Angriffs der Brücke gegenüber und oberhalb
Piski der Höhen bemächtigt und dort ihre Batterien
aufgeſtellt, ſo daß ſie die ganze diesſeitige Poſition
mit einem verheerenden Feuer beſtreichen konnten,
204
ihre Plänkler fanden hinter den Bäumen und Um—
zäunungen der Häuſer hinlänglichen Schutz, ihr Cen—
trum ſtand auf der von Päd herkommenden Poſt—
ſtraße, die Cavalerie ihres rechten Flügels dehnte ſich
bis an das Marosufer aus, in der Ebene jenfeits
des Maros befand ſich der wallachifche Landſturm
mit einer Abtheilung kaiſerlicher Reiterei und drohte
jeden Augenblick über den Fluß zu ſetzen. Die Ka—
nonade war von beiden Seiten lebhaft, wie das
Tirailleurgefecht auf den beiden Ufern der Maros.
Nichts deſto weniger hatte ſich Kemény nicht nur in
ſeiner Stellung behauptet, ſondern auch an der
Brücke drei Bajonetangriffe des Feindes mit bedeu—
tendem Verluſt deſſelben zurückgewieſen. Um 10 Uhr
war es dem wackern 11. Bataillon gelungen, durch
Ueberſetzen des Fluſſes, wobei die Leute bis an den
Gürtel durch das reißende, große Eisſchollen führende,
Waſſer gingen, durch einen unwiderſtehlichen Ba—
jonetangriff dem Feinde die beiden Debrecziner Ka—
nonen, welche er bei Hermannſtadt erobert hatte,
wieder abzunehmen und die kaiſerlichen Tirailleurs
aus dem Mauthhauſe hinauszutreiben. Aber dieſer
Angriff hatte auch Keménys Kräfte erſchöpft und
mehre Hundert Leichen des 11. und 55. Bataillons
blieben in der Umgebung der Brücke auf dem Platze.
Zugleich rückte das feindliche Centrum in Sturm—
ſchritt heran und beſetzte zugleich mit dem zurückwei—
chenden 11. Bataillon die Brücke und das von den
205
Unfern wieder verlaffene Mauthhaus. In dieſem
kritiſchen Augenblicke wußte ſich Kemény nicht anders
zu belfen, als indem er, in der Kriegsgeſchichte eben
fo unerbört, wie vom Mangel aller tactiſchen Kennt—
niß zeugend, feine Escadron Maätyäs-Huſaren die
vom Feinde beſetzte Brücke angreifen ließ. Dieſer
Angriff wurde natürlich durch Kleingewehr- und Kar—
tätichenfeuer abgeſchlagen und koſtete manchem braven
Huſaren, unter ihnen dem ſehr tüchtigen chevaleres—
ken Rittmeiſter Horvath, das Leben. Außerdem
brachten die Oeſterreicher Kemény noch in eine andere
Verlegenheit. Als ſie ſich nämlich mitten auf der
Brücke mit den Honveds vermiſcht und die ungari—
ſchen Kanonen 10 Schritt vor ſich mit Kartätſchen
geladen ſahen, ſteckten ſie die weiße Fahne auf und
fingen an, als Capitulanten mit den Honveds zu
fraterniſiren, was ſie jedoch nicht hinderte, unſere
Officiere nach kameradſchaftlicher Umarmung gefan—
gen zu nehmen. Kemeny ſelbſt nahmen ſie fein
Pferd weg und wollten ihn eben fortführen, als
Oberſtlieutenant Czetz mit dem Gros dieſen Wirwarr
auf der Brücke erreichte. Er hatte ſchon vorher das
Bataillon Mariaſſy-Tirailleurs in die rechte und das
Debelleczer Bataillon in die linke Flanke zur Unter—
ſtützung Kemĩnys vorgeſchickt und ſah nun mit nicht
geringem Erſtaunen die Verwirrung an der Brücke,
welche überdies durch die weiße Armatur und das
weiße Lederzeug, dem Bataillon Mariaſſy mit den
206
Kaiſerlichen gemein, noch gefteigert wurde. Einige
Gemeine von einem polniſchen Bataillon umzingelten
auch Czetz und forderten von ihm den Säbel. Da
wandte er ſein Pferd und befahl Mariaſſy und der
Artillerie zu feuern. Auf der Brücke entſtand nun
ein fürchterliches Handgemenge, Bajonet und Kugel
verbreiteten nach allen Richtungen Tod und Verder—
ben, die Geſchütze wurden neu und vortheilhafter
poſtirt und vermehrten den Schrecken und den Ver—
luſt des Feindes. Vom Regiment Bianchi verlor ein
Bataillon faſt alle ſeine Officiere und Mariaſſy ſchritt
wüthend vorwärts. In dieſem Augenblicke langte
auch Bem an, ließ das 11. und 55. Bataillon,
welche ſich wieder geſammelt hatten, abermals über
den Fluß gehen und die Höhen von Piski ſtürmen,
während die Mätyäs-Huſaren und die Biharer Garde
im Galopp über die Brücke jagten und jenſeits der—
ſelben auf der Ebene deployirten; die Würtemberg—
Huſaren ſetzten zugleich mit dem Szeklerbataillon,
welches gegen den rechten feindlichen Flügel operirte,
bei der Mündung der Stryg in die Maros über
erſteren Fluß. Die Kaiſerlichen zogen ſich auf allen
Punkten kämpfend zurück und Ein großes Gefecht wogte
vom Ufer der Maros bis an die Höhen über Piski
und jenſeits in die Waldung hinein. Auch ſeine Ar—
tillerie ließ Bem über die Brücke gehen, und vers
folgte den errungenen Vortheil in gewohnter Weiſe.
Der Feind wich immer mehr gegen Pad; Bems Ins
—
fanterie über Berg und Thal binterdrein. Wuürtem⸗
berg-Huſaren machten einen glänzenden Angriff und
warfen die feindlichen Chevaurlegers zurück. Auch
die Maätyas-Huſaren machten einen Angriff auf eine
ihnen gegenüber ftebende feindliche Cavaleriediviſion,
wobei aber, da in dem Zwiſchenraum ein von Jä—
gern beſetzter Graben ſich befand, die wackern Huſa—
ren mitten im Avanciren von einem lebhaften Tirail—
leurfeuer begrüßt wurden. Das bewog ſie zum
Umkehren und fie flohen gegen die Stryg. Auch die
Biharer Reiter wurden durch einige Kanonenſchüſſe
ſo erſchüttert, daß ſie nicht einmal die Umkehr der
Huſaren abwarteten, ſondern zur Brücke zurückjagten.
Das 55. Bataillon hatte auf den Bergen ſeine Mu—
nition verſchoſſen, konnte bei der Schnelligeit, mit
welcher Bem vorging, nicht zur rechten Zeit abgelöst
werden, und, als es die Cavalerie weichen ſah, kehrte
es auch um. Daſſelbe that Mariaſſy, wie die übrigen
im Gefechte befindlichen Truppen. Da gewahrte Bem
zu ſeinem großen Leidweſen, daß die gewonnene Schlacht
wieder verloren ſei und ſeine Leidenſchaftlichkeit er—
wachte im höchſten Grade. Er wollte durchaus nicht
über die Brücke zurück, wurde aber endlich im Strome
der Fliehenden mit fortgeriſſen. Die braven Wür—
temberg-Huſaren mußten all' ihren Heldenmuth auf—
bieten, um bei der raſchen Verfolgung der Oeſter—
reicher unſere Artillerie zu retten. Bems Armee war
aufgelöst und keine menſchliche Kraft vermochte aus
dieſer regelloſen Maſſe wieder brauchbare Formen
208
zu bilden. Die Feinde ſaßen uns auf den Ferien;
mehrere unſerer Kanonen waren demontirt, eine nam—
hafte Zahl Todter und Verwundeter bedeckte das
Schlachtfeld und vermehrte den herrſchenden Schrecken.
Das Ausreißen nach Déva nahm durch das von den
Biharer Reitern gegebene Beiſpiel in hohem Grade
überhand und weder Bitten noch Drohungen, noch
das Einhauen unſerer Cavallerie auf einzelne Aus—
reißer halfen etwas. Da ſagte Bem zum Oberſt—
lieutenant Czetz: „Ich muß die Brücke wieder haben
oder ich werde fallen.“ Letzterer erfaßte die volle
Bedeutung dieſer Worte und bat den General, die
athemlos Fliehenden nur ruhig laufen zu laſſen. Czetz
hatte nämlich für dieſen Fall ſchon vorgeſehen und
die bereits erwähnte Hügelreihe zwiſchen Szemeria
und Dédaecs zum allenfallſigen Sammelplatze auser—
ſehen, von welchem aus man die Straße der Länge
nach beſtreichen und die ganze Ebene beherrſchen
konnte. Zum Glück ſtanden in dieſem Augenblicke
die beiden Szeklercompagnien, welche die Nacht in
Dedacs zugebracht und während der Schlacht den
wallachiſchen Landſturm beſchäftigt hatten, auf dieſen
Hügeln in Reih und Glied. Durch ſie ließ Oberſt—
lieutenant Czetz die regellos heranlaufende Infanterie
an der Straße auffangen, auch durch Oberſtlieute—
nant Bethlen an der ganzen Hügelreihe aus Wür—
tembergs-Huſaren einen Cordon ziehen, den bei To—
desſtrafe Niemaud überſchreiten durfte. Durch dieſe
209
Maßregeln wurden in weniger als einer Viertelſtunde
die Bataillons ueu formirt und bald darauf die
Schlachtordnung in 2 Treffen, rechts und links von
der Straße, Maätyas-Huſaren im Centrum, Würtem—
berg⸗Huſaren auf dem linken, die Biharer hinter dem
rechten Flügel, wiederhergeſtellt. Unterdeſſen hatte
Bem feine Batterien auf der Straße und an den
Höben vortheilhaft poſtirt. So fanden die Kaiſer—
lichen plotzlich, ſtatt eines flüchtigen regelloſen Haus
fens eine imponirende Truppenzahl in guter Ordnung
und vortheilhafter Stellung vor ſich. Sie begannen
den Kampf mit Erbitterung von Neuem und ent—
wickelten ein furchtbares Artilleriefeuer, indem ſie
zugleich den rechten Flügel unſerer Armee wieder zu
umgeben ſuchten. Bem hatte aber dies Vorhaben
gemerkt und ſeinen rechten Flügel durch das Toron—
taler Bataillon verſtärkt. Er erwiederte das feind—
liche Feuer nur in langen Pauſen und nur da, wo
er ſeinen Schuß ſicher hatte. Denn die hereinbre—
chende Dämmerung fing ſchon an, die Gegenſtände zu
verſchleiern. Indeſſen hatten die Kaiſerlichen den
größten Theil ihrer Munition verſchoſſen und verſuch—
ten eben durch ein keinen Augenblick nachlaſſendes
Geſchützfeuer, wie durch heftiges Plänkeln unſere
Truppen zum Weichen zu bringen; aber dieſe gewan—
nen, unter Bems eigner Leitung und unter der um—
ſichtigen Führung Hrabovsky's, immer mehr Terrain,
während der rechte Flügel unter Dobay ebenſo, lang—
14
210
ſam vorrückend, die feindlichen Truppen zurückdrängte.
Als nach der heftigen „Kanonade das feindliche Ge—
ſchützfeuer plötzlich verſtummte, ſchien es erwieſen,
daß den Oeſterreichern die Munition ausging. In
dieſem Augenblicke ſtürmte Bem von allen Seiten
mit dem Bajonet auf den Feind und dieſer wurde
gleich geworfen und in die Flucht über die Brücke gejagt,
nach Zurücklaſſung einer bedeutenden Anzahl Todter
und Verwundeter. Im Mauthhauſe allein ward eine
ganze Compagnie niedergemacht, einige andere wur⸗
den ins Gebirge geſprengt. Bem jagte ohne Auf
enthalt den Feind über Päd gegen Szaͤszväros. Als
aber um 10 Uhr Abends die Nacht hereinbrach, mußte
die Verfolgung eingeſtellt werden. Die Häuſer von
Pad waren großentheils mit öſterreichiſchen Todten
und Verwundeten angefüllt. Demnach läßt ſich an—
nehmen, daß der Verluſt des Feindes ſich auf 2000 M.
belief, außer einer großen Anzahl demontirter und
drei verlorner Kanonen und einigen Hundert Gefan—
genen, unter denen ſich mehre Officiere, ſo der wackere
Cavalerieoberſt Loſenau, befanden. Wir verloren
6— 700 M. Aber Bem hatte wieder feſten Fuß in
Siebenbürgen gefaßt, und mit dem dieſen Sieg be—
gleitenden moraliſchen Eindrucke ſtand die Wiederer—
oberung des Landes als wahrſcheinlich zu erwarten.
Bems Aufgabe, nach dem bei Piski erfochtenen
Siege, beſtand darin, denſelben fo gut als möglich
zu benutzen, d. h. der kaiſerlichen Armee nicht die
Zeit zu laſſen, fib in Mühlenbach feſtzuſetzen und
dort, auf die Feſtung Carlsburg und ihre Werkſtät⸗
ten geſtützt, eine neue Schlacht zu liefern. Denn
alsdann wäre Bem, wenn nicht aus andern Gründen,
doch durch das Ausgehen der Munition geſchlagen
worden und hätte obendrein keine Operationsbaſis
bis Großwardein oder Arad gehabt. Er mußte daher
trachten, ſich feiner früheren Baſis, Maros-Väſärhely
und dem Szeklerlande, wieder zu nähern und dann,
ſich von da aus mit Truppen, Munition und allem
Uebrigen wohl verſehend, den Hauptſchlag gegen
Hermannſtadt zu führen. Er mußte, mit einem Worte,
die Kofellinie früher erreichen, als die Oeſterreicher.
Sein nächſtes Object war alſo Mediaſch, im Thale
der großen Kokel, zu welchem er gelangen mußte
und das, von Maros-Väſärhely und dem Szekler—
lande gleich weit entfernt, überhaupt zu einem Zwi—
ſchenpunkte ganz geeignet war. In dieſem Sinne
wurden auch alle Anordnungen getroffen.
Am 10. früh Morgens hatte Bem ſchon Szäsz—
väros erreicht, von wo die Kaiſerlichen um Mitter⸗
nacht abgezogen waren, nachdem ſie einige große
Häuſer mit Kranken und Verwundeten gefüllt hatten.
Bem ließ ſeine Truppen hier Mittag halten und
marſchirte um 12 Uhr weiter gegen Mühlenbach. Es
war ſchon Abend, als ſeine Avantgarde jenſeit Sibot
in gleicher Höhe ungefähr mit Tartaria auf feindliche
Cavalerie traf, woraus hervorging, daß die Kaiſer—
14 *
212
lichen Mühlenbach bereits beſetzt und ihre Vortruppen
ausgeſtellt hatten. Dieſe wurden ſofort von Bems
Avantgarde angegriffen und in den Wald auf der
Poſtſtraße gegen Mühlenbach zurückgedrängt, grade
da, wo ſich die Carlsburger von der Mühlenbacher
Straße abſondert. Ein Bataillon Infanterie mit ein
Paar Kanonen und einiger Cavalerie bezog in der
Dunkelheit hier ein Lager; die ganze übrige Armee
Bems aber marſchirte in aller Stille gegen Alvincz
zu. Um 10 Uhr Nachts ſtieß bei dieſem Orte unſere
Avantgarde abermals auf den Feind. Bem hatte
alſo richtig gerechnet: die Kaiſerlichen wollten ihn bis
Mühlenbach heranrücken laſſen, um ihn dort ſchlag—
fertig zu empfangen und mitten in der Schlacht ſollte
ſein linker Flügel von Alvinez aus umgangen wer—
den. Das läßt ſich wenigſtens aus dem Abſenden
der Brigade Stutterheim nach Alvincz folgern, wenn
es nicht ein planloſer, durch die Unordnung des
Rückzuges herbeigeführter Einzelfall war und vielleicht
die Kaiſerlichen nicht einmal die Abſicht hegten, in
Mühlenbach ſtehn zu bleiben. Sei dem, wie ihm
wolle, Bem hatte Alvinez zum Nachtquartier auser—
ſehen und Oberſtlieutenant Czetz, welcher die Avant—
garde des Centrums führte, ließ den Ort ſogleich
durch das Bataillon Mariaſſy und das 11. Honved—
bataillon ſtürmen. Die Kaiſerlichen hatten natürlich
Bem hier am wenigſten erwartet, flohen in größter
Unordnung nach Carlsburg zu, und hatten es nur der
Schnelligkeit ihrer Füße, ſo wie unſerer Unkenntniß
213
des Terrains zu danken, daß nicht ihre ganze Bri—
gade ſammt allem Geſchütz gefangen genommen wurde.
Bem recognoscirte noch bis 12 Uhr Nachts das
Terrain und wählte feine Aufſtellung für Geſchütz
und Infanterie gegen Carlsburg und Mühlenbach.
Die Truppen bivouaquirten größtentbeils im Freien.
Am Morgen des 11. entwickelte Bem fein ganzes
Corps gegen Mühlenbach zwiſchen Lamkerék und Se
besan in Schlachtordnung, um für einen etwaigen
Angriff nach dieſer Seite Front machen zu können.
Der ſchwere Train jedoch, die Reſervemunition,
Bagagen, Verwundete und Kranken gingen einſt—
weilen unter Bedeckung der Arriergarde, welche nun
die Rolle der Avantgarde übernahm, über Vaͤradgya
Limba und Cſüged nach Girbö. Die Armee ſelbſt
ſollte nachfolgen. Man ſieht alſo, daß Bem zwiſchen
einer feindlichen Feſtung und einem feindlichen Corps
mitten hindurch über bahnloſe, unwegſame, waldige,
öde, unbewohnte Gebirge, meilenweit, im Winter und
zwiſchen bösgeſinnte Wallachen ſich hindurchwagte,
um deſto eher ſein Ziel, das Kokelthal zu erreichen.
Es war dies ein kühner und genialer Gedanke, wel—
cher mit großer Energie ausgeführt wurde und der
Erfolg bat bewieſen, daß er für Bems Lage der
einzig richtige war. Denn der Weg über Gfüged,
Berve, Tohät !), Vereſegybaz ?), Szäsz Csanäds) und
Holdviläg!) iſt in der That der directeſte und kürzeſte
1) Fayersdorf. 2) Rothkirchen. 3) Scholten. 4) Appesdorf.
214
von Szaszvaros ins Kokelthal und man kann beinahe
eben fo ſchnell in Nagy Selyk oder Frauendorf !) ein-
treffen, als ein anderer Trupp in Hermannſtadt an—
langt und hat daher jedenfalls Mediaſch früher er—
reicht, als dieſer letztere. Nur bewegt ſich dieſer auf
einer guten Chauſſee, jener auf unwegſamen Gebirgen.
Es gehört alſo eben ein geſchlagener Feind und eine
ſiegende Truppe unter einem energiſchen Feldherrn
dazu, um das Gleichgewicht zwiſchen Beiden wieder—
herzuſtellen und den Beweis des obigen Satzes doch zu
führen. Zwiſchen Bem und den Kaiſerlichen traf dies
in der That zu. Uebrigens dachte Bem, daß Cſüged und
Umgebung von der Feſtung Carlsburg aus nicht
beſtrichen werden könnten; dies war aber doch der
Fall, indem ſelbſt die Tragweite eines Achtzehnpfün—
ders die Entfernung zwiſchen den Feſtungswällen und
den gegen das linke Marosufer ſich erſtreckenden
Gebirgshängen beſtrichen haben würde. Die Armee
Bems erklomm den ſteilen unwegſamen Bergabhang
zwiſchen Limba und Cſüged und brauchte den ganzen
Tag dazu, um nur die Kanonen hinaufzuziehen.
Zwanzig Ochſen vermochten auf dem ſteilen glatteiſi—
gen Boden kaum eine Kanone auf den Berg hinaufzu—
bringen, eine große Zahl Bagagewagen blieb ſtecken,
die Zugthiere erſchöpften alle ihre Kräfte. Die Pferde
verſagten den Dienſt, welchen die Honveds ſelbſt ver—
ſehen mußten, kurz es war ein Jammer, die ſiegreiche
1) Aszonyfalva.
215
Armee in ſolcher Stockung, Unordnung und in fo
verzweifelter Lage zu ſehen. Die Kaiſerlichen ſahen
dieſem Schauſpiele von den Wällen Carlsburgs ruhig
zu, obne auch nur zum Vergnügen einen Achtzehnpfün—
der loszubrennen und dadurch die Unordnung noch zu
vermehren, ja ſie vielleicht unheilbar zu machen.
Dies iſt eine jener unerklärbaren Thatſachen, die ſich
in dieſem Feldzuge ſo häufig wiederholten: war es
noch eine Nachwirkung des Schreckens von Piski und
Alvincz, ein Alp, der die Sinne der Kaiſerlichen ge—
fangen hielt oder dachten ſie, Bem, der Allgewaltige,
konne plotzlich an ihre Thore klopfen und die Feſtung
in einem kühnen Anfalle auf unbegreifliche Art neh—
men, oder war es eine unrichtige Berechnung der
Entfernung; die wahre Urſache mögen die Götter
wiſſen! Wir glauben, daß die Kaiſerlichen ſelbſt ſie
nicht kennen. Gewiß iſt es, daß Bems Armee ſich
für dieſen ritterlichen Dienſt verpflichtet fühlte und
Bem ſelbſt meinte, als er die Höbe erreicht hatte:
„Hätte ich das gewußt (daß nämlich der Marſch in
der Schußweite der feindlichen Kanonen vor ſich ge—
ben müſſe), ich hätte es nie unternommen.“ An
demſelben Tage erreichte er glücklich Berve und ſeine
Truppen rückten zerſtreut bis zum Morgen des fol—
genden Tages eben daſelbſt ein. Am 12. mußte er
ihnen, da fie völlig erſchöpft waren, Ruhe gönnen.
Bem benutzte dieſen Tag, um ſeine Dispoſitionen in
Betreff Siebenbürgens zu treffen, nach Klauſenburg,
Biſtritz, Maros Väſärhely und in das Szeklerland
216
Couriere abzuſenden, um dort feine Exiſtenz und feine
Erfolge zu verkünden. Zugleich ernannte er den
Oberſtlieutenant Czetz zum Oberſten, nahm andere
zahlreiche Avancements vor, und verſprach Belohnun—
gen. Am 13. ſchickte er den Oberſtlieutenant Kemény
mit ſeinem eignen ſehr zuſammengeſchmolzenen Ba—
taillon, einer Abtheilung Mätyäs-Huſaren, der gan—
zen Bagage, allen Kranken und Verwundeten über
Beſenyö et), Tür und Baläsfalva und von da weiter
nach Thorda und Klauſenburg. Er ſelbſt marſchirte
mit der Armee, auf Szäͤsz Cſanäd, wo übernachtet
wurde, und am nächſten Tage, der 14. Februar, über
Holdiviläg, Frauendorf, Kis Kapus nach Mediaſch
in einem Marſche, ſo daß ſeine Truppen am 15.
Morgens in dieſer Stadt anlangten.
Das Ziel war erreicht, Bem wieder Herr der
Kofellinie und im Beſitz des Schlüſſels zu feinen na—
türlichen Operationsbaſen. Auch erwartete ihn be—
reits in Mediaſch Major Zſurmay mit den Wilhelm—
Huſaren, der Abtheilung Kreß-Chevauxlegers, ein
Paar Compagnien ſehr gut bewaffneter und ſchön
equipirter Szatbmarer Onkéntes. Major Zfurmay
war nämlich, wie oben erwähnt, bei Viz Akna von
Bem abgeſchnitten worden und hatte unterdeſſen einen
Parteigängerkrieg gegen die Abtheilung des kaiſerlichen
Partiſan Haydte mit abwechſelndem Glücke geführt.
Bald hatte er den Haydte, bald dieſer ihn aus Mes
1) Funtzendorf.
diaſch und Eliſabethſtadt vertrieben, bis zuletzt die
große Szeklerbewegung dem Major Zſurmay den
Beſitz von Mediaſch ſicherte.
Dem Oberſtlieutenant Alexander Kiß war es
nämlich gelungen, nach ſeinem Einrücken ins Szek—
lerland mit dem zweiten Szeklerbataillon und den
Szekler-Huſaren, die dortigen Bewohner über die
wahre Lage der Dinge aufzuklären und ſie zum maſ—
ſenhaften Anſchluß an Bem zu bewegen. Er hatte
am 12. Februar mit drei woblbewaffneten Bataillons,
zwei Bataillons Lanzenträger nebſt einer Diviſion
Huſaren und ſechs Kanonen Segesvär 1) beſetzt und
ſich in dieſer feſten Poſition zur längern Behauptung
derſelben vorbereitet. Außerdem organiſirte er in
Gemeinſchaft mit dem Oberſt Alexander Gal die Na—
tionalgarden im ganzen Szeklerlande und betrieb die
Recrutirung mit ſolcher Energie, daß ſeine Truppen
ſich alle Tage mehrten. Kaum war Bem in Mediaſch
angelangt, ſo rückten auch ſchon drei regulaire Szek—
lerbataillons, junge, muthige und tüchtige Burſchen,
und das wackere 12. Honvedbataillon, das ſich in
den Haromſzéker Affairen unſterblichen Ruhm erwor—
ben, mit einer Escadron Mätyis-Huſaren als Ver—
ſtärkung zu ſeiner Armee. Das ungariſche Lager
war in freudiger Bewegung, der verlorengeglaubte
greiſe Feldherr war wieder im Siegeszuge und ſtärker
an Macht, denn je, erſchienen. Er ſicherte uns
1) Schaͤsburg.
218
die Erfüllung unſeres heißeſten Wunſches, die Erobe—
rung Hermannſtadts und die Befreiung des ganzen
Landes von Sachſen, Wallachen und ihren Helfers—
helfern, den Kaiſerlichen. Tage der Ruhe und der
Freude folgten auf ſo viel erlittne Drangſale, eine
fürwahr wohlverdiente Belohnung. Aber die Ruhe
dauerte nicht lange. Oberſt Urban war von Neuem
bei Faad in das Land gefallen: nachdem er drei Come
pagnien Alexander-Infanterie bei Vatra Dorna über—
raſcht und gefangen genommen hatte, trieb er die
ſchwache Biſtritzer Garniſon nach heldenmüthigem
Widerſtande nach Dées. Oberſt Ritzkö war nämlich
mit dem Bataillon Alexander-Infanterie und vierhun—
dert Mann Polen, wozu ſpäter noch ein Honved—
bataillon kam, als Obſervations-Corps gegen die
Bukowina zurückgeblieben. Urban rückte am 14. Fe
bruar mit ſechs Bataillons und zwei Batterien gegen
Bayersdorf, wo ſich Niko verſchanzt hatte und
ſchickte eine Umgehungscolonne unter Oberſt Wiſzner
nach Szerevefalva. Um 10 Uhr Morgens ſtürmte
Urban das wohlverſchanzte Dorf, in welchem ſich die
Unſern hartnäckig vertheidigten. An ihrer Spitze
ſtand Ritzkö mit gezognem Säbel, den Muth feiner
wenigen Truppen anfeuernd. Dreimal wurden die
Angreifenden zurückgeworfen; als ſie zum vierten
Male ſtürmten, traf eine Kanonenkugel tödtlich den
Oberſt Ritzkö und der Fall des Führers lähmte den
Muth ſeiner Truppen. Die Honveds zogen ſich zu—
rück und die Polen vertheidigten noch zwei Stunden
219
lang den Ort, um den Rückzug der Ibrigen, welchen
dieſe nach Dees bewerkſtelligten, zu decken. Oberſtlieu—
tenant Toth war zwar von Klauſenburg dem Urban
entgegengeeilt, aber er fuͤhlte ſich zu ſchwach an Trup—
ven, um mit Erfolg dem Feinde begegnen zu können.
Bem erhielt dieſe Trauernachricht am 16. Februar
und ſchon am 17. war er mit den drei Szekler—⸗
bataillons, dem zwölften Honvedbataillon, eine
Escadron Wilbelms-Huſaren, den Kreß-Chevauxle—
gers und 12 Geſchützen auf dem Wege nach Biltrie.
Er marſchirte Tag und Nacht und kam am 20. in
der Nacht nach Budak, unweit Biſtritz. Urban hatte
ſich auf die Kunde davon ſchleunigſt von Bethlen
nach Biſtritz zurückgezogen und war am 20. bei der
Meldung von Bems Annäherung nach Jaäͤäd zurück—
marſchirt, in jenem Orte nur eine Arrieregarde zu—
rücklaſſend. Bem warf dieſe ſchon am 21. aus Biſtritz
hinaus und ließ feine Truppen einen Tag ruhen.
Am 23. griff er Urban in ſeiner feſten Poſition bei
Jad an. Die Szekler fochten im erſten Feuer wie
Löwen, das zwölfte Bataillon verrichtete Wunder der
Tapferkeit und Oberſt Johann Banffy that es an
Bravour, Unerſchrockenheit und geſchickter Truppen—
führung Allen zuvor. Urban erlitt bedeutenden Ver—
luſt, wurde total geſchlagen und über die Grenze
gejagt. Bem verfolgte ihn dies Mal nur bis Tihutza
und ſperrte die Grenze ab. Er beſtimmte zum Mili—
taircommandanten von Biſtritz den Oberſtlieutenant
Toth, indem er zu deſſen Truppe noch die mitge—
220
brachte Infanterie, alfo eine anſehnliche Macht zus
rückließ und beſah Dées und die Anſtalten in Nagy
Banya, wo er die Abſendung großer Munitions-
transporte nach Mediaſch beorderte. Commandant
von Klauſenburg und Umgegend ward Oberſtlieute—
nant Kemény.
Zehntes Capitel.
Bem's Armee in Mediaſch. — Vorgänge bei der öfterreichiichen
Armee in Hermannſtadt. Czetz's Dispoſitlonen zur Be⸗
hauptung Mediaſch's. Schilderung des Kokelthales. —
Schlacht bei Mediaſch am 1., 2. und 3. März 1849. —
Rückzug der ungariſchen Armee nach Schäsburg. — Bem's
ſtrategiſches Wirken in dieſem Orte. — Unternehmungen der
Oeſterreicher gegen Schaͤsburg und deren Folgen.
Mittlerweile hatte Oberſt Czetz in Mediaſch das
Commando der Hauptarmee geführt und war ſeiner—
ſeits bemüht, die kurze Ruhezeit zur Ergänzung der
Bataillons, zur Herſtellung der Ordnung und Dis—
ciplin, welche auf dem unregelmäßigen Marſche ſehr
gelitten hatten, ſo wie zur Bekleidung, Beſchuhung
und Bewaffnung der Truppen zu benutzen, für Ar—
meebeſpannungen zu ſorgen und bei Mediaſch eine
ſolche Poſition aufzuſuchen und ſie noch zu verſtärken,
in der er ſich jedenfalls bis zur Rückkunft Bem's zu
halten vermochte. Kundſchafter meldeten ihm die
Lage der Dinge im Sachſenlande. Die ganze kai—
ſerliche Armee hatte ſich in Hermannſtadt coneentrirt,
eine nothwendige Beſatzung in Carlsburg abgerechnet,
und außerdem hielten, wie oben erwähnt wurde, von
222
den Ruſſen 6000 Mann unter General Engelhardt
Kronſtadt und 4000 Mann unter Oberſt Skariatyu
Hermannſtadt beſetzt.
Zwei kaiſerliche öſterreichiſche Generalſtabs-Of—
ficiere, Oberſtlieutenant van der Null und Major
Marviehein, waren von Italien nach Siebenbürgen
beordert worden, um mit Hülfe ihres geprüften Ta—
lentes die öſterreichiſchen Waffen zum Siege zu füh—
ren. Auf Antrieb derſelben hatte Puchner die De—
fenſive, welche er bis dahin mit Ehren und
abwechſelndem Glücke behauptet, aufgegeben und rü—
ſtete ſich zum entſcheidenden Angriffskriege.
Am 27. Februar marſchirte die öſterreichiſche
Armee von Hermannftadt ab in zwei Colonnen, von
denen die zweite aber erſt am 28. Februar nachrückte,
um Bem in Mediaſch zu ſchlagen und ſeine Armee
zu vernichten. Der Feind hatte vier vollſtändige
Brigaden, zu der Geſammtſtärke von 16,000 Mann
aller Waffengattungen mit 40 bis 45 Geſchützen.
Denn die Abweſenheit der Ruſſen machte die Garni—
ſonen in Kronſtadt und Hermannſtadt entbehrlich.
Unſere Armee beſtand dagegen in Mediaſch aus fol—
genden Truppen:
Infanterie.
3. Mariaſſybataillo n. 800 Mann
11. Honvedbataillon 900 „
4 2 ee 400 5
1. Szekler-Bataillon 1000 —
223
55. Honvedbataillon . 800 Mann
7. Torontaler Bataillon .... 800 „
Szathmarer Onkentess .. 260 „
31. Honvedbataillon, 4 Compagn. 400 „
Kell moge lt. „ar 200 „
4. Szeklerbataillon, theils unbe
waffnet, theils nur mit Lanzen
Wenz. . % nt e 2000 —
9760 Mann
Das erſte Szeklerbataillon war nach Hauſe
marſchirt.
Cavalerie.
1 Diviſion Würtemberg-Huſaren . 300 Mann
4 Escadrons Mätyäs⸗Huſaren . 400 „
1 Escadron Wilhelm-Huſaren .. 120 „
2 Escadrons Koburg-Huſaren .. 300 „
(kamen erſt nach der Schlacht in
Schäs burg dazu).
2 Escadrons Biharer Garden . 300 „
(gingen vor der Schlacht nach
Maros-Väaſaͤrhely).
1120 Mann
In Schäsburg ſtanden noch 1 Di—
viſion Szekler-Huſaren 300 „
1720 Mann
Artillerie.
30 bis 36 Geſchütze
und 6 "
10 bis 42 Geſchütze.
224
An der Schlacht bei Mediaſch nahmen jedoch
weder die Schäsburger Garniſon, noch die Coburg—
Huſaren, noch die Biharer Garde Theil; Bem focht
alſo dort nur mit 5700 Mann Infanterie, 820 Mann
Huſaren und 30 Geſchützen. Um dem Leſer jedoch
ein genaues Bild von der Schlacht zu geben, müſſen
wir zuvörderſt das Schlachtfeld beſchreiben.
Die Stadt Mediaſch liegt im Thale der großen
Kokel, hart am linken Ufer tiefes Fluſſes, 4 Meilen
von Hermannſtadt und iſt, wie alle ſächſiſchen Städte,
mit einer von Thürmen unterbrochenen Ringmauer
verſehen, welche aber zur Vertheidigung nichts tau—
gen, indem ſie von ringsumher liegenden Höhen be—
herrſcht werden. Eine Stunde von der Stadt,
ſtromabwärts, liegt am Fuße eines Bergrückens der
Ort Kis Kapus, ebenfalls von der Kokel beſpült.
Zwiſchen beiden Orten iſt das Flußthal ſehr ſchmal,
höchſtens 1500 Schritte breit und von reißenden
Wildbächen durchſchnitten, welche ſich in ziemlicher
Breite und mit ſteilabfallenden Ufern verſehen in die
Kofel ſtürzen. Zwiſchen dieſen Wildbächen ziehen
ſich Ausläufer des Mittelgebirges bis auf einige
Hundert Schritte von der Kokel, wo fie meiſt terraſ—
ſenartig in ſteilen Abhängen endigen. Auf den letz—
ten Senkungen dieſer Bergfüße zieht ſich die Chauſſee
hin, verſehen mit ſteinernen Uebergängen über die
Gießbäche. Auf dem halben Wege zwiſchen Kis
Kapus und Mediaſch, dem am anderen Flußufer
225
liegenden Orte Ekemezo gegenüber, ſtand ein mit
Planken umzäumtes maſſives Wirthshaus, neben
welchem ſich bis an die Kokel ein ziemlich tiefer
ſumpfiger Grund erſtreckt, welcher hie und da von
Ziegelöfen beſetzt war. Die Brücken über die Kokel
bei Efemezd und Kis Kapus waren abgetragen, der
Fluß ſelbſt durch die aufthauenden Gebirgswaſſer
angeſchwellt und nicht zu durchwaten. Eine Stunde
ſuͤdlich von Mediaſch, im Gebirge liegt der Ort
Szasz Musna, welcher beſetzt gehalten werden mußte,
indem der Parteigänger Haydte ſich um Sz. Agotha
umbertrieb und die Flanke von Mediaſch bedrohte.
Von Norden her war keine Umgehung durch den
Feind zu befürchten, denn Balaͤsfalva hielten die
Unſrigen beſetzt, und ſtreiften täglich bis Holdviglag
und Sidve.
Oberſt Czetz hatte Kis Kapus mit einer ſtarken
Avantgarde von 1 Bataillon Infanterie, 1 Escadron
Cavalerie und 6 Geſchützen beſetzt, auch denſelben
befohlen, den Ort ſo lange zu halten, bis die
Hauptmacht ihre Poſition hinter dem erſten Gießbache
zwiſchen Mediaſch und Ekemezo beſetzt hätte.
Dieſe Poſition gewährte für die Artillerie eine
die Straße beherrſchende durch flüchtige gradlinige
Schanzen gedeckte Aufſtellung, von der aus ſie den
Angreifer in ein Kreuzfeuer nehmen konnte. Die
Plänkler hatten den ganzen Rand des Gießbaches
vom Gebirge bis an die Kokel beſetzt und ſtanden ſo
15
226
ganz gedeckt. Der Feind konnte ſich ihnen nur über
eine ganz offene Ebene nähern und war alſo bedeu—
tenden Verluſten beim Angriff ausgeſetzt. Die Re—
ſerven hatten hinter den Terraſſen gedeckte Stellun—
gen und die Cavalerie in zweiter Linie war durch
Terrainwellen dem feindlichen Auge gänzlich entzogen.
Auſſerdem war eine Umgehung unſerer linken Flanke
nicht leicht zu ſupponiren. Nichtsdeſtoweniger ſollte
Bem, durch die Umſtände gedrängt, dieſe ſo gün—
ſtige Poſition erſt im letzten Momente benutzen.
Am 1. März brach die kaiſerliche Avantgarde
von Frauendorf gegen Kis Kapus vor und ſuchte
die unſrige hinauszuwerfen. Dieſe aber leiſtete unter
ihrem geſchickten und tapferen Führer Herkalovies
einen ſo hartnäckigen Widerſtand, daß die Feinde ſich
nach vierſtündigem Gefecht wieder in ihre Stellung
bei Frauendorf zurückziehen mußten. Freilich waren
Herkalovics Kräfte erſchöpft, aber er hatte der ihm
gewordenen Aufgabe vollkommen entſprochen. In
der Nacht war auch General Bem, wie ein Deus
ex machina, von Maros Väſärhely angekommen und
die Truppen ſahen jetzt freudig dem kommenden
Morgen entgegen. Bem hatte gewiſſermaßen den
Inſtinct, die herannahende Gefahr zu errathen und
ließ feinen Unterbefehlshabern ſelten die Zeit, auf
eigene Fauſt bedeutende Unternehmungen zu machen.
So auch jest. Am 2. März war ſchon das Gros
der Kaiſerlichen in Frauendorf eingetroffen und hatte
297
um 8 Uhr Morgens das Gefecht bei Kis Kapus mit
Herkalovies wieder angeſponnen. Dieſer hielt ſich
noch eine Stunde, bis Oberſt Czetz mit dem Gros
des Bem'ſchem Corps die oben beſchriebene Poſition
beſetzt hatte, zog ſich dann fechtend zurück und bildete
in Mediaſch die Reſerve. Oberſtlieutenant Hrabovsky
hatte mit dem Torontaler Bataillon und einer Ab—
theilung Cavalerie nebſt 4 Kanonen links von Me—
diaſch gegen Musna Poſition genommen. Die Kai—
lichen waren einſtweilen bis an das obenbezeichnete
Wirthshaus vorgerückt, daſſelbe beſetzend und fuhren
ihr Geſchütz auf dem jenſeitigen Ausläufer des Ge—
birges auf. In dieſem Augenblick erſchien Bem auf
dem Schlachtfelde, ging ſofort aus der Vertheidigung
zum Angriff über und entſendete den Oberſtlieutenant
Baͤnffy mit dem 11. und 24. Bataillon zur Einnahme
des Wirthshauſes. Unſer Geſchütz wurde einige
Hundert Schritte ſeitwärts vorgebracht und das
Feuer gegen die kaiſerliche Artillerie begann, während
die übrigen Truppen in ihrer Stellung verharrten.
Da entſpann ſich ein heißer Kampf. Das eilfte
Bataillon unter dem wackern Ineredy ſtürmte nach
kurzem Plänkeln unter einem Hagel von Granaten,
Kartätſchen und Flintenkugeln mit dem Bajonet das
Wirthshaus, die feindliche Infanterie hinauswerfend.
Dieſe aber ſammelte ſich bald wieder unter dem
Schutz ihrer Artillerie und rückte, durch einige friſche
Bataillons verſtärkt, von Neuem gegen das Wirths—
15*
228
haus und die daſſelbe beherrſchende Höhe, welche
mittlerweile vom 24. Bataillon erſtiegen war. Das
24. Bataillon aber, eines ſolchen Kampfes unkundig,
verließ die genommene Anhöhe und das eilfte Ba—
taillon mußte deshalb, von allen Seiten umringt, den
Platz räumen. Doch ſchnell ſammelte es ſich wieder,
angefeuert von dem im ſtärkſten Kugelregen überall
gegenwärtigen, unerſchütterlichen Oberſtlieutenant
Bänffy und von ihrem wackern Major Incredy, und
nahm, vom anrückenden Bataillon Mariaſſy unter—
ſtützt, das Wirthshaus und die Höhen wieder, nach
langem und blutigen Kampfe. Den Major des
24. Bataillon hatte Bem, weil er ſeine gute Poſition
verlaſſen, auf der Stelle caſſirt und ſeinem Nachfolger
befohlen, durch Wiedererſtürmung der verlaſſenen
Stellung die Scharte auszuwetzen. So dauerte der
Kampf bereits 5 Stunden. Die Kaiſerlichen mach—
ten nun mit friſchen Truppen einen Bajonetangriff
und drängten das 11. Bataillon und das Mariaſſp—
Bataillon wieder zurück; ja ihre Cavalerie war ſo
kühn, einen Choe auf unfere etwas in Unordnung
gerathene Infanterie zu verſuchen. Da machten
Major Zſurmay und Oberſtlieutenant Bethlen mit
den Wilhelm und Maͤtyas-Huſaren über Sumpf
und Ziegelöfen einen Angriff auf die kaiſerliche Rei—
terei und jagten ſie in die Flucht; das eilfte Bataillon
ſammelte ſich wieder, das 55. Bataillon und Wür—
temberg-Huſaren unter dem ritterlichen Major
229
Karolypi ſchloſſen ſich an, warfen den Feind gegen
6 Ubr Abends aus feiner Hauptpoſition an dem
Bergrücken jenſeits des beſagten Wirthshauſes heraus
und drängten ihn gegen Kis Kapus. Bem ließ ihm
auch keine Ruhe: Würtemberg- und Wilhelm-Hu—
ſaren mußten unaufhörlich Angriffe auf die feindliche
Artillerie machen und unſere Infanterie ihnen außer
Athem folgen. Die Kaiſerlichen drängten ſich eilig
nach Kis Kapus und ſuchten ſich noch in den Stra—
ßen zu vertheidigen, wurden aber namentlich von
dem voranſtürmenden eilften Bataillon nach hitzigem
Kampfe vertrieben. Der Feind zog ſich hierauf nach
den Bergrücken zwiſchen Kis Kapus und Frauendorf.
Auch von dort wollte ihn Bem vertreiben, aber ſeine
erichöpften Truppen konnten nicht weiter und es war
ſchon 9 Uhr Abends. Er beſchränkte ſich alſo auf
eine Artillerieverfolgung und die Kanonade dauerte
bis 10% Uhr. Ein Theil von Kis Kapus ging
durch feindliche Granatſchüſſe in Flammen auf.
Bem war alſo an dieſem Tage Sieger geblieben,
aber nicht ohne bedeutende Opfer. Neun der brav—
ſten Officiere des eilften Bataillons, unter ihnen
Major Ineredy, waren verwundet, und 300 Ge
meine hatte das Bataillon eingebüßt: unſere Cava—
lerie hatte ſehr gelitten und eine Menge Cartouchen,
für den Augenblick unerſetzlich, waren verſchoſſen.
Bem wollte ſich aber von Mediaſch nicht ſo leichten
Kaufes trennen.
230
Er ließ Kis Kapus ſtark beſetzen und kehrte
mit den übrigen Truppen nach Mediaſch zurück.
Am nächſten Morgen überzeugte er ſich jedoch, daß
ein längerer Kampf gegen die geſammte kaiſerliche
Macht ihm kein erwünſchtes Reſultat bringen werde;
er beſchloß Mediaſch nur mittelſt eines Artillerie-Ge—
fechtes zu ſchützen und es ſo lange zu halten, bis
ſeine Verſtärkungen aus Schäsburg und Maros—
Väſärhely angelangt ſein würden.
Der Vormittag des 3. März verſtrich unter Vorbe—
reitungen beider Parteien. Bem ſuchte ſich eine paſſende
Stellung aus, und die Kaiſerlichen erwarteten ihre Re—
ſerven; denn auch ſie wollten dies Mal möglichſt ſicher
gehen. Bem wählte die Poſition am rechten Ufer des vor
dem mehrerwähnten Wirthshauſe, Ekemezö gegenüber,
in die Kokel ſtrömenden Gießbaches. Es war ein
ſteiler Bergrücken, welcher mit jähem Abfall den
jenſeitigen auf Kanonenſchußweite belegnen Thalrand
ziemlich beherrſchte und ſich amphitheatraliſch vom
Wirthshauſe bis zu dem Bergknoten bei Baromlak
erſtreckt. Der Kamm dieſes Bergrückens wurde von
unſerer Infanterie beſetzt, der letzte Abfall neben
der Straße oberhalb des Wirthshauſes von unſerer
geſammten Artillerie. Die Cavalerie ſtand rückwärts
auf der Ebene und auf der Straße. Rückſichtlich
dieſer Poſition entfuhr dem Correſpondenten des Sie—
benbürger Boten der Ausruf: „Bem weiß ſeine Stel—
lungen ſo zu wählen, daß ſich das Auge des Mili—
231
tairs mit Vergnügen daran weidet, und man es mit
der Hand zu greifen vermag.“ Doch hatte die Poſi—
tion den Nachtheil, daß unſer linker Fluͤgel ganz von
Wald begränzt war, in welchem ein dreifach über—
legner Feind leichtes Spiel mit einer Ueberflügelung
batte. Bem hatte zwar an dieſen Fall gedacht, und
den Major Zſurmay mit einem Streifcorps von vier
Compagnien Infanterie, 1 Eskadron Cavalerie und
2 Kanonen nach Baromlak entſendet, um die etwa
Ueberflügelnden ſelbſt wieder zu umgehen, was auch,
wie ſich unten zeigen wird, geglückt iſt; aber der
Truppenmangel hinderte ihn doch, ſich einer Umgehung
gebörig zu erwehren.
In Kis Kapus war eine kleine Arrieregarde der
Unſrigen geblieben, welche ſich aber bei Annäherung
des Feindes ſogleich zurückzog. Die Kaiſerlichen nab-
men auf dem jenſeitigen Thalrande Poſition. Das
Artilleriegefecht dauerte von 3 bis 6 Uhr Nachmittags:
beide Theile behaupteten ihre Stellungen, nur fügten
die ſchweren Kaliber des Feindes unſerer Artillerie
Schaden zu, indem 5—6 unferer Kanonen demontirt
wurden, und ein Munitionswagen in die Luft flog.
Unſere auf dem Bergrücken poſtirte Infanterie ward
durch gutgezielte Kanonenſchüſſe erſchüttert, und ihr
linker Flügel, im Walde bedroht, dehnte ſich immer:
mehr ſüdwärts aus, ſeine gute Poſition verlaſſend.
Da ließ der Feind den verlaſſenen Bergrand durch
Infanterie erklimmen und griff mit ſeiner Cavalerie
232
unſere Artillerie an. Dieſe Bewegung war entſchei—
dend. Bems Truppen begannen überall zu weichen,
ſogar ſeine Artillerie retirirte, und er ſelbſt ward
nur durch die Bravour eines Zuges Würtemberg—
Huſaren aus den Händen des ihn bereits von allen
Seiten umringenden Feindes befreiet. Er hatte näm—
lich zu lange ſitzend bei ſeiner Artillerie verweilt und
war im Augenblick von den Angreifenden umzingelt
worden. Bem verſuchte noch zwei Mal einige Ka—
nonen aufzuſtellen, aber es war gegen 7 Uhr Abends,
und der Andrang des Feindes zu heftig. Da ſagte
er dem Oberſt Czetz: „Nun beziehen ſie Ihre Poſition,
und retten Sie, was Sie können!“ Das geſchah. Czetz
ſammelte die fliehenden Truppen und ſtand bereits
in der vorhergewählten Poſition in Schlachtordnung
da, als der Feind jene Krümmung der Straße er—
reichte, wo er von uns beſtrichen werden konnte.
Der Artilleriekampf begann von Neuem und dauerte
ungefähr eine Stunde. Auch waren mittlerweile von
Maros-Väſärhely zwei friſche Compagnien des vierten
Bataillons, und von Musna her die beiden Szath—
marer Compagnien eingetroffen, und zwar mit gefüllten
Patrontaſchen. Dieſe hielten den feindlichen Tirailleurs
Stand, und es galt nur noch die Dunkelheit abzu—
warten, um ungefährdet den Rückzug antreten zu
können. Das dauerte aber Bem zu lange. Als er
bemerkte, daß vie feindliche Infanterie durch die vier
friſchen Compagnien aufgehalten wurde, wollte er ſich
233
jene ganz vom Halſe Schaffen und befahl, ungeachtet
aller Proteſtationen des Oberſt Czetz, den Sturm—
angriff mit dem Bajonet. Dieſer ward zwar verſucht,
mislang aber natürlicherweiſe; denn der Feind war
uns an Zahl zu ſehr überlegen und obendrein in
einem Walde poſtirt. Da erfolgte, was bei gänzlich
erfchöpften Truppen wohl zu erwarten ſtand, eine
allgemeine regelloſe Flucht über Mediaſch gegen Eli—
ſabethſtadt. Nur den braven Würtemberg-Huſaren
verdankten wir die Rettung unſerer Artillerie, und
Bethlens Mätyas-Hufaren plänfelten noch bis Mitter—
nacht mit dem Feinde, der ungeachtet obiger Vorfälle
ein Vorwärtsgeben nicht gerathen fand.
Während dieſer Affaire verſuchte eine kaiſerliche
Umgebungscolonne von 2000 Mann uns auf der
linken Flanke die Rückzugslinie abzuſchneiden, hatte
unter Commando des Grafen Daun die letzten Höhen
gegen Mediaſch und Meſchen nach einem höchſt be—
ſchwerlichen Marſche über Berg und Thal durch
Wald und Moraſt im eigentlichen Sinne des Wortes
erklommen, und ſtand im Begriff die Unſern anzu—
greifen. Da debouchirte plotzlich aus dem Dorfe
Eibersdorf die Umgehungscolonne des Major Zſurmay
und eroberte die mit ſo vieler Mühe von den Oeſterrei—
chern gewonnene Höbe wieder. Auf dieſe pflanzten ſofort
die Ungarn ihre Kanonen, und in das Bataillon
Parma, welches in einem Frontmarſch auf unſre linke
Flanke losging, ſchlugen plotzlich Zzurmays Kanonen—
234
kugeln im Rücken der Kaiſerlichen, und jagten
die Oeſterreicher wie Spreu auseinander, zumal
auch Bem ſie ſeinerſeits mit Kanonenkugeln begrüßte.
So ward die feindliche Umgehung zwar vereitelt,
aber durch den raſchen Rückzug des Gros konnte ſich
Zſurmay, über Berg und Thal marſchirend, erſt in
Holdviläg mit Ben wieder vereinigen. Zſurmay näm—
lich marſchirte am linken Kokelufer, aber da die Brücke
bei Eliſabethſtadt nicht mehr ſtand, mußte Bem am
rechten Ufer dieſen Ort erreichen. Als die Oeſter—
reicher ſich wieder geſammelt hatten, war Bem ſchon
in die Nacht hinein entkommen, und ihre auf Recog—
noscirung ausgeſandten Chevaurlegers brachten die
Nachricht, daß ſie den Feind wegen der Finſterniß
nicht mehr hätten erreichen können, daß fie aber er—
fahren, er habe ſich nach Maros-Vaſärhely zurück—
gezogen. Die Oeſterreicher zogen am vierten in
Mediaſch ein.
Bem langte am 4. März um 1 Uhr Nachts in
Eliſabethſtadt an, den Schäsburger Truppen, welche
ein Mißverſtändniß verſpätet hatte, unter Weges be—
gegnend. Am zten Morgens kam Bem mit feiner
geſchlagnen Armee in Schäsburg an. Die Stadt
war dermaßen verbarrikadirt, daß die Geſchütze
ſich nur mit Mühe durch die ſchmalen, unregelmäßigen
Gaſſen durchzuwinden vermochten. Denn die Eins
wohner waren ungeachtet der Nähe und des täglichen
Verkehrs mit den Szeklern geſchworne Feinde aller
Ungarn, und um ſo heftiger, als ſich bei ihnen er—
—
erbter Haß jetzt mit Fanatismus paarte. Weder
Oberſtlieutenant Kiß noch Vem hatten Zeit gehabt, die
Barrikaden wegzuräumen, und den Schäsburgern ob
der unmenſchlichen Behandlung unſerer Kranken und
Verwundeten eine wohlverdiente Züchtigung angedeihen
zu laſſen. Man hatte ſich darauf beſchränkt, der
Stadt eine angemeſſene Kriegsſteuer aufzuerlegen.
Deſto eher konnte aber Schäsburg zu einer Gegen—
wehr benutzt werden, bei welcher kein Stein auf dem
andern bleiben ſollte, falls der ſcharfe Andrang der
Kaiſerlichen Bem zu einer ſolchen Maßregel nöthigte.
Dazu wurden nun alle Anſtalten getroffen. Bem
hatte bei ſeiner Ankunft die Gegend recognoscirt und
beſchloſſen, die an ſich ſtarke Poſition noch durch Feld—
ſchanzen zu verſtärken. Er ſelbſt bezeichnete die
Trace der Feldbatterien, und nun ging es rüſtig an
die Arbeit. Drei Bataillons arbeiteten abwechſelnd
Tag und Nacht an dem Ausheben der Graben und
dem Aufwerfen der Bruſtwehren, während die Ca—
valerie den ganzen übrigen Dienſt verſah, und die
Artillerie unabläſſig an der Wiederherſtellung der de—
montirten Geſchütze und an der Inſtandſetzung der
Beſpannungen arbeitete. Unterdeſſen mußten die ſtädti—
ſchen Arbeiter für die Armee allerlei Monturſtücke
anfertigen und an der Ausbeſſerung der Waffen ar—
beiten. Munition ward von Maros-Vaſärhely her—
beordert und die Diviſion Coburg-Huſaren war im
Marſch auf Schäsburg. Gleich nach der Mediaſcher
Schlacht war auch Major Herkalovies über Baläs—
236
falva nach Klauſenburg detaſchirt worden, um alle
dort nur entbehrlichen Truppen der Armee zuzuführen.
Kurz, Bems Thätigkeit war dann am gewaltigſten,
wenn er am Meiſten im Nachtheile war, wo andere
minder energiſche Naturen gewöhnlich den Kopf ver—
lieren, ſich einer allgemeinen zu ihrer gänzlichen Ver—
nichtung führenden Apathie hinzugeben pflegen. Bem
erhob ſich grade nach ſchweren Niederlagen am kräf—
tigſten wieder, und wurde dann dem Feinde um ſo
gefährlicher, als dieſer ihn jeder Thatkraft unfähig
glaubte. Daraus erklären ſich auch zum Theil die
wunderbaren Wendungen des Geſchicks in dieſem
Feldzuge. In Schäsburg hatte Bem nur die Wahl
zwiſchen zwei Uebeln: entweder mußte er die Stadt
ſo lange halten, bis ihm neuer Sukkurs aus dem
Szeklerlande kam, wohin er zur Vornahme ſchleuni—
ger Organiſationen den patriotiſchen und talentvollen
Oberſten Alexander Gäl zurückgeſandt hatte. Er
konnte hier die Ereigniſſe abwarten, und hatte jeden—
falls einen Rückzug nach dem Szeklerlande oder nach,
Maros-Väſaͤrhely frei. Oder er konnte auch nach
Maros-Vaͤſärhely rücken und dort feine Kräfte con—
centriren. In dieſem Falle mußte er aber die Szekler
wieder ſich ſelber überlaſſen, was unberechenbar nach—
theilige Folge gebracht und ihn ſeiner Operationslinie
an der Kokel beraubt haben würde. Eine dritte Mög—
lichkeit war, ſich ins Szeklerland zu werfen, und von
dort aus, mit Hülfe einer Maſſe Nationalgarden,
einen Schlag auf Kronftadt zu wagen. Aber dieſer
— _
Plan bätte Bem ſowobl von feiner Operationsbaſis,
als auch von ſeinem Operationsobjekte, Hermannſtadt,
getrennt und würde zum günſtigſten Falle nur einen
ſecundairen Vortheil geboten haben. Bem entſchloß
ſich daher zu dem erſtgenannten Plane, obſchon er
ſeine wahre Abſicht ſelbſt vor ſeinem Generalſtabe
dadurch zu verbergen wußte: daß er ihm, im Fall
eines Rückzuges, Kronſtadt als nächſtes Operations—
objekt bezeichnete. Bem ſagte bei dieſer Gelegenheit
zu einem feiner Generalſtabsofficiere S . . . ck, der
ibn fragte, was er zu thun gedenke:
„Können Sie ſchweigen?“
„Ja,“ ſagte jener.
„Nun, ich auch;“ erwiederte Bem.
Dieſem Plane entſprechend, ließ er Dänos, auf
dem halben Wege zwiſchen Schäßburg in Eliſabeth—
ſtadt, von einer gemiſchten Brigade beſetzen und an
den Verſchanzungen der Hauptpoſition unabläſſig fort—
arbeiten. Damit beſchäftigte er ſeine Armee vom
5.—8. März und dieſe wunderte ſich nicht wenig,
daß die Oeſterreicher noch immer nicht von Mediaſch
berankämen. Endlich am Sten Mittags erſchienen
die öſterreichiſchen Colonnen diesſeits Holdviläg und
Dragonerhelme erglänzten ſelbſt jenſeit der Kokel im
Walde gegen Prod und Nagy Szollös. Bems Armee
war augenblicklich in den ihr vorgeſchriebenen Stel—
lungen und erwartete ruhig den Angriff des Feindes.
Dieſer begnügte ſich jedoch mit einer Demonſtration
gegen Daͤnos und zog ſich dann auf die Höhen bei
238
Holdviläg zurück, indem er rings umher in der Aus—
dehnung von einer Meile ſeine Lagerfeuer auf den
Höhen anzündete. Bems Armee lagerte in ihren
Schanzen und erwartete mit Sehnſucht den Morgen
und die Schlacht. Als aber am gten Morgens kein
Kanonenſchuß die Unſern weckte, als die ausgeſandten
Patrouillen bei Holdviläg keine Feinde trafen und
nur eine reitende Ordonnanz fingen, welche dort über
die Kokel ſetzen wollte, um wahrſcheinlich der feind-
lichen Cavalerieabtheilung in Nagy Szöllös Befehle
zu überbringen, als endlich die von Beſe und Kereſd
zurückkehrende Patrouille meldete, daß der Feind in
kleinen Abtheilungen in der Nacht vom Sten auf den
gten durch dieſen Ort paſſirt ſei; da hatte Bem den
ganzen feindlichen Plan errathen, und ſagte zu ſeinem
Generalſtab: „Jetzt marſchiren wir nach Hermannſtadt.“
Die Armee war in einer halben Stunde marſchfertig,
und wurde nur durch eine von zwei Huſaren
wegen Inſubordination zu vollziehende Execution noch
eine Stunde länger aufgehalten. Um 11 Uhr aber
ſetzte ſich Alles am linken Kokelufer gegen Mediaſch
in Bewegung.
239
Elftes Capitel.
Bem marſchirt anf Hermannſtadt Am 11. März zweite
Schlacht bei Hermannſtadt mit den Rnſſen unter Skariatyn
und Einnahme der Stadt. — Bems militalriſches und
politiſches Wirken in Hermannſtadt. — Folgen der Einnahme.
— Affaire mit den Ruſſen beim Rothenthurmpaſſe. — Af⸗
faire der Kaiferlichen an der Freker Brücke. — Fagaras wird
ohne Schwertſtreich beſetzt — Treffen bei Feketehalom
(Zeiden) am 18. Maͤrz. — Die Oeſterreicher und Ruſſen
flüchten ſich durch den Tömöfcher und Torgburger Paß in
die Wallachei. — Bem zieht in Kronſtadt ein. — Die Ruſ⸗
ſen über die Grenze gejagt. — Rückblick.
Das Gros des Bemſchen Corps kam am 9. März
Nachts um 2 Uhr ganz erſchöpft von dem langen
Marſche und ganz durchweicht vom unabläſſig nie—
derſtrömenden Regen in Paratej*) an. Am 10. Mor⸗
gens 8 Uhr waren wir in Mediaſch, wo ein zur
Deckung der Straße von den Oeſterreichern zurück—
gelaſſenes Bataillon mit einer Escadron Chevaur—
legers ganz verblüfft über unſer plötzliches Erſcheinen
über Berg und Thal davonlief, eine halbe Com—
pagnie nebſt ihrem Officier als Gefangnen im Stich
laſſend. Die Huſaren ſetzten unaufhörlich nach und
Bem entſendete noch ein Detachement unter Oberſt—
) Pretau.
240
lieutenant Bethlen, um den Flüchtigen über Musna,
Baromlak und Sällya zuvorzukommen und etwa im
Gebirge ſich findende öſterreichiſche Truppen-Abthei—
lungen gefangen zu nehmen. Mediaſch blieb durch
Oberſtlieutenant Pereczy mit ungefähr 1500 Mann
und 4 Kanonen beſetzt. Die Armee ging nach zwei—
ſtündiger Raſt wieder vorwärts nach Nagy Selyk,
wo wir um 1 Uhr Nachts einrückten. Am 11. März
Morgens 6 Uhr traten wir unſern weitern Marſch
gegen Stolzenburg und Hermannſtadt an. Die Be—
wohner der Ortſchaften konnten ihr Staunen nicht
genugſam kundgeben, daß Bem, den ſie bei Mediaſch
geſchlagen und in Schäsburg wußten, nun plötzlich
vor den Kaiſerlichen bei ihnen erſcheinen könne. Bei
Stolzenburg ſtieß unſere Avantgarde auf einen Vor—
trupp Koſaken, welcher lebhaft angegriffen und zer—
ſprengt wurde. Dort hielten wir Mittagsruhe.
Um 12 Uhr wurde der Marſch fortgeſetzt; um 4 Uhr
Nachmittags debouchirte Bems Armee aus Groß—
ſcheuern und ſtellte ſich hinter dem Berge, welcher
dieſen Ort von Hermannſtadt trennt, in Schlachtord—
nung auf. Die Ruſſen ſtanden ebenſo jenſeits des
Berges in der Ebene. Bems Abſicht war eigentlich,
mit ſeiner ganzen Armee längs der Berglehne nach
Hammersdorf zu mardurch ſchiren und den ploͤtzlichen
Anblick einer impoſanten Macht Hermannſtadt zur
Uebergabe ohne Schwertſtreich zu nötbigen.
— — —
241
Da Bem die Meldung von der Aufſtellung der
Ruſſen en ordre de bataille vor Hermannſtadt ge
macht wurde, ſagte er ganz lakoniſch: „Ah! Sie bieten
uns die Schlacht an, wir müſſen fie acceptiren.« Und
nun ging es los. Bems Artillerie debouchirte hinter
dem Berge bervor, nahm Stellung und erwartete
das Signal zum Feuern, während unſere Infanterie
das Plateau beſetzte und in die Weingärten des jen—
ſeitigen Abhangs nieder zu ſteigen begann. Die
Ruſſen jaben dieſen Vorbereitungen, ohne einen Schuß
zu thun, ruhig zu. Da verſuchte eine ftarfe Koſa—
ken-Abtheilung Bems rechten Flügel zu umgehen.
Bem ließ ſie auf Kartätſchenſchußweite herankommen
und begrüßte ſie dann mit einer ſolchen Salve, daß
fie in wilder Unordnung Reißaus nahmen und wäh—
rend der Schlacht gar nicht wieder im Vordertreffen
zum Vorſchein kamen. Hiermit begann die Schlacht.
Die ruſſiſchen Maſſen hielten Bems furchtbare Ka—
nonade ruhig aus und ihre in den Weingärten po—
ſtirten Plaänkler waren nicht zum Weichen zu bringen.
Das dauerte wohl eine Stunde. Bem wurde piquirt
und entwickelte, je nach dem erfolgenden Anrücken
ſeiner Truppen immer mehr Infanterie gegen den
ruſſiſchen linken Flügel. Dieſer wich endlich einem
Bajonetangriff, welchen die Szekler mit allem ihnen
innewohnenden Ungeſtüm unternahmen. Die Ruſſen
wurden in die Ebene hinausgedrückt und unſere In—
fanterie folgte ihnen auf den Ferſen. Zugleich be—
gann die Diviſion Würtemberg-Huſaren auf der Ham—
16
242
mersdorfer Linie zu debouchiren und drohte dem
ruſſiſchen linken Flügel mit Umgehung. Dies ver⸗
anlaßte das feindliche Centrum zu einer rückgängigen
Bewegung, welche damit endete, daß die Ruſſen ſich
in die verſchanzten Vorſtädte zurückzogen. Auch Bems
Artillerie hatte ſich unterdeſſen in der Ebene ent⸗
wickelt und der ruſſiſchen Artillerie, welche bei dieſer
Gelegenheit ſich nicht eben durch richtiges Zielen aus
zeichnete, empfindliche Verluſte beigebracht. Zugleich
machte Oberſtlieutenant Kiß auf dem rechten Flügel
mit Koburg⸗ und Wilhelm-Huſaren gegen eine frei⸗
ſtehende ruſſiſche Batterie einen glänzenden Angriff,
und zwang ſie zum ſchleunigen Rückzuge. Es war
6 Uhr Abends und der Kampf in den Verſchanzun⸗
gen der Vorſtädte dauerte noch eine ganze Stunde,
bis endlich die Ruſſen, den wiederholten ſtürmiſchen
Bajonetangriffen der Szekler weichend, ſich in die Stadt
zurückzogen. Um 7 Uhr hatten dieſe die erſten Häu—
fer der Vorſtadt beſetzt, aber ihre Kräfte waren era
ſchöpft. Die Dunkelheit brach ein und die Umge—
hungs-Brigade des Oberſtlieutenant Bethlen mit dem
braven 11. Bataillon war noch nicht zur Stelle.
Die Stadt mußte aber noch in der Nacht genommen
werden, wenn nicht alle Anſtrengungen des Tages
vergeblich ſein ſollten. Bem ließ daher die Stadt
mit Granaten bewerfen: wodurch freilich einige Häu—
ſer in Brand geriethen, aber die nachtheilige Folge
hervorgebracht wurde, durch die Beleuchtung unſerer
Truppen dem feindlichen Wallgeſchütz ein ſicheres
23
Ziel darzubieten. Es entitand eine ſchmerzliche Pauſe
und Bem wollte ſchon den Reſt der Arbeit für den
folgenden Tag aufſparen. Da erſchien plötzlich Beth—
len mit feiner Brigade. Das 11. Bataillon rückte
entſchloſſen und das Freiheitslied der Armee ſingend
in die Vorſtadt über alle Verhaue gegen das Stadt
tbor vor und verſuchte dreimal daſſelbe zu ſtürmen.
Unterdeſſen hatten ſich das Szekler- und das Mariaſſy⸗
Bataillon geſammelt und ſtürmten zum vierten Male,
in Gemeinſchaft mit dem 11 Bataillon. Das brach
den Widerſtand der Ruſſen; ſie flohen über Schellen—
berg gegen den Rothenthurmpaß. Um 9½ Uhr
ruͤckte die ganze ſiegreiche Armee Bems in Hermann—
ſtadt ein.
So war das heißerſehnte Ziel erreicht, die Hy—
dra der Reaction lag endlich unter den Füßen der
gepeinigten Ungarn und Szekler, der Moment der
Vergeltung war gekommen und doch kam nicht Ein
Beiſpiel von Mord oder Plünderung vor. Die Ein—
wohner ſtaunten über unſere Armee, denn ſie hatten
den Einzug raubgieriger Horden erwartet, wie die
kaiſerlichen Officiere uns immer, nach bekanntem Kunſt—
griff der Reaction, den Bürgern geſchildert hatten
und faben eine wohldisciplinirte Armee vor ſich. Der
kaiſerliche Oberſt Koppet hat nachmals in Temesvar
zu nicht geringem Aerger der Schwarzgelben über
die Disciplin und die Ordnung der Bemſchen Armee
viel Rühmliches erzählt. So groß iſt die moraliſche
Macht der Freiheit, und ihr Einfluß durchglübte die
16 *
244
begeifterten Truppen fo ſehr, daß fie ſelbſt die wildeſten
Leidenschaften zu zügeln wußten. Das iſt der ſchönſte
Triumph der für die heiligſten Güter kämpfenden Frei—
heitshelden. Zwar fiel Benigni, der Redacteur der
Siebenbürger Zeitung, dieſer Schlange, welche mit
ihrem Gifte ſo häufig den ungariſchen Volkscha—
rakter beſudelt hatte, durch eine Kugel, ein Paar
verſchloſſene Thüren wurden von den, Ruhe und eine
Lagerſtätte ſuchenden, Honveds geſprengt, aber kein
Raub oder Diebſtahl verübt. Und doch war die mit
Sturm eroberte Stadt der Gnade oder Ungnade des
Siegers verfallen! Vermögen wohl die Oeſterreicher
und Ruſſen ein ähnliches Beiſpiel aufzuweiſen? Zu—
gleich ließ Bem am andern Morgen ſchon allge—
meine Amneſtie verkünden. Wo hat ſich Oeſterreich
ähnlich gerächt? Und doch belohnten die Sachſen
den einſichtigen, wackern Bem ſpäter mit Undank.
Bem fand in Hermannſtadt an 24 Kanonen
verſchiedenen Kalibers, ein ungeheures Quantum Mu—
nition, die ganzen Vorräthe an Tuch- und Beklei—
dungsmaterial für die kaiſerliche Armee, große Ma—
gazine voll Lebensmittel und drei mittelſt geringer
Reparatur wieder brauchbar zu machende Pulvermüh—
len; Bem hatte ſo den Kaiſerlichen die Möglichkeit
entzogen, ſich länger in Siebenbürgen zu behaupten
und fie mußten entweder in die Wallachei flüchten,
oder die Waffen ſtrecken.
Die Oeſterreicher waren mittlerweile am 10. Mor—
gens in Schäsburg eingerückt. Wie groß muß aber
245
ihr Staunen geweſen fein, als fie dort keinen einzi—
gen ungarischen Soldaten fanden. War Bein mit
ſeiner Armee verſchwunden? Und wohin? Sie hiel—
ten anfangs die Kunde von der Eroberung Hermann—
ſtadts, welche durch den lebendigen Telegraphen der
ſächſiſchen Bevölkerung zu ihnen gedrungen war, für
ein Mährchen und glaubten erſt dann an die Wahrheit
dieſes genialen ſtrategiſchen Kunſtſtücks, als eine
Bemſche Brigade bereits gegen Leſchkirch“) heranzog,
um den Feind aufzuſuchen. Die Kunde von dem
Ereigniß durchlief mit Blitzesſchnelle das ganze Land;
weder Freund noch Feind wollte daran glauben. In
der That war die Eroberung Hermannſtadts ein
unerwartetes Ereigniß, deſſen Schlüſſel einzig und
allein in der genialen Auffaſſungsweiſe, mit welcher
Bem die Lage der Dinge würdigte, in der Kühnheit
ſeines Geiſtes liegt, ſo wie in dem ächten Feldherrn—
tact, mit welchem er die vom Feinde dargebotene
Gelegenheit und einen ſtrategiſchen Fehler deſſelben
zu benutzen verſtand. Bem war in der That in Me—
diaſch aufs Haupt geſchlagen und der kaiſerliche Ar—
meecommandant hatte nicht Unrecht, wenn er in ſeinem
Bericht an den Fürſten Windiſchgrätz über dieſe
Schlacht bemerkte: „Wir haben durch dieſen Sieg
die wichtige Kokellinie wiedergewonnen und in wenig
Tagen wird die Armee Bems total zerſprengt oder
gefangen genommen ſein“ — vorausgeſetzt nur, daß
) Ußegyhaz.
246
die Kaiſerlichen grade auf Schäsburg losgehen und
Bems Corps ſprengen würden, ohne eine auf uner⸗
wartete Hinderniſſe ſtoßende Umgehung einzuleiten
und dadurch Bem Zeit zu laſſen, ſeine Kräfte zu
ſammeln. An ihnen bewies ſich ſehr treffend die
Richtigkeit jenes ſtrategiſchen Grundſatzes, daß man
bei großartigen Umgehungen ſich wohl in Acht zu
nehmen habe, wenn man nicht ſelbſt umgangen wer;
den will. Noch mehr, als die Kaiſerlichen, blamirte
ſich der Siebenbürger Bote, welcher am 10. die gänz⸗
liche Vernichtung Bems mit großer Schadenfreude
feinen ſächſiſchen Landsleuten verkündete. Am 11.
aber, als das Blatt zur Ausgabe in der Druckerei
bereit lag, fand Bem obigen Bericht auf dem Schreib—
pult des commandirenden Generals. f
Die ganze kaiſerliche Armee hatte ſich nach der
Mediaſcher Schlacht ins Gebirge nach Sz. Agotha!)
geworfen, um über Hendorf ?), Trappold und
Segesd, Schäsburg ganz zu umgehen und Bem den
Rückzug ins Szeklerland abzuſchneiden. Die Abthei—
lung Haydte's ſollte ihn in der Front über Riomfaͤlvas),
Almakeré k“) und Beſes) beſchäftigen, während ein Ca:
valeriedetachement bei Nagy Szöllös die Straße nach
Maros-Vaäſärhely beſetzte und den Unſrigen den Rück—
zug dahin abſchnitt. Allerdings fein ausgedacht, um
Bems Schanzenbau unnütz zu machen; aber man
hatte dabei vergeſſen, die Hauptoperationslinie ge—
1) Agnethlen. 2) Hegen. 3) Reichersdorf. 4) Malmkrog.
5) Beſendorf.
247
gen Hermannſtadt zu beſetzen, um Bem dieſen Weg,
auf dem er immer nach Baläsfalva und Thorda ent-
weichen konnte, zu ſperren. Freilich war ſolche Kühn—
heit, mit einer geſchlagenen Armee den Vormarſch
auf Hermannſtadt zu wagen, Niemand eingefallen!
Auch batte man die Jahreszeit und den lehmigen
Boden um Sz. Agotha, Hendorf und Trappold
nicht mit in Anſchlag gebracht, durch welchen der
Marſch auf Schäsburg unendlich erſchwert und um
3 Tage verlängert wurde. Denn 40 Ochſen waren
kaum im Stande, eine Kanone auf die hohen Pla⸗
teaus des Mittelgebirges hinaufzuziehen, die Infan⸗
terie blieb faſt im Lehm ſtecken und die Reiter mußten
ihre Pferde am Zügel nachziehen. Außerdem verrieth
auch die von den Oeſterreichern am 8. unternommene
Demonſtration ihren ganzen Plan an Bem und wir
faben, wie raſch er mit feiner Contremine fertig wurde!
So haben die Oeſterreicher Bem ſelbſt den Weg nach
Hermannſtadt eröffnet und die beiden aus Italien
verſchriebenen berühmten Generalſtabsofficiere hat—
ten wohl wider ihren Willen Bem in die Hände
gearbeitet. Die Szekler nannten Van der Nuk:
vandor nyül (wandernder Hafe) und die Sachſen gar:
von der Nulle. Sie fata trahunt!
Trotz des errungenen Vortheils wußte Bem
ſehr wohl die Unſicherheit feiner Lage und die Mög-
lichkeit aufzufaſſen, daß man ihm den endlichen Sieg
noch ſtreitig machen könne und traf in dieſem Sinne
die zweckmäßigſten Anordnungen.
248
Bem ließ in der Nacht vom 11. auf den 12. März
2000 Szekler Rekruten, welche nur mit Knitteln vers
ſehen, ſeine Armee begleitet und lediglich zur Fort—
ſchaffung der Kanonen verwendet waren, mit Bajo—
netgewehren und der ſonſtigen Armirung verſehen
und completirte mit ihnen das 11. und das Mariaſſy—
Bataillon auf 1300 Mann, außerdem erhielten die
zahlreichen nur mit Lanzen bewaffneten Szekler ſämmt⸗
lich Feuergewehre. Die ſtädtiſchen Magazine wurden
ſtrenge bewacht und eine Monturfabrik improviſirt.
Die unbrauchbaren Wallkanonen (eiſerne Vierund—
zwanzigpfünder) wurden für den ſchlimmſten Fall
vernagelt. Unſere Truppen bezogen am 12. März
Nachmittags ein Lager im Freien zwiſchen der Stadt
und Schellenberg. Major Herkalowies mit dem 50.
Honvedbataillon, dem mittlerweile organiſirten 32.
Bataillon und der in Klauſenburg formirten Mä—
tyäs-Huſarenabtheilung, ſowie Banffy Janos und
Pereczy, zuſammen mit 4090 Mann wurden herbei—
gezogen, der Ort Befteny von Würtemberg-Hu—
ſaren und einer ſtarken gemiſchten Brigade unter
Oberſtlieutenant Kärolyi beſetzt, um das etwanige
Vorrücken der Ruſſen, welche bei Boicza ſtanden, zu
verhindern, während Oberſtlieutenant Bethlen mit
einer ebenſo ſtarken Brigade über Dällya!), Holezmaͤny
und Uj-egyhäz entſendet wurde, um die Kaiſerlichen
aufzuſuchen. Bem wollte ſich durch dieſe Anſtalten
den Sieg ſichern, was ihm auch gelang.
1) Dolman.
249
Die öfterreihiihe Armee gerietb bei der ſichern
Nachricht von der Einnahme Hermannſtadt's in einem
ſolchen Zuſtand moraliſcher Auflöfung, welche fie
zum längern Kampf in offnem Felde ganz untauglich
machte. Die Mannſchaft hatte durch die letzterdulde—
ten Strapazen unſäglich gelitten, und beſaß nicht
einmal Fußbekleidung mehr; die Officiere hatten den
größten Theil ihrer Bagage in Hermannſtadt zurück—
gelaſſen, die Kaſſen waren theils leer, theils ſchon
in die Wallache transportirt, außerdem hatten die
Truppen alles Vertrauen zu ihren Führern verloren.
Puchner und die übrigen Generäle, bis auf Kalliany,
ein abtrünniger Ungar, ließen ihre Armee im Stich
und flüchteten durch den Rothenthurmpaß in die
Wallachei nach Rimnik, den Truppen überlaſſend, ſich
über Kronſtadt zu retten (ſiehe Esquisse de la guerre
en Hongrie p. 54.); Gedeon und Jovich waren ſchon
von Hermannſtadt aus dahin gegangen, wie ſollte
da nicht Demoraliſation und Desorganiſation unter
den Truppen einreißen? Bem war ſo galant, Puch—
ner ſeine Orden und Diplome durch zwei Huſaren—
unterofficiere zu überſenden, welche er in ſeinem
Quartier zurückgelaſſen hatte; zum Dank für dieſen
Ritterdienſt wollten die Oeſterreicher die Ueberbringer
gefangen nehmen, doch dieſe entwiſchten ihnen wie—
der. Wie tief mußte da der esprit de corps bei
den öſterreichiſchen Officieren ſchon geſunken ſein?
Als Bem am 14. März ſichere Kunde von der
Flucht der öſterreichiſchen Generäle erhalten hatte,
250
traf er unverzüglich Anſtalten, auf Kronſtadt zu
marſchiren. Oberſt Czetz brach an demſelben Tage
mit dem Gros gegen Fenyöfalva (Geroldsau) auf,
während Bem mit einer ſtarken Brigade auf den
Rothenthurmpaß losging, um von dort die Ruſſen zu
vertreiben. Oberſt Czetz ſtieß in Fenyöfalva auf die
Vorpoſten einer Brigade, welche die Beſtimmung
hatte, an der bei Frek über die Aluta führenden
Brücke das Vorrücken Bems zu hindern. Die kai—
ſerliche Armee war nämlich von Fagaras über Vle—
deny nach Kronſtadt marſchirt. Die feindlichen Vor—
poſten wurden in der Nacht aus Fenyöfalva vertrieben
und Czetz nahm hinter der Alutabrücke Stellung. Die
Dunkelheit der Nacht und die Ermattung der Trup—
pen verhinderte die Fortſetzung des Marſches. Am
15. März Morgens ſollte der Flußübergang foreirt
werden, aber die Kaiſerlichen hatten für gut gefun—
den, noch in der Nacht abzuziehen. Oberſt Gzeb
marſchirte am 15. bis Uesa, nahm am 16. Fagaras,
deſſen feſtes Schloß verlaſſen war, ohne Schwert—
ſtreich und ſchob feine Vortruppen bis Sarfäany vor.
Am 17. ward Vledény beſetzt, wo Bem die Armee
wieder einholte, nachdem er die Ruſſen bis an die
Grenze der Wallachei gejagt hatte. Am 18. rückten
die Ungarn gegen Feketehalom !) vor, wo die Kaiſer—
lichen mit zwei Brigaden noch einmal zu wiederſtehen
verſuchten, aber nach dreiſtündigem Kampfe gänzlich
zerſprengt wurden. Schon die Wahl der Stellung
1) Beiden.
251
zum Gefecht beweiſt, wie wenig es den Oeſterrei—
chern Ernſt war, ſich langer gegen Bem zu halten.
Sie ſtellten zwei Brigaden Infanterie ohne allen Zu—
ſammenhang in die Ebene des Burzathales am Aus—
gange des Ortes Zeiden gerade da auf, wo die
ganze Fläche von den Höhen des Feketehalomer Ge—
birgs dominirt wird und der Angreifer noch obendrein
durch Wald geſchützt iſt, während ſie ſelbſt in unbe—
ſchirmter offener Ebene fochten. Und doch hätten ſie
inmitten dieſes Waldes eine Defenſiv-Poſition gehabt,
die uns febr viel Opfer hatte koſten können. Sie
flohen gegen Kronſtadt und Törzburg. Bem beſetzte
Feketehalom und nabm vor dem Orte gegen Weiden—
bach (Gyenvaff) Poſition, woſelbſt er ſeinen durch
den viertägigen ununterbrochnen Marſch gänzlich er—
ſchoͤpften Truppen Ruhe gönnen mußte. Kronſtadt
war überdies von 6000 Ruſſen unter General Engel—
bardt beſetzt, rings umher verſchanzt und mit einem
die ganze Gegend beherrſchenden befeſtigten Schloſſe
verſehen. Bem mußte alſo bei dem Angriff auf dieſe
Stadt ſicher gehn und rechnete deshalb auch auf ſeine
Vereinigung mit den Häromſzeker Szeklern, welche
unter Oberſtlieut. Ferdinand Szabo nach der Aluta zu
bei Hermäny!) und Sz. Peter?) ſtanden. Der wackere
Patrouillenführer en gros, Oberſtlieutenant Alexan—
der Kiß, war ſchon in der Nacht des 18. März mit
einigen Huſaren von Vledéeny über Szunyogszeg
(Schnakendorf) und Hidveg nach Sepſi Sz. György
1) Honigberg. )) Petersberg.
252
geeilt und ſtand am Morgen des 19. bei Sz. Peter,
zum Vorrücken auf Kronſtadt bereit. Bem hätte
ſchon am 18. mit den fliehenden Oeſterreichern zugleich
in Kronſtadt eintreffen können, aber er wollte Blut
ſparen und ſagte zum Oberſt Czetz: „Laſſen wir den
Oeſterreichern Zeit, in die Wallachey zu gehn.“ Er
rechnete richtig: am 18. Abends waren die Ruſſen,
in der Nacht die Oeſterreicher durch den Tömöſer
Paß in die Wallachey entwichen ). Dieſe wollten
nicht mehr kämpfen und erſtere ſcheueten es, ſich vor
der ſiegreichen Armee Bems zu compromittiren.
Am 19. März Vormittags erſchien der Kron—
ſtädter Magiſtrat in Weidenbach vor dem greiſen
Feldherrn und übergab ihm die Schlüſſel der Stadt,
um Gnade flehend. Bem zog noch an demſelben
Tage in Kronſtadt ein, die Ehre der Truppenfüh—
rung mit feiner Courtoiſie dem Oberſten Czetz über—
laſſend, als ſeinem rechten Arme, deſſen Mutter,
welche ihren Sohn ſeit vier Jahren nicht geſehen und
in Kronſtadt bittere Tage der Angſt und der Krän—
kung verlebt hatte, zu überraſchen.
Bem feierte einen Namenstag, wie wohl Nie—
mand je einen gleichen gefeiert hat. Ein ganzes
Land hatte er mit kleinen Mitteln und geringer Macht
erobert und ſich den höchſten Triumph, die Achtung
der feindlich geſinnten Einwohner erworben. Seine
Aufgabe in Siebenbürgen war vollbracht und er hatte
) La Transylvanie était perdu pour les armes impériales
fagt die Esquisse p. 34.
_ 233
jetzt nur noch das Schloß Deva und die Feſtung
Carlsburg zu nehmen, was feiner Armee keine Schwie—
rigkeiten verurſacht hätte, wären nicht andere Ereig—
niſſe ſtörend dazwiſchen getreten. Er ließ die Oeſter—
reicher durch die Häromſzéker Szekler verfolgen, welche
am Tomöſer Paß eine Beute von mehreren 100,000 fl.
machten, die ſie zu Hauſe unter ſich vertheilten. Die
Armee Bems wuchs nun von Tag zu Tage, ſchaa—
renweiſe ftrömten die Szekler zu feinen Fahnen; mit
ungefähr 10,000 Mann war er in Kronſtadt einge—
zogen und ſein Heer zählte bei ſeiner Rückkehr nach
Hermannſtadt ſchon 24,000 Mann, obgleich er
in Kronſtadt 6000 Mann und am Rothenthurmpaß
2000 Mann ſtehen ließ. Dann dachte Bem, die Sei—
nigen zu belohnen. Für die Einnahme Hermannſtadts
erbielten Officiere und Gemeine zweimonatlichen, für
den Marſch nach Kronſtadt einmonatlichen Extraſold
und ſämmtliche Truppen wurden bis Ende März
gratis beköſtigt. Hermannſtadt mußte 200,000 fl., Kron⸗
ſtadt 40,000 fl. Kriegsſteuer zahlen, ſie erhielten aber
vom 1. April an alle Lieferungen reichlich bezahlt
und ſchließlich wurde eine für das ganze Land geltende
Amneſtie verkündet. Auch fanden große Avancements
ſtatt: die Oberſtlieutenante Toth, Bänffy, Bethlen,
Kemény, Kiß wurden zu Oberſten, die Mafors
Inczedy, Ihäsz, Hrabovsky, wurden zu Oberſt—
lieutenants, ſehr viele Hauptleute zu Majors und eine
Menge Gemeiner zu Officieren ernannt. Der unga—
riſche Verdienſtorden wurde von der Regierung für
254
500 Militairs verlangt. Oberſt Czetz wurde für die
bald erfolgende Abweſenheit Bems zum Millitair—
Obercommandanten Siebenbürgens erwählt und zum
General vorgeſchlagen; ſeine Ernennung erfolgte
jedoch erſt im Monat Mai.
Bem wurde in Kronſtadt von einer Deputation
des ganzen Szeklerlandes, insbeſondere Häromſzoks,
als Retter des Vaterlandes begrüßt und die Szekler
baten ſich von ihm, als Lohn für ihre aufopfernden
Leiſtungen, nur die Gnade aus, daß er ſie in ihrer
Heimath, in Kesdy Vͤſärhely oder Sepſi Szt. György
beſuchen möge. Bem willfahrte dieſer Bitte und
fuhr am Sonntage nach dem Einmarſche in Kronſtadt
in Begleitung eines ganz kleinen Stabes nach Sepſi
Szt. György. Schon an der Kököſer Brücke, dem
Grenzpunkte des Häromſzéker Stuhls, ſah man die
Häromſzéker Nationalgarde, alte, graue, morſche
Geſtalten, deren Söhne und Enkel in Bems Armee
dienten, mit Piken oder Lanzen bewaffnet, in un—
endlichen Reihen und Gliedern, theils zu Fuß, theils
zu Pferde aufgeſtellt. Ihnen gegenüber ſtanden die
alten Mütterchen in ihren Sonntagskleidern und
deren Töchter und die jungen Szekler-Weiber, alle
abgeſondert und gleich den Männern in Reih und
Glied in ihren nationalen Brautanzügen, mit Blu—
men und Bändern geſchmückt. Hunderte von Fähn—
lein wehten in den Lüften und die Zigeuner ſpielten
luſtige Weiſen. Bei Bems Ankunft hielt ein Natio—
nalgardemajor eine Anrede an ihn und hieß ihn
255
auf Szeklerboden willkommen, Tauſend Kehlen wies
derholten ein herzliches Eljen Bem apänk! (Es lebe
unfer Vater Bem!) und fo ging es unter Freuden—
grüßen und Blumenſtreuen und Sinngedichten, die
man ihm in den Weg warf, fort nach Sepſi Szt.
György. Es war ſchön, den warmen, aufrichtigen
Dank eines befreieten Volkes ſo im echt naturgemä—
ßen, menſchlichen Ausdruck bei dieſen einfachen Szek—
lern zu ſehen. Zumal die Weiber, ſie knieten vor
Bem nieder, ſchluchzten laut und lachten zugleich,
warfen ihm Kränze in den Wagen und ſandten ihm
Tauſend Küſſe und Grüße nach, und glücklich war
jede, wenn ſie nur Bems ſtrenger, aber wohlwollender
Blick traf. Und ſo war es in allen Dörfern bis
Szt. György. Hier hatte der Oberkönigsrichter von
Haͤromſzék ein großes Feſteſſen arrangirt und die
Nobleſſe war zu Bems Empfange verſammelt nebſt
allen im Stabsorte der Szekler-Huſaren lebenden,
penſionirten oder ſonſt irgend am Dienſt verhinderten
Huſaren-Officieren und Beamten des Stuhls. Auch
bier ging es fort zwiſchen Spalieren von bewundern—
den, gemüthlichen Szeklern zum Comitatshauſe (Prä—
torium), wo die adeligen Damen Bem an der Treppe
erwarteten und ihn mit Blumen und Bändern be—
kränzt in den Tafelſaal führten, wo Reden, Gedichte,
Geſang und Muſik dem greiſen Feldherrn die Zeit
angenehm verkürzen ſollten. Bem war bemüht, Allen,
die ſich ihm nabten, mit einer Artigkeit zu antworten
und ungeachtet er nur mittelſt Dollmetſcher zu dieſen
256
echten Ungarinnen ſprach, gewann er alle Herzen.
Bem ſelbſt war, insbeſondere von dem freudigen
dankerfüllten Benehmen der Szekler Landbewohner
ganz gerührt und er äußerte ſich, daß dies der ſchönſte
Tag ſeines Lebens ſei und er ein Volk an dieſem
Tage lieben gelernt, das er bisher nur wegen ſeiner
Energie geachtet.
Die Ruſſen beim Rothen Thurm hatten indeß
das Rothenthurmer Schloß mit einer ziemlich ſtarken
Arrieregarde beſetzt und die in Boicza ſtehenden
Ungarn waren ihren unabläſſigen Neckereien ausge—
ſetzt. Bem eilte auf dieſe Meldungen von Kronſtadt
gleich nach ſeiner Rückkunft aus Sepſi Szt. György
dahin, griff die Ruſſen am 25. oder 26. März am
Rothen Thurm an, ſchlug ſie aus dem Schloſſe und
der feſten Poſition nahebei hinaus und verfolgte ſie
bis über die Grenze der Wallachey auf einer anſehn—
lichen Strecke, worauf er umkehrte und die Grenze
beſetzte. Eine Abtheilung unter Major Ihaͤsz war
über die Berge in den Rücken der Ruſſen detachirt,
um dieſe zwiſchen zwei Feuer zu bringen und ſie ſo
zu vernichten. Allein die Colonne hatte bei dem Er—
klettern der hohen Berge mit zu viel Schwierigkeiten
zu kämpfen, ſo daß ſie erſt an ihren Beſtimmungs—
orte gelangte, als Bem die Ruſſen ſchon in die Flucht
geſchlagen hatte. Oberſtlieutenant Ihaͤsz erhielt das
Commando des Rothen-Thurmpaſſes mit 2000 Mann
Beſatzung und ſechs Geſchützen.
257
Wir laſſen bier die Berichte Bems über die
Schlacht bei Hermannſtadt folgen:
Hauptquartier Hermannſtadt am 15. März.
In meinem Schreiben vom 13. dieſes hatte ich das
Gluck, die Meldung zu machen, daß ich ein Corps
gegen den Rothenthurm-Engpaß (Vöoͤroͤstorony) ge—
ſendet, um ſoviel als möglich die Communikation mit
der Wallachei abzuſchneiden. Dieſes Armeecorps
konnte jedoch nicht weit vordringen, indem das ganze
öfterreichifche Heer in Frek ftand, alſo blos durch
einen Bergrücken von dem Engpaß getrennt war und
ſo meine Truppen beim Vorrücken in der Flanke be—
droht waren. Ich habe mich indeſſen dieſes Eng—
paſſes auf einem Umwege bemächtigt und ich werde
denſelben nicht nur behaupten, ſondern zugleich auch
den Feind gegen Kronſtadt drängen, von wo er nur
mit großer Mühe über die Karpathen würde gehn
koͤnnen, wenn er nämlich nach der Wallachei ſich flüch—
ten möchte; dieſe Kriegsoperationen werde ich noch
heute beginnen. Geſtern haben die Unſrigen aber—
mals einen Stabsoffizier, den Oberſt Koppet, ge—
fangen. Die zwei früher gefangnen Stabsofficiere
beißen: Baron Berger (Oberſtlieutenant) und Tei—
chert (Major).
Die Einnahme Hermannſtadts war für uns von
unſchätzbarem Nutzen, von allen Seiten fallen uns
eine Menge Waffen zu, während dem Feinde der
Lebensnerv durchſchnitten worden iſt.
17
258
Hauptquartier Rothenthurm (Vöröstorony)
am 16. März. Meine geſtrigen Operationen zur
Verdrängung der Ruſſen aus dem Rothenthurmeng⸗
paß ſind mit ſo glücklichem Erfolg gekrönt worden,
daß wir noch in derſelben Nacht um 11 Uhr die Ruf
ſen aus dieſer feſten Poſition geworfen haben. Der
15. März, der Geburtstag der Völkerfreiheit, konnte
wohl nicht würdiger gefeiert werden. Heute Nachmit⸗
tag um 5 Uhr haben die Ruſſen die wildeſte Flucht
über Hals und Kopf ergriffen. Vier öſterreichiſche
Generale: Puchner, Pfersmann, Gräſer und Jovich
find mit drei Compagnien nach der Wallachey geflo-
hen. Den Rothenthurm-Engpaß habe ich ſelbſt
ſehr ſorgfältig inſpieirt und ſolche Anſtalten getroffen,
daß die Ruſſen hier ſchwerlich mehr feindlich eindrin—
gen werden. Einen anderen Theil meiner Armee
habe ich zur Verfolgung der Oeſterreicher ausge—
ſchickt, welche nach Ausſage von Kriegsgefangnen
entmuthigt und in Unordnung gegen Kronſtadt ſich
gewendet. Ihre Hauptmacht iſt bei Fagaras, die
Arrieregarde aber hat ſo eben Frek verlaſſen. Die
Brücke über den Alt (Aluta) hatte der Feind hinter
ſich abgebrochen, was die nachdrückliche Verfolgung
desſelben einige Zeit hemmte. Jetzt nach Wiederher—
ſtellung der Brücke werde ich die Verfolgung mit
allem Nachdruck fortſetzen. Ich hoffe binnen drei
bis vier Tagen Kronſtadt zu nehmen, wodurch die
kaiſerlich öſterreichiſche Armee theils vernichtet, theils
zerſtreut, jedenfalls aber für die innere Ruhe dieſes
Landes unſchädlich gemacht fein wird. Um ſo leich—
ter wird dann auch die Zurückführung der vereinzelt
noch auftretenden wallachiſchen Banden zum Gehor—
ſam ſein.
Nach der Einnahme Kronſtadts werde ich gleich
mit einem Armeecorps nach Ungarn aufbrechen.
Bem.
260
Zwölftes Capitel.
Bem's adminiftratives und organifatorifches Wirken nach der Er-
oberung des Landes. — Fehlerhaftes und unkluges Ber:
fahren der Civilbehörden. — Uebergabe des Commando's an
Oberſt Czetz. — Bem vor Carlsburg. — Oberſt Stein
wird die Leitung der Belagerung Carlsburgs übertragen. —
Oberſt Forrö cernirt das Schloß Diva. — Bem's Abzug
ins Hatzeger Thal. — Affaire am eifernen Thor. — Bem
geht ins Bannat. — Czetz organiſirt die Reſerven. —
Stand der Armee in Siebenbürgen. — Rückblick.
Nach der Einnahme Kronſtadts zeigte ſich Bem's
Organiſationstalent in ſeinem ſchönſten Lichte. Von
jedem Bataillon Infanterie und jeder Diviſion Hu—
ſaren blieb ein Stamm (Cadre) zurück, welcher
aus den Tüchtigſten und Brapſten der Truppe ges
wählt war und ſeinen vollſtändigen Officieretat hatte.
Die Recruten der Szekler füllten dieſe Cadres und
ſo hatte man in einem Zeitraum von 2 bis 3 Wochen
neue Bataillons, welche gut eingeübt und zum Feld—
dienſte bereit waren. Dieſe neuen Bataillons wurden
vom Kriegsminiſterium nachſtehend bezeichnet: 74, 75,
76, 77, 78, 79, 80, St, 82, 83, 84, 85, 86.
Außerdem wurden 10 Reſerve-Grenz-Bataillons aus
Szekler Nationalgarden gebildet, welche man leider
nicht mit Feuergewehren ausrüſten konnte“). Selbſt
D Dioeſe Reſervebatalllons wurden fo vertheilt: 1. 2 Biſtritz
und Umgebung; 3. 4. 5. Szeklerland; 6, Voza, Altſchanz und
Tömös; 7. Törzburg; 8. von Törzburg bis zum Rothenthurm—
261
ein Theil der Cadres war nur mit Lanzen bewaffnet.
Die Organiſation der Cavalerie ging zwar langſa—
mer, aber doch mit Erfolg von Statten. In Maros—
Vaſärbely wurde eine Pulverfabrik angelegt, auch in
Kézdi Vaſärhely befand ſich eine ſolche und die dortige
Kanonengießerei wurde großartig erweitert. Die
Landesgemeinden arbeiteten fortwährend an der Be—
kleidung und der Armirung der Truppen; kurz überall
berrſchte Einbeit und rege Thätigkeit und nur eine
balbjährige Kriegsrube war nötbig, um Siebenbürgen
zu einem zweiten Kaukaſien zu machen, uneinnehmbar
für jede auch noch fo große Macht. Auch Bem's
Politik, durch Amneſtie die fremden Nationalitäten zu
gewinnen, war die einzig richtige, was ſchon aus dem
Umſtande bervorgebt, daß die Wallachen ſich nach
der Einnahme von Hermannſtadt in die Gebirge bei
Topänfalva zurückzogen und zu einer Ausglei—
chung mit den Ungarn ſich bereit erklärten. Die
Wallachen des Hunyader Comitats und des Hatzeg—
thales wurden von Bem auf ſeinem Marſche ins
Bannat entwaffnet. Die Sachſen auf dem Lande
achteten und liebten Bem und ſeine Armee erbielt bei
ihnen nach und nach das Anſehen einer wirklich na—
tionalen Landeswehrmacht. Aber die Vorſehung hatte
anders beſchloſſen und zu ihren Werkzeugen die Mit—
glieder der ungariſchen Regierungsbeboͤrde erkoren.
Dieſe, mit Koſſuth an der Spitze, konnten zwar
paß; 9. 10. vom Rothenthurmpaß bis zum eiſernen Thor. Jedes
ſollte aus 1500 M. beſtehen.
262
»Bem nicht lebhaft genug ihren Dank bezeugen, denn
nur ihm hatten ſie es zu verdanken, daß ſie den
Winter hindurch ruhig in Debreczin debattirten und
nur die Anſtrengungen der Bem'ſchen Armee machten
die glänzenden Erfolge der ungariſchen Waffen an
der Theiß möglich. So wie aber Jemand ſich durch
geniale Thaten über die breite Mittelmäßigkeit jener
Herren erhob, beneideten ſie ihn und ſuchten ſeine
Erfolge durch kleinliche Intriguen zu ſchwächen. So
ging es auch in Siebenbürgen. Koſſuth erklärte
durch den Regierungscommiſſair Cſänyi Bem's Am⸗
neſtie für ungültig, ſetzte allenthalben Blutgerichte
ein, zur Beſtrafung der Vaterlandsverräther und
ließ die Güter der letzteren confisciren“). Das
war ebenſo unnütz, wie unpolitiſch. Denn die
Häupter der reactionairen Partei hatten ſich ohnedies
mit den Kaiſerlichen in die Wallachei geflüchtet,
während ihre Güter dem Staate zur Dispoſition
ſtanden, und die ſecundairen Führer konnten eher
durch Milde als durch Strenge für uns gewonnen
werden. Außerdem waren ja auch die Wallachen
noch nicht ganz beſchwichtigt und entwaffnet, Carls—
burg nicht gerechnet, welches noch in Feindes Händen
war. Im Angeſichte dieſer Erſcheinungen und trotz
aller jener Erwägungen fuhr Cſänyi, ſonſt ein weis
) Vergleiche Szilagyi's „Aktenſtücke zur magyariſchen Nevolu⸗
tlon“ in Peſth bei Hartleben.
208
for und gerechter Mann, nichtsdeſtoweniger fort,
die von Koſſuth angeordneten Maßregeln auszuführen
und nur dem energiſchen Gegenwirken des Militair—
obereommandanten, welcher, auf Bem's Weiſungen
geſtützt, nach Kräften alle Gewaltmaßregeln unter⸗
drückte, hat man es zu verdanken, daß jenen Blut⸗
gerichten ſo Wenige zum Opfer fielen.
Bem war auch der Erſte, welcher das Ausland
über die wabre Sachlage in Ungarn, durch Berichte
an den Vicepräſidenten der franzöſiſchen Republik,
feinen perſönlichen Freund, fo wie an die franzöſi—
ſchen und engliſchen Conſuln in Bukareſt und Con⸗
ſtantinopel aufklärte und die Bahn eröffnete zu einem
freundlichen Einvernehmen Ungarn's mit der Pforte.
Er beabſichtigte auch, eine glänzende Geſandtſchaft an
den Groß-Sultan zu ſenden, und wieder trug die
Saumſeligkeit der Regierung die Schuld, daß dieſe
Geſandtſchaft, angeblich wegen Mangels an baarem
Gelde, nicht ſchleunig genug ausgerüſtet werden
konnte. Sicher, wie auch die Folge lehrte, wäre
dieſer Schritt nicht ohne Einfluß auf das Geſchick
Ungarn's geweſen. Wir ſind überzeugt, Bem hätte
Mittel und Wege gefunden, ungeachtet aller Diplos
matie, oder vielmebr mit Hülfe derſelben, ſeine Zwecke
zu erreichen. Ueberhaupt hatte Ben alle feine Er
folge nur feinem Genie und feiner Energie zu dans
ken; die ungariſche Regierung war ihm bei ſeinen
Unternehmungen eher hinderlich, als hülfeleiſtend und
es gebörte feine feſte Ueberzeugung und fein uner—
er.
ſchütterlicher Sinn für Wahrheit und Freiheit dazu,
daß er nicht früher ſchon mit der Regierung brach, wie
er dies ſpäter — leider zu ſpät — dadurch that, daß
er ganz Siebenbürgen in Belagerungszuſtand erklärte
und dadurch die Functionen der Regierungscommiſſaire,
dieſer Unglücksvögel, welche überall Gold ernten
wollten, wo ſie Unkraut geſäet hatten, ſuspendirte.
In Siebenbürgen nehme ich von jenen verderblichen
Menſchen nur den gebildeten und einſichtsvollen
Berde Mözſa aus.
Bem hatte ſchon in Hermannſtadt den Befehl
erhalten, nach der Eroberung Siebenbürgens ins
Bannat zu ziehen, um dieſen Theil Ungarn's gleich—
falls von Feinden zu ſäubernk). Von Kronſtadt
aus folgte er dieſem Anſinnen, aber aus ganz ande—
ren, weiter unten angeführten Gründen, als die
Koſſuth's waren. Zuvor wollte er jedoch Carlsburg,
wenn nicht zur Uebergabe zwingen, doch wenigſtens
cerniren. Zur Erreichung dieſes doppelten Zweckes
eilte er nach der zweiten Affaire beim Rothen-Thurm—
Paſſe mit ſeinen Kerntruppen nach Hermannſtadt und
ſetzte das nach dem Bannat beſtimmte Corps unter
Commando des Oberſten Joh. Baͤnfi über Szaͤsvaros
vorläufig in Marſch, und cernirte mit dem von
Klauſenburg über Thorda und N. Enyed herange—
zognen Corps des Oberſten Kemeny durch die Ber
— DD ——
) Ueber die Ausführung ſ. Cap. 13.
5
ſatzung der Oerter Maros Portus, Drombar und
Borband *). Hierauf beſchoß er am 31. März 1849
den Platz mit ſeiner ganzen Artillerie und forderte
die Uebergabe deſſelben. Der Commandant, Oberſt
Auguſt, verweigerte das Anſinnen und ſomit mußte
die Feſtung durch ein förmliches Belagerungscorps
im Zaum gehalten werden. Dieſes Corps beſtand aus:
Infanterie
Dem 32. Bataillon 1000 Mann
Zwei Bataillon-Cadres 1200 „
Freiwillige aus dem Aranyoſer
Blei ah lan 200 „
J 2400 Mann
Cavalerie
1 Diviſion Reſerve Mätyas-Huſ. 160 Mann
Aranyofer freiwillige Reiter.. 60 „
220 Mann
Artillerie.
Im Anfang nur 6 Sechspfünder, zu denen
ſpäter noch 4 Sechspfünder, 3 Dreipfünder,
2 Vierundzwanzigpfünder, 2 dreißigpfündige
und 2 ſechszigpfündige Mörſer aus Arad kamen.
Die Corps war offenbar viel zu ſchwach, um
ernſthafte Angriffe auf die Feſtung machen zu konnen,
weshalb es denn kam, daß im Anfang die Wallachen,
unter Janku, ſelbſt die Außenwerke beſetzen und ſich
von dort aus mit Munition verfeben konnten. Das
Commando und die Leitung der Belagerung wurde
am 20. April dem Generaladjutanten des Kriegsmi—
niſters, dem durch ſeine Sachkenntniß wie ſeine
) Weindorf.
266
Energie gleich berühmten Oberſt Stein Jetzt in der
Türkei als Ferhad Paſcha) übertragen. Oberſt Ke—
meny erhielt wieder das Commando in Klauſenburg.
Wenn man von Maros-Vaäſärhely im Maros—
thale abwärts fährt, ſo trifft man einige Stunden
hinter Cſombord am rechten Marosufer auf eine
offne Landſtadt, welcher man gleich beim Eintritt den
Character der ungariſchen Stadt an den breiten, un—
gepflaſterten Straßen anſieht, deren einſtöckige Häuſer
meiſt mit Schindeln oder Stroh und nur ſelten mit
Ziegeln bedeckt ſind. Inmitten dieſer Stadt, dieſes
Carlsburg (Käroly Fejérvär, Belgrad), der Alba Julia
der Römer, liegt der Markt, aus den Türkenzeiten her
noch Bazar genannt und über ihn führt die ſich durch
Stadt und Feſtung windende Hauptſtraße von Klau—
ſenburg nach Hermannſtadt, einen ſteilen gepflafterten
Weg hinan. Weiter unterhalb an der Maros, un—
gefähr eine viertel Stunde entfernt, liegt Maros
Portus, ein ungariſch-wallachiſcher Ort, mit einem
Cameral-Salz⸗Expeditions-Amte. Karlsburg liegt jo
ziemlich mitten im Lande, auf der die beiden Haupt—
ſtädte Hermannſtadt und Kronſtadt mit Déva und
folglich mit Ungarn verbindenden Hauptſtraße, grade
da, wo dieſe die Maros durchſchneidet, auf deren
Rücken das Salz, der Hauptreichthum des Landes,
verſchifft wird. Auch liegen die Goldgruben von
Zalathna (Klein Schlatten, Goldenmarkt) und von
Abrud Banya (Groß Schlatten, Altenburg) in der
Nähe. In militairiſcher Hinſicht iſt hier der Knoten—
punet der beiden Hauptoperationslinien in Sieben—
bürgen, nämlich der natürlichen längs der Maros
267
und der transverfalen in der Richtung von Klauſen—
burg auf Hermannſtadt: alſo gleichſam der Ausgangs—
punct jeder aus dem Centrum gegen Norden oder gegen
Süden auszuführenden Operation. Schon in frühe—
ren Zeiten fab man das ein und Stephan Bätbori
wie Bethlen Gabor hatten hier ihre mittelalterlichen
Schloͤſſer, in denen die Gräber der Hunyaden die
patriotiſchen Magvaren zu frommen Pilgerfahrten
einluden. Kaiſer Carl IV. ließ jene Schlöſſer zu
einer förmlichen Feſtung umgeſtalten. Auf dem ſich
nordweſtlich von der eigentlichen Stadt hinziehenden
Bergplateau, welches jene ſowohl, wie überhaupt
das ganze Marosthal, auf eine Stunde weit beherrſcht,
wurde ein Vauban'ſches Fünfeck mit Ravelins und
Baſtionen erbauet und dort ein Artilleriezeughaus,
eine Pulverfabrik, ein Monturdepot und das kaiſer—
liche Münzamt errichtet. Die Feſtungsmauern ent—
bielten zwar Caſematten, aber nach dem alten Sy—
ſteme gebauete, folglich zu enge. Die Feſtung wird
übrigens, wie Ofen, von den weſtlich gelegenen Hö—
ben gänzlich dominirt und iſt alſo, bei hinlänglichem
Material und zureichender Truppenmacht, nicht ſo
ſchwierig zu nehmen, indem man gleich nach der
Cernirung zur Eröffnung der dritten Parallele ſchrei—
ten kann. Die Beſatzung beſtand damals aus
2000 Mann regulairer Wallachen, einigen Compag—
nien ſächſiſcher Truppen und einer halben Escadron
Mar⸗Chevauxlegers. Das Feſtungs-Commando hatte,
nach Erkrankung des früheren Gouverneurs, Oberſt
Auguſt, der frühere Commandant von Maros Var
ſärhely, übernommen: derſelbe, welcher in Gemein—
268
ſchaft mit feiner Gemahlinn, den Schmuck der Damen
Maros Väſärhelys räuberiſch genommen und folglich
alle Urſache hatte, ſich vor der Berührung mit den
erbitterten Magyaren in Acht zu nehmen. Puchner
hatte mithin auch hier, wie Windiſchgrätz in Ofen,
den richtigen Mann in Jemand gefunden, welcher,
perſönlich compromittirt, ſich möglichſt lange behaup—
ten würde. Uebrigens war der Mann alt und
ſchwach, aber ſehr thätig und die ihm mangelnde
Einſicht ergänzten die Kenntniſſe der in der Feſtung
befindlichen Artillerie- und Genieofficiere. Ohne
Zweifel wäre der Platz ſchon im April noch von
Bem genommen worden; allein dieſer hatte weiter—
reichende ſtrategiſche Pläne und die ungariſche Re—
gierung war zu übermüthig, um auf die Sicherung
eines für alle Fälle erſprießlichen Reduits bedacht
zu ſein. Bem erhielt daher Befehl, ins Bannat zu
ziehen und Carlsburg, wie die Wallachen, blieben für
jetzt unberückſichtigt. Anfangs commandirte hier
Oberſtlieutenant Kemeny und that ſein Möglichſtes,
die Defasung im Zaum zu halten, zumal lletztere,
nach einigen tapfer zurückgewieſenen Ausfällen, ſich
ruhig verhielt. Im April wurde Oberſt Baron
Stein von der Regierung mit der Belagerung be—
auftragt. Er brachte Einſicht, Kenntniſſe und kriege—
riſche Crfahrung mit, aber leider nicht das Noth—
wendigſte, einen tüchtigen Park Belagerungsgeſchütz,
und mußte ſich darauf beſchränken, die Feſtung moͤg—
lichſt eng, nach den Regeln der Kunſt, zu cerniren,
wobei die Beſatzung ſich ruhig verhielt. Stein ſchuf
nun mit großer Energie ein kleines Belagerungs—
269
corps, recrutirte und armirte daſſelbe, errichtete in
Maros Portus eine Waffen-Reparaturanſtalt, ließ
Zünder anfertigen, verſchrieb ſich Bomben aus Vajde
Hunyad, und Rußberg, baute Ricochet- und Möͤrſerbat—
terien und ließ von Großwardein eine Raketenbatterie
kommen; aber trotz dieſer Anſtalten war noch an
keine foͤrmliche Belagerung zu denken. Erſt nach
dem Falle von Arad und Dees erhielt Stein vier
vierundzwanzigpfündige Kanonen und vier Möͤrſer;
aber Mitte Juni war gekommen und folglich die
günſtigſte Zeit dahin. Deſſenungeachtet hätte ein
ſchleuniges Eröffnen der Laufgräben noch jetzt zum
Ziele fübren konnen, aber theils beunruhigte Janku
unabläſſig das Cernirungscorps, theils ſtanden die
Ruſſen ſchon in Siebenbürgen und endlich verbrauchte
Stein noch ein Paar koſtbare Wachen, um das
Bombardement vorzubereiten. Letztere erfolgte endlich
in der Mitte des Julimonates. Nach vierundzwan—
zigſtündiger Beſchießung waren das Münzamt, der
biſchöͤfliche Palaſt, das Zeugbaus, die Sternwarte
Baäthori's und die Kaſerne eingeäſchert und als Stein
die Beſatzung aufforderte, erhielt er die Antwort:
„man habe für die militairiſche Ehre noch nicht genug
getban“. Nun glaubte Jedermann an eine ſofortige
Wiederholung des Bombardements, aber — es fehlte
an gefüllten Bomben und die Beſatzung hatte ſchon
Kunde von den Fortſchreiten der Ruſſen erhalten!
Carlsburg war alſo für die Ungarn verloren. Ob
Stein oder der Regierung bievon die Schuld beige—
meſſen werden muß, iſt ſchwer zu entſcheiden; ſo viel
iſt gewiß, daß Jener während des ganzen Krieges
270
eine ausgezeichnete Thätigkeit bewährt hat, mit Recht
geachtet wurde und gewiß ſtets das Beſte wollte,
obſchon Neider und Unkundige nicht anftanden, fein cava—
liermäßiges Betragen gegen die Beſatzung von Carls—
burg als Verratb zu deuteln. Man darf wohl behaup—
ten, daß Stein früher ſchon Herr der Feſtung geweſen
wäre, hätte man ihm zeitig genug genügende Mittel
angewieſen; ſo aber entſchied das Verhängniß gegen
uns, indem Carlsburg ſpäter von den Ruſſen ent-
ſetzt ward.
Die Berennung und Cernirung des Schloſſes
von Déva wurde dem Oberſten Forrô übertragen,
welcher ungefähr 2000 Mann und 6 Kanonen zu
ſeiner Verfügung hatte. Das Schloß, welches zum
Theil aus Trajans Zeit herrühren ſoll, liegt, wie
bereits oben erwähnt, am linken Ufer der Maros
auf einem ungefähr 800 Fuß hohen, ſenkrecht abfal—
lenden Felſen, wie ein wahres Adlerneſt, und beherrſcht
die Stadt Déva, wie die ſich unten hinziehende Poſt—
ſtraße. Es hat ſturmfreie, ſehr dicke und erſt im
Jahre 1844 erbauete Mauern, iſt zwar unbedeutend
an Umfang, aber wegen ſeiner faſt unzugänglichen
Lage ſehr ſchwierig zu nehmen. Oberſt Forrô hatte,
wie Bem ins Bannat abzog, mit einer Brigade von
1500 — 2000 Mann die Stadt Deva und die ums
liegenden Höhen beſetzt und den Commandanten des
Schloſſes, Oberlieutnant Kudlich zur Uebergabe deſſel—
ben aufgefordet. Dieſer aber, geſtützt auf des kaiſer—
lichen General Leiningen Zuſage, der ihm baldigen
Entſatz verſprochen hatte, wollte von nichts wiſſen,
ſondern begrüßte theils das Cernirungscorps auf den
Höhen, theils die Stadt mit Kugeln. Der Schloß—
271
commandant verdient in militairiſcher Beziehung uns
ſere vollſte Anerkennung. Denn er wußte mit einer
Beſatzung von 200 Mann, nicht ſehr vielen Lebens—
mitteln, ohne Brunnenwaſſer (denn das Schloß hatte
nichts als eine Ciſterne), drei Feſtungsgeſchützen und
einigen Wallflinten, ſich vier Wochen hindurch gegen
Oberſt Forré zu halten. Zugleich hielt er durch fein
kräftiges Benehmen die Bewohner Devas immer in
Furcht, die Wallachen des Hunvader Comitats aber
beſtändig wachſam. Nicht zwei Perſonen durften zu—
ſammen auf der Straße geben, kein Licht durfte Nachts
vor einem Fenſter brennen, nicht ein Honved ſich auf
der Gaſſe zeigen; ſonſt flog eine 18pfündige Kugel
berunter, und zwang den ruhigen Bürger ſich anders—
wo eine ſichere Schlafſtelle zu ſuchen. Es war dies
freilich mitunter ein bloßes Pulververſchwenden, mili—
tairiſche Fanfaronade; aber den Wallachen gefiel es,
und es galt ſie vor allen Dingen wach zu erhalten.
Forro konnte nicht viel dagegen ausrichten, denn er
bekam ſein Belagerungsgeſchütz erſt zu Ende Mai.
Als dies anlangte, waren Kudlichs Vorräthe erſchöpft,
die Mannſchaft litt an Skorbut, Deſertion rieß ein,
und der wackere Krieger ſah ſich veranlaßt, auf ſehr
ehrenvolle Bedingungen hin zu capituliren. Er erhielt
am 27. Mai freien Abzug mit militairiſchen Ehren,
für ſeine Kranken und Verwundeten wurde geſorgt,
feinen Soldaten eine einmonatliche Gage gezahlt und
fie durften, nach Ablegung der Waffen, ungehindert
nach Temesvar abziehen.
General Bem bolte mittlerweile feine unter Oberſt
Banfi vorausgefandten Truppen im Haäͤtzeger Thale
wieder ein, rückte mit ihnen von Hätzeg durch das
berühmte eiſerne Thor, welches von ein Paar Ba—
taillons Bannater Grenzer mit mehren Poſitions—
und Feldgeſchützen beſetzt war, die ſich bei Bems An—
näherung in die Poſition Vaiszlöva, am Ausgange
des Paſſes, zurückzogen.
Nach einer zweiſtündigen Affaire wurden hier
die Feinde, nach einem Verluſt von zwei Poſitions-,
zweien Feldgeſchützen und Hinterlaſſung einer bedeu—
tenden Anzahl Todter, Verwundeter und Gefangener
zerſprengt. Hierauf rückte Bem in das Bannat und
war auch dort ſiegreich, wie wir im dreizehnten Ka—
pitel genauer berichten werden. Wenden wir noch
einmal den Blick wieder auf Siebenbürgen.
Durch die mannigfachen Entſendungen von Be—
ſatzungen und Cernirungscorps war die dem General
Czetz untergebne Armee ziemlich geſchwächt worden,
und man mußte darauf bedacht ſein, ihre Reihen wie—
der zu ergänzen. Dazu half namentlich die thätige
Mitwirkung des Oberſten Alexander Gal und es ge
lang, die Armee bis zu einer achtunggebietenden Zahl
zu vermehren. Dieſe belief ſich, mit Einſchluß der
wallachiſchen und ſächſiſchen Rekruten, welche die Ne
gierung, trotz aller Einwendungen abſeiten des Sie-
benbürgiſchen Militair-Oberkommando's ausheben ließ,
auf 30,000 Mann. In Kezdi Vaſaͤrhely wurden an
70 Kanonen, verſchiednen Kalibers gegoſſen, in Nagy
Bänya, Hermannſtadt, Kezdi Väſärhely Pulver, in
Klauſenburg, Nagy Banya, Maros Vaͤſärhely, Her—
mannjtadt, Kezdi Vaſärhely Zünder fabrieirt, in Kos
halom“) Sättel für die Cavalerie angefertigt, in Maros
) Repo, Uluma.
Portus, unter Leitung des Oberſt Stein Gewehre
ausgebeſſert, die Grenzpäſſe im Szeklerlande, wie
Gyimes, Tolgpes, Ojtos, Boza, ferner Toͤmös und
im Norden Tihutza, wurde durch Feldſchanzen befeſtigt,
das Schloß Deva zur Uebergabe genöthigt; kurz es
herrſchte überall die regſte Thätigkeit, das bewegteſte
Kriegerleben. Inzwiſchen hatten ſich die überwunde—
nen Sachſen und Wallachen über keine Erpreſſung,
keinen Druck zu beklagen, denn ſie erwählten ſelbſt
ihre neuen Magiſtrate und leiteten durch dieſelben
ihre Angelegenheiten ganz ſelbſtſtändig. Die Einquar—
tierungslaſten und die Lieferungen für die Armee
wurden mit Geld vergütet oder in den Steuerliſten
eingetragen, die Journale durften mit vollſter Frei—
heit jeden beliebigen Artikel dem Publikum bringen;
mit einem Worte, der Geiſt der Humanität und der
Freiheit herrſchte im ganzen Lande. Nur ein Fall,
die Verurtheilung des Pfarrer Roth, ließ den Militair—
obercommandanten beklagen, daß er nicht zeitig genug
davon Kenntniß erhalten hatte, um dieſe vom Ober—
commiſſär der Regierung angeordnete Maßregel ver—
bindern zu können; denn die übrigen von den außer—
ordentlichen Gerichten zu Tode Verurtheilten waren
nicht zahlreich und ſämmtlich überwieſene Raubmörder,
Brandſtifter u. dgl. Selbſt Pfarrer Roth verdient
keine Entſchuldigung. Denn er war ſchon einmal
von den Ungarn gefangen, und auf das Verſprechen
bin, ſich ruhig verhalten zu wollen, frei gelaſſen wor—
den — und doch ließen ihn Haß und Rache nicht
ruben. Er begann zum zweiten Male in den Land—
gemeinden den Kreuzzug gegen die übermüthigen Ma—
18
274
gyaren zu predigen, und führte ſelbſt unter Haydte
Landſturm-Abtheilungen gegen Eliſabethſtadt und gegen
die Szekler an. Er hatte alſo nicht nur ſein Wort ge—
brochen, ſondern auch gegen die erſte Amneſtie Bems
geſündigt und ward als Landesverräther mit vollem
Rechte zum Tode durch Pulver und Blei verurtheilt.
Sein Tod war übrigens eines Mannes von Bildung
und feſtem Charakter, wie er war, ganz würdig,
und man kann nur bedauern, daß ſo viel Geiſt, ſo
viel Kenntniſſe, eine ſolche Feſtigkeit des Willens und
eine ſolch' eiſerne Conſequenz einer ſo ſchlechten Sache
wie die ſchwarz⸗-gelb öſterreichiſche immer bleibt, zu—
gewendet waren“). Die ſächſiſchen Landbewohner
wünſchten ſelbſt Ruhe und Frieden, und waren mit
dem magyariſchen Regimente wohl zufrieden; in
den Städten ſchienen ſich die Sympathieen dadurch
kundzugeben, daß die ſächſiſchen Damen die Bälle
der ungariſchen Officiere fleißig beſuchten, auch den
früher gehaßten Cſärdäs bald bis zur Vollkommen—
heit tanzen lernten, und daß ſogar in Hermannſtadt
mehre Heirathen zwiſchen Honvedoffiecieren und ſäch—
ſiſchen Mädchen geſchloſſen wurden.
Unſere Armee war im Mai 1849 folgendermaßen
im Lande vertheilt:
) Der vielſchreibende Dr. Schütte hat in feinem Buche
„Ungarn und der ungarische Unabhängigkeitskrieg“ eine neue Probe
ſeines ſchriftſtelleriſchen Leichtſinnes abgelegt, indem er dort Bd. II
b. 270 dem Verfaſſer die Erſchießung des Pfarrer Roth zur Laſt
legt; es bedarf eine ſolche Lüge wohl keiner ausdrücklichen Wi⸗
derlegung.
275
Bei Biſtritz und an den
Nordpäſſen
Im Szeklerlande:
zu Toͤlgves . . 2000
zu Gyimes . 1000
zu Dies. . 2000
zu Boza „
zu Cſik Szereda 1000
zu Kézdy Vaſärhély 1000
Im Kronſtädter Diſtrikt:
Toͤm ss „2000
Törzburg © » . 1500
Kronſtade 2500
Im Hermannſtädter Di—
ſtriet:
Rothen Thurm . . 2000
Fagaraſer Schloß . 1000
Hermannftadtt . . 2000
(darunter ein polniſches
Bataillon) 1
Mediaſch -» 1000
Carlsburger Cerni⸗
rungs⸗-Corbps 3000
(4 Bombenmörfer, eine
Rafettenbatterie)
Im Häßeger an
r „72000
Dänen sin: ©: 800
Im Klauſenburger Di
ſtrict . 6000
(darunter 3000 Natio⸗
12
12
„189
. 6000 Mann mit 14 Geſchützen
276
nalgarden und das Räs
koczi⸗Freicorps nebſt den
Ormaiſchen Jägern und
einer Escadron Polni—
ſcher Lanciers.) a
Summa: 31800 Mann aller Waffengat⸗
tungen und 110 Geſchütze. 2
Da man aber unter den Aufgeführten 8000 Mann
mit Lanzen bewaffneter und 3000 Mann unbewaff⸗
neter Rekruten annehmen muß, ſo reducirte ſich unſere
ſtreitbare Macht auf 20,000 Mann mit 110 Kano⸗
nen, verſchiednen Calibers. Außerdem beſtanden alle
drei Waffengattungen großentheils aus Recruten; denn
die Kerntruppen, 10,000 Mann an der Zahl, waren
mit Bem ins Bannat gerückt, wurden auch ſpäter dort
verwendet, und nur das 11 Bataillon und Würtem—
berg⸗Huſaren kehrten nach Siebenbürgen zurück.
2
Dreizehntes Capitel.
Bems Feldzug im Bannat. Affaire bei Vaiszlova. — Affaire
bei Kiszeteo. — Cernirung der Feſtung Temesvar. —
Weißkirchen. — Petrilova und Szaszka. — Puchner wird
auch hier in die Wallachei gejagt. — General Perczel
vollendet bei Pancſova die Eroberung des Bannats und
der Bacſa bis auf Titel. Bems politiſches Wirken im
Vannat. Seine weiteren ſtrategiſchen Plaͤne. Er wird
durch das Miniſterium Szemere beleidigt und kehrt nach Sie—
benbürgen zurück. — Rückblick.
Nach der Forcirung des Eiſernthorpaſſes lieferte
Bem dem Feinde noch bei Vaiszlova ein Treffen,
wo die jungen Szekler ſeine Freundſchaft beſonders
dadurch gewannen, daß ſie, ohne einen Schuß zu
zu thun, die Ruszkitza, bis an die Hüfte ins Waſſer
gehend, durchwateten und die am jenſeitigen Ufer
voſtirten feindlichen Kanonen ohne Weiteres mit dem
dem Bajonet eroberten. Vier Gemeine dieſer tapfern
Schaaren vom 78. Honvedbataillon, Namens Deäf
Maté, Nagy Joſéf, Nagy Imre und Szabo Marton
nahmen eine feindliche Kanone, während ihre Kamera—
den die andern eroberten. Von Vaiszlova marſchirte
Bem nach Karanſebes, wo er von den Grenzern mit
Jubel als ihr Befreier aus dem öſterreichiſchen Sol—
278
datenjoche begrüßt wurde. Wir laſſen hier Bems
Originalbericht folgen vom 17. April aus Karanſebes,
an Koſſuth gerichtet.
„Herr Präſident! Hier bin ich in Karanſebes,
wo wir ſo ebeu unſern Einzug hielten, nachdem wir
den Feind bei Vaiszlova geſchlagen, von wo er nach
Verluſt von 50 Todten und 2 Poſitions-Kanonen
entfloh und die Stadt nicht mehr vertheidigte. Seine
Stärke beſtand aus 2000 Mann regulärer Truppen
und 15 (2) Geſchützen (wahrſcheinlich 5). Die Bor:
theile dieſer Occupation ſind ſehr bedeutend, denn hier—
durch iſt die Communication zwiſchen Orſova und
Temesvär abgeſchnitten und wir find Herrn der
Gußwerke von Rußberg *); dieſe faſt ganz allein ver—
ſahen den Feind mit Munition und Projectilen, jetzt
werden ſie uns verſehen und uns täglich mehrere
Hunderte derſelben liefern. Was mir bei dieſer Ex—
pedition das meiſte Vergnügen macht, iſt, daß ich
nicht mehr als 9 Compagnien Szeklerrecruten ins
Feuer führte, welche eigentlich jetzt ihr erſtes Probe—
ſtück beſtanden, den Strauß mit hoher Tapferkeit ausfoch—
ten und die geübten Linientruppen des Feindes beſiegten.
Die Bannater Grenzer haben geſtern bei unſe—
rer Annäherung ihre Wohnſitze verlaſſen, aber heute
ſchon kehren ſie en masse zurück und melden, erſtaunt
über unſere Milde, ihre Uuterwerfung; ich glaube
nicht, daß die Oeſterreicher von nun an hier blinde
Anhänger finden werden.“
Von Karanſebes marſchirte Bem nach Lugos,
wo der Anblick von ein * Huſaren die Avant⸗
Eu.
) Ruszka.
279
garde des General Leiningen, welcher von Temesvar
mit 6000 Mann beranzog, zum Rückzug bewog. Faſt
ſchien es, als ob Bems bloßer Name hinreiche, um
die Feinde zum Weichen zu bringen. Es folgt hier
wieder ſein Bericht:
„Lugos, den 19. April. Herr Präſident! Wir
ſind in Lugos. Der Empfang, der uns hier zu Theil
ward, zeugt von ſolchem Enthuſtasmus, daß das
Oberhaupt der bieſigen Geiſtlichkeit ſogar auf den
Knien in offener Straße uns erwartete; uns, ſeine
Befreier, da zu begrüßen. Der Feind, der Lugos
beſetzt hielt, entfloh bei unſerer Annäherung. Ich laſſe
ibn durch die Cavalerie auf den beiden nach Temesvar
führenden Straßen verfolgen. Herr Präſident kön—
nen überzeugt ſein daß ich keinen Augenblick verſäu—
men werde, den Feind zu vernichten, nur bedauere
ich, daß der Gegner keine große Luſt bezeigt, vor
mir Stand zu halten. Auch jetzt flieht er in voller
Eile gegen Temesvar und ich muß mit Bedauern
geſtehen, daß er ein fo großer Meiſter im Flieben
iſt, daß ich nicht im Stande bin, ihn zu ereilen.
Inzwiſchen trage ich Sorge, daß derſelbe zwi—
ſchen zwei Feuer geräth.“
(Közlöny Nr. 89 vom 26. April).
Bems Plan war nämlich, bei ſeinem Einrücken
in das Bannat, die Vereinigung des Leiningſchen
Corps mit dem aus der Wallachei heranziehenden
Puchnerſchen zu hindern. Er warf ſich daher bei
Karanſebes zwiſchen beide und erreichte ſeinen ſtra—
tegiſchen Zweck durch die Blitzesſchnelle ſeiner Ope—
rationen und durch das Unerwartete ſeines Erſchei—
280
nens da, wo man ihn am wenigſten vermuthete, voll—
kommen. Deshalb nahm er ſeinen Weg auch nicht
über Facſet, welchen nur die unbedeutende Colonne
des Oberſten Pereczy, nämlich das 11. Bataillon,
Kreß⸗Chevauxlegers nebſt 2 Kanonen als Quaſiavant—
garde verfolgte, den bataillonsweiſe erfolgenden Nach—
ſchub der Truppen erwartend.
General Leiningen war von Temesvar über
Nefas bis Kiszeteo Bem entgegengerückt und beabſich—
tigte Lugos zu beſetzen, als Bem ihm zuvorkam und
die Stadt wegnahm. Es war aber Bems Abſicht,
das ganze Leiningenſche Corps mit Einem Schlage zu
vernichten und er ſandte zu dieſem Zwecke an den Ge—
neral Vöcſey, Commandanten des Arader Belage—
gerungscorps, nach Binga!) die Aufforderung, ſofort
Nefas zu beſetzen. Durch dieſe Maßregel wäre Ges
neral Leiningen der Rückzug nach Temesvar abge—
ſchnitten geweſen und er hätte ſich entweder mit ſeinem
ganzen Corps ergeben müſſen oder wäre in die Bega
und den Temesvarer Kanal geworfen worden.
Leider kam General Vécſey dieſer Weiſung nicht
nach?) und ſo konnte Leiningen, nach dem unbedeu—
tenden Treffen von Kiszeteo, ſich ohne Hinderniß in
die Feſtung Temesvar zurückziehen. Bem folgte
ihm auf dem Fuße und berannte Temesvar, für
die Cernirung deſſelben den Oberſten Pereezy mit
einem Corps zurücklaſſend. Es mögen hier ein Paar
1) Thereſiopol.
2) Ueber Bems Differenz mit dieſem General |. Honved
Nr. 101 und Szilagyi Saͤndors „A magyar forradolom ſérfiai.“
Artikel Dem und deſſen Magyar forradolmi adattas.“
281
Berichte aus dem Lager deſſelben bei Freydorf
ihren Platz finden. (Kozlöny Nr. 101 und 103
vom 10. und 11. Mai)
„Freydorf, aus dem Lager bei Temesvar, 6. Mai
1819. Eben in dieſem Augenblicke gelangte an den
Generallieutenant Bem die freudige Nachricht, daß
ein Theil der unter ſeinen Befehlen ſtehenden Armee
am 5. d. M., unter Anführung des Huſaren-Majors
Wilhelm Arange, nach einſtündigem harten Kampfe
Oravicza occupirte. Das Detachement beſtand aus
1 Compagnie Infanterie, 3 Zügen Gavalerie
und 2 Geſchützen. Die feindliche Kraft bildeten
1½ Bataillons Infanterie Sivkovich und Gren—
zer nebſt einigen Pelotons Cavalerie. Unſererſeits
zaͤhlen wir gar keinen Todten noch Verwundeien, ge—
fangen wurden 4 feindliche Reiter und 1 Infanteriſt
des Bataillons Sivkovich.“
„Freydorf, am 3. Mai. Bis heute ereignete ſich
in unſerem Lager nichts Beſonderes; heute Nachmit—
tag jedoch machte die Beſatzung einen Ausfall von
der Joſephſtadt aus. Bem recognescirte eben dieſen
Stadttheil und wäre durch ſeine Verwegenheit bald
in Feindeshände gerathen. Seine Huſaren aber faß—
ten ſein Pferd am Zügel und flogen mit ihm in
Galopp davon. Bem ſtellte uns in Schlachtordnung
auf und nach 2½ſtündiger Kanonade zog ſich der
Feind mit ziemlichem Verluſt zurück. Wir verloren
3 Geſchützpferde.“
Später, am 8. Juni, machte die Beſatzug wieder
einen Ausfall, welcher aber ebenfalls blutig zurückge—
wieſen wurde und bei welcher Gelegenheit ſich der
282
Lieutenant Györy von unſerer Seite ſehr aus—
zeichnete.
Mit ſeinen übrigen Truppen ſetzte ſich Bem über
Ui Pécs und Groß Beeskerek mit dem bei Perlasz
ſtehenden General Perczel in Verbindung und eilte
über Cſäkova, Denta und Verſeez dem bei Orſova
aus der Wallachei gegen Weißkirchen vorgerückten
Puchner entgegen. Dieſer wurde bei Weißkirchen
vornehmlich durch die Bravour der Würtemberg—
Huſaren unter Oberſtlieutenant Karolyi am 8. Mai
geſchlagen und ebenſo bei Petrilova am 10. Mai,
dann bei Szäszka, wo er ſich noch ein Mal zu halten
verſuchte, wieder geworfen und am 16. Mai wies
der über Orſova in die Wallachei zurückgedrängt. Der
Bericht Bems lautete nach dem Közlöny Nr. 110 von
20. Mai folgendermaßen:
„Generallieutenant Armee-Ober-Commandant
Bem ſchreibt aus dem Hauptquartier Orſova ddo.
16. Mai 1819:
Ich fühle mich beſonders glücklich, dem Landes—
Gouverneur berichten zu können, daß es mir mit
Gottes Hülfe gelungen iſt, das Bannat ohne große
Opfer für Ungarn wieder zu erobern. Wohin ich mich
näherte, da floh der Feind ſo ſchnell und ſo weit,
daß ich ihn gar nicht erreichen konnte; in Orſova
aber bin ich ohne Schwertſtreich eingezogen. Das
Volk empfängt uns überall als Freunde, denn es
weiß von den Bewohnern Karanſebes, daß wir nur
ſein Beſtes wollen.
Der Feind war ſtark; er zählte an 14,000 M.
mit 40 Kanonen; er verließ in der Nacht Orſova
289
und und zog nach Skella Gladova in der Wallachei;
Ich habe gegen dieſen Uebergang in meiner an den
türkiſchen Paſcha gerichteten Depeſche proteſtirt und
ihn zur Achtung und Aufrechthaltung des Voöͤlker—
rechtes und demzufolge zur Entwaffnung dieſes über—
ſetzten Armee-Corps aufgefordert. 5
Die Armee, die ich aus dem Bannate jagte,
beſtand aus Puchners altem Armee-Corps, aus einem
Theil der Temesvarer Beſatzung und aus zwei Ba—
taillon Grenz⸗Infanterie. Der Feind hat bereits die
ganze Kraft des unglücklichen Volkes ausgeſogen,
denn er nahm alle zum Kriegsdienſt tauglichen In—
dividuen mit ſich und ließ nur Greiſe, Weiber und
Kinder zu Hauſe.
Ich halte es für meine Pflicht, bei dieſer Gele—
genbeit zu erwähnen, daß mir während dieſer Ope—
rationen der General Perczel thätige und bereitwillige
Hülfe geleiſtet hat; ich erwaͤhne nicht ſeines Muthes
und ſeiner Fähigkeiten, denn dieſe ſind bekannt; aber
ich geſtehe, daß ohne ſeine Mitwirkung dieſe Auf—
gabe nicht von ſo ſchnellem Erfolg gekrönt worden
wäre.
Es bleibt uns nur noch Temesvär zu erobern;
die Feſtung iſt bereits jo cernirt, daß die Beſatzung
von da nicht mehr herauskommen kann; es wäre
denn, um die Waffen zu ſtrecken. Die Beſatzung ver—
ſuchte Ausfälle. Dieſe wurden aber ſtets durch das
dort belaſſene Cernirungs-Corps zurückgeworfen und
ich glaube, nach der letzten Probe wird ſie ſich nicht
mehr berauswagen. Bei Gelegenheit des Zurück—
ſchlagens des Feindes hat ſich Oberſtlieutenant Pereczy
284
beſonders auszeichnet und der Erfolg wird die voll
ſtändige Demoraliſation der Beſatzung bilden. Ich
habe 15 Gefangene, die ich in Orſova machte, in
die Feſtung geſchickt, damit ſie das Schickſal derer
ſieht, die die Feſtung hätten befreien ſollen; ich glaube,
dies wird die Uebergabe der Feſtung nur beſchleu—
nigen. Mittlerweile war Perezel von Nagy Bees—
feref auf Pancsova vorgerückt und hatte den befe—
ſtigten Ort mit Sturm genommen.“
So war alſo das Bannat in 20 Tagen wieder
erobert, ein kaiſerliches Corps in Temesvar cernirt,
ein anderes in die Wallachei gejagt, die Raizen und
Serben auf die Stellung bei Titel beſchränkt; ein
Erfolg, den man allein Bems genialer Thatkraft zu
danken hatte. Es iſt zu bedauern, daß wir dieſen
denkwürdigen Feldzug nicht bis in ſeine Einzelheiten
verfolgen können, indem wir nicht Augenzeuge der
dort verrichteten Thaten waren; aber das wenige
hier Gebotne iſt durchaus urkundliche Wahrheit. Die
Erfolge Bems verfehlten ihren Eindruck auf die
Bannater, Deutſche und Grenzer, nicht. Ihre Be—
geiſterung erreichte einen ſolchen Grad, daß ſie frei—
willig ein Bataillon auf eigene Koſten eerichteten,
der Ort Franzensberg in Bemhegy umtauften, alle
Vorſpanndienſte und Armeefuhren unentgeltich liefer—
ten und in den Gießwerkſtätten von Rußberg unauf—
hörlich Kanonenkugeln goſſen. Aber Bem hatte auch
hier, wie in Siebenbürgen, die Grenzeinrichtung auf—
gehoben und die Grenzerfamilien vom Joch des Mi—
litairdespotismus erlöst, indem er fie zu freien Bür—
gern des großen Vaterlandes machte. Dieſe Maß-
285
regel brachte einen fo günſtigen Eindruck hervor,
daß über 2000 Grenzer ſofort aus der Wallachei in
ihre Heimath zurückkehrten. Endlich gewann Bem
ſich noch durch die Herabſetzung des Salzpreiſes die
Herzen aller Bannater. Dennoch grollte ihm die
ungariſche Regierung, namentlich wegen der zuletzt—
erwähnten Maßregel. Bem ließ ſich jedoch nicht irre
machen: im Monat Mai organifirte er das ganze Ban—
nat, Alles herausfindend, was ſeiner Armee in irgend
einer Beziebung nützen könnte z. B. durch Errichtung
einer Salpeterfabrik in Allibunar. Ja, Bem dachte noch
weiter: Er beabſichtigte nämlich mit einem 10,000 M.
ſtarken Corps gegen Peterwardein zu mandvriren,
zwiſchen dieſer Feſtung und Baja über die Donau
zu gehen, und gegen Raab operirend, Wien zu be—
drohen; alsdann ſich aber ſchnell nach Süden zu
wenden, Kroatien und das Küſtenland zu unterwerfen,
und durch Beſatzung Fiumes die Verbindung mit
dem Auslande, insbeſondre mit Italien, wiederher—
zuſtellen. Das war ein Plan, deſſen Folgen im Falle
des Gelingens unberechenbar geweſen wären, und
das letztere ſchien um ſo wahrſcheinlicher, als damals
das Glück den ungariſchen Waffen durch die Siege
von Nagyſallo und Szöny die ſchönſten Ausſichten
eröffnete. Aber die Regierung verweigerte Bem biezu
die Geldmittel, welche er nie ſcheute, und wußte über—
dies durch beliebige Intriguen alle Bemſchen Pläne
zu vereiteln.
Ferner leitete Bem eine Waffenlieferung auf der
Donau im Großen ein, und knüpfte ſowohl mit den
286
ausländiſchen Conſuln in Belgrad, als mit dem Paſcha
von Orſova politiſche Bekanntſchaften an, durch welche
allein ſpäter Koſſuth fein Entkommen in die Walla—
chei möglich machte. Wir entnehmen in dieſer Be—
ziehung der Nro. 113 (24. Mai) des Közlöny einen
intereſſanten Rechenſchaftsbericht, welchen Hauptmann
Alexander Kiß über ſeine Miſſion an den Paſchah
Oſman in Neu Orſova, und die Ueberbringung einer
Bemſchen Depeſche an Omer Paſchah, den Ober—
Commandanten des türkiſchen Obſervations-Corps,
abſtattete:
„Herr Generallieutenant, Armee-Ober-Com—
mandant!
In Folge des geſtern erhaltenen mündlichen Auf—
trags verfügten wir uns nach Neu Orſova, woſelbſt
bei unſerer Ankunft am ungariſchen Donau-Ufer, nach
abgegebenen Zeichen an die türkiſche Beſatzung der
gegenüberliegenden Inſel, allſogleich ein Boot, mit
24 türkiſchen Soldaten beſetzt, aus der Feſtung zu
uns heranſegelte, und darauf Major Haſſan Effendi,
des Paſchahs Schwiegerſohn, und der Artillerie-Haupt⸗
mann Ali Soleiman, die uns zum Befehlshaber von
U; Orſova, Paſchah Ozman, geleiteten. Als wir die
Mitte der Donau erreichten, wurde (nach Erklärung
der türtiſchen Officiere) uns zu Ehren auf der Fe—
ſtung von Neu Orſova und an der Wohnung des
Paſchahs die türkiſche Fahne entfaltet; wie ſelbſt nach
Ankunft ins Schloß zwiſchen der en parade aufge—
ſtellten Beſatzung zu Ozman Paſchah eingeführt, der
uns ſtehend empfing, und nach gegenſeitiger Begrüſ—
jung die uns aufgetragene Depüte entgegennahm.
N
Nachdem die an ihn gerichteten Schreiben aus feiner
Umgebung Niemand zu überſetzen wußte, fo gab er
ſelbige uns entſiegelt zurück, und bat um Erklärung
von deren Inhalt. Wir lafen fie ihm vor, und mach—
ten ihm kund, daß in dem erſten Schreiben der Herr
Generallieutenant im Namen der unabhängigen Re—
gierung unſeres Vaterlandes ihn (den Paſchah) auf—
forderten, daß, nachdem die unabhängige Regierung
des Landes jetzt zum zweiten Male in die unange—
nehme Lage gekommen, zu bemerken, wie unſere Feinde,
die öſterreichiſchen Truppen, zum zweiten Male be—
waffnet auf türkiſchen Boden ſich flüchteten, die hohe
Pforte dieſen bewaffneten Einzug duldet, und dadurch
gleichſam indirect feindliche Abſichten gegen das un—
abhängige Ungarn beurkundet, zur Vermeidung der
Reciprocität ähnlicher feindſeliger Abſicht, es der Wunſch
der ungariſchen Regierung ſei, daß das ganze öſter—
reichiſche Armee-Corps entwaffnet, Waffen und Ge—
ſchütze dem Herrn Generallieutenant übergeben, und
die Mannſchaft bis auf weitere Beſchlüſſe kriegsge—
fangen bleiben möchten.
Wir laſen bierauf den zweiten Brief, in welchem
die von den Oeſterreichern geraubten zwei Dampfer
und drei Remorqueurs als Privateigenthum zurück
verlangt worden. Zuletzt leſen wir den dritten Brief
vor, in welchem der Herr Generallieutenant Ein—
ſprache thut gegen die vom jenſeitigen Donau-Ufer
auf unſere Truppen gefallenen Kanonenſchüſſe. Auf
alle drei Briefe verſprach mündlich der Paſchab, mit
größter Bereitwilligkeit, nach dem Wunſche des Herrn
Generallieutenants zu verfahren. Zur ſelbigen Stunde
288
ſandte er die an den Paſchah gerichtete Depute ab.
Die Unabhängigkeitserklärung des ungariſchen Reichs—
tags, welche wir ihm übergaben, empfing er mit ſicht—
lichem Vergnügen.
Nachdem er uns noch nach türkiſchen Sitte mit
Kaffee und Pfeifen bewirthet, und uns mit freund—
ſchaftlichem Handſchlag erließ, bat er ſich noch das
gute freundnachbarliche Einvernehmen und die Wieder—
holung unſerer Viſiten aus, ſo wie die Erlaubniß,
uns gleichfalls beſuchen zu dürfen. Zuletzt entbietet
er durch uns an Herrn Generallieutenant und an
die ganze Armee bis zum un Gemeinen ſeinen
achtungsvollſten Gruß.
Es verdient noch bemerkt zu — daß, a
wir beim Einkauf von Kleinigkeiten in Noten wen
die Kaufleute uns in Gegenwart der ung begleiten-
den türkiſchen Officiere baten, nicht in öſterreichi—
ſchen, ſondern in ungariſchen Noten die Sache
zu entrichten.“ 5
Alexander Kiß, Hauptmann,
Deputations-Präſes.
Dieſe ſo klug eingeleitete Verbindung wurde lei—
der, vermöge der Intriguen der beiden ungariſchen
Miniſter des Innern und der Finanzen nicht weiter
benutzt. Bem bleibt darum aber nicht minder groß,
als Feldherr, Adminiſtrator, Praktiker und edler Frei—
heitskämpfer, und wohl mögen die armen Grenzer,
welche jetzt die ihnen von Bem verſchafften Rechte, ge—
gen die ſogenannte patriarchaliſche Grenzerglückſeligkeit,
mit Inbegriff ſogar der ermäßigten Salzpreiſe, wieder
eingebüßt haben, und ihre Civil-Streitigkeiten wieder
2
von Feldwebeln und Corporalen ſchlichten laſſen müſſen,
mit Sehnſucht an den alten wackern General zurück—
denken! Sollte auch ſeine Lebenszeit ihm die Genug—
tbuung nicht gewähren, Zeuge zu fein, wie das eins
fache Volk ihn, feinen Freund und Wobltbäter, verehrte;
die unbeſtechliche Geſchichte wird ihm dafür die vollſte
Gerechtigkeit widerfahren laſſen, trotz aller officiellen
Prunkberichte des einfältigen Abkömmlings der Wal—
lenſteiner und des Tigers von Brescia!
Bem, als er ſah, daß man ihm überall hemmend
entgegentrat, begrüßte nur Koſſuth in Großwardein,
und beſchloß wieder nach dem ihm liebgewordenen
Siebenbürgen zurückzukehren. Noch im Juni führte
er dieſen Vorſatz in Begleitung des 11. Bataillons
und der Würtemberg-Huſaren aus und ordnete ſofort
bei ſeiner Ankunft in Siebenbürgen, unter Oberſt
Kemény eine großartige Operation gegen die Walla—
chen an, welche ſich wieder geregt hatten. Ehe wir
ihn hier wirken ſehen, wollen wir noch einen Blick
auf ein im Hüttenwerke Rußberg gefundenes Acten—
ſtück werfen, aus welchem, ohne daß es eines Commen—
tars bedürfte, das Treiben der Reaction nur zu
deutlich hervorgebracht. Es lautet:
„Vom Militair-Commando des Hunyader Comi—
tats Nro. 43. Haͤtzeg den 16. October 1818.
In Folge der eingetretenen Verhältniſſe und der
über die Bergwerksgeſellſchaft eireulirenden Gerüchte,
babe ich mich entſchloſſen, ſie aufzufordern, mir kurz
und klar zu erklären: ob ſie kaiſerlich oder natio—
nal ungariſch geſinnt iſt? zwei Individuen hieber
19
290
zur Berathung zu ſenden, denen ich in jeder Bezie—
hung auf Ehrenwort ſicheres Geleite verſpreche.
In dem ungehofften Falle jedoch, als die geehrte
Geſellſchaft dieſer ehrenhaften Aufforderung nicht ent—
ſpräche, werde ich mich gezwungen ſehen, mit einem
Bataillon Infanterie, 2 Abtheilungen leichter Cava—
lerie und 20,000 Landſtürmern in ihren Bezirk zu
ziehen, und das Intereſſe des allerdurchlauchtigſten
Kaiſers zu vertreten.“
Rubel m. p. Major.
„Vom Regiments-Commando Nro. 1957.
Der Stations-Commandant von Rusberg erhält
hiermit den Auftrag, den Vorſtehern der Rußberger
Gußwerke zu eröffnen, daß ſie den Guß der in Frage
ſtehenden Kanonenkugeln ohne Verſchub beginnen
mögen. Sollten dieſelben dieſem Befehl nicht allſogleich
Folge leiſten, ſo iſt hierüber anhero die Meldung zu
erſtatten, denſelben alle Schutz- und Sicher—
heits-Garantie zu verſagen und andere, geeig—
nete Maßregeln zu ergreifen.
Bei Eröffnung dieſes iſt denſelben auch noch zu
bedeuten, daß ſie durch ſolche abſichtliche Verzoͤgerung
uns beweiſen, wie ſehr ſie auf alle Art und Weiſe
dem kaiſerl. königl. Militair-Commando entgegenzu—
wirken ſich beſtreben. Karanſebes d. d. 14. December
1848.“
Gerlich, m. p. Obriſtlieutenant.
291
Vierzehntes Capitel.“
Zweite Erhebung der Wallachen. Ihr Anführer Janku.—
Der Kriegsſchauplatz. — Stellung der Wallachen. — Die
von den Ungarn getroffenen Maßregeln. — Unterhaltungen
mit den Wallachen. — Propoſitlonen der ungariſchen Regie
rung. — Dragus. — Hatvani und deſſen zwei unglückliche
Operationen. — Der Einfluß geflüchteter kaiſerlicher Offi⸗
dere. — Vasväry. — Grauſamkeiten der Wallachen in
Abrud Banva. — Oberſt Keménys Erpeditlon gegen die
Wallachen. — Die Kataſtrophe in Siebenbürgen nahet ſich
ihrem Ende. — Verhalten der Wallachen gegen die beſiegten
Honveds. — Janku faiferlicher Oberſt.
Bem hatte Siebenbürgen verlaſſen, ohne den
Aufſtand der Wallachen ganz zu beſiegen. Es war
dies ein Fehler, den er ſowol, der die ganze walla—
chiſche Bewegung für zu unbedeutend hielt, um ſelbſt
dieſelbe zu erſticken, noch mehr aber die Regierung,
die ihn, geſtützt auf unvollkommene Berichte, in dieſer
Meinung nicht nur beſtärkte, ſondern auch in der
Ausſicht auf den Erfolg der angeknüpften Friedens—
unterhandlungen ihm jede zu ernſte Maaßregel gegen
die Aufſtändiſchen unterſagten, bitter bereuten.
Im Monat Mai 1819 erhoben nun die in den
weſtlichen Theil des Unteralbenſer Comitats und in
die Berge von Zarand geflüchteten Wallachen von
Neuem ihr Haupt und ſchlugen ihre Lager im Ge—
19°
292
birge bei Topänfalva, Bisztra, Lupſa und Offen:
bänya auf. Ihre Zahl betrug an 40,000 großen—
theils mit Feuergewehren oder Jagdflinten bewaffne—
ter Landſtürmer, die ſich an den beſagten Orten
ſo gut einniſteten und verproviantirten, daß ſie alle
Unternehmungen der Ungarn in ihren Bergfeſten
ſcheitern machten und häufig ſogar ſelbſt Ausfälle
gegen N. Enyed ), Borband, das Carlsburger Cerni—
rungs-Corps, dann im Norden gegen Maruczel und
Gyalu mit mehr oder minder glücklichen Erfolge un—
ternehmen, die Belagerung der Feſtung Carlsburg
weſentlich erſchwerten und vor Allem einen Cordon
nothwendig machten, der ſich von Csuesa über Baͤnfi
Hunyad, Gyalu, Klauſenburg, Thorda, N. Enyed,
Carlsburg, Szaͤszväros bis Déva und endlich über
Brad, Vas Köh bis Großwerdein erſtreckte und eine
Truppenmaſſe in Anſpruch nahm, die in den Affai—
ren mit den Ruſſen ſehr fühlbar vermißt wurde. Das
veranlaßte einen großen Theil des Uebels, welches
die ſpäteren Ereigniſſe ſo verhängnißvoll geſtaltete.
Dieſe Epiſode iſt übrigens zu intereſſant und bietet
zu ſo vieler Belehrung Stoff, daß es wünſchens—
werth erſcheinen muß, ſie etwas detaillirter beleuchten.
Der Anführer der Wallachen, Janku, der ſich ſelbſt
den Beinamen, der König der Wälder, gab, iſt
Sohn eines wallachiſchen Popen aus Bisztra. Er
machte ſeine Studien in N. Enyed, war für die
Advocatur beſtimmt, diente als Canzeliſt drei Jahre
bei der königlichen ſiebenbürgiſchen, oberſten Gerichts—
tafel und cenfurirte dann für die Advocatur. Er tft
) Straßburg.
293
von hohem, ſchlanken Wuchs, von nicht unangeneh—
men Aeußeren, in Geſellſchaft anſpruchslos und un—
bemerkbar; aber aus ſeinem leuchtenden Auge blitzt
das Feuer eines ſtarken, energiſchen Geiſtes, und die
gedrückte Lage ſeiner Nation goß eine Art von Schwer—
muth über ſein ganzes Weſen, der er ſich niemals
ganz erwehren konnte. Unter Freunden war dies der
beſtändige Stoff ſeines Geſprächs und die Befreiung
ſeines Volkes von den drückenden Feſſeln, durch was
immer für Mittel, ſein Ideal. Dieſer Mann war
alſo ganz gemacht, einem wilden Haufen zu imponi—
ren und dieſen für ſeinen Willen gefügg zu machen.
Der Mozan oder Motze, ſo heißt vorzugsweiſe der
Wallache dieſer weſtlichen Gegenden, iſt ein wilder
Sohn der Natur. Der Hauch der Civiliſation hat
ihn nur ſchwach geſtreift und er kennt kaum die erſten
Begriffe des Chriſtenthums, die ihm ſein Pope, ebenſo
unwiſſend wie er, nach alten Ueberlieferungen und
mit allem Myſticismus des griechiſchen Ritus vorträgt.
Der Mozan treibt ſich von früheſter Jugend an als
Hirte, Jäger, Fiſcher oder Goldwäſcher auf den
Alpen umher, kennt jeden Weg und Steg und fühlt
ſich da wahrhaft zu Hauſe. Die Einfachheit der
Kleidung und Nahrung, — er trägt gewöhnlich einen
Guba (Art Mantel) über Hemd und Unterhoſen von
Leinen, einen Kuesma (Schafpelzmütze) von großer
Höhe auf dem Kopfe, Sandalen an den Füßen und
nährt ſich von Milch, Schafkäſe, Hammelfleiſch und
Mamaliga (Brot aus Maismehl) — erhält ihn kräftig
und geſund, der Mangel an Berührung mit civili—
firten Nationen läßt ihn die angeborne, urſprüngliche
Wildheit nicht abſtreifen und der leichte Gewinn des
294
Goldes aus den goldſandführenden Flüſſen macht ihn
habgierig, neidiſch, egoiſtiſch, raubſüchtig, die Iſoli—
rung verſchloſſen und racheluſtig. Der Jahrhunderte
wurzelnde Haß endlich gegen ſeine Unterdrücker, ge—
gen die ſtolzen, aufgeklärten, wohlhabenden Ungarn,
bedarf nur eines Funkens, um zur lodernden Flamme
emporzuſteigen und jene Scene der Schlachterei her—
beizuführen, die wir ſchon oben erwähnt haben. Der
zweite Aufzug dieſes ſchauerlichen Dramas war nicht
minder fürchterlich und grauenvoll, als der erſte.
Der Unterſchied beſtand nur darin, daß jener der
ſyſtematiſchen Anordnung, des planmäßigen Wirkens
nach den Grundſätzen der Kriegsführung, der ſelbſt—
ſtändige Lenkung entbehrte. Das Alles fand ſich nun
in dem Könige der Alpen und die Seenen geſtalteten
ſich nur deſto ſchauderhafter und teufliſcher. Janku
war ganz der Mann, um ein ſolches Volk anzufüh—
ren und den Willen von Tauſenden ſeinem Allein—
willen unterzuordnen. Eine gewiſſe Gabe, das Volk
zu überreden und fortzureißen, ſeine reiche mit Gold
bedeckte Nationalkleidung und der Glanz, mit dem
er ſich umgab, gefiel den Mozans: fie waren ihm
blind ergeben und vollführten ſeine Befehle um ſo
pünktlicher und freudiger, als dieſe ſie zumeiſt zum
Raub und Mord, zur Vertilgung der ſo verhaßten
Magyaren, aufforderten und ſo ihren liebſten, in—
nerſten Neigungen entſprachen. Ueberdies geſchahen
dieſe Anordnungen Jankus im Namen des Kaiſers,
dem man dadurch die Treue bezeigte und jo
deſſen Wohlwollen erringen wollte. Kann man ſich
da wundern, daß regelloſe Haufen unter ſolchen Ein—
flüſſen ſich organiſirten, daß aus dem Chaos ein ge—
206
formtes Ganzes ward und der feige Wallache im Ge
füble feiner Uebermacht endlich ſogar Muth bekam?
Aber auch die Geſtalt des Landestheiles, in wel—
chem die Wallachen agirten, trug Vieles zu ihrem
Vortheile und zum Nachtheile der Ungarn bei. Denn
man denke ſich nur eine Maſſe von Hochgebirgen
auf einen Flächenraum von circa 100 Meilen ge
lagert, in welchen hohe, unerſteigliche Berge mit
reißenden Gießbächen, tiefen Schluchten und ſchmalen,
eingeengten Thälern abwechſeln. Die Gebirge ſelbſt
ſind auf den Gipfeln beinahe das ganze Jahr über
mit Schnee und Eis bedeckt, enthalten viele Felſen—
partien und ihre Abhänge ziert der Urwald. Dieſen
Character führt das ganze Hochalpenland, welches durch
die goldreichen Flüſſe Aranyos, Szamos, Ompoly
und Körös, welche dort ihre Quellen haben, bewäſſert
iſt und in den Gold- und Silbergruben von Zalathna,
Offenbänya, Verespatak, Abrud Banya, Bojcza, Her—
czegan, Szekeremb“), Körös Banya der Reichthum des
Landes enthalten.
Zudem ſind die Dörfer und Weiler in dieſen
ſchmalen Thälern, die eben fo viele Defileen bilden,
meilenweit von einander entfernt und beiteben zu—
meiſt aus elenden Holz- oder Strohhütten, wo man
kaum Lebensmittel für einzelne Reiſende, vielweniger
für operirende Armee-Corps findet.
Straßen gibt es über dieſe Gebirge eigentliche
gar nicht, nur hat man mit ungeheuerem Aufwand
an Koſten durch mehrere in Felſen gehauene oder
geſprengte Fahrwege, die bedeutenderen Bergorte mit
) Altenburg.
296
den übrigen verbunden; fo z. B. Zalathna mit Abrud
Bänya und dieſes mit Brad. Uebrigens muß man
im Bette der Gebirgsſtröme auf hölzernen wallachi—
ſchen Karren mit zwei Rädern oder auf den walla—
chiſchen Gebirgspferden, die ebenfalls Mozans heißen,
ſein Fortkommen ſuchen. Nach dieſen vorläufigen
Schilderungen wollen wir zur geſchichtlichen Erzäh—
lung zurückkehren.
Die ungariſche Regierung hatte im Mai 1849
den Abgeordneten Dragus, wallachiſchen Deputirten
aus dem Belenyefer Bezirk, nach Topaͤnfalva geſandt,
um den Aufſtand der Wallachen durch einen formel—
len Pacifications-Vertrag gänzlich zu beendigen. Mit
folgenden Pacifications-Vorſchlägen kam dieſer De—
putirte in das wallachiſche Lager nach Topänfalva:
J. Die Wallachen, als geſonderte Nationalität,
werden künftig in den öffentlichen Actenſtücken unter
ihrem Namen, Romanen, aufgeführt.
II. Die ungariſche Regierung, von dem Wun—
ſche beſeelt, daß alle Nationalitäten Ungarns ſich
ſelbſtſtändig entwickeln, bewilligt den Romanen re
gende nationale Garantieen:
IJ. Der diplomatiſche Verkehr in der ungari—
ſchen Sprache ſoll ſich blos auf die Geſetzgebung,
auf die Verwaltung der öffentlichen Regierungsge—
ſchäfte erſtrecken, ſo weit ſie zur Aufrechthaltung der
Staats-Einheit unumgänglich nothwendig iſt; in der
Gemeinde-Verwaltung wird man ſich daher derjeni—
Sprache bedienen, welche der Maforität der Eins
wohner geläufig iſt.
L.
IV. In den ausſchließlich romaniſchen Comita—
ten und Jurisdictionen, oder auch in ſolchen, wo
tiefe Nation die Maſorität ausmacht, kann man ſich
in den Discuſſtonen der romaniſchen, wie auch der
ungariſchen Sprache bedienen. Die Protokolle wer:
den in beiden Sprachen geführt. Die Correſpondenz
mit der National-Verſammlung, der Regierung und
den Jurisdictionen wird in magyariſcher Sprache ge
führt, ausgenommen tft die Correſpondenz zwiſchen
jenen Jurisdictionen, in welcher man ſich beider
Sprachen bedient. In dieſem Falle kann auch die
Correſpondenz in romaniſcher Sprache geführt werden.
V. In allen Schulen, welche ſchon beſtehen
und in denjenigen, welche in Zukunft vom Staate
für die Romanen gegründet werden, iſt die Unter—
richtsſprache die romaniſche.
VI. Für den Fall, als die Jury oder das
mündliche Verfahren in den untergeordneten Gerich—
ten eingeführt wird, iſt das unter Artikel IV. aus—
einandergeſetzte Prinzip für die gerichtliche Procedur
in dieſem Sinne anzuwenden.
VII. Jedem Romanen ſteht es frei, Petitionen
in ſeiner Sprache einzubringen.
VIII. Die Romanen der griechiſchen Kirche ge—
nießen dieſelben Rechte, wie die Bekenner jeden an—
deren Religion, hinſichtlich der autonomen Verwaltung
ihrer Kirchen und Schulen. Sie find daher unab-
bängig von der ſerbiſchen Geiſtlichkeit, und wählen
frei ihre Biſchöfe, deren Haupt den Titel eines Pa—
triarchen trägt.
298
IX. Eine beſondere Abtheilung für die Beken—
ner der griechiſchen Kirche wird im Miniſterium des
öffentlichen Unterrichts functioniren. Sie wird blos
aus Romanen dieſes Glaubens zuſammengeſetzt.
X. Die Schulen und Kirchen dieſes Glaubens
genießen alle Rechte der anderen Religionen.
XI. Sie verwalten die Stiftungen ihrer Kirchen
und Schulen.
XII. Eine beſondere theologiſche Fakultät wird
für ſie an der Univerſität von Buda-Peſth gegründet.
XIII. Nach einer vorläufigen Anzeige und Re—
gierungsbeſtätigung können ſich die Romanen zur Be—
rathung ihrer Religions- und Schulangelegenheiten,
unter der Oberaufſicht eines Regierungs-Commiſſairs
in jedem Jahre zu kleineren und Hauptſynoden ver—
ſammeln.
XIV. In den Bezirken, wo die romaniſche
Sprache vorherrſchend iſt, ſoll das Commando der
Nationalgarde romaniſch ſein.
XV. Sie ſind gleich den anderen Staatsbürgern
zu allen öffentlichen Aemtern zuzulaſſen, und die Ver—
gangenheit kann in dieſer Beziehung für Niemand
ein Hinderniß ſein.
XVI. Die Romanen, welche gegen Ungarn
kämpfen, übergeben, zwei Wochen nach dem Abſchluß
dieſes Traktats, ihre Waffen der nächſten Civil- oder
Militairbehörde.
XVII. Die ungariſche Regierung bewilligt allen
Romanen, welche bei den früheren Begebenheiten com—
promittirt ſind, und die im vorhergehenden Artikel
209
feſtgeſtellte Bedingung erfüllen, vollftändige und all
gemeine Amneſtie.
\VIll. Die romaniſchen Inſurgenten leiſten
nach Ablegung ihrer Waffen den Eid auf die Unab—
hängigkeit Ungarns; wer dieſen Eid nicht leiſtet
zwei Wochen nach Abſchluß des Friedensvertrages,
iſt von der Amneſtie ausgeſchloſſen; dasſelbe gilt von
allen Denjenigen, welche ihre Waffen bis zu dem im
Artikel XVI. feſtgeſtellten Zeitpunkte noch nicht abge—
liefert baben werden.
In der That ein ſonderbares Document! Man
ſchwankt in der Wahl, ob man die Tborbeit und
Verblendung der Wallachen verlachen oder die gren—
zenloſe Erbärmlichkeit und Feigheit derer, die ſo ein
Document verfaſſen konnten, beweinen ſoll. Die Wal—
lachen verdienen gerechten Hohn, indem ſie nicht an—
nahmen (oder doch damit ſo lange zögerten), was
ſie als ihr Idol betrachteten, die Schöpfung eines
Daco-Romaniens. Die ungariſche Regierung ver—
dient dafür gebrandmarkt zu werden, indem ſie, aus
Gott weiß was für Urſachen, mit einigen Federſtri—
chen Alles opfern wollte, was Bem und die Helden—
ſoͤhne Siebenbürgens bis jetzt erfochten. Denn wo
gab es in Siebenbürgen, das Szekler und Sachſen—
land abgerechnet, ein ungariſches Comitat, wo die
Mehrheit nicht aus Wallachen beſtand und wo ſomit
die Ungarn hätten romaniſch werden müſſen? Und
hätten die Wallachen in ihrer enormen Majorität
nicht auch die Szekler und Sachſen erdrückt? Solche
Propoſitionen konnten wahrlich nur in einem ver—
brannten Gehirn oder in einer feigen Seele ihr Ent—
309
ſtehen finden, die fih im Voraus vor den ruſſiſchen
Knutenhieben verkroch. Man wollte Frieden und
dieſer wäre erwünſcht geweſen, aber doch nicht um
den Preis der eigenen Nationalität! Oder war man
zu viel Philanthrop und zu wenig Staatsmann, um
die Rache ſelbſt durch ſolche wahnſinnige Opfer er—
kaufen zu wollen? Ein wahres Glück, daß die Wal—
lachen in ihrer Dummheit noch mehr vom guten
Kaiſer hofften und den Vogel wieder fliegen ließen,
den man ihnen vorhielt!
Siebenbürgen wäre für 3 für immer ver⸗
loren geweſen, wenn das in dieſem Traktate ausge-
ſprochene Syſtem durchgeführt worden wäre, und
der loyale ungariſche Character erlaubt es uns nicht,
anzunehmen, daß dies bloß Verſprechungen à la
Habsburg waren, die man im Falle des Sieges
ſchon modificirt hätte! Szemere hat hiemit feine
Miniſterpräſidentſchaft die Krone aufgeſetzt!
Wir haben im Anfange dieſe Darſtellungen ge—
ſehen, daß vom December 1848 bis Februar 1849
der einſichtsvolle Oberſtlieutenant Beke mit dem Com-
mando des unbedeutenden, ungariſchen Obſervati—
ons-Corps im Zarander Comitat betraut, daß
dieſer aber dann im Lauf der Ereigniſſe nebſt ſeinen
Truppen nach Déva berufen wurde, um an der
Schlacht von Piski und den ſpäteren Ereigniſſen des
Feldzugs in Siebenbürgen ſich zu betheiligin. Für
Beke wurde ein neues Obſervations-Corps in Groß—
wardein gebildet, deſſen Kern 800 deutſche Legionaire,
die Todtenkopf-Legion, ausmachten und das Com—
mando einem von Bems Armee verabſchiedeten Phra—
301
ſenmacher, ſonſt aber ganz unfähigen Militair, Major
Koloman Gutak übertragen. Dieſer gute Mann
bewies ſeine gänzliche militairiſche Unfähigkeit am
Klarſten durch feine Thaten. Er war im Laufe der
Monate März und April nicht im Stande, mehr aus—
zurichten, als von Vas Käh, wo Beke ſchon geſtan—
den bis Brad vorzurücken, eine Strecke von einigen
deutſchen Meilen, und dies in einer Epoche, wo Bems
Triumphe die Wallachen in ihrem Fanatismus ſehr
abfüblten und dieſe ſich höchſtens in Wäldern und
ſonſt auf weite Entfernungen von jenem Orten, wo
ungariſches Militair lag, zu verſammeln wagten.
Laſſen wir übrigens, zur Ueberſicht dieſer wenig glor—
reichen Thaten, fein eigenes, ob zwar mit Selbſtge—
fälligkeit geſchriebenes Bülletin folgen:
Közlöͤny Nro. 75 vom 10. April.
„Bericht des Majors und Truppen-Commandan—
teu Koloman Gutak am 4. April 1849 aus Körös
Banya an den Landesvertheidigungs-Ausſchuß:
Ich griff am 2. dieſes Monats bei dem Dorfe
Lankoj des Zarander Comitats die durch wallachiſche,
regulaire Gränzer unterſtützten wallachiſchen Horden
an, indem ich die Dispoſition traf, daß mein Corps,
in 3 Abtheilungen getheilt, ſich in Bojeza concentriren
und ſo die Wallachen rings umſchließen ſollte. Die—
ſes gelang mir aber nicht, denn ungeachtet, daß eine
Abtheilung unter Hauptmann Liptay 16 Stunden
früher aufbrach, um die Wallachen zu tourniren,
kam dieſe doch zu ſpät; denn die wallachiſchen Hor—
den flohen vor mir in eiliger, wilder Flucht und ich
mußte mich beſchränken, dieſelben 3 Meilen weit bis
302
ins Hunyader Comitat zu verfolgen, allwo ich die
Berg- Plateaus zwiſchen Beanyieska und Bojcza
beſetzte.
In dieſer anderthalb Tage währenden Affaire
zählt mein Corps nicht einen einzigen Verwundeten;
der Feind verlor außer einhundert Gefallenen noch
25 Flinten, 400 Zünder, einige in irdenen Geſchirren
aufbewahrte Munition und mehrere in einem Walde
verſteckte ganze Stücke grober Leinwand.
Hierauf bewegte ſich mein Corps gegen die
Bergſtadt Bojcza. Dieſe ſchickte mir zwei Deputirte
entgegen, mit der Meldung, daß ſie bereit ſeien meine
Bedingungen anzunehmen und der ungariſchen Re-
gierung zu huldigen, falls ich ſie als ruhige Mit—
bürger betrachten, anerkennen und als ſolche behan—
deln wollte.
Ich ſtellte ihnen die Bedingungen und ſie
entfernten ſich. Als die angeſetzte Zeit verſtrichen
war und ich meine Truppen gegen Bojeza in Marſch
ſetzte, kamen aus der Stadt wieder 4 Deputirte mir
entgegen und meldeten, daß die Bewohner die Be—
dingungen annähmen und in 5 Tagen dieſelben zu
executiren entſchloſſen ſeien.
Ich verließ alſo Bojeza und wandte mich am
3. April gegen Szarapez, Mihelyen und Buesesd, wo
ſich der Wallachen-Führer Butjan mit einem durch
ein wallachiſches Grenzbataillon verſtärkten Wallachen—
Haufen in Redouten eingeniſtet hatte. Ich griff ihn
an und ungeachtet des gegen mich gerichteten Kano—
nenfeuers ward ich Herr der Redouten. Butjan
entfloh.
303
In einer dieſer Redouten (wahrſcheinlich langen
verſchanzten Linien) fanden ſich über 200 Stück
Rindvieh, 10 Seiten Speck, 6 wallachiſche Pferde,
50 Ziegen und eben ſo viele Schafe, 80 Preßburger
Metzen Waizen, 3 Wagen voll Mais und mehrere
geſtohlene Kochkeſſel, was Alles unſere Beute wurde.
Mehrere Hundert Wallachen wurden niedergemacht
und der verwirrte Haufe entfloh über die Alpen links
von Abrud Baäͤnya.
Von meinen Truppen fiel nur ein Mann des
27. Bataillons als Opfer.
Indeß erwarte ich die Erfüllung der durch die
Bewohner Bojczas geleiſteten Verſprechungen und
wenn ſie auf die beſtimmte Friſt nicht erfolgt, werde
ich meine Operationen fortſetzen.
Ich muß noch erwähnen, daß ich einen der
Führer des zerſprengten wallachiſchen Haufens, Na—
mens Kretz Nikolai, angeblichen Major, gefangen
nahm und dieſer Held das Verſprechen gab, wir die
Verſtecke ſeiner Genoſſen anzugeben, wenn ich ihn
nur pardonirte.
Und aus ſolchen, elenden Niederträchtigen beſte—
ben die lieben Waffenbrüder der Camarilla.“
So ſchließt der Bericht.
Es ſcheint indeß, daß Major Gutak lange Zeit
auf ſeinen Lorbeeren in Körös Banya und Bojeza
ausruhte, denn wir finden ihn ohne Zwiſchenthaten
erſt am 20. April in Brad wieder, wo er eine Pro—
clamation an die Wallachen erließ, in welcher er ſie
zur Rube und zum Frieden ermahnt und mit dem
Racheſchwert Alle bedroht, die ſich den Beſchluͤſſen
301
der Regierung nicht unterwerfen wollten. Wir wollen
den Leſer mit dieſem nicht ſehr bedeutungsvollen
Document nicht langweilen und verweiſen ganz ein—
fach auf die Nummer 90. des Közlöny dd. Debreczin
vom 27. April.
Der Regierung war endlich, trotz der vielen
Berichte, die Saumſeligkeit des Majors Gutak auf—
gefallen, zudem erfuhr man auch, daß dieſer gute
Herr ſich beſſer darin gefiel, in Körös Baͤnya, Bojcza
und Brad die armen Einwohner zu brandſchatzen
und ſich Schätze zu ſammeln, als im offenen Felde
zu agiren. Er wurde daher abberufen und vor ein
Kriegsgericht geſtellt. An ſeiner Stelle erhielt das
Commando ein gewiſſer Major Hatvani, eine ſehr
unglückliche Wahl.
Hatvani hatte gar kein anderes Verdienſt, als
das der Agitation in Großwardein und anderen Or—
ten, das ſo viele Procuratoren (Advocaten) zum
zum Nachtheile des allgemeinen Beſten in jener Zeit
mit ihm theilten. Er beſaß aber eine gewiſſe Popu—
larität, ſammelte an 6 bis 800 Mann Freiſchärler
und wurde hiefür zu deren Commandanten mit
Majors-Rang ernannt. Da ſeine Schaar nach
Brad beordert wurde, ſo bekam er auch zugleich
dort das Commando, Anfangs Mai. Er wieder—
holte mit ſeiner Freiſchaar in Körös Baͤnya und Brad
die Scenen, die fein Vorgänger ausgeführt und
entſchloß ſich endlich, als ſeine Officiere ungeduldig
und das Nichtsthuns überdrüſſig wurden, einen Zug
gegen Abrud Bänya zu unternehmen, gerade damals,
205
als die Unterhandlungen mit Dragus in Topänfalva
gepflogen wurden.
Gutak verſchwand vom Kriegsſchauplatze, mit
ihm auch ſein Corps, denn ich konnte weder in
Kozloͤnp noch in ſonſtigen ungariſchen Quellen, Anz
gaben über ſie finden und es erſcheint im Gegentheil
nach den damaligen Zeitberichten Hatvani nur mit
800 Maun, darunter 400 mit Feuergewehren be
waffnet in Brad. Aus dieſem Grunde läßt ſich
Hatvanis Zögern berleiten, irgend eine Operation
zu unternehmen. Endlich entſchloß er ſich, aufs
Gerathewohl über das Hochgebirge bei Bucsesd, den
Weg nach Abrud Baänpya einzuſchlagen. Er mochte
vielleicht im Geheimen auf das Gelingen der Unter—
handlungen Dragus vertrauen und in dieſem Falle
wäre er der Erſte geweſen, die Früchte einzuernten.
Sein Hinmarſch ſchon war übrigens ganz ſorglos,
ohne Anwendung irgend einer militairiſchen Vorſicht.
Er fand in der That nirgends Widerſtand. Die
Wallachen ſchienen ſich nach Ruhe zu ſehen.
Am 16. Mai traf Hatvani mit ſeiner auf
1500 Mann angewachſenen Truppe in Abrud Banya
an, ließ dort, den kaum abgeſchloſſenen Waffenſtillſtand
brechend, einige wallachiſche Häuptlinge gefangen
nehmen, ſelbige erſchießen und verweilte den ganzen
16., 17. und 18. alldort, bis ihm endlich klar wurde,
daß er mit ſo geringer Mannſchaft den Ort nicht
halten und die ungariſchen Bewohner nur der Rache
der Wallachen Preis geben würde. Er machte ſich
alſo am 18. aus dem Staube und es war hobe
Zeit. Denn kaum war er 1 bis 2 Stunden weit
20
306
entfernt, da erſcholl rings auf den Alpen um Abrud
Bänya das Alpenhorn, Signalfener loderten auf allen
umherliegenden Berggipfeln und in kurzer Zeit ſollte
Abrud Bänya der Schauplatz ſchaudervoller Scenen
werden. Von allen Seiten wälzten ſich Maſſen von
Wallachen, bewaffnet, blutlechzend und blutgierig,
gleich Hyänen auf die ſchutzloſe Stadt. Hier hatten
ſchon die wallachiſchen Einwohner begonnen, die Un—
garn auf allerlei Art zu morden und deren Habe zu
plündern. Nun kamen die Maſſen hinzu und der grau—
ſige Hexenſabbath hatte ſeinen frevelhaften Fortgang.
Vier Tauſend Ungarn, die die Stadt bewohn-
ten, fanden zum größten Theile den jammervollſten
Tod, nur wenige Glückliche entkamen. Unter den
Gemordeten und dann bei den Füßen Erhängten
befand ſich auch der Friedensvermittler, Deputirter
Dragus. Die Tochter eines gewiſſen Geory Taott
wurde geviertheilt, eine gewiſſe Szantb Marie zu
Tode geſchändet, ein gewiſſer Duczu, Wallache,
ſchlug ſeinen eigenen Wohlthäter, der ihn zur Wohl—
habenheit verholfen, aber Ungar war, mit der Hacke
todt, Gräber wurden erbrochen, Leichname verbrannt
u. dgl. m. !)
Solche Folgen haben unüberlegte, zweckloſe Hand—
lungen und ſolcher Verantwortlichkeit unterzieht ſich
eine Regierung, die jedem Avanturier, der zu ſchwa—
gen weiß, ein Amt anzuvertrauen geneigt tft.
Abrud Bänya wurde größtentheils niedergebraunt.
Hatvani entkam durch die Geſchicklichkeit des Com—
1) Siehe „‚Szilägyi Sandor a magyar forradalom ferfai,
er
mandanten der deutſchen Legion über Bucsesd und
Szarapez nach Brad.
Dieſer glücklich gelungene Coup und die feige
Flucht Hatvani's, der entweder gar nicht hätte kom—
men, oder, da er gekommen war, bis zum letzten
Manne aushalten ſollen, weckte den Muth der Mozen
wieder und ſteigerte ihn zur Halsſtarrigkeit und zur
verachtenden Verwerfung aller Friedensanträge. Sie
organiſirten nunmehr unter der Leitung der von der
kaiſerlich öſterreichiſchen Armee in Siebenbürgen zu
ihnen geflüchteten Officiere einen Guerillaskrieg, der
einzig in ſeiner Art, bis ans Ende der Begebenheiten
in Ungarn fortgeführt wurde und obſchon, dem
Princip nach, defenſiver Natur und ohne glänzende
momentane Reſultate an Terraingewinn u. dgl., von
zu empfindlichen und nachhaltigen Folgen für die
Ungarn war, als daß die Geſchichte jenen unbekann—
ten Führern nicht die verdiente militairiſche Anerken—
nung zollen ſollte. Doch darf nicht unerwähnt blei—
ben, daß das Gold, welches Janku mit ſplendider
Hand dieſen Leuten hinſtreute, die Theilung der
Beute, die Neuheit und Abenteuerlichieit des Lebens,
dann die wunderſchoͤnen Mädchen, die dies Alpenland
birgt, wohl die Haupthebel der Anſtrengungen dieſer
Herren geweſen ſein mochten.
Die wiederholten Ausfälle dieſer organiſirten
Guerillas gegen Norden bei Maruczel, Baͤnfi
Hunyad, Gyalu, im Oſten gegen Igen, N. Enyed,
Borband ꝛc. erſchöpften die Kraft der Ungarn, be
raubten ſie manchmal der Lebensmittel und unter—
ſtützten beſonders das Schloß Deva, deſſen Beſatzung
20 *
308
fih nur in Folge der Manövers der Wallachen fo
lange halten konnte.
Am 9. Juni ward der Freiſchärler-Major
Cſanädi in der Gegend von Halmägy von 1000 Mann
Wallachen-Landſturm, darunter gut bewaffnete Mozen,
angegriffen. Der Feind hatte die mit Geſtrüpp be—
wachſenen Höhen von Halmägy beſetzt und hielt ſich
in dieſer guten Poſition volle 3 Stunden lang, bis
er endlich nach hartem Tirailleurkampf aus ſeiner
Stellung verdrängt und in die Flucht gejagt wurde.
Er verlor mehr als 100 Todte und zählte eben ſo
viele Verwundete; während von den Freiſchärlern
6 Mann leicht verwundet wurden. (Közlony
No. 135 vom 19. Juni)
So unternahmen die Ungarn wiederholt Streif—
züge gegen dieſe Guerillas, aber die Unkenntniß des
Terrains, das Neue dieſer Art Kriegsführung, die
Ungeübtheit der Führer, mitunter der gänzliche
Mangel militairiſcher Bildung bei denſelben, waren
Urſache, daß ſie bei dieſen Expeditionen nie über eine
gewiſſe Grenze des Mittelgebirgs hinaus kamen.
Denn dann hörten alle Wege und Stege auf und
jeder Buſch, jeder Baum, jeder vorſpringende Fels
barg eben ſo viele Feinde, die uns auf Saumwegen
und Bergſteigen umgingen, unſern Rückzug abſchnit—
ten und den kleinen ungariſchen Abtheilungen blieb
dann nichts übrig, als ſich durchzuſchlagen, wobei
denn natürlich größere Verluſte erlitten wurden.
Major Hatvani hatte in einem Zeitraum von
2 bis 3 Wochen, alſo bis Anfangs Juni, einige Ver—
ſtärkungen an ſich gezogen und ſeine eigene Freiſchaar
thunlichſt montirt und armirt. Er hatte ungefähr
WO Mann Todtenföpfe, 600 Mann Freiſchärler,
300 Mann Szekler Infanterie und eine halbe Es,
cadron Cavalerie, nebſt 4 Geſchützen. Er wähnte ſich
hiermit ſtark genug, abermals einen Streifzug nach
Abrud Banva und weiter gegen Topänſalva unterneh—
men zu können und ſetzte ſich Anfangs Inni über
Bleſeny in Marſch. Er gelangte nach einem unge:
heuer beſchwerlichen Marſche über den Volkanberg im
Thale des Cſernicze-Baches, längs deſſen Ufer der
Weg ein, eine halbe Stunde währendes, Deftle bildet,
und der in Felſen gehauene Weg, einerſeits den Ab—
grund der reißenden Cſernicze, andererſeits immer
unerſteigliche Felſen enthält, nach 3 Tagen in der That
nach Abrud-Bänya.
Der Ort war leer, nur wenige vom Brand
verſchonte Häuſer ſtanden verlaſſen und boten den
erjchöpften Soldaten Obdach vor den Einflüſſen der
Witterung, aber keine Nahrung. Hatvani hatte in
feinem ſtrategiſchen Plan die Sorge für die Erhal—
tung ſeines Corps vergeſſen, auf dem Marſche waren
die Vorräthe aufgezehrt worden und nun ſollte man
ſich von Wurzeln nähren. Es war eine traurige
Situation und dennoch blieb Hatvani einen ganzen
Tag in dem verwüſteten Orte, denn ſeine Truppen
konnten vor Hunger und Mattigkeit nicht mehr mar—
ſchiren. In der Nacht des 10. Juni ertönte wieder
das unheilvolle Alpenborn auf den Bergen, wieder
brannten die Signalfeuer auf allen Höhen und in
der Morgendämmerung ſtürzten ſich die wallachiſchen
Haufen, gleich verheerenden Lawinen auf die armen
310
Ungarn herab, mit jenem fürchterlichen Geheul, das
der Polterer immer gebraucht, um ſeinen Gegner zu
ſchrecken, ſelbſt wenn dieſer minder überraſcht und
mehr kampffähig und der Wallachen um ein Paar
Tauſend mehr geweſen wären. Hatvani verlor den
Kopf, wie dies bei ſolchen Herren des Wortes ge—
wöhnlich zu geſchehen pflegt, ſeine Unentſchloſſenheit
theilte ſich der Truppe mit und alle Bemühungen
des Commandanten der Todtenkopf-Legion, um ſie
zum Standhalten zu bewegen, waren vergebens. Nach
ein Paar mit dem Feinde gewechſelten Schüſſen ent—
floh Alles in der größten Unordnung nach allen
Richtungen. Der Rückzug war fürchterlich, denn
überall waren die Brücken über die Wildbäche abge—
tragen oder zerſtört, der Weg verbarrieadirt und
rechts und links auf den Höhen jeder Buſch, jeder
Baum, jeder Felsblock mit wallachiſchen Schützen
beſetzt. Die Infanterie warf Torniſter, Patrontaſchen,
Gewehre weg und entfloh in die Wälder, von den
Wallachen Pardon erflehend. Dieſe aber maſſaerirten
ſie unbarmherzig, zogen ſie bis auf den nackten Leib
aus und ſtießen ſie von den Höhen in die Klüfte.
Bis zu dem Defilée des Cſernicze-Baches vermochte
zwar die durch den braven Rittmeiſter Cſutak com—
mandirte halbe Escadron Cavalerie ihre 4 Kanonen
zu retten, aber da gerieth ſie in einen ſolchen Hagel
von Steinen, Kleingewehrkugeln, Pfeilen, Lanzen
und Pikenſtichen, daß ſie, nur auf Rettung des Lebens
bedacht, ſich, fo gut es ging, durch den das Döfilee
verſperrenden Haufen durchſchlug. Die Kanonen
ließ man in der Wallachen Hand, welche die rath—
311
loſen Kanoniere bei den Geſchützen niederhieben.
Hatvani ſelbſt war mit einigen Huſaren und Adjus
tanten zuerſt geflohen, das Sauve qui peut rufend,
und entkam über Dupapiatra nach Halmägy. Von
feinen ganzen Corps retteten ſich nur 3 bis 400 Mann
zum Cernirungscorps des Oberſten Forrö bei Deva,
in dem allerelendeſten Zuſtande. So endete dieſe
zweite Expedition Hatvani's, die, auf Nichts bafırt,
auch in Nichts zerſtob und nur den Nachtheil hatte,
daß die Wallachen durch die Erbeutung von Geſchütz
nur noch kecker, verwegener und blutdürſtiger wurden.
Nun mußte endlich dieſem Treiben der Walla—
chen ein Ziel geſetzt werden. Nach der Capitulation
des Schloſſes Déva hatte der in Siebenbürgen com—
mandirende General Czetz ein Corps von 6000 Mann
mit 20 Kanonen und einer Raketenbatterie ausge—
wählt, um dieſelben zur Bezwingung der Wallachen
zu verwenden. Oberſt Korrö, ein kalter, praktiſcher
Militair, von boben Geiſtesgaben und feltenen, ruhi—
gen Muth ſollte das Commando übernehmen und
nach dem folgenden Hauptplane verfahren. Der An—
griff auf die natürliche Citadelle des Feindes ſollte
von 3 operirenden Brigaden zu gleicher Zeit begin—
nen, nämlich: von Déva über Brad, Abrud Banya
auf Topänfalva unter Oberſt Forrô ſelbſt; von
Carlsburg über Zalathna gegen Abrud Banya zu Ber-
einigung mit Oberſt Rorro unter Oberſtlieutenant
Beke; von Bänfi Hunyad oder Gyalu über Magura,
Gyoͤrgpolui gegen Topänfalva unter Oberſt Kemény.
Die Zeit vom 15. bis 20. Juni war zur Ausfüb-
rung dieſer Operation beſtimmt, die wenigſtens ſo
312
viel für ſich hat, daß durch dieſe convergirenden
Operationen die Kraft der Wallachen getheilt und
ihnen die Möglichkeit benommen war, eine Brigade
nach der andern mit ganzer Mucht anzufallen und
zu vernichten.
Denn hätten ſie dies verſucht, ſo erlaubte der
nach allen 3 Seiten ziemlich gleiche Radius den übri—
gen beiden Brigaden auf den Donner der Kanonen
gegen den Schauplatz des Kampfes zu eilen, um
die Wallachen im Rücken oder in der Flanque
anzufallen. Wohl hätten die einzelnen Brigaden an
Zahl ſtärker ſein müſſen, es waren aber keine Trup—
pen um jene Zeit mehr entbehrlich.
Bem erſchien in Siebenbürgen um dieſe Zeit
wieder und verwarf den Plan, nach ſeinem von Na—
poleon erborgten Syſtem, ſtets in Maſſen zu agiren,
das Commando zugleich an Oberſt Kemeny übertra—
tragend, von deſſen Energie er ſich viel verſprach.
Hiedurch ging eine koſtbare Zeit verloren und die
Wallachen hatten gegen Gyalu und Carlsburg bis
dahin freies Spiel. Kemény ſollte von Brad aus
gegen Topänfalva operiren und die Wallachen in
einem Hauptſchlag erdrücken. Der Hauptfehler lag
hier eigentlich darin, daß man nicht Rückſicht auf
das Syſtem nahm, das im Gebirgskriege als Baſis
gilt, d. i. man muß die Höhen haben, und hat man
dieſe, ſo iſt man Meiſter der Thäler. Hätte die
ganze Kraft von Bänfi Hunyad über die Höhen bis
zu den Quellen der Aranyos operirt und dieſe be—
ſetzt, Topaänfalva, Offenbaͤnya, Lupſa wären von
ſelbſt gefallen, beſonders wenn kleine Hülfsabtheilun—
2
313
gen noch Brad und Gyögy beſetzt hätten. Alle
übrigen wichtigeren Punkte hatten hinreichende Be—
ſatzungen, um den etwaigen Ausfall der Walla—
chen aus ihrer Berg-Citadelle zurückzuſchlagen. Ex-
perientia docet; im Drang der Begebenheiten ent—
gebt ſelbſt dem ſchärfſten Blick manches, was in der
Studirſtube beim warmen Kawinfeuer leicht in die
Augen ſpringt
Kemeny rückte am 3. Juni von Deva aus und
ſetzte an demſelben Tage bei Solymos über die
Maros. Der Zug ging durch ſchmale Thäler, deren
Einwobner in die Berge geflohen waren, nach dem
früber jo lebhaften Markte Brad, welcher aber am
4. Juni als Schutthaufen angetroffen wurde. Hier
raſtete Kemeny einige Tage, verſtärkte ſich bis auf
1000 Mann Infanterie und 18 Geſchützen nebſt einer
Raketen-Batterie und betrat am 8. Juni bei Bucsesd
das eigentliche Gebirgsland. Die Truppen marſchir—
ten durch enge, oft für Geſchütz unfabrbare Thäler
und verlaſſene abgebrannte Dörfer, deren Einwohner
beſtändig von den Bergen ſcharmutzirten. Am 9. Juni
paflirte Kemény einen hohen Berg vor dem Vulkan,
welcher erſt am Abend mit dem Geſchütz zu überſtei—
gen war. Des folgenden Tages fand er die Straße
durch Verhaue geſperrt, ein ganzer Tag wurde ge—
braucht, um den Vulkan zu umgeben und erſt am
11. Juni Mittags erreichten die müden Truppen die
gänzlich zerſtörte Bergſtadt Abrud Banya, welche in
einem Bergkeſſel liegt. Hier wurden ſie ſofort von
allen Seiten von den Wallachen angegriffen, und
erſt die Nacht machte dem Kampfe ein Ende. Am
314
ganzen folgenden Tage wurde wiederum hitzig ges
kämpft, ohne daß es jedoch den Ungarn gelang, die
Wallachen zum ordentlichen Treffen zu bringen. Janku
war nämlich mit den Wallachen auf die höchſten Al—
pen geflüchtet und hatte alle Lebensmittel mitgeſchleppt,
alles Uebrige nebſt den Brunnen aber verderben laſſen.
Auf dieſem Wege gedachte er Kemény daſſelbe Schick—
ſal zu bereiten, wie es Hatvani erlitten. Aber Ke—
meny war viel zu erfahren, um in die Schlinge zu
gehen. Er verzichtete daher auf den weiteren Marſch
nach Topänfalva und, nachdem er in Abrud Bänya
2 Tage im größten Elend zugebracht (ſeine Solda—
ten kochten ſich Kräuter, um nur etwas Warmes
dem Magen zu bieten, ihre Beſchuhung war total
ruinirt und ſie gingen barfüßig einher), ſuchte er,
die Nutzloſigkeit ſeines längeren Verweilens einſehend,
über Zalathna nach Magyar Igen ſich einen Weg zu
bahnen.
Am 16. Juni Mittags 12 Uhr, bei ungewöhn—
licher Hitze, wurde der Marſch von Abrud Bänya durch
einen vier Meilen langen ſchmalen Gebirgspaß an—
getreten, unter der lebhaften Verfolgung der walla—
chiſchen Guerillas. Als das Corps bei Bueſum eine
abgetragne Brücke wiederherſtellen mußte und dadurch
eine Stockung im Zuge entſtand, hatte die Arriere—
garde ein heißes Gefecht mit dem aus den Mündun—
gen der Seitenthäler hervorbrechenden Feinde zu be—
ſtehen, wo das 11. Bataillon allein 120 Mann
verlor.
Oberſt Forrö und das wackere 11. Bataillon
waren es, deren Unerſchütterlichkeit und Ausdauer
>15
Kemeny die Rettung feiner Geſchütze zu verdanken
batte, denn die Wallachen hatten ihn umringt, alle
Wege und Brücken verdorben, und wahrend er ſelbſt
die Bahn mit dem Bajonette brach, hielt Forré und
und das 11. Bataillon den ungeheuren Schwarm
Bewaffneter, der von den Seiten attaquirte, einen
ganzen Tag lang in Schach uns rettete hiermit ſich
und die Ehre der ungarischen Waffen.
Am Abend des 16. Juni erreichte Kemény die
Trümmer der Stadt Zalathna, wo die Truppen ſich
etwas erholten, Tags darauf das flache Land und
die von Ungarn bewohnte Stadt Magyar Igen, un—
weit Carlsburg erreichten.
Zu gleicher Zeit mit dieſer Operation ſollte ein
Angriff von Gyalu und Bänfi Hunyad zugleich ge—
gen Maruczel im Norden erfolgen. Da war aber
keine Einheit im Commando, ein junger, unüberleg—
ter Magnat batte ſich bei Bem das Commando aus—
gewirkt und gab von Klauſenburg aus die ordres.
Dieſen folgten contre-ordres und es ward daraus ein
desordre. Die in Gyalu erhielten am bezeichneten
Tage Gegenbefehl, die in Banfı Hunpad rückten
dem urſprünglichen gemäß vor und wurden von den
Wallachen bei Maruczel umzingelt und großentheils
niedergemacht; nur Wenige entkamen. Bei dieſer
Gelegenheit fiel auch der aus den Märztagen 1848
in Peſth berühmte junge Demoſthenes Vasvaͤry, der
mit Löwenmuthe focht, bis ihn, hinter einem Buſch
bervor, ein Paar Büchſenſchüſſe zu Boden ſtreckten.
Eine ungariſche Dame löste im Juli ſeinen Leich—
316
nam gegen ſchweres Geld von den Wallachen und
ließ ihn in ihrer Familiengruft beiſetzen.
Nach dieſer mißglückten Expedition verlegten ſich
die Ungarn nur auf die Defenſive und hielten die
Ausfälle der Wallachen gegen Carlsburg, Deva,
Klauſenburg und Thorda zurück. Die Wallachen
ihrerſeits verhielten ſich ruhig und warteten den Er-
folg der ruſſiſchen Waffen ab.
Nach der Kataſtrophe von Vilägos ließen ſie
noch ihre Rache an den waffenloſen, ausgehungerten
armen Honveds aus, die vor den Ruſſen und Oeſter—
reichern in die Berge flohen und machten ſie un—
barmherzig nieder oder beraubten ſie im beſten Falle
bis aufs Hemd und ließen ſie baarfuß und baarhaupt
ihre kummervolle Wanderung nach der Strohhütte
der Heimath beginnen. |
Janku erhielt den Rang und die Würde eines
kaiſerlich öſterreichiſchen Oberſten und wurde von
zwei Kaiſern mit Ordenskreuzen beehrt; Haynau und
Conſorten aber machten dem Raubmörder als Ka—
meraden die Honneurs und luden ihn häufig zur
Tafel.
Der junge, ritterliche (?) Kaiſer klopfte ihm bei einer
Audienz, in welcher er die Erfüllung der gegebenen
Verſprechungen für ſein Volk verlangte, wohlwollend
auf die Schulter und wiederholte Bachs Zuflüſte—
rung, der hinter ſeinem Rücken bei ſolchen Gelegen—
beiten zu ſtehen pflegt: Multum feeisti, vere multum
fecisti! Janku mag davon nicht ſehr erbaut gewe—
ſen ſein!
Der wallachiſche Aufſtand koſtete Siebenbürgen
17
300 abgebrannte Doͤrfer, 12 zerſtoͤrte Landſtädte und
10,000 Wallachen; eben fo viele Ungarn mögen zu—
gleich umgekommen ſein. Und jetzt genießt das Land
die Woblthaten der Charte vom 4. März mit einem
weiß Gott wie lange währenden Belagerungszuſtand,
mit königlichen Commiſſairen, wie Urban, Dorsner
und dgl. Gelichter. Die Sachſen haben ihre Rech—
nung gefunden, denn ſie berrſchen als Miniſterial—
diener über Wallachen, Szekler und Ungarn im gan—
zen Lande in ſchoͤner deutſcher Geſetzesſprache!
318
Fünfzehntes Capitel.
Einbruch der Ruſſen in Siebenbürgen. — Der Tümöfer Paß. —
Affaire vom 18. 19. 20. Juni. — Oberſt Alexander Kiß. —
Bems Maßregeln. — Affaire bei Biſtritz 27. 28. Juni. —
Bems denkwürdiger Tagsbefehl. — Affaire am 10. 12. 16. Juli
bei Biſtritz, Nagy Sajo*), Szeredefalva. — Lüders beſetzt Her:
mannſtadt am 21. Juli. — Treffen der Oeſterreicher bei
Illyefalva und Al-Doboly. — Bem rückt in die Moldau
am 23. Juli. — Deſſen Proklamation an die Bewohner der
Moldau. — Treffen bei Szemerja und Sepſi Szent Gyoͤrgy
am 31. Juli. — Folgen derſelben. — Schlacht bei Her—
mannftadt am 6. Auguſt. — Schlacht bei Mühlenbach am
12. Auguſt. — Ausfall von Carlsburg. — Oberſt Gal
Sandor rettet fein Corps. — Letzte Affaire in Siebenbürgen
bei Segesvar 13. Auguſt. — Beſetzung Klauſenburgs durch
die Ruſſen. — Die Klauſenburger Truppen ſchlagen Urban
in Banfi Hunyad und vereinigen ſich bei Sib6 mit Kaczinsky.
— Kaczinsky ſtreckt die Waffen. — Oberſt Beke capi—
tulirt mit Bems Truppen in Piski. — Bems letzte Anſtren⸗
gungen. — Er flieht in die Wallachey.
Die Angelegenheiten in Ungarn hatten eine ſolche
Wendung genommen, daß die ruſſiſche Invaſion als
gewiß erſchien; dennoch wußten die Ruſſen in der
Wallachey ihren Plan ſo gut zu verbergen, indem
ſie ihre Truppen nach allen Richtungen hin und her—
marſchiren, bald gegen die Grenze Siebenbürgens
vorrücken, bald von da ſich zurückziehen ließen, daß
) Gr. Schogen.
a
General Czetz und ſelbſt Bem, der gegen Mitte Juni
aus dem Bannat wieder nach Hermannſtadt zurück—
gekebrt war, ſich einen Augenblick täufchen ließen,
und Koſſuths Meinung tbeilten, als ſei aus der Wal—
lachey und Moldau kein Angriff zu beſorgen. Dies
gebt ſchon daraus hervor, daß Bem gleich nach feiner
Ankunft in Siebenbürgen die Päffe beſichtigte, vom
Toͤmöſer Paß am 16. Juni nach Kronſtadt, und
von da nach Maros-Väſarhély reiſte, was er wahr⸗
lich nicht gethan hätte, wenn er an den ſo nahen
Einbruch der Ruſſen geglaubt hätte 9).
Die Ruſſen concentrirten ſich unterdeſſen mit
Blitzesſchnelle auf der Linie des Tömoͤſer Paſſes,
und ließen zu gleicher Zeit die Päſſe Boza und Gyimes,
ſowie den Toͤlgyer mit einer kleinen, den Ojtos Paß
mit einer ziemlich ſtarken Angriffs-Colonne bedrohen,
und tbeilten ſomit die Aufmerkſamkeit der Vertheidiger
des Landes.
Am 17. Juni erſchien die Avantgarde des fünften
ruſſiſchen Armee-Corps an der ſiebenbürgiſchen Grenze
vor dem Singer Kloſter. Dieſes war von einem
halben Bataillon Szekler und 1 Zug Cavalerie (Koſ—
ſuth⸗Huſaren) mit 2 Kanonen beſetzt, und Oberſtlieu—
tenant Ferdinand Szabo führte das Commando. Bei
dem Erſcheinen der feindlichen Cavalerie-Abtheilungen
*) Man leſe den von der Regierung im Juni genehmigten
Operationsplan in Szilagyt: „Die legten Tage der magyariſchen
Revolntion Seite 4“ und man wird obige Anſicht durch die Auf:
gabe beſtätigt finden, welche dem commandirenden General in
Siebenbürgen zugedacht war.
320
rückte Oberſtlieutenant Szabo denſelben entgegen und
begann mit denſelben zu ſcharmutziren, indem er
dachte, es wäre dieß wieder eine jener erfolgloſen
Gefechte, die er ſchon ſeit 14 Tagen, alle Tage mit
ruſſiſchen Streif-Patrouillen zu beſtehen gewöhnt war.
Aber die Ruſſen hielten ſich heute hartnäckiger, als
ſonſt. Es erſchienen immer mehr Truppen, zuletzt
auch Infanterie und Artillerie. Nun ward es dem
Oberſtlieutenant Szabé klar, daß es ſich hier um
etwas Anderes handele, als um bloßen militairiſchen
Zeitvertreib. Er zog ſich daher in ſeine Poſition beim
Singer Kloſter zurück. Die Ruſſen brauchten die
Nacht und den Tag des Sten dazu, um ihre ge—
ſammte Streitkraft, die auf dieſer Linie operiren ſollte,
in der Nähe des Kloſters zu concentriren, und blieben
daher dort im Bivouak.
Am 19ten jedoch, um 3 Uhr Nachmittags, ſtellten
ſie ſich in Schlachtordnung auf und rückten vor.
Oberſtlieutenant Szabo, der allen dieſen Vorberei—
tungen ruhig zugeſehen hatte, zog ſich beſter Ordnung
bis zum Prädjal-Verge zurück, wo eigentlich der Paß
beginnt, und nahm daſelbſt Stellung. Hier wurde er
von den Ruſſen angegriffen, hielt ſo lange er konnte
löwenkühn den Andrang der ungeheueren feindlichen
Maſſen aus, und zog ſich Schritt vor Schritt, immer
fechtend, bis zur oberen Contumaz und beim Einbruch
der Nacht in die Verſchanzungen zurück. Die Szekler
erkletterten während dieſes Rückzuges die rechts und
links den Paß begrenzenden Höhen, und warfen
Steine und Holzblöcke auf die anſtürmenden ruſſiſchen
Colonnen, während ihre zwei Kanonen auf der Straße
32
im Paſſe Tod und Verderben in die feindlichen Reihen
ſpieen. Die Ruſſen erlitten ungeheueren Verluſt an
Mannſchaft und Pferden und ſahen ſchon, daß bier
viel Blut vergoſſen werden würde, ehe ſie ſich in den
Beſitz dieſes Schlüſſels ſetzen könne. Sie wollten
daher von ihrer Uebermacht den richtigen Gebrauch
machen, und detaſchirten auf den Fußpfaden des Ge
birgs Koſaken-Abtheilungen, welche die Verſchanzungen
umgehen, und den Feind im Rücken angreifen ſollten,
während die Infanterie den Sturm auf die Schanzen
vornahm. Wir werden ſehen, welche Folgen dieſes
Manöver hatte, wollen aber erſt unſeren militairiſchen
Leſern ein Bild dieſes Paſſes entwerfen, das in Er—
mangelung eines Plans dem leichtern Verſtaͤndniß
des Ereigniſſes zu Hülfe kommen ſoll. Der Paß
Tömss beginnt bei Trisztye, mit einer Thalſohle von
beiläufig 1— 5000 Schritten Breite, dann verengt er
ſich immer mehr und mehr, und wird bei Unter-Tö—
mös jo ſchmal, daß nur ein beladener Frachtwagen
auf der in den Bergabhang eingeſchnittenen Chauffee
fortkommen kann, zieht ſich dann in dem Döfilée bis
gegen Dber-Tömds, wo er ſich zu einem Plateau
erweitert, das rings von Bergen dominirt iſt, und
ſteigt dann wieder in einer ſehr ſchmalen Bergſchlucht
zum Berge Prädjal empor, hinter welchem die Straße
bald den hoͤchſten Gipfel des Gebirgs erreicht, und
über dem breiten Rücken zum Kloſter Sina, von da
aber am jenſeitigen Abhang bergab in die Wallachei
führt. Die Entfernung von Trisztye bis zum Prädjal—
Berge beträgt ungefähr zwei gute Stunden; Unter—
Toͤmos liegt in der Mitte dieſer Strecke. Die Wände
21
322
des Gebirgspaſſes bilden fteile, umwegſame, mit Nadel—
und Laubholz bedeckte, an 1— 2000 Fuß hohe Berge,
welche in der Mitte des Paſſes, bei Unter-Tömös
gezackte Felſenparthien, bloß für Ziegen erklimmbar,
enthalten, und ſich gegen Trisztye und Bäesfalu in lang—
gedehnte, laubbedeckte Gebirgsfüße verlaufen. Mitten
durch den Paß ſchlängelt ſich der Wildbach Tömös,
der feine Quellen am Prädjal und Piäträ Mare
hat, und viele Kieſel führt, im hohen Sommer aus-
trocknet, im Frühjahr aber Ueberſchwemmungen ver—
urſacht. Am linken Ufer der Tömös zieht die Chauffee
in oben angegebener Breite hin.
Oberſt Alexander Kiß, der Militair-Commandant
von Kronſtadt, hatte die engſte Stelle vor Unter-Tö—
mös mit einer ſtarken Redoute befeſtigen laſſen, und
hiedurch die Straße ganz geſperrt. Seine Flugel
wähnte er durch die unerſteigbaren Felſen rechts und
links geſchützt, und unterließ demnach, dieſe durch Block—
häuſer auf den Gipfeln der Berge zu ſchützen; ein
Fehler, den er, wie überhaupt die ganze Siebenbürger
Armee, theuer büßte. Nach den Vorgängen am Präd—
jal war Oberſt Kiß mit allen disponiblen Truppen
und Geſchütz aus Kronftadt nach Unter-Tömös ges
rückt, und erwartete ruhigen Muthes den feindlichen
Angriff. N
Es muß hier bemerkt werden, daß die Kron—
ſtädter Diſtrikts-Beſatzung, in Folge der vielen,
bereits bekannten Detaſchirungen auf 4000 Mann
zuſammengeſchmolzen war, wovon 1500 Mann unter
Major Kraßnai Töresburg bewachen und zu verthei—
digen hatten, 500 Mann in die Citadelle von Kron—
123
ſtadt verlegt werden mußten, und ſomit nur 2000 Mann
zur Vertheidigung vom Toömoſer Paß verwendet
werden konnten. In Tomös wurden zwei eiſerne
24 Pfunder und eine Feldbatterie von 8 Geſchützen,
in Töresburg 6 Geſchütze für den Feldbedarf, im
Kronſtädter Schloß 5 eiſerne Poſitionsgeſchütze ver—
wendet.
Oberſt Kiß batte einen kleinen Theil ſeiner
Truppen in der Nacht vom 19ten auf den 20ſten vor
den Verſchanzungen am Rande des Plateaus von
Dber » Tömös aufgeſtellt, um ſich vor einem nächt—
lichen Ueberfall zu ſichern, und die übrigen in die
Verſchanzung ſelbſt geſchickt.
Am Morgen des 20. Juni griffen die Ruſſen,
unter perſoͤnlicher Leitung des Generals Lüders, die
am Plateau ſtebenden Szekler mit einem furchtbar
überlegenen Artillerie- und Kleingewehrfeuer an, wel—
ches die Feldbatterien der Szekler mit ſtoiſchem Gleich—
muth in langſamen Zwiſchenräumen beantworteten,
ohne ſich vom Fleck zu rühren. Die Ruſſen entwickel—
ten indeß immer mehr Infanterie, und fchoben ihre
Maſſen vorwärts. Die Szekler zogen ſich endlich
nach ein bis zweiſtündigem Kampfe fechtend in die
Verſchanzung zurück. 400 Mann todesmuthiger Szekler
batten beinahe 2 Stunden lang die ganze Wucht des
ruſſichen Hauptangriffs feſten Fußes ausgehalten,
und weder die todſäenden Feuerſchlünde der 4 bis
5 mal überlegenen ruſſiſchen Artillerie, noch die Maſ—
fen Angriffe ihrer Infanterie hatten fie zum Wanken
gebracht. Iſt das nicht würdig, den Heroen des Alter—
thums verglichen zu werden? Aber verfolgen wir die
2 *
324
Begebenheiten weiter, betrachten wir den jungen Leo—
nidas und ſeine Tapfern, und vollenden wir erſt
dann den Vergleich mit den Spartanern bei Ther—
mopylä. Wir werden dieſen Vergleich nicht übertrieben
finden. Nachdem unſere Vorhut in die Verſchanzung
retirirt war, rückte die ruſſiſche Infanterie ihr im
Sturmſchritte nach, aber da ſtand Oberſt Kiß mit
ruhiger Würde auf dem Walle und commandirte in
dem Augenblicke Feuer, wie jede Kugel ihren Mann
ſicher treffen mußte. Ein Wall von Leichen bedeckt
ſofort die Chauſſée, und die ruſſiſche Infanterie floh
erſchrocken vor dieſen verderbenſchwangeren Feuer—
ſchlünden. Nun rückte die Poſitions-Artillerie der
Ruſſen vor, ſtellte ſich, ungeachtet des gutgerichteten
und wohlunterhaltenen Feuers des Oberſten Kiß und
keinen Verluſt beachtend, mitten im Paſſe und hie
und da auf den erklimmbaren Stellen der Paßwände
auf. Ein mörderiſches Feuer begann und Tauſende
von Kugeln und Granaten flogen in die Verſchan—
zung. Zwei Geſchütze wurden demontirt, der Erdwall
furchtbar auseinandergeriſſen, und viele Todte und
Verwundete mußten aus den Verſchanzungen nach
Trisztye zurückgeführt werden. Dieſe furchtbare Kano—
nade dauerte von 8 Uhr früh bis gegen 10 Uhr,
und wurde von den Ungarn nur wenig und nur in
langen Pauſen beantwortet, denn fie hatten mit der
Munition zu ſparen und durften keinen Schuß ver—
gebens thun. Als Lüders die Vertheidiger der Ver—
ſchanzung hinlänglich erſchüttert glaubte, ordnete er
den Sturm mit dem Bajonette, durch neue Infan—
teriemaſſen, an; aber der Muth, die nicht berechende
325
Kaltblütigkeit, die ſchonungsloſe Aufopferung von
Menſchen ſcheiterte an dem ruhigen Muthe und der
aufopfernden Vaterlandsliebe Kiß's und feiner Braven.
Die Ruſſen kamen zweimal bis an den Rand der
Verſchanzungen: ſie wurden beide Male mit einem
ſolchen Hagel von Granaten-, Kartätſchen- und Klein⸗
gewebrfugeln empfangen, daß Hunderte von ihnen
gleich todt oder verwundet fielen; ein fürchterliches
Jammergeſchrei mit dem Eljen-Rufen der kampfbe—
rauſchten Szekler, mit dem Hurrah der Anſtürmenden
gemiſcht, zerriß die Luft und machte mit den Kano—
nenſalven die Felſen zittern, die im tauſendfachen
Echo dieß fürchterlicherbabene Tonſtück wieder gaben.
Die ruſſiſchen Maſſen ſchwankten, und retirirten in
Unordnung wieder außerhalb Kanonenſchußweite. Die
Ungarn hatten indeß auch bedeutend gelitten: viele
der theueren Kameraden bedeckten die Bruſtwehren,
andere jammerten über erhaltene Wunden, Oberſt
Kiß ſelbſt hatte einen Schuß in den Arm bekommen,
ein Pferd war ihm unter dem Leibe erſchoſſen wor—
den, und zum Uebermaß erhielt er die Nachricht, daß
die Ruſſen auch bei Töresburg angriffen, und Major
Kaszonvi ſich gegen die Uebermacht nicht halten konne.
Nichtsdeſtoweniger beſchloß er, zu ſiegen, oder käm—
pfend zu fallen. Das Zerftörte ward ſchleunigſt aus—
gebeſſert, und man bereitet ſich zum Empfang des
neuen Sturmes vor. Die Ruſſen errichteten Batte—
rien hinter flüchtigen Erdwällen und eröffneten ein
noch fürchterlicheres Feuer, als zuvor. Endlich ſtürm—
ten ſie wieder, wie zuvor, und wurden wieder mit
bedeutendem Verluſt zurückgeſchlagen; aber dießmal
326
hatte Kiß einen zweiten Schuß in den Oberfchenfel
erhalten, und war einige Zeit beſinnungslos geblieben.
Dieß verurſachte unter den Szeklern Schrecken und
Verwirrung, denn ſie hielten den geliebten Führer
für todt. Zum Uebermaß des Unglücks erſchienen
auch gegen 3 Uhr Nachmittags jene Koſaken, welche
Lüders zur Umgehung der Verſchanzungen abgeſendet
hatte, und die von der Gegend kundigen Wallachen
geführt wurden, in der That in der Flanque und im
Rücken der Verſchanzung auf den Höhen, wo ſie auf
ihren kurzen, gedrängten Roſſen, wie Ziegen umher—
kletterten, und aus ihren langen Büchſen auf die
Vertheidiger der Schanzen zu feuern begannen. Zu
gleicher Zeit ſtürmte die Infanterie der Ruſſen in
der Front zum vierten Male. Oberſt Kiß hatte ſich
aus der Ohnmacht ermuntert, wieder auf's Pferd
heben laſſen und commandirte, wie vorher, bat, be—
ſchwor ſeine Leute, Stand zu halten; aber die Er—
ſcheinung des Feindes in der Flanque und im Rücken
hatte die Szekler mit paniſchem Schreck erfüllt: ſie
flohen, ohne einen Schuß zu thun, warfen Gewehre
und Torniſter weg und Oberſt Kiß blieb mit einigen
20 Hufaren allein. Der Feind hatte die Schanzen
erſtiegen, die Kanonen waren abgefahren: da entließ
Oberſt Kiß auch die Huſaren und verſuchte ſich zu
retten, konnte aber, durch die erhaltenen Wunden
gehindert, ſein Pferd nicht lenken und fiel in die
Hände der Kofafen. Die Szekler hatten an 400 Todte
150 Gefangene und 2 Kanonen nebſt mehreren Mu—
nitionskarren verloren; aber auch die Ruſſen hatten
den Sieg theuer erkauft, denn ſie verloren an 700
927
bis 1000 Mann, darunter drei hohere Officiere. Die
Stärke der Ruſſen mochte bier 15,000 bis 20,000
Mann betragen haben, mit welchen ſie am 20ſten
Abends am Galgenberge vor Kronſtadt ein Lager
bezogen.
Während das Gros der Ruſſen das erwähnte
Lager bezog, verfolgten die Koſaken die gegen Hä—
romszék entflobenen Szekler bis zum Fekete Ugy bei Kö—
fös, wo fie Vorpoſten ausſtellten. Die Szekler flohen
in wilder Unordnung und nur mit großer Aufopfe—
rung gelang es dem Oberſtlieutenant Ferdinand Szabo,
fie in Üzon wider zu ſammeln und zu ordnen. Die
Beſatzung des Bozaer Paſſes war auch entflohen
und hatte ſich zu ihnen geſellt, worauf Oberſtlieute—
nant Szabo wieder bis Kökös vorrückte und daſelbſt
Stellung nahm.
Oberſt Alexander Gal war indeſſen aus Cſik—
Szereda nach Kézdy-Vaſarhely geeilt und hatte den
Landſturm aufgeboten. Die nicht zu Kanonen ver—
wendeten Glocken läuteten überall zum Aufgebote,
Boten flogen von einem Orte zum andern und Alles,
was ſich nur rühren konnte, ſtrömte mit improviſirten
Waffen nach Uzon uud Kézdy-Vaſarhely; denn es
galt, Haromszéks jungfräulichen Boden vor feindlicher
Invaſion zu ſchützen. Oberſt Gal verſtärkte die Be—
ſatzung des Ojtoſer Paſſes mit dem entbehrlichen
Landſturm und rückte mit dem Reſte der Truppen
und allem fertigen Geſchütz nach Uzon vor, um das
Ober⸗Commando zu übernehmen. Er vereinigte bier
im Ganzen an 3000 Menn regulaire Infanterie und
Reiterei nebſt 8 bis 10,000 Mann Landſturm und
328
30 Geſchützen. Mit dieſer Macht erwartete er den
Feind,
Die Ruſſen hatten unterdeß die Beſatzung des
Kronſtädter Schloſſes zur Uebergabe auffordern laſ—
ſen. Dieſe antworteten dadurch, daß ſie auf die in
die Vorſtadt Blumenau einrückenden Ruſſen am 21.
ein tüchtiges Feuer unterhielten und mehre Häuſer
durch Granaten in Brand ſteckten. Die Ruſſen ließen
darauf in der Nacht Batterien aufwerfen und be—
ſchoſſen den ganzen 22. das Schloß ſo heftig, daß
die Mauern großen Schaden litten. Die Beſatzung
hatte nur auf 8 Tage Lebensmittel, ihr wackerer
Commandant, Hauptmann Johann Toth war gefallen,
fie knüpfte alſo Unterhandlungen an und capitulirte
gegen Garantie des Lebens. General Lüders ſchlug
ſein Hauptquartier in Kronſtadt auf.
General Engelhardt war bei Töresburg einge—
drungen und, da er keinen Widerſtand fand, bis
Zeiden vorgerückt. Der ungariſche Commandant
Major Krasznai hatte ſeinen Poſten feige verlaſſen
und war ſchon am 20. bis Nagy Ajta retirirt. Die
Ruſſen ließen 5—6 Tage vergehen, ehe ſie gegen
Haromszef zu operiren begannen. Sie erwarteten
die Ankunft eines öſterreichiſchen Armee-Corps von
11,000 Mann unter dem commandirenden General
Clam Gallas, von dem nur die Avantgarde mit Lü—
ders in Siebenbürgen eingerückt war. Dieſes Corps
mochte wohl früher einen Verſuch gemacht haben,
beim Rothenthurmpaſſe einzudringen, fand aber den—
ſelben zu ſehr verbarrikadirt und verſchanzt, und wählte
329
daher die bequemere Strafe über den Qömöfer
Paß, und traf am 11. Juli vor Kronſtadt ein.
Die Ruſſen hatten indeſſen bei Kökos und Uzon
die Szekler geſchlagen, fie gegen Ereszteveny geſprengt
nnd Gal Sandor zum Rückzug gegen Maͤlnäs ge‘
zwungen, wo dieſer ſich mit Kras; nei vereinigte, der
über Udväarbely und den Rika (To heißt das zwiſchen—
liegende Gebirge) herbeigezogen war. Haromszék
ward verwüſtet: Kökös, Uzon, Réti, Sepſi Sit.
Gyoͤrgy niedergebrannt und geplündert, Kezdy- Ba
farbely zum Theil niedergebrannt und die dortige Ar—
tillerie-Werkſtätte zerſtoͤrt. Oberſt Doͤrsner, ehemaliger
Commandeur des erſten Szeklerbataillons, als kaiſerlicher
bevollmächtigter Commiſſair, begann feine Functionen.
Dies fiel Alles in den Zeitraume vom 26. Juni bis
12. Juli, wo die Ruſſen abzogen und die weiteren
Operationen den Kaiſerlichen unter Clam Gallas
überließen.
Nach der Einnahme Kronſtadts ſchob nämlich
Lüders das Gros feiner Truppen gegen Földvär vor,
um die Ankunft des öſterreichiſchen Corps unter Clam
Gallas abzuwarten, welches Kronſtadt beſetzen ſollte
nnd ſandte den General Hasford mit einer fliegen—
den Colonne über Präsmär und das Fekete-Thal
nach Kezdy-Vaſärbely in das Land der Szekler,
trieb fie in die Flucht und beſetzte Szt. Gyoͤrgy. Die
Szekler zogen ſich nach Cſik Szereda und Udvär-
bély zurück.
Der moraliſche Muth der Szekler war bedeu—
tend erſchüttert, woran die beſtändigen unglücklichen
Gefechte, vorzüglich aber der Fall Gabor Arons, des
330
großen Geſchützmeiſters, der bei Uzon den Heldentod
bei ſeinem ſelbſtgeſchaffenen Werke durch eine feind—
liche Kanonenkugel fand, die Schuld trugen. Die
Einwohner Haromszéks flohen in die Cſik. Das
ruſſiſche Gold fing auch an, auf die Landesbewohner
zu wirken.
Als nun Clam Gallas mittlerweile Kronſtadt be—
ſetzt batte, zog General Lüders gegen Hermannſtadt.
Seine Avantgarde unter Engelhardt ſuchte ſich des
Alutaüberganges bei Fagaräs zu verſichern und ſchlug
am 12. Juli die 800 daſelbſt mit 4 Kanonen ſtehen⸗
den Szekler vermöge ſeiner Ueberzahl hinaus. Lüders
folgte auf dem Wege nach Hermannſtadt, wäh—
rend die ſchwache ungariſche Garniſon auf die Nach—
richt vom Falle Fogaräs nach Mediaſch zurückzog.
Hermannſtadt wurde am 21. von den Ruſſen beſetzt.
Engelhardt aber ſchlug die ungariſche Beſatzung des
Rothenthurmpaſſes unter Oberſtlieutenant Ihäsz in
drei blutigen Treffen und nöthigte ſie, in die Walla—
chei zu flüchten, von wo ſie, die erſten, welche ſich
den Türken ergaben, nach Widdin transpotirt wurde.
Hasford wollte nun gegen Carlsburg operiren,
um das dortige Cernirungs-Corps zu ſprengen. Da
trat Bem wieder auf den Schauplatz des ſüdlichen
Landestheiles. |
Jetzt müſſen wir aber uns nach den Ereigniffen
im Norden umſehen. Dort geſchahen nicht minder
folgenreiche Thaten.
Auch hier waren die Ruſſen, 12. 15,000 Mann
ſtark, unter General Grotenbjelm, von 3000 Oeſter—
reichern unter General Fiſcher und Oberſt Urban
331
unterſtützt, aus der Bukowina über den Borgoer
Paß eingedrungen und hatten die auf dieſer Linie
von der Grenze bis Biſtritz aufgeſtellten, ungariſchen
Truppen vom 17. bis 20. Juni bis auf die letztere
Stadt zurückgedrängt. Oberſtlieutenant Dobay, Sohn
des uns den Vorfällen in Haromszék bekannten
Szekler-Oberſten, batte bier ein Corps von 6000 Mann
mit 21 Geſchützen. Die Hälfte derſelben beſtand
aus Szekler-Reſervebataillonen, welche bloß mit Lan—
zen bewaffnet waren. Mit dieſem Corps beſtand
Dobay am 20. und 21. Juni gegen das ganze ruſ—
ſiſche Corps zwei blutige Schlachten und zog ſich
am zweiten Tage nach verzweifelter Gegenwehr, und
nachdem Biſtritz von den Ruſſen mit Sturm genom—
men worden war, insbeſondere durch die ungeheure
Uebermacht der ruſſiſchen Cavalerie gedrängt, denen
er nur ein Paar Schwadronen entgegenzuſtellen hatte,
bis Does zurück.
Bein befand ſich auf feiner Inſpicirung des Lan—
des gerade in Klauſenburg, als er von allen dieſen
Unglücksfällen Kunde erhielt. Er reiste ſogleich zum
Corps Dobap's ab, ließ dieſen wackeren Oberſtlieu—
tenant in der erſten Aufwallung arretiren und befabl,
ihn vor ein Kriegsgericht zu ſtellen, indem er den
ibm von Bem anvertrauten Poſten feige verlaſſen
babe. Es war dies offenbar nur der erſte Ausbruch
der Entrüſtung über die falſchen Nachrichten der Re—
gierung, welche Jeden bis zum letzten Moment an
dem Einbruche der Ruſſen aus der Wallachey und
Moldau zweifeln ließen. Bem liebte die Gerechtig—
keit zu ſehr, um dies nicht einzufeben, ſuspendirte am
332
andern Tage das gerichtliche Verfahren und ernannte
Dobay zum Commandanten einer Brigade in Udvar—
hély. Bems Erſcheinen genügte, um das Armee—
Corps wieder zur Ordnung und Diseiplin zurückzu—
führen, und ſchon am 25. rückte er dem Feinde gegen
Biſtritz entgegen. Was hier geſchah, geht am deut—
lichſten aus folgenden 3 Bülletins hervor, die Bem
um dieſe Zeit an die Regierung ſandte: *)
Biſtritz, 26. Juni. Heute haben wir Biſtritz
ohne Schwertſtreich genommen. Der Feind hat ſich
zurückgezogen und ich hoffe ihn weiter zu verfolgen
und über die Grenze Siebenbürgens zu jagen.
Bem.
27. Juni. Ich habe die Ruſſen geſchlagen und
befinde mich in Tekendorf (?). Durch ſieben
Stunden hat meine junge Armee die ſtarke feindliche
Cavalerie angegriffen und zurückgeworfen. Ich bin
gegen Salindorf (Sendorf 2) vorgerückt.) Bem.
2. Juli. Wie ſchon gemeldet, ſind wir über
Groß-Sajo, Vaͤrhely nach Biſtritz vorgedrungen
und nun halte ich die Feinde im Engpaſſe Borgo
) Der bereits in einer früheren Note, hinſichtlich feiner
Glaubwürdigkeit und geſchichtlichen Treue, gewürdigte Dr. Schütte
hat in feiner angeführten Compilation (11. p. 302) die Aechtheit
dieſer, dem officiellen Regierungsorgane entnommenen Bülletins
angezweifelt und wir müſſen geſtehen, daß gegen die Depeſchen ſich
erhebliche Bedenken erregen laſſen, zumal die darin angeführten
Orte theils nirgends, theils nicht in der gemeinten Gegend und
Neihefolge anzutreffen find. Wir hielten uns für verpflichtet,
der allſeitigen Kritik durch Aufnahme jener Bulletins Raum zu
gönnen und die wahrſcheinlich richtigen Namen beizufügen.
333
eingeſchloſſen und zwar ohne von den bei Carlsburg
operirenden Truppen auch nur einen Mann an mich
gezogen zu haben. Bem.
Zur Erläuterung und zur Feſtſtellung der That—
ſachen müſſen wir erwähnen, daß die Ruſſen nach
der Einnahme Biſtritz's, Dobay nur ſchwach verfolg—
ten und jenſeits Biſtritz ihre Arrieregarde und die
oͤſterreichiſche Reſerve ein Lager beziehen ließen, wäh—
rend das Gros ſich über's Gebirge gegen Szasz
Regen in Marſch ſetzte, um von da gegen Maros—
Vaſarhely zu operiren und fo, wenn möglich, die
Verbindung mit dem Corps Lüder's über Mediaſch
berzuſtellen.
Auf die Nachricht, daß Bem anrüde, zogen ſich
nun die Ruſſen von Biſtritz ganz zurück und ließen
ihn am 26. die Stadt ohne Anſtand beſetzen, ſam—
melten ſich aber bald und hielten ſeinen Angriff am
27. mutbig aus. Ibre Cavalerie richtete ſogar unter
den Szeklern eine ſolche Verwirrung an, daß die
Szekler zu fliehen begannen. Nur die beiſpielloſe
Energie Bems und die Zähigkeit ſeines Characters
vermochte, wie er ſelbſt ſagt, durch 7 Stunden den
wiederholten feindlichen Cavalerie-Attaquen die Stirne
zu bieten. Bem ſtellte ſich mitten in das Quarrce,
welches das 12. Honved-Bataillon formirte und com-
mandirte ſelbſt das Feuer, jedesmal im rechten Au—
genblicke. Seine kalte Ruhe, ſein unbeugſamer Muth,
ſein entſchiedenes Standhalten, beruhigten die erſchüt—
terten Honveds und beſeelten ſie mit neuem Muth
und nur ſo konnte es geſchehen, daß Bem mit einem
einzigen Bataillon 7 Stunden lang das Schlachtfeld
334
gegen ein ganzes Corps von 8000 Mann, die Oeſter—
reicher mitgerechnet, behauptete.
Am 28. jedoch war das ruſſiſche Gros zurück—
gekehrt und Bem hatte es mit 18 — 20,000 Mann
zu thun, kein Wunder, daß er nach erbittertem
langwierigen Kampfe Biſtritz räumen mußte.
Bem entkam den verfolgenden Ruſſen nur da—
durch, daß er die Stadt umging. Allein aus dieſen
Vorgängen läßt ſich der nachfolgende Tagesbefehl
erklären, den Bem am 5. Juli aus Biſtritz an die
Truppen ergehen ließ:
Tagesbefehl.
Das Kriegsgericht, welches zu dem Ende er—
nannt wurde, um über diejenigen zu richten, welche
am 27. und 28. Juni ihre Fahnen, ihren Feldherrn,
ihre Commandanten und Cameraden durch ihre ſchänd—
liche Flucht vom Schlachtfelde verlaſſen haben, iſt ſo
ausgefallen, daß ich entweder Maſſen von Szekler
müßte erſchießen, oder zu Hunderten prügeln laſſen.
Das Erſtere will ich nicht, weil ich glaube, daß die
dem Schrecken Unterlegenen dem Vaterlande und der
Freiheit noch gute Dienſte werden leiſten können,
wenn ſie ihre weibiſche Furcht beſiegt haben und zu
ſich gekommen ſind; und das Zweite nicht, weil ich
Euch nicht wie das Vieh behandelt wiſſen will. Ich
habe demnach beſchloſſen, diesmal noch Gnade für
Recht ergehen zu laſſen und allen am 27. und 28.
flüchtig gewordenen Honveds zu verzeihen. Bei dieſer
Gelegenheit kann ich nicht umhin, die Szekler, welche
mit mir fo manches Feuer ruhmvoll beſtanden haben,
darauf aufmerkſam zu machen, daß ſie überall für
335
ihr Vaterland, für ihre und der Ihrigen Freiheit
kaͤmpfen, wo ſie den Ruſſen entgegenſtehen. Würde
der Ruſſe bier ins Land gelaſſen, ſo iſt ſein erſter
Weg nach dem Maroſcher Stuhl, nach Gyoͤrgy,
Czik und Häromszef, fo wie umgekehrt, wenn er
nach Häromszsék hineingelaſſen werden mochte; darum
kämpfen wir auch bier wie dort gegen denſelben Feind.
Wir müſſen ihn bier beſiegen, wenn wir unſere Lie—
ben in Häromszef geſchützt wiſſen, wenn wir aus
freien Menſchen nicht Jobbaͤgyen werden wollen.
Wir müſſen ihn bier vor Allem feſthalten, denn nach,
Häromszeék marſchiren bereits andere von unſeren
Colonnen, um ihn dort zu vernichten Ferner muß
ich Euch ſagen, daß Ihr von der Cavalerie grade
dann nur beſiegt und zuſammengehauen werden konnt,
wenn Ihr Euch zerſtreut. Während jeder Einzelne
verloren iſt, iſt die Maſſe unbezwingbar, beſonders
da Ihr wißt, daß ich mit den Kanonen nicht von
Euch weiche. Bleibt alſo beiſammen, bleibt bei mir,
fo lange ich ftebe; und keine Macht der Erde wird
uns beſiegen. Bald werdet Ihr Eure Väter, bald
Eure Weiber und Brüder ſehen, als Sieger und
freie Männer werdet Ihr ſie ſehen, hütet Euch alſo,
daß nicht manchem unter Euch der Vorwurf der Feig—
beit gemacht, und daß dieſe Schmach, wie bei den
alten Ungarn, aidıt auf Eure Kinder und Kindes—
kinder vererbt werde. Seid und bleibt freie und
tapfere Szekler bis zu Eurem letzten Athemzuge, denn
es gilt nicht nur Euch durch Euere Tapferkeit von
der ruſſiſcheu Knutenherrſchaft zu befreien, ſondern
auch die Ehre der Nation zu retten, welche Euere
K. |
336 '
Urahnen durch mehr als 1000 Jahre in Europa be,
wahrt haben. Seid Euerer Abſtammung von den
heldenmüthigen Hunnen und Eures großen Königs
Attila würdig. J. Bem.
Feldmarſchall-Lieutenant.
Hauptquartier Biſtritz 5. Juli 1849.
Dem zog fich bis Teke !) zurück, ſammelte feine
Truppen und nahm am 2. Juli Biſtritz wieder.
Hier raſtete er ein Paar Tage und hatte tag—
täglich im Borgoer Paſſe Gefechte mit den Ruſſen,
bis dieſe ihn abermals bis Teke zurückwarfen.
General Grotenhjelm war nämlich am 2. Juli
über Tihutza nach Borgo Prund vorgedrungen, warf
Bems Truppen aus dieſem Orte hinaus und ließ
ſie bis Aldorf?) verfolgen, von wo Bem ſich auf Teke
zurückzog. Als Bem aber gegen Biſtritz vorgerückt war,
warf ihn der ruſſiſche General Pawlow am 10. Juli,
während das feindliche Gros nach Szaͤsz Regen zog,
bis Kis Budak zurück.
Am 12. rückte aber Bem abermals bis Nagy
Sajo und Biſtriz vor, ward aber wieder von dem
geſammten ruſſiſchen Corps angegriffen und bis Sze—
redefalva zurückgeworfen.
Auf dieſem Rückzuge war es auch, daß die
Sachſen, welche von Bem und ſeinen Truppen ſo
milde behandelt worden waren, ihre verborgenen
Waffen hervorholten, und vom Stadttburm, von den
Dächern und aus den Fenſtern auf die fliehenden
Honveds feuerten, wobei Bems Adjutant Lukenits
in des Feldherrn Wagen getödtet wurde.
Am 16. Juli wurden die Szekler hier en front
1 * ekendorf. 2) Wallendorf.
337
und in beiden Flanquen angefallen. Groteubjelm
von Bilak, eine Batterie von den Hariner Alpen,
Pawlow en front; die Szekler wurden abermals ges
worfen und mußten in zwei Colonnen über Szt.
György nach Tekendorf und über Lekencze gegen
Dees retiriren. Bei dieſer Affaire commandirte jedoch
ſchon der Oberſtlieutenant Damaskin, den Bem mit
dem Commando betraut hatte, während er ſelbſt ins
Szekler Land eilte, wohin größere Gefahren riefen.
Damaskin beſtand noch am 21. bei Dedraͤd ein
Gefecht und zog ſich nach Szisz Regen zurück. Am
22. wurde auch hier gekämpft und nach mebrifimbdi-
gem bitzigen Gefecht beſetzte ein Theil des ruſſiſchen
Corps Szasz Regen, wo Grotenhjelm einſtweilen
ſteben blieb, der andere Theil aber nach Biſtritz zu—
rüdfebrte, um den Rückweg zu ſichern.
Von Szisz Regen zog ſich Damaskin über
Maros-Viſärhely nach Sz. György zurück, ſuchte
dort ſeine Truppen, welche auf kaum 5000 Mann
zuſammengeſchmolzen waren, zu ſammeln und Maros—
Vaſarhely wieder zu beſetzen.
Mittlerweile hatte ſich Bem in das Szeklerland
begeben, dort Alles zuſammenraffend, was an Streit—
kräften aufzubringen war, und verhinderte durch ſein
Erſcheinen in Haromszef die Ausführung des ruſſi—
ſchen Unternehmens gegen Carlsburg. Lüders mußte
Halt machen und Clam zog von Kronſtadt, welches
er beſetzt hatte, an den Altfluß und bedroht Has
romszék. Jyn ſchlug Bem am 20. und 21. Juli
bei Sepſi Sz. György und verfolgte ihn über Illv—
efalva nach Aldoboly, Kronſtadt bedrobend, wo man
22
338
ſchon die öffentlichen Kaſſen wegbrachte. Die Szek—
ler, durch dieſen Erfolg ermuthigt, griffen die ver—
einigten öſterreich-ruſſiſchen Truppen am 22. Juli
an, wurden aber bis Illyefalva und St. Kiräly, am
23. nach Szemerja und am 24. bis Sepſi St. György
zurückgeworfen. Nach einem harten Kampfe wurden
ſie am 27. aus Sepſi Sz. György verdrängt und
nahmen am Waldſaume, bei Malnas, Poſtition.
Alle dieſe Affairen hatte Oberſt Gal geleitet, indem
Bem nach dem erſten von ihm errungenen Erfolge
über Makſa und Keszdy-Väſärhely, durch den Ojtos⸗
Paß mit 2500 Mann und 12 Kanonen in die Mol⸗
dau eingerückt war, in der Hoffnung, die dort woh—
nenden Czangé-Magyaren zur bewaffneten Erhebung
zu veranlaſſen. Er drang bis Okna vor, nachdem
er in zwei Treffen am 23. und 24. den ſich ihm
entgegenſtellenden ruſſiſchen General Moller (Re—
ſerve der Ruſſen) geſchlagen, ihm eine Menge Wa—
gen, große Viehheerden, Munition und einige 100
Gefangene abgenommen und dadurch den Muth
ſeiner Truppen wieder belebt hatte. Ungeachtet
ſeiner energiſchen Proclamation (ſ. Szilägyi, die letz—
ten Tage der magyariſchen Revolution, im Anhange
S. 96) fand die ungariſche Sache dort keinen An—
klang und Bem kehrte nach Siebenbürgen zurück
(ſ. feinen Bericht Szilägyi letzte Tage S. 90), wo
er Oberſt Gäl in der Cſik und Häromszsk zurückließ
und ſelbſt mit feinem auf 3— 4000 Mann verſtärk⸗
ten Corps ſich feiner Baſis an der Maros und bei
Klauſenburg wieder zu nähren ſuchte.
Die feindlichen Generale faßten nun den Plan,
339
auf Maros Väſärhely loszurücken: Clam Gallas ſollte
in der Richtung von Cſik Szereda auf Sepſi St.
György, General Dyk von Fagaras aus auf der
Straße nach Väͤſſerbely und Lüders über Mediaſch
nach Segesvar rücken, welches er am 29. Juli ohne
Schwertſtreich beſetzte. Die feindlichen Generale woll—
ten Bem ins Szeklerland einſperren und deſſen Ver—
bindung mit Maros-Vaſarhely und Klauſenburg durch
Vereinigung des Südcorps mit dem ruſſiſchen Nord—
corps unterbrechen. Denn Grotenhjelm ſtand ba:
mals wieder in Szäͤsz Regen. Bein griff am 31. Juli
ungeachtet feiner geringen Macht (2400 Mann Ins
fanterie, 250 Reiter und 12 Geſchütze), den ihm
mehrfach überlegnen (18000 Mann und 24 Kanonen)
General Lüders, in einer zwiſchen Segesvar und
Köreztur wohlgewählten Poſition, nachdem er von
Udvarhely ber einige Verſtärkung an ſich gezogen,
mit Energie an. Lüders hatte ſeine Hauptmacht
auf der Straße von Maros-Vaͤſärbely poſtirt, eine
Abtheilung aber in der Richtung auf ÜUdvarhely. In
der Front hatten die Ruſſen einen Bach, die linke
Flanke lehnte ſich an die Kokel und die rechte an
waldigen Abhängen, welche von mehren in Plänkler—
rotten aufgelöſten Bataillons beſetzt waren. Um
11 Ubr rückte Bem auf der Straße von Maros-Va⸗
farbely vor und bedrängte beftig das feindliche Cen—
trum, welches, durch den Tod des General Skariatyn
erſchüttert, zu weichen begann, ſeinen Hauptangriff
aber in der Richtung von UÜdvarhely ber vornehmend.
Hier batte Lüders eine ſtarke Artillerie concentrirt
und die beftige Kanonade dauerte auf beiden Seiten
22*
340
mehre Stunden, als die Ruſſen zu wanken ſchie—
nen. Bem ließ einen Bajonetangriff auf die ruſ—
ſiſche Infanterie verſuchen. Da ließ Lüders einen
maſſenhaften Angriff auf Bems rechten Flügel durch
ſeine Lanciers machen, welcher die Schlacht ent—
ſchied. Bems Infanterie wurden geſprengt und
gegen Kéreztur in die Flucht gejagt. Bem ſelbſt
wurde verwundet, fiel in einen Waſſergraben, wo
er ſich im Schlamm verbarg, ſo daß die Feinde,
ohne ihn zu beachten, über ihn wegjagten. Die
Ruſſen erbeuteten ſieben Kanonen, zwei Fahnen,
eine Menge Munitions- und Packwagen, darunter
Bems eignen Reiſewagen und in ihm den Säbel,
welchen, einſt Rakoczy's Eigenthum, die Klauſenburger
Bürger Bem zum Andenken geſchenkt hatten. In
dieſem Treffen verloren wir durch die Verfolgung
der ruſſiſchen Reiterei noch 200 Gefangene, die Ruſ—
ſen aber hatten über 1000 Todte und Verwundete,
unter ihnen Oberſt Skariatyn, welcher noch während
des Kampfes ſtarb, zu beklagen. Uebrigens ſoll hier
Ungarns erſter Dichter Petöfi Sändor, welcher als
Adjutant Bems an der Schlacht tapfern Antheil ge—
nommen, gefallen ſein; wenigſtens hat man über
ſein Schickſal ſpäter nichts erfahren können. Bem
ſelbſt machte ſich, als die Verfolgung mit Einbruch
der Nacht aufgehört hatte, aus dem Schlamme her—
aus und ging einſam auf Kereztur zu. In dem
Kukuruzfelde traf er einen ſeiner Adjutanten und
weiterhin vier Huſaren, welche ſeinen Leichnam ſuch—
ten. Er leite ſofort nach Maros-Vaſaͤrhely, die
Szekler unter Commando des Oberſten Dobay, wel—
311
chen er in ſeinen Rang wieder eingeſetzt hatte, zur
Bewegung Udvarbely's zurücklaſſend.
Die vom General Dyk geführte feindliche Co—
lonne batte auf dem Wege von Fagaras nach Üdvar—
beiv bei Reps (Köhalom) eine Abtheilung der Unſri—
gen geſchlagen und vereinigte ſich am 1. Auguſt in
Segesvar mit Lüders.
Am 2. Auguſt in Maros-Vaſarhely angelangt,
ſuchte Bem fo viele Streitkräfte, als möglich, zu con—
centriren, fand dort eine Beſatzung von 2000 Mann
und ſandte Kemény Farkas Befehl, mit den unter
ihm ſtehenden Truppen, 4000 Mann Infanterie,
800 Mann Cavalerie und 12 Geſchütze von Klauſen—
burg berbeizueilen. Obgleich dieſer Befehl aufgefan—
gen wurde, eilte Kemeny auf den Rath eines höhern
Officiers ſofort nach Maros-Vaſaͤrhely, welches er
am 2. Auguſt erreichte“). Lüders, Fagaras verlaſ—
) Der Adjutant des Oberſten Czetz, Hauptmann Simonpyi.
fand nach der Occupation Hermanſtadts in der Tiſchlade des
Präfiventen des wallachiſchen Comités ein Blatt Papier, wor-
auf in vierzehn Punkten in lateiniſcher Sprache über die fünf:
tige Geſtaltung des Landes im politiſcher Beziehung Daten ent—
halten waren, die wahrſcheinlich in einer der Sitzungen des
Comités ſchon verhandelt waren oder zur Verhandlung kommen
ſollten. Der Inhalt dieſer Notizen beſtand, jo viel ich mich er:
innere, dem Weſentlichen nach, aus folgendem:
1) Siebenbürgen bildet eine eigene Provinz: die romaniſche
Wojwodſchaft betitelt, und wird durch ein romaniſches Gubernlum
unter dem öſterreichiſchen Geſammtminiſtertum dirigirt.
2) Die Eintheilung des Landes erfolgt, nach romanſſchem
Brauch, in Präfecturen, Tribungle und Genturionate, ſtatt der
Comitate, Stühle und Bezirke. Das Land der Sachſen, Ungarn
mitbegriffen, das Szeklerland à part.
342
ſend, übernahm den Befehl über die in Schäsburg
ſtehende Brigade des General Dyk und langte mit
ihr am 4. Auguſt in Galfalva an, dort fand er aber
die Ungarn nicht. Denn Bem hatte Damaskin mit
dem Reſt der Biſtritzer Garniſon in Maros Väſaär⸗
hely zurückgelaſſen, war am 3. Auguſt über Galfalva
mit Keménys Corps verſtärkt in Mediaſch angelangt,
und eilte blitzſchnell, ehe es die Ruſſen merkten, am
5. Auguſt mit 7000 Mann und 14 Kanonen auf die
Straße nach Hermannſtadt. Lüders konnte Bem
nicht mehr einholen, ſondern ſandte ihm 500 Koſacken
nach, um ihn zu beobachten und rückte durch Mediaſch
nach Viz Akna, wo er erſt am 6. Auguſt anlangte.
Oberſt Stein, welcher beordert wurde, die Bela—
gerung des von ihm bombardirten Carlsburg aufzu—
geben, ſollte am 5. Auguſt bei Hermannſtadt eintreffen,
3) Die diplomatiſche Sprache des Landtags ſei die Sprache
der Mehrheit, alſo die romaniſche.
4) Die Landes-Hauptreligion ſoll jene des griechiſchen nicht
unirten Ritus, unabhängig unter einem eigenen Patriarchen ſein;
die anderen Religionen ſind geduldet. In gemiſchten Ortſchaften
ſoll nun die Kirche der Mehrheit, alſo meiſtens die griechifche,
beſtehen.
5) Die an der ſogenannten Rebellion betheiligten Ungarn
verlieren alle ihre Güter, die Eigenthum der Romanen werden.
6) Die minder Betheiligten ſollen von ihren Gütern nur
eine Seſſion behalten, die übrigen werden Eigenthum ihrer frü—
heren Unterthanen ohne weitere Entſchädigungs-Anſprüche.
7) Die mit der Reaction Hand in Hand gehenden ungariſchen
Edlen verlieren Nichts von ihren Gütern, allein ſie haben leinen
Anſpruch auf Entſchaͤdigung der geſetzlich früher beſtandenen
Yeiltungen, als des Robot, des Zehnten, der Oberherrlichkeit der
Lehengüter ze. zu verlangen.
—
wäbrend Kemeny mit 1600 Mann in Maros-Vaſär⸗
bely zurückblieb, von wo aus er ſich nach Klauſen—
burg begeben ſollte, um unſere Verſprengten in dieſer
Gegend zu ſammeln. Auch Oberſt Kazinezy welcher
mit 10,000 Mann in Nordoſt-Ungarn untbätig ſtand,
wurde nach Siebenbürgen beordert, erſchien aber erſt,
als die Ruſſen Klauſenburg ſchon beſetzt hatte. Bem
ſelbſt zog am 2. Auguſt Morgens mit 7 80900 M.
und 19 Kanonen von Maros Vaſärhely ab und traf
am 5. Auguſt vor Hermannſtadt ein, General Has—
ford, mit zwei Brigaden, empfing die Ungarn bei
Viz Akna, wurde dort von Bem angegriffen und am
3. Auguſt geſchlagen.
Die Ruſſen zogen ſich fechtend nach Hermanns
ſtadt zurück, beſetzten die Straßen und Häuſer mit
Infanterie, welche ſich im Verein mit den Bürgern
lebhaft vertheidigte. Die Ungarn konnten erſt dann
der Stadt ſich bemächtigen, nachdem die Feinde ſämmt—
lich niedergemacht waren. Ganze Haufen von Leichen
bedeckten die Straßen. Die niederträchtigen Sachſen
empfingen jetzt die Ungarn auf das Freundlichſte,
ſtreuten ihnen Blumen und bewirtheten ſie, obſchon
letztere recht gut wußten, was von ſolcher Freund—
lichkeit zu halten ſei, zumal der Anblick der im Stra⸗
Bengefechte zum Theil eingeäſcherten Fleiſchergaſſe die
Wuth der Bürger erregen mußte. General Hasford
war bis Talmäcs zurückgewichen und die Ungarn be—
zogen ein Lager vor der Stadt, zu Steins Auf⸗
ſuchung eine Escadron Huſaren detaſchirend, da man
nichts von ihm erfahren hatte.
314
General Lüders ſtand am 6. Auguſt früh bei
Großſcheuern mit 15 — 20,000 Mann in Schlacht—
ordnung. Bem griff ihn um 8 Uhr mit nur ſechs
Bataillon Infanterie, 500 Mann Cavalerie und
18 Geſchützen an, während ſeine übrigen Truppen
Hermannſtadt beſetzt und Hasford in Zaum hielten.
Während der zweiſtündigen Kanonade bedrohte Bem
den anfangs ſchwachen linken Flügel der Ruſſen; als
dieſer aber beträchtlich verſtärkt wurde, ſuchte er den
rechten Flügel derſelben zu umgehn. Hier war aber die
feindliche Reiterei zu zahlreich, welche unſern umgehen—
den linken Flügel ſprengte. Die ruſſiſchen Uhlanen
nämlich rückten von ihrer Poſition auf dem rechten
Flügel mit ſtarker Artillerie auf eine Anhöhe, griffen
von dort unſeren linken Flügel und, als dieſer wich,
auch das entblößte Centrum an, welches, ungeachtet
ſeines heftigen Feuerns, im Verein mit dem rechten
Flügel ſich nach Szerdahely vor der Uebermacht zu—
rückziehen mußte. Die lebhafte Verfolgung der feind—
lichen Cavalerie bis Grosdorf koſtete uns noch 10 Ge—
ſchütze und 1200 Mann Gefangener. Als Hasford
aus der ſtarken Kanonade bei Hermannſtadt ſchloß,
daß die Hauptmacht ſich ſchlüge, griff er die Stadt
wieder an und nur der Rückzug Bems nöthigten die
Unſern, Hermannſtadt verlaſſend, auf Szerdahely zu—
rückzugehn. Bei dieſer Gelegenheit, als die Ruſſen
fechtend in die Stadt rückten, verſäumten die binter—
liſtigen Sachſen auch hier nicht, auf die fliehenden
Honveds aus den Fenſtern zu ſchießen, wobei der
als Schriftſteller berühmte Freiheitskämpfer, zugleich
ehemaliger Abgott der Sachſen, nunmehr Adjutant
315
Bems, Anton Kurz, in Bems eignen Wagen erſchoſ—
ſen wurde.
Die Arrieregarde Bems ſchlug ſich noch mit
Hasford, während Bem ſelbſt von der feindlichen
Uebermacht immer mehr in die Straßen zurückgedrängt
wurde, wo nun ein gräuliches Durcheinander ent—
ſtand. Wagen und Kanonen, welche früher nach
Szerdahely beordert worden, aber umgekehrt waren,
ſperrten die Gaſſen, die Truppen geriethen, von allen
Seiten zugleich angegriffen, in Unordnung und als
die feindliche Kavallerie die Straße nach Szerdahely
beſetzten, fielen nicht allein alle Kanonen und viele
unſerer Wagen in die Hände der Ruſſen, ſondern
dieſe zerſprengten bald die Bemſche Truppenabtheilung
nach allen Richtungen. Von der ungariſchen Arriere—
garde retteten ſich Wenige über die Gebirge. Bem
wurde mit Mühe den Händen der ihn umzingelnden
Ublanen entriſſen, beſtieg den Wagen feines Arztes,
indem ſein eigner in feindliche Hände gerathen war,
und eilte mit 30-40 Mann, theils Officieren, theils
Gemeinen nach Szerdahely, um von dort Szaͤsz Se—
bes zu erreichen. Zwiſchen beiden Orten traf er
Stein, welcher erſt durch die ihn aufſuchende Huſa—
ren-Escadron den Befehl erhalten hatte, nach Her—
mannſtadt zu rücken und dahin am folgenden Morgen
aufgebrochen war. Bem übergab ihm das Commando,
damit er die Flüchtigen ſammele, und verſprach ihm
einige Kanonen zu ſchicken. Stein ſollte den Ruſſen
allen möglichen Widerſtand leiſten, die Stellung bei
Szüsz Sebes auf das Aeußerſte vertheidigen und im
ſchlimmſten Fall ſich bei der Piskier Brücke bis auf
346
den letzten Mann halten. Bem ſelbſt ging nach
Szisz Sebes und trat von dort, am 7. Auguſt, feine
Reiſe nach Ungarn an, um daſelbſt, auf Koſſuths Ver—
langen, den Oberbefehl über ſämmtliche Truppen zu
übernehmen. Wir werden im Folgenden Gelegenheit
finden, ſeine fernere Thätigkeit zu beſprechen, und
wollen hier zuvörderſt Steins und der übrigen ſieben—
bürgiſchen Unterbefehlshaber letzte Schickſale erzählen.
Im Szeflerlande hatte Oberſt Gal unterdeſſen
fortwährenden Gefechte, ſo bei Szt. György (27. Juli),
Tusnäd (29. Juli), Käszony (31. Juli) und Nyer:
ges (4. Auguſt) mit den Ruſſen und Oeſterreichern
unter Clam Gallas beſtanden, in welchen letztere
bedeutende Verluſte erlitten. Aber durch die Ueber—
macht gedrängt, von Allen verlaſſen, ſchlug er ſich
in einem meiſterhaften Rückzuge über die Gyergyös—
Gebirge nach Klauſenburg durch, wo er am 8. Au—
guſt anlangte. Clam Gallas, eilte die Poſition bei
Maros Väſarhely zu beſetzen, um von dort aus die
noch fortwährend mit beiſpieloſer Entſchloſſenheit ſich
vertheidigenden Szekler zu beſiegen und die Reſerve
der gegen Klauſenburg operirende auſtro-ruſſiſchen
Truppen zu bilden. Grotenhjelm ſollte von Maros
Bafarbely über Thorda nach Klauſenburg rücken und
mit ihm ſich die von Mediaſch über Baläsfalva her—
anrückende Brigade Dyk, ſo wie früher von Udvar—
hely unter von Clam Gallas operirt habenden Truppen
vereinigen. Lüders ſelbſt wollte mit der Hauptmacht
Carlsburg entſetzen und alle drei Corps follten am
18. Auguſt ihre betreffenden Beſtimmungsorte, Klau—
ſenburg, Thorda und Maros Vaſärhely erreichen.
317
Bis zum 10. Auguſt war Lüders in Hermann
ſtadt geblieben und ſette ſich am folgenden Tage
gegen Szerdahely in Bewegung. Zwiſchen dieſem
Orte und Szaäez Sebes traf er auf Steins Vorpoſten,
welche ſich nach kurzem Gefecht auf Szasz Sebes zurück—
gezogen. Stein hatte nämlich ſchnell ſeine Streitkräfte
wieder geſammelt und erwartete mit ſieben Bataillon
Infanterie, 600 Reiterei und 18 Geſchützen in einer
Stellung auf den Szasz Sebes umgebenden Höhen den
femidlichen Angriff. Lüders warf ſich mit mehr als
dreifacher Uebermacht auf Stein, konnte ihn aber doch
Anfangs nicht zum Weichen bringen. Ein Angriff
der ruſſiſchen Cavalerie wurde durch ein mörderiſches
Artilleriefeuer zurückgewieſen. Aber die Wucht der
Feinde war zu ſtark. Stein zog ſich daher in beſter
Ordnung zurück, nahm auf den Höben zwiſchen Als
vinez und Szäs; Pian Poſition und warf dort noch—
mals die gewaltigen Stürme der ruſſiſchen Cavalerie
energiſch zurück. Aber mittlerweile hatten ſich 300
Koſaken nach Sziez Pian geſchlichen und ihr Erſchei⸗
nen im Rücken der Ungarn brachte dieſe zum Weichen,
während Lüders, den Augenblick benutzend, ſeine ge—
waltigen Frontangriffe wiederholte. Doch zog ſich
Stein unter beſtändigen Rückzugsgefechten in guter Ord—
nung über Szäszviros und Piski nach Deva zurück.
Dieſe Schlacht hatten beiden Theilen eine Maſſe
Menſchen gekoſtet. Lüders rückte am 14. Auguſt in
Szaszväros ein und ſchob feine Vorpoſten bis Piski
vor. Stein ſtand in dem Engpaſſe zwiſchen Deva
und Dobra beim Dorfe Lesnek, als Bem wieder in
Siebenbürgen anlangte.
318
Am 11. Auguſt hatte die Carlsburger Garnifon
einen Ausfall auf das ſchwache Cernirungscorps ge—
macht, gegen Maros Portus und drängte dieſe kleine
Truppenabtheilung nach verzweifelter Gegenwehr über
Borberek bis zu den Höhen bei Sibot (Balamir.)
Am 12. Auguſt wurden bei Segesvar, welches
noch in unſeren Händen ſich befand, die ungariſchen
Truppen geſchlagen und zogen ſich bis Balames (2) zu—
rück. (Wahrſcheinlich die Beſatzung von Maros —
ſärhely unter Damaskin.)
Lüders wollte nun an der Maros entlang —
Ungarn marſchiren, während Grotenhjelm zu glei—
cher Zeit Klauſenburg nehmen und auf Großwardein
ziehn ſollte. Grotenjelm rückte am 14. Auguſt von
Klein Czég gegen Klauſenburg vor und fein Avant—
garde erlitt bei Moes durch die ungariſchen Truppen
noch einen Verluſt. An demſelben Tage wurde Klau—
ſenburg von den Unſeren verlaſſen, welche ſich nach
Bänfi Hunyad zurückzogen. Grotenhjelm beſetzte Klaus
ſenburg am 15. Auguſt, und forderte Bänfi Hunyad
auf, ſich zu ergeben. Dyk beſetzte Thorda. Die Baͤnfi
Hunyader verweigerten die Uebergabe, ſchlugen Urban,
welcher gegen ſie geſchickt wurde, am 17. Auguſt auf's
Haupt, indem es letzteren nicht einmal vergönnt ſein
ſollte, ſeine früher hier erlittne ſchmähliche Nieder—
lage auf Koſten der demoraliſirten ungariſchen Armee
zu ſühnen. Das Corps zog ſich auf Sibé zurück,
und ſtreckte fpäter zum Theil mit dem Kaczinskiſchen
Corps vor den Ruſſen die Waffen, zum Theil ver—
lor es ſich in die Wald ſchluchten der Marmoros. Auch
3419
ergab ſich den in Klauſenburg ſtehenden Ruſſen die
in Gyalu befindliche Abtheilung der Ungarn.
Werfen wir jetzt, ebe wir das Ende der Sie—
benbürger Armee berichten, einen Blick auf den ſüd—
oͤſtlichen Winkel Ungarns, in den ſich die ganze Hoff—
nung des Vaterlandes geflüchtet hatte.
Wir wiſſen recht gut, daß die nun folgende
Schlußerzäblung nicht eigentlich zur Geſchichte des
Siebenbürger Feldzugs gehört, indeſſen wir fühlten
die Verpflichtung, theils das Bild Bems, ſo weit
möglich, in allen ſeinen Zügen vollſtändig dem Leſer
vorzufübren, theils denjenigen Daten bier einen Platz
zu gönnen, in welchen die Mitwirkung eines Theiles
der Siebenbürger Armee nicht zu verkennen iſt. Es
möge noch bemerkt werden, daß bei dem Nachfolgen—
den theils „Szilagyi letzte Tage,“ theils die officielle
„Esquiſſe,“ theils „Pataky's Bem in Siebenbürgen,“
theils mündliche Mittheilungen bewährter Augenzeu—
gen gewiſſenhaft benutzt ſind.
Am 8. Auguſt Morgens traf Bem in Lugos
ein, fand dort den Finanzminiſter Duſchek mit dem
Staatsſchatze und der Banknotenpreſſe, ſo wie viele
Regierungsbeamte, welche aus Arad, wo ſich Koſſuth
nebſt einigen Miniſtern und Deputirten noch befinden
ſollte, entfloben waren. Bem ſollte das Commando
über die noch unter Dembinski ftebende Armee, welche
ſich bei Temesvar befand, übernehmen. In Lugos
ereignete ſich indeſſen ein Zwiſchenvorfall, welcher
der Erwähnung werth iſt und der, wenn er früher
angebahnt wäre, dem Vaterlande unendliches Unglück
erſpart haben würde. Es iſt dies die Unterhandlung
330
mit den wallachiſchen Führern, namentlich mit Janku,
welche von Sendlingen aus der Wallachei eifrigſt
gefördert wurde. Schon früher hatte man gedacht,
die Wallachen zu amneſtiren und ſich mit ihnen und
ihren Brüdern in der eigentlichen Wallachey gegen
Rußland zu verbünden. Namentlich ſollte Janku mit
ſeinen Schaaren, da das Andenken an die von ihnen
in der Heimath verübten Gräuel ihr friedliches Dort—
bleiben verhinderte, in die Wallachey ziehen und von
dort aus eine Diverſion gegen die Ruſſen unterneh—
men. Janku hatte für ſich das ungariſche Generals—
patent, die Befugniß, ſeine Officiere (welche mit den
ungariſchen im Range gleichſtehen ſollten) ſelbſt zu
ernennen und die Unabhängigkeit im Commando vers
langt. Trotz der Abmahnungen Bems, fügte ſich jetzt,
wo es offenbar zu ſpät war, die Regierung dieſem
Anſinnen; Bem mußte Janku zum General ernennen,
und beorderte ihn nach Facſét. Allein die wallachi—
ſchen Oberhäupter, obgleich ſie wußten, wie wenig
ſie von der ruſſiſchen und öſterreichiſchen Regierung
für ihre Nationalität zu hoffen hatten, trauten dem
ungariſchen Sterne nicht mehr und der in Lugos ab—
geſchloſſne Tractat blieb unerfüllt.
Am 8. Auguſt Abends traf Bem in Röäkas, drei
Stunden von Temesvär ein. In einem dort gehalt—
nen Kriegsrathe entſchied ſich Bem dafür, den Oeſter—
reichern eine Schlacht anzubieten, theils um ſie am
Entſatze der höchſtens noch für acht Tage zu haltenden
Feſtung Temesvär zu verhindern, theils um die Feinde
zwiſchen Dembinskis und Görgeis Armee zu bringen,
welcher bereits ſich näherte. Dieſe Anſicht trug über
351
die Meinung Derjenigen den Sieg davon, welche in
Betracht der arg mitgenommen Armee die Belagerung
der Feſtung aufgeben und die Entſcheidungsſchlacht
noch verſchieben wollten.
Die Ungarn ſtellten ſich alſo am 9. Auguſt Mor—
gens in der Ebene bei Klein Beeskerek unweit Te:
mesvar in Schlachtordnung auf. Bem, nachdem er
bei dem Vocſeyſchen Belagerungscorps einige Anord—
nungen getroffen hatte, begab ſich ins Centrum zu
einer Batterie Zwölfpfünder, um von dort aus die
mit einer lebhaften Kanonade begonnene Schlacht zu
leiten. Der linke Flügel der Oeſterreicher ſollte an
beiden Marosufern gegen Arad bis zur Höhe von
Peécska und Foͤnlak rücken und eine ftarfe Colonne
nach Vinga und Monoſtor entſenden, um den Weg
von Temesvär nach Arad zu beobachten; das vierte
Corps (rechter Flügel), unter Fürſt Lichtenſtein, ſollte
von Paäszak aus ſich Hodonys und Käranys ) zu bes
mächtigen ſuchen, um den ungariſchen linken Flügel
zu bedrohen; im Centrum endlich ſollten die ruſſiſche
Diviſion Paniutine, ferner die zu Lovrin voſtirte
Cavaleriediviſion nebſt der Reſerveartillerie, wie auch
das zu Cſatäd ftebende dritte Corps concentriſch auf
Beeskerek marſchiren und ſich dort zum Angriff ver—
einigen. Nachdem letzteres geſchehen war, empfingen
die Ungarn die aus Beeskerek debouchirenden feindli—
chen Colonnen durch ein lebhaftes Artilleriefeuer aus
ibren hinter den ihre Front deckenden Bache aufge—
ſtellten Geſchützen. Zugleich verſuchten die ungariſchen
Huſaren die Kaiſerlichen zu überflügeln, und es ge—
*) Merfivorf.
352
lang ihnen den linken Flügel der letztern zu erſchüttern,
ſo daß die Diviſion Paniutine und die Reſerveartillerie
zur Unterſtützung vorgehn mußten. Da ereignete ſich
ein Fall, welcher entweder dem Verrathe oder einem
Mißverſtändniß beizumeſſen iſt: die ungariſche Reſer—
vemunition war noch vor Beginn der Schlacht nach
Arad beordert worden und folglich im dringendſten
Momente nicht zur Stelle. Das ungariſche Geſchütz
verſtummte. Als nun zu gleicher Zeit auf den rech—
ten Flügel die Cavalerie-Brigade Lederer, auf den
linken die von Simbſchen vordrang, das öſtreichiſche
Centrum vorwärts drängte und Fürſt Lichtenſtein den
ungariſchen rechten Flügel zu umgeben drohte, mußten
die Unſern aus ihrer Stellung weichen, das von
ihnen beſetzte hinter Bereszö belegene Holz räu—
men und ſich nach Lugos zurückziehen. Den Rückzug
deckte das Véczeyſche Belagerungscorps, welches an
der Schlacht keinen Theil genommen hatte. Trotz
der Ermüdung der Ungarn, verloren ſie an Kabine
nicht mehr als 300 Mann.
Bem war in der Schlacht vom Pferde geſtürzt,
hatte ſich den Arm gequetſcht, und war durch einen
Kartätſchenſchuß leicht am Kopfe verwundet worden.
Er ging in der Nacht nach Rékas; in der Armee
hieß es aber, er babe den Arm gebrochen und jet
ſchwer verwundet, was natürlich die Ungarn noch
mehr entmuthigte. Dies Gerücht beugte die Hoff—
nungen Koſſuth's und trug viel dazu bei, daß er den
Anmaßungen Görgei's nachgab. In Räkas herrſchte,
vorzüglich durch das Getümmel der Flüchtlinge und
durch das Feſtfahren unzähliger Bagagewagen eine
353
aränzenlofe Verwirrung, die Armee bewegte ſich in
chaotiſcher Unordnung durch die Gaſſen der Stadt,
welche noch durch die Wagen vieler Flüchtlinge aus
den umliegenden Ortſchaften vermehrt wurde. Die
Generale Dembinski, Mesziros, Perczel, Viſoky
dankten ab und flüchteten gegen die türkiſche Grenze.
Bem verlor doch den Kopf nicht, als Alle zag—
ten, ſondern war auf die Sammlung und Reorgani—
ſation des Heeres bedacht, wobei ihm ſein General—
ſtabschef, der wackere Guyon, unterſtützte. Die
Hauptſorge am 10. Auguſt war, Sold und Lebens—
mittel für die Truppen zu erhalten, denn die Bank—
notenpreſſe arbeitete ſchon ſeit ſechs Wochen nicht mehr
und das Mittel der Requiſition von Lebensmitteln im
befreundeten Lande war ein trauriges und verderbliches
Auskunftsmittel. Mittlerweile langte eine Depeſche
an, in welcher Bem von Koſſuth dringend aufge—
ferdert wurde, nach Arad zu eilen. Bem meinte in
ſeiner ſofort ertheilten Antwort: „Die Lage der Dinge
ſei nicht fo ſchlunm, wie man denke, die Reorgani—
ſation des Heeres nehme raſchen Fortgang, ſeine
Verwundung ſei unbedeutend, der Verluſt der Ungarn
gering, der von den Kaiſerlichen errungene Vortheil
nicht groß und gar nicht entſcheidend.“ Zugleich ver—
ſprach Bem, nach Arad kommen zu wollen. Dieſe
Antwort, welche die Abdankung Koſſuths gewiß ver—
zögert und ihm Muth eingeflößt haben würde, ge—
langte gar nicht an ihre Beſtimmung.
Nachdem Bem noch an demſelben Tage Einiges
in Lugos angeordnet hatte, ging er am 10. Auguſt
ſpaͤt Abends auf Nebenwegen nach Arad ab, und
23
354
kam erſt am 12. um 11 Uhr Vormittags nach Radna,
wo ihm die über ſein Erſcheinen ſtaunenden Bewoh—
ner die Abdankung Koſſuth's und die Dictatur
Görgei's mittheilten. Koſſuth ſelbſt war die Nacht
zuvor durch Radna gereiſt. Da blieb Bem nichts
Anderes übrig, als nach Lugos zu ſeinen Truppen
zurückzukehren, wo er den 13. Morgens ankam.
Görgei war nach Bilägos gezogen und Koſſuth hatte
ſich über Lugos nach Orſowa begeben. Au 43. und
14. Auguſt marſchirte Bem's Armee nach Faeſet,
während Kmety nach Karanſebes rückte, um die Ber:
bindung mit der Türkei und Siebenbürgen durch den
Eiſern-Thorpaß frei zu erhalten. Kaum hatten ſich
Bem und Guyon in Bewegung geſetzt, als die
Oeſterreicher, 80,000 Mann ſtark, vorwärts drangen,
was Bem veranlaßte, Dembinski zur Deckung ſeines
Rückzuges aufzufordern. Als dieſer nicht gehorchte
(ſiehe fein Schreiben bei Szilägyi letzte Tage, p. 100)
warf ſich Kméty mit 3000 Mann in Lugos den
Oeſterreichern entgegen. Im Verzweiflungskampfe
in und vor Lugos hielt er einen halben Tag die
ganze öſterreichiſche Armee auf und mit gänzlicher
Vernichtung ſeiner Kerntruppen, welche ihren An—
führer vergötterten, erreichte er ſeinen Zweck. Er
ſelbſt rettete ſich auf Nebenwegen in Civilkleidern über
die türkiſche Grenze. Guyon ſollte am folgenden
Tage mit der Arrieregarde von Lugos aus dem
Heere folgen. Bem ſchrieb von Lugos aus am
14. Auguſt an Koſſuth nach Orſowa, machte ihm
Vorwürfe über die Abgabe der Gewalt, erklärte, daß
er keinen Diktator und überhaupt keine andere rechts
3
mäßige Gewalt, als die von den ungarischen Reprä⸗
ſentanten eingeſetzte, anerkennen werde.
Bem wollte mit oder ohne Goͤrgei, welchen er
dazu aufforderte, nach Siebenbürgen gehen, dort den
Vertheidigungskrieg bis zum Aeußerſten fortſetzen und
forderte auch Koſſuth auf, ihm zu folgen. Die Ant—
wort Koſſuths ward aber von den Oeſterreichern
aufgefangen und gelangte gar nicht an Bem. Sie
findet ſich in „Szilägyi die letzten Tage der ungari—
ſchen Revolution p. 98.“
Unterdeſſen verbreitete ſich das Gerücht von
Goörgei's Capitulation und ungeachtet die Exminiſter
Kaſimir Battbyanyi und Szemere demſelben durch
Placate widerſprachen, hieß es bald in Lugos, Görgei
habe mit Rußland ſich gegen Oeſterreich verbündet,
den Fürſten von Leuchtenberg zum conjtitutionellen
ungariſchen König beſtimmt und bewirkt, daß die
ungariſche Armee in ruſſiſchen Sold treten könne.
Andere glaubten wieder, daß Rußland insgeheim die
Gültigkeit des ungariſchen Papiergeldes, eine Amneſtie
für die Armee und Beibehaltung des Grades für die
Officiere garantirt habe. Auch das trug weſentlich
zur Verwirrung und Rathloſigkeit im Heere bei.
In der Nacht vom 14. auf dem 15. Auguſt
benachrichtete Fürſt Lichtenſtein den General Guyon
von Goͤrgei's Waffenſtreckung und forderte ihn auf,
dieſem Beiſpiel zu folgen, in welchem Falle er ſich
für feine Begnadigung verwenden wolle. Guyvon
antwortete ablehnend, ſeine Bereitwilligkeit erklärend,
nur auf Grund der vom Könige Ungarns im Jahre
1818 ſanctionirten Geſetze unterhandeln zu wollen,
23 *
356
was Bem, welcher am 15. Auguſt beide Aktenſtücke
in Facſét veröffentlichte, vollkommen billigte. Da
entſtanden in Vécſey's Corps, dem beſtgeordneten
von allen, Berathungen unter den Officieren, ob es
nicht beſſer ſei, ſich zu ergeben, und an den von
Görgei erlangten günſtigen (!) Bedingungen Theil
zu nehmen, ſtatt das erſichtlich hoffnungsloſe (2)
Blutvergießen weiter fortzuſetzen. Bem rieth lebhaft
von einem ſolchen Schritte ab, die Ergebung Görgeis
als auf Gnade und Ungnade geſchehen bezeichnend,
und legte feinen ferneren Operationsplan vor; allein
am Morgen des 16. Auguſt marſchirte Vécſey mit
feinem Corps von Faeſét nach Arad, um dort die
Waffen zu ſtrecken — der Unglückliche, er büßte dieſe
Täuſchung den 6. October an dem von Goöͤrgei er—
bauten Galgen!
Nun griff die Demoraliſation in dem bei Lugos
ſtehenden Heere immer weiter um ſich; Bem aber
ging mit den Ueberreſten deſſelben nach Dobra, wo
er am 16. Auguſt anlangte, und daſelbſt die Reſte
des Stein'ſchen Corps antraf.
Bem war ſehr erzürnt, daß Stein die Brücke
bei Piski nicht behauptet und ſelbſt Déva aufgegeben
habe. Allein dies Schloß war durch die unvorſichtige,
oder verrätheriſche Behandlung einer alten Mine mit
100 Honveds in die Luft geſprengt worden und bei
Lesnek erfuhr Bem den traurigen Zuſtand der Sie—
benbürger Armee. Stein, ein tüchtiger Offieier, war
bei der Armee ſehr unpopulair und galt ſogar
Manchem, obgleich ganz grundlos, als Verräther.
Unter feinen Truppen griff die Inſubordination fo ,
122
um ſich, daß Niemand mehr unter ſeinem Befehl
kämpfen wollte. Wem rief in Lesnek die Oberoffi—
ciere zuſammen, erzählte ihnen den Verrath Görgei's,
ſuchte ihnen Muth und Zuverſicht einzuflößen und
ernannte Oberſt Beke zum Befehlshaber des Corps.
Unterdeſſen zogen die von Kacjet anrückenden Trup—
ven nach Dobra und ihr Beiſpiel riß alle Andern
zur Deſertion in Maſſe fort, indem ſie den Glauben
verbreiteten, der Friede ſei abgeſchloſſen und man
wolle ſie unnützer Weiſe von der Heimath entfernt
balten. Natürlich wurden die Meiſten von den
Streifpatrouillen der Oeſterreicher gefangen und aſ—
ſentirt, andere von den Mozen beraubt und gemordet.
Am 17. Auguſt überzeugte ſich Bem, daß mit
den demoraliſirten Reſten der einſt ſo wohlgeordneten
Armee nichts Anderes zu erreichen ſei, als der Rück—
zug in die Türkei, wohin man ſich aber den Weg
durch die den Engpaß bei Deva ſchließenden ruſſi—
ſchen Colonnen bahnen mußte. Ein zuverläſſiger
Officier mit 4 Kanonen ſollte den Rückzug der Un—
garn vor den nachdrängenden Oeſterreichern ſchützen.
Die Armee, kaum noch 6000 Mann ſtark, brach gegen
die in Déva ſtehenden 25,000 Ruſſen auf, entſchloſ—
ſen, ſich durchzuſchlagen. Die Ruſſen wichen von
Deva zurück, eingeſchüchtert durch das energiſche
Auftreten Bem's gegenüber einen ihm geſandten
Parlamentair und am 18. Auguſt Morgens rückten
die Ungarn in Déva ein. Die Ruſſen unter Lüders
boten nun einen 24jtündigen Waffenſtillſtand an,
welcher gewährt wurde. Als aber der in Dobra
zur Deckung des Rückzugs gegen die Oeſterreicher
358
zurückgelaſſene Officier meldete, daß ihm alle feine
Leute, bis auf 9 Mann, deſertirt ſeien, wurde Bem
inne, daß an ein Entkommen für die demoraliſirte
Armee nicht zu denken ſei. Bem ſtellte ſich in Deva
mitten auf die Straße, bat, befahl, beſchwor die
Honveds, ſich an ihn anzuſchließen und lieber mit
ihm im ehrenvollen Kampfe zu fallen, als durch
öſterreichiſche Söldner hängen zu laſſen. Alles ver—
gebens; die Entmuthigung war zu groß, die Auflö—
ſung zu allgemein, kein Gott hätte die Armee zuſam—
menhalten können! Da übergab er das Commando
an Oberſt Beke, welcher nach abgelaufenem Waffen—
ſtillſtande kapituliren ſollte und beſchloß über Ruszberg
auf einem Gebirgswege die türkiſche Grenze zu ſuchen.
Herzbrechend war der Anblick, als im letzten Augen—
blicke 10 Officiere des 37. Honvedbataillons mit der
Fahne zu Bem kamen und ſprachen: „Veéeſey hat die
Waffen geſtreckt, unſere Leute ſind auseinanderge—
gangen; wir haben dies heilige Pfand der Ehre ge—
rettet und wollen es, unter Ihrer Führung, General,
zur Todtenfeier auf das Schlachtfeld tragen“! Unter
Thränen umarmte die Braven der greiſe Feldherr.
Beke ſtreckte bei Piski die Waffen vor Lüders —
ſonderbare Fügung des Schickſals! Von Sibo und
Banfi Hunyad ging der Ruhm der Siebenbürger
Armee aus, erreichte bei Piski ſeinen höchſten Glanz
und gerade da mußten die edlen Krieger die Waffen
ſtrecken. 0 vanitas rerum! — Am 19. Auguſt Mit⸗
tags, fuhr Bem mit Guyon und 20 Officieren, unter
Geleit von 2 Compagnien Elite und einigen Hundert
Palatinalbufaren nach Lesnek, wo er Stein antraf.
350
Dort beſtieg er ein Pferd, nahm ſein kleines leinenes,
mit feinen Habſeligkeiten gefülltes, Päckchen zu ſich,
und zog, ohne einen Kreuzer Geld, auf Gebirgspfaden
über die türkiſche Grenze. Die bei Deva unter
Läzär ftebenden Truppen unterwarfen ſich dem Ge—
neral Simbſchen, welchem Beiſpiele das Hatszeger
Corps folgte. — Es gab keine ungariſche Armee mehr.
Finis Hungariae!
Obgleich die Acten über die ungariſche Revolu—
tion und zumal über die letzte Kataſtrophe noch lange
nicht als geſchloſſen anzufeben find und wir unſere
Erzäblung auch nur als einen weitern Beitrag, kei—
nesweges aber als eine abgeſchloſſene Geſchichte Sie—
benbürgens in dieſer Epoche betrachten, ſo drängt
ſich uns doch die Frage unwillkürlich auf: Wie kam
es, daß das Genie Bem's ein Land, welches er mit
6 bis 8000 Mann unfertiger Truppen glorreich er—
oberte, mit einer tüchtigen Armee von 25,900 Mann
nicht zu behaupten vermochte? Hier wirkten politiſche
und militairiſche Fehler zuſammen. Ein politiſcher
Fehler war es, daß die Regierung ihr Reduit, Sie—
ben bürgen, nicht mehr im Auge behielt, daß fie Bem
nicht kräftiger in deſſen Behauptung unterſtützte. Die
Wallachen mußten um jeden Preis gebändigt und
entwaffnet, Carlsburg, der Stützpunkt öſterreichiſcher,
ſächſiſcher und wallachiſcher Beſtrebungen, jedenfalls
erobert, Sachſen und Wallochen mußten erſt entwaff—
360
net und dann durch Amneſtie und Ertheilung
volksthümlicher Inſtitutionen unſchädlich gemacht wer—
den, ehe man Bem mit dem Kern ſeiner Truppen
ins Bannat rief. Denn ſo ließ man nicht allein
ein widerſtandsfähiges und dazu bereites Volk zurück,
ſondern entblößte auch Siebenbürgen von tüchtig ge—
ſchulten Kräften, deren es zu ſeiner eigenen Verthei—
digung noch nothwendig bedurfte. Hier bedurfte es
einer langen einheitlichen, zugleich milde, gerecht und
energiſch wirkenden, Militair-Dictatur. Als nun der
Hauptangriff abſeiten der vereinigten Ruſſen und
Oeſterreicher erfolgte, fehlte es an Zeit und Material
tüchtige Widerſtandskräfte auszubilden. Die Szekler—
Rekruten beſaßen freilich Muth, aber keine Disciplin,
und mit Lanzen vertreibt man keine geregelte Ueber—
macht. Auch hatte Bem Mangel an Cavalerie, deren
Werth er im Anfang ſelbſt wohl zu niedrig anſchlug;
denn was vermögen 2000 ungeübte Reiter gegen
12 bis 15,000? Man hätte überdies im Lande vor
Allem die ſchwierige Vertheidigung der Päſſe ſichern
ſollen, deren es außer dem Rothen-Thurm, dem
Tömöſer, Tölgyeſer oder Ojtoſer und Borgoer
noch eine Menge kleinerer gab. Denn war ein
Paß verloren, ſo erſchien der übermächtige Feind den
Vertheidigern im Rücken und vermochte die ſchwachen
ungariſchen Corps einzeln aufzureiben. Das Unglück
wollte, daß, kurzſichtig genug, die ungariſche Regierung
bis zum letzten Augenblick, nicht an eine ernſthafte
Müwirkung der Ruſſen, von den Donaufürſtenthü—
mern aus, glaubte und ſelbſt dieſen Unglauben gegen
Bem und feine Unterbefeblsbaber zuverſichtlich aus
361
ſprach. So meinte man nur mit den demoraliſirten
Oeſterreichern zu ſchaffen zu haben und gegen dieſe
waren die getroffenen Anſtalten allerdings ganz ge—
nügend. Als nun die Ruſſen zugleich den Tömöſer
und Borgoer Paß forcirten, während Bem mit der
Organiſation feiner Reſerven in Maros-Vaſarhely
beſchaͤftigt war, verwandelte ſich der an Tollkühnbeit
ſtreifende Angriffsmuth der Szekler nach den erſten
Schlappen in Niedergeſchlagenheit und Unluſt. We—
der Gal noch Dobay waren im Stande, die herein—
brechende Demoraliſation zu hemmen: Bem allein,
welcher doch nicht überall ſein konnte, vermochte dies.
Wo er erſchien, da erwachte die alte Begeiſterung
und Todesverachtung wieder und Siegeshoffnung
zog ein in die Gemüther der jungen Szekler, aber
nur ſo lange Bem's Gegenwart dauerte. Mußte er
zu einem andern Corps eilen, ſo ſank den Verlaſſenen
auf's Neue der Muth und die alten tüchtigen Unter—
befehlshaber waren nicht mehr zur Stelle, ſondern
durch andere, minderfäbige, erſetzt. Hinzu kam, daß
die Ruſſen Haromſzek das Bollwerk der Szeklerfrei—
heit ſchmählich verwüſteten, während die Oeſterreicher
mit ibrem Gold, eine ſeltne Erſcheinung im armen
Gebirgslande, die zurückgebliebenen Szekler zu bewe—
gen ſuchten, ihre Sohne und Verwandten aus der
Bem'ſchen Armee, deren Lage man als hoffnungslos
ſchilderte, abzurufen. Als nun Bem, ſeit der Affaire
bei Schäsburg, beſtändig unterlag, entliefen die Szek—
ler ſchaarenweiſe und verbargen ſich und ihre Waffen
in die heimathlichen Wälder. Seit Schäsburg und
Szeredfaͤlva war Siebenbürgen verloren und Alles
362
Folgende trug nur den Charakter eines hoffnungslo—
ſen, verzweiflungsvollen Vertheidigungskampfes. Man
muß hier die Energie und Zähigkeit des Bem'ſchen
Charakters bewundern, ſeinen Hannibalshaß gegen
die Ruſſen und ähnliche Despoten; man muß es
ehren, daß durch jede trübe Wolke des Mißgeſchicks
dem Auge des gereiften Mannes das Sehnſuchtsbild
des freilich geſtorbenen, aber dereinſt wieder erwa—
chenden Polen, entgegen blickte. Solcher Erſcheinun—
gen zählte die Geſchichte nicht viele und es fragt ſich,
ob man Joſeph Bem nicht im gewiſſen Sinne den
letzten Polen unſeres Jahrhunderts wird nennen
können! |
Das Vaterland hat gelitten, geblutet für die
heilige Sache der freien Nationalität, aber es iſt
nicht verblutet. Mögen auch Tauſende gefallen ſein,
Tauſende die Kerker bevölkern, Tauſende dem Des—
potenheeren mit Gewalt einverleibt ſein, Tauſende
fern von der theuren Heimath ſchmachten im freiwil—
ligen oder gezwungenen Exile; die Kraft des Volkes
iſt ungebrochen und ſobald der junge Tag den
Himmel röthet, werden mit dem erſten Hahnenrufe
aus dem Boden der Muttererde die geharniſchten
Rächerſchaaren erwachſen, denn die Feinde haben
treulich eine Drachenſaat geſäet. Dann werden die
Jahrhunderte lang angebeteten Götzen vor den Fuß—
tritten der Freiheitskämpfer fallen und das Wort des
Dichters ſich wieder erfüllen:
Einſt wird kommen der Tag, da die heilige Ilios hinſinkt,
Priamus auch und das Volk des lanzenkundigen Königs!
.
Sechszehntes Capitel.
Gharalteriſtil Beme und feiner Helden: Alexander Kiß, Mikes
Kelemen, Auguſt Toth, Bethlen Gergely, Kemeny Farkas,
Gal Sandor, Johann Banffy, Gabor Aron, Inczedy Samu,
Riczko Ignace, Alerius Forrs, Marimilian Stein, Feleky
Sandar.
— —
J. Bem.
Bems Geburt und Antecedentien ſind der deutſchen
Leſewelt bereits in ſo vielen wahren und falſchen Schilde—
rungen der jüngſten Ereigniſſe in Ungarn und in ſonſtigen
Werken aufgetiſcht worden, daß ich hier blos abſchreiben
oder wiederholen müßte. Ich will daber verſuchen, Bem
ſo darzuſtellen, wie er mir erſchien, und wie ich ihn im
Laufe eines ganzen Feldzuges gefunden habe.
Bems Erſcheinung, der äußeren Geſtalt nach, iſt
eben nicht impoſant. Eine, im Verhältniß, mehr kleine
Geſtalt mit zartem Gliederbau, eine polniſche, ovale
Pbyſiognomie, die Naſe klein und aufgeſtülpt, an der
rechten Wange eine Narbe, die ibm vom Streifen einer
Kugel geblieben war; der Mund und die Stirne ge
wöhnlich, graue, etwas loſe Haare auf dem Haupte,
einen Stab in der Hand, auf den er ſich ſtützt, wenn er
ſeinen mit drei offenen Knochenwunden bedeckten rechten
Fuß nachſchleppt, ſein trippelnder Gang, der eine Folge
dieſes Zuſtandes iſt: Dieß Alles zuſammengenommen,
und einen braunen, dem erſten beſten angepaßten Hon⸗
ved⸗Attila darüber, giebt uns das Portrait Bems, wie
derſelbe zum erſten Male in Szilägy Somlyß das Of:
ficiercorps der ungariſch-ſiebenburgiſchen Armee musterte.
Und in dieſer Erſcheinung an und für ſich, hätte wahr—
364
lich Keiner von uns den Helden gefucht, der uns fpäter
von Sieg zu Sieg führte, und uns die Geheimniſſe
der Kriegführung ſo genial enthüllte. Es bedurfte ſogar
einer eigenen Proklamation Koſſuths, um die Armee zum
Vertrauen auf den erprobten Helden von Oſtrolenka auf—
zufordern.
Als aber Bem ſein durchdringendes, feuriges Auge,
in dem allein ſich der göttliche Funke des Genies offenbart,
an uns vorübergleiten ließ, und in verſtändlichem, ob—
ſchon polniſch accentuirten Deutſch ſeinen Willen kund gab,
als er die Worte ſprach: „Meine Herren! ich fordere
von Ihnen den ſtrengſten Gehorſam. Wer nicht gehorcht,
wird todtgeſchoſſen. Ich werde zu belohnen, aber auch zu
beſtrafen wiſſen. Sie können abtreten.“ Da blieben
wir Alle erſtaunt vor dem kleinen Manne ſtehen, denn
wir fühlten, daß wir es mit einem Manne, einem er—
probten Soldaten, zu thun hatten, der keinen Spaß ver—
ſteht. Eine heilſame Achtung für den Führer erwachte
in der Armee durch den Einfluß der Offieiere und durch
Bems erſte Armeebefehle und Anordnungen. Dieſe Ach—
tung fteigerte ſich immer mehr, als wir die rieſenhafte,
raſtloſe Thätigkeit ſahen, welche der kleine Mann ent—
wickelte, und Bems Eigenheiten fingen an, unſeren Bei—
fall zu erhalten. Zu dieſen Eigenheiten gehörte z. B.
daß er wohl für ſeinen Generalſtab eine eigne Küche
hielt, aber ſtets allein in ſeiner eignen Stube ſpeiſte;
daß er ſelbſt ſehr einfach in Kleidung und Equipirung
war, aber ſeine Umgebung gern in Glanz und Pracht
ſah. Nur einmal, als ihm das Großkreuz des ungariſchen
Verdienſt-Ordens in Brillanten durch eine Deputation
des Landtags überbracht wurde, ſpeiſte er in Saͤsz Sebes
an der Tafel feiner Officiere, und dieſe können wohl
jenen Tag ſchwerlich vergeſſen. Es war dies ein Zeichen
der Anerkennung, die er ſeiner Armee, ſeinen wackeren
Söhnen zollte. Insbeſondere gefiel es uns Ungarn, daß
Dem bei feinem ſolitairiſchen Diner, wo es nur möglich
war, immer Champagner trank. Wir fingen an, den
—
ſonderbaren Mann liebzugewinnen, und als er endlich,
wie der Sturmwind von Nagy Bänva gegen Dies
vorrückte, und, Alles vor ſich niederwerfend, mit Blitzes—
ſchnelle Klauſenburg wieder eroberte, dieſes uns fo tbeure
Klauſenburg, wo fo viele unferer barrten, da hatte Bem
unſer Vertrauen, unſer Herz gewonnen. Wir ftanden
für ibn mit Leib und Secle ein, und was er ſprach
und verordnete, war heilige Schrift, und Frevel wäre
es geweſen, darüber raiſonniren zu wollen.
Bem war im Dienſte von eiſerner Strenge, und
ahndete jedes militairiſche Vergeben ſehr ſtreng: er forderte
von feinen Soldaten die äußerſte Anſtrengung der Kraft,
des Muthes und der Aufopferung, aber er ſelbſt ging
mit dem beſten Beiſpiel voran, ſchlief in der elendeſten
Hütte mit 30— 40 Honveds zuſammen, oder ruhte viel-
mebr ein, zwei Stunden, und ſtudirte in der Karte, wäh—
rend alle Uebrigen ſchliefen: er wachte ſtets für Alle,
las die verſchiedenen Berichte ſelbſt, ſchrieb eigenhändig
ſeine Anordnungen und ließ nur das Allgemeine und
Unweſentliche durch feine Kanzelei beſorgen. Bems Kor:
derungen an ſeine Untergebenen waren ſtreng, zuweilen
überſpannt, aber ſeine Belohnungen waren auch groß,
unerwartet, verſchwenderiſch. Nach jedem foreirten
Marſch, den glückliche Erfolge begleiteten, nach jeder
Schlacht, die große Mube koſtete, nach jedem Siege,
regnete es Avancements und Gratis-Löhnungen und Gratis—
Gagen. Aber darum konnte auch Bem verlangen, was
er wollte, es geſchah, und, hätte Bem die Hölle ſtürmen
wollen, wir wären ihm freudigen Mutbes in die Hölle
gefolgt, denn wir wußten, daraus konne nur Vortheil
für unſere gerechte Sache entſpringen; wir wußten,
daß Bem auch da, wie überall, der Erſte in der Linie
fein würde beim Avarcıren, und der Letzte, wenn es zum
Rückzug kam. Bem bielt nie einen Kriegsrath, und
dies Verfahren hatte den Vortheil, daß ſeine Pläne
nie verrathen wurden, da ſie Niemand kannte. Nur
dann und wann, in mißlichen Umſtänden, befragte er
366
den Oberſten Czetz, der mit dem Kriegsſchauplatz, den
Verhältniſſen des Landes, den Sitten und Gebräuchen
der verſchiedenen Volksſtämme bekannt war, über das,
was zu thun war, und verſagte ſelten einer begründeten
ehrerbietigen Vorſtellung die Beachtung.
Dieſes Iſoliren des Feldherrn iſt wohl eine der
beſten Eigenfchaften eines Führers, denn fie hält ihn
vom Contact fremder Ideen frei, und erlaubt ihm, in
ſtiller Einſamkeit ſeine Pläne frei und ſelbſtſtändig zu
überdenken, zu erwägen und hält ſeinen moraliſchen Muth
ungeſchwächt, ſelbſt wenn Alles um ihn her von Klein—
muth erfaßt wird; ſie ſichert vor Verrath, der in Re—
volutionskriegen fo häufig vorkommt, und umgiebt end—
lich mit einer gewiſſen Glorie von Unfehlbarkeit, die
allein vertrauensvolle Zuverſicht und blinde Ergebenheit
gebiert, dieſen Urquell aller großer Erfolge. Nur muß
derjenige, der ſich iſolirt, wie Bem, ſeiner Aufgabe
auch ganz gewachſen, und ein redlicher Vertreter ſeiner
Sache ſein.
Bem war nicht nur groß als Soldat, er war auch
groß als Menſch. Er war edel, großmüthig, human
und von ſehr wohlthätigem Sinne. Wer ihn bei Der:
mannſtadt den Tod des Oberſten Mikes Kelémen und
ſeines Adjutanten Térey, die gefallenen Wiener Legionaire
und Honveds bedauern geſehen hat; wer die zarte Sorg—
falt geſehen, die er für den daſelbſt verwundeten Stabs—
Officier Meſſéna und andre bewiefen; wer die Thränen
in ſeinem Auge glänzen ſah, als er bei Piski über das
todtenbedeckte Schlachtfeld ritt; wer die Beſorgniß ge—
hört, die er bei Hermannſtadt für einen höheren Offieier
äußerte, als dieſer, im Abenddunkel für längere Zeit
von ihm abweſend, den Kampf bei den Verſchanzungen
geleitet, die väterliche Aengſtlichkeit, mit der er Adju—
tanten und Galopins zu deſſen Aufſuchung entſendete,
und die Freude, die er bei deſſen Wiedererſcheinen be—
zeugte, der wird in Bem den edlen hochherzigen Menſchen
bewundern und lieben. Wer endlich ſein politiſches
367
Wirken in Siebenburgen, fein Verfahren gegen Sachſen
und Wallachen und gegen beſiegte Kaiſerliche betrachtet,
muß der nicht mit Staunen Bewunderung zollen der
Großmutb und der Humanität dieſes erhabenen Freiheits—
belden? Bem war in der Regel ernſt und kalt, kurz
und bundig im Befeblen, und was er einmal ausgeſpro—
chen, bielt er getreu dem Buchſtaben nach. So hatten
zwei Wachtmeiſter von Koburg-Huſaren einſt auf dem
Marſche von Maros-Väſärbely nach Schäsburg ſich
eines Subordinations-Vergebens gegen ihren Rittmeiſter
ſchuldig gemacht. Bem ließ ſie vor ein Kriegsgericht
ſtellen, und dieſes verurtheilte ſie zum Tode durch Pul⸗
ver und Blei. Bem beſtätigte das Urtheil, und befahl
die Execution an dem Tage, als die Armee gegen Her:
mannſtadt aufbrach. Auf dem Marſche ließ er die
Truppen halten, Carrée formiren, und den Delinquenten
das Urtheil publiciren.
Dem öfterreichifchen Dienſtgebrauch gemäß, kamen
zwei Kameraden, für ſie zu bitten. Bem ſprach: „Kein
Pardon!“ Hierauf kamen zwei Officiere der Escadron
und baten gleichfalls, da die Leute ausgezeichnet brav
und der Rittmeiſter in der Sache ſelbſt ſchuldig war.
Bem fragte den Oberſt Czetz, ob dieß Gebrauch, oder
erlaubt wäre? Und erſt als dieſer bejahte, ſah er den
Officieren die bereits verhängte Arretirung nach. Auch
Oberſt Alexander Kiß, der Tapferſte der Tapfern, bat
für die Verurtheilten. Bem blieb unerbittlich, und das
Per of wurde vollzogen. Ja Bem, nahm es Kiß fogar
übel, daß er ſich in dieſe Angelegenheit gemengt. Ich
ſage, Bem war ſtreng; aber nicht grauſam, denn dieſe
Execution, und den Fall ausgenommen, als er bei der
Retraite von Müblenbach einen Unterofficier, der nicht
weiter geben wollte, stante pede erſchießen ließ, kam
kein Fall von Execution vor. Bem wußte aber immer
Zeit und Ort für eremplarıfche Beſtrafungen zu wählen,
und dieß wirkte. Dieß machte ſeine Armee aus regel—
loſen Haufen fo wohl disciplinirt, und von gutem mili-
368
tairiſchen Geiſt befeelt. Dieſelbe Maxime beobachtete er
in den Belohnungen. Gewöhnlich avaneirte er die Offi—
ciere auf dem Schlachtfelde, oder unmittelbar nach einer
Affaire, und dabei ohne Rückſicht auf Anteeedentien.
Daher die blinde Ergebenheit und die fanatiſche Liebe
zu Bem, das grenzenloſe Vertrauen in den greiſen
Führer. Bem war in Kleidung und Lebensart einfach.
Er bezog nie eine Gage, ſondern ſchenkte alles Geld,
was ihm zukam, ſeinen Soldaten, oder den armen vor—
ſpannleiſtenden Landbewohnern. Ueberhaupt erſetzte er
jeden Schaden, und jede Lieferung, ſo lange und ſo oft
nur Geld in der Kaſſe war. Bem hatte daher auch nie
einen Kreuzer Geld, und auf dem berühmten Rückzuge
hatte der Verfaſſer das Glück, die gerettete Baarſchaft
mit ihm zu theilen, und Oberſt Bethlen verſah ihm mit
Wäſche in Déva. Ueberhaupt ſorgten ſeine Adjutan—
ten für ſein Equipement, und er hatte ſtets eine kin—
diſche Freude, wenn man ihm einen neuen Attila oder
ein Paar neue Hoſen brachte. Er trug während des
ganzen Feldzugs in Siebenbürgen nur einen Rock und
einen Mantel, dieſen berühmten groben Honved-Mantel,
in dem wohl 8— 10 Kleingewehrkugeln ihre Spuren
zurückgelaſſen haben mochten, aber nicht mehr, und erhielt
erſt nach beendigter Eroberung Siebenbürgens eine Ge—
nerals-Uniform; überhaupt gefiel er ſich nach dem Ba—
nater-Feldzug in ſauberer Uniform und netter Erſchei—
nung, was ſeinen Grund mitunter auch darin hatte,
daß er ein ſo großes Werk vollführt, und in Mehadia
durch einige Bäder feinen fatiguirten Körper gekräftigt
hatte. Seine Offieiere ſah er übrigens mit Wohlgefallen
ſchmuck und fein einhergehen. Insbeſondere hatte er
Sorge für die Truppen-Commandanten, ſeine Oberſte,
welche er als ſeine Marſchälle betrachtete. Dieſe alle
ſollten ihre eigene Equipage, ihren Stab haben, und
von den Plackereien des gewöhnlichen Dienſtes möglichſt
verſchont bleiben, und deſto mehr Zeit behalten ſich der
höheren Taktik und Strategie zu widmen. Dagegen
369
erwartete er von ihnen, daß fie, wenn er ihnen
ein Paar Bataillons, einige Escadronen und Bat⸗
terien angewieſen, damit die ihnen geſtellten Aufgaben
jederzeit glänzend loſen würden. Er ward hierin auch
nur telten getauſcht. Den Umgang mit dem Civil mied
Bem moͤglichſt, und nichts war ihm unwillkommner,
als Couferenzen mit Regicrungs-Commiſſatren, und der
Empfang gratulirender Deputationen. Koſſuth liebte er,
und wollte auch in Dienſtſachen von Niemand Anderem
Etwas wiſſen, was das Kriegsmimiſterium bäufig appre—
bendirte. Nur, als ihm einmal Koſſuth das Geld für
die Armee verweigert, das Kriegsmimiſterium aber in
dem Babel der Amtirung zufällig geſchickt hatte, ſöhnte
er ſich mit demſelben aus, und nannte Meszaros einen
braven Mann.
Bem war unanſehnlich von Geſtalt, aber er hatte
eine eiſerne Conſtitution, die weder die Schneefelder
Polens, noch die Sandwüſten Algiers zu ſchwächen ver—
mochten, und ſeine Energie ſiegte über alle Schmerzen.
So ließ er ſich ſeine drei offenen Wunden täglich ver—
binden und ritt unabläffig, ohne den geringſten Schmerz,
an Schlachttagen zwiſchen feinen Truppen umber. Nach:
dem er den Finger verloren, trug er fortwährend den
Arm in der Binde, und ließ ſich aufs Pferd beben,
von dem er nicht abſtieg, bis die Affaire entſchieden
war. Auf dem Marſche fuhr er bei der Avantgarde in
ſeinem Wagen.
Gegen Damen war Bem ganz der artige Franzoſe,
zu dem ihn Temperament“) und Urſprung nebſt Er:
ziehung ſtempelten. Damen mochten bitten, um was
ſie wollten, es ward ihnen jedesmal gewährt, wenn es
anders Staatsintereſſen nur halbwegs zuließen. Dabei
») Man leſe den Brief Bems an die Gattin des Oberſten
Grafen Mikes Kelemen, und man wird den ritterlichen Sinn
Bems und deſſen Anerkennung jedes Verdienſtes gewiß bewundern.
24
370
aber beſaß er doch eine Abneigung gegen das Frauen—
geſchlecht, und es war ihm überall unheimlich, wo er
es mit einer Dame vom Hauſe, und mochte ſie noch
ſo liebenswürdig ſein, zu thun hatte. Er mied auch
möglichſt ſolche Einquartierungen. Die Damen hin—
gegen intereſſirten ſich ungemein für den greiſen Hel—
den, und die von Klauſenburg ſtickten ihm eine reiche
Chabraque, ein ganzes Kopfgeſtell für ein Schlachten—
roß, einen Gürtel und eine prachtvolle Scheide für Ra:
koczys Säbel, den man ihm verehrte. Er empfing alle
dieſe Artigkeiten mit höflichem aber kaltem Dank, und
war froh, ſich aus Klauſenburg bald entfernen zu können.
Denn ihn feſſelte nur der Donner der Kanonen und
das Blitzen der Gewehre, durch welches hindurch er
immer das Bild des befreiten Polens erblickte. Dieß
war das Ziel aller ſeiner Gedanken und Handlungen,
die einzige Hoffnung, die er in der Bruſt hegte. Dieß
iſt gewiß auch die Urſache feines Uebertritts zum Is—
lam, denn hier hofft er am Eheſten Gelegenheit zu
haben, wie Hamilkar gegen Rom, ſo er gegen Rußland
zu fechten.
Bem gewann während des Kampfes die Ungarn,
insbeſondere die Szekler ſehr lieb. Dieſe, an perſönlicher
Bravour und Todesverachtung, alle übrigen Nationen
übertreffend, paßten gerade zu Bem, und wenn es irgend
einen harten Strauß, auszufechten, irgend eine Schanze
zu erſtürmen, irgend eine Batterie zu erobern galt, da
ſagte Bem ſchmunzelnd: „Ach, die Szekler, meine jungen
Szekler, die werden's ſchon machen!“ Und in der That,
die Schanze ward geſtürmt, die Batterie genommen.
Dem brauchte nur „Elöre flaim“ (Vorwärts, meine
Söhne) zu ſagen, und der Szekler rief: „Eljen Bem
ap“ (Es lebe Vater Bem)! und ſtürzte blind auf den
Feind, raſch wie die Windsbraut, überall Tod und Ver—
derben ſäend.
Folgende zwei Anecdoten werden zeigen, wie Bem
mit den Szeklern umzugehen pflegte. In der Affaire
a
*
bei Vaiszlova hatten zwei Szekler, ganz allein, zwei
eiſerne Kanonen erobert, nachdem der Feind durch die
vorangegangene Wirkung des Bemſchen Geſchützes den
Platz verlaſſen und nur ein paar Mann der Bedienungs—
mannſchaft dabei zurückgeblieben waren, die dieſe nieder:
machten. Bem klopfte ihnen auf die Schulter, decorirte
fie mit dem Verdienſtorden, und ſchenkte jedem 100 Gul⸗
den C. M. Von dieſer Zeit an verſchworen ſich die Szekler,
ſich gar nicht mehr in Tiraillcurgefechte einzulaſſen,
ſondern nur gleich auf die Kanonen loszugehen, da dieß
der Geſchichte am ſchnellſten ein Ende macht, und oben—
drein reichlichern Lohn bringt. Und ſie haben ihr Wort
im Banat gehalten. Bei Szäszka ward in der Nacht
bivouaquirt. Der Regen goß in Strömen herab und
loͤſchte die Lagerſener aus, nur in Bems Wagen brannten
die Laternen. Bem ſaß nachdenkend, im Mantel gehüllt,
im Wagen. Da kommt ein Szekler hin, und fängt an,
beim Schein der Laterne ſein Gewehrſchloß mit einem
Zipfel des Mantels zu reinigen. Dieß gefiel Bem und
er ſchenkte ihm 5 fl. C. M. Dieſer geht weg, und
bald darauf erſcheint ein andrer Szekler auf der andern
Seite des Wagens, und ſieht ſich während des Putzens
des Gewehrs ſtets nach Bem um. „Ich habe ihn aber
nicht geſehen,“ ſagt Bem, „ſonſt hätte ich meine ganze
Kriegskaſſe ausleeren müſſen.
Von den Ungarn nun pflegt Bem zu ſagen: „die
Ungarn ſind brav, tapfer, kühn, entſchloſſen, tüchtig,
aber ſie wollen nicht ſchreiben. Rapporte machen, das
iſt nicht ihre Sache. Sie reiſen lieber 15 Meilen, als
daß ſie ein Wort ſchreiben mögen.“ Er liebte ſie übri—
gens, und bielt viel auf ſie, nur apprehendirte er die
Hufaren, weil dieſe nicht in jeder Affaire wenigſtens
eine Batterie eroberten. Ueberhaupt forderte er von der
Cavalerie Unmögliches, und brachte ſie durch ſeine Kreuz—
und Querzüge ungeheuer herab. Er dachte ſich die Er:
gänzung der Cavalerie viel leichter, als dies in der
That der Fall iſt, und das war ein großer Irrtbum,
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372
8
den er auch während des zweiten Theils des Feldzugs,
mit den Ruſſen, ſchwer gebüßt hat.
Die Polen gefielen ihm im Revolutionskriege gar
nicht, und er organiſirte zwar polniſche Laneciers und
Infanterie, verwendete ſie aber ſo ſelten als möglich.
Er haßte ihren ewigen Disputati nsgeiſt.
Gegen die beſiegten Feinde war Bem überaus hu—
man und großmüthig. Er ließ die Verwundeten gleich
den eigenen verpflegen, kleidete die Gefangenen, und
gab ihnen mehr Löhnung, als ſie von Oeſterreich be—
zogen, die Officiere durften auf Ehrenwort unangefochten
wohnen wo ſie wollten, und erhielten ihre Gagen, Witt—
wen ihre Penſionen, Gattinnen konnten ihren Männern
in die Wallachey nachreiſen, wie dieß mit der Frau des
kaiſerlichen Oberlieutenants Weſton der Fall war, welche
von Carlsburg bis zum rothen Thurm-Paß durch Bems
Adjutanten begleitet wurde. Und dieß Alles ohne Affecta—
tion, ohne Prahlerei, gerade als ob es ſo und nicht
anders geſchehen müßte. Bems Humanität entwaffnete
ſogar den Haß der Sachſen und Wallachen, und ſie
liebten und achteten Bem, wenigſtens war dieß beim
Landvolk der Fall.
So war Bem, einfach, erhaben und groß! Sein
Genie beurkundete ſich in Allem, was er that, und ſein
Name glänzt für alle Zeiten in der erſten Reihe der
Helden für Freiheit und Recht. Möge Gott ihn noch
lange erhalten, zum Wohle ſeines Vaterlandes, zum
Glück der Menſchheit und als Hort der Civiliſation
und der Völkerfreiheit, an dem romantiſchen Ufer des
Bosporus. Möge er volle Kraft und Geneſung finden,
um gerüſtet zu ſein, wenn das Geſchick ihn ruft.
Zum Schluſſe über Bem füge ich noch bei, was
er über Görgei mir oft im Winter 1849 wiederholte:
„Mein junger Freund,“ ſprach er, „Görgei iſt kein
General, denn wer von Schwechat bis Schemnitz, ohne
einmal Stand zu halten, läuft, der verdient nicht den
Namen General. Und dann geben Sie Acht, Görgei
iſt ein ſchlechter Menſch.“ Bem hat leider wahr ge
ſprochen.
J. Oberſt Alexander Kiß.
Alexander Kiß, früber Rittmeiſter bei den Szekler—
Huſaren, fpäter Oberſt und Brigadier in Bems Armee,
geziert mit dem ungariſchen Verdienſt-Orden, war, in
mittleren Jahren, einer der ſchmuckſten Huſaren-Officiere.
Klein, gedrungen von Natur, batte er die beſte Propor—
tion für den Huſaren, und, wenn man ihn ſah, mit den
feurigen, geiſtvollen Augen, dem feinen, wobl friſirten
Schnurrbart, der netten Uniform, toujours à quatre
epingles, da freute man ſich des wobltbuenden Eindrucks,
den ein ſolcher Militair gewährt. Wenn man ihn aber
dann an der Spitze einer Huſaren-Abtheilung erblickte,
wenn er flink und gewandt fein Pferd berumtummelte;
wenn man das feurige Blitzen dieſer Augen gewahrte,
und die Ungeduld, die durch den ganzen Körper zuckte,
wenn fein heißes, tbatendurftiges Blut, durch die kalte
Berechnung der Vernunft einen Moment zurückgebalten,
dann in ſturmiſchem Brauſen auf den Feind zujagte,
überall der Erſte unter den Tapferſten, da ward man
von Bewunderung und Liebe ergriffen für den jungen
Helden. Wenn man ibn dann im Kriegsratbe hörte,
wie klar, wie einſichtsvoll er die Lage der Dinge auf—
zufaſſen und darzuſtellen, wie er gediegen, kenntnißreich,
taktiſche und ſtrategiſche Dispoſitionen zu entwerfen, und
die Chancen zu combiniren verſtand; wenn man ihn
dann in der Burgerverfammlung zu Kronſtadt gewahrte,
wie er die Fruchte tiefer, philoſophiſcher Forſchung dem
ungebildeten Volke der unteren Klaſſe mundgerecht zu
machen, die Reaction und ihre Anhänger ſcharf und
beißend zu kritiſiren und die Menge für ſeine Anſichten
374
hinzureißen verſtand, da beugte man ſich voll Achtung
vor ihm, und zollte ihm die Ehrfurcht, die ihm als
Soldaten und gebildeten, denkenden Forſcher in ſo hohem
Grade gebührte.
Das war Kiß, der Unermündliche, der ewige Pa—
trouilleur und Recognoscent während des Krieges, der
geiſtreiche Staatsmann während der Ruhe.
Hätte Kiß einen größeren Wirkungskreis gehabt,
er wäre einer der glänzendſten Charaktere der ungariſchen
Revolution geworden, aber es genügte ihm, in dem klein—
ſten Kreiſe ſeine Pflicht zu thun, als Bürger und Soldat.
Er trachtete nicht nach Ruhm und Ehren, ihn befriedigte
das Bewußtſein erfüllter Pflicht.
Seine Schwäche war, daß er Kronſtadt, oder viel—
leicht Jemand in Kronſtadt zu ſehr liebte, und mit der
Erlangung des Militair-Commandos daſelbſt alle Wünſche
erfüllt ſah.
Wir kennen ſein Thun und Wirken aus dem Feld—
zuge, und können nur ſein Ende berichten. Er ſoll, nach
öſterreichiſchen Blättern, von feinen bei Tömös erhal:
tenen Wunden geneſen und nach Czernowiez gefangen
abgeführt worden ſein. Hier wurde er vor das Kriegs—
gericht geſtellt, und, da er den Tod der Schurken am
Galgen nicht wollte, nahm er vegetabiliſches Gift. —
Friede ſeiner Aſche! —
III. Oberſt Mikes Kelemen.
Ein ſchöner ſtattlicher Mann, mit graziöſen ariſto—
kratiſchen Manieren, ein vortrefflicher, kühner Reiter,
als Soldat guter Cavaleriſt, prächtiger Kamerad, und
auf dem Schlachtfelde tapfer, entſchloſſen, kühn. Er war
ehedem öͤſterreichiſcher Officier, quittirte aber den lang—
weiligen Friedensdienſt, und ſtand ein, da ihn das Vaters
land rief. Ihm und dem Oberſten Betblen bat es das
Vaterland zu danken, daß das Regiment Koſſuth⸗Huſaren
wirklich ins Leben trat; denn Berzenezey, der mit deſſen
Organiſation beauftragt war, batte ohne dieſe Beiden
wohl nie den Zweck erreicht. Oberſt Mikes hat ſich in
allen Schlachten bervorgetban durch Bravour und Ge:
ſchicklichkeit. Bem hatte ihn darum ſehr lieb gewonnen,
und wollte ibm nach der Einnahme von Hermannſtadt
das Commando der Siebenbürger Armee übertragen.
Da ereilte ibn das Geſchick. Er fiel bei der erſten
Affaire vor Hermannſtadt durch eine Kanonenkugel Man
ließ fpäter feine Leiche noch auffuchen und in der Fa—
miliengruft beſtatten.
IV. Oberſt Auguſt Toth.
Ein Mann von hohem, graziöſem Wuchs, einneh—
menden Aeußern, feinem ariſtokratiſchen Tact und gründ—
licher, militairiſcher und humaniſtiſcher Bildung. Von
unbemittelten Eltern, ächt ungariſchen Blutes, abſtam—
mend, batte er ſeine Studien in einer der militairiſchen
Lebranſtalten Oeſterreichs mit mehr als gewöhnlichem
Erfolg vollendet, war hierauf in die Armee getreten,
bald zum Officier avaneirt und von der Linien-Infan⸗
terie, in Folge ſeiner Kenntniſſe und Verwendbarkeit,
dem kaiſerl. öſterreichiſchen Generalſtab zugetheilt wor:
den. Hier arbeitete er neun volle Jahre, wie ein
Laſtthier, als einer der geſchickteſten Mappeurs und
militairiſchen Landesbeſchreiber, und konnte es bei dem
Kaſtenweſen dieſes Corps nicht erreichen, bei noch ſo
glänzenden Verdienſten, in den Etat des Quartiermeiſter—
ſtabs aufgenommen zu werden. Er ließ ſich daher als
376
Capitain wieder zur Linie verſetzen, und heirathete
eine ſchöne Wienerin, gerade als die Revolution aus—
brach. Beim ungariſchen Regimente Preußen dienend,
kam er auf Befehl des ungariſchen Miniſteriums im
September aus Galizien nach Ungarn, und erhielt bald
in Folge feines bekannten Talentes und wohlverdienten
militäriſchen Rufes die Organiſation des 31. Honveéd—
bataillons, als deſſen Major und Chef. Dieſe vollen—
dete er in kurzer Zeit mit bewundernswürdiger Sach—
kenntniß, und kam mit dem Bataillon unter das Com—
mando Bems. Was er im Feldzuge geleiſtet, iſt bekannt.
Erwähnenswerth iſt alſo nur noch, daß er die Zeit,
welche ihm die drängenden Ereigniſſe gönnten, zu lite—
rariſchen Arbeiten benutzte, und in dem neuen Sieben—
bürger Boten die gediegenſten Aufſätze über die Lage
Ungarns in Europa nach dem 14. April erſcheinen ließ.
Später erhielt er ein Corps, im Bannat ſchlug er, ge—
meinſchaftlich mit General Vetter, Jelaéic bei Höreg
und Bleskeres (?) und ward am Ende der Revolution
von den Oeſterreichern zu 18jährigem Feſtungsarreſt in
Eiſen verurtheilt.
Oberſt Toth war zweifelsohne einer der erſten
militairiſchen Capacitäten der ungariſchen Armee, und
es war ihm vom Schickſal nur der Wirkungskreis ver—
ſagt, der ſeinen Talenten entſprochen hätte. Er war
ein höchſt intereſſanter, in den Augen der Klauſenburger
Damen ſehr liebenswürdiger Mann; Republikaner aus
Ueberzeugung, aber Ariſtokrat in den Manieren. Er
war verſchloſſen und zurückhaltend, wähleriſch in ſeinen
Bekanntſchaften, ehrgeizig bis zum Uebermaß, und
dieſer Ehrgeiz ließ ihn ſogar zuweilen die Reſſorts der In—
trigue gebrauchen, dabei aber war er ein durch und durch
ehrlicher und aufrichtiger, warmer, redlicher Patriot. Möge
ihn der Himmel, für das Wohl ſeines Landes und der
Menſchheit, im Kerker nicht zu Grunde gehen laſſen!
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V. Graf Oberſt Bethlen Gergely.
Ein Spröfling der Familie der großen Sieben—
burger Fürſten Bethlen Gabor, war er durch Blut und
Ueberzeugung Patriot, und ſchlug als ſolcher Hab und
Gut und Leben fürs Vaterland freudig in die Schanze.
Durch Geburt und Erziebung Cavalier, auf Reifen e
bildet, bebielt er innern Werth genug, um in
Augenblicke, da ihn die Pflicht für Recht und Geſetz
zum Kampfe rief, keinen Augenblick zu ſchwanken. Von
Jugend auf tummelte er ſich auf den edelſten Pferden
berum, und ward fo einer der vorzüglichften, wenn nicht
der beſte, Reiter unter allen Siebenburgiſchen Gentlemans.
Theorie und Praxis der Reiterkunſt waren in ihm per—
ſonificirt, und auf den Ruf Vay's errichtete er, mit Mikes
Kelemen im Bunde, die erſte Diviſion Maͤtyäs-Huſaren
in Klauſenburg. Er weihte ſich, da er ſich entſchloſſen,
auch ganz dem Dienſte, ſchlief mit der Mannſchaft
in der Caſerne, richtete jeden Reiter einzeln ab, und
ſtudirte in den Mußeſtunden Murats Reiterthaten. Von
Natur mit ſebr glücklichem militairiſchen Takte und
bohem perſönlichen Muth begabt, war er im Entwurfe
von Dispoſitionen einfach, aber treffend, in der Aus—
führung unvergleichlich. Wenn man ihn in der Schlacht
auf ſeinem kleinen, rabenſchwarzen Araberhengſt, mit keck
nach der linken Seite aufgeſetztem Czako daherbrauſen
fab, hier die Müden durch einen Scherz aufmunternd,
dort die Feigen durch flache Hiebe ſpornend, dann an
der Spitze der Huſaren kuhn auf feindliche Maſſen ans
ſprengend, immer voran, immer unermüdlich, da lachte
dem Soldaten das Herz, und der Vaterlandsfreund ſandte
die heißeſten Wünſche für einen glücklichen Erfolg ihm
nach. Bethlen war ein echter Adeliger, und von Hoch
und Gering gleich geehrt und geliebt. Er war der ritter—
lichſte Mann in Bems Armee, und Koſſuth hat ſeine
375
militairiſchen Verdienſte durch das Ehrenkreuz zweiter
Klaſſe zu würdigen gewußt. Was er that, that er aus
lauterer Ueberzeugung. Das Vaterland kennt und be—
wundert ihn, ſeine Freunde aber weihen ihm das achtungs—
vollſte, liebendſte Andenken; die Wallachen werden ſeiner
gedenken, wenn ſie einſt wieder eine Erhebung gegen die
Magyaren verſuchen möchten *)!
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5
—
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1
VI. Oberſt Baron Kemény Farkas.
Verwandt mit dem großen Vorkämpfer für das
Geſetz, dem Leiter der Oppoſition Dionys Kemeny,
war er gleich dieſem ein Ungar von ächtem Schrot und
Korn. Die Union fand ihn, nahe an 50 Jahr alt, in
ſtiller Zurückgezogenheit in Thorda. Die Nationalgarde
wird organiſirt, da werden die Erinnerungen ſeiner Ju—
gend wach, er war nämlich Soldat geweſen, und er läßt
ſich zum Nationalgarde-Major erwählen, müht ſich ab
mit der Organiſation und Abrichtung derſelben, und
geht frohen Muthes beim Rückzug der Ungarn aus
Klauſenburg mit feinen Garden den Honveds nach. Hier—
auf bleibt er Soldat, und macht die Campagne in Sie—
benbürgen mit, wobei er Bems Liebe und die Achtung
der Armee gewinnt. Der rüſtige Alte übertrifft an
Muth und Energie die Jugend, iſt raſtlos thätig und
erhält unter feinem Corps ſtets die größte Mannszucht.
Er war nicht zum Anführer gebildet, aber, was man
ihm auftrug, führte er aus, wie Keiner. Er war einer
) Bethlen, der Murat der Bem'ſchen Armee, wie ſein Freund
Telely Sändor find den Haynauſchen Krallen, wie wir eben er:
jahren, glücklich entronnen, und nach intereffanter Flucht über die
Türkei nach Frankreich gelangt.
379
der Koryphäen der Bemſchen Armee, und wenn feine
Entwürfe der Strategie und Taktik auch ermangelten,
fo wußte der graue Krieger durch Feſtigkeit, Unerſchrocken⸗
beit und Verachtung der Gefahren viel zu leiſten. Sein
Alter machte ihn liebenswerth, ſeine Kühnheit erwarb
ibm Achtung und ſein gerader Charakter führte ihm die
Herzen ſeiner Kameraden und Untergebenen zu. Nach
der Nieverlage der Ungarn verſchwand er dem
der Rächer, und das Vaterland fiebt bange feinem
tauchen aus dem Dunkel feiner Abgeſchiedenheit entg
Als varadores Beiſpiel feines Patriotismus führen
nur an, daß er, beim Uebertritt der magyariſchen Re⸗
gierung auf revolutionairen Boden, feine Tochter, die
an einen kaiſerl. Oberſten vermählt war, in öffentlichen
Blättern als Vater und Ungar von dem Söldner eines
treubruchigen Könige reelamırte.
VII. Oberſt Gil Sandor.
Ein Szekler von Geburt, jung, feurig, kühn; Sol-
dat vermöge der Erziehung, energiſcher Redner ver:
möge natürlicher Anlage. Als Militair wußte er ſtets
die am Beſten und Schnellſten zum Zweck führenden Mittel
zu wählen, die ſchwächſte Seite des Gegners zu ergrüns
den, und dieſe traf er dann mit der ganzen Wucht jenes
Talents, das da weiß, ein Volk zu beherrſchen. Oberſt
Gal batte ſich ſchon vor der Revolution in der ungariſchen
Militair⸗Literatur geachtet und bekannt gemacht. Als die
Bewegung anbrach, ward er Honved und ging mit Ber—
enezei ins Szeklerland, wo er allein an der Organi—
— der Koſſuth-Huſaren und des I2ten Bataillons
raſtlos arbeitete. Er leitete hierauf die Vertheidigung
Haromszékls ebenſo kühn, als zweckmäßig, und lieferte
380
ſpäter durch feine durchgreifenden Maßregeln Bem dieſe
Maſſe von Recruten, die des letzteren Armee ſo ver—
mehrten. Zuletzt beſtand er allein die ganze Wucht
der ruſſiſchen Dränger in Häromszék, mit hoher Ein—
ſicht und wahrem Heldenmuth, und bewies durch die
Rettung ſeines Corps inmitten zweier feindlichen ſieg—
reichen Armeen glänzend ſein Anführer-Talent. Gäl
war der Abgott der Szekler, die in ihm den genialen
ndsmann verehrten, und ihm zu Liebe Alles thaten:
al brauchte nur zu winken, und was er wollte, geſchah.
Dieß machte den jungen Mann natürlich eitel und zu
ſehr nach Popularität haſchend, woher es kam, daß er
eine große Zahl untüchtiger Individuen zu Officieren
beförderte, die ihm und dem Lande im Drange der Ge—
fahr wenig Ehre machten. Im Uebrigen gehört Gäl
Sändor zu den tüchtigſten Köpfen des Landes, und kann
einſt ein mächtiger Hort ſeiner Freiheit werden. Er
ſoll durch die Türkei nach Griechenland entkommen ſein.
VIII. Oberſt Baron Johann Bänffy.
Von Kindheit auf militairiſch erzogen, mit ſcharfem
Blick und hohem Muth begabt, war Oberſt Bänffy der
bravſte von Bems Soldaten und durch raſtloſe Thätig—
keit, eiſerne Strenge gegen ſeine Untergebenen, Schnellig—
keit im Entwerfen, Kühnheit in der Ausführung, einer
der beſten Corps-Commandanten. Bänffys Aeußere im
Feldzuge, war das des Soldaten, der den Krieg nicht
aus Mode oder aus Zeitvertreib mitmacht. Denn es
gab ſolche Erſcheinungen im ungariſchen Heere in Fülle.
Der ſonn- und wettergebräunte Teint, der gewaltige
Schnurrbart und das behaarte Kinn mit der wohlgebil—
deten Naſe und der hohen, muthigen Stirne deuteten
* 381
auf etwas Martialiſches und die feurigen duſterglänzenden
Augen verrietben die nimmer rubende Arbeitſamkeit des
Geiſtes. Bänffy war ein dem Auge gefallender Mann,
aber niemals ſchöͤner, als wenn er im heißeſten Kampf—
gewübl, mit dem gezogenen Säbel auf dem ſtattlichen
Roß in den großen Reiterſtiefeln, immer der erſte vor
der Infanterie, fein Corps zum Sturme führte. Bänffy
war Ropaliſt und als ſolcher kein Freund der Debreczi—
ner Regierung, aber er war ein glübender Patriot, »
wagte willig fein Leben für das gute Recht feines Va—
terlandes. Bem liebte ibn wegen feiner Tapferkeit und
vielſeitigen Verwendbarkeit. Er vertraute ihm bei ſeiner
Rückkehr das Commando des Siebenbürger Armee-Corps
im Bannat, wo aber Bänffy, zum großen Nachtheile der
Sache, bald erkrankte und ſo vom Schauplatze abtreten
mußte, ebe noch die Kataſtrophe von Vilagos berein—
brach. Gott gebe dem Vaterlande viele ſo wackere Krie—
ger, als er war; dann hat es nichts zu fürchten.
IX. Major Gabor Aron.
Ein ſchlichter, einfacher Szekler, ohne beſondere
Weltbildung und von einem Acuferen, aus welchem ſelbſt
der größte Phyſiognom nichts berausgeleſen hätte, einen
unerſchrockenen, todesverachtenden Soldaten abgerechnet.
Gabor Aron war eines Grenzers Sobn, und als ſolcher
militairpflichtig. Er war in die Grenz-Artillerie eingereiht
worden, da er fchon früb große Geſchicklichkeit in der
Drechsler- und Zimmermannsarbeit bewies, und hatte
in der Feſtung Carlsburg von dem Artillerieweſen ſo
viel profitirt, wie ein Artillerie-Corporal gerade nöthig
bat. Es kümmerte ſich daher auch Niemand darum,
daß er zum Zeitvertreibe ganze Tage bei den Geſchützen
*
zubrachte, und zuweilen in roher Form, als Naturzeichner,
ſich Kanonen-, Haubitz- und Mörſerröhre auf ein Stück—
chen Holz oder auf ein vergilbtes Papierſchnitzel abzeich—
nete. Niemanden wäre es damals eingefallen, wohl ihm
ſelbſt nicht, daß er einſt berufen ſein würde, ſelbſt ſolche
Geſchütze anzufertigen, deren Portrait er damals ſo un—
geſchickt entworfen. Er diente ſeine Zeit aus und ward
in den Stand der Halb-Invaliden verſetzt. Hier be—
ſchäftigte er ſich, da er für einen Landmann ziemlich
wohlhabend war, mit allerlei mechaniſchen Arbeiten; er
verſuchte es mit Sägemühlen, Schleuſen-Conſtruetionen
u. dgl. Dingen, wo es beſonders Holz zu ſchnitzeln
und Räder nach gewiſſen Normen in Bewegung zu ſetzen
gab, und war, dieſer Manie wegen, die ihm obendrein
einen großen Theil ſeiner Habe koſtete, das Stichblatt
des Witzes ſeiner unwiſſenden Nachbarn. Da bricht die
ungariſche Revolution aus, und wir wiſſen aus der Er—
zählung des Feldzugs, was Gabor Aron geleiſtet. Hin—
zufügen können wir nur noch, daß Ungarn und Bem es
Gäbor Aron allein verdanken, daß Häromszsék ſich fo
heldenmüthig gehalten, und der moraliſche Muth der
Szekler nicht gleich im Anfange erſchlafft iſt. Ohne ihn
wäre der Siebenbürger Feldzug nie ſo glänzend aus—
gefallen. Und doch war dieſes geniale Kind der Natur
in den Epochen ſeines höchſten Glanzes ſo einfach, als
wie ehedem, beſcheiden, anſpruchslos, gleichgültig für
Auszeichnung und nur immer mit ſeinen Kindern, den
6 und 12pfündigen Kanonenröhren und deren ſchöner
Ausſtattung beſchäftigt. Er wollte ſogar ſeine Ernen—
nung zum Major ablehnen und nur die ſchmeichelhafte
Zuſchrift Bems und des Gouverneurs von Ungarn be—
wogen ihn hinzu. Er war ein großer Freund ſeines
Landes und ein für demokratiſche Einrichtungen begei—
ſterter Mann.
Er endete ruhmvoll ſein thätiges Leben neben ſei—
nen Kanonen, in der Affaire mit den Ruſſen bei Rötz
und Beſenyö, am 9. Juli 1849. In der Geſchichte
*
m
wird er unvergeſſen bleiben, und noch nach Decennien
wird der Szekler mit Stolz ſeinen Kindern von dieſem
merkwurdigen, großen Landsmann erzählen.
X. Oberſtlieutenant Inczedy Samu.
Ebemals Militair, quittirte er den Friedensdienſt,
der ibn langweilte, und lebte als Landedelmann auf ſei—
nen Gütern bei R. Enyed. Beim Beginnen des raiziſchen
Feldzugs ließ er ſich zum Honvedofficier ernennen und
machte die drei Schlachten vor St. Tamas und den
ganzen beſchwerlichen Feldzug bis Ende October mit.
Hierauf ging er nach Siebenbürgen und commandirte
die Enveder Nationalgarde gegen die Wallachen. Bald
darauf kam er zum 11. Honvedbataillon, und erhielt
nach Banfi das Commando deſſelben. Ein Held durch
Entſchloſſenbeit und Kühnbeit, war er würdig, dieß Ba-
taillon Honvedhelden anzuführen.
Er und ſein Bataillon gaben in allen Schlachten
den Ausſchlag, und waren das Muſter einer für Freiheit
und Recht begeiſterten Heldenſchaar. Bei Mediaſch ward
er verwundet, und nur mit Gewalt vermocht, ſich zu
feiner Heilung nach Vaſärhely zu verfügen, und kaum
war er geneſen, da ſaß er wieder zu Pferde und com—
mandirte bei Szasz Régen eine Brigade gegen die
Ruſſen. Er liebte den Wein und luſtiges Leben und
fühlte ſich nie glücklicher, als im Kampfgewühle; aber
er beſaß auch eine gute Doſis Eigenſinn, und hatte
während der Campagne in Siebenbürgen dreimal feine
Entlaſſung verlangt, war aber ſtets froh, daß man dies
Geſuch unbeachtet ad acta legte. Denn, hätte er ſie
auch erbalten, er wäre am folgenden Tage wieder als
gemeiner Honved eingetreten. Die Antwort, die er
Schlick in Arad gab, als er nach der Waffenſtreckung
Kaczinczis dahin abgeführt worden, zeichnet ihn beſſer,
7
381 *
als alle Schilderungen. Schlick fragte die gefangenen
Stabsofficiere nach Namen und Rang. Als die Reihe
an ihn kam, ſprach er: „Ich bin der Oberſtlieutenant
Inczédy, der unter dem großen Bem das 11. Helden—
bataillon geführt hat.“ Schlick klopfte ihm, zum Zeichen
der Achtung auf die Schulter, hinderte aber nicht, daß
ihn das Kriegsgericht zu 12 Jahren Feſtung verurtheilte.
XI. Oberſt Riczkö Ignace.
Ein ſchöner Mann in den beſten Jahren. Früher
Huſarenofficier und Werbe-Commandant in Großwardein,
von Strategie ohne Idee. Bei Bildung des Miniſteriums
in Ungarn ward er Nationalgarde-Major im Biharer
Comitat, und ſpäter, wie wir aus der Erzählung wiſſen,
Oberſt. Er beſaß viel Eitelkeit, aber auch den hohen
Muth des ächten Huſaren, war guter Patriot, und ſtarb
bei Wargersdorf den Heldentod.
XII. Oberſt Alexius Forrô.
Früher Gardelieutenant, vollendete er ſeine mili—
tairiſche Ausbildung in der königl. ungariſchen Leibgarde
in Wien mit ganz beſonderem Erfolge, ward hierauf zum
Oberlieutenant und ſpäter zum Rittmeiſter bei den Szekler—
Huſaren befördert und kam als ſolcher im Auguſt 1848
nach dem raiziſchen Lager bei Verbasz, wo er bis zur
Rückkehr der Szekler-Huſaren-Diviſion nach Siebenbür—
gen verweilte. Oberſt Korr6 zeichnete ſich durch ſcharfen,
kritiſchen Verſtand, vielſeitiges, ſelbſterlerntes Wiſſen,
klare und treffende Auffaſſung militairiſcher Operationen
und eine Ruhe aus, die durch Nichts zu erſchüttern
war, und ihn zum beſten Vollſtrecker militairiſcher Com—
385
binationen befäbigte. Das regelmäßige ovale Geſicht
mit dem unerläßlichen Schnurrbart, die hohe, ſelten ge—
faltete Stun, die etwas tiefliegenden Augen, die nur
dann und wann Funken ſpruhten, welche das innere
Leben in dieſer kalten Form verriethen, die hohe robuſte
Geſtalt, dies Alles machte Forré zu einem impoſanten
Krieger, und ſein ſtrenges, abgeſchloſſenes Weſen, aus
welchem doch ein freundliches und wohlwollendes Herz
berauszufüblen war, erwarben ihm die Liebe und Acht⸗
ung von Hoben und Niedern, und ſein Patriotismus
feſſelte insbeſondere die Szekler, ſeine Landsleute, an
ibn. Forrö wäre fürs Vaterland ein unerſetzlicher Ver:
luſt, möge ihn Gott ſchützen.
XIII. Oberſt Baron Maximilian Stein.
Ein gedienter, erfahrener Militair, der ſchon unter
den Carliſten die Vorſchule eines Revolutionskrieges
durchgemacht hatte. Die Neuerungen des Jahres 1848
trafen ibn als Bau-Officier in der Feſtung Peterwardein,
und das neue ungariſche Minifterium ſaye er, als öfter:
reichiſch kaiſerlicher Officier, nicht ſehr gerne. Da aber
das Handbillet des Kaiſers und Königs Ferdinand V
allen Truppen, und allen Officieren, die ſich in Ungarn
placirt fanden, zur Pflicht machte, den Eid auf
die ungariſche Conſtitution zu leiſten, ſo legte ihn auch
Stein mit den übrigen Officieren beſagter Feſtung ab;
und von dieſem Momente war er ganz für die ungariſche
Sache. Es widerſtrebte ihm, als Ehrenmann, mit Schwü⸗
ren zu ſpielen. Er ward jetzt der Wortführer der Sache
Ungarns und ſeine ausgebreiteten humaniſtiſchen und
militairiſchen Kenntniſſe, ſein beißender Witz, ſein ſcharfes,
treffendes Raiſonnement machten bald die Gegner ſchwei—
gen und ließen in Stein, über kurz oder lang einen der
wichtigſten militairiſchen Lenker der ungariſchen Bewe—
25
386
gung gewahren. F. M. L. Hrabovsky wurde zum bevoll⸗
mächtigten königl. Commiſſair gegen Jellacic ernannt.
Stein war ſeine rechte Hand, und führte die äußerſt
verwickelten, diplomatiſchen Correſpondenzen ſehr ge—
ſchickt. Später entwarf er den, wegen Mangel an
Energie von Oben, nicht ganz ausgeführten Plan zur
Einnahme von Karlovitz, beſchrieb die Gegenden der
Baeska, von Peterwardein bis Verbasz, und entwarf
einen Plan zur Decupirung von Szt Tamäs; wurde
hierauf Chef des Generalſtabs der ungariſchen Baesks—
Banater-Armee und ſpäter General-Adjutant des Kriegs—
miniſteriums, und Chef der Militair-Central-Kanzlei.
Dieſe Zeit ſeines Wirkens war die fruchtbarſte, und
man muß anerkennen, daß ohne ſeinen thätigen, um—
faſſenden Geiſt, ohne ſeine raſtloſe Energie, in das Chaos
des ungariſchen Heeres nach dem Rückzuge über die
Theiß wohl ſchwerlich in ſo kurzer Zeit eine ſolche wohl—
gegliederte Ordnung gekommen wäre. Aber Stein hatte
ſich das Vertrauen Koſſuths erworben, und was er
wollte, geſchah. Seine Sarkasmen ließen ihn fürchten,
und die Officiere thaten lieber nach Steins Willen, als
daß ſie ſich zur Zielſcheibe ſeiner giftigen Pfeile machten.
Stein ſoll man es verdanken, daß der Landtag in
in Debreezin in einem Moment der Bedrängniß und des
Schreckens nicht auseinanderging, ſein kalter Hohn machte
die redſeligen Herren ſtutzen, und Niemand verließ
Debreezin. Steins weiteres Wirken im Winter und
ſein Einfluß beim Entwurf der Operationspläne wird
wahrſcheinlich von ihm ſelbſt der Welt kund gemacht
werden, wir ſind auch zu wenig unterrichtet, um hier—
über Etwas ſagen zu konnen; die obige Erzählung läßt
uns Steins Thaten in Siebenbürgen kennen und beur—
theilen. Wir haben alſo nur noch beizufügen, daß er ein
Mann iſt von mittlerer, wohlhabiger Statur, mit ins
Graue ſpielenden Haaren, feinen Mund und geiſtreichen
feurigen Augen. Seine Kenntniſſe und Erfahrungen weiht
387
er, als Ferbad Paſchab, jegt der türkiſchen Armee,
welcher er jederzeit zur Zierde gereichen wird.
XIV. Oberſt Graf Teleky Sandor.
Hat mit Stein und Lichnowsky den Carliſten-Feld⸗
zug mitgemacht und war auch eine Zeitlang in den Händen
der Spanier. In Siebenbürgen begann er feine mili—
tairiſche Laufbahn mit der Niederlage Katona Miklos
bei Dées, kam als Freiwilliger zu Bem, der ihn An⸗
fangs als Gallopin verwendete, kurz darauf aber ſeiner
nie rubenden Thätigkeit und Gefchäftigfeit in der Ge:
neral-Intendantur der Armee ein weites Feld eröffnete.
Dieſen Poſten hat er auch mit vieler Energie ausgefüllt,
er war überall, wo es für Lebensmittel zu ſorgen, wo
Kleidungsſtücke aufzutreiben, wo für Munitionstrans⸗
porte ſchneller Vorſpann zu ſchaffen war, wo es an Geld
für die Mannſchaft fehlte und raſch welches herbei—
geſchafft werden mußte. Da war Telefy Sandör der
promptefte und geſchickteſte Ausbilfsmann. Ueberdies
binderten ihn dieſe Geſchäfte nicht, an jedem Treffen
Theil zu nebmen, und im Kampfe war er brav, wie
jeder ungariſche Cavalier, und klagte nie über Strapazen.
Telefy war der ewige Courier der Armee noch allen
Richtungen des Landes, unter Feind und Freund. Er
wurde von Bem mit dem Verdienſtorden 3. Klaſſe de—
corirt, wegen feiner Bravour bei Gälfalva. Wichtiger
war jedoch fein politiſches Wirken.
Bei Hoffmann und Campe in Hamburg find ferner
erſchienen und durch alle Buchhandlungen zu beziehen:
Thlr. Sgr.
Feldzug der ungariſchen Haupt⸗
armee im Jahre 1849. Selbſterleb⸗
tes von Theophil Lapinski, Hauptmann
der ungariſchen Artillerie. Geh.. . 1 —
Der Centralſtaat und der Föde—
rativſtaat Oeſterreich. Geh... — 15
Glockenruf 1 N
Geh 2% . ee einne
Enthüllungen aus Oeſterreichs
jüngſter Vergangenheit. Von einem
Mitgliede der Linken des aufgelöſten öſter— a
reichiſchen Reichstages. Geh. .. 115
Graf Ludwig Battbyany, ein poll
tiſcher Märtyrer aus Ungarns Revolu—
tionsgeſchichte, und der 6. October 1849
in Ungarn. Von S. Horvath. Geh. — 10
Politiſche Bilder aus Ungarns
Neuzeit. Von Dr. Reiſinger. Geh. . — 25
Die Ruſſiſche Intervention nebſt
diplomatiſchen Aktenſtücken von Graf La—
dislaus Teleki, ungar. Geſandten bei der
. Republik. Geh. .. — 7½
Der Wahrheit noch eine Gaſſe,
dem Frieden eine Bahn. Geh. 7
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DB Czetz, Johann
740 Bem!s Feldzug in Sieben-
09 bürgen in den Jahren 1848-
1849
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